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Full text of "Wörterbuch der philosophischen begriffe; historischquellenmässig"

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Wörterbuch 


der 


Philosophischen  Begriffe 


Historisch-quellenmäfsig  bearbeitet 


von 


Dr.  Rudolf  Eisler 


Zweite  völlig  neu  bearbeitete  Auflage 

Erster  Band: 
A  biß  N 


Berlin  1904 
Ernst  Siegfried  Mittler  und  Sohn 

Königliche  Hofbachhandlung 
Koohstnbo  68—71 


■-' 


Alle  Rechte  aus  dem  Gesetze  vom  19.  Jani  1901 
sowie  dfts  Übenetzungsrecht  sind  yorbehalten. 


Vor  wrirfe 


Der  Gegenstand  dieses  Wörterbuches  ist  die  Geschichte  der 
philosophischen  Begriffe  und  Ausdrücke  auf  Grundlage  der 
Scbriften  der  Philosophen,  so  dafs  diese  möglichst  selbst  zum 
Worte  kommen.  Jeder  philosophische  Terminus  wird  zunächst 
Tom  Herausgeber  begrifflich  bestimmt  und  sodann  gezeigt^  welche 
Bedeutung  derselbe  und  welchen  Inhalt  der  durch  ihn  vertretene 
Bepiff  bei  den  rerschiedenen  Philosophen  des  Altertums,  des 
ICttelalt^,  der  neueren  und  der  jüngsten  Zeit  besitzt.  Nicht  alles, 
WBs  Ton  allen  Philosophen  jemals  über  den  Sinn  der  Begriffe 
gesagt  wurde,  konnte  angeführt  werden,  eine  Auswahl  mufste  natur- 
gemäß getroffen  werden,  aber  es  wurde  danach  gestrebt,  möglichst 
Tiel  tjpische  Begriffsbestimmungen  aufzunehmen,  so  dafs 
wenigstens  eine  relative  Art  ^Yollständigkeit^  erzielt  werden  konnte. 
Das  Hauptgewicht  wurde  auf  die  eigentlich  philosophischen  Begriffe 
gdegt,  doch  sind  auch  wichtigere  angrenzende  Begriffe  und  Termini 
berücksichtigt  worden;  Begriffe,  die  weniger  philosophische  Theorien, 
Oeiitangen,  Bestimmungen  ausdrücken  als  concrete,  erfahrungs- 
m&Cng  •  allgemeingültig  festlegbare  Tatsachen,  sind  teilweise  nur 
birz,  mit  Heraniiehung  einiger  Hauptquellen,  erörtert  worden 
(l  B.  Gehörsinn,  Affinit&t,  Freude  u.  dergL).  Betont  mufs  werden, 
dali,  wenn  etwas  unter  dem  einen  Schlagworte  vermifst  wird,  es 
lidi  noch  finden  kann:  1.  bei  verwandten  Ausdrücken,  2.  in  den 
Kachträgen  im  Anhang,  wo  auch  Berichtigungen  zu  finden  sind. 
Ferner  sei  bemerkt,  dafs  der  Herausgeber  noch  während  des  (lange 
^it  m  Anspruch  nehmenden  und  daher  früh  begonnenen)  Druckes 


lY  Vorwort. 

weiteres  Material  sammelte;  dasselbe  ist  im  Texte  so  weit  verwertet, 
als  dieser  noch  nicht  gedruckt  war,  zum  anderen  (kleineren)  Teile 
aber  im  Nachtrag  angebracht;  viele  Autoren  und  Begriffs- 
bestimmungen, die  in  den  vorderen  Partien  des  Buches 
noch  nicht  vorkommen,  treten  in  späteren  Teilen  noch 
auf.  ^)  Teils  die  verhältnismäfsige  Kürze  der  Zeit,  die  dem  Heraus- 
geber vergönnt  war,  teils  die  Unmöglichkeit,  alle  gewünschten  Werke 
rechtzeitig  zu  erhalten,  sind  schuld  an  diesem  sowie  an  dem 
Umstände,  dafs  auch  in  dieser  zweiten  Auflage  noch  manches  fehlt, 
was  immerhin  hätte  berücksichtigt  werden  können.  Wer  also 
gewisse  Lücken  findet,  möge  nicht  etwa  glauben,  dafs  sie  aus  Mifs- 
achtung  bestimmter  Autoren  entspringen,  sondern  möge  sie  den 
Schranken,  denen  solch  eine  Arbeit  begegnet,  zuschreiben. 

Die  Anordnung  des  Materials  ist  so  getroffen  worden,  dafs  in 
erster  Linie  die  Übersichtlichkeit  des  Stoffes  gesichert  wurde.  Die 
logisch-systematische  und  die  chronologisch-genetische  Dispositions- 
weise wurden  nach  Möglichkeit  miteinander  combiniert.  Auf  allzu 
subtile  Einteilungen  kam  es  hier,  in  einem  Wörterbuche,  nicht  so 
sehr  an,  verführt  doch  eine  solche,  die  gewöhnlich  durch  allerhand 
Yoraussetzungen  und  Annahmen  bedingt  ist,  selbst  |ilso  den 
Charakter  einer  Theorie,  einer  Hypothese  hat,  zur  Subjectivierung 
der  Darstellung,  während  doch  dem  Herausgeber  an  möglichster 
Objectivität  lag;  diese  ist  denn  auch  von  der  Kritik  anerkannt 
worden.  Den  eigenen  Standpunkt,  den  der  Fachmann  als  einen  in  so 
mancher  Beziehung  selbständigen  erkennen  wird,  hat  der  Herausgeber 
in  den  an  der  Spitze  der  einzelnen  Artikel  stehenden  Begriffs- 
bestimmungen zwar  kurz,  präcis,  aber,  wie  er  glaubt,  nicht  un- 
wissenschaftlich, entwickelt. 

Begriffe  sind  der  Niederschlag  von  Einsichten  in  das  Constante, 
Allgemeine,  Charakteristische,  Typische  einer  Gruppe  von  Objecten, 
die  Concentrierung  und  Fixierung  des  in  einer  Reihe  von  Urteilen 
Gedachten.  Sie  enthalten  das  „ Wesen **  einer  Klasse  von  Objecten. 
Dieses  „Wesen"  ist  aber  nicht  etwa  das  »Ding  an  sich",  sondern 
das,  was  dem  Denkenden  als  logisch  wichtig,  bedeutsam  erscheint^ 
und  das  hängt  sehr  vom  Standpunkt  und  von  der  Individualität  des 

^)  Ein  Urteil  über  den  Grad  der  Reichhaltigkeit  des  Baches  ist  daher  erst 
nach  Kenntnis  des  Gesamtwerkes  möglich. 


Vorwort.  V 

Denkenden  ab.  Daher  repräsentieren  insbesondere  die  philosophischen 
Begriffe  ganze  Theorien,  Hypothesen,  Deutungen, Wertungen, 
ein  jeder  von  ihnen  will  eine  Seite  der  Objecto   erfassen,  fixieren. 
Die  Verschiedenheit  der  philosophischen  Charaktere  bringt  Einseitig- 
keiten in  der  begrifflichen  Bestimmung  ^  der  Dinge   mit   sich,   der 
Stand  der  wissenschaftlichen  Forschung,  der  EinfluTs  der  Religion, 
G^lschaft,  Horal,  Basse  u.  a.  m.,  sie  wirken  auf  die  Gestaltung, 
auf  den  Inhalt  der  Begriffe  ein.     Dazu  kommt  der  Wechsel  der 
Bedentang  der  Ausdrücke,  der  seinen  Grund  teils  in  der  Subjectivität 
der  Philosophen,  teils  in  allgemeinen  Zweckmäfsigkeitserwägungen 
hat.  Endlich  führt  die  Notwendigkeit,  neuen  Begriffen  entsprechende 
Fiiationspunkte  zu  geben,  zu  neuen  „Fachausdrucken^.      Diesen 
Wechsel  in   der  Bedeutung  der  Begriffe   und  Auscfrücke, 
diese   Veränderung    von    Quantität,    Qualität,    Wert   der 
Begriffsinhalte  will  das  vorliegende  Wörterbuch  erkennen 
lassen.    Es  will  zeigen,  was  jeder  Philosoph  mit  den  von  ihm  in 
seinen  Schriften  gebrauchten,  aber  nur  stellenweise  definierten  Aus- 
drücken  meint,    und   welchen    Inhalt    die    von    ihm    verwendeten 
Begriffe  im  Unterschiede  von  anderen  Denkern  haben.    Es  will  damit 
«ich  die  Quintessenz  der  Theorien  und  Weltanschauungen 
der,  verschiedenen  Denker  durch  diese  selbst   formulieren   lassen. 
Der  Unterschied  wissenschaftlich-präciser  von  der  „naiven"  Begriffs- 
bestimmung soll  dem  „Laien"  klar  werden.     Unterscheiden  sich  doch 
die  philosophischen   Begriffe   von    den    „populären"    hauptsächlich 
dadurch,  dafs  in  ihnen  dasjenige,  was  der  „Naive"  functionell,  unter- 
bewufst  denkt,  mit  voller  Besonnenheit,   mit  der  Klarheit  und  Be- 
wufstheit   der  Apperception    erfafst   und   fixiert  wird.     Gerade  die 
Einseitigkeiten  und  Halbheiten  der  Begriffsbestinmiungen  aber  sind 
notwendig,    damit  im  Fortgange  der  philosophischen  Evolution  all- 
mählich   das   wahre   Wesen   der   Dinge,     nach   Überwindung    der 
Einseitigkeiten,    Irrtümer  und  Widersprüche,   an  den  Tag  komme. 
Die  Kenntnis  der  verschiedenen,  einander  ergänzenden  „Meinungen" 
wt  ftr  den  nach  Objectivität  des  Erkennens  Strebenden  wertvoll. 

Solch  eine  Kenntnis  wird  zunächst  durch  das  Studium  der 
klassischen  Autoren  selbst  erworben.  Teils  zum  besseren  Ver- 
ständnis dieser,  teils  um  auch  andere,  dem  Kichtf achmanne  ferner 
liegende  Philosophen  kennen  zu  lernen,  also  zur  Vorbereitung  und 


VI  Vorwort. 

Ergänzung  des  philosophiBchen  StudiumS)  dienen  die  philosophie- 
geschichtlich en  Werke.  Da  diese  aber  in  der  Regel  diePhilosophen 
in  tote  als  Systematiker  behandeln  und  den  Stoff  nach  Perioden  und 
Denkern  anordnen,  so  sind  auch  Werke  notwendig,  welche  eine 
Geschichte  nicht  der  Philosophen,  sondern  der  Begriffe  geben. 
Eine  vollständige,  allumfassende,  ausführliche  Geschichte  aller  philo- 
sophischen Begriffe  gibt  es  naturgemäfs  noch  nicht,  sie  mufs  erst  all- 
mählich entstehen.  Das  Bedürfnis  nach  Übersicht  über  die  historische 
Gestaltung  der  Begriffe  kann  daher  bis  jetzt  nur  beMedigt  werden 
durch  das  Studium:  1.  der  vorhandenen  Monographien^),  3.  einiger 
Speciallexika^,  3.  durch  allgemeine  philosophische  Wörter- 
bücher^, deren  es  eine  Anzahl  gibt.  Während  diese  aber  das 
Historische  nur  nebenbei  berücksichtigen  und  ihren  Hauptzweck 
darin  setzen,  eine  philosophische  Encyklopädie,  ein  lexi- 
kalisches Compendium  der  Philosophie  und  Psychologie  abzugeben,  ist 
das  vorliegende  Wörterbuch  in  erster  Linie  historisch.  Insofern 
unterscheidet  es  sich  von  allen  anderen  Werken  dieser  Art,  vor  allem 
durch  die  im  wesentlichen  consequente  Durchführung  der  quellen- 
mäfsigen,  bezw.  auch  der  wörtlichen  (im  Originaltext  oder  in 
Übersetzung)  Darstellung.    Das  Wörterbuch  bietet  ein  ausgewähltes, 


^)  Zu  diesen  ist  auch  B.  Euckbns  „Geschichte  und  Kritik  der  Grundbegriffe 
der  Gegenwarf,  1S78,  zu  rechnen;  vgl.  desselben  Autors  „Geschichte  der  philo- 
sophischen Terminologie  im  Ümrifs*,  1879.  Vgl.  Windelband,  „Gesch.  d.  Philo«.**  2.  A. 

^  Meissner,  „Philosoph.  Lexikon  aus  Wolffs  deutschen  Schriften*',  1737. 
Mellin,  „Kunstsprache  der  krit.  Philosophie**,  1798;  „Encyklopäd.  Wörterbuch  d. 
krit.  Philos,**  1797 — 1803;  „Marginalien  und  Register  zu  Kants  Kritik  der  Er- 
kenntnisvermögen*, 1794— 95.  G-.  Weg  NEE,  „Kant-Lexlcon",  1893.  Frauenstadt, 
„Schopenhaner-Lezicon",  1871.  L.  Schulze,  ^Thomas-Lexicon**,  1896.  M.  Kappes, 
„Aristoteles-Lezicon**,  1894.  BouRDET,  „Vocabulaire  des  principaux  termes  de  la 
Philosophie  positive**,  1875.     J.  J.  WaGNER,  „Wörterb.  d.  Piaton.  Philos.«,  1799. 

')  GocLENlüs,  „Lexicon  philosophicum",  1613.  MiCRAELiUS,  „Lexicon  philo- 
sophicum',  1653.  Martini,  Fogeui  „Lexicon  philosophicum*,  16S9.  WalcH, 
„Philosoph.  Lexicon**,  1726.  CHAUVIN,  „Lexicon  rationale**,  1692.  Lossius,  „Neues 
Philosoph,  allgemein.  Real-Lexicon**,  1803.  KruQ,  „Allgemeines  Handwörterbuch 
der  Philosoph.  Wissenschaften**,  1827  ff.  Vgl.  auch  Bayle,  „Dictionnaire  histor.  et 
critique**,  1695—97.  VoLTAlRE,  „Dictionnaire  philosophique**,  1764.  Von  neueren 
Wörterbfichem  seien  erwähnt:  A.  FftANCK,  „Dictionnaire  dea  sciences  philosophiques*', 
1844—52, 3.  A.  1885.  A.  BeRTRAND,  „Lexique  de  philosophie**,  1893.  J.  £.  THOMSON, 
„A  Dictionary  of  philosophy",  1887;  W.  Flemming,  „Vocabulary  of  Philosophy**, 
4.  A.  1887.  Bawldin,  „Dictionary  of  Philos.  and  Psychol.*,  1901  ff.  E.  KiRCaNER, 
„Wörterbuch  derphilosoph.  Grundbegriffe.*    4.  Aufl.  von  C.  MichaSlis^  1903  (populär). 


Vorwort.  VII 

geordnetes  Qnellenmaterial  ffir  yergleichende  und  kritische  ünter- 
nehiingeii,  es  erleichtert  dem  Fachmann e  die  Arbeit  nach  yer- 
sehiedenen  Richtungen,  besonders  demjenigen,  der  nicht  eigentlich 
Historiker  der  Philosophie  ist.  Dem  Schriftsteller  und  Lehrer 
gibt  es  Citatenstoff,  dem  Studierenden  und  Laien  kann  es  zum 
lächteren  Verständnis  bei  der  Lektüre  und  beim  Studium  und  es 
faum  ihm  als  Hand-  und  Hilfsbuch  für  die  Orientierung  in  der  Ent- 
wicklung der  philosophischen  Begriffe  dienen.  Es  kann  femer  zum 
eigenen  Denken  anregen.  Zahlreiche  Zuschriften  haben  dem  Heraus- 
geber dargetan,  dafs  er  mit  seinem  Buche  einem  Bedürfnisse  ent- 
gegenkam. Nur  möge  man  beachten,  dafs  das  „Wörterbuch"  nicht 
eine  Geschichte  der  Philosophie  überhaupt  sein,  nicht  eine 
solche  ersetzen  will,  sondern  dafs  es  die  Benutzung  einer  solchen 
Toranssetzt,  welche  es  ergänzen  will.  Bibliographisches  z.B. bringt 
ea  nicht,  zumal  es  schön  ein  eigenes  biographisch-philosophisches 
Wörterbuch  (von  L.  Noack,  1879)  gibt 

Gegenüber  der  ersten  Auflage  weist  die  vorliegende  besonders 
folgende  Yorzüge  auf:  1.  Eine  bedeutende  Vermehrung  des  Stoffes 
(der  Schlagworte  wie  der  Gitate);  2.  eine  systematischere,  über- 
aehtlichere  Anordnung;  3.  genauere  und  meist  ausführlichere 
Begriffsbestimmungen  seitens  des  Herausgebers;  4.  umfassen- 
des Berücksichtigung  der  Ethik,  Ästhetik,  Religions-,  Rechts-, 
Socialphilosophie  sowie  5.  der  neueren  ausländischen 
Autoren.  *) 

Der  meist  wohlwollenden,  wenn  auch  zuweilen  strengen  Kritik 
qnricht  der  Herausgeber  für  verschiedene  nützliche  Fingerzeige  seinen 
DaDk  aus.  Ebenso  dankt  er  dem  Publikum  für  die  über  Erwarten 
günstige  Aufiiahme  seines  Buches,  die  ihn  für  seine  nicht  geringen 
Änstrengongen  entschädigt.') 

Wien,  Oktober  1903. 

Der  Herausgeber. 


1)  Soweit  deren  Werke  hier  za  erlangen  waren.  Eine  noch  umfassendere 
BerQckrichtigang  (auch  deutscher  Autoren]  behält  sieh  der  Herausgeber  fSr  eine 
'^eit  neue  Auflage  vor. 

*)  Die  Nachträge  sowie  das  Literatur-Register  befinden  sich  am  Schlufs 
^  xweiten  Bandes. 


i  (    UNlVEr^'-ITY 


r'\     i-..:  .-    -V 


.iM.« 


A:  in  der  Schul -Logik  =  Zeichen  für  das  allgemein  bejahende  Urteil 
4äk  S  sind  P),  „Asserit  Ä  sed  umpersaliter**  (bei  Petrus  Hispakus:  Prantl, 
G.  d.  L  III,  431).  yyÄsserit  A"  wohl  schon  bei  Psellüs  (1.  c.  I,  643,  656). 
YpL  Logik  von  Port-Royal  II,  2  u.  dgl. 

A  =  A:  Schema  für  den  Satz  der  Identität  (s.  d.).  J.  G.  Fichte  erklärt 
''den  Satz  A  =  A  für  den  Ausgangspunkt  der  Erkenntnistheorie.  Er  ist  als 
mmittelbar  gewiß  g^eben.  Er  besagt,  daß,  „wenn  Ä  sei,  so  sei  J.".  Ein  not- 
vendiger  Znsammenhang  wird  damit  durch  das  Ich  gesetzt,  „schlechthin  und 
«*«?  allen  Orund"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  4).  Dagegen  gilt  der  Satz  Ich  =  Ich 
nicht  bloß  fonnal,  sondern  auch  material,  das  Ich  ist  darin  selbst  gesetzt.  Aus 
Idi  =  Ich  folgt  erst  durch  Abstraction  das  logische  Gesetz  A  =  A.  Nach 
€akktrrb  ist  A  =  A  „(las  erste  Oesetx  im  Denken  wie  in  der  Natur^K  „Die- 
mbm  Umstände  haben  immer  dieselben  Ergebnissen^  (Asth.  I,  34).  Bei  Sohel- 
uk(t  igt  A  =  A  eine  Formel  für  die  Einheit  des  Absoluten,  das  sich  in  Potenzen 
(ä  i)  A  =  A»,  A  =  A«,  A  =  A«  entwickelt. 

A  =  iilclit  Non-A:  Schema  für  den  Satz  des  Widerspruchs  (s.  d.). 
Xach  J.  G.  Fichte  entsteht  der  Satz  durch  Abstraction  aus  dem  sich  Ent- 
gegensetzen des  Nicht-Ich  durch  das  Ich  (s.  d.).    Vgl.  Negation. 

Aballenatlon:  Geistesstörung  (s.  d.). 

Abdnetlon:  Überleitung  von  einem  Satz  zum  andern. 

Abesse  ad  posse  valet,  a  posse  ad  esse  non  valet  consequentia: 
dff  Grundsatz,  nach  welchem  man  zwar  von  der  Wirklichkeit  auf  die  Möglich- 
^ät,  aber  nicht  umgekehrt  schließen  darf.  „Quod  extstit,  id  est  possibUe^^ 
(CIhb.  Wolf,  Ont.  §  170).  Aus  der  Gültigkeit,  des  assertorischen  folgt  die  des 
problematischen  Urteils,  nicht  aber  umgekehrt. 

Abfiül  B.  Böses,  Gott. 

AbgekArster  Sdilnß  s.  Enthymem. 

Abfielet tet  ist  jede  Erkenntnis,  die  eine  andere  voraussetzt,  zur  Grund- 
lage hat,  aus  ihr  folgt.    Vgl.  Prädicabilien. 

Abc^eBi€0sen  =  präcis  =  inhaltlich  genau  bestimmt,  scharf  umgrenzt 
Abgescisen  =  abstract  (s.  d.). 

AbbftBf^l^kett  (Dependenz)  ist  die  Beziehung,  in  welcher  etwas  seinem 
^,  saner  Beschaffenheit  nach  durch  ein  anderes  bestinmit,  bedingt,  gesetzt 
■*•  Abhängig  ist,  was  nicht  ohne  ein  anderes  sein,  so  sein  kann.  Zu  unter- 
•dieiden  ist:  reale  (ontologische)  Abhängigkeit  —  die  eines  Dinges  oder  Ge- 
fchAens  von  anderen  Dingen  oder  Vorgängen;  erkenntnistheoretische 
Abb-  —  die  der  Objecte  vom  Erkennen,  von  den  Anschauungs-  und  Denk- 

P1ülotopbiMb«t  WOrterbaoh.     8.  Aufl.  1 


Abhängigkeit  -   Absolut. 


functioDen,  vom  Subject;  logische  Abh.  —  die  eines  Gedankens  von  anderen, 
mathematische  Abh.  —  das  Functionsverhältnis  (s.  d.);  moralische  Abh. 
—  die  einer  Willenshandlung  von  einem  Willen;  religiöse  Abh.  —  die  der 
endlichen  Wesen  von  Grott.  Daß  mit  dorn  Grunde  die  Folge  gesetzt  ist,  ist  der 
allgemeinste  Ausdruck  der  Dependenz. 

Die  Scholastiker  unterscheiden  eine  y,dependentta  essentialüer^'  und  „aeei- 
denialiter",  „eausaiis^y  „relatira",  jypersoncUis"  (vgl.  GOCLEN,  Lex.  phil.  p.  509). 
Chr.  Wolf:  „Ens  unum  Ä  dicitur  dependens  ab  altero  B,  qtiotenus  eius,  qtwd 
ipsi  Ä  ineocistit,  ratio  in  hoc  altero  B  eontinetur^*  (Ontol.  §  851).  Kant  rechnet 
die  Dependenz  zu  den  Grundbegriffen  des  Denkens  (Kr.  d.  r.  V.  S.  96).  Eine 
Beihe  von  Philosophen  (Mach,  Avenarius  u,  a.)  setzt  den  Begriff  der 
functionellen  „Abhängigkeit^^  an  die  Stelle  des  Causalbegriffs  (s.  d.).  Avenabius 
bezeichnet  das  „System  O*  (s.  d.)  als  „Utiahhängige^^,  von  dem  jeder  einzelne 
Erfahrungsinhalt  „abhängig''  ist  (Kr.  d.  r.  E.  I,  40;  II,  5,  16  ff.).  Vgl. 
Oausalitat. 

Abliftni^i^keitss^^MM  s.  Religion. 

Abneig^nni^  s.  Neigung. 

Abraxas  =  die  mystische  Zahl  365  der  Gnostiker.  Nach  Basilides 
besteht  ein  System  göttlicher  Kräfte  (Äonen)  in  365  Sphären  (vgl.  Vorländer, 
Gesch.  d.  Phüce.  I,  210),  die  den  Namen  äß^ii^a  führen:  a{\)  +  ß (2)  +  ^  (100) 
4-  « ( 1 )  +  { (60)  +  o  (1)  -f  a  (200)  =  365. 

AbscIireekMns^stlieorle:  Nach  ihr  besteht  der  Zweck  der  Strafe  in 
der  Einschüchterung  des  Verbrechers  und  anderer.    Vgl.  Rechtsphilosophie. 

Abiieliea  ist  das  Gegenteil  von  Begierde  (s.  d.). 

Abslcllt  (Intention)  ist  die  bewußte  Anstrebung  eines  Zieles  und  auch 
das,  worauf  es  bei  einer  Willenshandlung,  abgesehen  ist,  das  bewußt  Be- 
stimmende derselben,  das  eigentliche,  directe  Motiv.  Nach  den  Scholastikern 
ist  Absicht  ( inten tio)  ein  „virttäis  appeiitivae  a/^tiis",  „actus  roluntatis"  (Thomab, 
Verit.  22,  13  c).  Es  gibt  intentio  absoluta,  actuaUs,  habitualis,  animalis,  bona, 
mentalis,  femer  intentio  prima  und  secunda  naturae  (4  sent.  36,  1,  1  ad  2; 
Verit  23,  2  c).  Nach  Chr.  Wolf  ist  Absicht  „da^enigcy  ira^  wir  durch  ttnser 
Wollen  XU  erhalten  gedenken''  (Vem.  Ged.  I,  §  910).  MEmONO  teilt  die  Ab- 
sichten oder  „Willens- Objecte"  in  egoistische,  altruistische  und  neutrale  ein 
(Wertth.  S.  95  f.).  SiGWART  erklart:  „Wo  die  Möglichkeit  der  Ausführting  als 
vorhanden  angenammen,  aber  der  bestimmte  Weg  xum  Ziel  noch  nicht  gefunden 
ist  oder  nicht  sofort  betreten  oder  wenigstens  nicht  mit  eifietn  Schritt  xuriick- 
gelegt  werden  kann,  existiert  der  bejahte  Zweck  als  Absicht^'  (Kl.  Sehr.  II*,  150). 

Absiclfttstlieorle:  die  Beurteilung  des  Sittlichen  rein  nach  der  Absicht, 
dem  Motiv  des  Handelns.    VgL  Ethik,  Sittlichkeit,  Tugend. 

Absolut  (absolutus):  losgelöst  von  jeder  Bestimmtheit,  jeder  Verbin- 
dung, jeder  Abhängigkeit;  in  und  durch  sich  bestehend,  uneingeschränkt,  be- 
ziehungs-  und  bedingungslos,  unbedingt,  in  jeder  Beziehimg.  Gegensatz:  relativ 
(s.  d.).  „Absolut"  entspricht  dem  xa^  avro  (an  sich)  bei  Plato,  ARiSTOTEuas, 
Plotin.  Bei  den  Scholastikern  bedeutet  „absoltäum"  das  „purum",  „sine  idla 
conditione",  „non  dependens  ab  alio"  (GoCLEN,  Lex.  phil.  p.  9).  Gott  wird  das  • 
„absolutum"  genannt  von  NicoLAUB  CusANUS  (Doct.  ignor.  II,  9).  Bei  Spinoza 
u.  a.   finden  wir  den   Gegensatz   von   „absolute"  und   „respectire"  (Cog.  met. 


Absolut  —  Abstraot. 


I,  6,  p.  60).  CoujEB  gebraucht  das  Wort  im  Sinne  von  independent  (Clav, 
aniv.  p.  2).  Nach  Teteks  ist  absolut,  ,f<iUi8  auf  nichts  anderes  sich  Bextehendey  dtzs 
üfdtexogen^^  {Phil.  Vers.  I.  145).  Zur  Zeit^Kants  bedeutet  absolut  y^daß  etwas  von 
eitur  Sache  an  sich  seihst  betrachtet  und.  also  innerlich  gelte^^  oder  ,jdaß  etwas  in  aller 
Baiehtmg  (uneingeschränkt)  gültig  ist"  (Kr.  d.  r.  V.  S.  281).  Bei  J.  G.  Fichte  heißt 
absolut  so  viel  wie  „gänxlieh  unbeschränkt^^  „schlechthin"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  97). 
£r  ^richt  von  einem  absoluten  Ich  (s.  d.).  Von  Bghelling  an  wird  yydus  Ab- 
iohfte*^  für  den  Urgrund  der  Dinge,  die  Gottheit,  häufig  gebraucht.  Schopen- 
HiüER  eifert  gegen  diesen  Gebrauch,  das  Wort  bezeichne  nichts  als  das  ,fÄn- 
niehts-geknüpft-sein"  (Neue  Fand.  §  96).  Als  absolut  wird  Gott  übrigens  schon 
rm  Tbomas  (,yAbsolutuin ,  secmtdum  quod  in  se  est*'  Sum.  th.  I,  qu.  85,  3), 
femer  auch  von  Leebniz  (Erdm.  p.  138  ff.)  bezeichnet.  Chr.  Wolf  definiert 
d»  Absolute  als  „dasjenige  Ding,  welches  den  Grund  seiner  Wirklichkeit  in  sich 
hat  tmd  also  dergestalt  ist,  daß  es  unmöglich  nicht  sein  kann",  d.  h.  ein  „selb- 
itändiges  Wesen",  das  „von  allen  Ditzgen  unabhängig  ist"  (Vem.  G^ed.  I,  §  929, 
§  938|.    VgL  Gott. 

Absolute  Erkenntnis  s.  Erkenntnis.  Absolute  Existenz  =  das  „inse 
e«*?"  der  Scholastiker  (Thomas,  Smn.  th.  I,  85,  3).  Vgl.  Sein.  Absolute 
Freiheit  s.  Freiheit,  Indeterminismus.  Absolute  Gültigkeit  s.  Gültigkeit 
Absolute  Idee  s.  Idee.  Absolute  Namen  s.  Connotatio.  Absolute  Not- 
wendigkeit 8.  Notwendigkeit    Absolute  Position  s.  Position. 

Absolute  Wahrheit  ist  eme  Wahrheit,  die  unabhängig  von  anderen 
Wahrheiten  und  von  allen  denkenden  Subjecten  gilt.    Vgl.  Wahrheit. 

Abflolnter  Geist  s.  G«ist  Absoluter  Idealismus  s.  Idealismus.  Ab- 
soluter Raum  8.  Saum.  Absoluter  Wert  s.  Wert.  Absolutes  Ich  oder 
Sobject  8.  Ich. 

AlbselateA  Wissen  ist  der  Ausgangspunkt  der  ScHELUNGschen 
Fliiloeophie.  Es  ist  ein  Wissen,  „worin  das  Suhjective  und  Objective  nickt  als 
Entgegengesetzte  rereinigt,  sondern  worin  das  ganze  Stibjective  das  ganze  Objective 
md  umgekehrt  ist"  (Id.  zu  e.  Ph.  d.  Nat.  I*,  71).    Vgl.  Wissen. 

AbsolatisnftUS  s.  Rechtsphilosophie. 
Absondern  =  abstrahieren  (s.  d.). 

AhmtaOwakgßlkrtM  („v^is  repulsiva")  ist  die  den  Körperelementen  oder 
den  Atheratomen  zugeschriebene  distanzsetzende  Kraft.    Vgl.  Atom,  Materie. 

Abstract  (abgezogen)  ist  jeder  Bestandteil  einer  Vorstellimg  oder  eines 
fiefjiffes,  der  für  sich  allein  durch  die  Aufmerksamkeit  fixiert,  appercipiert  und 
dadurch  aus  dem  tatsächlichen  Zusammenhange  herausgehoben  wird.  ,rAbstract^* 
im  engeren  Sinne  und  „begrifflich"  sind  identisch.  Die  abstracten  Be- 
?riffe  sind  die  höchsten  Stufen  der  Abstraction,  sie  haben  nur  mehr  Verhalt- 
&iä^,  Relationen,  kurz  völlig  Unanschauliches,  Nichtsinnliches  zum  Inhalt 
'*.  B.  Sein,  Wirken,  Tugend).    G^ensatz:  concret 

Abetract  (ro  /£  itpat^asoH)  ist  nach  AsiBTOTELES  das  Allgemeine,  z.  B. 
dv  Mathematische  (Met  1061  a  29;  1077  b  9;  de  an.  403  b  15,  432  a  5).  Den 
Scholastikern  gelten  als  abstract  die  Begriffe  und  Namen  von  Eigenschaften 
o»d  Verhältnissen,  als  concret  die  Gegenstandsnamen.  „Coneretum  significat 
^  diqmm  rem  et  supponit  pro  illa,  quam  nullo  tnodo  abstracttim  signißcat  fiec 
fro  Uta  supponit"  (Pkantl,  G.  d.  L.  III,  363).  Das  abstracte  Wort  steht 
^f^f  mttltis  simul  sumptis",   das   concrete  „pro  uno  solo"  (1.  c.  364).    Nach 

1* 

i 


Abstraot. 


H0BBE8  sind  abstract  Begriffe,  wie  Körperlichkeit,  Größe,  Ähnlichkeit,  also 
Attributsbegriffe  (Comp.  4,  3).  „Concreium^*^  ist  „quod  rei  alicuiuSy  quae  existere 
suppaniturj  nomen  est"  (I.  c.  3,  3;  ähnlich  J.  St.  Mill,  Log.  I,  32).  Che. 
Wolf  versteht  unter  y,notio  abstraeta"  einen  Begriff,  welcher  ,,aliqtiid,  quod  rei 
midam  inest  rei  adest  (scili^et  rerum  attribuiaj  nwdos,  relaiiones)  repraesentat 
absque  ea  re^  cui  hiest  rei  adest^*  (Log-  §  HO).  Nach  Bonnet  entsteht  das 
Abstracte  durch  Beschränkung  der  Aufmerksamkeit  auf  allgemeine  Eigenschaften 
(Ess.  de  Psych.  C.  12).  Destutt  de  Tracy  bestimmt  als  „termes  abstraits^ 
jjles  mots  purete,  honte  etc.,  qui  exprinient  ces  qualites  separees  de  taut  si^et^ 
(EL  d^  id^l.  I,  6). 

Berkeley  bestreitet  die  Existenz  von  yyobstraet  idetis",  d.  h.  Allgemein- 
vorstellungen; ein  Dreieck,  das  weder  gleichseitig,  noch  schiefwinkelig,  noch 
ungleichseitig  u.  s.  w.  sein,  sondern  nur  die  allgemeinen  Eigenschaften  des 
Dreiecks  haben  soll,  ist  ein  Unding,  existiert  nur  „in  den  Köpfen  der  Gele/irten** 
(Princ.  XIII).  Das  Abstracte,  Allgemeine  (s.  d.)  ist  eine  Function  des  Namens. 
In  seinem  Sinne  sagt  auch  Hume:  jy  Alle  abstracten  Vorstellungen  sind  in  Wirk'- 
lickkeit  nichts  anderes  als  einzelne,  die  ron  einem  gemssen  Gesichtspunkt  aus 
betrachtet  irerden,  mit  allgemeinen  Bezeichnungen  rerknüpft^^  (Treat.  II,  sct.  3, 
S.  52).    Gegen  diese  Auffassung  ist  J.  J.  Engel  (Schriften  1844,  X,  75  ff.). 

Kant  nennt  einen  Begriff  desto  abstracter,  ,Je  jnehr  Unterschiede  der  Dinge 
aus  ihm  weggelassen  sind"  (Log.  §  6).  Nach  Krug  ist  abstract  „ein  Begriff, 
wenn  er  für  sich  allein,  mithin  außer  Verbindung  mit  anderen  Begriffen  ge- 
dacht wird"  (Lexik.  I,  15).  Nach  Schopenhauer  sind  alle  Begriffe  abstract 
(W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  I,  §  9).  Bolzano  versteht  unter  dem  Abstracten  jede 
„BescJuiffenheitsvorstellung"  (Wiss.  I,  259  f.).  Hegel  hält  den  Begriff  nur  in- 
sofern für  abstract,  „als  das  Denken  überhaupt  und  nicht  das  coficrete  Sinnliehe 
sein  Eletnent,  teils  als  es  7wch  nicht  die  Idee  ist",  „als  rein  forfnellen  Begriff^*^ 
(Encykl.  §  164).  Der  lebendige  Begriff  (s.  d.)  ist  hingegen  das  „schlechthin  Conr 
crete"  (ib.).  Das  Vemünftig-Abstracte  ist  zugleich  ein  Concretes,  „weil  es  nicht 
eifi fache,  formelle  Einheit,  sondern  Einheit  unterschiedener  Bestim- 
mungen ist"  (§  82).  Alles  „Wahrhaftige  des  Geistes  sowohl  als  der  Natur  ist 
in  sich  concret  und  hat  der  Allgemeinheit  ohneracJUet  dennoch  Subjectiritltt  und 
Besonderheit  in  sich"  (Ästh.  I,  92). 

Nach  Fortlage  ist  ein  „Begriff  mit  lauter  fixen  Merhnalen"  concret ;  er  wird 
um  so  abstracter,  je  mehr  Merkmale  beweglich  werden  (Psych.  I,  §  23).  Ab- 
stract sind  nach  Drobisch  die  Gattungs-  und  Artbegriffe  (Neue  Darst.  d.  Log. 
S.  22).  Nach  C.  GöRING  gibt  es  nur  Individualvorstellungen  (Syst.  d.  krit 
Philos.  I,  234).  So  auch  nach  Stricker  (Stud.  üb.  d.  Bewußts.  1879,  S.  40  ff.)- 
Hagemann  erklärt:  „Das  abstracte  Wort  bexeicJinet  die  Wesenheit,  Beschaffen- 
heit oder  deren  Mangel  ( Privation) ^  abgesehen  (abstrahiert)  vofi  dem  Subjecte, 
welchem  sie  xidcommt.  Das  conerete  Wort  bezeichnet  die  Wesenheit,  Beschaffen- 
heit oder  deren  Mangel,  xugleich  mit  ihrem  Subjecte"  (Log.  u.  Noet.  S.  35). 
Nach  Liebmann  gibt  es  abstracte  Denkfunctionen ,  wenn  auch  die  Existenz 
abstracter  Begriffe  durch  innere  Beobachtung  nicht  festzustellen  ist  (AnaL  d. 
Wirkl.*,  S.  485).  Nach  Wundt  smd  abstract  „diejenigen  Begriffe,  denen  eifte 
adäquate  stell rer tretende  Vorstellung  nicht  entepricht".  Ihren  anschaulichen 
Charakter  verlieren  die  Begriffe  durch  Verdunkelimg  der  mit  den  „herrschenden 
Elementen"  verschmolzenen  repräsentativen  Vorstellung  und  endlich  durch  Ver- 
dimkelung  dei  herrschenden  Elemente  selbst.   Dann  ist  das  gesprochene  oder  ge- 


Abstraot  —  Abstraotioii.  5 

«hiiebene  Wort  das  einzige  Zeichen  für  den  Begriff  (Log.  I*,  S.  46  ff.,  51  ff. 
Gr.  d.  Pöych.  S.  312  ff.  Syst,  d.  Phil.«,  S.  38  f.,  44).  Die  abstractesten  Be- 
griffe bestehen  nur  noch  in  logischen  Forderungen  (vgl.  B^riff).  Nach  Jgdl 
'9i  der  logische  Begriff  abetract,  „denn  er  greift  aus  (kr  Ersclteinung  .  .  getcisse 
Züge  hercms  und  fixiert  sie  in  dieser  Besonderheit  als  allgemeinem^;  der  „Wort- 
begrifft  hingegen  ist  concret  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  609).  H.  CoKNELrüS:  jfDie 
Bedeulung  des  Prädieaiswortes  ist  ,abstract%  insofern  dasselbe  gemäß  der  Eni- 
fifktmg  seiner  Bedeutung  alle  Inhalte  der  betreffenden  Art  unterschiedslos  (also 
Abgesehen*"  von  ihren  Unterschieden)  bexeichnet^'  (Einl.  in  d.  Phil.  S.  236). 
HrsSERL  nennt  „abstractum^^  einen  ,Jnhalty  xu  dem  es  überhaupt  ein  Oanxes 
pbiy  bezüglich  dessen  er  ein  unselbständiger  Teil  ist**  (Log*  Uiit.  II,  260).  „Con- 
frHum*^  ist  ein  Inhalt  mit  Beziehung  auf  seine  abstracten  Momente  (1.  c.  S.  261). 
HÖFLEB  bezeichnet  als  „abstra^cte  Vorstellungen**  „die  durch  die  abstrahierende 
Aufmerksamkeit  hervorgehobenen  Vorsteliungsnierkmale**  (Gr.  d.  Log.*,  S.  16). 
Xich  Schupfe  ist  ,^eoncret**  das  gegebene  Individuelle,  y^abstraeV*  jedes  für 
äeh,  gesondert  gedachte  Element  der  Wirkhchkeit  (Log.  S.  79).  Abstract  ist 
.jfin  aus  dem  Qanxen  einer  erlebten  Wahmehmutig  in  Gedanken  abgesonderter 
Batandteil  datm,  wenn  er  für  sieh  allein  absolut  nicht  wahrgenommen  irerden 
inm,  sondern  immer  nur  xusammen  mit  einem  andern  Bestandteil**  (Zeitschr. 
1  imm.  Phil.  I,  40;  Erk.  Log.  S.  162  ff.).  Das  Concrete  ist  „dasfetiigej  was 
nmmlieh  und  xeiilirh  oder  doch  wenigstens  xeithch  bestimmt  ist  und  in  dieser 
Bettimmtheit  seine  Unterscheidbarkeit  hat**  (Grdz.  d.  Eth.  S.  390).  Rehmke 
sctet  „concret**  gleich  „unveränderlich**,  „abstract**  gleich  „veränderlieh**  (Allg. 
P^choL  S.  6  f.).  ffDas  Concrete  besteht  aus  Äbstraetem  und  das  Äbsfracfe  be- 
«<«*/  nur  als  wirkliche  Bestimmtheit  des  Concreten**  (1.  c.  S.  7).  Es  gibt  ein 
allgemeines  und  individuelles  Abstractes  (1.  c.  S.  9).  Concretes  (Veränderliches) 
ist  ,/lie  gesetzmäßige  Einheit  des  Nacheinander  von  unveränderlichen  Augen- 
bliekS'Einheiteny  die  untereinander  sowohl  Identisches  als  a^ich  Verschiedenes 
enthalten**  (L  c.  S.  45). 

Abstrmete  Ctofllhle  sind  (nach  Sully,  Hum.  Mind  II,  C.  10)  die 
intelleetuellen,  ästhetischen,  moralischen  Gefühle. 

Abstracte  Vorstellung  s.  Abstract. 

Abstraeter  Begriff  s.  Abstract,  Begriff. 

Albstraetes  Denken  s.  Denken. 

Abstrmetloii  (Abziehung,  Absonderung)  ist  die  Heraushebung  eines 
^kenntnisinhalts  durch  die  willkürliche,  active  Aufmerksamkeit  (Apperception), 
das  willkürliche,  absichtliche,  zweckbewußte  Festhalten  bestimmter  Vorstellungs- 
merknude  unter  gleichzeitiger  Vernachlässigung,  Zurückdrängung,  Henuuung 
anderer  Merkmale.  Der  G^ensatz  zur  Abstraction  im  engeren  Sinne,  d.  h.  zur 
Erweiterung  des  Begriffsinhalts,  ist  die  logische  Determination  (s.  d.). 

Abstrahieren  bedeutet  das  Absehen  vom  Individuellen,  Zufälligen  zugimsten 
des  Allgemeinen,  Notwendigen,  Wesentlichen,  Gattimgsmäßigen,  zunächst  bei 
Ambtotelbb  (Anal.  post.  74  a  37;  Met.  1036  b  3,  1077  b  9;  Phys.  187  b  33, 
2f J6  a  15).  Die  Scholastiker  betonen  den  Wert  der  Abstraction  für  die  Er- 
kenntnis der  Üniveroalien  (s.  d.).  „Per  at>strahentem  infellectum  genera  con- 
(ipimtur  et  speeies'*  (JoH.  V.  SalisbüRY  bei  Prantl,  G.  d.  L.  II,  248).  Es  wird 
▼iel  vom  „abstrahere  formam  a  materia  inditiduali'*  (Thomas,  8um.  th.  I,  85, 1) 
gesprochen.    Die  ,fSpecies  intelligihiles**  (s,  d.)  werden  von  den  sinnlichen  Vor- 


6  Abstraotion. 

Stellungen  (phantasmata)  abstrahiert  durch  den  yyinteUeettis  agens*^.  So  können 
wir  f,in  nostra  conMercUione  natura^  speeterwn  sifie  individucUibus  eoftdicio- 
nibu^^^  gewinnen  (1.  c.  I,  85,  1).  „Format  fluni  ifäelketae  in  actu  per  ab- 
sirdctionem^^  (C.  gent.  I,  44,  98;  II,  82).  Die  Abetraction  kann  auf  zweierlei 
Weise  erfolgen:  1)  ^yper  moduni  compositioms  et  ditnsianis,  sictU  cum  intellt- 
gimus  aliquid  nan  esse  in  alio,  vel  esse  separatum  ab  co",  2)  ,jper  rnodum  »im- 
jdieitatis,  sicut  cum  intelligifnus  unum,  nihil  considerando  de  alio"  (ib.).  Femer 
gibt  es  eine  Abstraotion,  „secimdum  qtwd  tmitfersale  abstrahitur  a  partietdari, 
tä  ani/nial  ah  horniney"  und  eine  jjSecunduni  quod  forma  abstrahitur  a  materia, 
sicut  forma  eireuli  abstrahitur  per  infeilectum  ab  omni  materia  sensibili"  (Sum.  th.  I, 
40,  3c).  Nach  DüNS  ScoTUS  gibt  es  eine  zweifache  Abetraction.  „Lm  est  a 
tnateria  ei  suppositisy  sicut  honw  abstrahitur  ab  illo  homine  et  ab  isto  et  a  ma- 
teritty  tä  ab  homine  albo  et  *nigro  .  .  .  Alia  est  abstr.  a  suppositis,  sed  non  a 
materiay  sicut  homo  albus  abstrahitur  ab  illo  homine  et  ab  isto"  (bei  Prantl, 
G.  d.  L.  III,  212).  Zabarella  bestinunt  das  Abstrahieren  als  f,(zctio  intelleetus, 
quo  separat  a  phantasmatibus  seu  visis  universale  et  ipsum  denudai  omni  nta^ 
ieriali  eonditione*^  (de  mente  agent.  6).  Goclen  erklart,  es  sei  die  Abetraction 
eine  „eonsideratio  aticuius  absque  eo,  in  quo  est**  (Lex.  phil.  p.  14);  zwei  Ab- 
stractionsstufen  gibt  es:  „abstr.  prima"  (z.  B.  color)  und  „abstr,  secunda"  (colo- 
rei'tas)  (1.  c.  p.  19).  Campanella  führt  die  Abetraction  auf  ein  Nachlassen 
der  Verstandes tätigkeit  zurück,  sie  hat  also  einen  negativen  Charakter.  y^Al)- 
stractio  universalis  non  fit  per  virttUem  aliquam  agentem,  sed  ex  latiguore  acti- 
vitatis  in  singularitatibus  vel  ex  raritate  agendi"  (Univ.  phil.  I,  5,  1).  Die 
Logik  von  Pobt-Boyal  erklart  das  abetracte,  discursive  Erkennen  durch  die 
Beschränktheit  unseres  Greistes.  yyLimitatio  mentis  nostrae  causa  est,  ut 
nequeamus  eomprehendere  res  aliqualiter  compositas  alio  modoy  quam  eas  petrti- 
ctUatim  considerafuio  et  quasi  diversas  illarufn  fades  contemplandoy  quae  nobis 
obverti  possunt;  hoc  atUem  ipsum  est  quod  generäliter  sdre  per  abstractionem 
dicitur**  (I,  4). 

Locke  setzt  das  Abstractionsverfahren  in  die  gesonderte  Auffassung  der 
Dinge,  getrennt  von  allen  andern  Dingen  und  von  den  Neben  unistanden  der 
Dinge  wie  Zeit,  Raum  u.  s.  w.  (Ess.  c.  h.  u.  II,  §  9).  Berkeley  betont,  ab- 
strahieren heiße  nur  „einzelne  Teile  oder  Eigenschaften  gesondert  von  anderen 
betrachten",  und  das  sei  nur  möglich  bei  Eigenschaften,  weiche  ebenso  gesondert 
existieren  können  (Princ.  X;  so  auch  Hume).  Condillac  erklart  abstraire  als 
yyseparer  une  idee  d'une  aidre,  ä  laquelle  eile  parait  natureUement  unie^*  (Tr.  d. 
Bens.  I,  eh.  4,  §  2).  Chr.  Wolf:  yySi  ea,  quae  in  perceptione  distinguuntur, 
tanquam  a  re percepta  seiuncta  intuernury  ea  abstrahere  dicimur"  (Psych,  emp. 
§  282). 

Als  Absehen  von  dem  Besonderen  und  Beibehaltung,  Fixierung  des  All- 
gemeinen durch  Hemmimg,  Verdimkelung  des  Specifischen  wird,  in  einigen 
Modificationen ,  die  Abetraction  bestimmt  von  G.  F.  Meier  (Met.  S.  73  f.), 
von  Kant  (y,  Absonderung  alles  Übrigen,  worin  die  gegebenen  Vorstellungen  sich 
unterscheiden")  (Log.  §  6).  „Wir  müssen  nicht  sagen:  Etwas  abstrahieren  (ab- 
strahere aliquid),  sondern  von  etwas  abstrahieren  (abstrahere  ab  aliquo).  Ab- 
stracfe  Begriffe  sollte  man  daher  eigentlich  abstrahierende  (conceptus  abstrahentes) 
nennen,  d,  h.  solche,  in  denefi  mehrere  Abstractionen  rorkommen"  (1.  c.  S.  146  f.). 
Lambert  erklärt:  „Da  der  Begriff  der  Art  und  Gattung  nur  die  Merkmale  in 
sich  faßt,  die  die  Sache  mit  anderen  gemein  hat,  so  läßt  man  in  diesem  Begriffe 


Abstraotion. 


02£f  eigenen  Merhnnle  weg  und  stellt  sieh  die  gememsmnen  besonders  vor.  Die 
Vsrriektuiig  des  Verstandes j  ivodvrch  dies  geschieht ,  nennt  man  abstrahieren^^ 
(Org.  I,  §  17).  Dbbtütt  de  Tracy:  „  Vous  tirex  de  deux  mi  phrnetirs  idies 
indindueHes  totä  ce  qui  les  confond,  en  rejetant  tout  ce  qui  les  disHngne,  et 
rous  en  faites  tme  idee  commune"  (£1.  d'id^l.  I,  6,  p.  91).  Nach  Hebbabt 
beruht  die  Abetraction  psychologisch  auf«  der  yy Hetnmung  des  Verschiedenen 
tider  Vorstellungen"  und  Verschmelzuiig  des  Gleichartigen  derselben  zu  einer 
GtEamtvoiBtellung  (Psych,  a.  Wiss.  II,  §  121;  ähnlich  Fbxes,  Syst.  d.  Log. 
S.  63).  Dbobisch  definiert  die  Abstraction  als  y,dte  Denkoperation,  welche  von 
dm  rerglirhenen  Objeelen  die  ihnen  eigentümlichen  Merkmale  absondert  und  da- 
iwrrh  ihren  Gattungsbegriff  bildet"  (Neue  Daist,  d.  Log.»,  §  19,  S.  21),  Volk- 
MAITK  als  den  Process  der  „Loslösung  des  Vorstellungs-  oder  Formbewußtseifis 
ton  allen  Bexiehungen  auf  ein  anderes  durch  die  wechselseitige  Hemmung  dieser 
BeUthimgen  untereinander^*  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  S.  247). 

Doi  positiven  Charakter  der  Abstraction  betont  Hegel.    „Das  abstrahierende 
Beniefi  ,  .  .  ist  nicht  als  bloßes  Auf-die-Seite^stellen  des  sinnlichen  Stoffes  zu 
bftrarhten,  tceleher  dadurch  in  seiner  Realität  keinen  Eintrag  leidet,  sondern  es 
iä  fielmekr  das  Aufheben  und  die  Reduction  desselben  als  bloße  Erscheinung 
9Hf  das   Wesenttiehe,  welches  nur  im  Begriff  sich  manifestiert"  (Log.  II,  20). 
Nach  LoTZE  erfolgt  die  Abstraction  nicht  durch  bloße  Weglassung,  sondern 
linidi  „Ersatx  der  weggelassenen  Merhnale  durch  ihr  Allgemeines"  (Log.*,  S.  41). 
W.  Hamiltok  betrachtet  die  Abstraction  als  eine  Function  der  Aufmerksam- 
keit   So  auch  J.  St.  Hill,  der  aber  keine  gesonderte  £xistenz  des  Abstracten 
aonimmt.     „The  form€Uion  ,  .  ,  of  a  concept  does  not  consist  in  separating  the 
Attributes  which  are  said  to  compose  it,  from  all  other  attributes  of  the  same 
43iijeets  .  .  .  Btit  ,  .  .  we  have  the  power  of  fixing  our  attention  on  them,  to  the 
negleet    of   the  other  attribules"  (Ebcamin.  p.  393  ff.).     Nach  SULLY  ist  Ab- 
straction eine  „geistige  Abtceisung  dessen  oder  ein  geistiges  Abwenden  von  detn, 
ttas  fitr  den  Augenblick  nicht  von  Wichtigkeit  ist"  (Handbuch  d.  Psych.  S.  235). 
Wahre  Abstraction  ist  erst  durch  die  Sprache  ermöglicht  (1.  c.  S.  253).   A.  Baik 
bemerkt:  „The  idenlifging  a  number  of  different  objecis  on  some  one  common 
fmture,  atid  the  seixing  and  marking  thät  feature  as  a  distinct  subject  of  thought" 
Wdet  das  Wesen   der  Abstraction  (Sens.  and  Int.',  p.  511).    Abstraction  als 
Bewußtsein  des  Abstracten  ist  nach  B.  EbdmAi^^n  „Aufmerksamkeit  auf  das 
Okiche,  das  in  dem  Verschiedenen,  welches  in  dem  Kreise  des  bloßen  Bewußt- 
«ifi»  perbleibt,  vorgestellt  wird"  (Log.  I,  48).     Sprachliche  Abstraction  ist  die 
JSüdimg  und  Verdichtung  von  Vorstellungen  gleicher  Merkmale  durch  die  Re- 
prodttetion  von  Erinnerungen  und  ihre  Zusammenordnung  xu  neuen  Gegenständen 
öm/"  Grund  spraehlieher   Überlieferung  durch  die  Eitibildung"  (1.  c.  S.  51  f.). 
Nach  Schuppe  ist  die  Abstraction  „  Unterscheidung  der  näclisthöheren  eigentlichen 
Gattung  ron  dem  Speeifischen  im  einfachsten  Element"  (Log.  S.  90  ff.),  nach 
Uphües  ein  „  Vorgang  der  Aufmerksamkeit  auf  bestimmte  Teile  der  die  Wahr- 
^mutigen  utul  entsprechenden   Vorstellungen  vermittelnden  Empfindungen,  die 
wHürlich  notwendig  mit  dem  Absehen  von  den  übrigen  Teilen  verbunden  ist,  ohne 
^t  f^s  dazu  eines  besondem   Vorgangs  bedürfte"  (Psych,  d.  Erk.  I,  239).    Es 
gibt  eine  natürliche  und  künstliche  Abstraction  (1.  c.   S.  240).     Wundt 
b€?timint  die   Abstraction  (psychologisch)  als  active  Apperception,  Fixierung, 
Aottonderung  bestimmter  („herrschende}-^^)  Yorstellungselemente  (auch  an  einer 
vorigen  Vorstellung)  (Log.  I*,  S.  46  ff.).    Die  „isolierende^^  Abstraction  besteht 


8  Abstraction  —  Aooideiis. 


in  der  Abtrennung  eines  bestürnnten  Teiles  von  einer  complexen  Erscheinung^j 
die  „generalisierende*^  in  der  absichtliehen  Vernachlässigung  von  Merkmalea 
(Log.  II,  11  f.).  Nach  Kreibig  besteht  die  Abstraction  darin,  dafi  „ein  he^ 
atimmtes  Merkmal  in  ntehreren  Einxelrorstellungen  fixiert  tHrd,  wodurch  ron 
selbst  die  übrigen  Merkmale  im  Bewußtsein  xurücktreten**  (Die  Aufm.  S.  42), 
Nach  LiPPS  ist  Abstraction  die  „Heraushebung  unselbständiger  Bewußtseins^ 
elemente  durch  das  bexeichnefide  Wort"  (Gr.  d.  Log.  S.  126).  H.  CORNELltr» 
Idirt  (mit  Hume):  y,Äuf  ein  .  .  .  Merkmal  eines  Inhaltes  achten  und  von  den 
übrigen  abstrahieren  heißt  nichts  anderes j  als  die  Ähnlichkeit  des  Inhaltes  mü 
einer  Gruppe  und  nicht  xngleteh  diejenige  mit  den  übrigen  Gruppen  ran  In- 
halten erkenne?ij  mit  weichen  er  außerdem  noch  Ähnlichkeit  aufweist**  (EinL  in 
d.  Phil.  S.  237  f. ;  PsychoL  8.  50  ff.).  Vgl.  Meinong,  Zeitschr.  f.  PsychoL  u. 
Phys.  d.  Sinne  Bd.  24.    Vgl.  Allgemein. 

Abstraction«  absolute,  nennt  Schelling  „die  Handlung,  rerfuöge 
welcher  die  Intelligenz  über  das  Objective  absolut  sich  erhebt**  (Syst.  d.  tr.  IdeaL 
8.  323). 

Abstrahieren  s.  Abstraction. 

Abstufonsttmetiiode  s.  Methode. 

Ab0tnmpf\Bn|f  der  Ctofüllle  ist  ein  Product  der  Wiederholimg  eines 
starken  Gefühles. 

Abanrd:  sinnlos,  denkwidrig,  Widerspruchs volL  Ad  absurdum  führen: 
durch  Aufzeigimg  von  Widersprüchen,  Ungereimtheiten  jemandes  Ansicht,  Be- 
hauptimg ^nde^legen,  entkräften,  wie  es  besonders  die  Sophisten,  Sokrates, 
die  Eristiker  taten. 

Abnile  :  Willenlosigkeit,  Schwächung  der  hemmenden  oder  der  dirigierenden 
Function  des  Willens,  verbunden  mit  einer  übermäßigen  Steigerung  der  auto- 
matischen Tätigkeit  oder  einer  Schwäche  der  Sensibilität  (Ribot,  Der  Wille, 
S.  33  ff.).  Eine  Abulie  liegt  in  der  (pathologischen)  Unfähigkeit,  eine  Willens- 
intention auszuführen,  durchzuführen,  Unfähigkeit  der  Entschließmig  oder  der 
Ausfühnmg  des  Entschlusses  (vgl.  RiBOT,  Les  maladies  de  la  volont<^). 

Ab  uniTersall  ad  particulare  valet,  a  particulari  ad  univer- 
sale non  valet  consequentia:  Vom  Allgemeinen  darf  man  auf  das  Parti- 
culare, Besondere  schließen,  weil  dieses  in  jenem  schon  eingeschlossen  ist. 
Vgl.  Dictum. 

Absftlilani^tinftetiioden  s.  Methode. 

Aeceptationstbeorie  =  die  Lehre  des  Axselm  (De  conc.  virg. 
c.  20  ff.),  daß  der  Sohn  Gottes  sich  als  Äquivalent  für  die  (sonst  unsühnbare) 
Schuld  des  Menschengeschlechts  geopfert  hat. 

Aecidens  (Accidenz)  (xo  av/ußeßijxoe)  heißt  das  unwesentliche,  wechselnde, 
äußere,  „xtt fallige**,  nur  in  Beziehung  auf  besondere  Dinge  auftretende  Merk- 
mal eines  Dinges.  Der  Gegensatz  zu  „acfidentielb*  ist  „essentiell*^  Die  „Acci- 
detixen**  werden  auch  als  Zustände,  Bestimmimgen  der  Substanz  (s.  d.)  dieser 
selbst  gegen  übergesteli t. 

Das  „Aecidens**  im  Sinne  des  Unwesentlichen,  nicht  im  Begriffe  eines 
Dinges  Liegenden  oder  direct  aus  ihm  Folgenden  kommt  zuerst  bei  Aristoteles 
vor.    Es   ist  das,  was  sich  olx    i^  dt'dyxr^s  ovr    ini  ro  ttoXv  an  einem  Dinge 


Aoeidens  —  AceidentaliB. 


findet  (Met  IV,  30,  1025  a  14),  z.  B.  das  Weiß-Bein  des  Menschen  (Met.  V,  2, 
IC66b35).  Was  einem  Dinge  nur  beziehungsweise  zukommt,  ist  xara  avftßeßijxog. 
Vom  Accidentiellen  gibt  es  kein  eigentliches  Wissen  (Met.  X,  8,  10G5  a  4),  weil 
es  unbestimmt  (ao^iarav)  ist  (Phys.  II,  4,  196  b  28).  Plotin  imterscheidet  die 
Äccidentien  der  Dinge  von  ihren  Wesenheiten  (Enn.  II,  6,  2).  Porphyb  de- 
finiert: <n^fißeßr.x6e  8d  icriVy  o  yiverai  xal  dnoyirerai  X^Q^^  '^^^  "^^^  vnoxetfit'yov 
f&ooai  (pag.  6,  4  a  25  ff.).  In  des  Boethitts  Übersetzung:  „Accidens  rero  esty 
quod  adsst  et  abest praeter  sulnectt  corrupiionem^^.  Es  gibt  ein  „aceidens  separabile^' 
und  „iftseparabile**  {xotQtar6v  und  axca^ütov)  (1.  c.  p.  39).  Der  Terminus 
,jae«rfe?«"  kommt  schon  bei  Seneca  (Ep.  117,  3)  vor. 

Die  Scholastiker  halten  diesen  Begriff  fest  (vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  III, 
343).  Man  imterscheidet  zuweilen  „absolttte"  (quantitas,  qualitas)  imd  „re^pecfitr'^ 
Accidenzen  (1.  c.  III,  282).  Nach  Thomas  ist  accidens  „r^«,  euiiis  naturne  dc- 
hstwr  esse  in  alio^^  (Sum.  th.  III,  77,  1  ad  2),  es  ist  „praeter  cssentiam^^  (1.  c. 
I.  54,  3  ad  2).  „Arddentis  esse  est  inesse/^  Es  gibt  „acc^idens  eonirnune^*  und 
rflceidens proprium'^  (1.  c.  1,3,  4c).  SUAREZ  erklart,  „a^^«/«w  esse  talem  formam, 
^uae  affieit  cel  modificat  subiectum  extra  raii<mem.  eius  existens  (Met.  disp.  37, 
8Ct  2).  GoCLEX  t€ilt  uns  mit,  accidens  bedeute  „qiioil  accedit  vel  decedit  abs- 
que  rei  corruptione^^.  ,fQuicqtiid  nihil  confert  ad  constitutioneni  stänectiy  sed  ad 
iUud  consiUutum  insuper  a4^cedit,  ilhid  potest  abesse  vel  adesse  praeter  subierti 
ipsim  eorruptionefn'^  (Lex.  phil.  p.  26).  So  sind  von  den  „formae  e^seniiales^'^ 
die  „formae  aeeideniales^^  zu  unterscheiden  (ib.).  Man  spricht  auch  von  einer 
jflteidtnteitas'*  als  der  „essentia  accidefiiis^^j  sowie  von  einem  „a/^eidefis  jxr 
amtkns^'  für  jenes  accidens,  „quod  non  est  per  se  seu  essentiaie^^  (1.  c.  p.  33). 

Die  Motakallimün  lehren  das  beständige  Von-neuem-Geschaffenwerden 
der  Accidenzen  durch  Gott  (vgl.  StöCICL,  G.  d.  Ph.  d.  M.  II,  148). 

Berkeley  verwirft  mit  dem  Begriffe  einer  materiellen  Substanz  auch  den 
des  Accidens  (Princ.  XVII). 

Nach  Baumgahten  ist  accidens  ein  „praedicamenfum  sire  physicum,  etdifff 
«M?  ei  inessp*^  (Met*  §  191),  und  er  erimiert  an  den  scholastischen  Satz:  „areidenfia 
non  fxistere  posstmt  nisi  in  aiiis,  non  extra  suas  subsfantias^^  (1.  c.  §  194 ) 
Kast  nennt  Accidenzen  „die  Bestimmungen  einer  Substanz j  die  nichts  andere,^ 
find,  ah  die  besonderen  Arten  derselben,  xu  existieren*^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  178). 
Nach  Platner  sind  sie  „die  verschiedenen  Arten  und  Grad^  des  Wirkens  od  fr 
NpiVw  einer  Substanx''  (Phil.  Aph.  I,  §  864).  J.  G.  Fichte:  „T>ie  Arcidcn\eH, 
fynfketiseh  rereinigtj  gelten  die  Substanx  —  die  Substanz,  analysiert,  gibt  die 
Afttfienxen*'  (Gr.  d.  g.  W.  S.  161).  Nach  Schelling  ist  an  einem  Objecte  das 
Aceidais,  was  nur  eine  Größe  in  der  Zeit  hat  (Syst.  d.  tr.  Id.  S.  218,  233). 

Descartes  gebraucht  lieber  das  Wort  y,modus",  denn  „accidens'*  ist  nicht 
y^praeter  modum  cogitandi,  utpote  quod  solummodo  respectum  denotat"  (Princ.  ph. 
l  •'il,  55).  Ähnlich  die  Logik  von  Port-Royal  (I,  6).  Nach  Hobbes  ist 
accidens  ein  „modus  concipiendi  corporis**  (Comp.  VII,  2).  J.  St.  Mill  nennt 
Accidenzen  „a/le  Attribute  eines  Dinges,  die  weder  in  der  Bedeutung  des  JSnmcns 
^fignchiossen  liegen,  noch  in  einem  noticendigen  Connex  mit  den  darin  ein- 
9^^dd(»sefien  Attributen  stehen**  (Log.  I,  158).  Es  gibt  trennbare  und  untronn- 
^  Accidenzen  (ib.).    Vgl.  Substanz,  Ding. 

Aeeidentale  possibile  est  putari  destructum  ut  rcmaneat 
s^Viectum  (AviCKNNA  bei  Prantl,  (.1.  d.  L.  II,  326). 

Accidentali»  —  accidentiell,  accidential.   (Vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  II,  326). 


10  Aocidanteltaa  —  Act. 


AcetdenteltAA  ist  die  Eigenart  des  Accidenz-sein.    Vgl.  Accidens. 

Aceidenter  =  per  accidens  =  accidential. 

AccIdentlAl  oder  accidentiell,  s.  Accidens. 

Aecldemaeii  s.  Accidens. 

AecomuModationPibeweipBiil^eit  spielen  eine  Rolle  bei  der  Aiis-i 
bildung  der  Tiefenvorstellung.    VgL  Baum. 

Aeedle  (acedia):  geistige  Stumpfheit,  Trägheit,  Ekel  an  geistigen  Gütern  | 
{Jaedium  intemi  boni'^)  (AUGUSTINUS,  THOMAS,  Sum.  th.  I,  63,  2  ad  2),  Welt- ! 
schmerz  (Petrabca,  De  contempL  mund.  III).  ! 

Aeerms  (Haufen)  ist  der  Name  eines  Schlusses,  der  die  Unwahrheit, 
den  Scheincharakter  der  Sinneswahmehmung  und  der  Veränderung  der  Dinge 
dartmi  soll  (Eleaten).  Ein  fallender  Komhaufe  (xsyx^oe)  kann  hiernach  kein 
(ireräusch  in  Wahrheit  hervorbringen,  denn  er  ist  aus  lauter  Körnern  zusammen* ! 
gesetzt,  die  einzeln  genommen  lautlos  zu  Boden  fallen  (bei  Abistoteles,  Phm  | 
VIII  5,  250b  20).  Eine  andere  Art  des  „Acervus^^  {acj^irr^)  ist  die,  daß  weder 
ein  Korn,  noch  zwei,  noch  drei  Kömer  einen  „Komhaufen"  bilden,  und  daft 
dieser  eigentlich  gar  nicht  Zustandekommen  kann.    Vgl.  Sorites. 

Adiamotlft:  die  niedere  Weisheit  im  System  des  Gnosticismus  (s.  d.). 

Aellllleiis  heißt  ein  von  Zeno  dem  Eleaten  zur  Darl^ung  der  Unwirk-| 

lichkeit  der  Bewegung  (s.  d.)  aufgestellter  Schluß.     Achilleus,   der  schneUstei 
Läufer,  kann  die  langsame  Schildkröte  nicht  einholen,  auch  wenn  sie  nur  einen ' 
geringen  Vorsprung  hat;  denn  die  trennende  Distanz  besteht  aus  einer  unend- 
lichen Zahl  von  Teilen,  die  in  einer  endlichen  Zeit  gar  nicht  durchlaufen  werden 
können  (bei  Aristoteles,  Phys.  VI  9,  239  b  14  sq.)    Vgl.  Unendlich. 

Acbtnni^  ist  anerkennende  Berücksichtigung  des  Wertes  einer  Persönlich- 
keit, des  Sittengesetzes  u.  s.  w.  Sie  besteht  wesentlich  in  einem  Ach  tun  gsge- 
fühl,  das  sich  an  die  Vorstellimg  der  Überlegenheit  oder  Ebenbürtigkeit  ein« 
Wesens  knüpft.  —  Nach  Kant  ist  Achtung  „dow  Oefühi  der  Unangeniessenheit 
unsere»  Vermögens  zur  Erreiekung  einer  Idee,  die  für  uns  Oesetx  isf*^  (Kr.  d.  Urt 
S.  111),  „die  Vorstellung  von  einem  Werte,  der  mehier  Selbstliebe  Abbrueii  tut''  ,„di6 
unmittelbare  Bestimmung  des  Willens  durchs  Oesetx  und  Bewußtsein  derselben^ 
(Gr.  z.  Met.  d.  Sitt.  S.  20).  Die  Achtung  vor  dem  Sittengesetz  ist  die  Grund- 
lage aller  Mond  (s.  Sittlichkeit).  In  anderer  Weise  auch  nach  v.  Ktrchkanx, 
der  unter  Achtungsgefühlen  die  sittlichen  Gefühle  (das  Gewissen)  versteht  (Kat . 
d.  Phil.»,  S.  172).  Nach  R.  Wähle  ist  Achtung  „die  Vorstellung  von  der 
Schwierigkeit  gewisser  einzelner  Leistungen  und  der  Bereitschafty  die  Person,  rom 
der  sie  ausgegangen,  in  einer  ihr  günstigen  Weise  %u  beha^ideln'^  (D.  G.  d.  PL 
S.  391).  Nach  Iherinq  ist  Achtung  „der  durch  Beachtung  xum  Ausdruck  ge- 
brachte Wert  der  Person'^,  „Anerkennung  des  Wertes  der  Person"  (Zw.  im  Recht  II, 
504).  Nach  H.  ScErv\''AEZ  ist  Achtung  ein  „Gefallen  an  einer  vorgestellten 
Würde  der  fremden  Person^'  (Psychol.  d.  Will.  S.  39). 

Act  (actus):  einzelne  Tätigkeit,  Handlung,  Wirksamkeit.  Das  schola* 
8 tische  „actus"  ist  die  Übersetzung  der  dre^yem  (s.  d.)  des  Abistoteles  (im 
Cxegensatz  zu  „potetitia")  und  bedeutet  Wirklichkeit,  Wirklichsein,  Verwärk- 
lichung,  Vollendung  einer  Möglichkeit  („potentiae  perfectio").  „Actus  primus"  ist 
die  Wirklichkeit,  durch  „actus  secundus"  die  Tätigkeit  (das  operari)  des  wirklich 


Actio  —  Aotivltät.  11 


Gewordenen  bezeiclmet.  Der  Gegensatz  von  esse  „aetu*^  und  esse  „potattia"  schon 
bei  BoETHTUS  (Isag.  Porph.  p.  37,  49). 

Actio  manens,  actio  transiens:  die  in  der  Ursache  bleibende,  die  auf 
an  anderes  übergehende  Tätigkeit.    (Scholastiker). 

ActIoM:  Handlung,  Tätigkeit  (s.  d.).    Gegensatz:  Passion  (s.  d.). 

AetloMfttlieorle  s.  Apperceptionspsychologie. 

Acut  (activus):  tatig,  wirksam. 

Actlver  Intelleet  s.  Intellect. 

ActiTitftt  (activitas)  =  activer  Charakter,  Wirkungsfähigkeit  („vis  agendi^\ 
GocLEX,  Lex.  phiL  p.  59).  Dem  Bewuiitsein  konmit  eine  Activität  zu,  die  es 
im  Denken  und  Wollen  betätigt  und  die,  als  „Reaetivttät"y  schon  dem  Wahr- 
.liehmen  und  Empfinden  zugrunde  liegt.  Der  höchste  Grad  dieser  Activität  ist 
idie  Selbsttätigkeit,  die  Spontaneität  (s.  d.)  des  Ichs. 

I       Dbscabtes  stellt  den  activen  Geist  der  passiven  Materie  (s.  d.)  gegenüber. 
Unter  den  yyaetiones  animi"  versteht  er  „omnes  nostrae  voluntatesj  quia  experi- 
mur  eas  dirette  venire  ab  aninia  nostra,  et  videntur  ab  iUa  sola  pendere*^  (Pass. 
aiL  I,  17,   p.  10).     Spinoza  verl^  die  Action  der  Seele  in  das  genaue  £r- 
;  kennen :  sie  leidet,  wenn  sie  unadäquate  Vorstellungen  hat.  jjMens  nostra  quaedam 
jcjif,  qitatdam  vero  patitur;   nempe  qtiatenus  adaequatas  habet  ideaSf  eaienus 
\fmyednm  fiecessario  agü,  et  quatenus  ideas  habet  inadaequatas,  eatenus  neeessario 
pnedam  ptUüur^*  (£ÜL  III,  prop.  I).    yjMentis  actione^  ex  solü  ideü  adaequatis 
orimdur;  pas9wnes  atUem  a  solis  inadaequatts  penderU^*^  (1.  c.  prop.  III).    Ahn- 
ilich  meint  Leibniz:  ,yR  n'y  a  de  l' action  dans  les  veritables  substances,  que 
hrsqtte  leur  perception  .  ,  .  se  deveioppe  et  dement  plus  distinctey  conime  U  n'y 
1«  (U  passion  que  hrsqu'elle  dement  plus  confuse^^  (Nouv.  £ss.  II,  eh.  21,  §  72). 
jGECLtsrcx  veriegt  alle,  auch  die  geistige  Activität  in  Gott.     Sein  Grundsatz 
ikutet:  „Qtwd  nesci^  quomodo  fiat,  id  nan  faeis^^  (Eth-  I,  c.  3,  sct.  2,  §  2,  p.  32). 
Daher  y^tän  nihil  vales,  ibi  nihil  veiis^*  (1.  c.  Annot.  p.  164).    Ich  bin  nur  ein 
iZuecbauer  (spectator)  in  dieser  Welt,  in  der  alles  von  Gott  bewirkt  wird  (1.  c. 
pi  35  f .,  s.  Occasionalismus).    Malebbaxche  schreibt  nur  dem  Wollen  Activi- 
tät zu.  der  Verstand  verhält  sich  passiv ,  insofern  er  alles  in  und  durch  Gott 
erkennt  (Eech.  II,  7).    Nach  Locke  ist  die  Seele  nur  activ,  insofern  sie  fähig 
ist,  Vorstellungen  zu  verknüpfen  und  zu  ordnen  (s.  Empirismus).    Nach  Ber- 
keley sind  die  geistigen  Substanzen  activ,  die  Dinge  =  Vorstellungen  aber  durch- 
las passiv.     Die  Activität  des  Geistes   liegt   in   seinem  Vermögen ,   Ideen  zu 
pioducieren    (bewußt  zu  machen)  und   zu  verändern  (Princ.  XXVIII).     Der 
Sensoalismtis  (s.  d.)  leugnet  eine  schöpferische,  originäre  Activität  des  Geistes. 
Doch  betont  Condillac  das  Vorhandensein  einer  tätigen  Kraft  in  der  Seele, 
v«rm^:e  deren  wir  activ  sind,  nämlich  in  allem,  was  wir  in  oder  außer  uns  er- 
jagen, in  unserem  Nachdenken  wie  in  unseren  Willkürhandlungen  (Tr.  d.  sens.  I, 
«h.  2.  §  11).   Die  active  Seite  des  Bewußtseins  berücksichtigt  Dügald  Stewaet 
iPhOos.  of  the  active  and  moral  powers),  auch  Hamilton. 

Kant  stellt  der  „Receptivität*^  (s.  d.)  der  Sinne  die  „Spontaneität^^  des 

I>enkens  (s.  d.)  gegenüber.     Seitdem  berücksichtigen  die  meisten  Erkenntnis- 

ktitiker  und  auch  viele  Psychologen  den  activen  Charakter  des  Bewußtseins. 

;  Eine  Ausnahme  machen  die  Associationspsvchologen  (s.  d.)  und  £.  v.  Haet- 

!  MA5if,  nach  welchem  das  Bewußtsein  (s.  d.)  rein  passiv  ist;   activ  ist  nur  das 


12  Aotdvität  —  Actoalitätstheorie. 

yyUfibeunißte*^  (s.  d.).  —  Nach  Matvr  de  BmAX  ißt  die  Activität  des  BewufiU 
seins  eine  Tatsache,  die  im  „effort  voidu"  (s.  Wollen)  zum  Ausdruck  gelangt 
Fri£S  erklärt  die  Passivität  des  Geistes  für  bloß  relativ  als  Nötigung,  die  Tätigt 
keit  auf  eine  bestimmte  Weise  zu  äußern  (Neue  Kr.  I,  75).  Die  Activität  dd 
Bewußtseins  betont  Galuppi  (Filosofia  della  volontk).  So  auch  Lotze,  Wünixk 
Paulhan  (Uactivit^  mentale  .  .  .),  Höffdeng,  Witte  (Wes.  d.  Seele  S.  14^ 
Rehmke,  der  das  „  Tätigsetn'*  der  Seele  als  „Bedingung^'  für  das  Auftreten  eil 
einzelnen  Bewußtseinsvorgangs  auffaßt  (AUg.  Psychol.  S.  482,  464)  u.  a. 
Activität  der  Seele  schon  in  der  Sinnesempfindung  behaupten  u.  a.  FoRTLAi 
(Psych.  II,  §  80),  A.  Bain  (Sens.  and  Int.),  HÖffding,  der  betont,  die  Activi! 
des  Geistes  käme  nur  in  ihren  Resultaten  zum  Bewußtsein  (Vierteljahrsschr. 
w.  Phü.  Bd.  14,  S.  308),  Jgdl  (Lehrb.  ä.  Psych.  S.  96,  105),  Stout  (AnaLj 
PsychoL).    Vgl.  Apperception.  i 

Acta  esse  s.  Act 

Actnallt&t  (actualitas) :  actuelles,  tätiges  Sein,  Tätigkeitscharakter,  Wirkn 
lich-sein,  Wirksamkeit  (vgl.  Thomas,  Sum.  th.  I,  3,  4c;  GrOCLEN,  Lex.  phiLj 

p.  58). 

Actualitfttstlieories  a.  metaphysische  =  die  Lehre,  daß  die  Wirk«! 

lichkeit  nicht  in  einem  (ruhenden)  Sein,  sondern  in  Wirksamkeit  (actus),  (lebeori 
digem,  schöpferischem)  Tun,  in  einem  Werden,  in  stetiger  Entwicklung  und^ 
Selbstverwirklichung  besteht;  b.  psychologisch  =  die  Ansicht,  daß  dtt! 
Psychische  im  Bewußtsein  selbst  besteht,  real  ist,  die  Auffassimg  des  Bewu6t> 
seins  (derSeele)  als  Geschehen,  Tätigkeit,  Proceß.  Gegensatz:  Substantialitäts-i 
theorie  (s.  Seele). 

Der  Begründer  der  metaphysischen  Actualitätstheorie  ist  Heraklit 
mit  seiner  Lehre  vom  ewigen  Werden  (s.  d.)  ohne  ruhendes  Sein.  Auf  ein 
geistiges  Schaffen,  Producieren  führt  Plotin  das  Sein  zurück  (Enn.  VI,  8,  20)» 
J.  G.  Fichte  nimmt  als  das  Ursprüngliche  das  unendliche  Tun  des  absoluten 
Ich  (s.  d.)  an,  welches  das  Sein  erst  setzt.  Nach  Hegel  ist  die  „Idee^^  (s.  d.) 
als  Weltgrund  absoluter  Proceß,  dialektische  Entwicklung.  Nach  Heixboih 
ist  die  Kraft  (s.  d.)  das  Primäre,  die  Substanz  ein  Abgeleitetes.  „Es  üf  daher  ftur 
ein  Schein j  eine  Täuschung,  die  uns  außer  der  Kraft  noch  ein  von  ihr  rer- 
schiedene^  Substrat,  als  Bedingung  ihrer  Wirklichkeit ,  annehmen  läßt*^  (PsychoL 
S.  273).  Schopenhauer  bestinmit  das  Sein  als  Product  der  Willens  tat  igkett 
(s.  d.).  Nach  Wundt  sind  die  Wirklichkeitsfactoren  Willenseinheiten,  aber 
nicht  als  tätige  Substanzen,  sondern  als  „substanxerxeugende  Tätigkeiten^* 
(Syst.  d.  Phil.*,  S.  419  ff.).  Es  gilt  der  Satz:  „so  viel  Äctitalität,  so  viel  Reali- 
fät^^  (Eth.*,  S.  459).  Die  Verbindungen  der  Willenseinheiten  zu  einem  Ge- 
samtwillen  sind  daher  ebenso  real,  ja,  viel  wirkungsvoller,  realer  als  sie  selbst 
Die  actuelle  Willenseinheit  ist  „nur  das  letxte  Glied  in  einer  unendlichen 
Reihe  vorausxtisetxender  Tätigkeiten,  die  alle  bloß  in  der  ihfien  %ukomme7\de» 
Verbindufig  Wirklichkeit  haben  und  deren  Wechselbestimmungen  daher  in  diesem 
Sinne  realer  situi  als  sie  selber^^  (1.  c.  S.  422  ff.). 

Die  psychologische  Actualitätstheorie  geht  eigentlich  schon  auf  Prota- 
GORAS  zurück,  der  gesagt  haben  soll,  die  Seele  sei  nicht  na^a  rag  aia&iicai 
(Diog.  L.  IX,  51).  Bei  Aristoteles  konmit  sie  insofern  vor,  als  er  die  Seele 
(s.  d.)  als  Entelechie  (s,  d.)  bestimmt.  Nach  Spinoza  ist  die  Seele  keine  Sub- 
stanz,  sondern  die  aus  Teilideen  zusammengesetzte  „idea  corporis*^  (Eth.   IT» 


ActnaUtatstheorle  —  Actus  apprehensiviia.  13 

^np.  XV).  HuME  faßt  die  Seele  geradezu  als  „Bündel"  von  Bewußtseinsinhalten 
plme  substantiellen  Trager  auf.  Es  gibt  keine  Seele  außer  dem  aktuellen  Be- 
jinfiteein  (TY«at  IV,  sct  5,  set  6).  Als  Tätigkeit  gilt  die  Seele  bei  J.  G.  Fichte 
Liie  InieUigenx  ist  dem  Idealisrnt^s  ein  Tun  und  absohit  nirJits  weiter;  nicht 
pHinal  ein  Tätiges  soll  man  sie  nemien"  WW.  1, 1,  S.  440),  Schelling,  Hegel 
ler  Geist  ist  „absolute  AetuaJität",  Encykl.  §  34),  Schopenhaueb,  als  Kraft 
i  Heikboth  (Psychol.  S.  270  ff.).  Fbchneb  erklart  ausdrücklich:  „Im  Be- 
tßtsein  gibt  es  .  .  .  einen  steten  Flußy  Wechsel,  ewige  Veränderung  dessen,  was 
rij»  erscheint  .  .  .  wohl  aber  ^beharrliche  Verhältnisse,  feste  Oesetxe."  „Was 
Ja*  in  sich  ist,  braucht  nicht  auf  Festes  aufgeklebt  xu  werden"  (Üb.  d.  Seel. 
1^.  2iV)i.  Ahnlich  Pauuben:  „SoU  ein  ,Träger^  für  das  Seelenleben  gefunden 
^trricH,  so  muß  man  ihn  niclit  in  einem  isolierten,  starren  WirklichkeitsUötxchen 
^hfTty  das  man  ,absolut  setxt^,  sonderfi  in  dem  umfassenden  Oanxen,  aus  dem, 
■»  dem  und  in  dem  es  ist^'  (Einl.  in  d.  Phil.  *,  S.  136).  WüNirr  versteht  unter 
Actualitatstheorie  die  Tatsache,  „daß  jeder  psychische  Inhalt  ein  Vorgang 
tus)  ist",  daß  das  Psychische  Ereignis,  Geschehen  und  nicht  ruhendes  Sein, 
ie  daß  es  unmittelbare  Wirklichkeit,  nicht  Erscheinung  ist  (PhiL  Stud.  X, 
101:  XII,  42,  81  f.).  Das  geistige  Leben  ist  „nicht  eine  Verbindung  unter- 
^erter  Übjeete  und  trechselnder  Zustände,  sondern  in  allen  seinen  Bestandteilen 
is,  nicht  ruhendes  Sein,  sondern  Tätigkeit,  nicht  Stillstand,  sondern  Ent- 
üung^'  (Vorles.*,  8.  495;  Ess.  4,  S.  115).  Das  Psychische  ist  als  „ein  fort- 
tend  ivtehselndes  Oesehehen  in  der  Zeit,  nicht  als  eine  Summe  beharrender 
Otfeetf,  wie  dies  meist  der  Intellectualismus  infolge  jener  falschen  Übertragung 

CroH  uns  vorausgesetzten  Eigenschafteti  der  äußeren  Gegenstände  auf  die  Vor- 
Ittngen  derselben  annimmt^^  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  17  f.).  Die  innere  Erfahrung 
Ist  ^n  Zusammenhang  von  Vorgängen",  sie  besteht  aus  „Processen"  (1.  c.  S.  18  f.). 
Von  diesem  Standpunkte  aus  erklart  sich  auch  das  Verhältnis  von  Seele  und 
Leib  iL  c.  S.  388).  Als  „reines  substratloses  Geschehen"  bestimmt  auch  Jebu- 
8AIEM  das  Psychische  (Urteilsf.  S.  7;  Lehrb.  d.  Psych.»,  S.  3).  Den  Actuali- 
titBStandpunkt  (mindestens  im  Sinne  des  Erlebnischarakters  des  Psychischen) 
▼«treten  femer:  von  Habtmank  (Phil.  d.  Unb.',  S.  401),  aber  nur  für 
^  Bewußtsein,  hinter  dem  doch  noch  ein  „functionierendes  Subject,  das 
^  Stibstattx  XU  bexeichnen  ist^',  steht  (Krit.  Wander.  S.  95),  H.  Spenceb  (auch 
mir  empirisch,  Pöych.  §  469),  A.  Spib  (Viertelj.  f.  w.  Ph.  IV,  370),  Höffding, 
Stlly,  James,  Baldwin,  Ladd,  Villa,  Rehmke,  Riehl,  Jgdl,  Wähle  u.  a. 
Dh?  Theorie  (Seele  =  Tätigkeit)  wird  bekämpft  von  Volkmann  (Lehrb.  d. 
Psyt-L  I*,  S.  C2).  A.  Vannebus  u.  a.    Vgl.  Seele. 

Actaell  (actualis):  wirklich,  wirksam,  im  Gegensatz  zu  „potentiell"  (s.  d.). 
&  ist  das  Aristotelische  ivs^ei^.  Nach  Abistgteles  erfolgt  jeder  Über- 
|iog  {KivriCK)  vom  Potentiellen  zum  Actuellen  durch  ein  Actuelles  {ael  yd^  ix 
T#i  ivwifui  09TOS  ylyvMTat  ro  ivs^yeiq  bv  \m6  ive^ytiq  6vT<n,  Met.  IX,  8).  Vgl. 
Wirklichkeit,  Pötentialität 

ActmeUe  Energie  s.  Energie. 

Actes  B.  Act 

Actes  »pprelftenslTOUis  Erfassung  des  Objects  durch  das  Bewußtsein, 
«iffwBcnde  Tätigkeit  (Wilhelm  voy  Occam;  vgl  Pbantl,  Gresch.  d.  Log.  III, 
333/.   VgL  Apprehension. 


14  Actos  entitativus  —  Adiaphora. 

AetiM  entltaÜTiM:  nach  Duns  Sgotus  das  Sein  der  formloBen  Matenil 
(De  rer.  princ.  7,  opp.  III). 

Actus  IndieatlTa«  s.  Urteil. 

Aetns  nobilior  est  potentia:  die  Wirklichkeit  ist  mehr,  ist  wertrolkl 

als  die  Möglichkeit  (Avicenna  u.  a). 

Actus  primus  —  actus  secundus:  erste  und  zweite  Wirklichkeli| 
y, Opera fto  est  actus  secundus,  forma  auieniy  per  quam  aliquid  habet  specism,  td 
actus  primus''  (THOMAS,  C.  gent  II,  59).  , 

Actus  piumss  reine  Wirklichkeit,  immaterielle  Wirksamkeit,  stofflo6i| 
Tätigkeit.  So  nennen  die  Scholastikeb  Gott  (s.  d.)  im  Anschluß  an  AristOi 
TELES,  nach  welchem  Grott  ohne  Leiden,  nur  ivi^eia  ohne  SvvafMg  ist  (Meb 
XI  7,  1072  b  sq.,  XII  6  sq.).  „Deus  est  purus  actus ^  tum  hahens  aliquid  ^ 
poteniialitate''  (Thomas,  Sum.  th.  I,  3,  2  c).  Actus  purus  ist  ein  actus,  „^ 
nihü  habet  admistum  poteniiae,  ut  aetemum.  Itaque  est  sine  motu''  (GoGLESj{ 
Lex.  phil.  p.  47).  Nach  Leebniz  ist  Gott  (s.  d.),  die  oberste  Monade,  yya4;tui 
purus",  weil  er  körperlos  ist,  das  Universum  in  höchster  Klarheit  vorstellt  und 
insofern  rein  activ  ist  (Monad.  72).  Sghelukg  nennt  die  Gottheit  als  UrsöÄ 
actus  punis.    (WW.  II,  210  f.).    VgL  Gott. 

Adam  Kadmon:  nach  der  Kabbala  das  Urbild  des  Menschen  uiri 
der  irdischen  Welt,  eine  Einheit  von  zehn  „Sephiroth"  (s.  d.)  (Feanck,  Li 
cabb.  p.  179  ff.). 

Adaption  s.  Anpassung. 

Adaptionstbeorie  s.  Sprache. 

i^d&qaat:  angemessen,  gleichkommend,  entsprechend,  vollkonmien  genau, 
getreu.  Eine  Erkenntnis  (s.  d.)  ist  adäquat,  wenn  sie  die  Wirklichkeit  möglichsl 
getreu  in  Begriffen  und  Urteilen  nachconstniiert    VgL  Definition. 

Nach  Spinoza  ist  eine  Idee  adäquat,  wenn  sie  mit  ihrem  Gegenstände 
übereinstimmt:  „per  idea/m  adaequafam  intelligo  ideam,  quae  quaienus  in  se  sint 
relatione  ad  ohieetum  consideraiur  omnes  verae  ideae  proprietates  sive  denami' 
nationes  intrinsecas  habet  —  dico  intrinsecas,  ut  illam  secludam,  quae  extrinseea 
est,  nempe  convenientiam  ideae  cum  suo  ideaio"  (Eth.  II,  def.  IV).  Im  adäquaten 
Erkennen  besteht  die  „actio"  (s.  d.)  der  Seele.  Nach  Leibniz  ist  eine  Erkenntnis 
adäquat,  wenn  in  ihr  alles  deutlich  gekannt  wird  oder  wenn  die  Analyse  dei 
Begriffs  vollkommen  durchgeführt  ist  (opp.  Erdmann,  p.  79).  Platner  nenni 
einen  Begriff  adäquat,  „wenn  er  die  ouur  Unterscheidung  des  Oesehlechts  erfordere 
Hellen  gemeinsamen  und  eigentümlichen  Merkmale  enthält"  (Phil.  Aphor.  I,  §  527), 
—  Adäquat  muß  jede  gute  Definition  (s.  d.)  sein. 

Ad&qnata  causa  s.  Causa. 

Ad&qnate  Erkenntnis  s.  Adäquat. 

Ad  lionftlnenft  (xa^  av&Qomov)  sc.  argumentatio:  auf  Zugeständnis, 
Uberredimg,  Autorität,  persönliche  Motive  u.  dgl.  sich  stützendes,  |x>pulärea 
Beweisverfahren. 

Adiapliora  [dSid^o^a):  Unimterschiedenes ,  Gleichgültiges,  Wertloses. 
Als  solches  gilt  den  Cynikern  und  besonders  den  Stoikern  alles  mit  Aus- 
nahme der  Tugend,  des  sittlich  Guten.    Adiaphora  ist  rti  Si  fiera^v  a^err-s  ««i 


Adiaphora  —  AAct.  15 


aucuLi  (Diog.  L.  VI,  104).  Selbst  das  Leben  hat  keinen  Wert  an  sich,  kann 
daher,  wenn  notwendig,  angegeben  werden  (1.  c.  YII,  130;  Beneca,  £p.  12,  10). 
Die  gpiteren  Stoiker  mildem  die  Schroffheit  der  Adiaphora-Lehre,  indem  sie 
einige  Güter  als  Ti^orjyfAdva  und  aTiOTt^oijyfuva  (vorzuziehendes  und  abzulehnen- 
des) bestimmen  (Stob.  EcL,  II  6,  156).  —  Nach  Gompekz  (Griech.  Denk.  I^ 
345)  hat  Prodikob  dai  fiegriff  der  an  sich  gleichgültigen  Dinge,  die  erst  von 
der  richtigeii  Verwaidung  ihren  Wert  empfangen,  in  die  Sittenlehre  eingefCihrt. 

AlUcto  simpliciter  imd  secundum  quid:  schlechthin  u. relativ  gedacht. 

Adltls  Unendlichkeit,  auch  Materie  (Upanishads).  (Vgl.  Deussek^ 
ADg.  G.  d.  Ph.  I,  200.) 

Ad  oeolos:  augenfällig,  anschaulich.  yyÄd  oculos  demonstrieren^^:  an- 
lehanlich  darlegen. 

AdnMteft  {dd^creta):  die  Unentfliehbare  =  das  Schicksal  (Plotik, 
Enn.  in,  2,  13),  welches  aveufevxros  xai  dvcm68^aaro£  ist  (Stob.  EcL  I,  5,  188; 
I,  41,  966). 

AdTAJtmHis  NichtVielheit,  Einheitslehre:  Qrundlehre  des  Vedftntd. 

A#ect  (affectus,  passio,  nd&os)  heißt  ein  erregter  Gefiihlsverlauf,  Grefühls- 
anefanich,  mit  welchem  bestimmte  psychische  und  physiologische  Veränderungen 
verknüpft  sind,  welche  auf  den  Affect  verstärkend  zurückwirken.  Im  Altertimi 
md  Mittdalter  werden  die  Affecte  mit  den  Grefühlen  und  Trieben  vermengt; 
'der  Affectbegriff  bezeichnet  hier  „edle  OefüMs-  und  Wülensxtisimidey  in  denen 
dar  }knseh  ton  der  Äußemoelt  abhängig  isf'  (WlNDELBAND,  G.  d.  Ph.  S.  129). 

Znnäehst  gut  als  Affect  jede  von  außen  in  der  Seele  erregte  mehr  oder 
«eniger  starke  Bewegung  der  Seele,  des  VorsteUimgs-  und  Gefühlsverlaufes, 
ßo  bei  den  Cyrenaikern  (s.  Gefühl.)  ABlBTOTELEe  versteht  imter  nd&i]  rtii 
f»7Vs  alle  Zustande  {iSets)  der  Seele  (De  an.  I,  1,  402  a  9),  im  engeren  Sinne  die 
Gemütsbewegungen,  die  teils  von  der  Seele,  teils  vom  Leibe  ausgehen  {atofiaTtxd 
Ti  sa^,  Eth-  Nie.  X,  2,  1173  b  9).  Als  Affecte  werden  aufgezählt:  &vu6sr 
»fOTffi,  foßoi^  iXeogp  &d^oe,  X^^f  ^i^lv,  /uaelv,  ^id'vfiia,  OQyrj^  ^ovos,  ^iXia, 
«•»*•«,  ^Ms  (De  an.  I,  1,  403  a  17  squ.,  Eth.  Nicom.  II,  4,  1105  b  21  squ., 
Polit,  VIII,  6).  Die  Stoiker  definieren  den  Affect  (Ttdd'oe)  als  anormale, 
lüeht  natui^mäße,  stürmische,  vemunftlose  Bewegung  der  Seele,  sie  betonen 
das  Alogische  des  Affects:  iari  Se  avro  ro  nd&og  xatd  Zrjvtova  ^  dXoyoe  aal 
»«^  fi;o«v  y^/^«  xivrjcis  tj  b^firi  nXsavd^oviFa  (Diog.  L.  VII,  110).  Ildd'o^ 
wdvai  factv  o^fstjv  nkaovd^ovaav  xai  aTietd^  rtf  ai^ovvri  Xoyep  17  xivrjoiv  ^v/rje 
««f«  fi^ttf  (Stob.  EcL  II,  6,  47).  y^Est  igüur  Zenonis  haec  definitio,  ut  pertur- 
*ß^  «tV,  quod  nd&os  üle  dicity  aversa  a  recta  ratiane  contra  naturam  animi 
tommotio**  (CiCEBO,  Tusc.  disp.  FV,  6,  §  11).  yyOmnes  perturbationes  indieio 
«0»*^  fieri  et  optnione*^  (L  c.  7,  §  14).  Der  Affect  enthält  ein  unlogisches^ 
CrteiL  Die  Grundaffecte  sind:  XvTnj  (aegritudo),  fo/Sos  (metus),  iTti&vfiia  (libido)^ 
i'H  (laetitia)  (Diog.  L.  VII,  110;  Cic.  Tusc.  disp.  IV,  6,  §  11).  Die  Beherr- 
•Anng,  Unterdrückung  der  Affecte  (Apathie,  s.  d.)  ziemt  dem  Weisen,  Tugend- 
l*ft€ii,  weil  die  Affecte  gegen  die  Natur  der  vernünftigen  Seele  sind  (Cic,  Tusc. 
<J»p.  in,  9,  rV,  19;  Senec.  Ep.  116).  Doch  gibt  es  auch  exmd&eiaiy  nämlich 
Z«^',  tvlafleia,  ftovXtjGie  (Diog.  L.  VII,  116).  Seneca  betont  die  freiheits- 
^«*Mn«ide  Natur  der  Affecte  (De  ira  II,  17,  7).  Nach  Plotin  ist  der  Affect  ein 
«n  bestimmte  Vorstellungen  der  Seele  sich  anknüpfender  Zustand  des  Leibes 
(^^  III,  6,  3). 


16  Affect. 

« 

Nach  Gregor  von  Nyssa  stammen  die  Affecte  vom  Leibe  her,  sie  sind 
beim  Menschen  Krankheiten  der  Seele  (De  an.  p.  47;  vgl.  Siebeck,  G.  d.  PI, 
I,  2,  378).  Nemesius  nennt  als  Affecte  Lust,  Unlust,  Furcht,  Begierde  (7I«fi, 
tpvcstoe  17),  AUGUSTDOTS:  Begierde,  Freude,  Furcht,  Trauer  (Conf.  VIII,  14)* 
Thomas:  amor,  concupiscentia,  delectatio,  dolor,  tristitia  (8um.  th.  II,  qu.26ff.). 
Affect  heißt  hier  „affedio,  affecttts,  eomntatio  animij  passto  animaej  perturbcUto^;\ 
er  ist  eine  Erregung  des  „appetitus  sefisibilis",  des  sinnlichen  Begehrens  (1  ])enh.i 
2a;  Sum.  th.  I.  II,  24,  2c;  2  eth.  5b;  De  ver.  qu.  26,  2).  Goclen  verstehlj 
unter  Affecten  jyappdittis  et  averaaiiones"  (Lex.  phil.  p.  80).  „Passio^^  wird  ge-j 
braucht  für  jede  Fonn  „potentiae  appetitivae^^  (1.  c.  p.  802).  Vgl.  L.  Vives,  Dei 
an.  III,  p.  146  ff.  ' 

Nach  HoBBES  bestehen  die  Affecte  gleichfalls  in  Begehrungen  und  Ver-j 
abschemmgen  (,,appetiUi  et  fidgayoTistant",  De  corp.  c.  25,  12),  Bewegungen  deS; 
Bluts  liegen  ihnen  zugrunde.  Passiones  sind  appetitus,  cupido,  amor,  aversio, 
odiiun,  dolor  (Leviath.  I,  6).  Physiologisch  erklart  die  Affecte  auch  Descartes: 
„causam  pa^aionum  animae  tum  aliam  qtmm  agitationerrif  qua  spiritiis  (Lebens-: 
geister)  niovent  glandulanif  quae  est  in  niedio  eerebri"  (Pass.  an.  II,  51).  Die: 
primitiven,  einfachen  Affecte  sind  ffOdmiratiOy  amoTj  odium,  ctipidüasy  laetütOfi 
moeror"  (1.  c.  69).  Spinoza  erblickt  (ähnlich  wie  die  Stoiker)  im  Affect  ein«; 
„confusa  idea^^  (Eth.  III,  Schluß).  Unter  Affecten  versteht  er  „corporis  affets-\ 
tioneSy  quibus  ipsius  corporis  agendi  potentia  augettir  vel  mirmitury  iuvcUur  rd 
coercetury  et  simtU  harum  affectionum  ideas"  (Eth.  III,  def.  III).  Affecte  sind 
nur  durch  andere  Affecte  zu  bekämpfen,  zu  beherrschen  (Eth.  V,  so  schon 
F.  Bacx)Nj.  Die  Grundaffecte,  deren  mannigfache  Formen  analysiert  werden, 
sind  laetitia,  tristitia,  cupiditas.  Malebbanghe  versteht  unter  Affecten  y,touki 
les  emotions  que  l'äme  ressent  ?iaturellement  ä  Voccasion  des  mouvemenis  extra* 
ordinaires  des  esprits  anitnaux  et  du  sang^^  (Bech.  IL  Bd.,  C.  1).  Lkibnis 
setzt  die  Affecte  als  yyperturbations  ou  passions"  in  die  yypensees  confuses  oü  ü 
y  a  de  Vifwolantaire  et  de  rinconnu"  (Grerh.  IV,  565).  ShaftesbüäY  bestimmt 
die  selbstischen  und  socialen  Affecte  (Mitleid,  Mitfreude  u.  dgl.)  als  natürliche, 
denen  die  unnatürlichen  Affecte  (Bosheit,  Schadenfreude)  gegenüberstehen.  Von 
diesen  yysinnlichen^^  werden  die  yjrationalen"  (Reflexion8-)Affecte  (Gefühle  des 
Schönen  und  Schlechten)  (Charact.  of  Men)  imterschieden. 

Wieder  als  Erregungen  des  Begehrens  erscheinen  die  Affecte  bei  Chr.  WolP. 
jy Äff ectiis  sunt  actus  a/nim<iey  quilms  quid  vehementer  appetit  vel  aversatury  vd 
sunt  actus  vehementiores  appetitus  sensitivi  et  aversatümes  sensitivae"  (Psych, 
erap.  §  603  ff.}.  Ein  Affect  ist  „cm  tnerkli^^her  Qrad  der  sinnlicfwn  Begierde 
lind  des  sinnlichen  Abscheues^^  (Vem.  Ged.  I,  §  439).  Ahnlich  BULFINOEE 
(diluc.  met.  §  294).  Baumgabten  betont  wieder  den  alogischen  Ursprung  de8 
Affects  (y,ex  confusa  cognitione"y  Met.  §  678).  Condillac  erblickt  im  Affect 
yyun  desir  qui  ne  permet  pas  d'en  avoir  d'autresy  ou  qui  du  moifis  est  le  plu$ 
dominant"  (Trait  d.  sens.  I,  eh.  3,  §  3). 

Das  Überraschende,  Packende,  Hemmende  des  Affects  wird  betont  zunächst 
durch  Kjlnt.  Nach  ihm  ist  Affect  yydas  OefiUd  einer  Lust  oder  Unlust  m, 
gegenwärtigen  StandpunkiCy  welches  im  Siihject  die  .  .  .  Überlegung  nicht  auf* 
kommen  läßt^y  yyÜt>erraschung  durch  Empfindung y  wodurch  die  Fassung  det 
Oemüis  aufgehoben  wird"  (Anthr.  §  71  f.),  yydie/enige  Bewegung  des  GemvUt 
weiche  es  unvermögend  macht,  sich  nach  freier  Überlegung  durch  Grundsätze  «# 
bestimmen"  (Krit.  d.  Urt.  S.  130).    Die  Affecte  sind  von  den  Leidenschaften 


Affect.  17 

(l  d)  zu  unterBcheiden  (ib.).  Je  nachdem  sie  die  Lebenskraft  steigern  oder 
lundcTii,  sind  sie  „sthenUehe  (wackere)"  oder  „asthenisehe  (sckmelxende)"  Aifeete 
(L  c.  S.  190,  Anthr.  §  74).  Herbakt  erklart  die  Affecte  aus  dem  Auftreten 
m  großer  oder  eu  kleiner  Vorstellungsmengen,  die  „beträchtlich  von  ihrem 
Oififhgmicht  entfernt"  sind  (Psych,  a.  W.  §  106;  vgl.  Volkmann,  Lehrb.  d. 
I^jTch.  II*,  390).  Nach  Nahlowsky  ist  der  Affect  ,ydie  durch  einen  über- 
TButhenden  Eindruck  bewirkte  vorübergehende  Verrüekung  des 
inneren  Oleichgewichts,  wodurch  auch  der  Organismus  in  Mit- 
Uidenschaft  gezogen  und  demgemäß  die  besonnene  Überlegung  und 
freie  Selbstbestintmung  entweder  rcdueiert  oder  sogar  rnomentan 
%nf St  hoben  wird"  (D.  (iefühlsleb.  S.  247).  Zu  unterscheiden  sind  „Affecte 
ier  activen  oder  Mus-Seite"  und  „Affecte  der  passiven  oder  Minus-Seite"  (1.  c. 
B.  258  f.).  Nach  Bbneke  entsteht  der  Affect  aus  einer  Ausgleichung  plötzlich 
at«tandener  Überreizung  (Lehrb.  d.  Psych.  8.  181).  Schopenhauer  definiert 
Ihn  als  y^ine  durch  unmittelbar  dargebotene^  anschauliche  Motive  hervorgerufene 
» tfarke  Bewegung  des  Willens,  daß  sie  für  die  Zeit  ihrer  Dauer  den  Oebrauch 
litr  Erkenntniskräfle  hindert  und  hemmt"  (Neue  Paral.  S.  401).  Nach  JoDL  ist 
der  Affect  „das  plötxliche  Eintreten  oder  rapide  Anschwellen  eines  auf  Vor- 
tfeümgen  beruhenden  Gefühls  %u  solcher  Intensität,  daß  dadurch  jeder  ander- 
nitige  Bewußtseinsinhalt  verdrängt  wird"  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  692).  Jerusalem 
botimmt  den  Affect  als  einen  „bestimmten  Gefühlsverlauf,  der  sieh  von  der 
mkigen  Gemütslage  deutlich  abhebt  und  einen  intensiven  Einfluß  auf  den  Ge- 
mäxustand  des  Bewußtseins  ausübt^'  (Lehrb.  d.  Psych.*,  S.  152).  Es  gibt 
LoFt-  und  Unlustaffecte,  erregende  und  deprimierende,  spannende  und  lösende 
Affecte  (ib.).  Nach  A.  Lehmann  ist  Affect  der  Seelenzustand,  „in  welchem 
starke  Gefühle  mit  größerer  oder  geringerer  Störung  des  normalen  Vorstellungs- 
wrktHfes  verbunden  sind,  und  welche  zugleich  von  verschiedenen  Veränderungen 
*»  körperlichen  Zustandes  begleitet  werden"  (Gefühkleb.  S.  59).  Jeder  Affect 
w  zugleich  Trieb  und  umgekehrt  (1.  c.  S.  141).  Die  Verwandtschaft  von  Affect 
nd  Trieb  betont  auch  Külpe  (Gr.  d.  Psychol.  8.  337);  er  sieht  in  beiden 
n^Suftänäe,  die  eine  Verschmelxung  von  Empfindungen  und  Gefühlen  darstellen" 
«l  f.  S.  331). 

Diese  Auffassung  des  Affecte  als  eigenartigen  Gef  ühls verlauf  s  ist  die  von 
WüiTDT  begründete.  Von  einem  Affect  ist  die  Rede,  wo  sich  „eine  zeitliche 
fol^e  ron  Gefühlen  xu  einem  zusamtnenhängenden  Verlaufe  verbindet,  der  sich 
S^^niAerden  vorangegangenen  und  den  nachfolgenden  Vorgängen  als  ein  eigenartiges 
Oanxes  aussondert,  das  im  allgemeinen  zugleich  intensivere  Wirkungen  auf  das 
M^t  ausübt  als  ein  einzelnes  Gefühl"  (Gr.  d.  Psych. »,  S.  203).  Der  Affect 
«  ein  psychisches  „Gebilde**  (s.  d.).  „Jedes  intensivere  Gefühl  geht  in  einefi 
MfM  über*'  (1.  c.  S.  203),  besonders  das  rhythmische  (ib.).  Jeder  Affect  be- 
|nu«  mit  einem  „mehr  oder  minder  intensiven  Anfangsgefühl,  das  durch 
•Ruf  Qualität  und  Richtung  sofort  für  die  Beschaffenheit  des  Affects  kenyizeich- 
**»?  ist,  mtd  das  entweder  in  einer  durch  einen  äußeren  Eindruck  hervorgerufenen 
^orttellung  {äußere  Affecterregung) ,  oder  in  einem  durch  Associations-  uyid 
^PPfneptionsbedingungen  entstehenden  psychischen  Vorgang  (innere  Affecterregung) 
^^  Quelle  hat.  Darauf  folgt  dann  ein  von  entsprechefiden  Gefühleti  begleiteter 
^ontellungsverlauf,  der  wieder  sowohl  nach  der  Qualität  der  Gefühle  tcie 
***  der  Geschwindigkeit  des  Vorgangs  bei  den  einxelnen  Affecten  charakteristiscßte 
f»/fr«Ai«fe  zeigt.    Endlich  schließt  der  Affect  mit  eitlem  Endgefühl,   welches 

fkUotophUehet  Wört«rbuota.    2.  Aafl.  2 


18  Affect  —  Afficieren. 


^Kieh  dem,  Übergang  jenes  Verlaufes  in  eine  ruhigere  Qemütslage  xurüekbleibt, 
in  tcelchem  der  Affect  abklingt,  falls  er  nicht  sofort  in  das  Anfangsgefuhl  «i 
neuen  AffectanfaXles  übergeht'^  (1.  c.  S.  204  f.).  Durch  die  Summation  und  d 
Wechsel  der  aufeinander  folgenden  Gefiihlsreize  steigern  sich  auch  die  Wirk 
auf  das  Herz,  die  Blutgefäße  und  die  Atmung  sowie  auf  die  äußeren  Bew< 
Organe  (pantonmnisehe  Bewegungen  u.  s.  w.  als  Ausdrucksbew^ungen,  s. 
Bei  den  relativ  ruhigen  Affecten:  Verlängerung  oder  Verkürzung  der 
und  der  Atmungswellen,  bei  den  sthenischen  Affecten  verstärkte  Iimervati 
verlangsamte  imd  verstärkte  Pulsschläge,  bei  den  asthenischen  Affecten 
mimg  der  Herzinnervation  und  des  Tonus  der  äußeren  Muskeln,  starke 
und  Atembeschleunigung,  aber  schwächere  Bewegungen  des  Pulses  und  Aimi 
bei  den  schnellen  imd  langsamen  Affecten  größere  oder  geringere  Schnellig« 
keit  der  Zunahme  oder  Hemmung  der  Innen^ation  (1.  c.  S.  207  f.).  Die  ph; 
ßischen  Begleiterscheinungen  verstärken  den  Affect  (1.  c.  S.  208;  vgl.  Phi 
8tud.  VI).  Nach  der  Qualität  der  Gefühle  gibt  es  Lust-  und  Unlustaffeci 
excitierende  und  deprimierende,  spannende  und  lösende  Äff ecte;  nach  der  Inten 
sität  sind  schwache  und  starke  Affecte  zu  unterscheiden,  nach  der  Verlauf  fr 
form:  plötzlich  hereinbrechende,  allmählich  ansteigende,  intermittierende  Affectt 
(1.  c.  S.  213—216). 

Diese  physiologischen   Begleiterscheinungen   (Bewegungen,   vasomotoris 
Stönmgen)  machen  zur  Ursache  des  Affects  James  (früher)  (Psychol.  II,  C.2 
C.  Lange  (Üb.  Gemütebeweg.  1887),  auch  Sergi  (Dolore  e  piacere  1894).    \ 
Ch.  Fere,  Sensat.  et  niouvem.  1887,  Eibot,  Psychol.  des  sentim. 

Affection  (affectio):  a.  Zustand sänderung,  Errogun fr,  Erleiden.  Die  Scho 
lastiker  unterscheiden  ^^affecHo  externa''^  „qime  subiedo  adrenit  ob  ejcterna^ 
causam'^  und  j, affectio  interna^^ ,  „quae  manat  a  subiecti  prhicipii-s  i?iiimi^ 
(GocLEN,  Lex.  phil.  p.  78).  Bpinoza,  der  in  den  Einzeldingen  Affection« 
(modi,  s.  d.)  der  Substanz  (s.  d.)  erblickt,  vereteht  imter  „cutis  affeetioneif^ 
„quacdani  attributa,  snh  qtiibus  uniuscuiusqiie  csscniiarn  rel  existent iam  inteUigi" 
tmiSy  a  qua  tarnen  non  nisi  ratianc  disfinguurUur^'  (Cog.  met.  I,  3).  Xadl 
Kant  beruhen  alle  Anschauungen  (s.  d.)  als  sinnlich  auf  j,Affectioncfi*\  dit 
Begriffe  auf  „Functionen'^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  88).  Nach  Lotze  sind  Affei^tionen 
„Arten,  me  uns  xumute  ist'^  (Gr.  d.  Log.  S.  9).  —  Sinnesaffection  ist  die. 
Erregung  der  Sinnestätigkeit  durch  einen  äußeren  oder  inneren  Reiz.  —  Affec-' 
tion  bedeutet  b.  Zuneigung,  Schätzung.  „Pretium  affectiouis''  ■—  subjektiver 
Wert.  —  Vgl.  Afficieren. 

Affectional  (und  „Coaffectional'')  nennt  Avenarius  da.«4Jenige,  wodurch! 
ein  Empfindungsinhalt  (ein  „E-  Wert*')  zum  „Er?ipfindeu''  wird  (z.  B.  eia 
„Druck''  zu  „gedrückt  uerdeti",  „drücken'')  (Kr.  d.  r.  E.  II,  23,  89  f.). 

Affectlosig^keit  s.  Apathie.  j 

Afficieren  (afficere):  erregen,  erleiden  machen,  einen  Zustand  in  einem; 
Wesen  bewirken.  „Affici"  (irtdaxeiv)  =  informari,  disponi,  moveri,  variari,  im-j 
pressionem  recipere.  „Obiecta  dicuntur  nos  afficere'^  (Goclen,  Lex.  phil.  p.  79).' 
Descartes:  „a  re  .  .  .  quae  sefisus  nostros  afficit"  (Pass.  an.  II,  1,  p.  24>.; 
Nach  Kant  werden  die  Sinne  von  den  Gegenständen  „afficiert"  (Kr.  d.  r.  V»i 
S.  49),  das  erkennende  Subject  wird  afficiert  oder  afficiert  sich  selbst  (im: 
Selbstbewußtsein),  wobei  es  sich  leidend,  receptiv  verhält  (Anthr.  §  7).  Nacki 
Fries   ist  „Afficiert' werden"   die  Passivität,   das  Leidend-bestinmit-werden    zn 


Affixiitat  —  Agnostioisinxis.  19 

I  «nnlichen  Vorstellungen,   die  Nötigimg,  sie  zu  haben  (Syst.  d.  Log.  8.  37). 
[VgL  Wahrnehmung,  Empfindung. 

AMllitftts  Verwandtschaft.  Logische  A.  =  Verwandtschaft  von  Be- 
igriffen. Psychologische  A.  =  Ähnlichkeit  von  Vorstellungen  als  Gnmd 
I  ihrer  Association.  —  Kant  nennt  Affinitat  den  „Gnmd  der  Möglichkeit  der 
\  A^^oriatioH,  sofern  er  im  Objecte  liegf*.    Diese  „empirisehe^^  ist  die  Folge  einer 

f^trattseendentaien",  auf  der  Einheit  des  Selbstbewußtseins  beruhenden  Affinitat 
!  (Kr.  d.  r.  V.  S.  125  f.,  132).  Affinitat  ist,  allgemein,  „  Vereinigung  aus  der 
i  Abfinmmttng  des  Mannigfaltigen  von  einem  Grunde^*  (Anthr.  §  29).  Das  yy Gesetz 
\^  logischen  Affinität**  lautet  nach  Fbies:   y^ede  xirei  gegebenen  Nebenarten 

fmneH  so  afieinandery  daß  sich  ein  stetiger  Übergang  von  der  einen  xur  andern 
\  ienhn  läßt**  (Syst,  d.  Log.  S.  105). 

AfüraiAtloii:  Bejahung,  Behauptung. 

AlAmatiTM  Urteils  bejahendes  Urteil  (S  ist  P). 

AK^tholOi^e :  Lehre  vom  Guten  (ayad-ov),  von  den  Gütern  =  Teil  der 
I  Eihik  (8.  d.).     Vgl.  Güterlehre. 

A^ewt»  (to  Ttoioifp):  das  Tätige,  Wirkende,  Princip  des  Wirkens.    „Agens 
I  eti  Hobilius  pntiente"  (AUGUSTINUS,  Thomas,  Sum.  th.  I,  79,  2)  =  aei  ti/uw- 
I T*^  TÖ  Ttouivv  Tov  TtdaxovTOi  (AmsTOTELES,  De  an.  111,  5,  430a  18).    Vgl. 
Action« 

Jkn»lv^l>^*tioii  („Anleimung**) :  die  einfachste  Form  der  apper- 
I  <  e  p  t  i  V  e  n  Verbindimgen  (s.  d.). 

A|SKlre|;^ats  äußerliche  Aneinanderreihung  von  Teilen,  Elementen.  Die 
K5rper  sind  nach  Leibniz  Aggregate  von  Monaden  (s.  d.)  (Monad.  2). 

A^MOSle  {ayi^cjaift):  Unwissenheit,  Nichtwissen:  a.  als  methodologisches 
Princip  voraossetzungslosen  Erkennens  (Sokbates:  „i>ä  iccißf  daß  ich  nichts 
«f«yJ",  bei  Plato,  Apol.  21  A);  b.  als  skeptisches  Fundament,  so  schon  bei 
GoSGIAS,  dann  bei  Akkesilaos:  „negabat  esse  quidnam  quod  sciri  potest^^, 
nnd  nicht  einmal  das  könne  man  wissen,  daß  man  nichts  weiß  (Cieer.,  Acad. 
pnßt  I,  12).  Auch  SANCHEZ-memt:  „nee  unum  scio  me  nihil  scire^^  (Qu.  nih. 
*-  p.  13 1.     VgL  Nihilismus,  Skepsis. 

JklCnostlelsiiiiiS :  Ansicht,  daß  es  von  dem  an  sich  Seienden,  von  den 

liingen  an  sich,  den  transcendenten  Factoren,  vom  Absoluten  kein  Wissen  gebe  und 

,  geben  könne  —  die  Kehrseite  zum  Positivismus,  Relativismus,  Subjectivismus. 

Ih»  yjfynorabimus*'  DU  Bois-Reymonds  (Üb.  d.  Grenzen  d.  Naturerk.  7,  S.  40  ff.) 

I  kennzeichnet  diesen  Standpunkt    Das  Wort  „Agnostiker"  („Agnoeien")  kommt, 

;  al<  Bezeichnung  fiir  die  „Mofwphysitefi",  schon  in  der  Kirchengeschichte  vor. 

HcTLEY   setzt   das  Wort   „Agnostiker*^   dem  Terminus  „Gnostiker**   entgegen. 

-Jier  Agfifuttieismus  ist  in  Wirklichkeit  kein   Glaubensbekenntnis,    sotulem  eine 

Methode^   deren  Kern   in   der  strengen  Anwendung   eines   einzigen   Gnmdsatxes 

^^t.  .  .  .     Positiv  läßt  sich  der  Grundsatz  so  ausdrücken:  in  Verstandesdingen 

ffjfge  deiner    Vemutift,  soweit  sie  dich  eben  trägt,  ohne  einer  andern  Erwägung 

^n  Ohr  XU  leihen.      Und  negativ:    in    Verstandesdingen  gib  Folgerungen,   die 

''(der  naehgetciesen  noch  nachweisbar  sind,  nicht  für  sieher  aus"  (Sociale  Essays 

XXXV).     Agnostiker  nennen  sich  auch  Ch.  Dakwin  und  Carneri  (Empf. 

u.  Bew.  S.  28).     H.  Spencer,  nach   welchem  das  Absolute  unerkennbar  ist, 

2* 


20  AgnoBticiamuB  —  Akademie. 

lehrt    einen   y,ag)U)8ttschen  Mam-smtia"  (Paülsen,   Einl.   in   d.   Phil.).     M( 
physisch  sind  Agnostiker  auch  die  Kantianer  (z.   B.   F.  A.   Lange) 
Positivisten  (s.  d.),  auch  ß.  Wähle. 

Ai^raphoble:  Platzangst,  Furcht  vor  dem  Überschreiten  eines  grÖl 
Platzes. 

Af^rapUe:  pathologische  Unfähigkeit,  Worte  niederzuschreiben.    (\^ 
WüNixr,  Gdz.  d.  ph.  Psych.  I»,  170.) 

Älmliellkelt  ist  partielle  Gleichheit.  Sie  hat  verschiedene  Grade 
wird  durch  das  vergleichend-beziehende  Denken  constatiert,  hat  aber  in  d( 
Objecten  des  Denkens  ein  Fundament.  —  Aristoteles  definiert:  oftoui  Itysri 
T«  XF.  TtfivTTj  Tavro  nenovd'OTa^  xai  zd  nKeito  ravrd  nenov^ora  ^  Sre^a,  xi 
c^  ff  TtotoTt^g  tiia'  xal  xad'  San  dXXoiovc&ai  ivSixarni  rcSv  ivavritov  ro  n/A 
Sxov  ^  xv^noxB^a  ofiotov  rovrqf*  dvrixetfiivtos  Si  rote  o/tioioig  rd  dvoftout 
V  9,  1018  a  15  sq.).  Nach  Boethius  ist  Ähnlichkeit  (similitudo)  „verum  dij 
rentiarum  eade^n  qualitas^^.  Thomas:  „Simile  cUieui  dieitvry  quod  eins  poi 
qucUitatem  rel  formam^^  (Cont.  gent.  I,  29).  Nach  Campanella  ist  Ähnlicl 
keit  yyinfluonis  uniiatü  parti4npivmquc^^  (Dial.  I,  6,  p.  141).  Chr.  Woi 
yySmiilihido  est  identitas  eorum,  per  quae  entia  a  se  inviceni  discemi  debebm 
(Ont.  §  195).  Zwei  Dinge  sind  ähnlich,  „wenn  dasfenige,  uormis  man  sie 
kennen  und  voneinander  uni^rscJieiden  soll,  oder  trodureh  sie  in  ihrer  Art  deit 
fninieret  trerden,  beiderseits  einerlei  ist**  (Vem.  Ged.  I,  §  18).  Die  Wichtigk( 
der  Ähnlichkeit  von  Dingen  für  die  Erkenntnis  betont  besonders  Hl 
(Treat  I,  sct.  7).  Nach  Spencer  kommt  das  Bewußtsein  der  Ähnlichkeit 
Stande,  yyicenn  Tucei  aufeinamler  folge}ide  Bettußtseinsxustünde  beide  aus  in  gl 
Weise  angeordneten  gleichen  Beicußtseinsxuständen  xtisammengesetxt  sind**. 
die  Ähnlichkeit  vollkommen,  so  besteht  ein  „Betcußtsein  von  der  Cknniensii 
xiveier  eonnatUrlicher  Bexiekwigen  xwischen  Beivußtseinsxuständen,  die  jeicei 
gleicher  Art,  gewöhnlieh  aber  ungleichen  Grades  sind**  (Psych.  II,  §  359,  S.  2( 
Nach  Münsterberg  sind  diejenigen  Eindrücke  yyäJinlich**,  welche  „ieiliceisf^ 
gleiche  Reaetiotten**  (des  erkennenden  Ichs)  yycrxeugen**  (Grdz.  d.  Psychol.  I, 
8.  553).  RiEHL  bemerkt,  das  Verhältnis  der  Ähnlichkeit  schließe,  wenn  es 
nicht  umnittelbar  durch  Vergleichimg  gegenwärtiger  Wahrnehmungen  erMt 
werde,  schon  die  Causalitätsbcziehung  ein  (Z.  fünf,  in  d.  Phil.  S.  90  f.).  Nach 
P^BBINGHAUS  werden  Ähnlichkeit  imd  Verschiedenheit  auch  schon  immittelbar 
sinnlich  empfunden,  ohne  Denktätigkeit  (Gr.  d.  Psychol.  I,  476).  Külpe  er- 
klärt,  Ähnlichkeit  sei  kein  Beproductionsprincip  (Gr.  d.  Psychol.  S.  197).  Vgl 
E.  Mach,  Die  Ähnl.  u.  d.  Analogie  als  Leitmotive  d.  Forsch.:  Annal.  d.  Natur- 
phil.  I,  1902.    Vgl.  Association. 

Älmllclikeltsassoclatloii  s.  Association. 

Älmliclikeltsliypotliese  s.  Wiedererkennen. 

Almiiilg;  (Ahndung):  unbestimmtes  Fünvahrhalten,  Vorherwissen.  Nach 
Fries  =  „rfw»  Uberxetigung  nur  aus  Gefiüileyi  ohne  bestimmten  Begriff**,  aus 
welcher  der  religiöse  Glaube  entspringt  (Syst.  d.  Log.  S.  423  ff.).  So  schon 
Jacobi. 

Akademiey  Platonische,  nach  dem  Hain  des  Heros  Akademos,  in  dem 
Plato  lehrte.  Im  weiteren  Sinne  imterscheidet  man  fünf  ,yAkade7nien**  des  Alter- 
tums: die  ältere  (Speusippos,  Xenokrates,  Krates,  Polemok,  Krantor). 


Akademie  —  Algorithmus.  21 

die  mittlere  (AjueesüiAOS),  die  jüngere  (ICabnbades))  die  vierte  (Philo 
Ton  Larissa)  und  die  fünfte  Akademie  (AjrriocHOS  von  Askalon).  Die  erste 
Akademie  setzt  die  letzten  (pythagoreisierenden)  Lehren  Piatos  fort,  die  zweite 
ond  dritte  nehmen  einen  skeptischen  Standpmikt  ein,  die  beiden  letzten  Aka- 
demien huldigen  einem  Eklekticismus.  Eine  neue  platonische  Akademie  be-. 
gründete  CoeMO  von  Medici  (1440)  (erster  Leiter:  Gemibthob  Plethon). 

AkAtelepsie  (axaralrj^a),  Unb^reiflichkeit  s.  Aphasie. 

Akateleptiscli  s.  Katalepsis. 

AlLlMaiisiiiMCi:  (Lehre  von  der)  Weltlosigkeit  =  extremer  Pantheismus, 
fär  den  die  Welt  als  Smnme  von.  Einzeldingen  kein  wahres  Sein  hat;  wirklich 
ist  nur  GotX,  die  unendliche  Einheit,  in  der  alles  Einzebie  nur  als  Modus  (s.  d.), 
ab  Zustand  ohne  Sonderexistenz  enthalten  ist.  Nach  Hegel  (Encykl.  g  50) 
ist  das  System  Spinozas  Akosmismus  (als  gerader  Gegensatz  zum  Atheismus), 
weil  in  demselben  ,/iie  Welt  nur  als  ein  Phänomen,  dem  nicht  icirkliche  Ee- 
oHtäi  iutomme,  bestimmt  wirtt^, 

AlurlM^s  Grenauigkeit ,  Sorgfalt  im  wissenschaftlichen  Denken  und 
Forschen. 

Akrottatatiscll  heißen  diejenigen  Abhandlungen  des  Aeistgteles, 
Tdche  aus  zusammenhangenden  Vorträgen  {axQodas^g,  Met.  11  2,  994  b  32) 
henroigegangen  sind.  Zugleich  sind  sie  esoterisch  (s.  d.).  G^ensatz  zu  akroa- 
Buuiüch:  erotematisch  (in  Fragen). 

ne  =  begriffliche  Grundsätze  (Fries,  Syst.  d.  Log.  S.  411). 

tmdriliers  Philosophen  aus  und  in  Alexandria,  die  meist  grie- 
duKhe  mit  orientalischen  (jüdischen)  Lehren  verschmelzen  (Aeistobülgs,  PHlliG 
JuDAECS,  Xeupythagoreer,  Neuplatoniker).  Im  3.  Jahrh.  n.  Chr.  besteht 
<me  christliche  Schule  von  Alexandria  (Clemexs  Alexandrinus,  Oeigenes 
fOD  Alexandria  u.  a.). 

AleXAndrllliSDillSf  alexandrinische  Secte,  Alexandristen  =  Gegner 
dts  Averroismiis  (s.  d.),  stützten  sich  auf  die  Schriften  des  Alexander 
VOH  Aphbodisias.  Sie  behaupteten  die  Sterblichkeit  auch  des  vernünftigen 
TeilcB  der  Seele. 

Alexies  krankhafte  Unfähigkeit,  Greschriebenes  zu  lesen,  in  Laute  um- 
Mfietzöi  =  Wortblindheit. 

AlgorltllDiMCi  Proportion  um  =  die  von  Nicgle  Orebme  (t  1382) 
cingefährte  Rechnung  mit  Bruchpotenzen,  wobei  teilweise  schon  Buchstaben  als 
Zahlen  dienen  (vgL  Labswitz,  G.  d.  At.  I,  281).  Nach  Ggclen  bezeichnet 
*fAlgorithmiis**  y,rationum  putaiianes  seu  a^i^fiovs,  carrttpta  voce  Oraeca  a 
Saroffnis"  (Lex.  phü.).  Jetzt  versteht  man  unter  logischem  Algorithmus^ 
nrf*p  symbolische  Darstellung  der  logischen  Operationen,  hei  weichen  diese  sotcic 
die  Begriffe  durch  Zeichen  fixiert  und  aus  den  allgemeinen  Gesetzen  des  Denkens 
<ttp  Verfahrungsiceisen  entwickelt  werden,  detien  die  Zeichen  xu  untertrerfen  sifid, 
w»  aus  betUimmten  Verbindungen  derselbefi  andere  abzuleiten  und  deren  logische 
l>ftäimg  XU  finden"  (WüNDT,  Log.  I,  218).  Anfänge  dieses  Algorithmus  finden 
•ich  schon  bei  Leibkiz  (s.  Ars  magna),  Hartley  u.  a.  Der  eigentliche  Be- 
gründer der  yysgmbolischen*^  Logik  ist  G.  Bggle  (The  Mathematical  Analysis 
<rf  Logic  1847,  An  Analysis  of  the  Laws  of  Thoughts  1&54).     VgL  Jevgns 


22  Algorithmus  —  Allgemein. 

(Pure  Logic  18&i,  The  Substitution  of  Similare  1869),  J.  Venn  (SymboUc  Logic  1881), 
Mc-COLL  u.  a.,  ferner  Delboeüf  (Logique  algorithmique  1877).    VgL  Are. 

All  (to  7r«r  zum  Unterschied  von  o/.ov:  Aristoteles,  Met.  V  26,  1024  a  38,  ] 
Stoiker  (Plut.,  Ep.  II):  das  Weltganze,  Universum,  der  Inbegriff  des  Seienden.  \ 

Allbeseelang;  s.  Panpsychismus. 

AUbewußtselii:  das  göttliche  Gresamtbewußtsein  (Fechner,  Pauijsek,  I 
auch  WuNDT,  RÜLF  u.  a.). 

Alleinlielt  (ßv  xal  Ttdv):  das  als  göttliche  Einheit  gedachte  All  der  ; 
Dinge  bei  Xenophanes  (SimpL,  Arist.  Phys.  fol,  56,  Diels,  p.  22),  Patritius  ' 
{yjUn-omnia"f  Panarch.  7)  und  den  Pantheisten  (s.  d.). 

JLUelnlieitslelire  s.  Pantheismus. 

Alles  in  allem  {ndvra  iv  Ttavri):  Nach  AXAXAGORAS  sind  in  jedem 
Dinge  alle  Elemente  (Homöomerien,  s.  d.)  enthalten,  mit  Überwiegen  bestimmter. 
Nach  ProCLTJS  ist  Tiavxa  iv  Tiaaiv,  oixaicas  Se  iv  exdinep  (Just.,  Theol.  c.  103). 
Nach  Nicolaus  Cusanüs  ist  jedes  Ding  eine  besondere  Contraction  des  Ganzen: 
„omni^  res  acta  exUtens  contrahit  unirersaj  ut  aint  aciu  qtwd  est".  MaIiPIGHI 
vertritt  den  Satz:  „Tota  in  minimis  natura".    VgL  Mikrokosmos. 

Allsten  wart  (oimiipraesentia):  Eigenschaft  Grottes,  bezeichnet  dessen 
Sein  und  Wirken  in  allem  und  jedem,  dessen  Unabhängigkeit  vom  Räume. 

Allg^elst  =  Allbewußtsein  (s.  d.).  Der  Name  und  Begriff  insbesondere 
bei  M.  Venetianer. 

Allg^emeln  =  einer  Klasse  von  Objecten  gemeinsam.  Das  Allgemeine, 
Universale,  Grattungsmäßige,  Typische  ist  dasjenige  an  einem  Dinge,  was  es  mit 
anderen  teilt  bezüglich  Eigenschaften,  Vorgänge,  Tätigkeiten,  gesetzmäßigen 
Verhaltens.  Das  Allgemeine  besteht  in  den  Dingen,  wird  aber  im  Denken 
(durch  isolierende  und  generalisierende  Abstraction)  für  sich  gesetzt,  oft  auch 
hypostasiert.  Auf  das  Allgemeine  geht  der  (abstracte)  Begriff.  Das  Bewußtsein 
der  Allgemeinheit  ist  ein  mit  einem  individuellen  Inhalt  verbundenes  Meinen, 
daß  dieser  Inhalt  sich  an  einer  ganzen  Gruppe  von  Objecten  findet,  finden  läßt 

An  den  Begriff  des  Allgemeinen  knüpft  sich  der  mittelalterliche  Uni- 
versalienstreit. In  des  Boethius  Commentar  zur  Isagoge  des  Porphyb 
wird  bei  Besprechung  der  fünf  „PrädiraMlen"  (s.  d.)  gefragt,  ob  das  All- 
gemeine, der  Gegenstand  des  Allgemeinbegriffs  außer  oder  im  Denken,  außer  oder 
in  den  Dingen  besteht,  ob  die  genera  und  species  „sire  »tfbsistant  sire  in  soUf 
nttdis  intellectihtis  postta  sinty  sive  subsistentia  corporalia  an  incorporalia,  ei 
tUrum  separafa  a  sensibilibus  an  insensibilibus  posita  et  circa  haec  consisterüta^. 
Die  „Realisten"  antworten:  die  UniversaUen  (Allgemeinheiten)  sind  etwas  un- 
abhängig vom  Denken  Seiendes,  die  „Nominalisten"  (Tenninisten ,  Con- 
ceptualisten)  halten  sie  für  bloße  subjective  Namen  oder  Begriffe,  eine  ver- 
mittelnde Richtung  lehrt  das  Sein  der  Universalien,  aber  nicht  außer  den 
Dingen  („extra  rea^^),  sondern  in  den  Dingen  (jjin  rebus").  Es  wird  auch  erklärt: 
die  Universalien  sind  „ante  res"  (nämlich  in  Grott),  „in  rebus"  und  „post  rtsT 
(als  Abstractionsproducte  in  unserem  Denken). 

Zunächst  geben  wir  die  Geschichte  des  universalistischen  Realismus  in 
seinen  verschiedenen  Schattienmgen.  Er  beginnt  mit  der  Lehre  Platos  von 
den  an  sich  (x«^'  nind)  seienden  Ideen  (s.  d.).     Aristoteles  dagegen  setrt 


Allgemein.  23 


das  Allgemeine  als  den  Dingen  immanent  (Met.  VII  10,  1035  b  27).  Es  ist 
<ia8jeiii^e,  was  einer  Vielheit  von  Dingen  naturgemäß  zukommt:  Xt'yca  8i  xn&6Xov 
fu%'  0  i:il  n/Letovüüv  Jii^^e  xarijyo^Eiad'at,  xad^  Sxacrov  Se  o  fifj  (De  interpr. 
\11,  17  a  39),  o  av  naTO.  Jtavros  re  vnd^xV  ^"'•^  xad^  avro  xal  rj  airro  (Anal, 
post.  14,  73  b  26).  Begrifflich- wesenhaft  {xara  rov  Xoyov)  ist  das  Allgemeine 
dtf  Prras,  in  der  Erkenntnis  aber  das  Spatere,  erst  aus  dem  Einzelnen  Ge- 
vtnnene  (Met.  VII,  1018  b  33).  Ein  wahres  Wissen  gibt  es  nur  vom  All- 
gemeinen (rj  ^imarrifiri  t(ov  xad'oiovy  De  an.  II,  5).  POKPHYR  betont,  ort 
Tff  lur  Srta  xni  ra  rovTiOP  yivr}  xal  ra  tiBrj  xai  ni  SiaipOQal  ytQayftard  icrty 
wi  Ol  fiavai  (E^y^ats  f.  3a;  Prantl  I,  632). 

Nach  JoH.  SCOTUS  Eriugeka  sind  die  Universalien  (als  Ideen,  s.  d.)  so- 
Tohl  vor  als  in  den  Einzeidingen ;  nach  Bernhard  von  Chartres  bestehen 
sie  fnr  sich,  bo  auch  nach  Wilhelm  von  Champeaux  (vgL  Prantl,  G^ch. 
ALU,  118  ff.).  Nach  Johann  von  Salisburt  sind  die  Universalien  in 
ideo  Dingen,  aus  denen  sie  durch  Abstraction  erkannt  werden  (so  schon  GiL- 
BEBTÜ6  Fobretanus).  Alfärabi  bestimmt  das  Allgemeine  als  ,fUnum  de 
naltü  ^f  in  fnuliis",  das  „fwn  ftahei  esse  separatum  a  multts"  (bei  Alb.  Magnus, 
De  pnted.  II,  5).  Nach  Averroes  sind  die  Universalien  in  den  Dingen  (Ep. 
met.  2,  p.  42),  aber  als  Universalien  werden  sie  erst  vom  Intellect  gesetzt,  „/n- 
tfUtrtus  offieiwn  est,  abstrahere  formam.  a  rnateria  indimduata^'  (1.  c.  p.  54). 
J^ftüit  in  intelleetu  ipsa  uiviversalitas^^  (1.  c.  p.  55;  schon  Avigenna  sagt: 
rinifilfttus  in  formis  agit  universaUtatefn**,  vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  II,  348  f.). 
VcfCEXZ  VON  Beauvais:  jjUmverscUia  non  soluvi  in  intellectu  sunt,  sed  et  in 
fr*  (Specnl.  doctr.  III,  9).  Albertus  Magnus:  „UniverscUis  dieitur  ratioy 
MW  ideo  quia  tantum  fit  in  nobisy  sive  in  menie  nostra:  sed  ideo  quia  est  res 
MM  m  UHO  absolute  citeepta,  sed  quae  in  eollatione  aceipitury  quae  est  in  mtätis 
d  de  muttiSf  quam  eollationetn  faHt  ratio"  (Sum.  th.  I,  qu.  42,  2).  Das  All- 
gwadne,  das  „immutabile"  ist  (1.  c.  qu.  3,  3),  ist  „ante  reni^  in  re  et  post  rem^^ 
(qo.  4,  1);  es  ist  (wie  schon  Abaelard  sagt)  das  von  vielen  Dingen  Aussagbare 
(De  pnied.  II,  1).  „  VniverscUe  naturae  produeiiur  in  esse  ab  agente  intelligent  in, 
^nae  op^ratur  per  suum  inteUecttude  turnen  in  oynni  natura"  (Prantl,  G.  d.  L. 
III,  99;  VgL  Haur^u  II,  1,  p.  232).  Thomas  definiert  das  Allgemeine  als 
^qmd  est  aptum  tiatum  de  pluribtis  praedieari"  (1  perih.  10  a),  y^quod  est  semper 
H  tdnqtt^"  (1  anal.  42b).  yyUniversalia  .  .  .  non  sunt  res  subsistentes,  sed  hahent 
t*fe  MoluM  in  singularibus"  (Contr.  gent.  I,  65).  Vor  den  Dingen  sind  die  Uni- 
Tcrulien  im  „intelleetus  aetemus"  Gottes  (Sum.  th.  I,  qu.  16,  7).  yylntellectus 
(fgem  mtisat  universale  abstrahendo  a  rnateria"  (Sum.  th.  I,  qu.  9,  5).  jjUni- 
f^rtak  fit  per  abstractionem  a  rnateria  individuali"  (Sum.  th.  1,  II,  29,  6c). 
nQmd  est  rcntmufUf  multisj  non  est  aliquid  praeter  miUta,  nisi  sola  ratione" 
{Cont.  gent.  I,  26,  4).  „Cognitio  singularium  est  prior  quoad  noSy  quam  cognitio 
^inrsatium"  (Sum.  th.  I,  85,  3);  „seieniia  est  universatium"  (De  an.  II,  12  b). 
vVnirfrsaiia  non  moventy  sed  partieularia"  (Cont.  gent.  III,  6).  (Vgl.  Log.  I,  1 
0.0.  gent.  I,  32.)  Durand  von  St.  Pour^AIN:  yy  Universale,  i.  e.  ratio  rel  in- 
tmtio  unirersalitatis  .  .  .  est  aliquid  formatiim  per  Operationen  intelligendiy  per 
VOM  res  seeundum  eonsid^rationem  abstrahitur  a  condicionihus  individuantibus" 
{hk  L  sent.  1,  d.  3,  5).  „Uftiversale  non  est  primum  obiectum  intellectus  ?iec 
iwaetristit  inteUectioni,  sed  est  aliquid  formatum  per  operationem  intelligendiy 
per  quam  res  seeundum  consideratioyiem  abstrakitur  a  conditionibus  indiriduan- 
**•«**  (ib.).    Nach  Richard  von   Middleton  sind  die  Universalien  1)  „m 


24  Allgemein. 

eausando",  (iii  Gott),  2)  „iw  essende",  3)  „t«  repraeseniando",  4)  „m  praedi- 
eando"  (L  c.  2,  d.  3,  3,  qu.  1).  Dem  Univereale  entspricht  ein  y/tmdamentum 
in  re"  —  dies  behaupten  dieThomisten  insgesamt  Aber  auch  DuNS  Scotüb: 
„Unirersale  est  ab  infelleetUy  .  .  .  universcdi  atUem  altqutd  extra  eorrespandety 
a  quo  moveiur  intellectus  ad  eausandum  talem  intentionem  .  .  .  Effectire  est  ab 
inielleetu,  sed  fnaierialiter  sive  originaliier  sive  oeeastonaliier  est  a  proprieiaU 
in  re,  figmentum  vero  minime  est"  (Qu.  sup.  Porph.  4 ;  Prantl,  G.  d.  L.  III,  207). 
Univereale  „nan  atUern  est  in  inteUeetu  subiective,  sed  tantum  6bieetiv&*^  (Qu.  de 
an.  17,  14;  Prantl  III,  208).  Suarez:  „Naturas  fieri  aetu  universaks  solum 
opere  intelleetusy  praecedente  fundamento  (üiquo  ex  parte  ipsarum  rerum,  prapter 
quod  dicuntmr  esse  a  parte  rei  potentia  universales  .  .  "  (Met  disp.  6,  sct  2,  1). 
Es  gibt  ein  „uniperscUe  pkysicum",  „u.  metaphysieum",  „ti.  logicuvi".  y,Primam, 
qua  a  parte  rei  didtur  universalis;  alteram,  quam  habet  ab  intelleetu  per  «c- 
trinsecam  denominatianem  et  abstractionefn,  iuxta  quam  ipsa  natura  repra^ 
sentatur  ut  communis  et  indifferens;  tertiam  relationis"  (De  an.  IV,  3,  22).* 

NicoLAüS  CuBANTJS  erklärt:  „Habent  .  .  .  universalia  ordine  fiafurae 
quoddam  esse  universale,  cantrakibile  per  singulare  .  .  .  non  sunt  solum 
eniia  rationis  .  .  .  non  sunt  nisi  in  corpore,"  „Intellectus  tarnen  faeü 
eas  extra  res  per  abstractionem  esse,  quae  quidem  abstractio  est  en» 
rationis"  (De  doct  ign.  II,  6).  Nach  Spiitoza  ist  das  Allgemeinste,  das  All 
oder  Gott  (s.  d.)  das  wahrhaft  Wirkliche.  So  auch  nach  Schelukg,  Schopek- 
HAUEB,  Hegel.  Dieser  sagt:  „Das  Allgemeine  der  Dinge  ist  nicht  ein  Sub- 
jectives,  das  uns  zukäme,  sondern  vielmehr  als  ein  dem  transitorischen  Phänomen 
entgegengesefxtes  Noumen  das  Wahre,  Objective,  Wirkliehe  der  Dinge  selbst,  tcie  die 
PlatoniseJten  Ideen,  die  nicht  irgendico  in  der  Feme,  sondern  als  die  substaii" 
tiellen  Gattungen  in  den  einxdnen  Dingen  existieren"  (Naturph.  S.  16  f.).  Das 
Allgemeine  im  Denken  ist  die  Bestimmtheit  oder  Form  der  Gredanken  (EncykL 
§.  54).  Nach  K.  L.  Mighelet  ist  das  Allgemeine  das  Wesen  der  Dinge,  das 
wahrhaft  Seiende  (Vorles.  ü.  d.  Pere.  Gottes,  S.  81).  K.  BoSENKluiKZ:  „A» 
Allgemeine  ist  der  Begriff  des  Seins  an  sich,  die  in  sich  cds  Identität  mit  sieh 
bestimmte  Wirklichkeit,  die  Beziehung  der  unbedingten  Gleichheit  des  Seins  o«/' 
sich",  es  ist  die  „  Tätigkeit,  sich  von  sich  xu  unterscheiden"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  99). 
Das  Besondere  ist  „der  Unterschied  des  Allgemeinen  von  sich  selber^^  (L  c. 
S.  100).  Drobisch  unterecheidet  (wie  Hegel)  abstracte  imd  concreto  All- 
gemeinheit (Gattung  —  Art,  Neue  Daret  d.  Log.*,  §  19). 

Nach  LoTZE  ist  das  Allgemeine  doB,  „was  in  mehreren  voneinander  verschiedene» 
Vorstellungen  getneinsam,  gleichartig  vorkommt"  (Grdz.  d.  Log.  S.  11).  A.  Lanob 
findet  das  Allgemeine  schon  in  den  Empfindungen  enthalten  (G.  d.  Mat.  II*,  SJU 
J.  Baumanit  erblickt  in  der  „Allgemeinheit"  nur  „eine  mehr  oder  minder  rer- 
Ijreitete  Tatsächlichkeit"  (Ph.  als  Or.  S.  154).  Düubing:  „Die  Gattungen  und 
Artest,  also  überhaupt  die  gegenständlich  fixierten  Allgemeinheiten,  sifui  das,  was 
sie  sind,  nicht  bloß  durch  Einerleiheit,  sondern  auch  durch  Ursächlichkeit*'  (Log. 
S.  196  f.).  VON  KlBCHMANK  vereteht  unter  dem  Allgemeinen  sowohl  eine  Be- 
ziehungsform  als  auch  das  damit  Bezogene,  d.  h.  die  Begriffe  imd  Gegensätze, 
welche  in  den  Gebieten  der  betreffenden  Wissenschaft  bestehen  (Kat  d.  Phil 
S.  61).  Schuppe  definiert  „allgemein"  als  „etwas,  was  vielen  gemeinsam  sein 
kann"  (Log.  S.  79).  Im  Unterechiede  vom  numerisch  Allgemeinen  ist  da» 
inhaltlich  Allgemeine  „das  Vorgestellte,  sofern  es  durch  seinen  Inliolt  das 
verschiedenen   Gegenständeti    Gemeinsame  wnfaßt"  (1.  c.  S.  89);   „es  xerfäüt  in 


Allgemein.  25 

ikt  wibestimmiy  enceiteri^  typisch  und  absiract  Allgemeine^*  (1.  c.  S.  89  ff.)-  Das 
Allgemeine  ist  schon,  als  ein  Stiick  der  Wirklichkeit,  im  Einzelnen  enthalten 
(l  c  8.  92),  So  auch  von  Bchübert-Soldebn,  nach  welchem  das  Allgemeine 
nieht  erst  durch  Induction  gefunden  wird  (Viertelj.  f.  w.  Ph.  Bd.  21,  S.  151). 
Xach  HussEKL  ist  das  Allgemeine  ein  Gregenstand  des  Denkens,  es  hat  ein  ideales 
Sein  unabhängig  vom  Denkai  (Log.  Unt.  II,  111,  123  f.,  146  ff.,  210).  Die 
Allgemeinheit  des  Wortes  besagt,  j,daß  ein  und  dasselbe  Wort  durch  seinen 
tinkeitli^en  Sinn  eine  ideell  festbegrenxte  Mannigfaltigkeit  möglicher  Änschau- 
wgen  so  ufnspannt  .  .  .,  daß  jede  dieser  Anschauungen  als  Grundlage  eines 
$kieksinmgen  nominalen  Erkennlnisaetes  fungieren  kann**  (1.  c.  II,  501). 

Der  Nominalismus  in  seiner  extremen  Form  behauptet,  die  Universalien 
seiai  bloße  „nomina,  flatus  voeis**,  nicht  einmal  im  Bewußtsein  des  Erkennen- 
den gebe  es  ein  Allgemeines.  Der  gemäßigte  Nominalismus  oder  Conceptua- 
lismos  hingegen  setzt  das  Allgemeine  in  Allgemeinbegriffe  (yyconceptus  unirer- 
talei^);  es  hat  Existenz,  aber  nur  im  Bewußtsein. 

Schon  Antisthenbs  soll  gelehrt  haben,  es  gebe  kein  Allgemeines  für  sich, 
X.  a  kdne  Pferdheit,  nur  einzehie  Pferde  (Prantl,  G.  d.  L.  I,  32).  Die  Stoiker 
halten  die  Ideen  (s.  d.)  oder  Gattungsbegriffe  nur  für  subjective  Gedanken. 
Tt  hfvwifurta  .  .  .  /cifr«  riva  elvai  fujre  noidj  tocarsi  Ss  xiva  xai  toüavsi  7t am 
farti^uara  yv/^r  Tttvra  8e  vno  nSv  a^x^i^"^  iStag  yt^oaayoQsitcd'ni  .  . 
Tavr«  Bi  Oi  fmaixol  ipMaoifoi  faatv  di*v7ra^xrovg  elvai^  xal  twv  /tuv  iworjudrcDv 
meriXtiv  ffuafj  Tcäv  8k  nrtoasatv,  äs  Srj  npoaijyo^iae  xaXovirtj  Tvyjrrt»'«*«'  (Stob. 
EoL  I,  12,  332);  iwo^finra  8ä  icii  ^dvraafta  diavolae,  ovra  n  ov  ovts  7to$6t\ 
d>9ayü  dd  T»  ov  tanavai  noiov  (Diog.  L.  VII  1,  61);  ovriva  t«  xoivd  nag 
nxvvi  Ädytrat  (Simpl.  in  Categ.  f.  26  c).  Nach  Kleanthes  sind  die  Ideen 
mcht  einmal  iworifiaxa  (Stein,  Psych,  d.  St.  II,  293).  Auch  nach  Alexander 
T05  Aphbodisias  sind  die  Universalien  nur  im  Denken  (De  an.  139  b). 

Im  Sinne  des  Nominalismus  lehrt  schon  Mabcianus  Capella.  Begründer 
des  scholastischen  Nominalismus  ist  ItoBGELLnaJB.  Von  den  Nominalisten  bo- 
nebtet  AxsciJi:  „/if/t  utique  nostri  temporis  dialeetici  .  .  .  qui  nonnisi  flaturn 
WM  putant  esse  universales  substaniias**  (Prantl,  G.  d.  L.  II,  78)  und  JOH. 
VOK  Balisbuey:  „Fuerunt  et  qui  voces  ipsas  genera  dicerent  et  speciesy  sed 
nntm  iam  exphsa  sententia  est,  et  facile  aim  auctore  stio  evanuit**  (I,  p.  26<J). 
NachABAEUUtD  bestehen  die  Universalien  nur  in  den  „sertnones"  („Sennofu's- 
«"iw^VY  da  das  Prädicat  eines  Dinges  nicht  selbst  ein  Ding  sein  könne,  sondern 
nnr  das,  „quod  de  pluribus  natum  est  praedieari"  (Prantl  II,  181  ff.).  ,fEsl 
frmo  praedicabilis**  (vgl.  Joh.  Sarebb.,  Metal.  II,  17).  Algazel:  y^Esse  autem 
vmtersaJe  tum  est  nisi  in  intelleetibus"  (Ritter  VIII,  69).  Nach  Roger  Bacon 
w  das  Allgemeine  nur  eine  yyConvenientia  plurium  indiriduorum" ;  ,jsingulare 
«'  melius  quam  universale**  (Op.  m.  p.  3a3;  Prantl,  G.  d.  L.  III,  126).  Der 
Eraeufrer  de«  Nominalismus,  Wilhelm  von  Oocam,  hält  die  Universalien  für 
«objeetive  Begriffe,  Znsammenfassimgen  von  Ähnlichkeiten  der  Dinge.  Das 
Vort,  die  yjsiqnifieatio**,  stellt  das  Allgemeine  im  Denken  her.  yyDicendum  est, 
9>«rf  quodlibet  universale  est  una  res  singularis  ei  ideo  tum  est  universale  nisi 
P^  signifieationem,  quia  est  signuni  pUtrium  .  .  .  Universale  est  una  infentio 
angularis  ipsius  animae  nata  praedieari  de  pluribusy  non  pro  se,  sed  pro  ipsis 
ffl>us**  (Log.  I,  14).  Die  Universalien  sind  „/^to  quibus  in  esse  reali  corre- 
*fondent  vel  eorrespondere  possunt  eonsimilia**  (Prantl,  G.  d.  L.  III,  337). 
tVniversale  fioti  est  figmentum  tale,  eui  non  correspondet  aliquid  eonsimile  in 


26  Allgemein. 

^ifse  suhieeiivoj  qucUe  illud  fingitur  in  esse  obiertiro^^  (1.  c.  S.  358).  ,,Nullmm 
iinirersaU  est  extra  animam  existens  realiter  in  substantiis  individuin  ruv  erfi 
de  suhsta/ntia  vel  esse  earum,  sed  unirerscUiter  est  t-antum  in  anima,  quia  de 
plurihus  est  praedicahilis  non  pro  se,  sed  pro  rebus,  quas  signifirat*^  (1.  c.  B.  ^3C! 
Die  Universalien  entstehen  im  Bewußtsein  ohne  Spontaneität  des  Denker»,; 
jjUnieersalia  et  intentiones  secundae  causantur  naturaliter  sifie  omni  oetiritate 
intelleefiis  et  voluntatis  a  notitiis  incomplexis  temiinorum  per  i-stam  viamy  quia 
primo  cognosco  aliqua  singtdaria  in  partimäari  intuitive  vel  abstrfietire^^  (1.  c, 
S.  846).  G.  BlEL:  yyUniversale  est  conceptus  mentis,  i,  e.  actus  cogfwseendi,  qtti 
est  Vera  qualitas  in  anima  ei  res  singularis,  significans  uniroce  plura  sifigularia 
aeque  primo  negative  naturaliter  proprie^^  (Coli.  I,  d.  2,  qu.  8).  Das  Univer- 
sale ist  jyquoddam  fictum  ab  inteUectu  Habens  tantum  esse  obiectirum  in  anima^^ 
(In  1.  sent.  d.  2,  qu.  8).  J.  BukidaK:  „Oenera  et  species  nofi  sunt  nisi  termini 
apud  anitnam  existentes  vel  etiam  termini  voeales  atä  seripti"  (Prantl,  G.  d.  L 
IV,  16).  Nach  M.  XizoLius  ist  das  Allgemeine  nur  ein  Ck>llectivname,  die 
Comprehension  einer  Mehrheit  von  Dingen  (De  ver.  princ.  I,  4 — 7,  III,  7). 

Debgabtes  erklärt  das  Universale  für  einen  ,ymodus  eogitandi^'  (Ft.  ph.  I,  ö8l 
„Fiunt  huec  unirersalia  ex  eo  tantum,  quod  unum  et  eadern  idea  utamur  ad  omnia 
indiridua,  quae  ititer  sc  sifnilia  sunt,  cogitanda:  Ut  etiam  unum  et  ideni  nanten 
Omnibus  rebus  per  ideam  istam  repraesentatis  imponimus;  quod  nomen  est  uni" 
rersafe^^  (1.  c.  59).  Xach  Spinoza  entstehen  Universalbegriffe,  j,quia  in  carport 
humano  tot  imagines,  ex,  gr.  hominum  formantur  simtd,  ut  rim  imagiptandi 
non  quidem  penitus,  sed  ex)  uaque  tarnen  superent,  ut  singulorurn  parras  differm- 
tias  .  .  ,  eorutnque  detenninatum  numerum  mens  imnginari  nequeat,  ei  id  tan- 
tum, in  quo  omnes,  quatenus  corpus  ab  iisdem  affieitur,  conveniufit,  distinete 
imaginetur;  nam  ab  eo  corpus,  maxime  scili^et  ab  unoquoque  singulari,  affieetum 
fuit,  atqiie  hoc  iiomine  hominis  exprimit,  hocque  de  infinitis  singularibus  prae- 
dicat^^  (Eth.  II,  prop.  XL,  schol.  I).  Nach  Leibniz  ist  das  Allgemeine  nur  in 
unserem  Denken,  zur  Bezeichnung  ähnlicher  Dinge  (ErdnL  p.  305,  398,  439 1. 
Wirklich  ist  nur  das  Individuum  (s.  Monade).  Chb.  Wolp:  „Xotianes  umrer- 
sales  sunt  notianes  similitudinum  inter  res plures  intercedentium**  (Phil.  rat.  §.5A\. 
^yGetiera  et  species  non  existunt,  nisi  in  individuis^^  (1.  c.  §  56;  Psych,  rat. 
§  393).  „Ens  unirersale  est,  quod  omnino  determinatum  non  est,  seu  quod  tan- 
tum  modo  continet  determinationes  intrinsecas  communes  pluribus  singularibuf^ 
exclusis  iis,  quae  in  individuis  dirersae  sunt'^  (Ont.  §  230).  Der  „allgemeine 
Begriff^^  entsteht  durch  Abstraction  des  mehreren  Dingen  Gemeinsamen  (Vem. 
Ge<l.  von  d.  Kr.  d.  m.  V.*,  S.  36). 

HoBBBB  setzt  das  Allgemeine  in  die  Namen,  welche  ähnliche  Dinge  be- 
zeichnen (De  corp.  C.  2,  10;  Hum.  nat.  C.  5,  p.  22).  Locke:  „Die  Vorstellungen 
sind  allgemeine,  wenn  sie  als  die  Darstellungen  vieler  einzelner  Dinge  aufgesteül 
sind.  Aber  Allgemeinheit  gehört  nicht  den  Dingen  selbst  an,  viehnehr  s-in^  diese, 
als  daseiende,  sämtlich  einxelne,  und  dies  gilt  selbst  bei  dcfh  IVortefi  und  Vor- 
stellungen, deren  Bedeutung  eine  allgemeine  ist.  Verläßt  man  daJier  das  Einxelne^ 
so  ist  das  AUgemeifie,  das  übrigbleibt,  nur  ein  von  uns  selbst  gemachtes  Geschöpf: 
seine  allgemeifie  Natur  ist  nur  die  ron  dem  Verstände  ihm  beigelegte  Fähigkeil, 
rieles  Einxelne  xu  bezeichnen  und  darzustellen;  seine  Bedeututtg  ist  ftur  eine 
Bexiehung,  die  ihm  von  der  Seele  zugegeben  ist^^  (Ess.  III,  eh.  3,  §  11).  IHe 
(renera  und  Species  sind  ein  Product  des  Denkens,  dem  Ähnlichkeiten  in  den 
Dingen  selbst  entsprechen  (1.  c.  §  13).    Entschiedener  Nominalist  ist  Berkeley. 


AUgemeizi  —  Allgemeingültig.  27 


Kteh  ihm  gibt  es  nicht  einmal  allgemeine  Ideen,  sondern  Allgemeinheit  besteht 
Bar  in  den  Zeichen  für  mehrere  Einzelideen,  deren  jede  durch  das  Wort  be- 
ffinders  im  Bewußtsein  anger^  wird  (Princ.  XV,  XI).  So  auch  Hume  (Treat. 
•rt.  7),  James  Mnx  (AnaL  C.  15).  Hebbabt  erblickt  im  Allgemeinen  nur  eine 
rÄbbreriaiur,  xur  Bequemlichkeit,  ohne  irgend  eine  eigene  BedeiUung'^  (Met  II, 
417).  B^nriffliehe  Allgemeinheit  ist  ein  logisches  Ideal  (Lehrb.  z.  Psych.*,  S.  127). 
Kaxt  betont,  daß  die  wahre  (im  Unterschiede  von  der  bloß  „eomparcUiven^\ 
indoctiven)  Allgemeinheit  (-=  Allgemeingültigkeit)  a  priori  (s.  d.)  sei,  durch  das 
Denken  selbst  gesetzt,  nicht  erfahren  sei.  Die  Erfahrung  jfSagt  uns  xwar,  was 
iä  sei,  aber  niehty  daß  es  notwendigerweise,  so  und  nieht  anders,  sein  müsse. 
Bten  darum  gibt  sie  uns  auch  kerne  wahre  Allgemeinheit^^  (Kr.  d.  r.  Y.  S.  35). 
fJErfakrung  gibt  niemals  ihren  Urteilen  wahre  oder  strenge,  sondern  nur  an- 
genommpne  und  eomparative  Allgetneinheü  (durch  Induetion),  so  daß  e^  eigent- 
W  hHßen  muß:  soviel  irir  bisher  wahrgenommen  haben,  findet  sich  von  dieser 
pier  jener  Regel  keine  Ausnahm^^  (1.  c.  S.  648  f.).  Schon  früher  bemerkt  K. : 
>Ä"  omnes  spatii  affeetiones  nonnisi  per  eocperientiam  a  relaÜonibus  exfeniis 
mduatae  sunt,  axiotnatibus  geometricis  non  inest  undversalitas,  nisi  comparativa" 
(De  mund.  sens.  sei  3,  §  15).  Daß  die  Allgemeinheit  von  Sätzen  aus  unserem 
Geiste  stammt,  betont  Whewell  (Phil,  of  In.  I,  257  ff.).  Nach  G.  Spickeb 
in  Allgemeinheit  von  Sätzen  schon  eine  Folge  der  Notwendigkeit  (Kant,  Hume 
Q.  Berk.  S.  177).  Allgemeinheit  kommt  nicht  nur  apriorischen  Erkenntnissen 
«n  (L  c.  S.  62).  Unter  „allgemein"  ist  zu  verstehen  „eine  der  Zahl  nuch  he- 
ffimmie  oder  unbestimmte  Menge  gleichartiger  Objecte,  die  irgend  ein  Merkmal 
0Jer  mehrere  oder  alle  gleich  sehr  miteinander  gemein  haben".  „Etwas  im  all- 
fnufinett  betrachten,  heißt  also  eine  Eigenschaft  oder  ein  Merkmal,  das  allen 
fkith  trescfUlich  ist,  betrachten"  (1.  c.  S.  142).  Nach  WuNDT  bedeutet  die  All- 
gemeinheit  der  Begriffe,  daß  ,jeder  Begriff  in  xahlreiche  Urteilsacte  als  Eletrient 
tiagehen  kann,  und  daß  in  diesen  einzelnen  Urteilen  seine  Bex/iehungen  9iu  andern 
Begriffen  bestimmt  werden"  (Log.  P,  S.  95  ff.).  Kiehl  unterscheidet  drei  Arten 
des  Allgemeinen :  das  Objective,  das  Allgemeine  als  Schlußergebnis,  das  rationell 
Allgemeine,  als  Folge  der  Gewißheit  eines  Urteils  (Phil.  Krit.  II,  1,  S.  223  f.). 
E.  Mach:  „Den  ,Öeneraliefi^  kommt  keine  physikalische  Realität  %u,  wohl 
•fcr  eine  physiologische"  (Wärmelehre»,  S.  422).  Nach  Baldwin  ist  das  All- 
gemeine (Abstracte)  kein  Inhalt  des  Denkens,  sondern  „eine  Haltung,  eine  Er- 
tnrtttng,  eine  motorische  Tendenx.  Es  ist  die  Möglichkeit  einer  Reaction,  die 
gi^iehmäßig  einer  großen  Menge  von  besonderen  Erfahrungen  dienen  kann" 
iEntw.  d.  Geist.  S.  308).  Vgl.  Allgemeinvorstellung,  Allgemeingültig,  Abstract, 
Begriff,  Gattung. 

JJlg^emeiiiliegTiff  ist  ein  Begriff,  der  „infolge  des  übereinstimmenden 
Ablaufs  rerschiedener  Urteilsgliederungen"  als  Bestandteil  vieler  Vorstellimgen 
vorkommt  (Wukdt,  Gr.  d.  Psych.»,  S.  322).    Vgl.  Allgemeinvorstellung,  Begriff. 

AU^eatelnes  Urteil  =  universales  Urteil  (s.  d.). 

An^eaieliig^tig;  ist  ein  Urteil,  das  imbedingt  gilt,  von  jedem  Den- 
toden  anerkannt  werden  muß  und  für  jede  mögliche  Erfahrung  bestimmter 
An  Geltung  bewahrt.  Das  Allgemeingültige  ist  nach  Kant  eins  mit  dem 
Apiiori  (8.  d.).  Objective  (logische)  Allgemeingültigkeit  ist  die  von  allgemein- 
notwendigen  Erkenntnissen,  subjectiv-ästhetische  die  des  Gefühls,  der 
rrtdlfikraft  (Kr.  d.  Urt  §  8).    Die  Allgemeingültigkeit  der  Wissenschaft  beruht 


28  ^  Allgemeingültig  —  AUgemeinvorBtellimg. 

auf  der  Einheit  und  Gesetz  in  die  Erscheinungen  bringenden  Tätigkeit  der 
Vernunft  Nach  Riehl  ist  allgemeingültig  jfeine  Wakmekmung,  wenn  und 
wofern  sie  gesetzmäßig  ist,  tcenn  unter  denselben  obfeetiven  une  subjeetiven  Um- 
ständen immer  nur  eine  und  dieselbe  bestimmte  Wahrnehmung  möglich  ist"  (PL 
Krit.  II,  70).  WuNDT  bestimmt  das  Allgemeingültige  als  das,  y,icas  für  jeden 
Evidenx"  hat  (Log.  I,  78.)  Nach  B.  Ebdmann  ist  ein  Urteil  allgemeingültig, 
„wenn  sein  Gegenstand,  d.  i.  das  in  Subject  und  Prädicat  Vorgestellte,  für  alle 
der  gleiche,  obfectiv  oder  allgemein  gewiß,  und  die  Aussage  über  den  Gegenstand, 
die  es  vollxieht,  denknotwendig  ist"  (Log-  I,  6).  Allgemeingültigkeit  ist  „Otl- 
timgsbewußtsein",  „Denknotwendigkeit  des  seiner  logischen  Immanenx  nach  ge- 
icissen  Vorgestellten"  (1.  c.  S.  281).  H.  CoRNEUUB  betont:  „Unsere  allgefneinen 
Begriffe  und  Gesetze,  die  wir  auf  Grund  unserer  Erfahrungen  formulieren,  um 
eben  diese  Erfahrungen  xu  begreifen,  d.  h.  dem  Ganzen  unseres  Erkenntnis' 
besitxes  einxttordnen,  gelten  .  .  .  als  allgemein  nur  unter  der  Rest  riet  ion^ 
welche  in  dem  genannten  Gesetze  ihren  Ausdruck  findet:  wir  geben  in  jenen 
Formen  unsere  Erfahrungen  als  cUlgemeingültig  icieder  mit  dem  Vorbeknlt,  daß 
jeder  Widerspruch  gegen  die  Allgemeingültigkeit  durch  die  Berücksichtigung 
einer  neuen,  in  jener  allgemeinen  Formulierung  noch  nicht  berücksichtigten  Be- 
dingung sieh  mit  den  fraglichen  Erfahrungen  vereinbaren,  rf.  A.  unter  einet» 
höheren  Gesichtspunkte  xusammenfassen  lassen  muß"  (Einl.  in  d.  Phil.  S.  329). 
Vgl.  Allgemein,  Gültigkeit. 

Allg^emeinTOrstelliiiig^  (repraesentatio  commimis,  generalis)  ist  eüie 
Vorstellung,  die  typisch  ist,  d.  h.  eine  Gruppe  von  Vorstellungen  repräsentiert, 
indem  die  Besonderheiten  dieser  „typischen  Vorstellung"  zugunsten  der  all- 
gemeinen, charakteristischen  Merkmale  der  Vorstellungsgruppe  im  Bewuß^in 
zurücktreten;  nur  die  letzteren  werden  appercipiert. 

Gegen  die  Auffassung  der  Allgemeinvorstellung  als  einer  Vorstellung  mit 
bloß  allgemeinem  Inhalt  (schon  bei  Ajustoteles  ist  von  den  avyxsxvfitra,  den 
Verschmelzungen  des  Gleichartigen  in  einer  Vorstellung,  die  Rede,  Phys.  1  1, 
184a  21  squ.)  tritt  LoCKE  auf:  „Words  become  general,  by  being  made  the  signs 
of  general  ideas;  and  ideas  become  getieral,  by  separating  from  them  the 
rircumstanccs  of  time  and  place  and  any  other  ideas,  that  may  determinc  them 
to  this  or  that  particular  existence"  (Ess.  III,  eh.  3,  §  6;  es  ist  eigentlich  schon 
vom  Begriff  die  Bede,  der  auf  die  beschriebene  Weise  entsteht).  Berexley 
leugnet  die  Existenz  von  Allgemeinvorstellungen.  Es  gibt  nur  Einzelvorstellun- 
gen, und  diese  werden  allgemein,  indem  sie  andere  Einzelvorstellungen  derselben 
Art  vertreten  (Princ.  XII,  vgl.  abstract).  HuME:  „Smne  ideas  are  particular 
in  their  nature,  but  general  in  their  representation  .  .  .  A  partictdar  idea  be- 
comes  general  by  being  annexed  to  a  general  ferm"  (Treat.  sct.  7).  Es  besteht 
eine  Tendenz,  von  einer  Idee  zu  ähnlichen  überzugehen  (ib.).  Nach  James  ^Iill 
gibt  es  eine  „general  idea"  nur,  sofern  „we  can  group  all  indij^iduats  of  a  cer- 
tain  description  into  one  elass,  to  which  class  we  give  a  name,  equally  applicable 
to  epcry  individual"  (AnaL  C.  15).  J.  St.  Mill  erklärt:  „General  concepts  .  . . 
we  have,  properl y  speaking,  none;  we  have  only  complex  ideas  of  objects  in  the 
concrete:  but  we  are  able  to  atiend  exdusirely  to  certain  parts  of  the  cancrete 
idea,"  Die  Association  zwischen  einem  solchen  Complex  und  einem  Namen  ver- 
mittelt das  Allgemeinheitsbe»nißtsein  (Exam.  p.  393).  Nach  Morell  entsteht 
die  „general  representation"  durch  Verschmelzung  des  Gleichartigen  mehrerer 


Allgemeinvorgtellimg  -—  AUgenugsamkeit.  29 

I  Toret^angen  zu  einer  nC&mmon  represefitaiion"  (El.  of  Psych.  I,  204  ff.),  ähn- 
llieh  Galtok.    Hesbabt  faßt  die  AllgemeinvorstelluBgen  als  „Oesamieindrüclr 
Mm  ohnlieheH   Oegenständen"  auf,  diese  sind  „Compleoeioneny  worin  das  Ahn- 
hthe  der  Teilvorstellttngen  ein  Übergetcieht  hat  über  dem  Verschiedenen"  (Lehrb. 
z.  ftych.*,  8.  127).    Übebweo:  yfWenn  mehrere  Obfecte  in  getcissen  Merkmalen 
imd  somit   die   Eimelrorsfellungen  von  denselben  in  einem   Teil  ihres  Infuüts 
iüereinstitnmenf   so  entsteht  durch   Reflexion  auf  die  Gleichartigkeit  und  Ab- 
ümrtion  von  den  ungleichartigen  Merkmalen  infolge  des  psychologischen  Gesetzes 
der  Miterregung   der  gleiefiartigen  psychischen  Elemente  und  gegenseitiger  Ver- 
stärkung des  Öleicheartigen  im  Betcußtsein  die  allgemeine   Vorstellung*^  (Log.*). 
Nach  WUKDT  wird   eine  Vorstellung  allgemein  durch  den   „Nebengedafiken**, 
Idiß  sie  eine  ganze  Gattung  vertritt  (s.  Begriff).    Nach  Kbeibig  wird  eine  All- 
I  gemeinvorgtellung  so  vorgestellt,  ,ydaß  tcir  eine  Einxelvorstellung  anschaulich 
imil  dem    Wissen  vorstellen^  daß  diese  Einxelvorstellung  nur  ein  Beispiel  oder 
[eine  Vertreterin  für  eine  Gruppe  in  bestimmter  Weise  ähnlicher  Individuen  sei" 
;  <Die  Aufm.  S.  42  f.).    Nach  KÜLPE  sind  Allgemeinvorstellungen  Producte  von 
Verselmielzungen    ähnlicher   Vorstellungsbestandteile    (Gr.   d.   Psych.   S.  209). 
5ach  B.  E^DMANK  ist  Allgemeinvorstellung  eine  solche,  y^deren  Gegenstand  das 
wtekreren  Einxelgegenstäfiden  Gemeinsame  enthält"  (Log.  I,  88).     Nach  SuLLY 
ist  Allgemeinvorstellung  eine  Vorstellung,  j,welche  in  einem  allgemeinen  Sinne 
6ier  einer  allgmneinen  Bedeutung  gebraucht  wird"  (Handb.  d.  Psychol.  S.  239). 
I  Sie  stellt   die  gemeinsamen  Merkmale  einer  Classe  von  Gegenstanden  dar  (ib.). 
!  Gattung»-  oder  typisches  Bild  ist  „etw  malerisches,  geistiges  Bild  xusammengesetxten 
I  Ckarai^ters,  das  durch  eine  Reihe  auffallend  ähnlicher  Wafimehmungen  und  Acte  der 
Wiedererkennung  geformt  wird"  (1.  c.  8. 240).   Jebusalem  versteht  unter  „typischen 
i  Vorstelhtngen"  ,f8olche,  die  in  wiseretn  Bewußtsein  als  Vertreter  einer  ganzen 
Klasse  oder  Gruppe  von  Objeeten  fungieren.    Das  wesentliche  Merkmal  der  typi- 
schen Vorstelli*ng  ist  ihr  repräsentativer  Charakter".    Auch  einzelne  Gegen- 
«tände  sind  in  unserem  Bewußtsein  durch  typische  Vorstellungen  vertreten.    Es 
gibt  daher  typische  Gemeinvorstellungen  und  typische  Individualvorstellungen 
(Lefarb.  d.  Psych.",  8.  97  f.).    Die  typische  Vorstellung  entsteht  schon  sehr  früh, 
sie  ist  j^ine  Abstraetion,  sondern  ein  wirkliches  Erlebnis"^  sie  ist  vom  logischen 
Begriff  vollkommen  verschieden  (1.  c.  8.  98  f.).    Der  Grund  ihrer  Entstehung 
Kt  ein  biologischer.    ,fDie  Ökonomie  des  Seelenlebens,  welche  mit  den  psychi- 
seken  Kräften  haushält,  läßt  nur  diejenigen  Dispositionen  äctuell  werden,  welche 
Meutsam  sind,  und  wir  stellen  von  dem  Objecte  nur  das  vor,  was  für  unsere 
Lebenserhalttmg   fcichtig  ist.     Eine  typische   Vorstellung  ist  somit  xunächst  der 
Inbegriff  der  biologisch  wichtigen  Merkmale  eines  Objectes"   (1.  c. 
*S.  99).    Die  typischen  Vorstellungen  sind  anschaulich  und  individuell  bestimmt 
ond  doch  allgemein,  sie  lassen  sich  auch  absichtsvoll  erzeugen  (1.  c.  8.  100). 
^ie  sind  ursprünglich  die  Resultate  von  Apperceptionen,  die  gleichsam  instinctiv 
vc^lzogen  werden  (1.  c.  8.  101).     Schon  Gbillpabzeb  bemerkt :  „Es  ist  un- 
ifreitig,  daß  durch  öftere  Wahmehmmg  mannigfaltiger  Individuen,  die  xu  ehier 
Gattung  gehören,  sieh  der  Einbildungskraft  ein  getvisses  abgezogenes  Bild,  ein 
Typus  der  Gattung  eindrückt,  der  sodann  beim  Formen  von  Begriffen  die  Grund- 
lage macht"  (WVV.  XV,  132  f.).    Vgl.  Begriff. 

Aüg^eBielBwille  s.  Wille. 

Allg^eBH^saiiikeit  =  Aseität  (s.  d.). 

i 

i 


30  Allheit  —  Altnüsmus. 


Aimelt  (Totalität)  ist,  nach  Kant,  „Vielheit  als  Einheti  betrachtet''  (Kl 
d.  r.  V.  S.  99). 

AUmacllt  (omnipotentia) :  das  unbedingt«  Können  Gottes,  die  unbe 
schränkte  Verwirklichungsmöglichkeit  des  göttlichen  Willensinhaltes. 

jUlorglunlsnias  ist  nach  Scheluno  das  Weltganze.    Vgl.  Weltseelc 

Allotrope  Causalität  s.  CausaUtät 

JJtoeele  s.  Panpsychismus,  Weltseele. 

JJlsetn  6.  Pantheismus. 

Allsinii:  das  Vermögen,  die  Wesenheit  der  Dinge  unmittelbar  zu  er 
fassen  (Schelltng  u.  a.),  =  intellectuelle  Anschauung  (s.  d.),  Einheit  voi 
äußerem  und  innerem  Sinne  (vgl.  G.  M.  Klein,  Anschauungs-  und  Denklehn 

1824,  §  77). 

AUwelslieit  (Allwissenheit,  omniscientia):  das  unmittelbare  unendlichi 
Wissen  Gottes  um  den  Weltinhalt  (vgl.  Fechnek,  Zendav.  I,  258). 

AUwIUe  8.  WiUe. 

Aloglsell  (aXoyov) :  unvernünftig,  vemunftlos,  bar  des  logischen  Principa 
geistig  blind,  „'^^ioffia  äXoyov"'  (Aribtoteles,  Phys.  VIII  1,  252  a  24).  Alo 
gisch  sind  nach  den  Stoikern  die  Affecte  (Stob.  Ecl.  II  6,  168).  Alogisch  ib 
der  y,Wüle^'  (s.  d.)  Schopenhauees,  der  bei  E.  von  Habtmann  durch  da 
Logische,  die  Idee  (s.  d.),  ergänzt  wird. 

Altera  (secimda)  pars  Petri  =  der  zweite,  vom  Urteil  handelnde  Td 
der  Logik  (s.  d.)  des  Petrus  Ramus. 

Alteration:  Gemütserregung,  Aufregung. 

Alteritas  =  Andersheit. 

Alternative  (alternierende)  Urteile  =  l)Urteüe,die  miteinander  vertausch 
werden  können,  ohne  daß  der  Sinn  des  Urteils  sich  ändert,  2)  disjunctive  Ur 
teile  von  der  Form  ,yS  ist  entweder  P,  oder  P,"  oder  ,,»S'  ist  entweder  P  od(\ 
nicht  P'  (WÜNDT,  Log.  I,  179,  196). 

Altraismas  (von  alter,  der  andere):  Gegensatz  zum  Egoismus  (s.  d.),  zu 
Selbstsucht,  bedeutet  Uneigeimützigkeit,  Denken  an  und  Handeln  für  anderei 
Wohl ,  Selbs  tauf  Opferung  im  Sinne  des  Christentums.  Auch  Senec  A  erklärt 
y,alieri  vicas  oportet,  si  vis  tibi  vtrere''  (Ep.  48,  2;  vgl.  60,  4).  Der  Termin« 
„Altruismus''  stammt  von  Comte,  der  im  Altruismus  die  Bedingung  aller  Oiltui 
imd  Sittlichkeit  erblickt.  Den  Altruismus  als  ethisches  Princip  vertreten  ii 
verschiedener  Weise  Cümberland,  Shaptesbüry,  Hutcheson,  Butler,  Pai^ey 
HuME,  A.  Smith,  Leibniz,  Chr.  Wolf  u.  a.  H.  Spencer  nennt  altniistiscl: 
jede  Handlung,  „welche  im  normalen  Verlauf  der  Dinge  anderen  Nutzen  schaffe 
statt  dem  Handeiiulen  selbst"  (Pr.  of  moral.  §  76).  Der  Altruismus  ist  ebensc 
ursprünglich  wie  der  Egoismus  (ib.).  Übertriebener  Altruismus  ist  schadlicli 
(1.  c.  §  73  f.).  Nach  LiPPS  ist  Altruismus  „das  Abxielen  auf  Vericirklichuti^ 
fremder  Güter,  d.  h.  auf  Venrirklichung  solcher  sachlicher  Werte,  rf« 
anderen  Befriedigung  getvähren"  (Eth.  Gr.  S.  11).  Der  Altruismus  ist  etwa« 
Ursprüngliches,  er  beruht  auf  natürlicher  Sympathie,  auf  der  inneren  Einheit 
meiner  selbst  mit  fremden  Persönlichkeiten,  von  denen  ich  weiß  (1.  c.  S.  15  ff.,  23> 
Nach  SiMMEL  ist  der  Altruismus  ein  vererbter  Instinct  (Einl.  in  d.  Mor.  I,  92). 
er  ist  „Gruppenegoismus"  (I,  113,  wie  IHERING).    Nach  O.  AllMON  entspringen 


Altruiflmua  —  Analogie.  31 

I ^ 

i 

'  die  aitrnistischen  (socialen)  Triebe  dem  Schutztriebe  (GesellBchaftBordii.  8.  67). 
P.  Ree  erklärt:  „Xaekdein  der  Instinkt,  die  NaMcammetisehaft  xu  lieben,  durch 
Auflese  und  Vererbung  seine  Stärke  erlangt  katte^  zweigte  sich  von  ihm  durch 

,  Meoiterknüpfung,  Gefühlsverhiüpfung  der  Nächstenliebeinstinrt  ab^*  (Philos.  H.  14). 
A.  Medtong  nennt  ein  Begehren  altruistisch,  „itetm  dabei  das  Wohl  des  amiern 

;  ah  solekes  entscheidend  ist^'  (Werttheor.  S.  99) ;  es  ist  y^selbstisch-altruistisch''  (z.  B. 

I  Familienliebe)  oder  fjUtiselbstisch-altrutstisch**  (allgemeine  Menschenliebe)  (1.  c. 
S.  1(3).  Nach  WuNDT  ist  der  Altruismus  erst  im  Dienste  der  Idee  sittlicher 
Entwicklmig  sittlich  (s.  d.j.  H.  Cornelius  betont:  y^nur  die  Rücksicht  auf  das 
dauernd  Wertrolle^  nicht  aber  die  Rücksicht  auf  die  einzelnen  Gefiihlserlebnissp 
darf  für  unser  Handeln  ausscMaggebetid  sein'*  (Einl.  in  die  Phil.  S.  351  f.).  Ein 
GtgDer  des  Hchwächlichen  Altruismus  ist  Nietzsche.  Vgl.  Ethik,  Sittlichkeit^ 
Sympathie,  Social. 

A  ■laiorl  ad  minus:  vom  Größeren,  Umfangreicheren,  Stärkeren,  All- 
pfineineren  auf  das  Kleinere,  Besondere  ist  schließbar,  aber  nicht  a  minori 
ad  mains. 

Aflibig^lllt&t  s  Zweideutigkeit. 

Amecliaiilselie  Bewegungen;  nach  Avenarius  solche,  die  wir  sonst 
alü  j^psyrkiwh*'  bedingt  betrachten  (Weltbegr.  S.  26  ff.).    Vgl.  Psychisch. 

Amiaüe  (und  Paramimie)  sind  Störungen  in  den  Ausdrucksbcwegungeu. 

ABiaesie:  krankhafte,  senile  Gedächtnisschwäche,  wobei  die  neuen  Ein- 
drucke am  schlechtesten  haften  luid  das  Abstracte,  Allgemeine,  Typische  besser 
ai<  das  Concrete,  Particuläre.  Es  gibt  eine  partielle  und  totale  (syste- 
matische) Amnesie,    VgL  Gedächtnis. 

Aaiptaibolie  (nu^ißoXia):  Zwiefältigkeit,  Zweideutigkeit,  Verwechselung. 
So  heißt  eine  sophistische  Öchlußform  (vgl.  Aristoteles,  De  soph.  elench.) 
Nach  den  Stoikern  ist  Amphibolie  eine  >Uf{«  Svo  tj  xai  nkeiova  n^ayfiara 
Jiuaivoitüa  XexTucwa  xai  xaxa  ro  avxo  i&og  (Diog.  L.  VII,  1,  62).  Kaxt  nennt 
Jmtifrendentaie  Amphibolie**  die  „Vericechselung  des  reinen  Versiandesobjects 
'  mit  der  Erscheinung**  (Kr.  d.  r.  V.  S.  245);  einer  solchen  habe  sich  Leibniz  schul- 
dig gemacht,  indem  er  Beziehungen,  die  nur  für  die  erfahrbaren  Objectc?  Sinn 
ond  Geltung  haben,  auf  Dinge  an 'sich  anwendete  (1.  c.  S.  243  ff.).  Vgl.  Ke- 
fl^xioiisbegriffe. 

Aaiiphlloij^ie:  Streit,  Widerspruch. 

AaiiiAie:  Verlust  der  Auffassung  für  Töne  oder  der  Fähigkeit  des  nuisi- 
tauschen  Ausdrucks. 

AsAgog^e  {avayayyiiy  Hinaufführung):  allegorische  Deutung. 

Anal^eflles  pathologischer  Mangel  von  Schmers^mpfindungen. 

Analoga  (draXoyoe):  sich  gleich  verhaltend,  entsprechend,  proportional, 
iknlicL 

AMalajs:ie  (avaXoyla):  Proportionalität,  Ähnlichkeit,  Gleichheit  der  Be- 
adiungen,  Übereinstimmung.  So  bei  Aristoteles  (Eth.  Nie.  V  6,  1131a  31; 
fkys.  IV  8,  215b  29).  So  auch  bei  Qüintilian.  Die  Scholastiker  imter- 
«heiden  „analogia  proportionis*'  und  „analogia  attributiofiis**.  Tetens  de- 
finien  Analogie  als  „Einerleiheit  in  deti  Verhältnissen  der  Beschaffenheit*'  (Phil. 
CT*.  I,  2()>.    Analogie  ist  nach  Kant  „eiwc  vollkommene  Ähnlichkeit  xiccicr 


32  Analogie  —  AnalogleBohlafi. 

_^_  ,  _■  _LI_ 

Verhältnisse  xtüischen  ganx  unähnlichen  Dingen'^  (WW.  IV,  105).  Nach  Lippb 
sind  Analogien  „  UrteUaübertragungen  oder  Übergänge  einer  Vorstellungsnötigung 
ron  Ähnlichem  auf  Ähnliehes^^  (Gr.  d.  Seel.  S.  459).  Höffding  bestimmt  die 
Analogie  als  „queUitcUive  Bexieku^tgsgleichheit^^  (Belig.  S.  63).  Jebubalex: 
„0/?  erweckt  eine  Beziehung  x wischen  Vorstellungen  den  Gedanken  <m 
eine  früher  bemerkte  ähnliche  Bexiehung.  Die  Identification  solcher  Bexi^uingen 
nennen  tcir  Analogie^*  (Lehrb.  d.  Psych.*,  S.  79).  Daß  die  Analogie  allem 
{)oetiBchen  und  philosophischen  Schaffen,  ja  schon  unserer  naiven  WeltCGn- 
ception  zugrunde  liegt,  betont  besonders  A.  Biese.  „^Vas  tcir  an  uns  und  in 
uns  erleben,  gibt  uns  den  Maßstab  für  alles  ron^  außen  auf  uns  Eindringende^ 
iPh.  d.  Me'taph.  S.  72).  Die  Analogie,  das  yjMetaphorische'\  baut  die  Brücke 
zwischen  Außen-  und  Innenwelt  (1.  c.  8.  74).  Diese  Nötigmig,  unser  Innensein 
auf  die  Dinge  der  Außenwelt  zu  übertragen,  ist  das  Metaphorische  im 
engeren  Sinne,  das  Anthropocentrische,  ein  Gresetz  unserer  seelischen  Or- 
ganisation (1.  c.  S.  218).  So  ist  denn  auch  die  Sprache  (s.  d.)  metaphorisch 
(1.  c.  S.  40;  so  auch  Nietzsche,  Mauthker).  VgL  Object,  Introjection,  Ana- 
logieschluß. 

Analogien  der  Empfindung  heißen  die  (durch  ähnliche  Gefühlslageo 
vermittelten)  Verwandtschaften  von  Empfindungen  verschiedener  Sinnesgebiete 
(z.  B.  zwischen  hohen  Tönen  und  hellen  Farben).  Schon  Akistoteles  weifl 
dies  (vgl.  Nahlowsky,  Gefühlsieb.  S.  147,  C.  Hermann,  Ästh.  Farbenldire 
S.  45  ff.,  WUNDT,  Gdz.  d.  ph.  Psych.  I»,  530,  Biehl,  Phil.  Krit.  II,  1,  71). 
Vgl.  Audition  color^. 

Analogien  der  Erfahrung  nennt  Kant  Kegeln,  nach  welchen  „entf 
Wahrnehmungen  Einheit  der  Erfahniftgen  entspringen  soW^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  173). 
Sie  gehören  zu  den  „dynamischen^^  Grundsätzen  (s.  d.)  möglicher  Erfahrung, 
welche  diese  a  priori  (s.  d.)  bestmimen.  Die  Analogien  betreffen  nicht  die 
Erzeugung  der  Anschauungen,  sondern  die  Verknüpfung  ihres  Daseins  in  einer 
Erfahrung,  j,und  xwar  7iic/U  in  Ansehung  ihres  Inhnlts,  sondern  der  Zeitbestim- 
mung und  des  Verhältnisses  des  Daseins  in  ihr,  nach  allgemeinen  OesetxcfC^ 
(Prol.  §  26).  Sie  sind  Folgesätze  aus  den  Kat^orien  (s.  d.).  Ihr  allgemeiner 
Gnmdsatz  lautet:  „Alle  Erfahrungen  stellen,  ihrem  Dasein  nach,  a  priori  wtter 
/Regeln  der  Bestimmung  ihres  Verhältnisses  untereinander  in  der  Zeit*-^  (Kr.  A 
r.  V.  S.  170).  Da  die  drei  Modi  der  Zeit  Beharrlichkeit,  Folge  und  Zugleich- 
sein  sind,  so  ergeben  sich  drei  Analogien:  1)  „Alle  Ersclteinungen  enthalten  dM 
Beharrliche  (Substanx)  als  den  Gegefistafid  selbst  und  das  Watuielbare  als  dessm 
bloße  Bestimmung  d.  i.  eine  Art,  wie  der  Gegenstand  existierte*  2)  „Alles,  um 
geschieht,  setxt  etwas  voraus,  worauf  es  nach  einer  Regel  folgt,**  3)  y,AlU  Sulh 
stanxeti,  sofern  sie  xugleich  sind,  stehen  in  durchgängiger  Gemeinschaft**  (L  c. 
S.  170  ff.).  Die  Analogien  der  Erfahrung  bilden  die  tlieoretische  Grundlage, 
die  Regulative  der  Naturerkenntnis.    Vgl.  Laas,  Kants  Anal,  der  Erfahr.  1876. 

AnalOffiesclllaß  ist  ein  „Schluß  per  analogiam**  („ratioeinatio  ^ 
analogiam**)^  d.  h.  von  der  Übereinstimmung  zweier  Objecte  in  mehreren  wesent- 
lichen Punkten  auf  die  Gleichheit  oder  Ähnlichkeit  auch  in  anderen  Merkmalen- 
—  Als  7ta^d8eiyua  kommt  diese  Schlußart  schon  bei  Aristoteles  (AnaL  pr. 
II,  24;  Rhet.  I,  2,  1357  b  25  sq.)  vor.  Femer  als  avlloyiauos  xara  j6  dvdloyvff 
in  der  pseudogalenischen  Eicaytoy^  (Prantl,  G.  d.  L.  I,  608),  nachdem  Thbo- 
phrast  mit    diesem  Terminus    einen   Schluß    aus  hypothetischen  Prämissea 


AnalogieBoliluß  —  Analyse.  dS 

bezachnet  hatte  (L  c.  I,  381,  391).  Das  na^Saty/Aa  kommt  als  „eacemplum'^  bei 
BoEthius  vor  (Opp.  p.  864).  Die  Epikureer  sehen  im  Analogieschluß  (6  xard 
tijy  oMtorrjra  rooTtog)  den  Weg  von  den  Erscheinungen  zu  dem  Unbekannten 
<Tgl.  CtOMPKRZ,  Herculan«  Stud.  H.  1).  Hume  rechnet  die  Analogieschlüsse  zu 
den  Wahrscheinlichkeitsschlüssen  (s.  d.)  (Treat  III,  sct.  12),  Wundt  zu  den  Sub- 
nuntionssehlässen  (s.  d.)  (Log.  I,  309).    Vgl.  Haoemakn,  Log.  u.  Noet.  S.  104  ff. 

AnAtof^leTerfalireii  s  die  Anwendung  des  Analogieschlusses  als  Quelle 
Ton  Erkenntnissen,  besonders  in  der  Metaphysik  (Leibniz:  „tout  comvie  chf^x. 
woM^).  Die  Existenz  fremder  Ichs  (Seelen)  wird  nach  Berkeley  u.  a.  auf 
diese  Weise  erfaßt.    Vgl.  Analogie. 

AüAloi^SMills  =  Analogieverfahren. 

Analogon  rationis:  das  der  Vernunft  Entsprechende  in  niederer  Form 
(Gedächtnis,  Erwartung,  Association  u.  dgL  statt  begrifflichen  Denkens).  Ein 
mlclus  schreibt  Leibniz  den  Tieren  zu  (Monad.  26,  28);  so  auch  Chr.  Wolf 
(PsTch.  emp.  §  506,  Psych,  rat.  §  765,  Vem.  Ged.  I,  §  872). 

Analjrse  (avdXvci£\  logische  Auflösung,  Zerlegung  eines  Begriffes  in  seine 
Merkmale,  eines  Bewußtseinsinhalts  in  seine  Elemente  (psychologische  An.), 
eb«  Gegenstands  in  seine  Eigenschaften,  Zurückführung  des  Besonderen  auf 
dis  Allgemeine.    Qegensatz:  Synthese  (s.  d.). 

Als  B^riffszerlegung  bestimmt  die  Analyse  schon  Aristoteles  (vgl.  Eth. 
Mein,  5,  1120  squ.),  zugleich  als  Fortgang  vom  Besonderen  zum  Allgemeinen. 
So  auch  AL£XAin>£R  TON  ApHRODIBIAS:  ^AvaXvnxd  8e\  ort  17  navroe  cw&dxov 
ii|  tav  ^  üvv!^saii  avrov  dvaywyri^  dvnXvag  xakeTrai^  avTSOrgafifiivaii  yii^  rj 
•täixGti  h^ei  Tfi  avviyiaei,  17  fiiy  yd^  avv!)'eaii  dno  ruiv  d^x^^  696^  icriv  ini 
fk  hl  rSv  d^x^^y  V  ^^  dvdXvca  ijtdvodos  iartv  ini  rag  d^x^i  dnd  rov  rdXovg 
Mi  Ta  it  (Pnintl,  G.  d.  L.  I,  623).  Diese  Definition  findet  sich  noch  bei  Kant  : 
pÄnalyns,  priori  sensu  sunita,  est  regressiis  a  rationato  ad  rationenty  posteriori 
mlem  signifieatuy  reffressus  a  toto  ad  partes  ipsitts  posstbües  s.  mediatas  h.  e. 
farfium  parfes^^  (De  m.  sens.  sct.  I,  §  1).  Leesniz  erklart:  yyAnalysis  haec  est: 
datus  quieumque  terminus  resolvatur  in  partes  formaleSy  seuponaiur  eins  definitio; 
fortes  aiäem  kae  iterum  in  partes,  seu  terminorum  definitionis  definitiOf  tisque 
*rf  partes  »ivnplices,  seu  terminos  indefinihiles**  (De  arte  comb.  Erdm.  p.  23  a,  b). 
—  Xaeh  Wundt  ist  die  analytische  Tätigkeit  eine  Wirkung  der  Apperception 
(Gr.  d.  Psydh.*,  B.  303).  Analyse  und  8ynthese  gehen  aus  der  mehrfachen 
IHederholang  und  Verbindung  der  Beziehungs-  imd  Vergleichungsfunction  her- 
vor. 80  daß  die  Analyse  zunächst^  das  Product  der  vergleichenden  Apperception 
;« (l  c.  S. 316).  Sie  tritt  in  zwei  Formen  auf:  als  Phantasie-  tmd  als  Verstandes- 
ütigkeit  (L  c.  8.  318).  So  beruht  z.  B.  das  Urteil  (s.  d.)  psychologisch  im 
wesentlichen  auf  einer  analytischen  Fimction  (1.  c.  S.  321;  dagegen  SlowART, 
log.  I*,  130  und  Jerusalem,  Urteils!  S.  75).  Die  Analyse  ist  die  ursprüng- 
lichste Erkenntnisoperation,  „welche  durch  die  natürliche  Bescßiaffenheii  der  Er- 
fskrungsobjecte  in  der  Regel  xtterst  angeregt  unrd".  Sie  gliedert  sich  in  drei 
fitofen:  1)  elementare  Analyse,  durch  die  eine  Erscheinung  in  Teilerschei- 
mngcn  zerlegt  wird  (in  der  Chemie),  2)  causale  Analyse,  welche  die  zerlegten 
Bestandteile  in  ihren  gegenseitigen  Beziehungen  erklärt  (physikalische,  psycho- 
lioglische  Analyse);  hier  sind  wichtig  die  Principien  der  y,Isolatian"  von  Ele- 
iBenten  und  der  „  Variation*^  solcher  (beim  experimentellen  Verfahren),  3)  logische 
Aiiahse  (besonders  in  der  Mathematik).     Die  Grundformen  der  Analyse  sind 

PbltoMphiaohM  Wörfterbaob.    S.  Aafl.  3 


34  Analyse  —  AnamneBe. 


das  disjunctive,  das  Abhangigkeits-  und  das  Bedingungsurteil  (Log.  II*,  1). 
Bjebl  unterscheidet  eine  analytische,  synthetische  und  analytisch-synthetische 
Bewußtseinsfunction.  „Mittelst  der  ersten  wird  das  Beharrliche  vom  Veräfider- 
liehen  unterschieden,  durch  die  xweite  die  Veränderung  mit  ihrem  Grunde  ver- 
knüpft, durch  die  dritte  endlich  alles  Wirkliehe,  Dinge  und  Vorgänge,  als  xu 
einer  und  derselben  Welt  gehörig,  jedes  Mnxelne  als  Teil  des  Ganzen  der  Xatttr 
gedaeh^^  (Phil.  Kr.  II,  2,  S.  68).  Nach  Schuppb  ist  jede  Analyse  eine  Er- 
weiterung der  Erkenntnis  und  zugleich  eine  Synthese,  insofern  „das  als  im 
Ganzen  enthalten  entdeckte  Moment  bis  dahin  unbekannt  war^^  (Log*  ö.  98).  Vgl. 
Induction,  Methode,  Psychologie, 

Analyse«  psycliisclies  Zerlegung  eines  Bewußtseinsinhaltes  in  dessen 
Componenten  (vgl.  Metnong,  Beiträge  zur  Theorie  d.  psych.  Analyse,  Zeitschr. 
f.  Psychol.  VI,  340  ff.).    Vgl.  Elemente  (psychische),  Psychologie. 

Analytik  {dvalvr^x^  '^^x*^)  ^^  nach  Aristoteles  die  Kunst  des  avakvsw, 
der  Gedankenzerlegung  (Ehet.  I  4,  1359  b  10),  des  Fortschreitens  zu  den  Prin- 
cipien.  Daher  der  Name  Analytica  für  die  Logik  des  Stagiriten  (Analytica 
priora  =  Lehre  vom  Urteilen  und  Schließen,  Analytica  posteriora  :=  Lehre  vom 
Beweise).  JOH.  ScoTUS  Ebiugena:  ,^u4vaXvzix^  enim  est  disciplina,  quae  nisi- 
bilium  imaginum  interpretationem  in  invisibilium  inlellectuum  uniform  itaiem 
resolmt  omni  forma  earentium"  (Prantl,  Gr.  d.  L.  II,  27).  Er  nennt  dvaJivrix^ 
auch  die  „divina  processio"  (s.  d.).  Nach  Thomas  ist  „analytica"  die  „demon- 
sfratira  scientia,  quae  resohendo  ad  principia  per  se  nota  iudicativa  dicifur**, 
ein  Teil  der  Logik,  der  auch  „dicUecticam  sub  se  continet"  (Sum.  th.  II, 
53,  4  C). 

Analytik,  transc en d en  tale  ist  derjenige  Teil  der  Vemunftkritik  Kaxtb, 
der  „die  Zergliederung  unseres  gesamten  Erkenntnisses  a  priori  in  die  Elemente 
der  reinen  Verstandeserkenntnis"  zum  Gegenstande  hat  (Kr.  d.  r.  V.  S.  85),  der 
Teil  der  „transcendentalen  Logik^^,  der  „die  Elemente  der  reinen  Verstandes- 
erkenntnis  vorträgt  und  die  Prineipien,  ohne  welche  überall  kein  Gegenstand  ge- 
dacht  werden  kann"  {1.  c.  S.  84);  sie  ist  „die  Zergliederung  des  Verstandesver- 
mögens selbst,  um  die  Möglichkeit  der  Begriffe  dadurch  xu  erforschen,  daß  trir 
sie  im  Verstände  allein,  als  ihrem  Geburtsorte,  aufsuchen  und  dessen  reinen 
Gebratich  überhaupt  analysieren"  (1.  c.  S.  86).  Sie  handelt  von  den  Kat^orien 
(s.  d.)  und  von  den  Gmndsatzen  (s.  d.)  des  reinen  Denkens.  Eine  Analytik  ent- 
halt auch  die  „Kritik  der  praktischen  Vernunft",  sie  beginnt  mit  der  Darlegung 
der  Möglichkeit  praktischer  Grundsätze  a  priori  und  schließt  mit  der  Lehre 
vom  moralischen  Gefühl.  Endlich  gibt  es  bei  Kant  eine  „Analytik  des  Schönefi^*' 
(Kr.  d.  Urt.  1.  T.,  1.  Abt.,  1.  B.),  eine  „Analytik  des  Erhabenen"  (1.  c.  2.  B.) 
und  eine  „Analytik  der  teleologischen  Urteilskraft"  (1.  c.  2.  T.,  1.  Abt.). 

Analytlselt:  durch  Analyse  (s.  d.). 

Analytiseiie  Methode  s.  Induction,  Methode. 

Analytisehes  Urteil  s.  Urteil. 

Anamnese  (dvdftrrjaie) :  Erinnerung.  Als  solche  betrachtete  Plato  die  Kr- 
kenntnis  des  Allgemeinen,  Seienden,  Typischen,  Idealen.  Im  Zustande  der  Pra- 
existenz  (s.  d.)  hat  die  Seele  die  Ideen  (s.  d.)  unmittelbar  geschaut,  und  wenn  sie  nun 
die  Dinge  wahrnimmt  und  denkt,  so  erinnert  sie  sich  daran,  d.  h.  sie  erkennt 
vermittelst   angeborener  Spuren  der  einstigen  Schauimg,  vermittelst  einer  Art 


Anamnese  —  Anerkennen.  35 

tpiionscher  Maßstabe,  die  sie  an  die  Erfahrung  heranbringt  sowohl  im  Logischen, 
Theoretischen  als  auch  im  Ethischen  und  Ästhetischen.  Tovro  de  iativ  avdfivriaii 
iMurav,  a  nor  el8sv  ^fuav  17  tf^^  cvfinogev^^iaa  d'e<p  xai  vnsQiSovaa  a  vvv  elvai 
fauiv  xai  dvaxvy^aaa  eis  ib  ov  ovrots  (Phaedo  249  C).  *Hfiiv  rj  fidd'ijute  ovx  aXXo 
u  J  avduprjCii  rvyx^vei  ovaa,  xai  xaiä  tovtov  dvayxtj  nov  rjfiä^  iv  TtQore^t^ 
i»l  Z^*'*P  f^fMi&rixevat  a  vvv  dva/ii/ivrjaxofts&a  (Phaedo  72  E).  Oiixovv  ei  fiev 
Ußorrti  avriiv  ngo  rav  ysvec&ai  i^ovree  iyevofie&a^  ^laidfisd'a  xai  n^iv 
ftvi9&at  xai  evd'i^  yevoftsvot  ov  fiovor  t6  Xüov  xai  ro  fisV^ov  xai  ro  i'htxTOV^ 
iUja.  nai  ivftnavra  rd  roiavra  (1.  C.  75  C,  Meno  86  A;  vgl.  WlNPEI^BAND, 
Gesch.  d.  Phil.  S.  92).  Als  Bewußtwerden  der  angeborenen  Ideen  {(^'aixai 
ifpotat)  kennt  eine  Anamnese  Nebcesius  (ne^i  ipvaeaK  13,  203  f.).  Im  Sinne 
Hatos  lehrt  auch  Boethius  (Cons.  phil.  V),  femer  M.  FiciiOJS  (Theol.  Plat. 
XII,  1),  N.  Taubellus  (Phil,  triumph.  1,  p.  62).  Ein  Gegner  der  Lehre  ist  u.  a. 
ASKOBlüS  (Adv.  Gent  II,  24).  Hillebrai^D  betrachtet  das  y,freie  ideelle 
Aoiiboi  des  Übersinnlichen^''  als  eine  Art  Wiedererinnern  (Phil.  d.  Geist.  I,  91). 
fine  Art  Anamnese  auf  biologisch  (phylogenetisch)  -  erkenntnistheoretischer 
Gnmdlage  (als  Bewußtwerden  latenter  Vererbungen)  wird  vielfach  angenommen, 
m  auch  von  L.  Noike  (Einl.  u.  Begr.  e.  mon.  Erk.  S.  144),  L.  Geiger  (ümf. 
B.  Qu.  d.  erf.  Erk.  S.  16),  Simmel  (Probl.  d.  Gesch.  S.  25  f.)  u.  a. 

AB&stliefile:  Aufhebung  der  Erregbarkeit  für  Sinnesreize,  des  Empfindens, 
Ijesonders  der  Tastempfindung,  durch  äußere  und  innere  (intraorganische)  Mo- 
»ente,  Gegenteil:  Hyperästhesie.  Unter  Hypästhesie  versteht  man  die 
klßöe  üerabsetzung  der  Empfindlichkeit  (vgl.  Hellpach,  Grenzwiss.  S.  221  ff.). 

Anderlieit  (alteritas):  Übersetzung  der  itegorrj^  bei  Abistoteles  (bei 
?UT0:  e%sgav:  Verschiedenheit  der  Gattung  (Met  X,  8,  1058a  7).  „Älteritas^^ 
hi  B0ETHIU8  (Conun.  Isag.  p.  33),  „Älietas"  bei  Thomas.  Nach  Plotin  hat  der 
mj  (Geist,  s.  d.)  im  Unterschiede  vom  „Mnen"  (ßv)  eine  Anderheit  {eregoTTjs), 
vcd  »■  in  sich  eine  Zweiheit  des  Erkennenden  und  Erkannten  hat.  Von  der 
iJuierheit  im  metaphysischen  Sinne,  als  von  der  Eins  ausgehend,  spricht  Geoboiub 
VcfEnrs  (Opp.  III,  38). 

Andemselns  bei  Hegel  ein  Ausdruck  für  die)  Natur  (s.  d.)  als  äußere 
Fotui,  Veraußerlichung  der  Idee  (s.  d.),  des  Absoluten.  „Die  Xegatiorij  nicht 
^fkr  das  absiracte  Nichts,  sofidern  als  ein  Dasein  und  Etwas,  ist  nur  Form  an 
feswff,  sie  ist  als  Ander ssein^^  (Encykl.  §  91). 

AbAt^  das  (xa  dXAa  tov  evos,  16  aXXoy  ir,v  sre'pav  fi'aiv  tov  ei'Sove) 
iMnnt  Plato  das  Nicht-Eine,  den  Gegensatz  zum  Einen,  die  Mannigfaltigkeit, 
Cnbestimmtheit,  die  am  Formprincip,  an  der  Idee  (s.  d.)  teilhat  (Parm.  158  C, 
129  A.  239  f.,  258  f.,  Phaedo  1(X)  C,  102  B). 

Averkenneii  =  Beifall  erteilen,  für  wahr  halten,  als  wahr  annehmen. 
I)tt  liegt  in  der  Synkatathesis  (s.  d.)  der  Stoiker,  im  „actus  iudicativus**  des 
Wilhelm  von  Oocah,  „quo  intelleetus  non  tantum  apprehendit  obiectum,  sed 
ttiom  Uli  tissentit  vel  dissentit  .  .  .  quod  verum  existimamus"  (Prantl,  Gesch. 
4-  L.  in,  333),  im  „Glauben*^  (belief,  s.  d.)  des  J.  St.  Mill,  endlich  in  der 
FtmenoD  des  Urteils  (s.  d.),  wie  es  Brentano  auffaßt.  —  Platner  nennt  die 
pAnerkemänis  der  Idee  nach  MerkmcUen  der  Gattung  und  Art  in  dem  Gedächtnis" 
IBun  notwendigen  Factor  des  Bewußtseins  (Ph.  Aph.  I,  §  44).  Das  Anerkennen 
l*folgt  durch  „  dergleichen  der  vorschtcebenden  Idee  mit  anderen  im  Gedächtnis 

3* 


36  Anerkennen  —  Angeboren. 

durch  sie  erweckten"  (1.  c.  §  71),  ist  also  ein  „Erkennen",  —  Nach  Hegel  ist 
der  Proceß  des  Anerkennens  der  „  THeb,  »ich  als  freies  Selbst  xu  zeigen  und  ßr 
den  andern  als  solches  daxusein"  (Encykl.  §  430).  Hier  ist  von  Anerkennen 
im  praktisch-socialen  Sinne  die  Rede. 

An^^eboren:  ererbt,  in  der  Natur,  der  Organisation,  der  Gesetzmäßigkeit, 
der  Functionsweise  des  Ichs,  des  Geistes,  des  Anschauens,  des  Denkens  be- 
gründet. Angeboren  können  nur  Anlagen,  Dispositionen,  nicht  Erkenntnisse, 
Begriffe  als  solche  sein,  wie  der  einseitige  Rationalismus  (s.  d.)  dies  zuweilen 
behauptet  hat. 

In  der  Lehre  von  den  „angeborenen  Ideen"  finden  wir  zwei  Richtungen, 
deren  eine  das  Angeborene  als  etwas  Positives,  Concretes,  Fertiges,  wenn  auch 
der  Bewußtwerdung  Bedürfendes  aufzufassen  geneigt  ist,  währ^d  die  andere 
das  Angeborene  mehr  als  Potenz,  Anlage,  Entwicklungstendenz  bestimmt. 

Plato  begründet  durch  seinen  Begriff  der  Anamnese  (s.  d.)  die  Lehre 
von  den  angeborenen  Wahrheiten,  die  nur  der  Erweekung  durch  die  Erfahrung 
bedürfen,  um  bewußt  zu  werden.  Nach  Aristoteles  sind  die  allgemeinsten 
Begriffe  und  Grundsatze  der  Potenz  nach  (Swduet)  angeboren,  d.  h.  im  Wesen 
der  Vernunft  begründet.  Die  Stoiker  setzen  an  die  Stelle  angeborener  Ideoi 
xoivai  ii'voiai^  allen  gemeinsame  Begriffe,  die,  aus  der  Erfahrung  entstehend,  za 
k'ft<fvroi  TtQoXrixf'ets  (eingepflanzten  Vorannahmen)  werden.  Später  werden  daraus 
„rwtioties  innatas",  deren  jede  yyanimo  quasi  insciäptum"  ist  (Cicero,  De  nat 
deor.  II,  12).  Zu  diesen  Gemeinbegriffen,  „notiones  communes"^  gehören  die 
Idee  der  Gottheit,  des  Guten,  der  Unsterblichkeit  (Cicero,  De  leg.  I,  8,  24; 
Tusc.  disp.  I,  24,  §  57).  So  auch  bei  BoETHius  (Cons.  ph.).  Zu  gewisse  Be- 
griffen haben  wir  eben  schon  die  Dispositionen  in  uns  (ClOERO,  De  fin.  IV,  3; 
Seneca,  Ep.  120,  4).  Nach  JüSTINUS  ist  der  Gottesbegriff  ^fifvxos  rrj  f^van 
T(5v  avd'QCJTtcov  do^n  (Apol.  II,  6),  ane^jua  loyov  ififpvxov  (1.  c.  II,  8).  Ähnlich 
Arnobiüs  (Adv.  gent.  I,  33).    Nbmesius  spricht  von  fvaixal  ifvoiat  (TTe^  ^{^^ 

13,  203  f.).  JOH.  Scotus  nimmt  die  Existenz  angeborener  Begriffe  an  (Dir. 
nat.  IV,  7  f.).  Nach  Avicenna  stammen  dieselben  aus  der  „tätigen  Vernunft^ 
(vgl.  Siebeck,  G.  d.  Psych.  I  2,  437).  Thomas:  „Anima  cum  ait  quandoque 
cognoscens  in  potentia  tantum  ad  id  quod  postea  actu  cognoscit,  impossihile  est 
eam  cognoscere  corporalia  per  speeirs  naturaliter  itiditas"  (Simi.  th.  I,  84,  3>. 
Doch  „präexistierevi"  „in  nobis  quaedam  semina  scientiaruni  .  .  .,  primae  eon- 
eeptiofies"  (De  ver.  11,  1).  Als  „ewige  Wahrheiten"  (s.  d.)  sind  die  Begriffe 
Gottes  u.  a.  angeboren,  das  lehren  die  Scholastiker  allgemein. 

M.  FiciNUB  glaubt,  die  Grundbegriffe  seien  in  den  Tiefen  der  Seele  ver- 
borgen (Th.  Plat.  XI,  3).  Melanchthon  verteidigt  gleichfalls  die  Lehre  vom 
Angeborenen  (De  an.  p.  208).  Charron  erklärt:  „IjC^  germes  de  toutes  scietiee» 
et  vertus  sont  naturdlement  esparsees  et  insinues  en  nos  esprii^"  (De  la  sag.  I, 

14,  11).  Sogar  der  Empirist  F.  Bacon  spricht  von  Idolen  fV^orurteilen),  welche 
„inJuierent  naturae  ipsius  intelleeius"  (N.  Org.  p.  6).  Descartes  erneuert  die 
Lehre  von  den  angeborenen  Ideen.  Es  sind  „notionesy  quas  ipsimet  m  nobis 
habemus"  (Princ.  phil.  II,  75;  vgl.  Medit.).  Sie  sind  nicht  als  bewußte  Crebüde 
angeboren,  sondern  führen  den  Namen  „innaiae",  weil  sie  „nee  ab  obiectis,  ner 
a  voluntatis  determinaiione  procednnt,  sed  a  sola  facultaie  cogitandi  necessitaie 
quadam  naturae  ipsius  mentis  inananl^*  (Opp.  I,  p.  185),  so  daß  sie  einen  aprio- 
rischen, denknotwendigen   Charakter  haben.     Ahnlich  Malbbrakche   (Eeeb. 


Angeboren.  37 

I,  4)  und  Spinoza  (Em.  int).  Fenelon  erblickt  in  der  angeborenen  Idee 
Je  seeau  de  Vauvrier  taut-putssant,  qu'il  a  imprime  sur  son  auvrage**  (De  Vex. 
de  Dieu  p.  132).  Angeborene  (BitÜiche  u.  a.)  Ideen  nehmen  auch  Cudworth 
md  H.  MoRE  an. 

Leibkiz  nimmt  nur  angeborene  Anlagen,  urBprüngliche  Functionsweisen  des 
Geistes  an,  die  der  Erfahrung  und  Entwicklung  bedürfen.  Sobald  eie  aber  ein- 
mal za  B^^ffen  und  Urteilen  geführt  haben,  müssen  diese  als  notwendig  ein- 
gcsdliai  werden.  „Ainsi  fappelle  innees  les  tfSrites,  qui  n'ont  hesoin  que  de  eette 
tmMeration  pour  estre  verifUes^  .  ,  .  les  notions  innees  sont  implicitement 
dans  l'esprü",  d.  h.  der  Geist  hat  „/a  factdie  de  les  eonnaisfre  .  .  .,  quand  il  y 
fmse  comme  ü  faut^*  (Nouv.  Ess.  I,  eh.  1,§  21),  Nur  „mrttiellement**^  sind  die 
Gnmdwahrheiten,  z.  B.  die  ganze  Arithmetik  und  Greometrie,  angeboren:  „Dans 
te  sens  on  doii  dire  que  taute  Va/rithmetique  et  toute  la  geo^netrie  sofU  innees  ei 
samt  en  nous  d'une  moniere  viriudle^  en  sorte  qu'on  les  y  peut  trouver  en  con^ 
sideront  aiteniivement  et  rangeant  ce  qu'on  a  dejä  duns  l'esprit^*^  (1.  c.  pr^f.,  I, 
dL  1  iL).  „Cest  ainsi  que  les  idees  et  les  verites  nous  sont  innees,  comme  des 
i^linaiions,  des  indispositionsy  des  habitudes  ou  des  virtualites  naturelles'^  (ib.). 
Der  Geist  ist  keine  „tabula  rasa''  (s.  d.),  sondern  er  verhalt  sich,  „c&ntme  la 
fgure  tracee  par  les  veines  du  marbre  est  dans  le  marbre,  avant  qu'on  les  dicouvre 
m  traeaükmf*  (L  c.  §  25).  Gegen  Locke  (vorher  schon  Hobbes,  Leviath.  C.  1), 
4tr  den  EmpiiiBmus  (s.  d.)  vertritt,  bemerkt  Leibniz  :  „Nihil  est  in  intellectu  nisi 
ipte  inUliectus^'  (L  c.  II,  eh.  2,  §  2).  Es  kann,  da  die  Seele  kein  Körper  und  einfach 
wt,  niehts  von  aufien  in  sie  hineinkommen,  sie  entwickelt  alle  ihre  Anlagen  aus 
afch  selbst  (ib.).  So  bemerkt  auch  Chr.  Wolf;  „Weil  die  Seele  durch  ihre  ihr 
tigentwnliishe  Kraft  die  Empfindungen  hervorbringet,  so  kommen  die  Bilder  und 
Bfgriffe  der  körperlichen  Dinge  nicht  vofi  außen  hifiein,  sondern  die  Seele  hat  sie 
•i  der  Jbi  schon  in  sich,  nicht  wirklich,  sondern  bloß  dem.  Vermögen  narh,  und 
^leickeU  sie  nur  gleichsam  in  einer  mit  dem  Leibe  zusammenstimmenden  Ord- 
ntmg  aus  ikretn  Wesen  heraus^'  (Vem.  Ged.  I,  §  819;  ähnlich  Platner  I, 
i  91  ff.).  Voltaire:  „Nous  appartons,  en  fiaissant,  le  germe  de  tout  ce  qui 
ietrkppe  en  nous^'  (Phil.  ign.  V).  Locke  stellt  die  von  ihm  angefochtene  An- 
gfhoren-TlieQrie  so  dar:  ,fi  is  an  esiablished  opinion  amongst  some  men,  that 
A?re  are  in  the  understanding  eertain  innate  prindples;  sotne  primary  notions, 
BMyni  IvtvMMy  charaeters,  as  it  were  stafnped  upon  the  mind  of  man,  which  the 
9mü  reeeives  in  its  very  first  being,  and  brings  into  the  world  tcith  it*'  (Ess.  I, 
eh.  2,  §  1).  Zu  vermitteln  sucht  Hume:  „Versteht  man  unter  ,angeboren'  das 
Vrsprüngliehe  und  von  keinem  vorhergehenden  Eindruck  Abgenommene,  dann 
ham  man  sagen,  daß  alle  unsere  Eindrücke  angeboren  und  alle  unsere  Vor- 
Mkmgen  nicht  angeboren  sind"  (Inqu.  III,  Anm.).  Gegen  die  angeborenen  Ideen 
polemioiert  Holbach  (Syst  I,  eh.  10).  Die  schottische  Schule  hingegen  be- 
hauptet die  Ursprünglichkeit  von  Axiomen,  „self-evident  truths",  die  im  „common 
•öM«'*  (s.  d.)  b^ründet  sind  (vgL  D.  Stewart,  Phil.  Ess.  p.  103,  Reid  u.  a.). 

Kant  verwirft  die  Annahme  angeborener  Erkenntnisse  oder  Begriffe  und 
MSzt  statt  derselben  ursprüngliche,  in  und  mit  dem  Intellecte  gegebene  Func- 
tiooen  der  Verarbeitung  des  Erfahrungsstoffes  durch  die  Einheit  des  Ichs.  Das 
A  priori  (s.  d.)  hat  an  imd  für  sich  mit  dem  „Angeboren"  nichts  zu  tun,  jenes 
«  logisch,  dieses  psychophysisch.  Doch  setzt  Kant  zuweilen  beide  Begriffe 
flKmander  in  Beziehung.  ,iWir  werden  also  die  reinen  Begriffe  bis  xti  ihren 
ersten  Anlagen  und  Keimen  im  menschlichen  Verstände  verfolgen,  in  denen  sie 


38  Angeboren  —  Angenehm. 


vorbereitet  tisgerif  bis  sie  endlich^  bei  Gelegenheit  der  Erfafirufig  enticiekeÜ  und 
durch  eben  denselben  Verstand  von  den  ihtien  anJiäftgenden  empirischen  Be- 
dingungen befreiet f  in  ihrer  Lauterkeit  dargestellt  werden"  (Kr.  d.  r.  V.  S.  86  f.). 
„Die  Kritik  erlaubt  schlechterdings  keine  anerschaffetien  oder  angeborenen  Vor- 
stellungen; alle  insgesamt y  sie  mögen  »ur  Anschauung  oder  xu  Verstamde*- 
begriffefi  gehören,  nimmt  sie  als  erworben  an.  Es  gibt  aber  auch  eine  m- 
sprüngliehe  Erirerbung.  .  .  .  Dergleichen  ist,  wie  die  Kritik  behauptet,  er  st  lieh 
die  Form  der  Dinge  in  Raum  und  Zeit,  xweitens  die  synthetische  Einheit 
des  Mannigfaltigen  in  Begriffen;  denn  keine  von  beiden  nimmt  unser  Erkenntnis- 
rermögen  von  den  Objecten,  als  in  ihnen  an  sieh  selbst  gegeben,  her,  sondern 
bringt  sie  aus  sich  selbst  a  priori  zustande.  Es  muß  aber  doch  ein  Grund  dazu 
im  Si/b/ecte  sein,  der  es  möglich  macht,  daß  die  gedachteti  Vorstellungen  so  wid 
nicht  anders  entstellen  und  noch  daxu  auf  Obfecte,  die  noch  nicht  gegeben  sifid, 
bezogen  werden  könnest,  und  dieser  Grund  wenigstens  ist  angeboren"  (üb.  e. 
Entdeck.  1.  Ab.,  8.  43).  Nur  der  „erste  formale  Grund"  z.  B.  der  Möglichkeit 
einer  Baumanschauung,  nicht  diese  selbst,  ist  angeboren  (1.  c.  S.  44). 

Nach  S.  Maimon  sind  die  Verstandesbegriffe  dem  Denken  angeboren« 
werden  aber  erst  durch  die  Erfahrung  bewußt  (Vers.  üb.  d.  Tr.  S.  44).  An- 
geboren =  ursprünglich  sind  nach  Jagobi  die  Begriffe  der  Einheit,  Vielheit 
des  Tuns,  Leidens,  der  Ausdehnung  und  Succession  (WW.  II,  262).  Nach 
HiLLEBRAND  gibt  CS  keine  angeborenen  Begriffe,  wohl  aber  eine  „eigentiimlithe 
ürstimmung"  des  Geistes  (Phil.  d.  Geist.  I,  89  ff.).  Schellino  :  „Sicht  Begriffe, 
sondern  unsere  eigene  Natur  und  ihr  ganzer  Mechanistnus  ist  das  uns  An- 
geborene^^ (Syst  d.  tr.  Id.  S.  317).  Angeborene  Ideen  nimmt  an  Che.  Kraüsb 
(Gnmdr.  §  43),  so  auch  Ahreks  („idees  fondamentales"),  femer  RoSMiNi  Serbati 
(vgl.  Sein)  und  Jouffroy.  Ursprüngliche  Anlagen,  Dispositionen  (s.  d.)  gibt 
es  nach  Beneke,  von  Hartmann  u.  a.  P.  Ree  bemerkt:  „In  geitissem  Sinw 
sind  alle  Objecte  angeborene  Vorstellungen  des  Subjects"  (Philos.  S.  125). 

Einige  führen  die  „angeborenefn  Vorstellungen"  auf  Vererbung  zurück. 
So  H.  Spencer,  der  in  ihnen  Niederschläge,  Spuren  der  „Erfahrung  aller 
Vorfahren"  erblickt  (Gr.  d.  Psych.  II,  §  332),  Carneri,  nach  dem  die  Fähig- 
keit zur  Reproduction  von  Ideen  angeboren  ist  (Sittl.  u.  Dan^*.  S.  229),  Simhel, 
L.  Stein.  Letzterer  erklärt:  „Nihil  est  in  intelleetu  —  nisi  futictiones,  qnae 
forma nt  intellex:tum"  (An  d.  Wende  d.  Jahrh.  S.  30).  Der  Streit  zwischen  Em- 
pirismus und  Nativismus  ist  durch  den  „evolutionist ischen  Kritieismus"  so  ge- 
schlichtet,  daß  „der  Empirismus  für  den  Natur me^ischen,  der  Nativismus  fär 
den  Culturmenschen  gilt".  Dieser  findet  bereits  die  Dispositionen  zu  Vor- 
stellimgen  und  ihren  Verbindungen  als  „ererbte,  abgetrennte,  rasch  funetionierendt 
Associationsl)ahnen"  vor  (ib.).  Angeborene  Dispositionen  ninmit  Jerusalem  an 
(Lehrb.  d.  Psych.*,  S.  31).  Kroell  erklärt,  vor  dem  Reiz  sei  in  der  Hirnrinde 
nur  eine  „Functionsynöglichkeit"  angeboren  (Die  Seele,  S.  42).  WUNDT  vemeini 
die  Möglichkeit  angeborener  Vorstellungen,  da  diese  keine  Objecte,  sonden 
Functionen  sind,  die  nur  als  Bewußtseinsvorgänge  wirklich  bestehen  (Grdz.  d 
ph.  Psych.  II",  234).  —  Der  psychologische  Nativismus  (s.  d.)  lehrt  dn»  An- 
geborensein  der  Raumanschauung  (s.  d.).    Vgl.  A  priori,  Disposition. 

Angeleg^belt  s.  Anlage. 

Ann^emesBeii  s.  Adäquat. 

Angenehm   ist,   was  sinnlich  gefällt,   dem  Willen  gelegen  konunt^  — 


Angenehm  —  Anmut*  39 

Xach  Crusius  ist  angenehm  „derjenige  Zustafid  unserer  Seele,  welcher  aus  der 
Erfiiliufig  eines  WoUens  entsteht^^  (Anweiß.,  vemünft.  zu  leben*,  1751,  8.  28),  nach 
Kant,  ^yicas  den  Sinften  in  der  Empfindung  gefcüW*^  (Kr.  d.  Urt.  §  3).  ,,Was 
unmittelbar  (durch  den  Sinn)  mich  antreibt,  meinen  Zustand  xu  verlassen  (aus 
iknt  hfrauszugehen),  ist  mir  unangenehm  —  es  schmerxt  mich;  was  ebenso  mich 
antreibt,  ihn  xu  erhalten  (in  ihm  xu  bleiben),  ist  mir  angenehm  —  es  per- 
^nügt  mirh^^  <Anthr.  II,  §  58).  Angenehm  ist,  was  vermittelst  der  Empfindung, 
mdividuell-subjectiv,  den  Willen  bestimmt  (Gr.  z.  Met.  d.  Sitt.  2.  Ab.).  Nach 
Herdeb  ist  angenehm,  „was  unser  Sinn  gern  annimmst,  was  ihm  gemlim,  d.  i. 
angemessen  ist,  was  er  im  Empfangen  genehmig f^  (Kallig.  1800,  I,  S.  6).  Nach 
ZiEGLEB  ist  angenehm,  was  uns  reizt  und  von  uns  assimiliert  wird  (D.  Gef.*, 
S.  106).  Nach  Gboos  ist  angenehm  das  der  Sinnestätigkeit  Angemessene. 
(EinL  in  d.  Asth.  8.  206,  283  ff.). 

AnllHiAllsclie  =  „körperlicfie  Empfindung"  =  sinnliches  Gkfühl  (Kant, 
Kr.  d.  rn.  §  54). 

.InlmisniiMs  1)  der  Glaube  an  Seelen,  Geister  in  Menschen  und  Natur- 
objecten  als  primitive  Religion  (vgl.  Tyloe,  Anfänge  der  Cultur  1873,  von 
ihm  der  Terminus;  vgl.  AksJLkow,  Anim.  u.  Spirit.*,  1894).  2)  Ansicht,  daß 
die  Seele  (das  Seelische)  das  Pnncip  des  Lebens  und  Lebendigen  sei.  Diese 
Auffassung  findet  sich  bei  den  ionischen  Naturphilosophen  (s.  Hylozobmus), 
ba  Abibtoteles  (s.  Seele),  den  Stoikern  (s.  Pneuma),  bei  den  Schola- 
stikern. In  der  Benaissance-Philosophie  wird  das  Leben  auf  einen  „spiritus", 
jjtreheus^^  u.  dgl.  zurückgeführt,  so  von  Pabacelsus,  Aobippa  von  Nettes- 
HDM,  VAN  BteLMONT,  CAitDAirüS,  Telesius  u.  a.  Auch  Leibniz  vertritt  den 
Animismus.  Vorzugsweise  heißt  Animismus  die  Lehre  des  G.  £.  Stahl,  de\: 
dlff  Seele  als  Bildnerin  des  Leibes  betrachtet.  „Corpus  hoc  verum  et  imme- 
diainm  aniniae  organon.  .  .  .  Anima  praesens  omniuin  aetuum  in  homifie" 
(Diäqu.  de  mech.  et  organ.  div.  p.  44).  Ahnliche  Lehren  in  der  Scheluno- 
sehen  Naturphilosophie.  —  Wündt  Versteht  imter  Animismus  „digmige 
metaphysische  Anschauung,  welche,  van  der  Überzeugung  des  durcligängigen 
Zummmenhangs  der  psychischefi  Erscheinufigen  mit  der  Gesamtheit  der  Lebens- 
^Tfcheinutigen  ausgehend,  die  Seele  als  das  Priticip  des  Lebens  auffaßt".  Die 
Seele  (s.  d.)  ist  nach  ihm  eins  mit  dem  Lebensprincip,  Leben  imd  Beseelung 
sind  Wechselbegriffe;  die  physische  Entwicklung  ist  schon  die  Wirkung  der 
psychischen  Entwicklung  (Gdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  S.  633  ff. ;  PhiL  Stud.  XII,  47 ; 
Ek  4,  S.  124;  Syst.  d.  Phü.»,  S.  605  f.).    Vgl.  Lebenskraft,  Seele,  VitaHsmus. 

Ai«fr;Hng^»i  der  (GesichtB-)Empfindungen :  Ausdruck  für  die  Tatsache, 
daß  jeder  Eindruck  (auf  den  Gesichtssinn)  einer  gewissen  Zeit  bedarf,  mn 
wahrgenommen  zu  werden  (schon  bei  Tbtens). 

Anla^e^  psychophysische,  heißt  zunächst  jede  ursprüngliche  Beschaffen- 
heit des  Organismus,  des  Ichs,  vermöge  deren  dieses  imstande  ist,  bestimmte 
Fimctionen  überhaupt  oder  leicht  und  sicher  zu  verrichten  (s.  Genie,  Talent). 
Erworbene  Anlagen  entstehen  durch  Übung  (s.  d.).  Es  lassen  sich  unter- 
scheiden: Empfindungs-,  Gefühls-,  Trieb-,  Charakter-,  Willens-,  Verstandes-, 
Phantasie- Anlagen.    Vgl.  Disposition,  Angeboren,  Angelegtheit,  Phrenologie. 

Anton  s.  Veranlassimg. 

ist  Schönheit  in  der  Bewegung,  beruht  in  der  I^ichtigkeit  und 


40  Anmut  —  Anpassimg. 


Harmonie  dieser.  —  Die  literarische  Bichtung  der  Schweizer  im  18.  JahrL 
bestimmte  y^AnmuV^  als  undeutliche  Vorstellung  einer  Schönheit  des  Kleina 
(Debsoib,  G.  d.  n.  Psych.  I*,  S.  596).  Schiixeb  definiert:  „Anmut  ist  eine 
Schäfiheit,  die  nicht  van  der  yatur  gegeben,  sondern  von  dem  Subjeete  selbst 
hervorgebracht  wird^^  (Üb.  An.  u.  W.;  PhiL  Sehr.,  hrsg.  von  Kühnemann,  8. 99i. 
,yAnmiU  ist  die  Schönheit  der  Qesialt  unter  dem  Einfluß  der  IVeiheit.**  Sie 
kann  nur  der  Bewegung  zukommen,  wiewohl  auch  feste  und  ruhige  Züge,  ak 
Spuren  früherer  Bewegungen,  Anmut  zeigen  können  (gegen  Home,  Grds.  d. 
Krit.  II,  39;  1.  c.  S.  109).  „Anmut  ist  eine  bewegliche  Schöfüieit;  eine  Schön- 
heit  nämlichy  die  an  ihrem  Subjeete  xufällig  entstehen  und  ebenso  aufhören  kami^ 
(1.  c.  S.  96).  Sie  ist  Ausdruck  der  „schönen  Seele"  (1.  c.  S.  134),  li^  in  der 
„Freiheit  der  icillkürlichen  Beuregungen",  während  die  „Wurde"  in  der  „Be- 
herrschung der  unwillkürlichen"  beruht  (1.  c.  S.  144).  Nach  VISCHER  ist  an- 
mutig „eine  Erscheinung,  die  ohne  weiteres,  ohne  Störung  schön  ist"  (D.  ScL  u. 
d.  Kunst*,  S.  192).  Simmel  bestinunt  Anmut  als  „fließende  Schönheit"  (£.  in 
d.  Mor.  I,  228). 

AvnaliMie  (acceptio)  sc.  als  wahr,  =  Fürwahrhalten,  Glauben  (s.  d.}, 
Voraussetzung  bei  einem  Beweise.    Vgl.  Hypothese. 

Annilillatioii:  Zunichtemachung,  Zerstörung. 

Anomalie  (npofutXia):   Abweichung  von  der  Regel,  Ungesetzmäßigkeit. 
Der  Name  stammt  von  den  Stoikern  (Stein,  Psych,  d.  Stoa  II,  284). 

Anordnung  s.  Ordnung. 

Ajiorf^aniscli  r  nicht  organisch,  unlebendig.    Vgl.  Organismus. 

Ajtosnile:  Unempfindlichkeit,  Abstumpfung  für  Gerüche. 

AnpaSBimg  (Adaption,  Adaptation):  1)  Organische,  biotische  =  die 
Gestaltung  der  Organe  und  Functionen  eines  Lebewesens  entsprechend  den  Lebens- 
bedingimgen,  dem  biologischen  Milieu.  Die  Anpassung  ist  das  Resultat  des  Zu- 
sammenwirkens von  Organismus  (und  dessen  Trieben  und  Willensacten)  +  MilieiL 
Überwiegen  die  Einflüsse  des  letzteren,  spricht  man  von  passiver,  konmit 
mehr  das  eigene  Sich-anpasscn  des  Organismus  in  Frage,  von  activer  An- 
passimg. Die  Anpassimg  ist  eine  directe,  wenn  unmittelbar,  eine  indirecte, 
wenn  durch  Selection  (s.  d.)  erfolgend.  Die  Anpassung  ist  ein  Factor  der 
Entwicklung  (s.  d.)  der  Organismen.  —  Schon  Anaximander  soll  die  Idee  der 
Anpassung  ausgesprochen  haben  (Plut,  Plac.  V  19,  1).  Ch.  Dabwin  hat  die 
(auch  von  Laharck  gelehrte)  Anpassungs-Theorie  neu  begründet,  insbesondere 
sie  auf  Selection  zurückgeführt  (Entsteh,  d.  Arten).  Während  der  extreme 
Darwinismus  die  Anpassung  ausschließlich  als  selectorische,  indirecte  auffaßt 
(z.  B.  Weismann),  betonen  andere  Naturforscher  und  Philosophen  (z.  B.  Wi'NDT, 
E.  VON  Hartmann,  Baldwin,  James,  Stoüt,  Fouillee  u.  a.)  die  Notwendig- 
keit directer  und  activer  Anpassungen.  So  auch  Reinke.  Nach  ihm  ist  An- 
passung „die  vorteilhaft  wirkende  Beactiofi  des  Organis?nus  gegenüber  der  Außen- 
welt sowohl  in  seiner  Gestaltung  wie  auch  in  seinen  Verrichtungeti"  (Welt  a. 
Tat  S.  245).  Active  Anpassung  ist  „die  Fähigkeit,  sich  den  Bedingungen  der 
Außenwelt  entsprechend  xu  verämlern",  „die  Fähigkeit,  auf  die  Umgebung  xwerk- 
7näßig  xu  reagieren"  (Einl.  in  d.  th.  Biol.  S.  105  ff.).  Die  Anpassung  ist  letzten 
Endes  eine  Reizwirkimg.  (Es  gilt  der  PFLtJGERsche  Satz:  „Die  Ursache  jedes 
Bedürfnisses  eiftes  lebendigen  Wesens  ist  zugleich  die  Ursache  der  Befriedigung 


Anpassung  —  Ansohaunng.  41 

des  Bedürfnisses'^,  D.  teleol.  Mech.  d.  leb.  Nat.  1877,  S.  37;  ähnlich  schon 
LäXASCX  nnd  Lotze).  „Die  Veränderung  der  Lebensbedingungen  tcirkt  als 
BeiXy  löst  eine  Reaetiofi  aus,  die  für  den  Organismus  nütxlich  ist"  (1.  c.  ß.  122; 
▼gL  A.  Waoner,  Grundprobl.  d.  Naturwiss.  1897,  S.  230).  Unter  „functioneller 
Änpassufig^  versteht  W.  Boüx  die  Fähigkeit  der  Organe,  durch  verstärkte 
Übung  in  höherem  Mafie  ihren  Functionen  sich  anzupassen  (Beitr.  zur  Morph, 
d.  fonct.  Anpass.,  Arch.  f.  Anat.  u.  Phys.  1883);  er  lehrt  eine  Anpassung  der 
Oigane  aneinander  (D.  Kampf  d.  Teile  im  Organ.  1881).  Nach  Sihmel  muß 
(bs  Anpossungsprincip  nicht  zur  Erhöhung  imd  Erhaltung  einer  bestimmten 
Art  fahren,  sondern  zur  Steigerung  der  G^esamtlebenssumme  auf  einem  ge- 
giebenen  Baume  (I>linl.  in  d.  Mor.  I,  185). 

2)  Psychologische  Anpassimg:  a.  der  Binnesfunctionen  an  die  Reize 
(SpEirCER,  JoDL,  WuNDT,  BlEHL  u.  a.);  b.  der  Aufmerksamkeit  an  den  sie 
nslosenden  Beiz.  Sie  bekundet  sich  in  Spannungsempfindungen  (Wundt, 
Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  269  ff.;  Phil.  Stud.  II,  34).  EßBlNGHArs  versteht 
unter  Adaptation  die  ,, Abstumpfung  der  Empfindungen  bei  continuierlicher  Fort- 
dauer der  objectiven  Beixe'^  (Gr.  d.  Psychol.  S.  520). 

3)  Logische  Anpassimg  der  Gedanken  an  die  Tatsachen,  besonders  von 
Hach  betont  (Popularwiss.  Vorles.  S.  231  ff.).    Vgl.  Evolution,  Ökonomie. 


iWkf;  (Intuition)  ist  die  unmittelbare  (nicht  durch  Begriffe  und 
I  ^cfaltidse  vermittelte)  Erfassung  eines  concret  gegebenen  Objectes  in  dessen 
(räumlich'Zeitlieher)  Bestünmtheit.  Das  f,Anschauen"  besteht  in  der  ruhigen 
I  Betrachtung  des  Objects,  in  der  Umspannung  der  Merkmale  des  Objects  durch 
!  die  Einheit  der  Apperception.  Von  der  „sinnlichen"  unterscheidet  man  oft  die 
I  r^eisfige^'  Anschauung  (yySchauung")  als  eine  auf  Erinnerungsbilder,  Phantasie- 
i  gestalten  oder  aber  auf  das  eigene  psychische  Erleben  gerichtete  Bewußtseins- 
fonction  (yyinnere"  Anschauung). 

Dafi  das  Denken  (s.  d.)  der  Anschauung  {pdvracfia)  bedarf,  betont  Abi- 
STOTELES  imd  mit  ihm  Thomas  von  Aquino  (Suul  th.  I,  85,  5) ;  nach  diesem 
üenker  ist  „intuitus"  die  „praesentia  inielligibilis  ad  intellectum  quocumque 
modo"  (1  sent.  3,  4,  5  c).  Als  Gegenstand  der  Anschauung  im  Sinne  des  Einzel* 
hegriffg  („conreptus  singtdaris")  bestimmt  Baumo arten  das  Einzelding  (Acroas. 
L<^.  §  51). 

Kaitt  stellt  die  Anschauung  dem  Denken  einerseits,  dem  bloßen  Empfinden 
andereeits  gegenüber.  Die  Anschauung  ist  ein  Zustand  der  Beceptivität  (s.  d.) 
des  Bewußtseins  {„intuitus  nempe  mentis  nostrae  semper  est  passivus",  De  mmid. 
•eng.  sct.  I,  §  10).  Sie  ist  „eine  Vorstellung,  so  wie  sie  unmittelbar  ron-  der 
(stgenwart  des  Gegenstandes  abhängen  würde"  (Prol^.  §  ^8),  „diejenige  Vor- 
etHhmg,  die  vor  allem  Denken  gegeben  sein  kann"  (Kr.  d.  r.  V.  S.  659).  Sie 
enthält  nur  die  Art,  „t«€  irir  van  Oegenständen  affideri  tcerden"  (1.  c.  S.  77), 
beruht  auf  „Affeeticn"  (1.  c.  S.  88).  Anschauung  und  Begriff  sind  „ganx  ver- 
9ehiedene  Vorsteilungsarten",  und  erstere  ist  nicht  eine  „verworrene"  Erkenntnis 
(Fortschr.  d.  Met.  S.  120;  gegen  die  Leibnizianer).  „Der  Versta^ui  vermag  niehfa 
9musehauen,  und  die  Sinne  vermögen  nichts  xu  denken.  Nur  daraus,  daß  sie 
sirh  rereinigen,  kann  Erkenntnis  entspringen."  „Gedanken  ohne  Inhalt  sind  leer, 
Anstauungen  ohne  Begriffe  sind  blind"  (Kr.  d.  r.  V.  S.  77).  Die  Anschauung 
maß,  um  Erkenntnis  zu  verschaffen,  erst  kategorial  (s.  d.)  verarbeitet  werden. 
,  Empirisch  ist  sie,  wenn  „Empfindung  darin  enthalten  ist*^  (1.  c.  S.  76)  oder 


42  Anaehauung. 


wenn  sie  sich  „auf  den  Gegenstand  durch  Empfindung  bexieht^'  (1.  c.  S.  48). 
Die  reine  Anschiuiung  enthalt  ,ylediglich  die  Form,  unter  welcher  etwas  vor- 
gestellt  wird**  (1.  c.  S.  76),  sie  ist  eins  mit  der  Anschauungsform  (s.  d.),  die 
.,a  priori,  auch  ohne  einen  leirklichen  Gegenstand  der  Sinne  oder  Empfindung 
als  eine  bloße  Form  der  Sinnlichkeit  im  Gemiite  stattfindet*  (1.  c.  S.  49).  Die 
^Sunune  der  äußeren  Anschauungen  bildet  den  äußeren,  die  der  inneren  den 
inneren  Sinn  (s.  d.)  (L  c.  S.  50). 

Nach  Beck  heißt  anschauen  „sieh  der  Dinge  selbst  bewußt  sein**  (Lehrb.  d. 
Log.  §  1).  Kbüg  versteht  unter  Anschauung  im  weiteren  Sinne  jede  „sinnlieke 
Vorstellung**,  im  engeren  die  auf  das  Objective  gerichtete  VorsteUung  (Fundani. 
S.  166).  Nach  G.  £.  Schulze  ist  Anschauung  der  Zustand  der  Erkenntnis- 
kraft,  in  dem  „der  erkannte  Gegenstand  dem  Bewußtsein  selbst  gegenwärtig  ist*' 
(Gr.  d.  allg.  Log.»,  S.  1).  Frees  definiert  Anschauung  als  „unmittelbar  ßr 
sich  klare  Vorstellung**  (Syst.  d.  Log.  S.  36);  die  reme  (mathematische)  An- 
schauung ist  die,  welche  ,jursprünglich  der  Selbsttätigkeit  ututerer  Erkenttindskraft 
gehört**  (1.  c  S.  75). 

J.  G.  Fichte  bestimmt  die  Anschauung  als  „absolutes  Zusammenfassen 
und  Übersehen  eines  Mannigfaltigen  rom  Vorstellen,  welches  Mannigfaltige  denn 
auch  wohl  überall  zugleich  ein  Unendliches  sein  dürfte**  (WW.  I  2,  S.  7).  Sie 
ist  „stumme,  beicußtlose  Contemplation,  die  sich  im  Gegenstande  verliert*'  (Gr.  d. 
g.  W.  S.  364)  und  erfolgt  durch  einen  „Anstoß**  auf  die  ins  Unendliche  gehende 
Ich-Tätigkeit,  die  nach  innen  getrieben  wird  und  dann  zurückwirkt,  so  daß  das 
Angeschaute  ein  (unbewußt  gesetztes)  Product  des  Ich  ist  (1.  c.  S.  194).  Nach 
Schelling  ist  die  Anschauung  „jene  Handlung  des  Geistes,  in  welcher  er  aus 
Tätigkeif  und  Leiden  —  aus  unbeschränkter  und  beschränkter  Tätigkeit  in  sieh 
selbst  —  ein  gemeinschaftliches  Product  schafft**  (Naturph.  S.  311).  Nach  Hegel 
liestimmt  die  Intelligenz  „de7i  Inhalt  der  Empfindung  als  außer  sich  Seiendes, 
wirft  ihn  in  Raum  und  Zeit  hinaus,  welchem  die  Formen  sind,  worin  sie  an- 
schauend ist**  (Encykl.  §  448  f.).  J.  E.  Ebdmann  erklärt  das  Anschauen  als 
Abtrennen  desselben  Inhalts,  der  als  mein  Zustand  Grefühl  war,  und  Hinein- 
versetzen desselben  in  Raum  und  Zeit  (Psych,  Br.  S.  272).  Die  Intelligenz  ist 
anschauend,  insofern  sie  sich  „auf  die  in  Zeit  und  Raum  hinausgeworfene 
Totalität  ihrer  Bestimmtheiten  bezieht**  (Gr.  d.  Psych.  §  71).  Nach  K.  RofiEX- 
KRANZ  ist  der  Geist  anschauend  als  „der  den  Inhalt  des  Gefühls  in  seinem 
l)esiimmten  Unterschied  von  allem  andern  Inhalte  setzende  Geist**  (Syst.  \i.  WLss. 
&>.  419).  Von  der  Intellectualität  der  Anschauung  spricht  (im  Gregensatz  zu 
Kant)  Schopenhauer,  für  den  sie  schon  ein  unbewußtes  Denken  enthält. 
tSie  ist  „Erkemitnis  der  Ursache  aus  der  Wirkung** y  daher  ist  „alle  Arischammg 
intellectual**  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  4).  Die  anschauend-denkend  gesetzte 
Ursache  wird  zum  Object  (s.  d.)  der  Anschauung.  Diese  ist  „primäre  Vor- 
stellung**, während  der  Begriff  „secundär**  ist  (1.  c.  Bd.  II,  C.  7).  Die  In- 
tellectualität der  Anschauung  behaupten  im  Sinne  Schopenhauers  Helmholtz, 
(Tatsach.  d.  Wahm.  S.  27),  A.  .FiCK  (D.  W.  a  V.  S.  5  ff.),  0.  Liebmaxx 
(Üb.  d.  obj.  Anbl.  S.  1  ff.).  Nach  Preyer  ist  die  Anschauung  ,y€ine  Wahr- 
nehmung  mit  ihrer  Ursache**  (Seele  d.  Kind.  S.  227).  Nach  Herbabt  heißt 
Anschauen  „ein  Object,  indem  es  gegeben  wird,  als  ein  solches  und  kein  apuleres 
auffassen**  (Lehrb.  z.  Psych.  S.  204).  Bolzano  nennt  eine  Einzelyorstellim^ 
erst  dann  Anschauung,  „wen?i  für  den  Gegenstand  derselben  kein  reinerj  ihn 
allein   auffassender  Begriff   angeblich    ist**   (Wiss.    1 ,   341).     Er   nimmt    auch 


AnBchaunng  —  Anschauung,  intellectuale.  43 


..Ansckauunffen  an  stck^^  (die  unabhängig  vom  erkennenden  Subjecte  gelten)  an. 
Nach  V18CHEB  ist  Anschauung  „der  Act  der  Ergreifung  durch  die  Auf- 
nterkgamkeity  ivoditrch  das  Angeachaiäe  in  verschärften  Umrissen  von  seiner 
T7mgebttng  wie  von  einem  Hintergrund  abgehoben  und  dem  Anschauenden  xu- 
gleieh  Eigentum  und  zugleich  gegenständlich  klar  gegenübergeetellt  wird^^  (Asth. 
II,  2,  316  f.).  O.  Caspabi  halt  eine  völlig  „reine>^  Anschauung  für  unmöglich 
^Gnuid-  u.  Lebensfrag.  S.  91;  vgl.  R  Zimmermann,  Anthropos.  S.  23). 
Uberwbg  verstdit  imter  Anschauung  „das  psychische  Bild  der  objectiven  (oder 
doch  mindestens  als  objectiv  fingierten)  Mmelexistenx'^  (Log**>  §  45).  VöLKMANN 
nennt  Anschauung  „jene  Complexe  von  Empfindungen,  deren  Glieder  die  Zeit- 
<tder  Raum  form  angenommen  haben"  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  115).  SiMMEL  be- 
stimmt „Anschauen"  (eines  Gegenstandes)  als  „Empfifidungen  in  einer  Art  ordnen, 
Hie  trir  räumlich  nefifien"  (Einl.  in  d.  Mor.  I,  5).  Nach  H.  SPENCER  ist  An- 
schauung ,,jede  durch  eifien  unzerlegbaren  geistigen  Act  erreichte  Erkenntnis" 
!«cnrohI  in  der  Wahrnehmung  als  auch  in  der  Erinnerung  (Psych.  II,  §  278,  S.  11  ; 
Hamilton  beschränkt  die  Anschauung  auf  das  wahrnehmende  Erfassen).  Nach 
Lazarus  ist  Anschauung  die  „Sammlung  und  Einigung  der  verschiedenen  Em- 
pfindungen gemäß  der  in  den  Dingen  verbundenen  Eigensc/iaften"  (Leb.  d.  Seele 
II*,  92).  Sie  ist  ein  psychischer  Act,  „die  ideelle  Vereinigung  der  inhaltlich 
§egonderfen  Empfindungen"  (1.  c,  S.  93).  Die  Anschauimg  enthält  auch  re- 
ppoducierte  Elemente  (ib.).  Steinthal  sieht  in  der  Anschauung  nur  einen 
.^Begriff  geringer  Subsurmtionsfähigkeit"  (Einl.  in  d.  Psych.  S.  110).  Nach 
TON  Habtmann  ist  Anschauimg  alles  Positive  in  imseren  Bewußtseinsinhalten 
iKr.  Gnindleg.  S.  149),  im  engeren  Sinne  ist  sie  „nur  ein  Begriff  von  niedrigerer 
Ahsiraetiopui'  und  CombincUionsstufe"  (1.  c.  S.  151).  —  WüNiyr  nennt  An- 
!«faauimgen  „Vorstellungen,  welche  sieh  auf  einen  wirklichen  Gegenstand  be- 
'^i^hen,  mag  dieser  wm  außer  uns  existieren  oder  xu  unserrn  eigenen  Körper 
y kören"  (Gdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  1).  Die  reine  Anschauung  ist  Anschauung, 
sofern  wir  uns  „einen  beliebigen,  übrigens  völlig  homogenen  Inhalt  vorstellen", 
«n  Begriff  ist  sie  aber,  „sobald  sich  mit  dieser  Vorstellung  der  Gedanke  ver- 
Ifindeif  daß  der  xur  Vergegenwärtigung  der  Form  gewählte  Inhalt  ein  gleich- 
gültiger sei,  und  daß  daher  stall  seiner  jeder  andere  gewählt  werden  könne" 
iLug.  I*,  S.  480;  Syst.  d.  Phil.',  S.  105  ff.).  Anschaulich  ist  „alles  concret 
Wirkliehe,  im  Gegenteil  xum  abstraet  und  begrifflich  Gedachten"  (Gr.  d. 
Psych.*,  S.  6).  Anschaulich  oder  unmittelbar  ist  die  Erkenntnisweise  der  Psy- 
chologie (8.  d.)  ElEHL:  „Impressionen  für  sieh  genommen  sind  nicht  einmal 
Anschatifingefi,  Zu  Anschauungen  werden  sie  erst  dadurch,  daß  sie  Raum  und 
Z^t  bestimmen,  als  Teile  von  Raum  und  Zeit  erscheinen"  (Z.  Einf.  in  d.  Phil. 
i5.  10^).  Jerusalem  erklärt:  anschaulich  ist,  ,^was  ich  jetxt  in  meiner  Um- 
gehung icahmekme,  die  Dinge  und-  Vorgänge,  die  ich  von  bestimmten  eigenen 
Erlebnissen  her  in  der  Erinnerung  habe,  was  ich  tnir  mit  meiner  Einbildungs- 
traft  jetzt  so  und  nicht  anders  vorstelle"  (Viertel],  f.  w.  Ph.  Bd.  21,  S.  1(>4). 
j.Phy$isc/ie  Phänomene  können  nur  discursiv,  p»ychische  nur  intuitiv  erkannt 
irerden^  (Urteilsf.  S.  260).    Vgl.  Intuition,  Contemplation. 

AMSChaillui§^9  intellectuale  (oder  intellectuelle),  bedeutet  eine 
übersinnliche,  geistige,  aber  doch  anschaulich-unmittelbare  Erfassung  des  Wesens 
eines  Objects,  ein  schauendes  Denken,  denkende  Selbstbesinnung  auf  das,  was 
in  uns  eigentlich  vorgeht,   wenn  wir  allgemeine  Urteile  fällen,   Grundbegriffe 


44  AnschauiULS»  inteUectuale. 


(Kategorien)  gebrauchen.  Die  inteUectuale  Anschauung,  weit  entfernt  eine 
mystische  Kraft  zu  sein,  beniht  auf  einer  logischen  Betätigung  der  Phantasie, 
welche  das  Typische,  die  Idee  einer  Sache  intuitiv,  in  einem  Acte  heraushebt 
und  klar  macht. 

Schon  Plato  imd  Aristoteles  schreiben  der  Vernunft  die  Fähigkeit  zu, 
die  letzten  Seinsgründe  unmittelbar  (diurch  &aw^ia)  zu  erfassen.  Auch  BoETHirs 
kennt  eine  „Änsckcuiung  der  Vernunft^  welche  die  Idee  des  Menschen  an  sich 
unmittelbar  erkennt  (Consol.  phil.  V).  Nach  Augustinus  gibt  es  einen 
„adspeetus  animiy  quo  per  se  ipsuni  tum  per  corptts  verum  intueiwi**^  (De  trin. 
XII,  2,  2).  Thomas  schreibt  Gott  eine  unmittelbare  Anschauung  seines  Weseos- 
inhaltes  zu.  ,yDetis  ornnia  simvl  videt  per  tmum,  quod  est  essentia  sua^*  (Suni. 
th.  I,  85,  4).  Die  Mystiker  glauben  an  ein  ekstatisches  (s.  d.)  inneres  An- 
schauen des  Gottlichen  im  Geiste.  Nicolaus  Cusanus  spricht  von  einer 
„msio  intellectiuüis^^  (so  schon  JoH.  ScoTUS,  der  sie  auch  „intuittis  g^wstict*^ 
nennt)  (De  div.  nat  II,  20).    Vgl.  Contemplation,  Speculation. 

Plotin  schon  bezeichnet  das  „Sein^^  als  Product  eines  ,,Schauens^'  (sc.  des 
yjGeistes*%  s.  d.)  (Enn.  III,  8;  vgl.  VI,  9,  3).  In  der  Lehre  von  der  intellectualen 
Anschauung  seit  Kant  konmit  dieser  Gedanke  zu  neuer  Verwendung.  Kxsr 
versteht  unter  intellectualer  Anschauimg  eine  schöpferische,  Objecte  setzende 
(nicht  bloß  nachbildende)  Intuition.  „Divinus  auieni  irUuitits,  qui  obiectorum 
est  prineipium,  non  prineipatum,  cum-  sit  independenSy  est  areheiypus  et  propterta 
perfecte  intelleettialis*^  (De  mund.  sens.  sct.  II,  §  10;  dies  führt  auf  die  Lehre 
von  den  Ideen  (s.  d.)  als  Urbilder  der  Dinge  im  göttlichen  Geiste  zurück). 
,J?itelleetiieW*  ist  eine  nicht  auf  Beceptivität  (s.  d.),  sondern  yySelbsttäHgkeif" 
benihende  Anschauung  (Kr.  d.  r.  V.  S.  72),  „durch  die  selbst  das  Dasein  des 
Objecis  der  Anschauung  gegeben  wird  (und  die  .  .  .  nur  dem  Urwesen  xukomtnefi 
kannj^^  (1.  c.  S.  75),  die  aber  „nickt  die  unsrige  isV^  (1.  c.  S.  685),  denn  diese 
bedarf  des  Denkens,  der  Kategorien  (s.  d.)  und  kann  daher  nur  auf  Er- 
scheinimgen  sich  beziehen  (Üb.  e.  Entdeck.  1.  Abschn.,  S.  37 ;  gegen  Eberhard, 
der  im  Philos.  Mag.  Bd.  I,  S.  280  f.  nicht-sinnliche  Anschauungen  der  Dinge 
an  sich  annimmt).  J.  G.  Fichte  nimmt  eine  inteUectuale  Anschauung  auch 
für  das  Ich  an;  sie  ist  „das  unmittelbare  Bewußtsein,  daß  ich  handle  und  ttas 
ich  handle;  sie  ist  das,  wodurch  ich  etwas  weiß,  weil  ich  es  tue^^  (WW.  I  463). 
Sie  ist  die  Quelle  philosophischer  Erkenntnis.  So  auch  bei  Scheu-iING.  „Uns 
allen  wohnt  ein  geheimes,  wunderbares  Vennögen  bei,  uns  ai4s  dem  Wechsel  der 
Zeit  in  unser  innerstes,  von  allem,  was  von  außen  her  hinzukam,  entkleidetes 
Selbst  xurückxuxieheti  und  da  unter  der  Fortn  der  Unwandelbarkeit  das  Ewige 
anxuschauen;  diese  Anschaimng  ist  die  innerste,  eigenste  Erfahrung,  vofi  welcher 
allein  alles  abhängt,  was  wir  voti  einer  übersinnlicJien  Welt  wissest  und  glmthen^'' 
(Phil.  Br.  üb.  Dogm.  u.  Krit).  Diese  inteUectuale  Anschauung  ist  das  Ver- 
mögen, „gewisse  Handlungen  des  Geistes  xugleich  xu  produciereti  und  an- 
xuschauen, so  daß  das  Produeieren  des  ObjecU  und  das  Anschauen  selbst  absolut 
(ins  ist'^  (Syst.  d.  tr.  Id.  S.  51).  Diese  Anschauung  ist  „der  Putikt,  wo  dat 
Wissen  um  das  Absolute  und  das  Absolute  selbst  eins  sind*'  (Darst.  m.  Syst.  §  2). 
Chr.  Krause  nimmt  eine  „inteUectuale  Intuitimi''  oder  „Wesensschaumuf^'  an 
(Abr.  d.  Rechtsph.  S.  19  f.;  Vorles.  üb.  d.  Syst.  d.  Ph.  I,  273).  Hegel  spricht 
von  einem  „übersirnüieken  Anschauen^'  imd  einem  „anschauendai  Verstand"' 
(WVV.  III,  328  ff.).  Stahl  schreibt  der  inteUectiialen  Anschauung  Weissagiuigs- 
kraft  zu  (Rechtsph.  II,  499),  J.  H.  Fichte  ein  Hellsehen  (Anthr.  S.  354).    Eine 


Anachaumig,  intelleotoale  —  Axuohatiaiigsformen.  45 

intellectuale  Anschauung  der  Wirklichkeit  gibt  es  auch  nach  Glooaü.  Gregen 
die  intellectuale  Anschauung  als  Quelle  philosophischer  Erkenntnis  polemisiert 
ScHOPENHAiTER,  wiewohl  er  eigentlich  selbst  etwas  Ähnliches  voraussetzt.  Vgl 
Intuition. 

Ansettavniii^sfoniteil  sind  die  Ausdrücke  für  Kaum  und  Zeit,  in- 
soiem  diese  zunächst  nichts  sind  als  zwei  Arten  der  Formung,  Ordnung,  Ver- 
einheitlichung unserer  Anschauungen  oder  Wahrnehmungen  (Empfindtmgs- 
inhalte).  Diese  Formungen  sind  als  solche  a  priori  (s.  d.)  und  subjectiv  (s.  d.); 
da  aber  keine  Form  ohne  Inhalt  bestehen  kann  und  da  femer  im  Geistigen  die 
formende  Tätigkeit  sich  nach  dem  zu  formenden  Stoffe  richten  muß,  so  sind 
die  Anschauungsformen  objectiv  bedingt,  d.  h.  sie  haben  ein  Fimdament  in  der 
Erfahrung  und  damit  in  den  Dingen  selbst,  ohne  daß  damit  gesagt  wäre,  die 
Dinge  seien  an  sich  schon  raum-zeitlich ;  sie  können  es  —  cum  grano  salis  ge- 
nommen — ,  müssen  es  aber  nicht  sein. 

Zuerst  gelten  die  Anschauungsformen  (ohne  aber  noch  als  solche  bestimmt 
zu  werden)  als  empirisch  und  objectiv  zugleich.  Empirisch  und  subjectiv  (aber 
objectiv:  in  den  Dingen,  in  Gott)  begründet  sind  sie  nach  Leebniz,  nach 
Berkeley  u.  a.  Als  absolut  apriorisch  und  subjectiv  fassen  sie  Kant  und 
seine  Anhänger  auf.  Als  relativ  apriorisch  und  subjectiv-objectiv  gelten  sie  bei 
verschiedenen  neueren  Philosophen.  Der  Begriff  „Änscfiauufigsform^^  wird  bald 
mehr  logisch  (transcendental),  bald  rein  psychologisch,  bald  physiologisch 
(peychophysisch)  bestinmit. 

G^en  die  idealistische  Auffassung  Leibniz'  wendet  sich  L.  Euler  (Reflex, 
snr  Tespace  et  le  temps  1748).  Tetens  (er  nennt  Baum  imd  Zeit  „Fer- 
hälinrndeen*^^,  Phil.  Vers.  I,  359)  imd  Lambert  machen  auf  den  Unterschied 
von  Form  (s.  d.)  und  Stoff  der  Erkenntnis  aufmerksam.  Kant  erst  prägt  den 
Begriff  der  „Afischauungsformen^^  (=  „reifte  Anschauungen^^).  Form  der  Er- 
(thnmg  ist  allgemein  das,  „welches  macht ,  daß  das  Mannigfaltige  der  Er- 
^ebeinung  in  getcissen  Verhältnissen  geordnet  angeschauet  icird*^  (Kr.  d.  r.  V. 
^.  49).  Die  Fonn,  d.  h.  „rfa«,  icari?i  sich  die  Empfindungen  ordnen^^  ,jkami 
nirht  selbst  Empfitidutig  sein,  sondern  muß  xu  ihnen  insgesamt  i?n  Gemüte 
'i  priori  bereit  liegen,  und  dahero  abgesondert  von  aller  Empfindung  können  be- 
frachtet werden^^  (ib.).  Baum  und  Zeit  sind  Formen  des  äußeren  bezw.  des 
inneren  Sinnes  (s.  d.).  Sie  sind  a  priori  (s.  d.)  und  subjectiv  (s.  d.).  Sie  sind 
ßioht  als  fertige  Vorstellungen  angeboren  (s.  d.).  Angeboren  ist  nur  der  „erste 
formale  Ortmd^*  der  Möglichkeit  einer  Raum-  oder  Zeitanschauung,  nicht  diese 
seihst.  ,ßenn  es  bedarf  immer  Eindrücke,  um  das  Erkenntnisvermögen  zuerst 
*«  der  Vorstellung  eines  Obfeets  .  .  .  xu  bestimmen^'  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met. 
^-  !'*>).  Raum  und  Zeit  sind  „nichts  als  subjective  Formen  iinserer  similichen 
-in^hauufiff^^,  nicht  Bestimmungen  der  Dinge  an  sich  (1.  c.  S.  107).  Zwar  sind 
die  letzten  objectiven  Gründe  von  Raum  und  Zeit  Dmge  an  sich  (s.  d.),  aber 
^^  seihst  sind  nicht  im  Räume  und  in  der  Zeit  zu  suchen  (1.  c.  S.  26  f.). 
Mit  Kant  stimmt  Lichtenberg  überein.  Nach  Reinhold  sind  die  „Formen 
^  Vorstellung^^  vor  jeder  Einzelvorstellung  im  Subjecte  begründet  (Vers.  e.  n. 
^eor.  S.  291  f.).  Beck  bestinmit  die  Anschauungsfonnen  als  lu^prüngliche 
Verknupfungsarten  des  Mannigfaltigen  in  der  Erfalirung  (Erl.  Ausz.  S.  144). 
Kiro  meint,  die  Anschauungsformen  seien  nicht  „Fachwerke" ,  sondern  Hand- 
^gBweiaen     des    Geistes    (Fundam.    S.    151,    168).      Bardili    nennt    die 


46  Anschauungsformen. 

Anschauungsform  einen  „modus  generalis^^  des  Vorgestelltwerdens  (Gnindr.  d.  erst 
Log.  S.  72).  Nach  G.  E.  Schulze  ist  die  Unterscheidung  von  Fonn  und  In- 
halt nichts  Ursprüngliches,  sondern  eine  Folge  der  Reflexion  (Aenesid.  S.  216; 
vgl.  auch  Wundt). 

Nach  J.  G.  Fichte  sind  die  Anschauungsformen  durch  die  Handlunge- 
weise des  Ichs  bestimmt,  sie  entstehen  zugleich  in  und  mit  dem  Anschauungs- 
inhalte  als  dessen  imd  damit  der  Objecte  Formen  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  415), 
ScHELLiNO  betrachtet  die  Anschauungsformen  gleichfalls  als  Producte  des 
reinen,  überzeitlichen  Ichs  (Syst.  d.  tr.  Id.  S.  59  f.)  und  zugleich  als  Formen 
der  Dinge.  Letzteres  gilt  auch  von  Hegel  (Encykl.  S.  177)  und  Schleieb- 
MACHEB  (Dialekt.  S.  335).  Dagegen  betont  Schopenhauer  die  Subjectivitat 
der  Anschauungsformen.  Diese  sind  „selbsteigene  Formen  des  Intellectes^^  be- 
stehen nur  im  Kopfe  des  Erkennenden,  bedeuten  nur  „die  Art  und  Weise,  tcu 
der  Proceß  objectiver  Apperception  im  Oehim  vollzogen  tcird^^  (W.  a.  W.  u.  V. 
Bd.  II,  C.  4).  Nach  Fries  äußert  sich  in  der  Form  des  Anschauens  wie  des 
Denkens  unmittelbar  die  Selbsttätigkeit  des  Bewußtseins  (Neue  E>it.  I*,  73  f.). 
Abicht  erblickt  in  den  Anschauungsformen  „a^ctive  Sinneshräft&^  (Syst.  d. 
Elementarph.  S.  42  ff.).  J.  H.  Fichte  verlegt  den  Urspnmg  der  Anschauungs- 
formen in  den  vorbewußten  G«ist;  sie  sind  apriorisch,  aber  doch  objectiv  be- 
dingt (Psych.  I,  326  f.,  329;  II,  236,  256).  Carriere:  „Raum  und  Zeit  sind 
Grundformen  unserer  Anschauung  j  weil  sie  Grundformen  der  Dinge  sind"' 
(Ästh.  I,  13).  Trendelenbubo  betrachtet  die  Anschauungsformen  als  Er- 
zeugnisse der  dem  Geiste  immanenten  Bewegung  (s.  d.),  die  zugleich  für  die 
Dinge  Geltung  haben  (Log.  Unt  I,  160,  166  ff.).  Nach  Übebweg  sind  sie 
„das  gemeinsame  Resultat  subjectiver  und  objectiver  FactoreHj  deren  Beitrag  er- 
mittelt werden  kann  und  muß^*-  (Log.*,  S.  89).  Nach  Fechneb  sind  Raum  und 
Zeit  „wesentlie/ie  Formen  der  Intelligenx  überliaupt*^  (Tagesans.  S.  228).  Nach 
LoTZE  entspringen  sie  aus  der  Gesetzmäßigkeit  unseres  Vorstellens  der  Dinge 
(Log.  S.  521);  sie  sind  aber  in  den  Dingen  selbst  begründet.  A.  Laxoe  erblickt 
in  der  seelisch -leiblichen  Organisation  die  Bedingung  imd  Quelle  der  -^- 
^4chauungsfo^nen  (G.  d.  Mat.  II,  36).  Ähnlich  Helmholtz  (Tats.  d.  Wahni. 
S.  16,  30),  Laas  (Id.  u.  pos.  Erk.  S.  444).  Nach  Jgdl  sind  sie  „Abstraetionen 
rofi  der  uns  gegebenen  Wirklichkeit^  durchaus  auf  sie  bexogen  und  in  ihrer  for- 
malen Beschaffefiheit  für  jeden  Inhalt  unserer  Erfahrung  unbedingt  gültig,  ikrem 
InJialte  naeh  von  unserer  Organisation  abhängig^*^  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  543). 
Die  Kantianer  (Renouvier,  Cohen,  Natorp,  Liebmann  u.  a.)  betonen  die 
Apriorität  (s.  d.),  meist  auch  die  Subjectivitat  der  Anschauungsformen  (so  z.  B. 
H.  LoBM,  Grundlos.  Optim.  S.  163  ff.). 

Spenceb:  „Es  gibt  eine  otvtologische  Ordnung ^  aus  welcher  die  phänomemlf 
Ordnung  entspringt,  die  wir  als  Raum  erkennen;  es  gibt  eine  ontologische  Ord- 
nung, aus  icelcher  die  phänomenale  Ordnung  entspringt,  die  tpir  als  Zeit  er- 
kentien  .  .  ."  (Psych.  I,  §  95,  S.  238).  Die  Anschauungsformen  sind  gattungs- 
mäßig erworben,  individuell  a  priori  (s.  d.).  Nach  Ostwald  sind  sie  „wälirend 
xahlloser  Generationen  encorbeti  und  durch  Vererbung  festgelegte  Formen  .  .  i 
in  denen  uns  unsere  Erfahrung  erscheint**  (Vorl.  üb.  Nat.*,  S.  141).  Nacb 
Martineau  sind  die  Anschauungsformen  apriorisch,  aber  sie  können  auch  ob- 
jectiv sein.  E.  VON  Hartmanns  „transcendentaler  Realis7nus"  behauptet  die 
Gültigkeit  der  Anschauungsformen  auch  für  das  Sein  (Kr.  Grundl.  S.  145; 
Phil.  d.  ünb.»,  S.  309).    So  auch  Dühring  (Wirklichkeitsph.  S.  272  ff.).    Nach 


Anaohauungsformen  —  An-sioh.  47 


G.  SnCKEB  sind  die  Anschauungsformen  auch  Begriffe  (K.,  H.  u.  B.  S.  56), 
&b  sind  nicht  a  priori,  sondern  ^^gedachte  Bmpfindungen"  (1.  c.  S.  180).  Nach 
RiEHL  sind  die  Anschauungsformen  zugleich  „empirische  Orenxbegriffe,  derepi 
inkalt  in  gleichem  Örade  für  da*  Bewußtsein,  wie  für  die  Wirklichkeit  selber 
j&Hg  ist'  (PhiL  Krit  I,  2,  S.  73).  Ähnlich  Wundt  (Phil.  Stud.  VII,  48, 
Xin,  355;  U}g,  I«,  S.  487  ff.,  506  ff.;  Syst  d.  PhiL»,  S.  140  ff.).  Die  Trennung 
von  Form  und  Inhalt  der  Anschauung  ist  nicht  ursprünglicher  Art  Die 
Constanz  der  Anschauungsformen  ist  der  Gnind  ihrer  Allgemeingültigkeit 
QDd  Notwendigkeit  (Syst.  d.  Phü.«,  S.  106,  111  ff.;  Einf.  in  d.  PhU.  S.  345; 
PhiL  Stud.  VII,  14  ff.,  18  ff.,  XII,  355).  Diese  Constanz  beruht  auf  der  beUebigen 
Wahl  des  Empfindimgsinhaltes,  die  es  gestattet,  von  dem  besonderen  Inhalte  ab- 
zusehen. Zur  Sonderung  von  Form  imd  Stoff  der  Anschauung  führt  sowohl  die 
^Cmtianx  der  allgemeinen  Eigenschaften  der  formalen  Bestandteile^^  als  die  unab> 
hängige  Variation  der  materialen  und  formalen  Bestandteile  der  Wahrnehmung. 
Der  Wahmehmungsstoff  kann  sich  verändern,  ohne  daß  die  räumlich-zeitliche 
Form  sich  mit  ändert,  dagegen  wird  jede  Veränderung  der  Form  von  einer 
Vmmdenmg  des  Stoffes  begleitet  (Syst  d.  PhiL*,  S.  105  ff.).  Auf  der  Constanz 
der  Anflcbauungsformen  beruht  auch  deren  Objectivität.  Als  aUgenieinste 
Fonnen  des  Denkinhalts  sind  sie  zugleich  Formen  der  Dinge  selbst,  „subjectire 
RfcoHstrucHonen  eines  objectiv  Oegebenen^*  (Log-  I»  307,  463).  Das  Apriorische 
».  d.)  der  Anschauungsformen  bedeutet  teils  die  Unableitbarkeit  des  Specifischen 
deredben,  teils  die  ihnen  zugrunde  liegende  Gesetzmäßigkeit  des  denkenden  Be- 
vnfitseins.  Nach  Siqwart  sind  die  Anschauungsformen  Producte  der  not- 
wendigen Verknüpfungstätigkeit  des  Bewußtseins  (Log.  II*,  86).  H.  Cornelius 
versteht  unter  den  ^^allgemeinen  Formen  unserer  Anschauung"  Ordnungen,  „in 
wiche  alle  rorgefimdenen  Inhalte  sieh  fügen  müssen"  (EinL  in  d.  Phil.  S.  245). 
Za  diesen  Formbegriffen  gehören  diejenigen  der  Gesamtheit  und  der  Teile,  die 
Zahlbegriffe,  die  Zeitbegriffe  (während  die  Raumform  nicht  allgemein  ist),  die 
Begriffe  der  Ähnlichkeit  und  Gleichheit,  der  Constanz  und  Veränderlichkeit 
•L  c.  S.  245  ff.). 

Herbart  führt  die  Anschauungsformen  auf  „Reilien"  von  Empfindungen 
zurück,  deren  Ordnungen  schon  in  und  mit  ihnen  gegeben  sind  (Met  II,  411). 
Nach  B£NEK£  sind  die  Anschauungsformen  schon  in  den  Empfindungen  ent- 
luJten  und  können  nicht  von  ihnen  ganz  abstrahiert  werden  (Syst.  d.  Log. 
II,  29).   VgL  Baum,  Zeit,  A  priori,  Nativismus. 

Aaseliailllliij^sfttse  unterscheidet  Bolzano  von  den  Begriffssätzen. 
J^it  zerfallen  in  1)  reine  Wahmehmungsurteile,  2)  Erfahrungsurteile. 

An-slcli  =  dem  eigenen  Sein  nach,  unabhängig  vom  erkennenden  Be- 
voAtsein  und  dessen  Formen,  in  metaphysischer  Wirklichkeit  imd  Wahrheit, 
^iegensatz:  Erscheinung,  Für-uns-sein,  Objectivation.  Das  „An^sich"  der  Dinge 
=  der  jeder  Erscheinung  zugrunde  liegende,  „transcendente"  Factor. 

Der  Gegensatz  von  „An  sieh"  (svagam-bhu)  und  Erscheinung  findet  sich 
«ciion  in  der  indischen  Philosophie.  Deitokrit  lehrt,  die  Atome  (s.  d.)  seien 
in  Wahrheit,  an  sich  {irefj),  die  Sinnesqualitäten  nur  in  unserer  Meinung  (vofuy), 
^  Scholastiker  unterscheiden  das  „esse  in  ref^  (dingliche  Sein)  vom  y,esse 
w«  irUeüeetu"  (Ctedachtsein).  Nach  Descartes  erfahren  wir  durch  die  Sinne 
nicht,  wie  die  Dinge  „in  se  ipsis"  sind  (Pr.  phil.  II,  3).  Malebranche  spricht 
geradezu  von  den  „choses  en  elles-memes"  (Rech.  I,  pr^.);  so  auch  Fenelox 


4S  An-slch  —  Anatrenffong. 


/De  Tex.  d.  Dieu  p.  195  ff.).  Spinoza  versteht  unter  der  j.iniuitiven''^  Er- 
kenntnis ein  Erfassen  des  Wesens  der  Dinge,  während  die  „imaffinatio^*  (s.  d.) 
uns  die  Dinge  von  einem  beschränkten  Standpunkt  aus  zeigt  (Eth.  II,  prop.  XL. 
schol.  II).  Leibniz  stellt  die  Verstandeserkenntnis  der  Dinge  ihrer  bloß  ^jitr- 
tcorrenen*^  Vorstellung  durch  die  Sinne  g^enüber.  Bonwkt:  „chase  en  soi^  — 
^,ee  qu/t  ia  chase  parait  etre^*  („chase  par  rappart  ä  naus^*)  (Ess.  d.  Psych.  C.  36). 
Lahbekt:  jyDie  Sache  an  stch^^  —  die  Sache,  „«?*c  wir  sie  empfinden^  vor- 
stellen" (Organ.  Phän.  I,  §  20,  §  51).  Kant  bringt  den  Gregensatz  von  y^Ding 
an  sick^^  (s.  d.)  und  „Erscheinung^^  (s.  d.)  zu  fundamentaler  Bedeutung.  „An 
sich"  ist  nach  ihm  das  Sein,  unabhängig  sowohl  von  den  Anschauungsformen 
als  auch  von  den  Formen  des  Denkens,  es  ist  das  positiv  durchaus  ITn- 
bestimmbare,  Unerkennbare,  nicht  bloß  ein  „ens  ratianis"  gegenüber  den  Sinnes- 
objecten.  Später  wird  diese  Bedeutung  des  „An-sich"  beibehalten  (Neu- 
kantianer, die  teilweise  ein  An-sich  negieren,  nur  Bewußtseinsinhalte  kennea) 
oder  dahin  modificiert,  daß  als  „An  sieh"  das  vom  erkennenden  und  wollenden 
Subjecte  unabhängig  Existierende  betrachtet,  aber  doch  auf  positive  Weise 
jietwa  analog  dem  eigenen  Ich)  bestimmt  wird  (z.  B.  Wundt).  Im  Sinne 
ScHELLiNOs  meint  u.  a.  Carbiere:  „Indem  sich  mittelst  unserer  Empfindtmg 
die  Natur  xur  Welt  der  Töne  tsnd  Farben  steigert,  ufird  das  An-sich  der  Dinge 
rericirklicJit;  es  bringt  »ich  in  der  eigenen  Lebensge^taltung  herrar  ufid  wird  da- 
durch zugleich  für  ander&'  (Ästh.  I,  100).  (Ähnlich  Fechner,  Br.  Wille.) 
Xach  Gütberlet  kann  das  An-sich  der  Dinge  durch  die  Erscheinungen,  in 
•denen  es  sich  manifestiert,  erkannt  werden,  wenn  auch  nicht  vollkommen 
(Kampf  um  d.  Seele,  S.  14;  so  schon  Thomas).  Vgl.  Ding  an  sich,  Er- 
scheinimg, An-sich-Sein. 

An-slcli-selli  =  das  Sein  in  seiner  Unmittelbarkeit,  Ursprünglichkeit,  Ab- 
.solutheit,  Begrifflichkeit,  Wesenhaftigkeit  im  Gegensatze  zum  beziehungsweisen 
.Sein,  Schon  bei  den  Pythagoreern  kommt  der  Begriff  des  xad^  avxo^  avro 
To  ip  vor  (Aristoteles,  Met.  I,  5).  Dann  bei  Plato,  der  das  wahre  Sein  der 
Ideen  (s.  d.)  als  avrö  xad^  avro,  ovrcag  6v  bestimmt  (Phaedo  78  D,  Parm.  129  A, 
K  9  B,  D,  130  B  etc.).  Nach  Aristoteles  ist  das  im  Begriff  erfaßte  Sein  der 
Dinge  (to  ri  rjv  elvai)^  ihr  Wesen,  das  x«^*  avro,  und  dieses  ^vtrei  Tt^ore^ov^ 
<la8  in  Wirklichkeit  Primäre,  während  es  im  erkennenden  Bewußtsein  (;r^os 
r)fiäs)  das  Spätere  ist  (Eth.  Nie.  I  3,  1096  b  20).  Die  Stoiker  unterscheiden 
xad^  ttvrd  —  n^og  ti.  Die  Scholastiker  halten  an  der  Aristotelischen  Be- 
griffsbestimmung des  An-sich-seins  fest.  Sie  wird  erneuert  von  Hegel,  der  unter 
„An-sich"  die  in  sich  betrachtete,  unentfaltete  Wesenheit  im  Unterschiede  von  der 
„Bexiehmig  auf  anderes"  versteht,  das  „Sein  der  Qualität  als  solches"  (Encykl. 
§  91).  An-sich  ist  der  Begriff  (s.  d.)  in  seiner  „Unmittelbarkeit'  (1.  c.  §  83V 
Die  Eichel  z.  B.  ist  das  An  sich  des  Eichbaumes.  „An-sich"  —  „Für-siek"  — 
„An  uyid-für-sich"  bedeuten  die  drei  Stadien  des  dialektischen  Processes  (s.  d.). 

Anstellt  =  Meinung,  Auffassung,  Betrachtung  („Weltansicht"). 

Anstrengrnnn^  besteht  in  Spannungs-  und  Widerstandsempfindungen  >^ 
Gefühlen  passiver  und  activer  Art,  die  eine  Willensintention,  insbesondere  die 
Betätigung  unserer  Muskeln  begleiten.  Die  Anstrengung  ist  nach  SiGWART 
„ursprünglich  ein  intensiveres  Wollen^  mit  dem  sich  aber  sofort  die  Gefühle  ver- 
knüpfen, welche  die  höchste  Spannung  unserer  Muskeln  begleite?i"  (Kl.  Sehr.  II*, 
S.  131).   —   M.  DE  BiRAN  sieht  im  „effart  voulu"   die   Quelle  des   Ich-   und 


AnBtrengnxig  —  Anthropomorph.  49 

Objectsbewoßtseins  (s.  d.).  In  jedem  freiwilligen  Bewegungsact  sind  zu  unterscheiden 
die  ,xe*istanee  organique^*,  y^sensation  mt^seulaire^^  und  ,yforee  kyperorganiqtie*^ 
lOeovr.  in^.  p.  par  C!ousin  I,  217).  A.  Bain  leitet  die  y^e^isatum  of  efforf^ 
juis  döi  „/r»ö/  nvocements^*'  (Probebewegungen)  her,  welche  das  Ich  macht,  um 
Hn  Lastgefühl  zu  erlangen.    Vgl.  L.  Dumont,  Vergn.  u.  Schmerz,  S.  147  ff. 

Antef^onlflllllis  [aytov^  Kampf):  Gregenstreit,  Entgegenarbeiten.  Solch 
.\iitagonLsmus  findet  sich  im  religiösen  Dualismus  (s.d.),  femer  nach  Schopen- 
hauer zwischen  Wille  und  InteUect  (W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  II,  C.  30). 

.imtecedens  —  Consequens:  das  Vorhergehende  —  das  Nachfolgende. 
Im  Urteil  =  Subject  —  Prädicat,  im  Schlüsse  =  Ober-,  Untersatz  —  Conclusion, 
beim  Beweise  heißt  „antejceden^^'^  der  Beweisgrund.    Sonst  =  Grund  —  Folge. 

jUiteprftdieaiiieiite  unterscheidet  Albertus  Magnus  von  den  Prä- 
dkiunenten  (s.  d.)  (Prantl,  G.  d.  L.  III,  103). 

Antbropoeemtrlscli  ist  jene  Anschauimg,  nach  welcher  der  Mensch 
derMittelpunkt,  das  Centrum,  das  Ziel,  der  Zweck  der  Welt,  des  Weltgeschehens 
k  /=  ^^Anihropologismv^^^).  In  verschiedener  Weise  denken  so  Sokrates,  die 
christlichen  (Irenaeüs,  Ref.  V,  29,  1,  u.  a.),  scholastischen  Philosophen, 
Chr.  Wolf  u.  a.  Diese  Auffassimg  hängt  eng  mit  der  geocentrischen  (s.  d.) 
Weltanschauung  zusammen. 

AatliropolOi^ie:  Wissenschaft  vom  Menschen,  besonders  in  körperlicher 
fieziehimg  (Schädelbau,  Basse,  Abstammung  u.  dgL).  Früher  war  Anthropologie 
<lie  Lehre  vom  specifisch  menschlichen  Leben  in  physischer  imd  psychischer 
Hinsicht-  —  Kant:  „Eine  Lehre  vmi  der  Kenntnis  des  Menschen,  systevnatisch 
^bgtfnßt  f Anthropologie),  kann  es  entweder  in  physiologischer  oder  in  präg- 
matisfher  Hinsicht  sein.  Die  physiologische  Menschenkenntnis  geht  cm f  die 
B-forschiifig  dessen,  tras  die  Natur  mis  dern  Menschen  macht,  die  pragmatische 
mf  das,  iras  er,  als  frei  handelndes  Wesen,  aus  sich  selber  macht,  oder  ma^Jien 
kann  find  soll"  (Anthr.  Vorw.).  G.  E.  SCHULZE:  „Die  teissenschaftliche  Dar- 
sMlung  dett  in  der  menschlichen  Natitr  vorkommenden  Lebens  ist  Menschenlehre, 
Uemrkenktinde,  Anthropologie^*^  (Psych.  Anthr.  §  1).  „Philosophische"  Anthro- 
pologie nennt  Fries  die  Theorie  des  inneren  Lebens  des  Menschen  (Neue  Kr. 
S.  Z\  ff.i.  Nach  Hillebrajtd  besteht  die  „Anthropologie  des  Geistes"  aus 
Psychologie,  Pragmatologie  (s.  d.),  Philosophie  der  Geschichte  (Phil  d.  Geist. 
I,  S.  \).  Die  Gliederung  der  Anthropologie  in  Physiologie  imd  Psychologie 
b«ri  FoRTiiAGE  (Psych.  I,  §  2),  nach  andern  in  Somatologie,  Biologie,  Psy- 
thok^e. 

Amtliropoloi^lsiiias  s.  Anthropocentrisch. 

Anthropomorpll  (Anthropomorphisch,  Anthropomorphistisch) :  nach 
<lön  Ebenbilde  des  Menschen,  in  menschlicher,  menschlich-bedingter  Form,  ver- 
menschlicht. Anthropomorphismus:  Vermenschlichung,  Hineinlegen  des 
Menschlichen  in  die  Dinge.  Insofern  unser  ganzes  Erkennen  die  Formen  des 
Menschentums  an  sich  trägt,  ist  es  anthropomorphisch,  muß  sich  aber  gleich- 
wohl vom  Anthropomorphismus  im  engeren,  schlechten  Sinne,  d.  h.  von  der 
Betnurhtiing  des  Außermenschlichen  als  etwas  dem  specifisch  Menschlichen 
Analogen  fernhalten. 

G^en  die  anthropomorpheBeligion  wendet  sich  schon  derEleateXENOPHANES. 
Er  sieht  ein,  daß  die  Menschen  die  Götter  nach  ihrem  Bilde  denken  (Clem.  Alex., 

PhlloaopbiMhet  WOriorbnoh.    S.  Aafl.  4 


50  Anthropomorph  —  Antilogie. 

StroixL  VII,  711b),  ihnen  menschliche  Eigenschaften  beulen  (L  c.  V,  601c; 
Sext  £mp.  adv.  Math.  IX,  193).  Protago&as  lehrt,  der  Maisch  sei  das  Maß  aller 
Dinge :  Tttivrafv  x^futran*  fiirgov  at'&^noe  (s.  Erkenntnis).  QoETHE  macht  auf  das 
Anthropomorphische  unserer  Erkenntnis  aufmerksam.  —  J.  0.  S.  Schiller  lehrt 
(Riddles  of  theSphins  1891)  eine  wissenschaftlich-anthropomorphische  Methode  und 
Weltanschauung,  die  alles  auf  individuelle  E^xistenzen,  auf  Monaden  (s.  d.)  zurück- 
führt. SüLLT  betont  den  anthropomorphen  Ursprung  der  Idee  der  Ursache  (s.  d.) 
imd  des  Zwecks  (s.  d.)  (Unt.  üb.  d.  Xindh.  S.  74  ff.).  Auf  den  Ursprung  der 
Kategorien  (s.  d.)  aus  der  inneren  Erfahrung  und  die  Introjection  (s.  d.)  der- 
selben in  die  Außenwelt  machen  verschiedene  Denker  aufmerksam.  So  auch 
Nietzsche,  für  den  alles  Erkennen  durchaus  anthropomorphistisch  ist  {\Wi\ 
III,  1,  S.  XIV;  XV,  S.  168).  Die  „etnpirische^^  Welt  ist  nur  die  anthropomor- 
phisierte  Welt.  Die  Menschen  sehen  einen  Wert  und  eine  Bedeutung  in  die 
Natur  hinein,  die  sie  an  sich  nicht  hat  (X,  176;  XII,  1,  8;  1,  9;  XI,  6,  IX 
Reinke  erklärt:  tyWir  können  über  die  Natur  nur  nach  Maßgabe  unseres  &- 
ketintni^vermögens  urteilen.  Dies  ist  die  grundlegende  Voraussetxiing  aJles  For- 
Sehens  f  durch  die  allerdings  die  Wissenschaft  eine  anthropomorphe  Orundiage 
erhält*'  (Einl.  in  d.  theor.  Biol.  S.  17).  Jerusalem  betont  (in  ,^.  Urtäls- 
funet^'J,  daß  wir  den  Anthropomorphismus  auch  auf  der  höchsten  ßtufe  des 
Erkcnnens  nicht  los  werden.    So  auch  H.  Cornelius  (EinL  in  d.  Phüos.  25. 22). 

AntliropoiloStlsiiilfts  s  menschliche  Denkungsart  Vgl.  AnthropomorpL 

Antbropopathlsmnss  die  Auffassung  Gottes  als  eines  menschlicher 
Affecte  {na&Ti)  fähigen  Wesens,  als  zürnend,  eifervoll  u.  dgl. 

Anthroposophie:  Menschen  Weisheit,  Philosophie  vom  menschlichen 
Standpunkte  (vgl.  R.  Zimmermann,  Anthropos.). 

Anthropoteletismuft  :  Beziehung  des  Weltgeschehens  auf  die  Zwecke 
der  Menschheit.    Vgl.  Teleologie. 

Antiehthon  {avxixd'on),  Gegenerde,  nahmen  die  Pythagoreer  an,  um 
die  Zehnzahl  der  Himmelskörper  zu  erreichen  (Aristoteles,  Met.  I  5,  9S6a  11; 
De  coel.  II  12,  293  a  24). 

Amtlcipatlon:  Vorwegnahme.  Bei  Eeid  =  Voraussicht  des  Gleich- 
artigen im  Geschehen  (Inqu.  II,  24).    Vgl.  Prolepsis. 

Antlclpatlonem  der  Wahrnehmung  nennt  Kant  die  aus  dem 
apriorischen  (s.  d.)  Charakter  der  Anschauungsformen  (Raum  und  Zeit)  unmittel- 
bar sich  ergebenden,  alle  Erfahrung  formal  a  priori  bestünmenden  Grundsätze. 
Anticipation  ist  eine  ^.Erkemitnis^  wodurch  ich  dasfenige^  was  zur  empirischen 
Erkenntnis  gehört,  a  priori  erkennen  und  bestimmen  kann''  (Kr.  d.  r.  V.  S.  103). 
Anticipiert  können  aber  nur  ,,die  reiften  Bestimmufigefi  im  Baum  und  in  der  Zeü, 
sowohl  in  Auffassung  der  Gestalt  als  Grösse"  werden,  imd  zwar  deshalb,  weil  „das 
Reale y  was  den  Empfindungen  überhaupt  eorrespondiert,  niehts  bedeutet  als  die  S^- 
thesis  in  einem  empirischen  Bewußtsein  überhaupt*'  (1.  c.  S.  169).  Der  Grund- 
satz der  Anticipation  lautet:  „In  allen  Ersclieinungen  hat  die  Empfindung  und 
d^as  Reale,  welches  ihr  an  dem  Gegenstande  entspricht,  eine  intensive  Größe, 
d.  i.  einen  Grad"  (1.  c.  S.  162). 

AntllOi^ie  {dvTikoyia):  W^iderspruch,  besonders  vom  Standpimkt  der 
Skeptiker,  nach  welchen  jeder  Grund  eines  Beweises  [Xoyoe)  seinen  Gregen- 
grimd  von  gleicher  Gültigkeit  hat  (darauf  beruht  das  Gleichgewicht  der  Argu- 


AntUogie  —  Antinomie.  51 

aKDte,  die  iaocd'dveta  reiy  Xoyaw)^  80  daß  nichts  mehr,  sicherer^gilt  (ov  fiäkkov) 
als  eein  Gregenteil.    Vgl.  Skepticismus. 

AatUof^lfteb :  dem  Logischen  entgegengesetzt,  widerspnichsvolL 

JjittaiorAllsiiias  s  die  Auffassung  des  Ethischen  als  ohne  Eigenwert 
«iend  {„ofäiethiscke^*  Auffassung),  Gegensatz  zur  Moral,  z.  B.  bei  Nietzsche 
(T^L  H.  SCHWAILZ,  Gr.  d.  Eth.  S.  8). 

AntlMomles  Widerstreit  zweier  Gesetze  (vo/iot),  zweier  Urteile  oder 
Schlüsse,  welche  (anscheinend)  von  gleicher  Überzeugungskraft  imd  Geltung 
räd,  wiewohl  sie  einander  widersprechen.  Der  Terminus  „a«/««wwia"  wird 
nich  Goci^EN  gebraucht  ^^o  pugnaniia  seu  controrietate  quarumlibet  senten- 
tiarum  seu  propositionum'*  (Lex.  phil.  p.  110).  BoNNET  hat  ihn  in  die  natür- 
liche Theologie  eingeführt  (vgL  Eücken,  Termin.). 

Der  Begriff  der  Antinomie  findet  sich  schon  bei  dem  Eleaten  Zeno  (s.  Be- 
wegung), Plato  (Phaedo  102;  Rep.  523  ff.,  Pann.  135  E),  Aristoteles  und 
den  Skeptikern.    Der  eigentliche  Begründer  der  philosophischen  Antinomien- 
Jefare  ist  Kant.    Unter  Antinomien  versteht  er  „  Wider sprüdie^  in  die  sich  die 
Vernunft   bei  ihrem  Streben^  das  Unbedingte  xu  denken^  mit  Notwendigkeit  ver- 
riöW/,  Widersprüche  der  Vernunft  mit  sieh  selbst^'  (Kr.  d.  r.  V.  S.  340).    „Den 
Bfpiff  eineA  absoluten  Ganzen  von  lauter  Bedingtem  sieh  als  unbedingt  xu  denken^ 
enthalt  einen  Widerspruch;  das  Unbedingte  kann  also  nur  als  Olied  der  Reihe 
hdraehtei   werden j  welches  diese  als  Grund  begrenxt,  der  selbst  keine  Folge  aus 
finejn  anderfi  Grunde  isty  und  die  Unergründlichkeit,  welche  durch  alle  Klassen 
fier  Kalegorien  geht^  sofern  sie  auf  das  Verhältnis  der  Folgen  xu  ihren  Gründen 
angewandt  werden,  ist  das,  wtis  die  Vernunft  mit  sieh  selbst  in  einen  nie  bei- 
itUegenden   Streit  verwickelt,    solange  di^i  Gegenstände  in  Raum  utid  Zeit  für 
Dinge  an   sieh  und  nicht  für  bloße  Erseheimingen  genommen  werden^*'  (Üb.  d. 
Fortsehr.  d.  Met.  S.  130).    Den  „dialektischen  Schein^^  welcher  auf  unkritischem 
Boden   entsteht,   hat  die  Kritik   der  Vernunft  aufzulösen.    Vier  Antinomien 
eitstehen   nämlich,  indem  die  Vemimft  nach  dem  Grundsatze:  „wenn  das  Be- 
dingte gegeben  ist,  so  ist  aueh  die  ganxe  Sutnme  der  Bedingungen,  mithin  das 
fphUehthifi  Unbedingte,  gegeben",  die  absolute  Totalität  der  Erscheinungen  fordert. 
Jede    Antinomie    besteht   aus   einer   „Thesis"   (Behauptung)   und    „Antithesis" 
(Gf^enbehauptung).    1)  „Die  Welt  hat  einen  Anfang  in  der  Zeit  und  ist  dem 
Raum  nach  auch  in  Grenxen  eingeschlossen,"  —  „Die   Welt  hat  keinen  Anfang 
w»d  keine  Grenxen  im  Räume,  sondern  ist,  sowohl  in  A^isehung  der  Zeit  als  des 
Raumes,  unendlich"  (1.  c.  S.  354  ff.).    2)  „Eine  jede  xusammeyigesetxte  Substanx 
in  der  Welt  besteht  aus  einfachen  Teilen,  und  es  existiert  tiberail  nichts  als  das 
Einfache  oder  das,  was  aus  diesem  xusammengesetxt  ist"  —  „Kein  xueammen- 
fejfixtes  Ding  in  der  Welt  besteht  aus  einfachen  Teilen,  und  es  existiert  überall 
tnchtA  Einfaches  in  derselben"  (1.  c.  S.  360  f.).    Das  sind  die  mathematischen 
Antinomien.     Bei  ihnen  sind,  vor  dem  Fonmi  der  Kritik,  sowohl  Thesis  als 
Antithesis  falsch,  weil  Raum,  Zeit,  Einfachheit,  Zusanmiengesetztheit  nicht  Be- 
»timmimgen  von  Dingen  an  sich,  sondern  nur  von  Erscheinungen  sind.   „Man  mag 
nämlich  .  .  .  annehmen,  die    Welt  sei  dem  Rawne  und  der  verflossenen  Zeit 
nach   unendlieli   oder  sie  sei  endlich,  so  verwickelt  man  sich  unvermeidlich  in 
Wider9priiehe  mit  sich  selbst,    Detin  ist  die  Welt,  so  wie  der  Raum  und  die 
terflossene  Zeit,  die  sie  einnimmt,  als  unendliche  Größe  gegeben,  so  ist  sie  ei^ie 
ygebene  Größe,  die  niemals  ganx  gegeben  werden  kann,  welches  sich  widerspricht. 

4* 


52  Antinomie. 


Besteht  jeder  Körper  oder  jede  Zeit  in  der  Veränderung  des  Ztistandes  der  Ihrige 
aus  einfachen  Teilen^  so  muß,  weil  Raum  sowohl  als  Zeit  ins  Unendliche  teilbar 
sind,  .  .  .  eine  u7iendUehe  Menge  gegeben  sein,  die  doch  ihretn  Begriff  /«iM 
niemals  ganz  gegeben  sein  kann,  welches  sich  gleichfalls  tcidersprickt*^  (Üb. 
d.  Fortsehr.  d,  Met  S.  132).  Mögliche  Erfahrung  hat  weder  eine  Grenze 
noch  kann  sie  unendlich  sein;  die  Welt  als  Erscheinung  ist  aber  nur 
das  Object  möglicher  Erfahrung  (1.  c.  S.  133).  —  3)  „Die  CausaliiUt  nach  Oe* 
setzen  der  Natur  ist  nicht  die  einzige,  aus  welclier  die  Erscheinungen  der  WtÜ 
insgesamt  abgeleitet  werden  könfien.  Es  ist  7ioch  eine  Causalität  durch  Freiheit 
xur  Erklärung  derselben  anxufie/mten  twt wendig. ^'^  —  „Es  ist  keine  Freiheit,  son- 
dern alles  in  der  Welt  geschieht  lediglich  nach  Gesetzen  der  Nalur^^  (Kr.  d.  r.  V. 
S.  368  f.).  4)  „Zu  der  Welt  gehört  etwaSy  das  etitweder  als  ihr  Teü  oder  ihre 
Ursache  ein  schlechthin  fwtwendiges  Wesen  ist.^^  —  „Es  existiert  überall  kein 
schlechthin  notwendiges  Wesen,  weder  in  der  Welt,  noch  außer  der  Welt,  ah 
ihre  Ursache^^  (1.  c.  S.  374  f.).  Das  sind  die  dynamischen  Antinomien.  Hier 
gilt  die  Thesis  für  die  Welt  der  Dinge  an  sich,  die  Antithesis  für  die  Erschei- 
nungen, beide  sind  also  wahr  (1.  c.  S.  432  ff.).  —  Allgemein  beruhen  die  Anti- 
nomien auf  einer  „tuUürliclien  Täuschung",  weil  man  „die  Idee  der  absoluten 
Totalität,  welche  nur  als  eine  Bedingung  der  Dinge  an  sich  selbst  gilt,  auf  Er- 
scheinungen angewandt  hat"  (1.  c.  S.  411).  Als  „regulatives  Princip"  enthalten 
aber  die  Antinomien  die  berechtigte  Fordenmg,  daß,  „soweit  wir  auch  in  der 
Reihe  der  empirischen  Bedingufigen  gekommen  sein  mögen,  wir  nirgends  eine 
ahsoltUe  Grenxe  annehmen  sollen"  (1.  c.  S.  420).  Aus  den  mathematischen  Anti- 
nomien folgert  Kant  auch  (nochmals)  die  Idealität  (Subjectivität,  s.  d.)  vcm 
Kaum  imd  Zeit  (Kr.  d.  r.  V.  S.  411  f.;  vgl.  von  Hartmann,  G.  d.  Met.  II,  4). 
An  Garve  schreibt  er:  „Nicht  dis  Untersuchungen  vom  Dasein  Gottes  u.  s.  w,, 
sondern  die  Antinomie  der  reinen  Vernunft  war  es,  welche  mich  aus  dem  dog^ 
malischen  Schlummer  z^uerst  aufweckte  und  zur  Kritik  der  Vernunft,  selbst  hin- 
trieb"  (vgl.  A.  Stein,  Üb.  d.  Bez.  Chr.  Garves  zu  Kant  1884,  S.  44  f.).  Ea 
gibt  drei  Antinomien,  die  alle  die  Vernunft  zwingen,  die  Objecte  der  Sinne  für 
Erscheinungen  zu  halten  (Kr.  d.  Urt.  §  57,  Aiimerk.  II):  erkenntnistheoretische, 
ästhetische,  ethische  Antinomie  (ib.).  Bezüglich  des  ästhetischen  Greschmacks 
behauptet  die  Thesis,  das  Geschmacksurteil  gründe  sich  nicht  auf  Begriffen, 
die  Antithesis:  es  gründe  sich  auf  solchen,  sonst  ließe  sich  nicht  über  den 
Geschmack  streiten  (L  c.  §  56  f.).  Auch  bezüglich  der  teleologischen  Urteil»- 
skraft  (s.  d.)  besteht  eine  Antinomie  (1.  c.  §  69  ff.).  In  der  Ethik  gibt 
es  eine  Antüiomie  zwischen  Tugend  und  Glückseligkeit  als  Motiven  (Kr, 
d.  pr.  Veni.  1.  T.,  2.  B.,  2.  Hptst).  Fries  legt  auf  den  Beweis  der  Idealitail 
von  Kaum  und  Zeit  aus  den  Antinomien  großes  Gewicht  (Neue  Krit,  I*^  Vorr.>, 
Fichte,  Schelling,  Hegel  (auch  Herbabt)  haben  das  antinomische  Ver- 
fahren verwertet.  Nach  Hegel  gibt  es  eine  Antinomie  in  allen  Vorstelli 
Begriffen  und  Ideen  (Encykl.  §  48).  Schopenhauer  erklart  die  Kantsch« 
Beweise  für  die  Thesen  als  „Sophismen",  während  die  Antithesen  berechtigt  sö< 
(W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  I).  WuNDT  führt  die  mathematischen  „Antinomien"  Kant 
auf  die  Vertauschung  des  .Jnfiniten"  und  „Transfiniten"  zurück.  Da  die  Th< 
die  vollendete  Unendlichkeit,  das  Transfinite,  die  Antithesen  aber  die  unvollen< 
bare  Unendlichkeit,  das  Infinite,  im  Auge  haben,  so  haben  in  Bezug  auf  Rai 
und  Zeit  Thesis  und  Antithesis  recht  (Log.  II«,  1,  S.  153,  461  f.;  Ess.  3,  S.  '\ 
Syst.  d.  Phil.«,  S.  340  ff.).  Vgl.  Hodgson,  PhU.  of  Refl.  II,  88  ff.  Vgl.  Vi 
endlich,  Antithetik,  Teilbarkeit. 


AntlparistaslB  —  Ansahl.  53 

JüitiiMUrlstasis  nennt  Bovillvs  die  Bewegung  eines  Begii^es  durch 
seinen  Gegensatz  zu  sieh  selbst  zurück  (z.  B.  vom  Nichts  durch  Negation  des- 
selben zum  Sein)  (Op.  foL  72b,  83b;  Willmann,  G.  d.  Id.  III,  41  ff.). 

Jüttlperlstoslft  (avTiyre^iajaate) :  Wechsel  des  Ortes  im  erfüllten  Kaum, 
(Inrch  den  nach  Akistoteles  die  Bewegung  (s.  d.)  erfolgt.  So  auch  nach 
Plato,  DE8CABTE8  u.  a.  im  Gegensatz  zu  den  Atomisten  (s.  d.). 

JÜitil^leolsteii  oder  Vacuisten:  ein  Name  für  ältere  Anhänger  der 
Lfchre  vom  leeren  Räume.  Gegensatz:  Plenist en  (vgl.  Lasswitz,  G.  d.  At. 
11,291). 

Aatlramlsteii  s.  Ramisten. 

JlBÜsireplloii  {avrici^feiv,  umkehren):  Name  eines  Trugschlusses. 
Eoathlos,  der  Schüler  des  Protagoras,  hat  mit  diesem  ausgemacht,  er  wolle 
öan  das  Honorar  für  seinen  Unterricht  nach  Gewinnung  des  ersten  Processes 
bezthlen.  Der  Lehrer  verklagt  ihn  und  sagt:  Du  mußt  nun  jedenfalls  zahlen: 
gewinnst  du,  kraft  imseres  Vertrages,  verlierst  du  aber,  kraft  des  Richterspruches. 
Der  Schüler  erwidert:  Ich  habe  keinesfalls  zu  zahlen:  gewinne  ich,  kraft  des 
Urteüß,  verliere  ich,  laut  des  Vertrages. 

Amtlteleoloi^ie :  Leugnung  aller  Zweckursachen,  aller  Teleologie  (s.  d.) 
in  der  Natur  (bei  Materialisten,  Darwinisten,  Vertretern  der  mecha- 
sistischen  Naturauffassung). 

Amtitliese  {avrid'Büig):  Gegensatz  (Aristoteles,  Phys.  V  1,  225  a  11). 
Vgl  These. 

Amtitbetik  heißt  bei  Kant  der  „Wülersireit  der  dem  Scheine  fiach 
ifipnatischen  Erkenntni^e  .  .  .,  ohne  daß  man  einer  vor  der  andern  einen  vor- 
iigiirhen  Anspruch  auf  Beifall  beilegt^.  Die  Jranscendentale  Antithetik^^  ist 
r/w  VtUersuchung  über  die  Antifiomie  der  reinen  Vernunft,  die  Ursachen  mid 
da$  Resultat  derselben''  (Kr.  d.  r.  V.  S.  349).    Vgl  Antinomie. 

Amtitlietlsclies  Verfaluren  nennt  J.  G.  Fichte  y,die  Handlung,  du 
•an  im  Verglichenen  das  Merkmal  aufsucht,  worin  sie  entgegengesetzt  sind'* 
fQr.  d.  g-  W.  S,  31).  Er  verwendet  sie  als  philosophische  Methode.  Unter 
faü  Antithetischen  versteht  Bahnsen  den  widerspruchsvollen  Widerstreit 
»  Sein. 

Amtitypie  (avrtrvnin:  Stoiker,  antitvpia:  Gassendi)  nennt  Leibniz 
&  passive  Widerstandskraft  der  Materie  (s.  d.),  die  ihrer  Undurchdringlichkeit 
ngnmde  liegt  (Opp.  ed.  Erdm.  p.  466,  691). 

Antrieb  (impetus,  conatus)  heißt  der  Bewegungsimpuls  als  Element  der 
■erhanischen  Kraft. 

An-and-lfir-ftlcli-eelli  heißt  bei  Hegel  das  „In-sich-xurückgekehrf-sein'' 
te  Begriffs  (s.  d.)  in  seiner  dialektischen  (s.  d.)  Entwicklimg  (Naturph,  S.  32). 
Vgl  Geist. 

Aassilil^  Gesetz  der  bestimmten:  Zahl  und  Größe  sind  in  jeder 
Bezidiung  nur  endlich.  „Eine  jede  Anzahl,  die  als  etwas  irgendwie  Fertiges  ge- 
iaehf  wird^  ist  eine  bestimmte,  d.  h.  sie  schließt  den  Begriff  der  U^iefidlichkeit 
9it8,  yter  das  Unfertige  in  der  Zahlenhäufung  kann  auf  eine  Unendlichkeit 
ynaiuäatifen;  denn  nur  xu  dem  noch  nicht  Geendeiefi,  also  nicht  VoUendctenj 


54  An»aTi1  —  Apathie. 


kann  noch  etwas  hinzukommen.  Eine  abgexählte  Unxahl  oder  Unendlichkeit  von  Ein- 
ßieiten  tcäre  der  völligste  Widerspmch*^  (DÜHRING,  WirklichkeitsplL  S.  5).  Schon 
Kant  sagt  etwas  Ähnliches  in  seiner  Lehre  von  den  Antinomien  (s.  d.).  Ekoelb 
nennt  das  „Ges,  d.  best.  Anxuht'^  eine  „rontradietio  in  adieeto^y  es  setzt  schon 
voraus,  was  es  beweisen  soll;  die  unendliche  Reihe  der  Zeit  ist  in  Wahrheit 
gar  nicht  abgezählt,  sondern  nur  unbegrenzt,  kein  Gregebenes,  daher  kein  Be- 
stimmtes, Endliches  (H.  Eug.  Dühr.  I'mwälz.  d.  Wiss.«,  1894,  S.  39  f.).  Vgl. 
Unendlich. 

AnsieliaiiK^  s.  Attraction,  Materie. 

lön  {oietn'j  aevum  =  to  dei  tlrni):  1)  Beständige  Dauer.  Schon  Empe- 
D0KLE8  spricht  von  einem  SunsBos  aimv  (Aristot.,  Phys.  VIII  1,  251a  1).  Im 
Sinne  des  (Aristoteles  (De  coel.  I,  9,  279a  25)  nennen  die  Scholastiker  die 
unveränderliche  Dauer  „aetum"  (Suakez,  Disp.  met.  50,  sct.  6,  9).  —  2)  Gottliche 
Wesenheit,  göttliche  Kraft,  die  personificiert  wird  von  den  Gnostikern.  So 
bezeichnet  Yalentinus  Gott  als  den  vollkonmienen  Aon  (reXetos  ai&y),  aus 
dem  80  niedere  Äonen  entspringen,  deren  jüngster  die  Weisheit  {aowia)  ist. 
Der  Inbegriff  der  Äonen  =  das  Pleroma  (s.  d.).    Vgl.  Gnosticismus. 

Aorlstles  skeptische  Unentschiedenheit  (ovSev  o^i^m^  l^iog.  L.  IX. 
104  squ.). 

ApAipOH^ifiscli  (von  anaYmyri)  heißt  der  indireete  und  negative  Beweis 
aus  der  Falschheit  des  (angenommenen)  Gegensatzes,  wie  ihn  schon  der  Eleate 
Zeno  anwandte.  Bei  Aristoteles  heißt  er  an68etSis  Sin  rov  aSwarov  (Anal, 
pr.  I  23,  40b  25;  41a  23),  «.•  ro  aSvvarov  anayioyfi  (1.  c.  I  6,  28b  2),  als  ,/ip- 
duetio  ad  impossibile>^  bei  den  Scholastikern.  ^/47rayo>yf}  (deduetio)  nomt 
Aristoteles  die  Zurückführung  eines  Problems  auf  ein  anderes  (Anal.  pr.  II 
25,  69a  20).  Sie  gehört  zu  den  rhetorischen  Schlüssen.  Chr.  Wolf:  „Demon- 
stratio apagogica  seit  hidireeta  est^  qua,  posito  contrario  eius,  quod  probari  debetf 
tanqunm  vero  colligitur;  quod  propositioni  verae,  vel  notioni  subiecti  canlradicit^ 
(Log.  §  556).  Nach  Kant  kann  der  apagogische  Beweis  „»frar  nicht  GeitißheU^ 
aber  irohl  Begreiflichkeit  der  Wahrheit  in  Ansehung  des  Zusammenhanges  mit 
den  (hriinden  ihrer  Möglichkeit  hervorbringen^^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  600),  er  kann  nur 
da  erlaubt  sein,  „wo  es  unmöglich  ist,  das  Sidbjective  unserer  Vorstellungen  dem 
Objectiren,  nämlich  der  Erkenntnis  desjenigen,  was  am  Gegenstande  ist,  unter' 
xuschieben^''  (1.  c.  S.  601).  Nach  WuNiyr  sucht  der  apagogische  Beweis  ,//•< 
Wahrheit  eines  Satxes  festxustellen,  indem  er  die  Umrahrheit  aller  derjenigen 
Annahmen  dartiä,  die  an  Stelle  der  xu  beweisendeti  gemacht  werden  könnfen^\  ei 
j/olgeri  also  durch  Ausschließung ;  sehie  syllogistische  Grundform  ist  der  modus 
tollendo  ponens  des  disjunctiren  Schlusses^^  (Log.  II,  68).  Es  gibt  eine  disjunctiv^ 
conträre  und  contradictorische  Form  des  apagogischen  Beweises  (ib.) 

Apathie  (andd-em):  Unempfindlichkeit  (Aristoteles,  17  ana^iu 
rov  nioi^rjTixov,  De  an.  III  4,  429  a  2t)),  Affectlosigkeit,  Gemütsruhe  ist  nacl 
den  Cynikern  (Diog.  L.  VI,  1,  8),  nach  dem  Megariker  Stilpon,  den  Skep- 
tikern, besonders  aber  den  Stoikern  das  dem  Weisen  und  Tugendhafte! 
gemäße  Verhalten.  Den  Unterschied  der  stoischen  von  der  mcgarischen  Apathie 
erklart  Seneca:  „Xoster  sapiens  vincit  quidefn  incommodum  omne,  sed  setttit 
illonim  ne  sentit  quidem'*^  (Ep.  9).  Philo  wertet  die  Apathie  als  Mittel  md 
Glückseligkeit  (Leg.  alleg.  II,  85).  Geläuterte  (nicht  stumpfsinnige)  Apathie 
empfiehlt  Spinoza  (Eth.  IV  u.  V),  auch  Kant  (Anthr.  §  73).    Vgl.  Affect 


Apeiron  —  Aphasie.  55 


Apelron  (änet^ov):  das  Unbegrenzte.  So  nennt  Anaximander  das 
Princip,  den  Urgnind  aller  Dinge  (n^xv*^  **"*  aroix^Xov  t6  anai^ov,  Diog.  L.  II,  l ; 
rth'  ovximf  a^x't*'  «^*'«*  "»"ö  dnei^ov,  Stob.  EJcl.  I,  10,  292).  Das  Apeiron  ist 
ctgeDsehaftiich  unbestimmt;  in  den  aus  ihm  entstandenen  Dingen  beharrt  es 
imTeränderlich  (aunnßlriTov),  unzerstörbar  (avtaX6d'Qov\  unsterblich  {d&dvarov; 
Aristot,  Phys.  III  4,  203  b  13).  Es  umfaßt  und  behen-scht  alles  (ne^iixeiv 
sidrta  xal  ndvra  xvßeavdv,  1.  e.  203b  11).  Die  Dinge  entstehen  aus  ihm 
durch  Aus-  oder  Abscheidung  (ixx^ivead'ai,  dnoxoivßa&ai;  Simpl.  ad  Arist. 
Phys.  24,  23),  zuerst  das  Warme  und  Kalte,  dann  das  Flüssige,  Feste  (Erde), 
Luftförmige,  Feurige  (1.  c.  Dieb  150,  22).  Die  Zahl  der  entstehenden  Welten  ^ 
die  wieder  vergehen  müssen,  ist  unbegrenzt  (Stob.  Ecl.  I,  10,  292).  Der  Urgnmd 
selbst  muß  äitBioi»'  sein,  damit  das  Werden  sich  nicht  erschöpfe  (iva  ufjSiv 
iuei:ir^  t}  yBvects  r;  vfiüjautvT],  1.  c.  I,  10,  292).  Immer  wieder  kehren  die 
Dinge  ins  Apeiron  zurück:  ix  ydo  rovrov  ndvra  yiyvead'ai  xal  etg  tovto  Tidvra 
f^tioecd'ni  (ib.),  um  zu  büßen  für  ihr  Verschulden  gemäß  der  Zeitordnung 
i^oiai  yaQ  avrd  riaw  xai  Sixip'  rfjs  d8txiae  xard  rrjv  rov  ;f(>{Jvot/  rd^iv,  Simpl. 
L  c:  vgl.  Zeller,  G.  d.  gr.  Ph.  I,  1*,  S.  229).  Die  Einzelexistenz  erscheint  hier 
als  eine  Art  Schuld,  als  ein  Baub  am  Sein,  der  an  diesem  wieder  gutgemacht 
woden  muß.  —  Das  Apeiron  ist  wohl  nicht  als  „/«y^a"  (Aristoteles,  Met. 
XII  1,  1069  b  22),  als  Gremenge  fertiger  Qualitäten  anzusehen  (so  Ritter, 
BüecEX,  Üb.  d.  Apeir.  1867,  Teighmüller,  Stud.  zur  Gesch.  d.  Begr.  S.  71, 
0.  a.»,  sondern  als  ein  stofflich  Unbestimmtes  (Strümpell,  Seydel,  Tannery, 
KÜHXEMANir,  Grundl.  d.  Philos.  S.  2),  das  die  Qualitäten  der  Dinge  potentiell 
in  sich  birgt  (ÜBERWEG,  Grundr.  I,  45;  Zeller,  G.  d.  gr.  Ph.  I,  1*,  201,  218). 
Bemerkenswert  ist  die  Ansicht  Windelbands:  „Das  Wahrscheinlickste  ist  hier 
norhj  daß  Anaximander  die  unklare  Vorstellung  des  mystischen  ChaoSy  welches 
I  fing  und  doch  alles  ist,  begrifflich  reprodttciert  liat^  ifidetn  er  als  den  Wdtstoff 
j  fine  unendliehe  Körpennaese  amnahm,  in  der  die  verschiedenen  empirischen  Stoffe 
so  gemischl  seien^  daß  ihr  im  gan/xen  keine  bestimmte  Qualität  mehr  zugeschrieben 
werden  dürfe,  daß  aber  aucli  die  Ausscheidung  der  FAnxelqualitäten  aus  dieser 
felhfibewegien  Materie  nicht  mehr  als  eigentliche  qualitatire  Veränderung  derselbeti 
I  umgesehen  werden  kannte'^  (G.  d.  Phil.  S.  25  f.).  (Vgl.  Natorp,  Phil.  Monats- 
i  befte  XX,  367  ff.;  J.  Cohn,  Gesch.  d.  Unendl.  S.  13  ff.).  Den  pythago- 
reischen Gegensatz  des  Bestimmten  und  Unbegrenzten  {Tti^ae  und  dnetQov) 
erneuert  Plato.  Das  dne^^ov  ist  das  Unbestimmte,  Nicht-Seiende  (fiij  6v),  das 
erst  durch  das  ni^as^  die  quantitative  Bestimmtheit  und  Ordnung,  zum  Seien- 
I  dai  {^£7t£(faffudrovf  ovcin)  wird  (Phileb.  16  C,  D,  24,  25  A).  Nach  Aristoteles 
:  (Met.  I,  6;  XIV,  1)  hat  Plato  auch  in  den  Ideen  als  Factoren  derselben  ein  ni^as 
und  d:tei^ov  angenommen.    VgL  Idee. 

Apliasie  (Nicht-Sagen,  Sprachlosigkeit):    1)  Bei  den  Skeptikern:  die 
I  Enthaltung  {htoxri)  von  allen  positiven,  bestimmten  Aussagen  über  das  Wesen 
I  der  Dinge,  da  dieses  nicht  erkennbar  sei.     Nur  ein  „es  scheint  so"y  (nicht  „es 
ist  gir*)  laßt  sich  sagen  (Sext.  Emp.  adv.  Math.  I,  12,  13).  —  2)  In  der  Psycho- 
I  Pathologie:  eine  central  bedingte  Störung  der  Sprachfähigkeit  bei  Unversehrtheit 
I  des  Articulationsmechanismus  (vgl.  Steinthal,  Einl.  in  d.  Psych.  S.  455).    Bei 
\  der  amnestischen  (sensorischen)  Aphasie  geht  die   Erinnerung  an  die  Be- 
zeichnung der  Worte  verloren.    „Die  Sprache  an  sich  ist  ungestört,  die  Kranken 
sprechen  fließend  nach;  nur  die  Worte  für  die  eirixelnen  Dinge  fallen  ihnen  nicht 


56  Aphasie  —  Apokastastasls. 

eiftj  die  Mtäterspraohe  eracheint  tote  ein  frefttdes  Idirnn,  das  m^an  schlecht  be- 
herrsck^^.  Die  ataktische  (oder  Innervations-,  motorische)  Aphasie (=  Aphemie 
besteht  in  einer  Beeinträchtigung  der  Function  der  Wortbildung  als  solcher 
Bei  der  Worttaubheit  (y^rditas  verhalis'\  1877  von  Kussmaul  so  genannt 
versteht  der  Kranke  nicht,  was  gesprochen  wird  (Hellpagh,  Grerurwiss.  d 
Psych.  S.  249 ;  Jgdl,  Lehrbuch  der  Psych.  S.  473 ;  Wundt,  Gr.  d.  Psych.« 
S.  245).  Preyer  zählt  auf:  1)  corticale  sensorische  (centrosensonsche)  Dysphask 
und  Aphasie  (=  Paraphasie)/  2)  intercentrale  Leitungsdysphasie  und  Aphask 
1.,  2.,  3.  Ordnung,  3)  centromotorische  Dysphasie  und  Aphasie  (Spr.  d.  Kind 
S.  264  ff.).  Alalie  heißt  das  gänzliche  Unvermögen,  zu  articulieren  (1.  c.  S  278) 
Dysarthrie,  Anarthrie  ist  die  Unmöglichkeit  des  Verstehens  von  Ge 
sprochenem  (1.  c.  S.  265).    Vgl  Kussmaul  (Stör.  d.  Sprache  1885). 

Apodlkticitftt:  der  apodiktische  Charakter  (eines  Urteils). 

Apodiktik  {anoBeixxtxri)  nennt  BOUTEBWEK  „e^te  Wissenschaft,  durch 
welche  der  Grund  der  Erfahrungeyi  gefunden  und  vor  der  Vernunft  gerechtfertigt 
icird^*^  (Apod.  I,  6);  „als  Wisse?ischaft  der  Beweisgründe  ist  sie  die  Wissensehafi 
von  den  letzten  Gründen  des  Wissens  und  der  al)soluten  Überzeugung  überhaupt 
a.  c.  S.  29). 

Apodiktlscli  (anoSsixTMos)  heißt  alles,  was  bewiesenermaßen,  imbedingt 
notwendig,  unumstößlich  gilt.  Der  B^riff  des  apodiktischen  Urteils  (S  ist 
notwendig  P,  S  muß  P  sein)  schon  bei  Aristoteles  (Anal.  pr.  I  1,  24  a  30; 
De  gener.  II  6,  333  b  25).  Die  Wissenschaft  (dmaxrjfirf)  ist  bSh  anodsiyciTiKw^ 
(Eth.  Nie.  VI  3,  1139  b  31).  —  ILlnt  gründet  die  „apodiJdisehe  Gewißheit 
aller  geomeirisehen  Grutidsätxe  und  die  Mögliclikeii  ihrer  Cofistruetiofi  a  priori^ 
auf  die  Aprioritat  (s.  d.)  des  Raumes  (Kr.  d.  r.  V.  S.  54).  Die  mathematischen 
Gnmdsätze  sind  „insgesamt  apodiktisch,  d.  h.  mit  dem  Bewußtsein  ihrer  Xot- 
wendigkeit  verbunden^%  sie  können  „nicht  empirisclie  oder  Erfahrungsuricite  sein, 
noch  aus  ihnen  geschlossen  werden^^  (1.  c.  S.  54),  denn  Erfahrung  gibt  keine  un- 
bedingte Gültigkeit  von  Urteilen  (1.  c.  S.  52).  Die  apodiktischen  Sätze  zerfallen 
in  „Dogmuta^^  und  „Maihemata^^  (1.  c.  S.  616).  Vgl.  A  priori,  NotwendipTkeit, 
Demonstration. 

ApokAteetASis  {nnoxaTatnaai^  Ttdi-row,  restitutio  universalis):  Wieder- 
herstellimg,  Wiederkunft  alles  dessen,  was  gewesen.  Schon  die  Pythagoreei 
sollen  eine  Apokatastasis  gelehrt  haben.  Ei  8a  ne  Ttitnevaeie  tocc  nv^nyoQtioti 
{6e  7tn?.iv  T«  avTfi  a.Qiif'ficvy  xayco  fnvd'oXoyr^aco  t6  QaßSiov  i'xiov  xad'Tj/uirots  avvftM^ 
xai  Trt  alXa  ofioicjg  l'le«  (Simpl.  ad  Phys.  Ar.  732  Diels).  Heraklit  nimmt 
einen  ewigen  Kreislauf  des  Geschehens  an :  die  aus  dem  Urfeuer  hervorgegangen« 
Welt  kehrt  nach  bestimmten  Zeiten  immer  Mieder,  periodisch,  zurück.  Die 
Stoiker  fügen  hinzu,  daß  wegen  der  Gleichheit  der  Gesetze,  denen  die  Welt- 
bewegung folgt,  die  aufeinander  folgenden  Welten  (nach  jeder  Ekpyrosis,  s.  d.j 
sich  so  ähnlich  sind,  daß  in  jeder  von  ihnen  die  gleichen  Personen,  Dinge,  Er- 
eignisse wiederkommen  (vgl.  Zeller,  Gr.  d.  Gesch.  d.  gr.  Ph.*,  S.  47,  59,  2l)9u 
M.  AuREL  lehrt  eine  periodische  Wiedergeburt  der  Seele  (In  se  ips.  XI,  1). 
Bei  Mtnuciüs  Felix  erscheint  die  Apokatastasis  als  die  Auferstehmig  des 
(christlichen  Glaubens  (Octav.  C.  34,  9).  Origenes  versteht  unter  der  Apo- 
kastastasls die  Wiederherstellung  der  Seelen  in  ihrer  Einheit  mit  Gott,  in  ihrer 
Güte  (De  prin.  III,  1,  3).  In  neuerer  Zeit  lehren  Blanqui  (L'^temit^  par  le» 
astres  1871)   und   Le    Bon    (L'homme   et  les   soci^t^s   1878),   die  Menge  der 


ApokatastaaiB  —  Aporatiker.  57 


Combioationen  der  Daseinsfonneii  sei  eine  begrenzte,  daher  komme  das  Gleiche 
immer  wieder  (vgL  Ljchtenbebo,  Die  Phil.  Fr.  Nietesches  •,  1900).  Unabhängig 
TOQ  diesen  (aber  im  Anschluß  an  Heraklit)  glaubt  Nietzsche  an  eine  ,,  Wieder- 
amft  des  Oleiehen^\  Er  leitet  sie  aus  der  von  ihm  angenommenen  Endlichkeit 
der  Weltkraft  ab.  ,Määe  die  Welt  ein  Ziel,  so  müßte  e»  erreicht  «eiw."  Die 
Vdt  hat  kein  Ziel,  kein  Vermögen  zur  ewigen  Neuheit.  Der  Satz  vom  Be- 
ruhen der  Energie  fordert  die  ewige  Wiederkehr  aller  Dinge,  Ereignisse,  Zu- 
stände. .yWenndie  Welt  ah  bestimmte  Größe  von  Kraft  utid  als  bestimmte  Zaid  von 
Krafteenireti  gedacht  irerdefi  darf  —  und  jede  andere  Vorstellung  bleibt  unbestimmt 
wd  folglieh  unbrauchbar  — ,  so  folgt  daraus,  daß  sie  eine  berechcfibare  Zahl  von 
Combinatiofiefi,  im  großen  Würfelspiel  ihres  Daseins,  durchzumachen  fiai.  In  einer 
wendlichen  Zeit  ttürdejede  mögliche  Comhination  irgendtcann  einnuU  erreicht  sein: 
mehr  noch:  sie  tcürde  unendliche  Maie  erreicht  sein.  Und  da  zwischen  jeder  Com- 
btnaiion  und  ihrer  näcJisten  Wiederkeltr  alle  überhaupt  noch  möglichen  Combinatio- 
rnn  abgd(mfen  sein  müßten  und  jede  dieser  Combinationen  die  ganze  Folge  der 
Oombinaiiofien  in  derselben  Reihe  bedingt,  so  wäre  damit  ein  Kreislauf  von  absolut 
identischen  Reihen  bewiesen:  die  Welt  als  Kreislauf  der  sich  unemllich  oft  be- 
mig  wiederholt  hat  und  der  sein  Spiel  in  infinitum  spielt. ^^  Alles,  was  da  lebte 
nnd  wie  es  lebte,  kehrt  immer  wieder  —  das  ist  die  Unsterblichkeit,  die 
XiEiZBCHE  an  SteUe  des  Jenseiteglaubens  setzt  (WW.  XV,  375  ff.,  380,  3^  ff., 
XII,  1,  203  ff.,  2^;  VgL  Naumajto,  Zarathustra  Comm.  18Ö9— 1901,  R.  Hteiner, 
lüg.  f.  Litt.  21.  Apr.  1900;  Horneffer,  Nietzsches  Lehre  von  der  ewig.  Wiederk. 
l^.V).  Zu  dieser  Lehre  meint  Riehl,  es  werde,  in  der  Lehre  von  der  Wieder- 
kunft, von  Nietzsche  „die  absoluie  Realität  der  Zeit  angenommen,  als  hätte 
n  noch  keine  Kritik  der  Antiruymien  des  Unendlichen  gegeben;  die  Zeit,  die  un- 
abhängige  Variable  in  der  Betcegung,  wird  zu  einer  unabhängig  Variablen  von 
der  Betregung  gemaeht,  als  sei  sie  selbst  etwas  für  sich  Bestehendes.  Auch  kömite 
nne  und  dieselbe  Combination  von  Energie forfnen  auf  unendlich  vielen  Wegen 
erreicht  werden  und  unendlich  verscJiiedene  Folgeerscheinungen  naeh  sich  h'ingcn'" 
lZ.£inf.  in  d.  Phil.  S.  231).  P.  MoNORE  hält  Nietzsches  Lehre  von  der  ewigen 
Wiederkunft  für  schlecht  begründet,  nimmt  aber  selbst  die  „Möglichkeit  der 
identischen  Reproduetion  jeder  einzelnen  2^iistreckey  an  (Sant-Ilario  181)7). 

ApoUiniscli  und  dionyslnelis  zwei  Termini,  die  bei  Nietzsche 
drti  Gegensatz  zwischen  dem  theoretischen,  intellectuellen,  nach  Maß,  Ordnung. 
Uanuouie  strebenden  Triebe  und  dem  Dynamischen,  Leidenschaftlichen  den 
Lebens-  und  Machtwillens  bezeichnen.    VgL  Wille. 

Apel^i^eten  ianoXoyslad'ai^  verteidigen)  heißen  die  sich  der  Waffen  des 
I^iüosophisehen  Denkens  bedienenden  Verteidiger  des  Christentums  wider  die  An- 
griffe und  die  Lehren  der  Nicht<»hristen.  iSie  greifen  vielfach  auf  stoische  und 
neoplatonische  Ideen  zurück.  Zu  ihnen  gehören:  Tatiaütus,  Quadratijs, 
JusTDfrs.  Meuton,  Apolixnaris,  Athenagoras,  Theophilos,  Hermias. 
Ikesaeus.  Hippolytus,  Minuciüs  Felix,  Tertüluanüs.  Zeit:  ca  120—250 
n.  (lir.    VgL  Harnack,  Dogm.  I»,  45;"»  ff. 

jlpoptonle  [aTtontiocia]  nennen  die  Stoiker  die  Kenntnis  der  Fälle. 
in  vdchen  man  seine  avyxarnd'eoie  (s.  d.)  geben  oder  verweigern  muß  (Diog. 
L  Vll.  46;  Stein,  Psych,  d.  Ötoa  II,  211). 

Aporem  iaTTo^tia):  Schwierigkeit,  Untersuchung  einer  logischen  Aix)ri(' 
{Aristoteles,  Top.  VIII  11,  162a  17j. 

A^retifeer  »•  Skeptiker. 


f)S  Aporie  —  Apx>eroeption. 

Aporle  {ano^ia  XoyiKi^):  logischer  Zweifel,  logische  Schwierigkeit,  Denk- 
hindemis,  auch  absichtlich,  methodisch  aufgestellt  als  Einwand  gegen  eine 
Denkweise,  g^en  Dogmatismus  u.  dgL,  so  von  Sokrates,  Plato  (ApoL  23  A, 
Phaedo  84  C,  D,  85  D,  Phileb.  15  C).  Der  Terminus  Aporie  auch  bei  Ari- 
stoteles (Phys.  I  2,  185  b  11;  III  1,  208  a  33;  III  2,  202  a  21;  De  an.  I  1, 
402  a  21).  Aporien  gegen  die  Realität  der  Bew^ung  (s.  d.)  bei  dem  Eleaten 
Zeno,  gegen  den  Causalitatsbegriff  (s.  d.)  bei  den  Skeptikern. 

AporlftlüA  heißt  bei  JOH.  von  Sausbury  ein  .Syllogismus  diaiecticus 
cofttradictionts'^  (Prantl,  Gesch.  d.  Log.  II,  238). 

A  posteriori:  aus  der  Erfahrung.    Vgl.  A  priori. 

AppArens  =  Erscheinung  s.  d. 

Apperceptlon  (apperceptio  von  ad-percipere)  heißt  jetzt  die  Klam*erdung 
bezw.  Klarmachung  eines  Vorstellungsinhalts  durch  aufmerksames  Erleben  des- 
selben. Die  Wirkimg  des  Appercipierens  besteht  in  der  größeren  Bestimmtheit, 
Bewußtheit  des  Vorstellungsinhalts  und  in  der  Einreihimg  desselben  in  den 
Zusanmienhang  des  Ichbewußtseins.  Die  passive  Apperception  ist  eine  Trieb- 
handlung, geht  von  einer  gefühlsbetonten  VorsteDimg  als  Motiv  der  Aufmerk- 
samkeitseins tellimg  aus;  die  active  Apperception  ist  eine  Willkür-  oder  eine 
Wahlhandlung,  in  ihr  bekundet  sich  die  Einheit,  Totalität  und  Activität  des 
Ich.  Die  active  Apperception  liegt  allem  Denken,  aller  productiven  Phantasie- 
tätigkeit und  allen  äußeren  Willenshandlungen  zugrunde;  sie  selbst  ist  schon 
eine  (innere)  Willenshandlung,  die  den  Verlauf  der  Vorstellung  hemmt,  dirigiert, 
ordnet. 

Bevor  noch  der  Begriff  der  Apperception  gebildet  ist,  betont  man  ver- 
schiedenerseits  die  Fimction  der  Aufmerksamkeit  (s.  d.)  für  das  Bemerken,  be- 
wußte Erfassen,  Bevorzugen  eines  Inhaltes.  So  schon  Augusthois  (De  trin. 
XI,  19,  De  mus.  VI,  8,  21),  DuNS  ScoTUS  (Op.  Ox.  II,  25,  22,  24  f.  Opp.  XI, 
13,  16,  412  f.).  Desgartes  spricht  direct  von  dem  Vermögen  der  Seele, 
„d'appercevmr  oe  qu'elle  retW^  (Pass.  de  F&me  I,  19). 

Begründet  wird  die  Lehre  von  der  Apperception  von  Leibniz.  Unter 
Apperception  versteht  er  zunächst  die  bewußte  im  Unterschied  von  der  unbe- 
wußten (imterbewußten)  Vorstellung  (der  „petite  percepttan")^  die  durch  Zuwachs 
oder  Addition  zu  einer  bewußten  werden  kann:  „La  percepHon  dei^ient  apper- 
opptible  par  une  petite  addition  ou  a/uffmenicUwn^^  (Nouv.  Ees.  II,  eh.  9,  §  4). 
Die  Apperception  ist  eine  ^percepfio  ^neliar^  cwrn  attentione  et  memoria  coniuneta!*. 
Apperceptionen  haben  nur  die  höheren,  geistigen  Monaden  (s.  d.).  Zugleich  ist 
die  Apperception  Erfassung  des  inneren,  seelischen  Zustandes  im  Subjecte 
[Ja  conscience  ou  la  cannaissance  reflexive  de  eet  etat  tnterieury  laquelle  n*est 
point  donne  ä  toutes  les  dtnes  ni  toujours  ä  la  meme  äme^^  Gerh.  VI,  600). 
Da  aber  die  Reflexion  auf  das  Ichbewußtsein  zurückführt  („les  actes  reftexifs 
woi/Ä  foni  penser  ä  ce  qui  s'appelle  moi,^^  Monad.  30),  so  bedeutet  Apperception 
die  Erhebimg  einer  Vorstellung  ins  Selbstbewußtsein,  ist  sie  das  Bewußtsein 
eines  Inhaltes  zugleich  mit  dem  Bewußtsein,  daß  dieser  Inhalt  in  memem  Be- 
wußtsein ist.  Die  Apperception  unterscheidet  sich  von  der  „verworrenefi'^  Vor- 
stellung durch  ihre  Klarheit,  öofem  wir  appercipieren,  sind  wir  activ  (s.  d.). 
CJhr.  Wolf  bringt  gleichfalls  die  Apperception  zum  Selbstbewußtsein  in  Be- 
ziehung. „Dum  .  .  .  attetitiofiem  nostra^n  in  hoc  converiimtiSy  quod  rerum  per- 
ceptarum   nobis   conscii  sumus,    nostri  eriim  conscii  sumus.     Sed  tum   apper* 


Apperoeptlon.  59 

(fftionem,  acHonem  quandani,  animae,  percipimtts  et  nos  per  eam  tanqunm 
fubiertum  perripieng  ab  obiectis^  qtme  percipiimtur,  distinguimus  agnoscentes 
9/tiqw  perripüns  stibieeUifn  esse  quid  dicersum  a  re  percepta^*  (Psych,  rat.  §  13; 
PSTch.  emp.  §  25).  Tetekb  stellt  das  Appercipieren  als  active  Bewußtseins- 
titigkeit  als  ,,Heue  hinxukomtnende  ÄcHon  der  Seel&*^  der  Perception  gegenüber 
iPhil.  Vera.  I,  290). 

Kaxt  gebraucht  den  Ausdruck  „empirische  Äppereeption^^  gleichbedeutend 
mit  d€'m  des  „irmeren  Sinues^*^  (s.  d.).  Sie  ist  „rfa«  Betcußtsein  seiner  selbst, 
nach  den  Bestimmungen  unseres  Zustandes  t)ei  der  intwren  Wahrnehmung^^.  Von 
diegem  „irandelbaren^^  Ichbewußtsein  (Kr.  d.  r.  V.  S.  121)  unterscheidet  er  die 
Jranseendentaie  Apperception**^  (s.  d.)  als  reine,  constante,  synthetische,  active 
Ichheit.  Jacob  versteht  unter  Apperception  die  Auffassung  und  Zusanunen- 
fiasung  von  Vorstellungsinhalten  zu  einem  Ganzen  (Gr.  d.  Erfahr.',  S.  201  ff.). 
M.  DE  BiRAK  versteht  ebenfaUs  unter  „Apperception  interne  immediate^^  das  Be- 
wußtsein des  Ichs  von  sich  selber  (Oeuvr.  III,  5).  „J'appelierai  apperception 
toute  impression  ou  le  rnoi  peut  se  reeonnattre  comme  cause  produetrtce  en 
se  distiptguant  de  l'effet  sensible  que  son  action  determinei^'  (Oeuvr.  inM.  I,  9, 

III,  a46). 

Einen  neuen  Begriff  der  Apperception  führt  Herbart  ein.  Apperception 
ist  naoh  ihni  die  Aufnahme  und  Bearbeitung  von  Vorstellimgen  durch  eine 
Rdhe  anderer,  neuer  durch  alte,  manchmal  auch  alter  durch  neue  VorsteUimgen. 
Die  Starkeren  Vorstellungen  sind  die  appercipierenden,  die  schwächeren  die 
appercipierten ;  diese  verschmelzen  mit  jenen.  Neue  Vorstellungen  werden 
jq>pcreipiert,  an-  oder  zugeeignet,  indem  „ältere  gleiehartige  Vorstellungen  er- 
ifoekeHy  mit  jenen  verschmelxen  und  sie  in  ihre  Verbindungen  einführen^^  (Psych. 
«.  Wiss.  II,  §  125).  „Anstalt  daß  die  appercipierten  Vorstellungen  sich  nabelt 
ihren  eigenen  Gesetzen  xu  heben  und  xu  senken  im  Begriff  sifidy  werden  sie  in 
ihren  Bewegungen  durch  die  mächtigeren  Massen  unterbrochen,  welche  das  ihnen 
Entgegengesetzte  xurücktreiben,  obschon  es  steigen  mochte,  und  das  ihnen 
(ileiehartige,  wenngleich  es  sinken  sollte,  anhalten  und  mit  sich  verschmelxen^^ 
(Lehrb.  z.  Psych.  S.  32  f.).  Durch  die  Aufnahme  neuer  Vorstellungen  seitens 
«Des  gefestigten  Bestandes  alter  Vorstellungen,  sog.  „Vorstellungsm<Msen^\  ge- 
schieht die  Bereicherung  unseres  Seelenlebens,  die  Deutung  und  Erkenntmg 
des  Unbekannten.  VoLKMANN  definiert  ebenfalls  die  Apperception  als  „Ver- 
sektrteUung  einer  neuen  isoliertcfi  Vorstelhingsmasse  mit  eitler  älteren,  ihr  an 
Vmfang  und  intterer  AusgeglicJienheit  überlegenen^^  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  190). 
fJTEiNTHAL  nennt  die  appercipierenden  Vorstellungen  apriorische,  die  apper- 
cipierten aposteriorische;  er  unterscheidet  eine  identificierende,  subsumierende, 
harmonisierende,  disharmonisierende  Apperception.  (Einl.  in  d.  Psych.)  Nach 
Lazarus  ist  die  Apperception  die  Beaction  der  „vom  Inhalf  bereits  erfüllten, 
äurrh  die  früheren  Processe  seiner  Erzeugung  ausgebildeten  Seele^^  (Leb.  d. 
ßede  II*,  42).  Jede  wirkliche  Perception  ist  schon  Apperception  (ib.).  Nach 
Lnrs  wirj^  ein  Inhalt  appercipiert,  ,^cenn  er  solche  in  der  Seele  vorhandenen 
Asitoeiationen  wachruft,  die  ihn  mit  einetn  vorher  vorhandetten  Inhalte  in  gesetz- 
mäßige Beziehung  setzen'^  (Gr.  d.  Seel.  S.  407).  Wir  appercipieren,  indem  wir 
Inhalte  uns  aneigneti,  d.  h.  sie  zu  unserem  Selbstgefühl  in  Beziehung  bringen 
oder  in  das  Ärgstem  unseres  Selbstbewußtseins  einordfien"  (1,  c.  S.  409).  Es  gibt 
eine  logische,  ästhetische,  praktische  Apperception  (s.  d.).  Stoüt  definiert  die 
Apperception  als  den  Proceß,  vermittelst  dessen  ein  vorhandener  geistiger  Vorrat 


(30  Apperception. 


um  ein  neues  Element  vermehrt  wird  (Anal.  Psych.  II).  Ahnlich  Jodl  (Lehrb. 
d.  Pfsych.  S.  443).  W.  Jebusajlem  versteht  unter  Apperception  „rfte  Fomttmg 
und  Aneignung  einer  Vorstellung  infolge  der  durch  die  Aufmerksamkeit  aetueU 
gewordenen  Vorstellungsdispositionen"  (Lehrb.  d.  Psych.»,  S.  87).  Die  Apper- 
ception gibt  dem  Vorstellungsverlauf  j,die  Richtung  und  einen  getr-issen  Abschluß^*' 
(ib.).  Die  am  leichtesten  erregbaren  appercipierenden  Vorstellungsgruppen  sind 
die  jjkerrschefide  Apperceptionsniasse"  (ib.).  ,J*\mda7rientale^^  Apperception  ist 
die  yjApperceptionsweise  .  .  .  ,  durch  welche  alle  Vorgänge  der  ümgelniPig  als 
Willensäußerungen  selbständiger  Objecte  gedeutet  werden"  (1.  c.  S.  90). 
Sie  liegt  der  Urteilsfunction  (s.  d.)  und  den  Kategorien  (s.  d.)  zugrunde. 
MÜNSTERBEBG:  „Wir  fassen  ein  Ohjeet  auf  heißt,  daß  wir  xu  einem  bestimmten 
Handlungstypus  übergehen."  In  den  motorischen  Centren  bestehen  moleculare 
Dispositionen,  vermöge  deren  der  Reiz  eine  complexere  Wirkung  auslosen  kann, 
als  seiner  isolierten  Einwirkung  entsprechen  würde  (Princ.  d.  Psych.  S.  551). 
Nach  HusSERL  ist  Apperception  „ofer  Überschuß,  der  im  Erlebnis  selbst,  in 
seinem  descriptiven  Inhalt  gegenüber  dem  rohen  Dasein  der  Dmpfindu^tg  bestehf" 
(Log.  Unt.  II,  363). 

Als  Willensvorgang  wird  die  Apperception  von  Wundt  bestimmt,  zugleich 
als  bewußtseinssteigemder,  hemmender,  ordnender  Act.  Apperception  nennt 
Wundt  „den  einxelnen  Vorgang,  durch  den  irgend  ein  psychischer  Inltalt  \u 
klarer  Auffassung  gebracht  wird",  im  Unterschiede  von  der  bloßen  Pereeption 
(Gr.  d.  Psych.*,  S.  249).  „Die  Inhalte,  denen  die  Aufmerksamkeit  zugewandt  ist, 
bezeichnen  wir,  nach  Aiuäogie  des  äußeren  optischen  Blickpunktes,  als  den  Blick- 
punkt des  Bewußtseins  oder  den  inneren  Blickpunkt,  die  Gesamtheit 
der  in  einem  gegebenen  Moment  vorhandenen  Inhalte  dagegen  als  das  Blickfeld 
des  Bewußtseins  oder  das  innere  Blickfeld"  (ib.).  Nur  ein  sehr  kleiner 
Teil  luiserer  Vorstellungen  wird  jederzeit,  mit  verschiedener  Klarheit,  apper- 
cipiert.  In  zwei  Formen  tritt  die  Apperception  auf.  „Erstens :  Der  9ieue  hthalt 
drängt  sich  plötxlich  und  ohne  fHyrl>ereitende  Gefühlsicirkung  der  Aufmerksamkeit 
auf;  wir  bexeichfien  diesen  Verlaufstypus  als  den  der  unvorbereiteten  oder  der 
passiven  Apperception."  Sie  ist  durch  ein  Gefühl  des  Erleidens  charakte- 
risiert, das  aber  rasch  in  ein  Tätigkeitegefühl  übergeht  (1.  c.  S.  259).  „Zweitcfis: 
Der  neue  Inhalt  wird  durch  Gefühlsteirkungen  .  .  .  vorbereitet,  und  es  ist  infolge- 
dessen schon  vor  seinem  Eintritt  die  Aufmerksamkeit  auf  ihn  gespannt:  icir 
bezeichnen  diesen  Verlaufstypus  als  den  der  vorbereiteten  oder  der  acfiren 
App  erception".  Ein  Gefühl  der  Erwartung  geht  hier,  verbunden  mit  Spannuugs- 
empfindungen,  der  Auffassung  des  Inhalts  voran,  das  durch  ein  Gefühl  der  Er- 
füllung und  dann  durch  ein  Tätigkeitegefühl  abgelöst  wird  (1.  c.  S.  260).  Alle 
Apperception  ist  ein  WiDens Vorgang ,  bei  dem  „nicht  der  Gegenstafid  selbst, 
sondern  seine  Wahmehmufig  getrollt  wird"  (Völkerpsych.  I  2,  244).  Die  passive 
Apperception  ist,  subjectiv,  eine  Triebhandlung,  denn  hier  ist  „der  untorbereitet 
sich  aufdrängende  psychische  Inhalt  offenbar  das  allein  vorhandene  Motir  der 
Apperception".  Die  active  Apperception  ist  eine  Willkürhandlung,  di§  aus  einer 
Mehrheit  von  Motiven,  oft  nach  einem  „Kampf"  derselben,  hervorgeht  (1.  o. 
S.  261).  Die  Ausdrücke  „activ"  und  „passiv"  beziehen  sich  „nicht  unmittelbar 
auf  den  Vorgang  der  Apperception  selbst,  der  im  wesentlichen  ül/erall  der  nämlichf 
ist,  sondern  auf  den  gesamten  Beicußtseinsxtistand"  (1.  c.  8.  261).  Apperception 
und  Aufmerksamkeit  (s.  d.)  sind  die  objective  und  die  subjective  Seite  eines 
Vorgangs.   Die  Apperception  ist  schon  eine  Bedingimg  der  Association  (s.  d.);  die 


Apperception  —  Apperoeption,  personificierende.  61 

active  Apperception  liegt  aUer  geistigen  Tätigkeit  zugrunde.  Die  Functionen  der 
Apperception  sind  das  Beziehen  —  Vergleichen,  Analyse  —  Synthese  (1.  c.  S.  303  ff., 
Vorles.«,  a  267,  263, 274 ;  Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  S.  266  ff.,  278  f.,  437 ;  Phü.  Stud. 
II,  33  f.,  X,  95;  Syst.  d.  PhiL«,  S.  576  f.;  Ess.  6,  S.  174;  Lc^.  I •,  30,  II«,  265  f.). 
Die  Apperception  ist  keine  Tätigkeit,  die  außer  dem  Zusammenhange  von-Gre- 
fühlen  und  Empfindimgen  bei  der  Auffassung  eines  Inhalts  existiert,  kein 
.,S(tl^Hrermögen'\  Physiologisch  ist  sie  ein  Hemmungsproceß,  durch  den  das  Klar- 
wenien  anderer  Eindrücke  als  der  appercipierten  verhindert  wird ;  nach  Wundt 
pbt  et?  ein  (vielleicht  im  Stimhim  localisiertes)  Apperceptionscentrum, 
von  dem  senso- motorische  Wirkungen  ausgehen.  Aber  ,,nur  insoweit  jeder 
App^reeptumsvorgang  mit  Veränderwigen  am  Empfindungsinhalte  verbunden  ist, 
jjiW  für  ikfi  physiologische  ParcUlelvorgänge  a?ixunefimen"  (Grdz.  d.  ph.  Psych. 
II*.  274,  276,  283  f.  PhiL  Stud.  II,  33  f.,  X,  95).  Apperception  imd  Association 
(5.  d.i  sind  nicht  voneinander  unabhängige  Vorgänge  oder  gar  Äußerungen  von 
,.S^Ienvermögen*%  sondern  „xusamniengehörige  Factoren  des  psychischen  Oe- 
*^hfhenjt''  (Völkerpsych.  I  2,  575).  Unter  Einheit  der  Apperception  ver- 
geht AVuNDT  ,,die  Tatsacßie,  daß  jeder  in  einem  gegebenen  Augenblick  apper- 
cipifTf^  Inhalt  des  Beirußtseins  ein  einheitlicher  ist,  so  daß  er  als  eine  einzige 
mehr  (/der  minder  xusammengesetxte  Vorstellung  aufgefaßt  icird^^  (1.  c.  I,  2,  466). 
Anhänger  der  WuNDTschen  oder  doch  einer  ähnlichen  Apperceptionslehrc 
Mnd  O.  KÜLPE  (Gr.  d.  Psych.  S.  441),  E.  Meumann,  Höffding,  James, 
VnxA,  Kael  Lange,  (Üb.  Apperception  1899),  Hellpach  (Grenzwiss.  d. 
P:!ych.  S.  6)  u.  a.  Eine  physiologische  Deutung  des  Apperceptionsvorganges 
gibt  OppENHEDiER  (Physiol.  d,  Gef.  8.  103  ff.,  115  f.),  auch  Kroell,  der  aber 
k«ne  Spontaneität  des  Bewußtseins  anerkennt,  sondern  eine  „Reflejctheorie"  auf- 
stellt (Die  menschliche  Seele  S.  58  ff.),  femer  Ostwald  f\^orles.  üb.  Natur- 
philo*.*).  Gegner  sind  Volkmann  (Lehrb.  d.  Psych-  II*,  193  ff.),  Jgdl 
iLehrb.  d.  Psych.  S.  443),  Ziehen  (Leitf.  d.  ph.  Psych.«,  S.  148)  und  die 
Associationspsychologen  überhaupt.  Sie  führen,  wofern  sie  die  Verände- 
nmg  des  Vorstellungsverlaufs  durch  die  Aufmerksamkeit  berücksichtigen,  diese 
aaf  Association  zurück,  wie  z.  B.  Jgdl  Zweckvorstellungen  als  ^^Assodaiimis- 
fentrutH^^  die  Reproduction  leiten  läßt  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  492,  499,  505,  508, 
')11  f.).  Ziehen  erklärt  die  Erscheinungen,  die  man  sonst  der  Apperception 
ra«iohreibt,  durch  die  Deutlichkeit,  den  Gefülüston,  die  Energie  der  Association, 
die  Constellation  der  Vorstellungen  (Leitf.  d.  ph.  Psych.  S.  174  ff.,  198,  200  f.). 
—  Ziegler  nimmt  an,  das  Gefühl  (Interesse)  sei  das  Agens  der  Apperception, 
diese  sei  keine  Willenstätigkeit  (D.  Gef.«,  S.  47  ff.,  307).  E.  von  Hartmann 
bestimmt  die  Apperception  als  absolut  unbewußte  psychische  Function  ohne 
materielle  Gnmdlage  (Mod.  Psych.  S.  140).  Vgl.  Apperceptionspsychologie, 
Aufmerksamkeit. 

Apperception,  empirische  s.  Apperception. 

Apperception,  fundamentale  s.  Apperception. 

Apperception,  personificierende,  nennt  Wcni>t  die  dem  naiven 
Bewußtsein  überall  zukommende  Art  der  Apperception,  die  darin  besteht,  y^daß 
die  appercipierten  Objecte  ganx  und  gar  durch  die  eigene  Natur  des  wahmehmen- 
den  Subjeetes  bestimmt  werden j  so  daß  dieses  nicht  bloß  seine  Empfindungen , 
Äffecte  und  willkürlichen  Bewegungen  in  den  Objecten  wiederfindet,  sondern  daß 
es  insbesondere  auch  durch  seinen  augenblicklichen  Gemütsxustand  jeweils  in  der 


62  Apperception,  perBonificierende  —  Appereeption,  transcendentale. 

Auffassung  der  wahrgeTiommenen  Erscheinungen  bestimmt  tmd  xii  Vorstellungen 
über  die  Beziehungen  derselben  xu  dem  eigenen  Dasein  veranlaßt  mrd.  Infolge 
dieser  Auffassung  werden  dann  dem  Gegenstand  die  persönlichen  Eigenschaften^ 
die  das  Sub/ect  an  sich  selbst  vorfindet,  zugeschrieben^^  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  367  f.). 
Diese  Apperception  liegt  allem  Mythus  zugrunde. 

Appereeption 9  transcendentale  oder  reine,  ist  ein  durch  J^jlstt 
geprägter  Terminus.  Die  empirische  Apperception  (s.  d.)  ist  das  in  jedem  Augen- 
blick modif icierte ,  die  transcendentale  Apperception  aber  das  reine,  eonstanto» 
identische  Selbstbewußtsein,  die  Ichheit,  die  in  allen  erkennenden  Subjecten  die 
gleiche  ist.  Diese  transcendentale  Apperception  ist  die  ursprüngliche,  einheit- 
setzende,  synthetische  Fimction  des  Bewußtseins,  die  formale  Quelle  alles 
Apriorischen  in  der  Erkenntnis,  die  Bedingimg  derselben.  Ohne  die  Constanz 
des  reinen  Ich  gäbe  es  keine  Einheit,  keinen  Zusammenhang  in  unseren  Vor- 
stellungen. „Nun  können  keine  Erkenntnisse  in  uns  stattfinden,  keine  T>»-- 
knüpfung  und  Einheit  derselben  untereinander ,  ohne  digmige  Einheit  des  JBe^ 
irußtseins,  welche  vor  allen  Datis  der  Anschauungen  rorhergehi,  und  worauf  in 
Bexiehutig  alle  Vorstellung  von  Oegenständen  möglich  ist.  Dieses  reine,  Ursprung- 
liehe,  unwandelbare  Beicußtsein  will  ich  nun  die  transcendentale  Apper- 
ception nenfien^^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  121).  Die  „Eifiheit  der  Apperceptioti^\  die 
eine  Bedingung  des  Zusammenhangs  unserer  Vorstellungen,  ihrer  Aufbewahrung,, 
ihrer  Wiedererkennung  ist,  besteht  in  der  (rein  formalen,  nicht  substantiellen) 
Identität  des  Ich.  „  Wir  sind  uns  a  priori  der  durchgängigen  Identität  unser 
.selbst  in  Ansehung  aller  Vorstellufigen,  die  xu  unserer  Erkenntnis  jemals 
gehören   können,   betrußt  als  einer  notwendigen  Bedingung  der  Möglichkeit   aller 

Vorstellungen^^  (1.  c.  S.  172).  Der  Ausdruck  der  Einheit  der  Apperception 
ist  das  Bewußtsein  des  „Ich  denke^\  das  alle  meine  Vorstellungen  muß  be- 
gleiten können.  ,,Also  hat  alles  Mannigfaltige  der  Anschauung  eine  notwefuiige 
Beziehung  auf  das  ,Ich  denke*"  in  demselben  Sul^ect,  darin  dieses  Mannigfaltige 
angetroffen  wird^*  (1.  c.  S.  659).  Diese  Apperception  heißt  auch  „Ursprung^ 
liche^^  Apperception,  „weil  sie  cUis^enige  Selbstbetrußtsein  ist,  was,  indem  es  die 

VorsteMung  ,Ich  denk^  hervorbringt,  die  alle  andern  muß  begleiten  könnefi  und 
in  allem  Bewußtsein  ein  und  dasselbe  ist,  von  keiner  weiter  begleitet  werden 
kann'*  (ib.).  Das  „stehende  und  bleibende  Ich"  der  „reinen**  Apperception  „tna^ht 
das  Correlatum  aller  unserer  Vorstellungen  aus,  sofern  es  bloß  möglieh  ist,  sieh 
ihrer  bewußt  zu  werden,  und  alles  Bewußtsein  gehört  ebensowohl  zu  einer  all^ 
befassenden  reinen  Apperception,  wie  alle  sinnliche  Anschauung  als  Vorstellung 
xu  einer  reinen  inneren  Anschauung,  nämlich  der  Zeit"  (L  c.  S.  133).  Die 
P^inheit  der  Apperception  bezieht  sich  auf  die  „reine  Synthesis"  (s.  d.)  der 
„produetiven  Einbildungskraft^*  (s.  d.)  und  ist  insofern  die  allgemeinste  Verstandes- 
function  (1.  c.  S.  129).  Sie  ist  zugleich  die  Quelle  der  Kategorien  (s.  d.)  und 
der  Objectivität  der  Erscheinungen.  „Eben  diese  transcendentale  Einheit  der 
Apperceptioti  macht  aber  aus  allen  mögliehen  Erscheinungen,  die  immer  in  eifker 
Erfahrung  beisammen  sein  köfinen,  einen  Zusammenhang  aller  dieser  Vorstellungen 
nach  Qesetxefi**  (1.  c.  S.  121).  Die  reine  Apperception  gibt  „ein  Principiujn  der 
synthetischen  Einheit  des  Mannigfaltigen  in  aller  möglichen  Anschauung  an  die 
Hand**  (\,  c.  S.  128). 

Fries  versteht  unter  „reiner^*  Apperception  die  „eigene  Spontaneität  (Selbst- 
tätigkeit) des  Geistes",  das  ,lreine  Selbstbetrußtsein**  (Neue  Krit.  I,  120,  II,  65; 
Syst.  d.  Log.  S.  50),   unter   „tramcendenfalcr**   Apperception  daß  „unmittelbare 


Appereeption,  transcendentale  —  Apperceptionapsychologie.      6^i 


Oanxe  der  Erkermim^'  (Neue  Kr.  II,  65).  J.  G.  Fichte  prägt  den  Begriff  der 
transcendentalen  A]^rception  zu  dem  des  absoluten  Ich  (s.  d.)  lun.  Nach 
SCHOPKNHAITER  ist  die  Einheit  der  Apperception  das  ,,Sub;eft  des  ErkefvnenSy  da^ 
Crmreiai  aller  Vorstellungen''  (W.  a.  W.  und  V.  Bd.  I).  RiEHL  setzt  die  tran- 
scendentale Apperception  der  ^^synthetischen  Identität^'  (s.  d.)  gleich,  der  Einheit- 
Emerleiheit  des  Bewußtseins,  in  welche  alles  sich  einordnen  muß,  um  Er- 
tthiung  zu  werden  (PhiL  Krit.  I,  2,  ö.  78;  I,  1,  S.  68).  Wundt  versteht  unter 
ranar  Apperception  (reinem  Willen)  eine  wollende  Tätigkeit,  welche,  „alle  unsere 
ktnerrn  Wahmekinungen  xur  Einheit  verbindend,  niettuUs  getrennt  von  denselben 
tmd  also  niemaU  ohne  einen  Vorstellungsinhait  vorkommen  kann,  gleichwohl  aber 
fUs  die  letzte  Bedingung  aller  einxelnen  Wahrnehmungen  vorausxusetxen  ist''. 
Die  reine  Apperception  ergibt  sich  erst  in  der  Metaphysik  als  Endpunkt  den 
[DdiTidaell-psychologischeii  Regresses,  empirisch  ist  sie  nirgends  antreffbar;  in  der 
Psychologie  und  Logik  kaim  nur  eine  empirische  Apperception  (s.  d.)  in  Frage 
kommen  (Syst  d.  Phil.*,  S.  278  ff.).  Diese  hat  die  Bedeutung  einer  Einheits- 
fraiction  (Grdz.  d.  ph.  PsychoL  II*,  499;  Phil.  Stud.  X.  119).  Vgl.  Identität, 
Einheit. 

Apperceptionismus  s.  Apperceptionspsychologie. 

Appereeptionsmassen  s.  Apperception. 

AH^ereeptionspsyeliOloc^ie  ist  jene  von  Wundt  begründete  psycho- 
logische Richtung,  welche,  im  Gegensatze  zur  reinen  Associationspsychologie 
i  d.»  eine  den  Vorstellimgsverlauf  hemmende,  dirigierende,  ordnende,  gliedernde, 
Tcreinheitlichende  Tätigkeit  der  Apperception  (s.  d.)  in  umfassender  Weise  be- 
rocksiehtigt.  Die  Association  allein  kann  das  Auftreten  herrschender  Ele- 
mente in  den  Vorstellungsverbindungen  nicht  erklären.  Die  eigentümliche 
Foim  der  associativen  Verbindung  selbst  ist  schon  durch  eine  Tätigkeit  bestimmt, 
die  gewisse  Vorstellungen  vor  anderen  bevorzugt.  Diese  innere  Willenshand- 
lung ist  eben  die  mit  der  Aufmerksamkeit  (s.  d.)  innig  verknüpfte  Apperception, 
die  uns  die  höheren  geistigen  Processe  (Urteilen  u.  s.  w.)  begreiflich  macht 
iLog.  I»,  B,  30  f.;  Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  4.>4;  Vorles.*,  S.  319;  Phil.  Stud. 
VII.  329  ff.,  87  f.). 

Gegner  der  Apperceptionspychologie  sind  vor  allem  die  Associationspsycho- 
logen  (Ziehen  u.  a.).  E.  von  Hartmann  erklärt:  „IHe  Ässociationspsyehologie 
ireisf  die  Apperceptionspsychologie  Wundts  und  seiner  Schule  mit  Hecht  xurück; 
ne  selbst  aber  vermag  weder  die  FÜUe  der  Tatsachen  xu  erklären,  noch  sich  des 
Uinabgleitens  in  Materialismus  xu  erwehren^'  (Mod.  Psych.  S.  172).  Die  Apper- 
ception muß  in  das  Unbewußte  (s.  d.)  verlegt  werden  (ib.).  „Jeder  Versuch ^ 
vermittelst  des  Bewußtseinsinhalts  durch  Heratishebting  besotiderer  herrschender 
Vorstellungen  oder  Vorstellungsgruppen  die  Ässociationspsyehologie  xtir  Apper- 
ceptionspsychologie xu  erheben  (Wundt),  scheitert  daran,  daß  die  herrschenden 
Vorstellungen  oder  Vorstellungsgruppen  doch  auch  wieder  den  Associationsgesdxen 
ontenrorfen  sind  und  nichts  weiter  leisten,  wie  jede  Vorstellung,  die  einen  Asso- 
*iotümnorgang  auslöst^'  (1.  c.  S.  425).  Mt^NSTERBERG  versteht  unter  „Apper- 
^^ionstheorief*  ,/ti^enige  Vorstellung  vo?n  Zusammenhange  des  Psychischen  und 
Ph:ys%sehen,  welche  zwar  einen  durchgängigen  Parallelismus  für  die  elementaren 
Empfindungen  kennt,  die  Bewertungen,  die  Entscheidungen,  die  Bexiehtoigen  tmd 
die  Beicußtseinsformefi  dagegen  rein  psychologisch  ohne  begleitende  physiologische 
Vorgänge  auffaßt'  (Pr.  d.  Psych.  S.  452).    Diese  Theorie  ist  als  „Arbeitshypothese'' 


64  Apperoeptionapsyohologie  —  Apprehension. 


,^unfru^hihar*%  bedeutet  aber  „die  gesunde  cofiservafire  Gegenbetregung  gegen  die 
oberfläekliche  Übersckäfxung  der  Assoeiatiofistheorte*^  (1.  c.  S.  455  f.).  Beiden 
^^tensorischen*'^  Theorien  stellt  Münsterberg  seine  „ÄcHoptstheorie'*  entg^en, 
welche  „von  der  Assoctatwnstheorie  die  Consequenx  der  psyehophysisehen  An- 
sehauung  erben  soll,  von  der  AppereeptionsÜteorie  aber  die  Berüeksiehtiguftg  der 
■activen  Seife  des  geistigen  Lebefns,  der  Aufmerksamkeit^'  und  Hemmtingsersehei- 
nufigeti  herübemimmt^'^  (1.  c.  S.  527).  Sie  betrachtet  die  „Bewegmigsantriebe", 
<\ie  motorischen  Gehimfunctionen  selbst  als  Bestandteile  des  psychophysischen 
Processes  (1.  c.  S.  528).  Die  Actionstheorie  verlangt,  „daß  Jeder  Betrußtseifi»- 
inhalt  Begleitersdieinung  eines  nicht  nur  sensorischen,  sondern  sensorisch-nwtori- 
schen  Vorgangs  ist  und  somit  von  den  vorhandenen  Dispositionen  zur  Handlut^ 
ebensosehr  abhängt  ivie  von  peripheren  und  assoeiatiren  Zufühmngefi^*  {1.  c. 
Ö.  549).  Sie  besagt  allgemein,  „daß  jede  Empfindung  und  somit  jedes  Element 
des  BetcußtseinsinJuütes  dem  Übergang  von  Erregung  xu  Entladung  im  Rifuien- 
gebiet  zugeordnet  ist,  und  zwar  derart,  daß  die  Qualität  der  Empfindung  von  der 
räumlichen  Lage  der  Erregungsbahn,  die  Intensität  der  Empfindung  roti  der 
Stärke  der  Erregung,  die  Wefintuince  der  Etnpfindung  von  der  räumliehen  Lage 
der  Eniladungsbahn  und  die  Ijebhaftigkeit  der  Empfi/ndu7ig  von  der  Stärke  der 
Entladung  abhängt^^  (ib.). 

ApperceptionSTerbinduiiseii  b.  Apperceptive  Verbindungen. 

Apperceptive  Analyse  s.  Phantasie,  Verstand. 

Appereeptive  Syntliese  s.  Synthese. 

Appereeptlve  Verbindunc^en  (Apperceptionsverbindongen)  nennt 
WüNDT  jene  Verbindungen  von  Vorstellungen,  bei  denen  das  Tätigkeitsgefühl 
<len  Verbindimgen  schon  vorausgeht,  so  daß  die  letzteren  selbst  „unmittelbar 
als  unter  der  Mitwirkung  der  Aufmerksamkeit  zustande  kommend 
aufgefaßt  werden"  und  als  „active  Erlebnissen^  zu  bezeichnen  sind  (Gr.  d.  Psych.*, 
S.  301).  Sie  nihen  auf  den  Associationen,  „ohne  daß  es  jedoch  möglieh  wäre, 
ihre  wesentlichen  Eigenschaften  auf  diese  xurückzuführen^'  (1.  c.  S.  302).  Sie 
entstehen  durch  die  Wirkung  der  Apperception  (s.  d.)  als  einer  den  Associations- 
verlauf  unterbrechenden  und  stellenweise  fixierenden,  zweckvoll  agierenden  Tätig- 
keit, die  vom  Ich  als  Totalkraf t  des  Bewußtseins  ausgeht  (Grdz.  d.  ph.  Psych.  Il\ 
279,  284,  479;  Vorles.«,  S.  338;  Ess.  10,  S.  280;  Log.  I*,  34,  80,  II  2«,  207;  Syst 
d.  Phil.*,  S.  586).  Die  simultanen  Apperceptionsverbindungen  zerfallen  in 
Agglutination,  apperceptive  Synthese,  Begriff  (s.  d.),  die  successiven  in  den 
einfachen  und  zusammengesetzten  Gedankenverlauf  (s.  d.)  (Log.  I*.  8.  33  ff., 
II,  2«,  288  f.;  Vorles.«,  340  ff.;  Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  476  ff.;  Syst  d.  PhiL«. 
S.  583  ff.).  In  Apperceptionsverbindungen  bestehen  die  intellectuellen  Procesee. 
die  Gedanken  (s.  d.)  und  Phantasiegebilde  (s.  d.). 

Apperelpleren  s  eine  Vorstellung  aufmerksam  erleben,  sie  zu  einer  im 
Bewußtsein  herrschenden,  klaren  machen.    Vgl.  Apperception. 

Appetltnss  Streben,  Begehren  (s.  d.). 

Apprebensloii  (apprehensio) :  Erfassung,  Auffassung  eines  Vorstellung»- 
inhalts,  Erhebung  desselben  ins  erkennende  Bewußtsein,  Begreifen.  Die 
Scholastiker  sprechen  von  einem  „actus  apprehensivus"  (Praittl,  Gresch.  d. 
Log.  III,  333).  Die  ,^implex  appre/iefi^io"  ist  stets  wahr,  weil  sie  noch  kein 
Urteil  enthält  (1.  c.  IV,  15).     „Apprehensio  absoluta"  (=  simplex)  und  ,^appr^ 


Apprehension  —  A  priori  65 

htnsio  inquüitfra"  unterscheidet  THOMAS  (Sum.  th.  I,  II,  30,  3  ad  2).  Süarez 
imterBcheidet  eine  sinnliche  und  intellectuelle  y^simpiex  appreJiengio"  (De  an. 
m.  6).  Die  Logik  von  Port-Boy al  erklärt :  j^apprefienstonem  dicimus  simplweni 
Ttmm,  quae  menti  siMuntur,  coniemplatianem*\  (Einl.).  Chr.  Wolf  bestimmt 
die  ./ipprehefisio  svnipleoif*^  als  „attentio  ad  rem  sensui  vel  imaginaiioni  praesentent 
>m  metUi  qaamodomnque  repraesentatam^*  (Log*  §  33). 

Kant  nennt  Apprehension  die  ,yUnimttelbar  an  den  Wahrnehmungen  aus- 
gtübU  Handlitn^'  der  productiven  Einbildungskraft  (Kr.  d.  r.  V.  S.  130),  die 
a  priori  ausgeübt  wird ,  indem  sie  die  Raum-  und  Zeitvorstellung  erst  erzeugt 
«L  c.  S.  116).  Sie  ist  also  eine  Bedingimg  aller  Erfahrung  (1.  c.  S.  133).  y^ede 
ÄMf kauung' enthalt  ein  Mannigfaltiges  in  sicky  welches  doch  nicht  als  ein  solchem 
wrgfstellt  werden  würde,  wenn  das  Oeniüt  nicht  die  Zeit  in  der  Folge  der  Ein- 
irüeke  aufeinamler  unterschiede:  denn  als  in  einem  Augenblick  enthalten  hami 
yif  Vorstellung  niemals  etwas  anderes  als  absoltäe  Einheit  sein.  Damit  nun 
oHf  diesem  Memnig faltigen  Einheit  der  ÄnschauuTig  werde  (wie  etwa  in  der  Vor- 
fteUung  des  Raumes),  so  ist  erstens  das  Durchlaufen  der  Mannigfaltigkeit  und 
damn  die  Zusanimennehmung  derselben  nottcendig,  welche  Handlung  ich  die 
Synihesis  der  Apprehension  nenne,  weil  sie  geradezu  auf  die  Anschauung 
gnirhtet  ist,  die  xwar  ein  Mannigfaltiges  darbietety  dieses  aber  als  ein  solches, 
und  iwar  in  einer  Vorstellung  enthalten,  niemals  ohne  eine  dabei  vorkommende 
^^thesis  bewirken  kann^*  (1.  c.  S.  115). 

A  princlplo  ad  principiatum:  vom  Grunde  zum  Begründeten,  zur 
Folge  =  progressiv  (s.  d.).     y,A  prineipiato  ad  pnneipium"  =  regressiv  (s.  d.). 

A  priori  (vom  Früheren):  im  vorhinein,  vor  der  Erfahrung,  unabhängig 
TOD  der  Elrfahrung,  selbstgewiß,  absolut  denknotwendig  und  allgemeingültig, 
nicht  erst  durch  Erfahrungen,  durch  Inductionen  aus  dieser  bedingt,  sondern 
im  Gegoiteil  die  möglichen  Erfahrungen  schon  formal  im  vorhinein,  für  alle 
Fälle  bedingend,  bestimmend,  constituierend.  Das  a  priori  der  Erkenntnis  ist 
in  der  allgemeinen  synthetischen  Natur  des  Bewußtseins,  der  Ichheit  begründet, 
es  entsteht  erst  in  und  mit  der  Erfahrung,  stammt  aber  nicht  aus  dem  Er- 
iüinmgBstoffe,  sondern  kommt  zu  diesem  als  dessen  allgemeine,  notwendige  Form 
cm  hinzu,  nicht  ohne  durch  die  Erfahrungsinhalte  selbst  specificiert  und  moti- 
Tiert  in  der  Anwendung  zu  sein.  Das  a  priori  der  Erkenntnis  ist  als  solches 
enbjectiv,  setzt  aber  Objectivitat  der  Bewußtseinsinhalte.  Es  ist  nicht  „angeboren^' y 
beruht  ^ber  psychophysisch  auf  ursprünglichen  Dispositionen  (s.  d.).  Apriorisch 
sind  nicht  Begriffe  als  solche,  sondern  synthetische  Functionen  und  Functions- 
notwendigkeiten.  Logisch  apriorisch  sind  die  Anschauungsformen  (s.  d.),  die 
Kategorien  (s.  d.)  und  die  unmittelbar  auf  diese  sich  stützenden  Gnmdsatze 
(Axiome,  s.  d.)  des  Denkens. 

A  posteriori  ist  das  Gegenteil  des  a  priori.  Es  bezeichnet  das,  was  aus 
der  Erfahrung  stammt,  was  durch  diese  bedingt  ist,  kurz  allen  Erfahrungsinhalt 
im  Unterschiede  vom  Formalen  (s.  d.)  der  Eirkenntnis  und  der  Erkenn tnis- 
objecte.  — 

Die  älteste  Bedeutung  von  a  priori  ist  die  der  Erkenntnis  der  Dinge 
tttp  ihren  Ursachen  oder  Gründen  im  Unterschiede  von  der  aposte- 
riorischen, aus  den  Wirkungen,  Folgen  schöpfenden  Erkennt- 
nisart Dies  führt  auf  Aristoteles  zurück.  Nach  ihm  ist  das  Allgemeine 
^s.  d.)  das  von  Natur  FrOhere  (n^ore^or  fvcet,  olalq,  yvto^tfiov  ankmi)y  aber  in 

Fkil««ophiMli«t  WOrterbaob.    %,  ▲all.  5 


66  A  priori. 

Beziehung  auf  uns  das  Spätere  {Ttgore^ov  npoe  tifids  oder  ^fuvy  Anal.  poet.  I  2, 
71  b  33).  Es  ist  das  Allgemeine,  das  begrifflich  Vorangehende,  Primäre  (xain 
ftev  ycLQ  Tov  Xoyov  tu  xad'olov  Ttgoxs^),  das  Einzelne  aber  in  der  Wahr- 
nehmung früher  (x«t«  Bi  xrjv  aia&ijaiv  ra  xad^  &cacTa  (Met.  VII,  1018  b  32). 
Das  Allgemeine  enthält  aber  den  Grund  des  Einzelnen,  aus  dem  dieses  erkannt 
wird.  BoBTHiUB  bestimmt  (in  seinem  Comment.  zu  Aristoteles) :  f,Pnora  mäem 
et  nottora  duplieiter  sunt,  non  enim  idem  est  natura  prius  et  ad  nos  prius^^ 
er  gebraucht  die  Ausdrücke  „per  priora,  per  posteriora".  Die  arabischen 
Philosophen  Alfababi  („denumstratio  quia  et  propter  qutd*%  Prantl,  Gr.  d.  L 
II,  317),  AviCEimA  (jyposterius,  ex  priori*^ j  AvEBBOfiS  („re»  priores  in  esse,  res 
posteriores  in  esse"f  1.  c.  359,  372,  394)  acceptieren  diese  Begrif&bestimmimg. 

Bei  Albebt  von  Sachsen  findet  sich  wohl  zum  erstenmal  das  a  priori  als 
„Beweis  atis  der  Ursa4^he".  y,De/nonstratio  quaedam  est  proeedens  ex  eattsis  ad 
effectum  et  vocatur  detnanstratio  a  priori  et  demonstratio  propter  quid  et  po- 
tissbna-;  .  .  .  alia  est  demonstratio  proeedens  ah  effectibus  ad  causas  et  talis 
vocatur  defnonstraOo  a  posteriori  et  demonstratio  quia  et  demonstratio  non 
potissima^^  (1.  c.  IV,  78).  JOH.  Gebson  bemerkt  (De  concept  p.  806):  „Con- 
cipiens  res  naturales  .  .  potest  dtiatms  viis  quasi  contrariis  ineedere  et  ordinem 
seientiis  dare;  una  via  est  ex  pa/rt-e  reru/m  cogfiosciinliuin  a  priori,  altera  ex 
parte  eognoscentium  a  posteriori*^  (Pbantl  IV,  144).  JoH.  Pabbeut  sagt  (Qiiaest. 
in  Cat-eg.):  „Notitia  essentiatis  et  a  priori  est,  qua  eoqnoscitur  terminus  esse  in 
praedicamento  ex  eo,  sine  quo  non  potest  esse  in  praedicamento  .  .  .  sed 
notifia  ac&idepitalis  et  a  posteriori  est,  qua  cognoseitur  terminus  esse  in 
praedicamento  ex  eo,  sine  quo  potest  esse  in  praedicamento**  (1.  c.  IV,  240), 
Thomas  unterscheidet  „prior  Cognitionen*  („qnoad  nos**)  und  „prior  in  ordifie 
naturae**  (Sum.  th.  I,  11,  2  ad  4,  I,  77,  4c).  „Priora  et  notiora  seewidum 
fuUuram  —  posteriora  et  minus  nota  seeundum  nos,**  „niagis  unirersalia 
et  communia  sunt  priora  in  nostra  intellectuali  et  sensitiva  eognitione**  (Sum. 
th.  I,  85,  2 — 3).  SUABEZ  stellt  „a  priori**  =  „ex  eausis**  und  „a  poste- 
riori** ^  „ex  effectibus**  einander  gegenüber  (Disp.  met.  XXX,  7,  3).  GocLEH: 
„lYius  natura  est  universale:  quo  ad  nos  partieularia  sunt  priora**  (Lex.  phü. 
p.  868).  LuTHEB  übersetzt  a  priori  durch  „von  vomen  her**,  a  posteriori  durch 
„von  dem,  iras  hernach  folget**  (Tischred.  ed.  Förstemann  IV,  399;  Euckek, 
Termin.).  Die  scholastische  Bedeutung  der  Wörter  a  priori  und  a  posteri<Ni 
auch. bei  Spinoza  (Ren.  Cart  pr.  princ.  I,  prop.  VI),  Geulincx  (Eth.  annot 
p.  208),  Gassendi  (Exerc.  II,.  5),  in  der  Logik  von  Pobt-Royal:  „Soü  en 
prouvant  les  effets  par  les  causes,  ce  qui  s*appelle  demontrer  a  priori,  soit  en 
demotitrant  au  contraire  les  causes  par  les  effets,  ce  qui  s'appelle  prourer  a 
posteriori**  (vgl.  EucKEN,  Gesch.  d.  Grundbegr.  S.  98).  Ähnlich  Bebkelet 
(Princ.  XXI). 

Das  a  priori  bezieht  sich  ferner  auf  die  begriffliche  im  Unter- 
schiede von  der  empirischen  Erkenntnis  (dem  a  posteriori).  So  bei 
Hobbes  und  HiTBfE  (j,our  reasonings  a  priori**,  Inqu.  IV,  1),  besonders 
aber  bei  Leibniz  (neben  der  scholastischen  Auffassung,  Gpp.  Erdm.  p.  79): 
„Philosophie  experimentale  qui  proeede  a  posteriori  —  la  pure  raison  ou  a  priori"* 
(1.  c.  p.  778  b).  „Connattre  a  priori  —  par  Veocperience**  (Nouv.  Ess.  III,  cL 
3,  §  15;  Monad.  76:  a  posteriori**  =.  „tire  des  expMences**).  Die  Möglichkeit 
eines  Dinges  erkennen  wir  a  priori,  „cum  notionem  resolvifnus  in  sua  requisita, 
seu  in  alias  notiones  cognitae  possibilitatis,  nihilque  in  Ulis  incofnpatibite  esse 
sdmus**  (Med.  de  cogn.  Erdm.  p.  80  b).   So  auch  Chb.  Wolf:  „Quod  experitmdo 


A  priori.  67 

addigcimuSj  a  posteriori  eognoseere  dteimur:  quod  vero  ratiocinafido  nobis  innotes- 
r*f,  a  priori  eognoseere  dteimur*^  (Psych,  emp.  §§  5,  434  ff.,  460  f.).  „Si  veritas 
a  priori  eruitur,  ex  notionibus  .  .  .  per  raiiocinia  eolligitur^*  (ib.).  „-4  posier iori^^ 
aach  „er  phaenomenis"  (L  c.  §  125).  So  auch  Baumgarten.  Nach  CKueius 
erkennt  man  a  posteriori  nur,  daß  etwas  so  ist,  a  priori  aber,  warum  es  so  ist 
iVemunftwahrh.  C.  3,  §  35).  Platneb  unterscheidet:  a  posteriori  =  aus  der 
Erfahrung,  a  priori  =  aus  der  Vernunft  (Phil.  Aphor.  I,  §  7(X)).  Ein  begriff- 
liches a  priori  nehmen  auch  neuere  Denker  wie  Bolzano,  Rosmini  u.  a.  an, 
die  nicht  Kriticisten  sind. 

Die  dritte  Bedeutung  von  „a  priori"  ist  die  des  von  der  Erfahrung 
Unabhängigen,  nicht  aus  ihr  Stammenden,  ihr  Vorhergehenden,  sie 
notwendig  im  vorhinein  Bestimmenden  und  Bedingenden,  für  alle 
Erfahrung  im  voraus  Gültigen,  in  sich  selbst  objectiv  Gewissen, 
Allgemeingültigen  im  Gegensatze  zum  „a  posteriori",  dem  auf  Erfahrung 
sich  Stützenden,  durch  diese  Gegebenen,  aus  ihr  Entnommenen. 
Der  eigentliche  Begründer  dieser  Theorie  des  Apriorischen  ist  Kant.  Ansätze 
(kza  finden  sich  aber  schon  vor  ihm.  So  schon  in  Platos  Begriff  der  Ana- 
mnese (s.  d.).  Die  allgemeinen  Denkbestimmungen  der  Dinge  sind  hiemach  uns 
ingeboren  (s.  d.),  lassen  sich  aus  unserer  Vernunft,  in  der  sie  schlummern, 
^ijewinnen,  bei  Gelegenheit  der  Wahrnehmung,  nicht  aus  dieser  (Phaedo  75  E, 
76  E,  92  D).  Plato  spricht  geradezu  von  einem  „  Vorauswissen"  {nQoeiSevai) 
da  rein  Begrifflichen,  Formallogischen  der  Erkenntnis  (1.  c.  74  E).  Vgl.  Natobp, 
Platos  Ideenlehre  S.  138  ff.;  Guggenheim,  Die  Lehre  vom  apriorischen  Wissen . . . 
1885;  D.  Peipers,  Unters,  üb.  d.  d.  Syst  Platos  I,  1874.  Doch  wird  das 
t  priori  metaphysisch  auf  Erfahrungen  im  Jenseits  (s.  Präexistenz)  zurück- 
bezogen.  Der  Begriff  des  Apriorischen  als  des  Denknotwendigen,  ohne  Er- 
äüurnng  Gewissen  liegt  eingeschlossen  in  der  Lehre  von  den  angeborenen  (s.  d.) 
Begriffen,  besonders  bei  Debcabtes,  auch  in  dessen  „lumen  naturale",  (s.  d.). 
(tAijlei  betont  die  unbedingte  Gewißheit  und  Notwendigkeit  der  Mathematik, 
deren  Einsichten  y,da  per  se"  sind.  Leibniz  nimmt  mit  seinem  Begriffe  der 
^Vemunfttcahrkeiien"  (s.  d.)  apriorische  Erkenntnisse  an.  „7/  y  a  des  id4es,  qui 
ne  nous  vienneni  point  des  sens  et  que  nous  trouvons  en  nous  sans  les  former, 
quoique  les  setts  ftous  donttent  oceasiofi  de  nous  en  appereevoir'^  (Nouv.  Ess.  I, 
eh.  1,  §  1).  „L'appereeption  immediate  de  notre  eodstence  et  de  nos  pensee^  nous 
foumit  les  premieres  vSrites  a  posteriori  ou  de  fait,  e'est-ä-dire  les  pretnihres 
tiperienees;  com  nie  les  perceptions  identiques  contiennent  les  premieres  verites 
«  priori,  e'esi  ä  dire  les  premieres  lumih-es"  (1.  c.  IV,  eh.  9,  §  2).  Tetens 
leitet  die  Kategorien  (s.  d.)  aus  einer  apriorisch-subjectiven  Denktätigkeit  ab 
(PhiL  Vers.  I,  303).  Lambert  bemerkt:  j,Wir  fcollen  es  demnach  gelten  lassen, 
^ß  man  absolute  und  im  strengsten  Verstände  nur  das  a  priori  heißen  könne, 
mbei  wir  der  Erfahrung  vollends  nichts  xu  danken  haben"  (Organ.  Dianoiol.  9, 
{f  (39).  Reid  betont,  daß  notwendige  Wahrheiten  nicht  aus  dem  Sinnlichen 
goefaloflsen  werden  können,  denn  die  Sinne  bezeugen  uns  nur,  was  ist,  nicht 
«18  notwendig  sein  muß  (Ess.  on  the  powers  of  the  mind  I,  281,  II,  53,  204, 
239  1,  281).  Der  „common  sens&^  (s.  d.)  ist  die  Quelle  von  „seifevident  truths" 
•uünitiv  gewisser  Wahrheiten).  Ähnlich  andere  Denker  aus  der  schottischen 
^hnle,  wie  z.  B.  Dugald  Stewabt  (Philos.  essays  V,  123  f.). 

Kant  versteht  unter  dem  a  priori  nicht  etwas,  was  zeitlich  der  Erfahrung 
rarangeht  —  denn  alle  Erkenntnis  beginnt  mit  der  Erfahrung,  er  faßt  es  nicht 

5* 


68  A  priori. 

psychologisch,  sondern  logisch,  transcendental  (s.  d.)  auf.  Apriorisch  ist  alles 
Formate  (s.  d.)  der  Erkenntnis,  das,  was  einen  Erkenntnisstoff  erst  zur  Erkenntnis, 
zur  Erfahrung  gestaltet,  was  also  schon  aller  Erfahrung  bedingend,  consti- 
tuierend  zugnindeliegt.  „Apriorisch^*  nennt  K.  1)  absolut  ge^iisse,  allgemeiD- 
gültige,  nicht  inductiv  gewonnene  Erkenntnisse  (Urteile),  2)  die  formalen  Ele- 
mente solcher  Erkenntnisse,  d.  h.  die  Anschauungs-  und  Denkformen  als  solche, 
3)  die  subjectiven  Bedingungen  derselben  im  erkennenden  Ich,  in  dem  sie  .An- 
gelegt**  sind,  um  aber  erst  in  und  mit  der  Erfahrung  zum  Bewußtsein  zu  kommen. 
A  priori  ist,  „was  durch  und  durch  apodiktische  Öewißheit,  d.  i.  absolute  Kot- 
wendigkeit ^  bei  sich  führty  also  auf  keinen  Erfahrungsgründen  beruht,  mithm  ein 
reines  Prodiiet  der  Vernunft,  überdehn  aber  durch  und  durefi  synthetisch  ist' 
(Proleg.  §  6).  „Solche  allgemeine  Erkenntnisse  nun,  die  zugleich  den  Gh€irakter 
der  inneren  Notwendigkeit  haben,  müssen,  von  der  Erfahrung  unabhängig, 
vor  sich  selbst  klar  und  gewiß  sein;  man  nennt  sie  daher  Erkenninisse  a  priori, 
da  im  Gegenteil  das,  was  lediglieh  von  der  Erfahrung  erborgt  ist,  nur  a  posteriori 
oder  empirisch  erkannt  wird**  (Kr.  d.  r.  V.  8. 35).  „GänxlicJi  a  priori,  unabhängig 
von  der  Erfahrung  entstanden,  . . .  weil  sie  machen,  daß  man  von  den  Oegensiänden, 
die  den  Sinnen  erscheinen,  mehr  sagen  kann, . .  .als  bloße  Erfahrung  lehren  würde, 
und  daß  Be/iauptungen  wahre  Allgemeinheit  und  strenge  Notwendigkeit  enthalten, 
dergleichen  die  bloß  empirische  Erkenntnis  nicht  liefern  kann**  (1.  c.  S.  35  f.). 
Erkenntnisse  a  priori,  „die  schlechterdings  von  aller  Erfahrung  unabhängig  statt- 
finden. Ihnen  sind  empirische  Erkenntnisse,  oder  solche,  die  nur  a  posteriori, 
d.  i.  durch  Erfahrimg,  möglich  sind,  entgegengesetzt**  (1.  c.  S.  647,  648).  Das 
a  priori  wird  a  priori  erkannt,  denn  „was  .  .  .  die  Beschaffenheit  derselben  [der 
Erkenninisse],  Urteile  a  priori  zu  sein,  betrifft,  so  kündigt  sich  die  von  selbst 
durch  das  Bewußtsein  ihrer  Notwendigkeit  an**  (üb.  d.  Fortschr.  d.  Met.  S.  113). 
Das  Apriorische  liegt  allein  in  der  Form  (s.  d.)  der  Erkenntnis,  gilt  nur  för 
(mögliche)  Erfahrungen  (entgegen  dem  ontologistischen  Rationalismus).  Es 
ist  uns  „keine  Erkenntnis  a  priori  möglich,  als  lediglich  vofi  Gegenständen  mog- 
Heller  Erfahrung**  (Kr.  d.  r.  V.  S.  648).  „Eine  Anschauung,  die  a  priori  möglieh 
sein  soll,  kann  nur  die  Fonn  betreffen,  unter  welcher  der  Gegenstand  angeschatti 
wird;  denn  das  heißt,  etwas  sieh  a  priori  vorstellen,  sich  vor  der  Wahrnehmung, 
d.  i.  dem  empirischen  Beunißtsein,  und  unabhängig  von  demselben  eine  Vor- 
stellung davbn  metchen.**  „Es  ist  aber  nicht  die  Form  des  Objeets,  wie  es  an  sieh 
beschaffen  ist,  sondern  die  des  Subjects,  nämlich,  des  Sinnes,  welcher  Art  Vorstellung 
er  fähig  ist,  welche  die  Anschauung  a  priori  möglieh  macht.  Denn  sollte  diese 
Form  von  den  Objecten  selbst  hergenommen  werden,  so  müßten  tcir  dieses  vorher 
wahrnehmen  und  könnten  uns  nur  in  dieser  Wahrnehmung  der  Beschaffenheit 
derselben  bewußt  werden**  (1.  c.  S.  105).  A  priori  ist  alles,  was  in  unserer  An- 
schauung oder  in  unserem  Denken  „niemals  weggelassen*'  werden  kann  (Prol^. 
§  9),  und  das  fällt  zusammen  mit  dem,  was  aus  der  formenden  Tätigkeit  des 
Bewußtseins  constant  entspringt  (1.  c.  §  13).  Apriorische  Elemente  enthalten  die 
Mathematik,  die  Physik,  die  Ethik,  die  Ästhetik,  die  (kritisch  gehandhabte; 
Metaphysik  (Ej:.  d.  r.  V.  S.  651  ff.).  So  sind  z.  B.  die  Anschauungsfonnen 
(s.  d.)  a  priori,  sie  müssen  „im  GemiUe  a  priori  bereit  liegen,  und  dahero  ab- 
gesondert von  aller  Empfindung  können  betrachtet  werden**  (1.  c.  S.  49).  An- 
geboren sind  die  apriorischen  Formen  nicht,  wohl  aber  „ursprünglich  erworben^', 
das  Erkenntnisvermögen  „bringt  sie  aus  sich  selbst  a  priori  zustande**.  Nur 
der  Grund,  „der  es  möglich  macht,  daß  die  gedachten  Vorstellungen  so  und 


A  priori.  69 

nifkt  anders  entstehen  und  noch  daxu  auf  Objecte^  die  noch  nicht  gegeben  sind, 
btu)gen^?erden  können'^  ist  angeboren  (Üb.  e.  Entdeck.  S.  43).  Das  a  priori 
der  Erkenntnis  erklart  die  Apodikticitat,  die  absolute  Notwendigkeit  von  Urteilen 
s.  d.),  die  Sicherheit  und  Exactheit  der  Mathematik  und  Physik.  Apriorität 
und  6abjectiyitat  (s.  d.)  der  Erkenntnisformen  sind  für  Kant  Wechselbegriffe, 
eins  efgibt  sich  aus  dem  andern.  Es  ist  unter  reinem,  absolutem  a  priori 
das  Tölüg  Empiriefreie  zu  verstehen.  „  Von  den  Erkenntnissen  a  priori  heißen 
nher  digenigen  rein,  denen  gar  nichts  Empirisches  beigemischt  ist^*  (Kr.  d.  r.  V. 
S.  648;  vgl.  Vaihinger,  Ck>mm.  I,  168).  Die  Urquelle  des  Apriorischen  ist  die 
Einheit  der  „transcendenialen  Apperception"  (s.  d.).  Auf  den  Unterschied  des 
Kutschen  a  priori  vom  y^Ängeboren^*  machen  aufmerksam  H.  Ck)H£N  (K.s  Theor. 
d.  Erf.  8.  83),  O.  Liebmann,  Eucken  (Gtesch.  d.  Grundbegr.  S.  101),  Vai- 
HixoER  (Conmi.  I,  54)  u.  a.;  auch  schon  Kiesewetter  (Gr.  d.  Log.  S.  269). 

Die  Lehre  vom  a  priori  erfährt  nach  Kant  eine  teUs  qualitative,  teils 
quantitative  Ausgestaltimg.  Qualitativ,  insofern  der  Begriff  des  Apriorischen 
bald  im  rein  logischen,  bald  im  psychologischen  oder  psychophy siechen,  bald 
im  vermittelnden  Sinne  bestimmt  wird.  Quantitativ,  indem  das  Apriorische 
entweder  in  einer  Beihe  von  Formen  oder  aber  in  der  allgemeinen  Gesetzmäßig- 
keit des  erkennenden  Bewußtseins  allein  erblickt  wird.  Die  Gegner  jedes  a  priori 
im  Eantschen  Sinne  suchen  die  Notwendigkeit  (s.  d.)  der  A:xiome  auf  Induction 
<9.  d.)  zurückzuführen. 

Das  a  priori  bei  Kantianern,  besonders  in  der  logischen  Auffassung:  Kach 
Bbck  besteht  das  a  priori  im  y^ursprünglichen  Vorstellen",  in  verknüpfender  Be- 
woAtBemstatigkeit  (ErLAusg.  III,  144, 371).  Reikhold  nennt  die  Formen  der  Vor- 
steUung  ,,a  priori",  ,,sofem  sie  notwendige  Bestmidteile  jeder  Vorstellung  sitid,  die, 
«fe  Vermögen,  vor  aller  Vorstellung  im  erkennenden  Subjeete  anzutreffen  sind"  (Vers, 
f.  neu.  Theor.  S.  291 1).  Die  Bedingungen  der  Raum-  und  Zeitanschauung  sind  der 
in  uns  liegende  „Stoff  a  priori"  (1.  c.  S.  305  f.).  Nach  Chr.  E.  Schmid  ist 
a  priori  rMles,  sowohl  insofern  es  ststs  in  denknotwendigen  Bexiehungen  gedacht 
trsekeini,  als  auch  insofern  die  Zukunft  nur  aus  der  Vergangenheit  xu  schöpfen 
möglieh  ist;  alles  dagegen  a  posteriori,  insofern  nur  die  Zukunft  und  auch  die 
nicht  mit  roUer  Sicherheit  bestimmen  kanuy  daß  die  Zukunft  eine  richtige  «rar". 
JLpriori^^:  a.  „vergleichungsiveise  a  priori",  b.  „schlechterdhigs  a  priori,  un- 
otkängig  von  aUar  Erfahru/ng"^  („comparaii&^  —  „rein"  a  priori)  (Emp.  Psych. 
i^.  17  f.,  21).  Kbüo  nennt  a  priori  das  „Ursprimgliche  im  Ich,  welches  Be- 
dingung aller  Erfahrung  isf*  (Org.  S.  96,  101).  Die  apriorischen  Formen  sind 
keine  „Faehwerke^^ ,  sondern  gesetzmäßige  Handlungsweisen  des  Subjectes  (Fun- 
dam.  S.  151,  168).  A  priori  ist  nach  Maimon  die  „allgemeine  Erkenntnis,  .  .  . 
die  die  Form  oder  Bedingung  aller  besonderen  ist,  folglich  derselben  vorausgehen 
muß,  deren  Bedingung  aber  keine  besondere  Erkenntnis  ist*'  (Vers.  üb.  d.  Tr. 
J?.  55).  Nach  Kiesewetter  ist  die  Allgemeinheit  und  Notwendigkeit  des 
a  priori  in  der  „unveränderlichen  Natur  des  Erkenntnisvermögens  selbst  gegrmidet*^ 
•Or.  d.  Log.  S.  260).  Fries  meint,  das  a  priori  w^erde  durch  innere  Erfahnmg 
gefmiden  (Neue  Kr.  I«,  S.  31  ff.).  A  priori  ist  die  ursprüngliche  Selbsttätigkeit 
des  Bewußtseins,  die  sich  in  den  Anschaumigs-  und  Denkformen  bekundet  und 
nringende  Notwendigkeit  in  das  Erkennen  bringt  (L  c.  S.  73  ff.).  Die  reinen 
Aoflchanungen  a  priori  sind  „ursprüngliche  Arten  der  Verknüpfung  der  Mannig- 
{nüigkeit,  welche  nicht  aus  der  Empfindung  entspringen"  (1.  c.  S.  177).  Von 
neneren  Kantianern  betont  den  rein  logischen  Charakter  des  a  priori  besonders 


70  A  priori. 

H.  Cohen  (Kants  Theor.  d.  Erf.^  S.  135).  Das  a  priori  ist  nicht  angeboren, 
psychologisch  entwickeln  sich  die  Anschauungsformen,  logisch  aber  8in#sie  und 
die  Denkformen  ursprünglich ,  d.  h,  „constituierende^^  notwendig -allgemeine 
Factoren  aller  Erfahrung^  active  Verknüpfungsweisen  des  G^ebenen  zu  Erfah- 
rungen, die  sie  erst  möglich  machen;  in  der  Einheit  des  Selbstbewußtsein» 
haben  sie  ihre  Quelle  (1.  c.  S.  83,  214  ff.,  246).  O.  Liebmann  betont,  Apriorität 
sei  nicht  psychologische  Subjectivitat  (Anal.  d.  Wirkl.*,  S.  97).  „A  priori  i*t 
nichts  anderes^  als  das  für  uns  und  für  jede  homogene  Intelligenz  streng  All- 
geftneine  und  Notwendige,  das  Xicht'anders-zu-denkende^^  (1.  c.  S.  98).  „Aus  bloßer 
Vernunftanlage  oh'ne  Veniunftnuiterial,  aus  blindem  und  taubem  a  priori  ohw 
Empfindtmg  tcird  freilich  nie  eine  Intelligenz;  aber  aus  bloßen  Sensationen  ohne 
a  priori  ebensowenig^*^  (1.  c.  ö.  209).  Es  gibt  herrschende  Grundformen  imd 
Normen  des  erkemienden  Bewußtseins  (1.  c.  S.  222),  sie  sind  das  Prius  ?on 
Körper  und  „Seele*^  (1.  c.  S.  223).  Nicht  psychologisch,  sondern  ein  y^Modus  der 
Evidenx^^  ist  das  a  priori,  es  ist  „metakosmisch^^  (1.  c.  S.  239  f.).  Ererbte  Vor- 
stellungen kann  es  dabei  auch  geben.  Das  a  priori  besteht  in  den  höchsten 
G^e8etzen,  welche  jede  Intelligenz  beherrschen,  bedingen.  Ahnlich  Natorp, 
A.  Kraübe,  K.  VoblIndek,  Lasswitz,  Windelband:  „Keine  Norm  kommt 
.  .  .  anders  als  durch  empirische  Vermittdungen  zum  Bewußtsein:  ihre  Apriorität 
hat  mit  psgcfiologischer  Priorität  nichts  zu  tun,  ihre  Unbegründbarkeit  ist  nieki 
empirische  Ursprüngliehkeit.  Aber  die  Geschichte  ihres  Entstehens  ist  immer 
nur  diejenige  ihrer  Veranlassungen^^  (Prälud.  S.  284).  Volkelt  unterscheidei 
ein  erkenn  tnis theoretisches  und  ein  psychologisches  a  priori :  „  Unter  jenem  ist 
die  unbex  weifelbare  Tatsaehe  zu  verstehen  j  daß  die  eigentümlichen  Functionen  des 
Denkens  nicht  durch  die  Erfahrung  gegeben  sind;  also  daß  das  Detiken  Leistungen 
vollzieht^  zu  deuten  es  die  Erfahrung  als  solche  nicht  berechtigt^  deren  es  unter 
bloßer  Zugrundelegung  der  Erfahrung  nietnals  fähig  wäre,^*^  ,,Dagegen  will  die 
psychologische  Apriorität  ?nehr  besagest:  sie  hat  den  Sinn,  daß  die  Functionen 
des  Denkens  aus  der  Erfahrung  überhaupt  flicht  entsprungen  sein  können,  daß 
es  neben  der  Erfahrung  besondere  und  ursprüngliche  Functionen  gibt,  deren  In- 
begriff man  eben  als  Denken  bezeichnet*^  (Erf.  u.  Denk.  S.  494).  Beide  Arten 
der  Apriorität  bestehen  wirklich  (L  c.  S.  496).  Die  Gesetzmäßigkeit  des  Den- 
kens imd  seiner  Functionen  ist  apriorisch  (1.  c.  S.  499,  501).  G.  Thiele  ver- 
steht unter  a  priori  so  viel  wie  ,,durch  die  Gesetzmäßigkeit  des  Denkens,  durch 
das  IVe^en  des  Erkenntmsrermögens  .  .  .  bedingt^^  (Phil.  d.  Selbstbew.  S.  16, 
68,  357  f.).  Riehl  betont,  bei  Kant  bezeichne  „a  pri^ri*^  „et»  begriffliches 
(nicht  zeitliches)  Verhältnis  zugehen  zwei  Vorstellungen'^  (Ph.  Kr.  II,  1,  S.  9). 
Das  a  priori  liegt  zuletzt  in  der  Identität  (s.  d.)  des  8elbstbei\i.ißtseins,  die 
sich  in  den  Anschauungs-  und  Denkfonnen  am  unmittelbarsten  betätigt  (1.  c. 
II  1,  S.  103,  78,  I,  S.  3^).  ,flede  Vorstellung  ist  ein  Produet  der  besondem 
Erfahrungen  in  die  Gesetze  der  allgemeinen,  welche  letztere  allein,  erkenntnis- 
theoretisch  genommen,  apriorisch  ist*'  (1.  c.  S.  8). 

Psychologisch  wird  das  a  priori  zmiächst  von  einigen  (partiellen)  Auhängem 
Kants  bestimmt.  Schopenhauer  bemerkt:  „Ijockes  Philosophie  war  die  Kritik 
der  Sinnesfunetionen.  Kant  aber  hat  die  Kritik  der  Gehimfwnctionen  geliefert*^ 
W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  II,  C.  1).  A  priori  =r  die  Art  und  Weise,  „une  der  Proeeß 
ob/ectirer  Apperceptiofi  im  Gehirn  vollzogen  wird"  (L  c.  C.  4).  „  IVenn  man  rom 
Subject  ausgeht,  d.  h.  a  priori'*,  „wenn  man  vom  Object  ausgeht,  d.  h.  a  posteriori^ 
fl.  c.  Bd.  I,  §  17,  vgl.  §  15).  JoH.  MtJLLEK  macht  die  apriorischen  Anschauung»- 


A  priori.  71 

ftHnuen  zu  .eingeborenen  Energien"  (Zur  vergl.  Phys.  d.  Gresichtssinn.  S.  45  ff., 
826).  Helmholtz  neigt  zu  einer  psychologischen  Auffassung  des  a  priori  (Tats. 
d.  W&hm.)  besonders  aber  F.  A.  Lange,  der  behauptet,  das  a  priori  werde 
durch  E^hrung  gefunden  (Gesch.  d.  Mat.  II*,  29 ;  ähnlich  J.  B.  Meyer).  Es 
<iit5priiigt  aus  der  Natur  des  Bewußtseins,  ist  bedingt  durch  die  „psgeko- 
phfsisrhe  OrganisaHon^*  (1.  c.  8.  28).  „i>«f  p^ychophysiscke  Einrichtung,  vermöge 
vfieker  irir  genötigt  sindy  die  Dinge  nach  Raum  ufid  Zeit  anxusciumen,  ist 
jfdenfaiie  rar  alter  Erfahrung  gegeben"  (1.  c.  S.  36). 

Von  Xieht-Kantianem  bestimmen  das  a  priori  psychologisch:  J.  H.  Fichte, 
nach  dem  das  Apriorische  in  „Urgefühlen",  „Urstrebungen",  „unbewußten  Än- 
lagen^^  des  Geistes  besteht   (Anthr.  S.  563).     Fortlage   nennt  a  priori  das, 
was  in   der  Tätigkeit  des  Auffassens  allem  beliebigen  Inhalt  verhergeht  und 
isich  auf  jeden  beliebigen  Inhalt  beziehen  läßt  (Psych.  I,  §  10,  8.  91).    „Aprio- 
rUcke  SehenuUa"  sind  die  „Begriffsformen,   welche  nicht  aus  dem  Vorstellungs- 
inkalt als  solekefHj  sondern  aus  seinem  Verhältnisse  xuar  Tätigkeit  des  Beobaehlers 
stammen**  (1.  c.  8.  91).    Waitz:  „Afe  a  priori  gegeben  kann  .  .  .  ein  Begriff 
mar  betraget  werden^  wenn  er  ein  allgemeines  Oesetx  des  Vorstellungsxusammen- 
Ittmgs   überhaupt  darstellt^  so  daß  geordnetes  Denken  überhaupt  erst  durch  die 
Befolgung  und  in  dem  Maße  der  Befolgung  dieses  Gesetzes  möglich  wird"  (Lehrb. 
i  Psych.  S.  575,  507).    Nach  Volkmann  besteht  die  Apriorität  nur  „in  con- 
ttanten  Beziehungen  der  Vorstellungen,  nicht  in  präformierten  Eigentümlichkeiten 
der  Sinnliehkeit,  sondern  in  dem  formierenden  Mechanismus  der  Wechselwirkung 
der  Vorstellungen^*  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  7).    A.  Spir  versteht  unter  Begriffen 
a  priori    ,, Gesetze  des   Vorstellens,   welche  dem  Subjeete  selbst  von  Anfang  an 
eigen  sind"  (Doik.  u.  Wirkl.  II,  221).    LiPPS  betont:  „Im  menschlichen  Geiste 
findet  sieh  .  .  .  a  priori  nichts  als  er  seWst,  d.  h.  seine  Nalur  und  eigenartige 
Oesetztnäßigkeit**.    „Rein  a  priori  kann  also  nur  das  Urteil  heißen,  das  zwar 
—  wie  Jedes  Urteil  —  Ohjecte  der  Erfahrung  zu  Inhalten  hat,  bei  dem  aber 
das,  was  das   Urteil  macht,  d.  h.  das  Bewußtsein  der  objeetiven  Notwendigkeit 
des  Vorstellens  oder  der  Vorstellungsverbindung,  nur  durch  die  Gesetzmäßigkeit 
des  Geisfes  begründet  ist"  (Gr.  d.  Log.  8.  141).    Es  gibt  8tufen  der  Apriorität 
(L  c.  8.  142).    Bein  a  priori  sind  die  Urteile  über  die  Zeit,  nicht  aber  die  über 
den  Raum  (l.  c.  8.  144).    „Alles  xeiäiehe  Vorstellen  setzt,  ebenso  wie  alles  räum- 
lieke,  eine  solche  ^irsprüngliehe  Beschaffenheit  der  Seele  voraus,  die  ihr  erlaubt 
wler  sie  tmtigt,  unter  gewissen  sonstigen  Bedingungen  die  Zeit-  bezw.  Raumform 
aus  sieh  hervorgehen  zu  lassen  ...    So  ist  auch  das  Farbenempfinden  der  Seele 
a  priori  eigen"  (Gr.  d.  Seele  8.  591  f.)    M.  Benedict:  „Als  ,aprioristisch*  er- 
ifheinen  gewisse  Vorstellungen,  wie  z.  B.  Jene  von  Zeit  und  Raum,  gewisse  Em- 
pfindungen und  Handlungsweisen  nur  insofern,  als  die  Eindrücke  an  die  Mechanik 
der  Xerventätigkeit  gebunden  sind"    (8eelenk.  d.  Mensch.  8.  11  f.)    MÜNSTER- 
BEB6  erklärt,  die  psychophysischen  Dispositionen   seien   gegenüber  dem  wirk- 
lichen Bewußtseinsinhalt  relativ  apriorisch,  indem  sie  die  Fonnen  seines  Zu- 
sammenhanges notwendig  bestimmen.    Im  Gehirn  besteht  eine  gattungsmäßige 
Organisation.    Aber  die   Synthesis  des  Mannigfaltigen   ist  nicht  Function  des 
psyelK^ogischen  Subjects  (Qrdz.  d,  P&ych.  I,  8.  209).     H  8pencer  erklärt  die 
£rkenntnisformen  „als  apriorisch  für  das  Individuum,  aber  als  aposteriorisch 
ßr  die  ganze  Reihe  von  Individuen,  in  der  jenes  nur  das  letzte  Glied  bildet" 
tPsych.  II,  §  332,  8.  193  f.).     Das   Apriorische  des   individuellen  Erkennens 
ist  gftttungsniässig  erworben,   erfahren,   eingeübt,   als   Disposition   ererbt,   fest 


72  A  priori. 

eingewurzelt  (1.  c.  §  208,  S.  487  ff.).  Ähnlicli  auch  Lewes,  Nietzsche, 
Bimmel  und  L.  Stein:  y,Raum  und  Zeit  als  Anscha/u/imgs formen,  di^  zwölf 
Kategorien  ah  Denk-  bexw.  Verknüpfttngsformen  a  priori  nehmen  sieh  bei  Kant 
so  aus,  als  seien  sie  ursprüngliche  und  nicht  melmehr  erworbene  Öehimtätig- 
ketten  des  sich  entwickelnden  Menschengeschlechtes.  Hier  können  wir  unmöglich 
stehen  bleibeti.  Die  gesamte  Entwicklungsgeschichte  %n  der  neueren  Biologie  ist 
ein  einziger  lebendiger  Protest  gegen  diese,  auf  PkUon  hinschielende  Fassung 
des  a  priori.  Soll  Kant  uns  fruchtbar  sein,  so  tnüssen  seine  Wahrheiten  an 
denen  Dancins  gemessen  werden."  „Der  Evolutionisnms  muß  ganx  und  ohne 
Rest  in  den  Kriticisnius  hineingebildet  werden"  (An  d.  Wende  des  Jahrh. 
S.  264). 

Teils  in  rein  logischem,  teils  in  überwi^end  logischem  Sinne  fassen  das 
a  priori  verschiedene  Denker,  die  sich  mehr  oder  weniger  von  Kant  ent- 
fernen. J.  G.  FtCHTE  bestimmt  das  a  priori  als  „ursprüngliche  Bestimmung 
des  Ich'*,  des  „Ich  als  Intelligenx",  und  damit  auch  der  vom  Ich  prodneiertra 
Erkenntnisformen  (Gr.  d.  g.  W.  S.  113).  Ähnlich  Schelling  (Syst.  d. 
tr.  Id.  S.  59  f.).  Das  ganze  Wissen  ist  a  priori,  „insofern  nämlich  das 
Ich  alles  aus  sich  produeiert".  Aber  „insofern  wir  uns  dieses  Produeierens 
nicht  bewußt  sind,  insofern  ist  in  uns  nichts  a  priori,  sondern  edles  a  poste- 
riori" (1.  c.  S.  316).  Ähnlich  E.  v.  HaktmanK',  dem  es  als  erwiesen  gilt, 
daß  die  Erkenntnis  des  a  priori  nicht  selbst  apriorischer  Art  ist  (Kr.  GrundL 
Vorr.  S.  XVI).  A  priori  bedeutet  „vor  FertigsteUung  der  Erfahrung",  „durch 
Abstraetion  aus  der  vollendeten  Erfahrung  isoliert  bewußte*  (1.  c.  S.  125).  Da» 
a  priori  ist  „ein  vom  Unbewußten  Oesetxtes,  das  nur  als  Bestdiat  ins  Beirußt- 
sein  flau"  (Phil.  d.  Unb.»,  S.  275),  es  ist  „die  unbewußte  synthetische  Function'* 
(Kr.  Gr.  S.  157  ff.),  „das  Prius  alles  Bewußtseinsinhalts"  (K&teg,  Vorr.  S.  VIII). 
Die  fertigen  Anschauungs-  und  Denkformen  sind  nicht  apriorisch  (Kr.  Gr. 
S.  146  ff.).  —  Nach  Hegel  kommt  durch  die  apriorische  Gesetzmäßigkeit  des 
Denkens,  die  zugleich  die  des  Seins  ist,  „immanenter  Zusamm&ihang  in  den 
Inhalt  der  Wissenschaften"  (Encykl.  §  81).  In  aller  Erkenntnis  ist  das  „/r«€, 
in  sich  selbst  reflectierte  Denken"  des  a  priori  (1.  c.  §  12).  Schleiermacher 
setzt  das  a  priori  in  die  formende  und  das  Wissen  vereinheitlichende  Denk- 
tätigkeit (Dial.  S.  63,  108,  387).  Trendelenburg  betrachtet  als  das  a  priori 
die  ursprüngliche  „Bewegung"  des  Denkens,  die  schon  Bedingimg  der  Erfahnmg 
ist,  ihr  logisch  vorangeht  (Log.  Unt.  I",  S.  144  ff.).  Es  entwickelt  sich  aus  der 
„ursprünglichen  Tat  des  Denkens''  (L  c.  S.  166  ff.).  Aber  die  apriorischen 
Formen  des  Denkens  sind  nicht  bloß  subjectiv,  sondern  zugleich  objectiv;  in 
den  Kantschen  Beweisen  für  die  Subjectivität  des  Apriorischen  ist  eine  „Lücke" 
(1.  c.  S.  1(Ö  ff.).  LoTZE  erblickt  in  der  Form  der  Bewußtseinstätigkeit  den 
apriorischen  Factor  der  Erkeimtnis,  dessen  Kennzeichen  Notwendigkeit  und 
Allgemeinheit  sind  (Log.  S.  526).  Die  apriorischen  Wahrheiten  drangen  sich 
uns  mit  einer  Überzeugimgskraft  auf,  welche  jeden  Beweis  eigentlich  überflüssig 
macht  (1.  c.  S.  580).  Erkenntnisse  sind  a  priori,  „weil  sie  nicht  durch  Induetion 
oder  Summaiion  aus  ihren  einxelnen  Beispielen  entstehen,  sondern  zuerst  all" 
gemeitigültig  gedacht  werden  utui  so  als  bestimmende  Regeln  diesen  Beispielen 
vorangehen"  (1.  c.  S.  582f.).  Dieses  logische  a  priori  ist  nicht  angeboren,  sondern 
])esteht  darin,  daß  wir  uns  seiner  W^eise  überall  unmittelbar  bewußt  werden 
(1.  c.  S.  580).  Das  „metaphysische"  a  priori  besteht  in  der  Bedingtheit  der 
Erkenntnis    durch    die  psychische  Organisation  (1.  c.   S.  521).     Nach  Froh- 


A  priori.  73 

SCHAUM  KR  ist  anch  die  apriorische  Erkenntnis  „er<<  wi  Naturproeeß  und  durch 
EtUwiMung  der  mensckliehen  Natur  aümählieh  gewonnen^  insofern  aus  Oesetx 
tmi  Formprineip  der  mensehliehe  Oeist  mü  seiner  Erkenntniskraft  in  fVeehsel- 
icirhmg  mit  den  yaturverhäUnissen  sieh  gebildet  hat,  Hiniviederum  ist  auch 
die  sog.  apasteriorisehe  oder  empirische  Erkenntnis  ohne  die  rationale  Begabung 
iks  Geistes  als  Grundlage  nicht  möglieh**  (Mon.  u.  Weltph.  S.  66).  Nach 
C.  GrÖJKDTG  gibt  es  weder  ein  a  posteriori  noch  ein  a  priori,  denn  yydas  eine 
tit  nickt  früher  als  das  anderef  sondern  der  subfecfive  und  der  objective  Factor 
^md  gleichzeitig  in  der  Erkenntnis  verbunden*^  (Syst.  d.  krit.  Philos.  II,  248). 
Xach  B.  Erdmann  ist  jeder  Teil  der  Vorstellungen  (Materie  wie  Form) 
ho  priori,  sofern  die  psgehisehen  Tätigkeiten,  die  sie  erzeugen,  in  Betracht 
kommen;  jeder  dieser  Teile  (tber  ist  zugleich  empirisch  oder  a  posteriori,  so- 
fern auf  die  Bedingungen  gesehen  wird,  uelehe  seine  Auslösung  veranlassen^' 
I Axiome  d.  Geom.  S.  96).  Es  handelt  sich  nui*  um  einen  „Gegensatz  der 
Betraekiungstceise"  (ib.).  Nach  Steinthal  ist  ,Jede  ErkemUnis  zugleich 
npriorisck  und  aposteriorisch,  synthetisch  und  analytische^  (EinL  in  d.  Psych. 
!?.  10).  Nach  SiGWART  ist  „Äpriorität**  der  „Ausdruck  innerer  Notwendigkeit^^ 
z.  B.  dafi  aDes,  was  ist,  ein  Ding  mit  Eigenschaften  und  Tätigkeiten  ist  (Log. 
II',  166).  WiTNDT  verlegt  das  a  priori  in  die  allgemeine  Gesetzmäßigkeit  des 
Denkens  und  seiner  Functionen,  nicht  in  fertige  Begriffe.  „In  uns  liegen  Udig- 
liek  die  allgemeinen  Functionen  des  logischen  Denkens,^^  die  aber  ohne  Wahr- 
nefamimgBinhalt  sich  nicht  betätigen  können.  Alle  Erkenntnisgebilde  sind 
ygfmeinsame  Erzeugnisse  des  'Denkens  und  der  Erfahrungen.  Die  UrsprüngUch- 
kfit  der  Anschauungsformen  imd  die  Apodikticität  der  mathematischen  Axiome 
beruhen  auf  der  Constanz,  Unaufhebbarkeit  dieser  Formen ;  a  priori  sind  sie  nur. 
«crfeni  Zeit  und  Raum  begrifflich  unabhängig  von  jeder  speeiellen  Erfahrimg 
bestimmt  werden  können ;  zugleich  haben  die  Axiome  die  Bedeutung  allgemeinster 
ErfihrungBgesetze  (Syst  d.  Phü.»,  S.  140,  208  ff.;  Phü.  Stud.  XIII;  Log.  I*, 
Jf.  387,  490  ff.).  Die  apriorischen  Bedingungen  jeder  Erfahrung  sind  selbst 
Hnfachste  und  allgemeinste  Erfahrungen  (Log.  I',  S.  435).  Die  Eigenschaften 
von  Raum  und  Zeit  sind  in  ihrer  Eigenart  nicht  deducierbar,  wiewohl  die  An- 
achannngsformen  psychologische  Entwicklungsproducte  sind.  Aber  das  a  priori 
diewr  Formen  li^  doch  erst  in  den  Denkfunctionen,  die  zu  ihrer  Sonderung 
Tom  Empfindungsinhalte  nötigen  (Syst.  d.  Phil.«,  S.  106,  111  ff.;  Phil.  Stud.  VII, 
14  ft,  18  ff.,  21,  XII,  355;  Einf.  in  d.  Philos.  S.  345).  Gegen  Kants  Lehre 
V0D  der  Unabhängigkeit  der  Anschauungsformen  vom  Wahmehmungsinhalt  er- 
hebt W.  begründete  Einwände  (Log.  I*,  S.  482,  48f)  f.,  490  ff.;  vgl.  Axiome). 
Aach  die  Kategorien  (s.  d.)  sind  nicht  apriorisch,  wiewohl  sie  einen  apriorischen 
Fictor,  die  vergleichend -beziehende,  analytisch-synthetische  Denkfimction,  vor- 
!  tnmetzen,  aber  auch  einen  Erfahrungsinhalt,  der  denkend  verarbeitet  wird. 
!  t?CHrpPE  bezeichnet  den  Erfahrungsinhalt  als  aposteriorisch,  „iceü  niemand  im 
I  t*jraus  aus  einem  Grunde  erraten  kann  oder  könnte,  was  es  da  alles  gibV^  (Log. 
ts.  %).  Ausgeschlossen  ist  die  Apriorität  der  Anschauungsformen  dadurch,  daß 
öe  „Elemente  des  Gegebenen"  sind  (1.  c.  S.  84  f.).  „Insofern  aber  auf  Gi-und 
äer  einmal  gewonnenen  Raumanschauung  Erkenntnisse  gemacht  werden  ohne  sich 
*nif  weitere  Wahrnehmungen  zu  stiäxen,  sind  sie  nicht  a  posteriori,  sondern 
iffhen  —  mag  man  auch  den  Ausdruck  a  priori  verabscheuen  —  doch  jedenfalls 
tm  Gegensatz  xu  denjenigen  Erkenntnissen,  welche  immer  nur  auf  Grund 
fpeeidler  Beobachtung  mit  Sinnen  gemacht  werden  könnende  (1.  c.  S.  89).    „Alles, 


74  A  priori. 

was  sich  aus  der  Raum-  und  ZeüansehauMng  ergibt^  gehört  xtir  elementaren 
yotirendigkeit^*  (ib.).  H.  Cornelius  erklärt,  unser  Denken  trage  Notwendigkeit 
und  Gesetzmäßigkeit  in  den  Ablauf  der  Erscheinungen  hinein.  Die  allgemeinsten 
Formen,  welche  das  Begreifen  der  Erscheinungen  nach  Gesetzen  ermöglichen, 
müssen  sich  jederzeit  auf  unsere  Erfahrungen  anwenden  lassen  (Einl.  in  d.  PhiL 
S.  329  f.).  E.  DÜHRING  versteht  unter  dem  a  priori  nichts  als  den  „Inbegriff 
rein  formaler  Satxungen,  denen  kein  besonderer  ErfahrungsinhaU  je  widerspreelten 
kann"  (Neue  Dial,  S.  193).  O.  Caspari  nimmt  eine  Durchdringung  von  Sinn- 
lichkeit und  (relativem)  a  priori  (Idee,  Logischem)  in  der  concret-ästhetischen 
Anschauung  an  (Grund-  u.  Lebensfr.  8.  92).  Nach  Harms  entstehen  die  ursprüng- 
lichen Erkenntnisformen  mit  der  Erfahrung  (Log.  S.  67  ff.,  98  ff.).  —  Auch 
französische  Philosophen,  wie  M.  de  Biran  (Oeuv.  II,  4),  Renoüvier,  eng- 
lische, wie  J.  F.  Ferreer,  Green,  Bradley  u.  a.,  nehmen  irgend  einen  aprio- 
rischen Factor  der  Erkenntnis  (Ich,  allgemeines  Bewußtsein  u.  dgl.)  an. 

Die  Apriorität  von  Erkenn tnisfonnen  leugnen  verschiedene  Philosophen, 
besonders  natürlich  die  ausgesprochenen  Empiristen  und  Sensualisten,  für  die 
alle  Notwendigkeit  und  Allgemeingültigkeit  auf  bloßer  Induction  (s.  d.)  beruht 
imd  nur  relativer  Art  ist.  Nach  G.  E.  Schulze  läßt  sich  das  Notwendigkeits- 
bewußtsein auch  „durch  die  besondere  Art  undWeise,  wie  die  Außendinge  unser 
Gemüt  affieieren  und  Erkenntnis  in  demselben  reranto^^cn",  erklären  (Aenes.  S.  143  f., 
151  f.).  Die  Ableitung  der  Notwendigkeit  und  Allgemeingültigkeit  aus  der 
Natur  des  Bewußtseins  macht  „da^  Dasein  derselben  im  geringsten  nicht  be- 
(/reiflicher  als  eine  Ableihmg  ebenderselben  von  Gegenständen  außer  uns^^  (L  c 
S.  145).  Bardili  meint,  die  Merkmale  des  a  priori,  Allgemeinheit  und  Not- 
wendigkeit, könnten  nicht  erst  in  uns  entstehen,  sondern  müßten  schon  objeetiv 
begründet  sein  (Gr.  d.  erst.  Log.  Vorr.  S.  XV).  Die  Vemunftkritik  nennt  er  eine 
Verbindung  von  Locke  und  Leibniz  (1.  c.  S.  345).  Gegen  die  Apriorität  der  Erk^int- 
nisformen  polemisiert  Herbart  (Allg.  Met.  I,  S.  88).  Beneke  sieht  im  a  priori 
keinen  Gegensatz  zum  Empirischen,  beides  ist  bedingt  durch  die  Gresetzmaßigkeit 
des  Geistes  (Syst.  d.  Log.  I,  S.  1,  73,  271).  Überweg  bekämpft  die  Lehre  von  der 
Apriorität  und  Subjectivität  der  Erkenntnisformen  (Syst  d.  Log.*,  S.  87).  Ein  y^ßprio- 
rische^s"  Element  enthält  jeder  B^riff  nur,  weil  „die  Erkenntnis  des  WesenlUchenin 
den  Difigen  nur  mittelst  der  Erkenntnis  des  Wesentlichen  in  uns  getcofmen 
tcerden  kann"  (1.  c.  S.  129).  Czolbe  meint,  die  Ableitung  der  Notwendigkeit 
der  Axiome  aus  angeborenen  Denkformen,  also  die  Bestimmimg  derselben  als 
a  priori,  sei  keine  Erklänmg,  „da  nicht  einzusehen  ist,  wie  und  weshalb  der  Geist 
die  Qualität  der  Notwendigkeit  besitzen  und  den  Axiomen  mitteilen  soll"  (Gr.  u. 
I^rspr.  d.  m.  Erk.  S.  99).  Das  Notwendige  ist  vielmehr  ..Bestandteil  des  sinn* 
lieh  wahmehtnbaren  mechanischen  Catisaherhältnisses*'^  (1.  c.  S.  104).  E.  Laas 
l>ekämpft  die  für  die  Apriorität  vorgebrachten  Beweisgründe  (Id.  u.  pos.  Erk. 
S.  443  ff.).  „A  priori"  ist  nur  das  Bewußtsein  als  solches  überhaupt  (L  c.  S.  28). 
J.  St.  Mill  leugnet  mit  anderen  Empiristen  (s.  d.),  die  sich  wieder  dem  Hume- 
schen Standpunkt  nähern,  die  Existenz  jeglicher  apriorischer  Erkenntnisformai. 
Die  strenge  Apriorität  der  Anschauungs-  und  Denkformen  bestreitet  G.  Spicker 
(K.,  H.  u.  B.,  S.  61). 

Ein  „praktisches  a  priori"^  das  in  einem  immlttelbar-intuitiv ,  aus  der 
praktischen  Vernunft  entspringenden  Antrieb  zum  Handeln  besteht,  ninunt  im 
Anschluß  an  die  Kantsche  Ethik  (s.  d.)  Kreyenbi^hl  an  (PhiL  Monatsh. 
Bd.  XVIII,  H.  3).    H.  Schwarz  lehrt  einen  „voluntaristischen  Apriorismusr*. 


A  priori  —  Arbeit.  75 


ySieki  die  apriorischen  Regeln  der  Vemunftf  sondern  eigne  apriorische  Normen 
ipolten  i»i  WiUensgebiet  Es  sind  die  Normen  des  analytischen  und  synthetischen 
Vorxiehens"  (PsychoL  d.  WilL  S.  333  ff.;  Gr.  d.  Eth.).  Vgl.  Anbchauungsformen, 
Axiom,  Fonn,  Lumen  naturale,  Kategorien,  Rationalismus,  Baum,  Zeit,  Urteil. 

Apriorisell  s.  A  priori.  Apriorische  Anschauung  s.  Anschauung. 
Apriorische  Begriffe  s.  Kategorien.  Apriorische  Formen  s.  A  priori, 
Form-  Apriorische  Grundsätze  s.  Grundsätze.  Apriorische  Urteile 
*.  Urteile. 

Aprlorlamiiss  Annahme  eines  a  priori  (s.  d.)  im  Erkennen,  Handebi, 
Sthaoen  (logischer,  ethischer,  ästhetischer  Apriorismus). 

ApriorltJlt  =  apriorischer  Charakter,  das  A-priori-(s.  d.)8ein. 

Api^eptosle  {aTt^ocTnataia):  Ungestörtheit,  gehört  zum  glücklichen 
Leben  gemäß  den  Fordenmgen  der  Stoiker  (Alexand.  Aphrod.,  De  an.,  fol.  II, 
154  a). 

Apsyelile:  Unbeseeltheit,  Bewußtlosigkeit. 

JL^Wlllbriiiiii  indifferentiae:  Gleichgewicht  zwischen  zwei  ent- 
gcg^igesetzten  WiUensintentionen ,  Motiven,  Gleichwertigkeit  der  Motive,  so 
dafi  es  zu  keinem  Handeln  kommt.  Die  Annahme  der  Möglichkeit  einer  ab- 
solut freien  Wahl  zwischen  zwei  Möglichkeiten  r=  Äquilibrismus.  Vgl. 
Willensfreiheit 

JL^wIpolleiixs  logische  Gleichgel timg,  wonach  ein  Begriff  oder  Urteil 
zu  einem  andern  von  gleichem  Inhalt,  aber  verschiedener  Form  sich  äquipollent 
verhält.  yyPropositiones  aequipoUentes'^  zuerst  bei  Apuleius  als  Übersetzung 
<le»  GALENschen  iaodwaßiovaat  n^ardaeis  (Prantl,  G.  d.  L.  I,  568,  583:  „pro- 
fumtitmes  aequipoUentes  dicuntur,  quae  alia  enuntiatione  tantundem  possunt,  et 
fiauU  verae  fiimi  aut  simul  falsae  altera  ob  alteram  scilicei**).  Die  Aquipollenz 
wird  auch  von  Psellüs  erörtert  (1,  c.  II,  268).  Chä.  Wolf:  jfludicia  aequi- 
foÜtntia  dieuntur,  quibus  eadem  netto  complexa  respondet"  (Log.  §  278).  — 
AquipoUent  sind  z.  B.  die  Urteile:  „5  ist  entweder  P*  oder  P^^  und  „Wenn  S 
niekt  P«  ist,  so  ist  es  P*"'  (Wündt,  Log.  I,  205). 

.l^nl'valeiim  (Gleichwertigkeit),  physikalische,  ist  der  Ausdruck  für  die 
Erhaltung  der  Energie  der  Ursachen  in  den  Wirkungen,  für  die  Umwandlungs- 
möglichkeit  bestimmter  Quanten  mechanischer  Energie  und  einer  Form  der 
Materie  in  die  gleichen  Quanten  anderer  Energien  oder  anderer  Stoffe.  Vgl. 
Ckusalität,  Energie. 

JL^oItoIk  (gleichbedeutend)  heißen  Namen,  die  doppelsinnig,  zweideutig, 
anbestimmt  sind  („termini  aequivoei^^  im  Gegensatz  zu  den  „univoci^^).  Petrus 
UlsPANUs:  ,yEorum,  quae  praedieantur,  quaedam  sunt  univoea,  quaedam  aequi- 
nea**  (Prantl,  G.  d.  L.  III,  46).  Äquivocation:  Gebrauch  äquivoker  Ter- 
mini, in  der  Philosophie  zu  vermeiden;  dies  betont  besonders  die  Schule 
Beentanos. 

Arbeit  (A  =  pXs):  anstrengende,  auf  einen  Zweck  gerichtete  Tätigkeit, 
Überwindung  eines  Hindernisses.  Die  psychische  Arbeit  besteht  in  der  Uber- 
vindnng  von  Hindernissen,  die  sich  der  psychischen  (logischen,  Willens-)  Be- 
tätigung entg^enstellen.  Die  physikalische  Arbeitsmenge  in  der  Natur  ist 
constant  (.yErhaÜung  der  Arbeit*',  vgl.  Ostwald,  Vorles.  üb.  Naturph.*,  S.  155j. 


76  Arbeit  —  Ars  magna. 


Betreffs  der  psychischen  Arbeit  vgl.  Höfler,  Psych.  Arbeit  1893,  ß.  6  ff., 
MÜNSTERBERG,  Grdz.  d.  Psychol.  I,  277, 

Arbeitsteilung  s.  Differenzierung,  Sociologie. 

Arbltrlam  llbemiii  s.  Wülensfreiheit. 

Areamun  heißt  bei  Paracelbüs  u.  a.  eine  Kraft  des  Archeus  (s.  dL). 
ein  tfCxtrixetum  naiurcte  intertoris  euüisquam"  (Goclen,  Lex.  phil.  p.  165). 

Arebetyps  Urbild,  Urform.  „Mundus  arehetypus*'  =  die  Welt  der  Ur- 
bilder, der  Muster  der  Dinge,  der  Ideen  (s.  d.). 

ArebeuB  (Archaeus,  „Herrscher*)  heißt  nach  Paragelsus  die  lebendige, 
schöpferische,  bildende  Naturkraft,  welche  unbewußt  in  den  Dingen  als  rffabri- 
caior"  (Meteor.  C.  4)  wirkt  (in  den  Elementen  als  „Vuleanua"),  Nach  J.  B. 
VAN  Helmont  ist  der  Archeus  „generattonis  faber  ae  reetor^,  ,/orma  vitolü 
sive  animalis  juxta  imagima  sui  enteUchiam^^  „Constat  Archeus  vero  tx 
conneonone  vitcUis  aurae  veUU  materiae  cum  imagine  semincdi,  quae  est  interiar 
nudeua  spiritaalis  foecundttatem  semmis  continens*'  (Arciieus  faber  4).  M.  MARa 
bestimmt  den  archeus  als  „ri»  et  potestas  animae  per  systema  ideale  limiUäa 
ad  vitcdüer  agendum^^  „idea  operatriXj  formatrtaf^  (Idear.  operatr.  idea  1635, 
p.  414,  418). 

Arebltektonlk  (logische)  nennt  Kant  „die  Ktmsi  der  Syeteme^^  „ctie 
L/ehre  des  Scientifischen  in  unserer  Erkenntnis  überhaupt**»  Sie  g^ort  zur 
Methodenlehre  (Kr.  d.  r.  V.  S.  628).  Sie  ist  nach  Fries  „rfie  Lehre  vom  System 
aller  menschlichen  Wissenschaften**  (Syst  d.  Log.  S.  483).  —  Schopenhauer 
wirft  Kant  „Hang  xur  architektonischen  Symmetrie^*  vor,  die  sich  besonders  in 
der  Bestimmung  der  Zahl  der  Kategorien  (s.  d.)  bekunde. 

Arcbon  (a^x^  s*  Gnosticismus. 

Aretolog^e:  Tugendlehre  (s.  d.). 

Argo»  loifOS  (a^yoe  loyo^)  =:  „pigrum  sophtsma^*  s.  faule  Vernunft. 

Arn^ament  (argumentum):  Beweis  (s.  d.),  Beweisgnmd.  „Argumentum 
dicitur,  quod  arguit  mentem  ad  asseniiendum  aJtieui^^  (Thomas,  Qu.  disp.  de 
verit.  14,  2  ob.  14).  Argumentum  ad  hominem  s.  Ad  hominem.  Argu- 
mentum  e  con sensu  gentium:  Beweis  aus  der  allgemeinen  Übereinstimmung 
der  Denkenden  (s.  Consensus).  „Argumentum  ad  reritafem'*:  objectiver 
Beweis.     „Argumentum  e  contrario**  s.  Beweis. 

Argumentation  s  Beweisführung,  Begründung,  Schlußfolgerung. 

Ar^nmentleren:  beweisen,  begründen,  erschließen. 

Ar§f utlen  :  Spitzf in  d  i  gkeiten . 

Arlstotellf^mnH  s.  Peripatetiker. 

Arrbepsle  (d^^eipin):  Gemütsruhe,  Product  der  inoxri,  Urteilsenthaltiing 
bei  den  Skeptikern  (Diog.  L.  IX,  74).    Vgl.  Ataraxie. 
Ars  comblnatorla  s.  Ars  magna. 

Ars  Invenlendl  s.  Dialektik. 

Ars  ma£:na  (j^große  Kunst**)  nennt  R.  Lüllus  seinen  Versuch,  durch 
Kreise,  auf  denen  die  verschiedensten  Begriffe  verzeichnet  sind,  vermittelst  der 
Drehung   dieser  Kreise,   die  verschiedensten  (Kombinationen   von  Begriffen  und 


77 


damit  eine  Topik  (s.  d.)  derselben  und  eine  ,,8eientia  generalis*^  zu  erhalten. 
JInemotechnisch  hat  dies  einen  gewissen  Wert  Mit  dieser  ,yLullsehen  Kunat^^ 
beschäftigen  sich  besonders  Cobneliüs  Agrippa,  Valehtus,  G.  Bkuno.  Eine 
^n  eomlnnatoria**,  die  Darstellung  der  Wissenschaften  in  emem  abstracten 
Zeichensystem  durch  eine  jjeharaeterisHca  tiniversalia'^y  gilt  Leibniz  als  Desiderat 
(Saar.  Ess.  TV,  eh.  3,  §  18).  Der  mathematische  soll  in  einen  logischen  Calcul 
omgiewandelt  werden,  in  einen  logischen  Algorithmus.  Eine  fyErfindungslamst" 
k\  zu  wünschen,  för  diese  aber  eine  „ars  eafnbinaiaria",  die  alle  möglichen 
Begriffe  erschöpft  Die  ,y8cientia  ffeneralis"  lehrt  die  Methode,  „omnes  alÜM 
Ktaiiüts  ex  datis  suffieterUtbus  mventendi  et  demonstrcmdi"  (Erdm.  p.  86  a; 
TgL  p.  162  a,  b,  163  b)  für  die  einfachsten  Begriffe  imd  die  Verbindungsarten 
der  Begriffe  werden  Zeichen  gesetzt  (vgl.  Trendele»3ürg,  Histor.  Beitr.  zur 
Philos.  III,  1  ff.).  Ghb.  Wou  definiert:  yyÄrs  eharaeteristica  eombinaioria 
at  ars  tUa,  quae  doeet  signa  ad  inveniendum  utüia  et  modum  eadem  eombinandi 
«mmdemqus  eombmationem  eerte  lege  variandi*'  (Psych,  emp.  §  297).  Vgl. 
PiLOTL,  G.  d.  L.  in,  149  ff.;  G.  Frege,  Begriffsschrift  1879.  Vgl.  Algo- 
rithmus. 

Art  (elSoe^  species)  =  Inbegriff  ähnlicher,  venn'andter  Individuen,  deren 
gemeinsame  Merkmale  im  Artbegriff  einheitlich  zusammengefaßt  werden. 
Bei  ABI8TOTEUES  heißen  die  Arten  ra  cag  yivrj  et8i]  (Met.  XIV  5,  1079  b  34). 
ZEXoder  Stoiker  definiert  die  Art  als  das  von  der  Grattung  Umfaßte:  el3os  Se  ian 
ro  v:r6  rov  yivovs  ne^iexQ^urov  (Di<^.  L.  VII,  1,  42).  POBPHYR:  layerai  $e 
aioi  »ai  t6  vno  ro  nnoBod'av  yivoi  (Isag.  1  b,  35).  BofiTHitJS:  yySpecies  —  ea, 
fne  eti  sub  adsignato  genere^'  (Comm.  z.  Isag.  p.  28).  Nach  der  Logik  von 
PoKT- Royal  ist  Art  die  yyidea  communis ,  quae  communiori  et  generaliori 
fnbat^  (I,  6).  Chb.  Wolf:  ,yEntium  singularium  similitudo  est  idy  quod  speciem 
,  itppeüamus''  (Ont.  §  233;  Log.  §  44).  Nach  Kant  heißt  Art  „(fer  niedere  Be- 
pif  w  Ansehung  seines  höheren"  (Log.  S.  150).  —  Der  Nominal  Ismus  (s.  d.) 
lült  die  Arten  für  bloße  subjective  Begriffe,  der  (scholastische)  Realismus 
l?.  d.»  für  objective  Wesenheiten.  Die  Arten  der  Lebewesen  sind  nach  der 
Bibel  ursprünglich  von  Gott  erschaffen.  Linne  halt  die  Arten  für  feste,  ur- 
fnmgliche  Formen,  während  der  Evolutionismus  (Lamarck,  Darwin u.  a.) 
die  Arten  als  Producte  der  Entwicklimg  aus  Varietäten  betrachtet,  einen  Über- 
gang von  Arten  in  andere,  eine  Abstammung  verschiedener  Arten  aus  gemein- 
atmen  Urformen  annimmt.    Vgl.  Gattung,  Evolution,  Specification. 

AaHuu^Jas  Name  einer  arabischen  Philosophensecte. 

AsCitAt  (aseitas,  a  se  esse):  das  Von-sich-selbst-sein,  yjWas  sein  Sein  nicht 
ton  anderswoher  etnpfangen  haf'  (v.  Hartmann,  Kateg.  S.  527).  Damit  wird 
<&  Allgenügsamkeit,  Absolutheit,  vollkommenste  Selbständigkeit  Gottes  von  den 
Scholastikern,  Schopenhauer  (Aseität  des  Willens),  v.  Hartmann  (Aseität 
<^  Unbewußten)  u.  a.  bezeichnet  Gegensatz:  abalietas,  das  Von-anderem- 
«in  (Willmann,  G.  d.  Id.  H,  374). 

Amali  (Ausgestaltung)  =  die  materielle  Welt  (Kab halft). 

Aakeee  (äaxr^aey  Übung):  Buße,  Kasteiung,  Abhärtimg,  Abtötung  der 
Begierden.  In  der  indischen  Philosophie  (als  „to/ww")  =  ein  Mittel  der  Er- 
kenntnis  des  Brahman  (s.  d.),  auch  als  schöpferisches  Princip  gedacht  (Deüsben, 
'Ulg.  Gesch.  d.  Philos.  I,  2,  70  f.).    In  der  Askese  besteht  die  eigentliche  Tugend, 


'8  Askese  —  Assimilation. 


so  auch  den  Lehren  des  Buddhismus  gemäß,  für  den  Askese  ein  Mittel  zur 
Erlösung  vom  individuellen  Dasein  bedeutete  Zur  „Reinigung^*  der  Seele  vom 
Irdischen  verlangen  Askese  die  Neuplatoniker,  die  Essäer,  das  Urchristen- 
tum (und  dessen  Wiederemeuerer  Tolstoi),  die  Mystiker.  Ein  gewisses  Maß 
von  Askese  zum  Zwecke  der  Selbstbeherrschung  fordert  auch  die  Ethik  und 
Pädagogik  (vgl.  Paui^en,  Syst  d.  Eth.  IP,  15  ff.). 

Asomatiseli  (aadfiaTov):  körperlos,  unkörperlich.  So  nennen  die  Stoiker 
das  Leere  {xeror)  und  die  Zeit  (aaoifiarov  Si  ro  olov  re  xaxix^cd'ai  int 6  amuo' 
tiov  ov  xnrexpfisror,  Diog.  L.  AT!I,  1,  70).  8o  auch  Epikur  (L  c.  X,  67). 
BofiTHirs  übersetzt  das  Wort  durch  „tneorporeUü"  (Comm.  z.  Isag.  p.  25). 

Asseriorteeli  heißt  ein  Urteil  von  der  Form  „S  ist  P^,  oder  „:<  iä 
flieht  P'S  in  welchem  schlechthin  etwas  behauptet  oder  verneint  wird. 

Aaslinilations    Verähnlichung,    Umwandlimg  eines  Stoffes  (physio- 
logische Assimilation),  eines  Objects  (logische  Assimilation),  eines  Bewußt- 
Reinsinhaltes  (psychologische  Assimilation).    Durch  die  Assimilation  machen 
wir  uns  etwas  zu  eigen,  wandeln  wir  es  in  einen  Bestandteil  unseres  Ichs  um. 
Die  Scholastiker  führen  die  Erkenntnis  (s.  d.)  auf  eine  Assimilation  zurück. 
Schon  David  von  Dinant  bemerkt:  yyNihü  inteUigit  inteUeetus  nm  per  assp- 
müationem  ad  ipsutn**  (Hauheau  II,  1,  p.  79).   Campanella  erklärt,  das  Wahr- 
nehmen (sentire)  erfolge  „per  assimilationem  seniierUis  cum  aensünli"  (Un.  phil.  1, 5, 
2).  —  Einen  neuen  Begriff  der  Assimilation  b^ründet  Wundt.    Er  nennt  Assi- 
milationen yydiefenigen  simultanen  Associationen  .  .  .,  die  in  der  Verände- 
rung gegebener  psychischer  Gebilde  durch  die  Einwirkung  von  Elementen  anderer 
Gebilde  entstehen"  (Gr.  d.  Psych.  5,  S.  270).   Die  Assimilation  besteht  in  der  Asso- 
ciation zwischen  den  Elementen  gleichartiger  psychischer  Gebilde,  wobei  durch 
eine  neu  in  das  Bewußtsein  tretende  Vorstellung  ältere  Vorstellungseleniente 
mit  neuen  verschmelzen;  die  älteren  Eindrücke  heißen  die  assimilierenden,  die 
neuen  die  assimilierten   Elemente  (Grdz.  d.  ph.  Psych,  II*,  438  ff.;   Vorles.*, 
S.  307  ff.;  Log.  I*,  S.  16  ff.).    Die  entscheidenden  Eigenschaften  der  Assimila- 
tion bestehen  darin,  ,ydaß  sie  1)  aus  einer  Summe  elementarer  Verbindungs- 
Vorgänge  besteht^  d.  h.  solcher y  die  sieh  nicht  auf  Vorstellungsganxe,  sondern  au( 
Vorstellungsbestandteile  bexiehen,  und  (laß  bei  ihr  2)  die  sich  verbindendefi  Ete- 
mente  im  Sinne  einer  wechselseitigen  Assimilation  rerändemd  aufeinander 
einwirken"  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  280).     Die  Assimilation   ist  „eine  namentlich  bei 
der  Bildung  intensiver  und  räumlicher  Vorstellungen  fortwährend  zu  beobachtende 
und  den  Proceß  der  Versehmelxung  ergänzende  Form  der  Assoeiation*^     .,  Am 
deutlichsten  nachweisbar  ist  sie  danUj   wenn  eiftxelne   Componenten  des  Assi- 
milatiansproductes  durch  einen  äußeren  Sinneseindrttek  gegeben  werden,  während 
andere  früher  gehabten   Vorstellungen  angehören.     In  diesem  Falle  läßt  sich  flas 
Stattfindeti  einer  AssimikUion  eben  dadurch  constatieren,  daß  gewisse  Bestand^ 
teile,   die  in  dem  objectiven  Eindruck  fehlen  oder  durch  andere  vertreten  sind, 
nachweisbar  aus  früheren  Vorstellungen  stammen"  (1.  c.  S.  274).    Assimilatioiien 
kommen  vor  besonders  bei  GrehÖrsvorstellungen,  intensiven  Gefühlen,  vorzüglich 
aber  bei  den  räumlichen  Vorstellungen  (1.  c.  S.  274  ff.).     Die  Assimilation 
liegt  auch  dem  Erkennungs-   und  dem  Wiedererkennungsvorgang  (s.  d.)   za- 
grunde.    Der  Wundtsche  Begriff  der  Assimilation  hat  Ähnlichkeit  mit  dem 
Apperceptionsbegriff  (s.  d.)  bei    Herbart.     Die  Assimilation    besteht    nadi 
Hellpach  darin,  „daß  durch  einzelne  Empfindungen  eines  neuen  Sinneseitidruek» 


Assimilation  —  Association.  7^ 

Empfindungen  einer  früheren  Vorstellung  geiceckt  werden  y  und  nun 
ikrtrteiU  auf  die  weckenden  irgendwie  einwirken,  sie  ctssimilieren^^  (Grenzw.  d. 
Psych.  S.  4). 

AsstoteüB  (aseiBtentia),  Beistand  Gottes  (eoneursus  Dei^^J  zur  Ermöglichung 
der  Wechselwirkung  (s,  d.)  zwischen  Seele  und  Leib  (Cartesianer).  „System 
der  Assistenz"  =  Cartesianismus  (s.  d.). 

AiSMOCiabllitAt:  Associationsfahigkeit,  aBsoeiative  Kraft.  Vgl.  Association. 

Asaociatioii  (Vergesellschaftung),  psychologische  =  Verbindung  von  Be- 
wnfitseiiiseleinenten  bei  passiver  Apperception  (s.  d.)  in  verschiedenen  Formen, 
die  man  für  y^Ässociatumsgesetze"  ausgegeben  hat  £s  gibt  einerseits  simul- 
tane und  successive,  anderseits  Berührungs-  und  Gleichheits-  (Ähnlich- 
keits-)  As80ciati(»ien.  Die  Associationen  liegen  allem  Denken  als  Material  zu- 
gnmde,  sind  aber  selbst  noch  kein  Denken  (s.  d.),  können  aber  durch  Übung, 
Mechanisierung  apperceptiver  Verbindungen  (s.  d.)  aus  diesen  hervorgehen.  Bei 
den  Associationen  ist  das  eigentlich  verbindende  (synthetische)  Princip  das 
ifahkod-wollende)  Ich,  die  Einheit  des  Bewußtseins,  aber  ohne  alle  Spontaneität 
Sdbsttädgkeit). 

Die  „Assoeiaiionsgesetxe^^  der  Späteren  sind  schon  bei  Abibtqteles  an- 
gedeutet, der  Ähnlichkeit,  Contrast,  Ck)^i6tenz  und  Succession  als  Verbindimgs- 
pincipioi  bestimmt  (De  insomn.  3).  ''Orar  ow  ava/itfivt}oxf6fie&a,  xivovfisd'a  rcSr 
^^orivwv  Ttva  »ivr,a£tav^  iaae  av  Ktttid'mfuv  fted^  l^v  nXXov  rivoe,  xai  dfp  ouoiov 
i  irarziov    fj    rov    uiveyyvg'    Sia    tovto    yivsrai    ij   dvafiitn^ate   (De    memor.    2), 

Maximiib  von  Tyrus  nimmt  Succession,  Nebeneinander,  inneren  Zusammen- 
hang als  Erijmerungsgrundlagen  an  (Dissert.  16,  7).  Auf  Coexislenz  von  Vor- 
ileUungen  gründet  die  Association  Spinoza:  „6V  corpus  humanuni  a  duobus 
sti  pluribua  eorporihus  sitmü  affeetum  fuerit  semel,  übt  mens  postea  eorum 
ttiquod  imaginabitury  statim  et  aliorum  recordahitwr^^  (£th.  II,  prop.  18).  So 
todi  Maleb&anche  (itech.  II,  23).  Die  Lehre  von  der  yyldeenassociation^^ 
cawoctation  of  ideas)  begriindet  Locke  (Ess.  II,  C  33,  §  5  f.).  Er  kennt  nur 
Berohrungsassociationen  (wie  auch  Hobbes)  und  interpretiert  sie  auch  physio- 
logisch durch  Bewegungsreihen  der  „Ldtensgeister**  (s.  d.),  „oft«,  wenn  sie  ein- 
mal einen  Weg  genommen,  diesen  fortbehaÜen;  durch  das  ofle  Betreten  unrd  er 
zu  einem  glatten  Pfade,  und  die  Bewegung  vollzieht  sieh  so  leicht,  ais  wenn  sie 
eine  naimrliche  wäre"  (L  c.  §  6).  Die  Lehre  erfährt  ihre  Ausbildung  durch 
Habtl£Y.  Die  Ursache  der  Association  besteht  darin,  daß  oft  wiederkehrende 
Wahmehmiingen  Veränderungen  im  G«him  hervorbringen  (Observ.  I,  S.  3,  11). 
jyfVenn  einige  Sensationen  Ä,  B,  C  .  .  .  zureichend  oft  initeinander  associiert 
itntf,  so  erkalten  sie  eme  solche  Gewalt  über  die  ihnen  entsprechenden  Ideeti  a,. 
b,  c  ,  .  .y  daß  eine  dieser  Sensationen  Ä,  wenn  sie  allein  abgedrückt  wird,  ver^ 
mSgend  ist,  b,  c  ,  ,  .  oder  die  Ideen  der  übrigen  SenscUionen  in  der  Seele  hervor- 
uibringen.  Es  sind  aber  Sensationen  associiert,  wenn  ihre  Eindrücke  entweder 
in  dem  Zeitpunkte  oder  in  den  unmittelbar  folgenden  Zeitpunkten  ge- 
(L  c.  S.  14).  Es  gibt  synchronistische  und  successive  Associationen,. 
Anociationen  vom  Teil  aufs  Gkmze,  durch  den  Namen  u.  s.  w.  (1.  c  S.  14  ff.). 
Dorch  Association  entstehen  zusammengesetzte  Ideen  und  Vorstellungsreihen 
(mins)  (L  c.  S.  18).  Physiologisch  wird  die  Association  auch  von  Pmestleit 
and  BoHKET  begründet  Letzterer  führt  sie  auf  die  Leichtigkeit  der  Bepro- 
dnetion  mittelst  der  Anlagen  in  den  Gehimfibem  zurück  (Ess.  de  Psych.  C.  6). 


80  AsBooiation. 


Zum  Princip  des   geistigen  Lebens   macht  die  Association  Hüme,  der  (nebst 
Hartley)  als  Begründer  der  ,,A8soeia4t4^nspayekologie''  (s.  d.)  angesehen  werden 
kann.     Ihm  ist  die  Association   eine  Art  „Anziehung  in  der  geistigen    Wdt^ 
(ähnlich  später  J.  St.  Mill)  (Treat.  I,  sct.  4,  S.  23).    Die  Association  ist  du 
„Princip  des  erleiehterten  Überganges  von  einer  Idee  xur  andern"  (On  pass.  2i. 
Die  jjConnexion  or  association  of  ideas"   ist   das  verknüpfende  Band  der  Vor- 
stellimgen  (1.  c.  S.  21).    Sie  erfolgt  nach  Ähnlichkeit  (i-essemblance),  räumlichem 
oder  zeitlichem  Zusanmiensein  (Berührung,  contiguity  in  time  or  place),  Causalitat 
(cause  and  effect)  (l.  c.  S.  21).     Die   Association   ist  die  Quelle  des  QiumI- 
begriffs  (s.  d.)     An  Hartley  und  Hume  schließen  sich  an  Reid,  Duoald 
Stewart,  Erajbmub  Darwin  (Zoonom.  u.  Tempi,  of  Nat).  James  Mill  sucht 
die  Ahnlichkeitsassociation  aus  der  Association   durch  Berührung   abzuleiten. 
Die   Association   ist   ein  Grundprincip,   eine   jjUitr  of  inseparable  association^ 
(„law  of  frequency")  (Anal,  of  the  Phenom.).    Th.  Brown,  der  die  Association 
dem  Begriffe  jjsimple  Suggestion"  unterordnet,  anerkennt  nur  ein  AasociationB- 
gesetz.    J.  St.  Mill  setzt  das  Associationsgesetz  dem  Gravitationsgesetz  an  Be- 
deutung gleich  und   spricht  von  einer  „psychischen  Chemie",  vermöge  deren 
durch    die   Verbindung    von    Vorstellungen    neue    entstehen    (Ezam.  p.   190l 
A.  Bain  nimmt  zwei  Grundformen  der  Association  an:  durch  Contiguitat  und 
Bimilarität.   Er  unterscheidet  einfache  und  zusammengesetzte,  sowie  „constructimr 
Associationen.     Die  „law  of  contiguity"  lautet:  „ActionSy  sensations  and  states 
offeelingy  occurring  togefher  or  in  dose  Suggestion,  tend  to  grotc  togetheTy  or  cohere^ 
in  such  a  icay  that,  when  any  one  of  them   is  afterward  presented  to  the  mindj 
the  others  are  apt  to  he  brought  up  in  idea"  (Sens.  and  Int.',  p.  327  fL;  ak 
„Oeseix  der  Ordnung"  schon  bei  Platner,  als  „Princip  der  identischen  Reihen- 
folge" bei  Liebmann,  Analys.  d.  Wirkl.«,  S.  449);  H.  Spencer  erklärt,  „wenn 
irgefvd  xi/m  psychische  Zustände  in  unmitteitharer  Aufeinanderfolge  auftreten,  so 
wird  eine  derartige  Wirkung  hervorgebrachty  daß,  sotnüd  später  der  erste  Zustand 
wiederkehrt,  eine  bestimmte  Tendenx  wirksam  ist,  aiith  den  xw-eiten  darauf  folgen 
XU  lassen"  (Psychol.  §  189,  S.  443).    Die  Ck)ntiguität  löst  sich  auf  in  Ähnlich- 
keit der  Beziehung,  im  Raum  oder  in  der  Zeit  oder  in  beiden  (1.  c.  §  111  ff.. 
120,  S.  279).    8UT.LY  (Handb.  d.  Pöychol.  S.  165  ff.),  Ladd  betonen  die  Contigui- 
tat als  associatives  Gnmdgesetz.     Baldwin  stellt  ein   „Gesetz  der  OorrehÜott* 
auf  (Handb.  of  Psychol.  I,  201).    James  b^ründet  die  Association  physiologiadi 
durch  die  „/<Mr  of  neural  kabit^^  (Princ.  of  Psychol.  I,  553  ff.,  566)  und  betont, 
Association  finde  nur  zwischen  Vorstellungs dementen  (Empfindungen)  statt  (L  c 
S.  591  ff.;   so  auch  Wundt,  s.  unt,  und  Villa,  Einl.  in  d.  Pöychol.  S.  M7}. 
James  ist  Gregner  des  Associationismus.  —  Im  Gegensatze  zur  Associationspsycho- 
logie  betont  Hamilton  die  Activität  des  Ich.    Er  führt  die  Associationsgesetse 
auf  eine  „law  of  redintegraiion"  zurück,  nach  welcher  VorsteUimgen,  die  Teile 
eines  Zusammenhangs  bildeten,  die  Tendenz  haben,  einander  zu  rcprodttcieren. 
Vgl  HODGSON,  PhiL  of  Reflect.  I,  283  ff. 

Die  englische  Associationspsychologie  hat  die  deutsche  (und  französische 
Psychologie)  stark  beeinflußt  Wir  betrachten  hier  erst  die  Bestinmiungen  des 
Associationsbegriffes  vor  dem  Auftreten  der  eigentlichen  Associationspsychologie. 
Chr.  Wolf:  „Si  quae  semel  percepimus  et  unius  perceptio  dermo  produeaiur  .  .  ., 
imaginaiio  producü  et  perceptionem  aUerius"  (Psych,  emp.  §  104).  Das  „Oesetx 
der  Totalitäi^^  (Beproduction  eines  Ck)mplexe8  durch  seine  Teile)  wird  schon  vcm 
Wolf  ausgesprochen.    Nach  Tetenb  ist  die  Association  ein  Gesetz  der  Phantasie 


AsBOciation.  81 


und  der  Beproduction  der  VorsteUungen  (Phil.  Vers.  I,  751).  M.  Herz  findet 
dai  Grund  der  Association  in  der  „Fertigkeiij  welche  jede  Kraftäußerung  auf  der 
i^eüe  m  der  Seele  erzeugt,  dieselbe  Tätigkeit  mit  minderer  Anstrengung  und  folg- 
iiek  unter  kleinerer  Weile  xu  triederholen^^  (Vers.  üb.  den  Schwindel  1791,  S.  124). 
Käst  nennt  die  Association  den  ^^subjeetiven  und  efMpirisehen  Grund  der  Be- 
produeHon  nach  Regeln**  (Kr.  d.  r.  V.  S.  131).  y.Das  Oesetx  der  Association 
ist:  Empirische  Vorstellungen,  die  einander  oft  folgten,  beicirkefi  eine  Angewohn- 
keä  im  Öemütc,  irenn  die  eine  erzeugt  tcird,  die  andere  auch  efitstehen  xu  lassen** 
Anthr.  I,  §  29).  Platner  nimmt  Ähnlichkeit,  Gleichzeitigkeit,  Ordnmig  als 
.Vfimciationsprincipien  an  (Ph.  Aphor.  I,  §  350  ff.),  Maas  Coexistenz  (Vers.  üb. 
<l.  Einbild.  1797,  S.  445);  er  erklärt  (wie  Irwing)  die  Association  physiologisch. 
FsiBB  versteht  unter  Association  die  „  Wiederterstärkung  der  geistigen  Tätigkeiten 
flurtk  ihre  Beigesellung**  und  erklart  sie  aus  der  Einheit  des  Lebens  un4  Be- 
wofiiseins  (Syst.  d.  Log.  S.  56).  Ihr  Gesetz  ist  das  der  „Belehung  unseres  ganxe^i 
Innern  dttreh  die  erkühie  Tätigkeit  eines  einzigen  Teils**  (Neue  Kr.  I,  159).  Nach 
HfißEL  ist  die  Association  der  Vorstellungen  als  „Subsumtion  der  einzelnen 
taUer  eine  allgemeine,  tifslche  deren  Zusammenhang  ausmacht,  xu  fassen**  (Encykl. 
;^  456).  —  Herbart  bringt  die  Association  in  Beziehung  zum  Begriffe  unmittel- 
harer  und  mittelbarer  Beproduction  (s.  d.)  und  zu  dem  der  „Reihen**  (s.  d.). 
Xach  Shteikthal  ist  Association  „nur  ein  Verhältnis  des  Beunißtwerdens,  I^eihifig 
Her  Beipußtheit,  nävilieh  die  durch  eine  andere,  beu^ißte  Vorstellung  vermittelte 
Erhebung  eifier  Vorstellung  zur  Hohe  des  Beurußtseins**  (Einl.  in  d.  Psych, 
r».  141 1.  —  J.  H.  Fichte  findet  in  der  Vorstellungsassociation  nur  die  Wirkung 
der  aneignenden  Vorstellungstätigkeit  des  Geistes  (Psych.  I,  437  ff.).  Nur  eüi 
A«oeiationsgesetz  gibt  es.  „  Vorstedlungen,  trclclie . . .  derselben  Vorstellungsreihe  an- 
yharen^  erneuern  sich  gemeinsam,  icenn  eine  aus  der  Reihe  . . .  reprodueiert  icird^* 
L  c.  I,  437).  CzoLBE  bemerkt,  daß  der  Cöntrast  als  Associationsprincip  w^en 
«ier  in  ihm  liegenden  Ähnlichkeit  (,jdie  Extretne  berühren  sich**)  wirkt  (Gr.  u. 
Urnpr.  d.  m.  Erk.  S.  223).  Lotze  erklart  Association  als  „das  gegenseitige 
Haften  der  Eindrücke  aneinander**  (Mikrok.  I,  235).  Lipps:  „Um  Dispositionen 
•H  erregen,  müssen  Vorstellungen  daxu  in  geeigneten  Verhältnissen  oder  Be- 
xiehungen  stehen.  Wir  bezeichnen  diese  Verhältnisse  oder  Beziehungen  als  Asso- 
eiaHcnen**  (Gr.  d.  SeeL  S.  96).  Es  gibt  „ursprüngliche**  und  „getrordene** 
.VflBociationen.  Die  Principien  derselben  sind  Ähnlichkeit  (Ck)ntrast)  und  Gleich- 
seitigkeit (1.  c.  S.  96  ff.).  HoRWicz  betrachtet  die  Association  als  Urphänomen 
d«  Zusammenhangs  psychischer  Vorgange  (Psych.  Anal.  I,  281,  369  f.).  Jede 
ittociation  ist  ursprünglich  die  Verknüpfung  eines  Triebes  mit  einer  Empfin- 
«iangy  Bewegungsassociation  (1.  c.  II,  16S  f.).  Ziehen  definiert  die  Association 
ib  y^Vorgang  der  Aneinanderreikung  der  Vorstellungen**  (Leitf.  d.  ph.  Psych.*, 
?*.  140).  Ihr  Grundgesetz  lautet:  ,fJede  Vorstellung  mft  als  ihre  Nachfolgerin 
*^tweder  eine  Vorstellung  hervor,  icelche  ihr  inhaltlich  ähnlich  ist,  oder  eine 
yorstellung,  mit  welcher  sie  oft  gleichzeitig  aufgetreten  ist.  Die  Association  der 
ersten  Art  bezeichnet  man  auch  als  innere,  die  der  xtceiten  auch  als  äußere 
Association**  (1.  c.  S.  144).  Ziehen  ist  ausgesprochener  Associationspsycholog. 
Früher  war  dies  auch  MfJNSTERBERO,  der  jetzt  eine  (vermittelnde)  „Actione- 
ikeori^*  aofetellt  (s.  Apperceptionspsychologie).  Jgdl  dehnt  den  Begriff  der 
Asaociation  auf  alle  Bewußtseinsphanomene  aus.  „  Von  jedem  erregten  Teile  des 
BeKußt9eins  pftanxi  sieh  die  Erregung  stets  auf  di^enigen  unbewußten  Elemente 
f»ty  wdehe  am  stärksten  mit  demselben  verbunden  oder  eins  sind.    Diesem  Gesetze 

FbnoiopbiMbea  WOrterbaoh.    2.  Aufl.  6 


S2  Association. 


gemäß  bexeichnet  man  die  Wiederbringwig  des  einen  Bewußieemsdemente  du/^ 
das  andere  auch  ais  Association.^"  Es  gibt  Ahnlichkeits-  und  Berühnings-Assoi 
ciationen  (Lehrb.  der  Psych.  S.  476  f.). 

HÖFFDINO  entfernt  sich  schon  von  der  reinen  A8sociati<Mifip6ych0logie,  indea 
er  eine  synthetische  Tätigkeit  des  Bewußtseins  annimmt  Das  Gefühl  und  dann 
auch  der  Trieb,  der  Wille  erweist  sich  bei  der  Association  mit  wirksam  (Psych.* 
8.  445  ff.).  Die  Associationen  erfolgen  (besonders)  nach  Ähnlichkeit^  (auch  nacb 
Berührung,  Verhältnis  von  Teil  und  Ghinzem  (1.  c.  S.  208  ff.;  Vierteljahrsscfai 
f.  w.  Ph.  Bd.  13—14;  Phil.  Stud.  Bd.  V);  dagegen  erkennt  A.  Lehmann  nm 
das  Berührungs-Prineip  an  (Phil.  Stud.  Bd.  VII— VTII).  Ziegler  betrachte 
als  das  yyBestimmende  und  Ausschlaggebende^^  der  Association  das  Gefühl  (D 
Gef.*,  S.  152).  *  „Solche  Vorstellungen  werden  reprodudert,  wdehe  mit  unser* 
jeweijfgen  Stimmungen  und  Oefühlen  harmcniereny  dadurch  selbst  Oefiihleutr 
erhalten  und  durch  diesen  sieh  eben  jetxt  den  EiniriU  in  das  Bewußtsein  er' 
xwingen.  Und  fürs  zweite:  Was  einnuil  zusammen  unser  Lüeresse  erregt  hat 
uns  angenehm  oder  unangenehm  war,  das  kehrt  auch  xustmtmen  wieder*^  (L  e 
H.  151).  Ähnlich  Wikdelband.  „In  dem  Turniere  des  Sedenkbens  sind  dm 
Vorstellungen  nur  die  Masken,  hinter  denen  sieh  die  wahren  Streiter,  die  Ge* 
fühle y  vor  dem  Auge  des  Bewußtseins  verbergen^^  (Prälud.  8.  190  ff.).  Auf  da 
Willen  führt  die  Association  schon  Schopenhauer  zurück:  „Was  aber  dm 
Oesamtorganisaiion  selbst  .  .  .  m  IHiigkeit  versetzt  y  ist  in  letzter  Instanz  odn 
im  Geheimen  unsers  Innern  der  Wille**  (W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  II,  C.  14).  Di« 
Association  beruht  y^entweder  auf  einem  Verhältnis  von  Grund  und  Folge  .  . 
oder  aber  auf  Ähnlichkeit  y  auch  bloßer  Analogie;  oder  endlieh  auf  Oleieh- 
zeitigkeä  .  .  .,  welche  wieder  in  der  räumliehen  Nachbarspliafl  ihren  Grund  habet^ 
kann'^  (ib.).  O.  Liebmann  ist  Gegner  der  Associationspsychologie  (AnaL  d 
Wirkl.*,  8.  466,  vgl.  S.  435  ff.),  auch  L.  Busse.  Renouyier  führt  die  Associatioi 
auf  die  Gewohnheit,  die  y^loi  de  l*habitude^%  zurück  (Nouv.  Monadol.  p.  83  f.) 
Nach  £.  y.  Hartmann  fällt  der  Associationsvorgang  als  causaler  Proceß  in 
bewußtseinstranscendente  Gebiet  (Mod.  Psych.).  Materielle  und  psychische  Ur 
Sachen  cooperieren  dabei  (Ph.  d.  Unb.'",  I,  245  f.,  III,  101  ff.).  Die  psychischi 
Ursache  ist  in  den  Interessen  und  Willensrichtungen,  welche  der  Auswahl  de 
Vorstellungen  bestimmte  Ziele  stecken,  zu  suchen  (1.  c.  I,  246  f.,  III,  123  f.) 
Die  bewußte  Vorstellung  wirkt  nur  als  Motiv  mit,  welches  den  Willen  zui 
Production  einer  anderen  Vorstellung  auslöst  (Mod.  Psych.  S.  133).  Dazi 
kommen  moleculare  Gehimdispositionen,  körperlich  bedingte  Stimmungen  (Ph.  d 
Unb.*^  I,  245  f.,  III,  101  f.).  Die  physiologische  Associationstheorie  y/iat  daris 
Recht,  daß  die  Regelmäßigkeit  in  dem  unmittelbaren  Zusammenhang  dei 
Bewußtseinsinhalte  nur  ein  passives  Ergebnis  aus  gesetzmäßigen  Vorgänffe* 
ist,  die  sieh  hinter  dem  Bewußtsein  abspielen,  und  daß  ein  wesentlicher  Facta 
des  gegebenen  Products  in  der  physiologischen  Grundlage  des  bewußte» 
Geistes  zu  suchen  ist;  aber  sie  hat  unrecht,  indem  sie  einen  Factor  für  dm 
Gesamtheit  der  Factoren  hält  und  aus  ihm  allein  das  Produet  erklären  tpüt 
(Mod.  Psych.  8.  171). 

WuNPT  betont  zunächst,  jydaß  den  gewöhnlieh  allein  so  genannten  Asso- 
ciationen zusammengesetxter  Vorstellungen  elementarere  AssociaHonsprocesm 
ztcischen  ihren  Bestandteilen  vorausgehen"  und  daß  die  gewöhnlichen  Associatio- 
nen „nur  die  complexen  Producte  solcher  elementarer  Associationen  sein  könnend 
(Gr.  d.  Psych.',  8.  269).    „Mit  dieser  doppelten  Folgerung  schtcindet  dann  zugleicA 


Aaaooiation.  83 

]ßede  Bereehügungy  di^enigen  elemeniaren  Verbindungen^  deren  Produete  nickt 
^uecesnpej  sondern  simüUane  Vorstellungen  sind,  von  dem  Begriff  der  Association 
mehliefien,  und  ebenso  liegt  durchaus  kein  Orund  für  die  Beschränkung 
Begriffs  auf  die  Vorstellungsproeesse  vor"  (ib.).  Die  simultanen  Abso- 
ionen  sind:  die  VerBchmelzung,  die  Assimilation,  die  Complication  (s.  d.  a.). 
successive  Association  unterscheidet  sich  von  der  simultanen  ,ynur  durch 
Nebenbedingung  f  daß  der  Verbindungsvorgang ,  welcher  dort  in  einem  xeülich 
die  unmittelbare  Beobachtung  unteilbaren  Acte  vor  sich  geht,  hier  eine  Ver- 
zögerung erfahrt,  vermöge  deren  er  sich  deutlich  in  xwei  Acte  sondert.  Der 
fTste  dieser  Acte  entspricht  dem  Auftreten  der  reproducierenden,  der 
fxeite  dem  der  reproducierten  Ekmente^*  (1.  c.  8.  283).  Seltener  kommt 
zu  einer  ganzen  Associationsreihe  (1.  c.  8.  284).  Die  successiven 
jAfsociationea  li^en  den  sinnlichen  Wiedererkennungs-  und  Erkennungsvor- 
|iogen  (8.  d.)  sowie  den  Elrinnerungsvorgängen  (s.  d.)  zugrunde  („Erinnerungs- 
$uoeiation").  Die  „mittelbare  Association"  ist  nicht  principiell  von  den  ge- 
irdhnlich«!  Associationen  unterschieden.  Nur  kann  die  Vermittlimg  unter 
^bewußt  oder  bewußt  erfolgen;  im  ersten  Falle  hat  man  es  mit  ,jUUenten 
AssoeiaHonen"  zu  tun  (1.  c.  8.  291  f.;  vgl.  8criptube,  Phil.  Stud.  VII,  Cordes, 
RiiL  Stud.  XVII).  Die  sogenannten  Associationsgesetze  sind  nichts  als  all- 
gemeine Klassen  von  Verbindungen  elementarer  Associationen  (Log.  II^  2, 
Sl  159  f.),  ihre  Schemata  sind  teils  unzutreffend,  teils  viel  zu  allgemein  und 
labestimmt  (Gr.  d.  Psych.^,  8.  294).  „Qeht  man  auf  die  elementaren  Processe 
uiruety  m  die  sieh  hierbei  der  Erinnerungs-  wie  jeder  xusammengesetxte  Asso- 
tietioHsvorgang  zerlegen  läßt,  so  ergeben  sieh  als  solche  stets  Oleichheits-  und 
Berührung  SV  er  bindungen"  (l.  c.  8.  293).  Der  Ausdruck  „Aknlichkeiis- 
SMsoeialion^'^  ist  unpassend,   „weil  vor  allen  Dingen  gleiche  Elementarprocesse 

CtmUierend  aufeinander  einwirken"  (1.  c.  8.  294).  Je  nachdem  die  Gleich- 
ts-  oder  die  Berührungsverbindungen  überwiegen,  entstehen  zusammengesetzte 
Ahnliefakeits-  (Gleichheits-)  imd  Berührungsassociationen.  Die  Gleichheit  wirkt 
■nmittelbar,  die  Berührung  mittelbar  (Log.  I«,  8.  25  f.;  Vorles.«,  8.  316  ff.; 
ßrdz.  d.  ph.  Pisych.  II*,  8.  454,  466  ff.;.  Da  den  Associationen  Verbindungen 
ccDtraler   Innervationsvorgänge   „parallel"    gehen,    so   sind   alle  Associationen 

rychophysische  Vorgänge  (Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  8.  474  f.;  Log.  I', 
27).  Die  Associationen  werden  als  „passive  Erlebnisse^*  aufgefaßt.  „Denn 
ftir  die  Willens-  und  Aufmerksamkeitsvorgänge  charakteristische  lütigkeits- 
greift  immer  nur  in  der  Weise  in  sie  ein,  daß  es  bei  der  Apperception 
psychischer  Inhalte  an  die  bereits  gebildeten  Verbindungen  sich 
iß/W"  (Gr.  d.  Psych.*,  8.  301).  Die  Associationen  sind  diejenigen  Ver- 
ungen  v(hi  Bewußtseinsinhalten,  die  sich  „bei  passivem  Zustande  der  Auf- 
*  bilden  (Vorles.*,  8.  306;  Log.  I*,  8.  13).  Doch  liegt  ihnen  schon 
4a  Wüle,  aber  nur  in  der  einfachen,  triebmäßigen  Form  zugrunde,  sie  sind 
Triebvorgänge  (Vorles.*,  8.  338;  Syst.  d.  Phil.*,  8.  583).  Erst  die  Apper- 
ception (s.  d.)  aber  reguliert  den  Associationsverlauf  zur  planmäßig  geistigen 
iTiti^eit  —  KCtlpe  gibt  eine  Kritik  der  überkommenen  Associationsldire 
^Qr.  d.  Psych.  8.  191  f.).  Das  „Oesetx  der  Association**  besagt  allgemem  nur, 
\,^kifl  zwei  Vorstellungen  a  und  b  unter  gewissen  Umständen  eine  solche  Ver- 
bindung miteinander  eingehen,  daß  das  Auftreten  der  einen  von  ihnen  (a)  die  Re- 
proiuetion  der  andern  (b)  bewirket*  (1.  c.  8.  191).  Mehrfach  versteht  man  unter 
Association  „nicht  eine  Bedingung  der  Association,  sondern  diese  selbst*  (1.  c.  8. 198). 

6* 


84  AsBooiation  —  Assooiationapsychologie. 


Külpc  formuliert:  „Empfindungen,  die  einmcU  im  Bewußtsein  zusammen  traren, 
begründen  eine  Tendenz  xur  Reprodtietion  in  dem  Sinne,  daß,  wenn  die  eine  vcn 
ihnen  tcieder  erregt  wird,  auch  eine  der  andern  ähnliche  zu  entstehen  pflegt" 
(1.  c.  S.  2(12).  Die  Stärke  der  Reprodiictionstendenz  hängt  ab  „von  der  eine 
einheitlieJie  Auffassung  und  Beurteilung  erleichternden  oder  erschwerenden  Art 
des  Zusammenhangs,  der  Verbindung  der  Empfindungen  im  Betrußtsein" 
(1.  c.  S.  202  f.).  Eine  ganze  Reihe  von  Bedingungen  bestimmt  den  Grad  der 
Reproductionstendenz  (1.  c.  Ö.  203  ff.).  Was  man  sonst  Association  nennt,  be- 
zeichnet Külpe  als  „empirisch  motivierte  Reproducfion*'  (1.  c.  S.  206).  An 
WiTJDT  schließt  sich  genau  an  Hellpach  (Grenz^nss,  d.  Psych.  S.  3  ff.),  wäh- 
rend Hughes  (Mim.  d.  Mensch.)  noch  stärker  den  Wilienscharakter  auch  des 
associativen  Geschehens  betont.  Nach  H.  Cornelius  sind  die  Associationd- 
gesetze  „notwendige  Folgen  der  Bedingungen  .  .  .,  ohne  welche  die  Einheit  unseres 
Bewußtseins  nicht  gedacht  werden  kann**  (Einl.  in  d.  Phil.  S.  204).  Von  ver- 
schiedenen Associationen  in  Bezug  auf  denselben  Inhalt  ist  ceteris  paribus 
diejenige  die  wahrscheinlichste,  welche  mehr  eingeübt  ist  (1.  c.  S.  228).  Sowohl 
das  Gesetz  der  Berührungs-  als  das  der  Ahnlichkeitsassociation  sind  „Oonse- 
quenxen  der  Factoren,  ohne  weiche  auch  der  einfachste  Fall  einJieitlichen  Be- 
lüußtseinsverlaufes  nicht  einmal  gedacht  werden  kann-*  (1.  c.  S.  231;  vgL  Psych. 
S.  38  ff.).  Ebbin GHAU8  erklärt :  „  Wenn  beliebige  seelische  Gebilde  einmal  gleich- 
xeitig  oder  in  naher  Aufeinanderfolge  das  Bewußtsein  erfüllt  haben,  so  ruft 
hinterher  die  Wiederkehr  einiger  Glieder  des  frisieren  Erlebnisses  Vorstellungen 
auch  der  übrigen  Glieder  hervor,  ohne  daß  für  sie  die  ursprüngliehen  Ursachen 
gegeben  zu  sein  brauchen*^  (Gr.  d.  Psychol.  I,  S.  607).  ,yDie  Seele  erweitert  und 
bereicliert  jederzeit  das  unmittelbar  Gegebene  auf  Grund  früherer  Erfahrungen: 
sie  stellt  fortwährend,  soweit  sie  es  durch  VorsteUinigen  vermag,  die  umfassenderen 
Verbände  und  größeren  Einliciten  wieder  her,  in  denen  sie  das  gegenwärtig  frag- 
mentarisch und  lückenhaft  in  ihr  Hervorgerufene  früher  erlebt  hat**  (1.  c.  S.  607). 
Nach  Rehmke  kann  Gleichheit  nur  als  Ähnlichkeit  reproducierend  wirken  und 
das  „Aneinander*'  nicht  ohne  Gleichheit  der  reproducierenden  Vorstellung 
(Lehrb.  d.  allg.  Psych.  S.  291).  W.  Jerusalem  nennt  den  Vorstellungsverlauf, 
insofern  er  durch  frühere  Erfahrungen  allein  bestimmt  wird,  den  „associativen 
Verlauf*  (Lehrb.  d.  Psych.',  S.  73).  Er  ist  aber  schon  eine  Abstraction  (ib.). 
Es  gibt  Associationen  durch  Berührung  und  durch  Ähnlichkeit  (1.  c.  S.  74 1. 
Nach  L.  Stein  sind  schon  Associationsbahnen  ,4urch  Vererbung  übertragen  und 
durch  Selection  verschärft  und  verfeinert**  (An  d.  Wende  d.  Jahrh.  S.  27).  Vgl. 
über  Association:  Mind,  Vol.  X  u.  XII.    Vgl.  Erinnerung,  Eeproduction. 

AssoelatlonlHinnii»:  Associationspsychologie  (s.  d.). 

ABSOcIations^eentren  (drei)  nimmt  Flechsig  außer  den  Sinnescentreii 
an,  als  Centren  der  Verarbeitung  der  Sinneseindrücke  und  der  Co-agitation 
(„Cogitationscentren**).  Sie  sind  die  physiologischen  Unterlagen  der  Association, 
des  Gedächtnisses,  des  Urteilens,  Schließens  u.  s.  w.  Es  gibt  angeblich  ein 
vorderes,  mittleres,  hinteres  Associationscentrum,  jedes  ist  ein  „Denkorgan**  (Geh. 
u.  Seele).    Dagegen  u.  a.  Hellpach  (#tenzw.  d.  Psych.  S.  73  ff.). 

AHf^odatlonfsgpesetze  s.  Association. 

AM^oolationspsyeliolog^e  (Association ismus)  heißt  jene  psychologische 
Richtmig,  welche  die  Association  als  Princip  aller  seelischen  Verbindungen  be- 
trachtet  und   die  alles  Denken,   alle  höheren  geistigen  Vorgänge  aus  blofien 


Aflsociationspsychologie  —  Ästhetik.  85 

Aasociationen  ableiten  will.  Sie  tritt  bald  physiologisch  (psychophysisch),  bald 
rem  psychologisch  auf.  Gegensatz:  Vermögenspsychologie  (s.  d.),  Apperceptions- 
pFTchoLogie  (s.  d.),  Actionspsychologie  (s.  d.).  H.  Corneliub  betont,  die 
•Schwächen  der  Assoeiationspsycholc^e  seien  da  auffällig,  wo  es  sich  lun  die  Er- 
klärung derjenigen  Tatsachen  handelt,  für  deren  Zustandekommen  ^^der  Zu- 
mmmenhang  unserer  Erlebnisse  xur  Einheit  des  Bewußtseins  maßgebend  ist** 
EinL  in  d.  Phü.  S.  192). 

Afi«ociatioii8tbeorle  s.  Association. 

ABMieiatlonszeiten  =  Dauer,  deren  das  Zustandekommen  von  Asso- 
ciationen bedarf  (vgl.  Phü.  Stiid.  I). 

AaeoetatiTe  Nyntliese  nennt  Wundt  die  „Versekmelxung  elementarer 
Empfindungen  zu  Vorstellungen**  (^g-  I«  10). 

AjMoelative  Verblndniifi^eii  s.  Association  (Wündt). 

Aasoeiativer  Factor  s.  Ästhetik. 

As8€ieiatiTer  Verlauf  s.  Association  (Jerusalem). 

Asilieiiiseli  s.  Affect. 

Aatlietik  heißt  die  Wissenschaft  vom  Ästhetischen  (s.  d.),  von  dem,  was 
unmittelbar  und  beziehungslos,  um  seiner  selbst  willen  (uninteressiert),  in  der 
anschaulichen  Erfassung,  gefällt;  ästhetisch  (schön)  ist,  was  den  Willen  zum 
iScfaaaen,  zur  lebendigen,  anschaulichen,  dem  Ich  angemessenen,  einheitlichen 
Zosammoifflssung  einer  Mannigfaltigkeit  von  Inhalten  befriedigt,  was  die  Seele 
aa  wohlgeordneten  Anwendung  aller  ihrer  Grundfunctionen  anregt.  Das  (dem 
Objeet  and  dem  Ich)  angemessene  Verhältnis  von  Form  imd  Inhalt  verschafft 
den  ästhetischen  G^iuß.  Die  Ästhetik  gibt  Aufschluß  über  das  Wesen  des 
AsUietischen  (des  Schönen  u.  s.  w.),  sie  analysiert  es,  forscht  nach  den  Be- 
dingungen ästhetischen  Genießens  und  Schaffens  sowie  nach  der  Bedeutung 
des  Ästhetischen,  der  Kunst  in  biologischer,  psychologischer,  rein  künstlerischer, 
culturell-socialo'  imd  allgemein  philosophischer  Hinsicht.  Die  Ästhetik  muß 
empirisch  begründet,  kritisch  ausgedeutet  werden;  „nonnaiiv**  ist  sie  nur  in- 
ärfem,  als  gewisse  Bedingungen  eben  eingehalten  werden  müssen,  wenn  be- 
^inunte  Effecte  hervorgerufen  bezw.  vermieden  werden  wollen  imd  sollen.  Der 
Stieit  zwischen  Grdialts-  (Stoff-)  und  Form-Ästhetik  hat  erkennen  lassen,  daß 
onr  in  der  Vereinigung  des  formalen  und  materialen  Factors  das  Ästhetische 
concret  besteht.  Der  Unterschied  der  j^peeulativen**  imd  „empirischefi**  Ästhetik 
bezieht  sich  hauptsachlich  auf  die  Methode,  während  die  Ausdrücke  „ifi- 
tMleäualistisekt^*  imd  „Oefühls-Äsihetik^*  auf  die  Interpretation  des  ästhetischen 
Pft)cesee8  selbst  gehen.  —  Der  Name  „Ästhetik^*  stammt  von  A.  BatJMGARTEN 
(Äcsthetica  1750)  her.  Er  versteht  darunter  zunächst  die  allgemeine  W^ahr- 
ncimumgs- Wissenschaft  (im  Unterschied  von  der  Wissenschaft  des  „oberen^' 
Erkenntnisvermögens),  die  j^seientia  eognitionis  sensitiva^** ,  „gnoseologia  inferior** j 
dann  die  y/irs  ptdcre  cogitandi**^  „ars  formandi  gustum**,  ^yOesthetica  critica** 
'Aesth.  1,  14;  Met.  §  607,  662).  Zweck  der  Ästhetik  ist  die  ..Vollkommenheit  der 
ififndieken  Erkenntnis  als  solcher,  in  welcher  die  Schönheit  besteht^*  („Äesthetices 
tinis  est  perfeetio  eognitionis  sensitivae.  qua  talis,  Haee  aviem  est  piäcritudo**) 
Aesth.  14).  Der  Terminus  „Ästfietik^*  hat  sich  bald,  besonders  durch  Schiller, 
eingebürgert.    In  England  sagt  man  dafür  „criiidsm^**. 


86  Ästhetik. 

Die  Anfänge  der  Ästhetik  finden  sich  schon  im  Altertum.  Sokrateb  setzt 
das  Schöne  in  das  Taugliche,  Gute,  Zweckmäßige  (Xenophon,  Memor.  3,  8: 
4,  69;  Sympos.  5,  3  squ.).  Nach  den  Cynikern  ist  nur  das  Gute  schön,  das 
Schlechte  häßlich  (Diog.  L.  V,  12).  Plato  (obgleich  selbst  Künstler)  sehatzt 
die  Kunst  (sociologisch)  gering,  weil  sie  nur  Nachahmung  (juiuijatg)  von  Nach- 
ahmimgen  (eiSfoka)  bietet  (Kunstwerke  =  Nachahmungen  der  empiri8ch<m  Dinge, 
diese  =:  Abbilder,  Erscheinungen  der  Ideen).  Die  Schönheit  (die  von  der  Gut- 
heit nicht  scharf  unterschieden  wird)  beruht  auf  dem  Hindurchscheinen  der 
Idee  durch  das  Sinnliche  (Phaedr,  250  B.  squ.),  auf  der  Wirkung  des  Tis^g  im 
ünbestinmiten  {ansi^or)y  auf  der  Wahrnehmung  des  Hannonischen  und  Sym- 
metrischen (ßteT^iorrjg  xai  avfjfier^ia)^  welches  an  sich  {xa^  attro)  gefällt,  ur- 
spriuigliche  Gefühle  {ptxeCag  oder  avfifvxovs  riBovas)  erzeugt  (Phileb.  51,  Tim.). 
Wert  hat  nur  eine  das  Gute  nachahmende,  sittlichen  Zwecken  dienende  Kunst 
(Republ.).  Aristoteles  imterscheidet  bildende  (noitica)  und  praktische  Tätig- 
keit (n^a^ia).  Die  Kunst  (n'xn])  ist  die  nach  Regeln  wirkende  Grestaltungskraft. 
sie  vollendet  das  von  der  Natur  nicht  zu  Ende  Geführte  oder  ahmt  die  Natur 
nach:  "Oiats  Se  ij  ti^vri  la  fiev  imrakel  n  17  tpvcis  adwareX  ane^cLOac^atj  ra 
8i  fiuislrai.  (Phys.  II,  8,  199  a,  15  squ.).  Doch  betrachtet  die  Kunst  das  Einzel- 
object  als  Stellvertreter  einer  Gattung,  sie  ahmt  mehr  das  Typische  nach:  r,  fiiv 
yaQ  noirjais  fiaXXov  xa  xad'okov^  rj  ^iaro^ia  ra  xad^  ixaexov  ktysi  (Poet.  9j. 
Das  Schöne  besteht  in  ta^tg  xai  avfifteT^ia  xai  ro  m^iaftet'ov  (1.  c.  c.  7). 
Psychologisch  ^vird  die  Kunst  begründet  durch  den  dem  Menschen  angeborenen 
Nachahmungstrieb  sowie  diurh  das  ursprüngliche  Wohlgefallen  an  Erzeugnissen 
der  Nachahmung  als  solchen  (1.  c.  c.  4).  Die  Kunst  dient  der  Unterhaltung 
(dtaytoyi])  und  Erholung  (avsaig)  mittelst  Gefühlsanregung  und  Kathaisis  (s.  d.) 
der  Affecte  (Pol.  VIII,  7).  So  auch  die  Tragödie  (s.  d.).  Plotin  b^ründet 
eine  speculativ-idealistische,  eine  intellectualistische  Gehalts-Asthetik.  Die  Kunst 
ahmt  das  Seiende,  die  Ideen  (s.  d.)  selbst  nach;  der  Künstler  erhebt  sich  zum 
Xoyos  dessen,  was  er  wahrnimmt,  aus  sich  selbst  das  in  der  Gregebenheit  Fehlende 
schöpfend:  (n>x  nnXtog  ro  oQcaußvov  fMifiovvxui  nl  rsxPcii,  aXX!  avar^ix^^'^*^  ^^* 
Tovs  loyovSf  i^  iov  rj  ^vois'  slxa  xai  noX^A  na^  avrwv  noiovaiv.  Kai  tt^octi- 
d'saat  ya^  oT(f}  n  Meinei,  m  Ä5fov<ra<  to  xd)log  (Enn.  V,  8,  1).  Das  Schone 
ist  „rf<w  an  der  Idee  gleichsam  HerrorstraJtlende^^  (Enn.  "\^,  2,  18).  In  der 
Natur  besteht  das  Urbild  der  sinnlich  erscheinenden  Schönheit,  das  intdligil^ 
Urschöne  (Enn.  V,  8,  1  ff.;  VI,  2,  18).  Seneca  bemerkt:  „Onmis  ars  natwrc^ 
imitaiio  esf*  (Ep.  65).  —  Thomas  definiert  die  Kunst  als  ,,ratio  redu  aliqttorutff 
operum  faeiendorum^^  (Sum.  th.  II,  1,  57,  3).  Das  Schöne  gefallt  unmittdbar 
(yjptilrhrum  atäem  dicattir  id  euitis  ipsa  apprehensio  plaeei";  1.  c.  II,  1,  27,  1,  ad  3). 
Eine  neuscholastische  Ästhetik  lehrt  S.  Meier  (Der  Real,  als  Princ.  d.  seh. 
Künste  1900).  Im  Sinne  des  Thomismus  lehrt  Jungmann:  „Die  Schönheit  der 
Dinge  ist  deren  OutheU^  ifisofem  sie  durch  diese  dern  vernünftigen  Geiste,  auf 
Grund  klarer  ErkevifUnis  desselben^  Gegenstand  des  Gentisses  xu  sein  sieh  eigneti^* 
(Ästhet.  1884,  S.  149). 

Die  intellectualistische  Richtung  der  Ästhetik,  d.  h.  die  Auffassung  des 
ästhetischen  Genießens  als  einer  Art  Erkenntnis,  kommt  in  Deutschland  seit 
Leibniz  zur  Geltimg.  Leibniz  erklärt  die  Lust  an  harmonischen  Verhältnissen 
durch  die  Annahme  eines  unbewußten  Zählens  imd  Vergleichens  und  bringt 
das  Schöne  mit  dem  Vollkommenen,  Zweckmäßigen  in  Zusammenhang  (Opp. 
Erdm.  p.  7,  8).    Chr.  Wolf:  ,yPulehrittido  eonsistit  in  perfeetione  rei,  quatenus 


Ästhetik.  87 

M  ci  iUitts  ad  vohtptateni  in  nobis  producendam  apta*^  (Psych,  emp.  §  543  f.). 
l^hÖnheit  ist  ,/'et  aptihulo  produeendi  in  nofns  voluptatem,  gnod  sit  observabilitas 
ffrffctumia^  (1.  c.  §  545).  A.  Batthgajrten  definiert  die  Schönheit  als  „per- 
feftio  phaefwmenon^*  (Met  §  662),  die  durch  ^,eogniHo  sensitiva^^  erfaßt  wird 
(s.  oben).  Nach  Mendelssohn  (der  das  Begierdelose  des  Ästhetischen  betont, 
Vf^,  n,  294  f.)  beruht  Schönheit  „m  der  undeutlichen  Vorstellung  einer  Voll- 
kmmenheit'  (Br.  üb.  d.  Empf.  2,  S.  8;  Bibl.  d.  schön.  Wiss.  I,  331  ff.);  sie 
Mtzt  .^Einheit  im  Mannigfaltigen"  voraus  (1.  c.  5,  S.  27  f.).  Ahnlich  Sulzer, 
*der  den  moralischen  Zweck  der  Kunst  betont  (Allg.  Theor.  d.  schön.  Künste 
I792>,  f^BCHENBUBG  u.  a.  —  Nach  Hemsterhuis  beruht  die  Schönheit  auf  dem 
^ten  Verhältnis  eines  Gegenstandes  zur  auffassenden  Seele,  auf  der  leichten 
Ubereichdichkeit  des  Mannigfaltigen;  schön  ist  das,  was  in  kürzester  2^it  die 
größte  Fülle  von  Vorstellungen  erzeugt  (Oeuvr.  philos.  1792).  —  Von  Einfluß 
ad  die  deutsche  ABthetik  sind  die  Versuche  einer  psychologischen  Theorie  des 
Schönen  bei  den  Engifindem  gewesen.  Shaftesbuby  leitet  das  Gefühl  des 
Schonen  aus  der  Wahrnehmung  von  Ordnung,  Einheit,  Harmonie  durch  den 
inneren  Sinn  ab  und  setzt  das  sittlich  Gute  (s.  d.)  dazu  in  Beziehung  (Sens. 
comm.  IV,  3).  Home  unterscheidet  „eigene^'^  Schönheit  (^yintrinsie  beauty^*) 
ond  „Schönheit  der  Bex^iehung^*  (y^elath  be^uity*^).  Erstere  ist  Gegenstand  der 
Empfindung,  letztere  erfordert  „understanding  and  refleetion".  ,Jn  a  word,  in- 
triwie  beauty  is  tUtimaie:  relative  beatäy  is  tfuU  of  ^neans  rekUing  to  some  good 
or  purpose^'  (Eiern,  of  Grit.  I,  3,  p.  195  ff.).  Nach  Burke  ist  die  Schönheit 
eine  sociale  Emotion,  indem  ims  das  Schöne  zum  Zusammensein  mit  ihm  reizt, 
in  nns  Liebe,  sanfte  und  gesellige  Gefühle  erregt.  „We  cail  beauty  a  social 
ifualHy'*  (Enqu.  I,  10).  Die  Schönheit  ist  ohne  Zweckbewußtsein  („in  beauty 
tke  fffeci  is  previous  to  any  knotcledge  of  the  usef^).  Zur  Liebe  und  zum  Ge- 
»hkchtlichen  setzt  Erasmtts  Darytin  das  Ästhetische  in  Beziehung  (Zoonom. 
XVI.  6  k  Bei  angehäufter  Energie  ist  die  Sinnesbetatigung  als  solche  schon 
hutvoll  (1.  c.  XL,  6).  Vom  Schönen  ist  das  Erhabene  (s.  d.)  zu  unterscheiden. 
Eine  neue  Begründung  erhält  die  Ästhetik  durch  Kant.  Die  jßsthetische 
(rtcilskrafi**  bezieht  sich  nicht  auf  das  Erkennen  oder  Begehren,  sondern  auf 
das  Gefühl  der  Lust  und  Unlust  In  der  Urteilskraft  li^  ein  apriorisches 
Pirincip  der  ästhetischen  Beurteilung,  das  auf  die  subjective,  ästhetische  Be- 
schaffenheit des  Objects  geht,  vermöge  deren  dieses  Lust  erweckt,  und  dies, 
vcü  das  Bewußtsein  der  Zweckmäßigkeit  des  Objects  für  das  Erkenntnis- 
vermögen zugrunde  liegt.  Das  Geschmacksurteil  bezieht  Vorstellungen  durch 
die  Einbildungskraft  aufs  Subject,  ist  nicht  logisch,  sondern  ästhetisch.  „TTo« 
an  der  Vorstellung  eines  Objects  bloß  sui^ectiv  ist^  d,  i.  ihre  BexieJiung  auf  das 
Stibfecf,  nickt  auf  den  Gegenstand  ausmacht^  ist  die  ästhetische  Beschaffenheit 
dertelbeft'  (Kr.  d.  Urt  Einl.  VII).  Das  Ästhetische  bildet  die  Vermittlung 
zwischen  Natur  und  Sittlichkeit  (1.  c.  §  6).  Das  ästhetische  Urteil  ist  a  priori, 
insofern  es  subjective  Allgemeingültigkeit  besitzt,  vermöge  deren  es  die  Ein- 
stimmung jedermanns  mit  dem  eigenen  G^eschmack  (s.  d.)  erwartet,  wenn  auch 
nicht  absolut  fordert  (ib.).  Schön  ist,  was  uninteressiert,  durch  sich  selbst,  ohne 
Begdiren,  ,phne  Begriffe ^  als  Object  eines  allgemeinen  Wohlgefallens  vorgestellt 
vird^  (ib.).  (Schon  Mendelssohn  sagt:  „Wir  befrachten  die  Schönheit  der 
yatur  und  der  Kunst,  ohne  die  mindeste  Regung  von  Begierde,  mit  Vergnügen 
und  Wohlgefallen",  Morgenst,  Schrift.  II,  294  f.;  vor  ihm  schon  Montesquieu: 
JL/HTsque  naus  trouvons  du  plaisir  ä  roir  une  chose  arec  une  utilite  pour  nous, 


88  Ästhetik. 

nous  disons  qu'elle  est  bannen  lorsqt^  notis  trouvons  du  plaisir  ä  la  roir  sans 
qtte  notis  y  demelions  une  tUilite  presente^  nous  l'appellons  bellet*,  B6flex.  sur  1« 
cause«  du  plaisir  .  .  .  Oeuvr.  1835,  p.  586;  Riedl:  jjSekön  ist,  was  ohne  inter- 
essierte Absicht  sinnlich  gefallen  und  auch  dann  gefallen  kann,  wenn  wir  es 
nicht  besitxen^\  Theor.  d.  schön.  Künste  1767,  S.  17;  Sitlzer:  „/)<w  Schäm 
gefallt  uns  ohne  Rücksicht  auf  den  Wert  des  Stoffes,  wegen  seifier  Form  oder 
Gestalt,  die  sich  den  Sinnen  oder  der  Einbildungskraft  angenehm  darstellt. \ 
„Schön  ist,  was  ohne  Begriff  als  Gegenstand  eines  notwendigen  Wohlgefallens 
erkannt  wird"'  (1.  c.  §  22).  Schönheit  ist  die  „Fortn  der  Zweckmäßigkeit  eiftes* 
Gegenstandes,  sofern  sie  ohne  Vorstellung  eines  Zweckes  an  ihn  wcJtrgenommen 
trird"^  (1.  c.  §  17).  Es  gibt  zweierlei  Arten  von  Schönheit,  ,Jreie  Schönheit 
(pulchritudo  vagaj,  oder  die  bloß  anJiängende  Schönheit  (puiehritudo  adhaerens). 
Die  erstere  setxt  keinen  Begriff  von  dem  voraus,  was  der  Gegenstand  sein  soll: 
die  xweite  setxt  einen  solchen  und  die  Vollkommenheit  des  Gegenstandes  nach 
demselben  voraus"  (1.  c.  §  16).  Den  Übergang  vom  Schönen  zum  Sittlichen 
bildet  das  Erhabene  (s.  d.).  Die  Kunst  ist  „Hervorbringung  durch  Freiheit*, 
„als  ob  es  ein  Product  der  bloßen  Natur  sei"  (1.  c.  §  45).  In  ihr  gibt  die  Natur, 
vertreten  durch  das  Genie  (s.  d.)  schöpferisch  Regeln  (1.  c.  §  46).  Eine  Weiter- 
bildung  erfährt  diese  Ästhetik  durch  Fr.  Schiller.  Er  leitet  die  Kunst  aus 
dem  Spieltrieb  (s.  d.)  ab.  Im  Spiel  befreit  sich  der  Mensch  von  den  Sorgen 
und  Engen  des  Alltags,  er  erhebt  sich  zu  etwas  Höherem,  lebt  ein  reineres, 
freieres  Leben.  Denn  „der  Mensch  spielt  nur,  tco  er  in  voller  Bedeutung  de» 
Wortes  Mensch  ist,  utid  er  ist  nur  da  ganx  Mensch,  wo  er  spielt"  (Üb.  d.  ästh. 
Erz.  d.  M.  Br.  15).  (Vom  „freien  Spiel  der  Vorstellungskräfte^^  spricht  schon 
Kaut,  Kr.  d.  Urt.  §  9.)  Die  Kunst  ist  dem  Menschen  als  etw^as  Specifisches 
eigen.  Das  Ästhetische  vermittelt  zwischen  Natur  und  Sittlichkeit,  läutert  den 
Menschen,  ist  ein  eminenter  Oulturfactor.  (Üb.  d.  äst.  Era.  d.  M.,  Ph.  Sehr. 
S.  183;  vgl.  Br.  23.)  Der  ästhetische  Sinn  sucht  „m  der  Form  ein  freies  Ver- 
gnügen" (Üb.  Anm.  u.  Würde,  Phil.  Sehr.  S.  128),  „ohne  alle  Rücksicht  auf 
Besitz,  aus  der  bloßen  Reflexion  über  die  Erscheinungsweise^*^  (Üb.  d.  Erhab., 
(1.  c.  S.  190).  Vernunft  und  Sinnlichkeit  stimmen  im  Schönen  zusammen 
Üb.  Anm.  u.  W.,  1.  c.  S.  128).  Die  Schönheit  ist  „die  Bürgerin  xweier  WcltefV\ 
„sie  empfängt  ihre  Mristenx  in  der  sinnlichen  Natur  utul  er  tätigt  in  der 
Vernunftwelt  das  Bürgerrecht"  (1.  c.  S.  105),  dadurch,  daß  die  Vernunft  das 
Sinnliche  übersinnlich  behandelt,  es  zum  Ausdruck  einer  Idee  macht  (1.  e. 
S.  104  f.).  Schönheit  ist  „Freiheit  in  der  Erscheinung"  (WW.  XII». 
W.  V.  Humboldt  erinnert  in  dem  Gedanken  der  Harmonie  zwischen  der 
sinnlichen  und  der  geistigen  Natur  des  Menschen  durch  das  Ästhetische  an 
Schiller.  Ein  Gegner  Kants  ist  Herder  (Kalligone  1800).  Er  behauptet  u.  a. : 
„Interesse  hat  die  Schönheit,  ja  alles  Gute  hat  nur  durch  sie  Interesse^*^  (1.  c. 
I,  195).  „Des  Menschen  Spiel,  wie  das  Spiel  der  Natur  ist  sinniger  Ernst'' 
(1.  c.  III,  290).  Schönheit  ist  „das  Gefühl  der  Vollkommenheit  eines  Dinges"'. 
Beziehungen  zur  Kant-Schillerschen  Ästhetik  weisen  ästhetische  Bemerkungen 
J.  G.  FiCHTEs  auf  (WW.  VIII,  275  u.  ff.,  IV,  355),  auch  solche  Fr.  Schlegels, 
der  eine  Theorie  des  Häßlichen  gibt.  —  Nach  Goethe  ist  Schönheit  da  vor- 
handen, wo  wir  „das  gesetzmäßige  I^ebendige  in  seiner  größte^i  Tätigkeit  und 
Vollkommenheit  sc/iaueti"  (WW.  Hempel,  XXV,  155).  Das  Kunstwerk  stellt 
die  Grundformen  der  Dinge  in  indi\nduellen  Gestaltungen  und  typischer  Voll- 
kommenheit dar.     Das  Schöne  ist  eine  „Manifestation  geheimer  Naturgesetze'^ 


Ästhetik.  89 

(Weim.  Ausg.  Bd.  48,  S.  201).  Nach  Bouterwek  ist  die  Aufgabe  der  Ästhetik, 
.AH  erUären,  was  wir  empfinden,  wenn  wir  mit  Recht  ttrfeüen,  daß  etwas  schön 
i*f,  und  wie  sich  die  Empfindung  des  Schönen  xu  den  natürlichen  Anlagen  so- 
ifohl  als  xur  Entwicklung  einer  mttsterhaften  Cultur  des  mefischliehen  Geistes 
rerbält*  (Asth.  I,  3).  Wir  wollen  wissen,  „was  sich  in  der  Seele  ereignet ,  wenn 
ffir  etwas  schön  finden^^  (1.  c.  I,  19).  Das  ästhetische  Gefühl  ist  „ofa«  ur- 
.*priingliek^Menschengefiihl^\  das  „menschliche  Urgefühl'^  (1.  c.  I,  41),  y,ein  Ge- 
fühl, in  welchem  die  menschliche  ^'atur  wie  ein  uftgeteiltes  Ganxes  tpirkt^  (ib.). 
Das  Spiel  ist  niit  der  Kunst  verwandt  (1.  e.  S.  42  ff.).  Das  Schöne  beruht  auf 
dem  Gesetz  einer  ,Jiarmonischeti  THtigkeit  aller  geistigefi  Kräft&*^  (1.  c.  I,  50). 
Schönheit  beruht  auf  gewissen  Verhältnissen  einer  Mannigfaltigkeit  von  Eigen- 
Khaften  der  Dinge  zu  unserem  Geisteszustände  (1.  c.  S.  56).  „Allen  Elementen 
des  Schönen  liegt  xwtn  Grunde  eitie  innere  Harmonie  oder  ästhetische  Einlieit 
im  Jiamdgfaltigen'"'  (1.  c.  S.  58),  die  wieder  auf  die  Einheit  der  Seele  zurück- 
fahrt Es  gibt  keinen  besonderen  Schönheitssinn  (1.  c.  S.  71).  Alles  Schöne 
intoessiert  unmittelbar  durch  sich  selbst  (1.  c.  S.  80).  Die  Kunst  ahmt  nicht 
nach,  sondern  wetteifert  mit  der  Natur  (1.  c.  S.  200  ff.).  Die  Bouteniceksche 
Anffawnng  des  ästhetischen  Grefühls  billigt  Gbillpabzer  (WW.  XV,  131). 
niSrAöfi  ist  dasjenige,  das,  indem  es  das  Sinnliche  vollkommen  befriedigt,  xugleich 
die  Seele  erhebt.*^  ,ßie  Schönheit  ist  die  vollkommene  Übereinstimmwng  des 
iHimliehen  mit  dem  Geistigen"  (ib.).  „Wenn  der  sinnlich  befriedigende  Eindruck 
durch  Erweckung  der  Idee  des  V^ollkommenen  ins  Übersinnliche  hinüberreicht,  so 
«ernten  wir  das  das  Schöne^^  (ib.).  „Schön  ist,  was  durch  die  Vollkommenfieit 
in  seiner  Art  die  Idee  der  Vollkommenheit  im  allgemeincfi  erweckt"  (1.  c.  S.  136). 
Die  Kunst  ist  ,/lie  Hervorbringung  einer  andern  Natur,  als  die,  welche  uns  um- 
yütt,  einer  Xatur,  die  mehr  mit  den  Forderungen  unseres  Verstandes,  unserer 
Empßndtffig,  unseres  Schönheitsideals,  unseres  Strebens  nach  Einheit  überein- 
liimmt^  {\h.). 

Mit  SCHELLIXG  beginnt  die  Reihe  der  speculativen  Ästhetiker,  der  Ver- 
treter einer  idealistischen  Gehaltsästhetik.  Nach  Schelling  ist  die 
Kunst  die  Überwindung  der  Gegensatze  des  Realen  und  Idealen.  Sie  stellt 
d»»  Absolute  (Unendliche)  endlich  dar,  nachdem  sie  es  in  der  Anschauimg  er- 
&6t,  und  zwar  unbewußt:  „Der  Grundeharcdäer  des  Kunstwerks  ist  .  .  .  eine 
bfKußtlose  Unendlichkeit"  (Syst  d.  tr.  Ideal.  S.  463,  459).  Sie  ist  die 
VoUendung  des  Wissens  und  der  Philosophie  (1.  c.  S.  486,  475),  sie  »bringt  den 
ganzen  Menschen,  wie  er  ist,  .  ,  .  xur  Erkenntnis  des  Höchsten"  (1.  c.  S.  480). 
Ihr  Ziel  ist  ^die  Vernichtung  des  Stoffes  durch  Vollendung  der  Form"  (Üb.  d. 
Verh.  d.  bild.  Künste  zu  d.  Nat.  1807,  ähnlich  schon  ScHn^LER).  Schönheit 
in  JUis  Unendliche  endlich  dargestellt"  (Syst.  d.  tr.  Id.  S.  465).  Nach  Solger 
oriaeht  die  ,Jkün8tlerisehe  Ironie"  (der  Romantiker)  das  Wesen  der  Kunst  aus, 
denn  f^sie  ist  die  Verfassung  des  Gemüts,  worin  wir  erkennen,  daß  unsere 
^'irUiehkeit  nicht  sein  würde,  wenn  sie  nicht  Offenbarung  der  Idee  wäre,  daß 
(Aer  eben  darum  mit  dieser  Wirklichkeit  auch  die  Idee  etwas  Nichtiges  wird 
Mrf  untergeht"  (Vorles.  üb.  Ästh.  1829,  S.  241).  Im  Schönen  offenbart  sich 
die  Idee  in  der  Existenz  unmittelbar,  daher  ist  aUe  Kunst  symbolisch  (1.  c. 
15.  66  t,  73;  Erwin  1815,  II,  41).  Chr.  Krause  erblickt  in  der  Schönheit  „rf«€ 
<m  Endliehen  erscheinende  GötUiehheit  oder  Gottähnliehkeit"  (Vorles.  üb.  Ästh. 
11*2,  S.  88).  Schön  ist,  „was  Vernunft,  Verstand  und  Phantasie  in  einefu 
lArm    Oesetxen    gemäßen,     entsprechenden    Spiele    der     Tätigkeit    befriedigend 


90  Ästhetik. 

beschäftigt  und  das    Gemüt  mit  einem    uninteressierten    WohlmfaUen    erfiUW' 
(Gr.  d.  Asth.  §  10).    Chr.  Weisse  definiert  die  Ästhetik  als  „  Wissenschaft  von 
der  Idee  der  Schönheit'  (Syst.  d.  Ästh.  1830).    Subjectiv  ist  Schönheit  „rft«  auf- 
gehobene   Wahrheit*  y    objectiv  Erscheinung  und   Form   der  Dinge,    ein   IMaß- 
Verhältnis.    Das  Häßliche  ist  das  „tmmittelbare  Dasein  der  Schönheit^'.    Hegel 
definiert  das  Schöne  als  „das  sinnliche  Scheinen  der  Ide^'  fS^orles.  üb.  Ästh. 
1835,  I,  144).    Nur  als  y^den  Oeist  bedeutende^  charakteristische ^  sinrnndle  NeUur- 
form''  soll  die  Wirklichkeit  durch  die  Kunst  nachgeahmt  werden  (EncykL  §  558). 
Die  Kunst,  die  sinnliche  Darstellung  des  Absoluten  (Ästh.  I,  90),  bringt  den 
Inhalt  erst  ziun  Bewußtsein  (1.  c.  §  562),  sie  reinigt  den  Geist  von  der   Un- 
freiheit (ib.).    Es  gibt  classische,  symbolische,  romantische  Kunst  (1.  c.  §  561  f.; 
Asth.  I,  S.  99  ff.).    Ästhetik  ist  yyPhilosophie  der  Kunst'  (Ästh.  I,  3).     Nach 
K.   EosENKRANZ    ist    das   Häßliche  das   notwendige    negative   Ck>rrelat    zum 
vSchönen,  dessen  die  Kunst  bedarf,  um  die  Idee  nicht  einseitig  zur  Anschauung 
zu  bringen  (Ästh.  d.  Häßl.  S.  115,  38).     Nach  ScHOPEiraAUER  wiederholt  die 
Kunst  „die  durch  reine  Confemplation  aufgefaßten  ewigen  Ideen''.    „Zfer  einxiger 
Ursprung  ist  die  Erkenntnis  der  Ideen;  ihr  einziges  Ziel  Mitteilung  dieser  Er- 
kenntnis" (W.  a.  V.  u.  V.  Bd.  I,  g  36).    Jedes  Ding  ist  schön,  sofern  es  yjAus- 
drtiek  einer  Idee"  ist  (1.  c.  §  41).    Die  Kunst  sondert  die  Idee  aus  den  Zufällig- 
keiten der  Wirklichkeit,  verhilft  dadurch  zur  leichteren  Auffassung  des  Wesens 
der  Dinge  (1.  c.  §  37),  die  Musik  ganz  unmittelbar  (1.  c.  §  52).   In  der  ästhetischen 
Anschauung  reißen  wir  ims  vom  Willen   los,   dieser  schweigt,   alles   Streben 
kommt  zur  Ruhe,  wir  sind  yyreines  Subfeet  des  Erkennens",    So  ist  die  Kunst 
ein  jyPalliativ"  gegen  das  Leiden  (1.  c.  §  38  u.  ff.).    Eine  idealistische  Gehalis- 
ästhetik  findet  sjch  bei  Lotze  (Gr.  d.  Ästh.«,  §  20;  Gesch.  d.  Ästh.  S.  97);  auch 
bei  Sghasler  (Ästh.  I  u.  Das  Syst.  d.  Kimste«,  1885);  ferner  bei  Th.  Vischeb: 
Schön  ist  yydie  Idee  in  der  Form  begrenzter  Erscheinung"  (Ästh.  I,  54;  so  auch 
C'arneri,  Sittl.  u.  Darw.  S.  79).     yjDie  Natur  ist  der  Boden,  woraus  der  Oeist 
aufsteigt"  (D.  Schöne  u.  d.  K.*,  S.  92).    Im  Schönen  ist  yyVerborgene  Philosophie^* 
(1.  c.  S.  99).    Im  Individuum  muß  das  Gattungsmäßige  erscheinen  (1.  c.  S.  105). 
Das  Schöne  ist  yyausdrucksrolle  Formy  formgewordener  Äusdruek,  Einheit   pon 
Ausdruck  und  Harmonie,  oder  mimisch -harmonische  Form^'  (1.  c.  S.  78).      Es 
findet   ein   unbewußtes   yyEinfiihlen" ,   ein   „Ijeihen" ,   ,yUhterlegen"   seitens    der 
Seele  statt  (1.  c.  S.  69  f.,  77).    Carkcere  erblickt  das  eig^tUch  Ästhetische  in 
der  Form,   diese   aber  schon  als  yyAusdruck  des  Innern"  genommen  (Ästh.    I, 
S.  VII).     Schön   ist,    yywas  sofort  durch  sein  Erscheinen  die  ihm  XAtgrf49»de 
liegende  Idee  in  uns  waehruft'  (1.  c.  S.  19),  yyWas  rein  durch  seine  Form  gefiUit* 
(1.  c.  S.  76).     Schönheit   ist   y,angesehaute  Zweckmäßigkeit'  (1.  c.  S.  89),    „rftc 
Idee,  fcelche  ganx  in  der  Erscheinung  gegenwärtig,  die  Erscheinung,  ireleßte  ^anx 
von  der  Idee  gebildet  und  durchleuchtet  ist'  (1.  c.  S.  70).    Nach  Kirchmakk  ist 
schön    das    idealisierte,    sinnlich    angenehme   Bild    eines    seelenvollen    Realen 
(Ästh.  1868).     Wie  HoRWicz  lehrt  er  eine  Geföhlsästhetik.     v.  HAKTMAJi^iT 
sieht  im  Schönen   eine  Erscheinungsform   des   unbewußt  Logischen.     In    der 
Realität,  mit  der  Form,  wird  die  Idee  erfaßt  —  lehrt  die  „coneret-idealistim^he^ 
Ästhetik.     Das  Schöne  ist  sinnlich  ästhetischer  Schein  „th  der  Sphäre  einer 
idealen  Phänomenalität' .     Durch  die  Kunst   werden  nur   „ästhetische  Schein-- 
gefühle"  erweckt,  es  genießt  das  „Schein-Ich"  ästhetisch  (Phil.  d.  Schön.  1887, 
8.  26,  455  ff.).     RusKiN  erklärt  die   Schönheit    für    die  Manifestation     dee 
schöpferischen  Weltgeistes  (Lect.  on  Art  1870). 


Ästhetik.  91 

Zwischen  Gdudts-  und  formalistischer  Ästhetik  vermittehi  verschiedene 
FMosophen.  Nach  Wuia>T  liegt  in  jedem  ästhetischen  Urteil  „«tne  unmütdbare 
Amrimnung  des  Belbsiändigen  Werte»  der  den  Gegenstand  des  Urteils  bildenden 
geistigen  Lebensntßuütf^*  (Syst  d.  Phil.*,  8.  674).  Der  ästhetische  Wert  liegt 
Kilon  im  Object  selbst  begründet,  er  beruht  auf  objectiven  Bedingungen.  Die 
Hauptfrage  der  Ästhetik  lautet:  „Welche  Eigenschaften  müssen  die  Gegenstände 
haben,  um  in  uns  ästhetische  Wirkungen  hervorzubringen"  (l.  c.  S.  674  ff.).  Es 
gefallt  niemals  die  Form  als  solche,  sondern  „die  vollkommene  Angemessenheit 
4er  Form,  an  den  Inhalt^  (1.  c.  S.  677  ff.).  Die  Kunst  will  das  wirkliche  Leben 
dusteUen,  aber  nicht  durch  einfache  Nachahmung,  sondern  durch  Hervorhebung 
des  Bedeutsamen  in  dessen  Reinheit.  G^enstand  der  künstlerischen  Schöpfung 
irt  .^f>  ideale  Wirklichkeit" ,  d.  h.  die  Widclichkeit,  „wie  sie  im  Lichte  der 
4mTh  die  Anschauung  im  künstlerischen  Genius  enteckten  Ideen  erscheint^^. 
Die  Idee,  welche  die  Einheit  des  ästhetischen  Objects  vermittelt,  liegt  latent 
schon  in  ihm.  Xur  der  „bedeutsame  Lebensinhalf^  ist  ästhetischer  Gegenstand 
(L  c.  S.  683  £f.).  Aufgabe  der  Kunst  ist,  „die  Wirkliehkeü  in  der  Fülle  ihrer 
bedeutsamen  Formen  in  die  Sphäre  jener  reinen  Betrachtung  xu  erheben  y  von 
4er  jedes  der  Versenkung  in  den  Gegenstand  selbst  fremde  Begehren  weit  abliegi^^ 
iL  c.  S.  687  ff.;  Gnmdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  235  ff.,  250  ff.,  526).  Ähnlich  lehrt 
Volkelt,  der  in  dem  „Menschlich-Bedeutungsvollen"  den  Gegenstand  der  Kirnst 
erblickt  (Asth.  Zeitfrag.  1895).  Die  Ästhetik  hat  „in  metaphysische  Be- 
&aehtm»gen  auszulaufen"  (1.  c.  S.  221,  Ästh.  d.  Trag.  S.  425  ff.).  Die 
Jistheiisrhe  Beseelung^^  ist  wichtig  (Zeitschr.  f.  Philos.  Bd.  113,  115;  vgl.  auch 
Wftasek,  Zeitschr.  f.  Psychol.  Bd.  25).  Riehl:  „Die  Kunst  ist  productive 
Tätigkeit^  kein  Spiel",  sie  ist  j^ein  öomplement  des  Ijcbens"  (Z.  Einf.  in  d.  Phil. 
S.  174  f.). 

Die  formalistische  Ästhetik  hat  ihren  Begründer  in  Herbart.  Dieser 
rersteht  unter  ^yÄsthetil^^  die  Wissenschaft  von  den  Werturteilen  überhaupt, 
tfeo  auch  die  Ethik  (s.  d.).  Das  Gefühl  des  Schönen  entspringt  aus  formalen, 
imieren  Verhältnissen  zwischen  unseren  Vorstellungen,  der  Inhalt  kommt  erst 
wcundär  zur  Geltung  (Psych,  a.  Wiss.  II).  So  auch  R.  Zimmermann  (Ällg. 
Ä«ÜL  1865).  Das  ästhetische  Urteil  als  Kunsturteil  bezieht  sich  auf  die  Formen 
«irr  Objecte  (L  c.  §  351).  Das  Schöne  als  solches  gefällt  nur  durch  die  Form 
(Send.  u.  Krit  1870,  II,  252).  So  auch  Th.  Vogt  (Form  u.  Gehalt  in  d.  Ästh. 
18<Bi  und  Volkmann  (Ldirb.  d.  Psych.  II*,  355).  —  Vermittelnd  lehren 
KoEPTLiN  (Ästh.  1860)  und  Siebeck:  Zum  Ästhetischen  gehört  zunächst  eine 
nretgende  Gestaltenfülle,  dann  ein  besonderer  Inhalt  (Das  Wes.  d.  ästh. 
Ansch.  1875). 

Entgegen  der  speculativen  oder  vag  empirischen  „Ästhetik  von  oben"  fordert 
FECHNEit  eine  „Ästhetik  von  unten  auf",  und  zwar  auf  experimenteller 
Gnmdlage  (Vorarbeiten  bei  Zeisino,  Lehre  vom  „goldenen  Sehnitf*).  Er  unter- 
tcfaeidet  zwischen  „dtreetetn"  und  „assoeiativem"  Factor  des  Ästhetischen. 
.JHrect  .  .  .  igt  der  Eindruck  eines  Gegenstandes,  insofern  er  subjeetiverseits  von 
ier  angeborenen  oder  nur  durch  Aufmerksamkeit  und  Übung  im  Verkehr  mit 
Oegenständen  gleicher  Art  enhoiekeUen  und  verfeinerten  inneren  Einrichtung 
etkangt,  assoeiativ,  insofern  er  von  einer  Einrichtung  abhängt,  die  dadurch 
mtstandem  ist,  daß  sieh  der  Gegenstand  wiederholt  in  Verbindung  und  Be- 
iiekung  mit  gegebenen  Gegenständen  anderer  Art  dargeboten  hat^  (Vorsch.  d. 
Arth.  I,  S.  121). 


92  Ästhetik. 

In   verschiedener   Weise    wird   die  Ästhetik    psychologisch    begründet. 
Lipps  sieht  im  Schönen  ein  ästhetisch  Wertvolles,  einen  Eigenwert  (Kom.  u. 
Humor  S.  199).     Die  Kunst  ist  gerichtet  ^ftuf  Erxeugung  eines  in  »ich  idbst 
Wertvollen''  (1.  c.  S.  209).     Aller   ästhetische  Genuß   Jiegt  schließlieh  änxig 
und  allein  in  der  Sffmpathie  begründet'  (1.  c.  S.  216).     In  der  Kunst  handelt 
CS  sich  um  ,/istheiischen  Sehein''  (Ausdruck  schon  bei  Schilleb,  bedeutet  bei 
ihm  einen  „Schein,  der  weder  RecdiUU  vertreten  toilly  noch  von  derselben  pertreten 
zu  werden  braucht",  Asth.  Erz.  26).     In  der  ästhetischen  Anschauimg  beseeleD 
wir  das  Object,  legen  ein  ideelles  Ich  in  es  hinein  (ästhetische  „EinfiihUmf'i 
(Asth.  Einf.,  Zeitschr.  f.  Psych,  u.  Phys.  1900;  Eth.  Grundfr.  S.  180).     ,,Malt 
und  Form  eines  Kunstwerkes  sind  jederzeit  xwei  untrennbare  Seiten  einer  und 
derselben  Sachet'  (Eth.  Gr.  8.  181).    Die  einzelnen  Bedingungen  des  Ästhetischen 
sind  aufzusuchen  (vgl.  Baimiästh.  1897,  Asth.  Factoren  d.  Baumansch.  1891). 
Eine  psychologische  Fundierung  der  Musik  enthalt  die  „Tonpsychologie^'  von 
K.  Stumpf   (eine  physiologische   die  „Lehre  von  den  Tonempfindungen"  von 
Helmholtz).    H.  V.  Stein  definiert  die  Ästhetik  als  „Lehre  vom  Oefiihi"  und 
„Lehre  von  den  Kunstwerken"  (Yorles.  üb.  Asth.  S.  1  f.).     ,yÄsthetik  soll  das 
Kunstwerk  mit  dem  gesamten  geistigen  Leben  deutend  und  erklärend   i$i  Be- 
xiehung  setzen"  (Entst.  d.  neuer.  Asth.  S.  263).     Das  „Verweileti  beim  Ein- 
druck  als  solchem"   ist   das  Element  des  Ästhetischen  (Yorles.  S.  4;    ähnlich 
R.  Wähle,  D.  Ganze  d.  Philos.  S.  397  ff.).    Der  ästhetische  Eindruck  besteht 
in   der  Fülle  normaler  Tätigkeit  (Yorles.  üb.  Asth.  S.  4).     Die  ungehinderte 
Ausübung    der    (triebartigen)   Einheitsfunction    des  Bewiißtseins    erweckt    das 
ästhetische  Wohlgefühl  (1.  c.  S.  9).     Unter   „organischer  Associaium"    ist  die 
ästhetisch  bedeutsame  Association  zu  verstehen  (1.  c.  8.  14).    Die  Aufgabe  aller 
Künste  ist,   „eine  Sache  xu   bedeutendem  Ausdruck  xu  bringen"  (1.  c.  8.  19k 
Grundform  des  Ästhetischen  ist  das  ,/reie  Spiel  der  VorsteUungen"  (1.  e.  S.  28). 
Eine  Loslösung  vom  Begehren  findet  statt  (1.  c.  S.  30).    „Schön"  =  „ein  Auf- 
gehen  im   Schauen"   (Entsteh,   d.  neuer.   Asth.  S.  97).     Dilthey   betont   die 
,,Steigerufig  der  auffassenden  Kräfte,  die  Erweiterung  der  Seele,  ihre  Entladung 
mid  Läuterung,  wie  sie  das  große  Kunsttverk  hervorbringt"  (Deutsche  Kundsch. 
1892,  S.  225 ;  vgl.  Die  Einbildungskr.  d.  Dicht.  S.  309).     Nach  Höffding  ist 
die  Kirnst  eine  „ideelle  Fortsetxufig  der  Naturentuncklung",  sie  lehrt  uns   ,jrf«e 
Augen  aufmachen",  ,^ie  auf  die  großen  leitenden  Züge  heften  und  dadurch  die 
Wirklichkeit  besser  verstehen"  (Psychol.*,  S.  250).    Nach  Jgdl  stellt  die  Kunst 
die    typischen   Fälle    der  Wirklichkeit    anschaulich    dar  (Psych.   S.    156  ff.). 
J.  A.  Herzog  definiert  das  Ästhetische  als  das,   „was  reine  Affecte   erregt^ 
(Was  ist  ästh.*,  S.  55).     Die  reinen,  ästhetischen  Affecte  sind  schwächer   als 
die  gemeinen,   unpersönlich  (1.  c.  S.  39  ff.).     Durch  die  Kunst  wollen  wir  ge- 
täuscht sein  (1.  c.  S.  65). 

K.  Groos  verbindet  die  psychologische  mit  der  biologischen  Interpretaticm 
des  Ästhetischen.  Er  bringt,  das  Ästhetische  zum  Spiel  in  Beziehung  (Spiele 
d.  Mensch.  S.  348,  vgl.  S.  445  f.).  Der  ästhetische  Genuß  ist  ein  ,^spielendes 
setisoriscJics  Erleben"  (Spiele  d.  Mensch.  S.  505),  „das  edelste  Spiel,  welches  der 
Mensch  kennt"  (D.  ästh.  Genuß  S.  14).  Der  Selbstzweck  des  Spiels  (s.  d.)  liegt 
auch  im  ästhetischen  Genuß  vor  (ib.).  Groos  verbindet  Lotzes  und  R.  Vischer!» 
Theorie  des  innerlichen  Miterlebens  mit  Schillers  Lehre  vom  Spiel  (L  e.  S-  179). 
„Das  innerliche  Miterleben  ist  .  .  .  das  eigentliche  Cefitrum  des  ästhetischen 
Oenießens"  (1.  c.  S.  183).     Die   „Scheingefiihle" ,  die  den   ästhetischen  Schein 


Aathetik. 

begieiten,  sind  wirkliche,  nicht  bloß  vorgestellte  Xfeffnili5"  (1.  c.  S.  209). 
Ästhetischer  Schein  ist  ,^n  Produet  der  Einbildungskraft y  die  sieh  von  dem 
äußeren  Gegenstand  ein  inneres  Biid  ablöst,  welehes  sie  nur  dctdureh  erhatten. 
bann,  daß  sie  sieh  einseüig  auf  bestimmte  Teile  der  Sinnesempfindung  ewi- 
eeiffriert*  (Einl.  in  d.  Asth.  8.  40).  Nur  der  ^Jherrsehende  Sehein^^  ist  ästhetisch 
iL  c.  S.  45),  er  ist  ^jinnere  Nachahmung'  (1.  c.  S.  84).  Die  ästhetische  An- 
iachAuung  ist  j^ine  innere  Xaehahmtmg  des  äußerlieh  OegebefteHy  durch  welche 
tieh  das  Bewußtsein  das  innere  Bild,  den  ästhetischen  Schein  erxeugt  und  in 
der  Erzeugung  dieses  Scheins  spielend  verweiW  (1.  c.  S.  196).  Die  „ästhetische 
Bkmon''^  ist  „eine  THuschung,  die  ich  selbst  im  freiwilligen  Spiel  der  inneren 
Xaehahmung  erzeuge.  Ich  versetze  mein  Ich  spielend  in  das  fremde  Objeet,  und 
diese  Selbstversetximg,  die  jeden  leblosen  Gegenstand  personifieiert,  gilt  mir  als 
t^stekendj  obwohl  ich  recht  gui  weiß,  daß  sie  in  Wirklichkeit  nicht  stattfindet' 
iL  c.  S.  191).  Drei  Arten  der  ästhetischen  Illusion  („ästhetische  Realität^'  bei 
Lipps)  gibt  es:  „Illusion  des  Leihens,  Copie,  Original- Illusion,  Illusion  des  Mit- 
frirbens"'  (Asth.  Gen.  S.  23,  213  ff.).  Die  „ästhetische  Sympathie'*  beniht  darauf, 
ikß  der  gebotene  Inhalt,  dem  wir  eigene  Zustande  anschauend  „leihen"  (der 
Aosdnick  ist  von  Vischer,  Asth.  II,  1,  27),  mit  unseren  Neigungen,  Be- 
dürfnissen ti.  s.  w.  übereinstimmt  Daher  ist  der  Inhalt  des  ästhetisch  Wirk- 
«men  durch  ererbte  Triebe  bestirimit.  Die  „mopiarehisehe  Einrichtung"  des 
Bewußtseins  beeinflußt  die  künstlerische  Darstellung;  diese  bedeutet  der  Natur 
^icgenüber  eine  Erleichterung  unserer  Ooncentration  auf  das  ästhetisch  Weit- 
ToOe.  K.  Lange  polemisiert  gegen  alle  „metaphysisch-transcendentaien"  sowie 
jwgen  die  Theorien  der  „Einfühlung"  und  „Association"  (D.  Wesen  d.  Kunst 
L  4).  Kern  des  künstlerischen  Grenusses  ist  die  „bewußte  Selbsttäuschung" 
iT^  Die  bew.  Seibett.,  1895).  Die  Aufgabe  der  Kunstlehre  ist  die  Ermittlung 
and  Erklärung  des  ,^äst/ietisehen  Gattungsinstinets"  (Wes.  d.  K.  S.  15).  Form- 
ond  Inhaltsasthetik  sind  beide  einseitig  (1.  c.  S.  17).  Die  „Iüusionsiheori&'  er- 
Mickt  im  psychischen  Voi^ang  des  ästhetischen  Schauens  selbst  die  immittelbare 
Untache  der  ästhetischen  Lust  (1.  c.  S.  18).  Die  ästhetische  Illusion  ist  ein 
Mtkäisckes  Spi^\  ,fiewußte  Selbsttäuschung^'  (1.  c.  S.  27),  die  einem  Grund- 
bedürfnis entgegenkonmit  (1.  c.  S.  28).  In  der  Kraft  der  Illusion  besteht  das 
BcaKstische  (1.  c.  S.  31).  Die  Ästhetik  ist  „die  Wissenschaft  von  den  ästhetischen 
Lustgefühlen",  den  receptiven  und  productiven  (1.  c.  S.  .33).  Die  Kunst  hat  sich 
a»  dem  Spiel  entwickelt,  ist  eine  besonders  verfeinerte  Form  des  Spiels  (1.  c. 
}^.  fß).  Endziel  der  Kunst  ist  die  „Steigerung  und  Vervollkommnung  des 
Meudkentums  durch  Vertiefung  und  Ericeiterung  der  Anschauungen  und  Ge- 
fühlt* (L  c.  II,  S.  57).  Die  ästhetische  Lust  beniht  „lediglieh  auf  der  Stärke 
uttd  Lebhaftigkeit  der  Illusion"  (1.  c.  I,  S.  81),  entsteht  „aus  der  in  der  Vor- 
ddlung  vollzogenen  Ubersetxung  des  Toten  ins  I^beti,  der  phantasiemäßigen  Be- 
s^ehmg  des  in  Wirklichkeit  Unlkiseelten"  (1.  c.  S.  84).  Ästhetische  Beseelimg  ist 
.Jede  Ansehatmng  eines  toten  Naturgebildes,  bei  der  wir  dasselbe  in  der  Phan- 
issie  beleben"  (1.  c.  II,  381).  Die  Illusionsgefühle  sind  gedämpfte,  gemäßigte 
Gefühle,  „Oefählsvorstellungen"  (Scheingefühle)  (1.  c.  S.  100  ff.).  Der  Kunst- 
jmoß  liegt  in  dem  „Widerspiel  zweier  einander  eigentlich  niderspreehender  Be- 
tmßtseinsinhalte,  einerseits  des  Wissens  von  der  Scheinhaftigkeit  des  Wahr- 
jenommenen,  anderseits  des  Olaid)ens  an  die  Wirklichkeit"  (1.  c.  S.  224);  der 
Miedsche  Genuß  ist  ,4ic  Folge  einer  gleichxeitigen  Entstehung  zweier  Vor- 
steüufigsreihen,  die  sieh  eigentlich  ausschließen"  (1.  c.  S.  326,  334  =  „Schaukel' 


94  Ästhetik. 

theorie^^).  Die  bewußte  Belbettauschung  ist  ,4'iejeinige  Form  der  geizigen  Be- 
eeption  ,  .  ,,  die  dem  Mensehen  erlauht,  in  der  verhäUndsmäßig  kürxesteti  Zeii 
die  verhältnismäßig  größte  Zahl  von  Vorstellungen  und  QefähUn  in  sielt  auf- 
xufiehmen,  ohne  xu  ermüden'*  (l.  c.  S.  345).  Das  Schöne  ist  f/ias,  was  Mensehan 
mit  richtiger  und^  intensiver  NtUuransehauung  in  Illusion  tfersetzi^*  (1.  c.  S.  54, 
347,  349,  351,  357).  Naturschön  ist,  „icas,  tnit  den  denkbar  geringsten  Ver- 
änderungen in  die  Kunst  übersetxiy  eine  ästhetische  Wirkung  hervorbringen 
tcürd&*  (1.  c.  II,  349).  Das  Spiel  (s.  d.)  hat  eine  biologische  und  sociale  Be- 
deutung, damit  aber  auch  die  Kunst.  ^yKunst  ist  jede  lUtigkeä  des  Menschen, 
durch  die  er  sich  und  andern  ein  von  praktischen  Interessen  losgelöstes,  auf  einer 
bewußten  Setbsttäuschufig  beruhendes  Vergnügen  bereitet  und  durch  Erzeugung 
einer  Änsehauungs-,  QefüMs-  oder  Kraßvorsteüung  xur  Brtceiterung  und  Ver- 
tiefung unseres  geistigen  und  körperliehen  Lebens  und  dadurch  xwr  Erhaltung 
itnd  Vervollkommnung  der  Gattung  beiträgt*  (1.  c.  IT,  60).  In  der  Form  des 
Scheins  ergibt  sich  ein  Mittel  der  Ausgleichung  der  Einseitigkeit»!  menschlicher 
Kräfte  und  Fähigkeiten  (1.  c.  S.  54  ff.). 

Biologisch  wird  das  Ästhetische  auch  von  H.  Spencer  gedeutet  £r  leitet 
die  Kunst  aus  dem  Spiele  (s.  d.)  ab.  Eine  Vorbedingung  des  Ästhetischen  ist 
die  Ablösimg  eines  Grefühls  von  der  (bewußten)  Aufgabe,  dem  Leb^i  unmiUeL- 
bar  zu  dienen  (Psych.  §  535,  S.  172),  die  bewußte  Zwecklosigkeit  liegt  im  Schönen 
(1.  c.  S.  715).  Doch  macht  sich  in  den  ästhetischen  (jrefühlen  eine  möglichst 
wirksame  und  ungehinderte  Tätigkeit  der  Sinne  und  der  Association  geltend 
(l.  c.  §.  536,  S.  716  ff.).  Auf  den  Zusammenhang  der  Kunst  mit  dem  Spide 
weist  auch  Sully  hin  (Unt.  üb.  d.  Kindh.  S.  306).  Die  ästhetischen  Gk^nüsse 
bilden  einen  „  Überschuß  über  die  täglichen  Befriedigungen"  (Handb.  d.  Psvchol. 
S.  366  ff.).  Nach  L.  Dumont  ist  schön,  „was  in  der  Einheit  einer  und  der- 
selben Vorstellung  ein  VielfaUiges  darstellt,  so  daß  es  einen  beträcMUehen  Kraß- 
aufwand erfordert,  um  diese  Vorstellung  im  Geiste  xu  verwirklichen**  (Vergn.  u. 
Schm.  S.  205  ff.).  A.  Lehmann  betont,  die  ästhetischen  Gefühle  seien  nicht 
ganz  trieblos  (Gefühlsleb.  S.  348).  „Alles,  loas  bei  der  Betrachtung  Lust  erregt, 
heißt  ,sehün*  **  (ib.).  Nach  B.  Hamerlino  hängt  der  ästhetische  Trieb  mit  dem 
Lebenswillen  und  der  Lebensfreude,  der  Freude  an  dem,  was  ist,  zusammen 
(At.  d.  Will.  II,  231).  Ähnlich  Nietzsche,  der  die  Kunst  als  „Stimulans  xwn 
Leben**  betrachtet  (WW.  VIII,  135).  Sie  Idirt  „Lust  am  Dasein  %u  Itaben**  (II, 
207;  vgl.  Zeitler,  Nietzsches  Ästhetik  1900).  Ästhetik  ist  „eine  angewandte 
Physiologie*.  Ch.  Darwin  bringt  das  Ästhetische  zum  Sexuellen  in  Beziehung 
(Urspr.  d.  Mensch.),  so  auch  Nietzbche  imd  G.  Naumani«  (Geschlecht  u. 
Kunst  1899,  S.  159),  femer  W.  Bölsche  (liebeal.  in  d.  Nat.  2.  Folge,  1901). 
Physiologisch  begründen  die  Ästhetik  Grant  AiiLEN  (PhysioL  Aesthetics  1877) 
und  G.  HiRTH.  —  Nach  W.  Jerusalem  sind  die  ästhetischen  Gefühle  y^eine 
Wirkung  l)efriedigter  oder  gehemmter  Functionsbedürfnisse**  (Lehrb.  d. 
Psych.»,  S.  174).  Das  ästhetische  Genießen  ist  eine  Art  Spiel  (1.  c.  S.  176). 
,,Die  Kunstwerke  regen  alle  unsere  seelischen  Tätigkeiten  an**  (1.  c.  S.  176).  Die 
ästhetischen  Gefühle  haben  infolge  ihres  functionellen  Ursprungs,  wegen  ihrer 
Begierdelosigkeit,  ,^ujas  Zartes  und  dabei  zugleich  etwas  Reinigendes  und 
Läuterndes  an  sich"  (L  c.  S.  177).  Die  Kunst  beruht  auf  „LiebesweHnmg** 
des  Künstlers  für  das  von  ihm  Dargestellte  (Einf.  in  d.  Philos.) 

Kulturgeschichtlich -ethnologisch  wird  die  Kunst  betrachtet  von  Gro68E 
(Anfänge  d.  Kunst),  der  auch  die  sociale  Bedeutung  der   Kunst  betont   (L  e. 


Ästhetik  —  Ästhetdach.  95 


S.299£L;  der  üeiste  Grund  und  Wert  der  Kunst  besteht  in  der  Betätigung  und 
in  dem  Genüsse  der  Freiheit  Kunstwiss.  Studien  1900,  S.  15),  sowie  von 
Yiüö  HiEN  (Origins  of  art  1900)  und  K.  Büchker  (Arb.  u.  Rhythmus),  der 
die  gesellige  Arbeit  als  Auslöserin  rhythmischer,  ästhetischer  Functionen  be- 
tnchtet 

Die  sociale  Bedingtheit  der  Kunst  betont  (vorher  schon  u.  a.  Dubos, 
Pboüdhon,  Du  principe  de  Part  .  .,  1865)  H.  Taike  durch  seine  Theorie 
ram  „Milieu**.  ,Jj*oe9wre  cCart  est  determinee  par  tut  ensemble  qui  est  Vetat 
foUrai  de  Cesprit  et  des  moeurs  envinmnanies''  (Phü.  de  Tart  1865,  p.  17,  22, 
^\,  Der  Zweck  des  Kunstwerkes  ist,  einen  wesentlichen  Charakter,  eine  Idee 
deutücher  und  vollständiger  darzutun,  als  es  die  wirklichen  Objecte  tun  (vgl.  Zettler, 
Die  KunB^[>hilos.  von  Hipp.  Ad.  Taine  1901).  Die  sociale  Function  der  Kunst 
betonen  u.  a.  besonders  Guyau  (L'art  au  point  de  vue  sociologique,  1888), 
er  ist  gegen  ,fart  pour  Vart'.  Durch  die  Kunst  wird  die  sociale  Solidarität 
imd  Sympathie  erweckt  und  gesteigert  (1.  c.  p.  15  u.  ff.).  „Le  but  le  plus  haut 
de  fort  est  de  produire  une  emotion  esthetique  d*un  earaetere  sociat^  (L  c.  p.  21). 
Ähnlich  Tabde,  G.  Seailles  (Ess.  sur  le  genre  dans  l'art*,  1897).  Gegner 
dieser  Auffassung  ist  n.  a.  Benouyier  (La  th^rie  esthetique  du  jeu,  Critique 
philos.  1885).  Er  vertritt  die  Kantsche  Theorie  (Nouv.  Monadol.  p.  312  ff.). 
M.  Burckhard  :  „Einmai  beeinflussen  die  socialen  Bestrebungen  den  gegenständ- 
Uekem  Inhalt  der  Kunst,  und  diese  wirkt  dann  durch  die  künstlerische  QestaUung 
»kr  durch  sie  propagierten  Ideen  fördernd  txuf  die  sociale  Bewegung  selbst  zurück : 
dowi  aber  hat  die  Kunst  durch  das  ihr  innewohnende  formale  Moment .  .  .  einen 
maektigen  Einfluß  auf  die  geseflsehafUiche  Entuncklung*^  (Ästh.  u.  Socialwiss. 
1^,  S.  4  f.).  Der  Schönheitssinn  ^^entsprang  aus  den  Eindrücken,  welche  einer- 
seits gewisse  für  die  Entwicklung  der  Gattung  förderliche  Körpereigenschaflen 
9if  die  btdividuen  dieser  Gattung,  anderseits  die  Erscheinungen  der  umgebenden 
ystur  auf  die  inneren  Stimmungen,  insbesondere  ou/*  das  ganxe  Liebeslebeii 
ükn"  (L  c.  S.  11).  flrst  war  das  im  Kampf  ums  Dasein  Nützliche  angenehm, 
«dion,  spater  gefiel  das  Schöne  um  seiner  selbst  willen  (L  c.  S.  70  f.).  Eine 
resehe  historische  Zusammenstellung  der  Lehren  von  der  Beziehung  zwischen 
Kunst  und  Moral  gibt  E.  Reich  (Kunst  u.  Moral  1901),  der  die  sociale  Be- 
dingtheit und  Wirksamkeit  der  Kunst  scharf  betont  Zur  Geschichte  der 
Asshecik  v^l.  R.  Zimmermann,  Gesch.  d.  Ästh.  1858.  M.  Schasler,  Krit. 
G«ch.  d.  Asth.  1871.  LoTZE,  Gresch.  d.  Ästh.  in  DeutechL  18(58.  v.  Stein, 
Die  Entsteh,  d.  neuem  Ästh.  1886.    Vgl.  Erhaben,  Komisch,  Tragisch,  Form. 

ÄstihetilK,  trän  sc  en  dentale,  nennt  Kant  die  Lehre  von  dem  Apriori- 
•dien  der  Anschauung,  der  Wahrnehmung.  „Eine  Wissenschaft  von  allen  Prin- 
eipien  der  Sinnlichkeit  nenne  ich  die  transcendentale  Ästhetik^*  (Kr.  d.  r.  V. 
Ö«  -19).  Sie  bildet  den  ersten  Teil  der  Vemunftkritik.  Sie  beantwortet  die 
Frige:  wie  ist  reine  Mathematik  möglich?  durch  Nachweis  der  Apriorität  (s.  d.) 
^  Anschauungsformen,  Raum  und  Zeit  (s.  d.).  Sie  bildet  mit  der  transcen- 
<lcotalen  Logik  (s.  d.)  zusammen  die  „transeendentale  Elementarlehr&', 

jlstlietiacli  (aia9^ix6s):  1)  zur  sinnlichen  Wahrnehmung  gehörig,  auf  ^ 
die  Wahrnehmung  bezüglich  (Griechen,  Kant);  2)  unmittelbar  in  der  An- 
idiauung  gefallend  oder  mißfallend,  im  engeren  Sinn  =  schön.    Das  Ästhetische 
bomht  objectiv  auf  Eigenschaften,  Verhältnissen  der  Dinge,  subjectiv  auf  der 
eigenartigen  Stellung,  die  das  schauende  Ich  zu  ihnen  nimmt.    Es  ergeben  Bioh 


96  Asthetiach  —  Asthetisohe  Urteilskraft. 


so  ästhetische  Gefühle,  wie  das  Oefühl  des  Schönen,  Erhabenen,  Anmutigen, 
Komischen,  Tragischen.    Vgl.  Ästhetik. 

JUitlietiselie  Beseelnnf^  ist  das  Ausstatten  des  Kimstobjectes  mit 
einem  Scheinleben  durch  y,EinfÜhhmg^\  vermittelst  einer  simultanen  Association 
(Assimilation).  Wir  „leihen^^  dem  Objecte  ein  Ich,  Seele,  Leben  (Visc'her, 
Iipps,  Groos,  Volkelt,  Witasek,  K.  Lange  u.  a.).    VgL  Ästhetik. 

Ästlietisclie  Elemeiitars^effilile  nennt  man  im  weiteren  Sinne  die 
zusammengesetzten  Gefühle  im  Gebiet  des  Gesichts-  und  Grehörsinns.  Im  engeren 
Sinne  gehören  dazu  „di^/mi^fn,  die  als  Elemente  ästhettseher  Wirkungen  in  dem 
engeren  Sinne  dieses  Wortes  vorkommen",  „Der  Begriff  des  Elementaren  be- 
zieht sieh  demnach  bei  diesen  Gefühlen  nicht  auf  die  Gefühle  selbst,  die  durchaus 
nicht  einfach  sindy  sondern  er  soll  nur  einen  relativen  Gegens€Ux  xu  den  noch 
ufeit  xusammengesetxteren  höheren  ästhetischen  Gefühlen  ausdrücken"  (Wuhdt, 
Gr.  d.  Psych.*,  S.  195).  Auf  die  ästhetischen  Elementargefühle  lassen  sich  die 
„nicht  das  eigene  Wohl-  oder  Übelbefindenj  sondern  das  Verhältnis  der  Gegenstände 
xum  vorstellenden  Subfect  xum  Ausdruck  bringenden  Gegenstände  des  Gefallens 
und  Mißfallens"  anwenden  (1.  c.  8.  195  f.).  Es  gibt  zwei  Klassen  von  Wahr- 
nehmungs-  (Elementar-)  Gefühlen.  „Unter  den  intensiven  Gefühlen  verstehen 
wir  diejenigen,  die  aus  dem  Verhältnis  der  qualitativen  Eigenschaftett  der  Em- 
pfindungselemente einer  Vorstellung ,  unter  den  extensiven  solche,  die  fMs  der 
räumlichen  oder  zeitlichen  Ordnung  der  Elemente  entspringen"  (1.  c.  S.  196). 
Die  extensiven  Gefühle  zerfallen  in  die  „Formgefühle"  und  „rhyüimisehen  Ge- 
fühl' (1.  c.  S.  198).  Vgl.  Goethe,  Farbenlehre,  Didakt.  Teil,  6.  Abt.  Fbchneb, 
Vorsch.  d.  Ästh.  I.  J.  Cohn,  Phil.  Stud.  Bd.  X.  R.  Vischer,  Das  opt 
Formgeftihl  1873. 

Ästlietlsebe  Gteffilile  s.  Ästhetik,  ästhetische  Elementargefühle. 

Ästliettscbe  Ideen  gibt  es  nach  Herbart  fünf;  sie  entspringen  aun 
unwillkürlichen  Geschmacksurteilen.    Vgl.  Idee. 

Ästlietifiiebe  lUaston  s.  Ästhetik  (Lakge). 

Ästlietlsiebe  Urteile  =  Geschmacksurteile  =  Einzelurteile,  die  An- 
spruch auf  subjective  Allgemeingültigkeit  machen ;  ihr  Inhalt  ist  der  ästhetische 
Wert  eines  Objects,  also  eüie  Beziehung  desselben  auf  das  schauende  Subject  Nach 
Kant  beruhen  diese  Urteile  auf  apriorischen  Bedingungen  des  Bewußtseins,  der 
Urteilskraft  (s.  d.;  Kr.  d.  Urt.  §  8  f.).  Nach  Herbart  ist  ein  ästhetisches 
Urteil  eüi  solches,  welches  „das  Prädicat  der  Vorxüglichkeit  oder  Vencerfltehkeä 
unmittelbar  und  unwillkürlich,  also  ohne  Beweis  und  ohfte  Vorliebe  oder 
Abneigung,  den  Gegenständen  beüegf^  (Encykl.  §  80).  Es  ist  die  Quelle  äsüietischer 
Ideen  (s.  d.).  Volkmann  nennt  ästhetisches  L^rteil  ,  Jenes  Urfeil,  das  tfon  einem 
Verhältnis  von  Vorstellungen  ein  unbedingtes  Wohlgefallen  oder  Mißfallen  aussagt^ 
(Lehrb.  d.  PHych.  II*,  291).  Lipps  versteht  darunter  „das  Strebungs-  oder  Wert- 
urteil, das  ausdrücklich  darauf  vernichtet,  sein  Object  in  das  System  der  Ursachen 
und  WirkungeUf  Mittel  und  Zwecke  als  Glied  dnxufügen,  obgleich  ihm  freüieh 
die  erfahrungsgemäßen  Zusammenhänge  der  Teile  des  Objects  untereinander, 
ebenso  wie  die  xwischen  ihnen  bestehenden  qualitativen  Verhältnisse  wichtig  sind*' 
(Gr.  d.  Seelenl.  S.  611). 

JUitbetlsehe  UrteltekrafÜ  s.  Urteilskraft. 


AsthetischAr  Scheiii  —  Äther.  97 


IsOtetteelier  SclietD  ist  nach  Schiller  ein  „Schein^  der  toeder  Realiiät 
nrträeH  wiü,  noch  von  derselben  vertreten  xu  werden  braucht"  (Ästh.  Erzieh.  26). 
VgL.  Ästhetik. 

.IsOiO-Pliystolas^ie  untersucht  die  Nervenprocesse  als  Substrat  der 
Wahmehmungsvorgänge  (H.  Spencer,  Psych.  I,  §  41). 

AstrallSeteter  s  Gestimgeister  (bei  Aristotelikern  des  Mittelalters,  auch 
bei  Fechner). 

AsCrattelb  (=  siderischer  Leib)  nennt  Paracelsüs  die  primäre  Seelen- 
hälle,  die  ^idea  corporis  elementarts**,  die  vom  Archeus  (s.  d.)  gestaltet  wird 
und  selbst  den  sinnlich  wahrnehmbaren  Leib  gestaltet. 

Ataraxte  (ara^aSia):  UnerschütterUchkeit  des  Gemütes,  völlige  Seelen- 
rnhe  als  Ziel  des  Handelns,  als  höchstes  Gut.  So  schon  bei  Demokrit  (Stob. 
EcL  II,  6.  76),  besonders  bei  den  Skeptikern  des  Altertums.  Nach  ihnen 
ist  sie  an  die  ^Ttox^  (Enthaltung)  vom  Urteil  über  die  Dinge  geknüpft:  reXoe 
ii  Ol  cxtJtitxoi  faai  rijv  inoxrjVy  J  cxiai  tqotcov  ivcaxoXovd'ei  rj  axa^a^ia 
iDiog.  L.  IX,  11).    Verwandt  mit  der  Ataraxie  ist  die  Apathie  (s.  d.). 

AtaTlsmns :  Rückschlag  bei  der  Vererbung,  Zurückverfallen  eines  Or- 
ganismus auf  eine  frühere  Entwicklungsstufe  (der  Gattung,  der  Ahnen). 

Ataxie  heifit  die  mangelnde  Ordnung  der  Bewegungen  bei  erhaltener 
Oontractionsenergie  der  Muskeln. 

Ätemitftt  =  Ewigkeit  (s.  d.). 

AtfumiMe  (ad-ftfißiij):  Unerschrockenheit,  innere,  seelische  Ruhe,  welche 
Demokrit  preist  VgL  Cicero,  De  fin.  V,  39,  87 ;  Stob.  Flor.  III,  34,  VII, 
32;  EcL  U,  76). 

Atlianaste  =-  Unsterblichkeit  (s.  d.). 

Atbamiiaste  (a&avfiairia):  Nicht- verwundem ,  Nicht-überrascht- werden 
iofdert  der  Stoiker  Zeno  vom  Weisen  {(n>8ev  d'avfia^eiv,  Diog.  L.  VII,  12  f.,  64); 
d«  „Rt/  admirari"  des  HoRAZ  (Epist.  I,  6,  1). 

Attieiams:  GU)ttlo6igkeit,  Leugnung  der  Existenz  eines  göttlichen  Prin- 
zips, Annahme,  dafi  die  Welt  in  und  durch  sich  selbst  besteht.  Ausgesprochene 
Atheisten  sind  Lammettrie,  Holbach,  mich  dem  Atheist  ist  f,un  komme  qui 
ditruit  de»  ekimh-es  nuieibUs  au  genre  humain  pour  ramener  lea  hommes  ä  la 
«fi0v,  ä  texperienee,  ä  la  raison**  (Syst.  de  la  nat.  II,  eh.  11,  p.  320),  Fetter- 
ÄACH.  Stirner,  Dühring,  Nietzsche,  MAiNLXin>ER  (Phil.  d.  Erlöis.  S.  VIII) 
0.1.  F.  Bacon  meint:  ^ileves  gustus  in philosophia  movere  foriasse  ad  cUheismum, 
«ri  plemores  kaustus  ad  religionem  redueere**  (De  augm.  sc.  I,  5).    Vgl.  Gott 

ÄtMer  {aid^^,  aether) :  die  schwerlose,  widerstandslose,  unwägbare,  feinste 
Materie,  die  als  Substrat  der  strahlenden  Wärme,  des  Lichtes  und  der  elektro- 
n^gnetiflchen  Energien  gedacht  wird,  als  ein  alle  Körper  durchdringender,  den 
Wdtraom  erfüllender  Stoff,  der  sich  in  Elemente,  Äther-Atome,  gliedert. 

In  mythischer  Form  tritt  der  Äther  auf  bei  Hesiod  als  Sohn  des  Erebos 
(Finsternis)  und  der  'Syx.  (Nacht).  In  den  orphischen  Dichtungen  erscheint 
«r  als  Weltseele  (s.  d.),  als  Zeus  (Stob.  EcL  I,  2,  42).  Später  gilt  der  Äther 
«k  einer  der  Grundstoffe,  als  eine  Art  feinster  Luft,  immer  noch  als  etwas 
^Qmiekes^*  (aid-e^a  9iav,  Empedokles:  Aristot,  De  an.  I  2,  404  b  14).     Bei 

AUoiofbisehat  WOri«rb«oh.    S.  Aaü.  7 


98  Äther  —  Atom. 

den  Pythagoreern  (Philolausfragment)  kommt  der  Äther  als  fünftes  Element 
(6.  d.)  vor,  60  besonders  bei  Abistoteleb.  Nach  ihm  ist  der  Äther  der  fdnste, 
leichteste  Stoff,  der  den  Himmelskörpern  als  Substrat  dient  (De  coeL  1 3 ;  De  gen.  et 
corr.  II,  2  f. ;  Diog.  L.  V,  1).  Er  ist  der  Qualität  nach  das  erste  Element  (Meteor. 
I,  3 ;  De  gen.  an.  II,  3),  der  Zahl  nach  aber  das  fünfte  (später  ndfotrov  ^To«jffeMW', 
quinta  essentia  (s.  d.)  genannt).  Die  Stoiker  bestimmen  den  Äther  als  Feuer- 
hauch, in  welchem  die  Hinmielskörper  sich  bildeten:  avonaTca  ^Uv  ovr  tlvai  to 
nvQ  o  8^  ai&BQa  xakeXcd'tit,  iv  tp  n^wnjv  rrjr  tcSv  ankavmv  aipalQav  yevt'äc&ai, 
eha  rr,v  t<»v  TtXavoftsvior  (Diog.  L.  VII,  1);  er  ist  die  unmittelbare,  reine  Form 
des  Pneunia  (s.  d.)  (Cicero,  De  nat.  deor.  VII,  137;  Lactanttüs,  Inst.  V,  5; 
Stein,  Psych,  d.  Stoa  I,  26  ff.).  Zeno,  Kleanthes  (Min.  Fd.,  Octav.  19,  10) 
und  BoßTHlus  rufen  im  Äther  die  Gottheit  an  (Stob.  Ecl.  1, 2, 60).  Als  feinsten 
Stoff  bestinmit  den  Äther  Philo  Judaeus.  Bei  Proclub  ist  er  eins  mit 
der  alles  durchdringenden  Weltseele,  ein  Lichtstoff.  Ahnlich  lehren  die  Xator- 
' Philosophen  der  Renaissance,  so  Agrippa,  für  den  der  Äther  der  ^rspirtius 
mundi",  das  fünfte  Element,  die  samenentfaltende  Kraft  der  Dinge  bedeutet. 
G.  Bruno  sieht  im  Äther,  den  er  dem  leeren  Baum  gleichsetzt,  das  einigende 
Band  der  Körperelemente  (De  min,  I,  2),  zugleich  den  y^tritus  unirers^',  das 
Wärmend-Belebende  (De  immenso  IV,  421 ;  De  monade  p.  09 ;  Lasswitz,  Gesch. 
d.  Atom.  I,  388  f.).  Als  feinst«  Materie  im  physikalischen  Sinne  ohne  occulte 
Qualitäten  bestimmen  den  Äther  Hobbes,  B.  Hook,  Malebrakche,  Leibniz, 
Newton,  Bernoulli,  Huygens  (der  ihn  als  Ursache  der  Schwere  betrachtet) 
u.  a.  K.  Rosenkranz  bestimmt  den  Äther  als  „die  cdlgemeine,  gestaühae 
Materi^^,  „das  universelle,  absolute  Continuum"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  199).  Nach 
R.  Hamerling  bestehen  die  Körper  aus  „versckied^i  verdichtetem  Äiher*^  (At 
d.  Will.  II,  86).  —  Nach  Oken  ist  der  Äther  „die  erste  Realwerdung  OoUes^ 
die  ewige  Position  desselben.  Qott  und  Äther  sind  identisch*^.  Er  ist  die  Ur- 
materie,  der  .göttliche  I^^eib,  die  Ousia  oder  die  Substanx''  (Naturph.  I,  44). 
Spiller  erblickt  im  Äther  die  Urkraft,  Gott;  den  reinen  Monotheismus  nennt 
er  „Ätherismus''  (D.  Urkr.  d.  Weltalls  1876). 

Ätiieiiscb  {ai&iQiov)\  aus  Äther,  von  der  Natur  des  Äthers  (s.  d.). 
ylid-d^iov  nvQ\  Parmenides  (Simpl.  ad  Phys.  9,  38). 

Ätlierletb  (Pneumatischer  Leib  bei  Paulus,  Astralleib  bei  Paracelsus): 
Seelenleib,  feinste,  unsterbliche  Hülle  der  Seele.  Bei  Porphyr,  Origenes, 
Agrippa  („aetfierum  animae  vehietdum'*,  De  occ.  phil,  III,  36),  Leibniz, 
Priestley,  Fr.  Groos,  J.  H.  Fichte  (Anthrop.  S.  273  f.).  Spiller.  Lassok 
unterscheidet  den  inneren,  wahren  Leib  als  lebendige  Tätigkeit,  Enteleehie  von 
der  äußeren  Erscheinung  desselben  (Der  Leib  1898). 

Ätiologie  {airtoXoyia):  Lehre  von  den  Ursachen,  Gründen  (z.  B.  bei 
K.  Rosenkranz,  Syst.  d.  Wiss.,  S.  48  ff.). 

Atman:  Hauch,  Odem,  Lebenshauch,  das  Selbst,  das  Wesen,  die  Seele, 
das  An-sich  des  Ich  und  der  Dinge,  die  göttliche  Urkraft,  das  Weltprincip 
(A'^edische  Philosophie).    Vgl.  Deussen,  Allg,  Gesch.  d.  Phil.  I,  1,  S.  2a')  ff.). 

Atom  {nrofwvj  das  Unteilbare) :  letztes  Körperelement,  vom  Denken  gesetzt, 
um  die  complicierten  physikalisch-chemischen  Vorgänge  berechnen  zu  können, 
als  B[raftpunkt,  Kntftcentnun  gedacht,  (jeistige,  psychische  Atome  =  Monaden 
(s.  d.).  Die  Lehre  von  den  Atomen  =  Atomistik,  die  Annahme,  dafi  die 
Welt  aus  Atomen  wahrhaft  besteht  =  Atomismus. 


Atom.  99 

Von  AtCMuen  als  Bestandteilen  der  Körperwelt  ist  schon  bei  Kanada  (Yaice- 
shikain-SvBtem)  die  Bede.  Im  Abendlande  wird  die  Atomistik  durch  (Leukipp 
nnd)  Demokbit  begründet.  Das  Seiende  muß  als  Vielheit  gedacht  werden, 
am  die  Erscheinmigen  zu  begreifen,  es  muß  in  Atome  zerfällt  werden,  aus  deren 
Zusammensetzung  die  Eigenschaften  der  Körper  abgeleitet  werden  können.  Das 
^^eiende  ist  nHj^es  xai  arepeov,  das  Nichtseiende  (der  leere  Raum)  ist  xsvov 
xai  fMV9v  (Aristot,  Met.  I,  4,  985b  4  squ.;  Diog.  L.  IX,  12;  Stob.  Ecl.  I,  306). 
Eb  gibt  eine  unbegrenzte  Menge  von  Atomen  (ccto/i«,  iSdai^  aj^ff^r«,  Arist., 
Phys.  III  4,  203  a  22;  Diog.  L.  IX,  12);  sie  sind  ewig  (L  c.  VIII  1,  252  a  35), 
verschieden  an  Gestalt  [axtlfm),  Größe  ijuye&os),  Lage  (d'icis),  alle  aber  dicht 
nnd  hart  (Arist.,  Met.  I  4,  985  b  17  squ.).  Von  der  Größe  der  Atome  ist  ihre 
(H^hwere  abhängig  (Arist,  De  gen.  et  corr.  I  8,  326a  10).  Die  Atome  sind  inl  ^ 
URprünglieher  Bew^ung  begriffen  (Arist,  Phys.  II  4,  196a  25)  imd  leidens-  ' 
unffthig  {anad'ds  .  ,  ,  ov  ya^  olov  re  näa^^eiv  alX*  ij  8td  rov  xevovj  Arist.,  De 
goi.  et  corr.  I  8,  326a  1,  325b  36).  Ovaiae  aTtei^ove  ro  Ttkrj&os  drofiovs  re 
jBffi  dButfi'^oui  ^i  S^  dnoiov^  xni  dTra&eis  iv  rqi  xev(^  ye^BC&ai  Sieanaft/i^'vae 
»Plut,  Adv.  Gol.  8).  Durch  den  Zusammenprall  der  Atome  bilden  sich  Wirbel 
iiirri),  ans  diesen  unendliche  Welten  {aTrei^ove  xocfiove,  Diog.  L.  IX,  12,  45; 
^fexL  Emp.  adv.  Math.  IX,  113),  alles  aber  ohne  Absicht,  ohne  metaphysische 
Xotwendigkeit  („nuLla  eogente  natura,  sed  coneursu  qiiodam  fortuitu^^  Cicebo, 
De  nat  deor.  I,  66).  Die  Dinge  sind  Anhäufungen  {avyx^ifiara)  von  Atomen, 
»tstehen  durch  die  avfinXou^  xai  ne^mlhiBi  der  Atome  (Arist,  De  coel.  III 
4.  303  a  7).  Die  Atome  sind  das  An-sich  der  Dinge,  das,  als  was  sie  gedacht 
Verden  müssen,  während  die  Sinneswahmehmimg  nur  subjectiv  ist  (Sext.  Emp. 
adv.  Math.  VII,  13.5).  Aus  feinsten  Atomen  besteht  die  Seele  (s.  d.);  auf  Ab- 
lösung von  Atomen  von  den  Dingen  beruht  die  Wahmehmimg  (s.  d.).  Epikur 
«meucrt  die  Atomistik.  Die  Körper  bestehen  aus  unveränderlichen  Atomen 
•€Tfaa  xai  dfierdßXr^«,  Diog.  L.  X,  41),  den  Principien  (äqx^^  &Uer  Dinge. 
Die  Eigenschaften  der  Atome  sind  Größe,  Gestalt,  Schwere  (ßn^os,  Plut.,  Epit  I  /  /- "^ 
I.  3;  Dox.  Diels  p.  285).  Anfangs  bewegten  sich  die  Atome  mit  gleicher  ' 
ifcimeUigkeii.  durch  das  Leere  (xevJv),  ohne  Hindernis  (jiv;Öev6e  arrixonrovrog, 
L  c.  p.  61),  in  gerader  Richtung  („ferri  deorsutn  suo  pondere  ad  lineamy  hunc 
mfuralem  esse  mnnium  corporum  motum^^  Cicer.,  De  fin.  I,  6;  De  nat.  deor. 
I,  25  ff.;  Plut,  Plac.  I,  12).  Um  aber  die  Entstehung  der  Mannigfaltigkeit 
von  Dingen  zu  erklären,  nimmt  Epikur  an,  die  Atome  hätten  sich  rein  wiU-  ' 
küriich,  frei  von  ihrer  Richtung  ein  wenig  entfernt:  ,,Dedinare  dixit  atomum  ,  j  1 
l^rptndutn,  quo  nihil  posset  fieri  minus;  ifa  effid  complexiones  et  copulaiionesl 
*i  adkaesiones  atomorum  inter  *c"  (Cic,  De  fin.  I,  18;  De  nat.  deor.  I,  69). 
^Corpora  cum  deorsum  rectum  per  inatie  feruntur,  ponderibus  propriis  incerto 
f^mpore  ferrne  incertisque  loci  spaiiis  decellere  paulum^^  (Lucr.,  De  rer.  nat 
IL  217  ft).  Aus  feinen  Atomen  bestehen  die  Seele  (s.  d.),  die  Götter,  die  in 
den  Intermundien  (s.  d.)  wohnen.  Eine  Ausführung  der  Atomistik  gibt  Lugrez. 
AuNoe  (principia,  minima,  semina)  muß  man  annehmen,  sonst  bestände  jeder 
Körper,  der  kleinste  wie  der  größte,  aus  unendlichen  Teilen,  und  es  gäbe  dann 
keinen  Unterschied  zwischen  dem  Kleinsten  und  Größten,  beides  wäre  imendlich, 
rfMorf  quaniam  ratio  reclanuU  vera  negaique  credere  posse  animum",  ,,victus 
foieare  neeessest  esse  ea  quae  nullis  tarn  praedita  partibus  extent  et  minima- 
'^nstent  natura  .  .  .  quae  quonia^n  sunt,  illa  quoque  esse  tibi  solida  aique  aeterno 
ffiiendttm''  (De  rer.  nat   I,  615  ff.).     Ein  Gegner  der    Atomistik  ist  Cicero 

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Atom.  101 

wie  dies  später  Naegeli,  L.  Noire,  £.  Haeckel  u.  a.  tun  (s.  Hylo- 
zoifimus). 

Neben  der  quantitativ-extensiven  kommt  nun  eine  dynamische  Atomistik 
uf,  welche  in  den  Atomen  unausgedehnte  Kraftpunkte  erblickt.  Zugleich  wird 
der  Gedanke  wach,  dafl  die  Atome  als  solche  niu*  Producte  unseres  Denkens 
sind,  Ansatzpunkte  der  Berechnung,  nicht  Dinge  an  sich,  femer  auch  bei  vielen 
die  Idee,  dafi  die  Atome  überhaupt  nur  relativer,  nicht  absoluter  Art  sind,  dafl 
die  Dinge  sich  in  sie  zerlegen  lassen,  daß  aber  von  der  Existenz  ursprünglich 
isoliater  Atome  nicht  die  Bede  sein  kann. 

Wissenschaftlich  begründet  BoscowiCH,  philosophisch  Kant  die  dynamische 
Atomenlehre.  Atom  ist  nach  Kant  „e»n  kleiner  Teil  der  Materie^  der  physisch 
mtmittelbar  ist.  Physisch  untniUelbar  ist  eine  MtUerie,  deren  Teile  mit  einer 
Kraft  xttsofnmenhängen,  die  durch  keine  in  der  Natur  befindliclie  beiregende  Kraft 
aberwääigt  werden  kann*'  (Met.  Auf.  d.  Naturw.  WW.  IV,  427).  Die  Atome  be- 
«tdiea  aus  abstoßenden  Kräften,  durch  die  sie  erst  einen  Raum  erfüllen  (s.  Ma- 
terie); sie  gehören  der  Sphäre  der  Erscheinung  (s.  d.)  an.  Schon  in  der 
^Monadologia physica**  spricht  Kant  von  Atomen,  ^^monades physicae'* ,  y^Corpara 
timsia$ä  partibus,  quae  a  se  invicem  separaiae  perdurabüem  habeni  existentiam" 
•l  c.  sct  I,  prop.  II);  jede  „manas**  hat  eine  y^haera  activitaiis"  (1.  c.  prop.  VI). 
ScHELLiNG  nennt  die  Atomistik  ,y^  einxig  consequente  System  der  Kmpirie^^ 
dfts  metaphysisch  einer  rein  dynamischen  Auffassung  Platz  machen  muß  (Ideen 
z.  e.  Ph.  d.  Xat*,  S.  297  f.,  s.  Materie).  Nach  Herbart  entsteht  das  materielle 
Atom  durch  das  Gleichgewicht  zwischen  Attraction  und  Repulsion  (Allg.  Met.). 
K.  Rosenkranz:  „Dte  absohUe  ConHnuüät  des  Äthers  realisiert  ihre  absolute 
IHsereUon  in  dem  Minimum  einfacher  materieller  Existenz y  im  Atom**  Dieses 
M  eine  Voraussetzung,  es  ist  das  Minimum  der  Auflösung  des  Äthers,  keine 
onreranderliche  Substanz,  sondern  ein  Symbol,  eine  Fiction  (Syst  d.  Wiss. 
8.  200).  J.  H.  Fichte  definiert  die  Atome  als  „einfacßie  ünxerlegbarkeüen,  aber 
pudHaiüfer  Arty  welche  ihren  Raum  setxen  —  erfüllen  und  durch  ihre  innere 
Affimiäi  sowie  durch  die  damit  zwischen  ihnen  hervortretenden  Weehsdwirhmgen 
das  Phänomen  relativ  undurchdringlicher  Körper  erzeugen**  (Anthr.  S.  194). 
Xaeh  Ulrici  erscheint  jedes  Atom  als  yycin  l*unkty  in  welchem  mehrere  Kräfte 
sieh  eimgcHy  als  ein  Ort,  von  dem  unterschiedliche  Kraftäußerungen  ausgehen, 
mithin  als  ein  Gentrum  y  das  eine  Peripherie  von  Wirkungen  umgibt**  (Leib  u. 
Seele  S.  37).  Nach  G.  Spicker  ist  das  Atom  nicht  absolut  isoliert.  yyAlle 
AUtme  bedingen  sich  gegenseitigy  ihre  CausaliUU  und  Wirksamkeit  ist  nur  als 
eine  gemeinschaftliche  zu  detdcen**  (Vers.  e.  n.  Grott.  S.  112  ff.).  E.  v.  Hart- 
XAinr  betrachtet  die  Materie  als  aus  yyAtomkräften**,  yyDynamiden**  (so  schon 
Redtkkbacher),  unausgedehnten  Kraftpunkten  zusammengesetzt  (Phil.  d.  Unb.', 
B.  474;  Gresch.  d.  Met.  II,  506  f.);  die  Atome  sind  yyWillefisatome^*  mit  primi- 
tiTstein  Bewußtsein  (Ph.  d.  Unb.»,  S.  498,  512),  y,obfeetiv  reale  Erscheinungen 
oier  Manifestationen  des  AU-Einen**  (1.  c.  S.  491).  R.  Hamerlino  erklärt: 
JVfifil/  €las  Atom,  sondern  nur  seine  Wirkungssphäre  ist  räumlich**  (At  d.  Will. 
I,  109).  Das  Continuum  ist  nur  Sinnenschein  wahrhaft  bestehen  yySeins- 
puddt^y  yjljcbens-  und  Kraftpunkte**  (1.  c.  I,  26),  unausgedehnte,  immaterielle 
WiDenfseinheiten  mit  primitivstem  Bewußtsein  (1.  c.  I,  26  f.,  239,  170  ff.).  Er 
fßft  ein  y^ Atomgefühl** .  CzoLBE  dagegen  nimmt  yybegrenzte  und  nach  allen 
Dimensionen  ausgedehnte**  Atome  an,  die  sich  ursprünglich  anziehen  und 
>b»tofien  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  83).   Rein  dynamische  y, Atome**  gibt  es  nach 


102  Atom  —  Atomismus. 


Fakaday  (Üb.  d.  Nat.  d.  Mat.,  Phil.  Magaz.  1844,  Bd.  24,  S.  136),  ZöLunsR 
(Wiss.  Abh.  I,  127).  Wundt  betrachtet  die  continuierliche  AuBdehnung  der 
Körper  als  Wirkung  der  bewegten  Materie  auf  unser  Anschauungsvermögen 
(Syst.  d.  Phil.*,  S.  442  ff.,  453  f.).  Atome  (relative)  sind  als  Kraftcentren,  als 
Ausgangspunkte  von  Bewegungen  denkend  zu  postulieren  (Log.  II,  362,  374). 
Biehl:  „Z>0i*  Atombegriff  ist  der  Atisdruek  des  einfachen  Denkaetes  d^  Seixung 
eines  Wirklichen,  auf  Anlaß  und  entsprechend  der  einfachen  Empfindung  nach 
Abxug  ihrer  Qualität  und  ihres  bestimmten  Orades^*  (Phil.  Krit.  II,  1,  22).  Es 
sind  „nicht  erst  Elemente  da,  welche  hinterher  xu  einem  ihnen  selbst  äußerliehen, 
gleichgüÜigen  Systeme  oiusammengeraten;  vielmehr  sind  die  Elemente  durch  ihre 
Orundeigenschaften  xusammengehörig^^  (1.  c.  S.  276).  Atome  sind  Abstraetions- 
produete,  Gedankensymbole,  nicht  (am  Ende  gar  beseelte)  Dinge.  „Ihe  Atomistik 
ist  eine  Zeichensprache  für  Dinge,  die  für  die  Unterscheidung  und  Indimducdi^ 
sierung  der  Erscheinungen  Stützpunkte,  für  die  Rechnung  Ansatxpunkte  liefert . .  " 
(Z.  £inf.  in  d.  Phil.  S.  153).  Nach  Lipps  sind  die  Atome  ,^nur  Ausgangs-  untl 
Zielpunkte  gesetzmäßig  aneinander  gebundener  Arten  des  räumlichen  Oeschehens^ 
(Gr.  d.  Log.  8.  91).  H.  Cornelius  warnt  vor  der  Hypostasierung  des  Atom- 
begriffes,  betont  aber  auch  den  Wert  desselben  als  „reines  Bild  für  die  Zu- 
sammenfassung  der  Erscheinungen^^  (Einl.  in  d.  Phil.  S.  328).  So  auch  die 
Kantianer. 

Nach  Schopenhauer  sind  die  Atome  ,Jcein  notwendiger  Gedanke  der  Ver- 
nunft, sondern  bloß  eine  Hypothese  xur  Erklärung  der  Verschiedenheit  des  speei- 
fischen  Gewichts  der  Körper^^  (W.  a,  W.  u.  V.  I,  S.  495).  Fechner  erblickt  den 
Beweis  der  Realität  der  Atome  allein  „in  der  mathematischen  Notwendigkeit,  sie 
XU  gebrauchend^  (Üb.  d.  Seelenfr.  S.  216  ff. ;  Phys.  u.  phil.  Atom.«).  Die  Atome 
haben  kein  Für-sich-sein,  sind  nur  als  Bestandteile  des  allgemeinen,  göttlichen 
Bewußtseins  real.  Nach  L.  Busse  sind  die  Atome  „nur  praktisch  brauchbare 
Fictionen,  symbolische  Bexeiehnungen  eines  Seins  und  Geschehens"^  (Phil.  u. 
Erk.  I,  1,  245).  Benouvier  bemerkt:  „Uatome  semble  .  .  .  n'etre  qu'  uns  ea»t- 
ception  proprement  chimique*^  (Nouv.  Mon.  p.  11).  O.  Liebmann  sieht  in  de« 
Atomen  punktuelle  Kraftcentren,  Dynamiden  (Anal.  d.  Wirkl.*,  S.  307,  311). 
Das  Atom  ist  Grenzbegriff  von  provisorischem  Charakter,  eine  „Rechenmarke 
der  Theorie^',  eine  „Fiction^'  (1.  c.  S.  311  f.).  Schuppe  sieht  in  den  Atomen 
nur  Produete  der  „ZerfSüung  des  mit  QucUitäten  erfüllten  Raumes  in  kleinste 
Teile^^  (Log.  S.  83).  E.  Mach  erklärt,  man  dürfe  in  den  von  der  Natunvissen* 
Schaft  „selbstgeschaffenen  veränderlichen  Ökonomischen  Mitteln,  den  Moleeulen  und 
Atomen'%  nicht  „Realitäten  hinter  den  Erscheinungen  erblicken".  Das  Atom  ist 
ein  Denkmittel,  die  Erscheinungen  darzustellen  (Populärw.  Vorl.  S.  223).  Eine 
reservierte  Haltung  gegenüber  der  Atomistik  ninrnit  (^'ie  schon  Helmholtz, 
Vortr.  u.  Red.  II,  47)  P.  Völkmann  ein  (Erk.  Gr.  der  Naturwiss.  S.  152  ff.). 
Ostwald  schaltet  die  Atomtheorie  aus,  ersetzt  sie  durch  eine  „energetische^* 
Auffassung  (s.  d.),  —  „Wirbelatomef^,  die  in  und  aus  dem  Fluidum  des  Stoffa« 
entstehen,  nehmen  P.  G.  Tait  und  Thomson  an.  Haeckel  u.  a.  nehmen 
zweierlei  Arten  Atome  an:  Massen-  und  Äther- Atome.  Vgl.  Monade,  Hylo- 
zoismus,  Materie,  Homöomerien,  Elemente. 

Atomiftmn»;  Annahme,  daß  die  Dmge  insgesamt  aus  Atomen  (s.  d.) 
zusammengesetzt  sind,  daß  alles  Geschehen  auf  Mischung  und  Entmischung, 
Vereinigung  und  Trennung,  Anziehimg  und  Abstoßung,  Umlagerung  der  Atome 


AtomiamuB  —  Attribut.  103 

bffnht  (Demokrit,  Epikub,  Lucrez,  Gassgkdi,  Holbach,  Bobinet,  Büch- 
KER  u.  a).  Einen  psychischen  Atomismus,  nach  welchem  aus  psychi- 
sehen  Elementen  das  Bewufitsein  sich  aufbaut,  lehren  Spencer  (Psychol.  I), 
TADfE  (De  rintellig.  III),  Clipford  (s.  Mind-stuff),  Haeckel.  Dagegen 
James  (Prine.  of  Pbychol.  I,  p.  145  ff.),  Lotze,  Külpe  (Einl.  in  d.  Philos.), 
L  Busse  u.  a. 

AtomtetilKS  Lehre,  Theorie  von  den  Atomen  (s.  d.):  a.  quantitative 
At(Hni8tik,  b.  qualitative  Atomistik  (Anaxaooras  u.  a.).  Vgl.  Homoeomerien, 
demente. 

Atomistlfselie  PsyeliolOfi^e  wird  jede  psychologische  Bichtung  ge- 
mimt, welche  voraussetzt,  dafi  das  Psychische  sich  aus  ursprünghch  bestehenden, 
isolierten  Ellementen  aufbaut.  Dagegen  besonders  H.  Cornelius  (Psychol. 
S.  117  ff.;  Einl.  in  d.  Psych.  S.  205).    Vgl.  Psychologie. 

Attraetlon  (Anziehung)  und  Bepulsion  (Abstofiung)  als  Grundeigen- 
M>haft«i  der  Körperelemente  beruhend  auf  Attractions-  und  Bepulsionskräften, 
die  aber  nur  in  ihren  Wirkungen  gegeben  und  gedacht  sind.  Leibniz  leugnet, 
diß  die  Attraction  eine  ursprüngliche  Eigenschaft  der  Materie  sei  (Opp.  Erdm. 
p.  767).  Kant  definiert  die  Attractionskraft  als  yjäte/enige  bevregende  Krafty 
Kodurch  eifie  Materie  die  Ursctche  der  Annäherung  anderer  xu  ihr  sei^i  kamiy 
oier,  trelehes  eifterlei  isty  dadurch  sie  der  Entfernung  anderer  von  ihr  understeht*' 
(Met,  Anf.  d.  Nat.  WW.  FV,  389).  Aus  Attractions-  und  Bepulsionskräften 
heBteht  alle  Materie  (s.  d.).  So  auch  Schelling.  —  Von  einer  „seelischefh 
Attraetion^'  spricht  Steinthal  als  von  einem  Streben,  in  Verhältnis  und  Ver- 
bindung zu  treten  (EinL  in  d.  Psych.  S.  115). 

Attriblit  (attributum,  das  Zuerteilte):  wesentliche,  unmittelbare,  notwendige, 
onprungliche,  constitutive  Eigenschaft  oder  Wirkungsweise  eines  Seienden,  Art 
und  Weise  des  Seins  selbst. 

Bei  Abistoteles  bedeutet  avfißaßrjfcoe  xad^  avio  die  w^esentliche,  notwendige 
Eigenschaft  eines  Dinges,  die  von  ihm  nicht  abgetrennt  gedacht  werden  kann 
fAnaL  post.  I  22,  83b  19;  Met.  V  30,  lQ25a  30).  So  auch  bei  Thomas  das 
•Alinbntufn"  (Sum.  th.  I,  39,  8c).  Insbesondere  sprechen  die  Scholastiker 
nm  den  Attributen  Grottes,  y,attribiäa  Dei  intema^^  (Allwissenheit  u.  s.  w.). 
Xach  Piebre  d'Ailly  sind  sie  „nomirui  sive  signa  vocaiiay  eupponentia 
immediate  pro  perfeetione  divina^^  (Stöckl  II,  1029).  Albertus  Magnus: 
nÄttributa  divina  dieunt  modum  creaiionis  quo  ereaturae  exetmt  ab  ipso"  (Sum. 
th.  n,  39,  l).  Der  Begründer  der  Schule  der  Mutaziliten,  Wasil  ben  Ata, 
leugnet  die  Vielheit  der  göttlichen  Attribute  (Stein,  An.  d.  W.  d.  Jahrb.  S.  93). 
r,Sifätija^*  hießen  die  arabischen  Anhänger  der  Attribute  (jottes  (1.  c.  S.  94). 

Descabtes  nennt  Attribute  die  Grundeigenschaften  der  Substanz  (Princ. 
phiL  I,  56).  In  Gott  gibt  es  weder  yyquaiitates"  noch  yyinodi^y  sondern  nur 
fjtttributa^^  weil  Gott  unveränderlich  ist.  „M  etiam  in  rebus  creatis,  eae  quae 
mtmquatn  in  iis  diverso  modo  se  habent,  ut  existentia  et  dttratio,  in  re  existente 
fi  duranie,  non  qualitates  aut  modiy  sed  attributa  dici  debent"  (ib.).  Attribut 
des  Geistes  ist  das  Denken,  Vorstellen  (yyCogiUUio")y  Attribut  des  Körpers  die 
Aosdehnung  (y^extensio")  (1.  c.  53).  Die  Attribute:  Zahl  und  alle  Universalien 
and  nur  in  unserem  Denken  (1.  c.  58). 

Eine  fundamentale  Bedeutung  hat  der  Begriff  des  Attributs  bei  Spinoza. 


104  Attribut  —  Aufklärung. 


Er  versteht  darunter  das,  was  das  Denken  als  die  Wesaiheit  der  „Substanx^' 
(b.  d.)  constituierend  auffaßt:  „Per  aUribuium  inielligo  id  quod  inielleetas  de 
substantia  pereipit  tamquam  eiusdem  easefüicte  constüuens'*  (£tlL  I,  prop.  lY;  — 
„quod  attribtUum  dieaiur  reapeHu  intelleetus,  substaniiae  csrtam  talem  nahtram 
iribuentis**  (Epist.  27).  Die  „Substanx^^  (=  Gott)  besteht  in  unendlichen  Attri- 
buten :  y,Deus  sive  subatuntia  eonstans  infinüis  aäribuiis,  quorum  unumquodque 
aeteniam  et  infinitatn  essentiam  exprimiiy  neeeasario  existif^  (Eth.  I,  prop.  XI). 
Wir  aber  erfassen  von  Gott  nur  zwei  Attribute,  „cogiUUio^^  (Denken,  Bewußtsein) 
und  „extefisio'^  (Ausdehnimg)  (1.  c.  II,  prop.  I,  II),  Jedes  dieser  Attribute  muß 
durch  sich  allein  gedacht  werden  (,jE7er  se  eaneipi  debet^  [1.  c.  I,  prop.  X,  dem.]). 
Es  ist  aber  die  Substanz  nur  ein  Wesen  mit  mehreren  Seinsweisen:  „Quamvts  duo 
aitributa  realiter  digttncia  eaficipiantur ,  hoc  est,  unum  sine  ope  aUeriuSy  nari 
possumus  tarnen  inde  coneluderej  ipsa  duo  eniia  sive  duas  diversas  substantias 
eonstiiuere^^  (1.  c.  I,  prop.  X).  Die  göttlichen  Attribute  sind  so  ewig  wie  Grott 
selbst:  jj)eus  sive  omniaDei  aitributa  sunt  aetema^'  (L  c.  prop.  XIX).  Alles,  was 
aus  dem  Attribut  folgt,  existiert  notwendig  ewig  und  unendlich  (1.  c.  prop.  XXI). 
—  Während  K.  Fischer  in  den  Attributen  Spinozas  zwei  real  gesonderte 
Daseinsarten  der  Substanz  erblickt,  bestimmt  J.  E.  Erdmann  sie  idealistisch 
als  zwei  jyA.uffässungsu:eisen  des  beiraektenden  Verstandes** ,  gleichsam  durch  ge- 
färbte Brillengläser  (Gr.  d.  Gesch.  d.  Phil.  II*,  62). 

Chr.  Wolf:  „Quae  per  essentialia  determtnantury  dieuntur  attributa^'^  (Ont. 
§  146).  yy Attributa  etiti  consfanter  insufit*  (1.  c.  §  150).  Crusius:  „Da^'efttge^ 
was  aus  dem  Grundwesen  einer  Sache  mit  einer  Beständigkeit  hinfließt  ufui  sofern 
derselben  allexeü  xukomfnt,  heißt  ein  attribtäum**  (Vernunftwahrh.  §  40).  Attri- 
bute im  logischen  Sinne  sind  nach  Kant  (Log.  S.  89)  imd  Fries  y,Folgen  der 
eonstitutiren  Merkmale"  eines  Begriffs  (Syst.  d.  Log.  S.  123).  E.  v.  Hartmaxx 
betrachtet  als  die  beiden  Attribute  des  yyUnbewußtcfi^*  {s.  d.)  Idee  imd  Wille 
(Kategor.  S.  221). 

Aactor:  das  Wort  schlechthin  gebraucht,  bezieht  sich  im  11.  bis  13.  Jahr- 
hundert auf  BofiTHirs. 

Audltloil  eolorte  (farbiges  Hören)  heiüt  die  bei  manchen  Personen 
(zuweilen  in  Familien  erbliche)  innige,  associative  Verbindimg,  Verschmelzung 
von  Gehörs-  imd  Farbenempfindungen,  vielleicht  durch  den  gleichartigen 
Gefühlston  vermittelt.  Dieses  Phänomen  wiuxle  untersucht  von  Lr.<^??AXA, 
Fechner,  Lehmann,  Bleuler,  Steinbrxjgge  u.  a.  Vgl.  Anidogicn  der  Em- 
pfindung. 

• 

AaffaHmaiii;  s.  Apprehension.  y,Qule  Ätfffassufig**  ist  ein  leichtes  Apper- 
cipieren,  Aneignen  eines  Wissensstoffes. 

Aafklilrani^  heißt  die  Verbreitung  freierer,  selbständiger,  klarer  Ideen,  eine, 
klares  Bewußtsein  von  der  Bedeutung,  dem  Urspnmg,  dem  Grunde  der  Dinge 
und  des  physischen,  geistigen,  socialen,  religiösen  Lebens  verschaffen  wollende 
Tendenz  im  Denken  imd  Handeln  des  18.  Jahrhunderts.  Die  Aufklärung  ent- 
spricht dem  Triebe  nach  Individualisierung  imd  Autonomie  des  Denkens  und 
Lebens.  Ihren  Ausgang  nimmt  die  Aufklärung  in  England,  indem  sie  hier  im 
Empirismus  (s.  d.)  Lockes  u.  a.  wurzelt;  zugleich  komnit  ihr  das  rationalistische 
Streben  nach  Klarheit  und  Deutlichkeit  der  Begriffe  (Descartes),  nach  „rer- 
nünftigen  Gedanken''   (Chr.  Wolf)   entgegen.     Zu  den  englischen  Aufklaiem 


Aufklärung  —  AufmerkBamkeit.  105 

geboren  Toland,  Tenbal  und  andere  Deisten  und  j^Freigeister^^,  zu  den  französi- 
schen Bayle,  Montesquieu,  Voltaire,  Rousseau  (zum  Teil),  Helvetius, 
Holbach,  Gbdch,  die  EncyklopadiBten:  Diderot,  D'Alembert  u.  a.;  zu  den 
(leatBchen  Friedrich  der  Grosse,  Lessing,  Mendelssohn,  Beimarub,  Eber- 
hard Nicolai,  Abbt,  Garve,  Sulzer,  Engel,  Feder,  Bahrdt,  Lichten- 
berg u.  a.  Die  Philosophie  der  Aufklarung  hat  zum  Teil  den  Charakter  einer 
ekleküschen  Popularphilosophie  mit  besonderer  Berücksichtigung  von  Fragen, 
die  mit  der  Religion  zusammenhangen,  teleologischen  imd  psychologischen 
UntersDchungen  (vgL  Überweg,  Gr.  d.  Gesch.  der  Phil  III»,  227  ff.).  Nach 
Kant  ist  Aufklarung  der  Ausgang  des  Menschen  aus  seiner  selbstverschuldeten 
ünmändigkeit  (Was  ist  Aufkl.?  Berlin.  Monatsschr.  1784).  —  Als  Beaction  gegen 
die  Aufklärung  tritt  eine  Bevorzugung  des  Gefühlslebens  auf  bei  Rousseau, 
Hamann,  Jacobi,  den  Romantikern.  Vgl.  Leoky  (Gresch.  d.  Aufklär,  in 
Europa  1873). 

Anftnerksamkeit  ist  der  Inbegriff  der  subjectiv-psvchologischen  Vor- 
gänge und  Zustände,  die  der  Apperception  (s.  d.)  eines  Vorstellungsinhaltes 
(flt^reohen.  Sie  bedeutet  einen  höheren  Grad  der  Bewußtheit,  Concentration 
d€8  Bewußtseins,  Bevorzugung,  Fixierung  von  Erlebnissen  und  Henmiung,  Ver- 
nachlässigung anderer.  Das  aufmerksame  Erleben  wird  charakterisiert  durch 
^pumungsempfindungen,  verschiedenartige  Gefühle,  Strebungen ;  der  Zusammen- 
kng  aller  dieser  Factoren,  in  und  mit  welchen  die  Aufmerksamkeit  gegeben 
M,  läßt  diese  als  Trieb-  bezw.  Willenshandlung  erkennen  (unwillkürliche  = 
triebhafte  —  willkürliche  Aufm.). 

Die  Aufmerksamkeit  gilt  zunächst  als  eine  besondere  Bewußtseinstätigkeit, 
deitn  die  Klarwerdung,  Erfassung  eines  Inhalts  bedarf,  oft  geradezu  als  Willens- 
titigkeit.  So  schon  bei  Augustinus  (s.  Apperception),  nachdem  schon  im 
Altmom  besonders  Strato  die  bemerkende  Function  der  Aufmerksamkeit  her- 
vorgehoben hatte  (Plut,  De  solL  an.  3,  6).  Thomas  unterscheidet  „attentio 
wiualis''^  und  „attentio  seeufidum  virtutem^^  (4.  sent  15,  4,  2,  4c)  und  betont: 
yfld  actum  ctdusltbet  cognoscitivae  polentiae  requiritw  interUio^^  (Verit.  13,  3c) ; 
die  intentio  ist  j^aetus  voluntaiis"  (Verit.  22,  19  c).  Descartes  erklärt  die  Auf- 
Bffksamkeit  durch  den  Einfluß  des  Willens  auf  das  Seelenorgan.  yfCum  quis 
•Kffw  attentiotiem  sistere  vuit  in  eonsideratione  wnius  obieeti  per  aliquod  iempiiSj 
iflw  poluntas  per  illud  tempus  retinet  giandem  inclinatam  in  eandem  parfem" 
'Pags.  an.  I,  43,  p.  20).  Malebranche:  „«/c  sens  qtte  la  luniiere  se  repand 
^ans  tnofi  esprit  ä  proportion  que  je  le  desire  et  que  je  fai^t  un  certain  effort 
fw  fappelU  aftmtton"  (M6d.  chr6t.  I,  2).  Locke  betont,  daß  die  Vorstellungen 
der  inneren  Erfahrung  erst  klar  und  deutlich  werden,  wenn  der  Verstand  sich 
»ach  innen  auf  sie  wendet,  auf  sie  achtet  (Ess.  II,  eh.  1,  §  8).  Leibniz  schreibt 
der  Aufmerksamkeit  eine  bewußtmachende  Wirksamkeit  zu ,  durch  sie  werden 
die  Peroeptionen  zu  Apperceptionen  (s.  d.)  (Nouv.  Ess.  Pr^f.  u.  II,  eh.  9);  ein 
t»reben  der  Seele,  von  einer  Perception  zur  andern  überzugehen,  liegt  ihr  zu- 
gnmde  iy^Fereepturitio",  s.  d.  bei  Chr.  Wolf).  Nach  Chr.  Wolf  ist  die  Auf- 
Dkerksamkeit  „faetätas  efficiendi,  ut  in  perceptione  composita  partialis  una 
maiortm  cl4tritaiem  eeteris  habeat^^  (Psych,  emp.  §  237).  „IFtr  finden  in  der 
Äefe  ein  Vermögen  sowohl  bei  ihren  Empfindungen  als  Einbildungen  und  allen 
Rurigen  Gedanken  .  .  .,  sich  auf  eines  unter  ihnen  dergestalt  xu  richten,  daß  wir 
i«t  dessen  mehr  ais  des  übrigen  beicußt  werden,  das  ist,  xu  machen,  daß  ein 


106  AufmerkBamkeit. 


Gedanke  mehr  Klarheit  behytnmet,  als  die  übrigen  haben:  icdches  wir  die  Auf- 
mericsamkeit  xti  nennen  pflegen"  (Vern.  Ged.  I,  §  268).  Bonnet  faßt  die 
Aufmerksamkeit  als  Beaction  der  Seele  auf  die  Wahmehmungseindrücke  in  üir 
auf.  y,L'ä7ne  peut  par  eÜe-meme  rendre  träs  vire  une  impression  tr^s  faibU. 
En  reagissani  sur  les  fibres  representatives  d'un  certain  obfety  eile  peut  rendre 
plus  fort  ou  plus  durable  le  mou^etnent  impriine  ä  ces  fibres  par  l'obfet,  et  ceite 
faculte  se  nomme  Vattentuyn"  (Ess.  de  Psych.  C.  7).  Im  18.  Jahrhundert  üb«"- 
haupt  wird  imterschieden :  äußerliche  —  innerliche,  natürliche,  unvorsatzliche 

—  willkürliche,  vorsätzliche  Aufmerksamkeit.  So  unterscheidet  Platnek  active 
imd  passive  Aufmerksamkeit  und  definiert  die  Aufmerksamkeit  als  f^diefenige 
Tätigkeit  der  Seele,  durch  wddie  sie  den  innem  Eindruck  icahmimmt^  (PhiL 
Aph.  I,  157).  Reid  erblickt  in  der  Aufmerksamkeit  eine  Willenshandiung 
(Inqu.  2,  sct.  10).  Th.  Brown  erklärt :  „ Attention  to  objects  of  sense  appears  tc 
be  notking  more  than  the  eoexistence  of  desire  tcith  the  percepHon  of  the  obfeet^^ 
(Phil,  of  the  Hum.  Mind,  Lect.  31).  Nach  Kant  ist  das  Aufmerken  ein  „Be- 
streheti,  sich  seiner  Vorstellungen  beirußt  xu  werden"  (Anthr.  I,  §  3).  Xach 
Chr.  E.  Schmid  ist  die  Aufmerksamkeit  „cter  Zustand,  wo  die  Vorsteüungskrafl 
in  Bexug  auf  den  Stoff  vorhandener  Vorstellungen  tätig  ist"  (Einp.  Psych.  S.  227). 

—  M.  DE  BiRAN  bestimmt  die  Aufmerksamkeit  als  Willenshandlimg.  „Tappelle 
attention  ce  degre  de  Veffort  superieur  ä  celui  qui  constittie  Velai  de  veilie  des 
divers  sens  externes  et  les  rend  simplemeni  aptes  ä  pereevoir  ou  ä  representer 
eonfusement  les  ohjects  qui  rienne/it  les  frapper.  Le  degre  superieur  dcnt  il  s'agit 
est  determin^  p€vr  une  volonte  positive  et  expresse  qui  s'applique  ä  rendre  plus 
distincte  une  perception  d'abord  eonfuse,  en  l'isolatit,  pour  ainsi  dire,  de  ttH4tes 
les  impressions  collaterales  qui  tendent  ä  l'obscurir"  (Oeuvr.  in^.  II,  p.  86,  88). 
Renoitvier:  ,,U attention  est  une  volonte  de  s'arreter  ä  la  eonsideratiofi  efun 
objet  et  de  ses  rapports  au  lieu  de  sutpre  le  cours  naturel  des  assoeiations^ 
(Nouv.  Monadol.  p.  97). 

Nach  Fries  bedeutet  Aufmerken  „willkürliche  innere  Wahrnehmung  unserer 
Tätigkeüen".  Aufmerksamkeit  ist  die  „Association  unserer  Willensbestinmtung 
viit  gcicissen  Vorstellungen,  icodureh  eben  die  Vorstellungen,  für  die  ich  mich 
interessiere,  die  ich  haben  will,  lebhafter  werden  und  leichter  icahrgenommen  werden*^ 
(Syst.  d.  Log.  S.  66).  Schopenhauer  sieht  im  Willen  das,  was  „die  Auf- 
merksamkeit xusammenhält"  (W.  a,  W.  u.  V.  Bd.  II,  C.  30).  K.  Bosenkrakz: 
„Das  Aufmerken  ist  derjenige  Act  der  Intelligenx,  wodurch  sie  sieh  die  Rich- 
tung auf  sieh  selbst  in  ihrem  Gefühl  gibt"  (Psychol.*,  S.  332).  Jacx>B: 
„  Wir  bemerken  ein  Bestreben  in  uns,  sobald  WaJvmehmungen  da  sind,  uns  diese 
klar  vorxusteüen.  Diesem  Bestreben  nennt  man  Aufmerksamkeit"  (Gr.  d.  Kr- 
fahrungsseel.  S.  206).  Als  Tätigkeit  bestimmen  die  Aufmerksamkeit  Beneke 
(Lehrb.  d.  Psychol.)  und  Lotze  (Med.  Psychol.),  auch  Bolzano  (Wiss.  III,  86). 
Nach  Fechner  ist  die  Aufmerksamkeit  eine  psychische  Tätigkeit,  die  sich  auf 
psychische  Phänomene  jeder  Art  beziehen  kann,  und  die  durch  ein  Gefühl  der 
Selbsttätigkeit  charakterisiert  werden  kann  (Phil.  Stud.  IV,  S.  207).  Fechner 
gibt  eine  genaue  Schilderung  der  im  Gefolge  der  Aufmerksamkeit  auftretenden 
Bewußtseinsvorgänge  (Psychophys.  II,  475  ff.).  Die  Aufmerksamkeit  ist  dieselbe 
Tätigkeit,  welche  im  Willen  wirksam  ist  (1.  c.  II*,  450).  Als  Willenstatsache 
faßt  die  Aufmerksamkeit  Höffding  auf  (PsychoL  S.  160,  431).  Nach  Tönkxbb 
ist  die  Aufmerksamkeit  „wesentlich  bedingt  durch  die  vorhatwlenen  Antriebe  und 
deren  ErregungsxtMtand"  (Gem.  u.  Gesell.  S.  140).   Kreibio:  „Die  Aufmerksamkeit 


AuftnerkBamkeit.  107 


ist  ein  WoUeity  das  darauf  gerichtet  ist,  einen  äußeren  Eindruek  oder  eine  re- 

fndueierfe  VorsteUung,  beziekungeiveise  bestimmte  Einzelheiten  darin  klar  und 

iaälieh  betrußt  xu  machen''  (Die  Aufm,  als  Willensersch.  S.  2,  vgl.  S.  68.  76  ff. 

83ff.i.    Hier  ist  auch  Ueberhorst  (Wes.  d.  Aufm.:  Arch.  f.  syst  Philos.  IV) 

Dl  erwähnen.    B.  Wähle  bestimmt  die  Aufmerksamkeit  als  „Erreichentcollen 

(VK9  Wissefis''  (D.  Ganze  d.  Philos.  S.  372  ff.)     Preyer:  ,jJeder  WiOensaet 

I  (rfordert  Aufmerksamkeit,  und  jede  Ooncentration  der  Aufmerksamkeit  ist   ein 

\  f^Hlmsact''  (Seele  d.  Kind.  S.  223).   Hodoson  bemerkt:  „Attentionj  when  guided 

I  ly  a  prapose,  is  an  exerdse  of  volitioh''   (Phil,  of  ßeflect.  I,   291;   so  auch 

I  Mansel,  Leiters  .  .  .  p.  48).    Als  actives  Bewußtsein  faßt  die  Aufmerksamkeit 

;  auf  Stoüt  (AnaL  Pöychol.  II,  C.  283),  auch  J.  Ward.    James  erklärt,  Auf- 

BKrkMmkeit  sei   „the  taking  possession  by  the  mind,  in  elear  and  vivid  form, 

tjMe  out  of  ufhat  seem  several  simuUa/neously  possible  obfeots  or  trains  of 

tku^.    Foealixaiian,  eoneentration  of  eanseiousness  are  of  its  essence"  (Princ. 

of  PsychoL  I,  404;  434,  441,  446).     Eine  specifische  Activität  ist  die  Auf- 

nerksamkeit  nicht  (vgL  1.  c.  C.  11,  14).     So  auch  Brapley  (Mind  XI,  1886, 

'  p.  322).    Als  actiye,  auswählende,  bewußtseinssteigemde  Tätigkeit  faßt  die  Auf- 

m^ksamkeit  Sullt  auf  (Hum.  Mind  0.  6,  Handb.  d.  Päychol.  S.  101  ff.;  vgl. 

Baldwin,   Handb.  of  Psych.  I).     Nach  E.  v.  Hartmakn  ist  sie  mit  dem 

WoQen  verwandt,  physiologisch  „ein  eentri/ugtäer  InnervaUonssirmn,   der  die 

^rtgbarkeit   der  getroffenen  Endorgane  erhöht  oder  herabsetxt''  (Mod.  Psych. 

&  *Ä)1).    Sie  deckt  sich  mit  der  Apperception  (s.  d.).  —  Wündt  bestimmt  die 

Aufmerksamkeit  als  ,^ie  Gesamtheit  der  mit  der  Apperception  von  Vorstellungen 

nrbundenen  subjeetiven  Vorgärige''  (Vorles.*,  S.  267),  als  „den  durch  eigentüm- 

^  Gefühle  charakterisierten  Zustand,  der  die  klarere  Auffassung  eines  psy- 

fkitcken  Inhalts  begleitet"  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  249).     Es  eignen  sich  besonders 

naammengesetzte  räumliche  Vorstelliuigen  dazu,  um  ein  Maß  für  den  Umfang 

der  Aufmerksamkeit  zu   gewinnen  (1.  c.  S.  251).     Diese  Versuche  ergeben  je 

,  licfa  den  besonderen  Bedingungen  einen  Spielraum  zwischen  6  imd  12  Ein- 

(iracken  (1.  c.  S.  252).    Die  „sueeessire  Bewegtmg  der  Aufmerksamkeit  über  eine 

Vielheit  psychischer  Inhalte"    scheint  ein  „periodischer    Vorgang  xu  sein, 

(fer  tau  einer  Mehrxahl  aufeinander  folgender  Apperceptionsacte  besteht"  (1.  c.  S.  254). 

Bie  Aufmerksamkeitsvorgänge  sind  „innere  WiUensprocesse",  Trieb-  und  Will- 

bincte  (1.  c.  8.  261  f.).     Der  Tätigkeitscharakter  der   Aufmerksamkeit   liegt 

udit  in  einem  besonderen  Vermögen,  sondern  in  dem  Bewußtseinszusammen- 

kmge,  der  sie  constituiert  (Grdz.  d.  phys.  Psych.  II*,  266  f.;  PhiL  Stud.  II,  33; 

l4)g.  II <,  2,  265  f.).    Die  Aufmerksamkeit  wird  teils  durch  äußere  Beize,  teils 

durch  innere  Einflüsse  gelenkt.    Ihre  Adaptation  an  den  Beiz  bekundet  sich  in 

ßpMmungsempfindungen  (Grdz.  d.  phys.  Psych.  II*,  269  ff.,  Phil.  Stud.  II,  34). 

Der  Gesamtproceß   der  Aufmerksamkeit  und  Apperception   (s.  d.)   besteht   in: 

1)  dner  Klarheitszunahme,  verbunden  mit  Tätigkeitsgefühl,  2)  einer  Hemmmig 

laderer  disponibler  Eindrücke,  3)  in  Spannungsempfindungen  mit  verstärkenden 

flnnlichen  Gefühlen,  4)  einer   verstärkenden  Wirkung  der   Spannungsempfin- 

<iniigen  auf  die  Vorstellungsinhalte  durch  „associative  Miterregu/ng".    Die  unter 

öer  Mitwirkung  der   Au&nerksamkeit  zustande  kommenden   Vorstellungsver- 

bindangen  heißen  Apperceptionsverbindungen  (s.  d.).    Die  Leistungen  der  Auf- 

»erksamkett  sind   in  einer  Beziehung  Hemmungsprocesse.     Das  nimmt  auch 

KüLPE  an  (Gr.  d.  Psych.  S.  460).     Die  Aufmerksamkeit  ist  nichts  neben  den 

Bewußtseinsinhalten    Gregebenes    (1.   c.   S.   439   f.),    sondern    „ein   allgemeiner 


106  Anfmerksamkeit. 


Zustand  des  Bewußtseins  .  .  .,  dessen  Bedingungen  freilieh  außerhalb  der  wechseln- 
den InhdUej  die  in  ihn  geraten,  gesucht  werden  müssen"  (1.  c.  S.  440  f.).  Die 
Wirkungen  der  Aufmerksamkeit  bestehen  in  einer  Vergrößerung  der  Empfind- 
lichkeit und  Unterschiedsempfindlichkeit  (1.  c.  8.  444  f.),  der  Beproductions- 
Tendenz  und  -Treue  (1.  c.  8.  445),  in  einer  Herabsetzung  oder  Elimination  der 
Gefühle,  in  einer  Verfeinerung  der  Analyse,  einer  Verschmelzung  (L  c.  S.  446), 
in  einer  Beeinflussimg  des  zeitlichen  Verlaufs  der  BeMTußtseinsinhalte  (L  c. 
S.  447).  Die  Begleiterscheinungen  der  Aufmerksamkeit  werden  von  Külpe  auf- 
gezahlt (1.  c.  8.  448  ff.)  und  die  BMingungen  der  Aufmerksamkeit  erörtert 
(1.  c.  8.  452  ff.):  I.  äußere  Bedingungen,  a.  motorische,  b.  sensorische; 
II.  innere  Bedingungen,  a.  Gefühlswirkung  eines  Eindrucks  =  Interesses,  b.  Be- 
ziehung zur  psychophys.  Disposition.  Ahnlich  wie  Wundt  lehrt  G.  ViLUk 
(Einl.  in  d.  Psychol.  8.  284).  Vgl.  N.  Lange,  Beitrage  zur  Theor.  d.  sinnL 
Aufmerksamkeit  (Philos.  8tud.  IV).  Einen  positiven  psychophysischen  Vor- 
gang, der  in  der  Unterstützung,  Verstärkung  einer  vorhandenen  E^rregung,  in 
der  Steigerung  der  Disposition  für  die  erwartete  Erregung  besteht,  erblickt  in 
der  Aui&nerksamkeit  G.  E.  Müller  (Zur  Theor.  d.  sinnL  Au&n.  1873);  PiLZ- 
ECKEB  (Lehre  von  d.  sinnl.  Aufm.  1889)  schließt  sich  der  spateren  Ansicht 
Müllers  betreffs  der  Aufmerksamkeit  an.  A.  Höfler  definiert:  y,Aufmerhen 
heißt:  bereit  sein  xu  psychischer  Arbeit,  nämlich  spedell  xu  intelleetueüer  Arbeit**^ 
(Psych.  Arb.  8.  1(X)).  Ehrenfels  bestinmit  die  Aufmerksamkeit  als  „eine 
innere  Willens-  oder  Strebenshandlung  mit  dem  Zweck,  gewisse  Vorsteüungen  in 
das  Gebiet  der  Luddität  hereinxuxiehen,  respeetive  ihnen  jenes  Merkmal  in  relativ 
höherefn  Maße  xuxuwenden"  (8yst  d.  Werttheor.  I,  253  ff.).  JoDL  sieht  in  der 
Aufmerksamkeit  ein  Willensphänomen,  einen  Act  der  Spontaneität,  der  Aus- 
wahl, der  Bevorzugimg.  8ie  ist  „Fianerung  des  Bewußtseins  auf  einen  bestimmtert 
Inhalt  oder  Eindruck,  welcher  eben  dadurch  vermöge  der  Enge  des  Bewußtseins 
andere  Inhalte  verdunkelt  und  aus  dem  Bewußtsein  drängf*  (Lehrb.  d.  Psych. 
8.  437,  438  ff.,  501  ff.).  Es  gibt  sinnliche  und  repräsentative,  active  und  passive 
Aufmerksamkeit  (ib.).  Nach  G.  Oppenheimer  besteht  der  AufmerksamkeitB- 
vorgang  „in  der  Vorbereifung  von  gewissen  Sinnesxellen  oder  einem  Complexe 
von  solchen,  die  eine  Vorstellung  bewirken  können,  xur  Aufnahme,  einer  neuefi^ 
Sinnesempfindung  oder  Vorstellung"  (Phys.  d.  Gef.  8.  103).  Es  befinden  sich 
hier  „gewisse  RindenxeÜen  in  einem  Zustand  erhöhter  Erregbarkeit**,  in  welchem 
ein  kleiner  Zuwachs  des  Reizes  große  Wirkungen  erzeugen  kann  (L  c.  8.  104  ff.). 
Münsterberq  nimmt  den  8tandpunkt  der  „Aetionstheorie'*  (s.  d.)  ein :  „  Unbemerkt 
bleibt  das,  wofür  die  Handlung  nicht  vorbereitet  ist,  bis  die  Stärke  der  Erregung 
die  Handlung  erxwifigt;  von  der  Aufmerksamkeit  erfaßt  dagegen  ist  das,  was  die 
Bedingungen  der  motorischen  Entladung  bereit  findet"  (Grdz.  d.  Psych.  I,  8. 5r)<j). 
Ähnlich  Kroell  (Wes.  d.  8eel.  8.  58). 

Eine  Beihe  von  Philosophen  betrachtet  die  Aufmerksamkeit  bloß  als  Zustand, 
Verstärkung  eines  Bewußtseinsinhalts,  Uenmiung  anderer  Inhalte,  ohne  speci- 
fische  innere  Tätigkeit.  Die  Hemmung  der  übrigen  Vorstellungen  infolge  vor- 
herrschender Erregung  des  8eelenorgan8  für  eine  bestimmte  Vorstellung  betont 
schon  UoBBES  (De  corp.  25,  6).  Nach  Cokdillac  ist  die  Auhnerksamkeit 
nur  „une  sens€Uian  plus  vive  que  toutes  les  autres"  (Tr.  des  sens.  p.  37);  er 
imterscheidet  eine  passive  und  active  Aufmerksamkeit  (1.  eh.  c.  2,  §  11,  p.  14). 
Herbart  bestinmit  die  Aufmerksamkeit  als  „die  Fähigkeit,  eitten  Zuwachs  des 
Vorstellens  xu  erzeugen"  (Psych,  a.  Wiss.  II,  §  128).     Die  Aufmerksamkeit  ist 


Aufinerksamkait.  109 


nDwülkürlich  =  passiv,  oder  willkürlich  =  activ  (Lehrb.  zur  Psych.*,  S.  147). 
Die  erstere  hat  ihren  Grund  j^xitm  Teil  in  der  augenblicklichen  Lage  des  Geistes 
wbkrmd  des  Merkens;  andemteils  toird  sie  bestimmt  durch  die  älteren  Vor- 
Mtngen,  tcelehe  das  Oemerkte  reprodueiert*^  (L  c.  S.  148).  y^Attentus  dicüur  is, 
pd  mtnte  sie  est  dispositus,  ut  eius  nationes  inerementi  quid  eapere  possint^^ 
(De  attent.  mensura  1822).  Es  wird  bei  den  Herbartianem  auch  zwischen  „sinn» 
lieker*'  und  „intelleetueller^^  Aufmerksamkeit  unterschieden;  bei  der  letzteren 
werden  Eindrücke  vor  andern  durch  „  Vorstellungshülfen",  Apperceptionsmassen 
I&  d.)  bcTorziigt.  Wattz  versteht  imter  Aufmerken  ,,e»n  scharfes  und  genaues 
Pernpieren  von  Einzelnem"  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  624  ff.),  ein  gespanntes  Er- 
warten (1.  c.  S.  637).  Nach  Yolkmann  heißt  aufmerksam  sein,  „eine  Vor- 
Mungy  Vorstellungsreihe  oder  Vorstellungsmasse  dem  Drange  xum  Sinken  ent^ 
j^gen  uturerrüekt  festhalten"  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  204).  Georoe  versteht  unter 
Aufmerksamkeit  die  Concentration  des  allgemeinen  Wachseins  auf  ein  Einzelnes 
iLehrb.  d.  Psych.  S.  84).  CzoLBE :  „Atifmerksamkeit  ist  nur  Isolation  der  inten- 
sitenH  Empfindungen  aus  der  Menge  gleichzeitig  statt  findender y  von  denen  wir 
Math  abstrakteren"  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  222).  Nach  Lipps  ist  die 
Aufmerksamkeit  keine  besondere  Kraft,  sondern  die  sich  concentrierende  Be- 
podactioiistätigkeit  selbst  mit  Hilfe  begünstigender  Vorstellimgen  (Gr.  d.  Seel. 
$.  62Ci,  123).  Im  Zustande  der  Aufmerksamkeit  finden  wir  in  uns  „den  Gegen- 
ttsniy  daneben  die  subjeetiven  Strebungs-  und  Spannungsempfmdtmgen  samt  den 
m  oder  so  gearteten  Lust-  und  Unlustgefühlen"  (1.  c.  S.  46).  Nach  H.  E.  Kohn 
Bl  die  Aufmerksamkeit  in  irgend  einem  Grade  mit  jedem  Bewußtseinsinhalte 
wbonden  (Zur  Theor.  d.  Aufm.  1895,  S.  19).  Nach  Rehmke  ist  zu  unter- 
«haden  swischen  yy  Deutliehhaben"  und  yyDeuÜiekhabenwollen"  (Allg.  Psych. 
&  ö24  f.).  Unwillkürliche  Aufmerksamkeit  ist  y4asjenige  yBemerken^,  desscf^ 
imnäere  Bedingung  allein  der  in  dem  Gegebenen  xusammen  sich  bietende 
Seyensaix  der  Unterschiedenen  ist,  willkürliche  Aufmerksamkeit  dagegen 
iufemige  Bemerken,  dessen  besondere  Bedingung  überdies  noch  das  bemerken- 
sollende  Bewußtsein  ist"  (1.  c.  S.  526).  Ähnlich  Th.  Kerbl  (Lehre  von 
^  Anfmerks.  S.  71).  Schuppe  bestreitet  den  Tätigkeitscharakter  der  Auf- 
merksamkeit. „  Wessen  wir  uns  dabei  bewußt  werden,  das  ist  nur  das  Gefühl  des 
kUresses  an  den  gemeinten  Vorstellungen  oder  an  der  auszuführenden  Bewegwig, 
m4  höchstens  noch  eine  nicht  weiter  definierbare  Regung,  die  als  Wille  bezeichnet 
mrden  kann  .  .  .  Von  einem  Tun  —  ist  nichts  zu  entdecken"  (Log.  S.  143). 
^y^i  EB8IXGHAÜ8  besteht  die  Aufmerksamkeit  „in  dem  lebhaften  Hervortreten 
Mrf  Wirksamwerden  einzelner  seelischer  Gebilde  auf  Kosten  anderer**  (Gr.  d. 
^ehoL  6.  575).  Sie  ist  ,4as  Resultat  eines  Selectitynsprocesses ;  sie  besteht  in 
fMn'  Einsekränkung  oder  Concentration  der  Seele  auf  eine  gewisse  Anzahl  der 
ir  den  obwaltenden  Umständen  nach  überhaupt  möglichen  Empfindungen  und 
ymteiktnffen"  (ib.).  Nach  H.  Cornelius  besteht  das  Beachten  eines  Wahr- 
ickmungBinhalts  ,jnur  in  der  Unterscheidung  desselben  von  seiner  Umgebung  und 
M  Meinem  Wiedererkennen^^  die  ,yintellectuelle^^  Aufmerksamkeit  nur  in  einem 
Fmhalten  eines  Gredachtnisbildes,  woran  sich  „eine  mehr  oder  minder  bestimmte 
Itkenntnis  der  Ähnlichkeit  des  betreffenden  Inhalts  mit  Gruppen  ander- 
feiiger  von  früher  her  bekannter  Inhalte"'  anschließt  (EinL  in  d.  Phil.  S.  218). 
Die  Leistung  der  sinnlichen  Aufmerksamkeit  ist  die  Zerlegung  eines  Inhalts 
[P^dL  8.  168  ff.). 

Im  Gefühle  (Interesse)  erblickt  besonders  Th.  Zieglbr  das  Agens   der 


110  Aufmerksamkeit  —  Ausdehniiiig. 

Aufmerksamkeit  Das  Gefühl  ist  ,,efer  tragende  Hintergrund,  aus  dem  die  Vor- 
stellung in  das  helle  Lieht  des  Bewußtseins  tritf'  (D.  Oef.*,  S.  47).  Durch  den 
G^efühlston  erzwingt  sich  die  Vorstellung  die  Aufmerksamkeit  (1.  c.  S.  50). 
Stumpf  identificiert  die  Aufmerksamkeit  mit  dem  Interesse,  bestimmt  sie  als 
„Lust  am  Bemerken  selbst  (Tonpsychol.  I,  S.  68,  279).  Der  Wille  ist  die  Auf- 
merksamkeit (1.  c.  S.  69,  281).  « 

BiBOT  bestimmt  als  die  ursprüngliche  Form  der  Auhnerksamkeit  die  „spon- 
tanem^ Aufmerksamkeit  („attention  spontanie,  na^urelkf^  im  Unterschied  ron  der 
„attention  voUmtaire,  artifieieü&^)  (Psych,  de  Patt.  p.  3).  Der  „Mechanismus^ 
der  Aufmerksamkeit  ist  wesentlich  motorischer  Art,  besteht  in  einem  „arrit* 
auf  die  Muskeln  (1.  c.  p.  3).  Die  Einheit  des  Bewußtseins  ist  die  Quelle  der 
Aufmerksamkeit  (1.  c.  p.  4).  Diese  ist  ein  auf  die  motorische  Kraft  über- 
tragener Affectzustand,  der  in  Gefühlen  und  Btrebungen  wurzelt  (L  c.  p.  12). 
Sie  ist  ein  „monoidiisme  inteUeetuel  apee  adaptaiicn  spontanes  ou  artifieielle  de 
Vindividu",  d.  h.  eine  Concentration  auf  einen  Zustand  des  Bewußtseins  (L  c. 
p.  6).  Bei  der  „aiteniion  voUmtaire^^  ist  das  Ziel  gewollt,  gewählt;  sie  ist  be- 
gleitet von  einem  ^^seniiment  cCeffort''  (1.  c.  p.  47  f.). 

Eine  biologische  Begründung  der  Aufmerksamkeit  findet  sich  bei 
K.  Gboob.  Sie  ist  nach  ihm  ursprünglich  „^n  Mittel  in  dem  ld>rperliehen 
Kampfe  ums  Dasein^^,  Der  ,Jnstinet  des  Laiuems^'  ist  die  Urform  der  Auf- 
merksamkeit. Aus  dieser  „motorischen^^  hat  sich  die  „theoretische^'  Aufmerk- 
samkeit entwickelt.  Die  Grundform  der  Aufmerksamkeit  ist  die  y^Erwartung 
des  Zukünftigen''  (Spiele  d.  Mensch.  S.  180  f.,  Spiele  d.  Tiere  S.  210  f.,  ygL 
damit  die  Definition  der  Aufmerksamkeit  als  ,^ie  sieh  mit  einer  Vorstellung 
verknüpfende  Frage  nach  dem,  was  in  Zukunft  in  Beziehung  auf  dieses  Vor- 
gestellte vorgehen  wird",  bei  Fortlage,  Psych.  I,  §  9,  S.  78).  Ähnlich  Jeeü- 
BALEM,  nach  dem  die  Aufmerksamkeit  „in  einer  Art  ConeentreUion  des  ganzen 
Organismus  auf  einen  erwarteten  Eindruck*'  besteht  (Lehrb.  d.  Psych.*,  S.  83). 
„Wir  müssen  icissen,  wessen  wir  uns  von  den  Dingen  unserer  Umgebung  .  .  . 
XU  versehen  hohen.  Zu  diesem  Zwecke  müssen  irir  alle  unsere  psychisehepi  Kräfte 
anstrettgen,  und  eben  diese  Anspannung  nennen  wir  Aufmerksamkeit''  (ib.).  Die 
Aufmerksamkeit  hangt  sehr  eng  mit  dem  Interesse  zusammen  (1.  c.  S.  84). 
Als  Wirkungen  der  Aufmerksamkeit  zählt  Jerusalem  auf:  die  auswählende 
Tätigkeit,  Verengerung  des  inneren  Gesichtsfeldes,  Zerlegung  der  Vorstellimgen, 
Abstraction,  Apperception  (1.  c.  S.  85  ff.). 

Verschiedene  Associationspsychologen  führen  die  Aufmerksamkeit  auf  eine 
Siunme  von  Spannungsempfindungen  zurück,  die  mit  bestimmten  Be- 
wußtseinszuständen  sich  verknüpfen.  So  z.  B.  Ziehen  (Leitfad.  d.  phys.  Psych.*, 
S.  166).    Vgl.  Apperception. 

Anfreehtoehen  wird  in  verschiedener  Weise  erklärt.  Wundt  z.  R 
erklärt  es  aus  den  Bewegimgen  des  Auges.  „Unsere  Orienfierungslinie  im 
Raum  ist  ja  die  äußere  Blicklinie  oder,  für  das  binoculare  Sehen,  die  aus  dem 
Zusammentrirken  der  Blickbewegungen  hervorgehende  mittlere  Orientienmgslinie. 
Einer  im  äußern  Raum  nach  oben  gehenden  Richtung  dieser  Linie  entspricht 
aber  in  dem  hinter  dem  Drehpunkt  gdegenen  Raum  des  NetxhatUbUdes  eine  nach 
unten  gehende  Richtung,  %md  umgekehrt"  (Gr.  d.  Psych.»,  S.  163  f.). 

Auc^ensclielii  s.  Evidenz. 

Aasdelllliuif;    ist    eine  GnmdeigenBchaft    der   optischen    imd    taetilen 


Aiudehnung  —  Ausdrucksbewegungen.  III 


»  -. 


1  WthmehmimgsiDlialte,  die  Bäunüichkeit  der  Körper.     Im  weiteren  Sinne  ist 
!  Anedehnimg  (extension)  das  Erfülltseiii  von  Baum  und  Zeit  durch  einen  Wahr- 
MhmimgBinhalt.    Debcaktes  sieht  in  ihr  das  Wesen  der  Materie  (s.  d.),  ebenso 
Spinoza.,  dem  sie  als  eines  der  Attribute  (s.  d.)  der  „Substanx^^  gilt  (Eth.  11^ 
:  prop.  IT).    „Extensio  est  id,  qtiod  tribus  dimensionibua  oonstaf^  (Ken.  Gart.  pr. 
I  ph.  IL  def.  I).    Nach  Leibniz  ist  die  Ausdehnung  nur  eine  „p^^orretie  Vor- 
'  Mmi0^  von  inneren  Verhältnissen  der  Monaden  (s.  d.).    Ein  j^kaenimienoti*' 
ist  sie  nach  Chb.  Wolf,  welcher  erklart:  „Si  phira  diversa  adeoque  extra  se 
I  mruMR  Gnsieniia  taftquam  in  tmo  nobis  repraeseniamiis :   twtio  exten^cnia 
I  ^fitHr:  Ht  aäeo  extenato  sit  miUtorum  dwersorum,  aut,  si  mcms,  eoctra  se  in- 
I  tieem  exisientümi   eoexüteniia  in  uno^^   (Ont.  §  548).     Platker   erklärt   die 
Ausdehnung   aus  dem  „Zusammenfließen  vencarrener   Vorsteüungefi  einfather 
I  .%&itef»m"  (Phil.  Aph.  I,  §  903).    Nach  Berkeley  ist  die  Ausdehnung  nur 
eine  Idee  (s.  Baum),  nach  Hume  ist  die  „id^ea  of  extension**  eine  „idea  of  visihle 
er  tangible  points  distributed  in  a  eertain  wder**  (Treat.  I,  p.  358),  einer  Ord- 
nung von  Empfindungen.     Nach  Beid  besteht  zwischen  der  objectiven  Aus- 
dtrhnung  und  der  Ausdehnung  der  Empfindungsinhalte  keine  Congruenz  (Inqu. 
pi  120).     Kakt  erklärt  die  Ausdehnung  fiir  eine  apriorische  Anschauungsforni 
<fl.  (L);  sie  ist  rein  subjectiv.    So  der  gesamte  Idealismus  im  Gegensatze  zum 
Brtlismus,  der  die  Dinge  an  sich  für  ausgedehnt  hält  oder  die  Ausdehnung 
als  dne  W^irkung  dieser  Dinge  selbst  ansieht.     So  ist  nach  Ulrici  (ähnlich 
J.  H.  Fichte)   die  Ausdehnimg   „Folge  einer  den  Baum   einnehmendeti  und 
f^  da»  Eindringen  eines  andern  Widerstand  leistenden  Kraft"  (Leib  u.  Seele 
}^.  36l.  E.  T.  Hartmakk  betont,  daß  sie  den  primitiven  Empfindungen  nicht  zu- 
kommt (so  auch  Herbart  u.  a.),  diese  ist  erst  (wie  bei  Lotze)  das  Product 
«Der  raumsetzenden  Seelenfimction.    „  Was  als  Ausdehnung  des  Dinges  erscheint^ 
it^  mtr  der  von  diesem  Kräftesystem  und  Kraftäußerungsformen  oeciipiertCf  he- 
iidmngsweise  geseixte  und  producierte  Raum**  (D.  ProbL  d.  Erk.  S.  20).     Nach 
CtoLBE  ist  die  Ausdehnung  nicht  nur  eine  Eigenschaft,  sondern  auch  „Sidfjecty 
Sidatanx  sotcohl  der  Atome  als  des  sie  durchdringenden  Baumes**  (Gr.  «.  Urspr. 
i  m.  Erk  S.  78  f.,  95,  253).    Nach  H.  Spencer  ist  Ausdehnung  ein  secund*re& 
Attribnt  der  Dinge.     Wir  erkennen  sie  nur  „vermöge  einer   Combination  ron 
Widerständen**  (Psych.  II,  §  348,  S.  233).    Nach  Uphues  ist  Ausdehnung  „eine 
•Swim«  gleiehariigeTy  gleiekxeitiger,  wechselseitig  zusammenhängender j  aber  nicht 
*9^nder  bedingender    Teile ^   die  wir  uns  in  Empfindtingen   rergegenmirtigcn**^ 
iVb.  d.  Erk.  I,  208).    Vgl.  Baum,  Empfindung. 

Aasdrnek:  Darstellung  einer  Vorstellung  durch  ein  Zeichen  (s.  d.). 
Xieli  HU86JBRL  bezieht  sich  jeder  sprachliche  Ausdruck  auf  eine  Gegenständ- 
5chkeit  (Log.  ünt  II,  46,  vgL  80  f.).    Vgl.  Name. 

Assdimckflbewei^lUif^en  heißen  die  im  (jefolge  von  Affecten  und 
ö«fiüden  auftretenden,  erst  triebhaften  und  zum  Teil  willkürlichen,  später  durch 
^ohnheit  vielfach  mechanisierten,  iteflexartig  gewordenen  Bewegungen  der 
^««achtsmuskeln,  der  Extremitäten,  des  Gesamtkörpers  (mimische  und  panto- 
■fflusche  Bewegungen).  Mit  ihnen  beschäftigen  sich  besonders  J.  B.  Porta 
•De  famnana  physiognomica  1593),  Lavater  (Physiognom.  Fragmente  1783  ff.), 
Es6EL  (Ideen  zu  einer  Mimik  1785  ff.),  Ch.  Bell  (Essays  on  anatomy  of  ex- 
pftÄion  1806),  HuscHKE  (Mimices  et  physiognomices  fragmenta  1821),  Harless- 
'Ldirb.  d.  plast.  Anatomie),  Piderit  (Mimik  u.  Physiogn.  2.  A.  1866),  Duchenne^ 


112  AiLBdraoksbeweguxigen  —  AuBflüsse. 


Okatiolet  u.  a.  Ch.  Daswin  stellt  drei  Principien  cier  Ausdnicksbewe^i 
auf:  das  Princip  zweckmäßig  associierter  Gewohnheiten,  das  Princip  des 
Satzes,  das  Princip  der  directen  Tätigkeit  des  Nervensystems  (D.  Ausdr. 
(lemütsbew.  1872,  S.  28  ff.).  Nach  H.  Spekcee  zieht  jedes  Gefühl  als  prin 
Begleiterscheinmig  eine  diffuse  Nervenentladung  nach  sich,  welche  die  Mus! 
erregt;  die  Muskeltätigkeit  wird  dann  zur  natürlichen  Sprache  des  Gefi 
Die  Ausdrucksbewegimgen  sind  angeboren  (Psych.  II,  §  502).  Nach  A.  Lehm^ 
besteht  die  Verbindimg  zwischen  den  Affecten  und  den  Ausdrucksbewegunge 
in  einer  Association;  in  directer  oder  indirecter  Beproduction  motorischer  Y(X 
gänge  infolge  der  wiederholten  Association  ist  das  Auftreten  der  Ausdntckl 
bewegungen  begründet  (Haupts,  d.  menschl.  Gefühlsieb.  §  360  ff.).  JasH 
i  Psych.  II,  C.  25)  und  C.  Lange  (Üb.  Gemütsbew.)  leiten  aus  den  Ausdruckt 
bewegungen  die  Affecte  (s.  d.)  ab.  Nach  Wundt  treten  die  Ausdruckt 
bewegimgen  in  der  Regel  unwillkürlich  auf,  „enttüeder  den  Affeeterreffunge 
folgend  oder  in  der  Form  impulsiver,  tms  den  Oefiihlsbestandteilen  des  Affeei 
entspringender  Triebhandlufigen".  Sie  können  also  auch  durch  den  Willen  b< 
einflußt  werden  (Gr.  d.  Psych.^  S.  206).  Sie  zerfallen  in  drei  Klassen:  1)  rei 
intensive  Symptome,  2)  qualitative  Gefühlsäußerungen  =  mimische  Bewegungoi 
3)  Vorstellimgsäußerungen  =  pantomimische  Bew^egungen  (1.  c.  S.  206  f.).  Di 
<1ritte  Form  ist  wegen  ihrer  genetischen  Beziehung  zur  Sprache  (s.  d.)  wichti 
(1.  c.  S.  207).  Die  Ausdrucksbewegungen  sind  B^leiterscheinungen,  nicht  Ui 
Sachen  des  Affects,  verstärken  diesen  aber  (L  c.  S.  208  f.).  Von  den  Ausdruckt 
bewegungen  sind  die  einfachem  „ursprünglich  Triebhandlungen,  tcährend  nutstek 
pericickeltere  pantomimische  Betcegungen  wahrseheinlieh  auf  einstige  WiHkm 
handlungen  xurückxuführen  sind,  die  xuerst  in  IHeb-  und  dann  sogar  in  Reflex 
bewegungen  übergingen*^,  wobei  die  Vererbung  eine  Bolle  spielt  (L  c.  S.  231 
Die  Ausdrucksbewegungen  sind  automatisch  gewordene,  ursprünglich  bewufit 
Leistimgen  und  zugleich  (wie  bei  Darwin)  vererbte  Grewohnheiten  (Grdz.  i 
phys.  Psych.  II*,  510  ff.;  Ess.  8,  S.  217;  Vorles.«,  S.  422  ff.;  Syst  d.  Philos.' 
S.  590;  Völkerpsych.  I,  1,  S.  31  ff.;  PhiL  Stud.  III).  Voluntaristisch  erkläi 
die  Ausdrucksbew^ungen  Hüqhes  (Mim.  d.  Mensch.  1900).  VgL  Hellpaci 
Grenzwiss.  d.  PsychoL  S.  9,  436  u.  ff.  und  L.  Dumont,  Vergn.  u.  Schmes 
S.  277  ff. 

Ausdrucksmetliode  geht  in  der  Psychologie  auf  die  „exaete  Dar 
Stellung  eentrifugaler  Äußerungen  der  Gefühle^'  (Külpe,  Gr.  d.  Psych.  S.  239 
„Es  sind  vier  körperliche  Processe,  die  in  einer  functionellen  Beziehung  xu  Lau 
und  Unlust  xu  stehen  seheinen:  die  mit  Hülfe  eines  Dynanuyfneters  (Krafhnessert 
darstellbaren  toillkürlichen  Betcegungen,  die  mit  detn  Spkygmographen  (Puls 
Schreiber)  registrierbaren  Vtrönderungen  des  Pulses,  die  mit  dem  Pneusnat€ 
graphen  (Atmungsschreiber)  ganx  ähnlich  registrierbaren  Hebungen  und  Senkungen 
der  Brust  bei  der  Inspiration  und  Exspiration,  endlich  die  mit  dem  Pletkysm^ 
graphen  aufxuxeichnenden  Schwankungen  in  dem  Volum  eines  Körperteils^'  (L  i 
S.  250  f.).  WüNDT  nennt  Ausdrucksmethode  „die  Erforschung  der  physiologiseken 
Rückwirkungen  psychischer  Vorgänge^'  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  105;  PhiL  Stuc 
XV,  XVIII).  Vgl.  Fere,  Sensation  et  mouvement  1887.  Lbhmaniy,  I>i 
Hauptges.  d.  menschl.  (jefühlsleb.  1892;  Die  körperL  Äußerungen  psych.  Zu 
stände  1899—1901. 

Aiuflttsfle  (effluvia,  ano^^oaC)  gehen  nach  Empedokles  von  den  Kdrpen 


Anaflüue  —  AossohlufiverfahrexL  113 

aus  und  werden  von  den  nogoi  anderer  aufgenommen,  wodurch  die  Wechsel- 
wirkung und  die  Wahrnehmung  erklart  werden  (Plut,  Quaest.  nat.  19,  3; 
Aristotel.,  De  gen.  et  corr.  I  8,  324  b  26). 

AnsfUirllcli  ist  nach  Chb.  Wolf  ein  deutlicher  Begriff,  „trcfm  die 
Merkmal fj  so  man  angibt,  zureichen,  die  Saehe  jederzeit  xu  erkennefi  und  von 
allen  andeni  xu  unierseheiden^*^  (Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  Verst.',  S.  22). 

Attsi^escIilasseBen  Dritten,  Satz  vom,  s.  Exclusi  tertii. 

AnslSsiui^  heißt,  physikalisch,  die  Freiwerdung  lebendiger  Kraft  durch 
einen  quantitativ  der  ausgelösten  Energie  nicht  äquivalenten  Impuls.  Nach 
08TWALD  besteht  die  Auslösung  in  der  Ermöglichung  des  Ausgleiches  von 
Energie,  in  der  Aufhebung  der  Compensation  der  Intensität  an  einer  Stelle 
(VorL  üb.  Naturph.*,  S.  300  f.).  Der  Begriff  der  physiologischen  Auslösung 
(d^crochenient)  schon  bei  Cournot  imd  de  Saint- Venant,  auch  bei  älteren 
deutschen  Physiologen  (vgl.  Dubois-Reymond,  Red.  I,  405  ff.). 

Aussauge  (xari^/o^ctv,  praedicatio) :  sprachlich  geformtes  Urteil.  Der 
Kegariker  SnLPO  soll  behauptet  haben,  von  einem  Etwas  lasse  sich  nichts  als 
dasselbe  Etwas  aussagen  {Stb^ov  eri^ov  firi  xarijyo^eJad'aif  Simpl.  ad.  Ar.  Phys. 
26 r,  120  f.).  Antisthbnbs  meint,  es  gebe  von  jedem  nur  einen  oix^Xos  Xoyos; 
es  dürfen  nur  identische  Urteile:  S  ist  S  (z.  B.  der  Mensch  ist  Mensch)  auf- 
gestellt werden  (Plat.  Soph.,  251b;  Aristot.,  Met.  V,  29).  Unter  rd  ydvij  rwv 
lunrjyo^tiov,  Arten  der  Aussage,  versteht  AiasTOTELES  die  allgemeinsten  Begrlffs- 
ionnen,  die  Kategorien  (s.  d.).  Ausgesagt  kann  nach  ihm  und  den  Scho- 
JEfetikern  nur  das  Allgemeine  werden  (De  interpr.  7,  17a  39).  Nach  Thomas 
ist  „pra^dieatio"  ,yquoddamy  quod  completur  per  actionem  intellectua  cotnponentis 
et  diridentis,  habens  tarnen  funda/nientum  in  re,  ipsam  unitatem  eoruniy  quorum 
tmum  de  altero  dieitur*^  (De  ente  4  k).  Hubbebl  betont,  alle  theoretische 
Forschung  terminiere  zuletzt  in  Aussagen  (Log.  Unt.  II,  5).  Von  dem  Acte 
der  Auslage  ist  der  yyideale  Inhalt*^,  der  constant  gilt,  zu  unterscheiden  (1.  c. 
S.  44).  Jede  Aussage  hat  eine  Meinung,  bedeutet  etwas  (1.  c.  8.  45).  Vgl. 
Logik,  Bedeutung.  —  Avenabius  bezeichnet  die  yyÄussagen*^  als  „E- Werte" 
is.  d.)  und  betrachtet  sie  als  „abhängig"  vom  y,Systeni  C"  (s.  d.),  als  yyFunction" 
4€s^ben.  Die  „Aussagen"  zerfallen  in  yyElemente"  (s.  d.)  und  yyOuiraktere^^ 
lls.  d.).  —  Die  Aussage  als  Bericht  über  ein  Ereignis  hängt  von  der  Treue  des 
Gedächtnisses  ab,  sie  wird  durch  die  Phantasie  beeinflußt  (vgl.  W.  Stern, 
Zur  PsychoL  d.  Aussage  1902). 

AllSSClialtll]lf^9  Gesetz  der.    „Ncieh  diesem  Oesetx  beivirkt  die  bei  dem 

simuiianeyi  oder  successiven  Ziisamnienhang  dreier  Inhalte  a,  b  und  c  entstandene 

Reprod4ietlonste7idenx.  xwiscfien  a  utui  c,  daß  allmühlich  e  direct  durch  a,  ohie 

Vermittlung  von  b,  erregt  wird"  (KÜLPE,  Gr.  d.  Psych.  S.  213).    Dadurch  geht 

z.  B.  das  mittelbare  in  das  unmittelbare  Wiedererkennen  über  (s.  d.). 

AlUMchlnflTerfalireii  ist  der  Beweis,  welcher  (nach  Lotze)  yySämtliche 
^enidxxrefi  MmelfcUle  eines  allgemeinen  Falles  aufxählt  und  von  allen  Übrigen, 
^ußer  einem,  beweist y  daß  sie  unmöglich  sind,  so  daß,  falls  überhaupt  feststeht, 
daß  irgend  eine  Art  des  allgemeinen  Falles  stattfinden  muß,  dann  diese  übrig- 
g^iebene  notwendig  gültig  ist"  (Gr.  d.  Log.*,  §  74).  Auf  diese  Methode  (s.  d.) 
fegt  J.  St.  Mill  großes  Grewicht,  auch  Schuppe  (Log.  S.  56). 

Philosophisch««  Wörtcrbnob.    2.  Aufl.  8 


114  AuSen  —  Aufier  iine. 


Außen  s.  Außer  uns. 

Anßendljo^e  s.  Dinge. 

AnßeMWelt  ist  der  Inbegriff  der  Außendinge  mit  ihren  Eigenschaften, 
die  Summe  des  vom  Ich  Unterschiedenoi,  Objectiven,  in  Kaum  und  Zeit  con- 
staut  Vorgefimdenen  (den  Leib  des  Erkennenden  inbegriffen),  vom  fühlend- 
wollenden  Subject  imabhängig  Existierenden,  der  ,ytran^cendenten  Fartoren*^ 
(s.  d.),  die  sich  uns  in  Vorstellungen  und  Begriffen  objeetivieren.  Was  ich  als 
mir  Entgegenstehendes,  von  mir  Unabhängiges  setze,  ist  für  mich  Außenwelt  im 
Gegensatze  zur  Innenwelt,  der  stetigen  Beihe  meiner  Erlebnisse  als  solcher. 
Je  nach  der  Stufe  der  Erkenntnis  ist  der  Außenweltsbegriff  ein  verschiedener: 
das  naive  Bewußtsein  halt  seine  Wahmehmimgsvorstellungen  unmittelbar  für 
die  Objecte  selbst,  die  Einzelwissenschaft  unterscheidet  die  (gedachten)  Objecte 
von  den  subjectiven  Empfindungen  und  Vorstellungen,  die  erkenn tniskri tisch 
fundierte  Metaphysik  versteht  unter  Außenwelt  eminenter  die  den  Objecten, 
den  vorgestellten  wie  den  wissenschaftlich  gedachten,  zugnmde  liegenden  Fac- 
toren  (das  „An^sick"  der  Dinge).  Während  femer  der  Eealismus  (s.  d.)  die 
Außenwelt  ganz  außerhalb  des  erkennenden  Bewußtseins  setzt,  betrachtet  der 
Idealismus  (s.  d.)  die  Außenwelt  als  etwas  dem  erkennenden  (aUgemeinen, 
reinen,  transcendentalen)  Bewußtsein  Immanentes,  als  Summe  von  Vorstellungen 
und  Vorstellungsmöglichkeiten  oder  als  Verwebungen  von  Vorstellungen  mit  Elin- 
heit,  Gesetzmäßigkeit,  Objectivität  setzenden  Gedanken  (empirischer  u.  kritischo', 
transcendentaler  oder  methodischer  Idealismus).  Der  naive,  dogmatische  Re- 
alismus setzt  die  Dinge  der  Außenwelt  den  Vorstellimgen  qualitativ  gleich,  dar 
kritische  Realismus  nimmt  nur  eine  Confomiität  zwischen  Vorstellung  (Ge- 
danke) und  Gegenstand  an.  Anders  stellt  sich  femer  der  Materialismus  (s.  d.)» 
anders  der  Spiritualismus  (s.  d.)  zum  Außenweltsproblem.  Für  den  Solipsismus 
(s.  d.)  endlich  ist  die  Außenwelt  nur  im  und  für  das  (Einzel-)  Ich.  Bezüglich, 
des  Problems  des  Außenweltsbewußtseins  bestehen  mannigfache  Theorien. 
VgL  besonders  Object,  dann  Ding,  Ding  an  sich,  Qualitäten,  Anschauung!»- 
formen,  Kategorien,  Wahrnehmung  u.  s.  w. 

Anßenweltsbewnßtseln  s.  Außenwelt,  Object. 

AnlSer  niui:  1)  außerhalb  des  empirischen  Ich,  im  Raum,  2)  unabhängig 
vom  erkennenden  Bewußtsein,  an  sich  (s.  d.),  bewußtseinstranscendent ;  in  einem 
andern,  umfassenden,  allgemeinen  Bewußtsein  enthalten,  nicht  actuell  präsent. 

Bebkjsley  nennt  die  sinnlich  wahmehmbaren  Dinge  außer  uns  (extemal), 
obzwar  sie  nur  Ideen  (s.  d.)  sind,  „?ntt  Rüdcsichi  auf  ihren  Ursprung,  soferp^ 
sie  nicht  von  innen  her,  durch  den  Qeist  seihst,  erzeugt,  sandem  durch  cine9% 
Gei^t,  der  von  dem  sie  percipierenden  rerscßfieden  ist,  diesem  eingeprägt  irerdeti*'^ 
(Princ.  XC).  Nach  Ghb.  Wolf  setzen  wir  die  Dinge  „außer  utis",  „indem  iciw 
erkennen,  daß  sie  von  uns  unterschiedeti  sind",  „außereinander^*,  „indem  wir  er^ 
kennen,  daß  sie  coneinander  unterschiedefi  si?id"  (Vem.  Ged.  I,  §  45,  740 ; 
Ont  §  544).  Nach  Kant  heißt  außer  luis  so  viel  wie  im  Baume  (Plt)legom.  §  49), 
auch  unabhängig  von  uns.  Keinhold  erklärt  „ron  außen"  durch  „etiras  tranm 
bloßen  Vorstellungsvermögen  Verschiedenes",  „von  innen"  durch  „eigene  Spon-^ 
taneltät"  (Vers.  e.  neuen  Theor.  II,  365).  „Außer  niir^^  ist  nach  S.  Mahioxt 
nur  „eftcas,  7nit  dessen  Vorstellung  wir  uns  keiner  Spotitaneität  bewußt  »ind^ 
(Vers.  üb.  d.  Tr.  S.  203).    Ähnlich  J.  G.  Fichtb  (s.  Object).    Schopenhauer r 


Aufler  un8  —  Automatentheorie.  115 

rjAußer  uns  sind  die  Dinge  nur,  sofern  wir  sie  vorstellen*^  (W.  a.  W.  u.  V. 

Bd.  II,  C.  2).     BiEHL  bemerkt y  außer  uns  heiße  erkenntnistheoretisch  f, nickt 

Uoß  extroy  sondern  praeter  nos"  (Phil.  Krit.  II,  2,  157).  Nach  R.  Hamerlino 
I  ist  außer  uns  nur  die  Summe  jener  Bedingungen,  welche  bewirken,  daß  sich 
I  in  uns  eine  Anschauung  erzeugt,  also  das  An-sich  des  Dinges.     „Außer  uns 

ist  nur  das  Obfeet  selbst,  aber  nickt  das  vorgestellte,  sondern  das  für  uns 
\  ^anx  unvorstellbare,  daher  nickt  vorgestellte  Object,  das  unbekannte  Reale, 
'  tteickes  (mf  unsere  Sinnesorgane  ivirkt**  (Atonl.  d.  Will.  I,  17,  19).     R.  AvE- 

SAiaus  und  £.  Mach  negieren  den  üblichen  psychologisch-erkenntniBtheoretischen 

Unterschied  von  „außefi*'  und  „t«w€n"'(s.  Object).'    So  auch  H.  Cobnelius. 

f^hmerkalb  unseres  Betcußtseins**  heüJt  nichts  als  „Inhalt  unseres  Bewußtseins**, 
\  tflußerhalb  des  Bewußtseins"  bedeutet  nur,  „dass  etwas  existiere,  was  nicht 
1  gtgetucärtig  Inhalt  unseres  Bewußtseins   ist**  (Psychol.  S.  244).     Vgl.   Object, 

Introjection,  Immanenzphilosophie. 

ÄnlSeres  und  Inneres  sind  Correlatbegriffe.  Das  Äußere  ist,  erkenntnis- 
ÜiÄÄetisch,  das  raumlich  Wahrgenommene,  das  Innere  das  psychische  Erleben 
als  solches ;  das  Innere  der  Dinge  =  das  Wesen  (s.  d.)  der  Dinge.  Fries  be- 
trachtet als  Äußeres  „einen  Gegenstand  als  Teil  in  einer  Verbindung  mit  andern**, 
als  Inneres  „das  Qanxe,  in  welchem  die  Bestimmungen  vereinigt  sind**  (Syst.  d. 
log.  8,  100).  Hegel  erklärt:  „Das  Innere  ist  der  Grund,  urie  er  als  die 
Uoße  Form  der  einen  Seite  der  Erscheinung  und  des  Verhältnisses  ist,  die  leere 
Form  der  Reflexion  in  sich,  welcher  die  Existenz  gleichfalls  als  die  Form  der 
mdem  Seite  des  Verhältnisses  mit  der  leeren  Bestimmung  der  Refleoßion-in- 
awieres  als  Äußeres  gegenübersteht**  (Encykl.  §  138).  Carriere:  „Das  Äußere 
ui  die  Äußerung  des  Innern,  damit  ist  dieses  in  ihm  gesetxt  und  zur  Er- 
itkeinung  gebracht**  (Ästh.  I,  100). 

ÄnHerlicllkelt  =  die  Form  des  in  Raum  und  Zeit  Gegebenseins. 
Xach  H£6EL  besteht  der  Begriff  (s.  d.)  zuerst  im  An-sich,  dann  in  der 
»ÄufierUchkeit**,  aus  der  er  zu  sich  selbst  fortschreitet,  bewußt  wird  (Natur- 
phiL  S.  39). 

Änftem  =  etwas  Geistiges,  eine  Idee  zur  Darstellung  bringen,  ob- 
jektivieren. 

AmMitraMung  s.  Emanation,  Monade. 

Amswftblende  Function  des  Bewußtsein«  wird  von  James 
tenoQt  (Princ.  of  Psychol.  I,  225,  284  ff.). 

Antüridle  (avra^xeia):  Selbstgenügsamkeit,  sc.  der  Tugend  zur  Glück- 
seligkeit, nach  der  Ansicht  der  Cyniker  (avrd^fj  Si  r^v  olqbttjv  n^os  evSai- 
/roVtv,  Diog.  L.  VII,  11)  und  Stoiker  (Diog.  L.  VII,  1,  65);  aber  Panaetiub 
wad  PosiDOKius  fordern  als  Bedingungen  zur  Glückseligkeit  noch  Gesundheit, 
Eächtum  (xo^yl«)  und  Macht  (ib.). 

AwtogBOflies  Selbsterkenntnis. 

Antobypnose  s.  Hypnose. 

Antomaten,  einen  geistigen,  nennen  Spinoza  (Em.  int.  S.  49)  und 
letEKJZ  die  Seele  (s.  d.).  Nach  Descartes  sind  die  Tiere  ungeistige  Automaten. 

Antomatentlieorie  nennt  Jähes  (Princ.  of  Psychol.  I,  128  ff.)  die 

8* 


116  Automstentheorie  —  Autonomie. 


Ansicht,  daß  die  Handlungen  der  Organismen  rein  phyBisch-mechanisch ,   ohne 
Beeinflussung  durch  psychische  Factoren  erfolgen. 

Antomattecbe  Beweg^iuif^eii  sind  solche  Bewegungen,  die  ihre  Aus- 
lösung unmittelbar  in  den  Nervencentren  finden,  ohne  Beteiligung  des  Willens, 
impulsiv  stattfinden.  Infolge  der  Übung  (s.  d.)  erfolgt  vielfach  eine  Mechani- 
sierung (s.  d.)  von  Willenshandlimgen  zu  automatischen  Bewegungen.  Dessoik 
nennt  automatische  Handlungen  solche,  „die  alle  Merkmale  psychischer  Bedifigt- 
heit  tragen-y  nur  daß  sie  von  der  cmsführendefi  Person  im  Augenblick  der  Aus- 
führung nicht  gewußt  werden*^  (Doppel-Ich  ß.  9). 

Antomatteimis,  psychischer:  Selbsttätigkeit  imd  Regelmäßigkeit  der 
elementaren  Bewußtseinsvorgänge  (vgl.  Jaitet,   L'automatisme  psychologiqiie, 

1889). 

Antonomle  (Selbst-Gesetzgebung):  Gesetzgebung  durch  das  vernünftige 

Ich,  die  Vernunft  selbst.    Gegensatz:  Heteronomie.    Je  nachdem  die  Ethik 
die  Sittlichkeitsgebote  oder  das  Sittengesetz  schlechthin  auf  Autonomie  oder 
Heteronomie  zurückführt,  ergibt  sich  eine  autonomische  oder  eine  heteronomische 
Moraltheorie  (s.  Ethik).  —  Kant  begründet  die  Sittlichkeit  durch  die  Aprioritat 
(s.  d.)  der  praktischen  Vernunft  (s.  d.),  deren  kategorischer  Imperativ  (s.  <L) 
unbedingt,  unabhängig  von  aller  Erfahrung  gilt  imd  Befolgung  verlangt,  weil 
er  die  Stinmie  der  sittlichen,  gesetzgebenden  Vernunft  ist.    „Also  drückt  das 
moralische   Öesetx  nichts  anderes  aus  als  die  Autonomie  der  reinen  praktischen 
Vernunft,  d.  i.  der  Freiheit^^  (Kr.  d.  pr.  Vem.  I,  §  8;  vgL  Einl.).    Autonomie 
des  Willens   ist   „die  Beschaffenheit  des    Willens,   dadurch  derselbe  ihm   selbst 
(unabhäfiyig  von  aller  Beschaffenheit  der  Öegenstände  des  Woüens)  ein  Oeseix 
ist.    Das  Princip  der  Autonomie  ist  also:  nicht  anders  xu  wählen  als  soy  daß 
die  Maximen  seiner  Wahl  in  demselben  Wollen  zugleich  als  allgemeines  OesetXr 
mit  begriffen  seien^^  (Gr.  zu  e.  Met  d.  Sitt.  S.  67).     Diese  Autonomie  ist   das 
einzige  Princip  aller  moralischen  Gesetze,  alle  Heterogonie  der  WiUkür  ist  der 
Sittlichkeit  entgegen.    Die  „Heteronomie  der  Willkür*^  entsteht,  „wenn  der  Tiyile 
irgend  u)orin  anders  als  in  der  Tauglichkeit  seiner  Maximen  xu  seiner  eigenen 
allgemeinen  Oeseixgebung,  mithin,  wenn  er,  indetn  er  über  sich  selbst  hinausgehty 
in  der  Beschaffenheit  irgend  eines  seiner  Objeete  das  Oesetx  sucht,  das  ihn  be- 
stimmen soU^^  (1.  c.  S.  67  f.)    „  Der  Wille  gibt  cUsdann  sich  nicht  selbst,  sondern 
das  Objeet  durch  sein  Verhältnis  gibt  diesem  das  Oesetx^'  (ib.).    Die  Autonomie 
ist  das  Princip  der  Würde  des  Menschen.    Die  Allgemeingültigkeit  des  ästlie- 
tischen  Urteils  beruht  auf  einer  Autonomie  des  urteilenden  Subjects  (Kr.    d. 
Urt.  §  31).     LiPPS  erklärt:  „Sofern  tnein   Willensentscheid  einem  eigenen    Zug 
xum  Sittlichen  entstammt,  und  das  Gebot  nur  Anlaß  ist,  diesen  Zug  xu  we^^het^y 
ist   mein    Willensentscheid  sittlich   autonom".     „Soweit   dagegen  das   sittliche 
Gebot  lediglich  als  ein  freundes  ynir  gegenübersteht  und  seinem  Inhalte  nach  nirrht 
xugleieh  als  ein  Gebot  meiner  eigenen  Natur  oder  ais  ein  Gesetx  meines  eige^^en 
Willens    sieh    darstellt,    will    oder    handle    ich    heteronom"    (Eth.    Grundfr. 
S.    98).     „So    ist    also    schließlich    alle   Sittlichkeit  gleichbedeutend   mit   J^Vei- 
heit  im  Sinne  der  freien  Übereinstimmung  mit  einem  eigenen  innem  Ge9eJx^*^ 
(1.  c.  S.  107).     RiEHL:    „Autojuymie   des    Willens,   das   ist  nichts   anderes     cUs 
ethisclie  Freiiieit'',  „  Wille  xur  Persönlichkeif'  (Z.  Einf.  in  d.  Phü.  8.  196   f .>. 
Der  Wille   soll   ein  naturgesetzlicher  sein,  als  vernünftiger  Wille;   „nicht  fier 
Mensch,   sofern  er   Mensch,   sondern  sofern  er  ein    Veniunfhceser^  ist,  ist 


Autonomie  —  Axiom.  117 

Siäiject  und  xttgleich  die  Quelle  des  etkisehen  Hcmdelns"  (1.  c.  S.  197  f.).     Vgl. 
Sittlichkeit 

Avtopeie:  Selbstbeobachtimg. 

Aatoritat  B.  Ethik,  SittHchkeit. 

AvtaBai^Sestion  s.  Suggestion. 

ATMToYamvs  heißt  die  Deutung  des  Aristoteles  im  Sinne  des  Avebboes, 
ufgekommen  und  vom  14.  bis  zum  17.  Jahrhundert  herrschend  in  der  Schule 
von  Padua.  Nach  der  averroistischen  Lehre  ist  der  „tätige  Intslleet"  (s.  d.)  eins 
mii  don  göttlichen  t^eiste,  der  in  allen  Seelen  einheitlich  wirksam  und  imsterb- 
lifh  ist,  während  es  eine  individuelle  Unsterblichkeit  nicht  gibt.  Die  Alexan- 
dristen (s.  d.)  hingegen  leugnen  jedwede  Unsterblichkeit.  Averro'isten  sind  mehr 
oder  weniger  Nicoletto  Verniab  (De  unitate  intellectus),  Alexander  Achil- 
U5I,  Atjgustinijs  Niphus,  ZabakktJjA,  Andkeas  Caesalpinus,  nach  welchem 
Gott  die  „aninia  universalis^^  ist  (Quaest.  peripat.  1571),  Cesare  CREMOinia 
iT^  ÜBERWEG,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Phü.  IIP,  19  ff.  u.  Stöckl  III,  203). 

ATersion:  Abneigung.  Eine  Definition  derselben  bei  Spinoza  als 
jfrüHiia  eoncamitante  idea  alicuitis  rei,  quae  per  aodderis  c(msa  est  tristitiae*^ 
(EtL  ni,  def.  äff.  IX). 

iTmin  (aevum)  s.  Ewigkeit. 

Axiom  {aSloffta  =  dignitas):  Grundsatz,  Grundlage  aller  Beweise  auf 
einem  Gebiete,  ursprünglicher,  unbeweisbarer  Satz,  Grundurteil.  Die  specieUen 
Axbme  grimden  sich  auf  allgemeine  Grundsätze  der  Anschauung  und  des 
Be&kens,  die  insofern  a  priori  (s.  d.)  sind,  als  ohne  sie  Erfahrung  im  Sinne 
räenschaftücher  Erkenntnis  nicht  möglich  ist,  wenn  auch  die  Bedeutung 
^  Axiome  erst  in  und  an  der  Erfahrung  bewußt  wird.  Es  sind  zu  unter- 
KbeideD :  mathematische,  physikalische,  logische  Axiome  (=  Denkgesetze,  s.  d.). 

Der  Begriff  des  Axioms  ist  bei  Plato  schon  insofern  vorhanden,  als  dieser 
in  reinen,  dem  Denken  entstammenden  Grundsätzen,  Grundurteilen  die  Quelle 
»Der  Erkemitnis  erblickt.  Von  dem  relativen  Grundsatze  (vTto&eaie)  muß  zu 
GMn  j^zulängliehen'^y  „ersten"  Satz  (apxij)  zurückgegangen  werden  (Phaedo 
H/7B,  101 E),  zum  voraussetzungslosen  Princip  (iT^  «(>/'?*'  dtnmod'eTovj  Rep. 
MOB).  Bei  Aristoteles  bedeutet  d^icafta  einen  des  Beweises  nicht  bedürftigen, 
lue  Grundlage  eines  Beweises  bildenden  Satz  (Met.  IV  3,  1005  a  20;  Phys.  VIII 
i  252a  24),  auch  einen  praktischen  Grundsatz  (Eth.  Nie.  IV  7,  1123b  21).  Die 
Stoiker  verstehen  unter  d^iwfia  einen  durch  sich  selbst  klaren  Satz  (o  icnv 
«i^^iff  ^  tffevSos  fj  npayfia  avroreXis  dnotpavTOv  ocov  itp  eavrtp,  Diog.  L.  YJl,  1, 
^).  Nach  Bo£thtU8  ist  Axiom  (dignitas)  eine  „propositio  per  se  noia,  quam 
f^ifque  probat  auditam"  (bei  Albertus  Magnus,  Sum.  th.  I,  qu.  17).  Den 
Scholastikern  gelten  die  Axiome  als  uns  angeborene  (s.  d.)  „etcige  Wakr^ 
*«fe»"  (8.  d.). 

In  der  neueren  Philosophie  stehen  einander  zwei  Auffassungen  der  Axiome 
S^fenüber:  die  rationalistische  und  die  empiristische,  femer  die  aprioristische 
fi«iKt  Vermittelungen. 

Rationalistisch  lehrt  Descartes  die  Vemunftnotwendigkeit  der  Axiome. 
rtCifl»  .  .  .  agnosdmus  fieri  non  posscj  ut  ex  nihilo  aliquid  fiaty  tunc  propositio 
*«,  ez  nihilo  nihil  fit,  non  tanquam  res  aliqua  existens,  neque  etiam  tä  rei 
^us  wnsideratur:  sed  ut  veritas  aetemaj  quae  in  mente  nostra  sedeni  habet ^ 


118 


vocaturque  communis  notio,  sive  axionta,  Ouiua  generis  sunt:  tmpassilnle  est 
idem  simul  esse  et  non  esse;  quod  factum  est,  infeetum  esse  nequü;  is  gut  oogüat^ 
non  potest  non  existere  dum  cogitat'*  (Princ.  phlL  I,  49).  Nach  Galilei  haben 
die  Axiome  ursprüngliche  Evidenz,  sie  sind  „da  per  5«".  F.  Bacon  unter- 
scheidet zwei  Methoden,  zu  den  Axiomen  zu  gelangen  und  diese  zu  gebrauchen. 
,y Altera  a  sensu  et  particutariims  adrolai  ad  axionwia  maxime  generalia,  atque 
ex  iis  prineipiis  eorumque  immota  verUate  itidicat  et  invenit  axiomata  media: 
aique  haee  via  in  usu  est.  Altera  a  sensu  et  particularibus  exeitat  axiomata, 
aseendendo  eontinenter  et  gradatim,  ut  ultimo  loco  perveniatur  ad  maxime  gene- 
ralia;  quae  via  vera  est,  sed  intentata^^  (Nov.  Org.  I,  19).  Nach  Locke  gehören 
zu  den  Axiomen  alle  aus  unmittelbarer  Erfahrung  entspringenden  Sätze,  wie 
der  Satz  der  Identität  u.  dgl.  Sie  beruhen  auf  der  unterscheidend-vcrgleichen- 
den  Function  der  Seele,  ihre  Klarheit  auf  der  Festigkeit,  die  sie  im  Bewußtsein 
erlangen  (Ess.  IV,  C.  7,  §  1  ff.).  Leibniz  betrachtet  die  Axiome  als  „angeboren^" 
(8.  d.)  in  dem  Sinne,  daß  sie,  potentiell,  im  Bewußtsein  angelegt  sind  und  daß 
man  sie  im  Denken  finden  kann,  ohne  von  der  Erfahrung  auszugehen  (Nouv. 
Ess.  I,  eh.  1,  §  5).  Chr.  Wolf  definiert  „Axiom*^  als  „propositio  theoretiea 
indemonstrabilis"  (Log.  §  267).  HuME  betont,  daß  die  Axiome  durch  das  reine 
Denken  entdeckt  werden  können,  ohne  von  irgend  einem  empirischen  Dasein 
abhängig  zu  sein  (Inqu.  IV,  1).  Nach  Redo  sind  die  Axiome  oder  Principien 
durch  Intuition  bewußt  werdende  ursprüngliche  Wahrheiten  („self-evident  fruths^'), 
sie  sind  von  strenger  Notwendigkeit  und  Allgemeinheit  (Ess.  on  the  pow.  II, 
270  ff.);  das  Gegenteil  derselben  ist  unmöglich.  Die  Erfahrung  lehrt  uns  nur, 
was  L»t,  nicht  das  Notwendigsein  („experienee  informs  us  only  of  ichat  is,  or 
has  heen,  not  of  what  must  6c",  1.  c.  p.  281 ;  I,  40  ff.). 

Kant  begründet  die  Notwendigkeit  der  Axiome  aus  der  Aprioritat  (s.  d.) 
der  Anschauungs-  und  Denkformen.  Qeometrische  Sätze  sind  apodiktisch, 
daher  können  sie  „nicht  empirisefie  oder  Erfahrungmrteüe  sein,  noch  aus  ihnen 
geschlossen  werden^^  (Kr.  d.  r.  V.  S.  52,  54).  Diese  und  die  arithmedschen 
Axiome  „können  aus  der  Erfahrung  nicht  gexogen  werden,  denn  diese  würde 
weder  strenge  Allgemeinheit  noch  apodiktische  Gewißheit  geben.  Wir  würden 
nur  sagen  können:  so  lehrt  es  die  gemeine  Wahrnehmung,  nicht  aber:  so  muß 
es  sich  verhalten.  Diese  Orundsätxe  gelten  als  Regeln,  unter  denen  überhaupt 
Erfahrungen  möglich  sind,  und  belehren  uns  vor  denselben  und  nicht  durch  die- 
selben^^  (1.  c.  S.  58 ;  Proleg.  §  10  ff.).  Aus  dem  Grebrauch  der  Kategorien  (s.  d.) 
entspringen  apriorische  Grundsätze,  durch  die  allein  Sicherheit  und  Objectivitat 
in  aller  Naturerkenntnis  möglich  ist.  Diese  Grundsätze  sind  ursprünglicher 
Art,  „nictU  in  höheren  und  allgemeineren  Erkenntnissen  gegründet  (Kr.  d.  r.  V. 
S.  149).  Die  Quelle  aller  Grundsätze  ist  der  reine  Verstand,  „nach  welchem 
alles  (was  uns  nur  als  Gegenstand  vorkommen  kann)  noUvendig  unter  Regeln 
steht,  weil  ohne  solche  den  Erscheinungen  nietnals  Erkenntnis  eines  ihnen 
correspondierenden  Gegenstandes  xukommen  könnt e^^  (1.  c.  S.  156).  Die  Grund- 
sätze sind  die  obersten  Regeln,  Bedingungen  der  synthetischen  Urteile,  sie  sind 
„zugleich  allgemeine  Geseixe  der  Natur,  welche  a  priori  erkannt  werden  können", 
da  sie  sich  auf  mögliche  Erfahnmg  beziehen,  sie  machen  erst  ein  „Natursysiem'* 
aus  (Proleg.  §  23,  26).  Die  Grundsätze  zerfallen  in  mathematische  und; 
dynamische;  erstere  gehen  nur  auf  die  Anschauung,  letztere  auf  das  Daseia 
einer  Erscheinung  überhaupt,  erstere  sind  unmittelbar,  letztere  nur  mittelbar 
evident.     Die    mathematischen    Gnmdsätze    gliedern    sich    in    Axiome    der 


119 


Anscluuiung  und  Anticipationen  der  Wahmehmimg  (s.d.);  die  dynamischen  Grund- 
Mtze  gliedem  sich  in  die  Analogien  der  Erfahrung  (s.  d.)  und  die  Poetulate 
des  empirischen  Denkens  (s.  d.;  Kr.  d.  r.  Vem.  S.  172  ff.).  Axiome  der  An- 
scbauung  sind  die  Grundsätze,  worauf  sich  die  Möglichkeit  und  objective 
Gühigkeit  der  Mathematik  a  priori  gründet.  Das  Princip  dieser  Axiome  lautet: 
^Alie  £rscheimmge9h  sind  ihrer  Anschauung  nach  extensive  Größen"  (1.  c.  S.  159). 

Im  Sinne  des  Eriticismus  lehrt  BECK.  Nach  ihm  beruht  die  Notwendig- 
kflt  der  Axiome  auf  den  Eigenschaften  von  Baum  imd  2ieit,  sich  in  der  Ck)n- 
«tniction,  d.  h.  durch  die  Zurückführung  der  Sätze  auf  die  apriorischen  Ver- 
knüpfungen der  Anschauung,  darstellen  zu  lassen  (Erl.  Ausz.  III,  188).  Nach 
FsiES  beruht  diese  Notwendigkeit  auf  der  dauernden  Tätigkeit  der  Vemimft 
(Xeue  Krit.  II,  43).  Sie  werden  demonstriert  dadurch,  yfdaß  wir  die  Anschauung 
nadateisen,  die  in  ikneti  nur  icieder  ausgesprochen  tvird*^  (Syst.  d.  Log.  S.  411). 
Gnmdsätze  sind  die  „hJSehsten  Prineipien  der  Systeme  von  Urteilen"  (1.  c.  S.  292). 
^ksoPENHAUBB  betont,  die  Wahrheit  der  mathematischen  Axiome  leuchte  nur 
mitteist  der  Anschauung  und  Construction  ein  (Vierf.  Würz.  C.  6,  §  39). 
WcTDELBAND  erklärt,  für  die  genetische  Methode  seien  die  Axiome  „tatsächliche 
Auffassungsweiseny  tcelehe  »ich  in  der  Entwicklung  der  menschlichen  Vorstellungen, 
Qtfiihle  und  Willensentscheidungen  gebildet  haben  und  darin  xur  Geltung  ge- 
kmm&i  sind",  für  die  kritische  Methode  aber  sei  es  ,^anx  und  gar  gleichgültig, 
«f  weit  ihre  taUäcJdiehe  Anerkennung  reicht",  sie  sind  „Normen,  welche  unter 
^  Voraiussetxung  gelten  sollen,  daß  das  Denken  den  Zweck,  tcahr  xu  sein,  das 
Collen  den  Zweck,  gui  xu  sei/n,  das  Fühlen  den  Zweck,  Schönheit  xu  erfassen, 
M  allgemein  anxuerkennender  Weise  erfüllen  tcill"  (Prälud.  S.  257). 

Als  Hauptvertreter  der  empiris tischen  Auffassimg  der  Axiome  ist 
J.  St.  Mill  zu  nennen,  für  ihn  sind  sie  experimentale  Wahrheiten,  Gbnerali- 
saäooen  aus  der  Beobachtung  (Log.  II,  C.  6,  §  1),  durch  Induction  (s.  d.)  ge- 
woimen,  freilich  unter  der  Voraussetzung  der  Gleichmäßigkeit  des  Natur- 
gochehens  (Log.  I,  277  ff.).  Nach  Helmholtz  wiederum  sind  die  Axiome  Pro- 
<hicte  „unbeieußter,  aus  der  Summe  vom,  Erfahrungen  als  Obersätxen  entspringender 
S^iisse^^  (Tats.  d.  Wahm.  8.  28).  Sie  sind  durch  Erfahrung  gewonnen  imd 
bestätigt  (Vortr.  u.  Red.  II*,  30  f.,  230  ff.).  „Die  geometrischen  Axiome  spreclien 
. .  .  nicht  über  Verhältnisse  des  Raumes  allein,  sondern  gleichzeitig  auch  über 
dat  mechanische  Verhalten  unserer  festesten  Körper  bei  Betcegungen"  (1.  c.  S.  30), 
Empnisten  sind  B.  Erdmaiot  (Axiome  d.  Geom.  8.  91  ff.),  Rdsmaxn  (WW. 
B.  475  f.),  OsTWALD  (Vorles.  üb.  Naturph.*,  S.  305  f.).  Auch  Überweg  betont 
den  empirischen,  abstractiven  Ursprung  der  Axiome  (Syst.  d.  Log.*,  S.  69  ff.). 
Nach  CzoiiBE  sind  die  Axiome  „Abstractionen  aus  sinnlich  wahrnehmbaren, 
äas  Eletneni  der  Bewegung  enthaltenden  CausalverhÖltnisseti"  (Gr.  u.  Urspr.  d. 
OL  Erk.  S.  66,  98  f.,  100).  Nach  Laas  bekundet  sich  in  den  Axiomen  der 
Mathematik  die  Uniformität  der  Anschauungsformen,  und  diese  besagt,  daß 
^  keinen  Grund  haben,  „von  den  Formen  der  Anschauung  jenuäs  andere  Ge- 
«ö«  xu  erwarten  als  diejenigen,  die  wir  beständig  an  ihnen  constatieren"  (Id. 
tt.  pos.  Erk.  S.  447).  —  Schon  Jacobi  erklärt  die  Notwendigkeit  der  Axiome 
ans  dem  Vorkommen  der  Anschauungsformen  in  aller  Erfahrung  (WW.  II, 
213  f.). 

Teils  rationalistisch,  teils  wenigstens  den  logischen,  ursprünglichen  Factor 
in  den  Axiomen  würdigend  und  dem  Kriticismus  in  manchem  nahekonmiend 
lehren:   Babdili.     Er    begründet   die    Apodikticität    der   Axiome    aus    dem 


120  Axiom  —  Barbara. 

Vorhandensein  des  DenJcens  in  ihnen  (Gr.  d.  erst.  Log.  S.  82  ff.).  Nach  Maimox 
sind  die  mathematischen  Axiome  nicht  a  priori,  da  sie  der  Erkenntnis  des 
Gegenstandes  nicht  vorhergehen  (Vers.  üb.  d.  Tr.  S.  169);  ihre  Notwendigkeit 
ist  keine  absolute,  objective,  sondern  bloß  subjectiv  (1.  c.  S.  173).  Nach  Tren- 
DELENBURG  sind  die  mathematischen  und  physikalischen  Axiome  Producte  der 
Denkbewegung,  die  dem  Geiste  als  dessen  eigene  Tat  unmittelbar  yerständlich 
sind  (Log.  Unt.  I*,  292).  Nach  Lotze  kommt  den  Axiomen  Evidenz  zu,  die 
sie  jedes  Beweises  enthebt  (Log.  S.  580).  E.  v.  Hartmann  versteht  unter  da* 
Aprioritat  der  Axiome  die  Tatsache,  daß  in  ihnen  allgemeine  logische  Formen 
enthalten  sind  (Kr.  Grundleg.  S.  168).  Ihre  Notwendigkeit  beruht  darauf,  daß 
sie  nur  für  die  formalen  Verhaltnisse  eines  an  sich  gleichgültigen  Materials 
gelten,  das  sich  jeder  stets  in  derselben  Weise  reproducieren  kann  (L  c.  S.  167). 
WüNDT  betont,  daß  apodiktische  Sätze  sich  nicht  aus  Anschauungen,  Bondem 
aus  Z¥ringenden  Schlußfolgerungen  ergeben  (Log.  I*,  486  f.).  Die  Notwendigkeit 
der  geometrischen  Sätze  beruht  nur  auf  deren  ausnahmsloser  Gültigkeit;  die 
Axiome  der  Zeit  yykönnen  nur  a/us  der  Erfahrung  gezogen  sein,  weil  sie,  ab- 
gesehen von  der  Aufeinanderfolge  unserer  Vorstelhmgen,  völlig  gegenstandslos 
sind"  (1.  c.  S.  482,  490  ff.).  Die  mathematischen  Axiome  sind  Anwendungoi 
des  Satzes  vom  Grunde  auf  mathematische  Grundb^riffe.  A  priori  sind  sie 
nur,  sofern  Zeit  und  Raum  begrifflich  unabhängig  von  jeder  speciellen  Er- 
fahrung bestinmit  werden  können;  insofern  sie  sich  aber  auf  die  Anschauung»- 
formen  selbst  beziehen,  haben  sie  den  Charakter  allgemeinster  Erfahrungsgesetze. 
Sie  haben  ihre  Quelle  in  der  Induction,  beruhen  auf  ursprünglichen  Inductionen, 
sind  gleichzeitig  Gesetze  des  Denkens  und  der  Objecte  des  Denkens.  Ihre 
Apodikticität  erklärt  sich  daraus,  daß  das  Denken  an  den  formalen  Bestand- 
teilen der  Dinge  am  unmittelbarsten  und  einfachsten  sich  betätigt.  Das  „Prin- 
eip  der  Constanx  mathematischer  Oesetxe"  und  das  „Prinzip  der  Pemuine^ix  der 
mathe^natischen  Operationen"  bringen  die  Allgemeingültigkeit  der  mathematischen 
Begriffe  zum  Ausdruck  (1.  c.  S.  387,  II«,  1,  S.  106,  114*  ff.).  Riehl  erklart  die 
Notwendigkeit  der  Axiome  daraus,  daß  sich  an  der  Anschauungsform  die  syn- 
thetische Gesetzmäßigkeit  des  Bewußtseins  und  seiner  Identität  (s.  d.)  aui  un- 
mittelbarsten betätigt  (Phil.  Krit.  II  1,  S.  100).  Schuppe  sieht  den  Grund  der 
Evidenz  der  mathematischen  Axiome  in  deren  Anschaulichkeit  (Log.  S.  89). 
Diese  Evidenz  beruht  nach  Schtjbert-Soldeen  auf  der  „ündenkbarkeit  des 
Oegenteils"  (Gr.  e.  Erk.  S.  310).  SiGWART  bestinunt  die  Axiome  als  ,,Sätxe, 
deren  Wahrheit  und  öetcißheit  unmittelbar  einleuehiefid,  deren  Gegenteil  xu 
denken  durum  unmöglieh  ist"  (Log.  I*,  412). 

Axiome,   empiriokritische,   s.   Empiriokri tisch ;    logische  s.  Denkgesctze; 
mathematische  s.  Axiome;  mechanische  s.  Mechanisch. 

Axilntli  (von  azel,  absondern)  heißt  nach  der  Kabbalä  die  obere  oder 
Idealwelt  (Franck,  La  cab.  p.  197). 

Bamallp  ist  der  erste  Modus  (s.  d.)  der  vierten  Schlußfigur  (s.  d.) :  Ober- 
sate  und  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  besonders  verneinend  (i). 

Barbara  ist  der  erste  Modus  der  ersten  Schlußfigur:  Ober-  vmd  Untersatz 
allgemein  bejahend  (a)  Folgerung  gleichfalls  (a). 


Barooo  —  Bedürfnis.  121 


Raroeo  ist  der  zweite  Modus  der  zweiten  Schlußfigur:  Obersatz  allgemein 
bejahend  (a),  Untersatz  und  Folgerung  besonders  verneinend  (o). 

Redentnnf^  eines  Wortes  ist  der  Begriff,  den  es  bezeichnet,  der  Inhalt, 
das  (jegenständliche,  das  es  meint,  auf  das  es  sich  bezieht  (vgL  Mabtinak, 
PsychoL  Untere,  zur  Bedeutungslehre  1901).  Nach  J.  St.  Mill  besteht  die 
Bedeutsamkeit  von  Namen  (s.  d.)  in  der  Mitbezeichnimg  (connotation).  Hüsserl 
betont  den  Unterschied  zwischen  dem  subjectiven  Bedeutungsacte  und  der 
objectiy-idealen  y,Bedeuitmg  an  sick^*  selbst.  Bedeutsame  Zeichen  sind  Ausdrücke. 
Diese  haben  eine  ,^cundgebende"  Function,  femer  eine  Bedeutung  (Log.  Unt. 
n,  30  ff.,  90  ff.).  Nach  H.  Corneltüs  hat  das  GedächtniBbild  ,jStets  eine  von 
3m  selbst  xu  unterscheidende  Bedeutung",  Sie  ist  dasjenige  frühere  Erlebnis,, 
d»  durch  ein  Erinnerungsbild  repräsentiert  wird  (Einl.  in  d.  PhiL  S.  212). 
VgL  G.  Fkege,  Üb.  Sinn  u.  Bedeut.  (Zeitschr.  f.  Phüos.  Bd.  100,  S.  25). 
VgL  Wahrheit. 

Redeotnni^wandel  s.  Sprache. 

Bedln^en^  Princip  des  („prindpley  law  of  conditioned"),  lautet  nach 
Hamiltok:  alles  Begreifliche  im  Denken  ist  bedingt  durch  zwei  unbedingte 
Eitreme.    Denken  ist  Bedingen  („to  ihink  is  to  eofidition"). 

Bedlnf^mif^  (conditio)  ist  ein  Umstand,  ohne  den  ein  Causalverhältnis 
nicht  statthaben,  ein  Ereignis  nicht  stattfinden  kann.  Das  „Bedingende"  ist 
das,  was  die  Abhängigkeit  eines  (physischen,  psychischen,  logischen)  Vorganges. 
Zostandes  setzt,  das  „Bedingte"  das,  was  als  abhängig  bestimmt  wird.  „Con- 
diito  sine  qua  non"  =  absolute  unerläßliche  Bedingung. 

Nach  GocLEN  ist  „conditio"  „qualitas  ea,  qua-  aliquid  condi,  id  est,  fieri 
ipiwn  esf*  (Lex.  phil.  p.  435).  Kant  sieht  in  den  Anschauungsformen  (s.  d.) 
solqective  „Bedingungen"  aller  Erfahrung.  Der  Bedingimgsbegriff  ist  eine  der 
Kfttegoden  (s.  d.).  „Bedingen"  ist  nach  Schelling  „die  Handlung j  tcodurch 
c^itas  zum  Ding  wird",  yfiedingt"  ist  „das,  was  xum  Ding  gemacht  ist,  woraus 
'ugleieh  erhellt,  daß  nichts  durch  sich  selbst  als  Ding  gesetzt  sein  kann"  (Vom 
Ich  6.  11).  Nach  Hegel  ist  Bedingung  „das  Unmittelbare,  auf  das  der  Orund 
fith  als  auf  seine  wesentliche  Voraussetxung  bezieht"  (Log.  II,  107).  J.  St.  Mill 
Knut  Bedingimg  eines  Phänomens  „das  Oanxe  der  Umstände",  unter  denen  es 
aatthat  (Log.  I,  388).  Hodgson  gebraucht  statt  „Ursache"  den  Tenninus 
-ml  condition"  (Met.  of  Exper.  1898).  Nach  0.  Schneider  ist  Bedingung 
kfin  „Sfammbegriff^*.  „Das  Bewußtsein  der  Bedingutig  und  Bedingtheit  ist  nur 
«W  Vorstufe  des  Bewußtseins  der  Ursaclie  und  der  Ursächliciikeit,  ist  das  noch 
^tftfnitriekelte,  gleichsam  das  noch  knospende  Ursächlichkeitsbewußtsein"  (Transcend. 
J?- 197).  Nach  Sigwart  ist  Bedingung  „etwas,  was  die  Wirksamkeit  de^  her- 
i^jrbringenden  Grundes  möglich  macht"  (Log.  II*,  157).  Die  Sunmie  der  Be- 
«üngungen  ist  „  Ursache"  (s.  d.) ;  so  auch  Schuppe  (Log.  S.  73),  dagegen  WLTn)T 
A  Ursache):  Bedingung  ist  der  weitere  Begriff;  die  Erde  z.  B.  ist  die  per- 
manente Bedingung  der  einzelnen  Fallerscheinung,  deren  „Ursache"  in  der  Er- 
Itebung  in  eine  bestimmte  Höhe  besteht  (Log.  I«,  S.  597  ff.,  103  ff.;  Syst.  d. 
HüL*,  S.  290  f.).  Ostwald  versteht  unter  Bedingung  die  zeitliche  oder  räum- 
Hthe  Regelung  eines  energetischen  Verlaufes  (Vorles.  üb.  Naturph.*,  S.  299). 
Enige  Forscher  wollen   den  Causalbegriff  (s.  d.)   durch   den   der  Bedingtheit 

Be4MrAils  ist  alles,  was  ein  Wesen  bedarf,  zur  Erhaltung  imd  Steigerung 
*ffl€T  Existenz   braucht,  benötigt   (B.   im   objectiven   Sinne),  zugleich  das 


122  Bedürfiiis  —  Begehren. 


Bewußtsein  (Grefühl)  einer  Unzuträglichkeit,  verbunden  mit  dem  Streben  nach 
deren  Beseitigimg  (B.  im  subjectiven  Sinne).  Eb  gibt  körperliche  und 
geistige,  materiale  und  functionelle  Bedürfnisse. 

Nach  Kant  ist  Bedürfiiis  das  Verhältnis  eines  lebenden  Menschen  zu  dem 
nötigen  Gebrauche  gewisser  Mittel  in  Ansehung  eines  Zweckes.  Nach  Hille- 
BRAND  ist  Bedürfnis  ,,die  eioige  Seibatforderung  des  Individuums,  eine  endliehe 
Hypostase  xu  haben,  um  eine  unendliche  Richtung  seiner  Tätigkeit  nehmen  %u 
können''  (Phil.  d.  Geist.  II,  105).  Nach  Hebmann  ist  Bedürfnis  j^as  Gefühl 
eines  Mafigeis  mit  detn  Streben,  ihn  xu  beseitigen"  (bei  O.  Kraus,  Das  Bed. 
S.  8).  Nach  Meinono  hat  man  ein  Bedürfnis  „nach  detnjenigetij  im«  tnir  ab- 
geht, wenn  es  nicht  vorhanden  ist"  (Werttheor.  S.  7).  Nach  R.  Wähle  entsteht 
durch  Störung  des  gewohnheitsmäßigen  Ablaufs  der  Vorstellungen  eine  „  Unruhe^'. 
„Diese  Unruhe  bexuglich  einer  Vorstellung  und  das  Bewußtsein,  daß  sie  durch 
eine  getcisse  Vorstelhmg  behoben  leürde,  nennen  udr  da>s  Bedürfnis,  die.  Vor- 
stellung ruhig,  ohne  Triibutig  klar  xu  besitzen"  (Das  Ganze  d.  PhiL  S.  371). 
A.  DÖRING  bestimmt  das  Bedürfnis  („Erfordernis")  als  Erfüllung  der  Erhaltungs- 
bedingungen des  Organismus,  subjectiv  als  Bewußtsein  dessen  (Philos.  Güter- 
lehre S.  74  ff.).  Jerusalem  imterscheidet  (wie  Döring  L  c.  S.  77  ff.)  körpeiüche 
imd  seelische  Bedürfnisse;  die  körperlichen  zerfallen  in  stoffliche  und  functionelle 
Bedürfnisse,  unter  welchen  ein  Verlangen  der  Organe  nach  Betätigung  zu 
verstehen  ist.  Die  seelischen  Bedürfnisse  sind  durchaus  functioneUer  Natur, 
«ie  gliedern  sich  in  intellectueUe  imd  emotionelle  Functionsbedürfnisse  (Lehrb. 
d.  Psych.  S.  160  f.,  s.  Ästhetik).  Mit  anderen  betont  Ihering  die  sociale  Be- 
deutung der  Bedürfnisse.  Das  Bedürfnis  ist  „das  Band,  mit  dem  die  Natur  den 
Menschen  in  die  Gesellschaft  xiehi*'  (Zweck  im  Recht  I,  107).  Vgl.  Ästhetik, 
Sociologie,  Trieb. 

BedfirfBlslosi^kelt  ist  nach  Sokrates  göttlich,  so  wenig  als  möglich 
zu  bedürfen,  dem  Göttlichen  am  nächsten  (Xenophon,  Memor.  I,  6,  10).  Nach 
ANTI8THENES  ist  sie,  als  frei  machend,  eine  Tugend  (Xen.,  Symp.  4,  34  ff.). 
Auch  die  Stoiker  legen  auf  Bedürfnislosigkeit  Wert.    VgL  Cynismus. 

Befeblsaatomatle  ist  ein  Zustand  höchstgesteigerter  Suggestibilität, 
hervorgenifen  durch  Hypnose  (s.  d.):  Auf  Befehl  des  Hypnotisatons  vollzieht 
der  Hypnotisierte  jede  Bewegung,  die  nur  irgendwie  möglich  ist,  nimmt  nicht 
vorhandene  Objecte  wahr  u.  dgl.  (Vgl.  Hellpach,  Gr.  d.  Psych.  S.  337  f.; 
WüNDT,  Gr.  d.  Psych.»,  8.  331.) 

Beg^elireil  (Begierde)  ist  ein  intensives,  durch  ein  Hindernis  gewecktes, 
verstärktes  Streben,  das  sich  seines  Zieles  bewußt  ist  („Ignoti  jmUa  cupido"). 
Es  gibt  ein  sinnliches  und  ein  geistiges  Begehren.  Die  Begierde  ist  insofeni 
„blind",  als  sie  nicht  auf  die  Folgen  der  Begehrung  achtet.  Das  Gregenteil 
des  Begehrens  ist  das  Verabscheuen,  das  Widerstreben  gegen  einen  Zustand 
oder  Gegenstand. 

Nach  Empedokles  geht  das  Begehren  auf  Herstellung  der  normalen 
Mischung  im  Organismus  (Siebeck,  G.  d.  Psych.  I  1,  152).  Plato  nimmt 
einen  besonderen  begehrenden  Teil  der  Seele  (dmd'vfirirtxov)  an  (Rep.  IV,  441  b; 
Tim.  77  b).  Nach  Aristoteles  entspringt  das  Begehren  (o^B^ts,  iniS'vfiUn)  aus 
gefühlsbetonten  Vorstellungen  (De  an.  II  3,  414  b  4).  Es  ist  Streben  nach  Lust 
(1.  c.  II,  3,  4l4b  66),  wird  nicht  von  der  Vernunft  geleitet  (ist  iv  nf  aloy^f* 
1.  c.  III  9,  432  b  6).    Die  Seele  wird  durch  das  Begehrte  {oQtxrSv)  gleichsam 


123 


bewegt  (1.  c.  III  11,  333  a  27).  Die  Stoiker  bestimmen  die  Begierde  als  yer- 
AimfUoses  Streben  {oqs^iv  aneidij  loyxpj  Stob.  Ecl.  U,  6,  172).  Epikur  teilt  die 
Begierden  {int&vfiitu)  ein  in:  natürliche  (fvcixai)  und  nichtige  {xBvaC);  die 
enteren  sind  teils  Begierden  schlechthin  {fvctxai  fiovov)^  teils  notwendige  Be- 
gierden savayxaiai)  (Diog.  L.  X,  127;  vgL  X,  149).  Nach  Cicero  ist  yylibido" 
die  „opinio  venturi  honi*^  (Tusc.  disp.  FV,  9). 

Grbgor  von  Ntsba  stellt  drei  Arten  des  Begehrens  auf:  fleischliche, 
seäische,  geistige  Begehrungen  (De  opif.  8).  PHiLOPONua  unterscheidet  das 
flcelische  Begehren  (4'nid'vfiia)  von  der  fwftxrj  Swafug^  vom  körperlichen  Drange 
(Seebeck,  G.  d.  Ps.  I  2,  356).  Die  Scholastiker  unterscheiden  vom  Er- 
komtnisTermögen  die  „Pts  appetitiva^'  (s.  Streben).  „Oupiditas^^  ist  nach  ihnen 
.^attgioy  quae  tendit  in  bonum",  „(wersio^*  ist  „fuga  malt**.  HUGO  VON  St. 
Victor  unterscheidet  fleischliches  und  geistiges  Begehren  (StÖckl  I,  335). 
Albertus  3Iagnu8  erklart:  „Oupiditas  didtur  tribus  modis:  1)  Pronitas  ad 
jjeeramiuni.  2)  Coneupiseenlia  ad  deleetabüia  cartiis,  3}  Amor  ülicihis  cuius- 
cmnque  rei  temporcUis**  (Sum.  theoL  II,  133,  1).  Vom  sinnlichen  ist  das  in- 
teilective  Begehren,  der  Wille,  zu  unterscheiden.  Thomas  bestimmt  das  Begehren 
sb  ^ppettius  senaitiifus**,  sinnliches  Streben,  das  in  sich  hat  die  „coficupiscibi' 
UUa^'  und  „ireueibiliias**  (De  pot.  an.  5;  Sum.  th.  I,  81,  2).  Nach  Süarez 
iit  das  Begehren  „appeiitua  elieitiis**  (De  an.  V,  1,  2). 

HoBBBB  bezeichnet  das  Begehren  als  „prinrns  conatus**,  der  auf  Angenehmes 
sieh  richtet  (De  oorp.  35,  13).  Dbscartes  erklart  die  Begierde  physiologisch, 
SOS  der  Wirksamkeit  der  Lebensgeister  (s.  d.).  „Passio  cttpidiiatia  est  agitatio 
autnae  producta  a  spiritibus,  per  quam  disponitur  ad  volendum  in  futurum  re«, 
fHo»  sibi  repraesentat  convenientea**  (Pass.  an.  II,  86).  Es  gibt  so  viele  Arten 
da-  Begierde  als  Gegenstande  derselben  (1.  c.  II,  88).  Nach  Spinoza  ist  das 
Begehren  .,appetitu8  cum  eitisdem  eanscientia"  (Eth.  III,  prop.  IX,  schol.). 
^Cupidilas  est  ipsa  hominis  essentia,  quatenus  ex  data  quacumque  eius  affectionc 
determincUa  concipitur  ad  aliquid ,  agendum"  (1.  c.  III,  äff.  def.  L).  Leibnxz 
erklärt  das  Begehren  als  „tendance  d'une  perception  ä  Vautre**  (Erdm.  p.  714  a). 
Ba  Chr.  Wolf  tritt  neben  das  „Erkenntnisvermögen**  ein  „Begehrungsvermögen**, 
Streben  im  allgemeinen  („appetitus  in  genere**)  ist  „inclinatio  animae  ad  ohiectum 
yro  ratione  boni  in  eodem  percepti**  (Psych,  emp.  §  579).  „Oupiditaa**  ist  „prae- 
putus  tfoiuptaiis  vel  gaudii  ex  bofw  absente,  quod  nobis  praesens  esse  mallemiis** 
(L  c.  §  805).  Die  sinnliche  Begierde  entspringt  y,aus  der  undeutlichen  Vorstellung 
*»  Guten*''  und  ist  die  „Neigung  der  Seele  gegen  die  Sache,  davon  toir  einen 
wideutli^rhen  Begriff  des  Övten  haben**  (Vem.  Ged.  I,  §  434).  Nach  CONDILLAC 
ist  das  Begehren  die  auf  ein  Bedürfnis  gerichtete  Seelentätigkeit,  die  aus  Em- 
pfindungen entspringt  (Tr.  d.  sens.  I,  3,  1).  Platner  definiert  das  Begehren 
tb  ^innere  Veränderung  der  Seele,  welche  auf  vorherrschende  Vorstellungen  eines 
TnUkommetMn  Zustandes,  also  einer  freien  oder  gehinderten  Wirksamkeit  ihres 
Ornndvermögens  in  ihr  erfolgt**  (N.  Anthr.  §  1124).  Nach  Th.  Brown  ist  das 
Begdu-en  eine  „prospective  emotion**  (Lect.  III,  314).  Kant  unterscheidet  ein 
vnceres  und  oberes  Begehrungsvermögen ,  ersteres  ist  durch  materiale  Motive, 
ieteteres  rein  formal,  durch  die  Vernunft  selbst  (mit  der  es  identisch  ist)  be- 
stimmt (Kr.  d.  pr.  Vem.  1.  T.,  1.  B.,  1.  Hptst.,  §  3).  Begierde  ist  ,/iie  Selbst- 
ie$timmung  der  Kraft  eines  Subfectes  durch  die  Vorstellung  von  etwas  Künftigem, 
oli  einer  Wirkung  derselben**  (Anthr.  §  71).  Nach  Chr.  E.  Scumid  ist  das 
BegehrungByermogen  „etn  Vermögen,  welches  Vorstellungen  realisieret,  d,  h.  macht 


124  Begehren. 

oder  XU  machen  strebt,  daß  da^emge  icirJdich  werde ^  was  in  der  Vorstelhmg 
enthalten  ist*^  (Emp.  Psych.  S.  335).  Das  Begehren  ist  „rft«  Art  der  laiigkeitj 
tcelche  den  Stoff  so  oder  anders  bestimmt  oder  sieh  auf  denselben  bexieht^^  (L  c. 
ö.  337).  In  jeder  Begierde  konunt  j,etwas  Angeborenes,  d,  h.  im  Begehrttngg- 
vermögen  selbst  Gegründetes,  und  etwas  durch  Einwirkung  Hervorgebrachtes  ror^ 
(L  c.  S.  339). 

J.  G.  Fichte  bestimmt  das  Begehren   als  „ein  durch  seinen  Oegenshnd 
bestimmtes  Sehnen^^  (Syst  d.  Sitt.  S.  160).    „Das  Mannigfaltige  des  Begehrens 
überhaupt,  in  einem  Begriffe  vereinigt  und  als  ein  im  Ich  begründetes  Vertnögen 
betrachtet,  heißt  Begehrung svermögen^^  (ib.).   Nach  Heoel  ist  B^erde  „das 
Selbstbewußtsein  in  seiner  Unmittelbarkeit^*,  „der  Widerspruch  seiner  Abstraetüm, 
welche  objectiv  sein  soll,  oder  seiner   Unmittelbarkeit,   tvelche  die  Gestalt  eines 
äußeren  Objects  hat  und  subjeetiv  sein  soll"  (EncykL  §  426).    Hetneoth  miter- 
scheidet  das  Beehren   vom  Willen  (Psychol.  8.  68).     Nach  Bekeeie  ist  das 
Begehren  „abgeleiteter  Natur,  tritt  erst  ais  Reproduetionsform  in  die  Ausbildung 
der  Seele  ein"  (Pragm.  Psych.  I,  50  f.;  Lehrb.  §  167).    Nach  Herbabt  ist  da« 
Beehren  ein  secundäres  Phänomen,  „dae  Hervortreten  einer   Vorstellung,  die 
sich  gegen  Hindemisse  aufarbeitet"   (Psych,  a.  Wiss.  II,  §  104).     Begierde  ist 
eine  „Vorstelltmg,  die  wider  eine  Hemmung  auftritt"  (1.  c.  §  150).     Zwischen 
Beehren  und  Wollen,  unterem  und  oberem  Begehrungsvermögen  ist  zu  unter- 
scheiden (Lehrb.  z.  Psych.*,  S.  78  ff.).    Volkmann  definiert  die  „Begekrung^ 
als  „das  Bewußttcerden  des  Anstrebens  des  Vorstellen^  und  Geltendmachung  seiner 
Vorstellung"  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  405);  ähnlich  Deobibch  (Emp.  Psych.  §  143). 
Nach  Stbümpell  ist  das  Begehren  „jene  Seelentätigkeit,  worin  eine  Vorstelltmg 
troix  der  auf  sie  ausgeübten  Hemmungen  im  Bewußtsein  im  Gemüte  aufstrtht 
und  sich  gegenwärtig  erhält"  (Gr.  d.  Psych.  8.  94).    Allihn  :  „Begehrwigen  sind 
Vorstellungen,  welche  im  Streben  begriffen  sind,  xur  Vollendung  des  Vorstellens 
XU  gelangen"  (Gr.  d.  allg.  Eth.  8.  53).    Waitz  definiert  Bq^cJirung  als  „das- 
jenige  Gefühl,  welches  entsteht,  wenn  wir  etwas  als  angenehm  Vorgestelltes  xu- 
gleich  als  nicht  sinnlich  gegemcärtig  vorxusteUen  uns  genötigt  finden"  (Lehrb. 
d.   Psych.  8.  420).     George   sieht   im  Begehren   ein  „Wahmiaehen"  des  Er- 
kannten (Lehrb.  d.  Psych.  8.  548).     Ulrich  bestimmt  die  Begierde  als  Form 
des   8trebens  (Leib  u.  Seele  8.  594).    Lipps  bezeichnet  das  Begehren  als  das 
„qualitative  Ihnpfindungsstreben"  (Gr.  d.  8eelenleb.  8.  600).    Nach  H.  Spencer 
sind  Begehningen  „ideelle  GefiUäe,  welche  auftreteti,  wenn  die  reellen  Gefühlt, 
denen  sie  entsprechen,  längere  Zeit  nicht  erfahren  worden  sind"  (Psych.  I,  §  50). 
Nach   SiGWART   ist   Begehren    der  „empfundene  Drang"   aus  der   Gegenwart 
heraus  nach  der  vorgestellten   imd  anticipierten  relativ  höheren  Lust  der  Zu- 
kunft hin  (Kl.  Sehr.  II»,  141).    HÖffding  definiert  Begehren  als  „einen  vofi 
deutlichen    Vorstellungen  beherrschten    Trieb"   (Psych.  8.  325),   JODL   als   einen 
„seines  Zieles  bewußten"  Trieb  (Lehrb.  d.  Psych.  8.  426).    Nach  Wündt  ist  das 
Begehren  eine  Richtung  des  Triebes  (s.  d.);  Begehren  und  Widerstreben  bilden 
die  Grundlage  aller  Willenshandlungen   (Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  411).    Nach 
Külpe  handelt  es  sich  bei  den  B^erden  und  Abneigungen  um  „Triehfortnen, 
die  den  Affecten  besonders  nahe  stehen"  (Gr.  d.  Psych.  8.  338).     Ehrenfelö 
nennt  Beehren  alles  Wünschen,  Streben,  W^ollen,  alle  psychischen  Acte,  die 
auf  ein  bestimmtes  Ziel  gerichtet  sind,  „nämlich  efUweder  auf  die  Existenz  oder 
die  Entstehung  eines  Dinges,  das  Eintreten  oder  Zutreffen  eines  Vorgangs,  oder 
aber  auf  die  Nichtexistenx  oder    Vernichtung  eines   Dinges,   das   Hintanbleiben 


Begehren  —  Begriff.  125 

aStr  Atifhören  eines  Vorgangs",  Es  gibt  positive  und  negative  Acte  des  Be- 
^^ehrcDs  (Werttheor.  I,  6,  18).  Begehren  ist  kein  besonderes  Bewußtseinselement, 
sondern  nichts  anderes  als  „die  —  eine  relcUive  Glüeksßrdenmg  begründende  — 
Vorgteiiung  von  der  Ein-  oder  Äussehalhmg  irgend  eines  Objects  in  der  oder 
ans  dem  C<misalgewebe  um  das  Gentrum  der  gegenwärtigen  Ickvorstettung"  (1.  c. 
S.  248).    Vgl.  Streben,  Wille. 

RegeliniiigSTemiKi^n  s.  Begehren. 
Beg^liardeii  s.  Mystik. 

ie  s.  Begehren. 

ist  so  viel  wie:  etwas  auf  einen  Begriff  bringen,  in  einer 
Mannigfaltigkeit  logische  Einheit,  Zusammenhang  und  Ordnung  herstellen, 
rtwa?  in  den  Bestand  des  Gewußten,  in  den  Verband  des  Ich  einreihen,  es 
richtig  beurt«Qen,  deuten  können,  es  seinem  Wesen  nach  erfassen. 

Bei  den  Stoikern  hat  das  Begreifen  als  xaräkrjyjis  (s.  d.)  den  Sinn  des 
Erfai^sens  der  Vorstellung  durch  das  Bewußtsein.  ,jCum  aeeeptum  iatn  et  ad- 
probatiofi  esset,  comprehens%one?n  appellabat  (Zeno),  simileni  iis  rebt4s,  quae  manu 
frtHdrreniur"  (CiCKRO,  Acad.  I,  41,  II,  47,  145).  Nach  »Albeetüs  Magnus 
ist  ^.cffmprehensio"  der  „eontaetus  intelleclus  super  ferminos  rei*^  (Sum.  th.  I, 
13.  1).  Xach  Lambert,  heißt  eine  Sache  begreifen,  „sich  selbige  vorstellen 
können,  und  xwar  so,  daß  man  die  Sache  für  das  ati»teht,  was  sie  ist"  (N.  Org. 
l  J  1).  Nach  Kant  ist  Begreifen  (comprehendere)  „in  dem  Grade  durch  die 
Vtrmmft  oder  a  priori  erkeniien,  als  xu  unserer  Absicht  hinreichend  ist**  (Log. 
S.  97  L  Xach  Kiesewetteb  heißt  Begreifen  „etwas  aus  Principien  hinreichend 
fifuehen**  (Gr.  d.  Log.  ad  §  195,  S.  246).  Fbies  versteht  unter  Begreifen  die 
SfMständigkeit  der  Einsicht"  (Syst.  d.  Log.  S.  362).  Nach  Hegel  besteht  das 
Begreifen  des  Gegenstandes  „tw  nichts  anderem,  als  daß  das  Ich  sich  denseibtn 
iH  eigen  maeht,  ihn  durchdringt  und  ihfi  in  seine  eigene  Form,  d.  h.  in  die 
Miffnneinh^t,  welche  unmittelbare  Bestiynmtheit  ist  .  .  .,  bringt**  (Log-  III,  16). 
X*ch  J.  E.  Erdmann  ist  Begreifen  „als  noiwetidig  erkenneti**  (Gr.  d.  Psych. 
%  '2\.  H.  Spencer  bestimmt  das  Begreifen  als  „Oleichsetxung  eines  Falles  mit 
^  anderen"  (First  Princ.  p.  70);  BlEHL  als  „Identität  zweier  oder  mehrerer 
ymieüungen  erkennen"  (Phil.  Krit.  I,  380),  „aus  Gründen  erkennen"  (1.  c.  II,  2, 
237?.  Nach  Avenarius  wird  Begreifen  erzielt  durch  „Subsumtion  einer  Einxel- 
fjnstellung  unter  inhaltlich  bekamUe  Begriffe",  was  eine  „Kraflerspamis"  („Oko- 
fiomi^^  nach  Mach)  des  Denkens  bedeutet  (Phil,  als  Denk.  S.  43).  Nach 
VrsDT  will  der  Verstand  die  Wahmehmungstatsachen  begreifen  (Syst.  d. 
PhiL*,  S.  169  ff.).  Dieses  Ziel  ist  erreicht,  „wenn  alle  bekannten  Tatsachen  in 
w  rerständliche  Verbindung  gebracht  sind"  (ib.).  Nach  SULLY  begreifen  wir, 
*«in  wir  gewisse  Merkmale  eines  Gegenstandes  speciell  beobachten,  indem  wir 
<lic6ellK3i  als  gemeinsame  Merkmale  einer  Klasse  von  Gegenständen  erkennen 
iHfflidb.  d.  Psych.  S.  234). 

Bef^riJr  (Ao^off,  oQOQ,  ^t^ota,  conceptus,  notio,  terminus,  idea)  ist  das,  was 
•ir  unter  einem  Namen  begreifen,  zusammenfassen,  die  isolierte  Fixierung,  Verwen- 
«ioAg  eines  bestimmten  Bewußtseinsinhaltes,  der  Inb^jiff  aller  Merkmale,  die 
»ir  als  das  Wesen  einer  Sache  bestimmend,  constituierend  in  einer  Reihe  von 
Tneilen  aussagen  können,  so  daß  der  Begriff  die  Potenz  zu  einer  Reihe  von 
l neuen  bedeutet,  in  denen  er  allein  lebendig  ist.  Der  logische  Begriff  unter- 
Kiieidet  sich  vom  psychologischen  durch  die  volle  Bestimmtheit,  Pracision 


126 


seines  Inhaltes.  Dieser  besteht  in  dem  Constanten,  Allgemeinen,  Charakteristi- 
schen, Typischen,  Objectiven  einer  Beihe  von  Vorstellungen  desselben  Gegenstandes, 
das  durch  die  active  Apperception  (s.  d.)  erfaßt,  festgehalten,  herausgehoben, 
abstrahiert  wird  imd  das  vom  Gesichtspunkt  der  Betrachtung  abhängig  ist.  Der 
Begriff  ist  als  solcher  ein  Product  des  Denkens,  ein  Niederschlag  von  Urteilen, 
hat  aber  seinen  Stoff,  sein  Fundament  im  ooncreten  Erleben,  in  der  Erfahrung, 
bestehe  diese  auch  nur  in  einem  Postulate  (s.  d.)  des  Denkens  oder  Wollens. 
Vertreten  wird  der  Begriff  durch  eine  ,^repräs€nUUiv&'  Vorstellung  sinn- 
lichen Inhalts  (concreter  Begriff,  s.  d.)  oder  symbolischer  Art  (abstracter 
Begriff,  s.  d.),  wobei  ein  ^fiegriffsgefüht^  (Begriffsbewufitsein)  auftritt,  d.  h. 
das  Bewußtsein,  daß  die  Individualvorstellung  eine  ganze  Klasse  vertritt.  Es 
sind  Individual-  und  Allgemein-  (Gattungs-)  Begriffe  (s.  d.)  zu  unterscheiden. 
Inhalt  (s.  d.)  eines  Begriffes  ist  das  Ganze  des  von  ihm  zu  einer  Einheit  Zu- 
sammengefaßten, Umfang  (s.  d.)  des  Begriffes  die  Beihe  der  Objecte  (Vor- 
stellungen), auf  die  er  sich  bezieht  oder  Anwendung  findet.  Die  begriffliche 
Erkenntnisart  imterscheidet  sich  von  der  anschaulichen,  unmittelbaren  dadurch, 
daß  sie  den  Inhalt  der  Erlebnisse  zu  abstracten  Symbolen  der  Dinge  verarbeitet 
Ursprung  und  Wert  der  Begriffe  werden  anders  vom  Rationalismus  (s.  d.),  anders 
vom  Empirismus  (s.  d.)  und  Sensualismus  (s.  d.),  anders  vom  Dogmatismus 
(8.  d.)  und  Kriticismus  (s.  d.)  aufgefaßt.  Von  „angeborenen^^  (s.  d.)  B^riffen 
spricht  man  nicht  mehr  wissenschaftlich. 

Die  Lehre,  daß  der  Begriff  im  Gegensatze  zur  Sinneswahmehmung  das 
Wesen  (An-sich)  der  Dinge  erfaßt,  bestimmt,  daß  er  die  eigentliche  Form  der 
Erkenntnis  ist,  durchzieht  die  ganze  Geschichte  der  Philosophie,  nicht  ohne 
Widerspruch  seitens  verschiedener  Denkrichtungen.  Schon  Heraxlit,  die 
Eleaten,  Demokbit  (s.  Erkenntnis)  werten  das  begriffliche  Erkennen  so. 
S0KRATE8  erst  betont  vollbewußt  die  fundamentale  Bedeutung  des  Begrifflichen 
für  Wissenschaft  imd  Ethik.  Das  logische  Verfahren  besteht  darin,  das  Was 
der  Dinge  (ri  ixaarov  etij)j  das  Constante,  Allgemeingültige,  durch  yjnduction"' 
(s.  d.),  auf  dem  Wege  des  Zusammendenkens,  der  Unterredung  zu  bestimmen. 
So  gelangt  man  zum  Wesen,  Sein  der  Dinge  imd  überwindet  den  sophistischen 
Skepticismus  und  Subjectivismus  (s.  d.)  (vgl.  Aristoteles,  Met  I,  6,  XIII,  4; 
Xenophon,  Memor.  1, 1, 16,  IV,  6, 1).  Plato  baut  auf  dieser  Lehre  weiter.  Im 
Begriffe  wird  das  gemeinsame  Was  einer  Gattung  von  Dingen,  ihr  Wesen,  ihr 
wahres,  objectives,  ihr  An-sich-sein,  ihr  Unwandelbares  {dei  6v)y  ihre  Idee  (s.  d.) 
erkannt  (Lach.  191  E,  Meno  72,  Phaedr.  238  D,  Phaedo  65  D  etc.).  Der  Be- 
griff setzt  Einheit,  Bestinuntheit  in  die  Mannigfaltigkeit  der  Vorstellungen  (PhiL 
23  E,  26  D).  Die  Begriffe  beruhen  auf  der  Gesetzmäßigkeit  des  Denkens  (s.  d.). 
Nur  das  begrifflich  Bestimmbare  ist  Object  des  Wissens  {mv  fäv  fit-  ian  koyo^ 
ovx  intaTTjrd  elvai,  Theaet.  201  D).  Auch  Aristoteles  lehrt,  der  Begriff 
(7.o/off)  gehe  auf  das  Wesen  der  Dinge  (o  Xoyoe  ttjv  olaiar  o^i^i,  De  part.  an* 
IV,  5).  Er  hat  zum  Gegenstande  das  t6  ri  ?v  tlvai  (s.  d.),  die  Wesenheit  des 
Dinges  (De  an.  II  1,  412  b  16),  die  Form  (s.  d.)  desselben  (1.  c.  414a  9,  I  1, 
403  b  2).  Der  Begriff  ist  zeitlos,  unwandelbar,  er  gilt  oder  gilt  nicht,  hat  aber 
kein  Werden  {rov  8i  k6yov  ovx  icrtv  avnoe  £ms  ^d'Mi^a&ai,  ovSi  ydp  ytvetrtg  .  .  ^ 
dXX*  avev  ytreaecag  xai  ^&opde  sial  xal  ov«  eiciv  (Met.  VII  1.5,  1039  b  24  sqn.). 
Es  gibt  einen  allgemeinen  (xavoe  X6yoe)  und  Einzelbegriff  (tStos  l6yoi)  (De  an. 
II  1,  412  a  5,  II  3,  414  b  23).  „Materieller''  Begriff  {X^os  vJUrof)  ist  der  im 
Objecte  steckende  Begriff,  den  das  Denken  heraushebt  (De  an.  I  1,  403  a  25). 


Begriff.  127 

Begriff  und  YorBteUimg  {ya$rraaia)  sind  zu  unterscheiden  (Dean.  III  3,  428  a  24). 
F^cfadogisch  geht  der  Begriff  {v^rjfia)  aus  der  Verarbeitung  der  Erfahrung 
durch  den  Intelleet  hervor  (De  memor.  1;  Anal.  post.  II,  9,  1).  Die  Stoiker 
giaaben  wiederum,  daß  erst  das  begriffliche  Denken  wahre  Erkenntnis  ver- 
«iurfft  (Cicero,  Acad.  II,  7).  Von  besonderer  Wichtigkeit  sind  die  Tt^oXtjy/aie 
lg.  (L)  und  xoit'ai  ftfroiou  {y,notitiae  eonfmunes"  bei  CiCEBo),  die  von  allen  auf 
gleiche  Weise  ursprünglich  erworben,  wenn  auch  nicht  angeboren  sind  (vgU 
Sthn,  Psych,  d.  Stoa  II,  238).  Die  Begriffe  (ivvoiat)  entstehen  aus  der  Wahr- 
odunung  und  Erfahrung  (s.  d.),  entweder  natürlich -psychologisch  ((fvctxc^g, 
aytmrexyfß'^)  ^^^  wissenschaftlich-bewußt,  planmäßig  (9t  ^furegae  didaaxakias 
*ai  isfiiuÄeias,  Plac.  IV,  11,  Dox.  400;  yyOut  U8U  —  ant  eoniunefione  atU  simi- 
litudine  aut  eoüatione'^^  CICERO,  De  fin.  III,  33).  Nach  EPIKUR  entspringt 
ied^  Begriff  aus  der  Wahrnehmung,  ist  sinnlichen  Ursprungs  (nae  Xoyoi  ano 
xav  aia&iqmcDv  rjgnjxaiy  Diog.  L.  X,  32;  ai  inlvotat  näaai,  ano  rtov  aiad'riaeoiv 
•ftyovaai  xatd  re  TtB^iTcroHiiv  xai  ävaXoyCav  xai  hfiotorfjra  xai  avrd'aair,  ib. 
inoTjua  Bi  imt  ^avtaa/Mt  8&avoias,  ovre  t6  ov  ovrs  710161%  rboavel  9e  rt  ov  xai 
ötavü  Tioiov,  1.  c.  VII,  1,  61).  Die  ngolrjxptg  (s.  d.)  ist  eine  Allgemeinvor- 
Stellung.  Plotin  bestimmt  die  „Begriffe**  (Xoyoi)  als  geistige  Kraftformen  der 
Dinge,  als  plastische,  schöpferische  Wesenheiten,  die  sich  in  den  sinnlich  wahr- 
nehmbaren Erscheinungen  manifestieren  und  in  unserem  Denken  zum  Bewußt- 
em kommen  (Enn.  II,  6).  Die  ^^materiellen**  Begriffe  {Xoyoi'  vXivoi)  sind  die 
Begriffe,  wie  sie  durch  das  Stoffliche,  in  dem  sie  wirken,  verunreinigt  sind 
lEnn.  I,  8,  S).  Auch  BofiTHlus  glaubt,  daß  die  Dinge  gewisse  Begriffe  ver- 
körpern (Consol.  V). 

Die  Scholastiker  schätzen  das  begriffliche  Wissen  aufs  höchste.  Aus 
Uofien  Begriffen,  ohne  genügende  Berücksichtigung  der  Erfahnmg  (der  Beobach- 
ning,  des  Experimentes),  suchen  sie  alles  Mögliche  dogmatisch  (s.  d.)  abzuleiten 
aod  es  ontologistisch  (s.  d.)  vom  Seienden  selbst  auszusagen.  Nach  Thomas  geht 
der  Begriff  auf  das  Wesen  der  Dinge,  ist  die  geistige  Reproduction  dieses  Wesens 
\^müitudo  rei  intelleetae  quantum  ad  eins  essentiam**^  Contr.  gent.  IV,  11,  6; 
ihnlich  PETRUS  AUREOLUS,  Pnuitl  III,  324  f.).  Unter  „terminus  meiitalis** 
vwsteht  man  ein  „signum  naturale**,  einen  „coneeptus  sive  actus  infelligefidi 
9mma^*  (1.  c.  IV,  61,  108).  WILHELM  VON  OcCAM  erblickt  im  Begriffe  ein 
Zeichen  für  eine  Klasse  von  Objecten,  die  er  vertritt  (supponit.  Log.  I,  1,  12). 
Der  Begriff  (conceptus)  ist  „aliqtm  qualitaa  existens  »ubiectire  in  me?ife,  quae 
er  natura  sua  est  signum  rei  extra**  (ib.).  Nach  GOCLEN  ist  „concejyfn^  for- 
malit*  ein  „coneepttis,  quem,  de  aliqtia  re  per  intellectum  apprehensa  forma7m(s**y 
r^mceptus  obiedivus**,  aber  „res,*  qtiae  cancipitur**  (Lex.  phil.  p.  428).  Es  gibt 
onen  y,caneeptu8  simplex^*  und  „concepttis  complexus**  (ib.).  Die  AUgemein- 
t>^riffe  (s.  Allgemein)  wertet  der  scholastische  Nominalismus  (s.  d.)  andei-s  als 
^  Realismus  (s.  d.). 

Campaxella  erklärt,  wir  hätten  allgemeingültige  Begriffe  („noii'Oncs  commu- 
^^)  von  der  größten  Sicherheit  und  von  fundamentaler  Bedeutung  für  das 
Erkennen.  „Notiones  eonimunea  kabemtiSj  quibus  facile  asseniimur,  alias  ab 
««ft»,  innata  ex  faeultate,  alias  de  foris  per  universalem  eonsensum  amnium 
^inm  aut  kaminum;  et  haee  sunt  certissima  prindpia  sdentiarwn**  (Univ. 
1^  I,  2,  5).  Nach  Descarteb  enthalten  die  „notiones  cammunes**  „eieige 
^ohrkeiten**  (s.  d.,  Princ.  phil.  I,  49  f.).  Nach  Spinoza  sind  begriffliches  und 
^«ns- Wesen  eins  (Ren.  Cart  I,  def.  IX).    Die  „notiones  universaies**  entstehen 


128  Betriff. 

aus  der  verworrenen  Vorstellung  vieler  Bewußtseinsinhalte.  y,Uhi  imaginea  in 
-corpore  plane  confunduntur,  mens  etiam  omnia  corpara  eonfuse  sine  uUa  distiiic- 
iione  imaginabitur  et  quasi  suh  wio  attrihuto  camprehendet,  nempe  sub  aUributo 
entisj  rei  etc,^^  (Eth.  II,  prop.  XL,  schol.  I).  Den  eigentlichen  B^riff  nennt 
Spinoza  j,idea",  „mentis  cwtceptus",  vom  Vorstellungsbilde  (imago)  wohl  zu 
unterscheiden  (1.  c.  II,  def.  III).  Nach  Tsghirnhausen  ist  in  jedem  Begriffe 
schon  ein  Urteil  (Bejahung  oder  Verneinung)  enthalten  (so  auch  schon  nach 
Spinoza,  s.  Idee).  Chb.  Wolf  versteht  unter  Begriff  (notio)  die  fjrepraeseHtatio 
rerum  in  universali  seu  getierum  seu  specierum"  (PhiL  rat.  §  34).  „Einen  Ä- 
griff  nenne  ich  eine  jede  Vorstellung  einer  Sa^e  in  unseren  Oedayiken^*^  (Vem. 
Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  Verst.",  §  4).  Der  Begriff  enthält  alles,  wodurch  ein 
Ding  erkannt  imd  von  anderen  unterschieden  wird  (1.  c.  §  8).  Allgemeiner 
Begriff  ist  ein  solcher,  der  allen  Dingen  von  einer  Art  zukommt  (L  c.  §  28). 
j,Notiones  universales^^  sind  „notiones  similihulinum  inter  res  plures  intercedeti- 
Hum"  (Phil.  rat.  §  54).  Nach  Baumgakten  ist  der  Begriff  eine  y^repraeseniatio 
r&i  per  intdlectum^^  (Met  §  612).  G.  F.  Meier  und  Beimakus  (Vemunft- 
lehre,  §  30)  identificieren  Begriff  und  Vorstellung  (Idee). 

Für  Locke  sind  die  Begriffe  Zusanmienfassungen  einfacher  Vorstellungen 
(,^hnple  ideas")  unter  einem  Namen  (Ess.  II,  eh.  12,  §  1).  Es  entspricht  ihnen 
objectiv  die  Ähnlichkeit  einer  Reihe  von  Dingen,  als  Begriffe  aber  sind  sie 
Producte  des  Denkens  (1.  c.  III,  eh.  3,  §  13).  Berkeley  erklart,  eine  Vor- 
stellung werde  zum  B^riffe  dadurch,  daß  sie  als  Biepräsentantin  von  Vor- 
stellungen gleicher  Art,  in  deren  Beziehung  zu  anderen,  auftritt  (Princ.  XV). 
Ähnlich  lehrt  Hume,  ein  Begriff  entstehe  dadurch,  daß  mit  einer  Vorstellung 
sich  eine  gewohnheitsmäßige  Tendenz  („a  certain  eustom")  verbindet,  ähnliche 
Vorstellungen  ins  Bewußtsein  zu  rufen  (Treat.  I,  sct.  7,  S.  34  ff.).  Nach 
Th.  Brown  beruht  der  Begriff  auf  dem  Bewußtsein  (feeling)  der  Ähnlich- 
keiten mehrerer  Vorstellungen  und  ihrer  Zusammenfassung  unter  einem  Namen 
(Lect.  II,  p.  457,  475).  A.  Bain  erklärt  den  Begriff  als  Bepräsentanten  einer 
Gruppe  ähnlicher  Vorstellimgen  (Sens.  and  Int.*,  p.  470). 

Kant  scheidet  scharf  zwischen  Begriff  und  Anschauung  (s.  d.).  Ersterer 
ist  „eine  allgemeine  Vorstellung  oder  eine  Vorstellung  dessen,  was  mehreren  Ob- 
Jecten  getnein  i^t,  also  eine  Vorstellung,  sofern  sie  in  verschiedenst  enthalten 
sein  kanfi"  (Log.  S.  139).  An  jedem  Begriffe  sind  Materie  imd  Form  zu  unter- 
scheiden (1.  c.  S.  140).  Es  gibt  empirische  und  reine  Begriffe,  letztere  ent- 
springen auch  dem  Inhalte  nach  aus  dem  Denken  (ib.).  Der  empirische  Begriff 
„entspringt  aus  den  Sinnen  durch  Vergleiekung  der  Gegenstände  der  Erfahrtmg 
und  erhält  durch  den  Verstand  bloß  die  Form,  der  Ällgemeifiheit"  (1.  c.  S.  141). 
Es  gibt  „gegebene  (conceptus  doli)  oder  genuichte  Begriffe  (concepius  faetitii). 
Die  ersteren  sind  enttceder  a  priori  oder  a  posteriori  gegeben^*'  (ib.).  Die  Begriffe 
entst,ehen  durch  „Comparation^*,  „Reflexion"  und  „Äbstraction"  (1.  c.  S.  145). 
Anschauimg  und  Begriff  sind  „der  Speeies  nadi  ganX'  verschiedene  Vorstelkmgs- 
arten^^  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met.  S.  120).  Begriffe  sind  Producte  oder  y^Ektfietio- 
ne?i"  des  Verstandes  (s.  d.),  der  Spontaneität  (s.  d.)  des  Denkens,  die  sich  auf  die 
Gegenstände  nur  mittelst  der  Anschauung,  nicht  unmittelbar  richten  (£jr.  d.  r. 
Vem.  S.  88).  Sie  sind  ohne  Inhalt  „leer",  wie  Anschauimgen  ohne  Begriffe 
jjblind"  sind  (L  c.  S.  77).  Die  „reinen"  Begriffe  (Kategorien,  s.  d.)  können 
nichts  Empirisches  enthalten,  „müssen  aber  gleichwohl  lauter  Bedingungen 
a  priori  zu  einer  mögliehen  Erfahrung    sein"  (1.  c.  S.  113).      Berufe  sind 


Begriif  129 

Bestandteile  möglicher  Urteile.  Nach  Reinhold  ist  der  Begriff  eine ,,  Vorstellung, 
vtiche  aus  einer  Anschauung  durch  die  Handlungsweise  der  Spontaneität  ent- 
ftfkf*  iTh.  d.  Vorst  II,  425).  Beck  versteht  unter  Begriff  ein  „Beilegen  ge- 
rtfser  Bestimmungen,  wodurch  tHr  einen  Bexiekimgspunkt  uns  fixieren^^  (Erl. 
ni.  141).  Nach  IQesewetteb  ist  ein  Begriff  „die  Vorstellung ,  welche  mehrere 
Vorsfeihtngen  unter  sich  begreift,  oder  wodurch  mehrere  Vorstellungen  als  eine  in 
einer  Einheit  r^bunden  gedacht  werden^^  (Gr.  d.  Log.  §  12,  vgl.  §  17).  Chb.  Schbod 
fiarnt  Begriff  eine  Vorstellung  „mit  Rücksicht  auf  die  bestimmte  Art  der  Tätig- 
beii,  die  das  Oemüt  an  dem  gegebenen  Stoff  ausübt,  une  das  Oemüt  den  Stoff 
ifkmideit,  nämlich  ihn  xu  verbinden  (begreifen)**  (Emp.  Psych.  S.  199).  G.  E. 
Schulze  versteht  unter  B^piffen  „allgemeine  oder  gemeinsame"  Vorstellungen, 
indem  sie  das  vorstellen,  was  „mehrere  Dinge  als  Bestimmungen  miteinander 
ymein  haben**  (Gr.  d.  aUg.  Log.*,  S.  3).  Nach  Fbies  entstehen  die  Begriffe 
^ri'k  Vergleichung  und  Abstraction,  indem  toir  einxelne  Teilvorstellungen  aus 
elfter  ganxen  Erkenntnis  heraus  trennen**  (N.  Krit.  I,  210).  „Jeder  Begriff  ent^ 
hält  ein  abgesondertes  Bewußtsein  einer  allgemeinen  Vorstellung.  Seine  Form 
knt^t  in  der  Allgemeinheit  der  Vorstellung,  das  heißt  darin,  daß  mehrere  andere 
Vorffellufiffen^  denen  er  als  Thilvorstellung  zukommt,  unier  ihm  stehen,  er  aber 
mdere,  die  seine  Teilvorstellungen  sind,  in  sich  enthält**  (Syst.  d.  Log.  S.  105). 
Xach  ScH£LLiNO  ist  der  Begriff  ein  Denkact  (Syst.  d.  tr.  Id.  S.  45).  Er  ist 
Dicht  das  Allgemeine,  sondern  „die  Regel,  das  Einschränkende,  das  Bestimmende 
4fr  Anschatiung**  (L  c.  S.  286).  „Die  Begriffe  als  solche  existieren  .  .  .  nirgends 
dfe  im  Betrußtsein**  (WW.  I,  10,  140).  Nach  Schopenhauer  ist  der  Begriff 
^VviUlhtng  einer  Vorstellung**  (W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  I,  §  9),  keine  eigen t- 
iehe  Vorstellung,  sondern  hat  sein  Wesen  in  der  Beziehung  auf  Vorstellungen. 
Ef  gibt  auch  Begriffe  von  Einzeldingen  (ib.).  Die  Begriffe  bilden  „eine  eigen- 
tämliehcy  ron  den  .  .  .  anschaulichen  Vorstellungen  toto  genere  verschiedene  Klasse, 
die  allein  im  Geiste  des  Menschen  vorhanden  ist**  (ib.).  Nach  Hillebrand  ist 
^T  Begriff  „rfie  freie  Zusammennähme  der  einxelnen  endlich-bestimmten  Vor^ 
ädhmgen  und  BexieJmngen  in  tms  unter  der  Einheit  des  allgemeinen  Wesens** 
tfbfl.  d.  Gteist.  I,  206).  Günther  versteht  unter  Begriff  den  Gedanken  von 
dm  Allgemeinen  der  Erscheinungen  (Vorsch.  I,  236). 

Nach  J.  G.  Fichte  ist  der  Begriff,  „wenn  er  nur  ein  der  Vernunft  not- 
baldiger  ist,  selbst  das  Ding,  und  das  Ding  nichts  anderes  als  der  notwendige 
begriff  von  ihm**  (Syst.  d.  Sittenl.  S.  83).  Hegel  hypostasiert  den  Begriff, 
Baeht  ihn  zum  Wesen  und  treibenden  Factor  der  Dinge;  der  logische,  sub- 
JKtive  Begriff  ist  eine  Entwicklung  des  natürlichen  Begriffes,  der  in  einem 
erifjen  ,yProeeß**  (s.  d.)  besteht,  Activität,  Schöpferkraft  besitzt  und  in  dialek- 
cbcher  (s.  d.)  Weise  jedesmal  seinen  G^ensatz  erzeugt,  lun  sich  mit  diesem  in 
on€f  höheren  Einheit  zu  verbinden,  „aufzuheben**.  Der  Begriff  ist  „nicht  bloß 
eine  subjeeiire  Vorstellung,  sondern  das ,  Wesen*  des  Dinges  selbst,  dessen  ,An-sich*** 
(Fhän.  S-  68),  die  „an  sieh  seiende  Sache**  (Log.  I,  21).  Als  Gedanke  ist  er 
a  der  Vernunft  als  dem  „Ort  aller  Begriffe**  (Encykl.  §  105),  dieser  ist  er  ab 
J^tendiger  Trieb**  angeboren;  er  ist  „xeitlos**  (1.  c.  §  108).  Das  „Sein**  bildet 
cm  Moment  des  Begriffe  (L  c.  §  154).  Auf  dem  Begriffe  beruht  alle  Wahrheit 
oad  Wirklichkeit  (L  c.  §  157).  Er  ist  die  „Freikeit  und  Wahrheit  der  Substanx**, 
fie  „Wahrheit  des  Seins  und  des  Wesens**,  „das  Erde,  die  Totalität,  in  dem 
jdes  der  Momente  das  Ganze  ist,  das  er  ist,  das  am  und  für  sich  Bestimmte**^ 
4«  „sckleehihin    Ooncrete^*  (1.  c.  §.  158—164).     In   der  Natur  (s.  d.)   ist  der 

PUloaophitobM  WOrtorbaob.    i.  Aufl.  9 


130 


Begriff  nur  ein  yjblinder^^  (Log.  III,  20).  Erst  im  Leben  als  Seele  kommt  er  zur 
innerlichen  Existenz  (Naturphil.  S.  30).  Nur  als  jyQeseixtes^^  ist  der  Begriff  ein 
„Siäffectwes*^,  ein  „formeller"  Begriff  (Log.  S.  32).  Als  „adäquater*'  Begriff  ist 
er  „die  Vernunft,  die  sieh  selbst  enthüllende  WahrheW  (1.  c.  S.  33).  In  der 
Wirklichkeit  wie  im  Denken  entwickelt  sich  der  Begriff  „in  unaufh€dtsamemy 
von  außen  nichts  hereinnehmendem  Gange"  (1.  c.  I,  41).  Der  Begriff  entwickelt 
sich  aus  dem  „An-sich"  (s.  d.)  durch  die  Natur  (s.  d.)  hindurch  zum  An-ond- 
für-sich,  zum  selbstbewußten  B^riff,  zum  absoluten  Greist  (s.  d.). 

Nach  Schleiermacher  entspricht  der  B^riff  dem  Für-sich-sein  der  Dinge« 
den  „substanticUen  Formen".  Kitter  nennt  den  Begriff  yjdie  Form  des  Detihns^ 
welche  den  bleibenden  Qnmd  der  Erscheinung  darsteUf^  (Log.*,  S.  50).  Tren- 
DELENBüRO  bestimmt  ihn  als  ^yForm  des  Denkens,  die  der  realen  Substam  als 
geistiges  Abbild  entspricht^  (Log.  Unt  II,  Set.  XTV  f.).  Der  Begriff  wird  erat 
durch  das  Urteilen  lebendig  (1.  c.  II,  237).  Nach  O.  Gruppe  ist  der  Begriff 
das  Product  von  Urteilen  (Wendep.  d.  Phil.  S.  48,  60).  Beneke  spricht  dem 
äegriff  jedes  Tätigkeitsmoment  ab  (Log.  II,  202).  Er  entsteht  ,^urch  gegefir 
seitige  Anxiehung  ähnlicher  Vorstelltmgen"  (1.  c.  S.  197),  enthalt  das  Constante, 
Identische  des  Dinges,  ohne  dieses  selbst  zu  sein  (L  c.  S.  198,  201).  Psycho- 
logisch besteht  er  in  den  „durch  Vereinigung  der  gleichen  Bestandteile  x  u  einem 
Act  erzeugten  Vorstellungen"  (Lehrb.  d.  Psych.  §  122),  er  ist  „ein  Vorteilen 
von  stärkerem,  klarerem  Bewußtsein"  (Neue  Psychol.  S.  108). 

Nach  Herbart  entstehen  die  Begriffe  aus  der  „Hetnmufig"  (s.  d.)  des  Un- 
gleichartigen mehrerer  Vorstellungen  (Psych,  a.  Wiss.  I,  S.  498).  Jede  Vor- 
stellung ist  Begriff,  „in  Hinsicht  dessen,  was  durch  sie  vorgestellt  wird"  lEiiü. 
in  d.  Phil.  §  34).  Die  B^riffe  als  solche  existieren  „nur  in  unserer  Abstraciion^ 
(Lehrb.  z.  Psych.',  S.  126),  sind  keine  besondere  Art  von  Vorstellungen  {ib.), 
fjAllgemeine  Begriffe,  die  bloß  durcfi  ihren  Inhalt  gedacht  würden,  ohne  ein  Hinab- 
gleiten  des  Vorstellens  in  ihrefi  umfang'^  sind  „logische  Ideale"  (L  e.  S.  127), 
Wir  denken  sie  nur  „cer mittelst  der  Urteile",  wobei  gewisse  „Gesamteifidrückt 
mn  ähnlichen  Gegenständen"  als  Material  für  die  Begriffsbildung  vorausgesetzt 
werden  (ib.).  „Die  Ausbildung  der  Begriffe  ist  .  ,  .  der  langsame,  allmühliehe 
Erfolg  des  immer  fortgehenden  Urteilens"  (1.  c.  S.  130).  Logischer  Begriff  ist 
, Jedes  Gedachte,  bloß  seiner  Qualität  fioch  betrachtet"  (Psychol.  a.  Wiss.  II, 
S.  119),  d.  h.  „Vorstellungen,  bei  denen  wir  von  der  Art  und  Weise  abstraJiierefiy 
wie  sie  psycftologiscli  entstandeti  seien"  (Einl.  in  d.  Phil.  S.  77).  Nach  Drobisch 
bildet  das  Denken  Begriffe,  sofern  es  „an  den  Vorstellungeti  nur  da^  betrachtet, 
was  in  ihnen'  vorgestellt  wird"  (N.  Darst.  d.  Log.*,  S.  10).  Volkmaitn  bestimmt 
den  Begriff  als  „die  auf  ihr  reines  Was  xurüekge führte  Vorstellung  oder  Vor- 
sfellungsform"  (Lehrb.  d.  Psych.  II*,  247). 

Nach  Waitz  ist  der  Begriff  „die  bestimmte  Art  des  Zusamtnenhange^i  im 
ciftetn  Vorstellungskreise,  er  drückt  stets  ein  Gesetz  des  Zusainmenh^mge^  def 
Vorstellungen  fiach  ihrem  Inhatte  aus  und  kann  deshalb  nur  entstehen  durch  dit 
Ausbiklufig  der  besonderen  Beziehungen,  in  welche  die  einzelnen  Vorstelltd^tgen 
ihrem  Inhalte  gemäß  zueinander  tretest"  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  515).  Georq£ 
bestimmt  den  Begriff  als  „die  vollendete  Erkenntnis  eines  Gegenstandes,  tr4e  &u 
durch  das  Zusammenfallen  des  Inductions-  und  Deductionsprocesses  gegeben  wirc^ 
(Lehrb.  d.  Psych.  S.  5(X)).  Nach  Lazarus  ist  der  Be^ff  „der  <hirch  V6r^ 
Stellungen,  d.  h.  in  Satz-  und  Urteils fortn,  deutlieh  und  klar  erfaßte  InluUf  eine$ 
discursiven  oder  allgemeinen  Anschauung^^   (Leb.  d,  Seele  II*,  301).     Er  enihali 


Begriff.  131 

die  Wesen  der  Dinge  (ib.).    Ein  wahres  Begreifen  gibt  es  erst  vermittelst  der 

Sprache  (1.  e.  S.  306).     Nach  Überweg  ist  der  Begriff  j^diejenige  Vorstellung, 

«  wicher  die  Gesamtheit  der  wesentlichen  Merkmale  oder  das  Wesen  (essentia) 

itr  häreffenden  Obfeete  vorgestellt  wird"   (Log.*,  §  56).     Nach  Czolbe  bedingt 

(bs  in  jeder  Gruppe  von  Objecten   vorhandene  Gemeinsame  oder  Wesentliche 

die  fiSdong  des  Begriffs,  d.  h.  „der  gemeinsamen  Merkmale  in  der    Wahmeh- 

mmg  oder    Vorstellung  ähnlicher  Dinge"  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  182). 

XadiDEiTssEN  besteht  der  Begriff  im  „Festhalten  des  Identisclien^^  (EL  d.  Met. 

Ü 103).    Nach  KntCHinSR  ist  er  das  „  Vorstellen  des  Gem^nsamen  an  einer  Vor- 

Melhrngsgruppe"^  (Kat.  d.  Log.»,  S.  112).    Nach  O.  Ldebmann  sind  die  Begriffe 

keine  Phantasiebilder,  sondern  „unbildliche  Verständnisacte",  die  das  CJene- 

I  relJe  und  Gemeinsame  herausheben  (Anal-  d.  Wirkl,«,  S.  492).     O.  Schneider 

vcmeht  unter  ihnen  den  logischen  „BeunißtseinsTüustand,   in  welchem  das  einer 

I  Beike  wn  Einzeldingen  Gemeinsame  xusam/mengefaßi  und  als  dieser  Reihe  von 

K^aeldingen  anhaftend  gewußt  unrd  oder  gegenwärtig  ist^  (Transc.  S.  132).   Nach 

F.  K&AüSE  ist   der  Begriff   „die  Zusammenfassung   der  gemeinsamen  Teüvor- 

ädkmgen   aus  gleichartigen    Gesamtvorstellungen  xu    einer  seelischen   Mfüieit" 

iBas  Leb.  d.  menschl.  Seele  I,  173).    Die  Begriffe  sind  „das  Äppercipierende  und 

AiHmüierende  in  der  Seele"  (1.  c.  S.  180).    Helmholtz:  ^fiurch  das  Zusammen- 

I  (feten  des  Ähnliehen  in  den  Tatsachen  der  Erfahrung  entsteht  ihr  Begriff.     Wir 

fnnen  ihn   G attungsbegriff,   wenn  er  eine  Menge  existierender  Dinge,    wir 

90mm.  ihn  Gesetx,    werm  er  eine  ReiJie  von  Vorgängeti  oder  Ereignissen  um- 

ftßt'  (Ob.  d.  Verh.  d.  Naturwiss.  zur  Gesarath.  d.  Wiss.   1862,  S.  14).     Nach 

^nxY  ist  der  Begriff  eine  Synthese  von  Eigenschaften,  ein  Product  de^»  activen 

BemifitseinB,  er  schliefit  schon  einfaches  Urteilen  ein  (Handb.  d.  Psychol.  S.  246, 

Ä).  280).    Ostwald  versteht  unter  Begriff  den  Inbegriff  übereinstinmiender 

Bestandteile  ahnlicher  Erlebnisse  unt«r  Ausschluß  der  verschiedenen,  eine  Gruppe 

Bttmmenhangender  Erfahrungen  (Vorles.  üb.  Naturphil.«,  8.  17,  19).    Der  Be- 

piff  ist  nicht  vorstellbar,  sondern  „eine  Regel,  nach  welcher  wir  bestimmte  Eigen- 

^MiMeüen  der  Erscheinung  beachten"  (1.  c.  S.  22  f.). 

Nach  LlPPS  ist  der  Begriff  „die  Bedeutungssphäre  eines  Wortes  oder  sprach- 
Wen  Ausdrucks  oder  die  Sphäre  möglicher  B^ctißtseinsobfecte,  die  und  sofern 
*f  m  einem  sprachlichen  Ausdruck  ihren  xusafnmenfassenden  Mittelpunkt  ufid 
^it  zugleich  ihre  Abgrenzung  gefunden  hohen"  (Gr.  d.  Log.  S.  124).  Das  Wort 
tteg,  was  bei  jedem  allgemeinen  Begriff  die  Festhaltung  eines  bestimmten 
Goaeinsamen  fordert  (1.  c.  S.  126).  An  sich  ist  der  Begriff  ein  „potentielles 
9f^i»eUeiiiges  Urteü"  (1.  c.  S.  127;  Gr.  d.  Seelenleb.  S.  464).  Schuppe  nennt 
fcpiff  ,/dle8j  was  man  bei  einem  Worte  als  dessen  Bedeutung  denkt,  indetn  die 
f^threren  als  wesentlich  erkannten  Prädicate  als  eine  Eitiheit  gedacM  werden" 
(Log.  S.  88).  Der  Begnff  ist  eine  „Erkenntfiis  des  Wirklichen,  des  wirklichen 
^»mmenhaftges  in  dem  wirklichen  Gegebenen"  (1.  c.  S.  163).  M.  Kauffmann 
definiert  den  Begriff  als  „Klasse  von  anschaulichen  Objecten,  welche  das  gemein- 
*w  Merkmal  haben,  von  einem  solchen  gleichen  Symbole  repräsentiert  xu  tcerden, 
iwfaÄe»  keinem  Objecte  außerhalb  dieser  Klasse  xukommt^''  (Fund,  d.  Erk.  S.  21). 
&BHEB'  bestimmt  den  Begriff  als  „Gesamtcwnplest^*^  von  Yorstellungsinhalt, 
KcvegungsvorBtellung  des  gesprochenen,  akustischer  Vorstellung  des  gehörten 
Portes  (Leitfad.  d.  phys.  Psych.«,  S.  115).  Nach  Schubert- Soldern  werden 
iorch  das  Wort  die  begrifflichen  Bestandteile  isoliert  und  verselbständigt  (Gr. 
tEik.  S.  104,  vgl.  S.  99,  103).    Nach  Clifford  ist  der  Begriff  „eine  Gr^ippe 

9* 


132  BegrifT. 

von  Empfindimgen,  die  als  Symbole  für  verschiedene  Wahrnehmungen  dienen 
und  von  Bandefi  xtcischen  diesen  tmd  andern  Empfindungen"  (Von  d.  Nat.  d. 
Dinge  an  sich  S.  40).  Nach  £.  Mach  ist  der  Begriff  jjkeine  fertige  Vorstel- 
lung, sondern  eine  Anweisung,  eine  vorliegende  Vorstellung  auf  gewisse  Eigen- 
schaften XU  prüfen,  oder  eine  Vorstellung  von  bestimmten  Eigenschaften  her- 
XUS  teilen"  (Wärmelehre*,  S.  419).  Die  physiologische  Grundlage  des  BegnÜH 
liegt  in  den  „eonformen  Reactionen"  des  Individuums  (1.  c.  S.  416  ff.).  Der 
Begriff  ist  „eine  bestimmte  Reaetionstätigkeit ,  welche  eine  Ihtsache  mit  neuen 
sinnlichen  Elementen  bereichert"  (Anal.  d.  Empfind.  S.  246).  Nach  F.  Mauthner 
ist  der  B^riff  (fast  identisch  mit  dem  Wort)  „nichts  weiter  als  die  Erinnerung 
oder  die  Bereitsehaft  einer  Nervenbahn,  einer  ähnlichen  Vorstellung  xu  dienen^^ 
Kr.  d.  Spr.  I,  410). 

Nach  NiETZBOHE  sind  Begriffe  „mehr  oder  weniger  bestimmte  Bildxeicken 
für  oft  wiederkehrende  und  xusammenkommende  Empfindungen,  für  EmpfindungS' 
gruppen"  (Jens,  von  Gut  u.  Böse*,   S.   242).      Wir  müssen   aus  biologischen 
Gründen    unsere  Erfahrungen   capitalisieren   können,    daher  bringen   yrir  sie 
unter  constante  Begriffe  (WW.  XV,  272  f.).     Gedanken  sind  aber  nichts  als 
die  „Scheuten  unserer  Empfindungen  —  immer  dunkler,   leerer,   einfacher   als 
diese"  (WW.  V,  S.  187).    Simmel  betont,  die  Bildung  der  Begriffe  werde  von 
praktischen  Interessen  und  Urteilen  beeinflußt,  sie  beruhe  auf  einer  Wertung 
(Einl.  in  d.  Moralw.  II,  82  ff.).    Der  B^riff  ist  eine  „Verdichttmg  bedeutaafner 
Urteile"  (1.  c.  S.  86).     „Die  Begriffe  enthalten  oder  markieren  in  ihrer   über- 
logischen  historischen  Bedeutung  eine   Ordnung  der  Dinge,  sie  enthalten   be- 
sti?nmte   Ansichten  über  die  Zusammengehörigkeit  der   Einxelheiten,   über   das 
Wesentliche  an  ihnen*^  (L  c.  S.  89).     Nach  G.  SPICKER  ist  der  Begriff    ,/iie 
Summe  oder  Totalität  aller  möglichen  Urteile,  die  ich  von  einem  OegensUmd  m4r 
bilden  kann"   (K.,  H.  u.  B.  S.  146).     „Kein  Begriff  ist  sireng  genommen  efn- 
pirisch,  sondern  jederzeit  logisch.     Er  ist  nicht  eine  Abstraetion  cms  der  Er- 
fahrung, sondern  eine  Subsumtion  desselben  Merkmals  einer  Reihe  gleichartiger 
oder  ungleichartiger  Wesen  unter  eine  Vorstellung"  (1.  c.  S.  180  f.).    Dö*  B^riff 
ist  schon  eine  Folge  des  (immittelbaren)  Schließens  (1.  c.  S.  181).    Nach  Bo- 
KANE8   ist  der   Begriff  ein  verdichtetes   Urteil   (Greist  Entwickl.   d.  Mensch. 
S.  322,  vgl.  S.  24).     W.  Jerusalem  betrachtet  die  B^riffe  als  „Niederschlag 
von  Urteilen"  (Urteilsfunct  S.  22).    Sie  sind  „die  Subjeciwörter  als  Träger  jener 
Kräfte,   die  in  vielen  Dingen  in  gleicher   Weise  wirksam  sind"  (1.  c.  S.  138). 
Nach  BlEHL  sind  die  Begriffe  „Ergebnisse  von  Urteilen,  die  sie  im  Bewußtsein 
vertreten**,  „potentielle  Urteile",  „Fertigkeiten,  bestimmte  xusammengesetxte    Ur- 
teile   xu   reprodueieren"    (Phil.  Krit.   II,    1,  224).      Sie    sind    keine    Gemein- 
Vorstellungen,  sondern  von  großer  Bestimmtheit  (L  c.  II,  1,  84).    Nach  A.  Höfl£B 
sind  Begriffe  „Vorstellungen  von  eindeutig  bestimmtem  Inhalte"  (Gr.  d.  Log.* 
S.  14).     Volkelt  versteht  unter  Begriff  die  „bestimmte   Vorstellung  des   JLU^ 
gemeinen"  (Erf.  u.  Denk.  S.  324).    Nach  Höffding  ist  der  Begriff  eine  „  l^or- 
Stellung,  deren  Inhalt  uns  deutlich  tmd  bestimmt  bewußt  ist,  so  daß  er  in  einen» 
verschiedenen  Zusammenhange,  in  welchem  er  vorkommt,  nicht  geändert  urird** 
(Psych.^  S.  419).    £.  Dühriko  nennt  Begriff  „jegliches  Gedachtes,  welches  e»fM 
Bexiehung   auf  einen  Gegenstaiui  hat**,   „das,   was  wir  bei  demselben  denken** 
(Log.  S.  10).     Nach  v.  Kirchmann  entspricht  jedem  Begriffe  ein  Stück   des 
Wahmehmungsinhaltes  (Kat.  d.  PhiL  S.  31). 

LoTZE  unterscheidet  den  „loerdenden,  unvollkommenen"  vom  „verwirkt inhlen^ 


Begriff  —  BegrifDigefühl.  133 


Begriff,  welcher  erst  dann  da  ist,  y^trenn  der  unbestimmte  Nebengedanke  der 
üattxheü  überhaupt  zu  dem  Mitdenken  eines  bestimmten  Grundes  gesteigert  ist, 
trdrher  das  Zusammensein  gerade  dieser  Merkmale,  gerade  dieser  Verbindungen 
(ierseiben  und  die  Ausschließung  bestimmter  anderer  rechtfertigt^^  (Log-*»  S-  39). 
Der  Begriff  ist  so  „die  xusammengesetxte  Vorstellung,  die  idr  als  ein  xusammen- 
gehöriges  Ganzes  denken"  (L  e.  S.  32;  Psych.  §  24).  Wundt  nennt  (psycho- 
logischen) Begriff  „jeden  im  Betvußtsein  isolierbaren  Bestandteil  eines  durch  die 
Zerlegung  einer  Gesamtvorstellung  entstehenden  Satxes"  (Völkerpsych.  I,  2,  455). 
yBegriffsrorstdlungen"  entstehen  durch  Analyse  von  Gesamtvorstellungen  (s.  d.) 
imd  sind  Vorstellungen,  die  ,^u  andern  dem  nämlichen  Ganzen  angehörenden 
VtnteUiingen  in  irgend  einer  der  Beziehungen  stehen,  die  durch  die  Ämrendung 
der  aUgemeifien  Functionen  der  Bexieliung  und  Vergleichung  auf  Vorstellungs- 
inhaUe  gewonnen  werden"  (Gr.  d.  Psych.  S.  321).  Der  einzelne  Begriff  kann 
niemals  isoliert  vorgestellt  werden,  er  kann  „in  unbestim7tU  vielen  einxelnen 
Abhandlungen  existieren"  (L  c.  S.  322).  Den  Allgemeinbegriffen  entspricht  „eine 
tnfkr  oder  minder  große  Änxald  einxel?ier  Vorstellungsinhalte".  „Von  diesen 
Kird  stets  irgend  ein  einzelner  als  Stellvertreter  des  Begriffs  geicahli."  Damit 
■t  das  Bewußtsein  (Gefühl)  der  bloß  stellvertretenden  Vorstellung  verbunden. 
Dieses  „Begriffsgefühl"  „läßt  sich  wohl  darauf  xurückfähren,  daß  sich  dunklere 
y^rsleUungen,  die  sämtlich  die  xwr  Vertretung  des  Begriffs  geeigneten  Eigen- 
if'kaften  besitzen,  in  der  Form  wechselnder  Erinnerungsbilder  zur  Auffassung 
ihimgen^^  (1.  c.  S.  322  f.).  Die  abstracten  Begriffe  werden  nur  durch  Worte 
vertreten.  Der  Anfang  der  Begriffsbildung  liegt  in  dem  „Nebengedatiken",  daß 
diie  Vorstellung  nur  im  Hinblick  auf  b^timmte  Eigenschaften  eines  Objects 
ihre  Bedeutung  hat.  Die  Apperception  (s.  d.)  bevorzugt  bestimmte  Elemente 
dtr  „repräsentativen"  Vorstellung  und  macht  sie  zu  herrschenden  (Log.  I*, 
5f,  46  ff.,  51  ff.;  Syst.  d.  Phil.^  S.  38  f.,  44;  Grdz.  d.  phys.  Psych.  II*,  477). 
Logidch  ist  der  Begriff  ein  „Denkinhalt,  der  aus  einem  logischeti  Denkacte,  einem 
Urteil,  durch  Zergliederung  desselben  gewonnen  werden  kann".  Seine  Eigen - 
«(^baften  sind:  Bestinmitheit  (Ck)nstanz)  des  Inhalts,  logischer  Zusammenhang 
aüt  anderen  Begriffen  (Allgemeinheit).  Die  Verarbeitung  des  Wahrnehmungs- 
ishalts  beginnt  mit  „Erfahrungsbegriffen",  führt  zu  allgemeinsten  „Begriffs- 
ÜBM«««  und  zu  „abstracten  Bexiehungsbegriffen"  (Log.  I*,  S.  95  f.,  104;  Syst. 
i  PhiL»,  S.  210  ff.).  Die  Begriffe  erzeugen  nicht  die  Wirklichkeit,  bilden  sie 
DDT  ideell  nach  (PhiL  Stud.  II,  331).  Von  der  unmittelbar-anschaulichen  ist 
^  begrifflich-mittelbare  Erkenntnis  (s.  d.)  zu  unterscheiden.  Nach  Siowabt 
«  Voraussetzung  der  Begriffsbildimg  die  „Analyse  in  einfaehe^  niclit  weiter 
'^^rUgbare  Elemente,  und  anderseits  die  reconstruierende  Synthese  aus  diesen 
dementen''  (Log.  I*,  S.  331  f.). 

9  naturalistische,  s.  Naturalistisch. 

,  reine,  s.  Kategorien. 

Bcf^flniclie  Erkenntnis  s.  Erkenntnis. 

Bei^rlffsbestlmmuni;  s.  Definition. 

Besifffidlclitnnfi^  s.  Metaphysik. 

Beg^rWselemente  oder  elementare  Begriffe  nennt  Ostwald  die 
«nfachen  B^riffe  (Vorles.  üb.  Naturphil.«,  S.  49). 

ResrlAse^Uil  s.  Begriff. 


134  Begrifbinhalt  —  Beharrung. 


Bei^rUTsinltalt  s.  Begriff,  Inhalt. 

Beg^lffsoperatlonen  sind,  nach  Wündt,  „diejefiigen  Verändermigeny 
die  mit  gegebenen  Begriffen  vorgenommen  werden  können,  um  aus  ihnen  neue 
Begriffe  xu  bilden,  nämlich  logische  Determination,  Summation  mid  Negation^* 
(Log.  I,  222). 

Be^llTsiiliifaiiis;  s.  Umfang. 

Bef^lflsartelle  sind  urteile,  deren  Subject  ein  Begriff  ist  (ygL 
W.  JerusaIiEM,  Urteilstunct.  S.  138  ff.). 

Beg^llTsTerliftltliisse  sind  die  verschiedenen  Weinen,  wie  B^riffe 
zueinander  in  Beziehung  stehen.  Die  „bestimmten"  Begriffsverhältnisse  sind: 
Identität,  Verschiedenheit,  Über-  und  Unterordnung,  Nebenordnung,  Abhängig- 
keit, Wechselbestimmung;  die  „unbestimmtefi" :  das  Contradictorische,  das  Diß- 
parate  (Wundt,  Log.  I,  115  ff.). 

Be§^rlir8Torfltellii]i|;  s.  Begriff. 

Beg^rllTswalirlielteil  nennt  Bolzano  Wahrheiten,  „die  bloß  atis  reiften 
Begriffen  bestehen,  ohne  irgend  eine  Anschauung  xu  enthalten"  (Wiss.  II,  §  133). 

Befl^rÜTswiirseln  nennt  Jgdl  die  weder  auf  Interjection  noch  auf 
Nachahmung  zuriickführenden  Sprachwurzeln.  Gboos  nennt  sie  „Experimentier- 
Wurxeln"  (Spiele  d.  Mensch.  S.  381). 

Beg^rfinden  heißt,  den  Grund  (s.  d.)  eioes  Urteils  dartun,  etwas  als 
Folge  eines  andern  nachweisen  (Eeehl,  Phil.  Krit.  II  1,  237),  den  Denk- 
zusainmeiihang  herstellen,  aus  dem  die  Notwendigkeit  eines  Satzes  erhellt. 
Nach  WüNDT  ist  das  begründende  Denken  das  eigentliche  Erkennen  (Syst.  d. 
Phü.«,  S.  80  ff.,  167  f.).    Vgl.  Vernunft. 

Bebariilclükelt  ist  Ausdauer  im  Ertragen  und  Überwinden  von 
Schwierigkeiten.  Sie  ist  nach  Paulsen  eine  Form  der  Tapferkeit,  die  Kraft 
des  Willens,  Beschwerden  aller  Art  zu  ertragen  (Syst  d.  Eth.  U*,  2.5;  vgl. 
SCHLEIEBMACHER,  Phil.  Sittenl.  §  315  ff.). 

Beliarrani^  ist  das  Bleiben  in  der  Zeit,  im  Räume,  im  Wirken,  die 
Permanenz  (Constanz)  einer  Substanz  (s.  d.),  Activität,  eines  Geschehens,  ein^ 
Beziehung,  eines  Gesetzes.  Das  Beharrende  im  Baume  ist  die  Materie  (s.  d.) 
und  Energie  (s.  d.),  das  Beharrende  im  Geistigen  ist  die  Ichheit  (s.  d.>,  das 
Subject,  das  Einheit  setzende  Princip  im  Lebewesen.  Absolute  Permanenz 
kommt  keinem  Einzelding,  nur  dem  All  als  Einheit  aller  Seinsbeziehongen  zu. 
Ein  „Beharrungsvemifigen"  („vis  inertiae")  wird  den  Körpern  zugeschrieben. 

Nach  Heraklit  beharrt  nur  das  Werden  (s.  d.).  Nach  den  Eleaten  das 
Sein  (s.  d.).  Nach  Demokrit  nur  die  Atome  (s.  d.).  Nach  Plato  nur  die 
Ideen  (s.  d.),  nach  Aristoteles  die  „Formen"  (s.  d.).  Nach  anderen  beharrt 
nur  die  Substanz,  oder  beharren  die  Substanzen  schlechthin.  Nach  den  Re- 
lativisten  (s.  d.)  beharrt  nur  der  Wechsel,  das  Gesetz  im  Wechsel;  so  spricht 
SiMMEL  vom  „absoluten  Bewegungscharakter"  der  Welt,  in  der  nur  die  Gesetz« 
als  solche  beharren  (Phil.  d.  Geld.  S.  552).  Nach  Nietzsche  gibt  es  nui 
scheinbar  Behammg  {VTW.  XV,  280,  VIII,  2,  5). 

Das  Beharrungsvermögen  der  Körper  leitet  Descartes  metaphysisch  aus 
der  l'n Veränderlichkeit  Gottes  ab.  „Ex  hoc  eadcm  immut<ibilitnte  Dei  regulat 
quaedam  sire  leges  naturae  coguosci  possunty  quae  sitnt  causae  sectt9idariae  ai 


Behanxing  —  Blähung.  135 

partürufares  dirersorttm  moiuum,  qtios  in  singulis  corporibus  advertimits.  Haruni 
prima  esfy  unamquamque  rem,  quatenus  est  simplex  et  indivisa,  manere  quantu77h 
in  se  p^t  in  eodem  semper  statu,  nee  unquam  mutari  nisi'  a  catisis  extemis" 
{Princ.  phil.  n,  37).  Auch  Spinoza  begründet  das  Beharren  der  Dinge  aus 
der  Natur  der  göttlichen  Substanz.  „Ufuiquaeque  res,  quantuni  in  se  est,  in 
^uo  esse  persererare  conalur."  „Res  enim  sin-gulares  modi  stint,  quibtts  Dei 
attriimfa  rerto  et  determinato  modo  exprimuntur,  hoc  est  res,  quae  Dei  potentiam, 
qua  Detis  est  et  agit,  certo  et  determinato  modo  exprimunt.  Neqtte  ulla  res  ali- 
quid  in  se  habet,  a  quo  possit  destrui,  sine  quod  eins  existentiam  tollaV^  (Eth. 
III,  prop.  YT).  Alle  Dinge  haben  ein  Streben  (conatus),  in  ihrem  Sein  zu  ver- 
harren (l.  c.  prop.  VII,  IX).  Newton  lehrt:  „Jeder  Körper  beharrt  in  sei^ient 
Zu*ttt9ide  der  Buhe  oder  der  gleichförmigen  Beicegung  in  gerader  Richtung,  außer 
9&fem  er  von  eingedrückten  Kräften  gexirungen  icird,  jenen  Zustand  xu  rer- 
nndem"  iPrinc.  math.  p.  12;  vgl.  Spinoza:  „Corpus,  quod  semel  mavetur,  semper 
wyreri  pergit,  nisi  a  causis  extertiis  retardetur^*  Ren.  Cart.  II,  prop.  XIV,  Corol.). 
Xach  Kant  ist  beharrlich,  „was  eifie  Zeit  hindurch  existiert,  d.  i.  dauert" 
tMet.  Anf.  d.  Naturw.  WW.  IV,  374).  Der  „Grundsatz  der  Beharrlichkeit''  ist: 
^AUe  Erscheinungen  enthalten  das  Beharrliche  (Substanz)  als  den  Gegenstand 
Hlbsi  und  das  Wandelbare,  als  dessen  bloße  Bestimmung,  d.  h.  eine  Art,  wie  der 
Gegefisfand  existiert  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  174).  Dieses  Princip  ist  ein  Gesetz 
für  alle  Erfahrung,  die  dadurch  erst  ermöglicht  wird.  „Wir  können  nur  in 
dem.  was  beharrt,  das  Wechseln  bemerken  ..."  Die  Beharrlichkeit  „drückt 
überhaupt  die  Zeit,  als  das  beständige  Correlatmn  alles  Daseins  der  Er- 
feheinungen,  alles  Wechsels  und  aller  Begleitung  aus.  Denn  der  Wechsel  trifft 
die  Zeit  selbst  nicht''  (1.  c.  S.  176).  Dühbing  spricht  von  „beharrlichen  Elf- 
htenten^',  „ruhenden  Allgemeinheiten"  des  Seins  (Curs.  d.  Phil.  S.  24).  LiPPS 
bemerkt:  „Indem  tcir  unsere  Beharrlichkeit  oder  Denkconsequenx  anthro- 
pnmcrphisierend  in  die  Inhalte  der  Wahmeh7nung  verlegen,  schreiben  wir  diesen 
Bekarrungsrermögen  xu"  (Gr.  d.  Seel.  S.  434).  Nach  Herbart  beharrt  jede 
Vorstellung  (s.  d.)  nach  ihrem  Verschwinden  unbewußt  in  der  Seele  weiter. 
:?o  auch  nach  Steinthal  (Einl.  in  d.  Psych.  S.  114).  Rehmke  formuliert  das 
^Gesetx  der  Beharrung"  so:  „Im  Gegebenen  überhaupt  versehwindet  nichts,  es 
tei  denn  ein  anderes  mit,  welches  verschtrinden  soll,  zugleich,  aber  selber  in  einer 
anderen  concreten  Einheit  gegeben  als  die  notwendige  Bedingung"  (Allg.  Psychol. 
S-  107).  Die  englischen  Psychologen  verstehen  unter  geistigem  Beharrungs- 
vermögen (,^rdeniireness")  die  Eigenschaft  des  „primären"  Gedächtnisses;  es 
beruht  auf  der  Erzeugung  functioneller  Dispositionen  (Sully,  Handb.  d. 
IVrchol.  S.  157  f.).    Vgl.  Erhaltung,  Dauer,  Sein,  Substanz. 

Beliaiiptllli§^s  Aufstellung  eines  Satzes  als  gültig  sein  sollend. 

Beleiitander  =  (Dontiguitat  (s.  d.). 

Beifall  ist  Billigung,  Anerkennung,  Zustimmung  seitens  des  Denk- 
willens zu  einem  Urteile.  Thomas  :  „Polest  etiam  dici,  quod  intellectus  assentit, 
iftquantum  a  voluntate  movetur"  (Sum.  th.  II,  15,  1  ad  3).  Vgl.  Anerkennung, 
Ckiallen,  Glaube,  SjTikatathesis. 

Beiordnung  s.  Coordination. 

Befallendes  Urteil  s.  Affirmativ. 

Bcjalran^  (Affirmation)  ist  die  Zustimmung  des  DenkwiUens  zu  einem 


136  Bejahung  —  Beobachtung^ 

Urteil,  die  Aimahme  eines  Etwas  als  gültig,  wirklich,  wertvoll.  Nach  BEKEn> 
bedeutet  bejahen  oder  verneinen  „einen  Beifall  geben  oder  keinen  BeifaÜ  geben^^ 
(Abh.  von  Gott  1742,  S.  287,  bei  Debboir,  Gesch.  d.  Psychol.  I«,  426).  Nach 
Schopenhauer  „b^ahi^*  der  Wille  (s.  d.)  das  Leben,  obgleich  es  ihm  Unheil 
bringt ;  denn  der  Wille  ist  alogisch  (s.  d.).  Nach  Nietzsche  ist  das  Leben  um 
jeden  Preis  zu  bejahen  (s.  Optimismus).  —  Nach  Fortlage  ist  Bejahung  „ein 
Begriff,  welcher  bezeichnet,  daß  mit  einem  gegebenen  bestimmten  VarsieUungs- 
inhalt  aus  einer  gewissen  Sphäre  ein  Inhalt  ans  eifier  andern  Sphäre  eins  umi 
ununtersehieden  sei,  ohfie  daß  damit  über  die  Beschaffenheit  des  Identisehefi 
irgend  etwas  ausgesprochen  würde^^  (Psych.  I,  S.  91).  Das  „«/a"  bedeutet  die 
„AetipitäV^,  das  „Nei/n^^  „die  Suspension  der  Activität  eines  vorhandenefi  Be- 
gehrens oder  Triebes".  ,fla  und  nein  sind  Triebkategorien^*  (1.  c.  S.  92).  LoTZB. 
betont:  „Man  kann  weder  Dinge  noch  Ereignisse,  sondern  nur  eine  Bexiehung 
zwischen  xu^ei  Bexiehungspunkten,  also  den  Inhalt  eines  Satxes  blähen"  (Gr.  d. 
Met.  S.  10).  Während  Wundt  erklärt,  alles  Urteilen  sei  „ursprünglich  ufid 
seiner  Natur  nach  affirmierend"  (Log-  I,  187),  meint  Jerusalem,  es  gehe  der 
Bejahung  die  „Zurückweisung  der  möglichen  Negation*'  voraus.  „Die  Sprache 
bildet  erst  dann  ihr  ,Ja*  aus,  welches  die  Geltung  eines  Urteils  gegenüber  allen 
Anfechtungen  aufrecht  hält.  Dieses  ,Ja'  bleibt  ein  vom  Urteilsade  selbst  ver- 
schiedener ufid  ,auch  im  Bewußtsein  getrennter  Ausdruck  der  Zustimimmg^^ 
(Urteilsfimct  S.  185).    Vgl.  Negation. 

Bekanntheltsqaalltftt  s.  Wiedererkennen. 

Belief  8.  Glauben. 


Bellsclier  Sats:  die  hinteren  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  wirken 
sensibel,  die  vorderen  motorisch  (Ch.  Bell,  The  nervous  System  of  the  human 
body  1830). 

Benennanssurteile  sind  Urteile,  in  welchen  ein  zimächst  unbe- 
stimmtes Etwas  benannt  und  zugleich  damit  appercipiert,  gedeutet,  classifieiert 
wird  (vgl.  Sigwart,  Log.,  u.  W.  Jerusalem,  Urteilsf.  S.  112  ff.). 

Beobaclitii]i§^  (Observation)  ist  die  aufmerksame,  planmäßige  Be- 
trachtung eines  Objectes.  Das  Physische  ist  wegen  seiner  Constanz  unmittelbar, 
das  Psychische  wegen  seiner  Flüchtigkeit  und  wegen  der  Stönmg  des  Be- 
wußtseinsverlaufs durch  die  absichtliche  Lenkung  der  Aufmerksamkeit  auf  das- 
selbe nur  mittelbar,  in  der  Erinnerung  beobachtbar. 

Den  Wert  der  Beobachtung  (rrj^T^oii)  kennen  im  Altertum  Hippokrates, 
Aristoteles,  Galenüs,  die  „Empiriker**,  im  Mittelalter,  wo  sie  im  allgemeinen 
vernachlässigt  wird,  Albertus  Magnus,  Wilhelm  von  Occam,  Roger  Bacon. 
Später  betont  diesen  Wert  methodologisch  (im  Anschlüsse  an  die  Errungen- 
schaften eines  KoPERNiKUS,  Kepler,  Galilei  u.  a.)  zunächst  der  Empirismus 
(6.  d.).  F.  Bacon  bemerkt:  „Homo  naiurae  minisiei'  et  interpres  tantnm  facii 
et  intelligit,  quantum  de  naturae  ordine  re,  rel  mente,  obserrarerii,  nee  amplius 
seit  ant  potest**  (Nov.  Organ.  1).  Die  Beobachtung  ist  der  Ausgang  aller  In- 
duction  (s.  d.).  Nach  Platner  ist  Beobachtung  „eine  mehr  angestrengte^  vor- 
sätxliehe  und  zugleich  absichtsmäßige  Richtung  der  sinnlichen  Vorstellkraft  auf 
Gegenstände  der  Sinne**  (Phil.  Aph.  I,  §  211).  Nach  Ulrici  ist  sie  „ein  auf- 
'merksames  Betrachten  des  Gegenstandes  in  der  Absicht,  voti  seiner  Beschaffenheit,, 
seinen  Bestimmungen,  Eigenscluifteti,  Merkmalen,  besonderen  Eigentümlichkeiten  etc^ 


Beobachtung  —  Beraubung.  IST 

fine  möglichst  genaue  KemUnia  xu  gewinnen*'  (Leib  u.  Seele  S.  301).  — 
Für  die  Selbstbeobachtung  („introspection")  als  psychologische  Methode  sind 
Hebbabt,  Bekeee,  Fobtlage,  Ulkici,  Waitz,  der  betont,  es  würden  nur 
Erinnerungsbilder  beobachtet  (Lehrb.  d.  Psychol.  8.  672  f.),  Fortlage,  auch 
HÖFFDIKG  (PsychoL»,  S.  20  ff.),  der  die  Mängel  der  reinen  Selbstbeobachtung 
würdigt  {1.  c.  C.  1),  MÜKBTBKBKRG  (Avdg.  u.  Meth.  S.  63  ff.),  Volkelt  (Zeitschr. 
f.  Philos.  1887),  Lipps  (Gr.  d.  Seelenl.  S.  10  f.),  teilweise  Spencer  (y^subfective'^ 
neben  der  y,obfeetiven**  Psychologie),  Bain,  James,  auch  Jodl  (Lehrb.  d.  Psych. 
S.  10),  W.  Jerusalem  (Lehrb.  d.  Psychol.*,  S.  5  ff.)  u.  a.  Es  wird  betont, 
daß  die  Beobachtung  anderer  ergänzend  zur  „Selbstbeobachtung"  (besser  Selbst- 
wahrnehmung:  Ebbinghaüs,  Gr.  d.  PsychoL  I,  57,  Brentano,  Wundt  u.  a.) 
treten  muß.  Gregen  die  „Selbstbeobachtung"  ist  HuME,  insofern  er  betont,  die- 
selbe störe  den  Ablauf  der  seelischen  Vorgänge  (Treat.  S.  7),  und  besonders 
A.  CoMTE,  der  sie  für  unmöglich  erklärt  und  von  der  „profonde  absurdite" 
^cht,  „que  presente  la  seule  supposition  si  ividefmnent  cmitradictoire  de  rhomnie 
«f  regardani  penser**  (Cours  de  phil.  pos.  III,  766  ff.,  I,  30  ff.;  ähnlich 
F.  Mauthneb,  Krit  d.  Spr.  I).  Wundt  betont,  in  der  Psychologie  sei  „eine 
emete  Beobachtung  nur  in  der  Form  der  experimentellen  Beobachtung 
möglich"  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  27).  Die  Absicht  der  Beobachtung  verändert  Ein- 
tritt und  Verlauf  der  psychischen  Vorgänge  (1.  c.  S.  28).  Die  reine  Beobachtiuig 
ist  ausgeschlossen  auf  dem  Gebiete  der  Individualpsychologie,  weil  es  hier  keine 
beharrenden  Objecte  gibt,  zulässig  aber,  ja  gefordert  in  der  Völkerpsychologie 
{L  c  S.  29  f.).  Die  „xußüige"  innere  Wahrnehmung  (nicht  Beobachtung)  kann 
aber  in  der  Individualpsychologie  (am  besten  in  der  Form  unmittelbarer  Er- 
innerung) als  vorbereitende  und  ergänzende  Methode  vem-endet  werden.  Die 
Twmeintliche  willkürliche  „Beobachtung"  aber  ist  in  Wahrheit  schon  Reflexion 
und  Fälschung  des  Tatbestandes  durch  Vorurteile  aller  Art  (Log.  II*,  2,  S.  160, 
171,  174;  Grdz.  d.  phys.  Psych.  I*,  4  f.;  Essays  5,  S.  135  ff.;  Phil.  Stud.  IV, 
5j2  ff.).     Vgl.  Experiment,  Methoden. 

Beranbmis  (<jT£^<r<ff,  privatio)  hat  philosophiBch  den  Sinn  des  Fehlens, 
deb  Mangels,  der  Negativität;  im  Gegensatze  zu  allem  Positiven  und  Actuellen, 
Activen  bedeutet  es  ein  Nichtiges,  d.  h.  nicht  wahrhaft  Seiendes,  Wesenhaftes, 
rnwirkliches,  der  Vollkommenheit  des  Alls  keinen  Abbruch  Tuendes. 

Nach  ABI8TOTBLE6  ist  die  are^fftg  das  Fehlen  einer  Eigenschaft,  die  einem 
Dinge  von  Natur  aus  zukommt,  z.  B.  Blindheit  ist  eine  axigr^irti  St^'stas  (Met. 
V  22,  vgl.  X  4,  1055b).  Insbesondere  hat  die  Materie  (s.  d.)  eine  art^rjati, 
iii^rfem  sie  noch  (begrifflich-abstract)  der  Fomi  ermangelt  (ori^aie  rov  etSovi 
«'u  Tjj«  fto^frje^  1.  c.  1055b  13).  Augustinus  u.  a.  nennen  das  Böse  (s.  d.) 
ttne  jjpriraH^  boni".  Die  Motakallimün  halten  die  „prirationes"  (negativen 
Eigenschaften)  für  wirkliche  Qualitäten.  „Credunt,  privationes  habituum  esse 
r^  existentes  in  corpore,  substantiae  ipsius  additas,  et  esse  quoquc  aceidefitia 
fiistenWa^^  (bei  Maimonides,  Doct.  perplex.  I,  73).  AviCENNA  definiert: 
ylHeiiur  privatio  id,  quod  1)  debet  esse  in  aliquo  nee  est  in  eo,  non  quod  von 
*it  illius  modiy  itt  sit  in  co,  quam  vis  sit  illius  Tiaiurae,  nt  sit  in  aliquo;  2)  idj 
f^iuf  natura  est  esse  rei  non  absoluta,  sed  in  sua  hora;  3)  aniissio  ]}er  rio- 
ifntiatn;  4)  id,  per  quod  amisit  res  infegritatem  suam;  5)  ne^atio"  (bei  Pbantl,. 
<T.  d.  Log.  II,  252).  Albebtus  Magnus  imterscheidet  „privatio  perfecta", 
',yr.  imperfecta"  (Sum.  th.  27,  1).    Nach  Thomas  ist  „privatio"  der  Gegensatz. 


138  Beraubung  —  Beschreibung. 


zu  „habitus"  und  „per fectio"j  ein  „«on-e/w  absque  omni  forma^^  (1  gener.  6  g), 
„careniia  oppositi  habittts^'^  (Sum.  th.  II.  II,  36,  Ic),  „abseniia  formof^^ 
(1  cael.  6a),  y^negatto  in  stibstantia^^  (Contr.  gent.  III,  7).  Es  gibt  „priraiio 
simplex  (pura)^\  „pr.  non  simplex**.  „Privaiio  non  habet  causam  per  9e. 
agentem^*^  (Contr.  gent.  II,  41).  „Privatio  non  ponit  illiquid"  (Sum.  th.  I,  17,  4c). 
Nach  Chr.  Wolf  ist  privatio  „defeefus  alieuius  realitaiisy  qtiae  esse  poterat^^ 
(Ontol.  §  273). 

BereltseliafI;  wird  die  Disposition  (s.  d.)  zur  Reproduction  von  Vor- 
stellungen genannt. 

Beroliiiiri^nii^  ist  nach  R.  Ayenabius  sowohl  der  Ausgangs-  als  der 
Endpunkt  einer  ,y Vital reihe'^  (s.  d.).  H.  Cornelius:  y,Das  Ungewohnte  ist 
uns  jedesmal  xugleich  ein  Befremd  Hohes  y  Beunruhigendes.  Die  Be- 
unridiigung  aber  löst  sich,  wenn  es  u^is  gelingt,  das  Neue  als  Glied  eines 
bekannten  Zusammenhanges  xu  erkennen."  —  Wir  fühlen  uns  dann  be- 
ruhigt (Einl.  in  d.  PhiL  8.  25  f.). 

BerlUiraiiii^  (Contaet)  ist  das  Maximum  des  Aneinander  zweier  Körper. 
Durch  yyBerübrung"  {ng>ij)  erfolgt  nach  Aristoteles  die  Binneswahmehmiing 
(De  an.  III  13,  435a  12).  Der  Sternhinmiel  wird  von  Gott  durch  „Berührung^^ 
{aTiTsad-ai)  bewegt  (De  gener.  I  6,  323a  4).  Nach  TuoMAS  gibt  es  einen  „ran- 
factus  duplex,  quantitatis  et  virtutis".  „Primo  modo  corpus  non  tangitur  nisi 
a  corpore.  Secundo  modo  corpus  potest  tangi  a  re  incorporea  quae  tnoret 
corpus''  (Sum.  th.  I,  75,  1).  Chr.  Wolf:  „Duo  exte^isa  ferminata  eontiffua 
appeüantury  quorum  sujferficies  se  muttu)  c<yntingunt"  (OntoL  §  .556).  Die 
Associationspsychologie  versteht  unter  „Berufinmg"  (contiguity)  das  räumlich- 
zeitliche Zusammen  von  Vorstellungen.    Vgl.  Association. 

BerfihnuigpBiassoclatloii  s.  Association. 

Berüliraiii^enipftndiiiig  ist  eine  Art  der  Hautempfuidungen  (vgl. 
KÜLPE,  Gr.  d.  Psych.  S.  90  f.). 

Berfiliriin^tlieorle  s.  Wiedererkennen. 

Bescliaffenlieit  s.  Qualität. 

Bescliaiillciikeit  s.  Contemplation. 

Beschreibende  (descriptfTe)  Psychologie  s.  Psychologie. 

Besclirelbende  Urteile  sind  Urteile,  deren  Prädicat  in  einer  Eigen- 
schaft Ix^teht. 

Besclirelbiuig^  (Deseription)  ist  die  vollständige  oder  doch  zureichende, 
geordnete  Aufzählung  der  charakteristischen  Merkmale  einer  Sache.  Die  Be- 
schreibung muß  eindeutig,  exact  sein. 

Die  Stoiker  bestimmen  die  Beschreibung  (vnoyga^ij)  als  Xoyoi  rvTzojSetii 
eiadyun»  eU  tn  noo-yfLaxa  (Diog.  L.  VII,  60).  Die  Logik  von  Port-Roval; 
„Minuji  accuraia  deßnifioy  descripiio  dicfa,  ea  est,  quae  rem  facU  fwtnm  per 
acddcHlia,  propria,  atque  ita  detcrmincUy  tä  nohis  possimus  ülius  ideam  formare, 
quae  Ulam  ah  omni  alia  re  disfifiguat"  (II,  12).  Nach  KANT  ist  Beschreibung 
„die  Exposition  eines  Begriffs,  sofern  sie  nicht  präcis  ist"  (Log.  §  105).  Nach 
Fries  ist  sie  die  „Angabe  der  Attribute"  eines  Begriffe  (Syst.  d.  Log.  S.  276). 
Nach  J.  E.  Erdmann  ist  sie  eine  ausgespi-ochene  Wahrnehmung  (Gr.  d.  Psych. 
S  74).     Hagemann   erklärt  die   Beschreibung   als   „die   Herrorfiebufig  sotroh^ 


Besobreibung  —  Bestimmtheit.  139 

ir^entlicfier  als  imwesefUlicher  (namentlich  äußerlicher,  sinnfälliger)  Merhnaley 
wn  eiti  klares,  ofischauliehes  Bild  des  Gegenstandes,  zum  Unterschiede  von 
andertti  Gegenständen,  xu  vermitteln"  (Log.  u.  Noet  S.  82).  Nach  Schuppe  ist 
die  .Angabe  der  an  bestimfmtem  Orte  in  bestim^^mtem  Zeitpiankt  gemachten  Wahr- 
n^tmufigen*^  (Log.  S.  76).  Verschiedene  Forscher  wollen  die  Erklärung  (s.  d.) 
diircli  ^^rollständige  Beschreibung**  unter  Elimination  alles  Hypothetischen  und 
Metaphysischen  ersetzen.  So  Comte,  R.  Mater,  Hertz,  Kirchhoff  (nur 
bedingt,  Vorles.  üh.  math.  Phys.  1876,  I),  Ostwald,  E.  Mach  (Popul.  Vorles. 
S.  251  ff.),  R.  Avenarius  (Kr.  d.  Erf.  II,  S.  331  ff.),  J.  Petzoldt  (Viertel- 
jahreschr.  f.  w.  Phü.  XIX,  147),  R.  Willy  (1.  c.  XX,  80),  H.  Cornelius 
lEinl.  in  d.  Phil.  S.  38  f.),  Nietzsche  (WW.  V,  112).  Dagegen  Wundt,  nach 
▼elchem  jede  Beschreibung  schon  eine  Erklärung  und  Deutung  einschließt 
<Sy3t  d.  PhiL«,  S.  288  ff.;  Log.  IP,  1,  S.  28  ff.,  343  ff.;  Phü.  Stud.  XIII,  98  f., 
l'H,  AfA ;  Einl.  in  d.  Phil.  S.  299).  0.  Caspari  will  die  naturwissenschaftliche 
Beschreibung  durch  philosophische  Erklärung  ergänzt  wissen  (Grund-  u.  Lebensfr. 
S.  45  f.j.    Vgl.  Erklänmg. 

Beseelt  {fyy^vxos^  animatus)  ist  alles,  was  seelischer  Regungen  fähig  ist, 
was  auf  äußere  Reize  in  triebhafter,  mehr  als  mechanischer  Weise  zu  antworten 
^Tnnag.    VgL  Panpsychismus,  Monaden,  Hylozoismus. 

Rcaeelniig»  ästhetische,  s.  Ästhetik,  Ästhetisch. 

Befi»illiill]i||f  ist  actives  Sich-erinnem,  Lenkimg  der  Aufmerksamkeit  auf 
Erinnenmgsbilder,  Suchen  von  solchen,  spontane  Bereitschaft-Herstellung  für 
solche.    Das  Phänomen  wird  schon  von  Aristoteles  besprochen. 

Besonnenlielt  (ctoy^oavvTj,  auch  Maßhalten,  Enthaltsamkeit)  ist  die 
Eigenschaft  oder  Tugend  des  besonnenen  Handelns,  d.  h.  des  voUbewußten, 
Temünftigen,  überlegten,  mit  Bedacht  auf  die  Folgen  stattfindenden  Handelns. 
Sie  gilt  schon  Plato  und  Aristoteles  (Eth.  Nie.  I  13,  1103  a  6)  als  eine 
Tagend  (s.  d.);  nach  ersterem  besteht  sie  darin,  ro  te  ä^ov  xai  rm  a(»/o^Vai 
To  Aoyt^nixov  OfioSo^ciai.  6bXv  a(>/««v  %al  /mj  araatd^eaaiv  nvrtp  (Rep.  442  D), 
nach  letzterem  ist  sie  eine  fMcorr/i  ne^i  riBoväi  xai  kvnas  (Eth.  Nie.  III,  13). 
Die  Stoiker  bestimmen  sie  als  äTi&aTjjfirj  al^BzöHv  xcU  ipevxx<ov  (Stob.  Ecl. 
U  6. 102).  Platner  versteht  unter  ihr  „da^  Vermögen  der  menschlic^ien  Seele, 
die  Kraft  der  Vernunft  oder  geistige  THtigkeit  xu  äußern,  7niUelst  gewisser 
Fakigheiten  der  Organisation*^  (Phil.  Aph.  I,  §  775).  Herbart:  „Besonnen- 
hiit  ist  die  Öemütslage  des  Menschen  in  der  Überlegung**  (Lehrb.  zur  Psychol.*, 
S.  S3).  Schleiermacher  erklärt  sie  als  „das  Produderen  aller  Acte  des  Er- 
kemtens  in  einem  empirischen  Subject,  irelche  einen  Teil  der  sittlichen  Aufgabe 
w  ihm  setzen**  (Phü.  SittenL  §  313),  als  „vollkommen  der  Idee  angemessene 
Omstmetion  des  Begriffs  und  der  Anscliauung**  (1.  c.  §  314). 

Beständiurkelt  s.  Constanz. 

Be^tnmitiielt  =  Sicherheit,  Gewißheit  (s.  d.),  dann  Geformtsein,  Ge- 
tfdnetsein,  Gesetzlichkeit,  durch  Begriffe,  Ideen  nach  Plato,  durch  Kategorien 
^5.  d.)  nach  Kant.  —  Nach  Uphues  ist  etwas  bestimmt,  „wenn  es  Merkmale 
Quficeist,  durch  die  es  von  edlem  oder  von  einigeln  atideryi  unterschieden  werden 
kann"*  (Psych,  d.  Erk.  I,  244).  Ein  Begriff  ist  logisch  bestimmt,  wenn  sein 
Inhalt  genau  von  dem  anderer  Begriffe  abgegrenzt  ist.  Vgl.  Determination, 
Definition. 


140  Bestimmung  —  Bewegung. 


BestlHUiraiigf  9  logisch  =  Setzen  einer  Bestimmtheit  (s.  d.);  meta- 
physisch, psychologisch  =  Bedingtheit  des  Geschehens,  des  Handelns,  des 
Willens.    Vgl.  Detennination,  Prädestination. 

Begtlmmungggmnd  s.  Motiv. 

Betonung^  s.  Gefühl. 

BevrtelllUis  ist  schätzendes,  wertendes  Urteilen,  Urteilen  über  Werte 
ästhetischer,  ethischer,  logischer  Art.  Kant  spricht  von  ästhetischer  Beurteilung 
(Kr.  d.  Urt.  §  9).  Nach  Windelband  ist  die  Beurteilung  das,  was  das  Urteil 
(8.  d.)  als  wahr  oder  unwahr  anerkennt  (Prälud.  S.  29  f.).  B.  Erdmakk  ver- 
steht unter  Beurteilungen  „Urteile  über  ürieile^^  (Log-  I,  §  56). 

Beweggrund  s.  Motiv. 

Bew^egong  ist  der  (actuelle)  Wechsel  der  Lage  eines  Körpers  in  Be- 
ziehung zu  anderen  Körpern  oder  zu  einem  gedachten  Coordinatensystem.  Alle 
Bewegung  ist  relativer  Art,  auch  die  sogenannte  yfOhsoltUe*'  Bew^uiig.  Die 
scheinbare  Bewegung  ist  die  dem  Augenschein  oder  dem  statischen  Sinne 
(8.  d.)  immittelbar  sich  darstellende  Bewegung,  sofern  sie  nicht  mit  der  wahrai, 
mathematisch-physikalisch  bestinmiten,  constanten,  objectiven,  notwendig  zu 
denkenden  Bewegung  übereinstinmit.  Die  Bewegung  gilt  als  ursprüngliche 
Eigenschaft  der  Materie  (s.  d.).  Man  spricht  auch  von  einer  geistigen  Be- 
wegimg, von  einer  Gemüts-  und  einer  Denkbewegung  (s.  Dialektik). 

Nach  Hebaklit  und  Pbotaooras  ist  alles  in  beständiger  Bewegung,  alle 
Ruhe  ist  nur  Sinnenschein  {fpaai  nvee  xtveXc9'at  rdiv  ovzonf  ov  ra  fisv  ta.  B'ovy 
dlXd  TtaiTa  xai  nel,  akXa  kavd'dvetv  rovro  rr^v  rjfieri^av  aXad^rjüiv,  ARISTOTELES, 
Phys.  VIII  3,  253  b  10).  Zeno  von  Elea  dagegen  bestreitet  die  Bealität  der 
Bewegimg.  Diese  sei  in  Wahrheit  unmöglich,  denn  das  Bewegte  bew^t  sich 
weder  da,  wo  es  schon  ist,  noch  da,  wo  es  nicht  ist,  also  überhaupt  nicht  {xb 
xivovfABvov  ovT  iv  üf  ioTt  TOTttp  xiveiTat  ovr  iv  f  fi^  k'axty  Diog.  L.  IX  11,  72). 
Vier  Argumente    {loyoi)    bringt   er  vor.     Bewegung   kaim   nicht  stattfinden: 

1)  wegen  der  unendlichen  Zahl  von  Distanzen,  die  durchlaufen  werden  müßten, 

2)  wegen  des  ,yArkiUeus"  (s.  d.),  3)  wegen  des  Ruhens  des  „fliegenden  Pfeife* 
(s.  d.),  4)  wegen  der  Gleichheit  der  Geschwindigkeit  auf  dem  halben  wie  auf 
dem  ganzen  Wege,  gemessen  an  der  entgegengesetzten  Bew^mg  eines 
Körpers  (Aristoteles,  Phys.  VI  9,  239b  33).  Gegen  diese  Antinomien  re- 
kurriert Diogenes  der  Cyniker  auf  die  Evidenz  der  Sinne  (Diog.  L.  VI,  39; 
8ext.  Emp.  Pyrrh.  hyp.  III,  66),  während  Aristoteles  betont,  daß  die  Stetig- 
keit der  Zeit  und  der  Bewegimg  verkannt  werde;  diese  besteht  nicht  aus  Teilen, 
so  auch  jede  andere  Größe,  sondern  sie  läßt  sich  stetig  teilen  (Phys.  \J  9, 
239b  8;  vgl.  Spinoza,  Epist.  29;  Leibniz,  WW.  Gerhard  I,  403;  J.  St.  Mill, 
Examin.  p.  474;  Dühring,  Krit.  Gesch.  d.  Phil.  1869,  S.  40  ff.;  GoMPERZ, 
Grieoh.  Denk.  I,  159;  Überweg,  Logik»,  S.  409*;  Kühnemann,  Grundl.  d. 
Philos.  S.  83  ff.).  —  Demokrit  erblickt  in  der  Bewegung  eine  primäre  Eigen- 
Hchaft  der  Atome  (s.  d.).  Sie  ist  (nach  Stob.  Ecl.  I,  18,  394)  geradlinig  von 
Xatur.  Die  Megariker  behaupteten,  es  gäbe  an  sich  keine  Bewegung  (/«^ 
elvat  xivr^air,  Sext.  Emp.  adv.  Math.  X,  85  squ.).  Plato  unterscheidet  zwei 
Arten  der  Bewegung:  qualitative  Veränderung  {nUoioHFig)  imd  Ortsbew^:ung 
ine^tfo^n,  Theaet.  181).  Die  primäre  Bewegimg  ist  Selbstbewegimg  (Leg.  894  B, 
D,  895 A),  diese  aber  ist  Leben,  Beseel img  (1.  c.  896  C).     Im  Organismus  sind 


141 


die  K^perbewegungen  yon  den  inneren,  seeliBchen  Bewegungen  {n^rov^oi 
xanfßui)  abhängig  (1.  c.  897 A).  Die  sich  selbst  bewegende  Weltseele  (s.  d.)  ist' 
das  Princip  aller  kosmischen  Bewegungen  (Tim.  43  ff.).  Aristoteles  versteht 
unter  tUvricti  Veränderung  (s.  d.)  überhaupt,  deren  er  vier  (De  an.  I  3,  406  a 
12  squ.)  oder  sechs  (Caieg.  14)  unterscheidet  8ie  ist  die  Verwirklichung  des 
Möglichen  als  solchen  (^  rov  9vraroVf  rj  Swarov,  hrreld/sta  ^«vs^ov  ort  Klttiüiq 
hrtv^  Phys.  III  1,  201b  4),  Übergang  aus  der  Potenzialität  in  die  Actualität. 
Eigentliche  Bewegung  ist  nur  die  Ortsbewegung  («irrjas  xarti  tottov,  ^ogdy 
Phys.  III  8j  208a  31).  Die  Bewegung  ist  stetig  \sw8xris,  Ptys.  IV  11,  219a 
10).  Zur  Bewegung  bedarf  es  keines  leeren  Baumes  (gegen  die  Atomisten), 
scadem  sie  besteht  in  einer  Ortsvertauschnng  im  Vollen  (dvrtTZBplaraats,  Phys. 
VIII  10,  267  a  18).  Jedon  Körper  kommt  constant  Bewegung  zu  {avayxri  8i  aal 
xin;ütv  #jfei«'  <ri»fia  näv  tfn'cwov,  De  coel.  I  1,  274  b  4).  Die  Bewegung  ist  die 
Ursache  des  Werden»  (17  yaQ  fo^  notr,<f8i  rriv  ytraütr^  De  gen.  et  corr.  II  9, 
^a  17).  £s  gibt  geradlinige,  kreisförmige,  gemischte  Bewegung  {evd'ata,  xvxkq?, 
h  TovToff  fuxTi^,  De  coeL  I  1,  268  b  17).  Die  vollkommenste  ist  die  kreis- 
fonnige  Bewegung,  sie  kommt  dem  Äther  (s.  d.)  und  dem  Sternhimmel  zu  (De 
gen.  et  corr.  II  11,  338  a  18  squ.).  Da  alle  Bewegung  in  der  Verwirklichung 
eines  Potentiellen  besteht,  so  muß  es  zuletzt  einen  selbst  unbewegten  ersten 
Beweger  der  Welt  {ngarov  xirovy  Axlvr^rov  avro,  Met.  IV  8,  1012  b  31),  Gott 
<&  d.),  geben ;  dieser  bewegt  i^eafuvos^  durch  das  Streben  der  Dinge  nach  ihm.  Als 
(geistige)  Bewegung  fassen  Theophbast  und  Strato  das  Denken  auf  (Simpl. 
Phys.  225  a).  Die  Stoiker  definieren  die  Bewegung  (xivrjatg)  s\b  fieraßolr^  xard 
TKiov  $  oktf  9  fu^t  fj  finraXXay^r  ix  xonov.  Es  gibt  ursprünglich  geradlinige 
und  gewundene  Bewegung  {evd'alav  xai  rrjv  xafxnvlrjv,  Stob.  Ekil.  I  19,  404, 
-i06).  Nach  Efikur  gibt  es  Bewegung  xtttd  ardd'firjv  xai  xard  TiapeyxXtaw 
($tob.  EcL  I  18,  394,  s.  Atom).  Plotin  definiert  die  Bewegung  im  Sinne  des 
Aiistoteles  (Enn.  VI,  3,  22).  Sie  ist  kein  Seiendes,  sondern  die  Wirksamkeit 
dessdben,  dessen  Natur  sie  gleichsam  vollendet  (als  ivi^sta,  1.  c.  VI,  2,  6). 

Die  Scholastiker  bestimmen  das  Wesen  der  Bewegung  in  der  Weise  des 
Aristoteles.  Ayicenka:  j^Motus  est  exittts  de  potentia  ad  (letum  in  ienvporc 
iontinuo,  ncn  subito**  (bei  Albertus,  Suhl  th.  I,  73,  2).  Albertus  Magnus 
bcstinunt  ganz  allgemein:  „Moveri  est  aliter  se  habere  qiia/m  prius^*  (Sum.  th. 
I.  74.  1).  Das  Tt^dnov  xivovv  übersetzt  er  mit  y^motor  primus"  (L  c.  I,  18,  1). 
Thomas  nennt  die  Bewegung  (motus)  einen  jyoetus  imperfeeti"  (3  an.  12  a). 
Jfopen'  est  exire  de  potentia  in  actum  .  .  .  niavens  dat  id  quod  habet  mobüi, 
inquanHifn  faeit  ipsum  esse  in  actu**  (Sum.  th.  I,  75,  1).  Es  gibt  y,mottts  al- 
terationis**  f=s.  „w.  se4rundum  qtuüitatem**),  „m.  augmenti  et  decrementi**,  „m, 
fmndmn  locum",  „m.  appetitus**,  „w.  affectus**  (Contr.  gent  III,  151),  „w.  ani- 
malis  oder  sensualis**,  „m.  intelleettudis  oder  rationis**,  „w.  nahiralis",  „m. 
ammt«,  „m.  voluntatis**  (Sum.  th.  I,  81,  IC;  Contr.  gent.  III,  23;  Sum.  th.  I, 
n,  17,  9,  I,  II,  22,  2C.).  SUAREZ  bestimmt  die  Bewegung  als  Weg  und 
Fließen  fDisp.  met.  49,  4). 

KoPBRNiKUS,  Kepler,  Galilei  verbreiten  richtige  Anschauungen  über  die 
Xttur  der  kosmischen  (quantitativ  zu  bestimmenden)  Bewegungen.  Desgartes 
^nt,  es  gäbe  nur  Ortsbew^ung  als  Zustand  der  Materie,  den  jeder  Körper  von 
«öfien  erleidet.  „Non  admdito  varia  motuum  generay  sed  solum  loeaiem,  qtii eorporum 
o^nrnum  tarn  animatorum  quam  inanimatorum  communis  est**  (Ep.  II,  11;  Princ. 
phiL  II,  23).   Und  zwar  ist  die  Bewegung  yyoctioy  qua  corpus  aliquod  ex  uno  loco  in 


142  Bewefi^ung. 

alium  miffraf^  (Princ.  phil.  II,  24),  OrtBwechseL  Ruhe  ist  Aufhören  der  Tätig- 
keit. Grauer  bestiiiant  ist  die  Bewegung  Übertragung  eines  Körpers  aus  der 
Nachbarschaft  der  ihn  beriihrenden,  ruhenden  Körper  in  die  Nachbarschaft 
anderer  („dicere  possumws  esse  translcUionem  umus  parits  meUeriae,  sire  unius 
corporis y  ex  mcinia  eorum  corporum,  quae  ülud  immediate  eontiftgunt  et  fanquam 
quiescentia  speciantur,  in  vun^niam  cUiorum'\  Pr.  phil.  II,  25).  Jedem  Körper 
kommt  in  einem  Momente  nur  eine  Bewegung  zu  („non  possiitnus  üti  mMli 
plures  mottis  eodem  tempore  tribuere,  sed  tmum  tantum*^,  Princ.  phiL  II,  28). 
Es  gibt  keinen  leeren  Baum,  daher  muß  ein  Körper  bei  seiner  Bewegung  andere 
aus  ihrem  Orte  verdrängen  (1.  c.  II,  33).  Von  Natur  aus  ist  jede  Bew^ung 
geradlinig,  strebt  es  zu  sein  (1.  c.  II,  39).  Gott  hat  die  Bewegung  erschaffen 
und  erhalt  ihre  Menge  (die  „Bewegungsgröße^^  mv)  constant.  y,Nam  quamvis 
nie  mottis  nihil  aliud  sit  in  maieria  mota  quam  eius  modus,  certam  tarnen  et 
deierminatam  höhet  quantitaietn^  quam  faeüe  intelligimus  eandem  semper  in  tota 
rerum  universitcUe  esse  posse,  quanitns  in  singiUis  eius  pariibus  mutetur^^  (1.  c. 
II,  36).  Auch  nach  Spinoza  erhält  jeder  Körper  seine  Bewegung  von  außen 
her.  „Corpus  motum  vel  quiescens  ad  motum  vel  quielem  determinari  d€bi4Ü  ab 
alio  corpore,  quod  etiam  ad  motum,  vel  quieiem  determinatum  fuit  ah  aliquo,  et 
illud  iterum  ab  alio,  et  sir  in  infinitum"  (£th.  II,  prop.  XIII).  Nach  TscanKK- 
HAU8EN  ist  alle  Materie  in  steter  Bewegung  (Med.  ment.  II,  ISO).  Nach 
HoBBES  ist  alles  Naturgeschehen  auf  Bew^egung  ziurückzuführen,  diese  ist  „coti- 
tinua  unius  loci  relictio  et  alterius  acquisitio"  (El.  phil.  VIII,  10).  LoCKE 
erklärt,  die  Bewegung  könne  und  brauche  nicht  definiert  zu  werden  (Ess.  II, 
eh.  4,  §  8  ff.,  II,  eh.  18).  Newton  definiert  die  absolute  Bewegung  als  ,,  Über- 
tragung eines  Korpers  aUfS  einem  absoluten  Ort  in  einen  anderti  absoluten  Orf\ 
die  relative  als  Übertragung  aus  einem  relativen  Ort  in  einen  andern  relativen 
Ort  (Princ.  math.  6,  IV).  Die  wahren  Bewegungen  beruhen  auf  Kräften  in  den 
Körpern  (1.  c.  p.  8).  Nach  Berkeley  ist  alle  Bew^ung  relativ,  ein  einziger, 
isolierter  Körper  wäre  notwendig  unbewegt  (Principl.  CII) ;  in  den  Körpern,  die 
nur  Vorstellungen  sind  (s.  Idealismus)  gibt  es  keinerlei  bewegende  Kräfte. 

Nach  Leibniz  besteht  alle  Bewegung  in  einer  wahrnehmbaren  Lage- 
veränderung der  Körper.  Wirklich  ist  die  Bewegung,  wenn  die  unmittelbare 
Ursache  der  Veränderung  im  Körper  selbst  liegt.  An  sich  ist  die  Bewegung 
Kraftimpuls,  deren  Erscheinung  das  „wofUbegründete  Phäfiomen*^  des  Ortswechsels 
darstellt.  „  Ce  n'esi  qu*un  phenomene  reel,  parceque  la  motiere  et  la  masse,  a  laqueüe 
appartient  le  mouvement,  n'est  pas  ä  proprement  parier  une  suhstatice.  Cepeptdant 
n  y  a  une  image  de  Vaction  dans  le  mouvement,  comme  il  y  a  une  image  de  la  stth- 
stance  dans  la  mcisse;  et  ä  cei  egard  on  peut  dire  que  le  corps  agit,  quand  il  ya  de 
la  spontaneite  dans  son  changemeni^^  (Nouv.  Ess.  II,  eh.  21).  Nach  Che.  Wolf 
ist  Bewegung  „cofitinua  loci  miUatio^^  (Ont.  §  642;  Vem.  Gred.  I,  §  57  k  Cru- 
SiUß:  „Bewegung  ist  derjenige  Zustand  einer  Suhstanx,  da  dieselbe  ihren  Ort 
rerändert"  (Vemunftwahrh.  §  391).  Hole  ACH:  „Le  mourefneni  est  un  e ff  ort, 
par  lequel  un  corps  change  ou  tend  ä  changer  de  place"  (Syst.  I,  eh.  2,  p.  12). 
Bonnet  :  „Si  Vdme  considerani  une  etendue  comme  immobile  voit  un  corps 
s'appliquer  successivement  ä  differents  points  de  cette  etendue,  eile  se  formera  la 
notion  du  mouvement"  (Elss.  de  Psych.  C.  14). 

Nach  Kant  ist  Bewegung  eines  Dinges  „die  Veränderung  der  äußeren  TV- 
hältnisse  desselben  xu  einem  gegebenen  Raum";  Ruhe  ist  „die  beharrliche  Gegen- 
irart  (praesentia  perdurabilis)  an  demselben  Orte^^  (Met.  Anf.  d.  Naturw.  S.  5, 


Bewegung.  143'- 

lOl  Alle  erfahnuigsmäßig  constatierbare  Bew^ung  ist  relativ  (1.  c.  S.  3): 
Bewegung  ist  kein  apriorischer  (s.  d.),  sondern  ein  Erfahrungsbegriff,  weil  er 
&n^  Baum  und  Zeit  die  WaJimehmung  eines  bew^lichen  Etwas  voraussetzt 
(L  c.  S.  4;  Kr.  d.  r.  Vem.  8.  66).  Die  Bewegung  besteht  nicht  an  sich,  son- 
dern ist  Erscheinung  (s.  d.),  objectiver  Erkenntnisinhalt;  so  auch  der  Idealis- 
mus (s.  d.).  Für  SCHOPENHAUEB  ist  die  Bewegung  Objectivation  des  Willens 
ts.  d.).  Für  Herbabt  ist  sie  y^objecHver  Schein"y  „ei7i  natürliches  Mißlingen- 
der tersuchten  räumlichen  Zusammenfasaung*^  während  im  An-sich  der  Dinge 
eich  nichts  verändert  (Met  II,  §  295).  Hegel  bestinunt  die  Ortsbewegung  als 
J'ergehen  und  Sieh'wieder-erxeugen  des  Raums  in  Zeit  und  der  Zeit  in  Raum^, 
iüß  die  ZeU  sieh  räumlieh  als  Ort,  aber  diese  gleichgültige  Räumlichkeit  ebenso- 
unmittelbar  xeitlich  gesetzt  tüird^*  (Naturphil.  §  261).  Die  dialektische  (s.  d.) 
,,Betcegung''  liegt  dem  Seienden  zugrunde.  Hillebrand  erklärt  die  Bewegung 
für  die  „cUlgemeine  Grundform  der  erscheinenden  WirklichJceif",  sie  ist  „cfer 
fmiiw  Ausdruck  der  ursprünglichen  Kraftstellungen  der  Substanzen  für  die 
Anjtehauufig^*  (Phil.  d.  Geist.  I,  108).  Tbendelenbubg  nimmt  Bewegung  im 
weiteren  Sinne  als  f,das  Allgemeinste,  was  im  Denken  und  Sein  vorkammt^^  (Log. 
Uot  I,  143).  Sie  erzeugt  die  Formen  der  Dinge  (1.  c.  S.  266).  Die  ^ycmistruc- 
titt^  Bewegung  ist  die  „allgetneine  Bedingung  des  Denkens ,  eine  geistige  Tat,. 
(Tfifhe  nicht  erst  von  der  ErfaJtrung  abhängt,  aber  diese  möglich  vmcht^^,  das 
ft  priori  (s.  d.)  des  Erkennens  (Gesch.  d.  Kat.  S.  365  ff.).  Czolbe  hält  die 
Bewegung  nicht  für  eine  passive  Wirkung,  sondern  für  eine  „ursprüngliche 
TaiigkeiV^  (Gr.  u.  Ursp.  d.  m.  Erk.  S.  80).  „AnxieJiung  und  Äbstoßung  sind 
niekf  Orfsveränderung  selbst,  sondern  ihre  Ursache^*  (ib.).  Nach  L.  NoiBE  ist 
die  Bewegung  eine  Grundeigenschaft  der  Dinge  (neben  der  Empfindung),  „ob- 
ftivK  Causalität'^  (Einl.  u.  Begr.  e.  mon.  Erk.  S.  135).  „Ihr  Crrund-  und  Ur- 
nnen  ist  aber  nur  räumliche  Differenz,  die  Zeit  gibt  ihr  erst  das  heobaehlende, 
trbnmende  Obfeet**  (ib.).  B.  Hamebung  betont,  die  Bewegung  sei  ein  Leiden, 
m  Passives  (Atom.  d.  Will.  II,  62)  (ähnlich  schon  v.  Hartmann).  Nach 
Helmholtz  ist  alle  Veränderung  in  der  empirischen  Welt  Bewegung,  diese  ist 
<üe  „  Urveränderung^'.  Alle  elementaren  £j*äf te  sind  „Bewegungsh-äfte"  ( A'ortr. 
n.  Red.  I*,  379  ff.).  H.  Sfenceb  erklärt,  die  Darstellung  aller  objectiven  Tätig- 
keiten in  Ausdrücken  der  Bewegung  sei  nur  symbolische  Erkenntnis  (Psychol. 
I.  §  63 ;  First  Princ.  §  16).  Hodgson  definiert  Bewegung  als  „change  in  per- 
*fpts  of  sighi,  tüueh,  or  bath''  (PhiL  of  Reflect.  I,  266).  Nach  Riehl  ist  die 
Belegung,  auf  die  wir  die  Sinnesqualitäten  zurückführen,  nur  ein  in  der  Form 
<ier  Gesichtswahmehmnng  gedachtes,  gedeutetes  Geschehen  (Phil.  Krit.  II,  2, 
N  35).  Nach  Nietzsche  ist  Bewegung  Vorstellung ,  nur  ein  Bild  des  Wirk- 
fielien  in  der  Sinnensprache  des  Menschen,  „Folgeerseheinting"  nicht  Urkraft 
<WW.  XV,  297).  Nach  Wundt  besteht  die  Bewegung  in  der  „relativen  Lage- 
vtdertmg  gegebener  Raumgebild&*,  Die  Ordnung  unserer  Vors tellungs weit  setzte 
ioweit  sie  quantitativ  ist,  die  Bewegung  voraus  (Log.  I*,  S.  518  ff.;  Syst.  d. 
ITüL*,  S,  124  ff.).  Die  objectiven  Relationen  der  Körper  führen  auf  Bew^ungen 
d»  Subetanzelemente  zurück  (Syst.  d.  Phil.*,  S.  437  ff.).  Von  den  inneren 
Eigenschaften  der  Dinge  wird  dabei  geflissentlich  abstrahiert  (Syst.  d.  Phil.*, 
^.  459  ff.).  In  das  Beich  dies  „An-sich"  fällt  die  Bewegung  als  räumlicher 
Vorgang  nicht,  ol^leich  sie  objectiv  begründet  ist  wie  der  Baum  (s.  d.). 

Nach  Rehmke  heißt  Bewegung  „in  aufeinander  folgenden  AugenblicJcen  an 
frrsehiedenen    Orten  sein"   (Gedenkschrift  f.  R.  Haym   S.  109  f.).     Schuppe 


144  Beweg^ang  —  BewegangsTorstellung* 

versteht  unter  Bewegung  yydde  wahrnehmbare  Tatsachey  daß  ein  Subject  sich  in 
einem  folgenden  Zeitpunkte  an  einem  anderen  Orte  befindet  ah  vorher  ^  also  dojt 
•andere  Wo  in  eifieni  andern  Wann"  (Log.  8.  108).  Sie  ist  „Jhnw«  THtigkeit, 
die  verschieden  wäre  von  der  Orisveränderung  selbst'^  (1.  c.  S.  109).  Schubeet- 
SoLDERN  erklärt  alle  Bewegung  für  relativ  (Gr.  e.  Erk.  S.  297).  Sie  ist  nur 
denkbar  als  „räumliehe  BexAehungj  Änderung  der  Lage  eines  Baumteües  xum 
€mdern^^  (1.  c.  8.  300).  Nach  R.  Wähle  präsentiert  sich  uns  die  Bewegung 
„in  der  Sucoession  der  Erscheinung  einer  Fläche  an  verschiedenen  Orten*^.  Dieses 
„Durch-den-Raum-durchgleiten"  ist  etwas  „  Unverstandenes  sui  generis"  (D.  Ganze 
d.  PhiL  8.  101  ff.).  Die  Bewegung  ist  keine  metaphysische  Kraft,  kein  „Factor^. 
Vgl.  Empfindung,  Qualität,  Mechanik,  Phoronomie,  Materie. 

Bewe^^mi^^seiDpfindlliii^en  (kinästhetische  Empfindungen)  sind  die 
an  die  (active  imd  passive)  Ausführung  von  Bewegungen  der  Körperteile  ge- 
knüpften Haut-,  Muskel-,  Sehnen-  und  Grelenkempfindungen  in  ihrer  Vereinigung, 
die  sind  bedeutsam  für  die  Ausbildimg  der  Baumvorstellung  (s.  d.).  Nach 
M.  DE  BiBAN  enthalt  jeder  spontane  ßewegungsact  die  „rSsistance  organique^^, 
„Sensation  musctdaire"  und  „force  hyperorganiqu^*  (Oeuvr.  in^.  p.  par  Cousin 
I,  217).  Nach  Bain  ist  die  Bewegung  ein  Bestandteil  jeder  Empfindung  (s.  d.). 
Ziehen  unterscheidet  active  und  passive  Bewegungsempfindungen  (Leitf.  d. 
ph.  Psych.*,  S.  51).  Wuinyr  rechnet  die  Bewegungs-  oder  Ck)ntractionsempfin- 
dungen  zu  den  „inneren^''  Tastempfindungen  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  57).  KÜUE 
lehnt  den  Namen  „Bewegungsempfindung^^  als  irreführend  ab  (Gr.  d.  Psych. 
S.  146).  Die  Wichtigkeit  der  Bewegungsempfindungen  betont  E.  Mach  (Grund- 
lin.  d.  Lehre  von  d.  Bewegungsempfindungen  1875).  Vgl.  Beaunis,  Sensations 
Internes  eh.  8  ff.,  James,  Princ.  of  PsychoL  C.  26.  VgL  Muskelsinn,  Span- 
nungsempfindungen, Baumvorstellung. 

Be^renraiii^linpiils  s.  Wille. 

Bewesnwgwn^-gfttlvlsmuB  ist  das  Ausführen  entgegengesetzter  Be- 
w^mgen,    als  den  Hypnotisierten  befohlen   wird  (Hellpach,  Gr.  d.  Psych. 

8.  340). 

Be^ires^nii§psTor9teUaii§^  ist  die  Vorstellung  eigener  oder  fremder 
Bewegung.  Mit  ihr  ist  eine  mehr  oder  weniger  starke  Tendenz  zur  Ausführung  der 
Bewegung  verbunden  (vgl.  Stricker,  Stud.  üb.  d.  Wortvorst.).  Nach  Spengea 
besteht  im  unentwickelten  Geiste  schon  ein  (actives)  BewegungsbewuJßtsein  ohne 
Baum-  und  Zeitvorstellung  (Psych.  II,  §  341).  Die  Bewegung  wird  erkannt 
aus  dem  Muskelempfinden,  als  „wechselnde  Reihe  von  Zuständen  der  Muskel- 
Spannung^  d,  h.  von  Empfindungen  des  Widerstandes^^  (1.  c.  §  348).  Sigwakt 
betont,  es  gäbe  kein  unmittelbares  Sehen  einer  Bewegung  im  strengen  Sinne. 
„Nur  durch  eine  Vergleichung  der  Bilder  in  aufeinander  folgenden  Momenteth 
kommen  wir  xu  der  Vorstellung  ihrer  Bewegung"  (Kl.  Sehr.  II",  106).  NiETZBCHS 
bemerkt,  daß  wir  keine  „Bewegtmgen"  wahrnehmen,  sondern  nur  mehrere  gleiche 
Dinge  in  einer  gedachten  Linie  (WW.  XI,  243  f.).  Nach  Ziehen  ist  die  Be- 
wegungsvorstellung das  Erinnerungsbild  einer  Bewegung  (Leitfad.  d.  ph.  Psycli.*, 
S.  18).  Nach  Ebbinghaüs  haben  wir  das  „Bewußtsein  eines  räumlichen  Über- 
gatigeSf  des  continuierlichen  Durchlaufens  einer  Raumstrecke"  (Gr.  d.  Psyclioi. 
I,  467).  Nach  Wundt  beruhen  die  reinen  Vorstellungen  der  elg^ien  Be- 
wegungen auf  inneren  Tastempfindimgen  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  134).    Dazu  koncimt 


BewegungsTorstellung  —  Bewela.  145 


ein  Eriimerungsbild  des  Gesichtssinnes,  das  mit  jenen  (unvollkommen)  ver- 
^hmüzt  (1.  c.  S.  135).  Beim  Blindgeborenen  ist  eine  Verschmelzung  der  Be- 
wegoDgsempfindungen  mit  Localzeichen  derselben  wirksam,  wobei  äußere  Tast- 
empfindongen  unterstützend  hinzutreten  (1.  c.  S.  136;  vgl.  Th.  Hblleb,  Phil. 
i5md.  XI).  Für  die  Vorstellung  der  Lage  und  Bewegungen  des  Gresamtkörpers 
gibt  es  einen  „statisehen  Sinn*'  (s.  d.).    Vgl.  Wille. 

Betrete  {ajtoSBiSiSf  argumentatio,  probatio)  ist  die  Darlegung  der  Prämissen, 
ans  denen  ein  Urteil  (Beweissatz,  Thesis)  als  notwendige  !Folgerung,  als  Behaup- 
tung, der  das  Denken  sich  nicht  entziehen  kann,  hervorgeht.  Beweisen  heißt 
die  Wahrheit,  die  Gültigkeit  eines  Satzes  anschaulich  oder  syllogistisch  (durch 
Schlußverfahren)  dartun  (Beweisform,  modus  probandi).  Der  Beweis  kann 
direet  oder  indirect  (apagogisch,  s.  d.),  objectiv  oder  subjectiv  (ad  hominem,  s.  d.), 
apriorisch  oder  empirisch,  progressiv  (s.  d.)  oder  regressiv  (s.  d.)  sein.  Die 
äatze,  auf  die  der  Beweis  sich  stützt,  heißen  Beweisgründe  („prmctpia  demon- 
Mrondi''),  Die  Beweiskraft  (,jnermts  probandi")  liegt  in  den  Gründen.  Ein 
richtiger  Beweis  darf  weder  zu  viel  noch  zu  wenig  beweisen  (nimium,  parum 
probare),  er  darf  nicht  auf  ein  fremdes  Gebiet  überschweifen  (heterozetesis,  meta- 
basis  eis  allo  genos),  er  soll  stetig,  lückenlos  sein,  keine  falschen  Prämissen 
enthalten  (proton  pseudos),  auf  keinen  erst  zu  beweisenden  Satz  sich  stützen 
{hvsteron  proteron,  petitio  principii,  s.  d.),  keinen  Zirkel  (s.  d.)  beschreiben. 

Zeno  aus  Elea  stellt  ,ßewei8&^  (koyoi)  für  die  Unwirklichkeit  der  Be- 
wegung (s.  d.)  und  Vielheit  (s.  d.)  auf.  Nach  Pbotagorab  gibt  es  bezüglich 
jeder  Sache  zwei  entgegengesetzte  Beweisgründe  —  eine  echt  sophistische  Be- 
hauptung {nQWTOi  i(pri  3vo  Xoyovg  elvat  Ttß^i  navroe  n^yfiazoe  avTixBifidvovi 
al^koii,  Diog.  L.  IX,  8,  51).  Aristoteles  definiert  den  Beweis  als  Schluß- 
verfahren,  durch  das  die  Principien  von  Dingen  (Gründe  von  Urteilen)  dargetan 
werden:  17  anoBtt^ts  fiiv  imi  avXXoytfffiog  Ssixtixos  airias  xai  zov  Bid  ri  (Anal, 
post.  I  24,  85  b  23);  anoSei^iv  Be  Isyat  avXXoyiafiov  inunrifuoviiiov  (Anal, 
post,  12,  71b  squ.);  djioBeiSts  /uv  ovv  ianv,  örav  i^  dkrjd'cäv  xal  n^ortcav 
o  üvXkoyiCfiOQ  fi,  ^  ix  roiovTOfv,  a  8id  rtrofv  n^tartov  xal  dXrjd'tav  lijs  negl  avrd 
yrtomofs  rrfv  dgxv^  aiXrjfev  (Top.  I  1,  100  a  27).  Nicht  alles  kann  bewiesen 
werden,  das  ginge  ins  Endlose;  das  Anschauliche,  die  Principien,  die  Axiome 
(s.  i)  bedürfen  keines  Beweises  (Met.  III  2,  997  a  7,  VII  14,  1039  b  28).  Die 
Principien  werden  durch  aftacoi  nQordaetSf  intuitiv  gewiß  bestimmt;  agxv  B^eaziv 
i^ioBtii^tag  Ttgdzaaig  afteaos  (AnaL  post.  I  2,  72  a  7;  vgl.  Met.  IV  5,  1011a  13). 
Ajristoteles  kennt  den  directen  (Betxvvrai  Bßtxzixwe)  und  indirecten,  apagogi- 
sehen  Beweis  (Anal,  prior.  I,  23,  40  b  25).  Die  Beweisgründe  heißen  ap/ai  zrje 
dnoBeiieofs  (Top.  I,  1).  Sie  führen  schließlich  (formal)  auf  den  Satz  des  Wider- 
spruchs (s.  d.)  zurück.  Die  Stoiker  bestimmen  den  Beweis  als  Xoyov  Bid  zav 
udAXov  xaraXafißavofUvafv  x6  ijttov  xazahifißavofisvov  ytegi  Ttdvtojv  (Diog.  L. 
VII,  1,  4.5);  iimv  ovv  .  ,  ,  rj  dn6Bai(ie  loyog  Bi  bfioXoyov/Aivfov  krififidzüfv  xazd 
9vvay€oy^  inifOQdv  ixxaXvTtziov  dBijXor  (Sext.  Emp.  Pyrrh.  hyp.  II,  135;  adv. 
Hath.  VIII,  310).  Die  Skeptiker  bestreiten  die  Möglichkeit  einer  Beweis- 
fährung,  weil  jeder  Syllogismus  (s.  d.)  ein  Cirkelschluß  sei  (Sext.  Emp.  Pyrrh. 
hyp.  II,  234  ff.),  weil  es  zu  jedem  Beweis  einen  Gegenbeweis  gebe  {icocd'eveia 
zw  ioyefv),  weil  jeder  Beweis  ins  Unendliche  führe  (6  eis  dnet^ov  ixßdkktov)  und 
«  überhaupt  keine  Gewißheit  gebe  (1.  c  I,  164  ff.,  178;  adv.  Math.  VIII,  316  ff.). 
BofiTHicrs  definiert  j/trgumenium^''  als  j^ratio  rei  dubiae  fadens  fidem". 

PhiJoaopbiicli««  Wörterbaob.    S.  Avfl.  10 


146  Beweis  —  Bewußtsein. 


Nach  Thomab  ist  die  ^ydemmistraiio^'^  ein  y^llogistmis  faeiens  seire^^  (Siim. 
th.  I.  II,  54,  2  ad  2).  Die  Scholastiker  überhaupt  unterscheiden  y^emof^ 
stratio  a  priori*'  und  „rfe^w.  a  posteriori^\  femer  „ö?«w.  formalis^^  und  „rfwi. 
materialis"  (GOCLEN,  Lex.  phil.  p.  504). 

Nach  Locke  ist  der  Beweis  ^^n  Darlegen  der  Übereinstimmung  oder  des 
Oegensdtxes  xtceier  Ideen  vermittelst  eines  oder  mehrerer  Qrimde,  die  eine  gleich- 
mäßige^ unveränderliche  und  sichtbare  Verbindung  tnitHnafider  haben"  (Ess.  IV,. 
eh.  15,  §  1).  Kant  betont,  ein  jeder  Beweis  müsse  überzeugend  wirken  (nicht 
bloß  überreden :  Scheinbeweis) ;  er  solle  bestimmen,  was  der  Gegenstand  an  sich 
(xar  aXtjd'siav)  oder  für  uns  {xar  dv&Qomov)  sei;  im  letzteren  Falle  kann  er 
nur  auf  moralische  Überzeugung  Anspruch  erheben,  wenn  ein  praktisches  Ver- 
nunftprincip  zugrunde  liegt  (Kr.  d.  Urt.  §  90).  Unter  „transcendentalem*'  (s.  d.) 
Beweis  versteht  Kant  den  Beweis  objectiver  Gültigkeit  reiner  Begriffe  (Kate- 
gorien, 8.  d.)  imd  ihrer  Synthesen  a  priori  (s.  d.),  y^welcher  xeigt,  daß  die  Er- 
fahrung selbst,  mithin  das  Object  der  Erfahrung  ohne  solche  Verknüpfungen  nickt 
möglich  wäre"'  (BiEHL,  Zur  Einf.  in  d.  Phil.  S.  114  f.).  Nach  G.  E.  ScHixzE 
heißt  beweisen,  „die  Wahrheit  einer  Erkenntnis  aus  einer  andern  dartun  oder 
ableiten}*  ,,Jeder  Beweis  ist  also  eine  Oedankenreihe,  deren  Glieder  so  miteiu- 
afider  verknüpft  worden  sind,  daß  die  Wahrheit,  womit  einige  Glieder,  für  sich 
genommen,  versehen  sind,  auf  die  übrigen  übergeht**  (AUg.  Log.',  S.  169).  Fbies 
versteht  unter  „eineti  Satx  beweisen**  „seine  Wahrheit  aus  der  Wahrheit  anderer 
Sätxe  ableiten**  (Syst.  d.  Log.  §  72).  Lotze  erklärt  den  Bew^eis  als  einen  ,ySchJuß 
(Hier  eine  Schlußkette,  welche  xu  dem  gegebenefi  Satxe  T  die  Prämissen  ergänxi, 
aus  deren  Ineinandergreifen  T  als  denknotwendige  Forderung  herrorgeht**  (Log.*, 
S.  271).  ÜLRici:  „Beweisen  heißt:  einen  Gedanke?i,  eine  Sache  (ein  gedachtes 
Object)  gewiß  und  evident  machen,  also  die  Getcißheit  oder  Eridenx  eifws  Oe- 
dankens  darlegen**,  „die  Denknotwendigkeit  xum  Bewußtsein  bringen**  (Log.  S.  33). 
Nach  Überweg  ist  der  Beweis  „die  Ableitung  der  nuiterialen  Wahrheit  ^ines 
Urteils  aus  der  materialen  Wahrheit  anderer  Urteile**  (Log.*,  §  135).  E.  DÜH- 
ßiNG  bestimmt  den  Beweis  als  „die  Hervorbrifigung  der  Einsicht  in  die  Wahr- 
heit eines  gedanklichen  Satxes  mit  Hülfe  von  anderen  Sätxen**  (Log.  S.  63).  Nach 
SiGWART  besteht  der  Beweis  in  der  syllogistischen  Ableitung  aus  Sätzen,  die 
als  gewiß  imd  notwendig  erkannt  werden  (Log.  II*,  275.)  Wundt  versteht 
unter  einem  Beweis  die  „Darstellung  der  Gründe,  durch  welche  die  Wahrheit 
oder  WaJirscheinlichkeit  eitles  gegebenen,  einen  realen  Erkenntnisinhalt  aussprechefi- 
den  Urteils  festgestellt  trird*'  (Log.  II,  56).  BERGMANN:  „Einen  Satx  betreisen 
heißt  xeigen,  daß  er  aus  Urteilen  von  ofierkannter  Wahrheit  folgt**  (GnmdprobL 
d.  Log.*,  S.  221).    Vgl.  Demonstration. 

BeweUi,    apagogischer,   s.   Beweis.     Beweise  für  das  Dasein  Gottes  s* 
Gott^^beweise. 

Bewelsn^rfinde  s.  Beweis. 

Bewelsverfabren  s.  Demonstration. 

Bewußte  SelbsU&aseliiiiigf  s.  Ästhetik  (K.  Lange). 

Bewnßtlieit  s.  Bewußtsein. 

Bewaßtoein  bedeutet  im  weitesten  Sinne  den  Zusammenhang  der  psy- 
chischen Erlebnisse  in  einem  Individuiun  (Individualbe wußtsein)  oder  inj 
einer  socialen  Gemeinschaft  (Collectivbewußtsein,   Gesamtbewußtsein^l 


Be^mßtsein.  147 


s.  d.).  Bewußtsein  heißt  femer  das  Gattungsmäßige  aller  psychischen  Vor- 
ginge, ihr  gemeinsames  Wesen,  ihr  Charakter  als  Erlebnis,  Für -ein -Ich -sein. 
Vom  Ich  ausgesagt,  ist  das  Bewußtsein  eine  subjective  Tätigkeit,  ein  Zustand, 
HDe  Modification  des  Ich:  actiyes  Bewußtsein.  Von  den  Objecten  ausgesagt, 
ist  es  Bewußtheit,  im  Sinne  von  passivem  Bewiißtsein,  ein  Ausdruck  für  den 
Umstand,  daß  etwas,  ein  Inhalt,  in  den  Zusammenhang  des  Ich  getreten  ist 
oder  sich  bereits  darin  befindet  oder  befunden  hat.  Im  engeren  Sinne  ist  Be- 
wußtsein aufmerksames  Erlebnis,  im  engsten  Sinne  =  Gewußtsein  bezw.  Wissen, 
reflectiertes  Bewußtsein  und  dazu  auch  noch  Selbstbewußtsein.  Das  Bewußt- 
sein ist  keine  für  sich,  gesondert  von  den  Erlebnissen  existierende  Wesenheit, 
Tätigkeit  oder  Eigenschaft,  sondern  in  und  mit  dem  Psychischen  schon  (in  ver- 
schiedenen Graden  der  Activität  und  der  Helligkeit)  gegeben;  in  dieser  Weise 
aber  hat  es  unmittelbare  Wirklichkeit  und  causalen  Charakter,  ist  es  ein  ur- 
sprüngliche, nicht  weiter  ableitbarer  Factor  alles  psychischen  Geschehens.  Es 
^^mthält**  immer  ein  Ich -Moment  imd  eine  Reihe  positiver  Bestimmtheiten 
(Bewußtseinsinhalte).  Jeder  Vorgang,  der  als  „bewtißt^*  charakterisiert  wird, 
ist  insofern  fjBewußtseinsvorgang". 

Der  Begriff  „Bewußtsein"  wird  von  verschiedenen  Philosophen  verschieden 
bestimmt-.  Die  erste  und  älteste  Bedeutung  von  Bew^ußtsein  ist  die  des  Wissens 
um  einen  Vorgang  in  uns.  Das  Bewußtsein  wird  hier  von  den  Inhalten, 
deren  man  sich  bewußt  ist,  als  ein  besonderes  Vermögen  der  Seele  unter- 
tvhieden. 

Der  Keim  zu  dieser  Auffassung  findet  sich  schon  bei  Plato.  Er  weist  auf 
das  Wissen  um  ein  Wissen  (Charmides),  auf  die  Aufnahme  der  Eindrücke  durch 
die  Seele  hin,  auf  deren  Erfassen  des  Gemeinsamen  der  Dinge  durch  sich  selbst 
lavri}  Si*  avf^g  rj  xfrvxv  ''^^  tcoipd  fioi  tpaiverai  Tiapi  ndvxcav  hctaxoTcalv,  Theaet. 
m  D;  vgl.  Phüeb.  21  B,  24  A;  Rep.  508  D).  Ähnlich  spricht  sich  Aristo- 
teles aus,  wenn  er  dem  Gemeinsinn  (s.  d.)  die  Fähigkeit  zuerkennt,  mit  dem 
(lemeinBamen  der  einzelnen  Sinneswahmehmungen  auch  wahrzunehmen,  daß 
wir  wahrnehmen  (aia&avofied'a  on  o^mjmv  xal  dxovoiiev,  De  anim.  III  2,  425b 
12).  Das  Bewußtwerden  der  Wahrnehmung  in  der  Seele  betont  Alexander 
VOK  Afhrodisias  und  nennt  es  awatad'rjoie  (Quaest.  III,  7).  Aber  erst  bei 
(tALEX  erhalt  der  B^riff  des  Bewußtseins  seine  bestimmte  Prägung  im  Sinne 
triner  den  seelischen  Inhalt  begleitenden  Tätigkeit,  eines  Tta^axoXovd'eiv  rfj 
^tavoiq  und  einer  Erkennung  (didyvcaaie)  organischer  Veränderungen  in  der 
Seele  (Opp.  ed.  Kühn,  1821  ff.).  Plotin  sieht  in  dem  na^anoXovd'elv  geradezu  das 
Wesen  des  Geistes.  Das  Bewußtsein  ist  ihm  eine  reflective  Tätigkeit,  eine 
cwaicd^oiSy  ein  Zurückbiegen  des  Gedankens  in  sich  selbst  {dvaxdfjmrovTos  tov 
rorifULxos).  Das  Bewußtsein  {auvtai^)  ist  Tätigkeit,  es  gleicht  einem  Spiegel 
'Enn.  I,  4,  10).  Erst  in  der  Seele  entsteht  das  Innewerden  der  Veränderung  des 
Organismus  (Enn.  IV,  4,  18).  Von  Augustinus  wird  die  Bewußtmachung  eines 
Erlebnisses  der  Tätigkeit  des  inneren  Sinnes  zugeschrieben,  durch  den  wir  ein 
Wissai  um  imser  Empfinden  gewinnen  (De  lib.  arb.  II,  4;  De  trin.  XI).  Wie 
andere  Scholastiker  faßt  Thomas  Aquinas  das  Wort  j^Beicußtsein"  (conscientia) 
ak  Wissen  um  etwas  auf;  „  .  .  .  dicimur  habere  canscientiafn  alicuvus  actus, 
inquantum  seimus,  illum  actum  esse  factum  vel  non  factum"  (Verit.  17,  Ic). 
Diese  Anschauimg  findet  sich  dann  wieder  bei  Locke,  der  in  dem  inneren  Sinn 
ds«  Bewußtsein  der  eigenen  seelischen  Tätigkeit  („</ic  notiee  tchich  the  tnind 
<«fc»  of  its  opercUions",  Ess.  II,  eh.  1,  §  4)  erblickt.    Ähnlich  lehren  Chr.  Wolf, 

10* 


148  Bewußtsein. 

BaümgarteNj  auch  Ejlkt  (s.  lim.  Sinn).  Als  ,,  Wissen  der  Seele  um  sich  sdbst^^ 
definiert  das  Bewußtsein  Gütberlet  (PsvchoL  8.  167),  nachdem  auch  schon 
Fries  es  als  „innere  Selbstansehaaung  des  Geistes"  (Neue  Krit  I,  S.  112)  be- 
stimmt hatte.  TÖNNIES  versteht  unter  Bewußtheit  den  „Complex  von  Erkennt- 
nissen und  Meinungen,  welche  einer  über  den  regelmäßigeti  oder  wahrscheinlichen 
Verlauf  der  Dinge  .  .  .  vor  sich  haben  und  bemäxen  mag,  daher  die  Kemttms 
vofi  den  eigenen  und  fremden,  entgegenstehefiden  (also  xu  iibertcindenden)  oder 
günstigen  (also  xu  gewinnenden)  Säften  oder  Mächtefi"  (Gem.  u.  G^es.  S.  128  f.). 

Eine  zu  den  seelischen  Erlebnissen  hinzukommende  Tätigkeit  oder  Wirkung 
der  Seele  ist  das  Bewußtsein  nach  Leibntz.  Insofern  ist  es  eins  mit  der 
Apperception  imd  als  „eonnaissance  riflexive  de  cet  itai  irUerieur^^  eins  mit  der 
Beziehimg  au&  Selbetbewußstein.  Denn  die  „actes  reflexifs  nous  fönt  penser 
ä  ce  qtii  s'appelle  moi^'  (Monad.  30).  Anderseits  erklart  er,  die  „petiies  per- 
ceptiofis"  würden  einfach  durch  Zuwachs,  Addition,  zu  bewußten  Vorstellungen 
(„distinguer  entre  perception  et  entre  s'apercevoir;  la  perception  .  .  .  derieni 
apperceptible  par  une  petite  addiiion  ou  augmetitaiion" ,  Nouv.  EsA  II,  eh.  9,  §  4). 
Wichtig  ist  der  BegrifiP  der  verschiedenen  Bewußtseinsgrade,  durch  den  sich 
die  Monaden  (s.  d.)  voneinander  unterscheiden,  ein  Gredanke,  der  von  Wundt 
(s.  u.)  wieder  angenommen  wurde.  Mit  dem  Ich  bringt  das  Bewußtsein  in 
Verbindung  auch  Clarke.  Als  Reflexion  des  Geistes  auf  sich  faßt  Hbgel 
das  Bewußtsein  auf.  Es  ist  „Für-sich-sein  der  freien  Allgemeinheit*'  (Encykl. 
§  412).  „Das  Bewußtsein  macht  die  Stufe  der  Reflexion  oder  des  Verhältnisses 
des  Geistes,  seiner  als  Erscheinung,  a/us'*  (1,  c.  §  413;  vgL  §  414).  Das  Selbst- 
bewußtsein im  engeren  Sinne  aber  ist  eine  Elntwicklung  des  Bewußtseins 
(§  424  ff.).  Nach  Braniss  ist  das  Bewußtsein  die  Einheit  des  Sich-ergreifens 
und  Sich-besitzens  (Syst  d.  Met.  S.  185).  Nach  K  Rosenkranz  ist  der  Begriff 
des  Bewußtseins  der  „des  einfachen  Verhältnisses  des  Geistes  xu  sich  als  Sub- 
ject  und  Object'*  (Syst.  d.  Wiss.  S.  406  ff.).  Das  Bewußtsein  ist  der  Act, 
„durch  u?elchen  der  Geist  sich  als  sich  xu  sich  und  xu  anderem  verhedtend  für 
sich  setxt**,  es  ist  „reine  lUtigkeit  des  Geistes",  es  ist  „übersinnlich"  (PsychoL*, 
S.  266  ff.);  es  ist  ein  Act  des  Sich-unterscheidens  des  Geistes  von  allem  Nichts 
Ich  (1.  c.  S.  270).  Maine  de  Biran  betont:  „Le  mot  conseience  ne  signifie 
rien,  si  on  l'entend  autrement  que  se  savoir  soi  avec  une  modificaiion  diffiSrente 
du  soi  puisqu'il  reste  quand  eile  passe"  (Oeuvr.  in6d.  III,  p.  397,  405,  II,  p.  239). 
Und  R.  Hamerlino  bemerkt,  Bewußtsein  sei  „immer  vor  allein  Selbstbewfsßt- 
sein.  Ein  Beicußtsein  ohne  Selbstbewußtsein  ist  undeTÜdHxr^'  (At  d.  WiU.  I,  239). 
„Beicußtsein  ist:  das  Sein  als  Sich-wissen"  (ib.).  Schon  den  Atomen  kommt 
ein  Bewußtsein  zu  (S.  239  f.).  Nach  Carriere  ist  unser  Bewußtsein  „kein 
Zustafid,  sondern  eine  sich  selbst  erfassende  v/nd  dadurch  erzeugende  TSÜgkeit" 
(Ästh.  I,  42).  Nach  Natorp  ist  Bewußtsein  eine  „Bexiehung  auf  das  Ich" 
(Bewußtheit),  eine  ursprüngliche  Tatsache  (Einl.  in  d.  Psychol.  S.  11  ff.). 

Ein  besonderes  Vermögen  ist  das  Bewußtsein  nach  Th.  Reid  und 
DuoALD  Stewart.  Nach  Maass  ist  das  Bewußtsein  jederzeit  von  d^  Vor- 
stellung, deren  wir  uns  bewußt  sind,  verschieden.  Lotze  erklart  das  Bewußt- 
sein als  ,  Jenes  einfache  transitive  Wissen,  welches  alle  Vorstellungen,  Oefuhie 
und  Bestrebungen  dergestalt  durcJidringt,  daß  von  ihnen  allen  ohne  dieses  Oe- 
tmißticerden  gar  nicht  die  Rede  sein  konnte"  (Kl.  Sehr.  11,  124).  Frohbchammeb 
nennt  das  Bewußtsein  „Empfbidimg  der  Etnpfindung  und  ihrer  Arten",  ,/ias 
innere  Licht  oder  Leuchten,  in  welchem  und  durch  welches  wir  in  Anschauungen 


Bewußtsein.  149 


(Sinnemcakmeßtnnmgen},  Vorstellungefi  und  Begriffen  das  Obfective,  Oegenständ- 
liehef  das  andere  uns  Gegenüberstehende  innerlich  naehhilden^*  (Monad.  u.  Weltph. 
S.  39  f.).  £b  ist  der  ^^Zustand  der  Seele,  welcher  beharrt j  gleichsam  stillsteht  im 
tcechselnden  Strom  der  Vorstelluftgen^  Gefühle  und  Willensstrelmngen*^  (Die  Phant 
S.  163).  ScHBLLixo  nimmt  vor  dem  Bewußtsein  eine  Tätigkeit  an,  „die  nicht 
mehr  selbsty  sondern  nur  durch  ihr  Resultat  in  das  Beumßtsein  kommt^^  und  die 
niehtB  anderes  ist  als  ,jdie  Arbeit  des  Zursich-selbst-hommetis ,  des  Sich-hewußt- 
«trdens  selbst**  (WW.  I,  10,  S.  93).  Nach  Heinboth  ist  das  Bewußtsein  „die 
fortwährende  Bestrahlung  des  Selbst  vom  Lichte"  (Psychol.  S.  28).  Das  Ich 
«zeugt  nicht  das  Bewußtsein,  ist  schon  an  dieses  gebunden  (1.  c.  S.  29  ff.). 
Nach  FoBTLAGE  ist  das  Bewußtsein  eine  zum  Vorstellungsinhalt  ganz  neu 
hinzukommende  Eigenschaft  oder  Form  (Syst.  d.  Psych.  I,  54,  58  ff.,  386;  II,  1). 
Eß  geht  aus  einer  „Triebhemmung**  hervor  (1.  c.  I,  62,  53,  81, 108).  J.  H.  Fichte 
bestimmt  das  eigentliche  Geschehen  als  unbewußt.  Das  Bewußtsein  ist  nur  eine 
Eigenschaft,  ein  Zustand  des  Geistes,  keine  ursprüngliche  Tätigkeit,  es  geht  aus 
dem  Triebe  hervor  (PsychoL  I,  152  f.,  157,  162,  II,  39;  I,  81  ff.,  175,  I,  97, 
2C0).  Es  gibt  noch  ein  zweites,  übersinnliches,  transeendentales  Bewußtsein 
I,  97  ff.,  533,  II  y  52).  Steinthal  betrachtet  das  Bewußtsein  als  „eine  xur 
Vbrstellungstätigkeit  der  Seele  oder  xu  den  gebildeten  Vorstellungen  hinxutretende 
Energie  der  Seele^*  (Einl.  in  d.  Sprachw.  S.  132).  E.  V.  Hartmann  erblickt 
im  Bewußtsein  gleichfalls  einen  secundären  Zustand,  eine  „Erscheinung  des 
Unbewußten**  „das  Individualbeunißtsein  ist  nach  Form  und  Inhalt  unproductivy 
rein  reeeptiv  und  bloß  ein  passives  Product,  Begleiterscheinung  oder  Nebe?ierfolg 
Hnbemtßter  Vorgang^*  (Die  mod.  Psych.  S.  122).  Als  Bewußtheit  hat  das  Be- 
wußtsein keine  Grade  (1.  c.  S.  75  f.).  Metaphysisch  ist  es  „die  Stupefaction 
des  Willefis  über  die  von  ihm  nicht  gewollte  und  doch  empfindlich  vorliandene 
EiisUnx  der  Vorstellung**  (Phil.  d.  Unb.»,  S.  404).  L.  NoiBE  meint:  „Das  Be- 
Kußtiterden  geht  aus  defm  Schmerxe,  aus  der  Hemmung  der  Willenstätigkeit 
hervor**  (Einl.  u.  Begr.  e.  mon.  Erk.  S.  195,  198).  Daß  das  Bewußtsein  kein 
areprünglicher  Zustand,  sondern  Product  einer  Tätigkeit  der  Seele  sei,  betont 
auch  Ulkici  (Leib  u.  Seele  318,  323  f.).  —  Secundären  Charakter  hat  das 
Bewußtsein  als  „Epiphänomenon"  bei  HrxLEY,  Maudsley  (Physiol.  of  mind", 
1S76,  C.  4),  Lewe8  (The  physical  basis  of  mind  1877,  C.  4),  Sergi,  Richet, 
Debpine  (vgL  dagegen:  ForiLLEE,  L'^vol.  des  id^s-forces  p.  158  ff.),  Ribot, 
der  es  als  y^rajovtt*^  als  Begleiterscheinung  eines  Nervenprocesses  (Les  maL 
de  la  volonte  p.  8;  vgl.  MaL  de  la  personnal.  u.  Psychol.  Angl.»,  p.  423),  be- 
stimmt, bei  den  Vertretern  des  psychophysischen  Materialismus  (s.  d.),  in 
anderem  Sinne  auch  bei  Lipps  (Grundt.  d.  Seel.  S.  35,  356).  Auch  Nietzsche 
bemerkt:  „Das  Nervensystem  hat  ein  viel  ausgedehnteres  Reich:  die  Bewußtseins- 
i€tU  ist  hinzugefügt**  (WW.  XV,  263).  Das  Bewußtsein  ist  nichts  Actives, 
Schöpferisches,  nur  ein  Mittel  zur  Lebengsteigerung,  ein  Überschuß,  ein  Product 
des  „Willens  xur  Macht**  (WW.  XV,  263,  266,  314  f.,  V,  292).  (Dies  erinnert 
in  Schopenhaueb,  für  den  alles  Bewußtsein  ein  Erzeugnis  des  y^Willens  xum 
Üben**  ist,)  RiEHL:  „Unser  bewußtes  Leben  ist  nur  ein  kleiner  Ausschnitt 
Hnsfres  Ij^bens**  (Zur  Einf.  in  d.  Phil.  S.  160).  „Nicht  irgend  einer  einxehien 
Energiefarm  .  .  .  entspricht  das  Bewußtsein;  sein  objectives  Gegenstück  ist  eine 
Struttur,  der  Bau  des  Nervetisystefns^  getuiuer,  die  durch  diese  Structur  ermög- 
lichte, durch  sie  geleitete  Zusammenordnung  von  Efiergien^^  (1.  c.  S.  159).  Der 
Begriff  eines  ^yAtomhetcußtseitis**  ist  sich  selbst  widersprechend  (ib.).     Das  Be- 


150  Bewußtsein. 


wußtsein  ist  entstanden,  „ja  eigentlich  ist  es  in  jedem  Attgetiblick  neu  enUtteketid, 
es  ist  ein  Proceß^  eine  Äctiritätf  kein  Ä«n"  (1.  c.  S.  161).  JODL  betont  gleichr 
falls  den  secundären  Charakter  des  Bewußtseins  (Lehrb.  d.  Psych.  S.  67,  H4, 
86  ff.).  Es  ist  eine  intennittierende  Function  (S.  119),  keine  beöondere  Qualität, 
Bondern  die  „Eigefischaft,  ireicfw  das  Wesen  der  psychischen  Phä9umiene  aus- 
macht^' (S.  111).  Daß  allgemeinste  Merkmal  des  Bewußtseins  ist  ,4if  Innerlich- 
keit eines  lebe}uitn  Wesens^  welches  sich  in.  der  Entgegensetzung  von  Object  und 
Siibjeci  oder  eines  Inhalts  und  des  auffassenden  Wesens  oder  seiner  Tätigkeit 
kundgiW-  (S.  91).  Zu  unterscheiden  sind  primäre,  secundäre,  tertiäre 
ßewußtseinserregimgen  (B.  139  u.  ff.). 

Als  Eigenschaft  des  Vorstellungsvermögens,  der  Vorstellungen 
selbst  wird  das  Bewußtsein  bestimmt  von  Malebraxche  (Rech.  III,  2,  7), 
Locke  (Ess.  II,  eh.  I,  §  9),  James  Mill  (Analys.  of  the  phen.  I,  p.  224). 
HUME  set^t  Bewußtsein  und  „innerlich  vergegenwärtigte  Vorstellung^^  gleich 
(Treat.,  übers,  von  Lipps,  Anhang,  S.  363.)  Nach  Bonnet  ist  Bewußtsein  ein 
„Hentiment  distvncf*  (Ess.  d.  Psych.,  eh.  38).  Nach  Herbabt  ist  BewußtBein 
„die  Gesamtheit  alles  gleichzeitigen  ^  icirklichen  Vorstellens^'  (Lehrb.  z.  Psych. 
S.  16;  Psych.  I,  §  48).  Ähnlich  lehren  Waitz  (Lehrb.  d.  Psych.  §  57)  iind 
Volkmann  (Lehrb.  d.  Psych.  I*,  169).  Nach  Clifford  ist  das  Bewußtsein 
(»in  Complex  von  Empfindimgen  und  Reproductionen  von  solchen  (Von  d.  Nat. 
d.  Dinge  an  sich  S.  39,  42  f.),  so  auch  Lotze  (Med.  Psychol.  S.  loff.),  Fechxek 
(Elem.  d.  Psychophys.  I,  13  f.,  II,  452  ff,).  J.  Bergmann  nennt  Bewußtsein 
„jedes  Percipicren,  jedes  Irgend  wie- Kunde^nehmen-ron-ettcas"  (Sein  u.  Erk.  S.  14.^). 
„Es  gehört  xur  Natur  des  Bewußtsei fiSj  eincfi  Inhalf  7nit  mannigfachen  und  fort- 
während  wechselnden  Unterschieden  xu  bemtxen'^  (S.  147).  —  Nach  Brentano  ist 
Bewußtsein  „jede  psychische  Erscheinimg,  insofern  sie  einen  Inhalt  hat*.  Das 
Gerichtetsein  auf  ein  Object  ist  dem  Bewußtsein  wesentlich  (Psych.  I,  181). 
A.  Höfler  definiert:  „Beicußtsein  im  ursprünglichen  Sinm:  fieicußt-sein*^  heißt: 
ein  wahrgenommener  oder  wenigstens  wahrnehmbarer  psychischer  Act  sein.  — 
Bewußtsein  im  xusawmen fassenden,  Sinne  .  .  .  heißt  der  Inbegriff  aller  psy- 
chischen Erlebnisse  je  eifies  Individuums^''  (Psychol.  S.  274).  Ein  psychischer 
Vorgang  ist  bewußt  ==  gewußt,  „wenn  und  insofern  er  Gegenstand  eines 
Wahr  n  eh  mungs  urteil  es  wird'"  (S.  273). 

Als  die  allgemeinste  Eigenschaft  aller  psychischen  Processe,  als  das 
ihnen  Gemeinsame,  als  deren  Inbegriff  sieht  das  Bewußtsein  HORWIGZ  an 
(Psych.  Analys.  III,  3).  Bewußtsein  bedeutet  dreierlei:  1)  die  Eigenschaft,  sich 
eines  Inhalts  bewußt  werden  zu  können,  2)  einen  zeitweiligen  Zustand  der  Be- 
wußtheit eines  Inhalts,  3)  den  Bewußtseinshorizont  (I,  156  f.).  Nach  Czolbe 
ist  das  Bewußtsein  „als  gemeinsamer  Bestandteil  der  Empfindmigen  und  GefiMe 
xn  betrachten''  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  194  f.).  Volkelt  bestimmt  das 
Bewußtsein  als  „eine  Mannigfaltigkeit  qualitativ  verschiedcfwry  empirisch  unah- 
leitharer,  einfacher  seelischer  Fmwti<ynen''  (Zeitschr.  f.  Phil.  112.  Bd.,  8.  237). 
Nach  Dessoir  ist  das  Bewußtsein  im  weitesten  Sinne  ein  „Kennxeichefi  aller 
seelischen  Vorgänge'^  im  engeren  Sinne  eine  „vorherrsc/wnde  Synthesenbildung'^ 
(Doppel-Ich  S.  54).  H.  Cornelius  erklärt,  Bewußtsein  sei  ein  allgemeiner 
Ausdruck  für  die  gemeinsame  Eigentümlichkeit  aller  psychischen  Tatsachen 
(Psychol.  S.  16).  Es  gibt  nur  concrete  Bewußtseinsinhalte  (ib.).  Nach  Wuxdt 
besteht  das  Bewußtsein  darin,  „daß  wir  überhaupt  Zustände  und  Vorgänge  in  upts 
ßiuieUj  und  dasselbe  ist  kein  von  diesen  imwren  Vorgängen  xu  trennender  Zustand'^ 


Bewußtsein.  15J 

Es  ist  keine  Schaubühne,  kein  geistiger  Vorgang  neben  anderen,  sondern  ein 
Aufdruck  für  die  Tatsache,  dafi  wir  innere  Erfahrungen  haben.  Eine  Vor- 
stellung haben  und  sie  im  Bewußtsein  haben,  ist  ein  und  dasselbe.  Bevt^ußtsein 
ist  ,jdas  unmittelbare  Gegebensein  unserer  innerefi  Erlebnisse^^  Es  ist  eine  Ab- 
straetion  von  den  einzelnen  allein  wirklichen  Vorgängen  unserer  innem  Erfah- 
rung. Im  engeren  Sinne  ist  Bewußtsein  die  „allgemeine  Verbindung  der  seelischen 
Erlebnisse  .  .  .,  aus  der  sich  die  eifixelnen  Gebilde  als  engere  Verbindungen 
herausheben^^.  Dieser  Zusammenhang  ist  teils  ein  simultaner,  teils  ein  suc- 
ressiver.  Es  gibt  Grade  des  Bewußtseins.  Der  „relative  Umfang  des  Be- 
imßti^ins^'  kann  experimentell  festgestellt  werden  (Grundr.  d.  Psych.*,  S.  243  ff., 
(Jidz.  d.  ph.  Ps.  II*,  254,  Vorl.«,  S.  253  ff.,  Ess.  8,  S.  208,  Eth.«,  S.  434  f., 
Syst  d.  PhiL*,  S.  558  ff.).  Alles  Geistige  ist  bewußt.  Das  Bewußtsein  kommt 
in  verschiedenen  Graden  der  Klarheit  (s.  d.)  überall  vor,  von  dem  „Momentan- 
betrtißtsein'"^  (s.  d.)  der  einfachsten  Wesen  an  bis  zu  den  höchsten  Graden  der 
Apperception  (s.  d.).  Külpe  versteht  unter  Bewußtsein  (psychologisch)  alles, 
^jra*  tofi  erlebetiden  Individuen  abhängig  isf*^ ;  es  ist  die  Summe  alles  Psychischen 
(Gr.  d.  PsychoL  S.  3).  So  auch  G.  Villa  (Einl.  in  d.  Psychol.  S.  282,  307  ff.), 
ähnlich  H.  Spencer,  Baik,  James  (Princ.  of  Psychol.  I,  C.  9  u.  10),  Sülly, 
Baldwik,  Laj>d,  Höffding  (Psychol.  S.  60  ff.).  Ziehen  setzt  bewußt  mid 
psychisch  gleich  (Leitfad.  d.  ph.  Ps.*,  S.  3  f.).  Nach  Zieolee  bezeichnet  „Ä?- 
trufifsein*^*  1)  jden  Zustand  oder  die.  Eigenschaft  des  seelischen  Vorgangs ^  trodurch 
derselbe  als  betcußter  bezeichnet  icird  —  die  Beteußtheit,  das  Bewußtsein,  dajt 
passire  oder  .  .  .  das  adjectinisclie  Bewußtsein'^  2)  den  ,yZustand  oder  die  Tätig- 
keit des  SubfectSf  wodurch  der  seelische  Vorgang  seine  Eigenschaft  erhält,  die  das 
Bewußtsein  hervorrufetule  Function  des  Subjects  —  Bewußtsein  im  etigeren  Sinn, 
aetices  Bewußtsein'^  (D.  Gef.*,  S.  30).  Stufen  und  Grade  des  Bewußtseins  sind 
zu  unterscheiden.  Wie  nach  Wundt  und  Höffding  (Psych.*,  431)  das  Be- 
wußtsein im  Grunde  Willenstätigkeit  ist  (s.  Wille),  so  nach  Ziegleb  Gefühl 
(B.  d.).  W.  Jebusalem  nennt  Bewußtsein  „das  Erleben  psychischer  Phänomene''', 
jiie  den  rerschiedenen  psych isehefi  Vorgängen,  dem  Denken,  dem  Fühlen,  dem 
Wollen  gemeinsamen  Züge,  die  allgemeine  Eigefischaft  aller  psychischen  Phäno- 
rnene"  (Lehrb.  d.  Psych.',  S.  2).  Bewußt  sei  nszust  and  ist  „jeder  wirklich 
erlebte  psychische  Vorgang  in  seiner  vollen  individuellen  BcMiymntheii  und  itidiri- 
duellejt  Färbung^^  Bewußtseinsinhalte  sind  „Gruppen  ron  Objecten,  die  sich 
aus  der  Gesamtheit  unserer  jeweiligen  Erlebnisse  leicht  herrorlteben  und  durch 
unsere  Aufmerksamkeit  isolieren  lassen''  (S.  2).  Drei  Entwicklungsstufen  des 
Bewußtseins  sind  zu  unterscheiden:  primäre,  secundäre,  tertiäre  Phänomene 
<S.  26  f.). 

Auf  die  Stärke  des  erregten  seelischen  Seins  führt  das  Beviiißtsein  Beneke 
zurück  (Lehrb.  d.  Ps.«,  §  57;  Neue  Psych.  S.  171  ff.;  Pragm.  Psych.  I,  §  4). 
E.  H.  Webee  betont  die  Wirksamkeit  der  Aufmerksamkeit  zur  Bewußtmachung 
der  Empfindungen  (PhysioL  Wörterb.,  hrsg.  von  R.  Wagner,  S.  487),  so  auch 
WrxDT  u.  a.  (s.  Aufmerksamkeit,  Apperception).  —  Fechner  nennt  das  Be- 
wußtsein „ein  Sein,  das  weiß,  wie  es  ist,  und  ganx  so  ist,  wie  es  weiß,  daß  es 
ist'  (Üb.  d.  Seelenfr.  S.  199).  Bewußtsein  und  ünbewußtsem  sind  nur  relativ 
verschieden  (2iendav.  I,  282  ff.).  Niedere  Bewußtseinseinheiten  sind  in  höheren, 
alle  aber  in  der  höchsten  Be>\'ußtseinseinheit,  Gott  (s.  d.),  eingeschlossen.  „Das 
Bewußtsein  der  endlichen  Geschöpfe  ist  .  .  .  eifw  periodische  Fufietion,  indetn  es 


152  Bewußtsein. 


immer  von  Zeit  xu  Zeit  mit  Unbeumßtsein  icechselt"  (S.  284).    Wie  Hebbart 
spricht  Fechnee  von  einer  Schwelle  (s.  d.)  des  Bewußtseins. 

Das  vereinheitlichende  (synthetische)  Moment  des  Bewußtseins  betont 
Kant  (nachdem  schon  Priscian  das  Bewußtwerden  der  Empfindung  in  die 
vereinheitlichende  Zusammenfassung  imd  Zuspitzung,  anooco^v<p(oaiSy  der  Einzel- 
eindrücke gesetzt  hatte,  Siebeck,  G.  d.  Psych,  I,  2,  348).  Bewußtsein  ist  „  Tätig- 
heit im  Zusammenstellen  de^  Mannigfaltigen  der  Vorstellung  nach  einer  Regel 
der  Einheit  desselben"  (Anthrop.  I,  §  7).  Es  gibt  ein  empirisches  und  ein 
transcendentales  Bewußtsein,  das  auf  der  tr.  Apperception  (s.  d.)  beruht. 
,jAlles  empirische  Bewußtsein  hat  aber  eine  notwendige  Beziehung  auf  ein  trän- 
scenderUales  (vor  aller  besonderen  Erfaknmg  vorhergehendes)  Bewußtsein,  nämlich 
da^  Bewußtsein  meiner  selbst,  als  die  ursprüngliche  Apperception"  (Krit.  d.  r.  V. 
S.  127  f.;  WW.  IV,  5(X)).  Das  „Bewußtsein  überhaupf'  ist  das  allgememe, 
objective,  überempirische,  überindividuelle  Bewußtsein,  das  rein  erkennende,  Ein- 
heit setzende,  gesetzmäßig  verknüpfende  Bewußtsein.  Bewußtsein  heißt  bei 
Kant  oft  jjOemüt"  (Kr.  d.  r.  V.  S.  76  u.  ö.).  Die  Einheitsfunction,  die  syn- 
thetische Kraft  des  Bewußtseins  wird  nicht  bloß  von  strengen  Kantianern, 
sondern  auch  von  Wundt,  Höffding  u.  a.  (s.  Synthese)  betont.  Nach  G.  Ger- 
BER  ist  Bewußtsein  „rfie  Gesamtheit  des  von  uns  Gewußten,  sofern  es  in  dem- 
selben Äugenblick  als  Einheit  vom  Ich  hervorgebracht  wird"  (Das  Ich,  S.  221). 
Spencer  erklärt:  „Betcußtsein  haben  heißt  denken;  denken  heißt  Eindrücke  und 
Ideen  xiisammenordnen ;  dieses  tun  heißt  das  Suhject  von  inneren  Verändertingetr 
sein"  Kein  Bewußtsein  ohne  Veränderung  (Psychol.  I,  §  377).  Nach  H.  T.  Stein 
ist  das  Bewußtsein  y^gleichsam  die  Fähigkeit,  mehreres  an  eitler  Stelle  xu  ver- 
einigen" (%^orle8.  üb.  Ästh.  S.  3);  es  ist  „triebartig"  (1.  c.  S.  9).  Nach  L.  Busse 
ist  alles  Bewußtsein  „einheitliches  und  vereinheitliciiendes  Bewußtsein",  die  ein- 
zelnen Vorstellungen  sind  „nur  al^  einxelne  Momente  des  eitiheülichen  Betcußt- 
Seins  möglieh  und  wirklich"  (Geist  u.  Körp.  S.  226). 

Einige  finden  das  Wesen  des  Bewußtseins  im  (beziehenden)  Unterscheiden. 
So  zunächst  Chr.  Wolf  :  „  Wir  finden  demnach,  daß  wir  uns  alsdann  der  Dinge 
heicußi  shid,  wenn  wir  sie  voneinander  unterscheiden"  (Vem.  Ged.  von  Gott  .  .  . 
I,  §  729).  Sulzer  bemerkt:  „Die  Philosoplien  verstehen  durch  daß  Wort  Be- 
wnißtsein  diejenige  Handlung  des  Geistes,  wodurch  wir  unser  Wesen  von  den 
Ideen,  welche  uns  beschäftigen,  unterscheiden  und  also  deutlich  wissen,  wai<  wir 
tun  und  was  in  uns  vorgeht"  (Verm.  Sehr.  II,  200).  Tetens  bestinunt  da?> 
Bewußtsein  („GewaJtmeJimen")  als  ein  Unterscheiden.  „Sich  einer  Sache  bewußt 
sein,  drücket  eifien  fortdauernden  Zustand  aus,  in  welchem  man  einen  Gegenstand 
oder  dessen  Vorstellung  unterscheidet  und  sich  selbst  dazu"  (Ph.  Vers.  I,  21)2  f.). 
E.  Reinhold  setzt  das  Bewußtsein  in  das  „Bcxogenicerden  der  bloßen  Vorsfcllttng 
auf  das  Obfeet  und  Subjeci"  (N.  Theor.  d.  Vorst.  II,  32).  Der  „Saix  des  Be- 
W7ißtseir\s"  lautet:  „Im  Betcußtsein  wird  die  Vorstellung  vom  Vorstelletidcn  und 
Vorgestellten  unterschieden  und  auf  beides  bezogen"  (S.  235).  Nach  Chr.  Schmidt 
ist  Bewußtsein  „das  wirkliche  Beziehen  oder  Bexogenwerden  eifier  Vorstellung  auf 
ihr  Object  und  Subject"  (Emp.  Psych.  S.  184).  J.  G.  Fichte  gründet  das  Be- 
wußtsein auf  die  Trennimg  der  absoluten  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.)  in  Object 
und  Subject  (Gr.  d.  g.  Wiss.  §  1  ff.).  In  allem  Bewußtsein  ist  „etiras,  dessen 
man  sieh  bewußt  ist,  und  das  nicht  das  Bewußtsein  selbst  ist^'  (Syst  d.  Sitt. 
S.  13).    Nach  Ulrici  ist  das  Bewußtsein  imterscheidende  Tätigkeit,  insbesondere 


Bewußtaein  —  Bewußtsein,  besseres.  153 

lüch  Ph)dact  der  Selbstimterscheidung  der  Seele  von  den  Objecten  (Leib  u.- 
Me  S.  293,  318,  323  f.;  Log.  S.  19), 

Uphueb  unterscheidet  „bewußt  werden^^  und  „ofe  bewußt  aufgefaßt  werden" ; 
erstffes  eignet  den  Sinnesqualitäten ,  letzteres  den  Gefühlen  (Wahm.  u.  Empf. 
i^.  66^).  „Es  gibt  Bewußtseinsinhalte j  die  nicht  als  Beicußtseinsxustände  betrachtet 
werden  können.  Zu  diesen  gekoren  die  SinneseindrücJce  oder  sinnli'Chen  Qualitäten. 
Sie  bilden  den  Gegenstand  der  äußeren  Wahrnehmung.  Die  Bewußtsemsxttstände 
hingegen,  die  Gefühle,  Empfindvfngen ,  Wahrnehmungen y  Vorstellungen  sind 
Gegenstand  der  innern  Wahrnehmung^*  Q..  c.  S.  V).  „Beunißtheit**  ist  das  Gattungs- 
ffleitmal  aller  Bewußtseinsvorgänge,  „Bewußtsein*^  meint  entweder  dies  oder 
(irappeo  von  Bewußtseinsvorgängen  (Psych,  d.  Erk.  I,  127). 

Nach  £.  DÜHBING  bestehen  die  seelischen  Vorgänge  „in  der  subje-ctiveti, 
immer  wieder  unterbrochenen  Einheit  nur  durch  die  gedanklieh  umsjyannende 
Zusammenfassung  stets  wiederholter  Beproductionen**  (Log.  S.  202).  K.  Lange 
sieht  im  Bewußtsein  ein  „Zusammenwirken  der  verschiedenen  geistigen  Arbeits- 
fffUren  derart,  daß  jedes  einzelne  von  ihnen  eine  Controlle  über  die  anderen  aus- 
i^  (Wes.  d.  Kunst  I,  394). 

Nach  E.  Habgeel  ist  das  Bewußtsein  eine  „mechanische  Arbeit  der  Qanglien- 
idUn,  und  als  solche  auf  ehemische  und  physikalische  Vorgänge  im  Plus?na 
iendben  xurückxufiihren**  (Der  Mon.  S.  23).  M.  Benedict  bestimmt  es  als 
eine  ,^genartige  Umsetxung  äußerer  physikalischer  wid  innerer  biochemischer 
Kräfte  in  eine  neue  .  .  .  Seelen-Kraft- L/eistung"  (Seelenk.  d.  M.  S.  34).  Nach 
Ostwald  sind  die  Bewußtseinserscheinungen  Wirkungen  oder  Eigenschaften 
der  ^ervenenergi^*  (Vorl.  üb.  Naturphil.«,  S.  382,  393)..  Du  Boi8-B^ymond 
ffüärt  die  Entstehung  des  Bewußtseins  für  ein  unlösbares  Weltrat«el  (Grenzen 
i  Naturerk.,  Sieben  Welträts.  Bd.  I,  387  f.). 

Die  Idealisten  setzen  vielfach  Bewußtsein  und  Sein  als  eins.  Die 
Knge  (8.  d.)  sind  ihnen  nur  (actuelle  oder  potentielle)  Bewußtseinsinhalte.  So 
Wonders  die  Immanenzphilosophie  (s.  d.).  Schuppe,  der  im  Sein  ein 
Bewußtsein  findet,  versteht  unter  letzterem  nicht8  als  das  unmittelbar  Gegebene 
ÄToßt  (Log.  S.  23).  V.  Schubert-Soldern  erklärt:  „Es  gibt  kein  Seiendes, 
^  nitht  Bewußtes  wäre,  und  es  gibt  nichts  Bewußtes,  das  nicht  Seiendes  wäre'' 
iGr.  e.  Erk.  S.  7).  Bewußtsein  ist  kein  selbständiges  Moment,  sondern  „Oe- 
f^ff^in  van  Itihalten  überhaupt^',  es  geht  in  den  Dingen  völlig  auf  imd  kann 
fiiff  in  abstracto  von  ihnen  geschieden  werden  (S.  72).  Sich  eines  Datums  be- 
wußt sein  heißt,  „daß  eben  dieses  Datum  in  irgetid  einer  Bexiehung  xu  jenem  .  .  . 
H  Hteht'  (S.  9).  REEn£S£  nimmt  ein  absolutes,  allumfassendes,  concretes, 
tehöpferisches  Bewußtsein  an,  das  die  für  alle  Individuen  gemeinsame  Bewußt- 
wnsiform  bildet.  Alles  Psychische  ist  als  solches  bewußt  (Allg.  Psych.  63,  67, 
^^  ff.,  144,  455  ff.,  464).  Bewußtsein  ist  „das  unmittelbare  Seelengegebene'' . 
Jirundmomenfe^*  des  Bewußtseins  sind  das  Siibject  und  die  Inhalte  (1.  c.  S.  49). 
Ei  gibt  gegenständliches,  zuständliches,  ursächliches  Bewußtsein  (1.  c.  S.  148  ff.).. 
Die  ßewußtseinseinheit  ist  etwas  Ursprüngliches  (1.  c.  S.  155,  452  ff.).  Auch 
Xatorp  und  RlCKERT  sprechen  von  einem  „Beicußlitein  überhaupt*^  Vgl.  Un- 
^»fwußt.  Psychisch,  Wissen,  Subject. 

BeimUtfi^ln,  absolutes,  s.  Be^iißtsein  (Rehmke). 

BewvOtfi^lii,  besseres,  wendet  sich,  im  Unterschiede  vom  „xeitlichen"^ 
^vüßtsein,  von  der  Bejahimg  des  Willens  zum  Leben  ab:  Schopenhauer 
te.  ParaL  g  345). 


154  Bewußtsein,  doppeltes  —  Beiiehungsdiapositionen. 


BewnOteeln^  doppeltes  (double  conscience),  nennt  man  die  krankhafte 
Spaltung  des  Ichbewußtseins  (s.  d.).    Vgl.  Doppel-Ich. 

BeifTUßtseln,   empirisches  und  transcendentales,  s.  Bewußtsein. 

(Kant). 

BewnOtselnseiiilieit  s.  Einheit. 

BewnOtseliiHeleiiieiite  s.  Elemente. 

BewnßteeinHeng^e  („narrowness  of  eonsciouatiess^^)  nennt  Locke  die 
Beschränkung  des  jeweiligen  Bewußtseins  auf  wenige  Inhalte  (Ess.  II,  eh.  10, 
§  2).  Später  hat  man  in  verschiedener  Weise  den  Umfang  des  Bewußtseins  zu 
bestinmien  gesucht,  so  besonders  Wundt  (Grdz.  d.  ph.  Psych.  II*,  S.  246  ff.; 
Gr.  d.  Psych.",  S.  251,  255).  Nach  R.  Wähle  ist  die  Enge  des  Bewußtseins 
nur  eine  ,^Engr  der  Aufmerksamkeit^  (Das  Ganze  d.  Phil.  S.  377).  jjEnge  der 
Auflncrknamkeit^^  nennt  Kreibig  die  Tatsache,  yjdaß  die  Aufmerksamkeit  im 
gleichen  Augenblieke  nur  einer  bestimmten  geringen  Anzahl  von  Vorstellungen^ 
irelche  associatir  oder  auf  andere  Weise  xusammenhängen,  xugetcendet  tcerden 
kann"^  (Die  Aufmerks.  S.  14  f.). 

Bewnßtseiniiierrei^iuig  s.  Bewußtsein.  Bewußtseinsgrad  s.  Be- 
wußtsein. Bewußtseinsimmanent  s.  Immanent.  Bewußtseinsinhalt 
s.  Bewußtsein.  Bewußtseinspsychologie  s.  Psychologie.  Bewußtseins- 
schwelle 8.  Schwelle.  Bewußtseinstätigkeit  s.  Bewußtsein,  Tätigkeit. 
Bewußtseinsumfang  s.  Bewußtsein.  Bewußtseins  Vorgang  s.  Be^^nißt- 
sein.    Bewußtseinszustand  s.  Bewußtsein. 

Bezielieii«  Besieliangr  s.  Bektion. 

Bezielimiseii,  Methode  der,  dient  nach  Herbabt  der  philosophischen 
^^Bearbeitung  der  Begriff&^,  Sie  sucht  die  Beziehungspunkte  oder  notwendigen 
,yErgün\ungsl)egriffe}^  auf,  diurch  welche  die  yyWidersprüehe*'  (s.  d.)  der  formulen 
Begriffe  (Ding,  Ich  u.  dgl.)  beseitigt  werden.  „/«  dmn  Zusammen,  also  in  den 
Formen  des  Gegebenefiy  icie  sie  dttreh  Begriffe  xunäehst  gedacht  werden,  müsseti 
Widersprüche  stecken.  Die  Speculation  wird  diese  Widersprüefw  ergreifen  und 
i>ie  loben,  indeyn  sie  die  Formen  ergänxf,  d.  h.  indem  sie  den  durch  die  Er^ 
fahrung  dargebotenen  Begriffen  diejenigen  Begriffe  hinxufOgt,  icorauf  dieselben 
sich  not  trendig  bexiehen"^  (Hauptp.  d.  Met.  S.  14,  8). 

Besieliiuigrsbeg^rilfe  sind  Begriffe,  die  Beziehungen,  Belationen  (s.  d.) 
zum  Inhalte  haben.  Nach  Dbobisch  entstehen  sie  durch  eine  Svnthese  dei 
einzelnen  Glieder,  die  einen  Begriff  construieren  (Log.  4,  S.  157).  Nach  WuNDT 
haben  die  j,reinen  Bexiehungs-  oder  Verstandesbegriffe^*^  Beziehungen  des  logisches 
Denkens,  die  auf  die  Objecte  des  Denkens  übertragen  werden,  zum  Inhalte. 
Sie  sind  nicht  Gattimgsbegriffe,  sondern  entspringen  „aus  der  gesonderten  Auf 
fassung  gewisser  Bexiehungen^  die  unser  Denken  xicischen  seinen  Vorstell ungept 
auffindet''^.  Sie  sind  nicht  apriorische  Kategorien,  sondern  „die  letxten  Stufet^ 
Jener  logischen  Verarbeitung  des  Wahmehmungsinhaltes ,  die  mit  den  ern- 
^irischen  Ein \ei begriffen  begonnen  haf^  (Log-  I*»  S-  103,  121,  461;  Syst,  d 
PhU.«,  S.  219,  225  ff.,  228;  Phü.  Stud.  II,  KU  ff.,  VII,  27  ff.).  VgL  Kate 
frorien,  Verstandesbegriffe,  Relation. 

Bezietaan^dispositionen  entstehen  durch  Einübung  wiederholt« 

Beziehimgstätigkeit  (Lipps,  Gr.  d.  Seel.  S.  84  f.). 


\ 

Bralehiingsgefühle  —  Bildung.  155 


BeBielilui£^0§^flillle  entstehen,  nach  Höffdikg,  aus  dem  Gegensatze 
des  Neuen,  ungewohnten  zum  Alten,  Bekannten  (Psychol.*,  S.  387  f.).  Sie  sind 
nach  A.  Lehmann  Grefühle,  die  „<m/ä  etTiem  Einklang  oder  einem  Streit  xitriscfien 
Gtdanim  über  ein  bestimmtes  Object  hervorgehen^^  „formelle  Gefühl^''  (Grefühlsleb. 
5^.  227). 

BeslebimgSg^esetK,  allgemeines,  s.  Webersches  Gesetz. 

Resielilliif^flf^esetse^  psychologische,  sind  eine  Klasse  der  Grund- 
«[esetze  des  psychischen  Geschehens.  Sie  geben  sich,  nach  Wündt,  „vorxitgs- 
veifp  in  den  Processen  zu  erkennen,  die  der  Entstehung  und  unmittelbaren 
^trhsfhrirkttng  der  psychischen  Gebilde  xugrufide  liegen*^  (Gr.  d.  Psych.*, 
S.392).  Drei  allgemeine  Beziehungsgesetze  lassen  sich  unterscheiden:  „die  Öe- 
^^e  der  psychischen  Resultanten,  Relationen  und  Contrasfe^^  (1.  c.  S.  393). 
Jhi  Geseix  der  psychischen  Resultanten  findet  seiften  Ausdruck  in  der 
Tatsnche,  daß  jedes  psychische  Gebilde  Eigenschaften  xeigt,  die  xwar,  nachdem 
ii^  gegeben  sind,  aus  deyi  Eigenschaften  seiner  Elemente  begriffen  irerden  können, 
dif  aber  gleichtrohl  keineswegs  als  die  bloße  Summe  der  Eigenschaften  jener 
Bnn^nte  anzusehen  sind^*  (1.  c.  S.  393  f.).  In  diesem  Gesetz  kommt  das 
.ßrineip  schöpferischer  Synthese^^  (s.  d.)  zum  Ausdruck  (1.  c.  S.  394).  „Dc^ 
Oes^tx  der  psychischen  Relationen  bildet  eine  Ergänzung  zu  dem  Gesetz 
4rr  Restiitanten,  indem  es  sich  nicht  auf  das  Verhältnis  der  Bestandteile  eifies 
jiiyekiscli^n  Zusammenhangs  zu  dem-  in  diesem  zum  Ausdruck  kommenden 
Weriinhalte,  sondern  auf  das  Verhältnis  der  einzelnen  Bestandteile  zueinander 
hexieht.  Wie  das  Gesetz  der  Residtanten  für  die  synthetischen,  so  gilt  daher 
4as  Gesetz  der  Relationen  für,  die  afuilgtischen  Vorgänge  des  Beieußtseins^^ 
(l  c.  5?.  396).  Es  gelangt  zu  seinem  vollkommensten  Ausdruck  in  den  Vor- 
»n^nen  der  ^^pperceptiven  Analyse"  und  den  ihnen  zugrunde  liegenden  Func- 
tionen der  Beziehung  und  der  Vergleichung.  „Bei  den  letzteren  insbesondere 
mreifii  sich  als  der  wesentliche  Inhalt  des  Gesetzen  der  Relationen  das  Princip, 
naß  jeder  einzelne  psychische  Inlialt  seine  Bedeutung  empfängt  durch  die  Be- 
xifkungeft,  in  denen  er  zu  anderen  psychischeyi  Inhalten  stellt"  (1.  c.  S.  397). 
Jkts  Gesetz  der  psychischen  Contraste  ist  wieder  eine  Ergänzung  zu  de?» 
<resrfx  der  Relationen.  Denn  es  bezieht  sich  gleich  diesem  auf  die  Verhältnisse 
pitffhiseßter  Inhalte  zueinander"  Indem  die  Gefühle,  Affecte,  kurz  die  „sub- 
jfffiven^'  Erfahrungsinhalte  sich  nach  Gegensätzen  ordnen,  „folgen  diese  Gegen- 
*3/;^  xugleieh  in  ihrem  Wechsel  dem  allgemeinen  Gesetz  der  Contrast- 
ffrntnr,kung"  (1.  c.  S.  397  f.).  Da  alle  psychischen  Processe  Grefühls-  und 
Willensvorgänge  einschließen,  so  beherrscht  dieses  Gesetz  auch  die  intellectuellen 
Processe  (PhU.  Stud.  X,  S.  112  ff.;  Vorles.»,  S.  334  ff.;  Grdz.  d.  ph.  Psych. 
\\\  S.  490  ff.;  Syst.  d.  Phil.«,  S.  596  ff.;  Log.  II»,  2,  S.  285).  Das  Contrast- 
princip  bewährt  sich  auch  im  geschichtlichen  Leben  als  „Entwicklutig  in  Gegen- 
mtxefi"  (8.  d.). 

BIldeMde  Kraft  s.  Plastische  Natur. 

BIldHnip  hieß  früher  so  viel  wie  äußere  Gestaltimg,  seit  Just  US  Moser 
und  Goethe  bedeutet  das  Wort  besonders  die  geistige  Kultur  (vgl.  Eucken, 
TerminoL  8.  168).  Nach  Lazarus  b^teht  die  Bildung  eines  Volkes  in  der 
^^amme  seines  gesamten  geistigen  Lebens,  seiner  Bestrebungen  in  Kunst  imd 
NVissenschaft,  seiner  Sitten  und  Gebräuche  (Leb.  d.  Seele  I*,  6  f.).  Die  in- 
dividuelle intellectuelle  Bildung   „bestellt  in  der  Atieignung  desjenigen  geistigen 


156  Bildung  —  Biologie. 


Inhalts,  welcher  die  Oesamtheü  des  geistigen  Lebens  der  Menschheit  und  ihrer 
Interessen  ausmacht"  (1.  c.  S.  30).  PAUL8EN  definiert:  ^yBüdung  ist  die  xu 
vollendeter  EhUtüicMung  gelangte  Gestalt  des  inneren  Menschen.  Sie  erscheint  in 
der  durch  Unterricht  und  Übung  envorbenen  Fähigkeit  zur  lebendigen  Teihiahme 
an  detn  geistigen  Leben  xtmächst  eines  Volkes^  xuhöchst  der  Menschheit^^  (Syst 
d.  Eth.  I",  64).  P.  Volkmann;  ,^ldung  ist  die  Fähigkeit,  aus  dem  an  twd 
für  sich  toten  Wissensstoff  Werke  des  Lebens  und  des  (feistes  gestalten  xu 
können''  (Erk.  Gr.  d.  Nat  S.  16  f.).  Vgl.  Pflaum,  Was  ist  Bildung?  Zeitschr. 
f.  Philos.  u.  Pädagog.  1899. 

Bildnnfirstrieb  („nisus  formaiivus'')  ist  nach  Blümenbach  die  auf 
Gestaltung  und  Ausbildung  des  Organismus  und  seiner  Organe  gerichtete 
innere  Tendenz  der  organisierten  Materie.  Er  besteht  aus  dem  „nisus  gene- 
rativus''  und  der  Beproductionskraft  (Üb.  d.  Bildungstr.  1791,  S.  92).  Nach 
Goethe  liegt  im  Bildungstrieb  „rfie  Fntekchie,  die  nichts  aufnimmt ,  ohne  sich's 
durch  eigene  Zutat  xuxueignen''  (WW.  XIX,  81).  Er  ist  die  Idee  als  ein 
Wirkendes.  Nach  Heoel  ist  der  ,yBildungstrieb"  ,,ein  Sich-selbst-sich-äußerlich' 
machen,  aber  als  Einbildung  der  Form  des  Organismus  in  die  Außen4celtr\  er 
ist  ,,Kunsttrid>''  (Naturph.  S.  635).  Einen  „eingeborenen  Bildungstrieb''  der 
Seele  nimmt  Heinroth  an  (Psychol.  S.  64).  Beinke  spricht  von  einem 
BildungstTieb  als  innerem  Zwang  zur  Gestaltung,  der  mit  Sicherheit  wirkt 
(EinL  in  d.  theor.  Biol.  S.  194).    Vgl.  Lebenskraft,  Vitalismus,  Dominanten. 

Blllii;e9  das  (to  iTiieixe'gjj  ist  das  Gerechte,  das  der  vemönftigen  Ein- 
sicht in  die  Besonderheit  eines  Falles  entspringt  und  das  Gesetzesrecht  ergänzt, 
nach  Aristoteles  ein  inavoQd'tofia  vo/tufiov  Bixaiov,  inavo^d'tofia  vouov  i? 
ikkeinu  Sid  TO  xad-oXav  (Eth.  Nie.  V). 

BilUg^ung;  ist  ein  Gutheißen,  Anerkennen,  Bechtfinden,  ein  als  gut, 
wertvoll  Beurteilen,  die  Zustimmung  seitens  des  sittlichen  Willens  zu  einer 
Handlung  infolge  des  Wohlgefallens  an  derselben.  Das  Gegent-eü  heißt  Miß- 
billigung, Verwerfung.  Von  einem  „BüHgwngsvermögen"  spricht  Mendels- 
sohn (Br.  üb.  d.  Empfind.).  Wentscher  erklärt  die  Billigimg  und  I^üß- 
billigung  fremder  Handlungen  aus  dem  Hineinversetzen  des  eigenen  in  das 
fremde  Ich  (Eth.  I,  43).  Nach  A.  Lehmann  ist  Billigung  „Lust  an  der  Über- 
einstimmung, jMißbilligung*  Unlust  an  der  Nicht- Übereinstimmung  einzelner 
Handlungen  mit  dem  idealen  Handeln"  (Gefühlsleb.  S.  354).    Vgl.  Sittlichkeit. 

Biog^enetisclies  Ornndgreisetz :  Die  Ontogenese  (Entwicklung  des 
Individuums)  ist  eine  (abgekürzte  imd  modificierte)  Wiederholung  der  Phylo- 
j^enese  (Entwicklung  des  Stammes,  der  Gattung):  E.  Haeckel  (Gen.  MorphoL 
1866).  Vorher  schon  angedeutet  bei  Erasmus  Darwin,  dann  bei  L.  Oken: 
„Es  ist  .  .  .  kein  Zweifel,  daß  hier  eine  auffallende  Ähnlichkeit  besteht,  tcelche 
die  Idee  reMfertigt,  daß  die  Entwicklungsgeschichte  im  Ei  nicliis  anderes  sei  als 
eine  Wiederholung  der  Schöpfufigsgeschichfe  der  Tierklassen"'  (Allg.  Naturgesch. 
S.  468  f.).  Auch  bei  Fritz  Müller  (Für  Darwin  1864).  Von  verschiedenen 
Philosophen  wird  die  Geltimg  des  biogenetischen  (Tnindgesetzes  auch  in  der 
Psychologie  angenommen  (z.  B.  Sülly,  Handb.  d.  Psychol.  S.  49). 

Biologie:  Wissenschaft  vom  Leben,  dessen  Formen,  Processen,  Kräften, 
Entwicklung.  Die  theoretische  Biologie  hat,  nach  Reinke,  „die  doppelte  Auf- 
gabe, die  Lebetisersclieinungen  in  Element arprocesse  aufxulösen,  dann  aber  auch 


Biologie  —  Böse.  157 


dm  Zusammenhang  dieser  Processe  untereinander  und  mü  den  allgemeinen 
Xaturprincipien ,  unter  denen  das  Energieprindp  obenan  steht,  festxustellen^^ 
«EmL  in  d.  theor.  BioL  S.  86).  VgL  Darwinismus,  Evolution,  Lebenskraft, 
Dominanten,  Vitalismus  u.  dgL 

BiolOfi^isclie  Erkenntnistheorie,  Psychologie,  Sociologie  s.  die  betr. 
Teraiini. 

Blomten  nennt  H.  Wolff  die  Elemente  des  Seins  als  einfache  Lebens- 
cernren  {Kacfios  II).    Die  Lehre  von  den  Bionten  heißt  y^Biontologi^^ . 

BMekflftclie  und  Blickpunkt  des  Bewußtseins  sind  übertragene  Aus- 
drücke. Chr.  Wolf:  ,yCampum  pereepHmim  dico  multiiudinem  perceptionum 
tmulfanearum^'  (Pöych.  rat.  §  259).  Baumgahtek  spricht  von  einem  „eampus 
darftafis^*  (Met.  §  514),  einer  ,^haera  et  punetum  sensationis"  (1.  c.  §  537), 
Platner  vom  „Otsichtskreis"  der  Seele  (Phil.  Aph.  §  490),  Fortlagb  vom 
JTdd  des  Bewußtseins^^,  „Feld  der  Aufmerksamkeit^^  „Foeus  der  Aufmerksamkeit^* 
iPöych-  §  12).  Gegenwärtig  gebraucht  die  Ausdrücke  besonders  Wundt  (s. 
Aufmerksamkeit). 

BocArdo  ist  der  fünfte  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
besonders  verneinend  (o),  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  besonders 
verneinend  (o). 

B5se  ist  das  Gegenteil  des  Guten  (s.  d.),  der  Gegensatz  dazu,  sofern  er 
ik  solcher  bewußt  wird;  jede  Handlung,  die  dem  sittlichen  WUlen  zuwider  ist; 
iUes  zwecklos  und  willentlich  Zerstörerische,  Negative,  brutal  Gewalttätige, 
unser  Fühlen  absichtlich  Verletzende;  alles,  was  der  Lust  am  Schlechten,  Ver- 
verflichen.  Grausamen  entspringt 

Das  Böse  wird  zuweilen  als  ein  dämonisches  Princip  dem  göttlichen,  guten 
Gaste  entgegengesetzt,  so  im  Typhon  der  Ägypter,  im  Ahrimän  des  Parsismus, 
im  Satan  des  späteren  Judentums  und  noch  mehr  des  Christentums.  Als 
selbständiges  Princip  wird  das  Böse  auch  von  den  Manichäern  (s.  d.)  auf- 

Xaeh  Aktisthenes  ist  das  Böse  ein  dem  menschlichen  Wesen  Fremdes 
(iwixör,  dUor^iov,  Diog.  L.  VI,  12,  Plat.,  Conviv.  205  C).  Plato  leitet  das 
Böse  aus  der  Natur  des  Körperlichen,  aus  der  Unbestimmtheit,  Unordnung  des 
3Cateriellen,  noch  nicht  Geformten,  ab  (Tim.  68  E),  auch  aus  der  „bösen  Welt- 
»ir'  »Leg.  896  E).  Das  Böse  ist  imgöttlich,  widerstrebt  dem  Ordnungsprincip 
flheaet.  776  A;  Polit.  269  D;  Tim.  47  E);  die  gute  Gottheit  kann  des  Bösen 
Trheber  nicht  sein  (Rep.  II,  379  C).  Die  Stoiker  setzen  das  Böse  nur  in  die 
Tfüe  des  Alls,  nicht  in  den  Kosmos  selbst  (releav  fiev  6  x6c/ioe  cSfid  i<nw,  ol 
tof«  $i  Ta  Tov  xocfiov  fU^,  Plut.  de  Stoic.  rep.  44,  6).  Durch  das  Böse 
^ommt  erst  das  Gute  zur  Geltung  (1.  c.  36,  1).  Jenes  ist  nur  ein  Mittel  zur 
Beförderung  des  Guten  (Kleanthes,  Hymn.  v.  18  f.).  Nach  Philo  geht  das 
Böge  aus  der  Verbindung  der  Seele  mit  der  unreinen  Materie  (s.  d.)  hervor,  die 
isch  Plotin  selbst  schon  etwas  Böses  {xanov)  ist  Das  Böse  ist  nicht  im 
^€nden,  es  stammt  aus  der  „(üten  Natur**,  der  Materie  (Eon,  I,  8,  3,  I,  7). 
^  Anfang  des  Bösen  der  Seele  ist  das  Vergessen  der  göttlichen  Herkunft, 
dag  Verlangen,  sich  selbst  anzugehören  (Enn.  V,  1,  ähnlich  schon  Anaximakdeb  ; 
*•  Apeiron).  Plutabch  betrachtet  das  Böse  als  eine  dem  Guten  entgegen- 
wirkende Kraft  (De  Isid.  46  squ.),  die  aus  der  „bösen  Weltseele"  (s.  d.)  stammt 


' « 


158  Böse. 

(De  an.  proer.  3).    Die  Gnostiker  verlegen  das  Böse  wiederum  in  die  Materie 
(vgl.  Habnagk,  Dogm.  I»,  246). 

Nach  Bo£thiu8  hat  das  Böse  keine  positive  Wirksamkeit  und  Wirklichkeit, 
es  veranlaßt  indirect  das  Gute  (De  cons.  phiL  lY).  Auch  nach  Clemens 
Alexais^dbinus  ist  es  keine  Wesenheit,  ist  nicht  von  Gott  geschaffen  (Strom. 
IV,  13).  Es  ist  nach  Okigenes  eine  ,^Ber(mbung^^  (privaüo)  des  wahren,  guten 
Seins,  ein  Negatives  (De  princ.  I,  109),  eine  Notwendigkeit  für  die  Ver- 
wirklichung des  Guten  (Contr.  Cels.  VI,  53).  AxTGUSTnnJS  sieht  im  Bösen  die 
Folge  einer  verkehrten  Willensrichtung,  eines  Abfalles  von  Gott  (Enchir.  23); 
es  ist  nur  Beraubung,  Mangel  (amissio)  des  Guten,  hat  nur  relatives  Sein  (De 
civ.  Dei  XI,  22).  Dionysiub  Areopagita  und  Joh.  Sootus  Ertugena 
nennen  das  Böse  ein  „irmatural€f\  j^incauscUe^^  (De  div.  nat  IV,  16).  Letzterer 
bemerkt:  jjNon  ergo  in  natura  hutnafm  planiatum  est  f/ialunij  sed  in  percerso 
et  irrationabili  motu  rationainlis  liberaeque  voluntatis  est  eonstituium*^*  (1.  c. 
IV,  16).  Nach  Alexander  von  Haleh  ist  das  Böse  ,^ivatio  boni"  (Sum. 
th.  I,  18,  9),  so  auch  nach  Albebtub  Magnus  (Sum.  th.  I,  27,  1)  und  Thomas, 
nach  welchem  Gott  das  Böse  nur  als  Beförderer  des  Guten  zugelassen  hat 
(Sent.  32). 

Nach  J.  BÖHME  ist  das  Böse  die  negativ-treibende,  zum  Leben  anreizende 
Kraft  im  All,  der  yjQegenwurf^^  des  Guten,  als  ,^mfeuer^^  in  Gott  selbst  ent- 
halten (Aurora).  Leibniz  leitet  das  Böse  aus  der  Beschränktheit  der  endlichen 
Wesen  ab;  es  dient  nur  der  Vollkommenheit  des  Ganzen,  da  nichts  von  allem 
Möglichen  fehlen  darf.  Gott  läßt  das  Böse  zu,  weil  sonst  vieles  Gute  vw- 
hindert  würde  (Theod.  II,  Anh.  IV,  §  34).  Nach  Chr.  Wolp  ist  böse,  ,,wa9 
uns  und  unsern  Zustand  unvollkommener  maekt^*  (Vem.  Gred.  I,  §  425).  Kant 
nimmt  ein  ,,radicaies^^  (ursprüngliches)  Böses  an,  einen  Hang  zum  Bösen, 
„welcher j  da  es  nur  als  Bestimmung  der  freien  Willkür  möglich  w/,  diese  aber 
als  gut  oder  böse  nur  durch  ihre  Maxime  beurteilt  iverden  kann,  in  dem  sub- 
jectiven  Grunde  der  Möglichkeit  der  Abteeichung  der  Maxitnen  vom  moraluKchen 
Gesetze  bestehen  mufi^^  fRclig.  S.  28).  Mit  dem  Guten  besteht  das  Böse  ur- 
sprünglich im  Menschen,  es  ist  ihm  angeboren,  in  seiner  Selbstliebe  begründet, 
entsteht  durch  eine  „transcendentale  Handltmg^\  ist  unausrottbar  und  verdirbt 
die  reine  Moralität  des  Menschen  (1.  c.  S.  31).  Es  ist  eine  „angeborene  SrhuUt*- 
(1.  c.  S.  38).  Es  entstand,  als  der  Mensch  aus  dem  Stande  der  Unschuld  in 
den  der  Sünde  geriet  (1.  c.  S.  43;  vgl.  das  Dogma  von  der  „Erbsünde''),  Das 
Böse  ist  das,  was  vom  vernünftigen  Willen  verabscheut  werden  muß,  was  dem 
moralischen  Gesetze  entgegen  ist  (Kr.  d.  pr.  Vem.  I.  T.,  1.  B.,  2.  Hptst.).  Vc« 
einem  „  Urbösen^^  in  der  Seele  spricht  Heinroth  (Psychol.  S.  463).  Ein  radicales 
Böses,  d.  h.  den  Egoismus,  ninmit  auch  Eucken  an  (Kampf  um  e.  geist. 
Lebensinh.  S.  223  f.).  Schelling  leitet  das  Böse  aus  einer  vorzeitlichen 
WiQenshandlung  ab,  es  gehört  zum  Sein  (WW.  I,  7,  403),  nachdem  schon 
Baader  das  Böse  als  in  der  „ewigen  Natur  in  Gotf^  begründet  angesehen 
hatte;  Volkelt  nimmt  etwas  Ahnliches  an  (Asth.  d.  Trag.),  über  das  Böse 
handeln  Heäbart  (Gespräche  üb.  d.  Böse  1818),  Blasche  (Das  Böse  im  Ein- 
klang mit  d.  Weltordn.  1827),  H.  Bitter  (Üb.  d.  Böse  1869)  u.  a.  —  Xach 
Hillebrand  ist  das  Böse  ,jder  seiner  bewtißte  moralische  Widerspruch*^^,  Eb 
ist  ein  dialektisches  Moment  in  der  Weltordnung,  hat  keine  wesenhafte  Wirk- 
lichkeit (Phil.  d.  Geist.  II,  128  f.).  Fechner  meint,  das  Böse  entstehe  wohl 
in  Gott,  aber  nicht  durch  seinen  Willen  (Zendav.  I,  247).    Nnr  im  „Gebiete  der 


Böse  —  C-Svsteim.  15» 


EhudheUen''  taucht  das  fiöse  (Übel)  auf,  das  zugleich  Quelle  des  Guten  wird 
1  c.  I,  244  f.).  Das  Böse  hat  vermöge  des  Gegenstrebens  in  Gott  ,^inen 
Gipfel,  Zusammenschluß  und  Abschluß^^  (Tagesans.  8.  48  ff.).  LiPPS  erklart:; 
Jkts  Böse  ist  ein  Verhältnis  xwischen  der  Stärke  von  Motiven.  Es  ist  ein 
Ubenriegefi  con  an  sich  guten  oder  berechtigten  Motiven  und  ein  Zurücktreten 
wMkrer''  (Eth-  Gnmdfr.  S.  53).  ,yNicht  das  Wollen  des  Menschen  ist  böse, 
mMvkm  sein  Nicht wollen^^  (1.  c.  S.  55).  Es  ist  das  Böse,  wie  der  Irrtum, 
ein  Negatives  (ib.).  Zwei  Quellen  des  Bösen  gibt  es,  „die  Schwäche  ron  Mo- 
iUen  uml  den  Irrtum  oder  die  THttsehung,  vor  allem  die  SelbsttäuscJnmg^'^  (1.  c. 
5?.  56),  Pauubkn  betont:  „Was  aber  das  sittlich  Schlechte  oder  das  Böse  an- 
hmftj  so  wird  die  Ethik  es  eonstruieren,  wie  die  medicinische  Diätetik  Stömngen, 
Stkträekeny  Mißbildungen  construiert;  wie  hier  diese  Vorkommnisse  als  Folge 
Rw  äußeren  Hemmungen  und  Störungen  angesehen  werden,  die  der  Tendenx  der 
Anlage  xu  normaler  Entwicklung  xuwider  waren,  so  wird  die  Ethik  das  Schlechte 
und  Böse  nicht  auf  den  eigentlichen  Willen  des  Wesens  selbst  .  .  .,  sondern  auf 
Hugiinstige  Entwicklungsbedipigungen  xuriickführen,  unter  denen  die  Anlage  rer- 
kümmerte  und  Mißbildungen  erlitP^  (Einl.  in  d.  Phil.*,  S.  435).  Nur  im  Kampfe 
mit  dem  Bösen  kann  auf  Erden  das  Gute  Kraft  gewinnen.  Das  Böse  ist  um 
de«  Guten  willen  da,  als  Reiz,  Widerstand,  Folie;  es  ist  an  sich  ein  Nichtiges, 
Xegatives  (Syst  d.  Eth.  P,  306  ff.).  Der  Utilitarismus  bestinmit  das  Böse 
Schlechte)  als  das,  was  die  (sociale)  Wohlfahrt  bewußt  schädigt.  Nach 
Nietzsche  entsteht  der  Begriff  „6ö«c"  aus  dem  „Ressentiment^*  der  Schwachen 
pg«i  den  Maehtwillen  der  „Herren**  (Jens,  von  Gut  u.  Böse*,  S.  228  ff.). 
Vgl  Gut,  Übel,  Theodicee. 

Bnlliniaii:  das  schöpferische,  erhaltende  Princip,  das  Absolute,   das 
Weltwesen  (Veden)  (vgl.  Deüssen,  Allg.  Gesch.  d.  Philos.  I  1,  S.  242,  261). 

BMddliliUDlls:   die   Lehre   Buddhas   (des   „Wissenden,   Erleuchteten"), 
Principien:  Einheit  des  Alls,  Nichtigkeit  und  ünwirklichkeit  des  individuellen 
Daseins,  der  Au^nwelt  („Scldeier  der  Maja*'),  Wiedergeburt,  Seelenläuterung,. 
Askese,  Mitleidsmoral,  Nirvana  (s.  d.). 

Bvrldans  Esel  s.  Willensfreiheit. 


C  =  (scholastisches)  Symbol  für  die  logische  Conversion  (s.  d.),  auch  für 
die  Umkehrung  ins  Gegenteil  („conversio  syllogismi**},  die  „ductio  jjcr  con- 
trqdietoriam  propositionem  sive  per  impossibile** .    Vgl.  CJonversion. 

C-System.  Unter  dem  „System  C**  verstdit  R.  Avenarius  die  Einheit 
tller  Bedingungen,  von  denen  die  menschlichen  Erlebnisse  „abhängig**  sind. 
Die  in  diesem  System  sich  abspielenden  Processe  sind  biologischer  Art,  bestehen 
tUgemein  in  „Ernährung**  und  „Arbeit**,  Es  ist  ein  System,  „welcfies  die  ron 
*r  Peripherie  ausgehenden  Änderungen  in  sich  samjuelt  und  die  an  die  Perl- 
fkerie  abxugebenden  Änderungen  verteilt**.  Von  den  „Änderungen**  dieses  (im 
Omfihim  zu  denkenden  Systems)  sind  sMe „Aussagen**  („E-Werte**,  Vorstellimgen, 
Urteile,  Erkenntnisse)  abhangig  (Kr.  d.  rein.  Erf.  I,  S.  33  ff.).  Die  volle  „Er- 
kaltung** des  Systems  C  heißt  das  „vitale  Erhaltungsmaximum**,  die  „Schwan- 
kungen** (8.  d.)  desselben  bestehen  in  Verminderung  oder  Behauptimg  des  Maxi- 


160  C-System  —  Cardinalwert. 


mums  (L  c.  S.  60  ff.)-  Durch  die  „Congregation^'^  mehrerer  Individuen  ent- 
stehen ,jSy8t€7?ie  C  höherer  Ordnung^\  „CongregaUysteme'*  (-TC)  (L  c.  S.  153  ff.). 
Vgl.  Principialcoordination,  Vitaldifferenz. 

CaleulHS  plillosoplilCHS  s.  Logik,  Algorithmus. 

Calemes  ist  der  zweite  Modus  der  vierten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
-allgemein  bejahend  (a),  Untersatz  und  Folgerung  allgemein  verneinend  (e). 

Calvus  {fpaXaxQos,  Kahlkopf),  Name  eines  Fangschlusses   des  Eubulides, 

■analog  dem  Sorites  (s.  d.). 

Camestres  ist  der  zweite  Modus  der  zweiten  Schlußfigur  (s.  d.):  Ober- 
satz allgemein  bejahend  (a),  Untersatz  und  Folgerung  allgemein  verneinend,  (e). 

Capacit&t:  Aufnahmefähigkeit  (z.  B.  „Bewegungscapaeität^^  in  der  mo- 
dernen Energetik).  Nach  QcOCLES  ist  „eapcufitas"  fypotentia  reeipiendt  cUiquid, 
lä  eap.  materi<ie^^  (Lex.  phil.  p.  353).    Vgl.  Energie. 

Card  inalpnnkt  nennt  Fechner  den  Punkt,  wo  das  relative  Maximum 
der  Empfindung  eintritt.  Cardinalwert  des  Reizes  ist  der  Beizwert,  bei  dem 
jenes  eintritt  (Elem.  d.  Psychoph.  II,  49).  Beim  Cardinalwert  der  Empfindung 
wächst    die  Empfindung    der  Beizstärke  proportional  (Külpe,  Gr.  d.  Psych. 

S.  256). 

Cardlnaltugrendeii  heißen  jene  Tugenden  (s.  d.),  die  zuhöchst  gewertet 
und  als  Grundlagen  aller  anderen  Tugenden  betrachtet  werden.  Plato  unter- 
scheidet ihrer  vier,  die  in  Beziehung  zu  den  Seelenteilen  und  deren  Einheit 
stehen:  Weisheit  {aotpia)  =  Tugend  des  erkennenden  Seelenteiles,  Tapferkeit 
{avS^sia)  =  Tugend  des  „mutigen"  Seelenteiles,  Maßhalten  oder  Besonnenheit 
{aaxpQoavvrj)  und  Gerechtigkeit  {dixaioavvrj);  daneben  wird  auch  die  Frömmig- 
keit (o<r«oTJ7ff,  Protag.)  erwähnt.  Im  Staate  sind  diese  Tugenden  in  den  ver- 
schiedenen Ständen  der  Herrscher,  Krieger,  Handwerker,  (Gewerbetreibenden 
vertreten  (Rep.  IV  10,  433).  Akistoteles  gibt  eine  ausführliche  Gliederung 
der  Tugenden  (s.  d.).  Die  Stoiker  erblicken  in  der  Einsicht  (f^o^^ffiris)  die 
Haupttugend  (Stob.  Ecl.  II,  6,  102  ff.;  Plut.,  De  Stoic.  rep.  7);  so  auch  die 
Epikureer  (Diog.  L.  X,  132).  Die  christlichen  Cardinaltugenden  sind 
Glaube,  Liebe,  Hoffnung  (Ambrosiüs).  Albertus  Magnus  verbindet  sie  (als 
„pirttUes  infusaä*)  mit  den  „virttäes  acquisitae^\  deren  wichtigste  „pmdentia^', 
,jitisittia^\  ,/ortitiido^\  „tempercuntid'  sind  (Sum.  th.  II,  103,  1).  Thomas:  y^Vir- 
tus  aJiqua  didtur  carduialis,  quasi  principcUiSy  quia  super  eam  ali<te  virtutes 
firmaniur,  sieut  otium  in  eardine>^  (De  virt.  1,  12  ad  24).  Als  Cardinaltugenden 
nennt  er  Emsicht,  Gerechtigkeit,  Mäßigkeit,  Seelengröße  (Sum.  th.  II,  61,  2). 
Telesius  nennt  als  solche  ,jSapientia"  j^ollertia",  „fortihulo",  „bemgmtas^\ 
Gexjlincx  definiert  die  Cardinaltugenden  als  „proprietates  virttäis^  quae  praxime 
(X  immediaie  ab  illa  dimanant  et  ad  nullam  exlernam  circunistantiam  spedaiim 
referufiiur^^  (Eth.  I,  2,  §  3),  „tales  virtutes,  quae  neeessario  coneummt  ad  omne 
viriutis  exercitium"  (Eth.  annot.  p.  153).  Sie  sind  „fUiae  virtuHs"  (Eth.  §  3), 
heißen:  „diligentia",  „oboedientia",  „it^titia",  jjhumilitas"  (Demut,  die  Haupt- 
tugend, 1.  c.  p.  7).  Nach  SCHLEIEBMAGHER  sind  die  Cardinaltugenden:  Weis- 
heit, Besonnenheit,  Liebe,  Beharrlichkeit  (Syst.  d.  Sittenl.  §  296);  nach  Natoäp: 
Wahrheit,  sittliche  Stärke,  Tapferkeit,  Reinheit,  Gerechtigkeit. 

Cardinalwert  s.  Cardinalpunkt. 


Cartasiaiiinniu  —  Causa  cansae  est  etiam  causa  causatL       161 


C^artesianteiiiiiss  die  Lehre  des  Cabtbsiüs  (Descartes).  Principien 
desselben:  Selbstgewißheit  des  Ichbewußtseins  (s.  cogito),  Klarheit  und  Deutlich- 
keit als  Kriterium  der  Wahrheit  (s.  d.),  Materie  (s.  d.)  als  Baiunerfüllung, 
Duahsmus  (s.  d.),  Corpusculartheorie  (s.  d.),  methodischer  Zweifel  (s.  d.),  Ratio- 
nalismus (S.d.),  Wertschätzung  der  ^lathematik.  Die  bekannteren  Cartesianer 
sind:  Rexebits,  Regiüs,  Raey,  Heebebobd,  Hetoanus,  Claude  de  Cleb- 
SELIER,  Abxauld,  Nicole,  Fenelon,  Beekeb,  Chb.  Stubm,  Antoine  Le 
Grand,  CiArBEBG,  Oobdemoy,  viele  Oratorianer  imd  Jansenisten,  teilweise 
Mersenne,  Pascal,  Poibet.  Gegner:  besonders  Hobbes,  Gassendi  (vgl. 
Überweg-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  PhiL  III»,  98  ff.). 

CasMaltemHss  die  Ansicht,  daß  die  Welt  ein  Werk  des  Zufalls 
<8.  d.)  sei. 

CasotetÜL  heißt  der  Teil  der  Moralwissenschaft,  der  von  den  Conflicten 
iwi^chen  verschiedenen  Pflichten  oder  Handlungsweisen  (casus)  handelt.  Findet 
ach  schon  bei  den  Stoikern  (Cicebo,  De  offic.  I,  2,  7  ff.),  dann  bei  Scho- 
lagtikern,  Jesuiten.    Vgl.  Pflicht. 

Catasyll€»sftsntV8:  Gegenbeweis  (Joh.  von  Salisbüby,  vgL  Pbantl, 
G€9ch-  d.  Log.  II,  257). 

CaHfiMis  Ursache  (s.  d.).  „Causa  aetiva  (agens)*^:  tätige  Ursache.  „(7. 
tdaequata^*:  entsprechend^  Ursache.  „C.  cognoscendi^^ :  Erkenntnisgrimd.  „C. 
wjtoraiis^^-  physische  Ursache.  „C.  ereairia^^:  schöpferische  Ursache.  „C  de- 
fieiens  (defectiva)^^ :  negative  Ursache.  „C  directa" :  unmittelbare  Ursache. 
S.  efßtiens  (effeetiva/^-  wirkende  Ursache  (tvoiovv  alktov  bei  Abistoteles). 
„C.  essefidi  und  fietidi^^:  Seinsgrund,  Ursache  des  Werdens.  „C.  eoctrinseca  und 
intrirueca** :  äußere,  innere  Ursache.  „C  finalis^^:  Zweckursache  (ov  ivsxa  bei 
Aristoteleb).  „C  formalus'^:  gestaltende  Ursache.  „(7.  iimnanens  und  tratut- 
»flw";  immanente  und  (auf  ein  anderes)  tibergehende  Ursache.  „C.  influens*^ : 
anfließende  Ursache.  „C.  tnstrumentalis" :  Mittelursache.  „C.  maierialü^^: 
URächlichkeit  des  Dinges,  auf  das  eingewirkt  wird.  „C.  moveris  (motiva)^^: 
bewegende  Ursache.  „C  oceasionalü*' :  (xelegenheitsursache.  „(7.  per  aceidens 
wirf  per  8&*:  accidentielle  (s.  d.)  Ursache  und  Ursache  durch  sich  selbst  (Al- 
M5RTÜ8  Maoitus,  Sum.  th.  I,  55,  1;  Thomas,  Sum.  th.  I,  77,  3).  „C.  prifi- 
»paiW:  Grundursache  =  „(7.  primordialis ,  prima^^  {n^torri  airia:  Plato, 
Aristoteles).  ,,Cau8a  primu  est,  cuüis  »ubstantia  et  actio  est  in  momento 
oitemii^Miis  et  non  temparis"  (Albebtus  MAGNUS,  Sum.  th.  I,  32,  1).  Thomas: 
Sau$a  prima  causai  operationem  e^usae  secundae  secundum  modum  ipsius^^ 
«Contr.  gent  III,  148).  Gegensatz  zu  C.  prima  =  „C.  secunda^';  secundäre, 
tbfeldtete  Ursache  (vgl.  Albebtüb  Maokus,  Simi.  th.  I,  26,  2;  Baumgabten, 
Met  §  317).  „(7.  privans^*:  beraubende,  ein  Nichtsein  setzende  Ursache.  „(7. 
prarima  und  remota^*:  nächste  und  entfernte  Ursache.  „Per  causam  remotam 
fa'mi  inielligimus,  qtiae  cum  effeciu  nullo  modo  coniu/ncta  est^^  (Spinoza,  Eth. 
I,  prop.  XXVIII,  dem.).  „C.  sim  qua  non":  unbedingte  Ursache.  „C.  soeia 
If9ntmunis/* :  gemeinsame  Ursache.  „C.  solitaria  (propria)"  (Chb.  Wolf,  Ontol. 
18^*).  „(7.  suffidens":  zureichender  Grund.  (Chb.  Wolf:  „sufficiens  —  quac 
feinet  raiionem  sufßeientem  effeeius  alicuias  dati^j  Ontol.  §  897).  „C.  vera^\' 
Tthrhafte  Ursache  (Newton).    Vgl.  Causa  sui. 

Ca«aa  causae  est  etiam  causa  causati:  Die  Ursache  einer  Ursache 

PUlotophitoh«!  WörUrbvoh.    t.  Aufl.  11 


162  Causa  causae  est  etiam  causa  caiisati  —  Causalitat. 


ist  auch   die  Ursache   der  Wirkung  dieser.     Schon  bei  Alanüs  ab  insülis 
(Stöckl  I,  412).    Auch  bei  Chr.  Wolf  (Ontol.  §  928). 

Causa  cessante  cessat  eff ectus:  mit  der  Aufhebung  der  Ursache  ver- 
schwindet die  Wirkung.  Ein  scholastischer  Satz  (Thomas,  Sum.  th.  I,  96,  3, 
ob.  3),  durch  Galileis  Begriff  der  „2m>  itiertiae^^  (Opp.  II,  577)  widerlegt. 

CaHsa  est  potior  causato:  Die  Ursache  ist  vornehmer,  hat  mehr  Seins- 
w^ert  als  die  Wirkmig.    Ein  scholastischer  Satz  (Thomas,  Sum.  th.  I,  60,  4,  ob.  2). 

Causal  (causalis,  airtioSijs:  Stoiker):  von  der  Natur  der  Ursache,  auf 

die  Causalitat  (s.  d.)  bezüglich,  wirkungsfähig,  ursächlich.    Gegenteil:  incausaL 

Caiif»albefinriff  s-  Causalitat. 
Causalg^esetz  s.  Causalitat 

CausalltHt  (causalitas) :  Wirkungsfähigkeit,  ursächliche  Beziehung.  Ver- 
hältnis von  Ursache  und  Wirkung,  Causalzusammenhang.  Der  Begriff  der 
Causalitat  (Causalbegriff)  ist  ein  allgemeiner,  formaler  B^riff  (eine  Kategorie^ 
R.  d.),  ein  Grundbegriff  des  Denkens,  der  für  alle  Erfahrung  notwendig  ge^ 
braucht  wird.  Insofern  er  in  der  Gesetzmäßigkeit  unseres  Denkens  begründet 
ist,  gemäß  der  wir  keine  Einheit,  keinen  Zusammenhang,  keine  objective  Ord- 
nung in  imseren  Vorstellimgen  herstellen,  finden  können  ohne  Auffassung  eines 
Geschehens  als  „Abhängige" j  als  Folge,  Wirkimg,  Bedingtes,  Venireachtes  eines 
andern,  insofern  also  solcherart  erst  Erfahnmg  (s.  d.)  möglich  ist,  ist  die  Kate- 
gorie der  Causalitat  a  priori  (s.  d.).  Aber  ohne  eine  Grundlage  in  der  Er- 
fahnmg kommt  sie  niemals  zur  Anwendimg,  sie  ist  durch  die  Erfahrungstat- 
sachen motiviert,  hat  also  ein  empirisches  Fundament.  Was  im  einzelnen 
Ursache  oder  Wirkung  ist,  kann  nur  auf  Grundlage  der  Erfahnmg  bestimmt 
werden,  aber  der  Grundsatz:  Kein  Vorgang  ohne  zureichenden  Grund,  ohne 
bestimmte  Ui*sache  ( —  das  Caiisalgesetz  — ),  ist  nicht  rein  empirisch,  sondern 
t^ntspringt  einem  Postulat  (s.  d.)  unseres  Denkens,  in  letzter  Linie  des  denkenden 
Ich,  das  zugleich  wollendes  Ich  ist  und  in  seinem  inneren,  unmittelbaren  Er- 
leben sich  selbst  als  causierend,  als  wirkend  mid  wirkungsfähig  vorfindet,  um 
dann,  veranlaßt  durch  die  äußere  Erfahnmg,  das  Causalverhältnis  (analog  seinem 
eigenen)  auch  in  dieser  zu  setzen.  Anfangs  wird  die  Ursächlichkeit  ganz  nach 
Art  der  eigenen  Willenswirksamkeit  aufgefaßt  (infolge  Assimilation  und  In- 
trojection,  s.  d.),  später  treten  abstractere  Relationen  von  quantitativer  Bestimmt- 
heit an  die  Stelle  innerer  Kräfte.  Gedacht,  gemeint  wird  die  Causalitat,  obgleich 
sie  vom  Denken  gesetzt  wird,  also  subjectiven  Ursprung  hat,  als  objective  Ver- 
knüpfimg, transcendentes  (s.  d.)  Wirken.  Etwas  als  causierend  auffassen  heißt 
schon,  (^  als  ein  dem  eigenen  Ich  Analoges,  Gleichwertiges,  Selbständiges,  von 
uns  Unabhängiges  deuten.  —  Zu  unterscheiden  sind  physische  und  psychische 
(psychologische)  Causalitat  (s.  Wundt). 

Betreffs  des  Ursprungs  des  Causalbegiiffs  bestehen  folgende  Ansichten: 
Der  Rationalismus  leitet  ihn  aus  der  Vernunft  ab,  der  Empirismus  aiu?  der 
Erfahrung  und  Induction,  der  Psychologismus  eines  Hume  aus  Gewohnheit 
imd  subjectivem  Glauben,  der  Apriorismus  betrachtet  ihn  als  ursprimglich,  un- 
abhängig von  aller  Erfahnmg  gültig,  der  Kriticismus  im  weiteren  Siiuie  erklärt 
ihn  aus  der  denkenden  Verarbeitung  der  Erfahrungstatsachen,  nach  einigen 
stammt  er  aus  der  inneren  Erfahrung  imd  wird  auf  die  äußere  Erfahrung  über- 
tragen, die  biologische  Erkenntnistheorie  erklärt  ihn  nach  ihrer  Art.    Was  die 


CausaUtat.  163 


Geltung  dieses  Begriffs  betrifft,  so  wird  ihm  vom  Bealismus  objcctive,  transcen* 
deote,  vom  Idealismus  subjective,  erkemitnisimmanente  Bedeutung  zugeschrieben. 
Zunächst  wird  der  Causalbegriff  dogmatisch  (s.  d.)  verwendet  imd  bestinmit. 
Daß  der  Causalitat  der  Dinge  in  letzter  Linie  etwas  Geistiges  zugrunde  liegt, 
meinen  Empedokles  (s.  Kraft),  Anaxagoras  (s.  Geist),  Heraklit  (s.  Logos). 
Nach  ihm  beruht  alles  Geschehen  auf  vernünftiger  Notwendigkeit  {ndvra  Si 
K«^*  eifia^fiitnjvj  Stob.  Ecl.  I,  5,  178).  Auch  Pythagoras  betont  die  in  allem 
herrschende  Notwendigkeit.  Demokrit  spricht  zum  erstenmal  das  Causalgesetz 
ans:  nichts  geschieht  von  ungefähr,  sondern  alles  aus  einem  notAvendigen 
Grunde  (ovSiv  X^f^  fidrrjv  yiyverai,  akXa  Ttavra  dx  koyov  re  xai  vJt  dvdyxijgj 
Stob.  Ecl.  I,  4,  160).  PlJLTO  unterscheidet  zwei  Arten  von  Ursachen:  airiai 
x^toxai  (die  Ideen,  s.  d.),  die  vernünftig  wirkenden  Gründe,  und  ahiai  SevTsqai 
oder  iwairuit  (Mitursachen),  die  im  Materiellen  liegen,  gezwungen,  blind,  ver- 
nunftloe  wirken,  aber  von  der  Vernunft  geleitet  werden  können  (Tim.  46  C — E, 
ö6  C,  69  A).  Alles  Gewordene  hat  eine  Ursache:  dvayxaXov  slvai  ndvra  rd 
ytyro/ieva  8ia  tiva  aixiav  yiyvBa^ai  (Phileb.  26  E).  ARISTOTELES  versteht  unter 
Uraaehe  (Grund,  «mov,  ahia)  besonders  das,  wovon  die  Veränderung  sich  her- 
leitet {o^ev  J7  d^x^  ''^V^  fUTaßoXfjß)^  femer  das  „Wesw€gen^^\  (ot>  ivsxd)  der 
Veränderung  (Met.  V  2,  1013a  29  squ.),  auch  das  „Woraus''  {ii  ov);  der  Stoff 
-TÄi;),  die  Form  (elSos),  der  Grund  {^oyog)  gehören  zu  den  Ursachen  (Met.  V  2, 
1U13  a  24  gqu.).  Er  faßt  auch  bewegende,  Zweck-  und  formale  Ursachen  in  eins 
zusaomien  und  stellt  sie  dem  Stoffprincipe  gegenüber  (Phys.  II  6,  198a  24  squ.). 
Es  gibt  absolute  und  bloß  beziehentliche  (zufällige,  accidentielle)  L^rsachen 
u«^  ffvTo,  xard  ovfißeßi]x6sj  Met  XI  8,  l(X)5a  29).  Erstere  sind  bestimmt 
itMiOfuvopjj  letztere  unbestimmt  {do^taTov)^  entziehen  sich  der  Erkenntnis 
(Phvs.  II  5,  196  b  28;  Met.  XI,  8,  1065  a  7,  VI  2,  lC^7a  7  squ.),  liegen  in  der 
Materie  (1.  c.  VI  2,  1027a  13).  Die  Stoiker  betonen  den  strengen  Causal- 
zQsammenhang  der  Dinge,  die  slfiaQfiivTj^  die  davon  herstammt,  daß  eine  Kraft 
ils  Vernunft  ()^yos)  imd  Vorsehung  (ngovoid)  im  All  waltet;  aller  Zufall  ist  nur 
^heinbar  (Plut.,  De  fato  11,  574;  7,  572).  Die  Ur kraft  (nvevfia,  s.  d.)  gestaltet 
den  Stoff,  indem  sie  ihn  diu*chdringt  als  das  allein  Tätige,  Wirkende  {rb  fjuev 
oir  stdaxov  elrat  tijv  dnoiov  ovaiav  rrjv  vA.t]v,  t6  Se  Ttoiovv  rov  iv  avrfi  Xoyov 
TW'  ^eot^,  Diog.  L.  VII,  134).  Die  göttliche  Weltkraft  wirkt  als  Einheit  der 
Vemunftkeime  {koyot  ansQfiaTixol ,  Diog.  L.  VII,  148).  Das  Schicksal  hält 
alles  in  fester  Ordmmg  zusammen  (Diog.  L.  VII,  149).  yyCausa  autetti,  id  est 
ralioy  mnteriam  format  et  quoennque  vidt  versa fj  ex  iUa  varia  opera  prodiwit; 
fftw  ergo  debet,  unde  aliquid  fiatj  deifide  a  quo  fiaf'  (Seneca,  Ep.  ()."),  2). 
CttRYSiPP  unterscheidet  (nach  Cicero,  De  fato  41)  einen  Teil  der  Ursachen  als 
jperfectae  et  principales''  von  den  „eausae  adjuvantes  et  jn-oxhnae''.  Epikur 
erklärt,  aus  nichts  werde  nichts  {ovSev  yiverai,  ix  rov  ftrj  ovzog),  denn  sonst 
könnte  aus  allem  alles  werden  (Ttdv  ya^  ix  navxos  iyivBri  dv,  Diog.  L.  X,  38). 
Ohne  irgend  welches  göttliches  Eingreifen  (XeirovQyovvroe  rtvoe,  Diog.  L.  X,  76) 
hat  ein  Vorgang  einen  andern  notwendig  zur  Folge.  Aber  nur  Körperliches 
ist  wirksam,  weil  alles  Wirksame  körperlich  ist  (1.  c.  67).  Nur  ursprünglich 
weichen  die  Atome  (s.  d.)  von  der  strengen  Causalordnung  ab.  Lucrez  betont 
zleichfalls,  „nullam  rem  e  nilo  gigni'%  jjnam  si  de  nilo  fiereritj  ex  omnibus  rebus 
fmne  genus  naset  passet^'  (De  rer.  nat.  I,  150,  159  f.).  Die  Skeptiker  hegen 
Bedenken  gegen  die  Geltung  des  Causalbegriff s.  „Ursache^'  ist  ein  Relations- 
begriff, bezieht   sieh  notwendig   auf  Wirkung;   da  aber  das  Relative  nur  im 

11* 


164  CausaUtät. 


Denken  besteht  (intvosXrat  fiovov),  so  hat  die  Ursache  kerne  Existenz  {ovx 
vndgx^h  Sext.  Empir.  adv.  Math.  IX,  207  f.).  Femer  kann  die  Ursache  weder 
gleichzeitig  mit  der  Wirkung  sein,  da  sonst  kein  Erzeugungsverhältnis  bestände; 
noch  kann  sie  ihr  vorangehen,  weil  ohne  die  Wirkung  nichts  „Ursaeke'*  ist; 
noch  nachfolgen,  denn  das  ist  unsinnig.  Ursache  und  Wirkung  setzen  ein- 
ander gegenseitig  voraus,  jede  Oausalerklarung  führt  zu  einer  DiaUele  (s.  d.). 
Auch  kann  Gleichartiges  weder  auf  Gleichartiges,  noch  auf  Ungleichartiges 
wirken  (1.  c.  IX,  241 ;  Pyrrh.  hyp.  III,  3 ;  Diog.  L.  IX,  98  f.).  Plotin  führt 
die  Causalität  auf  das  Wirken  der  Xoyot  ansQ/taxixoi  {voe^ai  BwdfiBn,),  der  ver- 
nünftigen Kräfte  (yjBegriffe^^'  „Gründe") j  in  den  Dingen  zurück  (Enn.  III,  2). 
Alles  Endliehe  hat  seine  Ursache,  es  gibt  kein  Ursachloses  (Enn.  III,  1).  Die 
natürlichen  (empirischen)  Ursachen  müssen  zimächst  aufgesucht  werden  (ib.). 

Die  Scholastiker  unterscheiden  verschiedenartige  Ursachen  (s.  causa), 
legen  ihnen  innere  Kräfte,  ,,verborgene  Qualitäten",  .^substantielle  Formen"  (s.  d.), 
zugrunde  und  betonen,  daß  Gott  der  Urgrund,  die  Seinsursache  sei.  So  auch 
die  Motakallimün  imd  Ayerro£S:  „Inicllectus  divinus  est  causa  remni  .  .  . 
et  prifwipium  in  omnibus  et  ubique  eausans  est"  (bei  Albertus  Magnus,  Sum- 
th.  I,  60,  4).  Thomas  betont  (wie  Augustinus),  die  Ursächlichkeit  bestehe 
nicht  im  Überführen  einer  Qualität  von  einem  Dinge  zum  andern,  sondern  in 
der  yerwirklichung  einer  Möglichkeit  (im  Sinne  des  Aristoteles).  „Agens 
naturale  non  est  traducens  propriam  formam  in  aüerum  sulneettmi,  sed  reducens 
subiectum  quod  paiitur  de  potentia  in  actum"  (De  pot.  3,  13).  In  gewisser 
Weise  strebt  jedes  Wirksame  „suam  similitudinem  in  effectum  inducere,  seam- 
dum  quod  effectum  capere  polest"  (CJontr.  gent.  II,  45).  Grott  ist  der  letzte  Grund 
der  Dinge,  nur  durch  ihn  vermögen  sie  zu  wirken.  y,Deus  est  causa  rei  non 
solum  ad  formam,  sed  etiam  qtumtum  ad  mcUeriam,  quae  est  principiufn  in- 
dividuattonis"  (Sent.  II,  dist.  III,  2,  3).  „Deus  tum  solum  dat  rebus  virtutem^ 
sed  etiam  ntUla  res  polest  propria  virtute  agere,  nisi  agat  in  virtute  ipsius" 
(Contr.  gent.  III,  89). 

Eckhart  sieht  in  allem  Geschehen  einen  Ausfluß  göttlicher  Wirksamkeit 
NiooLAUS  CusANUS  vereinigt  den  Begriff  der  Naturcausalität  mit  dem 
der  göttlichen  Wirksamkeit.  Agrippa  von  Nettesheim  erklärt:  y^ulla  .  .  . 
est  causa  necessiUUis  effectuum,  quam  rerum  omnium  conneado  cum  prima  causa 
et  correspondetitia  ad  illa  divina  exemplaria  et  ideas  aetemas"  (Occ.  philos.  I,  1). 
Paracelsus  erkennt  nur  innere  Ursachen  an.  Dagegen  fassen  Cardaistus, 
Telesius,  Campanella,  Galilei  u.  a.  die  Causalität  der  Natur  als  eine 
mechanische  (s.  d.)  auf.  So  auch  F.  Baoon  und  besonders  Hobbes.  Nach 
ihm  „u^irkt^  ein  Körper  auf  jenen  Körper,  in  welchem  er  einen  Zustand  erzeugt 
oder  vernichtet  (De  corp.  IX,  1).  Die  vollständige  Ursache  ist  ein  A^regat 
aller  Zustände  (Accidentien)  des  Tätigen  (1.  c.  3).  Mit  der  vollständigen  Ur- 
sache ist  die  Wirkung  gegeben.  Jede  Wirkung  setzt  notwendig  eine  Ursache 
voraus  (1.  c.  5).  Desoartes  rechnet  das  Causalgesetz  („ex  nihilo  nihil  fit") 
zu  den  „ewigen  Wahrheiten"  (s.  d.),  d.  h.  zu  den  denknotwendigen  Batzen,  die 
immer  gelten  (Princ.  phil.  I,  49).  Alles  Geschehen  hat  eine  Ursache  seiner 
Existenz  sowohl  wie  seiner  Fortdauer  (Besp.  ad  I.  Obi.).  Nicht  die  Zweck-, 
sondern  die  bewegenden  Ursachen  sind  wissenschaftlich  zu  suchen,  yylta  denique 
ntdlas  unquam  rationes  circa  res  naturales,  a  fine,  quem  Deus  aut  natura  in 
iis  fadendis  sibi  proposuit,  desumemi^  .  .  .  Sed  ipsum  ut  causam  efficientem 
rerum  omnium  cofisiderantes,  videbimus,  quidnam  ex  iis  eius  attributis^  quorum 


Cansalitat.  165 


mg  nomwllam   notUiafn  voluü  habere  ^   circa  illos  eius  effectus,  qui  sensilms 
nasfyris   apparent,    lumen    naturale,    quod   iiobis    indidit,    coneludendum    esse 
(jstemlat^  (Princ.   phiL  I,  28).     Spinoza   erblickt  in   Grott  oder  der   „natura 
naiwrans^^    den    Urgrund    alles    Geschehens ,    aber    derselbe    ist    den    Dingen 
ünnument,    wirkt    in    ihnen    als    Substanz    (s.   d.).      Aus    Gott    „folgt^^    (se- 
(jiiitur)  alles  mit  mathematisch-logischer  Notwendigkeit,  wie  aus  der  Natur  des 
Dreiecks  folgt,  daß  es  zwei  rechte  Winkel  hat  (Eth.  I,  prop.  XVI).    Gott  ist 
„rottsa  c/Tiricns",  „causa  per  «c",  „absolute  causa  prima'^  (Eth.  I,  prop.  XVI). 
JkuB  est  omnium  rerum  causa  immanens,  non  vero  transiens^*  (1.  c.  prop.  XVIII). 
Innerhalb  des  AUs  ist  jedes  Geschehen  streng  causal  —  ohne  finale  Ursachen 
«s.  Tdeologie)  —  bedingt,  ein  Modus  (s.  d.)  der  „Substanx^^  durch  den  andern. 
..£r  data  causa  determinata  neeessarto  sequitur  effectus,  et  contra  st  nulla  detur 
determinaia  causa,  impos»ibüe  est,  vi  effectus  sequaiur*^  (Eth.  I,  ax.  III,  prop. 
XXA^ni)-     „Effectus  cognitio  a  cognitione  causae  dependet  et  eandem  inrolvif^ 
'L  e.  ax.  IV).    Nichts  ist  ohne  Wirkung:  „Nihil  existit,  ex  ctdus  natura  aliquis 
ffferius  non  sequatur"'  (Eth.  prop.  XXXI).     Sowohl  für  die  Existenz  als  die 
Xichiexistenz  eines  Dinges  (Geschehens)  muß  ein  Grund,  eine  Ursache  bestimmt 
werden.    „Cuiuscunque  rei  assignari  debet  causa  seu  ratio,  tarn  cur  existit,  quam 
cur  non  existit^  (L  c.  prop.  XI,  dem.).     „Adäquate"  Ursache  („causa  ad€iequata") 
ist  jene,  „euius  effectus  potest  clare  et  distinete  per  eandem  percipi",  „inadäquate" 
'oder  „partielle^*)  Ursache  jene,  „euius  effectu>s  per  ipsam  solam  intelligi  nequit" 
'Eth.  m,  def.  I).     Greistiges   kann  nicht  auf  Körperliches  wirken,  es  besteht 
hier  nur  ein  Parallelismus  (s.  d.).    Gott  ist  „causa  sui"  (s.  d.),  hat  keinen  Seins- 
grond  aufier  sich,  besteht  in  und  durch  sich.    Auch  Geuuncx  (s.  Occasionalis- 
mos)  und  Malebbanche  erkennen  in  Gott  die  wahre  Ursache  alles  Geschehens. 
Letzterer  betont:    „II  y  a  nul   rapport  de  causalite  d'un   corps  ä  un  esprit. 
Que  dis-je!  ü  n*y  en  a  aueun  d'un  esprit  ä  un  corps.    Je  dis  plus,  il  n'y  en  a 
oüfun  d'un  eorps  ä  un  corps,  ni  d' esprit  ä  un  autre  esprit"  (Entret.  sur  la  m^t 
IV,  11).     yJXeu,   qui  agit  en  fious"  (Rech.  II,  6).     „//  n'y  a  done  qu'un  seul 
trai  IHeu  et  qu'une  seule  cause,  qui  soit  veritablement  cause,  et  Von  ne  doit  pas 
f'ifnoffiner  que  ce  qui  precede  un  effet  en  soit  la  rerUahle  caus&^  (Rech.  VI,  2,  3). 
Dis  Einzelgeschehen  ist  nur  Gelegenheit  („occasio")  für  ein  durch  das  Ganze 
bestimmtes  anderes.    Leibniz  führt  das  Causalprincip  auf  das  Denkgesetz  des 
^Üatxes  vom  Örunde^^  (s.  d.)  zurück,  welches  dazu  dient,  Erfahrungstatsachen  zu 
begreifen.     Nach    diesem  Gesetze   geschieht  nichts  ohne  zureichenden  Grund 
{.raison  süffisante^');  das  ist  keines  Beweises  bedürftig  (Monad.  32,  36;  Theod. 
I.  §  44;  3.  u.  5.  Br.  an  Clarke).     Aber  die  Causalität  besteht  nicht  in  einem 
jHfluxus"  eines  Dinges  auf  andere,  alle  Wirksamkeit  ist  immanent,  bleibt  inner- 
halb der  Wesen,  Monaden  (s.  d.).     Aus  der  Einfachheit  dieser  folgt,  daß  die 
natürlichen  Veränderungen  der  Monaden   von  einem  inneren  Princip  kommen 
I Monad.  11).     Jeder  gegenwärtige  Zustand   einer  Monade   ist  eine  natürliche 
Folge  ilires   vorhergehenden   Zustandes  (1.   c.   22).      Keine  wahrhafte,  directe 
Wechselwirkung  besteht  zwischen  den  Dingen,  sondern  eine  „prästabili^rte  Har- 
monik' («.  d.),  aus  der  eine  bestimmte  Ordnung,   eine  bestimmte  Abhängigkeit 
der  Dinge  voneinander  sich  ergibt,  obgleich  die  Tätigkeit  derselben  in  ihnen 
verbleibt-     „Uaciion  entre  substances  crees  ne  consistant  que  cfans  cetfe  depen- 
dnne^  que  les  unes  ont  des  autres  en  suite  de  la  Constitution  originale,  que  Dieu 
leur  a  dofifiee  .  .  ."  (Cierh.  IV,  492).    „Les  efforts  sont  chex  eiix  et  ne  ront  pa>s 
des  unes  dans  les  autres,   cor  ce  ne  sont  que  des  tendances"  (1.  c.  S.  493).    Es 


166  CausaUtät. 


gibt  auch  eine  rein  psychische  Causalität  in  den  Seelen :  ^^Vänie  est  excitee  aus 
pensees  suivantes  par  son  ohjel  intenie,  e'est'ä-dtre  par  les  pensies  preeedent^s^^ 
(Gerh.  III,  464).  Nach  Chk.  Wolf  ist  Causalität  , oratio  illa  in  causa  contenta, 
cur  caiisatum  rel  simplieifer  existat  vel  tah  existat"  (Ont.  §  884).  Crusius 
nennt  Causalität  ^.dasjenige  Verhältnis  xwischen  Ä  vnd  B,  da  die  WirJdiehkeit 
B  von  der  Wirklichkeit  A  abhanget,  ohfie  daß  B  nur  mit  A  zugleich  *>/  oder 
darauf  folget,  und  auch  so,  daß  B  kein  Teil,  determinierende  oder  inhäriere»tde 
Eigenschaft  von  A  sein  darf^  (Vemunftwahrh.  §  32). 

Eine  psychologische  Erklärung  des  Causalb^riffes  beginnt  bei  Locke,  der 
ihn  auf  die  Wahrnehmung  der  Entstehung  von  Eigenschaften  und  Dingen  durch 
die  Tätigkeit  anderer  Dinge  zurückführt  (Ees.  II,  eh.  26,  §  1).  Der  Causal- 
begriff  ist  ein  Eelationsbegriff,  der  aus  der  Vergleichung  mehrerer  Dinge  mit- 
einander entspringt,  wobei  dasjenige,  dem  Tätigkeit  und  Kraft  ^„pairer"y  zu- 
geschrieben wird,  als  Ursache  gilt  (1.  c.  §  2).  Berkeley  betont,  daß  den 
Körpern  (s.  d.)  als  bloßen  „Ideen"  keine  Wirksamkeit  zukommt.  Grott  ist  es, 
der  die  regelmäßige  Yerknüpfimg  der  Ereignisse  herstellt  (Princ.  XXX).  Wir 
schreiben  den  Dingen  dann  Kraft  und  Tätigkeit  zu,  wenn  wir  bemerken,  daß 
auf  gewisse  Vorstellimgen  beständig  bestimmte  andere  Vorstellungen  folgen  und 
wir  zugleich  wissen,  daß  dies  nicht  von  unserem  Tun  herrührt  (1.  c.  XXXJI). 
Die  vermeintlichen  „Ursachen"  sind  aber  nur  Zeichen  für  das  Auftreten  be- 
stinunter  Zustände,  die  wü*  erwarten  müssen  (1.  c.  LXV).  Die  einzige  erkenn- 
bare Ursache  ist  der  Geist  (s.  d.).  Condillac  bemerkt:  „Aprh  les  effets  qu'on 
voit,  on  juge  des  cauaes  qu'on  ne  voit  pas.  Le  mmweimeni  dun  eorps  est  un 
effet:  il  y  a  dotu^  une  cause.  II  est  hors  de  dotäe  que  eeäe  cause  existe,  quoigu 
aucun  de  mes  sens  ne  nie  la  fasse  apercevoir,  et  je  la  nomme  force^'  (Log-  I,  5). 
Nach  Bonnet  führt  die  Beobachtung  („Observation"),  daß  die  Natur  sich  stetig 
verändert,  und  daß  jede  Veränderung  die  unmittelbare  Folge  irgend  welcher 
vorangegangenen  ist,  zum  Causalbegriff  (Ej»s,  de  Psych.  C.  16). 

Daß  aus  der  Wahrnehmung  des  regelmäßigen  Zusammenvorkommens  von 
Zuständen  nicht  ohne  weiteres  auf  einen  Causalzusammenhang  geschlossen  werden 
kann,  betont  Glanville.  „All  knoicledge  of  causes  is  dedtietire^  for  we  h^wtr 
turne  by  simple  iniuition,  but  through  the  mediation  of  their  e/fects.  So  that  tre 
cannot  conclude  any  thing  to  be  the  cause  of  anotfier  but  from  its  coniinual 
accotnpanying  it,  for  the  causality  itself  is'  insensible.  But  now  to  argue  froni 
a  eoncomitaney  to  a  causality  is  not  infaüibly  conclusive,  yea  in  this  way  lies 
notorious  delusion"  (Sceps.  seien t.  23,  p.  142).  ^  Hume  vollends  erklärt,  die  Gültig- 
keit des  Causalprincips  sei  weder  aus  der  Vernunft  noch  aus  der  objectiven 
Erfahrung  zu  deducieren,  sondern  der  Causalbegriff  entstehe  rein  subjectiv- 
psychologisch,  durch  die  subjective  Notwendigkeit  der  Ideenassociation.  Das 
Causalgesetz  lautet :  Whatever  begins  to  exist,  must  have  a  cause  of  existetine^ 
(Treat.  I,  p.  380).  Die  Causalität  liegt  nicht  in  den  Binnesimpressionen,  sondern 
beruht  auf  geistiger  Verknüpfung  von  Vorstellungen  (1.  c.  III,  sct.  14).  Die 
regelmäßige,  constante  Verbindimg  von  Vorstellungen  erzeugt  in  uns  die  Er- 
wartung einer  bestinunten  Vorstellung  beim  Auftreten  der  einen,  ein  Gefühl 
der  Notwendigkeit,  von  einer  zur  andern  überzugehen,  einen  subjectiven  Glauben 
(belief),  der  aus  dem  post  hoc  ein  propter  hoc  macht,  eine  Notwendigkeit  in 
die  Dinge  hineinl^t,  obgleich  sie  nur  im  Bewußtsein  steckt  (ib.  und  Inquin 
IV,  1).  So  muß  es  sein,  denn  begrifflich,  a  priori,  kann  eine  Wirkung  aus  der 
Ursache  nicht  gefimden   werden   (Inqu.  IV,  1,  11);   die   Erfahrung   wiederum 


CauaaUtät.  167 


«nthält  keine  „impreasiona^f  von  denen  der  CausaLbegriff  zu  abstrahieren  wäre ; 
er  hat  keine  anschauliche  Grundlage.  Das  Dasein  objectiver  und  noch  weniger 
metaphysischer  Ursachen  und  Kräfte  ist  also  nicht  plausibel  und  erkennbar  zu 
machen,  wiewohl  wir  den  Causalbegriff  empirisch  nicht  entbehren  mögen;  er 
ist  hier  actueUer  Natur,  bezieht  sich  nicht  auf  Dinge,  sondern  auf  Vorgänge, 
die  miteinander  associativ  verknüpft  werden  (Inquir.  IV,  1).  Ahnlich  lehren 
teilweise  Jameh  Mill  (Anal.  eh.  24)  imd  Th.  Brown  (On  cause  and  effect 
p.  Kbs  ff.). 

Die  schottische  Schule  betrachtet  den  Causalbegriff  als  ursprünglich, 
Ak  ewige  Wahrheit,  als  y^aelbst-evident*^  im  Denken  liegend.  Nach  Ferguson 
irt  bei  jeder  wahrgenommenen  Veränderung  ,jder  Mensch  van  Natur  geneigtj 
eine  verändernde  Kraft  oder  Ursache  xu  vermuten^^  (Gr.  d.  Moralphil.  S.  4). 
3(£Nl>EL8äOHN  meint,  „daß  die  öftere  Folge  xweier  Erseheiruingen  aufeinartder 
UHS  (he  gegründete  Vennutung  gäbey  daß  sie  miiema/nder  in  Verbindung  stehen" 
(Uorgenst.  I,  2).  Nach  Tetens  nehmen  wir  den  Causalbegriff  „xunächst  aus 
detH  Gefühl  von  unserem  eigenen  Bestreben  und  dessen  Wirkungen"  und  über- 
tragen ihn  dann  auf  die  Außendinge  (Phil.  Vers.  I,  323  f.).  Die  Theorie 
HocEs  kritisiert  er,  mit  Anerkennimg  des  in  dieser  Berechtigten  (1.  c.  I,  312  ff.). 
Doch  sieht  er  im  Causalbegriff  weder  ein  Product  der  Association  noch  der 
Induction,  sondern  ein  Denk-  (Verstandes-)  Erzeugnis,  eine  „notwendige  Wirkungs- 
ari"  des  Denkens,  die  aus  dem  ,,Be%iehen"  entspringt  (1.  c.  S.  317  ff.). 

Als  eine  Kategorie  (s.  d.)  des  Denkens,  als  apriorischer  (s.  d.),  ursprüng- 
licher, unabhängig  von  der  Erfahrung  gültiger,  diese  schon  bedingender,  in  der 
Einheit  des  reinen  Ich  begründeter,  den  objectiven  Zusammenhang  der  Vor- 
stellungen herstellender,  aber  nur  für  die  Dinge  als  Erscheinungen  (s.  d.)  gültiger 
Begriff  wird  die  Causalität  von  Kant  bestimmt.  Mit  Hume  stinmat  er  darin 
überein,  daß  wir  „die  Möglichkeit  der  Causalität^  d.  i.  der  Bexiehung  des  Da- 
*eins  eines  Ditiges  auf  das  Dasein  von  irgend  etwas  anderem,  was  durch  jefies 
noticendig  gesetzt  werde,  durch  Vernunft  auf  keine  Weise  einsehen"  (Proleg.  §  27). 
Aber  er  ist  weit  entfernt,  den  Causalbegriff  „ais  bloß  aus  der  Erfahrung  ent- 
lehnt*  und  die  causale  Notwendigkeit  „als  angedichtet  und  für  bloßen  Schein 
XU  hatten,  den  u?is  eine  lange  Geirohnheit  vorspiegelt"  (ib.).  Vielmehr 
ist  der  Ursprung  des  Causalbegriffs  ein  logischer,  intellectualer,  indem  dieser 
Begriff  erst  Erfahrung  ermöglicht,  objective  Notwendigkeit  in  ihr  erzeugt,  setzt. 
Er  ist  ein  Einheitsbegriff,  eine  Form  aller  Erfahrung,  ein  „reiner  Verstandes- 
hegri/p%  der  nicht  in  der  Wahrnehmung  liegt  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  181).  Es 
ist  eben  „nur  dadurch,  daß  wir  die  Folge  der  Erscheinungen,  mithin  alle  Ver- 
änderung dem  Gesetze  der  Causalität  untenrerfen,  selbst  Erfaßirung  möglieh"  (ib.). 
^  ergibt  sich  a  priori  das  Gesetz:  „Alles,  was  geschieht  (anhebt  xu  sein),  setxt 
tttcas  voraus,  worauf  es  fiaeh  einer  Regel  folgt"  (1.  c.  S.  180).  Die  Vorstellung 
der  Aufeinanderfolge  setzt  schon  die  Nötigung,  die  Ordnung  der  Wahrnehmungen 
als  eine  bestimmte  zu  betrachten,  voraus  (1.  c.  S.  186).  Das  Schema  der  Zeit- 
folge ermöglicht  die  Anwendung  des  Causalbegriffs  auf  die  Anschauimg  (1.  c. 
S.  191).  Dieser  dient  der  Herstellimg  „einer  synthetischen  Vereinigung  der 
Wahrnehmungen  in  einem  Bewußtsein  überhcmpt",  bezieht  sich  aber  nicht  auf 
Dinge  an  sich  (s.  d.),  die  völlig  unerkennbar  sind  (Proleg.  §  29).  Der  Causal- 
begriff hat  also  wohl  objective  Gültigkeit,  aber  keine  transcendente  (s.  d.) 
Realität.  Als  empirische  Ursachen  sind  nicht  Dinge,  sondern  Vorgänge  an- 
zusehen. 


168  CauaaUtat. 


Nach  Beck  ist  die  Causalitat  ,,die  ursprüngliche  Synihesis  der  Zustände 
eines  Beharrliehen  und  eine  ursprüngliche  Anerkennung,  wodurch  diese  Synthese 
fixiert  und  objectiv  wird"  (ErL  Aiisz.  III,  159).  SCHOPENHAUER  bezeichnet  die 
Caiisalität  als  „die  einxige  Kategorie,  die  »ich  nicht  wegdenken  läßt".  Sie  ist 
a  priori  (s.  d.),  eine  Gnmdfunction  des  reinen  Verstandes,  eine  Bedingung  aller 
Erffkhrung,  durch  die  erst  das  Bewußtsein  von  Außendingen  (s.  Object)  entsteht. 
Der  Causalbegriff  ist  eine  der  Gestaltungen  des  Satzes  vom  Grunde  (s.  d.). 
Die  „  Ursache^'  ist  kein  Ding,  sondern  immer  eine  Veränderung  (W.  a.  W.  u.  V. 
II.  Bd.,  C.  4).  Helmholtz  betrachtet  das  Causalgesetz  als  a  priori  gegeben 
und  transcendental  (s.  d.),  es  bedingt  alle  Erfahrung  (Tats.  in  d.  Wahni.  tS.  42, 
Vortr.  u.  Red.  II*,  243  f.).  Auch  nach  O.  Schneider  ist  die  Causalitat  eine 
apriorische  Kategorie  des  Denkens  (Transcendentalpsych.  S.  129).  L.  Noirb 
sieht  in  ihr  eine  apriorische  Form  des  Denkens  (Einl.  u.  Begr.  ein.  mon.  Erk. 
S.  25).  Er  unterscheidet  Empfindungs-  oder  innere  und  Bewegungs-  oder  äußere 
Causalitat  (1.  c.  S.  27).  Die  „wahre  Causalitat^  ist  das  Ich  (1.  c.  S.  175).  Nach 
WiNDELBAKD  ist  das  Causalgcsctz  „der  assertorische  Ausdruck  für  unser  Postulat 
der  Erklärung  (Prälud.  S.  217).  A  priori,  aber  transcendent  gültig  ist  die  Cau- 
salitat nach  MainlXnder.  A  priori  und  bloß  erkenntnisimmanent,  für  mög- 
liche Erfahrungen  gültig  ist  der  Causalbegriff  nach  A.  Lange,  H.  Cohek, 
P.  Natorp,  O.  Liebbiann  (AnaL«,  S.  190),  H.  Lorm  (Grundlos.  Optim.  S.  163  ff.), 
Witte  (Wes.  d.  Seele  S.  154  f.),  E.  Koenig  u.  a.  Betreffs  M.  de  Birax, 
Renoüyier,  IVIanbel  u.  a.  vgl.  unten. 

Bevor  wir  die   an  die  KANTsche  Auffassung  der  Causalitat  sich  M'eniger 
streng  anschließende,  aber  doch  nicht  (rein)  empirische  Bestimmung  des  Causal- 
begriffs  verzeichnen,   sei  erst    noch  eine  Reihe  z.  T.   objectiv -metaphysischer 
Formulierungen  erwähnt.    S.  Maimon  bemerkt:  „Nicht  das  Dasein  eines  Ob/erfs 
ist  Ursache  xurn  Dasein   eiftes  andern  ObjectSj  sondern  bloß  das  Dasein  eines 
Objects   Ursache  von  der  Erkenntnis  des  Daseins  eines  andern  Objecis  als  ir*r- 
kung  und  umgekehrt"  (Vers.   üb.  d.  Tr.  S.  223).     Nach  J.  G.  Fachte  stammt 
der  Causalbegriff  aus   ursprünglichen  Setzungen  (s.  d.)  des  Ich.     Indem   das 
Ich  (s.  d.)  Realität  im  Nicht-Ich  setzt,  findet  es  sich  durch  dieses  bestimmt  und 
leidend,   während   das  Nicht-Ich  als   tätig  erscheint  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  64). 
SCHELLING   sieht  im   CausalitätsverhältnLs  „die  fwtwendige  Bedingung,    unter 
welcher  allein  das  Ich   das  gegen icärdge    Objeet   als    Object   anerkeyuwn   kanw*^ 
(Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  222).     Ohne  Wechselwirkung  kein  Causalverhältnis  (1.  tv 
-S.  228).    „Nach  dem  Öesetx  der  Ursache  und  Wirkung  xu  urteilefi,  ist  uns  .  .  . 
durch  eine  nie/U  bloß  von  unserem   Wollen,  sondern  selbst  von  utiserem  Denken 
unabhängige  und  diesem  vorausgehende  Notwendigkeit  auferlegt,*^  es  ist  ein  „reales 
Principe  (Zur  Gesch.  d.  neueren  Phil.    W\V.  I,  10,  78).    Nach  Hegel  ist  jede 
Ursache  (s.  d.)  eigentlich  „causa  sid"  (s.  d.),  die  sich  in  eine  unendliche  Reihe 
Bpaltet  (Encykl.  §  15B).     K.  Rosenkranz  erklärt:   „2hir  Causalitat  wird  eitie, 
Substanx,  wenn  sie  ein  von  ihrer  Macht  relativ  selbständiges  Dasein  setxt,  icclehe^y 
als  gesetxtes  .  .  .,  fortan  sein  eigenes  Schicksal  xu  haben  vermag."    „Die  Stib- 
stanz  wirkt  nur  sich  selbst  aus,"  als  Ursache  setzt  sie  sich  in  der  Wirkung;  es 
entsteht  ein  „nejrus  rerum  omnium   cum  omnibus"   (Syst.  d.  Wiss.  S.  82  ff.). 
HiLLEBRAKD   betrachtet  das  Causalgesetz  als  ein  real-objectives,   dessen  Not- 
wendigkeit in  der  imveränderlichen  Gegenseitigkeit  der  Substanzen  liegt  (PhiL 
d.  Geist.  I,  16  f.).    Trendelenburg  leitet  die  Causalitat  aus  der  „constructiren 
Bewegung"  des  Denkens  ab ;  sie  ist  ein  subjectiv-objectiv  gültiger  Begriff  (Gesch. 


Oanaalitat.  l^ 


d.  Kateg.  8.  366).     Nach  Herbabt  enthalt  der  Causalbegriff  „Widersprüche*^ 
'S,  d.),  die  sich  aus  dem  Denken  der  Veränderung  und  dem  Grunde  derselben 
»geben;  dieser  kann  weder  eine  äußere  noch  eine  iimere  Ursache  der  Veräiide' 
rang  sein,  noch  kann  dieselbe  ursachlos  sein,  auf  ein  absolutes  Werden  zurück- 
geführt werden.    Es  kann  nicht  der  Erfolg  eines  Wirkens  auf  ein  anderes  Ding 
übergehen  (wie  Leibniz).    Vielmehr  ist  anzmiehmen,  daß  die  realen  Wesen  sich 
jEegen  die  „Störungen*^  ein  „Zusamtnen**  mit  anderen  in  ihrem  Selbst  erhalten. 
Dieses  Sich-selbst-erhalten  ist  das  wirkliche  Geschehen,  die  immanente  Causalität 
in  doa  Dingen,  die  im  ,,Zuschauer*'^  den  „objeetiven  Schein^*,  die  „zufällige  Arir- 
fickt*^   einer  Wechselwirkung  erzeugt  (Met.  II,  209  ff.).     Es  gibt  metaphysisch 
nur  Gelegenheitsursachen,  keine  äußerlich  wirkenden  Kräfte.    Auch  Lotze  be- 
tont,  die  Causalität   sei  keine  Ablösung  eines  Zustandes  und  Übergehen  des- 
selben Ton  Ding  zu  Ding;  jede  Ursache  sei  Gelegenheitsursache,  Veranlassung. 
^Uberail  besteht  das  Wirken  eines  a  auf  ein  b  darin j  daß  nach  einer  allgeyyieitien 
Weitcrdnung  ein  Zustand  des  a  für  b  die  xtcingende  Veranlassung  ist,  auf  welche 
dieses  ö  Otts  seiner  eigenen  Natur   einen  neuen  Zustand  ß  hervorbringt,   der  im 
aägemeinen  mit  dem  Zustand  von  a  keine  Ähnlichkeit  xu  haben  braucht*  (Grdz.. 
d.  PSTchol.  §  67).    Die  Causalität  ist  eine  Beziehung,  der  in  Wirklichkeit  nur 
eine  Abfolge  innerer  Zustände  der  Dinge  entspricht  (Grdz.  d.  Met.  §  44).    Sie 
ist  stets  Wechselwirkung,   deren  Begriff  lautet:   Wenn  zwei  Dinge  a  und  b  in 
eine   bestimmte  Beziehung  c  treten,   so  geht  a  in  a,  b  in  /9,  c  in  v  über  (1.  c. 
i^  33).     £in  „Übergang^*  von  Zuständen  kann   aber   deshalb   nicht  stattfinden, 
weil  scdclie  nicht  einen  Augenblick  ohne  Substrat  in  der  Luft  schweben  können 
'L  c.  §  35).   Erklärlich  ist  die  Wechselwirkung  jedoch  nur,  w^enn  man  die  Dinge 
als  5,7«»/e*%    „Modificationen**,   „Emanatiotien^*^   eines  Einheit  herstellenden  Ur- 
wesens  (3f)  ansieht,  so  daß  alle  Causalität  auf  Grott  zurückführt.    „Wejin  nun 
in  dem  Eifixdiresen  a  ein  Zustand  a  entsteht,  so  ist  dies  a  sofort  auch  ein  Zu- 
ftand  des  M.     Denn   da  a  nicJUs  anderes   ist  als  ein  Teil  von  M,  so  ist  jener 
Zustand  des  a  zugleich  einer  des  M"    „So  une  nun   a  in  unserer  Beobachtung 
Utk  als  Zustand  oder  Prädicai  eines  Einzelwesens  a  darstellt  so  können  ß  und  y 
ais  Zustände  anderer  Binxeltresen  b  und  c  erscheifien ,  und  dies  gibt  für  uns  den 
Anschein,  als  tcirkte  a  unmittelbar  auf  ein  voti  ihm  unabhängiges  b,  trährend  in 
Her  Tat  nur  M  auf  sich  selbst  ttirkt,  d.  h.  geuisse   Vorzusiände  des  M  innerhalb 
der    Wesenseinheit  des  M  die  Folgexustände  herr orbringen,  die  um  der  Natur  des 
M  Witten  ihre  eonsequente  Folge  sind"  (1.  c.  §  38;  Mikrok.  I,   162,  II,  158,  308, 
in.  232;  Met.  103  ff.,  359  ff.;  Log.  192,  518  ff.).     E.  v.  Hartmann  sieht  in 
der  Causalität  eine  Kategorie  (s.  d.),  das  Product  einer  „nnbettußten  InteUectualfunc- 
*ion^,  durch  die  der  Erfahrungsstoff  geordnet,  vereinheitlicht  wird.     Aber  die 
.^Causalität  in   der  subjectiv  idealen  Sphäre"    ist   „repräsentative   Nachbildung 
fjhjeetiv  realer  Causalbeziehungen  fürs  Betrußtsein"  (Kategor.  S.  377).     Der  ob- 
jectiven  liegt  wieder  die  Causalität  des  Absoluten  in  der  „metaphysischen  Sphäre" 
zugrunde   (l.  c.  S.  363).     Alle  Causalität   ist   „Tra7isformatiofi  einer  Intensität 
aus  einer  Erscheinungsform  in  eine  andere",  d.  h.  sie  ist  „ätiotrop''  (1.  e.  S.  4()8). 
I>ie  ,,transeendente^*  Causalität  umfaßt  die  „intralndiriduelle",  „interindiriduelle^' ^ 
j^lotrope^'  und  „isotrope^*  Causalität.     „Transeufit*^  ist  die  Causalität,  die  von 
nner  Substanz   zur  andern  übergeht;   solche   ist  aber  unmöglich  (1.  c.  S.  417). 
Daher  können  die  Individuen  keine  Substanzen  sein  (1.  c.  S.  419).    Alle  inter- 
individuelle Causalität   ist  eine  intraindividuelle  in  Bezug   auf  das  Universum 
»ib.).     „Alte  Wechselwirkungen  der  huiividuen   ufüereinander  sind  genta  absoluti 


170  Causalitat. 


j)€r  indtvülua*^  (1.  c.  S.  421;   vgL  Phil.  d.  Unbew.*,   Ö.  790);     Alle   psychische 
Causalitat  ist  imbewußt  (s.  d.). 

Aus  der  Anwendung  der  Gesetzmäßigkeit  des  Denkens  auf  den  Inhalt  der 
Erfahrung,  aus  der  begründenden  Xatur  des  Denkens,   das   in  alle   seine  In- 
halte  Einheit   und  Zusammenhang  bringen   muß,   um  seine  Identität  zu  be- 
wahren,  leiten   verschiedene  Philosophen  den  Causalbegriff  ab,  der  bald  mehr 
realistisch,   bald  mehr  idealistisch  aufgefaßt  wird.    Nach  L.  Strümpell  hat 
der  Satz  vom  Grunde  auch  für  diejenigen  Prämissen  Gültigkeit,  in  welche  die 
Tatsachen  der  Wahmehmimg  eingefügt  sind  (Der  Causalitätsbegr.  S.  22).    Aus 
dem  Satze  vom  Grunde  folgt,    „daß,   wo  Prämissen  gegebeti  sind,   sich  logisch 
notwendig   die  Coiirltision,   uml   xivar  nur  die  eine  ergibt,   für  tcelehe  der  xU' 
reichende  Orund  in  den  I^rävrissen  liegt.     Diese  Folgerung  uandelf  sieh  da,  tro 
die  Prämissen  eine  Erfahruiigstaisaehe  einsehließen  und  in  der  Coficlusion  wieder 
XU  der  Vorstellung  einer  ErfaJirungstaisaehe  xurüekfükren,  in  den  Satz  um,  daß 
in  jenen  Prämissen  die  Ursachen,  in  der  Conclusion  die  notwendige  Wirkung 
-der  Ursachen  erkannt  sei*^  (1.  c.  S.  24).    Das  Causalitätsgesetz  heißt,  ,^ß  alles, 
was  geschieht,  sieJi  diso  als  Wahmekmungstatsache  darstellt,  auch  denknottcendig 
ist*    (ib.).      „Die   Causalitat  bedeutet  .   .   .   dasjenige  Verhältnis  xwischen  den 
logischen  Wahrheiten  und  einer  an  sieh  unbekannten  un  sinn  liehen  Wirk- 
lichkeit, nach  ireleJiem  beide  in  dem  Gebiet  der  Tatsachen  xusammen- 
jttimmend  sich  verknüpfen"  (1.  c.  S.  25).     „Der  wahre  Sinn  des  Causali- 
tätsgesetxes  ist  daher  nicht  der  gewöhnliehe  Gedanke,  daß  jede  Wirkung  ihre 
Urswhen  habe,  sondern  daß  jede  Tatsache  ein  Glied  im  intellectuellen 
Baue  der   Welt  ist   und  sich  als  solche  begreifen  läßt^"  (1.  c.  S.  26). 
Nach  B.  Erdmaxn   sagt   das   Causalgesetz   aus,   ,4aß  wir    Vorgänge  nur  als 
icirklich  annehmen,  sofern  wir  xureichende  Ursachen  ihrer  Wirklichkeit  voraus- 
srfxen'*  (Log.  I,  298).    Nach  SiGWART  entspringt  aus  der  Natur  des  Denkens 
„die  Forderum/ ,  daß,   was  wir  als  seiend  denken,   aus  einetn  Realgrund  seines 
Seins  und  So-Seins  als  notwendig  begriffen  werde^'  (Log*  H*»  134).   Ein  „Muster- 
fall"  aller  Causalitat   sind   die   uns   am   meisten    interessierenden    „Weehselbe- 
xiehungen  xwisclufi  uns  und  der  Außenwelt^  (1.  c.  S.  142  f.).     Das  metaphysische 
Element  (den  Gedanken)  des  „Wirketis  eines  Dinges  auf  andere  können  wir  nicht 
entbehren"  (1.  c.  S.  179).     Nach   Lipps   ist   die   Causidität  ein   Specialfall  des 
Satzes  vom  Gnmde  (Gr.  d.  Seelenleb.  S.  443).     ,^e€le  Veränderung  im  büialte 
einer  Vorstellungsnötigung  setxt  eine  Veränderung  in  den  Bedingufigefi  der   Vor- 
stef/ungsnötigung  voraus"  (1.  c.  S.  443).    Das  Causalgesetz  ist  nicht  der  Erfah- 
rimg entnommen,   sondern    ist   „ein  Gesefx  utweres  Defikens,  ein  Gesetx,  das  in 
der  Xatur  des  menschlichen  Geistes  liegt**  (Eth.  Gr.  S.  259);  es  beruht  auf  einem 
,,  Vertrauen  in  die  Gesetx  maß igkeit  aile^  Geschehens  in  der  Welt"  (L  c.  S.  263). 
Nach  HÖFFDIKG   ist   das  Causalprincip  ein  Ideal,   das  durch  unser  Erkennen 
nie  vollständig  vemirk licht  werden  kann  (Psychol.*,  S.  292).     Müksterberq 
betont:   „Regelmäßigkeiten  haben  .  .  .  Erklärungswert  nur,   wenn  sie  als  Bürg- 
schafien  oder  wenigstens  als  Anxeichen  reiner  Notwendigkeiten  atierkannt  werden*^ 
(fVincip.  d.  Psychol.  S.  80).     Die   Forderung  des   Causalzusammenhanges   ist 
(wie  der  Satz   vom  Grunde  überhaupt)   nur   eine   Anwendung   des    Identitäts- 
principe«.     „Aller  Causalxusamnienhang  ruht  auf  der  Identität  der  Objeete, 
aller   lof/ische  Zusammenhang   auf  der   Identität   der    Subjeetaete^*    (1.  c.  S.  82). 
Nach   H.   Spexcer    entspringt    der   Begriff  der   Verursachung   dem   Denken 
(Psych.  II,  §  398)  auf  Gmndlage  von  Erfahrungen  der  ganzen  Gattimg  (s.  A  priori). 


CausaUtat.  171 


Xach  RiBHL  ißt  die  Causalität  „die  Anwendung  des  ScUxes  vom  Grwuie  auf  die. 
njfitiirheti  Veränderungen  der  Ersefieinunge^i  oder  kurx:  dasPrincip  des  Grutuies 
in  der  Zeit'  (Phil.  Kr.  II,  1,  240).  Causalität  besagt,  „rfa)J  jeder  Vorgang  %u 
heaitmmien  früfierepi  im  Verhältnis  der  Folge  stehe^  drückt  mithin  den  Gedanken 
^r  Continuitäi  des  Gese/iehens  aus"  (L  c.  II,  2,  46).  Psychologisch  ist  sie  der 
.Amdruek  des  Gefühls  der  Abhängigkeit  einer  Erscheinung  von  einer  andern  und 
rffi»  Triebes,  die  wahrgenommene  Veränderung  meines  Zustandes  ansc?iaulich  xu 
er^nien**  (1.  c.  S.  65).  Ihrem  Inhalte  nach  stammt  die  Vorstellimg  des  Ver- 
ursachens  ans  dem  Bewußtsein  der  eigenen  WiUenstätiglceit  (Phil.  Kritic.  II,  1, 
Ä6).  „  Wir  suchen  Ursachen  in  der  Natur ^  tveil  wir  selbst  Ursachen  in  i/ir  sind, 
tcmn  wir  aiwJi  nicht  wissen  wie''  (Zur  Einf.  in  d.  Philo».  S.  101).  Zu  betonen 
igt:  „Ursächliche  Abfolge  unterscheidet  sich  von  xeitlicher  Folge j  atich  wenn  diese 
eine  cftUkommen  regelmäßige  ist,  durch  die  Constanx,  der  Größe,  die  das  Voran- 
gehende mit  dem  Folgetiden  einheitlich  rerbindet,  und  da  diese  Verbindung  der 
Fonu  alles  Begreifens,  dem  Satxe  des  logischen  Grundes,  d.  i.  der  Identität  des 
Grundes  in  der  Folge  etitspricht,  -macht  sie  zugleich  die  Notwendigkeit  im  ursäcli- 
liehen  Verhältnis  begreiflich''  (Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  144).  VoLKELT  ver- 
bindet mit  dem  Ausdruck  „  Causalität'^  den  Sinn,  „daß  eine  Ersdieinung  für  eine 
mtdere  bestimmend,  maßgebend  ist".  Causalität  bezeichnet  ein  Abhängigkeits- 
verhältnis, zu  ihr  gehört  das  „Durch"  (Erf.  u.  Denk.  S.  89),  das  zu  den  Er- 
scheinimgen  ,Jtinxugedacht"  wird.  Aber  der  Sinn  des  Causalitätsgedankens  ist 
der,  ,/laß  das  causale  Verhalten  von  den  betreffenden  Erscheinungen  selber  ge- 
lltet werde,  ^ie  selber  angehe"  (1.  c.  S.  95).  „Das  Bewußtsein  postidiert  die 
OcMsnlität,  es  bestimmt,  daß  im  Transsubjectiren  Causalität  Jierrsche,  ohtie  doch 
y  mit  dem  Transsubjectiven  in  Berührung  kommen  xu  können"  (ib.).  Causalität 
bedeutet  „unabänderliehe  Regelmäßigkeit  in  der  Verbindung  zweier  Factoren  oder 
Facioreneomplexe^'  (l.  c.  S.  226).  Nach  G.  Spicker  beruht  alles  Denken  auf  einem 
sinnlichen  Substrate,  geht  aber  über  dieses  hinaus  (Kant,  Hume  u.  Berkeley,  S.  165). 
FHe  Causalität  ist  a  priori,  insofern  die  Denknotwendigkeit  schon  aller  „Gewohnheit^' 
n.  dgL  zugnmde  liegt  (1.  c.  S.  178  f.).  Durch  den  Causalbegriff  wird  die  Er- 
&hrung  überschritten,  er  führt  zum  Ding  an  sich  (1.  c.  S.  42).  Nach  G.  Thiele 
,^neint"  die  Kategorie  der  Causalität  etwas  außer  dem  Denken,  sie  bezieht  sich 
auf  etwas  außer  ihr,  sei  es  was  immer  (Philos.  d.  Selbstbew.  S.  74  f.,  183,  411). 
WirsTDT  unterscheidet  vom  „substantiellen"  Causalbegriff,  dessen  Ursprung 
tin  anthropomorpher  ist,  den  „actuellen",  der  Vorgänge  (nicht  Dinge)  mit- 
einander verknüpft;  er  enthält  nichts  Metaphysisches  (Syst.  d.  Phil.',  S.  290  f., 
Log.  I*,  S.  595  ff.).  Die  naturA\issenschaftliche  Bedeutung  des  Causalprincips 
b^teht  darin,  daß  der  gesamte  Zusammenhang  der  Erscheinungen  als  einziges 
System  von  Gründen  und  Folgen  betrachtet  werden  will.  Die  speciellen  Natur- 
gesetze sind  schon  Anwendungen  des  Causalprincips ,  das  nicht  zu  entbehren, 
nicht  zu  „eliminieren"  ist  (Syst.  d.  PhiL«,  S.  288  ff.;  Log.  II«,  1,  S.  28,  30  f., 
m  ff.;  Phü.  Stud.  XllI,  98  f.,  101,  404;  Einleit.  in  d.  Phüos.  S.  299).  Betreffs 
des  Urspnmgs  des  Causalbegriff s  ist  gegen  Hume  zu  sagen,  daß  die  Association, 
aaf  die  er  sich  berufe,  zu  viel  erkläre,  „weil  sie  über  die  Begeht,  nach  detten 
*nr  aus  einer  größeren  Zahl  associativ  verbutidener  Ersclwinungen  diejenigen 
futsicählen,  denen  wir  eine  Causalverbindung  xusckreiben,  keine  Rechensclwft  gibt". 
Die  Annahme  der  Apriorität  des  Causalbegriff s  wiederum  macht  die  Frage  nach 
den  Kriterien,  die  zur  Anwendung  dieses  Begriffs  veranlassen,  nicht  entbehrlich. 
Xach  WüXDT  liegt  die  Quelle  der  Notwendigkeit  des  Causalgesetzes  im  Logi- 


172  CatuaUtät. 

sehen,  im  Satz  vom  Grunde.  Aus  ihm  geht  das  Causalprincip  hervor,  indem 
es  jjLedigliek  die  Amcendung  des  letzteren  auf  den  gesamten  Inhalt  der  Erfahrung 
darsfetW*.  Es  ist  „Erfahrungsgesetx^',  insofern  es  y/ür  alle  Erfahrung  gilt,  weil 
unser  Denken  nur  Erfahrungen  sammeln  und  ordnen  kann,  indem,  es  sie  naeh 
dem  Satz  vom  Grunde  terbindet^K  Apriorisch  ist  das  Gausalpriucip,  insofern  es 
auf  der  Gresetzmäßigkeit  des  Denkens  beruht,  empirisch,  insofern  es  Anschau- 
ungen voraussetzt,  auf  die  es  anwendbar  ist  Es  hat  den  Charakter  eines 
Postulates,  dem  sich  die  Erfahrung  überall  fügt,  wobei  sie  die  Form  der  An* 
Wendung  des  Cansalprincips  bestimmt  So  setzt  ihr  die  Erfahrung  Schranken. 
Erst  aus  den  besonderen  Bedingungen  der  Raumanschauung  und  des  Substanz- 
begriffs geht  das  Princip  der  Äquivalenz  von  Ursache  und  Wirkung  hervor. 
Im  Psychischen  hat  dieses  keine  Anwendung,  hier  herrscht  vielmehr  ein  Princip 
des  Wachstiuns  geistiger  Energie  (s.  d.)  (Log.  I«,  S.  556,  606  ff.,  611  ff.,  II«,  2, 
S.  141;  PhU.  Stud.  X,  106,  XII,  388,  393;  Gr.  d.  Psych.»,  S.  395  f.;  Syst,  d. 
Phil.«,  S.  304).  Vermittelst  der  psychischen  Causalität  wird  der  Zusanmienhang 
der  Bewußtseinsvorgange  hergestellt.  Diese  Causalität  ist  unmittelbar-anschAU- 
lieber  Art,  während  die  physische  Causalität  begrifflich -abgeleitet  ist.  Beide 
CausaHtäten  sind  aber  in  Wahrheit  nur  eine,  die  sich  von  verschiedenen  Stand- 
punkten aus  verschieden  darstellt  und  die  in  der  logischen  Causalität  des 
Denkens  in  unmittelbarster  Reinheit  gegeben  ist  (Syst  d.  Phil.«,  291,  593  f.,  301; 
Log.  I«,  625  ff.,  II«,  2,  291;  PhiL  Stud.  X,  107,' 109,  111).  Die  psychische 
Causalität  ist  rein  actueller  Art,  setzt  keine  Substanz  (s.  d.)  voraus. 

Auf  die  Erfahrung  und  auf  Induction  wird  das  Causalgesetz  mehrfach 
zurückgeführt,  wobei  aber  oft  das  Bedürfnis  oder  der  Trieb  nach  Zusammen- 
hang der  Erfahrungen  oder  irgend  eine  allgemeine  Voraussetzimg  immerhin 
als  ein  relativ  Apriorisches  anerkannt  werden  muß.  J.  St.  Mill  führt  das 
Causalgosetz  auf  Induction  (s.  d.)  zurück,  die  aber  selbst  die  Gleichföniügkeit 
des  Naturverlaufes  voraussetzt  —  was  allerdings  auch  wieder  Resultat  allge- 
meinster Induction  sei.  Im  einzelnen  erklärt  sich  das  Causalgesetz  aus  der 
Beobachtung  einer  „Unveränderlichkeit  der  Successian  xtrisclien  einer  Tatsache 
in  der  Xattir  und  einer  andern,  die  ihr  vorhergegangen  ist**  (Log.  I,  386).  Ein 
„ursprünglicher  Fettschismus**  ist  es,  „daß  wir  unsere  Willeftsacte  als  Tgpwt  aller 
Causalität  auffassen**  (1.  c.  S.  415).  Wir  verlegen  unser  Anstrengimgsgefühl 
beim  Übenvinden  eines  Hindernisses  in  die  Außendinge  (Exam:  p.  378).  Nach 
C.  GoERiNG  ißt  das  Causalgesetz  das  Ergebnis  der  Induction  (Syst  d.  Krit. 
Phil.  II,  211).  Es  besagt,  daß  jede  Wirkung  ihre  Ursache  hat  Seinen  Inhalt 
bildet  „die  durch  Erfahrung  hinlänglich  bestätigte  Voraussetzung,  daß  jede  in  die 
Erscheinung  tretende  Veränderung  oder,  coftcreter  gefaßt,  jedes  efiljitehende  Object 
wie  jeder  Zustand  nicht  ein  Letxtes,  rrsprüngliehes,  daher  einfach  als  tatsäch- 
lich Anxuerkennendes,  sondrrn  eine  Wirkung  mehrerer  Factoren  oder  Elemente 
sei**  (1.  c.  S.  209).  Nach  Czolbe  findet  in  jedem  wahrnehmbaren  Causal- 
zusammenhang  „xunächst  ein  bloßes  Nacheinander  der  Ursachen  und  der 
Wirkung**  statt  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  64).  Bestandteil  des  Causalver- 
hältnisses  selbst  ist  die  Notwendigkeit  der  Verknüpfimg;  ihr  Wesen  liegt  darin, 
,ydaß  gewisse  Verhältnisse  nur  in  einer  Weise  ausführbar  sind  oder  stattfinden"'^ 
(L  c.  8.  07).  Das  gilt  aber  niu*  von  der  mechanischen  Causalität,  alle  anderen 
Vorgänge  beurteilen  wir,  infolge  eines  logischen  Bedürfnisses,  nach  Analogie  jener 
(1.  c.  S.  07  f.).     Nach  P.  Ree   stammt  der  Causalbegriff  aus   der  Erfahrung. 


CauaaUtät.  173 


^CausaiterhäUnisse  sind  regelmäßige  Folgeverfiältnisse^^   (Philos.  S.  144).    Die 
GaosalitSt  ist  eine  jyDenhgewoknheit^^  (1.  c.  S.  155  ff.,  168  f.). 

Zur  ursprünglichen  Erwartung,  daß  Analoges  sich  analog  verhalt,  bringt 
ScHTBERT-SoLDERN  den  Causalbegriff  in  Beziehung  (Gr.  e.  Erk.  S.  242  ff.>. 
Narh  Laas  gründet  sich  die  Causalität  auf  das  ^fBedürfnis,  die  Zukunft  vorawi' 
lus^hen,  xu  berechnen  und  xu  beherrsefien"  (Ideal,  u.  posit.  Erk.  S.  261).  Die 
objcctive  Motivierung  des  Causalprincips  betont  E.  DÜhrino.  yjNieht  weil  wir 
eim  in  unserer  Versiandesperfasstmg  einen  UrsäMichkeitshegriff  wie  eifien  Ma- 
sekittenieil  eingerichtet  erhalten  hätten^  fragen  wir  nach  den  Ursachen^  sofnderji 
dia  geschieht,  treil  die  gegenständlichen  Vorgänge  in  speciellen  Richtungen  von 
der  Art  sind,  daß  sie  selber  nötigen,  dem  Zusammenhang  zwischen  ihren  Teilen 
narhxu forschen''  (Wirklichkeitsphilos.  S.  48  f.;  vgl.  Ix^.  S.  194).  F.  Ebhabdt 
oklirt  ähnlich:  „Wir  bilden  .  .  .  bei-  unserer  causalen  Erklärung  der  Ver- 
ämlerungen  die  objecticen  Verhältnisse  des  Seienden  selbst  in  unserem  Geiste 
nur  nach  und  tragen  nicht  vermöge  einer  sidijectiven  Denknotwendigkeit  eine 
Verknüpfwig  in  die  Dinge  hinein,  die  tcir  rein  erfahrungsmäßig  nicht  aus  ihnen 
kerau»iulesen  rermöehten.''  Die  Causalität  muß  den  Dingen  selbst  zukommen. 
Das  Bewußtsein  des  Wirkens  stammt  aus  der  innem  Erfahrung  (Metaph.  I, 
S.  443  ff.,  513  f.,  574  ff.,  600).  Patjlsen  bemerkt:  ,,Äuf  Grund  der  Wahr- 
^dommg,  daß  allemal,  wenn  wir  einer  Reihe  von  Vorgängen  mit  Aufmerksamkeit 
folgten,  auf  gleiche  Vorgänge  unter  gleichen  Umständen  gleiche  Vorgänge  ein- 
traten, ist  in  uns  zunächst  eine  allgemeine  Disposition  xur  Erwartung  dieses 
Verhaltens  entstanden,  und  diese  Erwartung  ist  dann  durch  die  xur  wissen- 
vkaftlichen  Forschung  entioickelte  Erfahrung  im  CauscUgesetx  als  ihre  all- 
ifemeinste  Voraussetzung  über  den  Naturlauf  formuliert  worden''  (Imman.  Kant 
^.  l^K  jyFreilieh  ist  es  dann  nicJit  ein  a  priori  notwendiges  Gesetz,  sondern, 
w  alle  Naturgesetze,  ein  bloß  präsumtiv  allgemeingültiger  Satz"  (L  c.  S.  191). 
Nach  DiLTHET  sind  Causahtät  und  Substanz  „nicht  eindeutig  bestimmte  Be- 
Sriffe^  sondern  der  Ausdruck  unauflöslicher  Tatsachen  des  Bewußtseins"  (Einleit. 
in  d.  Geisteswiss.  I,  512).  Nach  Schuppe  ist  jede  causale  Verknüpfung  nur 
«ine  zum  Bewußtsein  kommende  Verbundenheit  von  Daten  und  gehört  somit 
znr  wirklichen  Welt  objectiver  Bewußtseinsinhalte  (Log.  S.  59).  Der  „An- 
*fruch\  daß  sich  die  Daten  der  Erfahnmg  in  eine  Gesetzlichkeit  einordnen 
Itsen,  darf  nicht  auf  Transcendentes  angewandt  werden  (1.  c.  S.  60).  Die 
<^tQsale  Notwendigkeit  liegt  aber  nicht  im  Denken,  sondern  kommt  dem  Sein 
<x  d.)  selbst  zu,  dessen  „feste  Ordnung"  zu  seiner  Denkbarkeit  gehört  (1.  c. 
^.  65).  Während  die  Tatsachen  des  inneren,  geistigen  Lebens  „zugleich  mit 
ikrem  inneren  Zusammenhangt'  bewußt  werden,  werden  die  Verbindimgen  der 
Außendinge  durch  das  Ausschlußverfahren  (s.  d.)  und  durch  Induction  bestimmt 
'l  e.  S.  63).  R.  Wähle  meint,  der  Satz  der  Causalität  besage  nichts  als: 
^iebe  sieh  cUles  immer  gleich,  so  bliebe  sieh  alles  immer  gleich.  Ist  sich  nicht 
<^ei  gleich  geblieben,  so  muß  etwas  Neues  im  Spiele  gewesen  sein"  (Das  Ghmze 
<L  Philos.  8.  99).  Die  Objecto  als  solche  sind  incausal,  es  wirken  nur  die  un- 
brannten  „Urfaeioren"  (s.  d.).  Wir  haben  nur  einen  negativen  Begriff  der 
Treachlichkeit  (Kurze  Erkl.  d.  Eth.  Spinozas  S.  187  f.).  H.  Cornelius  findet 
^  formale  Grundlage  des  Causalgesctzes  das  Bedürfnis  des  Denkens  nach 
Begreiflichkeit  der  Erfahrungen.  Für  jede  unerwartete  Änderung  wird  eine 
J'rsache!"  gefordert.  Diese  Forderung  oder  das  allgemeine  Causalgesetz  ist 
nichts    anderes    als    „die   für   die  Einheit   unserer    Erfahrung    unentbehrliclie 


174  CauaaUtat. 


Forderung  der  Einordnung  aller  Erscheinungen  unter  constanie  empirische  Zu 
sammerihänge^^  Dadurch  wird  das  Neue,  Befremdende  zu  einem  Bekanntei 
Vertrauten  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  294).  Unter  der  „Erkenntnis  der  Ursache 
ist  nur  die  Art  imd  Weise  zu  verstehen,  „une  unser  Denken  die  begrifflich 
Ordnung  der  Erscheinungen,  welche  durch  die  unerwarteten  Erfahrungen  gestöt 
war,  gemäß  dein  Prineip  der  Ökonomie  des  Denkens  unederherstelW  (L  c.  S.  296) 
y,das  CausalgeseAx  muß  für  alle  Erfahrungen  in  der  objeetiven  Welt  fioticendi 
gelten,  weil  es  nichts  anderes  ist  als  die  Folge  derjenigen  Begriffsbildung,  okn 
tcelche  die  otjectire  Welt  für  unser  Denken  nicht  bestünde^^  (1.  c.  S.  298).  „Dl 
Tcdsa^che,  daß  tcir  alle  Änderungen  in  unserer  Umgebung  auf  die  ,Wirkungeik 
bestimmter  ,Ursa^hen^  xurüekxuführen  bestrebt  sind,  ist  nur  ein  besofiderer  Fal^ 
jenes  allgemeinen  Gesetzes,  welches  uns  dazu  treibt,  das  Neue  und  Fremdartig 
der  Erscheinungen  jederTieit  unter  das  von  unserem  eigenen  Dasein  her  bekattnt 
Sehetna  einzufügen.  An  unseren  eigenen  Wülenshandlungen  offenbart  sieh  un 
der  Zusammenlumg  eines  Wirkenden  und  der  von  ihm  ausgehenden  Wirkung 
je  geläufiger  und  selbstverständlicher  uns  dieser  Zusammenhang  ist,  um  so  be 
gieriger  streben  wir  alle  Erscheinungen  in  derselbeti  Weise  xu  begreifen.  En 
einer  späteren  Stufe  des  wissenschaftlichen  Denkens  ist  es  vorbehalteHy  die  letxtet 
Beste  dieser  anihropornorphen  Auffassung  der  Natur  xu  beseitigend^  (L  c.  S.  221] 
Damit  sind  wir  bei  der  Ansicht,  daß  der  Causalbegriff  (wenigstens  seinen 
Inhalte  nach,  dem  „  Wirken^^)  aus  der  inneren  Erfahrung  der  eigenen  Willens 
action  stammt,  angelangt.  Schon  Hume  macht  darauf  aufmerksam,  ohne  ih 
Gewicht  beizulegen.  Bonnet  lehrt,  daß  die  aus  der  inneren  Erfahrung  ver 
standliche  Causalität  auf  die  Außendinge  übertragen  wird.  Tetens  erklärt 
wir  nähmen  den  Causalbegriff  „zunächst  aus  detn  Gefühl  von  unserem  eigenft 
Bestrehen  und  dessen  Wirkungen^^ ,  und  „diejsen  aus  unserem  Selbstgefühl  ge 
nommenen  Begriff  tragen  ivir  auf  die  äußeren  Gegenstände  über^^  (Phil.  Vers 
I,  323  f.).  M.  DE  BiRAN  leitet  den  Causalbegriff  aus  der  unmittelbaren  Er 
fassimg  der  eigenen  Willenswirksamkeit  ab  (Oeuvr.  in^d.  I,  208  ff.).  Renouviei 
führt  die  Causalität  objectiv  auf  Harmonie  (s.  d.)  zurück  und  betrachtet  dei 
Causalbegriff  als  eine  Kategorie,  die  besonders  sich  gründet  auf  „Vauticipaticn 
innee  qui  est  inseparable  en  nous  d'une  appetifian  suivie  d'une  volition^^  (Soxw 
Monadol.  p.  22).  Es  muß  eine  „cause  premUre^^  geben  (1.  c.  S.  149).  —  Nad 
JaCOBI  würden  wir  „ohne  die  Grunderfahrung  einer  tätigen  Kraft,  deren  ici 
tms  i?i  einemfort  l)ewiißt  sind^^,  „nicht  die  geringste  Vorstellung  ron  Ursaek 
und  Wirkung  haben^'  (WW.  II,  201).  Nach  Eschenmayer  stammt  die  Katt 
gorie  der  Causalität  aus  dem  Grundgesetz  des  Selbstbewußtseins.  Das  Ich  ii 
als  „Substrat  des  Handelns  mit  der  Folgereihe  aller  Wirkungen^'  l'rsach 
(Psychol.  1817,  S.  299  ff.).  Ähnlich  lehrt  Frohschammer  (Monad.  u.  Well 
phant.  S.  65).  Nach  Beneke  wird  das  „Ineifuinder"  seelischer  Vorgänge,  an 
Veranlafisung  des  Zugleich  und  Nacheinander  der  Wahmehmimgen,  von  un 
der  Außenwelt  erst  untergelegt  (Log.  I,  307).  Ahnlich  SchleiermachjO 
H.  Ritter  (Hyst.  d.  Log.  II,  209),  Waitz  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  563  ff..  57|| 
Schopenhauer,  L.  Noire  (Monist.  Gedanke  S.  333;  Doppelnat.  d.  Causil 
S.  30),  A.  RiEHL  (Phil.  Krit.  II,  1,  209),  ]VLln^sel,  Romanes  („All  causation  ^ 
rolitional%  Ladd  (Psychol.  S.  215,  472  f.),  Sully  (Handb.  d.  PsychoL  S.  294  f^ 
H.  CoRNELn^s  (Einl.'  in  d.  PhUo«.  S.  22),  Sigwart  (Log.  II*,  143  ff.,  571] 
Wündt  (Phil.  Stujl.  X,  109  f.),  Erhardt  (Wechselwirk.  8.  162),  DiLTfflB 
(Einl.  in  d.  Geisteswiss.  I,  S.  XVIII),  J.  Wolfp  (Das  Bewußte,  u.  s.  ObjeJ 


Caiisalitat.  17> 


S.  593  f.),  J.  DuBOC,  der  die  Causalität  aus  der  Auffafisung  der  eigenen  Lebens-^ 
titigkeit  ableitet  (Die  Lust.  S.  44  f.).     Nach  Hameeling  ist  unser  Willens- 
impuls  „ct«e  unmittelbar  gewisse  Urstiche"  (Atom.  d.  Will.  II,  34).    Die  einzige 
m-ahrhaft  schöpferische  Causalität  ist  die  des  Willens  (1.  c.  S.  42).    Es  gibt  nur 
Ursachen  des  Geschehens,  nicht  des  Seins  (1.  c.  S.  44).     „Alle   Wirkung  von 
Monaden  aufeinander  beruht  .  .  .  darauf,  daß  eifie  Monade  der  andern  ihren- 
Zustand  mitteüt^^  auf  einer  ,yVerschmelxung"  (1.  c.  S.  8,  14).     Causalität  ist 
rjier  Zusammenhang  von  aüem  mit  allem"  (1.  c.  S.  45).    Nach  L.  Busse  ist  die 
psychische  Causahtät  „das   Vorbild  aller  Causalität"  (Geist  u.  Körp.   S.  191). 
&TSICKER    erklärt,    y,daß  wir  den  Typus   xu   unserer   ürsachetworstellung  in 
unserem    Willen  finden ;   daß   die  in  der  Außenwelt  gesttehten    Ursachen  nur 
daraus  hervorgehen,  daß  unsere  eigenen  Muskeln  nicht  imni£r  unserem  Wüleny 
\  sondern  einer  äußeren  Anregung  (xtcingend)  folgen;  daß  wir  demgemäß  auch  in 
4er  AußetHceÜ  einen   Willen  suchen"  (Stud.  üb.  Assoc.  S.  26  f.).     Auch  Jodl- 
!  äehi   im  Ich  das  Musterbild  aller  Causalität.     A.  KÜhtmann   bemerkt:   „In 
unserem  eigenen  Wollen  ist  ufis  das  Urbild  der  Kraft  und  damit  eine  immanente 
Causalität  gegeben.     Das  Selbstbewußtsein   ist  das  Bewußtsein  eines    Wirkens, 
\  und    eine    Veränderungen    bewirkende    Willenshandlung    ist    das   Prototyp    des 
'  Qutsal Verhältnisses"  (Maine  de  Bh-an  S.  15,  176,  181).     Nach  Groos  hat  das 
'  Causalbedürfnis  eine  „motorische  und  eifie  theoretische  Form".    Die  ursprüng- 
I  lichste   Vorstellung   vom   Causalzusammenhang  ist  der  Willenshandliuig   ent- 
fiommen  (Spiele  d.  Mensch.  S.  497).    Grogs  spricht  von  der  „Freude  am  Ur- 
Ita^he-sein"  als  einem  Factor  im  spielerischen  imd  ästhetischen  AVirken  (ib.). 
iXaeh  Jerusalem   sind   unsere  Willensimpulse  „die  einzige   Ursache,   die  wir 
\4ir^€t  erleben-^,  sie  sind  „das  Organ  für  die  Erkenntnis  causaler  Zusammen- 
\hnnge^'   (Urteilsfunct.  S.  220  ff.).     Im  Urteile  (s.  d.)  übertragen  wir,  vennöge 
[eiDer  y,fundatnentaUn  Appereeption"  (s.  d.),   die  eigene  Ursächlichkeit  auf  die 
I  Dinge  (L  c.  S.  253  f.,  Lehrb.  d.  PsychoL»,   S.  141  ff.).     Der  Causalbegriff   ist 
!«ne    „objeetiv   mitbedingte"  Form  unserer  Auffassung   der  Welt  (Urteilsfunct. 
S.  2T>\).     SiMHEL  meint,   daß  wir  uns  in  den  Kategorien  der  Causalität  und 
Eraft  nach  den  Gefühlserfolgen  unserer  Innerlichkeit  orientieren;   „die  Gefühle 
*r  physisch-psychischen   Spa?inung,  des  Impulses,  der  Willenshandlung  proji- 
tieren  wir  in  die  Dinge  hinein"  (Philos.  d.  Geld.  S.  507).    Es  gibt  keine  in  sich 
susammenhängende  Causalität  des  Psychischen,   denn   dieses  „bildet  eben  nur 
nnen  sehr  variablen  Ausschnitt  aus  dem  Gesamtsystem  des  Menschen,  und  des- 
halb   ist   der  einzelne  psychische  Act  nicht  aus  den  vorangehenden  psychischen 
Acten  allein  xu  verstehen,  da  diese  erst  im  Zfusammentreffen  mit  anderen,  außer- 
pi^yehiscketi    Vorgängen   die   xureichende    Ursaelie  jenes    bildeten"   (Einl.   in   d. 
Moralwigs.  II,  297).     Nach  Kreibig  gibt  es  eine  geschlossene  psychische  Cau- 
salität (Die  Aufmerks.  S.  51). 

Biologisch  begründet  wird  das  Causalprincip  von  Kroman,  nändich  aus 
dem  Selbsterhaltungstriebe,  der  den  Menschen  nötigt,  die  Welt,  mit  der  er  zu 
kämpfen  hat,  zu  begreifen  (Unsere  Naturerk.  1883).  L.  Stein  bemerkt:  „Zeü, 
Zahl,  Raum,  Causalität  .  .  .  sind  nichts  anderes  als  das  Alphabet,  welches  sich 
der  Mensch  im  Kampfe  ums  Dasein  als  Schutxnujßregeln  gebildet  hat,  um  erfolg- 
reieh  im  Buche  der  Natur  lesen  xu  können"  (An  d.  Wende  d.  Jahrh.  S.  6). 
'Xietzsche  erblickt  den  Ursprung  des  Causalbegriffs  wie  den  aller  Kate- 
gorien <9.  d.)  in  der  Nützlichkeit  der  causalen  Auffassung  für  das  Leben 
n\^V.  XV,  268).*    Diese  Auffassimg  ist  diurchaus  anthropomorph,  metaphorisch » 


176  CausaUtat. 


am  jyOrundirrtum"  primitiver  Vernunft  und  Sprache  (WW.  VIII,  2,  5,  S.  80). 
Wir  meinen  uns  selbst  als  Täter,  als  Ursache  von  Vorgängen  zu  finden  (1.  c. 
S.  93).  Die  einzige  CausaHtat,  die  uns  unmittelbar  bewußt  wird,  ist  die  zwischen 
Wollen  und  Tun  gesetzte,  „diese  übertragen  wir  auf  alle  Dinge  und  denken  uns 
das  Verhältnis  von  xwei  imm^r  beisammen  befindlichen  Veränderungen^*^  analog. 
„/>?<?  Absicht  oder  das  Wollen  ergibt  die  Nomina^  das  Tun  die.  Verba"  (WW.  X, 
S.  192  f.).  „Einen  Reix  als  Tätigkeit  xu  empfinden,  etwas  Passives 
aetiv  XU  empfinden,  ist  die  erste  Ckmsalitätsemp findung.  Der  iftnere  Zu- 
sammenhang von  Sinnes- Reix  und  -Tätigkeit ,  übertragen  auf  alle  Dinge,  ist  Cai*- 
salitäi.  An  unseren  Sinnesfunctümen  denken  wir  uns  die  Welt,  das  heißt:  wir 
setzen  überall  eine  Causalität  vora/us,  weil  unr  selbst  solche  Veränderungen 
fortwährend  erleben''  (WW.  X,  S.  193).  Aber  das  ist  keine  wirkliche  Er- 
fahrung von  einer  Ursächlichkeit.  „Wir  haben  ein  Oefühl  von  Kraft,  An- 
spannung, Widerstand,  ein  Muskelgefühl,  das  schon  der  Beginn  der  Handlung 
istj  als  Ursache  mißverstanden  .  .  ."  (WW.  XV,  298).  Alle  „geistige  Zr- 
sächlichkeif'  ist  eine  Fiction  (WW.  XV,  Anh.  III,  7,  S.  513).  Nicht  wir  sind 
tätig,  sondern  es  wirkt  in  uns  (WW.  VIII,  2,  S.  94  f.).  Der  Begriff  der  Ur- 
sache hat  etwas  „Fetischistisches''  an  sich.  Man  soll  Ursache  und  Wirkung 
nicht  verdinglichen,  sondern  als  reine  Begriffe,  d.  h.  als  „eonventionelle  Fie- 
tionen"  zum  Zwecke  der  Verständigung  gebrauchen.  Unabhängig  von  uns  gibt 
es  keine  selbständigen  Ursachen,  keinen  Zwang,  kein  Oesetz,  wir  dichten  dies 
alles  nur  in  die  Welt  hinein  (WW.  VII,  1,  21).  Es  gibt  keine  Zweiheit  von 
Ursache  und  Wirkung,  das  sind  von  uns  isolierte,  fixierte  Teile  des  Welt- 
geschehens; an  sich  besteht  ein  continuierlicher  Fluß  des  Greschehens  (WW. 
V,  109). 

In  Consequenz  des  Gfedankens,  daß  der  Causalbegriff  einen  mythischen, 
metaphysischen  Ursprung  habe,  fordert  man  auch  die  „Eliminierung*'  dieses 
Begriffs  bezw.  dessen  Keducierung  auf  den  Begriff  bloßer  functioneller  „Ab- 
hängigkeit" eines  Vorgangs  von  einem  anderen;  diese  Abhängigkeit  wird  im 
Sinne  eines  mathematisch-logischen  Functionsverhältnisses  genonmien,  soll 
nichts  Hypothetisches,  Uberempirisches  enthalten,  sondern  nur  reine  Erfahrungen 
ordnen,  aufeinander  beziehen.  Schon  Claude  Bernabd  fordert:  „L'obseure 
notion  de  cause  doü  etre  reportee  ä  Vorigine  des  choses:  eile  n'a  de  sens  gue 
cdui  de  cause  premih-e  ou  de  cause  finale;  eile  doü  faire  place,  dans  la  seiente, 
ä  la  notion  de  rapport  ou  de  eonditüm"  (Legons  sur  les  ph^nom.  de  la  vie  11^ 
p.  396  f.).  Ähnlich  auch  CJomte;  dann  R.  Mayee,  ICirghhoff,  H.  Hebtz, 
femer  R.  Avenarixjs  und  seine  Schüler,  besonders  J.  Petzoldt,  der  an  Stelle 
des  Causalprincips  das  „Oesetx  der  Eindeutigkeit^'  setzt.  Endlich  E.  Mach, 
nach  welchem  die  Begriffe  Ursache  und  Wüle  „einen  starken  Zug  von  Feti- 
schismus" haben  (Populärwiss.  Vorles.  S.  269;  Princ.  d.  Wärmelehre*,  S.  433). 
Sie  stammen  von  „animistischen  Vorstellungen"  ab,  sind  anthropomorph.  Der 
Begriff  der  Ursächlichkeit  muß  durch  den  „Functionsbegriff"  ersetzt  werd^i, 
durch  den  Begriff  der  „Abhängigkeit  der  Erscheinungen  voneinatider,  genauer: 
Abhängigkeit  der  Merkmale  der  Erscheinungen  voneinander*',  und  zwar  im  rein 
logischen  Sinne  (Populärwiss.  Vorles.  S.  269).  Eine  eigene  psychische  Causalität 
besteht  nicht  (Anal.  d.  Empfind.*,  S.  132).  Nach  Ostwald  ist  die  Causalität 
ein  praktisches  Ergebnis  unserer  Bemühungen,  unsere  Erfahrungen  zu  be- 
herrschen und  zu  ordnen  (Vorles.  üb.  Naturphil.*,  S.  296).  Ursache  für  ein 
physisches  Greschehen   ist  immer  eine  Energie  (ib.).     P.  VoLKBtANN  will  die 


Causalität  —  Celarent.  177 

Cftusaütat  durch  „reale.  Notwendigkeit**  ersetzen  (Erk.  Gr.  d.  Naturw.  S.  155). 
Nach  Clipfoed  hat  das  Wort  „Ursache**  ^Jceinen  bereehtifften  Platx  auf  dem 
Qdfiäe  der  Wissenschaft  und  der  Philosophie**  (Üb.  d.  Nat.  d.  Dinge  an  sich 
S.  U  f.).  R.  GoLDSCHEiD  faßt  die  Causalitat  als  „durchgängige  wechselseitige 
Abhängigkeit  aller  Empfindungen*'  auf.  Es  gibt  nur  eine  Causalitat,  die  psycho- 
phv8is<*he,  keine  rein  psychische  (Eth.  d.  Gesamtwill.  I,  20).  Gegen  die  Re- 
ducrion  der  Causalitat  auf  bloße  Functionalität  erklärt  sich  Stumpf  (Leib  u. 
Seele  S.  34).    Vgl.  Gesetz,  Ursache,  Wirken,  Wechselwirkung,  Grund. 

Csnsalitftty  psychische,  s.  Causalitat.  Über  psychophysische 
CÄUsalitat  s.  Wechselwirkung,  Parallelismus. 

Cansalltfttosclilllß  heißt  ein  Schluß  von  der  Wirkung  auf  die  Ur- 
sache. Ein  imbewnßter  Causalitätsschluß  liegt  nach  Schopenhauer,  Helm- 
HOLTZ  u.  a.  der  Wahrnehmung  der  Objecte  (s.  d.)  der  Außenwelt  zugrunde. 

Cansatnexns :  Verknüpfung  von  Ursache  und  Wirkimg.  Vgl.  Cau- 
salitat 

Cansalprlnelp  s.  Causalitat. 

Causa  posita  ponitur  causatum:  Mit  der  Ursache  ist  die  Wirkung 
j  gesetzt  (z.  B.  bei  Baumgarten,  Met.  §  326). 

Causa  praecedit   effectum:   Die  Ursache  geht  der  Wirkung  voran 
{z.  B.  bei  JoH.  Scottis,  Div.  nat.  I,  39).    „Causa  est  potior  causato**  (Thomas, 
'  8nm.  th.  I,  60,  4  ob.  2).    Vgl.  Ursache. 

Causa  SUii  Selbstursache,  Grund  seines  eigenen  Seins,  d.  h.  grundlos 
\  im  Sinne  des  Durch-sich-selbst-gesetzt-seins,  absolut,  unabhängig  von  anderem, 
notwendig  und  ewig  in  und  durch  sich  seiend  und  so  zu  begreifen.  Nach 
Plotin  schafft  sich  Gott,  schauend,  gleichsam  selbst  (Enn.  VI,  8,  16).  Der 
Begriff  „causa  sui**  („ens  a  se**)  tritt  in  der  Scholastik  auf  bei  Avicenna, 
Albertus  Magnus,  Suarez  u.  a.  Thomas:  „Liberum  didmus  hominem,  qvi 
I  foma  sui  est*  (Sum.  th.  II,  16,  1).  Spinoza  nennt  die  göttliche  „Substomx** 
\  (s.  d.)  ..causa  sui**  als  Absolutes,  als  das  Wesen,  mit  dessen  Begriff  unbedingt 
I  der  Gedanke  seines  Seins  verbunden  werden  muß.  „Per  causam  sui  inteUigo 
I  id.  atius  essentia  involvü  existentiam,  sive  id^  cuius  Jiatura  tum  polest  c/meipi 
'  nisi  fxisfens**  (Eth.  I,  def.  I).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  das  Ich  (s.  d.)  eine  sich 
I  «dbei  jysetxende**  Tätigkeit.  Schelling  lehrt:  „Oott  hat  in  sich  einen  Chrund 
I  meiner  Existenx,  der  insofern  ihm  als  Existierendem  vorangeht;  aber  ebenso  ist 
(rott  irieder  das  Prius  des  Orundes,  indem  der  Orund  auch  als  solcher  sein 
tötmte,  wenn  Oott  nicht  aetu  existierte**  (WW.  I  7,  358).  Dieser  Grund  ist  die 
^Vo^iir  in  Oott**  (1.  c.  S.  357).  Nach  Hegel  ist  eigentlich  jede  Ursache  „causa 
\  <nn",  die  in  den  endlichen  Dingen  sich  auseinander  gezogen  hat  (Encykl.  §  153). 
LiPPs  erklart  die  Bezeichnung  der  absoluten  Substanz  als  „causa  sui**  für 
I  Jogiseh  völlig  berechtigt**.  Daß  etwas  war,  ist  notwendige  Voraussetzung  imd 
;  damit  zugleich,  sofern  diese  Voraussetzung  die  einzige  ist,  Ursache  dafür,  daß 
I  « ist  (Gr.  d.  Log.  S.  162). 

Cansieren:  verursachen,  wirken  (s.  d.). 

CaTlDations  Trugschluß  (s.  d.). 

Celarent  heißt  der  zweite  Modus  der  ersten  Schlußfigur  (s.  d.) :  Obersatz 

Pbüoaophiflolies  Wörterbnoh.    2.  Aufl.  12 


178  Celarent  —  Charakter. 

allgemein  vemeinend  (e),  Untersatz  aUgemein  bejahend  (a),  Folgerung  allgemein 
verneinend  (e). 

Central  erregte  Empfindungen  s.  Empfindung. 

Centren«  psychische,  s.  Localisation. 

Cerebratlonen :  Grehimerregungen,  Grehimprocesse,  Auslosungsproeesse 
im  Gehirn  (Jodl,  Lehrb.  d.  Psychol.  S.  119). 

Cesare  ist  der  erste  Modus  der  zweiten  SchluSfigur  (s.  d.):  Obersatz 
allgemein  vemeinend  (e),  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  allgemein 
vemeinend  (e). 

Cessante  causa  s.  Causa  cessante. 

Cliaos  (von  x^^^^f-^j  gähnen):  ungeordneter  Weltzustand  ohne  Bestimmt- 
heit, Gesetzmäßigkeit,  Harmonie  der  Vorgänge,  Urzustand  des  noch  ungeformten 
Weltstoffes,  Weltraumes.  In  noch  mythischer  Weise  lehrt  Hesiod,  von  allon 
sei  zuerst  das  Chaos  entstanden  indvrayv  fiev  n^corccra  x^^^  yivtrt  ^  avrd^  inena 
Fat  ev^art^oß,  Theog.  V,  116;  dx  x^eos  S*  'E^eßoe  re  udXaivd  tb  NvS  iytvovzo 
(1.  c.  V,  123).  Nach  Anaxagoras  wird  das  Chaos  durch  den  Greist  (»'ws, 
Diog.  L.  II,  6)  gestaltet.  Plato  ninmit  (im  Tim.  30  A  ff.)  eine  chaotische 
Masse  {xtvovfisvov  nXijfifieXios  xai  aTaxra^e)  und  (im  Philebus)  ein  Unbestimmtes 
{aTiei^oPj  6.  d.)  an.  Gegen  die  Annahme  eines  ursprünglichen  Chaos  erklart 
sich  Aristoteles  (De  coel.  2).  Ovid  spricht  von  der  j^rudis  indigestaque 
moles^*  (Met.  I,  7).  Nach  Nietzsche  ist  die  Welt  an  sich  ein  Chaos  von  Vor- 
gängen ohne  Zwang  und  Gesetee  (WW.  V,  109,  vgl.  XV,  319).  P.  Möngre 
erblickt  in  der  empirischen  Welt  einen  von  unserem  Bewußtsein  vollzogenen 
jjAusschmtt  aus  dem  gesetzlosen  Chaos^*  (Das  Chaos  in  kosm.  Ausl.  1898). 

Cliarakter  (ji^afaxTi^^,  Gepräge,  von  ;ifa^aa<reiy;  j^a^axr^^e«  schon  von 
Theophrast  auf  Menschen  angewandt):  die  bestimmte  Art  imd  Weise  des 
Heins  imd  Wirkens,  die  eigentümliche  Natur  eines  Wesens,  dann  der  Grundzug 
des  Wollens  und  Handelns,  die  constante  Richtung  desselben.  Der  Charakter 
eines  Menschen  ist  das  Product  der  Wechselwirkung  angeborener  Anlagen  (Ge- 
fühls- und  Willensdispositionen)  mit  äußeren  (physisch-psychischen)  Einflüss^i 
(ursprünglicher  —  erworbener  Charakter).  Das  Handeln  wird  durch  den  Charakter 
bestimmt,  imd  es  beeinflußt  diesen  wiederum,  indem  es  ihn  modificiert,  variiert 
Im  engsten  Sinne  des  Wortes  bedeutet  Charakter  den  festen,  imentM'egten,  sich 
selbst  treuen  Charakter,  den  strengen,  guten  Charakter;  G^ensatz  dazu: 
Charakterlosigkeit.  Der  Terminus  „chara^ter*^  bedeutet  seit  Augustinus  ein 
durch  die  Sacramente  der  Seele  eingeprägtes  heiliges  Zeichen  (später  y^character 
saeramentalis^'  genannt).  Seit  La  Bruyere  (Les  Charact^res  1687)  hat  das 
Wort  die  jetzige  Bedeutung  (vgl.  Eucken,  Gesch.  d.  Grundbegr.). 

Nach  der  Lehre  der  Veden  ist  der  Charakter  die  Frucht  imd  Folge 
des  Handelns  in  einer  Präexistenz  (Deussen,  AUg.  Gesch.  d.  Philos.  I  1,  21)7  f.). 
Heraklit  sagt,  der  Charakter  bestimme  das  Leben  des  Menschen  {tjd'oi  yd^ 
dvd-goint^  8aifio>v,  Alex.  Aphrod.,  De  fato  6).  Seneca  versteht  unter  dem  Cha- 
rakter das  jySemper  idem  eeüe  aiqne  ideni  noUe^*  (Ep.  29,  4). 

Kant  unterscheidet  „empirischen''  und  „intelltgiblen''  Charakter.  Ersterer 
ist  der  objectiv-phänomenale,  d.  h.  der  Zusammenhang  der  WiUenshandlongen, 


Charakter.  179 


unter  der  Kategorie  der  Causalität  betrachtet^  letzterer  gleichsam  das  An-sich 
6ießa  Charakters  oder  der  Charakter,  rein  durch  die  Yemunft  und  unter  dem 
Postnlate  der  Freiheit  (Selbstbestimmung)  aufgefaßt  „Man  könnte  auch  den 
enteren  den  Charakter  eines  solchen  Dinges  in  der  Erscheinung,  den  xweiien  den 
CkaraÜer  des  Dinges  an  sieh  seihst  nennen^'-  (Kr.  d.  r.  Vern.  S.  433).  Für  den 
empirischen  Charakter  gilt  der  (psychologische)  Determinismus  (s.  d.).  Der  in- 
tdligible  Charakter  des  Subjects  ist  der,  dadurch  es  zwar  die  Ursache  seiner 
Handlungen  als  Frscheinungen  ist,  „der  aber  selbst  unter  keinen  Bedingungen 
fier  Sinnlichkeit  steht  und  selbst  nicht  Erscheinung  ist^^  (ib.).  „Als  solches 
Kürde  dieses  tätige  Wesen  sofern  in  seinen  Handlungen  von  ailer  Natumotu^endig- 
keity  als  die  lediglieh  in  der  Sinnenwelt  angetroffen  toird,  unabhängig  und  frei 
seis^'  (L  c.  S.  434).  Schopenhauer  lehrt,  „daß  der  intelligible  Charakter 
jedes  Mensehen  als  ein  außerxeitlieher,  daher  unteilbarer  und  unteränderlicher 
WüUnsact  xm  betrachten  sei,  dessen  in  Zeit  und  Baum  und  allen  Formen  des 
Satzes  vom  Grunde  entwickelte  und  auseinandergexogene  Erscheinung  der  em- 
pirische Charakter  ist,  wie  er  sich  in  der  ganzen  Handlungsweise  und  im 
Lebenslaufe  dieses  Menschen  erfahrungsmäßig  darstellt**  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd., 
§  35).  Die  Freiheit  liegt  nur  im  Sein,  nicht  im  Tun :  „operari  sequitur  ess&\ 
das  Handeki  ist  notwendig  durch  das  Sein  bedingt  (Üb.  d.  Freih.  d.  Will.  V). 
J)er  Charakter  des  Menschen  ist  constant:  er  bleibt  derselbe,  das  ganxe  Ld>en 
kmdureh,^*  „Der  Mensch  ändert  sich  nie,'*  „Der  individuelle  Charakter  ist  an- 
geboren**  (1.  c.  III;  Neue  ParaUp.  §  220).  An  eine  vorzeitliche  Bestimmung 
des  eigenen  Seins  durch  den  Willen  glaubt  auch  Schellino.  Chr.  Krause 
^richt  von  der  „LAensgrundtceise**,  Nach  Fries  ist  Charakter  die  „Kraft  der 
perständigen  Selbstbeherrschung**  (Anthrop.  §  75).  Nach  J.  £.  Erdmann  ist  er 
die  ^4^UTch  wiederholte  Entschlüsse  xur  Gewohnheit  getcordene  Weise  sich  xu 
entschließen**  (Gr.  d.  Psych.  §  162).  Nach  Herbart  ist  er  das,  was  der  Mensch 
eigentlich  wiU  (Allg.  Pädag.  S.  299).  Volkmann  :  „Psychologische  Freiheit  als 
bleibende  Eigentümlichkeit  des  Subjects  bezüglich  einer  ganxen  Klasse  von  Wollen 
heißt  Charakterxug ,  und  über  das  gesa?rite  Wollen  ausgedehnt:  Charakter** 
(Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  5(H).  E.  Dühring:  „Der  Charakter  ist  das  Fest- 
^nrordene  und  Verkörperte,  sowie  überhaupt  das  Beharrliche  in  den  materiellen 
warf  geistigen  Antrieben  und  Verhaltungsarten**  ( Wirklichheitsphilos.  S.  202).  Nach 
E.  V.  Hartmann  ist  der  Charakter  der  allgemeine  Reactionsmodus  auf  die 
besonderen  Klassen  der  Motive  (PhiL  d.  Unb.*^  S.  203).  Nach  Carneri  wird 
der  Charakter  „mit  dem  Menschen  geboren,  insofern  er  nichts  ist  als  der  Aus- 
druck des  ganxen  Mensehen,  sein  bestimmtes  Ich**  (Sittl.  u.  Darwin.  S.  129). 
RiBOT  bestinmit  den  Charakter  als  Besultante  aller  Zustande  imd  Tendenzen 
dfii  Ich  (Mal.  de  la  Volonte,  dtsch.,  S.  127;  vgl.  Mal.  de  la  personnal.;  Revue 
Philos.  34;  vgl.  Paulhan,  Les  Caract^res,  1894).  Nach  Wundt  ist  der  Cha- 
rakter ,^n  aus  der  vorangegangenen  geistigen  Causalität  resultierender  Total- 
^ffeet,  der  seihst  uneder  an  jeder  neuen  Wirkung  sich  als  Ursache  beteiligt** 
lEth.*,  S.  478).  Der  Kern  des  Charakters  ist  ein  Erbteil  der  Ahnen,  etwas 
rrspriingliches  (Grdz.  d.  phys.  Psychol.  II*,  S.  576  ff.;  Vorles.»,  S.  470  ff.). 
(iiZYCKl  betont  die  Zusammengesetztheit  des  Charakters;  dieser  ist  „eine  Ge- 
iamtheit  verschiedenartiger  Triebfedern**  (Moralphilos.  S.  165).  SüU.Y  versteht 
onter  Charakter  im  engeren  Sinn  „die  enttvickelte  Individualität,  d.  i.  die  Gruppe 
der  natürlichen  Neigungen,  insotceit  als  diese  ausgewählt,  gestärkt  und  durcli  die 
Eimcirktmg  der  Verhältnisse  .  .  .  befestigt  ufcrden**  (Handb.  d.  Psychol.  S.  423). 

12* 


180  Charakter  —  Ciroulus  in  probando. 

Nach  Th.  Ziegleb  ist  der  Charakter  die  Summe  aller  Gewöhnungen  and 
Übungen,  aller  erworbenen  Dispositionen,  aller  gelaufigen  Maximen  (Das  Gef.', 
S.  178),  die  ,i Summe  der  Wiüensdisposüionen"  (1.  c.  S.  300).  „Das  Angeborene, 
das  Temperament  bildet  die  Unterlage,  die  Brxdehung  im  weitesten  Sinne  macht 
den  Mensehen  erst  xu  dem^  was  man  Charakter  nennt,  der  selbst  nie  angeboretu 
sondern  stets  erworben,  Product  und  Ergebnis  isf^  (1.  c.  S.  297).  JODL  veisteht 
unter  „encorbenem*^  Charakter  „rfte  Wülensgeicohnheiten,  welche  ein  Mensch  in 
sich  ausgebildet  hat^^j  unter  „angeborenem^^  Charakter  die  „verschiedenen  Weisen, 
auf  Motive  xu  reagieren**  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  737).  SlnofEL  bemerkt:  jj)tu 
einzige,  was  gegeben  ist,  sind  die  einzelnen  Handlungen  des  Menschen;  gewisse 
innere  oder  in  den  Beziehungen  xu  anderen  sich  herausstellende  Eigenschaflen 
derselben  fassen  wir  xu  dem  Begriff  des  Charakters  dieses  Mensehen  zusammen: 
allein  das  ist  ein  allgemeiner  Begriff,  gezogen  aus  der  Summe  seiner  Lebens- 
elefnente,  aber  nicht  die  hervorbringende  Ursache  dieser**  (EinL  in  d.  MoraL  I, 
268  f.,  282).  Unold  versteht  unter  sittlichem  Charakter  „die  Gesamtheit  der 
Eigenschaflen,  Gewöhnungen,  Motive,  Kräfte  und  Grundsätze,  welche  dem  ein- 
zelnen sittliches  Wollen  und  Handeln  ermöglichen,  aus  denen  das  sittliche  Ver- 
halten im  einxelTien  Fall,  sowie  die  dauernde  sittliche  Gesinnung  sieh  ergeben'^ 
(Gr.  d.  Eth.  S.  265,  vgl.  S.  262  ff.).  Wentsohee  betont,  der  Charakter  werde 
durch  den  Willen  selbst  mitbestinmit  (Eth.  I,  325).  Jerusalem  versteht  unter 
Charakter  „die  Summe  erworbener  Urteils^  und  Willensdispositionen,  die  xu 
bleibenden  Eigenschaften  des  Individuums  geworden  sind^^.  ,yEr  ist  das 
Resultat  aller  Erfahrungen^  die  tcir  gemacht^  alter  Einwirkungen,  dde  wir  von 
außen  erfahren  haben,  und  aller  Denk-  und  Willensaete,  durch  welche  wir  diese 
Erfaknmgen  verarbeitet  .  .  .  haben**  (Lehrb.  d.  Psychol.*,  S.  205).  VgL  Smilbb, 
Der  Charakter,  1878.    Vgl.  Freiheit 

diaraktere  nennt  B.  Avenarius  Aussage-Inhalte  (E- Werte,  s.  d.)  wie 
lustvoll,  wahr,  bekannt  u.  dgl.,  kurz  Auffassungsweisen  von  Erlebnissen  in  deren 
Stellung  zum  Ich  fKrit.  d.  rein.  Erf.  I,  16).    Vgl.  Positional. 

diarakterlstica  s.  Ars  magna. 

Cliarakterollli^le:  Lehre  vom  psychologischen  Charakter  des  In- 
dividuums, Psychologie  der  Individualität  {„Differentialpsychologie^*^  s.  d.),  auch 
Lehre  vom  Charakter  (s.  d.).    VgL  Individualpsychologie. 

diarakterologlscli:  (^en  Charakter  betreffend. 

Clieiiile,  psychische:  Ausdruck  für  das  Entstehen  neuer  geistiger  Ge- 
bilde imd  Werte  aus  der  Synthese  von  Bewußtseinselementen.  Der  Ausdruck 
zuerst  bei  J.  St.  Mill,  dann  besonders  bei  Höffding  (PsychoL«,  S.  326), 
WUNDT  (s.  Synthese).    Vgl.  Synthese. 

CliokiiiAs  Weisheit  (Eabbalä). 

Ghronoskop  (Hippsches):  elektrischer  Begistrierapparat,  der  die  Zeit 
(bis  auf  ViMo")  ^i  Beactionsversuchen  (s.  d.)  angibt. 

GIrciiliis  in  probando  (circulus  vitiosus,  probatio  circularis): 
Cirkelbeweis,  Boveis  mittelst  Prämissen,  die  das  zu  Beweisende  schon  voraus- 
setzen, enthalten.  Schon  Aristoteles  führt  ihn  an :  ro  ^«  Kvxkf^  xai  dS  aX^- 
Xtov  Stixvvad'ai  icxi  t6  Sia  rov  avfiste^da/iarog  xai  rov  avdnaXtv  rj  xarijyo^q, 
TTJr  eri^av  Xaßurra  n^oxaciv  avfiTte^dvaed'ai  r^v  Xom^v,  ^v  dXdfiftavev  iv  d'd- 
Tf^(j>  ffvkkoyta,uoß  (Anal.  pr.  II  5,  576  18).    VgL  Zirkel. 


Cläre  et  distincte  —  Cogito,  ergo  suin.  181 


CUure  et  distlnete  s.  Klarheit. 

Classtfteatloil  ist  die  Einteilung  nach  (in)  Klassen,  die  vollständig 
durchgeführte,  systematische  Einteilung  von  Begriffen.  Nach  Hillebrand 
hat  die  Classification  logische  und  reale  Bedeutimg.  Die  logische  Classification 
ist  „die  ideelle  Setxung  eines^ecUen  Systems  der  Dinge  des  Wirklichen  in  seiner 
o^jeeiiren  Weltordnung  und  damit  in  seiner  Notwendigkeit**  (Phil.  d.  Geist.  II,  21). 
WuNl>T  definiert  die  Classification  als  jjEinteilung,  ico  die  gewonnenen  Begriffe 
allgemeine  Klassen  hexcichnen,  an  denen  der  Vorgang  der  Teüung  nochmals  oder 
mehrmals  unederholt  werden  kann''  (Log.  II,  40).  Sie  ist  descriptiv,  genetisch 
oder  analytisch  (1.  c.  S.  43).  Nach  Sigwart  ist  die  Classification  die  .^logische 
Division  der  Begriffe,  vom  höchsten  bis  zur  untersten  Species^*  (Log*  II*?  S.  695). 
Nach  H.  Spkncee  ist  Classification  „ein  Zusammengruppieren  von  dem,  was 
ähnlich  ist,  ein  Trennen  des  Ähnliehen  vom  Unähnlichen"  (Psychol.  II, 
§  309,  S.  112).  Sie  ist  ein  Grundproceß  des  Erkennens,  kommt  schon  in  der 
Wahmehmimg  (s.  d.)  vor. 

CHnamen  atomorum:  die  willkürliche  Abweichung  der  Atome  (s.  d.) 
von  der  geradlinigen  Bewegung,  nach  Epikur  imd  Lucrez. 

Coenaestliesis  s.  Gremeinsinn. 

OoSxistenz:  Zugleichsein  in  der  Zeit.    Vgl.  Association,  Eaum. 

Co^tation:  Vorstellen,  Denken  (s.  d.). 

C^o^tatlonscentreii  (Flechsig)  s.  Associationseentren. 

C<if^t09  erg^o  snin:  ich  denke,  also  bin  ich,  Ausdruck  für  die  unmittel- 
We  Erfassung  der  eigenen  Existenz  des  Subjects  als  Subject  (nicht  als  meta- 
physische Substanz)  in  der  innem  Wahrnehmung  und  Erfahrung.  Das  Sein 
ist  ein  integrierendes  Moment  des  Selbstbewußtseins,  der  Ich-Tätigkeit;  diese 
wtzt  sich,  wirkend  als  seiend,  ohne  Schluß  auf  ein  Sein  hinter  dem  Bewußt- 
sein. Die  Sicherheit  der  innem  Erfahrung  wird  durch  das  „Co^'to,  ergo  »imi" 
begründet. 

Schon  in  den  Upanishads  findet  sich  die  Bemerkung:  „Das  Selbst  ist  die 
Basis  (d^aya)  für  die  Tätigkeit  des  Beweisens,  und  mithin  ist  es  auch  vor  der 
Tätigkeit  des  Beteeisens  ausgemacht  .  .  .,  denn  teer  es  in  Abrede  stellt,  eben  dessen 
eigenes  Wesen  ist  es"  (Deüssen,  Allgem.  Grcsch.  d.  Philos.  I  2,  240).  Dann  bei 
Augustinus:  „Quando  quidem,  etiam  si  dtUntat,  vioit,  si  dubitat,  cogitaf"  (De 
irinit  X,  14).  Wenn  ich  zweifle  oder  irre,  so  muß  ich  sein  (Solu.  II,  1  f.; 
De  ver.  relig.  72  f.).  Thomas:  „Nullus  polest  cogitare  se  non  esse  cum  assensu: 
in  hoc  enim,  quod  cogitat,  percipit  se  esse"  (De  verit.  10,  12  ad  7).  Ahnlich 
Wilhelm  von  Occam.  Femer  Campanella:  „Si  negas  et  dicis  me  fallt, 
phne  eonfUeris,  quod  ego  sum;  non  enim  posstim  falli,  si  non  sum"  (Univ. 
philoe.  I,  3,  3).  „Ergo  nos  esse  et  posse  scire  et  pelle  est  certissimum  principium, 
fieinde  secundaria,  nos  esse  aliquid  et  non  omnia^*  (ib.). 

Neu  aufgestellt  und  zum  formalen  Fundament  der  Gewißheit  der  Erkennt- 
nis gemacht  wird  das  Erfassen  des  Ich-Seins  aus  dem  denkenden  Bewußtsein 
voD  Descabtes.  Der  methodische  Zweifel  (s.  d.)  fordert,  daß  an  allem,  was 
bifiho'  dogmatisch  für  objectiv  gehalten  wurde,  gezweifelt  wird.  Zweifelt  man 
aber,  so  denkt  man,  und  wie  könnte  das  Denken,  das  Denkende  nicht  sein? 
Mag  ich  selbst  in  allem  meinem  Denken  betrogen  sein,  niemand,  auch  Gott 
nicht,  kann  bewirken,  daß  ich  nichts  sei,  solange  ich  denke,  „adeo  ut  omnibus 


182  Coglto»  ergo  aum. 


saits  superqiie  pensüatis  deniqut  statuendum  sit  hoe  pranunciatum:  ego  sum, 
ego  existo,  quoties  a  me  profertur,  vel  mente  eoneipitur,  neeessario 
esse  per  um"  (Medit.  II,  p.  9).  Das  Denken  kann  vom  Ich  nicht  getrennt 
werden:  „eogit(Uio  est,  haec  sola  a  me  divelli  nequit,  ego  sum,  ego  existo,  eerUim 
est"  (Medit.  11,  p.  10).  Das  Ich  ist  also,  und  zwar  ist  es  „res  cogitans"  (Medit. 
II,  p.  II).  „Faeile  supponimus  mdhtmesse  Deuni,  nuUum  eoelum,nuUa  corpora; 
nosque  etiam  ipsos  non  habere  manus,  nee  pedes,  nee  denique  ullum  corpus;  non 
autem  ideo  nos  qut  talia  eogitamus  nihil  esse :  repugnat  enim,  tU  ptäemtis  id,  quod 
cogitatf  eo  ipso  tempore,  quo  cogitnt,  non  ernstere,  Ac  proinde  haee  eognüioy  ego 
eogito,  ergo  sum,  est  omnium  prima  et  certissima"  (Princ.  philos.  I,  7).  Der 
Satz  ist  nicht  Kesultat  begrifflicher  Schlußfolgerung  (mit  der  Prämisse:  alle* 
Denkende  existiert),  sondern  immittelbar  durch  „prima  quaedam  notio  quae  ex 
nuUo  syüogismo  concludiiur**  gewonnen  (Kespons.  ad  II.  obi.).  Er  ist  klar  und 
deutlich  einzusehen,  also  wahr.  „Descartes  tcill  mit  diesem  Satxe  xu  der  Vor- 
aussetxung  aller  y  auch  der  naturtcissenschaftlichen  Erkenninis,  defn  denkenden 
Subjecte,  x/uriickgreifen,  um  von  da  aus  in  methodischem  Fortschritte  und  auf 
dem  Wege  einer  lückenlosen  Deduction  xu  den  Grundbegriffen  des  Wissens  und 
den  Elementen  des  Seins  xu  gelangen"  (EiEHL,  Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  43). 
Gassendi  meint,  aus  jeder  Handlung  des  Ich,  nicht  bloß  aus  dem  Denken, 
folge  das  Sein  des  Ich.  Nach  Leibi^^iz  ist  der  Satz:  ^^ieh  bin"  von  äußerBt»- 
Evidenz,  eine  unmittelbare  Wahrheit.  Ich  bin  denkend  bedeutet  schon  im- 
pUcite:  ich  bin  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  7,  §  7).  Chk.  Wolf  hingegen  faßt  den 
Satz:  eogito,  ergo  sum  als  logische  Demonstration  auf  (Vem.  Ged.  I,  §  6  f.). 
Destutt  de  Tracy  wiedenun  meint,  Descartes  hätte  sagen  können  „penser  et 
exister  sont  pour  moi  une  seule  et  meme  ehose^^  (El.  d'id6ol.  III,  2).  Nach 
M.  DE  BnLAN  hätte  Descartes  richtiger  sagen  sollen  ,Je  veux]  done  je  suis^*,  ich 
will,  also  bin  ich  (,jVolo,  ergo  sum")  (Oeuvr.  in^.  III,  p.  410,  413,  420).  Nach 
GÜNTHER  ist  das  „eogito,  ergo  sum"  ein  Vemunftschluß,  der  sich  auf  die  Iden- 
tität des  Denkens  und  Seins  im  Ichbewußtsein  stützt.  Nach  O.  Schkeider 
ist  der  Satz  kein  Schluß,  sondern  eine  Tautologie:  „Ergo  sum  enthalt  nichts 
weiter,  als  was  schon  in  dem  eogito  versteckt  liegt  und  icirkt*  (Transcendental- 
psych.  S.  445).  J.  Bergmann  betont:  „Oeiviß  ist  ,  .  .,  daß  wir  niehts  als  </a- 
seiend  denken  können,  ohne  unser  denkendes  Ich  selbst  als  daseiend  xu  denkend 
(Begr.  d.  Das.  S.  294). 

Schopenhauer  stellt  den  (jregen-Satz  auf:  „Cogito  ergo  est  —  d  h.  wie  ich 
geicisse  Verhältnisse  (die  mathematischen)  an  den  Dingen  denke,  genau  so  müssen 
sie  in  aller  irgend  mögliehen  Erfahrung  stets  ausfallen"  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  Bd., 
C.  4).  A.  BlEHL  corrigiert  den  Cartesianischen  Ausspruch  in  „eogito,  ergo  sum 
et  est*^.  „Nicht  mein  Selbstbetpußtsein,  mein  Bewußtsein  ist  mir  ursprünglich 
gegeben;  die  innere  Erfahrung  geht  v)eder  der  Zeit  noch  dem  Begriffe  nach  der 
äußern  voran"  (Philos.  Kritic.  II  2,  147).  „Indem  ich  ynir  meines  eigenen  Da- 
seins beicußt  werde,  werde  ich  mir  unter  einem  des  Daseins  von  etwas  bewußte 
was  ich  nieht  bin"  (ib.,  ähnlich  Kant,  s.  Object). 

Daß  aus  dem  „eogito'*  niu:  die  Existenz  des  „cogitari",  Gedachtwerdens, 
nicht  des  Ich  als  Träger,  Subject  des  Denkens  folgt,  behauptet  zuerst  Lichten- 
BERQ.  „Wir  kennen  nur  allein  die  Existenx  unserer  Empfindungen,  Vorstellungen 
und  Gedanken.  Es  denkt,  sollte  man  sagen,  so  wie  man  sagt:  es  blitzt.  Zu 
sagen  cogito,  ist  schon  xu  viel,  sobald  man  es  durch  ,Ich  denket  übersetzt.  Das 
Ich   anzunehmen,  xu  postulieren,  ist  praktisches  Bedürfnis."     „Mit  eben  dem 


Ck>glto,  ergo  aum  —  CommuxiiBmua.  183 

Orade  pon  Omcißheit,  mit  dem  unf*^  über%eugt  sind,  daß  etwas  in  tms  vorgeht, 
sind  wir  aueh  überzeugt,  daß  etwas  außer  uns  vorgeht^^  (Bemerk.  S.  129). 
Schellikg:  „Die  Meinv/ng  des  Cartesius  ist  also,  das  Sum  sei  in  dem  Cogito 
eingeschlossen^^  (Zur  Gesch.  d.  neuer.  Philoe.  WW.  I  10,  9  f.).  Das  „wahre 
Factum*^  dabei  ist  aber  nur :  „Es  denkt  in  mir,  es  mrd  in  mir  gedackf*  (1.  c.  S.  12). 
Xach  Nietzsche  ist  nur  sicher:  „Ich  stelle  vor,  also  gibt  es  ein  Sein:  cogito^ 
ergo  est^.  ,-Daß  i^h  dieses  Vorstellen  des  Seins  bin,  daß  Vorstellung  eine  Tätig- 
keit des  Ich  ist,  ist  nicht  mehr  gewiß:  ebensowenig  alles,  was  ich  vorstelle.  — 
Das  einzige  Sein,  welches  icir  kennen,  ist  das  vorstellende  Sein"  (WW.  XII, 
1,  6).  Das  ,/rÄ*'  als  Substanz  wird  nur  geglaubt,  fingiert.  „Es  wird  gedacht; 
folglich  gibt  es  Denkendes :  darauf  läuft  die  Argumentation  des  Cartesius  hinaus. 
Aber  das  heißt,  unsem  Glauben  an  den  Substanxbegriff  schon  als  ,wahr  a  priori^ 
ansetzen:  —  daß,  wenn  gedacM  wird,  es  etwas  geben  muß,  ,da8  denkt\  ist  ein- 
fach eine  Formulierung  unserer  grammatischen  Oewöhfiung,  es  wird  hier  bereits 
ein  logisch" metaphysisches  Postulat  gem^wht  —  und  nicht  nur  constatiert^*^ 
(WW.  XV,  3,  260,  VII,  1, 16  f.).  Der  „Oeist",  der  denkt,  ist  nur  „imaginiert", 
das  .^Subjeel^'  des  Bewußtseins  eine  Fiction  (WW.  XV,  262  ff.).  Nach  P.  Ree 
darf  es  nur  heißen  „Sum  cogitans.  Ich  bin  ein  Häufchen  Vorstellungen"  (Philos. 
S.  115). 

Costtor,  eri^  sums  Ich  werde  gedacht  (vom  Absoluten),  also  bin  ich 
(Baader,  auch  Hamebuno,  Atomist.  d.  Will.  I,  127). 

ColiieidenB  der  Gegensätze  („coinddentia  oppositorum"),  Zusammen- 
üllen,  Auf  gehobensein  der  G^ensatze  und  Widersprüche  des  Seins  im  Einen, 
Uneidlichen,  Absoluten,  Aufhebung  der  Vielheit  (s.  d.)  in  Gott.  Der  Begriff 
der  „eoincidentia"  tritt  (in  gewissem  Sinne  schon  bei  Ai^aximander,  s.  Apeiron) 
zuerst  bei  Nioolaub  Cusaxus  auf.  Nach  ihm  sind  in  Gott,  dem  Unendlichen, 
das  Größte  und  IQeinste  eins  („coinddentia  maximi  cum  minimo*',  De  doct. 
ignor.  I,  4),  in  ihm  verschwindet  alle  Vielheit,  die  nur  der  Welt  (s.  d.)  als 
Ezplieation  des  Grottlichen  zukommt.  „In  divina  complicatione  omnia  absque 
differentia  coinddunt"  (De  coniect.  II,  1).  Reüchiin  erklart:  „In  mente  datur 
eoineidere  contraria  et  contradictoria,  quae  in  ratione  longissim-e  separantur^^ 
(De  arte  cabbaL  1517).  Nach  G.  Bruno  ist  alles  Widersprechende  und  £nt- 
g^engesetzte  im  Einen,  im  göttlichen  Principe  eins  und  dasselbe  (De  la  causa, 
Dial.  \).    Ahnlich  Schelung.    Vgl.  Complication. 

Colntenfiiioii:  Gleichheit  von  Beziehungen,  sofern  sie  die  Contraste 
zwischen  ihren  Gliedern  betrifft  (H.  Spencer,  Psychol,  11,  §  292). 

ColUl^atioil  ist  nach  Drobibgh,  „die  Zusammenfassung  nur  gleichartiger 
(unter  einem  und  demselben  Gattungsbegriffe  stehender)  Obfecte".  „GolligationS' 
begrifft*  ist  ein  Begriff,  welcher  eine  Ck)lligation  zum  Inhalte  hat  (N.  Darstell, 
d.  Log.»,  §  29). 

Oolllsion  der  Pflichten  s.  Casuistik. 

Comblnatioiiskiiiist  s.  Ars  magna. 
CombinatioiisUlne  s.  Gehörssinn. 
Coamioii  Sense  s.  Gemeinsinn. 
Commnntamna  s.  Sociologie. 


184  Ck>mparatiTe  AUgemeinheit  —  Ck>nception. 

ComparaÜTe  Allgemeinheit  s.  Allgemein.  Comparative  Psychologie 
s.  Psychologie. 

Complemeiitilrfarbeii  s.  Lichtempfindungen. 

Complex:  Inbegriff,  Verknüpfungsganzes,  z.  B.  Complexe  von  Empfin- 
dimgen  zu  Vorstellungen,  Qualitaten-Complexe  als  Objecte  (s.  d.).  „Cofnplexe^*^ 
nennt  Stricker  die  Vorstellungen  von  der  Außenwelt,  unter  ihnen  sind  festere 
Associationen,  ^^Orundcomplexe^^  (Stud.  üb.  Assoc.  S.  5)  und  „multiple  Com-- 
plexe^^  (1,  c.  S.  15).  H.  Cornelius  nennt  Complex  „die  Oesamtheä  der  gleich- 
oi£itig  beachteten  bex.  gletchxeitig  erinnerten  Inhalte^^  (Psych.  S.  38).  —  ^^CmnpkjT" 
ist  em  zusammengesetzter  Begriff.    Vgl.  Inhalt. 

CompUcation:  Verbindung,  Vereinigung,  Vereinheitlichung  einer  Man- 
nigfaltigkeit: 1)  Metaphysisch.  Nach  Nicolaus  Cusanus  ist  die  Welt  eine 
Explication  Gottes,  und  dieser  die  „ctnnplicatio  omnium^\  „Deus  ewnplicitc  est 
omnia'^  (De  doct  ignor.  II,  3).  Auch  R.  Fludd  erklärt,  „tU  omnes  res  essent 
eomplieite  in  potentia  divina*^  (PhiL  Mos.  1,  3,  2).  2)  Psychologisch.  Nach 
Herbart  „complideren"  sich  die  nicht  entgegengesetzten  Vorstellungen  (wie 
Ton  und  Farbe),  soweit  sie  imgehemmt  zusammentreffen,  im  Bewußtsein  zu 
einem  Ganzen,  entweder  vollkommen  oder  unvollkommen  (Lehrb.  z.  Psychol.*^ 
S.  21  f.).  Nach  Fortlage  sind  Complicationen  Verbindungen  ungleichartiger 
Bewußtseinsinhalte  (Psychol.  I,  169,  174).  Nach  Lipps  ist  Complication  „rfte 
räufnluihe  Verbindung  disparater  Vorstellungsinkalte"  (Gr.  d.  Seelenleb.  S.  579). 
WuNDT  versteht  unter  Complicationen  „die  Verbindungen  zwischen  ungleicit- 
artigen  psychischen  Oebilden^^  ■  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  281).  Gegenüber  der  Assi- 
milation erscheint  die  Complication  als  eine  losere  Verbindung  (ib.).  Unter  den 
verbundenen  Gebilden  ist  eines  das  „herrscJwnde" ,  klarer  bewußte  (1.  c.  Ö.  282). 
Oft  ist  die  Existenz  einer  Complication  nur  durch  ihre  Gefühlswirkmig  bemerk- 
bar  (ib.).  Nach  KtJLPE  sind  Complicationen  Verbindungen  von  Empfindungen , 
„bei  denen  die  gleichxeitigen  Cotnponenten  verschiedenen  Sinnen  angehören"  (Gr. 
d.  Psychol.  S.  328). 

Composfilbel:  zusammen  möglich,  (miteinander)  vereinbar,  (einander) 
nicht  ausschließend.  Nach  Leibioz  ist  nicht  alles  Denkbare  auch  wirklieh 
composteibel;  die  Welt  hingegen  ist  der  Inbegriff  alles  Compossiblen. 

Comprehenslon :  Begreifen  (s.  d.).  Zusammenfassen,  Erf lassen. 

Cönftf^thefBilH  s.  Coenaesthesis. 

Conataü^:  Streben  (s.  d.).  L.  Stein  spricht  von  einem  „Conatus  der 
Oeschichie". 

ConeanfBiae  (awalTiai,  s.  Causalität):  Mitursachen,  auch  =  Ursachen- 
complex,  „plures  causae  eiusdem  causaii"  (Chr.  Wolf,  Ontol.  §  885). 

Coneentratlon  des  Bewußtseins  heißt  die  „mehr  oder  tcmiger  große 
Einschränhifig  der  Aufmerksamkeit  auf  eine  geirisse  Zald  von  Inhalten"  (Külpe, 
Gr.  d.  Psychol.  S.  446).  Mit  jeder  Concentration  ist  eine  partielle  „Zerstreuung^* 
(für  andere  Inhalte)  gegeben.  Nach  Kreibig  ist  Concentration  „ein  bestimmtes 
Maß  von  Enge  der  Äufmerksanikeit  während  des  Fixierung sst ad i um s''^  (Die 
Aufm.  S.  30).    Vgl.  Aufmerksamkeit,  Enge  des  Bewußtseins. 

Coneeptlon:  Erdenken,  Begreifen,  Begriffebildung  (z.  B.  Sully,  Haudb. 
d.  Psychol.  S.   238).     Nach  Hodgson   ist  „eonception"   „a  case  of  voluntartf 


Conoeptlon  —  ConsoientialiamiiB.  18& 

Ttdintegration'^  (Philos.  of  Eeflect.  I,  p.  289).    Das  ,^mommt  of  attention^'  macht 
dea  ÜDterBchied  zwischen  y,eoncqpf'  und  ,jpereepf^  (s.  d.)  (1.  c.  p.  294  f.). 

OonceptaallBiniifBi  heißt  die  Richtung  der  Universalienlehre  (s.  d.)^ 
nach  welcher  das  Allgemeine  (s.  d.)  wenigstens  in  unseren  Begriffen  (im  „con- 
ttptut*)  Existenz  hat  So  ist  nach  Wilhelm  von  Occam  das  Allgemeine  ein 
jeoneeptus  mentis  significans  univoce  plura  singtdaria^K  Ahnlich  Petbus 
AuEEOLUs,  Durand  de  St.  PouRgAiN,  später  Locke,  Leibniz,  Beid,  Brown 
u.  a.    VgL  Allgemein,  Terminismus,  Nominalismus. 

Oonctasion  :  logische  Folgerung,  Schlußsatz.  Bei  Aristoteles  =  <rt/^- 
zü^aaiiu  (AnaL  pr.  I  9,  30  a  24,  II  6,  58b  16).  Die  Folgerung  ist  in  den  ver- 
schiedenen Modis  der  Schlußfiguren  (s.  d.)  verschieden.  Stets  ist  sie  der 
jsektcä^herefi^*  (d.  h.  particularen  oder  verneinenden)  Prämisse  gemäß:  „Con- 
ciugio  sequitur  partem  debüiorem^^.  Der  Satz  schon  bei  Theofhrast,  Eudbmus  : 
iv  ndcatg  Tals  avfetXoxais  xo  av/ine^aafia  dal  rq;  iXatrovi  xai  x^^Q^^*-  f^^^ 
numivtov  ä^o/ioiovc&ai.  Auch  bei  Apuleius  (vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I, 
371,  587). 

ConereaÜanismiis  s.  Creatianismus. 

Ooncret  s.  Abstract.    Concreter  Monismus  s.  Monismus. 

Concret-aU^emeln  heißt  nach  Hegel  der  sich  selbst  besondemde  Be- 
griff, das  Allgemeine  (s.  d.)  als  im  Besonderen  bestehend. 

Coiiciir»ll8  Oel:  Assistenz,  ^ütwirkung  Gottes  bei  den  Wechsel- 
beziehungen zwischen  Leib  und  Seele  (s.  d.).    (Descartes,  Occasionalisten.) 

Conditio  8lne  qua  non:  notwendige,  absolute,  unerläßliche  Bedin- 
jfimg.    Vgl.  Bedingung. 

ConfbrmiUlt  (conformitas):  Gleichheit  oder  Übereinstimmung  der  Form 
'2.  B.  bei  GiLBERTüs  PoRRETANüS,  Vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  II,  220).  Eine 
Conf ormität  der  Denk-  und  Seinsgesetze  nehmen  an  Spinoza,  Schleiermacher, 
Hegel,  Trendelenburg ,  E.  v.  Hartmann,  Lotze,  Überweg,  Riehl, 
WrxDT  u.  a. 

C^nfns:  verworren  (s.  d.) 

Con^preg^alfiiysteiii  s.  C-System. 

Conjectnr  (coniectura) :  Vermutung,  Mutmaßung,  indirecte,  aus  Anzeichen 
stammende  Erkenntnis.  Nach  Nicola us  Ctjsanus  ist  alles  Wissen  vom  Wesen 
^^ott^i  nur  Conjectur.  ,,Consequens  esfy  omneni  humafiam  veri  positiram  asser- 
iionem  esse  coniectura m*^.  ,,Cognoscitur  igitur  hiatiingiinlis  Verität is  unitas 
'ilf^fate  ctmieeturaW"  (De  coniect  1). 

Co^jonctlTes  Urteil  ist  ein  Urteil  mit  einem  Subject  imd  einer  Mehr- 
liHi  von  Prädicaten:  S  ist  sowohl  Pj  als  P,  als  Pj  oder,  negativ,  S  ist  weder 
P,  noch  Pj  noch  P,. 

Connatiir:  Ubereinstinunung  in  der  Natur  (H.  Spencer,  Psyohol.  II, 

Connex  (connexus):  Verknüpfung,  Zusammenhang. 

Connotatlv:  mitbezeichnend,  s.  Name. 

CoDsrlentialUiinns  ist  (nach  B.  Erdmann,  Log.  I,  78)  die  Lehre,  alles 
5^  sei  Bewußtsein  (Idealismus,  s.  d.). 


186  Consecutiv  —  Ck>n8traotion. 

ConseeiitiT  s.  Merkmal. 

donseiiftlis  (gentium) :  allgemeine  Ubereinstimmmig  bezüglich  einer  Idee, 
einer  Annahme,  eines  Glaubens,  sofern  sie  in  der  gleichartigen  Natur  aller 
Vernunft  begründet  ist.  Verschiedentlich  wird  der  Consensus  als  Argumait 
für  die  Wahrheit  allgemeiner  Begriffe,  besonders  der  Begriffe  Gott,  Unsterblich- 
keit u.  dgl.  ausgegeben.  Besonders  von  den  spateren  Stoikern.  So  beruft 
sieh  Cicero  in  Bezug  auf  die  Gottesidee  (s.  d.)  auf  den  j^consenmis  nationum^ 
(Tiiscul.  disp.  I,  16,  36).  Und  Seneca  bemerkt:  y^Multum  dare  solemus  prae- 
^umptioni  omniurn  hominnm,  et  apitd  nos  peritatis  argttmentum  est  aliquid 
Omnibus  videri^^  (Ep.  117,  6).  MiNüClüS  Felix:  „Itaque  cum  omnium  gentium 
de  dis  immortalibus  quamvis  incerta  sit  vel  ratio  vel  origo,  maneal  tarnen  firnta 
^onsensio"  (Octav.  8,  1). 

Conseqnens  (consequentia):  logische  Folge,  Folgerichtigkeit.  Der  Ter- 
minus bei  Albertus  Magnus  (,, consequentia  fannalis^'^  und  „e.  nuUerialis^^),  der 
Begriff  schon  bei  den  arabischen  Philosophen.  Consequens:  der  Nachsatz 
im  hypothetischen  Urteil. 

Consonans  s.  Klang. 

Constabllierie  Harmonie:  die  feste  Ordnung  des  Weltsystems 
(Swedenborg,  Oeconomia  regni  animalis  1740). 

Constans:  Beständigkeit  im  Dasein,  im  Tun,  im  Wollen.  Constant  ist, 
„was  hei  allen  Veränderungen  eines  und  desselben  Inhalts  sich  fortwährend  gleich- 
-artig  erhälV^  (Lotze,  Gr.  d.  Log.  S.  11).  Ein  Postulat  des  physikaUscheo 
Denkens  ist  die  Constanz  der  Energie  (s.  d.),  der  Materie  (s.  d.).  Vgl.  An- 
schauungsformen,  A  priori  (Wundt),  Fehler. 

Conütltnlerens  etwas  ausmachen,  bestimmen,  begründen,  zusammen- 
setzen (besonders  begrifflich,  durch  Kategorien).  Der  Terminus  schon  bei 
BofiTHius  (Comm.  Isag.  p.  46). 

Constitation :  Zusammensetzung,  Einrichtung,  Gefüge,  z.  B.  des  Orga- 
nismus, der  Seele.  „Constiiutio  est  principale  animi  quodammodo  se  haben» 
erga  corpus^'  (Seneca,  Ep.  121,  10). 

Consiltationaltomiis^  philosophischer,  s.  Individuum. 

ConstitatiT:  bestimmend,  objective  Wesenheit  bestimmend.  So  sind 
nach  Kant  die  Kategorien  (s.  d.)  constitutiv,  die  Ideen  nur  regulativ  (s.  d.). 
Vgl.  Merkmal. 

Constmctlon^  logische  (Begriffsconstruction)  ist  das  Verfahren,  auf  be- 
griffliche Weise  durch  Deduction  aus  Begriffen  Erkenntnisse  zu  gewinnen,  welche 
Objeote  der  Erfahrung  bestimmen  (so  bei  Schelling).  Sie  ist  ein  apriorisches 
Verfahren,  das  überall  da,  wo  es  sich  um  mehr  als  formale  Bestimmungen 
handelt,  wohlbegründeter  Inductionen  bedarf,  um  nicht  in  der  Luft  zu  schweben 
und  die  Erfahrung  zu  verfälschen,  wie  man  denn  besonders  die  HEGELsche 
Methode  des  Philosophierens  oft  im  tadelnden  Sinne  als  BegriffBconstniction 
bezeichnet.  Nach  Kant  ist  Construction  ein  f,Darsteüen  des  Gegenstandes  fii 
einer  Anschauung^'  (WW.  IV,  359).  Einen  Begriff  construieren  heißt  „die  ihm 
correspondierende  Anschauung  a  priori  darstellend^  (Krit  d.  rein.  Vem.  S.  548; 
Log.  S.  22).  „/n  allgemeiner  Bedeutung  kann  aus  Darstellung  eines  Begrifft 
durch  die  (selbsttätige)  Hervorhringyng  einer  ihm  correepondierenden  Ansehaumg 


Constmotlon  —  Ck>ntingenx.  187 

Omstruction  heißen,  Oesekieki  sie  durch  die  bloße  Einbildungskraft,  einem 
Begriffe  a  priori  gemäß,  so  heißt  sie  die  reine  .  .  .  Wird  sie  aber  an  irgend 
einer  Materie  ausgeübt,  so  tviirde  sie  die  empirische  Construction  heißen 
kotmen.  Die  erstere  kann  auch  die  schematische,  die  xweite  die  technische 
genannt  werden^'^  (Üb.  e.  Entdeck.  S.  9).  Die  Gewißheit  der  matheinatisdieii 
Axiome  (s.  d.)  beruht  auf  der  Möglichkeit,  sie  in  einer  reinen  Anschauung  (b.  d.) 
zu  construieren  (so  auch  besonders  Schopenhauer).  ICruo  bestimmt:  „Mnen 
Begriff  construieren  heißt  den  innem  Oehalt  desselben  so  darstellen,  daß  das, 
worauf  er  sieh  bexiehi,  dem  OemiUe  wirklieh  sich  vergegenwärtigt^'  (Fundamentalph. 
S.  239).  Nach  Schelling  heißt  über  die  Natur  philosophieren  so  viel  wie  sie 
schaffen,  d.  h.  aus  Begriffen  construieren  (WW.  I  3,  13).  „Construction  über- 
haupt ist  Darstellung  des  Realen  im  Idealen,  des  Besonderen  im  schlechthin  All- 
gemeinen, der  Idee^*  (Vorles.  üb.  d.  Methode  d.  akad.  Stud.*,  11,  S.  256). 
HiLLEBRAND  versteht  unter  CJonstruction  ,^ogisehe  Selbstaufioeisung^^  des  Be- 
griffes als  seines  eigenen  Werkes  (Phil.  d.  Geist.  U,  64). 

Contemplatloii :  Betrachtung,  Schauen,  Beschaulichkeit,  ruhiges  gei- 
stiges Anschauen  des  Übersinnlichen,  des  Greistigen,  (göttlichen  in  der  Seele 
and  im  All,  besonders  als  Mittel  mystischer  Erkenntnis  (Buddhismus,  christ- 
liche Mystik).  Sekeca  spricht  von  der  „contetnplatio  veri^'  als  einem  Teile 
der  Tugend.  Plotin  lehrt,  es  gäbe  im  Zustande  der  Ekstase  (s.  d.)  ein  Schauen 
(•^f)  des  göttlichen  Einen  (Enn.  VI,  9,  3),  zu  dem  man  sich  nur  durch  Ab- 
kehr vom  Sinnlichen  erheben  kann.  So  auch  die  Mystiker.  Nach  Bernhaeit 
vosr  CuLlRVAUX  ist  die  „contemplatio^^  „verus  certusque  intuitus  animi  de 
quaetmque  re,  sive  apprehensio  rei  non  dubia"  (De  consid.  II,  2).  Nach  Bighard 
voK  St.  VicrroR  gibt  es  sechs  Stufen  der  Contemplation,  deren  höchste  eine 
^jalienatio  mentis"  (Verzückung)  ist  (De  cont.  V,  2;  ähnlich  Bonaventura). 
X<intemplationem  dieimus,  quando  veritatem  sine  aliquo  involucro  umbrarum- 
^  rel  animi  in  »ua  puritate  videmus^^  (1.  c.  V,  14).  Nach  Bovillus  entsteht 
die  Contemplation,  „quamdiu  reservaias  in  fnemoria  spedes  speculatur  inteUectus 
ffpraesentante  atqtie  afferente  eas  Uli  memoria"  (De  intell.  7,  7).  Ahnlich  lehrt 
Locke,  eine  Contemplation  finde  statt,  wenn  die  Vorstellung  eine  Zeitlang 
wirklich  gegenwärtig  behalten  werde  (Ess.  II,  eh.  10,  §  1).  Nach  Schopen- 
hauer verhält  sich  der  Mensch  in  der  Anschauung  des  Schönen  „rein  coniem- 
pUUiif'  (W.  a  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  39,  vgl.  Ästhetik).  —  Die  Unterscheidung 
einer  ^,notitia  eontemplatira"  und  „n.  practica"  schon  bei  Albertus  Magnus 
(bum.  th.  I,  35,  2),  einer  ,j9hilosophta  contemplativa"  und  „pÄ.  aetiva"  schon 
bei  SEsnscA  (Ep.  95, 10).  Das  contemplative  Leben  wird  besonders  von  Plato, 
AsigTOTELES,  Plotin,  Spinoza,  SCHOPENHAUER  hoch  gewertet.  Vgl.  An- 
Bchanimg  (intellectuelle),  Intuition. 

CTontii^llitilt  (contiguity):  Berührung,  Zusanmien  in  Baum  und  Zeit 
«eontiguns  =  anro/uvos  bei  ARISTOTELES,  Phys.  V  3,  226  b  23).  Die  Con- 
tigoität  ist  ein  Princip  der  Association  (s.  d.). 

Contliig^lit  (benachbart)  heißen  die  zwischen  conträren  Begriffen  einander 
nahestehenden  Artbegriffe. 

ContiBf^eiUB  (Contigenz):  Gegensatz  zur  Seins-Notwendigkeit,  Möglichkeit, 
Zofalligkeit,  Anders-sein-können.  „PossibUe  quidem  et  contingens  idem  prorsus 
sonant^  (Abaelard  bei  Prantl,  G.  d.  Log.  II,  198).    Thomas:  „Contingens 


188  Contiiigena  —  Contrast. 


est,  quod  potest  esse  et  non  esse^*  (Suin.  th.  I,  86,  3c).  Spinoza:  „Si  ad  rei 
esserUiam  simplictterj  non  vero  ad  eins  causam  attendamus,  ülam  cofitingetUem 
dieemtis**  (Cog.  met.  I,  3).  Nach  Leibniz  ist  die  ^yvodix  eantingentia^^  der  Tat- 
Bachen  der  progreeeus  in  infinitum,  der  bei  der  Erklärung  einer  Tatsache  aus 
anderen  schließlich  zu  Gott  führt  (Erdm.  p.  83b).  Chb.  Wolf:  ,,Cantingens 
est,  cuias  opposttum  mälam  contradictionem  involvit,  seu  qttod  fiecessarium  non 
est^^  (OntoL  §  294).  Nach  Baumgarten  ist  „contingenHa^^  „entis  detervninatioy 
qua  contingens  est*^  (Met  §  104).  Destütt  de  Tracy:  „Notis  appellons  eon- 
tingens  les  effets  dont  nous  voyons  la  cause  sans  voir  Venehatnement  des  cattses  de 
rette  cause"  (El.  d'id^l.  III,  8,  p.  356).  Ein  Gottesbeweis  (s.  d.)  ist  der  Beweis 
„e  cantingentia  mundi".    Vgl.  Zufall. 

Continnitilt :  Stetigkeit  (s.  d.). 

Continniiiii:  das  Stetige. 

Contradlctlo  In  adlecto  :  Widerspruch  im  Beiwort,  d.  h.  Widersprudi 
des  Prädicats  mit  dem  Subject,  Urteil,  in  welchem  der  Prädicatsbegriff  den 
Subjectsbegriff  aufhebt. 

Contradlction:  Widerspruch  (s.  d.). 

Contradlctortech  (contradictorium,  avrifarixm  bei  Aristoteles)  heißt 
die  Art  des  (logischen)  Gegensatzes  (s.  d.)  zwischen  Begriffen,  bei  welchem  der 
eine  die  directe  Verneinung,  Aufhebung  des  andern  ist  (z.  B.  sterblich  —  nicht 
sterblich).  Contradictorische  Begriffe  können  nicht  gleichzeitig  von  einem  und 
demselben  Subject  ausgesagt  werden,  weil  dies  einen  Widerspruch  einschließt. 
Der  Terminus  „contradictio**  schon  bei  BoBthiub:  „Voco  autetn  contradietumis 
opposüionem.,  quae  affirmatiane  et  negatione  proponttur^*  (vgl.  Prantl,  G.  d. 
Log.  I,  686). 

Contraposition  s.  Conversion. 

Contra  princlpla  ne^antem  non  est  dlspntandnnoi  s  ohne 
Übereinstimmung  in  den  Grundvoraussetzimgen  kein  logischer  Streit. 

Contrftr  (contrarium)  sind  Begriffe,  die  als  Glieder  einer  disjunctiven 
Reihe  am  weitesten  voneinander  abstehen  (z.  B.  schwarz  —  weiß).  Im  contraren 
Ciegensatze  stehen  Urteile,  zwischen  welchen  noch  ein  drittes  Urteil  denkbar  ist 
(von  der  Form:  einige  S  sind  P).  „Conträr^*  heißt  bei  Aristoteles  drTtxeiucros 
10  xara  Siafier^ov  (De  cael.  18,  277a  23  squ.).  Cicero:  „Contrarium  est^ 
quod  positum  in  genere  diverso  ab  eodem,  cui  contrarium  esse  didtur,  pturimum 
distatj  ut  frigus  cahri"  (De  invent.  28,  42;  Top.  11,  47).  Albertus  Magstjb: 
„Contraria  sunt,  quae  maxime  distant  in  eodem  et  expeüunt  se  mutuo  ab  eodem 
susceptibili'^  (Sum.  th.  I,  24,  3).  Thomas:  „Contraria  sunt,  quae  maxime 
differunt*^  (Sum.  th,  I,  77,  3  ob.  2).  Chr.  Wolf:  „Opposäa,  quae  enti  sirmd 
inesse  nequeunt,  sunt  contraria"  (Ontol.  §  272).  Hegel  verwirft  die  Unter- 
Fcheidimg  von  conträr  und  contradictorisch  (Encykl.  §  165).  Nach  Herbart 
sind  Begriffe  conträr,  die  miteinander  imvereinbar  sind  (z.  B.  Kreis  —  Viereck). 

ContraMt:  scharfe  Abhebung  eines  Objects  von  einem  andern,  qualitativ 
größter  Unterschied  und  Gegensatz  (z.  B.  von  Farben,  von  Gefühlen).  Der 
Contrast  bewirkt  eine  Verstärkung  der  contrastierenden  Gefühle.  Der  Contnist 
wird  zuweilen  als  ein  Factor  der  Association  (s.  d.)  betrachtet.  Nach  Kaitf 
ist  Contrast  „die  Aufmerksamkeit  erregende  Xebeneinanderstellung  einander  tcider- 


Ck>]itra8t  —  Conversion.  180 


ftortiger  SitmeavorateUtmgen  unter  einem  tmd  demselben  Begriffe^^  (Anthrop.  I, 
§  23).  ContraBtierend  sind  nach  Volkmann  y^jene  hofnologen  OesamivoreteUungetiy 
hei  denen  die  Differefnx  der  Oegensatxgrade  sieh  ihrem  Maximum  nähert^  (Lehrb. 
d.  Psychol.  I*,  374).  Wundt  unterscheidet  physiologischen  und  (eigentlichen) 
psychologischen  Oontrast.  Unter  dem  Namen  ^.ContrasP'  faßt  man  Erschei- 
nungien  zusammen,  „6e»  denen  die  xu  vergleichenden  Größen  als  relativ  größte. 
Unterschiede  oder,  wenn  es  sieh  itm  Gefühle  ha'ndeU,  als  Gegensätze  auf- 
fefaßt  werdefi^^  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  313).  Der  psychologische  Oontrast  ist  „(Äm 
Produet  eines  Bexiehungsvorgangs"  (ib.).  Bei  den  Gefühlen  hangt  die  Wirkung 
des  Contrastes  mit  den  ^^natürlichen  Gegensätzen^^  der  Gefühle  zusammen.  „So 
trerden  Lustgefühle  durch  unmittelbar  vorangegangene  Unlustgefuhle  und  manetue 
Entspan$tungsgefuhle  durch  die  vorangegangenen  ISpannungsgefukle,  x.  B.  das  Ge- 
fühl der  Erfüllung  durch  das  der  vorangehenden  Erwartung,  gehoben^*  (1.  c.  S.  314). 
(j€geD  die  Zurückführung  des  Contrasts  auf  ein  Beziehungsgesetz  ist  Xülpe 
<Gr.  d.  PsychoL  S.  420),  auch  gegen  die  Theorie  von  Helmholtz  (vgl.  Physiol. 
Optik*,  2.  Abechn.,  §  24),  daß  die  optischen  Contrasterscheinungen  auf  Urteils- 
liiiÄ-hungeii  beruhen  (1.  c.  S.  420).  K.  imterscheidet  zwei  Hauptklassen  von 
CoQtnisterscheinungen  in  qualitativer  Hinsicht.  jyZicei  verschiedene  Helligkeiten , 
die  nebeneinander  oder  nacheinander  beobachtet  werden,  scheinen  sieh  deutlicher 
voneinander  abxuheben,  und  ganx  ähnlich  beeinflussen,  sich  xu>ei  verschiedene 
Fsrbentöne  gegenseitig.  Dagegen  kann  man  bemerkenswerter  Weise  von  einem 
fohhen  Contrast  zwischen  Farbenton  und  Helligkeit  nicht  reden  ...  Es  gibt 
^  keinen  eigentlichen  Sättigungscontrast.  Was  man  mit  diesem  Namen 
w  der  Regel  bezeichnet,  ist  vielmehr  der  Einfluß  der  Sättigungsstufen  der  ein- 
idnen  Farben  auf  den  Farbencontrast,  Neben  dieser  Haupteinteilung  pflegt  man 
ftoch  eine  Unterscheidung  des  simultanen  und  successiren  Contrastes  und 
de»  mono  ciliaren  und  binocularen  vorxunehmen.  Aber  in  allen  diesen  Fällen 
iegegnen  uns  nicht  sowohl  neue  Contrasterscheinungen,  als  vielmehr  neue  Be- 
engungen oder  Umstände  der  in  jener  Haupteinteilung  atigedeutetefi  Vorgänge" 
{l  e.  S.  415  f.).  Es  gibt  Helligkeits-  und  Farbencontrast  (1.  c.  S.  416  ff.),  auch 
«n«!  Größencontrast  (1.  c.  S.  414;  vgl.  PhiL  Stud.  IV,  310  ff.,  VI,  417  ff.). 
Xach  R,  AVENARiüS  lautet  der  „Satz  des  Contrastes'' :  ,fleder  E-  Wert  (s.  d,) 
ittt  v<M  er  ist,  nur  als  Gegensatx  xu  einem  differenfen  E-Wert,  und  er  ist  um. 
*»  ^n^sehiedener,  was  er  ist,  je  mehr  er  mit  diesem  contrastiert'  (Krit.  d.  r. 
Erf.  II,  74).    VgL  Komisch,  Gesetz  der  Contraste. 

Contrast^^ffillle  sind  nach  Wundt  Gefühle,  die  „aus  einer  Folge 
TOR  Lust-  und  UfUustgefühlen  bestehen,  in  der  je  Jiach  Umständen  bald  das  eifie 
leid  das  andere  vorherrschen  kann";  z.  B.  das  Kitzelgefühl  (Gr.  d.  Psychol.*, 
S.  193). 

CoDTentions  Übereinkommen,  Vertrag.    Vgl.  Sociologie. 

C^ODTersion,  logische;  Umkehrung,  Umformung  eines  Urteils  zu  einem 
todem,  behufs  Prüfung,  ob  und  innerhalb  welcher  Grenzen  ein  Urteil  gültig  ist. 
Zn  onterecheiden  sind:  reine  oder  einfache  Umkehrung  (conversio  pura,  simplex), 
wobei  bloß  die  Stellung  von  Subject  und  Pradicat  eine  andere  wird ;  quantitative 
rmkehrung  (conversio  per  accidens),  durch  Wechsel  der  Quantität  (s.  d.)  des 
Urteils;  Oontraposition,  durch  Wechsel  auch  der  Qualität  (s.  d.)  des  Urteils, 
I  wobei  das  contradictorische  Gegenteil  des  Prädicats  zum  Subjecte  wird.  Regeln 
&  die  Conversion:  l)  Allgemein  bejahende  Urteile  sind  nur  dann  rein  umkehrbar, 


190  Ck>nv«nio]i  —  Ck^pnla. 

wenn  sie  identuch  (s.  d.)  sind:  a  (b.  d.)  wird  zu  a.  Alle  übrigen  allgemem 
bejahenden  Urteile  sind  nur  einer  conyersio  per  accidens  fihig:  a  wird  zu  i  (s.  d.). 
2)  Bei  besonders  bejahenden  Urteilen  ist  möglich  a.  reine  Umkehrung:  i  wird 
zu  i,  b.  unreine  Umkehrung:  i  wird  zu  a.  3)  Allgemein  remeinende  Urteile 
haben  reine  Umkehrung:  e  (s.  d.)  wird  zu  e.  4)  Besondere  verneinende  Urteile 
sind  nicht  umkehrbar.  Für  die  Oontrapoeition  gelten  folgende  Begdn:  1)  All- 
gemein bejahende  Urteile  werden  zu  allgemein  verneinenden:  a  wird  zu  e. 
2)  Besonders  bejahende  Urteile  sind  nicht  contrapcmierbar.  3)  Besonders  ver- 
neinende werden  zu  bejahenden  Urteilen:  o  (s.  d.)  wird  zu  L  4)  Allgemein  be- 
jahende Urteile  werden  zu  besonders  bejahenden  Urteilen:  e  wird  zu  i.  Kate- 
gorische lassen  sich  in  hypothetische  Urteile  umformen.  Speichen  für  die  conversio 
Simplex:  s,  für  die  conversio  per  accidens:  p. 

Bei  Aristoteles  heißt  die  Conversion  dvxioTQOfiq.  Er  erklart:  t6  av- 
Tiar^yeiv  iüri  t6  fmaTt&ivra  v6  avfini^afia  nouiiv  rov  avXXoyuifiov  ori  r^ 
vo  äx^ov  T^  fiiaqf  ovx  iind^et  ^  rovro  rtf  Ttkevrait^  (AnaL  pr.  II  8,  59b  1; 
vgl.  I  2,  24b  31  squ.)  „Conoeraio^^  im  logischen  Sinne  erst  bei  Afuleius  (vgl 
Prantl,  G.  d.  Log.  I,  584).  Die  Logik  von  Port-Boy al  bestimmt:  jyPrcfo- 
aüio  converti  dioüur^  cum  aubiectwn  in  attributum,  vel  cUtribuiwn  mutcUur  m 
subiectum^  üa  tarnen,  tä  prapasitio  tum  desinat  esse  vera ,  si  prius  vera  fuerii^ 
(U,  3).  Vgl.  Kant,  Log.  ö.  184  f.,  Überweg,  Log.  4,  §  89.  Schuppe  halt 
die  (Konversion  für  eine  Spielerei  (Log.  S.  52).    VgL  Umkehrung. 

CJoordinatloii:  Beiordnung,  besonders  von  Begriffen.  Coordiniert  sind 
Begriffe  von  gleichem  Umfange  in  Beziehung  auf  einen  dritten,  ihnen  über- 
geordneten (Gattung8)-Begriff.  Nach  Wündt  gibt  es  fünf  Arten  der  Coordi- 
nation  von  Begriffen:  disjuncte  (rot  +  blau),  correlate  (Mann  -(-  Frau),  contrare 
(weiß  +  schwarz),  contingente  (weiß  +  gelb),  interferierende  (Neger  -f-  Sclave) 
Begriffe  (Log.  I,  115  f.). 

Copnla  (Band):  das  Wortzeichen  (yftst",  „«tm/"  u.  s.  w.),  welches  im 
Satze  die  Beziehung  von  Subject  und  Prädicat  ausdrücken  kann.  Das  „«Sern'* 
im  Sinne  der  Copuia  bedeutet  nicht  die  Existenz,  sondern  die  als  gültig  ge- 
raeinte Zuordnung,  Zugehörigkeit  des  Prädicats  zum  Subjectsb^riffe. 

Nach  BofiTHius  ist  das  „est*^  ^»«o»*  ^*^V  eine  bloße  ^jSigmficaiio  qualitatü^ 
(vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I,  96).  „Chpula*^  kommt  zuerst  bei  Abaelard  vor: 
„Membray  ex  quibiis  coniunetae  stmt,  praedieaium  ae  stiineetum  atque  ipsontm 
coptda."  „  Verhum  vero  interposüum  praedicatum  subiecto  eaptäai^^  (vgl.  Prantl, 
G.  d.  Log.  II,  196).  Nach  Chr.  Wolf  ist  die  Copuia  „voeiUa  ista,  quae  nexuin 
praedicati  et  subiecti  signißeat*  (Log*  §  201).  Kant  bestimmt  die  Copuia  als 
„die  Form,  durch  welche  das  Verhältnis  xwisehen  Sul^ect  und  Objeet  ausgedrüeit 
u'ird^*  (\\^V.  III,  287).  Nach  J.  St.  Mill  ist  sie  nur  ein  Zeichen  der  Pradi- 
cation  (Log.  I,  93).  Schelling:  „A  ist  B  heißt:  A  ist  nicht  selbst,  es  ist  nur 
Träger,  d.  h.  Subject  von  B'  (Darstell,  d.  philos.  Empir.  WW.  I  10,  264).  Die 
„(hpiäa^^  ist  das  absolute  Band,  die  Identität  im  Absoluten.  Heqel  erklan: 
„Die  Copuia:  ,ist*  kommt  von  der  Natur  des  Begriffs^  in  seiner  Entäußerimg 
identisch  mit  sieh  xu  sein;  das  Einxelne  und  das  Aügetyieine  sind  ais  seine 
Momente  solche  Bestimmtheiteti,  die  nicht  isoliert  werden  können'^  (EneykL  §  166). 
Nach  Chr.  Weisse  ist  die  Copuia  nicht»  anderes  als  „die  reine  Denknot icendig- 
krity  nur  noch  nicht  in  ihre  Momente  auseinander  gebreitet,  sondern  in  eine 
unterschiedlose   AUgemeinlieit   wie   in  einen  Keim   verschlossen*^  (Met.  S.   113). 


Ck>piüa  —  Correlate.  191 


Nach  Waitz  bezdciinet  die  Copula  ,^ie  besondere  Art  der  Bex/vehung  und  Ver- 
bmdumg^  in  welche  SuJbjeet  und  Prädieoi  »ueinander  ireten^^  (Lehrb.  d.  PsychoL 
S.  534).  LoTZE  defmiert  ähnlich  wie  Kant  (Log.  8.  59).  Nach  B.  Ebdmann 
ist  die  Copula  ^^die  Bexdehung,  weiche  im  Urteile  als  xwischen  Subfeet  und 
Mdieat  stattfindend  ausgesagt  wir^^  (Log.  I,  §  42).  Nach  Wundt  ist  sie 
^i^eitige  BexiehuTigsform,  tcelehe  das  Verhältnis  xweier  Begriffe  km  einem  prä- 
dieatüfen  erhebt^'  (Log.  I,  147).  Sie  gehört  dem  Prädicate  an  (1.  c.  S.  143). 
Schuppe  meint,  das  ,,ist^^  bedeute  nicht  eigentlich  Identität.  ,yDas  Ding  ist 
rot  —  deute  ich  .  .  .  auf  die  Aussage  des  Seins,  das  Ding  ist,  —  lasse  aber 
iieges  Sein  Kjugleich  durch  das  x/ugesetxte,  ein  rotes,  determiniert  sein"  (Log. 
S.  138).    Vgl.  HoDGflON,  Phü.  of  Reflect.  I,  353  ff. 

CkipnlatiTe  Urteile  sind  Urteile  mit  einer  Mehrheit  von  Subjecten 
and  einem  Prädicate  (Sj,  Sj,  Sg  sind  P).  Negativ-copulative  Urteile  heißen 
remotive  Urteüe  (weder  Snoch  Sj  noch  Sg  sind  P). 

f)omiatiiB  {HB^rivr^e,  der  Gehörnte):  Name  eines  Fangschlusses  des 
EcBTnJDES.  ,yWas  du  nicht  verloren  hast,  hast  du  noch,  Homer  hast  du  nicht 
(trhren.    Also  hast  du  Homer''  (Diog.  L.  VIT,  187). 

Corollar  (corollarium):  Zusatz,  Folgesatz.  Nach  Goclen  =  „omne  idy 
(juod  ex  propositüme  cUiqua  eonsequitur^'  (Lex.  phil.  p.  480).  Corollarsätze  sind 
Mbch  Drobisch  (N.  Darstell,  d.  Log.*,  S.  154)  und  Wündt  (Log.  II,  57)  un- 
mittelbare Folgerungen  aus  bewiesenen  Sätzen. 

Corpnscnlarphlloaoplile  s.  Corpuskel. 

Corpaakel  (corpuscula,  bei  Cicebo,  Acad.  p.  II,  6):  Körperchen,  ele- 
mentare, einfache  Körper  von  verschiedener  Form,  aber  nicht  als  unausgedehnt 
vie  die  Kraft-Atome  (s.  d.)  gedacht. 

Plato  denkt  sich  die  Elemente  (s.  d.)  der  Körper  aus  verschiedenartigen 
Crestalten  zusammengesetzt,  die  wiederum  aus  Dreiecken  bestehen  (Tim.  58  A, 
60  C,  79  B).  Die  Corpusculartheorie  der  neueren  Zeit  hat  in  Descartes  einen 
Haoptrertreter.  £lr  nimmt  an,  daß  alle  Materie  ,Juisse  initio  a  Deo  dimsam  in 
fortieul4is  quatnproxime  inter  se  aequales  et  magnitudine  mediocres^'  (Princ.  phil. 
ni,  46).  Es  gibt  dreierlei  Elemente  (s.  d.),  deren  zweite  Art  die  ist,  „quae 
(ütisa  est  in  particulas  sphaericas  valde  quidem  minutas,  si  cum  iis  corporibus 
?«ac  oeulis  cemere  possumus,  comparentur ;  sed  tarnen  certae  ac  determinatae 
piantitaiis  et  divisibües  in  alias  muUo  minores"  (1.  c.  52).  Die  Corpuskel  sind 
in  Wirbelbewegungen  begriffen  (L  c.  65  ff.).  Auch  Spinoza  denkt  sich  die 
Körper  in  einfachste  Körper  zerlegt  (Eth.  II,  lem.  III,  ax.  II).  Corpuskel 
nimmt  auch  Hobbes  (De  corp.)  an,  ferner  Locke  (Ess.  IV,  eh.  3,  §  16). 
Chb.  Wolf  spricht  von  „Korperlein",  die  nicht  die  letzten  Elemente  der  Dinge 
sind  (Tem.  Gred.  I,  §  613).  Die  „corpuscula"  sind  „eniia  composita  per  se  in- 
'iUervabilia,  seu  adeo  exilia,  ut  omnem  visum  effugiard"  (Cosmol.  §  227).  Es 
gibt  „corpuscula  primitiva"  und  „c.  derivativa"  (1.  c.  §  229).  „Corpuseular- 
pküosophie"  (f^hHosophia  oorpusadaris")  ist  jene  Philosophie,  „qu>ae  phaeno- 
nenorum  rationem  a  eorpuseulis  desumit"  (1.  c.  §  230).  Ähnlich  Baumgarten 
Met.  §  425). 

Corr^ate  (correlata)  oder  Correlatbegriffe  sind  Begriffe,  die  Wechsel- 
^J€2Üglich  sind,  d.  h.  nur  in  wechselseitiger  Beziehimg  Sinn  haben  (z.  B.  Ursache 
—  Wirkung). 


192  Correlation  —  Cultar. 


Correlation:  Wechselbeziehung,  besonders  zwischen  Object  (s.  d.)  und 
Subject,  äußerer  und  innerer  Erfahrung  (vgl.  Eiehl,  PhiL  Krit.  II  2,  30). 

CorrelatiTlsmas :  die  Betonung  der  untrennbaren  Verknüpfung  von 
Subject  und  Object  (s.  d.)  des  Erkennens  (Laas  u.  a.). 

Correapondens:  wechselseitiges  Entsprechen  z.  B.  des  Physischen 
und  Psychischen.    Vgl.  Harmonie,- ParaUelismus. 

C^reatianlsimis :  Schöpfungstheorie  bezüglich  des  Entstehens  der  Seele, 
w^elche  nach  dieser  Auffassung  im  Moment  der  Greburt  des  Organismus  vou 
<TOtt  mit  demselben  vereinigt  wird.  Gregensatz:  Traducianismus  (s.d.).  Creatianer 
sind:  Arxobius,  Augustinus,  Alexandeb  von  Hales  (Sum.  ül  II,  62,  lu 
Wilhelm  von  Champeaux,  Peteus  Lombaedus,  Wilhelm  von  Conchbs. 
Hugo  von  St.  Victor  (De  sacr.  I,  7,  30),  Thomas  (Contr.  gent.  EI,  83), 
DuNs  ScoTUS  (De  rer.  princ.  10,  2),  Calvin,  van  Helmont  u.  a.  Der  Creatia- 
nismus  tritt  in  zwei  Formen  auf:  „Les  infusiens  • —  pretendant  que  Vämf 
s'unit  au  corps  dejä  engendre.  Les  coexistenciens  —  soutenant,  que  VvfwUm  des 
deux  parties  du  eompose  s'opere  dans  le  mime  temps  que  la  genercUion  de  futte 
et  de  Vautre^'  (Haureau  II  1,  p.  404).  Creatianer  ist  auch  Lotze  (Med. 
Psychol.  1.  B.,  C.  3). 

Creatio  continna:  fortgesetzte  Schöpfung,  ständige  Erhaltimg  der 
Welt  im  Dasein  durch  (jott.    Vgl.  Schöpfung. 

Credo^  qvla  alislirdiiiii:  ich  glaube  es,  gerade  weil  es  wider  die 
Vemimft,  übervemünftig  ist  (Teetullian). 

Credo«  nt  IntelUn^ams  ich  glaube,  um  zu  verstehen,  zu  wissen.  So 
sagt  Anselmus:  ,,Neque  enim  quaero  int^igere,  ui  eredam^  sed  eredam,  ut  in- 
teUtgam'"  (Proslog.  I).  Schon  Augustinus  bemerkt:  ,yOredinms,  ut  cognaseanms, 
non  eognoscimus,  ui  credamtcs,'*  Die  Bedeutung  des  Glaubens  für  die  (religiöse» 
Erkenntnis  wird  hiermit  betont. 

CMmlnalpsycholoi^e  (forensische  Psychol.):  Psychologie  des  Ver- 
brechens, der  Zurechnung,  der  Verantwortlichkeit  u.  dgl. 

CMtica  8.  Kritik. 

Oritietem:  Ästhetik  (Hume  u.  a.). 

Cultnr  (geistige,  sociale,  ethische):  Ausbildung  der  intclleetuellen  und 
moralischen  Fähigkeiten  des  Menschen  in  geistigen,  socialen  Gebilden  (Wissen- 
Schaft,  Recht,  Sittlichkeit  u.  s.  w.),  Bändigung  des  imgezügelten  Trieblebens 
durch  den  Willen;  Verwertung  und  Bearbeitung  alles  ,yNaiürliehen^^  im  Dienste 
höherer  Bedürfnisse  im  Sinne  einer  fortschreitenden  Humanität,  Inbegriff  der 
social  entstandenen  Gebilde  und  Institutionen,  bewußtes,  planmäßiges  Leben 
unter  dem  Einflüsse  von  Ideen;  sittliche  Ausbildung.  Von  der  Culturge- 
schichte  ist  die  Culturphilosophie  als  Theorie  und  Wertung  der  Cultur- 
gebilde  zu  unterscheiden.  Xach  Kant  ist  Cultur  „rfi«  Herrorbringung  der 
Tauglichkeit  eines  remünftigen  Wesens  Mi  beliebiger  Zweckmäßigkeit  überhaupt  — 
folglich  in  seiner  Freiheif\  die  Tauglichkeit,  sich  selbst  Zwecke  zu  setzen  und 
die  Natur  als  Mittel  dazu  zu  gebrauchen.  Die  wahre  Cultur  kann  nur  in  der 
Gesellschaft  erreicht  werden  (Krit.  d.  Urt.  §  83).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  Cultur 
,jÜbung  aller  Kräfte  auf  den  Zweck  der  völligen  Freiheit,  der  völligen  Unab- 
hängigkeit von  allein,  was  nicht  wir  selbst  sind^^  (WW.  VI,  86).    Nach  E.  EuCKEN 


Cidtur  —  BarU.  193 


besteht  die  Cultur  in  der  Schaffung  einer  neuen,  geistigen  Welt,  einer  Durch- 
brechung der  Xatiur  (Kampf  um  e.  geist.  Lebensinh.  S.  8  ff.).  Nach  Unoli) 
ist  das  letzte  Ziel  aller  Cultur  die  Herstellung  einer  sittlichen  Weltordnung, 
eines  harmonischen  Vereines  aller  (Gr.  d.  Eth.  8.  261  f.).  H.  Schifbtz  bemerkt: 
„CulUtr  ist  die  Erbschaft  der  Arbeit  vorhergehender  OenercUionen,  soweit  sie  sich 
in  dm  Anlagen j  dem  Beicußtsein^  der  Arbeit  und  den  Arbeitsergebnissen  der  jedes- 
mal Lebenden  rerkörpert*^  (Urgesch.  d.  Cult.  S.  5).    Vgl.  Sociologie. 

Cvltar,  etUsehe,  s.  Ethik  (Schluß). 

Cyntemiis:  die  Philosophie  und  die  Lebensweise  der  Cyniker;  deren 
Begründer:  Aittlsthenes.  Princip  des  Cynismus  (der  Name  Cyniker,  Kyniker 
wohl  vom  Lyceum  Kwoad^yrjgf  in  welchem  Antisth.  lehrte)  ist  extreme  Bedürfnis- 
losigkeit (s.  d.),  in  der  sich  besonders  Diogenes  von  öinope  auszeichnete. 
Die  Tugend  (».  d.)  gilt  als  das  einzige  Gut.  Cyniker  sind  auch  Krates  und 
dessen  Gattin  HiPPARcraA,  Metrokles,  Bion,  Menippus,  Demonax  u.  a. 
ivgl.  Überweg  -  Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  !•,  139  ff.).  Cynismus  im 
vetteren  Sinne  =  Verachtung  alles  Formalen  im  Betragen,  Verhöhnung  aller 
allgemeinen  Werte. 

Daimonion  {ßaifioviov)  nennt  Sokrateh  die  von  ihm  für  göttliche 
EiDgebung  gehaltene  innere  Stimme  der  praktischen  Vernunft,  des  Gewissens, 
dfs  sittlichen  Tactes,  die  ihn  von  der  Begehung  unziemlicher,  unvernünftiger, 
mit  der  sittlichen  Persönlichkeit  nicht  in  Einklang  stehender  Handlungen  ab- 
hält. Sie  sage  ihm  a  re  x^V  ^oielv  xai  a  /nrj  (Xenophon,  Memor.  I,  4,  15,  IV, 
3,  12;  vgl.  auch  IV,  8,  6);  ifiol  di  tovt  iaxlv  ix  natSos  a^idfiBvoVj  (piorrj 
Ti»  yi'/foudyrj,  rjj  oxav  yavijraiy  dsl  ditOTQiTtsi  fie  rovrov,  o  dv  fiikkio  n^dtrsiv^ 
n^inoijtei  3^  ovTtore  (Plato,  Apolog.  31  D;  Phaedr.  242  B;  vgl.  Cicero,  De 
dinn.  I,  .54,  122,  femer  Volquardsen,  Das  Dämon,  d.  Sokr.  u.  s.  Interpreten 
lVi2;  RiBBiNG,  Sokrat.  Stud.  II,  1870). 

Oftmonens  Greister,  insbesondere  böse,  schädliche.  Der  Dämonenglauben 
bildet  einen  Bestandteil  wohl  aller  primitiven  Religionen,  besonders  des  j^Animis- 
muf*  <im  Sinne  Tylors).  An  Dämonen  glaubten  auch  die  Perser,  Juden  u.  a. 
Auch  in  die  Philosophie  ist  die  y^Dämonologie^^  eingedrungen,  indem  man  hier 
onter  Dämonen  geistige  Kräfte  versteht,  welche  zwischen  der  (iottheit  imd  den 
Menschen  vermitteln.  Als  Anhanger  solchen  Glaubens  sind  besonders  zu 
nennen:  Xenokrates  (Plut  De  Is.  et  Osir.  26;  De  def.  orac.  14),  die  Stoiker 
(TgLZELLER,  Phü.  d.  Griech.  III,  1»,  319),  Neupythagoreer  (1.  c.III,  2»,  91), 
PUTTARCH  (1.  c.  III,  2»,  176),  Philo  Jüpaeus  (De  somn.  I,  22),  Plotin  (Enn. 
VI,  7,  6:  iüJt  fUftfifia  &bov  SoUfictry,  ais  d'aov  dvrj^rrjuayoejj  JambLICH,  ProCLÜS, 

BofiTHiüs,  Porphyr  (De  abstin.  II,  37  ff.),  Tattan  (,/iylisehe  Geister'^  Orac. 
ad  Graec  4). 

Darapti  ist  der  erste  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
ftUgemein  bejahend  (a),  Untersatz  auch  (a),  Folgerung  besonders  bejahend  (i). 

Daiii  ist  der  dritte  Modus  der  ersten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz  all- 
gemein bejahend  (a),  Untersatz  imd  Folgerung  besonders  bejahend  (i). 

PUlotophitoh«!  Wörterbuch,    i.  Aufl.  13 


194  Darstellen  —  Dauer. 


Darstellen:  zum  Ausdruck,  zur  Erscheinung  bringen.  So  sagt  Leibniz, 
die  Monaden  (s.  d.)  stellen  das  Universum  („rqDresentent  Vunivers^^)  vorstellend 
dar  als  Mikrokosmen  (s.  d.). 

Darwlntemiis:  die  Lehre  des  Charles  Darwin  (On  the  origin  of 
species  1859)  von  der  Variabilität  der  Arten,  vom  Kampfe  ums  Dasein  und  der 
natürlichen  Auslese,  von  der  allmählichen  Entwicklung  der  Arten  durch  diese 
Factoren,  durch  passive,  von  außen  erreichte  Anpassung  (s.  d.)  ohne  Zielstrebig- 
keit und  Teleologie.    Vgl.  Evolution. 

Dasein  s.  Existenz. 

OaUsl  ist  der  vierte  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz  all- 
gemein bejahend  (a),  Untersatz  und  Folgerung  besonders  bejahend  (i). 

Oauer  ist  beständige,  ununterbrochene  Existenz,  constante  Zeiterfüllung, 
Identisch-Bleiben  eines  Inhalts  eine  bestimmte  Zeit  hindurch  (relative,  absolute 
Dauer).  Das  Ich  findet  zunächst  sich  in  seiner  Identität  (s.  d^  als  dauernd, 
permanierend,  und  dann  Vorstellungsinhalte,  die  es  aus  dem  Flusse  des  Ge- 
schehens immer  wieder  herauszuheben  vermag  und  die  es  daher  gleichfalls  als 
dauernd  auffaßt  und  sogar  begrifflich  auf  dauernde  Einheiten  (Substanzen) 
zurückführt. 

Zimächst  wird  die  Dauer  als  eine  den  Dingen  innewohnende  Tätigkeit  auf- 
gefaßt, von  den  Scholastikern  als  ^jßennattere  in  eonstentia"  (Suarez,  Met. 
disp.  50,  1,  1).  Es  wird  unterschieden  reale,  imaginäre  (vorgest-ellte),  relative 
Dauer  (1.  c.  5).  Die  absolute  Dauer  oder  Ewigkeit  heißt  „aemim^^  (1.  c.  50,  6, 9, 
bei  Aristoteles  aimv  =  to  aei  slvai,  De  coel.  I  9,  279a  25).  Nach  Goclen 
ist  jjdurdtio^^  die  „persislentia  (pennatisio)  rei^^  (Lex.  philos.  p.  561).  Spinoza 
definiert  Dauer  als  „atiribiitumy  suh  quo  rerutn  creatanmi  existerUiam,  prout  in 
8ua  actuaUtate  perseverant,  conetpimus^^  (Cog.  met.  I,  5),  als  ,,indefimta  eristendi 
continuaiio^^  (Eth.  II,  def.  V),  als  „existentia,  quatenus  abstracte  concipOur,  et 
tanquam  qi4aedam  quantitatis  species"  (Eth.  II,  prop.  XLV).  Psychologisdi 
bestinmit  wird  die  Dauer  schon  von  Locke.  Sie  ist  nach  ihm  der  Abstand 
zwischen  dem  Auftreten  zweier  Vorstellungen  im  Bewußtsein,  das  Dasein  oder 
der  Fortgang  unseres  Daseins  oder  eines  andern  Dinges  nach  dem  Maße  der  Vor- 
stellungen in  uns  (Ess.  II,  eh.  14,  §  3).  Der  Begriff  der  Dauer  entspringt  aus 
der  inneren  Wahrnehmung  des  Vorstellungsverlaufes  (1.  c.  §  4).  Nach  Leibkiz 
wird  die  Vorstellung  der  Dauer  nicht  durch  die  Folge  der  Vorstellungen  er- 
zeugt, sondern  nur  erweckt,  indem  in  der  Wahrnehmung  selbst  nicht  die 
Constanz  der  Zeit  liegt,  die  eine  y^eicige  Wahrheif^  (etwas  Apriorisches)  ist  (Nouv. 
Ess.  II,  eh.  14).  Hume  betont,  die  Vorstellung  der  Dauer  stamme  immer  aus 
einer  Folge  veränderlicher  Gegenstände,  niemals  aus  dem  Bewußtsein  ein« 
Gleichförmigen,  Unveränderlichen  (Treat.  II,  sct.  3).  Nach  Condillac  ist  das 
Bewußtsein  der  Veränderung  des  Ich  an  die  Vorstellimg  einer  Dauer  gebunden 
(Trait.  d.  sens.  I,  eh.  4,  §  11).  Nach  Chr.  Wolf  ist  die  Dauer  „existeniia 
simtdtanea  cum  rebus  pluribtis  sueceastpis^^  (Ontol.  §  578).  Nach  CRrsrrs  ist 
sie  ,ydie  Fortsetximg  der  Existenz  durch  mehr  ah  einen  Augenblick'^  ,4as 
Zugleieh'Sein  eines  Difiges  mit  der  Existenx  eines  andern"  (Entw.  d.  notw.  Ver» 
nirnftwahrh.  §  55). 

Kant  erklärt:  „Das  Beharrliche  ist  das  Substraium  der  empirisclten  Vor- 
Stellung  der  Zeit  selbsiy   an   welchem  alle  Zeitbestitnmung  allein   möglieh   ist,'*" 


Dauer  —  DQducieren.  195 


„Durch  das  Beharrliche  ailem  bekommt  das  Dasein  in  verschiedenen  Teilen  der 
ZeHreihe  nacheinander  eine  Größe,  die  man  Dauer  nennt.  Denn  in  der  bloßen 
Folge  allein  ist  das  Dasein  immer  verschwindend  und  amhebefid  und  hcU  niemals 
die  mindeste  Qröß^^  (Krit  d.  r.  Vem.  S.  176).  Daß  Beharrliche  in  der  Zeit  ist 
das  „Schema"  (s.  d.)  der  Bubetanz.  Nach  Fries  ist  die  Dauer  ^^ne  dunkle 
Vorstellung,  welche  wns  erst  mittelbar  durch  Vergleichungen  unserer  Zurück- 
mtmerung,  also  durch  unUkürliche  Reflexionen  xum  Beumßtsein  kominV  (Syst. 
d.  Log.  S.  81).  Hegel  bestimmt  die  Dauer  als  ,yrelatives  Aufheben  der  Zeü^^ 
(Xaturphil.  S.  55).  Carnebi  meint:  „Datier  im  gemeinen  Sinn  gibfs  keine; 
denn  alles  Sich-erhalten  ist  nur  ein  ununterbrochener  Wechsel^*  (Sittl.  u.  Darw. 
y.  90),  y,nur  der  tms  unmerkliche  Grad  des  Wachsens  mid  Vergehens^^  (1.  c. 
S.  90  f.;  ähnlich  H^bakut,  Nietzsche,  Huxley  u.  a.  Emerson  erklärt: 
^  der  Natur  gibt  es  keine  absolut  feststehenden  Größen.  Das  Universum  ist 
flässig  und  flüchtig.  Dauer  ist  nur  ein  relativer  Beg^riff"  (Kreise,  Essays 
S.  107).  Nach  J.  Baumann  heißt  Dauer,  ,ydaß  eticas  oder  etwas  an  etwas  sich 
nickt  verändfrty  ufährend  andere  Dinge  sich  so  verändern,  daß  auf  ihre  Ver- 
änderungen der  Zeitbegriff  Anwendung  erleidet^^  (Lehre  von  R.  u.  Z.  II,  525). 
VoLK3iANN:  „ZWß  Gegenwart  wird  xur  Dauer y  indem  wir  in  dem  wachsenden 
>>pa3mungsgrade  der  Zukunft  bewußt  werden,  daß  sie  sich  behauptet  gegen  die 
Zukunft.  Dieses  Gefühl  des  Noch-da  ist  das  Dauergefühl  und  hat  das  Maß 
mner  Intensität  an  der  Größe  der  abgewiesenen  Hemmungen,  das  Maß  seiner 
Eztensüäl  an  der  Länge  der  Zeüreihe  des  Lebens,  durch  welche  es  sich  hindureh- 
üeht^  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  20).  Nach  Wündt  ist  innerhalb  der  Zeit- 
aoschauung  selbst,  ohne  Übertragung  dieser  auf  den  Raum,  „die  Vorstellung 
ei$ier  absoluten  Dauer,  d,  h.  einer  Zeit,  in  welcher  sich  nichts  verändert, 
irklechterdings  unmöglieh^^.  „Dauernd  nennen  wir  daher  nur  einen  Eimlruck, 
dessen  einzelne  Zeitteile  einander  ihrem  Empfindung s-  und  Gefühlsinhalte 
nach  vollständig  gleichen,  so  daß  sie  sich  bloß  durch  ihr  Verhältnis  xum 
Vorstellenden  unterscheiden^^  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  172).  Külpe  rechnet  (wie 
Baldwin,  Handb.  of  Psychol.  I,  85)  die  Dauer  als  elementare  zeitliche  Be- 
fsdiaffenheit  zu  den  Eigenschaften  der  Empfindung  (Gr.  d.  Psychol.  S.  30, 
394,  396).  Die  Dauer  von  Empfindungen  ist  mehrfach  berechnet  worden  (1,  c. 
S.  397  ff.),  auch  die  Dauer  psychophysischer  f^Beactionen**  (s.  d.).  Nach  Ebbing- 
HAUS  ist  Dauer  ,^ie  Zeiilichkeü  eines  bestimmten  gleichartigen  Erlebnisses,  das 
für  uns  gerade  im  Vordergrund  des  Interesses  steht  wui  durch  beliebige  andere 
bihalte  begrenzt  wird**  (Gr.  d.  Psychol.  S.  458).  Nach  Riehl  beruht  die  Vor- 
stellung der  Dauer  darauf,  daß  das  Ich  seine  Identität  (s.  d.)  in  der  Folge  der 
Vorstellungen  festhält  (Phil.  Erit.  II,  1,  73).  Die  anschauliche  Zeit  und  jeder 
Teil  in  ihr  ist  oder  hat  Dauer.  „Aus  dem  beständigen  Hinschwinden  der  Zeit 
läßt  sieh  .  .  .  die  ^Dichtigkeit  ihres  Inhaltes  nicht  folgern,  und  statt  zu  sagen: 
nichts  beharrt,  alles  ist  ohne  Dauer,  müssen  icir  vielmehr  sagen:  nichts  ist  völlig 
fergänglieh.  Das  Vergangene  ist  in  seinen  Wirkungen,  das  Künftige  in  seiner 
Vrsaehe  da,  und  das  zurück-  und  vorgreifende  Bewußtsein  verbindet  Succession 
und  Beharren"  (Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  210,  gegen  Schopenhauer).  Auch 
nach  RoYER-Ck>LLARD  setzt  die  Vorstellung  der  Zeitfolge  schon  das  Bewußtsein 
der  Dauer  voraus;  dieses  entspringt  aus  dem  Bewußtsein  der  Identität  des  Ich 
(in  Jouffroys  Übers,  der  WW.  Reids  1828,  III,  327  ff.,  IV,  273  ff.).  Vgl.  Zeit, 
Werden. 

Dedneierens  ableiten,  s.  Deduction. 

13* 


196  Beduotdo  ad  absurdum  —  Beductioii. 

Oedaetio  ad  absurdum  s.  Absurd. 

Oeduction:  Ableitung,  Begründung  einer  Wahrheit,  einer  Erkenntnis, 
eines  Urteils  aus  einem  allgemeinen,  begrifflichen  Wissen,  Darlegung  der  (xültig- 
keit  eines  Satzes,  eines  Gesetzes  aus  (inductiv  gewonnenen  oder  apriorischen 
Erkenntnisfactoren  gemäßen)  allgemeingültigen  Sätzen  oder  Gesetzen,  Be- 
gründung luid  Begreiflichmachung  von  Einzeltatßachen  durch  Nachweis  ihres 
Zusammenhanges  mit  Gesetzmäßigkeiten.  Etwas  deducieren  heißt,  es,  das  Be- 
sondere, als  Specialfall  eines  Allgemeinen  bestimmen.  Das  Verfahren  dazu 
heißt  deductive  (progressive)  oder  synthetische  Methode. 

Aristoteles  versteht  imter  aitaytoyti  (deductio)  die  Lösung  eines  Problems 
durch  ein   anderes,  näher  liegendes  (Anal.  pr.  II  25,  69  a  20).     Der  Ausdruck 
jjdeduHio^^  findet  sich  im  logischen  Sinne  schon  bei  BofiTHiüS.     Die  Scho- 
lastiker verstehen  unter  Deduction  die  Ableitung  des  Concreten  aus  dem  Ab- 
stracten  (vgl.  GtOCLEN,  Lex.  philos.  p.  499).     F.  Bacon  schätzt  die  Deduction 
(den  Syllogismus,  s.  d.)  gering,  sofern  sie  nicht  auf  wahre  Induction  ^„m  tw- 
duetione  i^era")  sich  gründet  (Nov.  Organ.  14).     Kant  luiterscheidet  von  der 
jjemptriscken^^  die  ^^trcmscendental^^^  Deduction.     Unter  letzterer  versteht  er  die 
Darlegung  der  Möglichkeit  und   Notwendigkeit,   des  Bechtsgrundes  der  An- 
wendung apriorischer  (s.  d.)  Denkformen  (Kategorien)  auf  den  Erfahrungsinhalt, 
die  Ableitung  der  Kationen  (s.  d.)  aus  einem  einheitlichen  Princip  (Krit  d. 
rein.  Vem.  S.  103).     „Unter  den  mancherlei  Begriffen  .  .  .^  die  das  sehr  ver- 
mischte Gewehe  der  menschlichen  Erkenntnis  ausmaxihen,  gibt  es  einige,  die  auch 
xum  reinen  Oettrauch  a  priori  (völlig  unabhängig  von  aller  Erfahrung)  bestimmt 
sindy  und  diese   ihre  Befugnis   bedarf  jeden^t  einer  Deduction,  weil  xu  der 
Rechtmäßigkeit  eines  solchen  Gebrauches  Beweise  aus  der  Erfahrung  nicht  hin- 
reichend sind,  man  aber  doch  wissen  muß,  wie  diese  Begriffe  sieh  auf  Obfeete 
beziehen  können,  die  sie  doch  aus  keiner  Erfahrung  hernehmen.    Ich  nenne  daher 
die  Erklärung,  wie  sich  Begriffe  a  priori  auf  Gegenstände  bex-iehen,  die  tran- 
scendentcUe  Deduction  derselben  und  unterscheide  sie  von  der  empirischen  De- 
duction, welche  die  Art  anxeigt,  wie  ein  Begriff  durch  Erfahrurhg  und  Reflexion 
über  dieselbe  encorben  worden,  und  daher  nicht  die  Rechtmäßigheit,  sondern  das 
Factum  betrifft,  u>odurch  der  Besiix  entsprungen^^  (1.  c.  S.  lOi).    Das  Ergebnis 
der  transcendentalen  Deduction  der  Kategorien  ist,  daß  ohne  Anwendung  dieser 
Erfahrung  (s.  d.)  überhaupt  nicht  möglich  wäre,  daß  sie,  als  Denkformen,  die 
Erfahnmg  geradezu  constituieren,  daher  notwendig  und  allgemeingültig  sind.  — 
Nach  Fbies  ist  die  Deduction  die  „Begründung  eines  Urteils  aus  der  Theorie 
der  erkennenden  Vernunft"  (Syst.  d.  Log.  S.  410).    Nach  Hillebraih)  hat  die 
Deduction  die  Aufgabe,  die  factische  Bestimmtheit  als  Folge  des  Zusanunen- 
hanges   eines  Inhaltes   aufzuweisen,   als  innerliche  darzulegen  (PhiL  d.  Geist 
II,  80).    Nach  J.  St.  Mill  besteht  die  deductive  Methode  aus  drei  logischen 
Operationen :  Induction,  Syllogismus,  Verification  (Log.  I,  533).    Nach  Schuppe 
ist  die  Deduction  aus  Begriffen  zugleich  Erkenntnis  des  Wirklichen,  weil  der 
Begriff  selbst  Erkenntnis  des  Wirklichen,  des  wirklichen  Zusammenhanges  ist 
(Log.  S.  163).     WcTNDT  unterscheidet  synthetische  und  analytische  Deduction. 
Erstere  „geht  von  einfachen  Sätxen  von  allgemeiner  Geltung  aus  und  leitet  aus 
der  Verbindung  derselben  andere  Sätze  von  specielleretn  und  meist  zugleich  rer- 
wickelterem  Charakter  ab**.    Sie  ist  eine  Form  des  „subsumierenden  SyUogistnsis*^ 
(Log.  II,  29).    Die  analytische  Deduction,  die  einen  logischen  oder  einen  eau- 
salen  Charakter  haben  kann  (1.  c.  S.  31),  setzt  sich  zusammen  aus  1)  der  Zer- 


Beduotion  —  Befinitiozi.  19( 


legong  eines  allgemeinen  Begriffs  in  seine  Bestandteile,  2)  dem  Übergang  von 
einem  allgemeinen  zu  einem  in  ihm  enthaltenen  engeren  Begriffe  oder  von  einem 
allgemeinen  Gesetze  zu  einem  speciellen  Fall  desselben,  3)  der  Transformation 
gegebener  B^riffe  mittelst  einer  veränderten  Verbindungsweise  ihrer  Elemente 
iL  c.  8.  32).  H.  Cornelius  betont,  die  Hoffnimg,  „aw«  irgend  toekhen  durch 
reines  Denken  %u  getrinnenden  allgemeinsten  Begriffen  und  Sätxen  deductiv  alle 
einzelnen  Tatsachen  erklären  xu  können'',  sei  trügerisch.  „Deductian  im  Sinne 
der  Mathematik  kann  nur  da  xu  fruchtbaren  Ergebnissen  fuhren,  wo  die  Prä- 
tmssen  ,  . .  in  ihrer  tatsächlichen  Bedeutung  und  allgemeinen  Gültig- 
keit  für  unsere  Erfahrung  van  vornherein  feststehen,^'  Nur  in  der  Mechanik 
oder  Astronomie  sind  die  Principien  der  Deduction  nichts  als  „einfachste  Zu- 
iammenfassungen  tatsächlicher  BeobaeJitiingen''  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  150  f.). 

Deflnleren  s.  Definition. 

Heflnltloii:  Begriffsbestimmung,  Abgrenzung  des  Inhaltes  eines  Be- 
griffes von  dem  anderer,  Angabe  der  Merkmale,  die  den  Inhalt  eines  Begriffes 
eonstituleren,  Bewußtmachung  des  Begriffsinhalts  in  einem  Urteil.  Die  Nominal- 
definition  besteht  darin,  daß  die  Bedeutung  eines  Wortes  durch  Zurückgehen 
tof  ein  allgemeineres  oder  bekannteres  geklart  wird.  Die  Realdefinition 
iSaeherklänmg)  gibt  durch  Zergliederung  des  Begriffs  zugleich  das  Wesen  (s.  d.), 
das  Typische,  Allgemeine,  Gesetzmäßige  einer  Gruppe  von  Objecten  (das  ,rgenus 
proopimum'')  und  dazu  die  besonderen,  unterscheidenden  Merkmale  der  Art  (die 
.^ifferentiae  speeificae^')  an.  Beine  Nominaldefinitionen  sind  nur  Übersetzungen 
von  Worten.  Die  analytische  Definition  zerlegt  einen  gegebenen  Begriff  in 
andere,  die  synthetische  (genetische)  Definition  baut  den  Begriff  aus  seinen 
Teilinhalten  auf.  Kegeln  für  die  Definition:  1)  Die  Definition  darf  nicht  zu 
weit,  nicht  zu  eng  sein,  es  darf  weder  zu  wenig  noch  zu  viel  gesagt  werden; 
tie  muß  adäquat  sein.  2)  Die  Definition  darf  nicht  zur  Einteilung  werden. 
3)  Sie  darf  nichts  Überflüssiges  enthalten.  4)  Sie  darf  nicht  bildlich,  dimkel, 
zweideutig  sein.  5)  Sie  darf  keinen  Zirkel  (s.  d.)  beschreiben.  6)  Sie  soll  nicht 
tantologiseh  (s.  d.)  sein.  Elementarste  Tatsachen  können  nicht  eigentlich  definiert, 
w<^  aber  „charakterisiert'*  werden. 

Der  erste,  der  auf  das  definitorische  Verfahren  Wert  legt,  ist  Sokrates. 
Er  sucht  stets  zu  bestimmen,  was  ein  jedes  Ding  sei  (i^t^rsi  t6  ri  iartv,  Ari- 
bTOTELES,  Met.  XIII  4,  1078  b  23;  axomov  avv  toXs  awovai,  ri  ^caaror  eliy  raip 
WT«f ,  ovdenofnoT  ikriyev,  XenophON,  Memor.  IV,  6,  1 ;  vgl.  I,  1 ,  16  u.  Plato, 
Phaedr.  265).  Antisthenes  definiert  die  Definition  {koyoi)  als  Bestimmung 
des  Wesens  {Xoyos  iarlv  6  ro  t£  ^v  tj  iari  Sr^kojv,  Diog.  L.  VI,  3).  Das  Ein- 
ftche  läßt  sich  nicht  definieren  (vgl.  Aristoteles,  Met.  \n[II  3,  1043b  23; 
Plato,  Theaet.  201  E).  Plato  sieht  in  der  Definition  die  Bestimmung  des 
Wesens  von  Dingen  (Theaet.  200  E;  Phaedr.  237  C;  Meno  86  D).  So  auch 
Aristoteles:  ogicfiog  icn  loyog  t6  ri  ^v  tlvai  OTjfiaipotv  (Top.  VII,  5),  ootafiog 
.0*»'  ya^  rov  ri  iari  xal  ovcias  (Anal.  post.  II  3,  90  b  24).  Die  Definition  be- 
stdit  aus  der  Angabe  der  Gattung  und  der  Artmerkmale  (o  ogioftog  ix  ye'yovs 
K«i  8iaf>op(ov  icriv,  Top.  I  8,  103  a  15);  man  darf  aber  nicht  InBQßaiveiv  rd 
yivr^  (Top.  VI  5,  143  a  15:  y^definitio  fiat  per  genus  proximum  et  differentias 
ipeeifieas"  der  Schullogik).  Es  gibt  Real-  und  Nominaldefinitionen  (o  o^i^o/usvos 
hixwciv  §  ri  icrt  fj  ri  (TTjftaivei  rovrofia.  Anal.  post.  II,  7;  Xoyoe  ovofiaroiSrii*. 
AnaL  post.   II,   lOj.     Die  Peripatetiker    unterscheiden    oQog   n^ayfmrtodr^g 


198  Definition. 


(„definitio  realis^^)  und  o^oe  ovcit»8tj6  („definitio  easentialis*').  Nach  den  Stoi- 
kern ist  die  Definition  (o^os)  Xoyoe  Mar  avdXvaiv  nnti^ri^ovTojg  ix^e^ofievog 
(Diog.  L.  VII,  1,  60).  Cicero  erklärt:  „IMfifiitio  est,  quae  rei  alieuiua  propria^ 
ampleetiUtr  potestates  breviter  et  absolut^''  (Ad  Herenn.  IV,  25,  35 ;  Top.  5,  26). 
Die  Skeptiker  halten  Definitionen  für  unnütz  (Sextus  Empiricüs,  Pyrrh. 
hyp.  II,  205  ff.).  Nach  Bofirmuß  gibt  die  Definition  an,  was  das  Ding  i»t 
(yjquid  8Ü*^,  vgl.  pRANTL,  G.  d.  Log.  I,  689).  Er  tmterscheidet  „definitto  «- 
Gttndum  suhstantiam"  und  jydefinitio  secundum  accidena^^  (deBcriptio)  (vgL  Über- 
weg, Log.*,  S.  141).  Marcianüs  Capella  erklärt:  „Definiito  est,  quum  in- 
vohUa  unüisctiiusque  rei  notitia  aperte  ae  brevüer  explicatur;  in  hae  tria  vitanda 
sunt,  ne  quid  faisum,  ne  quid  plus,  tie  quid  minus  signißeaiur^*  (vgl.  J^aitfl, 
Ct.  d.  Log.  I,  674). 

Nach  Alexander  von  Hales  ist  die  definitio  „ctetus  animae  caneludens 
seu  terminans  rem  intra  fines  essefitiae  suae^^  (bei  Goolen,  Lex.  phiL  p.  500). 
Abaelard  sagt:  „nikü  est  definitumj  nisi  deelaratum  seeundum  stgnifieaiionem 
voeabulum^'^  (Dial.  p.  496).  Albertus  Magnus:  „Definitio  est  enuntiatira  fui- 
turae  et  esse  rei^^  (Sum.  th.  I,  25,  1);  „definitio  indieat  esse  rei  et  essentiam^'^ 
(1.  c.  II,  6,  1).  Thomas:  „Definitio  indieat  rei  quidditcttem  et  essentiarn^*  (Sum. 
th.  II,  II,  4,  Ic).  „Definitio  est  ex  genere  et  diff^entia*^  (1.  c.  I,  3,  5c).  „De- 
finitio divisit  definitiim  in  singularia"  (7  met.  9a  =  o  Se  o^uruos  avxov  Sicu^l 
elg  id  xa&'  ixaera^  ARISTOTELES,  Phys.  1 1, 184b  11  squ.).  WILHELM  VON  OCCAM 
imterscheidet  Real-  und  Nominaldefinition  (vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  III,  366  f.). 
GocLEN  versteht  xmter  „definir&*  „naturam  rei  terminare  et  finire  per  essen- 
tialia eius"  (Lex.  phil.  p.  500).  M elanchthon  :  „Est  .  .  .  rei  definitio  oratio, 
quae  rei  partes  aut  causas  aut  aecidentia  exponit**  (Dial.).  Sanchez:  „Mihi  .  . . 
omnis  nominalis  definitio  est  et  fere  omnis  quaestio*^  (Quod  nih.  seit  p.  14). 

Spinoza  meint,  „veram  uniuscuiusque  rei  definitionem  nihil  aliud  quam 
rei  definüae  simplicem  naturam  ineludere'^  (Ep.  39,  p.  602;  Eth.  I,  prop.  VIII). 
Geulincx:  „Definitionem  evidentem  voeo  illam  scientiam,  qua  scimus  optime 
et  intuitive,  ut  loquuntur,  quod  rei  sit*^  (Log«  P«  434)«  Die  Logik  von  POKX- 
RoYAL  verlangt,  daß  jede  Definition  „universalis,  propria,  clara^^  sei  (11,  12). 
Hobbes  :  jyDefinitio  est  propositio,  cuius  praedicatum  est  suineetum  resohäirum, 
ubi  fieri  polest,  übt  non  polest,  ejcemplieativum"  (De  corp.  6,  14).  Die  Definition 
stellt  die  Idee  eines  Dinges  klar  dar  (1.  c.  6,  15).  Nach  Locke  legt  sie  den 
Sinn  eines  Wortes  durch  mehrere  andere  Ausdrücke  dar  (Ess.  III,  eh.  4,  §  6). 
Der  Satz  vom  „genus  proximum^^  u.  s.  w.  ist  nur  eine  Bequemlichkeitsregel 
(1.  e.  eh.  3,  §  10).  Reid  :  „A  definition  is  nothing  eise  but  an  explieation  of  the 
meaning  of  a  word'^  (Ess.  on  the  Pow.  I,  p.  2).  Leibniz  unterscheidet  „defi- 
nitiones  nominales,  quae  notas  tantum  rei  ab  aliis  diseeniendae  continent,  et 
reales,  ex  quibus  eonstat  rem  esse  possibiletn'^  (Med.  de  cognit.  Erdm.  p.  80  b; 
vgl.  p.  306  a).  Nach  Chr.  Wolf  ist  die  Definition  eine  „oratio,  qua  significatur 
notio  completa  atque  determinata  termino  euidam  respondens'^  (Phil.  rat.  §  152). 
„Definitio,  per  quam  patet  rem  defimtam  esse  possibilem,  realis  vocaktr^*  (1.  c. 
§  191).  „Es  erklären  .  .  .  die  Erklärufigen  entweder  Wörter  oder  Sachen:  daher 
sie  in  Wort-  und  Saeh- Erklärungen  gar  füglich  eingeteilet  werden.  Jene 
bestehen  in  einer  Erxählung  einiger  Eigenschaften,  d€idurch  eine  SaeJie  ran  allen 
anderen  ihresgleiefien  unterschieden  trird;  diese  zeigen  die  Art  und  Weise,  wie 
etwas  möglich  sei^'  (Venl.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  Verst.^,  S.  48;  Definitionsregeln: 
S.  48  ff.).    BiLFiNGER:  „Realem  illam  (definitionem)  dicimus,  quae  ipsofn  rei 


Definition.  199 


^enesin  exprimit.  Nominalem,  quae  characierem  rei  proprium  et  distinc- 
iivmn,  cuius  ope  agnosci  et  discemi  polest  ex  omnibus  aliis^^  (Diluc.  §  140). 

Nach  KAifT  ist  die  Definition  ,^n  xureichend  deutließter  und  abgemessener 
Begrifft  oder  ein  „logisch  rollkommener  Begriff"  (Log.  §99).  Realdefinition  ist 
diejenige,  welche  y,nicht  bloß  einen  Begriff,  aofuiem  xugleich  die  obf'e^tire  Rea- 
iiiät  desselben  deutlich  maehf*  (Krit.  d.  r.  Vera.  S.  225, 558).  Nach  G.  E.  Schulze 
ist  die  Definition  die  „Afigabe  der  einem  Begriff  xidoo7nmenden  Merkmale" 
iGr.  d.  allg.  Log.',  8.  224).  Fries  versteht  unter  ihr  „die  systematisch  geordnete 
detttliche  Vorstellung  eines  Begriffes"  (Syst.  d.  Log.  S.  270).  Destutt  de  Tracy 
betont:  ,,//  n'y  a  jamais  que  des  definitions  d'idees"  (£1.  d^d^l.  IV,  21).  Die 
Regel  vom  „genus  proximum"  ist  unnatürlich  (1.  c.  p.  24).  Hebbakt:  „Die 
Stelle  eines  Begriffs  unter  deti  übrigen,  soioohl  durch  Subordination  als  Co- 
ordiiuitiwi,  angeben,  heißt  deiiselben  bestimmen  (definire)"  (Hauptp.  d.  Met. 
S.  107).  Dbobisch  bestinunt  die  Definition  als  „das  conjunctive  Urteil,  dessen 
Subjeef  der  xu  verdeutlichende  Begriff  (das  definiendum)  und  dessen  Prädieat  die 
durch  den  Artunterschied  determinierte  nächsthöhere  Oattung  ist"  (N.  Darst.  d. 
Log.  §  116).  Lotze  versteht  unter  Definition  „die  Art  der  Constmetion,  welche 
durch  bloß  logische  Operatiwien  einen  Begriff  aufzubauen  sucht"  (Gr.  d.  Log. 
S.  65).  Nach  Überweg  ist  die  Definition  „die  voUsUmdige  und  geordnete  An- 
gabe des  Inhaltes  eines  Begriffes"  (Log.*,  §  60).  Nach  Beromann  ist  die  Defi- 
nition ,,««  identisches  Urteil  über  den  Begriff,  der  definiert  wird"  (Gr.  d.  Log.*, 
8.  2()8).  Nach  Dühring  ist  die  Definition  „eine  systematische  Zusammeti- 
feixung  des  Begriffs  aus  einfacheren  Bestandteilen"  oder  die  „Darstellung  eifies 
Begriffes  mit  Hülfe  anderer  Begriff e^^  (Log.  S.  11). 

Nach  J.  St.  Mill  heißt  ein  Ding  definieren,  „aus  dem  Oanxen  seiner 
Eiyefischaftefi  di^enigen  wählen,  welche  durch  dessen  Namen  bezeichnet  und  aus- 
gesprochen werden  sollen"  (Log.  S.  1).  Jede  Definition  ist  eine  nominale,  die 
iber  zugleich  von  dem  Gedanken  begleitet  ist,  daß  dem  Worte  ein  Ding  ent- 
spricht (1.  c.  S.  172).  Nach  Haoemanx  besteht  die  Definition,  begriffliche 
Grenzbestimmung,  in  der  Angabe  des  nächsten  Gattungsbegriffes  und  des  Art- 
nnterochiedes  (Log.  u.  Noet.  S.  79  ff.).  Nach  Lipps  ist  die  Definition  eines 
Begriffs  „die  Be^cußtwerdimg  seines  Inhaltes,  also  der  Vollzug  des  wecltsel- 
seäigen  ,  .  .  Urteils,  in  dessen  potentiellem  Dasein  der  Begriff  besieht"  (Gr.  d. 
Log.  S.  131).  Alle  Definitionen  sind  „Nominaldefinitionen"  (1.  c.  S.  133). 
Xich  SiGWART  ist  die  Definition  „ein  Urteil,  in  welchem  die  Bedeutung  eines 
einen  Begriff  bezeichnenden  Wortes  angegeben  wird"  (Log.  I*,  S.  370).  Genetisch 
ist  sie,  wenn  sie  ,//»e  Vorstellung  ihres  Objects  aus  ihren  Elementen  entstehen 
lassen  kann"  (1.  c.  S.  375).  Die  „diagnostische"  Definition  besteht  in  der  „An- 
gabe der  charakteristischen  Eigenschaften  eines  Obfeets"  (1.  c.  S.  379).  Sully 
eikliurt  die  Definition  als  Darl^^g  des  Inhalts  eines  Namens,  als  ein  „Auf- 
zählen der  verschiedenen  Merkmale  oder  Eigenschaften,  welche  seine  eigentliche 
anerkatmte  Bedeutung  ausmachen"  (Handb.  d.  Psychol.  S.  266  f.).  Nach  Wcndt 
sucht  die  Definition  „einen  gegebenen  Begriff  auf  das  schärfste  von  den  ver- 
triuulten  Begriffen  xu  trennen"  (Log.  II,  S.  34).  Sie  besteht  darin,  „daß  ein  Wort, 
dessen  begrifflicher  Sinn  noch  nicht  festgestellt  ist,  durch  Worte  bestimmt  wird, 
deren  begriffliche  Bedeutung  als  bekannt  vorausgesetzt  werden  darf"  (1.  c.  S.  35). 
Bei  der  Nominaldefinition  sehen  wir  völlig  ab  von  dem  „trissensehaftlichen  2Su- 
»ammenhang,  in  welchen  der  betreffende  Begriff  durch  die  Definition  gebracht 
Verden  soll"  (1.  c.  S.  36).     Zu  unterscheiden  sind  analytische  und  synthetische 


200  Definition  —  BeismuB. 


(bezw.  genetische)  Definition  (1.  c.  S.  38  f.).  Marty  erklart:  „Eine  Definition 
im  strengen  Sinne  gibt  man,  so  oft  man  einen  minder  veritändlieken  Kamen 
durch  einen  gleichbedeutenden  verständliclieren  erklärt.  Sie  ist  in  Wahrheit  eifie 
Kairumerklärung,  nichts  mehr.^'^  „In  weniger  strengem  Sintie  nennt  man  auch 
diejenigen  Kamenerklärungen  Definitionen,  welche  einen  Begriff  verdeiäürhen^ 
indem  sie  nicht  seinen  eigenen  Inhalt  angeben,  sondern  den  eines  afidem,  der 
ein  proprium  des  ersteren  ist,  oder  dessen  Gegenstand  im  Verhältnis  der  Ursache 
find  Wirkung  xum  Gegenstand  des  ersteren  steht  u,  dgV^  Das  sind  „um- 
schreibende (circumscriptive)  Definitionen.^'^  „Die  strenge  Definition  dagegeti  he- 
xeichnet,  nur  mit  andern  verständliehen  Worten,  eben  denselben  Begriff  icie  der 
XU  definierende  Käme  und  ist  in  diesem  Sinne  nottvendig  eine  Tautologie^ 
(Vierteljahrsschr.  f.  w.  Phil.  19.  Bd.,  S.  57).  Höfler  bezeichnet  als  Definition 
„die  vollständige  und  geordnete  Angabe  des  in  seine  Merkmale  analysierten  In- 
haltes eines  Begriff es^^  (Gr.  d.  Log.*,  S.  47),  „die  Ersetzung  eines  Kofnens  für 
eitlen  bestimmten  Begriff  durch  einen  andern  Kamen,  der  gleichen  i^inn  mit 
jenetn  hat,  aber  verständlicher  ist"  (ib.).  Von  „deiktischer"  (inhaltsaiifzeigender) 
Definition  spricht  H.  Cornbltüs  (Allg.  Psychol.  S.  72).  Nach  E.  Mach  ist 
die  Definition  eines  Begriffes  „ein  Impuls  xu  einer  genau  bestimmten,  oft 
eomplieierten,  prüfenden,  vergleichenden  Tätigkeit,  deren  meist  sinnliches  Er- 
gebnis ein  Glied  des  Begriffsumfangs  ist"  (Popularwiss.  Vorles.  S.  267).  Nach 
Schuppe  hat  „die  Angabe  des  eigentliehen  genus  proximum  den  Wert  der  Er- 
kenntnis grundlegender  Causalbexiehungen ,  daß  das  als  generiseh  bezeichnete 
Mofnent  die  Bedingung  der  Denkbarkeit  des  Specifisehen  ist,  nur  diese  wid  die.se 
näheren  Bestimmungen  xuläßt  und  alte  andern  ausschließt^'  (Log«  H.  Iö2). 

Oelliiltorlsclies  Verfabren  s.  Definition. 

Oetfieatton  s.  Theosis. 

Oetsmus:  Vemunftreligion,  Annahme  einer  Gottheit,  die  aber  nicht  in 
den  Lauf  der  Natur  eingreift,  keine  Wunder  tut,  sich  nicht  direct  offenbart. 
Die  bekanntesten  Deisten  {„Freidenker",  freethinker)  des  17. — 18.  Jahrhundert» 
sind:  Herbert  von  Cherbüry,  Ch.  Bloünt,  J.  Toland,  M.  Tindal, 
A.  CoLUNS,  Bolingbroke,  Shaftesbury,  Voltaire,  Rousseau,  H.  S.  Rei- 
M4RUS.  „Deist"  kommt  schon  bei  Blount,  Toland  und  Shaftesbury  (The 
moral.  1,  2)  vor.  (\"gl.  G.  V.  Lechler,  Gesch.  d.  engl.  Deismus.  1S41.) 
Crurius  bezeichnet  als  „Deisten"  oder  „  Universalis fe?i"  eine  „Art  ton  Atßteisien** 
nach  welchen  „alles,  tcas  wir  sehen  und  hören,  mit  xti  Gott  gehöret",  also  die 
Pantheisten  (Vernunftwahrh.  §  236).  Nach  Kant  glaubt  der  „Deist"  au  eineii 
Gott  überhaupt  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  496).  ,^l)er,  so  allein  eitte  transccndcntale 
Theologie  einräumt,  wird  Deist,  der,  so  auch  eine  natürliche  Theologie  annimmt^ 
wird  T  hei  st  genannt.  Der  erstere  gibt  xu,  daß  unr  allenfalls  dos  Dasein  eitles 
Urwesens  durch  bloße  Vernunft  erkennen  kötmen,  aber  unser  Begriff  ton  iJtm 
bloß  transcendeniai  sei,  nämlich  nur  als  voti  einem  Wesen,  das  alle  Bealität  hat, 
die  man  aber  nicht  näJter  beetimmen  kann.  Der  x weite  behauptet,  die  Vernunft 
sei  imstande,  den  Qegenstand  nach  der  Afialogie  mit  der  Katur  näher  xu  be- 
stimmen, nämlich:  als  ein  Wesen,  das  durch  Verstand  und  Freiheit  den  l^grufui 
aller  andern  Dinge  in  sich  enthalte"  (1.  c.  S.  494  f.).  „Der  deisfische  Begriff 
ist  ein  gatn  reiner  Vernunftbegriff,  welclier  aber  nur  ein  Ding  ist,  das  alle  Rea- 
lität vorstellt,  ohne  deren  eine  einzige  bestimmen  xu  können"  (Prolegom.  §  7üu 
Vgl.  Theismus. 


Beliberation  —  Demut.  201 

O^ib^raUon  b.  Überlegung. 

Oemllirg^  (St}ßuov^Y^g):  Weltbildner,  Weltbaumeister,  Gott  als  Gestalter 
der  Welt  aus  dem  Chaos  oder  der  Materie,  als  Ordner  des  Weltalles.  So  bei 
Plato,  der  ihn  jyAHrater*^  (yrarij^  rovSe  rov  natTog^  Tim.  28  C,  29  A)  nennt; 
dtiT  Demiurg  ist  das  Gute  an  sich,  der  alles  im  Sinne  der  Ideen  (s.  d.)  gut  ge< 
staltet.  Die  Gnostiker  (s.  d.)  nennen  Demiurg  den  vom  höchsten  Gott  unter- 
schiedenen, teilweise  mit  dem  Judengotte  identificierten ,  teilweise  sogar  als 
bösartig  betrachteten  Weltbildner.  Numeniu8  unterscheidet  den  Demiurgen 
als  zweiten  Gott  (o  Sevie^og  &e6g,  6  drjfiiovpyog  d'eog)  von  der  höchsten  Gottheit. 
Jener  bildet  in  Anschauung  der  Ideen  die  Welt,  den  dritten  Gott  (Prokl.  in 
Um.  II,  93;  £useb.  Praep.  ev.  XFV,  5).  Der  Demiurg  wird  auch  mit  dem 
Logos  (s.  d.)  identificiert. 

D^HiOiiSiratioil  (logische):  Beweis  (s.  d.),  syllogisdscher  Beweis  =  Be- 
weis durch  Schlußverfahren,   begriffliche  Methode  der  Wahrheitsbestimmung. 

F.  Baook  lehnt  die  Demonstration  als  Erkeuntnismethode  ab  (,tnos  deman- 
ftrationefn  per  syllogismum  rej-icimus,  quod  confusius  agai  et  naturam  emittat 
t  manibus^^  (N.  Organ,  dist.  oper.  p.  3).  Hobbes  versteht  unter  Demonstration 
einen  y^Uogisnma  vel  syllogismorum  series  a  nominum  definitionibua  tMque  ad 
emduaionem  uUimam  derivcUa"  (De  corp.  6,  16).  Nach  Locke  ist  die  Demon- 
stration nach  der  Intuition  (s.  d.)  die  nachstsichere  Erkenntnisart  (Ess.  IV, 
(L  2,  §  2).  Jeder  Schrit  derselben  muß  sich  auf  die  Anschauimg  beziehen 
(l.  c.  §  6  f.).  Demonstrative  Gewißheit  ist  nicht  nur  in  der  Mathematik,  son- 
dern auch  in  anderen  Disciplinen,  z.  B.  in  der  Moral,  erreichbar  (1.  c.  §  9;  IV, 
eh.  3,  §  18).  Leibniz  stellt  die  Logik,  was  die  Demonstrationsfähigkeit  betrifft, 
der  Mathematik  gleich  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  2,  §  9).  Chr.  Wolf  definiert  die 
Demonstration  als  „eine  beständige  Verknüpfung  vieler  Schlüsse,  darinnen  keine 
Vordersät xe  angenommen  werden,  als  deren  Richtigkeit  wir  vorhin  erkannt  xu 
haben  uns  besinnen'^  (Vem.  Ged.  I,  §  347).  Hume  hält  die  Mathematik  (be- 
Kmdets  die  Arithmetik)  für  die  einzige  demonstrative  Wissenschaft,  „in  welcher 
eine  Kette  ron  Schlußfolgerungen  bis  xu  einem  beliebig  verunckeUen  Grade  möglich 
iit,  ohne  daß  dabei  die  vollständige  Genauigkeit  und  Sicherheit  verloren  ginge'^ 
'Treat.  III,  sct.  1,  S.  97,  vgl.  IV,  sct.  1).  Kant  betont :  ,,Nur  ein  apodiktischer 
Beweis,  sofern  er  intuitiv  ist,  kann  Demonstration  Iieißen*^  (Kr.  d.  rein.  Vern. 
S.  .302).  Verstandesbegriffe  müssen  demonstrabel  sein,  d.  h.  der  ihnen  corre- 
spondierende  Gegenstand  muß  in  der  Anschauung  gegeben  werden  kömien  (Kr. 
d.  Urt.  §  57).  Die  Vernimftideen  hingegen  sind  iudemonstrable  Begriffe  (ib.). 
I-'kies:  „Demonstrieren  heißt  nur,  eine  Wahrheit  in  der  Anschauung  nachweisen^' 
:J?Tst.  d.  Log.  S.  411).  Nach  Hillebrand  ist  die  Demonstration  „eine  objective 
I Darlegung  der  genetischen  Selbstvollendung  des  Begriffes  als  einer  Selbst  Wirklich- 
keit- (Phil.  d.  Geist,  II,  82).  Nach  Wundt  besteht  die  Demonstration  in  der 
.^Darstellung  der  Gründe,  durch  welche  die  Wahrheit  oder  Wahrsclieinlichkeit 
eines  gegebenen,  einen  realen  Erkenntnisinhalt  aussprechenden  Urteils  festgeJialten 
vir&'  (Log.  II,  56).    Vgl.  Beweis. 

Demut:  eine  specifisch  christliche  Tugend.  Bernhard  von  Clairvaux 
erklärt:  „Hitmilitas  est  virtus,  qua  homo  verissima  sui  cognitione  sibi  ipsi 
rifepci^*  (De  grad.  humil.  1,  2).  Spinoza:  „Humilifas  est  trist itia,  quae  ex  eo- 
f/ntur^  quod  homo  suam  impotentiam  contempUUur*\  sie  ist  keine  Tugend,  weil 
sie   nicht    aus    der   Vernunft    entspringt    (Elh.    IV,   prop.   LIII).      Dag(^en 


202  Demut  —  Denken. 


betrachtet  Geulincx  die  Demut  als  Haupttugend.     „Partes  humiliUUisf'*^  sind 
^jin-speetio  und  despectio  sui^^  (Eth.  I»  C.  2,  sct.  2,  §  2). 

Oenfebarfeett  ist  die  MÖglicKkeit,  gedacht  zu  werden,  die  Möglichkeit 
logischer,  begrifflicher  Bestimmung  eines  Inhaltes.  Nicht  alles  Denkbare  ist 
auch  erkennbar,  z.  B.  das  Unendliche,  Absolute,  Ding  an  sich.  Vgl.  Kategorien, 
Noumenon. 

Oenkens  1)  im  allgemein-populären  Sinne  =  sich  vorstellen,  überlegen, 
urteilen,  schließen.  2)  im  engeren  Sinne:  a.  psychologisch  =^  die  apper- 
"ceptive  (s.  d.)  Tätigkeit,  innere  Willenshandlung,  durch  welche  Vorstelliuigen 
in  Elemente  zerlegt,  miteinander  verglichen  und  aufeinander  bezogen  und  zu 
einer  Einheit  bewußt,  willentlich  zweckvoll  verknüpft  werden.  Das  Denken  ist 
also  analytisch-synthetische,  vergleichend-beziehende,  auswählende,  bevorzugende, 
hemmende  Tätigkeit,  die  Associationen  (s.  d.)  voraussetzt,  aber  selbst  nicht 
Association  ist,  die  sie  vielmehr  activ,  spontan  gestaltet,  wodurch  Denkverbin- 
dungen  entstehen ;  b.  logisch  =  Bildung  von  Begriffen,  Urteilen,  Schließen,  wobei 
das  Urteilen  (s.  d.)  die  Grundfunction  ist.  Die  (gewollte)  Function  des  Den- 
kens ist  Herstellung  eines  objectiv  gültigen  Zusammenhanges  in  einer  Beihe 
möglicher  Vorstellungen,  Auffindung  der  Wahrheit  (s.  d.).  Setzen  einer  Be- 
stimmung im  Unbestimmten,  Formung  und  Gliedenmg  eines  Voretellungs- 
inhaltes  zu  Gebilden,  in  welchen  die  Wirklichkeit,  das  Sein  der  Objecte  zum 
< symbolischen)  Ausdnick  kommt.  Das  primäre  Denken  bearbeitet  den  Vor- 
stelhuigsinhalt  direct,  das  secundäre  Denken  reproduciert  das  Gedachte  oder 
knüpft  an  dieses  an.  Das  concrete  Denken  arbeitet  mit  Anschauungen  und 
Erinnemngsbildem,  das  abstracte  Denken  mit  Begriffen,  die  es  zerlegt  und 
verknüpft,  was  ohne  Sprache  (s.  d.)  nicht  möglich  ist.  Bedingungen,  Postulate 
des  Denkens  sind  die  Denkgesetze  (s.  d.).  Die  allgemeinen,  für  alle  Er- 
fahnmg  notwendigen  imd  gültigen  Denkweisen  heißen  Denk  formen  (s.  d.). 
Ein  Denken  ohne  Inhalt  gibt  es  in  Wirklichkeit  nicht,  das  „reine**  Denken  ist 
nur  eine  Abstraction  sowohl  vom  besonderen  Inhalte  als  auch  vom  Grefühls- 
und  Willensfactor  des  Denkens.  Ursprünglich  hat  das  Denken  rein  biologische 
Bedeutimg,  es  dient  der  Erhaltung  des  Lebens. 

Der  weitere  Begriff  des  Denkens  (cogitatio)  findet  sich,  abgesehen  von 
älteren  Bestimmungen,  die  das  Denken  noch  nicht  im  heutigen  engst«n  Sinne 
nehmen,  bei  Descartes.  Er  versteht  unter  Denken  jedes  bewußte  Vorstellen, 
jedes  Präsenthaben  eines  Bewußtseinsinhaltes.  „Cogitationis  nomine  inteUigo 
lila  omniay  quae  nobis  cwisciis  in  nobis  sunt,  qnatenus  earum  in  nobis  eonseienfia 
est:  atque  ita  non  modo  intellu/ere y  reih,  imaginari,  sed  etiam  sentire,  idefn 
est  hoc  quod  cogitare^*  (Phil,  princ.  I,  9).  Die  Seele  ist  „res  eogitans"  (Med.  II). 
Malebranche  sagt  demgemäß,  die  Seele  denke  stets  („l'äme  pense  toi^ours^^t 
Rech.  I,  3,  2).  Spinoza  faßt  das  „Denken^^  als  Attribut  (s.  d.)  Gottes  auf 
(Eth.  II,  prop.  I);  Gott  ist  das  letzte  Subject  aller  unserer  Gedanken,  er  denkt 
in  jedem  seiner  Modi,  ist  unendlicher  Intellect  (s.  d.):  „Singulares  eogitaiumes 
sipe  haec  et  illa  cogitatio  modi  suntj  qui  Dei  naturam  eerto  et  determifiato  modo 
expritnunf'  (Eth.  II,  prop.  I).  Gott  denkt  Unendliches  auf  unendliche  Wdse, 
indem  er  sein  eigenes  Wesen  denkt.  „Dem  enim  infinita  infmitis  fnodis  cogitare, 
jtirc  ideam  suae  essefiiiae  et  omnium,  qtme  neoessario  ex  ea  sequuntiir,  forman 
potesf'  (1.  c.  prop.  III,  dem.).  Das  vernünftige  Denken  (s.  Vemimft)  betrachtet 
•die   Dinge   in   ihrer  cons tauten  Wesenheit  und   Notwendigkeit.     Chr.  Wolf 


Denken.  203 

definiert:  „Coffi^a-re  dieimus,  quando  nobis  consdi  sumus  eorwn,  qtiae  in  nobis 
eontingunt,  et  quae  ywhis  tanquam  extra  nos  repraesentantur.  Cogiiatio  igitiir 
ett  acttis  auitnae,  quo  siln  rerumqtde  cUinrum  extra  se  conscia  est^'  (PsychoL  einp. 
J  23),  Denken  ißt  „do«  Beicußtsein  von  Dingen  außer  ti»M"  (Vem.  Ged.  I,  §  194). 
BiLFDfGER:  „Repraesentatio  rerum  Uta,  euius  consdi  siwms  nobis,  dicitur  eo- 
ptatio''  (Diluc.  §  240).  Bei  Hume  und  anderen  englischen  Philosophen  heißt 
Jkmi'ing''  so  viel  wie:  etwas  gegenwärtig  haben,  femer:  Vorgestelltes  verknüpfen; 
j^asoning"^  =  logisch  verknüpfen  (Treat,  übers,  von  Lipps,  S.  10).  Im  engeren 
»Sinne  besteht  das  Denken  in  einer  y^eomparison^^  von  Vorstellungen,  im  Auf- 
Ünden  der  Relationen  zweier  Objecte  (L  c.  III,  sct.  2).  J.  G.  Fichte  versteht 
imter  Denken  im  weitesten  Sinne  „vorstellen  oder  Bewußtsein  überhaupt^^  (Syst. 
d.  Sittenl.  S.  12).  Es  ist  im  engeren  Sinne  ein  „Herausgehen  aus  der  unmittel- 
baren Ansehautmg*^  (WW.  I,  2,  545).  Das  reine  Denken  ist  das  sich  selbst 
denkende,  seinen  Inhalt  selbst  producierende  Denken. 

Das  Denken  wird  femer  als  geistige,  -von  der  sinnlichen  Wahrnehmung 
verschiedene,  auf  das  Allgemeine,  Seiende,  Wahre  gehende  Tätigkeit  bestimmt 
Alkmaeon  soll  im  Denken  ein  ausschließliches  Kennzeichen  des  Menschen 
€d)liekt  haben  (or*  fiovos  iwiija,  Theophr.,  De  sens.  25).  Heraklit  lehrt, 
die  vernünftige  Denkkraft  (s.  Vernunft)  sei  allen  gemeinsam  (fwoV  ian  näai 
j6  ^ooyBiv,  ¥t.  91 ;  Stob.  Floril.  III,  84 :  Sext.  Emp.  adv.  Math.  VII,  133).  Er, 
wie  (He  Eleaten  und  wie  Demokbit,  betont,  daß  die  Wahrheit  nur  durch  den- 
kende Verarbeitung  des  Wahmehmungsinhaltes  erlangt  werde.  Parmenides 
lehrt  die  Identität  (s.  d.)  von  Denken  und  Sein.  Plato  betrachtet  das  Denken 
als  rein  geistige  Seelenfunction,  die  Seele  denkt  das  Allgemeine  durch  sich 
^l^t,  ohne  ein  Organ  [avxTJ  8t  avriji  rj  yrvxi  ta  xoivd  fioi  fpaiverai  nt^i  ndv- 
fov  iTzurxoTtsiv,  Theaet.  185  E).  Das  Denken  ist  ein  inneres,  stilles  Sprechen 
der  Seele  mit  sich  selbst.  Plato  nennt  das  Denken  ein  Xoyov  ov  avrij  n^ds 
am^v  rj  xpvxf}  ^«|«(»;if«Ta«  neifi  ov  av  axonfl  .  .  ,  rovro  yd^  fioi  ivSdXkerai  Sia- 
rootuipr;  ovx  dXXo  Ti  ^  SiaXdyaad'aiy  avrij  iavtrjv  i^torwffa  xai  aTtox^ivo/uen]^ 
xai  fdcxovca  xai  ov  fpdaxovca  ,  ,  ,  ov  fiivroi  Tt^os  dXXov  ov8i  g>mv^ ,  dXkd 
ttyf^  7t ^i  avTov  (Theaet.  189  E).  Man  vergleiche  damit  die  Ansicht  Prantls, 
Denken  und  Sprechen  seien  dem  Wesen  nach  eins,  ferner  die  Behauptung  von 
L  Geiger,  unser  heutiges  Denken  sei  nur  ein  „leises  Sprechen,  ein  Sprechen 
mf  oder  in  uns  selber'*  (Urspr.  u.  Entwickl.  d.  m.  Spr.  I,  12,  59;  vgl.  Sprache). 
Und  Lazabxjs:  ,, Alles  Denken  ist  enhoeder  ein  Dialog  oder  ein  Monolog,  denn 
das  Worty  hörbar  oder  unhörbar,  ist  für  das  Denken  die  unablöslieke  Form,  die 
vnertrennliehe  Gestalt,  die  unefUrinnbare  Fessel  seines  Inhalts"  (Leben  d.  Seele 
II*,  3).  —  Abistoteles  imterscheidet  das  Denken  vom  sinnlichen  Wahrnehmen 
ivoeiv  ,  ,  .  §xB^v  rov  aUt&dvee&ai,  De  anim.  III  3,  427  b  27).  Aber  ohne  an- 
whauliehe  Grundlage  kann  man  nicht  denken  {ovSinoxa  voel  dvev  ^avrdiffiaxoi 
h  y-'i^f  De  an.  III  7,  431  a  16 ;  orav  le  &bo}q^,  dvdyxri  afta  ipavxdifftaTi  &eo>- 
ftly.  De  an.  432  a  8).  Das  Denken  geht  aufs  Allgemeine,  Constante,  auf  die 
,Jorm^*y  das  Wesen  (^  S*  imeri^ufj  reSv  xa&6kov  ■  Tavra  ^  iv  ainfj  Ttoiis  i<m 
''f  ^XÜ  '  ^*^  voijeai  fiif  in  avrtp,  onorav  ßovlijrai  (Dean.  II  5,  417b  22  squ.). 
Indem  das  Denken  die  „Formen**  der  Dinge  begrifflich  erfaßt,  bewußt  macht, 
«iid  es  gleichsam  mit  diesen  Fonnen  eins,  formt  es  sich  selber  (vgl.  Siebegk, 
Aristot.  S.  80).  Nur  den  vernünftigen  Wesen  eignet  das  Denken  (SiavoeXffd'at 
• .  .  ovSsvi  vnd^x^i  4*  ftv  '^«^  Xoyos,  De  an.  III  3,  427  b  14).  Gk>tt  ist  reines 
Öenken,  Denken  seiner  selbst  (vorjeie  voi^<rsws,  Met.  XII  9,  1074  b  34).    Theo- 


204  Denken. 

PHRAST  (Simpl.  Phys.  Fol.  225  a)  iind  Strato  sehen  im  Denken  eine  (geistig 
Bewegung.    Den  Wert  dee  Denkens  betonen  die  Stoiker  (Diog.  L.  VII ,  89 
Plotin  unterscheidet  vom  Denken  das  Bewußtsein  des  Denkens  (Eiul  IV, 
30).     Das  Denken  ist  ein  Product  des  Strebens  (Enn.  V,  6,  5).     Das  Ein 
CTÖttliche  bedarf  nicht  des  Denkens  (ib.). 

Gregor  von  Nybsa  bestimmt  das  Denken  (Sidvoia)  als  Betatigimg  d 
(xeistes.  Augustinus  erklärt  (ähnlich  wie  Varro):  „eww  in  unum  cogwü% 
ab  ipso  coaetu  cogitaiio  dieitur*^  (De  trin.  XI,  3,  6).  Das  Denken  ist  ein  imiem 
Sprechen.  ^yFormata  cogitaiio  ab  ea  re  quam  sdmua,  verbum  est,  quod  in  cor 
dieimus:  quod  7ie4s  Oraecum  est,  nee  Ldtinum^^  (1.  c.  XV,  10).  Die  Seh( 
lastiker  stellen  die  ,,vis  cogitativa"  dem  Wahrnehmen  gegenüber,  als  ,jirtn 
distingvere  interUiones  individtuUes  et  eomparare  eas  ad  invicem^'  (THOMi 
Ck)nt.  gent.  II,  60).  Das  Denken  ist  also  unterscheidende  und  vergleich^M 
Tätigkeit,  es  abstrahiert  die  geistigen  j^Formen*^  (species,  s.  d.)  der  Objecte  ui 
bringt  sie  in  begriffliche  Beziehungen.  Thomas  sieht  im  Denken  die  unmittt 
bare,  organlose  Seelenfunction  (De  ver.  15,  2).  „InteUigere  est  operatio  anim 
kunianae,  seeundum  quod  superexcedit  proporiionem  materiae  corporalis  et  id 
non  fit  per  aliquod  Organum  corpordle^^  (De  spir.  creat  art.  2).  Das  ^joogitcm 
ist  ein  ,yConsiderare  rem  seeundum  partes  et  proprietates  suas,  unde  eogitm 
dicitur  quasi  eoagitare*^  (1  sent.  3,  4,  5  c).  Wir  können  nur  an  der  Hand  vc 
Anschauungen  denken:  „InteÜeettcs  noster  seeundum  statum  praesentem  nik 
intelligit  sine  phantasmaie^^  (Cont  gent.  III,  41).  Object  des  Denkens  Ist  dl 
Wesen,  das  ,,quod  quid  esl^^  der  Dinge,  das  Allgemeine  (Sum.  th.  II,  8,  1).  S 
sagt  auch  DuNS  Scotus:  ^yProprium  obieetum  inielleHtis  est  universale ,  siet 
singulare  est  obieetum  sensus*^  (Quaest.  univ.  13,  2,  15).  Das  Allgemeine  (s.  d 
wird  durch  die  y^pecies  intelligibiles^^  (s.  d.)  erkannt. 

Als  verbindend-trennende  Tätigkeit  bestimmt  das  Denken  Locke,  der  dl 
Beteiligung  der  willkürlichen  Aufmerksamkeit  am  Denken  beachtet  (Es».  I 
eh.  9,  §  1).  Leibniz  betrachtet  jede  Seelentätigkeit  als  ein  (deutliches  od( 
verworrenes)  Denken;  dieses  ist  im  engeren  Sinne  ein  vernünftiges  Vorstella 
Reflexionsfälligkeit  (Erdm.  p.  464, 716).  Unsere  Gedanken  (id^es)  ,,«<?  formentpa 
nouSy  non  pas  en  consequertce  de  notre  volonte,  mais  suivant  notre  nainre  < 
Celle  des  ehoses^^  (1.  c.  p.  619  b,  620  a).  Nach  Baumgarten  ist  Denkobjeot  d> 
Allgemeine  (Akroas.  Log.  §  51).  Holbach  bestimmt  das  Denken  als  Fähigkei 
des  Menschen,  „d'appercevoir  en  lui-meme  au  de  sentir  les  diff^entes  modk 
fic/itions  ou  idees  qu'il  a  re^ues,  de  les  combiner  et  de  les  separer,  de  les  etendi 
et  de  les  restreindre,  de  les  comparer,  de  les  renoureler^^  (Syst.  d.  1.  nat.  I.  eh.  I 
p.  112).  Nach  Destutt  de  Tracy  ist  Denken  =  „sentir  un  rapport,  appef 
eeroir  un  rapporf  de  convenance  ou  de  discofivcnance  etitre  deux  idees"'  (E 
d'id^ol.  I,  23). 

P^ine  Art  Rechnen  ist  das  Denken  nach  Hobbeb,  ein  Addieren  un 
Subtrahieren  von  Begriffen  oder  Worten.  „Ratiocinari  igitur  idem  esi 
quod  addere  et  abstraherey  vel  si  quis  adiufigat  his  mtUfijjlicare  ei  diriden 
Compuiare  est  plurium  rerum  simul  additarum  siimmam  colligere  rel  un* 
re  ab  alia  detracfa  cognoscerc  residuum*^  (El.  phil.  I,  1,  2;  Leviath.  L  o 
Auch  Bardili  sieht  im  Denken  eine  Art  Eechnen.  So  auch  J.  J.  WagxH 
(Organ,  d.  m.  Erk.  1830).  Und  Schopenhauer  bemerkt:  „Denken  im  strenifstfi 
Sinne  ist  eticas,  das  große  AkfUichl-eit  mit  einer  Bucltsiabetirechnwig  hat:  di 
Begriffe  sind  2kichen  für    Vorstellungen  y  uie  Worte  Zeichen  für  Begriffe  sind 


FW 


Denken.  205 

j : 

fr  kennen  die  Bexiehungen  der  Begriffe  cmfeinmider  und  köfuien  deshalb  die 

^griffe  fiin  und  her  tcerfefn  xu  ailerhand  neuen  Verbindungen^  ohne  daß  wir 

Ifltig  hätten,  die  Begriffe  in  Bilder  der  Phantasie  von  den  Oegetiständen,  die  sie 

fttellen,  xu  verwandeln.    Bloß  beim  Resultat  pflegt  dies  xu  geschehen^^  (Anmerk. 

^4  f.).     Nach  M.  MÜLi^R  ist  cUs  Denken  ein  CJombinieren  und  Trennen 

Denken  im  Lichte  der  Sprache  S.  26).    Denken  ist  Sprache  (1.  c.  S.  69  ff.). 

AIb  active,  synthetische,  Einheit  setasende  Function,  aus  der  Begritfe  ent- 

^gen,  wird  das  Denken  wiederholt  bestimmt.     Nach  Teteks  heißt  denken 

fiiändig    Vorstellungen  bearbeiten  und  tätig  mit  dem   Oefühl  auf  diese  be- 

iteieti  Vorstellungen  xurückwirken"  (Phil.   Vers.  I,  S.  607).     „Denkkraft^^  Ist 

Vermögen  der  Seele,  „womit  sie  Verhältnisse  hi  den  Dingen  erkennt^  (1.  c. 

295).    Kant  scheidet  das  Denken  schroff  von  der  Anschauung  (s.  d.).    Das 

en  ist  Fimction  der  ,,Spontaneität^^  (s.  d.)  des  Verstandes   (Kr.  d.  r.  V. 

76).    ^^Die  Sache  der  Sinne  ist,  anzuschauen;  die  des  Verstandes,  xu  denken^'^ 

legem.  §  22).    Aber  ohne  Anschauung  ist  alles  Denken  „leer*^.    Denken  ist 

orstellungefi  in  einem  Bewußtsein  vereinigend^  und   da  dies  ein  Urteilen  ist, 

„dmken  so  viel  wie  als  urteilen  oder    Vorstellungen   auf  Urteile  Oberhaupt 

iuehen''  (ib.,  Krit  d.  r.  Vem.  S.  88).    Es  ist  „Erkenntnis  durch  Begriffe''  (Kr. 

[  r.  V.  S.  89),  anderseits  „die  Handlung,  gegebene  AnschoMung  auf  einen  Oegeti- 

tnd  xu  beziehen'^  (1.  c.  S.  229).    Bedingungen  und  Formen  des  Denkens  sind 

e  Kategorien   (s.  d.)   des  Verstandes.     Die   Einheit  der  Apperception  (s.  d.) 

Igt  allem  Denken  zugrunde.    Chr.  E.  Schmid  nennt  als  Denkfunctionen  das 

binden,  Trennen,  Vergleichen  der  Vorstellungen  (Empir.  Psychol.  S.  225  f.). 

h  S.  Maimon  heifit  denken   „Einheit    im  Mannigfaltigen    hervorbringen^^ 

WS.  üb.  d.  Transc.  S.  33).    Nach  Krug  ist  das  Denken  „das  mittelbare  Vor- 

kn,  welches  darin  besteht,  daß  ein  gegebenes  Mannigfaltiges  von  Vorstellungen 

Einheit  eifies  Begriffs  verknüpft  idrd^'  (Fundam.  S.  175).    Kiesewetter 

iert  das  Denken  als  „diejenige  Handlung  des  Öemüts,  wodurch  Einheit  des 

ußf Seins  in  die  Verknüpfung  des  Mannigfachen  gebracht  wird^^  (Gr.  d.  Log. 

10).    Xach  Fries  ist  Denken  die  „unllkürliehe  lUtigkeii''  des  Bewußtseins, 

lohe  im  Urteile  Erkenntnisse   als  Verbindungen   allgemeiner  Vorstellungen 

Bewußtsein  bringt  (Syst.  d.  Log.  S.  94).     G.  E.  Schulze  bezeichnet  als 

ken  alles   das,   „was  im  Erkemien  und  Vorstellen  aus  dem  Entschlüsse,  es 

teken  xu  lassen,  herrührt.    Es  xeigt  aber  nicht  bloß  das  Vorstellen  durch 

iffe  an,  sofwlem  auch  das  Deutlichmachen  jeder  Art  ron  Erkenntnis  durch 

irillkürliche   Verwenden   der  Aufmerksamkeit  auf  die   Unterschiede  an  den 

'andteilen  derselben,  ferner  das  Vorstellen  abwesender  Dinge  durch  Erinnerung, 

leiehen  aUes  aus  Qründen  herrührende  Ürteüen,  endlieh  das  Vorstellen  und 

^dn  flach  Absicht^'  (Gr.  d.  allg.  Log.',  S.  4).     Nach  Drobisch  ist  Denken 

EZusa?nmenfassen  eines  Vielen  und  Mannigfaltigen  in  eine  Einheit''  (N. 
t.  d.  Log.*,  S.  5).  Volkmann  bestimmt  das  Denken  als  „Verbinden  und 
nen  der  Vorstellungen,  d<is  seinen  Orund  hat  lediglich  im  Inhalte  der  be- 
^ffenden  Vorstellungen  seihst"  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  238).  Nach  Lipps  ist 
penken  „otjectiv  bedingtes  Vorstellen"  (Gr.  d.  Log.  S.  4),  ein  „Hinausgehen 
9er  das  unmittelbare  Tatsächliche  xu  dem,  was  um  dieses  Ihtsächlichen  unllen 
pia^kf  werdeti  muß"  (ib.).  Nach  Rehhke  ist  das  Denken  ein  activer  Seelen- 
Föeeß,  der  Zerlegen  oder  Unterscheiden  und  Verknüpfen  enthält  (Allg.  Psychol. 
P*  ^~S,  486).  Nach  Helkholtz  ist  Denken  „die  bewußte  Vergleichung  der  schon 
l^jnnenen  Vorstellungen  unter  Zusaunnenfassung  des  Oleichartigen  xu  Begriffen" 


206  Denken. 

(Vortr.  u.  Bed,  II*,  Ml).  Als  Vergleichiing  von  Daten  bestünmt  das  Denkai 
TÖNNIES  (Gern,  u.  Gee.  S.  168  f.).  H.  Spencer  versteht.imter  Denken  (thougbt) 
das  Feststellen  von  Beziehungen  („establiskmefU  of  relcUions^^),  das  Zusammen- 
ordnen  von  Eindrücken  und  Ideen  (Psychol.  §  378),  eine  „Änpeissitfig  ton  in- 
tieren  an  äußere  Bexiehungen"  (1.  c.  §  174). 

Nach  Hegel  ist  das  Denken  der  Intelligenz  ein  yyOedafiken-haben^'y  wobei 
der  Gedanke  die  Sache  selbst  ist,  ,,einfaehe  Identität  des  Sub^eetiven  und  Ob- 
jeetiven''  (Encykl.  §  465),   d.  h.  wir  denken  im  Begriffe  das  Wesen  des  Dinges 
selbst.    Das  Denken  ist  (subjectiv)  das  „tätige  Allgemeinem^.    Das  Denken  ist, 
als  Subject  vorgestellt,  Denkendes  (1.  c.  §  20).    Das  „reine^^  Denken  denkt  sich 
selbst  (1.  c.  §  24,  Zus.),   hat  bloße  Begriffe  zum   Inhalt.     Das  „abstrakierendt 
Denken*^  ist  „nicht  als  bloßes  Äuf-die^ Seite-steilen  des  sinnliehen  Stoffes  xu  be- 
tmehten,  welcher  dadurch  in  seiner  Realität  keinen  Eintrag  leide,  sondern  es  ist 
vielmehr  das  Aufheben  der  Reduction  desselben  als  bloßer  Erscheinung  auf  das 
Wesentliche,   tvelches  nur  im  Begriff  sieh  manifestiert'^   (Log.  III,  20).    Die 
Denkbew^^ung  ist  „di^üeJäisch'^  (s.  d.),  eine  Folge  des  in  den  Gedanken  steckeD- 
den  „Widerspruches^^  der  zum  „Umsehlagen'*  der  Begriffe  ins  G^^enteU  und 
zur  „Aufhebung**  der  Gegensätze  in  einem  höheren  Begriff  führt  (vgl.  K.  Rosen- 
kranz, Syst.  d.  Wiss.  §  644  ff.).     Nach   Schelling   ist  reines   Denken  kein 
wirkliches  Denken;   dieses  ist  nur  da,  wo  „ein  dem  Denkefi  Entgegengesetxies 
Überminden  wird**  (WW.  I  10,  141).     HiLLEBRAND  erklart  das  reine  Denken 
als  „Setxung  der  allgemein-concreten  Einheit  des  Subjeet-Objecls**  (Phil.  d.  Geist. 
1, 198),  als  „subjective  Position  der  reinen,  der  absoluten  Wahrheit^*  (1.  c.  S,  199  ff.). 
Nach  Heenroth  ist  das  Denken  durch  den  Willen  geleitet  (PsychoL  S.  141), 
es  ist  ein  „Im-Bewußtsein^beschränken**  (1.  c.  S.  247).    Trendelenbüro  betont, 
es   gebe   „kein    Denken   ohne   das  gegenüberstehende  Sein,  an  dem  es  arheitä'^ 
(Gesch.  d.  Kategor.  S.  364).    Das  Denken  muß  „rfic  Möglichkeit  seiner  Gemein- 
schaft mit  den  Dingen  in  sich  tragen**  (L  c.  S.  365),  dadurch,  daß  die  „con- 
struetive  Beicegtifig**   desselben,   vermöge   deren   es  tatig  ist,  dem  Wesen  nach 
dieselbe  ist  wie  die  Seinsbewegung  (ib.;   vgl.  Log.  Unt.  I*,  136,  144).    Lotze 
sieht  im  Denken  „eine  fortwährende  Kritik,  weicJie  der  Geist  an  dem  Material 
des   Vorstellungsverlaufs  ausübt,  indem  er  die  Vorstellufigen  trennt,  deren   Ver- 
knüpfung sieh  nicht  auf  ein  in  der  Natur  ihrer  Inhalte  liegendes  Recht  der  Ver- 
bindung gründet**  (Gr.  d.  Log.  S.  6).    ^^Das  Denken,  den  logischen  Gesetzen  seiner 
Beicegung  überlassen,  trifft  am  Ende  seines  richtig  durchlaufenen  Weges  wieder 
mit  dem    Verhalten  der   Sachen  xusammen**  (Ix^.  S.  552).     Nach  SteintH-AL 
ist   das  Denken   „die  Erkenntnisbeivegung   als   logische  angesehen^*  (Einl.  in  d. 
Psychol.  S.   108).     Überweg   definiert   es    als   „die  auf  mittelbares  Erkertnei^ 
abzielende    Geistestätigkeit'*   (Log.  4,   §  1).     Es   spiegelt   „die   innere    Ordnung, 
welche  der  äußeren  zugrunde  liegt**,  ab  (1.  c.  S.  14).    Nach  E.  DÜHRING  ist  das 
Denken   ein   Product  des  Seins  selbst,  ein  besonderer  FaU  der  Wirklichkeit 
(Log.  S.  171).     Es   ist   „eine  Hervorbringung  subjeciiver  Formen  für  die  Auf- 
fassung und  Kennzeichnung   von  Gehalt  und   Wirkungstceise  der  Dipigf*  (1.  c, 
S.  173).    Denken   und  Sein  „entsprechen  sich  völlig**  (1.  c.  S.  207).     „Reinesf*' 
Denken  ist  nichts  als  „die  GedankenJbewegtmg  in  dem  abgesonderten  Gebiete  der 
reinen  Logik  und  Mathematik**  (N.   Dialekt.  S.  196).     L.  Büchner   sieht  im 
Denken  nur  „eine  besotidere  Form  der  aügemeinefi  Naturbewegung'*  (Kr.  u.  St*, 
S.  321).    Kirchmann   erklärt:   „Das  Denken  befaßt   alle  xu  dem  Wissen  ge- 
hörenden   Tätigkeiten  mit  Ausnahme  des   Wahmehmens.    Es  bewegt  sieh  in  fünf 


Denken.  207 

Bidiimigen:  I)  ai^  das  wiederholende  Denken^  2)  als  das  trennende  Denken, 
B}  als  das  verbindende  Detiken,  4)  als  das  bexiekende  Denken  und  5)  als 
dk  persehiedene  Art,  den  Inhalt  eines  Gegenstandes  xu  tcissen^^  (ICat.  d.  Fhilos. 
8. 27).  Nach  Deussen  ist  Denken  ein  j^Operieren  mit  Begriffen"  (Eiern,  d.  Met.. 
$  33).  SiGWABT  charakterifiiert  das  Denken  als  ,^eiin  innere  Ijebendigkeit  des 
VorsteUens"  (Log.  I*,  2),  dessen  Zweck  ,yErkenntnis  des  Seienden"  ist  (1.  c.  S.  4), 
iodem  es  darauf  ausgeht,  yjin  dem  Bewußtsein  seiner  Notwendigkeit  und  All- 
gemeingültigkeit  xu  beruhen"  (1.  c.  8.  6).  Es  entspringt  dem  ,yDenken^woUen" 
(L  c.  S.  3).  Nach  Volkklt  ist  Denken  eine  „  Verknüpfung  der  Vorstellungen 
mit  dem  Bewußtsein  da*  logischen  und  sachlichen  Notwendigkeit^'^  (Erfahr,  u. 
Doik.  S.  163),  ein  „Postulieren  transsubjeetiter  Bestimmungen"  (1.  c.  S.  96). 
Nach  O.  SCHKEIDEB  ist  Denken  „(/t^'em^e  geistige  Tätigkeit  des  Metiseheny  in 
icMier  er  sieh  mittelst  der  Stammbegriffe  überhaupt  erst  eineti  Inhalt  schaffty 
iifh  dessen  Eigenschaften  nach  Maßgabe  der  ihn  schaffenden  Stamm- 
hffgriffe  zum  Bewußtsein  bringt  und  zugleich  de^  Verhältnisses  solches  Inhaltes 
u«  einem  gegebenen  Sein  bewußt  isf*  (Transcendentalpsych.  S.  167).  Nach 
H.  CoBNELiUB  verfolgt  das  theoretische  Denken  y^tets  das  Ziel y  Zusammen- 
hang xwisehen  den  xunäehst  getrennt  vorgefundenen  Tatsachen  herxustellen,  das 
Mannigfaitige  unter  einheitliche  Gesichtspunkte  xu  ordnen"  (Einl.  in  d.  Philos.. 
K  26).  BiEHL  betont  die  Notwendigkeit  des  Denkens  für  alle  Erfahning  (s.  d.). 
,4)as  Denken  ergänxt  die  Wahrnehmung.  Immer  wieder  setxen  wir  einen  weif 
froßeren  Zusammenhang  vormiSy  cUs  in  den  bloßen  Tatsachen  gegeben  ist^'  (Einf. 
in  d.  Philos.  S.  69).  Als  active  Betätigung  der  Aufmerksamkeit  (des  Wollens), 
vergleichend -synthetische  Tätigkeit  bestunmt  das  Denken  Sully  (Haiidb.  d. 
Psychol.  S.  235  ff.;  Hum.  Mind  C.  11).  Ähnlich  Stout  (Anal.  Psychol.  II, 
C.  9  u.  10),  James,  Baldwin,  auch  Höffding. 

W.  Hamilton  bestimmt  das  Denken  als  Bedingen  (yyto  thifik  is  to  con- 
dition").  Ulmci  versteht  unter  Denken  „die  geistige  Tätigkeit  überhaupt^'' 
(Log.  S.  4),  es  ist  wesentlich  yyUnterscheidende  Tätigkeit  y  und  xwar  sich  in 
WC*  selbst  unterscheidend^^  (1.  c.  S.  13).  Nach  Haems  ist  das  Denken  y,eine 
reine,  ihr  Object  nicht  verändernde  lUtigkeit'  (Log.  S.  87).  Nach  Spicker 
hi  Denken  nichts  als  yydie  logische  Verallgemeinerung  der  empirischen  Einxel- 
itahmekmwtg"  (K.,  H.  u.  B.  8.  181).  J.  St.  Mill  (Examin.  p.  453),  B.  Erd- 
itunr  (Log.  I,  1),  Hagemanit  (Log.  u.  Noet.  S.  22),  W.  Jerusalem  (Lehrb. 
d.  PsychoL',  8.  103)  bestimmen  das  Denken  als  Urteilen. 

Nach  Leclair  sind  Denken  und  Gedachtes  nur  eine  yyAbbreviatur  für  die 
fonxe  Mannigfaltigkeit  der  Betcußtseinstatsachen"  (Beitr.  S.  16).  Alles  Denken 
ist  Doiken  eines  Seins  (s.  d.).  Nach  Schuppe  gehört  es  zum  Denken,  daß  es 
i/wm  Inhalt  oder  Object  hat",  sowie  der  y,Anspruchy  daß  dieser  Inhalt  wirklich 
Seiendes  ist^^.  „Was  eine  rein  sulff'ective  Denktätigkeit  ohfie  oder  noch  ohne  Ob- 
jeet  .  .  ,  sein  könnte,  ist  absolut  unerfindlich"  (Log.  S.  7).  Das  Denken  ist  ein 
Jhn^Betcufitsein-haben"  ohne  ,^Bul^ectives  Tun"  (1.  c.  B.  35,  37),  es  besteht  im 
Urteilen,  d.  h.  es  y^nennt  die  Art  des  Zusammenseins  der  Daten"  (ib.).  Schubert- 
Soldern:  yyDas  Denken  ist  nur  ein  Denken  der  Welt,  und  die  Welt  ist  nur  in 
Uerütbexiehungen  gegeben,  ohne  welche  sie  reines  Abstractum  ist"  (Gr.  e.  Erk. 
6.  226,  vgl  8.  155). 

Der  Sensualismus  (s.  d.)  betrachtet  das  Denken  als  eine  Art  Wahrnehmung 
oder  Product  von  Empfindungen.  Nach  Campakella  ist  das  Denken  nur  ein 
ibgebladtes  Wahrnehmen  (,ysentire  languendum  est  et  a  longe",  Univ.  philos.  1, 4, 4).. 


208  Denken. 

Ck>NDlLLAC  betrachtet  das  Denken  als  Entwicklungsproduct  des  Empfindens  (j,pen- 
ser  c'est  sentir^^J.  Die  Empfindung  wird  von  selbst  Autinerksamkeit,  Urteil,  Reflexion 
(Tr.  d.  sens.  p.  38).  Logisch  ist  das  Denken  „decompositian  des  phenamhies  et  cümpo- 
sition  des  idees"  (Log.).  Nach  Czolbe  sind  alle  Begriffe  der  empirischen  Erkenntnis 
„aw5  Etnpfmdtmgen  und  Gefühlen  als  ikren  Merkmalen  xusammengesetxtj  odff 
anschauliche  Be^ffe",  „alles  Denken  ist  ein  Schauen,  das  Innere  der  körper- 
lichen und  geistigen  Welt  in  seitien  Prineipien  absolut  durclisiehtig  oder  begriffeti^^ 
(Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  257).  Nach  Nietzsche  beruht  das  Denken  aiif 
einem  praktischen  Instinct,  es  wurzelt  im  Lebenstrieb,  im  „Willen  zur  Macht 
(WW.  XV,  268,  270),  ist  biologisch  wertvoll,  ohne  wahres  Erkenntnismittel  zu 
sein  (l.  c.  272  ff.).  Es  ist  nur  eine  Fortsetzung  und  Umformung  unserer  Em- 
pfindungen. Gedanken  sind  nur  der  „Scheuten  unserer  Empfindungen  —  imm^ 
dunkler,  leerer,  einfacher  als  diese"  (WW.  V,  187).  Sie  sind  nur  Symbole  für 
die  Wirklichkeit,  zugleich  sind  sie  Folgen  von  Triebbew^ungen.  Das  bewufite 
Denken  ist  nur  die  Oberfläche  des  ijistinctiv-unbewußten  Denkens.  Das  Denken 
ist,  als  Vorgang  des  Wählens,  Auslesens,  Bevorzugens,  ein  y^ntoralisehes  Er- 
eignis'', es  beruht  auf  Wertschätzungen  (WW.  XI,  6,  250,  254  ff.,  258,  X, 
S.  194  f.,  XV,  356).  Es  birgt  alle  Irrtümer  der  Sprache  (s.  d.).  Unser  Denken 
ist  nur  ein  „sehr  verfeinertes,  xusammenverflochienes  Spiel  des  Sehens,  Hörens ^ 
Fühlens'',  es  ist  Übung  der  Phantasie  (WW.  XI,  6,  233—235).  Als  eine  Art 
Nachbild  der  Wahrnehmung  betrachtet  den  Gedanken  R.  Ayenabiüs  (Kr.  d. 
r.  Erf.  II,  77).  E.  Mach  erblickt  im  Denken  eine  Fortsetzung  der  Wahr- 
nehmungsvorgänge, es  hat  zunächst  biologische  Bedeutung,  ist  nur  ein  Teil  des 
Lebens  der  Welt  (Populärwiss.  Vorles.",  S.  208),  geht  auf  Vereinheitlichung, 
Vereinfachung,  Beherrschung  der  Erfahrungen  aus  (s.  Ökonomie). 

Die  Associationspsychologie  (s.  d.)  anerkennt  keine  spontane  Denktätigkeit, 
sondern  sieht  in  allem  Denken  nur  ein  Spiel  der  Associationen,  eine  f^xusammen- 
gesetxte"  Association.  So  Ziehen,  welcher  meint:  „Wir  können  nicht  denken, 
toie  wir  wollen,  sondern  tcir  müssen  denken,  urie  die  gerade  vorhandenen  Asso- 
ciationen bestimmen"  (Leitfad.  d.  physiol.  PsychoL*,  S.  171).  Die  „Willkürlich' 
keit"  des  Denkens  beruht  nur  darauf,  daß  das  Denken  von  Bewegungsempfin- 
dungen begleitet  wird  (ib.).    Ähnlich  Mükstebbebg. 

Der  Intellectualismus  (s.  d.)  sieht  im  Denken  die  primäre  geistige  Tätigkeit 
Die  Gefühlspsychologie  leitet  das  Denken  aus  dem  Grefühle  (s.  d.)  ab  als  ge- 
steigerte Energie  u.  dgl.  So  HoRWiCZ  (Psychol.  Analys.  I,  258,  II,  115  ff.) 
und  Th.  Zieoler.  —  Nach  Ribot  ist  das  Denken  schon  der  Beginn  eines 
motorischen  Processes,  ein  „catntneneement  d'activite  musctdaire"  (PsychoL  de 
Patten t  p.  20;  vgl.  L'^volut.  des  id^  g^n^rales  1897). 

Der  Voluntarismus  (s.  d.)  betrachtet  als  das  eigentlich  Active  im  Denken 
den  Willen  (s.  d.),  der  (in  der  activen  Aufmerksamkeit)  den  Lauf  der  Vor- 
stellungen hemmt,  regelt,  der  (durch  die  Apperception,  s.  d.)  Vorstellungen  und 
Vorstellungsbestandteile  auswählt,  bevorzugt,  ,zur  Klarheit  bringt.  Nach 
Schopenhauer  ist  das  Denken  eine  Function  des  (im  Gehirn  objectivierten) 
Willens  (s.  d.).  Rümelin  betont:  „Der  InteUect  ist  nicht  das  PrinUk^  und 
Leitende  in  uns,  sondern  er  nimmt  eine  seeundäre  wid  dienende  Stellung  ein. 
Alle  seine  Tätigkeiten  sind  nur  formeller  Art  und  bestellen  in  einem  fortwähren' 
den  Bilden  und  Umbilden,  Verknüpfen  und  Unterscheiden  nach  stets  gleichen 
Formen  und  Oesetxen.  Seine  Richtung,  sein  Stoff  wird  ihm  durch  den  Willen, 
oder  ,  .  .,  da  es  kein  Wollen  im  allgemeinen  gebeti  kann,  durch  die  Triebe  gesetit^ 


Denken.  209 

(Red.  u.  Aufis.  I,  64  f.).     „Die  Triebe  .  .   .  sind  die  Directiven  des  Intellects" 
(Lc.  S.  65).   Nach  Tönnies  liegt  dem  Denken  ein  Gefühls-  und  Willenscharakter 
zugninde  (Gem.  und  Gesellsch.  S.  139  f.).     Das  abstracte  Denken  ist  die  „7nit 
KQcher  Aufmerksamkeit  geschehende  Vergleichung  von  Daten,  urekhe  bloß  vermöge 
der  mit  Worixeiehen  operierenden  Erinnerung  wahrnehmbar  sind,  ihre  Auflösung 
und  Zusammensetzung*^  (1.   c.  8.  168  f.).     Sülly  betont:  „Das  Kind  offenbart 
sieh  als  Denker  zuerst  dunkel  auf  praktischem  Gebiet.    Die  Denkfähigkeit  ist  bei 
der  EniiciekUmg  der  Rasse  xuerst  durch  die  Erregung  des  instinetiven  Begehrens 
und  Widerstrebens  in  Tätigkeit  gesetzt  worden^^   (Unters,  üb.   d.  Kindh.  S.  65). 
Nach  Kreibig  ist  das  Denken  eine  Willenserscheinung  (Die  Aufmerks.  S.  3). 
—  WcTNDT  erblickt  im  Denken  eine  Function  der  Aufmerksamkeit  oder  Apper- 
ception  (s.  d.).    Das  Denken  ist,  psychologisch,  Willenstätigkeit,  innere  WiÜens- 
handlung,  die  das  Material  der  Associationen  bewulSt  verwertet.    Das  Denken 
ist  willkürliche,  zwe||ftplle  Tätigkeit.     Indem  verschiedene  Associationen  mit- 
einander in  Kampf  göRten,  ist  es  j^der  miUkürlieh  fixierte  Zweck  des  Oedanken- 
Verlaufs,   der  einer  bestimmten,   diesem  Zweck  entsprechenden   Verbindufig  vor 
anderen  defi  Vorxug  gibt"  (Syst.  d.  Philos.  8.  41;    Grdz.  d.  phys.  Psychol.  II*, 
479  f. ;  Log.  I«,  79  f. ;  Gr.  d.  Psychol.»,  8.  301  ff.).    Die  Merkmale  des  Denkens 
sind  (psychologisch):   1)  subjective  Tätigkeit  (Spontaneität),   2)  selbstbewußte 
Tätigkeit,  3)  beziehende  Tätigkeit  (Syst.  d.  Philos.«,  8.  35  ff.).     Die  logischen 
Merkmale   des  Denkens   sind  Evidenz  (s.  d.)  und  Allgemeingültigkeit   (s.  d.). 
Das  Denken  als  Yerstandestätigkeit  (s.  d.)  wird  von  einem  Gesetz  der  „diseursiven 
Gtiederuftg  ton  Oesamiparstellungen*',   vom  Gesetz  der  y,Dualität  der  logischen 
DenkfoTfneti"  (s.  d.)  beherrscht.    Das  abstracte  Denken  entwickelt  sich  Hand  in 
Uand   mit  der  Sprache  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  365).     Logisch  ist  das  Denken 
^Jedes  Vorsteilen,  welches  einen  logischen  Wert  besitzt*^.   Ein  leeres,  reines  Denken 
gft>t  es  nicht  (Log.  I»,  8.  59;  435;  Syst.  d.  Philos.«,  S.  85  ff.)    Zwischen  Denken 
imd   Sein   besteht  keine   Identität,   wohl   aber  eine  (Konformität.     Die  Denk- 
functionen  sind   die  Hülfsmittel,   mit  denen   wir  die  realen  Beziehungen  der 
Objecte  auffinden   und   sie  in  idealer   Weise  (begrifflich-symbolisch)  nachcon- 
»tmier^n   (Ideal-ßeaHsmus)   (Log.  I*,  S.  86  f.,  90,  98  f.,  6  f.;   Grdz.  d.  phys. 
Rsyehol.  II*,  479  f.).     Die  Einheit  von  Denken  und  Sein  besteht  nur  vor  der 
Differenzierung  des  Bewußtseins  in  Subject  und  Object  (Syst.  d.  Philos.«,  8.  87  f.). 
Das  Denken  beginnt  schon  an  der  Anschauung  (Syst.  d.  Philos.«,  8. 67,  77, 150  ff. ; 
Log.   I«,   558  ff.).     KÜLPE  bemerkt:    „Die  imiere    Willenshandlung  tritt   uns 
namentlich   beim  Denken  entgegen.     Auch  hier  handelt  es  sich  um  eine  anti- 
tipierende  Appereeption,  die  teils  einen  größeren,  teils  einen  kleineren  Kreis  einxelner 
Jieprcduetionen  beherrscht  und  sieh  nur  durch  die  Consequenx,   mit  der  alles 
diesem  Kreise  Femstehende  zurückgehalten  oder  verdrängt  icird,   von  xufäUigefi 
Beproductionsmotiven  unterscheidet**  (Gr.  d.  Psychol.  S.  464).    „Nicht  durch  eine 
besondere  Art  von  Verbindungen,  sondern  nur  durch  die  Leitwng  des  Vorstellungs- 
rerlaufs   vermittelst  anticipierender  Apperceptionen  scheint  uns  das  Dcfiken  von 
dem  auiomaiiscßien  Spiel  der   Vorstellungen  sich  xu  unterscheiden^^  (ib.)    Nach 
W.  Jerusalem  ist  das  Denken  (praktisch)  das  Überlegen,  das  unseren  Ent- 
schlüssen voranzugehen  pflegt,  theoretisch  die  Seelentätigkeit,  die  bei  der  Er- 
brschmig  der  Wahrheit  wirksam  ist.   Das  Denken  ist  der  vom  Willen  beeinflußte, 
d.  h.   der  apperceptive  Vorstellungsverlauf  (Lehrb.  d.   Psychol.»,  S.  103).   — 
HüBBESl«  erklart:  „Alles  Denken  .  .  .  vollzieht  sich  in  gewissen  , Acten*,   die  im 
Zusan$menhange  der  ausdrüekefiden  Rede  auftreten.     In  diesen  Acten  liegt  die 

PUlosophUohet  Wörterbuob.    2.  Aufl.  14 


1 


210  Denken  —  Denkgesetae. 


Quelle  all  der  Oeltungseinkeiten  j  die  als  Denk-  und  Erkennlnisobjecte  oder  als 
deren  Theorien  und  Wissenschaften  dem  Denkenden  gegenüberstehen^^  (Log. 
Unt  II,  472).  Das  objectiv  Gedachte  gilt  allgemein,  unabhängig  vom  Acte  des 
Denkens  (s.  Wahrheit). 

Nach  Flechsig  gibt  es  „Cogitationseentren"  (s.  d.).  M.  Benedict  bemerkt: 
„In  der  grauen  Substanx  des  Stimhirfis  befindet  sieh  ein  eig&tes  Samniehrgany 
ein  Leistungsknotefi  für  die  höhere  Denktätigkeü  —  ein  Denker-Organ^^  (Die  Seelöi- 
kunde  d.  Mensch.  S.  79).  Damit  ist  eine  phrenologische  Anschauung  Galla 
wieder  erneuert.  Vgl.  Gredanke,  Verstand,  Ökonomie,  Urteil,  Wahrnehmung^ 
Erkennen,  B&tionalismus,  Panlogismus,  Parallelismus  (logischer). 

Denkformeii  s.  Kategorien. 
Denkufeg^enatand  s.  Object. 

I^enkflfesetjse  (logische  Axiome)  sind  1)  psycholq^lßh  =  die  natürlichen 
Bedingimgen,  unter  denen  das  Denken  (s.  d.)  sich  vollzieht;  2)  logisch  =  die 
Postiüate  des  Denken-  und  -Erkennen-woUens,  des  einheitlichen  und  seine  Einheit 
bewahren-wollenden  Ich,  denen  alles  Denken  folgen  muß,  soll,  weil  sonst  eine 
normale,  fortschreitende,  erkennende  Function  desselben  nicht  möglich  ist  und 
weil  sonst  die  Einheit,  der  Zusammenhang  des  (geistigen)  Ich  in  Frage  gestellt 
wird.  Die  Denkgesetze  sind  Normen  des  Denkwillens.  8ie  sind  die  allge- 
meinsten Bedingungen  des  Erkennens,  des  empirischen  wie  des  speculativen. 
Bie  specificieren  sich  in  die  Sätze  der  Identität  (s.  d.),  des  Widerspruches  (s.  d.), 
des  ausgeschlossenen  Dritten  (s.  d.)  und  des  Grundes  (s.  d.). 

Dem  älteren  Rationalismus  gelt^i  die  Denkgesetze  als  „eicige  Wahrheiten*^ 
(s.  d.),  d.  h.  als  unmittelbar  evidente  und  allgemein-notwendig  aufzustellende 
Gesetze  für  das  Denken.  Sie  haben  apriorische  (s.  d.)  Natur.  So  nach.  Plato, 
ARIST0TELE8,  nach  den  Scholastikern,  nach  De8CARTE6  (Princ.  philos.  I, 
49),  Leibniz,  Cudworth,  der  schottischen  Schule  u.  a.  J.  G.  Fichte 
leitet  die  Denkgesetze  aus  yjSetxungen*'  des  Ich  (s.  d.)  ab.  Schopenhauer 
bezeichnet  sie  als  y^metalogische  Wahrheiten^*  f\V.  a.  W.  u.  V.  Bd.  I,  454), 
Ui.Rici  als  Gesetze  der  unterscheidenden  Tätigkeit  des  Denkens  (Log.  S.  93  ff.). 
Nach  Rümelin  sind  die  Denkgesetze  ,;nichi  in  dem  Sinn  Oesetxe,  daß  sie  ein 
ausnahmsloses  tatsächliches  Geschehen  hemrkten^  sondern  sind  die  Hegeln,  von 
welchen  das  aufmerksame^  unheirrte  und  auf  Erkenntnis  der  Wahrheit  gerichtete 
Denken  untcillkürlich  geleitet  icird  und  sich  leiten  lassen  muß,  wenn  es  zur 
Wahrheit  gelangen  und  andere  davon  überzeugen  wilV*  (Red.  u.  Aufs.  II,  123). 
Nach  SiGWART  sind  sie  „die  ersten  und  unmittelbaren  Ergebnisse  einer  auf 
unsere  Denktätigkeit  selbst  gerichteten^  sie  in  ihren  Grundformen  erfassenden 
Befleodon**  (Log.  II,  40).  Nach  Wundt  sind  die  Denkgesetze  zugleich  „Oes^xe 
des  Willens**  (Log.  I*,  79  f.).  Die  psychologischen  Denkgesetze  ,^agen  nur  aus, 
wie  sieh  unter  geicissen  Bedingungen  das  Defiken  tatsächlich  voUxieht^*,  ,/iie 
logischen  Denkgesetxe  aber  sind  Normen^  mit  denen  wir  an  das  Denken  heran-- 
treten,  um  es  auf  seine  Richtigkeit  xu  prüfen.*^  Da  es  kein  Denken  ohne  Inhalt 
gibt,  80  sind  sie  zugleich  die  allgemeinsten  Gesetze  des  Denkinhalts  selbst. 
Bie  sind  von  aUgemeinster  Geltung,  weil  jedes  Anschauungs-  und  Denkobject 
ihre  Gültigkeit  beanspruchen  muß.  Insofern  sie  auf  der  Erfahrung  fuden, 
durch  diese  ausgelöst  werden,  sind  sie  Erfahnmgsgesetze.  Die  Denkgesetze 
sind  sowohl  Anschauungsgesetze  als  Begriffsgesetze.  Sie  sind  „rfte  allgemeinsteti 
Oesetxe,   die    unser  Denken    bei    der    Verknüpfung  der  empirischen    Tatsachen 


Denkgesetae  —  Determination.  211 


ic/ötyf*.  Zugleich  sind  sie  Poetulate  (Log.  I«,  558  ff.;  Syst  d.  Phil.«,  S.  67,  77, 
150,  152  ff.;  Phil.  Stud.  XIII,  405).  Nach  Jodl  folgt  das  Denken  seinen 
eigenen  Gesetzen,  y^aber  diese  Oesetxe  des  Denketis  sind  nur  der  Reflex  jener 
Getetzmäßigheitj  tcelehe  unser  Bewußtsein  sch^n  auf  primärer  Stufe  im  Za- 
sammenmrken  mit  den  Dingen  erxeugt"  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  639  f.).  Nach 
SCHUBEBT-SoLDEBN  sind  die  Denkgesetse  nur  „möglichst  einfache  Beispiele  der 
emfaehsten  Denkbexiekungen^^  (Gr.  e.  Erk.  S.  177).  Nach  Husserl  sind  die 
DeDkgesetze  Verstandesgesetze  überhaupt,  ideale  Gresetze  (Log.  Unt.  II,  668). 
Sie  sind  die  Normen  de«  Denkens,  das  echte  logische  Apriori  (L  c.  S.  670). 
Nach  Nietzsche  ist  die  Grundvoraussetzung  der  Denkgesetze  die  (irrtümliche) 
Annahme,  daß  die  Wirklichkeit  aus  beharrenden  Dingen  bestehe  (WW.  III,  1, 
12,  S.  30). 

Denklelire  s.  Logik. 

]>^lunilttel  sind  allgemeine  Begiiffe,  Kategorien  (s.  d.),  insofern  sie  als 
herrschende  Gesichtspunkte,  die  Erfahrungen  zu  ordnen  und  zu  deuten,  dienen. 
Bo  sind  z.  B.  die  Begriffe  der  Substantialität  und  Causalität  Denkmittel,  die 
in  der  Greschichte  der  Philosophie  abwechselnd  ihre  Betonung  finden  (vgl. 
K.  Lasöwitz,  Gesch.  d.  Atom.  I,  44). 

Denluiotwendli^Melt  s.  Notwendigkeit. 

Denomination:  Benennung  nach  etwas.  Thomas:  „Omnis  detertninaiio 
est  a  forma*^  (Pot.  7,  10,  ob.  8).  „Denominatio  fit  a  potiori'^  (Sum.  th.  I,  II, 
25,  2,  ob.  1). 

Deontology:  Pflichtenlehre  (J.  Bentham,  Deontology  1834). 

D^liendens:  Abhängigkeit  (s.  d.). 

DeiNnesslon  (psychische)  besteht  in  der  Abnahme  der  Gefühlserregbarkeit. 
Die  Depressionszustande  bestehen  im  Vorwalten  der  henmienden,  asthenischen 
Affecte  (WuNDT,  Gr.  d.  Psychol.*,  S.  325,  327 ;  Hellpach,  Grenzw.  d.  Psychol. 
S.  328  f.).    Gregensatz:  Exaltation  (s.  d.). 

Deseendenztiieorle  (Abstamnmngslehre)  s.  Evolution. 

Oeeerlptlon:  Beschreibung  (s.  d.). 

De«crlptlTe  Psyefeiolo^e  s.  Psychologie. 

Desperatlsmns  nennt  E.  v.  Haktmann  (Phil.  Frag.  S.  282)  ,,die.  Ein- 
si^ki  in  die  Unentrinnharkeit  des  Leides  und  die  Unerreichbarkeit  des  Wissens" 
bei  Bahnsen. 

Detemninatlon  (determinatio,  7t ooad'eais):  Bestinmiung,  Bestimmtheit, 
das  Bestinmit-sein.  Es  gibt  eine  (psychologische  und  metaphysische)  Willens- 
Determination  (s.  Determinismus),  und  die  logische  Determination  ist  das 
(T^enteil  der  Abstraction  (s.  d.),  nämlich  Einengimg  des  Begriffsmnfangs  durch 
Hinzufügung  von  Merkmalen. 

Von  der  logischen  Determination  (nQoad'eaii)  spricht  schon  Akistoteles 
(Anal,  poet  I  27,  87  a  34  squ.;  Met.  XIII  2,  1077  b  10).  Chr.  Wolf  unter- 
scheidet „determincUiones  genericae",  „speeificae^^  und  ^^singidares"  (Ontol.  §  236), 
ferner  ,^ommufies'\  „propriae^*,  „numericae^^  (1.  c.  §  238  f.).  Nach  Kant  ist 
j4eterminar&*  yjponere  praedicaium  cum  exclusi&ne  oppositi"  (Princ.  prim.  cogn. 
met,  sct,  II,  prop.  IV).     Fries  versteht  unter  Determination  „rfie  Zusammen- 

14* 


1 


212  Determination  —  Dialektik. 

Setzung  der  Begriffe,  die  logische  Synthesis",  welche  „d^rck  Verbindung  cUlge- 
meinerer  Vorstellungen^*  besondere  bildet  (Syst.  d.  Log.  S.  115).  Nach  Überweg 
ist  sie  „die  Bildung  miniler  cUlgemewier  Vorstellung^^  von  den  allgemeifieren  aas** 
(Log.^  §  52). 

Spinoza  faßt  die  Determination  metaphysisch  auf  als  Eünschrankung  des 
Allgemeinen  auf  ein  Besonderes;  sie  muß  von  der  unendlichen  Substanz  (s.  d.) 
ausgeschlossen  sein,  da  jede  Bestimmung  der  Unendlichkeit  Ghienzen  setzt, 
etwas  in  ihr  aufhebt:  „omnis  deierminatio  est  negcUio"  (Epist  59).  So  erklärt 
auch  Bchelling:  .fleds  Bestimmung  .  .  .  ist  eine  Aufhebung  der  absoluten 
Realität,  d.  h.  Negation''  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  69).  Hegel  sieht  m  der  Nega- 
tion die  Grundlage  aller  Determination. 

Determlnlereii :  bestimmen,  einschranken,  zu  etwas  nötigen.  Vgl. 
Determinismus. 

Oetermliilsiiilis  heißt  die  Lehre  von  der  Determination  (Bestimmtheit, 
Bedingtheit)  des  Handelns  imd  WoUens  durch  äußere  und  innere  Ursachen 
(Motive),  im  engeren  Sinne  die  Anschauimg,  daß  es  eine  (absolute)  Willens- 
freiheit nicht  gebe,  weil  das  Wollen  wie  alles  andere  (geschehen  dem  Causal- 
gesetze  untenv'orfen  sei.  Der  empirische  Determinismus  lehrt  das  Bedingt-sein 
des  einzelnen  WoUens  in  der  inneren  Erfahrung,  der  metaphysische  das 
Eingereihtsein  des  WoUens  in  den  Weltzusanmienhang.  Der  mechanische 
Determinismus  betrachtet  das  WoUen  und  Handeln  als  Product  äußerer  Fac- 
toren  und  Reize,  der  psychologische  als  unmittelbares  Resultat  innerer, 
geistiger  Factoren,  von  gefühlsbetonten  VorsteUungen  und  schließUch  vom  Ich, 
vom  Charakter,  von  der  Persönlichkeit.    Vgl.  WiUensfreiheit. 

OeatlieUkelt  s.  Klarheit. 

Oialekilk.  (diahxrixif):  Unterredungskimst,  Methode  der  Unterredung, 
begriffliches  Verfahren  (durch  Entwicklung  von  Sätzen  oder  Wahrheiten  ans 
Begriffen),  logische  Bewegung  des  Denkens  von  einem  Begriff  zum  anderen 
mittelst  Aufhebung  von  Widersprüchen.  Im  schlechten  Sinn  bedeutet  „dialeJc- 
tisch''  ein  auf  Überredung  hinzielendes  Argumentieren  ohne  stichhaltige  Er- 
fahrungsgrundlagen. 

Ein  dialektisches  Verfahren  machte  sich  schon  der  Eleate  Zeno  zu  eigen 
(Diog.  L.  VIII,  57:  '^QtaTOrihjs  iv  rqJ  ^apiaxfl  fT^ai  ttqSxov  Zr^vcara  StnXex" 
TixTJr  tvgeJv,  Vgl.  IX,  25).  Die  Sophist  en  begründen  eine  Dialektik  im  schlechten 
Sinne,  die  darauf  ausgeht,  rov  tjTTM  Xoyov  x^eirrio  noufiv,  durch  Scheinbeweise, 
Sophismen  (s.  d.)  den  Schein  der  Wahrheit  zu  erzeugen  (vgl.  Aristoteles, 
Rhet.  II  24,  1402a  23).  Die  Unterredungskunst  zum  Zwecke  der  B^riffs- 
bestimmung  übt  Sokrateb  aus.  Im  Zusammen-Denken  glaubt  er  das  Wahre. 
Objective  finden  zu  können:  'Eipri  Si  xai  to  diaXt'yea&ai  ovofiaad'fjvat  ix  tov 
awiovrag  xoivfj  ßovXsveaf^ai  SiaXcyorras  xara  yspi]  ra  ngäyfinra  (XeNOPHON, 
Memor.  FV,  5,  12).  Bei  den  Megarikern  artet  die  Dialektik  in  Eristik  (s.  d.) 
aus.  Plato  versteht  unter  Dialektik  die  Kunst  des  logischen,  philosophischen 
Verfahrens,  d.  h.  des  Verfahrens,  durch  Analyse  und  Synthese  der  Begriffe, 
durch  Fortgang  des  Denkens  von  niederen  zu  höheren,  allgemeineren  B^riffen 
zur  Erkenntnis  des  Seienden,  der  Wirklichkeit,  der  Ideen  (s.  d.)  zu  gelangen 
{rj  rov  Siakdyea&ai  Svvafug  ist  die  Erkenntnis  [yvwais]  ytepi  ro  ov  xni  ro  ot^ops 
xai  t6  xnra  ravrov  ael  ne^pvxog,  sie  ist  fiax^tp  «/It/^äö-täti?,  Phileb.  58  A,  57  E). 


Dialektik.  213 


Vom  Eros,  von  der  Liebe  zum  Forschen,  ergriffen,  sucht  der  Dialektiker  das 
Wesen  der  Dinge  zu  bestimmen  (dia^^Mrixov  xaXeTe  rov  Xoyov  inaarov  ka/i- 
ßtivorra  r^e  oiaims,  KepubL  534  B;  vgl.  Soph.  253  B,  Phaedr.  265,  266,  276  E). 
Aristoteles  nennt  dtnlexrtxij  das  Beweisverfahren  aus  überlieferten  Sätzen 
{ii  ivdo^afv,  Top.  I  1,  100a  27);  SiaXexrutcas  =  auf  syllogistische  Weise  (Top. 
I  U,  105  b  31),  auch  =  sophistisch  (De  an.  I  1,  403  a  2);  BiaXsxnxal  Tt^otdaaig 
=  Wahrscheinlichkeitsiu^ile  (Anal.  pr.  I  1,  24a  22).  Die  Stoiker  verstehen 
unter  Dialektik  teils  die  Grammatik,  teils  die  Logik  imd  E^rkenntnistheorie. 
Das  Icyixov  ^cfos  zerfallt  in  Bhetorik  und  Dialektik  (Diog.  L.  VII,  41).  Letztere 
ist  die  Wissenschaft  rov  oqd'me  SiaXsysod'ai  Tte^l  xdSv  iv  i^an^oei  xal  anox^iaei 
Xcyotv'f  od'sv  xcu  ovtuk  avrrjv  o^i^ovrat^  iTfianffir^v  dXvj&cav  xal  xpavBtZv  xai 
oi^ne^w  (Diog.  L.  VII,  42  ff. ;  vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I,  413 ;  L.  Stein, 
ftychoL  d.  Stoa  II,  101).  Cicero  spricht  über  Dialektik  im  Sinne  der  Stoa 
{De  erat  II,  38,  157;  Brut.  41,  152;  Disp.  Tusc.  V,  25,  72;  Acad.  II,  28,  91; 
Top.  2,  6).  Seneca:  Jialsxrtxiq  „in  duas  partes  ditndüiir^  in  verha  et  signi^ 
fieaiiones  i.  e.  in  res  quae  dictmtur  et  vocabula  quibus  dieuntttr^*^  (Ep.  1,  1;  vgl. 
89,  9).    Epikttr  ersetzt  die  Dialektik  durch  die  „Kanonit^  (s.  d.). 

JoHANKES  ScoTUS  Versteht  unter  Dialektik  die  Forschung  nach  dem  Wesen 
der  Dinge  durch  logisches,  speculatives  Verfahren.  Sie  ist  „communium  animi 
caneeptionum  rcUionabilium  düigens  investigcUrixqtie  disciplina"  (Div.  nat.  I,  27), 
die  „tnaier  artium*^  (1.  c.  V,  4).  Sie  geht  vom  Allgemeinen  zum  Besonderen 
und  gewinnt  aus  diesem  das  Allgemeine.  „lila  pars  philosophiae,  quae  diciiur 
dialectic<iy  evrea  horum  generum  divisiones  a  generalissimis  ad  specialissima 
iierumque  coUeetione  a  speeialissimis  ad  generalissima  versatur^^  (1.  c.  I,  16). 
„btehocU  per  genera  generalissima  mediaque  genera  usque  ad  formas  et  speeies 
tpeeialissimas'^  (L  c,  V,  4).  „Diaiecticae  proprietas  est  rerum  omnium,  quae 
inteUigi  possunt,  naturas  dividere,  eoniungere,  discemere,  propriosque  locos  uni- 
tuiqtte  distribuere  atque  ideo  a  sapientibtis  vera  rerum  contempfatio  solet 
oppeUari^^  (L  c.  I,  46).  Die  Dialektik  ist  im  Wesen  der  Dinge  gegründet  („m 
natura  rerum  ab  auetore  omnium  artium,  quae  vere  artes  sunt,  condita"j  1.  c. 
IV,  4).  Nach  Abaelard  ist  die  Dialektik  die  begriffliche  Feststellung  der 
Wahrheit  oder  Falschheit  von  Urteilen,  „veritatis  seu  fahitatis  diseretio^*^  (Dial. 
p.  435).  Johann  von  Bausbury  erklärt:  „Dialeetices  intentio,  ut  sentionum 
rim  aperiat  et  ex  eorum  praedicalione  examinandi  veri  et  statuendi  sciefUiam 
assequatur"'  (Prantl,  G.  d.  Log.  II,  236).  Nach  Lambert  von  Auxerre 
ist  Dialektik  „ars  artium  ad  principia  omnium  methodorum  viam  habens" 
(L  c.  B.  26).  Nach  Thomas  gibt  es  eine  ,ydialeqtiea  docens*^  und  „dialectica 
uten^^  (4  met.  4  b). 

6^en  die  scholastische  Wertschätzung  des  dialektischen  Verfahrens  wenden 
äch  LuDOVicus  ViVES,  NizoLius  imd  besonders  Petrus  Ramus.  Ihm  ist  die 
Dialektik  nichts  als  Disputierkunst.  „Dialectica  virtus  est  disserendij  quod  vi 
hominis  intelligitur :  SiaXiysff&ai  enim  et  disserere  unurn  idemque  valent,  idqtie 
est  disputare,  diseeptare  atque  ofunino  ratione  uti^^  (Dial.  inst  p.  1).  Sie  ist 
„ikfcfrina  disserendi''^  (1.  c.  p.  6).  BoviLLüö  nennt  die  dialektische  Denkbewegung 
jjaniiparistasis*^  (s.  d.).  Nach  Melanchthon  ist  die  Dialektik  „ars  et  ma  doeendi^\ 
j/Mnsistit  in  definiendo,  dividendo  et  argumentando^*  (Dial.  I,  p.  1). 

Kant  erklärt,  die  Dialektik  sei  nur  ebie  „Logik  des  Scheins'^  (Kr.  d.  r. 
Vem.  S.  88),  eine  „ars  sophistiea,  disptäatoria^^,  die  aus  einem  Mißbrauch  der 
Logik   entspringt  (Log.  S.  11).    Denn  y,da  sie  uns  gar  nichts  über  den  Inhalf 


214  Dialektik. 


der  Erkenntnis  lehret,  sondern  nur  bloß  die  formalen  Bedingungeyi  der  Überein- 
stimmung mit  dem    Verstände  .  .  .,'so  muß  die  Zumtäungy  sieh  derselben   €Us 
eines  Werkzeugs  (Organo^i)  xu  gebrauchen,  um  seine  Kenntnisse,  wenigstens  dem 
Vorgeben  nach,  ausxubreiten  und  xu  enceitem,  auf  nichts  als  Oeschwatxigkeit 
hinauslaufen,  alles,  was  man  unll,  mit  einigem  Schein  xu  behaupten,  oder  €tueh 
nach  Bdieben  anzufechten^'  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  84).    K.  selbst  will  unter  Dia- 
lektik mir  „ei-^ie  Kritik  des  dialektiscfien  Scheins"  verstanden  wissen.    Auf  dem 
Gebiete  des   Erkennens    zunächst    besteht  eine    in    der  Natur   des   Denkens 
liegende   „trafiscendeniale   Dialektik^',   die  zu  einer  Verwechselung  subjectiver 
Notwendigkeit  mit  objectiver  Bealität  führt     Sie  „beruht  auf  ursprünglichen, 
naiürlichen  Illusionen,  auf  einem  transcendenialen  Schein,  dessen  Folge  es  ist, 
daß  in  unserer   Vernunft  .  .  .   Grundregeln  und   Maximen   ihres    Gebrauches 
liegen,  welche  gmixlich  das  Ansehen  objeetirer  Orundsäixe  haben  und  wodurch  es 
geschieht,  daß  die  subjective  Notwendigkeit  einer  Verknüpfung  unserer  Begriffe 
zugunsten  des    Verstandes  für  eine  objective  Notwendigkeit,  der  Bestimmung 
der  Dinge  an  sich  selbst,  gehalten  urird"  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  263).    Die  „trans- 
cendenlale  Dialektik^'  als  Kritik  begründet  den  „Schein",  ohne  ihn  zerstören  zu 
können  (1.  c.  S.  263  f.).     j,Da  aller  Sehein  darin  besteht,   daß  der  subjectire 
örund  des  Urteils  für  objectiv  gehalten  wird,  so  tcird  eine  Selbsterkenntnis  der 
reinen   Vernunft  in  ihretn   transeendentalen  (überschwenglichen)   Gebrauch    das 
einzige  Venvahrungsmittel  gegen  die  Verirrungen  sein,  in  u?elche  die  Vernunft 
gerät,  leenn  sie  ihre  Bestimmung  mißdeutet  und  dasjenige  transcendenlerteeise 
aufs  Objekt  an  sich  selbst  bezieht,  was  nur  ihr  eigenes  Subfect  und  die  Leitung 
desselben   in  aUem   immanenten    Gebrauche  angeht^^   (Proleg.  §  40;  vgl.  §   45). 
Die  transcendentale  Dialektik  besteht  in  der  Untersuchung  der  Paralogismen 
(s.  d.),  Antinomien  (s.  d.)  und  Ideale  (s.  d.)  der  reinen  Vernunft.    Es  gibt  auch 
eine  Dialektik  der  praktischen  Vernunft,  indem  diese  unter  dem  Namen   des 
höchsten  Gutes  (s.  d.)  ein  Unbedingtes  sucht  (Kr.  d.  pr.  Vem.  I.  T.,  2.  B.). 
So  auch  in  der  Urteilskraft,  nämlich  betreffe  der  Antinomien  des  Geschmacks 
(8.  d.)  (Kr.  d.  Urt.  §  55  ff.). 

J.  G.  FiCHTEs  philosophische  Methode,  nach  welcher  in  Entgegengesetztem 
das  übereinstimmende  Merkmal  aufgesucht  und  der  Dreischritt:  Thesis,  Anti- 
thesis,  Synthesis  gemacht  wird,  ist  dialektisch  („synthetisch*^,  Gr.  d.  g.  Wiss. 
S.  31;  ähnlich  £Leg£L,  s.  weiter  unten).  Sghleiermacheb  versteht  iintar 
Dialektik  eine  „Kunstlehre  des  Denkens**,  die  Kunst  des  Begründens  (Dialekt. 
S.  8),  die  philosophische  Principienlehre  (Metaphysik  und  Erkenntnistheorie). 
Dialektik  ist  die  Philosophie,  weil  das  Wissen  ein  Product  des  gemeinsamen 
Denkens  ist  (1.  c.  S.  66).  Sie  ist  „die  Idee  des  Wissens  unter  der  isolierten 
Form  des  Allgemeinen"  (1.  c.  S.  309,  vgl.  S.  22,  315).  Schopenhauer  versteht 
unter  Dialektik  „die  Kunst  des  auf  gemeinsame  Erforschung  der  Wahrheü^ 
namentlich  der  phüosophischeti,  gerichteten  Gespräches*^  (W.  a.  W.  u.  V.  IT.  Bd-, 
C.  9).  Spicker  erklärt:  „Unter  Dialektik  verstehen  wir  nicht  bloß  eine  Begriffs- 
xergliederung,  sondern  xugleich  auch  eine  Begriffserxeugung.  Beides  Muamtnen 
fassen  wir  unter  den  Ausdruck:  ,Begriffsentwicklung*.  Die  xteei  Haupt-- 
momente  der  Dialektik  sind  also:  Analyse  und  Synthese.  In  jener  wird  ge- 
xeigt,  was  ein  Begriff  ist  und  was  er  nicht  ist;  in  dieser,  was  er  sein  solt^ 
(K.,  H.  u.  B.  S.  165).  WuNDT  versteht  imter  dialektischen  Methoden  ^^aile 
diejenigen  philosophischen  Methoden  .  .  .,  bei  denen  aus  gegebenen  Begriff ep^  r^T- 
mittelst  einer  rein  logischen  Entwicklung  andere  Begriffe  abgeleitet  wertien^* 
(Phil.  Stud.  XIII,  68). 


Dialektik  —  Dianoiologie.  215 


Auf  die  Wirklichkeit  selbst  wendet  zuerst  Proklüs  den  Begriff  der  Dia- 
lektik an.  Der  Weitprocefi  macht  eine  triadische  Entwicklung  durch:  aus  der 
Einheit  oder  Ursache,  in  der  das  Erzeugte  vermöge  seiner  Ähnlichkeit  verharrt 
ijufvr)  tritt  es  heraus  infolge  seiner  Unähnlichkeit  (n^ooSog),  um  dann  w^ieder 
zu  ihr  zurückzukehren  {inungoftD  (Procli  aroixeitooie  d'soXoyixrj ,  c.  31  ff.). 
Später  übertragt  Hegel  die  dialektische  Entwicklung,  die  nach  ihm  das  logische 
Denken  beherrscht,  auf  das  Sein.  Die  Dialektik  ist  „(/tie  tvüsenschaftliehe  J.n- 
Wendung  der  in  der  Natur  de^  Denkens  liegenden  Geaetxrnäßigkeit**  (Encykl.  §  10) 
und  zugleich  diese  Gesetzmäßigkeit  selbst.  Diese  besteht  in  der  immanenten 
Bewegimg  des  y.Begriffs^  (s.  d.),  der  infolge  des  in  ihm  steckenden  „Wider- 
spruchs** (8.  d.)  sich  selbst  aufhebt,  um  wieder  zu  sich,  auf  einer  höheren  Ötufe, 
zurückzukehren.  Der  Begriff  schlägt  in  sein  Gegenteil  um,  geht  mit  diesem  in 
einem  höheren  Begriff  zusammen,  wodurch  der  Widerspruch  „aufgehoben'*  wird. 
,,Das  dialektische  Moment  ist  das  eigene  Sich-außeben  solcher  Cfidlichen  Be- 
Stimmungen  und  ihr  Übergehen  in  ihre  entgegengesetzte^*  (Encykl.  §  81).  So 
entwickeln  sich  die  Begriffe  auseinander  „m  unaufhaltsamem j  reinem,  von  außen 
nichts  hereinnehmendem  Oange^*  (Log.  I,  41).  Der  Geist  ist  hierbei  nicht  pro- 
ductiv,  sondern  sieht  der  Selbstentwicklung  des  Begriffs  zu  (Bechtsphil.  S.  65). 
Die  Dialektik  ist  ,ydie  eigene,  wahrhafte  Natur  der  Verstandesbestimmungenj  der 
Dinge  und  des  Endlichen  überhaupt^*  (Encykl.  §  81).  Die  geistige  Entwicklung  geht 
vom  An-sich-sein  durchs  Für-sich-sein  zum  An-  imd  Für-sich-sein.  Hillebrai^d  : 
^lles  Geistige  hat  Fonn  und  Inhalt  .  .  .  nur  in  der  Dialektik  seines  eigenen 
Tuns"'  (Phil.  d.  Geist.  II,  95).  Schasler  erklärt  den  dialektischen  Proceß  als 
.JFcrtgang  tom  abstract  Allgemeinen  durch  die  Differenz  und  Besonderung  xum 
Indiriduellen  j  worin  der  in  der  Besonderung  enthaltene  Oegensatx  xu  einer 
höheren  Einheit  aufgehoben,  d.  h.  die  abstraete  Einheit  des  Allgemeinen  xur  con- 
treten  erhoben  wird^*  (Kr.  Gesch.  d.  Ästh.  S.  8).  J.  E.  Erdmann  übertragt  die 
Dialektik  auf  die  Psychologie  (Psychol.  Briefe*,  209,  250,  256).  Bahnsen  nünmt 
nur  eine  ,f Realdialektik**,  eine  (antilogische)  dialektische  Entwicklung  des  Seins 
an  (s.  Widerspruch).  R.  Hamerling  betrachtet  die  Seins-Dialektik  als  logisch, 
zweckmäßig,  er  kennt  auch  eine  Dialektik  des  Denkens  und  der  Anschauung 
(Atom.  d.  Will.  I,  73  ff.).  Im  Sinne  Hegels  lehrt  Carneri  (Sittl.  u.  Darwm. 
8.  12j.    Vgl.  E.  DÜHRING,  Natürl.  Dialektik  18^5. 

DlaleMilker  {diaXetcrtxoi,  dialectici):  Beiname  der  Megariker  (Diog.  L. 
II,  10,  106),  auch  der  Scholastiker. 

Diallele  (^<'  aiX^XatVj  durcheinander)  heißt  die  Zirkeldefinition,  bei  der 
das  zu  Definierende  zur  Definition  verwendet  wird,  auch  der  „cireidus  ritiosus**, 
der  Zirkelbeweis  (s.  d.),  der  Beweis  durch  das,  was  schon  des  Beweises  bedürftig 
ist,  und  zwar  durch  das  zu  Beweisende  selbst.  Die  Stoiker  verstehen  unter 
iiaXXry^s  loyoi  Fragen  wie  die:  „TFo  tcohnt  Theon?  Da,  tro  Dian.  Wo  wohnt 
Dion'f  Da,  wo  Theon**  (vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I,  492).  Die  Skeptiker  be- 
haupten, jeder  Beweis  (s.  d.)  sei  eine  Diallele  (vgl.  Tropen). 

Dlano^Uk:  Urteilslehre  (K.  Rosenkranz,  Syst.  d.  Wiss.  S.  101  ff.)- 

Diano^titiclfte  Tug^enden  s.  Tugend. 

Dianotoloc^e:  Lehre  von  der  Sidvoia,  von  der  Denkkraft  (Schopen- 
hauer). Dianoiologische  Gesetze  sind  nach  Liebmann  die  logischen  Denk- 
gesetze  (Anal.  d.  Wirkl.«,  S.  251  f.). 


216  DiaseuxiB  —  IMffereaBieruxig. 


Olaoenxia  (9taiBvSie)  heißt  die  i-nod'eotQ  iv  Sicu^icu  (PmLOPONX's  ad 
Anal.  pr.  f.  LX  b;  Prai^tl,  G.  d.  Log.  I,  384). 

Olclftotoiiile:  logische  Zweigliederung,  Einteilung  nach  zwei  Gresichts- 
punkten.  Sie  wird  bevorzugt  von  Plato  (Polit  262  A;  Gorg.  500  C),  Leebkiz 
(Opp.  Erdm.  p.  304  b)  u.  a. 

Oiclftte  (solidity):  nach  Locke  u.  a.  eine  primäre  Qualität  (s.  d.)  der 
Körper. 

DlcUun  de  omni  et  nullo:  der  Satz  von  allem  und  keinem,  d.  h. 
die  logische  Regel,  daß  alles,  was  dem  Allgemeinen,  der  Gattung  als  Merkmal 
zukommt  oder  nicht  zukommt,  auch  vom  Besonderen,  der  Art,  dem  Lidividuum 
gilt  oder  nicht  gilt:  ,jQutdquid  de  omnilms  valet,  valet  etiam  de  quibusdam  et 
singtdis;  quidquid  de  nullo  vodet,  nee  de  quibusdam  vel  singtUis  valet, '^  „iVoto 
notae  est  nota  rei  tpaius,  repugnans  "tiotae  repttgnat  rei  ipsi*^  (jyDaa  MerkmcU  des 
Merhruüs  ist  auch  Merkmal  des  Dinges,  das  dem  Merkmale  Widerspreclunde  ist 
auch  mit  dem  Difige  nicht  vereinbar^^).  Aiustoteles  bestimmt:  orav  ire^v 
xad^  irtQOv  xarijyo^eirai  tas  xad^  vnoxBifievov,  oaa  xaxa  roxi  xarrjyo^ovfuvov 
Xiyerai^  Tiavra  xai  xard  zov  v7tox£tuivov  ^dijaerai  (K&teg,  3,  1  b  10).  Die 
Gleichsetzimg  des  Allgemeinen  mit  der  G|Lttung  findet  sich  bei  den  Scho- 
lastikern. Dann  bei  Chr.  Wolf:  „Quicqnid  de  genere  tel  specie  omni  affir- 
mari  potest,  illud  etiam  affi/nnaiur  de  quovis  sub  illo  genere  vel  illa  specie  eon- 
tento;  quicquid  de  genere  vel  specie  omni  negcUur,  illud  etiam  de  quovis  sub  illo 
genere  vel  illa  specie  contento  negari  debet^*  (Phil.  rat.  §  346  f.).  Lambert  fügt 
das  „dictum  de  diverso,  de  exeniplo,  de  reeiproeo"  hinzu  (Organ.  I,  Von*.). 
Kant:  „Ein  Merkmal  vom  Merkmal  ist  ein  Merkmal  der  Sache  selbst"  (WW. 
II,  57).  „  Was  einem  Begriff  allgemein  xukotnmt  oder  iciderspricht,  das  kommt 
auch  XU  oder  iciderspricht  allem  Besondem,  was  unter  jenem  Begriff  enthalten 
ist"  (Krit.  d.  r.  Vern.  S.  253).  Fries:  „Was  unter  dem  Subject  einer  bejahefiden 
Regel  steht,  das  steht  auch  unier  ihrem  Prädicat;  was  utiter  dem  Subject  einer 
vemeinetulen  Regel  steht,  das  ist  von  ihrem  Prädicat  ausgeschlossen"  (Syst.  d. 
Log.  S.  175).  J.  Bt.  Mill  anerkennt  das  dictum  nicht  als  Basis  des  Schließens, 
es  wird  vom  Bt'sonderen  aufs  Besondere  geschlossen  (Log.  II,  c.  3).  Lotze: 
„Jedetn  Subject  kommt  das  Prädicat  seiner  Gattung  xu"  (Gr.  d.  Log.  §  85). 

Oleslielt  =  haecceitas  (s.  d.)  bei  Chr.  Wolf  (Vern.  Ged.  I,  §  180). 

I>lirerentialpsyclftolo((le:  Psychologie  der  Verschiedenheiten,  der 
Individuen,  Charakterologie  (s.  d.).    Vgl.  Individualpsychologie. 

OllTereiME:  Verschietlenheit,  Unterschied  (s.  d.).  Differentia  spoci- 
f  ica:  das  artbildende  Merkmal  (s.  Definition)  (bei  BoßTHlüß  u.  a.,  bei  Ari- 
stoteles: diafOQa  eiSoTtotoi,  Top.  VI  6,  143b  8).  Differentia  numerica 
ist  „der  Inbegriff  der  Merkmale,  wodurch  sich  die  Individuen  einer  Art  von- 
einander unterscheiden"  (Hagemann,  Log.  u.  Noet.  S.  28).  Diese  Merkmale 
sind  nach  der  scholastischen  Logik:  „Forma,  figura,  locus,  tempus,  stirps,  pa- 
tria,  nomen". 

DifferenBl^riing^ s  Ausbildimg  von  Differenzen,  Unterschieden,  Be- 
sonderung  eines  Homogenen  in  verschiedenartige  Teile,  Organe,  FunctioneD, 
verbunden  mit  Arbeitsteilung  bei  den  Organismen  und  in  der  Gesellschaft.  Es 
gibt  eine  biologische,  psychologische  und  sociale  Differenzierung  (alle  besonders. 
von  H.  Spencer  berücksichtigt).    Vgl.  Evolution,  Bociologie. 


Dilemma  —  Ding.  217 


Dilemma  {Bis-l^fifia^  zweiteilige  Annahme)  ist  eine  Art  des  Disjunctions- 
BchluBBes  (s.  d.)  oder  ein  Schluß  mit  zweigliedrigem  disjunetiven  und  zugleich 
hypothetischen  Obersatz:  1)  Wenn  A  ist  oder  wäre,  so  ist  oder  müßte  B  ein  C 
sein.  Weder  B  noch  C  sind  oder  können  sein.  Also  ist  A  nicht.  2)  Wenn  S 
nicht  gut,  so  muß  es  weder  A  noch  B  sein.  S  ist  A.  Also  gilt  S-  Bei  mehr 
als  zwei  Unterscheidungsgliedem  ergeben  sich  Trilemmen,  Tetralemmen, 
Polylemmen.  Das  Dilemma  konmit  oft  als  Trugschluß  vor,  z.  B.  der  „(^e- 
Äömfe**  (Comutus,  s.  d.),  der  jyKrokodiisehluß*^  (s.  d.),  der  „Antistrephon**  (s.  d.). 
Vgl  Gellius  X,  5;  Logik  von  Port-Koyal  III,  16;  Prantl,  G.  d.  Log- 
l  510. 

IMmatis  ist  der  vierte  Modus  der  vierten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
besonders  bejahend  (i),  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  besonders 
bejahend  (i). 

Dimension:  Ausmessung  im  Räume  (dreifache,  n-fache  Dimension),  in 
der  Zeit  (einfache  Dimension).  Nach  Zöllner  u.  a.  gibt  es  noch  eine  „vierte 
IMmenswn**  des  Raumes,  was  auch  der  Spiritismus  behauptet.  Schon 
H.  Mobs  spricht  von  einer  vierten  Dimension  als  der  ,yWesensdkhtigkeit^ 
(.j9pis$iiwio  essefitialis*^)  der  inmiateriellen  Substanzen.  y,Ita  vbicumque  rel 
piures  vel  plus  essentiae  in  aliquo  ubi  cofäinetur,  quam  quod  ampiittidinem 
kuiits  adaequat,  ibi  eognoscatur  quarta  haec  dimensio,  quam  appello  spissitvdinetn 
f»9entialem"  (Enchir.  met.  I,  28,  §  7).    Vgl.  Raum. 

Din^  ix^fi^t  Tf^yfMij  res,  ens):  1)  Allgemein  jede  Sache,  jedes  Etwas,  das 
sich  doiken,  von  dem  sich  sprechen  laßt.  Gegensatz:  das  Nichts,  das  „üh" 
iing^.  2)  Das  Einzelding  als  Ganzes  von  Eigenschaften,  das  „Äußending^j  das 
reale  Object,  das  wirkliche  Wesen  als  Träger  von  Merkmalen.  Der  Ding-Begriff 
ist  eine  logische  Kategorie  (s.  d.),  er  entsteht  dadurch,  daß  das  Ich  einen  con> 
Staaten  Complex  von  Qualitäten,  der  mit  Widerstandsempfindungen  verbunden 
Ulftritt,  als  ein  einheitliches,  identisches,  dauerndes,  wirkungsfähiges  Wesen 
auffaßt,  es  nach  Analogie  seiner  (des  Ich)  selber  deutet.  Das  „Ding"  ist  ur> 
{»prünglich  eine  Art  Gregen-Ich,  ein  Ich-Analogon,  d.  h.  ein  ebenso  Selbständiges,. 
Kraftvolles,  Permanierendes  wie  das  Ich.  Es  ist  von  Anfang  ein  Vorstelluiigs- 
znaammenhang,  der  mehr  als  die  unmittelbare  Simieswahmehmung  enthält,  und 
der  noch  um  einen  „transcendenfen  Factor"  (s.  d.),  um  eine  durch  „Mrojection" 
{K  d.)  hineingelegte  Art  Ichheit  bereichert  wird.  Die  „Dinge"  des  naiven 
Menschen  sind  also  mehr  als  bloße  objective  Bewußtseinsinhalte,  sie  setzen  sich 
aus  etwas  (vom  philosophischen  Standpunkte)  Bewußtseinsimmanentem  und 
etwas  als  transcendent,  an  sich  seiend  Gemeintem  zusammen.  Der  Ding-Begriff 
eitsteht  formal  aus  der  synthetischen  Tätigkeit  des  Denkens,  welche  den  Er- 
tahrungBinhalt  formt,  material  durch  die  Ergänzimg  der  äußeren  durch  die 
iimere  Erfahrung.  Einzeldinge  erstehen  dem  erkennenden  Bewußtsein  erst 
durch  die  (apperceptive)  Zerlegung  des  Vorstellungsganzen. 

Dem  Realismus  (s.  d.)  gelten  die  Dinge  als  Wesenheiten  außer  und 
noahhängig  von  den  Bewußtsein  des  Subjects,  dem  Idealismus  (s.  d.)  hin- 
gegen als  Vorstellungen  oder  als  Complexe,  Zusammenhänge  von  Vorstellungen 
und  Vorstellungsmöglichkeiten. 

Im  weiteren  Sinne  wird  der  Begriff  „Ding"  gebraucht  in  der  antiken 
Philosophie.  Dami  bei  den  Scholastikern,  weiche  unter  Dingen  („entla,  res"l 
sowohl  Außendinge  („entia  redlia")  als  auch  Denkinhalte  überhaupt  (Gedanken- 


218  Ding. 

dinge,  „entia  rationis'^  verstehen.  Schon  DiONYSiUS  Areopaoita  unterscheidet 
yjentta  rationalia,  tnteUeettialia,  sensibüia,  simplieiter  existentia"  (bei  Albertus 
Magnus,  Sum.  th.  I,  15,  2).  Nach  Thomas  ist  „res"  sowohl  das,  „quod  est  in 
anima^*  als  auch  y,qiwd  est  extra  animafn"  (1  sent.  25,  1,  4  c).  j,Efns"  =  „quod 
significat  s^tbstantiam  rei^*^  (De  ente  et  ess.  1).  ,y£}ns  ratiatiis^*  ist  nach  DllKS 
ScOTüS  „stihieetutn  logicae^^,  „ens  in  quantum  mobile  est^*  =  y^subiedtim  natu- 
ralis sei^ntiae",  „c»m  stih  ratione*'  =  ,j»i4lnectum  meiaphysicae"  (vgl.  Pbaktl, 
G.  d.  Log.  III,  203).  Wilhelm  von  Occam  betont:  „tum  ideo  aliquid  diritwr 
ens  rationis,  quia  non  est  vera  res  existens  in  rerum  n<Uura,  sed  ideo  dicitur 
ens  rationis,  quia  non  est  nisi  in  raiione^  qua  niens  täiiur  pro  alio  vel  inteUi- 
gitnr  aliud"  (Sum.  th.  I,  40).  ,jEns  reale  accipitur  pro  omni  vera  re  existente 
in  rerum  7iatura"  (Sent.  prol.  qu.  1).  Nach  Spinoza  ist  „ens"  „id  omncy  quod, 
eti?n  dare  et  distificte  percipitur,  necessario  existere,  vel  ad  minimum  passe  exi- 
stere,  reperimus"  (Ck)git.  met.  I,  1).  „Eins  fiefum"  ist  „quod  ex  sua  natura  exi- 
stere  nequit"  (ib.).  Nach  Leibniz  ist  ein  Ding  alles,  dessen  Begriff  etwas 
Positives  enthalt  oder  das  als  möglich  Yorstellbare  (Opp.  Erdm.  p.  442). 
Chr.  Wolf  bestimmt  „e^r/s"  als  jyquod  existere  potest,  consequenter  cui  existentia 
mm  repuyfiat"  (Ontol.  §  134),  „non^efis"  als  ,y(]Uod  existere  tiequit*'  (1.  c.  §  137), 
„ens  imaginarium^^  als  „qitod  riotiofie  itnaginaria  exhihetur^^  (L  c.  §  141). 
„Quod  possibile  est,  etts  est"  (1.  c.  §  135).  „Quicqnid  est  rel  esse  passe  ron- 
eipiiur,  dicitur  res,  quatenus  est  aliquid^^  (1.  c.  §  243).  Ding  ist  „alles,  was  sein 
kann^  es  mag  wirklich  sein  oder  nicht"  (Vem.  Ged.  I,  §  16). 

Das  Ding  als  Substanz  (s.  d.),  als  Wesenheit  außer  dem  Bewußtsein,  als 
Ursache  der  Vorstellung,  als  von  seinen  Merkmalen  ontologisch  Verschiedenes: 
in  der  antiken  Philosophie  und  in  der  Scholastik,  bei  Descartes  (s.  Sub- 
stanz), Locke,  der  schottischen  Schule  u.  a.  Crusiits  versteht  unter  Ding 
„dasjenige^  was  wirklich  soj  wie  es  gedacht  wirdj  auch  außerhalb  der  Gedanken 
vorhanden  ist"  (Vemunftwahrh.  §  11).  —  Nach  Herbart  ist  das  Ding  ,/i#m 
ComplexioH  von  Merkmalen,  noch  ohne  Frage  mich  ihrer  realen  Einheit,  die 
dabei  blindli?igs  tforausgesetxt  wird"  (Lehrb.  z.  Psychol.  S.  86).  Die  VoiBtellung 
des  Dinges  entsteht  durch  „Zerreißung**  der  Umgebung  (Psychol.  a.  Wies.  II, 
§  118).  Das  Ding  ist  „die  Stibstanx,  welcher  die  Merkmale  inhärieren"  (Met.  11» 
§  215).  In  dem  Begriffe  des  Dings  mit  vielen  Eigenschaften  steckt  ein  Wider- 
spruch, weil  die  Mehrheit  der  Eigenschaften  die  Einheit  des  Dinges  aufhebt 
Der  Widerspruch  wird  gelöst  durch  die  Methode  der  „Bexiehungen"  (s.  d.) 
(Met.  II,  §  184  f.). 

Nach  Ardig6  ist  ein  Ding  (cosa)  das  in  einem  Baume  Ooexistierende 
(Op.  filos.  I,  72).  Nach  SiQWART  li^  der  Ding- Vorstellung  zuerst  ,^i>  ein- 
heitliche Zusammenfassung  einer  im  Räume  abgegrenzten  und  danemdepi  Gestalt 
zugrunde,  also  eine  räumliche  und  xeiÜicJie  Sytithese^^  (Log-  II*»  113).  Das 
Ding  ist  „eifi  Vorgestelltes,  das  als  eine  räumlich  abgegrenzte,  t»  der  2Seit 
dauernde  Gestalt  sich  uns  darstellt*^  (1.  c.  S.  117).  Uphues  bestimmt  das  Ding 
als  „das  in  demselben  Räume  Coeoc^'stierende"  (Psychol.  d.  Erk.  S.  58).  „Unter 
Ding  verstehen  icir  .  .  .  ein  Undurcltdringliches,  das  wir  auf  Orund  der  Tost- 
und  Gelenkempfifidungen  kennen  lernen"  (1.  c.  I,  57).  Nach  B.  ERDMAlfK  ist 
da«  Vorgestellte  ein  Ding  mit  Eigenschaften,  „sofern  es  sieh  als  beharrendes 
selbständig  WirklicJies ,  d.  t.  cds  selbständig  Wirkendes  und  Leidendes  xu  er-- 
Ji'ennen  gibt.  In  diesem  Sinne  si}ui  die  Körper,  ist  aber  auch  das  Subfeet  des 
Bewußtseins  ein  Ding  mit  Eigenschaften"  (Log.  I,  56). 


\ 


Ding.  219 

Der  Pantheismtis  (s.  d.)  sieht  in  den  Einzeldingen  nur  relative  Existenzen, 
Formen  oder  Modificationen  des  einen  Wesens,  der  Natur,  Substanz,  Gottheit. 
So  besonders  nach  Spinoza.  „Bes  sifigulares*^  sind  Dinge,  y^gtiae  fmüae  sunt 
et  dekrminaiam  habent  existentiam^^  (Eth.  II,  def.  VII).  „Res  partietdares 
nihil  sunt  ntsi  Dei  attribuiorum  affecttoneSj  sive  modiy  quibus  Dei  attrihuta  eerto 
d  determinato  modo  exprirmmtufr*'^  (Eth.  I,  prop.  XXXV,  Coroll.).  Nach 
MAiiEBRAXCHK  sind  die  Dinge  nur  „des  partidpatvms  imparfaites  de  Vetre 
diritr  (Rech.  II,  6).  Nach  SCHELLINO  ist  das  Ding  ein  „Monient^^  des  „ewigen 
Aetes  der  Verwandlung^  des  Absoluten  (Naturphilos.  S.  76),  „wwr  ein  beMimmter 
Grad  ron  Tätigkeit^  tnit  tcelehem  der  Raum  erfällt  irird^^  (Syst.  d.  tr.  Ideal. 
S.  61).  Hjbqsl  versteht  unter  Ding  „das  existierende  Etwas"  (Log-  ^^f  124), 
r/ti(  Totalität  als  die  in  eifiem  gesetxte  BhUuncklung  der  Besthnmungen  des 
(jrtmdes  und  der  Existenx"  (Encykl.  §  125).  Nach  K.  Rosenkranz  ist  „Ding" 
das  Wesen  j/üs  in  seiner  Existenx  sieh  als  Totalität  aller  seiner  Bestimmungen 
auf  sieh  selbst  bexiehend"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  60  f.).  Für  Schopenhauer  sind 
die  Dinge  nur  flüchtige  Erscheinungen  des  einen  Willens  (s.  d.).  E.  Dühring 
rereteht  unter  Ding  „eitie  bestimmte  Abgrenzung  der  Materie,  in  tcelcher  irgend 
ein  Verkalten  mehr  oder  minder  dauernd  angelegt  ist"  (Log.  S.  201).  Die  Dinge 
and  „uim  Teil  vorübergehende  Ausprägungen  bestimmter  Formen  und  Örup' 
pienmgsverhältnisse  und  nur  i^isoweit,  als  sie  allgemeinen  WeUstoff  enthalteny 
aueh  absolute  Dauerbarkeifen"  (1.  c  B.  202). 

Der  empiristische  Idealismus  besonders  bestimmt  das  Einzelding  als  (asso- 
ciativen)  Complex  von  Sinnesqualitaten  und  Erinnerungsinhalten.  So  Berkeley 
tPrinc.  XCIX),  Hume  (Treat  I,  III,  sct.  14,  Inquir.  IV,  1),  J.  St.  Mill 
lExam.  eh.  11,  p.  190  ff.).  R.  Avenarius  versteht  unter  „Ding*^  das  „Bleibende" 
m  einem  Eigensehaftscomplexe  (Krit.  d.  r.  Erf.  II,  74).  E.  Mach  bestimmt 
das  Ding  als  eine  constante  Gruppe  von  Empfindungen  oder  „Elemefnten" 
(Analys.  d.  Empfind.^,  S.  5  ff.).  Das  Ding  ist  nichts  außer  dem  Zusammen- 
hang dieser  Elemente  (s.  d.).  Die  vermeintlichen  Einheiten  „Korper^%  „Ich" 
sind  nur  „Xotbelielfe  zur  vorläufigen  Orientierung  und  für  bestimmte  prak- 
tische Zweeke^*^  (L  c.  S.  10  f.).  Ostwald  versteht  imter  „Ding"  „ein  Erlebnis, 
das  wir  topt  anderen  als  getrennt  oder  unterscheidbar  empfifuien"  (Vorles.  üb. 
Xaturphil.*,  8.  77  f.).  —  Schuppe  erblickt  den  Dingcharakter  in  der  Einheit 
und  Notwendigkeit,  welche  die  in  der  Wahrnehmung  vereinten  Sinnesdata 
Jtier  ufid  jetxt*^  verbindet  (Log.  S.  117,  120).  Die  Dinge  sind  etwas  dem  Be- 
wußtsein Immanentes  (s.  d.).  Es  gibt  Baum-  imd  Zeitdinge  (1.  c.  S.  123  ff.). 
Was  als  ein  Ganzes  oder  als  eine  Einheit  gedacht  wird,  ist  in  gewissem  Sinne 
«n  Ding  (1.  c.  S.  130).  Das  Ding  ist  nicht  die  Summe  seiner  Eigenschaften, 
«ndem  die  „Einheit  von  Unterscheidbarem,  durch  trelche  auch  die  unter- 
tcheidbareH  Einzelnen  erst  deti  Charakter  der  Eigenschaft  oder  des  Teiles  be- 
kommen^"^  (1.  c.  S.  130).  Vom  Körperlichen  ist  das  „Ichding"  (1.  c.  S.  140)  zu 
nnterscheiden.  Nach  Schtjbert-Soldern  ist  das  Ding  „eine  Gruppe  räumlich 
ieitlirh-qtailitativ  bestimmter  Causalbeziehungen"  (Vierteljahrsschr.  f.  w.  Philos. 
r.  Bd.,  S.  430),  „ein  zeitlieh  und  räumlich  bestimfntes,  in  einer  bestimmten  Art 
Sesetzließier  Veränderung  begriffenes  Zusammen  von  einfachen  Daten"  des  Be- 
wußtseins (Gr.  e.  Erk.  S.  68,  126  ff.,  138).  Nach  Rehmke  gründet  sich  die 
Einheit  des  „Ding-Concreten"  „auf  das  notwendige  Zusammen  im  Nacheinander 
rerschiedener  Augefiblickseinheiten"  (Allg.  Psychol.  S.  44).  „Ding^^  und  „ge- 
gißtes Din/gt*^  sind  dasselbe  Gregebene  (L  c.  S.  74).  Die  Dinge  sind  nicht  außer 
dem  Bewußtsein,  gehören  der  Seele  zu  (1.  c.  S.  81  f.). 


220  Ding. 

Fegknek  bestimmt:  ^^Jedes  Ding^  mit  dem  wir  umgehen,  ist  für  ufis  geistig 
charakterisiert  durch  eine  Residtante  von  Erinnerungen  an  alles^  was  wir  je  be- 
züglich dieses  Dinges  und  selbst  verwandter  Dinge  äußerlieh  und  innerlieh  er- 
fahren, gehört,  gelesen,  gedacht,  gelernt  haben.  Diese  ResuUante  von  Erinnerungen 
knüpft  sieh  ebenso  unmittelbar  an  den  Anblick  des  Dinges,  wie  die  Vorstellung 
desselben  an  das  Wort,  womit  es  bezeichnet  wird^'^  (Vorech.  d.  Asth.  I,  93). 
Nach  L.  Geioeb  ist  ein  Ding  die  Gesamteamme  von  Empfimdungsmöglichkeiten, 
eine  durch  das  Wort  hergestellte  „ideale  E^inheit^  (Urspr.  u.  Entw.  d.  m.  Bpr. 
I,  46,  51).  Th.  Lipps  versteht  unter  Dingen  „Cotnplexe  von  Vbrstellungs- 
inhtUten,  aber  nicht  von  solchen,  die  wir  beliebig  vereinigen,  sondern  ton  solchen, 
die  wir  —  wenigstens  unter  Voraussetxung  anderer,  stillschweigend  hinxu- 
gedachter  Bedingungen  —  xusammendenken  müssen*^  (Gr.  d.  äeelenleb.  S.  43.5). 
„Was  aber  ,Dinge^  und  yEigenschaften^  schließlich  macht,  ist  das  mit  den 
Elementen  des  Dinges  nicht  gegebene,  sondern  vom  Denken  auf  Orutid  der  Er- 
fahrung hinzugefügte  Band  der  Zusammengehörigheit  oder  der  wechselseitigen 
logischen  (,causalen*)  Relation  xwischen  den  Elementen,  Dies  Band  der 
Notwendigkeit .  .  .  kann  als  das  letzte  ,Substrat^  in  dem  Ding  bezeichnet  tcerden"- 
(Gr.  d.  Log.  S.  89).  Hussebl  versteht  unter  Dingen  ,^ie  durch  eine  Causal- 
gesetxlichkeit  einheitlich  umspannten  Cotiereta^*^  (Log*  Unt  II,  249).  H.  CoB- 
NSLIU8  erklärt,  das  Ding  sei  seinem  Begriffe  nach  „identisch  mit  einem  gesetz- 
mäßigen Zusammenhange  unserer  Wahrnehmungen^^  im  Begriffe  des  G^egenstandes 
wird  die  Gesamtheit  der  Wahrnehmungen  verknüpft  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  262, 
257  ff.;  Psychol.  S.  236  ff.,  246  ff.).  Nach  E.  v.  Hartmaiin  ist  das  Ding 
„eine  Gruppe  von  äußeren  Wahrnehmungen^  die  einen  .  .  .  relativ  beständigen 
Kern  hat*  (Kat€gor.  S.  496).  Das  Ding  gilt  als  das,  dem  die  Eigenschaften 
inharieren;  es  wirkt  also  schon  hier  die  Kategorie  der  Substantiahtat  mit  (ib.). 

Der  Kriticismus  leitet  den  Dingbegriff  aus  der  synthetischen  Fimction  des 
Bewußtseins  ab,  aus  der  nach  (apriorischen)  Kategorien  (s.  d.)  formenden  Tätigkeit 
des  Ich,  welches  das  Vorstellungsmaterial  in  seine  eigene  Einheit  hinein- 
verarbeitet,  zu  objectiven,  gesetzmäßigen  Zusammenhangen  verknüpft.  Die 
Einheit  des  Dinges  ist  nach  Kant  ein  Reflex  der  Identität  des  erkennenden 
Bewufiteeins  (Kr.  d.  r.  Yern.  B.  122).  Die  Dinge  im  Baume  sind  kategorial 
verknüpfte  Vorstellungsinhalte,  nicht  die  Dinge  an  sich  (s.  d.),  sondern  Er- 
scheinungen (s.  d.)  (1.  c.  S.  57,  316).  Das  Dasein  der  Dinge  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln (s.  Object).  Im  Sinne  Kante  bestimmen  das  Ding  A.  Lange  (einheit- 
liche, zusammenhängende  Gruppe  von  Erscheinupgen),  H.  Cohen,  Natorp 
u.  a.  Nach  O.  Scüneider  bezeichnet  der  Dingbegriff  „diejenige  dem  Geiste 
ureigene  Denkverrichtiing,  durch  welche  aus  dem  steten  Flusse  der  wechselnden 
mannigfaltigen  Bewußtseinsxustände  ein  bestimmter  Denkinhalt  als  Inbegriff  einer 
Anxahl  solcher  xusammengehöriger  Beivußiseinsinhalte  geformt  ufui  dergestalt 
herausgehüben  wird,  daß  nun  erst  das  Subject,  das  Betcußtsein  seinen  Denk-- 
gegetistand  hat'  (Transcendentalpsychol.  S.  186  f.). 

Nach  RiEHL  legt  das  Ich  seine  eigene  Identität  (s.  d.)  in  die  Dinge.  Diese 
sind  „constante  Gruppen  von  Eigenschaften,  zur  Einheit  des  Bewußtseins  ge- 
bracht^' (Phü.  Krit.  II  1,  2H4  ff.,  295).  Wundt  betont,  der  Substanzbegriff 
stecke  noch  nicht  im  Dingbegriffe.  Die  Erfahrungsdinge  sind  nichts  absolut 
Beharrendes,  sondern  „was  im  fortwättrenden  Wecttsel  der  Erscheinungepi  zu- 
sammenhäfigt^',  constante  Complexe  von  Eigenschaften  und  Zuständen.  Der 
Dingbegriff  ist  nicht  Product  der  bloßen   Association,   sondern  einer  „apper- 


Ding  —  Ding  an  sioh.  221 


«^iken  Sifnthese"  und  hat  seine  letzte  Quelle  in  der  Einheit  des  Bewußtseins. 
Wie  sich  die  Apperception  (s.  d.)  als  constante  Tätigkeit  abhebt  vom  wechseln- 
den Inhalt  des  Appercipierten,  so  sondert  sich  an  unseren  Vorstellungen  von 
den  wechselnden  Vorgängen  der  bleibende  Gregenstand.  Das  Ich  überträgt  „die 
9U8  der  eigenen  appereepHven  JUtigkeit  hervorgegangene  Idee  eines  iSubstrats  der 
Vorstellungen  auf  die  Gegenstände  des  VorsteUens^^ .  „Die  Selbständigkeit  unseres 
kk  und  der  stetige  Zttsammenhang  unserer  Vorstellungen  werfen  ihren  Reflex 
stffdie  Dinge  außer  uns"'  (Syst.  d.  Phüos.*,  S.  163,  255  ff.;  Log.  I«,  S.  462  ff., 
170  iL:  Phü.  Stud.  II,  171  f.,  XII,  XIII).  Das  geistige  Geschehen  ist  nicht 
selbst  ein  Ding  (Syst.  d.  Phil.*,  S.  277  ff.;  Log.  I«,  537  ff.).  Anlaß  zur  Bildung 
de?  Dingbegriffes  ist  überall  da  g^eben,  „wo  einerseits  ein  Complex  von  Fr- 
idieimtngen  s^ieh  selbständig  abhebt  von  andern,  mit  denen  er  in  Bexiehung  steht,  und 
vo  anderseits  die  Veränderwigen,  wele/te  jener  Complex  deirbietet,  stetig  aus- 
nmnder  hervorgehen^^.  Die  Sonderung  des  Gegebenen  in  eine  Mannigfaltigkeit 
ron  Einzeldingen  wird  besonders  durch  die  Anschauung  der  Bewegung  ver- 
mittelt, indem  das  in  der  Bewegung  selbständig  und  unabhängig  Bleibende  als 
«in  Ding  aufgefaßt  wird.  Nach  Jgdl  ist  die  Dingvorstellung  das  Product 
ein«  Synthese  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  548). 

Durch  eine  Introjection  (s.  d.)  der  Ichheit,  des  eigenen  Seelenseins  in  die 
Inhalte  der  Wahrnehmung  kommt  der  Dingbegriff  zustande  nach  Sghleier- 
JUCHEB,  Bekeke  (Syst  d.  Met  S.  170  ff.;  Lehrb.  d.  Psychol.  §  149),  Ritter 
(Syst.  d.  Jjyg,  I,  294),  Übebweo  (Syst  d.  Log.,  S.  77  f.),  HoEWicz,  nach 
welchen  das  Ding  ein  „Quasi-leh"  ist  (Psychol.  Anal.  II,  1,  145  ff.),  J.  Wolfp 
0.  a.,  Jerusalem  (Lehrb.  d.  Psychol.*,  §  55).  So  auch  Nietzsche.  Nach  ihm 
ist  das  jjDing"  eine  Fiction,  ein  Grundirrtum,  ein  Phantasieproduct,  da  imsere 
Organe,  die  nicht  fein  genug  sind,  überall  die  Bewegung  wahrzunehmen,  uns 
etwas  Beharrendes  vorspiegeki  (WW.  III,  1,  18,  S.38f.,  XI,  2,  31,  XII,  1,  15). 
Die  ,JHngkeit^^  ist  eine  subjective  Kategorie,  eine  Folge  des  Subjectsbegriffs, 
«ne  Projection  der  (geglaubten)  Ich-Substanz  in  die  Wahrnehmung  (WW.  XI, 
%  239,  XV,  275).  In  Wahrheit  sind  die  Dinge  nur  Oomplexe  des  Geschehens, 
<üe  relativ  dauerhaft  sind  (WW.  XV,  277).    Vgl  Object,  Identität 

DlBf^  an  stell  heißt  dasjenige,  was  den  Objecten  der  Außenwelt  als 
tnuiscendent^r  Factor  (s.  d.)  zugrunde  liegt,  das  Ding,  wie  es  unabhängig  vom 
^kennenden  Subject  in  seinem  Eigensein  besteht,  die  Wirklichkeit  außerhalb 
<i»  erkennenden  Bewußtseins  und  nicht  in  die  Formen  desselben  gekleidet. 
Es  manifestiert  sich  in  der  Erscheinung  (s.  d.).  Da  die  Dingheit  schon  (an 
<Jfl"  Hand  der  Erfahrung)  durch  das  Denken  gesetzt  ist,  so  spricht  man  besser 
^om  j^An^sich  der  Dinge*^  als  dem  äußeren  Grunde  der  Objectvorstellungen. 
Die  Unabhängigkeit  dieser  vom  Willen  des  Subjects,  ihre  Constanz,  Bestimmt- 
keit und  Gesetzmäßigkeit  nötigt  das  Denken,  ein  An-sich  der  empirischen 
Dinge  anzimehmen,  zu  fordern;  dadurch  wird  das  Transcendente  nicht  zu  einem 
fiewußtseinsimmanenten,  sofern  es  nur  mit  Bestimmungen  gesetzt  wird,  die 
wirklich  als  außer  dem  erkennenden  Ich  exLstierbar  gedacht  werden  können. 
Das  An-sich  der  Dinge  ist  ein  Correlat,  ein  Analogon  zur  Ichheit  Es  wird 
<tiin  auch  vom  Spiritualismus  (s.  d.)  als  etwas  Seelisches,  vom  Voluntarismus 
(s.  d.)  als  Wille,  vom  Intellectualismus  (s.  d.)  als  Vernunft  gedacht.  Für  den 
lUterialisnius  (s.  d.)  ist  die  Materie  Ding  an  sich.  Für  den  subjectiven  Idealis- 
ÄiL«  gibt  es  überhaupt  keine  Dinge  an  sich.  Der  (aprioristische)  Kriticismus 
<aiKl  Agnosticismus)  behauptet  die  Unerkennbarkeit  der  Dinge  an  sich. 


1 


222  IMng  an  sich. 


Der  Begriff  des  j^An-sick**  (s.  d.)  findet  sich  schon  in  der  antiken  Philo- 
sophie. Die  Kyrenaiker  unterscheiden  von  dem  objectiven  Bewnßteeinsinhalt« 
(to  Tfd&oe  fifüv  imi  fpaivofiavov)  das  Ding  an  sich,  das  unbekannt  ist  (ro  imo* 
vTtoxeiftevov  xai  rav  ndd'ovs  TtoiijTixov,  Sext.  £mpir.  adv.  Math.  VII,  191). 
Auch  Chrybipp  unterscheidet  Erscheinung  und  Ding  (L  c.  VIII,  1 1 ;  Pvrrhon. 
hypot.  II,  7). 

Nach  Descartes  sagen  uns  die  Sinnesqualitaten  in  der  B^;el  nichts  über 
die  Beschaffenheit  der  Dinge  an  sich.  „ScUis  erit,  st  adpertamtis,  sen^imm  per- 
ceptiones  non  referri  nisi  ad  istum  corporis  kumani  emn  menie  conivfictionem, 
et  nohis  quidem  ordinarie  exhibere,  quid  ad  Ulam  eactema  corpora  prodesse 
possini,  ai4i  nocere;  non  a/utern,  nisi  interdum  et  ex  aeeidenti,  nos  docere,  quaiia 
in  seipsis  existant^^  (Princ.  philos.  II,  3).  Malebrancöe  meint,  Gott  schaue 
die  Dinge  an  sich  („en  elles^ynemes^^).  Leibniz  sieht  in  den  Monaden  (s.  d.) 
Dinge  an  sich,  deren  Phänomene  die  Körper  sind. 

LocK£  halt  das  Wesen  des  Geistes  und  der  Materie,  die  „thifigs  them- 
selves^*,  für  unbekannt;  so  auch  Humb  (Treat.  Einl.  S.  5).  Maupertüis  er- 
klärt: „Notis  vivons  dans  un  monde  oii  rien  de  ce  que  nous  apercerons  ne 
ressemble  ä  ce  que  nous  apercevons.  Des  etre^  ineonnus  exeitent  dans  fiotre  dme 
tous  les  sentiments,  toutes  les  perceptions,  qu'elle  eprouve,  et,  ne  ressembiant  ä 
aucufie  des  ehoses  que  nous  apercevofts,  nous  les  representent  toutes"  (Lettres 
philos.  1752).  Nach  Condillag  steht  es  fest,  daß  wir  nicht  die  Dinge  an  sich 
wahrnehmen.  Sie  können  ganz  anders  sein,  als  sie  sich  ims  darstellen  (Trait 
d.  sens.  IV,  5,  §  1).  Bonnet  unterscheidet  die  Erscheinung  („ee  que  h  chose 
paratt  etre")  von  der  y^ekose  en  soi".  „Ätärefois  on  ckerchait  ce  que  les  chose» 
sofit  en  eÜes'tnemeSy  et  on  disait  orgveüleusement  des  savantes  sottises.  At^wrd'hd 
on  cherche  ce  que  les  ehoses  sont  par  rapport  ä  notis,  et  ont  dit  modestemeni  des 
grandes  rerifes/^  f,L'essenee  reelle  de  Vatne  nous  est  aussi  ifUionnue  que  cdU 
du  Corps,  Nous  fie  connaissons  Väme  que  par  ses  fac^dies,  crnnme  nous  ne 
conaissons  h  corps  que  par  ses  attributs"  (Ess.  de  Psychol.  C.  36).  Ähnlich 
Hemstebhuis.  Nach  Lambebt  ist  die  Sache,  „trie  sie  an  sich  isf*\  zu  unter- 
scheiden von  der  Sache  „wie  wir  sie  empfinden,  vorstelleti*^  (Organ.  Phaen.  I, 
§  20,  51). 

Eine  neue  Prägung  bekommt  der  Begriff  des  Ding  an  sich  bei  Kant.  Er 
versteht  darunter  das  unerkennbare  Sein  der  Dinge  außerhalb  des  erkennenden 
Bewußtseins,  den  „Grund"  unserer  Wahrnehmungen.  Es  sind  uns  Dinge  ge- 
geben, „allein  von  dem,  was  sie  an  sich  sein  mögen,  wissen  wir  nichts,  sotulem 
kennen  nur  ihre  Erscheinungen  (d.  i.  die  Vorstellungen,  die  sie  uns  mrkenß'" 
(Prolegom.  §  13,  Anm.  II).  Die  Dinge  an  sich  sind  uns  gänzlich  unbekannt, 
alles  Vorstellbare,  positiv  begrifflich  zu  Bestimmende  gehört  zur  Erscheinung 
(8.  d.),  die  aber  ein  „Correlat^^  an  sich  haben  muß  (Krit  d.  r.  Vern.  8.  hl\ 
„  Was  für  eifie  Bewandtnis  es  mit  den  Gegenständen  an  sich  und  abgesondert  ron 
aller  dieser  Receptivität  unserer  Sinnlichkeit  hohen  möge,  bleibt  uns  gänzlich  itn^ 
Mannt"  (1.  c.  S.  66).  Doch  kann,  ja  muß  die  Existenz  von  Dingen  an  sich 
zwar  nicht  erkannt,  aber  doch  wenigstens  gedacht  werden.  „Denn  sonst  trürde 
der  ungereimte  Satx  daraus  folgen,  daß  Erscheinung  ohne  etwas  wäre,  was  da 
erscheint"  (1.  c.  Vorr.  z.  2.  Ausg.,  S.  23).  Der  „Orund  des  Stoffes  sin  fit  icher 
Vorstellungen"  liegt  in  etwas  „Übersinnlichem";  „die  Gegenstände,  als  Dinge 
an  sich,  geben  den  Stoff  xu  empirischen  Anschauungen  (sie  enthalten  den  Gruftdf 
das    Vorstellungstermlkfcn,  seiner  Sinnlichkeit  gemäß,  xu  bestimmen),  aber   sie 


Ding  an  sicli.  223 


iind  nicht  der  Stoff  derselben'*  (Üb.  e.  Entdeck.  S.  35  f.).  Die  praktische 
Phik)6ophie  Kants  ist  geneigt,  den  reinen  Willen,  d.  h.  den  freien,  sich  selbst 
2ur  Sittlichkeit  bestimmenden  WiUen,  als  Ding  an  sich  anzusehen  (Kr.  d.  pr. 
Vera.  1.  T.,  1.  B.,  3.  Hptst.).  Als  „Nown^non"  (s.  d.)  ist  das  Ding  an  sich  ein 
„Grerahegriff''  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  235). 

Die  Annahme  von  Dingen  an  sich  zugleich  mit  der  Behauptung  der  Bub- 
jectivitat  der  Kategorien,  welche  ein  „Ding'*  erst  constituieren,  wird  von  einer 
Bdhe  von  Philosophen  beanstandet  oder  corrigiert.  So  von  Jacobi.  Nach  ihm 
können  Dinge  an  sich  nicht  auf  uns  einwirken,  da  die  Causalität  nur  für  Er- 
«heinungen  gilt  (WW.  II,  301  f.).  Ohne  die  Voraussetzung  von  Dingen  an 
äeh  kommt  man  nicht  in  das  Kantsche  System  hinein,  und  mit  ihr  kann  man 
nieht  darin  bleiben  (1.  c.  S.  304).  (ranz  ähnlich  argumentiert  G.  E.  Sohülzs 
(Aenesid.  S.  262).  Beck  will  den  Begriff  des  „IHftges  an  sich^'  eliminieren,  das 
^abject  wird  nicht  durch  dasselbe,  sondern  durch  die  E^rscheinungsobjecte 
tfficiert  (Erl.  Ausz.  III).  Auch  S.  Maimon  setzt  die  „Affection^^  ins  Bewußt- 
sein selbst  und  negiert  das  Ding  an  sich.  Mit  diesem  Idealismus  macht 
J.  G.  Fichte  vollkommen  Ernst.  Nach  ihm  ist  der  Gredanke  des  „Dingen  an 
fidi"  ein  Ungedanke;  das  Ding  ist  so,  wie  es  von  jedem  Intellecte  gedacht 
wotieD  muß.  Kein  Object  ohne  Subject  —  daher  kein  Ding  an  sich  (Gr.  d. 
?.  Wiss.  S.  131).  Das  Ding  ist  ein  Setzimgsproduct  des  Ich  (s.  d.),  praktisch 
«,  wie  wir  es  machen  sollen  (l.  c.  S.  275).  Doch  kann  Fichte  den  „Anstoß"  nicht 
inseitigen,  der  uns  nötigt,  Objecte  anschaulich-begrifflich  zu  setzen.  —  Schel- 
U5G  erklart  die  Dinge  an  sich  für  „Ideen  in  deni  eicigen  Erkenntnisacf^*  (Natur- 
phiL  S.  76).  Es  gibt  wohl  ein  Erstes,  für  sich  Unerkennbares,  aber  es  gibt  kein 
Ding  an  sich,  das  Ding  mit  den  subjectiven  Bestimmungen  ist  das  wahre 
Ding  (WAV.  1  10,  216).  Hegel  sieht  im  „Ding  an  sieh'*  ein  Abstractions- 
product  aus  der  Beflexion  auf  die  Dingheit.  Es  ist  ,ydas  Existieremie  als  das^ 
durch  die  aufgehobene  Vennüthmg  vorhandefie  wesentlich  Unmittelbare^''  (Log^ 
11,  125).  Das  An-sich  der  Dinge  ist  nicht  unerkennbar,  es  ist  „Idee"  (s.  d.). 
K.  RoBENKBAKZ:  „Dos  sogenannte  Ding  an  sieh  ist  .  .  .  ein  bloßes  Abstractum" y, 
weil  jedes  Ding  nur  in  seinen  Bestimmtheiten  Existenz  hat  (Syst.  d.  Wiss.. 
^.  61).  „Da^  taahrhafte  Ding  an  sieh  sind  die  Ufüersehiede^  icelclie  das  l^'esen 
w  ieine  Eacistenx  setzt"  (ib.).  Nach  Chalybäus  ist  der  Begriff  des  Ding  an 
wh  der,  daß  es  das  j^ndere"  jedes  subjectiven  Begriffs  ist  (Specul.  Philos.  seit 
Kant^  ß.  92). 

Die  Unerkennbarkeit  des  „Ding  an  sich"  betonen  in  abgestufter  Weise  die 
Kantianer  und  andere  Denk^.  So  V.  Cousin:  „Nous  savons  qu'il  exi^le  quelque 
flfctwe  hors  de  nous,  pareeque  nous  ne  pouvons  expliquer  nos  perceptiotis  sans  Ics 
raäaeher  ä  des  causes  disHnctes  de  notss^memes . .  .  Mais  savotts-fious  quelqiie  chose 
de  plus?  Nous  ne  so/vons  pas  ee  que  les  choses  sont  en  dles^meftnes"  (Cours  d'hist. 
de  la  jÄiiL  8»«  ley.).  Ähnlich  W.  Hamilton,  J.  St.  Mill  (Log.  I,  74),  auch 
H.  Spencer,  nach  welchem  das  Absolute,  Gott  (s.  d.)  „unknotcable"  ist.  A.  Lange 
seht  im  Ding  an  sich  einen  „Qrenxbegriff^\  der  notwendig  aber  völlig  proble- 
matisch, ohne  positiven  Inhalt  ist  (Gesch.  d.  Mat.  II',  49).  Wir  kennen  nur 
<lie  Eigenschaften;  das  Ding  selbst  ist  nur  ein  yyRukepunkt  für  unser  Denken".. 
0.  Liebmann  halt  das  Ding  an  sich,  wie  es  bei  Kant  auftritt,  für  ein  „Unding" 
(K.U.  d.  Epig.  S.  45  ff.),  für  ein  ,^Mxemes  Eisen"  (1.  c.  S.  27).  Nach  Cohen  ist  das 
Ding  an  sich  ein  bloßer  „Oremhegriff"  (Kants  Theor.  d.  Erf.  S.  252).  Helm- 
HOLTZ  Tialt  unsere  Erkenntnis  für  ein  „Zeichensystem"  unbekannter  Verhältnisse 


224  Ding  an  sich. 


der  Dinge  an  sich  (Tatsach.  i.  d.  Wahm.  S.  39).  Sabatieb  hält  das  „IHng 
an  sieh"  für  ein  „Unding'^  (Religionsphilos.  S.  295).  £.  Laab  halt  die  Frage 
nach  den  Dingen  an  sich,  wegen  der  Relativität  (s.  d.)  unseres  Erkennens.  für 
iindiscutierbar  (Id.  u.  pos.  Erk.  S.  458  f.).  Biehl  hält  nur  die  „ffrcw««»"  der 
Dinge  für  erkennbar,  d.  h.  die  in  unseren  Anschauungs-  und  Denkformen  zum 
Ausdruck  gelangenden  einfachen  Verhältnisse  derselben  (PhiL  Krit.  II  1,  24). 

Von  Idealisten  und  Positivisten  wird  das  „IHng  an  sieh^^  ganz  eliminiert. 
iSo  von  der  „Immanenxpkilosophie^*  (s.  d.).  Nach  HoDGSOK  gibt  es  kein  Ding 
an  sich,  „heeause  there  is  fw  eadstence  beyond  eonsciatisness^*  (PhiL  of  Beflect 
I,  219).  yjT/nng-in-itself  is  a  word,  a  pkrasej  toithout  meaning,  flatus  roeis,^^ 
„Everythtng  is  phenomenal^^  (1.  c.  p.  167,  vgL  p.  213).  ScHüPPE  hält  den  Be- 
griff des  „Diftg  an  sieh*  für  einen  „tmmögliehen^K  Etwas,  das  weder  formal 
(mittelst  der  Kategorien)  noch  inhaltlich  (nach  Analogie  der  Wahrnehmung) 
gedacht  werden  darf,  ist  ein  Nichtseiendes  (Log.  8.  14).  —  L.  Stein  betont: 
^^Die  Welt  erscheint  uns  .  .  .  nicht ,  wie  sie  ist,  sondern  sie  ist  so,  tvie  sie  uns 
erseheint;  das  Ding  an  sich  ist  nur  ein  Ding  für  mich  .  .  .  Eine  andere 
Wirklichkeit,  als  die  von  uns  gedachte,  gibt  es  schlechterdings  mchf^  (An  d. 
Wende  d.  Jahrh.  S.  266).  Nach  H.  CJoknelius  ist  das  „Ding  an  si^''  im 
Sinne  der  unerkennbaren  Ursache  der  Erscheinungen  ein  „Unvorstellbares  und 
seinem  Begriffe  nach-  innerlich  Widerspruchsvolles*'  (EinL  in  d.  Phiios.  S.  323). 
Die  Frage  nach  der  Beschaffenheit  der  Dinge  an  sich,  des  „beharrliehen  Seins 
in  der  WeW  hat  eben  ,jin  dem  gesetxmäßigefi  Zusammenhaftge  der  Erscheinun- 
gen** ihre  Antwort  (1.  c.  S.  330;  Allg.  Psychol.  S.  246  ff.).  E.  Mach  hält  das 
Ding  an  sich  für  eine  Fiction  (Anal.  d.  Empfind.^,  S.  10),  so  auch  Ostwald 
(Vorles.  üb.  NaturphU.«,  S.  242). 

Nach  anderen  Philosophen  ist  die  Unerkeipibarkeit  des  Dinges  an  sich 
eine  relative;  das  An-sich  der  Dinge  wird  von  ihnen  meist  nach  Analogie 
der  Ichheit,  des  geistigen  Seins  bestinmit.  Schopenhauer  betont,  durch 
äußere  Erfahnmg,  auf  dem  Wege  der  Vorstellung  kann  man  nie  zu  Dingen 
an  sich  gelangen.  Nur  durch  innere  Erfahrung,  besser  durch  innere  Intuition 
erfaßt  das  Ich  sich  selbst  unmittelbar  in  seinem  An-sich,  ak  Willen  (s.  d.). 
„Ding  an  sieh  .  .  .  ist  allein  der  Wille:  als  solcher  ist  er  durchaus  nicht  Vor- 
Stellung,  sondern  toto  genere  von  ihr  verschieden:  er  ist  es,  wovon  alle  Vorstellung, 
alles  Obfeet  die  Erscheinung,  die  Sichtbarkeit,  die  Objectität  ist.  Er  ist  das 
Innerste,  der  Kern  jedes  Einxelnen  und  ebenso  des  Oanxen :  er  erscheint  in  jeder 
blind  tcirkenden  Naturkraft**  (W.  a.  W.  u.  V.  Bd.  I,  §  22,  II,  C.  1).  Nach  Heb- 
bart erkennen  wir  nur  die  Beziehungen,  welche  die  Dinge  an  sich  (,yRealen**, 
s.  d.)  in  unserem  Denken  annehmen  (Met.  I,  S.  412  ff.).  Beneke  (Syst  d. 
Log.  II,  288)  hält  das  geistige  Leben  für  eine  angemessene  Erscheinung  der 
Dinge  an  sich.  LoTZE  bestinmit  die  Dinge  an  sich  ids  (geistige)  Monaden  (s.  d.), 
deren  Beziehungen  objectiv-phänomenal  erkannt  werden,  so  auch  Renouyier 
(Nouv.  Monadol.)  Clifford  bestimmt  die  Empfindung  (s.  d.)  als  „Ding  an 
sich**  (Von  d.  Nat.  d.  Dinge  an  sich  S.  39,  44).  Das  Ding  an  sich  ist  ^ySeeten- 
Stoff**  (mind-stuff ,  s.  d.).  R.  Hamerling  sieht  im  Ding  an  sich  die  „  Vwaus- 
seixung  desjenigen,  was  von  dem  Wahrgenommenen  übrigbleibt,  wenn  man  die 
Wahrnehmung  davon  abxieht*'  (Atom.  d.  Will.  I,  82).  Das  An-sich  der  Dinge 
besteht  in  Kraft-  imd  Lebenspunkten  (1.  c.  S.  83  f.).  Nietzsche  verwirft  den 
Begriff  einer  Welt  von  Dingen  an  sich  unbekannter  Qualität,  einer  „fii*i/«-- 
weU**,  die  von  uns  nur  zu  den  Erscheinungen  hinzugedichtet  wird  (WW.  XV, 


Ding  au  sioh  —  DiaoorBiv.  225 


271,  278,  285).  Er  selbst  betrachtet  als  das  An-sich  der  Dinge  den  „  Willen 
ur  Ma4::hl^'^  (s.  d.).  Nach  Wundt  entsteht  der  Begriff  des  „Ding  an  sieh^^ 
durch  HvjxMtasierung  der  Objectivität.  Die  Möglichkeit,  daß  unser  Denken 
,A«r  idealen  Fotisetxung  von  Qedankenreihen  veranlaßt  toirdy  die  über  jede  ge^ 
gebene  Erfahnmg  fiinausreiehen",  ist  nicht  zu  bestreiten.  Aber  dabei  müssen 
doch  wieder  die  Denkgesetze  und  Denkformen  angewendet  werden  (Phil.  Stud. 
VII,  45  ff.).  Bezeichnet  man  als  Ding  an  sich  den  „Gegenstand  unmittelbarer 
Reaiüät'f  so  muß  das  denkend-woUende  Subject  ein  solches  sein.  Die  Objecte 
liaben  nur  mittelbare  Bealitat,  sie  weisen  auf  ein  An-sich  hin,  das  als  Wille 
(s.  d.)  gedacht  werden  kann,  sind  aber  selbst  nur  Phänomene,  das  geistige 
Subject  aber  ist  nicht  Erscheinung,  sondern  Ding  an  sich  (Log.  I',  546  ff.,  549, 
552,  555).  Das  An-sich  der  Welt  ist  (vorstellender)  Wille  (Syst.  d.  PhiL*, 
S.  403  ff.;  Phil.  Stud.  XII,  61  f.).  Vgl.  An-sich,  Ding,  Erscheinung,  Object, 
Noumenon,  Gott,  Spiritualismus. 

Din^lielt:  das  Dingliche,  der  Dingcharakter,  das  ein  Ding  Constituierende, 
der  reine  Dingbegriff. 

Dlonyslscli  s.  Apollinisch. 

Direeter  Factor  s.  Ästhetik. 

Dteamis  ist  der  dritte  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
besonders  bejahend  (i),  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  besonders 
bejahend  (i). 

Oiscontliiiilm'lielis  unstetig. 

Olseret  s.  Stetigkeit. 

Oteerlmlnatlon:  Unterschiedsbewußtsein  (Bain  u.  a.). 

OiscnrsiTS  durchlaufend,  von  einem  Inhalt  zum  andern  übergehend, 
SQooessiy  Stück  für  Stück  verbindend  ist  das  Denken  (besonders  als  Schließen), 
im  Gegensatze  zur  Anschauung,  Intuition. 

Bei  Plotin  ist  die  Rede  vom  dv  8iaSo8qf  .  .  .  insiUrai  (Emi.  VI,  2,  21). 
Thomas  stellt  einander  gegenüber  „discursive^^  (durch  Folgerung)  und  yjsimpliei 
fnfuitu*^  ^Sum.  th.  II.  II,  180,  6  ad  2);  „discursus  est  quidam  motus  intelleetus 
<fe  uno  in  aliud"  (Qu.  anim.  7  ob.  3).  Hobbes:  ,jPer  seriem  imaginationum 
fnieUigo  sueeessianem  unius  eogitationis  ad  aliam;  quam,  iä  distinguatur  a  dis- 
türm  verborumj  appdlo  diseursum  mentalem^*  (Leviath.  I,  3;  vgL  De  corpor. 
C.  25,  9).  Die  Logik  von  Pobt-Royal  erklärt:  „Diseursu7n  vocamus  illam 
nuntis  operationem,  per  qtuan  e  pluribus  iudieiis  aliud  dieimus"  (p.  1).  Leibniz 
versteht  unter  y^iscursus''  den  successiven  Denkverlauf.  Nach  Chr.  Wolf  ist 
ein  „iudiciufn  diseursivum"  eines,  „quod  per  rationem  dieiiur*^  (=  „diano^ieum^*, 
Phü.  ration.  §  51).  Kant  unfbrscheidet  die  „discursive  (lagische)  Deutlichkeit 
durch  Begriffe"  von  der  intuitiven  Deutlichkeit  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  9).  Das 
Dteoschliche  .Denken  ist  discursiv,  nicht  ,,intellectuelle  Anschauung"  (s.  d.),  es 
ist  b^rifflich  (1.  c.  S.  88).  Der  Raum  (s.  d.)  ist  kein  „discursiver*^  oder  „a//- 
gemeiner^^  Begriff  (1.  c.  S.  52).  Krug  nennt  das  y,mittelbare  Vorstellen"  (das 
Begriffliche)  „discursiv",  „quoniam  metu  discurrit  quasi  inter  notas  ad  ea^  in 
unam  repraesentationem  condpiendas"  (Fundam.  S.  175).  Nach  G.  £.  Schulze 
bat  die  discursive  Erkenntnis  ihren  Namen  davon,  „daß  %w  Entstehung  der* 
sdben  ein  Vergleichen  mehrerer  Erkenntnisse  und  ein  Übergang  des  Geistes  von 

PUlo0ophiich«t  WOrtarbaob.    2.  Aufl.  15 


1 


226  Discursiv  —  Dispositioii. 


der  einen  xur  andern  erforderlich  isV^  (Gr.  d.  allg.  Log.*,  S.  4).  Fries  nennt 
die  Erkenntnis  eine  discursive  (gedachte,  logische)  „deren  wir  uns  erst  mitteihar 
bewußt  werden,  indem  wir  Merkmale  xu  Begriffen  und  Urteilen  xttsammensetxen"^ 
(Syst.  d.  Log.  S.  87;  N.  Krit.  I,  83).  Wundt  bemerkt:  „Discursiv  nennt 
man  das  Denken  eben  deshalb,  uml  es  nie  gleichzeitig  ?nehrere  Verbindungen 
rolhieht,  sondern  in  einem  einxigen  Acte  immer  nur  von  einer  bestimmten  Vor- 
stellung XU  einer  einxigen  andern  fortschreiten  kann^^  (Log.  I,  139). 

iDIsJnnct  sind  B^riffe,  deren  Umfange  auseinander  fallen  und  die  zu- 
gleich einem  höheren,  allgemeineren  Begriffe  untergeordnet  sind  (z.  B.  Hund  — 
Katze:  B^ubtier). 

Dlejniictlon:  das  logische  Verhältnis  von  Begriffen,  deren  Umfange 
auseinander  liegen. 

DteJanetlTe  fScliIfisse  sind  Schlüsse,  deren  Obersatz  ein  disjunctives 
Urteil  ist  imd  in  deren  Untersatz  Glieder  der  Disjimction  gesetzt  bezw.  auf- 
gehoben werden:  1)  Modus  ponendo  tollens:  S  ist  entweder  P,  oder  P,  oder  P,. 
S  ist  P,.  Also  ist  S  weder  Pj  noch  P,.  2)  Modus  toUendo  ponens:  a.  S  ißt 
entweder  P,  oder  P,  oder  Pg.  8  ist  weder  P,  noch  P,.  Also  S  ist  Pj.  b.  S 
ist  entweder  P^  oder  P,  oder  P,.  S  ist  nicht  P,.  S  ist  entweder  P,  oder  P,. 
Vgl.  Dilenmia. 

DteJnnctlTe  Urteile  sind  Urteile  mit  disjimctiven  Begriffen,  von  der 
Form:  S  ist  entweder  P^  oder  P,  oder  P,  .  .  .,  also  Urteile  mit  einer  Dis- 
junction.  Von  ihnen  ist  schon  bei  den  Stoikern  die  Rede:  Su^evyfurov  Si 
iartv  o  vno  rov  "Hroi  Sia^evKTixov  awSeCfiov  St6^£vxzaif  olov  'Hroi  tjfjieoa  tcxiv 
rj  rvS  i<mv  (Diog.  L.  VII,  1,  72). 

I>lsparat  sind  Begriffe,  die  nicht  zusammen  zur  Einheit  verknüpft  werden 
können  (z.  B.  Tugend  —  grün);  disparat  nennt  man  auch  Empfindungen  ver- 
schiedener Sinnesgebiete.  BofiTHiüS:  „Disparaia  a^item  ea  voco,  quae  tantum 
a  se  diversa  sunt  nulla  contrarietate  pugnantiu,  veluti  terra,  vesti^y  ignis^^  (De 
syll.  hyp.  p.  608;  vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I,  686).  yyDisparatus"  kommt  auch 
bei  Thomas  (Sum.  th.  I,  96,  3  ob.  1  u.  2)  vor.  Herbart  neimt  „disparat'-^ 
Begriffe,  die  miteinander  imvereinbar  sind,  sowie  Empfindungen,  die  ver- 
schiedenen Sinnen  angehören  imd  miteinander  y,Coniplic<itiofwn"  (s.  d.)  eingehen. 

Disposition:  1)  Logische  D.  =  methodische  Anordnimg  von  Begriffen 
und  Lehrsätzen  zur  systematischen  Darstellung.  Aristoteles  versteht  unter 
Sidd'eaie  die  rS  ^x^vros  fti^tj  rd^is  (Met.  V  19,  1022  b).  Die  Logik  von  Port- 
Roy  al  definiert:  ,yDispositionem  vocamus  üh/tn  mentis  operationem,  per  qtdam 
rarias  ideasy  iudicia  et  rationesy  quas  de  uno  eodemque  stänecto  ftahemus,  eo 
ordine  disponimusy  qui  Uli  expUcando  ma^ime  idofieus  est*^  (p.  1  f.). 

2)  Psychophysische  D.  =  Anlage  des  Organismus  zu  einer  Tätigkeit, 
bestehend  in  einer  bestimmten  Anordnung  oder  potentiellen  Energie  körperlielier 
Elemente,  in  einer  durch  Übung  entstandenen  größeren  Leichtigkeit  und  Sicher- 
heit psychischer  Betätigung.  Es  gibt  ursprüngliche  (primäre)  imd  envorbene 
(secundäre)  Dispositionen,  onto-  und  phylogenetisch  entstandene  Anlagen* 
Femer  lassen  sich  unterscheiden  intellectueUe,  Gefühls-,  Trieb-  imd  Willens- 
Dispositionen.  Die  psychischen  Dispositionen  sind  Nachwirkimgen  von  Vor- 
gängen, die  nur  in  den  erleichterten  Acten  des  Bewußtseins  zum  BewuSteein 
kommen,  nicht  aber  selbständige  Wesenheiten  oder  unbewußte  Processe  eigener 


Disposition.  22^ 


Äit^   Der  AuBdriick  „Disposition^^  ißt  seit  Haktley  gebräuchlich,  y,Spur^'  seit 
A.  y.  Haller. 

Angedeutet  ißt  der  DispoBitionsbegriff  schon  bei  Plato  (Theaet.  191  C) 
imd  Aristoteles  (De  an.  III,  2).  Eine  Disposition  zur  Gewinnung  von  AU- 
gemeinbegriffen  nehmen  die  Stoiker  an  (Cicebo,  De  fin.  IV,  3;  Sekeca, 
Ep.  120,  4).  Kleaitthes  spricht  von  einer  zvTtanns  iv  yn^xüi  Chrysipp  von 
einer  ere^oiwais  (aXXoitoais)  der  Seele  (Diog.  L.  VII,  50).  Plotin  führt  die 
peychißchen  Dispositionen  auf  die  Übung  der  Seele  zurück  (Enn.  IV,  6,  3). 
Die  Scholastiker  sprechen  von  einer  „inidlecius  disposifio"  (Albertus  Magnus, 
Sam.  th.  I,  15,  4). 

In  physiologischer  Weise  werden  die  Dispositionen  schon  von  Descartes 
bestinmit.  Sie  bestehen  in  den  „ideae  materiales"  (s.  d.),  unter  welchen  er  Ge- 
hirneindrücke  versteht,  „species^*  (s.  d.),  denen  die  Seele  sich  zuw^endet  (De 
bom.  p.  132;  Princ.  phüos.  IV,  196  f.).  Diese  Anschauung  bilden  Malebrakghe 
u.  a.  weiter  aus;  von  Rbid  u.  a.  wird  sie  bekämpft.  Hobbes  identificiert  die 
Dispositionen  mit  Bewegungen  der  Seele  (De  corp.  25,  3),  Locke  mit  Be- 
iregongsreihen  der  jyLebensgeister^'  im  Zusammenhang  mit  der  Übung  (Ess.  II, 
cL  33,  §  6).  Alß  Nervenschwingungen  erscheinen  die  Dispositionen  bei  Hartley 
uod  Prlbstley,  bei  Oondillac  als  dauernde  Eindrücke  im  Nervensystem 
Trait.  d.  sens.  I,  eh.  2,  §  6).  Bonnet  erklärt:  „Plus  les  rapports  de  deux  idees 
sont  prochains,  plus  le  rapport  est  prompt  et  facile.  Ges  rapports  consistent  dans 
une  teile  disposition  des  fibres  ou  des  esprits,  que  la  forte  motrice  trouve  plus 
de  faeüiie  ä  s'exercer  suivant  un  certain  sens  qtie  suivant  tout  aukre^^  (Ess.  de 
PsychoL  C.  6).  —  In  neuerer  Zeit  tritt  die  materielle  Auffassung  der  Dis- 
positionen (Anlagen)  wieder  auf  bei  Meynert  imd  anderen  Physiologen  oder 
Anatomen,  bei  Associationspsychologen  wie  Ziehen.  Nach  ihm  bleibt  von 
jeder  Empfindung  in  der  Hirnrinde  eine  „materieUe  Veränderung" y  eine  „Spur^* 
zurück,  ohne  psychischen  Parallelvorgang  (Leitfad.  d.  phys.  Psychol.*,  S.  109). 
Diese  Spur  denkt  man  sich  am  einfachsten  als  „eine  bestimmte  Anordnung  in 
^timmter  Weise  xusammengesetxter  Molecüle  der  Oanglienxelle,  .  .  .  cUso  als 
Entente  Disposition^^,  vermöge  welcher  sie  „auf  eine  bestimmte  Vorstellmig  ab- 
9^timmt^'  ißt  (1.  c.  S.  110).  Dieses  „latente  Erimierungsbild"  hat  seinen  Sitz 
in  einer  von  der  „Empfindungsxeile**  verschiedenen  „Erinnerungsxelle"  des  Groß- 
bims (L  c.  S.  111  f.).  —  Auf  die  phylogenetische  Übung  als  Quelle  erworbener 
Dispositionen  weisen  H.  Spencer,  Simmel  u.  a.  hin. 

Als  functionell-psychische,  bezw.  zugleich  physische  Dispositionen  werden 
die  Anlagen  wiederholt  bestimmt.  So  von  Leibniz,  nach  welchem  die  Seele  zu 
allem,  was  sie  produciert,  die  Anlagen  hat.  Aber  auch  erworbene  Dispositionen, 
als  Residuen  früherer  Bewußtseinsvorgänge,  die  gew^öhnlich  nicht  bewußt  werden, 
i»iiid  der  Seele  zu  eigen.  Es  steht  fest,  daß  die  Seele  hat  „des  dispositions, 
?tfi  sont  des  restes  des  impressions  passees  dans  l'dme  aussi  bien  que  dans  le 
forps,  mais  dont  on  ne  s'appercoit,  que  lorsque  la  memoire  en  trouve  quelque 
^''fasion^*^  (Nouv.  Ess.).  Die  primären  Anlagen  sind  „tendances^^  (Strebungen) 
w  Handlungen.  Chr.  Wolf  (der  übrigens  die  Lehre  von  den  „materiellen 
Ii«en^^  acceptiert)  definiert  „dispositio"  als  „possibilitas  acquirendi  potentiam 
ogendi  vel  patiendi"  (PsychoL  empir.  §  426).  Platner  faßt  die  seelischen 
Dispositionen  als  „Fertigkeiten''  auf  (Phil.  Aphor.  I,  §  239  ff.).  Kant  spricht 
von  einer  yyAngewokfiheit  im  Gemüt",  die  durch  die  wiederholte  Folge  der  Vor- 
neUnngen  entsteht  (Anthrop.  I,  §  29  B).    Zu  den  Anschauungs-  und  Denkformen 

15* 


228  Disposition  ~  Bissooiatioii. 

gibt  es  jjAnlagen^^  im  Bewußtsein.    Fries  faßt  die  Disposition  als  , geschwächte 
Erkenntnis  auf*  (Syst.  d.  Log.  S.  63).    Gegen  die  Annahme  von  Residuen  in 
„Fibern  und  Plätxen"  ist  Hegel.    Die  Disposition  besteht  nach  ibm  in  einem 
bleibenden,  unbewußten  Bilde.    „Die  Intelligenx  ist  aber  nicht  nur  das  Bewußt- 
sein und  Dasein j  sondern  als  solche  das  Subjeet  und  das  An- sich  ihrer  Be* 
stimmwigeny  in  ihr  erinnert  ist  dca  Bild  nicht  mehr  existierend,  bewußiloi 
aufbewahrt**  (Encykl.  §  453).    E.  BosENKRAKZ  nimmt  angeborene  Anlagen 
an  (Psychol.*,  8.  87).    Das  „Bild**,  das  die  Anschauung  hinterlaßt,  „bUibi  w 
der  Tiefe  der  Intelligenx  aufbewahrt"  (1.  c.  S.  344).    Nach  Hebbabt  dauern 
die  einmal  entstandenen  Vorstellimgen  in  der  Seele  fort  (Lehrb.  z.  Psycho!.', 
S.  10,  15  ff.),  aber  so,  daß  das  wirkliche  Vorstellen  sich  in  ein  yßtreben,  vor- 
zustellen**  verwandelt  (1.  c.  S.  16).    So  auch  nach  Wattz   (Lehrb.  d.  PsychoL 
S.  81)  und  Volkmann  (Lehrb.  d.  Psycho!.  II*,  399).     Beneke  bezeichnet  die 
Disposition   als  „Ängelegtheit** ,   als   seelische   „Spur**.     Sie   ist  das,   .^tcas  pon 
früheren  Seelenacten  innerlieh  fortexistiert**,  etwas  Inmiaterielles.    Die  „-^r" 
ist  das,  „was  xivischen   der  ersten  Bildung  und  der  Reproduetion  eines  Seelen- 
aetes  liegt**.    Im  Verhältnis  zum  folgenden  Acte  ist  sie  „Angelegtheit**,  ein  (Ge- 
wordenes, eine  functionelle  Nachwirlnmg  imd  Vorbildung  für  Neues  (Pragmat 
Psycho!.  I,  38  f.;  Neue  PsychoL  S.  125;   Lehrb.  d.  PsychoL  §  27).    Die  Dis- 
position ist  ein  „unbetmißt  Beharrendes**  (ib.).    Auch  Abel  bezeichnet  die  Dis; 
Positionen  als  „Spuren**  (Seelen!.  §  139).    J.  H.  Fichte  sieht  in  den  Dispositionen 
unbewußte  Tätigkeitsformen    des   Oeistes   seilet,   „Fähigkeiten  xur  erneuerten 
Hervorbringung  der  bewußtlos  gewordenen  Vorstellung*^  (PsychoL  1,  S.  426).  Nach 
L^lbigi  behält  die  Vorstellung  auch  als  Disposition   das  Eigentümliche  des 
Vorstellungsinhaltes  (Leib  u.  Seele  S.  489).     Nach  Fechneb  sind   die  Dis- 
positionen die  Beste  bewußter  Tätigkeit;  sie  gehen  .form-  und  riehtunggdxmd 
in  unsere  ganze  fernere  bewußte  lUtigkeit  mit  ein**  (Zend-Av.  I,  280  f.).    LiPFS 
sieht  in  den  Dispositionen  unl)ewußte  psychische  Zustande;  sie  „erzeugen  Vor- 
stellungen, indem  sie  von  anderen  xtir  Tätigkeit  erregt  werden**  (Gr.  d.  SedenL 
S.  96).    WuNDT   faßt  die   „Spuren**   der  Vorstellungen    „nur  als  functianelle 
Dispositionen**  auf  (Grdz.  d.  phys.  PsychoL  II*,  274).    In  der  Erleichterung  des 
Wiedereintritts   eines  l)estimmten   Bewußtseinsvorgangs-  l)esteht  physisch  und 
psychisch  die  Disposition;  die  psychische  Seite  dersel!)en  ist  aber  unbekannt 
(L  c.  S.  235;  I,  222).    Eine  Erleichterung  durch  functionelle  Dispositionen  als 
Producte  der  Obimg  lehrt  auch  Külpe  (Gr.  d.  Psycho!.  S.  455).     Psychisch 
latente  Dispositionen  nimmt  Höffding  an  (PsychoL  S.  94  ff.).    Functionelle 
Dispositionen  gibt  es  nach  Bbentano  (PsychoL  I,  77  f.),  A.  Meinong,  Wita- 
8EK  (Arch.  für  system.  Philos.  III,  273),  James,  Sully  (Handb.  d.  PsychoL 
S.  55),  Jgdl  u.  a.    Nach  Ebbinghaus  entsprechen  den  physischen  DispoeitioneD 
des  Nervensystems  psychische  Dispositionen  (PsychoL  I,  53).     W.  Jebubalem 
l)etont  den   unanschaulichen  Charakter  der  psychischen  Disposition.    Diese  ist 
„ein  Hülfsbegriff,   der  nach   der  Analogie  des  Begriffes   der  potentiellen 
Energie  gebildet  ist**   (Lehrb.  d.  PsychoL»,  S.  30).    Er  unterscheidet  primäre 
und  secimdäre,   angeborene  und  erworbene  Dispositionen  (1.  c.  S.  31).     VgL 
Gedächtnis,  Association. 

Dissimilation  s.  Lichtempfindung. 

Dissoeiatlon  des  Bewußtseins  heißt  nach  Pabish  (Ob.  d.  Trugwahm.) 
die  Versperrung  der  Bahn  zu  Ontren,  die  im  Normalzustande  erreicht  würden« 


DiBBonan«  —  Dogma.  229 

entsteht,  wenn  das  Verhältnis  zweier  Töne  eine  gewisse  Ab- 
weichung von  der  Harmonie  besitzt.  Überschreitet  die  Differenz  ihrer  Schwin- 
gungszahlen  eine  gewisse  Grenze  nicht,  bei  den  höheren  Tönen  etwa  sechzig 
Schwingungen,  bei  den  tiefsten  dreißig  und  weniger,  so  entstehen  Intermissionen 
des  Zusammenklangs,  welche,  ,ytoenn  sie  bloß  in  suceessiven  Schwächungen  und 
Verstärktingen  des  Klangs  bestehen,  als  Schwebungen,  oder,  wenn  Mcischen 
den  einzelnen  Tonen  vöilige  Unterbrechungen  des  Klangs  liegen  .  ,  ,  als  Ton- 
sföfie"  bezeichnet  werden.  Über  die  angegebene  Grenze  hinaus  ergeben  die 
Traunterschiede  erst  die  „Rauhigkeit*^,  dann  die  reine  Dissonanz.  Die  gewöhn- 
liche Dissonanz  setzt  sich  „atis  Schwebungen,  Rauhigkeiten  des  ZusamtnenkUmgs 
tmd  reiner  Dissonanz"  zusammen  (Wundt,  Gr.  d.  Psychol.',  S.  119  f.;  vgL 
Helmholtz,  Lehre  von  d.  Tonempf.,  Stumpf,  TonpsychoL). 

DlsteBseneri^te  s.  Energie. 

Dlsttiiets  deutlich,  unterschieden,  s.  Klarheit. 

DisÜnettoii:  Untersdiieidung  (s.  d.). 

Division  8.  Einteilung. 

IMtIsIt«  Urteile  sind  Urteile,  die  eine  Einteilung  formulieren  (S  ist 
teils  Pj  teils  P„  teils  P,). 

Docta  isnorantla:  gelehrte  Unwissenheit,  d.  h.  das  Wissen  von  Gott, 
das  eine  Unwissenheit  bezuglich  der  positiven  Eigenschaften  Gottes  und  rein 
negativer  Art  ist,  zugleich  ein  mystisches  Schauen  des  Göttlichen  ohne  Be- 
greifen. 

Schon  AUGUSTIKUB  bemerkt:  „Est  ergo  in  nobis  quaedam,  ut  dicam,  docta 
ignorantia,  sed  docta  spiritu  dei,  qui  adiuvat  infimiüatem  nostram"  (Epist.  ad 
Probom  130,  c.  15,  §  28).  Bei  Dionybiüs  Areopaqita  konunt  ayv^axtas 
arard&Trrt  vor  (De  myst.  theoL  c.  1,  §  1).  Bonaventura  erklart:  „spiritus 
noster  non  solum  effidtur  agilis  ad  ascensum  verum  etiam  quadam  ignoranlia 
•  docta  supra  se  ipsum  rapitur  in  caliginetn  et  ejccessum**  (bei  Übinger,  Docta 
ignor.  S.  8).  Im  Sinne  der  obenstehenden  Definition  bestinunt  die  docta  igno- 
lantia  NlOOLAUS  CüSANUS.  Sie  bedeutet  ihm  eine  „visio  sine  comprehensione, 
fpeeulatio"  (De  docta  ignor.  I,  26).  „Supra  igitur  nostram  apprehensionem  in 
qnadam  ignorantia  nos  doctos  esse  convenit"  (1.  c.  II,  praef.).  „Ad  hoc  ductus 
*um,  ui  incomprehensibilia  incomprehensibiliter  amplecterer  in  docta  ignarantia** 
(L  c.  III,  peror.).  „Et  tanto  quis  doctior  erit,  quanto  se  magis  sciverit  ignoran- 
iem**  (L  c,  I,  1).  Die  docta  ignorantia  ist  „perfecta  scientia"  (De  poss.  f.  181, 
p.  1).  Auch  nach  Bovillus  ist  sie  „verissima  et  suprema  soientia"  (De  nihilo 
II,  7).  Campa^ELLA  bemerkt:  „Sic  in  ignorantia  nidemus  aliquo  paeto  Deum, 
qui  est  intra  nos,  sed  in  ccUigine  abscondiius**  (Univ.  phil.  VII,  6,  1).  Mon- 
taigne: „Cest  par  Ventremise  de  notre  ignorance  plns  que  de  notre  sciefice, 
que  nous  sommes  s^avans  du  divin  s^voir"  (Ess.  II).  Sanchez:  „Quid  .  . .  aliud 
eft  scire  nostrum  quam  temeraria  fidueia  cum  otrinimoda  ignorantia  cotiiuncta?" 
(Quod  nih.  seit  p.  183).  Gassendi:  „Adeo  tä  non  immerito  dixerit  quispiam 
f*se  illorum  ignorantiam  doctissimam*^  (bei  Übingeb  1.  c.  S.  228).  Locke 
stellt  das  eingestandene  Nichtwissen  („avowed  ignorance")  dem  „leanied  igno- 
ranee*^  gegenüber. 

IKli^mas  Lehrsatz;  Behauptung  ohne  Beweis,  Annahme.  Als  Soyfiara 
werden  die  philosophischen  Lehrsatze  der  Alten  (Cicero,  Quaest  Acad.  IV,  9; 


230  Dogma  —  Dogmatismus. 


Seneca,  Ep.  94,  95)  im  üoterachiede  von  der  inoxri  (s.  d.)  der  Skeptiker  be- 
zeichnet (Diog.  L.  IX,  74).  Kant  versteht  unter  „Dogma"  einen  direct  synthe- 
tischen Satz  aus  Begriffen  (Kr.  d.  r.  Vera.  S.  616).  —  Die  christlrchen 
Dogmen  sind  „rf«>  begrifflich  fonntdierten  und  für  eine  tvissenschafHich-apologe- 
fische  BekandJung  ausgeprägten,  christlichen  Olcmbenslehrefif  welcM  die  Bhrhenntim 
Oottesj  der  Welt  und  der  Heilsveranstaltungen  Oottes  -zu  ihrem  Inhalte  haben** 
(Harn ACE,  Dogmengesch.  I*,  3).  Im  neuen  Testament  kommt  das  Won 
„Dogma**  {Soy/na)  im  Sinne  eines  „Edicts**  vor  (Lukas  II,  1).  Clemens 
Alexandrinus  nennt  die  göttlichen  Naturordnungen  ra  SeSoYfjutTiafiiva  vnh 
d'eov]  er  spricht  vom  S'elov  Soyfia  (Paedag.  I;  vgl.  Sabatier,  Religionsphilos. 
S.  213  ff.).  Bei  Ionatius  (Ep.  ad  Magn.  13)  findet  sich  iv  rolg  Soyfiaciv  (in 
den  Lebensregeln).  Erst  die  Apologeten  (s.  d.)  gebrauchen  doy/u^ra  im  theo- 
logischen Sinne  (Harnack  L  c.  S.  482).  In  den  Dogmen,  die  durch  die 
Kirchenväter  und  Scholastiker  ausgebildet  wurden,  sind  neben  christlich- jüdischai 
auch  Elemente  der  griechischen  Philosophie  enthalten.  Das  Dogma  ist  j,eine 
Lehre,  atis  der  die  Kirche  ein  Gesetz  gemacht  hat**  (SABATIER,  BeügionsphiL 
S.  205). 

Dogmatlker  heißen  ursprünglich  diejenigen  Philosophen,  welche  Posi- 
tives behaupten,  im  Gegensatze  zu  den  Skeptikern.  Diese  nennen  alle  Nicht- 
Skeptiker Dogmatiker:  disreXow  8tj  oi  axcTtzixoi  ree  rtov  aip^aean'  döyftaxa 
TtdvT  avaTQinovTBi,  avioi  S*ovSiv  ans^aivovxo  doy/uarixcag  (Diog.  L.  IX,  74). 
„Dogfnafixare**  kommt  z.  B.  bei  Irenaeus  vor  (Adv.  Haer.  II,  14,  2).  Pascal 
bemerkt:  „Uunique  fort  des  dogmatistes  (gegenüber  den  pyrrhoniens)  .  .  ."  (Pois. 
IV,  77).  Chr.  Wolf  definiert:  „Dogmatil  sunt,  qui  veriiates  unirersales 
defendunt,  seu  qui  affirmani  rel  negant  in  tiniverscUi**  (Psychol.  rat.  §  40). 

Dogpniatlsiiias  heißt  seit  Kant  das  unkritische,  ohne  Prüfung  der 
Erkenntnisbedingungen,  Erkenntnisgrenzen  verfahrende  Philosophieren;  im  enge- 
ren Sinne  die  Auffassung  der  Erkenntnisobjecte  als  etwas  fertig  Gegebenes,  von 
uns  nur  Nachzuconstruierendes ;  diese  Bestimmung  bei  Kantianern. 

Kant  nennt  die  Metaphysiker  „Dogmatiker**  (Kr.  d.  r.  Vem.,  Vorw.  zur 
1.  Ausg.  8.  4).  „Der  Dogmatism  der  Metaphysik,  d.  i.  das  Vorttrteü,  in  ihr 
ohne  Kritik  der  reinen  Vernunft  fortzukommen,  ist  die  wahre  Quelle  filier  der 
Moralität  iciderstreitenden  Unglaubens,  der  jederzeit  gar  sehr  dogmatisch  ist** 
(1.  c,  Vorr.  z.  2.  Ausg.,  S.  26).  Dogmatisches  Verfahren  und  Dogmatismus  sind 
zu  unterscheiden,  nur  letzterer  ist  der  Kritik  entgegengesetzt.  „Die  Kritik  ist 
nicht  dem  dogmatischen  Verfahrender  Vernunft  in  ihrer  reinen  ErkentUnis, 
als  Wissenschaft,  efUgegengeseixt  (denn  diese  muß  jederzeit  dogmatisch^  d.  i.  aus 
sicheren  Principien  a  priori-  strenge  betoeisend  sein),  sondern  dem  Dogmatism, 
d,  i.  der  Anmaßung,  mit  einer  reinen  Erkenntnis  aus  Begriffen  (der  philo- 
sophischen), naeii  Prifieijrien,  so  wie  sie  die  Vernunft  läfigst  im  Gebrauehe  hat, 
ohne  Erkundigung  der  Art  und  des  Rechts,  icodurch  sie  dazu  gelangt  ist,  allein 
fortzukommen.  Dogmatism  ist  also  das  dogmatische  Verfahreri  der  reiften  Ver- 
nunft, ohne  vorangehende  Kritik  ihres  eigenen  Vermögens**  (1.  c. 
S.  29).  „Unter  dem  Dogmatismus  der  Metaphysik  versteht  diese  .  .  .  das 
allgemeine  Zutrauen  zu  ihren  Principien^  ohne  vorhergehende  Kritik  des  Ver- 
nunftrermögens  selbst,  bloß  um  iJvres  Oelingens  vrillen**  (Üb.  e.  Entdeck.  S.  50). 
Dogmatisch  wird  man,  wenn  man  die  Principien  möglicher  Erfahrung  auf  das 
Transcendente  anwendet  (ib.).    Die  (alte)  Metaphysik  verfährt  teils  theoretisch-, 


Dogmatismus  —  Doppel-Ich.  231 

teÜB  praktisch-d(^mati9ch  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met.  S.  145).  Tennemann: 
„Ai*  uftkrüiseJie  Phiio8ophierer$  sucht  aus  blindem  Vertraueti  zur  Vemtinft  ge- 
wisse Behauptungen,  Dogmen  —  thetisch  oder  cmtitfietisch  —  aufxtistellen^^  (Grundr.*, 
S.  32).  J.  G.  Fichte  nennt  jede  Philosophie  dogmatisch,  welche  die  Ein- 
wirkung von  Dingen  an  sich  auf  das  Ich  annimmt,  voraussetzt  (Gr.  d.  g.  Wiss. 
S.  41).  Die  Philosophie  ist  dogmatisch,  die  dem  Ich  etwas  gleich-  und  ent- 
gegensetzt; dieser  Dogmatismus  ist  jytranseendent ,  weil  er  noch  über  das  Ich 
hinausgeht*^  (ib.).  SCHELLENG  bemerkt  ähnlich,  Dogmatiker  sei,  „der  alles  ur- 
sprünglich als  außer  uns  vorhanden  (nielit  als  aus  uns  werdend  und  entspringend) 
Türaussetxt  .  .  ."  (NaturphiL  S.  42).  Hegel  versteht  unter  Dogmatismus  „die 
Meintfftgy  daß  das  Wahre  in  einem  Satze,  der  ein  festes  Eestätat  ist,  oder  auch 
der  unmittelbar  gewußt  wird,  bestehe"  (Phänom.  S.  31 ;  Encykl.  §  32).  Natoep 
setzt  Dogmatismus  und  „ahstractive  Erkenntnis**  gleich  (Plat.  Ideenl.  S.  366). 
Für  den  Dogmatismus  ist  der  Gegenstand  der  Erkenntnis  gegeben,  „weil  er  ihn 
als  Produet  aus  endlichen,  also  erschöpfbaren  Factoren  ansieht**.  Es  kommt 
nur  darauf  an,  das  Gegebene  auch  zum  vollen  Bewußtsein  zu  bringen.  Dagegen 
betrachtet  der  Kriticist  „die  Aufgabe,  den  Gegenstand  aus  seinen  Companenten 
aufxubauen,  als  eine  unendliche^*  (1.  c.  S.  368).  H.  Cornelius  stellt  den 
Dogmatismus  dem  reinen  (kritischen)  Empirismus  gegenüber.  Dogmatismus  ist 
überall  da,  „i/x?  in  den  Erldärtmgen  irgend  welclie  etnpirisch  nicht  völlig  legi- 
timierte Voraussetzungen  eingeschlossen  sind,  mit  anderen  Worten,  wo  Begriffe 
xur  Anteeffdung  kommen,  deren  Bedeutung  und  Verwendung  sieh  niclit  in  be- 
kannter Weise  und  ausschließlieh  auf  rein  erfahrungsmäßige  Daten  gründet**. 
,yDogmaiisch  in  diesem  Sinne  sind  also  insbesondere  auch  alle  diejenigen  Be- 
griffe^ deren  icir  uns  in  bloß  gewohnheitsmäßiger  oder  conventioneller 
Weise  bedienen,  ohne  die  Frage  nach  ihrer  empirischen  Legitimation  aus- 
drücklich t«  stellen  und  xu  beantworten**  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  36  f.).  —  Zu- 
ireilen  wird  Kants  transcendentaler  Idealismus  (s.  d.)  z.  B.  betreffs  der  Anschau- 
ungsformen (s.  d.)  als  „negativer  Dogmatismus**  bezeichnet,  so  von  E.  V.  Habt- 
MANN  (Gesch,  d.  Metaph.  II,  19  f.). 

I^f^ginen  s.  Dogma. 

Dofeetteinan :  die  gnostische  Ansicht,  daß  die  sichtbare  Erscheinung 
Christi  ein  bloßes  Phantasma  sei  (vgl.  Harnack,  Dogmengesch,  I*,  247). 

Dominanl/eii  nennt  J.  Blinke  „die  Kräfte  zweiter  Hand  im  Organismus, 
deren  Dasein  unr  aus  ihrem  Wirken  und  Schaffen  erkennen,  deren  weitere  Analyse 
jedoch  nicht  gelingt**.  Sie  sind  „eine  Personificaiion  der  nicht  unter  den  Begriff 
dar  Energie  zu  fassenden  richtenden  Triebkräfte  in  Pflanze  und  Tier**.  Sie 
bilden  „eitie  Art  ron  Beseelung,  von  Durchgeistigu^ig  der  materiellen  Substanz** 
(Weh  ab  Tat,  S.  273,  275).  Zu  unterscheiden  sind  Arbeits-  und  Gestaltungs- 
dominanten (1.  c.  S.  277).  Die  Dominanten  sind  das  Ergebnis  der  Organisation, 
wirken  unbewußt  zweckmäßig  (Einl.  in  d.  theor.  Biol.  S.  625  f.),  sind  „Über- 
mergeti.sche  Kräfte**  intelligenter  Art  (1.  c.  S.  172  ff.). 

Dominierende  Vorstellung^  nennt  Wundt  ,4'^genige  Wortvorstellung 
dfM  Satzes,,  die  beim  Sprechen  desselben  im  Blickpunkt  der  Aufmerksamkeit  stefU** 
(Völkerpsychol.  I  2,  262). 

Ooppel-Icii  (Doppeltes  Bewußtsein;  double  conscience,  altemance  de 
deux  x)er8onnes:   Ribot)    heißt    die    Spaltung  des   empirischen   Ich    in    eine 


5 


232  Doppel-Ioli  —  DiialismuB. 


Zweiheit  von  Persönlichkeiten.  Nach  Dessoir  ist  die  Persönlichkeit  ,jaus 
mindestens  xwei  detUlich  trennbaren  Sphären  xusammenffesetxi,  die  jede  für  sieh 
durch  eine  Erinnerungskette  xusa/mmengehalien  unrd"  (Doppel-Ich*,  S.  1).  „Wir 
tragen  gleichsam  eine  verborgene  Betüufttseinssphäre  in  uns,  die,  mit  Verstafidy 
'Empfindung,  Willen  begabt,  eine  Reihe  von  Handlungen  xu  bestimmen  fähig  ist. 
Das  gleichxeitige  Zusammensein  beider  Sphären  Jienne  ich  Doppelbewußtsein'^'' 
(1.  c.  S.  11).  Vgl.  P.  Janet,  L'automatisme  peychoL",  1894,  u.  Ribot,  Malad, 
de  la  personnal. 

Doppelte  Beiilliniiifpseiiipiliidiini^  entsteht  z.  B.,  „wenn  ein  beweg- 
licher  Gegenstand,  etwa  ein  Stab,  von  der  tastenden  Hand  gegen  ein  xweites  Ofy'eet 
gestoßen  oder  gedrückt  oder  über  dusselbe  hingeführt  wird^  (KÜLPE,  Gr.  d.  PsychoL 
S.  91).  Sie  setzt  sich  aus  Haut-  und  Gelenksempfindungen  zusammen  (L  c. 
S.  329).    Sie  spielt  eine  Rolle  bei  der  Entwicklung  des  Selbstbewußtseins  (s.  d.). 

Double  mitbodlques  methodischer  Zweifel  bei  Descartes,  s.  Zweifel. 

Dmekempiliidiuii^en  sind  Hautempfindungen,  welche  den  von  einem 
Objecte  gegen  die  Haut  ausgeübten  Druck  zum  Bewußtsein  bringen.  Die  Haut^ 
stellen,  die  für  Druckreize  besonders  empfindlich  sind,  heißen  Druckpunkte. 
£inige  wollen  die  Druck-  von  den  Berührung8-(Ta8t-)Empfindungen  sondern. 
Dagegen  Wundt  (Gr.  d.  PsychoL»,  S.  57),  Külpe  (Gr.  d.  PsychoL  S.  93). 
VgL  E.  H.  Weber,  Tasts.  u.  Gemeingef.,  Handwörterb.  d.  PhysioL  III.  2; 
Blix,  Zeitschr.  f.  Biologie  20  u.  21 ;  Goldbcheider,  Arch.  f.  PhysioL  18S5  ff. 
u.  Ges.  Abh.  1898,  I. 

Draekpunkle  s.  Druckempfindungen. 

DuaUamas  (Zweiheits-Lehre)  heißt  jetzt  die  Aufstellung  zweier  Principien 
des  Seienden,  die  Betrachtungsweise,  nach  welcher  Geistiges  und  Körperliches, 
Psychisches  und  Physisches,  Seele  und  Leib  zwei  voneinander  vei*8chiedene 
Wesenheiten  (Substanzen  oder  Vorgänge)  bedeuten.  Der  empirische  Dualismus 
anerkennt  die  Verschiedenheit  der  Daseins-  oder  Erscheinungsformen  des  Wirk- 
lichen, ist  aber  mit  einem  metaphysischen  Monismus  (s.  d.)  verträglich;  der 
metaphysische  Dualismus  ist  kosmologischer  tmd  anthropologischer  Art 

Die  ältere  Bedeutimg  von  „Dualümiis^\  die  auch  heute  noch  neben  der 
angeführten  besteht,  ist  die  einer  ethisch-religiösen  Weltanschauimg,  der  zufolge 
zwei  Principien  im  All  einander  gegenüberstehen :  das  Gute,  der  Lichtgeist,  das 
Göttliche,  und  das  Böse,  die  Finsternis,  der  Satan,  wobei  aber  in  der  Regel 
doch  die  Superiorität  des  guten  Princips  betont  wird.  In  diesem  Simie  wird 
das  Wort  „Dualismus"  gebraucht  bei  Thomas  Hyde  (Histor.  rel.  vet.  Pers. 
17(X),  c.  9;  nach  Eucken,  TerminoL).  Durch  Bayle  findet  es  seine  Ver- 
breitung. Die  neuere  Bedeutung  hat  das  Wort  schon  bei  Chr.  Wolf.  ,^Dtiaiistae 
sunt,  qui  et  suhstaniiarum  maierialium  ei  immaterialium  existeniiam  ndmütitnt'' 
(PsychoL  rat  §  39).  Der  „Dualist''  glaubt,  nach  Mendelssohn,  ,fis  gäbe  eben- 
sotcohl  körperliche  cUs  geistige  Substanxeti*'  (Alorgenst.  I,  6).  Nach  Kant  ist 
„Dualism^^  auch  „die  Behauptung  einer  möglichen  Oemßheit  ton  Gegefistäfulefi 
äußerer  Sinne"'  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  311). 

Den  „religiösen''  Dualismus  lehren  die  Perser  (Ahuramazda  —  AhrimanV 
Plutarch,  die  Manichäer  (s.  d,),  in  gewissem  Sinn  auch  J.  Böhme,  R.  FLtn>i> 
(Phil,  mosaic.  1,  3,  6),  Schelling.    VgL  Gott. 

Einen  ethischen  Dualismus  bekimden  die  Stoiker,  nach  denen  Natur- 


DnaUsmuB  —  DuaUt&t.  233: 


notwendigkeit  und  (Bitüiche)  Freiheit  des  Willens  einander  gegenüberstehen,  und 
Kaut  mit  seiner  Lehre  vom  absoluten  Gegensatze  zwischen  Sinnlichkeit  und 
Getstigkeit  (dem  vemünftig-moralischen  Gesetze). 

Der  metaphysische  Dualismus  kommt  in  reinen  und  imreinen  Formen 
Tor.  Zuerst  bei  An.axagobab,  der  dem  passiven  Stoffe  den  ordnenden,  ge- 
staltenden yyG^ist^^  (vovg)  gegenüberstellt,  der  zu  jenem  hinzukommt  eha  6  vovs 
il^tav  avrd  Suxocftijce,  Diog.  L.  II,  6).  Plato  scheidet  die  Welt  in  zwei  von- 
einander gesonderte  (zof^icra)  Bestandteile:  die  Sinnendinge,  die  immer  werdend, 
nicht  seiend,  und  die  Ideen  (s.  d.),  die  seiend  sind.  Aristoteles  bringt  mit 
der  Unterscheidung  von  „Form^*  (s.  d.)  und  „Äo/f  *  der  Dinge  ein  dualistisches 
Moment  in  seine  Philosophie.  Noch  abgeschwächter  ist  dieser  ^ßtuüiamus^^ 
bei  den  Stoikern  (s.  Kraft).  Dagegen  kommt  er  bei  den  Neuplatonikern 
wieder  zum  Ausdruck;  Geist  (Seele)  und  Materie  (s.  d.)  stehen  einander  hier 
Khroff  gegenüber;  die  Sinnenwelt  ist  von  der  „inteUtgiblen^*  ganz  verschieden.. 
Anthropologische  Dualisten  (s.  Seele)  sind  (wie  Plato,  Aristoteles  u.  a.)- 
einige  Kirchenväter,  Augustinus,  Thomas  und  andere  Scholastiker,. 
auch  Mystiker,  wie  Bonaventura,  welcher  bemerkt:  ,jFaeit  Deus  hominem 
tx  naturis  maxttne  äiatantibus  (corpore  et  anima)  coniunctis  in  unam  peraonam 
et  fuUuram'^  (Breviloqu.  II,  10). 

Eine  neue,  schroffe  Formiüierung  erfährt  der  Dualismus  durch  Descartes. 
Vom  „Coffito,  ergo  sum*^  (s.  d.)  ausgehend,  bestimmt  er  die  Seele  (s.  d.)  als 
rein  geistige,  vom  Leibe  toto  genere  verschiedene  Substanz,  als  „re»  eogitans^^  im 
Gegensatz  zur  „rw  extensa**.  Zwischen  Leib  imd  Seele  besteht  Wechselwirkung,, 
die  freilich  nur  mit  Gottes  Beistand  („eoneuraus,  aasistentia  Dei*^)  möglich  ist.. 
Zwei  Substanzarten,  Geist  imd  Körper,  constituieren  die  Welt.  Die  Verschieden- 
heit beider  sowie  von  Seele  und  Leib  ist  y^lar  und  devÜich^^,  daher  objectiv 
gewiß.  jjSubatantiaa  —  pereipimua  a  ae  mutuo  realiter  eaae  diatinctaa,  ex  koc 
iolo,  quod  unam  abaque  altera  elare  et  diatinete  inteÜigere  poaatmtia.  —  Itemque 
ex  hoe  aoh^  quod  unuaquiaque  intelligat  ae  eaae  rem  cogitantefn,  et  poaait  cogi- 
tatione  exeludere  a  ae  ipao  omnem  aliam  aubatantia?fi,  tarn  eogitanteni  quam 
extenaam,  eertum  eat  unumquemque  aie  apeetatumj  ab  omni  alia  aubatantia  cogi- 
iante  atque  ab  omni  aubatantia  corporea  realiter  diattngui^^  (Princ.  philos.  I,  60).. 
Die  Occasionalisten  (s.  d.)  nähern  diesen  Dualismus  dem  Monismus,  in  den 
er  fast  ganz  bei  Spinoza  übergeht,  der  Geist  und  Materie  als  bloße  Attribute 
(&  d.>  eines  Wesens,  der  Substanz  (s.  d.),  ansieht.  Dualistischer  ist  Leibniz, 
obgleich  er  im  Materiellen  nur  die  Erscheinungsform  des  Geistigen  erblickt; 
aber  er  bestimmt  die  Seele  als  eine  Einzelmonade,  die  vom  Leibe  ver- 
schieden ist. 

Eine  Erneuerung  des  scholastischen  Dualismus  findet  sich  bei  den  modernen 
katholisch  denkenden  Philosophen,  z.  B.  bei  Gutberlet.  Den  Cartesianischen 
Dualismus  erneuert  Günthers  „creatürlicker  Dualismus**,  Einen  anthropolo- 
jd^hen  Dualismus  (zum  Teil  in  Annäherung  an  Leibniz)  vertreten  Herbart, 
Volkmann,  Lotze,  J.  H.  Fichte,  Ulrici,  Martineau,  Jameb,  G.  Thiele, 
L  BuKBE,  KÜLPE,  Rehaike,  W.  Jerusalem  u.  a.  Vgl.  psychophysischer 
ParalleLismuB,  Seele,  Wechselwirkung. 

OuaUtftt:  Zweiheit  (z.  B.  von  Principien).  Der  Ausdruck  „dua^ifas'* 
ftchon  bei  BofiTHlUB.  —  Ein  y^Princip  der  ursprünglichen  Dualität**  in  den  Tat- 
sachen kennt  M.  de  Biran  (Essai  sur  les  fondem.  de  Psycho!.,  Introd.  g(?n.  II).. 
Xach  WuNDT  findet  der  discursive  Charakter  des  Gedanken  Verlaufs  im  „Gesetz 


234  DoaUtät  —  Dysteleologie. 


(ler  Zweigliederung  oder  logischen  Ihuditäi^'^  seinen  Ausdruck.  Es  wird  nämlich 
durch  die  apperceptive  Analyse  der  Inhalt  einer  Gesamtvorstellung  (s.  d.)  zu- 
nächst in  zwei  Teile  (Subject  und  Prädicat)  zerlegt,  worauf  dann  an  jedem 
Teile  eine  ähnliche  Zweigliederung  sich  wiederholen  kann  (Vorles.  üb.  d.  M.*, 
S.  340  f.;  Gr.  d.  Psychol.*,  S.  320;  Grdz.  d.  phvs.  Psychol.  II*,  478;  Log. 
I»,  34  f.). 

Dactlo  per  ImpOSSlMte  (^<a  rov  aBwarov  9<ai  rip  ixd'ia&at  Ttouiv 
TTjt'  n:i68et^ir,  ARISTOTELES)  =  y,ductio  per  propositionein  contradictoriwn^*^  = 
„duHio  ad  absurdum^'.    Vgl.  Absurd,  Apagogiseh. 

Dankel  s.  Klarheit. 

I>iirclidrlii^iing^  s.  Undurchdringlichkeit. 

Dnrsteiiipiliidiui^  ist  eine  der  Gemeinempfindungen  (s.  d.),  beruht  auf 
der  Trockenheit  von  Schleimhäuten. 

I>yaiS  {Bvdg):  Zweiheit.  Eine  j.unbegrenxte  Ztceiheif^^  (aogicros  8vdi)  als 
Gegenprincip  zur  Einheit  (^ovds)  nehmen  die  Pythagoreer  an.  Aus  beiden 
entspringen  die  Zahlen  (Diog.  L.  VIII,  1,  25;  Sext.  Empir.  adv.  Math.  X,  277). 
Bei  Xenokrates  erscheint  außer  der  do^iaroe  Svds  eine  Jvde  als  weibliche 
Gottheit  (Plut.,  Plac.  I,  7,  30,  Dox.  D.  304).  Nach  Plutarch  erzeugt  die 
uorde  mit  der  (receptiven)  Svdg  dd^iaros  die  Welt. 

Dynamik:  Lehre  von  der  Kraft,  von  den  Bewegungskräften.  —  Eine 
psychologische  Statik  (s.  d.)  imd  Dynamik  hat  Herbart  begründet.  Eine 
sociale  Dynamik  unterscheidet  Comte  von  der  socialen  Statik.    Vgl.  Sociologie, 

I>ynaiiil8  (Svvafus):  Potenz,  Vermögen  (s.  d.). 

I>ynainl8Cli s  kraftartig,  von  der  Natur  der  Kraft,  auf  Kräfte,  auf  ein 
Wirken  bezüglich.  Der  dynamische  Seelenbegriff  betrachtet' die  Seele  als 
die  Bewußtseinsactivität  selbst  (s.  Actualitätstheorie).  Die  dynamische  Welt- 
anschauung oder  der  Dynamismus  führt  alle  Erscheinungen  der  Natur 
auf  Kräfte  (s.  d.).  zurück.  Die  dynamische  Auffassung  der  Materie  (s.  d.)  sieht 
in  dieser  (anziehend-abstoßende,  Widers tands-)Kräfte;  die  dynamische  Atomistik 
(s.  d.)  betrachtet  die  Atome  als  Kraftpunkte.  Einen  Dynamismus  lehren  in 
verschiedener  Form  Leibniz,  Chr.  Wolf,  Kai^t,  Schelldig,  Oer.sted, 
Schopenhauer,  Lotze,  Ulrici,  J.  H.  Fichte,  E.  v.  Hartmann  (Weltansch. 
d.  mod.  Phys.  S.  204  ff.),  der  unter  einer  ,jDgnamid^^  das  „System  aller  gleich- 
xeitigen  acfuellen  und  potentieilen  Kraftäußerungen  mit  gleichem  Durchschnitt^' 
punkt^  versteht  (1.  c.  S.  206)  und  in  ihr  das  „wahre  Atorn^^  das  „betcegliche 
Reale''  (ib.)  sieht;  es  gibt  anziehende  und  abstoßende  Dynamiden  (1.  c.  S.  207). 
Die  Dynamiden  setzen  erst  Raum  und  Zeit,  indem  sie  sie  dynamisch  (durch  ihr 
W^irken)  erfüllen  (ib.).  Dynamisch  ist  auch  die  Atomistik  Hamerlings,  Wukdts 
u.  a.  Die  moderne  Energetik  (s.  d.)  hat  auch  einen  dynamischen  Charakter. 
Vgl.  Atom,  Materie,  Kraft. 

I>ynaiiii»iiiafii  s.  Dynamisch. 

DysteleolOi^te  (Haeckel)  heißt  sowohl  die  partielle  Unzweckmäßigkeit 
der  Natur  als  die  Abneigung  gegen  jede  teleologische  (s.  d.)  Naturbetrachtung. 


E  —  Egoismus.  235 


XQ« 


Es  1)  logisches  Zeichen  für  das  aUgeniein  verneinende  Urteil  („negat  e,  sed 
universal iter*^ ) ;  2)  Zeichen  für  die  „Empfindlicfdeit"  (s.  d.) 

E- Werte  nennt  R.  Avenamus  j Jeden  der  Beschreibung  Mtgänglichen 
Werf^  sofern  er  als  Inhalt  einer  Aussage  eines  anderen  menschlichen  Individuunis 
angenomtnen  wird"  (Krit  d.  r.  Erf.  I,  15).  Die  E- Werte  zerfallen  in  ,jElemente" 
(s.  d.)  und  „Charaktere^*  (s.  d.).  Sie  sind  von  den  j,Schwa7ikungen**  (s.  d.)  des 
.,Syisiems  C**  (s.  d.)  „abhängige"  Grundwerte  von  verschiedenen  Modificationen 
(L  c.  II,  o,  16  ff.). 

Ebemnerkllcli  heißt  eine  Empfindung  oder  ein  Empfindungsunter- 
whied,  die  das  Minimum  von  Intensität  besitzen,  welches  zu  ihrer  Bewußtheit 
nötig  ist. 

Ebjonlten:  eine  christliche  Secte. 

Ediu^on  (eductio)  heißt  bei  den  Scholastikern  das  Hervorgehen  der 
yFormefi"  (s.  d.)  aus  der  Potentialität  des  Stoffes,  in  welchem  sie  der  Anlage 
nach  vorhanden  sind;  diese  yyeductio"  erfolgt  vermittelst  eines  Wirklichen, 
Actuellen.  „Eduetio  fortnae  de  potenti<i  materiae"  (SuAREZ,  Met.  disp.  I,  15, 
2,  p.  207). 

Effect  s.  Wirkung. 

Effort  TOUlu:  gewollte,  spontane,  active  Kraftanstrengimg  in  der  Be- 
wegimg des  Ich,  bei  M.  de  Biran  QueUe  des  Causalitatsbegriffs  (s.  d.),  des 
Kraft-  und  Objectsbewußtseins  (s.  d.). 

E^olfiimiu  (theoretischer)  s.  Solipsismus. 

Eg^lfiiiiilis  (praktischer):  Ichtum,  Selbstsucht,  Eigennutz,  bedeutet  1)  im 
wetteren  Sinne:  die  Betonung  des  eigenen  Ich  imd  dessen  Interessen,  jene 
Handlongs-  und  Gesinnungs weise,  die  auf  das  Wohl  und  Wehe  des  eigenen 
Ich  abzielt,  die  in  Motiven  der  Selbstförderung  gegründet  ist;  2)  im  engeren 
Sinne:  die  Selbstsucht,  die  auf  Kosten  des  Wohles  anderer  für  sich  sorgt  (ge- 
meiner, brutaler  Egoismus,  im  Unterschiede  vom  geläuterten  Egoismus,  der  das 
fremde  Wohl  berücksichtigt).  Egoistisch  handelt,  wer  bei  seinem  Tun  nur 
oder  überwiegend  das  eigene  Wohl,  den  eigenen  Nutzen  im  Auge  hat;  altrui- 
stisch, wer  bei  seinem  Tun  fremdes  Wohl  zu  bewirken  beabsichtigt.  Dadurch, 
daß  die  altruistische  Handlungsweise  selbst  für  das  handelnde  Ich  lustvoll  wird, 
hat  sie  noch  nicht  einen  egoistischen  Charakter  —  das  Motiv  und  das  Hand- 
lungsziel ist  das,  w^as  den  Egoismus,  bezw.  den  Altruismus  constituiert.  Die 
egoistische  Moraltheorie  führt  das  Sittliche  auf  egoistische  Motive  zurück 
(8.  Ethik). 

Den  praktischen  Egoismus  lehren  einige  Sophisten,  femer  die  Cyniker 
und  Kyrenaiker,  welche  den  Zweck  des  Daseins  in  der  Erlangung  eigener 
Glückseligkeit  erblicken,  also  Eudämonisten  (s.  d.)  sind;  so  auch  die  Epi- 
kureer als  Hedoniker  (s.  d.).  —  Hobbes  leitet  Recht  und  Sittlichkeit  aus  dem 
egoistischen  Selbsterhaltungstriebe  der  Menschen,  aus  dem  gegenseitigen  Auf- 
einander-angewiesen-sein  derselben  ab  (De  cive  C.  1,  §  2).  Einen  geläuterten 
yJBgoismtts"  vertritt  Spinoza.     Der  vernünftig -gute  Mensch  will  zw^ar  j^snum 


236  Egoismus  —  Eidola. 


c^fiß",  das  Eigensein  bewahren  (Eth.  prop.  IV,  XXTV),  aber  nicht  auf  Kosten 
fremden  Wohles.  „Sequitur,  homines,  qui  ratione  gubemaniur,  hoc  est,  hominesy 
qui  €X  ctudu  rationis  stutm  utile  quaertmt,  nihil  sibi  appetere,  quod  reliqui» 
haminibus  non  eupiant^'  (1.  c.  IV,  prop.  XVIII,  schol.)*  Während  Shaftes- 
BURY  eine  harmonische  Verbindung  egoistischer  und  socialer  Neigungen  als 
sittlich  gut  wertet,  betonen  Holbach,  Helvetiub,  Volney  mehr  das  egoistische 
Moment  des  Handelns.  JSjlnt  bezeichnet  die  ursprüngliche,  in  der  sinnlichen 
Natur  des  Menschen  liegende  Selbstsucht  als  das  ,,radic(ile  Böse^'  (s.  d.).  Der 
„moralische  Egoist^^  ist  „der,  tcelcher  alle  Zwecke  auf  sieh  selbst  einschrätiki,  der 
keitien  Nutzen  worin  sieht,  als  in  dem,  was  ihm  nütxt^*  (Anthrop.  I,  §  2). 
Schopenhauer  (der  selbst  eine  Mitleidsmoral  lehrt)  erklärt:  „Die  Haupt-  und 
Grundtriebfeder  im  Menschen  tcie  im  Tiere  ist  der  EgoismrUS,  d,  h.  der  Drang 
zum  Dasein  und  Wohlsein*'  (Üb.  d.  Grundl.  d.  Mor.  §  14).  Eliner  der  conse- 
quentesten  Egoisten  (nicht  ganz  consequent,  denn  er  spricht  von  einem  „  Verein 
der  Egoisten*')  ist  Max  Stirner  (Der  Einz.  u.  s.  Eigent.)  mit  der  Behauptung, 
das  Ich  sei  selbstherrlich,  erkenne  keine  Werte  außer  ihm  an,  werte  nur  das, 
was  es  selbst  werten  will,  gebrauche  die  Welt  zu  seinen  Zwecken,  folge  nur 
der  Pflicht  gegen  sich  selber  u.  dgl.  Vor  ihm  äußert  ähnliches  schon 
Fr.  Schlegel,  dem  das  praktische  Ich  ebenso  absolut  ist,  wie  das  theoretische 
„Ich"  (s.  d.)  Fichtes.  EgoistlBch,  mehr  aber  individualistisch  ist  die  Ethik 
NnsTZSCHEB.  Nach  H.  Spencer  ist  der  Altruismus  (s.  d.)  von  gleicher  ürsprüng- 
lichkeit  wie  der  Egoismus.  Ihering  sieht  die  Wurzel  des  Rechts  im  Egoismus 
der  Gesellschaft.  Nach  E.  Dühring  ist  der  Egoismus  nichts  Natürliches, 
sondern  „ein  Oebilde  der  Entartung  und  Verderbnis**  (Wirklichkeitsphilos.  S.  139). 
Auch  der  Altruismus  ist  nicht  das  Ursprüngliche,  sondern  das  Gegenstück  ziun 
Egoismus  (ib.).  „Nicht  die  Befahung  des  eigenen  Interesses,  sofidem  die  unstati- 
ftafte  Verneinung  des  fremden,  ähnlieh  oder  gleich  berechtigten  Anspruehs  cott- 
sfituiert  den  tcirklichen  Egoismus**  (1.  c.  S.  143).  Nach  Meinong  begehrt 
egoistisch,  „teer  begehrt  um  der  eigenen  Lust  willen**  (Werttheor.  S.  97  f.).  Das 
Egoistische  im  engsten  Siime  liegt  im  selbstisch-inaltruistischen  Begehren  (1.  c. 
8.  103).  LiPPS  bemerkt:  „Egoistisch  ist  das  Wollen,  das  abzielt  auf  ein  Sach- 
liches, das  und  sofern  es  dem  Wollendefi  als  ein  unmittelbar  ihn  befriedigendes 
vorschwebt**  (Eth.  Grundfr.  S.  10).  Die  neuere,  besonders  die  individualistische 
Ethik  (s.  d.)  erkennt  die  Berechtigung  des  „gesunden**  Egoismus  an.  Sigwart 
betont,  es  sei  „nicht  bloß  der  Eudäm<mis7ntis,  die  Rücksicht  auf  das  Gefühl  der 
lAisi  überhaupt,  sondern  auch  der  Egoismus,  die  Rücksicht  auf  das  Gefühl  der 
eigenen  persönlichen  Lust  notwendig  in  jedem  menschliehen  Wollefi  enthalten** 
(Vorfrag.  d.  Eth.  S.  6).  So  auch  Th.  Ziegler  (Das  Gef.»,  S.  289).  Nach 
Paulsen  gibt  es  in  Wirklichkeit  keinen  absoluten  Egoisten  (Syst.  d.  Eth.  I*, 
232).  Nach  R.  Steiner  ist  Egoismus  „das  Prineip,  durch  sein  Handeln  die 
größte  Sumtne  eigener  Lust  xu  bewirketi,  d.  h.  die  individuelle  Glückseligkeit  xu 
erreichen**  (Philos.  d.  Freih.  S.  144).  Nach  GiZYCKi  ist  eine  Handlung  nur 
dann  egoistisch,  wenn  das  Ich  auch  Object  des  Handelns  ist  (Moralphilos. 
S.  97).  Renouvier  erklärt  den  Egoismus  als  „Vamour  de  soi  et  de  son  hiepi, 
ä  Vexclusimi  du  bien  d*autrui,  ou  simplement  safis  en  tenir  compte**  (Xouv. 
Monadol.  p.  198). 

Ef^otetlsebe  (Idlopatlilscbe)  Geffible  s.  Egoismus. 

Eldola  {BidioXn) :  „Bildercfien**,  die,  nach  Demokrit  und  Epikür,  sich  von 


Eidola  —  Eigenaohaft.  237 


den  Dingen  ablösen^  zu  den  Sinnesorganen  gelangen  und  die  Wahrnehmung 
(s.  d.)  ermöglichen. 

CHdololcli^e:  Lehre  von  den  Eidola,  den  Erscheinungen  im  Bewußtsein, 
ist  nach  Herbart  ein  Teil  der  Metaphysik  (Metaph.  I,  71). 

CHdiis:  Gestalt,  Form  (s.  d.  und  Idee). 

EiKeiiseliaft  ist  eine  dem  Dinge  eigene  Art  zu  sein,  eine  Seinsweise  des 
Dinges ;  dieses  ist  die  Einheit,  der  „  Träger*^  seiner  Eigenschaften.  Im  Begriffe 
der  Eigenschaft  liegt  erstens  die  (empirische)  Zugehörigkeit  zu  einem  Dinge, 
das  Enthaltensein  eines  Etwas  in  einem  Oomplex,  zweitens  die  Beziehimg  der 
Jnhärefix'^  (s.  d.),  das  „Haben*^  des  Quäle  seitens  des  Dinges,  analog  gedacht 
dem  Verhaltnisse  der  Bewufitseinszustände  zum  erlebenden  Ich.  Formal  ent- 
steht der  Eigenschaftsbegriff  als  Product  der  analytischen  Function  der  Apper- 
ception  (s.  d.)  zugleich  mit  dem  Dingbegriff,  wobei  die  innere  Erfahrung  yor- 
bildlich  ist.  Die  Eigenschaft  ist  das,  was  dem  Dinge  als  (relativ)  dauernder, 
constanter,  in  dessen  „  Wesen^^  begrimdeter  Zustand  zuerkannt  wird.  Die  Eigen- 
schaften der  Dinge  zerfallen  in  Qualitäten  (s.  d.),  Quantitäten  (s.  d.)  und 
dynamische  Eigenschaften.  Von  den  sinnlichen  sind  die  begrifflich -wissen- 
achaftlich  gesetzten  Eigenschaften  zu  unterscheiden,  von  den  empirisch-phänome- 
nalen die  transcendenten  Eigenschaften  der  Dinge  zu  sondern.  Endlich  lassen 
sich  noch  physische  (materielle)  und  psychische  (geistige)  Eigenschaften  unter- 
scheiden. 

Xaeh  Aristoteles  ist  eine  Eigenschaft  (idtov),  was  einer  bestimmten  Art 
von  Dingen  zukommt.  Es  gibt  ursprüngliche,  primäre  Eigenschaften  (Y8m 
cnrJUyff,  propria  constitutiva)  imd  abgeleitete,  secundäre  Eigenschaften  (Y3ia  xara 
^vftßfßr^xosy  propria  consecutiva)  (Top.  VI,  128  b  16).  Die  gleiche  Definition  der 
Eigenschaft  bei  Porphyr  und  BoSthius  {„proprium^^  =  „id  quod  soli  cdicui 
9peeuii  aeetdtf*,  Isagog.  p.  38).  Nach  Thomas  ist  jede  „pMsio^^  eine  „qtialitasy 
tecundum  quam  fit  alteratio^^  (5  met.  20c);  „pcissiones*'  heißen  die  Zustände 
eines  Dinges,  „quia  passionem  ingerunt  sensibus  vel  quia  ab  aliquibus  passtom- 
bus  catisatitur'*  (7  phys.  4b).  Chr.  Wolf  erklärt:  y^Attributa^  qtiae  per  atnma 
f*9€ntialia  simul  detenninaniur,  dieuntur  proprietates^'  (Philos.  rat.  §  66).  K.  Bosen- 
KRAKZ  bemerkt:  „Das  wahrhafte  Ding  an  sieh  sind  die  üntersckiedej  welche  das 
Wesen  in  seine  Existenx  seixL  Die  Unterschiede  sind  das  deni  Ding  Eigene^ 
wodurch  es  dies  Ding  ist.  Sie  sind  seine  Eigenschaften.^'^  „Das  Ding  ist  seine 
Eigenschaften^'  (Syst  d.  Wiss.  §  109  ff.).  Herbart  findet  im  Begriff  des  einen 
Dinges  (s.  d.)  mit  vielen  Eigenschaften  einen  Widerspruch.  Nach  LoTZE  sind 
die  Eigenschaften  „nichts,  was  ein  für  aüemal  die  Natur  der  Dinge  ausmachte, 
fttndem  sie  sind  etwas,  was  den  Dingen  unter  Umständen  widerfährt,  oder  Arten, 
wie  sie  sich  utiier  Bedingungen  verhalten"  (Gr.  d.  Met.*,  S.  17).  WuNDT  betont, 
dafi  „m  einem  einigermaßen  exacteti  Sinne  als  ,Eigensehaften'  eines  Körpers  nur 
solche  fyädieate  gelten  können,  die  ihn  dauernd  als  ihm  selbst  angehörige  Merk- 
male xtdcommen,  nicht  Wirkungen,  die  der  Körper  erst  ausübt  oder  empfängt, 
trenn  er  unter  bestimmte  Bedingungen  versetzt  wird''  (PhiL  Stud.  XIII,  386). 
Der  Eigenschaftsbegriff  ist  eine  logische  Kategorie  (s.  d.).  Nach  Uphctes  sind 
sinnliche,  mathematische,  mechanische  Eigenschaften  zu  unterscheiden  (Psychol. 
d.  Erk.  I,  8.  43).  Nach  R.  Hamerling  sind  die  Eigenschaften  „nicht  objective 
Wesenheiten  der  Dinge  .  .  .,  sondern  Wirkungen  derselben  auf  unsere  Sinnet' 
lAtom.  d.  Will.  I,  15).    Nach  Höffdino  sind  die  Eigenschaften  eines  Dinges 


238  Eigenaohaft  —  Einbildungskraft. 


^^niehis  als  die  verschiedenen  Arien  und  Weisen^  tote  dieses  Ding  andere  Dinge 
beeinflußt  und  van  diesen  beeinflußt  wird.  Sie  sind  dessen  Fähigkeiten  des 
Wirkens  und  des  Leidens'^  (Religionsphil.  S.  31).  Jerusalem  sieht  in  den 
EigenecliafteD  die  ^potentiellen  Wirkungen^^  der  Dinge  (Lehrb.  d.  PsychoL*, 
S.  100).  Nach  Schuppe  sind  Ding  und  Eigenschaft  CJorrelatbegriffe.  „TT« 
ais  Eiget^ehaft  gedacht  resp.  in  der  Fomi  des  Eigenschaftswortes  ausgesproehett 
wird,  hat  also  diese  Bexiehung  schon  in  sieh,  daß  es  mit  anderem  zusammen 
das  so  und  so  benannte  Oanxe  ausmacht,  etwas  von  allem  demjenigen  ist,  teas 
durch  die  ,  .  .  Oesetxliehkeiten  die  Einheit  eines  Dinges  ausmacht*'  (Log.  B.  131  iL). 
Die  Eigenschaftsbegriffe  „verknüpfen  hieht  ein  Zusammen  von  Erscheinungen 
auf  Grund  vermuteter  oder  erschlossener  Zusammengehörigheit,  sofident  haben  in 
erster  Linie  ein  Objeetsverhältnis  und  combinieren  Motive,  Bedingungen,  Zwecke, 
so  daß  die  Mehrheit  der  wahrnehmbaren  Einzelheiten  nur  als  die  natürliche 
Consequenx  a/us  dem  einen  Principe  und  Grunde  erscheint*^  (1.  c.  S.  162).  Nach 
Bchubebt-Soldern  ist  jede  Eigenschaft  eines  Dinges  eine  „causale  Bexiehung 
XU  anderen  Dingen"  (Gr.  e.  Erk.  S.  132);  sie  ist  „das  an  einem  Ganzen,  einem 
Zusammen  von  Daten  unterschiedene  einzelne  Datum  oder  eine  unterschiedene 
TeHgruppe  desselben,  bezogen  auf  das  Zusammen  als  catisal  oder  räumlidi  xu 
ihm  gehörig"'  (l.  c.  8.  146). 

Die  Eigenschaften  werden  also  bald  der  dinglichen  Einheit  g^enüber- 
gestellt,  bald  ab  Bestandteile,  Factoren  des  Dinges  selbst  aufgefaßt  Die  Rea- 
lität der  Eigenschaften  anbelangend  s.  Qualität.    Vgl.  Attribut,  Zustand. 

E31§^enwerteg;efniile  unterscheidet  Lipps  innerhalb  der  „Persönlich- 
keitstcertsgefühle.''  (Eth.  Grundfr.  S.  29). 

£lnbildiiii|f9  Elnbildnn^kraft,  Elnbildmi^Torslelliuig  s. 

Phantasie. 

Elnbildniii^kraft«  transcendentale  oder  reine,  productive 
imterscheidet  Kaitt  von  der  reproductiven  Einbildungskraft  (s.  Phantasie). 
Erstere  ist  eine  der  „subjectiven  ErkenfUnisqu^dlen"  (Krit.  d.  r.  Vem.  8.  126), 
die  aller  Association  der  Vorstellung  schon  zugrunde  liegt  (1.  c.  S.  127).  Sie 
ist  ;,eine  Beditigung  a  priori  der  Möglichkeit  aller  Zusammensetzung  des  Mannig- 
faltigen in  einer  Erkenntnis""  (1.  c.  S.  128).  Sie  ist  „franscendental'"  (s.  d.), 
weil  „ohne  Unterschied  der  Anschauungen  sie  auf  nichts  als  bloß  auf  die  Ver- 
bitidung  des  Mannigfaltigen  a  priori  geht""  (1.  c.  S.  129).  Sie  vermittelt  zwischen 
Anschauung  und  Denken,  ermöglicht  die  Anwendimg  der  Kategorien  (s.  d.) 
auf  den  Erfahrungsinhalt  (ib.).  Sie  „bringt  das  Mannigfaltige  der  Anschauwig 
in  ein  Bild""  (1.  c.  8.  130).  „W^tr  haben  .  .  .  eine  reine  Einbildungskraft,  ais 
ein  Grundvermögen  der  menschlichen  Seele,  das  aller  Erkenntnis  a  priori  xum 
Grunde  liegt.  Vermittelst  deren  bringen  icir  das  Mannigfaltige  der  Anschauung 
einerseits  mit  der  Bedingung  der  notwendigen  Einheit  der  reiyien  Apperception 
anderseits  in  Verbindung.  Beide  äußerste  Enden,  nämlich  Sinnlichkeit  und 
Verstand,  müssen  vermittelst  dieser  transcefidentalen  Function  der  Einbildungs- 
kraft notwendig  xusammenhängen,  weil  jene  sonst  zwar  Erscheintingen,  aber  keine 
Gegenstände  eines  empirischen  Erkenntnisses,  mithin  keine  Erfahrung  geben 
würden""  (1.  c.  S.  133).  In  der  2.  Ausgabe  der  Kr.  d.  r.  Vem.  heißt  es:  „Eif^ 
bildungs kraft  ist  das  Vermögen,  einen  Gegenstand  auch  ohne  dessen  Gegen- 
wart in  der  Aftschauung  vorzustellen.  Da  nun  alle  unsere  Afischauung  sintüich 
ist,  so  gehört  die  Einbildungskraft,  der  subjectiven  Bedingung  wegen^  unter  der 


Sinbüdungskraft  —  Einfachheit.  23<> 


sie  allein  den  Verstandesbeffriffen  eine  eorrespondierende  AnscJiauung  geben  kann, 
xur  Sinnliehkeit;  sofern  aber  doch  ihre  Synthesis  eine  Ausübung  ihrer  Spon- 
ianeüäl  ist,  welche  bestiimnend  und  nicht,  wie  der  Sinn,  bloß  bestimmbar  isty 
mthin  a  priori  den  Sinn  seiner  Form  ncuih  der  Einheit  der  Appereeption  genfäß 
bestimmen  kann,  so  ist  die  Eifibildungskraft  sofern  ein  Vermögen,  die  Sinfüich- 
keit  a  priori  xu  bestimmen,  und  ihre  Synthesis  der  Anschauungen,  den  Kate- 
gorien gemäß,  muß  die  transcendentale  Synthesis  der  Einbildungskraft 
sein,  icdehes  eine  Wirkung  des  Verstandes  auf  die  Sinnlichkeit  und  die  erste 
Eifttcirkteng  desselben  (%/ugleieh  der  Orund  aller  übrigen)  auf  Gegenstände  der  ^ 
uns  mögliehen  Anschauung  ist^^  (L  c.  S.  673).  —  J.  G.  Fichte  führt  diese 
Lehre  weiter.  Ihm  ist  die  productive  Einbildungskraft  die  unbewußt  An- 
sehauungB-Inhalte  und  -Formen  setzende  Tätigkeit  des  Ich  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  415). 
So  auch  ScHELiilKG  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  I,  223).  Über  die  erkenntnistheoretische 
Wertung  der  Einbildungskraft  bei  Hume,  Nietzsche  u.  a.  s.  Phantasie. 

EiDdeotii^liLelts  feste  Bestimmtheit  eines  Geschehens.  J.  Petzoldt 
will  an  die  Stelle  des  Causalprincips  das  „Gesetx  der  Eindetäigkeit'^  setzen, 
welches  es  ermöglicht,  ,för  irgend  einen  Vorgang  Bestimmungsmittel  xu  finden^ 
(ktrch  die  er  allein  festgelegt  wird^^  (Vierteljahrsschr.  f.  w.  Phil.  Bd.  19^ 
8.  146  ff.). 

EiiidnicliL  s.  Impression. 

Eine«  das,  s.  Einheit 

Einerlellielt  s.  Identität. 

EHn/aelilielt  bedeutet  Freisein  von  Teilen  und  Ausdehnung.  Einfach 
ist  der  geometrische,  der  dynamische  Pimkt,  das  Atom,  einfach  ist  die  Icbheit 
in  ihrer  (abstracten)  Reinheit.  Von  einigen  wird  die  Seele  (s.  d.)  für  ein  ein- 
faches Wesen  gehalten. 

Chr.  Wolf  definiert:  „Ens  simplex  dicitur  quod  partibus  caret^  (OntoL 
§  673),  „extensum  non  est^^  (1.  c.  §  675),  „est  indivisibile^^  (1.  c.  §  676),  „nulla 
praeditttm  est  figura'^  (1.  c.  §  677),  „caret  niagnitudine*^  (1.  c.  §  678),  „mdlum 
fpatium  implere  potesi^^  (L  c.  §  679).  Das  Einfache  ist  das  schlechthin  Teillose,, 
Größeloee,  Formlose  u.  s.  w.  (Vem.  Ged.  I,  §  81).  Wie  Leibniz  (s.  Monaden) 
erklärt  er:  „Wo  xusamnwfigesetxte  Dinge  sind,  da  müssen  aueh  einfache  sein^'- 
iVem.  Ged.  I,  §  76).  Kant  betont,  „daß,  wenn  wisere  Simie  auch  ifis  Uti- 
blicke  geschärft  würden,  es  doch  für  sie  gänxlich  unniöglich  bleiben  müßte ^ 
dem  Einfachen  aueh  nur  näher  xu  kommen,  viel  weniger  endlich  darauf  xu 
t^ßen,  ufeü  es  in  ihnen  gar  nicht  angetroffen  wird;  da  alsdann  kein  Austccg 
übrigbleibt,  als  x/u  gestehen :  daß  die  Körper  gar  nicht  Dinge  an  si-ch  selbst,  und 
ihre  Swmenrarsf eilung,  die  wir  mit  dem  Namen  der  körperliclien  Dinge  belegen, 
nichts  als  die  Erscheinung  von  irgend  etwas  sei,  was,  als  Ding  an  sieh  selbst, 
QÜein  das  Einfache  enthalten  kann,  für  uns  aber  gänxlich  unerkennbar  bleibt^^ 
(Üb.  e.  Entdeck.  S.  29).  „Ein  Object  sich  als  einfach  vorstellen,  ist  ein  bloß 
negativer  Begriff,  der  der  Vernunft  unvermeidlich  ist,  weil  er  allein  das  Un- 
bedingte xu  allem  Zusammengesetxten  .  .  .  enthält,  dessen  Möglichkeit  jederzeit 
hedingt  »/."  Ob  das  Ding  an  sich  einfach  oder' zusammengesetzt  ist,  können 
wir  nicht  wissen  (gegen  die  Monadologie)  (1.  c,  S.  29).  —  Fechner  erklärt: 
,vÄm  psychisch  Einheitliche  und  Einfache  knüpft  sieh  an  ein  physisch  Mannig- 
faltiges, das  physisch  Mannigfaltige  xielä  sich  psychisch  ifis  Einheitliche,  Ein- 


240  Binfaohheit  —  Einheit. 


fache  oder  noch  Einfachere  xusammen"  (Elem.  d.  Psychoph.  II,  526).  B.  Wähle: 
„Der  Begriff  des  Einfachen  ist  die  vernünftig  nicht  faßbare  Verk&rpenmg  des 
Wunsches,  den  Gegensatx  von  demjenigen  zu  begreifen,  an  dem  wir  Teile  tDokr- 
nehmen  können"  (Das  Ganze  d.  Philos.  S.  90).  Vgl.  Monaden,  TeUbarkeit,  Un- 
endlichkeit. 

Einfaehhelts-Prlnclp  b.  Princip. 

Cilnlielt  ist  ein  Fundamentalbegriff,  der  aus  der  Reflexion  auf  die  ver- 
bindend-zerlegende  Tätigkeit  des  Bewußtseins,  des  Ich  entspringt.  Das  Ich 
(s.  d.)  ist  die  Quelle  aller  Einheitsbegriffe,  es  ist  (sich  und  Objecte  setzende) 
Einheitsfun ction,  faßt  Erlebnisse,  Inhalte  in  einem  Act«  in  einem  Ck>mplex,  in 
einer  Synthese  zusammen  und  trennt,  unterscheidet  einen  Inhalt,  einen  Complex 
Yon  Inhalten  von  anderen  Inhalten  oder  Objecten.  Die  Einheit  des  Be- 
wußtseins (der  Apperception)  ist  das  Formal- Apriorische  alles  Erkennens,  die 
subjective  Quelle  der  Kategorien  (s.  d.)  und  Anschauungsformen  (s.  d.)  sowie 
der  Setzung  von  Objecten  (s.  d.).  —  „Einheit**  ist  sowohl  das  Als-eins-gesetzt^ 
sein  als  auch,  im  engeren  Sinne,  das,  was  als  eins  gesetzt  wird,  das  Eine, 
die  Eins.  Einheit  ist  nicht  mit  Einfachheit  identisch,  sie  schließt  die 
Vielheit  nicht  aus, .  kann  sie  einschließen.  Die  Einheit  des  Vielen,  Mannig- 
faltigen ist  anschaulich  oder  begrifflich,  mathematisch  (numerisch),  causal- 
dynamisch  oder  teleologisch,  je  nach  der  Art  der  Zusammenfassung,  Verbindung. 
Die  subjective  Einheit  ist  die  des  Ich,  die  objective  die  des  Dinges,  die  kos- 
mologische  die  der  Welt,  von  der  noch  die  göttliche  Einheit  unterschieden 
werden  kann.  —  Der  Terminus  „Einheit"  stammt  von  Leibniz  (für  unitas,  unit^), 
früher  sagte  man  „Einigkeit^*, 

Zunächst  betrachten  wir  die  verschiedenen  Bestimmungen  des  Begriffs  Ein- 
heit im  allgemeinen. 

Aristoteles  unterscheidet  das  schlechthin  Eine  (iv  xad'  avro)  und  die 
relative  Einheit  (iv  xata  ffvfißeßrjxog);  ersteres  besteht  im  Stetigen  und  UnteU- 
baren  (Met.  V  6,  1015b  16  squ.,  III  3,  999  a  2).  Einheit  ist  nicht  Zahl  (Met 
XIV  1,  1088  a  6),  sondern  die  QueUe  aller  Zahl  (Met.  V  6,  1016  b  18),  sie  ist 
kein  Gattungsbegriff  (Met.  VIII  6,  1045  b  6),  ist  nicht  mit  Einfachheit  zu  ver- 
wechseln (icTT*  To  ^  xal  ro  anlavv  ov  ro  avro,  Met.  XII  7,  1072a  32;  vgl 
V  6,  1016b  25).  Der  Mathematiker  Euklid  bestimmt:  i^ovag  iimv,  x«^  ^V 
i'xaarov  tcSv  ovraw  bv  leyerai  (Elem.  VII).  Nach  BoßTHlus  ist  in  der  wahren 
Einheit  keine  ZaU. 

Die  Scholastiker  betrachten  die  Einheit  (unitas)  als  Attribut  jedes  Dinges 
(„omne  ens  verum,  unum,  bomim**).  „  U?iitas  igitur  singulis  rebtts  forma  essend* 
est;  utide  vere  didtur:  omne  quod  est  ideo  est  quia  unum  est*  (bei  Haureau 
I,  p.  402).  Albertus  Magnus  erklart:  „unitas  est  qua  quaelibei  res  una  est" 
(Sum.  th.  I,  22,  1).  Zu  unterscheiden  sind:  „unitas  puneti,  corporis,  homogenii, 
principiorum  substantiae,  companentium  quidcumque  compositum,  et  intelligi- 
bilium**  (L  c.  20,  2).  Thomas  unterscheidet  „unitas  rmmercUis"  und  „unitas 
trafiscendens"  (metaphysische  Einheit,  Einheitlichkeit)  (Sum,  th.  III,  2,  9  ad  1; 
1  sent.  31,  3,  Ic);  „ratio  unitatis  consistit  in  indivisiane^*  (1  sent.  24,  1,  2  c). 
Die  „unitas  formae"  ist  das,  vermöge  dessen  „nihil  est  simpliciter  unum,  nisi 
per  formam  unum,  per  quam  habet  res  esse"  (Sum.  th.  I,  76,  3).  „  Unum  nihii 
ali/ud  significat  quam  ens  indivisum"  (1.  c.  I,  11,  1).  Unter  „unitas  essenüaiis^* 
verstehen   die   Scholastiker  die  Einheit  der  Wesenheit,    der  Natur   ^es 


Sinheit.  241 


Dinges.  Xach  den  Formalisten  gibt  es  nur  eine  Einheit  in  vielen  In- 
diriduen. 

Spinoza  betont,  daß  die  Einheit  dem  Wesen  nichts  hinzufüge  („unitatem 
.  .  .  enti  nihil  addere^*),  sie  ist  (wie  nach  Desgartes)  bloß  ein  Begriff  (^ytan- 
tmn  modufn  eogiiandi  esse,  quo  rem  ah  aliis  separamus,  qtuie  ipsi  similes  suntf 
rei  cum  ipsa  aliquo  modo  conveniunt^'  (Cogit.  met.  I,  5).  Leibniz  sagt  im 
scholastischen  Sinne:  f,Ce  qui  n'est  pas  veritablement  un  estre,  n'est  pas  fwn 
yius  reritabiement  un  estre**  (Gerh.  II,  97).  „//  n*y  a  point  de  mtUfüude  saphs 
<fr«  reriiMef  unites*^  (L  c.  IV,  482,  s.  Monaden).  Ch».  Wolf:  fJnseparMNtas 
«nw»,  per  qnae  ens  detenninatur ,  unitas  entis  appellatur*^  (Ontol.  §  328). 
Bonnet  erklart  die  Vorstellung  der  Einheit  so:  ,J/dme  ne  eonsiderant  dans 
tkaqtte  objet  que  Vexistence  et  faisant  V  abstrctction  de  toute  ewnpoaition  et  de  iotäe 
attribiU,  eile  acquerra  Videe  d'unitt''  (Ess.  de  PsychoL  C.  14).  Berkeley  erklärt 
Einheit  für  eine  gegenstandslose,  abstraete  Idee  (Princ.  XIII,  CXX).  Hume  be- 
trachtet ab}  Einheit  nur  das  Unteilbare  (Treat.  II,  sct.  2). 

Von  nun  an  wird  die  Einheit  der  Objecte  (und  des  Bewußtseins)  vielfach 
aus  dem  Selbstbewußtsein  abgeleitet.  So  zunächst  von  Kant.  Die  Einheit 
des  (reinen)  Selbstbewußtseins,  die  Einheit  der  synthetischen  Function  des 
Sabj€ct8  ist  die  Quelle  aller  Einheit  in  der  Erkenntnis,  die  formale  Bedingimg 
aller  Erfahrung,  d.  h.  sie  ist  transcendental  (s.  d.).  Nichts  kann  ein  Erkenntnis- 
object  werden,  ohne  in  die  Einheit  des  Bewußtseins,  der  ,fApperceptian"  gefaßt 
worden  zu  sein.  Es  ist  „die  Einheit,  icelehe  der  Gegenstand  notwendig  maeht,  nichts 
<Mderes  .  .  .,  als  die  formale  Einheit  des  Beteußtseins  in  der  Synthesis  des 
Mannigfaltigen  der  Vorstellungen^*^  (Xrit.  d.  r.  Vem.  S.  119).  Die  „iranseen- 
dtntale  Eifiheit*'^  der  productiven,  verknüpfenden  Einbildimgskraft  (s.  d.)  ist 
,vrf«  reifte  Farm  aller  mögliehen  Erkenntnis^^  (1.  c.  S.  129).  Die  „Einheit  der 
Äppereeption^*  besteht  in  der  Identität  des  Ich  mit  sich  selbst  durch  alle 
Modificationen  hindurch,  in  dem  „ich  denket*,  das  alle  Vorstellungen  des 
Ich  begleiten  muß  können  (1.  c.  S.  659).  Alle  Bewußtseinsinhalte  werden,  um 
objectiv  zu  sein,  auf  die  allbefassende,  reine  Apperception  (s.  d.)  bezogen  (1.  c. 
S.  133).  Die  jftranscendentale  Eifiheit  der  Apperception"  macht  aus  den  Er- 
(ahrungsinhalten  einen  gesetzmäßigen  Zusammenhang;  das  Subject  legt  seine 
eigene  Einheit  in  die  Objecte  hinein  (1.  c.  S.  121).  Als  Betätigimgen  der  Ein- 
bdtfiform  des  Bewußtseins  überhaupt  bringen  die  Eüategorien  (s.  d.)  Einheit  in 
<iie  Anschauungsobjecte  (1.  c.  S.  129).  Nach  Fries  sind  die  Einheitsvorstellungen 
,^s  reine  Eigentum  unsrer  Selbsttätigkeit  im  Erkennten"  (Syst.  d.  Log.  S.  54). 
Es  gibt  eine  ,/inalytische^^  Einheit  (Allgemeinheit),  welche  „rtc/c  Vorstellungen 
ftnter  sich  efUhälf\  und  eine  „synthetische"  Einheit,  welche  yyviele  Vorstellungen 
in  sich  enthält"  (1.  c.  S.  95).  Nach  Schleiermachbr  liegt  die  Quelle  der 
Einheit  von  Objecten  in  der  Vemunfttätigkeit  (Dial.  S.  63).  Nach  Herbart 
besitzt  der  psychische  Mechanismus  eine  ursprüngliche  Einheit.  „Die  Einheit 
*r  Se^e  selbst  ist  der  tiefe  Orund,  aus  welchem  in  ufiser  Vorstellen  die/efiige 
Einheit  kommt ,  die  wir  hintennach  im  Vorgestellten  vermissen"  (Lehrb.  z.  Psych.*, 
8.  135  f.).  Was  im  Vorstellen  nicht  durch  „Hemmungen"  (s.  d.)  getrennt  wird, 
t4m  bleiht  beisammen  und  wird  vorgestellt  als  eins"  (PsychoL  a.  Wiss.  II, 
B.  115).  Nach  Lotze  ist  die  dingliche  Einheit  kein  (Gegenstand  der  Erfahnmg 
^6r.  d.  Met.  S.  17).  Die  Seele  ist  eine  Einheit,  setzt  denkend  Einheiten  (Med. 
PiychoL  S.  15;  Mikiok.  I,  174).  Nach  Fechner  knüpft  sich  die  Einheit  des 
Bewußtseins  ,/m  einen  weehselwirkendefi  Zusammenhang"  der  Weltelemente 

PhiloiophUoh«*  WörUrbsoh.    %.  Aafl.  16 


242  Einheit. 


(„synechologüche^*^  Ansicht,  Tagesans.  S.  246).    „Da«  psychisch  EinheitlicJie  und 
Einfache  knüpft  sich  an  ein  physisch  Mannigfaltiges,  das  physiscJi  Mannigfaltige 
xieht  sich  psychisch  ins  Einheitliche^  Einfache  oder  doch  Einfachere  xttsammer^^ 
(Elem.  d.  Psychophys.  II,  526).    Nach  Lipps  besteht  alle  Einheit  „tw  der  Ein- 
heit des  xtcsammenfassenden  Denkens.    Dagegen  gibt  es  keinen  Sinn,  die  Einheit 
als  etwa^  x/u  fassen,   das  tcir  in  den  Dingen  fänden  und  anerkermlen^'  (Gr.  d. 
Seelenleb.  S.  590).     Einheit   bezeichnet   „die  einfaclie   Setzung  eines   Mannig- 
faltigen^^,  Einzelheit   aber   „die   einfache   Setxung    von  bestimmtein   Inhalt  im 
Gegensatx  xur  Setxung  weiterer  Objecte"  (Gr.  d.  Log.  S.  99).    Nach  Ebbing- 
HAUS  wird   die  Einheit  eines  Ganzen   nicht   erst   durch   das  Denken  gesetzt, 
sondern  kann  unmittelbar  wahrgenommen  werden  (Gr.  d.  Psychol.  I,  481  ff.). 
BiGWABT  unterscheidet  äußerliche  und  zufällige,  causale  und  teleologische  Einheit 
(Log.  I*,  258  ff.).    E.  V.  Hartmann  erklärt :  „Jede  Einheit  ist  Einheit  mehrerer 
oder  Vieleinigkeit,  jede  Vielheit  ist  Oetrenntheit  oder  Vereinxelung  eines  irgendwie 
Oeeinten^^  (Kategor.  S.  231).   Zu  unterscheiden  sind:  substantielle  und  fimctionelle 
Einheit,  dynamisch  thelistische  imd  logisch  ideale  Einheit,  causale  und  teleologische 
Einheit  (1.  c.  S.  234  f.).   Die  Einheit  des  Bewußtseins  entsteht  durch  das  Vergleichen 
gegenwärtiger  mit  vergangenen  Vorstellungen  (Philos.  d.  Unbew.  II'®,  62).    Das 
individuelle  Ich  ist  nicht  das  eine,  absolute  Bubject,  sondern  eine  Summe  von 
Tätigkeiten,  die  von  einer  „Centralmonade^^  dirigiert  werden  (1.  c.  II,  481,  404  f.; 
Mod.   Psychol.  8.  287  ff.).    Nach  Wundt  beruht  die  Einheit  des  Ich  auf  der 
Einheit  des  WoUens,  des  Appercipierens  (Vorles.  üb.  d.  Mensch.',  S.  271,  250). 
Der  Wille  (die  Apperception)  ist  eine  Einheitsfimction,  das  Denken  ist  Willeiis- 
handlung  imd  damit  auch  die  Quelle  der  objectiven  Einheitsvorstellungen  (Log. 
I,  417;  Grundz.  d.  ph.  Psychol.  II*,  499;  Phü.  Stud.  X,  119).    „Einheit  der 
Apperception^^  ist  „die  Tatsache,  daß  jeder  in  eifiem  gegebenen  Augenblick  apper- 
cipierte  Inhalt  des  Beinißtseins   ein  einheitlicher  ist,  so   daß  er  als  eine 
einxige  mehr  oder  mitider  xusammengesetxte  Vorstellung  aufgefaßt  iftrrf*^  (Völker- 
psych.  I  2,  4()6).   Biehl  erblickt  im  Ich  die  formale  Einheit  aller  Bewußtseins- 
vorgänge, die  auch  das  Objective  erst  zur  Einheit  verknüpft  (Phil.  Kritic.  II  1, 
234;  vgl.  Identität).     Schuppe  findet  die  numerische  Einheit  darin,  daß  „po- 
sitive Bestimmtheit   als   solche   beteußt    wird,    ohne    in    sich    Unterschiede  er- 
kennen  oder  beacfiten   xu  lassen'*   (I^g*    S.  104).     Der   Einheitsbegriff   gehört 
dem  Identitätsprincip  an.    Einheit  ist  „nietnals  unmittelbares  Sinnesdatnm  .  . ., 
sondern  immer  hinxugedachf**  (1.  c.  S.  105).    Sie  ist  das,  was  den  Dingcharakter 
ausmacht  (1.  c.  S.  120).     H.  Corneliits  bemerkt:  „Wenn  wir  .  .  .  ron   eifier 
Zusammensetxung  unseres  gesamten  Bewußtseinsinhaltes   aus  Teilen  und   ton 
einheitlichen   Teilen  im  Oegensatxe  xu  den  daraus  gebildeten  Mehrheiten 
sprechen,  so  führt  uns  daxu  die  BhrfaJirung,  daß  wir  eben  diese  Teile  nicht  immer 
bloß  in  der  betreffenden  Zusammenstellu/ng,  nicht  bloß  als  Glieder  gerade  dieser 
Mehrfteit,   sondern  auch  abgesondert  bex.   in  aii derer    Umgebung  ketifi&i 
lernen"  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  173).    Husserl  erklärt:  „Alles  wahrhaft  Einigende 
.  .  .  sind  die  Verhältnisse  der  Fundierung**,    Einheit  ist  ein  „kaiegoriale^  Prä- 
dicat"  (Log.  Unt.  II,  272  f.).    Nach  Volkelt  ist  die  Einheit  des  Bewußtseins 
unmittelbar  gegeben,    sie   ist   Product  einer  unbewußten   Tätigkeit   (PsychoL 
Streitfr.  II;  Z.  f.  Phüos.  Bd.  92,  S.  80,  99  f.;  vgl.  Bd.  112  u.  118).    Natobp 
betrachtet  die  Bewußtseinseinheit   als  eine  ursprüngliche  Tatsache  (EinL  in  d. 
PsychoL  S.  11  ff.,  112).    So  auch  Rehmke;  das  Bewußtsein  selbst  ist  Einheits- 
grund (Allg.  Psychol.  S.  152  ff.,  452  ff.).     So  auch  L.  Busse,  nach  welchem 


Einheit.  243 

8ie  kein  Analogon  im  physischen  Organismus  hat  (Geist  u.  Körp.  S.  226;  gegen 
HÖFFDING,  PsychoL',  S.  62).  „Die  Einheit  des  Bewußtseins  bedeutet  nieJit  eine 
besondere  Vorstellung,  die  xu  den  a/nderen  Vorstellungen  gelegentlich  noch  hinxu- 
träie^  sie.  bedeutet  ebensowenig  eine  Su/mmation  der  einzelnen,  mit  der  Eigen- 
tümliehkeit  der  Bewußtheit  ausgestatteten  ,Psyehonfe'  oder  fPsychosen^  sondern 
.ne  stellt  eine  dieselben  xusammenfassende  und  sie  in  Bexiehung  xueinander 
setxende  formale  und  allgemeine  Eigentümlichkeit  edles  Betcußtseins  überhaupt 
dar}^  „  Und  für  diese  Gnindeigentümlichkeit  des  seelischen  Lebens  inangelt  es  . . . 
an  einem  physiscfien  Änalogon"  (G.  u.  K.  S.  226).  Nach  HÖFFDING  ist  die 
Einheit  des  Bewußtseins  ein  Product  synthetischer  Tätigkeit  in  der  Vielheit 
der  Zustände  (Psychol.  S.  64).  AhnKch  Ardigö  (UnitÄ  della  conscienza  1898), 
G.  Villa  (Einl.  in  d.  Psychol.  S.  469).  Nach  G.  Spicker  setzt  die  Einheit 
des  Bewußtseins  die  reale  Einheit  des  Organismus  voraus  (Vers.  e.  n.  Gottesbegr. 
^^.  165).  Nach  Simmel  ist  die  Einheit  der  Seele  „offenbar  nur  der  Name  für 
das  etnpirisch  normale  Zusammenbestehen  ihrer  Inhalte^^  (Einl.  in  d.  Moralwiss. 
n,  370).  Nach  Cufpord  ist  die  „Einheit  der  Äpperception"  „nicht  in  dem 
mufenblicklichen,  einigenden  Beipußtsein  vorhanden^  sondern  in  seiner  nachträg- 
lichen Beflexion  auf  dnsselhe";  dieses  besteht  in  der  Fähigkeit,  „einen  getcissen 
Zusammenhang  zidschen  den  Erinnerungen  xweier  Empfindungen  herzustellen, 
dk  wir  in  dernselbeti  Augenblick  gehabt  haben**  (Von  d.  Nat.  d.  Dinge  an  sich 
S.  38  f.).  E.  Mach  meint:  „daß  die  nerschiedetien  Organe,  Teile  des  Nerven- 
fystetns,  miteinander  physisch  xusammenhängen  und  durcheinander  leicht 
erregt  werdefi  können,  ist  wahr  scheint  ich  die  Grundlage  der  ,psychischen*  Ein- 
heit** (Anal.  d.  Empfind.*,  S.  21,  22  f.).  Nach  der  Associationspsychologie 
ts.  d.)  ist  die  Bewußtseinseinheit  das  Product  der  Verbindimg  und  Wechsel- 
wirkung der  Bewußtseinsinhalte,  bezw.  der  Oganismus-Teile  imd  -Functionen. 

Bezüglich  der  kosmologisch-götüichen  Einheit,  des  Einheitsprincips  der 
Dinge  ist  die  pantheistische  (s.  d.),  theistische  (s.  d.),  atheistische  (s.  d.)  Auf- 
fassung zu  unterscheiden. 

Als  eine  Einheit  betrachtet  das  All  Parmenides  {ev  xai  nav,  s.  Pantheismus). 
Pythagoras  sieht  in  der  Einheit  (jiovdg)  das  Princip  der  Ding<i  und  deren 
Wesenheiten  (der  „2jahlen** ,  s.  d.) :  a^x^^  f^^  aTtdvrcav  uovdSa  (Diog.  L. 
VIII,  25;  Stob.  Ecl.  I,  2,  58;  vgl.  I,  308).  Plato  nennt  die  „Ideen**  (s.  d.) 
Einheiten  {uordSss,  et^dSeg);  die  höchste  Einheit  ist  die  Idee  des  Guten  (s.  d.). 
ilODERATUS  erblickt  in  der  Eins  die  Ursache  der  Harmonie  der  Dinge  (Porphyr., 
Vit.  Pythag.  48  ff.;  Stob.  Ecl.  I  1,  18;  vgl.  306).  Plotin  bezeichnet  die  über- 
seiende, übergeistige  {inixeiva  vov),  übervemünftige  göttliche  Wesenheit,  aus 
der  alles  emaniert,  als  das  Eine  {^v).  Es  ist  nicht  das  All  selbst,  sondern  nqo 
^idvtan'  (Ennead.  III,  8,  8),  aber  es  enthält  alles  (1.  c.  VI,  7,  32).  Von  ihm 
peht  alles  aus,  und  es  ist  das  Ziel  aller  Dinge  (1.  c.  VI,  2,  11;  vgl.  VI,  2,  21  f.; 
!*.  Grott).  Jambuch  ninmit  eine  erste  und  zweite  überseiende  Einheit  an 
iJ^toh  EcL  I,  184;  vgl.  Zeller  III  2»,  688,  793  ff.). 

XicoLAiJS  CusAN^us  nennt  Gott  (s.  d.)  die  „unitas.  absoluta*^  (Doct.  ignor. 
II,  4);  so  auch  G.  Bruno.  Nach  ihm  und  nach  Spinoza  ist  das  All  eine 
Einheit  göttlicher  Art.  Schelling  erklärt:  „Alles  ist  absolut  eines,  und  alle 
Totalität  quillt  unmittelbar  aus  der  absoluten  Identität  fiervor*'  (Naturphilos. 
S.  276).  Nach  Schopenhauer  liegt  allem  Sein  ein  einheitlicher  Wille  (s.  d.) 
zugrunde.     Nach  K.  Hamerling  ist   die  ewige  Einheit  eins  imd  vieles   zu- 

16* 


244  Eiiüieit  —  'Bintiiilmig. 


^eich  (Atom.  d.  WilL  I,  145).     VgL  Gott,   Hoiaden«  Individuum,   Monaden, 
:5ubstanz.  Identität,  Ich,  SeLbstbewufltsein. 

EfnlieitlieULelt:  der  Cluirakter  der  Einheit  «s.  d.i. 

Ciiniieltefoiirtioii  s.  Einheit. 

EfnlieitepBiilLt  s.  Ich. 

Eiiior«bi«iis*^lliearie  s.  UrteiL 

Einsieht  s  Wissen  um  das  Richtige,  Verständnis,  Beurteilungsvennögen 
theoretLsch-praktütcher  Art,  Yon  den  Stoikern  u.  a.  als  Quelle  alier  Tugenden 
(S.  d.)  betrachtet.  Sie  ist  imanjut;  aya&ior  xai  xaxdiv  xai  oiSfT^afr  oder 
iTficrr^uTj  lov  Ttotr^toi'  xai  ov  7ioir;riov  xal  oideri^opv  (Stob.  EcL  II,  1<J2; 
Sext.  Erapir.  adv.  Mathem.  XI,  170,  246). 

EUnsteUBüff  ist  eine  y^Prädisposition  sensarisrher  oder  moioriaeker  Centren 
für  Hfie  bestimmte  Erreguttg  oder  einen  beständigen  Impul^"  (KÜLPE,  Gr.  d. 
Psycho!.  S.  44).  Sie  besteht  in  einer  Tendenz  der  Seele,  j^das  besonders  häufig 
Oeleistete  in  die  Vericirklichnng  abtceichetider  Anforderungen  ^  die  tm  sie  gesteUi 
werden,  hineimidragen''^ ,  ist  eine  Ubungserscheinung  (Ebbinghaus,  Gr.  d. 
PsjchoL  I,  S.  681  1).  Es  gibt  eine  sensorische,  gedankliche,  motorische  Ein- 
stellung (L  c.  S.  682 j.  Der  Ausdruck  „Einstellung'  in  diesem  Sinne  zuefst  bei 
G.  E.  MüLLEB  und  F.  Schumaiw  (Pflügers  Arch.  Bd.  45,  S.  37). 

E:iiistell«Bg«inettHMleii  s.  Methoden. 

KlwiwtfJmnitylrtffcil,  Satz  der:  logisches  Gesetz,  welches  fordert,  von 
jf.tlem  B('<^ffe  nur  das  ihm  wirklich  Zukommende  auszusagen. 

üünailmitiMMiy  des  Lebens  mit  der  Natur  (ouoßjoyovfUvoH  tjjv  rf^  fvctt. 
Stob.  Ecl.  II,  132)  ist  die  Maxime  des  Handelns  bei  den  Stoikern,  auch  bei 
Rousseau,  Tolstoi  u.  a.    Vgl.  Tugend. 

EiiliteilBiiif,  logische  (Division,  divisio,  Siai^eca)  ist  die  Gliederung 
eines  Begriffes  in  seine  Artbegriffe  oder  die  Au&ahlung  der  Arten,  welche  zu- 
sammen den  Umfang  eines  Begriffes  ausmachen.  Zu  jeder  Einteilung  gehören: 
1)  das  Einzuteilende  („totum  divisum'^),  2)  der  Einteiltmgsgrund,  das  Princip, 
wonach  die  Division  erfolgt  („fundamentum  ^  prificipium  divisionis^^J ,  3)  die 
Einteilungsglieder  („membra  divi^iofiis").  Es  sind  zu  unterscheiden  die  Haupt- 
einteilung,  die  Xebeneinteilungen,  Untereinteilungen  (j^ubdivisiones^*^).  Nach 
der  Zahl  der  Einteilimgsglieder  gibt  es  Dichotomien  (s.  d.),  Trichotomien, 
Tetratomien,  Poly tomien.  Eine  richtige  Einteilung  m\x&  sein :  1)  adäquat,  d.  h. 
weder  zu  weit  noch  zu  eng;  2)  muß  der  Einteilungsgrund  consequent  beibehalten 
werden;  3)  die  Glieder  der  Einteilung  müssen  einander  ausschliefien ;  4)  die 
Classification  oder  vollständige  Einteilung  muß  stetig  sein. 

Auf  die  richtige,  umfassend  durchgeführte  Einteilung  der  Begriffe  in  Arten 
und  Unterarten  legt  Plato  Gewicht  (Phileb.  16  C;  Polit.  262  B,  254  A;  Soph. 
253  D).  Bei  Aristoteles  bedeutet  diai^eats  sowohl  die  Einteilung  als  auch 
die  Trennung,  Verneinung  (Anal.  pr.  I  31,  46  a  31;  Met.  III  5,  1002  a  19). 
Eine  Definition  der  Einteilimg  findet  sich  bei  den  Stoikern  (Siai^tris  8s  icri 
ytvovg  T}  eig  rd  Ttooaexij  ei3ri  TOfiij,  Diog.  L.  VII  1,  61).  ThOMAB  unterscheidet 
„dii^isio  essentiae^*,  „d.  formalis'%  ,//.  per  «<?",  „d.  seoundum  naturam^',  ,//.  *p- 
cundum  raiionem^^  „d.  seeundum  quid^%  „rf.  simplicüer^^  „Onints  dtpisto  debet 
esse  per  opposita''  (Sum.  th.  I,  II,  35,  8,  ob.  3).    Die  Logik  von  Port-Koyal 


i 


Einteilimg  —  Ekstase.  245 


definiert  die  Division  als  „iotitts  in  omnia  quae  eonttnet  distrihtitio^^  (II,  11). 
Nach  TiAMBKRT  ist  sie  ,^tc  Bestimmung  der  Arten  einer  Qattung^'^  (N.  Organ. 
§  80).  Kakt  erklärt :  „Die  Bestimmung  eines  Begriffs  in  AnseJtung  edles  Mög- 
Urhen,  was  tmter  ihm  enthalten  ist,  heißt  die  logische  Einteilung  des  Begriffs" 
(Log.  S.  225).  Fries:  y^Die  EifUeilung  eines  Begriffes  teilt  die  Sphäre  eines 
Qesehleehtsbegriffes  xwisehen  verschiedenen  Artbegriffen"  (Syst.  d.  Log.  S.  287). 
,fkde  Einteilung  wird  in  eitietn  vollständigen  disfunctivefi  Urteil  ausgesprochen, 
dessen  Subfeet  der  einxjuteüende  Begriff,  dessen  Trennungsstücke  die  Artunter- 
ädfiede  jeder  Art  sind"  (L  c.  S.  288).  Nach  Überweg  ist  die  Einteilung 
„die  vollständige  und  geordnete  Angabe  der  Teile  des  Umfangs  eines  Begriffs 
oder  die  Zerlegung  der  Gattung  in  ihre  Arten"  (Log.*,  §  63).  Nach  WüNDT  ist 
rie  die  „Gliederung  eines  Begriffs,  durch  icelche  derselbe  in  eitie  Anzahl  eo- 
ordinierter,  additiv  miteinander  verbundener  Teile  xerlegt  ttird"  (Log.  II,  40). 

Eänaeldlni^  s.  Ding,  Individuum. 

EStnsellirtelle  sind  Urteile,  deren  Subject  ein  einzelner,  ein  Individual- 
begriff  ist  Nach  Kajtt  sind  die  Geschmacksurteile  bezüglich  der  Quantität 
18.  d.)  einzelne  Urteile  (Krit.  d.  Urteilskr.  §  8). 

EiiiBelwteseiiBebafleii  s.  Wissenschaft 

lyect»  C^eetiT,  I^eetlTatlons  Ausdrücke  für  die  (nach  Analogie 
des  eigenen  Ich  gefolgerte)  Existenz  von  psychischen  Zuständen  anderer  Wesen 
(K.  CT.IFFORD,  K0MANE8,  Geist.  Entwickl.  d.  Mensch.  S.  198,  206).  Nach 
Clifford  führt  der  Schluß  auf  fremde  Empfindungen  aus  unserem  Bewußtsein 
heraus  zu  selbständigen  Existenzen.  Diese  sind  „Ejecte"  „als  Dinge,  die  aiis 
meinem  Bewußtsein  transprojiciert  iterden,  xum  Unterschiede  von  den  Objerten 
als  Dingen,  die  in  meinem  Betcußtsein  als  Erscheinungen  auftreten"  (Von  d. 
Xat.  d.  Dinge  an  sich  S.  28).  Die  allgemeinen  (socialen)  Objecte  (s.  d.)  sind 
Symbole  von  Ejecten,  fremden  Bewußtseinen  (L  c.  S.  29  f.,  35). 

CSkelempflndoiifi^  (Ekelgefühl)  ist  „wahrscheinlich  eine  Muskelempfindufig, 
deren  Ausbreitung  und  Verlauf  durcJi  die  antiperistaltischen  Beweg^aigen  der 
Seklingmuskeln,  des  Oesophagus  und  Magens  bestimmt  wird"  (Wundt,  Grdz.  d. 
physioL  PsychoL  I«,  412;  ähnlich  Külpe,  Gr.  d.  Psychol.  S.  102). 

Eklelctifstainas  {ixUyew,  auswählen)  ist  jenes  philosophische  Verfahren, 
das  (bewußt  oder  imbewußt)  das  in  verschiedenen  Systemen  als  gut  Befimdene 
zu  einer  Lehre  verarbeitet.  Es  gibt  einen  Eklekticismus  im  guten  Sinne,  der 
die  Selbständigkeit  des  Denkens  nicht  ausschließt,  und  den  „Synkretismus" 
',ä.  d.).  Eklektischen  Charakter  haben  besonders  die  Theoreme  von  Cicero  imd 
anderen  römischen  Philosophen,  von  Scholastikern,  von  Leibniz  („Eo  semper 
animo  fui,  nt  ?nallem  reeepta  amendari  quam  everti",  Gerh.  II,  Ep.  ad  des 
Bosses),  Chr.  Wolf,  von  den  Popularphilosophen,  von  V.  Cousin,  von 
E.  V.  Hartmann  u.  a. 

CSkpyroslfft  (ixnvocjüii)  ist  nach  Heraklit  (Diog.  L.  IX,  8)  imd  den 
Stoikern  (Stob.  Ecl.  I,  ii04)  der  nach  bestinmiten  Perioden  immer  wieder 
^entstehende  Weltbrand,  in  dem  alles  zur  Einheit  des  Seins  vereinigt  wird,  die 
dann  neu  sich  differenziert. 


{^xütaaig):  Außer-sich-sein,  Verzückung,  Entrückung  der  Seele 
von  den  Eindrücken  der  Sinne,  Steigerung  des  Bewußtseins  über  alles  Normale 


246  Ekstaae  —  Eleaten. 


hinaus  zur  erregten,  phantasievollen,  gefühlsmäßigen  Erfassung  geistiger  In- 
halte in  einer  lebendigen  Vision.  Die  Zustande  der  Elkstase  sind  ron  hoher 
psychologischer,  socialer,  religiöser,  ethischer,  ästhetischer  Bedeutung  (vgl. 
ACHEUS,  Die  Ekstase  8.  24  ff.,  113  ff.,  184  ff.,  196  ff.,  208  ff.). 

In  der  mystischen  Philosophie  spielt  die  Elkstase  als  derjenige  Zustand, 
in  den  die  Seele  durch  Übung  (Askese)  und  Reinigung  (Katharsis)  von  allen 
B^erden,  durch  beständige  Concentration  der  Aufmerksamkeit  auf  die  Inhalt!^ 
der  productiven  Phantasie  gerät,  als  (vermeintliche)  unmittelbare  Erfassung  des 
Göttlichen,  eine  große  Rolle.  Die  Keime  zur  Lehre  von  der  Ekstase  in  diesen 
Sinne  finden  sich  schon  bei  Plato  und  Aristoteles  (vgl  Problem.  3«),  1; 
die  künstlerische  Ekstase,  Begeisterung,  ist  besonnen,  gehört  zur  künstlerischen 
Phantasie;  vgl.  Poet.  17,  2).  Aber  erst  bei  Philo,  und  noch  viel  mehr  bei 
Plotik  ist  sie  ausgebildet.  Nach  letzterem  ist  die  Ekstase  ein  Zustand,  der 
durch  xa&a^aig  und  aaxrjatg  zuweilen  erreicht  werden  kann,  ein  Zustand  des 
Ruhens  in  Gott,  der  immittelbar  erfaßt  wird  {ankwaig^  a^,  Enn.  VI,  9,  11). 
Im  Innern,  bei  sich  weilend,  versunken  im  reinen  Schauen,  weiß  die  Seele 
nichts  von  sich,  da  sie  nicht  denkt,  sondern  sie  ist  eins  mit  dem  Göttlichen 
(Enn.  VI,  9,  7;  VI,  9,  11;  VI,  7,  25).  Die  späteren  Mystiker  sprechen  wieder- 
holt von  der  Ekstase  („ecffiastSy  rapttis  mentis^^J,  So  Richard  von  St.  Victor: 
jyCum  per  meniis  excesaum  stipra  sive  intra  nosmet  ipsos  in  divinorum  eoniem- 
plafionem  rapiniur,  exteriorem  omnitim  statim^  inntio  fU>H  solum  eontm,  quac  extra 
noSj  verum  etiam  earutn,  qtiae  in  nolns  sunt,  omnium  obliriseititr'^  (De  cont. 
IV,  23).  Nach  Bernhard  von  Clairvaux  ist  sie  „prima  et  maxima  contet»- 
platio''  (De  cons.  V,  14,  42).  Bona  Ventura  definiert  die  Ekstase:  „Ecstaaü 
est,  dcserto  exteriore  homitie,  sui  ipsius  stipra  se  voluptuosa  quaedam  eletatio, 
ad  superintellectualeni  amoris  fontem,  mediantitms  stirsum  actiris  virtutibus  pro 
v^irihus  se  extendens^^  (De  sept.  gradib.  cont.  p.  97  a).  JOH.  Gerson:  „Eestasüt 
est  raptus  meniis  cum  ee^satiane  amniwfi  operaiimutw  in  inferioribus  potentiis*' 
(De  myst.  theol.  spec.  cons.  36).  Den  Zustand  der  Ekstase  kennen  und  schildern 
Nicolaus  Cüsanus,  Eckhart,  Suso,  Tauler,  J.  Böhme,  L.  Vives  (De  an. 
III,  p.  173),  G.  Bruno,  auch  Schleiermacher:  „So  off  ich  aber  ins  innere 
Seihst  den  Blick  xuriichcende,  bin  ich  xugleich  im  Reich  der  Eicigkeif;  ich 
schaue  des  Geistes  Ij€t}en  an.^^  „Es  schlecht  schon  jetxt  der  Geist  über  der  xeit- 
liehen  Welt,  und  solches  Schauen  ist  Ewigkeit  und  unsterblicJter  Gesänge  himm- 
lischer Genuß"'  (MonoL  1).    Vgl.  Mantegazza,  Die  Ekstasen  .  .  . 

fiktliesls   (^xd-eais):   Heraushebmig   eines  Teiles   aus   dem  Umfang   de? 

Mittelbegriffs  (s.  d.)  und  Einsetzung  dieses  Teiles  für  den  Mittelbegriff  selbst 
(Aristoteles,  Anal,  prior.  I,  6).  Bei  den  Stoikern  ist  vom  a^ioffta  ix&ertxor 
die  Rede.  Daraus  wird  bei  den  Scholastikern  Aex  „Syllogismus  expositorius^\ 
„euius  praemissae  sunt  singulares"  (vgl.  Rabus,  Log.  S.  82). 

Oeatens  die  aus  Elea  stammenden  bezw.  dort  lehrenden  Philosophen 
des  Altertums  (Xenophanes,  Parmenides,  Zeno,  Melissüs),  welche  die  Ein- 
heit sowie  die  seiende,  an  sich  unveränderliche  Natur  des  Alls,  die  Phäno- 
menalität  der  sinnlich  wahrnehmbaren  Welt  betonen.  Sie  haben  zum  erstenmal 
den  Begriff  des  Seins  als  solchen  zur  Grundlage  des  Philosophierens  gemacht. 
Eleatismus  heißt  die  Lehre  der  Eleaten,  aber  auch  die  Verwertung  des  Be- 
griffs des  unveränderlichen  Seins  bei  Plato,  den  Megarikern,  bei  Spinoza, 
Herbart  u.  a.    Vgl.  Sein,  Pantheismus. 


Elektara  —  Elemente.  247 


Elektra  (ähnlich  „</«•  Verhüllte",  iyxsxalvfifiivos):  Name  eines  Trug- 
schlusses der  megarischen  Philosophen.  „Elektra  kennt  Orestes  als  ihren 
Brwier;  den  vor  ihr  stellenden  Orestes,  der  sich  verhüllt  haf^  kennt  si^  nicht  als 
ihren  Brtider:  also  kennt  sie  xugleich  nickt,  tcas  sie  kennt^^  (Uberweg-Heinze, 
Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  I»,  S.  138).    Vgl.  Enkekalymmenos. 

Elementarfonnel  s.  Webersches  Gesetz. 

Elementiiri^edankeii  nennt  Ad.  Bastian  die  allen  Völkern  gemein- 
samen, aus  gleichartiger  Organisation  entspringenden  Ideen  über  Gott,  Seele 
u.  dgL  (z.  B.  des  Aniniismus,  s.  d.).  Schon  Vico  bemerkt:  „öleichfömiige  Ideen 
bti  yatnen  Milkern,  die  untereinander  sich  nicfU  bekannt  sifid,  müssefi  ein 
gemeinsf haftliches  Motiv  des  Waliren   haben"  (Princip.  1844,  S.  114,  vgl.  S.  51). 

Elementarg^ffilile)  ästhetische,  s.  Ästhetisch. 
Elementarlelire  s.  Logik. 

EHemente  heißen  die  qualitativ  nicht  weiter  zerlegbaren,  einfachen  Be- 
«tuidteile  von  Körpern  oder  Bewußtseinsinhalten  (von  Vorstellungen,  Begi'iffen, 
Willensactenj,  im  engeren  Sinne  die  Grundstoffe  der  Welt.  Die  Elemente, 
welche  die  Chemie  z^üt,  sind  vielleicht  Modificationen  eines  Urelementes. 

Die  Elementen-Lehre  ist  zuerst  philosophisch-speculativ,  später  erhält  sie 
einen  naturwissenschaftlich-empirischen  Charakter.  Nach  der  Lehre  des  Inders 
Kanada  gibt  es  vier  Elemente:  Erde,  Wasser,  Luft,  Licht.  Tuales  sieht  im 
Wasser,  ANAXIMENE8  in  der  Luft  das  Element  (Aristoteles,  Met  I  3,  984  a). 
Die  Pythagoreer  nehmen  fünf  Elemente  an  (Diog.  L.  VIII,  2.')),  die  sie  zu- 
gleich als  geometrische  Formen  bestimmen:  Feuer  fTetraeder),  Erde  (Kubus), 
Luft  (Oktaeder),  Wasser  (Ikosaeder),  dazu  noch  den  Äther  (Dodekaeder)  (Stob. 
EcL  I,  10,  26;  Plut.,  Plac.  II,  Dox.  334).  Herakut  betrachtet  als  Elemente 
die  drei  Aggr^atzustände  Feuer,  Wasser,  Erde;  vielleicht  nahm  er  vier  Ele- 
mente an  (vgl.  DiELS,  Elementum  1899,  S.  15,  21).  Nach  Parmenides  gibt 
68  [xftrd  Bo^ar)  zwei  Elemente  («(>/«*):  nv^  (Feuer)  und  y^  (Erde)  (Theophr., 
Phys.  opin.  fr.  6,  Dox.  482 ;  Arist.,  De  gener.  et  corr.  II  2, 330  b  14).  Empedokles 
gilt  als  der  eigentliche  Begründer  der  Lehre  von  den  vier  Elementen  (Wurzebi, 
^i^ni):  Feuriges,  Luftförmiges,  Feuchtes,  Erdiges  (TSTtaga  fiir  Uysi  aroix^Tay 
:tv^  aiga  vSof^  yijv,  Plut.  Plac.  I,  3,  2,  Dox.  280,  Diog.  L.  VIII,  2,  76 ;  raaaaQa 
r»v  TZfitTOftf  ^i^ojfiara  Ti^dhov  dxove'  Zsvs  a^y^i*'H^Tj  rs  q>BQdaßiOQ  ijb^  ^ACSmvBv^ 
!^crie  d^  ^  dnx^vots  rayyai  x^ovvcaua  veixog,  Stob.  Ecl.  I,  10,  286,  288).  Die 
Elemente  sind  das  Beharrende  in  aller  Verändenmg  (s.  d.),  die  nur  in  Mischung 
und  Entmischung  der  Elemente  besteht.  Anaxagoras  betrachtet  als  Elemente 
die  Homöomerien  (s.  d.),  Demokrit  die  Atome  (s.  d.).  Plato  führt  den 
Xamen  aroc/eTot/  ein  (Diog.  L.  III,  19),  nimmt  die  vier  bekannten  Elemente 
an,  betrachtet  sie  aber  geometrisch  als  regelmäßige  Körper  (iTtiTteSa),  die  aus 
klonen  rechtwinkligen  Dreiecken  bestehen  (Tim.  53  C).  So  kann  ein  Element 
in  ein  anderes  sich  umwandeln,  mit  Ausnahme  des  Erdigen  (Tim.  54  F.). 
Aristoteles  definiert  das  Element:  aroixelov  Idytiai  iS  ov  avyxeirat  tt^cotov 

iwna^X^vTOi,  aSiatQiTov  rt^  aiSai  aig  ixagov  al8oe,  olov  y>{07'^s  orot^ala  i^  tor 
ciyxuTat  ri  y^ofvrj  xal  eis  S  Biai^eirai  ^cxaTa,  ixeivn  $i  firjxer'  eii  aXkns  tptoväs 
eiegae  r^  atSai  avrdiv  (Met.  V  3,  1014  a  26  squ.).  Element  ist  femer  das 
Kleine,  Einfache,  Unteilbare  {ßto  xal  r6  fiixQov  xal  anXovv  xal  ddiai^arov  axoi- 
Xaiov  ?Jyerat,  Met.  V  3,  1014  b  5).     Es  gibt  einfache  Bewegungen,  daher  auch 


248  Blemente. 


einfache  Körper,  Elemente  (eufi  yaQ  xai  xivjjasis  aTtXal'  aicre  S^Xov  xai  ox. 
toTi  cToixsia  xai  8id  xi  iariv,  De  coel.  III  3,  302  b  9).  Ee  gibt  fünf  Element«. 
Die  ersten  vier  bestehen  aus  Gegensätzen  (ivamtüceig):  das  Feuer  aus  dem 
Wannen  und  Trockenen,  die  Luft  aus  dem  Warmen  und  Feuchten,  das  Waaer 
ans  dem  Kalten  imd  Feuchten,  die  Erde  aus  dem  Kalten  und  Trockenen  (De 
gener.  et  corr.  II  2,  330  b  2 — 5).  Feuer  und  Luft  bewegen  sich  nach  der  Peri- 
pherie, Erde  und  Wasser  nach  dem  Centrum  hin  (1.  c.  330b  32).  Das  fünfte 
(bezw.  ytcrste*^)  Element,  der  Äther  (s.  d.)  ist  einfacher  Natur.  Strato  nimmt 
als  Elemente  das  Warme  und  Kalte  an  (Stob.  Ecl.  I,  10,  298).  Die  Stoiker 
halten  an  der  Vierzahl  der  Elemente  fest  (Diog.  L.  VII,  1,  136;  Stob.  Ecl.  1, 
10,  314)  und  unterscheiden  diese  von  den  „Principien"  (s.  d.):  Jiaipi^Biv  8i 
faüiv  a^X^^  ^^^  (JTOix^la'  ras  fiev  ydp  elvai  dyenjrovg  xcU  d^d'a^oxf^,  rä  3e 
aro^x^la  xazd  xrjv  ixnvQwatv  ^d'ei^ead'ai'  dXXd  xai  dirafßidrove  slvai  rdg  dqx^* 
xai  dfi6^fovg,  rd  8e  /uefio^^aJad'ai  (Diog.  L.  VII,  1,  134).  Epikur  niuunt  vier 
Elemente  an  (Plac.  IV,  3,  11,  Dox.  388).  Urelemente  sind  die  Atome  (s.  d.), 
so  auch  nach  Lucrez,  der  von  ihnen  als  „denienta^^  spricht  (De  rer.  nat). 
Cicero  erwähnt  die  „quattuor  naitiras^^  (De  nat.  deor.  I,  12). 

Die  Scholastiker  recipieren  die  Aristotelische  Elementenlehre.  Die 
K abhalft  ninmit  drei  Elemente  („Miiäet^^J  an:  Hauch,  Wasser,  Feuer.  Vier 
Elemente  gibt  es  nach:  Nicolaus  Cusaijus  (De  coniect.  II,  4),  Bovillus^ 
welcher  erklart:  „Elementa  sutit  ingenitaf  ntdlave  generatiofie  orta,  omniwn 
tarnen  generatimium  inifia^^  (De  gener.  14,  7),  ParaG£L8U8  (De  nat.  rer.  30, 1), 
nach  welchem  sie  aus  „aal,  mercttry  atdphur^^  zusanunengesetzt  sind,  Patritius 
(Wärme,  Licht,  Flüssiges,  Baum,  Labswitz,  G.  d.  At.  I,  314).  Zwei  Elemente 
nehmen  an:  Telesiüs  (Wärme  imd  Kälte),  Campanella  (Univ.  phil.  I,  9, 12; 
Met.  II,  5,  6),  J.  B.  VAN  Helmont  (Wasser  und  Luft).  Nach  Cardanus  gibt 
es  drei  Elemente  (Erde,  Wasser,  Luft);  Element  ist  ,jdas;enige,  tais  kehier  Xah- 
rung  bedarf,  niciit  sdbsf  vergeht^  nicht  unstet  herumschtreift,  sondern  einen  he- 
stimmten  Plaix  behauptet ^  seiner  Natur  getnäß  eijie  große  Masse  besitxt  und  \ur 
Erzeugung  geeignet  w/"  (De  subtil.  III,  p.  44,  bei  Lasswitz,  G.  d.  At,  I,  309), 
Nach  GOCLEN  ist  „Elemetit*^  die  „prima  materin  et  forma,  quae  ax  mdlis  aliis 
prioribus  atit  simpliciorihus  constant".  Er  unterscheidet  „eletnenta  essendi  et 
eognitionis'^  (Lex.  phil.  p.  145).  G.  Bruno  bestimmt  das  Element  (,jntinimum'') 
als  „qtfod  ita  e^t  pars,  ut  eins  nulla  sit  pars,  vel  simplieiter,  rd  secundum 
genus'^  (De  min.  I,  7).  Seb.  Basso  nimmt  fünf  Elemente  an  (Wasser,  Erde, 
Luft,  Phlegma,  Caput  mortuum,  Lasswitz,  G.  d.  Atom.  I,  339  f.),  Daniel 
Hennert  vier:  „atomi  igneae,  aereae,  aqueae,  ferreae^^  (1.  c.  I,  443  f.).  G.  HoRN 
erklärt:  ,^Elementa  sunt  particuiae  corporum  minimae,  ejr  quorum  eonfluxu 
Corpora  c&mpanuntur,  effluxu  et  influxu  operantur,  diffluxu  intereunt**^ 
(Area  Mosis  1669,  p.  4).  P.  J.  Faber  bemerkt:  „Die  Elenmita  sind  .  .  .  ma- 
irices  und  Gebär^Mütter  aller  Difvge.  Denn  in  ihnen  liegt  der  unirersaJ  und 
mamliche  Geist  aller  Dinge  verborgen^^  (Chym.  Sehr.  1713,  I,  p.  305).  Nach 
C/HR.  Wolf  ist  „Elet^ient*^  ein  „principium  internum  corportim  irresolubile  in 
alia,  sire  primvm'*  (Cosmol.  §  181),  ein  „atomus  naturae"  (ib.).  Die  Elemente 
sind  y,substantiae  simplices^^  (1.  c.  §  182),  „nmi  sunt  extensa,  mala  figura  aique 
magnitudine  praedita,  spatium  nuUum  Implenf'  (1.  c.  §  184),  „imlirisibilia*^ 
(1.  c.  §  185).  BÜDIQER  bestimmt  als  Elemente  den  Äther  und  die  Luft 
{„particula  radians  —  btälula'^,  Phys.  divin.  I,  3,  sct.  6,  7).  Herbart  nennt 
als  Elemente:  Erde,  Caloricum,  Electricum,  Äther  (Üb.  d.  allg.  Verh.  d.  Natur 


Elemente  —  Elemente  des  Be'wußtseixis.  24i> 

1828,  WW.  Kehrb.  VI,  435).  Hilleb&and  unterscheidet  von  den  empirißchen, 
relativen  die  wahren  Elemente  oder  Substanzen  (Phil.  d.  Geist.  I,  44).  Vgl. 
Atom,  Monade. 

9,E2Ieineitte^^  nennt  B.  Ayekakius  einfache  Aussageinhalte,  wie  „grün'\ 
rrsüß"',  „Ton  a"  (Krit.  d.  rein.  Erf.  I,  16;  Viertelj.  f.  w.  Philos.  18,  S.  407). 
„Elementeneomplexe"  sind  die  „Dinge^^  der  Erfahrung.  E.  Mach  versteht  unter 
.fElefnenten"  (Empfindungen,  s.  d.)  die  Bestandteile,  aus  denen  sich  sowohl  die 
Objeete  (s.  d.)  als  das  Ich  (s.  d.)  zusanmiensetzen. 

Caemenle  des  Bewußteelns  (psychische  Elemente)  erhält  man 
durch  eine  abstrahierende  Analyse  dessen,  was  im  wirklichen  Erleben  eine  Ein- 
heit, ein  ooncretes  Ganzes  bildet,  aber  Momente,  Seiten,  Teile  aufweist,  die  sich 
in  der  Betrachtung  voneinander  sondern  lassen.  Das  Primäre  ist  das  einheit- 
liche Erlebnis,  dajs  sich  in  Elemente  „obfecdver*^  (Empfindungen)  und  „subfecttrer^' 
Art  (Gefühle)  auseinander  legen  läßt. 

Die  Associationspsychologie  (s.  d.)  neigt  zur  atomistischen  Auffassung 
des  Seelenlebens,  das  sie  als  aus  selbständigen  psychischen  Elementen  (Em- 
pfindungen) ausbaut  betrachtet.  —  H.  Spencer  sieht  in  den  psychischen 
Elementen  (j/eelings")  Teile  des  Bewußtseins,  die  für  sich  hervortreten,  aber  in 
Beziehungen  zuemander  stehen  (Psychol.  I,  §  60).  Wundt  bemerkt:  „Z>a  aile 
pfyfkisehefi  Erfahrungsinhalte  von  xMsammengesetxter  Beschaffenheit  sind,  so 
sind  psychische  Elemente'  im  Sinne  absolut  einfacher  und  unzerlegbarer 
Bestundteile  des  psychiselien  Geschehens  die  Erzeugnisse  einer  Analyse  mtd  Ab- 
ftraetion,  die  nur  dadurch  möglich  mrdy  daß  die  Elefnente  tatsächlich  in  weeh- 
selnder  Weise  miteinander  verbunden  sind'^  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  35;  Syst, 
d.  Phüoe.*,  S.  572;  Vorles.«,  S.  14;  Ess.  8,  S.  208  f.).  „Der  Tatsache,  daß  die 
unmittdbare  Erfahrung  xwei  Factoren  enthält,  einen  objectiven  Erfahrwigsinhalt 
md  das  erfahrende  Subjeei,  entsprechen  xwei  Arten  psychischer  Eleynente^ 
die  sich  als  Producte  der  psychologischen  Analyse  ergeben.  Die  Elemente  des 
(i^eetiven  Erfahrungsinhaltes  bexeichtien  wir  al^  Empfindung  sei  em  etile  oder 
fckUchthin  als  Empfindungen  .  .  .  Die  stibjectipen  Elenietite  bezeichnen  wir 
(Ut  Gefühlselemente  oder  als  einfache  Gefühle}'  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  36). 
J)a  die  wirklichen  psychischen  Erfahrungsinhalte  stets  aus  mannigfachen  Ver- 
hindufigen  von  Empfindungs-  und  Gefühlselementen  bestehen,  so  liegt  der  sjjeeifiscJie 
Charakter  der  einzelnen  psychischen  Vorgänge  zum  größten  Teile  durchaus  nicht 
in  der  Beschaffenheit  jener  Elemente,  sotulem  in  ihren  Verbindungen  xuzu-sammen- 
gtsetxien  psychischen  Gebilden  begründet^'  (1.  c.  S.  36).  „Specifische  Be- 
fcJtaffenheit  und  elementare  Xatur  psychischer  Vorgänge  si}id  .  .  .  völlig  rer- 
fchiedene  Begriffe.  Jedes  psychische  Element  ist  ein  specifischer  Erfahrungsinhalt ,^ 
aber  nicht  jeder  specifische  Inhalt  ist  zugleich  ein  psychisches  Element^'  (1.  c. 
«S.  37).  AUen  Elementen  kommen  zwei  ,,Bestimmungssfücke*'  zu:  Qualität  und 
Intensität  (ib.).  SüLLY  rechnet  zu  den  „primitire  psychical  elemenfs^'  die  Em- 
pfindungen, die  einfachen  Gefühle  und  die  reflectorischen  und  Instinct-Hand- 
hmgen  (Hum.  Mind  I).  Ebbinghaus  ist  nicht  Anhänger  der  „aiotnisiischen''^ 
Psychologie,  hält  aber  die  Zerlegung  des  Bewußtseins  in  Elemente  für  not- 
wendig (Gr.  d.  Psychol.  I,  164).  Külpe  betont,  die  einfachen  Seelen  Vorgänge 
seien  nicht  den  Atomen  der  Physik  vergleichbar.  „Einfacher  Beivußtseins- 
inhalf^  ist  ein  solcher,  der  keine  Verschiedenheit  in  qualitativer  Hinsicht  er- 
kennen laßt.    Die  Zahl  der  qualitativ  unterscheidbaren  Bewußtseinselemente  ist 


250  Elemente  des  Bewußtseins  —  Emanation. 


sehr  groß  (Gr.  d.  PsychoL  S.  20).  Wir  erhalten  sie  durch  Analyse  und  Ab- 
straction  (1.  c.  S.  22).  Gegner  der  yjatomistischen^^  Psychologie  (s.  d.)  ist 
H.  Cornelius.  Nach  ihm  ist  das  unmittelbar  Gegebene  nicht  eine  Summe 
psychischer  Elemente,  sondern  die  einheitliche,  zusammenhängende  Erfahrung, 
innerhalb  welcher  wir,  auf  dem  Wege  der  Abstraction,  Elemente  unterscheiden 
(Eüil.  in  d.  Philos.  S.  206).    Vgl.  Impression. 

Oenelms  (i'leyxoi,  refutatio):  Widerlegung,  Gegenbeweis  (Aristoteles, 
Anal,  prior.  II  20,  66  b  11).  'Elayxoi  aofiaTixai:  sophistische  Trugschlüsse 
(s.  d.).  „Ignorafio  elenchi^^  (nyvota  SXeyx^^)  ist  das  Übersehen  des  eigentiioh 
zu  Beweisenden,  die  Unkenntnis  des  Widerspruchs  zwischen  zwei  Behauptimgen 
(De  soph.  elench.  6,  168  a  18;  vgl.  Logik  von  Port -Royal  III,  19). 

Elimliiatloii  aller  nicht  dem  Erfahnmgsinhalt  angehörenden  ,jZuiatm^' 
des  Denkens,  z.  B.  des  Causal-,  Substanzbegriffes  (s.  d.),  fordern  Positivisten, 
wie  E.  Mach,  auch  R.  Avenariüs  u.  a.,  auch  Nietzsche.  Nach  H.  Cob- 
NELius  besteht  das  Endziel  des  consequenten  Klarheitsstrebens  „in  der  Eli- 
mination aller  dogmatischen  Bestandteile  unseres  Denkens  und  in  der  rein  em- 
pirischen Erkläning  der  Tatsachen"  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  44). 

Eüiselie  Schule  {7)hnxrj):  die  philosophische  Richtung  des  Bokratikers 
Phädon,  dessen  Schüler  Menedemus,  der  eine  der  megarischen  ähnliche 
Tugendlehre  aufstellte. 

E2manatlo|i  (Ausfluss) :  Hervorgehen  des  Niederen,  Unvollkommenen  aiis 
dem  Höheren,  Vollkonmieneren,  wobei  das  Urprincip  selbst,  aus  dem  alles  sich 
herausentwickelt,  beharrlich-imveranderlich,  eine  Einheit  bleibt.  Die  Emanation 
ist  das  Gegenstück  zur  Evolution  (s.  d.).  Die  Lehre  von  der  Emanation  der 
Dinge  aus  der  göttlichen  Einheit  heißt  Emanationssystem  oder  Emana- 
tismus. 

Xenokrates  betrachtet  das  höchste  Sein  als  das  Eine  und  Gute,  von  dem 
alles  Geringere  abstammt  (Aristoteles,  Met.  XIV  4,  1091b  16),  wie  schon 
die  Pythagoreer  die  Zahlen  (s.  d.),  Plato  die  Ideen  (s.  d.)  auf  eine  höchste 
Einheit  zurückführen.  Die  Stoiker  nennen  die  Seele  (s.  d.),  Plutarch  die 
W^elt  einen  „Ausfluß"  {anoanncfia)  der  Gottheit.  Auch  bei  Philo  sind  Keime 
zum  Emanatismus  entJialten,  dieser  aber  kommt  erst  bei  Plotin  zur  Ausbildimg. 
Aus  dem  Einen,  Uberseienden,  Vollkommenen,  in  sich  Verbleibenden  geht 
durch  Emanation,  durch  Hervorstrahlung  {ne^ikafAxpis)  die  Welt  hervor  (ßtl  U 
Xaßtlv  ^xelvo,  ovx  ixQiovaav^  dXXd  fiirovoav  fiev  Ttjv  iv  avrtp  r^v  Si  d/iXr-r 
vfiarnuevr^Vf  Emi,  V,  1,  3).  Das  pjine  ist  zu  denken  wie  die  strahlende  Sonne 
(Enn.  V,  16),  deren  Strahlen  mit  der  Entfernung  an  Intensität  abnehmen 
(Enn.  TI,  4,  10  squ.).  Aus  dem  Vollkommenen  findet  ein  „Überfließen"^ 
{v7i6(fQorj)  statt,  durch  Überfülle  desselben  (to  vneonXrj^ei  avrav  ntnoifficev  «JüU, 
Enn.  V,  2,  1;  vgl.  III,  8,  10).  Aus  dem  Einen  {iv)  emaniert  der  Geist  (r<nV», 
aus  diesem  die  Ideenwelt  {xoafiog  voriros),  aus  dieser  die  Weltseele  (yfvxfjv  ytwä 
roxi)  und  damit  die  Einzelseelen,  die  aus  sich  die  Körperwelt  herausbildeji. 
Die  Materie  (s.  d.)  ist  das  Geringst«  in  den  Producten  der  Emanation,  denn 
von  oben  nach  unten  nehmen  die  Kräfte  ab  (Enn.  VI,  7,  9).  Die  Kräfte,  die 
vom  Einen  ausgehen,  erfüllen  das  AU,  imd  doch  bleibt  das  Eine  bei  sich 
(Ejin.  VI,  4,  3).  Nach  Jamblich  geht  aus  dem  Urgründe  (aQxn)  das  Eine  {hl 
AUS  diesem  die  intelligible  W^elt  {xofffwg  vorjros),  aus  dieser  die  intellectueUe 
Welt  (xoofiog  vosQOi)  mit  dem  Geiste  (vovs),  aus  diesem  die  Seele,  aus  dieser 


Emanation  —  ISmpflndliohkeit.  251 


die  Sinnenwelt  hervor.  Nach  Proklus  ist  die  Beihe  der  Emanationen:  ür- 
gnmd,  Henaden  (s.  d.),  Triaden  (intelligible,  intelligibel-intellectuelle,  intellectuelle 
Wdt).  Hebdomaden,  Seele,  Materie. 

Die  neuplatonische  Emanationfilehre  tritt  in  verschiedener  Form  bei  den 
Gnostikern  (s.  d.),  bei  Dionysiüs  Areopagita,  Scotus  Eriugena  auf. 
Xach  diesem  geht  aus  der  ungeschaffen-schaffenden  Natur  (s.  d.)  die  geschaffen - 
schaffende  Ideenwelt  (Logos),  aus  dieser  die  geschaffen-nichtschaffende  Welt 
der  endlichen  Wesen  hervor.  Auf  diesem  Wege  (processio,  s.  d.)  bleibt  die 
Welt  in  Gott,  Gott  mit  seinem  Wirken  in  der  Welt.  „ISam  et  creatura  in  Deo 
est  subsisfens,  et  Deus  in  creatura  mdrabili  et  ineffabüi  modo  creatur,  se  ipsum 
manifestans"  (De  div.  nat.  III,  17).  Die  Welt  ist  eine  Selbstoffenbarung  Gottes 
(Theophanie,  s.  d.).  Emanation  sichre  ist  auch  der  arabische  Sufismus.  — 
L'nter  ,^7nanaiio^^  versteht  Nicolaus  Cusanüs  die  Entfaltung  des  göttlichen 
Seins  in  der  Welt.  „Emanatio  in  divinis  duplex  est,  una  per  modum  fiaturae 
et  haec  est  generatio,  alia  per  nwdmn  voluntatis*^  (De  doct.  ignor.  II,  27).  „Per 
fimpltcem  ernanationem  maantni  contraeti  a  tnaacimo  absoluto  Universum  prodiit 
in  e^e^"  (L  c.  II,  4).  Emanatistisch  sind  die  Lehren  der  Mystiker,  wie 
Eckhart,  J.  Böhme  u.  a.  Leibniz  sieht  in  den  Monaden  (s.  d.)  „Fulyuraiionen^^ 
(fulgurations)  Gottes;  die  Dinge  fließen  beständig  aus  der  göttlichen  Einheit 
i^ffluwU^^  Erdm.  p.  147  f.).  Emanatistisch  ist  die  spätere  Philosophie  Schelungs 
(Einfluß  J.  Böhmes).    Vgl.  Einheit,  Dialektik,  Gott,  Pantheismus. 

dmlnenter:  in  überragender  Weise,  im  höheren  Sinne.  Ein  scho- 
laBtischer  Ausdruck,  der  die  höhere  Realität  eines  Princips  bezeichnet. 
..Eminenter  est  supra  omnern  mensuranij  super  omnes  gradus,  Deus  .  .  .  causa 
ae  prinetpium  etninenter^^  (GocLEN,  Lex.  philos.  p.  146).  Als  Steigerung  des 
.^ealiter*^  („actualiter^^)  gebraucht  das  Wort  Descartes,  um  auszudrücken,  daß 
in  der  Ursache  noch  mehr  Realität,  Seinsfülle  als  in  der  Wirkung  enthalten  sei. 
jj^er  eminenter  in(ellig%  cum  causa  perfeetius  continet  omnem  reaUtatem  effectns, 
qmni  effeeius  ipse'^  (Spinoza,  Renat.  Cartes.  pr.  phil.  I,  ax.  VIII).  Chr.  Wolf 
erklart:  „Per  etninentiam  esse  didtur  ensj  quod  praprie  loquendo  non  est^  ubi 
tarnen  quid  habet  in  se,  quod  vicem  eins  supplet,  quod  proprie  eodem  iribui 
npugnaV'  (Ontol.  §  aiö). 

Eminenzen:  geschichtliche  Persönlichkeiten  ersten  Ranges,  führende 
Geister,  schöpferische  Individualitäten.    Vgl.  Individuum. 

Emotion s  Gemütsbewegung  (s.  d.).  Die  Emotionen  („emotions^\  engl.) 
umfassen  höhere  Gefühle,  Affecte,  Leidenschaften  u.  dgl.  (vgl.  Descartes, 
Princ.  philos.  IV,  190;  Hume  (Of  the  Pass.  I,  sct.  1,  p.  76);  H.  Spencer, 
Pteyeh.  I,  §  66). 

Empfindens  1)  im  älteren,  weiteren  Sinne  =  sich  erregt  fühlen,  einen 
ZuBtand  bemerken;  2)  im  engeren  Sinne  =  eine  Empfindung  (s.  d.)  haben. 

Empfindüellkeit  (Sensibilität,  s.  d.):  1)  im  älteren,  weiteren  Sinne  = 
eine  Gemütsdisposition  zur  leichten,  schnellen  Err^barkeit,  zum  Arger,  Zorn 
IL  dgL  So  ist  nach  Chr.  Wolf  „Empfindlichkeit^'^  „eine  Neigung  xu  schnellem 
Zom&'  (Vem.  Ged.  I,  §  487);  2)  im  neuen,  engeren  Sinne  =  die  Feinheit  des 
Empfindens,  ün  Verhältnis  ziu*  Stärke  des  Reizes  oder  Reizunterschiedes.  Die 
Empfindlichkeit  („E,^^J  verhält  sich  umgekehrt  wie  die  Reizgröße:  je  stärker 
der  Reiz  ist,  der  zur  Auslösung  einer  Empfindung  nötig  ist,  desto  geringer  die 
Empfindlichkeit,  resp.  die  Unterschiedsempfindlichkeit  („  U.  E}^),    Die  Empfind- 


252  Smpfindliehkeit  —  BmpflTidnug. 


liehkeit  wird  gemessen  durch  den  reciproken  Wert  der  zn  einer  bestimmten 
Empfindong  (bezw.  EmpfindongBÜndening)  nötigen  Änderung  der  Rdzintensitit 
(vgl.  WUKDT,  Grdz.  d  phys.  Psychol.  I»,  341  ff.).  Xach  Eülpe  ist  Empfind- 
lichkeit ,4^.  Fähigkeit,  Empfindungen  überhaupt  xu  erleben  undmitxuieilen'^  (Gr.  d. 
Psychol.  B.  35).  ^^Sinnesempfindliehkeit^  ist  die  Empfindung  in  Bezug  auf  ein 
ganzes  Binnesgebiet,  „Sensibilität^  die  Empfindung  in  Bezug  auf  die  einzelnoi 
Empfindungen  (ib.).  Es  gibt  eine  ,^nmittelbare'^  und  eine  ,ymittdbare^^  flmpfind- 
lichkeit  (und  U.  E.  L  c.  B.  36).  Von  Einfluß  auf  die  E.  und  U.  £.  ist  die 
Aufmerksamkeit,  mit  deren  Größe  jene  wachsen  (L  c.  8.  39  f.),  die  Erwartung 
und  Gewöhnung  (1.  c.  8.  41  ff.).  Zur  Messung  der  £.  und  U.  K  dienen  die 
pHvchophysischen  Maßmethoden  (s.  d.),  die  seit  Fechner  bestehen  und  aus- 
gebildet werden. 

EmpilndsaiiiliLett  (Bentimentalität):  leichte,  zur  Rührung,  Gefühls- 
(?rgüssen  neigende  Erregbarkeit  des  Gemüts,  des  Nervensystems;  übertriebenes, 
affectiertes  Beagieren  der  (Jefühlsseite  der  Beele.  „Sentimental"  kommt  bei 
Lawrence  Bteene  vor  (Sentimental  joumey  1767,  übers,  von  Bode  1768). 
„Empfindsam"  stammt  von  Lessd^g.  Es  kommt  bei  Adelung  (Wörterbuch) 
vor,  femer  bei  J.  H.  Campe  (Od.  Empfindsamkeit  und  Empfindelei  1779), 
Tetens  (Philos.  Vers.  I,  53,  59).  Kant  erklärt  Empfindsamkeit  als  „ein  Ver- 
mögen U7id  eine  Stärke,  den  Zustand  sowohl  der  Lust  als  Unltist  xuxula^^sen, 
oder  auch  vom  Öemüt  abzuhalten".  „Empfindelei^*  dagegen  ist  „eine  Schwäche, 
durch  Teilnehmung  an  dem  Zustande  anderer,  die  gleichsam  auf  dem  Organ  des 
Empfindelnden  nach  Belieben  spielen  können,  sieh  auch  tcider  Willen  afficierm 
%u  lassen"  (Anthropol.  II,  §  60).    Das  Wort  auch  bei  Schiller  u.  a. 

Empfindan^  {aiad-rjaie,  Tidd'og,  sensio,  sensatio;  Sensation,  impression, 
feeling  (engl.);  Sensation  (fr.):  1)  im  weiteren  Sinne  =  unmittelbares  Erleben, 
Fühlen,  Gewahrwerden;  2)  im  engeren,  wissenschaftlichen  Sinne  =  das  durch 
psychologische  Analyse  zu  gewinnende  Element  der  Vorstellung,  ein  qualitativ 
einfacher  Inhalt  (Zustand)  des  Bewußtseins,  der  auf  der  Erregimg  des  Organis- 
mus (des  Nervensystems)  durch  (äußere  oder  innere,  peripherische  oder  centrale) 
„Reixe"  (s.  d.)  beruht.  Die  Empfindungen  sind  Keactionen  des  lebenden  Or- 
ganismus auf  die  Einwirkungen  der  Außenwelt,  zugleich  Zeichen  (Symbole)  für 
die  Beschaffenheiten  der  „Dinge  an  sich",  die  sie  zwar  nicht  „abbilden",  wohl 
aber  in  subjectiver  Form  „darstellen",  „vertreten".  Im  concreten  Erleben  kommt 
die  isolierte  Empfindung  nicht  vor,  stets  bildet  sie  einen  Teil  von  Empfindungs- 
complexen,  von  Wahrnehmungen  (s.  d.).  Die  Bestimmungen  jeder  Empfindung 
Kind  Qualität  (s.  d.)  und  Intensität  (s.  d.),  im  weiteren  Sinne  auch  der  „(?«- 
ffUilsfon*^  (8.  d.).  Die  „Extensität"  (s.  d.)  ergibt  sich  erst  aus  dem  Zusammen 
von  Empfindungen.  Das  „Empfindcfi"  ist  das  Statthaben,  Auftreten,  Präsentsein, 
Actuellsein  eines  Inhaltes  (Farben,  Ton  etc.)  Es  sind  organische  (Gemein- 1  und 
Sinneaempfindungen  zu  unterscheiden. 

Die  Trennung  des  „Empfindens"  vom  „FiUden",  der  „Empfindung"  vom 
(Tcfühle  der  Lust  und  Unlust  erfolgt  erst  bei  Tetens  und  Kant  (s.  unten). 

In  der  antiken  Philosophie  besteht  noch  keine  scharfe  Unterscheidung 
zwischen  Empfindung  und  (Sinnes-) Wahrnehmung  (s.  d.). 

Nach  AuQUSTiNi'8  ist  die  Empfindung  ,passio  corporis  per  se  ipsam  noH 
latcns  animam"  (De  quant.  an.  20).  In  der  Empfindimg  ist  die  Seele  selbst 
tätig  (Mus.  VI,  5).  Die  Scholastiker  verarbeiten  die  Aristotelische  Theorie 
von  der  „Formung"  der  Seele  im  Empfinden  durch  die  Objecte  zur  (der  Demo- 


Empfindung.  253 


kritischen  j^i'8ot?M^*'Thßone  ähnlichen)  Lehre  von  den  ,j8pecies  sensünM^  (s.  d.). 
Wilhelm  von  Ck>NCHE8  definiert  die  Empfindung  als  ^^animaii  eorparis  appli- 
caiione  exieriorum  non  levis  mtUatio^^  (bei  SiEBECK,  Gresch.  d.  Psychol.  I  2, 
432).  Nach  Wilhelm  von  Ogcam  sind  die  Empfindungen  jjsubieetive  in  amma 
sensit ira  mediate  vel  immediaie^^  (Quodl.  2,  10).  Bei  mittelalterlichen  Mysti- 
kern findet  sich  die  Auffassung  der  Empfindung  als  „confuaa  coneeptio*^.  Die 
Lehre  von  den  .^speeies**  tritt  bei  Scalioeb  (Exerc.  298,  sct  15),  Suabez  u.  a. 
auf  (vgl.  GoCLEN,  Lex.  phil.  p.  1023). 

NicOLAüS  CüSANUS  bemerkt:  „Äscefidii  .  . .  sensibile  per  Organa  corporcUia 
wq94e  ad  ipsam  rationetn,  quae  tenuissimo  et  spirittuilissimo  spiritu  cerebro 
adkatreP^  (De  coniect.  II,  16).  Casmann  erklärt:  „Ui  sensio  fiat  cum  facultate 
tria  co7icummt:  1}  sensile  sen  causa  morens  sensum,  2)  Organum  recipiens  seu 
patiens,  in  quod  suinectum  movens  agit,  3)  affectio  .  .  .  qiioe  fit  in  organo  a 
faeuitate  rem  sensihilem  in  illud  agentem  apprehendente*^  (Psychol.  p.  289). 
Campakella  sieht  in  der  Empfindung  einen  seelischen  Zustand  („senHre  est 
pati*'/,  welcher  aus  dem  Zusammenwirken  des  Subjects  und  Objects  entspringt 
(Univ.  phiL  I,  4,  2).  y.Sefisus  .  .  .  videlur  esse  passio,  per  quam  scimus,  quod 
etU  quod  agit  in  nos,  quonia^n  similem  entitatetn  in  nobis  fadt^'  (1.  c.  I,  4,  1). 
Die  Empfindung  ist  als  psychischer  Act  nicht  selbst  „passio"j  sondern  yyper- 
ceptio''  der  Affection  (L  c.  I,  51;  VI,  8,  1,  4).  Telesius  lehrt:  „Superest  .  .  ., 
ut  renim  actionum  aerisque  impulsionum  et  propriarumpassiominipropriarumque 
mmut4Uicnem  ei  propriorufm  motumn  perceptio  sensus  sit  ....  Propterea  enim 
iUas  percipity  quod  ab  Ulis  paii  se  immutarique  et  commoveri  percipit**  (De  rer. 
nat.  VII,  2).  Nach  L.  ViVES  ist  die  Empfindung  (sensio)  „cognitio  animaey 
per  ejcternum  corporis  instrumentum"  (De  an.  I,  p.  14).  „Oportet  .  .  .  sive 
anatogütm  sive  proportionem  esse  aiiquam  inter  vim  sentieniem  et  suum  sensile*' 
(1.  c.  p.  15). 

DE8CABTE8  sieht  in  der  Empfindung  einen  „vencorrenen  Denkaet^^  Uj^^on- 
fusus  eogitandi  modus"^  Medit  VI),  dessen  Inhalt  dem  Objecte  nicht  gleicht 
(L  c.  III  u.  VI).  Die  Seele  empfindet,  indem  sie  vermittelst  der  „Lebetis- 
geister^  und  Nervenerregungen  afficiert  >Wrd.  ,,Motus  autem  qui  sie  in  cerebro 
a  nerris  exeitantur,  animarn,  sive  ffientem  inti^ne  cerebro  coniunctam,  diversimode 
üffiriunt,  prout  ipsi  sunt  diversi.  Atque  ha>e  diversae  mentis  affectiones,  sive 
eogitationes  ex  istis  motibus  immediate  consequentes,  sensuum  pereeptiones,  sive, 
ut  vulgo  loquimuTf  sensus  appeUaniur^^  (Princ.  philos.  IV,  189).  Die  Seele  em- 
pfindet, insofern  sie  mit  dem  Gehirn  geeint  ist:  „Probatur  autem  evidenter^ 
anitfu^m  non  quatenus  est  in  singtäis  membris,  sed  tantum  quatenus  est 
in  cerebro  f  ea  quae  eorpori  aceidunt  in  singulis  membris  nervorum  ope 
»entire^'  (h  c.  196).  Im  Empfinden  glauben  wir  die  Objecte,  die  Ursachen 
der  Empfindungszustände,  selbst  zu  erfassen  (Pass.  anim.  I,  23).  Nach 
ä»iKozA  empfindet  der  Organismus  zugleich  mit  der  Natur  des  Außenreizes 
den  eigenen  Zustand.  ,Jdea  euiuscumque  modiy  quo  corpus  humanuni  a  corporis 
^xtemis  affioitur,  involvere  debet  naturam  corporis  humani  et  simul  naturam 
corporis  extemi**  (Eth.  II,  prop.  XVI).  „Sequitur  .  .  .,  quod  ideae,  quas  cor- 
porum  extemorum  habemus,  magis  nostri  corporis  constitutionemy  quam  corporum 
eitemorum  naturam  indicant^*  (1.  c.  Corr.  2).  Nach  Geulincx  enthalten  unsere 
Empfindungen  eine  Beziehung  aufs  Objective.  „Perceptionem  sensus  soleamtus 
referre  ad  res  ext&mas,  iamquam  ifide  provenientes ,  et  plerumque  cum  existi- 
nationCy  quod  eae  res  similiter  affectae  sint,  similemque  haheant  modum  aliquem, 


] 


254  Empfindung. 


qwilein  nobis  ifigerant**  (Etil.  IV,  p.  104).  Nach  Malebranche  entstehen  die 
Empfindungen  durch  „images  iniermedimres^^  (Rech.  III,  2,  2).  Es  gibt  „«en- 
sations  fortes  et  vives^*  (douleur,  chatouillement,  grand  froid),  bei  denen  das 
Gehirn  durch  die  Lebensgeister  (s.  d.j  stark  err^t  ist,  y^sensaiiofis  faibUs  ä 
fanguissantes^*  (lumifere  m^iocre,  couleur),  j^sefisatians  moyennes^'^  (grande  himi^re) 
(1.  c.  I,  12). 

Hobbeb  bestimmt  die  Empfindimg  als  Bewegung  der  empfindenden  Organe, 
bezw.  als  Beaction  imd  Ergebnis  des  Organismus  auf  die  von  außen  erlittene 
Einwirkung.  „*Scw^  est  ab  organi  sensorii  eofiaiu  ad  extra  qui  generatttr  a 
conatu  ab  obieeto  versus  ifUema,  eoque  aliquamdiu  manente  perreactiotiem  faehm 
pkafUtuma"  (Elem.  phiL  25,  2;  Leviath.  I,  1).  Alle  Erkenntnis  führt  auf  die 
Empfindimgen  zurück.  Nach  Locke  beruht  die  Empfindung  (j^ensation^^)  auf 
der  Empfänglichkeit  der  Seele  für  Eindrücke  (Ess.  II,  eh.  1,  §  24).  Durch 
Stoß  und  Druck  der  Körper  auf  die  Sinnesorgane  wird  sie  ausgelöst  (L  c  eh. 
8,  §  11),  indem  die  Körperteilchen  dem  Gehirne  eine  gewisse  Bewegung  zu- 
führen (L  c.  §  12,  13).  Die  Empfindungen  sind  als  solche  seelische,  subjecäye 
Zustände,  denen  bestinunte  Qualitäten  (s.  d.)  und  £[rafte  in  den  Dingen  ent- 
sprechen (1.  c.  §  14).  Hartley  erklärt  die  Empfindung  aus  einer  jyBerühnmg 
der  Nerven^^  wodurch  in  diesen  eine  Vibration  hervorgerufen  wird,  die  sich  biß 
in  das  Gehirn  fortpflanzt  (Observat.  on  man  I).  Hume  rechnet  die  Empfin- 
dung zu  den  unmittelbaren  Eindrücken  {„tmpressiafis"y  s.  d.),  die  der  Geist  v(H) 
der  Außenwelt  empfängt.  „Original  impressiofis  or  impressions  of  sensatians 
are  stich  as  withoui  any  antecedent  peroeption  arise  in  the  souI,  from  the 
Constitution  of  the  body,  from  the  animal  spirits,  or  from  the  applications  of 
objeeis  to  the  extenml  organs^^  (Of  the  Pass.  sct.  I,  p.  175).  Aus  Empfindungai 
bestehen  (wie  nach  Berkeley)  die  Sinnesobjecte.  Reid  sieht  in  den  Empfin- 
dungen Zeichen  für  äußere,  objective  Vorgänge  (Inquir.  C.  2,  sct.  9). 

Die  Passivität  der  Empfindung  betont  Condillac,  der  sensualistisch  (s.  d.) 
das  ganze  Bewußtsein  auf  Empfindungen  ziuückführt.  Die  Seele  ist  „^xmjfiV« 
an  moment  qu'elle  eprouve  une  Sensation j  pareeque  la  cause  qui  la  produit  est 
hors  d'elle^*  (Trait.  d.  sens.  I,  eh.  2,  §  11).  Die  Seele  selbst  empfindet  mittelst 
der  Sinne,  j,c'est  l'dme  seule  qui  sent  ä  Voceasian  des  organes*^  (1.  c.  Extr.  rais.). 
Helvetius  betrachtet  das  Empfinden  als  ein  ursprüngliches  Seelenvermögen 
(De  l'espr.  I,  eh.  1).  Holbach  bestimmt  die  Erapfuidimg  als  eine  Cxehim- 
erregung.  „O  seniiifient  est  une  fa^n  d'etre  ou  un  changenieni  marque  produit 
dans  notre  cerveau  ä  Vocca^ion  dßs  impulsiotui  que  nos  organes  recoirenf^ 
(Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  8,  p.  107).  „Touie  Sensation  n*est  .  .  .  qu^une  seeousse 
donnee  ä  nos  organes"  (1.  c.  p.  108).  Robinet  erklärt:  „/xt  Sensation^  dans  ies 
fibres  sensitives y  est  Vimpression  re^me  des  objets  exterieur:  dans  l'äme,  c'est  ce 
qu'elle  sent  par  Vimpression  faite  sur  l'organe"  (De  la  nat.  I,  p.  280). 

Nach  Leibniz  ist  die  Empfindung  (sensio)  eine  venvorrene  Vorstellung 
(Monadol.  13  f.,  25),  ein  innerer  Zustand  der  Seele,  dem  ein  objectives  Ge- 
schehen entspricht.  „Le«  ämes  sentent  ce  qui  se  passe  hors  d'elles  par  et  qui 
sc  passe  en  dies,  repondant  aux  choses  de  dehürs"  (Erdm.  p.  733b).  Die  Em- 
pfindung ist  die  Darstellung  des  Zusammengesetzten  im  Einfachen.  So  auch 
Chr.  Wolf  (Psychol.  rat  §  aS ;  Vem.  Ged.  I,  §  749).  Die  Empfindungen  ent- 
stehen durch  „ideae  materiales"  (s.  d.).  „/>ie  Gedanken,  irelefie  den  Grund  in 
den  Veränderungen  an  den  Gliednuißen  unseres  Leibes  hahcfi  und  roti  den 
körperlichen  Dingen  außer  uns  veranlaßt  icerden,  pflegen  icir  Empfindungen 


Smpflndung.  255 


wirf  das  Vermögen  tu  empfinden  die  Sinnen  .  .  .  .  xu  nennen^^  (Vern. 
(t«1.  I,  §  220).  „Empfinden^'  setzt  Wolf  für  y^percipere^^,  „Ich  sage  aber, 
daß  wir  etwas  etnpfindeUj  trenn  wir  uns  desselben  als  uns  gegenwärtig  be- 
mißt  sind.  So  empfinden  wir  den  Schmerz,  den  Schall,  das  Licht  und 
msere  eigenen  OedatikenJ^  Die  „Empfindungen^^  sind  „Gedanken  von  uns  gegen- 
Körtigen  Dingen*^  (Vera.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  Verst.*,  S.  11).  Nach 
Baumgakten  ist  die  Empfindung  eine  ,yrepraesentatio  non  distincta  sensitiva^*, 
r/epraesenkUio  status  mei  praesefUis^^  (Met.  §  521 ,  534).  Bilfinger  erklärt : 
^ßepraesentaiiones  rerum  a  mente  distinctarum  eae,  quibtis  hae  res  ridentur  ni 
m-fis  corporis  organis  tntUationes  aliquas  producere,  dicuntur  setisationes^^  (Diluc. 
§246).  Crüsius  bemerkt:  „Wir  nehmen  in  uns  Gedanken  wahr.  In  einigen 
derselben  sind  wir  hei  wachendem  Zustafide  genötiget,  Dinge  unmittelbar  uns  als 
wirklich  und  gegenwärtig  wrxustellen,  und  dieser  Zustafid  heißt  Empfindung^^ 
(Vemiinftwahrh.  §  426).  Eüdigek  versteht  unter  „sensio"  besonders  die  Wahr- 
nehmung der  Erregungen  des  eigenen  I^ibes.  Bei  Mendelssohn  bedeutet 
Empimdung  auch  das  Gefühl  (s.  d.),  bei  Abbt  wird  es  für  „sefisatum*^  (jyEvi^ 
pfindnis"  für  ,^entiment^J  gebraucht,  auch  bei  Eberhard  und  Tiedemann 
•vgl  DESSOm,  Gesch.  d.  neuer.  Psychol.  I*,  S.  353).  Bei  Tetens  bekommt  der 
Terminus  „Epnpfindmig"  seine  Ausprägung  im  Unterschiede  vom  Grefühle  als 
„Empfindnis^'  (Philos.  Vers.  I,  13).  Empfindung  ist,  „iras  wir  nicht  sowohl  für 
fine  Beschaffenheit  ton  uns  selbst  ansehen,  als  vielmehr  für  eine  Abbildung  eines 
f)bjecis,  das  wir  dadurch  xu  empfinden  glauben"  (1.  c.  I,  214).  In  der  Empfin- 
dung entsteht  „eitie  Veränderung  unseres  Zustandes,  eifte  neue  Modification  der 
.*yicfe",  yydie  gefühlte  Veränderung  ist  die  Empfifidung"  (1.  c.  S.  166).  Es  gibt 
fjäußere^*,  auch  „intiere"  Empfindungen  (1.  c.  H.  29).  Platner  bestimmt  die 
Empfindungen  als  „  Vorstellungen  von  den  Bexiehufigen  der  Sache  auf  den  selbst- 
eigenen  Zustand"  (Phil.  Aphor.  I,  §  67),  als  die  „bewußten  Ideen  der  Sinnen  .  .  ., 
insofern  sie  verbunden  sind  mü  eitlem  Beunißtsein  des  gegenwärtigen  Zustandes" 
(I.  c.  II,  §  32).  „Empfmdnisse"  sind  die  „bewußten  Ideen  der  Phantasie  .  .  ,y 
insofern  sie  verbunden  sind  mit  dem  Bewußtsein  des  gegenwärtigen  Zustandes" 
iL  c.  §  33).  Die  Empfindmig  ist  eine  „undeutliclte  Idee"  (1.  c.  §  37).  M.  Herz. 
tfklärt:  „Vorstellung  von  detn  Widerstand  haben,  welcher  der  Lebefiskraft  ent- 
gegengesetzt wird,  heißt  empfinden"  (Briefe,  2.  Samml.  1784,  S.  280). 

Xach  Kant  ist  die  Empfindung  „die  Wirkmig  eines  Gegetistandes  auf  die 
Vorstellungsfähigkeit,  sofern  wir  von  dettisdben  affigiert  werden"  (Kr.  d.  r.  Venu 
S.  48).  „Eifte  Pereeption,  die  sich  lediglich  auf  das  Sidyect  als  die  Modification 
mnes  Zustandes  bexdehi,  ist  Einpfindung"  (1.  c.  S.  278).  Sie  setzt  die  „wirkliche 
Gegenwart  des  Gegenstandes"  voraus  (1.  c.  S.  76).  Ihr  „correspondiert"  die 
nMaterie"  (s.  d.)  der  Erscheinung.  Empfindung  hat  einen  subjectiven  und, 
vorzugsweise,  einen  objectiven  Sinn.  „  Wenn  eine  Bestimmufig  des  Gefühls  der 
iMst  oder  Unlust  Empfifulung  genannt  wird,  so  bedeutet  dieser  Ausdruck  etwas 
9anx  anderes,  als  wenn  ich  eine  Vorstellung  einer  Sache  (durcJi  Sinne,  als  eine 
lum  Erkenntnis  gehörige  Receptivität)  Empfindung  fienne,  Detm  im  letxteren 
Falle  wird  die  Vorstellung  auf  das  Object,  im  erstem  aber  lediglich  auf  das 
Suhjeet  bexogen  ,  ,  ,"  K.  will  daher  die  subjective  Empfindtmg  „Gefühl"  (s.  d.) 
nennen.  „Die  grüne  Farbe  der  Wiesen  gehört  xur  objectiven  Empfindung,  als 
^Wahrnehmung  eines  Gegenstandes  des  Sinnes"  (Kr.  d.  Urt.  §  3). 

B.  Maimon  erblickt  in  der  Empfindung  eine  „Modification  des  Erkenntnis^ 
Vermögens",  ein  „Leiden",  eine  „bloße  Idee,  xu  der  wir  uns  durch  Verminderung: 


256  Empfindung. 


des  Bewußtseins  immer  nähern''   (Vera.  S.  168).     Nach  J.  G.  Fichte  i8t  die 
Empfindung  eine  (unbewußte)  geistige  Function,  „ein«  Handlung  des  Ich,  durch 
welche  dasselbe  etwas  in  sich  aufgefundenes  Fremdartiges  auf  sich  bexieht,  sieh 
xKeignet,  in  sich  setxi^'  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  351).    „f>t€  aufgehobene,  vemiehtete 
Tätigkeit  des  Ich  ist  das  Empfundene^'   (1.  c.  S.  349).     (Diese  active  Auf- 
fassung der  Empfindung  steht  im  Gegensatz  zur  passiven  Natur  der  Empfin- 
dimg bei  Kant.)     Ahnlieh  lehrt  Schelling,   indem  er  die  Empfindung  aus 
einer  Selbstbegrenzung  des  Ich  ableitet  (Syst.  d.  tr.  IdeaL  8.  102).    Empfinden 
ist  jySelbstansehauen  in  der  Begrenxtheit'  (1.  c.  S.  108,  111).    „TFenn  wir  empfinden, 
empfinden  mr  nie  das  Object;  keine  Empfindung  gibt  uns  einen  Begriff  ron  einem 
Objecty  sie  ist  das  schlechthin  Entgegengesetzte  des  Begriffs  (der  Handlung),  also 
Negation  von  TUtigkeit''   (1.  c.  S.  110).     Das  Ich  empfindet,    „wenn  es  in  sich 
findet  etwas   ihm  Entgegengesetztes,   d.  h.  weil  das  Ich  nur  Tätigkeit  ist,   eine 
reelle  Negation  der  THtigkeit,  ein  Äffunertsein"  (1.  c.  S.  123).     „Alle  Realität  der 
Erkenntnis  haftet  an  der  Empfi/ndung"  (1.  c.  S.  114).     L.  ÜKEK  bestimmt  die 
Empfindung  als  „unendliche,  centrifugale  Tätigkeit'*,  Heoel  als  ein  „Sich-selbst- 
in-sieh-finden"  (Naturphilos.  S.  429).     Sie  ist  die  unterate  Stufe  des  Zu-sich- 
kommens  der  „/rfee"  (s.  d.),  nämlich  die  „Form  des  dumpfen  Webens  des  Geistes 
in  seiner  betcußt-  und  verstandlosen  Individualität,  in  der  alle  Bestimmtheit  noch 
unmittelbar  ist*'  (Encykl.  §  400).     Empfinden  ist   ein  „Verinfierliehen  und  zu- 
gleich   Verleiblichen"  der  lu'sprünglichen  Bestinmitheit,  das  „gesunde  Mitleben 
des  individuellen  Geistes  in  seiner  Leibliehkeif  (1.  c.  §  401).    Nach  J.  E.  ErdmaKK 
ist  Empfinden  ein  „In-sich-finden"  der  Leibeszustände  (Psychol.  Br.*,  S.  162  fL). 
Elmpfindung  ist  ein  Zustand,  der  durch  das  Zusammentreffen  eines  Afficierenden 
und  eines  Empfindenden  entsteht  (Gr.  d.  Psychol.  §  69).     K  Bosenkbakz 
erklart:    „Das  Empfinden  setzt  imtner:   1)  ein  Subfect  voraus,  das  empfinden, 
2)  einen  Inhalt,  der  von  demselben  empfunden  werden  kann.    Beide  sind  an  sieh 
als  Möglichkeiten  voneinander  getrennte  Existenzen,     Das  Empfinden  selbst  ist 
der  Proceß,   in  welchem  die  Möglichkeit  der  Einheit  des  Empfindbaren  ufid  des 
Empfindenden  sich  verwirklieht"  (Psychol.*,  S.  126).     Das  Empfinden  ist  „Ver- 
geistigung  der  von  außen  kommettden  organischen  Erregungen,  u>elehe  sieh  durch 
die  Vermittelung  der  sensitiven  Nerven  individualisieren"  und  „Verleibliehung 
der  von  innen  .  .  .  entstehenden  Erregungen"  (1.  c.  S.  127).    „Die  Empfindung  ist 
das  unmittelbare  Dasein  des  Geistes  in  seiner  unmittelbaren  Identität  mit  der 
Natur,  worin  er  sich  ebensosefir  durch   sie  als  durch  sich  bestimmt  findet.** 
„Die  Empfindung  ist  zunächst  die  durch  die  Affection  des  Organismus  gesetzte 
Bewegung:  die  äußere  Empfindung;  sodann  aber  umgehehrt  die  durch  die  Spon- 
taneität des  Geistes  gesetzte  Bewegung:  die  innere  Empfindung**  (1.  c.  S.  129). 
Nach  Hillebrand  hat  sich   die  Seele  in  der  Empfindung  „als  bexiehutigslose, 
unmittelbare,  endlich-bestimmte  Einheit  mit  der  Natur**  (PhiL  d.  Geist  I,  143). 
Die  Empfindung  ist  ein  Act  der  Seele  (L  c.  S.  144).     Alle  besonderen  £#m- 
pfindimgen  sind  „Modifioationen  einer   Ur-  und  Centralenipfindtmg**,  d.  h.  der 
Individual-  oder  Selbstempfindung  (1.  c.  S.  148).    Die  Empfindungen  sind  ,^as 
Resultat  des  Wechselwirkens  mehrerer  Substanzen,*'  beruhen  auf  objectiver  Action 
und  Bubjectiver   Beaction   (1.   c.   S.   154).      Es    gibt   Existentialempfindungen 
(Vital-',  Virtualempfindungen)  und  Actualempfindungen  (1.  c.  S.  148  iL).    Nadi 
Sghleiekmacher  liegt  der  Empfindung  ein  Aufnehmen  wollen  des  Beizes  seitens 
der  Seele  zugrunde  (Dial.  S.  420).    Die  Empfindung  ist  eine  Action  des  Geistes 
selbst;  durch  dessen  „Geöffnetsein"  nach  außen  entsteht  mittelst  der  „organischen 


Empfindting.  257 


Funetian"  die  Mannigfaltigkeit  der  Empfindungen  (1.  c.  S.  386  ff.).  Benekb 
betont,  die  Empfindungen  enthielten  schon  eine  y^Selbstbetätigung  des  Geistes^^  (Log* 
II,  24,  28) ;  es  gehen  ihnen  Aneignungskrafte  in  der  Seele  voraus  (s.  Wahmehm.). 
Gk)SGE  unterscheidet  Empfindung  und  Vorstellung  (s.  d.).  Erstere  ist  „tier  Eifp- 
druck,  Kelchen  die  sensiblen  Nerven  durch  die  Beixe  der  Äußentvelt  erfahren"  (Lehrb. 
d.  PsychoL  S.  44).  Fortlage  findet  in  jeder  Empfindung  schon  einen  Trieb 
(8.  d.)  enthalten.  Nach  J.  H.  Fichte  ist  die  Empfindung  ein  Product  des 
Geistes,  das  auf  Trieben  beruht  (PsychoL  I,  8.  195  ff.).  Sie  ist  ein  yjnnetcerden 
des  ttnwiilkürliehen  Oebundenseins  dtsrch  einen  umnittelbar  sieh  aufdrängenden 
Inhalt'  (1.  c.  S.  260).  Nach  ÜLKICI  ist  die  Empfindung  ein  Product  und  zugleich 
ein  Leiden  der  Seele  (Leib  u.  Seele  S.  282).  Lotze  versteht  unter  einfacher 
Empfindung  das  ,jbetcußte  Empfindeti  einer  einfachen  Sinnesqualität"  (Med. 
PsychoL  §  16,  S.  180).  Die  Empfindungen  sind  „Erscheinungen  in  uns,  welche 
;»ör  die  Folge  von  äußeren  Reixen,  aJ)er  nicht  die  Abbilder  derselben  sind"  (Gr. 
d.  PsychoL  §  13).  Feghner  bemerkt,  die  einfache  Empfindung  sei  an  zusammen- 
gesetzte physische  Vorgänge  gebunden  (Elem.  d.  Psychophys.  II,  C.  37;  Üb.  d. 
Seelenfr.  S.  212).  Nach  Frohsghammer  ist  die  Empfindung  „das  Sich-inne- 
finden  als  Subject  und  das  Innewerden  des  eigenen  teleologisch  organisierten 
Wesens",  ein  „Formbilden,  ein  Sich-gestalten  nach  innen  xu"  (Monad.  u.  Welfr- 
phant.  S.  36  f.). 

Nach  Herbart  enthalt  jede  Empfindung  eine  „absolute  Position"  (s.  d.), 
einen  Hinweis  auf  das  Seiende  (Met.  II,  S.  90).  Die  Empfindung  ist  eine  ein- 
fiiche  Vorstellung  (s.  d.).  Sie  ist  eine  „Selbsterhaltung  der  Seele,  die  sich  selbst 
nicht  sieht  und  nichts  davon  weiß,  daß  sie  in  allen  ihren  Empfindungen  sich 
9flbst  gleich  ist,  und  vollends  nichts  davon,  daß  diese  ihre  Zustände  abhängen 
tum  Geschehen  in  xusamnientreffenden  Wesen  außer  ihr,  deren  eigene  Selbst- 
^Haltungen  ihr  in  keiner  Weise  bekannt  werden  können"  (Met.  II,  S.  340). 
Zwar  ist  die  Empfindung  nur  Ausdruck  der  inneren  Qualitäten  der  Seele,  aber 
^4ie  Ordnung  und  Folge  der  Empfindungen  verrät  das  Zusammen  und  Nicht- 
xusammen  der  Dinge"  (1.  c.  S.  341).  Nahlowsky  imterscheidet  scharf  zwischen 
Empfindung  und  Grefühl.  Empfindungen  sind  „alle  Jene  Zustände,  die  auf  der 
bloßen  Perception  organischer  Beixe  beruhen"  (Das  Gefühlsieb.  ß.  27).  Sie  sind 
..ursprüngliche^'^  Zustände  „primitiver"  Art  (L  c.  S.  28).  Die  Empfindung  ist 
als  solche  subjectiver  Natur,  ist  sie  ja  doch  „eine  Innen-Findung,  ein  Auf- 
gestöritrerden,  ein  Eben -nur -sich-  (und -nicht -anderes-)  finden;  —  ein  Selbst- 
trhaltitngs-Act,  und  xwar  der  einfachste  und  ursprünglichste",  „Das  Subjective 
der  Entpfindung  tvird  erst  abgestreift  durch  BeihiUfe  der  Association  und  Re- 
production,  durch  ihre  Ausgestaltung  xu  Bild  und  Begrifp*  (1.  c.  S.  20  f.). 
Die  Empfindung,  diese  „Antwort  der  Seele  auf  die  ihr  zugeleiteten  organischen 
ßptV',  ist  „der  erste  Ansatx  xu  einem  Beicußtsein",  sie  „repräsentiert  ein 
psychisches  Element"  (1.  c.  S.  28).  Es  gibt:  Innen-  oder  Körperempfindung 
önd  Außen-  oder  Sinnesempfindung  (1.  c.  S.  35).  „Etnpfindungsinhult"  ist 
,Jas  speeifisch  Eigentümliche  des  isoliert  fortgeleiteten  Reixes",  „Tbfi  der  Em- 
•  pfindung"  ist  „der  Störungswert  dieser  bestimmten  Reixung  ...,«?.  h.  das 
besondere  Verhältnis,  in  welches  sieh  dieser  Reix,  teils  xu  der  im  Moment 
torhatidenen  Stimmung  des  Nerven  und  der  Central&rgafie,  teils  mitunter  selbst 
iu  den  Processen  des  vegetativen  Lebens  setxt^^  (1.  c.  S.  13).  Nach  Volkmann 
ist  die  Empfindung  der  „Zustand,  welcher  von  der  Seele  bei  Veranlassung  des 
ihr  entgegengebrachten  Nervenreixes  entudckeU  ist"  (Lehrb.  d.  PsychoL  I*,  212), 

Philoiophteoh«e  Wört«rbaoh.     2.  Aofl.  17 


258  Empfindung. 


ein  jjn-sich'fi/nden  der  Seele",  ein  „Zustand,  den  die  Seele,  von  außen  daxu  rer- 
anlaßt,  aus  sich  selbst  entmckelt"  (1.  c.  S.  214).  Nach  Steikthal  bedeutet 
Empfinden  „vermittelst  der  Sinne  Erregungen  seitens  der  Elemente  empfangen 
und  bewußt  werden  lassen"  (EinL  in  d.  Psychol.  S.  318).  Lipps  unterscheidet 
objective  und  subjective  Empfindungen  (Gefühle)  (Gr.  d.  Seelenleb.  S.  298). 

Nach  Maine  de  Biban  enthalt  die  Empfindung  zwei  Faetoren:  y/iffeefion 
simple"  und  „element  per  sonnet"  (einfaches  Ichbewußtsein,  Oeuvr.  II,  115). 
Nach  W.  Hamilton  ist  die  Empfindung  von  der  Wahrnehmung  zu  unter- 
scheiden: je  lebhafter  jene,  desto  schwächer  diese.  H.  Spencer  sieht  auch  in 
den  Empfindungen  (subjective)  Wahrnehmungen  (PsychoL  II,  §  353).  Die 
Empfindimgen  sind  die  geistigen  Atome  (1.  c.  I,  C.  2),  die  „subfeetiren  Seiten 
solcher  Nertfenveränderungen  . . .,  welche  nach  dem  allgemeinen  Centrum  der  Nerren- 
Verbindungen  übertragen  worden  sind"  (1.  c.  §  43).  Jede  Empfindung  ist  schon 
eine  Widerstandsempfindung.  So  auch  Höffding  (PsychoL  S.  283),  nach  dem, 
durch  das  „Bexiehungsgesetx",  die  Empfindungen  zur  Einheit  des  Bewußtseins 
verbunden  sind  (1.  c.  S.  149  ff.;  ahnlich  Ladd,  Psychol.  p.  659  ff.;  Jameb, 
Princ.  of  Psychol.  I,  224  ff.,  449  ff.,  483  ff.).  Nach  A.  Bain  ist  die  Empfindung 
(„mental  impression")  ein  „state  of  eonsciousness",  der  durch  „eoctenial  eauses^ 
veranlaßt  wird  (Sens.  and  Int.»,  C.  2).  Nach  Sülly  ist  die  Elmpfindung  ein  „ein- 
facher geistiger  Zustand,  der  sieh  aus  der  Reixung  des  äußeren  Endes  eines 
fXuführenden*  Nerven  ergibt,  trmvn  diese  BeiMing  auf  die  höheren  Oe/iimcepUren 
oder  psychischen  Centren^  übertragen  ivird^^  (Handb.  d.  PsychoL  S.  82).  Voll- 
kommen einfache  Empfindungen  erleben  wir  niemals  (ib.).  Die  Empfindungen 
haben  eine  intellectuelle  und  emotionelle  Seite  (1.  c.  S.  82;  vgl.  Hum.  Mind  I, 
94 :  zu  den  Eigenschaften  der  Empfindung  gehören  Qualität,  Intensität,  „massi- 
ve7iess  or  extensity").  Ahnlich  James  („element  of  voluminousness",  Princ  of 
Psychol.  II,  134  f.),  Wabd  (Encycl.  Britann.»,  Art.  „Psychology",  p.  40,  53), 
Titchener  (Outl.  of  Psychol.  p.  76  ff.).  Stumpf  (TonpsychoL  I,  207  ff.), 
Jgdl  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  203).  Bald'WIN  bestimmt  als  Eigenschaften  der 
Empfindimg  „quantity"  (Qualität  und  Intensität),  „duration",  „tofie"  (Gefühls- 
ton) (Handb.  of  Psychol.  I,  85).  —  Seroi  erklärt:  „La  Sensation  est  ...  im 
phenomhvc  qui  se  produit  alors  que  la  foree  psychique  est  provoquee  a  agir  par 
la  force  exterieure  de  in  nature,  d'une  fa/^on  qui  lui  est  propre,  par  une  fnani^ 
festcUion,  qui  est  commwie  et  constanie"  (Psychol.  p.  17). 

Helmholtz  unterscheidet  „Modalität"  und  „Quaiität^'^  (s.  d.)  der  Empfin* 
dimg,  die  ihm  als  Perception  eines  Nervenzustandes  gilt.  Die  Empfindungen 
sind  subjective  Symbole  für  objective  Vorgänge,  „nur  Zeichen  für  die  äußeren 
Obfecte",  nicht  Abbilder  (Vortr.  u.  Red.  I*,  393),  „eine  durch  unsere  Organisation 
uns  mitgegebene  Sprache,  m  der  die  Äußendinge  xu  mis  redeti"  (ib.).  So  auch 
A.  Lange  (Gesch.  d.  Mat.),  Überweg  (Logik),  A.  Fick  (Vers.  üb.  Urs.  u. 
Wirk.«),  B.  Erdmann  (Ax.  d.  Geom.  S.  as  f.).  Nach  E.  Dühring  hat  jede 
Empfindung  eine  objective  Bedeutung  (Wirklichkeitsph.  S.  276  f.).  —  CzoLBS 
führt  die  Empfindung  auf  Projeetion  der  von  den  Dingen  sich  ablösenden 
Qualitäten,  die  zur  Seele  gelangen,  durch  diese  in  den  Raum,  also  auf  eine 
Kreisbewegung  zurück  (N.  Darstell,  d.  Sensual.  S.  27  ff.).  Spater  betont  er 
die  Ursprünglichkeit  der  Empfindungen;  diese  sind  nebst  den  Gefühlen  die 
Elemente  alles  Seelischen  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  198).  ElmpfindungeD 
und  Gefühle  sind  latent  immer  vorhanden,  sie  werden  „aus  dem  die  Korpencdt, 
mithin  auch  das  Oehim  der  Menschen  und  Tiere  dwchdringe^iden  unhegr&vUen 


Empfindung.  259 


Rowne,  in  welehetn  sie  als  sein  ruhender  Inhalt,  als  tote,  unsichtbare  Spann- 
kraft überall  verborgefi  sind,  durch  ganx  bestimmte  Oehimbewegungen  als  lebetidige, 
%um  Betct*ßtsein  kommende  Kräfte  frei  gemacht  oder  ausgelöst*'  (1.  c.  S.  200; 
R.  Welteeele).  Nach  £.  Haeckel,  L.  Noire,  Hering,  B.  Wille  ii.  a.  ist  die 
Empfindiuig  eine  Ureigenschaft  aller  Körperelemente.  Vgl.  Preyer,  Elemente 
d.  reinen  Empfindungslehre. 

HoRWicz  betrachtet  die  Empfindung  als  Entwicklungsproduct  des  Ge- 
fühles. Jede  Empfindung  enthalt  eine  Bewegung,  einen  Trieb  der  Annäherung 
oder  Abwehr  (PsychoL  Anal.  I,  306,  358,  III,  46,  48).  Als  das  Primäre  der 
Empfindung  betrachtet  das  Gefühl  (s.  d.)  auch  Th.  Zieqler.  So  auch 
E.  V.  Hartmans,  nach  welchem  die  Empfindung  ein  „Product  actirer  syn- 
thetischer Intellectttalfunctionefi'*  ist  (Kategor.  8.  55).  Die  Empfindung  ist 
y/ine  für  das  Beicußtsein  des  xusammfngej^eixten  Individuums  überschwellige 
Synthese  aus  unterschwelligen  Empfi/ndungen  und  Gefühlen  der  umspanntefi  In- 
dividuen tiächsttieferer  Stufe,  letxten  Endes  aber  eine  indirecte  .Synthese  aus 
qualitätslosen  Lust-  und  Unlust- Oefühleti  der  Uratome"  (Mod.  Psychol.  S.  195  f.). 

Nach  O.  8chk£IDER  ist  Empfindung  der  rein  subjective  „2kistand  des 
durch  Sinnesreixe  erregten  Innetverdens**  (Transcendentalpsychol.  S.  39).  Berg- 
MAITK  sieht  in  der  Empfindung  das  „letxfe  Element,  welches  die  Analyse  im 
*rnkmehmenden  Beunißtsein  findet,  insofern  dasselbe  auf  die  Außenirelf  bexogen 
ist^  (Grundlin.  e.  Theor.  d.  Bewußts.  S.  38).  „Während  die  Empfindung  an 
»ich  ein  subjediver  Zustand,  eine  Daseinsweise  des  empfindenden  Subjects  ist, 
findet  durch  das  Bewußtsein  gleiclisam  eine  Zerseixung  dieses  Zustandes  statt; 
der  Inhcdt  der  Empfifidung  oder  das  Empfundene  irird  aus  dem  Zustande  als 
solehem  ausgeschieden  und  als  ein  selbständiges  Wesen  dem  empfmdenden  Svbjeei 
g^enübergestelli"  (1.  c.  S.  34).  Nach  Uphües  ist  die  Empfindung  „die  Auf- 
fassung der  Siwieseindrüeke  ...  als  Bewußtsei ttsinJinlte"  (Wahm.  u.  Empfd. 
S.  3,  9,  14).  Empfindungen  sind  „die  einfachen  Beimßtseinsvorgänge,  die  als 
trste  Begleiterscheinungen  der  Einwirkungen  auf  unsem  Korper  .  .  .  auftreten^^ 
iPsychoL  d.  Erk.  I,  158).'  Zu  unterscheiden  sind  „ursprüngliche^^  und  „vneder- 
wflebende^^  Empfindungen  (ib.).  Empfinden  ist  nach  Husserl  „die  bloße  Tat- 
faehe,  daß  ein  SinnesinhaU  .  .  .  in  der  Erlebniscomplexion  präsent  ist^^  (Log. 
l'nt,  II,  714).  Die  Elmpfindungen  sind  Componenten  des  Vorstellungserlebnisses, 
nicht  dessen  Gregenstände  (1.  c.  S.  75).  Nach  Riehl  ist  Empfindung  „das  Be- 
icußtwerden  des  Unterschiedes  xweier  Erregungen"  (Phil.  Krit.  II  1,  47).  Der 
Empfindungsvorgang  enthält  außer  der  „Reeeptimi  des  Betcußtseim"  eine  psy- 
efajsche  Tätigkeit,  einen  „Act  des  Urteilens"  (1.  c.  S.  34).  Jede  Empfindung 
htt  eine  Gefiihlsseite  (1.  c.  S.  36);  ihr  Inhalt  selbst  ist  objectiv  (1.  c.  S.  38). 
Die  Empfindung  ist  „etwas,  dets  nicht  icir  sind"  (1.  c.  S.  42).  „Dureh  das  Ge- 
fühl, womit  sie  das  Beicußtsein  erregt,  gibt  sich  die  Empfindung  als  etwas  kund, 
das  nicht  ausschließlich  aus  uns  stammt^'  (1.  c.  II  2,  40).  Sie  „enthält  das 
ganze  Bewußtsein  im  Keime".  „Sie  ist  das  Gefühl,  dureh  einen  Üeix^  affieiert 
sH  sein^  Reaetion  gegeti  einen  Reix  und  Vorstellung  der  Beschaffenheit  desselben" 
<1.  c.  n  2,  197).  Sie  ist  das  bewußte  Correlat  des  Stoffwechsels  im  Nerven- 
systeme (L  c.  S.  207).  Nach  Hodoson  gibt  es  keine  reinen  Empfindimgen,  da 
»lle  Bewußtseinsinhalte  in  den  Formen  von  Raum  oder  Zeit  gegeben  sind 
iPhiL  of  Reflect.  I,  260  f.).  —  Nach  Witte  sind  die  Empfindungen  nichts  Ur- 
sprängliches ,  sondern  Schöpfungen  des  vorempirischen  Bewußtseins  (Wes.  d. 
Jseele  S.  127,  141).     Nach   Rehmke  ist  die   Empfindung   nichts   „Ooncretes" 

17* 


260  Empfindung. 


(s.  d.),  sondern  ein  yyÄbsiractes'^  (s.  d.),  eine  Bestimmtheit  des  Bewußtseins  (Allg. 
Psychol.  S.  192  ff.,  166  f.).    Wundt  bestimmt  die  Empfindungen  als  „diefetiigen 
Zustände  unseres  Bewußtseins,  welche  sich  nicht  in  einfachere  Bestandteile  ver- 
legen lassen"  (Grdz.  d.  phys.  PsychoL  I*,  281).    Sie  sind  Producte  der  psycho- 
logischen Analyse.    ,.Z>te  Elemente  des  ohjeeiiven  Erfahrungsinha-ltes  bexeiekueH 
wir  als  Empfindungselemente  oder  schlechthin  als  Empfindungen"  (Gr. 
d.  Psychol.*,  Ö.  36).   Diese  sind  Teile  von  Vorstellungen,  „m««"  Empfindungen 
sind  Abstractionsproduete;  sie  bilden  eine  Reihe  disparater  Qualitatensysteme 
(1.  c.  S.  46).    Die  speciellen  Empfindungssysteme  dürften  aus  den  Empfindung»- 
Systemen  des  ,,allgemeinen  Sinnes"  (s.  d.)  durch  allmähliche  Differenzierung  ait- 
sumden  sein  (1.  c.  S.  47  f.).    Jede  Empfindung  ynxA  durch  einen  (äußeren  oder 
inneren)  Beiz  ausgelöst.   Die  Empfindung  selbst  kann  nur  „o/a  ein  intensives  Quäle 
betrachtet  werden,  dessen  Verbindung  mit  anderen  äßinlichen  Empfindungen  xkw 
durch  gewisse  regelmäßig  coexistierende  oder  einander  folgende  Reixeinuirkufigen 
äußerlich  veranlaßt,  nidit  aber  im  eigentlichen  Sinne  verursaM  werden  kann"  (Phil. 
Stud.X,81).   Gemäß  dem  Princip  des  psychophysischen  Parallelismus  (s.d.)  muß 
angenommen  werden,  daß  „nicht  der  physische  Sinnesreiz  die  Empfindung  er- 
xettgt,   sondern   daß  diese   aus   irgend  welchen  psychischen  Elementarvorgängen 
entspringt,  die  unt^r  der  Sehwelle  unsres  Bewußtseins  liegen,  und  in  denen  unser 
Seelenleben  mit  einem  aügemeinen  Zusamm^enhang  psychischer  Elementarvargängf 
in  Verbindung  steht"  (Vorl.  üb.  d.  Mensch.«,  S.  490,   ähnlich   Fechneb  und 
Paulsen).     Qualität    und  Intensität    sind  die  Bestimmungsstücke  jeder  Em- 
pfindimg (Gr.  d.  PsychoL»,  S.  37 ;  Grdz.  d.  phys.  PsychoL  I*,  282).    An  Wundt 
schließt  sich  an  G.  Villa  (Eünl.  in  d.  Psychol.  S.  295  u.  a.).    Külpe  erklärt: 
Die  erste  Klasse  der  psychischen  Elemente  „ist  dadurch  ausgezeichnet,  daß  das 
Auftreten  der  in  sie  hindnxureehnenden  Qualitäten  von  der  Erregung  ganz  be- 
stimmter peripherischer  und  wahrscheinlich  auch  cerUraler  nervöser  Organe  ab- 
hängig ist.     Wir  nennen  die  hierher  gehörigen  elementaren  Inhalte  des  Bewußt- 
seins Empfindungen.  Dieser  Name  bezeichnet  alsonic/äeine  allgemeine  Fähigkeit 
der  Seele,  auf  äußere  Eindrücke  z/u  reagieren  .  .  .  sondern  ist  Repräsentant  eittes 
Gattungsbegriffs,  unter  den  als  reale  Vorgänge  einxdg  die  besonderen  durch  das 
hervorgehobene  Merkmal  speeificierten  Elemente  fallen"  (Gr.  d.  PsychoL  S.  21). 
„Die  Empfindung  ist  also  nichts  außer  ihren  Eigenschaften^^  (1.  c.  S.  30);  diese 
sind:   Qualität,  Intensität,  Dauer,  Ausdehnung  (L  c.  S.  30" f.),  aber  nicht  jede 
Empfindung  hat  alle  diese  Eigenschaften  (1.  c.  S.  31).     Es  gibt  „peripherisch 
erregte^^   imd   „central  erregte"   Empfindimgen   (L  c.  S.  37).     Zieecen  Tersteht 
imter  Empfindung  das   „erste  psychische  Element",  welches  einem  durch  einen 
Reiz  veranlaß ten  Nervenprocesse  entspricht  (Leitfad.  d.  phys.  PsychoL*,  S.  15). 
Aus   E^mpfindungen   baut  sich  nach  ihm  wie  nach  anderen  Associations- 
psyc  ho  logen  (s.  d.)  da^  Seelenleben  auf.   Bbentano  rechnet  die  Eampfindungen 
zu  den  physischen  Erscheinungen  (PsychoL  I,  8.  103  ff.).    Jodl  bestimmt  die 
Empfindung  als  einen   „im  Centraiorgan  auf  Veranlassung  eines  ihm  von  den 
peripherischen  Organen  xugeführten  Nervenreizes  enhpickeltenBewußtseinsxustandj 
in  welchem  ein  qu/üitaliv  und  quantitativ  bestimmtes  Etwas  (Inhalt,  aliquid)  zur 
itvnerlichen  Erscheinung  kommt"  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  169).   Die  Eigenschaften 
der  Empfindung  sind  Modalität,  Qualität,  Intensität,  Extensität  (bezw.  Proten- 
sität)  (1.  c.  S.  194).    Ebbinghaüs  betont,  nirgends  gebe  es  isolierte  Empfin- 
dungen,   stets    nur    Empfindungsverbände    (Gr.   d.   PsychoL   I,   10;    so  auch 
H.  Cornelius,  Lehrb.  d.  PsychoL  S.  182).   Die  Empfindung  ist  „das  psychische 


Empfindung.  261 


Äquivalent  der  Eintcirkung  eines  tmd  desselben  real  ungeteilt  ablaufenden  Vorgangs^*^ 
(Gr.  d.  Psychol.  I,  421).  Zu  den  Eigenschaften  der  Empfindung  gehört  räum- 
liche oder  (und)  zeitliche  Ausdehnung  (ib.).  Jede  Empfindung  ist  ursprünglich 
Ton  bestimmten  Bewegimgen  gefolgt,  entladet  sich  gleichsam  in  ihnen  (L  c. 
S.  688).  VgL  A.  Meinong,  Üb.  Begr.  u.  Eigensch.  der  Empfind.,  Viertel- 
jahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  XII;  Witasek,  Zeitschr.  f.  Psychol.  XIV. 

MÜNSTERBERG  führt  in  der  Psychologie  das  ganze  geistige  Leben  auf 
£mpfmdungen  zurück.  Diese  sind  jedoch  Abstractionsproducte ,  bei  denen 
vom  Subject  (s.  d.)  abgesehen  wird  (Psychol.  and  Life  p.  44  ff.;  ähnlich 
H.  RiCKERT,  Grenz,  d.  naturwiss.  Begriffebild.  I,  ö,  147  ff.),  Die  Empfindung 
ist  yyderfenige  einfachste  Bestandteil  der  Wahrnehmung,  der  noch  in  noetischem 
Verhältnis  xu  Bestandteilen  des  Wakmehmungsobjectes  besteht'^  (Gnmdz.  d. 
Psychol.  I,  310).  Xach  der  yyÄctiofistheorie"  (s.  d.)  ist  jede  Empfindung  an 
einen  motorischen  Proceß  gebunden,  „dem  Übergang  von  Erregung  zur  Eni- 
laduing  im  Ritidengebiet  xugeordnet^'y  und  zwar  derart,  y,daß  die  Qualität  der 
Empfifidmig  von  der  räumlichen  Lage  der  Erregungsbahn,  die  Intensität  der 
Empfindung  von  der  Stärke  der  Erregufig,  die  Wertnuance  der  Empfindung  von 
der  räumlichen  Lage  der  Entladungsbahn  und  die  Lebhaftigkeit  der  Empfindung 
ron  der  Stärke  der  Entladung  abhängt"'  (1.  c.  S.  549,  531). 

Als  Bestandteile  der  Wirklichkeit  selbst,  als  Bealitäten  betrachtet  die  Em- 
pfindungen J.  St.  MiLL  (Examin.  p.  225  f.).  So  auch  die  Immanenzphilo- 
Sophie  (s.  d.).  Schuppe  z.  B.  bemerkt:  „Sind  die  Empfindungen  nicht  als 
siAjeetiver  Island  oder  Tätigkeit,  sondern  als  der  Empfindungsinhalt,  selbst' 
terständlieh  mit  alier  räumlicJien  und  zeitlichen  Bestimmtheit,  ohne  tcelche  er 
keine  concrete  Existenx  seift  könnte,  xum  Bewußtseinsinhalt  gemacht,  so  ist  es 
diese  ganze  räumlich-zeitliche  Welt,  welche  ja  aus  solchen  EmpfindungsinhaÜen 
oder  Wahrnehmungen  sich  a/ufbatä,  nieht  also  etwa  als  innerseelisches  Gebilde^ 
sondern  ganx  so  und  ganx  diesetbe,  irie  wir  sie  aus  der  unmittelbaren  Atischaimng 
kennen^"  (Log-  8-  24).  Empfindung  ist  „Bewußtsein  mit  dem  und  dem  Inhalt 
oder  Obfeet"",  „Was  außerdem  eine  von  dem  Empfifidungsinhalt  wohl  zu  unter- 
neheidende  subjective  Tätigkeit  cfe*  Empfindens  sein  mag,  ist  absolut  unerfindlich'*^ 
(L  c.  S.  22).  Empfinden  heißt  „eignen  Betoußtseinsinhalt  haben"  t(l.  c.  S.  23). 
Clifford  betont:  „Die  Schlüsse  der  Physik  sind  sämtlich  Schlüsse,  die  sich 
auf  meine  wirklichen  oder  möglichen  Empfindungen  beziehen''  (Von  d.  Xat.  d. 
Dmge  an  sich  S.  27).  Die  Empfindungen  (feelings)  bedürfen  keines  „Trägers'', 
sie  haben  selbständige  Existenz,  sind  „Dinge  an  sieh'*,  bilden  den  „Seelenstoff^* 
i„mind-stuff"),  aus  dem  das  An -sich  der  Dinge  besteht;  erst  bestinmite  Com- 
plexe  von  Empfindungen  bringen  ein  Bewußtsein  mit  sich  (1.  c.  S.  39,  42  ff., 
44,  46  ff.).  E.  Mach  erblickt  in  den  Empfindungen  („Elementen^')  die  Bestand- 
teile der  Dinge  selbst.  Alle  Elemente,  sofern  wir  sie  als  „abhängig"  von  un- 
serem Organismus  bezeichnen ,  sind  insofern  „Empfindungen"  (PopulänWss. 
Vorles.  S.  226;  Analys.  d.  Empfd.*,  8.  V,  S.  14,  17).  Nicht  die  Körp<T  (s.  d.) 
erzeugen  Empfindungen,  sondern  Elementencomplexe  bilden  die  Körper  (1.  c. 
H.  23).  Nach  R.  AvEKARrüS  sind  die  Empfindungen  „Setzungscharaktere''''  der 
j^Saeken'^,  d.  h.  die  Elemente  der  Wirklichkeit,  insofern  sie  „abhängig"  sind 
vom  „System  C"  (s.  d.),  vom  Organismus  (Kr.  d.  rein.  Erf.  II,  S.  78  f.;  vgl. 
KoDis,  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  21 ,  S.  428).  Nach  Ostwald  empfinden  wir 
nur  T'ntenschiede  der  Energiezustände  gegen  unsere  Sinnesapparate  (vgl.  Energie). 
Vgl.  Qualität,  Intensität,  Wahrnehmimg,  Sinn,  Sensualismus,  Impression. 


262  Umpfindungscomplex  —  XSmpiriokrltische  Axiome. 


Empfinduii^eoniplex  s.  Empfindung,  Ck>niplex,  Object 

EmpfindimssftLrelse  nennt  £.  H.  Weber  jene  Hautstelleu,  innerhalb 
deren  zwei  Berühnuigen  nicht  mehr  unterschieden  werden,  wo  sie  also  ab 
eine  Empfindung  auftreten.  Die  Haut  besteht  aus  Empfindungskreisen  von 
verschiedener  Größe  imd  (xestalt  (Tasts.  u.  Gemeingef.;  vgl.  Goldscheidee, 
Arch.  f.  Physiol.  1885  ff.;  Hellpach,  Grenzwiss.  d.  Psychol.  S.  125). 

Empfindiinssqaallt&t  u.  Empfindnngsstftrke  s.  Qualität,  In- 
tensität. 

Empfindmif^seliwelle  s.  Schwelle. 

Empliasieolog^e:  Lehre  vom  Ausdnick  (A.  Baumgarten). 

Emplr^m:  Erfahrungssatz. 

Empirie  s.  Erfahrung. 

Empiriker:  Gegensatz  zum  Theoretiker.  Empiriker  ist,  wer  durch  die 
Praxis,  durch  Versuch,  Induction  eine  Erkenntnis  gewinnt.  Im  engeren  Sinne 
heißen  „Ernpiriker^^  (ä/uTiei^txot)  die  philos.  Arzte,  die  um  200  n.  Chr.  lebten 
(z.  B.  Sextus  Empiricüs). 

Empiriofturiticismns  heißt  das  von  B.  Avenarius  begründete  System 
der  „reiften  Erf<iJirung"  (s.  d.),  dafi  ein  jfkritiseher'^  d.  h.  die  Erfahrung  von  allen 
metaphysischen  Zutaten  reinigender  Empirismus  sein  will  (vgl.  Vierteljahisschr. 
f.  wiss.  Philos.  22,  S.  53  f.).  Er  will  die  Philosophie  auf  die  Bestinunung  des 
allgemeinen  Erfahrungsbegriffs  nach  Form  und  Inhalt  beschränken.  Das  System 
stellt  sich  in  Gegensatz  zu  allem  Aprionsmus,  will  realistisch  und  positivistisch 
sein.  Einen  principiellen  Unterschied  zwischen  psychisch  und  physisch,  Subject 
und  Object,  Bewußtsein  und  Sein  gibt  dieses  System  nicht  zu,  alle  „Introfectüm^^ 
(s.  d.)  wird  perhorresciert.  Die  Erkenntnis  besteht  aus  „Aussagen^'  über  Inhalte, 
die  vom  menschlichen  Individuum  (System  C,  s.  d.)  in  der  Form  der  „Er- 
fahrtmg^^  y^abhängig"  sind.  Das  Ideal  des  Erkennens  ist  die  Gewinnung  des 
rein  empirischen  „Welibegrtffs^^  (s.  d.),  die  Beseitigung  jedweden  Dualismus,  die 
Elimination  aller  metaphysischen  Kategorien.  Der  Charakter  der  empirio- 
kritischen  Erkenntnistheorie  ist  ein  biologischer  (Avenarius,  Philosophie  als 
Denken  der  Welt  .  .  .  1876;  Kritik  der  reinen  Erfahnmg  1888,  1890;  Der 
menschliche  Weltbegriff  1891;  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  18  u.  19;  Car- 
STANJEN,  K.  Avenarius'  biomeohan.  Grundleg.  .  .  .  1894;  R.  Willy  in  Viertel- 
jahrsschr. f.  wTiss.  PhüoB.  16,  S.  20()ff.;  20,  S.  55  ff.,  191  ff.,  261  ff.;  J.  Petzoldt, 
Einführ,  in  d.  Philos.  d.  r.  Erfahr.  I,  1899).  Vgl.  „Elemente",  Introjection, 
Erfahnmg  u.  s.  w. 

Eiinpiriokritteclie  Axiome«  Deren  stellt  R.  Avenabius  zwei  auf 
als  Voraussetzungen  des  „Empiriokriticismtu"  (s.  d.):  1)  „Jedes  mensehliehe 
Individuum  nimmt  ursprünglich  sieh  gegenüber  eine  Umgebung  tnit  mannigfaehen 
Bestandteilen^  andere  menschliche  Individuen  mit  mannigfaehen  Aussagen  und 
das  Ausgesagte  in  irgend  icelcher  Abhängigkeit  von  der  Umgebung  an.  Alle  Er- 
kenninisinhalte  der  philosophischen  Weltanschauungen  —  kritischer  oder  nicht- 
kritischer  —  sind  Abänderungen  jener  ursprünglichen  Annahme^*^  (Axiome  dex 
Erkenntnis  in  halte).  2)  „Das  wissenschaftliche  Erkennen  hat  keine  u?esentlieh 
anderen  Formen  oder  Mittel  als  das  nichttcissenschafüiche,  alle  speeieüen  wissen- 
schaftlichen Erkenntnis-Formen  oder  -Mittel  sind  Ausbildungen  rondssenschaft- 
licher^^  (Axiome  der  Erkenntnis  formen)  (Krit.  d.  rein.  Erf.  I,  Vorr.  VIIj. 


Empiriokritiflolier  Befund  —  Empiriamus.  263 


EmpirlokrtAteclier  Befyuid(oder  ,^empirü(^Prmeipialcoordination^% 
ist  nach  E.  Avenarivs  die  Grundvoraussetzung  aller  Erkenntnis,  nämlich  die, 
daß  jedes  menschliche  Individuum  ursprünglich  sich  gegenüber  eine  yylhn- 
gebunff*^  mit  verschiedenen  Bestandteilen  und  andere  Individuen  mit  ,f  Aussagen" 
über  diese  Umgebimg  vorfindet,  die  darauf  hinweisen,  daß  sie  (die  Aussagen) 
eine  „mehr-als-mechanisehe^*  Bedeutimg  haben,  d.  h.  daß  sie  gleichfalls  ein 
^Vorfindefi**  ausdrücken  (Menschl.  Weltbegr.  S.  7).  Dieser  jyfuUürliehe  Welt- 
hegriff'^^  wird  durch  die  „Introjectian*'  (s.  d.)  verfälscht;  diese  muß  durch  die 
Wissenschaft  und  Erkenntniskritik  wi^er  beseitigt  werden  (Vierteljahrsschr. 
f.  wißs.  Philos.  18). 

Emplriseli  (iftTist^ixo^):  der  Erfahrung  angehörend,  erfahrungsmäßig, 
durch  Erfahrung  gewonnen,  aus  der  Erfahrung  stammend,  durch  Erfahrung 
begründet,  aus  der  Erfahnmg  abgeleitet  („empirisches  Verfahren^^J,  Gegensatz: 
ntional  (s.  d.),  apriorisch  (s.  d.),  transcendent  (s.  d.).  Vgl.  Schellixg,  Syst.  d. 
tr.  Ideal.  S.  315;  Vom  Ich  ft.  36;  K.  Fischer,  Krit.  d.  Kantschen  Philos. 
8.83. 

Emplrlselie  Psyeholo^Ie  s.  Psychologie. 

Emplrlsckei*  Monisma«  s.  Monismus. 

liBipIriieliefi  Bewußtsein  s.  Bewußtsein  (Kant). 

Eniplrteclie«i  leli  s.  Ich. 

Empirtemiis  (von  iunsi^ia):  Erfahrungsstandpunkt.  Psychologisch  be- 
deutet Empirismus  die  Ableitung  aller  Bewußtseinsinhalte  aus  psychischen 
Elementen  und  deren  Zusammensetzung;  so  z.  B.  gibt  es  eine  empiristische 
Raum-  und  Zeittheorie  (s.  d.).  Empirist  ist  in  diesem  Sinne  jeder,  der  (in  der 
Psychologie  und  Erkenntnistheorie)  alle  Begriffe  (Erkenntnisinhalte)  auf  Er- 
fahrung (s.  d.)  zurückführt,  der  nichts  Angeborenes  (s.  d.).  Apriorisches  (s.  d.) 
annimmt,  sondern  glaubt,  daß  alle  Begriffe  Abstractionen  von  concreten  Er- 
lebnissen, Vorkommnissen  sind.  Im  logischen  Sinne  bedeutet  Empirismus  die 
Wertung  der  Erfahrung  als  einzige  Quelle  alles  Erkennens;  es  gibt  danach 
entweder  keine  andere  als  empirische  Erkenntnis,  oder  „wahrf^^  Erkenntnis  ist 
nur  da  zu  finden,  wo  Erfahrung  (und  Induction  aus  Erfahrungen)  gegeben  ist^ 
Der  (rrundsatz  des  Empirismus  lautet:  nichts  ist  im  Denken  (in  unseren  Be- 
griffen), was  nicht  aus  der  Erfahrung  stammt.  Wird  die  Erfahrung  als  sinn- 
liche Wahrnehmung  aufgefaßt,  dann  gestaltet  sich  der  Empirismus  zum  Sen- 
sualismus (s.  d.).  Der  dogmatische  Empirismus  setzt  die  empirische  Grundlage 
alles  Erkennens,  den  unbedingten,  ausschließlichen  Wert  der  Erfahrung  ohne 
weiteres  voraus;  der  kritische  Empirismus  kommt  zu  seinen  Ergebnissen  erst 
nach  Prüfung  des  Erkenntnisinhaltes  imd  der  Erkenntnismittel.  Gegensatz 
zun  psychologischen  Empirismus  ist  der  Nativismus  (s.  d.),  zum  logischen  der 
Rationalismus  (s.  d.)  tmd  der  Apriorismus  (s.  d.).  In  der  Gegenwart  besteht 
rielfach  eine  Synthese  von  Empirismus  und  Apriorismus,  mit  Ubenniegen  bald 
des  einen,  bald  des  anderen  Bestandteiles,  so  daß  es  oft  schwer  fällt,  die  Lehre 
eines  Philosophen  imter  einen  der  Begriffe  zu  subsumieren.  Vielleicht  ließe 
ueh  der  vermittelnde  Standpunkt  als  kriticistischer  Empirismus  oder  als 
Kriticismus  (s.  d.)  im  weiteren  Sinne  bezeichnen. 

G^enüber  den  rationaHs tischen  Systemen  vorsokratischer  Philosophen 
(mit  Ausnahme  der  Kyrenaiker)    sowie  denen  Platos  und   Aristoteles' 


264  EmpiriBinus    —  UnergetiBche  Naturauffassung. 


•  haben  die  Erkenntnislehren  der  Stoiker  und  Epikureer  einen  mehr  empi- 
rietischen  Charakter.  Im  Mittelalter  neigen  dem  Empirismus  teilweise  zu 
Wilhelm  von  Occam,  Boger  Baco,  zur  Zeit  der  Benaissance  L.  Vives, 
N1ZOLIÜ8,  Galilei,  Campanella,  L.  da  Vinci.  Den  neueren  Empirismus 
begründet  F.  Bacon.  Bei  Hobbes,  reiner  bei  Locke  ist  er  zu  finden,  auch 
bei  Berkeley,  in  „skeptischer^^  Färbung  bei  Hume,  sensnal istisch  gestaltet  bei 
CONDILLAC  u.  a.  Kant  überwindet  die  Einseitigkeiten  des  Empirismus  und 
des  Rationalismus  durch  seinen  Ejriticismus.  Einen  „rationellen  Empirismus^' 
vertritt  Goethe  (vgl.  Siebeck,  Goethe  als  Denker  S.  23).  Einen  „indttciiteit 
Empirismus  begründet  J.  St.  Mill.  Einen  kritischen  (oder  kriticistischen) 
Empirismus  lehren  Beneke,  Überweg,  Comte,  O.  F.  Gruppe,  C.  \V.  Opzoo- 
mer,  E.  Dühring,  C.  Göring,  Laas,  auch  noch  Biehl,  Wundt,  Nietzsche, 
H.  Spencer,  O.  Caspari  (Zusammenh.  d.  Dinge  S.  192),  Harms,  F.  von  Bares- 
BACH  (Grundleg.  d.  krit.  Philos.  I,  1873),  E.  v.  Hartmann.  Eine  Theorie  der 
^^einen  Erfahrung''  gibt  B.  Avenariüs,  ähnlich  lehren  Kirchhofe,  Hertz, 
E.  Mach,  B.  Wähle  und  H.  Cornelius.  Dieser  unterscheidet  den  ,,<wj- 
seqttenten''  oder  „erkenntnistheoreti-scfie^i"  vom  „n4ituralistischen  Scheinetnpirismur^ 
(Einl.  in  d.  Philos.  S.  335).  Wahrer  Empirismus  ist  die  Art  des  wissenschaft- 
lichen Betriebes,  welche  die  Erfahrung,  von  allen  dogmatischen  Voraussetzungen 
geläutert,  begrifflich  für  die  Erklärung  der  Tatsachen  verarbeitet  (L  c.  S.  36). 
Vgl.  Erfahrung,  Erklänmg,  Baum,  Zeit,  Kategorien. 

Eiinptrlstiseli:  aus  der  Erfahrung  ableitend,  auf  Erfahrung  gründend. 
Empiristisch  kann  sein  die  Erkenntnistheorie,  die  Ethik.  Gegensatz :  speeulativ 
(s.  d.),  aprioristisch  (s.  d.). 

Empyrenm:  bei  Dante  das  oberste  Paradies  (Parad.  31  f.),  bei  Patei- 
TTüS  II.  a.  der  Feuerhinmiel,  die  empyreische,  feurige  Welt,  die  den  äußersten 
Kreis  des  Universums  bildet  und  von  geistigen  Wesen  bewohnt  wird.  Empv- 
reisch:  himmlisch. 

Enar^ie  {ivagyeta):  Evidenz  (s.  d.j,  Klarheit  (s.  d.). 

EIncyklopftdtsten  heißen  die  Herausgeber  und  Mitarbeiter  der  ,,Encif 
clopidie  m(  dictictnnaire  raisonne  des  sc-iences,  des  arts  et  des  mMiers'*  (1751  bis 
1772),  die  in  aufklärerischer  Weise  schrieben  (d'Alembert,  Diderot,  Hol- 
bach, B0U88EAU,  Voltaire  u.  a.). 

Endeleeble  s.  Entelechie. 

Endlicli  ist,  was  ein  Ende,  eine  Grenze  in  Baum  oder  Zeit  oder  in 
beiden!  hat.  Endlich,  d.  h.  Anfang  und  Ende  des  Daseins  habend,  kann  sein 
ein  Ding,  ein  Geschehen,  ein  Wirken,  eine  Kraft.    Vgl.  Unendlich. 

Endoxa  (k'vSo^a):  Sätze,  die  schon  außenvissenschaftlich  Geltung  haben; 
t|  irSoSüir  schließt  der  „dialektische"'  (s.  d.)  Schluß  nach  Aristoteles  (Top.  1, 1). 

Endursaclie,  Endzweck  s.  Zweck. 

£nerg^etlk:  allgemeine  Energielehre  (vgl.  Ostwald,  Energet.«,  S.  11). 

Enei^etisehe  Natnranffassan^:  die  Annahme  der  Energie  (s.  d.> 
als  Princip,  Gnmdlage,  Substanz  alles  physischen  Geschehens,  im  Gegensatze 
zur  mechanistischen  (s.  d.)  Weltanschauung,  welche  die  Materie  (s.  d.)  mid  das 
Mechanische  als  Princip  des  Physischen  bestimmt. 


Energie.  265 

Elneri^le  {ire^ysia) :  Wirksamkeit,  Betätigungskraft,  Arbeitsfähigkeit,  Arbeit. 
Die  physikalische  Energie  ist  die  Fähigkeit,  Arbeit  zu  leisten,  die  Wirkungs- 
lahigkeit  der  Masse;  sie  ist  actuelle  (insbesondere  kinetische)  oder  potentielle 
Energie,  d.  h.  sichtbare,  an  die  Bewegung  geknüpfte,  oder  unsichtbare,  analog 
der  lebendigen  Elraft  gedachte  Energie.  Das  Gesetz  der  Constanz  und  Er- 
hütimg  der  Energie  besagt,  dafi  bei  allen  Umwandlungen  der  Energieformen 
in  andere  das  Quantum  (actueller  und  potentieller)  Energie  unverändert  bleibt, 
daß  Energie  weder  neu  entstehen  noch  verloren  gehen  kann.  Es  beruht  dies 
Gesetz  auf  einem  durch  Erfahrung  wachgerufenen  und  auch  erhärteten  Postulate 
des  auf  Geschlossenheit  und  Einheit  des  Naturgeschehens  ausgehenden  causalen 
Denkens,  in  letzter  Linie  auf  der  Setzung  der  materiellen  Substanz  als  eines 
permanierenden  Principes.  Psychische  (geistige)  Energie  ist  die  Wirkungs- 
fähigkeit,  Wirksamkeit  von  Beif^iiBtseinsfactoren,  die  Wertgröße  eines  psychischen 
Gebildes.  Der  Name  y, Energie^*  wird  auf  mechanischem  Gebiet  schon  von 
Th.  Young  (1800)  gebraucht,  aber  erst  nach  1850  von  den  englischen  Physikern 
auf  die  gesamte  Physik  übertragen  (Mach,  Wäiinelehre*,  S.  256). 

Der  Terminus  „Energie^*  verdankt  seine  Entstehung  dem  Aristoteles. 
Bei  ihm  heifit  M^Bia  (dv  fy/c^  elvai)  die  lebendige  Wirklichkeit  imd  Wirk- 
samkeit, das  Auswirken,  Verwirklichen,  Wirklichsein  im  Unterschiede  von  der 
bloßen  Potenz  {8vvafug)  (Met.  IX,  6  squ.).  Sehen,  Erkennen,  Leben  u.  dgl. 
sind  Enei^en.  Alles  Geschehen  ist  Übergehen  aus  dem  Zustande  der  Bvvafus 
in  den  der  drt'^ua  durch  die  Tätigkeit  einer  j^Fann^^  (s.  d.),  die  selbst  ivd^sta 
wt  Die  Energie  ist  das  Prius  der  Potenz  {favs^ov  ort  ttqots^ov  ive^yeia 
ivvdfttck  iartv,  Met.  IX  8,  1049  b  5).  Eine  Energie  kann  wieder  nur  durch 
eine  Energie  ausgelöst  werden  {aiel  yd^  ix  rov  Swdusi  ovrog  yiyvsrat  t6  iv8Q- 
ytiq  or  vTcb  ive^siq.  ovroe,  olov  avd'Q(onog  iS  dv^Qonov  .  .  .,  aUi  Ktvovvroe 
uvoi  n^TOV  ro  de  xivavv  ivef^eiq  rjSrj  iariv^  Met.  IX  8,  1049  b  25).  Die 
Energie  ist  zugleich  Zweckursache  {rdlog  8^rj  ive^ysia,  xai  tovtov  ;ir «(>«»'  r; 
Üivautg  XafißdvexaL,  Met.  IX  8,  1050  a  9  squ.).  Der  Stoff  ist  bloß  dvvatuif. 
Gott  (6.  d.)  hingegen  reine  ivi^eta  (j^aetus  puru^^^).  Die  Unterscheidung  von 
,,p(tlen(ia**  und  Energie  (actus,  actualitas  =  operatio,  vgl.  ScoTUS  Eriugena, 
Divis,  natur.  I,  44)  spielt  in  der  Scholastik  eine  große  Bolle.  Leibniz  schreibt 
den  Monaden  (s.  d.)  eine  beständige  Energie  zu. 

Das  Gesetz  der  Constanz  der  Energie  hat  seine  Vorläufer  in  dem  Gesetz 
der  Ejrhaltung  der  Materie  (Bewegung)  und  der  Kraft.  Aristoteles  spricht 
von  einer  E^haltimg  des  G^zen  bei  Veränderung  der  Teile  ioire  dei  rd  avrd 

fum;  Siafidveij   ovre   yijg   ovxe  d'aXdrTTjgy  dXXd  fiovov  6  Tids  oyxog,  Meteor.  II    3 

3r>Sb  29).  Teleshtb  schreibt  der  Materie  einen  Erhaltimgstrieb  zu,  vennöge 
dessen  die  Masse  unverändert  bleibt  (vgl.  Lasswitz,  (Tcsch.  d.  Atom.  I,  331). 
Xach  Dbscartes  bleibt  die  Bewegungsgröße  (m  v)  constant  (s.  Bewegung). 
HcYGHENB  lehrt  in  mathematischer  Weise  die  Erhaltimg  der  lebendigen  Kraft 
im  Universum  (Horolog.  oscillatorium  IV,  hyp.  I,  II).  So  auch  Leibniz: 
;t  .  .  .  ü  9e  eonserve  non  seulement  la  meme  qtiantite  de  la  force  mouvanUy 
maü  encore  la  meme  ^uatUite  de  directian  vers  quel  coli  qu'ofi  le  prenne  dxina 
k  rnonde"'  (Erdm.  p.  133;  vgl.  p.  108,  429  f.,  520,  045,  702,  711,  723)  undD'ALEM- 
BERT  (Trait^  de  dynam.  1743,  p.  169).  Kant  erklärt:  „Quantum  realitatis 
obfolutae  in  mundo  nnturaliter  non  mtUcUur^  nee  augeseendo  nee  decrescendo^^ 
{Cogn.  phil.  nov.  diluc.  sct.  II,  prop.  X). 

Wissenschaftlich  exact  begründet  wird  das  Gesetz  der  Constanz  der  Energie 


266  Energie. 

(Kraft)  von  Joule,  B.  Mayer,  Uelmholtz.  Nach  B.  Mayer  gibt  es  ,jMr 
-eine  Kraft  Im  ewigen  Wechsel  kreist  dieselbe  in  der  toten  trie  in  der  lebenden 
NcUur**.  Die  Kraft  ist  y,iinxer8törlicfi".  Eine  Äquivalenz  in  den  Wechsd- 
wirkungen  der  Kräfte  besteht  (Bemerkung,  üb.  die  Krä^  der  unbelebten  Natur, 
in  Liebigs  Annalen  der  Chemie  1842;  Die  organ.  Bewegung  .  .  .  1845;  vgl 
Sigwart-Festschrift  S.  159  ff.).  Nach  Helmholtz  kann  lebendige  Kraft  eine 
ebenso  große  Menge  Arbeit  wiedererzeugen,  ^vie  die,  aus  der  sie  entstandoi 
war  (Vorträge  u.  Bed.  I*,  S.  33  f.).  Das  Energieprincip  besagt,  daß  „rfo«  Natur- 
^anxe  einen  Vorrat  wirktingsfähiger  Kraft  besitzt,  welcher  in  keiner  Weise  treder 
vertnekrt  noch  vermindert  werden  kann,  daß  also  die  Quantität  der  wirkmigs- 
fähigen  Kraft  in  der  wwrganisehefi  Naiur  ebenso  ewig  und  unveränderlich  Mt, 
une  die  Quantität  der  Materie^^  (1.  c.  S.  41).  Die  Quantität  der  Gesamtkraft  in 
der  Natur  iat  imveränderlich  (1.  c.  S.  152).  „Alle  Veränderung  in  der  Xaiur 
besteht  darin,  daß  die  Arbeitskraft  ihre  Form  und  ihren  Ort  weehselt,  ohne  daß 
ihre  Quantität  verändert  wird.  Das  Weltall  besitzt  einfiirallemal  einen  Schatz  ton 
Arbeitskraft,  der  durch  keinen  Wechsel  der  Erscheinungen  veränderty  vermehrt 
oder  vermindert  werden  kann  und  der  alle  in  iktn  vorgehende  Veränderung 
unterfiält''  (1.  c.  S.  187;  vgl.  I,  227,  380  ff.).  Ähnlich  O.  Liebmann  (AnaL  d. 
Wirkl.»»,  S.  384  f.). 

Fechner  betont:  „Nicht  die  Größe  der  eben  vorßiandefien  lebendigen  IGraftj 
aber  die  Größe  der  vorhandenen  lebendigen  Kraft  zusamtnen  mit  der  .  .  .  poief^ 
iieUen  KrafV^  ist  für  die  Welt  eine  constante  Größe  (Elem.  d.  Psychophys.  1889, 
I,  32).  H.  Spencer  verlegt  die  „persistenee  of  force^*^  in  das  Absolute  selbst 
(First  Principl.  §  58  ff.).  BiEHL  hält  das  Energieprincip  für  eine  „unmittelbare 
Conscquenx  des  Caiisalitätsprincips^^,  welche  eine  Denkforderung  und  zugleich 
durch  Erfahrung  bewiesen  ist  (Phil.  Krit.  II  1,  259,  263).  Stallo  führt  das 
Aquivalenzprincip  auf  den  Satz:  Aus  nichts  wird  nichts  zurück  (Die  Begr.  u, 
Theor.  d.  mod.  Phys.  S.  38;  vgl.  dagegen  Kromann,  Unsere  Naturerk.  S.  296, 
303,  316  ff.;  Sigwart,  Log.  II«,  S.  531,  a33  f.;  P.  Volkmann,  Erkenntnis- 
theor.  Gnmdz.  d.  Naturwiss.  S.  48,  150,  168;  E.  v.  Hartmann,  Weltansch.  d. 
mod.  Phys.  S.  13;  L.  Busse,  Geist  u.  Körper  S.  451  ff.).  Nach  K  Lasswitz 
ist  Energie  „eine  Realität  im  Räume  und  unterscheidet  dadurch  die  Natur  als 
das  Gebiet  des  notwendigen  Geschehens  von  dem  geistigen  Gebiete,  das  urir  er- 
leben^^  (Wirkl.  S.  113).  Im  Seelischen  gibt  es  keine  Energie  (ib.).  Die  Ck>nstanz 
der  Energie  der  Welt  setzt  die  Geschlossenheit  der  Natur  voraus  (1.  c.  S.  104; 
vgl.  S.  111).  Über  das  Energieprincip  finden  sich  Bemerkungen  bei  DuBOis- 
Beymond  (7  Welträtsel  1891,  S.  94),  Paulsen  (Eml.  in  d.  Philos.  S.  90), 
KtJLPE  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  133),  Adigkes  (Kant  contra  Haeckel,  S.  32  f.). 
HÖFFDiNG  (Psychol.  S.  69).  Ebbinghaus  erklärt:  „Bei  allen  Umwafidtuptgen 
der  körperlichen  Dinge  ineinander  und  bei  allem  Wechsel  des  Gesefiehens  an 
ihnen  bleibt  stets  ein  Factor  in  seinem  Gesamtwerte  unverändert,  an  dem  sie  alle 
in  wechselndem  Maße  Anteil  futben,  nämlich  ihre  Fähigkeit  (unter  geeigfteten 
Umständen)  mechanisclie  Arbeit  %u  verrichten*^  (Grdz.  d.  Psychol.  I,  S.  29  f.). 
Stumpf  sieht  im  Energieprincip  ein  „Gesetz  der  Transfortnaiion*^ ;  „u^m 
kinetische  Energie  (lebendige  Kraft  in  sichtbarer  Bewegutig)  in  andere  Kraft- 
formen  umgewandelt  und  diese  sefdießlieh  in  kinetische  Energie  xurückvencatuklt 
icerden,  so  kommt  der  nämliche  Betrag  zum  Vorsehein,  der  ausgegeben  tcürdn^' 
<Leib  u.  Seele  S.  24).  Das  Energieprincip  läßt  eine  psychophysische  AVechsd- 
wirkung  (s.  d.)  zu  (1.  c.  S.  33).    Mach  erklärt:  „Schätzt  man  jede  physikalische 


Energie.  267 

Zusiandsäudenmg  nach  der  mechanischen  Ärbeüy  welche  beim  Verschwinden  der- 
selben  geleistet  werden  kann^  so  kann  7ftan  alle  physikalisehen  Zustandsänderungen, 
so  verschiedenartig  dieselben  sein  mögefiy  mit  demselben  gemeinsamen  Maß  messen 
und  sagen:  Die  Summe  aller  Energien  bleibt  eonstani**  (Populärwiss.  Vorles. 
S.  182  f.,  156).  Das  Ekiergieprincip  hat  keine  imbedingte  Gültigkeit,  es  gilt  nur 
für  jene  Fälle,  in  welchen  die  Processe  wieder  rückgängig  gemacht  werden 
können  (Wärmelehre*,  S.  345  f.;  vgl.  Die  Gesch.  u.  die  Wurzel  des  Satzes  der 
Erhalt,  d.  Arbeit  1872).  Nach  Ostwald  besagt  das  Gesetz  der  Energie,  „daß 
eil  in  der  Natur  eine  getcisse  Größe  von  immaterieller  Beschaffenheit  gibt,  die  bei 
nlkfi  X  frischen  den  betraehteien  Objeeten  stattfindenden  Vorgängen  ihren  Wert 
beibehält,  währefid  ihre  Erscheinungsform  auf  das  vielßitigste  weeliselt**  (Energet.*, 
8. 10  L  Alle  Umwandlungen  der  Arbeit  lassen  ihren  Betrag  im  verändert  (Vorles. 
üb.  Naturphilos.*,  S.  155 ;  vgl.  S.  159,  247).  Energie  ist  „Arbeit,  oder  edles,  was 
aus  Arbeit  entsteht  und  sieh  in  Arbeit  umwandeln  läßt**  (1.  c.  S.  158).  Die 
Energie  ist  die  „allgemeinste  Substanz**  des  Geschehens  (1.  c.  S.  146,  152  f., 
280),  aus  Enei^en  besteht  die  sog.  „Materie**  (s.  d.)  (Überwind.  d.  Mater.  S.  28). 
Masse  ist  Capacität  für  Bewegungsenergie,  Baumerfüllung  ist  Volumenergie. 
Die  Energie  bedarf  keines  Trägers,  ist  selbst  das  Wirkliche.  „Alles,  was  wir 
rtfti  der  Außenwelt  wissen,  können  wir  in  der  OestaU  von  Aussagen  über  vor- 
hitndene  Energien  darstellen**  (1.  c.  S.  153).  Auch  das  Psychische  (s.  d.)  kann 
als  eine  Energieform  aufgefaßt  werden.  Qualitative  Elnergetiker  sind  auch 
Mach  und  Helm.  Dagegen  betont  Wündt  die  Notwendigkeit  der  mechani- 
stischen Xaturauffassung.  Das  üiergieprincip  ist  schon  eine  Folge  der.  einfachen 
mechanischen  Principien.  Die  Energetik  trägt  femer  dem  „Postidat  der  Ati- 
«chatdiehkeit**  keine  Bechniin^  (Syst.  d.  Philos.*,  8.  484  ff.).  Das  Energieprincip 
schließt  ein  das  Oonstanz-,  Äquivalenz-,  und  Entropieprincip.  Ck)nBtant  ist  nur 
die  Gesamtenergie.  Der  Satz  von  der  Erhaltung  der  Energie  ist  zunächst  ein 
&  priori  angenommenes  Princip.  „Seine  Geltung  für  die  Erfahrung  hat  aber 
dieses  Princip  nur  beivahren  können,  weil  sich  alle  Beobachtungen  mit  demselben 
in  Übereinstimmung  brittgen  lassen**  (Log.  I*,  621  ff.,  !!•  1,  302  ff.,  453  ff.; 
Syst.  d.  Philos.«,  S.  481  ff.;  Phil.  Stud.  XIII,  375).  Das  Äquivalenzprincip  kann 
*uf  das  psychische  Creschehen  nicht  angewandt  werden.  Hier  besteht  ein  Gesetz 
des  Wachstums  der  Werte,  ein  „Princip  des  Wachstums  geistiger  Energie**. 
Psychische  Energie  ist  die  „Größe  eines  psychischen  Wertes  im  Hinblick  auf 
die  ihm  xiücmnmende  geistige  Wirkungsßhigkeit**  (Phil.  Stud.  X,  116);  „psg- 
thisehe  Energiegröße**  ist  „die  qualitative  Wirkungsfähigkeit  in  der  Erzeugung 
Tff»  Wertgraden**  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  396).  Die  Zunahme  der  psychischen 
Energie  bildet  die  Kehrseite  der  physischen  Constanz.  Sie  „gilt  nur  unter 
der  Voraussetzung  der  Continuität  der  psychischen  Vorgänge.  Als 
ihr  in  der  Erfahrung  unzweifelhaft  sich  aufdrängendes  psychologisches  Correlat 
tteht  ihr  darum  die  Tatsache  des  Verschwindens  psychischer  Werte 
gegenither**  (ib.).  Das  Constanzprincip  der  Naturwissenschaft  erstreckt  sich  nur 
Ulf  quantitative  Beziehungen,  abstrahiert  vom  Qualitativen,  so  daß  kein  Wider- 
spruch zwischen  diesem  und  dem  Wachstimisprincip  besteht.  Die  subjectiven 
Werte  können  zunehmen,  ohne  daß  die  Massen  und  Energien  des  physischen 
Organismus  ihre  Constanz  einbüßen  (Syst.  d.  Philos.«,  S.  304,  307;  Log.  II*, 
S.  275  f.;  PhiL  Stud.  X,  116;  Eth.«,  S.  404).  Lazarus  erklärt,  in  der  Seele 
bleibe  alles  erhalten,  nicht  bloß  der  Zusammenhang,  die  Resultante  einer  geistigen 
Verbmdimg,  auch  die  Elemente,  im  Unterschiede  von  den  physischen  Processen 


268  Energie. 

(Leb.  d.  Seele  II*,  392  f.).     Gegen  das  Wachstumsprincip  sind  die  Anhänger 
einer  associativen  ParallelismuBlehre ,  auch  Münsterberg  wiU  das  Constanz- 
princip  auf  das  Psychische  angewandt  haben.    Jodl  erkennt  nur  ein  Wachstum 
der  psychisch-physischen  Leistungsfähigkeit  des  Organismus  an,  der  infolge  der 
Reactionen  auf  verschiedene   Beize  sich  stetig  verändert   (Lehrb.  d.  Psychol 
ß.  88).    Ziehen  versteht  unter  Energie  der  Vorstellung   die  Stärke  derselben 
(Leitfad.  d.  phys.  Psychol.',  S.  122).  —  Gegen  die  „Energetik^*  im  Sinne  Ost- 
walds erklärt  sich  A.  Biehl,  welcher  bemerkt:  „-fi?«   muß  tUs  irreführend  bt- 
xeichnet  werden,  wenn  von  der  Energie  als  einer  einzigen  Größe  neben  Battm 
und  Zeit  geredet  wird,  da  jede  Energieform  sich  vielmehr  als  das  Product  xireier 
Größen  darstellt:  eines  GapaeitätS'  und  eines  Intensitätsfaetors,  die  beide  reeJk 
Größen  sind,     Gapaeität  bedeutet  Aufnahmefähigkeit  für  Energie  und  ist  sid^ 
von  dieser  begrifflich  verschieden,  wenn  auch  sachlich  mit  ihr  verbunden.     In  den 
Capaeitäten  aber,  der  Masse  x,  B.  bei  der  kinetischen  Energie,  steckt  der  empi- 
rische Begriff  der   Materie,  und  statt  diesen  Begriff  wirklieh  eliminieren  xm 
können,   hat  die  Energetik  ihn  nur  anders   benannt**  (Zur  Einf.  in  d.  Philos. 
S.  148).     Gegner  der  „quaUtcUiven  Energetik"  ist  auch  E.  v.  Hartmann,  da 
an  der  mechanistischen  Energetik  (im  Sinne  von  Claustüs,  Thomson,  Max^ 
well,  Boltzmann  u.  a.)  festhält  (VVeltansch.  d.  mod.  Phys.  S.  76  ff.,  19l)  ff.^ 
Die  Energie  ist  nichts  Ursprüngliches,   darf  nicht  hypostasiert  werden   (1.  c 
S.  195  ff.).    L.  Busse  hält  das  Problem  für  unentschieden  (Geist  u.  Körpei 
S.  416).   Das  Energieprincip  enthält:  1)  das  „Äguivalenxprincip**,  es  besagt,  ,/iaß 
bei  allen  Umwandlungen  der  körperlichen  Dinge  ineinander  ein  Factor,  die  Energie^ 
d.  h.  wieder  die  Fähigkeit,  unter   Umständen  mechanische  Arbeit  zu  verrichten^ 
sieh  gleich  bleibt,  d,  h.  daß  für  jede  Energie,  die  irgefidwo  zur  Erzeugung  einek 
Zustandes  aufgewandt,  verbraucht  unrd,  anderswo  ein  gleich  großes  Qimfitun 
der  gleichen  oder  einer  andern  Energieform  auftritt**;  2)  das  „Consianxprineip^\ 
es  besagt,   j,daß  die  Gesamtenergie,   Ober  welche  das  physische  WeltM  rerfügt^ 
sieh  stets  gleich  bleibt,  also  keiner  Vermehrung  und  keiner  Verminder^mg  fak^ 
ist**  (1.  c.  S.  405  ff.).     Das  Äquivalenzprincip  bildet  kein    Hindernis   für    dk 
Annahme   einer  psychophysischen   Wechselwirkung,   wohl  aber  das  Oonstans 
princip  (1.  c.  S.  407,  417  ff.),   aber  letzteres   ist  nur  ein  Dogma,   eine  petitil 
principii  (1.  c.  S.  460  ff.).    Mit  dem  Constanzprincip  halten  dagegen  die  Wechsel 
wirkimgstheorie  (s.  d.)  für  vereinbar:  von  Grot  (Arch.  f.  System.  Philos.  IV,  257  f.) 
Külpe   (Eml.   in  d.  Philos.*,   S.  144  f.),   Ostwald  (Vorles.   üb.  Naturphilo« 
8.  373,  377  f.,  396),   Stumpf,   Rehmke  (AUg.  Psychol.  S.  110  ff.),  Erharim 
(Die  Wechselw.  S.  85,  94),  Wentscher  (Über  phys.  u.  psych.  Causal.  S.  113 
Eth.  I,  291  ff.),  E.  V.  HARTikiANN  (Mod.  Psychol.  S.  415),  H.  Schwarz  (Psycho! 
d.  Will.  S.  375  f.),  auch   Höfler  (Psychol.  S.  59),  Jerusalem  (Einl.  in   d 
Philoß.  S.  91).     Manche  bezweifeln  noch  die  Geltmig  des  Energieprincipes  fü 
die  Organismen,   z,  B.  Ladd  (Phil,  of  Mind  S.  354  f.).     Aus  dem  universalei 
Constanzprincip   folgert  Nietzsche  die  „eivige  Wiederhnmfl**  (s.  Apokatastasia 
der  Dinge.    Nach  H.  Cornelius  sagt  das  Energieprincip,   „daß  die  in  einen 
gegebenen   System    vorhandene  Ärheitsmenye  unveräfidert   bleibt,   solange    dm 
^stem  nicht  Arbeitsmengen  nach  außen  abgibt  oder  von  außen  aufnimmt**  (Ein! 
in  d.  Phüos.  S.  110).     Femer  geht  mit  allen  Änderimgen  in   der  Natur  etm 
„Zerstreuung  der  Energie**  Hand  in  Hand;  keine  Ändenmg  kann  jemals  voll 
ständig   rückgängig  gemacht   werden  (1.  c.  S.  112).    Reinke  erklärt:  „Insofert 
eine  Kraft  die  Trägheit  eifies  Körpers  überwindet,  wird  sie  zur  Energie,  dnin  sü 


Energie  —  Energie,  apeciflaohe.  269 


küf€t  dabei  meehanisehe  Arbeit^'  (Einl.  in  d.  theoret.  Biol.  S.  144).  Die  Energien 
und  „fceehselnde  Formen  einer  zahlenmäßig  auszudrückenden  Orunderseheinung" 
^.).  Die  Eiiiergien  in  den  Organismen  werden  von  Kräften,  „Dominanten^^  (s.  d.) 
^chtet,  gelenkt,  transformiert,  reguliert  (1.  c.  S.  169  ff.;  vgl.  Lotze,  Mikrok. 
[,  81).    Vgl.  J^laterie,  Kraft,  ParallelismuB,  Wechselwirkung,  Gefühl,  Spiel. 

Energ^es^letclmiig^en  sind  nach  Wu:n^i>t  ein  Ausdruck  für  Abhangig- 
bitßbeziehungen  der  Naturerscheinungen  neben  den  f,Kraftgleichungen"  (s.  d.). 
Sie  treten  auf:  1)  als  ^yTrafisfarmationsgleiekungen",  in  denen  „irgend  einer  als 
Bediftgttng  betrarhteten  Energieform  die  aus  eieren  Umttandlung  hervorgegangenen 
^enjini  als  Wirkungeti  gegenübergestellt  tcerden^^y  2)  als  „Zustandsgleichungen^^ , 
b  denen  yf^wei  aufeinander  bexogene,  aber  durch  beliebige  xwisehenliegende  Um- 
tandlungen  geschiedene  Energiegrößen  E^  und  E^  herausgehoben  und  in  deni 
^nne  einander  gleichgesetzt  werden,  daß  die  früher  beobachtbare  Energiegröße  Ei 
rfo  die  Ursache  der  später  ermittelten  E^  ersclieint^*  (Log.  II*  1,  S.  327  ff.;  Syst. 
L  Philo?.«,  S.  284  ff.;  PhiL  Stud.  X,  11  ff.,  XII). 

Energie,  speeilliäelie«  ist  die  eigenartige  Erregungsweise  eines  Sinnes- 
irpanes,  die  Tatsache,  daß  jedes  Sinnesorgan  auf  verschiedene  äußere  Beize 
Itets  mit  den  gleichen  Empfindungsqualitäten  antwortet.  Dies  weist  wohl  auf 
jine  phylogenetisch  entstandene  Anpassung  der  Sinnesorgane  und  Sinnesnerven 
|D  besondere  Beize  der  Außenwelt  hin,  dergestalt,  daß  jeder  derselben  stets 
llnen  bestimmten,  specifischen  Erregungsvorgang  (inneren  Beiz)  in  jedem  Sinnes- 
jlgane  zur  Folge  hat. 

I  Die  Grundverschiedenheit  der  einzelnen  Sinnesfunctionen  betont  Galen 
fv  rnii  aic&rji^iKdig  bvvdfuai:  III,  639).  Descartes  erklärt  sie  aus  der  Ver- 
^edenheit  der  Nerven  und  Nervenbewegungen.  „Horum  sensuum  direr- 
fhtesy  primo  ab  ipsorum  nervoruin  diversitate,  ac  deinde  a  ditfersitate  motuufn, 
fti  in  sih^uiis  nervis  fiimt,  dependent^  (Princ.  phiL  IV,  190).  BoNNET  erklärt: 
£kaque  sens  a  une  Organisation  qui  lui  est  propre,  d'oü  resultent  ses  effet^" 
pßs.  de  Psychol.  C.  27).  Platnek  betont:  j^Daß  die  Nerven  eines  jeden  Sitme^- 
ferkieugs  eine  besondere  Beschaffenheit  haben,  ist  niciä  unwahrscheinlich^'  (Phil, 
bhor.  I,  §  156).  Diese  Ansicht  ist  bei  den  Physiologen  des  18.  Jahrhun- 
(arts  verbreitet  (vgl.  Dessoib,  Gesch.  d.  Psychol.  I',  S.  401). 
;  Neu  b^ründet  wird  (im  Anschlüsse  an  Kants  Apriorismus,  s.  d.)  die 
{ehre  von  den  j^specifisehen  Sinnesenergien^*  durch  JoH.  Müller.  Nach  ihm 
lonunt  den  Sinnesnerven  eine  ursprüngliche  ,Mngeborene  Energie^*  zu,  vermöge 
leren  sie  auf  die  verschiedensten  Beize  stets  mit  der  gleichen  Empfindungsart 
fitworten,  so  daß  die  Empfindungen  rein  subjective  Zeichen  für  unbekannte 
foi^änge  sind  (Handb.  d.  Physiol.  d.  Sinne  ia37,  I,  261 ;  Zur  vergleich.  Physiol. 
|.  (I^sichtwsinn.  1826,  S.  45,  52  ff.,  Lehrb.  d.  Physiol.  d.  Mensch.*  I,  1^44, 
i.  667.).  Helmholtz  verwertet  dieses  Gesetz  für  die  Theorie  der  Ton-  und 
ichtempfindungen  (Physiol,  Opt.*,  S.  233;  Lehre  von  d.  Tonempf.,  Abschn. 
in.  4).  Aber  nur  die  „ModcUität^  der  Empfindimgen  ist  durch  den  Sinnes- 
pparat  bestimmt,  die  „QtuUität^^  wird  durch  den  äußeren  Beiz  mitbestinmit. 
ifle  Xervenfäden  haben  dieselbe  Structur,  dieselbe  Erregbarkeit  (Vortr.  u.  Eed. 
\  08  ff.,  296  ff.).  So  auch  H.  Spencer,  Jgdl  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  182  ff.), 
tiEHL  (PhiL  Krit.  II  1,  S.  52  ff.).  Er  betont,  daß  der  äußere  Beiz  erst  einen 
Böeren  erzeugt,  der  erst  den  adäquaten  Anlaß  zur  Empfindung  (z.  B.  der  Licht- 
mpfindung)  bildet.     Der  Sinn  wählt  vermöge  seiner  Adaptation  an  specifisch 


270  Energie»  speciflsohe  —  Enge  des  Bewoßtaeins. 


bestimmte  Beize  denjenigen  Teil  eines  Eeizcomplexes  aus,  der  seinen  adäquaten 
Reiz  entliält.  Femer  ist  der  Sinnesapparat  j^elbst  ein  Teil  der  objeetiven  WeU^'. 
y, Außer  quantitativen  oder  meßbaren  Wirkungen  müssen  die  Dinge  auch  qualir 
tative  Wirlamgen  austauschen,  so  gewiß  es  specifische  Empfindungen 
gibt,  und  die  Empfindung  stellt  sich  uns  als  die  vollendete  EntunMung  der 
Beschaffenheit  der  Beixe  dar;  sie  ist  durch  die  Beschaffenheit  der  Sintie  mii- 
bestimnit,  aber  nicht  durch  diese  allein  erxeugf*  (Zur  Einf.  in  d.  Philos.  d. 
Gegenw.  S.  63  ff.).  Auch  Wundt  erklärt  sich  gegen  die  Einseitigkeiten  der 
Energie-Theorie,  ßei  den  chemischen  Sinnen  findet  eine  y^Transformation"  der 
Beize  in  innere  Processe  statt  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  51).  Das  „Gesetz  der  speci- 
fischen  Energie'^  ist  aus  drei  Gründen  unhaltbar:  1)  steht  es  in  Widerspruch 
mit  der  Entwicklungsgeschichte  der  Sinne.  Diese  setzt  eine  Veränderlichkeit 
der  Sinneselemente  voraus,  und  das  wieder  eine  Modificierbarkeit  dieser  durch 
die  Beize.  „Darin  liegt  eingeschlossen ,  daß  die  Sinneselemenie  überhaupt  erst 
in  secundärer  Weise,  nämlich  infolge  der  Eigensehaftenj  die  sie  durch  die  Urnen 
xugeführten  Reixungsvorgänge  annehnen,  die  Empfindungsqualiiät  bestimmen^' 
(1.  c.  S.  52  f.).  2)  yyDer  Begriff  der  specifischen  Energie  widerspricht  der  Tat- 
sache, daß  in  xcMreiefien  Sinnesgebieten  der  Mannigfaltigkeü  der  Empfindimgs- 
qualitäten  eine  analoge  Mannigfaltigkeit  der  physiologischen  Sinneselemente 
durchaus  nicht  correspondiert^'  (1.  c.  S.  53).  3)  „Die  Sinnesnerren  und  die 
centralen  Sinnesetetnente  können  deslialb  keine  ursprüngliche  specifische  Energie 
besitxe?!,  weil  durch  ihre  Reixung  nur  dann  die  entsprechenden  Empfindungen 
entstehen,  wenn  mindestens  xjuvo'r  während  einer  xureiehend  langen  Zeit  die 
peripheren  Sinnesorgane  den  adäquaten  Sinnesreizen  zugänglich  gewesen  sind*^ 
(1.  c.  S.  54).  „Alles  spricht  demnach  dafür,  daß  die  Verschiedenheit  der  Em- 
pfindungsqualität durch  die  Verschiedenheit  der  in  den  Sinnesorganen  entetehenden 
Reixung s Vorgänge  bedingt  ist,  und  daß  die  letxteren  in  erster  Linie  ron  der 
Beschaffenheit  der  physikalischen  Sinnes^-eixe  und  erst  in  xweiter  von  der 
durch  die  Anpassung  an  diese  Reixe  entstehenden  Eigentümlichkeit  der  Aufnahffte- 
apparate  ahhängen.  Infolge  dieser  Anpassung  kann  es  dann  aber  aueii  geschehen, 
daß  selbst  dann,  wenn  statt  des  adäquaten,  die  ursprüngliche  Anpassung  der 
Sinneselemente  bewirkenden  physikalischen  Reixe  ein  anderer  Rdx  eimrirkt,  die 
dem  adäquaten  Reix  entsprechende  Empfindung  entsteht.  Doch  gilt  dies  weder 
für  alle  Sinnesreixe  noch  für  alle  Sinneselemente**  (1.  c.  S.  54).  Zwischen  Em- 
pfindungen und  physiologischen  Beizungsvorgängen  besteht  ein  Wechselverhaltnis, 
insofern  verschiedenen  Empfindungen  stets  verschiedene  Beizungs Vorgänge  ent- 
sprechen (Satz  vom  „Parallelismus  der  Empfindungsunterschiede  und  der  phy- 
siologischen Reixunterschiede")  (1.  c.  S.  55 ;  vgl.  Grdz.  d.  phys.  Psychol.  I*,  C.  8). 
Vgl.  Qualität,  Sinn. 

£2nerg^ina8  nennt  Paulsen  die  (von  ihm  vertretene)  ethische  Anschan- 
ung,  die  „das  höchste  Out  nicht  in  subfective  OefühJserregu/ngen,  sondern  in  eiften 
objectiven  LebensinhaU,  oder,  da  Leben  Betätigung  ist,  in  eine  bestimmte  Art 
der  Lebensbetätigung  setzt*'  (Einl.  in  d.  Philos.*,  S.  432). 

Eüf^e  der  Aufimerksaiiikelt  s.  Bewußtseinsenge. 

E]n§^e  defii  Beimßteeliis  („narrowness  of  Ute  consciousness**) :  ein  von 
Locke  stammender  (Ess.  II,  eh.  10,  §  2)  Ausdruck  für  die  Beschränktheit  des 
Bewußtseins  auf  eine  geringe  Zahl  gleichzeitiger  gesonderter  Vorstellungen. 
Vgl.  Bewußtseinsenge,  Aufmerksamkeit,  Hemmimg,  Umfang. 


Engel  —  Enthusiasmus.  27  t 


[:  geistige  Mittelwesen  zwischen  Gott  und  dem  Menschen  (Pars Is- 
mus, Judentum,  Christentum,  Philo  u.a.).  Nach  Jon.  Scotüs  Eriugena 
sind  die  £ngel  „inielligihile^j  aetemi,  incesaabilesque  inotus  circa  principium 
omntum"  (Div.  nat.  11,  23).  Fechner  setzt  seine  „öestirfmeister^'  den  ^yEtigeM' 
gleich  (Zend-Avesta). 

Hen  kal  pan  {iv  xal  ndv)  s.  Pantheismus. 

Enkekalymmenofii  (eynexalvfiftivosy  velatus):  „c^^er  Verküllte^^  Name 
eines  Trugschlusses  des  Megarikers  EJttbulides  (Diog.  L.  II  10,  108),  der  auch 
bei  den  Stoikern  discutiert  wird  (Lttcian,  Vit.  auct.  22).  ^yKannst  du  deinen 
Vafer  erkennen?  Ja.  Kannst  du  diesen  Verhüllten  erkennen?  Nein.  Du  icider' 
gprichst  dir;  denn  dieser  Verhüllte  ist  dein  Voller.  Du  kannst  also  deinen  Vater 
erkennen  und  doch  auch  nicht  erkennen!'^  (vgl.  Ajustoteles,  De  soph.  elench.  24, 
179  a  33).    Vgl.  Elektra. 

EnferaUteii  (die  Enthaltsamen):  Name  einer  von  Tatiak  gestifteten 
8ecte, 


(ens,  ov)\  Seiendes  (s.  d.),  Wesen  (s.  d.),  Ding  (s.  d.). 

Ensopli:  nach  der  Lehre  der  Kabbai ä  das  unendliche,  unbestimmte 
Umichts,  das  göttliche  ,,IAch1^^  aus  dessen  Ck)ntraction  die  Welt  entstand 
(Fkanck,  La  cab.  p.  173  ff.).  Revchlix  spricht  vom  Ensoph  als  der  j,infinitudOf 
qtme  est  summa  qiwedam  res  seeundum  se  incowprehe^isihüis  et  iiieffabilis^'' 
iDe  art.  cabbal.  I,  21a). 

■ 

ESaielecliie  {ivreUxBia)  nennt  Aristoteles  die  vollendete  Wirklichkeit, 
das  Ziel  des  Verwirklichens,  die  Actualitat  Die  ivi^eia  (s.  d.),  die  Wirksam- 
keit eines  Dinges,  gestaltet  sich  zur  iv^BXixsia  (awreivet  n^oe  r^v  dvrelsxetav, 
Met  IX  8, 1050  a  23).  Die  „Bnteleehie^^  bezeichnet  das  diu-ch  das  Wirken  selbst 
erreichte  Ziel  (De  an.  II  4,  415  b  15  squ.).  Die  ivreUxBia  ist  zugleich  der  loyo^ 
des  BvvauBt  Seienden  (De  an.  II  2,  41a  25  squ.).  Die  Seele  (s.  d.)  ist  n^eorrj 
ivTtkixeia  des  Organismus  (De  an.  II  1,  412  a  27).  Bei  Hermolaus  Barbarus 
wird  die  AvxsXdxBia  zur  ^^erfectihabia^^.  Die  Scholastiker  halten  an  dem 
Begriffe  der  Entelechie  fest,  der  auch  als  „endelechia^*  vorkommt,  so  auch  bei 
MELA27CHTHON:  yyEndelechia  id  est  agitatio"  (De  an.  p.  8  a).  Leibniz  nennt 
die  Monaden  (s.  d.)  Entelechien,  weil  sie  aus  eigener  Kraft  ihre  Zustände  heraus- 
entwickeln  und  ihr  Sein  so  verwirklichen.  Sie  haben  eine  gewisse  Vollkommen- 
heit in  sich  (ixovci  ro  ivrekee),  eine  Selbstgenügsamkeit  {ax^dqxeia),  die  sie 
gleichsam  zu  un körperlichen  Automaten  macht  (Monadol.  18).  Wundt  be- 
trachtet die  Seele  (s.  d.)  als  Entelechie. 

£iitfaltilii§^  6.  Explication. 

£iitCemiiii|;  s.  Baum. 

Igntlufcltjmg  von  Urteilen  s.  Skepticismus. 

Entlmsiasililis  (kv&ovaiaafi6a):  Entzückung,  Begeisterung,  ursprünglich 
in  religiöser  Beziehung  (so  auch  bei  Plato,  Aristoteles),  in  mystischem  Sinne 
W  den  Neuplatonikern.  Nach  Alpinus  ist  Elnthusiasmus  ^,studium  cultus 
intemi  neghcto  extemo".  Bei  G.  Bruno  hat  der  Enthusiasmus  eine  philo- 
sophische Bedeutung  (s.  Furioso).  Nach  Shaftesbury  ist  Enthusiasmus 
nJjeiden^chafl  für  das  Quie  und  Schöne^\  die  Grundlage  alles  Philosophierens 
(Lett  concem.  enthus.  1708).     Nach  Platner  ist  Enthusiasmus  „em  affect- 


272  Enthustasmus  —  Epikureismua. 

artiger  Eifer  für  Personeti,  die  wir  sehr  lieben  und  beumndem,  oder  für  Dingen 
die  toir  als  sehr  loichtig  ansehen^'  (Phil.  Aphor.  II,  §  815).  Kant  erklart: 
yjDie  Idee  des  Griten  mit  Affect  heißt  der  Enthusiasmus^*^  (Krit.  d.  Urt.  §29). 

Entltymeiii  (ivd'v/urjjua) :  verkürzter  Schluß,  bei  dem  eine  Prämisse  (s.  d.) 
dv  d'vuip,  d.  h.  verschwiegen  bleibt.  Es  kann  der  Obersatz  oder  der  Untersatz 
fehlen.  Bei  Aristoteles  bedeutet  ivd'vfjLtjfia  den  bloß  rhetorischen  Schluß 
(ßvd'vfirjfia  fiev  ovv  iari  avXloytafiioe  i^  atnoxc^v  fj  arifieiiav)^  der  nicht  überzeugt. 
Die  neuere  Bedeutung  hat  Enthymenm  schon  bei  Bo£thiü8  :  „Enthymemu  rero 
est  imperfectus  Syllogismus ^  cuius  aliquae  partes  vel  propter  brevitcUem  vel  propter 
notitiam  praetennissae  sioii**  (In  Top.  Cicer.  Conmient.  I,  Migne  T.  64,  1050 B). 
Nach  Thomas  ist  „enthymema^^  ,,quida7n  Syllogismus  detnmcatus^^  (1  anaL  Id). 
-^  Zu  den  Enthymemen  gehören  auch  die  Entg^ensetzungsschlüsse  (Oppo- 
sitionsschlüsse),   Gleichheitsschlüsse,   Umkehnmgs-  und  Unterordnungsschlüsse. 

£2iitltftt  (entitas):  Seinscharakter,  Wesenheit  (Thomas,  Sum.  th.  I,  16,  6c; 
<jr00LEN,  Lex.  phil.  p.  156). 

Entropie  heißt  die  (von  Clausius  u.  a.)  gelehrte  Tendenz  der  fort- 
schreitenden yeni'andlimg  actueller  in  potentielle  Energie,  die  schließlich  einen 
Stillstand  im  Universum  herbeiführen  soll. 

Enteclietdaiis^  s.  Entschluß. 

Entschloß  (Entscheidung)  ist  der  Abschluß  einer  Wahl-  oder  Willkur- 
handlung, bestehend  in  dem  Motivwerden  einer  der  miteinander  streitenden 
Möglichkeiten.  Wukbt:  ,yDen  der  Handltmg  unmittelbar  vorausgehenden  psy- 
chischen Vorgang  des  nielir  oder  weniger  plötxliehen  Herrschendwerdens  des  ent- 
scheidenden Motivs  nennen  wir  bei  den  Willkürhandlungen  im  allgemeinen  die 
Entscheidung,  bei  den  Wahlhandlungen  die  Entschließung.  Hier  weist 
das  erste  Wort  nur  auf  die  Scheidung  des  herrschenden  von  den  andern  Motiven 
hinj  während  das  xweite  durch  seinen  Zusam/menhang  mit  dem  Zeitwort  schließen' 
andeutet,  daß  der  Vorgang  als  ein  Endergebnis  aus  mehreren  Vorbedingungen 
betrachtet  unrd"  (Gr.  d.  Psychol.  S.  225).  Abzuweisen  ist  die  Ansicht,  als  ob 
die  Willensentschließung  ein  logischer  Schlußproceß  oder  dergleichen  sei  (ib.). 
Entscheidung  und  Entschließimg  sind  von  Grefühlen  begleitet  (1.  c.  S.  225  t)> 

£ntstelften  s.  Werden,  Veränderung. 

Entrrlcklani^  s.  Evolution. 

Epas^os^e  (inaycjyi^)  s.  Induction. 

Epliektlker  {efexzixoi):  Bezeichnimg  für  die  Skeptiker  des  Altertums 
(wegen  der  inoxn,  Enthaltung  vom  Urteilen,  Dig.  L.  IX,  11,  70). 

Epicilerem  (intx^l^fia) :  abgekürzte  Schlußkette  (s.  d.),  in  welcher  mü- 
der Episyllogismus  (s.  d.)  vollständig,  der  Prosyllogismus  (s.  d.)  aber  versteckt 
ist:  M  ist  P,  denn  es  ist  A;  S  ist  M,  denn  es  ist  B.  Also  S  ist  P.  Bei 
Aristoteles  bedeutet  inixei^fjfia  einen  dialektischen  (s.  d.)  Schluß  (Top.  VIII 
11,  162a  15;  vgl.  Hagemann,  Log.  u.  Noet.  S.  77). 

Epl^enese  s.  Präformation. 

ISplkurelsmus:  1)  im  weiteren  Sinne  =  Genußsucht,  hedonistische 
(s.  d.)  Lebensanschauung;  2)  im  engeren  Sinne  =  die  Philosophie  der  Epi- 
kureer: Atomismus  (s.  d.),  Tugend  (s.  d.)  =  Streben  nach  Glück,  Lust,  Sen- 


Epikureismua  —  Erfahrung.  273 


sualismiis  (s.  d.).  Außer  Epikitr  sind  zu  nennen :  Metrodorus,  Hkrmarghus, 
Zkno  von  Hidon,  Phtlodemus,  T.  Lucretiitb  Carüs  u.  a.  (vgl.  Überweg- 
HEiyzE,  Gr.  d.  Gresch.  d.  Philos.  I»,  305  ff.).  Erneuerer  des  theoretischen 
Epikureismus  ist  Gassendi  (Syntagma  philos.  Epicuri  1655).  Den  weiteren 
{und  schlechten)  Sinn  hat  das  Wort  „Epikureer"  schon  im  Mittelalter,  hier  und 
später  ist  es  oft  gleichbedeutend  mit  Atheist. 

Epiph&nontenoii  (Huxley,  Maxtdsley  u.  a.,  „surajottfe" :  Ribot) 
8.  Psychisch,  Bewußtsein. 

CSpistemolos^y:  Erkenntnislehre  (z.  B.  bei  J.  F.  Ferrier). 

EplHyUog^teiniis  (Nachschluß)  heißt  in  einer  Schlußkette  (s.  d.)  der 
^^chluß,  dessen  Prämisse  im  folgenden  Schlüsse  die  Conclusion  bildet.  Epi- 
syllogistisch  ist  das  Schlußverfahren,  das  vom  Prosyllogismus  (s.  d.)  zum 
Episyllogismus  fortschreitet.    Vgl.  Progressiv. 

Epoche  (ßnoXfj)  ß*  Skepticismus. 

EZrdf^tet  ist  nach  Feghner  das  den  Menschen,  Tieren  u.  s.  w.  über- 
geordnete Bewußtsein  der  Erde  (Tagesans.  S.  33  ff.). 

Ereff^nlfii  s.  Actualitatstheorie. 

firetrlkers  die  Schüler  des  Mekedemüs  von  Eretria.  Von  ihnen  sagt 
Cicero:  .,A  Menedemo  Eretriaei  appelladj  quorum  omne  honum  in  rnente  posittim 
et  mentis  acte,  qua  terum  cemerctur^^  (Acad.  II,  42,  129).    Vgl.  Tugend. 

Erfabnuiii^  (Empirie)  bedeutet  im  allgemeinsten  Sinne  des  Wortes  jedes 
Vorfinden,  Erleben  von  Inhalten  irgend  welcher  Art,  jedes  Aufnehmen  eines 
Inhalts,  jedes  Percipieren  einer  Bestimmtheit  von  Objecten  oder  des  Subjectes. 
Im  engeren  Sinne  ist  Erfahnmg  die  Erwerbung  eines  Wissensinhaltes  durch 
die  äußere  oder  die  innere  Wahrnehmung  (s.  d.),  durch  Beobachtung,  Experiment, 
Induction.  So  genommen,  enthält  die  Erfahrung  schon  ein  Denken.  Erfahrungs- 
inhalt  ist  das  „Physische^^  (s.  d.)  und  j^Psyehiscfie^'  (s.  d.).  Form  (s.  d.)  der  Er- 
fahrung die  bestimmte,  gesetzmäßige  Tätigkeit  des  Intellects,  durch  welche 
,Srfahntfigen^^  gemacht  werden.  Die  Form  der  Erfahrung  stammt  natürlich 
nicht  selbst  aus  der  Erfahrung,  wenn  sie  auch  erst  imd  nur  mit  dem  Erfahrungs- 
Inhalt  (in  einer  concreten  Einheit,  die  erst  die  Reflexion  zerlegt)  besteht.  „Äußere" 
niid  „innere^^  Erfahrung  sind  zwei  verschiedene  Aufmerksamkeitsrichtungen  auf 
einen  ursprünglich  einheitlich  gegebenen  Inhalt:  die  äußere  Erfahrung  ab- 
strahiert vom  erlebenden  Subject  und  geht  dem  objectiv-gesetzmäßigen  Zu- 
sammenhange der  Erfahrungsinhalte  nach,  die  innere  Erfahrung  nimmt  die 
Erlebnisse  in  ihrer  unmittelbaren  Beziehimg  aufs  Subject,  also  als  Erlebnisse 
oder  Bewußtseinsvorgänge.  —  Das  Wort  „erfahren"  weist  auf  die  Annahme 
einer  Wirklichkeit  hin,  von  der  wir  Einwirkungen  erhalten,  die  wir  durch 
,,rar7i"  erreichen,  erkunden  (so  schon  bei  Notker). 

Der  Empirismus  (s.  d.)  wertet  die  Erfahrung  als  einzige  Quelle  der  Er- 
kenntnis, der  Rationalismus  (s.  d.)  schreibt  dem  Denken  überempirische  Er- 
kenn tnigkraft  zu,  der  Kriticismus  (s.  d.)  betont  in  verschiedener  Weise  die 
Notwendigkeit  des  Zusammenwirkens  von  Erfahrung  imd  Denken. 

Bei  den  antiken  Philosophen  herrscht  vielfach  eine  Bevorzugung  des 
(speculativen)  Denkens  vor  der  Erfahrung.  So  bei  den  Eleaten,  welche  geradezu 
das  Erfahrungs  wissen  für  ein  Scheinwissen  erklären;  so  auch  bei  Heraklit  und 

PhiloaophUobes  Wörterbuch.    2.  Aufl.  18 


274  Erfahrung. 


Demokrit,  auch  bei  Plato,  obgleich  dieser  die  Erfahrung  methodisch  nicht 
verwirft.  Noch  mehr  zur  Geltung  kommt  die  Empirie  bei  Aristoteles,  der 
gleichwohl  ebenso  Rationalist  ist  wie  seine  Vorgänger.  Die  Erfahrung  ist  Er- 
kenntnis des  Einzelnen,  Besonderen  (r;  fiev  Ifinetgia  nSv  xad^  ixaarov  itm 
yvwaie,  Met  I  I,  981a  15).  Nur  das  Was  (ox«),  nicht  das  Warum  {Stört)  lehrt 
uns  die  Erfahrung  kennen  (Met.  I  1,  981a  29).  Doch  ist  die  Erfahrung  das 
Mittel  zur  Gewinnung  allgemeiner  Einsichten  (*x  .  .  .  rr^g  iunei^las  r^r  xa&o- 
lov  lafißdvo/uv  imarr^firiy  f  Phys.  VII,  3).  Aus  der  Ansammlung  von  Er- 
innerungen geht  die  Erfahrung  hervor  (yiyverai  S'ix  jrje  fivrfur^g  iftjiei^a  roU 
nvd'^amote'  nl  ya^  noXkal  fiv^fiai  rov  avrov  ngay/uijoi  fitds  e/inei^ai  SivcL/nv 
nTfortkotaiVy  Met.  I  1,980b 28;  Anal,  post  II,  19),  Ähnlich  lehren  die  Stoiker 
{eunti^ia  yaQ  saxi  t6  riov  o/noeiSaw  (pavxaaicuv  nkij&osf  Plac.  IV,  11;  Dox.  400). 
Von  der  gemeinen  Erfahrung  ist  (nach  Polybius)  die  ifineipia  fisS'odtxij  zu 
unterscheiden.  Bei  den  Epikureern  wird  der  Empirismus  zum  Sensualis- 
mus (s.  d.). 

Die  Scholastiker  vernachlässigen  die  Erfahrung  gegenüber  dem  begriff- 
lichen Denken.  Erfahrung  ist  nach  Albertus  Magnus  ,^ngtdarium  co^nitio'' 
(Sum.  th.  II,  25,  2).  Thomas  erklärt:  ,yEacperientia  fit  ex  muJtis  memoriiir* 
(Siun.  th.  I,  54,  5  ob.  2;  Contr.  gentil.  II,  83;  vgl.  Sum.  th.  I,  lU,  2).  Bei 
Wilhelm  von  Occam,  noch  mehr  bei  Roger  Bacx)n  kommt  die  Erfahrung 
mehr  zur  Geltimg.  Letzterer  stellt  das  Erfahrungswissen  dem  ,yCognoseere  per 
argumefituvi^'^  gegenüber  (Op.  maj.  VI,  1).  „.SVwf  experimento  nihil  suffieienter 
seiri  polest."  Es  gibt  eine  äußere  (y^per  seiimus  exteriores")  und  eine  innere, 
aufs  übersinnliche  gehende  Erfahrung  („scientia  interior,  illumifiatio*')  (L  c. 
p.  446).  Nach  J.  Buridan  heißt  erfahren  „ex  midtis  memoriis  cansimilium 
prius  sensatorum  iudicare  de  aiio  simüi  occurrettie"  (bei  Prantl,  G.  d.  Lpg. 
IV,  35).  SuAREZ  bemerkt:  „lielinquiturj  experieniiam  solum  requiriri  ad 
seientianij  td  inteUectus  fwster  nianuducatur  per  eam  ad  inleüigefidas  exacte 
rationes  termitiorum  sirnplicium^  quibim  intellectis  iptse  naturalis  ridet  dort 
imfnediatam  exnmexianein  eorum  inter  se^  qtiue  est  prima  et  unica  ratio  assen- 
tiendi  illis^'  (Met.  disp.  1,  sct.  6).  Bei  den  Mystikern  gilt  die  innere  Er- 
fahrung als  übersinnliche  Erkenn tuisquelle.  „Innere  Erfahrung"  kommt  schon 
bei  V.  Weigel  vor.  In  der  Renaissancephilosophie  wird  auf  die  Er- 
fahnmg  schon  Nachdruck  gelegt,  so  auch  bei  L.  da  Vinci,  nach  welchem  alle 
Erkenntnis  auf  Erfahrung  beruht,  auch  bei  Paracelsus  (Paragran.  p.  208). 

Die  rationalistische  Philosophie  der  neueren  Zeit  verachtet  zwar  die 
Erfahnmg  durchaus  nicht,  erkennt  aber  noch  eine  andere  ErkenntnisqueUe  an 
und  leitet  die  Notwendigkeit  der  Erkenntnis  aus  der  Vemimft  (s.  d.)  ab.  So 
Descartes,  Malebranche,  Spinoza  (s.  Erkenntnis).  Nach  letzterem  stammt 
ein  Teil  unserer  Begriffe  aus  „vager  Erfahrung"^.  „Äpparetj  nos  nudta  percipere 
et  twtiones  universales  fortnare  ex  singtdaribus  nobis  per  sensus  fnutilaie,  confttse 
et  sine  ordine  ad  intellectum  repraeseniatis :  et  ideo  tales  pereeptimies  cognitiofiem 
ab  experientia  vaga  vocare  co7isuem"  (Eth.  II,  prop.  XL,  schol.  II). 

Der  neuere  Empirismus  beginnt  bei  F.  Bacon.  Gegenüber  dem  ab- 
stracten  Begriffsverfahren  und  Syllogismus  (s.  d.)  betont  er  den  Wert  der 
methodischen  Erfahnmg  und  Induction  (s.  d.).  Die  gemeine  Erfahnmg  ist  aber 
wertlos.  „  Vaga  enitn  experientia,  et  se  tantum  sequens  .  .  .  uiera  palpaiio  est, 
et  hofnines  potius  sttipefaeii,  qtuivi  informat"  (Nov.  Organ.  I,  100).  Die  „«- 
perientia  literata"  ist  zu  verwenden  (1.  c.  103;  vgl,  W).    Nach  HoBBES  ist  die 


Urfahrung.  275 

Erfahrung  j^phantasnuttum  eopia  orta  ex  mtUtarum  rerum  sensionibus*'^  (Elem. 
phiL  C.  25,  2).  „Memoria  mtUtarum  rerum  experierUia  dieitur^^  (Leviath.  I, 
p.  9).  Gegen  die  Lehre  von  den  angeborenen  (s.  d.)  Begriffen  polemisiert  Locke 
^Ess.  I,  eh.  2  ff.).  Nach  ihm  stammt  alles  Wissen  aus  äußerer  oder  innerer 
Erfahrung.  Die  Seele  ist  eine  „tcUnda  rasa^'  (s.  d.),  ein  j,tchite  paper^'.  Um 
zar  Erkenntnis  zu  gelangen,  muß  sie  die  Objecte  oder  sich  selbst  beobachten  (1.  c. 
II,  eh.  I,  §  2).  Die  Erfahrung  ist  teils  .^sensation*^  (Sinneswahmehmung),  teils  „rc- 
fleetion'^  auf  das  seelische  Sein  (1.  c.  §  3,  4).  Die  Tätigkeit  des  Geistes  wird 
nicht  geleugnet,  aber  sie  beschränkt  sich  auf  Verbindung  und  Trennimg  der 
Vorstellungen,  auf  Abstraction  imd  Greneralisation.  Der  Stoff  der  Erkenntnis 
mufi  durch  Erfahnmg  gegeben  sein:  „nihil  est  in  inteüectu,  quod  non  priu^ 
fuerit  in  sensu^'  (1.  c.  II,  eh.  I,  §  5).  Nach  Berkeley  hat  die  innere  Erfahnmg 
em«i  Vorrang  vor  der  äußeren.  Nach  Tschibnhausen  ist  die  Erfahrung  (be- 
sonders die  innere)  die  Quelle  der  Erkenntnis  (Med.  raent). 

Leibniz  erklärt,  die  Erfahrung  enthalte  schon  den  Intellect,  das  Denken 
<Xouv.  £^.  II,  eh.  1,  §  2).  „Nihil  est  in  intellectu,  quod  non  fuerit  in  sensu, 
fxcipe:  nisi  intellectus  ipse^^  (1.  c.  II,  eh.  1,  §  6).  Empirisches  Wissen  haben 
wir,  wenn  wir  etwas  erfahren  haben  ohne  Einsicht  in  die  Verknüpfung  der 
Dinge,  ohne  causale  Kenntnis  (1.  c.  IV,  eh.  1,  §  2).  Unser  eigenes  Seelensein 
kemien  wir  durch  innere  E^rfahrung.  Die  logische  Notwendigkeit  ist  kein  Er- 
fahrungsinhalt, kein  Product  der  Wahrnehmung  oder  Induction:  Die  Sinne 
gewähren  nur  „individuelle  Wahrheit^n'^  und  aus  dem,  was  geschehen  ist, 
folgt  nicht,  daß  es  immer  ebenso  geschehen  muß  (1.  c.  Pr^f.).  Che.  Wolf  will 
alles  erfahrungsmäßig  (konstatierte  rationell  (durch  „vernünftige  Oedanken^^) 
begründen.  Erfahrung  ist  „die  Erkenntnis,  darxu  urir  gelangen,  ifidem  wir  auf 
unsere  Empfindungen  und  die  Veränderungen  der  Seele  aeht  hahen^^  (Vem,  Ged. 
I,  §  325).  Die  j^Erfahrungen^^  sind  „7iiehts  als  Sät^e  von  einxelnen  Dingen'^ 
(Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  Verst.*,  S.  110).  „Experiri  dieimus  quicquid  ad 
peree^imtes  nostras  attenii  cogtioseimus.  Ipsa  vero  liorum  cognitio,  quae  sola 
(üientione  ad  perceptiones  nostras  patet,  experientia  vocatur^^  (Phil.  rat.  §  664). 
rrExperieniia*^  ist  „cognitio  singularimn^^  (1.  c.  §  (365).  Lambert  versteht  unter 
,^fahren^^  „eifie  Sacke  mit  Beumßtsein  empfinden  —  mit  der  Vorstellung,  daß 
m  eine  Empfituiung  sei'^  (N.  Organ.  §  552).  „Gemeine  Erfahrung"  ist  „die 
bloße  Empfindung  dessen,  ivas  ohne  weiteres  Zutun  in  die  Sinne  fällt"  (1.  c. 
li  557). 

HuME  fragt  weniger,  woraus  die  Erfahnmg  entsteht,  als  woraus  sie  besteht, 
nach  ihrem  Gehalt  (Riehl,  Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  87).  Die  Erfahrung  be- 
ruht auf  Gewohnheit,  ihr  Princip  ist  ein  Glaube  (s.  d.).  Erfahrung  besteht  in 
«ner  Folgenmg  auf  Tatsachen.  Apriorisch  (s.  d.)  ist  nur  die  Grundlage  der 
Arithmetik  (Treat.  Einl.  S.  5).  Die  Existenz  von  Dingen,  die  Verbindungen 
der  Ereignisse  sind  nur  durch  Erfahrung  zu  erkennen  (1.  c.  III,  sct.  6).  Was 
nicht  auf  Erfahrung  zurückzuführen  ist,  gehört  der  Einbildungskraft  an,  hat 
nur  subjective  Gültigkeit,  wie  die  Causalität  (s.  d.).  Ein  Begriff  (idea,  thought) 
hat  nur  dann  Erkenntniswert,  wenn  er  als  die  „Copie"  (copie,  Image)  einer 
güinliehen  Bewußtseins tatsache  (einer  „impression")  zu  verificieren  ist  (1.  c,  I, 
8ct.  1).  Die  schottische  Schule  nimmt  Principien  (s.  d.)  an,  deren  Gewiß- 
heit unabhängig  von  der  Erfahrung  feststeht.  Erfahrung  erzeugt  keine  logische 
Notwendigkeit.  So  Beld:  „Experience  informs  us  only  of  what  is,  or  has  been, 
not  of  what  must  b^'  (Ess.  on  the  pow.  II,  p.  281). 

18* 


276  Erfahrung. 


So  lehrt  auch  Kant.  „Erfahrung  gibt  niemals  ihrefi  Urteilen  trahre  oder 
strenge,  sondern  nur  angenrnntnene  und  cofnparative  Allgemeinheit  (dureh 
Indiivtion),  so  duß  es  eigetülieh  heißen  muß:  soviel  trir  bisher  tcahrgenomvien 
habeny  findet  sieh  von  dieser  oder  jener  Regel  keine  Ausnahme"  (Kr.  d.  r.  Vera. 
S.  ^48  f.).  Erfahrung  „lehrt  mich  xicar,  was  da  sei  und  wie  es  sei,  niemaU 
aber,  daß  fs  notwendigerweise  so  und  nicht  anders  sein  müsse^*  (VrolegQm.  §  14 1. 
Kant  fragt:  wie  ist  Erfahrung  möglich?  Was  ist  die  Grundlage  der  Erfahrungen, 
welches  sind  die  Bedingungen  zu  einer  Erfahrung,  was  lehrt  uns  die  Erfahrung, 
wie  weit  reicht  sie?  Es  zeigt  sich,  daß  die  Erfahrung  ein  a  priori  (s.  d.)  ent- 
hält, daß  sie  selbst  eine  Intellectualfunction  sei,  indem  sie  die  synthetische 
Tätigkeit  des  einheitlichen  Bewußtseins  voraussetzt  Alle  Erkenntnis  beginnt 
mit  der  Erfahrung,  aber  das  Erkennen  selbst  enthält  Formen  (s.  d.),  die  erst 
die  Erfahrung  constituieren.  Die  Erfahrung  bietet  nur  die  Erkenntnis  von  Er- 
scheinungen (s.  d.),  die  ein  Unerfahrbares,  das  Ding  an  sich  (s.  d.),  voraussetzen. 
Erfahnmg  ist  „das  ErkennMis  der  Gegenstände  der  Sinne  als  solcher ,  d.  i.  durch 
empirische  Vorstellungen^  deren  man  sich  heirußt  ist  (durch  verbundene  Wahr- 
neh?nufigen)"  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met.  S.  114).  Erfahrung  besteht  „in  der 
synthetischen  Verknüpfung  der  Erscheinungen  in  eitiem  Bewußtsein,  sofern  die- 
selbe notwendig  ist".  Sie  bedarf  „reiner  Verstandesbegriffe^*  zu  ihrer  Allgemein- 
gültigkeit (Prol^om.  §  22,  26).  „Erfahrung  ist  ohve  Zweifel  das  erste  Prodfwt, 
welches  unser  Verstand  hervorbringt^  indem  er  den  rohen  Stoff  sinnlicher  Em- 
pfindungen bearbeitet  .  .  .  Gleichwohl  ist  sie  bei  weitem  nicht  das  einzige  Feld, 
darin  sich  unser  Verstand  einschränken  läßt.  Sie  sagt  uns  xioary  tcas  da  s^i, 
aber  nicht,  daß  es  notwendigerweise  so  und  nicht  anders  sein  müsse.  Eben  darum 
gibt  sie  uns  auch  keine  wahre  AllgemeinJieit  .  .  ."  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  30.. 
„Wenn  aber  gleich  alle  unsere  Erkenntnis  mit  der  Ehr  fahrung  anhebt j  so  ent- 
springt sie  darum  doch  nicht  eben  alle  aus  der  Erfahrung,  Denn  es  könftte 
wohl  sein,  daß  selbst  unsere  Erfahrungserkenntnis  ein  Zusammengesetztes  aus  dein 
sei,  was  wir  durch  Eindrücke  empfangen,  und  dem,  was  unser  eigefies  Erkennt- 
nisvermögen (durch  sinnliche  Eindrücke  bloß  veranlaßt)  aus  sich  selbst  hergibt, 
welchen  Zusatx  unr  von  jetiem  Grundstoffe  nicht  eher  unterscheiden,  als  bis 
lange  Übung  uns  darauf  aufmerksam  und  xur  Absonderung  desselbe^i  geschickt 
gemacht  hat^^  (1.  c.  2,  A.,  S.  647).  Alle  Erfahrung  enthalt  „außer  der  An- 
schatmng  der  Sinne j  wodurch  etwas  gegeben  unrd,  noch  einen  Begriff  von  einem 
Gegenstande,  der  in  der  AnscJiauung  gegeben  wird  oder  erscheitit :  demnach  werden 
Begriffe  von  Gegenständen  überhaupt,  als  Bedifigungen  a  priori,  aller  Er- 
fahrungserkenninis  xum  Grunde  liegen'^  (1.  c.  S.  110).  „Alle  Erfahrung  .  .  . 
besteht  aus  Afischauung  eines  Gegenstandes,  d,  i.  einer  unmittelbaren  ufid  ei*i- 
xelnen  Vorstellung,  durch  die  der  Gegetistand,  als  xum  Erkenntnis  gegeben,  u*ui 
aus  einem  Begriff,  d.  i.  einer  mittelbaren  Vorstellung  durch  ein  Merkmal,  was 
mehreren  Gegetiständen  gemein  ist,  dadurch  er  also  gedac/U  icird**  (Üb.  d.  Fortschr. 
d.  Met.  S.  105).  Die  „Pri7icipien  a  priori^*,  nach  denen  allein  Erfahrung  mög- 
lich ist,  sind  die  Formen  der  Objecte,  Raum  und  Zeit,  sowie  die  Kategorien 
(s.  d.)  (1.  c.  S.  115).  Das  „Synthetische  der  Erkenntnis"  ist  das  Wesentliche 
der  Erfahrung;  der  Empirismus  ist  unhaltbar  (ib.).  Erkenntnis  gibt  es  nur  „in 
dem  Ganxen  aller  möglichen  Erfahrung"  (Kr.  d.  r.  Veni.  S.  148).  AUe  Er- 
fahrungsobjecte  müssen,  um  Erkenntnis  zu  gewähren,  sich  nach  den  Gesetzen 
des  Verstandes  richten  (1.  c.  S.  18).  Mehr  als  gesetzmäßige  Verknüpfungen 
von  Erfahriuigen  kann   keine  Erkemituis  material  enthalten.    Das  Unbedingte 


Erfahrung.  27' 


(s.  d.),  das  uns  über  die  Erfahrung  hinaustreibt,  kann  doch  nur  „m  praktischer 
Almekt*^  bestimmt  werden  (1.  c.  S.  20).  Innere  Erfahrung  ist  nicht  ohne 
au^re  Erfahrung  möglich  (1.  c.  8.  211).  Sie  besteht  im  Bewußtsein  des  „Ich 
detM^  und  kann  „nicht  als  empirische  Erkenntnis,  sondern  muß  als  Erkenntnis 
des  Empirischen  überhaupt  angesehen  werden'*  (1.  c.  S.  294). 

Einen  „rationellen  Empirisnms"  fordert  Goethe,  die  Verknüpfung  der 
Tatsachen  nach  innerer  Notwendigkeit  (vgl.  Siebeck,  Goethe  als  Denk.  S.  23). 
G.  E.  Schulze  betont:  yJHe  Erfahrung  lieferty  für  sieh  genommen^  immer  nur 
die  Erkenntnis  gegenwärtiger  Gegenstände ,  und  xicar  lediglich  in  Ansehung 
dessen^  was  in  ihnen  vorhanden  ist  (nicht  aber  sein  muß)^'  (Gr.  d.  allg.  Log.*, 
S.  175).  Nach  Hoffbauer  heißt  „erfahren^^  im  weiteren  Sinne  „etwas  sich 
durch  den  Sinn  mit  Bewußtsein  vorstellend^  in  der  engeren  Bedeutung  ^^Gegen- 
aiände  in  dem  Verhältnisse  denken,  in  welchem  sie  in  Rücksieht  ihrer  Eifi- 
frirkung  auf  unsere  Seele  stehen^*  (Log.  S.  4).  Nach  Maine  de  Biran  ist  die 
innere  Erfahrung  die  Quelle  der  apriorischen  (s.  d.)  Begriffe.  Nach  Fries 
wird  uns  das  Apriorische  der  Erkenntnis  durch  innere  Erfahrung  bewußt.  Er- 
feihrong  ist  „Erkenntnis,  wiefern  wir  uns  auch  ihres  notwendigen  Zusammen- 
hanges mit  anderen  durch  ihre  Unterordnung  unter  die  apodiktischen  Gesetze 
beicußt  werden'*  (Syst.  d.  Log.  S.  321),  „apodiktische  Erkenntnis,  die  aus  der 
Einheit  und  Verbindung  der  Anordnung  und  Zusammensetzung  der  einzelnen 
Wahmehmfingen  resuUiert^*  (N.  Krit.  I,  .308).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  Erfahrung 
^das  System  utiserer  Vorstellungen",  „Die  Erfahrung  kann  höchstens  lehren, 
daß  Wirkungen  gegeben  sind,  die  den  Wirhmgen  vernünftiger  Ursaciien  ähnlich 
sifui;  aber  nimmermehr  kann  sie  lehren,  daß  die  Ursachen  derselben  als  ver- 
nimflige  Wesen  an  sich  wirklich  vorhanden  seien ;  demi  ein  Wesen  an  sich  selbst 
ist  kein  Gegenstand  der  Erfahrung."  „Wir  selbst  tragen  dergleichen  Wesen  erst 
in  die  Erfahrung  hittein"  (Üb.  d.  Best,  d.  Gelehrt.  S.  17).  Nach  Schelijng 
versteht  man  gewöhnlich  unter  Erfahrung  „die  Geicißheit,  die  wir  durch  die 
Siftne  von  äußeren  Dingen  und  deren  Beschaffenheit  erhalten"  (WW.  I  10,  196). 
^y^helling  lehrt  in  späterer  Zeit  einen  „höheren"  „Empirismus",  der  sich  auch  aufs 
Übersinnliche,  Göttliche  (diurch  Offenbarung)  erstreckt  (1.  c.  S.  198  f.).  Hegel 
macht  die  Erfahrung  von  den  Bestimmimgen  des  reinen  Denkens  abhängig. 
Herbart  findet  in  den  Erfahrungsbegriffen  „Widersprüche"  (s.  d.),  die  seitens 
der  Philosophie  zu  bearbeiten  sind.  Auch  die  innere  Erfahrung  enthält  Wider- 
sprüche (Lehrb.  zur  PsychoL*,  S.  11).  Beneke  schätzt  die  innere  Erfahnmg 
als  Quelle  der  Erkenntnis  des  Innenseins  der  Dinge.  So  auch  Schopenhauer 
(s.  Wille).  Nach  ihm  ist  Erfahrung  „alles,  was  in  meinem  empirischen 
Bewußtsein  vorkommen  kann"  (Anmerk.  S.  107).  Nach  Ulrici  ist  Erfahnmg 
„rfrw  Ganze  der  unmittelbar  notwendige7i  (objectiven)  Gedanken  und  damit  das- 
jenige Erkennen  und  Wissen,  welches  unmittelbcr  aus  dem  Zusammenwirken 
unseres  Denkefis  mit  dem  reellen  Sein  entspringt"  (Log.  S.  58).  AUe  Erkenntnis, 
die  auf  der  „Mitwirkung  eines  andern,  von  unserer  Denkfähigkeit  verschiedenen 
Factors  beruht",  ist  eine  „empirische  oder  Erfahmngserkemitnis"  (Leib  u.  Seele 
i?.  16). 

Bei  den  neueren  Kantianern  wird  das  a  priori  (s.  d.)  der  Erfahrung  be- 
tont, teils  mit  mehr  rationalistischer  Färbimg  (O.  Liebmann,  Cohen,  Natorp 
u.  a.),  teils  mehr  empiristisch.  So  bei  A.  Lange,  nach  welchem  Erfahrung  der 
Proceß  ist,  durch  welchen  die  Erscheinungen  von  Dingen  in  uns  entstehen 
{Gesch.  d.  Mat.  II,  27).    Der  (nicht  streng  Ejintsche)  Kriticismus  (s.  d.)  erkennt 


278  Erfahrung. 


iii  der  Erfahrung  nichtempirißche  Factoren  an.  Nach  H.  Spenceb  ißt  aller 
Intellect  durch  die  Erfahrung  envorben,  aber  auch  durch  Erfahrungen  der 
Vorfahren,  die  für  das  Individuum  ein  Apriori  (s.  d.)  bilden  (Psychol.  II, 
§  332).  Ähnlich  Lewes.  E.  v.  Haktmann  betrachtet  als  Constituenten  der 
Erfahrung  „unbeivußte  Kateyarialfunctianen**  (s.  Kategorien).  Die  „mitUXbarf^ 
Erfahrung  bedeutet  die  jyhypofhetwk  ersehhasenen  Dinge  an  sich  im  objectir 
realen  Raum^^  (GeBoh.  d.  Met.  II,  31).  Nach  Volkelt  wirken  Erfahrung  und 
Denken  zusammen.  Erfahrung  ist  „unmittelbarem,  seheidewanddoses  hmetrerden*' 
(Erf.  u.  Denk.  S.  64),  „Rein&^  Erfahrung  ist  das  „Wissen  van  den  eigenen  Be- 
im ßfseinsvorgängen^'  (1.  c.  S.  ()5).  Nach  Eücken  bedarf  das  Erkennen  der  Er- 
fahnmg,  „aber  es  kann  nicht  aus  ihr  schöpfen,  ohne  die  äußere  Welt  in  Begriffe 
und  Gesetze,  d.  h,  in  geistige  Größen  umzuwandeln,  sie  damit  aber  über  den 
ersten  Befund  weit  hinaitszuheben^^  (Kampf  um  e.  neuen  Lebensinh.  S.  35  f.). 
Nach  Lazarus  ist  die  Erfahnmg  nicht  ein  bloßes  Sinnesproduct,  sondern  ein 
Erzeugnis  der  Apperception  (Leb.  d.  Seele  II*,  58).  Nach  Hagemann  ist  die 
Erfahnmg  nicht  die  einzige  Erkenntnisquelle,  sie  enthält  nicht  den  Grund  der 
Tatsachen  (Log.  u.  Noet.  S.  143).  Riehl  erklärt,  die  Erfahrung  sei  „ein 
socialer,  kein  indiridueU-p^ychologiseher  Begriff^^  (Phil.  Krit.  II  2,  W).  Sie  ist 
das  Product  des  „gemein8chaftliehen  oder  intersuhjectiven  Denkens*',  an  be- 
stimmte „Regeln  des  Denkverkehrs''  gebunden  (1.  c.  S.  65).  Die  Erfahnmg  weist 
zugleich  auf  etwas  hin,  was  selbst  nicht  Erfahrung  ist  (1.  c.  II  1,  3),  das 
„Überempirisehe"  in  der  Erfahrung,  das  Apriori  (s.  d.),  ist.  Es  gibt  nur  eine 
Erfahrimg,  die  zwei  Richtungen  oder  Seiten  hat,  die  „beide  prineipiell  gleich- 
fcertige  eoordinierte  Arten  des  Betrußtseins  sind"  (1.  c.  II  1,  4).  Das  Denken 
ergänzt  die  Wahrnehmung;  reine  Erfahrung  kann  keine  Wissenschaft  begründen 
(Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  69).  Reine  Erfahrung  „ist  nichts  Gegebenes;  sie  ist 
ein  Product  der  Abstraction,  ein  Educt,  ein  Auszug  aus  der  tcirklich  gegebenen 
Erfahrung,  Diese  aber  ist  empfangen  in  den  Formen  des  Ansehauens  und  etil- 
wickelt  flach  den  Formen  des  Denkens".  Erfahnmg  ohne  Denken  ist  nicht 
möglich  (1.  c.  S.  244).  Wundt  erklärt,  nur  aus  den  Wechselwirkungen  von 
Erfahrung  und  Denken  erwachse  Erkenntnis.  Alles  Denken  ist  an  einen  em- 
pirischen Inhalt  gebunden,  und  jeder  empirische  Inhalt  wird  durch  ein  Denken 
verarbeitet.  „Reine  Erfahrung  und  reines  Denken  sind  datier  begriffliche 
Fietionen,  die  in  der  wirklichen  Erfahrung  ufui  im,  wirklichen  Denken  nicht 
rorkmnmen"  (Syst.  d.  Philos.*,  S.  208  ff.;  Phil.  Stud.  XIII,  6).  Die  Erfahrung 
bedarf  der  Berichtigung  und  Erweitcnmg  durch  das  Denken  (PhiL  Stud. 
VII,  47).  „Außer&'  und  „innere"  Erfahrung  bezeichnen  „niclii  rerschiedcnr 
Gegenstände,  sondern  verschiedene  Gesichtspunkte  .  .  .,  die  wir  bei  der 
Auffassung  urui  wissenschaftlichen  Bearbeitung  der  an  »ich  einheitlichen  Er- 
fahrung anwenden.  Diese  Gesichtsptwkte  werden  aber  dadurch  mihe  gelegt,  daß 
sich  jede  Erfahrung  unmittelbar  in  xwei  Factoren  sondert:  in  einen  Inhalt, 
der  upis  gegeben  wird,  und  in  unsere  Auffassung  dieses  Inhalts,  Wir  be- 
zeichnen den  ersten  dieser  Factoren  als  die  Objecte  der  Erfahrung,  den 
zweiten  als  das  erfahrende  Subjeet.  Daraus  entspringen  zwei  Richti^tgen 
für  die  Bearbeitung  der  Erfahrung,  Die  eine  ist  die  der  Naturwissenschaft : 
sie  betrachtet  die  Objecte  der  Erfahrung  in  ihrer  von  dem  Sul^eet  unabhängig 
gedachten  Beschaffenheit.  Die  andere  ist  die.  der  Psychologie:  sie  upUcrsucht 
den  gesamten  Inhalt  der  Erfahrung  in  seinen  Beziehungen  zum  Sufy'ect  und  in 
den  ihm  von  diesem  unmittelbar  freigelegten  Eigetischaftcfi",    Der  naturwissen- 


Erfahrung.  279 


schaftliohe  Standpunkt  ist  der  der  ,jmütelbaren*^,  der  psychologische  der  Stand- 
punkt der  j,unm4tfelbaren"  Erfahrung  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  3).  „Indem  .  .  .  die 
Ersteheinungen  in  dem  Sinne  als  äußere  erscheinen,  daß  sie  au^h  dann  noch 
unreründert  stattfinden  icürden,  wenn  das  erkennende  Subject  überhaupt  nicht 
vorhanden  wäre,  wird  die  neitur wissenschaftliche  Form'  der  Erfahrung  auch  die 
äußere  Erfahrung  genannt.  Indem  dagegen  .  .  .  aJle  Erfahrungsifihalte  als 
unmittelbar  in  dem  erkennenden  Subjeci  selbst  gelegene  beirachiet  werden,  Jieißt 
der  psychologische  Standpunkt  der  der  inner n  Erfahrung*^  (1.  c.  S.  387;  Phil. 
Ötad.  XII,  23;  Syst.  d.  Philo«.*,  S.  147,  172).  KtJLPE  betont:  „Die  Wisseti- 
ichaft  liefert  uns  sehr  oft  eine  Ergänzung  der  Erfahrt47ig,  nicht  bloß  deren 
Nachbildung  oder  Verallgemeinerung,^^  Die  Gedanken  haben  eine  selbständige 
Gesetzlichkeit  (Philos.  d.  Gegenwart,  S.  20  f.). 

Der  Empirismus  betont  in  verschiedener  Weise  die  Erfahrung  als  Quelle 
wahren  Wissens.     J.  St.  Mill  leitet  aus  Erfahrung  und  Induction  (s.  d.)  alle 
Erkenntnis  ab.    Comte  lehrt  einen  Positivismus  (s.  d.),  der  alle  metaphysischen 
Zutaten  der  Phantasie  abstreifen  will.     Lewes  bestimmt:  „Experience  is  the 
registration  of  feelings  afid  the  relaiions  of  their  correlative  objects"  (Probl.  of 
Life  and  Mind  I,  100).     Nach  E.  Dühbing  ist  Erfahrung  die  „unmittelbare 
Erprobung  des  tatsäehlichen  Verhaltenst'  (Log.  S.  84).    Auf  sinnliche  und  innere 
Erfahrung  führt  Czolbe  alle  Erkenntnis  zurück  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  5). 
Ahnhch  auch  Überweg,  C.  Göring.    Nach  Lipps  ist  Erfahrung  „Bewußtsein 
Tofi  etwas'*  (Gr.  d.  Log.  S.  3).     Reine  Erfahnmg,  mit  Elimination  aller  „Zu- 
taten''  des  Denkens,  gilt  als  wissenschaftliches  Ideal  bei  einer  Beihe  von  Denkern, 
die  an  HuME  erinnern.     So  bei  R.  Avenarius.     In  der  „ursprünglichen''  Er- 
fahrung liegt  „rf<w,  was  wirklieh  durch  den  Gegenstand  inhaltlich  gegeben  ist, 
und  alles  das,  was  etwa  das  erfahrende  Individuum  in  den  Gegenstand  hifiein- 
gedacht  haben  möchte,   röUig  ungesehieden  zusammen"   (Phil,  als  Denk.  8.  27). 
Die  „Zttsätxe"  des  Denkens  sind  zu  „eliminieren"  (1.  c.  S.  40),     „Reine^'  Er- 
faüirung  ist  ein  „Ausgesagtes",  „welches  in  aUen  seinen  Componenien  rein  nur 
Bestandteile  unserer  Umgebung  xur  Voraussetxwig  hat'  („Synthetischer*'  B^riff 
der  reinen  Erfahrung).    Sie  ist  die  Erfahrung,   „welcher  nichts  beigemischt  ist, 
was  nicht  selbst   wieder  Erfahrung   wäre,    welche  mithin  in  sich  selbst  nichts 
anderes  als   Erfahrung  ist"   („Analytischer"  Begriff  der  Erfahrung,  Krit.  d.  r. 
Erfahr.  I,  S.  4  f.).     Im  weiteren  Sinne  ist  reine  Erfahrung  jeder  Inhalt  einer 
^Aussage'^  jeder  „E-Wert"  (s.  d.),  im  engeren  ein  als  „ein  Saehhaftes"  bezeich- 
neter Wert  (1.  c.  II,  363  f.).     Jede  Erfahrung  enthält  als  „Vorgefundenes"  ein 
(erfahrendes)  „Centralglied"  und  ein  „Gegenglied"  der  „Umgebung"   sowie   die 
..Aussagen"  des  ersteren  über  das  letztere  (1.  c.  I,  13;   Weltbegr.  S.  9).     Die 
Erfahnmg  wird  verfälscht   durch   die  (zu  eliminierende)  „Intrqfection"  (s.  d.). 
Der  „natürliche   Weltbegriff"  (s.  d.)  ist  zu  restituieren.    Ähnlich  lehren  Car- 
8TANJEN,  J.  Pbtzold,  R.  Willy.     Reine  Erfahnmg  ist  auch  das  Ideal  von 
E.  Mach;  ökonomisch  geordnete  Erfahrungen  bilden  die  Erkenntnis.    Ahnlich 
lehrt  auch  H.  Ck)RNEUTJ8;  nach  ihm  besteht  das  Wissen   „in  der  2Susa7nmen' 
fassung  unserer  bisherigen  Erfahrungen  und  der  darauf  gegründeteti  Ertrartungen 
für  die  Zuktmß",    Alle  weiteren  Elemente  sind  „dogmatisch"  (s.  d.)  (Einl.  in  d 
Philos.  S.  256).     Die  Theorie,  welche  in  der  „äußeren"  Erfahrung  der  Sinne 
eine  unmittelbare  Erfahrung  von  Physischem  sieht,  ist  zurückzuweisen;  denn 
unsere  sinnlichen  Erlebnisse  als  solche  sind  nicht,  wie  das  Physische,  imabhängig 
vMi  uns,  stehen  auf  gleicher  Stufe  mit  den  Erlebnissen  der  „inneren"  Erfahrung 


28()  Erfahrung  —  Erfahrungsurteile. 


(1.  c.  S.  179).  Ostwald  bestimmt  als  das  Wesentliche  der  Erfahrung  die 
Fähigkeit,  durch  die  Voraussicht  einer  näheren  oder  ferneren  Zukimft  zweck- 
mäßig zu  handebi,  wozu  wir  durch  Vergleichen  gelangen  (Vorles.  üb.  Natur- 
phil.*,  S.  16  f.).  Vgl.  Empirismus,  Erkenntnis,  Erfahrungsurteile,  Wahrnehmung, 
Induction. 

!Erfahraii§;8be^lffe  sind  Begriffe,  die  durch  unmittelbare  Verarbeitung 
von  Erfahnmgsinhalten  durch  das  abstrahierende  Denken  zustande  kommen. 
Lambert  unterscheidet  sie  von  den  ,jLehrhegriffen^^  (X.  Organ.  §  646,  652). 
WuNDT  unterscheidet  von  den  empirischen  Einzelb^riffen  die  ^ycdlgemeinm 
Erfakrungsb€griff&^ ;  diese  beziehen  sich  stets  auf  eine  Mannigfaltigkeit  von 
Gegenständen,  die  erst  durch  das  Denken  in  Verbindung  gebracht  werden,  imd 
entstehen  diu-ch  eine  denkende  Vergleichung  gesonderter  Vorstellungsinhalte, 
wobei  das  in  diesen  als  übereinstimmend  Erkaimte  festgehalten  wird  (z.  B. 
Pflanze,  Körper)  (Syst.  d.  Phüos.*,  8.  214  ff.;  Log.  I«,  S.  106).  H.  CoRKELirs 
erklärt :  durch  den  Begriff  der  „B^el"  werden  Erfahrungen  der  verschiedensten 
Art  in  einheitlicher  Form  zusammengefaßt.  Ein  bestimmter  Inhalt  erscheint 
ims  dadurch  auch  als  .fiestandteil  hundertfältiger ^  mis  erfahningsmäßig  be- 
kannter Zusammenhänge^^  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  255).  Begriffe  von  Zu- 
sammenhängen dieser  Art  sind  „Erfahnmgsbegriffe"  oder  ,,empin^che  Begrifft' 
(B,  der  zweiten  Kategorie)  (ib.). 

£rfaliran|[^sfttBe  sind  Sätze,  die  auf  Erfahrung  (s.  d.)  sich  stützen, 
nicht  begrifflich  abgeleitet  sind.  Nach  G.  E.  Schulze  sind  es  Sätze,  .Aereti 
Wahrheit  nicht  auf  Beweisen  aus  Urteilen j  sondern  auf  angeführtefi  Tatsachen 
der  Erfahrung  heruht^^  (Gr.  d.  allg.  Log.',  S.  210).  Nach  Fries  sind  es  ,.Sätxej 
irelche  durch  Tatsachen  belegt  werden^*  (Syst.  d.  Log.  S.  294). 

Erfahrnngfiitateaclieii:  Tatsachen  (s.  d.),  die  durch  Erfahrung  be- 
wahrheitet sind. 

Erfahrang^sarteile  sind  Urteile  von  objectiver,  zugleich  allgemein- 
subjectiver  Gültigkeit,  im  Unterschiede  von  den  individuell-subjectiven  Wahr- 
nehmimgsurteilen.  Diese  Unterscheidung  bei  Kant.  „Efnpirische  Urteile j 
sofern  sie  objective  Gültigkeit  haben,  sind  Erfahrungsurteile;  die  aber,  so 
nur  subjectiv  gültig  sifut.,  tienne  ich  bloße  Wahrnehmung s urteile.  Die 
letxteren  bedürfen  keines  reinen  Verstandesbegriffs,  sondern  nur  der  logii^rhen 
Verknüpfung  der  Wahrnehmungen  in  einem  denkendefi  Subjeet.  Die  erstem  aber 
erfordern  jederxeity  über  die  Vorstellung  der  sinnlichen  ÄnscJmuung,  noch  be- 
sondere im  Verstände  ursprünglich  erzeugte  Begriffe,  trelcßte  es  ebcpi 
viachen,  daß  das  Erfahrungsurteil  objectiv  gültig  ist^^  (Prolegom.  §  IB).  Die 
Erfahrungsurteüe  machen  Anspruch  auf  Allgemeingültigkeit,  enthalten  con- 
ßtante  Verknüpfungen  (1.  c.  §  19).  Aus  einer  Wahrnehmung  wird  Erfahrung, 
indem  die  erstere  im  Urteil  imter  einen  Begriff  gebracht  wird.  „Wenn  die 
H(mne  den  Stein  bescheint,  so  wird  er  warm.  Dieses  Urteil  ist  ein  bloßes  Wahr- 
nehm migsur  teil  und  enthält  keine  Xoticendigkeit  .  .  .  Sage  ich  aber:  die  Sonne 
erwärmt  den  Stein,  so  kommt  über  die  Wahrnehmung  noch  der  Verstandesbegriff 
der  Ursache  hinxu,  der  mit  dem  Begriff  des  Sonnenscheins  den  der  Wärme  not- 
wendig verknüpft,  und  das  synthetische  Urteil  wird  notwendig  allgemeingültig, 
folglich  objertiv  und  aus  einer  WahmeJimung  in  Erfahrung  verwandelte^  (L  c. 
§  20).  Es  ist  also  ersichtlich,  „daß,  obgleich  alle  Erfahrungsurteile  empirisch 
sind,  d.  i.  ihren  Grund  in  der  unmittelbaren  Wahrnehmung  der  Sinne  haben, 


Erfahrungstirteile  —  Erhaben.  281 

dennoch  nicht  umgekehrt  alle  empiriseken  Urteile  darum  Erfahrufigsurteile  sind, 
sfMdem  daß  über  das  Mnpirische  und  überhaupt  über  das  der  sinnlichen  An- 
gi'hataifig  Gegebene  noch  besondere  Begriffe  hinxukommen  müssen,  die  ihren  Ur- 
spnmg  gänzlich  a  priori  im  reiften  Verstände  haben,  unter  die  jede  Wahr- 
nekmung  allererst  subswniert  und  dann  vermittelst  derselben  in  ErfaJtrung 
kann  verwandelt  icerden^^  (1.  c.  §  18).  Nach  Hebbart  stecken  in  den  Erfahrungs- 
begriffen Widersprüche  (s.  d.),  die  durch  Philosophie  zu  berichtigen  sind» 
H.  CoRNEMUS  nennt  „ErfaJtrungsttrteil^*  ein  Urteil  über  einen  nach  einer  Regel 
Terbundenen  Erfahrungsinhalt  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  255). 

Erfabrangswalirlielteii  s.  Wahrheit  (Leebxiz). 

ürfaliraiigsw^lsseiiselialteii  können  den  „Vemunfttvissenschaften" 
gegenübergestellt  werden;  zu  den  letzteren  gehören  z.  B.  Mathematik,  Logik, 
zu  den  ersteren  alle  Disciplinen,  die  es  mit  Objecten  der  Erfahrung  zu  tun 
haben.    Diese  Gegenüberstellung  u.  a.  bei  Fries  (Syst.  d.  Log.  S.  325). 

Erfinduiigskiuist  s.  Ars  magna. 

Iirf&]lliii|^9  Gefühl  der,  löst  die  Erwartung  bei  der  aetiven  Apperception 
(s.  d.)  ab  (W^UNDT,  Gr.  d.  Psychol.»,  S.  260).  —  Nach  Husserl  besteht  die 
nBrßUung^'^  in  der  „identtfieieren€len  Anpassung  fCarrespondierender*  Anschauung 
an  eine  signitive  Intention^^  (Log.  Unt.  II,  547  ff.,  556). 

VtTgfkuKuns  (logische)  ist  nach  Herbart  „diejenige  Operation  des 
Denkens,  wodurcJi  das  Mangelhafte  [der  Erfahrungsbegriffe]  verbessert  wird" 
iPßychol.  als  Wiss.  I,  §  11). 

lii^illlBliiii^sfarbeii  =  Complementarfarben.  Vgl.  Lichtempfindungeu. 

firbabeii  ist  alles  Große,  Kraftvolle,  Mächtige,  sofern  wir  uns  ihm  gegen- 
über klein  dünken,  wenn  wir  uns  unmittelbar  damit  vergleichen.  Das  Gefühl 
d«  Erhabenen  entsteht  aber  erst,  wenn  unser  Ich  gegenüber  der  Depression, 
die  es  durch  das  Große  erleidet,  mit  einer  Erhebung  über  das  Sinnliche,  mit 
einem  Bewußtsein  der  eigenen  Größe,  die  selbst  das  Große  der  Natur,  des 
Xicht-Ich,  im  Bewußtsein  zu  umspannen  vermag,  reagiert.  Erhaben  ist,  was 
ons  ziu*  Idee  des  Großen  schlechthin  erhebt.  Nach  Burke  ist  erhaben,  was 
die  VorsteUung  von  Schmerz  und  Gefahr  für  uns  zu  erwecken  vermag;  es  wirkt 
angenehm,  wenn  wir  ims  sicher  fühlen.  „Whaiever  is  fitted  in  any  sort  io 
^-reiie  the  ideas  of  pain  and  danger,  thai  is  to  sag,  whaferer  is  in  any  sort 
ffrrible,  or  diseonversani  about  terrible  objects  .  .  .  is  a  source  of  the  sublime" 
lEnquir.  I,  7).  Nach  Kant  gefällt  das  Erhabene,  wie  das  Schöne,  für  sich 
etlbst.  Aber  „das  Schöne  der  Natur  betrifft  die  Form  des  Gegenstandes,  die  in 
äer  Begrenzung  besteht;  das  Erhabene  ist  dagegen  auch  an  einem  formlosen 
,  ^t^nstande  xu  finden,  sofern  Unhegrenxtheit  an  ihm,  oder  durch  dessen 
y^onlassung,  porgestellt  und  doch  Totalität  derselben  hinzugedacht  uird^^.  Das 
«gentlich  Erhabene  „kann  in  keiner  sinnlicfien  Form  enthalten  sein,  sondern 
trifft  nur  Ideen  der  Vernunft"  (Krit.  d.  Urt.  §  23).  Das  Gefühl  des  Erhabenen 
führt  mit  sich  „eine  mit  der  Beurteilung  des  Gegenstandes  rerbundcfie  Be- 
legung des  Gemüts"  (1.  c.  §  24).  Erhaben  ist  „das,  was  schlechthin  groß 
w^S  d.  h-  „was  über  alle  Vergleiehung  groß  ist".  Es  besteht  hier  ein  Wohl- 
gefallen „a«  der  Erweiterung  der  Einbildungskraft  an  sich  selbst*^,  „Erhaben 
w/  das,  mit  welchem  in  Vergleiclvung  alles  andere  klein  ist.^*  Diese  „  Unangemessen- 
st unseres  Vetnnögeyis  der  Größenschätxung"  erweckt  gerade  das  „GefiUil  eines 


282  Erhaben. 

übersinnlichen    Vermögens  in  uns^*,  die  erhabene  Geistesstimmimg.     „Erhaben 
istj  tcas  auch  nur  denken  xti  können  ein  Vermögen  des   Oemütes  betretset^  das 
jeden  Maßstab  der  Simie  überlrtfff^  (1.  c.  §  25).    Das  Vermögen,  das  Unendliche 
denken  zu  können,  ist  über  alle  Vergleichung  groß;  erhaben  ist  die  Natur  Jn 
de?ijenigen  ihrer  Erscheinungen ,  deren  Anschauung  die  Idee  ihrer  Unendliehknl 
fm  sich  führV^,  die  „cfen  Begriff  der  Natur  auf  ein  übersinnliehes  Substrat  .  .  . 
führen j  welches  über  allen  Maßstab  der  Sinne  groß  ist  tmd  daher  nicht  sowohl 
den  Oegenstarui,  als  nielmehr  die  Oemütsstifnmung,  in  Schätzung  desseUten,  als 
erhaben  beurteilen  läßt^\     Beim  Erhabenen  bezieht  die  ästhetische  Urteilskraft 
•die  Einbildimgskraft  auf  die  Vernunft;  in  seiner  eigenen  Beurteilung  fühlt  sieh 
hier  das  Gemüt  erhaben  (1.  e.  g  26).    Das  Gefühl  des  Erhabenen  in  der  Natur 
ist  „Achtung  für  unsere  eigene  Bestimmung,  di^  wir  einem   Objecfe  der  Xatur 
durch  eine  gacisse  Subrepiion  .  .  .  beweisen ,  welches  uns  die  Überlegenheit  der 
Vemunflbestimmung  unserer  Erkenntnisvermögen  über  das  größte  Vermögen  der 
Sinnlichkeit  gleichsam  anschaulich  macht".     „Das   Gefühl  der  Erhabenheü  ist 
also  ein  Gefühl  der  Unlust,  aus  der  Unattgemessenheü  der  EinbUdangskraß  in 
der  Orößenschätxung  für  die  durch  die  Vernunft,  und  eine  dabei  zugleich  er- 
weckte Lust,  aus  der  Übereinstimmung  eben  dieses  Urteils  der  Unangemessenheit 
des  größten  sinnlichen  Vermögens  xu  Vemunftideen,  sofern  die  Bestrebung  xu 
fletiself)en  doch  für  uns  Gesetx  ist"  (1.  c.  §  27).     „Erhaben  ist  das,  was  durch 
seinen  Widerstand  gegen  das  Interesse  der  Sinne  unmittelbar  geftillt.**    Das  Er- 
habene ist  „ein   Gegetistand  (der  Natur),   dessen    Vorstellung  das   Gemüt 
bestimmte  sich  die  Unerreichbarkeit  der  Satur  als   Vorstellung  ton 
Ideen  xu  denken^".    Ohne  „eine  Stimmung  des  Gemüts,  die  der  xum  moralischen 
äJmlioh  ist^\  laßt  sich  das  Gefühl  des  Erhabenen  nicht  denken.    Das  Wohl- 
gefallen am  Erhabenen  der  Natur  ist  „nur  negativ^*,  „nämlieh  ein  Gefühl  der 
Beraubung  der  Freiheit  der  Einbildutigskraft^'  (1.  c.  §  29).     Es  gibt  ein  „mathe- 
matisch Erhal)enes",  das  auf  das  Erkenntnisvermögen  bezogen  wird,  das  Große 
der  Anschauung,   und   ein   ,jdgnamiseh  Erhabenes^^,   das  auf  das  Begehrungs- 
vermögen bezogen  wird  (1.  c.  §  24).     „Die  Natur  im  ästhetischen    Urteile  als 
Macht j   die   ül)er  uns  keine  Gewalt  hat,   betrctehtet,   ist  dynamisch- erßutben" 
(1.  c.  §  28).    —    „Das  Erhabene  (sublifne)  ist  die  ehrfurchterregende   Großheit 
(magnitudo  rererendajy   dem   Umfange  oder  dem  Grade  nach,  xu  dem  die  An- 
näherung (um  ihm  mit  seinen  Kräften  afigemessen  xu  sein)  einladend,  die  Furcht 
aber,   in  der    Vergleichung  mit  demselben  in  seiner  eigenen  Schätzung  xu  rer- 
schwinden,  xugleich  ahsehrerkend  isP*  (Anthropol.  II,  §  66;  vgl.  WW.  II,  229  ff.). 
Nach  Schiller  besteht  das  Gefühl  des  Erhabenen  „einerseits  aus  dem  Gefühl 
unserer   Ohnmacht  und  Begrenxnng,  einen  Gegenstand  xu  umfassen,  anderseits 
aus  dem  Gefühle  unserer  Übermacht,  weiche  vor  keinen  Qrenxen  erschrickt  und 
dasjenige  sich  geistig   unferunrft,    dem  unsere    sinnlichen   Kräfte   unterliegen"  , 
(WW.  XI,  287).     Beim  Erhabenen   fühlen  wir  uns  frei,   „weil  die  simUichen 
Triefte  auf  die  Gesetxgebung  der  Vernunft  keinen  Einfluß  haben,  weil  der  Geist 
hier  handelt^  als  ob  er  unter  keifien  anderen  als  seinen  eigenen  Gesetzen  stünde^. 
„Das  Gefühl  des  Erhabenen  ist  ein  gemischtes  Gefühl,    Es  ist  eine  Zusammen' 
j^etxung   ton    U'ehsein   ...  und   von   Frohsein  .  .  ."   (Üb.   d.   Erhab.  Seh., 
Phil.  Sehr.  8.  192).     „Der  erhabene  Gegenstand  ist  ron  doppelter  Art.     Wir  be- 
xiehen  ihn  entweder  auf  unsere  Fassungskraft  und  erliegen  bei  dem   Versuch, 
uns  ein  Bild  oder  einen  Begriff  von  ihm  xu  bilden:  oder  wir  bexiehen  ihi  auf 
unsere  Lebenskraft  und  betrachten  ihfi  als  eine  Macht,  gegen  icelche  die  unsrige 


Erhaben  —  Erhaltung.  283 


in  nichts  rersektn'fidei^^  (1.  c.  ß.  193).  Das  Erhabene  ^yverscfiafft  uns  einen 
Ausgang  aus  der  sinnliehen  KW/"  (1.  c.  8.  196).  Über  das  Erhabene  handelt 
Herder  in  seiner  ,^aUtgone^\  Nach  J.  Paul  ißt  das  Erhabene  „das  an- 
gewandte J^nendHche^%  das  unendlich  (xroße,  das  ßen^oindening  en»eckt  (Vorsch. 
d.  Ästhet.).  Nach  Bouterwek  ist  es  eine  y,  ästhetische  Modifieation  des 
Großen^  (Ästh.  I»  154  ff.).  Nach  Heoel  ist  das  Erhabene  „der  Versuch,  das 
Fneftdliche  au^xitdriieketiy  ohne  in  dem  Bereich  der  Erscheinungen  einen  Oegen- 
stand  XU  finden,  welcher  sich  für  diese  Darstellung  passend  enriese**  (Asth.  I,  467; 
vgl.  ViscHER,  Üb.  d.  Erhabene  u.  Kom.  1837).  Schopenhauer  erklärt:  „Beim 
Schönen  hat  das  reine  Erkennen  ohne  Kampf  die  Oberhand  gewonnen  .  ,  .  hin- 
gegen bei  dem  Erhabenen  ist  jener  Zustand  des  reiften  Erkennens  allererst  ge- 
Kannen  durch  ein  bewußtes  und  gewaltsames  Losreißen  von  den  als  ungünstig 
erkannten  Beziehungen  desselben  Ob/ects  zum  Willen,  durch  ein  freies,  vom  Be- 
trufitsein  begleitetes  Erheben  über  den  WiUen  und  die  auf  ihn  sich  beziehende 
Erkenntnis''  (W.  a.  W.  ii.  V.  I.  Bd.,  §  39).  Das  Erhabene  ist  „das  Extrem  des 
Schönen,  wo  sicli  die  theoretische  Negation  der  zeitlichen  Welt  und 
Affirmation  der  ewigen,  welche  durchaus  das  Wesen  aller  Schön- 
hext  ist  .  .  .,  auf  die  unmittelbarste,  ja  fast  handgreifliche  Weise  ausspricht'' 
(Anmerk.  S.  78).  Herbart  bestimmt:  „Wenn  in  detn  Schönen  die  Qröße  vor- 
tciegt,  so  entsteht  das  Erhabene"  (Lehrb.  zur  Psychol.*,  S.  73).  RuGE:  „Die 
ästhetische  Idee  teird  in  der  Gestalt  betrachtet,  wo  sie  noch  nicht  die  Befriedigung 
fies  Sich'findens  ist,  also  als  die  sieh  suchende  Idee,  und  als  solcher  kann  es  ihr 
zuerst  begegnen,  daß  sie  gewinnt,  was  sie  erstrebt.  In  dem  Erfolge  ist  dann 
das  Gefühl  des  Suehens  enthalten,  und  diese  Befriedigung  des  Strebens  mit  dem 
(refiUd  der  Erhebung  aus  dem  Mafigel  ist  die  Erhabenheit,  welche  cdso  die 
Unruhe  des  Sich-heraustrindens  aus  der  Bedürftigkeit  fioeh  an  sich  hat"  fV^orsch. 
d.  Aiith.  8.  58).  Nach  Carriere  ist  das  Erhabene  „dasjenige  Schöne,  welches 
nicht  sowohl  durch  die  Anmut  als  durch  die  Qröße  der  Form  auf  uns  mrkt" 
{Asth.  I,  118).  8lEB£C$  erklärt:  „Das  Erhabene  ist  diejenige  Art  der  Schönheit, 
in  welcher  das  Moment  der  Begrenzung  zurücktritt"  (Wes.  d.  ästh.  Ansch. 
S.  16()).  Groos  meint:  ,J}as  Erhabene  ist  ein  Gewaltiges  in  einfacher  Form." 
Der  Credanke  des  Unendlichen  ist  dafür  nicht  wesentlich  (Eiul.  in  d.  Asth. 
»S.  318  ff.).  L.  DuMONT  erklärt  das  Vergnügen  am  Erhabenen  daher,  „daß  der 
Gegenstand  durch  seine  Unerschöpflichkeit  uns  die  Möglichkeit  gewährt,  alle 
unsere  disponible  Kraft  ,  .  .  für  den  Gedanken  anzuwenden"  (Vergn.  u.  Böhm. 
f^.  2<J1).  Als  ein  gemischtes  Gefühl  bestimmt  das  Erhabene  A.  Lehmann 
(Oefühlsleb.  8.  350). 

Eriialtann^:  Bestchenbleiben  eines  Dinges,  einer  Kraft,  Energie  (s.  d.), 
einer  Cxröße,  eines  Selbst  im  Wechsel  des  Geschehens.  Der  „Selbsterhaltung" 
der  Lebewesen  liegt  ein  Trieb  („Wille  xum  Leben")  zugrunde,  eine  Betätigung 
imd  Widerstandskraft  gegenüber  den  Mächten  der  Umgebung.  Es  gibt  auch 
eine  psychische  (geistige),  femer  eine  sociale  Selbsterhaltung. 

Nach  den  Stoikern  hat  jedes  Lebewesen  einen  ursprünglichen  Selbst- 
erhaltimgstrieb :  jiq(Ziov  oixsioy  elvm  navii  ^cjqf  triv  airov  axaiaaiv  xai  rriv 
TavTT^i  awelSrjatv  — ;  tiJ»  di  TT^ahrjt'  OQfiriv  tpaai  t6  ^i?ov  i'axBiv  iiti  to  rrj^eiv 
iaiTo  (Diog.  L.  VII  1,  a')).  Ähnlich  Auguhtinus  (De  civ.  Dei  XI,  28). 
Thomas  erklärt:  „Quaelibef  res  naturalis  conserrafionem  sui  esse  appetit" 
(Quaest.  d.  disp.  de  potent.  5,  10b,  13).     „Conservatio  rei  non  est  nisi  conti- 


282  Erhaben. 

übersinnlichen    Vermögens  in  uns",  die  erhabene  Geistesetimiiiung.     „Erh(d)m 
ist,  was  auch  nur  denken  xu  können  ein  Vermögen  des  Gemütes  beweiset,  das     \ 
Jedefi  Maßstab  der  Sinne  überlrifff^  (1.  c.  §  25).    Das  Vermögen,  das  Unendliche 
denken  zu  können,  ist  über  alle  Vergleiohung  groß;  erhaben  ist  die  Nator  „in 
denjenigen  ihrer  Erscheinungen,  deren  Äfisrhauung  die  Idee  ihrer  Unendlichkeü 
tm  sicJi  fuhrt^%  die  „den  Begriff  der  Natur  auf  ein  übersinnUehes  Substrat  .  .  . 
führen,  trelches  über  allen  Maßst^xb  der  Sinne  groß  ist  und  daher  nicht  sowohl 
depi  Gegenstand,  als  vielmehr  die  Gemütsstimmung,  in  Sehätxung  desselben,  ah 
erhaben  beurteilen  läßt^.     Beim  Erhabenen  bezieht  die  ästhetische  Urtnlskraft 
die  Einbildimgskraft  auf  die  Vernunft;  in  seiner  eigenen  Beurteilung  fohlt  sich 
hier  das  Clemüt  erhaben  (1.  c.  §  26).    Das  Gefühl  des  Erhabenen  in  der  Natur 
ist  „Achtung  für  unsere  eigene  Bestimmwtg,  die  wir  einem   Objecte  dejr  Xatur 
durch  eine  geicisse  Subreption  .  .  .  beweisen,   welches  uns  die  Überlegenheit  der 
Verrinn flbestimmung  unserer  Erkenntnisvermögen  über  das  größte  Vermögen  der 
Sinnlichkeit  gleichsam  anschaulich  maehi^\     „Das   Gefühl  der  Erhabenheü  ist 
also  ein  Gefühl  der  Unlust,  aus  der  Unaftgemessenheit  der  Einbildungskraft  in 
der  Größenschätxung  für  die  durch  die  Vernunft,  und  eine  dabei  zugleich  er- 
weckte Lust,  aus  der  übereifistimmung  eben  dieses  Urteils  der  Unangemessenheü 
des  größten  sinnlichen  Vemiögens  xu  Vemunftideen,  sofern  die  Bestrebung  \u 
denselfjen  doch  für  utis  Gesetx  ist"  (l.  c.  §  27).     „Erhaben  ist  das,  was  durch 
seinen  Widerstand  gegen  das  Interesse  der  Sinne  unmittelbar  gefiillt,**    Das  Er- 
habene ist  „ein   Gegenstand  (der  Xatur),   dessen    Vorstellung  das   Gemüt 
bestimmte  sich  die  Unerreichbarkeit  der  Xatur  als   Vorstellung  ron 
Ideen  xu  denken^'.    Ohne  „eine  Stimmung  des  Gemüts,  die  der  xum  momlischen 
ähnlich  iaf',  laßt  sich  das  Gefühl  des  Erhabenen  nicht  denken.    Das  AVohl- 
gefallen  am  Erhabenen  der  Natur  ist  „wwr  negativ^^,  „nämlich  ein  Gefühl  der 
Beraubung  der  Freiheit  der  Einbildungskraft^  (1.  c.  §  29).     Es  gibt  ein  „mathe- 
matisch Erhaf)enes",  das  auf  das  Erkeimtnisvermögen  bezogen  wird,  das  Grofie   i 
der  Anschauung,   und   ein  „dynamisch  Mirhahenes^^   das  auf  das  Begehrungs- 
vermögen bezogen  wird  (1.  c.  §  24).     „Die  Xatur  im  ästhetischen    Urteile  als 
Macht,   die   iilter   uns  keine   Getralt  hat,   betrachtet,    ist   dynamisch -erhaben*' 
<1.  c.  §  28).    —    „Das  Erhabene  (sublitne)  ist  die  ehrfurehterregende  Oroßheit 
(magniiiido  reverenda),   dem   JTmfange  oder  dem  Grade  nach,   xu  dem  die  An- 
näherung (um  ihm  mit  seinen  Kräften  angemessen  xu  sein)  einladend,  die  F^trcht 
alm-,   in  der    Vergleichung  mit  demselben  in  seiner  eigenen  Schätzung  xu  rer- 
aehwinden,  xugleich  abschreckend  ist^  (Anthropol.  II,  §  66;  vgl.  WW.  II,  229  ff.). 
Nach  Schiller  besteht  das  Gefühl  des  Erhabenen  „einerseits  aus  dem  GefiM 
unserer  Ohnmacht  und  Begrenxung,  einen  Gegenstand  xu  umfassen,  anderseits 
aus  dem  Gefühle  unserer  Ubennacht,  welche  vor  keinen  Grenzen  erschrickt  und 
dasjenige  sich   geistig   unterwirft,    dem   unsere    sinnlichen   Kräfte    unterliegen"^  , 
(WW.  XI,  287).     Beim  Erhabenen   fühlen  wir  ims  frei,    „u^eü  die  sinnlichen 
Triebe  auf  die  Gesetxgebung  der  Vernunft  keinen  Einfluß  haben,  weil  der  Geist 
hier  handelt,  als  ob  er  unter  keinen  atuieren  als  seinen  eigenen  Gesetzen  stimde^^. 
y.Das  Gefühl  des  Erhabenen  ist  ein  gemischtes  Gefühl.    Es  ist  eine  Zusammen- 
.Setzung   vofi    Wehsein   .  .  .  und   von  Fr  oh  sein  .  .  ."   (üb.   d.    Erhab.    Seh., 
Phil.  Sehr.  S.  192).     „Der  erhabene  Gegefnstand  ist  ron  doppelter  Art.     Wir  be- 
ziehen ihn  entweder  auf  unsere  Fassungskraft  und  erliegen  Im  dem    Versuchy 
uns  ein  Bild  oder  einen  Begriff  von  ihm  xu  bilden:  oder  wir  beziehen  ihn  auf 
unsere  Lebenskraft  und  betrachten  ihn  als  eine  Macht,  gegen  tcelche  die  unsripe 


Erhaben  —  Erhaltung.  283 


?/i  nichts  rerschwifidet^^  (1.  c.  S.  193).  Das  Erhabene  yyVeraclMfft  uns  einen 
Auggang  aus  der  sinnli4:hen  Welt'*  (1.  c.  S.  196).  Ober  das  Erhabene  handelt 
Herder  in  seiner  „Kalligon&\  Nach  J,  Paul  ist  das  Erhabene  ,^a«  an- 
gewandte Unendliche",  das  unendlich  Große,  das  Be^^Tinderung  erweckt  (Vorsoh. 
d.  Ästhet.).  Nach  Bouterwek  ist  es  eine  „ästhetische  Modification  des 
Großen**  (Asth.  I,  154  ff.).  Nach  Heoel  ist  das  Erhabene  „der  Versuch,  das 
rmndliche  auszudrücken,  ohne  in  detn  Bereich  der  Erscheinungen  einen  Gegen- 

mm 

stand  XU  finden ,  tvekher  sich  für  diese  Darstellung  passend  enviese**  (Asth.  I,  467 ; 
vgl.  ViscHJER,  Üb.  d.  Erhabene  u.  Korn.  1837).  Schopenhauer  erklärt:  y^Beim 
Schönen  hat  das  reine  Erkennen  ohne  Kampf  die  Oberhand  gewonnen  .  .  .  hin- 
gegen bei  dem  Erhabenen  ist  jener  Zustand  des  reinen  Erkennens  allererst  ge- 
trennen  durch  eifi  bewußtes  und  gewaltsames  Losreißen  von  den  als  ungünstig 
erkannten  Beziehungen  desselben  Objeets  zum  Willen,  durch  ein  freies,  vom  Be- 
trußtsein  begleitetes  Erheben  über  den  Willen  und  die  auf  ihn  sich  beziehende 
Erkenntnis'*  (W.  a.  W.  ii.  V.  I.  Bd.,  §  39).  Das  Erhabene  ist  „das  Extrem  des 
Sehönefi,  wo  sieli  die  theoretische  Negation  der  zeitliehen  Welt  und 
Affirmation  der  ewigen,  welche  durchaus  das  Wesen  aller  Schön- 
htit  ist  .  .  .,  auf  die  unmittelbarste,  ja  fast  handgreifliche  Weise  ausspricht" 
{Amnerk.  S.  78).  Herbart  bestimmt:  „Wenn  in  dem  Schönen  die  Größe  vor- 
wiegt, so  entsteht  das  Erhabene**  (Lehrb.  zur  Psychol.*,  S.  73).  Rüge:  „Die 
ästhetische  Idee  wird  in  der  Oestalt  betrachtet,  wo  sie  noch  nicht  die  Befriedigung 
des  Sich'findens  ist,  also  als  die  sieh  suchende  Idee,  und  als  solcher  kann  es  ihr 
xuerst  begegnen,  daß  sie  gewinnt,  was  sie  erstrebt.  In  dem  Erfolge  ist  dann 
das  Gefühl  des  Suehens  enthaÜen,  und  diese  Befriedigung  des  Strebens  mit  dem 
Oeflihl  der  Erhebung  aus  dem  Matigel  ist  die  Erhabenheit,  welche  also  die 
Unruhe  des  Sich-heraustcindens  aus  der  Bedürftigkeit  fioch  an  sieh  hat**  (Vorsch. 
<I.  Asth.  S.  58).  Nach  Carriere  ist  das  Erhabene  „dasjenige  Schöne,  wdehes 
nickt  sowohl  durch  die  Anmut  als  durch  die  Größe  der  Form  auf  uns  icirkt** 
<Ästh.  I,  118).  SlEBBCil^  erklärt:  „Das  Erhabene  ist  diejenige  Art  der  Schönheit, 
in  welcher  das  Moment  der  Begrenzung  zurücktritt**  (Wes.  d.  asth.  Ansch. 
S.  166).  Groos  meint:  „Das  Erhabene  ist  ein  Gewaltiges  in  einfacher  Form.** 
Der  Gedanke  des  Unendlichen  ist  dafür  nicht  wesentlich  (Einl.  in  d.  Asth. 
S.  318  ff.).  L.  DuMONT  erklärt  das  Vergnügen  am  Erhabenen  daher,  „daß  der 
Qegetistand  durch  seine  Unerschöpfliehkeit  uns  die  Möglichkeit  gewährt,  alle 
unsere  disponible  Kraft  .  .  .  für  den  Gedanken  anzutcenden"  fS^ergn.  u.  Schin. 
j?.  201).  Als  ein  gemischtes  Gefühl  bestimmt  das  Erhabene  A.  Lehmann 
«Gefühlsleb.  S.  350). 

Erbaltimii^:  Bestehenbleiben  eines  Dinges,  einer  Kraft,  Energie  (s.  d.), 
einer  Größe,  eines  Selbst  im  Wechsel  des  Geschehens.  Der  „Selbsterhaltwtg*^ 
der  Lebewesen  liegt  ein  Trieb  („Wille  xiim  Leben'')  zugrunde,  eine  Betätigung 
und  Widerstandskraft  gegenüber  den  Mächten  der  Umgebung.  Es  gibt  auch 
eine  psychische  (geistige),  femer  eine  sociale  Selbsterhaltung. 

Nach  den  Stoikern  hat  jedes  Lebewesen  einen  ursprünglichen  Selbst^ 
erhaltungstrieb :    nqHiov  oixsioy  alvat   jiani  ^tat^   rrjv  alrov   aiaraatv  xai  Trjv 

iavro  (Diog.  L.  VII  1,  85).  ÄhnUch  Augustinus  (De  civ.  Dei  XI,  28). 
Thomas  erklärt:  „Quaelibet  res  naturalis  conserrationem  sui  esse  appetit'* 
(Quaest.  d.  disp.  de  potent.  5,   10b,  13).     „Cmiservatio  rei  non  est  fiisi  conti' 


284  Erhaltung  —  Erizmening. 


nuatio  esse  ipsius"  (Contr.  gent.  III,  65).  L.  da  Vinci:  „Naiuralmente  o^ 
cosa  desidera  mantenersi  in  suo  essere."  Telesius  schreibt  der  Materie  eineo 
Selbsterhaltungstrieb  zu;  die  Selbsterhaltung  ist  ihm  die  Grundlage  der  Ethik. 
Wie  DE8CABTE8  (Medit.)  erklärt  Spinoza  :  „Non  minor  catisa  requiritur  ad  rem 
conservandam,  quam  ad  ipsam  pritnum  produeendam"  (Ben.  Cart.  pr.  phiL  I, 
ax.  X).  ,^Omnia,  qtiae  exiattmt,  a  sola  vi  Dei  consertKirUwr^^  (1.  c.  prop.  XII). 
Der  Selbsterhaltungstrieb  (des  Seins,  des  Lebens,  der  Vernunft)  ist  in  jedem 
Dinge  gelegen.  ,y  TJnaquaeque  res,  qttantum  in  se  est,  in  suo  esse  perseverare 
canatur^^  (Eth.  III,  prop.  VI).  Auch  Ho^BES  betont  die  Wichtigkeit  des  Sdbst- 
erhaltungstriebes.  Leibniz  erklart:  „Chaque  substanee  se  eonserve,  mais  let 
masses  en  vertu  des  loix  de  leiir  propre  nature  tendettt  ä  se  deiruire^^  (GerL  IV, 
585).  Holbach  betont  den  Selbsterhaltungstrieb  der  Dinge.  (Syst.  de  la  nat.  I, 
eh.  4,  p.  48).  J.  G.  Fichte  :  „Ich  finde  mieti  selbst  als  ein  organisiertes  Xatur- 
product.  Aber  in  einem  solchen  besteht  das  Wesen  der  Teile  in  einem  Triebe, 
bestimmte  andere  Teile  in  der  Vereinigung  mit  sich  xu  erhalten,  v^dcher  Trid>, 
dem  Oanxen  beigetnessen,  der  Trieb  der  Selbsterhaltung  heißf*  (Syst  d.  Sitten- 
lehre S.  154).  Der  Trieb  geht  stets  auf  „eine  bestimmte  Eaoistenx^'  (1.  c.  8.  155i. 
Nach  Hegel  erhält  sich  nur  das,  „was,  als  abscltd,  fnü  sich  identisch  ist,  und 
das  ist  das  Allgemeine,  Ufas  für  das  Allgemeine  w^,"  die  Grattungsidee  (Natur- 
philos.  S.  649).  Nach  Herbabt  bestehen  die  Zustände  der  „RecUen^^  (s.  d.)  in 
„Selbsterhaltungen**  gegenüber  drohenden  Störungen  anderer  Realen.  Die  Vor- 
stellungen (s.  d.)  sind  Selbsterhaltungen  der  Seele  (vgl.  Hauptp.  d.  Met.  S.  42; 
K.  Encykl.  S.  344  ff.).  Heinroth  erblickt  im  „Erhaltungstrieb**  einen  Grund- 
trieb der  Seele  (Psychol.  S.  92).  Eine  Erhaltung  der  am  besten  angepaßten 
Hassen  (Arten)  im  Kampf  ums  Dasein  lehren  Ch.  Darwin,  H.  Spencer  u.  a. 
(s.  Evolutionismus).  Einen  Grund  trieb  der  Selbsterhaltung  bei  den  Lebewesen 
nimmt  Fobtlage  an  (Syst.  d.  Psychol.  I,  478).  E.  DChbino  erklärt:  „J^rfes 
Lebenselement  u^l  sich  behaupten.**  Das  „Beharrungssireben**  ist  ein  Grundgesetz 
der  Natur  (Wirklichkeitsphilos.  S.  84).  Spickeb:  „Sidt^  im  Dasein  xu  erhalten 
und  behufs  dieses  Zweckes  die  entsprechenden  Mittel  xu  ergreifen^  bexw,  die  ein- 
wohnenden Kräfte  xu  betätigen,  ist  das  große  allgcfneine  Oesetx,  welches  durch 
die  ganxe  Natur  geht**  (Vers.  e.  n.  Gottesbegr.  S.  121).  TÖNNIES:  „Alles  Leben 
und  [Vollen  ist  Selbstbejahung**  (Gem.  u.  Ges.  S.  118).  Nietzsche  leugnet  die 
Existenz  eines  primären  Selbsterhaltungstriebes.  Vielmehr  strebt  das  Lebendige, 
mehr  zu  werden,  als  es  ist  (WW.  XV,  302).  Die  Selbsterhaltung  ist  nur  eine 
Folge  des  Willens  zur  Macht  (WW.  VII,  1,  13).  HÖFFDING  sieht  in  der  Erblich- 
keit die  „Tendenx  der  Natur,  das  Erworbene  xu  erhalten**  (Psychol.  S.  4SI). 
R.  Avenabius  nimmt  an,  das  „System  C**  (s.  d.)  (Repräsentant  des  mensch- 
lichen Individuimis)  strebe  beständig,  sich  den  ändernden  Einflüssen  gegenüber 
zu  „erhalten**.  Der  „ideale**  Zustand  ist  das  „vitale  Erhaltungsmaximum*\  das 
jjositiv  oder  negativ  verändert  werden  kann  („Vitaldifferenx** ,  s.  d.).  Die 
variable  Größe  der  vitalen  Erhaltung  ist  der  „vitale  Erhaltungswert**  (Krit.  d. 
r.  Erf.  S.  62).  Von  den  „Schwankungeti**  des  Systems  C  ist  das  Erkennen 
„abhängig*'  (1.  c.  I,  S.  64  ff.).  Ostwald  versteht  imter  dem  „Oesetx  der  Er- 
haltung der  Elemente^'  die  Möglichkeit,  daß  chemische  Elemente  aus  jeder  ihrer 
Verbindimgen  in  unveränderlicher  Menge  wieder  zu  gewinnen  sind  (Vorles.  üb. 
NaturphUos.»,  S.  286  f.).    Vgl.  Energie. 

Erlnneraii^  s.  Gedächtnis. 


Erinnerungsbilder  etc.  ->  Erkenntnis.  285 


EMnnerui^sbllder,  ErliineniiiipsifefBlil,  Ijilnneniii^naeli- 
bilder,  E2rliinemii||^Bellen  s.  Gedächtnis. 

£i*iiiiieniiig8lirtelle  sind  nach  W.  Jerusalem  „Urteile,  in  welchen 
der  beurteilte  Vorgang  nicht  in  der  Sinnestcahmehmung  gegeben,  sondern  erinnert 
ist  und  als  erinnert  bezeichnet  tdrd"  (Urteilsfiinct.  S.  130).  Es  sind  Urteile,  in 
denen  der  Sprechende  Selbsterlebtes  mitteilt  (ib.).  Das  „Präteritwn  bedeutet 
psychologisdi  ein  Phts,  eine  Beziehung  auf  den  Sprechenden,  logisch  ein  Minus, 
utdem  es  ein  individuelles  Erlebnis  und  keine  allgemeifte  Behauptufig  enthält'^ 
(L  c.  S.  133). 

E2ristik  :  Disputierkunst,  besonders  die  der  £  r  i  s  t  i  k  e  r  oder  Megariker  (s.  d.). 
Etklides  von  Megara  griff  nicht  die  Prämissen,  sondern  die  Conclusion  der 
Behauptungen  oder  Beweise  an  (rale  $e  dnoSei^eair  dviararo  oh  xara  Xijfi/iara, 
a/Mt   xar    ETCifo^av,  Diog.  L.  II,  107). 

ErlL^Dii^D  (psychologisch)  s.  Wiedererkennen. 

Erfeeiiiitiila  (logisch)  ist  die  Bestinmiung  der  Merkmale  (Eigenschaften, 
Kräfte,  Beziehungen)  eines  Seienden,  ein  Denken  (Urteil),  dessen  Inhalt  objectiv, 
allgemeingültig  ist.  Durch  den  und  im  Erkenntnisact  (Erkeimen)  wird  das 
Erkannte  (der  Erkemitnisgegenstand)  subjectiv-logisch  so  bestimmt,  wie  es  ge- 
mäß den  Erfahrungen,  Folgerungen  und  Postulaten  des  Denkens  geschehen  muß. 
Einerseits  setzt  alle  Erkenntnis  ein  erkennendes  Subject  voraus,  dessen  Tätigkeit 
und  Gesetzmäßigkeit  Bedingung  der  Erkenntnis  ist,  anderseits  muß  sich  das 
Subject  nach  den  ihm  aufgenötigten,  immer  wiederkehrenden,  constanten  In- 
halten des  Bewußtseins  richten.  Erkenntnis  ist  das  Resultat  des  Zusammen- 
spiels  von  Erfahrung  (s.  d.)  und  Denken,  das  Product  denkender  Verarbeitung 
eines  CTegebenen,  Vorgefundenen.  Erkenntnis  im  einzelnen  ist  ein  wahres  Urteil, 
d.  h.  ein  solches,  von  dem  geglaubt  werden  muß,  daß  es  die  Beschaffenheit  des 
Seienden,  wenn  auch  in  subjectiver  Form,  symbolisch,  ausdrückt,  darstellt. 
Die  Subjectivität  (s.  d.)  und  Relativität  (s.  d.)  der  Erkenntnis  bedeutet  nicht 
ein  absolutes  Nichtwissen  um  das  Sein,  sondern  niu:  die  Abhängigkeit  der  Form 
der  Erkenntnis  vom  Ich.  —  Ursprung  und  Gültigkeit  der  Erkenntnis  werden 
vom  Rationalismus  (s.  d.),  Empirismus  (s.  d.),  Sensualismus  (s.  d.),  Apriorismus 
<s.  d.),  Kriticismus  (s.  d.)  verschieden  beiurteil t.  Betreffs  des  Ejrkenntnisgegen- 
standes  gehen  Realismus  (s.  d.)  und  Idealismus  (s.  d.)  auseinander. 

Die  Erkenntnis  des  „Gleichen  durch  das  Gleiche^^  (im  Subjecte)  behaupten 
schon  die  Upanishads.  So  auch  Pythagoras  {vno  tov  o/uoiov  ro  ofioiov 
Kaxa/Mfißdread-ttt  nitpvxav,  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  92).  Auch  Empe- 
DOKLES:  Ti  yxoais  rov  ofioiov  t(^  otioiq)  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  121; 
ARISTOTELES,  Met.  III  4,  1000b  6);  y«»j?  fiiy  yng  ynXar  oncmafisv,  vSari  ^vBcoQy 
ai^iffi  S'ai&dQa  diar,  ard^  nvpl  txvq  tttSrjlov,  aroQyfj  $i  aro^yijv,  velxog  Ss  re 
vtixei  Xvy^  (ARISTOTELES,  De  anim.  I  2,  404  b  13  squ.).  Heraklit  meint, 
das  Bewegte  werde  durch  das  Bewegte,  die  Seele,  erkannt  (ro  Si  xtvovftevov 
xtvovfiirt^  ytvtocxead'ai,  ARISTOTELES,  De  an.  I  2,  405  a  27).  Die  aus  allen 
Elementen  bestehende  Seele  erkennt  alles  {<y>a<yl  ydq  yivwaxead'ai  t6  ofiotov  tu) 
Oftoüp'  d7t£i8^  yoLQ  17  yi^jifij  Trdvra  yiyvmaxet,  cwiaraaiv  «vrij*»  ix  naümv  Tc5r 
«fafwv,  L  c.  I  2,  405  b  15).  Nach  Anaxagoras  erkennt  die  Seele  durch  Affection 
von  dem  (ihr)  Ungleichen  (toi»  ivavxioi<i*  t6  yuQ  ofioiov  anad'is  vno  rat  bfioiov, 
Iheophr.,  De  sens.  27,  Dox.  507).  Parmenides  betont  (wie  Heraklit  u.  a.), 
daß  nur  das  begriffliche  Denken  wahre  Erkeimtnis  gewlUire.    Von  der  auf  das 


286  Erkenntnia. 


Bein  gerichtetai  Erkenntnis  ist  die  auf  das  Nichtsein,  auf  deaa  Schein  gerichtete 
(empirische)  Erkenntnis  zu  unterscheiden  {Bicaiqv  t  iftj  rtjv  ftXo90f>iar  Tr,v  fuv 
xax  aXr^d'eiav,  rtjv  Sa  xaia  Soiar,  Theophr.,  Phvs.  opin.  fr.  6a,  Dox.  483). 
D£MOKJUT  unterscheidet  zwei  Erkenntnisweisen,  die  j/kmkle^^  Sinneserkenntnis 
der  Erscheinungen,  die  ,^ht€^^  Wirklichkeitserkenntnis  durch  das  Denken: 
'/raiurjs  Si  8vo  eiaiv  iBiai'  ^  tuv  •pTfCiri,  rj  Si  axorirj'  xal  axoTitjs  fiiv  rdSe  ivft- 
TiatTa,  otpie,  nxor,,  68ur,f  yevate,  xpavan'  rj  Se  yitjcir^  anoxex^ifts'vf]  Si  Tavrr^i  .  . . 
orav  rj  axorifj  fijjxtri  Stfvrjrai  fiijre  6q  f^r  «tt  ikanrov  fii^re  axoveir  fMfjrs  oSuaa&m 
fiijre  ytvBO&ai  /iTJre  iv  rfj  ^avaet  alad'dre<r9'ai,  aXX  iiii  )x7iT6r€Qov  (Fr.  1,  Mull, 
p.  206;  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  135,  138  squ.).  Von  den  ^atrotam 
muß  man  auf  die  dSijXa  schließen  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  140).  Die 
Wahrheit  ist  „in  der  Tiefe^^  (iv  ßvd-t^j  Diog.  L.  IX,  72),  in  der  Regel  wissai 
wir  nichts  von  der  wahren  Beschaffenheit  der  Dinge:  ori  ireij  avSiv  tSgMtv  m^ 
ovSevoSf  dXX  int^^va(drj  ixdaroiaiv  r,  So^ie'  yivtoaxeiv  iv  dno^to  iart  (Sext 
Empir.  adv.  Math.  VII,  137);  r,fiiBs  Se  tiS  fUv  iovrt  oiSev  dr^Bxis  5i»»'i««£i> 
fteraTtJjtTOv  Si  xaxd  re  acifiaxos  Siad'iy^r  xai  rcav  isieiaiovxtov  xal  xmv  dvriGJS^' 
^övTOfv  (1.  c.  VII,  135  squ.) ;  irsf,  uiv  wv^  on  olov  ixaarov  i*sti  t}  ovx  iartr^ 
ov  ^wiofuv,  TtoXXaxj  SaSi^Xforat  (Fr.  1);  Sio  JrifioxQiioi  yi  fijciv  r^roi  ovSir 
eh  tu  diti&is  r,  rifiivy    dSrjlov  (ARISTOTELES,  Met.  IV  5,  1009  a  38). 

Die  Sophisten  betonen  die  Subjectivität  und  Relativität  aller  Erkenntnis. 
So  PROTAGOBAS,  dem  der  Mensch  das  Maß  alles  „Seienden^^  und  j^Niehtselendev^ 
ist;  die  Dinge  sind  für  jeden  so,  wie  er  sie  auffaßt  {ndvnafv  ;f^i7/<aTft^  m'r^ 
nvd'^Ttog,  Diog.  L.  IX,  51;  ndvxa  etvai  oca  Ttdai  y?airsraij  Sext.  Empir. 
Pyrrh.  hypot.  I,  217).  Das  Wissen  löst  sich  in  Einzelwahmehmungen  auf 
(Plato,  Theaet.  160  D),  alles  ist  Meinung  {So^a,  1.  c.  179  C).  G0R6IA8  be- 
streitet die  Möglichkeit  objectiver  Erkenntnis;  gäbe  es  selbst  ein  Sein,  so  wäre 
es  dyvtaarov  xai  dvanivorjxov;  gäbe  es  Erkenntnis,  so  wäre  sie  (wegen  der  Sub- 
jectivität der  Sprache)  nicht  mitteilbar  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  65, 
77  squ.).  Dagegen  erklärt  Sokrateö,  es  gibt  objective,  allgemeingültige  Er- 
kenntnis, und  zwar  durch  das  begriffliche  Denken,  welches  das  „TFas*^  jede* 
Dinges  bestimmt  (vgl.  B^riff,  Definition,  Induction). 

Auch  Plato  findet  nur  im  Begriffe  das  wahre  Erkennen:  a^*  ovr  oix  iv 
T(f  koyi^ead'nif  eine^  nov  dXXod'i^  xardStjXov  ctvr^  ytyrexai  xi  xdiv  6vTcar'\  vei 
(Phaedo  65  C).  Der  Gegenstand  wahrer  Erkenntnis  ist  das  Sein,  das  Reich  der 
Ideen  (s.  d.).  Nur  wenn  die  Seele  o^iyrjxai  rov  övxoi,  hat  sie  Erkenntnis  (L  c. 
(>5  C,  66  A,  D,  67  B).  Es  gibt  außer  dieser  wahren  noch  eine  „Erkenntnis* 
des  NichtSeienden,  Werdenden  (der  Sinnendinge)  und  die  mathematische  Er- 
kenntnis, die  eine  mittlere  Stellimg  einnimmt  {/uxa^v  xi  Soirjs  xai  tot  r^** 
Sidvoiav,  xcJv  yetofier^ixatv  .  .  .  k'^iv,  Republ.  VI,  511  D;  Tim.  27  D).  Die 
iTttaxT^fir,,  rofjais  des  Seienden  ist  zu  unterscheiden  von  der  bloßen  So^a  über 
das  Werdende  (Theaet.  210  A;  Rep.  V,  476  E  squ.,  534  A;  Tim.  29  C).  Er- 
kenntnisweisen sind  vovs  (vorjais)  oder  STzumjfirj,  Sidroia;  Tttaxte  und  hixaein 
als  Formen  der  S6^a  (Republ.  509  squ.,  533  squ.).  Die  höchste  Erkenntnis 
iuiyioxov  fidd^fia)  ist  die  Idee  des  Guten  (1.  c.  505  A  squ.),  die  dem  Geiste  die 
Erkenntniskraft,  den  Dingen  die  Erkennbarkeit  gibt  (Republ.  VI,  509  B).  Die 
Erkenntnis  der  Ideen  beruht  auf  dvdfivtiais  (s.  d.).  Nach  Aristoteles  haben 
die  Menschen  einen  natürlichen  Erkenntnistrieb  {ndvxBi  avS-^eanoi  rov  eiSircu 
oQtyovxai  fvoBi,  Met.  I  1,  980a  21).  Die  iTnaxrjfir}  ist  von  der  aic&t^cte  des 
Veränderlichen   wohl  zu   unterscheiden   (Met.  III  4,  999  b  2;   De  anim.  II  5, 


Erkenntnis.  287 


417  b  23),  wenn  sie  auch  von  ihr  ausgeht.  Wahre  Erkenntnis  bezieht  sich  auf 
das  AUgemeine  {uad'olov  ya^  al  iTttar^/uai  Ttdvnov^  Met.  III  6,  1003a  14),  ist 
be^fflicher  Art  (Ao/o«,  Met.  IX  1,  1046  b  8),  geht  auf  das  Constante,  Not- 
vendige,  nicht  aufs  Accidentielle ,  Zufällige  {avußeßrfxos)  {sntcri^fir,  lUv  yap 
Tiaaa  tov  aUl  Svroe  ?  wg  ini  ro  noXv,  Met  XI  8,  1065  a  5).  Die  vollendete 
Erkenntnis  ist  mit  dem  Erkannten  eins  (t6  S^avro  ianv  tj  xax  Ivi^eiav  imarTJur; 
TßJ  Tt^'/fiari,  De  an.  III  6,  431a  1;  i'an  S*  r;  emaTTJfii]  fjtiv  la  BnujrrjTn  noHy 
l.  c.  8,  431b  22).  Die  letzten  Principien  (s.  d.)  des  Seienden  erkennt  die  Ver- 
nunft durch  sich  selbst.  Drei  Richtungen  des  Erkennens  gibt  es,  nQaxTix^^ 
xotTjTuc^,  d'emgrjTixij  (Met.  VI  1,  1025  b  25).  Die  Stoiker  leiten  alle  Erkenntnis 
aus  der  Eriahrung  und  deren  begrifflichen  Verarbeitung  ab.  Die  Seele  ist  eine 
tabula  rasa,  der  Mensch  hat  bei  der  Geburt  die  Seele  wmtBQ  /«otj^v  eveqyov  eis 
«To/^a^wjv  eig  tovto  fiiav  ixdoTTjv  j(d^rriv  imv  ewoicor  sraTioy^n^erai  (Plac. 
IV,  11, 1,  Dox.  400).  Epikur  gründet  die  Erkenntnis  auf  die  Evidenz  (evd^eia} 
der  Öinneswahmehmung.  Die  Skeptiker  (s.  d.)  bezweifeln  die  Möglichkeit 
objectiver  Erkenntnis.  Ein  übersinnliches  Erkennen  kommt  nach  Plotix  der 
Seele  durch  sich  selbst  zu,  indem  sie  das  Übersinnliche  selbst  in  gewisser  Weise 
ist,  das  in  ihr  der  Potenz  nach  Buhende  zur  geistigen  Wirklichkeit  entfaltet^ 
bewußt  macht  (Enn.  IV,  2,  3).  Die  Erkenntnis  kommt  nicht  durch  „Abdrücke^^ 
der  Dinge  in  der  Seele  zustande  (Enn,  IV,  6,  1).  Im  Zustande  der  Ekstase  (s.  d.) 
erkennt  der  Geist  immittelbar  das  Göttliche  imd  sich  in  ihm.  Nach  Galen  er- 
kennt  der  Verstand  gewisse  Wahrheiten  (dpx^^  Xoyixai,  mathematische  Axiome,. 
Causalitätsprincip  u.  dgl.)  aus  sich  selbst,  ohne  Beweis  (De  opt.  disc.  0.  4;  De 
Hipp,  et  Plat.  IX,  7;  Therap.  meth.  I,  4;  vgl.  Zeller,  Phil.  d.  Griech.  III, 
1*  825). 

Nach  Augustinus  beruht  jede  Erkenntnis  auf  einem  Glauben,  einer 
Willenszustimmung.  Das  Wissen  ist  das  Begreifen  der  Objecte  in  ihrer  Not- 
wendigkeit (De  lib.  arbitr.  I,  7;  II,  31).  BoftTHius  unterscheidet  vier  Erkenntnis- 
stufen: „Sensus  .  .  .  figuram  in  subieeta  materia  cofistifiäavi,  imaginatio  vcro 
folam  sine  materia  indicat  figura/mj  ratio  vero  harte  quoque  transc^ndii,  sjjeciemqtfe 
ipsaniy  quae  sifigtUaribus  inest,  universali  consideratione  perpendit.  InteUigentia 
vero  celsior  octUtes  existit  supergressa  nanique  universitatis  ambitum  ipsam 
simpiieem  formam  pura  mentis  acte  eoniuetur^*  (Consol.  phil.  V ;  später  gliedert 
R.  V.  St.  Victor  die  Erkenntnis  in:  imaginatio,  ratio,  intellectus.  De  contempL 
1,  3,  7).  —  Nach  Augustinus  ist  die  Erkenntnis  ein  Product  des  Erkennenden 
nnd  des  Erkannten  („o^  läroque  .  .  .  noiiiia  parittir  a  cognoseente  et  cognito,^^ 
De  trin.  XIX,  12).  Die  Mystiker  (s.  d.)  betrachten  die  innere  „Erfahning^'", 
die  geistige  Intuition  als  eine  Erkenntnisquelle.  Die  Scholastiker  sehen  im 
begrifflichen,  schließenden  Denken  die  Hauptquelle  der  Erkenntnis.  Nach 
AviCENNA  wird  der  InteUect  des  Menschen  durch  den  außer  uns  seienden 
activen  Intellect  erleuchtet  (vgl.  Siebeck,  Gesch.  d.  Psychol.  I  2,  437).  Abae- 
LARD  definiert  Erkenntnis  als  „ipsarum  rerum  experientia  per  ipsam  earum 
praesentiam^'  (Theol.  Christ.  II,  3).  Albertus  Magnus  behauptet:  ,,Si?mle 
fimÜi  eognoecimus,*^  ,^Ntdlius  rei  cognitio  fit,  nisi  per  assimilationem  ad  illam'^ 
(Sum.  th.  I,  13,  6).  Die  Erkenntnis  besteht  in  einer  ,yVerähnliehiing^^  des  Be- 
wußtseins dem  Objecte  zu.  Die  Seinsprincipien  in  sich  habend,  vermag  die 
Seele  zu  erkennen.  „Änima  humana  nullius  rei  aeeipü  seientiam  nisi  illius 
«m«  prineipia  prima  habet  apud  seipsam  (1.  c.  qu.  13,  3).  Thomas  erklärt, 
die  Erkenntnis   entstehe   dadurch,  daß   vom  Erkennenden  und  Erkannten  im 


288  Erkenntnis. 


Erkennenden  ein  „Büd^^  (species,  s.  d.)  erzeugt  wird.  Das  Erkennen  beruht 
auf  einer  „Verähfütchung^^  des  Erkennenden  mit  dem  Erkannten:  y^Omnis  to- 
gnitio  fit  per  assimüaiionem  cognoscenHs  et  cognM^  (Contr.  gent.  II,  77).  Das 
Erkannte  ist  im  Erkennenden  (als  „es»c  intenttonale**)  nach  der  Weise  des  Er- 
kennenden, diesem  gemäß.  „Qmnis  eognitio  est  secundwn  altquam  formam, 
quae  est  in  cognoscente  princtpium  cognitionis^*  (De  verit.  10,  4).  „OognUum 
est  in  cognoscente  secundum  niodum  eognoscentis*^   (De  verit.  2,  1 ;   Sum.  tL  I, 

83,  1 ;  1  sent.  38,  1,  2  C).  „Omnis  cognitio  est  per  unionein  rei  cognitas  ad 
cognoseeniem'^  (1  sent.  3,  1,  2  ob.  3).  j,Omnts  cognitio  est  per  speciem  aliquam 
cogniti  in  cogno8eent&^  (1  sent.  36,  2,  3  a).  Die  Erkenntnis  ist  um  so  voll- 
kommener, je  weniger  das  erkennende  Prineip  sich  dem  Materiellen  nähert: 
„Ratio  cognitionis  ex  opposiio  se  habet  ad  rationem  materialitatis*^  (Sum.  th.  I, 

84,  2).  Von  den  Sinneswahmehmungen  geht  die  Erkenntnis  zum  Wesen  (s.  d.) 
der  Dinge.  „Omnis  nostra  cognitio  a  sensu  incipH,  qui  singularium  esf 
(Gontr.  gent.  II,  37).  „Cognitio  sensitiva  oceupatur  circa  quaUtates  sensibUe* 
exteriores;  cognitio  intellectiva  penetrat  usque  ad  essentiam  rei^*  (Sum.  th.  11^ 
8,  1),  Wir  erkennen  alles  durch  Grottes  Erleuchtung  (yjOmnia  discimur  in  Deo 
vulerCy^'  Sum.  th.  II,  12,  11),  in  den  ewigen  Ideen  („anima  kumana  in  rationibus 
aetemis  oinnia  cognoscit^*^  Sum.  th.  II,  84,  5).  Sich  selbst  erkennt  der  Greist 
in  seinem  Wirken  unmittelbar,  „per  praesentiam"  (De  verit  10,  8),  nicht  durch 
,^peci^.s^^.  „Int£llectus  humanus  .  .  .  non  cognoscit  seipsum  per  suam  essentiam; 
sed  per  actum,  quo  intellectus  agens  abstrahit  a  sensihüibus  species  intdligibües'^ 
(Smn.  th.  I,  87,  1).  Durand  von  St.  PouKgAiN  bemerkt:  „(Jognitio  non  ß 
per  realem  assimilaiionem  in  natura  .  .  .  sed  fit  per  proportionem  inter  poten- 
iiam  cognifivam  et  rem  cognitam  .  .  ."  (In  sent  I,  3,  1).  Boger  Bacon  unter- 
scheidet demonstrative  imd  Erfahr ungserkenntnis.  yjDtw  enim  sunt  modi  cogno- 
scendij  se.  per  argtimenium  et  per  experientiam.  Argumentum  coneludit  et  facü 
nos  candudere  quaestianem,  sed  non  certificai  neque  removet  dubitcUionemy  ul 
quiescai  animus  in  intuitu  veritatis  nisi  eani  inveniat  via  experientiae'^  (Op. 
maj.  VI,  1).  W.  VON  Occam  bestimmt  Wahrnehmung,  Gedächtnis,  Erfahrung, 
Begriff,  als  Stufen  der  Erkenntnis.  „Omnis  disciplina  ineipü  ab  indiriduit. 
Ex  sensUy  qui  non  est  nisi  singulariumy  fit  memoria,  ex  memoria  experinkeniwn, 
ei  per  experimentum  accipüur  universale,  quod  est  principium  artis  et  scientiae^ 
(In  lib.  sent  I,  3).  Die  Erkenntnis  ist  anschaulich  (intuitiv)  oder  begrifflich 
(abstract).  „Notitia  intuitiva  rei  est  talis  notitia,  virtute  cuius  potest  seiri, 
uinim  res  sit  vel  non  sit.  Äbstractiva  atäem  est  ista,  virtute  cuius  de  re  eon- 
tingenii  ?um  potest  sciri  evidenter,  utrum  sit  vel  non  sit.^^  „Omnis  cognitio 
intellectiva  praesupponit  necessario  imaginationem  sensitivam  tarn  sensus  exterio- 
ris  quam  interioris**  (1.  c.  I,  3,  1).  Zur  Erkenntnis  der  Objecte  bedarf  es  keiner 
„species^^  (s.  d.).  Seine  eigenen  Tätigkeiten  (inteUectiones,  actus  volimtatis)  erfaßt 
der  Geist  unmittelbar-anschaulich  („potest  homo  experiri  inesse  sibi'^).  Ai^bert 
VON  Sachsen  imterscheidet:  „notitia  intuitiva,  qua  aliquis  apprehendit  rem 
praeseniem,  notitia  äbstractiva,,  qua  aliquis  apprehendit  rem  absent^m"  (vgl 
Prantl,  G.  d.  Log.  IV,  61).  Nach  Suarez  erfolgt  das  Erkermen  „per  quattdnm 
assimilationem*^  (De  an.  III,  1).  —  Im  Sinne  der  Scholastik  lehrt  spater  Grr- 
BERLEt:  „Das  Geheimnis  der  ewigen  Zeugung  des  Logos  lehrt  uns,  daß  das 
Erkemien  eine  Art  Abbildung,  eine  Darstellung,  eine  geistige  Wi e der- 
er xeugung  des  Erkannten  im  Erkennenden  ist'^  (Kampf  u.  d.  Seele  S.  139), 

Marsilius  FidNUS  betrachtet  die  Erkenntnis   als   „spiritualem   imiofiem 


Erkenntnis.  289 

cd  fonnatn  aliquam  sptritualem"  (Theol.  Plat.  III,  2).  Nicolaus  Cusauus 
sieht  im  Erkennen  ein  ^jOssimilare"  und  „memurare^^,  „Nisi  enim  intelleeius 
se  ftUelligendi  CLssimilet,  nofi  inteUigü:  cmn  intdligere  sit  asstmilare,  et  m- 
tdligentia  se  ipso,  seu  inteUectaaliier  mensurare^  (De  poss.  p.  253).  Vermöge 
der  in  uns  liegenden  Begriffe  erkennen  wir,  wenn  auch  nur  durch  ,jConieciura^* 
{s.  d.),  die  Dinge,  deren  Ideen  in  Gott  sind  (De  coniect.  II,  14).  „Sertstis", 
JfUeüectu^'^  „ratio^*  sind  die  Stufen  der  Erkenntnis  (De  doct.  ignor.  III,  16). 
Das  höchste  ist  das  geistige,  intellectuale  Schauen  der  Einheit  Gottes,  in  der 
alle  Gegensatze  rerschwinden  (s.  ^^Coineidenx^'^  und  „Docta  ignoranM').  Je 
mehr  sich  eine  Erkenntnis  der  mathematischen  nähert,  desto  gewisser  ist  sie 
U.  0.  I,  11).  Nach  CAMPA27ELLA  entspringt  die  Erkenntnis  aus  der  Wahr- 
nehmung, ist  doch  das  „inteUigere^^  nur  ein  „sentire  langutdum  et  a  longe  et 
ronfusitm^^  (Univ.  phil.  4,  4).  Im  Erkennen  verähnlichen  wir  uns  dem  Er- 
kannten („eoffnosoimus  üludy  quid  sit,  quoniam  simiks  Uli  effidmur*^  (L  c.  I, 
4.  I).  G.  Brcko  erklärt:  y^Omne  simile  simüi  eognoseüur^^  (De  umbr.  idear. 
p.  30).  Nach  GoGLEN  ist  die  Erkenntnis  der  „actus  cognoaeendi^^  vermöge 
dessen  die  Dinge  ,^nmt  in  intellectu  per  repraeseniatumem,  tum  seeundum  9UUfn 
esse  formaU^^  (Lex.  phil.  p.  381).  „Absoluia*^  ist  die  Erkenntnis,  „cum  res  con- 
sideratter  sine  respeetu  aiU  comparatione  ad  aliud^*  (1.  c.  p.  383).  Deutlich  ist 
die  Erkenntnis,  „qua  cognosdtur  etiam  quid  sü  res^^  (1.  c.  p.  382).  Nach 
NiooLAUS  Taurellus  ist  das  Erkennen  eine  Anamnesis  (s.  d.),  „discere  est 
Temfniseer&*'  (Phil,  triiunph.  1,  p.  68).  Es  liegt  ihm  aber  eine  geistige  Activität 
zugrunde.  „Non  enim,  ut  sensus,  intelligere  passio  est^  sed  actio,  qua  mens 
rerum  noiiiias  apprehenditj  nee  ab  eis  afficitur,  cum  voj^futra  non  ut  sensiles 
qtuUitaies  in  rebus  sint  intellectiSf  sed  mentis  effectus  existant,  a  quibus  affici 
non  potesf'  (1.  c.  1,  p.  61  f.).  L.  VrvES  unterscheidet  dreierlei  Erkenntnis: 
.,tmtf»t,  quod  norit  corpora  tantumniodo  praesentia:  aUerttm,  quod  entia 
absentia:  tertium,  quod  res  incorporeas^^  (De  an.  I,  p.  14).  Nach  Sakchez  ist 
jene  Erkenntnis  vollkommen,  „qua  res  undtqucj  intus  et  extra  perspicitur,  intet- 
Ugitur^*^  (Quod  nih.  seit  p.  105).  Wir  erkennen  durch  die  Sinne,  den  InteUect 
und  durch  beider  Vereinigung  (1.  c.  p.  106  f.).  Aber  das  Wesen  der  Dinge 
bleibt  uns  unbekannt:  „Rerum  naturas  cognoscere  non  possumus^*  (L  c.  p.  14). 
Skeptisch  äußern  sich  auch  Charron  und  Montaigne.  Auch  Gassendi  meint: 
..Planum  feeimus  non  cognosei  ab  hominibus  intimas  rerum  naturas^^  (Exerc. 
n,  6).  Von  Gott  haben  wir  eine  „ab  ipsa  natura  impressa  quaecUim  notäia", 
.Aniicipaiio  generalis^^  (Phys.  IV,  2).  Galilei  spricht  von  einer  Art  a  priori 
^9.  d.)  des  Erkennens. 

Der  Bationalismus  (s.  d.)  nimmt  überempirische  Principien  des  Erkennens 
ÄL  Die  Notwendigkeit  der  Erkenntnis  stammt  aus  der  Vernunft.  Nach 
Dbscartes  ist  „Klarheit  und  Deutlichkeit'*  das  Kriterium  wahrer  (s.  d.)  Er- 
kenntnis. Gott  ist  der  Bealgrund  aller  Erkenntnismöglichkeit,  das  „Oogiio, 
ergo  sum*^  (s.  d.)  die  subjective  Basis  der  Erkenntnis.  „Ewige  Wahrheiten'* 
(e.  d.)  liegen  allem  Erkennen  zugrunde.  Malebranche  kennt  vier  Erkenntnis- 
arten r  1)  die  Erkenntnis  der  Dinge  durch  sich  selbst,  die  Gott  hat,  2)  die  Er- 
kenntnis der  Dinge  durch  ihre  Ideen  (s.  d.),  3)  die  Erkenntnis  durch  innere 
Wahrnehmung,  4)  die  conjectunde  Erkenntnis  fremder  Seelen.  Gott  wird  uns 
als  das  Unendliche  (s.  d.)  bewußt,  alles,  was  wir  erkennen,  erkennen  wir  in 
Gott  „Spiritus  ereati  quaectmqtt^  vident  et  cognoscunt,  in  Deo  cognoscunt,  in 
quo  eontinentur  et  cuius  substantia  totum  mundum  seu  Universum  ipsis  exhibet, 

PhiloiophiBOh«!  Wört«rbtteh.    S.  Aufl.  19 


290  BrkenntaiiB. 


unde  eitam  Uquet,  quomodo  possideamus  qimndum  notitiam  generalem  faniici- 
patam)  de  otnntbus  entibus^  antequam  adhuc  earundem  experientiam  feeerimmr 
So  auch  Fenelon:  „Cest  en  Dieu  que  je  vois  toutes  choses,  cor  je  ne  eofmais 
rien  que  par  mes  idees^^  (De  Uexist  de  Dieu  p.  152).  Spinoza  unterscheidet 
(au^r  der  „cognitio  ab  experientia  vaga",  s.  Erfahrung)  drei  Erkenn taisarten: 
Imagination  (sinnliches  Vorstellen,  concretes  Denken)  oder  „opinio"  (Meinung), 
ratio  (begriffliches  Denken),  Intuition  (speculative  Erkenntnis).  y,Xotiof9es^ 
werden  gebildet  y,ex  signis,  ex,  gr,  ex  eo,  quod  auditis  aui  lectis  quibwfdofn  rerbit 
rerum  reeordemur,  et  earum  quasdam  ideas  fomiemus  similes  iis,  per  quas  ret 
imaginamur.  Utrumqtie  hunc  res  contemplandi  modum  cognitionetn  prtmi 
generisy  opinionem  rel  imaginationem  in  posterum  voeaho.  Deniqm  esr 
eo,  quod  noti&nes  cornmunes  rerumque  proprtetatum  ideas  adaegtUMias  habemus. 
Ätque  hunc  rationem  et  seeundi  generis  cognitionetn  vocabo.  Praeter 
kaec  duo  cognitionis  genera  datur  .  .  .  aliiid  tertium,  quod  seientiam  in- 
tuitiv am  vocabvnms,  Atque  hoc  cogtioseendi  genus  proeedit  ab  adaequata  idea 
essentiae  fortnulia  quorundam  Dei  attributorum  ad  adaequatam  eognitionem 
essentiae  rertum"  (Eth.  II,  prop.  XL,  schol.  II).  Nur  die  zwei  letzten  Erkenntnis- 
arten führen  zur  Wahrheit  (L  c.  prop.  XU  f.).  Die  Vernunft  erkennt  die 
Dinge  in  Gott,  in  ihrer  ewigen  Notwendigkeit  und  Wesenheit.  „ZV  natura 
rationis  non  est  res  tU  eontingentes,  sed  ut  neeessarias  eontetnplari"  (L  c.  prop. 
XLIV).  „De  natura  raiiotiis  est  res  sub  qtiodam  aetemitatis  speeit"  (L  c. 
coroU.  II).  „Mens  humana  adaequatam  habet  cognüionem  aetemae  et  infinitae 
essentiae  Dei"  (1.  c.  prop.  XL VII).  Leibntz  leitet  die  Erkenntnis  aus  der  bei 
Anlaß  der  Erfahrung  sich  betätigenden  Denkkraft,  die  die  Anlage  (8,.d.)  zu  den 
Principien  hat,  ab.  Ein  a  priori  (s.  d.)  liegt  dem  Erkennen  zugrunde,  namÜch 
der  Intellect  mit  seinen  Anlagen.  Es  gibt  eine  Vorstellungserkenntnis  und  eine 
solche,  die  in  der  Übereinstinmiung  der  Vorstellungen  mit  den  Sachen  best^t 
(Nouv.  Ess.  IV,  eh.  1,  §  1).  Erfahrungs-  und  Vemunft-Ehrkenntnisse  sind  zu 
unterscheiden.  Es  gibt  klare  (s.  d.)  und  dunkle  Erkenntnis  nebst  Unterarten. 
Nach  Chr.  Wolf  ist  Erkenntnis  j,actio  animae^  qua  notionem  vel  ideam  rei 
sibi  acquirit"  (Psychol.  empir.  §  .52).  Es  gibt  historische  (empirische),  philo- 
sophische (rationale),  mathematische  Erkenntnis.  ,f  Cognitio  eorum,  quae  sunt 
atque  fiunt^  site  in  mundo  maierialif  sive  in  8iä>stmüiis  immaierialibus  arcidant^ 
historia  nobis  appeJtkitur"  (Phil.  rat.  §  3).  „Cognitio  rationis  eorum,  qtioe  sunt, 
vel  fitmtf  philosophica  dicitur^^  (1.  c.  §  6).  „Cognitio  quantitutis  rerum  est  «i, 
quam  maihetnaiicarn  appellamus"  (1.  c.  §  14).  „Cognitio  intuüiva^*  und  „«yw- 
boliea"  ist  zu  unterscheiden  (Psychol.  empir.  §  286,  289;  wie  Leibniz,  s.  Klar- 
heit). Bauhgarten  bestimmt:  „Cognitio  latüts  sunUa  est  repraesentaiio  in 
cogiiante  seu  perceptio.  Striciius  est  complexus  repraesentationum  in  eogitantt, 
seu  complexus  pereepttonufn"  (Acroas.  log.  §  4).  Nach  Walch  ist  Erkenntnis 
„diejenige  Wirkung  des  Verstandes  überhaupt,  da  Ufis  die  vorher  unbekannten 
Ideen,  auch  deren  Venrandtschaft  untereinander  bekannt  werden"  (Phil.  Lex. 
S.  806).  Platner  definiert  Erkennen  als  „  Vbrstellungeti  haben  von  der  Be- 
schaffenheit der  tkiche"  (Phil.  Aphor.  I,  §  67). 

Der  Empirismus  (s.  d.)  gründet  alle  Erkenntnis  auf  (äußere  und  innere) 
Erfahrung  (s.  d.).  So  F.  Bacon,  der  eine  Theorie  der  Induction  (s,  d.)  gibt 
Nach  HOBBES  geht  alle  Erkenntnis  auf  die  Ursachen,  auf  das  btort  der  Dinge 
(Elem.  phil.  I,  C.  6,  1).  Locke  betont,  Erkenntnis  sei  nur  möglich,  weim  die 
VorsteUungen  ihren  Archetypen,  den  Gegenständen,  entsprechen  (Ees.  IV,  cIl  4. 
§  8).    Erkenntnis  (knowledge)  ist  die  Auffassung  (perception)  der  Verbindung 


291 


(eonnezion)  und  Übereinstimmiing  (agreement)  oder  des  Widerstreites  (repugnancy) 
uDter  den  Vorstellungen  (1.  c.  IV,  eh.  1,  §  2;  eh.  7,  §  2).  Alle  Erkenntnis  ent- 
springt aus  der  ,^enaation^^  oder  „refsetion^^,  Sie  ist  beschrankt,  abhangig  von 
der  Natur  der  Seele,  deren  Organe  den  Lebensbedingungen  angepaßt  sind  (1.  c. 
II,  cL  23,  §  12).  Es  gibt  intuitive,  demonstrative  und  sinnliche  Erkenntnis. 
„0/*  real  existence  we  have  an  intuitive  knowledge  of  our  oum,  demonstrative  of 
Go^s^  sensitive  of  same  for  otker  things"  (1.  c.  IV,  eh.  3,  §  21).  Die  intuitive 
Erkenntnis  ist  „irresistibk^^j  ein  „clear  light\  weil  hier  die  Übereinstimmung 
in  den  Vorstellungen  „immediately  by  themselves,  tvithoiU  ihe  intervention  of  any 
other^*  gefunden  wird  (1.  c.  eh.  2,  §  1).  Die  einfachen  Vorstellungen  („simple 
ideas^')  sind  das  Product  der  Erwirkung  der  Dinge  auf  uns  (L  c.  IV,  eh.  4, 
§  4).  Die  mathematische  Erkenntnis  ist  eine  sichere  (1.  c.  §  6).  Berkeley 
erklärt  Erkenntnis  als  ausgedehntere  Auffassung,  diu*ch  die  „Äknlichkeitenf  Rar- 
fnomeJi,  Übereinstimnnmgen  in  den  Naturwerken  entdeckt  und  die  einxelnen  Er- 
fekeinunffen  erklärt,  d.  h,  auf  allgemeine  Regeln  xurückgeführt  werden^*  (Principl. 
CV).  Die  Erkenntnis  bezieht  sich  nicht  auf  Dinge  außer  dem  Bewußtsein  •:— 
solche  gibt  es  nicht,  weil  esse  =  percipi,  sondern  auf  die  Gesetzmäßigkeit  des 
VorstellmigBzusammenhanges  (1.  c.  CVII).  Außer  der  Erkenntnis  objecüver 
Vorstellungen  (Ideen,  s.  d.)  gibt  es  eine  (indirecte)  Erkenntnis  der  Geister  (s.  d.) 
(L  c.  LXXXVI).  Die  mathematische  Erkenntnis  ist  nicht  frei  von  Irrtümern 
in  den  Voraussetzungen  (L  c.  CXVIII).  Condillac  leitet  alle  Erkenntnis  der 
Dinge  aus  den  Empfindungen  (s.  d.)  ab.  jyLe  principal  ol^'et  de  cet  ouvrage  est 
de  faire  voir  comment  toutes  nos  eonnaissances  et  touies  nos  facultes  viennent 
des  sens,  ou,  pour  parier  plus  exaetementj  des  sensations^^  (Trait.  d.  sens.,  Extr. 
nüs.  p.  31).  HuME  reduciert  die  Erkenntnis  auf  erfahrungsmäßige  Verknüpfung 
von  Vorstellungen  (s.  Idealismus).  Die  sog.  „ersten  ßetxten)  Ursachen^^  sind 
ans  unbekannt.  Apriorisches  Wissen  gibt  es  nur  in  der  Mathematik.  Es  gibt 
mathenoatische  Gewißheit,  Erfahrungserkenntnis  und  Wahrscheinlichkeit  (s.d.) 
{TreaL  III,  sct.  11,  S.  172).  Die  Erkenntnis  von  Tatsachen  beruht  auf  Ge- 
wohnheit (s.  d.)  und  Association  (s.  d.),  auf  einem  natürlichen  Triebe  oder  In- 
stincte,  auf  einem  biologisch -psychologischen  Princip.  Ohne  „Impressionen^* 
IS.  d.)  keine  wahre  Erkenntnis.  — Die  schottische  Schule  nimmt  als  Grund- 
lage der  Erkenntnis  f^elf-evident  tnähs^",  apriorisch  (s.  d.)  gültige  Principien,  an. 
Kaitt  findet  in  aller  Erkenntnis  zwei  Factoren:  Form  (s.  d.)  und  Stoff 
des  Eirkennens.  Die  Formen  des  Erkennens  sind  das  Apriori  (s.  d.),  die  sub- 
jeetiv-notwendige  Bedingung  desselben,  durch  die  Objectivität  (s.  d.)  in  die 
Erkenntnis  kommt.  Erfahrung  und  Denken  constituieren  alle  Erkenntnis ;  diese 
hat  zum  Inhalte  subjective  (Ich)  und  objective  Erscheinungen  (s.  d.),  die  Dinge 
an  sich  (s.  d.)  sind  unerkennbar.  Erkennen  heißt  allgemein  „mit  Bewußtsein 
eticas  kennen**  (Log-  S.  97).  Das  Erkennen  ist  mehr  als  bloßes  Denken  (s.  d.). 
.jEinen  Gegenstand  erkennen,  daxu  udrd  erfordert,  daß  ich  seine  Möglichkeit 
(es  sei  nach  dem  Zeugnis  der  Erfahrung  aus  seiner  Wirklichkeü,  oder  a  priori 
dureh  Vernunft)  beweisen  könne.  Aber  denken  kann  ich,  was  ich  unU,  wenn 
ich  mir  nur  nicht  selbst  widerspreche**  (Krit.  d.  r.  Vem.,  Von*,  zur  2.  Ausg., 
&.  23).  „Erkenntnis  ist  ein  Urteilf  aus  welchem  ein  Begriff  hervorgeht,  der  ob- 
jective Realität  hat,  d,  i.  dem  ein  correspondierender  Gegenstand  in  der  Erfahrung 
gegeben  werden  kann**  (Üb.  d.  Fortechr.  d.  Met  S.  105).  Alle  Erkenntnis  er- 
fordert einen  Begriff  (Kxit.  d.  rein.  Vem.  S.  120),  zuletzt  allgemeine  oder  Grund- 
begriffe (Kategorien,  s.  d.)   als  „transcendentale**  Bedingimgen.    Erkenntnis  ist 

19* 


292  Erkenntnis. 

ein  Product  der  Spontaneität  (s.  d.)  des  Geistes,  nicht  passive  Aufnahme  ge- 
gebener Inhalte.  Die  „Spitheais  der  Appereeption"  (s.  d.)  ist  die  sabjective 
Quelle  aller  Erkenntnismöglichkeit  Aber  alle  menschliche  Erkenntnis  ist  auf 
mögliche  Erfahrung  beschrankt,  ist  y^nnlieh".  Innerhalb  der  EHahrung  gibt 
es  ein  Apriori,  absolute  Gewißheit  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met  S.  114).  Aber  nur 
das  erkennen  wir  von  den  Dingen  a  priori,  „fr<w  trtr  selbst  in  sie  legen''  (Kr. 
d.  r.  Vem.  S.  18;  vgL  Gesetz).  Nur  Erscheinungen,  nicht  die  „SaeJte  an  sidi"^ 
wird  von  uns  erkannt.  j,Daß  Raum  und  Zeit  hur  Formen  der  sinnlieken  An- 
srhauung,  also  nur  Bedingungen  der  Existenx  der  Dinge  als  Erscheinungen  sind, 
daß  wir  femer  keine  Verstandesbegriffe,  mithin  aueh  gar  keine  demente  zw 
Erkenfünis  der  Dinge  haben,  als  sofern  diesen  Begriffen  eorrespondierende  An- 
schauung gegeben  trerden  kann,  folglieh  uir  von  keinem-  Gegenstand  eUs  Dinge 
ati  swh  selbst,  sondern  nur  sofern  es  Obfeet  der  sinnliehen  Anschauung  ist,  d.  i. 
als  Erscheinung,  Erkenntnis  haben  können,  wird  im  analytischen  Teile  der 
Kritik  betciesen,  woraus  denn  freilieh  die  Einschränkung  aller  nur  mögUehen 
speeulaiiven  Erkenntnis  der  Vernunft  auf  bloße  OegensUmde  der  Erfahrung 
folgte'  (1.  c.  S.  23).  Erkennbare  Dinge  sind  Sachen  der  Meinung,  Tatsachen  oder 
Glaubenssachen.  Gegenstände  von  Yemunftideen  (s.  d.)  sind  nicht  positiv  er- 
kennbar (Krit  d.  r.  Urt  §  91).  —  Nach  Krug  heißt  etwas  erkennen,  ,^einen 
gegebenen  Gegenstand  als  einen  bestimmten-  Gegenstand  vorstellen*'.  Erkenntnis 
besteht  in  der  „bestimmten  Beziehung  unserer  Vorstellungen  auf  gegebene  Gegen- 
stände*^ (Fundamen talphilos.  S.  179).  Nach  Kiesewetteb  heißt  etwas  erkemien, 
„seine  Vorstellungen  auf  ein  Objeet  beziehen"  (Gr.  d.  Log.  S.  73).  Nach  Reik- 
HOLD  kommt  Erkenntnis  durch  Verbindung  von  Form  und  Stoff  des  Voretellens 
zustande.  Der  „Satx  des  Betvußtseins"  (s.  d.)  ist  die  Urtatsache  aller  Erkenntnis. 
Fries  bestimmt  die  Erkenntnis  als  „  Vorstellung  vom  Dasein  eines  Gegenstandet, 
oder  von  dem  Gesetze,  unter  dem  das  Dasein  der  Dinge  steht^  (N.  Krit  I,  65). 
Jede  Erkenntnis  enthalt  eine  Assertion  (Behauptung).  B^rkenntnisse  sind  die 
„behauptenden,  assertorischen  Vorstellungen"  (Syst.  d.  Log.  S.  32  f.).  Drei  Er- 
kenntnisarten gibt  es:  „Die  historische  oder  empirische  Erkenntnis  ist  , .. 
die  aus  den  Sinneswahmehmungen  entspringende  Erkenntnis  von  den  Tatsachen 
Über  das  Dasein  der  einzelnen  Dinge;  die  nuUhematische  Ehrkenntnis  ist  die  aus 
den  Gesetzen  der  reinen  Anschauung  entspringende  Erkenntnis  von  den  Gesetzen 
der  Größe;  die  philosophische  Erkenntnis  ist  die,  deren  wir  uns  nur  mit 
Hülfe  der  Reflexion  bewußt  werden"  (1.  c.  S.  319).  Tennemanx  erklärt:  „£r- 
kentien  ist  die  Vorstellung  eines  bestimfnten  Gegenstandes,  oder  Bewußtsein  einer 
Vorstellung  und  ihrer  Beziehung  auf  etwas  Bestimmtes,  von  der  Vorstellung  Ver- 
schiedenes" (Gr.  d.  Gresch.  d.  Philos.»,  S.  26).  S.  Maihon  leitet  die  Erkenntnis 
aus  dem  Denken  ab,  dessen  oberstes  Princip  der  Satz  des  Widerspruches  ist 
(Vers.  üb.  d.  Transcend.  S.  173  ff.).  Tiedemank:  „Vorstellungen,  Begriffe. 
Ideen  und  Urteile,  auf  Empfindungen  und  Gegefiatände  der  Empfindungen  be- 
xogen,  dc^  ist  angenommen,  daß  jedes  unter  ihnen  gewisse  Dinge  in  der  Em- 
pfindung  bezeichnet  und  aUenuU  sieher  uns  auf  sie  hinweist,  heißen  ErkenfUnissf"' 
(Theaet.  S.  9).  Bardili  sieht  im  Erkemien  ein  Verarbeiten  des  Gegebenen 
diurch  das  Denken,  es  führt  zu  einem  „wahren,  notwendigen,  ewigen  und  «in- 
wam/elbaren  Sein,  dessen  innerste  Natur  eine  rein  geistige  ist  und  rofi  deren 
wirklichen  Verhältnissen  die  Vorstellungswelt  eine  Spiegelung  ist^'  (Gr.  d.  erst 
Log.  S.  92).  Nach  Jacobi  ist  die  Erkenntnis  der  Innen-  und  Außenwelt  eine 
unmittelbare  (\VW.  II,  161).    Der  Erkenntnisproceß  ist  das  Kesultat  „lebendiger 


Erkenntnifl.  293 


und  tätiger''  Vermögen  der  Seele  (1.  c.  S.  272).  Der  Glaube  (s.  d.)  der  Vernunft 
erfaßt  die  Wahrheit  der  Dinge.  G.  E.  Schui-ze  erklärt:  jflede  Erkenntnis  .  .  . 
enthälty  als  solche,  eine  doppelte  Bexieiningj  nämlich  auf  das  erkennende  Ich  (das 
Stibfeet  im  Bewußtsein)  und  auf  das  dadurch  Erkannte  (das  Object).  In  der 
ersten  Bexiehung  genommen,  ist  sie  eine  besondere  Bestimmung  der  Äußerung 
der  Erkenntniskraft  .  .  .  Nach  der  xweiten  Bexiehung  genommen  oder  betrachtet, 
treiset  sie  das  erkennende  Ich  auf  etwas  hin,  das  von  der  Geistestätigkeit,  woraus 
sie  besteht,  verschieden  ist**  (Gr.  d.  allg.  Log.*,  S.  157).  „Erkenntnismasse**  ist 
yjede  Vielheit  ungeordneter  und  unverbundener  Einsichten**  (1.  c.  S.  149). 

Die  systematischen  Philosophen  nach  Kant  wenden  den  Kriticismus  (s.  d.) 
ins  EationaliBtische;  die  Erkenntnis  gilt  ihnen  als  Product  der  aus  sich  schöpfen- 
den Denkkrait  und  zugleich  als  Erfassung  des  wahren  Seins,  mag  dieses 
idealistisch  oder  realistisch  bestimmt  werden.  Andere  Philosophen  betonen 
wieder  mehr  den  Anteil  der  £«rfahrung  an  der  Erkenntnis.  Dazu  kommen  ver- 
schiedene (realistische  und  idealistische)  Formen  des  Empirismus.  Von  einigen 
Denkern  wird  die  biologische  Bedeutung  der  Erkenntnis  betont. 

J.  G.  Fichte  leitet  alle  Erkenntnis  aus  der  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.)  ab. 
Dieses  produciert  Form  und  Stoff  der  Ejrkenntnis  und  macht  sieh  sein  Pro- 
dueieren  stufenweise  bewußt,  zum  objectiven  Inhalt.  So  auch  Schelling  in 
seiner  ersten  Periode,  später  betont  er  immer  mehr  das  überindividuelle,  trans- 
subjective  Sein  des  Absoluten,  dfis  durch  intellectuale  Anschauung  (s.  d.)  erfaßt 
wird.  „Das  meiste  Erkennen  ist  eigentlich  ein  Wiedererkennen**  (WW.  II  3,  58). 
^ünter  der  Erkenntnis  a  priori  wird  ein  Begriff  verstatiden,  der  ohne  andere 
als  ideale  Bexiehung  auf  das  Object  als  wahr  befunden  wird**  (WW.  I  6,  512). 
„Absolute**  Erkenntnis  ist  „  Vernunfterkenntnis**,  „Erkenfntnis  der  Dinge  als  ewiger'* 
iL  c.  8.  531).  Das  Wissen  beruht  auf  der  „Übereinstimmung  eines  Objectiven 
mit  einem  Stdfjectiven**  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  1).  Vom  „bedingten**  Wissen 
(Vom  Ich  S.  5)  ist  das  „absolute^*  als  jenes  Wissen  zu  unterscheiden,  „worin 
das  SubjeeUve  und  Objeetive  nicht  als  Entgegengesetxte  vereinigt,  sondern  worin 
das  ganze  Subjective  das  ganze  Objeetive  und  umgekehrt  ist**  (Naturphilos.  I,  71). 
,^'icht  ich  weiß,  sondern  nur  das  Ml  weiß  in  mir,  trenn  das  ll'issen,  das  ich 
das  meinige  nenne,  ein  irirkliches,  ein  wahres  IVissen  ist**  (WW.  I  6,  140).  Er- 
kennendes und  Erkanntes  müssen  gleichartig  sein.  „Eine  und  dieselbe  Ursache 
bringt  an  dem  bloß  erkennbaren  Teil  der  Welt  das  Erkennbarsein,  an  dem  er- 
kennenden  Teil  das  Erkennen  hervor.  Alles,  was  ein  Erkennbares  ist,  muß  selbst 
«cAo«  das  Gepräge  des  Erkennenden,  d,  h.  des  Verstandes,  der  Intelligenz  an 
Heh  tragen,  wenn  es  auch  nicht  das  Erkennende  selbst  ist**  (Darstell,  d.  philos. 
Empir.  WW.  I  10,  237).  Hegel  leitet  die  Erkenntnis  aus  der  dialektischen- 
(8.  d.)  Selbstbewegung  des  (reinen)  Denkens  ab.  Erkennen  ist  ihm  ein  Zusich- 
fielbstkommen  des  Absoluten.  Das  notwendig  Gedachte  ist  Erkenntnis,  trifft 
niit  dem  Wesen  der  Dinge  zusammen.  „Die  InteUigenx  findet  sich  bestimmt; 
dies  ist  ihr  Schein,  von  dem  sie  in  ihrer  Unmittelbarkeit  ausgeht;  als  Wissen 
«ier  ist  sie  dies,  das  Gefundene  als  ihr  Eigenes  xu  setxen.  Ihre  Tätigkeit  hat  es 
^  der  leeren  Form  xu  tun,  die  Vernunft  xu  finden,  und  ihr  Ztceck  ist,  daß 
ihr  Begriff  für  sie  sei,  d.  t.  für  sich  Vernunft  xu  sein,  womit  in  einem  der 
InkttÜ  für  sie  vernünftig  wird.  Diese  Tätigkeit  ist  Erkennen**  (Encykl.  §  445). 
tX!HT.KrF.RMACHER  setzt  die  Erkenntnis  in  die  Bearbeitimg  des  Erfahrungs- 
niaterials  durch  das  Denken,  wodurch  eine  Übereins tinmiung  (ein  Parallelismus) 
nüt  dem  Sein  erzielt  wird.    Ideales  und  Reales  „laufen  parallel  nebeneinander 


294  Erkexmtnis. 


fort  als  Modi  des  Seins'*  (ohne  „identisch**  zu  sein;  Dialekt  S.  75).  Wissen  ist 
„das  Denken^  welches  a.  vorgestellt  wird  mit  der  Notwendigkeit,  daß  es  von  aüen 
Denkfahigen  auf  dieselbe  Weise  produeiert  werde,  und  weiches  b.  porgestelÜ 
icird  als  einem  Sein,  dem  darin  gedachten,  entsprechend**  (1.  c.  S.  43).  Wissen 
ist  das  Denken,  welches  „in  der  Identität  der  denkenden  Subfecte  gegründet  ist* 
(1.  c.  S.  48),  „was  alU  Denkenden  auf  dieselbe  Weise  construieren  können,  \md 
was  dem  Oedachien  entspricht**  (1.  c.  S.  315).  TrendelenbüRG  sieht  die  Mög- 
lichkeit der  Erkenntnis  darin,  daß  sie  in  der  „Beicegung**  (s.  d.)  ein  init  dem 
Sein  gemeinsames  Element  besitze  (Log.  Unt.  I*,  136).  Das  Erkeimen  schafft 
ein  ideales  „Gegenbild^'  des  (parallel  gehenden)  Bealen  (1.  c.  S.  358).  Nach 
BoLZA23^0  ist  Erkenntnis  ,jedes  Urteil,  das  einen  wahren  Satx  enthält,  oder  .  .  . 
der  Wahrheit  gemäß  oder  richtig  ist**  (Wiss.  1, 163).  Chb.  Krause  bestimmt:  ,,Er- 
kennen,  oder  besser  Schauen,  ist ,  .  .  Vereinwesenheit  des  SelhwesenHchen  als 
des  Ziierkennenden  mit  dem  erkennenden  Wesen,  als  SeUncesenlichentj  in  letzterem** 
(Log.  S.  71).  Nach  Heinroth  ist  das  Erkennen  ein  Sehen,  ein  Wahrnehmen, 
Empfangen  der  Wahrheit  oder  Einheit,  ein  Einswerden  des  Gegenstandes  mit 
uns  selbst  (Psychol.  S.  61,  95).  Nach  F.  Baader  ist  das  Erkennen  ein  „Dureh- 
und  Eindringen**,  ein  „Umgreifen**,  „Buden  und  Oestalten,  folglich  ein  gestalt- 
empfatigendes  Erhobenwerden  des  so  Durchdrungenen  in  das  Ein-  und  Durch- 
dringcfide  und  von  ihm**.  Der  Erkenntnistrieb  ist  organischer  Bildungstrieb, 
er  geht  auf  geistige  Zeugung,  auf  „ideale  Forfnation**  (WW.  I  1,  39  ff.,  42  f., 
314).  Kein  wahres  Erkennen  ist  „affectlos**.  Das  Erkennen  ist  „ein  Ergründen 
mid  Befunden  und  zugleich  ein  Be-  und  Umgreifen,  d.  i.  ein  GestuUen  des 
Erkannten**  (WW.  I,  51  f.).  Es  gibt  ein  mechanisches,  äußeres,  figürliches, 
dynamisches,  lebendiges,  inneres,  wesentliches  Erkennen.  Jeder  Greist  ,/orschet 
nur  seine  eigene  Tiefe**  (1.  c.  S.  52).  „Das  Gestaltende  gestaltet  sieh  nur  sich 
selbst  im  Gestalteten  und  spiegelt  sich  in  ihm,  bildet  sieh  in  ihm  für  uns  ah** 
(1.  c.  S.  53).  Alles  Erkennen  geht  vom  Glauben  aus  (1.  c.  S.  238).  Günther: 
„Die  Begriffe  können  im  Verhältnis,  das  sie  schon  untereinander  im  Geiste  haben, 
betrachtet  icerden,  und  dies  ist  dc^  formale  oder  logische  Denken;  sie  können 
aber  auch  im  Verhältnis  xur  äußeren  Natur  neben  detn  Geiste  betrachtet  werden, 
und  dies  ist  formales  oder  logisches  Erkennen**  (Vorsch.  I).  Nach 
GiOBERTi  ist  alles  Erkennen  eine  Offenbarung  Gottes  in  uns.  Galuppi  be- 
trachtet als  Urtatsache  des  Erkennens  das  ein  außer  ihm  Seiendes  erfossende 
Ich.  Nach  Schopenhauer  erkennen  wir  verstandesmäßig  nur  Erscheinungen 
(s.  d.);  das  Ding  an  sich  aber  unmittelbar  im  eigenen  WiUen  (s.  d.).  Nach 
Herbart  ist  die  Erkenntnis  insofern  bloß  formal,  als  sie  nur  die  Beziehungen 
der  Dinge,  nicht  die  Beschaffenheit  der  wirklichen  Wesen  (Realen,  s.  d.)  erfaßt 
(Met.  II,  412  ff.).  Beneke  erklärt  die  Erkenntnis  der  Außenwelt  für  relativ 
und  subjectiv,  die  innere  Erfahnuig  dagegen  gewährt  adäquate  Erkenntnis 
(Syst.  d.  Log.  II,  288). 

Nach  LoTZE  stimmt  imsere  Erkenntnis,  nach  Abschluß  der  Denkarbeit, 
mit  dem  Verhalten  der  Dinge  überein  (Log.  S.  552).  Wir  erkennen  die  Dinge 
in  subjectiven  Symbolen  ihrer  Verhältnisse.  Ahnlich  Helmholtz:  „Was  fnr 
erreichen  können,  ist  die  Kenntnis  der  gesetxliclien  Ordnung  im  Reiche  der  Wirk- 
lichkeit y  diese  freilich  nur  dargestellt  in  dem  Zeiehensystetn  unserer  Sitmescin- 
drücke**  (Tatsach.  d.  Wahm.  S.  39).  A.  Lange  behauptet  die  völlige  Abhängig- 
keit  des  Erkennens  von  unserer  psychophysischen  Oganisation  (Gesch.  d.  Material 
II*,  36  ff.).    Nach  O.  Liebmann  ist  die  Wirklichkeit  nur  deswegen  erkeimbar, 


Erkenntnis.  295 


weil  sie  ,,nur  ein  Phänomen  innerhalb  unserer  wahrnehmenden  Intelligenz  und 
daher  den   Oeaeixen  derselben  unterworfen  ist^^  (Anal.  d.  Wirki.*,  S.  328).    Er- 
kennen ist   jjene  Art  des    Vorstellens  und  Denkens^  imlehe  von  der  sidfjectiven 
Überxeitffung  begleitet  ist,  es  eorrespondiere  ihr  ein  objectiver  SachverhcUt,  d.  h.  sie 
ettthaUe  WcUtrheit"  (1.  c.  S.  251).    Nach  Bergmann  ist  Erkennen  ein  ^fienken, 
dessen  GedOiChtes  mit  dem  Sachverhalte  übereinstimmt,  d,  i.,  welches  wahr  ist" 
iReine  Log.  S.  2).    Volkmann  definiert  Erkennen  als  „jenes  Urteilen,  bei  detn 
Sitb/eet  und  Prädteat  objediv  notwendig  xusammengehören,  d.  h.  bei  denen  die 
Zusafntnengehörigkeit  beider  lediglich  durch  die  qualitativen  Verhältnisse  bestimmt 
ut'  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  2^).    Steinthal:  ,^eder  Act  der  Erkenntnis  setxt 
ein  Besonderes  in  einem  Allgemeinen,  aber  nicht  etwa  so,  cUs  wäre  das  Allgemeine 
ein  gegebenes,  bereit  liegendes  Fa>chiverk,  in  welches  ein  Einxelnes  gelegt  unirde, 
sondern  so,  daß  eben  erst  durch  die  Erkenntnis  das  Allgejfieine  selbst  geschaffen 
und  damit  zugleich   das  Besondere  erfaßt  wird^^   (Einl.  in  d.  Psychol.  S.  17). 
Nach  Lazarus  besteht  alle  Erkenntnis  in  einem  Apperceptionsproceß  (Leb.  d. 
i^le  11^  253).     Nach  U.  Spencer  ist  das  Erkennen  eine  Identification  und 
„Classification  eines  gegenwärtigen  Eindruckes  mit  früheren  Eindruckend^  (Psychol. 
I,  §  .59,  312  f.).    Es  gibt  präsentative,  repräsentative,  präsentativ-repräsentative, 
re-repräsentative  Erkenntnis,  d.  h.  Wahmehmungs-  und  begriffliche  Erkenntnis 
nebst  den  Zwischenstufen  (1.  c.  §  423, 480).   Wir  erkennen  nur  die  Erscheinimgen 
des  Absoluten,  dieses  selbst  ist  „unknowabW^.    Sigwart  erklart:  „Wer  Wahres 
und  Falsches  scheidet,  mißt  das  menschliche  Denken  an  einem  Zwecke  und  er- 
kennt  an,  daß  es  dazu  da  sei,  die  Wahrheit  xu  finden.     Würde  aber  die  Natur 
der  Dinge  ihm  das  Vermögen  ihrer  Notwendigkeit  versagen,  so  wäre  sein  Be- 
ginnen  wahnwitxig,  er  muß  vorausseixen,  daß  seine  eigene  geistige  Organisation 
auf  Erkenntnis  der  Wahrheit  angelegt  ist,  und  daß  darum  auch  die  Natur  der 
Dinge  darauf  angelegt  ist,  erkannt  xu  werden^^  (Kl.  Sehr.  II',  67).    Nach  Beinkb 
besteht  Erkennen  „darin,  daß  tcir  die  Gegenstände  der  Erfahrung  auf  einen  in 
unserer  Vorstellung  vorhandenen  Maßstab  xurüekführen,  oder  daß  wir  in  einem  Un- 
bekannten Afuüogien  nachweisen  xu  etwas  Beka?mtem^^  (Welt  als  Tat,  S.  43  f.).  Nach 
RiEHL  ist  Erkenntnis  das  „mittelbare,  durch  bewußte  Denkaete  hervorgebrachte,  von 
Reflexion  begleitete  Wissen"  (Phil.  Krit.  II 1,  S.  1).    Erkennen  heißt  „das  Oesche/ieth 
auf  das  Sein,  auf  beharr  liehe  Eletnente  und  unveränderliche  Begriffe  des  Geschehens, 
die  irir  Oesetxe  der  Natur  nennen,  xurüekführen*^  (1.  e.  II,  1,  16).    Sinnliche  Er- 
kenntnis ist  „die  Erkenntnis  der  Verhältnisse  der  Dinge  durch  die  Verhältnisse 
der  Empfindungen  der  Dinge^^    (1.  c.   II  2,  40).     Alle  Erkenntnis   ist   bedingt 
durch  die  apriorische  Gesetzmäßigkeit  des  Bewußtseins  (l.  c.  II,  1,  5).    Zwischen 
den  Erkenntnisformen   und  den  Grundverhältnissen   der  Wirklichkeit  besteht 
eine  Congruenz  (1.  c.  II  1,  24).    Nur  die  Grenzen  der  Dinge,  nicht  deren  An- 
sich,  werden  von  ims  erkannt.   Das  Erkennen  ist  ein  sociales  Product  (so  auch 
JoDL,  Lehrb.  d.  Psychol.  S.  161).     Nach  Wundt  ist  Erkennen  ein  Denken, 
ijnit  dem  sich  die  Überzeugung  der  Wirklie/ikeit  der  Oedankenitüialte  verbindet**^ 
(Syst.  d.  Philos.«,  S.  85).    Ursprünglich  gilt  alles  Denken  als  Erkennen,  ist  das 
Erkennen  eins  mit  semem  Gegenstande.     „Allmählich  erst  scheidet  sich,  teils 
infolge  der  Reflexion  über  die   Oedächtnis-    und  Phantasie- Tätigkeit,   teils  aus 
Anlaß  der  Conflicte,  die  sich  xwischen  verscfiiedenen  Erkenntnisacten  erheben, 
der  Vorgang  des   Erkennens  von  dem  Object,   auf  dae  es  bexogen  wird,  und 
mm  erst  tcird  dem  Denken  die  Rolle  einer  subjectiven  Tiäigkeit  xugeteüt,  die  mit 
den  Objeeten,  die  in  sie  eingehen,   nicht  identisch,  sondern  daxu  bestimmt  sei, 


296  Erkenntnis. 


diese  in  aUmäklicher  Annäherung  naehxubüden''  (I  c.  S.  85  ff.)-  -Das  „Postulat 
von  der  Begreißichkeü  der  Erfahrung'^  liegt  allem  Erkennen  zugrunde.  „Indetn 
die  Erkenntnisobjecte  beständig  die  Probe  bestehen,  daß  sie  sieh  durch  unser 
Defiken  in  einen  begreifliehen  Zusammenhang  bringen  lassen^  zeigt  es  sieh,  daß 
unser  Denken  auf  die  Erkenntnis  des  Wirklichen  angelegt  ist^^  (Log*  I*»  S.  89  L, 
59,  435).  Erkennen  ist  „begründendes  Denken"  (1-  e..  Syst  d.  Philos.*,  S.  8ü  ff., 
167  f.).  Die  Erkenntnis  ist  ,^n  Resultat  der  Bearbeüung  unmittelbar  gegdtener 
Tatsaehen  des  Bewußtseins  durch  das  Denken"  (Log.  I»,  423),  ein  Product  der 
Bearbeitung  der  Erfahrung  durch  das  Denken  (PhiL  Stud.  VII,  47).  Drei 
ßtufen  solcher  logischen  Bearbeitung  gibt  es:  Wahmehmungs-,  Verstandes-, 
Vemunfterkenntnis,  d.  h.  Erkenntnis  des  praktischen  Lebens,  einzelwissenschaft- 
liehe,  philosophische  Erkenntnisart  (Log.  I',  89  f.;  Syst  d.  Philos.*,  S.  89,  104; 
Phil.  Stud.  XII  u.  XIII).  Von  den  Außendingen  haben  wir  in  der  Natur- 
wissenschaft eine  mittelbare,  gymbohsch-begriffliche,  von  uns  selbst  eine  un- 
mittelbare, anschauliche  Erkenntnis  (s.  Erfahrung).  Nach  Uphijes  besteht  der 
Erkennthisvorgang  in  einem  „Bewußtseinsausdruek  des  Gegenstandes"  (PsychoL 
d.  Erk.  I,  101).  Nach  Hus8ERL  ist  „Erkenntnis"  die  „Erfüllung  der  Bedeutungs- 
intention"  (Log.  Unt.  11,  505),  ein  yyldentilätserlebnis",  ein  identificierender  Act 
(1.  c.  S.  507).  „Alles,  was  ist,  ist  ,an  sieh^  erkennbar  .  .  .",  aber  nicht  allcB 
wirklich  ausdrückbar  (1.  c.  S.  90  ff.).  Nach  Th.  Ziegleb  ist  das  Erkennen 
ein  Product  der  Abstumpfung  des  Gefühles  (Das  Gefühl  S.  147).  Nach  Hage- 
mann ist  Erkennen  „diesige  Tätigkeit,  wodurch  wir  einen  bestimnUen  Oegen- 
fttand  auffassen  oder  die  Vorstellung  desselben  in  uns  ausdrüeken".  Es  ist  .,Wn 
Denken f  toelches  ein  Seiendes  xum  Inhalte  hat^  (Log.  u.  Noet*,  S.  124).  Nach 
R.  Steinek  besteht  das  Erkennen  „in  der  Verbindung  des  Begriffes  mit  der 
Wahrnehmung  durch  das  Denken"  (PhiL  d.  Freih.  S.  228,  90). 

Die  Kantianer  (H.  Cohen,  P.  Natorp  u.  a.)  sehen  im  Erkennen  eine 
synthetische,  gesetzschaffende,  Objectivitat  herstellende  Synthesis  (s.  d.)  von 
Erfahnmgsinhalten  actualer  und  potentieller  Art,  keine  Nachbildimg  von  Dingen 
an  sich.  Das  Letztere  behauptet  auch  die  Immanenzphilosophie  (s.  d.),  nach 
der  alles  Sein  (s.  d.)  Bewußtsein  ist  (Schuppe,  Eehmke,  Schübert-Soldern, 
V.  Leclair,  M.  KAUFFMAJfN,  ZIEHEN  u.  a.).  —  EüCKEN  lehrt  euien  dem 
Fichteschen  verwandten  Idealismus  (s.  d.). 

Der  Empirismus  (imd  Positivismus)  tritt  sowohl  in  realistischer  als  auch  in 
idealistischer  Form  auf.  Überweg  bestimmt  das  Erkennen  als  „die  Tätigkeit 
des  Geistes,  vertttöge  deren  er  viif  Beicußtsein  die  Wirklichkeit  in  sieh  re- 
prodtseiert"  (Log.*,  §  1).  Die  Erkenntnis  ist  unmittelbar  (äußere  und  innere 
Wahrnehmung)  oder  mittelbar  (Denken).  Sie  ist  bedingt:  1)  subjectiv,  durch 
das  Wesen  und  die  Naturgesetze  der  Seele,  2)  objectiv,  durch  die  Natiu*  der 
Dinge  selbst,  die  unabhängig  von  uns  existieren  (1.  c.  §  2).  Nach  E.  Dühring 
besteht  die  Erkenntnis  in  der  „Nachireisung  des  Ursprungs  von  Begriffen  jeder 
Art'*  (Log.  S.  2).  Die  Wirklichkeit  wird  so  erkannt,  wie  sie  ist.  v.  Kirc?hmann 
stellt  zwei  Fundamen talsätze  des  Erkennens  auf:  1)  „Das  Wahrgenommene  ist 
seinem  Inhalte  nach  nicht  bloß  in  der  Wahrnehmung  des  Mensehen,  sondern 
auch  außerhalb  der  Wahrnehmung  als  ein  Seiendes  . .  .  vorhanden,"  2)  „Das 
sich  Widersprechende  kann  weder  als  eines  gedacht  werden,  noch  als 
solcfies  im  Sein  bestellen"  (Kat.  d.  Phil.  S.  55).  M.  Benedict  erklärt:  „IT«- 
sehen  .  .  .  viele  Tatsachen  und  Vorkommnisse  aus  vorausgegangenen  Erfahrungen 
voraus,  und  sie  treten  wirklich  ein.    Das  beweist,  daß  unsere  Auffassungsweise 


ErkeuntaüB.  297 


und  die  Verbindung  der  Eindrücke  %u  SekKissen  dem  Wesen  der  Dinge  und  den 
Oeeetxen  der  Naiur  entsprechend^  „Oehäufle  Erfahrung  und  mathematisch  über' 
prüfte  Schlußfolgerung  sichern  den  Siäx,  daß  unsere  Erkenntnis  eine  richtige 
Prqjeeüofi  (BUd'Darsteüung)  des  Wirklichen  isf^  (Seelenk.  d.  Mensch.  S.  29).  — 
.1.  St.  MiiiL  beschrankt  die  Erkenntnis  auf  Erfahrungsmöglichkeiten  (s.  Object, 
Induction).  £.  Laas  sieht  das  Wesen  der  Erkenntnis  in  der  logischen  Be- 
arbeitung der  Wahmehmungsdata  (Ideal,  u.  posit.  Erk.  8.  407).  Die  Erkenntnis 
ist  durchaus  relativ  (1.  c.  S.  450).  Sie  besteht  in  der  ,yHeraussan€lerung  des 
objectiü  Zusammengehörigen  aus  dem  sub/ectiv  Zusa^nmengeraienen^^  (1.  c.  S.  534). 
Nach  Lipps  ist  Erkenntnis  ^fibjectiv  notwendige  Ordnung  von  Objeeten 
des  Bewußtseins^  Einordnung  derselben  in  einen  objeetiv  notwendigen  Zu- 
sommenhang^^  (Gr.  d.  Log.  8.  3). 

Der  „Empiriokriticismus"  (s.  d.)  betrachtet  die  Erkenntnis  vom  ,,6*o- 
meehanisehen^*  Standpunkte  als  ,,Abhängige^^  von  den  „Sehu?ankungen^^  des 
„System  C"  (s.  d.).  Wahre  Erkenntnis  besteht  in  der  ffreifien"  Erfahrung  (s.  d.) 
Ton  Atissageinhalten.  Ein  Sein  außerhalb  der  Erfahnmgen  gibt  es  nicht,  nur 
eine  vorgefundene  Wirklichkeit  existiert,  von  der  der  Erkennende  ein  Teil  ist^ 
Alk  philosophischen  Erkenntnisinhalte  sind  nur  Abänderungen  des  ursprüng- 
lichen Erkennens  (Krit  d.  r.  Vem.  I,  S.  VII).  Das  „Erkennen"  ist  eine  Function 
des  nervösen  Centralorganes,  ist  durch  dessen  Zustandsänderungen  (functionell) 
bestimmt  (L  c.  II,  222  f.).  Zwischen  „IVoblematisation"  und  ^yDeproblematisation" 
der  jyE'  Wert&^  (s.  d.)  bewegt  sich  der  Erkenntnisproceß  (1.  c.  S.  225).  Die  bio- 
logische Grundlage  des  Erkennens  betont  auch  E.  Mach:  ,yDie  Vorstellungen 
imd  Begriffe  des  gemeinen  Mannes  von  der  Welt  werdest  nicht  durch  die  volle, 
reine  Erkenntnis  als  Selbstzweck,  sondern  durch  das  Streben  fiach  günstiger 
Anpassung  an  die  Lebensbedingungen  gebildet  und  beherrscht"  (Anal.  d. 
Empfind/,  S.  26).  Die  Wissenschaft  ist  ein  Mittel  im  Dienste  der  Selbst- 
erhaltung  (Wärmelehre^,  S.  364,  386).  Erkenntnis  besteht  in  der  vollständigen 
^yBesehreibung"  der  Erfahrungstatsachen,  die  gemäß  dem  Principe  der  Ökonomie 
(s.  d.)  des  Denkens  geordnet  und  vereinheitlicht  werden,  mit  Elimination  aller 
metaphysischen  Begriffe.  Letzteres  lehrt  auch  Nietzsche  (WW.  III,  1,  S.  XI V)- 
Die  Erkenntnis  arbeitet  im  Dienste  des  Lebens,  des  ,,Willens  xur  Macht",  ist 
einer  rein  biologischen  Nötigung  unterworfen,  ist  Verarbeitung  von  Erlebnissen 
zum  Zwecke  der  Orientierung,  Beherrschung  der  Tatsachen  (WW.  X,  3,  1, 
S.  183,  VII,  1,  6,  V,  S.  294  f.,  XV,  268,  270  ff.,  289).  Alle  menschliche  Er- 
kenntnis ist  metaphorisch,  anthropomorphistisch,  verfälscht  die  Wirklichkeit, 
gewährt  nur  Schein,  beruht  auf  Introjection  menschlicher  Eigenheiten  und 
Werte  in  die  Natur.  Alles  Erkennen  ist  „ein  Widerspiegeln  in  ganz  be- 
stimmten  Formen,  die  von  vornherein  nicht  existieren",  die  nur  für  uns  gelten» 
Nur  durch  Aufzeigung  der  subjectiven  Zutaten,  durch  ,,EfUtnensckung"  der 
Natur  als  Natur  können  wir  uns  vom  grob  Anthropomorphischen  befreien 
(WW.  XV,  S.  168,  XII,  1,  106,  XI,  61,  XI,  6,  40,  XI,  6,  209,  X,  2,  1,  S.  166, 
X,  1,  11,  S.  57,  X,  21,  S.  163,  X,  S.  176).  Eine  erfahnmgstranscendente  Welt 
gibt  es  nur  in  unserer  Einbildung,  die  einen  verfälschenden  Factor  des  Er- 
kennens bildet,  wie  das  auch  mit  der  Sprache  (s.  d.)  der  Fall  ist  (ähnlich 
F.  Mauthner,  Sprachkrit.  I).  Den  biologischen  Factor  des  Erkennens  (Arch- 
f.  System.  Philos.  I,  45)  betont  femer  G.  Sdimel  (s.  Wahrheit).  So  auch 
W.  Jekusalem.  Nach  ihm  sind  Erkenntnisse  „Urteile,  von  deren  Wahrheit 
«wr  Überxeugi  sind"  (Lehrb.  d.  Psychol.»,  S.  127).    Die  Erkenntnis  ist  (besonders 


298  Erkenntnia  —  Erkenntnistheorie. 


in  den  Anfängen)  ein  Mittel  zur  Erhaltung  des  Lebens  (1.  c.  S.  128).  So  auch 
L.  Stein.  „Die  Entstehung  der  Anschauungen  und  Begriffe  im  menschliehen 
Qehim,  also  die  Bildung  des  Intelleets,  haben  wir  uns  genau  so  xu  erldären,  wie 
die  aUer  übrigen  Functionen  und  Fertigkeiten  ^  Neigungen  und  Talente  des 
menschlichen  Organismus:  durch  Selectian  und  Vererbung.'^  ,Jm  Kampf  ums 
Dasein  erzeugt  das  Gehirn  vornehmlich  solche  Vorstellungen^  welche  ihm  diesen 
Kampf  erleichtern"  (An  der  Wende  d.  Jahrh.  S.  24).  K.  Lange  bemerkt:  ,yDas 
oberste  Gesetx  alles  menschlichen  TunSf  Denkens,  Fühlens  und  Wollens  ist  das 
Wohl  der  Gattung"  (Wes.  d.  Kunst  I,  13).  —  Einen  kritisch-empinstischen 
Standpunkt  nimmt  H.  Corneltus  ein  (s.  Erfahrung). 

Der  Agnoeticismus  (s.  d.)  hält  das  Wesen  der  Dinge  (an  sich)  für  un- 
erkemibar.  Vgl.  Wissen,  Nihilismus,  Kategorien,  Wahrheit,  Erkenntnisvermögen, 
Object,  Sein  u.  s.  w. 

ErkenntnlsbesiUre  s.  Kategorien. 
Krkenntiiisi^iind  s.  Gnmd. 
JBrkenntiilfiikrltlk  s.  Erkenntnistheorie. 

Krkenntiilstheorle  ist  jener  Teil  der  Philosophie,  der  zunächst  die 
Tatsachen  des  Erkennens  als  solche  beschreibt,  analysiert,  genetisch  untersucht 
(Erkenntnispsychologie)  und  daim  vor  allem  den  Wert  der  Erkenntnis 
und  ihrer  Arten,  Gültigkeitsweise,  Umfang,  Grenzen  der  Erkenntnis  prüft 
(Erkenntniskritik).  Die  Erkenntnistheorie  unterscheidet  sich  von  der  Psycho- 
logie durch  ihren  kritisch-normativen  Charakter,  bedarf  aber  der  Psychologie 
als  Htilfsmittel  und  ist  selbst  die  Gnmdlage  der  Metaphysik  (s.  d.).  ürsprang 
imd  Wert  der  Erkenntnis  muß  sie  gleicherweise  untersuchen,  sie  hat  fest- 
zustellen, was  der  Erfahrung  (der  Wahmehmimg),  was  dem  Denken  angehört, 
wie  die  Gnmdbegriffe  der  Erkenntnis  (naiv  imd  wissenschaftlich)  gebildet  und 
wie  sie  venvertet  werden,  welche  Berechtigung  die  Anwendung  dieser  Begriffe 
hat  und  in  welchem  Siime  sie  genonmien  werden  darf. 

Die  Erkenntnistheorien  sind  nach  den  ihnen  zugrunde  liegenden  Methoden 
und  Gesichtspimkten  zu  unterscheiden.  Vorerst  finden  wir  eine  logisch-specu- 
lative,  später  eine  psychologische,  dann  die  „transcendentale^*  (s.  d.)  und 
kritische  Methode,  die  aber  auch  nebeneinander  hergehen.  Als  selbständige 
Wissenschaft  kommt  die  Erkenntnistheorie  erst  im  17.  Jahrhimdert  (bei 
JjOCKE)  auf. 

In  logisch-speculativer  Weise  werden  erkemitnistheoretische  Untersuchungai 
angestellt  bei  Plato,  Akistoteles,  den  Stoikern,  Epikureern,  Skep- 
tikern, Neuplatonikern,  bei  Augustinus,  den  Scholastikern.  Mit  der 
Methodik  des  Erkennens  befassen  sich  F.  Baoon,  Desgabtes  u.  a.  Leibniz 
nähert  sich  schon  der  späteren  kritischen  Methode. 

Die  psychologische  Erkenntnistheorie  begriindet  Locke  (Ess.  conc.  hum. 
understand.).  Er  versucht,  „den  Vrsprtmgy  die  Geirißheit  und  die  Atssd^mwig 
des  mensehlicfien  Wissens,  sowie  die  Grandlagen  und  Abstufungen  des  Glaubens, 
der  Meinung  und  der  Zfitstimmung  xu  erforschen"  (Ess.  I,  eh.  1,  §  2).  Über 
eine  bloße  Psychologie  des  Erkennens  geht  er  also  doch  hinaus.  So  auch  Bee- 
keley  und  HuME. 

Die  „transcendentale"  Erkenntnistheorie  begründet  Kant.  Sie  will  die  Be- 
dingimgen  des  Erkennens  feststellen,  um  so  die  Gültigkeit  imd  die  Grenzen 
der  Erkenntnis  werten  zu  können.    Sie  fragt  nicht,  aus  welchen  psychologischen 


Erkenntnistheorie.  299 

£]eiuenteii  die  Erkenntnis  sich  aufbaut,  Bondem  nach  der  Bedeutung  der  Er- 
kenntnisfactoren für  das  Ziel  alles  Erkennenwollens.  Die  j^Kriitk  der  reinen 
Vernunft^*  prüft  das  „Vemunftvermögen  überhaupt j  in  Ansehung  aller  Er- 
henntnisse,  %u  denen  sie,  unabhängig  von  aller  Erfahrung^  streben  niag^^y 
ist  also  ,,die  Etttseheidung  der  Möglichkeit  einer  Metaphysik  überhaupt^*  und  die 
Bestimmung  sowohl  der  Quellen  als  des  Umfanges  und  der  Grenzen  der  Er- 
kenntnis nach  Principien  (Krit.  d.  r.  Vern.  S.  5  f.).  Die  Fähigkeit  der  Ver- 
nunft zu  fyTeinen  Erkenntnissen  a  priori^*  ist  zu  prüfen  (1.  c.  8.  581).  Damit 
gibt  K.  zugleich  eine  Theorie  der  Erfahrung.  Bei  Fichte,  Schelling,  Heoel 
kommt  die  Erkenntniskritik  schlecht  weg.  Letzterer  erklart  geradezu:  „/>»6 
rntersuehung  des  Erkennens  kann  nicht  anders  als  erkennend  geschehen;  bei 
diesem  sogenannten  Werkzeuge  heißt  dasselbe  untersuchen  nickt  anders  als  es 
erketmen.  Erkennen  wollen  aber,  ehe  man  erkenne,  ist  ebenso  ungereimt,  als  der 
weise  Vorsatz  jenes  Scholastieus,  schwimmen  xu  lernen,  ehe  er  sich  ins 
Wasser  wage**  (Eneykl.  §  10).  Herbart  erblickt  die  Aufgabe  der  Er- 
kenntnistheorie (=  Metaphysik,  s.  d.)  in  der  Bearbeitung  der  Begriffe.  Beneke 
verlangt  von  der  Erkenntnistheorie  eine  Untersuchung  der  Formen  und  Ver- 
haltnisse des  Denkens  und  dessen  Factoren  (Log.  I,  5). 

Nach  E.  Zeller  ist  die  Erkenntnistheorie  die  Wissenschaft,   „welche  die 
Bedingungen  untersucht,  an  welche  die  Bildung  unserer  Vorstellungen  durch  die 
Xatur  unseres  Geistes  geknüpft  ist,  und  hiemach  bestimmt,  ob  und  unter  welchen 
Voraiuiseixungen  der  menschliche  Geist  xur  Erkenntnis  der   Wahrheit  befähigt 
ist**  (Vortr.  u.  Abh-,  2.  Samml.,  S.  479  f.).    Windelband  erklärt:   ,J>ie  Pro- 
bleme .  .  .,  welche  sich  aus  den  Fragen  über  die  Tragweite  und  die  Grenze  der 
menschlichen  Erkenntnisfahigkeit   und   ihr    Verhältnis   xu  der  xu  erkennenden 
Wirklichkeit  erheben,  bilden  den  Gegenstand  der  Erkenntnistheorie**  (Gesch.  d. 
Philo«.  8.  16).    Unabhängig  von  der  Psychologie  ist  die  Erkenntniskritik  nach 
Idealisten  wie  Mansel,  Green  und  Kantianern  wie  H.  Cohen,  O.  Libbmann 
(Anal.  d.  Wirkl.*,  S.  251;,  P.  Natorp  u.  a.,  auch  nach  Husserl  (Log.  Unt. 
II,  8  ff.,  8.  Phänomenologie,  Logik).     Volkelt  definiert  die  Erkenntnistheorie 
als  die  Wissenschaft,    „welche  sich  die  Möglichkeit  und  Berechtigung  des  Er- 
Ixnnens  in  seinem  vollen  Umfange  und  von  Grund  aus  zum  Probleme  macfä** 
{Erfahr,  u.  Denk.  S.  9).     Sie  ist  „Theorie  der  Gewißheit**  (i.  c.  S.  15;  ähnlich 
Xeüdecker,   Grundprobl.   d.   Erkenn tnistheor.   S.  3  f.),   ist  voraussetzungslos 
<L  c.  S.  10).     Sie   beweist  nicht,   sondern  zeigt  zunächst  das   im  Bewußtsein 
Vorhandene  auf  (1.  c.  S.  38  f.).     „Sie  will  das  Bewußtsein  dahin  führen,  daß 
w  nrk  die  unmittelbar  in  ihm  enthaltenen  Kriterien  der  objectiven  Gewißheit 
tum  Betrußtsein  bringt**  (1.  c.  S.  39).     Sie  befolgt  die  „Metfiode  der  denkenden 
Selbstbetätigung  des  Bewußtseins**   (1.  c.  S.  41).     Höfpding  betont:    „Die  Er- 
kenntnistheorie untersucht  die  Formen   und  Elemente  unserer  Erkenntnis  hin- 
sichtlich  der  Frage,  ob  sie  sich  gebrauchen  lassen,  um  das  Seiende  xu  verstehen, 
^tähre9ui  die  Psychologie   sie  hinsichtlich  ihrer  tatsächlidien  Entsteltufig  unter- 
sucht, sie   fnögen   nun  brauchbar   und  gültig  sein   oder  nicht**  (Religionsphü. 
•^.  85j.     Nach  Riehl   ist  die  Erkenntnistheorie  die  „Tlieorie  der  allgemeinen 
Erfahrung**.    „Sie  hat  xu  zeigen,  welche  reale  Bedeutung  der  Empfindung,  den 
Verhältnissen  der  Empfittdungen  und  dem  Schetna  ihrer  Auffassung  in  Raum 
und  Zeit  zukomme,  tcie  aus  denselben  unreflectierten  Urteilsacten,  durch  weklie 
gegetiständliche  Wahrnehmungen  erxeugt  werden,  die  allgemeinen  apperdpierenden 
Vorstellungen   (Kategorien)  entspringen**   (Phil.  Krit.  I,  11).     Unabhängig  von 


300  Erkenntniatheorio. 


der  Psychologie  ist  die  Erkenntnistlieorie  auch  nach  Eülfe,  dem  sie  ,^»f 
Lehre  von  den  Grundbegriffen  und  Orundsäixen  als  den  materialen  Voraus- 
setzungen aller  besonderen  Wissenschaften^*  ist  (Einleit  in  d.  Philos.*,  &.  36). 
Nach  Haoemann  ist  die  Erkenntnislehre  (=  Noedk,  s.  d.)  von  der  Psychologie 
unabhängig  (Log.  u.  Noetik',  S.  14).  Sie  ist  ,/ft«  Wissenschaft  von  der  Wahr- 
heit, der  Gewißheit  und  den  Grenzen  unseres  Erkennens**  (1.  c.  S.  115  f.).  Auch 
R.  Wähle  erklart  die  Erkenntnistheorie  für  unabhängig  von  der  Psychologie 
(Kurze  Erklar.  d.  Eth.  Spin.  S.  168).  —  Nach  Wündt  ist  die  Erkenntnistheorie 
ein  Teil  der  Logik  (s.  d.).  Die  „reale  Erkenntnislehre^*  zerfällt  in  die  ,,£r- 
kenntnistheorie^*  und  „Erkenntnisgeschich te^*,  Elrstere  untersucht  die  logische 
Entwicklung  des  Erkennens,  indem  sie  die  Entstehung  der  wissenBchaftlichen 
Begriffe  auf  Grundlage  der  Denkgesetze  zergliedert.  Als  ,/illgemeine  Er- 
kenntnistheorie" untersucht  sie  die  Bedingungen,  Grenzen  und  Principien  des 
Erkeimens  überhaupt,  als  „Methodenlehre"  (s.  d.)  beschäftigt  sie  sich  mit  den 
besonderen  Gestaltimgen  dieser  Principien  in  den  Einzelwissenschaiten  (Log.  1\ 
S.  1  ff.;  Syst.  d.  Philos.*,  S.  31;  Phil.  Stud.  V,  48  ff.).  Die  Erkennöiistheorie 
hat  die  Aufgabe,  „die  Bildung  der  Begriffe  nach  den  logisetien  Motiven,  die  bei 
ihrer  tatsächlichen  Enttcicklung  innerhalb  der  Wissenschaften  staitgefundefi  fiot, 
nach  Elimination  aller  Irrungen  und  UmtcegCj  zur  Darstellung  zu  bringen*' 
(PhiL  Stud.  X,  6).  Ohne  Anhänger  des  „Psyehologismus"  (s.  d.)  zu  sein,  erklärt 
WtJNDT  doch,  daß  jeder  Erkenntnisact  als  geistiger  Vorgang  j^eineifi  tat- 
sächlichen Charakter  nach  vor  das  Forum  der  Psyeliologie  kommt,  ehe  er  von 
der  Erkenntnislehre  selbst  auf  die  ihm  zustehende  Bedeutung  für  den  allgemeinen 
Proceß  der  Entioicklung  des  Wissens  geprüft  werden  kann"  (Einleit.  in  d.  Philo«*. 
S.  82).  W.  Jerusalem  teilt  die  Erkenntnislehre  in  „Erkenntnistheorie^^  (die 
genetisch  verfährt)  und  „Erkenntniskrü^*  ein,  die  von  der  Psychologie  un- 
abhängig ist  (Einf .  in  d.  Philos.). 

Nach  Schuppe  fragt  die  Erkenntnistheorie:  „Was  ist  das  Denken?  Was 
ist  das  icirkliche  Sein,  welches  sein  Object  irerden  soll?"  (Log.  S.  3).  Das 
Denken  ist  gleichsam  in  seiner  Arbeit  zu  beobachten,  die  Bildung  der  Begriffe 
zu  untersuchen  (1.  c.  S.  4 ;  ähnlich  gibt  Sigwakt  als  Methode  der  Erkenntnis- 
theorie an  das  „Achten  auf  das,  was  wir  tun,  wenn  wir  irgend  welche  Gegefi- 
stände  vorstellen",  Log.  II,  39).  M.  Kauffmann  meint,  die  Erkenntnistheorie 
sei  ,jceine  folgernde  oder  beireisende,  sondern  eine  aufzeigende  und  darlegende 
Wissenschaft"  (Fundam.  d.  Erk.  S.  7;  so  auch  Hüsserl,  Log.  Unt.  II,  2l)  f.). 
Schübeet-Soldebn  bezeichnet  als  das  Gebiet  der  Erkenntnistheorie  die  „a//- 
gemeinen  Elemente  aller  Wissenschaften  in  ihren  allgemeinen  gleichzeitigen  Be- 
ziehungen". Sie  hat  aus  ihnen  „die  allgemeinen  Folgerungen  für  die  Methode 
wissenschaftliclier  Forschung  überhaupt  zu  zielten  itnd  das  Verhältnis  der  ein- 
zdnen  Wissenschaften  zueinander  festzustellen"  (Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos. 
21.  Bd.,  S.  155  f.).  Sie  „betrachtet  die  Welt  als  Datum  überhaupt"  (Gr.  e.  Erk. 
S.  348,  1).  Hierher  gehört  auch  teilweise  Ziehen  (Psychophysiol.  Erkenn tnb- 
theor.). 

Auf  psychologische  Erfahrung  will  Frier  die  Erkenntnistheorie  gründen 
(N.  Krit.  d.  Vem.  I,  Vorw.  S.  XIX).  Psychologisch  ist  die  Erkenntnistheorie 
vieler  englischer  Philosophen,  auch  die  von  Ljpps,  Brentano  u.  a.  Nach 
Uphues  hat  die  Erkenntnistheorie  die  Entstehimg  imseres  Weltbildes  zu  er- 
klären, wobei  sie  der  „genetischen  Methode'^  nicht  entbehren  kann  (Psychol.  d. 
Erk.  I,  10).     Biologisch  ist  die  Erkenntnistheorie  von  R  Avenarr's  (u.  a.. 


Erkexmtniatheorie  —  Erklärung.  301 

8.  Erkennen),  d«n  sie  yjKritik  der  reinen  Brfcthrung^^  Zurückführung  der  Er- 
kenntnis auf  reine,  metaphysikfreie  Erfahrung  bedeutet.  Ahnlich  E.  Mach. 
Nach  H.  CORNEUTTS  zielt  die  f^rkenntnistheorie  auf  „Vertiefung  unserer 
Erklärungen  durch  die  Prüfimg  des  Begriffsmaterials  und  die  Elimination  der 
Vnklarheiien  aus  diesem  Material'^  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  13).  Eine  j^aügemeine 
Vnt^suchung  des  Mechanismus  unserer  Erkenntnis"  ist  not^'endig  (1.  c.  S.  162). 
^Psychologie  im  Sinne  vorurteilsfreier  Analyse  und  Besehreibung  der  un- 
mittelbar gegebenen  Tatsachen  des  Bewußtseins  .  .  .  ist  .  .  .  die 
unentbehrliche  Grundlage  aller  erkenntnistheoretischen  Beweis- 
führung^* (1.  c.  S.  53).  Auch  die  Entwicklung  unserer  Begriffe  muß  auf- 
gezeigt werden  (L  c.  S.  168  ff.).  „Zunächst  sind  die  empirischen  Daten 
aufiuxeigen,  auf  welchen  die  Bedeutung  der  Grundbegriffe  der  Wissen- 
9thaflen  beruht.  Zweitens  aber  muß,  damit  die  Klärung  dieser  Begriffe  eine 
vollkommene  sei,  die  Art  und  Weise  aufgezeigt  tverden^  wie  sich  auf  diesen 
Daten  unser  Besitx  an  Begriffen  aufbaut  (1.  c.  S.  49).  Vgl.  EJrkenntnis, 
Wissenschaftslehre,  Logik  u.  s.  w. 

£rkeiintiitetrleb  s.  Erkenntnis. 

£rkenntilisTeriii9|^n  („facultas  cognoscendi")  gilt  den  Scho- 
lastikern, besonders  auch  Chr.  Wolf  als  das  erste  der  Seelen  vermögen 
(8.  d.).  Ein  niederes  (sinnliches)  und  oberes  (geistiges,  intellectuelles)  Er- 
kenntnisvermögen wird  von  den  Wolfianern  unterschieden.  Kant  kennt 
drei  Erkenntnisvermögen:  Verstand,  Urteilskraft,  Vernunft,  „deren  jedes  (als 
oberes  Erketmtnisvermögen)  seine  Principien  a  priori  haben  muß*^  (Krit.  d.  Urt. 
§  57).  Xach  W.  Hamilton  gibt  es  sechs  Erkenntnisvermögen:  1)  „acquisitive 
or  presentaiive  faeulty**  (äußere  und  innere  Ferception),  2)  das  Behaltungs- 
▼ermögen,  3)  das  Keproductionsvermögen,  4)  die  Einbildungskraft  („representative 
faculty^^Jy  5)  das  Vermögen  des  Vergleichens  oder  der  Relationen  („elaborative 
faetäty"*},  6)  das  Bewußtsein  als  Quelle  des  Apriori,  der  Erkenntnisprincipien 
(Leciur.  on  Met). 

SrUftrende  Urteile  sind  Urteile,  die  einen  Gegenstand  des  Denkens 
auf  bekannte  Begriffe  zurückführen  (Wundt). 

ErUftran^:  1)  =  Definition  (s.  d.).  So  sind  nach  Platneb  Er- 
klärungen „wörtliche  Ausdrücke  passender  deutliefier  Begriffe^*^  (Phil.  Aphor.  I, 
§  535).  Es  gibt  empirische  und  philosophische  Erklärungen  (1.  c.  §  537). 
^T.  E.  Schulze  versteht  unter  Erklärung  „die  Angehe  der  einem  Begriffe  zu- 
kommenden Merkmale^*  (Gr.  d.  allg.  Log.',  S.  224).  2)  =  Aufzeigung  des  Zu- 
sammenhanges, aus  dem  eine  Tatsache  zu  begreifen  ist,  Darlegung  nicht  bloß 
des  „Was"  (ort,  wie  bei  der  Beschreibung,  s.  d.),  sondern  auch  des  „Warwfi" 
{Btott)^  des  zureichenden  Grundes  einer  Tatsache,  der  Gesetzmäßigkeit  eines 
Geschehens. 

In  der  älteren  und  scholastischen  Philosophie  nimmt  die  Erklärung 
meist  eine  speculativ-constructive  (b^riffliche)  Form  an  (rationale  Erklärung). 
Später  tritt  die  causale  Erklärung  auf.  So  schon  bei  Hobbes,  Galilei, 
Kepler,  Debcabtes  u.  a.  Nach  Berkeley  heißt  erklären  „xetgen,  unxrum 
itir  bei  besthnmten  Anlässen  mit  bestimmten  Ideen  afficiert  werden**  (Princ.  I), 
Zurückführen  des  einzelnen  Greschehens  auf  allgemeine  Regeln  (1.  c.  CV). 
Che.  Wolf:  „Wenn  ein  deutlicher  Begriff  ausführlich,  das  ist  so  beschaffen 
*nrd,  daß  er  nicht  mit  mehreren  Dingen  als  von  einer  xukommet,  und  sie  daher 


302  Erklärung. 


durch  ihn  van  allen  andern  ihres  gleichen  xu  allen  Zeiten  können  uniersckiedtn 
werdenf  so  nenne  ick  ihn  eine  ErklUrun^^  (Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m. 
Verat*,  S.  44).  Kant  definiert:  „Erklären  heißt  von  einem  Princip  ableüeir 
(Krit.  d.  Urt.  §  78).  Nach  Frieb  wird  etwas  erklart,  „wenn  nicht  nur  na^ 
getviesen,  was  sieh  ereignet  hcUy  sondern  hetoiesen  wird,  warum  es  nach  dl- 
gemeinen  Qesetxen  sieh  gerade  so  ereignen  tnußtt^  (Syst.  d.  Log.  S.  2971. 
Schopenhauer  bestimmt:  ,,Eine  Saehe  erklären  heißt  ihren  gegelmien  Bestand 
oder  Zusammenhang  xurüekführen  auf  irgend  eine  Gestaltung  des  Satzes  roM 
OrundCj  der  gemäß  er  sein  muß,  icie  er  ist^'  (Vierf.  Würz.  §  50).  CoBfXE  ve- 
steht  unter  Erklärung  die  Unterordnung  besonderer  Tatsachen  unter  allgemeincR 
Tatsachen  (Cours  de  phil.  posit.  I,  1^'«  le^.).  Volkmann  nennt  „Erkiärwf 
der  psychischen  Phänomene''  die  „Zurückführtmg  der  allgemeinen  Klassen  der 
bloß  xeäliehen  Erscheinungen  unserer  Innenwelt  auf  das  ihnen  zugrunde  liegend 
irirklich  Gesctiehene  und  die  Aufstellung  der  Oesetxe,  denen  gemäß  jene  au$ 
diesem  hervorgehen**  (Lehrb.  d.  Psychol.  I*,  2).  Nach  Helmholtz  ist  Erklärung 
yyZurüekführung  der  einxelnen  Fälle  auf  eine  ufUer  bestimmten  Bedingungen 
einen  bestimmten  Erfolg  hervorrufende  Kraft*  (Vortr.  u.  Red.  II*,  187).  Eine 
Erscheinung  erklären  bedeutet  nach  Lazarus,  .^ihre  Bedingungen  oder  doi 
Gesetx  ihrer  Entstehung  nachweisen**  (Leb.  d.  Seele  I*,  S.  VI).  Hussekl: 
„Erklären  im  Sinne  der  Theorie  ist  das  Begriff  liehmachen  des  Einxelnen 
aus  dem  allgemeinen  Gesetx  und  dieses  leixteren  wieder  aus  dem  Grundgeseti'^ 
(Log.  ünt.  II,  20).  Paulsen:  „Eine  ErscJieinung  erklären^  heißt  in  den 
Naturunssenschaften  überall  nichts  anderes^  als  eine  Formel  finden,  unter  der  sif 
als  Fall  begriffen  ist,  mit  deren  Hufe  sie  vorhergesehen ,  berechnet,  t^Uer  Tä- 
ständen  auch  herbeigeführt  werden  kann**  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  82).  WlTfDT 
versteht  unter  Naturerklärung  die  ,yFeststelltmg  der  regelmäßigen  Bexiehung^n, 
welrfte  sich  durch  die  experimentelle  und  rergleicJiendc  Untersuchung  xtriseken 
den  Objecteti  der  Beschreibung  ergeben**.  Sie  findet  da  statt,  „wo  ton  einem 
Gegenstande  Beziehungen  logischer  Abhängigkeit  irgend  icelcher  Art  ai*sgefayt 
werden**  (Phil.  Stud.  XIII,  99).  Wundt  ist  gegen  die  Zurückführung  der  Er- 
klärung auf  bloße  Beschreibung  (s.  d.).  So  auch  R.  Göldscheid  (Zur  Eth.  d. 
(^esamtwill.  I,  28). 

Eine  Reihe  von  Forschem  führt  den  Begriff  der  Erklärung  auf  den  der 
(vollständigen)  ,yBesehreilnmg**  (s.  d.)  zurück.    So  R.  Mayer,  dem  eine  Tatsache  | 
erklärt  ist,  wenn  sie  „nach  allen  ihren  Seiten  hin  bekannt  ist**,  so  Kirchhoff. 
Nach  ihm  ist  es  die  Aufgabe  der  Mechanik,  „«/te  in  der  Natur  vor  sieh  gehen-  \ 
den  Bewegungen  xu  beschreiben^   und  xwar  vollständig  und  auf  die  einfackiif  | 
Weise  xu  beschreiben**,  d.  h.  anzugeben,   „welches  die  Erscheinungen  sind,  die 
sfcUtfindefi,   nicht   aber   darum,   ihre   Ursachen  xu  ermitteln**   (Vorles.  üb.  d.  i 
math.  Phys.",  1877,  Vorr.).    So  auch  H.  Hertz,  E.  Mach,  Ostwald.    Redtke:  ; 
„Die  Natur  erklären  heißt  sie  beschreiben**  (VVelt  als  Tats.  S.  48  ff.).    Auch 
die  Aufzeigung  der  nächsten  Ursachen  ist  ein  Stück  Beschreibung  (1.  c.  S.  56^- 
Nietzbohe  bemerkt:  „Erklärungen  nennen  wir's:  aber  ,Beschreibungt  ist  e^.  ttat 
uns  vor  älteren  Stufen  der  Erkenntnis  und  Wissenschaft  ausxeichnei.     Wir  be- 
schreiben  besser  —  trir  erklären  ebensowenig  wie  edle  Früheren**  (VPN,  V,  112). 
H.  CoRNEUUS :  „  Überall  wird  die  Erklärung  dadurch  zuwege  gebraeht,  daß  des 
VereinxeUe  als  Glied  eines  größeren  Zusammenhanges  aufgefaßt   wird  und  da- 
durch den  Charakter  dee  Äusnafifn^weiseti   verliert,  uns  als  ein   in  diesem  Zm- 
sammenhange  Notwendiges   rerständlicli   wird.''*     Es  wird  so  stets  eine  „!«'- 


Erklärung  —  Erörtenuig.  30^ 


einfachung  unserer  Erhmninis^^  bewirkt  (Einl.  in  d.  Philoe.  S.  30  f.).  Die 
^ttissenschaftlieke  Erklänmg^^  bleibt  innerhalb  der  Grenzen  der  Erfahrung,  sie 
besteht  in  einer  begrifflichen  Zusammenfassung  von  Merkmalen,  ist  ^^rein  er- 
fakrungsinäßige  oder  empirische  Erklärung*^  im  Gegensatze  zu  „dogfnatischeti^'' 
Erklärungen  (1.  e.  S.  36).  Jede  empirische  Erklärung  ist  ,^u8aminenfa88ende 
Darsteliufig  oder  Besehreibting  eitler  größeren  Beihe  voti  Bjrfahnmgen  unier  einem 
einheitliehen  Oesichtspunkt* ,  y^oereinfcichende  xu^ammenfassende  Beschreibung 
unserer  Erfahrungen^^  (1.  c.  S.  38;  Psychol.  S.  4  f.).    Vgl.  Psychologie. 

Sfriel^iilsae  sind  alle  psychischen  Vorgänge,  durch  welche  einem  Subject 
(Ich)  ein  Inhalt,  Etwas  präsent,  bewußt  wird.  Mit  ihnen  als  solchen  beschäftigt 
eich  die  Psychologie  (s.  d.).  Nach  Külpe  sind  Erlebnisse  „rftc  ursprünglichen 
Data  unserer  Erfahrung,  tcas  den  Gegenstand  der  Reflexion  bildet,  ohne  selbst 
eine  xu  sein"  (Gr.  d.  Psychol.  S.  1).  Erlebnisse  sind  nach  Husskkl  „die  realen 
Vorkommnisse^  welche  von  Moment  xu  Moment  wechseln,  in  mannigfacher  Ver- 
hnüpfung  und  Durchdringung  die  reale  Bewußtseinseinlieit  des  jeweiligen  psy- 
chischen Individuums  constituieren"  (Log.  ünt.  II,  326).  H.  Cornelius 
bemerkt:  „Unmittelbar  gegeben  .  .  .  sind  uns  .  .  .  nur  unsere  Erlebnisse,  die 
xeitlich  verlaufenden  j  rastlos  wechselnden  Ersc/ieinungen  unseres  psychischen 
Lebens"  (Einleit.  in  d.  Philos.  S.  324).  K.  Lasswitz  sieht  im  „Erleben"  „nur 
die  Bexeiehnung  dafür,  daß  eine  Veränderung  des  Systems  stattfindet^  welches 
nein  Ich  heißt;  aber  es  bedeutet  nicht,  daß  eine  andere  Art  des  Seins  xu  der 
Veränderung  meines  Leibes  hinxutrete"  (Wirklichk.  S.  95).  Vgl.  Actualitäts- 
theorie,  Psychisch. 

Erleleliternng  s.  Disposition,  Übung. 

£rl9saiif^  vom  (irdischen,  individuellen)  Dasein  durch  Vernichtung  der* 
Existenz  bezw.  Vereinigung  mit  dem  Alleinen  lehren  der  Buddhismus  (auch 
«eben  die  Upanishads,  vgl.  Deussen,  Allgem.  Gesch.  d.  Philos.  I",  308  ff.), 
das  Christentum,  der  Pessimismus  (s.  d.),  Mainlander  u.  a. 

Enniidlliii;  ist  ein  organischer  Zustand,  der  wohl  auf  Dissimilation  in 
den  Nervenzellen  und  dabei  entstehenden  Vergiftungsstoffen  beruht.  Er- 
müdungsempfindungen  sind  Zeichen  für  einen  bestimmten  Grad  von 
Muskelanstrengungen.  Auf  Ermüdung  bei  Beobachtungen  beruht  die  Unfeinheit 
nnd  Erschwerung  dieser.  (VgL  Messe,  La  fatica;  Kraepelins  „Psychol.  Arbeit", 
Bd.  I,  152,  300,  378,  627,  II,  118,  III,  482;  A.  Binet,  La  fatigue  inteUectueUe 
189S;  KÜLPE,  Gr.  d.  Psychol.  S.  45  f.,  56,  125,  216  f.,  222,  265,  406  u.  a.; 
Ebbinghaus,  Gr.  d.  Psychol.  I,  683  ff . ;  L.  Dumont,  Vergn.  u.  Schm.  S.  147  ff. ;. 
Hellpach,  Grenzwiss.  d.  Psychol.  S.  404.) 

ErSrtenmi^  (Exposition,  locatio):  Bestimmung  der  Stelle  eines  Begriffs 
nn  Systeme  einer  Wissenschaft.  Unter  der  „transcendentalen  Erörterung"  ver- 
steht Kant  „die  Erklärung  eines  Prineips,  als  eines  Prineips,  woraus  die 
Mögliehkeä  anderer  synthetischer  Erkenntnisse  a  priori  eingesehen  werden  kann^*^ 
(Krit.  d.  r.  Vem.  S.  53).  Fries:  „Die  Exposition  eines  Begriffes  stellt  aus  den 
^frsehiedenen  Fällen  des  Gebrauches  die  verschiedenen  Verhältnisse  eines  Begriffes 
f^beneinander  und  sucht  ihn  so  xu  zerlegen"  (Syst  d.  Log.  S.  399).  Nach 
J-  G.  Fichte  heißt  einen  Begriff  erörtern,  „den  Ort  desselben  im  System  der 
^ensehliehen  Wissenschaften  überhaupt"  angeben,  zeigen,  „wdcher  Begriff  ihm 
•fw«  Stelle  bestimme,  und  welchem  andern  sie  durch  ihn  bestimmt  icird"  (WW. 


304  Erörterung  —  Erscheinung. 


I,  1,  55).  Nach  Haoemanx  ist  Erörterung  „die  Ermittelung  der  Stelle,  welche 
ein  Begriff  xu  übergeordneten  oder  nebengeordnetefi  Begriffen  einnimmt^  (Log-  ^ 
Noet.  S.  83).    Vgl.  Exponible  Satze. 

£ro8  8.  Liebe. 

ISrreif  11119:  Auslösung  eines  Zustandes  im  Nervensystem,  in  der  Psvclie; 
auch  Cremütsbewegung  (s.  d.).  Erregbarkeit  ist  die  Disposition  der  Nerven, 
<ier  Psyche,  auf  Beize  (s.  d.)  entsprechend  zu  reagieren.  „Große  Erregbarieü 
bedeutet  ein  leichtes  und  schnelles,  geringe  Erregbarkeit  ein  schweres  und  lang- 
sames Reagieren  auf  Beixe"  (Külpe,  Gr.  d.  Psychol.  ö.  89).    Vgl.  Irritabilität 

ErsiClietnilii^  (Phänomen):   1)  im  weiteren  Sinne  so  viel  wie  Apparenz, 

Vorkommen  im  Bewußtsein,  Auftreten  eines  Etwas  für  das  Ich;  2)  im  engeren 
Sinne  (als  Gegensatz  zur  Wirklichkeit  „An-sich",  s.  d.):  d.  h.  das  vorgestellte, 
vom  Subject  abhängige  Sein  der  Dinge,  die  subjectiv-relative  Seinsweise,  die 
Manifestation,  Äußenmg,  Sichtbarwerdung,  Objectivation  der  Dinge.  Die 
Erscheinung  unterscheidet  sich  vom  Scheine  (s.  d.),  insofern  sie  auf  einen 
Factor  außerhalb  des  Einzelbewußtseins,  auf  ein  „Ansich"  irgend  welcher 
Art  hinweist.  Insofern  die  Erscheinungen  von  allen  erkennenden  Subjecten 
unter  Umständen  müssen  wahrgenommen  werden,  haben  sie  objectiven  Cha- 
rakter, wenn  sie  auch  nicht  das  Für-sich-sein,  sondern  das  Sein  der  Dinge 
für  andere  bedeuten.  Die  Dinge  der  Außenwelt  (Körper)  sind  als  solche  Er- 
scheinungen, denen  „iranscendenie  Faktoren"  (s.  d.)  zugrunde  liegen ;  das  eigene 
(reine)  Ich,  das  woUend-denkende  Subject  ist  nicht  Erscheinung,  sondern  Wirk- 
lichkeit an  und  für  sich.  Die  Erscheinungen  sind  die  Dinge,  in  den  Formen 
der  Empfindung,  der  Anschauung,  des  Denkens  aufgefaßt.  Sie  sind  nicht 
identisch  mit  Wahrnehmungen  oder  (Einzel-) Vorstellungen,  sondern  ein  Gewebe 
solcher  mit  begrifflich-allgemeingültigen  Bestinunungen.  Sie  sind  Object  des 
„Betcußtseins  ÜberhaupP\  des  denkenden,  wissenschaftlichen  Bewußtseins,  das 
die  sinnlich  gegebene  Wirklichkeit  (sinnliche  Erscheinung)  zur  Objectivität 
verarbeitet. 

In  der  Philosophie  sind  ein  mehr  objectiver  und  ein  mehr  subjectiver  Be- 
griff der  Erscheinung  zu  unterscheiden. 

Demokrtt  sieht  in  den  sinnlichen  Eigenschaften  der  Dinge  (Farben,  Töne, 
Gerüche,  Geschmäcke,  Wärme)  Erscheinungen,  Wirkungen  der  Atomeigenschaftai 
auf  die  Seele  (s.  Atom,  Qualität).  Aus  den  (paivofieva  ist  auf  die  a^la  (die 
verborgenen  Factoren)  zu  schließen  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  140;  so  auch 
Anaxaooras).  In  einigen  Eigenschaften  (Ausdehnung  u.  s.  w.)  gleichen  die 
Dinge  an  sich  (Atome)  den  Erscheinungen.  Nach  Protagoras  erkennen  wir 
die  Dinge  stets  nur  so,  wie  sie  uns  gerade  erscheinen  (vgl.  Plat.,  Theaet  157  A). 
Aribtipp  lehrt,  wir  wüßten  nur  lun  Bewußtseinserscheinungen:  ra  na&ti  xai 
ras  fpavxaifias  iv  avzole  rid'evTee  ovx  t^ovro  tr^v  dno  xovxtov  Ttiüxtv  slvai 
Sia^xij  Ttpog  rag  vneQ  tcSv  Tf^yfidrafv  xaraßeßait&ffBie  (Plut.  Adv.  Colot.  24); 
fwva  T«  Ttdd'rj  xaiaATpird  (Sext.  Empir.  Pyrrh.  hypot.  I,  215;  Diog.  L,  II,  92). 
„Praeter  permotiones  intimas  nihil  putant  esse  iudidi"  (Cicero,  Acad.  II,  46, 
142).  Plato  sieht  in  den  Sinnesobjecten  Erscheinungen  der  wahren,  seienden 
Welt  von  Ideen  (s.  d.)  (Theaet.  13).  Aristoteles  versteht  unter  y>aiv6,usror 
das  sinnenfällig  G^ebene  (Met.  IV  5,  1010  b  1).  Nicht  alles  Erscheinende  ist 
wirklich  (Met.  IV  6,  101  la  19).  Im  Traume  z.  B.  erscheint  etwas,  ohne  wirklich 
zii  sein  (De  an.  III  3,  428a  7,  III  3,  428b  1  squ.).    Chrysipp  unterscheidet  die 


Eracheintoig.  305 


Ekteheinung  vom  Ding  an  sich  (Sext.  Empir.  adv.  Mal^  VIII,  11;  Pyrrhon. 
hypot.  n,  7).  Nach  Plotin  ist  die  sinnliche  Welt  die  Erscheinung  der  in- 
teUigiblen  (s.  d.),  geistigen  Welt,  des  Reiches  der  Ideen  und  deren  Einheit,  des 
wvs  (s.  Geist). 

Ähnlich  auch  die  Gnostiker  (s.  d.).  Atjoustinus  nennt  die  Offen- 
banmgen  „Dei  apparitiones^^  (De  trin.  III,  p.  867  f.).  ScoTüS  Ebiugena 
erklart:  „Deum  .  .  .  intdlectnaU  ereatttrae  mirabüi  modo  apparere^*  (Div.  nat 
1, 10,  p.  450  A).  Die  Sinnenwelt  ist  nur  Erscheinung  einer  geistigen  Wirklich- 
keit (tjisie  tnundta  sensibtts  apparens**,  1.  c.  I,  30).  „Omne  eninty  quod  inteUigitwr 
€t  sentitur^  mhü  aliud  est,  nisi  apparentis  apparitto,  occulH  manifestatio"  (1.  c. 
III,  4).  yfOmnia  8tquidem,  quae  hcts  temporibusque  variaräury  corporeü  sensibus 
suemmbuntf  non  ipsae  res  suhsiantiales  vereque  existentes,  sed  ipsarum  renmi 
tert  existentium  quaedam  iransitoriae  imagines  et  resultaiiones  intelligenda  simt^ 
<L  c.  V,  25).  Bei  Scholastikern,  z.  B.  Petrus  Aurbolus,  heißt  „«s« 
<»pparen8^*  des  Dinges,  das  Sein  des  Dinges  im  Bewußtsein,  im  „mentis  conceptus 
sivt  noUtia  obieetimi"  (vgl  Prantl,  G.  d.  Log.  III,  323).  Nach  Wilhelm 
Tox  OcGAM  sind  die  Qualitäten  (s.  d.)  der  Dinge  nur  Zeichen  der  Wirklichkeit. 

0.  BiEL  nennt  jjapparentia^'  jede  „veram  speeiem  seu  ostensionem"  (IV  dist. 

1,  1).  GocLENius  unterscheidet:  „apparentia  vera  —  inanis  (fapraarixi^Y^ 
Jiüerior  —  exterior*^.  „Äpparentia  seu  86xijaie  verüati  opponüur'^  (Lex.  phil. 
p.  110  f.). 

Nach  G.  Bruno  ist  die  Vielheit  (s.  d.)  der  Dinge  Erscheinung  des  Einen, 
Ewigen  (De  la  causa  V).  Nach  Gassendi  sind  j^apparentioi^*  die  y^phantastae^' 
(Exerc.  II,  6).  y.Secundum  naturam  —  secimdum  apparentiam"  wird  unterschieden. 
HoBBES  versteht  unter  Erscheinungen  (yyphaenomena^^)  Bewußtseinstatsachen, 
Pnncipien  des  Erkennens  (De  coip.  25,  1).  Erscheinungen  sind  die  Empfin- 
dungen (s.  d.),  die  als  y,phantasfnata"  (s.  d.)  bezeichnet  werden,  die  Sinnes- 
qualitäten  (ausgenommen  Bewegung  und  Größe,  die  auch  real  sind),  auch  der 
Eanm  (s.  d.).  Es  sind  Bilder,  die  sich  auf  Objecte  beziehen  (1.  c.  10).  Als  ein 
Äußeres  erscheint  jedes  Bild  infolge  eines  yyconatus^^  des  Empfindenden  (L  c.  2). 
Die  Subjectivitat  der  Sinnesqualitäten  betont  Desoartes,  femer  Locke,  welcher 
bemerkt,  bei  anderer  Organisation  der  Siime  würde  uns  die  Welt  anders  er- 
scheinen (Ess.  II,  eh.  23,  §  12).  Nach  Collier  und  Berkeley  sind  die 
Körper  nur  Vorstellungen,  Erscheinungen  (yyappearances  in  the  sotU  or  mind"), 
<Üe  von  Gott  uns  aufgenötigt  werden,  so  daß  sie  uns  als  wirkliche  Dinge  (s.  d.) 
gelten  (Princ.  XXXIII).  Alles  Sein  ist  VorgestelltseiQ,  yyssse  =  percipi"  (1.  c. 
XXXIV).  Nach  Hume  kennen  wir  nur  die  Wirkungen  der  Körper  auf  die 
Binne,  die  Impressionen  (Treat.  II,  sct  5).  Baum  und  Zeit  sind  Arten,  wie  die 
rifiipressions"  erscheinen  (jyappear  to  the  mind^^Jy  Ordnungen  derselben  (1.  c. 
«et  3).  CoNDiLLAC  und  Bonnet  unterscheiden  Erscheinung  imd  yyDing  an 
«(**  (s.  d.). 

Leibniz  prägt  den  Begriff  der  objectiven,  yyWohlbegründeten  Erscheinung^^ 
'  {f^phaenomenon  bene  fundatum*^).  Die  yypkaenomena  realia^^  sind  von  den  ,^A. 
imaginaria^'^  wohl  zu  unterscheiden.  Die  Körper  mit  ihren  Qualitäten  (s.  d.)  und 
mit  dem  Eaum  (s.  d.)  sind  Erscheinungen  einer  geistigen  Welt  von  Monaden 
(8-  d.).  Dem  Materiellen,  Bäumlichen  entspricht  etwas  (Kraft,  Ordnung)  in  den 
Dingen  an  sich.  Chr.  Wolf  bestimmt:  ,yPkaenomenon  dioitur  quicquid  sensui 
<Mim  eonfuse  percipüur*'  (Cosmol.  §  225).    Und  Baumgarten;  „D(m  Wahr- 

PUlotophitohet  Wörterbuob.    2.  Aufl.  20 


306  Erscheinting. 


xunekmende  (phaenofnenon^  observabile)  ist  dasfenige,  was  icir  durch  unsere  Süme 
(verworrener)  erkennen  können^^  (Met  §  307). 

Kaxt  lehrt  erst  die  Existenz  objectiver  Erscheinungen,  spata  neigt  er 
sich  dem  Begriffe  eines  Phänomens  zu,  das  niur  seine  Existenz  dem  Ding  an  sidi 
(s.  d.)  verdankt,  im  übrigen  rein  subjectiv,  d.  h.  Product  des  Intellectes,  ist 
„Phaenomenon"  ist  das  Wahrnehmbare  (j^ensibM^  De  mund.  sens.  sct.  II,  §  3). 
„Sensitive  eogitaia  esse  rerum  reprtiesentationes ,  uti  apparent,  inieUeetuaiia 
OMtem,  sicuti  sunt"  (1.  c.  §  4).  „In  senstialibus  autem  et  pkaenamenis  id^  quod 
antecedü  usum  inteüectus  logicunty  dicitur  apparentia'^  9-  c,  §  5).  ,yQuaeeunque 
ad  Sfsnsus  nastros  referuntur  ut  obiecta,  sunt  phaenomena^^  (1.  c.  §  12).  j^Qwm- 
quam  atäem  phaenomena  proprie  sint  rerum  species,  non  ideae,  neque  intemam 
et  absolutam  obieeiorum  qualiiatem  exprimant,  nifiHo  tarnen  minus  iüorum 
cognitio  est  verissima^^  (L  c.  §  11).  ^  Die  Erscheinungen  sind  als  solche  den 
geistigen  Gresetzen  unterworfen.  ,yBes  non  possunt  sub  uUa  speeie  sensibus 
apparere,  nisi  mediante  vi  animi,  omnes  sensaiiones  seeundum  stabilem  et  naturae 
8uae  insitam  legem  coordinantef^  (1.  c.  sct  III,  §  15).  —  Auf  dem  Standpunkte 
der  £jritik  (s.  d.)  ist  Erscheinung  die  subjective  Form  der  Existenz  der  Wirk- 
lichkeit, zu  der  das  Ding  an  sich  das  Ck>rrelat  bildet,  das  Ding,  ,^ofem  es 
Object  der  sinnlichen  Änsehammg  ist"  (Krit  d.  r.  Vera.  S.  23).  Die  Gegen- 
stande j^seheinen"  uns,  d.  h.  sie  sind  „Gegenstände  der  Sinnlichkeit^^  (1.  c.  S.^). 
Aber  auch  die  Objecte  des  Verstandes  sind  nur  Phänomene.  „  Was  gar  nicht 
am  Objeete  an  sich  selbst,  j&ierxeit  aber  im  Verhältnisse  desselben  xum  Subfeci 
anxutreffeti  und  von  Vorstellung  des  ersteren  unzertrennlich  ist,  ist  Erscheinung^ 
(1.  c.  S.  73).  Erscheinungen  sind  „bloße  Vorstellungen,  die  tiaeh  empirischen 
Gesetzen  xusammenhängen",  sie  haben  „selbst  noch  Gründe,  die  nicht  Erschein 
fiungen  sind*'  (1.  c.  S.  431).  Die  Erscheinungen  haben  empirische  Bealitat  (s.  d.}, 
sind  objectiv  (s.  d.),  nicht  Schein  (s.  d.).  „Wenn  ich  sage:  tm  Raum  und  der 
Zeit  stellt  die  Anschauimg,  sozcohl  der  äußeren  Objecte,  als  auch  die  Selbst- 
anschauung  des  Gemütes,  beides  vor,  so  toie  es  unsere  Sinne  affieiert,  d.  u  ttie 
es  erseheint,  so  will  das  nicht  sagen,  daß  diese  Gegenstände  ein  bloßer  Sehein 
wären.  Denn  in  der  Erscheinung  werden  jederzeit  die  Objecte,  ja  selbst  die  Be- 
schaff enlieiten,  die  wir  ihnen  beilegen,  als  eiivas  wirklich  Gegebenes  angesehen, 
nur  daß,  sofern  diese  Beschaffetiheit  nur  von  der  Anschauungsart  des  Subjeets 
in  der  Relation  des  gegebenen  Gegenstandes  xu  ihm  abhängt,  dieser  Gegenstand 
als  Erscheinung  von  ihm  selber  als  Object  an  sieh  unterschieden  wird.  So 
sage  ich  nicht,  die  Körper  scheinen  bloß  außer  mir  xu  sein,  od&r  meine 
Seele  scheint  nur  meinem  Selbstbetnißtsein  gegeben  xu  sein,  wenn  ich  behasi^Cy 
daß  die  Qualität  des  Raums  und  der  Zeit,  welcher,  als  Bedingufigefi  ihres  Daseins,, 
gemäß  ich  beide  setze,  in  meiner  AnscJtauungsart  und  nicht  in  diesen  Objeeten 
an  sich  liege*^  (1.  c.  S.  73).  Erscheinung  ist  „empirische  Anschauung,  die  durch 
Reflexion  und  die  daraus  entspringenden  Verstandsbegriffe  xur  inneren  Erfith- 
rung  und  hiermit  Wahrheit  wird*^  (Anthrop.  I,  §  7).  Von  den  Dingen  kennen 
wir  nur  die  Art,  sie  wahrzunehmen;  anderen  Wesen  mögen  sie  anders  er- 
scheinen (Krit  d.  r.  Vem.  S.  66).  Auch  das  Ich  (s.  d.)  wird  nur  als  Er- 
scheinung erkannt  Die  Materie  (s.  d.),  die  Bewegung  (s.  d.)  sind  nur  Er- 
scheinungen. Die  „nach  der  Einfieit  der  Kategorien"  gedachte  Erscheinung  ist 
„Phaenomenon"  (1.  c.  S.  231).  Die  Dinge  der  Erfahrung  sind  „Erseheinungeft^ 
deren  Möglichkeit  auf  dem  Verhältnisse  gewisser  an  sich  unbekannter  Dinge  xu 
etwas  anderem,  nämlich  unserer  Sinnlichkeit,  beruht'^  (Prolegom.  §  13).    Alles  in 


Srsoheinting.  307 


Baom  und  Zeit  Befindliche  ist  als  solches  Erscheinung  (1.  c.  §  13,  Anm.  I). 
&Bcheinmigen  sind  die  Vorstellungen,  welche  die  Dinge  (an  sich)  „in  uns  wirkefiy 
indem  sie  unsere  Sinne  affieieren^*  (1.  c.  Anm.  II).  Erscheinimg,  solange  als 
sie  in  der  Erfahrung  gebraucht  wird,  bringt  Wahrheit,  sonst  aber  Schein  hervor 
(L  c.  Anm.  lU).  Die  Cresetze  (s.  d.)  der  Erscheinungen  entstammen  dem  Ver- 
Bt&nde. , 

Nach  Beck  sind  Erscheinungen  „die  Objeete  unserer  Erkenntnis ,  die  auf 
uns  wirken  und  Empfindungen  in  uns  hervorbringen^^  (ErL  Ausz.  III,  159).. 
Was  nach  Wegfall  aller  Intelligenzen  von  der  Außenwelt  noch  bliebe,  ist  un- 
erfindlich (L  c.  S.  399).  Bei  J.  G.  Fichte  wird  die  Erscheinung  ganz  subjectiv, 
zum  Producte  der  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.).  —  Bei  den  extremen  Neukantianern 
sind  die  Erscheinungen  nichts  als  kategorial  (s.  d.)  verknüpfte  Erfahrungsinhalte 
(Natorp,  H.  Cohen  u.  a.).  Der  subjective  Idealismus  (s.  d.)  kennt  nichts 
als  Erscheinungen  im  Bewußtsein.  So  z.  B.  Bradley.  Nach  Hodoson  gibt 
es  kein  Ding  an  sich,  „because  there  is  no  existenee  beyond  eonsciousness" 
(Phil,  of  Refl.  I,  219).  „Our  aetucU  phenomenal  world  is  a  part  of  a  larger,  but 
ttäl  phenomenal  world  whieh  we  must  eoneeive  as  possible,  possible  in  our  view, 
fnU  aelual  io  oiher  modes  of  eonseiousness  than  ours^^  (1.  c.  I,  213).  Ähnlich 
J.  St.  Mill,  B.  Bain  u.  a*  Keinen  Gegensatz  von  Erscheinung  und  Ding  an 
sich  kennt  der  Empiriokriticismus  (s.  d.),  femer  die  Immanenzphilo- 
Sophie  (s.  d.).  Schuppe  z.  B.  nennt  die  y,Elemente  des  Oegebenen"  auch  „-Eir- 
tekeinungselement&%  dabei  ist  aber  „Erscheinung  nicht  im  Oegensaixe  xu  dem 
wirkHeh  Gegebenen,  sondern  eben  im  Sinne  desselben  gemeint,  in  welchem  das 
Wort  sel^  oft  gebraucht  wird"',  als  das  „Sinnßllige^'  (Log.  S.  79).  Ähnlich 
E.  Mach.  Nach  H.  Corkeuub  sind  die  Erscheinungen  eins  mit  den  Sinnes- 
objecten,  sie  sind  von  den  Noumena  (s.  d.)  nur  relativ  unterschieden:  ,yDie 
Erscheinungen  sind  die  einx einen  Fälle  der  in  dem  voovfisvov  gegebenen 
allgemeinen  BegeV^  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  263).  Die  Einzelerscheinung  der 
Sinneswahmehmung  ist  von  der  begrifflich  fixierten,  objectiven  Erscheinung  zu 
imteracheiden  (Psychol.  S.  246  ff.). 

In  mehr  oder  weniger  bestinunter  Weise  wird  die  Erscheinung  auf  etwas  in 
den  Dingen  an  sich  bezogen  von  verschiedenen  Philosophen.  Bardili  sieht  in 
der  Vorstellungswelt  eine  „Spiegelung*^  der  „Wirklichkeitsverhältnisse^'^  (Gr.  d. 
eist.  Log.  S.  92).  Schelling  nennt  Erscheinung  das  „relative  Nichtsein  des 
Betondem  in  Bezug  auf  das  ÄW  (WW.  I  6,  187).  Für  Hegel  ist  die  „Er- 
idieimmg^^  nur  ein  Moment  (s.  d.)  im  dialektischen  Processe  der  Wirklichkeit, 
deren  Wesen  durch  den  Begriff  erfaßt  wird.  Erscheinung  ist  „das  Wesen  in  seiner 
Sadstenv"  (^g-  H,  144).  „Das  Wesen  muß  erscheinen.  Sein  Scheinen  in 
ihm  ist  das  Aufheben  seiner  xur  Unmittelbarkeit,  welclte  als  Reflextcn^iii-sieh  so 
Bestehen  (Materie)  ist,  als  sie  Form,  Reflexton-in-anderes,  sieh  aufhebendes 
Bestehen  ist.  Das  Seheinen  ist  die  Bestimnimig,  wodurch  das  Wesen  nicht  Sein, 
fondem  Wesen  ist,  und  das  entwickelte  Scheinen  ist  die  Erscheinung.  Das 
Wesen  ist  daher  nicht  hinter  oder  jenseits  der  Erscheinung,  sondern  dadurc/i, 
^fi  das  Wesen  es  ist,  welches  existiert,  ist  die  Existenx  Erscheinutig"  (Encykl. 
§  131).  „Erscheinung  .  .  .  heißt  nichts  anderes,  als  daß  eine  RecUität  existiert, 
jedoch  nicht  unmittelbar  ihr  Sein  an  ihr  selbst  hat,  sondern  in  ihrem  Dasein 
gleich  negativ  gesetzt  isf*  (Ästh.  I,  157).  K.  Bobenkraxz  erklart;  „Das 
Wesen  setxt  sich  als  Existenx;  die  Existenz  setzt  sich  aU  ein  Existierendes;  das 
Existierende  führt  sich   aber  durch  die  Auflösung  seiner  Existenz   in  seinen 

20* 


308  Erscheinung. 

Qrtmdf  in  das  gegen  seine  Existenz  freie  Weseti  xurUek.  So  ist  die  Exisienx 
xur  Erscheinung  des  Wesens  geworden."  „Das  Wesen  ist  es,  welches  erst^teint* 
(Syst.  d.  Wiss.  S.  64  ff.).  Herbart  nennt  „objectiven  Schein*^  den  „Sehern, 
der  von  jedem  einzelnen  Objecte  ein  getreues  Bildj  loenn  auch  kein  voUständigeSj 
so  doch  ohne  alle  Täuschung  dem  Subjeeie  darstellt,  daß  bloß  die  Verbindung 
der  mehreren  Oegensfände  eine  Form  annimmt,  welche  das  xusantmenfassendf 
Subjeet  sich  muß  gefallen  lassen"  (Met.  II,  S.  320).  ,yWie  viel  Schein,  so  viel 
Hindeutimg  aufs  Sein"  (1.  c.  S.  351).  Ähnlich  Caspari  (Zusammenh.  d.  Dinge 
S.  428).  Nach  Beneke  ist  die  Außenwelt  Erscheinung  einer  geistigen  Wirk- 
lichkeit (Log.  II,  288).  So  auch  nach  Schopenhauer,  der  in  den  Dingen 
„Obfectitäten"  (Sichtbarwerdungen)  des  Ding  an  sich,  des  Willen  (s.  d.)  sieht 
„Objeci'sein  und  Erscheinung  sind  synongnie  Begriffe"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd, 
§  22).  „Erscheinung  heißt  Vorstellung  und  upeiter  nichts:  alle  Vorstellung, 
welcher  Art  sie  auch  sei,  aUss  Object  ist  Erscheinung^^  (1.  c.  §  2),  ein  subjectiver 
„Spiegel"  des  „An -sich"  (1.  c.  §  29).  Der  „Wille^^  als  Ding  an  sich  „ist  «w 
seiner  Erscheinung  gänxlich  verschieden  wid  v'öUig  frei  von  allen  Formen  derselben, 
in  welche  er  erst  eingeht,  indem  er  erscheint*^  (L  c.  §  23).  Der  Leib  (s.  d.)  ist 
unmittelbare  Erscheinung  des  Ding  an  sich.  Auch  J.  H.  Fichte,  Fechksr  und 
Paülsen  betrachten  die  Außenwelt  als  (unmittelbare  oder  mittelbare)  Erschei- 
nung (y, Selbsterscheinung"  =  Ich,  s.  d.)  einer  geistigen  Wirklichkeit,  esB» 
„Innenseins".  Erscheinung  ist  nach  Fechner  nicht  bloßer  Schein,  sondern 
objectiv  durch  die  Welt  ausgebreitet  und  schließt  sich  in  einem  einheiUicheD 
Bewußtsein  zusammen  (Tagesans.  S.  13).  In  der  Erscheinung  gibt  sich  das 
Ding  selbst  kund  (vgl.  Zend-Av.).  A.  Lange  bemerkt:  ,yJe  mehr  sieh  das  Ding 
an  sich  xu  einer  bloßen  Vorstellung  verflüclUigt,  desto  mehr  gewinnt  die  WeU 
der  Erscheinungen  an  Realität.  Sie  umfaßt  überhaupt  alles,  was  wir  wirklieh 
nennen  köfmen^^  (Gesch.  d.  Mat.  II',  49).  Nach  Lotze,  auch  nach  Renouvieb 
spiegelt  die  Außenwelt  bestinmite  Verhältnisse  im  An-sich  der  Dinge  subjectiv 
ab.  Ähnlich  (aber  subjectiver)  A.  Lange  (Gesch.  d.  Material.  II*,  49),  Hslv- 
HOLTZ  (Tatsach.  in  d.  Wahm.  S.  39),  H.  Spencer,  der  im  Materiellen  ein 
„Symbol"  des  Absoluten  erblickt.  Riehl  erklärt:  „Die  mechanische  Natur  ist 
nicht  die  Natur  an  sieh,  sondern  die  Ersclieinung  der  Natur  für  die  äußeren 
Sitme^^  (Phil.  Krit.  II  2,  194).  Die  Erscheinungen  sind  abhängig  von  Wirklich- 
keiten, denen  alle  ihre  Bestandteile  der  Empfindung  wie  die  besonderen  Formen 
der  „Existenx  und  Succession  entsprechen*^  (1.  c.  II  1,  22).  „Das  Subject  und 
das  Object  in  der  Wahmelimung  ist  Erscheinung,  nicht  bloße  Vorstellung,  und 
xwar  Erscheinung  in  dem  einzig  verständliehen  Sinne  des  Wortes,  tDonaeh  das- 
selbe die  Beziehung  auf  das,  was  erseheint,  in  seiner  Bedeutung  einschließL  Ick 
erkenne  mich  selbst,  tcie  ich  im  Gegenverhältnis  xu  den  Objecten  meines  Bewußt- 
seins erschei'fie"  (L  c.  S.  152).  Die  Erscheinung  bedeutet  für  uns  mehr  als  das 
unbekannte  Ding  an  sich,  das  ein  bloßer  „Orenxbegriff*'  ist  (1.  c.  S.  29).  Nach 
WuNDT  sind  die  Objecte  der  Außenwelt,  da  sie  nur  „mittelbare  Realität'  haben, 
in  begrifflichen  Symbolen  erkannt  werden,  Erscheinungen,  das  denkende  Sub- 
ject aber  ist  nicht  Erscheinung  (Log.  I',  S.  549,  552,  555;  Syst.  d.  Philos.*, 
S.  143  ff.).  Baum  und  Zeit  haben  ein  Correlat  im  Ding  an  sich,  das  geistiger 
Art,  WiUe  (s.  d.)  ist.  Im  Gegensatz  ziun  Materialismus  (s.  d.)  betont  Berg- 
mann, das  Bewußtsein  könne  nicht  Erscheinung  sein,  ,/ienn  wenn  es  nicht 
wirklich  da  wäre,  so  könnte  ihm  atieh  nicht  ein  Bewußtseitisvorgang  als  Ton 


Brscheiniing  —  Srwartmig.  309 

oder  cUs  Farbe  oder  eUs  Wärme  oder  als  Bewußtsein  erscheinen*^  (Unters,  üb. 
Hauptp.  d.  PhiloB.  S.  336).    80  auch  L.  Busse  (Geist  u.  Körp.  S.  28  ff.). 

Nach  OzoLBE  erkennen  wir  die  Dinge  an  sich  durch  hypothetische  Schlüsse 
auB  ihren  Wahrnehmungen  als  „vielfuch  bewegte  Atomcomplexe**  (Gr.  u.  Urspr. 
d.  m.  £rk.  S.  107).  Ulbici  bestimmt  „Erscheinung**  als  das  „immittelbare  Für- 
anderes'sein,  welches  xugleieh  das  eigene  Äußere,  die  eigene  Form  und  Teüheit 
des  Dinges  ist,  in  welchem  es  aber  xugleieh  unmittelbar  auf  anderes  eimeirkt  und 
damit  sein  Dasein  kundgibt**  (Log.  S.  333).  Überweg  erklart:  „Unsere  Vor- 
stellung von  räumliehen  Dingen  und  ihren  Bewegungen  ist  das  Resultat  einer 
solchen  Organisation  unserer  Empfindungsaniagen,  welche  die  Harmonie,  nicht 
Diseordanx  xwisehen  detn  An-sich  und  der  Erscheinung  in  mathematisch-physi- 
kalischem Betracht  ergibt**  (Log.*,  S.  87).  E.  v.  Hartmann  unterscheidet  die 
jyEaeistenxformen**  der  Wirklichkeit  von  deren  „Subsisienxform**  (Kiit  Gmndleg. 
S.  159).  Von  den  subjectiven  sind  die  „objectiv-realen  Erscheinungen**  zu  unter- 
scheiden,  in  denen  sich  das  Wesen  der  Dinge  durch  eine  bestimmte  Tätigkeit 
oder  Kraftaußerung  unmittelbar  manifestiert  (Mod.  Psychol.  S.  332,  s.  Bealis- 
mius).  R.  Steiner  nennt  Erscheinung  „die  Weise,  in  der  uns  die  Welt  ent- 
gegentritt, bevor  sie  durch  das  Erkennen  ihre  reeßUe  Oestalt  gewonnen  hat,  die 
Welt  der  Empfindung  im  Gegensatz  xu  der  aus  Wahrnehmung  und  Begriff  ein- 
keiilieh  xusammengesetxten  Wesenheit*  (Philos.  d.  Freih.  S.  108).  Brentano, 
Upuueb,  H.  Schwarz  u.  a.  halten  die  Dinge  der  Außenwelt  für  objectiv 
fundierte  Erscheinungen,  so  auch  W.  Jerusalem.  Hubserl  macht  auf  die 
Terschiedene  Bedeutung  von  „Erscheinung**  aufmerksam  (Log.  Unt.  II,  706  ff., 
vgl.  705,  328  f.).  Vgl.  Object,  Realität,  Phänomenalismus ,  Ding  an  sich, 
Tagesansicht,  Wirklichkeit. 

Krsclilelcliiiiiff  s.  Subreption. 
Erste  Pliilosopliie  s.  Metaphysik. 

6.  Überlegung. 

smd  nach  Chr.  Wolf  Satze,  welche  aussagen,  „daß 
etneni  Dinge  etwas  xukomme  oder  nicht**,  im  Unterschiede  von  den  „Ubungs- 
säixen**  (s.  d.)  (Vem.  Ged.  von  der  Kr.  d.  m.  Verst.*,  S.  77). 

Er^irartniiff  ist  ein  (durch  Spannungsempfindungen  und  Gefühle  charak- 
terisierter) Act  der  Aufmerksamkeit,  der  auf  einen  nicht  actuell  präsenten,  in 
Aussicht  gestellten  Inhalt  gerichtet  ist.  Im  Zustande  der  Erwartimg  ist  das  Be- 
wußtsein für  einen  (mehr  oder  weniger  bestinmiten)  Reiz  gleichsam  eingestellt, 
disponiert,  parat,  indem  die  Vorstellung  des  Erwarteten  den  Aufmerksamkeits- 
wiUen  beständig  zur  Intention  motiviert.  Ein  Factor  der  Erwartung  ist  die 
(rewohnheit  (s.  d.). 

Nach  Leibniz  ist  die  Erwartung  ein  Erkenn tnisfactor,  bei  den  Tieren  ver- 
tritt er  die  Vernunft  (Erdm.  p.  296).  Hume  führt  auf  die  Erwartung  des 
Gleichen  den  Begriff  der  Causalität  (s.  d.)  zurück.  Volkmann  erklärt  die 
Erwartung  als  „den  Zustand  des  Emporgetriebenwerdens  einer  als  künftig  ge- 
dachten Vorstellung  gegen  die  sie  abweisende  Gegenwart**  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*, 
21).  Nach  Nahlowsky  ist  die  Erwartung  ein  „formelles  Gefühl'*  (Das  Ge- 
fölüsleb.  S.  95).  Sie  ist  „die  Vorwegnahme  (Anticipation)  eines  xtikiinftigen 
Erfolges  durch  die  demselben  voraneilenden  Beproductionen**  (1.  c.  S.  96).  Man 
konnte  sie  auch  als  „einen  dunklen,  soxusagen  instinctiven  Analogieschluß 


310  Srwartung  —  Sselabrücke. 

erklären;  denn  es  findet  sich  immer  dabei  eine  gewisse,  wenn  auch  nur  htUb- 
beumßte  Fo  Igerung^'  (ib.).  Die  Hauptstadien  der  Erwartung  sind  die  „Spannung" 
und  die  yyÄuflösung"  (1.  c.  S.  97  ff.).  Nach  Lazabus  ist  Erwarten  y,Bereit- 
sehaft  %ur  Äppereeption"  (Leb.  d.  Seele  II*,  51).  Wundt  zahlt  das  Greföhl  der 
Erwartung  zur  Bichtung  der  spannenden,  meist  auch  zu  der  der  erregenden 
Gefühle,  es  pflegt  mit  ziemlich  intensiven  Spannungsempfindungen  verbunden 
zu  sein.  Im  Moment  des  Eintritts  wird  das  E^rwartungsgefühl  durch  das  meist 
nur  sehr  kurzdauernde  „Oefüfd  der  ErfuUtmg^^,  das  den  Charakter  eines  lösenden 
Gefühls  hat,  abgelöst  (Gr.  d.  Psychol.^  S.  260).  Bei  der  Bildung  der  zeitUchen 
Vorstellungen  (s.  d.)  spielt  das  Erwartungsgefühl  eine  Bolle.  KüLPE  bestimmt: 
yyMnen  Reixunterschied  oder  einen  Reix  erwarten  heifit  die  innere  Wahrnehmung 
eines  solchen  oder  das  ihr  entsprechende  Urteil  vorbereiten.  Diese  Vorbereüung 
kann  in  sehr  mannigfaltiger  Weise  gescheheny  etwa  durch  ei/ne  günstige  Stellung 
und  Spanfwng  des  Sinnesapparates  .  .  .  oder  durch  central  erregte  Empfindungen^ 
die  das  Erwartete  antieipieren  (Vorstellung  des  Beixes  oder  ReixuntersMedes)f 
oder  durch  eine  besondere  Bereitschaft  für  die  Anwendung  des  entsprechenden 
Urteils  (inneres  Vorsprechen  der  betreffenden  Latäe)  u,  a.  Es  ist  ktar,  dafi  die 
Erwartung,  wenn  sie  auf  die  der  Aussage  des  Beobachters  unterliegenden  Vor- 
gänge gerichtet  isty  die  E,  (s.  d,)  und  U.  E,  (s.  d.)  vergröfiem  muß.  Denn  sie 
ist  eigentlich  nichts  anderes  y  als  eine  vorbereitende  Aufmerksamkeit^^  (Gr.  d. 
Psychol.  S.  41).  H.  Corneliub  erklärt,  wir  können  yykeinen  Inhalt  ohne  jedf 
Bexiehung  tm  folgenden  Erlebnissen  denken;  die  Einordnung  jedes  neuen  hihaites 
unter  den  allgemeinsten  Begriff  eines  ErlebnisseSy  den  wir  auf  Qrund  unserer 
bisherigen  ErfaJirungen  hesitxeny  schließt  vielmehr  stets  den  Gedanken  an  noch 
nicht  gegebene,  erst  xu  erwartende  weitere  Erlebnisse  mit  ein"  (EinL  in  d. 
Philos.  8.  251  ff. ;  Psychol.  S.  87  ff.).  Nach  W.  Jerusalem  ist  Erwartung  ein 
Urteil.  Zugrunde  liegt  ihr  „eine  durch  die  gegenwärtige  Constellation  reranlaßte 
Phantasievorstellung j  und  diese  veranlaßt  uns  xu  dem  Urteile:  ,Das  oder  das 
ivird  jetxt  geschehen*".  Ein  solches  Urteil  ist  ein  yyErwartungsurteü^*  (ürtefls- 
funct.  S.  134).  Durch  dasselbe  wird  ,ydie  durch  die  gegemvärtigen  Wahr- 
nehniungen  geweckte  Phantasievorstellung  dahin  gedeutet,  daß  wir  dem  wahr- 
genommenen Objecte  eine  bestimmte  Tendenz,  eine  Willensrichtung  ui- 
seltreiben",  „Jede  Aussage  über  ein  xidcünftiges  Geschehen  ist  ein  Urteil  über 
eine  den  gegenwärtigen  Objecten  innewohnende  Willensrichtung,  Die  Zukunft 
wird  als  ein  in  seiner  Richtung  erkennbarer,  aber  noch  nicht  ausgeführter  Willens- 
imptds  der  Gegenwart  aufgefaßt"  (1.  c.  S.  136).  Später  treten  an  die  Stelle  von 
Willensimpulsen  Kraftrichtungen  imd  Tendenzen  (1.  c.  S.  137).  VgL  Object, 
Causalität. 

ErsEftlilende  (Idstorlsche)  Urteile  sind  Urteile,  deren  Prädicat  ein 
Geschehen  oder  eine  Handlung  in  bestimmter  Zeit  (Vergangenheit,  Gegenwart, 
Zukunft  u.  8.  w.)  bedeutet  (z.  B.  die  Sonne  schien). 

Xiselsbrfieke  (jpons  asinorum"):  Name  einer  Figur,  welche  logische 
Verhältnisse  veranschaulicht.  Sie  findet  sich  zuerst  bei  Petrus  Taktaretüb 
(ca.  1480).  „  Ut  ars  inreniendi  medium  cunctis  sit  facilis,  plana  atque  per- 
spicua,  ad  manifestcUionem  ponttur  sequens  figura,  quae  communiter  propter 
eius  apparentem  difficuUatem  pons  asinorum  dieitur*^  (bei  Prantl,  G.  d.  Log. 
S,  206). 


Eselsbrücke  —  Ethik.  311 


A  -^  C  =  antecedens  ad  praedicatum 

A  —  B  =  consequens  ad  praedicatum 

E  —  F  =  antecedens  ad  subiectum 

E  —  D  =  consequens  ad  subiectum 

C  —  F  =  Darapti,  Disamis,  Datisi  (s.  d.) 

F  —  G  =  Felapto,  Bocardo,  Feriso  (s.  d.) 

G  —  D  =  Gelarent,  Cesare,  Ferio,  Festino  (s.  d.) 

F  —  B  =  Bamalip  (s.  d.) 

C  —  D  =:  Barbara,  Darii  (s.  d.) 

H —  B  =  Cesare,  Camestres,  Baroco  (s.  d.). 

liSOterlscli  b.  Exotensch. 

Hssfter  (EcaaJot  bei  Philo)  oder  Essener  (E<rcrjvoi  bei  Josephus): 
Name  einer  jüdischen  Secte,  im  2.  Jahrh.  y.  Chr.  schon  bekannt  Mönchische 
Lebensweise,  Askese,  Sittenreinheit  zeichnete  sie  aus  (Zeller,  PhiL  d.  Griech. 
in»,  2,  278  ff.).  Sie  hatten  eine  Geheimlehre  über  Engel  und  Schöpfung 
(Überweg -Heikze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  P,  355).  Verwandt  sind  die 
Therapeuten  in  Ägypten. 

Bsa^ns  (essentia):  Wesen  (s.  d.),  Wesenheit. 

litliellsiliH8  {i^eho)  =  Voluntarismus  (s.  d.) 

SStfillL  (i7^M(ifi  ethica,  philosophia  moraüs  bei  Seneca,  philoeophia  practica, 
moral  philoeophy,  „Sittenlehre"  zuerst  bei  Mosheim)  heifit  die  Wissenschaft 
Tom  Sittlichen,  d.  h.  vom  sittlichen  Wollen  und  Handeln.  Sie  bestimmt  ana- 
lytisch den  Begriff  des  Sittlichen  (s.  d.)  als  solchen,  fragt  nach  dem  Wesen  und 
dem  Werte  der  Sittlichkeitstatsachen,  deren  Entwicklung  genetisch  verfolgt 
vird.  Aus  dem  ethischen  Befunde  gewinnt  die  Ethik  allgemeine  Normen  (s.  d.), 
die  befolgt  werden  müssen,  soll  ein  Handeln  das  Pradicat  yjsittlich  giä"  ver- 
dienen; der  normative  Charakter  der  Ethik  hebt  sie  über  die  (Social-)Ps7chologie 
des  Sittlichen,  auf  die  sie  sich  gründet,  hinaus.  Die  Ethik  fragt  1)  nach  dem 
Ursprung  des  Sittlichen.  Je  nach  der  Antwort  unterscheidet  man  heterono- 
mistische  (theologische,  politische)  und  autonomistische  (s.  d.)  Moral;  ethischen 
Apriorismus  (Intuitionismus,  s.  d.),  Empirismus,  Evolutionismus  (s.  d.).  Die  Ethik 
fragt  2)  nach  der  Art  der  Motive  des  sittlichen  Handelns.  Danach  gibt 
«s  Beflezions-  (Verstandes-,  Vernunft-)  und  Grefühls-Moral.  Femer  fragt  die 
Ethik  nach  dem  Object  des  sittlichen  Handelns.  Da  sind  Individuidismus 
(E^ismus,  Altruismus)  und  Universalismus  zu  unterscheiden.  Endlich  fragt 
num  nach  dem  Zwecke  des  Handelns  und  unterscheidet  Eudämonismus  (He- 
doiÜBmus,  Utihtarismus),  Perfectionismus,  Evolutionismus,  Rigorismus.  Nach 
der  Methode  und  der  Aufgabe  der  Ethik  sind  speculative  und  empirische, 
metaphysische  und  positive,  descriptive  und  explicative,  normative  und  dar- 
stellende Ethik  zu  unterscheiden.  Einer  Gruppe  angehörende  Richtungen  ver- 
binden sich  mit  solchen  anderer  Gruppen  (vgL  Kt^LPE,  Einleit  in  d.  Philos.*, 


312  Sthik. 

S.  227  ff.).  Nach  dem  Object  der  Beurteilung  lassen  eich  Greeinnungs- 
(Absichts-)  und  Erfolgsmoral  unterscheiden.  —  Die  Individualethik  ist  von 
der  Social ethik  (b.  d.)  zu  unterscheiden. 

In  den  Sprüchen  der  „sieben  Weisen"  beschränkt  sich  das  Ethische  auf 
einfache  Lebensregeln,  Klugheitsmaximen.  Die  Pythagoreer  wenden  den  Maß- 
und  Harmoniebegriff  (s.  d.)  auch  auf  das  Handeln  des  Menschen  an.  Hera  KT  jt 
betrachtet  als  ethisch  die  Unterordnung  der  Individuen  unter  die  Gresetze  der 
Allgemeinheit.  Demoekit  sieht  in  der  Glückseligkeit  (s.  d.)  das  höchste  Gut 
und  legt  Wert  auf  die  sittliche  Gesinnung  {äya&ov  ov  ro  /«ij  ddixelv,  diJA  to 
/irj  id-^Xeiv,  Stob.  Floril.  IX,  3).  Die  Sophisten  betonen  (teilweise)  die  Re- 
lativität des  Sittlichen,  begründen  den  ethischen  Skepticismus  (s.  d.);  Prota- 
00RA8  macht  davon  eine  Ausnahme.  Sokrates  betont  die  Allgemeingültigkeit 
der  Moral,  er  ist  der  Begründer  der  Ethik  {2(oxQarrjg  6  r^v  ^d'ixijv  eicayaywr, 
Diog.  L.  Prooem.  14).  Der  Mensch  und  sein  Handeln  sind  ihm  wichtiger  als 
die  Natur  (Aristoteles,  Met  I  6,  987  b).  Seine  Ethik  ist  int^Uectualistisch  — 
die  Tugend  (s.  d.)  ist  ein  Wissen  —  imd  eudämonistisch  —  das  Gute  (s.  d-)  ist 
das  ZweckvoUe.  Die  Cyniker  (s.  d.)  sind  Eudämonisten,  so  auch  die  Kyre- 
nai'ker  (s.  d.).  Plato  überwindet  den  Eudämonismus  durch  den  Begriff  des 
„Outen  an  sich"  (s.  d.).  Aristoteles  begründet  die  Ethik  systematisch  (Nikom. 
Eth.),  ist  Eudämonist,  aber  ein  solcher,  der  die  Glückseligkeit  auf  das  der  Seele 
und  der  Vernunft  gemäße  Leben  bezieht  (s.  Tugend).  Die  Ethik  ist  eine  prak- 
tische, erziehende  Wissenschaft  («V  ayad-ol  yivcif^ed-a,  Eth,  Nie.  II  2,  1103b 
26  squ.).  Die  Stoiker  verlegen  die  Sittlichkeit  in  das  natur-  und  vernunft- 
gemäße Leben,  der  Begriff  der  Pflicht  (s.  d.)  wird  betont.  Die  Ethik  handelt 
vom  Begehren,  vom  Guten  imd  Bösen,  von  den  Affecten  und  deren  Beherr- 
schung, von  der  Tugend  und  Pflicht  (Diog.  L.  VII  1,  84;  Stob.  EcL  II,  6). 
Eine  eudämonistische  (zugleich  auch  social-utilitaristische)  Ethik  lehren  die 
Epikureer  (s.  d.).  Das  ijd'txov  handelt  yte^l  ai^'vetog  xai  tpvyfjg  rre^i  aigexciv 
xai  fBvxrcjv  xai  nsQl  ßicov  xai  rs'Xovg  (Diog.  L.  X,  30).  Die  Neuplatoniker 
haben  eine  mystische  Ethik,  die  zur  Reinheit  der  Gesinnung,  zur  Vergottung 
antreibt. 

Die  (ur-)  ehr  istliche  Ethik  ist  theologisch,  altruistisch,  asketisch  veran- 
lagte Liebesmoral.  Die  Kirchenväter  und  die  Scholastiker  bilden  diese 
Ethik,  unter  dem  Einflüsse  platonisch-aristotelischer  Lehren  aus.  AbA£LARI> 
betont  die  gute  Gesinnung,  Thomas  die  Tugenden  (s.  d.)  imd  das  Grewissen; 
fjScientia  ethica"  findet  sich  bei  ihm  (3  sent.  23,  1,  4,  2  c).  DuNS  Sooruft 
unterscheidet  natürliches  und  göttliches  Sittengesetz  (In  lib.  sent.  3,  d.  37,  qu.  1). 
Die  Lehre  von  der  y,Synteresis"  (s.  d.)  spielt  in  der  mittelalterlichen  Ethik 
eine  EoUe.    Nach  Vergottung  streben  die  Mystiker. 

In  der  Benaissanceethik  kommen  stoische  (und  epikureische)  Elemente 
wieder  zur  Geltung.  So  auch  bei  Descartes  und  Spikoza.  Auf  den  Selbst- 
erhaltungstrieb gründen  die  Moral  Telesius,  Hobbes,  auf  den  Nutzen  F.  Baoon^ 
auf  die  Demut  (humilitas)  Geülincx.  Die  Ethik  ist  ihm  Tugendlehre  (Eth. 
I,  C.  1,  §  1;  vgl.  p.  161).  Ethisches  Princip  ist:  ^^Ubi  nihil  vales,  ibi  nihil 
velis,  seu  nihil  frustra  ferenäum  est"  (1.  c.  p.  164). 

Ethische  Intellectualisten  und  Aprioristen  (Intuitionisten)  sind  R.  Clt)- 
WORTH,  der  angeborene  sittliche  Ideen  annimmt  (The  true  int.  syst.  I,  eh.  4), 
H.  MoRE  (Enchir.  III),  Butler,  Reid,  Düqald  Stewart  u.  a.  Eine  em- 
piristische Ethik  lehrt  Locke,  der  die  Ethik  für  eine  demonstrative  AVissen- 


Ethik.  313 

Schaft  Mit  (Ess.  IV,  eh.  3,  §  16),  nämlich  für  diejenige  Wissenschaft,  welche 
,4^  Regeln  ttnd  den  Anhalt  für  die  mensekltehen  Handlungen,  die  xur  Glück- 
seligkeü  führen,  sotvie  die  Mittel,  sie  »u  erlangen,  aufattchf^  (1.  c.  eh.  21,  §  3). 
Eine  Gefühlsmoral,  welche  die  socialen  Neigungen  als  Quelle  des  Sittlichen 
(8.  d.)  betrachtet,  begründen  Shaftesbüry,  Cumberland,  Hutcheson.  Auf 
Sympathiegefühle  (s.  d.)  gründen  die  Ethik  Hume  und  A.  Smith.  Den  em- 
pirischen Charakter  der  Ethik  betonen  besonders  auch  Holbach  imd  Hel- 
VETTUS,  welcher  sagt:  ,//'a»  eru  qu*on  devoit  traiter  la  MarcUe  comme  touies 
ka  auires  sciefices,  et  faire  ime  Morale  comme  une  Physique  experimentale^*  (De 
Tespr.  I,  p.  4). 

Den  P^ectionismus,  die  Anpassung  des  Sittlichen  als  des  der  Vervoll- 
kommnung des  Ich  gemäßen  Handelns,  lehrt  Leebniz.  So  auch  Chr.  Wolf. 
Die  Ethik  ist  „scientia  dirigendi  aetiones  liberas  in  statu  naturali,  seu  quatenus 
nd  iuris  est  homo  nulli  alterius  poiestati  subieetus*^  (Phil.  rat.  §  64).  „PhHo- 
Sophia  moralis  sive  Ethica  est  scientia  practica,  docens  modum,  quo  hofno  libere 
aetiones  suas  ad  legem  naiurae  componere  potest"  (Eth.  I,  §  4;  vgl.  §  2;  „Ethik 
oder  Sittenlehre'':  Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  V.  9,  S.  8).  J.  Ebert  erklärt: 
,fiie  Ethik,  icelche  auch  die  Moral  im  engeren  Verstände  genannt  wird,  lehrt 
die  Pflichten,  welche  der  Mensch  gegen  sieh  selbst  zu  beobachten  hat,  und  die 
Miäel  xur  Tugend''  (Vemunftl.  S.  12). 

Kant  begründet  eine  aprioris tische,  formalistische  Ethik,  einen  „Rigoris- 
fMu^'  (s.  d.),  für  den  das  Sittliche  Selbtszweck  ist;  Quelle  des  Sittlichen  ist 
nicht  die  Erfahrung,  sondern  die  praktisch  gesetzgebende  (autonome)  Vernunft. 
Die  Ethik  ist  ,,die  formale  Philosophie,  welche  sich  mit  den  Oesetxen  der  Frei- 
heü  beschäftigt"  (Prolegom.).  Ihr  Endziel  ist  „die  Aufsuchung  und  Festsetzung 
des  obersten  Prindps  der  Moralitäi"  (Grdl.  zur  Met.  d.  Sitt.  8).  Formalistisch, 
später  universalistisch  ist  die  Ethik  J.  G.  Fichtes.  „So  wie  die  theoretische 
Philosophie  das  System  des  notwendigen  Denkens,  daß  unsere  Vorstellungen  mit 
einem  Sein  übereinstimmen,  darzustellen  hat;  so  hat  die  praktische  das  System 
des  nohoendigen  Denkens,  daß  mit  unseren  Vorstellungen  ein  Sein  übereinstimme 
und  daraus  folge,  xu  erschöpfen"  (Syst.  d.  Sitt.  Einl.  S.  III).  Schelling  be- 
trachtet das  Sittliche  als  ein  Entwicklungsproduct  des  Absoluten,  so  auch  Hegel, 
dff  eine  universalistische  Ethik,  die  zwischen  subjectiver  Moral  und  objectiver 
Sittlichkeit  unterscheidet,  lehrt.  Nach  Schleiermacher  ist  die  Ethik  ein 
„Erikennen  des  Wesens  der  Vernunft",  nicht  normativ,  sondern  „beschauliche 
Winenschaft"  (Phü.  Sitt.  §  60  ff.).  Sie  ist  ein  „Ausdruck  des  Handelns  der 
VemunfV*  (L  c.  §  75).  Sie  stellt  dar  „ein  potentiiertes  Hineinbilden  und  ein  exten" 
sives  Verbreiten  der  Einigung  der  Vernunft  mit  der  Natur"  (1,  c.  |  81).  Sie 
zerfallt  in  Güterlehre,  Tugendlehre,  Pflichtenlehre  (1.  c.  §  110  ff.).  Ahnlich  in 
manchem  ist  die  Ethik  von  A.  Dorner  (Das  menschl.  Handeln  1895).  Schopen- 
haiter  lehrt  eine  (metaphysisch  begründete)  Mitleidsmoral,  A.  Comte  den 
Altruismus  (s.  d.).  Herbart  bestimmt  die  Ethik  (praktische  Philosophie,  s.  d.) 
als  einen  Teil  der  Ästhetik,  als  Lehre  von  den  Billigimgen  und  Mißbilligungen 
von  „  Willensverhältnissen"  (WW.  IV,  105,  II,  350).  Verwandt  sind  die  Lehren 
von  Steinthal  (Allg.  Eth.)  und  Allihn.  Nach  diesem  hat  die  Ethik  „unter 
den  mannigfachen  Urteilen  des  Lobes  oder  Tadels,  des  Vorxiehens  und  Ver- 
werfen», die  efiarakteristisc/ie  Eigentümlichkeit  derer,  welche  auf  absolute  Geltung 
Anspruch  machen,  hervorxuheben  und  die  einzelnen  Arten  derjenigen  Verhältnisse, 
welehe  die  obfectiven  Gründe  des  absoluten  Beifalls  oder  Mißfallens  bilden,  auf- 


314  Sthik. 

xumehen^^  (Gr.  d.  allg.  Eth.  S.  12  ff.).  Beneke  gründet  die  Moral  auf  die 
gefiihlflm&ßig  zum  Ausdruck  kommenden  Wertverhältnisse  des  Psychischen. 
Nach  CzoLBE  lassen  sich  die  moralischen  Gesetze  nur  aus  der  Erfahrung  ent- 
wickeln (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  14).  Fetjebbach  lehrt  eine  eudämonistische 
Gefühlsmoral.    So  auch  Feghner. 

Den  Individualismus  (s.  d.)  betonen  in  der  Ethik  M.  Stirneb,  Nietzsche, 
der  ,jHerrenmoraV^  und  „Skiavenmoral'^  unterscheidet  und  sich  als  „AnU- 
moralisten*^  bezeichnet,  auch  R  Steiner  (Philos.  d.  Freih.  S.  154  ff.). 

Den  neueren  Utilitarismus  (s.  d.)  begründet  J.  Bentham.  Nach  ihm  ist  die 
Ethik  yyike  art  of  directing  nien*s  aetions  to  the  produetian  of  the  greatest  pw* 
nble  quantity  of  happiness,  on  the  part  of  thase  whose  intereat  in  the  vieuf^. 
jyPritfoie  ethtcs^^  =  „the  art  of  self-govemment^^  (Introd.  II,  eh.  17,  p.  234). 
(Socialer)  Utilitarier  ist  J.  St.  Mill  (für  die  Entstehung  des  Sittlichen,  s,  d-), 
femer  Sidowick,  der  zugleich  Intuitionist  ist;  Au%abe  der  Ethik  ist  „to  render 
seientific  the  apparent  cognitions  that  most  men  have  of  the  righiness  or  reaso- 
nahleness  of  conduct**  (Meth.  of  Eth.»,  71);  femer  V.  GiZYCKi  (MoralphiL  8.  1) 
u.  a.  Biologisch -evolutionistisch  ist  die  Ethik  von  Gh.  Darwin  (Abst  d. 
Mensch.  C.  4),  H.  Spencer.  Nach  ihm  ist  Ethik  „rf*e  Wissenschaft  vom  guten 
Handeln" ^  «itscheidet,  „wie  und  warum  gewisse  HandUmgen  verderblieh  und 
gewisse  andere  wohltätig  sind".  Hauptaufgabe  der  Moralwissenschaft  ist,  „oi» 
den  Gesetzen  des  Lebens  und  den  Existentialbedingungen  (tbxuleiien,  iceiehe  Arten 
des  Handelns  notwendigerweise  Olück  und  welche  Unglück  xu  erxeugen  streben"^ 
(Princ.  d.  Eth.  I  1,  §  21).  Femer  J.  Fiske  (The  destiny  of  Man  18W), 
S.  Alexander  (Moral  Order  and  Progress  1889),  WiLLiABiS  (EvolutioMd 
Ethics  1893),  Leslie  Stephen  (The  Science  of  Ethics  1882/1893),  Cabnebl 
Er  versteht  unter  Ethik  „die  Zusammenfassung  der  letzten  Resultate  der  ge- 
samten philosophischen  Wissenschaften  in  ihrer  Äntcendung  aufs  praktische  Ldfen, 
auf  die  Gesittung  überhaupt.  Während  die  Moralphilosophie  bestimmte 
Sittengesetxe  aufstellt  tmd  %u  kalten  befiehlt,  damit  der  Mensch  sei,  was  er  sein 
solly  entunckelt  die  Ethik  den  Menschen,  une  er  ist,  darauf  sieh  beschränkend, 
ihm  xu  xeigen,  was  noch  aus  ihm  werden  kann"  (Sittl.  u.  Darwin.  S.  1).  Die 
Entwicklungsethik  von  A.  Tn^LE  ist  ganz  biologisch  (Von  Darwin  bis  Nietzsche). 
Evolutionistisch  ist  auch  die  Ethik  von  H.  Höffdino.  Die  Ethik  hat  zwei 
Angaben :  a.  die  historische  oder  vergleichende,  b.  die  philosophische  der  Wert- 
schätzung auf  Grundlage  der  biologisch-psychologisch-socialen  Natur  des  Men- 
schen (Ethik«,  S.  8  ff.).  Die  „positivisiisefie  Ethik^'  von  E.  LaA8  will  den 
psychologischen  und  geschichtlichen  Ursprung  der  moralischen  Gesetze  und  die 
Bichtung  ihrer  Fortbildimg  zeigen  (Ideal,  u.  Posit.  II).  Die  „positive  Etkü^ 
von  G.  Ratzenhofer  entnimmt  das  Seinsollende  „der  Natur  des  Mensehen  und 
der  Soeialgebilde,  fußend  auf  den  NcUurgesetxen"  (Posit  Eth.  S.  22).  Sie  be- 
dient sich  der  evolutionistischen  Methode  (1.  c.  S.  31).  Nach  Unold  hat  die 
Ethik  1)  „eine  auf  vernünftiger  Einsicht  beruhende  Lebensansehatmng  xu  be- 
gründen, die  imstande  ist,  das  sittliche  Lehen  und  Streben  eines  Volkes  xu  tragen 
und  xu  fördern",  2)  „die  Gesichtspunkte,  Regeln  UTtd  MeÜioden  für  eine  richtige^ 
tüelitige  und  würdige  Lebensführung  xu  untersuelten  und  ausxuarbeiten"  (Grundleg. 
f.  e.  mod.  pr.-eth.  Lebensansch.  S.  47).  Die  Ethik  hat  eine  biologische,  evo- 
lutionistische  Basis  (1.  c.  S.  60  ff.).  Evolutionisten  sind  auch  G.  Simmel  (Einl ' 
in  d.  Moralwiss.  1892—93),  W.  Stern  (Krit.  Grandleg.  d.  Eth.  1897),  Jodl. 

Einen  evolutionistischen  Universalismus  (universalen  Evolutionismus)  lehrt 


Ethik.  315 

£.  Y.  Habtmaitn  (Phanom.  d.  sittL  Bewußts.;  Sociale  Kernfr.).  In  anderer 
Weise  Wündt.  Die  Ethik  ist  nonnativ^  sofern  sie  ihre  Objecte  „wwV  Rücksicht 
Quf  beaiimmie  Regeln,  die  an  ihnen  xum  Ausdruck  gelangen",  betrachtet  (Eth.', 
EinL).  Jedes  Einzelwollen  muß  sich  einem  Oesamtwillen  als  realer  sittlicher 
Macht  miterwerfen  (L  c.  S.  432).  Das  Sittliche  entwickelt  sich,  und  die  geistige 
Höherentwicklung  selbst  ist  der  Inhalt  des  Sittlichen  (s.  d.). 

Perfectionismus  (Energismus,  s.  d.)  ist  die  Ethik  PAULSEys:  „Es  hat  die 
Ethik  auf  Örund  der  Erkenntnis  der  mensehliehen  Natur  überhaupt,  besonders 
auch  der  geistigen  und  socialen  Seite  dieser  Natur ^  Anleüung  xu  geben,  die  Auf- 
gaben des  Leben»  überhaupt  so  zu  lösen,  daß  dasselbe  die  reichste,  schönste,  voll- 
kommenste Entfaltung  erreicht^*  (Syst.  d.  Eth.  I,  S.  3).  Die  Ethik  ist  „eine 
Wissensehaft  von  den  Sitten*^  sie  gehört  zu  den  praktischen  Disciplinen  (1.  c. 
I*,  1),  ist  „Theorie  der  Lebenskunst^  basierend  auf  Anthropologie  und  Psycho- 
logie, ist  „allgemeine  Diätetik^^  (L  c.  S.  2).  Sie  zerfällt  in  Güter-  und  Pflichten- 
lehre  (1.  c.  S.  4  f.).  Sie  wiU  nicht  bloß  begründen,  sondern  auch  ergänzen  und 
yerbessem  (1.  c.  S.  10).  Ähnlich  Lippb  (Eth.  Grundfrag.  1899).  Seine  Ethik 
ist  formal,  perfectionistisch,  individualistisch,  Persönlichkeits-  und  Gesinnungs- 
iDoraL 

Auf  das  Gefühl  der  Achtung  vor  der  Autorität  gründet  die  Ethik  v.  Kibch- 
MANX  (Kat  d.  Philos.',  S.  172).  P.  Bee  leitet  das  Sittliche  (s.  d.)  aus  dem 
Autoritativen,  Gresetzlichen  ab  (Entst.  d.  Gewiss.). 

Unbedingt  verpflichtende  Ideale  liegen  nach  Lotze  dem  sittlichen  Handeln 
zugrunde.  „PfließUenlehre"  ist  die  Ethik  nach  C.  Staitoe.  Sie  ist  nicht  nor- 
mativ (Einli  in  d.  Eth.  1, 11),  daher  kann  sie  nicht  selbst  sittliche  Normen  auf- 
stellen (1.  c.  S.  12),  auch  nicht  deren  Inhalt  begründen  (1.  c.  S.  39).  Sie  hat 
bloß  das  Sittliche  darzustellen  (1.  c.  S.  40).  Sie  ist  eine  „auf  empirischer  Grund- 
lage ruhende  speciUative  Wissenschaft^^  (1.  c.  S.  55).  Sie  sucht  den  Inhalt  des 
Sittlichen  zu  bestimmen,  die  allgemeinen  Merkmale  der  als  sittlich  beurteilten 
Handlungen,  die  Factoren  des  sittlichen  Inhalts,  die  Quelle  der  sittlichen  Urteile, 
auch  die  Entstehungsbedingungen  des  Sittlichen  zu  finden  (L  c.  S.  194 ;  II,  1  ff.). 

Eine  „idio -psychologische^^  Gesinnungsmoral  mit  einer  Bangordnung  von 
Motiven  lehrt  Martineau.  Ähnlich  auch  H.  Schwarz,  der  einen  „Norm- 
zwang"'  anerkennt  (Grdz.  d.  Eth.  1896;  Psychol.  d.  WilL  1900;  Das  sittl.  Leben 
1901).  Im  Kantschen  Sinne  lehren  H.  Green  (Prol^om.  to  Ethics), 
J.  Mackenzie  (Manual  of  Ethics  1892)  u.  a.  Eine  „idealistische^'  Ethik  lehrt 
Westtscher.  Die  Ethik  soll  „die  möglichen  Ziele  menschlichen  Woüens  und 
Bemddne^^  zeigen  und  für  deren  Wert  oder  Unwert  Maßstäbe  an  die  Hand 
geben  (£Ül  I,  2).  Die  Ethik  ist  eine  „Ideahcissenschaft",  normativ  (1.  c.  S.  3). 
Der  Grundbegriff  der  Ethik  ist  der  der  Freiheit  (1.  c.  S.  4  ff.). 

Eudamonistische  Gefühlstheorien  stellen  auf  Schuppe  (Grdz.  d.  Eth.  u. 
Rcchtsphilos.  S.  1,  4  u.  ff.),  Adickes,  Döring  (Philos.  Güterlehre  1888),  Sig- 
WART  (Vorfr.  d.  Eth.,  Festschr.  f.  E.  Zeller,  1886) ,  welcher  die  Aufgabe  der 
Ethik  darin  setzt,  ,^nen  allumfassenden,  in  sich  einstimmigen  Zweck  als  Auf- 
gabe des  menschlichen  Handelns  so  xu  eonstruieren,  daß  seine  Erreichung  von 
den  gegebenen  Bedingungen  aus  möglich  ist^'  (Log.  II,  745).  Riehl  unterscheidet 
Ethik  und  Moralwissenschaft.  „Die  Ethik  gibt  der  Moral  die  Ziele,  die  Moral 
ist  ein  Weg  xu  diesen  Zielen''  (Zur  Einf.  üi  d.  Phüos.  S.  175). 

Einen  psychologischen  Intuitionismus  vertritt  F.  Brentano,  der  evidente 
eUiische  Grefühlsurteile  annimmt  (Vom  Urspr.  sittL  Erk.)    Zur  Werttheorie  (s.  d.) 


316  Ethik  —  Ethnographie. 


gestalten  die  Ethik  A.  Meinong  (Werttheor.  6.  85),  Ehbentels,  Kkeibig, 
O.  Kraus.  Uphues  definiert  die  Ethik  als  ,,die  Wissenschaft  von  dar  Giäe  oder 
Schleehtigkeü  des  Wollens  oder  von  dem  Chnmde  der  Wertuntersekiede  zwischen 
unseren  Handlungen  oder  Gesinnungen^^  (Psych,  d.  Erk.  I,  10). 

Den  Bestrebungen  nach  einer  freien,  von  metaphysischen,  religiösen,  poli- 
tischen Voraussetzungen  unabhängigen  Ethik  dient  die  „Gesellschaft  für  ethische 
OuUur''  (F.  Adler,  St.  Coit,  Jgdl  u.  a.). 

Auf  katholischer  Grundlage  ruht  die  Ethik  von  V.  Cathrkin  (Mondphiloe.*, 
1899).  —  Eine  Socialethik  gibt  R.  Ggldscheid  (Zur  Eth.  d.  GesamtwilL  I). 
Die  Ethik  muß  auf  dem  Gefühl  von  Lust  und  Unlust  aufgebaut  werden  (L  c. 
8.  66,  73),  psychologisch  fundiert  sein  (1.  c.  S.  82),  nicht  bloß  formal  sdn  (L  c. 
S.  98),  sie  muß  zugleich  rationalistisch  sein  (1.  c.  S.  103).  Sie  ist  Werttheorie 
und  fragt:  „Wie  schaff eti  mr  einen  Zustand,  wo  die  Vorstellungen  vom  Bösen 
unlustbetont  auftreten;  resp.  welche  Vorstellungen  sind  es,  an  die  wir  Lust- 
momente  knüpfen  müssen,  und  welche  Vorstellungen  sind  es,  bei  denen  wir  ein 
unlustbetontes  Functionieren  xu  erstreben  haben^^  (1.  c.  S.  103). 

Von  Historikern  der  Ethik  seien  genannt:  P.  Janet  (Histoire  de  la 
philos.  morale  et  polit.  1858),  H.  Sidgwick  (Eth.  1879),  Th.  Ziegler  (GescL 
d.  Eth.  1881/1886),  K.  Köstlin  (Gesch.  d.  Eth.  I,  1887),  F.  Jgdl  (Gesch.  d. 
Eth.  in  d.  neueren  Philos.  1882/1889)  u.  a.    Vgl.  Sittlichkeit. 

Etlilkotlieolo^e  s.  Moralbeweis. 

Ethlseli  i^&ixof,  bei  Cicero:  moralis):  1)  sittlich  (s.  d.),  2)  sittlich  gut, 
3)  zur  Ethik  (s.  d.).  gehörig.  Aristoteles  nennt  rf&ix6r  alles,  was  aus  der 
Sitte  {^d'oe)  entspringt  oder  auf  (allgemeiner)  Gewohnheit  (i&og)  beruht  (i?  8i 
fl&iXT]  ii  i'&ovi  Tteoiyiyverai,  od'ev  xai  rovvofta  Soxfixtv  fiixQOV  Tia^sxxXlvov  axo 
Tov  i'^ove,  Eth.  Nie.  II  1,  1103a  17).  Kant  stellt  ethisch  imd  juridisch  in 
Gegensatz.  Sofern  die  moralischen  Gesetze  „auf  bloße  äußere  Handlungen  und 
deren  Gesetxmäßigkeit  gehen,  heißen  sie  juridisch.  Fordern  sie  aber  auch, 
daß  sie  (die  Gesetxe)  selbst  die  Bestimmungsgründe  der  Handlungen  sein  sollen^ 
so  sind  sie  ethisch''  (WW.  VII,  11).  H.  Schwarz  nennt  ethisch  die  „in  das 
Gebiet  der  Ethik  schlagenden  sittlichen  und  wider  sittlichen  Verhaltungsweisen^'^ 
(Grdz.  d.  Eth.  S.  45). 

BOiiselie  Cansalit&t:  das  Wirken  sittlicher  Factoren  (vgl.  R  Gouk 
SCHEID,  Zur  Eth.  d.  Gesamtwill.  I,  93). 

Etbiselie  Tagenden  s.  Tugend. 

Etlilscber  Aprlorlsmns:  die  Lehre,  daß  es  ursprüngliche,  apriorische 
(s.  d.),  in  der  Vemimft  als  solcher  wurzelnde  ethische  Forderungen,  Gnmdsätze 
gibt  (Kant  u.  a.).    Vgl.  Ethik. 

Etliiselier  Brnplrlsmilfii:  die  Ansicht^  daß  das  Sittliche  ein  Produci 
der  (Gattungs-)  Erfahrung  sei.    Vgl.  Ethik. 

EUtlselier  Idealismus  s.  Idealismus. 

Btlilsclier  Monlsnins  s.  Monismus. 

EUtlsclier  Skeptieismns  s.  Skepticismus. 

ütbisclier  Theisrnns  s.  Theismus. 

S<tlino|p*apliie:  Völkerkunde,  eine  wichtige  Grundlage  für  Psychologie 
und  Philosophie.    Vgl.  Völkerpsychologie,  Sociologie. 


Ethologie  —  Enhemerlsinua.  317 


Etholof^  (J.  St.  Mill):  Wissenschaft  von  der  socialen  Bedingtheit  des 
Ethos  (Charakter)  =  Charakterologie  (s.  d.).  Ribot  unterscheidet  ^yEthologie 
des  indittdus^^  und  „Ethologie  des  raees^*  (Psjchol.  Angl.*,  p.  42).  Jetzt  auch 
Wissenschaft  vom  Ursprung  der  sittlichen  Begriffe. 

JEStlloa  iv^og):  Temperament,  Gesinnung,  Gemütsart,  dann  (sittl.)  Charakter. 
Heraklit:  rjd'og  av&Qcirco^  Baifuov  (Fragm.  121),  des  Menschen  Sinnesart, 
Charakter  bedingt  das  Geschick  des  Menschen.  Die  Stoiker  erklären:  fi^og 
lert  Ttriyri  ßiov,  ay>'  r^e  al  naxa  fidQog  TtQa^ets  Qtovci  (Stob.  £cl.  II  6,  36). 

JESiwas  (aliquid)  =  unbestimmtes  Object,  unbestimmter  Inhalt  eines  Den- 
kens, eines  Bewußtseins.  Nach  Chr.  Wolf  ist  „cUiquid"  das,  jfCui  notio  cUiqua 
respondet'  (OntoL  §  59).  Nach  Baumoartek  ist  es  „possibüe^  re^"  (Met  §  8). 
Hegel  definiert:  yjDas  Dasein  als  in  dieser  seiner  Besiimmtfieit  in  sich  re- 
ftecHartj  ist  Daseiendes j  etwas"  (Encykl.  §90).  „Was  in  der  Tat  vorhanden 
ist,  istf  daß  etwas  xu  anderetn,  und  das  andere  überhaupt  xu  einem  andern  tvird. 
Etwas  ist  im  Verhältnis  xu  einem  andern  selbst  schon  ein  anderes  gegen  das- 
selbe" (1.  c.  §  95).     Gegensatz:  Nichts  (s.  d.). 

Knbnlle  {svßovXia) :  richtiges  Überlegen,  Klugheit,  Einsicht  (Aristoteles, 
Eth.  Nie.  VI  10,  1142a  32  squ.).  Thomas:  „Eubulia"  =  Jtabitus,  quo  bene 
wnsüiamur*'  (Sum.  th.  L  II,  57,  6  ob.  1). 

Elid&lliOllle  (svdatfiovla):  Glückseligkeit  (s.  d.). 

JBadAmonIsmnB  (evSatfiovicfiog,  Aristoteles,  Eth.  Nie  IV  13,  1127  b 
18)  ist  jede  ethische  Anschauung,  nach  welcher  Motiv  und  Zweck  des  sittlichen 
Handelns  die  Gewinnung  oder  Fördermig  eigenen  oder  fremden  Glückes  (d.  h. 
andauernder,  wahrer  Glückseligkeit)  ist.  Der  Eudämonismus  im  weiteren  Sinne 
um&Lfit  den  Hedomsmus  (s.  d.)  und  den  Utilitarismus  (s.  d.),  im  engeren  Sinne 
ist  er  vom  UtiMtarismus  verschieden. 

Eudämonisten  sind  Demokrit,  Sokrates,  die  Cyniker,  Kyrenaiker, 
teilweise  Plato,  Aristoteles,  Epikur,  Spinoza,  Chr.  Wolf,  die  meisten 
englischen  Moralistendes  18.  Jahrhunderts,  die  Aufklärungsphilosophie 
(besondere  die  deutsche),  Condillac,  La  Mettrie,  Helvetius,  Holbach, 
Bentham,  J.  St.  Mill,  Comte,  Feuerbach,  Feghner,  Schuppe,  Adickes, 
DÖRIKO,  SiGWART  u.  a.,  teilweise  auch  H.  Cornelius.  Ein  schroffer  Gegner 
des  Eudämonismus  ist  Kant.  „Eudämonisf^  ist  ihm  jeder  Egoist,  der  „bloß 
im  Nutzen  und  in  der  eigenen  Glückseligkeit,  nicht  in  der  Pflichtvorstellung,  den 
obersten  Bestimmungsgrund  seines  Willens  setzt".  „Alle  Eudämonisten  sind  . .  . 
praktische  Egoisten"  (Anthr.  I,  §  2).  Gegner  des  Eudämonismus  sind  auch 
Kirchner,  Wündt,  Nietzsche,  C.  Stange,  Unold  u.  a.  Wentscher  er- 
klärt: „Nicht  die  selbstverständlich  mit  jedem  Willen  verbundene,  in  seinem  Be- 
griff /malytisch^  schon  eingeschlossene  Lust,  sondern  nur  eine  ,syrUhetisch^ 
Ui  ihm  hinzutretende ,  als  Endwirkung  erhoffte  Lust"  stempelt  eine  ethische 
Theorie  zur  eudämonistischen  (Eth.  I,  146;  vgl.  S.  148).  Vgl.  E.  Pfleiderer, 
Eudämon.  u.  Egoism.  1880.    Vgl.  Glückseligkeit. 

JBvlieilierteniass  die  Lehre  des  Kyrenaikers  Euhemerus,  welcher  den 
(TÖtterglaaben  aus  der  Verherrlichung  menschlicher  Heroen  ableitet  (Cicero, 
De  nat.  deor.  I,  42).  „Ob  merita  virtutis  aiU  muneris  deos  habHos  Euhemerus 
exsequitur**  (MiN.  Felix,  Octav.  21,  1).  Eine  partidle  Wahrheit  enthält  der 
noch  heute  von  einigen  vertretene  Euhemerismus  sicher.    Vgl.  Eeligion. 


318  Etikolie  —  Eridens. 


£ak olles  Heiterkeit,  FrohBinn.    Gegensatz:  Dyskolie  (Stoiker). 

CSukrasIe  {eix^aata) :  gute,  normale  Mischung  der  Säfte  im  Organismus. 
Gegensatz:  Dyskrasie  (Galen,  Opp.  II,  609,  IX,  331).    Vgl.  Temperament 

CSapraxie  (evnQaiia):  Bechttun,  richtiges  Handebi.  Es  ist  ein  ethisches 
Princip  des  Sokrates  (Xen.  Memor.  III,  9,  14).  Aristoteles  stellt  die 
Eupraxie  der  SvcTtqa^ia  gegenüber  (Eth.  Nie.  I  11,  1101b  7;  VI  5,  1140b  7). 
Albertus  Magnus  erklart:  ,,Eupraxia  est  eorum  gut  prosperantttr  in  boni 
eleetione^'  (Sum.  th.  I,  68,  4). 

üaseble  (evceßeta):  Gottesfurcht 

CSutiiyjDDile  (sv&vfiia):  Wohlgemutheit,  Seelenruhe,  Frohsinn,  Seelen- 
harmonie: nach  Demokrtt  das  Endziel  des  Handelns,  die  wahre  Glücksdigkeit 
(reXos  S'elvai  tiJv  ev&vfUaVy  ov  Ttjv  avxrjv  ovaav  TJ7  ij8ov^  .  .  .  aXXd  xa&  ?r 
yakrjvwe  xai  evara&cjs  rj  ywx^  Sidyei  vno  fit^dsvos  Ta^arrofitvTj  tpoßov  1}  Batci- 
Satfiovias  $  aXXov  rivog  Ttd&ovs'  xaXel  S'avr^v  xai  eveürto  xal  TtoXXole  aXloa 
OPOfiaai^  I^iog.  L.  IX  7,  45;  t^v  ^eif&vfiiav  xai  sveimo  xai  a^fioviav  cvfif 
fiex^iav  te  xai  dxaqa^iav  xaXeX,  Stob.  Ecl.  II,  6,  76).  Seneca  nennt  die 
iv&vfiia  „stabtletn  animi  sedem,  tranquillitaiem"  (De  tranqu.  2,  3). 

üutoiiles  Spannkraft  der  Seele  (Stoiker;  vgl.  L.  Stein,  PsychoL  d. 
Stoa  II,  128). 

BTldenx  (evidentia):  Augenscheinlichkeit,  Einsicht,  intuitiv  fundierte 
Gewißheit,  unmittelbare  Gewißheit  des  anschaulich  Eingesehenen  oder  des  not- 
wendig zu  Denkenden. 

Epikur  setzt  alle  Evidenz  (ivd^yeut)  in  die  Sinneswahmehmung  (Diog.  L 
X,  52),  die  als  solche  immer  wahr  sei  (l.  c.  32;  Sext  Empir.  adv.  Math.  WI, 
203,  VIII,  63  squ.).  Descartes  verlegt  die  Evidenz  in  die  ,yKiarkeü  mä 
Deutlichkeit^^  (s.  d.)  des  Denkens.  Auch  Malebranche  erklart:  „Eindenee  ne 
eonaiste  que  dans  la  vue  elaire  et  distincte  de  toutes  les  parties  et  de  totis  les 
rapports  de  Vobjet,  qui  sont  necessaires  pour  porter  un  jvgement  assure^^  (Bech. 
I,  2).  Leibniz  erklärt  die  Evidenz  als  lichtvolle  Gewißheit,  die  aus  der  Ver- 
bindung von  Vorstellimgen  resultiert  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  11,  §  10).  Nach 
Locke  beruht  alle  Evidenz  auf  der  Anschauung:  „It  is  in  tkis  intuition  thai 
dependa  all  the  certainly  and  evidence  of  all  ottr  knoicledg&*^  (Ess.  IV,  eh.  2, 
§  1).  Collier  (Clav.  univ.  p.  12)  und  die  schottische  Schule  sprechen  von 
apriorischen  (s.  d.)  „self-evident  iruiha",  von  in  sich  evidenten  Wahrheiten. 
Nach  Beid  ist  Evidenz  alles,  was  einen  Grund  des  Glaubens  bildet  (Ess.  on 
the  int.  pow.  of  man  I,  p.  323).  d*Alembert  bemerkt:  ,jL'evtdence  appartient 
proprement  aux  idees  doni  Vesprii  aper^oit  la  Haison  totä  d*un  coup^'^  (Diso,  prfl- 
p.  51).  J.  Ebert:  „Man  pflegt  diesige  Deiälickkeit  eines  Satzes j  die  hinlänglich 
isty  die  Wahrheit  desselben  einzusehen,  Evidenx  xu  nennen"  (Vemunftl.  S.  127). 
Bei  Kant  führt  die  Evidenz  auf  ein  Apriori  (s.  d.)  des  EIrkennens  zurück. 
Vgl.  Mendelssohn,  Üb.  d.  Evidenz  in  metaph.  Wiss.,  Ges.  Schrift  II. 

Von  einem  „Evidenx-  oder  Überxeugtmgsgefühl"  spricht  Schleiermachek 
(Dial.,  zu  §  88).  A.  Lange  beschränkt  die  immittelbare  Evidenz  auf  die  Banm- 
anschauung  (Log.  Stud.  S.  9  f.).  Ulrici  versteht  unter  Evidenz  „die  obfeetive 
Denlmottcendigkeit"  (Log-  S.  32).  Nach  Siqwart  bekundet  sich  im  Bewußtsein 
der  Evidenz  „die  Fähigkeit,  objectiv  notwendiges  Denken  von  nickt  noUcendigem 
XU  unterscheiden"^  (Log.  I*,  94).     Wundt  betont,  daß  „wie  den  einxelnen  Bt- 


EvideaB  —  Evolution.  319 


standieilen  des  Denkens,  den  Begriffen,  für  sieh  Evidenx  xukommt,  sondern  daß 
die  ktxtere  immer  erst  <ms  der  Verknüpfung  der  Begriffe  hervorgehen  kann" 
(Log.  I,  74).  jfDie  unmittelbare  Evidenx  unseres  Denkens  hat  .  . .  ihre  Quelle 
stets  in  der  unmittelbaren  Anschauung**  (1.  c.  S.  75).  Doch  ruht  die 
Evidenz,  d.  h.  die  logische  Gewißheit,  auf  der  Sicherheit  der  Denkergebnisse. 
Das  Denken  muß  „xwischen  den  Oliedem  der  Vorstellung  hin  und  her  gehen 
und  sie  messend  miteinander  vergleichen,  damit  aus  der  Anschauung  die  Evidenx 
hervorgehet*.  „So  ist  überhaupt  die  Anschauung  nur  die  Öelegenheitsursachs  der 
unmittelbaren  Evidenx ,  der  eigentliche  Grund  derselbeti  liegt  aber  in  dem  ver^ 
knüpfenden  und  vergleichenden  Denken**  (1.  c.  8.  77).  Während  sich  die  un- 
mittellMire  Evidenz  auf  das  urspriingliche  Denkmaterial  bezieht,  geht  die  mittel- 
bare auf  den  bereits  verarbeiteten  Stoff  (ib.).  Schuppe  setzt  Evidenz  und 
Anschaulichkeit  einander  gleich  (Log.  S.  89).  Bsbntano  nimmt  (wie  schon 
Herbabt,  Allihn,  Gr.  d.  allg.  Eth.  S.  38,  u.  a.)  eine  Evidenz  der  sittlichen 
(b.  d.)  Urteile  an  (Intuitionismus,  s.  d.).  Nach  Husserl  ist  überall  da  von 
Evidenzen  im  laxen  Sinne  die  Bede,  „tro  immer  eine  setxende  Intention  (xumal 
eine  behauptende)  ihre  Bestätigung  durch  eine  eorrespondierende  und  voll  angepaßte 
Wahrnehmung,  sei  es  auch  eine  pausende  SyrUhesis  xusammenhängender  Einxel- 
Wahrnehmungen,  findet**  (Log.  Unt.  II,  593).  Im  engeren  Sinne  ist  Evidenz 
der  Act  der  vollkonunensten  „Erfüllungssynthesis**  zur  Intention  (s.  d.)  (ib.). 
Ihr  objectives  Correlat  ist  das  Sein  im  Sinne  der  Wahrheit  (ib.).  Vgl.  Gre- 
wißheit. 

CSvolutioiis  Entwicklung  von  niederen,  einfacheren  zu  höheren,  com- 
plicierteren,  vollkommener  angepaßten  Seins-  und  Lebensformen..  Es  gibt  eine 
physische  und  eine  psychische  (geistige),  femer  eine  ethische,  sociale, 
sprachliche,  philosophische,  religiöse  Entwicklung.  Die  biologische  Entwicklung 
beruht  auf  inneren  und  äußeren  Factoren;  zu  den  ersteren  gehören:  Organ- 
betätigung, Übung,  Willensintentionen  aller  Art,  Vererbung  allmählich  er- 
worbener und  eingewurzelter  Eigenschaften,  zu  den  äußeren:  Wechsel  der 
Lebensbedingungen,  Kampf  ums  Dasein  und  Auslese.  Die  Auffassung  der 
Dinge  unter  dem  Gesichtspunkte  der  Entwicklimg  heißt  Evolutionismus. 
Die  biologische  Entwicklungstheorie  überhaupt  heißt  Descendenztheorie 
(Transmutationshypothese),  die  in  verschiedenen  Formen  (Lamarekismus,  Dar- 
winismus u.  a.)  auftritt.  —  „Evolutio**  kommt  bei  Nicolaus  Cusanus  vor,  im 
mathematischen  Sinne  („Linea  est  puncti  evolutio**),  „Auswickelung**  findet  sich 
bei  J.  Böhme,  „evolutum**  und  „involution**  (im  psychischen  Sinne)  bei 
Leibniz. 

Der  Entwicklungsgedanke,  dem  in  letzter  Linie  das  Postulat  der  Con- 
tinuität  des  Greschehens  zugrunde  liegt,  ist  sehr  alt,  wenn  es  auch  zu  einer 
Entwicklungstheorie  erst  spät  konmit.  Im  „ewigen  Werden**  des  Heraklit  ist 
der  Entwicklungsgedanke  schon  enthalten.  Aus  Feuer  wird  Wasser,  aus  diesem 
Erde,  dann  wird  alles  wieder  Feuer  u.  s.  w.  in  infinitum  (Diog.  L.  IX,  9). 
Der  Kampf  ist  der  treibende  Factor  der  Entwicklung  (noXe/uoe  nax^^  Trdvrwvj 
Fragm.  Mull.  I,  44,  62).  Nach  Empedokles  traten  durch  Urzeugung  erst  die 
Pflanzen,  dann  die  Tiere  auf,  und  zwar  so,  daß  sie  stückweise  entstanden  (Tiere 
mit  Augen  allein,  Armen  allein  u.  dgl.).  Viele  Mißbildungen  entstanden  durch 
zufällige  Vereinigungen;  diese  gingen  zu  Grunde,  während  die  lebensfähigen 
Fonnen  sich  erhielten  und  fortpflanzten  (Plut,  Plac.  V,  19,  26;  Aristot.,  De  coel. 


320  Evolutdon. 


III  2,  300b  28;  Simplic.  Comm.  zu  De  coeL  587  Heib.).  Nach  Demokrit  und 
Anaxaoorab  entstanden  die  Organismen  aus  Schlamm  (Diog.  L.  II,  9);  so 
auch  nach  Abistoteles.  Nach  Anaximakder  ist  der  Mensch  aus  einer  Tier- 
art entstanden  (^$  aXXoeidtSv  ^oicav  6  av&^tonos  iyeytn^S'rj,  Plut.,  Vgl.  Euseb., 
Praep.  ev.  I,  8,  2).  Landtiere  und  Menschen  gingen  aus  dem  Wasser  hervor 
(wo  sie  fischartig  lebten),  indem  sie  sich  den  neuen  Lebensbedingungen  an- 
paßten (iv  i^d^otv  iyyept'a^'ai  ro  nQwrov  avd'^wnovg  —  xal  x^fpivras  —  *al 
yerofuvovs  ucavovg  eavrois  ßoij&eiv  ixßkti&fjvai  Tijvixavra  xal  yrjg  Xafiür^Mj 
Phit,  Quaest.  symp.  VIII,  1,  4;  Plac.  V,  19,  4).  Speusipp  betrachtet  das  Gute, 
Vollkommene  als  Höhepunkt  der  Entwicklung  (to  xdlXiarov  xai  a^iarov  foi  h 
a^XV  «^^<<^  ^^^^^  ^^^  ^I  7,  1072  b  32).  Eine  bestandige  Weltentwicklung 
Idiren  die  Stoiker.  Von  den  Neupiaton ikern  und  den  von  ihnen  beein- 
flußten Philosophen  (Plottk,  Dionybiüs  Areopagita,  Sootüs  Eriuoena, 
Eckhabt,  Nioolaus  Cusanus,  G.  Bruno,  J.  Böhme  u.  a.)  wird  eine  Ema- 
nation (s.  d.)  gelehrt  —  Betreffe  Lucrez'  s.  Selection. 

SwAMMERDAM,LEEUyENHOBK,MALPlGHi  stellen  eine  yyPräformaiionstheoru^' 
(s.  d.)  für  die  individuelle  Entwicklung  auf  (Ovulisten,  Animalculisten).  Da- 
gegen lehrt  C.  F.  Woi^F  die  „Epigenese^^  (s.  Präform.).  Er  erklart:  „Evolutio 
phaenomenofi  est,  quod,  st  essentiam  eins  et  attribtUa  species,  omni  quidem  tem- 
pore, cU  inconspieuum,  exiMü,  denique  vero,  speciem  prae  se  ferens,  si  nune 
demum  oriatur,  quomodoeuTique  eonspieuum  redditur^*  (Theor.  gener.  §  50). 
Den  Begriff  der  psychischen  Entwicklung  (von  inneren  Zuständen  der  Mo- 
naden (s.  d.)  führt  Leibniz  ein  (MonadoL  11,  22).  Überall  gibt  es  Entwicklung 
und  Einwicklung.  „//  semble  qu'tl  n'y  a  ni  generation  ni  mort  ä  la  rigueur^ 
mais  seulement  des  depeloppements,  augmentations  ou  diminuations  des  animaux 
d4fä  f armes''  (Gerh.  IV,  474;  Monad.  73;  Theod.  §  30;  Princ.  de  la  nat.  §  6). 
Eine  stufenmäßige  Entwicklung  nimmt  Robiket  an ;  auch  Lessiko  und  Herder 
machen  sich  den  Entwicklungsgedanken  zu  eigen  als  historische,  culturUche 
Evolution. 

Kakt  ninunt  eine  Entwicklung  der  Erde  imd  des  Sonnensystems  aus  einem 
Gasballe  an  (Allg.  Naturgesch.  u.  Theor.  d.  Himm.  1755;  ähnlich  Laplace, 
Exposition  du  Systeme  du  monde  1796).  Kant  erklärt  femer,  die  Analogie  der 
Lebensformen  verstärke  „die  Vermutung  einer  wirklichen  Veitoandtscluift  der- 
selben in  der  Erzeugung  von  einer  gemeinschaftlichen  Urmutter,  durch  die  sttifen- 
artige  Annäherung  einer  Tiergattung  xnr  andern,  von  derjenigen  an,  in  welcher 
das  Princip  der  ZwecJce  am  meisten  bewährt  xu  sein  scheint,  nämlich  dem 
Menschen,  bis  xum  Polyp,  von  diesem  sogar  xu  Moosen  und  Flechten,  und  endlich 
XU  der  niedrigsten  uns  merklichen  Stufe  der  Natur,  xur  rohen  Materie:  aus 
welcher  und  ihren  Kräften  nach  mechanischen  Oesetxen  ,  .  ,  die  ganze  Jkehnik 
der  Natur,  die  uns  in  organisierten  Wesen  so  unbegreiflich  ist,  daß  wir  uns 
dazu  ein  anderes  Princip  xu  denken  genötigt  glauben,  abzustammen  scheint^ 
(Krit.  d.  Urt  §  80).  Man  kann  hypoüietisch  „den  Mutterschoß  der  Erde,  die 
eben  aus  ihrem  chaotischen  Zustande  herausging  (gleichsam  als  ein  großes  Tier)^ 
anfänglich  OesehÖpfe  von  minder  xweehnäßiger  Form,  diese  wiederum  andere^ 
welche  angemessener  ihrem  Zeugungsplatxe  und  ihrem  Verhältnisse  untereinander 
sieh  ausbildeten,  gebären  lassen''  (ib.).  Goethe  lehrt  eine  „Metanwrphostf',  be- 
dingt durch  den  „Bildungstrieb"  und  äußere  Einflüsse  (WW.  Hempel  II,  230). 
,j Alles,  was  entsteht,  sucht  sich  Raum  und  wUl  Dauer;  desu>egen  verdräng  es 
anderes    von    seinem    Platz   und   verkürzt   seine    Dauer'*    (WW.    XIX,    212; 


Evolution.  321 


XXXIII,  121).  Den  höheren  Typen  liegt  ein  „Urbiid*'  zugrunde  (1.  c.  XXX, 
261).  Erasmus  Dabwin  erklärt:  „Wenn  ttnr  die  große  Ähnliehkeit  des  Baues 
bedenkefi,  welche  bei  allen  warmblütigen  Tieren  schon  in  die  Augen  falU  .  .  .,  so 
kann  man  sieh  des  Schlttsses  nicht  enthaltefij  daß  sie  alle  auf  ähnliche  Art  aus 
einem  einzigen  lebenden  Filamente  entstanden  sind."  „  Von  diesem  ersten  Rudi- 
mente bis  xum  Ende  ihres  Lebefis  erleiden  alle  Tiere  eine  beständige  Umbildung," 
^Sollte  es  wM  xu  kühn  sein^  sieh  da  vorzustellen,  daß  alle  warmblütigen  Tiere 
mis  einem  einxigen  Filamente  entstanden  sindj  welches  die  erste  große  Ursache 
mit  Animalüät  begabte^  mit  der  Kraft,  neue  Teile  xu  erlangen,  begleitet  mit  neuen 
Neigungen,  geleitet  durch  Reizungen,  Empfindung,  Willen  und  Associationen, 
und  welches  so  die  Macht  besaß,  durch  seine  ihm  eingepflanxte  Tätigkeit  sich  xu 
tervoükommnen,  diese  Vervollkommnung  durch  Zeugung  der  Nachwelt  xu  über- 
liefern"  (Zoonom.  sct.  XXXIX,  4,  8).  Die  veränderten  Lebensbedingungen 
wkten  anpassend  auf  die  Lebewesen  (Tempi,  of  nat).  Infolge  der  „Über- 
produetiofi"  an  Lebewesen  herrscht  ein  Kampf  um  die  Existenz  (Zoonom. 
XXXIX,  4  u.  Tempi,  of  nat.).  Lamabck  ninmit  an,  dafi  die  höheren  aus 
niederen  Arten  abstammen.  Die  Ursachen  der  Transformation  sind:  directe 
Wirkung  der  äußeren  Lebensbedingungen,  Kreuzung,  besonders  aber  Gebrauch 
and  Nichtgebrauch  der  Organe,  welche  durch  Übung  verändert  werden  (Philos. 
zooL  1809).  G.  St.-Hilaire  erklärt  die  Umwandlung  der  Arten  aus  dem 
Einflüsse  der  Umgebung,  dem  „monde  ambiant". 

Eine  Entwicklung  der  Lebewesen  lehrt  in  speculativer  Weise  die  Natur- 
philosophie der  ScuELLiNoschen  Schule,  besonders  L.  Oken  und  Steffens. 
SCHELLINO  selbst  erklärt:  „Der  gemeine  Weltproceß  beruht  auf  einem  fort- 
schreitenden .  .  .  Sieg  des  Subfectiven  über  das  Objective^*  (WW.  I  10,  231). 
Eine  dialektische  (s.  d.),  logische  „Entwicklung*^  lehrt  Hegel.  Alles  Endliche 
ist  nur  ein  Moment  (s.  d.)  im  dialektischen  Processe  der  Begriffsevolution  des 
Absoluten.  Vom  „An-sich"  durch  das  „Anderssein"  zum  „Für-sich"  und 
^Anr-und-für-sieh"  entwickelt  sich  der  Geist  (Encykl.  §  442).  Das  Treibende 
in  allem  ist  der  „Widerspruch"  (s.  d.),  von  einer  Entstehung  einer  Form  aus 
einer  andern  ist  nicht  die  Bede,  das  wäre  eine  „neindose  Vorstelltmg"  (Encykl. 
^  249).  „Die  Natur  ist  als  ein  System  von  Stufen  xu  betrachten,  deren  eine 
aus  der  andern  notwendig  hervorgeht  und  die  nächste  Wahrheit  derjenigen  ist, 
aus  welcher  sie  resultiert:  aber  nicht  so,  daß  die  eine  aus  der  andern  natürlich 
erzeugt  würde,  sondern  in  der  innem,  den  Örund  der  Natur  ausmachenden  Idee, 
Die  Metamorphose  kommt  nur  dem  Begriff  als  solchem  xu,  da  dessen  Ver- 
änderung allein  Entunckhmg  ist"  (NaturphlL  S.  32  f.).  „Die  Entwicklung  des 
Begriffs  .  .  ,  ist  xu  fassen  als  ein  Setxen  dessen,  was  er  an  sich  ist,"  als 
Äußerung,  Heraustreten,  Außer-sich-kommen,  zugleich  aber  als  jjn-sich-gehen  ins 
Genirwfn"  (1.  c.  S.  39).  Auch  Schopenhauer  sieht  im  Absoluten  (Willen, 
s.  d«)  den  Quell  aller  Entwicklung.  Auf  das  Konmien  imd  Gehen  der  Vor- 
fitellnngen  im  Bewußtsein  wendet  Herbart  den  Begriff  der  Evolution  und 
Involution  (s.  d.)  an  (Psychol.  II,  §  136;  vgl.  Volkmann,  Lehrb.  d.  Psychol. 
I*,  460). 

CuYiER  (später  Agassiz)  nimmt  Schöpfungskreise,  niedere  und  höhere 
Typen  der  Organismen  an;  er  vertritt  geologisch  die  „Ka^astrophentheorie^'. 
Diese  ersetzt  Ch.  Lyell  durch  die  Ck)ntinuitätetheorie,  durch  die  Annahme 
einer  ruhigen,  stetigen  Entwicklung  der  Erde.  Heute  macht  man  der  Eiita- 
Strophen theorie  wieder  einige  Zugeständnisse. 

PhilosophltchM  WOrterbaob.    8.  Aufl.  21 


322  Evolatton. 


Die  Selectionstheorie  (s.  d.)  begründet  Cilarles  Darwin  (gleichzeitig 
mit  ihm  Wallace).  An  Stelle  der  (biblischen)  Lehre  von  der  j,C(msianx  der 
Arten^^  setzt  er  die  Anschauung,  dafi  Arten  durch  Stabilisierung  von  Varietäten 
entstehen  und  neue  Arten  aus  sich  heraus  erzeugen.  Als  Vorläufer  seiner 
Theorie  nennt  er  Buffon,  Laharck,  G.  St.  Hilaire,  £ra8Mü8  Darwin, 
Goethe,  W.  C.  Wells,  W.  Herbert,  Grant,  Matther,  Buch,  Rafinesqüe, 
HALDEMAim,  Owen,  Freke,  H.  Spencer  (s.  unten),  Naudin,  Keyserling, 
ScHAAFHAUSEN,  K.  E.  V.  Baer,  Huxley,  Hooker  u.  a.  Für  die  Idee  de* 
Kampfes  ums  Dasein  ist  vorbildlich  gewesen  Malthüs  (Essay  on  Population 
1798),  welcher  lehrt,  die  natürliche  Neigung  der  Menschen  gehe  dahin,  sich  im 
geometrischen  Verhältnis  zu  vermehren,  während  die  Erhaltungsmittel  nur  im 
arithmetischen  Verhältnisse  anwachsen.  Darwin  bekämpft  die  Ansicht,  als 
ob  die  Zweckmäßigkeit  der  Lebewesen  durch  Planmäßigkeit,  Zweckursachen 
entstanden  sei.  Sie  ist  vielmehr  Resultat  einer  Entwicklung,  die  aUerdings 
großer  Zeiträume  bedarf.  Auch  variieren  nicht  alle  Arten  einer  Gattung,  andere 
erlöschen  gänzlich.  Die  Zweckmäßigkeit  der  Lebewesen  ist  die  Folge  der 
„Anhäufung  unxäkliger  geringer  Veränderungen^^  im  nützlichen  Sinne  (On  the 
orig.  of  spec.  1859,  dtsch.  von  Haeck,  Beclam,  S.  621).  In  der  Natur  wirken 
die  Principien  der  künstlichen  Domestication  (1.  c.  8.  ()31).  Es  finden  Variationen 
von  Lebewesen  statt  Unter  ihnen  sind  solche,  die  für  die  Erhaltung  der  In- 
dividuen nützlich  sind.  Im  Wettbewerbe  um  die  Existenz  und  die  Lebens- 
bedingungen fjfStruggle  for  lifsf*)  erfolgt  eine  natürliche  Auslese  („natural 
selection^^J,  d.  h.  die  lebensfähigen,  gut  ausgestatteten,  bevorzugten  Rassen  er- 
halten sich  und  pflanzen  sich  fort,  vererben  ihre  Eigenschaften,  und  nach 
wiederholter  Wirkung  der  Auslese  erfolgt  eine  Anpassimg  der  Lebewesen  an 
ihre  (relativ)  bleibenden  Lebensbedingungen.  „In  dem  Überleben  der  begünstigten 
Individuen  tmd  Rassen  im  stets  wiederkehrenden  Kampf  ums  Dasein  sehtn  trir 
eine  mächtig  und  immer  wirkende  Farm  der  natürlichen  Zuchtwahl.  Der  Kmnpf 
ums  Dasein  erfolgt  unvermeidlich  aus  der  allen  organischen  Wesen  getneinsamen 
hohen  Vermehrung  im  geometrischen  Verhältnisse.  .  .  ,  Es  tcerden  mehr  Einxel- 
wesen  geboren,  als  möglicherweise  fortwähren  können  ...  Da  die  Einxelwesen 
einer  und  derselben  Art  in  jeder  Beziehung  in  engsten  Mitbetcerb  xueinander 
treten,  so  wird  getvöhnlich  der  Kampf  xicischeti  ihnen  am  heftigsten  sein.^*  „Bei 
Tieren  mit  gesofukrten  Oeschlechtem  ttird  in  den  tneisten  Fällen  ein  Kampf  der 
Männchen  um  den  Besitx  der  Weibchen  stattfinden"  (1.  c.  S.  632  =  sexuelle 
Auslese,  „selectioti  in  relaiion  to  sea^%  Die  Tendenz  der  natürlichen  Auslese 
ist,  die  am  meisten  divergierenden  Nachkommen  einer  jeden  Art  zu  erhalten 
(1.  c.  S.  635).  Große  oder  plötzliche  Modificationen  kann  sie  nicht  hervor- 
bringen (1.  c.  ö.  636;  dagegen  die  „Mutationstheorie"  von  DE  Vries).  Jede 
einmal  erworbene  Eigentümlichkeit  ist  lange  erblich,  (ib.).  Die  Zuchtwahl  der 
Natur  paßt  inmier  nur  relativ,  den  jeweiligen  Lebensbedingimgen,  an  (1.  c. 
8.  637  f.).  Die  Production  von  Varietäten  (und  Arten)  scheint  bedingt  zu  sein 
durch:  physikalische  Bedingungen  (directe  Anpassimg),  femer:  Gebrauch  imd 
Nichtgebrauch  der  Organe ,  wobei  die  „correlative  Veränderung^  eine  Rolle 
spielt,  auch  Migration  (1.  c.  S.  638  ff.).  Die  Auslese  ist  das  Haupt-,  aber  nicht 
das  einzige  Mittel  der  Variation  (1.  c.  Ö.  647).  Alle  höheren  Tierformen  stammen 
schließlich  von  vier  bis  fünf  Vorfahren  ab,  vielleicht  haben  sich  Pflanzen  und 
Tiere  aus  einer  Urform  entwickelt  (1.  c.  S.  a52).  Die  Gesetze  der  Variation 
sind  also:    „Wachstum  nebst  Fortpflanzung,  ErblicMeit,  die  fast  in  der  Fort- 


Evolution.  323 


pfUmxung  enthalten  ist;  Variabilität  xu folge  indireeter  und  direeter  Wirkungen 
der  Lebensbedingungen,  und  Gebrauch  und  Niehtgebraueh;  ein  so  hohes  Ver- 
mekrungsmaßy  daß  es  xum  Kampf  ums  Dasein  fuhrt,  und  infolgedessen  xur 
natürlichen  Zuehttcahl  die  Divergenx  des  Charakters  und  Erlöschen  der  minder 
verbesserten  Formen  enthält*  (1.  c.  S.  659;  vgl.  C.  2,  3,  4,  5).  Zu  den  Anhängern 
Darwins  gehören  viele  Naturforscher  und  Philosophen,  besonders  in  England 
{vgL  Überweq-Heikze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  IV»,  439);  in  Deutschland 
besonders  £.  Haeckel  (s.  Biogenet.  Grundges.),  Cabus  Sterne  (E.  Kkause), 
0,  Caspabi  u.  a.  „NeO'Darwinismus**  heißt  die  Lehre  A,  Weismanns,  nach 
der  es  keine  Vererbung  erworbener  Eigenschaften  gibt;  das  ,yKeimplasma^^ 
yariiert  infolge  der  natürlichen  Auslese  (Das  Keimpl.  1892;  später  Concessionen 
an  die  Lehre  von  der  Vererbbarkeit  erworbener  Eigenschaften,  wie  diese  von 
Haeckel,  Eimer,  Hertwig,  Bomanes,  Eibot  u.  a.  vertreten  wird).  —  Mit 
der  Constanztheorie  (bezy^  dem  Piatonismus,  s.  d.)  verbinden  den  Ent- 
wicklungsgedanken in  verschiedener  Weise  Teichmüller  (Darwin,  u.  Philos.) 
und  O.  LiEBMANK  (Anal.  d.  Wirkl.,  und  Piaton.  u.  Darwin.,  Philos.  Monats- 
hefte IX,  1873.  S.  441), 

Gegen  die  „Aümttcht^*  der  Belectionstheorie  erklaren  sich  verschiedene 
Forscher,  die  im  übrigen  dem  Evolutionismus  huldigen,  aber  auch  innere  Fac- 
toren  der  Entwicklung  und  eine  directe  Anpassung  (s.  d.)  annehmen,  teilweise 
sieh  den  Ansichten  Lamarcks  nahem  (^yNeu-Lamarekismu^^),  Nach  H.  Spencer 
ist  das  „Überleben  des  Passendsten^*  eine  mitwirkende,  aber  nicht  die  Haupt- 
UFBache  der  Entwicklung,  die  vor  allem  auf  der  directen  Wirkung  der  Lebens- 
bedingungen beruht  (Psychol.  I,  §  189).  Entwicklung  überhaupt  ist  die  Gesetz- 
mäßigkeit des  Seienden.  In  der  Evolution  zeigt  sich  eine  Ansammlung 
(Integration)  der  Materie  und  eine  Ausbreitung  (Dissipation)  der  Bewegung;  in 
der  Difisolution  tritt  eine  Absorption  von  Bewegung  und  eine  Zerstreuung  von 
Materie  ein:  „Evolution  under  its  simplest  and  most  general  aspect  is  the  inte- 
gration  of  matter  and  eoncomitant  dissipation  of  motion;  white  dissolution 
is  the  absarption  of  motion  and  eoncomitant  disintegration  of  matter^* 
(First  Princ.  §  97).  Es  gibt  eine  „simple**  and  „composed  evolution**  (L  c.  §  98). 
Von  unzusammenhangender  Gleichartigkeit  geht  die  Entwicklung  zu  zusammen- 
hängender Mannigfaltigkeit  über,  das  Homogene  differenziert  sich,  und  die 
Mannigfaltigkeit  integriert  sich  zu  einer  höheren  Einheit  u.  s.  w.  Das  gilt  für 
das  Anorganische,  Organische,  Psychische  und  Sociale  (Psychol.  I,  §  75  u. 
Princ.  of  Sociology  I).  Mit  der  Psychologie  (s.  d.)  und  Metaphysik  verbinden  den 
E?olutionismus  Sully,  Komakes,  J.  Groll,  J.  C.  S.  Schiller  u.  a,,  mit  der 
Ästhetik  Graiit  Allen,  mit  der  Ethik  (s.  d.)  Leslie  Stephen,  S.  Alexander 
u.  a.,  mit  der  Sociologie  (s.  d.)  B.  Eidd,  Lubbock,  Tylob,  mit  der  Keligions- 
phüosophie  (s.  d.)  E.  Caird,  M.  Mü^ller  u.  a.  Auf  die  Sprachwissenschaft 
wenden  den  Evolutionsbegriff  an  Schleicher  u.  a.  Einen  geistigen  Evo- 
Intionismus  (vermittelt  durch  „id^e-forees**,  s.  d.)  Idirt  A.  Fouillee  (ähnlich 
DüRAHD  DE  Gros,  Guyau).  Simmel:  „Es  ist  aUenthalben  das  Schema  höherer 
Entteieklungsstufen,  daß  das  ursprüngliche  Aneinander  und  die  unmittelbare 
Einheit  der  Elemente  aufgelöst  wird,  damit  sie,  verselbständigt  und  voneinander 
abgerückt,  nun  in  eine  neue,  geistigere,  umfassendere  Sy^nihese  vereinheitlicht 
werden**  (Philos.  d.  Geld.  S.  517), 

Eine  Entwicklung  der  Welt  in  zweckmäßiger  Weise  nimmt  Czolbe  an 
(Gr.  u.  ürspr.  d.  m.  Erk.  S.  176),  so  auch  L.  Geiger,  L.  Noire,  Carnert 

21* 


324  Evolution. 


(Sittl.  u.  Darwin.  S.  17  ff.).     Nach  E.  v.  Hartmann  ist  die  natürliche  Aus- 
lese „geeignet^  das  mit  der  Umgebmig  nichi  Harmonierende  xu  beseüigen  tmd 
nur  das  mit  der  Umgebung  Harmonierende  beateften  xu  lassen^^.    Sie  wirkt  aber 
nur  negativ,  setzt  die  Existenz  des  Zweckmäßigen  schon  voraus  (KategonenL 
S.  460  ff.).     In  der  organischen  Natur  ist  es  „offenbar,  daß  das  Zweckmäßige, 
was  in  der  Auslese  sieh  bloß  bestandfahig  erweist,  aus  einer  unbewußten  Ab- 
änderutigstefidenx  stammt^  die  nach  Richtung  und  Intensität  beschränkt  ist  wtä 
final  bestimmt  sein  muß,  um  xu  einer  Steigerung  der  Orgofiisaiianshöhe  xu 
fiUvren'^     Der  Kampf  ums  Dasein   ist  nur  ein  „Handlanger  der  Idee'^  (L  c 
S.  461 ;  Philos.  d.  Unbew.  III",  331  ff.).     Ähnlich  lehrt  ItoNKE  (EinL  in  d 
theoret.  Biol.).    Wundt  betont,  die  „Auslese^^  setzt  schon  Zweckmäßigkeit  vor- 
aus, um  ansetzen  zu  können,  sie  ist  nur  ein  ,,Hüfsprineip^^ ,     Die  organische 
Entwicklung  ist  das  Erzeugnis  äußerer  und  innerer  Factoren,  die  Selbsttätigkeit 
der  Organe  spielt  hierbei  eine  wichtige  EoUe.     D|p  Anpassung  erfolgt  durch 
wiederholte,  sich  vererbende  functionelle  Übung  von  Generationen.    Allmählich 
erworbene,  beharrlich  gewordene  Abänderungen  müssen  vererbt  werden.    Ver- 
möge der  „Heterogofiie  der  Zwecke"  häuft  sich  die  Zweckmäßigkeit,  ohne  dafi 
ein  Vorauswissen,  Vorauswollen  des  Endstadiums  nötig  ist  (Syst  d.  Philos.*, 
S.  315  fL,  542  ff.;   Log.  1«,  Ö,  659,  II«,  1,  S.  551  ff.;   Grdz.  d.  phys.  Psycho! 
II^  642  f. ;  Eth.^  S.  206).     Die  physische  Entwicklung  ist  die  Wirkung  einer 
psychischen,  durch  Trieb  und  Willen  bedingten  allgemeinen  Evolution.     Der 
Wüle  (s.  d.)  ist  der  Erzeuger  objectiver  Naturzwecke.    Die  Willensimpulse  sind 
das  primum  movens,  sie  modificieren  die  Lebensweise,  diese  Modificationen  be- 
festigen, mechanisieren,  vererben  sich  (Syst  d.  Phil.*,  S.  322  ff.,  329  ff.).     Die 
organische  ist  die  Vorstufe  der  geistigen  Entwicklung  des  Menschen  (Gr.  d. 
Psychol.*,  S.  335  ff.).    Die  geistigen  Entwicklungsgesetze  sind:  das  Gesetz  des 
geistigen  Wachstums,  der  Heterogonie  der  Zwecke  (s.  d.),  der  Entwicklung  in 
Gegensätzen  (s.  d.).     B.  Hameklino  betrachtet  als  Principien  und  Hebel  der 
Entwicklung  den  Lebenswillen  als  Gestaltungstrieb,  das  Bestreben  der  Wesen, 
ihren  Ziu^tand  im  Sinne  der  möglichst  geringen  Unlust  und   der  möglichst 
größten  Lust  zu  verbessern,  die  Anstrengung  der  Organe  (Übung),  den  Kampf 
ums  Dasein,  das  M.  WAONERsche  Migrationsprincip  (Atomist  d.  WilL  11,  1^). 
Jgdl  erklärt:  „Der  bewußte,  denkende  Wille  des  Menschen  ist  nicht  bloß  Produd 
der  Welt,  sondern  auch  Faetor,  eine  Kraft  unter  andern  Kräften,    Die  Epoiutüm 
des  Menscheti  ist  nicht  .  .  .  das  Werk  blinder  Naturkräfte  .  .  .,  sondern  das  Er- 
gebnis  stetigen  Zusammenwirkens  der  blinden  Naturkräfte  mit  den  sehend  ge- 
wordenen Naturkräften,  d,  h,  menschlichen  Zweckgedanken"  (Lehrb.  d.  PöychoL 
S.  160).     L.  Stein  überträgt  den  Evolutionsgedanken  auf  die  geistigen  Vor- 
gänge  (An  d.   Wende  d.  Jahrh.   S.  21).     Über   sociale  Auslese   handeln 
GiZYCKi  (Moralphilos.  S.  516),  O.  Ammon,  A.  Tille,  K.  Jbntsch  (Social- 
auslese)  u.  a. 

Gegen  die  Allgemeinheit  des  Kampfes  ums  Dasein  erklärt  sich  E.  Dühbeng. 
„Äußerstenfalls  findet  eine  Art  gegenseitiger  Abgrenxwng  statt,  indem  eigene  Be- 
reiche gegen  fremde  Äusnüixung  verteidigt  loerden"  (Wirklichkeitsphüos.  8.  98  1). 
BoLPH  setzt  statt  des  Kampfes  ums  Dasein  aU  Entwicklungsprincip  den  ,yKampj 
um  Mehrerwerb",  Kampf  um  Lebensmehrung  (Biol.  ProbL*,  1884,  S.  97).  In 
der  Ethik  wird  er  zum  Kampf  um  Bevorzugung,  Macht  u.  dgl.  Das  „Straten 
nach  stetiger  Verbesserung  der  Lebenslage  ist  der  eharakteristiscfie  Trieb  ton 
Ti(r  und  Mensch"  (1.  c.  S.  222  f.).     Nietzsche  betrachtet  als  Lebensziel  dai 


Evolution  —  Ewigkeit.  325 

Willen  zur  Macht.  Die  OrganismeD  kämpfen  um  Macht,  Vorrang,  Ausbeutung. 
Die  von  innen  her  gestaltende  Grewalt,  welche  die  äußeren  Umstände  ausnützt, 
ist  der  treibende  Factor  der  Entwicklung.  Selection  ist  nicht  von  tiefer  und 
dauernder  Wirkung;  jeder  Typus  hat  seine  Grenze,  über  die  er  nicht  hinaus 
kann.  Zufällige  Variationen  können  nicht  von  Vorteil  sein.  Der  Kampf  ums 
Dasein  ist  „nur  eine  Ausnahme ^  eine  xeii weilige  Restrietion  des  Lebensudllens ; 
der  große  und  der  kleine  Kampf  dreht  sich  dllerv^alben  mns  Übergetvichty  um 
Wachstum  und  Ausbreitung,  um  Macht,  gemäß  dem  Willen  xur  Macht,  der  eben 
der  Wille  des  Lebens  ist''  (WW.  V,  S.  285,  XV,  296,  303,  314  ff.,  317,  319, 
322  f.,  VII,  2,  S.  370  ff.).  —  Xach  Stumpf  ist  „einer  im  ganzen  stetig  fort- 
sehreitenden  Entwicklung  auf  physischem  Gebiet  eine  unstetige  auf  psychischem 
zugeordnet^'  (Der  Entwicklungsged.  S.  58).  E^  gibt  einen  „Entwicklungsplan" 
(Kölliker),  „ein  solches  mechanisches  Verhältnis  gegebener  Elemente,  dem- 
zufolge sie  sich  xu  xtceckmäßigen  Endgebilden  weiter  entunckeln  können  bex, 
müssen"  (1.  c.  S.  63).  L.  Busse  betont  die  Bolle,  die  Wille  und  Gefühl  im 
Kampf  ums  Dasein  imd  für  die  Anpassung  spielen  (Geist  u.  Körp.  8.  244  f.). 
Wir  haben  „eine  unstetige  —  deshalb  doch  nicht  planlose  und  ungeordnete  — 
Entwicklung  auf  der  psychischen  Seite,  verknüpft  mit  einer  stetigen  und  cdl- 
mähliehen  Entwicklung  auf  der  physischen  Seit&^  (1.  c.  S.  476  f.).  „Nicht  aus 
primitiven  psychischen  Atomen  gehen  die  höheren  geistigen  Wesen  hervor,  sondern 
mit  bestimmten  Stufen,  welche  die  Entwicklung  in  ihrem  fortechreitenden  Gange 
erreicht,  ist  das  Auftreten  neuer,  aus  den  bereits  vorhandenen  Formen  nicht 
folgender  Formen  geistigen  Lebens  verknüpft",  die  nun  die  physische  Entwicklung 
beeinflussen  (I.e.  S.477).  Vgl.  Erkenntnis,  Ethik,  Psychologie,  Sociologie,  Selection. 

ISTolationisma»  s.  Evolution,  Ethik. 

CSwl^lKelts  unbegrenzte  Dauer,  zeitloses  Sein.  Im  Begriff  des  (absoluten) 
Sems  Uegt  schon  das  Nicht-entstanden-sein  und  Nicht-zunichte-werden,  die  Be- 
harrung, das  Währen  durch  alle  Zeit  hindurch.  Die  Zeit  betrifft  nur  das 
Geschehen,  nicht  das  Seiende,  den  Gnmd  (die  Substanz)  des  Geschehens.  Der 
Begriff  der  Ewigkeit  beruht  auf  einem  logisch-ontologischen  Postulat. 

Die  Eleaten  Idiren  die  Ewigkeit  des  Seins  (s.  d.).  Nach  Xenophakes 
ist  nur  das  einzelne  Ding  vergänglich  (Ttdv  ro  ytvo/usvov  f&a^ov  ian,  Diog. 
L  IX,  19).  Herakltt  lehrt  ein  ewiges  Werden  (s.  d.).  Die  Welt  war  immer, 
immer  wird  sie  sein  (Mull.  Fragm.  I,  20),  ewig  ist  das  Gesetz  des  Werdens 
(1.  c.  8).  Ewig  ist  das  Apeiron  (s.  d.)  des  Anaxim ander,  ewig  sind  die  Atome 
(s.  d.)  des  Demokrit,  die  Ideen  (s.  d.)  Platos  (Phaedo  211  A,  B;  dei  öv, 
ntHttov,  aitav:  Lach.  198.  D,  Men.  86  A,  Tim.  29  A).  Aristoteles  versteht 
TmtCT  Ewigkeit  (aicav)  das  unvergängliche,  die  Zeit  einschließende  Sein  (t6  ydo 
xiXoi  t6  Tfe^it'xor  tov  xfjs  ixdarov  ^ca^e  X9^^^^*  ^^  firi^ev  i%(o  natd  tffvüiv,  aitav 
Inder ov  xäx?,ijTai,  De  coel.  I  9,  279  a  24).  Das  Ewige  wird  von  der  Zeit  nicht 
berührt  (xa  dei  ovra,  f]  dei  ovra,  ovx  iariv  iv  x^ovtp,  ov  yd^  Ttegie'xerat  vno 
XQOvoVf  ov8e  fier^eiTa$  ro  elvai  alrtav  vtto  rov  XQOvov,  Phys.  IV  12,  221b  4). 
Das  Weltall  ist  ewig  {pvre  yiyovev  6  Ttde  ov^avos  ovT  ivSexerat  f&a^f/Vai,  dXX* 
£üriv  eh  9cai  dtSioe,  d^x^"^  f^^  ^^^  relevrrjv  ovx  k'x<ov  rov  tiuptos  aitSvos,  ^x^"^ 
Si  xai  Txe^tixotv  iv  avri^  rov  dnet^ov  ;f(>oVav,  De  coel.  II  1,  283  b  28).  Ewig 
ist  Gott  (s.  d.),  der  unbewegte  Weltbeweger  {rov  &e6v  elvai  J^Jov  dtSio^'  d^tarov, 
Met.  XII  7,  1072  b  29).  Ewig  ist  die  kreisförmige  Himmelsbewegung  (De  gener. 
et  eorr.  II  11,  338  a  18).    Die  Stoiker  lehren  die  Ewigkeit  des  nvevfia  (s.  d.), 


326  Ewigkeit. 

der  Weltflubetanz  (äfd'agTog  itm  xai  ayet^roe,  Diog.  L.  VII,  137);  ewig  ist 
auch  die  Wiederkehr  des  Gleichen,  die  Apokatastasis  (s.  d.).  Nach  Plotin 
ist  die  Welt  ewig,  denn  die  Zeit  (s.  d.)  entstand  erst  in  und  mit  der  Welt 
Ewigkeit  ist  „Leben,  das  identisch  bleibt y  welches  das  Oanze  stets  gegenwärtig 
hat",  ewig  ist,  „icas  tceder  war  noch  sein  tcird,  sondern  fmr  ist,  also  das  Sein 
in  völliger  Ruhe  ohne  bevorstehenden  oder  dagewesenen  Übergang  in  der  Zukunft 
hat^^  (Enn.  II,  7,  3).  BofiTHius  definiert  Ewigkeit  als  „nunc  stans^y  yyinter- 
minabilis  vitae  tota  simtd  et  perfecta  possessio^^,  „Sempiteniittis  et  aetermtas 
differunt.  Nunc  enim  stans  et  permanens  aetemitatem  faeü;  nunc  currens  in 
tempore  sernpiternitatem,"  Grott  ist  ewig,  die  Welt  nur  unbegrenzt  dauernd 
(Ck>nsoL  philos.  V). 

Origenes  lehrt  eine  „creatio  eontinua"  (s.  Schöpfung)  d^  Welt  Nach 
Augustinus  ist  die  Welt  in  Gott  ewig  gewesen,  da  die  Zeit  erst  mit  ihr  ent- 
stand. jjSi  rede  discemuntur  aetemitas  et  tempus,  quod  tempus  sine  aliqua 
mobili  mutabilitate  non  est,  4f%  aetemitaie  autem  nulla  tnutaiio  est,  quis  wm 
videatf  quod  tempora  non  fuissent,  nisi  creatura  fieret,  quae  aliquid  aliqua 
ttnotione  mutaret^^  (De  civ.  Dei  XI,  4,  6;  Confess.  XI,  11).  Die  Ewigkeit  da* 
Welt  behaupten  Nemebius,  Avigenka,  AvebroSs  u.  a.  Gilbertus  Porbb- 
TAirus  erklart:  f, Aetemitas  est  mora  indeßciens  et  immutabilis,"  Nach  Bichabd 
VON  St.  Victor  ist  Ewigkeit  ,4^uiwmilas  sine  initio,  carens  omni  nnUabilitate" 
Albebtus  Magnus  bestimmt  das  „aevum"  als  y,niensura  eorunty  quae  facta 
S'unt,  sed  finem  non  habent**  (Sum.  th.  I,  qu.  23).  Ewig  ist  nur  Gott,  der  durch 
und  in  sich  ist  (1.  c.  II,  1,  3).  Wäre  die  Welt  ewig,  so  würde  sie  Gott  gleichen. 
Dagegen  ist  Thomas,  doch  ist  es  Glaubenssache,  die  Erschaffung  der  Welt  (mit 
der  Zeit  zugleich)  anzunehmen.    „Detts  est  omnino  extra  ordinem  temporis^'  (in 

I.  perih.  1,  14  f.).  Das  „aerum"  ist  die  Dauer  der  unvergänglichen  Dinge, 
nicht  Zeitlosigkeit.  So  auch  Suabez  (Met.  disp.  50,  sct.  5,  1).  „Aetermtas 
essentialiter  est  durativ  Uüis  esse,  quod  essentialiter  includit  omnem  perfeetionem 
essendi  et  cmisequenter  omnem  actum  seu  intemam  opercUionem  talis  entis^ 
(1.  c.  50,  sct.  3). 

Nach  G.  Bbuno  ist  das  All  ewig,  nur  dessen  Gestaltungen  sind  vo'gäng- 
lieh  (De  la  causa  V).  Hobbes  definiert  Ewigkeit  als  „non  temporis  sine  fkte 
successio,  sed  nunc  stans'^  (Leviath.  46).  Descartes  läßt  die  Frage  nach  der 
Ewigkeit  der  Welt  unentschieden.  Spinoza  betrachtet  die  Substanz  (s.  d.)  als 
ewig,  als  in  und  durch  sich  seiend.  „Per  aetemitatem  intelligo  ipsam  existentiam, 
quaienus  ex  sola  rei  aetemae  definitione  necessario  sequi  coneipitur^^  (EtL  I, 
def.  VIII).  „Ad  naturam  substantiae  pertinet  existere^^  (1.  c.  prop.  VII),  denn 
sie  ist  „causa  sui"  (s.  d.).  „Substantia  fwn  polest  produci  ab  alio;  erü  itaque 
causa  sui,  id  est  ipius  essentia  inrolrit  necessario  existentiam,  sive  ad  eius 
naturam  pertinet  existere^*  (1.  c.  dem.,  vgl.  Ep.  29).  Auch  die  Attribute  (s.  d.) 
der  göttlichen  Substanz  sind  ewig.  „Deus  sive  otnnia  Dei  cUtribttta  sunt  aetema'' 
(1.  c.  prop.  XIX).  „Dei  omnipotentia  actu  ab  aeterno  fuit  et  in  aetemum  in 
eadem  actualitate  7nanebif'  (L  c.  prop.  XVII).  „Atqui  ad  naturam  »ubstantiae 
pertinet  aetemitas;  ergo  mntmquodque  attribtäorum  aetemitatem  inrolvere  debet, 
adeoque  omnia  sunt  aetema^'  (1.  c.  prop.  XIX,  dem.);  „sequitur  Deum  sire 
omnia  Dei  attrü>uia  esse  immutabilia*^  (1.  c.  prop.  XX,  corolL  II).  Die  Ver- 
nunft (s.  d.)  betrachtet  alles,  die  Dinge  in  ihrer  ewigen  Notwendigkeit,  ,^ 
quadam   aetemitatis  speeie*^,  so,  wie  sie  dem  gottlichen  Urgründe  folgen  (1.  c, 

II,  prop.  XLIV),  d.  h.  zeitlos  (De  emend.  int.),  so  wie  sie  in  Gott  ideell  sind. 


Ewigkeit.  327 

^fRes  duobua  tnodis  a  nobis  vi  actucdes  eancipiunturf  vel  quatenus  eadem  cum 
reiatiane  ad  eerium  tempua  ei  locum  existere,  vel  quatenus  ipsas  in  Deo  eontmeri 
€t  ex  nahirae  divinae  necessttaie  eofisequi  condpimus.  Quae  autem  hoc  secundo 
modo  ut  verae  seu  reales  condpiuntur,  eas  aub  aeternüatis  speeie  eonctpimua, 
et  earum  ideae  aetemam  et  infinitam  Dei  essentiam  involtnmt"  (Eth.  V,  prop. 
XXIX,  BchoL).  Ewigkeit  ist  nicht  mit  Dauer  (s.  d.)  zu  verwechseln.  „Talis 
enim  existentia,  ut  aeiema  veritasy  sicut  rei  essentia  condpüur,  proptereaque  per 
duroHonem  aut  tempus  explicari  non  potesi,  tametsi  duratio  principio  et  fine 
earere  eoncipiatur*'^  (1.  c.  I,  def.  VIII,  explic). 

Nach  Locke  gelangt  man  zur  Idee  der  Ewigkeit  durch  das  Vermögen, 
Vorstellungen  von  Zeitlangen,  so  oft  man  will,  in  Gredanken  zu  wiederholen, 
ohne  hierbei  zu  einem  Ende  zu  kommen  (Ess.  II,  eh.  14,  §  31).    Nach  Ck)X- 
DiLLAC  entsteht  die  Idee  der  Ewigkeit,  indem  wir  eine  Dauer  als  unbestimmt, 
ohne   Anfang  und  Ende  auffassen  (Tnut.   d.   sensat.  I,   eh.  4,   §  14).     Nach 
Leibniz  entspringt  der  Ewigkeitsbegriff  nicht  aus  den  Sinnen  (Nouv.  Ess.  II, 
ch-  14,  §  27).     Evrig  ist  Grott,   ewig  werden  die  Monaden  von  Oott  geschaffen 
{MonadoL  6,  47),   ewig  bleiben  sie,   im  Wandel  ihrer  Complexionen ,   bestehen 
<1.  c.  76  f.).  —  Kant  sieht  in  der  25eit  (s.  d.)  eine  subjective  Anschauung ,  daher 
muß  er  das  Sein  als  ewig  (zeitlos)  setzen  (s.  Antinomien).    Schelunq  bestinmit 
Ewigkeit  als   „Sein  in  keiner  Zeit"  (Vom  Ich  S.  105  f.),  Hegel  als  „absolute 
2jeitlostgkeit^  des  Begriffes,  Geistes  (Naturphil.  S.  55).    Der  dialektische  Proceß 
des  Absoluten  ist  ewig,  setzt  erst  die  Zeit  (s.  d.).    Das  Endliche  ist  vergänglich, 
zeitlich.    yjDer  Begriff  aber,  in  seiner  frei  für  sieh  existierenden  Identität  mit 
sieh.  Ich  =  Ich,  ist  an  und  für  sich  die  absolute  Negativität  und  Freiheit,  die 
Zeit  dcJier  nicht  seine  Macht,  noch  ist  er  in  der  Zeit  und  ein  Zeitliches,  sondern 
er  ist  vielmehr  die  Macht  der  Zeit,  als  welche  nur  diese  Negativität  als  Äußer- 
lichkeit ist.    Nur  das  Natürliche  ist  darum  der  Zeit  Untertan,  insofern  es  endlich 
ist;  das  Wahre  dagegen,  die  Idee,  der  Oeist,  ist  ewig,^^    „Der  Begriff  der  Ewig- 
keit muß  aber  nicht  negativ  so  gefaßt  werden,  als  die  Äbsiraction  von  der  Zeit, 
daß  sie  außerhalb  derselben  gleichsam  existiere"  (Encykl.  §  258).     K.  Rosen- 
KRANZ  erklärt :  „Die  Zeit  als  absolute  Jbtalität  gedacht,  wie  sie  ohne  Anfang  utui 
Ende  mit  dem  absoluten  Continuum  des  Raumes  identisch  ist,  also  das  Ab- 
stractum  ihres  Begriffs,  das  weiter  keine  Bestimmung  zuläßt,  nennen  toir  Ewigkeit** 
(Syst.  d.  Wies.  S.  192).    Wer  ein  Absolutes  annimmt,  bestimmt  dieses  als  ewig 
(Schopenhauer,   Fechner,  E.  v.  Hartmann,  H.  Spencer,  E.  Haeckel, 
WüNDT  u.  a.).    Nach  Lotze  hat  nur  das  Wertvolle  Ewigkeit  (Psychol.  §  81). 
Ähnlich  wie  Herbart  (Psych,  als  Wiss.  II,  §  148)  erklärt  Volkmann:  „Die  . .  . 
nach  beiden  Seiten  hin  über  jede  Grenxe  hinaus  construierte  leere  Zeitreihe  nennen 
uir  die  Ewigkeit,    Sie  ist  .  .  ,  das  Vorstdlcfi  eines  Vorstellens,  d.  h.  ein  Oefühl. 
Die  Ewigkeit  ist  ein,  ja  das  dem  reineti  Begriff  der  Zeit  gemäß  construierte 
ikhema:  der  Begriff  der  Zeit   ist  der  Begriff  des  Naclieinander ,   und  die  Vor- 
stellung der  Ewigkeit  ist  der   Versuc/i,  dies  Nacheinander  in  eitler  Anschauung 
darzustellen**  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  29).     G.  Spicker  betont:   „Der  Begriff 
jEwigkeit*  schließt .  .  .  die  Zeitlichkeit  aus;  man  kann  sich  darunter  nichts  anderes 
Torstellefi,  cds  ein  Sein  mit  dem  Attribut  der  Aseität,  d.  h.  eine  absolute  Realität, 
die  sich  aus  keiner  höheren  Ursache  ableiten  läßt,  sondern  die  Kraft  xu  existieren 
in  sieh  selbst  trägt**  (Vers.  e.  n.  Gottesbegr.  S.  106  f.).     Nach  O.  Caspari  ist 
Ewigkeit  nicht  Zeitlosigkeit,   sondern  „die  real  fortschreitende  eicige  Zeit**  (Zu- 
sammenh.   d.  Diage  S.  170).     Eenouyier  (wie  Dühring)   nimmt  nur  eine 


328  Ewigkeit  —  Exolusi  tertii  (medii)  principium. 

-   -  -    -  ■  ■*  -  - 

Ewigkeit   a  parte  poet,    nicht  a  parte  ant€  an;   es   gibt  einen  Anfang  der 
Phänomene  (Nouv.  Monadol.  p.  16).    Vgl.  Zeit,  Unendlich,  Schöpfong,  Materie. 

£xaets  vollendet,  genau.  £xacte  Wissenschaften  im  engeren  Sinne 
sind  nur  diejenigen,  die  auf  Mathematik  (und  Logik)  direct  beruhen,  im  weiteren 
alle  Disciplinen,  in  welchen  Gesetze  (s.  d.)  sich  aufstellen  lassen. 

Leibniz  spricht  von  „idees  exactes^^,  „gut  consistefit  dans  les  de^iüion^ 
(Nouv.  ess.  II,  eh.  9).  Berkeley  halt  es  ,junter  der  Würde  des  Oeisies",  „fdi- 
xusehr  nach  Exactheit  in  der  ZurüekfÜkrung  jeder  einxelnen  Erscheinung  auf 
aUgetnetne  Oesetx£  oder  in  dem  Nachteeise ,  wie  sie  aus  denselben  folge,  nt 
streben^^  (Princip.  CIX).  E.  DtJHRiNG  bemerkt:  „Dte  tcaJire  Exactheit,  also 
Genauigkeit  in  emefii  allgemeineren  Sinne  des  Wortes,  7nuß  sich  überall  schaffen 
lassen,  wo  man  sich  nur  entschließen  will,  redlich  das,  was  man  weiß,  ton  dem 
XU  unterscheiden,  was  man  nicht  weiß,  und  die  Art,  wie  und  woher  man  etwas 
weiß,  genau  festxusteUen  und  amugeben"  (Log.  S.  24;  vgl.  Biehl,  Phil-  Krit. 
II,  2,  S.  23;  LiEBÄLA.NN,  Anal.  d.  Wirkl.«,  S.  282). 

SSxaltaUons  Aufgeregtheit,  Übererregimg,  Vorwalten  der  errufenden, 
sthenischen  Affecte  (Wündt,  Gr.  d.  Psychol.*,  S.  327).  Mit  den  Depression?- 
(s.  d.)  bilden  Exaltationszustande  charakteristische  Symtome  allgemeiner  psychi- 
scher Störungen  (vgl.  Keaepelin,  Psychiatrie  I*). 

CSxc^iitriflelieii  Empllndang^,  Oeaetz  der,  s.  Projection. 

üxclusl  tertii  (imedii)  principiom:  Satz  vom  ausgeschlossenen 
Dritten  (Mittleren) :  A  ist  B  oder  Nicht-B,  ein  Drittes  ist  unmöglich.  Von  zwei 
Urteilen,  die  einander  contradictorisch  entgegengesetzt  sind,  muß  eines  wahr 
sein;  es  können  nicht  beide  Urteile  zugleich  und  in  derselben  Beziehung  wahr 
oder  falsch  sein.  Der  Satz  folgt  unmittelbar  aus  dem  Satze  des  Wider- 
spruches (s.  d.). 

Schon  Aristoteles  spricht  das  Princip  aus :  tcSv  S* dmxsmt'viov  dvTitfdcton 
fjLtr  oix  iari  fiera^v  (Met  X  7,  1057  a  33).  Bei  den  Scholastikern  findet  es 
sich  wiederholt  (vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  IV).  Nach  G.  E.  Schulze  drückt  der 
Satz  „diejenige  Einrichtung  des  Verstandes  aus,  vermöge  icelcher  der  einander 
unmittelbar  entgegengesetxten  Begriffe  immer  nur  xicei  (nicht  drei,  non  daittr 
tertium,  oder  noch  mehrere)  möglich  sind^'  (Grunds,  d.  allg.  Log.»,  S.  34).  Nach 
Fries  lautet  der  Satz:  „Jedem  Gegenstand  kommt  entweder  ein  Begriff  oder 
dessen  Gegenteil  xu*'  (Syst.  d.  Log.  S.  176).  Nach  Hegel  :  „  Von  zwei  enigegen- 
geseixten  Prädicaten  kommt  dem  Etwas  nur  das  eine  xu,  utid  es  gibt  kein  Drittes'' 
(Encykl.  §  119).  „Der  Satx  des  ausgeschlossenen  Dritten  ist  der  Safx  des  be- 
stimmten Verstandes,  der  den  Widerspruch  voti  sich  abhalten  will  und,  indem  er 
dies  tut,  denselben  begeht  A  soll  entweder  -\-  A  oder  —  A  sein;  damit  ist  schon 
das  Dritte,  das  A  ausgesprochen,  welches  weder  +  fioch  —  ist,  und  das  eben^ 
sowohl  auch  als  +  -^  wwrf  als  —  A  gesetxt  ist"  (ib.).  Herbart  erörtert  den 
Satz  ausführlich  (De  princ.  leg.  excL  med.  1833).  ScHOPEiOfAUER  formuliot: 
„Jedem  Subject  ist  jegliches  Prädicat  entweder  beixulegen  oder  abxuspreehen.'" 
„Hier  liegt  im  Etäweder-Oder  schon,  daß  nicht  beides  zugleich  geschehen  darf 
folglich  eben  das,  was  die  Gesetxe  der  Idetitität  und  des  Widerspruches  besagen: 
Diese  würden  also  als  Cor ollarien  jenes  Saixes  hinxukommen,  welcher  eigentlich 
besagt,  daß  jegliche  xwei  Begriffssphären  entweder  als  vereint  oder  als  getrennt 
XU  denken  sind,  nie  aber  als  beides  zugleich^*  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  Bd.,  C  9). 
Nach  SiGWART  besagt  der  Satz,  „daß  von  xwei  contradictorisch  etitgegengesefxien 


Xixoltisi  tertii  (medii)  prindpiuni  —  Experiment.  329 

Urteüen  das  eine  notwendig  wahr  ist"  (Log.  I,  196);  Dach  B.  Ebdmann:  j,Wenn 
eifi  bejcLhendea  Urteil  als  wahr  gegeben  ist,  so  ist  das  underspreckende  verneinende 
falseh  und  umgekehrt"  (Log.  I,  366).  Wundt  beßtimmt  den  Satz  als  „Qrund- 
geseix  der  di^unetiven  Urteile".  ,jln  der  Formel  ,A  ist  entweder  B  oder  non~B^ 
ist  das  Ideal  einer  logischen  Disfunction  aufgestellt^  insofern  die  Begriffe  B  tmd 
fum-B  einerseits  sehleehthin  voneinander  verschieden  sind,  anderseits  aber 
ein  dritter  Begriff  xtviscketi  ihnen  nicht  existiert**  (Log.  I,  509).  Schuppe  meint, 
es  lasse  sich  ,,hei  der  Unbestimmtheit  der  Begriffe  und  der  Mehrdeutigkeit  der 
Worte  nur  behaupteti,  daß  jeder  in  einem  Oanxen  ins  Auge  gefaßte  Einxdx/ug 
mit  jeder  Prädieaisvorstellung  entweder  identisch  ist  oder  nicht"  (Log.  S.  43). 
Nach  ScifDBERT-SOLDERN  spricht  der  Satz  nur  aus,  daß  ,^wei  Inhalte  oder  die 
Beziehungen  zweier  Inhalte  entweder  vereinbar  oder  unvereinbar,  trennbar 
oder  untrennbar,  unterscheidbar  oder  ununterscheidbar  seien"  (Gr.  e.  Erk.  S.  175). 
VgL  HAOEMAifN,  Log.  u.  Noet.*,  S.  23). 

ExdoslTe  Urteile  („propositiones  exclusivae")  heißen  Urteile,  die  einem 
Subject  mit  Ausschluß  aller  andern  ein  Prädicat  zuschreiben  („nur  S  ist  P*^J, 

Exemplarii»clis  urbildlich,  vorbildlich  (so  bei  Kant,  Krit.  d.  Urt.  §  17). 

Exercitatlon  s.  Übung. 

Exlstentlal  s.  Sein. 

BxlBteiitialg^effilil  s.  Sein. 

ExlsientialltJlt:  Wirklichkeitscharakter. 

CSxiBieiitlalarteile  sind  Urteile,  welche  die  Existenz,  das  Sein  (s.  d.) 
eines  Objects  aussagen,  behaupten:  A  ist,  existiert,  es  gibt  ein  A,  d.  h.  A  gehört 
zur  Klasse  der  vorfindbaren,  physischen  oder  psychischen  Wesenheiten,  nicht 
zu  bloßen  Wörtern  oder  Phantasieproducten.    Vgl.  Sein. 

ISx  mere  neg^atlTls  et  particalaribas  niliil  Sequilar:  Aus 

lauter  particular  verneinenden  Prämissen  ist  kein  richtiger  Schluß  zu  ziehen. 

ESxoteriseli  (iiatxi^ixoi,  nach  außen  hin;  Abi8TOTELE8,  Top.  VIII  1, 
151  b  9):  „für  die  Außenstehenden,  Xicht-Eingeweihten,  Laien*^,  „populär",  Ari- 
stoteles versteht  imter  dScme^txoi  Xoyoi  „außerphilosophische,  d,  h.  nicht  streng 
philosophische,  wenigstens  nickt  streng  methodische  Erörterungen,  ohne  Rücksicht 
darauf,  ob  sie  von  ihm  oder  anderen  angestellt  waren"  (Übebweg-Heinze,  Gr. 
d.  Gesch.  d.  Philos.  P,  228).  „Exoterisch"  heißen  die  dialogisch  verfaßten 
Schriften  des  Abistoteles  im  Unterschiede  von  den  „esoterischen".  Das  Wort 
y^oterisch"  bedeutet  jetzt  so  viel  wie  fachlich,  in  die  Tiefe  gehend. 

Experientias  Erfahrung  (s.  d.),  Kunde,  Forschung. 

EIlEperiment  (experimentum,  Erfahrung,  Versuch):  willkürliehe,  plan- 
inaßige  Beobachtung  imter  künstlich  hergestellten  Bedingungen;  Herstellung 
Ton  „Wirkungen",  um  daraus  die  bestimmten  Ursachen,  von  „Ursachen,"  um  die 
Wirkungen  kennen  zu  lernen.  Das  Experiment  wird  in  den  Naturwissenschaften 
und  in  der  Psychologie  verwandt. 

Experimente  werden  schon  im  Altertum  angestellt,  auch  im  Mittelalter 
(.\lchymie),  systematisch  erst  seit  dem  17.  Jahrhimdert.  Auf  die  Notwendig- 
keit des  Experimentieren s  weisen  philosophischersei ts  im  Mittelalter  ALBEBTrs 
Magnus,  Rogeb  Bacon,  J.  Bubidan,  später  Pabacelsus,  L.  Vives,  Galilei 


330  Experiment  —  Ex  praecognltis  et  praeconeesais. 


u.  a.  hin,  dann  Descartes,  besonders  aber  F.  Bacon.  Nur  der  methodische 
Versuch  hat  Wert  (Nov.  Organ.  I,  70,  82,  100).  Eine  Vergleichung  der  Fälle 
nach  gradweisen  jjnsianzen^^  (s.  d.),  endlich  die  Bestätigung  diut^h  das  ,^Jcp(ri- 
tnenlum  crueis"  ist  notwendig.  Chr.  Wolf  definiert:  „Experimentum  Gi 
experientia,  quae  verscUur  circa  fcuita  naturaey  qtioe  nonnisi  interreniente  opara 
nostra  continguni"  (Psychol.  empir.  §  456).  Wundt  versteht  unter  ExperimeAt 
jyeine  Beobachtung,  die  von  willkürlichen  Eintvirkungen  des  Beobachters  auf  die 
Erscheinungen  begleitet  tcird^^  (Log-  II|  277).  Durch  das  (directe  oder  indirecte) 
Experiment  erfolgt  ein  „Isolieren  und  Variieren^^  der  Umstände  (1.  c.  8.  278). 
Jevons  erklart:  „Experimetit  is  .  ,  .  Observation  plus  alteration  of  condüiofis^ 
(Princ.  of  science',  p.  400).    Vgl.  Psychologie. 

üxperlmeiitell  (experimentalis :  erfahrungsmäßig) :   auf  dem  Wege  des 

Experimentes.    Experimentelle  Psychologie  s.  Psychologie. 

üxperlmentam  cmcis:  entscheidendes  Experiment  (s.  d.). 

CSxplIcatlons  1)  Erklärung  (s.  d.),  2)  Entfaltung,  Auseinanderl<^ung  der 
Einheit  in  die  Vielheit,  Gottes  in  die  Welt.  So  bei  Plotin,  der  die  Dinge  die 
jyentfaltete  ZaJil"  nennt  (Enn.  VI,  6,  9).  Dann  bei  Nicolaus  Cusa^-us.  Die 
Zahl  ist  nach  ihm  „explicatio  unitatis^^  die  Bewegung  „explictUio  quieiis''  (Doct 
ignor.  I,  3).  In  Grott  (s.  d.)  ist  alles  zur  Einheit  „compliciert"  (s.  Compheatio), 
die  Dinge  sind  die  Entfaltung  (j,explicatio,  evoluiio*^)  Gottes  (1.  c.  II,  2,  3; 
De  poss.  f.  175).  Hegel  lehrt  eine  dialektische,  logische  Selbstentfaltung 
der  Wirklichkeit  (des  „Begriffes j"  s.  d.)  in  eine  Mannigfaltigkeit  von  Bestim- 
mungen. yyDas  Sein  ist  der  Begriff  nur  an  sich,  die  Bestimmungen  desMeiben 
sind  seiende,  in  iJireni  üfiterschiede  andre  gegeneinander,  und  ihre  ueäere 
Bestimmung  (die  Form  des  Dialektischen)  ist  ein  Übergehen  in  anderes. 
Diese  Formbestimmung  ist  in  einem  ein  Heraussetzen  und  damit  EntfaÜen  dei 
an  sich  seienden  Begriffs,  und  zugleich  das  In-sieh-gehen  des  SeinSy  ein  Ver- 
tiefen desselben  in  sich  selbst.  Die  Explicaiion  des  Begriffs  in  der  SpMre  da 
Seins  wird  ebensosehr  die  Totalität  des  Seifis,  als  damit  die  UnmiUelbarkeit 
des  Seins  oder  die  Form  des  Seitis  als  sohlten  aufgehoben  wird"  (EncykL  §  84). 

Explieltes  entfaltet,  ausdrücklich^  in  einem  besonderen  Urteile  gesetzt. 
Implicite:  mit  eingeschlossen,  mit  gesagt,  ohne  besonderen  Bewußtseinsact 

EKponlbilias  erklärungsbedürftige  Wörter  (Scholastik). 

üxponlble  Sfttze  („propositiofies  expmvihiles,  explieabiles") :  Satze,  die 
erklärungsbedürftig  sind.  Kant:  „Urfeile,  in  denen  eine  Bejahung  uf»d  Ver- 
neinung zugleich,  aber  versteckterweise,  enthalten  ist,  so  daß  die  Bejahung  zwar 
deutlich,  die  Verneinung  aber  versteckt  geschieht,  sind  exponible  Sätze^^  (Log* 
S.  711).  „Eine  Vorstellung  der  Einbildungskraft  auf  Begriffe  bringen"  heißt  sie 
„exponieren".  Die  ästhetische  Idee  (s.  d.)  ist  eine  „inexponible  VorsteUtmg 
der  Einbildungskraft",  sie  kann  „keine  Erkenntnis  werden,  weil  sie  eine  An- 
schauung (der  Einbildungskraft)  ist,  der  niemals  ein  Begriff  adäquat  gefunden 
werden  kann"  (Krit.  d.  Urt.  §  57,  Anm.  I). 

Expositioii  (logische):  Erörterung  (s.  d.). 

£x  praecos^itls  et  praeconeessis  sc.  argumentatio:  Schluß  oder 
Beweis  aus  allgemein  Anerkanntem,  Zugegebenem  (vgL  Locke,  Ess.  IV,  eh.  2, 
§  8;  Leibniz,  Nouv.  Ess.  IV,  eh.  2,  §  8). 


£z  pure  negativiB  et  particularibiu  nihil  seqidtur  —  Fatum.    331 


WäJL  pure  ne|^atl¥l8  et  partlcolaribiis  nlbU  seqvltor:  Aus 

rein  negativen  oder  particulären  Obersätzen  folgt  nichts. 

CSxt^ialon:  Ausdehnung  (s.  d.). 

SSxtenslült:  Ausgedehntsein,  Flächenhaftigkeit.    Vgl.  Baum. 

ExtenslT:  ausgedehnt.    Extensive  Schwelle,  s.  Schwelle. 

KxtenslTltJlt:  der  Charakter  der  Ausdehnung,  des  Auseinander-seins. 

Exterlorltllt:  Äußerlichkeit,  Aufier-uns  (s.  d.).  Nach  Bexouvieb  ist 
die  j/üient^%  .^exteriorite^^  der  Monaden  (s.  d.)  unmittelbar  im  Bewußtsein  ge- 
geben (Nouv.  Monadol.  p.  7  ff.). 

Eximtalisattoii  s.  Localisation. 

Externe,  das.  B.  Wähle  nennt  so  „aÜe  Farben,  Oestalten  der  an  si^ 
bestehenden  Dinge,  attch  die  Töne^^  Unser  Leib,  unsere  Empfindungen  auf  dem- 
selben, unser  Wahrnehmen  des  Externen  sind  das  jySub;ecttve^^  (Das  Ganze  d. 
Philos-  S.  169). 

Extramentals  außer  dem  Geiste,  außerhalb  des  BewuJßtselDs,  nicht  im 
Bewußtsein  gegeben  (Clifpoed,  Hodgson  u.  a.).    Vgl.  Object. 


F. 


Factum:  Geschehnis,  Tatsache  (s.  d.). 

Fftlii^kelt  (,/aeulta8*^J,  s.  Vermögen,  Kraft,  Disposition,  Anlage. 

Fallaelens  Trugschlüsse  (s.  d.). 

Fftlle,  rleliticr^  und  falselie,  s.  Methode. 

Falseli  ist  jedes  Urteil,  das :  1)  einem  als  wahr  anerkannten  UrteU  wider- 
spricht, 2)  etwas  aussagt,  was  a.  den  Denk-  oder  Anschauungsgesetzen  (Axiomen), 
b.  der  methodisch  verarbeiteten  Erfahrung  (direct  oder  indirect)  widerspricht. 
Vgl  Wahrheit,  Irrtum. 

Farbenbllndlielt  (Daltonismus):  1)  totale,  besteht  darin,  daß  jeder 
lichtreiz  farblos,  als  reüie  Helligkeit  empfunden  wird,  2)  partielle  („Dichro- 
masie^^J,  besteht  in  der  Unempfindlichkeit  für  bestimmte  Farben  (Bot-,  Grün-, 
Molettblindheit).  Vgl.  Wündt,  Gr.  d.  PsychoL»,  S.  88  f.,  Külpe,  Gr.  d.  Psychol. 
S.  138;  HOLMGREN,  Die  Farbenblindh.  1878;  Zeitschr.  f.  Psych,  u.  Phys.  d. 
Sinnesoig.  Bd.  3,  4,  5,  13,  19,  20. 

Fatallsmas :  Lehre  von  der  unbedingten  Herrschaft  des  Schicksals  (s.  d.), 
des  Fatums,  von  der  absoluten  Vorherbestimmung  (Prädestination,  s.  d.)  alles 
Geschehens,  derart,  daß  es  gleichgültig  ist,  wie  man  handelt,  da  ein  bestunmter 
Effect  auf  jeden  Fall  —  infolge  des  Willens  Gottes,  des  Schicksals,  des  Causal- 
nexns  —  eintreten  muß.  Vom  Determinismus  (s.  d.)  unterscheidet  sich  der 
Fatalismus  darin,  daß  er  die  causale,  active  Bolle  des  Willens  verkennt,  der 
doch  auch  ein  nicht  zu  übergehmider  Factor  des  Geschehens  ist.  Dem  Fatalis- 
mm  huldigen  in  verschiedener  Weise  emige  Stoiker  (Diog.  L.  VII,  149; 
Cicero,  De  nat  deor.  I,  25,  70)  und  der  Islam.  Gegen  den  Fatalismus  er- 
klärt sich  u.  a.  GiZYCKi  (Moralphilos.  S.  313  ff.).    Vgl.  Willensfreiheit. 

Fatnn:  Schicksal  (s.  d.). 


332  Faule  Vernunft  —  Fesapo. 

Faule  Venmnfl  {a^6s  Xoyog,  ignava,  pigi^  ratio):  die  fatalistifiche 
Meinung,  daß  das  Handeln  des  Menschen  keinen  EinfluiS  auf  sein  Schicksal 
habe,  weil  alles  vorherbestimmt  sei  (vgl.  Ciceko,  De  fato  12,  28).  Ka^tt  ver- 
steht unter  der  ,/atden  Vernunft**  „jedeti  Orundsatx,  welcher  machte  daß  man 
seine  Naiurunter suchung y  wo  es  auch  sei,  für  schlechthin  vollendet  ansieht ^  und 
die  Vernunft  sieh  also  xur  Ruhe  begibt^  als  ob  sie  ihr  Geschäft  völlig  aus- 
gerichtet habe**  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  534). 

Feelinerselies  Oesetz  s.  Webersches  Gesetz. 

Feeling^  bedeutet  in  der  englischen  Psychologie  bald  ein  zwischen  Em- 
pfindung und.  Gefühl  schwankendes,  bald  ein  Empfindung  und  Gefühl 
(Sensation  and  emotion)  einschließendes  Bewußteeinselement  {„Gefühl**  im  all- 
gemeinen Sinne,  s.  d.),  bald  ein  Gefühl  selbst.  (Vgl.  A.  Bain,  Sens.  and  Int*, 
p.  3;  Spencer,  Psychol.  I,  §  48). 

Fetaler  s.  Methode. 

Fehlsetailiß  s.  Paralogismen,  Sophismen. 

Feinheit  der  Empfindlichkeit  und  der  Unterschiedsempfindlichkeit  steht 
im  reciproken  Verhältnis  zur  „mittleren  Variation**  (m  V)  der  Aussageil  über 
Reize  und  Reizdifferenzen  (Külpe,  Gr.  d.  Psychol.  S.  52). 

Felapton  ist  der  zweite  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
allgemein  verneinend  (e),  Untersatz  besonders  bejahend  (i),  Folgerung  besondere 
verneinend  (o). 

Feld  der  Aufmerksamkeit,  s.  Aufmerksamkeit,  Blickfeld. 

Ferio  ist  der  vierte  Modus  der  ersten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz  all- 
gemein verneinend  (e),  Untersatz  besonders  bejahend  (i),  Folgerung  besondo« 
verneinend  (o). 

Ferlson  ist  der  sechste  Modus  der  dritten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
allgemein  verneinend  (e),  Untersatz  besonders  bejahend  (i),  Folgerung  besondere 
verneinend  (o). 

FerjDDient  nennt  J.  B.  van  Helmont  die  „causa  exeitans**,  welche  die 
in  der  Materie  schlummernden  Anlagen  entwickelt. 

FernwIrlKling;,  psychische,  s.  Telepathie. 

Fertig^keit  (^f«s,  habitus)  heißt  jede  durch  Übung  (s.  d.)  erworbene 
günstige  Disposition  (s.  d.)  zu  Handlungen  bestimmter  Art  Aäistotklbs 
sieht  m  den  Tugenden  (s.  d.)  i?««  xpvxrji  (Eth.  Nie.  I  13,  1103  a  9;  112, 
1104  b  19).  Von  der  Ttoujnxrj  iiis  ist  die  nQaxrtxrj  i'^ie  zu  imterechöden 
(1.  c.  VI  4,  1140a  4;  VI  13,  1144b  8).  Schleiermachkr  betrachtet  die 
Tilgend  (s.  d.)  auch  als  Fertigkeit.  „Wenn  die  Gesinmmg  diejenige  Qualitäi 
istj  wodurch  überhaupt  die  Einigung  der  Natur  mit  der  Vernunft  producieri 
wird:  so  ist  die  sittliche  Fertigkeit  diefenige  Qualität,  wodurch  diese  Emi- 
gung  in  einem  Mensehen  in  einem  bestimmten  Grads  besteht,  und  von  diesem 
aus  sich  in  allen  wesentlicficn  Riehtungen  weiter  entwickelte*  (Philos.  SitteoL 
§  310).  Die  Fertigkeit  besteht  aus  einem  „eombinatorischen**  und  einem  „rf*s- 
junctiven**  Factor  (1.  c.  §  311).  Nach  W.  Jerusalem  sind  Fertigkeiten  ,^0- 
malisch  gewordene  Bewegungsreihen**  (Lehrb.  d.  Psychol.»,  S.  187).  Vgl.  Vermögen. 

Fesapo  ist  der  vierte  Modus  der  vierten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersat« 


Fesapo  —  Form.  333 


allgemein  verneinend  (e)^  Untersatz  allgemein  bejahend  (a),  Folgerung  besonders 
verneinend  (o). 

Festino  ist  der  dritte  Modus  der  zweiten  Schlußfigur  (s.  d.):  Obersatz 
illgemein  verneinend  (e),  Untersatz  besonders  bejahend  (i),  Folgerung  besonders 
verneinend  (o). 

Fetlseliisniliss  Verehrung  von  irgendwie  auffallenden  Gegenständen, 
bezw.  der  Greister,  die  in  diesen  hausen  (vgl.  Fe.  Schültze,  Der  Fetisch.  1871). 
—  J.  St.  MilL;  E.  Mach,  Nietzsche  sehen  im  Kraft-  bezw.  Causalbegriff  einen 
Best  von  Fetischismus.    Vgl.  Causalitat. 

Fiat  s.  WiUe. 

Fietionen  (wissenschaftliche)  heißen  Annahmen,  die  wir  nur  zu  heu- 
listischem  (s.  d.)  Zwecke  machen.  Vgl.  HuME,  Treat.  II,  sct.  4;  Lotzb,  Gr.  d. 
Log.  S.  87. 

Fidential  heißt  bei  R.  Avenarius  der  „GharaJcter"  (s.  d.)  der  „Heim- 
kaftigkeif',  das  Bekanntheitsgefühl  (Krit.  d.  rein.  Erf.  II,  31). 

Flf^liren  s.  Schlußfigur. 

Finalitftt:  die  Kategorie  des  Zweckes  (s.  d.),  die  teleologische  (s.  d.) 
Wirksamkeit;  jyfina^^  ist,  was  auf  Zwecke  sich  bezieht,  zielstrebig  iBt. 

Flnis:  Zweck  (s.  d.),  Endzweck. 

Fixe  Idee  s.  Zwangsvorstellung. 

FUeften  der  Zeit  s.  Zeit.    Fließender  Baum  s.  Eaum. 

Flneiiten:  Baum  xmd  Zeit  als  ^fiteßende^^  Größen.  Die  Momente  der 
Fluenten  sind  ,yFliixmnen^^  (Newton,  Meth.  flux.  Opusc.  I,  p.  54). 

Flaidom:  Flüssigkeit  Bei  Patritiub  eines  der  Elemente  (s.  d.).  Im 
18.  Jahrhundert  glaubt  man  an  Nervenfluida. 

Fol^e  (axoXov&fjatg,  consecutio)  s.  Grund. 

Fol^eran^  s.  Conclusion,  Schluß. 

Form  {elSoi,  fio^^j  forma)  und  Stoff  (s.  d.)  sind  Correlata,  Beflexions- 
begriffe  (s.  d.).  Die  Form  eines  Objects  ist  allgemein  das  j^Wie^^  desselben  im 
Unterschiede  vom  „  Wltw",  vom  Inhalte.  jjForm^^  heißt  jede  (äußere  oder  innere, 
niaterieile  oder  geistige)  Ordnungseinheit  in  einer  Mannigfaltigkeit  von  Be- 
standteilen einer  Sache,  eines  Geschehens,  eines  Gedankens,  eines  Kimstwerkes. 
Die  Art  und  Weise  des  Zusammenhanges,  der  Verknüpfung  von  Teilen  in 
einem  Ganzen  bildet  die  Form  eines  Objects.  Die  Form  gilt  jetzt  als  etwas 
Passives,  als  bloßes  Product  oder  höchstens  als  Vorbild,  früher  (besonders  im 
Büttelalter)  hatte  der  Formbegriff  einen  höheren  Wert,  die  Form  war  etwas 
Actives,  Gestaltendes,  Innerliches,  Substantielles,  Dynamisches. 

Demokuit  nennt  die  Atome  (s.  d.)  „Formen"  (iSeai),  Plato  die  Ideen  (s.  d.) 
ak  Musterbilder  der  Dinge.  Aristoteles  prägt  den  Formbegriff  neu.  Die 
Form  (el8oSf  H^9fv)  ^^  eines  der  Principien  (s.  d.),  d.  h.  ein  Seinsfactor,  und 
war  das  Allgemeine,  Typische,  das  Wesen  (to  ii  ijv  elvai,  s.  d.),  der  Begriff 
(loyoi,  De  an.  I,  1),  die  erste  Wesenheit  von  allem  (Met  VII  7,  1032  b).  Die 
Form  ist  das,  was  dem  Dinge  seine  Eigentümlichkeit  verleiht,  was  den  Stoff 
(s.  d.)  zum  ToBa  t«  (concreten  Etwas),  die  Svrafiis  (Potenz)  zur  M^ata  (Wirk- 


334  Form. 

lichkeit)  gestaltet  (1.  c.  VII,  7).  Sie  ist  das  begriffliche  Sein  der  Dinge  (^ 
xara  rov  Xoyov  ovaia,  Met.  VII  10,  1035  b  15),  die  Entelechie  (s.  d.),  die  actaelle 
Verwirklichung  (De  an.  II  1,  412  a  10).  Sie  ist  den  Dingen  immanent  (Met 
VII  8,  1038  b  6).  Die  Formen  sind  ewig,  rnivergänglich,  nur  der  irvvoSos  von 
Form  und  Stoff  entsteht  und  vergeht  (Met.  VII  8,  1033b  16  squ.).  Der  Stoff, 
in  seiner  Abstractheit  genonmien,  ist  das  Formlose,  in  Wirklichkeit  gibt  es  nur 
Geformtes,  und  jedes  Greformte  ist  Stoff  im  Verhältnis  zu  einer  höheren  Form; 
die  höchste,  reine  (stofflose)  Form  ist  Gott  (s.  d.).  Die  Seele  (s.  d.)  ist  eine 
Form,  Denken  und  Wahrnehmen  sind  Formen  (De  an.  III  7,  432  a  2).  Beim 
Erkennen  (s.  d.)  wird  der  Geist  von  den  Objecten  geformt,  d.  h.  zur  Production 
einer  geistigen  Form  veranlaßt.  Bei  den  Stoikern  wird  die  „Form"  zum 
„Tätigen**  (noiovv),  das  mit  aller  Materie  zur  Einheit  verbunden  ist  (Dipg. 
L.  VII,  134).  Als  innere,  gestaltende  Kraft  fafit  die  Form  Plotin  auf  (Eon. 
II,  6).  Von  ^vXa  sXBri  spricht  Jamblicu.  BofiTHius  bemerkt:  „A  formisj 
qtuie  sunt  sine  maieria,  reniunt  formae,  quae  stmt  in  fnateria**  (De  trin.  1). 
Die  Dinge  bestehen  „ex  materia  et  fortna**  (Porph.  Isag.  p.  37). 

Bei  AuGüßTlNUß  kommt  „fortna**  im  Sinne  von  „spedeg**  (s.  d.)  vor  (De 
trin.  XI,  12,  4;  so  schon  bei  Cicero).  Joh.  Scotus  Ekiuoena  nennt  die  Ideen 
(s.  d.)  yyspeeies  vel  formae"  (Div.  nat.  II,  2).  „Forma  substantitUis**  ist  jene 
Form,  „cuius  participatiotie  onmis  iftdividua.  species  formaiur  et  est  una  m 
Omnibus  et  onmis  in  una**  (1.  c.  III,  27).  Bei  den  Scholastikern  ist  y/armar 
das  Princip,  das  den  Dingen  ihre  Eigentümlichkeit  verleiht,  das  Wesenhafte, 
die  Wirklichkeit,  Actualitat,  das  Ziel  der  Dinge.  Nach  Gilbertus  Porret anus 
ist  die  Form  „essentia  simplex  imnmtahüis**.  „Forma  prima**  ist  Gottes  Wesen- 
heit, „formae  secundae**  sind  die  Ideen  (vgl.  Haurrau  I,  p.  459  u.  Prastl, 
G.  d.  Log.  II,  217).  Nach  AVERROfis  ist  die  Form  „actus  ei  quidditas  rev' 
(Ep.  met  2,  p.  58).  Albertus  Magnus  unterscheidet  drei  Grattungen  von 
Formen:  „Ununi  (sc.  genus)  quidem  ante  rem  existens,  quod  est  causa  forma- 
tiva  .  .  .,  aliud  autetn  est  ipsum  getius  forfnarum,  quae  fluetuant  in  materia  . .  • 
Tertium  aviem  est  genus  formarum^  quod  abstrahente  intellectu  separatur  a 
rebus**  (De  nat.  et  orig.  an.  I,  2;  vgl.  Sum.  th.  I,  qu.  50).  „Format  primae 
separatae  (Ideen)  verae  formae  sunt  farmantes  alias,  sietä  dicit  Boethius,  et  fori« 
tnanentesj  ui  dicit  Plato,  et  sunt  form^ze,  quae  sunt  ante  rem:  formae  auiem 
impresso^  in  materiam  non  verae  formae  sunt,  sed  inmgiftes  fortnaruni**^  (Sum. 
th.  I,  qu.  6).  Die  ,forma  substaniialis**  ist  die  „essentia,  cuius  actus  est  esst*, 
die  Wesenheit  (1.  c.  I,  qu.  15,  2).  Die  Formen  sind  nicht  „aetu**,  sondern  ,j»- 
tentia**  im  Stoffe  (1.  c.  II,  4,  2).  Die  Form  hat  dreifache  Wirksamkeit: 
1)  „Totam  extefisionem  pof^ntiae  terminal  ad  actum**,  2)  „discemit  rtfn**, 
3)  „finis  est  et  inelinat  in  propriam  et  eonnaturalem  finetn**  (1.  c.  I,  qu.  62). 
Nach  Thomas  ist  die  Form  „actus,  per  quam  res  aetu  existuni**  (Cont.  gent. 
II,  30;  Sum.  th.  I,  105,  Ic),  „acutus  primus**  (2  cael.  4  c),  „principium,  agendi 
in  unoquoque**  (Sum.  th.  III,  13,  Ic;  Cont  gent.  II,  47),  „finis  materia^' 
(1  phys.  15  e).  „Forma  dat  materiae  esse  simplieiter**  (De  an.  qu.  1,  9).  Die 
„forma  substaniicUis**  (el8oe  ovfficiSrjg)  ist  der  Wesensgrund,  die  ,/orfna  aeci- 
dentalis**  bestimmt  das  y,qu€Ue  vel  quantum'*.  „Formae  separatae^*  sind  die 
reinen  Intelligenzen,  „formae  adhaerentes**  die  mit  einem  Stoffe  verbundenen 
Formen.  Die  Seele  (s.  d.)  ist  „forma  corporeitatis**  als  Lebensprincip.  Petrüs 
AuREOLUS  versteht  unter  „forma  specfäaris**  die  „speeies  intelligibilis**  {&.  d.) 
(in  1.  sent  2,  12,  qu.  1,  2).    „Formae  intentionales**  kommt  bei  JoH.  Gersok 


Form.  335 

vor  (vgL  Pkantl,  G.  d.  Log.  IV,  145).  Buar£Z  unterscheidet  von  der 
Jorma  pkysica^^  die  y^forma  metaphysieu",  welche  ist  „tota  rei  stibatanticUis 
essentia*^  (Met.  disp.  15).  „F(ntnae  substantüUes^^  sind  die  die  Dinge  con- 
BÜtoierenden  Kräfte  und  „qualitates  oceiUtas^'  (1.  c.  15,  sct.  1,  6).  Der  Satz 
yfForfna  dai  esse  rei"  auch  bei  NlCOLAUS  Cusanus  (De  dat.  patr.  lum.  2). 
GocLEN  erklärt:  ,yFor^na  proprie  dioüur,  quod  formet  et  poliat  ruditatem  et 
informitateni  tnateriae"  (Lex.  phiL  p.  588).  Es  gibt:  „fartnae  reales  (assi- 
sienies  y  secretae  seu  separatae  —  informantes,  stibstantuiles),  mentales  (matke- 
waticae,  absiractae,  logicaejy  immersae  materiae,  per  se  suhsistentes"  (1.  c.  p.  589). 
Nach  MiCRAELiüS  ist  y/orma"  yyintemum  prineipium  eonstitutwnis  aetivum" 
(Lex.  phil.  p.  442). 

Nach  G.  Bbuno  wechsehi  nur  die  äußeren  Formen  der  Dinge,  die  inneren 
Formen  oder  Kräfte  beharren  (De  la  causa  II).  Die  „forma  prima"  gestaltet 
in  räumlicher  Ausdehnung,  die  Seelenform  breitet  sich  nicht  in  der  Materie 
aas,  der  Intellect  ist  eine  vom  Stoffe  unabhängige  Form.  Wo  Form,  da  Leben, 
Beele,  Geist  (ib.).  Durch  „Eduction"y  d.  h.  Formenentlassung,  entfaltet  sich  die 
Materie  «u  concreten  Gebilden  (1.  c.  Dial.  IV).  Bei  F.  Bacon  nähert  sich  der 
Formbegriff  schon  der  modernen  Auffassung,  ohne  den  scholastischen  Charakter 
ganz  zu  verlieren.  „Qui  formas  novit,  is  naivrae  unitatem  in  materiis  dissi- 
miüimis  eofnpleetitur^^  (Nov.  Organ.  II,  3).  „Forma  naturae  alicuius  tcUis  est, 
ut  ea  posita  natura  data  infallibiliter  seqttatur*'  (1.  c.  II,  4).  Die  Form  ist  die 
gesetzliche  Anordnung  in  einem  Dinge.  „Nos  enitn,  quum  de  fortnis  loquimur, 
nü  aliud  intelligimus,  quam  leges  illas  et  determinationes  actus  puri,  quae  na- 
titram  aliquam  simplicem  ordinant  et  constituunf*  (1.  c.  II,  17).  HoBBES  ver- 
steht unter  Form  die  Wesenheit  eines  Körpers,  nach  der  er  seinen  Namen  hat 
(De  corp.  8,  23).  Die  „sttbstantialen  Formen"  kommen  bei  den  englischen 
Piatonikern  (Cüdwobth,  H.  Mobe),  auch  bei  Leibkiz  (s.  Monaden)  wieder 
zu  £hren,  während  Hume  sie  für  philosophische  Wahngebilde  erklärt  (Treat. 
IV,  sct.  3).  Chb.  Wolf  versteht  unter  ,yformae"  die  „determifuüiones  essen- 
iiales''  (OntoL  §  944). 

Die  Unterscheidung  von  Form  und  Stoff  der  Erkenntnis  beginnt  bei 
Tbtens:  „EmpfindungsvorsteUungen  sind  .  .  .  der  letxte  Stoff  aller  Gedanken". 
„Die  Form  der  Gedanken  und  der  Kenntnisse  ist  ein  Werk  der  denkenden  Kraft" 
(PluL  Vers.  I,  336).  Lambebt  unterscheidet  Form  und  Inhalt  der  Erkenntnis 
(X.  Organ.).  In  neuer  Weise  auch  Kant.  Form  der  Erkenntnis  ist  ihm  alles, 
was  nicht  durch  Empfindung  gegeben  ist,  was  nicht  aus  der  Einwirkung  der 
Dinge  auf  uns,  sondern  aus  der  Tätigkeit  des  Subjects  selbst  stanunt:  die  Ge- 
setzmäßigkeit, das  Allgemeine,  Einheit-  und  Ordnung-Setzende  in  der  Erkennt- 
nis. Die  Form  ist  ein  geistiges  Gestaltungsprincip,  zugleich  ein  Formendes, 
durch  das  der  Stoff  (s.  d.)  der  Erfahrung  erst  zu  Erkenntnissen,  zu  wirklicher 
Erfahrung  (s.  d.)  verarbeitet  wird.  Die  Anschauungsformen  (s.  d.)  und  Denk- 
fonnen  (Kategorien,  s.  d.)  sind  a  priori  (s.  d.)  und  subjectiv,  gelten  nicht  für 
die  Dinge  an  sich  (s.  d.).  Die  Formen  unseres  Wollens  bestimmt  das  Sittliche 
(8.  d.).  „Form  der  Erscheinung"  ist  ,^dasfcnigey  welches  tnaefä,  daß  das  Mannig- 
f<ätige  der'' Erscheinung  in  gewissen  VerMltnissen  geordnet  angeschauet  tcird" 
(Krit.  d.  r.  Vem.  S.  49).  Diese  Form  liegt  im  Bewußtsein  a  priori,  muß  daher 
ißbgesondert  von  aller  Empfindung  können  betrachtet  werdeti"  (ib.).  Der  Baum 
(a.  d.)  ist  die  Form  des  äußeren,  die  Zeit  (s.  d.)  die  Form  des  inneren  Sinnes 
(ß.  d.).    Die  „reine  Form  der  Sinnlichkeit"  ist  „reine  Anschauung"  (1.  c.  S.  49). 


336  Form. 

Die  jyFomi  der  Sinnliehkeif^  geht  „allen  wirklichen  MndrüeJcen"  vorher  (Pro- 
legom.  §  9).  Sie  ist  es,  wodurch  wir  a  priori  Dinge  anschauen  können,  und 
was  das  Dasein  von  synthetischen  Urteilen  (s.  d.)  a  priori  möglich  macht  (L  c 
§  10).  Baum  imd  Zeit  sind  „formale  Bedingungen  unserer  Sinnliekkeif*  (L  c. 
§  11).  Die  Formen  unseres  Bewußtseins  sind  Arten  und  Weisen,  wie  wir  an- 
schauen und  denken  müssen,  um  Erfahrung  gewinnen  zu  können.  Ebug  be- 
tont, die  Erkenntnisformen  seien  kein  „leeres  Fackwerk  im  Oemiite",  „Da  die 
Art  und  Weise,  wie  das  Ich  durch  sein  Vermögen  tätig  ist,  eigentlich  durch  die 
Oeseixe  dieses  Vermögens  bestimmt  ist,  so  bedeutet  die  Handlungsiveise  oder  Form 
des  Ichs  eigentlich  die  Gesetzmäßigkeit  desselben  in  Ansehung  seiner  Tätigkeü^^ 
(Fundam.  S.  151).    Nach  Bouterwek  ist  Form  eines  Dinges  „die  Summe  der 

Verhältnisse,  die  das  bestimmte  Vorhandensein  eines  Dinges  in  sieh  sehließt'* 
(Asth.  I,  88).  Fries  erklärt:  „Form  und  formell  nennen  wir  immer ,  was  xver 
Einheit  gehört,  Oehalt  oder  materiell,  was  xum  Mannigfaltigen  gehört*'  (Syst  d. 
Log.  S.  99  f.).  Nach  S.  Maimon  haben  die  sinnlichen  Formen  ihren  Grund 
in  den  allgemeinen  Formen  unseres  Denkens  (Vers.  üb.  d.  Transcend.  S.  16). 
J.  G.  Fichte  leitet  Form  imd  Stoff  der  Erkenntnis  aus  den  Functionen  des 
Ich  (s.  d.)  ab.  Nach  Hegel  ist  die  Form  das  „Setxende  und  Bestimmende'', 
das  „Tätige  gegenüber  der  Materie"  (Log.  II,  80).  Innere  und  äußere  Form  ist 
zu  unterscheiden.  „Da^  Außereinander  der  Welt  der  Erscheinung  ist  Totaliiäi 
und  ist  ganx  in  ihrer  Beziehung  -  auf -sich  enthalten.  Die  Bexiehtmg  der 
Erscheinung  auf  sich  ist  so  vollständig  bestimmt,  hat  die  Form  in  ihr  sdbst 
und,  weil  in  dieser  Identität,  als  wesentliches  Bestehen.  So  ist  die  Form  Inhalt, 
und  nach  ihrer  entwickelten  Bestimmlheit  das  Gesetz  der  Erscheinung.  In  die 
Form  als  in-sich-niehi-refleetiert  fallt  das  Negative  der  Erscheinung,  das 

Unselbständige  und  Veränderliche,  —  sie  ist  die  gleichgültige,  äußerliehe 
Form^'  (EncykL  §  133).  K.  Bosenkraitz:  „In  seiner  Erscheinung  setzt  sieh 
das  Wesen  als  ein  durch  den  unterschied  der  Erscheinung  von  der  Erscheinung 
beschränktes.  Diese  Beschränkung  ist  seine  Form"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  66).  Die 
Form  wird  selbst  der  Inhalt,  insofern  ohne  sie  das  Wesen  sich  nicht  als  RTJgtpTtg 
setzen  kann  (1.  c.  S.  69).  Inhalt  und  Form  sind  an  imd  für  sich  untrennbar 
voneinander,  gehen  ineinander  über  (ib.).  Nach  Hillebrand  ist  die  Form  das 
continuierliche  Übergehen  der  Quantität  in  die  Qualität  (PhiL  d.  Geist  II,  49). 
Nach  Heinroth  ist  die  Form  „eine  bleibende,  unveränderliche  Begrenzung' 
(Psychol.  S.  165  f.).  Trendelenburg  bemerkt:  „Das  Verfahren  oder  die  Hand- 
lungsweise der  Erzeugung  ergibt  das,  was  im  weitesten  Sinne  die  Kategorie  der 
Form  heißt"  (Gesch.  d.  Kat^or.  S.  366).  Nach  Herbart  werden  uns  die 
Empfindungen  schon  mit  und  in  ihren  Formen  (Ordnungen,  Beihen)  gegeben 
(Met  II,  S.  411).  In  der  Ästhetik  (s.  d.)  und  Ethik  (s.  d.)  ist  die  Form  die 
Hauptsache.  Waitz  betont:  „Die  Form  muß  .  .  .  in  und  mit  dem  Stoffe  selbst 
gegeben  werden"  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  161).  Drobisch  definiert:  „Das  Viele 
und  Mannigfaltige,  u?elches  das  Denken  in  eine  Einheit  zusammenfaßt,  heißt  die 
Materie  des  Denkens,  die  Art  und  Weise  der  Zusammenfassung  seine  Form" 
(N.  Darst  d.  Log.*,  S.  6).  Nach  Carriere  ist  Form  „das  durch  das  Innert 
bestimmte  Äußere  der  Dinge"  (Ästh.  I,  100).  Nach  ViscuER  ist  die  ästhetische 
Form  die  „Anordnung  des  Stoffes  zur  Einheit  in  der  Vielheit,  also  Harmonie^ 
(Das  Schöne  u.  d.  Kunst*,  S.  48).  Sie  ist  „Gesamtwirkung  cUler  Teile  des 
Stoffes",  „Schein"  (1.  c.  S.  52).  „Im  Schönen  müssen  wir  immer  von  der  Form 
ausgehen,   doch  wir  empfinden  an  ihr  ein  Inneres"  (1.  c.  S.  77).    Nach  KlRCB> 


Form  —  Formal  337 

MANX  igt  die  Form  von  Wissen  und  Sein  verschieden,  der  Inhalt  der  gleiche 
{Kat.  d.  Phüos.',  S.  53).  Cohen  betont,  die  ^yFormen^^  der  Anschauung  seien 
nicht  „et»  paar  unendliche  leere  Qefäß&\  sondern  bereit  liegende  Potenzen,  die 
sich  erst  mit  der  Erfahnmg,  wenn  auch  nicht  durch  sie,  verwirklichen  (Kants 
Theor.  d.  Erf.  S.  39  ff.).  G.  Spicker  bestreitet  die  Möglichkeit,  daß  die  Er- 
fahrungsobjecte  ohne  Formen  an  sich  existieren  (Kant,  H.  u.  B.  S.  24).  O.  Lieb- 
MAi^  faßt  die  Form  naturphilosophisch  im  Aristotelischen  Sinne  auf  als  En- 
telechie,  Bildungsgesetz  (Anal.  d.  Wirkl.*,  S.  328  ff.).  Nach  Höffding  gibt 
«s  im  Bewußtsein  keinen  Stoff  ohne  Form;  der  Unterschied  beider  ist  nur 
graduell  (Psychol.  S.  149  ff.,  383  ff.).  Ähnlich  Sülly  (The  hum.  Mind  I, 
175),  James  (Princ.  of  Psychol.  I,  224  ff.,  449  ff.,  483  ff.(,  Ladd  (Psychol. 
p.  659):  „rfiffcriwiwia/io«"  (Analyse)  und  ,^c<mceptio7i^'^  (Synthese)  gehören  zu- 
sammen. So  auch  WüNDT.  Raum  und  Zeit  sind  nicht  ursprünglich  gesonderte 
Formen,  sondern  stehen  in  Beziehung  zu  den  Empfindungen  (EinL  in  d.  Philos. 
S.  345).  Erst  die  Abstraction  scheidet  die  Form  des  Bewußtseins  von  dessen 
Inhalte:  Form  und  Inhalt  sind  Reflexionsbegriffe  (Syst.  d.  Phil.»,  S.  106,  111  ff., 
208  ff.;  PhiL  Stud.  VII,  14  ff.,  XII,  355),  sind  „ahatracte  CorrelatbegHffe'' 
<Phil.  Stud.  II,  161  ff.,  VII,  27  ff.).  Die  „reinen  Formbe^riffe''  (Einheit,  Mannig- 
faltigkeit; Qualität,  Quantität;  Einfaches,  Zusammengesetztes;  Einzelnes,  Viel- 
heit; Zahl,  Function)  gehören  zu  den  „reinen  Verstandesbegriffen^^  (Syst.  d. 
Philos.«,  S.  236  f.,  238,  241  ff. ;  Log.  I>,  S.  521  ff.).  Riehl  versteht  unter 
Form  das  „Oeordneisein^^  der  Wahmehmungselemente,  dasjenige,  „wodurch  der 
bloße  Stoff  xur  Vorstellung  wird"  (Phil.  Krit.  II  1,  104  f.,  235,  238).  M.  Kaufe- 
ULSjx  bestinmit  die  Form  als  y^ie  aneehatUiche  Einheit  des  Mannigfaltigen"  (Fun- 
dam.  d.  Erk.  S.  13).  Das  Subject  ist  die  „höchste  Forrn^  die  anscliauliehe  Einheit 
der  räumlichen  und  xeitliefien  WeW^  (1.  c.  S.  14).  Der  Atomismus  (s.  d.) 
rersteht  unter  Form  nur  die  Anordnimg  von  Körperelementen.  Vgl.  Parallelis- 
mus  (logischer). 

Formal  (formell):  förmlich,  zur  Form  gehörig,  auf  die  Form  bezüglich, 
in  der  Form  begründet. 

Bei  den  Scholastikern  bedeutet  „formalis,  formalit^r^^  das  wirkliche 
Sein  (8.  d.)  im  Unterschiede  vom  inten tional-objectiven  (vorgestellten,  gemeinten). 
Bei  Thomas  kommt  das  Wort  „fonnalis"  auch  im  Sinne  des  Logischen  gegen- 
über dem  Realen  vor.  DUNS  ScotüS  unterscheidet  „formaliter"  von  „materia- 
liter*'  und  y,realiter**  (s.  ünterscheidimg).  „Formaler^^  Begriff  („conceptus  forma- 
lis^)  heißt  bei  Suarez  das  Denken,  wirkliches  Vorstellen  als  Act  (Disp.  met. 
II,  1,  1).  GrOCLEN  bemerkt:  „Formale  modo  est  habens  forfnanif  modo  con- 
Muens  seu  praestans  rei  esseniiam,  tnodo  forma  ipsa,  modo  pertuiens  ad  for- 
mam,  tnodo  rite  cofistitutum"  (Lex.  phil.  p.  594).  Im  scholastischen  Sinne 
gebraucht  .formaliter''  Descaktes;  so  auch  Spinoza  (Eth.  II,  prop.  VII, 
coroll.).  Gott  ist  als  „res  cogitans"  „e-ssc  formale  idcariim"  (1.  c.  prop.  V,  dem.). 
Mendelssohn  erklart:  ,jWir  können  .  .  .  die  Erkenntnis  der  Seele  in  ver- 
schiedener Rücksicht  betrachteHf  entweder  insoweit  sie  wahr  oder  falscli  ist,  und 
dieses  ?ienne  ich  das  Materiale  der  Erkenntnis;  oder  insoweit  sie  Lust  oder 
Unlust  erregt,  Billigung  oder  Mißbilligung  der  Seele  xur  Folge  hat,  und  dieses 
kann  das  Formale  der  Erkenntnis  genannt  werden"  (Morgenst  I,  7). 

Nach  Kant  ist  ,/ormal"  alles  zur  Form  (s.  d.)  des  Erkennens  Gehörende, 
das  Vereinheitlichende,  Synthetische  des  Anschauens  und  Denkens  gegenüber 

Philotophitohei  WOrterbaoh.    S.  Aufl.  22 


338  Formal  —  Formbegriffe. 


dem  yyMatericilen"  der  Erfahrung.  „Das  Formale  der  Natur  .  .  .  ist  .  .  .  (He 
Oesetxnuißigkeit  aller  Gegenstände  der  Erfahrung,"  die  „notwendige  Geseit- 
mäßigkeit",  sofern  sie  a  priori  (s.  d.)  erkannt  wird  (Prolegom.  §  17).  Da» 
fyFormale  in  der  Vorstellung  eines  Dinges"  ist  „die  Zusammenstimnnmg  des 
Mannigfaltigen  xu  Einem",  gibt  die  „suhjeetive  Zweckmäßigkeit"  des  Ästhe- 
tischen (s.  d.)  (Krit.  d.  Urt.  §  15).  „Formale  Zweckmäßigkeit"  ist  yyZweekmäßig- 
keit  ohne  Zweckf\  d.  h.  ohne  Zweckbegriff  im  Bewußtsein  des  ästhetisch  An* 
schauenden  (ib.).  Praktische  Principien  sind  rein  yjformaJ^\  wenn  sie  nur  auf 
die  Form  des  (sittlichen)  Willens,  nicht  auf  Zwecke  des  Handehis,  zielen  (WW' . 
IV,  275).  ScHOPENHAUEB  setzt  „formal"  und  „im  Melket^*  gleich  (W.  a.  W. 
u,  V.  Tl.  Bd.,  C.  24).  Hegel  versteht  unter  „formalem"  ein  subjectives  Denken 
(Encykl.  §  466). 

Formalbegn>*tff*^  ^'  Form,  Kategorien. 

Formale  Ästlietik  s.  Ästhetik. 

Formale  Elnlielt  s.  Einheit 

Formale  Etlilk  s.  Ethik. 

Formale  Ixigik  s.  Logik. 

Formale  IJntersclieidmifi^  s.  Unterscheidung. 

Formale  l¥alirlieit  s.  Wahrheit. 

Formaler  Idealismus  s.  Idealismus. 

Formalismus:  Betonen  der  Form  (s.  d.)  als  Erkenntnis-  oder  Seins- 
princip,  Wertung  der  Form  des  Seins,  des  Denkens,  des  Handelns,  der  An- 
schauungsinhalte in  der  Weise,  daß  der  Inhalt  (Gehalt)  als  unwesentlich 
betrachtet  oder  sonstwie  zurückgesetzt  wird  (ontologischer,  logischer, 
ethischer,  ästhetischer  Formalismus).  G.E.  Schulze  halt  „Formalisnmt'' 
für  einen  passenden  Ausdruck  für  die  Kantsche  Erkenntnislehre  (Aenesid. 
S.  387).    Vgl.  Ästhetik,  Ethik,  Logik. 

Formalismus,  soliolastlsclier:  Ansicht  der  Scotisten  (s.  d.),  daft 
zwischen  dem  allgemeinen  Wesen  und  der  Individualitat  der  Dinge  nur  eine 
„distinctio  formalis"  (s.  Unterscheidung)  bestehe.  Die  Anhanger  dieser  Meinung 
heißen  „Fonnnlisten"  („formalixafUes")  (vgl.  DuNS  SCOTUS,  In  1.  sent.  1,  d.  2,. 
qu.  7;  2,  d.  3,  qu.  6,  15;  Pbantl,  G.  d.  Log.  III,  220  ff.,  IV,  146;  Stocks 
II,  959;  Ritter  VIII,  e^6). 

Formalitas:  der  Begriff  des  Formalen,  der  Fomicharakter  ((yOCLEN,. 
Lex.  phil.  p.  593;  MiCRAEUUß,  Lex.  phil.  p.  445). 

Formalprineip:  das  die  Form  (s.  d.)  Bestimmende,  Begründende. 
„Fortnalia  prindpia"  bei  Albertus  >1agnu8  (Siun.  th.  II,  4,  2). 

Formations  Fonnierung,  Gestaltung.  Nach  Aristoteles  (s.  Wahr- 
nehmung) imd  den  Scholastikern  wird  der  Intellect  durch  die  Objecte  for- 
miert, so  daß  er  Vorstellimgen  entwickebi  kann.  Thomas:  „Intelleetus  .  .  , 
informaiur  specie  intelligibili"  (Sum.  th.  I,  85,  2).  „Formatio"  ist  auch  die 
Tätigkeit,  mittelst  welcher  die  „vis  imaginatira'*  „formai  sibi  aliquod  rei  alh- 
sentis"  (ib.). 

Formbeg^lFe  sind  Reflexionsbegriffe;   sie   entstehen   durch  Reflexion 


Formbegriff  —  Freiheit.  339 


auf  die  Ordnungen,   in   die  das  Denken   seine  Inhalte  bringt.     Vgl.   Form, 
Kategorien. 

Form  des  Bewußteelns,  des  Erkennens:  die  Art  und  Weise, 
wie  wir  uns  der  Dinge  bewußt  werden,  wie  wir  sie  appercipieren,  erkennen,  die 
Oidnung  der  Bewußtseins-  oder  Erkenntnisinhalte,  die  ebenso  durch  die  Dinge 
sdfost  als  auch  durch  das  Subject  bestimmt  ist.    Vgl.  Form. 

Formenenern^le:  die  von  der  Form  eines  Körpers  abhängige  Energie 
(OßTWALD,  Vorles.  üb.  NaturphiL«,  S.  168).  y^Der  unge^örie  feste  Körper  behält 
mne  Form,  iceü  jede  Änderung  derselben  mit  ettier  Aufnahme  von  Energie  ver- 
bunden  isi^*  (ib.). 

Formc^müe  sind  die  räumlich -extensiven  Gefühle,  besonders  die 
optischen.  Sie  bekunden  sich  „in  der  Bevorzugung  regelmäßiger  vor  unregel- 
mäßigen  Formen,  und  dann  bei  der  Wahl  xwiseJien  veraehiedenen  regelmäßigen 
Formen  in  der  Bevorzugung  der  nach  gewissen  einfachen  Regeln  gegliederten'^ 
iWTTSjyr,  Gr.  d.  PsychoL»,  S.  198).  Vgl.  Symmetrie,  Goldener  Schnitt  —  Über 
Formgefühle  im  weiteren  Sinn  s.  Gefühl. 

Fortsehritt  s.  Sociologie.  Der  Begriff  des  sittlichen  Fortschrittes 
{TiQOKOTtiq)  schon  bei  den  Stoikern  (Stob.  Ecl.  II  6,  146). 

Fortune  morale  s.  Glück. 

Fra^^  ist  eine  Rede,  die  das  Verlangen  nach  einer  bestimmten  Urteils- 
bUdung  ausdrückt.  Nach  Fortlage  heißt  fragen  ,^weifeln  xivischen  ver- 
schiedenen möglichen  xukünftigen  Vorstellungen  mit  Beziehung  auf  die,  welche 
sieh  wirklieh  eitistellen  tcird^'  (Psychol.  I,  S.  76).  Die  Frage  besteht  „aus  eifier 
Disfunction,  verbunden  mit  dem  Bestreben,,  ihr  ein  Ende  xu  machen'*  (1.  c.  S.  87). 
Nach  LiPPß  ist  Frage  „der  Wunsch,  %u  einem  Urteil  xu  kommen''  (Gr.  d.  Log. 
B.  24).  Nach  W.  Jerusalem  ist  sie  „ein  formuliertes  Staunen",  „das  in  Saix- 
form  ausgedrückte  Verlangen,  ein  Urteil  xu  bilden  oder  xu  vervollständigen" 
(UrtelLsfunct.  S.  172).  Jodl  sieht  in  der  Frage  ein  urteil.  „Wir  seixen  .  .  . 
hypothetisch  xwei  Vorstellungen  in  Function,  um  durch  die  Mitteilung  dieser 
Ftmetion  an  ein  anderes  Bewußtsein  .  ,  .  xu  ermitteln,  ob  diese  Vorstdlungs- 
verknüpfung  in  seinen  Wahrnehmungen  oder  Erinnerungen  sich  vorfinde"  (Lehrb. 
d.  Pfiychol.  S.  632).  Nach  Kirchner  ist  die  Frage  „die  Äußerung  eines 
Sprechenden  mit  der  Aufforderung  an  den  Hörenden,  Auskunft  xu  erteilen" 
iWörterb.  d.  phUos.  Grundbegr.*,  S.  173).    Vgl.  R  Wähle,  Psychol.  d.  Frage. 

Freldenlser  (freethinker,  zuerst  bei  Molyneüx)  heißen  alle,  die  sich 
von  der  positiven  Religion  imabhängig  machen,  insbesondere  aber  die  Deisten 
(9.  d.)  des  18.  Jahrhunderts,  die  eine  natürliche,  d.  h.  eine  Vemunftreligion 
zum  Ideal  haben.    Zu  ihnen  gehören  A.  Collins  (A  disc^ourse  of  freethinking 

1713),  TOLAND,  BOLIKGBROKE,  ShAFTESBURY,  VoLTAIRE  U.  a. 

Freigeister  nennen  sich  die  deutschen  Aufklärer  des  18.  Jahrhunderts 
die  nur  dem  eigenen  Denken,  nicht  dem  Dogma  vertrauen  wollen. 

Freilieit  ist  das  G^enteil  von  Zwang,  bedeutet  Unabhängigkeit  ver- 
schiedener Art.  Die  politische  Freiheit  bedeutet  Autonomie  (s.  d.),  Selb- 
ständigkeit des  Tuns  und  Lassens  des  Bürgers  im  Rahmen  der  socialen  und 
staatlichen  Gesetzlichkeit  Physische  PYeiheit  bedeutet  Unabhängigkeit  des 
Handelns  von  äußeren  Kräften,  die  es  verhindern  könnten.    Psychologische 

22* 


a40  Freiheit  —  Für-Bioh-eein 


Freiheit  bedeutet  SelbstentBcheidimg  des  Ich,  d.  h.  Unabhängigkeit  des  Hmn- 
dehi8  und  WoUens  von  momentanen  Reizen,  Fähigkeit  der  Uberl^;ung  und 
Wahl,  Sich-bestimmen-lassen  durch  die  eigene  PerHÖnlichkeit,  durch  den  eigeneu 
Charakter.  Metaphysische  Freiheit  bedeutet  Unabhängigkeit  eines  Wesais, 
eines  Willens  von  irgend  welchen  Ursachen,  As^tät  (s.  d.).  Die  beiden  letzten 
Arten  der  Freiheit  fallen  imter  den  Begriff  der  Willensfreiheit  (s.  d.). 

Frellieltoc^llilil  s.  Willensfreiheit. 

Frelsteif^end  nennt  Hebbart  eine  Vorstellung,  die  ohne  Association 
(s.  d.)  reproduciert  wird,  d.  h.  einfach  durch  Wegfall  des  Hindernisses,  der 
Hemmung  seitens  einer  andern  Vorstellung,  rein  durch  ihr  eigenes  Streben 
(Lehrb.  zur  PsychoL*,  8.  15).  Frei  steigt  die  Vorstellung,  y^wenn  eine  beengende 
Umgebung  oder  ein  aügemeiner  Druck  auf  einmed  versckuifidet^'  (L  c.  S.  21; 
vgL  Volkmann,  Lehrb.  d.  Psychol.  I^,  407).  G^en  die  Annahme  freisteigender 
Vorstellungen  sind  WtTa)T,  Jodl  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  497  f.)  u.  a.  VgL 
Reproduction. 

Freindsiii;icestlon  s.  Suggestion. 

Freslson  ist  der  fünfte  Modus  der  vierten  Schlußfigur  (s.  d.):  Oberaatz 
allgemein  verneinend  (e),  Untersatz  besonders  bejahend  (i),  Folgerung  besonderR 
verneinend  (o). 

F>eode  (Vergnügen)  ist  ein  Affect,  der  durch  die  Vorstellung  eines 
Gutes  erweckt  wird.  —  Descabtes:  yy  Consideratio  praesenHs  boni  exeiiai  in 
nobis  gaudium''  (Pass,  an.  II,  61;  vgl.  91,  99, 104,  109, 115).  Spinoza:  „Ööm- 
dium  .  .  .  est  laetitia  orta  ex  imagine  rei  praeterOae,  de  euiua  eventu  duhi- 
tavimus''  (Eth.  III,  prop.  XVIII,  schol.  II).  Locke  (Ess.  II,  eh.  20,  §  7^, 
Chb.  Wolf  (Vem.  Ged.  I,  §  446;  Psychol.  empir.  §  614  ff.),  G.  R  Schulze 
(Psych.  Anthrop.  Ö.  377),  Volkmann  (I^ehrb.  d.  Psychol.  II*,  335),  Ribot, 
(Psychol.  des  sentim.)  u.  a.    Vgl.  GefühL 

Ffiblen:  1)  Tastempfindungen  haben,  2)  Lust-  oder  Unlustgefühle  erleben, 
3)  ein  unbestimmtes  Bewußtsein  haben.  Nach  Chb.  Wolf  heißt  yföhlefi" 
yydaejenige  sich  'vorstellen ,  was  Veränderungen  in  unserem  Leibe  veranlassety 
icenn  ihn  körperliche  Dinge,  oder  er  sie  berühret^^  (Vem.  Ged.  I,  §  221).  VgL 
Gefühl- 

Ffille  s.  Pleroma. 

FÜnkleln  s.  Synteresis. 

Ffir-sleli-selii  (jyper  se  esse"y  Scholastik) :  das  Sein  eines  Dinges,  eines 
Wesens  für  sich,  mit  Beziehimg  auf  sich  selbst,  das  yyEigensein^^  im  Unter- 
schiede vom  Sein  für  andere  (in  Bezug  auf  andere  Dinge  oder  Subjecte). 
Nach  Hegel  ist  das  ,yFür'sich-sein^^  eine  Stufe  in  der  dialektischen  (s.  d.) 
Selbstentwicklung  des  ^yBegriffs^^  (s.  d.),  es  ist  Beziehung  auf  sich  selbst,  Eigoi- 
bestimmtheit  (Encykl.  §  91,  95,  96).  K.  Rosenkranz:  yyDtis  Dasein  als  das 
von  anderem  Dasein  durch  seine  Bestim7tUheit  sieh  unterscheidende,  sich  ron 
seilten  eigenen  Unterschieden  unterscheidende  und  sie  als  ihre  sie  setzende  Etn- 
hcit  sich  unteruerfnide  Etwas  ist  für  sich,  icas  es  ist.  Das  Dasein  hat,  logisch 
genommen y  die  Bedeutuiig  des  allgemeinen  Seins;  das  Für-sieh-sein  hat  die  Be- 
deutung  der  Vereinzelung  desselben  als  Selbstbexiehung  des  Daseins  auf  sieh'^ 
(Syst.  d.  Wiss.  S.  24  f.).    Vgl.  Unendlichkeit 


Fürwahrhalten  —  Funotionelle  Dispositionen.  S41 


Flirwalirliaitens  1)  im  Urteil  implicite  =  Wahrheits-  oder  Greltungs- 
bewußtsein,  gehört  primär  zu  jedem  Urteile;  2)  explicite  =  ein  Urteil  über 
die  Wahrheit  eines  Urteils,  also  eine  Art  der  BeurteUmig.  Nach  Kant  ist  das 
Fürwahrhalten  ,^ne  Begebenheit  in  unserem  Verstände,  die  auf  obfectiren 
Gründen  beruken  mag  ^  aber  auch  stibjective  Ursachen  im  Oemiäe  dessen, 
der  da  urteilt,  erfordert'  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  620).  „Das  FürvoahrhaUm  oder 
die  sul^tire  OüUigkeit  des  Urteils  in  Bexiekung  mif  die  Überzeugung  (tcekhe 
zugleich  objeetiv  gilt)  hat  folgende  drei  Stufen:  Meinen,  Glauben,  Wissen" 
(1.  e.  8.  621  f.).  G.  E.  Schulze  erklärt:  „Wird  von  einer  Erkenntnis^  wenn 
sie  aus  Wahmehmungen  besteht,  geurteilt,  sie  mache  kein  Erzeugnis  der  Ein- 
bildungskraft ans  und  sei  auch  kein  Sinjienschein,  sondern  eine  Wirkung  der 
Sinnlichkeit j  wenn  dieselbe  aber  aus  Vorstellungen  xtesa?nmengesetxt  ist,  sie 
stimme  mit  dem  Gegenstande,  worauf  sie  sieh  bezieht,  iiberein,  so  ist  dieses 
Urteilen  das  Fürwahrhalten  der  Erkenntnis^*  (Allg.  Log.«,  S.  158).  Wundt: 
,,Aües  FürwahrhaUeti  stützt  sich  auf  Zeugnisse,  d.  h.  auf  Tatsachen  der  inneren 
oder  äußeren  Erfahrung,  und  diese  Zeugnisse  können  wieder  doppelter,  nämlich 
entweder  subjectiver  oder  objectiver  Art  sein.  Das  subjectite  FürtoahrhaUen 
nennen  wir  Glauben,  das  objective  ist  zunächst  die  Meinung,  und  diese  wird, 
sobald  sieh  mit  ihr  die  Überzeugung  ihrer  tatsächlichen  Wahrheit  verbindet,  zum 
Wissen"  (Log.  I,  370).    Vgl.  UrteU,  Glauben,  Gewißheit. 

Pnnctioii  bedeutet:  1)  physiologisch  eine  Betätigungsweise,  Ausübung 
▼on  Organen  (z.  B.  Nerven-,  Gehimfunctionen),  2)  das  Abhängigkeitsverhältnis 
mathematischer  Art,  wonach  zwei  „Variable"  sich  in  Correlation  miteinander 
verändern,  ohne  daß  ein  Causalverhältnis  zwischen  ihnen  vorliegt:  y  =  f  (x). 

Von  ,/unetiones  animae^*  ist  bei  Campanella  (Univ.  phil.  I,  6,  3),  L.  Vives 
n.  a.  die  Bede.  Von  „corporis  funetiones"  sprechen  u.  a.  Desgartes  (Pass.  an. 
I,  17),  Spinoza  (Eth.  III,  prop.  II,  schoL).  Den  mathematischen  Functionen- 
begriff  bilden  Newton  imd  Leibniz  aus.  Kant  schreibt  dem  Begriffe  (s.  d.) 
eine  „Function"  zu,  d.  h.  eine  vereinheitlichende,  ordnende  Wirkung  (Krit.  d. 
r.  Vem.  S.  88).  Der  Materialismus  (s.  d.)  betrachtet  das  Psychische  ids  (physio- 
logische) Function  des  Gehirns.  Verschiedene  Psychologen  setzen  das  Psychische 
in  ein  dem  mathematischen  analoges  Functionsverhältnis  ziun  Physischen,  an 
Btelle  der  Annahme  einer  Wechselwirkung  (s.  d.).  So  nennt  Fechner  „Functions- 
prindp"  die  Darlegung  der  den  psychischen  Vorgängen  parallel  gehenden  phy- 
Bischen  Phänomene  (Elem.  d.  Psychophys.  II,  380).  Wündt  anerkennt  ein 
,yFwnciumsv€rhältni^*  nur  zwischen  Ebnpfindimg  und  Reiz  (Phil.  Stud.  XII,  33). 
Die  Function  gehört  zu  den  Formbegriffen  (s.  Form).  Einige  Forscher  (Mach, 
AVENABiüS  u.  a.)  wollen  den  Causalitätsbegriff  (s.  d.)  durch  den  Begriff  der  (logi- 
schen) Function  (wenn  a  sich  verändert,  so  auch  b;  die  Veränderung  von  b 
ist  eine  Function  der  Veränderung  von  a)  ersetzen.  R.  Avenartcs  nimmt 
zwischen  dem  Psychischen  (s.  d.),  den  Aussagen  eines  Individuums  und  dessen 
Gehimveränderungen  ein  Functionsverhältnis  an  in  dem  Sinne:  „Wenti  sich 
das  erste  Glied  ändert,  so  ändert  sich  auch  das  zweite^*  (Bemerk,  üb.  d.  Gegenst. 
d.  Psychol.  III;  dagegen  Wundt,  PhiL  Stud.  XIII,  359;  XV,  404).  Vgl. 
Parallelismus  (psychophysischer),  Seelenvermögen. 

Fnnctlonelle  Bedürfkiisse  s.  Bedürfnis. 

Fnnctlonelle  dispositionell  s.  Dispositionen. 


342  Fundament  —  Qanaes  und  Teile. 


Fandament  (fundamentum):  Grundlage  in  den  Objecten,  in  den  Er- 
fahrungsinhalten, d.  h.  dasjenige  in  dem  Angegebenen,  worauf  das  Denken  sich 
stützt,  wenn  es  seine  Begriffe  bildet,  also  das,  was  dem  Begrifflichen,  Ab- 
stracten,  Allgemeinen  (s.  d.)  objeetiv  oder  anschaulich  entspricht  Der  Auf- 
druck ,/undamentum^*'  in  diesem  Sinne  bei  den  Scholastikern  (besonders 
^Jundamenhim  relatumis*')^  so  auch  in  der  Schule  Brentanos.  Fundamentum 
divisionis  ist  der  Einteilungsgrund  (s.  d.).    Vgl  Fundiert 

Fandamentaleliilieiteii,  Fnndameiitalfonnel  s.  Webersches 
Gesetz. 

Fundamentalpht  loBOpMe  z  philosophische  Principienlehre  (vgLEBüG, 
Fundam.  S.  229;  J.  Balmes,  FundamentalphUosophie*,  1861). 

Fundiert s  begründet,  ein  Fundament  (s.  d.)  in  der  Erfahrung,  in  der 
Vorstellung,  im  Object  habend. 

Fundierte  Inlialte  s.  Inhalt,  GestaltquaUtaten. 

Fnrclit  als  Affect,  der  durch  die  Vorstellung  drohender  Gefährdung  des 
Ich  entsteht  (und  physiologische  Folgeerscheinungen  aufweist) :  Vgl.  Aristoteles 
(Rhetor.  II,  5,  1),  Cicero,  Augustinus  (De  civ.  Dei),  Hobbes  (Leviath.  I,  6], 
L.  ViVES  (De  an.  III,  p.  243),  Descabtes  (Pass.  an.  II,  58),  Spinoza  (Eth. 
III,  def.  äff.  XIII,  def.  XXXIX),  Locke  (Ess.  II,  eh.  20,  §  10),  Chr.  Wolf 
(Psychol.  empir.  §  882),  G.  E.  Schulze  (Psych.  Anthrop.  S.  382),  Volkmann 
(Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  336),  Mosso  (Über  die  Furcht  1894)  u.  a.  Vgl 
Katharsis,  Affect. 

Furtoso  eroteo  (heroischer  Enthusiast)  ist  nach  G.  Bruno  der  von 
Sehnsucht  und  Liebe  zum  göttlichen  All  getriebene,  nach  Intuition  der  Einheit 
der  Dinge  begeistert  verlangende  Mensch  (vgl.  Degli  eroici  furori,  1585). 

Oalenlsclie  SeUiißfl^^r  heißt  die  (wohl  von  Galenus  aufgestellte) 
vierte  der  Schlußfiguren  (s.  d.);  sie  ist  nur  die  Umkehrung  der  ersten.  Schema: 
P— M,  M— S;  S — P.  Sie  hat  fünf  Modi  (s.  d.).  Der  erste  Bericht  darüber 
findet  sich  bei  den  arabischen  Philosophen  (AvERROfis,  Prior.  resoL  I,  8, 
Prantl,  G.  d.  Log.  I,  571).  Verschiedene  Logiker  halten  diese  Figur  für  eine 
Spielerei,  für  unnütz  und  unnatürlich. 

Gallselie  Theorie  s.  Localisation,  Phrenologie. 

Qanses  and  TeUe  sind  Correlatbegriffe,  Producte  der  zerlegenden, 
unterscheidenden  Denkfunction.  Das  ,,Ganxe^^  ist  die  Gresamtheit  aller  Teile, 
in  welche  die  Apperception  (s.  d.)  eine  Einheit  zerlegt.  Plato  (Theaet  201  E) 
Aristoteles  (nach  welchem  das  Ganze  den  Teilen  logisch  vorausgeht)  (Met 
V  26,  1023b  26)  sprechen  vom  oXov  im  unterschied  vom  Ttäv^  beides  wird  auch 
von  den  Stoikern  unterschieden  (vgl.  L.  Stein,  Psych,  d.  Stoa  I,  17;  II.  222; 
s.  Welt).  Den  Begriff  des  Ganzen  („totum^^)  definiert  Hobbes  (De  corp.  7,  7), 
auch  Chr.  Wolf:  „Unum,  quod  idern  est  cum  mtdttSj  dieitur  totum^*^  (OntoL 
§  341).  HussERL  versteht  unter  einem  Ganzen  einen  „Inbegriff  ron  Inhalten^ 
welche  durch  eine  einheitliche  Fundierung,  wid  %war  ohne  Surcur» 
weiterer  Inhalte,  umspannt  uerden^^  (Log-  ünt.  II,  268).    Vgl.  Teil. 


Gattung.  343 

Oattsn^^  (Grattungsbegriff)  ist  ein  CoUectivb^riff,  der  eine  Beihe  unter- 
geordneter (Art-)  B^riffe  umfaßt,  deren  gemeinsame  Merkmale  er  zum  Inhalte 
hat  Der  Gattungsbegriff  ist  von  Bedeutung  bei  der  Einteilung  (Classification) 
eines  Wissensgebietes.  In  der  Definition  (s.  d.)  wird  gewöhnlich  die  nächste 
Gattung  (,^em*8  prooDimum^^)  angegeben*.  Die  höchsten  (allgemeinsten)  Gattungen 
sind  die  Kategorien  (s.  d.).  Um  die  Bealität  der  Gattung  dreht  sich  der 
Universalienstreit  (s.  d.).  Die  Gattung  ist  kein  Ding,  sondern  ist  in  der  Reihe 
gleichartiger  Dinge  vertreten,  es  entspricht  also  dem  Gattungsbegriff  etwas  an 
den  Dingen,  eine  Gruppe  von  Merkmalen  oder  Kräften. 

Plato  hypostasiert  die  Gattungen  der  Dinge  zu  „Ideen^^  (s.  d.).  Ari- 
8T0TSLES  sieht  in  der  Gattung  eine  den  Dingen  immanente  Wesenheit.  Gattung 
{Geschlecht,  yivos)  ist  das  Allgemeine,  Wesentliche  einer  Gruppe  ähnlicher 
Dinge,  das  ihnen  zugrunde  liegende  gleiche  Sein;  z.  B.  heißt  die  Flache  die 
Gattung  der  ebenen  Figuren  (Met.  V  28,  1024  a  29  squ.;  X  3,  1054  b  30;  X  8, 
1057  b  38).  Die  Gattung  ist  nur  Bevrd^a  avciay  kein  Eanzelding  (1.  c.  VIII  1, 
1042a  22).  Zu  unterscheiden  sind  yevt]  n^iora  und  ysvri  ^üxaTa  (L  c.  III 4,  999a  31). 
Die  Stoiker  sehen  in  der  Gattung  nur  ein  CoUectivum:  ^«Voc  9i  ioti  nleiovcar 
xai  avayai^sTOfv  iwoijfidrafr  trvkXt^yfis,  olov  ^cfov  rovro  yaQ  ne^ieikri^e  ta  xara 

M*9os  Ztßa  (Diog.  L.  VII  1,  60).  Nach  Alexandeb  von  Aphrodisias  ist  die 
Crattung  ein  bloßer  Name  oder  Begriff:  t6  re  ysrog  ms  yA^os  Xafißavouevov  ov 
^odyfid  r£  iariv  vnoxsifMvav,  aXkd  fiovov  ovo/ia,  xai  iv  rcf  voelcd'ai  t6  xotvov 
^Ivat  ixov  avx  Sr  vnooTaaBi  riri  (Quaest.  nat  II,  28).  Als  eine  Ck)llection  über- 
einstimmender Dinge  bestimmt  die  Gattung  Pobphyb  ;  sie  ist  ro  xaja  nleiavcov 
xai  Bia^B^ovxofv  t(}  sidei  iv  T(f  sXSet  iv  rqf  ti  eari  xarrjyo^ovfAevov  (Isag.  2), 
oder  J7  TivtSv  exovriav  mos  Tt^os  IV  t«  xal  n^os  aXXrjXovg  a&^oiaie  (L  C.  1  a,  17  ff.). 
Nach  BofiTHiU8:  ,j0efitt8  est  quod  praedieatur  de  plttribus  speeie  differentibus 
in  eo  quod  est,  species  vero  est  quam  sub  genere  collocamus*'  (De  div.  p.  640). 
yßemss  enim  dieitur  et  cUiquoruni  quodammodo  se  hahentium  ad  unum  aliquid 
et  ad  se  invieem  eoUeetio^'  (Porph.  Isag.  p.  26). 

Johannes  Scotus  Eriügena  definiert:  „Genus  est  muUarum  formarum 
siibstantialis  unitas^'  (bei  Haureau  I,  303).  Martianus  Capella:  yjOentis 
est  mtUtarum  formarwn  per  unum  nomen  complexio^^  (ib.).  Die  Scholastiker 
unterscheiden  „genus  naturale"  („quod  est  commune  multis,  quae  conveniunt  in 
nuUeria*')  und  „genus  logieum"  („quod  habet  unum  modum  praedicandi  eommufiem 
univoeum  de  mtdtis  speciebus"  (bei  Prantl,  G.  d.  Log.  III,  274).  Nach 
Heducius  von  Auxerre  ist  die  Gattimg  „oogitatio  eollecta  ex  singtUaruin 
similitvdine  speeierum"  (Überweg-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  II,  142), 
nach  Bemioius  von  Auxebbe  „eomplexio,  id  est  adiectio  et  comprehensio 
multarum  formarum,  i.  e.  specierum"  (Havbeau  I,  145).  Gilbebtus  Pobbe- 
TANTJS  definiert:  „Öenus  est  subsistentiarum  seeundurn  totam  earuni  proprie- 
toiem,  ex  rebus  seeundurn  species  suas  differentibus  simüitudine  comparata 
eolUctio"  (Stöckl  I,  276).  Nach  Abaelabd  sind  die  Gattungen  „sermones^*. 
jfGtnur^  ist  „id  quod  natum  est  praedieari,"  nur  in  den  Individuen  hat  es 
ßubsistenz  (Dial.  204).  Wilhelm  von  Occam  betont:  „Genus  non  est  aliqua 
Tes  extra  aniniam  existens  de  essentia  illorum,  de  quibus  praedieatur,^^  sondern 
l)loß  „inientio  animae  praedicabitis  de  mtdtis"  C^g-  I?  ^O)* 

Nach  Petbüs  Ramus  ist  die  Gattung  „totu7n  partibus  essentiale^^  (Dial. 
inst.  I,  27).  Nach  Nicolaus  Cüsanub  existieren  die  Gattungen  „contraete  in 
^peeiebus"  (Doct.  ignor.  III,  1).    Die  Logik  von  Pobt-Royal  erklärt:  „Genus 


344  Oattimg  —  Oebot. 


idea  didtur,  cum  ita  communis  est,  ut  ad  aiica  ideas  etiam  univertaies  te 
exiendaf'  ([,  6).  Nach  Locke  ist  die  Gattung  ein  blofier  CoUectivbegriff,  die 
Zusammenfasgung  des  Ähnlichen  vieler  Dinge  unter  einem  Namen  (Ebb.  Uh 
eh.  3,  §  13).  Chk.  Wolf  erklart:  „Genus  est  simüitudo  specierum^^  (OntoL 
§  234;  Phil.  rat.  §  234).  Platner:  ,, Diejenigen  beständigen  Merkmale  ader 
sogenannten  Eigenschaften  eines  allgemeinen  Dinges  od^r  Begriffs^  u^lche  zugleich 
auch  zukommen  deti  ihm  entgegengesetzten  einxdnefi  Dingen,  nennt  man  .  .  . 
die  Gattung''  (Phil.  Aphor.  I,  §  510).  Kaijt  bestimmt:  ,J)er  höhere  Begriff 
fteißt  in  Rücksicht  seines  niederen  Gattung  (genus)y  der  niedere  Begriff  in  An- 
sehung seines  höheren  Art*'  (Log.  8.  150).  Nach  Hegel  existiert  die  (orga- 
nische) Gattung  „nicht  an  und  für  sich,  sondern  nur  in  einer  Reihe  «m  ein- 
zelnen Lebendigen''.  Die  Gattung  ist  erst  im  Geiste  an  und  für  sich  in  setner 
Ewigkeit  (Naturphil.  S.  648  f.).  Nach  Caeriebe  ist  die  Gattung  nicht  vor  den 
Individuen  selbständig  da,  aber  auch  kein  bloßes  Wort;  sie  ist  die  „tcesengleiehc 
Natur" j  das  ^^leiche  BUdungsgesetx"  der  Dinge  (Ästh.  I,  21  f.;  vgl.  Dühkikg, 
Log.  S.  196  f.).  Nach  Schuppe  ist  das  „Gattungsmäßige"  (Allgemeine)  mit  dem 
Speciellen,  Individuellen  untrennbar  verbunden,  in  ihm  enthalten  und  mit  wahr- 
nehmbar (Log.  8.  90  f.).  Nach  Schubert-Soldern  ist  Gattung  „das  Merkmal 
welches  ein  Datum  oder  viele  von  anderen  bekannten  unterscheidet"  (Gr.  e.  Erk. 
S.  139).    Vgl.  Erkenntnis,  Wahrheit,  Apriori  (Spencer,  Nietzsche  u.  a.). 

Qattmifinsg^edftclitiilfii  s.  Gedächtnis. 

Oattnnsslrieb  s.  Trieb. 

Oattniiipsvenilinft  heißt  bei  Kantianern  u.  a.  das  allgemeine  er- 
kennende Bewußtsein  (s.  d.),  das  „Beicußtsein  überhaupt",  das  die  apriorischen 
(s.  d.)  Formen  der  Erkenntnis  erzeugt. 

Qebftrden  s.  Sprache. 

OebUde,  psychische,  heißen  bei  Beneke  die  Entwicklungsproducte 
seelischer  Tätigkeit  (Lehrb.  d.  Psychol.  §  19).  Wundt  versteht  unter  einem 
,j)syehischen  Gebilde"  „jeden  xusamtnengesetzteti  Bestandteil  unserer  unmittel- 
baren Erfahrung,  der  durch  bestimmte  Merkmale  von  dem  übrigen  Inhalte  der- 
selben derart  sich  abgrenzt,  daß  er  als  eine  relativ  selbständige  Einheit  aufgefaßt 
wird  und,  wo  das  prdktische  Bedürfnis  es  fordert,  mit  eitlem  besonderen  Xamen 
bezeichnet  worden  ist"  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  109).  Diese  Gebilde  sind  nur  relativ 
selbständige  Einheiten,  die  in  durchgängigem  Zusammenhang  miteinander  stehen; 
femer  sind  sie  „niemals  Objecte,  sondern  Vorgänge,  die  sich  von  einem  Moment 
zum  andern  veränderfi"  (1.  c.  S.  110).  „Alle  psychischen  Gebilde  sind  in 
psychische  Elemente,  also  in  reine  Empfindungen  und  in  einfache  Gefühle^  zer- 
legbar" (ib.).  Aber  die  Eigenschaften  der  Gebilde  werden  niemals  durch  die 
Eigenschaften  der  psychischen  Elemente  erschöpft,  die  in  sie  eingehen.  „Viel- 
mehr entstehen  infolge  der  Verbindung  der  Elemente  immer  neue  Eigenschaften, 
die  den  Gebilden  als  solchen  eigentümlich  sind"  (z.  B.  die  räumliche  Ordnung, 
1.  c.  S.  111).  Es  bilden  sich  so  einerseits  „Formeti  der  Ordntmg  der  Empfin- 
dungen", anderseits  neue  einfache  Gefühle  (ib.).  Die  Einteilung  der  Gebilde 
richtet  sich  nach  ihren  Elementen,  sie  ergibt:  Vorstellungen  (s.  d.)  und  Gemüts- 
bewegungen (8.  d.). 

Gebot  8.  Imperativ. 


GtodachtniB.  345 


Gedftclitiils  ißt  die  Fähigkeit  zu  gedenken,  d.  h.  psychische  Erlebnisse 
KU  erneuern,  zu  reprodueieren  (s.  d.).  Ein  besonderes  Gedächtnis- Vermögen 
gibt  es  nicht,  sondern  nur  specielle  Erinnerungsmöglichkeiten,  Dispositionen 
(s.  d.)  von  Erlebnissen  aller  Art.  Das  (genügend  intensiv  oder  wiederholt)  Er- 
lebte hinterläßt  in  der  Psyche  „Spuren^^,  d.  h.  bei  gegebenem  Anlaß  ist  die 
Psyche  mm  befähigt,  ein  dem  vergangenen  mehr  oder  weniger  ähnliches  Er- 
lebnis zu  producieren.  Gedächtnis  und  Phantasie  (s.  d.)  sind  nur  graduell  ver- 
schieden, da  es  keine  unveränderte  Beproduction  (s.  d.)  gibt.  Physiologisch 
betrachtet  erscheinen  die  Dispositionen  zur  Beproduction  als  moleculare  Ver- 
änderungen im  Nervensystem.  Das  Gedächtnis  tritt  in  verschiedenen  Quali- 
täten (Sach-,  Namen-,  Zahlen-,  visuelles,  auditives  u.  a.  Gedächtnis)  imd 
Wertigkeiten  auf  (Stärke,  Umfang,  Treue,  Sicherheit  des  Gedächtnisses ;  mecha- 
nisches, judiciöses  Gedächtnis).  Gedächtnisbilder  sind  die  anschaulichen 
Erinnerongsvorstellungen.  Unter  Erinnerung  versteht  man  die  actuelle  Be- 
production eines  Erlebnisses  mit  dem  Bewußtsein  des  Beproducierten.  Er- 
innerungsbilder sind  reproducierte  Vorstellungen. 

In  der  Geschichte  des  Gedächtnisbegriffes  treten  drei  Haupttheorien  auf: 
die  psychologische,  die  physiologische  und  die  psycho-physiologische,  alle  in 
verschiedenen  Modificationen. 

Plato  unterscheidet  schon  Gedächtnis  (fiv^urj)  und  Erinnerung  {avafivrjait). 
Die  Seele  gleicht  einer  wächsernen  Tafel  (xiJQtvov  ixuayslov)^  welche  die  Ein- 
drücke behält  (Theaet  191  0).  Das  Gedächtnis  ist  eine  Aufbewahrungsstätte 
der  Wahrnehmungen  (aanri^ia  aiad^rjcecasy  Phileb.  34  B).  Die  Erinnerung  ist 
ein  seelischer  Act  {oxav  a  fitja  rov  awfiaros  iTtaa^B  nod'  17  tpvxrjy  tovt  avev 
tov  CiOfiarog  avr^  iv  iavrfj  o  t«  fidhoTa  avaXafißdvri  ^  roxs  dvafiifinjoxea&al 
710V  Xs'youev;  ib.).  Die  dvd/urrjaie  (s.  d.)  hat  erkenntnistheoretische  Bedeuttmg. 
AKI8TOTELE8  erblickt  in  der  favraaia  eine  Nach\i'irkung  der  aiffd'rjaie  in  der 
Seele  (De  an.  III,  3),  ein  Nachbild  derselben  (Bhetor.  I  11,  1370a  28).  Die 
ftvTjfiri  beruht  auf  dem  Beharren  C/iovri)  des  Eindrucks  (De  memor.  1;  Anal, 
post.  II,  19;  De  an.  I  4,  408b  17),  Die  dvdfivrjcie  ist  ein  Willensact  (De 
memor.  2).  Nach  Straton  beruht  die  Erinnerung  auf  der  Bewegimg,  physi- 
schen Spur  {vnouorrj)  der  Empfindung  (Plut,  Plac.  IV,  23);  nach  Ansicht  der 
Stoiker  auf  einem  Abdrucke  {rvTttoan)  in  der  (materiell  gedachten)  Seele  (1.  c. 
IV,  11;  Cicero,  Acad.  II,  10,  30;  Epiktet,  Diss.  I,  14,  9).  Plotin  hingegen 
faßt  die  Erinnerung  als  einen  geistigen  Act  auf  (Enn.  IV,  6,  3).  Gott  hat  kein 
Erinnern  (1.  c.  IV,  3,  25). 

AuGUSTENüß  verlegt  das  Gedächtnis  in  den  Geist.  Er  nimmt  auch  ein 
Gefühlsgedächtnis  an  (Confess.  VIII,  14),  unterscheidet  sinnliches  und  intellec- 
tuelles  C^edächtnis  (1.  c.  X,  7  f.;  De  quant.  an.  33;  De  trin.  IX,  3;  XI,  2; 
XV,  23;  De  lib.  arb.  II,  3).  So  auch  die  Scholastiker.  Das  Gedächtnis  ist 
ihnen  ein  Behalten  der  „s/>cete»"  (s.  d.)  seitens  der  Seele.  Avicenna  definiert 
die  „virius  conservativa  et  meniorialis"  als  „ihesaums  eins,  quod  perrenit  ad 
existimativam  de  inietitionibus  in  perceptis  setisu  eoctra  formas  eonnn  sensu  per^ 
eepta^^  (bei  StöCKL  II,  38).  Die  Erinnerung  ist  .jacttis  reflexus  in  id,  quod 
prius  per  sensum  aeceptum  esV^  (bei  Albertus  Magnus,  Sum.  th.  I,  15,  2). 
Albertus  Magnus  versteht  unter  yf7H€ffioria  sensibilis^^  die  „recordatio  prius 
aecepti^^  (1.  c.  I,  15,  2).  „Memoria  quae  mentis  est,  actum  paternum  habet  ex 
se  formandi  intelligentiam,  quae  est  actus  reductionis  in  prototypum*^  (ib.). 
„Memoria  duplex:  una  est  hahiius  mentis ^  alia  est  coacercaiio  formarum  sensi- 


346  Gtedaohtnis. 


bilium  prius  aeceptarunt^  (1.  c.  I,  09,  1).  Nach  Thomas  hat  die  „metnorie^^ 
die  Function,  „conservare  species  rerumj  quae  actu  non  appreftenduntta^'  (Sum. 
th.  I,  79,  6  c),  das  Gedächtnis  ist  „thesaurus  vel  locus  conservatiotiis  specierum^ 
(l.  c.  I,  79,  7  a).  Es  gibt  yjinetnaria  sensitwa'^  und  „ifUelleetiva^^  (1.  c.  I,  77,  8 
ob.  4;  I,  79,  6).  „Reminiscefitia^^  ist  „inquisitio  alicuius,  qtiod  a  memoria 
exctdii^^  (Memor.  5  b). 

Campanella  sieht  in  den  Gedächtnisbildem  abgeblaßte  Wahrnehmungen. 
jjPasaio  autem  remanet,  abeunfe  activo,  sed  languida,    Haec  autem  reniafisio  eä 
memoria"  (Univ.  phil.  I,  6,  4).     Nach  L.  ViVES  ist  das  Gedächtnis  ein  ,/e- 
eeptaeulum"  (De  an.  II.  p.  50),  „facultas  animi,  qua  quasi  ea^  quae  sensu  00- 
quOy  externo  atä  iniemOj  cogfwvüf  in  mente  continet"  (1.  c.  p.  54).    Zu  unter- 
Hcheiden  sind:  „memoria'^  „recordatio" ^  „reminiscentia"  (L  c.  p.  55).    Functionen 
des  Gedächtnisses  sind  das  „apprehendere^^  und  das  „retinere^''  (ib.).    Es  gibt 
verschiedene  Arten  des  GMächtnisses  (für  „res^%  y^rerba"  u.  s.  w.)  (1.  c.  p.  56). 
Die  Aufmerksamkeit  festigt  das  Gedächtnis  {„mem&riam  confirmat*^,  L  c,  p.  56). 
HoBBES  definiert  die  Erinnerung  als  Bewußtsein  des  Wahrgenommenh&bens: 
y,Senttre  se  sensisse  est  meminisse"  (De  corp.  25,  1).    Spinoza  erklärt  ,ymemoria" 
als  y^uaedam^  coneatenatio  idearum,  naturam  rerum,  quae  extra  corpus  kumanum 
sunty   inpolventiumy   quae   in  mente  fit  secundum  ardinetn  et  eoncatenationem 
affectionum  corporis  kunumi'^  (Eth.  II,  prop.  XVIII,  schoL).     Wie  schon  Des- 
OARTES  (De  hom.  p.  132;  Princ.  phil.  IV,  196),   nehmen  Malebbanch£  u.  a. 
yyideae  materiales"  (s.  Ideen)  als  Vermittler  der  Erinnerung  an.    Leibniz  nimmt 
bloß  psychische  Dispositionen  (s.  d.)  an.    Nach  Locke  ist  das  Gedächtnis  eine 
Behaltungsfähigkeit   (y,retentiveness").     Das   yyBehalten"   der  Vorstellungen  be- 
deutet nur  die  Fähigkeit  der  Keproduction  früherer  Vorst^llimgen,  wobei  die 
Seele  sich  bewußt  ist,  sie  gehabt  zu  haben  (Ess.  II,  eh.  10,  §  2 ;  I,  eh.  4,  §  20). 
HuME  versteht  imter  Gedächtnis   die  Fähigkeit  der  Beproduction   von  Ein- 
drücken (Treat.  I,  sct.  3,  S.  18).     Die  Hauptfunction  der  Erinnerung  bestdit 
im   Festhalten   der  Ordnung  imd   wechselseitigen  Stellung  der  VorsteUungoi 
(L  c.  S.  19).     Nach  Hartley,  Bonnet  u.  a.  beruht  das  Gedächtnis  auf  Dit^- 
positionen  (s.  d.)   im  Gehirn  (s.  Association),   so  auch  nach  Holbach:    yyLa 
memoire  est  la  factdtS  que  Vorgane  interieur  a  de  renouveüer  en  lui-metne  les 
viodificatimis  qu'il  a  re^ie"  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  8,  p.  113).    Condillac  be- 
merkt:  yyQua)id  une  idee  se  retraee  ä  la  staiue  (s.  d.),  ce  n'est  donc  pas  quelle 
se  sott  conservee  dafis  le  corps  ou  dans  Väme:  e*est  que  le  mcuvement,  qui  en 
est  la  cause  physique  et  occasionelle,  se  reproduit  dans  le  cerveau"  (Tr.  d.  sens. 
I,  eh.  2,  §  38;  Log.  I,  eh.  9).    Von  den  Wahmehmimgen  bleibt  „une  impression 
plus  ou  moins  fortCy  suivant  que  V attention  a  ete  elle-metne  pltis  ou  moins  wpp** 
(l.  c.  §  6).    yyLa  memoire  est  le  conmieneement  d*une  imagination  qui  n*a  eneore 
que  peu  de  force;  V  imagination  est  la  memoire  meme,  parvenue  ä  taute  ia  nra- 
cite  dont  eile  est  susceptible"  (1.  c.  §  29).     Destütt  de  Tracy  erklärt:    „La 
7nhnoire  consiste  ä  sentir  les  Souvenirs  des  sensafions  passees"  (Elem.  d'id^oL 
I,  eh.  3,  p.  41). 

Nach  Chr.  Wolf  ist  yyOedäcJänis"  yydas  Vermögen,  Oeda^iken,  die  wir  vorhin 
gehabt  luiben,  iHeder  xu  erkennen,  daß  loir  sie  schon  gduibt  haben,  wenn  sie  uns 
ic^ieder  vorkommen"  (Vem.  Ged.  I,  §  249).  yyMemoria  in  faetdtate  ideas  repro- 
duetas  .  .  ,  et  res  per  eas  repraesentatas  recognoscendi  consistit"  (Psychol.  rat 
§  278;  Psychol.  empir.  §  175).  Erinnerung  ist  „facultas  perceptiones  praeieriias 
7/iediate  reproducendi  et  recognoscendi"  (Psychol.  empir.  §  230).    Es  gibt  „ideae 


Oedachtnis.  347 


materiales"  (ä.  d.).  Baitugartex  definiert:  „Memoria  est  facultas  reproduetas 
pereepHoftes  recogftoscendi*^  (]VIet.  §  579).  Ploucqüet:  ,f  Memoria  est  ea  vis 
repraesentandiy  qua  nexus  posieriorum  cum  prioribus  perceptioniöus  exeiUUur" 
(Princ.  de  subst  p.  75).  Nach  Cbusius  ist  das  Gedächtnis  das  „  Vermögen,  die 
einmal  gehabten  Begriffe  fortzusetzen  und  bei  gewissen  Umständen  triederum 
lebhaft  xu  denken^^  (Yemunftwahrh.  §  426).  Platner  definiert  das  GedächtDis 
als  „Vermögen^  mittelst  dessen  udr  vormalige  Ideen  aufbehalten'^  (Phil.  Aphor. 
I,  §  285).  Erinnerung  ist  das  ,,  VermögeUj  mit  Ideen  der  Phantasie  xu  verbinden 
das  Batußtsein  ihrer  vamialigen  Darstellung"  (1.  c.  §  422).  Sich  erinnern  heißt : 
yjdeen  des  Oedäehtnisses  vergleichen  mit  ähnliehen  Ideen  entweder  der  Sinnen 
oda-  des  Gedächtnisses*^  (1.  c.  §  78).  Auf  Association  (s.  d.)  führt  James  Hill 
die  Erinnerung  zurück.  —  Kaxt  erklart:  „Das  Gedächtnis  ist  von  der  bloß 
reprodudiven  Einbildungskraft  darin  unterschieden,  daß  es  die  vormalige  Vor- 
stellung teillkürlich  xu  reproduderen  vermögend,  das  Gemüt  also  nicht  ein 
bloßes  Spiel  von  jener  ist**  (Anthrop.  I,  §  32).  Es  gibt  ein  mechanisches, 
ingeniöses,  judiciöses  Gedächtnis  (ib.).  Das  erstere  beruht  bloß  auf  Wieder- 
holung; das  ingeniöse  Memorieren  ist  „eine  Metliode,  gewisse  Vorstellungen,  die 
an  »ich  {für  den  Verstand)  gar  keine  Verwandtschaft  miteinander  habefi  .  .  ., 
dem  Gedächtnis  einxuprägen" ;  das  judiciöse  Memorieren  ist  ,^n  afideres  als 
das  eifier  Tafel  der  Einteilung  eines  Systems  in  Gedanken**  (ib.). 

Fries  nennt  Gedächtnis  das  Vermögen  der  Fortdauer  unserer  Vorstellungen 
(Syst.  d.  Log.  S.  51  f.).  Die  Erinnerung  besteht  darin,  daß  uns  „Erkentitnisse, 
die  wir  friUter  hatten,  tcieder  xum  Beitußtsein  kommen**  (1.  c.  8.  63).  Heoel 
eiklärt:  „Der  Name  als  Verknüpfung  der  von  der  Intelligenz  producierten  An- 
»ehauung  und  seiner  Bedeiäung  ist  zunächst  eine  einxelne  vorübergehende  l^O' 
duetion,  und  die  Verknüpfung  der  Vorstellung  als  eines  Innern  mit  der  An- 
ffchauung  als  einetn  Äußerlichen  ist  selbst  äußerlich.  Die  Erinnerung  dieser 
Äußerlichkeit  ist  das  Gedächtnis**  (Encykl.  §  460).  Es  gibt  ein  „behaltendes** 
und  j^-eproducierendes**  Gedächtnis  (1.  c.  §  462).  Erinnerung  ist  „die  Beziehung 
des  Bildes  auf  eine  Anschauung,  und  zwar  als  Subsumtion  in  der  umnittel- 
baren  einzelnen  Anschauung  unter  das  der  Form  nach  Allgcfneine,  unier  die 
Vorstellung,  die  derselbe  Inhalt  ist;  so  daß  die  Inteüigenx  in  der  bestimmten 
Empfindung  und  deren  Anschauung  sich  innerlich  ist  und  sie  als  bereits 
ihrige  erkennt,  wobei  sie  zugleich  ihr  zunächst  nur  inneres  Bild  nun  auch 
als  unmittelbares  der  Anschauung,  und  an  solcher  als  bewährt  weiß**  (1.  c.  §  454). 
IL  Rosenkranz  versteht  unter  „Erinnerung*'  (im  Unterschiede  von  der 
^Wiedererinnerung**)  das  Innerlichmachen  der  Anschauung  als  actives  Er- 
innern, Verinnern,  wodurch  die  Anschauung  zum  „Bude**  wird  (Psychol.* 
S.  338  ff.).  Das  „Gedächtnis**  entsteht  mit  der  Sprache  als  „dc^s  Erfassen  der 
Sache  in  der  Äußerlichkeit  ihrer  Bezeichnung,  Es  rerknüpft  mit  einem 
Samen  eine  Sache**  (L  c.  8.  398  ff.).  Die  Erinnerung  im  gewöhnlichen  Sinne 
ist  das  Werk  der  „reprodudiven  Einbildungskraft**,  „welche  die  Vorstellung  ohne 
den  äußeren  Anreiz  einer  eorrespondierenden  Anschauung  durch  die  freie  Macht 
der  mbjeciiren  Intelligenz  plötzlich  und  unwillkürlich  wieder  hervorrup*  (1.  c. 
S.  347  ff.;  Syst.  d.  Wiss.  §  638  f.).  Nach  Uillebrand  ist  das  G^ächtnis 
yjiae  Streben  der  Seele,  sich  in  dem  zeitlich-bestimmten  Dcfiken  als  einfacfie  freie 
Sdbstheit  in  continuier lieber  Identität  mit  sich  .  .  .  xu  behaupten'*  (PhiL  d. 
Geist  1,232).  Es  bezeichnet  „die  Gedanken-  Continuität  in  einem  psy- 
chischen Individuum**  (ib.).    Erinnerung  ist  „die  Reproduetion  eines  psychischen 


348  Oedächtnis. 


Selbstbe8timmun{/sa4!tes  mit  der  Bestimmtheit  des  ahsiracten  Unter- 
schiedes X wischen  dem  suhjectiven  Selbst  und  dem  hexüglichen  Ob- 
jecte^'-  (1.  c.  I,  229).  Schopenhauer  erklärt:  „Z>tc  Eigentümlichkeit  des  er- 
kennenden SubfeetSj  daß  es  in  Vergegenwärtigung  von  Vorstellungen  dem  Wükn 
desto  leichter  gehorcht,  je  öfter  solche  Vorstellungen  ihm  schon  gegenwärtig  ge- 
wesen sind,  d,  h.  reine  Übung sfähi gkeit ,  ist  das  Oedächtnis".  ijWtU  man 
von  dieser  Eigentümlichkeit  unseres  Vorstellungsvermögens  ein  Bild  ,  .  .,  so 
scheint  mir  das  richtigste  das  eines  Titehs,  tcelches  die  Falten,  in  die  es  oft 
gelegt  ist,  nachher  gleichsam  von  selbst  wieder  sehlägt."  „Keineswegs  ist  .  .  . 
eine  Erinnerung  im7ner  dieselbe  Vorstellung,  die  gleiehsam  aus  ihrem  Behältnis 
uneder  hervorgeholt  wird,  sondern  jedesmal  entsteht  wirklich  eine  neue,  nur  mit 
besonderer  Leichtigkeit  durch  die  Übung"  (Vierf.  Würz.  C.  7,  §  45). 

Hebbart  erklärt  das  Gredächtnis  als  „unverändertes  Wiedergeben  früher 
gebildeter  Vorstellungsreihen"  (Umr.  päd.  Vorles.  I,  C.  2,  §  21).  Es  gibt  kein 
allgemeines  Gedächtnis,  sondern  jede  Vorstellung  (s.  d.)  hat  das  Streben,  nach 
ihrer  Hemmung  (s.  d.)  wieder  bewußt  zu  werden  (Lehrb.  zur  PsychoL*,  S.  16; 
s.  Eeproduction).  Nach  Volkmann  kommt  jeder  Vorstellung  ihr  GMächtniä 
zu.  Man  kann  „rf<M  Streben  der  Vorstellung  nach  unmittelbarer  Reproduction 
deren  Oedächtnis  im  engeren  Sinne,  jenes,  andere  zur  mittelbaren  Re- 
production XU  bringen,  deren  Erinnerungskraft  nennen  und  beide  unter  das 
Oedächtnis  im  weiteren  Sinne  zusammenfassen"  (Lehrb.  d.  PsychoL  I*, 
490).  Die  Erinnerung  besteht  in  der  „Reproduction  der  Reihen  von  einem  ge- 
meinschaftliehen Endgliede  a/us"  (1.  c.  S.  457).  Nach  Beneke  ist  das  Ge- 
dächtnis jeder  Vorstellung  die  Kraft,  mit  welcher  sie  imbewußt  (als  „An- 
gelegtheit", „Sptir",  s.  d.)  fortexistiert,  die  „Kraft  ihres  psychischen  Seinsr* 
(Pragm.  Psychol.  I,  190;  Lehrb.  d.  Psychol.  §  101  f.).  Die  Erinnerung  ist 
„fortgesetzte  Reproduction"  (Lehrb.  d.  PsychoL  §  104).  Nach  H.  Ritter  ist 
Erinnerung  „das  Bewußtsein  einer  vergangenen  Erscheinung  in  der  Oegemvarf 
(Syst.  d.  Log.  S.  202).  Kein  psychologisch  erklärt  auch  Georgs  das  Ge- 
dächtnis (Lehrb.  d.  Psychol.),  so  auch  J.  H.  Fichte  (Psychol.  I,  437  ff.)  und 
Ulrici,  nach  welchen  Erinnerung  eine  Eigenschaft  der  Seele  ist  (Leib  u.  Seek 
S.  477  ff.,  497).  Die  Reproduction  ist  vom  Grefühl  abhängig  (1.  c.  S.  491  1); 
so  auch  HoRWicz  (Psychol.  Anal.  I,  318).  Renoüvier  erklärt  Gedächtnis  und 
Phantasie  für  nicht  principieU  verschieden  (Nouv.  MonadoL  p.  116).  Die  Er- 
innerung („rememoraiion  aetive")  ist  ein  Suchen  nach  der  Vorstellung,  sie  ist 
„une  fonction  hegemonique  de  Vesprit"  (1.  c.  p.  120).  L.  NoiRE  betont,  wir 
können  uns  nur  dessen  erinnern,  was  wir  wollen  (Einl.  u.  Begr.  e.  mon.  Erk. 
S.  204).  Nach  Witte  besteht  das  Gedächtnis  „in  der  Kraft  des  Ichs,  alle  Bc- 
icußtseinsinhalte  und  Vorgänge  auf  seine  eigene  schlechthin  constante  vor- 
empirische  Lebenseinheit  zu  beziehen"  (Wes.  d.  Seele  S.  182).  Rehhke  be- 
stimmt das  Erinnern  als  „m  der  Vorstellung  etwas  als  Bekanntes  wiederholend' 
(Allg.  Psychol.  S.  532).  Gedächtnis  ist  „das  Vorstellenkönnen  von  früher  Ge- 
habtem als  früher  Oehabtes"  (1.  c.  S.  496).  M.  Müller  sieht  im  „Oedächtnis^' 
einen  Namen  für  die  Erhaltung  geistiger  Kraft;  zu  erklären  ist  nur  das  Ver- 
gessen (Das  Denken  im  Lichte  d.  Sprache  S.  63  f.).  H.  Cornelius  bestimmt 
die  „Oedächtnisbilder"  als  Nachwirkungen  früherer  Erlebnisse.  Das  „Oe- 
dächtnisbild"  hat  „stets  eine  von  ihm  selbst  zu  unterscheidende  Bedeutung", 
es  gibt  sich  uns  unmittelbar  als  „Nachwirkung"  zu  erkennen,  enthält  den 
„Himceis  auf  ein  Nichtgegenwärtiges"  (, symbolische  Function"  der  Gedächtnis- 


Oedächtnis.  349 


bilder:  EinL  in  d.  Philos.  S.  210  ff.).  Das  Gredächtnis  besteht  in  einer  „Fort- 
Wirkung  der  vergangenen  Inhalte^',  Empfindung  und  E^rinnerungsbild  sind 
inhaltlich  verschieden  (Psychol.  S.  20  ff.).  Nach  Dessoik  bedeutet  ,jOedäcktnis'' 
im  allgemeinen  Sinne  ,,die  Taisache,  daß  Empfvndungen,  Vorstellungen^  Oefühle, 
Triebe  ohne  bedeutende  Andenmg  ihres  Inhaltes  unter  gewissen  Bedingungen 
wieder  auftauchend^  (Doppel -Ich  S.  65).  Es  gibt  im  Ich  zwei  „Oedächtnis- 
ketten*^,  eine  ober-  und  unterbewußte  (L  c.  S.  67). 

Nach  E.  V.  Hartmann  beruht  die  Erinnerung  auf  unbewußten  psychischen 
Functionen  und  physischen  Dispositionen  (Mod.  Psychol.  S.  134).  Nach 
HsKiNa  kommt  aller  organisierten  Materie  ein  Gedächtnis  zu  (Üb.  d.  Gedächtn. 
1870);  er  spricht  von  Gattungserinnerung  durch  Vererbung.  So  auch  Preyer 
(persdnliches  —  phyletisches  Gedächtnis)  (Seele  d.  Kind.  S.  230).  Haegkel 
schreibt  der  Plastidule  (s.  d.)  ein  unbewußtes  Gedächtnis  zu  (Perigenes.  d. 
Plastid.  1876,  S.  38  f.).  Ostwald  betrachtet  das  Gedächtnis  als  Eigenschaft 
der  lebenden  Substanz  (Vorles.  üb.  Naturphilos.* ,  S.  367  ff.).  A.  Lasson 
unterscheidet  drei  Arten  des  Gedächtnisses:  materielles,  seelisches,  geistiges 
Gedächtnis  (PhiL  Vorträge  III.  Folge,  2.  H.  1894,  S.  67).  Das  leibliche  Ge- 
dächtnis kommt  aller  Materie  zu  (1.  c.  S.  67,  69  f.).  Die  Seele  hat  ein  Ver- 
mdgen  der  Beproduction  (1.  c.  S.  70).  Der  Geist  reproduciert  bewußt-activ 
(1.  c.  S.  71).  Immer  ist  das  Gredächtnis  die  Identität  mit  sich  (1.  c.  S.  66,  72). 
Nach  H.  Spencer  ist  das  Gedächtnis  „eine  Art  von  beginnendem  Instinct^' 
(Psychol.  I,  §  199),  es  beruht  auf  Bewußtseinszusammenhängen  (1.  c.  §  201); 
die  Erinnerung  beruht  auf  „Assimilierung*^  (1.  c.  §  120).  Sully  erklärt  das 
Gedächtnis  als  „Function  des  Behaltens^^  („retenttveness^^J ;  Erinnerung  ist  die 
y^tive  Seite  der  Beproduction^^  (Handb.  d.  Psychol.  8.  180,  183  ff.;  Hmn.  Mind 
C.  9;  vgl.  James,  Psychol.  C.  16,  18;  Titchener,  Ontlin.  of  Psychol.  C.  8,  11; 
Stout,  Anal.  Psychol.  II).  Nach  Höfler  ist  das  Gedächtnis  ein  Fall  der 
Übung,  nämlich  Vorstellungsübung  (Psychol.  S.  165).  Jgdl  erklärt  das  Ge- 
dächtnis als  Tendenz  des  Fortbestehens  jeder  psychischen  Erregung  (Lehrb.  d. 
Psycho!  S.  460).  Das  „'primär&^  Gedächtnis  besteht  darin,  daß  alle  Wahr- 
nehmungen „mit  abgeschwächter  Intensität  noch  in  eitler  gewissen  I^ähe  der 
Schwelle  verharren^^  (1.  c.  S.  113).  W.  Jerusalem  nennt  Erinnerungen  yjVor- 
steiiufigen  von  Ereignissen,  die  wir  wis  bewußt  sind  selbst  erlebt  xm  haben** 
(Lehrb.  d.  PsychoL»,  S.  91).  Das  Gedächtnis  ist  j,die  psychische  Disposition, 
Erinnerufigsrorsteüungen  xu  erleben**  (1.  c.  S.  92).  „Die  Zahl  der  Vorstellungen 
oder  die  Länge  der  Reihen,  die  immer  zur  Verfügung  stefien,  bestimmt  den 
Umfang  des  Qedächtnisses  oder  seine  Stärke.  Die  Oüte  des  Öedächtnisses 
ist  bestimmt  durch  die  ZaJd  der  Wiederholungen,  die  nötig  sind,  um  eine  Vor- 
steUungsreihe  xu  behalten  .  .  .  Die  Treue  oder  Verläßlichkeit  des  Oedäehtnisses 
wird  bestimmt  durch  den  Orad  der  Oenauigkeit,  mit  dem  wir  reproducieren** 
(L  c.  S.  92).  Das  Interesse  kräftigt  das  Gedächtnis  (ib.).  Die  „Special- 
gedäcktnisse*'  beruhen  auf  bestimmten  Richtimgen  des  Interesses  (ib.).  Ex- 
perimentelle Untersuchungen  über  die  Treue  des  Gedächtnisses  gibt  es  von 
Fjbbtnghaüs  („die  Quotienten  aus  Befialtenem  und  Vergessenem  verhalten  sich 
etwa  umgekehrt  ivie  die  Logarithmen  der  verstriclienen  Zeit**,  Üb.  d.  Ged.  1885, 
S.  107),  MÜLLER  und  Schumann  (Exper.  Beitr.  zur  Unt.  d.  Ged.,  Zeitschr.  f. 
Pöychol.  d.  Sinn.  Bd.  VI,  1894),  W.  Lewy  (Exper.  Unt.  üb.  das  Gedächtn., 
1.  c.  VIII,  231),  Kennedy  (Experimental  Investigat.  of  Memory,  Psychol. 
Beyiew  V).    Über  Specialgedächtnisse  vgl.  Phü.  Stud.  I,  II,  III,  IV,  VIII— XII, 


350  Oedächtnis  —  Gedanke. 


XV,  ViERORDT,  Der  Zeitsinn  1868,  femer  Ann^  peychol.  I,  1894,  J.  CoH5 
(Z.  f.  PsychoL  XV).  Ober  Gedächtnißstörungen :  Forel  (Dbs  Gedächtn.  d- 
seine  Abnorm.),  Ribot  (Mal.  de  la  memoire  1881).  Nach  ihm  ist  das  Ge- 
dächtnis eine  biologische  Erscheinung,  es  beruht  auf  dynamischen  AssodationeD 
der  Nervenelemente.  Es  gibt  kein  Gedächtnis  im  allgemeinen  (ib.).  Physio- 
logisch bestimmt  das  Gedächtnis  Meyitejelt  („Erinfierttngsxellen^^J,  fema- Stehen. 
In  Ganglienzellen  -  Gruppen  werden  „Erinnerungsbilder**  niedergelegt,  d.  L 
jyResidtien  früherer  sensibler  Erregungen*'^  (Leitfad.  d.  phys.  Psycho!.*,  S.  14), 
Die  Erinnerung  beruht  auf  Association  (1.  c.  S.  174  f.).  So  auch  nach  Wuxdt. 
Er  betrachtet  die  yyErinnerungsvorgäng&*  als  einen  Specialfall  der  j^sueeessian 
Associatum**  (s.  d.).  Erinnerung  erfolgt,  wenn  die  Hindemisse  sofortiger  Assi- 
milation  (s.  d.),  die  den  Übergang  der  simultanen  in  eine  successive  Association 
veranlassen,  „«o  groß  sind,  daß  die  der  neuen  Wahrnehmung  understreüenden 
Vorstellungselemente  .  .  ,  xu  einem  besonderen  Vorstellungsgebilde  sich  veremigmy 
das  direct  auf  einen  früher  staitgefundenen  Eindruck  bezogen  wire^*.  Die  so 
zur  Apperception  gelangende  Vorstellung  heißt  „Erinnerungsvorst^lung**  (n^' 
innonrngsbild'^)  (Gr.  d.  PsychoL*,  S.  289).  Die  „reproduetiv  entstandene^  Vor- 
steUung  ist  eine  neue  VorsteUung  (1.  c.  S.  290).  Jeder  Erinnerungsvorgang 
setzt  sich  aus  einer  Menge  elementarer  Processe  zusammen  (1.  c.  S.  293).  Die 
Kückbeziehung  der  Erinnerungsvorstellung  auf  ein  vorangegangenes  Erlebnis 
gibt  sich  im  „ErinnerungsgefüJti**  zu  erkennen  (ib.).  Die  Wirkungen  der  Er- 
innerungsassociationen  werden  unter  dem  Namen  y^Gedächtnis^'  zusammen- 
gefaßt (1.  c.  S.  296).  ErinnerungsvorsteUungen  und  Wahrnehmungen  „u^eichen 
nicht  nur  qualitaiiv  und  intetisiv,  sondern  auch  in  ihrer  elementaren  Zuaanunenr 
setxung  durchaus  voneinander  ab"  (1.  c.  S.  298).  Bei  dem  „AUerssekurnnd  des 
Gedächtnisses"  ist  besonders  symptomatisch  die  Abnahme  des  Wortgedachtnisses, 
so  daß  yyam  frühesten  die  Eigennamen,  dann  die  Namen  cmicreter  Gegenstände 
der  täglichen  Umgebung,  dann  erst  die  ihrer  Natur  fuich  abstracteren  Verba  und 
xuletxi  die  ganx  abstracten  Partikeln  vergessen  werden"  (1.  c.  S.  300;  Völkcr- 
psychol.  I,  1,  C.  5;  vgl.  dazu  Ribot,  Mal.  de  la  memoire:  das  Neuere  wird  vor 
dem  Alteren  vergessen,  „Regressumsgesetx"),  KÜLPE  erklärt:  „Die  Begriffe  des 
Gedächtnisses  und  der  Reproduetion,  x,  T,  auch  der  Erinnerung  ent- 
halten den  einfachen  Hintceie  darauf,  daß  ein  Eindruck,  der  einmal  infolge  be- 
stimmter Reixe  stattgefunden  hat,  nicht  schlechthin  nach  dem  Aufhörren  der 
letxteren  verschwindet,  sondern  irgendivie  aufbetraJirt  wird  und  unier  gewissen 
Bedingungen  ohne  eine  Erneuerung  des  ursprünglichen  äußeren  Reizes  wieder 
ein  merklicher  Inhalt  des  Bettußtseifis  xu  tcerden  vermag*^  (Gr.  d.  PsychoL 
S.  175).  Es  handelt  sich  hier  um  „centrcd  erregte  Empfindungen"  (L  c. 
S.  176  ff.).  Ohne  nachahmende,  deutende  Bew^ungen  findet  keine  willkürliehe 
Erinnerung  statt  (1.  c.  S.  189).  An  sich  ist  nichts  eine  Erinnemng,  es  wird  es  erst 
„durch  ein  Urteil,  dae  sich  mit  ihm  verbindet"  (1.  c.  S.  190).  Vgl.  Disposition. 
Phantasie,  Beproduction,  Association. 

Gedftcbtnte,  falscbes  („iUusory  memory^^,  vgl.  Uodgson,  Phil,  of 
Reflect.  I,  276  f.):  eine  Art  der  Illusion  (s.  d.),  wobei  eine  Situation  u.  dgL  für 
schon  einmal  erlebt  gehalten  wird. 

Gedftclitntebllder  s.  Gedächtnis. 

Ged&cbtnisknnst  s.  Mnemotechnik. 

Gedanke:  einzelner Denkact,  Denkinhalt,  Denkproduct,  Begriff  (s.d.).  -> 


Gedanke  —  Gefallen.  351 


Nach  den  Stoikern  wird  das  fdvraaua  zum  ivvotjfiay  dneiSav  Xoyixf,  ngoa- 
;iwrTJ?  xpvxi  (Galen.,  Hist.  phil.  92,  305;  Dox.  636).  Descartes  versteht  unter 
,/:ogitafione9"  alle  VorsteUungearten  (s.  Denken).  Chb.  Wolf  nennt  „Gc- 
dcmken"  die  ,,  Veränderungen  der  Seele,  deren  sie  sieh  bewußt  ist"  (Vem.  Ged.  I, 
§  194),  Platnek  „die  bewußten  Ideen  der  Phantasie  —  imciefern  sie  verbunden 
sind  mit  dem  Anerkenntnis  der  MerhncUe  der  Sache^*^  (Phil.  Aphor.  II,  §  33). 
Fries  unterscheidet  den  y,gedäehtnismäßigen  Gedankenlauf,  der  nach 
tmicülkürlichen  innem  Gesetzen  erfolgt",  und  den  „logischen  Gedankenlauf, 
den  lüir  tcülkürlich  lernen"  (Gr.  d.  Log.  S.  13;  Syst.  d.  Log.  S.  53;  N.  Krit. 
I,  51).  Nach  Hegel  ist  die  Intelligenz  „für  sich  an  ihr  selbst  erkennend; 
—  an  ihr  selbst  das  Allgemeine,  ihr  Product,  der  Gedanke  ist  die  Sache; 
einfache  Identität  des  Subjectiven  und  Objectiven,  Sie  weiß,  daß,  was  gedacht 
ist,  ist;  und  daß,  was  ist,  nur  ist,  insofern  es  Gedanke  ist",  „Das  Denken 
der  Intelligenx  ist  Gedanken  haben;  sie  sind  als  ilir  Inhalt  und  Gegenstand" 
(EncykL  §  465).  „Objeetiver  Gedanke"  ist  das  Vernünftige  in  der  Welt  (1.  c. 
§  24).  Nach  WuNiyr  entsteht  durch  die  Zerlegung  von  Gesamtvorstellungen 
(g.  d.)  em^ „Gedankenverlauf"  von  discursivem  Charakter  (Log.  I*,  S.  33  ff.; 
Vorles.  üb.  d.  Mensch.*,  S.  340  ff.).  „Gedanke"  ist  die  Gesamtvorstellung,  die 
einer  beziehenden  Analyse  unterworfen  wird  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  321).  Nach 
i^EROi  ist  der  Gedanke  die  „sensibÜite  transformee"  (Psychol.  S.  155).  AvE- 
NASIV8  sieht  im  Gredanken  ein  „Naeh-Nachbild"  der  Wahrnehmung  (Kr.  d.  r. 
Erf.  II,  77).  „Nachgedanke^*^  ist  der  „unanschatdiehe  Rest  des  verflüchtigten  Ge- 
dankens** (ib.).  Nach  Nietzsche  sind  Gedanken  nichts  als  die  „Schatten  unserer 
Empfindungen  —  immer  dunkler,  leerer,  einfacher  als  dies&%  sie  sind  nur  Zeichen, 
Symbole,  Wirkungen  von  Triebbewegungen  (WW.  XI,  6,  250,  2.54  ff.,  258;  X, 
S.  194  f.).    Vgl.  Denken. 

Oed»iikendlii{s;  („ens  rationis")  s.  Ding,  Wesen. 

einfallen  ist  der  Ausdruck  dafür,  daß  etwas  Lust  erweckt,  daß  ein 
Vorstellimgsinhalt  vom  Ich  gewollt,  als  für  das  Ich  passend  unmittelbar  be- 
fanden wird.  Mißfallen  bezeichnet  die  Ablehnung  eines  Etwas  durch  das 
Ich.  Auf  dem  Grebiele  des  Ästhetischen  (s.  d.),  auch  der  Ethik  (s.  d.)  ist  das 
Gefallen  bezw.  das  Mißfallen  von  Bedeutung. 

Herbabt  leitet  das  Sittliche  (s.  d.)  aus  ursprünglichen  Acten  des  Gefallens 
und  Mißfallens  ab.  Feghner  erklart:  „Wir  sagen  .  .  .,  daß  uns  etwas  gefällt 
oder  mißfällt,  je  nachdem  es,  unserer  Betrachtung  oder  Vorstellung  dargeboten, 
derselben  einen  lustvollen  oder  unlustvollen  Charakter  erteilt"  (Vorsch.  d.  Ästhet. 
I,  7).  Tönnies  erklärt  „Gefallen"  als  „angeborene  Lust  an  gewissen  Gegeti- 
ständen  und  zu  getcissen  Tätigkeiten"  (Crem.  u.  Gesellsch.  S.  106).  Nach  Wündt 
sind  Gefallen  und  Mißfallen  Gefühlsgegensätze,  die  „nicht  das  eigene  Wohl- 
oder  Übelbefinden,  sondern  das  Verhältnis  der  Gegenstände  num  vorstellenden 
Subjeet"  zum  Ausdruck  bringen  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  195  f.).  Es  sind  nicht 
Einzelgefühle,  sondern  allgemeine  Gefühlsrichtungen  (1.  c.  S.  196).  H.  Schwarz 
onterscheidet  (Mallen  und  Mißfallen  vom  Gefühl,  es  sind  die  ersten  luid  ur- 
sprünglichen Willensregungen  (Psychol.  d.  Will.  S.  92).  „Gefallen  ist  die  Re- 
action  der  wollenden  Seele,  wenn  die  Gegenstände,  von  denen  sie  betregt  wird, 
genossen,  besessen,  vertcirklicht  sitid"  (1.  c.  S.  94).  Gefallen  imd  Mißfallen 
lassen  Unterschiede  der  „Sättigung"  zu  (1.  c.  S.  95).  Das  „Centrierungsgesetx" 
lautet:   „Alle  Regungen  des  ungesättigten  Gefallens  und  des  Mißfallens  ivirken 


352  OefaUen  —  Oefühl. 


centrierend  auf  das  Vorstellen,  d.  h.  die  Regungen  ungesättigten  Gefallens 
haben  die  TendenXj  solche  Vorstellungen  um  sich  xu  scharen^  durch  deren  InhaU 
das  Gefallen  mehr  und  mehr  gesättigt  wird.  Alle  Regungen  des  Mi ßf allem 
anderseits  haben  die  Tendenz,  einen  Kreis  solcher  Vorstellungen  um  sieh  xu  ver- 
sammeln, die  das  Mißfallen  imfner  ungesättigter  machen^^  (1.  c.  S.  121). 

Oefftbl  ist  der  subjective  Zustand,  in  welchem  das  Ich  Stellung  nimmt 
zu  den  Modificationen,  die  es  erfährt,  zu  seinen  Erlebnissen.  Lust  und  Unlust 
sind  Collectivausdrücke  für  die  mannigfachen  Zustande,  die  objectiv  eine  För- 
derung oder  Uenunimg  (Herabsetzung)  des  Organismus  bedeuten.  Jedes  Gefühl 
enthält  ein  Streben  oder  Widerstreben,  das  unter  Umständen  kaum  noch  zum 
Bewußtsein  gelangt.  Grefühle  sind  daher  schon  Momente,  Bestandteile,  Symptome 
von  Willenshandlungen,  die  sie  einleiten  und  beendigen.  Unterscheiden  lassen 
sich  sinnliche,  intellectuelle  (logische),  ästhetische,  ethische,  sociale,  religiöse 
Gefühle.  Das  Gefühl  ist  ein  selbständiger,  ursprünglicher  Bewußtseinsbestand- 
teil, nicht  eine  Modification  oder  Begleiterscheinung  des  Vorstellens. 

Früher  und  noch  jetzt  bei  Physiologen  werden  Gefühl  und  Empfindung  (s.  d.) 
nicht  scharf  unterschieden.  Tastempfindungen  werden  nicht  selten  noch  als 
„Qefühle^^  bezeichnet  Ferner  hat  man  nicht  immer  Gefühl  und  Affect  (s.  d.) 
getrermt. 

Nach  einer  Ansicht  gilt  das  Grefühl  als  eine  eigentümliche  Erkenntnis 
einer  VoUkonmienheit  oder  Unvollkommenheit  der  Seele,  des  Organismus.  So 
definiert  Plotin  die  Unlust  als  yvoicis  aTtayeoyijs  cdfiaTO^  ivSaluaros  yv/ijs 
cTB^iaxoftifov,  die  Lust  in  analoger  Weise.  Die  Affection  ist  nur  im  Leibe, 
das  Bewußtsein  derselben  in  der  Seele  (Enn.  IV,  4,  19).  Als  unklare  Erkennt- 
nisse werden  die  Gefühle  von  den  Stoikern  bestimmt;  Soxal  S'avrols  ra  nd&v, 
xQiCBis  slvai  (Diog.  L.  VII,  111).  Tr;v  fikv  kvnrjv  tlvai  ci^aroX^v  akoyov  — 
TiBovTj  de  ioTiv  äloyoe  ina^ais  (VII,  114);  riSot'ijv  S'eJvai  ijtaqciv  y^vxijs  aneid'T^ 
Xoytpj    oiTiOv   S^avTfjg    to    Soid^eiv    TtQoafarov  naxov    na^elrai,  i^    tf     »ad'tjxei 

inaiqec&ai,  (Stob.  Ecl.  II  6,  174).  Leibniz  (wie  schon  Dkscartes,  Epist.  6, 1) 
erklärt  die  Lust  als  Empfindung  der  VoUkonmienheit  an  uns  oder  an  anderem 
(Nouv.  Ess.  II,  eh.  21,  §  42).  Activität  der  Substanz  befördert  deren  Lust, 
Passivität  deren  Schmerz  (§  72).  Nach  Chr.  Wolf  ist  Lust  ein  „Anschauen  der 
Vollkoynmenheit*^ ,  Unlust  „anschauende  Erkenntnis  der  Unvollkommenheit*^  (Venu. 
Ged.  von  Gott  ...  I,  §  494,  517;  Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  V.*,  0.  9,  §  5). 
„Voluptas  est  intuitus  seu  cognitio  intuitiva  perfectionis  cuiuscumque  sire  rerae 
sive  apparentis**  (Psych,  emp.  §  511).  Baumgarten  nennt  die  Lust  ,^taius 
animae  ex  intuitu  perfectionis"  (Met.  §  655). 

Als  Zustand  und  Wirkung  von  Vorstellungsbeziehungen  faßt 
das  Gefühl  Herbart  auf  (Psych,  a.  Wiss.  I,  68  f.,  81  f.).  „Die  Gefühle  und 
Begierden  sind  .  .  .  veränderliche  Zustände  derjenigen  Vorstellungen,  in  derun 
sie  ihren  Sitx  haben"  (Lehrb.  z.  E.  in  d.  Ph.  §  159).  Nach  Nahlowsky  be- 
zeichnen Gefühl  imd  Streben  „7iur  besondere  Modificationen,  die  sich  mit 
den  Vorstellungen,  bei  Hirem  Zusammentreffen  im  Bewußtsein,  ereignen".  Sie 
resultieren  aus  den  Vorstellungen  (Das  Gefühlsleb.  S.  42).  Das  Gefühl  ist  „un- 
mittelbares  Innewerden  der  Hemmung  oder  Förderung  unter  den  eben  im 
Beicußtsein  vorhatidenen  Vorstellungen"  (1.  c.  S.  48),  oder  „das  unmittelbare  Ä- 
umßtsein  der  momentanen  Steigerung  oder  Herdbstimmung  der  eigetten  pgjf- 
chiscJien  Lebenstätigkeit**  (ib.).     Vom  Gefühl   ist  der  „Ton"  der  Empfindung 


Gefühl.  353 

(s.  d.)  zu  unterecheiden.  Die  yygemüehten"  Gefühle  sind  „Oefühlsoscüla- 
iumen"  (1.  c.  S.  58).  Die  Einteilung  der  Gefühle  ergibt  sich  nach  dem 
Tone  und  .nach  den  Ursprungsbedingungen  des  Grefühk  (L  c.  8.  49  fL): 
Lust  — -  Unlust;  formelle,  qualitative  Gefühle.  Nach  Lazarus  bezieht  sich 
das  Grefühl  immer  auf  eine  Beihe  von  Vorstellungen,  es  ist  der  Zustand 
der  Seele  während  des  Vorstellens  (Leb.  d.  Seele  I*,  285'  ff.).  So  sagt 
auch  VoLKMANN:  „Das  Bewußtwerden  des  Spannimgsgrades  des  VarsteUens" 
ist  das,  was  wir  Gefühl  nennen  (Lehrb.  d.  Ps.  11^,  302).  Eine  Begleiterscheinung 
des  Erkennens  (und  Wollens)  ist  das  Gefühl  nach  J.  H.  Fichte  (Psych.  I, 
227;  n,  136).  Nach  Lipps  entstehen  Gefühle  in  uns,  „trenn  Vorstellungen  sich 
unfersHUxen,  im  Oleiehgewicht  halten,  hemmen*^  (Grundt.  d.  SeeL  S.  19  f.).  Nach 
Kroell  ist  das  (jrefühl  eine  secundare  Form  der  psychisch^  Erscheinungen,  eine 
Folge  der  Vorstellungen  (Die  Seele  i.  Lichte  d.  Mon.  S.  27, 29).  Nach  MEoroiro 
ist  die  Vorstellung  für  das  Gefühl  eine  psychologische,  das  Urteil  nicht  selten 
eme  Mit-Voraussetzung  (Wertth.  S.  34  f.).  Es  gibt  Vorstellungs-  und  Urteils- 
gefühle („Oefiihley  denen  .  .  .  auch  ein  Urteil  wesenüieh  ist%  S.  35).  Femer 
^bt  €8  Wissens-,  Wert-,  Gefühls-  und  B^ehrungsgefühle  (8.  35,  38,  63). 
Ahnlich  lehrt  über  das  Wesen  des  (Gefühls  Höfler  (PsychoL  8.  19,  389  f., 
387,  401). 

Andere  führen  die  (jrefühle  auf  (organische  und  Spannungs-)  Empfin- 
dungen zurück,  so  E.  Mach  (AnaL  d.  Empfd.«,  S.  17),  Münsterberg  (Beitr. 
2.  exp.  PsychoL  H.  4),  der  Lust  und  Unlust  mit  Streck-  und  Beugungs- 
bewegungen in  Zusammenhang  bringt  Nach  R.  Wähle  sind  Gefühle  „nur 
Eärpererregungen  mit  doxa  gehörigen  Pha/ntasien  und  Ideen^^  (D.  Ganze  d.  Ph. 
S.  378).  „Die  durch  gewisse  Empfindungen  und  Vorstellungen  angeregten  Be- 
wegungen, Bewegungstendenxen  und  Empfindungen,  welche  in  ihrer  eompleten 
Ausgestaltung  die  Äffeete  ergeben,  bilden  als  Rudimente  und  in  Verkünüungen 
die  Oefühle*^  (8.  339).  Lust  ist  Elevation,  Unlust  ist  Depression  oder  Unruhe 
(a  369  f.).    VgL  Affect 

Das  Gefühl  wird  toner  als  eigenartiger,  subjectiver  Zustand,  in 
welchem  das  Ich  seiner  selbst  unmittelbar  bewußt  wird,  bestimmt. 
Tbtbns  imterscheidet  das  (jrefühl  von  der  Sinnesempfindung.  „Dcts  Vermögen 
XU  fühlen''  r»  „Gefühl''  (PhiL  Vers.  I,  169).  Gefühl  ist  etwas,  „wovon  ich 
weiter  nichts  weiß,  als  daß  es  eine  Veränderung  in  mir  selbst  sei,  und  es  nicht 
.  .  .  atrf  äußere  Gegenstände  bexiehe^'  (S.  215).  Das  Gefühl  gehört  zu  den  ein- 
fachen Zustanden  der  Seele  (L  c.  8.  166).  Auch  Mendelssohn  (Briefe  üb.  d. 
Empfind.)  und  Sulzer  (Verm.  ph.  Seh.  I,  227)  trennen  Gefühls-  (Empfindungs-) 
und  Vorsteilungsvermögen.  Platker  definiert  Grefühl  als  „Bewußtwerden  des 
eigenen  gegenwärtigen  Zustandes''  (N.  Anthr.  S.  245).  Kant  betont  ausdrücklich, 
das  Gefühl  sei  ein  vom  Erkennen  verschiedener  eigener  Bewußtseinszustand. 
„Da^fenige  Objeetive  aber  an  jeder  Vorstellung,  was  gar  keine  Erkenntnis 
ufcrden  kann,  ist  die  mit  ihr  verbundene  Lust  oder  Unlust;  denn  durch  sie 
erkenne  ich  nichts  an  dem  Gegenstande  der  Vorstellung,  obgleich  sie  wohl  die 
Wirkung  einer  Erkenntnis  sein  kann''  (Kr.  d.  Urt  Einl.  VII).  Gefühl  ist  „«to, 
was  jederzeit  bloß  &ubjectic  bleiben  muß"  (I,  §  3).  Das  Gefühl  geht  auf  die 
^Beförderung  oder  Hemmung  der  Lebenskräfte"  (S.  137).  „Vergnügen  ist  das 
Gefühl  der  Beförderung;  Schmerz  das  eines  Hindernis  des  Ijebene^'  (Anthr.  II, 
§  58).  Nach  Chr.  E.  ScHiao  kann  das  Gefühl,  „ohne  für  sich  selbst  eine  Vor- 
stellung zu  sein,  doch  ein  Merkmal  einer  Vorstellung  von  seinem  eigenen  Zustande 

PhiloM>phiMli«t  WOrttrbaoh.    2.  Aofl.  23 


354  Gefühl. 

abgeben*'  (Emp.  Ps.  S.  263).  Nach  G.  E.  Schulze  wird  das  Fühlen  ,/ih  un- 
mittelbare Erkenntnis  des  Daseins  getcisser  Dinge*'  dem  Vorstellen  entgegen- 
gesetzt (Ps.  Anthr.*,  §  171).  „Jl//e  Gefühle  sind  insofern  Selbstgefühle,  als 
sie  sieh  immer  bloß  auf  das  fühlende  Subject  und  dessen  eigenen  Lebensxustaftd 
bexiehen*'  (§  172).  Zu  unterscheiden  sind  Lust,  Unlust,  gemischte,  dunkle  Ge- 
fühle (§  177).  Nach  Bouterwek  ist  das  Gefühl  der  ,jZiistand  unsrer  selbsty 
der  aller  Wahrnehmung  .  .  .  xum  Grunde  liegf*  (Asth.  I,  27).  Es  gibt  jj^hy- 
sisehe"  und  y^geistige^*  Gefühle  (1.  c.  S.  30).  Über  sinnliche  Gefühle  handelt 
BiüNDE  (Empir.  PsychoL  II,  §  200  ff.).  Nach  J.  H.  Abicht  ist  das  Gefühl 
eine  j^eigene  Gattung  der  Modifieation  des  Bewußtseins**  (Met  d.  Vergn,  S.  50). 
Fichte  definiert  das  Gefühl  als  die  „bloß  unmittelbare  Beziehung  des  Obfcttiten 
itn  Ich  auf  das  Subjective  desselben^  des  Seins  desselben  auf  sein  Befrußtscin** 
(Syst.  d.  Sitt.  S.  44).  „Dcw  Gefühl  ist  lediglieh  subjectitf**  (Gr.  d.  g.  W. 
8.  280).  Destutt  de  Tracy:  „Dans  nos  sensaiions  internes  il  faul  comprendre 
ioutes  les  impretsions  ou  mani^e  d*etre  que  Von  appelle  cotnmunement  senümens 
ou  affeetions  de  Vätne**  (EL  d'id^l.  III,  eh.  3,  p.  204).  Schleiermachjbr  be- 
stimmt das  Gefühl  als  das  ^^unmittelbare  Seibstbeivußtsein*'  (D.  christl.  Glauben 
I,  §  8),  als  die  „relative  Identität  des  Denkens  u^id  Wollens**  (Dial.  S.  151). 
Nach  Fries  ist  Gefühl  „die  unmittelbare  Tätigkeit  der  Urteilskraft**  (X.  Krit. 
I,  407 ;  Syst.  d.  Log.  S.  353).  Nach  Hegel  ist  das  Gefühl  das  „dumpfe  Weben^' 
des  Geistes,  „in  sich,  worin  er  sieh  stoffartig  ist  und  den  ganxen  Stoff  seines 
Wissens  hat**  (Encykl.  §  446;  Phan.  S.  308),  es  ist  die  „Diretntion  des  Leben- 
digen in  sich**  (Log.  III,  2,  57).  Nach  K.  Bosekkranz  ist  das  Fühlen  „der 
unmittelbare  Geist**  (PsychoL' ,  S.  331).  Lust  und  Unlust  gehören  zum  „prak- 
tischen** Gefühl  (1.  c.  S.  418).  Lust  ist  das  Selbstgefühl,  das  durch  Befriedigung 
des  Bedürfnisses  entsteht  (1.  c.  S.  421).  Hillebrakd  erklart  das  Gefühl  ab 
„die  betcußte  Unmittelbarkeit  des  subjectiv-individuellen  Bestimnifseins**.  Es  be- 
zeichnet den  „psychischen  Selbst xustand**  (Phil.  d.  Geist.  I,  188  ff.).  Es  gibt 
Erkenntnis-,  Willens-,  Bildungsgefühle  (1.  c.  S.  190),  leiblich  und  geistig  be- 
stimmte Gefühle,  Actual-  und  Existentialgefühle,  Personalgefühle  (L  c.  S.  191  f.). 
Chr.  Krause  erklärt:  „Gefühl  ist  Innesein  der  Weehselunrkungen  des  Wesent- 
lichen mit  dem  Ich,  und  xicar  in  Beziehung  xu  dem  Ich**  (Log.  S.  50).  Beneke 
sieht  im  Gefühl  eine  besondere  Form  des  Bewußtseins,  keinen  selbständigen 
Act  (Pragm.  Ps.  I,  S.  70).  Es  ist  „das  unmittelbare  Beteußtsein,  leelehes  uns  in 
jedem  Äugenblicke  unseres  waehen  Ijcbens  pon  der  Beschaffenheit  unserer  Itit^- 
keiten  und  Zustäfide  innewohnt**  (Lehrb.  d.  Psych.  §  235;  Log.  I,  290  f.).  Nach 
Kirchmann  sind  die  Grefühle  „Zustände  der  Seele,  welche  den  Gegenstand  der 
Selbstwahmehmung  bilden**,  sie  bilden  die  „seienden  Zust&nde  der  Seele*%  sie 
„spiegeln  kein  anderes,  sie  tcoUen  nur  sie  selbst  sein**  (Kat  d.  Ph.  S.  23  f.). 
K.  Lasswitz  bestimmt  das  Gefühl  als  „die  Eigentümlichkeit  am  Bewt^ßtseins- 
ifihalt,  wodurch  er  als  einem  bestimmten  Individuum  zugehörig,  als  ein  Zustand 
des  Ich  erlebt  irird**  (Wirkl.  S.  140),  RiTSCHL  bemerkt:  „Das  Gefühl  ist  nun 
einmal  die  geistige  Function,  in  welclwr  das  Ich  bei  sieh  selbst  ist**  (Christ L 
Lehre  III,  142).  Nach  Riehl  ist  das  Gefühl  „die  Rüchcirkung  der  TUtigkeii 
des  Bewußtseins  auf  dieses  selbst**  (Ph.  Krit.  II,  1,  S.  39).  Külpe  erblickt  im 
Gefühl  einen  selbständigen  Bewußtseinsvorgang,  die  „Beaetiansweise  der  Apper- 
crption  auf  die  Empfindungen**  (Gr.  d.  Ps.  S.  230,  282).  Nach  Rehmke  ist 
das  Gefühl  ein  ursprünglicher  Zustand  des  Bewußtseins  (Allg.  Psych.  S.  149, 
295  ff.,  305,  314).     Das  Gefi'ihl   ist   etwas   Allgemeines,   Abstractes,   nur  „als 


Gefühl.  355 

Bestimmtheit  eines  Individuums  öegebenes^\  ein  Zustand  von  Lust  oder  Unlust 
(Zur  Lehre  v.  (Tem.  8.  5  ff.).  Es*  gibt  keinen  an  ein  Besonderes  gebundenen 
y,Gefühlston"  (L  c.  S.  21;  das  Gefühl  ist  vom  (Tesamtinhalt  des  gegenständ- 
lichen Bewußtsems  bestinunt,  Allg.  PsychoL  S.  301 ;  auch  G.  Villa,  Einl.  in  d. 
Psychol.  8.  275),  keine  y^gemischten"  Gefühle  (Lehi'e  vom  Gem.  S.  28  f.),  nur 
einen  raschen  Wechsel  von  Lust  und  Unlust  (8.  36).  Gefühlswert  ist  der 
j^nteil,  taeleheft  jedes  Gegenständliehe  des  Bewußtseinsaugenblirks  an  dieser  ,6e- 
sondern*  Bedingung  des  einen  OefüJUs  hai^^  (8.  40).  Nach  ü.  8ghwabz  erleben 
wir  in  den  Gefühlen  nur  sie,  nichts  außerdem,  das  Gefühl  ist  ein  reines  Zu- 
Btandsbewußtsein  (Psychol.  d.  Will.  8.  36).  Es  gibt  viele  Qualitäten  des  Gre- 
fuhls  (1.  c.  8.  134).  Nach  Hussbrl  gibt  es  intentionale  (s.  d.)  und  nicht- 
intentionale  Gefühle  (Log.  Unters.  II,  369  ff.).  Nach  H.  Cornelius  sind  die 
Gefühle  ,,QestaUquaUtäten^*^  (s.  d.),  abhängig  vom  jeweiligen  Gtesamtbewußt- 
seinsinhalt  (PsychoL  8.  74  ff.).  Lust  und  Unlust  sind  Eigenschaften  imserer 
Erlebnisse,  nicht  Teilinhalte  des  Bewußtseins  (1.  c.  8.  362  f.).  Teilinhalte  als 
Bedingungen  einer  bestimmten  Gefühlsbetonung  sind  „Oefählsmotnente**  (1.  c. 
8.  366  ff.). 

Nach  HoBWicz  ist  das  Gefühl  die  psychische  Elementarfunction,  aus  deren 
Complicationen  und  Steigerung  das  übrige  Bewußtsein  hervorgeht  (Ps.  Anal. 
III  2,  1,  3,  25,  28,  59).  Auch  Th.  Ziegler  betrachtet  das  Gefühl  als  einen 
primären,  allem  Bewußtsein  zugrundeliegenden  Zustand.  Lust  ist  die  psychische 
8eite  j/ies  Lebens j  d.  h.  der  Betätigung  des  Vermögens,  jede^n  als  neu,  als  Con- 
trast  auftretettden  Reix  gegenüber  durch  Gewöhnung  und  Assimilation  sich  selbst 
XU  behaupten^,  Unlust  entspricht  dem  Mangel  an'  solcher  Betätigung  (8.  106). 
Gefühl  ist  also  das  psychische  Zeichen  für  den  8elbstbehauptungsact  des  Men- 
schen (ib.).  Auch  Baratt  (Physical  Ethics  1869)  sieht  im  Gefühl  die  primäre 
psychische  Tätigkeit.  8ohubert-8olde£n  unterscheidet  Schmerz-  und  Lust- 
empfindungen und  -Gefühle;  erstere  gehören  zum  Leibe,  letztere  zur  Seele  (Gr. 
e.  Erk.  S.  341). 

Nach  einer  Auffassung  gilt  das  Gefühl  als  Bewußtsein  oder  Wirkung 
der  Förderung  oder  Hemmung  der  Seelenkräfte.  Schon  bei  Plato 
findet  sich  diese  Auffassung  {ro  jtXrjQovcd'ai,  rdtv  tpxaei  Tt^oarjxovronf  r^Sv  imty 
Rep.  IX,  585  D).  Eine  gewisse  Stärke  der  Eindrücke  ist  nötig,  um  Lust  oder 
l^nlust  hervorzurufen,  je  nachdem  die  naturgemäße  Beschaffenheit  des  Organs 
wiederhergesteUt  oder  verändert  wird  (Tim.  (H  E  squ.,  65  A,  66  C,  67  A; 
PhUeb.  31 D  squ.,  32  A  u.  B).  Es  gibt  gemischte  Gefühle  (Gorg.  496  D  u.  E; 
Phileb.  36,  46  C).  Zu  unterscheiden  sind  wahre  und  falsche  Lust  oder  Unlust 
(Phil.  38,  52 A).  Ferner  bei  Aristoteles,  der  die  Lust  als  ävä^yetav  rrje  9cara 
fvcw  ß«w  (Eth.  Nie.  VII  13,  1153  a  14)  bestimmt  und  auf  die  Förderung 
oder  Hemmung  der  naturgemäßen  Beschaffenheit  des  Organs  hinweist  (De  an. 
426a  30  f.).  Die  Lust  ist  xinjaig  r^s  y^vxve  xai  xardaraüis  a&^oa  xai  ai- 
adifirnsfi  mIq  t^v  vnaQxovüav  fvcw  (Rhet.  111,  1369  b  33).  Jede  Empfindung 
ist  mit  Gefühlen  verbunden.  So  auch  bei  den  Peripatetikern,  die  von  der 
Staxvcte  luid  der  avcroX^  der  Lebenstätigkeit  sprechen  (Alex.  Aphr.,  Qnaest 
IV,  5,  241,  11);  sie  nehmen  auch  gemischte  Gefühle  (I,  12)  uad  einen  In- 
differenzzustaud  an  (IV,  14).  —  Xach  Augustinus  beruhen  Lust  und  Unlust 
auf  dem  Grade  der  Anstrengung,  welchen  die  Seele  in  dem  Acte  der  Erhaltung 
ihrer  Selbständigkeit  gegenüber  der  Störung  seitens  des  Leibes  nötig  hat,  um 
den  Eindruck   mit  ihrer  Tätigkeit   in  Übereinstimmung  zu  bringen  (Siebeck, 

23* 


356  Gefühl 

Gesch.  cL  Ps.  I  2,  394).    Thomas  Aqüikas  faßt  unter  „paasio"^  Gefühl  nnd 
Affect  (s.  d.)  zuBammen  und  führt  die  Unlust  auf  eine  Störung  der  organischen 
Einheit  und  Harmonie  zurück  (Sum.  th.  I,  36,  3).    Melanchthon:  ^yLaetitia 
est  motuSj  quo  cor  praesenti  bono  suamter  fndtur^  (De  an.  p.  181).    Debcastes: 
jfLaetttta  itteunda  commotio  animaey  in  qua  consistü  possessio  boni,  quod  im- 
pressiones  eerebri  ei  repraesentant  ut  suum^^   (Pass.  an.  11,  91).    Die  Gefühle 
sind  auf  die  Bewegungen  der  Lebensgeister  (s.  d.)  zu  beziehen,  sind  ab^  sub- 
jeetive  Zustände,  sie  sind  ,^eferri  ad  animam^^  (Pass.  I,  29).    Spinoza  betrachtet 
die  G^efühle  als  Zustände  der  Förderung  oder  Herabsetzung  der  seelischen  Kraft, 
des  Ich.     „Laetitia  est  hominis  transitio  a  minore  ad  maiorem  perfectionem^ 
(Eth.  III,  äff.  def.  II).     „Per  laetitiam  .  .  .  irUeUigam  passionem,  qua  mem 
ad  maiorem  perfectionem  transit:  per  tristitiam  autem  passionem^  qua  ipsa  ad 
minorem  transit  perfectionem''  (III,  prop.  XI,  schoL,  s.  Affect).     L.  Vivbb: 
,yDeleciatio  sita  est  in  congrventia,  quam  invemre  non  est  sine  proportionis 
ratione  cUiqua  inter  facultatem  et  obieetumy  ut  quaedam  sit  quasi  simüiiudo 
inier  illa''  (De  an.  HI).    Ähnlich  Leibniz  (Nouv.  Ess.  II,  eh.  21,  §  42),  Cha&- 
RON  (De  la  sag.  III,  38),  Bossuet,  Batteux,  Vauvenabgubb,  Sulzeb,  Mek- 
PELseoHN,  HuNOAK,  Wetzel,  Villaume,  Jerusalem,  Oochiüs,  Hoffbausb 
(Dessoir,  Gesch.  d.  n.  Ps.*,  435  f.),  auch  Herder,     Chr.  Schmid:  „Wetm  die 
Oegenstände  .  .  .  unseres  Vorstellungsvermögens  so  beschaffen  sind  und  in 
solchen  Verhältnisse  xu  uns  stehen^  daß  sie  der  Empfänglichkeit  desselben 
solchen  und  so  vielen  Stoff  darbieten^  als  dem  Zwecke  der  fortschreitenden 
Wirksamkeit  seines  tätigen  Vermögens  an  denselben  angemessen  ist:  so  ent- 
steht das  Qefühl  der  Lust*^  (Emp.  Ps.  S.  273,  wie  Reinhold,  Vers.  e.  Theor. 
S.  143).    BenekE:  j,Oefühle  ...  sind  nichts  anderes  ais  das  unmittelbare  Bt- 
teußtsein,  welches  unr  in  jedem  Atigenblicke  von  den  Bildungsperschiedenkeiien 
oder  den  Abständen  zwischen  den  Entunckelungen  unseres  Seins  haben^^  (D.  n. 
Ps.  S.  186;  Skizz.  z.  Naturl.  d.  Gef.  S.  19  ff.).    Nach  Schaller  erklären  sidi 
Lust  und  Unlust  aus  der  Übereinstimmung  und  dem  Widerstreit,  in  welchem 
der  empfundene  Lebensproceß  mit  der  Natur  der  Seele  oder  des  „Selbstgefühls^ 
steht  (Psych.  I,  210).    Auch  die  Herbartianer  sind  hier  zu  nennen  (s.  oben), 
femer  Jotjtfro'K,  W.  Habolton  (Lect.  on  Met  C.  41  ff.)  sieht  in  der  Lust 
einen  Reflex  der  ungehinderten  Ausübung  eines  Vermögens  der  Vermehrung  der 
Energie.    Nach  Bain  beruht  das  Gefühl  auf  Harmonie  oder  Ck>nflict  zwischen 
unseren  Empfindungen  (Emot.  and  Will*,  C.  1  ff.,  p.  16  f.).     Nach  Sully  ist 
Gefühl  der  Ton  der  Erfahrung  (Handb.  d.  Psychol.  S.  310).    Es  ist  das  dyna- 
mische Element  des  Willens  (1.  c.  S.  312).    Lust  beruht  auf  Erhöhung  der 
psychischen  Function  durch  eine  normale,  angemessene  Übung  (1.  c.  S.  315). 
Gefühle  assocüeren  sich,  können  auch  reproduciert  werden  (1.  c.  S.  321).    E^ 
gibt  auch  Gefühlsdispositionen  (1.  c.  S.  322  f. ;  vgl.  Himi.  Mind  II,  C.  13  u.  14 ; 
Stout,  Anal.  Psychol.  II,  C.  12;  Tttchener,  Outlin.  of  Psychol.  C.  9;  Bald- 
WIN,  Ladd,  Höffding).    Nach  Ulrici  stehen  die  (^refühle  im  Zusanunenhang 
mit  der  Förderung  und  Hemmung,  der  Harmonie  und  Disharmonie  des  psy- 
chischen Lebens  (L.  u.  S.  S.  447).    LiPPS  meint  das  gleiche  (Grundt  d.  SeeL 
ö.  60,  63  f.).    „Das  Gefülil ,  .  .  ist  der  unmittelbare  Bewußtseinsrefiex  der  Weise^ 
wie  ein  seelischer  Vorgang  ins  Oanxe  der  Seele  .  .  .  sich  einfügt"  (Eth.  Gnindfr. 
S.  34).    „Das   Gefühl   der  Befriedigung   oder  Lust  ist  die  Art,   wie  die  Ein- 
stimmigkeit eines  psychischen  Vorganges  mit  dem,  was  er  in  der  Seele  rar- 
findet,  sich  dem  Bewußtsein  unmittelbar  kundgibt^'  (ib.;  vgL  Viertelj.  f.  w.  Ph. 


Gefühl.  357 

Xm,  160).  Auf  innerer  Znsammenstimmung  oder  Harmonie  von  Bewußtseins- 
inhalten  berolit  die  Lust  nach  (Fechneb  und)  Caspari  (Zusammenh.  d.  Dinge 
8.  470  f.).  Nach  Wündt  ist  das  Grefühl  ein  centraler  psychischer  Vorgang,  die 
Reaction  des  Bewußtseins  auf  die  in  dasselbe  eintretenden  Vorstellungen,  eine 
Reactionsweise  der  Apperception  (s.  d.),  die  Art  und  Weise,  wie  die  Vorstellung 
Tom  Ich  au^nommen  wird  (Vorles.*,  S.  225;  Grdz.  d.  ph.  Ps.  I*,  588  f.,  II*,  564; 
Essays  8,  212;  11,  294).  Vgl.  weiter  unten.  Nach  Zieoler  zeigt  uns  das  Ge- 
fühl yfien  Wert  an^  den  em  Reix  für  mich  hat,  und  es  erxwingt  demselben  dureh 
diese  Wertung  und  Wertsehätxung  den  Eintritt  in  mein  Bewußtsein"  (D.  Gef.*, 
a  99,  vgl  S.  106). 

Das  Gefühl  wird  auch  als  Symptom  für  die  Erhöhung  oder  Er- 
niedrigung derLebenstätigkeit,  der  organischen,  physischen  Kräfte 
betrachtet.  Anfange  der  biologisch-physiologischen  Gefühlsbestinmiung  zeigen 
sich  bei  Diooenes  von  Apollonia,  der  aus  dem  Maße  der  Mischung  des 
Blutes  mit  Luft  die  Gefühle  erklärt  (Theophr.,  De  sens.  43).  Akistipp  setzt 
die  Lust  in  eine  sanfte  (Xeüz  xivrjcie),  Unlust  in  eine  heftige  Bewegung  (r^axst'a 
xivfjctQ,  Diog.  L.  II,  86).  Die  Lust  ist  das  uara  ro  oixelov,  das  dem  Ich 
Naturgemäße  (Plut  Qu.  symp.  V,  1,  2).  Hobbes  erklärt  die  Ekitstehung  des 
Gefühls  aus  einer  von  den  Sinneswerkzeugen  zum  Herzen  dringenden  Erregung 
(De  corp.  C.  25,  12),  Descabtes  aus  den  Bewegungen  der  Lebensgeister  (s.  d.). 
Nach  Zöllner  bewirkt  der  Übergang  von  potentidler  in  actueUe  Energie  Lust, 
das  Umgekehrte  Unlust,  und  zwar  gut  das  auch  für  das  Anorganische,  für  die 
Atome  (Üb.  d.  Nat  d.  Kometen  1872).  Nach  Lotze  mißt  das  Gefühl  die 
augenblickliche  Übereinstimmung  zwischen  Beiz  und  Nervenfunction  (Med.  Ps. 
§  20,  S.  239;  vgl  S.  246,  253  ff.,  564;  Mikr.  in,  525,  I,  204;  Gesch.  d.  Asth. 
8. 214  f.).  Es  ist  ,/ias  Maß  der  Übereinstimmung  oder  des  Widerstreites  zwischen 
der  Wirkung  eines  JReixes  und  den  Bedingungen  der  von  ihm  angeregten  TUtig^ 
Mf'  (Med.  Psychol.  8.  263).  Es  gibt  auch  gemischte  Gefühle  (Med.  Ps.  S.  262). 
Ähnliches  lehrt  Sebgi  (Psych.  S.  304  f.;  Dolore  e  piacere  1894),  während 
Meykert  Lust  und  Unlust  auf  Emährungsverhältmsse  der  Großhirnrinde  zu- 
rückführt A.  Bain  bemerkt  (ähnlich  wie  Hodosok):  „States  of  pleasure  are 
coneomitant  with  an  increase,  and  staies  of  pain  toith  an  abatement  of  some  or 
aU  of  (he  vital  functions^^  (Mental  and  mond  science  1875,  p.  75;  vgl.  Emot 
and  Wal  C.  1—3,  4 — 13).  L.  Dumokt  betrachtet  als  Ursache  der  Unlust  ein 
starkes  Abweichen  von  der  molecularen  Gleichgewichtslage  der  Nervensubstanz 
(Vergnüg,  u.  Schmerz  1876,  S.  78  ff.).  Lust  entsteht,  „wenn  an  letzter  Stelle. . . 
eine  Vermehrung  der  Kraft  in  der  Sphäre  des  Beumßtseins  xutage  tritt"  (1.  c.  S.  97). 
Das  Grefühl  ist  keine  Empfindung  besonderer  Art,  sondern  nur  ein  Reflex  von 
Empfindungen  (1.  c.  S.  100).  Nach  A.  Lehmann  ist  Lust  die  Folge  davon, 
t4^ß  ein  Organ  ufährend  seiner  Arbeit  keine  größere  Energiemenge  verbraucht, 
als  die  Emährungstätigkeit  ersetzen  kann"  (Hauptges.  d.  m.  Gefühlsleb.  S.  148  ff., 
15  E;  ähnlich  G.  Allen,  Phys.  Asth.  p.  21).  Nach  Spencer  sind  Lust  und 
Unlust  Oorrelaterscheinungen  von  Vorgängen,  die  für  den  Organismus  nützlich 
bezw.  schädlich  sind  (Psych.  I,  §  124).  Als  Ausdruck  organischer  Zustände 
b^nu^ten  das  Gefühl  bezw.  den  Affect  Jähes  (PsychoL  I,  p.  143)  und  C.  Lange 
(Ob.  Gemütsbeweg.  1887).  Nach  Bibot  ist  das  Gefühl  („sentiment")  eine  „tew- 
danee  organiqu^%  ein  Zeichen  (j^signe,  marque^^)  für  „certains  appetits,  pen- 
ehanis,  tendanees",  die  befriedigt  oder  unbefriedigt  sind  (Psychol.  de  Pattent. 
p.  168  ff.;  Ps.  d.  sentim.  p.  VIII;  32,  381,  434).     Z.  Oppenheimeb:  J.ust 


358  Gefühl. 

und'  Unlust  entspricht  dem  sinnlichen  Wohl-  oder  Ubelbefinden  des  Subjeds^ 
der  Förderung  oder  Hemmung  des  Jjebens"  (Phys.  d.  Gref.  S.  72).  J.  DüBW 
meint,  ,jdaß  das^  tcas  in  detn  Lustgefühl  .  .  .  eigentlich  vor  »ich  geht,  eine  Er- 
höhung der  Lebe7isenergie  vorstellt^'  (D.  Lust  S.  5).  Jodl  erklärt  das  Cre- 
fühl  als  jfCine  psychische  Erregung,  in  welcher  der  Wert  einer  im  Zustande  des 
lebenden  Organismus  oder  itn  Zustande  des  Bewußtseins  eingetretenen  Änderung  ßr 
das  Wohl  oder  Wehe  des  Subjects  unmittelbar  als  IaasI  oder  Sckmerx  wahrgenommen 
wird"  (Lehrb.  d.  Ps.  8. 374).  Er  unterscheidet  die  geißtigen  Gefühle  in  Formal-  mid 
Persongefühle  (1.  c.  II*,  310  ff.,  325  ff.),  v.  Ehbenfels  erklärt  Lust  und  Unlust  aas 
der  Annäherung  bezw.  Entfernung  von  Assimilations-  und  Dissimilationpxocessen 
im  Nervensystem  an  ein  bezw.  von  einem  Mittelmaß  (Syst.  d.  Werttheor.  I,  199). 
Ebbinohaus  sieht  in  den  Gefühlen  „Nebenwirkungen  derselben  Ursachen^  die 
den  begleitenden  Empfindungen  und  Vorstellungen  zugrunde  liegen^^  (Gr.  d. 
Psychol.  I,  542).  Sie  haben  Beziehungen  zur  Förderung  und  Schädigung  des 
Organismus,  eine  teleologische  Grundlage  (1.  c.  S.  543  fi.\  ohne  unmittelbares 
Bewußtsein  davon  (1.  c.  S.  545).  Die  Arten  der  Gefühle  ergeben  sich  ans  den 
Unterschieden  der  Empfindungen  und  Vorstellungen  (1.  c.  S.  553).  Es  gibt 
sinnliche  und  Vorstellungsgefühle  (1.  c.  S.  554),  Inhalts-  und  Beziehungsgefühle 
(1.  e.  S.  555).  Nach  W.  Jebusalem  ist  das  Fühlen  eine  „besondere  Orund- 
function  des  Bewußtseif is" ,  der  An&mg  und  die  Grundlage  des  Seelenlebens 
(Lehrb.  d.  Ps.",  S.  148).  Immer  bleiben  Lust  und  Unlust  „Symptome  und  Anreger, 
immer  bleiben  sie  xur  Erhaltung  des  Lebens  in  enger  Beziehung"  (S.  149).  Wie 
Wundt  (s.  unten)  unterscheidet  Jerusalem  drei  Grundrichtungen  des  Gefühls 
(S.  149).  Allgemeine  Eigenschaften  des  Gefühls  sind:  1)  j,Älle  Gefühle  bewegen 
sieh  in  Oegefisätxen,  xtdschen  denen  sich  eine  größere  oder  geringere  Indifferenx- 
xone  befindet."  Beide  Gregensätze  sind  positiv.  2)  „Alle  Gefühle  xeigeti  starke 
Abstufungen  der  Intensität."  3)  „Alle  GefüfUe  äußern  sieh  in  Bewegungen."^ 
4)  Durch  Wiederholung  stumpfen  sich  die  Gefühle  ab.  5)  Alle  Gefühle  stehen 
mit  der  Erhaltung  des  Lebens  in  engem  Zusammenhang  (S.  150  f.).  Biologisch 
erfolgt  die  Classification  der  Grefühle  in:  Individualgefühle,  Familien-, 
patriotische  Gefühle,  Gefühle  der  Sympathie  (Mitgefühl);  sittUche,  religiöse, 
ästhetische,  intellectuelle  Gefühle  (S.  155  f.).  Nach  Ostwald  wird  jede  För- 
derung des  Energiestroms  im  Organismus  als  angenehm,  jede  Störung  als  un- 
angenehm empfunden.  Nicht  der  Besitz,  sondern  der  Verbrauch  überschüssiger 
EInergievorräte  ist  von  Lust  begleitet  (Vorles.  üb.  Naturphilos.^  S.  388).  Vgl. 
Beaunis,  Sensat.  Internes,  ch  17  ff.;  Kröneb,  Das  körperl.  Crefühl. 

Zum  Streben  und  Wollen  wird  das  Gefühl  in  verschiedener  Weise  in 
Beziehung  gebracht.  So  von  den  Scholastikern  (im  Anschlüsse  an  Abi- 
8TOTELES,  De  an.  I,  7)  zu  den  B^ehrungen  des  Guten  und  Verabecheuungen 
des  Schlechten  (Thomas  Aquikas,  Suabez,  De  pass.  I,  2).  —  Nach  Bbenta50 
sind  Gefühl  und  Wille  stets  vereinigt  als  ,J*hä7wmene  der  Liebe  und  des  Basset 
(Psych.  I,  307  f.).  Die  Grefühle  sind  intentionale  (s.  d.)  Acte,  haben  eine  Rich- 
tung auf  etwas  (1.  c.  I,  116  ff.).  Fechner:  „Wir  finden,  daß  in  uns  sdhst 
alles,  was  den  Charakter  der  Unlust  trägt  oder  uns  aus  dem  Gesichtspunkt  de^ 
Übels  erscheint,  grundgesetxlich  eine  psychische  Tendetix  mitfülirty  diese  UfUust. 
dies  Übelscheinefide  xu  beseitigen,  indes  das  lAistvolle,  das,  was  ufis  als  gtä  er- 
scheint, das  Streben  xu  seiner  Erhaltung  oder  Steigerufig  in  mis  enpeekt'^  (Zendav. 
I,  287).  Nach  Windelband  sind  die  Gefühle  „nichts  anderes  als  das  Mittel- 
glied, vermöge  dessen  wir  von  unserem  eigenen  an  sich  unbewußten  Willen  über- 


Oef&bL  359 

Juutpt  etwas  erfahren^^.     Sie  bedeuten  eine  ,yReaction  auf  die  Bedürfnisse  und 
Triebe  des  Willens"'  (Prälud.  S.  194  f.).    E.  V.  Haetmann  bestimmt  (wie  schon 
ik^HOFENHAUER)  Lust  Und  Unlust  als  „Willertsbefriedigun^"  und  y^Repressian 
des  Willens"'  (Kateg.  S.  66).     Sie  sind  „bloße  Äffectianen  oder  Modi  des  Willens" 
<S.  W),  „Formen  der  Bewußtwerdung  des  Willens  in  seiner  Gollision  mit  ander?n 
Wollen'"  (S.  63).    Das  bewußte  GefiUil  ist  ^^Reaetion  des  Wollens  auf  ehie  ihm 
viderfakrene  Hemmung;  bexiehungeweise  auf  die  Überwindung  dieser  Hemmung" 
(Mod.  Pb.  S.  199;  Ph.  d.  Unb."  34  ff.,  41  ff.;  Neukant.  296  f.,  359  ff.).    „Das 
Bewußtsein  der  Unlust  ist  die  Stupefaction  des  Willens  über  die  seitiem  eigensten 
Streben  zuwiderlaufende  Hemmung  und  Stauung  seiner  Kraft"  (Mod.  Ps.  S.  200). 
Der  Obergang  von  Spannkraft  in  lebendige  Kraft  erregt  Lust,  die  Stauung  von 
lebendiger  Kraft  in  Spannkraft  Unlust  (S.  199;  Kat.  S.  59;  Ph.  d.  Unb.",  II, 
37  f.,  113  f.,  III,  116  f.).     Das  Gefühl   ist   „Product  des    Wollens"  (Mod.  Ps. 
8.  199).    Schon  den  Uratomen  kommt  ein  Gefühl  zu,   aus  solchen   Gefühlen 
setzen  sich  die  Elmpfindungen  (s.  d.)  zusammen  (Kat.  S.  59;  Mod.  Ps.  S.  195  f.). 
Nach  Hameblino  ist  das  Gefühl  „c^  Bexug,  welchen  die  Walimehmung  oder 
Vorutellung  xu   unserem  Willen  hat"    (Atom.  d.  Will.  I,  270).     „Lust  ist  be- 
friedigter, Unlust  getiemmter  Willef"  (ib.).    Nietzsche  erklärt  (wie  E.  v.  Haet- 
MANN),   das  Gefühl  sei  kein  Motiv,  sondern  „Begleiterscheinung",    „Symptom", 
nämlich  der  erreichten  Macht,  eine  „Differenx-Bewußtheit".     Lust  imd  Unlust 
sind  nur  Folgen   des   ,,  Willens  xur  Macht""  (s.  d.).     Lust  ist  ein  „Plus-Öefühl 
nm  MaeOd,""  Unlust  „Hemmung  eines  Willens  xur  MaefU."     Gefühle  sind  also 
Willensreactionen,  die  zugleich  in  der  Centralsphäre  des  Intellects  wurzeln,  ein 
Urteilen,   ein  Messen  nach  der  Gesamtnützlichkeit  oder   Gesamtschädlichkeit 
(als  Niederschlag  langer  Erfahrung  —  etwas  Ahnliches  bei  Spencer)  enthalten 
(WW.  XV,  262,  302  ff.,  307,  312).     Auch  Ribot  (s.  oben)   ist  hier  anzuführen. 
Paulben  erklärt:   „Z>«€  Urform  des  Willens  ist  blifuier  Trieb;  er  erscheint  im 
Bewußtsein  als  gefühlter  Drang.      Setxi  der  Drang  sieh  durch,  so  wird  die  ge- 
lingende  Lebensbeiätigung    mit   lusthetonlen    Gefühlen  begleitet;    Hemmung  der 
Lebensbetäiigutig  wird  mit  Unlustgefühlen  empfunden"   (Syst.  d.   Eth.  I^,  208). 
rJede  Willensregufig  ist  ursprünglicli  xugleich  Gefühlserregung  und  umgekehrt, 
jede   Qefühlserregung  ist   xugleich  positive  oder  ^negative   Willensregung""  (1.  c. 
S.  209). 

WuNDT  sieht  in  den  „Gefühlselementen"  oder  „einfachen"  Gefühlen  die 
^^jectiven"  Elemente  des  Bewußtseins  (Gr.  d.  Ps.*,  S.  36).  „Minimal-"  und 
Jllaximalgefühl"  bezeichnen  die  Endpimkte  der  Intensitätsgrade  des  Gefühls 
(S.  38).  Die  Gefühlsqualitäten  sind  durch  ,^r'ößte  Gegensätxe""  ausgezeichnet, 
zwischen  denen  eine  „Indifferenxxone"  liegt  (S.  41).  Der  Ursprung  der  Gefühle 
ist  ein  einheitlicher  (S.  44).  Sie  sind  ebenso  real  wie  die  Empfindungen  (S.  45). 
Sinnliches  Gefühl  (Gefühlston)  ist  „rfew  ynit  eifier  einfachen  Empfindung  ver- 
bundene Gefühl"  (S.  93).  Drei  Hauptrichtungen  des  Gefühls  lassen  sich  unter- 
scheiden: Lust  und  Unlust  (Qualitätsrichtungen),  Erregung  und  Beruhigung 
(Intensitätsrichtungen),  Spannimg  und  Lösung  (Zeitrichtungen),  abhängig  vom 
Verlauf  der  psychischen  Vorgänge  (S.  101,  Vorlas,  üb.  d.  Mensch.",  238  ff.). 
Ans  den  Verbindungen  einfacher  gehen  ,yXusaynmengesetxie^"  Gefühle  hervor,  in 
welchen  das  „Totalgefühl"  gegenüber  den  „PartialgefiÜilen"  etwas  Neues  dar- 
stellt (Grdz.  d.  ph.  Ps.  II*,  498;  Gr.  d.  Ps.»,  S.  189  ff.).  Die  Gefühle  sind 
als  Momente  von  Willenshandlungen  aufzufassen.  „Alle,  selbst  die  Verhältnis- 
fnäßig  indifferenten  Gefühle  enthalten  in  irgend  eiyiem   Grade  ein  Streben  oder 


360  GefaM  —  Oeffihlston. 


Widerstreben  .  .  .**  (Gr.  d.  Ps.  S.  220  f.).  Im  einzelnen  gibt  es  zwar  Gefniile, 
die  nicht  in  Affecten  und  Willenshundlungen  endigen,  im  ganzen  ZasammeD- 
hange  aber  yjcann  das  Oefiihl  ebenso  gut  als  der  Anfang  einer  WiÜenshandkmf 
tvie  umgekehrt  das  Wollen  als  ein  zusammengesetzter  Oefühlsproeeß  und  der 
Affeet  als  ein  Übergang  zwischen  beiden  betrachtet  u^erden^'  (8.  221).  Qefühl 
und  Wille  sind  „Teilerscheinungen  eines  und  desselben  Vorgangs",  Gefühle  sind 
teils  Anfangs-,  teils  Begleitzustände  des  Wollens,  Willensrichtongen.  Die 
Gefühle  sind  Elemente  des  Wollens.  Die  ,,Einheit  der  Oefuhlslage^^  in  jedem 
Moment  beruht  auf  der  Einheit  des  WoUens  (Grdz.  d.  ph.  Ps.  11^,  498;  Vorles.' 
245,  252;  Ess.  8,  213  ff.,  220;  Eth.»,  436;  PhiL  Stud.  XV,  149  ff.  gegen  Trr- 
GHENER  in  Zeitschr.  f.  Psychol.  XIX,  321  ff.).  VgL  Cesca,  Die  Lehre  v<»i  der 
Natur  der  Gefühle  (Yierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  X,  1886). 

Nach  F.  y.  Feldegg  (Das  Gefühl  als  Fundam.  d.  Weltordnung  1890;  Bei- 
trage zur  Philos.  d.  Gefühls  1900)  ist  das  Gtefuhl  metaphysisches  Princip. 
Vgl.  Affeet,  Empfindung,  Lust 

Oefülile«  einfache,  s.  Gefühl. 

Oeflillle«  extensive  und  intensive.  Nach  ihren  Entstehungsbe- 
dingungen  unterscheidet  Wundt  zwei  Klassen  von  Wahmehmungsgefühlen. 
Unter  den  „intensiven"  Gefühlen  versteht  er  ,/iiefenigen,  die  aus  dem  Verhäli' 
nis  der  qualitativen  Eigenschaften  der  Empfindungselemente  einer  Vorstellung^f 
unter  den  ,^ensiven"  solche,  „(/ie  aus  der  räumliehen  oder  zeitliehen  Ordnung 
der  Elemente  entspringen"  (Gr.  d.  Ps.*,  S.  196). 

Oefttllle«  moralische,  s.  Sittlichkeit 

Gefftlile«  sinnliche,  s.  Gefühl.  Die  sinnlichen  Gefühle  werden  auch 
zuweilen  als  körperliche  den  geistigen  Gefühlen  gegenübergestellt 

GelVlilsftiiß^'liiii^n  s.  Ausdrucksbew^ungen. 

Geflililfseoinponeiiten  und  Gefühlsresultante  bilden  nach  Wukdt 
zusammen  das  zusammengesetzte  Gefühl  (Gr.  d.  Psych.*,  S.  190). 

Gefllitemoral  s.  Ethik. 

C^efUiteton  der  Empfindung  ist  das  jeweilige  mit  ihr  verknüpfte  sinn- 
liche Gefühl.  B.  Zimmermann  versteht  unter  „Ton  der  Empfindungt*^  die  „e^- 
fachste  Form  der  Gefühlt'  (Philos.  Propädeut«,  8.  324  f.).  Nahlowbky  namt 
„Tbn  der  Empfindung"  den  ^^  Störungswert"  der  Reizung  einer  centripetal- 
leitenden  Nervenfaser,  d.  h.  „das  besondere  Verhältnis y  in  welches  sieh  dieser 
Reiz  teils  zu  der  im  Moment  vorhandenen  Stimmung  des  Nerven  und  der 
Centralorgane,  teils  mitunter  selbst  zu  den  Processen  des  vegetativen  Lebens 
setzt"  (Das  Gefühlsleb.  S.  13).  Die  Art  der  Alteration  des  organischen  Lebens 
bestinmit  den  Ton  der  Empfindung  als  angenehm,  unangenehm  oder  gleich- 
gültig (1.  c.  S.  14).  Das  Gefühl  (s.  d.)  hat  seinen  eigenen  Ton  (1.  c.  S.  17,  49). 
Vom  Empfindungston  wird  das  sinnliche  Gefühl  unterschieden  (8.  131).  Volk- 
mann: „Unter  der  Betonung  der  Empfindung  verstehen  wir  die  Taisachet  daß 
wenn  nicht  alle,  so  doch  die  meisten  Empfindungen  mit  dem  Bewußtwerden  einer 
Hemmung  oder  Förderung  behaftet  auftreten,  das  .  .  .  zu  dem  Inhalte  nicht  von 
außen  her  hinzuiritt  .  .  .,  sondern  in  ihm  und  mit  ihm  gegeben  erseheint*' 
(Lehrb.  d.  Psych.  I*,  237).  Nach  Ziehen  dagegen  gibt  es  nur  einen  „OefiMs- 
ton",  nämlich  ,ydas  Lust-  oder   UnlustgefUhl,   welches  in    wechselndem   Orade 


Gegenflats.  361 


unsere  Empfindungen  begleitet*  (Leitf.*,  S.  95).  Von  einem  Qefühlston  (,ytanalite"J 
spricht  auch  Seboi  (Psych.  8.  143).  Wundt:  „Do«  mit  einer  einfachen  Em- 
pfindung verbundene  Gefühl  pflegt  man  nU  sinnliches  Gefühl  oder  auch  als 
Qefühlston  der  Empfindung  xu  bezeichnen.'*  Dieser  Begriff  ist  das  Pro- 
dnet  einer  Analyse  und  Abstraction  (S.  93  f.).  Eine  unveränderliche  Qualität 
der  Empfindung  ist  der  Gefühlston  nicht  ^gegen  Nahlowsky  u.  a.  8.  93).  Die 
Empfindung  ist  „nur  einer  unter  vielen  Factoren  ,  .  ,,  die  ein  in  einem  ge- 
gebenen Augenblick  vorhandenes  Gefühl  bestimmen  .  .  .**  (ib.)  Aber  auch  die 
Ansicht,  daß  ein  reiner  Gefühlston  nicht  existiere,  daß  jede  Empfindung  be- 
gleitende Vorstellungen  erwecke,  durch  die  erst  die  Grefühlswirkung  zustande 
komme,  ist  abzulehnen  (8.  94).    VgL  GreföhL 

C^efUiteTeniiSsens  Fähigkeit,  Lust  und  Uplust  zu  empfinden,  nach 
Heinroth  das  Grundvermögen  der  Seele  (Psychol.  ö.  43). 

GelliliteTorBtellUiffS  Reproductionsbild  eines  Gefühls  (Behmke, 
K.  Lange  u.  a.).    Vgl.  Beproduction. 

Gegeben  heißt  ein  Bewußtseinsinhalt,  der  ohne  Zutun  der  Willkür  er- 
lebt, vorgefunden  wird.  Daa  „Gegebene**  sind  die  Empfindungen  als  Elemente 
des  Objectsbewußtseins,  der  Erfahrung  (s.  d.).  Der  Begriff  des  „Gegebenen** 
schon  bei  Plato  (to  iv  rjfilv,  Phaedo  102  D,  103  B).  Nach  Kant  werden  uns 
die  Gregenstände  der  Erkenntnis  vermittelst  der  Sinnlichkeit  y^egeben**  (Krit.  d. 
r.  Vem.  8.  48).  „Einen  Gegenstand  geben  .  .  .  ist  nichts  anderes  als  dessen 
Vorstellung  auf  Erfahrung  (es  sei  wirkliche  oder  dock  mögliche)  beziehen**  (1.  c. 
8.  154).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  nichts  „gegeben/*  alles  muß  erst  durch  das  Ich 
(8,  d.)  „gesetzt*  werden.  Ulrict  erklärt:  Gegeben  wird  uns  ein  Sein,  „das  ohne 
unser  Zutun,  ohne  unser  Denken  und  Wollen ,  vorhanden  ist*'  (Leib  u.  Seele 
8.  15).  Nach  Lipps  sind  uns  die  Vorstellungsinhalte  ohne  objecterzeugende 
Tätigkeit  gegeben  (Gr.  d.  Seelenleb.  S.  23).  Nach  Schuppe  sind  das  Gegebene 
„rfie  Empfindungsinhalte,  die  im  Bewtißtsein  sich  nicht  mehr  in  Bestandteile 
zerlegen*'  (Log.  8.  35). 

Oes^nsats:  1)  logischer  (Opposition)  =  das  Verhältnis,  in  welchem 
zwei  Begriffe  oder  zwei  Urteile  zueinander  stehen,  die  einander  ausschließen. 
Es  gibt  einen  contradictorischen  (s.  d.)  und  einen  conträren  (subconträren) 
Gegensatz.  AbiSTOTELES  erklärt:  avrtxeifiBva  h'yeiai  avrifacis  xai  tavnvxia 
xttA  TO  nQog  T*  xai  üxi^rjae  xai  ßig  xal  i|  tav  xai  eU  a  laxara  al  yeviaeie 
uai  fd-o^i  (Met.  V  10,  1018a  20).  Er  unterscheidet:  avri^azixm  (contradicto- 
risch),  ivavriüK  (conträr),  xtna  ttjij  JU'lir  fiovov  amxeifisva  (subconträr)  (De 
inteipret.  6,  17a  26;  7,  17b  16;  Categ.  10,  ISb  27;  Anal,  prior.  II  15,  63b  23). 
So  auch  Cicero  (Top.  11).  Die  Scholastiker  unterscheiden  „oppositio  termi- 
norum**  und  „oppos.  enunciationum^*.  Nach  Überweg  ist  Opposition  „der 
Gegensatz,  der  zunsehen  zicei  Urteilen  von  verschiedener  Qualität  und  ver- 
schiedenem Sinne  bei  gktchetn  Inhalt  besteht**  (Log.  §  97). 

Schema  der  Opposition: 
a  e 


.^'^; 


8L 


1     cT   V       S 


P 


^4        S 


362  Gtegensats. 


„Öegematx^^  ist  2)  ontologischer  (realer)  Gegaisatz  (y^Bepugnafix^^),  Wider- 
streit zweier  Dinge,  zweier  Qualitäten,  zweier  Tätigkeiten,  dynamische  Entgegen- 
setzung,  Willens -Gegensatz,  Gegensatz  der  Gefühle  (physischer  -  psychischer 
Gegensatz,  ethischer,  socialer  Gegensatz). 

Die  Pythagoreer  stellen  eine  Tafel  von  zehn  Gregensatz-Paaren  als  Prin- 
cipien  der  Dinge  auf  {ntQas  xai  aTtei^or,  TteqiXTOv  xai  ä^Ttor,  ip  xai  nl^d'Oi, 
Se^tov  xai  a^iaxeoov,  dÖQSv  xai  d'TJkv,  rj^fiovy  xai  xivov/usrov,  evdif  xai  xafi- 
Ttvkov,  y>d}S  xai  axoroSj  ayad'ov  xai  xaxov,  rerpäyofvov  xai  tre^/UrffKeg,  Ari- 
RTOTELES,  Met.  I  5,  986  a  22  squ.).  Hkraklit  macht  den  G^ensatz  zum 
Princip  der  Entwicklmig.  Im  ,jOegmlauf^  (ivavrtoS^o^ia,  Btob.  Ecl.  I,  60)  des 
Geschehens  ist  in  allem  das  Entgegengesetzte  vereinigt,  schlägt  eines  in  das 
Gegenteil  um  (ravr  elvai  ^(ov  xai  zsd'VTixog,  xai  to  fyor^yo^og  xai  t6  xad'svSoty 
xai  viov  xai  ytj^atov  (Fragm.  78).  AUes  erfolgt  xar  ivavTiOTfßa^  nach  der 
ivavria  QOij,  naltvTQOTtia  (Plat.,  Cratyl.  413  E,  420  A;  navxa  t«  yiread'at  xa9^ 
eifiapjue'vTjv  xai  Sia  Trjg  ivavxiOT^OTtfjs  r^^fioad'at  ra  ovra,  Diog.  L.  IX  1,  < ; 
yivscd'ai  re  Ttavra  xax  ivavxiOTfjTa,  1.  c.  8;  ndvra  .  .  .  fieraßdXXet  tU  ivavxiovy 
olov  ix  d-sQfiov  eii  rpvxQovj  Arist.  Phys.  III  5,  205a  6;  vgl.  Sext.  Empir.  Pyrrh. 
hypot.  III,  230).  Die  Gegensätze  gehen  in  einer  Einheit  zusammen  wie  Bogen 
und  Leier  (naUvT^onos  d^/novifj  xoa/iov  oxworso  Xv^ijs  xai  to|ov,  Plut,  Is.  et 
Osir.  5).  Nach  Plotin  sind  Gegensätze  Dinge,  die  nichts  Identisches  an  sich 
haben  (Enn.  VI,  3,  20).  —  Chr.  Wolf  definiert:  „Oppoaita  sunt,  qttorum  unum 
invohä  negationem  alterttis^*  (Ontol.  §  272).  K[ant  betont  den  Unterschied 
zwischen  logischer  und  realer  Opposition.  „Einander  entgegengeseixt  ist,  wovon 
eines  dasjenige  aufhebt,  was  durch  das  atidere  ge^etxt  ist.  Diese  Entgegensetzung 
ist  xiveifach;  entweder  logisch  durch  den  Widerspruch,  oder  real  d.  i.  ohne 
Widerspruch''  (WW.  II,  75  ff.).  Die  „dialektische^'  Opposition  ist  von  der  auf 
dem  Satze  des  Widerspruches  fußenden  „analytiscJien"  zu  unterscheiden  (Krit 
d.  r.  Vem.  S.  410).  Nach  J.  G.  Fichte,  besonders  aber  nach  Hegel  schlägt 
jeder  Begriff  (im  logischen  Denken)  in  seinen  Gregensatz  um,  um  sich  mit  ihm 
in  einem  höheren  Begriffe  zu  vereinigen  (Dialektik,  s.  d.  u.  Widerspruch).  Nach 
HiLLEBRAXD  kann  es  keinen  metaphysischen,  realen  Gegensatz  geben,  d.  h.  einen 
solchen,  welcher  im  Sein  unausgleichbar  wäre  (Phil.  d.  Geist.  I,  23).  Nach 
Herbart  ist  der  „Gegensatz  xweier  Vorstellungen'*  ein  voller,  „wenn  eine  ton 
beiden  ganx  gehemmt  werden  muß,  damit  die  andere  ungehemmt  bleibe"  (Psychol. 
als  Wiss.  I,  §  41).  Vorstellungen,  die  einander  entgegengesetzt  sind  und  zu- 
sammentreffen, werden  zu  Kräften,  die  einander  widerstehen,  hemmen  (Lehrb. 
zur  Psychol.",  S.  15).  Der  Grund  des  Widerstehens  ist  die  Einheit  der  Seele 
(1.  c.  S.  21).  Entgegengesetzte  Vorstellungen  verschmelzen  (s.  d.)  miteinander, 
soweit  sie  nicht  gehemmt  werden  (1.  c.  S.  21  f.).  Nach  Münsterberg  ist  ent- 
gegengesetzt in  der  Vorstellungswelt  das,  „was  antagonistische  Handlufigen  o»- 
regt"  (Grdz.  d.  Psychol.  I,  550).  Wundt  sieht  in  dem  psychologischen  „Otsetx 
der  EntudcJdung  in  Oegensätxen"  eine  Anwendung  des  Gesetzes  der  Contrast- 
verstärkung  (s.  d.)  auf  umfassendere  Zusammenhänge.  „Diese  besitzen  nämlich . . . 
die  Eigenschaft,  daß  Gefühle  und  Triebe,  die  xunächst  von  geringer  Intensität 
sifid,  durch  den  Contrast  xu  den  während  einer  gewissen  Zeit  iibenviegenden  Oe- 
füfilen  von  entgegengesetzter  Qimlität  allmäßUich  stärker  werden,  um  endlich  die 
bisher  vorherrschenden  Motive  zu  überwältigeti  und  nun  selbst  während  einer 
kürxeren  oder  längeren  Zeit  die  Herrseliaft  zu  gewinnen."  Mehr  als  im  indivi- 
duellen tritt  das  Gesetz  im  geschichtlichen  Leben,  im  Wechsel  geistiger  Strö- 


OegensatB  —  Geist.  363 


mungen  henror  (Gr.  d.  Psychol.»,  S.  401  f.;  Syst.  d.  Phil.«,  8.  598;  Log.  II*,  2, 
8.  282  ff.;  PhiL  Stud.  X,  75  ff.).    Vgl.  Widerstreit,  Widerspruch,  Element. 

Gei^enstand  s.  Object. 

Geg^nstandsbes^rlfr  s.  Kategorien. 

Geg^nstandsbewnßteelii  s.  Object. 

Oegenwart  s.  Zeit. 

Oebalt,  ästhetischer,  ist  der  Inhalt  des  Ästhetischen,  das,  was  es  bedeutet, 
im  Unterschiede  von  der  ästhetischen  Form  (s.  d.).  Die  Gehaltsästhetik 
(ü.  Ästhetik)  betont  den  Gehalt  als  Hauptquelle  des  ästhetischen  Genusses.  Vgl. 
Logik. 

Oeltlmfüiictlonen  s.  Localisation,  Seelensitz. 

Oebdmte  s.  Comutus. 

Oebdrslnn  ist  die  Fähigkeit,  Gehörsempfindungen  zu  haben,  Geräusche, 
Töne,  Klänge  zu  percipieren.  Das  Gehörsorgan  ist  die  Ohrschnecke,  in  der  die 
Gmndmembran  sich  befindet,  deren  Fasern  auf  die  verschiedenen  Tonhöhen  ab- 
gestimmt sind  {„Sckneckenclariatur'*,  Besonanzhypothese  —  Helmholtz).  Der 
Reiz  für  die  Gehörsempfindungen  besteht  in  longitudinalen  Luftschwingungen, 
die  durch  schallerr^ende  Körper  hervorgerufen  werden.  Periodischen  Schwin- 
gungen entspricht  ein  Klang,  nicht  periodischen  ein  Geräusch;  einer  einfachen 
„Sinusschwittgung"  entspricht  eine  einfache  Tonempfindung.  Von  der  Ampli- 
tude der  Schwingungen  ist  die  Intensität  der  G^hörsempfindung,  von  der 
Schwingimgszahl  (oder  -Dauer)  die  Tonhöhe,  von  der  Schwingungsform  die 
Klangfarbe  abhängig.  Einzel-  und  Zusammenklänge  gehören  zu  den  y, intensiven 
Vorstellungen"  (Wündt,  Gr.  d.  PsychoL*,  S.  114).  „Der  Einxelklang  ist  eine 
intensive  Vorstellungy  die  aus  einer  Reihe  regelmäßig  in  ihrer  QucUität  abgestufter 
Tonempfindungen  besteht.  Diese  Elemente  ^  die  Teil  töne  des  Klangs,  bilden  eine 
Tolüoommene  Verschmelzung,  aus  welcher  die  Empfindung  des  tiefsten  TeiUanes 
als  das  herrsehende  Element  hervortritt.  Nach  ihm,  dem  Hauptton,  wird  der 
Klang  seilest  in  Bezug  auf  seine  Tonhöhe  bestimmt.  Die  ütnigen  Elemente 
werden  als  höhere  Töne  die  Obertöne  genannt,"  Sie  werden  alle  zusammen 
als  „Klangfarbe^*  aufgefaßt,  welche  nach  der  Anzahl,  Lage  imd  relativen  Stärke 
der  Obertöne  variiert  (L  c.  S.  115).  Alle  Teiltöne  befinden  sich  in  bestimmten 
regelmäßigen  Abständen  vom  Haupt-  oder  Grund  ton.  Der  „Zusammenklang" 
ist  eine  „itiiensive  Verbindung  von  EinxeUdängen"  (L  c.  S.  117),  eine  „unvoll- 
kommene Verschmelzung,  in  der  mehrere  herrschende  Eleineyvte  enthalten  sind" 
(ib.).  Aus  der  „Superposiiion  der  Schwingungen  inpierhalb  des  Oehörapparates" 
entstehen  die  „Differenxtöju^'^  (1.,  2.,  3.,  4.  .  .  Ordnung).  Daneben  können  auch 
„ikimnmtionstötie^*  entstehen;  mit  den  Differenztönen  zusammen  heißen  sie 
„Combinaiianstäne^'  (1.  c.  S.  118  f.,  Grdz.  d.  phys.  Psychol.  II*,  C.  10,  12). 
Vgl  Helmholtz,  Lehre  von  den  Tonempfind.*;  Stumpf,  Tonpsychol.;  Lipps, 
Gr.  d.  Seelenleb.  C.  21 ;  Ebbinohaus,  Gr.  d.  Psychol.  I,  263  ff.,  308  ff.,  323  ff. ; 
KüLPE,  Gr.  d.  Psychol.  S.  36,  99,  105  ff.,  112  ff.,  161  ff.,  289  ff.,  327  f.,  388  ff., 
398  f.;  Paeyer,  Seele  d.  Kind.  S.  49  ff.    Vgl.  Schwebungen,  Harmonie. 

Oetet  heißt  im  Gegensatz  zum  Stoffe,  zur  Materie,  zum  Körper  das 
Seelische,  Psychische  (s.  d.);  im  Unterschiede  vom  Seelischen  (Psychischen)  die 
Denkkraft,  Vernunft  (s.  d.),  der  Inbegriff  des  höheren  seelischen  Lebens,  die 
Vemünftigkeit,  auch  die  Verstandesschärfe  („Geistreichtum").    Vom  Geiste  des 


364  Geist. 

Menschen  ist  der  Weltgeist  (Universalgeist),  der  göttliche  Geist,  vom  E^inzelgdst 
der  Gesamtgeist  (s.  d.),  vom  subjectiven  der  objective  Geist,  d.  h.  der  Inbegriff 
geistiger  Schöpfungen  einer  Gesamtheit  zu  unterscheiden.  Der  ^^Zeügeist^  Ist 
die  Denkweise  eines  Zeitalters.  „Oeüi^^  heißt  auch  die  immaterielle  Substanz,  die 
von  vielen  als  Träger  der  psychischen  Vorgänge  angenonunen  wird.  An  „Ödster*^ 
als  Seelen  Verstorbener  glaubt  der  Naturmensch,  auch  der  Spiritismus  (s.  dX 
Als  eigenes  Princip  des  Seienden  bestimmt  den  Geist  zum  erstenmal  Ana- 
XAOORA8.  Freilich  ist  der  „Oeisf'  (rovs)  hier  noch  ein  feinster  Stoff,  nicht 
absolut  immateriell:  iart  yaQ  XeTtroxarov  re  navxiov  /^^aTa>r  xai  Ha&a^wTOTor 
xai  Yvaifiriv  ye  ne^l  navroe  näaav  iO/t'fi.  Kai  icxvei  fiiyurxav'  vooe  ifi  sra» 
ofiioioe  iüTi  xai  o  fiei(ov  xai  6  ildaator  (Simpl.  ad  Arist.  Phys.  33).  Unbegroizb 
für  sich  seiend,  rein  und  unvermischt  mit  den  übrigen  Dingen  ist  dar  N&s 
{voos  9e  ioTiv  anei^v  xai  avrox^rie  xai  fufuxrat  oxSevi  /(»ifuaT«,  aJU«t  furvvoi 
nlroe  iff  eavTov  iartr,  ib.;  Aristot,  Phys.  VIII  5,  256b  24  squ.).  Der  Geist 
ist  das  Princip  der  Weltordnung,  der  zweckvolle  Gestalter  des  Stoffes:  mmca 
X^futra  rjv  ofiov'  el^a  6  vovs  ik&<av  avrd  BiacScfujae  (Diog.  L.  II,  3,  6).  Der 
Geist  ist  der  Grund  der  Bewegung  (Veränderung),  der  Scheider  der  Materie 
{xinjciv  iftstoi^üat  rov  vovv  xai  Siaxfivat,  Aristot,  Phys.  VIII  1,  250  b  24). 
Allwissend  und  allmächtig  ist  der  (reist  {navra  fyv(o  rooc,  ndvrafv  vooe  k^t«, 
Titivra  BiBxoüfirice  vooe,  Simpl.  ad  Arist.  Phys.  33);  inei  Ttdvra  voel,  a/uy^ 
etvai,  tuCTtep  ^jciv  ^Avaiayogag,  Xva  XQarfj,  tovto  ^iariv  iva  yvio^lif}  (Arist.,  De 
an.  III  4,  429  a  18).  Der  vove  xocftonoioe  ist  die  Gottheit  (Stob.  Ecl.  I  2,  56). 
Als  etwas  Stoffliches  feinster  Art  fassen  den  vove  auf:  Bbücker,  Tiedemank, 
Fr.  Kern,  G.  Grote,  D.  Peipers,  Dilthey,  Gomperz,  Windelbajjd  (als 
„Kraftelement',  „Bewegungsstoff''),  Zeller,  Uphues,  Kt^HKEiiAKN;  als  im- 
materiell: Freüdentbal,  Heinze,  £.  Ableth  (vgl.  dessen  Lehre  d.  Anax. 
vom  Greist,  Arch.  f.  Gesch.  d.  Philos.  VlII,  205).  Der  Hylozoismus  (s.  d.) 
betrachtet  den  Geist  als  Eigenschaft  des  Stoffes.  Nach  Herasxit  durchdringt 
der  Geist  (loyoe,  s.  d.)  das  All.  Nach  Demokrit  ist  der  Geist  das  Plnoduct  der 
Atome  (s.  d.)  imd  ihrer  Bewegungen.  Eine  Weltvemunft  anerkennt  Pljlto. 
Der  vernünftige,  geistige  Teil  der  Seele  {yove^  Xoyuntxov)  ist  das  Oberste  in 
ihr  (Rep.  IV,  435).  Nach  Aristoteles  ist  der  vove  die  höchste  Energie 
(ive^yeia)  der  Seele,  die  nur  dem  Menschen,  nicht  den  Tieren  zukommt  (De  an 
III  3,  429  a  6).  Der  vove  ist  das  Denkprincip  (liyai  8i  vovv  ^  Sinvoäira*  mil 
vnola/ißavei  rj  ywxi],  De  an.  III  4,  429  a  23).  Nicht  mit  dem  Leibe  vermengt 
ist  der  Greist  (De  an.  III  4,  429  a  24),  einfach  und  stetig  ist  er  (o  8i  voik  de 
xai  avvextjs  cacntQ  xai  17  vorlüde,  De  an.  I  3,  407  a  8).  Er  ist  vom  Leibe  tr»m- 
bar,  leidlos,  rein  {xai  ovxoe  6  vove  ;ifa;^i<rroff  xai  dnad'^e  xai  dfuy^e^  De  an. 
III  5,  430  a  17),  unvergänglich  und  göttlich  (o  ^£  voZe  <'<ra>ff  &eidre^v  n  xai 
dna&de  icTiv,  De  an.  I  4,  408b  29;  De  an.  II  2,  413b  26;  III  4,  429a  15  squ.). 
Der  Geist  ist  in  der  Seele  {iv  xfwxfi  vove,  Eth.  Nie.  I  4,  1096b  29),  er  stammt 
aber  „von  außen''  (d'v^ad'ev),  von  Gott,  dem  reinen  Greiste  (voriüie  vwi^swe).  Er 
ist  die  Form  der  Formen  {aldoe  eiSSv,  De  an.  III  8,  432  a  2),  das  Wertvollste 
(Met  XII  9,  1074  b  26).  Der  Potenz  nach  ist  der  Geist  eins  mit  seinen  In- 
halten (oT*  dwdfisi  ntae  iüxi  xd  voijxd  6  vove.  De  an.  III  4,  429  b  30).  Thbo- 
PHRAST  (bei  SimpL,  Phys.  225a)  und  Strato  (Cic.  ad  Acad.  II,  38, 121)  betrachten 
den  Gfeist  als  ein  der  Seele  Immanentes,  als  deren  Entwicklungsprodnct  Die 
Stoiker  lehren  die  Existenz  eines  Weltgeistes  {nvsvfia,  s.  d.),  dessen  Ausflufi 
(dnoanaofia)   der  menschliche  Geist  ist  (M.  AuREL,  In  se  ips.  XII,  26),    Bei 


Geist.  365 

den  NeupythagoreerD  ist  der  vavs  die  Einheit  der  Ideen  (s.  d.)  (NiooifAOHUS, 
Aiithm.  intr.  I,  6).  Philo  bestimmt  den  vavs  als  ynjxv  V^^t  ^  Organ  über- 
sinnlicher Erkenntnis  (Opp.  I,  42,  II,  408).  Plütabgh  von  Chaeronea  er- 
blickt im  Geiste  eine  selbständige  Wesenheit  So  auch  Plotik.  Nach  ihm  ist 
der  Geist  einfach,  die  Seele  (s.  d.)  hingegen  gegliedert  (Enn.  lY,  1).  Der  vote 
ist  eine  Emanation  (s.  d.)  des  Urseins;  er  denkt  das  Seiende  und  ist  es  insofern 
(Enn.  lY,  5),  er  ist  die  Totalitat  der  Ideen  (1.  c.  IV,  8).  Zum  Unterschiede 
vom  jy^ünen^*  (ßp)  hat  der  Geist  schon  die  Andersheit  (ire^onjß)  an  sich,  den 
Gegensatz  des  Denkens  und  Gedachten.  In  den  Dingen  wirken  geistige  Kräfte 
{roi,  vo9(^i  3wdft8is).  In  der  Seele  (s.  d.)  ist  der  vovs  die  oberste  Straft  (L  c. 
II,  9,  2). 

Als  Emanationsproduct  bestimmen  den  Geist  die  Gnostiker.  Sie  und  die 
Kirchenväter  sind  zugleich  von  dem  evangelischen  Glauben  an  den  ,,heüigen 
Geiste  (8.  Pneuma)  beeinflußt  Von  der  Seele  unterscheiden  den  Geist  (nvevfut) 
Tatiak,  Obigenes  (De  prtnc.  VIII,  1),  auch  die  Kabbalft.  Als  feinen  Stoff 
bestimmt  den  „spirittts^^  (s.  d.)  Testulllan:  ^^sjnritus  enim  corpus  aui  generis  in 
sua  effigief*  (Adv.  Prax.  C.  7).  Den  ,^ritu8^*  erklärt  Augustinus  als  yjqitaedam 
vis  animae  mente  inferior j  in  qua  imagines  verum  imprirmmtur^^  (Super  (j^es. 
ad  litter.  XII,  9).  David  von  Dinakt  nennt  den  (j^ist  (Noym)  das  ^^prvmum 
dinsibiley  ex  quo  eonstitmmiur  amrnae^^  (bei  Haureau  II  1,  p.  76).  Als  Ein- 
heit der  Ideen  (s.  d.)  betrachtet  den  Gfeist  Bernhard  von  Chartrbs.  Die 
Einheit  von  Greist  und  Seele  betont  Bob.  von  St.  Victor:  „Neque  enim  in 
homine  uno  (üia  essentia  est  eius  Spiritus  atque  alia  eius  amma,  sed  prorsus 
una  eademque  simplicisque  nahtrae  substantia*^  (De  extern.  maL  tr.  3,  C.  18). 
Thomas  v«!Bteht  imter  Geist  als  Vermögen  die  Denkkraft;  der  G^euBt  ist  „ipse 
inteUecttss  examinans  res,  seeundum  quod  mens  dicitur  a  metior,  metiria^^  (1  sent 
3,  5,  6);  „mens  in  anima  nostra  dieit  illud^  quod  est  aüissimum  in  virtute  ipsitis** 
(De  verit  10,  1  C).  Gott  (s.  d.)  ist  nach  den  Scholastikern  reiner  G^ist 
Von  da*  Seele  unterscheidet  den  (jfeist  auch  Eckhart. 

Einen  ,^riius  mundi'^  nimmt  Agrippa  von  Nettesheim  an.  Nioolaub 
GvBAKUS  trennt  den  Geist  nicht  von  der  Seele.  „Mens  est  viva  substantia, 
quam  in  nobis  interne  loqui  et  ivdicare  expervmur  .  .  ,,  est  vis  in  se  omnia  stto 
modo  eomplieans"  (Idiot  III,  5).  Paraoelsus  betrachtet  den  Greist  als  den  in- 
nonsten  Teil  der  Seele,  als  göttliches  Bildnis  oder  „Fünklein^^  (Phil.  sag.  p. 
433  f.).  Campanella  unterscheidet  von  der  empfindenden  Seele  den  aus  Gott 
,per  ineffabilem  emanoHonem^^  stammenden  Geist,  mens  (Univ.  phil.  I,  5,  2). 

Den  absoluten  Gregensatz  zwischen  Greist  (res  cogitans,  mens)  und  Stoff 
lehrt  Descartes.  Gteist  imd  Körper  sind  Substanzen  (s.  d.).  Der  Geist  ist 
einfach,  unausgedehnt,  unzerstörbar,  er  erfaßt  sich  selbst  als  Denkendes  (Princ. 
phiL  I,  11).  Geist  und  Körper  stehen  in  Wechselwirkung  (s.  d.)  miteinander. 
Im  Sinne  des  Cartesianismus  definiert  Spinoza  :  „stihstantia,  cui  inest  immediate 
eogitaiio,  voeatur  mens^'^  (Gart  pr.  phiL  I,  def.  VI).  Er  selbst  sieht  im  Greist 
keine  Substanz,  sondern  ein  Attribut  (s.  d.)  der  einen  Substanz  (s.  d.).  Diese 
(=  Gk>tt)  ist  sowohl  Geist  („res  cogitans*^)  als  Materie  (Eth.  II,  prop.  I,  II),  er 
ist  unendlicher  Geist  („intellectus  inßnitus",  1.  c.  prop.  IV),  den  Einzeldingen 
immanent  Nach  Leibniz  ist  alles  an  sich  geistiger  Art,  indem  den  Körpern 
Monaden  (s.  d.)  zugrunde  liegen,  geistige  Substanzen.  Jede  Monade  ist  eine 
Welt  für  sich,  „comme  un  7nonde  ä  pari,  süffisant  ä  lui-meme^^  (Gerh,  IV, 
4^  1).     Gk)tt  (s.  d.)  ist  reiner,  activer  Geist     Nach  Berkeley  gibt  es  nur 


366  Geist. 

eine  Art  von  Substanzen  (Princ.  CXXXV):  Geister,  d.  h.  active,  percipierende 
Wesen,  deren  objective  Vorstellungen  Körper  (s.  d.)  heißen.  Ein  Geist  ist  ob 
einfaches,  unteilbares,  actives  Wesen,  das  in  Einem  Verstand  und  Wille  ist  and 
nur  in  seinen  Wirkungen  zu  percipieren  ist  (Princ.  XXVII).  Wir  haben  von 
Geiste  nur  eine  „no^ion",  keine  „icfec"  (ib.).  Der  höchste  Geist  ist  Grott  (L  c. 
CXLVI;  ähnlich  schon  Malebranche,  der  iyott  [s.  d.]  den  „O^  der  Geister 
nennt).  Nach  Chr.  Wolf  ist  Geist  „ein  Weserij  das  Verstand  tmd  einen  freim 
Willen  hai'^  (Vem.  Ged.  I,  §  896);  nach  Platner  das,  „teas  mit  Bewußimn 
und  Absieht  wirkf^  (Phil.  Aphor.  I,  §  1063);  nach  Kant  „rfcw  dwreh  Ideen  bt- 
l^)€nde  Princip  des  Oemüies"  (Anthrop.  I,  §  69  B).  —  Swedenborg  glaubt  an 
einen  Verkehr  der  Menschenseelen  mit  der  Geisterwelt  (vgl.  Kant,  Tranine 
ein.  Geistersehers,  II.  T.,  2.  Hptst). 

Die  Auflösung  der  geistigen  Substanz  in  ein  „Bündel"  von  Erlebnissen  er- 
folgt bei  Hume.  Nach  ihm  ist  der  Geist  ein  gesetzmäßig  verknüpftes  Zu- 
sammen von  Perceptionen,  ein  „Aeop  or  collection"  von  solchen  (Treat.  IV, 
sct.  2;  IV,  sct.  6).  Helvetius  sieht  im  Geist  (esprit)  „un  asseniblage  ä'ideei 
neuves  queleofiqties"  (De  Pespr.  .1,  disc.  II,  eh.  1,  p.  73).  Holbach  und  La 
Mettrie  betrachten  den  Geist  als  Naturproduct 

J.  G.  Fichte  bestinmit  die  Wirklichkeit  als  Geist,  als  Ich  (s.  d.).    Schel- 
LING  betrachtet  Geeist  und  Natur  (s.  d.)  als  die  beiden  Seiten  oder  Pole  des 
Absoluten,  der  jflndifferenx"  (s.  Grott).    In  den  verschiedenen  Dingen  überwies 
bald  dfus  eine,  bald  das  andere  Moment.     „Ein  Geist  ist,  tcas  aus  dem  ur- 
spriinglichen  Streite  seines  Selbstbetrußtseins  eine  objective  Welt  xu  schaffen  und 
dem  Produet  in  diesem  Streite  selbst  Fortdauer  xu  geben  f?cr?/?/wjr*  (Naturphilos. 
S.  312).    Nach  Suabedissen  ist  der  Geist  des  Menschen  „die  Eifiheit,  das  einf 
Princip  des   ursprünglichen   Denkens   und  Erkennens  und  des  ursprünglichen 
Lebens  und  Handelns",  „rftc  Vernunft,  die  xugleich  tJieoretiseh  und  praktisch  ist" 
(Grdz.  d.  Lehre  von  d.  Mensch.  S.  160).    Hegel  setzt  den  Greist  (die  Vernunft, 
Idee,  s.  d.)  als  Weltprincip,  das  in  dialektischer  (s.  d.)  Bew^ung  die  Stufen 
des  An-sich,  Außer-sich,  An-und-für-sich  durchläuft  und  als  „absoluter  Geist^ 
zum  Wissen  seiner  selbst  kommt.     Geist  ist  „das  Bei-sick-selbst-sein"  (Philos.    i 
d.  Gresch.  S.  21),  die  „unendliche  Subjectiritäi  der  Ide&^  (Asth.  I,  103),  das  „an    i 
und  für  sich  seiende  Wesen  .  .  .,  welches  sich  xugleicJi  als  Bewußtsein  u^lditk 
und  sieh  seihst  vorstellt"  (Phanom.  S.  328),    „das  sich  selbst  tragende  absolute 
reale   Wesen"  (1.  c.  S.   329),   das  ,y Wirkliche^'  oder  „Wesen"  der  Dinge  (1.  c. 
B.  19).    Er  ist  die  „Wahrheit"  der  Natur,  „die  xti  ihrem  Für-sieh-sein  gelangte 
Idee"  (Encykl.«§  381).     Er  geht  aus  dem  „Tode  des  Natürliehen"  hervor  (L  c.    '. 
§  376),   als  ein  „Offenbaren"  seiner   selbst  (1.  c.  §  383  f.),   als  die  „tcissendc 
Wahrheit^'  (1.  c.  §  439).     Er  entwickelt  sich  durch  die  Phasen  des  subjectiven 
und  objectiven  zum  absoluten  Geist  (1.  e.  §  385),   der  der  göttliche  Geist  ist 
(1.  c.  §  386),  die  „absolute  Tätigkeit  .  .  .,  sich  in  sich  selbst  xu  unterscheiden**- 
(Asth.  I,  120).     Der  subjective  Geist   ist   theoretischer  und  praktischer  Greist 
(Encykl.  §  445).    Der  „obje/'tive  Geist"  ist  „die  absolute  Idee^  aber  nur  an  sieh 
seiefid"  (1.  c.  §  483),   d.  h.  der  Geist  in  den  socialen  Gebilden,   das    ,^ütliehe 
Ijeben  eines  Volkes"  (Phänom.  S.  330).    Der  absolute  Geist  ist  die  sich  wissende 
Idee  oder  Weltvemunft  (Encykl.  §  554  ff.,  §  574,  577),  die  vorian  ^  x«^*  «vrijV 
des  Aristoteles  (Met.  XI,  7).    In  der  Kunst,  der  Religion  und  endlich  in  der 
Philosophie   manifestiert   er   sich  (Encykl,  §  554  ff.).     Der  Weltgeist   ist^  in- 
tellectualistisch,  als  Denkkraft  gedacht.    Bei  Schopenhauer  hingegen  ist  er 


Geist.  367 

Wille  (s.  d.).    Nach  Grillpaezer  ist  der  Geist  „nicht  ein  RvJiendes,  sondern 
vidmeitr  daa  absolut  Unruhige,  die  reine  THtigkeii,  das  Negieren  oder  die  Idealität 
aller  festen    Verstandesbedingungen^^  (WAV.  XV,  7).     Im   Sinne   Hegels   lehrt 
K.  Rosenkranz.    Der  Geist  ist  „rfos  Für'Sich-seifi  der  Idee  als  Idee,  die  sich 
trissende  und  tcolUnde  Ide&^,  das  „Prius  der  Natur  wie  der  Vernunft*^  (Syst.  d. 
Wißs.  §  564  ff.).     Der  Geist  „ist  nur,  was  er  tut^  (1.  c.  S.  367).     Er  ist  frei 
(ib.),  hat  Bewußtsein  und  Vernunft  (1.  c.  S.  368).    Der  subjective  Geist  ist  „cfer 
naiürlieh'individueUey  der  in  seiner  Tätigkeit  hei  sieh,  in  seinem  Begriffe,  bleibt'^; 
der  objective  Geist   ist  der  Geist,   „der  seine  Freiheit  als  eine  objective   Welt 
hervorbringende^^  Geist;  der  absolute  Geist  ist  „der  Geist,  der  sich  selbst  als  den 
absoluten  Inhalt  in  der  diesem  Inhalt  congruenten  absoluten  Form  weiß"  (1.  c. 
S.  366).    So  auch  J.  £.  Erdmann,  der  das  Wesen  des  Geistes  in  das  jjn-sich- 
sein**  setzt  (Gr.  d.  Psychol.  §  7).     Nach  Hillebrand   ist   Geist   „das  sub- 
jective Sein,   d.  h.  das  Sein,  insofern  es  sich  selbst  als  Obfectivität  Jiat  und 
seine  eigenen  Bestimmufigen  an  sich  setxt^*  (Phil.  d.  Geist.  I,  65).    „Nur  in  und 
mit  der   lebendigen  IndividucUisierung  kann  .  .  .  der  Geist  zur   eoncret  er- 
scheinenden Wirklichkeit  gelangen'*  (1.  c.  S.  65  f.).     Das  Wesen  der  Geistig- 
keit besteht  in  der  „Selbsterfa^sung  und  Selbstsetxung  des  Seins"  (1.  c.  S.  66). 
Der  Geist  ist  substantiell  (1.  c.  S.  68),  hat  die  Freiheit  zu  seinem  Wesen  (1.  c. 
S.  71).    E.  V.  Hartmann  bestimmt  den  Weltgeist  als  das  „Unbeioußte"  (s.  d.). 
G.  Class  sieht  im  absoluten  Greist  die  Einheit  von  absolutem  Denken  imd  ab- 
solutem Ich.    R,  EucKEN  versteht  unter  Geist  „den  bei  »ich  selbst  befindiicheti 
Ijebensproeeß"  (Grundbegr.  S.  47).     Er  „erzeugt  aus  seinem  Schaffen  eine  neue 
WirkliMceit  und  wUl  die  vorgefundene  Lage  damit  timwandeln"   (1.  c.  S.  58). 
Das   „schaffende  Geistesleben"   ist  vom   „empirischen  Seelenleben"   deutlich  zu 
onterscheiden ;  in  jenem  „erfolgt  ein  Aufsteigen  der  Wirklichkeit  zu  einer  innern 
Einheit  und  zu  voller   Selbständigkeit"   (Gesamm.  Aufs.  S.  166).     Der   Geist 
entfaltet  sich  in  der  Geschichte  (Kampf  um  ein.  geist.  Lebensinh.  S.  19  ff.). 
Das  Geistesleben  ist  die  Erschließimg  der  eigenen  Substanz  des  Wirklichen, 
es  ist  xmiversal  (1.  c.  S.  30).     Die   geistige  Welt  muß   durch  Selbsttätigkeit, 
Kampf  erzeugt  werden  (1.  c.  S.  30,  42  ff.j.    Fechner  versteht  luit^r  Geistigem 
die  „SäbsterScheinung**  (Zend-Avesta  II,  164  f.).     Geist  ist  das   „dem  Körper 
oder  Leibe  überhaupt  gegenüber  gedoAshte,  sich  selbst  erscheinende  Ganze,  weMiem 
Empfinden,   Anschauen,   Fühlen,   Denken,    Wollen  u»   s.  w.   als   Eigenschaften, 
Vermögen  oder  JUtigkeiten  beigelegt  werden"  (1.  c.  I,  S.  XIX).     „Ein  Geist  er- 
scheint  und  erfaßt  sich  unmittelbar  selbst**  (1.  c.  I,  252).    Das  Geistige  ist  das 
Innensein  dessen,  was  von  außen  als  Körperliches  erscheint.    E^^ibt  eine  Beihe 
von  Geistern   verschiedener   Ordnungen,    niedere    und    höhere,    umfassendere 
(z.  B.  Planetengeister),  sie  alle  werden  vom  göttlichen  Allgeiste  umfaßt*  (Elem. 
cL  Psychophys.  II,  455).    Einen  „Allgeist"  nimmt  M.  Venetianer  an.    Harms 
bestimmt  den  Geist  als  den  Grund  der  inneren  Erscheinung,  als  Für-sich-sein 
der  Dinge.  —  Herbart  nennt  Geist  die  Seele,  „sofern  sie  vorstellt**  (Lehrb.  zur 
Psychol.*,  S.  29).    Nach  Lotze  ist  der  Geist  nur  eine  höhere  Entwicklungsstufe 
der  Seele,  die  Vernunft  (Kl.  Schrift.  II,  498).     Alles  Wirkliche  ist  innerlich 
geistiger  Art  (s.  Monaden),  hat  ein  Für-sich-sein.     Lazarus  versteht  unter 
Qeist  j^ie  tnenschiiehe  Seele,  welche  ihrer  selbst,  uftd  zwar  in  ihrer  Ttttigkeit  als 
Tätigkeit,  si4fh  bewußt  wird"  (Leb.  d.  Seele  II*,  74).    Nach  Steinthal  ist  Geist 
derjenige  Kreis  von  seelischen  Erzeugnissen,  welcher  die  Denktätigkeit,  die  In- 
telligenz umfaßt  (Urspr.  d.  Sprache  S.  119  f.).    J.  H.  Fichte  nimmt  „Geistes- 


368  Geist  —  GelateswisBenschaften. 

manaden^^  als  reale  Wesen,  Trager  des  Bewußtseins  an  (Psjchol.  I,  74).  Da 
Geist  hat  nicht  bloß  apriorische  Bestandteile,  er  ist  selbst  ein  ,yvarempiiriseha 
Wesen"  (L  c.  I,  S.  YIII).  Der  Menschengeist  ist  ein  y,raumxeiUiche8  Rud- 
wesen"  (L  c.  S.  VII).  Der  G^t  ist  nicht  das  Bewußtsein,  sondern  das  Be- 
wußtseinerzeugende (L  c.  I,  71  iL),  Nach  Wundt  heißt  Geist  ,^da8  ümere 
Sein,  wenn  dabei  kemertei  Zusarmnenhang  mit  einem  äußeren  Sein  in  Riieksieht 
ßUt*  (Grdz.  d.  phys.  Psychol.  I*,  9 ;  vgL  S.  12).  Das  Geistige  ist  das  Innenseiii 
der  Dinge,  die  unmittelbare  BeaÜtat,  die  sich  von  den  elementarsten  bis  zu  deo 
höchsten  Formen  entwickelt  Alles  Geistige  ist  aber  bewußte  Wirksamkeit;  ein 
„tmbewußter  Geisf*  ist  ein  Widerspruch  (Syst.  d.  Philoe.*,  S.  553  ff.).  Die 
Natur  ist,  als  Vorstufe  des  Geistes,  selbst  schon  geistiger  Art  (L  c.  S.  568  iL, 
619  f.).  Ebenso  ursprünglich  imd  real,  ja  realer  als  die  Einzelgeister  ist  der 
Gksamtgeist  (s.  d.),  der  aber  keine  besondere  Substanz  ist,  sondern  in  den 
Einzelgeistem  existiert,  wenn  er  auch  mehr  als  deren  Summe  ist  (L  c.  S.  611  fi; 
Gr.  d.  I^sychoL  S.  361;  Log.  IP,  2,  S.  40;  Völkerpsychol.  I,  1,  S.  10  1;  Eth.*, 
S.  459).  Der  göttliche  Weltgnmd  ist  Gseist  imd  zugleich  übergeistig  (Syst  d. 
Philos.*,  S.  392  ff.).  Münsterbeeg  unterscheidet  das  Geistige  vom  Psychischen 
(s.  d.);  letzteres  ist  schon  eine  absiractive  Bearbeitung  des  ersteren,  der  in 
„Selbststellun^^,  im  concret- lebendigen  Wirken  besteht  (Grdz.  d.  PsyohoL  I). 
A.  DoBNEB  versteht  unter  dem  Geist  die  selbstbewußte  Seele  (Gr.  d.  BeligioDS- 
philoe.  S.  40  ff.).  Unter  „objecHvem  Geist"  verstehen  Biehl,  Jgdl,  jEBUSALKif 
die  Gesamtheit  der  geistigen  Producte  innerhalb  einer  Gesellschaft.  Der  Ma- 
terialismus (s.  d.)  betrachtet  den  Gfeist  als  Stoff  oder  materielle  Function 
oder  Epiphanomen  (s.  d.)  der  Materie  oder  Energie.  Vgl.  Spiritualismus,  Seele, 
Idealismus,  Panpsychismus,  Natur,  Psychisch,  Gesamtgeist 

C^Iftteskranklielteii  s.  Psychosen. 

C^IfttesplilloeM^pliie  ist  jener  Teil  der  Metaphysik  (s.  d.),  der  die  gei- 
stigen Vorgänge  und  Grebilde,  das  Wesen  des  Geistes  überhaupt  einer  letzten, 
abschließenden  begrifflichen  Verarbeitung  unterwirft  Man  kann  sie  einteilen 
in:  1)  Allgemeine  Geistesphilosophie,  2)  Philosophie  des  Individualgeisies, 
3)  Philosophie  des  Gesamtgeistes. 

C^lftteswlsaenselialteii  heißen  jene  Disciplinen,  die  zum  Gregenstand 
geistige  Processe,  Gebilde  und  G^esetzmäßigkeiten  haben,  also  Psychologie,  Ge- 
schichte, Philologie,  Sociologie,  Ästhetik,  Ethik,  Philosophie  überhaupt  u.  s.  w. 
Bei  HUME  u.  a.  tritt  die  „Geistestpissensehaft"  als  „moral  phüosopk^^  auf. 
Benthah  teilt  die  Wissenschaften  in  „SamtUologie^^  und  „Pneumaiologie^  ein 
(Oeuvres  de  J.  Bentham  1829,  III,  p.  311).  Ampere  unterscheidet  ^^Kosmo- 
logie"  und  „Naologi*^^  (Essai  sur  la  philos.  des  sciences  1834).  Heqel  q>richt 
von  „Geisteslekre^^  (Encykl.  §  386).  Hillebbakd  u.  a.  geben  eine  ,yPküa8opkie 
des  Geistes",  J.  St.  Mill  rechnet  zu  den  Greisteswissenschaften  Psychologie, 
Ethologie,  Sociologie.  Dilthey  bezeichnet  als  Geisteswissenschaften  ^/ias 
Ganxe  der  Wissenschaften,  taelche  die  geschiehilieh-geseüaehaftliche  Wirkliehkeii 
XU  ihrem  Gegenstande  haben"  (EinL  in  d.  Geisteswiss.  I,  5).  Nach  Wundt  be- 
ginnen die  Aufgaben  der  Geisteswissenschaften  überall  da,  „wo  der  Mensch  als 
waltendes  und  denkendes  Subjeet  ein  wesentlicher  Factor  der  Erscheinungen  Mf ' 
(Log.  II'  2,  18).  Alle  Geisteswissenschaften  „haben  xu  ihrem  Inkalt  die  im- 
mittelbare  Erfahrung ,  une  sie  durch  die  Wechselwirkung  der  Ot^jeete  mit  er- 
kennenden und  handelnden  Subfeeten  bestimmt  wird*\     Sie  „bedienen  sich  daher 


OeisteswisaexiBohaften  —  Oemelnempfindang.  369 

stickt  der  Ahstraetianen  und  der  hypothetischen  Hilfsbegrijfe  der  Nahtncissen- 
Schaft,  sondern  die  Vorstellungsobjeete  und  die  sie  hegleitenden  subfeotiven 
Regungen  gelten  ihnen  als  unmittelbare  Wirklichkeit,  und  sie  suchen  die  einxelnen 
Bestandteile  dieser  Wirkiiehkeit  aus  ihrem  wechselseitigen  Zusammenhang  %u  er- 
klären. Dies  Verfahren  der  psycJiologischen  Merpretation  in  den  einxelnen 
Geisteswissenschaften  muß  demna^  auch  das  Verfahren  der  Psychologie  selbst 
sein**  (Gr.  d.  Paychol.^  S.  3  f.).  Grundlage  der  GeiBteewissenBchaften  ist  die 
Fbychologie  (s.  d.).  ,fienn  der  Inhalt  der  Geistesunssenschaften  besteht  überall 
in  den  aus  unmitteUxvren  mensehliehen  Erlebnissen  hervorgehenden  Handlungen 
und  ihren  Wirkungen*^  (1.  c.  S.  19).  Das  geistige  Tatsacheogebiet  hat  als 
Eigeoart  die  Wertbestimmung,  die  Zwecksetzung  und  die  Willensbetatigung  — 
Momente,  von  denen  die  Naturwissenschaft  (s.  d.)  abstrahiert.  Die  drei  heu- 
ristischen Principien  der  Geisteswissenschaften  sind:  das  „Prindp  der  sub- 
jeetiven  Beurteilung^^  das  „Prinoip  der  Abhängigkeit  von  der  geistigen  Um- 
gebung*^,  das  ,yPrineip  der  Naturbedingtheit  der  geistigen  Vorgänge^*  (Log-  H*  2, 
S.  47,  27  ff.).  Den  Unterschied  zwischen  Natur-  und  Geistes  ( —  historischen  — ) 
Wissenschaften  betonen  Windelbajo)  und  H.  Kickekt  (Grenz,  d.  naturwiss. 
Begrifüsbild.  1896),  auch  G.  Bt^MEUN.  .  Münstebbero  erkennt  die  Basierung 
der  Greisteswissenschaften  auf  Psychologie  (den  „Psyehologismus")  nicht  an. 
YgL  Gesetz,  Naturwissenschaft,  Psychologie. 

Cl^Ifttlf^  s.  Psychisch,  Pneuma. 

Cl^Ifttsimi  (Gemeinsinn  des  Geistes)  gliedert  sich  (nach  Chr.  Ebaube) 
in  Denk-,  Erkenntnis-,  Gefühls-  und  Willensvermögen  (vgL  Ahbens,  Natur- 
recht I,  237). 

Geleg^enlieltBmnBaclie  s.  Causa,  Gccasionalismus. 

d^lenkseinpllndniig^en  sind  I^pfindimgen,  die  ihren  Sitz  in  den 
«ensorischen  Nerven  der  Gelenke  haben;  sie  sind  ein  Bestandteil  des  Bewegungs- 
bewußtseins (vgL  KÜLPE,  Gr.  d.  Psychol.  S.  147  ff.). 

Oeltmig;  s.  Gültigkeit.    Geltungsbewußtsein  s.  Gültigkeit. 

Gemetneiiipllndiiiiif  oder  C^m^nH^ellllil  (coenaesthesis)  nennt 
man  das  unbestimmte,  aus  der  Mannigfaltigkeit  von  Organempfindungen  re- 
sultierende Bewußtsein.  Die  „Gemeinempfindungen^^  bezeichnet  man  jetzt  auch 
als  Organempfindungen,  weil  sie  ihre  Quelle  in  Zustandsveranderungen  von 
Organen  haben. 

Fbies  versteht  unter  Gemeinempfindung  die  Summe  der  betonten  Em- 
pfindungen (Anthrop.  §  27).  Hegel  spricht  vom  j,8elbstgefühl"  (s.  d.).  Dieses 
ist  nach  K.  Bosenkranz  y,die  Redtsction  aller  leibliehen  Functionen  xur  Ein- 
heit der  organischen  Vitalität,  sowie  die  in  sich  ungehemmte  Flüssigkeit  €Uler 
Ade  der  IrUeÜigenx^^  (PsychoL*,  S.  213  ff.).  BüRDACH  bestimmt  die  Gemein- 
empfindung als  das  j^sieh  selbst  offenbar  werdende  leibliche  Leben**  (Blicke  ins 
Leb.  I,  85,  143).  Nach  Suabedissek  ist  das  Gemeingefühl  y/2a«  allgemeine 
Selbstgefühl  des  leiblichen  Lebens**  (Grdz.  d.  Lehre  von  d.  Mensch.  S.  75).  Nach 
Hanusch  ist  es  ,4i^  Empfindung  des  Lebensprocesses**  (Handb.  d.  Erfahrungs- 
Seelenl.  ß.  46).  E.  H.  Weber  versteht  unter  Gemeingefühl  ,/ias  Vermögen, 
unsere  eigenen  Empfindungsxustände,  x,  B.  Schnierx,  wahrxunehmen**  (Tastsinn 
u.  Gemeingef.  S.  109).  Herbart  spricht  von  „Gesamtempfindung**  (Lehrb.  zur 
PöychoL«,  S.  53).     Ähnlich  wie  Waitz  (Lehrb.  d.  Psychol.  §  9),  Lotze  (Med. 

PUlosophitohet  Wörterbuoh.    S.  Aufl.  24 


370  Gemeinempflndaag  —  Qemeinsinn. 


Psychol.  §  23)  u.  a;  lehrt  Volkmann  :  „  Unter  der  Gemeinempfindung  .  .  .  «r- 
stehen  tcir  den  Gesamteindruck  aller  gleichzeitigen  Empfindungen :  das  sonuUiscke 
Bewußtsein  oder^  tcie  man  sie  auch  genannt  hat:  das  vitale  Getcissen^  das  phff- 
siologisehe  Klima**  (Lehrb.  d.  Paychol.  I^,  314).  Lipps  bestimmt  die  Gemein- 
empfindungen als  ,yEmp findungen ,  in  denen  sich  der  Ablauf  unseres  eigenen 
körperlichen  Lebens  in  engerem  oder  weiterefn  Umfange  verrät^*.  Gremeingefühle 
sind  „die  allgemeineren,  auf  keinen  bestimmt  umgrenzten  objectiven  Inhalt  be- 
zogenen Empfindungen  der  Lust  und  Unlust**  (Grundtats.  d.  Seelenleb.  S.  298). 
WuNDT  stellt  den  Tastempfindungen  die  Gemeinempfindungen  (Wärme-,  Kälte- 
und  Schmerz-,  nebst  inneren  Druckempfindungen)  gegenüber  (Gr.  d.  PsychoLS 
S.  57).  Das  Gkmeingefühl  ist  der  ^^unmittelbare  Ausdruck  unseres  sinnlichen 
Wohl-  oder  Übelbefmdens**.  Es  ist  ein  „Totalgefühl**  (1.  c.  S.  192).  Külpe 
spricht  nicht  von  Gemein-,  sondern  von  Organempfindungen  (Gr.  d.  PsycfaoL 
S.  145  ff.).    Vgl.  LOTZE,  Medicin.  Psychol.  S.  278  ff.    VgL  Gemeinsinn. 

C^melnsclialU:  sociales  Zusammenleben,  organisch-sociale  Verbindung. 
TÖNNIES  unterscheidet  sie  von  der  „willkürlichen**  Gesellschaft  (Gem.  u.  (Je- 
sellsch.  S.  27  ff.).  Über  die  Entificklung  „geistiger  Qemeinschaften**  vgl. 
WuNDT,  Gr.  d.  Psychol.»,  S.  359  ff.    Vgl.  Sociologie. 

€femetiiscliafta§^ef&lile  s.  sociale  Gefühle. 

Oemelnsiiiii  (xo««^  aicd'rjaigy  sensus  communis,  common  sense)  bedeutet 
bald  die  Wahrnehmung  des  den  verschiedenen  Sinnen  Gemeinsamen,  bald  den 
„inneren  Sinn**  (s.  d.),  bald  den  gesunden  Menschenverstand,  bald  den  socialen 
Sinn. 

Nach  Akistoteles  werden  Bewegung,  Buhe,  Gestalt,  Größe,  Zahl,  Einheit 
von  den  Sinnen  gemeinsam  empfunden  (De  an.  III  1,  425  a  15).  Tmv  Si  ttaveir 
rjSri  i'xofiep  atcd'r^aiv  xoivtjv,  ov  xara  avfißeßr^xoe'  ovx  d^*  ioTiv  t8*a  .  .  .  ra 
S^dlXijXcDv  iS^a  xard  avfitßsßiixoe  aiad'dvorrat  ai  aia^r^asiSf  ovx  ii  aviai,  aJü' 
fj  fiiuy  oxav  afia  yet^ai  tj  tnad'rjvts  inl  rov  airov  (1.  c.  425  a  27  squ.).  Zugleich 
nahmen  w^ir  auch  wahr,  daß  wir  wahrnehmen  (aiad-avofied'a  on  o^ftev  xal 
dxovofievy  1.  c.  III  2,  425  b  12;  De  memor.  1;  De  somn.  2).  Ein  Bewußtsan 
unserer  selbst  schreiben  dem  Gemeinsinn  auch  die  Stoiker  zu  {oi  2rvH%Qi 
T^8a  Trjv  xoivriv  atad'Tjatv  irrog  d^v  Tt^ocayo^tvovat,  xad^  ^V  xai  ^fiwv  avrwr 
dt^iXaftßavo/ied-a,  Stob.  EcL  I,  50;  Floril.  IV,  237).  —  Avicenna  rechnet  den 
Gremeinsinn  zu  den  inneren  Sinnen  (s.  d.)  als  die  Fähigkeit,  ,yqitae  omnia  sens» 
percepta  reeipit**  (bei  Stöckl  II,  37).  Ähnlich  Suarbz  (De  an.  III,  30)  u.  a. 
Descartes  erklärt:  „Sensus  communis,  id  est  potentia  imaginatriee  cognoseere^ 
(Med.  II).  Die  schottische  Schule  bezeichnet  als  „comfnon  sense^  den  ge- 
sunden Menschenverstand,  die  Quelle  apriorischer  Wahrheit,  des  Sittlichen^ 
der  Religion  (Beattie  u.  a.).  Der  Gemeinsinn  ist  die  Grundlage  der  Philo- 
sophie (Beid,  Inquir.  I,  4).  Kant  nennt  Gemeinsinn  das  allgemein-subjectiTe 
Princip  der  Geschmacksurteile  (Krit.  d.  Urt  §  20  ff.),  bezw.  deren  subjectiTcn 
Notwendigkeit  (1.  c.  §  22).  Der  (jremeinsinn  sagt,  daß  jedermann  mit  unserm 
ästhetischen  Urteil  zusanunenstimmen  solle  (ib.).  Nach  Ebcubnmayer  siod 
alle  specii^chen  Sinnesarten  „gleichsam  nur  verschiedene  Eefraetionen  eines 
Getneinsinns**.  Der  Gremeinsinn  ist  „«fa«  Identische**  aller  Differenzen  der 
Einzelsinne:  „Empfinden  heißt,  die  einxelne  Fraction  eines  Sinnes  in  die  Ideth 
tität  des  Gemeinsinfis  aufnehmen**  (Psychol.  S.  38).  Vgl.  innerer  Sinn,  Gr«nein- 
empfindungen. 


GemeinvonteUnng  —  Qemüt.  371 


GemeiliTOrstellniig;  s.  AUgemeinvorstellung.  Unter  Oremeinvorstelliuigen 
versteht  Hillebeand  „Vorstdlutigen  von  Vorstellungwerh^tnissen"  (Philos.  d. 
Geist.  I,  177).  Nach  Suabedissen  sind  „Öemeinbilder^^  sinnliche  Vorstellungen 
von  Gattungen  einzelner  Dinge.  y^Sie  entstehen  dadurch,  daß  die  ßinxelbilder 
ähfdieher  Diftge  xutn  Teil  in  eins  treten,  indem  dann  difjenigtn  Bestandteile  der- 
gelben,  in  trelehen  sie  gleich-  sind,  in  der  innem  Anschauung  immer  stärker 
vorschlagen,^*  Die  Gemeinbilder  sind  „rfi«  Grundlagen  der  ersten  Urteilet*  (Grdz. 
d.  Lehre  von  d.  Mensch.  S.  105). 

Oemlselite  C^f&lile  s.  Gefühl. 

G^mllt  ist  der  Inb^;riff,  die  Einheit  von  Gefühlsdispositionen,  die  Fähig- 
keit, gefiihlfiinafiig  erregt  zu  werden.  Das  Gemüt  ist  die  fühlende  Seele  im 
Unterschied  von  der  Intelligenz,  dem  denkenden  Bewußtsein. 

Ursprünglich  hat  Gemüt  die  Bedeutung  der  Innerlichkeit  der  Seele,  die 
mit  dem  Fühlen  zusanmienhängt.  Eckhabt:  „Ein  Kraft  ist  in  der  Seele,  die 
heißet  das  Oetnuete,  die  hat  Qot  geschaffen  mit  der  Seele  Wesen,  die  ist  ein 
Ufenhalt  geistlicher  Forme  und  vernünftiger  Bilde"  (bei  EucKEN,  Terminol. 
S.  211).  J.  BÖHME  sagt:  „Er  (der  Geist)  hüllet  und  schauet  den  Glanz  im  Ge- 
mätey  welcher  ist  der  Seele  Wagen,  darauf  sie  fährt  in  dem  ersten  Principio^* 
(Von  den  drei  Princip.  IV,  17).  Kant  nennt  das  Bewußtsein  (Bewußtseins- 
vennögen)  auch  „Gemüt".  „Im  Gemüt  a  priori  liegefi**  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  49); 
,4ie  Art,  une  das  Gemüt  durch  eigene  Tätigkeit  affieiert  wird"  u.  s.  w.  Krug 
bemerkt  schon:  „Intelligenz  (mens,  vovs)  bexieht  sieh  eigentlich  mehr  auf  das 
Theoretische,  Gemüt  (animus,  &vfi6s)  mehr  auf  das  Praktische  im  Menschen** 
(Fondam.  S.  145).  Bouterwek  versteht  unter  Gemüt  den  „innerstefi  Sinn" 
(Apodikt.  I,  274).  Esghenmayeb  erklart:  „Das  Gemüt  ist  das  Vermögen  der 
Neigungen  und  Eigenschaften.  Was  wir  Dankbarkeit,  Achtung,  Liebe,  Wohl- 
tcoUen,  Großmut  u.  s.  w.  fiennen,  das  erxeugt  und  bildet  sich  nur  im  Gemüte." 
Dieses  gehört  zur  „  Willensseite"  der  Seele  und  ist  eines  der  wichtigsten  Ver- 
mögen im  Menschen  (Psychol.  S.  88).  J.  E.  Ebdmann  nennt  Gemüt  die  Re- 
sultante der  verschiedenen  Neigungen  (Psychol.  Briefe  S.  359).  Teoxleb: 
„Die  Einheit  von  Geist  und  Herx  bezeichnen  wir  mit  dem  Namen  Gemüt" 
(Xaturlehre  d.  menschL  Erk.  1828,  S.  277).  Hillebeand  nennt  Gemüt  „die 
innerste  Sammlung  aller  individuellen  Bexiehungen  in  dem  unmittelbaren  Be- 
wußtsein der  Selbstindividualität"  (Philos.  d.  Geist.  1, 192).  Nach  E.  Reinhold 
bedeutet  „Getnüi^*  ,/iie  Sphäre  oder  Fähigkeit  der  intellectuellen,  der  den  Cha- 
rakter der  menschlichen  Intelligenz  kundgebenden  Empfindungen  oder  Gefühle" 
(Lefarb.  d.  philos.  propäd.  Psychol.  S.  222  ff.).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  das 
(temfit  das  „stete,  bleibende  ,Sich-fUhlen^  des  Subjects  in  der  Gesamtheit  seiner 
besonderen  Gefühle  und  Stimmungen"  (Psychol.  II,  149).  Heebart  versteht 
unter  Gemüt  die  Seele,  „sofern  sie  fühlt  und  begehrt"  (I^ehrb.  z.  Psychol.», 
S.  29).  Es  hat  seinen  Sitz  im  Geiste,  d.  h.  Fühlen  und  Begehren  sind  zunächst 
„Zustände  der  Vorstellungen"  (ib.).  Waitz  versteht  unter  Gemüt  den  „Inbegriff 
derjenigen  psychischen  Vorgänge,  die  dem  Innem  des  Subfeetes  als  solchetn  an- 
gehören und  nicht  über  dasselbe  hinausreichen"  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  273). 
Tönnies  bestimmt  das  Gemüt  als  „Mut,  als  Wille  zur  freundlichen  oder  feind- 
seligen Betätigung"  von  Gesinnung  (Gem.  u.  Gesellsch.  S.  119).  Rehmke  nennt 
G^nüt  „die  teils  im  Bewußtseinsindividuum,  teils  in  dessen  Leibe  gegebene  be- 
sondere Bedingung  für  das  Auftreten  bestimmter  Gemütszustände  des  Beivußtsnns- 

24* 


372  Gemüt  —  Genie. 


indifnduuma,  d.  i.  bestimmter  jGefühle^  und  Stimmungen'*  (Zur  Lehre  vom  Ge- 
müt S.  121).  Gemütszustand  ist  ,fdie  augenbliekUdie  Beschaffenheit,  die  sieh 
als  das  einheitliche  Zusammen  von  einem  besondem  Gefühl  und  rersckiedenem 
besonderen  Gegenständliehen  darstellt^'  (1.  c.  S.  113).  Nach  Jodl  ist  das  G^emüt 
„die  Gesamtheit  des  von  dem  Vorstellen  und  Denken  abhängigen  Fühlens*'  (Ldirb. 
d.  PsychoL  S.  641).    Vgl.  Herz. 

€feiiifitsbeiregli]i|g^eii  (Emotionen)  sind  Verbindungen  und  Verände- 
rungen von  Gefühlen,  Erregungen  des  Gemütes  in  Form  von  Affecten  (s.  d.) 
und  Leidenschaften.  —  Nach  Platkeb  sind  sie  „BeweguTtgen,  d.  h.  starke  Ver- 
änderungen der  SeeUy  welche  teils  aus  einem  tcirJdichen  Antriebe  des  Willens, 
teils  aus  einer  lebhaften  Rührung  des  Gefühls  entstehen",  „Im  höheren  Grade 
werden  die  Gemütsbewegungen  Affecte,  im  niederen  Grade  Empfindnisse 
genannt"  (Phil.  Aphor.  II,  §  471  f.;  vgl.  G.  F.  Meyer,  Theoret.  Ldire  von  den 
Gemütsbeweg.  1744).  Wundt  nennt  Gemütsbewegungen  die  „psychischen  Ge- 
bilde", die  „torxugsweise  aus  Gefühlselementen  bestehen"  (Gr.  d.  PöychoL*,  S.  111). 
Beine  Gemütsbewegungen  (ohne  Vorstellungsgrundlage)  gibt  es  nicht  (1.  c 
S.  112).  Drei  Formen  von  Gemütsbewegungen  sind  zu  unterscheiden:  1)  inten- 
sive Gefühlsverbindungen,  2)  Affecte,  3)  Willensvorgänge  (ib.).  Nach  8üllt 
enthalten  die  Emotionen  ein  Willenselement  (Handb.  d.  Psychol.  8.  319).  Vgl 
Affect,  Leidenschaft,  Gefühl. 

Aemlltolase  s.  Stinmiung. 

Oemfitomlie  s.  Apathie,  Ataraxie. 

Gemfitestlminniig;  s.  Stimmung. 

Oenan  s.  Exact. 

OeneraliBatlon:  logische  Verallgemeinerung.    Vgl.  Induction. 

Oeneratlanlsmiui  =  Traducianismus  (s.  d.). 

€toneratlo  aeqniTtica  Cprimarla,  spontanem)  :  Urzeugung  (s.  d). 

Oenerlseli:  zur  Gattung  gehörig.  OenerUleatlon:  Zurückführung 
auf  die  Gattung. 

Oenetlscli:  auf  die  Entstehung,  Entwicklung  bezüglich.  Genetische 
Definition  s.  Definition.  Genetische  Psychologie  s.  Psychologie.  Von 
der  nativistischen  unterscheidet  Wündt  die  genetischen  Baumtheorien  (s.  d.). 

Oenie  (genius,  Ingenium):  schöpferische  Begabung  des  Geistes,  außer- 
ordentliche Kraft  der  Intuition,  Phantasie,  Gestaltung,  S3rnthese,  Erfindung. 
Die  geniale  Denk-  und  Handlungsweise  ist  Genialität.  Das  Genie  ist  die 
höchste  Potenz  des  Geistes,  gleichsam  der  „Übergeist", 

Abistoteles  (Problem.  30,  1)  sagt,  nach  Cicebo,  „omnes  ingeniöses  mekm- 
cholicos  esse"  (Tusc.  disp.  I,  33).  Chr.  Wolf  erklärt:  „Faeilitatem  observanäi 
rerum  similitudines  ingenium  appellamus"  (Psychol.  empir.  §  476).  Ähnlich 
Holbach  (Syst.  de  la  nat.  I,  p.  127).  Nach  Gabye  macht  die  harmonische 
Vereinigung  aller  Geistesfähigkeiten  das  Genie  aus  (SammL  ein.  AbhandL  I^  77). 
Nach  SuLZEB  ist  Genie  eine  „vorxügliche  Leichtigkeit  oder  Fähigkeit  der  Äcfc, 
ihre  jedesmaligen  Ideen  ausschließungsweise  auf  geunsse  Gegenstände  xu  eon- 
centrieren".  Nach  Fedeb  ist  Genie  „ein  vorzügliches  Vermögen,  aus  sieh 
selbst  Geda^iken  xu  schöpfen"  (Log.  u.  Met.  S.  45).     Kakt  nennt  (beemüufit 


Oexüe.  373 

u.  B.  von  Gerabd,  Essay  on  Gknius  1774)  Genie  y^die  meisterhafte  Originalität 
der  Naturgabe  eines  Subfeets  im  freien  Gebrauehe  seiner  Erkenntnisvermögen^' 
(Krit.  d.  Urt.  §  49)^  die  angeborene  Gkmütsanlage,  durch  welche  die  Natur  der 
Kunst  die  Kegel  gibt  (L  c.  §  46;  vgl.  O.  Schlapp,  Kants  Lehre  vom  Gtenie  u. 
d.  Entsteh,  d.  Krit  d.  Urteilskr.  1901).  Fbies:  y,Ein  guier  Kopf  mit  Originalität 
der  Selbsttätigkeit  heißt  Genie  in  weiterer  Bedeutung*'  (Syst  d.  Log.  S.  345). 
Es  gibt  ästhetische  und  logische  Genialität  (L  c.  8.  347).  Schiller  betrachtet 
als  oonstitutives  Merkmal  des  Genies  die  Naivität  Das  Gknie  erweitert  die 
Natur,  ohne  über  sie  hinaus  zu  gehen  (Üb.  naive  u.  sentim.  Dicht  Philos.  Sehr. 
S.  222).  J.  Paul  setzt  das  Wesen  des  Genies  in  die  yyBesonnenheit*'  (Vorsch. 
d.  Ästhet  §  12).  Kbuo:  „Ein  durch  eigentümliehe  Productivität  von  Natur 
ausgezeichnetes  Vermögen  heißt  genial  oder  schleeJäweg  Genie*'  (Handb.  d. 
PhfloB.  I,  54  f.).  Nach  Grillpabzer  ist  Genialität  yyEigentümliehkeit  der  Auf- 
fassung**, Talent  „Fähigkeit  des  Wiedergebens**.  „Wenn  ein  Taient  und  ein 
Charakter  xusammenhommen,  so  entsteht  das  Genie"  „Das  Genie  unterscheidet 
sidi  von  dem  Talente  tceniger  durch  die  Menge  neuer  Gedanken,  als  dadurch, 
daß  es  dieselben  fruchtbringend  macht  und  sie  immer  a/uf  der  rechten  Stelle  hat; 
mit  einem  Wort,  daß  bei  ihm  alles  xum  Ganzen  wird^  indes  das  Talent  Umter, 
wenn  auch  schöne^  Teile  hervorbringt**  (WW.  XV,  151  ff.).  —  Nach  HiLLEBRA2n> 
stellt  das  Genie  die  Vemunftmacht  der  Seele  in  einer  freien  Objectiv-Production 
dar  (Philos.  d.  Geist  I,  350).  Nach  Schopenhauer  ist  Genialität  „voll- 
kommenste Objectivität,  d,  h.  obfeetive  Richtung  des  Geistes**,  die  zur  Con- 
templation  der  Ideen  (s.  d.)  notwendig  ist  GeniaHtät  ist  „die  Fähigheit,  sich 
rein  anschauend  xu  verhalten,  sieh  in  die  Anschauung  xu  verlieren  und  die  Er- 
kenntnis, welche  ursprünglich  nur  xum  Dienste  des  Willens  da  ist,  diesem  Dienste 
*u  entxiehen,  d,  h,  sein  Interesse,  sein  Wollen,  seine  Zwecke  ganx  aus  den  Augen 
zu  Uusen,  sonach  seiner  Persönlichkeit  sich  auf  eine  Zeil  völlig  xu  entäußern, 
um  als  rein  erkennendes  Subject,  klares  WeUauge,  übrigxitbleiben:  und 
dieses  nicht  auf  Augenblicke,  sondern  so  anhaltend  und  mit  so  viel  Besonnenheit, 
als  nötig  ist,  um  das  Aufgefaßte  durch  überlegte  Kunst  xu  wiederholen**  (W.  a. 
W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  36).  Das  Wesen  des  Genies  liegt  in  der  „Vollkommenheit 
und  Fatergie  der  anschauenden  Erkenntnis'*,  Es  ist  eine  ,yAbnormität**, 
Denn  es  besteht  darin,  „daß  die  erkennende  Fähigkeit  bedeutend  stärkere  Eni- 
uicklung  erhalten  hat,  eUs  der  Dienst  des  Willens,  xu  welchem  allein  sie 
ursprünglich  entstanden  ist,  erfordert**,  „Im  Einzelnen  stets  das  Allgemeine  xu 
sehen,  ist  gerade  der  Grundxug  des  Genies,**  Auf  das  erhöhte  „Nerven-  und 
Cerebraüeben**  u.  s.  w.  des  Genies  macht  Schopenhauer  aufmerksam  (W.  a.  W. 
u.  V.  Bd.  II,  C.  31).  Volkmann  erklärt:  „Auf  besonders  erhöhter  Klarheit, 
Schnelligkeit  und  leichter  Beweglichkeit  der  freisteigenden  Vorstellungen  beruht, 
was  man  Genialität  nennt**  (Lehrb.  d.  Psychol.  I^  416).  Simmel  nennt  ein 
Genie  einen  Menschen,  dessen  Anlagen  so  günstig  sind,  daß  die  Eeproduction 
leicht,  auf  minimale  Anregungen  hin,  stattfindet  (Probl.  d.  Geschichtsphilos. 
8.  25).  TÖNNIBB  erklärt  das  Genie  als  den  „mentalen  ,Schaffensdrang*  oder  die 
Lust,  das  in  Gedächtnis  oder  Phantasie  Lebendige  xu  ordnen,  xu  gestalten,  7nit- 
xuteilen**  (Gem.  u.  Ges.  S.  118  f.).  Nach  K.  Lange  ist  Genie  „die  Fähigkeit, 
bei  allem,  was  fnan  ttä,  sagt,  fühlt  und  denkt,  aus  sich  selbst  herausxtUreten,  die 
Orenxen  seiner  beschränkten  Persönlichkeit  xu  überspringen,  in  anderen,  in  der 
yatur,  in  der  Gesamtheit  aufxugehen**  (Wes.  d.  Kunst  I,  380).  Hellpach  hebt 
als  die  drei  Hauptzüge  des  Genies  das  Intuitive,  das  Explosive,  das  Suggestive 


374  Genie  —  Oerechtigkeit. 


hervor  (GrenzwiBs.  d.  Psvchol.  ß.  498).  Als  Entartungszustand  (Psychose),  der 
mit  dem  Wahnsmn  Ähnlichkeiten  aufweist,  faßt  das-Crenie  Lombroso  (Genie 
u.  Im.)  anf.  Dagegen  u.  a.  die  Ansichten  von  Baldwin  (Social  and  ethical 
interpretat  in  mental  developm.  B.  I),  Tabde  (Les  lois  de  Timitat),  F.  Bren- 
tano (Das  Genie  1892),  W.  Hirsch  (Genie  u.  Entartung).  H.  Türck  be- 
trachtet als  Wesen  des  Genies  den  selbstlosen  Idealismus  (Der  geniale  Mensch 
1897).  Nach  Gbrhardi  ist  Genie  ytschöpferüeher  Geisf^  Vereinigung  höchst 
ausgebildeter  Leidenschaft,  Phantasie  und  Urteilskraft  (Das  Wesen  d.  CTenie» 
S.  6  ff.).    Vgl.  Talent. 

Aeniifii  proxlmam  s.  Definition. 

GeoeentriHcli  heißt  der  kosmologische  (von  Ptolemaeus  u.  a.  Ter- 
tretene)  Standpunkt,  welcher  die  Erde  zum  Mittelpunkt  des  Universimis  macht 

C^rftnseli  s.  GehÖrsempfindimgen. 

Gereehtlgkett  (als  Gerechtsein)  bedeutet  den  Willen  zu  dem  jedem 
Wesen  Gebührenden,  nach  der  Bechtsvemunft  Zukommenden,  das  rechtmäßige 
Verhalten  selbst  (juridische  und  ethische  Gerechtigkeit).  Die  Gerechtigkeit  be- 
kundet sich  darin,  daß  der  Handelnde  Lohn  und  Strafe  (im  engeren  und  im 
weiteren  Sinne)  so  handhabt,  wie  es  die  Leistungen  und  die  Würde  (der  Wert; 
einer  Person  an  sich  und  in  ihrem  Verhältnis  zur  Gesamtheit  nach  vernünftigem 
Ermessen  fordert.  Absolute  Gerechtigkeit  ist  ein  Ideal,  das  sich  empirisch- 
praktisch nur  unvoUkonmien  realisiert.  Die  sociale  Gerechtigkeit  besteht  in 
der  wahrhaft  menschlichen  Behandlung  des  Menschen,  in  der  Anerkennung  des 
Wertes  jedes  Menschen  als  Geselischaftsglied  imd  in  der  höheren  Bewertung 
des  Besseren. 

Die  Pythagoreer  bestimmen  die  Gerechtigkeit  als  „QuadratxaM**  {a^&ptoi 
iadxie  taoif  Aristot,  Eth.  Nie.  V,  8),  „taodurch  die  Carrespandenx  xwisehen  Tat 
wdd  Ijeiden  (ro  dvrinenovd'oiy  d,  h.  ä  Tis  inoirjüBf  tovt  avTina&eTvJf  also  die 
Vergeltung,  ausgedrückt  werden  sollte*  (Uberweg-Heikzb,  Gr.  d.  Gesch.  d. 
Philos.  I*,  70).  NacJi  Plato  ist  die  Gerechtigkeit  {Sixaiocvvfi)  die  allgemeine 
Tugend;  sie  liegt  in  der  naturgemäßen  Betätigung  jedes  Seelenteiles  (Bep.  IL 
367  squ.).  Aristoteles  definiert  die  Gerechtigkeit  als  t^s  0/17«  nQsxrjs  /^«>> 
nQog  aHov  (Eth.  Nie.  V  5,  1130b  20).  Sie  ist  der  vollkommene  Gebrauch  der 
Tugend  (on  r^e  reXetag  agcT^e  XQV^^^  ^<"'*  reieia),  die  vollkommenste  Tugend 
{aQSTTJ  fiev  reXeia,  aX).  ovx  anXcae  aXXa  Tt^oi  Krepovj  1.  c.  V  3,  1129  b  26).  Si^ 
ist  das  Ganze  der  Tugend  (0A17  dgerijy  1.  c.  V  3,  1130a  9),  des  Einhalten«  der 
rechten  Mitte.  Im  engeren  Sinne  geht  sie  auf  das  icov  und  avicov.  Sie  zer- 
fällt in  die  austeilende  {iv  raU  Stavo/ualg)  und  die  ausgleichende  (ir  roU 
avraXXayfinaiv)  Gerechtigkeit;  erstere  waltet  nach  geometrischem,  letztere  nach 
arithmetischem  Verhältnisse  0-  c.  V  5,  1130  b  31,  V  7,  1131b  25,  V  7,  1132» 
1).  —  Thomas  erklärt:  „Ratio  iustitt<ie  eonsisttt  in  hoc,  quod  cUteri  reddahtr. 
quod  ei  debetur  seeundum  oegtiaHtaieni^*  (Sum.  th.  II,  II,  80,  1  C).  Geulehcx 
erklärt  „iustifia**  als  j^praecisio  eins,  quod  nimis  et  eius  quod  minus  est^  (Eth. 
I,  C.  2,  §  3).  H0BBE8  faßt  die  Gerechtigkeit  rein  politisch -juridisch  auf. 
Leibkiz  basiert  sie  auf  die  Vernunft  und  Güte  des  Menschen  und  der  Gott- 
heit. Sie  beruht  auf  der  Angemessenheit,  die  eine  gewisse  Genugtuung  al?  | 
Sühne  für  eine  böse  Tat  fordert  (Theod.  I,  §  73).  Chr.  Wolf:  „lustitia  - 
virtus  est,  qua  ins  suum  euique  trihuitur*^  (Eth.  II,  §  576).  Nach  Platnbb  ift 
Gerechtigkeit  ^.Rechtschaffenheit  in  der  Beurteilung  des   Wertes  und   Unu^rtes. 


Gerechtigkeit  —  Oesamtbewußteein.  375 

{ies  Verdienstes  und  der  Schuld  und  der  Ansprüche  anderer  Menschen"  (Philos. 
Aphor.  II,  §  976).  Nach  Hillebrand  besteht  die  Gerechtigkeit  darin,  yydaß 
die  einxelnen  oder  individuellen  Zwecke  der  Dinge  aus  dem  Gesichtspunkte 
ihrer  individuellen  Notwendigkeit  und  ihres  gegenseitigen  Bestehens  für 
die  Älöglichkeit  des  icahren  freien  Seins  überhaupt  afßrmiert  werden"  (Philos.  d. 
Geist.  II,  112  f.).  Nach  Spenceb  besagt  das  y^Oe^etz  der  vormenschliehen  Ge- 
reditigkeii^'y  y,daß  jedes  Einxeltvesen  die  Vorzüge  und  die  Nachteile  seiner  eigenen 
Natur  und  des  daraus  entspringenden  Handelns  auf  sieh  zu  nehmen  haf^  (Princ. 
d.  Eth.  II,  §  5,  S.  10).  Der  Gerechtigkeitsbegriff  hat  zwei  Bestandteile:  yyAuf 
der  einen  Seite  jenes  positive  Element  y  welches  darin  besteht  y  daß  jeder  ^  einzelne 
sein  Anrecht  auf  ungehinderte  TUtigkeit  und  auf  die  dadurch  errungenen  Vor- 
teile erkennt  und  behauptet.  Auf  der  andern  Seite  jenes  negative  Elementy  das 
in  dem  Bewußtsein  von  den  Grenzen  besteht,  welche  durch  die  Gegenwart  anderer 
Menschen  mit  gleichen  Rechten  bedingt  werden"  (1.  c.  §  22,  S.  40).  Die  Ge- 
rechtigkeitsformel  lautet:  ,yEs  steht  jedermann  frei,  zu  tun,  w€ts  er  willy  soweit 
er  nicht  die  gleiche  Freiheit  jedes  andern  beeinträchtigt^*  (1.  c.  §  27,  S.  51).  Nach 
WüNDT  ist  der  eigentliche  Trager  der  Gerechtigkeit  der  Gesamtwille,  daher  der 
unpersönliche  Charakter  der  Gerechtigkeit  (Eth.*,  8.  582  f.).  Die  Billigkeit 
hingegen  ist  eine  Privattugend,  sie  weist  dem  einzelnen  zu,  was  er  nach  Lage 
der  besonderen  Umstände  wünschen  darf  (ib.).  Paülsen  definiert  Grerechtig- 
keit  (subjectiv)  als  „die  WiUensrichtung  und  VerhaltungsweisCy  die  vor  störenden 
Übergriffen  in  das  Leben  und  die  Interessenkreise  anderer  selber  sich  hütet  und 
auch  ihre  Verübung  durch  andere  nach  Möglichkeit  hinderf*  (Syst.  d.  Eth  IP, 
128).  Über  Gerechtigkeit  im  religionsphilosophischen  Sinne  vgl.  A.  Dobner, 
Or.  d.  Rehgionsphüos.  S.  73,  93,  97,  104  f.,  107,  152,  154  f.,  238.  Vgl.  Rechts- 
philosophie. 

OerneliBeiiipllndnng^en  entstehen  durch  Reizung  der  Riechnerven 
in  den  Riechzellen  seitens  kleiner  Teilchen  der  riechenden  Substanzen;  diese 
wirken  wohl  nur  im  gasförmigen  Zustande.  Man  unterscheidet  die  Greruchs- 
empfindungen  (Grerüche)  nach  den  Riechstoffen  in  ätherische,  aromatische,  bal- 
samische, Moschus-,  lauchartige,  brenzlichs  u.  a.  Gerüche.  Eine  Mischung  von 
Gerüchen  untereinander  sowie  mit  Geschmacks-  imd  Hautempfindungen  besteht. 
Zur  Messung  der  Riech-Reizschwelle  dient  der  Olfactometer.  Vgl.  Wündt, 
Gr.  d.  PsychoL*,  S.  64  ff.;  Ebbinghaus,  Gr.  d.  Psychol.  I,  388  ff.;  Zwaabde- 
HAK£B,  Physiol.  d.  Geruchs,  1895. 

Gesamtbewvßteeln  ist  der  Zusammenhang,  die  Gleichartigkeit,  Ein- 
heit der  geistigen  Inhalte  in  einer  Gemeinschaft  von  Individuen.  Es  ist  das 
Product  der  Wechselwirkungen  zwischen  diesen,  zugleich  eine  jedem  Einzel- 
geiste übergeordnete,  objective  Macht.  Der  Gesamtgeist  ist  die  Totalität  der 
Vorstellungen  und  Grefühle,  der  Gesamtwille  die  Willensresultante  der  Ge- 
meinschaft. Als  höchster  Gesamtgeist  und  Gesamtwille  kann  Gott  (s.  d.)  an- 
gesehen werden. 

Vom  yfibjectiren  Geist"  (s.  d.)  sowie  von  yy  Volksgeistem"  spricht  Heqel. 
8o  auch  die  organische  Staatslehre  (s.  d.).  Femer  Steinthal  (Zeitschr.  f. 
Völkerspych.  I,  1860)  und  Lazarus.  Nach  ihm  ist  der  Greist  y.das  gemein- 
schaftliche Erzeugnis  der  menschlichen  Gesellschaft^'  (Leb.  d.  Seele  I*,  333).  Der 
„Geist  der  Gesamtheit"  ist  die  Einheit  der  Einzelgeister,  die  von  ihnen  ver- 
schieden ist  und  sie  alle  beherrscht  (1.  c.  S.  335).    Der  Volksgeist  ist  der  Inhalt 


376  GtosamtbewiiAtMin  —  Gesamtvorstellung. 

des  Gleichen  im  Volke  (1.  c.  8.  373).  Nach  SchItfle  ist  der  Volksgeist  „em 
durch  die  ganze  geschieküiche  Oetsteaarbett  angehäuftes,  fortgesetzt  überliefertes, 
in  jeder  Generaiion  modifidertes,  vielseitig  gegliedertes  System  geistiger  Energien 
und  Spannkräfte,  welche,  über  alle  aetiven  Elemente  des  Volkskörpers  veremigty 
die  einzelnen  zu  einer  geistigen  Colleetivkraft  vereinigen*'  (Bau  u.  Leb.  d.  soc. 
Körp.  2.  A.  1896).  ScHlP]|[iE,  H.  Spenceb,  P.  v.  Lilienfeld,  R.  Wobits 
u.  a.  betrachten  die  Gesellschaft  nach  Analogie  eines  Organismus.  .  Vodql  „social 
medium''  spricht  Lewes.  Nach  einigen  Sociologen  gibt  es  ein  „Oesamt-bii^^ 
P.  Babth  erklart:  „Zeitweilig,  in  den  Momenten  gemeinsamen  Denkens,  Fühlens, 
WoUens  und  Handelns  hat  eine  Gesellschaft  ein  Bewußtsein"  (Philos.  d.  G€sch. 
I,  154;  vgl.  8.  10).  Batzenhofeb  betrachtet  den  „Sodalwülen"  als  zusammen- 
fassende Kraft,  als  Resultierende  aller  Triebe  in  der  G^seUschaft  (Sociolog.  Erk. 
8.  285  ff.).  Wuia)T  erblickt  in  der  Volksseele  ein  Erzeugnis  der  Wechsd- 
wirkung  der  Individuen,  das  ebenso  real  ist  wie  diese  selbst  (VölkerpsvchoL 
I  1,  9  ff.).  Aber  sie  existiert  nur  in  und  mit  den  Individuen  (ib.).  Als 
selbstbewußter  Willenseinheit  kommt  der  Gemeinschaft  eine  GresamtpersÖnlich- 
keit  zu  (Gesch.  d.  Philos.',  8.  625  f.).  Der  einzelne  differenziert  sich  erst  aus 
einem  Zustand  socialer  Indifferenz  heraus ;  von  Anfang  an  besteht  eine  Gleich- 
artigkeit der  Kichtung  der  Willenseinheiten  (Eth.«,  8.  449,  453,  458).  Der  In- 
dividualwille  geht  schließlich  „in  den  Ällgemeimoillen  auf,  um  aus  diesem  aber- 
mals individuelle  Geister  von  schöpferischer  Kraft  zu  erzeugen"  (1.  c.  S.  458  ff.). 
„In  den  geistigen  Gemeinschaften  und  in  den  in  ihnen  hervortretenden  Eni- 
Wicklungen  von  Sprache,  Mythus  und  Sitte  treten  uns  .  .  .  geistige  Zusomtmen- 
hänge  und  Wechselwirkungen  entgegen,  die  sich  zwar  in  sehr  wesefUliekeH 
Beziehungen  von  dem  Zusammenhang  der  Gebilde  im  individuellen  Bewußtsein 
unterscheiden,  denen  aber  darum  doch  nicM  weniger  wie  diesem  Wirklichkeit 
zuzuschreiben  ist.  In  diesem  Sinne  kann  man  den  Zusamme:nhang  der  Vor- 
stellungen und  Gefühle  innerhalb  einer  Volksgemeinschaft  als  ein  Gesamt- 
bewußtsein  und  die  gemeinsamen  Willensrichtungen  als  einen  Gesamt- 
willen  bezeichnen.  Dabei  ist  freilich  nicht  zu  vergessen,  daß  diese  Begriffe 
ebensowenig  etwas  bedeuten,  was  außerhalb  der  individuellen  Bewußtseins^  und 
Willensvorgänge  existiert,  wie  die  Gemeinschaft  selbst  etwas  anderes  ist  als  die 
Verbindung  der  einzelnen.  Indem  aber  diese  Verbindung  geistige  Erzeugnisse 
hervorbringt,  zu  denen  in  dem  einzelnen  nur  spurweise  Anlagen  vorhanden  sind, 
und  indem  sie  für  die  Entwicklung  des  einzelnen  von  früh  an  bestimmend 
loird,  ist  sie  gerade  so  gut  wie  das  individuelle  Bewußtsein  ein  Object  der  Psy- 
chologie" (Gr.  d.  Psychol.»,  8.  378  f.).  —  Nach  Lotze  (Mikrok.  III,  425)  und 
Teichmülleb  gibt  es  keinen  objectiven  Gresamtgeist,  nur  Individuen  (Neue 
Grundleg.  8.  226,  228).  Vgl.  Unold,  Gr.  d.  Eth.  8.  175  f.  Vgl.  8ociologie 
Volksgeist. 

Oesamt^elftt,  Oesamt-Icli,  Oesamtori^aiilsiiiiis  s.  Gesamt- 
bewußtsein, Sociologie. 

OesamtTorBteUlin^  ist  das  Product  apperceptiver  8ynthese,  der  con- 
crete  Gedanke.  „Gesamtvorstellung"  bedeutete  früher  so  viel  wie  G^meinvorstellang 
(SuABEDißSEN,  Grzd.  d.  Lehre  von  d.  Mensch.  8.  114).  Nach  Volkmaiw  ist 
sie  „ein  Gesamtvorstellen  verschiedenartiger  Vorstellungen"  (Lehrb.  d.  Psychol. 
I*,  360).  WuNDT  versteht  unter  Gesamtvorstellung  ein  Product  apperceptivör 
Synthese,    „ein  zusammengesetztes    Ganzes,    dessen  Bestandteile  sämtlich  von 


Oesamtvorstellung  —  Gesohmack.  377 

frisieren  Sinnestoahmehmungen  und  deren  Associationen  herstammen,  in  toelckem 
sich  aber  die  Verbindung  dieser  Bestandteile  mehr  oder  minder  weit  von  den 
ursprünglichen  Verbindungen  der  Eindrücke  entfernen  kann".  „Insofern  die 
Vorstellungsbestandteile  eines  durch  appereeptive  Synthese  entstandenen  Gebildes 
als  die  Träger  des  übrigen  Inhaltes  betrachtet  werden  können,  bezeichnen  mr  ein 
solches  Oebilde  allgemein  ais  Oesamtvor Stellung"  (Gr.  d.  Psychol.',  S.  316). 
In  der  Zerlegung  und  Gliederung  der  Gesamtvorstellungen  besteht  die  Phan- 
tasie- und  Denktatigkeit  (i,  c.  S.  316  ff.;  Log.  I*,  33  ff.;  II«,  2,  288  f.;  Vorl. 
üb.  d.  MenscjL«,  S.  340  ff.;  Gnk.  d.  phys.  Psychol.  II*,  476  ff.;  Syst  d. 
Philos.',  S.  583  ff.).  Das  Wesen  der  Gesamtvorstellung  besteht  darin,  dafi  sie 
tjOus  einer  Mehrheit  bexiehungs fähiger  Teile  xusammengesetxt  ist"  (Völker- 
psychoL  I  2,  245). 

deaamiwUle  s.  GesamtbewuJßtsein. 

Gescli^ieii:  der  Wechsel  der  Inhalte  in  der  Zeit,  nach  Lotze  „das 
Zeütieh-erscheinen  der  inneren  Bedingungsordnung  des  Wirklichen"  (Mikrok.  III*, 
599).  An  sich  ist  Vergangenes,  Gegenwärtiges,  Künftiges  gleichzeitig  (ib.).  Vgl. 
Werden,  Verändenuig. 

Geseliielite:  l)objectiy:  der  Zusammenhang  der  Geschehnisse,  Ereignisse 
in  einem  Individuum  oder  in  einer  Gesamtheit;  2)  subjectiv:  die  Darstellung  dieser 
Ereignisse.  Die  Menschheitsgeschichte  kann  als  Fortsetzung  der  Naturentwick- 
hmg  betrachtet  werden.  Geistige  Gesetze  liegen  ihr  zugrunde.  Vgl.  Sociologie, 
Gesetz. 

Ciescliiclite  der  PliiloeM^pliie  s.  Philosophiegeschichte. 
CtesdilelitepliilaBOpllie  (Philosophie  der  Geschichte)  s.  Sociologie. 
OeM^ek  8.  Schicksal. 
Gesclilosseiie  Naturcaiisalitllt  s.  Causalität,  Naturcausalitat. 

Ges^hmaelL  (ästhetischer)  ist  die  Disposition,  Fähigkeit  zu  ästhetischen 
Urteilen;  der  gute  Geschmack  ist  die  Fähig'keit,  Schönes  schön  zu  werten. 
Häßliches  als  häßlich  zu  werten.  —  Nach  Kant  ist  Geschmack  „das  Betirteilungs- 
vermögen  eines  Gegenstandes  oder  einer  Vorstellungsart  durch  ein  Wohlgefallen 
oder  Mißfallen,  ohne  alles  Interesse^^  (Kr.  d.  Urt.  I,  §  5).  Bezüglich  des. 
Geschmacks  findet  eine  comparative  Allgemeinheit  statt  (1.  c.  §  7).  Der  Ge- 
schmack ist  „sensus  communis  aestheticus"  (1.  c.  §  40),  als  Vermögen,  die  Mit- 
teilbarkeit der  Gefühle,  die  mit  einer  Vorstellung  verbunden  sind,  a  priori  zu 
beurteilen  (ib.).  Geschmack  ist  bloß  ein  Beurteilimgs-,  nicht  ein  productives 
Vermögen  (1.  c.  §48;  Anthropol.  II,  §  69  B).  Die  „Antinomie  des  Geschmacks" 
löst  sich  durch  die  Erwägung,  daß  das  Geschmacksurteil  durch  einen  im- 
bestimmbaren  Begriff  allgemeingültig  wird,  nämlich  durch  einen  Vemunftbegriff 
Tom  Übersinnlichen  des  Gegenstandes  imd  des  urteilenden  Subjects  (Krit.  d. 
Urt  §  57).  Objective  Geschmacksregeln  gibt  es  nicht  (1.  c.  §  17).  Nach  Schiller 
öitt  der  Geschmack,  als  „Beurteilungsvermögen  des  Schönen"^  zwischen  Geist 
nnd  Sinnlichkeit  in  die  Mitte  (Üb.  Anm.  u.  Würde,  Phüos.  Sehr.  S.  105).  Nach 
Vauvenargues  ist  Geschmack  (goüt)  „une  aptilude  ä  bien/tiger  des  objets  de 
sentimenf^  (Introduct  k  la  connaiss.  de  Fespr.  hum.  p.  181).  G.  E.  Schulze 
erklärt:  ,yAlle  schönen  Gegenstände  besitzen  vermöge  des  Wohlgefallens  an  dem 
Anblicke  derselben  einen  Wert  besonderer  Art  für  den  Menschen,    Die  Fähigkeit, 


378  (Geschmack  —  Oesets. 


diesen  Wert  %u  erkennen  und  das  Sehäfie  von  dem  Häßlichen  zu  unterscheiden, 
heißt  Geschmack"  (Psychol.  Anthropol.  S.  361).  Suabedissen:  „TFer  jnm 
sinnige  Empfänglichkeit  für  das  Schöne  hat  und  es  aho  leicht  und  siclter  er- 
kennet,  hat  Geschmack,"  Im  weiteren  Sinne  ist  er  „rfa«  Vermögen  der  Unter- 
scheidung des  Schönen  und  des  Häßlichen"  (Grdz.  d.  Lehre  von  d.  M^iscL 
S.  263).  —  Kkug  definiert:  „2><m  Vermögen,  die  Gegenstätide  in  Ansehung  des 
Mndrucks,  welchen  sie  durch  ihre  Gestalt  oder  Größe  auf  unser  Gefühl  der  Lust 
und  Unlust  machen,  xu  beurteilen,  heißt  der  Geschmack  in  geistiger  Bedeutung,"^ 
Er  ist  nichts  anderes  als  die  ästhetische  Urteilskraft  (Handb.  d.  Philos.  ü, 
55).  Der  Greschmack  ist  ein  „transcendentaler^^  (1.  c.  II,  56)  oder  ein  „empiri- 
scher'^ (1.  c.  II,  57  ff.).  Nach  Kreibig  ist  Greschmack  „eine  ästhetische  Wert- 
urteils-Disposäion  vofi  deutlieh  bestimmter  Richtung^'  (Werttheor.  S.  1.59).  — 
Vgl.  MoiTTESQUiEU,  Oeuvres  1759,  lY,  p.  223  ff.  D'Alembert,  M^lang^  <L 
lit.,  dabist,  et  de  philos.  1760,  IV.  A.  Gerard,  Essay  on  taste  1759  (dtsch. 
1766).  Meiners,  Verm.  philos.  Schrift.  I,  133  ff.  M.  Herz,  Vers.  üb.  d. 
Geschmack  1776.    Vgl.  Ästhetik. 

Oesdunacksempfindniig^ii  smd  die  Empfindungen,  die  durch 
Heizung  der  Greschmacksorgane  (Schmeckbecher,  Geschmacksknospen)  in  dai 
Schleimhautfalten  („papillae  drcumvalkUae,  fungiformes,  foliatae")  der  Mundhöhle 
seitens  flüssiger  Substanzen  ausgelöst  werden.  Grundgeschmäcke  sind:  süfi, 
sauer,  salzig,  bitter;  sie  lassen  sich  mischen,  compensieren  einander,  verstiirken 
einander  durch  Contrast.  Vgl.  Wundt,  Gr.  d.  Psychol.*,  S.  66  f . ;  Ebbixghaus, 
Gr.  d.  Psychol.  I,  398  ff.;  Kiesow,  Philos.  Stud.  IX— XII  u.  a. 

Oesdunacksnrtell  =  ästhetisches  Urteil.    VgL  Ästhetik,  Sittlichkeit. 

Oesellscliaftspliilosoplile  s.  Sociologie. 

Gesetz  ist  der  Inhalt  eines  Imperativs,  einer  Willensforderung  bezw.  was 
analog  einem  solchen  Inhalte  (ursprünglich)  betrachtet  wird.  Gesetz  ist  der 
Ausdruck  für  ein  Sein-sollendes,  Gewolltes,  notwendig  zu  Geschehendes.  Bei 
juridischen  Gesetzen  ist  die  Notwendigkeit  eme  teleologische  („man  muß,  soll 
—  wenn  man  nicht  Strafe  JiaJben  tcül'^),  beim  ethischen,  logischen,  geistigen 
Gesetze  ebenfalls  („man  muß,  soll  —  wenn  man  vernünftig  leben,  vemunft^ 
denken  unll"),  beim  Naturgesetz  eine  psychologische  (triebartige)  oder  mecha- 
nische Notwendigkeit.  Naturgesetee  sind  begrifflich  formulierte  Notwendigkeit»- 
Belationen,  mit  denen  die  Constanz,  Regelmäßigkeit  von  selbst  gesetzt  ist 
„Es  ist  ein  Naiurgesetx"  heißt:  das  Wesen,  die  Natur,  die  Constitution  d» 
Dinge,  des  AUs  fordert,  bedingt  den  Zusammenhang,  die  Art,  das  Quäle  und 
das  Quantum  von  Geschehnissen.  Unter  gleichen  Bedingungen  verhält  sich 
Gleiches  stets  (zu  allen  Zeiten,  in  allen  Räumen)  gleich  —  das  ist  die  logische 
Grundlage  (das  Identitätsprincip)  aller  Gesetzlichkeit.  Gesetzmäßig  (gesetz- 
lich) ist,  was  in  eine  Gesetzesformel  zu  bringen  ist.  Die  „Gesetxe^^  sind  sub- 
jectiv)  Satzungen  des  (die  Erfahrungsinhalte  logisch  verarbeitenden)  Denkens, 
haben  aber  (objectiv)  ein  „FundamefU"  in  der  Erfahrung,  in  den  Objecten  selbst 
Diesocial-historischen  Gesetze  sind  Modificationen  psychologischer  Gesetze. 

Die  Geschichte  des  Gesetzes-Begriffes  läßt  bald  eine  mehr  rationaÜstisehe, 
bald  eine  mehr  empiristische,  bald  eine  objectivistische,  bald  eine  subjectivistische 
Bestimmung  dieses  Begriffes  erkennen.  Der  objective  Idealismus  (s.  d.)  führt 
die  Naturgesetze  auf  eine  Weltvemunf  t  zurück;  der  Theismus  (und  Pantheismus) 
auf  den  göttlichen  Willen  (die  göttliche  Substanz). 


Qeseta.  379 

Hebaelit  erblickt  in  der  Weltvemunft  (dem  loyoi)  das  Weltgesetz  (vofiog, 
Sixiq),  dem  sich  alles  fügen  muß  und  soll  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  133). 
Die  Gesetzlichkeit  des  Naturgeschehens  betont  Plato,  der  von  natürlichen  Ge- 
setzen {^a^a  rovs  rrje  ipvifeofi  vouovs,  Tim.  83  E)  spricht.  So  auch  Aristoteles 
(De  coeL  268a  10  squ.).  Die  Stoiker  und  Epikureer  lehren  die  Gesetzmäßig- 
keit der  NatUTprocesse ;  bei  Lugbez  tritt  der  Begriff  der  „lex  naturae^'^  auf. 

Im  Anschlüsse  an  das  Alte  Testament,  das  Gott  als  den  Gesetzgeber 
der  Natur  betrachtet,  bezieht  die  christliche  Philosophie  die  Naturgesetze  auf 
den  gpttlichen  Willen,  die  göttliche  Vernunft.  Thomas  erklart  die  ,,naturales 
leges**^  als  „ipsae  naturales  inelinatiofies  rerum  in  proprios  fines^^  (Nom.  10,  1). 
yjjex  naturae  nihil  cUiud  est,  nisi  lumen  inteüectus  insiium  nobis  a  Deo,  per 
quod  eognoscimus,  quid  agendum  et  quid  vitandum**  (Sum.  th.  I,  60,  5  a). 
Kepler,  Kopebnikus,  Galilei  bestimmen  die  Naturgesetze  unpersönlich 
(mathematisch)  als  Abhängigkeiten ;  so  auch  F.  Bagon,  der  sie  „SchemcUisnien^* 
(s.  d.)  nennt.  Descabtes  ist  geneigt,  die  Naturgesetze  auf  Gott  zurückzuführen. 
Spinoza  gründet  sie  auf  die  ewige  Wesenheit  der  Substanz  (s.  d.).  Nach 
Leibniz  handelt  Gott  gesetzmäßig  (Theod.  I,  §  28).  Berkeley  betrachtet  die 
Naturgesetze  als  Zeichen  der  ewig  gleichen  Betätigung  des  göttlichen  Geistes 
(Princ.  LXII).  Newton  erklärt,  er  wolle  „missis  formis  substantialilms  et 
quaUiatibus  oecuUia  phaenomena  naturae  ad  leges  matßtematieas  renavare"  (Phil, 
nat.  princ.  math.  Auf.).  Hume  meint,  die  Vorstellung  einer  Änderung  des 
Naturlaufes  sei  möglich  (Treat.  III,  sct.  6).  G^etzmäßigkeit  ist  Regelmäßigkeit 
des  Geschehens  (s.  Causalität).  Nach  Ferguson  ist  Gesetz  yjede  allgemeine 
Regel,  die  aus  der  Vergleickung  mehrerer  Factorum  abgexogen  isf^  (Grunds,  d. 
Moralphilos.  S.  2).  Es  gibt  physische  und  moralische  (geistige)  Naturgesetze. 
.,Ein  physisches  Oesetx  ist  jeder  allgemeine  Ausdruck  einer  in  mefireren  ein- 
xelnen  Fällen  vorkommenden  Veränderung.^^  „Ein  moralisches  Oesetx  ist  jeder 
allgemeine  Ausdruck  von  dem,  was  gut  und  also  geschickt  ist^  die  Wahl  ver- 
ständiger Wesen  xu  bestimmen"  (1.  c.  S.  4).  „Oesetx"  bedeutet  zuweilen  das 
Factum  selbst  (L  c.  S.  71).  Auch  die  Geisterwelt  hat  Gesetze,  yjdefm  es  gibt 
unter  den  Veränderungen  und  Operationen  der  Seele  gewisse  beständige  ufid. 
unveränderliche  Facta"  (L  c.  S.  72).  Mendelssohn  versteht  unter  Gesetzen  „oZ/- 
gemeine  Sätxe,  in  ufelehe  wir  die  besonders  beobachteten  oder  geschlossenen  Com- 
saliiätsverbindungen  gebracht  haben^  durch  deren  Anwendung  wir  in  jedem  vor- 
kommenden Fall  auf  den  Erfolg  rechnen**  (Morgenst.  I,  2). 

Kant  sieht  in  der  „Oeseixgebung^^  eine  apriorische  Function  des  Verstandes, 
durch  welche  die  Mannigfaltigkeit  der  Erfahrungsinhalte  geordnet  wird.  Die 
empirischen  Gesetze  sind  aber  schon  Anwendimgen  der  gesetzgebenden  Function 
des  Denkens  auf  den  Erfahrungsinhalt.  Rein  a  priori  ist  nur  das  causal-gesetz- 
mäßige  Verknüpfen  überhaupt.  Gesetze  sind  „Regeln,  sofern  sie  objectiv  sind 
(mithin  der  Erkenntnis  des  Gegenstandes  notwendig  anJiängen)"  (Krit.  d.  r.  Vem. 
S.  134).  Es  heißt  aber  ,ßie  Vorstelluftg  einer  allgemeinen  Bedingwig,  nach 
vdeher  ein  gewisses  Mannigfaltige  (mithin  auf  einerlei  Art)  gesetzt  werden  kann, 
eine  Regel,  und  wenn  es  so  gesetxt  werdeti  muß,  ein  Oesetx"  (1.  c.  S.  125). 
Die  einzelnen  Gesetze  sind  Bestimmungen  höchster  Verstandesgesetze,  die  „nicht 
von  der  Erfahrung  entWint  sind,  sojidem  vielmehr  den  Ersc/ieinungen  ihre  Oe- 
setxmäßigkeü  verschaffen^  und  eben  dadurch  Erfa/trung  möglieh  machen  müssen". 
„Es  ist  also  der  Verstand  nicht  bloß  ein  Vermögen,  durch  Vergleichufig  der  Er- 
scheinungen sich  Regeln  xu  machen ;  er  ist  selbst  die  Oesetxgebung  für  die  Natur, 


380  GkesetB. 

d.  t.  ohne  Verstand  tcürde  es  überall  nicht  Naiur,  d,  h.  synthetische  Einheit  det 
Mannigfaltigen  dpr  Ersefieinungen  nach  Regeln  geben^^  (L  c.  S.  135).  Der  Ver- 
stand ist  selbst  „der  Qtiell  der  Oesetxe  der  Nattof*^,  ,yZwar  können  empirigcke 
QesetxCy  als  solche,  ihren  Ursprung  keineswegs  vom  reinen  Verstand  herleiten  . . . 
Aber  alle  empirischen  Oesetxe  sind  nur  besondere  Bestimmungen  der  reinen  Ge- 
setze des  VersUmdeSy  unter  welchen  und  nach  deren  Norm  jene  allererst  tnögUek 
sind,  und  die  Erscheinungen  eine  gesetxliehe  Form  annehmen^*  (1.  c.  S.  135  !)• 
Praktische  Gesetze  sind  Grundsätze,  die  als  für  den  Willen  jedes  vemünftigeii 
Wesens  gültig  erkannt  werden  (Krit.  d.  prakt  Vem.  I.  B.,  1.  HptBt.,  §  U 
Beine  Vernunft  gibt  das  Sittengesetz  (1.  c.  §  7).  Die  Achtung  vor  dem  Ver- 
nunftgesetz begründet  die  Sittlichkeit  (s.  d.). 

Nach  Fbies  bestimmt  das  Gresetz  „die  notu>€ndige  Verbindung  mehrerer  all- 
gemeiner BestimmungeUj  so  daß,  was  unter  der  einen  steht,  aiteh  unter  der  andern 
stehen  muß,  dde  notwendige  Verbindung  von  Begriff en^^  (Syst.  d.  Log.  S.  165^). 
J.  G.  Fichte  und  Hegel  betrachten  die  Naturgesetze  als  Setzungen  d^  Ich- 
heit  (s.  d.)  bezw.  der  Weltvemunft  Nach  Esghenmayeb  sind  alle  ,^äuflerm 
Naturgesetze"  aus  „inneren  Grumigesetxen"  des  Geistes  reflectiert  (PöychoL  S.  310). 
Das  Naturgesetz  ist  „nichts  als  der  besondere  Reflex  einer  allgemeinen  Oldchung, 
die  ursprünglich  in  uns  selbst  liegt"  (1.  c.  S.  435  f.).  Nach  Chk.  K&ause  ißt 
Gesetz  „das  gemeinsam  Bleibende  in  der  Reihe  des  Mannigfaltigen,  sowohl  an 
ewigen  als  an  zeitlichen  Dingen"  (Abr.  d.  Eechtsphilos.  S.  4).  Ähnlich  definiert 
Ahrens  (Naturrecht  I,  226).  Nach  Beneke  ist  das  Gesetz  „allgemeiner  Aus- 
druck oder  Zusammenfassung  mehrerer  einstimmiger  Processe*^  (Lehrb.  d.  PsychoL 
§  19;  Syst  d.  Log.  II,  S.  4,  48  ff.).  Schopenhauer  erklart  das  Natoigesea 
als  die  Einheit  des  Wesens  einer  Kraft  in  allen  ihren  Erscheinungen,  als  „^ 
unwandelbare  Consta/nx  des  Eintrittes  derselben,  sobald,  am  Leitfaden  der  Cau- 
salität,  die  Bedingungen  daxu  vorhanden  sind"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  26). 
Trendelenburo  bestimmt  das  Gesetz  als  das  Allgemeine,  das  vor  der  Er- 
scheinung die  Erscheinung  bestinmit  (Log.  Unt.  II*,  190).  K.  Fischer  erklärt: 
„  Gesetze  des  Vorstellens  beherrschen  die  Erscheinungstcelt,  ufeü  sie  dieselbe  madien. 
Daher  sind  sie,  soweit  sieh  das  Reich  der  Erscheinungen  erstreckt,  Wellbedingungen 
oder  Wdtprincipien,  deren  Bedeutung  völlig  verkannt  wird,  ic&in  man  ihnen 
nur  anthropologische  oder  psychologische  Geltung  zuschreiben  will:  sie  können 
nicht  durch  Psychologie  begründet  werden,  tceü  sie  diese  selbst  erst  begründen'^ 
(Krit.  d.  Kantschen  Philos.  S.  12).  Ähnlich  lehren  H.  Cohen,  Natorp  u.  a. 
O.  Liebmann  versteht  imter  Naturgesetz  „eine  allgemeine  Regel,  naek  welcher 
an  das  2ki8ammentreffen  bestimmter  Realbedingungen  in  der  Natur  jederzeit  und 
allerorten  das  nämliche  Ereignis  als  Realeffect  geknüpft  erseheint"  (AnaL  d. 
Wirkl.*,  S.  280).  „Die  allgemeine  Gesetzlichkeit  des  natürlichen  Geschehens  ist 
das  objective  Correlatum  desjenigen  in  uns,  was  unr  Vernunft,  Ao/oe,  nennen ;  sie  ist 
die  Logik  der  Tatsachen,  ist  die  Vernunft  im  Universum"  (1.  c.  S.  281),  D«s 
ist  eine  apriorische  Überzeugung  (ib.).  Die  Zeitlosigkeit  der  Gesetze,  ihre  ewige 
Geltung  betont  (ähnlich  wie  Lotze)  Teichmüller  (Darwin,  u.  Philos.  S.  9  ftl 
Nach  Ulrici  ist  ein  Gesetz  „der  allgemeine  Ausdruck  (die  Formel)  der  bestimmten 
Art  und  Weise,  in  der  eine  Kraft  notwendig  und  allgemein  sich  äußert,  eine 
Tätigkeit  notwendig  und  allgemein  tätig  ist"  (Log.  S.  93;  vgl.  Gott  u.  Nat 
S.  48  f.).  Nach  Rümelin  ist  das  Gesetz  der  Ausdruck  für  die  „elemenUut 
eonstanie,  in  allen  einxelnen  Fällen  als  Grundform  erkennbare  Wirkungsweisi 
von  Kräften"  (Red.  u.  Aufs.  I,  S.  5).     Die  Ausnahmslosigkeit   gehört  zum  Be- 


G^eeetB.  381 

griff  des  Gesetzeb  (1.  c.  S.  16).  Die  socialen  yj  Gesetze"  sind  hypothetischer  Art, 
sind  nur  eine  Art  der  psychischen  Gesetze  (1.  c.  I,  9  f.,  28;  II,  118  ff.).  Nach 
M.  Cabriere  drücken  die  Gresetze  der  Natur  „die  Beziehungen  und  Verhält- 
nisse  der  Wesen  xueinander  aus,  welche  der  eine  Unendliche  alle  in  sich  hegt 
und  durch  seine  Gegenwart  verbindet"  (Ästh.  I,  29).  Nach  £.  Y.  Kaktmaks 
bezeichnet  das  Gesetz  „die  bestimmte  Wirkungsweise  unter  bestimmten  Verhält- 
nissen" (Kategorienlehre  8.  422).  Es  hat  y,vm  Geschehen  eine  implicite  Existenz" 
(L  c.  S.  423),  ist  etwas  Bestandiges,  schließt  aber  variable  und  constante  Fac- 
toren  in  sich  (ib.).  ;>i)a«  Gesetz  zeigt  die  ideelle  Bestimmtheit  an,  zu  welcher 
die  Naher  den  Inhalt  ihrer  dt/namisehen  Functionen  von  Fall  zu  Faü  deter- 
miniert." ,fiie  Gesamtheit  der  WeÜgesetze  erschöpft  die  ,Welt  als  Idee'"  (Welt- 
ansch.  der  mod.  Phys.  S.  209).  G.  Spickeb  erklärt  „Gesetz"  als  die  „tmveränder- 
lid^en,  allgemeinen  Normen,  nach  welchen  sieh  alle  Processe  in  den  äußeren 
Erscheinungen  vollziehen"  (Vers.  e.  n.  Gottesbegr.  8.  77).  Die  Gesetze  sind 
„teleologiseher  Natur*'  (1.  c.  8.  81).  Vor  der  Entstehung  des  Endlichen  sind  sie 
nur  potentiell  (L  c.  8.  120). 

A.  CoMTE  lehrt  einen  Positivismus  (s.  d.),  der  anstatt  aus  abstracten,  un- 
bekannten Kräften  die  Tatsachen  aus  ihren  concreten  G^etzen  erklärt  Nach 
J.  St.  Mill  ist  „jede  vollbegründete  inductive  Generalisation"  ein  Naturgesetz 
(Log.  I,  375).  Die  Naturgesetze  bestehen  in  „beobachteten  Übereinstimmungen 
sei  es  des  Nacheinander  oder  des  Nebeneinander  gewisser  Erscheinungen"  (Üb. 
Bdig.  8.  12).  GiZYGKl  erklärt:  „Ein  ,Naiurgesetz'  ist  .  ,',  nur  der  Ausdruck 
ßr  eine  allgemeine  Tatsache,  und  nicht  ist  es  etwas  außer  und  über  den  Tat- 
tael^:  die  Dinge  richten  sich  nicht  nach  den  Gesetzen,  sondern  die  Gesetze 
nach  den  Dingen.  Die  Dinge  tun  das,  was  in  ihrer  eigenen  Natur  liegt"  (Moral- 
philos.  S.  209).  Nach  Nietzsche  gibt  es  an  sich  keine  „Gesetze^*,  diese  sind 
sabjective  Fictionen  (WW.  V,  1,  2).  Wir  legen  in  die  Natur,  in  den  continuier- 
liehen  Fluß  des  CJeschehens,  Gesetze  hinein  (WW.  III,  1,  8.  40  f.).  L.  Busse 
betont,  Naturgesetze  seien  nicht  „logisch  notwendige  Gebote,  denen  die  Dinge  ent- 
sprechen, weil  ein  abweichendes  Verhalten  unmöglich,  logisch  undenkbar  ist", 
sondern  „Formulierungen  des  tatsächlichen  Verhaltens  der  Dinge"  (Philos.  u. 
firkenntnistheor.  I  1,  194). 

Nach  Helmholtz  ist  ein  Gresetz  ,^as  gleichbleibende  VerJiäUnis  zwischen 
teränderliehen  Größen"  (Vortr.  u.  Red.  I,  240),  „cfer  allgemeine  Begriff, 
unter  den  sich  eine  Reihe  von  gleichartig  ablaufenden  Naturvorgängen  zusammen- 
fassen läßt"  (1.  c.  I,  375).  Die  Greltung  eines  vollständig  bekannten  Natur- 
gesetzes ist  eine  ausnahmslose  (ib.,  vgl.  8.  169  f.).  Nach  8t£I13THAl  ist  ein 
Naturgesetz  ein  „bestimmtes  und  festes  Verhältnis  der  Bewegufigen"  (Einl.  in  d. 
P&ychol.  8.  114).  Als  Abstraction  von  regulativer  Bedeutung  faßt  das  Natur- 
gesetz O.  Caspari  auf  (Zusammenh.  d.  Dinge  8.  160  ff.).  Die  Unveränderlich- 
keit  der  Naturgesetze  betont  A.  Comte.  Nach  Renoüvier  ist  ein  Gesetz  „une 
relaiion  d* ordre  gen^ral,  ou  une  propriete  (une  qualite  specifique)  servant  ä  Iter 
et  ä  separer,  ä  distribuer  d'apres  leurs  caracteres,  des  classes  plus  ou  moins 
iiendues  de  phenomenes"  (Nouv.  Monadol.  p.  7).  Meinung  versteht  unter  Ge- 
setz „die  für  alle  Glieder  einer  Reihe  gleichbleibende  Beziehung,  durch  welche  je 
ein  Glied  dieser  Reihe  zu  einem  Gliede  einer  oder  mehrerer  anderer  Reihen  zu- 
geordnet ist"  (GrundL  d.  Log.*,  8.  162).  Nach  Simmel  bedeutet  ein  Gesetz, 
,fiaß  die  gleiche  entweder  natürliche  oder  ethische  Notwendigkeit  da  eintritt,  t^o 


382  G«8et8. 

die  gleichen  Vorbedingungen  gegeben  sind**  (Einl.  in  d.  Moralwiss.  II,  21). 
Gesetz  eines  Geschehens  ist  ein  „Satx  .  .  .,  dem  gemäß  der  Eintritt  gewi$eer 
Tatsachen  unbedingt  —  d.  h.  jederzeit  und  überall  —  den  Eintritt  geuisser  andertr 
zur  Folge  hat"  (Probl.  d.  Geschichtsphüos.  S.  34).  Nach  L.  Stein  sind  Natur- 
gesetze „Begriffscopien  von  Rechtsgeaetxen"  (An  d.  Wende  d.  Jahrhund.  8.  262), 
„Einheitsformeln'^f  „Oattungsbegriffe"  (1.  c.  S.  264  ff.).  Das  Naturgesetz  ist 
„nichts  anderes  als  psychischer  Zwang,  eine  Oedanhennötigung,  die  Mannigfaltig^ 
keit  des  Erseheinenden  unter  eine  bestimmte  Gedanhenreihe  bexw.  Interpretatiom- 
form  XU  subsumieren**  (L  c.  S.  31).  Sigwart  bemerkt:  „Die  Voraussetxung 
aller  Forschung,  daß  Qesetxe  in  der  Welt  herrsehen,  sagt  nur  in  atidem  Worten, 
daß  die  Natur  Gedanken  realisiere,  daß  Naturnotwendigkeit  und  logische  Not- 
wendigkeit dasselbe  sei**  (KL  Schrift  II*,  64).  Nach  Hagebcann  ist  Gesetz 
„der  bestimmte  Ausdruck  für  die  sieh  gleichbleibende  Wirkungsweise  gewisser 
Kräfte^*,  „Je  nachdem  diese  Wirkurtgsweise  durch  die  Natur  der  Gräfte  mit 
Notwendigkeit  bedingt  ist  oder  aus  der  freien  Betätigung  der  Kräfte  hervorgeht, 
unterscheiden  wir  Natur-  und  Freiheits-  Gese txe**  (Log.  u.  Noet.  S.  20).  Bibhl 
betont,  Gesetze  und  Wirken  der  Dinge  seien  nicht  verschieden.  Gesetze  sind  „die 
Beziehungen  der  Dinge,  die  Formen  der  Vorgänge,  unter  verallgemeinerten  oder  aer- 
einfaehten  Umständen  gedacht**  (Phil.  Krit  II  2,  248).  Die  Gesetzmäßigkeit  der 
Natur  ist  ein  logisches  Postulat  (ib.).  „Kein  Gesetz  kann  in  einer  Tatsache  rein  auf- 
gehen,** „Jedes  Gesetz  ist  ein  Satz  mit  einem  Wenn:  zwei  Maesenpunkte  würden 
sich  genau  nach  dem  Gesetze  der  Gravitation  annähern,  wenn  sie  allein  in  der 
Welt  untren**  (Einf.  in  d.  Philos.  S.  245).  Obgleich  nicht  aus  der  Geschichte 
allgemeine  Gesetze  abzuleiten  sind,  so  ist  sie  doch  solchen  imterworfen  Q.  c. 
8.  170  f.).  Nach  Simmel  (Probl.  d.  Geschichtsphilos.  S.  54)  und  nach  Rickebt 
(Grenz,  d.  naturwiss.  Begriffsbild.  S.  256)  gibt  es  keine  historischen  Cxesetze; 
vgl.  hingegen  G.  Mayr,  Die  Gesetzmäß.  im  Gesellschaftsleb.  1877.  Nach 
WUNDT  sind  Gesetze  allgemeine  Hegeln,  die  eine  Gruppe  von  Gleichförmig- 
keiten des  Seins  oder  Geschehens  zusammenfassen.  Die  wesentlichen  Merk- 
male eines  Gesetzes  sind :  1)  die  Verknüpfung  selbständig  zu  denkender  TataachcPy 
2)  das  directe  oder  indirecte  causale  Verhältnis,  3)  der  heuristische  Wert  und 
die  generelle  Bedeutung.  Die  Naturgesetze  sind  nicht  ausnahmslos,  noch 
weniger  die  geistigen  Gesetze,  die  aber  (gegen  Rümelik  u.  a.)  anzuerkennäi 
sind  (Log.  II*  2,  132  ff.;  PhU.  Stud.  III,  195;  XIII,  404).  Schuppe  versteht 
imter  Gesetz  die  Notwendigkeit  oder  regelmäßige  Verknüpfung  der  Ereignisse 
(Log.  S.  59).  Die  „feste  Ordnung  des  Seienden**  gehört  zu  seiner  Denkbarkeit 
(1.  c.  S.  65).  Nach  Uphtjes  sind  Gesetze  Begriffe,  in  welche  wir  „die  alle 
gleichen  Dinge  charakterisierenden  Merkmale  zusammenfassen**  (PsychoL  d. 
Erk.  I,  73).  Wie  E.  Mach  betrachtet  H.  Cornelius  die  physikalischen  Ge- 
setze als  „vereinfachende,  zusammenfassende  Beschreibungen  unserer  Erfahrungen" 
(Einl.  in  d.  Philos.  S.  267).  Sobald  ein  Erfahrungsb^riff  seine  Bedeutung  hat, 
„kann  verinöge  des  Identitätsprincips  kein  anderer  Zusammenhang  mehr 
durch  diesen  Begriff  bezeichnet  werden  als  derjenige,  der  einmal  unter  diesen 
Begriff  befaßt  wordeti  ist**  (1.  c.  S.  291).  Die  Außenwelt  besteht  in  den  j^e- 
setzmäßigen  Zusammenhängen  .  .  ,,  in  tcelehe  tcir  unsere  Wahmeh^ntmgen 
gemäß  dem  allgemeinen  Mechanismus  der  Bildung  d^  Erfahrungsbegriffe  ewi- 
ordnen**  (1.  c.  S.  271;  ähnlich  manche  Kantianer).  Im  letzten  Grunde  ist  es 
„•nur  unser  begreifendes  Denken  .  .  .  welches  Ordnung  und  Gesetz  in  das  Chaos 
der  Erscheinungen  bringt**  (1.  c.  S.  298).    Vgl.  H.  Cohen,  für  den  der  B^riff 


GesetB  —  GfrestaltquaUtaten.  383 

des  Gesetzes  eine  Kategorie  (s.  d.)  ist  (Log.  S.  222).    Vgl  Induction,  Sociologie, 
Statistik. 

Oeeetx  der  bestiiiiiiiteii  Ansalil  s.  Anzahl. 

Geheim  d«r  Contraste  s.  Beziehungsgesetze. 

Geeiets  der  drei  Stadien  (Comte)  s.  Wissenschaft,  Sociologie. 

Ctesetse,  psyclilselie«  s.  Entwicklung,  Gregensatz,  Heterogonie,  Re- 
sultanten. 

Qesetunäßiskelt  s.  Gesetz. 

Gesiclits  1)  Gesichtssinn,  2)  Vision  (s.  d.). 

Oeelclitsfiiliiiis  die  Fähigkeit,  Licht-  (Farben-)Empfindungen  und  Ge- 
stalt-Wahrnehmungen durch  das  Auge  zu  erlangen.  Der  Gesichtssinn  gehört 
zn  den  chemischen  Sinnen  (s.  d.).    Vgl.  Lichtempfindimgen. 

Oeslnniuif; :  Sinnesweise,  Willenshabitus,  dauernde  Willensrichtung, 
die  Motivation  des  Handelns  in  ethischer  Hinsicht,  die  gefühlsbetonten  Vor- 
stellungen, aus  denen  der  Wille  entspringt.  Die  Gesinnimg  ist  ein  Kriterium 
des  Sittlichen  (s.  d.).  —  Den  ethischen  Wert  der  guten  G^iunung  betonen 
Demokiut,  Plato,  Aristoteles,  die  Stoiker,  die  christliche,  die  scho- 
lastische Ethik.  „IfäerUto  suffieit  ad  meritum*^  bemerkt  Bernhabd  von 
Clairvaux.  Der  Mensch  heißt  gut  „ex  bona  voluntate^'  (bei  Albertus  Magnus, 
Som.  th.  I,  48,  6).  So  auch  Abaelard.  Femer  Leibniz,  Kant,  Schleier- 
ifACHER,  LiPFS,  C.  Stange  u.  a.  Nach  Hegel  ist  die  Gesinnung  der  Indi- 
viduen „das  Wissen  der  Substanx  und  der  Identität  aller  ihrer  Interessen  mit 
dem  Oanxen**  (Encykl.  §  515).  Nach  Lotze  sind  Gesinnungen  yjbeständige 
Verfassungen  des  QemiÜes,  die  daraus  hervorgehen,  daß  auf  geieisse  VorsteUungs- 
Inhalte  ein  für  aUemal  ein  bestimmter  Wert  gelegt  ist;  sie  sind  daher,  x.  B. 
Frömmigkeit  oder  Vaterlandsliebe,  nicht  selbst  einfache  bestimmte  Gefühle,  sondern 
Ursachen,  aus  denen  nach  Lage  der  Umstände  die  verschiedenartigsten  Gefühle 
entspringen  können"  (Gr.  d.  Psychol.  S.  51).  Nach  Kreibig  ist  Gesinnimg  „die 
dauernde,  feste  Willensrichtung,  iceldie  durch  die  individuelle  Wertdisposition 
im  ganzen  bestimmt  tcird^'  (Werttheor.  S.  107).  Sie  ist  das  letzte  imd  wahre 
Object  des  ethischen  Wertens  (1.  c.  S.  108). 

Oefttalt  s.  Baum. 

GestaUiiaalitftteii  nennt  Chr.  von  Ehrenfels  „positive  Vorstdlungs- 
inhalte,  welche  an  das  Vorhandensein  von  Vorstell imgscomplexen  im  Betcußtsein 
gebunden  sind,  die  ihrerseits  aus  voneinander  trennbaren  (d,  h.  ohne  einander 
torstellbaren)  Elementen  bestehen*'  (Üb.  Gestaltqual.  Viertelj.  f.  wiss.  Philos.  1890 
S.  262  f.).  A.  Meinong  nennt  sie  „fundierte  Inhalte'*  (Zeitschr.  f.  Psychol.  II, 
245  ff.).  Nach  Kreibig  heißt  „Gestaltqualität'*  die  Tatsache,  daß  das  zwischen 
den  Gliedern  oder  unterschiedenen  Teilen  eines  anschaulichen  Ganzen  bestehende 
Band  innerer  Relationen  diesem  Ganzen  eine  Gestalt  aufdrückt,  welche 
als  neues  Gesamtmerkmal  zur  bloßen  Summe  der  Merkmale  aller  Glieder  oder 
Teile  hinzutritt  (Werttheor.  S.  62).  Nach  H.  Cornelius  sind  Gestaltqualitaten 
die  „Merkmaie  der  Compkxe,  durch  welche  die  Chmplexe  sich  von  der  Summe 
der  Merkmale  ihrer  Bestandteile  unterscheiden**  (£inf.  in  d.  Philos.  S.  24).  „Die 
sämtliehefi  verschiedetien  Arten  der  Anordnung,  in  welchen  die  Inhalte 
unserer  Wahrnehmung  auftreten  können,  die  gleiche  Form,  die  ujir  an  ver- 


384  Oestaltqualitaten  —  Oewisaen. 

sehiedenen  Teilen  unseres  Gesichtsfeldes y  die  gleiche  Melodie,  die  teir  oa 
Tonfolge  verschiedener  HÖhe.y  die  gleiche  Färbung j  die  teir  an  versehiedenen, 
Zusammenklängen  bemerken  —  aU  dies  sind  Qualitäten  der  dfen  bezeiehnetm 
Art.  Ebenso  gehören  xu  diesen  Qualitäten  die  räumlichen  Distamen^ 
welche  teir  verschiedenen  Punkten  in  unserem  Gesichtsfelde,  die  ,qu alitat iren' 
Distanxen,  die  wir  verschiedenen  Tönen  oder  verschiedenen  Farbgualitäten  xu- 
schreiben  —  kurx  alles,  was  wir  an  bestimmten  Begriffen  von  Bexiehungen 
oder  Relationen  unserer  BewußtseinsinhcUte  besitxen;  so  auch  die  abstraetfn 
Begriffe  der  yBexiehung^,  der  ,AJmlteßikeitsbexiehung^y  der  ,Ähnlichkeit  in  dieser 
oder  jener  Hinsieht^,  der  ^Verschiedenheit^  u.  s.  ir."  (L  c.  8.  240  f.).  Vgl 
WiTASEK,  Zeitschr.  f.  Pöychol.  XII,  189;  Höflee,  PöychoL  S.  152  f.;  Stout. 
Analyt.  PsychoL    Gegen  die  Lehre  von  den  GrestaltquaLit&ten :  Lipfs. 

€lefltlnifi^lster  (Astralgeister)  gibt  es  nach  den  Aristo telikern  des 
Mittelalters,  auch  nach  Fechker,  welcher  in  den  Grestimen  beseelte  Weseo 
(gleich  den  „Engeln*')  erblickt  (Zend-Av.  I,  1  ff.). 

Gesunder  Verstand  s.  Verstand. 

Oeirlss^  (avvaldrjffis,  conscientia)  ist  das  Bewußtsein  des  PfUchtgemüfleii, 
des  Sein-sollenden  bezw.  von  dessen  Gegenteil.  Es  tritt  als  Gewissoisurteil  oder 
auch  vorwiegend  in  Form  gefühlsbetonter  Vorstellungen  ohne  klaren  Begriff 
auf,  als  Reaction  gegen  eine  der  sittlichen  Persönlichkeit  nicht  angemesseoe, 
ihr  widerstreitende  Handlungsweise  (Gewissen  nach  der  Tat)  oder  als  mahnendes, 
warnendes  Gewissen  vor  der  Tat  auf.  Das  klare  Grewissen  besteht  in  Be- 
urteilungen, Werturteilen,  Billigungen  und  Mißbilligungen.  Das  Gewissen  ist  ön 
Gefühls-,  Willens-  und  Vemunftphanomen  in  einem.  Das  Grewissen  ist  da 
Niederschlag  socialer  Wertungen  und  Imperative,  die  (durch  Vererbung,  Er- 
ziehung u.  8.  w.)  das  individuelle  Fühlen  und  Denken  im  Sinne  socialer  Zweck- 
mäßigkeit formen,  wobei  aber  die  Einsicht  und  Wertung  der  Persönlichkeit 
selbst  ein  activer  Factor  des  Grewissens  ist.  Eine  Unfehlbarkeit  des  Gkwiaaens 
a  priori  besteht  nicht.  Die  Unlust  bereitende  Reaction  des  (schlechten)  Ge- 
wissens heißt  Gewissensbiß.  Gewissenhaftigkeit  ist  der  Habitus,  das 
Grewissen  vor  der  Handlung  sprechen  zu  lassen.  Es  gibt  neben  dem  praktiBchen 
ein  theoretisches  (logisches)  Gewissen,  gleichsam  das  Ethos  im  Denken. 

Das  Gewissen  wird  bald  auf  die  göttliche  Stimme  in  uns,  bald  auf  die 
Stinmie  der  Vernunft,  bald  auf  das  Gefühl  und  den  Willen  zurückgeführt;  die 
Einwirkung  der  Gesellschaft  auf  das  Individuum  im  Grewissen  wird  neuerdings 
betont. 

Des  SOKBATES  yfiaimonion"  (s.  d.)  hangt  mit  dem  Gewissensphänomeo 
zusanmien.  Als  awstdijaie  (bei  Philo,  Opp.  ed.  Mangey  I,  196;  II,  195  ff) 
wird  in  der  antiken  Philosophie  überhaupt  der  Begriff  des  Grewissens  mit  dem 
des  Bewußtseins  (s.  d.)  imter  einen  Ausdruck  gebracht  Vom  Gewissen  ist  die 
Bede:  Buch  der  Weisheit  XVII,  11;  im  Neuen  Testament  wiederholt 
(vgl.  Paulus,  Ad  Rom.  II,  14  f.).  Die  Scholastik  bestimmt  das  Gewissen 
als  (von  Gott  eingepflanztes)  VemunfturteiL  Nach  Obigenes  ist  das  Gewisses 
fySpiriius  correetor  et  paedagogus  animae  sociatus,  quo  separcUur  a  malit  d 
adhaeret  bonis*'  (bei  THOMAS,  Smn.  th.  I,  79,  13).  Abaelaed  erklart:  ,fNoneit 
peccatum  nisi  contra  conscientiafn^^  (Eth.  C.  13).  Nach  Thomas  sagt  das  Ge- 
wissen, „an  actus  sit  rectus  vel  non'*  (Sum.  th.  I,  79,  13  c;  Verit.  17,  IcK 
^yConscientia  est  actus,  quo  scientiam  nostram  ad  ea  quae  agitnus  applicaimi»'* 


Oewiasen.  385 

(Sum.  th.  I,  79,  13).     Die  „Synteresis^*  (s.  d.)  ist  ,^eintüla  eonseientiae^^,  das 
„Fünkiein^^  des  Gewissens  bei  Egkhabt  u.  a. 

UoBBES  versteht  unter  Grewissen  die  Meinung  von  der  Evidenz  einer  Sache 
<HunL  Nat  eh.  VI,  8).     Den  Grewissensbiß  erklart  Descaktes,  ivie  folgt: 
„Morsus  eonseteniiae  est  speeies  triatitiae  ortae  ex  dubiiatione  sive  acrupulo, 
qui  imidtur,  num  id  quod  fit  vel  factuim  est  bonum  sit  neone  .  .  .    Ustts  mUem 
kuiiis  affectus  est,  quod  efficiatj  iä  expendatur,   num  res,  de  qua  dubitatur,  sit 
bona  necfie,  et  impediat  ne  ficU  alia  vice,  quamdiu  tum  constat  boncmi  esse:  sed 
qtna  tnalum  praesupponit,  praestaret  numquam  eins  sentiendi  ea/usam  dari:  ac 
praa^eniri  poiest  iisdem  mediis,  quibus  flucHtatio  potest  excuti*^  (Pass.  an.  IJI, 
177).     Spinoza  erklärt:    „Conseientiae  morsus  est  tristitia  coneomitante 
idea  rei  praeteritae,  quae  praeter  spem   evenit"  (Eth.   III,   def.   äff.   XVII). 
Ferguson  bestimmt  die  Sanction  des  Gewissens  als  „das   Vergnügen,  welches 
der  Mensch  empfindet,  wenn  er  reckt  tut^',  und  die   „Scham  und  Reue,  die  bei 
•ihm  entstehen,  wenn  er  unrecht  tut^*.    „Der  Mensch,  da  er  persönliche  VoUkommenr- 
heit  begehrt  und  persönliche  Mängel  verabscfieut,  hat  Vergnügen  an  Handlungen, 
die  ein  Beweis  und  ein  Beförderungsmittel  seiner  Vollkommenheit  sind^^  (Grunds, 
d.  Moralphilos.  S.  208  f.).    Chr.  Wolf  definiert  das  Gewissen  als  moralische 
Urteilskraft     „Facultas  iudicandi  de  moralittUe  actionum  nostrartdm,  uirum 
seilieet  sint  bonae  an  malae,  utrum  cmnmittendae  an  omittendae,  dicitur  con- 
seientia'^  (Philos.  praet.  I,  §  417).     Nach  Cbusiub  ist  das  Gewissen  („der  Qe- 
fcissenstrieb'*)  eine  angeborene  Neigung,  über  die  Sittlichkeit  unseres  Handelns 
zu  urteilen  (Moral  §  132  ff.).     Es  ist  ein  Willensphanomen.     Nach  Kant  ist 
das  Gewissen  „die  sich  selbst  richtende  Urteilskraft^^,  ein  „Bewußtsein,  das  für 
steh  selbst  Pflicht  ist^'  (Belig.  IV,  2,  §  4).     Das  Gewissen  ist  dem  Menschen 
ursprünglich  eigen  (WW.  VII,  204,  403  ff.),  es  liegt  in  seiner  praktischen  Ver- 
nunft begründet,  tritt  als  „kategorischer  Imperatip^^  (s.  d.)  auf,   schreibt  dem 
Menschen  seine  Pflicht  vor,  entstammt  dem  Übersinnlichen  in  uns  (WW.  VI, 
486;  vgL  IX,  247  ff.).    Nach  Krvq  ist  das  Gewissen  „das  sittlicfte  Bewußtsein 
/eonscieniia  moralis)  oder  das  Bewußtsein  des  Outen  und  Bösen  (eonseienüa 
recti  et  pravi),  d.  h.  das  Bewußtsein  einer  Handlungsweise,  tcelche  die  Vernunft 
für  alle  freien  Willensäußerungen  fordert  und  nach  welcher  auch  beurteilt  unrd, 
ob  eine  gegebene  Handlung  gut  oder  bös  sei**.   Dieses  Bewußtsein  ist  ursprünglich 
nicht  entstanden,  bedarf  aber  der  Entwicklimg  (Handb.  d.  Philos.  II,  269). 
J.  G.  Fichte  sieht  im  Gewissen  ^/ias  unmittelbare  Bewußtsein  unserer  bestimm- 
ten Pflicht^'  (Syst.  d.  Sitten!  S.  225).    Es  irrt  nie,  denn  es  ist  „cfaw  unmittelbare 
Bewußtsein  unseres  reinen  ursprünglichen  Ich,  über  welches  kein  anderes  Bewußt- 
sein hinausgeht*'  (1.  c.  S.  226).     Sittlichkeit  (s.  d.)  ist  gewissenhaftes  Handeln. 
Nach  Hegel  ist  das  Gewissen  ,/las  wissende  und  wollencle  Selbst**,  der  seiner 
unmittelbar  bewußte  Geist  (PhanomenoL  S.  493;  Rechtsphilos.  S.  179  f.).    Nach 
K  Bosenkbanz  ist  es  ,,das  Urteil  des  SuJtjectes  selbst  über  den  moralischen 
Wert  seines  empirischen  Handelns  gegenüber  der  Idee  des  Öulen,  tvie  es  selbst 
dieselbe  begreift  und  sich  actu  auf  sie  bexießU"  (Syst  d.  Wiss.  S.  467  f.).    Es 
gibt  ein   vorauf  gehendes ,  b^leitendes,  nachfolgendes  Gewissen  (1.  c.  S.  468). 
Nach  HiLLEBBAND  ist  das  Gewissen  „der  sich  in  seiner  eigenen  Freiheit  zu- 
gleich als  die  Notwendigkeit  setzende   Willem*   (Philos.  d.  Geist.  S.  323).    Das 
Gewissen  ist  unfehlbar  (ib.).     Schopenhauer  erklärt  das  Gewissen  als  „das 
Wissen  des  Menschen  um  das,  was  er  getan  hat"  (Grundl.  d.  Moral  §  9),  als 
Zufriedenheit  oder  Unzufriedenheit  mit  uns  selbst.     Nach  Beneke  äußert  sich 

FhUotophiBOhAt  Wörterbaoh.    2.  Aufl.  25 


386  Gewissen. 


im  Gewissen  die  sittlich  normale  Strebimg  imd  Auffassung:  es  ist  nicht  an- 
geboren (Sittenl.  I,  379,  471  ff.,  475).  „TFen«,  in  Beziehung  auf  unser  eigena 
Handeln,  neben  eine  irgefidicie  abicetchende  Schätzung  oder  Strebung  die  Vor- 
stellung oder  das  Oefühl  der  für  cUle  Mensehen  giUtigen  wahren  Schätxung  triii, 
so  bezeichnen  tovr  diese  mit  dem  Namen  ,Gewissen*^*  (Lehrb.  d.  PsychoL*,  §  267; 
Pragmat.  Psychol.  II,  217).  Nach  Ulmci  ist  das  Gewissen  das  bewußte  Gefühl 
des  Sollens. 

Nach  Volkmann  ist  das  Gewissen  ein  Analogon  der  Vernunft.    Während 
diese  aber  allgemeingültig  und  objectiv  spricht,   wendet  sich  jenes  nur  g^en 
das  eigene  Ich  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  494).     O.  Liebmann  versteht  unter 
Grewissen  „das  Bewußtsein  der  Normalgesetze  oder  doch  dessen,  was  ihnen  gemäß 
sein  soll  und  wertvoll  isf^  (Anal.  d.  Wirkl.*,  S.  566).     Lipps  erklärt  das  Ge- 
wissen ab  „die  Stimme  unserer  strebenden  und  wertschätzenden  Natur,  oder  das 
System  unserer  Strebungen  und  Wertschätzungen,   cUis  als  Ganzes  gekört  xi* 
werden  verlangt  und  gegen  die  Schädigung  durch  die  einzelne  Strebung  sich  auf- 
lehnte^ (Grundt.  d.  Seelraleb.  S.  617).    Es  ist  „die  Fähigkeit,  die  Tatsaehen  ihrem 
ganzen  Wesen  nach  uns  zu  tergegenwärtigen  und  ihres  obfeetitfen  Wertes  inme 
zu  werden,  dabei  von  den  die  Wirkung  dieser  Werte  verschiebenden  subfeettpefi 
Bedingungen  unseres  Wollens  abzusehen ,  die  reinen  ohjectiven  Werte  aneinander 
zu  messen  und  gegeneinander  auszugleichen,  kurz,  sittliches  Überlegen  anzttstellerr\ 
In  diesem  Sinne  ist  das  Gewissen   unser  ursprüngliches  Eigentum,  es  liegt  in 
imserer  Natur,  ist  in  allen  gleichartig  (Eth.  Grundfr.  S.  161).    Zu  unterscheiden 
sind:   Gew^issen  als  Anlage,   als  Verwirklichung   dieser  Anlage,   als   absolutes 
Gewissen   (1.  c.  S.  162).     Nach  Paulsen   ist  das   Gewissen   „die  ganze  Seite 
unseres  Wissens,   wodurch   wir  uns  urteilend  zu  utis  selbst  als  wollenden  oder 
handelnden  Wesen  verhulten^^   (Einl.  in  d.  Philos.  S.  432).     Das   Gewissen   isi 
,ydas  Organ,  wodurch  die  Flickt  erkannt  wird  und  sieh  in  unserem  Innern  ver- 
nehmlich macht"  (Syst.  d.  Eth.  I*,  320).     In  seinem  Ursprünge  ist  es  „das  Be- 
wußtsein von  der  Sitte  oder  dtis  Dasein  der  Sitte  im  Bewußtsein  des 
Individuums"  (1.  c.  S.  341).    Nach  Höffding  ist  das  Gewissen  die  Reaction 
des  „Centralen"  in  uns  gegen  das  „Peripherische",  ein  „Bexdekungsgefühl"  (Eth.*, 
S.  69).    Es  äußert  sich  (auch  nach  F.  C.  Sibbern)  als  geistiger  Erhaltungstrieb 
(ib.).    Es  gibt  ein  instinctives  und  ein  freies  Gewissen  (1.  c.  S.  75).    Die  „pfr- 
sönliche    Gleichung^^  in   der  Ethik  bedeutet  die  individuelle  Art  des  Gewissens 
(1.  c.  S.  78;  vgl.  F.  Ch.  Sharp,  The  personal  equation  in  Ethics  1894).    Nach 
TÖNNIE8  ist  das  Gewissen  „der  einem  Individuum  eigene  Genius,  als  Gedächtnis 
und  Gedankenwille  in  Erwägung  und  Beurteilung  eigener  und  fremder,  frettnd-- 
licher  oder  feindlicher  Verhaltungsweisen  und  Eigenschaften,  daher  als  der  Begriffe 
welcher  die  moralischen  Tendenzen  und  Meinungen  ( Velleitäten)  auedrückt"  (G«n. 
u.  Gösellsch.  S.  119).    Unold  erklärt  die  Anlage  zum  Gewissen  für  angeboren^ 
Inhalt  und  Ausgestaltung  desselben  seien  aber  durch  Erfahrung  und  Erziehung 
bedingt  (Gr.  d.  Eth.  S.  275).    Das  Gewissen  ist  ,,actuelles,  d.  h.  fortwährend  in 
das  Entschließen  tind  Handeln  eingreifendes,  Motive  lieferndes,  Impulse  gebende^r 
urteilendes  und   reagiei'endes  bezw.  strafendes  sittliches  Bewußtsein"  (L  c. 
S.  276).    EHRENFEL6  betrachtet  die  Phänomene  des  Gewissens  als  Folgeerschei- 
nimgen    moralischer  bezw.   unmoralischer  Veranlagimg   (Syst.   d.   Wertth.  II, 
163  ff.).     Nach  Kreibig  ist  das  Gewissen    „eine  Urteilsdisposition,  d.  Ä.   eiste 
psychische  Anlage,  in  bestimmter  Weise  über  gewisse  Inhalte  zu  urteilen",    yjDas 
Gewissensurteil  sprirfit  ans,  daß  eine  beabsichtigte  oder  vollzogene  eigene  Hand^ 


Gewissen  —  Gewißheit.  a87 


lung  mit  der  eigenen  moralischen  Gesinnung  in  Widerstreit  stehe  oder  harmonieret^ 
(Werttheor.  S.  129). 

Den  socialen  Ursprung  des  Gewissens  (schon  bei  Tieren,  durch  natürliche 
Auslese)  betont  Ch.  Dabwin  (Desc.  of  Man  p.  199).     So  auch  H.  Spexceb, 
femer  Leslie  Stephen,  der  vom   „public  spirit  of  the  raee^*  in  uns  spricht. 
P.  Ree  leitet  das  Gewissen  aus  der  Autorität  socialer  und  religiöser  Mächte  ab 
(Entsteh,  d.  Gewiss.  1885;  Phüos.  S.  63).    Nach  E.  Laab  ist  das  GcNvissen  ein 
erworbenes  Gesetz  (Ideal,  u.  Posit.  II,  159).    Auch  Ihebing  erklärt  das  Gewissen 
aociologisch  (Zweck  im  Recht  I,  243  ff.).     Simmel  hält  es  fiur  wahrscheinlich, 
daß  der  Gewissensschmerz   „rfic  Vererbungsfolge  derjenigen  Schmerxefi  ist,   die 
Me  Qeneraiiotien  hindurch  dem  Täter  ah  Strafe  für  die  tmsittlicJiß  Tat  auf- 
erlegt  ttmrde'*  (Einl.  in  d.  Moral.  I,  407).    Das  Gewissen  ist  gleichsam  „ein  rück- 
wärts gewafidter  histinetf^   (1.  c.  S.  408).     Es   ist   „die  Lust  oder    Unlust  der 
Gattung  Ober  die  Tat,  die  in  uns  xu    Worte  kommt^^  (1.  c.  S.  409).     Nach 
Ratzenhofer  ist  es  „ein  Produet  der  Entwicklung  des  angeborenen  Interesses 
und  tritt  in  dem  Augenblicke  hervor,  wo  sich  dem  Öattungsinteresse  Spuren  des 
Socialinteresses  entwinden''  (Posit.  Eth.  S.  123).    Nach  Wündt  äußert  sich  das 
Gewissen  in  der  Herrschaft  imperativer  Motive,  zu  deren  Ausbildung  äußerer 
und  innerer  Zwang  beigetragen  hat.     Die  einfache  und  normale  Function  des 
Gewissens  besteht   „dam?,  daß  es  den  Kampf  der  imperativen  und  impulsiven 
Motive  verstärkt  und  daher  sehr  ßiäufig  einen  Sieg  der  letxteren  auch  in  solchen 
Fallefi  herbeiführt,  wo  der  OefülUswert  der  Motive  selbst  hierzu  nicht  ausreichefi 
würde''  (Eth.»,  8.  485).    Es  gibt  ein  gesetzgebendes,  ein  antreibendes  und  ein 
richtendes   Gewissen   (ib.).     „Der  einzelne    Oewissensact  kann    Oefühl,  Affeet, 
Trieb,  Urteil  sein;  ein  Gewissen  aber,  das  außerhalb  dieser  einxeinen  Acte  der 
menschlichen  Seele  als  ein  Separatvermögen  zukäme,  gibt  es  nicht"  (1.  c.  S.  481). 
Es  kann  das  (Gewissen  nur  auf  dem  „Verhältnis  verschiedener  Motive  xu  ein- 
ander beruhen"  (1.  c.  S.  484).    Das  Gewissen  ist  historisch  wandelbar  (1.  c.  S.  483). 
Xach  GiZYCKi  ist  der  Gewissensschmerz  „ein  Gefühl  der  Unzufriedenheit  mit 
«IM  selbst^  wdclies  entsteht,  wenn   die   Erirmerung  ein  Verhalten  uns  vor  die 
Seele  führt,   das  unserm  gegenwärtig  vorwaltenden  Pfliehtgefühl   widerstreitet" 
(Mondphilos.  S.  282  f.).'    Nach  Te.  Zieoler  ist  das  Gewissen  ein  „Ausdruck 
für  die  Gesamtsumme  der  Gefühle  und  der  darauf  sich  bauenden    Urteile  des 
titilichen  Menschen  über  sich  selbst^'  (Das  Gefühl«,  S.  174).    „Das  Gute  in  mir, 
mner  Herkunft  nach  der  Stellvertreter   der  menschlichen  Gesellschaft  und  alles 
des  Guten,  das  in  ihr  lebt  und  tdrksam  ist,  sitzt  über  meine  böse  Handlung  zu 
Gericht"  (1.  c.  S.  175).    Nach  W.  Jerusalem  ist  das  Gewissen  „eine  Gefühls- 
disposiOon,  die  zur  Folge  hat,  daß  wir  es  voraus  fühlen ,  ob  eine  Handlung,  die 
Wr  zu  tun  im  Begriffe  sind,   Billigung  oder  Mißbilligung  fvndefi  wird"  (Lehrb. 
d.  Psychol.»,  S.  169).     Vgl.  Elsenhans,  Wes.  u.  Entsteh,  d.  Gewissens  1894; 
StIüdlen,  Gesch.  d.  Lehre  vom  Gewissen  1824;   Gass,   Die  Lehre  vom  Ge- 
wissen.   Vgl.  Moral  insanity,  Moralischer  Sinn,  Sittlichkeit,  Synteresis,  Tugend. 

GewiOlielt  (certitudo)  ist  das  „sichere",  feste  Wissen,  das  überzeugte 
Fürwahrhalten,  die  Sicherheit,  völlige  Abgeschlossenheit  des  Urteilens,  die  aus 
der  Denknotwendigkeit  empirisch  oder  a  priori  entspringt  und  in  einem  Gefühle 
sich  bekundet,  die  Bestinmitheit  des  Denkwillens,  der  sich  als  logisch  deter- 
miniert erweist  und  nicht  schwankt.  Zu  imterscheiden  ist  die  subjective 
Gewißheit  des  Glaubens  (s.  d.)  von  der  objectiven  des  Wissens  (s.  d.),  die 

25* 


388  Gtewifihelt. 


absolute  Gewißheit  von  der  Wahrscheinlichkeit  (s.  d.),  die  unmittelbare 
Gewißheit  (Evidenz,  s.  d.)  von  der  mittelbaren  (abgeleiteten).  Alle  GrewiÄ- 
heit  wurzelt  schließlich  in  der  (äußeren  oder  inneren)  Anschauung  und  in  den 
Denkgesetzen.  Absolut  gewiß  ist  das,  dessen  Gegenteil  oder  Nichtsein  als  un- 
möglich (widerspruchsvoU)  festgestellt  ist.  Der  Bationalismus  (s.  d.)  sieht  m 
der  Vernunft  eine  Quelle  der  Gewißheit.  Der  ISkepticismus  (s.  d.)  leugnet 
jegliche  objective  Gewißheit.  Die  Gewißheit  des  Erkennens  ist  ein  Funda- 
mentalproblem  der  Philosophie. 

Thomas  bestimmt  die  ,fCertttudo"  als  „proprietas  eognitivae  virtutis^*  (dum. 
th.  I,  II,  40,  2  ob.  3).     Sie  ist  ,^determin€Uio  intellecttis  ad  unum^  (3  sent  23, 
2,  2),   jßrmitas  adkaesionis  virtiUis  eogniiivae  in  suum  eognascibile^^  (3  aent 
26,  2,  4c).    Die  Gewißheit  entspringt  dem  „lumen  naturaie^^  (s.  d.),  dem  natür- 
lichen Erkenntnisvermögen  („quod  altquid  per  certitudinmi  sdahir,  est  ex  lumine 
rationis  divinitus  irUerms  indito,  quo  in  nobis  hquitur  Deu8*\  Verit.  11,  1  ad 
13).  —  Nicolaus  Cusanus  erklärt:  „Nihil  certi  habemus  nisi  naatram  matke- 
inaticam,^^     Descartes   bestimmt  als  Kriterium  der  Gewißheit  die  j^Klarheit 
und  Deutlichkeit^^   (s.  d.).    Spinoza  versteht  unter  Gewißheit  die  Art,  wie  wir 
das  wirkliche  Sein  aulfassen  (Em.  intell.).    Locke  unterscheidet  die  j,Oeudßhtü 
der  Wahrheit"y   die  darin  besteht,   wenn  in  einem  Satze  die  Obereinstiinmuiig 
zwischen  den  von  den  Worten  bezeichneten  Vorstellungen  genau  so  ausgedrückt 
wird,  wie  sie  wirklich  statthat,   imd   y^Oewißheit  des   Wissens**,  als  Erkenntni» 
dieser  Übereinstimmung  (Ess.  IV,  eh.  6,  §  3).     Leibniz   erkennt  nur  letztere, 
als  vollständige  Erkenntnis  der  Wahrheit;  die  erstere  Art  der  Gewißheit  ist  die 
Wahrheit  selbst  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  6,  §  3).     Es   gibt  moralische,   physische, 
metaphysische  Gewißheit  (l.  c.  §  13).    Nach  Chr.  Wolf  ist  Gewißheit  unserer 
Erkenntnis  jMer  Begriff  von  der  Möglichkeit  oder  auch  Wirklichkeit  eines  Urieikr' 
(Vem.  Ged.  I,  §  389).   Sie  entstammt  der  Vernunft  oder  der  Erfahrung  (L  c,  §  390?). 
y,Si  cognosdmuSy  proposiiionem  esse  veram  rel  falsaniy  propositio  nobis  dieitur 
esse  certa**  (Log-  §  564).    Crusiüs  stellt  als  oberste  Regel  der  Gewißheit  den  Satz 
auf:  Was  ich  nicht  anders  als  wahr  denken  kann,  ist  wahr  (Weg  zur 
Gewißh.  1747).    J.  Ebert:  „Diejenige  Beschaffenheit  unserer  Erkenntnis,  termcge 
welcher  man  die  Wahrheit  des  Gegenteils  nicht  befürchten  darf,  nennt  man  Ge- 
wißheit** (Vemmdilehie  S.  136).    D'Alembert  erklärt:  „L'evidenee  appartient 
proprement  aux  idees  dont  Vesprit  aperpoit  la  liaison  iout  d'un  eoup;  la  eerti- 
tude  ä  Celles  dont  la  liaison  ne  peut  etre  comme  que  par  le  secours  d'un  certw» 
nombre  d*idies  intermediaires**  (Disc.  pr^lim.  p.  51).    Feder:  „Wenn  man  etwas 
für  wahr  oder  falsch  hält,  so  ist  man  entweder  durch  völlige  und  deutliche  Er- 
kenntnis gezwungen,  so  xu  urteilen,  oder  nicht.     Nur  in  dem  ersten  FaÜe  kann 
man  sagen,  daß  man  Überxeugung  (eonvietio)  hohe  und  gewiß  sei,   cUis  heißt, 
außer  der  Gefalir  sich  xu  irren**  (Log.  u.  Met.  S.  119  ff.). 

Nach  KA17T  ist  man  gewiß,  „insofern  man  erkennt,  daß  es  tmmöglieh  sei, 
daß  eine  Erkentitnis  falsch  sei*'  (WW.  II,  298).  „Das  gewisse  FürwahrhaUen 
oder  die  Gewißheit  ist  mit  dem  Beuntßtsein  der  Notwendigkeit  verbunden-* 
(Log.  S.  98).  Es  gibt  empirische  und  rationale  (mathematisch-intuitive  und 
philosophisch-discursive)  Gewißheit  (1.  c.  S.  107).  ,fiie  empirische  Gewißheit  ist 
eine  ursprüngliche  (originarie  empirica),  sofern  ich  von  etwas  aus  eigener 
Erfahrung,  und  eine  abgeleitete  (derivative  empirica),  sofern  ich  durch  fremde 
Erfahrung  wovon  gewiß  werde.  Diese  letztere  pflegt  auch  die  historische 
Gewißheit  genannt  xu  werden**  (l.  c.  S.  108  f.).    „Die  rationale  Gewißheit  unter- 


(Gewißheit.  389 


sehmdet  sich  von  der  empirischen  durch  das  Betmißtsein  der  Notwendigkeit, 
das  mit  ihr  verbunden  ist;  —  sie  ist  also  eine  apodiktische ^  die  empirische 
dagegen  nur  eine  assertorische  Gewißheit,  —  Baiional  gewiß  ist  man  von 
dem,  was  man  auch  ohne  Erfahrung  a  priori  würde  eingesehen  haben^^  (1.  c. 
6.  108).  ,,Äüe  QewißheU  ist  entweder  eine  unvermittelte  oder  eine  ver- 
mittelte^ d,  h,  sie  bedarf  entweder  eines  Beweises,  oder  ist  keines  Beweises  fähig 
und  bedürftig*^  (ib.).  Die  Grundsätze  unseres  Denkens  und  Erkennens  sind 
a  priori  (s.  d.),  allgemein-subjectiv  gewiß  und  daher  objectiv  gültig.  Nach 
£buo  ist  Gewißheit  ,^n  Fürtcahrhcdten,  welches  in  der  Erkenntnis  des  Objeets 
hinlänglich  gegründet  ist  oder  auf  objectiv^xur eichenden  Gründen  beruht^ 
(Fundam.  S.  237).  Nach  Maas  ist  ein  Urteil  gewiß,  sofern  man  sich  der  Wahr- 
heit desselben  be^nißt  ist  (Log.  §  328).  Mit  Reinhold  und  J.  G.  Fichte 
beginnt  für  einige  Zeit  die  Tendenz,  einen  absolut  gewissen  Satz  an  die  Spitze 
des  philosophischen  Systems  zu  setzen.  Das  Gefühl  der  Gewißheit  ist  nach 
Fichte  y^ne  unmittelbare  Übereinstimmung  unseres  Bewußtseins  mit  unserem 
ursprünglichen  Ich^^.  j,Nur  intciefem  ich  ein  moralisches  Wesen  bin,  ist  Ge- 
wißheit für  mich  möglich;  denn  das  Kriterium  aller  theoretischen  Wahrheit  ist 
nicht  selbst  wieder  ein  theoretisches^^  (Syst.  d.  Sittenlehre  S.  220  f.).  Nach 
Fries  hat  ein  Urteil  Gewißheit,  wenn  es  zureichende  Gründe  hat  (Syst.  d.  Log. 
8.  409).  Nach  Ulrici  ist  die  Gewißheit  j,die  subjective  Denknotwendigkeif^ 
(Log.  S.  32).  Gewißheit  und  Evidenz  sind  nur  „das  mittet-  oder  umnittelbare 
Bewußtsein  (Gefühl)  von  der  Denknotwendigkeit  einer  Vorstellung  und  ihres  In- 
halts (Objeets)  —  ein  Bewußtsein,  das  wir  Gewißheit  nennen,  wo  die  Denknot- 
wendigkeit  nur  das  Dasein  eines  der  Vorstellung  zugrunde  liegenden  Objeets 
betrifft,  Evidenx,  wo  sie  die  Bestimmtheit  und  Beschaffenheit  des  Objeets 
umfaßt''  (Gott  u.  d.  Nat.  S.  11).  Harms  bestimmt  „Gewißheit'  ab  „Glauben, 
der  sieh  der  Gründe  seines  FürwahrlwUtens  des  Geda^shten  bevmßt  isf'  (Log. 
8. 111  f.).  Witte  unterscheidet  tatsächliche  (individuell-subjective  imd  objective) 
imd  erkenntnistheoretische  Gewißheit  (Wesen  der  Seele  S.  59).  Nach  Pesch 
ist  Grewißheit  ,Jener  Zustand  des  Verstandes,  in  welchem  letzterer  der  erkanTvten 
Wahrheit  fest  zustimmt,  unter  Ausschluß  aller  vernünftigen  Besorgnis  vor  Irrtum^' 
(Die  groß.  Weltrats.  S.  596).  Nach  Hagemakn  ist  Gewißheit  „die  feste,  jeden 
Zweifel  sowie  jede  Furcht  des  Irrtums  ausschließende  Zustimmung  des  Denk- 
geistes xu  einer  tcirklichen  oder  scheinbaren  Wahrheit'  (Log.  u.  Noet*,  S.  176). 
Es  gibt  unwillkürliche  und  reflexive,  wissenschaftliche  (1.  c.  S.  177),  subjective 
und  objective  Gewißheit,  je  nach  dem  Grewißheitsgrund  (1.  c.  S.  178).  Der 
Grund  der  Gewißheit  ist  „die  einleuchtende  Wahrheit  der  erkannten  Sache  oder 
die  objective  Evidenx''  (1.  c.  S.  180).  „Metaphysische  Geteißheit  ist  bei  allen 
analytischen  Urteilen  vorhanden,  deren  Wahrheit  aus  der  bloßen  Betrachtung  des 
Subjeetes  und  Prädicates  entweder  unmittelbar  oder  mittelbar  einleuchtet,  und 
zwar  so  einleuchtet,  daß  das  Gegenteil  in  sich  urimöglich  erscheint.^'  „Physische 
Gewißheit  eignet  den  synthetischen  (Erfahrungs-)  Urteilen,  welche  über  Tatsachen 
der  inneren  und  äußeren  Erfahrung  gefällt  werden,"  „Moralische  Gewißheit 
kommt  denjenigen  Wahrheiten  xu,  welche  auf  Grund  eines  fremden  Zeugnisses, 
also  wegen  der  äußern  Evidenx,  für  gewiß  gehalten  werden^'  (1.  c.  S.  182  f.). 
Nach  WtrsTDT  ist  gewiß,  „was  in  eine  der  durchgängigen  Übereinstimmung  der 
reinen  Anschauung  gleichende  tviderspnichslose  Verbindung  gebracht  ist"  (Log.  I, 
387).  Die  objective  Gewißheit  ist  „ein  Resultat  der  Bearbeitung  unmittelbar 
gegebener  Tatsachen  des  Betcußtseins  durch  das  Denken"  (1.  c.  S.  379).    Als  gewiß 


390  Gewißheit  —  Gewohnheit. 


gilt  uns  ein  Satz,  wenn  seine  Verneinung  als  unmöglich  angesehen  wird  (1.  c. 
S.  384).  Objectiv  gewiß  sind  die  Tatsachen,  die  auf  dem  Wege  fortschreitender 
Berichtigung  der  Wahrnehmungen  nicht  mehr  beseitigt  werden  können  (1  c. 
S.  385;  vgl.  S.  389).  B.  Erdmann  bestimmt:  „Oewiß  ist  die  Wirklichkeit  einet 
Gegenstapides,  wenn  sie  si^h  in  iciederholter  Erkefititriis  oder  Appereeptiofi  als  die 
gleiche,  gewiß  ist  der  Inhalt  eines  Gegenstandes  y  wenn  er  sich  in  tciederhdier 
Erkenntnis  als  der  gleiche  herausstellt^^  (Log-  I,  272).  „Die  wiederholte,  über- 
einstimmende Erkenntnis  ist  ,  .  ,  das  logische  Kriterium  für  die  Gewißheit  der 
Gegenstände^^  (1.  c.  S.  273).  R.  Avenarius  rechnet  die  Grewißheit  zu  den 
„Charakteren**  (s.  d.)  der  Erkenntnis  (Krit.  d.  r.  Erf.  II,  135).  Vgl.  Evidenz. 
Wissen,  Wahrheit,  metaphysisch. 

Oeirolmlielt  ist  die  durch  öftere  Wiederholimg  (Übung,  s.  d.)  ent- 
standene Bereitschaft  zu  Handlungen,  die  Tendenz  zum  Gleichen,  Bekannten, 
Geübten,  infolge  der  Leichtigkeit  und  Sichei'heit  der  gewohnten  Tätigkeit.  Die 
Gewöhnung  besteht  in  einer  Anpassung  des  Organs  an  die  Function,  der 
Function  an  den  auslösenden  Reiz,  auf  einer  „Mechanisierung^^  (s.  d.)  von 
Willenshandluugen  zu  triebartigen  oder  auch  unterbewußten,  reflexmäßigen  Vor- 
gängen. Auf  Gewohnheit  beruhen  Association  (s.  d.),  Reproduction,  Fertigkeiten, 
Sitten  u.  s.  w. 

Eine  erkenntnistheoretische  Bedeutung  hat  der  Begriff  der  Gewohnheit  bei 
den  Empiristen  (s.  d.),  besonders  bei  Hume.  Sie  ist  nach  ihm  das  Princip, 
„which  renders  mir  experience  v^eful  to  us**  (Inquir.  sct.  V,  p.  39).  Gewohnheit 
(custom)  ist  alles,  „was  aus  einer  früher  stattgefundenen  Wiederholung  ahm  neue 
Überlegung  oder  ScJdußfolgening  entsteht.  Auf  ihr  beruht  aller  Glaube  (s.  d-i. 
Sind  wir  gewohnt,  zwei  Eindrücke  miteinander  verbunden  zu  sehen,  so  leitet  uns 
das  erneute  Auftreten  (die  Vorstellung)  des  einen  unmittelbar  auf  die  Vor- 
stellung des  andern  hin  (Treat.  III,  sct.  8).  Das  Wort  ruft  eine  Vorstellung 
hen'or  und  mit  ihr  eine  gewohnheitsmäßige  Tendenz  des  Vorstellens.  Di®e 
weckt  eine  andere  Vorstellung  (1.  c.  I,  sct.  7). 

Unter  dem  Namen  „Äa6tViAs"  (ß<c)  kommt  der  Gewohnheitsbegriff  bei 
Aristoteles  und  den  Scholastikern  zur  Sprache.  So  auch  bei  L.  Vites 
(De  an.  II,  p.  110  ff.)  u.  a.  Auch  von  den  Association spsychologen  des 
18.  Jahrhunderts  wird  er  berücksichtigt.  —  Nach  Fries  ist  Gewohnheit  der 
„Einfluß,  welchen  die  'öftere  Wiederkehr  derselben  Ursache,  weiche  eine  bleibetide 
Wirkung  hinterläßt^  auf  lebende  Wesen  hat^  (Syst.  d.  Log.  S.  70).  Hegel  er- 
klärt: „Daß  die  Seele  sich  .  .  .  xum  abstracten  allgemeinen  Sein  maclä,  und 
das  Besondere  der  Gefühle  (auch  des  Bewußtseins)  xu  eifier  nur  seienden  Be- 
stimmwig  an  ihr  rediiciert,  ist  die  Gewohrüteit"  (Encykl.  §  410).  Nach  Süa- 
BEDISSEN  ist  Gewohnheit  „die  durch  Wiederholung  natürlich  gewordene  Wieder- 
kehr derselben  Bestrebungeti  und  Hatidlwigen  unter  denselben  Umständen**.  „Ge- 
wöhnung ist  die  Wiederholung ^  wodurch  ein  Sireben  oder  Tun  zur  Gewohiheil 
wird**  (Grdz.  d.  Lehre  von  d.  Mensch.  S.  149).  Nach  J.  E.  Erdmanx  ist  Gewohn- 
heit „e/er  aus  vieleii  Empfipidungen  und  Verleiblickungen  ßierrorgegangefte  und 
darum  durch  Wiederholung  rertnittelte  Zustand  des  Individuums,  in  welchem 
es  alle  jene  besonderen  Empfttulungen  ufid  Verleiblichtingen  als  deren  einfache 
Allgemeinheit  in  sich  aufgeJwben  hat  und  darum  bereits  in  sich  enthält,  was  der 
Lebensproceß  ihm  geben  sollte**  (Gr.  d.  Psychol.  §  60).  Nach  Volkmai^^n  beruht 
die  Gewohnheit  auf  einander  mittelbar  reproducierenden  Vorstellimgen  (Lehrb. 


Gewohnheit  —  Glaube.  391 

d.  PsychoL  I^,  446).  Tönnies  faßt  die  Gewohnheit  als  einen  erfahrungBmaßig 
•entstandenen  Willen,  als  Neigung  auf  (Gem.  u.  Gesellsch.  S.  108  ff.).  Nach 
WüNi>T  beruht  die  Grewohnheit  auf  eigenartigen  Wirkungen  der  Übung  (s.  d.). 
Daß  Gewohnheit  die  Gefühle  (s.  d.)  abstumpft  und  daß  sie  Bedürfnisse  schafft, 
daß  sie  in  der  Keproduction  waltet,  betont  u.  a.  Ehrenfels  (Syst.  d.  Wert- 
theor.  I,  186).  W.  James  sieht  in  der  Gewohnheit  (habit)  eine  Grundeigenschaft 
der  Materie.  Auf  Gewohnheit  beruhen  die  Naturgesetze  (Princ.  of  Psychol.  1, 
104  ff.).  Die  biologische  Gewohnheit  ist  in  der  Plasticität  der  organischen 
Substanz  begründet  (1.  c.  p.  105).  Nach  Baldwin  ist  Gewohnheit  y,die  Ihidenx 
eines  Organismus y  Processe,  die  vital  tcoltätig  sind,  immer  Isichter  und  leichter 
fortdauern  xu  lassen^^  (EntwickL  d.  Geist.  S.  445).  Sülly  erklärt  die  Gewohn- 
heit als  yjdie  stetige  Neigung,  etwas  xu  tun^  und  xwar  mit  Leichtigkeüy  welclie 
das  Resultat  einer  bestimmten  und  methodischen  Wiederholung  der  Handlung  ist^^ 
<Handb.  d.  Psychol.  S.  120,  vgl.  Stoüt,  Anal.  Psychol.  I,  258  ff.).  Verschiedene 
Sociologen  betonen  die  Bedeutung  der  Gew^ohnheit  als  sociale  Erhaltungs- 
tendenz. Renouyier  nennt  die  Gewohnheit  ,,la  eonservatrice  des  sociites^^ 
<Nouv.  Monadol.  p.  298). 


»r 


Olanbe  (Glauben)  ist  eine  Art  des  Fürwahrhaltens,  der  Überzeugung, 
und  zwar  1)  =  Meinimg  (s.  d.),  2)  das  starke,  gefühlsmäßige  Zutrauen  zur 
Wahrheit  eines  Urteils,  die  auf  subjectiven  Gründen  beruhende  Gewißheit,  das 
Vertrauen  zu  fremder  Urteilsfähigkeit.  Der  Glaube  enthält  ein  Gefühlselement 
{Zutrauen,  Er\Tartimg8gefühl)  und  ein  Willensmoment  (^Ville  zum  Glauben: 
der  Wille,  der  allen  Zweifel  hemmt,  alles  dem  Glauben  Widerstreitende  zurück- 
drängt). Der  Glaube  anticipiert  oder  ersetzt  das  Wissen;  er  ist  ein  Product 
der  personlichen  geistigen  Verarbeitung  des  Erfahrungsinhaltes.  Vom  Autoritäts- 
ist  der  Vemunftglaube  zu  imterscheiden.  Der  religiöse  Glaube  ist  festes 
inniges  Vertrauen  zu  dem  von  einer  religiösen  Autorität  Grelehrten  oder  zur 
Forderung  eines  Göttlichen  seitens  unseres  eigenen  Gemütes  und  Intellectes. 
Glaube  bedeutet  im  Unterschied  vom  Glauben  als  Act  auch  den  Glaubensinhalt. 

Die  antike  Skepsis,  die  ein  Wissen  für  unmöglich  hält,  erklärt  für  das 
praktische  Leben  den  Glauben  {nioTio)  für  zureichend  (Sext.  Empir.  adv.  Math. 
VII,  158).  Das  Christentum  wertet  den  (religiösen)  Glauben  aufs  höchste, 
niacht  ihn  sogar  zu  einer  Cardinaltugend  (s.  d.).  Der  Glaube  steht  höher  als 
Erkenntnis,  bildet  den  Weg  zu  ihr.  Nach  dem  Neuen  Testament  ist  der 
Glaube  (niane)  kknt^ofitviov  vTioczaatSj  n^ayuärafp  ikeyxoi  ov  ßkenofidvcov  (Hebr. 
11, 1).  Nach  Clemens  Alexandrinus  ist  der  Glaube  Ti^oXijxpis  Stavoias  (Strom. 
IV,  4,  17),  Tt^oXrixpis  ixovcios,  d'souBßeiai  avyxardd'ßffts  (1.  c.  II,  2,  8).  Er  ist 
xi^iOTe^v  Tjfff  ijttCTi^uijej  x«i  Ä7T«y  avr^i  xoittiqiov  (1.  c.  II,  4,  15).  Eine 
Willenszustinmiimg  enthält  der  Glaube  auch  nach  Augustinus.  Glauben  ist 
yjmm  assensione  cogitare'^  (De  praed.  sanct.  5).  Der  Glaube  ist  der  Weg  zur 
Erkenntnis  (De  trin.  XV,  2).  Er  besteht  in  einer  übernatürlichen  Erleuchtung 
(De  pecc.  merit.  I,  9).  Die  Außen welts-Existenz  wird  geglaubt  (Confess.  VI,  7  ; 
De  civ.  Dei  XIX,  18).  Hugo  von  St.  Victok  erklärt  den  Glauben  als  „cer- 
titudinem  quandam  animi  de  rebus  ahsentihus,  supra  opinuniem  et  infra  seien- 
tiam  eonstitutam^*  (De  sacr.  I,  10,  2).  Der  Glaube  enthält  die  „cognitio^^,  das, 
uquod  ftde  ereditur*^  („materia  fidei^^J  und  das  „credere*^  (1.  c.  II,  10).  Nach 
Hildebebt  von  Lavardin  ist  der  Glaube  „vohoitaria  certitudo  absentium 
supra  opinionem  et  infra  scientiayn  cotistituta^^  (Tract.  theol.  C.  1  ff.).   Abaelard 


392  Glaube. 

bemerkt:  „Fides  dtcitur  exisiimaiio  non  apparentium**  (Theol.  Christ.  U,  3). 
Thomas  erklärt  den  Glanben  als  „actus  inielleetus,  secundum  quod  movetur  a 
voluntate  ad  asseniiendum*^  (Bum.  th.  II.  II,  4,  2  e).  Auch  DüNS  SooTü8  be- 
tont den  Willenscharakter  des  Glaubens ;  er  unterscheidet  jßdes  aequisiia^*  und 
„fides  infusa".  Rayhukdus  Lttllub  erklärt:  ,yFides  est  habitus  a  Deo  daha 
per  qttem  inielleetus  intelligit  super  vires  suas  ea,  quae  per  suam  naturam  at- 
tingere  non  potesf*  (Phil,  princ.  C.  3).  —  Nach  L.  ViVES  ist  der  Glaube  „«- 
sensus  quidam  firmus^'  (De  an.  II,  p.  76). 

AIb  Zustimmung  zu  nicht  bewiesenen  Sätzen  aus  subjectiven  Gründen  U&i 
den  Glauben  Locke  auf  (Ess.  IV,  eh.  18,  §  2;  §  7).  Chr.  Wolf  erklärt: 
„Fides  dtcitur  assensus,  quem  praebemus  propositioni  propter  auetoritatem  dieen- 
tis"  (Log.  §  611).  jyDurck  den  Gla-idfen  verstehe  ich.  den  Beifall,  den  man  einem 
Satxe  gibt  um  des  Zeugnisses  willen  eines  andern**  (Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d. 
m.  Verst.*,  S.  145).  Baümgarten  imterscheidet  „fides  sacra  ohiective**  (Glau- 
bensinhalt) und  „fides  sacra  stäneetive**  (Glaubensact)  (Met  §  758). 

Glaube  als  natürliche  Überzeugiuig  von  der  Realität  eines  Objects,  als 
„belief*  (im  Unterschiede  von  ,/aith*')  spielt  in  der  englischen  Philosophie  eine 
nicht  unbedeutende  Bolle.  8chon  Collier  bemerkt:  ,,/  believe,  and  am 
very  sure,  thcU  this  seeming  quasi  extemity  of  visible  objects  is  not  Ofüy  the 
effect  of  the  will  of  god  .  .  .,  btä  also  that  it  is  a  natural  and  necessary  eon- 
dition  of  their  visibility**  (Clav.  univ.  p.  6  f.).  HüME  bezeichnet  als  Glauben 
(belief)  ein  gefühlsbetontes,  lebhaftes  Vorstellen,  das  Existentialbewußtsein.  „Be- 
lief is  nothing  but  a  more  vivid  lively,  forcible,  firm,  steady  conception  of  an 
ob/eetj  than  ickat  the  imagination  alone  is  ever  able  to  attain.  —  Belief  eonsiH 
in  the  manner  of  their  (ideasj  conception^  and  in  their  feeling  to  the  minä"" 
(Inquir.  sct.  V,  p.  42).  Der  Glaube  besteht  in  „a  feeling  or  sentimenf*,  in  einer 
bestimmten  Art,  wie  uns  Vorstellungen  berühren  (Treat.  Anh.  S.  354).  „Belief* 
ist  „an  idea  related  to  or  assodated  trith  a  present  impression"  (Treat.  III,  sct 
7,  p.  394).  Er  verleiht  den  Vorstellungen  größere  Energie  und  Lebhaftigkeit 
(1.  c.  III,  sct.  7).  Er  ist  eine  Vorstellungsweise  (1.  c.  S.  131 ;  vgl.  S.  133).  Dem 
Glauben  liegt  Gewohnheit  (s.  d.)  zugrunde.  Nach  Reid  ist  der  Glaube  ein 
unbeschreibbarer  einfacher  geistiger  Act  (Inquir.  C.  2,  sct.  5).  Mit  jeder  Wahr- 
nehmung ist  ein  Glaube  (als  „natürliches  und  primitives  Urteil")  an  eine  Existenz 
verknüpft  (1.  c.  C.  2,  sct  3). 

Kant  will  durch  den  Nachweis  der  Unzulänglichkeit  des  Erkennens  für 
transcendente  (s.  d.)  Objecte  dem  Glauben  an  diese  (an  Gott  u.  s.  w.)  Platz 
machen  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  26).  Glauben  ist  subjectiv  zureichendes  Fürwahr- 
halten (Krit  d.  r.  Vem.  S.  622),  ein  praktisches  Fürwahrhalten  (1.  c.  S.  623), 
ein  „Fürwahrhalten  aus  einem  Grunde^  der  xwar  objectiv  unzureichend^  aber 
subjectiv  xureichend  ist"  (Log.  S.  101;  vgl.  S.  102),  „die  moralische  Denkungs- 
art  der  Vernunft  im  Fürwahrfialten  desjenigen^  was  für  die  theoretische  Erkenntnis 
unzulänglich  ist"  (Krit.  d.  Urt.  §  91).  „Aller  Glaube  ist  .  .  .  ein  sttbjeeii9 
zureichendes,  objectiv  aber  mit  Bewußtsein  unzureichendes  FürtcahrhaUen"\ 
(Was  heißt:  sich  im  Denken  orientieren?  S.  132).  Glauben  ist  eine  „Ännehmung^ 
Voraussetzung",  „die  nur  darum  fiotwe7idig  ist,  weil  eine  objectire  praktische 
Regel  des  Verhaltens  als  notwendig  zum  Grunde  liegt,  bei  der  wir  die  Möglich- 
keit der  ÄusfiUtrung  und  des  daraus  hervorgehenden  Objectes  an  sieh  zwar  nicht  | 
theoretisch  einsehen,  aber  doch  die  einzige  Art  der  Zusammenstimmttng  derselben 
zum  Endzweck  subjectiv  erkennen*^  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met  S.  142).    Die  prak- 


Glaube.  393 

tische  Uberzeagung  oder  der  „moraliseke  Vemunftglatibe'^  ist  oft  fester  als 
Wissen  (Log.  8.  110).  Die  Glaubensgewißheit  ist  moralisch,  nicht  logisch,  „und 
da  sie  auf  subfeetiven  Gründen  (der  morcUischen  Gesinnung)  beruht,  so  muß  ich 
nicht  einmal  sagen:  es  ist  moralisch  getciß,  daß  ein  Gott  sei  etc.,  sondern  ich 
bin  moraliseh  gewiß  etc.  Das  heißt:  der  Glaube  an  einen  Gott  und  eine  andere 
Welt  ist  mit  fneiner  moralischen  Gesinnung  so  verwebt,  daß,  so  wenig  ich  Ge- 
fahr laufe,  die  erstere  einxubüßen,  ich  ebensowenig  besorge,  daß  mir  der  xweite 
jemals  entrissen  werden  könne'*  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  626).  Der  „pragmatische^^ 
Glaube  ist  ein  „bloß  xufHlliger^'  (1.  c.  S.  623);  von  ihm  sind  der  „notwendige 
Glattbe^*  (1.  c.  S.  623)  und  der  „doctrinale  Glaube**  (1.  c.  8.  624)  zu  unterscheiden, 
zu  dem  auch  der  Glaube  an  Gott  (s.  d.)  gehört  „Vernünftig**  ist  ein  Glaube, 
insofern  „der  letxte  Probierstein  der  Wahrheit  immer  die  Vernunft  ist**  (WW. 
IV,  .^7).  „Vernunfiglaube**  hingegen  ist  ein  der  Vernunft  entspringender 
Glaube,  ein  „Postulats*  (s.  d.).  Glauben  ist  ein  „beharrlicher  Grundsatz  des  Gemüts**, 
ein  „Vertrauen**  (Kr.  d.  Urt  §  91  ff.).  Der  „Kirehenglaube^*  ist  Offenbarungs- 
oder ,/iistorischer**  oder  „statutarischer**  Glaube  (Rel.  innerh.  d.  Gr.  d.  bl.  Vem.). 
„Glaubenssachen**  werden  a  priori  für  praktisch-ethische  Zwecke  gedacht,  sind 
aber  für  das  Erkennen  nicht  zureichend  (Kr.  d.  ürt.  §  91  ff.).  Vgl.  E.  SXnger, 
Kants  Lehre  vom  Glauben  1903. 

Jacobi  sieht  im  „Glauben^*  eine  Quelle  übersinnlicher  Erkenntnis.  Der 
Glaube  ist  die  immittelbare,  gefühlsmäßig-vernünftige  Erfassung  der  Wirklich- 
keit (WW.  II,  109  ff.).    Er  lehrt  eine  „Glaubensphilosophie**, 

Kküg  bemerkt:  „Das  Fürwahrhalten  aus  subjectiven  Gründen  heißt  Glau- 
ben (credere)  und  der  ih?n  entsprechende  Überxeugungsgrad  Glaube  (fuies)** 
(Pundam.  8.  235).  „Wenn  die  subjectiven  Gründe  der  Überxeugung  für  alle 
überxeugungsfahigen  Subjecte  xur eichen,  so  ist  der  Glaube  allgemeingültig , 
d.  h.  er  kann  von  jedermann  vernünftigerweise  angenommen  werden**  (1.  c.  8.  246; 
vgL  Handb.  d.  Philos.  I,  80  ff.).  Nach  J.  G.  FtCHTE  findet  an  Realität  über- 
haupt, sowohl  die  des  Ich,  als  des  Nicht-Ich,  lediglich  ein  Glaube  statt  (Gr. 
d.  g.  Wiss.  8.  298).  Glaube  ist  das  „freiwillige  Beruhen  bei  der  sich  uns  natür- 
lich darbietenden  Ansicht**,  ein  „Entschluß  des  Willens,  das  Wissen  geltend  xu 
machen**  (Bestimm,  d.  Mensch.  8.  92).  Logischer  Glaube  ist  nach  Fries  „die 
Änruihme  einer  Meinung,  nur  weü  mich  ein  Interesse  treibt,  in  Rücksicht  über 
mein  Urteil  xu  bestimmen**  (8yst  d.  Log.  8.  421).  Metaphysisch  ist  der  Glaube 
eine  „  Überxeugung  ohne  Beihülfe  der  Anschauung*'^  (1.  c.  8.  423).  Nach  E.  Rein- 
hold  ist  der  Glaube  (als  Meinen)  „ein  mehr  oder  weniger  xweifelndes  Fürtvahr- 
halten,  welches  durch  u?iser  Interesse  für  den  hihalt  der  Behauptung  Unterst ütxung 
erhält**  (Theor.  d.  menschl.  Erkenntnisverm.  II,  124).  Nach  8chelling  heißt 
Glauben  „dasjenige  mit  Zuversicht  für  möglich  halten,  was  unmittelbar  unmöglich, 
was  nur  vermöge  einer  Folge  und  Verkettung  von  Umständen  und  Handlungen, 
kurx,  was  nur  durch  mehr  oder  weniger  zahlreiche  Vermittlungen  möglich  ist** 
(WW.  I  10,  183).  „Glaube  ist  ,  .  ,  nicht ,  wo  nicht  zugleich  Wollen  und  Tun 
ist**  (ib.).  Der  Glaube  ist  „ein  wesentliches  Element  der  wahren  Philosophie, 
Alle  Wissenschaft  entsteht  nur  im  Glauben**  (ib.).  Nach  Eschenmayer  ist  der 
Glaube  „eine  der  Seele  eingeborene  Function**,  „eine  Gewißheit  aus  Offenbarung**, 
„unmittelbar  ge^ciß"*  (Psychol.  8.  118  f.).  Nach  8t.  Martin  ist  der  Glaube  ein 
VerlaDgen,  nach  F.  Baader  „die  Zuversicht  in  das  Gelingen  meines  Tuns** 
(W W.  I,  239),  nach  Schleiermacher  ein  „  Überxeugungsgefühl**  (Dialekt.  8.  95). 


394  Glaube. 

GÜNTHER  versteht  unter  Glauben  das  Erkennen  des  Wesens  als  Grundes  der 
Erscheinungen« 

Nach  Feghner  ist  alles  Allgemeinste,  Höchste,  Letzte,  Tiefste  Glauba$- 
sache  (Tagesans.  S.  17).  Lotze  erklärt:  „Alle  unsere  Beurteilung  der  Wirüi^^- 
keit  beruht  auf  dem  unmittelbaren  Zutrauen  oder  auf  dem  Glaubeti,  fnii  df» 
toir  der  Forderung  des  DenkenSj  die  das  eigene  Gebiet  desselben  übersehreitet,  aÜ- 
gemeine  Gültigkeit  xuerkennen^^  (Log*  S.  569).  Volkelt  sieht  im  yfOiaubeH"* 
eine  Seite  des  Denkens,  die  „mystische^^  Grundlage  desselben  (Erfahr,  u.  DenL 
S.  184).  Nach  G.  Gerber  ist  der  Glaube  „eine  rerirauensrolle  Überieugws, 
an  welche  wir  durch  wiser  Gefühl  uns  gebunden  finden^^  (Das  Ich  S.  335^. 
414).  RiEHL  versteht  unter  jyGlauben"  (belief)  „rföw  GefüJU,  das  die  SetiUßS 
der  Empfifidung  bewirkt  ufid  begleite f^  (Philos.  Kritic.  II  1,  44).  Physiok)gi».'h 
entsteht  er  aus  dem  Zusanunenwirken  von  Empfindung  und  Innervationsgeföhl 
(1.  c.  S.  45).  Nach  Drobisch  ist  der  Glaube  „em  FürgewißJuüten  des  an  sirk 
Ungeumssen  und  nur  höchstens  Wahrscheinlichen^^  (N.  Darst.  d.  Log.*,  §  156i. 
Hagemann  versteht  imter  Glauben  „das  Fürwahrhalten  auf  Grund  eines 
fremden  Zeugnisses^^  (Log-  u.  Noet.*,  S.  161).  Zu  unterscheiden  sind  natürlicher , 
und  übernatürlicher  Glaube  (1.  c.  S.  165).  Nach  Wundt  ist  Glaube  „das  sub-  \ 
jective  Fürwahrhalten*'  (Log.  I,  370).  Die  niederen  Formen  des  Gbiubätf 
haben  ihren  Grund  in  unseren  Affecten  der  Neigung  und  Abneigung  (L  c. 
S.  372).  Die  höhere  Form  des  Glaubens  entspringt  aus  sittlichen  Forderungen 
(ib.;  vgl.  S.  377).  J.  Payot  sieht  den  Grund  des  Glaubens  im  Wollen.  „Croin 
c'est  se  retenir  d'agir/^  Der  Glaube  ist  die  Affirmation  der  Wahrheit  oder 
Falschheit  (De  la  croyance  1896,  p.  173  u.  a.).  Nach  Höffding  ist  der  (reli- 
giöse) Glaube  „eine  subjective  Continuität  der  Gesimmng  und  des  Willens,  dif 
darauf  ausgeht,  eine  objeetire  CotUinuität  des  Daseifis  festzuhalten**  (Religion»-  , 
philos.  S.  105).  R.  AvENARirs  rechnet  den  Glauben  zu  den  „Ejricharakteretr-. 
durch  die  ein  E-Wert  (s.  d.)  modificiert,  bestimmt  wird  (Kr.  d.  r.  Erf.  II. 
142  f.).  Nach  Schuppe  enthält  jedes  Urteil  ein  Glauben  an  dessen  Wahrheit 
(Log.  S.  175).  Jgdl  betrachtet  den  Glauben  als  Ergebnis  complexer  psychischer 
Vorgänge  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  GßO).  W.  Jerusalem  versteht  imter  Glauben 
ein  „bewußtes,  gefühltes  FürwaJirhaltepi"  (Urteilsf unct.  S.  199),  ein  Gefühl,  d** 
„Bewußtsein  der  Übereinstimmung  eines  Urteils  mit  unseren  bisherigen  Er- 
faJirungen,  mit  unserer  ganxen  Weltafischauung"  (Lehrb.  d.  PsychoL*,  S.  124; 
Urteilsfunct.  S.  200).    Der  Glaube  bildet  ein  Element  des  ürteilens. 

Einen  intuitiven  Glauben  (belief  =  Uberzeugungsgefühl)  an  die  Existeni 
der  Objecte  (s.  d.)  gibt  es  nach  J.  St.  Mill  (Log.  I,  64;  Examinat  p.  403  ff.)- 
Das  Urteil  (s.  d.)  ist  ein  „Glaube**  (so  auch  Brentano).  Hierher  gehört  auch 
der  „logische  Beifall**  Herbarts,  welcher  in  einem  „Anerketinen**  besteht,  niit 
dem  ein  Gefühl  eigener  Art  verbunden  ist,  „worin  der  Zttang  der  Epidenx  und 
die  Befriedigung  eines  Anspruches  sich  vermiscJu^n**  (Lehrb.  zur  PsychoL*,  S.  ÖT^'. 
Nach  W.  James  ist  „belief**  „the  setise  of  reality**,  „a  sort  offeeling  nu>reallied 
to  the  emotions  than  to  anythijig  eise**  (Princ.  of  Psychol.  II,  282).  Der  GUube 
beruht  auf  einem  inneren  Bedürfnisse  (Wille  zum  Glaub.  S.  60  ff.).  „WV 
fordern  eine  Beschaffenheit  des  Universums,  xu  der  unsere  Geftihlserregitfigf^ 
und  Betätigungstriebe  passen**  (1.  c.  S.  91).  „Glauben  heißt  etwas  für  richtig 
halten,  hinsichtlich  dessen  in  iheoretiselier  Hinsicht  fweh  Ztceifeln  möglich  tf^*' 
Der  Glaube  besteht  in  der  „Bereitwilligkeit,  für  eine  Sache  xu  hofideln,  derf^ 
glücklicher  Ausgang  uns  sticht  im  voraus  garantiert  wird**  (1.  c.  S.  98).    Vg^ 


Glaube  —  Glück.  395 


Stoüt,  AnaL  PsychoL  I,  234  ff.,  2(50  ff.;  der  Glaube  ist  gehemmte  Activitat 
des  Geistes.  Über  den  religiösen  Glauben  handelt  u.  a.  A.  Dorner,  Gr.  d. 
Religionsphilos.  S.  249  ff.    Vgl.  Gott,  Object,  Eealität,  Religion,  Wissen. 

Gleiche«  dureli  Gleiehes  wird  erkannt  nach  Empedokles:  17 
P'dtats  rov  ofioiov  r^  ouoiof  (Aristot.,  De  anim.  I,  2;  Met.  III  4,  1000  b  6; 
ßext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  121),  nämlich  jedes  Element  eines  Dinges  durch 
das  gleiche  Element  in  mis.  Nach  Anaxagoras  erkennen  wir  Gleiches  durch 
Ungleiches,  z.  B.  Wärme  durch  Kälte  (vgl.  Wahrnehmung).  Goethe:  „War' 
nicht  das  Ättge  sonnenJtaft,  die  Sonne  könnV  es  nicht  erkennenJ^  Erkenntnis  des 
Gleichen  durch  das  Gleiche  nimmt  in  gewissem  Sinne  Schleiermacher  an 
(Philos.  Sittenl.  §  50).    Vgl.  Erkenntnis. 

GleieliiK^ultig^keit  s.  Indifferenz. 

Crieielilielt  ist  ein  Begriff,  der  aus  dem  beziehend-vergleichenden  Denken 
entspringt  und  die  identische  Beaction  des  Ich  auf  zwei  numerisch  verschiedene 
Inhalte  des  Bewußtseins  bezeichnet.  Gleichheit  ist  absolute  Ähnlichkeit,  Un- 
unterschiedenheit  bezüglich  der  Qualität  oder  Quantität.  —  Leibniz:  „Ead^m 
suntf  quoruvi  unum  potest  stdistitui  altert  salva  veritate^^  (Gerh.  VII,  228). 
Chr.  Wolf  bestimmt:  „Äequalia  sunt,  quae  salva  quantitate  substitui  sibi 
fftuHu)  possunt*'  (Ontolog.  §  439).  Nach  Ulrici  ist  Gleichheit  „relative  Iden- 
titäf'  (Log.  S.  137),  nach  Steinthal  ebenfalls  (Einl.  in  d.  PsychoL  S.  125), 
nach  LiPPS  „partielle  Identität'  (Gr.  d.  Log.  S.  103).  B.  Erdmann:  „Der 
Inhalt  xweier  Gegenstände  .  .  .  ist  der  gleiclie,  sofern  Bestimmungen^  die  in  dem 
einen  vorgestellt  werden,  auch  in  dem  andern  gesetxi  sind"  (Log.  I,  265).  Der 
.firufhdsatx  der  logischen  Gleichheit"  ist:  „Ein  Gegenstand  kann  von  einem 
andern  nur  ausgesagt  werden,  sofern  sein  Inhalt  dem  Inlialt  des  ersteren  einr 
geordnet  werden  kann"  (1.  c.  S.  266).  Nach  OsTWAi^D  setzen  wir  zwei  Dinge 
gleich,  „wenn  das  eine  bei  irgend  einer  bestimmten  Operation  für  das  a?idere 
gesäxt  werden  kann,  ohne  daß  etwas  anderes  entsteht"  (Vorles.  üb.  Naturphilos.', 
S.  114).  Es  kann  keine  absolute  Gleichheit  geben  (1.  c.  S.  115;  vgl.  Identi- 
tatis  indiscemibilium  principium).    Vgl.  Identität. 

CrleielilieiteTerbiiidung^en  s.  Association. 

CrleleliKeitl^keit  s.  Association.     . 

Ollick  (Glückseligkeit)  ist  (subjectiv)  der  Zustand  der  Willens- 
befriedigung, der  dem  Grundwillen  der  Persönlichkeit  angemessene  Lebens- 
zustand. Objectiv  bedeutet  „Glüct^  so  viel  wie  Geschick,  gutes  Schicksal, 
günstige  Außenbedingungen  des  Handelns.  Je  nach  der  Art  des  GnmdwUlens 
der  Menschen  ist  deren  Begriff  von  Glück  ein  verschiedener.  Bald  wird  das 
Glück  in  den  Besitz  und  Genuß  von  äußeren  Glücksgütem  (Reichtum  u.  s.  w.), 
bald  in  die  geistige  VervoUkonmmung,  bald  in  die  Maximisation  der  Lust,  bald 
in  die  Minimisation  der  Unlust,  in  die  Bedürfnislosigkeit,  bald  in  die  Sittlich- 
keit (Tugend),  bald  sogar  in  das  Leiden  für  das  Ideal,  in  das  Martyriimi,  in 
die  Askese  u.  dgL  gesetzt.  Die  Erhebung  der  Glückseligkeit  zmu  ethischen 
Haaptpnncip  heißt  Eudämonismus  (s.  d.). 

Nach  Thales  ist  glücklich  der  leiblich  imd  geistig  Tüchtige  (o  t6  ftiv  acHfia 
lyujff,  T-^v  da  t-vx^v  evjtogoi,  Tr,v  de  y^vxrjv  evnaiSevTos  (Diog.  L.  I  1,  37). 
Bemoerit  setzt  die  Glückseligkeit  in  den  Seelenfrieden,  in  die  ruhige  Heiter- 
keit des  Gemütes  (evd'vfila,  evsarcj).    'EvSaifiovlr]  ovx  iv  ßoaxrifiaGiv  oixeeij  ovdi 


396  Glück. 

iv  XQ'*^^V'  y^XV  oixrjrijgiov  Saifiovo^  r^v  S*€v8aifiOviav  xai  evd^^fiiav  xni  evtGXA 
xal    aQfiovCav   cvfifteT^av  re   xai  ara^a^iav   xakel'   cwiaraa&ai  S*avrijv  in  t«v 
BiOQiüfiov  xal  rrjg  8tttx^ice<0€  ttüv  ly^oro;^  (Stob.  EiCL  II  6,  76) ;  a^ierov  at'&ptisa 
Tov  ßiov  Stdyeiv  ofg  TiXelaxa  evd'vur^d'ivTi  xal  ikaj^tCTa  dvit^&e'vri  (Stob.,  FloriL 
V,  24).    Nach  Xallikles  besteht  das  Glück  in  der  Befriedigung  der  Begierden 
(Plat.,  Gorg.  483  E,  491  E).    Noch  mehr  als  Sokilates  (Xenoph.,  Memorab.  I, 
6,  10)  legen  die  Cyniker  Wert  auf  die  Bedürfnislosigkeit  (s.  d.).     Die  Kyre- 
naiker  setzen  die  Glückseligkeit  in  die  Lust.    Aristepp  erklart  die  Glück- 
seligkeit als  Summe  von  Lustzuständen   {svdaiuoviav  8i  rd   ix  xwv  fu^utmr 
i^8ovc9v  avarrifia,  als  awaQtd'fiovvTa^  xal  ai  Tta^x^xvXai  xal  ai  fuXXovcatj  Diof. 
L.  II  8,  87).    Theodobus  setzt  das  Glück  in  die  Freude  (xa^,  L  c.  11  8,  ^i. 
Heqesias  leugnet  die  Möglichkeit  des  Glückes,  ist  Pessimist  (t^v  elSttiaoriaf 
okiog  aSvvarov  ilvat'  ro  ftev  yd^  cäifia  noXkc5v  dvaTtsTiXijad'at  TtaS'r^ßidTcfr,  nfr 
Se  yjvxrjv  av/iTtad'eXv  rep  umfiaxi  xal  rapdrrsffd'ai,  rijv  8i  Tvxfi*^  noiJLa  xiäv  xax 
iXTitSa  xofkvetv,  Diog.  L.,  II  8,  94).     Höchstes  Gut  ist  daher  nur  to  ^^  da»- 
7t6v(os  ^Tiv  fir,8e  itmepcaSf  das  leidlose  Leben.    Nach  Plato  besteht  die  Glück- 
seligkeit im  Besitz  des  Guten,  Schönen  (evSaiftovae  —  rove  rdyad'd  xtU  x/oja 
xsxrrjfuvovs,  Sympos.  202  C ;  vgl.  240  E;  Gorg.  508  B,  470  D).    Der  Staat  fördert 
die  Glückseligkeit  aller  (Republ.  IV,  420  B).     Höchste  Glückseligkeit  liegt  in 
der  Verähnlichung  mit  Gott.     Speusippus  bestimmt  die  Glückseligkeit  ab 
ß*e  releia  iy  toU  xard   tpvaiv  k'xovaiv  (Clem.  Alex.,  Strom.  II,  418d).    Nach 
Xenokrates  besteht  die  Glückseligkeit  im  Besitze  der  uns  gemäß^i  Tugend 
(olxeias  dgerrje,  Clem.  Alex.,  Strom.  II,  419  a).    Aristoteles  erklärt,  das  Zid 
alles  Handelns  sei  die  evSaiuovin,    Diese  liegt  im  vernünftigen  Verhalten,  im 
vernunftgemäßen,  tugendhaften  Leben  (t]   svBaifiovia   rfwxrjs  ive^eid  ng  juct 
d^eTTjv  teleiav,   Eth.  Nie.  I  13,  1102  a  5).     Im  reinen  Erkennen  besteht  die 
höchste  Glückseligkeit  (1.  c.  X,  7);   daher  ist  Gott  der   Seligste  (L  c.  X  8, 
1178b  21).    Lust  ist  der  Glückseligkeit  beigemischt  (Sei  rjBovriv  na^afufux^at 
T^  evdoifiovia^   1.  c.  X  7,  1177  a  23),   sie   vollendet  die  naturgemäße   Seekn- 
tatigkeit   (reXeiol  8e  rijv   ive'pyeiav  ^  xiBovrj  ovx  ws  rj  i^is  iwjtaQXOvaa^  dk£   tag 
imyiyvofAevov  t«  rikoi,  1.  c.  X,  4).    An   die  höchste  Tugend  knüpft  sich  di^ 
höchste  Glückseligkeit  (1.  c.  X  7,  1177a  12  squ.).     Äußere  Güter  sind  Mittel 
zur  Ausübung  der  Tugend,  daher  dienen  sie  auch  der  Glückseligkeit  (L  c,  VII 
14,  1153b  17;  X  8,  1178a  24).     Nach  der  Lehre  der  Stoiker  ist  die  Glück- 
seligkeit eine  Folge  des  naturgemäßen,  tugendhaften  Lebens;  sie  besteht  in  der 
geistigen  Freiheit  und  Kühe   (riXos   8b   tpaatv  slvai  ro   ex'8aifiorBiv^    ov   Stf&a 
ndvra  nparmai^    avxo   8h  Tt^aTTerat   uiv  ov8evds  8i  i'vexa'   rovro  8*  vTiti^j^tv 
iv  T<3J7  xax    d^€Tf]v  t,rjv,  iv  xtf  otioXoyovfiivcag  Sifr,  fri,  xavxov  SvToe,  iv,  xt^  »axd 
fvciv  £^v  (Stob.  Ecl.  II  6,  138).   Cicero  erklärt:  „Cofigrt4ere  natttraej  eumque  «a 
eonvenienter  vivere  —  ita  fit  seinper  vita  beata  sapi^nti**  (Tusc.  disp.  V,  28, 82).   Die 
Epikureer  setzen  die  Glückseligkeit  in  die  Lust  (s.  d.),  besonders  in  die  geistigf. 
Nach  Plotin"  besteht  die  wahre  Glückseligkeit  im  vollkommenen  Leben  (Eon. 
I,  4,  3),  in  der  Selbstgenügsamkeit  des  Geistes  (1.  c.  4,  4),  in  der  Richtung  der 
Seele  zum  Göttlichen  (1.  c.  I,  4,  8).    Bofirmus  definiert:  „Beatitudo  est  siatto 
mnnium  bonorum  aggregatione  perfectus.^* 

Die  Scholastik  setzt  die  Glückseligkeit  in  das  tugendhafte  Leben,  in  die 
geistige  Betätigimg.  Nach  Johann  von  Salisbury  ist  die  Glückseligkeit 
„virtutis  praemium''  (Polycr.  VII,  8).  Albertus  Magnus  erklärt:  ,yIHieiUu 
est  actus  vel  opercUio  seenndum  propriam  et  connaturalem  virttäem  non  impedUa 


aiück.  397 

4n  eo,  euius  est  talis  virius"  (Sum.  th.  I,  69,  1).  Nach  Thomas  wird  das  End- 
ziel des  Handelns  j/elicitas  sive  beatitudo^^  genannt  (Contr.  gent.  III,  25). 
jyEssefUia  beattiudinis  in  ctctu  inteÜectus  cansistit^  (Sum.  th.  II,  3,  4;  III,  50, 
4).     Die  Glückseligkeit  ist  ^fionuin  perfeotum  intellectualis  ncUurae^^, 

Auch  Spn^ozA  setzt  die  Glückseligkeit  in  das  vernünftige,  tugendhafte 
Leben,  in  die  intellectueUe  Betätigung,  „hi  vüa  .  .  .  tUiU  est,  intellectuan  seu 
raüonem,  qtuifUum  possumus  perfieere,  et  in  hoc  uno  summa  hominis  felicitas 
seu  beatüudo  eonsisUi;  quippe  beatittido  nihil  aliud  est,  quam  ipsa  animi  ae* 
quiescentia,  quae  ex  Dei  intuitiva  cogmtione  oritur^'  (Eth.  IV,  append.  lY).  „Cläre 
intelligimus,  qua  in  re  salus  nostra  seu  beaiitudo  seu  libertas  consistit,  nempe  in 
eonstanti  et  aeterno  erga  Deum  amore,  sive  in  amore  Dei  erga  homines"  (1.  c.  V, 
prop.  XXXYI,  schol.).  „Beaiitudo  non  est  virtuiis  praemium,  sed  ipsa  virtus ;  nee 
eadem  gaudemus,  quia  libidines  eoereemus,  sed  contra  quia  eadem  gaudevius,  ideo 
libidines  eoercere  possumus"  (1.  c.  prop.  XLII;  vgl.  deDeo  II,  9).  Nach  Leibniz 
besteht  die  Glückseligkeit  im  tugendhaften  Leben  und  in  der  Liebe  zu  Gott 
(Theod.  Pr^.  §  5).  Glück  ist  bestandige  Freude  (Gerh.  VII,  86;  vgl.  Nouv. 
El».  II,  eh.  21,  §  42).  Nach  Locke  ist  Glück  das  äußerste  Maß  der  Lust 
(Ess.  II,  eh.  21,  §  42).  Ferousok  bemerkt:  „Wenn  eine  Seele,  die  wohlwollend, 
weise  und  beherxt  ist,  die  höchsten  Vergnügungen  und  das  wenigste  Leiden  hat, 
so  ist  diese  cUlein  für  glücklich  xu  halten"  (Grunds,  d.  Moralphilos.  S.  138  ff.). 
Nach  HoLBAOH  ist  das  Glück  „une  fagon  d'etre  dont  nous  souhaitons  la  durie,  ou 
dans  laquelle  nous  voulons  perseverer^^  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  9,  §  135).  Che.  Wolf 
erklart:  „Qui  summum  bonum  eonsequitur,  felix  est"  (Philos.  pract.  I,  §  395). 
„Sine  virtute  nemo  felix  esse  potest  nee  felicitas  a  virttäe  seiungi"  (1.  c.  §  400). 
Platneb  definiert  die  Glückseligkeit  als  „Zustand  angenehmer  Empfindungen", 
als  ,^ie  Mehrheit  angenehmer  Zustände  in  der  Totalität  des  Lebens"  (Phil.  Aphor. 
II,  §  28).  Nach  Eberhard  versteht  jedermann  unter  Glückseligkeit  „einen 
Zustand^  worin  er  wahres  Vergnügen  ununterbrochen  genießt"  (Sittenlehre  d. 
Vem.  1786,  S.  3).  Laplace  und  Bernoulli  unterscheiden  „fortune  morale" 
(inneres,  subjectiv  gefühltes)  und  „fortune  physique"  (objectives  Glück);  ersteres 
wächst  nach  Art  des  Weberschen  Gesetzes  (s.  d.). 

Gegen  das  im  18.  Jahrhimdert  florierende  Streben  nach  Glückseligkeit 
wendet  sich  der  „Rigorismus"  (s.  d.)  von  Kakt.  „Glückseligkeit  ist  das  Losungs^ 
wort  aller  Welt,  Aber  sie  findet  sich  nirgends  in  der  Natur,  die  der  Ölück- 
Seligkeit  und  der  Zufriedenheit  mit  dem  vorhandenen  Zustaiide  nie  empfänglich 
ist.  Kur  die  Würdigkeit,  glücklieh  xu  sein,  ist  das,  was  der  Mensch  erreichen 
kann"  (WW.  VIII,  643).  Glückseligkeit  darf  kein  Motiv  des  Handebs  sem, 
soll  dieses  als  sittlich  (s.  d.)  gewertet  werden.  Doch  ist  Glückseligkeit  ein  Be- 
standteil des  höchsten  Gutes  (s.  d.),  die  notwendige  Folge  der  Sittlichkeit,  wenn 
nicht  in  der  Erscheinungswelt,  so  doch  im  Transcendenten  (Kr.  d.  prakt.  Vem. 
I.  T.,  2.  B.,  2.  Hptst.).  Glückseligkeit  ist  „der  Zustand  eines  vernünftigen 
Wesens  in  der  Welt,  dem  es,  im  Ganzen  seiner  Existenx,  alles  nach  Wunsch 
und  W%llen  geht,  und  beruhet  also  auf  der  Übereinstimmung  der  Natur  xu 
seinem  ganzen  Zwecke,  imgleichen  zum  wesentlichen  Bestiynmungsgrunde  seines 
Willens"  (ib.).  „Glückseligkeit  ist  die  Befriedigung  aller  unserer  Neigungen 
(sowohl  extensive,  der  Mannigfaltigkeit  derselben,  als  intensive,  dem  Grade, 
als  auch  protensive,  der  Dauer  nach)"  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  611).  Glückselig- 
keit ist  nicht  der  Naturzweck  an  einem  vernünftigen  Wesen  (Grundl.  zur  Met 
d.  Sitt  1.  Abschn.;  vgl.  Kr.  d.  ürt  §  87).     Nach  J.  G.  Fichte  macht  das 


398  Olück  —  Onosis. 


glückselig,  was  gut  ist.  ,jOhne  Sittlichkeit  ist  keine  Olüekseligkeit  möglich' 
(Bestimm,  d.  Gelehrt.  1.  Vorles.).  Nach  K,  Eosenkranz  resultiert  die  Glück- 
seligkeit aus  der  Selbstbeschränkung  des  Ich,  aus  der  Zusammenfassung  der 
Strebungen  zur  Einheit  (Syst.  d.  Wiss.  S.  433).  Nach  Hillebrakd  besteht 
Glückseligkeit  da,  wo  die  Persönlichkeit  in  Übereinstinmiung  mit  sich  sdbsi 
lebt  (Philos.  d.  Geist.  II,  110).  Schopenhauer  bemerkt  pessimistisch:  jyAlk 
Befriedigung,  oder  was  man  gemeinhin  Olück  nennt j  ist  eigentlich  und  tcesentlith 
immer  nur  negativ  und  durchaus  nie  positiv"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  58). 
Lust  ist  nur  Freisein  von  Unlust  (Parerg.  II,  §  150).  Nach  Czolbe  ist  da* 
Glück  jedes  Wesens  durch  dessen  möglichste  Vollkommenheit  bedingt.  Das 
Glück  ist  der  Endzweck  der  Welt  (Gr.  u.  Urspr.  d.  menschL  Erk.  S.  VI, 
S.  3,  12).  Nach  .E.  Zeller  ist  Glückseligkeit  der  „Zustand  eines  empfmdenden 
Wesens  .  .  .,  in  dem  alle  seine  Interessen,  jedes  nach  dem  Verhältnis  seines 
Wertes,  ihre  dauernde  Befriedigung  finden"  (Begr.  u.  Begründ.  d.  sitÜ.  GesetsBe  ! 
S.  23).  Auch  E.  DÜHRINQ  erblickt  in  der  Glückseligkeit  den  Weltzweck,  so  | 
auch  (teilweise)  Fechner.  Nach  Wundt  ist  die  Glückseligkeit  ein  subjectiver 
Nebenerfolg  der  Sittlichkeit,  ein  Mittel,  aber  nicht  das  Ziel  des  ethischen 
Handelns  (Eth.*,  S.  503).  Nach  Unold  ist  Glück  „etn  Optativ,  kein  Imperatir^, 
es  kann  nicht  der  Zweck  des  sittlichen  Handelns  sein  (Gr.  d.  Eth.  S.  289  ff.). 
Ehrexfels  stellt  ein  y^Oesetx  von  der  relaiiven  Olüeksforderung'^  auf.  y^Die 
angenehmeren  Vorstellungen  erhalten  einen  Kraftxuschuß  im  Kampf  um  die 
Enge  des  Beimißiseins,"  Die  Höhe  dieses  Zuschusses  ist  nicht  proportional  der 
Höhe  des  Glückszustandes,  sondern  „dem  Unterschiede  im  QUicksxtistand,  welcher 
sich  an  die  betreffenden  Vorstellungen  knüpfen  würdet''  (Syst.  d.  Werttheor.  I. 
190  ff.).  Alle  Acte  des  Begehrens  sind  in  ihren  Zielen  imd  in  ihrer  Starke 
„von  der  relativen  Qlücksförderung  bedingt,  welche  sie  gemäß  den  QefÜhls- 
dispositionen  des  betreffenden  Individuums  bei  ihrem  Eintritte  ins  BetcußUein 
und  während  ihrer  Dauer  in  demselben  mit  sieh  bringen"  (1.  c,  I,  41).  Nach 
H.  Schwarz  besteht  das  Glück  in  der  „möglichsten  Sättigung  aller  Wert- 
haltungen,  xumal  der  höheren"  (Psychol.  d.  WiU.  S.  157).  Vgl.  Optimismus, 
Tugend,  Eudämonismus. 

Gnome  (yvio/it]):  Einsicht,  Vernünftigkeit.  Heraklit  nennt  yrcatoj  den 
Logos  (s.  d.).  Vgl.  Aristoteles,  Eth.  VI  11,  1143  a  19  squ.  und,  betreffe  der 
Stoiker,  Stob.  Ecl.  II  6,  170. 

Gnomlker:  die  Namen  der  „siebefi  Weisen"  als  Sentenzethiker.  Thales: 
yvcSd'i  aavTov  (Diog.  L.  I  1,  40).  SOLON:  fi^  rpBvdov  T«  anovdaia  fie'Uxa' 
fifjSiv  ayav  (1.  C.  I  2,  60).  ChILON:  ^771;«,  nd^a  S^axa  (1.  C.  I  3,  7.3).  PlT- 
TACUS:  aaiQov  yvcad'i  (1.  c.  I  4,  79).  BIA8:  oi  nXsiaroi  xaxoi  (1.  e.  I  5,  88); 
OLQXV  «»'^^ö  Beißet  (Arist.,  Eth.  Nie.  V,  3).  Kleobulos:  ^»7  fidrcuos  «/"(**»  y"" 
vead'o?'  fitXQOv  ä^iarov  (Diog.  L.  I  6,  91,  93).  PERIANDER:  fieXerr]  to  näv 
(1.  C.  I  7,  99).     AnachARSIS:  yXojaarjg,  yaar^osi,  aiSoiow  x^arelv  (1.  C.  I  8,  104). 

Gnoseologie:  Erkenntnislehre,  „scientia  cogitaiionis"  (A.  Baumgahten). 

Gnosis  (yve^tg):  Erkenntnis,  Wissen,  auch  die  Gnostik,  die  Lehre  der 
Gnostiker.  Als  religiöse  Erkenntnis  findet  sich  yvMfns  schon  im  Neuen 
Testament  (Matth.  XIII;  Paul.,  Cor.  1,  VIII,  1).  Dann  bei  Cleicens 
Alexandrintjs.  Nach  ihm  ist  das  „yvtovai"  Ttliov  rov  Ttunevtrai  (Strom.  VI, 
14,  109).  Die  yvd^ais  ist  anoSeiSis  rtov  Sui  Ttiarsme  ^aQeiXr,ufuva>v  rf,  Tti^rn 
iTtüixoSofiov/iettj  (L  c.  VII,  10,  57).    Er,  wie  Oriqenes,   wollen  den  Glanb<Hi 


Gnosis  —  Gott.  399 


durch  Gnosis  stützen,  bewahrheiten.  Die  ^^retisehen^^  Gnostiker  geben  eine 
Metaphysik  der  Religion,  sie  sind  Theosophen  (s.  d.),  Mystiker,  welche  psychisch- 
religiöse Processe,  Zustände,  Begriffe  und  Entwicklungsphasen  hypostasieren. 
Sie  sind  Anhänger  einer  Emanationslehre  (s.  d.),  die  wesentlich  von  der  der 
Neuplatoniker  beeinflußt  ist.  Sie  rühmen  sich  der  absoluten  Erkenntnis  von 
Gott,  der  Natur  und  der  Geschichte  (Harnack,  Dogmengesch.  !•,  220;  vgl. 
S.  215).  Zu  den  Gnostikem  gehören:  BASiiiiDEß,  Valentinus,  Saturninus, 
Cerdon,  Marcion,  Apelles,  Karpokrates,  Bardesakes.  Der  Gnosticismus 
ist  ein  System,  wonach  y^aus  dem  Urvater  die  göttlichen,  ÜberweÜlichen  Äonen, 
d.  h,  ttypostasierte  Kräfte,  die  an  der  Gottheit  und  ihrer  Etpigkeit  teÜhahen, 
emaniert  sind,  die  dcts  Pleroma  ausmachen,  die  Sophia  aber,  der  letzte  der 
Äoneny  durch  ungeregelte  Sehnsucht  nach  dem  Urvater  dem  Streben  und  Leiden 
verfiel,  aus  dem  eine  niedere,  außerhalb  des  Pleroma  weilende  Weisheit,  die 
Aehamoth,  femer  das  Psychische  und  die  KörpenceU  samt  dem  Demiurgen 
hervorgifigen,  und  wonach  eine  dreifache  Erlösung  stattgefunden  hat:  innerhalb 
der  Aonenwelt  durch  Christus,  bei  der  Aehamoth  durch  Jesus,  das  Erxeugnis 
der  Äonen,  und  auf  Erden  durch  Jesus,  den  Sohn  der  Maria,  in  dem  der  heilige 
Geist  oder  die  göttliche  Weisheit  wohnte^^  (Überweq-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d. 
Philos.  II»,  29  f.).  Vgl.  C.  F.  Baur,  Die  christl.  Gnosis  1835;  E.  H.  Schmitt, 
Die  Gnosis  I,  1903.    Vgl.  Äon,  Pleroma,  Gott,  Wissen. 

Ctoelenlas  s.  Sorites. 

Goldener  Selmitt  („sectio  dimfui^^J  heißt  die  Teilung  einer  Strecke  in 
der  Weise,  daß  der  kleinere  Abschnitt  sich  zum  größeren,  wie  der  größere  zur 
Summe  der  beiden  verhält.  In  der  Ästhetik  ist  der  „goldene  Sehnitt^^  von 
Bedeutung.  Er  gefällt  nach  manchen  (z.  B.  O.  Liebmann,  Anal.  d.  Wirkl.*, 
S.  587),  weil  wir  selbst  ihn  in  unserem  Xörperbaue  haben  (vgl.  Zeising,  Ästhet 
Forschungen  1855;  Neue  Lehre  von  den  Proportionen  d.  menschl.  Körp.  1854). 

Gott  (d'eds,  deus)  ist  ein  Name  für  das  höchste  Wesen,  das  Absolute,  für 
die  ewige  Einheit  aller  Dinge,  die  von  der  Summe  derselben  wohl  zu  unter- 
scheiden ist,  für  den  Urgrund  alles  Geschehens;  für  die  höchste,  geistige, 
woUend-vemünftige  Kraft,  die  im  All  sich  offenbart,  kein  Einzelding  unter 
Einzeldingen  ist.  Die  Dinge  und  deren  Siunme,  die  Welt,  sind  in  Gott,  Gott 
wirkt  in  der  Welt.  Diese  Auffassung  des  Verhältnisses  von  Gott  und  Welt 
heißt  Panentheismus  (s.  d.).  Der  Pantheismus  (s.  d.)  setzt  Gott  und  All 
als  eines,  der  Theismus  setzt  Gott  außer  der  Welt  als  ein  Wesen  für  sich, 
das  er  als  persönlich  auffaßt.  Der  Atheismus  leugnet  die  Existenz  einer  Gott- 
heit überhaupt.  Der  Begriff  Gottes  entspringt  einem  Postulate  des  den  Er- 
fahrungsinhalt verarbeitenden,  begründenden  Denkens,  sowie  Forderungen  des 
Gemütes  und  dem  Dichten  der  Phantasie.  Mythus  (s.  d.),  Religion  (s.  d.)  und 
Philosophie  bestinmien  mit  verschiedenen  Erkenntnismitteln  die  Gk)ttesidee. 

Aus  dem  Polytheismus,  der  dem  Animismus  (s.  d.)  und  Fetischismus 
entspringt,  geht  einerseits  der  religiöse  Theismus,  erst  als  Henotheismus  (s.  d.), 
dann  als  Monotheismus  hervor  (Hebräer,  esoterische  Eeligion  der  Ägypter, 
Griechen),  anderseits  der  Pantheismus  als  Beligion  (Inder)  imd  als  Philo- 
sophie (Griechen),  indem  die  verschiedenen  Götter  zu  Dienern,  bezw.  Modi- 
ficationen  einer  Urgottheit  werden,  die  schließlich  als  das  einzige  Göttliche 
bleibt. 

Das  Altertum  weist,  ohne  allzu  scharfe  Abgrenzung  der  Begriffe,  einen 


400  Gott. 

Wechsel  von  PantheismuB  und  Theismus,  inb^riffen  der  Emanationsldui 
(s.  d.),  auf. 

Die  Inder  (Vedas,  Upanishads)  bestimmen  die  Grottheit  als  das  Bnium 
oder  Atman  (s.  d.),  die  in  allen  Dingen  identische,  ewige  Urkraft,  die  aus  m 
heraus  Welten  schafft  und  wieder  in  sich  zurücknimmt  und  die  allein  mhre 
Bealitat  hat,  an  sich  als  ffprajapäti",  als  „Hßrr  der  Oeachöpfe^^  als  Vater  der 
Götter  und  Menschen  (vgl.  Deussen,  AUg.  Gesch.  d.  Philos.  I  1,  8.  261  u.  a. 

I  2,  36  ff.).  Bei  den  Chinesen  sieht  Lao-tzb  im  Tao  (s.  d.)  das  (göttliclte< 
Ursein. 

Nach  HoMEB  ist  Zeus  naxriQ  dvB^wv  ve  d^emv  ze  (Odyss.  c  135).  Er  niib 
in  den  Geistern  der  Menschen  (Iliad.  v  242).  Hesiod  gibt  eine  Theogoik 
(s.  d.).  Die  ffOrpkiker^^  sehen  in  ,yZeu8"  den  Weltgrund:  Zevs  «e^jl^,  Ztv» 
fAicaa,  Jio^  8*  ix  ndvra  zirvxrai  (Stob.  EcL  I  2,  40).  ANAXDCAKDER  bezeicbut 
Gott  als  das  dneiQov  (s.  d.),  Anaxagoras  als  den  ^fOeist^*  (s.  d.),  den  vti* 
xoüfiOTioiov  (Stob.  EcL  I  2,  56).  Die  Pythagoreer  sehen  in  der  „Einkat 
(fAovdg)  die  Gottheit  (Stob.  EcL  I  2,  58).  Gott  wird  als  der  ewige,  unbewegt 
Weltgrund  bestimmt  nach  Philolaus:  6  ijyBfiwv  xal  d^x**^  dndmor  d'sis  dt, 
dsl  €OVy  fiovtfiog,    dxitnjToSf   avroe  avr(f  ofioioij    frs^os  xdfv  dlXnfv  (bei  PHILO. 

De  mundi  opif.  23  A).  Nach  Hebaklit  ist  Gk>tt  das  vernünftige,  ewige,  ns^ 
lose  Weltfeuer  (nvQ  dWiov),  der  Xoyog  (s.  d.),  der  in  den  Welten  sich  «itfaltet 
(Stob.  Ecl.  I  2,  60).  Die  Einheit  Gottes  spricht  energisch  aus  Xenophakes: 
tlg  d'eog  ^v  Tfi  d'eolm  xai  dvd'Qfunoici  ftiyiatoSf  ovre  Bifiag  &%fijTolci  ojnoiioi  oiu 
fdrjfta  (Mull.,  Fragm.  I,  p.  101).  Das  göttliche  Eine  ist  das  All,  das  All  & 
göttliche  Einheit:  aV  to  ov  xal  ndv  (Simplic.  ad  Phys.  Aristot.  fol.  5b;  Stob. 
Ecl.  I  2,  60).  Sevo<pdvfji  Si  TtgdtTOS  rovrojv  ivürae  .  ,  .  sig  Tov  oXav  ov^itriit 
nnoßXaipag  lo  iv  sUai  tfrjat  tov  &b6v  (Aristot,  Met.  I  5,  986b  24).  Gott  )A 
das  Beste  von  allem  (Simplic.  a.  a.  O.),  die  Einheit  des  Welt^^anzen  (Seit. 
Empir.  Pyrrh.  hypot  I,  224).  Er  ist  imbegrenzt,  aber  materiell,  von  „runder 
Gestalt  (atpai^oBtSrj  dvra,  Sezt.  Empir.  Pyrrh.  hypot.  I,  224),  zugleich  all- 
wissend: ganz  Auge,  ganz  Ohr,  ganz  Denken  (ovXog  6^,  avlog  3i  voü,  c^i^ 
ßi  rdxovBif  Sext.  Empir.  adv.  Math.  IX,  144;  Diog.  L.  IX,  19);  dndvtv^t 
novoio  roov  f^evl  ndvra  x^aSaivet  (Simpl.  ad.  Arist.  Phys.  foL  6  A).  n^^**^ 
£886  omnia  tieqtie  id  e88e  miUabile  ei  id  esee  deu?n  neque  natum  tmquam  ^ 
8empitemum,  conglobata  figura^^  (CiGEBO,  Acad.  II,  118;  vgl.  Simplic.  ad  Aristot 
Phys.  22  Diels).  Die  Menschen  stellen  sich  ihren  Gott  anthropomorph  vor, 
wie  die  Tiere  sich  ihn  tierähnlich  vorstellen  würden  (Clem.  Alex.,  Strom.  V. 
601c,  VII,  711b;  Euseb.,  Praepar.  evang.  XIII,  13);  sie  schreiben  ihm  mensch- 
liche Leidenschaften  zu  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  IX,  193,  289 ;  AristoL,  Bhetor. 

II  23,  1399  b  6;  1400  b  5).  Nach  Paemenides  ist  Gott  das  eine,  ewige,  un- 
bewegte, leidlose  Sein  (s.  d.).  Empedos:le8  soU  die  Menschenähnlichkeit  der 
Götter  negiert  haben  (Clem.  Alex.,  Strom.  V,  644).  Einige  Sophisten  be 
zweifeln  die  Existenz  der  Götter.  Nach  Kkitias  ist  der  Götierglaube  eine 
Erfindung  kluger  Staatsmänner  (Sext  Empir.  adv.  Math.  IX,  54);  ähnlicb 
Pbodikos.  Skeptisch  scheint  sich  gegenüber  dem  Götterglauben  PBOTAGOSiB 
verhalten  zu  haben  (ns^l  tcSv  &£wv  oix  i'^to  eiSivai^  ovd^  dtg  eiaiVf  ov9^  ok  ^* 
Mioiv  TtoXXd  yd^  rd  xtakiovxa  siBivai,  rj  8*  dSijXoztjg  xai  ß^axvg  wv  6  ßiog  rot 
dv&^wnov  (Diog.  L.  IX,  51). 

SoKBATES  glaubt  an  eine  göttliche,  allwissende,  zweckmäßig  wirkende  Ver- 
nunft und  Vorsehung  (fffovtjcig)  im  All  {6  tov  okov  xocfiov  avtTdtnoy  xt  mI 


Gott  401 

^tvt'i'XOfr;  —  Tfdvra  fikv  ^yeXro  &aovi;  eiSivatj  Xenoph.,  Memorab.  I,  1,  19;  IV, 
3,  13).  Plato  bestimmt  die  (unpersönliche)  GotÜieit  als  höchste  der  Ideen 
<B.  d.),  als  die  ,Jdee  des  OtUen",  das  „Gute  an  sich'^,  also  ethisch.  Sie  ist  ewig- 
einzig, erhaben  über  alle  Dinge  (airto  xad^  ainro  fjtsd^  avrov  ftovoeidsg  dsi  6v, 
8ympo8.  211 B),  jenseits  alles  Seienden  {inixBiva  rr,s  ovoiagy  Bepubl.  VI,  209  B), 
also  YöUig  transcendent.  Sie  ordnet  alles  aufe  beste  {dtaxofffuZv  ndvra  xai 
inifteAovftevog,  Phaedr.  246  E),  als  der  gute  Demiurg,  Weltbildner  (Tim.  28  ff., 
29  £;  BepnbL  X,  597;  Phileb.  22  C).  Gottes  Güte  ist  der  Dasemsgrund  der 
Dinge.  Xekokbates  betrachtet  die  Movde  (Einheit)  als  höchsten  Gott  und 
«teilt  ihm  die  Jvde  als  weibliche  Gottheit  zur  Seite^  wie  er  auch  eine  Vielheit 
göttlicher  Kräfte  anninmit  (Plut.,  Plac.  I,  7,  30;  Dox.  304).  Als  von  der  Welt 
geschieden  {%BX€OQtcfiivfi  rcav  aic^rixcSv),  also  als  übersinnlich,  faßt  Abistoteles 
die  Gottheit  auf.  Sie  ist  einfach,  leidlose,  unstoffliche,  reine  ,yForm^^  (s.  d.), 
Intellect,  selbstbewußtes  Denken  {rj  vSijcts  17  xad^  iavTrjv  xov  xad^  savro  dqiarovy 
Met  XII  7,  1072  b  19;  afu^rm  xai  dSiai^eros,  Met.  XII  7,  1072  b  6),  sie  denkt 
sich  selbst,  ist  vof^iteag  vor^ctg  (Met.  XII  9,  1074  b  34),  ist  das  ewig  Unbewegte 
iitpov  dtSiov  a^icrovy  Met.  XII  7,  1072  b  29;  ovaia  ng  dt^tog  xal  dxitnjrog  xal 
xBxof^urfinnj  rtSv  aUf&tjTcövj  Met.  XII  7, 1073  a  4),  der  „erste  Beweger^'  der  Welt 
{x6  n^drtov  xivovv,  Met.  XII  7,  1073  a  27);  sein  Wirken  besteht  im  Streben 
nach  ihm,  das  die  Dinge  empfinden  {xiväi  Sa  tbg  i^tofiavov,  xtvovfitvtp  Se  ralXa 
xtvsX,  Met  XII  7,  1072  b  3). 

Strato  gestaltet  den  Aristotelischen  Gottesbegriff  zu  einem  naturalistischen : 

^Omnem  vim  divinam  in  natura  sitam  esse  censet,  quae  causas  giffnenddj  augendiy 

'mmuendi  habeat,  sed  eareat  omni  sensu  et  ftgura^*^  (Cicero,  De  nat  deor.  I, 

12,  35).    Panthelstisch  wird  der  Gtottesbegnff  bei  den  Stoikern.    Nach  ihnen 

ist  €rott  das  nrev/ut  (s.  d.),  die  Kraft  des  Alls,  die  zugleich  feinster  Stoff  und 

Vernunft  {Uyog)  ist  und  sich  in  der  Welt  (s.  d.)  entfaltet  und  entwickelt^  die 

Weltseele.    Gott  ist  das  All  (xocfiog)  in  dessen  Einheit,  die  Welt  ist  der  diffe- 

Tenzierte  Gott  (Diog.  L.  VII,  139,  148;  Plut,  De  Stoic.  rep.  41;  Cicer.,  De  nat 

deor.  I,  14).     Alles  ist  beseelt,  göttlicher  Herkunft;  Gott  wirkt  in  der  Welt 

Stov  3'slvtu   ^^ov   d&dvarav,   Xoyix6v,  reXeiov  fj    vobqov    iv  svSaifioviq,    xaxov 

xavTog  dveTfiSexrov,  Tt^ovorjrtxov  xoauov  ts  xai  xdiv  ir  xofffitp'   firj  slvai  fu'vroi 

^v^^tan6fiog^ov'    aJvai   Se    rov   fuv    Srifuov^yov   nSv  oXiov  xal   ScnsQ   narspa 

xdvxcov  xoivcSg  ve  xai  ro  fu^og  ainov  to  Sirjxov  8td  ndvrafv,   o  noXlaig  n^oarj^ 

yoqlaiQ  Tt^oaayofid^ea&cu  xard  rag  dwaßiaig  (Diog.  L.  VII  1,  147).     Qott  ist  das 

gestaltende,  ätherische  Feuer,  tcv^  rexvixov,  das  vernünftig  (durch  die  tme^ 

jiarixoi  Xoyoi)  und  zugleich  notwendig-causal,   gesetzmäßig  (xa^   aifta^/udvipf) 

TOkt,  alles  durchdringend  (Stob.  Ecl.  I  2,  66).   Gestaltlos  ist  die  Gotdieit,  aber 

zahllose  Gestalten  nimmt  sie   an   (Ttvevfia  vobqov  xai  ytv^wSsg  ovx  k'xov  fiav 

JtoqfTiVj  fiaraßdllov  8a  aig  o  ßovXtxni,  xai  awa^ofioiovfiavov  näaiv  (Plut,  Epit. 

1,6,  Dox.  292a).     Gott  (Zeus)  ruft  Kleanthes  so  an:   Kvdtar    d&avdxfov 

^olwawfta   nayx^arag  aUi,    Zav  ^uetog   d^xvy^t    ^ofiov  fiixa   ndvra    xvßa^tSv 

(Stob.  Ecl.  I  2,  30;  Cicer.,  De  natur.  deor.  I,  14,  37).     Nach  Seneca  ist  Gott 

jiprima  onrnium  causa,  ea  qua  eeterae  pendenf^  (De  benefic.  IV,  7).    „Quid  est 

Dens?    Quod  vides  totum,  et  quod  non  vides  totum.    Sic  demum  magnitudo  sua 

iÜi  reddituTy  qua  nihü  maius  exeogitari  potest;  si  soltAS  est  oninia,  opus  suum 

et  extra  et  inira  ienet^^  (Quaest  nat.  I,  praef.  12;  vgl.  Marc  Aurel,  In  se  ips.). 

IHe  Epikureer  halten  die  Götter   für  ätherische  Wesen  (aus   den  feinsten 

Atomen  bestehend) ;  sie  wohnen  in  den  ,jlntermundien"  (s.  d.),  fähren  ein  seliges 

PUloaophUehe«  WOrterbuob.    2.  Aufl.  26 


402  Gott. 

Leben,  kümmern  sich  nicht  um  die  Schicksale  der  Sterblichen,  erscheinen  aber 
zuweilen  den  Menschen  (Diog.  L.  X,  123).  Die  Skeptiker  halten  die  Existenz 
Gottes  für  unbeweisbar  (Sext.  Empir.  Pyrrh.  hypot  III,  1,  9). 

Eine  Vereinigung  griechischer  mit  orientalischen  (jüdischen)  Anschauungen 
findet  sich  schon  bei  ARiSTOBUiiUS.  Nach  ihm  ist  Gott  eine  das  All  he- 
herrschende,  unsichtbare,  außerweltliche  Kraft  {Siax^axBUf&ai  &eiq  ^tW/cct  xa 
Tidvra  xai  ystnjrd  vnd^x*^^  ^^^  ^^  ndvxatv  elrat  rov  &e6r;  —  ca^me  ot/uu 
Sedelx^^h  ort  8id  ndvrtav  iativ  tj  dvvaftie  tov  d'eov,  Euseb.,  Praep.  XII,  12). 
PsEUDO-AsiSTEAS  Unterscheidet  den  höchsten  Gtott  {6  xvQgevatv  aytarrotv  ^eoV 
dn^aderjg)  und  dessen  Macht  {8vvafus\  die  überall  wirkt  (Sul  narrtov  ivriv, 
Ttdvxa  Tonov  nXtjQeX).  Ähnlich  das  zweite  Buch  der  Makkabäer  (2,  39), 
während  das  Buch  der  Weisheit  die  Weisheit  als  Ausfluß  der  Gottheit,  als 
dyiov  TTvBv/ia,  bestimmt  (vgl.  Übebweo-Heikze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  1\ 
354).  Philo  bestimmt  Qott  als  das  (persönlich)  Seiende  (t6  Sv\  als  die  ewige 
einzig-einfache  Einheit  (o  Q'eoQ  fiovog  icri  xal  Sv^  ov  cvyx^iftra,  ^pvirie  a^xlq 
(Leg.  all^.  II,  1;  XdyeaS'ai  yd^  ov  nt^pvtcev  dXXd  fiovov  alvai  io  6v^  De  8<H1U1. 
I,  39).  Er  ist  noch  über  y,d<u  Otäe^*  erhaben  (De  mundi  opil  I,  2);  rö  yd^ 
ov  fj  ov  icrtVf  ovx^  '^föv  n^os  rt,  avro  yaQ  iavrov  nXr^^s  xai  avTO  eavrtf  lunv^r 
(De  nom.  mutat  I,  582).  Er  ist  allaeiend,  überall  (De  linguar.  conf.  I,  425), 
er  ist  der  Ort  der  Dinge  (De  somn.  1).  Selig  ist  er  (De  Cherub.  I,  154)  und 
allwissend  {d'si^  Si  ovUev  dSrjkoVj  ovBev  dfi^iüßfjvovfuvov ,  os  xai  aXXo^e  ia 
yvto^üfMLja  rrje  dXijd'eiae  iva^yeae  dmSe'Saix'j  De  sacrif.  28). 

Neupythagoreer  und  pythagoreisierende  Platoniker  betonen  die  Trans- 
cendenz,  Überweltlichkeit  Gottes.  Apollonius  ton  Tyana  unterscheidet  den 
einen,  jenseitigen  Gott  von  den  Göttern  (Euseb.,  Praep.  ev.  lY,  13).  NiKO- 
MAGHUS  bestimmt  die  Gtottheit  als  fiovdg  (Theol.  Arithm.  p.  44).  Nach 
Plutarch  von  Chaeronea  ist  Gottes  innerstes  Wesen  uns  unbekannt  (De 
Pyth.  orac.  20;  De  Is.  et  Osir.  75).  Grott  ist  Einheit  ohne  Anderheit,  das 
Seiende  (De  Is.  et  Osir.  78).  Der  Gottheit  steht  das  Böse  als  Wellprincip 
gegenüber  (Piaton.  quaest  II,  1,  2).  NuMEiaus  unterscheidet  vom  höchsten 
Gk)tt  den  Demiurg  als  den  zweiten  Gott  (6  Sevrepos  &86s),  der  an  dem  ersten 
teilhat  {/itrovoia)  und  die  Welt  bildet  als  yevicean  d^xv»  ^^  Welt  ist  der 
y^riMe  Gott**,  —  Der  höchste  Gott  ist  Geist  (vovs),  Seinaprincip  {ovcias  a^^ 
Euseb.,  Praep.  ev.  XI,  22 ;  6  &8ds  6  ftiv  Tz^dnoe  ip  eavnf  tov  icxtv^  djtXovs  Std. 
To  iavxef  avyytyvofievoe  9Mov  /iiJTtore  elvai  Stat^erdg,  1.  c.  XI,  18,  3). 

Die  Neuplatoniker  bemühen  sich,  die  Gottheit  über  alles  endli<^e  Sein 
hinauszuheben,  anderseits  aber  die  Welt,  durch  Mittelwesen,  aus  ihr  (ema- 
natistisch)  abzuleiten.  Nach  Plotin  ist  Gott  das  Überseiende,  Eine  (s.  d.),. 
Bestimmungslose,  Ewige  (Enn.  V,  5,  3  ff.),  absolut  Größte  (L  c.  VI,  7,  32), 
Übergeistige,  ÜberweltHche  (L  c.  III,  8,  8;  VI,  7,  32;  V,  4,  2).  Die  Dinge 
stammen  aus  ihm  (1.  c.  VI,  7,  32),  so  aber,  daß  Gtott  unverändert  bleibt  (1.  e. 
III,  8,  9;  V,  1,  9).  Jamblichus  nennt  Gk>tt  den  unnennbaren  Urgrund  {xdtrn* 
d^^rjros  dQxv)f  der  noch  über  das  iv  erhaben  ist  (Damasc,  De  princ.  43).  Nach 
Proklus  ist  Gott  die  Ureinheit,  das  Urprincip  (Instit  4  ff.),  tt3fa*rl<os  aXnor 
(Plat.  theol.  III,  p.  101  ff.),  ndarig  aiy^s  d^^rjroTSQOv  xai  ndctjs  vstdp^ecfs 
ayvcaazdre^ov  (1.  c.  II,  11).  Bo£thiu8  bestimmt  Gott  als  das  Eine,  Gute,  al» 
Vorsehung  (Cons.  phü.  III). 

Das  Christentum  faßt  Gott  als  den  liebenden  Vater  auf,  der  durch  den 
Xoyoe  (s.  d.),  seinen  „eingeborenen  Sohn*\  in  der  Welt  wirkt;  er  ist  die  ewige. 


Gott.  403 

absolut  seiende,  geistige,  überwelüiche  Persönlichkeit  (vgl.  Paul.,  1.  Ck>r.  12,  6; 
ctvevfia  6  d'eos^  Joh.  4,  24;  vgl.  5,  26;  vgL  Harnagk,  Dogmengesch.  !•,  485  f.). 
Das  Dogma  von  der  Dreieinigkeit  Gk)ttes  (eine  Substanz  in  drei  Personen)  wird 
von  den  Kirchenvätern  ausgebildet  Die  (häretischen)  Gnostiker  (s.  d.)  unter- 
scheiden einen  höchsten  Gott  (die  Gottheit)  und  den  Demiurgen  (Weltbildner, 
manchmal  mit  dem  Judengott  identificiert  und  sogar  als  böses  Princip  auf- 
gefaßt, als  Lucifer:  Apelles).  Basilides  nennt  Gott  den  Nichtseienden  (6  ovx 
Äv  &e6s),  d.  h.  Überseienden,  VALBNTiNTJß  die  /lovds  dyivtnfToe,  df&aqrtos, 
aKaraXijmog  (HippoL  VI,  29),  die  ürtiefe  (ßv&og),  den  Urvater  {ngondito^),  den 
xiXtiog  aUov,  —  AsNOBiCJS  bestiumit  Gott  als  ewig,  unendlich,  als  den  „Ort" 
aller  Dinge  (Adv.  gent  I,  31);  ähnlich  Tertüllian  (Adv.  Marc.  I,  23  ff.;  II, 
6  ff.).  Nach  JusTiNUB  ist  Gott  imnennbar  {dvatvofiaütog,  Apoll.  I,  63), 
dyiwTjfiog  (1.  c.  II,  6),  überweltlich  {iv  %oig  vTtepavpavioig  del  fuvovrog,  Dial.  c. 
IVyphL  56).  Ähnlich  lehrt  Clemknb  Alexandkinus  (Strom.  V,  11  f.)  und 
Origenbb  (De  princ.  II,  184;  I,  96  ff.;  I,  1).  Die  Transcendenz  Gottes  schil- 
dert MlNUcruB  Feux:  „Parentem  omniu/m  deunn  nee  principium  habere  nee 
terminum  .  .  .,  sibi  ipse  pro  mundo:  qui  universa,  quaeeunque  sunt,  verbo  iubet, 
nMÜothe  dispenstU,  mrtute  eonsummat.  Hie  non  videri  potest:  visu  elarior  est; 
nee  eoniprehendi:  taetu  purior  est;  nee  aesHnuxri:  sensibus  maior  est,  infinituSy 
immensus  et  sali  sibi  Umtus,  quantus  est,  notus"  (Octav.  18,  7  ff.).  Nach 
Augustdotb  ist  der  dreieinige  €k)tt  (De  civ.  Dei  XI,  24)  das  höchste  Sein 
(j^eits  realissimum"),  die  Wahrheit  (De  ver.  relig.  57;  De  trin.  VIII,  3),  das 
höchste  Gut  (,ysummum  honum",  De  trin.  VIII,  4),  die  höchste  Wesenheit 
(j^summa  essentia**),  die  höchste  Schönheit  und  Weisheit,  der  Seinsgrund  (De 
ver.  relig.  21 ;  De  lib.  arbltr.  II,  9  ff. ;  De  trin.  XIV,  21).  Er  schuf,  um  Gutes 
zu  wirken,  die  Welt  aus  nichts  (De  civ.  Dei  XI,  21  ff.;  XIV,  11;  Confess. 
XII,  7). 

Pantheistisch  gefärbt  oder  paneniheistisch  ist  die  (an  Dionybius  Aebo- 
PAGITA,  der  Gott  ,,esse  omnium*^  nennt,  sich  anlehnende)  Lehre  d^  Johann. 
SooTüB  Ebiuoeka.  Gott  ist  nach  ihm  die  Einheit  des  Alls,  die  „uni- 
versitcu*^  (De  divis.  natur.  II,  2),  ro  näv  (L  c.  I,  24),  „totum  mnnium" 
(L  c.  I,  74),  ^jOmnium  essentia"  (L  c.  I,  3),  „ornnia  in  omnibus"  (1.  c.  I,  10). 
Qott  ist  in  allem,  alles  ist  in  Gott  „iVam  et  creeUura  in  Deo  est  subsistens,  et 
Deu9  in  ereatura  mirabüi  et  ineffabili  modo  creatur,  se  ipsum  manifestans" 
(L  c.  III,  17).  Gott  ist  die  Substanz  der  Dinge  („essentiam  omnium  subsistere^^ 
L  c.  I,  72).  „in  Deo  immutabüiter  et  essentiaiiter  sunt  omnia,  et  ipse  est 
divisio  et  eoUectio  universalis  ereatura^'  (1.  c.  III,  1).  „Deus  in  se  ipso  ultra 
omnem  ereaturam  nullo  intelleetu  comprehenditw*^  (1.  c.  I,  3).  €rott  ist  der 
Urgrund  der  Dinge,  ^^prindpalis  causa  omnium,  quae  ex  ipso  et  per  ipstim 
facta  sunt^*^  (L  c.  I,  11),  er  ist  „principium ,  medium  et  finis^^.  „Prineipium, 
qma  ex  se  sunt  omnia,  quae  essentiam  partidpant,  medium  atäem,  quia  in 
se  ipso  et  per  se  ipsum  subsisiunt  omnia,  finis  vero,  quia  ad  ipsum  moventur 
quietem  motus  sui,  suaeque  perfectionis  stabüitaieni  quaerentia"  (1.  c.  I,  12). 
Gott  ist  „informe  principium"  (L  c.  II,  1).  Er  ist  „super  ipsum  ess^*  (1.  c. 
I,  39),  ein  „nihil"  (1.  c.  II,  28),  er  manifestiert  sich  in  den  Dingen  (1.  c.  III, 
19  f.),  so  daß  alles  Sein  eine  Theophanie  (s.  d.)  ist  (1.  c.  III,  4).  Durch  seinen 
Willen  geschieht  alles  (L  c.  I,  12).  „Deus  non  erat  prius,  quam  omnia  faceret^* 
(L  c.  I,  12,  68,  74).  Gott  ist  die  „bonitas"  (1.  c.  I,  24).  „Unuan  dieitur,  quia 
omnia  universaliter  est"  (1.  c.  III,  8).    Crott  ist  dreieinig  (1.  c.  II,  31  ff.).    Er 

26* 


404  Qott. 

weiß  sich  nichtwisseDcL:  ^^Nescü  igitur,  quid  ipse  est^  h.  e.  nesdt  se  quid 
„intdligit  se  super  omnia  esae^'^  (i.  c.  II,  28  f.,  III,  1).  Amalbich  von  Beke 
nennt  Gott  die  „essenttam  omnium  creaturarum  et  esse  omnium*^»  „Assentä 
Ämalricus,  ideas,  quae  sunt  in  tnente  divina^  et  ereare  et  ereari  .  .  .  DirU 
etiamj  quod  Dens  ideo  didtur  finis  omnium,  quia  omnia  reoersura  sunt  w 
ipsum^  tä  in  Deo  incornmutabüHer  conquieseantj  et  ttnum  individuum  aique  in- 
commutabile  in  eo  permanebunt^^  (bei  Stöckl  I,  290).  David  von  Dinast 
erklärt:  ^yManifestum  est  unam  solam  substantiam  esse,  non  tantum  onumtm 
corporumj  sed  etiam  omnium  animanmi,  et  hane  nihil  aliud  esse  quam  ipmm 
Deum,  quia  substantia,  de  qua  sunt  eorpora,  dieitur  kyle,  substantia  verOf  de 
qua  omnes  sunt  animae,  dieitur  ratio  vel  mens.  Manifestum  est  igOur  Deum 
esse  substantiam  omnium  eorporum  et  omnium  animarum.  Patet  igitur,  quod 
Dens  et  hyle  et  mens  una  sola  substantia  est^^  (bei  Alb.  Magn.,  Sum.  th.  II,  ?2, 

4,  2;  vgl.  Haubeatt  II,  1,  p.  78,  80}.  Emanatistisch  ist  die  Lehre  der  K ab- 
halft, sowie  die  verschiedener  arabischer  und  jüdischer  Philoeopha: 
Bazi,  Al-Kindi,  Al-Farabi,  Ihn  Sina  (Avicenna).  Nach  Al-Oazaij  hat 
Gott  einen  ewigen,  freioi  Willen.  Nach  Ibn  Eoschd  (Avenoes)  ist  Gott  das 
Weltprincip,  die  Urform,  die  Urvemunft,   der  Endzweck  aller  Dinge   (vgl 

5.  MuNK,  M^langes  de  philos.  juive  et  arabe  1859;  de  Boeb,  G^esch.  d.  ^^liks. 
im  Islam  1901).  Die  Motakallimün  schreiben  Gott  alle  Causalitat  (s.  d.)  in 
der  Welt  zu  (Maimon.,  Doctor.  perplexor.  I,  73).  —  Nach  Ibn  Gebibol  wirkt 
und  ist  Gott  in  allem;  nach  Ibn  Esba  ist  er  das  absolut  Eine,  das  be- 
stimmungslose Subject;  nach  Maihonides  ebenfaUs  (vgl.  Mui9K,  M^lang.,  n. 
M.  Eisleb,  Yorles.  üb.  d.  jüd.  Philos.  d.  Mitteialt.  I  u.  II;  Spiegusb,  Qescfa. 
d.  jüd.  Philos.). 

Die  christliche  Scholastik  verbindet  den  evangelischen  Grottesbegriff  mit 
Platonisch- Aristotelischen  Elementen.  Anselm  bestimmt  Gk>tt  als  das  Abfidute, 
als  das  y^per  se  ipsum"  Seiende  (Monol.  1  ff.),  y,fins  per  «e",  als  das  denkbar 
Höchste  f,jsummum  omnium^  quae  sunt*^^  yjid  quo  maius  eogitari  nequä^, 
,jSummum  efis",  1.  c.  1,  4,  6,  16,  26;  Proelog.  2).  Nach  Bebnhabd  von  Culib- 
VAUX  ist  Qott  yfisse  omnium  non  materiale,  sed  eausak^*  (bei  Alb.  Magn.,  Sum. 
th.  II,  3,  3).  Albebtüs  Magnus  bestunmt  Gott  als  yyCausa  efficiens,  ftnalis 
et  form€Uis"  (Sum.  th.  II,  2),  ,yprineipium  omnium'^  (L  c.  II,  72,  4),  das  in 
allem  ist  („tn  omnibus  est^%  1.  c.  II,  98).  Nach  Thomas  ist  Gk>tt  das  AbaoLute, 
weil  er  das  Höchste  ist,  in  sich  besteht  (Sum.  th.  I,  2,  1  ob.  2;  I,  85,  3).  Er 
hat  Aseitat  (s.  d.),  seine  Natur  ist  ,jw?r  se  necesse  esse^^  (Ckmtr.  gent.  I,  80X 
denn  er  ist  die  „prima  causa  essendi  non  habens  ab  alio  esse^^  (Pot.  10,  Tob.  6u 
Er  ist  zeitlos  (,yextra  ordinem  temporis^^  1  -p&nh.  14  f.),  wirkt  in  allem  UyDeus 
est  in  omnibus  rebus,  sicut  agens  adest  ei^  in  quo  agit  intim^\  Sum.  th.  I,  8,  1). 
Grott  ist  die  y,causa  universalis  essendi^^  (Coatr.  gent.  II,  16).  Er  ist  „aelw 
purus"  (1.  c.  II,  8,  1).  Nach  DuNS  Scx)tu8  wird  Qott  aus  seinen  Wirkungien 
erkannt  (Op.  Ox.  I,  d.  42).  R.  Lullüs  erklärt:  „Deus  est  ens,  quod  est  summe 
et  infinite  bonum  et  b&nitas,  magnum  et  magtiitudo,  aetemum  et  aetemOas, 
rirtuosum  et  virtuSj  verum  et  veritas,  gloriosum  et  gloria:  Habens  in  se  omnem 
perfeetionem  infinitam  in  summo  absque  aliqua  imperfectione^^  (bei  StÖckl 
II,  940). 

Zum  Pantheismus  neigt  wieder  Egkhabt.  Nach  ihm  ist  Gott  das  „Sfin 
der  Dinge^'y  zugleich  yylehts^^  und  „Ntckts^^y  kein  Individuum;  er  ist  allen  Dingfn 
immanent,    „weselich^    unirkelich**,   an  sich  aber  eine   „gruntlose  substanUit^ 


Gott.  405 

,^urffrtmiliehe  Wesenheit**,  ein  „insüxen  in  sieh  selber'*,  ein  „gewfütig  instan**, 
Gtottes  Wesen  ist  die  „Gottheit**,  der  „Queü",  aus  dem  alles  Sein  fließet.  Nach 
PATRinus  ist  Gott  „unomnia**.  Nach  Campanella  ist  er  das  Unbegreifliche, 
Überseiende  (Univ.  philos.  VII,  6;  VIII,  1;  VII,  6,  1).  Nioolaus  Cusanus 
nennt  Gott  das  Absolute  {„absolutum** ,  Doct  ignor.  II,  9).  Gk>tt  ist  in  allem, 
aUes  ist  in  ihm  (^^nt  ab  absohUo.  Otmna  sunt  in  eo  et  eum  in  omnihu8*\ 
1.  c.  I,  2).  Gott  ist  alles  in  allem  („qtwdlibet  in  quolibei^*,  1.  c.  II,  5),  ,yaetus 
ofnniwm**  (1.  c.  II,  9),  j^essentia  omnium  essentiarwn**,  die  Complication  (s.  d.) 
aller  Dinge  und  die  „eoincidentia  (s.  d.)  oppositorum** ,  das  „maximum**  und 
„fninitnum**,  das  „possest^*  (Können-Sein),  die  ,/orma  essendi**,  „ratio  totius 
univer^i**  (Weltgrund),  das  „eentrum  mundi**  und  die  yyinfinita  eireumferentia*^ 
(L  c.  I,  4;  I,  8;  I,  22  f.;  III,  1).  „Iblle  deum  a  creatura:  et  remanet  nihil** 
(L  c.  II,  3).  Die  Welt  ist  eine  Entfaltung  Gottes.  Wir  wissen  Grott  nur  durch 
jdoda  ignorantia'*  (s.  d.).  Nach  Andreas  Caesalpinus  ist  Gott  die  Welt- 
seele  („anima  universalis**).  Giobdano  Bruno  identificiert  Gott  mit  der  AU- 
Natur.  Gott  ist  die  Einheit  aller  Dinge,  deren  Substanz,  Princip,  Ursache,  er 
ifit  die  Urmonade  („monas  ?nonadum**,  De  min.  I,  4).  Gott  lebt  und  wirkt  in 
der  Welt,  er  ist  die  Einheit  aller  G^ensätze  (De  la  causa  .  .  .,  Dial.  III). 
Er  ist  yjüberall  und  in  allem  ganx**  (1.  c.  II).  Gott  ist  einheitlich-ganz  in  allen 
Dingen,  diese  sind  nur  vergängliche  Erscheinungsweisen  des  Einen.  „Geradezu 
nichts  ist  cUles,  was  außer  diesem  Einen  ist.**  „Das  eine  höchste  Wesen,  in 
welchem  VennÖgen  und  Wirklichkeit  ungeschieden  sind,  welches  auf  absolute 
Weise  aUes  sein  kann  und  alles  das  ist,  was  es  sein  kann,  ist  in  unenifalteter 
Weise  ein  Einiges,  Unermeßliches,  Unendliches,  das  alles  Sein  umfaßt;  in  ent- 
falteter Weise  dagegen  ist  es  in  den  sinnlieh  wahrnehmbaren  Körpern**  (1.  c.  V). 
Gott  ist  die  Natur  (s.  d.)  der  Dinge. 

Einen  strengen,  logisch  bestimmten  Pantheismus  lehrt  Spinoza.  Grott  ist 
i}un  das  All,  die  ewige,  unendliche  Einheit,  das  absolute  Sein,  die  Substanz 
(s.  d.),  die  schaffende  Natur  („natura  naMirans**,  s.  d.);  die  Einzeldinge,  deren 
Summe  die  Weit  (die  „natura  naturata**)  bildet,  sind  nur  „modi**  (s.  d.)  der 
göttlichen  Substanz,  die  sowohl  Geist  (Denken)  als  Materie  (Ausdehnung)  ist. 
Gott  ist  das  Absolute,  „cattsa  sui"*  (s.  d.),  alles  Geschehen  folgt  mit  logischer 
Notwendigkeit  aus  Gk>tte8  Wesen.  Gott  ist  „ens  absolute  infinitum,  hoc  est 
substantiam  canstantem  infmitis  attributis,  qtiorum  unumquodque  aetemam  et 
mfinitam  essentiam  exprimit^*  (Eth.  I,  def.  VI).  Er  hat  ein  notwendiges  Sein 
(,^neeessario  extetit**,  1.  c.  I,  prop.  XI),  ist  einzige  Wesenheit  (1.  c.  I,  prop.  XIV), 
enthalt  alles:  „Quiequid  est  in  Deo  est,  et  nihil  sine  Deo  esse  neque  coneipi 
potest**  (1.  c.  I,  prop.  XV).  Er  ist  der  Welt  immanent:  ,J)eus  est  omniuin 
rerum.  causa  immanens,  non  vero  transiens**  (1.  c.  I,  prop.  XVIII).  „Res  par- 
tieulares  nihil  sunt  nisi  Dei  attributorum  affeetiones,  sive  modi,  quibus  Dei 
aitrünUa  certo  et  determinato  modo  exprimunlur**  (1.  c.  I,  prop.  XXV,  coroU.)- 
Gott  ist  die  wirkende  Ursache  alles  Geschehens  (L  c.  I,  prop.  XVI,  cor.).  In 
Gtott  sind  Wesen  und  Dasein  eins  („Dei  existentia  unum  et  idem  sunt**,  1.  c.  I, 
prop.  XX).  Gott  handelt  frei  imd  zugleich  notwendig,  d.  h.  seiner  Natur 
gemafi  (,yDeue  ex  solis  suae  naiurae  legibus  et  a  nemine  coactus  agitf*,  1.  c.  I, 
prop.  XVIII).  „Eis  Dei  naturam  eitisque  proprietates  explietii,  ut  quod  neces- 
sario  existat;  quod  sit  unicus;  quod  ex  sola  suae  naiurae  necessitate  sit  et  agat; 
quod  sit  omnium  rerum  causa  lihera  et  quo  modo;  quod  omnia  in  Deo  sint  et 
ab  ipso  pendeant,  ut  sine  ipso  nee  esse  nee  coneipi  possint;  et  denique  quod 


406  Gott 

omnia  a  Deo  fuerint  praedetermincUa"  (L  c.  I,  append. ;  vgl.  De  Deo  1, 1  ff.).  Panen- 
theistisch  ist  der  Grottesbegriff  bei  Malebranghe.  Ck>tt  ist  J'itre  uniperse^\  dw 
All-Umfassende,  der  „Ort  der  Oeister^'  und  der  Ideen  (s.  d.).  Das  UniTersum  ist 
in  Grott.  „Dteu  voit ...  au  dedans  de  lui-meme  tous  les  etreSj  en  constdemni  sei 
propres  perfectiona  qui  les  lux  representent**  (Rech.  II,  5).  „Dieu  est  totä  eirt, 
pareequ'il  est  infini  et  qu*Ü  comprend  totä,  mais  ü  n'est  aucun  itre  en  par- 
tiddier,  celui  qui  renferme  ioutes  ks  ehoses  dans  la  simplicite  de  son  Str^ 
(1.  c.  II,  6).  fßieu  est  tres^etroüement  uni  ä  nos  ämes  par  sa  presence,  de  sorie 
qu'oti  peut  dire  qu'il  est  U  lieu  des  esprüa,  de  meme  que  les  espaees  sont  en  tw 
sens  le  lieu  des  eorps^^  (1.  c.  II,  6).  Fenelon  erklart:  „Dieu  ,  .  .  est  en  bti- 
vieme  tout  ce  qu'il  y  a  de  riel  et  de  positif  dans  les  esprits  ...  11  n'est  pas 
plus  esprit  que  corpe^^  (De  Pexist.  de  Dieu  p.  155).  Geuijkcx  betont: 
„Sumus  .  .  .  modi  inentis,  si  auferas  moduni,  remanet  Deus^*  (Met.  p.  56).  — 
Nach  J.  BÖHME  ist  Gott  ,tHerx  oder  Quellbrunn  der  Natur";  aus  ihm  röhrt 
alles  her  (Aurora  C.  1,  S.  22).  Die  Natur  ist  Gottes  Leib;  Gott  hat  sich  in 
ihr  creatürlich  gemacht  (1.  c.  0.  2,  S.  31).  Gott  ist  „em  Geist,  in  dem  aüe 
Kräfte  sind".  In  Gott  ist  auch  das  Böse  (s.  d.),  als  ,fiittere  Qual",  die  aber 
,ißi4ng  währende  Kraft,  Freudenquell"  ist  (1.  c.  S.  31).  Gott  ist  alles  in  Ewig- 
keit, ,fiußer  ihm  ist  nichts^*  (L  c.  S.  34  f.).  Das  „Zomfeuer**  in  Grott,  der 
Wille,  ist  der  Grund  alles  Geschehens.  Der  Sohn  ist  ,/ia8  Herx  in  dem  Vater^, 
von  Ewigkeit  immer  geboren  (1.  c.  S.  37).  Von  ihm  und  vom  Vater  geht  der 
heilige  Geist  aus  (L  c.  S.  39).  Ein  Gleichnis  der  Dreifaltigkeit  ist  der  Maisch 
(1.  c.  S.  40).  R.  Fludd  unterscheidet  in  Gott  die  Macht  („Finsternis")  und 
die  Weisheit  (,jAeJd**).  Gott  ist  der  Seinsgrund  (Thilos,  mos.  I,  3,  6).  Angelüs 
SüiESlUB  sagt:  „Ich  weiß,  daß  ohne  mich  Gott  nicht  ein  Nun  kann  leben: 
Werd'  ich  xu  nicht,  er  muß  vor  Not  den  Geist  aufgeben"  (Cherub.  WandersoL 
I,  8).  Gott  kommt  im  Menschen  zimi  Wissen  seiner  selbst  (1.  c.  I,  105).  Zum 
Emanatismus  neigen  die  englischen  Platoniker  (H.  MoRE,  B.  Cudwobth). 

Theistisch  faßt  Gott  Descabtes  auf.  Gott  ist  nur  durch  die  Vernunft  er- 
faßbar (Epist.  I,  67),  er  ist  eine  geistige,  allgegenwärtige  Substanz  (L  c.  I,  69. 
72).  Der  Gottesbegriff  ist  uns  angeboren  (s.  d.),  er  enthalt  als  göttliche  Eigen- 
schaften: Ewigkeit,  Allwissenheit,  Allmacht,  Vollkommenheit  Güte  und  Wahr- 
heit (Princ.  philoe.  I,  22).  Gott  ist  der  Schöpfer  aller  Dinge,  der  Erhalter  des 
Seins.  Luther:  „Ein  Gott  heißet  dasj  woxu  mmi  sieh  versehen  soll  alles  Guten 
und  2k4flucht  haben  in  allen  Nöten,  also  daß  einen  Gott  Iiaben  nichts  anderes 
istj  als  ihm  vom  Herxen  trauen  und  glauben,  wie  ich  oft  gesagt  habe,  daß  allein 
das  Trauen  und  Glauben  des  Herzens  machet  beide^  Gott  tmd  Abgott'^  (C^Ueeh. 
maior,  Erklär,  d.  erst  Gebot.).  Hobbeb  sieht  in  Gott  die  letzte  Ursache  aller 
Dinge  (Leviath.  XXI).  Nach  Locke  ist  Gott  unendlicher  Geist  (Ess.  II, 
eh.  23,  §  21).  Leibniz  nennt  Gott  das  Absolute  (Opp.  Erdm.  p.  138  ff.).  Goct 
ist  der  Seinsgrund,  unendlich,  allmächtig,  allweise,  allgütig,  leidloee» 
Wirken  („actus  purus^%  der  „Ort  der  Ideen"  („regio  idearum")  (L  c.  p.  506^ 
678,  725),  „to  demihre  raison  des  ehoses"  (Princ.  de  la  nat.  et  de  la  gr&oe 
§  7  f.).  Er  ist  die  höchste  Monade  (s.  d.),  die  n^it  klarstem  Bewußtsein  das 
All  erkennt,  das  sie  in  sich  einschließt:  jj)ieu  conOent  Vunivers  eminefnent^ 
(Gerh.  III,  72).  Gott  ist  eine  ,fSubstance  necessaire'*  (MonadoL  38,  Qerh.  VI, 
613).  Er  ist  „principe,  cause  des  substances",  Schöpfer  und  Herrscher,  ,fehef  de 
toutes  les  personnes  ou  substances  intelleetuelles ,  comtne  le  monarque  abaolu  d^ 
la  plus  parfaite  cite  ou  republique"  (Gerh.  IV,  460).     Gott  ist  „le  plus  juste. 


Gott.  407 

<ieb(nmaire  des  mcnarques^^  (L  c.  p.  461  f.).  Er  ist  die  Ursubstanz,  aus  der  die 
Monaden,  die  Einzelwesen,  emanieren:  „Ainsi  Dieu  aetU  est  runtie  primitive 
<m  la  substanee  simpU  ariginaire,  dont  toutes  les  monades  creees  ou  derivatives 
Mont  des  prodnetions  et  naissent  .  .  .  par  des  fulguratUms  eontinuelles  de  la 
diviniti^^  (MonadoL  47,  Qerh.  VI,  614).  Nach  Berkeley  ist  Oott  der  ewige, 
unendliche,  vollkommene  Qeist,  der  alles  in  allem  wirkt,  durch  den  alles  besteht 
<Princ.  CXLVI),  er  ist  der  Träger  und  das  Band  aller  Dinge  und  Geister 
{L  c.  GXLVII).  Er  offenbart  sich  uns  in  seinen  Werken,  indem  er  in  uns  die 
Nator  ab  gesetzmäßigen  Zusammenhang  von  Vorstellungen  produciert;  in  Qott 
leben,  weben  imd  sind  wir  (1.  c.  CXLIX).  Nach  G.  Vioo  ist  Gott  das  unend- 
liche fjMXM,  nasse,  veUe'*.  Nach  Che.  Wolf  ist  Gott  „0tn  selbständiges  Wesen, 
darinnen  der  örund  von  der  Wirkliehkeit  der  Welt  und  der  Seelen  xu  finden: 
und  ist  Gott  sowohl  von  den  Seelen  der  Menschen,  cUs  von. der  Welt  unterschieden" 
<Vem.  Ged.  I,  §  945).  Gott  ist  das  Absolute  (L  c.  I,  §  929,  §  938;  vgl.  Theolog. 
naturaL).  Nach  Crusius  ist  Gott  ,^eine  verständige  und  notwendige  d.  i,  ewige 
Substanx,  welche  von  der  Welt  unterschieden  wird  und  die  wirkliehe  Ursache 
der  Welt  isf*  (Vemunftwahrh.  §  205).  Nach  Fedee  ist  Grott  „dasjenige  Wesen, 
velehes  den  Örund  von  dem  Dasein  in  dieser  Welt  in  sich  enthält^^  (Log-  u. 
Met.  S.  393  ff.),  er  ist  der  vollkommenste  Geist  (1.  c.  ä.  404  ff.).  —  Holbach 
-erklärt,  Gott  sei  nur  „la  nature  agissante,  ou  la  somme  des  forces  inconnues 
<9M»  animent  V  univers"  (Syst.  de  la  nat.  II,  6).  Eine  pantheistische  Gottes- 
auffiisBung  hat  Goethe.  Ihm  ist  Grott  das  Ewige  im  Wechsel  der  Dinge 
<^VW.  XXXIV,  207),  die  der  Natur  immanente  schöpferische  Kraft;  die  Natur 
ist  „der  Gottheit  lebendiges  Kleid^*.  Gott  ist  impersönliche  Weltseele  (1.  c.  II, 
224;  III,  268).  —  Vgl.  H.  8.  Reimaetjs,  Abhandl.  von  d.  vem.  Wahrh.  d. 
natürl.  Belig.^,  1781.  Mendelssohn,  Morgenst.',  1786.  Hume,  Dial.  concem. 
natural  religion. 

Kant  versteht  unter  €k>tt  ein  Wesen,  das  durch  Verstand  imd  Wüle  die 
Trsache  der  Natur  ist  (Kr.  d.  pr.  Vem.  I.  TL,  II.  B.,  2.  Hptst.  V).  Der  Gottes- 
begriff ist  kein  theoretischer,  sondern  gehört  zur  Moral,  d.  h.  er  wird  durch  die 
Mond  gefordert  (s.  Gottesbeweis).  Gott  wird  als  vollkommenstes  Wesen  gedacht, 
indem  wir  den  Gottesbegriff  „aus  der  Idee"  haben,  „die  die  Vernunft  a  priori 
von  sittlieher  Vollkommenheit  entwirft  und  mit  dem  Begriffe  eines  freien  Willens 
unxertrennlieh  verknüpft"  (WW.  IV,  257).  Zwar  ist  Gottes  Wesen  an  sich  un- 
bekannt, aber  wir  müssen  ihn  uns  als  unendlichen  Geist  und  Willen  denken 
{WW.  VI,  476).  Dem  „moralischen  Theismus"  zufolge,  welcher  „kritisch"  ist, 
steht  Gottes  Existenz  zweifellos  fest;  Grott  muß  allwissend,  allmächtig,  heilig 
und  gerecht  sein  (Vorles.  üb.  d.  philos.  Beligionslehre,  hrsg.  von  Pölitz,  2.  A. 
1830,  S.  31  ff.).  Rein  theoretisch  genommen  ist  das  ,Jdeal  des  höchsten  Wesens" 
jMchts  anderes  als  ein  regulatives  Princip  der  Vernunft,  aUe  Verbindungen 
in  der  Welt  so  an^tsehen,  als  ob  sie  aus  einer  aügenugsamen  notwendigen  Ur^ 
Sache  entspränge"  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  486).  Jacobi  glaubt  an  einen  persön- 
lichen, von  der  Welt  verschiedenen  Gott  (Von  den  göttL  Dingen  1811). 
Krfo  meint:  „Das  höchste  Wesen  heißt  die  Gottheit  oder  Gott,  weil  es  das 
Gute  in  höchster  Potenx  und  gleichsam  personifieiert  ist^^  (Handb.  d.  Philos.  I, 
74).  Gott  ist  das  „allervoUkommenste  Urwesen",  der  Schöpfer  der  Welt  (1.  c. 
n,  362  ff.). 

Von  J.  G.  Fichte  an  beginnt  eine  (qualitativ  verschiedene)  pantheistische 
Anffassungsweise  PUtz  zu  greifen.    Fichte  selbst  betrachtet  Gott  als  die  (active 


406  Gott. 

f^ittliehe  Weltordnunff**  („ordo  ordinans^^),  als  absolutes,  unendliches  Ich  (s.  d.), 
als  absolute,  freie,  vernünftig-sittliche  Tätigkeit  (WW.  V,  182  ff.,  210  ff.V 
später  als  ein  Sein  (s.  d.).  Schelung  bestimmt  als  das  Princip  das  ^beohUe\ 
die  „Indifferenz"  aller  Dinge,  die  yyldentität*  von  Subject  und  Objecto  von 
Natur  und  Geist;  es  ist  ein  ewiges  Producieren  (Id.  zu  e.  Philos.  d.  Nat.  I*, 
S.  71  ff.).  Das  Absolute  ist  Gott  als  „etn  solches,  welches  sich  selbst  absolut 
affinniert  und  also  von  sich  sdbsi  das  Affirmierte  ist'  und  das  „unmittelbar 
durch  seine  Idee  auch  ist'*  (WW.  I  6,  148  f.).  Durch  intellectuale  Anschaaung 
wird  Gott  unmittelbar  erkannt  (1.  c.  S.  150  f.,  153  f.).  y,OoU  und  Unirertum 
sind  eins  oder  nur  verschiedene  Ansichten  eines  und  desselben.  Oott  ist  das 
Universum,  von  der  Seite  der  Identität  betrachtet,  er  ist  alles,  weil  er  das  allein 
Reale,  außer  ihm  also  nichts  ist**  (WW.  I  4,  128).  In  der  Natur  und  in  der 
Geschichte  offenbart  sich  Gott  (Syst  d.  tr.  Ideal.  S.  439).  Als  Vorsehung  wird 
Grott  erst  ganz  sein  (1.  c.  S.  441).  Später  wird  Schellings  Gottesbegriff  ein 
mehr  theistischer.  Gott  ist  nun  „lebendige  Einheit  von  Kräften'%  ^yPersönlieh- 
keit'%  „Oeist  im  eminenten  und  absoluten  Verstände"  (WW.  I  7,  395  ff.).  Gott 
ist  „die  Ursache,  die  allgemein  und  im  ganxen  Weltproceß  xunäehst  dem  Sub- 
jeetiven  über  das  Objeetive,  entfernter  also  dem  Idealen  über  das  Reale  den  Sieg 
verleiht"  (WW.  1 10,  255).  Gott  hat  „drei  Angesichte^',  in  ihm  sind  drei  Momente, 
Formen,  deren  Einheit  er  ist  (1.  c.  S.  245  ff.).  Gott  ist  aber  nicht  nur  im  Welt- 
proceß, sondern  er  ist  die  Potenz  vor  und  zu  aller  Tätigkeit  (L  c.  S.  252  f.l. 
In  Gott  ist  ein  „Urgrund".  Nach  Hegel  ist  das  Absolute  die  Weltvemunft, 
der  ewige  dialektische  (s.  d.)  Proceß,  der  zum  Selbstbewußtsein  des  Absoluten 
führt  (£ncykl.  §  87;  Log.  III,  327;  Phänom.  S.  16).  Gott  ist  „der  lebendige 
Proceß,  sein  Anderes,  die  Welt,  xu  setxen"  (Naturphilos.  S.  22).  In  der  „absoluten 
Religion"  manifestiert  sich  Gott  als  absoluter  Geist  (EncykL  §  564).  „GoU  ist 
nur  Oott,  insofern  er  sich  selber  weiß;  sein  Sich-wissen  ist  femer  sein  Selbst- 
heumßtsein  im  Menschen ,  und  das  Wissen  des  Menschen  von  Gott,  das  fortgeht 
zum  Sich'unssen  des  Menschen  in  Oott'  (1.  c.  S.  §  564).  „Daß  der  Mensch  von 
Oott  UfHß,  ist  nach  der  wesentlichen  Gemeinschaft  ein  getfieinschafüiches  Wissen^ 
d.  i.  der  Mensch  weiß  nur  von  Gott,  insofern  Gott  im  Menschen  von  sich  selbst 
weiß"  (WW.  XII,  496).  Das  göttliche  Wesen  stellt  sich  dar:  „a)  als  in  seiner 
Manifestation^  hei  sieh  selbst  bleibender,  ewiger  Inhalt;  ß)  als  Unterscheidung  des 
ewigen  Wesens  von  seiner  Manifestation,  welche  durch  diesen  Unterschied  die 
Erscheinungswelt  wird,  in  die  der  Inhalt  tritt;  y)  als  unendliche  Rückkehr  und 
Versöhnung  der  entäußerten  Welt  mit  dem  ewigen  Wesen,  das  Zurückgehen  des- 
selben aus  der  Erscheinung  in  die  Einheit  seiner  Fiale"  (Encykl.  §  566).  Von 
den  Hegelianern  nünmt  die  sog.  „Rechtet'  einen  theistischen  oder  vennitt^- 
den  Standpunkt  ein  (Gabler,  Hinrichs,  Göbchel,  K.  Bosenkbanz,  Vatke, 
Schaller  u.  a.).  —  Nach  Schleeermacher  ist  Gott  die  „volle  Einheit"  der 
Welt,  Gott  und  Welt  sind  Correlate  (Dial.  S.  162,  165,  167,  432  ff.,  476).  Da* 
Absolute  ist  die  „reine  Identität'  von  Sein  und  Denken  (1.  c.  S.  326),  ist  ewiges 
Leben  (1.  c.  S.  531),  aber  unpersönlich  (1.  c.  S.  525  f.,  529).  ,fJedes  einzelne  Sein 
ist  als  solches  eine  bestimmte  Form  des  Seins  der  absoluten  Identität,  nicht  aber 
ihr  Sein  selbst,  welches  nur  in  der  Totalität  ist"  (WW.  I  4,  131).  SCHOPENHAUER 
bestimmt  das  (ungöttliche)  Absolute  als  (alogischen)  Willen  (s.  d.).  Nach  £.  v.  ELart- 
MA107  ist  Gk)tt  unbewußter  Geist,  unpersönlich  (Relig.  d.  Geist.  S.  161),  die 
Substanz  der  Dinge,  welche  zwei  Attribute  hat:  Idee  und  Willen,  Logisches 
und  Alogisches  (Kategorienlehre  S.  538  ff.).     Gott  ist  Einheit  in  der  Vielheit, 


Gott.  409 

Vieleinheit  („conereter  Manurmis"^  s.  Mon.).  So  auch  A.  Drews.  Nach 
R.  Hame&lxnq  ist  Gott  das  allgemeine  Sein  (Atomist.  d.  Will.  I,  126).  Schell- 
wien betont :  y,Der  wahre  Pantheismtis  ist  die  Einheity  die  in  der  Vielheit  nicht 
ttußörtf  die  Einheit  xu  sein'*  (Wille  u.  Erk.  S.  94).  H.  Spencer  bezeichnet 
das  gottliche  Absolute  als  yjUnknowahle*\  als  absolut  transcendent,  wenn  auch 
in  der  Welt  sich  manifestierend.  Nach  D.  F.  Straubs  ist  Gott  nicht  Person, 
sondern  das  Unendliche,  das  in  den  Individuen  sich  personificiert  (Der  alte  u. 
d.  neue  Glaube).  M.  Messer  faßt  Gott  als  ,yAÜ8eeUf*  auf  (Mod.  Seele  S.  41). 
Bald  theistisch,  bald  vermittelnd,  panentheistisch,  stellt  sich  der  Gk>tte8- 
bcignff  bei  folgenden  Denkern  dar.  Zunächst  bei  der  HegelBchen  yyRechten'^ 
(b.  oben).  Femer  in  der  französischen  „theologischen  Schulet'  (de  Bonald, 
J.  De  Maistre,  Lammenais).  Dann  bei  Beneee,  dem  Gott  unendliche  Person 
ist,  femer  bei  Herbart,  Steffens,  Troxler,  Chr.  Weisse,  dem  Gott  selbst- 
bewußte Urpersönlichkeit  ist  (Phil.  Dogm.  I,  336  ff.),  Chalybaeus  (Syst  d. 
Wiss.  S.  285),  Braniss  (Syst.  d.  Met  S.  170  ff.),  Michelet  (Vorles.  üb.  d. 
Pers.  Gott  S.  160  f.),  Wirth,  Trendelenbitrg,  Drobisch  (Eeligionsphilos. 
1878),  W.  BosENKRANTZ  u.  a.  Nach  Hillebrand  ist  Gott  absoluter  Geist, 
der  allen  Substanzen  übergeordnet  ist  (Philos.  d.  Geist  I,  69).  Gott  ist  eine 
Substanz,  welche  alle  endlichen  Substanzen  in  der  Einheit  ihres  Systems  auf 
sich  bezieht  (1.  c.  II,  321),  er  ist  absolute  Subjectivitat  (ib.),  den  einzelnen 
Dingen  gegenüber  transcendent,  aber  inmianent  dem  System  des  Seins  (1.  c. 
S.  322).  Gott  hat  Bewußtsein,  Selbstbewußtsein,  Persönlichkeit  (L  c.  S.  325  f.). 
Er  ist  nicht  ohne  die  Welt,  sondern  in  ewiger  Selbstbeziehung  auf  sie  (L  c. 
S.  327).  Nach  Heinroth  ist  Gott  die  „Urkraft'',  er  ist  Einheit  von  Wille  und 
Gedanken,  der  Schöpfer  der  Welt  aus  nichts  (Psychol.  S.  194  ff.,  203).  Eüie 
„Aüeinkeitslehre'*  begründet  Chr.  Krause.  Ihm  ist  Gott  („Wesen*'}  eine  die 
Welt  einschließende  Einheit,  ein  ,yVereintcesen  von  Selbheit  und  Oanxheit'',  un- 
endliche, absolute,  selbstbewußte  Persönlichkeit  (Vorles.  üb.  d.  Syst.  d.  Philos. 
II,  46;  Bechtephilos.  S.  14  ff.,  16,  22;  vgl.  Beligionsphilos.).  So  auch  Ahrens 
(Naturrecht  I,  316).  F.  Baader  bestimmt  Gott  als  formende,  „aetuose'' 
Einheit,  lebendige  Tätigkeit  (WW.  I,  195  ff.).  Gott,  Sohn,  Heiliger  Geist 
büdai  einen  „Temar^';  der  Sohn  entfaltet  sich  aus  der  Selbstanschauung  des 
Vaters  zum  Geist  In  Gott  ist  eine  ewige  Natur  (W^W.  I,  226).  Nach  Günther 
denkt  sich  Gott  selbst  und  setzt  sich  damit  selbst,  unterscheidet  sich  von  sich 
und  verbindet  in  sich  die  drei  Personen  zu  einem  Selbstbewußtsein.  Die  Welt 
ist  eine  Entg^ensetzung,  die  Grott  sich  erschaffen.  Einen  „conereten  Theismus'* 
lehrt  J.  H.  Fichte.  Gott  ist  eine  transcendente,  die  Welt  in  sich  einschließende 
Einheit,  schöpferisches  Denken,  er  hat  Selbstbewußtsein  und  Persönlichkeit 
(SpecuL  Theol.  S.  77  ff.,  160;  Psychol.  II,  28  f.,  82).  Ähnlich  Ulrict,  dem 
Gott  die  geistige,  unterscheidende,  schöpferische,  bewußte,  freie  Urkraft  ist 
(Gott  u.  d.  Nat  S.  554  ff. ;  vgl.  Log.  S.  56),  das  „Prius  alles  andern  Seins'* 
(ib.).  Nach  Lotze  ist  Gott  ein  unendlich  Tätiges,  das  allen  Dingen  zugrunde 
liegt,  aber  bewußter  absoluter  Geist  ist,  Persönlichkeit,  die  alles  in  sich  ein- 
schließt, lebendiger  Gott  ist  (Mikrok.  III»,  545  ff.,  559  ff.,  571  ff.;  vgl.  Gr.  d. 
Beligionsphilos.).  Einen  „transeendenten  Pantheismus"  vertritt  Fortlaoe. 
Panentheistisch  ist  die  Lehre  Fechners.  Gott  ist  ein  unendlicher  Geist,  der 
alle  Veränderungen  in  sich  einschließt  (Üb.  d.  Seelenfr.  S.  117).  Sein  Leib  ist 
die  Welt  (1.  c.  S.  118).  Gott  ist  der  „ÄUgeisf^  der  alle  anderen  Geister  ein- 
schließt, umfaßt  (Zend-Avesta  I,  202),  er  ist  „ein  einiges,  höchst  bewußtes,  wahr- 


410  Gott. 

haft  cUltcisaendeSj  d,  i.  aües  Betcußtsein  der  Welt  in  sieh  tragendes  und  hiermit 
aueh  das  Bewußtsein  aller  JEinxelgeschöpfe  in  höheren  Bexügen  und  höchster 
Bewußtseinseinheü  verknüpfendes  Wesen*^  (1.  c.  II,  181 ;  I,  258  f.).  ,,  Es  ist  ein 
Oottt  dessen  unendliches  und  ewiges  Dasein  das  gesamte  endliche  und  xeitlidie 
Dasein  nicht  sich  äußerlich  gegenüber  noch  äußerlieh  unter  sieh,  sondern  in  sieh 
aufgehoben  und  untergeordnet  hat'*  (Tagesans.  S.  65).  Er  „sieht  mit  dem  Liekk 
und  hört  mit  dem  Schalle  seiner  Welt  aües^  was  in  der  Welt  ist  und  gesehidU^ 
(ib.).  Ähnlich  K.  Lasswitz,  Br.  Wille  u.  a.  Nach  Paülsek  ist  Grott  ^k 
Einheit  alles  Geistigen*',  „Der  unendliche  Inhalt  des  göttlichen  Wesens  ist  für 
unser  Erkennen  transcendent**  (Syst.  d.  Eth.  I',  207).  M.  Cariuere  betrachtet 
Gott  als  „Einheit  in  der  Allheit"^  ab  „Ich  des  Universums",  als  freien  Gdst, 
Persönlichkeit;  er  waltet  in  allen  Greistem,  diese  sind  „seine  einzelnen  Willens- 
acte,  die  sieh  in  ihm  xur  Selbständigkeit  erheben,  uml  er  nach  seiner  Freiheä 
nur  in  freien  Wesen  offenbar  werden  kann"  (Asth.  I,  46;  Die  sittl.  Welt<min.). 
Einen  christlichen  Theismus  lehrt  Thranborff.  Nach  O.  Pfleiderer  ist  Gott 
absoluter  Qeist,  Persönlichkeit,  das  absolute  Ich,  welches  die  Welt  einschheßt 
und  in  ihr  vernünftig  wirkt  (KeHgionsphilos.).  Ahnlich  R.  Seydel  (Die  Belig. 
1872),  Kirchner  (Metaph.  1880),  G.  Tiehle.  Nach  Sigwart  ist  Gott  d« 
Weltgrund,  die  „reale  Macht  eines  xweeksetxsnden  Wollene"  (Log.  II,  758). 
Nach  Kaptan  ist  Gott  ,/iie  höchste  Energie  des  persönlichen  Willens**  (Chrtstent 
u.  Philos.  8.  12).  — -  Volkelt  sieht  in  Gott  das  unendliche  All-Eine.  Die  Welt 
weist  darauf  hin,  daß  im  Absoluten  ein  „Prinoip  der  Negation  und  Verkehnmg 
innewohnet'  (Ästh.  d.  Trag.  S.  430).  „Einerseits  ist  die  Welt  in  der  Vernunft, 
im  Sein-sollenden,  im  Positiven  gegründet.  Aber  zugleich  hat  das  ewig  Ver- 
nünftige, Sein-soüende,  Positive  es  ebenso  ewig  mit  seinem  Gegenteil  %u  schaffen^ 
es  leidet  am,  Irrationellen,  Nicht-sein-sollenden,  Negativen,  und  es  trägt  das  Gepräge 
dieses  Leidens"  (1.  c.  S.  432).  Das  Absolute  gleicht  dem  tragischen  Helden,  der 
es  „in  seinem  eigenen  Innern  mit  einer  herabxerrendbn  Gegenmacht  xu  tun  hat^ 
(1.  c.  434).  Nach  G.  Spicker  ist  Qott  Grund  und  Zweck  der  Welt  (Vers.  e. 
n.  Grottesbegr.  S.  150),  er  hat  Wissen,  Vernunft,  Bewußtsein  (1.  c.  S.  150  f.),  fet 
nicht  einfach,  aber  die  Einheit  von  Geist  und  Materie  (1.  c.  S.  153),  hat  Per- 
sönlichkeit (L  c.  S.  263).  Die  Natur  ist  nicht  Grott,  aber  göttlicher  Art  (L  c. 
8.  155).  GrOtt  ist  „causa  eminens"  (1.  c.  8.  125).  In  Bezug  auf  sich  hat  er 
keinen  Willen  (1.  c.  8.  150  f.).  Wündt  bestimmt  Gott  als  „schöpferischen 
Willen",  höchsten  Gesamtwillen  (Eth.^  8.  4^),  den  absolut  transoendentesi 
Weltgrund  (8.y8t.  d.  Philos.*,  8. 668  ff.),  als  den  dem  Weltinhalt  adäquaten  Qrund, 
der  als  übergeistig,  übersittlich,  als  die  transcendente  Einheit  von  Natur  und 
Geist  gedacht  wird  (1.  c.  8.  392  ff.).  Zu  Gk)tt  führen  die  kosmologischen  und 
ontologischen  Ideen  (s.  d.).  Gott  wird  durch  die  letzteren  als  „Weltwüle^,  die 
Weltentwicklung  als  Entfaltung  des  göttlichen  Willens  und  Wirkens  in  der 
Welt  bestimmt;  die  Welt  ist,  (wie  bei  Lessing),  in  (]k>tt,  nimmt  an  ihm  teÜ, 
ohne  daß  die  Einzelwillen  ihre  8elb8tandigkeit  einbüßen  (1.  c.  8.  433  f.).  Als 
Weltwillen  faßt  Gott  W.  Jerusalem  auf  (Urteilsfunct.).  Nach  Reikke  ist 
Gott  „ein  Symbol  für  die  Summe  jener  intelligenten  und  gestaltenden  Kräfte^  die 
transcendent  tmd  immanent  zugleich  sind,  aus  der  Transeendenz  die  Immanenx 
erzeugend**  (Welt  als  Tat,  8.  464).  Einen  Panentheismus  vertritt  W.  v.  Walt- 
hoffen (Die  Grottesidee).  Höffding  erklärt:  „Von  einem  rein  theoretischen 
(erkenntnistheoretiseft-metaphysischen)  Standpunkt  aus  kann  der  Gottesbegriff  nur 
das  Princip  der  Continuität,  mithin  der  Verständlichkeit  des  Daseins  bedeutok 


Oott  —  Oottesbeweise.  411 


Von  einem  religiösen  Standpunkt  aus  bedeutet  Oott  —  aU  Object  des  Glaubens 

—  das  Prineip  der  ErhaUimg  des  Wertes  durch  alle  Schwankungen  und  alle 
Kämpfe  hindurch,  —  wenn  man  so  wül,  das  Prineip  der  Treue  im  Dasein*' 
(Beligionsphiloeopli.  S.  120).  Gott  ist  ein  EÜnheitsprincip,  das  allem  Zusammen- 
hange der  Dinge  zugrunde  liegt  (1.  c.  S.  51).  A.  Dobker  faßt  Gott  als  (Substanz, 
absoluten,  selbstbewußten  Geist,  der  über  die  Welt  erhaben  und  zugleich  ihr 
immanent,  Einheit  von  Vernunft  imd  Wille  ist  (Gr.  d.  Beligionsphilos.  S.  27  ff.). 

—  MoKBAD  betrachtet  Gk)tt  als  sich  selbst  denkenden  Gedanken  (Arch.  f. 
svstem.  Philos.  11,  205),  Boström  als  absolute  Persönlichkeit.  RenOitvier  er- 
klärt: yyDieu  est  la  eonscience  morale  parfaite,  c'est-ä-^ire  la  soureraine  justice, 
et  la  souveraine  bonU  qui  veut  la  justice  et  qui  la  fait^^  (Nouv.  Monadol.  p.  460). 
Gott  ist   ,fa  personne  parfaitef''   (1-  c-  P»  ^öl).     Nach  Emebsok  ist  Gott  die 

Naturalistisch  oder  atheistisch  sind  die  religionsphilosophischen  Auf- 
fassungen verschiedener  Denker.  Nach  L.  Feuerbach  ist  Grott  das  mensch- 
liche Wesen,  das  der  Mensch  aus  sich  heraus  projiciert,  das  offenbare  Innere 
des  Menschen,  ein  „Wunsekwesen"^  (WW.  VII,  39  ff.).  Die  Götter  sind  „die 
fencirklieht  gedachten  Wünsche  der  Menschen''  (WW.  VIII,  257;  IX,  56  ff.). 
Das  Absolute  ist  die  Natur.  A.  Comte  will  als  Gottheit  (,^and  etre^')  die 
Menschheit  verehrt  wissen.  M.  8tirner  ist  absoluter  Atheist.  Atheistisch 
doiken  auch  Bahnsen,  Mainlander,  E.  Dühbing,  L.  Büchneb,  £.  Haeckel, 
der  unter  Gott  nur  „die  unendliche  Summe  alier  Naturkräfte^'  versteht  (Der 
Mooism.  S.  33 ;  Die  Welträtsel),  Nietzsche,  dem  die  Existenz  eines  Grottes  ein 
unerträglicher  Gedanke  ist  (WW.  XV,  315).  Unter  „Oott''  kann  man  nur  die 
Cubnination  des  „Willen  xur  Macht"  verstehen  (L  c.  XV,  318  f.).  —  VgL 
Vatke,  Beligionsphilos.  1888;  Teighmülleb,  Beligionsphilos.  1886;  Glooau, 
Vorles.  üb.  Beligionsphilos.;  Seydel,  Beligionsphilos.;  Bükge,  Katech.  d. 
Beligionsphilos.;  Flott,  Theism.  1879;  Schriften  von  Coldebwood,  Martineau, 
Caird,  J.  Lindsat,  Abbot  u.  a.  Vgl.  Äther,  Dualismus,  Beligion,  Deismus, 
Theologie,  Willensfreiheit,  Manichäismus. 

Gottesbeweises  Beweise,  logische  Argumente  für  das  Dasein  Gottes. 
Es  gibt  ihrer  verschiedene:  1)  ontologischer  (s.  d.);  2)  kosmologischer  (s.  d.); 
3)  teleologischer  (s.  d.)  oder  physiko- theologischer;  4)  moralischer  (s.  d.) 
oder  ethiko- theologischer  Beweis;  5)  Beweis  „e  consensu  gentium",  d.  h.  aus 
der  gleichen  Anlage  bei  allen  Menschen  für  die  Entwicklung  eines  Gottes- 
b^jiffs  (Aristoteles,  De  coel.  I,  3;  Cicero,  Tusc.  disp.  I,  13,  De  nat. 
deor.  I,  17;  Clemens  Alexandrinus,  Strom.  V,  14  u.  a);  6)  der  Beweis  aus 
dem  angeborenen  Gottesbewußtsein  (Jüstinüs,  Apol.  II,  6;  Johannes  Damas- 
CENTS,  De  fide  orth.  I,  1,  Tertullian,  De  testimon.  an.  5,  De  came  Chr.  12 ; 
Scholastiker,  Descartes  u.  a.);  7)  Beweis  aus  der  mystisch-intuitiven,  ek- 
statischen Erfassung  Gottes  (Philo,  Plotin,  Eckhart,  Campanella:  durch 
einen  „tactus  intrinsecus",  u.  a.);  8)  aus  der  Idee  Gottes  im  Ich  mit  Hinweis 
daianfy  daß  das  (endliche)  Ich  nicht  die  positive  Unendlichkeits-Idee  einer 
Gottheit  selbsttätig  erzeugt  haben  könne  (Campanella,  Descartes:  „Idea 
quae  in  nobis  est  requirit  Deum  pro  causa  Deusque  proinde  existit,"  Medit.  III ; 
^Ialebranche,  nach  welchem  die  Idee  des  Unendlichen  (s.  d.)  der  Erkenntnis 
des  Endlichen  vorangeht,  Bech.  II,  6) ;  9)  Beweis  aus  der  Existenz  des  Ich,  die 
eine  abgeleitete,  auf  Gott  zurückführende  sein  muß  (Descartes,  Baader  :  „Jeder 
endliche  Oeist,  wissend,  daß  er  nicht  sich  selber  hervorbringt,  weiß  hiermit  sein 


1 


412  Oottesbeweise  —  Orenxbegriffe. 

Oewußisein  von  dem  ihn  hervorbringenden  absoluten  Geis1^\  WW.  1, 193 ;  GlogaU); 
10)  Beweis  aus  a.  übernatürlicher,  b.  natürlicher  Offenbarung  in  der  Aufloi-  und 
Innenwelt  (Berkeley,  nach  welchem  Gott  ebenso  gewiß  und  unmittelbar  erkannt 
wird  wie  ein  anderes  geistiges  W^sen,  Princ.  CXLVII  f.;  Sghelxikg:  yßit 
Geschichte  als  Ganzes  ist  eine  fortgehenäcy  aümäMich  sich  enihiUlende  Offen- 
barung des  Absoluten.  Aber  man  kann  in  der  Geschichte  nie  die  einzelne  Stelle 
bezeichnen,  wo  die  Spur  der  Vorsehung  oder  Gott  selbst  gleiehscun  siehtbar  ist. 
Denn  Gott  ist  nie,  wenn  Sein  das  ist^  was  in  der  obfeetieen  Welt  sieh  darsteüt; 
wäre  er,  so  wären  wir  nicht;  aber  er  off enbart  sieh  fortwährend.  Der  Mensck 
führt  durch  seine  Geschichte  einen  fortwährenden  B&ceis  von  dem  Dasein  Goiteif 
einen  Beweis,  der  aber  nur  durch  die  ganze  Geschichte  vollendet  sein  kantr 
Syst.  d.  tr.  Ideal.  8.  438;  Hegel,  nach  dem  sich  Qott  als  absoluter  Geist  in 
Religion  und  Philosophie  offenbart,  Encykl.  §  564  ff.).  Vgl.  Ulrici,  Gott  u. 
d.  Nat.  S.  1  ff.;  A.  Dornee,  Gr.  d.  Beligionsphilos.  S.  200  ff.  u.  a.  —  Gegner 
der  Gottesbeweise  sind  die  antiken  Skeptiker  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  IX, 
137  ff.,  Pyrrh.  hypot.  III,  2  ff.),  Hume  (Dial.  concem.  natural  rdigion)  und 
besonders  Kant,  der  die  sub  1 — i  angeführten  Argumente  als  nicht  stiingent 
darlegt  (Kr.  d.  r.  Vern.  S.  468  ff.),  selbst  aber  einen  ethiko-theologischen  Ge- 
dankengang einschlagt.  Vgl.  auch  Krüg,  Handb.  d.  Philos.  I,  318  ff.  —  Zu- 
sammenstellimgen  von  Gottesbeweisen  bei  Maimonides,  Doct.  perplex,  n,  1: 
Thomas,  Sum.  th.  I,  2,  3;  Contr.  gent.  1, 13  f.,  IV,  28,  IV,  42;  Melakchthox 
u.  a.  —  Vgl.  Grott. 

Ckittesstaat  oder  Gottesreich  („civitas  Dei,  regmon  gratiae^):  dtf 
Keich  der  göttlichen,  sittlichen  Ordnung  im  Gegensatze  zum  irdischen  Staals- 
verbande:  Augustinus  (De  civ.  Dei  XII,  27).  Leibniz  spricht  von  der  ,/f- 
publiqtde  de  Vunivers  ou  la  cite  de  Dieu"  (Gerh.  IV,  475).  Den  GrottesstiAt 
bildet  die  Gesamtheit  aller  geistigen  Monaden  (MoQadol.  85).  „H  est  aise  de 
condure  qtic  l'assemblage  de  tous  les  esprits  doit  composer  la  cite  de  Dieu,  e'esi- 
ä'dire  le  phis  parfait  etat  qui  sott  possible,"  eine  moralische  Welt  („monde 
moral**)  in  der  Natur  (1.  c.  86).  Im  Gottesstaat  herrscht  die  Tugend  mit  dem 
Glück  (Theod.  I,  §  123).  Nach  Paulsen  ist  das  Gottesreich  die  Entfnltong 
Gottes  in  einer  Welt  geistig-geschichtlichen  Lebens,  das  doch  in  der  Einheit 
seines  geistigen  Wesens  beschlossen  bleibt  (Syst.  d.  Eth.  I*,  265).  Vgl.  So- 
ciologie. 

Gottlieit:  1)  das  Wesen  Gottes,  das  Göttlichsein,  2)  Gott  (s.  d.). 

Orad:  Stufe,  Größe,  der  Qualität  oder  Intensität,  intensive  Gröfie.  - 
Nach  Chr.  Wolf  sind  Grade  „quantitates  qualitatum'*  (Ontol.  §  747);  so  auch 
Baumgarten  (Met  §  246).  Nach  Kant  hat  „jede  Empfindung  einen  Orod 
oder  eine  Größe,  wodurch  sie  dieselbe  Zeit  d.  i.  den  innem  Sinn  m  Ansehwig 
derselbefi  Vorstellung  eines  Gegenstandes  mehr  oder  weniger  erfüllen  kann,  bU 
sie  in  nichts  (=  0  =  negatio)  aufhört*^  (Kr.  d.  r.  Vern.  S.  146).  Nach  HeqB' 
ist  „Grad''  die  „intensive  Größe*'  (Encykl.  §  103),  „die  Größe  als  gleichgültig 
für  sich  und  einfach"  (1.  c.  §  104;  vgl.  K.  Bosenkranz,  Syst  d.  Wiss.  §  64  üi 
WuNDT  unterscheidet  innerhalb  jedes  Systems  psychischer  Elemente  Intensität«-, 
Qualitäts-  imd  Klarheitsgrade  (Gr.  d.  Psycho!*,  S.  305). 

Greatest  happiness  —  Prlnciple  s.  Utilitarismus. 
Orensbecnrtffe  sind  Begriffe,  die  als  Inhalt  die  Existenz  eines  Tno^ 


Grenxbegriffe  —  Grund.  413 


cendenten  (s.  d.)  enthalten,  ohne  dessen  Qualitäten  (adäquat)  mitzuenthalten, 
eder  Begriffe,  die  bis  zur  Grenze  unseres  Erkennens  führen,  deren  Inhalt  zugleich 
für  die  subjective  wie  für  die  objective  Wirklichkeit  gilt.  —  Kant  versteht 
unter  einem  Grenzbegriff  einen  B^riff,  der  die  Ansprüche  der  Sinnlichkeit  be- 
grenzt, einschrankt  und  der  zugleich  bis  zur  Grenze  unseres  Erkennens  führt, 
mdem  er  etwas  denkend  setzt,  ohne  es  qualitativ,  positiv  bestimmen  zu  können. 
Dieses  Etwas  ist  das  yyNoufnenon"  (s.  d.),  das  als  übersinnlich,  rein  rational  ge- 
dacht« Ding.  jyÄm  Ende  aber  ist  doch  die  MögUchkeit  aoleher  Naumenorum  gar 
nMi  eimusekeHy  und  der  Umfang  außer  der  Sphäre  der  Erscheinungen  ist  (für 
uns)  leeTj  d.  i.  wir  haben  einen  Verstand^  der  sich  problematisch  tceiter  er* 
streckt  als  jene,  aber  keine  Anschauung,  ja  aueh  nicht  einmal  den  Begriff  von 
einer  möglichen  Anschauung,  wodurch  uns  außer  dem  Felde  der  SimUichkeit 
Oegensiände  gegeben,  und  der  Verstand  über  dieselbe  hinaus  assertorisch  ge- 
braucht werden  könne.  Der  Begriff  eines  Noumenon  ist  also  bloß  ein  Orenx» 
begriff,  um  die  Anmaßung  der  Sinnlichkeit  einxtisckränken,  und  also  nur  von 
negativem  Gebrauehe.  Er  ist  aber  gleichwohl  nicht  willkürlieh  erdichtet,  sondern 
hängt  mit  der  Einschränkung  der  Sinnlichkeit  zusammen,  ohne  doch  etwas 
Ihsitives  außer  dem  Umfange  derselben  setzen  xu  können"  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  235). 
„Unser  Verstand  bekommt  nun  auf  diese  Weise  eine  negative  Erujeüerung,  d.  i, 
er  wird  nicht  durch  die  Sinnlichkeit  eingeschränkt,  sondern  schränkt  vielmehr 
dieselbe  ein,  dadurch  daß  er  Dinge  an  sich  selbst  (nic/U  als  Erscheinungen  be- 
iraektet)  Noumena  nennt.  Aber  er  setzt  sieh  auch  sofort  selbst  Grenzen,  sie  durch 
seine  Kategorien  zu  erkennen,  mithin  sie  nur  unter  dem  Namen  eines  un- 
bekannten Etwas  XU  denken"  (1.  c.  S.  236).  Nach  A.  Lange  ist  das  Ding  an 
sich  (s.  d.)  ein  bloßer  Grenzbegriff.  Nach  Ulrici  ist  ein  Grenzbegriff  „ein 
solches  Wissen,  das  von  der  einen  Seite  als  Wissen,  von  der  andern  als  Nicht- 
wissen sich  attsweisP*  (Gott  u.  d.  Nat.  S.  617).  Rdshl  nennt  Baum  imd 
Zeit  ,^empirische  Orenxbegriffe,  deren  Inhalt  in  gleichem  Grade  für  das  Bewußt- 
sein wie  fi^  die  Wirklichkeit  selber  gültig  ist"  (PhUos.  Krit  II,  1,  73).  Nur 
die  „Grenzen",  nicht  das  An-sich,  der  Dinge  sind  erkennbar. 

GrSffe  8.  Quantität. 

OrSße^  psy^llisclie^  ist  ,  jedes  psychische  Element  und  jedes  psy- 
dhsehe  Gebilde  .  .  .,  insofern  es  in  ein  irgendwie  gradweise  abgestuftes  System 
tvngetyrdnet  werden  kann"  (Wundt,  Gr.  d.  PsychoL*,  S.  306).  Die  Größen- 
eigenschaft  als  solche  (als  Intensität,  Qualität,  extensiver  Wert,  ev.  als  Klar- 
heitsgrad)  kommt  jedem  psychischen  Element  nnd  Gebilde  zu,  aber  eine 
Größenbestimmung  ist  nur  mittelst  der  apperceptiven  Function  der  Ver- 
gleichung  möglich  (ib.).  Die  psychische  Messung  hat  es  mit  „Wertgrößen", 
nicht  mit  Größenwerten  zu  tun.  Absolute  Maße  gibt  es  hier  nicht.  Vgl. 
Psychophysik. 

6rll0eiinaie8Siiiii^9  psychische,  s.  Größe,  Psychophysik. 

OmDfl  {loyos,  ratio)  ist  ein  Gedanke,  insofern  er  uns  zur  Anerkennung, 
Setzung  eines  anderen,  von  ihm  abhängigen,  aus  ihm  folgenden  Gtedankens 
inFolge",  consecutio)  nötigt,  logisch  determiniert.  Der  „Salz  vom  Grunde^* 
(b.  unten)  besagt,  daß  wir  zusanmienhängend,  folgerichtig  denken  müssen,  d.  h. 
daß  jedes  Urteil,  um  als  gültig  anerkannt  zu  werden,  ein  gültiges  Urteil  vor- 
auflsetzt     AUe  Erkenntnisgründe  führen  schließlich  auf  logische  Denkgesetze 


414  Grund. 

(s.  d.)  und  auf  die  Anschauung  zurück.  Erkenntnisgrund  ist  der  Gedanke, 
die  Erkenntnis,  ans  der  ein  anderer  Gedanke,  eine  andere  Erkenntnis  abgleitet 
wird.  Seinsgrund  ist  jedes  Princip,  aus  dem  die  Existenz  eines  Dinges  oder 
Geschehens  ableitbar  ist.  Jeder  Grund  beantwortet  die  (dem  Denkoi  und 
Denken -wollen  ursprünglich  eigene)  Frage  nach  dem  ^^WarMm^\  nach  der 
Motivation  und  Determination  eines  Geschehens.  Eine  logische  Regel  ist: 
Mit  dem  Grunde  ist  die  Folge  gesetzt,  mit  der  Folge  der  Grund  aufgehoben 
(jjPosiia  raiione  ponüur  r€Uianatum"), 

Bis  auf  Leibniz  werden  Erkenntnis-  und  Seinsgrund  meist  nicht  recht  aus- 
einander gehalten.  So  bei  AbistOTELES:  ijticraad'at  8i  oiofud'a  ixamov  nxlu^ 
Srav  Ttjv  aixiav  oiofud'a  yivcScxaiv,  ^«'  rl^f  ro  nQdyiid  icrw^  ort  ixsivov  arrm 
imi  xai  /u;  irSdxßffd'ai  tovxo  akXms  slvai  (AnaL  poat  I,  2).  Die  Skeptiker 
sprechen  von  der  icocd'ivsuL  rtSv  loytov,  von  der  Gleichwertigkeit  der  oitgegen- 
gesetzten  (Beweis-)  Gründe,  so  dafi  es  keinen  wahren  Widerspruch  gebe  (ovk 
BCTiv  dvriXoyia),  da  kein  Grund  mehr  gelte  (ot  /uäXXor)  als  ein  anderer  (Sbxtcs 
Empiricus  Pyrrhon.  hypot  I,  12,  202  squ.).  —  Nach  Wilhelm  von  Coscbb^ 
ist  „Qrund"  (ratio)  „eertum  et  ßrmusn  tudieium  de  re  eorporta^^  (bei  Haureau 
I,  p.  445).  Descabtes  (jfiausa  iive  ratio**)  und  Spinoza  unterscheiden  Eeal- 
und  Seinsgrund  nicht  genügend.  Den  Begriff  einer  ,^Mreidienden  UrBoeke* 
kennt  Hobbes:  „/  hold  to  be  a  suffident  eause,  to  which  notking  is  w(miist§ 
that  is  needfuU  to  the  producing  of  (he  effeet,  The  same  is  also  a  neeessanf 
eause^*  (Quaest  de  libert  1750,  p.  483).  Leibniz  unterscheidet  schon  zwischen 
j^raisofi"  und  „eaust^*;  der  ^yGrufid^*  ist  Ursache  des  Urteils,  der  Wahrheit»  ihm 
entspricht  in  den  Ding^i  die  Ursache  (Xouv.  Ess.  lY,  eh.  XVII,  §  1).  Alle» 
muß  seinen  zureichenden  Grund  (s.  unten)  haben.  Nach  Chr.  W^olf  ist  Grand 
„dasfenige,  wodurch  nian  verstehen  ^mi,  warum  etwas  ist**  (Vem.  Ged.  I,  §  29> 
„Wo  etwas  vorhanden  ist,  woraus  man  begreifen  itotm,  tcarwn  es  ist,  dieg  hat 
einen  xureiehenden  Orund**  (1.  c.  §  30).  ,yPer  rationem  suffieientmn  intelligo  H 
unde  inteüigOurj  cur  aliquid  fit*  (OntoL  §  56).  Zu  unterscheiden  sind  y^prin- 
cipium  fiendi  (ratio  aetualitatis  aUerius)**,  „prineipium  essendi  (ratio  possibüi' 
tatis  aüerius/*  und  „principium  eognoscendi**  (Gntol.  §  876,  881  ff.).  Baum* 
garten  erklart:  y,Raiio  est,  ex  quo  cognoseibile  esty  cur  aliquid  sit*^  (Met.  §  14|. 
Reim  A  BUB  unterscheidet  innem  und  äußern  Grund  (Vemunftlehre  §  81). 
Cbusius  bemerkt:  „Alles  doitjenige,  was  etwas  anderes  ganz  oder  zum  Tkü 
hervorbringt,  .  .  .  heißt  Orund  oder  Ursache  im  weiteren  Verstandet*  (Vernunft- 
wahrh.  §  34J.  Erkenntnis-  und  Bealgrund  sind  zu  unterscheiden  (ib.;  Dissertatao 
philos.  de  usu  et  limitib.  princip.  orat  determin.  1743).  Menoelbsohn  Tenteht 
unter  Grund  ,/kts  Merkmal  in  der  Ursache,  aus  welchem  sieh  die  Wiriamg 
folgern  läßt*  (Morgenst  I,  2).  Nach  Feder  ist  „Grund**  Jkrfenige  Umetand, 
diefefiige  Bestimmung,  tcovon  das  andere,  das  Oegründete  herboimnt**  (Log.  n. 
Met  S.  255),  Dar  „vollständig^*  Grund  ist  die  „Sammlung  alles  dessen,  was  einen 
Einfluß  gehabt,  zu  dem  Effect  etwas  beigetragen  hat**  (I  c.  S.  257).  Zu  unter- 
scheiden sind  „Bealgrtmd*  und  „Erkenntnisgrund^*  („Idealgrund**  ,Jlogiseker^ 
Grund),  endlich  „Bewegungsgnmd*  (1.  c.  S.  259).  Nach  Platneb  ist  ein  Ghrund 
das,  „woraus  erkannt  wird,  daß  ettcas  ist,  so  und  nicht  anders  ist*  (Fhilos. 
Aphor.  I,  §  826).  „Xun  erkennt  man  aus  den  Bestandteilen  eines  Dinges^  als 
aus  seinen  Merkmaleny  was  es  ist,  wtd  zugleich  auch  warum  es  ist  und  warum 
es  das  ist,  was  es  ist:  folglieh  sind  die  Bestandideen  eines  Begriffes  oder  Dinges 
seine  Bestimmungen  %md  zugleich  sein  Orund;  in  der  Verbindung  untereinander 


Grund  —  Qrunde,  Sata  vom  (sureichenden).  415 

der  xureiehende,  bestimmende  Orund"  (1.  c.  §  827).  Mit  dem  Grunde 
wird  die  Folge  gesetzt  bezw.  aufgehoben  (1.  c.  §  829). 

Entschieden  trennt  den  ,jtogi8ehen^^  Grund  vom  „Realffrund^*,  der  Ur- 
sache, Kaitf  (WW.  II,  104  f.).  Der  Bealgrund  ist  niemals  ein  logischer  Grund 
(ib.).  ,yRaiio^*  ist,  ,^ptod  detenninat  subiectum  respeetu  praediccUi  emusdam*^ 
(Pr.  prim.  cogn.  met  sct.  IT,  prop.  IV).  Der  Grund  der  Wahrheit  ist  nicht 
der  Grund  der  Wirklichkeit  (1.  c.  sct.  II,  prop.  VIII).  Nach  S.  Madion  wird 
„Qrund*^  „bloß  von  der  Erkenntnis ^  nicht  cAer  vom  Dasein  eines  Dinges  ge- 
braucht; es  bedeutet  .  .  .  e/ine  vorher  erlangte  Erkenntnis,  als  Bedingung  einer 
neuen  Erkenntnis  betrachtest^^  (Vers.  üb.  d.  Tr.  S.  107).  Ähnlich  Eiesewetteb 
(Log.  I,  16)  und  G.  £.  Schulze  (Allg.  Log.  §  19).  Nach  Fries  ist  Grund 
,yem  Urteil,  unter  dessen  Bedingung  ein  anderes  behauptet  tüird**  (Syst  d.  Log. 
8.  136). 

J.  G.  Fichte  bemerkt:  j^Tedes  Entgegengesetzte  ist  seinem  Entgegengeseixten 
in  einem  Merkmale  =  z  gleich;  und:  jedes  Gleiche  ist  seinem  Gleichen  in  einem 
Merkmal  =  x  entgegengesetzt.  Ein  solches  Merkmal  =  x  heißt  der  Grund,  im 
ersten  Fall  der  Beziehungs-,  im  zweiten  der  Unter seheidungs-Grund^^ 
(Gr.  d.  g.  Wiss.  6.  29).  Heqel  fafit  den  yjGrund**  als  Moment  der  dialektischen 
(8.  d.)  Bewegung  des  ^^Begriffs"  (s.  d.)  auf.  Der  „Grum^*  ist  „die  reale  Fer- 
mitthing  des  Wesens  mit  sieh"  (Log.  II,  75),  „die  Einheit  der  Identität  und  des 
Unterschieds;  die  Wahrheit  dessen,  als  was  sich  der  Unterschied  und  die  Iden" 
iität  ergeben  hat  —  die  Refleodon-in-sich,  die  ebensosehr  Refeodon-^n-anderes 
und  umgekehrt  ist.  Er  ist  das  Wesen  als  Totalität  gesetzt*^  (Encykl.  §  121). 
Nach  K.  BoBEKKRANZ  ist  das  Wesen  der  Grund  „als  die  negative  Identität 
des  Entgegengesetzten"  (Syst  d.  Wiss.  S.  56).  Vom  ,/ormellen"  und  „reellen" 
ist  der  „vollständig^*  Grund  zu  imterscheiden,  der  das  Wesen  selber  ist  (L  c. 
8.  56  f.).  Bachmann:  „Der  Grund  ist  das,  dessen  Gesetztsein  ein  anderes 
untciderstehlich  nachxieht;  Folge  aber,  das  nur  gesetzt  ist,  weil  jenes  gesetzt  ist" 
(Syst  d.  Ix^.  S.  131  ff.).     Ähnlich  andere  Logiker. 

Volkelt  nennt  Erkenntnisgrund  „dü^enige  Ursache,  die  das  Bewußtsein 
der  sachlichen  Notwendigkeit  entspringen  läßt^'  (Erfahr,  u.  Denk.  S.  215).  Nach 
810WABT  ist  Grund  „dasfenige,  was  ein  Urteil  notwendig  macht"  (Log.  I',  246); 
nach  B.  Ebdmann  der  „Inbegriff  der  Urteile,  aus  denen  der  zu  beweisende  Satz, 
die  Folge,  denknotwendig  ableitbar  ist"  (Log.  I,  296) ;  nach  Biehl  der  „Inbegriff 
aller  eoeoeistierenden  B&lingungen"  (Phil.  Krit  II,  1,  267),  als  „elasfenige  an  der 
Ursache,  woraus  die  Wirkung  begreiflich  wird^*  (1.  c.  II,  2,  307).  Den  logischen 
Charakter  der  Begriffe  Grund  und  Folge  betont  Wundt  (Log.  I*,  S.  561  ff.). 

Onmile^  Sats  Tom  (snreielienden)  („prineipium  rationis  suffi- 
dentis")  ist  ein  Denkgesetz  (s.  d.),  eine  Denknorm,  welche  für  jeden  Gedanken, 
jedes  Urteil  einen  Grund,  d.  h.  einen  gültigen  Satz  fordert,  durch  den  die 
Notwendigkeit  des  fraglichen  Urteils  sich  rechtfertigt.  Das  (logische)  Denken 
geht  auf  Zusammenhang  und  Folgerichtigkeit  (Ck)nBequenz)  der  Denkacte 
aus,  der  Satz  vom  Grunde  gibt  der  Forderung  des  logischen  Zusammen- 
hanges, der  CJonsequenz  (die  schließlich  auf  der  Einheit  des  Ich  beruht)  Ausdruck. 
Unbegründet  darf  nichts  behauptet  werden,  soll  dem  Wahrheitswillen  Genüge 
geschehen. 

Der  Satz  vom  G^^de  wird  bald  logisch  und  ontologisch,  bald  rein  logisch 
formuliert,    in  ontologischer  Form    (zugleich   als  Causalgesetz)  .besonders  in 


416  Grunde,  Bäte  vom  (mureichenden). 

früheren  Zeiten.  So  bei  PlATO:  avayMoioVf  ndvta  ra  ytyvofteva  Sui  Tifo.  airiar 
yiyvead'ai  fPhileb.);  näv  8b  to  yiyvofuvov  vy^  airiav  riros  i^  avdyxtfs  yiy^vK^&ar 
navxl  yitQ  aBvvarov  X^9^^  airiov  ydvBüiv  axelv  (Tim.  28  A).  Femer  bei  ; 
AsiSTOTELES :  nacojv  fuev  ottv  hoivov  ttov  d^öiv,  t6  ngwTOV  eUnu^  S&er  ^  ' 
iarir  rj  yiverau  tj  ytyvt&üxexai  (Met  I,  1).  So  auch  bei  den  Stoikern:  /caJUtfra 
fiev  xal  n^öirov  alvai  do^eUf  t6  firfiiv  dvairiw^  yiyvea&ai,  dXXd  tcard  7t^4n;y9t- 
furae  akiag  (Flut.,  De  fato). 

Dbbcartes  erklärt :  ,J^ulla  res  existü,  de  qua  non  possü  quaeri,  quaertam 
Sit  oausa^  cur  eanstat*  (Besp.  ad  II.  obiect,  ax.  I).    Und  Spinoza:  „Natandmm. 
dari   neeessario  uniuacuiuaque  rei  existentis  certam  aliquant  causam^  propter 
quam  existif^  (Eth.  I,  prop.  VIII).     Die  Bedeutmig  des  Satzes  vom  Grunde 
betont  aber  erst  Leibniz.    Der  Satz  bedarf  keines  Beweises  (5.  Brief  an  Oaike 
125).     Er  bezieht  sich  auf  empirische  Wahrheiten,   dient  zur  Ic^ischen  Ver- 
arbeitung von  Erfahrungsinhalten  (3.  Brief  an  Olarke,  Erdm.  p.  751).    Dazu  ist 
nötig  eine  ^^raison  suffisantSy  pour  qu'une  ehose  exiate,  qu'wi  evenement  arrive^ 
qu'une  verite  aü  lieu"  (Gerh.  VII,  419),  j^aison  süffisante,  en  vertu  duquel  nout 
eonsiderons  qu'aucun  fait  ne  sauraii  se  troucer  vrai  ou  exisiant,  aueune  hum- 
ciation  vSrüable,  sans  qu'il  y  aü  une  raison  süffisante,  pourquoi  U  en  sok 
ainsi  et  non  pas  autrement^^  (MonadoL  32;  vgl.  Theod.  I,  §  44).     Nach  Csa.   , 
Wolf  ist  der  Satz  vom  Grunde  „menti  nostrae  naturale^*  (Ontol.  §  74).     Er  J 
lautet:   „Nihil  est  sine  ratione  sufficiente,  cur  potius  sit,  quam  non  sit^'  (L  c 
§  70).    „Alles,  was  ist,  hat  seinen  xureichenden  Qrund,  wcarum  es  vielmehr  ist, 
als  nicht  ist^^  (Vem.  Ged.  I,  §  928).    „Da  nun  unmöglich  ist,  daß  aus  mekU 
etwas   werden  kann,    so  muß  auch  alles,  was  ist,  seinen  T^ireichenden  Onmi 
hohen,  warum  es  ist,  das  ist,  es  muß  allezeit  etwas  sein,  daraus  man  verstehen 
kann,  warum  es  wirklich  werden  kann**  (L  c.  I,  §  30).    G^egen  Wolf  polemisiert    , 
Crusius,  Diss.  philos.  de  usu  et  limit  princip.  raüon.  detennin.  1743.    Fedeb   I 
unterscheidet  vom  metaphysischen  Satze  des  Grundes  (Ix^.  u.  Met.  S.  265  iL)   \ 
den  ,jlogisehen  Grundsatx    vom  zureichenden  Örund^%  ,/iaß  wir  ohne  Ortmd 
nichts  für  wahr  halten  können  und  sollen^^  (1.  c.  S.  269).     Das  „Princip  der 
Folge^*  stellt  Baumgabten  auf:  Nichts  ist  ohne  ein  B^röndetes,  alles  hat  seine 
Folge. 

Kant  formuliert:  „Nihil  est  verum  sine  ratione  determinante"  (Princ.  pr. 
cogn.  sct.  II,  prop.  V).  Der  Satz:  „alle  Dinge  haben  ihren  Orund*^,  d.  h.  „oÄ* 
existiert  nur  als  Folge,  d.  i.  abhängig,  seiner  Bestimmung  nach,  von  e^tvas  an- 
derem**  gilt  ausnahmslos  nur  von  den  Dingen  als  Erscheinimgen  (Üb.  e.  Entdeck. 
S.  33).  Es  ist  eine  apriorische  Kegel,  „daß  in  dem,  was  vorhergeht,  die  Be- 
dingung anxuireffen  sei,  unter  welcher  die  Begebenheit  jederzeit  (d,  «.  not-  \ 
lücndigerweise)  folgt',  „Also  ist  der  Satz  vom  zureichenden  Grunde  der  Orund  ■ 
möglicher  Erfahrung,  nämlich  der  ohjectiven  Erkenntnis  der  Erscheinungen^  tu 
Ansehung  des  Verhältnisses  derselben  in  der  Reihenfolge  der  Zeit**^  (Kr.  d.  r.  Vem. 
8.  189).  Dieser  Satz  hat  folgenden  Beweisgrund:  „Zu  aller  empirischen  Er- 
kenntnis gehört  die  Synthesis  des  Mannigfaltigen  durdi  die  Einbildungskrafi, 
die  jederzeit  successiv  ist,  d.  t.  die  Vorstellungen  folgen  in  ihr  jederzeit  auf- 
einander. Die  Folge  aber  ist  in  der  Einbildungskraft  der  Ordnung  nach  (w» 
vorgehen  und  was  folgen  müsse)  gar  nicht  bestimmt,  und  die  Reihe  der  einen  der 
folgenden  Vorstellungen  kann  ebenso  rückwärts  als  vortcärts  genommen  werden. 
Ist  aber  diese  Synthesis  eine  Synthesis  der  Apprehensioji  (des  MannigfaUigen 
einer  gegebenen  Erscheinung),  so  ist  die  Ordnung  im  Object  bestimmt,  oder. 


Qrtinde,  Ssta  vom  (anreiohenden).  4J7 


genauer  xu  reden,  es  ist  darin  eine  Ordnung  der  sttecessiven  SynihesiSj  die  ein 
Obfect  bestimmt,  nctch  welcher  etwas  noticendig  vorausgehen  und,  wenn  dieses 
geseixt  ist,  das  andere  notwendig  folgen  müsse"  (1.  c.  S.  189  f.).  Nach  G.  E. 
SCHUI4ZE  lautet  der  Satz  vom  Gründe:  „Jedes  wahre  Urteil,  es  sei  bejahend  oder 
verneinend,  muß  einen  Orund  haben;  oder  die  Wahrheit  eines  Urteils  ist  immer 
die  Folge  einer  andern  Erkenntnis,  wodurch  der  Verstand  genötigt  wird,  das  im 
Urteile  zwischen  dem  Grund»  und  Bexiehungsbegriffe  gedachte  Verhältnis  davon 
für  wahr  anzunehmen'^  (Allg.  Log.  §  19).  Fbies:  ,fTede  Behauptung  in  evnetn 
Satxe  muß  einen  anderweiten  xureiehenden  Grund  haben,  warum  sie  ausgesagt 
wird^^  (Syst  d.  Log.  S.  177).  „Der  Satx  des  Grundes  hat  es  nur  mit  dem  sid}- 
jecHven  Verhältnisse  der  Urteile  xur  unmittelbaren  Erkenntnis  xu  tun  und  gibt 
also  gar  kein  philosophisches  Grundgesetx"  (L  c.  S.  178).  J.  G.  Fichte  leitet 
den  Satz  vom  Grunde  aus  der  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.)  ab.  „Wir  haben  die 
entffegengesetxten  Ich  und  Nicht-Ich  vereinigt  durch  den  Begriff  der  Teilbarkeit. 
Wird  von  dem  bestimmten  Gehalte,  detn  Ich  und  Nicht-Ich,  abstrahiert,  und  die 
bloße  Form  der  Vereinigung  entgegengesetxter  durch  den  Begriff 
der  Teilbarkeit  iibriggeHassen,  so  haben  wir  den  logischen  Satx,  den  man  bisher 
den  des  Grundes  nannte:  A  xum  Teil  =  —  A  und  umgekehrt*'  (Gr.  d.  g.  Wiss. 
8.  28).  Hegel  betrachtet  den  Satz  vom  Grunde  als  die  Bedingtheit  der  Begriffe 
durch  andere.  „Was  ist,  ist  nicht  als  Seiendes  unmittelbar,  sondern  als  Ge- 
setxtes  xu  betrachten"  (Log.  II,  76).  „Alles  hat  seinen  xureiehenden  Grund, 
d,  k.  nicht  die  Bestimmung  von  etwas  als  Identisches  mit  sich,  noch  als  Ver- 
sehiedenes,  noch  als  bloß  Positives  oder  als  bloß  Negatives,  ist  die  wahre  Wesen- 
heil von  etjcas,  sondern  daß  es  sein  Sein  in  einem  andern  hat,  das  als  dessen 
Identisehes-mitsieh  sein  Wesen  ist''  (EncykL  §  121). 

Nach  Waitz  sagt  der  Satz  des  Grundes  psychologisch:  „Alle  psychischen 
Phänomene,  mit  Ausnahme  der  sinnlich  gegebenen  oder  der  einfachen  Vorstellungen, 
eind  ableitbar  aus  anderen"  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  561).  Ulbici  spricht  vom 
yjGeseix  der  Causalität"  an  Stelle  des  Satzes  vom  Grunde.  „Alles  Gedachte  hat 
notwendig  an  der  Denktätigkeit  seine  Ursache."  „Alles  Unterschiedene  (Mannig- 
faltige, Einzelne)  muß  als  gesetxt  durch  eine  unterscheidende  Tätigkeit  gedacht  werden" 
(Log.  S.  115).  Hamilton  stützt  den  Satz  vom  Grunde  auf  den  Identitatssatz. 
Auch  Heymanb  und  Riehl:  „Aus  detn  Gedanken  der  ursprünglichen  Einheit  und 
Sichselbst- Gleichheit  ergibt  sich  .  .  ..*  daß  die  Veränderung  einen  Grund  haben 
müsse*'  (Philos.  Krit.  II  1,  246).  „Aus  der  Idee  des  logischen  Ganxen,  der  syn- 
ihetiaehen  Einheit  der  Begriffe,  entspringt  .  .  .  die  Forderung  des  Grundes,  toelche 
eine  Aufgabe  stellt"  (L  c.  S.  238).  „  Wir  fordern  .  .  .  für  jede  begriffliche  Be- 
sonderung  den  Nachweis  ihres  Zusammenhangs  mit  dem  Ganxen  und  ihres  Her- 
vorgangs aus  demselben"  (ib.).  Nach  B.  Ebdmann  besteht  beim  Beweis  der 
zureichende  Grund  ,/ius  dem  Inbegriff  der  Urteile,  aus  denen  der  xu  beweisende 
SatXy  die  Folge,  denknotwendig  ableitbar  ist"  (Log.  I,  296). 

Als  Grundgesetz  denkender  Verarbeitung  von  Erfahrungen  betrachtet  den 
Satz  vom  Grunde  Schopenhauer.  Der  Satz  ist  der  allgemeinste  Ausdruck 
für  Verbindung  imd  gegenseitige  Abhängigkeit  von  Bewußtseinsinhalten  aller 
Art.  „Alle  unsere  Vorstellungen  sind  Objecte  des  Subjeets,  und  alle  Objecte  des 
Subfeets  sind  unsere  Vorstellungen.  Nun  aber  findet  sich,  daß  alle  unsere  Vor- 
stellungen untereinander  in  einer  gesetxmäßigen  und  der  Form  nach  a  priori 
bestimmbaren  Verbindung  stehen,  vermöge  welcher  nichts  für  sich  Bestehendes 
und   Unabhängiges,  auch  nichts   Einxelnes  und  Abgerissenes,    Object  für  uns 

Philoiophiflcli«t  Wört«rbaob.    S.  Aufl.  27 


418  Grunde,  Sats  vom  (Bureioh«ndaxi)  —  Onrndbegriffe. 

tcerden  kann.  Diese  Verbindung  ist  es,  icelehe  der  Satx  vom  xureiekenden  Grunde 
in  seiner  AUgemeinkeü  ausdrüekt^^  (Vierf.  Wurz.  d.  Säte,  vom  zur.  Gr.  C.  3, 
§  16).  Je  nach,  der  Art  der  Objecte  nimmt  der  Säte  verBchiedene  Gestalten  an, 
die  in  Tier  Klaasen  zu  bringen  sind:  1)  Säte  vom  Grunde  des  Werdens: 
„AUe  in  der  Gesamtvorstellung,  welche  den  Complex  der  erfakrmngsfmifiige^ 
Realität  ausmaekl,  sich  darstellenden  Obfeete  sind  hinsichtlich  des  ßm-  und 
Austrittes  ihrer  Zustände,  mithin  in  der  Richtung  des  Laufes  der  Zeity  durch 
ihn  miteinander  verknüpft."  „Wenn  ein  neuer  Zustand  eines  oder  mehrerer 
realer  Obfeete  eintritt,  so  muß  ihm  ein  anderer  vorhergegangen  sein,  aufweichen 
der  neue  regelmäßig,  d.  h,  allemal,  so  oft  der  erstere  da  ist,  folgt.  Ein  sokhts 
Folgen  heißt  ein  Erfolgen  und  der  erstere  Zustand  die  Ursache,  der  xweiie  die 
Wirkung'*  (L  e.  §  20).  Die  Causalität  stellt  sich  als  physikalische,  organi&che 
(Heiz)  und  psychologische  dar.  2)  Säte  vom  Grunde  des  Erkennens;  diespr 
besagt,  „daß,  wenn  ein  Urteil  eine  Erkenntnis  ausdriieken  soll,  es  einen  %»- 
reichenden  Orund  haben  fnuß*'  (1.  c.  §  29).  3)  Säte  vom  Grunde  des  Seins: 
„Raum  und  Zeit  haben  die  Beschaffenheit,  daß  aUe  ihre  Teile  in  einem  Ver- 
hältnis xueinander  stehen,  in  Hinsieht  auf  welches  Jeder  dsrsdbsn  durch  einen 
andern  bestimmt  und  bedingt  ist.  Im  Raum  heißt  dieses  Verhältnis  Lage,  m 
der  Zeit  Folget'  (L  c.  §  36).  4)  Säte  vom  Grande  des  Handelns  (Gesetz  der 
Motivation):  „Bei  jedem  wahrgenommenen  Entschluß,  sowohl  anderer  als  unser, 
halten  wir  uns  berechtigt,  xu  fragen  ,  Warum?* ,  d.  h.  wir  setzen  als  notwendig 
voraus,  es  sei  ihm  etwas  vorhergegangen^  daraus  er  erfolgt  ist  und  welches  wir 
den  Orund,  genauer  das  Motiv  der  jetzt  erfolgenden  Handlung  nennen^^  (1.  c.  $  43). 
Der  Säte  vom  Grunde  ist  a  priori,  hat  blofi  empirische  (Geltung.  „Der  all- 
gemeine  Sinn  des  Salzes  vom  Orunde  überhaupt  läuft  darauf  zurück,  daß  immer 
und  überall  jegliches  nur  vermöge  eines  anderen  ist.  Nun  ist  aber  der  Satx 
vom  Orund  in  allen  seinen  Oestalten  a  priori,  wurzelt  also  in  uneerem  Intetleet: 
Daher  darf  er  nicht  auf  das  Ganze  aller  daseienden  Dinge,  die  Welt,  ntü  Ein- 
schluß dieses  Intellects,  in  ictlchem  sie  dasteht,  angewandt  werden"  (L  c,  §  52). 
Nach  WüNDT  ist  der  Säte  vom  Grunde  das  „Grundgesetz  der  Abhängigkeit 
unserer  Denkacte  voneinander**  oder  das  „allgemeine  Gesetz  der  Abhängigkeit  der 
Begriffet*.  Er  bedarf  der  Anschauung  (Erfahrung)  zu  seinen  Anwendunga, 
und  alles  Anschauliche  fügt  sieh  seinem  Gebraudie.  Aber  er  ist  kein  Prodoct 
der  Erfahrung,  da  er  erst  Erfahrungszusammenhang  erzeugt;  in  der  Erfahrung 
hat  er  nur  die  Bedingungen  seiner  Anwendung  (Syst  d.  Fhilos.*,  S.  77  ff.,  167). 
Er  ist  ein  „Princip  der  allgemeinen  Verbindung  unserer  Denkacte^*,  das  Princip 
des  begründenden  Denkens,  ein  Erkenntnisgesete  (1.  c.  S.  80  ff.,  167  f.).  Er 
wird  zu  einem  „Princip  der  Verbindung  aller  Teile  des  gesamten  Erkenntnis'' 
inhalts**,  zu  einem  „Princip  der  widerspruchslosen  Verknüpfung  des  Gegebenen*"^ 
Er  liegt  der  Vemunfterkenntnis  (s.  d.),  dem  Fortschritte  zur  Transcendenz  (s.  d.)t 
zu  den  Ideen  (s.  d.)  zugrunde  (1.  c.  8.  168  ff.;  Log.  I«,  557  ff.,  606  fL).  Nach 
H.  COHEK  muß  das  Denkgesete  des  Grundes  das  Idealgesete  des  Denkens 
werden,  es  ist  das  „Gesetz  des  reinen  Denkens,  der  reinen  Erkenntnis^  (Lq^- 
S.  262,  266),  entspringt  dem  Trieb  des  Denkens  nach  rastlosem  Bedingen  (1.  o 
S.  262).    Der  Grund  besteht  nur  im  Legen  des  Grundes,  im  Bedingen  (ib.). 

Gnmdanseliaiiitiif^  (Wesenschaumig):  bei  Chr.  Krause  =s  intdlec- 
tuale  Anschauung  (Abr.  d.  Bechtsphilos.  S.  19  f.). 

GnmdbegrilTe  =  1)  Kategorien  (s.  d.),  2)  die  constituierenden,  fundamen- 
talen Begriffe  einer  Wissenschaft. 


GrundgeMte  ^  Gut.  419 


OnmdipeBete«  biogenetisches,  s.  Biogenetisch. 

OnrndgesetS)  praktisches  (ethisches),  s.  Imperativ. 

Gnindproeesse  (seelische)  (bei  Ben£KE)  s.  Proceß,  Seele. 

Orandsfttsef  logische,  s.  Denkgesetze. 

QnmdBfttJBe  (theoretische)  sind:  1)  die  Principien  (s.  d.)  einer  Wissen- 
scbüf t,  2)  die  Axiome  (s.  d.).  Praktische  Qrundsätze  sind  Principien  des  Handelns , 
Maximen  (s.  d.).  —  Nach  Kakt  liegen  aller  Erfahrong  a  priori  (s.  d.)  Grundsätze 
zugrunde,  die,  den  Inhalt  jeder  möglichen  Erfahrung  formal  bestimmend,  Ob- 
jectivitat  der  Erkenntnis  ermöglichen.    Vgl.  Axiom,  Imperativ,  Sittlichkeit. 

Crrondton  s.  Gehörsempfindungen. 

dranilwerfe^  pnyeliologtoclie,  nennt  B.  Avekabtös  die  .^Elemente" 
(8.  d.),  f,Oharaktere"  (s.  d.)  u.  s.  w.,  welche  die  Erfahrung  constituieren  (Ej-it. 
d-  r.  Erf.  II,  2  ff.;  Cabstanjen,  Yierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  Bd.  22, 
S.  193  f.). 

Oril]ldwlB«eiiscliaft  heißt  bei  Chk.  Wolf  die  Ontologie  (s.  d.).  Kruo 
nennt  sie  „Fundamentalj^ilosopkte"  (s.  d.). 

OlUti^keit  (Geltung)  ist  der  Erkenntniswert  eines  Urteils,  die  An- 
erkennung desselben  als  wahr,  als  zu  Recht  bestehend.  Die  „objective  Gültigkeit^ 
ist  Allgemeingültigkeit  (s.  d.),  Geltung  für  alle  normal  Denkenden  und  für 
alle  mögliche  Erfahrung;  sie  ist  von  der  „absoluten  Realität"  zu  unterscheiden, 
was  zuerst  Kakt  betont.  Nach  ihm  sind  z.  B.  Zeit  und  Raum  j,von  ohjeetiver 
Gültigkeit  in  Ansehung  der  Erscheinung^^  sie  gelten  für  alle  Objecte  als  Er- 
scheinungen (s.  d.),  aber  sie  haben  keine  „absolute  Realität" j  gelten  nicht  für 
die  Dinge  an  sich  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  61  f.).  Die  ästhetischen  (s.  d.)  Urteile 
haben  subjective  Allgemeingültigkeit.  Lotze  unterscheidet  von  der  räumlich- 
zeitlichen Existenz  das  Gelten  idealer  Werte.  Teichmüller  versteht  imter 
dem  Gelten  den  „Inhalt  der  Meinung"  (N.  Grundleg.  S.  117).  Nach  B.  Erd- 
'iiAsrs  ist  ein  Urteil  gültig,  „trenn  sein  Gegenstand  gewiß  und  die  Aussage  über 
diesefi  Gegenstand  denknotwendig  ist^*  (Log-  ^y  212).  Allgemeingültigkeit  ist 
^pbfeetive  Gewißheit  und  Denknotwendigkeit",  objective  Wahrheit  (1.  c.  I,  275). 
„  Öettungsbewußtsein"  ist  „das  Bewußtsein  der  Zustimmung,  Anerkennung,  Billi- 
gung*^ (1.  c.  I,  281).  Es  ist  untrennbar  von  den  gültigen  Urteilen.  Der  Regel 
nach  ist  es  ,jdie  Denknotwendigkeit  des  seiner  logischen  Immanenx  nach  gewissen 
Vorgestellten"  (ib.).  Es  gibt  ein  subjectives  und  ein  objectives  GeltungsbewuJßt- 
sein  (ib.).  Lipps  erklärt:  „Alles  Erkennen  hat  objective  Geltung j  insofern  es  mit 
Notwendigkeit  aus  der  allgemeinen  menschlichen  Natur  und  ihren  Gesetxen  des 
FüricahrhaUens  herfließt"  (Grundtats.  d.  Seelenleb.  S.  403).  Nach  H.  Cornelius 
heißt  die  reale  Gültigkeit  von  Begriffen,  daß  sie  tatsächliche  Erfahrungen  in 
der  Welt  der  Dinge  bezeichnen  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  290).  Vgl.  Object, 
Wahrheit,  Realität. 

dwnas  Qualität  (s.  d.). 

C^ltt  ist  alles,  was  (inwiefern  es)  wegen  seiner  Eignung,  einen  Willen  (ein 
Begehrai)  zu  befriedigen,  als  «weckvoll  beurteilt  wird.  Das  „gut-Sein"  ist,  be- 
grifflich, ein  Product  unseres  Urteils  über  die  Bedeutung  eines  Objeots  für  unser 
oder  für  ein  Ich  (für  ein  Ding)  überhaupt  (subjectiv  gut,  objectiv  gut).  Das 
objectiv  Gute  ist  das  (empirisch  oder  ideal)  allgemein  Bewertete,  zu  Bewertende, 

27* 


420  Gut. 

weil  die  Allgemeinheit  Fördernde,  es  ist  das  überindividuelle  Gute.  Das  An-sich 
(Fundament)  des  Guten  besteht  in  den  Eigenschaften,  um  derentwillen  etwas 
als  gut  gewertet  wird.  Zu  unterscheiden  sind  das  physisch,  biologisch,  geistig, 
social,  ethisch,  ästhetisch,  logisch,  religiös  Gute.  Schlecht  ist  etwas,  sofern 
es  ein  Bedürfnis  nicht  befriedigt,  zu  einem  (bestimmten)  Zwecke  untauglich  ist 
Gut  und  schlecht  mit  allen  ihren  Modificationen  sind  praktische  oder  Wertungs- 
Kategorien,  Beurteilungsb^riffe;  sie  enthalten  (bewußt  oder  stillschweigend)  die 
Beziehung  auf  ein  Subject  überhaupt.    Vgl.  Sittlichkeit. 

Güter  sind  Gegenstande  von  (subjectivem  oder  objectivem.  individuellem 
oder  allgemeinem)  Wert.  Zu  imterscheiden  sind  physische  und  geistige  (mon- 
iische, ethische)  Güter.  Alles,  was  die  Erhaltung  und  Entwicklung  der  Ge- 
samtkräfte eines  Individuums,  einer  Gemeinschaft  fördert,  was  die  individudl- 
sociale  echte  Cultur  hebt,  was  die  Potenzen  zur  Höherentwicklung  zu  verwirk- 
lichen geeignet  ist,  ist  ein  (wahres)  Gut  imd  erregt  daher,  wenn  bewußt,  Lust 
Höchstes  Gut  ist  das  zuhöchst  Gewertete,  der  Inbegriff  aller  Güter,  in  dner 
Einheit  gedacht,  oft  mit  Gott  identificiert. 

In  der  Geschichte  der  Philosophie  wird  das  Gute  bald  in  die  Lust  (das 
Lusterr^ende),  bald  in  die  Energieentfaltung,  bald  in  das  (individueU-sodal) 
Nützliche,  bald  in  das  Sittliche  verlegt.  Manchmal  wird  das  Gute  ontologisch 
(metaphysisch)  als  Princip  der  Dinge  aufgefaßt. 

SOKRATES  set^t  das  dya&ovy  das  Gute,  gleich  dem  xalov  (Schönen)  und 
iofdhfiov,  ;f(>i}<w/4ov  (Nützlichen)  (Xenophon,  Memor.  IV,  6,  8  f.).  Die  Kyre- 
naiker  werten  die  Lust  als  gut,  die  Cyniker  die  Bedürfnislosigkeit,  Leid- 
losigkeit  und  (zur  Erreichung  dieser)  das  xax  a^exr,v  g^y,  die  Tugend  (Diog.  L 
VI  9,  104).  Euklid  von  Megara  erklärt:  das  Eine,  Seiende  ist  das  Gute, 
dieses  ist  unwandelbar.  Das  Gute  ist  also  Weltprincip:  ovtos  iv  ro  a/a&or 
aTiBffaiviTo  TzoXXole  xaXov/tieroVj  bri  fiiv  yaQ  fp^ofriatVf  ori  Si  &€6v  xai  aXlere 
vovv  xai  rd  loiTrn,  to  Sa  dvrixeiueva  rcp  ayad'tf  dvff^eif  fir,  tlvni  ffdcxanf  (Diog. 
L.  II,  106).  Das  Gute  sei  nur  das,  „gwod  esset  unum  et  simüe  et  idem  semper^ 
(Cicero,  Acad.  II,  42).  Plato  betrachtet  die  Idee  des  Guten  als  fuyioror 
fidd^rifia,  als  höchsten  Erkenntnisgegenstand  (Rep.  VI,  505  A  ff.).  Die  Idee  de« 
Guten  ist  der  Grund,  das  Princip  alles  Schönen  und  Wahren,  d.  h.  die  Norm, 
das  Ethische  gleichsam  liegt  schon  dem  Ästhetischen  und  Logischen  zugrunde 
(tovto  roivw  ro  rrv  dhfid'etav  naQtxov  role  ytyrmaxofiivois  itai  rtf  ytyvtoCKOVXi 
rtjv  Bvrafiiv   oTtoSidor  rrjv  dyad'ov    i8iav  yd&i  tlvai^   aiziav  iTtiffn^ftrjt   ov^ar 

xai  n}.Tj&eia6  (Eep.  508  E).  Ja,  das  Gute  ist  der  Grund  des  Seins,  ind^n  das 
Sein  besser  ist  als  das  Nichts  (Phäd.  97  C).  So  überragt  denn  die  Idee  des 
Guten  (das  Gute  an  sich)  die  Seinsidee:  xai  toTs  yiyt'oHrxofiivois  roivxtv  /ai 
ftovov  TO  yiyvcSaxea&ai  ydrni  vtco  rov  dyad'ov  Ttagetvat,  dXXd  xai  rd  elrai  « 
xai  xrjv  ovaiav  vn  ixeivov  avrols  Ttooesivai^  ovx  ovGiag  ovrae  tov  dya&ovy  dJJ 
^'ri  int'xetra  rijs  ovaias  TZQeaßeiq  xai  dvrduei  vTie^exovrog  (Rep.  509  B).  Die 
Idee  des  Guten  ist  eins  mit  der  göttlichen  Vemimft  (Phileb.  22),  sie  ist  der 
Demiurg  (Tim.  28  ff.).  Anfangs  identificiert  Plato  das  Gute  mit  dem  Nüt«- 
lichen  (Protag.  333  D,  353  C),  später  gibt  er  eine  Gütertafel,  auf  welcher  Harmonie, 
Schönheit,  Vernunft  (Wahrheit),  reine  Lustgefühle  als  Wertobjecte  erscheinen 
(Phileb.  65  f.).    Aristoteles  gründet  die  Ethik  auf  den  Begriff  des  höchsten 

Gutes  (to  TzdvroH'  dxporarov  rmv  nQaxxtav  dyad'dfv,  Eth.  Nie.  I,  2).  Gut  ist 
ov  ndini*  itpisrai  (Eth.  Nie.  I  1,  1094a  3).  Es  gibt  ein  dyad'ov  dnh»s  (yybomim 
simplieiter,  per  se"  der  Scholastiker),  dya&ov  nvi,  hiQov  ivsxa,  Si'  dUo 


Out.  421 

(yjbcnwfi  eui,  secundutn  quid,  per  aecidens^^J  (L  c.  I  1,  1094  a  18;  14,  1096  b  13; 
Top.  im,  116b  8),  fcuvofuvov  aya&ov  und  xar'  dlijd'eiap  aya&ov  (scheinbares 
und  wahres  Gut),  Hvgim  dya&6v  (1.  c.  III  6,  1113  a  16;  III  7,  llUb  7;  VI 
13,  1144  b  7).  Das  Oute  besteht  beim  Menschen  in  der  Eudämonie,  und  diese 
wiederum  beruht  auf  der  naturgemäßen  {oUeiov)  Tätigkeit,  in  der  vernünftig- 
sittlichen  Energieentfaltung  der  Seele  {kv  rep  i^t^  8oxsl  rdya&dv  elvai  xai  to 
iVy  EiÜL  Nie.  I  6,  1097  b  27;  to  dv&^t&mvov  dyad'ov  rpvxfjs  M^ysia  yivsrai 
KOT  aQeurjv,  ei  8i  TtXeiovs  ai  d^erai,  xard  Ttjv  d^icrr^  xai  TeXeiordxr}v'  kxi 
^iv  ßiip  releitpf  1.  c.  I  6,  1098  a  16  squ.).  Die  Güte  kommt  primär  den  Ein- 
zeidingen  zu;  sie  besteht  allgemein  in  der  Verwirklichung  des  Naturzwecks  (des 
Gattungsbegriffes)  derselben.  Alles  Wirkliche  ist  gut  an  sich  (vgl.  E.  Ableth, 
Die  metaphys.  Grundlag.  d.  AristoteL  Eth.  S.  39,  51).  —  Äußerer  Güter  bedarf 
man,  um  an  der  Ausübung  der  Tugend  nicht  gehindert  zu  werden  {Si6  jr^oe- 
SeJtrai  6  svBaCfiofv  xwv  iv  atofiaxi  dyad'av  xni  xdfv  ixxog  xai  xijs  xvxfjs,  oncos 
fiij  ifijiodi^rjxai  xavxa,  1.  c.  VII  14,  1153b  17  squ.).  Aber  sie  sind  nur  Mittel, 
nicht  Zweck  (1.  c.  I  9,  1099  a  34).  Aristoteles  unterscheidet:  Güter  der  Seele, 
des  Leibes,  äußere  Güter;  ferner:  unmittelbare  und  mittelbare  Güter  (Eth.  Nie. 
I  8,  1098b  12;  Polit.  VII  1,  1323a  24;  Eth.  Nie.  I  4,  1096b  13  squ.;  VII  10, 
1151a  35  squ.;  Bhetor.  I  6,  1362a  17  squ.).  Ein  Gut  ist  um  so  wertvoller^  je 
bestandiger  es  ist  und  je  mehreren  es  zuteil  wird.  Seelische  Güter  sind  denen 
des  Körpers  vorzuziehen  (Top.  III  1,  116a  13;  Eth.  Nie.  I  1,  1094b  7;  I  8, 
1098b  12  squ.;  Poüt.  VII  1,  1323b  16;  De  partib.  animal.  I  5,  645b  19;  vgl. 
Arlhth  1.  c.  S.  65  ff.).  Die  Stoiker  werten  als  gut  das  Nützliche  im  Sinne 
des  Natur-  und  Vernunftgemäßen  (dya&ov  8i  xowios  /tiv  x6  ov  xi  otpeXos  .  .  . 
dlXdfg  8*  ovxüfs  idiofg  o^i^ovxai  x6  dyad'ov,  x6  xiksiov  xaxd  (pvüiv  Xoytxov  iü£ 
loyueovj  Diog.  L.  VII  1,  94).  Es  gibt  geistige  (innere)  und  äußere  Güter;  wahre 
Güter  sind  nur  die  Tugenden,  das  übrige  ist  ddid^oQa  (s.  d.):  xc5v  dya&dfv  xa 
fuv  tlvai  Tte^i  y^vxrjv ,  xd  S*ixxdSf  xd  S*ovxe  TiB^i  V^jfijr  ovt*  ixxoi'  xd  uev 
n$^i  yrvxriv  dgsxdi  xai  xds  xaxd  xavxae  n^d^sis'  xd  S*  ixxbg  x6  xb  anovdaiav 
ejif««/  ^ax^ida  xai  anovBaXov  tpikov  xai  x^v  xovxaw  BvSai/ioviav  (Diog.  L.  VII 
1,  95);  ^Ti  xcSv  dya&mv  xd  fiiv  elvai  xekixd^  xd  Si  sroiijxixdf  xd  8i  xeXtxd 
xai  noiTiXtxd  (1.  c.  VII  1,  96);  dyad'd  fiiv  ovv  xde  x  d^sxdg,  y^ovrjair, 
Sixaioavrr^v  f  dvS^eiaVy  atof^atüvvrjv  xai  xd  loiTtd  (1.  e.  VII  1,  102;  Stob« 
EIcl,  II  6,  202);  läyavai  8i  fjtovov  x6  xaXov  dyad'ov  elvai  .  .  ,  elvai  8i 
xovxo  e^exijv  xai  xd  ftexixov  d^sx^e,  <j>  ^axir  laov  x6  ndv  dyad'ov  xakov  elvai 
xai  TO  icoBwafieiv  x<p  xaXiTi  x6  dyad'ov^  oTte^  laov  iaxi  xovx<^  .  .  .  8oxei  8e  ndvxa 
xd  dya&d  laa  elvai  (Diog.  L.  VII  1,  101);  dyad'd  fiev  xd  xoiavxa^  ^^ovrjaiVj 
8ixaio^FWTjVy  aof^QoavvriVt  dv8geiap  xai  ndv  o  icxiv  d^sx^  rj  fiexexov  d^exrji 
(Stob.  Ecl.  II  6,  90).  Nach  Marc  Aurel  ist  das  für  jeden  Teil  der  Natur 
gut,  was  mit  dem  großen  Ganzen  übereinstimmt,  was  zur  Erhaltimg  des  Welt- 
planes dient  (In  se  ips.  II,  3).  Höchstes  Gut  des  Menschen  ist  die  avxdpxeuxy 
die  Selbstgenügsamkeit  (1.  c.  III,  6).  Epikur  betrachtet  die  Lust  als  solche 
als  ein  Gut  (Diog.  L.  X,  129, 141).  Die  Lust  ist  dyad'ov  Tt^cSxov  xai  avyyevixov 
(L  c.  X,  129).  Der  Akademiker  Krantor  nennt  als  Güter:  Tugend,  Gesund- 
heit, Reichtum,  Lust  (Sext.  E^mpir.  adv.  Math.  XI,  51  squ.).  Plotin  bestimmt 
das  „Gute  an  skk*^  als  Überseiendes,  Göttliches,  als  Gnmd  aUer  Tätigkeit,  als 
Ziel  alles  Strebens,  als  Asei'tät  (s.  d.)  und  Quelle  alles  Lebens  (Enn.  I,  7,  1; 
I,  8,  2).    Durch  Teilhaben  an  dem  Urguten  sind  die  Dinge  gut  (1.  c.  I,  7,  2). 


422  ^  Out. 

Die  Seele  gelangt  durch  Tugend  (s.  d.)  zum  Guten  (1.  c.  I,  7,  3).  Naturg^Bifie 
Tätigkeit  ist  fOr  die  Seele  das  Oute  (1.  c.  I,  7,  1). 

Xaob  AuGUSTDOJg  ist  alles  Sein  an  sich  gut  (Conf.  VII,  12):  „Quidqmd 
est,  bonum  est^^  (De  ver.  relig.  21;  y,Omne  ena  inquantwn  en»  estj  est  bonunt, 
Thomas,  Sum.  th.  I,  5,  3).  Unter  dem  höchsten  Gut  (j^mimtm  bonum^  bonwn 
per  ipsum^^j  AirsELM,  MonoL  1)  verstehen  die  Scholastiker  Gott  (s.  d.t. 
Nach  AiiBEBTUiä  Maokus  ist  das  Gute  das,  ,^9uod  tätimam  sui  perfettionem 
adempium  esf  (Ad  Eth.  Nie.  I,  2,  1).  Nach  Thokaa  ist  gut  (subjectiv),  ,^jtMl 
omnia  appettmi^^  (Sum.  th.  I,  5,  1  c).  Gut  ist  etwas,  „inquanium  est  appMfiU 
et  tenndnus  motus  appetitus"  (1.  c.  I,  5,  6  c);  „tmüsseuiusque  rei  est  btmum^  quoi 
eonvenit  ei  secundum  suam  formam"  (1.  c.  II,  18,  5  c).  In  das  „i^cUurgemäßr 
setzt  auch  Dunrs  Scotus  das  Gute:  ,f Actus  tune  bonus  est  naturaliier,  quando 
habet  omnia  eonvenientia,  quantum  ad  ista,  quae  nata  sunt  wnvenire  sün  natun- 
liteTj  et  eoneurrere  ad  esse  etus  naturale^*  (In  L  sent  2,  d.  40).  Suarez  eridärt: 
jyBonttas  dicü  perfectionem  rei  connotando  convenientiam  seu  denominaHonem 
consurgenteni  ex  coejcisteniia  plurium"  (Met.  disp.  10,  1).  —  L.  VlVEB :  „Bomm 
est  simpliciter,  quod  prodest  simplieiter;  bonwn  cuique,  quod  eiprodest^  (De  an. 
III,  p.  145  f.).    Vgl.  Campanella,  Dial.  I,  4. 

Auf  das  Streben  als  dessen  Object  bezieht  das  Gute  Hobbes:  „Quiequid  . . . 
appetitus  in  homine  quoeunque  obieetwn  est,  eidem  illud  est,  quod  ah  ipso 
appellatur  banum*^  (Leviath.  I,  6).  Gut  ist  das  Lusterregende.  Es  gibt  kein 
absolutes  Gut  (Hum.  Nature  eh.  VII,  3).  Das  erste  Gut  ist  für  jeden  die 
Selbsterhaltung:  „Bonorum  auteln  primum  est  sua  cuique  eonaerpaiio'*  (De  hom. 
C.  11,  5  f.).  Auch  Spinoza  bestimmt  das  Gute  subjectivistisch  als  StrebeDS- 
object:  „Constat  .  .  .,  nihil,  nos  eonari,  velle,  appetere  neque  eupere,  quia  id 
bonum  esse  iudicamus;  sed  contra  nos  propterea  aliquid  bonum  esse  iudieare, 
quia  id  conamur^  volumus,  appetimus  aique  cupimtis"  (Eth.  III,  prop.  IX,  schoLl 
Die  Bdativität  und  Subjectivität  des  Gut-Sein  ist  zu  betonen:  ^ßonum  ei 
mal  um  quod  attinet,  nihil  etiam  positirum  in  rebus,  in  s$  seilioet  oonsideratis, 
iudieant,  nee  aliud  sunt  praeter  cogitandi  modos  seu  notiones,  quas  formomm 
ex  eo,  quod  res  ad  invicem  comparanms,  Nam  una  eademque  res  polest  eodm» 
tempore  bona  et  mala  et  etiam  ifidifferens  esse^^  (1.  c.  IV,  praef.).  Das  Gute  ist 
das  wahrhaft  Nützliche,  das  menschlich-vernünftige  Sein  Erhaltende  und  För- 
dernde. „Per  bonum  .  .  .  intelligam  id,  quod  certo  seimus  medium  esse,  ut 
ad  exemplar  humanae  naturae,  quod  nobis  proponimus,  magis  jnagieque  acte- 
domus"  (Eth.  IV,  praef.).  „Per  bonum  id  intelligam,  quod  certo  seimus  nobi* 
esse  uiil&^  (L  c.  IV,  def.  I).  „Id  bonum  aut  malum  voeamus,  quod  nostro  esse 
eonservando  prodest  rei  obest,  hoc  est,  quod  nostram  agendi  potentiam  äuget  rd 
minuit,  iuvat  vel  coercet**  (L  c.  IV,  prop.  VIII).  „Nihil  eerto  seimus  bonum 
aut  malum,  nisi  id,  quod  ad  intdligendum  re  vera  eondueit,  rei  quod  wtpedire 
potest,  quo  minus  intelligamus"  (1.  c.  IV,  prop.  XXVII).  „Summum  tnentü 
bonum  est  Dei  cognitio"  (1.  c.  IV,  prop.  XXVIII),  „Quatenus  res  aliqua  cum 
nostra  natura  eonvenit,  actus  necessario  bona  est*^  (L  c.  IV,  prop.  XXXI). 
Das  Gute  wünscht  der  Tugendhafte  auch  seinen  Nebenmenschen:  ^yBonum, 
quod  unusquisque,  qui  seetatur  virtutetn,  sibi  appetit,  reliquis  hominibus  etiam 
eupiet,  et  eo  magis,  quo  maiorem  Dei  habuerit  cognitiofiem"  (L  c.  IV,  prop. 
XXXVII).  Geulincx  bestimmt:  ,^Bonum  est,  quod  amamus;  malum,  quod 
arersamus;  utile  est  medium  boni^^  (Eth.  III,  §  5  f.).  Nach  Locke  heißt  äa 
Gut,  was  die  Lust  in   uns  zu  wecken  oder  zu  steigern  oder  die  Unlust  zn 


'  Out.  423 

mindern  vennag  (Esg.  II,  eh.  20,  §  2).  Cumberland  erklärt:  „Bonum  est, 
^uod  rei  cuiuslibet,  vd  plurium  famUaies  conservaty  vd  ifisuper  adauget  et 
perficü^^  (De  1^.  nat.  C.  3,  p.  161).  Leibkiz  unteracheidet  das  Gute  in  das 
Angenehme  und  Nützliche  (Nout.  £00.  II,  eh.  20,  §  2).  Der  freie  Wille  geht 
jiuf  das  Gute  (Theod.  I,  §  147,  so  schon  die  Scholastiker).  Das  „meta' 
jilnfsisehe^*  Grat  best^t  in  der  Vollkommenheit  der  Dinge,  das  „physüeh^^  im 
Wohle  der  Geister,  das  „müralüche"  im  Sittlichen  (L  c.  II,  Anh.  IV,  §  29  ff.). 
yjPßifystsehe"  Güter  sind  alle  Lustgefühle,  alle  Eraftbetätigungen,  die  uns  nicht 
lastig  werden  (L  c.  II  B,  §  251).  Nach  Che.  Wolf  ist  gut,  „uas  una  und 
^unseren  Zustand  vollkommener  machef^  (Vem.  Ged.  I,  §  422).  yyBonum  est, 
quidquid  noa  statumque  nostrum  perficü^*  (PsjchoL  empir.  §  554).  „Beaiitudo 
phüoaophioa  seu  summum  bonum  hominis  est  non  impedütta  progressus  ad 
ntaiores  continuo  perfeetiones"  (Philos.  pract.  I,  §  374).  Wie  Wolf  definiert 
auch  BiLFiNGEB  (DUuc.  §  289).  Nach  Febousok  ist  ein  Gut  ,/zlles,  was  die 
Wohlfahrt  der  Oesellschaft  oder  irgend  eines  geliebten  Gegenstandes  befördert" 
(Grunds,  d.  Moralphilos.  S.  63).  „Alles,  wovon  wvr  glauben,  daß  es  in  sich 
selbst  eifie  Vollkommenheit  ausmache  oder  uns  einen  Vorxvg  gewähre,  hauen 
wir  für  guf^  (ib.;  vgl.  S.  122  f£).  Nach  Rousseau  wird  das  „Chute^'  durch 
das  Gefühl  bestinmit  (Emil  IV,  B.  156).  Volney  nennt  ein  Gut  alles,  was 
2ur  Erhaltung  und  Vervollkommnung  des  Menschen  geeignet  ist  (Buinen,  nat. 
Ges.  C.  4,  S.  232).  Nach  J.  Bentham  ist  gut  die  Lust  oder  die  Ursache  von 
Lust. 

Nach  Kant  ist  praktisch  (sittlich)  gut  das,  ,^as  aus  Qründen,  die  für 
jedes  vernünftige  Wesen  als  ein  solches  gültig  sind,  den  Willen  bestimmt" 
(Grundleg.  zur  Met.  d.  Sitt.  2.  Abschn.;  WW.  IV,  261),  was  dem  Vemunft- 
gesetze  gemäß  ist  (Kr.  d.  prakt.  Vem.  1.  Tl.,  1.  B.,  2.  Hptst.).  Gut  ist,  „was 
rermitielst  der  Vernunft  durch  den  bloßen  Begriff  geßUf^,  Was  zu  etwas,  als 
Mittel,  gut  ist,  ist  das  Nützliche;  an  sich  gut  ist,  was  für  sich  gefallt  (Krit. 
d.  Urt.  I,  §  4).  Das  Gute  führt  ein  reines  (unsinnliches)  Wohlgefallen  mit  sich 
(L  G.  §  5).  „Out*'  heißt  das,  was  geschätzt,  gebilligt  wird,  was  Achtung  er- 
weckt (ib.).  Höchstes  Gut  heißt  die  unbedingte  Totalität  des  Gegenstandes  der 
reinen  praktischen  Vernunft  (Kr.  d.  prakt.  Vem.  1.  T,,  2.  B.,  1.  Hptst).  Tugend 
(s.  d.)  ist  das  oberste  Gut,  -das  vollendete  Gut  aber  schließt  auch  Glückseligkeit 
ein  (L  c.  2.  Hptst.).  Glückseligkeit  in  genauer  Proportion  mit  der  Sittlichkeit 
macht  das  höchste  Gut  aus  (WW.  III,  537).  Dieses  ist  ohne  Freiheit,  Uu- 
«terblichkeit,  Gott  nicht  möglich  (WW.  V,  140;  vgl  III,  535),  Das  einzige 
wahrhafte  Gute  ist  der  sittliche  Wille:  „Es  ist  überaU  nichts  in  der  Welt,  ja 
überhaupt  auch  außer  derselben  xu  denken  möglich,  was  ohne  Einschränkung 
könnte  für  gut  gehalten  werden,  als  allein  ein  guter  Wille^^  (WW.  IV,  241). 
G.  £.  Schulze  definiert:  „Der  Gegenstand  des  Begehrens  heißt  ein  Out** 
(Psych.  AnthropoL  ß.  406).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  das  höchste  Gut  „die  voll- 
kommene Übereifistimmung  eines  vernünftigen  Wesens  mit  sieh  selbst*^  (Bestimm. 
d.  Gelehrt  1.  Vorles.).  Nach  Hegel  ist  das  Gute  „der  Inhalt  des  allgemeinen, 
an  und  für  sieh  seienden  Willens**  (Encykl.  §  507),  das  „an  ihm  selbst  be- 
stimmte Ällgetneine  des  Willens^^  (1.  c.  §  508),  die  „realisierte  Freiheit,  der  ab- 
solute Endxweck  der  Welt**  (Eechtsphilos.  S.  171  f.;  vgl  Log.  III,  320). 
K.  Bobenkbanz  bestimmt  das  Gute  als  den  allgemeinen  Begriff  des  freien 
Willens  (Syst.  d.  Wiss.  S.  437  ff.).  Nach  Eschenmayek  hat  das  Gute  „immer 
einen  Zweck,  der  auf  die  Gemeinschaft  vernünftiger  Wesen  hinausgeht**  (Psychol. 


424  öut.  ^ 

S.  380).  „Wir  kalten  etwas  nur  darum  für  gtä,  weil  es  dem  Standpunkt  des 
Ich  übergeordnet  ist.^*  Das  Gute  kann  nicht  durch  Begriffe  oder  Gefühle  ge- 
messen, sondern  nur  durch  den  Willen  erstrebt  werden  (1.  c.  S.  419).  Nach 
Chr.  Krause  ist  das  Gute  „das  Wesentliche  des  Lebens^^,  das,  „wcu  im  L^en 
unrJdich  gem€teht  (dargelebt)  werden  soll"  (Abr.  d.  Bechtsphüos.  S.  5).  Nach 
Schopenhauer  bezeichnet  „guf^  „die  Angemessenheit  eines  Ohjects  xu  irgend 
einer  bestimmten  Bestrebung  des  WoUens'\  Alles  Gute  ist  relativ,  es  gibt  kein 
„höchstes  Gut''  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  65).  Beneke  nennt  gut  alles  die 
eigene  und  fremde  geistige  Entwicklung  Fördernde.  Güter  und  Übel  sind  „ii?i> 
geistigen  Förderungen  und  Herabstimmungen  nicht  iceniger  als  die  sinnliehefv* 
(Sittenlehre  II,  26).  Nach  Schleiermacher  ist  gut  jedes  Einssein  bestimmter 
Seiten  von  Vernunft  und  Natur,  Harmonie  der  Gegensätze  (Philos.  SittenL 
§  91  ff.,  §  135).  »Out  ist  jedes  bestimmte  Sein,  insofern  es  Welt  für  sieh,  Ab- 
bild des  Seifis  schlechthin  ist"  (1.  c.  §  91).  Das  höchste  Gut  ist  der  Inbegriff 
aüer  einzelnen  Güter  (1.  c.  §  141).  Das  Böse  ist  an  sich  nichts  und  kommt 
nur  mit  dem  Guten  zum  Vorschein,  es  ist  nur  der  negative  Factor  im  Proceft 
der  werdenden  Einigung,  es  ist  „das  ursprüngliche  Nicht-vemunft-sein  der  Xaiur^ 
(1.  c.  §  91).  Sociale  Güter  sind  Staat,  bürgerliche  Gemeinschaft,  Schule,  Kirche. 
LoTZE  sieht  im  Guten  Grund  und  Zweck  des  Seienden  (Mikrok.).  Gut  sind 
die  Formen  des  WoUens  und  d^  Gesinnung,  die  unser  Gewissen  billigt  und 
gebietet  (Mikrok.  III*,  605).  Güter  sind  förderliche  Eindrücke,  wenn  sie  einem 
beständigen  Bedürfnisse  unserer  Natiur  entgegenkommen  (1.  c.  S.  606).  Das 
Dasein  des  Bösen  ist  nicht  voll  zu  begreifen  (1.  c.  S.  605). 

Auf  das  Gefühl  bezieht  das  Gute  Fechner.  Gut  ist  die  Lust  schlechthin 
(Üb.  d.  höchste  Gut  S.  6  ff.).  Gut  ist,  was  geeignet  ist,  den  Glückseligkeits- 
zustand der  Welt  zu  fördern  (Tagesans.  131;  vgl.  Zend-Avesta  I,  232,  243). 
Nach  Schuppe  bedeutet  „gut" :  ,^s  gewährt  mir  Lust*',  „ich  will"  (Grdz.  d.  Eth. 
S.  19).  An  sich  gut  ist  „die  Lust  an  der  betcußten  Eodstenx  oder  am  Be- 
wußtsein" (L  c.  S.  108).  Nach  Gizycki  ist  alles  gut,  was  unmittelbar  oder 
mittelbar  Ursache  angenehmer  Bewußtseinszustände  ist  oder  was  unangenehme 
Bewußtseinszustände  hintanhält  (Moralphilos.  S.  10).  Gut  ist  der  Name  für 
„Freude  erzeugen  oder  Leid  verhindern"  (1.  c.  S.  12).  Individuell  und  social 
Gutes  sind  zu  unterscheiden  (1.  c.  S.  18).  Sittlich  gut  ist,  was  die  allgemeine 
Wohlfahrt  oder  Glückseligkeit  befördert  (1.  c.  S.  4).  Kreibig  definiert  „gut' 
als  Lust  erregend  (Wertth.  S.  18).  „Autopathisch"  gut  heißt  „rfew  Wertenden 
eigene  Lust  bringend",  „heteropathisch"  so  viel  wie  „fremden  Subjeeten  Lust 
bringend",  „ergopathiseh"  so  viel  wie  „lustauslösend  bei  obfectivetn  Genießend* 
(1.  c.  S.  21).  Höchstes  Gut  ist  „die  möglichst  reiche  Entfaltung  und  Betätigung 
der  geistigen  und  leiblichen  Kräfte  des  Menschen^'  (1.  c.  S.  18). 

Auf  das  Wollen,  Begehren  bezieht  das  Gute  Volkmann  :  „Nicht  weil  ettcas 
,sub  specie  boni  vel  mali*  erscheint,  tcird  es  begehrt  oder  verabscheut,  sondern  teas 
wir  begehren  oder  verabscheuen,  erscheifU  als  ,bonum*  oder  ,malum',  weil  und  so- 
lange wir  es  begehren  oder  verabscheuen"  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  423).  Harms 
erklärt  ähnlich:  „Xichi  weil  wir  etwas  als  gut  erkannt  haben,  wollen  wir  es, 
sofukrn  unr  erkennen  es  als  gut,  weil  wir  es  wollen.  Erst  durch  den  Act  des 
Wollefis  ist  das  Gedachte  ein  Gut"  (Abhandl.  zur  syst^m.  Philos.  S.  71  fX 
Ähnlich  Witte  (W^es.  d.  Seele  S.  168).  J.  H.  Fichte:  ,fTeder  dauernd  be- 
friedigte Trieb  erxeugt  einen  Zustand  im  Subjecte,  der  als  ein  eigefiiümlieh  Be- 
gehrefiswerteSf  als  ein  ,Gut^  efrtpfunden  icird"  (Psychol.  II,  152).     Gut  ist 


Gut.  425 

nach  ÜLBici,  Tpas  einen  Wert  (s.  d.)  für  uns  hat  (Gott  ii.  d.  Natur  S.  604). 
Nach  AHSEN8  ist  gut  alles,  „iro«  der  vernünftigen  Natur  des  Menschen  und 
den  darin  begründeten  ioahren  Bedürfnissen  attgernessen ,  also  üherhanpt  er- 
sirdienstcert  ist**  (Naturrecht  I,  226,  251).  Das  höchste  Gut  liegt  „tn  der  Er- 
strelmng  und  der  praktischen  Darbildung  der  Ebenbildliehkeit  des  Menschen  mit 
Ooii"  (1.  c.  I,  251).  E.  Laas  bestimmt:  „Ein  Out  ist  jedem  in  jedem  Momente 
dasjenige,  d,  h.  es  erscheint  ihm  momentan  als  ein  solches,  was  ihm  Lust  be^ 
reitet y  ein  Bedürfnis  befriedigt  und  von  Schmerzen  befreit^  (Ideal,  u.  Positiv, 
ir,  219).  Höchstes  Gut  ist  „die  möglichste  Schtnerxlosigkeit  und  der  höchste 
Überschuß  voti  Lust  und  Unlust  für  alle  fühlenden  Wesen^^  (1.  c.  II,  293). 
Nach  W.  James  besteht  das  Wesen  des  Guten  dann,  daß  es  eine  Forderung 
befriedigt  (Wille  z.  Glaub.  S.  182).  Nach  Sidowigk  ist  gut,  was  ein  Mensch 
vernünftigerweise  wünschen  müßte  („what  a  man  may  reasmiahly  desiref^, 
Meth.  of  Eth.',  p.  401).  F.  Brentano  erklärt:  „Das  mit  richtiger  Liebe  xu 
Liebende,  das  Liebwerte  ist  das  Gute  im  weitesten  Sinne  des  Wortes^'  (Vom 
ürepr.  sittl.  Erk.  S.  17).  Das  Liebens-  und  Hassenswerte  bemerken  wir  mit 
ursprünglicher  Evidenz  (1.  c.  S.  21).  Nach  Nietzsche  bedeutet  „gttt"  vom 
Standpunkte  der  „Herrenmoral^\  was  die  Macht,  den  Willen  zur  Macht  erhöht, 
befriedigt,  zugleich  das  Vornehme,  Edle;  vom  Standpunkt  der  „Sklavenmoral'^ 
ist  „<7«#/**  das  Nützliche,  Friedliche,  Duldsame,  Gehorsame  etc.  (Jens,  von  Gut 
u.  Böse*,  S.  228  ff. ;  vgl.  Sittlichkeit).  Die  Begriffe  „gut''  und  „schlecht"  will 
Nietzsche  im  Sinne  der  Herrenmoral,  der  Übermenschen-Idee  (s.  d.)  imiwerten. 

Als  das  Zweckvolle,  den  einzelnen  wie  die  Gesamtheit  Fördernde  gilt  das 
Gute  bei  vielen  Ethikem  und  Sociologen.  Nach  Lipps  ist  gut,  „was  unserer 
seelischen  Natur  gemäß  ist  und  sie  befriedigt^'  (Grundt.  d.  Seelenl.  S.  617). 
Nach  Paulsen  ist  „gut",  worauf  der  WiUe  „mit  seiner  ganxen  Natur 
gerichtet  ist,  nämlich  auf  Erhaltung  und  Entfaltung  des  Eigenlebens  und  der 
Gattung"  (Syst.  d.  Eth.  I*^,  320).  „Gewisse  Verhaltungsweisen  sind  gut,  sofern 
sie  die  Tendenx  haben,  menschliche  Lebensgüter  xu  erhalten  und  xu.  mehren" 
(Einl.  in  d.  Philos.*,  S.  437).  Höchstes  Gut  ist  für  den  einzelnen  ein  „voll- 
kommenes Menschenleben,  d.  h.  ein  Leben,  in  deftn  es  xu  voller  Entfaltung  und 
Betätigung  aller  leiblich-geistigen  Kräfte  des  Menschen  kommt"  (1.  c,  I,  17). 
Nach  WüNBT  ist  das  Gute  j^ein  Glücksgut,  sofidem  ein  objectives  geistiges  Er- 
zeugnis" (Eth.^,  S.  503).  Nach  H.  Spencer  ist  gut,  was  einem  Zwecke  an- 
gemessen ist  (Princip.  d.  Eth.  I,  §  8).  „Stets  und  überall  .  .  .  werden  Hand- 
lungen gut  oder  böse  genannt,  je  nachdem  sie  ihren  Zwecken  gut  oder  schlecht 
angepaßt  sifid"  (1.  c.  S.  26).  Das  beste  Handeln  ist  das  am  meisten  Leben  und 
Glück  fördernde  (1.  c.  S.  27,  §  16,  S.  49).  Höffding  nennt  eine  Handlung 
gut,  „wenn  sie  die  Wohlfahrt  beicußter  Wesen  beicahrt  und  enttcickdt"  (Eth. 
ß.  43).  „Gut"  und  „böse"  enthalten  ein  Zweckurteil  nach  Iheeing  (Zweck  im 
Becht  II,  214).  ADes  Gute  ist  relativ  (1.  c.  S.  215).  Nach  Ratzenhofer  ist 
gut  die  artgemäße  Entwicklung  (Posit.  Eth.  S.  39  ff.).  Nach  P,  Bee  ist  „gut^^, 
social  geurteilt,  das  Löbliche,  Belohnenswerte,  schlecht  das  Verwerfliche, 
Sonst  sind  gut  und  allgemein-nützlich  identisch  (Philos.  S.  25,  51).  —  Nach 
SnofEL  ist  das  Gute  so  viel  wie  „dasjenige,  was  eben  vertvirklicht  werden  soll" 
(Einl.  in  d.  Moralwiss.  I,  47). 

Als  Wertpradicate  bestinmit  gut  und  böse  A.  Döring,  und  zwar  als  Wert- 
pradicate  für  Handlungen  imd  Gresinnungen,  d.  h.  Willensrichtungeu  (Philos. 
Güterlehre  S.  224).    „Ein  Gut  ist  etwas,  das  Wert  hat"  (1.  c.  S.  2),  „ein  Object 


426  Out  —  Habitus. 


oder  Verhältnis^  das  dadurch  für  uns  Wert  hat,  daß  es  Lust  erregt,  indem  et 
ein  Bedürfnis  befriedigte^  (].  c.  S.  76).  Höchstes  Gut  ist  ,^das  Bewußtsein  ob- 
jeotiven  Wertes"  oder  „die  begründete  Selbstsehäixung"  (L  c.  S.  323).  Nach 
Ebrenfels  ist  ein  Gut  „das  Object  einer  positiven  Wertrelatian"  (Werttheor. 
I,  71).  C.  Stakoe:  „Das  in  sittlicher  Bexiehung  Wertvolle  bezeichnen  teir  alt 
gut;  das  in  sittlicher  Bexiehung  Unwerte  bezeichnen  tcir  als  böse"  (EinL  in  d. 
Eth.  II,  11).  Es  sind  elementare  ethische  Wertprädicate  (ib.).  „Im  ethiseheH 
Sinne  gut  ist  das,  was  der  Flicht  gemäß  ist,  böse,  was  der  Pflicht  zuwider  m^' 
(L  c.  S.  19).  Sittliche  Güter  sind  „solche  Produete^  resp.  Mittel  des  mensehliehen 
Handdns,  bei  denen  das  menseMiche  Handeln,  durch  welches  jene  Güter  pro- 
duciert  werden  oder  dem  jene  Güter  als  Pörderungsmittel  dienen,  als  süÜieke» 
Handeln  in  Betracht  kommt'*  (1.  c.  II,  16  f.).  Vgl.  Sittlichkeit,  Tugend,  Übd 
Optimismus. 

Ofiterielire  (Agathologie)  heißt  der  Teil  der  Ethik  (s.  d.),  der  dis 
Wesen  und  die  Arten  der  geistig-sittlichen  Güter  oder  Werte  behandelt  Ak 
Güterlehre  erscheint  die  Ethik  besonders  bei  Schleiermacher  ,  ferner  bei 
A.  DÖRING,  dem  sie  die  philosophische  „Centralwissenschaft*^  ist  (Philos.  Guter- 
lehre S.  21;  vgl.  üb.  den  Begr.  d.  Philos.  1878).  Die  Gfiterlehre  ist  ,/fi> 
Wissenschaft  rofi  den  Werten*^  von  den  allgemeingültigen  Werten  und  vom 
Gesamtwert  (Güterlehre  S.  6  ff.).  Eine  Gütertafel  findet  man  u.  a.  bei 
Kirchner  (Eth.  S.  142  ff.). 


lOim 

Haben  drückt  das  Besitzverhältnis,  die  (ruhende)  Macht  des  Ich  über 
eine  Sache  aus,  es  bezeichnet  allgemein  das  Verhältnis  des  Ich  zu  seinen 
Modificationen  imd  wird  auf  die  Objecte  der  Außenwelt  übertragen.  —  Aw- 
STOTELES  rechnet  das  Haben  (i'x^tv)  zu  den  Kategorien  (s.  d.)  (Met.  V  23, 
1023  a  8  squ.).  Nach  Trexdelenburg  leihen  wir  die  Kategorie  „haben''  an 
die  Sinnendinge  (Neue  Grundleg.  S.  175).  Das  Ich  als  Substanz  ,^at*'  als 
Accidentien  seine  Tätigkeiten  (1.  c.  S.  176).  Das  Wissen  des  Ich,  daß  es  selbst 
die  Substanz  sei  seiner  Tätigkeiten,  wird  durch  das  Wort  ,Ji€d)en"  ausgedrückt 
(ib.).  Schuppe  erklärt:  „Die  Aussage  des  Teiles  vom  Ganzen  bedarf  gewöhnliek 
des  Verbu?ns  fiabeii^*  Sein  Sinn  ist  der  der  auseinandergesetxten  Zusammeth 
gehörigkeit.  Object  des  Verburns  Jiahen'  ist  nur  etwas,  was  in  diesem  Sinne  ab 
Teil  eines  Ganzen  gilt,  und  Subjeet  desselbe?i  ist  das  Ganze**  (Log-  S.  120). 
„Das  Verbum  ,haben*  hat  ohne  Object  Überhaupt  gar  keinen  Sinn;  seine  Be- 
deutung geht  darin  auf,  daß  etwas,  eben  da>s  Object,  xu  dem  Ganzen,  welches  da* 
Subjeet  ist,  als  Teil  oder  Bestandteil  oder  Eigefischaft,  Elemcfit,  Moment,  vor- 
übergeliende  Affection  gehört,  irgendwie  mit  ihm  dauernd  oder  vorübergehend, 
äußerlich  oder  innerlich  zusammengehört"  (1.  c.  S.  146). 

Habitas:  Gewohnheit  (8.  d.),  Eigenschaft,  Fertigkeit,  Ereeheinung»- 
weise.  —  Nach  Aristoteles  bedeutet  Habitus  (J§i«)  eine  Fertigkeit,  &n^ 
(dauernde)  Verhaltungsweise  (Met.  V  20,  1022b  4;  V  19,  1022b  4  squ.;  Categor. 
8,  8  b  27;  Eth.  Nie.  II  4,  1105  b  25).  Die  Tugenden  sind  ßw  yt^ff  (Eth.  Nie 
I  13, 1103a  9;  II  2,  1104b  19).  Sie  sind  von  den  fveixai  gSat^  zu  untencheiden 
(1.  c.  VI  13,  1144  b  8).     Die  Troaxnxrj  Ij«^  wird  von  der  Ttotf^rtK^  Ij«  unter- 


Habitus  —  Hallucinittion.  427 

-fichieden  (L  c.  VI  4,  1140a  4  squ.).  Nach  Thomas  ist  habitus  f^quaedam  dis' 
poaitio  cUieuius  mbieeti  exütentü  in  potentia  vel  ad  formam,  vel  ad  operationtm^* 
(Bum.  th.  II,  50,  1).  Nicouiüs  Taurellus  definiert:  ,fHabitu8  nU  aliud  sunt, 
nisi  aequisita  quaedam  vd  ifUeüigendi,  vd  alieuiua  expetendi  pramptitudo,  non 
nmmae  sed  corpori  adseribenda"  (Philos.  triumph.  tr.  1,  p.  63).  Nach 
Oh£.  Wolf  ist  habitus  eine  ,/Jtgendi  promptitudo**  (Psychol.  empir.  §  428). 
Kreibio  Toisteht  unter  Habitus  eines  Subjects  den  „Inbegriff  der  seelischen 
und  körperliehen  Beschaffenheiten  und  der  Belatiatien  xwiseken  diesen  Beschaffen-' 
heiten"  (Werttheor.  S.  192). 

Haeceeltas:  Diesheit,  Dieses-Sein,  die  individuelle  Wesenheit  („e7iittas 
positiva*^  toSb  t$  des  Aristoteles).  Der  Ausdruck  bei  den  Scotisten 
üblich.  tJIaeeceifas  est  singularitas'*  (bei  PRANTL,  G.  d.  L.  III,  280 ;  vgl.  219). 
^Haeeceitas  nihil  aliud  est,  nisi  quidam  modus  intrinsecusj  qui  inmiediate 
conirahii  et  primo  quidditateni  ad  esse  ,  ,  ,  et  nominatur  differentia  indivi- 
dualis'*  (1.  c.  III,  290).  Goclen:  yßaeceeitas  —  ab  Haec  pro  differentia  indi- 
Hduante^'f  so  viel  wie  „ipseitas"  (Lex.  philos.  p.  626).  Nach  Chr.  Wolf  ist  die 
„Diesheit'  der  „Grund  der  einxelnen  Dinget*  (Vem.  Ged.  I,  §  180). 

HalltteilUltloii  ist  eine  „Sinnestäuschung**,  nämlich  eine  Erinnerungs- 
vorstellung,  die  durch  ihre  Ähnlichkeit  mit  einer  Binneswahmehmimg  als  solche 
beurteilt  wird,  als  ein  wirkliches  Object  gilt.  Der  Beiz  (s,  d.)  zur  Hallucination 
li^  aUein  im  Organismus,  in  verschiedenen  (momentanen,  vergänglichen  oder 
dauernden)  Störungen  desselben.  Central  errate  Empfindungen  sind  an  der 
Hallucination  beteiligt,  sie  besteht  nicht  aus  bloßen  Erinnerungsbildern.  Von 
der  Illusion  (s.  d.)  ist  sie  zu  unterscheiden. 

EsQUiROL  nennt  den  einen  Hallucinanten,  „qui  ait  la  cofwiction  intime 
d'une  Sensation  aetuellement  per^ue  lorsque  ntd  objet  exterieur  propre  ä  exeiter 
eette  Sensation  n'est  ä  poriee  des  sens"  (Des  maladies  mentales  1838,  I,  p.  80). 
Nach  Gbiesinoer  liegen  in  den  Hallucinationen  vor  „subjeetire  SinnesbUder^ 
tcelche  nach  außen  prqfieiert  tcerden  und  scheinbare  Objectirität  und  Realität 
beklommen"  (Pathol.  u.  Therap.  d.  psych.  Krankh.*,  S.  85).  Volkmann  erklärt: 
„Die  Hallucination  nimmt  eine  bloß  reprodueierie  Vorstellung  für  eine  Em- 
pfindung, erhebt  sieh  aber  dadurch  Ober  eine  bloße  Täuschung  der  innem  Wahr- 
nehmung, daß  sie  die  Empfindung  veräußerlicht,  d,  h.,  wenn  diese  betont  ist, 
loealisiert,  wenn  sie  unbetont  ist,  prqjieiert'^  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  146). 
Fechner  erklart  die  Hallucinationen  für  „Täuschungen,  die  ganx  oder  beinahe 
den  Charakter  von  außen  erweckter  Sinneswahmehmungen  für  den  Getäuschten 
annehmen,  ohne  daß  in  der  äußern  Wirklichkeit  etwas  xu  ihrer  Anregung  vor- 
handen ist*  (Elem.  d.  Psychophys.  II,  505).  Ziehen  betrachtet  die  Hallucination 
als  einen  „Faü  krankhaften  Empfindens**.  „Hier  fehlt  die  Primärempfindmig 
ganx,  ebenso  jeder  äußere  Reix**  (Leitfad.  d.  physiol.  Psychol.*,  S.  178).  ,y^or- 
malerweise  tverden  die  Empfmdungsxellen  7iur  von  der  Peripfierie  aus  erregt  . ,  . 
Anders  bei  den  Hallueinationen.  Hier  sind  es  die  Erinnerufigsbilder,  welche 
ohne  äußeren  Reix  sinnlieh  lebhafte  Empfindungen  hervorrufen**  (1.  c.  S.  180). 
Wxjndt  erklärt:  „Unter  den  Veränderungen  der  Vorstellungsgehilde  besitzen 
die  auf  peripherer  oder  centraler  Afiästhesie  beruhenden  Vorstellungsdefeete  im 
allgemeinen  eine  beschränkte  Bedeutung;  sie  Oben  auf  den  Zusammenhang  der 
psychischen  Vorgänge  keine  tieferen  Wirkungen  aus.  Wesentlich  anders  ver- 
hält sieh  dies  mit  der  durch  centrale  Hyperästhesie  hervorgerufenen  relativen 


428  Hallucination  —  Handlung. 

Steigerung  der  Empfindung.  Ihre  Wirkufig  ut  numentlich  deshalb  eine  sehr 
eingreifende,  weil  durch  sie  reproduetive  Empfindungselemenie  die  Stärke  äufierrr 
Sinneseindrücke  erreichen  könnefi.  Infolgedessen  kann  es  geschehen,  daß  ent- 
weder reine  Erinnerungsbilder  als  Wahrnehmungen  obfectiviert  werden:  Hallu- 
einationen;  oder  daß,  wenn  direct  erregte  und  reproduetive  Elemente  sieh 
verbinden,  durch  die  Intensität  der  letzteren  der  Sinneseindruck  wesentiieh  «r- 
ä/ndert  erscheint:  phantastische  Illusionen,  Praktisch  sind  beide  nur  tw- 
sofern  xu  unterscheiden,  als  sich  in  sehr  vielen  Fällen  bestimmte  Vorstellungen 
als  phantastische  Illusionen  nachweisen  lassen,  tcährend  das  Vorlmndensein  einer 
reinen  Hallueinatioti  fast  immer  xireifelhaft  bleibt,  da  irgend  welche  direeie  Em- 
pfindungselemente  sehr  leicht  übersehen  werden  können.  In  der  Tat  ist  es  nieki 
unwahrscheinlich,  daß  weitaus  die  meisten  sogenannten  Haüueinalianen  Illusionen 
sind",  d.  h.  „Assimilatiofien  mit  starkem  Übergewicht  der  reproduetiven  Elemente 
(Gr.  d.  Psychol.»,  S.  325  f.;  Grdz.  d.  physiol.  Psycho!  II,  430  ff.).  N«* 
EÜLPE  sind  Hallucinationen  central  erregte  Empfindungen  von  sinnlicber 
Lebhaftigkeit  (Gr.  d.  Psychol.  S.  187).  SxÖRRmö  charakterisiert  die  Hallu- 
cination durch  die  Überzeugung  des  Hallucinierenden,  eine  wirkliche  Wahr- 
nehmiuig  zu  haben  (Psychopathol.  S.  31  f.),  bestimmt  sie  als  Sinnes-,  nicht  als 
Urteilstauschung  (gegen  Gbabhey,  Über  Hallucinationen,  München.  Medicin. 
Wochenschr.  1893,  u.  a.),  erörtert  den  Unterschied  elementarer  und  complexer 
Hallucinationen,  untersucht  die  verschiedenen  Ai-ten  der  Hallucinationen  (Ge- 
sichts-, Bew^mgs-,  Geschmacks-,  Tast-Hallucinationen).  Bei  den  „Plseudo- 
Hallucinationen"  fehlt  der  Charakter  der  Objectivität  (1.  c.  S.  69).  Die  Theorien 
der  Hallucination  zerfallen  in  die  „centralen"  („rein  psychischen")  und  die 
„psychosensoriellen" ;  letztere  treten  als  „cerUripetaM^  oder  „ce«/rt/t^a/e"  Theorie 
auf  (1.  c.  S.  72).  Nach  Störring  wird  bei  der  Hallucination  durch  »nen 
Sinneseindruck  eine  intensive  Vorstellung  ausgelöst,  welche  auf  Grund  einer 
gesteigerten  Anspruchsfähigkeit  der  Hirnrinde  mit  jenem  eine  Verschmekong 
eingeht  (l.  c.  S.  88  ff.).  —  Taine  bezeichnet  die  objectiven  Vorstellungen  ak 
„Hallueinationen"  (s.  Object).  Vgl.  Binet,  L'hallucinat. ;  Parish,  Ob.  d. 
Trug^'ahmehm.  1894;  Sully,  Die  lUusionen  1883;  Hellpach,  Grenzwisa. 
S.  309  u.  a. 

Handlung^  (Action)  ist  eine  zweckvolle  Betätigung,  die  Ausführung  einer 
Willensintention,  auch  der  Erfolg  einer  solchen ;  sie  besteht  in  einer  Beihe  von 
Momenten,  die  psychologisch  als  Gefühle,  Vorstellungen,  Spannungsempfin- 
dungen sich  darstellen.  Zu  unterscheiden  sind  äußere  Handlung,  die  eine 
Veränderung  in  der  Außenwelt  durch  Bewegung  erzeugt,  und  innere  Hand- 
lung, die  nur  das  geistige  Leben  des  Ich  modificiert.  In  der  Impulsivität 
oder  Motivation  (s.  d.)  der  Handlungen  bekundet  sich  deren  Willenscharakter. 

Nach  AmsTOTELES  ist  die  Handlung  eine  in  sich  vollendete  Tätigkeit 
Sie  ist  TtQä^is,  praktisches  Tim,  oder  nolijais,  technbch-künstlerisches  Schaffen 
(Eth.  Nie.  VI  4,  1104a  4;  VI  4,  1140b  4  squ.;  IX  7,  1168a  7). 

HuME  sieht  in  den  Gefühlen  der  Lust  imd  Unlust  die  Haupttriebfedem 
unserer  Handlungen  (Treat.  III,  sct.  10).  Nach  Platner  ist  eine  Handlung 
„eine  Reihe  von  Tätigkeiten,  mittelbar  gerichtet  auf  einen  entfernteren  Endxweet^ 
(Philos.  Aphor.  II,  §  485).  Nach  G.  E.  Schulze  ist  eine  Handlimg  jede  freie 
Wirksamkeit  unserer  Kräfte  (Anthropol.  S.  425).  Krug:  „Handeln  im  weite- 
ren Sinne  heißt   oft   auch  so   viel   als   tätig   sein   oder  icirken  überhaupt  ^  im 


Handlung  —  Haploae.  429 


engeren  Sinne  aber  bedeutet  es  das  Venoirkliekefi  eines  bestimmten  2kveckes" 
(Handb.  d.  Philos.  I,  56).  —  Aus  praeempirischen  Handlungen  des  Ich  (s.  d.) 
leitet  J.  G.  Fichte  die  Außenwelt  ab.  Öchelung  betont:  „TFcm  uns  als  ein 
Handeln  auf  die  Außenwelt  erscJieint,  ist  idealistisch  angesehen  nichts  anderes 
als  ein  faiigesetctes  Anscltauen^^  (Syst  d.  transc.  Ideal.  8.  380).  Den  scho- 
lastischen ßatz:  y,Operari  s^qtnitur  esse*^,  das  Handeln  wird  durch  das  Sein 
bestimmtj  macht  sich  Schopenhauer  zu  eigen  (s.  Charakter).  Nach  Süabe- 
BISSEN  ist  jede  Willenstätigkeit  eine  „EancUung^^.  Im  engeren  Sinne  ist  Hand- 
lang „etne  wiek  außen  vortretende  Willensenceisung"  (Grdz.  d.  Lehre  von  d. 
Mensch.  S.  140).  Beneke  leitet  das  Handeln  aus  „unerfüllten"  Urvermögen, 
„Streifungen"  ab.  Indem  diese  „fiooh  beweglich  sind,  so  können  sie  von  den 
Begekrungen  und  Wallungen  her  auf  anderes,  mit  diesen  in  Verbindung  Stehendes, 
übertragen  werden;  und  vermöge  dieser  Übertragung  mrd  das  Handeln  gewirkt. 
Durch  ihr  Hinüberkommen  werden  gewisse  Angelegtheiten  .  .  .  in  eigen- 
tümlicher Weise  ausgebildet  oder  zur  Erregtheit  gebracht"  (Neue  Psychol. 
S.  213  ff.).  Es  gibt  „inneres"  und  ,ßußeres  Handeln"  (Lehrb.  d.  Psychol.*, 
§  205  ff.,  210;  Psychol.  Skizz.  I,  410  ff.). 

VoLKMAKK  versteht  unter  Handlung  das  ,jrealisierte  Wollen".  „Die  Hand- 
lung ist  .  .  ,  eine  äußere  oder  innere  (actio  transiens  vel  immanens),  je  nach' 
dem  die  Veränderung,  in  der  das  Wollen  sich  realisiert,  in  die  Außen-  oder  in 
die  Innenwelt  fällt"  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  460).  Nach  Höffding  ist  die 
Handlung  die  Ausstrahlung  des  inneren  Wesens  des  Ich  (Psychol.  S.  451). 
Nach  WcNDT  besteht  die  äußere  Handlung  in  der  „Apperception  einer  Be- 
wegungsvorstellung", Die  äußeren  Handlimgen  sind  Folgezustände  von  Apper- 
ceptionen,  von  inneren  Willenshandlimgen  (s.  d.),  Endmomente  von  Affecten 
(8.  d.)  (Eth.»,  S.  443;  Gr.  d.  Psychol.  S.  215  ff.).  Ziehen  definiert:  „Actionen 
oder  Handlungen  (bewußte,  unllkürliehe  oder  Wiüenshandhmgen) :  auf  einen 
oder  mehrere  Reixe  erfolgt  eine  meist  zweckmäßige,  durch  intercurrierende  Reize 
und  durch  Erinnerungsvorstellungen  in  ihrem  Ablauf  modifizierte  Be- 
wegung mit  psychischem  Paraüelvorgang"^  (Leitfad.  d.  physiol.  Psychol.*,  S.  22), 
Zu  unterscheiden  sind  Trieb-,  intellectuelle  und  Affecthandlungen  (1.  c.  S.  199). 
Ahnlich  Münbtebberg  (Die  Willenshandl.  1888)  u.  a.  Nach  Kreibio  ist 
„Handlung^*  „die  in  die  Außenwelt  tretende  Wirkung  des  Willens,  welche  als 
Betcegung  oder  Bewegungshemmung  gegeben  ist^  (Werttheor.  S.  73).  H.  Gor- 
HELlus  Yersteht  unter  Handlung  y^eine  Änderung,  soweit  sie  durch  eine  Mit- 
wirkung unserer  Persönlichkeit  bedingt  ist^^  (Psycholog.  S.  387).  Nach  Ehben- 
FELB  ist  die  Handlung  „ein  Act  des  Strebens  oder  Wollene,  durch  toelchen 
beabsichtigte  Wirkungen  hervorgerufen  werden".  Als  Absicht  kann  , Jedes  ein- 
zelne Olied  aus  der  ganxen  vorgestellten  Causalkette  von  dem  Strebens-  oder 
WiUeneact  bis  inclusive  zum  begehrten  Zweck  herausgehoben  werden"  (Syst  d. 
Werttheor.  II,  16).    Vgl.  Willenshandlung,  Action,  Tätigkeit. 

Hans  s.  Neigung. 

Haplie  (a^:  Berührung  (s.  d.).  Plotik  spricht  von  emer  unmittel- 
baren „Berührung"  des  Guten  (r/  rov  ayad'ov  sXtb  yvtocte  eire  inafpri,  Enn.  VI, 

:,  25  f.). 

Haplose  (anXcoan^  Vereinfachung):  Lostrennung  der  Seele  vom  Leibe 
und  Vereinigung  derselben  mit  Gott  im  Zustande  der  Ekstase  (s.  d.),  Einkehr 
der  Seele  bei  sich  selbst,  zu  ihrem  wahren,  reinen  Wesen:   Marc  Aurel,  In 


430  Haplose  —  Harmonie. 


se  ips.  IV,  26,  besonders  aber  bei  Plottn,  Enn.  VI,  9,  11;  Päoklus,  Thed. 
Pkt.  I,  24  f.;  Jahblich,  bei  ProcI.  in  Tim.  64  C.    Vgl.  Berührung. 

Haptteeli:  dem  Tastsinne  angehörend. 

Hannonl^  (a^fioria):  Zusammenfügung  einer  Vielheit  sur  Einheit,  Zo- 
sammenstimmung,  Übereinstimmung,  Anpassung  der  Teüe  eines  GanzcD  an- 
einander zu  einer  Ordnung,  Verbindung  der  Gregensätee  in  und  zu  einer  Einheit 
Die  musikalische  Harmonie  beruht  auf  dem  Fehlen  von  Bchwebungen  (s-d.) 
und  Klang-Bauhigkeiten  in  einer  Tonverbindung  (Helmholtz,  Lehre  von  d. 
Tonempfind.«,  S.  297  ff. ;  Vortr.  u.  Red.  I^,  121  ff. ;  vgl.  WtJNDT,  Grdx.  d. 
phys.  Psychol.  II,  65;  Stumpf,  Conson.  u.  Disson.  Beitr.  zur  Akust.  u.  Musik- 
wiss.  1.  H.  1898).  In  der  Ästhetik  (s.  d.)  und  in  der  Ethik  (Hamumie  der 
Charaktereigenschaften,  der  Interessen,  der  individueUen  und  socialen  Triebe 
u.  s.  w.)  ist  der  Begriff  der  Harmonie  von  Bedeutung.  Die  Harmonie  der 
Welt,  d.  h.  die  gesetzmäßige,  causal- teleologische  Zusammenfügung  der  Dinge 
und  Kräfte  zu  einer  Weltordnung,  ist  von  philosophischer  Wichtigkeit. 

Die  Pythagoreer  übertragen  den  musikalischen  Hannoniebegriff  auf  da» 
All«  In  diesem  sind  alle  Gegensätze  zur  Einheit  vereinigt.  Alles  in  der  Welt 
ist  nach  harmonischen  Verhaltnissen  geordnet,  ist  selbst  Harmonie  und  Mafi: 
rov  olov  ov^aror  ä^/tovlav  elvni  nai  aQ^d^fiov  (Aristot.,  Met.  I  5,  986a  3);  xtna 
8i  Tovg  r^t  i^fwvias  X6yov9  (Diog.  L.  VIII  1,  29).  Die  Seele  (s.  d.)  ist  eine 
Harmonie  (so  auch  nach  AmsTOXEiros ,  Dikaeabch,  Galen).  Auch  die 
Tugend  (s.  d.)  ist  eine  Harmonie  (ri^y  S"  A^er^v  ÄQftovlav  elvat  .  .  .  xa%f^  ^^F^ 
vlav  avvBmavai  xa  okn,  Diog.  L.  VIII  1,  33).  Die  Sphärenharmonie  ent- 
steht aus  dem  Zusammenklang  der  um  das  Centralfeuer  {imiu)  sich  bewegen- 
den  Planeten  zu  einem  Heptachord  (vgl.  Goethe,  Faust  I :  „Dte  Sonne  tönt  nach 
alter  Weise  in  Bruderspßiären  Wetigesang^^).  Die  Harmonie  der  widerstreitenden 
Gegensätze  im  All  betont  Heraklit,  damit  die  Gesetzmäßigkeit  und  Ordnung 
der  Welt  zum  Ausdruck  bringend:  'H^nXetroe  rd  dvriiow  irvfif>t^o^  xai  ix 
T(OP  Siafegovriav  xaXXiffxtjv  aQfiot'iav  xal  ftdvttt  xar*  i^tv  yIvMd'ai  (Arist.,  EÜL 
Nie.  VIII  2,  1155 b  4);  ov  avviaciv  oxate  Sta^s^ofjtevov  ecDVttf  oflUfXoyäi*  xalii^ 
TQonog  a^ftoviri  oxmcnag  t6Sov  xal  Iv^g  (die  in  sich  zurückkehrende  Harmonie, 
wie  die  des  Bogens  und  der  Leier,  Fragm.  45) ;  icn  yd^^  fiiaivy  d^fioviti  dfopi* 
fave^rje  xQt'aacav  (Fragm.  47).  Die  Harmonie  des  Weltganzen  preisen  Ploti5, 
dann  wieder  (in  pythagoreisch  klingender  Weise)  NicoLAüß  CusANUß,  ICeplsb, 
G.  Bruno.  Die  Harmonie  als  ethisches  Princip  betont  Shaftebbury  (Inqnir. 
conc.  virt.  I,  2;  The  moral.  II,  4;  III,  1). 

Nach  LEiBiaz  ist  Harmonie  „tmitas  in  mtätitudine",  E2r  steUt  den  Begriff 
der  prästabilierten  (vorherbestimmten)  Harmonie  auf,  um  die  Ordnung  des 
Alls  ohne  directe  Wechselwirkung  (Influxus,  s.  d.)  zu  erklären,  da  ihm  die  An- 
erkennung der  letzteren  durch  seinen  Begriff  der  einfachen  Monade  (s.  d.)  ver- 
wehrt ist.  Die  Theorie  der  prästabilierten  Harmonie  („karnumia  praestabilita, 
karmofiie  preetahlie,  hurfnonie  universelle,  aceord,  copicomitanee,  liaison^  aceom- 
modementy  rapport  mtUuel  regle  par  avanee^*  u.  dgl.)  besagt,  daß  Gott  alk 
Beziehungen  sowohl  zwischen  den  einzelnen  Dingen  (Monaden)  als  auch  zwischen 
Seele  und  Leib  von  Anfang  an  so  geordnet  hat,  daß  alles  Geschehen  gesetz- 
mäßig imd  zweckmäßig  verlaufen  muß,  obgleich  statt  wirklicher  Einzelcaasalitit 
nur  ein  Parallelismus,  eine  Coordination  der  Geschehnisse  besteht«  Jeder 
Monade  hat  Qott  ein   festes  Gesetz   eingepflanzt,   welchem   gemäß   ihre   (rein 


Harmonie.  431 


iimnanente)  Tätigkeit  sich  abspielt,  so  aber,  daß  alle  Monaden  einander  ange- 
paßt sind,  daß  auf  alle  Rücksicht  genommen  ist,  daß  die  Vorgange  einander 
angemessen^  angepaßt  sind  (MonadoL  51«  52, 60).  Den  Namen  ,jprästabüierte  Har- 
numü^  gebraucht  Leibniz  zuerst  1696,  in  einem  Briefe  an  Basnage  de  Beauval 
(Gerh.  III,  121  f.;  TgL  III,  67,  Brief  an  Bayle).  Die  Monaden  sind  rein  geistig, 
punktuell,  „ohne  Fenster**,  bilden  jede  j^un  monde  ä  pari**,  können  daher  nicht 
gegenseitig  aufeinander  einwirken.     Daher  muß  Gk)tt  der  Vermittler  der  Gau- 
salitat  sein,  abßr  nicht  bloß  gel^entlich,  wie  der  Occasionalismus  (s.  d.)  meint, 
sondern  ein  für  allemal  von  Anfang  an.    AUe  Monaden  sehen  das  eine  Uni- 
versum in   verschiedenem  Klarheitsgrade,  jede  hat  Beziehungen,  welche  aUe 
anderen  ausdrücken,  so  daß  sie  ein  lebendiger  Spiegel  des  Alls  ist  (MonadoL 
56,  57).    „Cor  ehaeune  de  ees  dmeä  exprimant  ä  sa  ma/nüre  ce  qui  se  passe  au 
dehors  et  ne  pouvant  amnr  aueune  infiuence  des  etres  partieuliers  ou  plutdt  devant 
tirer  eette  expresston  du  propre  fond  de  sa  naiurej  il  faut  nSeessairement,  que 
ehaeune  ait  re^ue  eette  naiure  d'une  cause  universelle ,  doni  ees  etres  dipendent 
tous  et  qui  fasse,  que  Vun  soü  parfaitement  (Taecard  et  eorrespondant  avee 
toiäre,  ce  qui  ne  se  peut  sans  une  eonnaissanee  et  puissance  infinie**  (Nouv. 
£68.  rV,  §  11).    Insbesondere  besteht  eine  Harmonie  zwischen  Leib  und  Seele. 
Psychische  imd  physische  Processe  gehen  einander  parallel,  sind  einander  ge- 
setzmäßig  zugeordnet,  ohne  psychophysische  Wechselwirkung,  ohne  Durch- 
brechung jeder  Beihe  von  Vorgangen.     Seele  und  Leib  gleichen  zwei  Uhren, 
die  so  eingerichtet  sind,  daß  ihr  Gang  für  alle  Zelten  ein  übereinstimmender 
ist  (Gterh.  IV,  498).    ,Jj'äme  suit  ses  propres  lots,  et  le  corps  aussi  les  sietmes, 
et  üs  se  rencontrent  en  vertu  de  Vharmonie  preetahlie  entre  toutes  les  substances, 
puisqu'elles  sont  toutes  les  represeniations  d^un  meme  univers^*  (MonadoL  78). 
,yLes  Qmes  agissent  selon  les  lots  de  eauses  finales  par  appetitions,  ftns  et  moyens, 
Les  eorps  agissent  selon  ks  Uns  de  eauses  effizientes  ou  des  mauvements.    Et  les 
deux  regnes  .  .  .  sont  harmoniques  mtre  eux**  (MonadoL  79).    „Ce  systhne  fait, 
que  les  corps  agissent  eomme   si  (par  impossible)  Ü  n'y  avait  point  d*ämes,  et 
que  les'  ämes  agissent  eomme  s'il  n'y  avait  point  de  eorps,  et  que  tous  deux 
agissent  eomme  si  Vun  influait  sur  Vautref*  (MonadoL  81).    „Dieu  a  cree  d^abord 
Vdme  de  teile  sorte,  que  pour  Vordinaire  ü  n*a  besoin  de  ees  changements,  et  ce 
qui  arrive  ä  Väme,  hn  natt  de  son  propre  fonds,  sans  qu'elle  se  doive  aecom- 
moder  au  eorps  dans  la  suitcj  non  plus  que  le  corps  ä  Vdme,     Chacun  suivant 
WS  loiSy  et  Vun  agissant  librement,  Vautre  sans  choix,  se  reneontre  Vun  avee 
Vordre  dans  les  mhnes  phenomhtes**  (Gerh.  II,  58).    Der  Seele  und  dem  Leibe 
hat  Qott  eine  Natur  verliehen,   „dont  les  lois  memes  portent  ees  changements, 
de  Sorte  que  sdon  moi  les  actions  des  ämes  n'augtnentent  n'y  diminuent  point 
la  quantite  de  la  foree  mouvante,  qui  est  dans  la  mati^e,  et  n'en  changent  pas 
meme  la  directum**  (Gerh.  III,   121  f.).     Endlich  besteht  auch  eine  Harmonie 
zwischen  dem  „Reiefte  der  Natur**  und  dem  ^,Reiehe  der  Onade**,  d.  h.  zwischen 
dem  Handeln  imd  dessen  Folgen.     Die  Dinge  führen  auf  natürliche  Weise 
zur  Gnade,  zum  verdienten  Zustand,   zum  Glücke,  die  Sünden,   das  Schlechte 
zur  Strafe,  so  daß  alles  aufs  schönste,  beste,  gerechteste  geordnet  ist  (MonadoL 
W,  88,  89).     Die  Gegenwart  geht  mit  der  Zukunft  schwanger,  in  jeder  Seele 
könnte  man  die  Schönheit  des  Alls  lesen  (Prrnc.  de  la  nat  13).    Mechanisches 
und  zweckvolles  Geschehen  sind  miteinander  in  Harmonie.    ,fJe  me  flutte  d'avoir 
penetre  Vharmonie  des  diff^ents  regnes  et  ^avoir  vu,  que  les  deux  partis  ont 
raison,  potir  rien  qu'ils  ne  se  ehoquent  point;  que  tout  ce  fait  mecaniquertieni 


432  Harmonie  —  Hedonismus. 

et  metaphysiquement  en  meme  temps  dans  les  phenomenes  de  la  ncUure^*  (GeA. 
III,  607).  —  Mit  Modificationen  wird  die  prästabilierte  Harmonie  geehrt  tcb 
Chr.  Wolf,  Baumoarten  (Met  §  462  ff.),  Bilfh^ger  (De  harmon.  pnesL 
p.  73  ff.)  u.  a.  Gegner  dieser  Lehre  ist  u.  a.  Rüdiger,  der  an  der  Influxoft- 
tlieorie  (s.  d.)  festhalt.  Von  einer  „constabilierten  Hamionte^^  spricht  Swedes- 
BORO.  In  seiner  vorkritischen  Periode  ninmit  Kant  eine  (aber  nicht  vorlKstmunte} 
„Harmome  der  Dinge^^  mit  wirklicher  Wechselwirkung  an  (Princ.  prim.  sct.  III)l 
Bei  verschiedenen  neueren  Philosophen  kommt  der  (bedanke  der  WdtlianDaDie 
zur  Geltung,  so  bei  Schellentg  (Syst.  d.  transc.  IdeaL  S.  65;  Vom  Ich  S.  201  f.\ 
Herbart,  Hillebrand  (nach  welchem  Denken  und  Sein  in  prästabilieita 
Harmonie  miteinander  sind  (Phüos.  d.  Geist.  I,  5),  Lotze,  J.  H.  Fichte,  der 
von  einem  allgemeinen  „Harmanismiis*^  der  Dinge  spricht  (Psychol.  II,  21)  ood 
Feghner  (Zend-Avesta  II,  152);  auch  bei  M.  Wartenbero  (ProbL  d.  Wiiti. 
1900,  S.  136).  Vgl.  Identitätsphilosophie,  Parallelismus,  Seele,  Wechsdvir- 
kimg.  Trieb. 

HftOlicli  ist  das  um  irgend  welcher  Eigenschaften  anschaulich  Mißfallende. 
Abstoßende,  das  ästhetische  Bedürfnis  Verletzende.    Vgl.    Ästhetik. 

Haiiptton  s.  G^Örsempfindimg. 

Haiiteiiiii:  Er  umfaßt  den  Tastsinn  (s.  d.)  und  Temperaturainn  (s.  d.). 

Heaiitognosle  (eavrov,  ypc5<ns):  Selbsterkenntnis  (s.  d.). 

Heaatonomie:  Selbstgesetzgebung.  Neben  der  Autonomie  (s.  du)  des 
Verstandes  und  der  Vernunft  lehrt  Kant  eine  „HecMtonomie^^  der  Urteilskraft, 
durch  welche  diese  sich  selbst  ein  Gksetz  gibt  (Üb.  Philos.  überh.  S.  160). 

Hedonlftiniis  heißt  die  Lebensanschauung,  nach  welcher  die  (körper- 
liche und  geistige)  Lust,  das  Vergnügen  (tiSovii)  Motw  und  Zweck  des  (sittlichen) 
Handelns  ist.  Die  Lust  ist  das  höchste  Gut  (s.  d.).  Für  den  Hedoniker  l^t 
die  Lust  das  Höchstgewertete,  das  an  sich  Wertvolle,  Selbstzweck,  Strebungsr 
ziel.    Der  Hedonismus  ist  eine  Form  des  Eudämonismus  (s.  d.). 

Nach  Demokrit  ist  die  Freude,  (jremütsheiterkeit  {evd'vfiir}^  svscri»)  dss 
höchste  Gut:  aQiarov  dvd'^cSTitp  rov  ßiov  Sidysiv  me  nleiara  evd'v/irj9'cvr&  nai 
dXaxicra  artrjd'evTi  (Stob.  Floril.  V,  24).  Als  Hedonlker  treten  entschieden  auf 
die  Kyrenaiker.  Nach  Aristipp  hat  die  Lust  einen  absoluten  Wert,  sie  ist 
Selbstzweck  (17  r,8ovri  BC  air^v  ai^erri  xai  ayad'dvf  Diog.  L.  II,  88),  sie  ist 
Strebungsziel  (räloe  S'  alvat  rrjv  rjBovriv  t6  dn^oai^era>g  r^jtiäs  ix  nai$atv  »*U' 
coad'ai  n^os  avTr^v,  xai  Tv^orras  avrijg  firjd'av  änt^r^rsiv  ftrjd'ev  re  avrttt  ^pevym' 
du  xTiv  ivavriav  avrf,  dXyriSova^  1.  c.  II,  88).  Die  Lust  ist  ein  unbedingtes  Gut 
(elvai,  Si  %ijv  fjdovrjv  dyad'ov  xav  dno  rcuv  a^/j^iUOTÄT«»'  yertirat,  ib.).  Zu  er- 
streben ist  die  einzelne  Lust  (1.  c.  86,  88,  90).  An  Stelle  der  Lust  bestimmt 
Hegesias  als  Strebensziel  die  Schmerzlosigkeit,  da  mehr  nicht  erreichbar  sei 
(L  c.  II,  94).  Annikeris  erkennt  neben  der  Lust  auch  Freundschaft,  Eltern-, 
Vaterlandsliebe  als  Strebensziele,  Güter  an,  um  derentwillen  man  auch  Schmorz 
hinnehmen  muß  (1.  c.  II,  97).  Theodorus  betrachtet  die  Freude  (xa^)  ab 
das  Erstrebenswerte  (L  c.  II,  98).  —  Nach  Epikür  ist  die  Lust  das  Princip  des 
glücklichen  Lebens  {'^ifo^rjr  d^rjv  xai  reXos  Xfyo/uev  eJvai  rov  fiaxa^ia/e  S^, 
Diog.  L.  X,  128),  sie  (und  die  Leidlosigkeit)  ist  das  Motiv  alles  Handelns 
{rovTov  ydp  X^^^^  anatTa  Ti^drrofteVf  orcats  firj^  dXycäftev  /cifrc  ra^ßmftsv^  ib.). 
Die  Lust  ist  das  erste  imd  das  naturgemäße  Gut  {rairfjv  yd^  dyad-ov  n^ehov 


Hedoniamufl  —  Hemmniis.  433 

acflti  avyysvixor  i'yvafjueVf  xai  ano  ravrrjs  xara^x^f*^^^  Ttaatjs  ai^Bcecas  xal  ^fwyijSt 
jrcci  iTti  ravrryv  xaiavrtofiev  tog  xavovt  rt^  nd^ei  näv  ayad'or  x^ivovres,  L  C. 
Xy  129).  Aber  nur  jene  Lust  ist  ein  Gut,  der  keine  Schmerzen  folgen,  denn  es  ist 
cUlS  Erstrebte,  ro  /«jtt'  dXyeTv  xard  acäfia  firiTe  Ta^drread'at  xard  yvxV^  G*  ^' 
X,  131).  Eine  richtige  Abmessung  (av/auBT^ijaig)  der  Lust  und  ihrer  Folgen 
zeugt  erst  von  der  Tugend,  der  y^njcts  (1.  c.  X,  132).  Ohne  Einsicht,  Gerechtig- 
Iceit,  Maßhalten  kann  man  nicht  glücklich  leben  (ib.),  und  umgekehrt  ist  mit 
<ler  Tugend  Lust  notwendig  verknüpft  (avffjre^xaatv  ai  d^araX  tqf  ^^  ^datagy 
ib.).  Die  höchste  Lust  ist  die  geistige  {ovnos  ow  xai  fiei^ovae  rjdovdg  dvai  tag 
Tijs  y^x^i^  (^  ^-  ^7  ^37)}  wiewohl  an  sich  keine  Lust  schlecht  ist  (ov9afiia  xad^ 
JavTTJv  ^Sovfj  xaxovj  1.  c.  X,  141).  —  Der  Hedonismus  wird  auch  betont  von 
Helvbtius,  Holbach,  La  Mettiue,  Volney  u.  a.,  auch  von  Neueren  wie 
J.  DUBOC  (Die  Lust  als  socialeth.  Entwicklungsprinc.  1900)  und  (in  seiner 
relativ-natürlichen  Bedeutung)  von  E.  Goldsgheid:  „2>ßr  Mensch  ist  ein  hedo- 
nistisches Wesen^^  (Eth.  d.  GesamtwilL  I,  65).  Aber  die  Ethik  darf  nicht 
hedonistisch  sein,  sondern  vermag  nur  ,,e»7i«  Verteütmg  von  Lust  und  Unlust 
ausMtbUden,  die  xu  einem  Verhalten  gemäß  obfectiver  MorcUprindpien  antreibt" 
(L  c.  S.  74).  Paülsek  bestreitet  die  hedonistische  Anlage  des  Menschen.  „D^ 
Trieb  und  das  Verlangen  der  Betätigung  ist  vor  cUler  Vorstellung  von  Lusf* 
(Syst  d.  Eth.  I*,  238).  Lust  ist  schon  der  Ausdruck  dafür,  dafi  der  Wille  er- 
leicht  hat,  was  er  will  (1.  c.  S.  241  f.;  ähnlich  schon  Schopenhauer,  E.  v. 
Habtmann,  Nietzsche).    Vgl.  Glückseligkeit,  Tugend. 

Hei^ellanteinas:  1)  die  Philosophie  Hegels  (=  eine  Art  des  Panlogis- 
mus,  s.  d.),  2)  die  Schule  Hegels.  Sie  zerfällt  in  eine  rechte  (theistische) 
Seite:  Gabler,  Göschel,  Hinrichs  u.  a.,  und  eine  linke  Seite:  Rüge,  Bruno 
Bauer,  Feuerbach,  Strauss  u.  a.  Vermittelnd:  Conradi,  K.  Boben- 
KRANz,  J.  E.  Erdmann,  Schaller,  Vatke,  C.  L.  Michelet,  Schasler. 
Von  Hegel  beeinflußt:  Daub,  Marheineke,  K.  Fischer,  G.  Biederbiann, 
K.  KÖSTLIN,  Chr.  Planck,  Ad.  Lasson,  K.  Marx,  F.  Lassalle,  femer  aus- 
ländische Philosophen (Neohegelianismus  besonders  in  Amerika  und  England). 

Hei^monllKon  (tjysfiovixov) :  das  Herrschende,  Leitende.  So  heißt 
bei  den  Stoikern  sowohl  die  Weltseele  als  auch  insbesondere  der  oberste 
Seelenteil,  der  die  verschiedenen  psychischen  Functionen  einheitlich  reguliert 
imd  zugleich  die  Denk-  und  Willenskraft  ist  (Diog,  L.  VII  110,  157  ff.;  Sext. 
Empir.  adv.  Math.  EK,  102).  Der  Sitz  des  f)y8fiovix6v  ist  im  Herzen.  —  Von 
der  „Fonction  hegemoniqtde"  des  Intellects  spricht  Renouveer  (Nouv.  Monadol. 
p.  138).    Vgl.  Seele,  Willensfreiheit. 

Hetmamiene  {eifia^furrf}:  Schicksal  (s.  d.). 

Helmliafltlffkelt  heißt  nach  B.  Avenariüs  der  „Charakter'^  (s.  d.)  der 
Bekanntheit,  Vertrautheit,  Gewißheit,  der  von  der  „Schwankungsgeubtheii"  des 
Systems  C  (s.  d.)  abhängig  ist.  Arten  der  „Heimh^iftigkeit"  sind  das  „Existenz 
iial'*,  das  .^Sotal"  und  das  „Sehural''  (Kr.  d.  r.  Erf.  II,  483  ff.). 

Helligkeit  s.  Lichtempfindung. 

Hellselien  (clairvoyance)  s.  Somnambulismus. 

Helnüioltssclie  IIypoUie»e  s.  Lichtempfindung. 

Hemmiiiiss  Aufhebung  oder  Erschwerung  einer  Tätigkeit  durch  eine  Wider- 

Phllotophitob«!  Wörterbuch.    2.  Anfl.  28 


434  Henmitixig. 


etandskraft:  a.  physikalisch,  b.  physiologisch,  durch  Hemmungsnerven,  dnrcli 
Großhimerregungen,  c.  psychologisch,  durch  Gefühle,  Affecte,  Strebungen,  Über- 
legung, kurz  durch  die  Willenstätigkeit  des  Ich,  insbesondere  durch  den  be 
sonnenen  Willen  (die  active  Apperception,  s.  d.)i  welcher  den  Zudning  Ton 
Vorstellungen,  den  Associationsverlauf  u.  s.  w.  zu  hemmen,  aufzuhalten  vermag. 
Die  Wirkung  der  Hemmung  besteht  in  einer  Verdunkelung  des  Gehemmten 
im  Bewußtsein.  Fixierung  imd  Hemmung  von  psychischen  Inhalten  sind  Coire- 
late,  beide  ergeben  sich  aus  einem  Acte. 

Den  B^nff  der  psychischen  Hemmung  kennt  bereits  Aristoteles  (De 
sens.  7;  Eth.  X  4,  1174b  17  squ.).  Auch  bei  Leibniz  (Erdm.  p.  740b)  and 
KjkiJT  (WW.  I,  142)  ist  er  angedeutet.  Chb.  Wolf  betont:  jjsensatto  fortm 
obscurtU  debiliorem^*  (PsychoL  empir.  §  76). 

Herbart  nimmt  an,  daß  gleichzeitig  auftretende,  partiell  oder  total  ent- 
gegengesetzte Vorstellungen  einander  ,yßiemmen",  d.  h.  ihre  Intensität  verringenir 
sich  gegenseitig  verdunkeln,  aus  dem  Bewußtsein  verdrangen  (PsychoL  a.  Wiss. 
I,  §  36  ff.).  „Vorstellungen  tcerden  Kräfte,  indefn  sie  einander  widerstehen. 
Dieses  geschieht,  wenn  ihrer  mehrere  entgegengesetzte  xusanimefitreffitn^*  (Lehrb. 
zur  PsychoL',  S.  15).  Dabei  verwandelt  sich  das  wirkliche  Vorstellen  in  ein 
Streben,  vorzustellen  (1.  c.  8.  16).  Die  Vorstellungen  hemmen  einander;  die 
„Beste  flach  der  Hemmung^^  sind  die  Teile  einer  Vorstellung,  die  unverdunkdt 
bleiben  (ib.).  Die  „Statik  und  Mechanik  des  Geistes"  beschäftigt  sieh  mit  der 
Berechnung  des  „GleiehgewicJUs"  und  der  „Beivegung"  der  Vorstellungen. 
„  Vorstellungen  sind  im  Oleichgewichte,  wenn  den  notwendigen  Hemmungen  unter 
ihnen  gerade  Genüge  geschehen  ist.  Nur  allmählich  kommen  sie  dahin;  die  fort- 
gehende Veränderung  ihres  Grades  von  Verdunkelung  nenne  man  ihre  Bacegungr'^ 
(L  c.  S.  17).  Wichtig  ist  die  Bestimmung  der  „Eemmungssumme^^  und  de* 
„Hemmurigsverhältnisses",  Erstere  ist  „gleichsam  die  xu  verteilende  Last,  welehe 
aus  den  Gegensätxen  der  Vorstellmigen  entsprifigt"  (1.  c.  S.  17),  sie  ist  ,/ias 
Quantum  des  Vorstellene,  welches  von  den  einander  entgegenwirkenden  Vor- 
stellungen xusammengefwmmen  muß  gehanrnt  werden"  (Psych,  a.  Wiss.  I,  §  42). 
Hemmungs Verhältnis  ist  f, dasjenige  Verhältnis,  in  welchem  sich  die  Hemnwngs- 
summe  auf  die  verschiedenen,  icidereinander  icirkenden  Vorstellungen  verteilt* 
(1.  c.  §  43).  Durch  eine  Proportionsrechnimg  findet  man  den  „statiechen  Punit^ 
einer  jeden  Vorstellung,  d.  h.  den  „Grad  ihrer  Verdunkelung  im  Gleieh^etcichtr^ 
(Lehrb.  z.  PsychoL*,  S.  17).  „Die  Summe  sowohl  als  das  Verhältnis  der  Hem- 
mung hängt  ab  von  der  Stärke  jeder  einzelnen  Vorstellung,  —  sie  leidet 
die  Henmtung  im  umgekehrten  Verhältnis  ihrer  Stärke,  und  von  dem>  Grade 
des  Gegensatzes  unter  je  zweien  Vorstellungen,  denn  mit  ihm  steht  ihre 
Wirkung  aufeinander  im  geradefi  Verhältnis"  (ib.).  Die  Hemmungssumme  muß 
als  möglichst  klein  betrachtet  werden,  „weil  alle  Vorstellungen  der  Hemmtmg 
entgegenstreben,  und  gewiß  nicht  mehr  als  nötig  davon  übernehmen"  (ib.).  Unter 
den  Bewegungsgesetzen  der  Vorstellungen  ist  das  einfachste  folgendes :  „  IVähreiHl 
die  Hemmungssumme  sinkt,  ist  detn  noch  ungehemmten  Qtuintum  derselben  in 
jedem  Augenblick  das  Sinkende  proportional"  (1.  c.  S.  19  ff.;  Psych,  a.  Wiss. 
§  43,  §  75;  vgl  Hauptpunkte  der  Metaphys.  §  13).  Der  metaphysische  Grund, 
weswegen  entgegengesetzte  Vorstellimgen  einander  widerstehen,  ist  die  Einheit 
der  Seele,  deren  Selbsterhaltimgen  sie  sind.  „Aüe  Vorstellungen,  würden  nur 
einen  Act  der  einen  Seele  ausmachen,  wenn  sie  sich  nicht  ihrer  Gegensätze  wegen 
hemmten,  und  sie  machen  wirklich  nur  einen  Act  aus,   inwiefern  sie 


Hemmung  —  HenadexL  435 


nickt  durch  irgendwelche  Hemmungen  in  ein  Vieles  gespalten  sind*' 
^Lehrb.  z.  Psychol.«  S.  21).     Nach  Volkmann  ist  Hemmung  „die  ganxe  oder 
ieihceise  Äußer- Wirksamkeit- Setzung  des  Vorstellens  einer  Vorstellung" ,  ,,die  Auf- 
hebttng  oder  Verminderung  des  Bewußtwerdens  einer  Vorstellung".   Die  Hemmmig 
trifft  eigentüch  nicht  die  Vorstellung,  sondern  das  Vorstellen,  sie  bedeutet  ,Jceine 
Verfiiehtung,  sondern  nur  ein  Latentwerden  des  VorsteUens,  ein  Unbewußtwerden 
der  Vorstellung"  (Lehrb.  d.  Psychol.  I*,  341).    Hemmung  ist  „Herahsetxung  der 
Klarheit'^  (1.  c.  S.  342).     „Oleiehxeitige  entgegengesetzte   Vorstellungen  hemmen 
einander  und  verschmelzen  sodann,  d.  h.  sie  setzen  so  viel  ihres  Vorstellens  außer 
Wirksamkeit j  als  der  Vereinigung  widerstrebt,  und  vereinigen  den  Rest  in  einetn 
Gesamttiet*^  (1.  c.  S.  437).   „Die  Hemmungssumme  ist  als  ein  Druck  zu  betrachten, 
der  auf  den  zu  hem^nenden  Vorstellungen  gemeinsam  ruht.    Diesem  Drucke  jedoch 
setzt  jede  der  Vorstellungen  einen  andern  Widerstand  entgegen,  und  der  Druck 
selbst  fällt  auf  jede  der  Vorstellungen  in  anderer  Intensität"  (1.  c.  S.  349;   vgl. 
Drobisch,  Mathem.  Psychol.  §  37  ff.).    G.  A.  Lindneb  erklärt:  ,/<?  schwächer 
eine  Vorstellung  ist,  desto  größer  ist  der  Anteil,  den  sie  von  der  Hemmung s- 
sumtne  auf  sich  nelimen  muß.    Wird  dieser  Anteil  größer  als  ihre  ursprün^iehe 
Stärke,  so  wird  die  Größe  ihres  unrklichen  Vorstellens  unter  Null  herabgesetzt,  d.  h, 
die    Vorstellung  sinkt  unter  die  Schwelle  des  Bewußtseins  .  .  .  Die 
Erfahrung  lehrt,  daß  die  Vorstellungen,   von  der  Hemmung  getroffen,   beständig 
unter  die  Schwelle  des  Bewußtseitis  sinken,   um  andern  Vorstellungen  Platz  zu 
meKhen"  (Lehrb.  d.  empir.  Psychol.*,   S.  68  ff.).   —  Nach  Fortlage  ist  die 
Hemmung  ein  Nebenerfolg  der  Verschmelzimg  des  Ungleichartigen  zweier  Vor- 
stellungen (Syst.  d.  Psychol.  I,  176).    Nach  J.  H.  Fichte  smd  nicht  die  Vor- 
stellungen hemmende  Kräfte,   das  Hemmende  ist  allem  der  Geist  als  Ganzes 
(Psychol.  II,  172  f.).    Die  Hemmungstheorie  Herbarts  mit  ihrer  Mathematik  ist 
auch  von  den  meisten  neueren  Psychologen   als  willkürliche  Construction  er- 
kannt worden.     Gegen  die  Theorie  u.  a.  Wundt  (Grdz.  d.  phys.  Psych.  II*, 
3d2  f.).    Nach  ihm  geht  die  psychische  (Klarheits-)Hemmung  nicht  von  den 
Vorstellungen,  sondern  von  der  Apperception  (s.  d.).  aus  (ib.),  welche,  indem  sie 
bestimmte  Inhalte  fixiert,  klar  macht,  andere  zum  Sinken  unter  die  Klarheits- 
schwelle bringt.    G.  Heymans  versteht  unter  psychischer  Hemmung  „die  all- 
gemeine Tatsache,  daß  ein  Bewußtseinsinhalt  durch  das  gleichzeitige 
Gegebensein  eines  andern  Bewußtseinsinhaltes  einen  Intensitäts- 
verlust erleidet,  also  entweder  geschwächt  oder  vollständig  aus  dem  Beicußt- 
sdn  verdrängt  wird"  (Unters,  üb.  psych.  Hemm.,  Zeitschr.  f.  Psychol.  21.  Bd., 
S.  321  ff.).    In  seiner  „Actionstheorie^^  (s.  d.)  berücksichtigt  Münstekberg  die 
hemmende  Wirkung  motorischer  Gehirnfunctionen  (Grdz.  d.  Psychol.  I,  527  ff.). 
Vgl.  Complication,  Reproduction,  Verschmelzung,  Bewußtsein  (Noire). 

Heiliili1lii||^Bcentreil9  Setschenowsche:  Partien  des  Gehirnes  (der 
Vierhügel,  des  verlängerten  Markes),  von  welchen  eine  Hemmung  von  Keflexen 
ausgeht. 

Hemnmiiij^saiiiiiie,  HenuiiiingsTerliEltiils  s.  Hemmung. 

Henaden  (evtiSes):  Einheiten,  zu  selbständigen  Wesen  hypostasiert,  so 

bei  Plato  (s.  Ideen),   Pkoklus,   der  so  die  aus  der  Ureinheit  emanierenden 

geistigen  Kräfte  nennt.     Den   Neupytha goreern  gilt  die  ivag  als  Princip 

der  Dinge.    VgL  Einheit. 

28* 


436  Henadologie  —  Heterogonie. 

HenadolOfj^e:  Lehre  von  den  Einheiten,  sc.  Willenseinheiten  (BAmfSESl 
Vgl.  Monadologie. 

Henotlieisiiftlis  {ehi  &e6s):  die  Verehrung  einer  Stammesgotäneit 
Nationalgottheit,  die  als  einzige  Gottheit  gilt;  Vorstufe  des  universeDen  M«»- 
theismus.  Name  und  Begriff  des  Henotheismus  bei  Max  Müller  (Voiies.  ot 
d.  ürspr.  u.  d.  Entwickl.  d.  Relig.  S.  158  f.,  291  f.). 

Heraklitlsmas:  der  (von  Ueraelit  zuerst  eingenommene)  ßtandponH 
von  dem  aus  alles  Sein  verflüssigt,  in  ein  ewiges  Werden,  in  beständige 
Entwicklimg  au^elöst  wird,  sowohl  das  Natursein  als  auch  das  psvcfaiäcbp 
Geschehen  (J.  G.  Fichte,  Hegel,  Wündt,  Nietzsche,  Huxley  u.  a.).  Vgi 
Actualitätstheorie,  Werden. 

Hermeneatlk  {d^^rjreien')  oder  Exegetik:  Auslegekunst,  Kunst  der 
wissenschaftlichen  Interpretation. 

HeroenTerehrim^:  eine  Stufe  der  Keligionsentwicklung,  die  Heroesi 
sind  teils  vermenschlichte  Gottheiten,  teils  vergöttlichte  Menschen  und  Ideak 
{vgl.  Euhemerismus).    Vgl.  Individuum  (Carlyle). 

Herx  (im  übertragenen  Sinne):  Gemüt  (s.  d.),  Mut.  Suaredissen:  J^ 
SeelCj  tciefem  sie  die  Gefühle  und  die  Neigungen  als  unfreiwillige  Zuständ/R  w 
sieh  trägt,  mrd  das  Herx  genannt;  auch  toohl  daru^Uf  iceil  sich  in  dem  fcÄ- 
Heften  Herzen  .  .  .  die  meistert  Gefühle  durch  Wallungen,  Beklenimungm.  Sr- 
leichierungen  im  leiblichen  GeineingefUMe  vernehmlich  machen.  In  einem  engtrw 
iSinn  des  Wortes  mrd  der  natürliche  Mut,  die  Zuoersiciä  nämlich,  die  aus  eine» 
starken  Lebensgefühle  quillet,  Herx  genannt^  (Grdz.  d.  Lehre  von  d.  MenscL 
S.  229).  —  Nach  Galen  ist  das  Herz  der  Sitz  der  Affecte  (Siereck,  G.  d. 
Psych.  I  2,  269  ff.).  Auf  Bewegungen  des  Herzens  führt  in  letzter  Linie  di^ 
Gefühle  Horhes  zurück  (Hum.  Nat.  eh.  VII,  1,  2). 

Heterc^en  {irs^os,  ysvos) :  einer  andern  Gattung  angehörig,  ungleichartig, 
grund wesentlich  verschieden.    Gegensatz:  homogSn,  gleichartig. 

Heterogenetlsclis  fremden  Ursprungs;  autogenetisch  s.  Wille. 

Aeterof^onle  (^e^oe,  yiyi'ouai):  Erzeugung  aus  anderem.  Hetero- 
gonie der  Zw^ ecke  nennt  Wündt  die  Entstehung  von  Zwecken  (ZweckmotiTcn' 
aus  Neben-  und  Folgewirkungen  von  Handlungen,  ohne  daß  von  Anfang  aa 
der  betreffende  Zweck  schon  gewollt  war.  Die  Summation  von  Zwecken  und 
Zweckmäßigkeiten  im  geistigen ,  ja  schon  im  organischen  Leben  wird  so  be- 
greiflich. Das  „Gesetz  der  Heterog<mie  der  2!9cecke"  bezeichnet  die  allgemeine 
Erfahrung,  daß  „in  dem  gesamten  Umfang  freier  tnenschlielier  Willenshandlw^ 
die  Betätigungen  des  Wittens  immer  in  der  Weise  erfolgen,  daß  die  EffecU  der 
Handlungen  mehr  oder  weniger  weit  über  die  ursprünglichen  WiÜenstnt^ 
hinausreiehen,  und  daß  hierdurch  für  künftige  Handlungen  neue  Motive  ^' 
stehen,  die  ahermals  fieiie  Effecte  hervorbringen^^  (Eth.*,  S.  266).  „Der  Zusammen- 
hang einer  Zweckreihe  besteht  demnach  nicht  darin,  dnß  der  xuletxf  errtif^ 
Zweck  schon  in  den  ursprüngliclien  Motiven  der  Handlungen,  die  schließlick  ut 
ihm  geführt  Jutben,  als  Vorstellung  entkalten  sein  muß,  ja  nicht  eiwtud  dariny 
daß  die  zuerst  vorhandenen  Motive  die  zuletzt  unrksamen  selbständig  herw- 
bringen,  sondern  er  urird  wesentlich  dadurcfi  vermittelt,  daß  der  Effed  jf^ 
Wahlha/ndlung  infolge  nie  fehleruier  Nebeneinflüsse  mit  der  im  Motiv  gelegen» 


Heterogonia  —  HeterosetesiB.  437 

^weckvorstellung  im  aügetneinen  steh  nicht  deckt.     Gerade  solche  außerhalb  des 
ttrsprüngliehen  Motivs  gelegenen  Bestandteile   des  Effects  können  aber  xu  neuen 
Motiven  oder  Motivelementen  tcerden,  aus  denen  neue  Zwecke  oder  Veränderungen 
des  ursprünglichen  Zweckes  entspringen^^  (ib.).    j,Das  Oesetx  der  Heterogonie  der 
Ziceche  ist  es,  welches  hauptsächlich  Über  den  wachsenden  Reichtum  sittlicher 
Lebensanschauungen  Rechenschaft  gibt,   in  deren  Erzeugung  sieh  die  sittliche 
.Enttdcklung  betätigt*^  (ib.).     Das  Gesetz  der  Heterogonie  der  Zwecke  ist  ein 
Elntwicklungsprincip,  das  in  Verbindung  mit  dem  ^^Qesetx,  der  Relaiionen^'  (s.  d.) 
steht.     Es  stellt  sich  „das   Verhältnis   der   Wirkungen  xu  den  vorgestellten 
Zwecken  so  dar,  daß  in  den  ersteren  stets  noch  Nebeneffecte  gegeben  sind,  die  in 
den  vorausgehenden  Zweckvorstellungen  nicht  mitgedacht  waren,  die  aber  gleich- 
wohl in  neue  Motivreihen  eingeheti  und  auf  diese  Weise  entweder  die  bisherigen 
2k€eeke  utnändem  oder  neue  xu  ihnen  hinzufügen"  (Gr.  d.  Psycho!.',  S.  400). 
I>er  schöpferische  Charakter  der  psychischen  Synthese  (s.  d.)  bewirkt,  „daß  die 
Effecte  bestimmter  psychischer  Ursachen  stets   über  den  U?nkreis  der  in  den 
Motiven  vorausgenommenen  Zwecke  hinausreicheny  und  daß  aus  den  gewonnenen 
Effecten  neue  Motive  entstehen,  die  eine  abermalige  schöpferische   Wirksamkeit 
entfalten  können''  (Log.  II*  2,  281 ;  Syst  d.  Phüos.«,  S.  329). 

Schon  ScHELLiNO  sagt  von  den  menschlichen  Taten,  daß  ihre  „eigent- 
liche Wichtigkeit,  d.  h,  daß  ihre  wahren  Wirkungen  meist  andere  sind,  ais 
die  beabsichtigt  worden''  (W\V.  1 10,  S.  73).  F.  Engels  bemerkt:  „Die  Ztcecke  der 
Handlungen  sind  gewollt,  aber  die  Resultate,  die  unrklich  aus  den  Hafuüungen 
folgen,  sifid  nicht  gewollt,  oder,  soweit  sie  dem  getvählten  Zweck  zunächst  doch  zu 
entsprechen  seheinen,  haben  sie  doch  schließlich  ganz,  andere  als  die  gewollten 
Folgen"  (L.  Feuerbach  u.  d.  Ausg.  d.  class.  Philoß.  1888,  S.  57  f.).  Nach 
Nietzsche  wird  ein  irgendwie  Entstandenes  „imtner  wieder  von  einer  ihm  über- 
legenen Macht  auf  neue  Absichten  ausgelegt,  neu  in  Bescfdag  genommen,  zu  einem 
neuen  Nutzen  umgebildet  und  umgerichtet"  (AVW.  VII  2,  S.  369).  M.  BuKCK- 
HARD  betont:  „Das  ist  der  Gang  der  ganzefi  etäwicklungsgesehiclUlichen  Betcegung, 
daß  das  eine  Bedürfnis,  indem  es  der  Befriedigung  dienetule  Anlagen  schafft, 
xugleieh  tcieder  neue  Bedürfnisse  hervorruft,  welche  weit  über  die  ursprünglichen 
Bedürfnisse  hinausgelien,  ja,  welche  schließlich  in  ganz  anderen  Richtungen  sich 
bewegen,  welche  selbst  wieder  neue  Anlagen  entstehen  lassen,  die  wieder  zu  neuen 
Bedürfnissen  führen"  (Ästhet,  u.  Socialwiss.  S.  71).  Flügel  spricht  von  „Selb- 
ständigwerden  der  Mittel"  diurch  Gewohnheit  (Ideal,  u.  Material.  S.  182  ff.), 
HöFFDiNQ  vom  Gesetz  der  „Motivverschiebimg"  (Eth.  S.  262;  Psychol.  VI  B). 

Heteroliypnoae  s.  Hypnose. 

Heteronomle  s.  Autonomie. 

IIet/n*opatlllk  i^Ts^og,  nad-oe)  nennt  Kbelbig  die  „Lehre  von  der  Wer- 
tung aller  gegebenen  Inhalte  nach  den  polaren  Gegensätxen  ,gut  im  Sinne  von 
lustauslösend,  bezogen  auf  ein  fremdes  Subject'  wui  schlecht  im  Sinne  von  unlust- 
auslösend,  bezogen  auf  ein  fremdes  Subject'"  (Werttheor.  S.  107).  Die  Ethik 
ist  ein  Teil  der  Heteropathik,  nämlich  „die  Lehre  von  der  Bewertufig  mensch- 
licher Gesinnungen  nach  den  Gegetisätzen  gtU  und  böse"  (1.  c.  S.  107).   Vgl.  Wert. 

Heterote  {(ksQog)  nennt  R.  Avenamüs  den  von  der  „positiven  Schwan- 
kungsexercition"  abhangigen  „Charakter"  der  „Verschiedenheit"  (s.  d.)  (Kr.  d.  r. 
Erf.  II,  28). 

HeierOBeteeis  (ire^osy  Zii^rjcig) :  Fangfrage,  Frage  mit  der  Möglichkeit 


438  Heterosetesis  —  Holomerianer. 

verschiedener  Antworten;    Beweisfehler    durch  Abschweifen    auf   ein  ander» 
Gebiet. 

HeiiristAk  (sv^iaxto,  finde,  heuristica):  Erfindungskunst,  Kunst  der  Ent- 
deckung von  Wahrheiten  durch  Methodik  des  Denkens  und  Erkennens.  V^ 
Ars,  Topik. 

Heartetlscliefl  Princip:  Princip,  Grundsatz,  Begriff  zur  Auffindung 
(ev^iaxetv)  von  Wahrheiten.  Hypothesen  (s.  d.)  z.  B.  haben  heuristischen  Wert 
Heuristisches  Verfahren:  Darstellung  einer  Wissenschaft  im  Fortschritte 
ihrer  Forschungen  und  Entdeckungen. 

Hexts  (iSis  von  ^a>):  Haben,  dauernder  Zustand.    VgL  Habitus. 

Hie  et  nuiic  (hier  und  jetzt):  die  räumlich-zeitliche  Bestimmtheit  des 
Einzelnen,  der  Individualitat  des  Dinges  (Scholastiker;  vgL  Prantl,  G.  d. 
L.  III,  115,  262). 

HUfe  s.  Hülfe. 

Hlstorliisoplile:  Geschichtsphilosophie  (s.  d.)  Vgl.  Cdsszowskt,  Pn>- 
legomen.  zur  Historiosophie  1838. 

Illstorlsiiilis  heißt  die  Betrachtung  der  Natur-  und  Geisteswelt,  inbegriffeD 
des  Sittlichen,  vom  Gesichtspunkte  des  Geschehnisses,  der  (geschichtlichen)  Ent- 
wicklung, des  (historischen)  Processes  (Hegel  u.  a.). 

HSelisteB  Gut  s.  Gut. 

Hodei^tlk  {oSoQf  riyovuai):  Einführung. 

Hof,  ps jeldselfter  ftthalo")  heißt  nach  W.  James  das  Feld  der  psv- 
chischen  Inhalte,  das  den  von  der  Aufmerksamkeit  erfaßten  Eindruck  umgibt 
(Princ.  of  Psychol.). 

Hoffiilllii^  ist  der  Affect,  der  mit  der  als  zulassig  erscheinenden  Er- 
wartung eines  lustbetonten  Bewußtseinsinhaltes  verknüpft  ist  —  Nach  Hobbeb 
ist  die  Hoffnung  ein  „appetüus^f  verbimden  „cum  opiniane  obtinendi^^  (Lev.  I,  6). 
Nach  Descartes  ist  „apes^^  eine  „dispoHtio  animae  ad  sibt  perauadeftdum  id 
eventurum  quod  cupit,  quae  prodaeüur  motu  apeciali  spirituum,  conflato  er  moi» 
laetitiae  et  desiderii  inter  se  permixtis"  (Pass.  an.  III,  165).  Spinoza  definiert: 
„Spes  est  ineonstans  laetitia  orta  ex  idea  rei  futurae  vel  prfieieritae,  de  cuius 
eventu  aliquatentis  dubitamt^^^  (Eth.  III,  äff.  def.  XII).  Nach  Chk.  WoiiF  ißt 
Hoffnung  „voluptas  ex  hono  obtinendi  pereepta"  (Psychol.  empir.  §  796).  Platnbb: 
yyHoffnung  ist  Vergnügefi  in  der  vorhersehenden  Erwartung  eines  GtUes'^  (Philos. 
Aphor.  II,  §  882).  Suabedissen  definiert:  „Hoffnung  ,,  .ist  der  Oemütsxustand, 
toelcher  aus  der  Vorstellung  entsteht,  daß  die  Zukunft  .  .  .  gut  sein,  also  so  be- 
schaffen sein  werde,  daß  sie  uns,  wenn  sie  Gegenwart  wäre,  Freude  maeheit 
würde.  Insofern  ist  die  Hoffnung  eine  Vorfreude^^  (Grdz.  d.  Lehre  von  A 
Mensch.  S.  275).  Volkmann  erklärt:  ,,Enoartung  künftiger  Lust  ist  Hoffnm^ 
(Lehrb.  d.  PsychoL  II*,  336).  —  Mit  der  Furcht  zusammen  gilt  die  Hoffnung 
als  subjective  Ursprungsquelle  der  Eeligion  (vgl.  Sabatier,  Beligionsphilofl. 
S.  9). 

Holomerianer  {olos,  fii^a)  heißen  die  Vertreter  der  Ansicht,  nach 
welcher  die  (immaterielle)  Seele  ganz  in  allen  Teilen  des  Leibes,  des  Baumes 
ihren  Sitz  hat.  —  Descabtes  meint:  „Oportet  scire,  animam  esse  re  rera  iunetam 


Holomezianer  —  Humanität.  439 


toti  corporis  nee  posse  proprie  dici  eam  esse  in  quadam  parte  eitts^  exclusive  ad 
alias^^  (Pass.  an.  I,  30).  Gleichwohl  ist  nach  Descartes  die  directe  Wirkungs- 
stätte der  Seele  in  der  Zirbeldrüse  zu  suchen  (s.  Seelensitz).  —  Den  absoluten 
Gegensatz  zu  den  Holomerianem  bilden  die  Null i bristen,  welche  betonen, 
die  Seele  habe  keinen  Sitz  im  Baume,  sei  absolut  raumlos,  nehme  keinen  Ort 
ein.    Der  Ausdruck  bei  H.  Mobe  (Enchir.  met.  27,  1).    VgL  Seelensitz. 

Homöomerleii  (oftoioue^rj,  ofio^ofu^eiai,  homoeomeria)  heißen  die  qua- 
litativen Elemente  {aTtiQfiaxa  ndvxiov  jf^iy^aTow)  der  Körper,  die  von  Anaxa- 
<}ORAS  angenommen  werden  (über  den  Terminus  vgl.  Aristot,  Met.  I,  3,  984  a 
14;  De  gener.  II,  7;  De  coel.  III,  3;  Diog.  L.  II,  8;  Lucret.,  De  rer.  nat.  I, 
830;  I,  384  ff.;  Sext.  Empir.  adv.  Math.  X,  25).  Es  gibt  unendlich  viele  Ele- 
mente. Die  gleichartigen  Teilchen  sondern  sich  (durch  die  Einwirkung  des 
^Geistes" ^  s.  d.)  aus  der  UnniBchung  und  vereinigen  sich  (vermischt  mit  anderen 
Elementen)  zu  den  Dingen,  welche  homogener  Natur  sind  (Fleisch,  Blut, 
Knochen,  Gk>ld  U.  s.  W.).  ^A^x^^  ^^  '^^^  ottotOfAß^eiag'  xa&aTtso  yd^  ix  reSv  wrjyfid' 
vafv  Xeyo/uva>r  rov  x^^ov  aweardvai,  avnos  ix  rtuv  ofioiofu^mv  /ux^tav  üotfidro^v 
t6  ndv  avyxex^iad'ai  (Diog.  L.  II,  8).  '  O  fiav  yd^  rd  OfiOiOfieQrj  ocafiara  zl&ijffiv^ 
4*lov  ocTOvv  xni  trd^xa  xai  fivaXov^  xai  rdhf  aXXcov  Sv  exdartp  avvcavvfAOV  ro 
^igos  iariv  (Arist.,  De  gen.  et  corr.  I  1,  314a  19;  vgl.  Stob.  Ecl.  I  10,  296 f.; 
Plut.,  Perikl.  C.  4). 

Homoi^eii:  gleichartig,  von  einer  (Gattung. 

Homologie  (ofioloyid):  Übereinstimmung  (z.  B.  der  Organe;  Homologie 
des  Handelns  mit  der  Natur  bei  den  Stoikern:  s.  Tugend).  „Hotnologie^*  im 
stoischen  Sinne  bei  CiCEEO  als  „carwenientia**  (De  fin.  III,  621),  bei  Senbca 
als  „aequalitas  ac  ienor  vitae  per  omnta  eonsonans  sibi^^  (Ep.  ^31). 

Homo-meiisiira-Satfls :  der  Satz  des  Pbotagoras,  der  Mensch  sei 
das  Maß  aller  Dinge.    VgL  Belativismus,  Erkennen. 

HonoTer  s.  Logos. 

HUmerDrafi^  s.  Comutus. 

Moropter  ist,  nach  Wündt,  der  „Inbegriff  derjenigen  Raumpunkte,  deren 
Bild  in  beiden  Augen  auf  correspondierende  Stellen  fUUt*^  (Grdz,  d.  physiol. 
PsychoL  II',  164  f.).  Nach  Hellpach  ist  er  der  „Ifibegriff  aller  der  Punkte, 
die  unr  gewohnheitsmäßig  einfach  auffassen"  (Grenzwiss.  S.  151). 

Htttfes  ein  von  Herbabt  gebrauchter  Ausdruck  für  die  Unterstützung 
«iner  Vorstellung  durch  andere  gegenüber  der  „Hemmung"  (s.  d.)  (PsychoL  a. 
Wiss.  I,  §  42  ff.).  Volkmann  erklart:  „Teilvorstellungen  derselben  Gesamt- 
tar^teüung  sind  einander  Hülfen,  d,  h,  unterstiüxen  einander  im  Tragen  der 
Hemmung"  (Lehrb.  d.  PsychoL  I*,  362;  vgl.  G.  A.  Lindneb,  Lehrb.  d.  empir. 
PsychoL»,  S.  68).    Vgl.  Beproduction. 

HnmanitEt  (humanitas):  Menschlichkeit,  menschliche  Wesenheit,  be- 
stehend in  Bildimg,  Sittlichkeit,  Cultur;  Menschheitsganzes,  Menschheitseinheit. 
Die  Idee  der  Humanität,  d.  h.  der  höchsten  Entfaltung  menschlicher  Cultur 
^d  Gesittung  als  Endziel  des  Handelns,  als  Sittlichkeitsinhalt  und  als  (idealer) 
Zielpunkt  der  Geschichte  wird  (in  verschiedener  Weise)  betont  von  den 
Stoikern,  vom  Christentum,  von  den  Humanisten,  von  Winckelmann, 
l'EssiNG,  GrOETHE,  Kant,  Fichte,  Schilleb,  W.  V.  HuMBOLDT  u.  a.,  besonders 


440  Hmnaxiitat  —  Hylosoiaxnus. 

von  Hebdeb  (Ideen  z.  e.  Ph.  d.  Gesch.  d.  Menschh. ;  Briefe  zur  Beförder.  d.  HuiiiaiL)^ 
in  der  modernen  Ethik  besondere  von  Wukdt  (Eth.*,  S.  227  ff,,  493  ff.).  Die  Idee 
der  Humanität  wird  eret  instinctiv  geübt,  um  später  im  Oesamtbewußtsein  der 
Menschheit  klar  erfaßt  zu  werden  (1.  c.  S.  684).  Die  Idee  der  Menschheit  ist 
eine  aUmählich  entstandene,  immer  noch  werdende  (1.  c.  6.  679).  VgL  Sitt- 
lichkeit. 

Mamor  s.  Komisch. 

Hybride  Bei^lTe:  leere,  imfruchtbare  Begriffe,  Scheinbegriffe. 

Hyle  (vXfj):  Stoff,  Materie  (s.  d.). 

Hyleale:  das  materielle  Princip  der  Geister  (Liber  de  causis). 

Hytoi^^ne  Momeiite  (vli])  nennt  Helmholtz  diejenigen  Ursachen  im 
Gebiete  des  Bealen,  welche  bewirken,  daß  wir  zu  verechiedener  Zeit  am  gleichen 
Orte  verschieden  große  Dinge  von  verechiedenen  Eigenschaften  wahrnehmen 
(Vortr.  u.  Red.  II,  403).    Vgl.  Topogen. 

HylosoUnniiB  {vXrjj  Stoff,  ^wt]  Leben) :  Theorie  der  Stoffbeseelung ;  An- 
sicht, nach  welcher  die  Materie  als  solche  schon  ursprünglich  belebt,  beseelt 
ist;  Empfindung,  Trieb,  ev.  auch  das  Bewußtsein  gelten  als  Eigenschaften  der 
Materie  (der  Atome,  s.  d.).  Der  Ausdruck  y,Hylox(Hsmus^^  schon  bei  R.  Cri>- 
WORTH.  Femer  bei  Kant:  „Der  Becdisnms  der  Zweckmäßigkeit  der  Natur  ist 
auch  entweder  physisch  oder  hyperphysisch.  Der  erste  gründet  die  Ztceeke  f« 
der  Natur  auf  dem  Anahgan  eines  n<ich  Absicht  hatidelnden  Vermögens^  dem 
Leben  der  Materie  (in  ihr,  oder  aitch  durch  ein  belebendem  inneres  Principe 
eine  Weltseele) ^  und  heißt  der  Hyloxoismus"  (Kr.  d.  Urt  II,  §  72).  Der 
Hylozoismus  ist  nach  Kant  der  yy  Tod  aller  Naturphilosophie^^. 

Hylozoisten  sind:  Thales,  nach  welchem  der  Magnet  beseelt  ist,  weil  er 
das  Eisen  anzieht  (Aristot.,  De  an.  I,  2),  und  der  von  der  Bewegung  auf  Leben 
schließt  (1.  C.  I,  5;  vTtsan^aaio  xal  rov  xocuov  iuxjrvxov  xai  Saiuovmv  ^i^ot;^ 
Diog.  L.  I,  27) ;  Anaximenes,  nach  welchem  die  Luft  das  beseelte  Weltprincip 
ist  (Plut.,  Plac.  I,  3,  6),  so  auch  Diogenes  von  Apollonia  :  Hrraklit,  dem 
das  Weltfeuer  zugleich  die  Weltvemunft  ist;  die  Stoiker,  welche  im  Pnemna 
(s.  d.)  die  Weltseele  erblicken.  Erneuert  wird  der  Hylozoismus  in  der  Re- 
naissance-Philosophie bei  Paracelsüs«  Cardanus,  van  Helmont,  später  bei 
G.  Bruno,  Gassendi,  Spinoza,  bei  R.  Cudworth,  F.  Glisson  (Tractat  de 
nat.  subst.  energ.  1672,  p.  90  ff.),  H.  MoRE,  der  ein  yybeharrliches  Princip"  an- 
nimmt (Enchir.  met.  C.  28,  §  3),  Leibniz  (s.  Monaden),  bei  Maupektüis^ 
Diderot,  Robinet,  Buffon,  Goethe  (WW.  XXV,  132  f.),  in  der  Schule 
ScHELLiNGs,  bei  Schopenhauer,  Czolbe,  L.  Noire,  Clxfford,  Romanes, 
Zöllner,  Naegeu  (Mechan.-physiol.  Theor.  d.  Abst.  S.  597),  Lotze,  Fbchner^ 
E.  V.  Hartmann,  B.  Wille,  W.  Bölsche  u.  a.  E.  Haeckei.  erklärt: 
yfJedes  Atom  besitzt  eine  inhärente  Swnme  von  Kraft  und  ist  in  diesem 
Sinne  jbeseelt^  .  .  .  Lust  und  Unlusty  Begierde  und  Abneigung^  Anxiekung  and 
Abstoßu/ng  müssen  allen  Massen-Atomen  gemeinsam  sein"  (Die  Perigenes.  d. 
Plastid.  S.  38  f.).  Die  yjPlastidulen"  (belebte  Atomcomplexe)  haben  ein  un- 
bewußtes Gedächtnis  (ib.).  Masse  und  Äther  besitzen  Empfindung  und  Willea, 
sie  j,empßndefi  Lust  bei  Verdichtung y  Unlust  bei  Spannung;  sie  streben  nack  der 
ersteren  und  kämpfen  gegen  letztere"  (Welträtsel  S.  254  f.;  so  auch  J.  G.  VoGT). 


HyioBoismus  —  Hypnose.  441 

Hylozoist  ist  auch  Le  Dantec  (TMot.  nouvelle  de  la  vie  1896;  Le  d^termin. 
biolog.  1897).    VgL  Panpsychismus. 

Hjrpftslliesle,  Hyperftslliesle  s.  Anästhesie. 

Hyperal^esle:  Überempfiiidlichkeit  für  Schmerz. 
HyperpliysUicli:  übernatürlich.    Vgl.  Supranaturalismus. 

Hjrpnose  (vTtvog,  Schlaf)  heißt  der  künstliche  Schlafzustand;  in  welchem 
eine  Person  ein  besonders  geeignetes  Object  für  Suggestionen  (s.  d.)  bildet,  indem 
die  Eigen tätigkeit  (Spontaneität)  des  Denkens  und  WoUens,  die  active  Apper- 
ception  (s.  d.)  durch  eine  Einengung  des  Bewußtseins  gehemmt  und  damit  der 
Vorstellungs-  und  Gefühlsverlauf  triebartig  unter  dem  Drucke  der  ,yBefehle" 
ausgelöst  wird.  Alles,  was  eine  geistige  Ermüdung  zu  bewirken  vermag,  kann 
als  Auslöser  der  Hypnose  dienen.  Zu  unterscheiden  sind  Hetero-  und  Auto- 
hypnose.  Die  Befehle  und  Suggestionen  des  Hypnotisators  können  noch  nach 
der  Hypnose  wirken  („posthypnotiscke'^  Wirkungen).  Die  Lehre  von  der  Hyp- 
nose, auch  der  Inbegriff  der  hypnotischen  Erscheinungen  heißt  Hypnotismus 
(der  Terminus  schon  bei  Braid,  1841). 

Die  Hypnose  war  schon  den  alten  Ägyptern  u.  a.  bekannt.  Als  y^teriseher 
(anitnalüeherj  Magnetismus**  (Mesmerismus)  tritt  der  Hypnotismus  bei  Mesmer 
auf,  verteidigt  von  Puysegür,  Reil,  Hufeland,  Schubert,  Ennemoser, 
KuEDH,  Eschenmayer,  Schopenhauer  u.  a.  Begründer  des  wissenschaftlichen 
Hypnotismus  ist  Braid.  Die  Schule  von  Paris  (Charcot,  Eichet,  Fere  u.  a.) 
betrachtet  die  Hypnose  als  einen  pathologischen,  durch  physische  Reizimg  her- 
vorgerufenen Zustand,  während  die  Schule  von  Nancy  (Liebault,  Beaunis, 
LiEOEOis,  Bernheim,  Die  Suggest.  1888)  die  Hypnose  auf  Suggestion  zurück- 
führt Über  Hypnotismus  handeln  Weinhold  (Hypn.  Vers.  1880),  G.  H.  Schnei- 
der (Die  psychol.  Ursache  d.  hypnot.  Ersch.  1880),  Preyer  (Die  Entdeck,  d. 
Hypnotism.  1881),  A.  Lehmann  (Die  Hypnose  1890),  Dessoir  (Doppel-Ich 
S,  23),  0.  Vogt  (Zeitschr.  f.  Hypnot.  III— VI),  Lipps  (1.  c.  VI),  Forel  per 
Hypnot.*,  1891),  A.  Moll,  Hellpach  (Grenzwiss.  S.  337  ff.)  u.  a.  Nach 
Heidenhain  beruht  die  Hypnose  auf  einer  Hemmung  der  Functionen  der 
Großhimganglien  (Der  sog.  tier.  Magnet.  1880,  S.  29  ff.).  Wündt  führt  die 
Hypnose  (und  Suggestion)  auf  eine  Hemmung  der  Apperception  bei  gesteigerter 
Erregbarkeit  der  Sinnescentren  zurück  (Grdz.  d.  physiol.  Psychol.  II',  452  ff.; 
Philos.  Stud.  VIII).  Die  hauptsächlichste  Entstehungsursache  der  Hypnose  ist 
die  Suggestion,  d.  h.  „rff«  Mitteilung  einer  gefühlsstarken  Vorstellung,  tcelehe  in 
der  Regel  von  einer  fremden  Persönlichkeit  in  Form  eines  Befehles  mitgeteilt 
wird  (Fremdsuggestion),  xutceüen  aber  auch  von  dem  Hypnotisierten  selbst  her- 
vorgebracht tcerden  kann  (Autosuggestion).  Der  Befehl  oder  Vorsatx  xu  schlafen, 
bestimmte  Bewegungen  auszuführen,  nicht  vorhandene  Gegenstäftde  wahrxunehmen 
oder  vorhafulene  nicht  tcahrxunehmen  t*.  dgl.  sind  die  häufigsten  derartigen  Sug- 
gestionen. Gleichförmige  Sinnesreixe,  namentlich  Tastreixe,  wirken  untersttäxend. 
Außerdem  ist  der  Eintritt  der  Hypnose  an  eine  bestimmte,  in  ihrer  Natur  noch 
unbekannte  Disposition  des  Nervensystems  gebundefi,  die  durch  wiederholtes  Hyp- 
notisieren bedeutend  gesteigert  wird^^  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  331).  „Das  nächste 
Symptom  der  Hypnose  besteht  in  einer  mehr  oder  minder  vollständigen  Hemmung 
von  äußeren  Wülenshandhmgen,  welche  zugleich  mit  einer  einsei tigeti  Richtung 
der  Aufmerksamkeit,  meist  auf  die  vom  Hypnotisator  gegebenen  Befehle  verbunden 


442  Hypnose  —  Hypothese. 


ist  (Befehlsautmnaiie).  Der  Hypnotisierte  schläft  nicht  nur  auf  Befehl,  sondern 
behau  aiich  in  diesem  Zustande  jede  noch  so  gextpungene  Stellung  bei,  die  man 
ihm  gibt  (hypnotische  Katalepsie).  Steigert  sieh  der  Zustand^  so  fährt  der  J^p- 
notische  ihm  aufgetragene  Betcegungen  anscheinend  automaiisch  aus  und  gibt  xu 
erkennen,  daß  er  VorsteHlwugen,  die  ihm  suggeriert  werden,  hedlucinatoriseh  für 
toirldiehe  Gegenstände  halt  (Somnambulismus).^^  Schlaf  und  Hypnose  sind  ver- 
wandte Zustände.  „Oemeinsam  sind  beiden  geicisse  //emmungserseheifmngen 
im  Gebiet  der  Willens-  und  Aufmerksa^nkeitsvorgänge,  soun€  eine  Disposition  %u 
gesteigerter  Erregbarkeit  der  Sinnescentren,  die  eine  haüueinatorisehe  Assimilation 
der  Shmeseindrüeke  bewirkt. ^^  In  der  Hypnose  ist  aber  die  Richtung  der 
Apperception  eine  einseitige  (1.  c.  S.  331  f.).  Innerhalb  des  Apperceptioiß- 
ceDtrums  selbst  kommen  compensatorische  Erregbarkeitssteigerungen  gegenüber 
vorhandenen  partiellen  Hemmungen  vor  (1.  c.  S.  333).  Vgl.  Suggestion. 

HypnotiBiniis  s.  Hypnose. 

Hypostase  (vnoaraaig,  Grundlegung,  Grundlage):  Einzelsubetanz,  Person 
(bei  den  Scholastikern,  vgl.  THOfifAS,  Sum.  th.  I,  29,  Ic;  I,  29.  2  ad  1; 
Albertus  Magnus:  „Hypostasis  est  substantia  cum  proprietate,"  Siuu.  th.  I, 
43,  2).  Hypostase  bedeutet  auch  die  Substantialisierung,  Verwirklichung  eines 
Abstractums,  eines  Begriffs,  einer  Eigenschaft  (vgL  Fechneb,  Atomenlehre*, 
S.  162). 

Hypostaslereii :  vergegenständlichen,  zu  einem  selbständigen,  sub- 
stantiellen Wesen  machen.  Besondere  Hypostasierungen  finden  sich  bei  Plato, 
bei  den  Gnostikern  (s.  d.),  bei  Hegel  u.  a. 

Hypottaiese  {vno&süis) :  Voraussetzung,  Annahme,  vorläufige  Auistellmig 
eines  Itincipes  zur  Erklärung  von  Tatsachen,  aber  auf  Grund  der  Erfahrung 
und  von  Wahrscheinlichkeitsschlüssen,  im  Unterschiede  von  der  blofien  Fiction 
(s.  d.).  Durch  Verification  kann  die  Hypothese  in  eine  Theorie  (s.  d.)  über- 
gehen. Ohne  Hypothesen  kann  die  Forschung  und  kann  das  Erkennen  über- 
haupt nicht  auskommen,  doch  ist  zu  fordern,  daß  mit  einem  Minimum  von 
Hypothesen  gearbeitet  werde  („prineipia  praeter  necessitatem  non  Stent  multi- 
plicanda^')  und  daß  die  Hypothesen  gut  fundiert  seien. 

Als  Hypothesis  wird  zuerst  der  Satz  bezeichnet,  der  an  seinen  Consequenzai 
geprüft  werden  soU,  ein  Verfahren,  das  schon  Zeno  von  Elea  befolgt.  Plato 
versteht  unter  Hypothesis  die  Festlegung  eines  allgemeinen  Satzes  als  Voraus- 
setzung und  Begründung  von  anderen  als  dessen  Folgen:  vno&euevos  ixdeTon 
Xdyov,  ov  av  x^ivto  i^^caueviüxatov  elvai,  a  fiiv  av  fiot  Soxfj  rovrra  ivu^fonw^ 
Tid-tjfu  m  alri^r,  orra  (Phaed.  100  A);  vno&BHiv  vno&efievoe  (L  c.  101  Di; 
vnod'ioBiQ  ras  ngeirai  (1.  c.  107  B);  i^  vTto&iuBoK  (Rep.  VI,  510  B;  VII,  533  C). 
Der  logische  Zusammenhang  von  Voraussetzung  und  Folge  macht  eine  Meinung 
erst  zur  Erkenntnis  (vgl.  Meno  98  A:  utxiaQ  loyicfitp;  vgL  Qoboias  475  E, 
482  C  u.  ff.).  Die  „Methode  der  hypothetischen  BegriffserÖrtenmg^*  läuft  darauf 
hinaus,  „die  Brauchbarkeit  und  Sicherheit  eines  im  Denken  gewonnenen  Begriffs 
an  der  Rüstigkeit  der  aus  ihm  abzuleitenden  Folgerungen  xu  prüfen^^  (Wiitdel- 
BAND,  Plato  S.  70).  Nach  Abistoteles  ist  Hypothesis  eine  Annahme,  m 
nicht  evidenter  Satz  (Anal.  post.  I,  2;  Anal,  prior.  1,  44,  50a  16);  iS  vnod'ict^s 
(Anal,  prior.  I,  10,  30b  32;  Met.  IV,  2,  1005 a  13).  —  M.  Psellus  definiert: 
vnod'saig  yd^  iaxi  7tQ6<r?.7]tpts  o^ov  ovateodovg  dvxl  rivog  (Pbantl,  G.  d.  L.  II, 


Hypothese.  443 


280).  —  Bei  Kepler  bedeutet  yfhypothesis"  die  Voraussetzung,  Grundlage  einer 
Induetion. 

Vor  dem  Grebrauche  willkürlicher,  voreiliger  Hypothesen  warnt  Locke 
(Ess-  IV,  eh.  12,  §  12).  Gute  Hypothesen  aber  unterstützen  das  Gedächtnis 
und  sind  von  heuristischem  Werte  (1.  c.  §  13).  Newton  gebraucht  die  Hypo- 
these methodisch,  ohne  in  willkürliche  Hypothes^ibildnerei  verfallen  zu  wollen 
(„kypotkesea  non  fingo").  Nach  Lambebt  ist  eine  Hypothese  j,ein  willkürlich 
angenommener  Begriff  von  einer  Sache,  (ms  welchem  man  dieselbe  erklären  wiU^^ 
(N.  Organ.  §  567).  Nach  J.  Ebebt  ist  sie  „ein  angenommener  möglicher  Satz, 
dessen  Wahrseheinlichkeii  man  aus  der  Übereinstimmtmg  mit  den  bekannten 
Umständen  xu  xeigen  suchl*^  (VemunftL  S.  143).  Kant  definiert:  „Mne  Hypo- 
these ist  ein  Fürt^ahrheUten  des  Urteils  von  der  Wahrheit  eines  Onmdes  um- 
der  Zulänglichkeit  der  Folgen  willen;  oder  kürxer:  das  FürwahrhaÜen  einer 
Vorausselxung  als  O^rundes"  (Log.  S.  132).  Hypothesen  bleiben  immer  „Vor- 
aussetxungen  j  xu  deren  völliger  Getciflheit  wir  nie  gelangen  könfien"  (ib.). 
jyDemokngeaehtet  kann  die  Wahrscheinlichkeit  einer  Hypothese  doch  wachsen  und 
XU  einem  Analogon  der  Gewißheit  sich  erheben^  tcenn  nämlich  alle  Folgen,  die 
uns  bis  jetzt  vorgekommen  sind,  aus  dem  vorausgesetzten  Grunde  sich  er- 
Idären  lassen"  (ib.).  Mathematik  und  Metaphysik  erlauben  keiue  Hypothesen, 
aber  in  der  Naturlehre  sind  sie  nützlich  und  unentbehrlich  (1.  c.  S.  134). 
yjWas  ich  auch  nur  als  Hypothese  annehme,  davon  muß  ich  wenigstens  seilten 
Eigenschaften  nach  so  viel  kennen,  daß  ich  nicht  seinen  Begriff,  sondern  nur  sein 
Dasein  erdichten  darf  (WW.  III,  545;  vgl  Kr.  d.  Urt.  §  90).  Fries  versteht 
unter  Hypothesen  Voraussetzimgen ,  welche  hintennach  durch  hypothetische 
Inductionen  bewiesen  werden  (Syst.  d.  Log.  S.  294,  434).  Nach  G.  E.  Schulze 
sind  Hypothesen  („  Wageerklärungen")  „  Voraussetzungen  einer  noch  unbekannten 
Ursache  des  nacfi  der  Erfahrung  Vorhandenen  oder  einer  noch  nicht  bekannten 
Art  und  Weise,  wie  gewisse  Kräfte  in  der  Natur  etwas  bewirken"  (Allg.  Log.', 
S.  183).  Bachmann  bestimmt:  „Mne  Hypothese  ist  eine  Voraussetzung, 
velehe  man  in  der  Absicht  aufstellt,  um  daraus  gewisse  Facta,  Erscheinungen 
natürlich  erklären  zu  können"  (Syst.  d.  Log.  S.  344).  Regeln  der  Hypothesen- 
büdung:  1)  „Es  muß  ein  obfectiver  Grund  vorhanden  sein,  wodurch  die  Annahme 
derselben  notwendig  und  gerechtfertigt  urird.  Die  Tatsachen  müssen  gewiß,  aber 
der  Grund  verborgen  sein."  2)  „Sie  sei  so  einfach  als  möglich."  3)  „Sie  muß 
nicht  bloß  in  sich  frei  von  Widersprüchen  sein,  sondern  auch  mit  den  übrigen 
bekannten  Naturgesetzen  und  überhaupt  mit  allen  anderen  Wahrlieiten  zusammen- 
stimmen." 4)  „Sie  muß  mit  den  Phänomenen,  um  derentwillen  sie  angenommen 
teurde,  in  Harmonie  stehen,  d,  h.  es  müssen  sich  diese  mit  allen  ihren  Eigen- 
tümlichkeiten aus  ihr  leicht  und  ungexumngen  erklären  lassen"  (1.  c.  S.  345). 
8chopenhauer  erklart:  „Eine  richtige  Hypothese  ist  nichts  weiter  als  der 
teahre  und  vollständige  Ausdruck  der  vorliegenden  Tatsache,  welche  der  Urheber 
derselb^i  in  ihrem  eigentlichen  Wesefi  und  innerem  Zusammenhang  intuitiv 
imfgefaßt  haue.  Denn  sie  sagt  uns  nur,  was  hier  eigentlich  vorgeht"  (W.  a.  W. 
n.  V.  IL  Bd.,  C.  12),  Gegner  aller  metaphysischen  Hypothesen  ist  Cobttk, 
welcher  betont:  „Les  hypothhes  vraiment  philosophiques  doivent  constamment 
fresenter  le  carctctkre  de  simples  anticipations  sur  ce  que  Vexperience  et  le 
raisonnement  a/uraient  pu  devoiler  immediatetnent,  si  les  circonstances  du  probleme 
eussent  ete  plus  favorables"  (Cours  de  philos.  posit.  I,  le9.  28).  Den  Wert  der 
Hypothesen  erörtert  J.  St.  Mill  (Log.  II,  17).    Nach  Lotze  sind  Hypothesen 


444  Hypothese  —  Hypothetische  Schlüsse* 

„Vernuäungen,  durch  welche  tvir  einen  in  der  Wahrnehmung  nicht  g^ätenm 
Tatbestand  xu  erraten  atichen,  von  dem  wir  meinen,  daß  er  in  Wirklichkeit  ew- 
handen  sein  müsse ,  damit  das  in  der  Wahrnehmung  Gegebene  mögliekj  d.  k 
aus  den  anerkannt  höchsten  Oesetxen  des  Zusammenhatigs  der  Dinge  begreiflv^ 
isi^^  (Gr.  d.  Log.  S.  84).  Überweg  nennt  Hypothese  „die  vorläufige  Annahmt 
einer  Ungewissen  Prämisse,  die  auf  eine  dafür  gehaltene  Ursache  geht,  xwm 
Zweck  ihrer  Prüfung  an  ihren  Conseguenxen"  (Log.*,  §  134).  Nach  v.  Kibcb- 
MANN  ist  eine  Hypothese  „ein  versuchsweise  aufgestelltes  Gesetx,  bei  trelckem  et 
dann  darauf  ankommt,  seine  Wahrheit  xu  beweisen*'  (Kat.  d.  Philos.  8.  67t. 
W.  Jameb  nennt  Hypothese  „alles,  was  mit  defn  Anspruch,  geglaubt  xu  werden, 
an  uns  herantritt'^  (Wille  z.  Glaub.  S.  2).  Die  Entscheidung  zwischen  zwei 
Hypothesen  ist  eine  Option  (1.  c.  S.  3).  Nach  Wtjndt  sind  Hypothesen  Vor- 
aussetzungen, welche  notwendig  zur  Erklärung  der  Tatsachen  gemacht  werdeo. 
(Log.  I,  404;  vgl.  II*,  1).  P.  Volkmann  definiert:  „Hypotfiesen  sind  Vor- 
stellungen  und  Anschauungen,  mit  denen  wir  uns  über  die  Ungenauigkeit  unserer 
sinnlichen  Anschauung  erheben,  es  sind  also  übersinnliche  Vorstellunffen  und 
Anscliauungen''  (Erk.  Gr.  d.  Naturw.  S.  61,  vgl.  S.  63).  —  E.  Mach  ist  An- 
hänger einer  „hypothesenfreien''  Wissenschaft  So  auch  W.  Ostwaij>.  Nach 
ihm  ist  es  Aufgabe  der  Wissenschaft,  „die  in  ihr  auftretenden  Mannigfaltig- 
keiten in  solcher  Weise  darxustellen  .  ,  .,  daß  nur  die  tatsächlich  in  de» 
darxustellenden  Erscheinungen  angetroffenen  und  nachgewiesenen 
Elemente  in  die  Darstellung  aufgenommen  werden,  alle  anderen  un- 
geprüften Elemente  aber  femxuhalten.  Dadurch  sind  alle  sogenannten  on- 
sehaulichen  Hypothesen  oder  physikalischen  Bilder  ausgeschlossen"  (Vorles.  üb. 
Naturphilos.^,  S.  213  f.).  Erlaubt  sind  höchstens  vorläufige  Annahmen,  „[\ot/h 
thesen",  ohne  der  Sache  fremde  Voraussetzungen  (L  c.  S.  399  f.j.  Dag<^eii 
bemerkt  E.  v.  Habtmann:  „Die  Hypotheseoplwbie  ist  eine  ebensolche  Kmder- 
krankheit  der  Physik,  wie  der  Glaube  an  absolute  Gewißheit  ihrer  Lehren^ 
(Weltansch.  d.  modern.  Physik  S.  226).  Nach  H.  Cornelius  ist  der  Ur^iorung 
aller  Hypothesenbildimg  „die  Erkenntnis  von  Analogien  zwischen  verschiedenen 
Erscheinungsgebieten",  Solange  die  Hypothese  nur  zur  Fixierung  des  rein  tat- 
sächlichen Ahnlichkeitsverhältnisses  gebraucht  wird,  bleibt  sie  auf  empirischem 
Boden.  „Sie  leistet  aber  damit  xugleich  alles,  was  für  den  Erklärungsmecha$nsmui 
erfordert  icird,  indem  sie  eben  den  umfassenden  Gesichtspunkt  aufzeigt, 
unter  welchem  die  neuen,  xu  erklärenden  Erscfieintmgen  sich  mit  bereits  bekannten 
Tatsaclien  verhiüpft  xeigen"  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  42).  „Dogmatische  Annakme 
von  Hypothesen  ist  eitles  der  hartnäckigsten  Hindemisse  des  Fortschritts  wissen- 
schaftlicher  Erkenntnis"  (L  c.  S.  43).    Vgl.  Materie,  Metaphysik. 

Hypotliesls s   Voraussetzimg,  Bedingung  (im  hypothetischen   Urteik), 

Hypothese  (s.  d.). 

Hypollietlscll  (^1  v7io9'iaeo}e):  unter  oder  aus  einer  Voraussetzung,  be- 
dingungsweise, fraglich. 

Hypotlietteebe  S>lclilÜ89e  (Bedingungsschlüsse)  sind  Schlösse  mit: 
a.  hypothetischem  Obersatz  (gemischt-hy}X)thetische  Schlüsse),  b.  zwei  hypo- 
thetischen Prämissen  (rein-hyix)theti8che  Schlüsse).  Alle  hypothetischoi  Schlüsee 
stützen  sich  auf  die  Begel:  Mit  dem  Grund  ist  die  Folge  gesetzt,  nüt  der 
Folge  der  Grund  aufgehoben.  Von  den  gemischt-hypothetischen  Schlüssen  gibt 
es  vier  Hauptformen.     1)  Modus  ponendo  ponens:  Wenn  S  gilt,  gilt  P  | 


Hypothetische  Schlüsse  —  Hypothetische  Urteile.  445 


S  gilt  I  also  gilt  P.  —  2)  Modus  ponendo  toUens:  a.  Wenn  8  gilt,  gilt  P 
Bicht  I  S  gilt  I  also  gilt  P  nicht,  b.  Wenn  S  gilt,  gilt  P  nicht  |  P  gilt  |  also 
gilt  8  (möglicherweise)  nicht.  —  3)  Modus  tollen do  tollens:  Wenn  8  gilt, 
gilt  P  I  P  gilt  nicht  |  also  gilt  8  nicht  —  4)  Modus  tollende  ponens: 
Wenn  8  gilt,  gilt  P  nicht  |  8  gilt  nicht  |  also  gilt  P  vielleicht.  —  Der  rein- 
hypothetische 8chluß  hat  folgendes  Schema:  Wenn  8  gilt,  gilt  M  |  Wenn  M 
gilt,  gilt  P  I  Wenn  8  gilt,  gilt  P.  —  Die  hypothetischen  Schlüsse  werden  schon 
von  den  Peripatetikern  Theophrast  und  Eudemts  erörtert.  Der  Stoiker 
Chbysippus  stellt  fünf  avlXoytafioi  avanoSnxroi  auf  (Sext.  Empir.  adv.  Math. 
VIII,  223).  n^cäroe  3e  ioriv  dvoTtoSstxrogj  iv  qf  itäs  Xoyoi  avprdcaerai^  ix 
owTjftfUvoVf  d^  ov  a^;|f£Ta^  r«  axtvrififiivov  xai  ro  Xrjyov  tTti^s^ei,  olav  Ei  t6 
n^dhovj  To  devTe^ov  dXXd  firiv  ro  Ti^crroi*'  ro  d^a  SsvxeQOv  (Diog.  L.  VII  1, 
80;  vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  I,  467  ff.). 

Hypollietlsclie  UrteUe  (avvrififjLivay  hypothetica,  conditionalia,  Be- 
dingungsurteile) sind  Aussagen  über  das  Statthaben  einer  Bedingtheit,  einer 
Abhängigkeit:  Wenn  8  ist,  ist  P,  oder  Wenn  M  ist,  so  ist  8  =  P.  Das  hypo- 
thetische Urteil  besteht  aus  einem  Vordersatze  (r^yovfievovy  hypothesis,  antecedens) 
und  einem  Nachsatze  (inofievov,  Xrjyov,  thesis,  consequens). 

Die  hypothetischen  Urteile  werden  zuerst  behandelt  von  Teophrast,  Eu- 
DEMUß  und  den  Stoikern  (Diog.  L.  VII  1,  73;  Pkantl,  G.  d.  L.  I,  522,  552, 
561, 580).  Das  hypothetische  Urteil  definiert  BofiTHius:  ,yHypot}ietiea  (propositio) 
autem  est,  quae  cum  quadam  conditione  denuntiat  esse  cUiquid,  si  fuerit  cUiud,*^ 
„id  tantum  dtcttur,  esse  alterum,  si  alterum  fuerit^^  (De  syllog.  hypoth.  Opp.  I, 
606  f.).  Nach  Chr.  Wolf  ist  der  Unterschied  zwischen  hypothetischen  und 
kategorischen  Urteilen  nur  ein  sprachlicher.  „Proposüiones  ecUegoricae  aequi- 
valent  hypoiheticis  et  ad  eas  reduei  possunt."  „Propositio  eategorica  est,  in  qita 
praedicatum  absolute,  seu  nulla  adiecta  conditione  .  .  .  hypothetica  est,  in  qua 
praedieatum  iribuitur  subiecto  sitb  adiecta  conditione"  (Philos.  rat.  §  216,  218, 
224,  226).  Kant  scheidet  die  hypothetischen  Urteile  (Log.  §  25)  von  den 
kategorischen  (s.  d.).  „Die  Materie  der  hypothetischen  Urteile  besteht  aus  xwei 
Urteilen,  die  miteinander  als  Orund  und  Folge  verknüpft  sind"  (Log.  8.  163). 
Fries  bemerkt :  „In  dem  hypothetiscfien  Urteil  für  sich  werden  nicht  der  Vorder- 
satz oder  Xachsatx,  sofidem  nur  die  Conseque7ix,  die  Abfolge  des  Nachsatzes  aus 
dem  Vordersatx.  behauptet"  (Syst.  d.  Log.  8.  139).  Herbart,  Beneke,  Tren- 
DELENBXTRG,  ÜBERWEG,  Steinthal,  Heymans  (Ges.  u.  Elem.  d.  wiss.  Denk. 
S.  51  f.)  erklaren  den  Unterschied  des  hypothetischen  vom  kategorischen  Urteil 
für  einen  bloß  sprachlichen.  Wundt  rechnet  die  hypothetischen  Urteile  zu  den 
Abhangigkeits-  oder  Bedingungsurteilen,  die  sich  in  Urteile  der  Kaum-  und 
Zeitbeziehung  und  der  Bedingung  gliedern  (Log.  I,  182).  Nach  Hagemann 
besteht  das  hypothetische  Urteü  „in  einer  kafegorisclieti  Behauptung,  aber  infolge 
einer  vorausgesetxten  Bedüi^ifig"  (Log.  u.  Noet.*,  S.  39).  Schuppe  erklärt: 
„Die  Darstellufig  durch  das  kategorisclie  Urteil  ist  abstracter,  die  durch  das 
hypothetische  anschaulicher,  indetn  der  Nebensatz  an  die  Verwirklichung  in  Raum- 
Uiid  Zeit  denken  läßt"  (Log.  8.  95).  Nach  Sigwart  ist  das  Prädicat  des  hypo- 
thetischen Urteils  die  „notwendige  Folg&^  (Log.  I«,  284,  286;  vgl.  Beiträge  zur 
Lehre  vom  hypothet.  Urt.  1871).  B.  Erdmann  betont:  „Das  hypothetische  Urteil 
ist  .  .  ,  vom  kategorischen  logisch,  mui  xwar  dadurch  Ufiterschieden,  daß  seine 
Behauptung,  das,  wofür  es  Geltung  fordert,  in  der  Consequenx  der  Folge  aus  dem 
Grunde  besteht"  (Log.  I,  416;  über  das  hypothet.  Urteilsgefüge  vgl.  I,  405  ff.). 


446  Hyi>otypo8e  —  Ich. 


Hypotypose  {vnoTvnovv):  Entwurf,  Darstellung.  —  Kaxt  ventclit 
unter  Hypotypose  die  Vereinnlichung  eines  Begriffe.  y,ÄUe  Hypotypose  (Dar- 
stellung^ suhiectio  sub  adspeetumj  als  Versinnlichung  ist  xwiefw^h:  entwreder 
sehematisch,  da  einem  Begriffe,  den  der  Verstand  faßty  die  eorrespoftdieremäe 
Anschmmtig  a  priori  gegeben  wird,  oder  symbolisch,  da  einem  Begriffe,  den 
nur  die  Vernunft  denken,  aber  dem  keine  sinnliche  Anschauung  angemessen  «m 
kann,  eine  solche  untergelegt  wird'^  (Krit.  d.  Urt.  I,  §  59).  Frees  erkläit  dk 
Hypotypose  als  ,yAnschaulichmachung  des  Gedachten,  Unierlegung  eines  ansdum- 
liehen  Typus''  (Syst.  d.  Log.  S.  363). 

Hysteron  Proteron  {votbqov  TiQoteQov)  heißt  der  logische  Fehler  der 
Vorwegnahme  dessen,  was  nachfolgen  soUte,  des  Beweises  eines  Satzes  duidi 
das,  was  erst  durch  jenen  zu  beweisen  wäre. 


I,  J. 


I:  logisches  Zeichen  für  das  besonders  bejahende  Urteil  („(userit  i,  sed 
particulariter^'), 

lell  ist  der  Ausdruck  der  Selbstunterscheidung  eines  lebenden  Subjects 
von  anderen  Subjecten  und  den  Objecten  (Nicht-Ichs),  also  der  Beziehung  von 
Erlebnissen  auf  das  Subject  als  deren  Eigner,  Träger,  constanten  Factor.  Das 
Ich  ist  das  Identische,  Pennanierende,  die  Einheit  eines  lebenden,  bewußten 
Wesens.  Es  erfaßt  sich  selbst,  „sefzf'  (s.  d.)  sich  selbst  zuerst  in  einer  Summe 
von  Trieben,  dann  im  (beseelten)  Leibe,  dann  in  einem  Zusammenhange  vqd 
Vorstellimgen,  Urteilen  imd  Gefühlen,  zuletzt  im  Willen  und  in  der  kmftvolkii, 
synthetischen  Einheit  des  Bewußtseins  überhaupt,  die  sich  von  allen  ihren  Teil- 
gliedem  und  Inhalten  unterscheidet.  Das  Wesen  des  Ich  liegt  in  der  unt»- 
scheidenden,  (rück-)  beziehenden  und  synthetischen  Tätigkeit  selbst.  Das  Ich 
ist  kein  Schein,  keine  Erscheinung,  es  ist  als  (activer)  Bewußtseinsfactor  ideal- 
real  zugleich  wie  alles  Geistige,  es  ist  kein  Summationsphänomen,  sondern  ist 
schon  ein  Factor  des  primitiven  Bewußtseins  (als  „Ichgefüht*,  concrete  Ichheit, 
Für-sich-sein).  Aber  es  ist  keine  Wesenheit  außerhalb  des  Bewußtseins,  keine 
starre  Substanz,  sondern  substantiell  nur  in  und  mit  dem  Complex  individueller 
Erlebnisse  gegeben,  als  Ich-Moment.  Das  „reine"  Ich  ist  ein  begriffliches  Ge- 
bilde, es  ist  das  Ich,  losgelöst  gedacht  von  seinem  Inhalte  imd  in  seinem 
Ichcharakter,  der  „Iclüieit",  fixiert.  Die  verschiedenen  Arten  der  Setzung  des 
Ich,  des  Ich-Erlebens,  Ich-Wissens  kommen  in  der  Entwicklung  d«  Selbst- 
bewußtseins  (s.  d.)  zum  Ausdruck.  Die  Unterscheidung  eines  ,j?r»»tärc«f 
vom  „seeundären"  (entwickelten,  entfalteten,  Reflexions-)  Ich  ist  berechtigt. 
Dem  individuellen  Ich  wird  zuweilen  ein  Gesamt-Ich,  ein  universales  Ich  gegen- 
übergestellt. —  Die  Ichheit  ist  die  Urkategorie,  die  subjective  QueUe  der 
Kategorien  (s.  d.). 

Die  Geschichte  des  Ich  -  Begriff  es  zeigt,  daß  das  Ich  bald  ab  Seele,  Sub- 
stanz, bald  als  Action,  Synthesis,  Einheit,  bald  als  Complex,  Associationsproduct, 
bald  also  als  etwas  Ursprüngliches,  Beales,  Wesenhaftes,  bald  als  etwas  Ab> 
geleitetes,  als  Product,  als  Erscheinung  oder  Schein  aufgefaßt  ward. 

Als  geistige  Wesenheit,  als  Träger  des  Denkens  besonders  erscheint  das 
Ich  bei  Plato,  Aristoteles,  Plotin,  bei  denen  wir  Ansätze  zu  einer  Lehn^ 
vom  Selbstbewußtsein  (s.  d.)  finden.    Die  Stoiker  beziehen  das  „Ich"  auf  das 


Ich.  447 

tiysfKn'ixov  (s.  d.):  ovTta  Si  xai  t6  iyto  Xiyofuv  xaza  tovto  {rjysfi.)  Seixvvovreg 
(Galen.,  De  plac.  Hipp,  et  Plut.  V,  215  k).  Cicero  betont:  jyNeqtie  nos  eorpara 
sumtis",  „ab  animo  tuo  quidquid  agitur^  id  agitur  a  tef*  (TuscuL  disput.  I,  22, 
§  52).  —  Nach  Augustinus  ist  das  Ich  die  Seele  selbst  (De  trin.  X,  10).  So 
auch  die  Scholastiker. 

Descabtes  betont  die  Immaterialität  des  Ich,  es  ist  das  Subject  des 
Denkens,  die  „res  eogitans**,  die  sich  aus  dem  „cogiio,  ergo  sutn"  ergibt  (Medit. 
II  u.  III).  Das  j,ego"  ist  „mens",  denn  nur  das  Denken  kann  vom  Ich  nicht 
abstrahiert  werden.  „Examinantes  enim,  quinam  simus  nos,  qui  omnia,  quae 
a  nobis  diversa  sunt,  supponttnus  falsa  esse,  perspieue  videmus,  mUlam  exten- 
sianem,  nee  figuram,  nee  motum  loealem,  nee  quid  simüe,  quod  corpori  tribuendum, 
ad  natttram  nostram  pertinere,  sed  cogüationetn  solam"  (Princ.  philos.  I,  7). 
Geuuncx  erklärt:  „Corpus  meum  pars  kuius  mundi,  Ego  vero  minime  pars 
kuius  mundi  sum,  tUpote  qui  sensum  omnem  fugiam,  qui  nee  tnderi  ipse,  nee 
audirij  nee  manu  tentari  possim,  Haee  omnia  in  corpore  meo  sistunt,  nihil 
horum  ad  me  neque  permeat;  ego  speeiem  otnnem  excedo,  Ego  sola  cognitione 
voliticmeque  definior"  (£th.  annot.  p.  204).  „£iio  non  faeio  id,  quod,  quomodo 
ßat,  nescio'^  (1.  c.  p.  205).  Spinoza  identificiert  das  Ich  mit  dem  Intellecte 
(„mens^^J,  betrachtet  es  aber  nicht  als  Einzelsubstanz,  sondern  als  modus  (s.  d.) 
der  Grott-Natur  (vgl.  Selbstbewußtsein).  Locke  versteht  unter  dem  Ich  ein 
denkendes,  vernünftiges  Wesen,  das  sich  als  sich  selbst  und  als  dasselbe  Wesen 
auffassen  kann  (Ess.  II,  eh.  27,  §  9  f.).  Das  Ich  besteht  in  dem  stetigen,  mit 
sich  identischen  Bewußtsein  selbst  (L  c.  §  25),  so  daß  es  für  dieses  gleichgültig 
ist,  ob  ihm  eine  oder  mehrere  Substanzen  zugrundeliegen  (1.  c.  §  16  f.).  Leibniz 
unterscheidet  die  reale,  physische  von  der  persönlichen,  bewußten  Identität  des 
Ich  (Nouv.  Ess.  II,  eh.  27,  §  19).  Die  Ichheit  als  Für-sich-sein,  Innerlichkeit 
kommt  allen  Wesen  (Monaden,  s.  d.)  zu.  Berkeley  faßt  das  Ich  als  rein 
geistige,  active  Substanz  auf  (Princ.  XXVII).  Nach  Bonnet  ist  das  Ich  eine 
„modifieatiwi  de  Väme,  et  eette  modifieation  n'est  que  Päfne  elle-ntenie  existafU 
dans  un  eertain  etai"  (Ess.  C.  38).  —  Nach  Condillac  ist  das  Ich  (der  fin- 
gierten „Statue^^  „totä  ä  la  fois  la  conscienee  de  ce  qu'elle  est  et  le  souvenir 
de  ee  qu'elle  a  ete"  (Trait.  d.  sensat.  I,  eh.  6,  §  3).  Das  Ich  eignet  nur  einem 
Wesen,  ,^i  remarque  que  dans  le  moment  present  il  n'est  plus  ce  qu'il  a  etL 
Tont  qu^ü  ne  ehange  point,  il  existe  sams  aueun  retour  sur  lui-meme:  mais 
(uwntot  qu'il  ehange,  il  juge  qu'il  est  le  meme  qui  a  ete  auparavant  de  teile 
tnanih-e,  et  il  dit  moi"  (1.  c.  §  2).  Das  Ich  des  Wahrnehmenden  ist  nur  eine 
„eoUeetian"  von  Empfindungen  und  Erinnerungsvorstellungen  (1.  c.  I,  eh.  6,  §  3). 
HuxE  setzt  Ich  und  Seele  gleich  (Treat.  IV,  sct.  6)  und  hebt  die  Substantialität 
desselben  ganz  auf.  Das  Ich  trifft  sich  niemals  ohne  Perception  an  und  findet 
sieh  stets  nur  in  Perceptionen.  Es  ist  nur  ein  „bündle  or  collection"  „ver- 
ifhiedener  Perceptionen,  die  einander  mit  unbegreiflicher  Schnelligkeit  folgen  und 
hestätidig  in  Fluß  und  Beilegung  sind"  (1.  c.  S.  327). 

Die  actuale  Auffassung  des  Ich  tritt  bei  Kant  wieder  auf,  aber  in  einer 
andern  Form,  die  der  Activität  und  synthetischen  Einheit  des  Ichbewußtseins 
mehr  Bechnung  trägt.  Die  metaphysische  Einfachheit  und  Substantialität  des 
Ich  wird  bestritten,  die  Einheit  des  Subjects  aber  betont  Das  „Ich  bin  ein- 
fach" ist  nur  „e»w  unmittelbarer  Ausdruck  der  Äpperceptüm",  der  Bewußtseins- 
tätigkeit selbst  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  302).  Es  bedeutet,  daß  die  Vorstellung 
yjlch^*  „nicht  die  mindeste  Mannigfaltigkeit  in  sieh  fasse  und  daß  sie  absolute 


448  loh. 

(obxwar  bloß  logische)  Einheit  sei^^  (l.  c.  S.  303).  „So  vi^l  ist  gewiß:  daß  id 
mir  durch  das  Ich  jederzeit  eine  absolute  y  aber  logische  Einheit  des  Sub^ 
{Einfachheit)  gedenke,  aber  nieJä,  daß  ich  dadurch  die  leirkliche  Einfachheit  meimt 
Subjects  erkenne**  (ib.).  Das  Ich  ist  nicht  das  „Ding  an  sich^'  (s.  d.),  es  ist  Er- 
scheinung, weil  es  der  Form  des  inneren  Sinnes  (s.  d.)  unterliegt,  jeden&Us 
aber  ist  es  nicht  körperlich  (1.  c.  8.  304).  Das  durch  den  innem  Sinn  erfaßte 
(VorsteUungs-)  Ich  ist  das  „empirische**  Ich,  von  dem  das  „reiwf*,  ^^trwfiaom- 
dentaie^*  Ich  der  reinen  Apperception  (s.  d.),  das  „7cA  denke**,  das  alle  Vor- 
stellungen als  Einheitspunkt  begleiten  muß  können,  die  Ichheit,  die  reiße 
Synthesis  (s.  d.)  zu  unterscheiden  ist  (1.  c.  S.  675).  Das  reine  Ich  ist  ein  Begriff, 
ein  Abstractum,  es  bezeichnet  das  Subject  der  Gedanken,  das  Correlat  der 
Apperception  (WW.  IV,  438).  „Ich  bin  mir  meiner  selbst  bewußt,  ist  ein  Ge- 
danke, der  scJwn  ein  zwiefaches  Ich  enthält,  das  Ich  als  Subject  u/nd  das  Ich  aU 
Ob/ect.**  „  Von  dem  Ich  in  der  erstem  Bedetdung  (dem  Subject  der  Apperception), 
dem  logischen  Ich,  als  Vorstellung  a  priori,  ist  schlechterdings  nich/s  u?eiter  xu 
erkemien  möglich,  was  es  für  ein  Wesen,  und  von  welcher  Naturbescßtaffenheit  et 
sei;  es  ist  gleichsam,  wie  das  Sulfstantiale,  was  übrigbleibt,  wenn  ich  alle 
Aeeidenxen,  die  ihm  inhärieren,  weggelassen  habe,  das  aber  schlechterdings  gar 
nicht  weiter  erkannt  ujerden  kann,  weü  die  Accidenxen  gerade  das  waren^  ironm 
ich  seine  Natur  erkennen  konnte,**  „Das  Ich  aber  in  der  zweiten  Bedeutung  (aU 
Subject  der  Perception),  das  psychologische  Ich,  als  empirisches  Bewußtsein,  üi 
mannigfacher  Erkenntnis  fähig.**  Das  empirische  Ich  ist  Erscheinung;  das 
logische  Ich  zeigt  das  Subject  an,  yrie  es  an  sich  ist,  im  reinen  BewufitBon, 
als  reine  Spontaneität,  ist  aber  keiner  Erkenntnis  fähig  (Üb.  d.  Fortschr.  d. 
Metaph.  S.  109  f.).  —  Reinhoij>  versteht  unter  dem  (empirischen)  Ich  ,/fa* 
vorstellende  Subject,  inwiefern  es  Object  des  Bewußtseins  ist**  (Vers.  e.  neuen 
Theor.  II,  336).  Nach  S.  Maimon  ist  das  Ich  die  „Einheit  des  Bewußtseins'^ 
das  im  Verhältnis  zu  den  wechselnden  Vorstellungen  Beharrliche  (Vers.  üb.  d. 
Transc.  S.  157).  Nach  Krug  kann  man  nur  vom  empirischen  Ich  die  Existenz 
aussagen.  „Dem  reinen  Ich  hingegen  kann  das  Prädicat  des  realen  Seins  nickt 
beigelegt  werden^  weü  es  kein  reales  Ding,  sondern  ein  bloßer  Begriff,  ein 
0 edankending  ist.  Denn  man  denkt  es  nur  dadurch,  daß  man  von  seinen 
empirischen  Bestimmungen  abstrahiert  und  bloß  auf  die  ursprünglichen  refieetierL 
Das  reine  Ich  ist  also  nichts  anderes  als  der  Inbegriff  des  ursprünglichen  oder 
Transcendentalen  in  mir,  was  ich  als  den  Orund  aUes  Empirischen  in  mir  denke^ 
(Fundam.  S.  143).  Später  jedoch  erklärt  er:  „Die  ürbestimmungen  des  Ich  sind 
die  wesentlichen,  allgemeinen  und  notwendigen  Eletnente  der  menschlichen  Xatnr: 
sie  machen  unser  Wesen  aus  .  .  .  und  müssen  daher  bei  allen  Menschen  auf 
gleicJie  Weise  angetroffen  u^erden.  In  ihnen  muß  unsere  ursprüngliche  Ein- 
richtung oder  Anlage  .  .  .  bestehen,  Ihr  Inbegriff  heißt  auch  das  reine  oder 
absolute  Ich.**  Dieses  ist  nichts  anderes  als  die  reine  Menschheit  selbst  im 
Individuum,  etwas  Reales,  das  sich  unter  der  Hülle  des  Empirischen  offaibart 
(Handb.  d.  Philos.  I,  53).  Als  Setzung  des  reinen,  schöpferischen,  logiflcheo, 
des  absoluten  Ich  bestimmt  das  empirische,  das  Einzel-Ich  J.  G.  Fichte,  der 
die  Ichheit  zum  Seinsgrunde  macht.  Das  absolute,  unbegrenzte,  schlechthinig^ 
Ich  setzt  in  einer  Reihe  intellectueller  Acte  sich  und  sich  gegenüber  das  Nicht- 
Ich.  Das  Ich  ist  wesentlich  setzende,  d.  h.  fixierende,  objectivierende  Tätigkeit 
„Dasjenige,  dessen  Sein  (Weseti)  bloß  darin  besteht,  daß  es  sieh  selbst  als  seiend 
setxt,  ist  das  Ich,  als  absolutes  Subject,     So,  wie  es  sich  setxt,  ist  es;  und  «o» 


Ich.  449 

irte  es  ist,  setzt  es  sich^  und  das  Ich  ist  demnach  für  das  Ich  schlechthin  und 
rwiwendig.     Was  für  sieh  selbst  nicht  ist,  ist  kein  Ich.*^     jj^^  Ich  ist  nur  in- 
sofern^  inwiefern  es  sich  seiner  betcußt  ist"  (Gr.  d.  g.  Wißs.  S.  9).    Das  Ich  ist 
schlechthin  durch  sein  Sein  (1.  c.  10  f.),  es  „setzt  ursprünglich  sein  eigenes  Sein" 
{L  c.  S.  11).    Das  „Ich  =  /cä"  ist  die  ursprünglichste  Erkenntnis,  die  Urquelle 
jdles  Denkens  (ib.),  es  bedeutet  „erstens  die  rein  logische  Identität  van  Subfeet 
t4nd  Ohfeet  im  Acte  des  reinen  SdbstbeumßtseinSj  zweitens  die  reale  metaphysisefie 
Identität  des  setzenden  absoluten  Ich  und  des  gesetzten  begrenzten  Ich,  tmd  drittens 
die  xeUliehe  Identität  des  Ich  in  zwei  rasch  aufeinander  folgenden  Zeitpunkten'* 
(E.  V.  Habtmann,  Gresch.  d.  Metaphys.  II,  71).    Ich  und  Nicht-Ich  sind  beide 
,yProduete  ursprünglicher  Handlungen  des  Ich"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  8.  23).     „Ich 
setze  im  Ich  dem  teilbaren  Ich  ein  teilbares  Nicht-Ich  entgegen"  (1.  c.  S.  28). 
D.  h.  das  absolute  Ich  setzt  in  sich  Innenwelt  und  Außenwelt  in  einem  Acte. 
Das  Ich  als  Intelligenz,  als  Vernunft  ist  ein  Product  der  Setzung,  eine  zu 
realisierende  Idee,  ein  Strebensziel  (1.  c.  S.  224;  WW.  I,  463  f.,  515  f.;  II,  382). 
Einerseits  setzt  das  Ich  das  Nicht-Ich  als  beschränkt  durch  das  Ich,  ander- 
seits setzt  es  sich  selbst  als  beschränkt  durch  das  Nicht-Ich;  so  sich  praktisch 
und  theoretisch  verhaltend  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  49  f.).    Als  „den  ganzen  schlecht- 
hin bestimmten  Umkreis  aller  BecUitäien  umfassend^  ist  das  Ich  Substanz  (1.  c. 
8.  73),  aber  nur  im  Sinne  reiner  ActuAlität,  als  beharrendes  Tun  („Tathandlung'*), 
das  durch  inteUectueUe  Anschauung  sich  selbst  erfaßt  (Syst.  d.  SittenL  S.  110  f.). 
Das  Ich  ist  ,^as  erste  Prindp  aller  Bewegung,  alles  Lebens,  aller  Tat  und  Be- 
gebenheif^     Das  Wirken  des  Nicht-Ich  gegenüber  dem  empirischen  Ich  ist 
selbst  schon  eine  Tat  des  (absoluten)  Ich  (1.  c.  S.  213  u.  ff.).    Das  Ich  findet 
Bich  (praktisch)  wesentlich  als  wollend  (1.  c.  S.  8).     Schelling  bestimmt  (in 
seiner  ersten  Periode)  das  absolute  Ich  als  das,  „was  schlechterdings  niemals 
Object  werden  kann"   (Vom  Ich  S.  12).     Das  Ich  bringt  sich  durch  absolute 
Causalität  denkend  hervor  (ib.).     Es  ist  Anfang  und  Ende  aller  Philosophie, 
indem  es  die  Freiheit  ist,  (1.  c.  S.  38  ff.).    Das  bewußte  Ich  ist  nicht  das  reine, 
absolute  Ich;   dieses  wird  nur  in   intellectueller  Anschauung   bestimmt  (1.  c. 
S.  44,  49).    Das  Ich  enthält  alles  Sein,  alle  Bealität  (1.  c.  S.  61),  ist  unendlich 
(L  c.  S.  74),  wie  auch  seine  Attribute  (1.  c.  S.  77).    Es  ist  die  einzige  Substanz, 
alles  andere  ist  Accidenz  des  Ich  (1.  c.  S.  79).    Eß  ist  das  Ich  die  „immanente 
Ursache  alles  dessen,  was  ist'  (1.  c.  S.  84).    „Der  Inbegriff  alles  Subjectiven  .  .  . 
heiße  das  Ich"  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  1).    Der  Begriff  des  Ich  ist  nur  „der  Be- 
griff des  Selbst'Obfeet-werdens"  (1.  c.  S.  45).    Das  Ich   ist  nur  und  kann  nur 
vorgestellt  werden  als  Act  (ib.),   ist   „nichts  außer  dem  Denken"   (L  c.  S.  46), 
,Juin  Ding,  keine  Sache,  sondern  das  ins  Unendliche  fort  nicht  Objective" 
(L  c.  8.  47  f.),  es  ist   „reiner  Act,  reines  Tun"  (1.  c.  S.  49),   em  „Wissen,  das 
zugleich  sich  selbst  (als  Object)  produeiert",  ein  „beständiges  intellectueUes  An- 
schauen" (1.  c.  S.  51).     Das  Ich  als  solches  ist  überindividuell,   überempirisch 
(1.  c.  8.  59),  es  ist  das  Subject  alles  Seins.    ,J)er  ewige,  in  keiner  Zeit  begriffene 
Act  des  Selbstbeumfitseins,  den  wir  Ich  nennen,  ist  das,  was  allen  Dingen  das 
Dasein  gibt,  was  also  selbst  keines  andern  Seins   bedarf,  sondern  sieh  selbst 
tragend  und  unterstützend,   objeetiv  als  das  ewige  Werden,  subjectiv  als  das 
unendliche  Producieren  erscheint"  (1.  c.  S.  61).     Das   Ich  liegt  der  In- 
telligenz zugrunde  (1.  c.  S.  147).    „Ni4r  an  der  ursprünglichen  Kraft  meines  Ich 
bricht  sieh  die  IG-aft  der  Außenwelt.     Aber  umgekehrt   auch  die  ursprüngliche 
Tätigkeit  in  mir  erst  am  Objecte  »um  Denken,  zum  selbstbewußten  Vorstellen" 

PhilOBophiioh«!  Wört«rbaoh.    %,  Aufl.  29 


450  Ich. 

(Naturphilos.  S.  305).  Das  Ich  wird  bei  Schelling  spater  zu  einem  Ent- 
wicklungsproducte  des  Absoluten.  Nach  Chr.  Krause  ist  das  Ich  ein  „Tml- 
toesen"  der  allgemeinen  Yemimft.  Hegel  bestimmt  das  Ich  als  j,da8  Aügememe^ 
da8  hei  sich  ist*  (Sechtsphilos.  S.  43  f.).  „Das  Denken  als  Subjeet  rorgesidli 
ist  Denkendes,  und  der  einfache  Ausdruck  des  existierenden  Std^eets  aU 
Denkenden  ist  leh'^  (Encykl.  §  20).  „Ich  aber  ctbstract  als  solches  ist  die  reine 
Bexiekung  auf  sieh  selbstf  in  der  vom  Vorstellen^  Empfinden,  von  jedem  Zusiamd^ 
wie  von  jeder  Particularität  der  Natur,  des  Talents,  der  Erfahrung  u.  s.  f.  ab- 
strahiert ist.  Ich  ist  insofern  die  Existenx  der  ganz  abstraeten  Ällgemeinheil, 
das  abstretet  Freie^^  (ib.).  Das  Ich  (die  Seele)  ist  „der  Begriff  sdbst  in  seiner 
freien  Existenx*^  (Ästhet.  I,  141),  es  ist  eine  ideelle  Einheit  (ib.).  K.  Rosen- 
kranz erklart:  „hidem  das  Selbst  aus  dem  Objectiven  in  sich  xarückgekt,  findet 
es  sich  selbst  als  mit  ihm,  dem  Subfect,  identisch"  „Das  Ich  setxt  steh  selbst, 
seixt  sich  ihm  selbst  entgegen  und  setxt  sich  auch  als  die  Einheit  des  settenden 
und  gesetxten  Ich"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  411).  „Das  Ich  kann  nicht  Ich  sein,  ohne 
seiner  selbst  gewiß,  d.  h,  ohne  sich  selbst  als  Subjeet  Object  xu  sein"  (PsychoL», 
S.  288).  Das  Selbst  ist  „die  sich  unaufhörlich  erneuernde  Tat  des  Geistes^ 
(1.  c.  S.  289).  Nach  Hein^roth  ist  das  Ich  das  Beharrliche  an  der  Seele  (P&ychoL 
S.  150),  es  wird  als  Einheit  immer  schon  vorausgesetzt  (L  c.  S.  155).  "Die  Ich- 
heit  ist  „der  Focus  aller  Functionen  oder  aller  Radien  des  geistigen  Mensehen'*^ 
(Psychol.  S.  8).  Ichheit  ist  „persönliclie  Einheit*^  vermöge  des  SelbstbewußtseiDS 
(1.  c.  S.  29).  Die  Ichheit,  das  Ich  ist  ein  unmittelbar-gewisses,  unbestreitbares 
Grundfactum  (1.  c.  S.  283).  „Sentio,  ergo  sum",  „volo,  ergo  sum"  (L  c.  S.  284). 
Das  Ich  ist  das  sich  selbst  Gleiche  in  allen  seinen  Act^,  „die  allgemeine 
Gleichung  für  eine  unendliche  Reihe  von  Functionen"  (1.  c.  S.  2^).  Das  Ich 
ist  das  Band  von  Wissen  und  Sein  (1.  c.  S.  287),  die  Quelle  der  Kategoriai  (s.  d.). 
Carriere  betont:  „Wir  sind  nur  ein  Ich,  insofern  unr  uns  als  solches  setxen*^ 
(Ästh.  I,  42;  Weltordn.  S.  158).  —  Nach  Günther  wird  das  Ich  nicht  erlebt^ 
sondern  erschlossen.  Garnier  bemerkt:  „Ijc  nwi  est  Väme  se  pereevant  ou  se 
connaissant^  (Trait  I,  p.  373).  Nach  Guteerlet  u.  a.  ist  das  pejchologiscfae 
Ich  die  Seelensubstanz  (Kampf  um  d,  Seele  S.  105).  „Bei  dem  Wechsel  der 
inneren  Zustände  bleibt  imfner  ein  Element,  nämlich  der  mir  xugehörende  Umstand, 
daß  es  immer  meine  Zuständliehkeit  ist.  Dieses  constante  Element,  welches  sieh 
mit  allen  wechselnden  Zuständen  verbindet,  ist  das,  was  tcir  xunächst  als  Ich 
ausscheiden  und  auffassen"  {ib.).  Es  ist  femer  auch  „das  Subjeet,  teelches 
jene  Zustände  an  sich  und  in  sieh  erfährt^  (ib.). 

Nach  Schopenhauer  ist  das  Ich  „das  pro  tempore  identische  Subjeet  des 
Erkennens  und  Wollene"  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  Bd.,  C.  19).  Es  ist  der  ,^- 
differenxpunkt^  von  Willen  und  Intellect,  deren  Wurzelstock,  gemeinschaftlicher 
Endpunkt,  ,^der  xeiiliche  Anfangs-  und  Anknüpfungspunkt  der  gesamten  Er^ 
scheinung,  d.  h,  der  Objectivation  des  Willens"  (L  c.  II.  Bd.,  C.  19).  Das 
„tßieoretische"  Ich  ist  der  „Einheitspunkt  des  Bewußtseins",  es  ist  eine  Erkenntnis- 
function  des  „wollenden"  Ich  (L  c  C.  20).  Kern  und  Trager  des  Ich  ist  der 
Wille  (s.  d.).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  das  Ich  ein  Product  des  Geistes  (Psy- 
chol. I,  167  f.).  Das  Ich  ist  „weder  ein  Reales,  noch  viel  weniger  Prinrij^ 
eines  Reeden,  sondern  lediglich  das  Product  einer  psychologischen  Ab- 
straction'*;  es  ist  „die  leere  Form  des  Selbstbetvußtseins,  in  welcher  der  Geist 
seine  reale^i^  aber  ihm  bereits  bewußt  gewordenen  Unterschiede  vorstellend  xu- 
sammenfaßt:  Zeichen  eines  Realen"  (Psychol.  I,  S.  XVIII  f.).    Das  Ich  ist 


Ich.  451 

nichts  Substantielles,  sondern  Prädicat  und  Merkmal  des  Geistes  (1.  c.  I,  167). 
E.  V.  Hartmank  sieht  im  Ich  keine  Substanz,  keine  Wesenheit,  sondern  die 
Erscheinung  des  unbewußten  Subjeets  (Philos.  d.  Unbew.',  S.  535).  Das  Ich 
ist  y/iie  Abstrciction  des  SdbstbewußtseinSy  die  leere  Farm  des  Selbstbeumßtwerdens 
unter  Äbsehung  van  edlem  eoncreten  Bewußtseinsinhalt ^  in  welcher  die  Refleodan 
auf  die  in  allen  meinen  Beunißtseinsaeten  identische  Farm  meines  Betcußtsevns 
selbst  xum  Inhalt  eines  bestimmten  Bewußtseinsaetes  icird^^  (Kategorienl.  S.  501). 
Es  darf  nicht  hypostasiert  werden  (1.  c.  S.  502).  Das  „reale  Subject  der  psychi- 
schen Tätigkeiten"  ,Jcann  nicht  ein  Ich,  ein  schon  an  und  für  sich  selbstbewußtes, 
sein,  tceil  das  Bewußtwerden  selbst  erst  eine  der  psychischen  Tätigkeiten  ist,  alsa 
ein  Posterius  des  Subfects  sein  muß,  ein  Mi  ihm  erst  nachträglich  Hinxuhatnmen- 
det^*"  (L  c.  S.  507).  Das  Ich  ist  „eifie  subjectiv  ideale  Erscheinung  der  SeeU^'- 
(L  c.  S.  511).  So  auch  A.  Dkews  (Das  Ich  S.  132).  Das  Ich  ist  „Subjecf', 
j/iber  dies  bedeutet  nicht  das  reale  denkende  Subject,  sondern  nur  den  subjectiven 
Pol  des  Bewußtseins,  dem  das  Obfect  als  sein  notwendiges  Carrelat  gegen- 
übersteht*' (L  c.  S.  138).  Das  Ich  ist  die  Form  des  Bewußtseins  (1.  c.  S.  144), 
setzt  das  Bewußtsein  schon  voraus  (ib.).  Jedes  Ich  ist  ein  empirisches  Ich 
(L  c.  B.  228).  Die  Ichheit  ist  der  einheitliche  Act  des  Zusammenfassens,  der 
bei  allen  Wesen  identisch  ist  (ib.).  Das  Selbigkeitsbewußtsein  bezieht  sich  „tmr 
auf  die  unbewußten  Faktoren  des  Bewußtseinsinhalts"  (Arch.  f.  system.  Philos. 
Vni,  S.  207).  Die  WirkUchkeit  des  Ich  ist  bloß  eine  ideeUe  (1.  c.  8.  208). 
Jeder  Versuch,  das  Beale  unmittelbar  vom  Ich  aus  zu  bestimmen,  hebt  sich 
schließlich  in  seinen  Ck>n8equenzen  selber  auf  (Das  Ich  S.  130).  —  Nietzsche 
erklart  das  „Subfeet"  des  Bewußtseins  für  eine  Fiction  (WW.  XV,  282).  Das 
Ich  darf  nicht^substantialisiert  werden  (WW.  XV,  354j.  Es  ist  eine  Mehrheit 
von  E^raften,  von  denen  bald  diese,  bald  jene  im  Vordergrunde  steht;  der 
„Subfeetpunkt"  springt  herum  (WW.  XI  6,  157).  Das  Ich  als  primäre  Ursache, 
als  Täter  ist  eine  Fabel  (WW.  VIII  2,  S.  94  f.).  Ich  und  „organisches  Ein- 
heüsgefühl"  sind  zu  unterscheiden.  Das  Ichbewußtsein  ist  das  letzte,  was  hin- 
zukommt, wenn  ein  Organismus  fertig  functioniert  (WW.  XII  1,  32).  Das 
Selbstbewußtsein  ist  ein  sociales  Product  (WW.  V,  S.  293). 

Als  Bewußtsein,  Bewußtseinsform,  Bewußtseinsmoment,  psychische  Wesen- 
heit wird  das  Ich  verschiedenerseits  bestimmt.  J.  Bergmann  erklart:  „Gewiß 
ist  ,  ,  .j  daß  wir  nichts  als  daseiend  denken  können,  ahne  unser  denkendes  Ich 
selbst  ctls  daseiend  mi  denken"  (Begr.  d.  Das.  S.  294).  „Dies  aber,  sich  selbst 
XU  denken  und  xwar  als  daseiend,  cUsa  als  identisch  mit  sich,  ist  das  Wesen 
des  Ich.  Ich  bin  das,  was  ich  mit  detn  Worte  ,Ieh^  meine,  nur,  inwiefern  ich  tnich 
denket*  (1.  c.  Ö.  296).  Das  Ich  ist  „nichts  anderes  als  das  icahmehmende  Be- 
tcußtsein,  inwiefern  dasselbe  sich  selbst  xum  Inhalte  hat  und,  indem  es  sich  xum 
Inhalte  hat,  hervorbringf^  (Sein  u.  Erk.  S.  97).  „Ich  habe  nicht,  sondern  ich 
bin  Bewußtsein"  (L  c.  S.  155).  ,J>er  reine  Inhalt  meines  Bewußtseins  ist  ,  .  . 
mein  allgemeines  oder  reines  leh,  der  empirische  Inhalt  mein  besonderes  oder 
empirisches  Ich  und  weiter  nichts"  (ib.).  Das  Ichbewußtsein  steckt  schon  „iti 
der  schwächsten  sinnliehen  Bhnpfindung,  in  dem  dvmpfesten  Gefühle"  (1.  c. 
S.  156).  Nach^O.  Schneider  ist  das  Ichbewußtsein  nur  ,^raus  erklärlich, 
daß  in  detn  Wechsel  ein  unbedingt  Gleiches,  Beliarrliches  mit  festen  Stamm- 
begriffen bleibt,  welches  das  Bewußtsein  der  Dasselbigkeit  (Identität)  erxeugi" 
(Transcendentalpsychol.  S.  122).  „Es  ist  immer  dasselbe  einheitlich  geschlossene, 
als  Ganzes  tätige  Ich,  welches  Ordnung  und  Einheit  in  den  Varstellungen  stiftet 

29* 


452  loh. 

ttnd  sich  seine  Bewußtseinsxustände  auf  Veranlassimg  der  Erfahrung  WMek 
Maßgabe  seiner  apriorischen  Kraft  macht.  Die  kritische  Philosophie  erkennt  in 
diesem  tätigen  Ich  ein  transcendentales ,  übersinnliches,  hei  allen  verständigen 
und  remünftigen  Menschen  gleiches  Beioußtsein*^  (1.  c.  S.  447).  Ein  abflolntes, 
zeitloeee  Ich  als  Seinspriiicip  nimmt  u.  a.  Gbeen  an  (Proleg.  to  Ethics  §  11). 
Nach  G.  Thikle  gibt  es  ein  „iiberxeitliehes  Ich",  dessen  Äußerungen  die  ein- 
zelnen Ich-Acte  sind  (Philos.  d.  Belbstbew.  B.  311).  Das  Ich  ist  „Selbstgefühl, 
,,das  reine  Sichselbst-fühlen  der  Seele",  „Idetvtität  von  Wissen  und  realem  Sdn^, 
,,Sich-selbst'Wollen"  (1.  c.  S.  303  ff.,  327,  311).  K.  Lasswitz  erklart:  J)as 
naturbedingte  Ich  ist  unsere  individuelle  Existenz  in  Raum  und  Zeit  .  .  .  Das 
Ich  als  Selbstgefühl  aber  ist  gerade  das  allgemeine,  das  allen  individuellen  lek, 
die  sich  durch  ihren  Inhalt  unterscheiden,  in  gleicher  Weise  xukomnU,  Nur 
jener  besondere  empirische  Inhalt  ist  naturgesetxiich  bestimmt,  das  Ich-sein  als 
solches  aber  ist  eine  autonome  Bestimmung  im  Bewußtsein,  ivodureh  die  Be^ 
Stimmung  von  Inhalt,  d.  h.  Einheit  von  Mannigfaltigefn^  somit  Nahtr,  erst  mög- 
lich wird"  (Wirklichk.  S.  151).  —  Nach  B.  Erdmank  ist  das  Ich  ein  bei  allem 
Wechsel  des  Bewußtseins  beharrendes  selbständiges  Wirkliches  (Log.  I,  75  L). 
Indem  wir  von  den  Objecten  leiden  und  uns  in  diesem  Leiden  selbst  erhalten, 
werden  wir  uns  unserer  eigenen  Wirklichkeit  bewußt  (1.  c.  I,  83).  A.  Wernicke 
betont:  „Unser  Ich  ist  die  Formaleinheit  seiner  Vorstellungen"»  „Da  unser  leh 
es  an  sich  selbst  erfährt,  daß  ein  Etwae  trotx  der  Verschiedenheit  seiner  Ä- 
stände  sich  stets  als  dasselbe  erseheinen  kann,  so  überträgt  es  diese  Erfahrwig 
unmittelbar  auf  das  Mannigfaltige,  welches  ihm  gegenubertritt,  und  erfaßt  das- 
selbe flach  dem  Muster  (Analogie)  der  Identität  Ich  =  Ich,  so  daß  es  im  Oegebenen 
schließlich  ein  Reich  von  Dingen  sieht,  welche  Formaleinheiten  ,ßefner  Zustände 
sind"  (Die  Grundlag.  d.  Euklid.  Geometr.  1887,  S.  6).  Nach  Behhke  ist  das 
Ich  „das  unmittelbar  gegebene  conerete  Betcußtsein".  „Das  in  Wechselwirkung 
Zusammen  von  Seele  und  Leib  .  ,  ,  ist  der  Anlaß,  daß  dasselbe  Wort  ,ieh^  ,  .  . 
auch  für  jenes  Zusammen  gebraucht  wird"  (Lehrb.  d.  allg.  Psycho!.  S.  126). 
SCHUPPE  erklärt:  „Bewußtsein  und  Ich  können  promiscue  gebraucht  werden.  In 
dem  Sich'Seiner-beicußt'Sein  besteht  das  Ich."  „Das  Ich  erweist  sieh  im  unntiitel- 
baren  Bewußtsein  als  etwas,  was  nur  SuJbject  sein,  nur  Eigenschaften  haben^ 
Tätigkeiten  ausüben  kann  .  .  ,  Es  bedarf  nicht  nur  keines  Substrates^ 
sondern  kann  keines  haben"  (Log.  S.  16).  Ich-Subject  und  Ich-Object  weisen 
gegenseitig  aufeinander  hin.  „So  weit  ist  das  Ich  absolut  einfaehj  ein  absoluter 
Einheitsptinkf*  (1.  c.  8.  19).  „Bewußtsein  oder  Ich"  abstract  genommen  ist  nur 
ein  „begriffliches  Moment  in  dem  Oanxen  des  concreten  oder  individuellen  Bc' 
wußtseins^^  (1.  c.  S.  20).  Als  „Subject  des  Bewußtseins"  ist  das  Ich  uni&umlidi 
(1.  c.  iS.  24),  räumlich  wird  es  erst,  indem  es  sich  als  Object  unter  Objecten 
findet  (1.  c.  S.  25).  Die  Individualität  des  Ich  hängt  allein  vom  Bewußteeu»- 
Inhalt  ab,  welcher  das  empirische  Ich  darstellt  (1.  c.  8.  21).  „Das  einxelne 
individuelle  Ich  ist  dieses  Ich  nur  dadurch,  daß  es  diesen  räumlieh  und  xeiiUek 
bestimmten  Inhalt  haP*^  (1.  c.  8.  27).  „Die  psychischen  Vorgänge  eoineidieren 
in  dem  einen  unteilbaren  Einheitspunkt  des  Ich,  vjelches  sieh  in  ihnen  fi9$det^ 
als  handelnd  oder  leidend,  bestimmt  oder  bestifnmend^^  (1.  c.  8.  76).  „Das  leh 
findet  und  hat  sich  in  diesen  psychischen  Elementen  so  etwa,  wie  die  einfachste 
Erscheinung  aus  den  Erscheinungselementen  besteht"  (1.  c.  8.  140).  Durch  seine 
ihm  eigene  Einheit  ist  das  Ich  ein  „Ich-Ding"  (ib.).  8ghubebt-Solj>rbk  be- 
stimmt: „Die  continuierliche,  zeitlich  einheitliche  Entwicklung  von  VorsteüungsHy 


loh.  453 

OefühleHy  Begehrungen  u,  8.  tc,  gebunden  an  einen  Leib  mit  der  Seinsari  der 
Wahrnehmung  und  den  Mittelpunki  der  unmittelbar  gegebenen  Raumwelt  bildend, 
ist  das  Ich.*^  ,yZu  ihm  steht  alles  in  Beziehung*^  (Gr.  e.  Erk.  S.  8).  Zu  unter- 
Bcheiden  ist  zwischen  concretem  und  abstractem  Ich  (1.  c.  S.  11).  Auf  der 
Ck>ntinuitat  der  Erneuerung  des  ,Jch  denke"'  beruht  die  Identität  des  Ich  (L  c. 
S.  75).  yjkh  bin  mir  eines  Inhaltes  bewußt,  heißt;  es  ist  im  Zusammenhange 
meines  Ich  gegeben^^  (L  c.  S.  76).  Das  Ich  ist  „die  stetige  Verknüpfung  der 
Gegenwart  mit  der  Vergangenheit**  (ib.).  Das  empirische  (concrete)  Ich  ist  die 
Grundlage  des  abstracten  Ich  -  Zusammenhanges  (1.  c.  S.  77;  vgl.  S.  82  ff.). 
RlEHii  erblickt  im  Ich  ,ykeine  absolut  fixe  Idee^  sondern  eine  Vorstellung,  die 
sieh  beständig  erneut,  die  fortwährend  aus  ähnlichem,  aber  nietnals  vollkommen 
identischem  Material  erzeugt  wird".  Es  ist  keine  Seins-,  sondern  eine  Tätig- 
keitsform (PhUos.  Krit.  II  1,  66).  „Nur  der  bloße  Gedanke  ,Ich*,  der  Begriff  des 
Subjeetseins,  ist  immer  und  überall  derselbe  Gedanke,  die  nämliche  Form  des 
Bescußtseins  überhaupt;  das  etnpirische  Selbstbewußtsein  aber,  das  conerete  Ich, 
ist  so  reich  und  mannigfaltig,  so  verschieden  an  Ausdehnung  und  Gehalt,  wie  es 
die  individuellen  Unterschiede  der  Begabung  und  der  Erlebnisse  mit  sich  bringen" 
(Zur  Einleit  in  d.  Philos.  8.  167).  Nach  G.  Gekber  ist  die  Ichheit  das  „Sein 
des  Universums"  (Das  Ich  S.  425).  Die  Gottheit  ist  Ichheit  (1.  c.  S.  415). 
Ohne  Ichheit  keine  Welt  (1.  c.  S.  41).  Das  Ich  hat  ein  ,/ormendes  Wirken", 
eine  „BUdekraft* ,  es  gestaltet  erkennend-handelnd  die  Welt  in  den  Formen 
seines  Bewußtseins,  indem  es  sich  ihr  einbildet  (1.  c.  S.  222,  345).  Nach 
HuBSSBL  ist  das  Ich  nichts,  was  über  den  Erlebnissen  schwebt,  sondern  iden- 
tisch mit  ihrer  eigenen  Yerknüpfimgseinheit  (Log.  Unters.  II,  331),  eine  „ein- 
heiiliehe  Inhaltsgesamtheit"  (ib.),  welche  in  causaler  Gesetzlichkeit  liegt  (1.  c. 
S.  332).  Ein  eigenes  ,;reines"  Ich,  wie  es  u.  a.  Natorp  annimmt,  gibt  es  nicht. 
Nach  MÜKBTERBERG  wird  die  „Ichfunetion"  nicht  vorgefunden,  sondern  erlebt, 
behauptet,  gewollt.  Sie  ist  nicht  beschreibbar,  nicht  erklärbar,  aber  die  ge- 
wisseste Realität,  die  nur  nicht  objectivierbar  ist  (Grdz.  d.  Psychol.  S.  93). 
Aus  der  Summation  oder  der  Wechselwirkung  von  Vorstellimgen,  Em- 
.  pfindungen  (und  Gefühlen)  entspringt  das  Ich  nach  verschiedenen  Philosophen. 
Herbart  findet  im  Begriff  des  einfachen,  reinen  Ich  als  Subject-Object  einen 
„Widerspruch",  indem  das  Ich  als  vorstellend  sein  Vorstellen  u.  s.  w.  „unend- 
liche Reihen"  mit  sich  führt  (Psychol.  als  Wiss.  I,  §  27;  Lehrb.  zur  Psychol.», 
S.  142).  Das  Ich  als  einfacher  „Träger**  einer  Vielheit  von  Zuständen  ist  ein 
„Unwesen"  (Hauptpunkte  d.  Metaphys.  S.  74).  Das  Ich  setzt  sich  nur  im 
jJStssammen"  mit  anderen  Wesen  (1.  c,  S.  76).  Es  ist  „ein  Mittelpunkt  wechseln- 
der Vorstellungen"  (Met.  II,  403),  eine  „Complexion"  (Lehrb.  zur  Psychol.*, 
S.  140).  „Bei  jedem.  Menschen  erzeugt  sich  das  Ich  vielfach  in  verschiedenen  Vor- 
stellungsmassen"  (L  c.  8.  141).  Das  Ich  liegt  in  den  jeweilig  appercipieren- 
den  VoTstellungsmassen.  Es  ist  „ein  Punkt,  der  nur  insofern  vorgestellt  wird 
und  werden  kann,  als  unzählige  Reihen  a/uf  ihn,  als  ihr  gemeinsames  Voraus- 
gesetztes,  xurücktceisen"  (Psychol.  als  Wiss.  II,  §  132).  Im  Sinne  Herbarts  be- 
stimmt G.  A.  Lindner  das  reine  Ich  als  den  idealen  Vereinigungspunkt  aller 
nicht  nach  außen  projicierten  Vorstellungen,  durch  den  eine  allgemeine  Be- 
zogenheit  aller  Vorstellungen  aufeinander  hergestellt  wird  (Lehrb.  d.  empir. 
PsychoL*,  S.  141).  „Das  von  allen  einzelnen  Bestimmungen  des  Seelenlebens 
abhängige  und  mit  ihnen  sich  bestäfidig  verändernde  Ich  heißt  das  historische 
oder  empirische  Ich  des  Mensehen."     Es  ist  streng  genonmien  „eine  stetige 


454  Ich. 

Aufeinanderfolge  ineinander  übergehender  lehf^'-  (L  c.  S.  143).  Bekeke  be- 
trachtet das  Ich  als  Besultat  einer  Verschmelzung  von  VonBtellang^i  (Pragmat 
PsychoL  II,  §  37;  Lehrb.  d.  PsychoL»,  §  151).  —  Nach  J.  St.  IMell  ist  das 
Ich  nur  die  Summe  succedierender  Elrlebnisse,  es  besteht  in  der  y^permaner^ 
possibiliiy  of  feeling*'  (Examin.).  Nach  H.  Spekceb  resultiert  das  Ich  ans  der 
Wechselwirkung  gleichzeitiger  Vorstellungsgruppen  (PsychoL  §  219).  Xadi 
CzoLBE  ist  das  Ich  ein  Summationsproduct  von  Vorstellungen  (Entst^i.  d. 
Selbstbew.  8.  11).  —  Dbobisch  bemerkt:  ,J)ie  ContimtHät  der  Reihe  der  «wi- 
xelnen  zeitlich  untersehiedenen  empirischen  lehe  ist  das,  was  in  der  pgyekiseken 
Erfahrung  dem  treibenden  reinen  Ich  der  SpeeukUion  entspricht*  (Empir.  Psyche^ 
S.  146).  VOLKMANN  betont:  „Das  Ich  ist  nichts  als  ein  psychisches 
Phänomen y  d.  h.  die  Vorstellung  des  Ich  ist  nicht  die  Vorstellung  eines  Wesens 
—  denn  dieses  ist  die  Seele  —  oder  einer  Zusammensetxung  von  Wesen,  sonder» 
lediglieh  das  Bewußtsein  einer  Wechselwirkung  innerhalb  eines  unübersehbaren 
Vorstellungscampleoces^*  (Lehrb.  d.  PsychoL  II*,  170).  Zunächst  ist  das  Ich 
„flfer  empfindende  und  begehrende  Leib",  dann  „da*  Bewußtsein  des  ror- 
stellenden  und  begehrenden  Innern",  endlich  die  „Vorstellung  des  den- 
kenden und  wollenden  Subjectes"  (L  c.  S.  162,  164,  167).  —  Nach  Lipfs 
,^cheiden  icir  mit  xunehmender  Erfahrung,  was  ursprünglich  eifie  ungetrennte 
Einheit  bildet,  den  Inhalt  der  Welt  und  den  Inhalt  unser&r  Persönliehkeii,  oder 
kürxer  die  Welt  und  das  Ich"  (Grundt.  d.  Seelenleb.  S.  408).  „Wir  können  die 
Inhalte  unseres  freien  Vorstellens  als  die  erste  Zone  um  den  eigentlichen  Kern 
des  Ich,  das  wollende  und  vorstellende  Ich  als  das  Ich  der  ersten  Zone  bexeieh$9en. 
Unser  Körper  bildet  dann  die  zweite  Zone.  Als  dritte  Zone  können  wir  damn 
die  Welt  der  Dinge  außer  uns  bezeichnen"  (1.  c.  S.  443).  Nach  Ribot  ist  das 
Ich  ein  Complex  coordinierter  Bewußtseinselemente,  in  deren  jeweiligem  Zu- 
sammenhange die  Einheit  des  Ichbewußtseins  besteht  (MaL  de  la  PersonnaL*, 
p.  169;  MaL  de  la  Volonte  p.  87,  120,  169,  176;  PsychoL  d.  Sentim.  II,  C.  5V. 
Nach  J.  DuBOC  ist  das  Ich  „das  Bewußtseinseentrum  des  jeweiligen  inneren 
Mischungsverliältnisses  des  Individuums"  (Die  Lust  S.  2).  Nach  Ebbdtghaits 
ist  das  Ich  ein  reichhaltiger  Complex,  die  reiche  Gesamtheit  aller  Empfindungen, 
Gedanken,  Wünsche  etc.  eines  Individuums,  ein  „System",  keine  Substanz  (Gr. 
d.  PsychoL  I,  S.  11,  15  ff.).  Nach  E.  Mach  besteht  die  scheinbare  Beständig- 
keit des  Ich  ,inur  in  der  Continuität,  in  der  langsamen  Änderung^^  (AnaL 
d.  Empfind.*,  8.  3).  „Das  Ich  ist  nicht  scharf  abgegrenzt,  die  Grenze  ist  ziem- 
lich unbestimmt  und  willkürlich  verschiebbar**  (1.  c.  S.  10).  Zwischen  Ich  und 
Welt  besteht  kein  absoluter  Gegensatz  (1.  c.  S.  11).  Das  Ich  ist  nur  eine 
ideelle,  denkökonomische  Einheit  von  praktischer  Bedeutung  (1.  c.  S.  18).  „Nidä 
das  Ich  ist  das  Primäre,  sondern  die  Elemente  (Empfindungen).  Die  Eletnente  bilden 
das  Ich.  Ich  empfinde  Orün,  will  sagen,  daß  das  Elemeni  ,0ri4n*  in  einem  gewissen 
Complex  ton  anderen  Elementen  (Empfindungen,  Erinfierungen)  vorkommt**  (1.  c. 
S.  19).  „Aus  den  Empfindungen  baut  sieh  das  Subfeet  auf,  weMies  dann  aller- 
dings wieder  auf  die  Empfindungen  reagiert"  (L  c.  S.  21).  Das  Ich  ist  „mtr  eine 
praktische  Einheit^*  (1.  c.  8.23),  „eine  stärker  zusammenhängende  Gruppe  van  Ele- 
menten, welcfie  mit  anderen  Gruppen  dieser  Art  schwächer  zusammenhängt**  (ib.). 
Nach  Ostwald  besteht  die  Einheit  des  Ich  nur  in  der  Stetigkeit  seiner  Än- 
derungen (Vorles.  üb.  Naturphilos.  S.  411).  Das  Ich  besteht  in  unseren  „Er- 
innerungen und  in  dem  Apparat,  sie  zu  benutzen**  (1.  c.  8.  410).  Cleffosd 
bemerkt:    „Das  Gefühl  der  Persönlichkeit   ist  ,  .  .   ein  gewisses    Gefühl    des 


Ich.  455 

Zusammenkanges  xwiseJten  verblaßten  Bildern  vergangener  Empfindungen:  die  Per- 
sönlichheii  selbst  besteht  in  der  TcUsaehey  daß  derartige  Verbindungen  vorhanden 
9ind,  in  der  dem  Flttsse  der  Empfindungen  xvkommenden  Eigentümliehkeit,  daß 
Teile  derselben  aus  Banden  bestehen,  die  schwache  Reprodaetionen  vorhergegangener 
Teile  miteinander  verbinden.    Sie  ist  somit  ettoas  BekUives,  eine  Art  von  Ver^ 
knüpftkeit  gewisser  Elemente  und  eine  Eigenschaft  des  so  erzeugten  Complexes, 
IHeser  CompUx  ist  das  Bewußtsein^^  (Von  d.  Nat.  d.  Ding,  an  eich  S.  39).    Nach 
H.  Cornelius  gehören  alle  Inhalte,  die  wir  unserer  Persönlichkeit  oder  unserem 
Ich  zurechnen,  dem  jJSusammenhang  unseres  Bewußtseins^^  an.    Die  Identität 
des   Ich  ist  nicht  Schein,  weil  es  immer  denselben  Zusammenhang  bedeutet, 
der  durch  ein  eigenes  Grefühl  charakterisiert  ist.    Durch  psychische  Processe 
bilden   sich   Begriffe   „eonetanter   Fa>ctoren  unserer  Persönlichkeit'' ,   dauernder 
Dispositionen  (Einleit  in  d.  Philos.  S.  300;  vgl.  S.  326).     Nach  Strindberg 
ist  das  Ich  „eine  Mannigfaltigkeit  von  Reflexen,  ein  Complex  von  Trieben  (Be- 
gierden/* (Vergang.  e.  Toren  I,  S.  235).    R.  Wähle  erklärt:  „Unter  ,/eÄ*  rer- 
steßtt  man  Fühlen,    Urteilen,   Willenskraft  etc.    So  oft  nun  solche  Gattungen 
von  Vorkommnissen  in  verschiedenartigster  Weise  auftreten,  hat  7nan  ein  Jch* ". 
Dieses  Ich  ist  nichts  Substantielles,  Selbständiges  (Das  Ganze  d.  Philos.  S.  72  ff.). 
—  Preyer  betont,  das  Ich  sei  nicht  einheitlich,  nicht  unteilbar,  nicht  ununter- 
brochen.   „Im  Wachsein  ist  es  stets  nur  da,   wo  die  centro  -  sensorischen  Er- 
regungen gerade  am  stärksten  hervortreten,  das  heißt,   wo  die  Aufmerksamkeit 
angespannt  ist .^^     Das   Ich   ist  nicht  Summe,   sondern  Vereinigung  (Seele  d. 
Kind.  S.  392).     Das  „Rinden-Ich**  ist   ein   anderes   als   das  „Riiekenmark-Icii" 
(1.  c.  S.  390).     Nach  Kroell  ist  das  Ich   „nicht  eine  ureigne  Kraft,  sondern 
immer  nur,  wie  das  Bewußtsein  überhaupt,  ein  vorübergehender  und  wahrend  des 
ganxen   Lehens  sich  stets  erneuernder  Inhalt  der   fiahnen  mit  bevrußten   Ehr- 
seficinungs formen* '^* ,     Der  Mensch  wird  erst  zum  Subject  diurch  seine  geistige 
Entwicklung  (Die  Seele  S.  56). 

Auf  den  Leib  bezieht  das  Ich  L.  Feuerbagh.  Im  psychologischen  Or- 
ganismus erblickt  das  Ich  Bain  (Ment.  Scienc.  p.  402),  in  gewisser  Beziehung 
auch  im  Willen  (Sens.  and  Int.','  p.  342).  Nach  C.  Göreng  ist  das  „Ich**  nichts 
als  das  „persönliche  Fürwort,  tcelches  in  Rücksieht  auf  seinen  Inhalt  durchaus 
bestimmt  wird  von  der  Auffassung  des  Namens,  welcher  es  vertritt*  (Syst.  d. 
krit.  Philos.  I,  162).  Für  den  natürlichen  Menschen  ist  das  Ich  der  Leib  (L  c. 
8.  169).  Das  Ich  als  solches  ist  eine  Abstraction,  es  besteht  in  Wirklichkeit 
nur  mit  und  in  Bewußtseinsinhalten  (ib.).  Nach  B.  Avenariüs  ist  das  Ich 
eins  mit  dem  Individuum.  Das  „/(^"-Bezeichnete  ist  mit  der  „Umgebung**  als 
ursprünghcher  „Befum^*  gegeben,  es  bUdet  das  „Centralglied**  einer  „Prineipial- 
coordinaHon** ,  deren  „Qegenglied**  die  Umgebung  ist  (Der  menschl.  Weltbegr. 
8.  82  ff.;  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  18.  Bd.,  S.  405).  Wissenschaftlich 
tritt  an  die  Stelle  des  Gresamtindividuums  das  „System  G**  als  dessen  Bepräsen- 
tant  („empiru^eritische  Substitution**,  Weltbegr.  S.  87). 

Als  Kraft,  lebendige  Wirksamkeit,  Willenstatigkeit  im  Zusammenhang  eines 
Bewnfitseins  tritt  das  Ich  bei  einer  Reihe  von  Philosophen  auf.  Platner  er- 
klart: ,J)as  SelbstgefüM  von  meinem  Ich  ist  nicht  ein  Haufen  von  Ideen,  sondern 
das  Oefühl  einer  Kraft,  welche  Ideen  behandelt,  selbst  nicht  wechselt,  jedoch  sieh 
verändert,  d,  Ä.  übergehet  von  einer  Art  des  Seifis  auf  die  andere,  tmd  ihre  eigene 
Beharrlichkeit  von  dem  Wechsel  ihrer  2^tstände  klar  unterscheidet*  (Philos.  Aphor. 
I,  §  866).      Maine    de  Biran    unterscheidet    „moi  phenomenal**  imd   „moi 


456  Ich. 

,  _  im, 

noumenal".   Das  Ich  ißt  Wille.  Es  ist  ,yUnefarce  hyperorganique  ncUurellemefU  m- 
rapport  Ckvec  une  resistance  vivante"  (Ess.  I,  sct.  II,  eh.  1).    „Je  suis  wie  foroe 
agissante"  (Oeuvr.  III,  p.  18).     Es  gibt  eine  jyappereepiion  interne  immedifAe 
ou  conseience  d*une  force,  qui  est  moi"  (L  c.  III,  5).     „Le  moi  s'aperpoii  .  .  - 
primitivementf  et  il  s'entend  ä  la  foi  au  titre  ^etre  reellement  exisiant  dans  nm 
temps  par  son  Opposition  ä  tout  ce  qui  est  appelle  ehose  ou  objet^*  (L  c.  III,  13 II 
Das  Ichbewußtsein  ist  die  Quelle  der  metaphysischen  Begriffe.    Auch  Destttt 
DE  Tracy  bestimmt  das  Ich  als  Wille  (El.  d'id^l.  IV,  p.  72;  vgl  IV,  67,  69). 
Nach  J.  G.  Fichte  findet  sich  das  Ich  wesentlich  als  wollend  (Syst  d.  ÖittenL 
S.  8).   Nach  FOKTLAGE  besteht  das  Ich  in  einem  „Systetn  von  TH^fen"  (Tsychd. 
II,  §  73).    Naich  LoTZE  ist  die  Ichheit  etwas  Ursprüngliches.     ,fTedes  Gefiikl 
der  Lust  oder  Unlust,  jede  Art  des  Selbstgemisses,  enthält  für  uns  deti  Urgnmd 
der  Persönlichkeit,  jenes  unmittelbare  Für-sich-sein  .  .  ."  (Mikrokosm.  III*,  567  ^ 
Denkbar  ist  das  Ich  nur  in  Beziehung  auf  das  Nicht<Ich,  aber  erlebbar  ist  es 
schon  vorher  auiSer  jeder  solchen  Beziehung  (1.  c.  S.  568).    Nach  Teichmüllek 
ist  das  Ich  Substanz  (N.  Grundleg.  S.  156).   Es  ist  „der  gemeinsame  Bexiekungs^ 
punkt  für  alles  im  Bewußtsein  gegebene  reale  und  ideelle  Sein^*  (1.  c.  S.  167). 
Die   Ichheit   ist  in   allen   qualitativ   identisch  (ib.),   aber  die  vielen  Iche  sind 
numerisch  verschieden  (ib.).    Das  Ich  ist  zeitlos  (1.  c.  S.  170).    Es  ist  Bedinguni^ 
und  Prototyp  des  Substanzbegriffes  (1.  c.  S.  171  ff.).     Nach  R.  Hamsrlixo 
ist  das  Ich   nichts   außer   imd   neben  seinen  Bestimmungen,  aber  fss  ist  doch 
real  (Atomist.  d.  Will.  I,  220).    Die  Setzung  der  eigenen  Existenz  ist  eine  ab- 
solut gültige  (1.  c.  S.  223).    Das  Ich  ist  ein  Actives,  es  ist  ein  Geschehen,  ein 
Lebensproceß  (1.  c.  S.  232).    „Das  Ich  als  Subject  ist  das  allgemeifie,  unend- 
liche, absolute,  das  Ich  als  Object  das  endliche,  individuelle  Ichj  mit  dem  be- 
sondern  Inhalt  seiner   Vorstellungen  und  Willensacte^^  (1.  c.  B.  233).     Es  gibt 
einen  „Ichsinn^^  (1.  c.  II,  S.  154  ff.).    HoRWicz  erblickt  im  Ich  das  allenrealste 
Wesen,  die  Ichheit  ist  der  Quell  des  Dingbegriffes  (s.  d.)  (PsychoL  Analys.  II, 
127,  150).    Nach  Th.  Ziegleb   ist  das  Ich  „nichts  neben  seinem  Fühlen,  Vor- 
stellen oder  Wollen^^  (Das  Gel*,  S.  70);  dem  Ichbewußtsein  liegt  das  Geföhl 
zugrunde  (1.  c.  S.  68).     Höffdinq  bestinmit  xias   Ich  im  engeren  Sinne  als 
Träger  der  Willenshandlungen  (PsychoL*,  S.  123).    Nach  Wundt  ist  das  Ich 
keine  Substanz,  sondern  ein  Gefühl  des  Zusammenhanges  der  Willensvorgange, 
die  bei  aller  Verschiedenheit  ihrer  Inhalte  doch  als  gleichartig  aufgefaßt  werden. 
Das  Ich  ist  Tätigkeit,  Einheit  des  Wollens,  im  Bewußtsein  wirksam.   ,yDieses  lehy 
isoliert  gedacht  von  den  Objecten,  die  seine  Tätigkeit  hemmen,  ist  unser  Wollen, 
Es  gibt  schlechterdings  nichts  außer  dem  Menschen  noch  in  ihm^ 
was  er  voll  und  ganx  sein  eigen  nennen  könnte,  ausgenommen  seinen 
Willen''  (Vorles.  üb.  d.  Mensch.*,  S.  250,  270;  Log.  II*,  2,  S.  246  f.;  Syst  d. 
Philos.*,  S.  377).     Ein  leeres,  reines  Ich  gibt  es  nicht,  da  das  „/eA"  nur  die 
Form  des  Zusammenhanges  von  Erlebnissen  in  einem  Individuum,  zugleich  die 
Gesamtwirkung  der  früheren  Erlebnisse  auf  die  momentanen  Zustände  bedeutet 
(Vorles.*,   S.  269  ff.;   Grdz.  d.  phys.  PsychoL  II*,  302  ff.;  Log.  II*,  2,  246  f.; 
Syst.  d.  Phüos.*,  S.  40;  Eth.«,  S.  448).     Die  Identität  des  Ich  mit  sich  selber 
ist  bedingt  durch  die  Stetigkeit  der  Willensvorgänge  und  durch  die  Einheit 
und  Gleichartigkeit  der  Apperception  (s.  d.),  ohne  daß  die  Annahme  einer  ab- 
soluten Beharrlichkeit  des  Ich  notwendig  ist.    In  der  „reinen  Apperctptioft\ 
„d,  h,  in  der  dem  übrigen  BewtißtseinsinhaUe  gegenübergestellten  inneren  WUl&w 
tcUigkeit",  erkennt  das  Individuum  sein  eigenstes  Wesen  (Eth.*,  S.  448).    „Das 


loh  —  Ideal.  457 


Ich  empfindet  sieh  xu  jeder  Zeit  seines  Lebens  als  dasselbe,  weil  es  die  Tätigkeit 
der  Äpperception  als  voilkommen  stetige,  in  sieh  gleichartige  und  zeitlich  xu- 
sammenhängende  auffaßt^^  (ib.).     „Indem  .  .  .  die   Wülensvorgänge  als  in  sich 
xusammenhängende  und  bei  aller   Verschiedenheit  ihrer  Inhalte  gleichartige  Vor^ 
gänge  aufgefaßt  werden,  entsteht  ein  unmittelbares  Gefühl  dieses  Zusammenhanges, 
das  xunäehst  an  das  alles  Wollen  begleitende  Oefühl  der  Tätigkeit  geknüpft  ist, 
dann  aber  .  .  .  über  die  Gesamtheit  der  Bewußtseinsinhalte  sich  ausdehnt.    Dieses 
Gefühl  des  Zusammenhangs  aller  individuellen  psychischen  Erlebnisse  bezeichnen 
wir  als  das  ,Ich\    Es  ist  ein  Gefühl,  nicht  eine  Vorstellung  .  .  .  Es  ist  jedoch, 
wie  alle   Gefühle,   an  gewisse  Empfindungen  und  Vorstellungen  gebunden^^  (Gr. 
d.  PsychoL^  S.  264).    Durch  die  Sonderung  des  SelbetbewußtseiiiB  (s.  d.)  ergeben 
sich  drei  Bedeutungen  des  Begriffes  „Subject'*  (s.  d.).    Metaphysisch  ist  das  Ich 
„relativer  Individualwill^^  (Syst.  d.  Philos.*,  S.  413  ff.),  „vorstellender  IVille^^  (ib.). 
KÜLPE  betont:  „Die  Erfahrung,  daß  man  nicht  widerstandslos  den  Einflüssen  und 
Eindrücken  von  außen  her  preisgegeben  ist,  sondern  sieh  wählend  und  handelnd 
ihnen  gegenüber  verhalten  kann,  also  die  Tatsactie  der  Äpperception  oder  des  Willens, 
ist  eines  der  ioichtigsten  Motive  für  die  Sonderung  de^s  Ich  und  Nicht-Ich"  (Gr.  d. 
Psydiol.  S.  465;   vgL  Ich  u.  Außenw.).     Nach  W.  Jerusalem  gilt  als  Ich 
erst  der  Leib,  dann  das  Denken,  endlich  das  Wollen.    „So  schränkt  sich  denn  das 
Ich  hnmer  mehr  auf  ein  einziges  Gebiet  psychischer  Phänomene  ein,  nämlich  auf 
die  Willensimpulse  .  .  .  Das  Ich  ist  nunmehr  der  aktive  Träger  der  Willens- 
hafidlungen  und  kehrt  damit  zu  jetiem  Punkte  zurück,  von  dem  es  ursprünglich 
ausgegangen''   (Urteilsfunct.  S.   168;   Lehrb.  d.  Psychol.»,   S.   196  ff.).     Schon 
Meynert  unterscheidet  ein  primitives,  „primäres''  und  ein  entwickeltes,  „secun^ 
däres"   Ich  (Gehirn  u.  Gesitt.  S.  32  ff.).    Diese  Unterscheidung  u.  a.  auch  bei 
Jerusalem  (Lehrb.  d.  PsychoL»,  S.  196  ff.)  und  Jgdl  (Lehrb.  d.  Psychol.).    Nach 
ihm  Lst  das  primäre  Ich  schon  die  Voraussetzung  der  Bewußtseinsentwicklung, 
jedem  Bewußtseinszustande  notwendig  inhärent  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  92).    Das 
secundäre  Ich  hingegen  ist  das  Product  psychologischer  Entwicklung;  es  besteht 
aus  Vorstellimgen  und  Gefühlen  (L  c.  S.  5.59).     L.  Chevalier  erklärt:  „Das 
Ich,  das  sich  seiner  Vorstellungen,  Gefühle  und  Begehrungen  beicußt  ist,  ist  nicht 
in   Vorstellungen  gegeben.     Wir  sind  unser  selbst  als  tätig  und  leidend  unmittel- 
bar bewußt,  und  daher  kennen  tcir  uns  als  wirkliches  Ding"  (Entsteh,  u.  Werd. 
d.  Selbstbew.  S.  26).    W.  James  bemerkt:  „In  its  widest  possible  sense  ,  .  .  a 
man's    Seif  is  the  sum  total  of  all  tßiat  he  can  call  hi^"  (Princ.  of  Psychol.  I, 
p.  291  ff.).   Das  „Spiritual  Selp'  ist  „a  ttian's  inner  or  subjective  being,  his  psy- 
chical  factUties  or  dispositions"  (1.  c.  p.  296).     „Ressemblance  among  the  parts 
of  a  continuum  of  feelings  .  .  .  thus  constitutes  the  real  and  rerifiable  ,personal 
identity'   which  we  feel"   (1.  c.  p.  336;    vgl.   Ladd,    Phüos.    of    Mind   1895, 
p.    147   ff.).     VgL   Selbstbewußtsein,   Subject,   Seele,   Doppel -Ich,    Identität, 
Person. 

99leli  demke^^  s.  Äpperception  (transcendentale). 

leli,  doppeltes,  s.  Doppel-Ich. 

IcMielt:  der  Charakter  des  Ich-Seins,  das  Für-sich-sein  (vgl.  J.  G.  Fichte, 
WW.  I  2,  19  f.).    Vgl.  Ich,  Kategorien. 

lelisiiin  8.  Ich  (Hamebling). 

Mlleal  (idealis)  bedeutet:   1)  vorbildlich,  dem  Charakter  der  Idee  (s.  d.), 


458  Ideal  —  Ideale. 


des  Ideals  (s.  d.)  angemessen;  2)  (=  ideell)  nicht  wirklich,  nicht  real  (&  i;' 
nur  als  (oder  in  der)  Idee  f\^orstellung,  Phantasie,  im  Bewußtsein)  bestdiend;' 
3)  nicht  empirisch  vorkommbar,  sondern  als  Idee,  Geistiges,  Seinsollenda. 
Gültiges  bestehend.    Das  ideale  wird  vom  realen  Sein  unterschieden. 

Zuerst  bedeutet  „idealüy  id^üer^^  so  viel  wie:  in  der  (Platonischen)  Idee, 
vorbildlich,  als  Musterbild  im  göttlichen  Geiste  seiend,  „e»«e  exempiarüer 
(Albertus  Magnus,  Sum.  th.  I,  55,  2).  Von  Wilhelm  voht  Oocam  an  hat 
„idealiter'^  schon  den  Sinn  des  „e««€  in  inteüeeiu^^  des  geistigen  Seins.  Xack 
GoCLEN  bedeutet  y^esse  ideale^*  das  „esse  alieuius  in  rnenie  seeunditm  spedem, 
in  quay  ut  obiectwo  prineipio,  res  cognoseitur'*  (Lex.  philos.  p.  209).  Jjbsssu 
stellt  das  yjidetU"  dem  Materialen  gegenüber  (Erdm.  p.  186  a).  Neben  der 
älteren  Bedeutung  erhält  „idecd^*  (besonders  durch  die  neue  Bedeutung  vce 
„tV/ea"  als  Vorstellung,  Gedanke  seit  Descabtes)  die  des  bloß  Vorstellang«- 
mäßigen,  Subjectiven.  Mendelssohn  erklart:  yyDas  erste,  ran  dessen  Wirk- 
lichkeit ich  überfuhrt  hin,  sind  meine  Gedanken  and  Vorstellungen.  Ich  sekreSfi 
ihnen  eine  ideale  Wirklichkeit  xu,  insoweit  sie  meinem  Itmem  heitcoknen  UHd 
als  Abändenmgen  meines  Denkvermögens  von  mir  tcahrgenommen  teerdat 
(Morgenst.  I,  1).  Platneb  bemerkt:  yyldecUische  Dinge  haben  ihrett  Grund  m 
der  Vernunft*'  (Philos.  Aphor.  I,  §  518).  Kant  bringt  die  transceodentale 
Idealität  (s.  d.)  mit  der  empirischen  Bealität  zusanmien.  Nach  Kbuo  legen  wir 
dem  Wissen  ,Jdealitäi^*  bei,  sofern  wir  es  auf  das  Reale  beziehen,  ,4cnn  du 
Wissen  oder  die  Vorstellung  von  detn,  was  ist,  heißt  eben  das  Ideale^  (Handh. 
d.  Philos.  I,  45).  J.  G.  Fichte  versteht  unter  der  „Reute  des  Idealen^  Jke 
Reihe  desseny  tcas  sein  soll,  und  was  durch  das  bloße  Ich  gegeben  ist"  (Gr.  d. 
g.  Wiss.  S.  2(>4).  ScHELLiNG  bestimmt:  „Ideell,  abhängig  rom  Ich**  (Syst  d. 
tr.  Ideal.  S.  76).  Das  yyobsohä  Ideale^*  ist  „absolutes  Wissen"  (Xaturphilos. 
I,  71).  Ideales  und  Reales  sind  im  Absoluten  identisch.  Das  wahre  Ideale  ist 
„allein  und  ohne  weitere  Vermittlung  auch  das  wahre  Rcale^'  (Vorles.  üb.  d. 
Meth.  d.  akad.  Stud.*,  S.  12).  Nach  Hillebrand  ist  das  Ideale  ,^  mit  der 
Objectivität  identische  Gedanke  oder  der  in  seiner  Realität  sich  gegenwärtige 
Begriff''  (Philos.  d.  Geist.  II,  235).  Das  Ideale  ist  auch  das  Reale  (ib.).  Nach 
Schopenhauer  ist  das  Ideale  ,fdas,  was  unserer  Erkenntnis  allein  tmd  alt 
solcher  angehört"  (Parerg.  I,  1).  Nach  Schaller  u.  a.  ist  ideell  alles  Alwtxacte, 
Allgemeine,  Gesetzliche  (Briefe  S.  37).  Teichmuller  nennt  ideeUes  Sein 
„jedes  yWas',  Quid,  d.  h,  im  attgemeitien  alles,  was  ein  Gegenstand  oder  bh 
halt  des  Denkens  und  Erkennens  geworden  ist"  (N.  Grundleg.  S.  99).  Idedl  ist 
aller  von  der  Erkenntnis  erfaßte  Inhalt  des  Bewußtseins  (1.  c.  S.  101),  allsi 
„Gemeinte"  (1.  c.  S.  118).  Husserl  unterscheidet  das  ideale  Sein  der  Wahr- 
heit (d.  h.  deren  überzeitliches  Gelten)  vom  bloß  psychischen  Sein  in  unserem 
Geiste  (Log.  Unters.  II,  95).  Bei  R  Avenarius  bedeutet  „ideell**  so  viel  wie 
„gedankenJiaft"  gegenüber  dem  „Sachhaften"  (s.  d.).    VgL  Wahrheit,  Sein. 

Ideale  (iSia,  idea,  ideale)  sind  Musterbilder,  VoUkommenheitsb^riffe,  die 
als  Ziele  eines  Wollens  fungieren.  Ein  in  seiner  Vollkonunenheit,  d.  h.  dem 
Zweckwillen  absolut  angemessener  Seinsweise  vorgestelltes,  gedachtes,  erhofftes, 
erstrebtes  Object  (Person,  Ding,  Eigenschaft,  Zustand,  Verhältnis,  Bezi^uDg) 
ist  ein  Ideal,  ein  höchstes,  letztes  Willensziel.  Logisches  Ideal  ist  die  ab- 
solute Wahrheit,  ethisches  Ideal  die  vollkommene  Sittlichkeit,  ästhetische 
Ideale  gibt  es  in  der  Vielzahl,  u.  s.  w.  Etwas  im  Sinne  einer  Idee,  eines  Ideals 
darstellen,  gestalten  heißt  es  idealisieren. 


Ideale  —  Idealismus.  450 


Zur  Zeit  ICants  versteht  man  unter  einem  Ideal  („ideale^^)  ein  yjViaximwn 

perfeeHonis"  (De  mund.  sens.  sct  II,  §  9).    Ideal  ist  nach  Kant  „die  Idee  nicht 

bloß  in  concreto,  sondern  in  individuo,  rf.  ♦.  als  ein  einxelneSj  durch  die  Idee 

allein   bestimmbares    oder  gar  bestimmtes   Dittg"   (Xrit.   d.   r.   Vem.    S.  452). 

j,Was  uns  ein  Ideal  ist,  tror  dem  Plato  eifie  Idee  des  göttlichen  Verstandes,  ein 

einzelner  Gegenstand  in  der  reinen  Anschauung  desselben,   das   Vollkommensie 

einer  jeden  Art  möglicher  Wesen  und  der  Urgrund  edler  Nachbilder  in  der  Er^ 

sckemung*^  (ib.).     „Diese  Ideale,  ob  man  ihnen  gleich  nicht  objective  Realität 

(Existenz)  zugestehen  niöehte,  sind  doch  um  deswillen  nicht  für  Hirngespinste 

anzusehen,  sondern  geben  ein  unentbehrliches  Richtmaß  der  Vernunft  ab,  die  des 

Begriffs  von  dem,  was  in  seiner  Art  ganx  vollständig  ist ,  bedarf,  um  danach 

den  Orad  und  die  Mängel  des   Unvollständigen  xu  schätzen  und  abzumessen'* 

(I.  c.  S.  453).     Ideal  bedeutet  „die    Vorstellung  eines  einzelnen  als  einer  Idee 

adäquaten  Wesens*'^  (Krit.  d.  Urt.  I,  §  17).    Da%  Urbild  des  Geschmacks  ist  ein 

Ideal  der  Einbildungskraft,  welches  von  der  „Normalidee**  des  Schönen  (dem 

GattungsbUde)  zu  unterscheiden  ist.     Das  Ideal  an  der  menschlichen  Gestalt 

besteht  im  Ausdruck  der  Vemunftidee,  des  Sittlichen  (ib.).    Das  höchste  Wesen, 

(5ott  (s.  d.),  bleibt  in  rein  theoretischer,  speculativer  Hinsicht  „ein  bloßes,  aber 

doch  fehlerfreies  Ideal,  ein  Begriff,  welcher  die  ganze  menschliche  Erkenntnis 

sehließt  und  kröfiet,  dessen  objective  Realität  auf  diesem   Wege  zwar  nicht  bc" 

niesen,  aber  auch  nicht   loiderlegt  werden   kann**    (Krit.   d.  r.  Vem.   S.  501). 

F&iBB  versteht  unter  logischem  Ideal  die  Übereinstimmung  der  Erkenntnis  mit 

dan  Sein  (Syst.  d.  Log.  S.  483).    Nach  Hegel  ist  das  Ideal  „die  Idee  als  ihrem 

Begriff  gemäß  gestaltete  Wirklichkeit**  (Ästhet.  I,  96).     Nach  O.  Liebmann  ist 

ein  Ideal  „der  Gedanke  dessen,  was  sein  soü,  was  nach  bekannten  oder  unbekannten 

Kormalgesetzen  als  wertvoll  erkannt  und  daher  vom  OeiHssen  postuliert  icifd*^ 

(Analys.  d-  Wirkl.*,  S.  567).     Die  Ideale  des  Menschen  „entspringen  aus  der 

gdieimnisvoll'unerforschten  Tiefe  seines  geistigen  Naturells,  unter  Anregung  der 

gegebenen  Außenwelt"  (ib.).     Die  sittlichen  Ideale  haben  absoluten  Wert,  sind 

ßdbstzweck  (1.  c.  S.  568,  571).     Biehl  bestimmt:  „Sofern  die  Zwecke  unserem 

Handeln  als  Musterbegriffe  vorschweben,  nennen  irir  sie  Ideale^*  (Philos.  Kriticism. 

II  2,  21).     Als   sittliches  Ideal  betrachtet  Wundt   die  Idee  der  Humanität 

(8.  d.),  schließlich  die  Idee  Gottes  (s.  d.).     Nach  H.   Schwakz  sind  Ideale 

„Geiankenbilder  eines  Besten,  das  das  bezügliche  Gefallen  am  sattesten  macht** 

(PsychoL  d.  Will.  S.  122).     Nach  R.  Steine»  sind  Ideale  „Ideen,  die  äugen» 

hlieldich  unwirksam  sind,    deren    Verwirklichung   aber  gefordert  wird**  (Philos. 

d.  JYeih.  S.  157).    Vgl.  Begriff. 

IdeaUsmns  heißt  allgemein  die  Lehre  von  der  Idealität  (s.  d.)  des 
Beins.  Sie  tritt  in  zwei  (theoretischen)  Hauptformen  auf:  als  metaphysischer 
md  als  erkenntnistheoretischer  Idealismus.  Der  erstere  behauptet: 
wahres  Sein,  absolute  Wirklichkeit  hat  nur  die  Idee  (s.  d.),  der  Geist,  das 
Geistige  (als  Vernunft,  Wille  u.  dgl.).  Das  Geistige  ist  der  Urgrund  alles  Ge- 
schehens, der  Urquell  aller  Dinge,  die  treibende,  zwecksetzende  Kraft  in  der 
Welt  („obfeciiver  Idealistnus**),  Ideen  beherrschen  den  Weltlauf,  realisieren  sich 
in  ihm.  Der  erkenn tnis theoretische  Idealismus  behauptet:  Die  Außenwelt 
(«.  d.)  ist  nichts  dem  Subjecte  fertig  Gegebenes,  nichts  Selbständiges,  vom  er- 
kemienden  Subjecte  Unabhängiges,  sondern  sie  ist  bloß  ideal  (ideell),  d.  h.  sie 
besteht  bloß  im  Bewußtsein,  als  Bewußtseinsinhalt,  als  Be^vnßtseinsimmanentes, 
öe  ist  vom  Subjecte  abhängig,  ist  im  imd  durch  das  (allgemeine)  Subject  des 


460  IdealismuB. 


Erkennens  anschaulich-denkend  gesetzt,  construiert,  hat  das  Subjeet  zu  ihrem 
untrennbaren  Correlate  (^jiiein  Ohjeet  ohne  Subjeet^).  Sie  ist  nichts  als  ein  geaetz- 
mafiig  verknüpfter  Zusammenhang  von  (wirklichen  und  möglichen)  Bewußtseins- 
inhalten, ihr  Sein  ist  Bewußt-sein  („esse  =  percipi''),  für  ein  Subjeet  Sein, 
während  der  metaphysische  Idealismus  den  Dingen  ein  Für-sich-Sein  zuerkennt, 
ja  gerade  in  diesem  die  wahre  Wirklichkeit  erblickt.  —  Der  ethische  Idealismus 
erkennt  die  absolute  Gültigkeit  sittlicher  Ideen  (Ideale)  an.  Der  ästhetische 
Idealismus  betrachtet  als  die  Aufgabe  der  Kunst  die  Darstellung  des  Idealoi, 
der  Idee  (s.  d.)  im  Bealen. 

Zunächst  einige  Definitionen  des  Ausdruckes  „Idecdismus^',     Unter  f,ideal 
System"  (Locke,  Berkeley)  versteht  Reid  die  (von  ihm  bekämpfte)  Ansicht,  dafi 
uns  unmittelbar  nur  Ideen,  Vorstellungen  als  Objecte  gegeben  sind.    ,yldeaiistw'' 
heißen  dann  die  Anhänger  der  Lehre,  daß  den  Körpern  nur  eine  ideelle  ETJstfflz 
zukommt.  So  bemerkt  Chb.  Wolf:  „Idealistae  dicwüur,  qui nonnisi uiealem  cor- 
porum  in  anhnis  nostris  existentiam  concedunt:  adeoque  realem  mundi  et  eorporwn 
existentiam  negant*^  (Psychol.  rationaL  §  36).  Nach  Baumgarten  ist  ein  „ideaUsta" 
y^olos  in  hoc  mundos  spirüus  admitiens'^  (also  ein  Spiritualist,  s.  d.,  Met  §  402). 
Nach  BiLFiNQER  ist  die  Meinung  der  Idealisten,  „exisiere  spirüum  infinihtmy 
et  finiios  quoque  ab  ülo  dependentes,  sed  nihil  existere  praeterea"  (Düucidat 
§  115).    Feder:  j^Diejenigen,  welche  iiberhuttpi  leugnen^  daß  die  DiftgCj  die  außer 
uns  vorhanden  xu  sein  scheinen^  tcirklich  vorhanden ^  oder  doch  daran  xweifetn^ 
oder  wenigstens  glaubeti^  daß  man  wohl  daran  zweifeln  könne,  werden  ipisgemein 
Idealisten  genennet.     Wenn  sie  nur  gar  ihre  eigene  Existenx  für  gewiß  kalten, 
heißen  sie  Egoisten"  (Log.  u.  Met.  S.  134  ff.).     Mendelssohn  erklärt:  ^Jkr 
Anhänger  des  Idealis^mus  hält  alle  Phänomene  unserer  Sinne  für  Äccidenxen  des 
menschlichen  Ödstes,  und  glaubet  nicht,  daß  außerhalb  desselben  ein  materielles 
Urbild  anzutreffen  sei,  dem  sie  ah  Beschaffenheiten  zukommen"  (Morgenst  I,  7). 
Nach  Platner  ist  der  Grundbegriff  des  Idealismus  dies,  „d^ß  es  keine  materieüe 
Welt  gebe  und  daß  unsere  Ideen  davon  nichts  anderes  seien  als  Vorspiegelsmgen, 
durch  die  Gottheit  in  unseren  Seelen  erweckt"  (Philos.  Aphor.  II,  §  922).    Kant 
sagt:    „Der  Idealismus  besteht  in  der  Behauptung,   daß  es  keine  anderen  alt 
denkende    Wesen  gebe;   die  übrigen  Dinge,   die  wir  in  der  Anschauung   wahr- 
zunehmen  glauben,  wären  nur  Vorstellungen  in  den  denkenden  Wesen,  denen  in 
der  Tat  kein  außerhalb  dieser  befindlicher  Gegenstand  eorrespondiertef'  (Ptcdegom. 
S.  67).     „Unier  einean  Idealisten  muß  man  .  .  .  nicht  denjenigen  verstehen, 
der  das  Dasein  äußerer  Oegetistände  der  Sinne  leugnet,  sondern  der  nur  nickt 
einräumt,  daß  es  durch  unmittelbare  Wahrnehmung  erkannt  werde,  daratts  aber 
scldießt,   daß   wir  ihrer   Wirklichkeit  durch  alle  mögliche  Erfahrung  niemals 
völlig  gewiß  werden  köntieti"  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  312).     „Der  dogmatiscks 
Idealist   icürde  derjenige  sein,    der  das   Dasein  der   Materie   leugnet,    der 
skeptische,  der  es  bezweifelt"  (L  c.  S.  319).     Diesen  beiden  Fonn^i   des 
Idealismus  stellt  Kant  seinen  „transeendentalen"  Idealismus  (s.  unten)  gegen- 
über.    Eine  b^riffliche  Bestimmung  des  (erkenntnistheoretischen)  Idealismus 
gibt  L.  Busse:  „Für  den  Idealismus  ist  die  körperliche  Außenwelt  lediglich  Er- 
scheinung, Vorstellungsinhalt  eines  Betcußtseins,  und  geht  darin  voüstemdig  auf 
Sie  ist  also  nicht  Erscheinung  von  etwas  .  .  .    Der  Idealismus  kann  nun  wieder 
ein  subjeetiver  oder  ein  objectiver  sein.    Der  erstere  maeht  das  körperliehe 
Universum  zu  einem  Phänomen  für  das  Bemißisein  des  individueilen  endliehen 
Subjecis,    Das  Phänomen  der  körperlichen  Welt  ist  detnnaeh  so  oft  rorA/mden» 


IdesUsmuB.  461 


als  es  individuelle  Bewußtsehissubjecte  gibt  .  .  .  Die  Körperwelt  als  Oanxes,  das 
physische  Weltall  ist  auf  diesem  Standpunkte  nur  eine  ideale  Constnteti(yn^  eine 
Fietion  .  .  .  Der  objeetive  Idealismus  läßt  dagegen  die  Korpenvelt  nicht  in 
den  VbrstellungsinhaUen  der  einxelnen  endlichen  Beicußtseine  aufgehen^  sondern 
macht  sie  xu  einer  ccnstanten  Vorstellung  des  absoluten  unendlichen  Sutjeets^ 
in  welchem  die  endlichen  Subfecte  sämtlich  als  seine  Einschränkungen  enthalten 
sind.  Die  physischen  Weltbildery  welche  in  diesen  endlichen  Beivußtseinen  ent' 
hallen  »ind,  sind  Besonderheiten  des  allgemeinen  physischen  Weltbildes,  das  sie 
veder  dem  Umfang  noch  auch  dem  Inhalt  nach  erschöpfend^  (Geist  u.  Körp. 
ß.  4  f.).  O.  Willmann  versteht  unter  jjdealismus^^  diejenige  y,Denkrichtung, 
bei  welcher  mittelst  der  idealen  Prineipien  der  Idee,  des  Maßes,  der  Form,  des 
Zicedees,  des  Oesetxes  das  Verhältnis  des  ööitlichen  xiim  Endlichen,  des  Seins 
%um  Erkennen,  der  natürlichen  xur  sittliclien  Welt  bestimmt  wird^'  (Gesch.  d. 
Idealism.  III,  206).  —  Eine  extreme  Form  des  erkenntnistheoretischen  Idealismus 
ist  der  „Solipsismus^^  (s.  d.). 

Der  metaphysische  Idealismus  tritt  (noch  in  unreiner  Form)  auf  bei 
Kekakltf  (s.  Logos).  Dann  als  Lehre  von  den  wahrhaft  seienden  Ideen  (s.  d.) 
bei  Plato,  für  den  die  Dinge  nur  „Nachahmungen"  und  Schattenbilder  geistiger 
(aber  nicht  individueller)  Wesenheiten  sind.  Zugleich  begründet  Plato  den 
ethischen  Idealismus,  da  er  die  Idee  des  Guten  (s.  d.)  als  das  Höchste,  das 
Uberseiende  bestimmt.  Idealistische  Elemente  finden  sich  auch  in  den  Lehren 
des  Aristoteles  (s.  Form)  und  der  Htoiker  (s.  Pneuma).  Ausgesprochen  ist 
der  Idealismus  bei  Plotin,  für  welchen  die  Körperwelt  eine  (Emanation  und) 
Erscheinung  der  inteUigiblen  Welt  (xoafios  vorjrog),  der  Welt  der  Ideen  (s.  d.) 
bedeutet.  In  der  Scholastik  macht  sich  ein  Idealismus  geltend,  für  welchen 
im  göttlichen  Geiste  Ideen  (s.  d.)  als  Urbilder  alles  Seins  bestehen.  In  dem 
jjinteUeetus  inßnitus"  des  Spinoza,  von  dem  alle  Dinge  modi  sind,  haben  wir 
ein  idealistisches  Element.  Bei  Malebranche,  Brooks  (vgl.  Freudenthal 
im  Areh.  f.  Gesch.  d.  Philos.  VI,  191  ff.,  380  ff.),  englischen  Piatonikern 
(H.  MoRE,  CuDWORTH),  Leibniz,  Berkeley  findet  sich  ein  spiritualistischer 
Idealismus,  der  die  wahre  Realität  in  eine  Welt  von  Geistern  setzt. 

Bei  J.  G.  Fichte  verquickt  sich  der  metaphysische  mit  dem  erkenntnis- 
theoretischen Idealismus,  indem  Fichte  alle  Realität  in  das  Ich  (s.  d.)  verlegt. 
Einen  objectiven  Idealismus,  nach  welchem  Innen-  und  Außenwelt  die  beiden 
Pole  einer  (über-)  geistigen  Einheit,  des  Absoluten,  sind,  begründet  Schellino. 
Den  ,/xb8okäen"  Idealismus  vertritt  Heoel,  d.  h.  die  Ansicht,  daß  die  endlichen 
Einzeldinge  nur  Momente,  Erscheinungen  des  allgemein-concreten,  absoluten 
Seins,  der  Weltvemunft  sind  („Panlogismtis").  Dieser  Idealismus  besteht  also 
»,tn  der  Bestimmung,  daß  die  Wahrheit  der  Ditige  ist,  daß  sie  als  solche  un- 
mittelbar einxelne,  d.  i.  sinnliche,  nur  Schein,  Erscheinung  sind"  (Naturphilos. 
8. 16).  Einen  voluntaiistischen  (s.  d.)  Idealismus  begründet  Schopenhauer  ;  die 
absolute  Realität  liegt  allein  im  Willen  (s.  d.).  E.  v.  Martmann  verlegt  sie  ins 
y,Unbe$eußte^'  (s.  d.).  Geistige  Kräfte  als  wahre  Seinsfactoren  nehmen  in  ver- 
Bchiedener  Weise  an:  Schleeermacher,  Beneke,  Chr.  Krause,  J.  H.  Fichte, 
ÜLRici,  Fechner,  Paulsen,  K.  Lasswitz,  Lotze  (j,teleologischer"  Idealismus), 
M.  Cabriere,  R.  Bjlmerling,  Bahnsen,  Kirchner,  L.  Busse,  R  Eucken 
(Kampf  um  einen  geist.  Lebensinh.  S.  IV,  31  ff.),  Wundt,  femer  Renouvier, 
Rayaisson,  Carl-xle  (Sartor  Resart.),  Collyns,  Green,  Ferrier  (Works 
1875),   nach   welchem  wahrhaft  nur   „Geister  xugleich  mit  den  Inhalten  ihrer 


462  Idealismus. 


Vorstellungen  existieren'',  Clifford,  Romanfs,  Bobtböm  („rationeller  Idealig' 
mW)  Emebsok  u.  a. 

Der  erkenntnistheoretische  Idealismus  tritt  schon  in  den  Upanishads 
auf  (Deusbek,  Allg.  Gesch.  d.  Philos.  I  2,  147).  Es  wird  hior  gdehrt^  ,/to^ 
diese  ganze  räumliche^  folglieh  vieleinheitliehe,  folglich  egoistische  Weliordntnig 
nur  beruht  auf  einer  uns  durch  die  Beschaffenheit  unseres  Intdlectee  eingeborenm 
Illusion  (nidydjy  daß  es  in  Wahrheit  ntir  ein  ewiges,  über  Baum  und  Zeit, 
Vielheit  und  Werden  erhabenes  Wesen  gibt,  welches  in  allen  Gestalten  der  Natur 
xur  Erscheinung  kommt,  und  welches  ich,  ganz  und  ungeteilt,  in  meinem  hmem 
als  mein  eigenüiches  Selbst,  als  den  Atman  fühle  und  ßnde^'  (Deussen,  Sechzijr 
Upanish.  des  Veda,  Yorr.  S.  X).  IdeaUstisch-subjectivistische  Elemente  finden 
sich  bei  Herakiit,  den  Eleaten,  bei  Demokrit,  den  Sophisten  (Pboti- 
OOBAB,  H1PPIA8),  bei  den  Cynikern,  bei  Plato,  bei  den  Skeptikern,  bei 
Plotdt,  S(X>tu8  Ebiüoena,  unter  den  Scholastikern  bei  Wü^helm 
VON  OccAM  (s.  Qualitäten). 

Die  Möglichkeit  der  bloß  ideellen  Existenz  der  Außenwelt  spricht  (aber 
nur  in  methodischer  Hinsicht)  Desgartes  aus  (Medit.  I  u.  II).  So  meint  auck 
Malebeanche^  die  Sensationen  ,ypourraient  subsister,  sans  qu'il  y  eut  auetm 
objet  hors  de  nous'^  (Rech.  I,  1).  Wir  erkennen  die  Dinge  durch  ihre  Ideen 
(s.  d.)  in  Gott  Nach  Leibniz  ist  die  Körperwelt  nur  eine  „verworrene^*  Vor- 
stellung einer  an  sich  geistigen  Welt  (s.  Monaden).  Idealistische  EHemente  bei 
Galilei,  Hobbes,  Locke  (s.  Qualität).  Die  bloß  vorstellungsmaßige  Existenz 
der  Objeete  (s.  d.)  behauptet  A.  Collieb.  So  auch  Berkeley.  Allee  Sein  ist 
Percipiertsein  (j,esse  =  pereipi",  Princ.  II,  IX).  Nach  Uume  lehrt  die  Philo- 
sophie, daß  alles,  was  sich  dem  Geiste  darstellt,  „lediglieh  eine  PercepHon,  also 
in  seinem  Dasein  unterbrochen  und  vom  Oeist  abhängig  ist^  (Treat  IV,  sct  6). 

Lehrt  der  empiristische  Idealismus,  die  Außenwelt  sei  nichts  als  eine  Summe 
von  Vorstellungen,  so  betont  der  kritische  oder  transcendentale  Idealismus 
Ka2?T8  die  gesetzmäßige,  denkend  gesetzte  Verknüpfung  der  Objeete  als  In- 
halte des  (allgemeinen,  constanten,  überindividuellen)  wiflsenschaftllch  erkennen- 
den Be\i'ußt8eins,  die  „empirische  Realität*  (s.  d.)  der  Objeete  und  die  T^^^yg 
eines  (qualitativ  völlig  unbekannten,  unerkennbaren)  „Ding  an  sich^^  (s.  d.k 
In  Baum  und  Zeit  ist  das  „Qegebene^^  wirklich,  aber  Kaum  und  Zeit  (und  didt 
Kategorien)  sind  nur  Formen  unserer  Anschauung  und  unseres  Denkens,  di9 
Objeete  als  solche  (nichts  als)  gesetzmäßige  Zusammenhange  von  Erkenntnis 
Inhalten.  Die  Existenz  der  Dinge  an  sich  wird  nicht  geleugnet,  wohl  aber  ihre 
Erkennbarkeit  (Prolegom.  S.  68).  Unter  dem  „transcendentcUen  Idealismus  aÜtt 
Erscheinungefi'^  versteht  Kant  „den  Lehrbegriff,  nach  welchem  wir  sie  t* 
als  bloße  Vorstellungen  und  nicht  als  Dinge  an  sich  selbst  ansehen,  und  d* 
gemäß  Zeit  und  Raum  nur  sinnliche  Formen  unserer  Änschaumtg,  nicht 
für  sich  gegebene  Bestimmungen  oder  Bedingtmgen  der  Ol^fecte,  als  Ding^  an 
selbst  siful"  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  313).  „Wir  haben  .  .  .  bewiesen:  daß 
was  im  Räume  oder  in  der  Zeit  angescJiauet  wird,  mithin  alle  Gegenstände 
uns  möglichcfi  ErfaJirung,  nichts  als  Erscheinungen,  d.  t.  bloße  Vor 
sind,  die  so,  trie  sie  vorgestellt  werden,  als  ausgedehnte  Wesen  oder 
Veränderungen,  außer  unsercfi  Gedanken  keine  an  sich  gegründete 
liaben.  Diesen  Lehrbegriff  nenne  ich  den  transcendentalen  Idealism: 
„Ich  habe  ihn  atich  bisweilen  den  formalen  Idealism  genannt,  um  ihn  ton 
materialen,  d,  i,  dem  gemeinen,  der  die  Existenz  äußerer  Dinge  selbst 
zweifelt  oder  leugnet,  xu  unterscheiden''  (1.  c.  S.  401).     „Raum  und  Zeit 


IdeaUamus.  463 


nur  unsere  Ansckauufigsfortnen,  in  ihnen  aber  stellen  sich  icirklick  Dinge  dar^* 
(L  c.  S.  402).  Der  Zweifel,  „ob  das  O^ect,  welches  mir  außer  uns  scHen,  nicht 
vielleicht  immer  in  uns  sein  könnef^,  ist  für  die  Metaphysik  belanglos  (Üb.  d. 
Fortechr.  d.  Metaphys.  S.  117).  Der  transcendentale  Idealismus  ist  zugleich 
„empirischer  Realismus^\  insofern  er  der  Materie  als  Erscheinung  Wirklichkeit 
zugesteht  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  314).  Die  Objecte  sowohl  des  äußeren  als  auch 
des  inneren  Sinnes  (s.  d.)  sind  als  solche  ideell  (L  c.  8.  71).  —  Der  ästhetische 
Idealismus  beruht  darauf,  „daß  wir  in  der  Beurteilung  der  Schönheit  überhaupt 
das  Richtmaß  derselben  a  priori  in  uns  selbst  suchen,  und  die  ästhetische  Urteils- 
kraft in  Ansehung  des  Urteils,  ob  etwas  schön  sei  oder  nicht,  selbst  gesetzgebend 
ist''  (Krit  d.  Urt  I,  §  58).  Der  ,Jdealismus  der  Zweckmäßigkeit''  besteht  in 
der  Behauptung,  daß  alle  Zweckmäßigkeit  der  Natur  unabsichtlich  sei'^  (1.  c. 
I,  §  58,  II,  §  72),  in  der  Leugnimg  der  Intentionalität  des  Naturwirkens,  sei 
es  als  System  der  „Causalität^'  oder  als  System  des  „Favismus"  (1.  c.  II,  72, 
73).  —  Im  Sinne  Kants  lehren  ältere  und  neuere  Kantianer  (s.  d.).  Auch 
Lichtenberg.  Er  behauptet,  wir  müßten  Idealisten  sein.  „Denn  alles  kann 
uns  ja  nur  bloß  durch  unsere  Vorsteüu^ig  gegeben  werden.  Zu  glauben,  daß 
diese  Vorstellungen  und  Empfindungen  durch  äußere  Gegenstände  veranlaßt 
werden,  ist  ja  wieder  eine  Vorstellung,  Der  Idealismus  ist  ganx  unmöglich  xu 
widerlegen,  weil  wir  immer  Idealisten  sein  würden,  selbst  icenn  es  Gegenstände 
außer  uns  gäbe,  weil  wir  von  diesen  Gegenständen  unmöglich  etwas  wissen 
können.  So  wie  wir  glauben,  daß  Dinge  ohne  unser  Zutun  in  uns  vorgehen,  so 
können  auch  die  Vorstellungen  davon  ohne  unser  Zviun  in  uns  vorgehen."  „Man 
muß  erst  eins  werden  über  das,  was  man  unter  Vorstellung  versteht.  Sie  sind 
sicherlich  von  verschiedener  Art,  aber  keine  enthält  irgend  ein  deutliches  Zeichen, 
daß  sie  von  außen  komme.  Ja,  was  ist  außen?  Was  sind  Gegenstände  praeter 
nas?  Was  will  die  Präposition  ,praeter'  sagen?  Es  ist  eine  bloß  menschliche 
Erfindung;  ein  Name,  einen  Unterschied  von  andern  Dingen  atixudetäen,  die 
wir  nicht  praeter  nas  nennen.    Alles  sind  Gefühle^'  (Bemerk.  S.  117). 

J.  G.  Fichte  begründet  einen  subjectiven  oder  ,^ischen"  Idealismus,  dem 
ziijEolge  die  Außenwelt  nur  ein  im  imd  durch  das  Ich  Gesetztes,  ein  Product 
geistiger  Tätigkeit  ist  Zugleich  ist  die  Welt  das  „versinnlichte  Material  unserer 
Pflicht",  das  Object  des  sittlichen  Handelns.  Kein  Object  ohne  Subject.  Es 
gibt  kein  Ding  an  sich  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  131).  Sein  ist  Vom-Ich-gesetzt-sein 
(L  c.  S.  137).  Nur  eines  „Anstoßes"  bedarf  das  Subject  zu  seiner  (sonst  rein 
immaDenten,  Form  und  Stoff  der  Erfahrung  producierenden)  Erzeugung  imd 
Gestaltung  der  Außenwelt  (1.  c.  S.  266).  Die  Idealität  von  Zeit  und  Baum 
wird  aus  der  Idealität  der  Objecte  erwiesen,  nicht  mngekehrt  wie  bei  Kant 
(L  c.  S.  135).  Aber  der  Idealismus  ,^nn  nie  Denkart  sein,  sondern  er  ist  nur 
Speeulation.  Wenn  es  xum  Handeln  hotnmt,  drängt  sich  der  Realismus  uns 
allen  und  selbst  dem  entschiedensten  Idealisten  auf  (Philos.  Joum.  5.  Bd.,  H.  4, 
S.  322).  Nach  Schelling  gibt  es  keine  andere  Eealität  als  die  des  Ich  (Syst. 
d.  tr.  Ideal.  S.  63).  Der  transcendentale  Idealist  behauptet,  das  Ich  empfinde 
^^unmittelbar  nur  sich  seihst,  seine  eigene  aufgehobene  Tcüigkeit.  Er  unterläßt 
nicht  xu  erklären,  tvarum  es  dessenwierachtet  notwendig  sei,  daß  wir  jene  nur 
durch  die  ideeUe  Tätigkeit  gesetxte  Beschränktheit  als  ettvas  dem  Ich  völlig  Fremdes 
anechauen"  (1.  c.  S.  115).  Die  Außenwelt  ist  das  Product  unbewußter  Pro- 
dactionen  des  Ich.  Später  wandelt  Schelling  seine  Anschauung  in  die  des 
objectiven  Idealismus  um.     Einen  Ideal-Beaiismus,  nach  welchem  die  Außen- 


464  IdecülBmuB  —  Idealität. 

dinge  Erscheinungen  von  ^yRealen"  (b.  d.)  sind,  lehrt  Herbart,  in 
Form  tritt  der  gemäßigte  IdealismuB  auf  bei  Schleiermacher,  J.  H.  Ficbts, 
UiiRia,  A.  Lange,  Lotze,  Fechner,  Wundt,  Biehl  u.  a.  Den  Vorstellimg»- 
oharakter  und  die  subjective  Bedingtheit  der  Außenwelt  als  Bolchen  betont 
Schopenhauer.  Die  Welt  ist  unsere  Vorstellung,  ist  nur  als  VorsteUung  da, 
d.  h.  yjdurckweg  nur  in  Bexiehung  auf  ein  anderes ^  dcu  Vorstellende"  (W.  a.  W. 
Tl.  V.  I.  Bd.,  §  1).  „Ein  Obfeet  an  sich  —  ist  ein  erträunUes  ündtm^*^  (ib.1. 
,^Kßm  Ohject  ohne  Subfect  (1.  c.  §  7).  „Die  ganxe  Welt  der  Objeete  ist  und  bleibt 
VorsteUung,  und  eben  deswegen  durchaus  und  in  alle  Welt  durch  das  Subfeet 
bedingt:  d.  h.  sie  hat  transcendentale  IdealitlW^  (1.  c.  §  5).  „Demnach  drängt 
von  selbst  die  Annahme  auf,  daß  die  Welt,  so  une  unr  sie  erkennen^  auch 
fiU'  unsere  Erkenntnis  da  ist,  mühin  in  der  Vorstellung  allein,  und  nicht 
noch  einmal  außer  derselben^*  (1.  c.  II.  Bd.,  C.  1).  Die  Maya  unserer  Ek-kenntnis- 
functionen  verbirgt  uns  das  wahre  Sein,  welches  Wille  (s.  d.)  ist  Aber  Jbei 
aller  transcendentalen  Idealität  behält  die  ob/ective  Welt  empirische  Realität: 
das  Obfect  ist  xwar  nicht  Ding  an  sich,  aber  es  ist  als  empirisches  Obfeet  real. 
Zwar  ist  der  Raum  nur  in  meineni  Kopf;  aber  empiriseh  ist  mein  Kopf  im 
Raum"  (1.  c.  II.  Bd.,  C.  2).  O.  Liebmann  erklart:  wir  können  nicht  wiaBciL 
ob  das  percipi  die  einzig  mögliche  Art  der  Existenz  überhaupt  sei  (AnalysL  d. 
Wirkl.',  S.  29).  Einen  dem  Fichteschen  verwandten  Idealismus  lehren,  in  Ter- 
schiedener  Weise,  Bergmann  und  Eucken.  H.  Cohen  faßt  den  IdealiamiB 
kriticistisch  auf,  aber  nicht  im  Sinne  des  Bewußtseinsmonismus,  sondern  im 
„geschichtlichen"  Sinne  (Log.  S.  507).  Während  der  Psycholc^ismiis  (a.  dl 
-vom  Bewußtsein  ausgeht,  geht  der  Idealismus  „von  den  sachlichen  Werten  der 
Wissenschaft,  den  reinen  Erkenntnissen  aus"  (1.  c.  S.  510).  So  ist  er  der  ^^tnakr- 
hafte  Realismus"  (1.  c.  S.  511).  Solch  einen  „methodischen"  Idealismus  vertretes 
auch  Natorp  (Piatos  Ideenlehre  S.  150,  158  f.),  K.  Vorlander  u.  a.  —  Nach 
HussERL  ist  der  Idealismus  „die  Fortn  der  Erkemitmstheorie,  welche  das  Ideale 
als  Bedingung  der  Möglichkeit  objectiver  Erkenntnis  überhaupt  anerkennt  umi 
nickt  psychologistisch  wegdeutet^'  (Lo?-  Unt.  II,  106).  Eine  idealislasche  Er- 
kenntnistheorie lehren  Hamilton,  A.  Bain,  Hodgson,  Ferrier,  Maitsbl. 
Bradley  u.  a.  So  auch  die  „Immanenxphilosophen"  (s.  d.) :  Schuppe  (Ideali^ 
mus  =  „naiver  Realismus",  s.  d.),  Behmke,  Leclair,  Kauffmann,  Schuhebt- 
Soldern  u.  a.,  für  die  alles  Sein  im  Bewußt-Sein  besteht,  wobei  meist  eis 
allgemeines,  überindividuelles  „Bewußtsein  iüferhaupt*  als  Subjeet  der  Außen- 
welt angenommen  wird.  Empiristisch  ist  der  Idealismus  bei  J.  St.  Mili^ 
Taine,  E.  Laas  (s.  Positivismus),  Nietzsche,  auch  (als  erkenntnistheoi 
Monismus,  der  keine  Dualität  von  Innen-  und  Außenwelt  kennt)  bei  R.  A 
NARius,  E.  Mach,  H.  Cornelius  (mehr  Kant  sich  annähernd).  VgL  W; 
MANN,  Gresch.  d.  Idealism.  I— III.  —  Vgl.  Realismus,  Ideal-Eeaüsmus,  Monism 
Object,  Subjeet,  Sein,  Raum,  Zeit,  Qualität,  Solipsismus,  Sittlichkeit 

Idealist  ist  I)  ein  Anhänger  des  Idealismus  (s.  d.),  2)  ein  Mensch, 

alles  im  Lichte  des  Idealen  sieht  und  behandelt,   der  das  Geistige  über 
setzt  (Schiller,  Über  naive  u.  sentimental.  Dicht  WW.  XII,  175  ff.). 

Idealtftttecli  s  im  Sinne  des  Idealismus  (s.  d.). 

IdealiUlt:  das  Ideal(ideeU-)8ein ,  das  Sein  als  bloße  Idee,  Vo] 
Bewußtseinsinhalt;  das  ideale  Sein.    Vgl.  Heobl  (Encykl.  §  403).  —  VgL  I 
mus,  Ideal,  Object,  Raum,  Zeit 


Ideal-Bealisniua  —  Idee.  465 

Ideal-RealUiinilis  („Real-TdeaHsrntis")  heißt  1)  die  Ansicht,  daß  das 
Ideale  (s.  d.)  zugleich  das  Beale  ist,  oder  2)  daß  das  Ideale  auf  einem  Realen 
beruht,  in  einem  solchen  begründet  ist,  so  wie  das  Reale  sich  im  Idealen  kund- 
gibt, oder  3)  daß  aus  dem  Idealen,  dem  Erkenntnisinhalte,  das  Reale,  das 
Objective,  gewonnen,  erschlossen,  construiert  wird. 

Ad  1):  J.  G.  Fichte  bezeichnet  seine  Lehre  als  „RecU^Idealismus"  oder 
^yldeeU'RecUisfnus"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  269).  „Alles  ist  seiner  Idealität  nach  ab- 
hängig vom  Ich,  in  Ansehung  der  Realität  aber  ist  das  Ich  selbst  abhängig;  aber 
€S  ist  nichts  real  für  das  Ich,  ohne  auch  ideal  xu  seini*  (1.  c.  S.  .268).  „Keine 
Idealität,  keine  Realität,  tmd  umgekehrt*'  (\.  c.  S.  270).  ScHELUNG  erklart:  „Das 
absolut  Ideale  ist  das  absolut  Reale**  (Naturphilos.  S.  67).  „Reflectiere  ich  bloß 
auf  die  ideelle  Tätigkeit,  so  entsteht  mir  Idealismus  oder  die  BeJiauptung,  daß 
die  Schranke  bloß  durch  das  Ich  gesetzt  ist,  Reflectiere  ich  bloß  auf  die  reelle 
Tätigkeit,  so  entsteht  mir  Realismus  oder  die  Behauptung,  daß  die  Schranke 
unabhängig  vom  Ich  ist,  Reflectiere  ich  auf  beide  xugleieh,  so  entsteht  mir 
ein  drittes  aus  beiden,  was  man  Ideal-Realismus  nennen  kami**  (Syst.  d.  tr. 
Ideal.  S.  79). 

Ad  2):  ßcHLEiERKACHER,  RiTTER,  Bexeke,  Trendelenbitbg  ,  daun 
Hebbaet  (s.  Realismus),  Lotze,  Ulrici  (,fier  Realismus  Träger  und  Organ 
"des  Idealismus^  wie  der  Leib  Träger  und  Organ  der  Seele**,  Leib  u.  Seele,  Von*. 
S.  VIII),  H.  Struve,  E.  V.  Hartmautn,  Carriere  {„Die  objective  Realität 
ist  Boden,  Träger,  Organ  des  Idealen**,  Ästhet.  I,  40),  Überweg  (Üb.  Ideal., 
ReaL  u.  Ideal-Real.,  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  philos.  Krit  Bd.  34,  1859)  u.  a. 

Ad  2)  u.  3):  Wundt  betont,  es  sei  die  Überzeugung  ein  Resultat  des 
Denkens,  „daß  die  idealen  Principien  in  der  objecHven  Realität  sich  uneder finden**. 
Die  Denkfunctionen  sind  die  Hülfemittel,  mit  denen  wir  die  realen  Beziehungen 
der  Objecte  auffinden,  wobei  die  Dinge  selbst  den  Stoff  dazu  liefern.  Der 
Ideal-Realismus  hat  nicht  „aus  idealen  Principien  die  Realität  speculativ  ab- 
xuleüen,  sondern,  gestützt  auf  die  berichtigten  Begriffe  der  Wissenschaft,  das 
Verhältnis  der  idealen  Principien  xu  der  objectiven  Realität  nachxuvmsen**  (Log. 
I«,  86  f.,  90  ff.,  6  f.;  Grdz.  d.  physioL  PsychoL  II*,  S.  479  f.).    Vgl.  Realismus. 

Ideal-System  s.  Idealismus. 

Idealartelle  s.  Urteil. 

Ideatton  (idea):  Vorstellungsbildung  (James  Mill;  vgl.  Sergi,  Psychol. 
p.  143). 

Ideatnm  (idea):  das  Vorgestellte,  das  Vorstellungsobject,  der  Vorstel- 
lungsinhalt.  Nach  G.  Biel  ist  das  „ideatum**  „vi  ideae  productum,  seu  est 
ideae  effectum**  (vgL  Goclen,  Lex.  philos.  p.  211). 

Idee  (t^£a,  dho^,  idea,  id^)  bedeutet  1)  ursprünglich:  Gestalt,  Form,  Bild; 
2)  Urbild,  Musterbild,  Typus,  als  reale  Wesenheit;  3)  schöpferischer  Gedanke, 
Begriff,  Gedanke,  Grundgedanke,  begriffliche  Einheit,  Leitmotiv,  Endpunkt  des 
begründenden  Denkens;  4)  Vorstellung,  Bewußtseinsinhalt,  Erinnerungsbild, 
Phantasiegebilde,  Einfall.  —  Man  unterscheidet  logische,  ästhetische,  ethische 
Ideen,  ontologische  (metaphysische)  Ideen  ^  geschichtliche  Ideen.  In  der  Welt 
walten  Ideen  bedeutet:  es  gibt  eine  (immanente)  Weltvemimft,  einen  zweck- 
mafiig-logischen  Procefi,  der  sich  in  der  Natur,  im  Menschen,  in  der  Geschichte 
Ibekundet,  realisiert    Die  „Zrfee"  ist  dann  der  Ausdruck  für  den  Sinn,  die  Be- 

PhiloBopblsoh«!  Wörterbaoh.    2.  Aufl.  30 


466  Idee. 

deutung,  die  Bealisationstendenz  eines  Seinstypus.  Ideen  können  nur  i 
Willensinhalte,  Willensziele  als  wirksam  gedacht  werden,  als  (bewußte  oA& 
nicht  bewußte)  Motive,  Antriebe  des  Strebens,  Wollens,  Handelns.  Die  Idem 
sind  das  ,Constante,  2ieitlose,  Feste  im  Flusse  des  Geschehens,  insofern  dies» 
teleologisch  (s.  d.)  betrachtet  wird. 

Als  Form,  Gestalt  kommt  iSda  vor  bei  Anaxagobas,  Demokrit,  der  die 
Atome  (s.  d.)  als  iSsai  =  axijftara  bezeichnet,  auch  bei  den  Pythagoreern 
(Sext  Empir.  Pyrrh.  hypot.  III,  18).  Den  Megarikern  (?)  wird  die  Anseht 
zugeschrieben,  das  wahre  Sein  bestehe  in  unkörperlichen  ,jßiirf^  {yofjra  ärr« 
xal  dae&ftara  etSrj  ßia^ofisvot  vrjv  dXrj^tvrjv  ovffiav  ßlvai  (Plat.,  Sophist.  246  B). 
—  Schon  SOKRATES  betont  die  Allgemeinheit  und  objective  Wesenheit  de& 
Begriffes.  Plato  nimmt  diesen  (und  den  Eleatischen  Gedanken  des  zeLtkscn 
Seins)  auf,  um  das  bestandige  Werden  der  Dinge  (im  Sinne  des  Hkrakijt 
und  des  Pkotaoobas)  auf  feste  Seinseinheiten  zu  gründen  (vgL  ARisroTELe?» 
Met.  I  6,  987  a  29  squ.;  XIII  4,  1078  b  30).  So  entsteht  der  Begriff  der  „iifcr', 
welcher  das  als  selbständige,  reale  Wesenheit  geschaute  und  gedachte  Einheit* 
lich-Typische  einer  Gattung  von  Dingen  bezeichnet.  Nur  das  Seiende  kann 
erkannt  werden,  was  also  wahrhaft  als  Erkenntnis  sich  gibt,  das  ist  in  einem 
Sein  gegründet  Kein  echter  Begriff  ohne  Seinsgrundlage  (ji^  6vti>  (iriv  ayvwr 
il  avdyKfii  dnidofiiv,  ovri  Si  yrcjaiv,  Rep.  V,  478  C).  Das  Concret-AIlgöneine, 
Anschaulich- Abstracte,  das  ewig  Gleiche  an  einer  Klasse  von  Objecten,  die  Nono, 
an  der  sie  gleichsam  gemessen  werden,  das  Apriorische  (s.  d.)  in  unseren  Wert- 
urteilen ist  die  jjdee^^  (vgl.  Phaedo  102),  aber  zugleich  ist  diese  eine  unabhängig 
vom  Erkennen  bestehende,  wirksame,  unkörperliche,  räum-  und  zeitlose  Wesen- 
heit. Die  „/rfee"  ist  der  (hypostasierte)  Inhalt  des  Gattungsb^riffes,  sie  beruht 
auf  einer  Vermengung  ästhetischer  und  erkenntnistheoretischer  mit  mythiadun 
und  metaphysischen  Bestimmungen.  Die  Idee  soll  jedenfalls  nicht  bloß  eLa 
subjectiver  Begriff  (Xoyos)  sein,  sondern  an  und  für  sich  und  wesenhaft  («tit» 
xa&^  avxo  fud^  avrov)  sein  (Sympos.  211  B).  Die  Ideen  sind  „ge^^emUr 
(X^^^e)  von  den  sinnlichen  Dingen,  sie  sind  in  einer  übersinnlichen  Sphäre 
(iv  ov^avitp  ront^),  Sie  sind  die  Ur-  und  Musterbilder  aUer  Dinge,  na^^uy 
fiarat  die  Dinge  nur  ihre  Schattenbilder,  Erscheinungen,  ^yXoekahmungen'* 
(fiifiijasK),  indem  sie  an  ihnen,  den  Ideen,  „teilhaben**  (/led'Bitg).  Die  Ideen  sind 
den  Dingen  ^^gegenwärtig**  {7ta^ovaia\  die  Dinge  sind  in  „Oemeinsehafl"*^  {xo*- 
vtavicC)  mit  ihnen  (Phaedo  100  D):  Td  fikv  eWtj  ravta  atcne^  na^aSaiyfutre 
eardvai  iv  ifi  fvcei,  rd  8i  dXXa  rovroiv  ioixivai  xal  elvat  Oftoicifiara '  xai  ^ 
fiäd'e^te  avrrj  ToXi  dXXois  yiyvead'atf  tcSv  siScav  ovx  dXXr]  rt^  ij  Bixac&^va^  avxoli 
(Pannen.  132  D);  r^r  Si  fud'e^w  ravvofia  fiovov  ftsxißalev  oi  uiv  yd^  JJt^&a' 
yo^eioi  fitfjLiQCei  jd  ovra  y>aaiv  elvai  tcüp  d^id^fnov^  JlXdrcav  Si  fisd'tt^t  (Arist., 
Met  I  6,  987b  9  squ.).  Die  Ideen  sind  ewig  seiend,  unveränderlich,  unver- 
gänglich, sinnlich  unwahmehmbar,  nur  intelligibel  (sie  sind  voovfisva;  rde  S*av 
iSi'ag  vosia&ai  fuVj  o^nad'ai  S'ov,  BepubL  VI,  507  B;  Ttavrdnaciv  elvat  xa9^ 
»ird  tatra  drniad'rija  ty  tjfitop  eXSr,,  voovfieva  fiovov ^  Tim.  51  D;  xaxd  Tovxa 
tlSoe  i'x^y,  dyiwrjrov  xtti  dvciXed'^ov  .  .  .  do^arov  Si  xal  d)Ji.oH  dvaiad'fjTov^ 
rovTO  o  S^  vdijatg  sü.ijx^v  iniaxoneij  1.  c.  52  A;  ri  ydg  dx^^ufiaTOi  re  9uu  dcx^ 
fiaTtaxog  xal  dva^p^s  ovoia  ovrcos  ovtra  y^vxrjs  xvße^i^rri  fidvt^  d'eaz^  v<^,  Phacdr. 
247  C).  Von  allem,  was  begrifflich  bestimmt  werden  kann,  gibt  es  Ideen,  von 
Natur-  und  Kunstobjecten,  von  guten  und  schlechten,  schönen  und  häßlichen 
Dingen:  elSog  yd^  nov  n  iv  Uxaatov  eiiod'ttfuv  xi&sod'at  ne^i  ixaora  rd  xoHd^ 


Ide«.  467 

olß  TovTov  ovoua  inupiQOfAEv  (Bep.  596  A;   vgl.  Farmen.  130,   Theaet.  186  A; 
«dagegen  Ideen  nur  von  Naturobjecten  nach  Aristot.,  Met  I  6,  987  b  9  squ.). 
I>en  Ideen  ivird  auch  Wirksamkeit,   Leben,  Vernunft  zugeschrieben  (Theaet 
248,  Phaed.,  Phüeb.;  vgl.  Aristot,  Met  I  9,  991b  3).    Untereinander  stehen  die 
Ideen  im  Verhältnis  der  Subordination  u.  s.  w.,  also  in  einem  den  logischen 
Verhältnissen    der    Begriffe    analogen    Zusammenhange.      Alle    sind    sie    der 
höchsten  Idee,  der  Idee  des  Guten  (s.  d.),  unterworfen,  welche  die  Zweck- 
ursache   {ol    ivsna^    Phileb.   54  C),   der    letzte    Seins-    und    Erkenntnisgrund 
ist  (SepubL  VI,  506  £),   als  Gottheit  (s.  d.)   alles  leitet  und  regelt      Später 
bestimmt    Plato   die   Ideen    als    (Ideal-)  Zahlen  (s.  d.),  die  aus  dem  hf  als 
sfipac   und  dem  anti^ov  (s.   d.)   entstanden  sind.      Das    Pythagoreische  Ele- 
ment, das  der  Ideenlehre  schon  von  Anfang  an  immanent  ist,   kommt  so  für 
sich   zur  Geltung.   —   Bezüglich   der  Ideenlehre    bestehen   verschiedene  Auf- 
übssungen :  1)  Die  Platonischen  Ideen  sind  selbständige  Wesenheiten  außer  den 
Dingen  (Aristoteles  u.  a.).    So  sind  nach  Bender  die  Ideen  „ideale  Wesenr 
ketten,  welche  hinter,  über  und  außer  den  Dingen  ein  selbständiges  Leben  führen''^ 
(Metuph.  und  Myth.  S.  154),  schöpferische  Mächte,  die  an  und  für  sich  esdstieren 
(ib.).    Uberweo-Heinze  erklärt:  „Die  Platonische  Idee  .  . .,  ursprünglich  logisch 
gedacht,  ist  das  reine  urbildliche  Wesen,  an  u>elchem  die  miteinander  unter  den 
nämlichen  Begriff  fallenden  oder  einander  gleichartigen  Dinge  teilhaben,     Sie 
ist   in  ästhetischein  und  ethtsehem  Betracht  d€ts  in  seiner  Art    VoÜkommcfie, 
hinler  welchem  die  gegebene  Wirklichkeit  stets  xtiriiclddeibt.     In  logischem  und 
ontologisehem  Betracht  aber  ist  die  Idee  das  reale  Obfect  des  Begriffs  .  .  .    Die 
Idee  geht  auf  da^  Allgemeine;  aber  sie  wird  von  Plato  tcie  ein  räum"  und  zeit- 
loses ürbüd  der  Individuen  vorgestellt.^^    „Die  Verselbständigung  der  Ideen  scheint 
bei  Plato  allmählich  eine  immer  vollere  gewordeti  xu  sein'^  (Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  I*, 
183 f.).  —  2)  Die  Ideen  sind  in  den  Dingen,  diesen  immanent,  aber  Wesenheiten: 
Teichmüller  (Stud.  S.  137).    Nach  J.  E.  Erdmann  ist  die  Idee  „das  gemein' 
sehafUiehe  Wesen  und  wahre  Sein  der  unter  ihr  befaßten  Einxelwesen"  (Grundr. 
I,  d9).  —  3)  Die  Ideen  sind  grundlegende,  normative  Gedanken,  allgemeingültige 
Betzungen  in  der  Form  von  Begriffen  oder  Urteilen,  apriorische  Erkenntnis- 
factoren.    Schon  LoTZE   bemerkt:   „Nichts  sonst  u?ollte  Plato  lehren  ale  ,  .  , 
die  Geltung  von  Wahrheiten,   abgesehen  davon,   ob  sie  an  irgend  einem  Gegen- 
stände der  Außenwelt,   als  dessen  Art  xu  sein,  sieh  bestätigen;  die  ewig  sieh 
selbst  gleich  bleibende  Bedeutung  der  Ideen'*  (Log.*,  S.  513).     Nach  H.  Cohen 
sind  die  Platonischen  Ideen  nicht  metaphysische  Wesenheiten,  sondern  „Grund- 
legtmgen*'  (vno&iüBitt)  zum  Aufbau  der  Objectenwelt  (Log.  S.  268;  vgl.  Zeitschr. 
f.  Völkeipsychol.  IV,  403  ff.).     So  auch  P.  Natorp:    Methoden  und  nicht 
Dinge  sind  die  Ideen,   „Denkeinheiten,   reine  Setxungen  des  Denkens  und  nicht 
äußere,  wenn  auch  übersinnliche  ,Gegensiände' '*   (Platos  Ideenlehre  S.  73,  215), 
sie  sind  „Grundlagen  xur  Erforschung  der  Phänomene,     Diese  ^ben  teil'   an 
ihnen,  d,  h.  sie  sind,  wenn  nicht  darxustdlen,  doch  xu  denken  als  stufenmäßige 
Entwicklungen  der  Verfahrungsweisen',  welclie  die  Ideen  bedeuten.    Die  Idee  sagt 
das  Ziel,  den  unendlich  fernen  Punkt,  der  die  Richtung  des  Weges  der  Erfahrung 
bestimmt;  denn  sie  sagt  das   Gesetx  ihres  Verfahrens"  (L  c.  S.  215  f.).    VgL 
Willmann,  Gesch.  d.  Idealism.  III,  209),  Auffarth,  Die  piaton.  Ideenlehre 
1883,  Lutostawski,  The  Origin  and  Growth  of  Piatons  Logic. 

Nach  XeNOKRATES  ist  die  Idee   airla  naqaSetyftaitxri   twv  xata  fveiv  ael 

swtciokiav  (vgl.  Prokl.  in  Plat  Pannen.   136  C).     Die  Ideenlehre  bekämpft 

30* 


468  Idee. 

Abistoteles.  Die  Ideen  seien  bloß  unnütze  Verdoppehingen  der  Sinnaidinge, 
femer  sei  das  ,yTeilkaöen^*  der  Dinge  an  den  Ideen  nur  ein  Bild  ohne  onto- 
logischen  Wert,  endlich  bestehe  kein  verstandlicher  Causalzusammenhang 
zwischen  Ideen  und  Dingen.  Die  gesonderte  Existenz  des  Allgemeinen  folgt 
nicht  aus  der  Tatsache  der  Erkenntnis.  Das  Wesen  und  dasjenige,  dessen 
Wesen  es  ist,  können  nicht  voneinander  getrennt  existieren  (SoSaisr  av  div- 
rarovf  elvai  ;^ai(>ic  Tfjv  ovaiav  xcU  ov  rj  ovaia,  Met.  I  9,  991a  11  squ.,  XIII 
bis  XIV).  Die  Idee,  als  Einzelwesen  gedacht,  müßte  mit  den  ihr  unterstellten 
Einzeldingen  ein  gemeinsames  Urbild  haben,  z.  B.  die  einzelnen  Menschen  uml 
die  Idee  des  Menschen  {avrodvd'^amoQ)  einen  ,jdrUien  Menschen^^  (r^xos  a*^^^ceKi»^ 
Met.  19,  990  b  15;  YII,  13;  De  soph.  elench.  22).  Das  Allgemeine  ist,  ak 
jjForm**  (s.  d.)  den  Dingen  immanent.  —  Cicero  übersetzt  iSsa  durch 
„wfea"  (Acad.  I,  8).  ,jNec  vero  ille  artifex  (Phidias)  cwn  faeeret  Joris  fc 
eorUemplabatur  aliqueni,  e  quo  similitudinem  dueeret,  sed  ipsitu  in  menie  inaidebai 
speeies  pulehrüudinis  exitnia  quaedam,  quam  intuens,  in  eaque  defixtts,  ad 
illitta  aimiliivdi'nem  artem  et  manum  dirigebai.  üt  igitur  in  formis  et  figuris 
est  aliquid  perfectum  et  exeellensj  cuius  ad  eogitatam  speciem  itnüando  rt- 
feruniur  ea,  quae  sub  octdos  ipsa  cadunt:  sie  perfeetae  eloquenüae  speciem 
ammo  videmusj  effigiem  auribus  quaerimus.  Hos  rerum  formtu  appeUai 
ideas  Plato,  easque  gigni  negat,  et  ait  semper  esse  ae  ratione  et  ifUelligeniia  ecm- 
tineri^^  (Orat.  C.  3).  Bei  den  Stoikern  werden  die  Ideen  zu  subjectiven  Ge- 
danken ohne  eigene  objective  Existenz,  zu  ivroi^/iata,  ftarrncftara  yn/x^js  (Stoh 
EcL  I  12,  332;  Plut,  Plac.  I,  10,  Dox.  D.  309).  Einige  Verwandtschaft  nüt  den 
Ideen  und  Eutelechien  (s.  d.)  haben  die  loyoi  cne^fiartxoi  (s.  d,). 

Unkörperliehe,  geistige  Kräfte  als  active  selbständige  Wesen  sind  die 
Ideen  bei  Philo.  Gott  bedient  sich  ihrer  zur  Gestaltung  der  Materie  {rak 
datüfitiroie  Swafieaiv,  o)v  ^xvfiov  orofia  ai  iSiai,  De  sacrif.  II,  126;  vgl.  Zigr.T.Rit, 
Phüos.  d.  Griech.  III  2»,  362  f.).  Die  höchste  Kraft  ist  der  koyoe  (s.  d.),  der  Ort  der 
Ideenwelt  (o  ix  rSv  iSsmv  x6<rfiog,  De  mundi  opiücio  I,  4).  Nach  Nikomachts 
sind  die  Idealzahlen  Urbilder  im  göttlichen  Geiste,  Gedanken  Gottes  (Arithm. 
intr.  I,  6).  Nach  Plutakch  von  Chaeronea  gibt  es  Ideen  als  Urbilder  der 
Dinge  (Quaest.  conv.  VIII,  2,  4).  Longinus  ninmit  die  vom  rovs  getrennte 
Existenz  der  Ideen  an.  Nach  Plotin  enthält  der  (objective)  Greist  (»mjv«)  die 
Ideenwelt  (Eim.  III,  9;  V,  5),  welche  das  Beich  des  intelligiblen,  wahren  Sdns 
ist.  Die  Ideen  sind  dem  vovs  immanent  {ori  ovx  iia»  tov  vnv  ra  vorjxd  (JEjul 
III,  9;  V,  1,  1).  Als  Teilinhalte  des  vovs  sind  die  Ideen  selbst  vol^  voe^l  Swi- 
/i8tg,  geistige  Potenzen  in  den  Dingen  (Enn.  IV,  8,  3).  Das  Seiende  liegt  im 
Denken,  das  Denken  ist  Denken  des  Seienden:  oXog  /uv  6  vove  tol  Ttdvra  mQt,, 
ixaaiog  sJSos  vovg  ixaarog  (Enn.  V,  9,  8).  Ideen  gibt  es  auch  von  Einzel- 
dingen  als  solchen  (Enn.  V,  9,  12). 

Dem  Mittelalter  gelten  die  Ideen  meist  als  die  dem  göttlichen  Geiste  wesen- 
haften Urbilder  der  Dinge  (j/orrnae  exemplares''),  nach  welchen  Gott  alles  ge- 
schaffen hat.  Bo£thiü8  ruft  aus :  „ Tu  cuncta supemo ducisab  exeniplo,  pulchrum 
ptächerrimus  ipae  yyiundtmi  mente  gerens  simüique  ah  itnagine  formufis^^  (ConsoL 
philos.  III,  metr.  9).  Während  Tertullian  als  Gegner  der  Ideenlehre  auf- 
tritt (De  an.  23),  nennt  Origenes  den  Logos  (s.  d.)  die  iSäa  ideiov,  awnr^ftn 

d-eoJ^rifUtTütv    iv    avrco    (vgL    LOMMATßCH    I,    127).       Bei    AUGUSTINUS    kommt 

yyldee*^  als  ,ff(n-ma^',  ^^ßpecies^^  „arehetypon^^  vor.  Die  Ideen  sind  schöpferische 
Gedanken  Grottes.  ,yldeae  principales  fortnae  quaedam  vel  rationes  rerum  stabiles, 
atque  incommuiabilesy    qitae   ipsae  fonnaiae  fion  sunt  ,  .  .,    quae   in   dirina 


Idee.  469 

inieUigentia  continerUur^*  (De  divin.  qu.  46).    DionysiüS  bestimmt:  „Prineipiaf 

quas  öraed  ideas  pocantj  hoc  estj  speeies  vd  formas  aetemas  et  incommiäabiies 

rationes  .  .  . ,  seenndum  quas  et  in  quibus  visibilis  mundus  formatur  et  regiiur^^ 

(De  div.  nom.  c.  5).  ScoTUß  Eriügena  bestimmt  die  Ideen  („ideae,  pritnorduües 

e€MUsaßy  prototypa,  eocempla")  als  y,3peeies  vel  formae,  in  quitma  verum  omnitmi 

faeitndarum,  priusquam  essent,  immutabiles  rationes  cotiditae  sunt*^  (De  divis. 

natur.  II,  2).    Amalbich  von  Beke  erklärt,  yyideas,  quae  sunt  in  mente  divina, 

et   ereare   et   ereari"  (Stöckl  I,  290).     Alexander  von  Hales   bemerkt: 

yyldea  in  Deo  idem  est  quod  dimna  esseniia**  (Sum.  th.  I,  qu.  1,  4).    Anselm 

betrachtet  die  Umyersalien   (s.  d.)  als  ewige  göttliche  Gredanken.    Abaelard 

erklart:  j^Ad  hune  tnodwn  Plaio  formas  eocemplares  in  mente  divifia  eonsiderat, 

qtuu  ideas  appeüat  et  ad  quas  postmadum  quasi  ad  exemplar  quoddam  summi 

cartißcis  Providentia  operata  esV^  (TheoL  Christ.  IV,  p.  1336).     „Hane  autem 

proeessianetHy  qua  seiiieet  coneeptus  ynentis  in  effectum  operando  prodity  dieens 

generales  et  speciales  fomuis  rerum  intelligibiliter  in  mente  divina  constitissey 

antequam  in  corpora  prodirent"  (1.  c.  II,  p.  1095  f.).    Bernhard  von  Chartres 

sagt:  ,yNoys  summi  et  exsuperantissimi  Dei  est  intellectus  et  ex  eius  divinitate 

naia  naiuray  in  qua  vitae  vivetites  imagines^  notiones  aeternaey  mundus  intelli- 

gibüiSy  rerum  cognitio  praefinita^^  (Überweg-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos. 

II',  176).    Nach  Albertus  Magnus  sind  die  Ideen  „tw  7fiente  divina  secundum 

quod  ars  est  omnium  ereatorum^'  (Sum.  th.  I,  55,  2).     ,yPorismaia  vocantury  id 

est,  praedestinatianes"  (ib.).    Nach  Thomas  sind  die  Ideen  yyformae  exemplares^^ 

(Sum.  th.  I,  44,  3  c),  „rationes  .  .  .  rerum,  secundum  quod   sunt  in  Deo  eogno- 

seente^'  (1.  c.  I,  14  pr.).    Die  „idea"  ist  „quaedam  forma  intdlecta  ab  agente,  ad 

cuius   simüäudinem  eoUerius  opus  proditeere  intendit"  (Quodl.  4,  1,  Ic).    Sie 

ist  yyforma  in  mente  divina,  ad  simtlitudinem  euius  mundus  est  factus*'  (Sum.  th. 

I,  15,    1).     „In  quantum  Deus   cognoscit  suam  essentiamy  ut  sie  imHabilem  a 

Uüi  creaiura,  cognoscit  eam  ut  propriam  ratioyiem  et  ideam  huius  ereaiurae" 

(L  c.  I,  15,  1  ad  3).     Bonaventura  bestinunt:  „Idea,  cum  sit  similitudo  rei 

eogniiae  tnediumque  inter  eognoscens  et  cognitum,  plurificaiur  in  Deo  secundum 

rationem^^  (In  L  sent.  1,  d.  42,   qu.  3,   1).     „Ideae  rerum  ante  mmidi  consti- 

tutionem  in  mente  ereatoris  erant*^  (Comp,  theol.  I,  25).    Franciscus  Mayronis 

bezeichnet  die  Ideen  als  „rationes  incommutabiles  et  aetemae"  (Prantl,  G.  d. 

Log.  III,  284).     Nach  Bichard  von  Middleton  sind  die  Ideen  dasjenige, 

wodurch  Crott  die  Dinge  denkt  (In  1.  sent.  1,  d.  36,  2,  2).     Durand  von  St. 

PoüR^AlN  versteht   unter   den    Ideen  die  Dinge,   wie   sie  im   Geiste   (jrottes 

yfibiective^*^  (s.  d.)  enthalten  sind  (In  1.  sent.  1,  d.  36,  qu.  3,  11).     „/n  Deo  est 

solum  una  idea,  plures  tarnen  rationes  ideales"  (1.  c.  qu.  4,  5).     DUNS  ScoTUS 

bemerkt-,   die  Idee  sei   „ipsum  obieetum  tU  eognitum  ...   in  mente  divina" 

(Report.  1,  d.  36,  qu.  2,  31).     Pierre  d'Ailly:   „Idea  est  aliquid  eognitum  a 

principio  productivo  intelleetuaii,  ad  quod  ipsum  aspiciens  potest  aliquid  in  esse 

reali  produeere"  (Stöckl  II,  1030).     Wilhelm  von  Occam  betont  die  rein 

intentionale    Existenz    der  Ideen    in   Gott,   in   dem    sie    als   Gedankeninhalte 

(yyobieetim"),  nicht  als  selbständige  Wesenheiten  (,ysubi€ctive")  bestehen.    „Ideae 

non  sunt  in  Deo  sulnective  et  realiter,  sed  tantum  sunt  in  ipso  obiective,  tan- 

quam  qtuxedatn  eognita  ab  ipso :  quin  ipsae  ideae  sunt  ipsaemet  res  a  Deo  produ- 

cibiles^'  (In  1.  sent.  1,  d.  35,  qu.  5).     Da  das  Allgemeine  (s.  d.)  nichts  Beales 

ist,  so  gibt  es  nur  Ideen  „singularium"  (ib.).     Als  subjectiver  Gedanke  kommt 

Idee  schon  im  Boman  de  la  Rose  des  Jean  de  Meuny  (Ende  des  13.  Jahrh.) 


470  Idee. 

vor  (EüCKEN,  Grundbegr.  S.  231).  —  Suakez  gebraucht  „irfea"  noch  im  Sil 
von  ,^eacemplaf**  (Met.  disp.  25,  »ct.  1).  G.  Biel  erklärt:  „/rfeo  in  tnente  dirina 
ipsamet  cogtiita  creatura^*  .  .  .  „/n  Deo  sunt  ideae  obieetire  ei  inteüectualiter^ 
(Collect.  I,  2,  4).  GocLEK:  „Idea  significat  speciem  seu  fonnam  seu  rcttianem 
rei  extemam;  generatim  idea  est  forma  seu  exemplar  rei,  ad  quod  respici^m 
opifex  effictt  id  quod  anivw  destinarat^*  (Lex.  philos.  p.  206). 

Nach  NiGOLAüS  CusiLKUS  enthält  der  göttliche  Geist  die  Ideen  der  Dinge 
(De  coniect.  II,  14).  Marsilius  Ficikus  nennt  die  Ideen  ,fanquain  obieeta  et 
speeies  viresque  naturales,  intelleeius  primi  essentiam  eofnitantes,  drea  quaa 
inteüeetus  iUius  verseiur,  inteUigeniia,  sequens  quidem  iUas  quodammodo  sed 
mirabüis  ipsa  uniia**  (In  Plat.  Pannen.  0.  23).  F.  Bacon  erklärt,  die  ,/iiHmK 
mentis  ideas^^  seien  „veras  signaturas  atque  impressiones  faetas  in  creaturis, 
prout  inveniuntur"  (Nov.  Organ.  I,  23).  Marcus  Mabci  schreibt  den  Ideeo 
bildnerische  Kräfte  zu  (Idear.  operatr.  idea  1634).  Nach  MALEBRAircnc  sind 
mit  den  Dingen  auch  ihre  Ideen  in  Gott  enthalten,  wir  erkennen  jene  mittdst 
dieser  (vgl.  Ritter,  Gesch.  d.  Philos.  XI,  382).  Nach  Fexelon  sind  in  Gott 
die  y^modkles  fixes  de  taut  ee  qu'il  peut  faire  de  lui,  les  vrais  unwersaujc'*  (De 
l'exist.  de  Dieu  p.  146).  Von  Ideen  als  Wesenheiten  der  Dinge  spricht 
N.  Treschow.  Als  wirkende  Factoren  betrachtet  die  Ideen  Herder  (Id.  rur 
Philos.  d.  Gesch.  II,  7,  4).  Nach  Goethe  liegt  dem  Naturschaffen  Gottes 
eine  Idee  zugrunde,  deren  Manifestationen  wir  wahrnehmen  in  Form  eine» 
Symbols  (WW.  XIX,  S.  63,  158). 

Im  Sinne  von  „VorsMvng**  gebraucht  „/cfec"  J.  B.  van  Helmoitt.  Von 
Descartes  an  wird  die  Bedeutung  von  „idea"  als  Bewußtseinsinhalt,  Vor- 
stellung, Begriff  u.  dgl.  üblich.  Descartes  bemerkt:  „Ostendo  me  ft&men  ideaf 
sumere  pro  omni  eo,  quod  immediaie  a  mente  pereipitur,  adeo  cum  tolo  et  Hmeo, 
quia  simtä  peroipio  me  velle  et  timere^  ipsa  volitio  et  iimor  inter  a  me  fgume- 
rentur*^  (Resp.  III,  15).  Malebranche  erklärt,  Idee  sei,  „ce  qui  est  Fobjet 
immediat  ou  le  plus  proehe  flte  l'esprit,  quand  il  aper^it  quelque  objet^  (Rech. 
II,  1).  Fenelon  bemerkt:  y,Tout  ce  qui  est  r6rite  universeüe  et  abstraite  est 
un£  idee"  (De  Texist.  de  Dieu  p.  143  f.).  Die  Logik  von  Port  Royal  erkläre: 
,Jdea  nomen  est  ex  eorum  numero,  quae  adeo  clara  sunt,  üt  ulteritss  expUean 
per  alia  non  possint"  (I,  1).  „Lorsque  nous  parlons  des  id^es,  nous  n^appeJians 
point  de  ee  nom  les  images  qui  soni  peintes  dans  la  faniaisie;  mais  taut  ee 
qui  est  dans  notre  esprit,  lorsque  nous  pouvons  dire  avec  veriiS  que  nous  ron- 
cevons  une  ehose"  (ib.).  Spinoza  :  ,Jdeae  nomifie  intelligo  cuiuslihet  eogitationi* 
formam  iilam,  per  cuius  immediatam  perceptionem  ipsius  eiusdem  eogitationis 
conseius  sum'^  (Ren.  Cartes.  princ.  philos.  I,  def.  II).  —  Idee  ist  ein  Gedanke, 
Begriff,  kein  sinnliches  Vorstellungsbild  („imago^^).  „Per  ideam  inteUigo  mentis 
eonceptufn,  quem  mens  format,  propterea  quod  res  est  cogitans.  Dieo  potius 
eonceptum  quam  perceptionem,  qtda  perceptiofiis  nomen  indicare  videtur,  mentem 
ab  obiecto  pati.  At  coticeptus  actiottem  mentis  exprimere  videtur'*  (£th.  IL 
def.  III).  Spinoza  ermahnt  die  Leser,  „ui  accurate  distinguant  ifUer  ideetm  sine 
mentis  eonceptum,  et  inter  imagines  reriim,  quas  imaginamur".  Die  Idee 
involviert  schon  „affirtnationem  aiä  negationem"  (1.  c.  II,  prop.  XLIX,  8chol.l 
„iVon  enim  per  ideas  imagines,  quales  in  fu7ido  oetäi  et,  si  plaeet,  in  medio 
cerebro  formantur,  sed  eogitationis  coficeptus  intelligo^*  (1.  c.  IL  prop.  XLVIIL 
schol.).  „Adäquate"  (s.  d.)  Idee  ist  jene,  welche  „omnes  rerae  ideae  proprietaies 
stire  defiominationes  intrinsecas  habet^  (1.  c.  II,  def.  IV).    In  Gott  ist  eine  Idee 


Idee.  471 

^jtam,  ekis  esserUiae,  quam  omnium,  qttae  ex  ipsius  essentia  neeessario  sequüur" 
<1.  c.  II,  prop.  VII).  Auch  vom  menschlichen  Geist  gibt  es  eine  Idee  in  Gott 
•(I.  c.  II,  prop.  XX,  dem.).  „Ordo  et  eonnexio  idearum  idem  est  cte  ordo  et  con- 
nerio  rerum**  (L  c.  II,  prop.  VII).  Von  der  einen  göttlichen  Idee  sind  alle 
anderen  abzuleiten  (De  emend.  intell.).  Leibniz  definiert  die  Idee  als  „pro- 
pinquam  quandam  eogitandi  de  re  faciUtatem  sive  feunlitatein"  (Grerh.  VII,  263  f.). 
—  ]\IlcitA£LiU8  erklart:  „Idea  .  .  .  tria  requirit:  1)  tU  sit  forma  inteÜeetui 
olneetOj  ad  euius  »imilüudinem  producaiur  res  ad  extra;  2)  ut  ista  stmUitudo 
rei  ad  extra  sit  ex  inientione  ipsius  operantis;  3)  ut  effeetua  produetus  sit  in- 
ienius  a  partieuiari  agente^*  (Lex.  philos.  p.  509).  Nach  CHAUViNr  ist  eine  Idee 
yjprima  mentis  humanae  cogitatio"  (Lex.  philos.  1692).  Hollmann:  „Idea  nihil 
xUiud,  quam  vel  exemplar  rei  in  eogitante  vel  rei  in  menie  repraesentaiio^  imago  et 
qt*asi  pictura  est**  (Log*  §  23).  Chr.  Wolf:  „Bepro/esentaiio  rei  dieüur  idea, 
■quatenus  rem  quandam  refert,  seu  quatenus  obieetive  eansideratur**  (Psychol. 
•empir.  §  48).  J.  Ebert:  „Begriffe  oder  Ideen  heißen  die  bloßen  Vorstellungen 
der  Dinge  in  unserer  SeeU^*  (Vemunftl.  S.  22).  Tetens  :  „Aus  den  Vorstellungen 
icerden  Ideen  und  Oedanken  .  .  .  Die  Idee  enthält  außer  der  Vorstellung  ein 
Öewahrwerden  und  Unterscheiden"  (Philos.  Vers.  I,  26).  Sie  ist  eine  bewußte 
Vorstellung  (1.  c.  8.  96).  In  diesem  Sinne  wird  „Idee^*  auch  Ton  Mendelssohn 
gebraucht  (Morgenst  I,  2).  Nach  Platner  ist  Idee  „alles,  was  die  Seele  wirkt" 
(Philos.  Aphor.  I,  §  31),  „eine  geistige  Tätigkeit  der  Seele",  Es  schwebt  der 
Seele  dabei  j/ier  Gegenstand  der  Idee,  das  Ideenbild"  vor  (1.  c.  §  288).  Nach 
LossiUB  hat  jedes  Individuum  eine  „gewisse  lierrschende  Idee"  (Unterr.  d.  gesund. 
Vem.  1777,  I,  707,  91).  Wyttenbach:  j^deam  .  .  .  distinguimus  a  notione^ 
quae  ipsa  mentis  cogitantis  est  actio,  cum  idea  illud  sit,  quod  ea  actione  effi- 
4^tur**  (Praecepta  philos.  logic.  1794). 

Als  Vorstellungen,  Vorstellungsinhalte,  Erinnerungsbilder  treten  die  „Ideen" 
bei  HOBBES  auf.  Er  bestimmt  die  „ideas"  als  „memoriam  imaginationemque 
mctgnitudinum,  moiuum,  sonorum,  colorum  etc.  atque  etiam  eorum  ordinis  et 
partium:  quae  omnia  etsi  ideae  tanium  et  phantasmata  sunt,  ipsi  imaginanti 
interne  accidentia,  nihilominus  tanquam  externa  et  a  virtute  animi  minime  de- 
pendentia  apparitura  ess&^  (De  corp.  C.  7,  2).  Locke  nennt  Idee  („idea")  jeden 
Inhalt  des  Bewußtseins,  Empfindungen,  Vorstellungen,  Begriffe,  „whatsoever  is 
ihe  object  of  the  undersianding,  wheti  a  man  thinks"  (Ess.  I,  eh.  I,  §  8).  Die 
„simple  ideaS**  bilden  den  Stoff  zu  aller  Erkenntnis,  die  „mixed  ideas"  ent- 
springen der  Tätigkeit  des  Intellectes.  „Real  ideas"  sind  jene,  w^elche  eine 
„fondation  in  nature",  „a  conformity  with  the  real  being  and  existence  ofthings" 
haben  (Ess.  II.  eh.  30,  §  1).  Adäquat  sind  sie,  wenn  sie  „perfeetly  represeni 
ihose  arehetgpes  whieh  the  mind  supposes  them  taken  from"  (ib.).  Berkeley 
versteht  unter  Ideen  Vorstellungen  (Princ.  I),  insbesondere  auch  Einbildungs-,  Er- 
innemngsvorstellungen  (1.  c.  XXXIII).  Die  „ideas"  sind  passiv,  unwirksam, 
bloße  Bewußtseinsinhalte  (1.  c.  XXXIX).  Nach  Huhe  sind  die  Ideen  Er- 
innerungsbilder, „faint  images"  der  Impressionen  (s.  d.),  „Copien"  dieser  (Treat  I, 
sct  1).  Alle  einfachen  Ideen  stammen  aus  einfachen  Impressionen  (ib.).  In 
der  englischen  Philosophie  und  Psychologie  überhaupt  bedeuten  die  „ideas" 
Vorstellungen  (s.  d.). 

GoNDiLLAC  unterscheidet  die  „tdec"  von  der  „Sensation"  als  „sentiment" 
in  der  Seele.  „Si  feprouve  actudlement  de  la  douleur,  je  ne  dirai  pas,  que  fai 
lidee  de  la  dotdeur,  je  dirai,  que  je  la  sens,  —  Mais  si  je  nte  rappeüe  une  dou- 


472  Idee. 

leur,  que  fai  eue,  le  swwenir  et  Videe  soni  alors  une  meme  chose;  et  si  je  dv^ 
que  je  me  fais  Vidie  d'une  douleur  dont  <m  me  parle  et  que  je  n'aijamais  retseniky 
c'esi  que  fen  juge  d'aprts  une  dotdeur,  que  fai  eprouvee,  ou  d'apres  une  dmäatr 
que  je  iouffre  aetuellement."  j^Dans  Je  second  (cas)j  Videe  est  le  sentiment  d'urte 
douleur  actuelle,  modifie  par  les  jugenients,  que  je  parte  pour  me  represenier  la 
douletir  d'un  autre  ,  ,  ,  Si  ces  sefäifnents  n^exietetü  que  dans  In  metnoirey  qui 
les  rappelle,  ils  deviennent  des  idees^^  (Trait.  des  sent.,  Extr.  rais.  p.  49).  „La 
Sensation  actuelle  comme  passee  (de  soliditS)  est  seule  tout  ä  la  fois  sentimeni  H 
idee.  Elle  est  sefUiment  par  le  rapport,  qu'elle  a  ä  l'ätne  qu'elie  modifie:  dk 
est  idee  par  le  rapport  qti'elle  a  ä  quelque  chose  d*exterieur  .  .  .  Toutes  nos  sm^ 
sations  nous  paraissent  les  qualites  des  objets  qui  fious  environnefU:  eüe»  les 
representent  dofic,  dies  sont  des  idies^^  (ib.).  Es  gibt  ^^idees  simplesr\  ^^idees  eom- 
plexes"  (1.  c.  p.  50).  Nach  Bonnet  sind  die  Ideen  „setisations  cornpare^^. 
Es  gibt  jyidees  des  sens^*,  .^idees  de  la  reflexion*'  (Ess.  C.  19,  21).  Holbach  nennt 
die  Veränderungen  im  Gehirn  Ideen,  wenn  dieses  seine  Veränderungen  auf  das 
sie  bewirkende  Object  bezieht  (Syst.  de  la  nature  I,  eh.  8,  p.  108).  —  Laso- 
MIOUIERE:  „L'idee  .  .  .  consiste  dono  dans  la  distinction  que  nous  faisons,  <n* 
que  nous  sommes  en  etat  de  faire  de  tout  ee  qui  s'offre  ä  notre  esprit  .  .  .  Elle 
est  un  rapport  de  distinction,  unjugement"  (Le^ons  de  philos.  II,  4.  ley.,  p.  1341). 
Galüppi:  „L'idea  e  un  elemento  del  giudixio"  (Eiern,  di  philos.  II,  9).  Nach 
Seroi  ist  die  Idee  „une  pure  image  mentale*^  (Psychol.  p.  144  ff.). 

Einen  neuen  Sinn  erhält  „Idee^^  bei  Kant.  Sie  ist  hier  ein  letzter,  ab- 
schließender, auf  dem  Schließen  beruhender,  ein  Vemunftbegriff,  dem  kein 
Gegenstand  in  der  (wirklichen  oder  möglichen)  Erfahrung  jemals  entsprechen 
kann,  der  aber  doch  mehr  ist  als  eine  Fiction,  indem  er,  als  Unendlichkeits* 
begriff,  dazu  dient,  die  Gesamtheit  der  (kategorial  verarbeiteten)  Erfahrungen 
abzuschließen,  auf  eine  höchste,  ideale  Einheit  zu  beziehen.  Ideen  sind  Begriffe 
von  Unbedingtem,  das  zu  allem  Bedingten  als  letzte  Bedingung  gedacht  wird, 
haben  keinen  „eonstitutiven^*  (s.  d.),  sondern  nur  „regulatir-en"  (s.  d.)  Wert  für 
die  Erkenntnis.  „Ideefi  sind  Vemunftbegriffe,  denen  kein  Gegenstand  in  der 
Erfahrung  gegeben  werden  kann,  Sie  sind  weder  Anscliauungen  .  .  .  iwch  Ge- 
fühle .  .  .;  sondern  Begriffe  ran  einer  Vollkommenheit,  der  man  sich  zwar  immer 
nähern,  sie  aber  nie  vollständig  erreichen  kann^^  (Anthropol.  I,  §  41).  ,yEine 
Idee  ist  nichts  anderes  als  der  Begriff  van  einer  VoUkomtnenfteit,  die  sich  in  der 
Erfahrung  noch  nicht  vorfindet^'  (WW.  VIII,  460).  y,Ideen  in  der  aUgetfieifUten 
Bedeutung  sind  nach  einem  gewissen  (sidjectiven  oder  objectiven)  Pripicip  anf 
einefi  Gegenstand  bexogene  Var Stellungen,  insofern  sie  doch  nie  Erkenntnis  des- 
selben  werden  können"  (Krit.  d.  Urt.  §  56).  Die  Vemunftidee  ist  ein  „in- 
demanstrabler"  Begriff  (ib.).  „Die  Idee  ist  ein  Vemunftbegriff,  desseti  Gegenstand 
gar  nicht  in  der  Erfahrung  kann  angetroffen  werden"  (Log-  S.  140),  sie  ist  ein 
transcendenter  (s.  d.)  Begriff.  Sie  „enthält  das  Urbild  des  Gebrauchs  des  Ver- 
standes .  .  .als  regulatives  Princip  zum  Behuf  des  durchgängigeft  Zusammen- 
hanges unseres  empirischen  Verstafidesgebrauchs"  (1.  c.  S.  141  f.).  Ideen  sind 
notwendige  (Vernunft-)  Begriffe,  deren  Gegenstand  in  keiner  Erfahrung  gegeben 
werden  kann  (Prolegom.  §  40).  Ihren  Ursprung  haben  sie  „in  den  drei  Func* 
tiancn  der  Vernunftschlüsse".  „Der  formale  Unterschied  der  VerminftMchküfise 
macht  die  Einteilung  derselben  in  kategorische,  hypothetische  und  disfuneiiit 
notwendig.  Die  darauf  gegründeten  Vemunftbegriffe  enthalten  also  ersÜich  die 
Idee  des  selbständigen  Subjects  (Std)stantiale),  xweitens  die  Idee  der  tollständigen 


Idee.  473 

J?eiAe  der  Bedingungen,  drittens  die  Bestimmung  aller  Begriffe  in  der  Idee  eines 
vollständigen  Begriffs  des  Möglichen"  (1.  c.  §  43).  „Z>te  Farm  der  Urteile  .  .  . 
brachte  Kategorien  (s,  d,)  hervor,  welche  allen  Verstandesgebraueh  in  der  Er- 
fahrung leiten.  Ebenso  können  tcir  erwarten,  daß  die  Form  der  Vernunft' 
Schlüsse,  wenn  man  sie  auf  die  synthetische  Einheit  der  Anschauungen  nach 
Maßgebung  der  Kategorien  atiwendet,  den  Ursprung  besonderer  Begriffe  a  priori 
enthalten  tcerde,  welche  wir  reine  Vemunftbegriffe  oder  transcendentale  Ideen 
nennen  können"  (Krit.  d.  r.  VenL  S.  279).  „So  viele  Arten  des  Verhältnisses 
es  nun  gibt,  die  der  Verstand  vermittelst  der  Kategorien  sich  vorstellt,  so  vielerlei 
reine  Vemunftbegriffe  wird  es  auch  geben,  und  es  tcird  also  erstlieh  ein  Un- 
bedingtes der  kategorischen  Synthesis  in  einem  Subject,  xweitens  der  hypo- 
thetischen Synthesis  der  Glieder  einer  Reihe,  drittens  der  dis^netiven  Synthesis 
in  einem  System  xu  sudten  sein"  (1.  c.  S.  280).  „Ich  verstehe  unter  der  Idee 
einen  notwendigen  Vermmftbegriff,  dem  kein  congruierender  Gegenstand  in  den 
Sinnen  gegeben  werden  kann,"  Die  „transcendentalen  Ideen"  „betrachten  alle 
Erfahrungserkenntnis  als  bestimmt  durch  eitie  absolute  Totalität  der  Bedingungen. 
Sie  sind  nicht  willkürlich  erdichtet,  sondern  durch  die  Natur  der  Vernunft  selbst 
aufgegeben  und  beliehen  sich  daher  notwendigerweise  auf  den  ganxen  Verstandes- 
gebrauch, Sie  sind  endlieh  transcendent  und  übersteigen  die  Grenze  aller  Er- 
fahrung .  .  ,"  (L  c.  S.  283).  Unter  den  Ideen  besteht  ein  Zusammenhang  und 
eine  Einheit,  so  daß  vermittelst  ihrer  die  Vernunft  alle  ihre  Erkenntnisse  in 
«n  System  bringt  (1.  c.  S.  290).  Die  drei  Ideen  der  Metaphysik  sind:  Gott, 
Freiheit,  Unsterblichkeit.  In  allen  diesen  Ideen  wird  die  „absolute  Totalität" 
gefordert  (1.  e.  S.  342).  Die  vier  kosmologischen  Ideen  sind:  „1)  die  a6- 
solute  Vollständigkeit  der  Zusammenselxung  des  gegebenen  Ganxen  aller  Er- 
scheinungen; 2)  die  absolute  Vollständigkeit  der  Teilung  eines  gegebenen  Ganxen 
in  der  Erscheinung;  3)  die  absolute  Vollständigkeit  der  Entstehung  einer  Er- 
scheinung überhaupt;  4)  die  absolute  Vollständigkeit  der  Abhängigkeit  des  Daseins 
des  Veränderlichen  in  der  Erscheinung"  (1.  c.  S.  346).  —  Die  ästhetische 
Idee  ißt  eine  „inexponible"  (s.  d.)  Vorstellung  der  Einbildungskraft  (Kjit.  d. 
Ürt  §  56).  Denn  sie  ist  „eine  einem  gegebenen  Begriffe  beigesellte  Vorstellung 
der  Einbildungskraft,  welche  mit  einer  solchen  Mannigfaltigkeit  der  Teüvorstellun- 
gen  in  dem  freien  Gebrauche  derselben  verbunden  ist,  daß  für  sie  kein  Ausdruck, 
der  einen  bestimmten  Begriff  bexeicfmet,  gefunden  werden  kann"  (1.  c.  §  49). 
Sie  ist  „duslige  Vorstellung  der  Einbildungskraft,  die  viel  xu  denken  veranlaßt, 
ohne  daß  ihr  doch  irgend  ein  bestimmter  Gedanke,  d,  i,  Begriff  adäquat  sein 
kann"  (ib.).  Ästhetische  „Normalidee^^  ist  „das  xwischen  allen  einxelnen,  auf 
mancherlei  Weise  verschiedenen  Anschauungen  der  Individuen  schwebende  Bild 
für  die  ganxe  Gattung,  welche  die  Natur  xum  Urbild  ihren  Erxeugungen  in  der- 
selben Species  unierlegte,  aber  in  keinem  einxelnen  völlig  erreicht  xu  haben 
seheint"  (1.  c.  §  17).  Das  Erhabene  (s.  d.)  bestimmt  das  Gemüt,  sich  die  Un- 
erreichbarkeit der  Natur  als  Darstellung  von  Ideen  zu  denken  (1.  c.  §  29).  Den 
Begriff  der  Idee  teilweise  im  Kantischen  Sinne  hat  Schiller.  Nach  S.  Mai- 
MON  iat  die  Vemunftidee  „die  formelle  Vollständigkeit  eines  Begriffs"  (Vers.  üb. 
d.  Transcend.  8.  157).  Krug  nennt  Ideen  die  Vorstellungen  der  Vernunft 
(Handb.  d.  Philos.  I,  3(X)  ff.).  Reinhold  bestimmt  die  Idee  als  „die  Vor- 
stellung, welche  durch  das  Verbinden  des  gedachten  (durch  Begriffe  vorgestellten) 
Mannigfaltigen  entsteht"  (V'^ers.  e.  n.  Theor.  II,  498).  Nach  Jacobi  sind  Ideen 
„Vorstellungen  des  im  Gefühle  allein  Gegebenen"  (WW.  II,  62).    G.  E.  Schulze 


474  Idee. 

erklärt:  ,yBeireffen  die  einzelnen  Varsteliungen  etwas,  dcLS  entweder  kein  Oegm- 
stand  der  Wahrnehmung  sein  kann,  oder  dessen  Dasein  in  der  Sinnenwdt  dod 
noch  ungewiß  ist,  so  nennt  man  sie  Ideen"  (Allg.  Log.*,  S.  3).  „Die  Er- 
zeugnisse der  Vernunft  v>erden  Ideen  genannt,  wenn  sie  so  weä  ausgebildet  worden 
sind,  daß  ihr  Inhalt  eine  die  Beschaffenheiten  sinnlicher  Dinge  übertreffend 
Vollkommenheit  ausdrückt^  (Psych.  Anthropol.  S.  120  f.).  E.  Kecnhold  ver- 
steht unter  den  Ideen  „CauscUbegriffe  der  reinen  Vemunfttätigkeit,  in  dentn 
wir  uns  das  Verhältnis  des  Ewigen,  Beharrlichen,  absolut  Notwendigen^  All- 
gemeinen und  Einzelnen  im  Causatxusammenhange  der  IVirkliehkeit  xum  ErU 
standenen,  Vergänglichen,  bedingt  Notwendigen,  Besondem  und  Individudlen  per- 
gegenwärtigen"  (Theor.  d.  menschl.  Erk.  II,  244).  Bekeke  versteht  unter  dfifi 
Ideen  oder  „reinen  Formenbegriffen"  „Vorstellungen,  in  denen  Gegenstände  vo» 
einer  Vollkommenheit ,  welche  über  alle  Erfahrung  hinausgeht,  gt- 
dacht  werden"  (Lehrb.  d.  Psycho!.»,  §  297;  PsychoL  Skizz.  II,  329  fL).  Nidi 
TEiCHMtJLLEB  sind  die  Ideen  Schlüsse,  logische  Coordinatensysteme  (N.  Grdleg. 
S.  270).  —  Nach  O.  Schneider  sind  die  Ideen  „a  priori,  durch  Anwendungen 
der  apriorischen  Stammbegriffe  auf  die  apriorischen  Eigenschaften  unseres  ntensek- 
lischen  Bewußtseins  und  Ödstes  , . .  entstandene  Begriffe^'  (TranscendentalpeychoL 
S.  139).  Nach  K.  Lasswitz  ist  Idee  ein  „Oesetx,  welches  die  Riehtt*ng  anweist 
in  der  unsere  Erfahrung  sich  entwickeln  soll"  (Wirklichkeit  S.  152),  Sie  ist 
die  „sicherste  und  höchste  Realität"  (1.  c.  S.  154).  Nach  H.  CJohkn  ist  die  Idee 
„dae  Selbstbewußtsein  des  Begriffs,  Sie  ist  der  Logos  des  Begriffs;  denn  sii 
gibt  Rechenschaft  vom  Begrifft*  (Log.  S.  14).  Die  Ideen  sind  „Orundlegungeait 
des  Seins  (1.  c.  S.  18).  Nach  Natorp  sind  sie  „reifte  Setxungen  des  Denkent^, 
„Methoden",  „Grwndlageti  xur  Erforschung  der  Plwinomene'^  (Platos  Ideenlefare 
S.  215  u.  ff.).  A.  ElEHL  betont:  „Ideen  sind  Aufgaben,  Willensaufgaben,  und 
allein  als  Ziele  des  Schaffens  und  Handelns  müssen  sie  verstanden  werden.  Sie 
gelten,  aber  sie  sind  nicht"  (Zur  Einf.  in  d.  Philoe.  S.  19).  „Ideen  sind 
Willensbegriffe,  nicht  Sachbegriffe^^  (1.  c.  S.  192).  „Ideen  sind  nicht  Erkenntnis' 
begriffe,  sie  fallen  nicht  in  das  Oebiet  der  theoretischen,  sie  gehören  xum  Bereich 
der  praktischen  Vernunft.  Dort,  wo  die  Erforschung  von  Ob/eeteti,  die  in  der 
Erfahrung  gegeben  sind,  unser  Zweck  ist,  kann  ihre  Bedeutung  nur  eine  ,regu- 
lativef  sein,  sofern  sie  die  Bedingungen  oder  Regeln  angeben,  unter  denen  Einheit 
oder  systematische  Vollständigkeit  des  Wissens  xu  erxielen  ist.  Für  die  praktische 
Vernunft  dagegen  sind  sie  ,constitutiv' ;  sie  selbst  constituieren  die  praktische 
Vernunft,  sie  selbst  sind  die  Vernunft,  die  xugleich  Wille  ist^^  (1.  c.  S.  193). 

Herbart  unterscheidet  fünf  „ästhetische"  (s.  d.)  und  praktische  Ideen,  die 
aus  ,/isthetischen"  oder  Geschmacksurteilen  über  „WiUensperhäUniss&^  ent^ 
springen  (WW.  Kehrb.  II,  352):  1)  Idee  der  inneren  Freiheit  (1.  c,  IV,  118  1); 
2)  Idee  der  VoUkommenheit  (1.  c.  IV,  119;  II,  358  f.);  3)  Idee  des  WohlwoUei» 
(1.  c.  II,  362  f.);  4)  Idee  des  Eechts  (1.  c.  IV,  120);  5)  Idee  der  Billigkeit 
(Encyclop.  d.  Philos.  S.  47:  abgeleitete  Ideen:  beseelte  Gesellschaft,  Ciütur- 
System,  Verwaltungssystem ,  Bechtsgesellschaft,  Lohnsystem).  Nach  Aixxas 
sind  die  sittlichen  Ideen  „die  einfachsten  Musterbilder  des  sittlichen  WoUens, 
nach  dem  jedes  wirkliehe  Wollen  seine  Beurteilung  nacfi  absolutem  Wert  oder 
Unwert  findet"  (Gr.  d.  allgem.  Eth.  S.  211  ff.;  vgl.  Hartenstein,  EÜl  Gnmd- 
begr.  S.  234  ff.).  Nach  Waitz  sind  Ideen  „Vorstellungsweisen,  welche  äaxM 
dienen,  größeren  Gedankenkreisen  xu  der  Einheit,  xu  detn  Abschluß  tptd  Zu- 
sammenhang XU  verhelfen,  die  ihnen  noch  abgelten"  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  609)« 


Idee.  475 

Die  Ideen  sind  Objecte  des  Glaubens,  bestimmt  zur  Versöhnung  unseres  innren 
Lebens  mit  der  "Wirklichkeit  (1.  c.  S.  617).  —  Als  „fundamental  ideas**  bezeichnet 
Whewell  die  logischen  Grundanschauungen.  Nach  Lotze  sind  die  Ideen 
j,ohfeet%ve  Oedanken^^,  yjOUgemeine  Begriffe  von  objectiver  QüUigkeW  (Log.  S.  562 ; 
8.  imten).  Ukold  betrachtet  die  sittlichen  Ideen  als  Producte  der  praktischen 
Vernunft,  indem  diese  ,^ie  sittlichen  OefUhle  und  Triebe  in  die  Sphäre  des 
Denkens  erhebt  tmd  dadurch  umfassende  praktische  Begriffe  bildet,*  die  wegen  des 
sttMrken  Gefühlstones  und  der  engen  Bexiehung  xu  den  Bedürfnissen  des  mensch- 
listen  Lebens  bald  unbewußt^  keim"  und  triebartig,  bald  bewußt,  als  ImpercUive, 
%ur  Verunrklickung  und  xum  Handeln  drWngen^^  (Gr.  d.  Eth.  S.  224).  Nach 
C.  Stange  entstehen  die  Ideen  des  Sittlichen  als  unwillkürliche  Producte  der 
Vernunft,  unabhanpg  vom  Subjeet,  als  transsubjective  Factoren  (Einl.  in  d. 
Eth.  II,  140  ff.).  Über  die  ästhetische  Idee  bemerkt  Wundt:  „Wo  der  Gegen- 
sUMd  xusammengeseixter  ist,  da  gibt  derselbe  xu  einer  Reihe  miteinander  ver- 
bundener Vorstellungen  Anlaß,  die  sieh  in  der  Form  eines  xusam?nenhängendefi 
Gedankens  aussprechen  lassen.  Dies  ist  es,  was  man  in  der  geläufigen  Regel 
auexudrücken  pflegt,  daß  der  ästhetische  Gegenstand  Träger  einer  Idee  sein 
müsse"  (Grdz.  d.  physiol.  Psychol.  II*,  250).  Der  ästhetische  Gegenstand  ist 
Wirklichkeit  und  Idee  zugleich;  die  Idee  liegt  latent  im  Object  und  erhält  im 
Kunstschaffenden  und  Genießenden  lebendige  Wirklichkeit.  Die  Ideen  werden 
in  der  Form  des  phantasiemäßigen  Denkens  nachgedacht  (Syst.  d.  Philos.', 

S.  683  ff.). 

Als  Gedanke  des  Grundes,  des  Wesenhaften,  Übersinnlichen,  als  Vemunft- 
begriff  gilt  die  Idee  bei  Hermes  (Phil.  EinL  §  28  f.),  auch  bei  Günther 
(Vorsch.  I,  236;  II,  541).  Süabedisben  versteht  imter  der  Idee  den  „Wesepis- 
gedanken^^,  „Grundbegriff^^  eines  Dinges,  einer  Gattung  (Grdzg.  d.  Lehre  von  d. 
Mensch.  S.  126).  Die  Ideen  sind  zugleich  die  Begriffe  des  „ursprünglichen 
Strebens  und  Zweckes^  der  Dinge,  die  „ursprünglichen  Daseinskräfle  und  Da- 
seinsicillen"  (1.  c.  S.  162).  Hillebrand  versteht  unter  Idee  das  reine  Denken 
des  Seins  (Philoe.  d.  Greist.  I,  40),  mit  welchem  die  Objectivität  des  Seins  zu- 
gleich mitgesetzt  ist  (ib.).  Idee  ist  „rfer  Begriff,  in  dem  cancreten  Bewußtsein 
seiner  absoluten  Positiviiät"  (1.  c.  I,  207).  Die  Ideen  vergegenwärtigen  „die 
ewige  und  höhere  Wesenheit  der  natürlichen  Dinge^^,  „In  der  Idee  wird  .  .  .  die 
absolute  Identität  des  Allgemeinen  und  seiner  unendlichen  concreten  Bestimmt- 
heit .  .  .  gewissermaßen  individualisiert'^  (ib.). 

Eine  weitere  Eeihe  von  Philosophen  (und  Historikern)  erblickt  in  den  Ideen 
hauptsächlich  objective  Wesenheiten,  geistig  wirksame  Kräfte,  wesenhafte,  pro- 
ductive  Gedanken  der  göttlichen  Vernunft,  die  in  der  Welt  zur  Wirkung,  in 
der  Geschichte,  im  Menschen  zum  Bewußtsein  gelangen.  In  den  Ideen  liegt 
der  vernünftige  Sinn,  die  logisch-teleologische  Gesetzmäßigkeit  des  Alls. 

Nach  J.  G.  Fichte  tritt  die  eine  Idee  in  verschiedenen  Formen  auf  (Gr. 
d.  gegenwärt.  Zeitalt.  1806,  S.  122  f.).  Das  apriorische,  schöpferische  Beich 
der  Ideen  bekundet  sich  besonders  in  der  Geschichte  (1.  c.  S.  267).  Idee  ist 
die  Weise,  wie  das  Leben  der  Gattung  in  das  Bewußtsein  eintritt  (1.  c.  S.  141). 
8ie  ist  ein  „selbständiger,  in  sich  lebendiger  und  die  Materie  belebender  Gedanke" 
(1.  c.  S.  11).  „Alles  Leben  in  der  Materie  ist  Ausdruck  der  Idee"  (1.  c.  S.  116). 
Nach  SCHELLING  ist  die  Idee  der  Begriff  als  die  unendliche  Bejahung  von 
Sein.  Sie  ist  nicht  außer  dem  Besonderen.  „In  jeder  Creatur  und  Bildung  ist 
das  eigentlich  Lebende  eine  ewig  geborene  Idee,  von  der  Anfang  und  Ende  eines 


476  Idee. 

jeden  Dinges  selbst  die  bloß  scheinbar  getrennten  Momente  sind'*  (Jahrb.  d 
Medic.  I,  H.  1,  S.  34;  H.  2,  S.  31;  II,  H.  2,  S.  142).  Die  Ideen  sind  „S^ 
thesen  der  absoluten  Identität  des  Allgemeinen  und  Besonderen*^  (NaturphDoc 
S.  75).  Durch  die  Ideen  sind  die  Dinge  „wahrhaft  und  innerlieh  ein  Wesett 
(1.  c.  6.  76).  Später  betrachtet  Schelling  die  Ideen  als  zwischen  Grott  und  den 
Einzeldingen  vermittelnde  Einheiten  (Yorles.  üb.  d.  Method.  d.  «.kadem.  Ötud.*, 
S.  98).  Die  Ideen  sind  „die  einzigen  Mittler,  wodurch  die  besonderen  Dinge  « 
Oott  sein  können^^.  Gleich  Gott  sind  sie  „produetiv  und  wirken  nach  demselben 
Oesetxe  und  auf  die  gleiche  KVtsc,  indem  sie  ihre  Wesenheit  in  das  Besanden 
bilden  .  .  .  Die  Ideen  verhalten  sich  als  die  Seelen  der  Dinge^'  (1.  e,  11, 
S.  240  f.).  Die  Ideen  sind  „rf«c  Wesenheiten  der  Dinge  cUs  gegründet  in  der 
Etdgkeit  Gottes'^  (WW.  I  6,  183).  Oeested  erklärt:  „Das,  was  einem  Dingt 
seine  beständige  Eigentum lichkeitj  sein  Wesen  gibt,  ist  nur  .  .  .  die  Gesamt- 
heit der  Naturgesetxe,  wodurch  es  hervorgebracht  ist  und  sieh  erhält;  aber  die 
Naturgesetze  sind  Naturgedanken;  der  Dinge  Wesen  beruht  also  auf  deti 
h aturgedanken,  welche  sich  darin  ausdrücken.  Insoweit  etwas  ein  in  sirk 
zusammenhaltendes  Wesen  sein  soll,  müssen  alle  Naturgedanken,  welche  darin 
ausgedrückt  sind,  in  einem  Wesensgedanken  sieh  vereinigen,  welchen  wir  dessen 
Idee  nennen.  Das  Wesen  eines  Dinges  ist  also  dessen  lebende  Idee^  (D« 
Geistige  in  dem  Körperlichen  8.  37).  Nach  Eschekmater  sind  die  Ideen 
f^eine  Verstandesdinge,  die  wir  in  den  einzelnen  Dingen  wahrnehmen  und  ab- 
sondern, wie  AUgemeinbegriffe^\  sondern  „Urtypen,  die  vor  allem  Einzelnen  und 
Wirklichen  bestanden  haben  und  die  das  Einzelne,  Wirkliche  beseelen  und  ihm 
ihr  H'esen  leihen*'.  „Das  Urbild  def  Kugel  hat  von  jeher  bestanden  .  .  .** 
(Psychol.  S.  15).  In  den  Dingen  spiegelt  sich  die  Idee  «ab,  sie  ist  ,/ia»  be- 
ständige Integral,  was  die  Erscheinufigen  xu  einem  Ganzen  xusammenhäU;  sie 
ist  das  Gesetz,  dem  alle  tceltlichen  Kräfte  in  ihren  Richtungen  folgen^'  (L  c« 
S.  400).  Die  Natur  ist  ein  Reflex  der  Idee  (1.  c.  S.  394).  Wichtig  ist  die 
„Triplicitäf'  der  Ideen:  Wahrheit,  Schönheit,  Tugend  (1.  c.  S.  394).  Indem 
die  Ideen  „eine  verschiedene  Dignität  gegeneinander^'  behaupten,  erhalten  vir, 
da  jede  fiur  sich  unendlich  ist,  verschiedene  Ordnungen  des  Unendlichen  (L  c. 
S.  401  ff.).  Nach  Waoner  setzt  die  Vernunft  (mit  der  Phantasie)  Ideen  da, 
wo  sie  „Totalität  in  einer  Einzelheit''  setzt  (Syst.  d.  Idealphilos.  1804,  S.  46K 
„Aller  Zwecke  Fealität  ist  in  defi  Ideen"  (1.  c.  S.  109).  Die  Ideen  sind  real, 
treibende  Kräfte  (1.  c.  S.  48).  Die  „Idee  der  Ideen"  ist  Gott  (1.  c.  S.  S^). 
Chb.  Krause  versteht  unter  Idee:  1)  einen  Musterbegriff,  2)  die  „Grundidee^ 
im  objectiven  Sinne  (Vorles.  S.  143  ff.).    Über  Suabedissen  s.  obai. 

Schopenhauer  nennt  Idee  jede  „bestimnUe  Stufe  der  Objeciivaiion  des 
Willens"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  26).  Die  Ideen  sind  „Stufen  der  Ob- 
jectivation  des  Willens",  die  „Musterbilder"  der  Individuen,  die  „etcigefi  Formenr 
der  Dinge,  „nicht  selbst  in  Zeit  und  Raurn^  das  Medium  der  Individuen^  ein- 
tretend, sondern  feststehend,  keinem  Wechsel  unterworfen,  immer  seiend  und  ge- 
worden" (1.  c.  §  25).  Die  Ideen  liegen  außer  der  Zeit  (1.  c.  §  28),  werden  vom 
Satze  des  Grundes  (s.  d.)  nicht  berührt  (1.  c.  §  30).  Die  Dinge  sind  nur  ge- 
trübte Erscheinungen  der  Ideen.  Reine  Erkenntnis  würde  nur  Idee  ertesen 
(1.  c.  §  32).  Ziur  Idee  wird  das  Object  erhoben,  indem  wir  zum  interesselofien, 
überindividuellen  ,^reinefi  Stibject  des  Erkennefis"  werden  (1.  c.  §  34).  Die  Kunst 
„unederholt  die  durch  reine  Contemplation  aufgefaßten  etcigen  Ideen,  das  Wesent- 
liche und  Bleibende  aller  Erscheinungen  der  Welt",  denn  ,ysie  reißt  das  Ob^t 


Idee.  477 

ihrer  Contemplation  heraus  attö  dem  Strome  des  Weltlaufs  und  hat  es  isoliert 
ror  sieh:  und  dieses  Einxelne,  was  in  jenem  Strom  ein  verschwindend  kleiner 
fti/  war,  wird  ihr  ein  Repräsentant  des  Oa/nxen,  ein  Äquivalent  des  in  Rau?n 
und  Z^t  unendlich  Vielen"  (1.  c.  §  36).  Die  Kunst  ist  daher  „die  Betrachtungsari 
der  Dinge,  unabhängig  vom  Satxe  des  Grundes"  (ib.). 

Hegel  geht  in  der  Hypostasienmg  des  Begriffs  (s.  d.)  so  weit,  daß  ihm 
„die  /ifce"  zum  allein  wahren,  realen  Sein,  zum  Weltproceß  wird.    Die  „Idee" 
ist  objectiver  Begriff,  objectiv  seiende  Vernunft,  Logos,  im  Weltprocesse  sich 
entfaltend  und  ihre  eigenen  Bestimmungen  (dialektisch)  setzend.    Die  Idee  ist 
„der  Begriff,  die  Realität  des  Begriffs  und  die  Eifiheit  Äcider",  „der  in  seiner 
Realität  gegenwärtige  und  mit  derselben  in  Einheit  gesetxte  Begriff"  (Ästhet.  I, 
138).     Sie  ist  der  „adäquate  Begriff",  das  „ohjeciiv   Wahre^%   das  „wahrhafte 
Sein",   die  „Einheit  von  Begriff  und  Realität"  (Log.  III,  236,  240).     Sie   ist 
logischer  „Proeeß"  (der  Diremtion  und  Synthese),   „ewiges  Erzeugen",  Leben, 
Erkennen,  Wollen  und  Wissen  (1.  c.  S.  242  f.).    Natur  und  Oeist  sind  nur  ver- 
Bcbiedene  Weisen,  das  Dasein  der  „absoluten  Idee",  der  „sich  loissenden  Wahr- 
heit", darzustellen  (1.  c.  S.  328).   Die  Idee  existiert  „an  sich",  in  ihrem  „Anders- 
sein" (als  Natur),  „für  sich"  (als  Geist).     Die  ,^ein&^  Idee  ist  „die  Idee  im 
abstraeten  Elemente  des  Denkens"  als  Gegenstand  der  Logik  (Encykl.  §  19). 
Die  Idee  ist  aber  „das  Denken  nicht  als  formales,  sondern  als  die  sich  ent- 
viekelnde  Totalität  seiner  eigentümlichen  Bestimmungen  und  Gesetze,  die  es  sich 
selbst  gibt,  nicht  schon  hat  und  in  sieh  vorfindet"  (ib.).    „Die  Idee  ist  das  Wahre 
an  und  für  sich,   die  absolute   Einheit  des   Begriffs,  und  der   Ob- 
jectiv i  tat,    Ihr  ideeller  Inhalt  ist  kein  anderer  als  der  Begriff  in  seinen  Ben 
Stimmungen;   ihr  reeller  Inhalt  ist  nur  seine  Darstellung,   die  er  sich  in  der 
Form  äußerlichen  Daseins  gibt,  und  diese  Gestalt,  in  seine  Idealität  eingeschlossen, 
in  seine  Macht,  so  sich  in  ihr  erhält''  (1.  c.  §  213).     Alles  Wirkliche  ist  die 
Idee,  sie  ist  wahr  nur  durch  sie  und  kraft  ihrer.    „Die  Idee  selbst  ist  nicht  vu 
nehmen  als  eine  Idee  von  irgend  etwas  .  .  .    Das  Absolute  ist  die  allgmneine 
und  eine  Idee,  welche  als  urteile 7id  sich  xum  System  der  bestimmten  Ideen 
besondert,  die  aber  nur  dies  sind,  in  die  eine  Idee,  in  ihre   Wahrheit  xurück- 
xugehen.    Aus  diesem  Urteil  ist  es,  daß  die  Idee  zunächst  nur  die  eine,  all- 
gemeine Substanz  ist,  aber  ihre  enturickelte  wahrhafte  IVirklicfikeit  ist,  daß  sie 
als  Subject  und  so  als  Geist  ist"  (ib.).    Die  Idee  ist  die  Vernunft,  das  Subject- 
Object,  die  Einheit  des  Ideellen  und  Reellen,  des  Endlichen  und  Unendlichen, 
der  Seele  und  des  Leibes  u.  dgl.  (1.  c.  §  214).     Sie  ist  „die  Dialektik,  welche 
ewig  das  mit  sich  Identische  von  dem  Differenten,  das  Subjective  von  dem  Ob- 
jeetiven,  das  Endliche  von  dem  Unendlichen,  die  Seele  von  dem  Leibe  ab-  und 
unterscheidet,  und  nur  insofern  ewige  Schöpfung,  ewige  Lebendigkeit  und  ewiger 
Geist  ist"  (ib.).     Die  N^itur  (s.  d.)  ist  die  „Idee  in  der  Form  des  Anders- 
seins", der  Geist  (s.  d.)  die  „xu  ihrem  Für-sicfi-sein  gelangte  Ideef^  (1.  c.  §  247, 
381).  —  Nach  Gabler  ist  die  (reine)  Idee  „da«  absoltäe,  sich  als  alle  Realität 
wissende    Wissen  der  an  und  für  sich  seienden    Wahrfieit*^  (Syst  d.  theoret. 
Philos.  I,  429).     Nach  K.  Bosenkranz  ist  die  Idee   „das  absolute  Prineip, 
welches  sieh  die  ihm  immanente  Form  als  Methode  zur  Einheit  aller  seiner  not- 
wendigen Bestimmungen  entivickelt,  ein  Systetn"   (Wissensch.  d.  log.  Idee  II, 
S,  336).     Die  Idee  ist  „die  Einheit  ihres  Begriffs  und  seiner  Realität^  (1.  c. 
8.  436;  Syst.  d.  Wiss.  S.  117).     Sie  ist  sich  selber  Zweck,   gestaltet  sich  als 
organische  Totalitat  (Syst.  d.  Wiss.  S.  117).     „Die  Idee  ist  selber  das  absolute^ 


478  Idee. 

von  nichts  anderem  abßiängigey  in  sich  unbedingte  Sein,  welches,  als  hwohAim, 
alle  seine  besondern  Bestimmungen  xvr  Evolution  in  sich  schließt*  (L  c.  S.  118).  \ 
Nach  M.  J.  MoNBAD  ist  die  Idee  das  Wirkliche,  das  eich  in  Natur  und  Gdst 
offenbart.  V.  Cousin  erklärt:  „Les  idees  sont  la  pense  sous  la  forme  naturdit 
(Cours,  le^.  1,  p.  20).  „Les  idees  ,  .  .  tie  representenl  rien,  absolument  rim 
qu'elles'memes^*  (1.  c.  p.  22).  Fundamental  sind  für  den  Mensehen  die  Ideen 
des  Nützlichen,  Gerechten,  Schönen,  Göttlichen,  Wahren  (L  c.  ley.  2,  p.  29). 
Caabibbe  erklärt:  „Die  Idee  macht  .  .  .  das  eigene  Wesen  der  Dinge  aus.  Sk 
ist  der  Inbegriff  und  Einheitspunkt  alles  Lebendigen,  aus  welchem  das  aanrnff- 
faltige  entspringt  und  abgeleitet  wird;  sie  ist  das  Allgemeine,  tcelches  das  Be- 
sondere nicht  ausschließt,  sondern  in  sieh  und  unter  sieh  befaßt  .  .  .  Die  Mm 
drückt  das  Wesen  und  die  Bestimmung  des  Einzelnen  aus,  tvie  es  in  semer 
Vollendufig  zugleich  das  Allgemeine  abspiegelt  und  verwirklieht;  so  vereinigt  skk 
in  ihr  das  Anschauliche  mit  dem  Begrifflichen^  (Ästhet  I,  18).  Nach  GiOBEKn 
sind  die  Ideen  der  Dinge  ewig  in  Gott  vereinigt  (vgl.  Ontologismus). 

Nach  Bacuhann  ist  die  Idee  „die  nur  durch  die  Vernunft  %u  erfassende 
Urgestalt,  als  Musterform  und  belebende  Kraft  für  eine  Reihe  von  Bestrebungen 
und  individuellen  Gestalten*^  (Syst.  d.  Log.  S.  283).  Sie  kommt  nur  in  da 
einzelnen  Individuen  zum  Bewußtsein  (1.  c.  S.  288).  Nach  Trekdeubnbubg 
ist  die  Idee  das  „erfüllte  Allgemeine,  das  sich  selbst  in  der  MannigfaiiigkeU 
seiner  Bestimmungen  darstellt  und  umfaßt*-,  das  „Wesen  unter  der  Kategorie 
des  selbstschöpferisehen  Orutides'^  (Log.  Unters.  II»,  494  ff.),  der  „Begriff  der 
Sache,  in  der  organischen  Bestimmung  eines  bedingenden  Qanxen  erbarmt^  (L  c. 
S.  507).  Nach  Fkohschammer  sind  die  Ideen  ewig,  sie  bilden  ,ßie  he- 
»timmende  Norm**  für  das  Weltprincip,  die  Phantasie  (s.  d.),  werden  darch 
„plastische  Kräfte^*  zu  realisieren  gesucht  und  wirken  im  Menscheugeiste  ak 
Triebkräfte  (Monad.  u.  Weltphantas.  S.  17).  Sie  sind  zielgebende  Normen,  das 
treibende  Moment  im  Weltprocesse,  die  „unbewußte  Vemunff*  in  der  Natur 
(1.  c.  S.  18,  74  f.,  77).  J.  H.  Fichte  erklärt,  dem  Schönen  liege  stets  ein« 
der  ,^ewigen  Oemeinbilder  oder  Urgestalten'^  zugrunde  (Psychol.  I,  701).  ,fhdem 
Unsinnliehen,  Gedankenmäßigen  ist  gleich  ursprünglich  in  der  göHliehen  Seköpfer" 
imagination  .  .  .  sein  Sinnbild,  seine  imaginative  Leibesgestalt  an- 
geheftet*  (1.  c.  S.  710).  AUe  Ideen  sind  jedem  Menschengeiste  immanent  (L  c 
ß.  112,  vgl.  S.  135).  Nach  Lotze  bezieht  sich  der  Gedanke  „Ide^  auf  eine 
ursprüngliche  Einheit  in  dem  Dinge,  er  bedeutet  das  Wesen  des  Dinges,  dai 
Grund  des  Daseins  einer  Art,  den  beständigen  Sinn  veränderlicher  Crestalten 
(Mikrokosm.  II",  165  ff.,  vgl.  S.  570).  Lotze  t«ilt  die  Voraussetzung  des  Idea- 
lismus,  „daß  nur  so  viel  und  nur  solches  in  der  Welt  existiert,  als  zugleich  in 
dem  Sinne  einer  wertvollen  Idee,  die  ihr  Wesen  bildet,  seine  netwendige  Sldk 
hc^*  (Medicin.  Psychol.  S.  159).  E.  v.  Habtmann  sieht  in  der  „/dee"  das 
logische  Attribut  des  „Unbewußten**  (s.  d.).  Die  Ideen  sind  „unbewußte  In- 
tellectiuUfunctionen**  (Zum  Begr.  d.  unbew.  Vorstell.,  Philos.  Monatsh.  28,  1892, 
S.  23  f.).  G.  Biedermann  versteht  unter  Idee  den  „im  FortsekriU  seiner 
unendlichen  Entwicklung  xu  verwirklichenden  Begriff**  (Philos.  d.  Gesch. 
S.  XXXIV,  385).  Czolbe:  „Die  Welt  besteht  aus  xahUosm  Gruppen  teils  sieh 
xeitlieh  folgender,  teüs  räumlieh  nebeneinander  bestehender  ähnlieher  Dinge^ 
nämlich  solcher,  die  in  wesentlichen  .  .  .  IkHen  gleich  sind  oder  iiberein^ 
stimmen  .  .  .  Dieses  Gemeinsame  .  .  .  kann  man  objeetiven  Begriff  oder  Idee 
nennen  und  als  Abbild  dieser  ewigen,  in  sich  gegliederten  obfectiven    Welt  der 


i 


Idee.  479 

Meen  das  System  der  subjeetiven  Begriffe  betrachten,  welche  den  Inhalt  der 
Wissenschaft  oder  der  Erkenntnis  des  Ewigen^  Unveränderlichen  und  Unver- 
gänglichen bilden"  (Gr.  u.  ürspr.  d.  m.  Erk.  S.  169).  O.  Liebmann  versteht 
unter  den  unveränderlichen  Ideen  „ÖesetxeseomplieaUonen"  (Analys.  d.  Wirkl. 
8.  393).  Die  Idee  ist  ,/ii^'enige  Complieation  von  Nttiurgesetxen,  welcher  ent- 
sprechend  bei  einem  bestimmten  Zustand  der  Materie  ein  Mensch  oder  ein  In- 
dividuum  .  .  .  entspringen  muß*'  (L  e.  S.  404).  Im  Universum  besteht  eine 
Ideenordnung  (1.  c.  S.  407).  Nach  B.  Carneri  ist  die  Idee  der  ,/ioncrete  Be- 
griff*^. Sie  entspricht  einer  bestimmten  Art  und  ist  ,4^  Wirkliche  an  jedem 
einzelnen  Exemplare^^  (Sittlichk.  u.  Darwinism.  S.  78).  „Keine  bestimmte  Idee 
verwirklieht  sich  .  .  .  auf  einem  gegebenen  Punkte  des  Raumes  und  der  Zeit, 
sondern  nur  in  der  Gesamtheit  und  unendlichen  Bewegung  aüer  unter  sie  be- 
griffenen  Einxeldinge^'  (1.  c.  S.  78).  Die  Idee  ist  ,/ias  innerlich  der  ganxen 
Gattung  Gemeinsamem^,  eine  Macht  (1.  c.  S.  137,  194).  Nach  Lazarus  sind  die 
Ideen  productive  Kräfte,  die  aus  der  Veredlung  der  Ichheit  entspringen  (Ob. 

d.  ürspr.  d.  Sitt,  Zeitschr.  f.  Völkerpsychol.  I,  462  f.,  477).  Die  Idee  ist  die 
höchste  und  reinste  Form  der  Erkenntnis  alles  Bealen,  in  ihr  wird  das  wirk- 
liche und  wirksame,  volle  und  lebendige  Wesen  alles  Seienden  erfaßt.  „Dte 
Mee  eines  Dinges  umfaßt  sein  reales  Wesen  in  dem  ganxen  Wandel  und  als 
Grund  seiner  Erscheinung*'  (Zeitschr.  f.  Völkerpsychol.  III,  452,  456).  Nach 
Steenthal  ist  Idee  alles,  was  das  Wesen  idealer  Formung  an  sich  tragt 
(Allgem.  Eth.  S.  78).  Die  Ideen  sind  sowohl  objectiv  als  subjectiv  (1.  c.  S.  79). 
Ideen  sind  auch  „die  subjeetiven  Kräfte  des  Bewußtseins^  welches  die  geschieht- 
liehen  Taten,  Gebilde  und  Gedanken  erxeugt,  insofern  sie  dabei  von  den  Ideen 
geleitet  wurden'^  zu  nennen  (L  c.  S.  78).  Der  „ob/eetive  Geisf'  ist  der 
„Ort  der  Ideen"  (1.  c.  S.  420,  424,  426).  Nach  Glooau  üben  die  (aus  Gott 
abgeleiteten)  Ideen  „SoUicüationen"  aus,  wodurch  die  endlichen  Greister  zu 
geistigen  Bildungen  veranlaßt  werden.  Nach  Siowart  sind  die  „Ideen"  der 
Geschichte  die  Richtungen  der  Gesamttatigkeit  eines  Volkes  in  einer  bestimmten 
Zeit  (liOg.  II^  632).  Nach  O.  Willmann  bilden  die  Ideen  „ein  Mittelglied 
xfHsehen  dem  Einen  und  dem  Vielen",  Sie  stellen  femer  das  richtige  Ver- 
hältnis zwischen  Erkennen  und  Sein  her.  Endlich  verknüpfen  sie  die  natür- 
liche und  sitüiche  Welt  (Gesch.  d.  Idealism.  III,  215,  218,  221,  223). 

W.  V.  Humboldt  versteht  unter  den  Ideen  „Formen"  von  relativer  Imma- 
terialilat,  welchen  lebendige  Wirksamkeit  in  der  Geschichte  zukommt  (WW. 
VII,  12  ff.).  Sie  wirken  in  den  Individuen.  Nach  L.  v.  Ranke  ist  die  Idee 
r^ötüiehen  Ursprungs"  (Histor.-polit.  Zeitschr.  II,  794).  Die  Idee  wirkt  als 
Kraft,  Trieb  (L  c.  S.  805).  Nach  Wachsmuth  sind  die  Ideen  außer  Raum 
und  Zeit,  die  constanten  Formen,  Principien,  Gresetze  der  Ereignisse  (Entwurf 

e.  Theorie  d.  Gesch.  1820,  S.  49  ff.,  56).  Ahsenb  bemerkt:  „Alle  die  Mensch- 
keit  in  ihrem  lAhen  und  in  ihrer  Entwicklung  bestimmenden  Ideen,  tcelche  als 
höhere  Lebenskräfte  auf  eine  höchste  und  unbedingte  Macht  hinweisen,  beherrschen 
lange  Zeit  die  Mensclien  und  Völker  mehr  unbewußt  als  instinetive  Triebe  und 
treten  erst  später  immer  klarer  ins  Bewußtsein"  (Naturrecht  I,  15).  Lamprecht 
definiert  die  Ideen  als  „die  Richtungen  des  psychischen  Gesamtorganismus  einer 
ZeU  und  eines  geschichtlich  abgegrenxten  Teiles  der  Menschheit^'  (Was  ist  Cuitur- 
gesch.?  Dtsch.  Zeitschr.  f.  Geschichtswiss.  N.  F.  1,  1896/97,  S.  109).  Die  Ideen 
sind  immanente  Factoren,  entstehend  durch  „Application  des  menschlichen 
Denkens  und  Handelns  auf  die  bestehenden  Möglichkeiten  des  Handelns^'  (Alte  u. 


480  Idee. 

neue  Richtungen  1896,  Ö.  55  f.).  Ideen  sind  Agentien  nur  als  p9ychol(^;i9ch«  ' 
Factoren  (1.  c.  S.  40).  „Z>te  geschichtliche  EnttviMung  roUxiekt  sich  unter  der 
forttmJirenden  Einwirkung  des  menschlichen  Triebes,  aUe  Ereignisse  und  Vor- 
gänge nach  Oesichtsptmkten  höherer  Einheit  xu  ordnen:  so  erwachsen  aut 
den  Dingen  die  Ideeriy  und  sie  beherrschen  als  Forderungen  und  Ziele  det 
Handelns  einen  Teil  der  Zukunft''  (Dtsch.  Gesch.  II«,  355).  Nach  O.  Flügel 
bedeuten  die  Ideen  „natürlich  entstandene  Gedanken  und  Entschlüsse^' ,  ^yZweeke 
und  Motive"  der  Individuen  (Ideal,  u.  Material.  S.  180,  90  ff.).  Th.  Ldtbkes 
nennt  Ideen  „Gedanken,  welche  auf  Erreichung  eines  bestimmten  Zieles  geriehitt 
sind".  „Sie  sind  der  Ausfluß  jeweiliger  Verhältnisse,  der  Ausdruck  rorhandmer 
Bestrebungen."  „Wenn  das  Gefühl  des  Bedürfnisses  ins  Bewußtsein  tritt  und 
auf  Befriedigung  drängt,  wird  es  xwr  Idee"  (Greschichtsphilos.  S.  25  f.).  Alk 
Ideen  sind  vergänglich,  stehen  im  gegenseitigen  Kampfe  (1.  c.  S.  28  ff.)-  Sie 
entstehen  „individtuü,  verbreiten  sieh  coüectiv  und  werden  wieder  durch  hh 
dividuen  ausgeführt"  (1.  c.  8.  61).  „Indem  die  Ideen  %ur  Befriediffting  tuta 
Bedürfnisses  antreiben,  werden  sie  Ursachen  der  geschichtlichen  Entwiddun^ 
(L  c.  ß.  88).  Nach  P.  Babth  haben  Gedanken  einen  directen  oder  indirBctffl 
Einfluß  auf  das  Leben  (Philos.  d.  Gesch.  I,  S.  349).  Es  besteht  eine  Fort- 
pflanzung der  Ideen  von  (Geschlecht  zu  Geschlecht  (L  c.  S.  557).  Nadi 
FouiLLEE  sind  die  Ideen  treibende  Kräfte  des  Geschehens,  „idees^force^ 
(L'^voL  des  id^es-forces).  Nach  Lilienfeld  wirken  in  der  Welt  Ideen  auf 
psychophysische  Weise  als  leitende,  herrschende,  bestimmende  Factoren.  Sie 
sind  psychophysische  Producte  und  wirken  auf  das  Ganze  des  socialen  Orga- 
nismus zurück,  ja  über  dieses  hinaus  (Gedank.  üb.  d.  Socialwiss.  III,  183;  IL 
403  f.;  I,  56,  272).  Schäffle  sieht  in  den  Ideen  (des  Bechts,  der  Moral  u.  g,  w.) 
nicht  primäre  Kräfte,  sondern  socialgenetische  Producte  (Bau  u.  Leb.  I,  569  1; 
II,  103  f.),  die  aber  großen  socialen  Einfluß  haben  (1.  c.  II,  398).  Nacik 
Batzenhofeb  entspringen  die  Ideen  aus  den  Bedürfnissen.  Sie  haben  einen 
„intellectuellen  Eraftwert"  (Polit  I,  27;  Sociol.  Erk.  S.  316).  Es  gibt  ein  ,,Ge- 
setx  der  Erhaltung  der  Energie  der  Ideen"  (Sociol.  Erk.  S.  357).  Nach  Gold- 
friedrich wachsen  die  Ideen  „mü  unwillkürlicher  und  ungesuchler  Ikd- 
wendigkeit  aus  den  sie  veranlassenden  VerhäMnissen  hervor,  Sie  entstehen  noA 
dem  Princip  der  Heterogonie  der  Zwecke",  Sie  wirken  „propellierend,  organi- 
sierend und  veredelnd",  sind  „Principien  der  Fort-  und  Höherbewegung,  der 
Refomiaiion  und  Reorganisation,  wirken  „organisierend,  vereinheitliehendy 
festigend",  Sie  „behaupten  und  breiten  sieh  aus  durch  eine  sociale  Loffik,  d,  h 
dadurch,  daß  sie  xiUetxt  der  Masse  conform  sind;  durch  Propagandoy  Ver- 
folgung und  Nachahmung  und  die  Verbindung  mit  den  tigennütxigen  TWe&eK* 
(Die  histor.  Ideenlehre  in  Deutschi.  S.  521  ff.;  daselbst  Litteratur). 

Nach  H.  Schwarz  sind  praktische  Ideen  „Gedankenbilder  eines  Besseren 
(Psychol.  d.  Will.  S.  122).  Die  objective  Gültigkeit  der  metaphysischen  Idcca 
betont  A.  Dorner  (Gr.  d.  Beligionsphilos.  S.  14  f.).  Die  Empirie  seihet  weist 
uns  über  sich  auf  eine  überempirische  Welt  hinaus  (1.  c.  S.  15;  vgl.  Das  menscfaL 
Erk.  S.  39  f.,  150  f.,  296  f.,  3171).  —  Nach  Wundt  sind  Ideen  „Vorsteüungm 
idealer  ZwecJce"  (Eth.*,  S.  510).  Wundt  prägt  einen  neuen  Ideen-B^riff.  Ideen 
sind  Producte  des  vernünftigen,  begründenden  Denkens,  „ergänzende  Oesiekts- 
punktet'  zu  den  Tatsachen  der  Erfahrung,  die  über  diese  hinausführen,  mit 
einem  Fortschritt  ins  Transcendente  (s.  d.),  der  die  Bichtimg  der  ErfahroDg 
emhält  (Philos.  Stud.  VII,  13;   Syst.  d.  Philos.»,   S.  174  ff.).     Die  Vernunft 


a    I 


Idee  —  Idential.  481 


«rzeugt  (als  letzte  Stufen  der  Bearbeitung  des  Erfahrungsmaterials)  drei  Arten 
Ideen:  kosmologische,  psychologische ,  ontologische  Ideen  (s.  d.).  Bei  jeder 
dieser  Ideen  gibt  es  einen  zweifachen  Fortschritt  (Begreß):  der  eine  führt  zur 
Idee  einer  unendlichen  Totalität,  der  andere  zur  Idee  einer  absolut  unteilbaren 
Einheit.  Die  kosmologischen  Ideen  haben  eine  j^reale^^  und  ^^irncLginäre^^  Trans- 
zendenz, die  psychologischen  und  ontologischen  nur  „imaginäre^*  Transcendenz 
(Syst  d.  Phüos.«,  S.  198  ff.,  200  ff.).  VgL  Ästhetik,  Vorstellung,  Begriff, 
Materialismus,  Sociologie. 

Ideenassoelatlon  s.  Association. 

Ideen,  fixe,  s.  Zwangsvorstellung,  Monomanie. 

Ideenflneiit,  pathologische:  rascher  Wechsel  von  Vorstellungen,  ohne 
inneren  Zusammenhang  und  ohne  Kraft  der  activen,  auswählenden  und  fixieren- 
den Apperception  (vgl.  Kbaepelin,  Psychiatrie*). 

Ideen 9  materielle  („ideae  mcUeriales")  oder  Ideenbilder:  (früher 
4uigenonmiene)  Bilder  der  Objecte  im  Grehim  als  Dispositionen  zu  Vor- 
stellungen. —  Figürlich  spricht  Aribtoteles  von  Bildern  {^aty^afi^fiara^  jvnoi), 
die  der  8eele  gleichsam  eingedrückt  werden  (De  memor.  1).  —  Desgartes 
nennt  „ideae  rerum  materialium*^  die  Gehimeindrücke,  die  durch  Bewegungen 
im  Körper  bewirkt  werden  und  denen  die  Seele  beim  Vorstellen  zugewendet 
hl  („ad  quam  speciem  corpoream  mens  se  applicet,  sed  non  qttae  in  mente 
reeipicUur*^,  De  hom.  p.  132 ;  Princ.  philos.  IV,  196  f.).  Durch  Malebranghe 
wird  diese  Lehre  weiter  verbreitet.  Abbildungen  der  „materiellen  lieen^^  bei 
Th.  von  CRAAiTEN  (Tract.  de  hom.  1689,  C.  93  f.).  Von  materiellen  Ideen 
spricht  Che.  Wolf  (Psychol.  rational.  §  118,  374).  Baumgaeten  versteht 
darunter  „motus  cerebrij  coexisientes  animae  repraesentcUionibus  auceesaivis" 
(Met.  §  560).  Ähnlich  Bonnet  (Ess.  analyt.  §  55),  Tetens  (Philos.  Vers.  I, 
Vorr.  8.  VII),  Fedee  (Log.  u.  Met,  S.  34).  Platner  spricht  von  „Ideen^ 
bildem^'f  auch  von  „Spuren*^,  „Eifidrüeken^^  im  Gehirn  (N.  Anthropol.  §  334  ff.). 
Das  ,fldeenbild''  ist  nichts  Materielles,  sondern  der  Gegenstand  der  Idee  (Philos. 
Aphor.  I,  §  288).  Ideenbilder  können  nicht  in  der  Seele,  aber  im  Gehirn  auf- 
bewahrt werden  (1.  c.  I,  §  290).  In  der  Seele  bleiben  als  „Spuren*^  der  Ideen 
innere  Veränderungen  (L  c.  I,  §  292).  Die  Ideenbilder  sind  „Bewegfertigkeiten 
der  Qehirfifibeni''  (1.  c.  I,  §  296),  „innere  Eindrücke''  im  Gehirn  (1.  c.  I,  §  299). 
Die  Ideenbilder  sind  in  beständiger  (schwacher)  Tätigkeit  (1.  c.  I,  §  302).  Durch 
die  Aufmerksamkeit  wird  jede  zu  dem  Ideenbilde  erforderliche  Bewegung  belebt 
und  unterstützt  (L  c.  I,  §  314  ff.).  „Die  Ideenbilder  werden  uneder  erweckty  heißt 
nichts  anderes,  als  jene  Bewegungen  der  Gehimfibern  erlangen  den  zur  bewußt' 
mäßigen  Vorstellung  erforderlichen  Orad  der  Stärke*'  (1.  c.  I,  §  335  ff.). 
G.  E.  Schulze  bemerkt:  „Wenn  unter  den  sogenannten  materiellen  Ideen 
nichts  weiter  verstanden  wird,  als  eine  durch  die  organische  Lebenstätigkeit  des 
Gehirns  besonders  bestimmte  Bewegung  in  gewissen  Teilen  desselben,  welche  xum 
Entstehen  einer  Empfindufig  ufid  Vorstellung  nötig  sein  soll,  so  kann  deren  An- 
nahme vollkommen  gerechtfertigt  werden"  (Anthropol.  S.  53). 

Idies-förees  (Fouillee):  Kraftideen,  real  wirksame  Ideen,  objective 
psychische  Kräfte  (L'^volut.  des  id^es-forces ;  PsychoL  des  id^-forces).  Vgl. 
Voluntarismus. 

Idential s  Aussage  des  jfiasselbe"  („Tatäote'')  und  des  „Anders"  („Bete- 
rM'):  B.  AvENAKiüS  (Krit.  d.  r.  Erfahr.  II,  S.  28  ff.). 

Phlloaophisehes  WOrterbaoh.    %.  Aal).  31 


482  Identification  ->  Identität. 


Identiflcatloii  b.  Identitätsurteil. 
Identlseii  s.  Identität 

Idenütilt  (identitas,  ravTorrjs):  Dieeelbigkeit,  Einerleiheit ,  8ieh-selbgt> 
gleich-bleiben.  Der  Begriff  der  Identität  entsteht  durch  Vergleichung  eines 
Bewußtseinsinhalts  mit  diesem  selbst  in  verschiedenen  Zeiten  und  Räumen,  ans 
der  gleichen  Beaction  des  Ich  auf  einen  Bewußtseinsinhalt,  dessen  stetige  Ver- 
änderung bei  Erhaltung  des  Wesenszusammenhanges  das  Denken  nötigt,  ihn, 
oder  besser  das  durch  ihn  repräsentierte  Object,  Ding  für  ,fdas^lbe^y  für 
identisch  mit  dem  früher  wahrgenommenen  zu  halten.  Das  Ich  beurteilt  etwa.s 
als  yfidentisch^*  heißt:  es  supponiert  einem  Bewußtseinsinhalt  das  gleiche  Object, 
es  verlegt  damit  seine  eigene  Identität  in  das  Wahrgenommene.  Die  Identität 
der  Objecte  ist  ein  Reflex,  eine  (empirisch  fundierte)  Projection  der  (unmittelbar 
erlebten,  nicht  beschreibbaren)  Identität  des  Ich.  Zu  imterscheiden  sind: 
„WMWcrwcÄe**  (individuelle)  und  „gerieriscfie^^  Identität. 

Stilpo  imd  ANTiSTHEJnES  erkennen  logisch  nur  Identitätsurteile  (s.  d.)  an. 
Als  Gnmdbegriffe  kommen  das  talrov  und  ireQov  bei  Plato  vor  (Theaei. 
185  A,  186  A;  Farmen.  139  D).  Den  Begriff  der  Identität  bestimmt  Abi- 
STOTELE8:  ^  ravTorrje  tvorrji  rii  icnv  rj  7t)^i6vcov  rov  dvai,  ^  orav  X9^^* 
(Oi  n?.ßi6aiv,  olov  orav  le'yrj  avro  avTfo  ravrov  (Met.  V  9,  1018  a  7).  Es  gibt 
numerische  {xar  agiS'fiov)  imd  generische  (rtf  eidei)  sowie  accidentielle  ixarn 
cvußeßny.69)  Identität  (Met.  X  3,  1054  a  32;  X  8,  1058  a  18;  VII  11,  1037  b  7). 

„Ideiititas^'  im  Sinne  von  ravTorr^^  schon  bei  Petrus  Hispanus  (Prantl, 
G.  d.  L.  III,  53).  Thomas  bemerkt:  „Ibi  possumtia  idetüüiUem  dicere,  ubi 
differmiia  nofi  intenitur'^  (4  phys.  230).  Zu  unterscheiden  ist  „identitas  alh 
soluta^^y  „id.  naturae,  realis*^.  DuNS  ScoTüS:  „Voeo  .  .  .  identitateni  formalem, 
tibi  illudj  qtiod  sie  dicitiir  idem,  inchvdit  iUud,  cui  sie  est  idem,  in  ratione  sua 
formali^'  (In  1.  sent.  I,  d.  2,  qu.  7).  Nach  Goclen  ist  Identität  „convenietitia 
itnius  erUis  cum  alio  orta  ex  unüate  alicuius  tertii^\  Es  gibt  „identitas  realis^y 
„id.  rationis^^  (Lex.  philos.  p.  212).  Micraelius  bemerkt:  „Identitas  est  eoth- 
venientia  in  aliquo,  quando  nempe  res  vel  ad  se  ipsam  refertitTj  vel  ad  aliam,^ 
Es  gibt:  „identitas  rationis  —  realis  — primaria  —  secundaria  —  ordinaria  — 
extraordinariu  —  intrinseca  —  extrinseea  —  numeriea  —  speeifiea  —  eau- 
salis  —  subiecHva  —  generica^*  (Lex.  philos.  p.  510  f.).  Nicola ü8  CrsAxrn 
spricht  von  der  „identitas  absohäa^*  des  „maximum**  und  „minimum**  in  Gott 
(De  vis.  Dei  13). 

Locke  betont :  „If  is  the  first  aet  of  the  miml,  when  it  has  any  sentiment 
or  idrns  at  all,  to  perceive  its  ideas,  and  so  far  as  it  pereeives  them,  to  knotr 
each  tchat  it  is^^  (Ess.  IV,  eh.  7,  §  2).  „Wird  ein  Ding  als  daseiend  xh  einer 
bestimmten  Zeit  und  an  einem  bestimmten  Ort  aufgefaßt,  so  vergleicht  man  es 
mit  sich  seihst  xu  einer  andern  Zeit  und  an  einem  anderen  Ort  und  bildet  danach 
die  Vorstellungen  der  Dieselbigkeit  toui  Ver schied e^iheit.*'  „Es  besteht 
also  die  Dieselbigkeit  dann,  wenn  die  als  dieselbcfi  erklärteti  Vorstellungen  sieh 
durchaus  nicht  von  dem  unter  scheidet!,  icas  sie  in  dem  Augenblick  tcaren,  tco 
man  ihr  früheres  Sein  befrachtet  und  womit  man  ihr  gegemcäriiges  rergUiekt, 
ffenn  man  bemerkt  niemals  und  kann  es  sich  nicht  ah  möglich  rorstellcny  daß 
xnei  Dinge  derselben  Art  an  demseWen  Orte  xu  derselben  Zeit  bestehen  soüem^ 
(1.  c.  II,  eh.  27,  §  1).  Die  Identität  des  Menschen  besteht  in  der  Teilnahme 
an  demselben  fortgesetzten  Leben  (L  c.  §  6).    Im  Selbstbewußtsein  (s.  d.)  selbst 


Identität.  483 


besteht  die  persönliche  Identität  (1.  c.  §  9,  16).  Nach  Leibniz  bekundet  sich 
im  Selbstbewußtsein  eine  reale  und  zugleich  eine  moralische  persönliche  Iden- 
tität (Nouv.  Ess.  II,  eh.  27,  §  9).  HUME  erklärt:  „W^ir  kömien  uns  eine  deiä- 
liehe  Vorstellung  davon  machen^  daß  ein  Oegenstand^  während  die  Zeit  sich 
ättderty  unverändert  und  ununterbrochen  derselbe  bleibt.  Diese  Vorsielhmg  6e- 
xeiehnen  icir  als  Vorstellung  der  Identität  oder  Selbigkeit  (sameness)^^  (Treat. 
IV,  sct.  6,  S.  328).  Sie  ist  eine  Art  der  Relation  (1.  c.  I,  sct.  6,  S.  26).  ,,Qenau 
genommen  ist  nicM  ein  Gegenstand  mit  sieh  selbst  identisch  .  .  ,,  es  sei  denn^ 
daß  u^ir  damit  sagen  wolleny  der  Gegenstand,  als  in  einem  ^Zeitpunkt  existierender, 
sei  identisch  mit  sich  selber ,  als  in  einem  andern  Zeitpunkt  existierender^^  (1.  c. 
IV,  sct  2,  S.  268).  Es  besteht  aber  ein  „  Widerstreit  xwischen  dem  Gedanken 
der  Identität  ähnlicher  Wahrnehmungen  und  der  tatsächlichen  Unterbrechung  in 
ihrem  Auftreten"  (1.  c.  S.  273).  „/)a  .  .  .  die  Einbildungskraft  leicht  eine  Vor- 
Stellung  für  eine  andere  nimmt,  wenn  die  Wirkung  beider  auf  den  Geist  eine 
ähnliehe  ist,  so  ergibt  sieh,  daß  jede  derartige  Aufeinanderfolge  miteinander  in 
assodativer  Beziehung  stehender  Eigenschaften  leicht  aHi  ein  dauernder  Gegen- 
stand  angesehen  werden  mrd,  der  unverändert  derselbe  bleibt"  (1.  c.  *ct.  3,  S.  289). 
Wir  schreiben  dem  Gegenstand  wegen  der  Continuität  der  Perception  dauernde 
Existenz  und  Identität  zu  (1.  c.  sct.  6,  S.  332).  Kurz,  die  Identität  ist  nichts 
Objectives,  sondern  psychologisch  bedingt,  „lediglich  eine  Bestimmung,  die  tair 
ihnen  [den  Perceptionen]  zuschreiben  auf  Grund  der  Verbindung,  iti  die  die 
Vorstellungen  derselben  in  unserer  Einbildungskraft  geraten,  dann,  wenn  tair 
über  sie  refleetieren"  (1.  c.  S.  336).  Die  Vorstellung  der  persönlichen  Identität 
folgt  „aue  dem  ungehemmten  und  ununterbrochenen  Fortgang  des  Vorstellens  beim 
VoUxug  einer  Folge  miteinander  verknüpfter  Vorstellungen^^  (1.  c.  S.  336).  Nach 
Th.  Brown  beruht  die  „mental  identity^^  auf  einer  Überzeugung  („belief'J. 
Chr.  Wolf  bestimmt:  „Eadem  dicuntur,  quae  sibi  invicem  substitui possunt  salvo 
quoeunque  praedicato"  (Ontol.  §  181). 

Nach  KAJsrr  ist  die  Identität  des  reinen  Selbstbewußtseins  eine  Bedingung 
und  die  Quelle  der  Identität  der  Objecte.  „Alle  möglichen  Erscheinungen  ge- 
hören, als  Vorstellungen,  m$  dem  ganzen  möglichen  Selbstbewußtsein,  Von  diesem 
aber,  aXs  einer  transcendentdlen  Vorstellung,  .ist  die  numerische  Identität  gewiß, 
tceil  nichts  in  die  Erkenntnis  kommen  kann,  ohne  vermittelst  dieser  ursprüng- 
lichen Apperception.  Da  nun  diese  Identität  notwendig  in  der  Synihesis  alles 
Mannigfaltigen  der  Erscheinungen,  sofern  sie  empirische  Erkenntnis  werden  soll, 
liegt,  so  sind  die  Erscheinungen  Bedingungen  a  priori  unterworfen"  (Knt  d.  r. 
Venu  S.  125).  Die  „Identität  des  Beicußtseins  meiner  selbst  in  verschiedenen 
Zeiten"  beweist  nicht  die  numerische  Identität  meines  Subjects,  ist  nur  „eine 
formale  Bedingung  meiner  Gedanken  und  ihres  Zusaminenlianges"  (Krit.  d.  r. 
Vem.  S.  308).  „Wenn  ich  die  numerische  Identität  eines  äußeren  Gegenstandes 
durch  Erfahrung  erkennen  will,  so  werde  ich  auf  das  Beharrliehe  derjenigen  Er- 
scheinung, worauf,  als  Subjeet,  sieh  alles  übrige  cUs  Bestimmung  bezieht,  acht- 
haben und  die  Identität  von  jenem  in  der  2!eit,  da  dieses  wechselt,  bemerken. 
Sun  aber  bin  ich  ein  Gegenstand  des  inneren  iSinnes,  und  alle  Zeit  ist  bloß  die 
Form  des  innem  Sinnes.  Folglieh  beziehe  ich  alle  und  jede  meiner  suecessiven 
Bestimmungen  auf  das  numerisch  Identische  selbst,  in  aller  Zeit,  d.  i.  in  der 
Form  der  innem  Anschauung  meiner  selbst"  „In  der  ganzen  Zeit,  darin  ich 
mir  meiner  beicußt  bin,  bin  ich  mir  dieser  Zeit,  als  zur  Einheit  meines  Selbst 
gehörig,  beicußt"  (ib.). 

31* 


4^  Identität. 


Nach  J.  G.  Fichte  ist  der  höchste  Trieb  im  Menschen  „cfer  Trieb  noA 
Identität y  nach  vollkommener  Übereinstimmung  mit  sieh  selbst  y  und  damä  er 
stets  mit  sieh  übereifistimynen  könney  nach  Übereifistimmung  alles  dessen,  vst 
außer  ihm  isty  mit  seinen  nottcendigen  Begriffen  dawm*^  (Bestimm,  d.  GelehrL 
2.  Vorles.)-  Schelliko  bestinmit  die  Identität  als  die  Form  des  absoluten  Ich 
(Vom  Ich  8.  39).  „Nur  das  Ich  ist  eSy  das  aUem,  was  ist,  Einheit  und  Beharr- 
lichkeit verleiht;  alle  Identität  kommt  nur  dem  im  Ich  Gesetzten  .  .  .  xt^  (L  c. 
S.  41).  Der  Satz  A  =  A  (s.  d.)  wird  erst  durch  das  absolute  Ich  b^röndet 
(ib.).  Im  Ich  sind  Handebi  und  Sein  ursprünglich  identisch  (Syst  d.  ix.  Ideal 
S.  317).  Die  y/tbsohUe  Identität^  des  Oeistigen  und  Körperlichen,  SubjectiTeo 
•und  Objectiven  ist  der  Quell  alles  Seins  (Naturphilos.  S.  276;  s.  Identität»- 
philosophie).  Hegel  bestinunt:  yy Das  Wesen  seheint  in  sieh  oder  ist  reme 
Beflexioti;  so  ist  es  nur  Beziehung  auf  sich,  nicht  als  unmittelbare ^  sondern  ai$ 
refleetierte,  —  Identität  mit  sieh,"  Das  ist  die  ,, formelle  oder  Verstanden- 
Identität"  (Encykl.  §  115).  K.  Bosenkranz:  jjkts  Wesen  ist  unmitteShar 
das  Sein,  tcie  es  sieh  auf  sich  selbst  bexde^U,  So  ist  es  notwendig  sich  gleiek. 
Es  ist  als  Beziehung  auf  sich  dasselbe,  was  es  an  sich  ist.  Die  Oleiehheit  iii 
daher  auch  die  dureftgäfigige^*  (Syst.  d.  Wiss.  S.  50).  Bolzano  sieht  in  der 
Einerleiheit  einen  Begriff,  ,/ier  aus  der  Vergleichung  eines  Dinges  fledigliek) 
mit  sieh  selbst  entspringt*'  (Betrachtungen  üb.  ein.  Gegenstande  d.  Elementar- 
geom.  1804,  S.  44).  Nach  Volkmann  geht  der  Identitatsbegriff  aus  dem  Be- 
wußtwerden der  Notwendigkeit  des  analytischen  Urteils  hervor  (Lehrb.  d. 
PsychoL  II*,  277).  „Der  Identität  und  Dependenx  werden  wir  bewußt,  indem  mit 
dem  Bewußtsein  bestimmter  Vorstellungen  das  Bewußtsein  jener  Forderungen 
zusammenfällt,  das  den  Vorstellufigen  innerhalb  des  Urteils  aus  ihrer  Zusammen- 
gehörigkeit erwächst"  (1.  c.  S.  338).  Destutt  de  Tbacy:  ,J[dentite  reut  dire 
similitude  parfaite  et  complete^*  (Elem.  d'id^L  III,  eh.  1,  p.  160). 

Nach  Meinono  ist  die  Identität  an  den  Umstand  geknüpft,  daß  ein  Ding 
an  mehreren  Belationen  participiert  (Hume-Stud.  II,  137  ff.,  140  f.).  Uphueb: 
„Wir  nennen  das  identisch  oder  dasselbe,  v>as  als  gemeinschaftliches  Belatüms- 
glied  mehrerer  Relatiofien  auftritt^*  (Psychol.  d.  Erk.  I,  125).  Nach  Mabty 
heißt  identisch  das,  „tcovofi  das  eine  mit  Hecht  dem  andern  xuerkamü  irerdrn 
kann",  ,/ia^'enigey  wovon  in  Wahrfteit  das  eine  das  andere  ist"  (Viertel),  f.  wi». 
Philos.  19.  Bd.,  S.  76  f.).  Nach  B.  Erdmann  ist  Identität  ,^n  Merkmal,  das 
jedem  Gegenstände  eigen"  ist  (Log.  I,  168).  Identität  ist  „kein  allgetneines  Merk- 
mal des  Bewußten  als  solchen  .  .  .,  sondern  des  vorgestellten  Bewußten*^  (L  c. 
S.  170).  „Das  Merkmal  der  Identität  mit  sich  selbst  ist  ein  ursprünglickes. 
kein  abgeleitetes"  (ib.).  Nach  Schuppe  bedeutet  „Identität"  entweder,  ,^aß  inei 
Eindrucke,  wenn  wir  vofi  dem  unterscheidenden  Wann  abselieti,  dasselbe  «nrf". 
oder  daß  ein  Bestinuntes,  zweimal  wahrgenommen  oder  zweimal  gedacht,  db 
dasselbe  bewußt  ist  (Log.  S.  39).  Es  kann  „bei  allen  Fragen,  ob  noch  dasseli^ 
oder  etwas  anderes  (Neues),  nur  auf  die  mitgebrachten  Gesichtspunkte y  auf  welche 
das  Interesse  sich  richtet,  ankamfnen"  (1.  c.  S.  122,  vgl.  S.  45).  Nach  Schubebt- 
SOLDEBN  beruht  die  Identität  des  Dinges  „auf  der  Beständigkeit  seiner  inhalt- 
lich hestiminten  Causalrerhältnisse"  (Gr.  e.  Erk.  S.  19).  Nach  H.  Corxelits 
beruht  sie  auf  denselben  Wahmehmungsmöglichkeiten  (PsychoL  Ö.  98  t- 
„Identität  ist  keine  Bexiehung  zwischen  hüialten  als  solchen  —  z^ei  Inhalte 
kitunen  niemals  identisch  sein,  da  sie  danfi  eben  nicht  zwei  Inhalte  wäre»* 
somlent  nur  einer,    Identität  kann  vielmehr  nur  zwischen  den  Bedeutungen 


Identität  —  Identität  (Satz  der).  485 


verschiedener  Symbole  bestehen,  insofern  diese  tatsächlich  dieselbe  Bedeutung 
be8itx4-n*'  (Einl.  in  d,  Phü.  8.  247).  Nach  Wundt  beruht  die  Relation  der 
Identität  in  ihrer  Anwendung  stets  „auf  einem  Denkproceß  .  .  .,  der  nicht  bloß 
das  Oleiehe  gleieheetxi,  sondern  auch,  w<is  xur  Identität  unbrauchbar  ist,  da/von 
(Mbsondert**  (Log.  I,  114).  Riehl  sieht  in  der  Identität  das  Grundprincip  alles 
Crkennens.  Das  Identitätsbewußtsein  ist  die  „Quelle  aller  apriorischen  Begriffe^^ 
(Philos.  Krit.  II,  1,  78).  Es  ist  „dae  allgemeine  logische  Prineip  der  Erfahrung'^ 
(ib.).  „Einerseits  ist  diese  Einheit  und  Steh-selbst-Oleiehheit  aller  bewußten  Tätig- 
keit das  Ergebnis  beharrlicher  Erfahrungsgrundlagen,  anderseits  ist  sie  das 
Prineip  mid  die  erste  Bedingung  ihrer  Erkenntnis*'  (1.  c.  II  1,  234).  „Damit 
im  Wechsel  der  Eindriieke  eine  beharrliehe  Ich- Vorstellung  entspringen  kann, 
muß  der  Inhalt  der  Erfahrung  außer  der  Verschiedenheit  und  Veränderung  eine 
durchgreifende  Gleichförmigkeit  zeigen.  Um  aber  dae  Gleiche  als  Gleiches  xu 
erkennen,  ist  erforderlich,  daß  vor  allem  die  Erkenntnistätigkeit  selber  gleich- 
förmig istf  daß  das  Bewußtsein  sieh  als  dasselbe  weiß  und  erhält**  (ib.).  „Nichts 
kann  erfahren  werden,  was  nicht  xu  einem  Bewußtsein  vereinigt  gedo/cht  werden 
kann**  (1.  c.  S.  235).  H.  Cohen  betont:  „Die  Selbigkeit  des  Seins  ist  ein  Eeflex 
der  Identität  des  Denkens**  (Log.  S.  78).  Die  Identität  scheidet  das  Urteil  von 
der  Vorstellung.  „Die  Veränderungen,  denen  die  Vorstellung  unterliegen  wag, 
tangieren  das  Urteil  nicht.  Die  Werte,  die  dem  Urteil  entspringen,  sind  un- 
veränderlich** (L  c.  S.  79).  Die  Identität  macht  das  Urteil  zum  Urteil  (ib.). 
Ahnlich  M.  Palagyi:  jJHeselbe  Wahrheit  ist  es  .  .  .,  die  sieh  in  unendlich 
vielefi  gleichlautenden  Urteüsaeten  darstellen  kann**  (Die  Log.  auf  d.  Scheide- 
wege S.  167).  „Erst  indem  der  urteilende  Geist  des  Menschen  in  dem  vergäng- 
lichen Eindruck  etwas  Unvergängliches  findet,  erhält  der  Eindruck  eine  Dieselbig- 
keit,  eine  Identität,  d.  h.  er  ist  konstatiert  oder  identifteiert**  (1.  c.  S.  217).  Vgl. 
Identität,  Satz  der;  Identitätsphilosophie,  Selbstbe^nißtsein,  Ich. 

IdentltHt  (8 a t z  d e r)  oder  Identitätsprincip  („principium identitatis**). 
A  ist  (=)  A  (s.  d.),  d.  h.  jeder  Begriff  soll  im  Denkverlaufe  als  der  gleiche  und 
in  gleichem  Sinne  gesetzt  und  behandelt  w^erden.  Der  Satz  ist  die  Grundnorm 
unseres  Denkens,  zugleich  ein  Ausdruck  der  Identität  (s.  d.)  unseres  Ich, 
welches,  um  seine  Einheit  zu  behaupten,  sich  in  seinem  Wollen  und  Denken 
gleichbleiben  und,  wenn  es  Wahrheit  haben  will,  die  Constanz  der  Begriffe 
bewahren  muß.  Unter  allen  Umständen  und  in  allen  Verwicklungen  und 
Umhüllungen  muß  der  Begriff  als  eben  der  gleiche  Begriff  fixiert  werden 
können. 

Angedeutet  ist  das  Identitätsprincip  schon  bei  Parmenides:  xev  '^^  Uyeiv 
TB  voeiv  xiov  iuuevai'  i'ari  yaQ  eU'ai,  fitjSiv  S*ovx  elvai  (Mull.  V.  43).  Femer 
bei  PlaTO:    Ovxovv    imarrifir}  utv  yi  tiov  iTti  xef    ovri  {7iifvxe\  ro  ov  yvfih'ai 

toi  fyu  (Eep.  478  A;  vgl.  Phaedo   101  ff.).    Aristoteles:   bei  ya^  ndv  t6 

aXri&ig  avro  iavnp  ofioXoyovfisvov  elvai  TtavTTj  (Anal.  pr.  I  32,  47  a  8;   Met.  IX 

10,  1051b  3). 

Antonius  Andreas:  „Ens  est  ens**  (Quaest.  super  XII  libr.  metaphys. 
1495,  IV,  3,  5).  J.  Buridan:  „QuodUbet  est  rel  non  est.  Nihil  idem  est  et 
non  est**  {Prantl,  G.  d.  L.  IV,  19). 

Auf  negative  Weise  auch  Descartes:  yjmpossibile  est  idem  simtd  esse  et 
non  esse^*  (Princ.  philos.  I,  49).  Positiv  Locke:  „Whaterer  is,  w",  „the  same  is 
ihe  same**    Dieser  Satz  ist  zweifellos  sicher,  aber  er  ist  „a  trifling  proposition**, 


486  Identität  (Satz  der). 


ist  wertlos  (Ess.  IV,  eh.  7,  §  1  ff.;  eh.  8,  §  2  f.).  Leibjoz:  „Chaqite  cAoä  eif 
ce  qu'elle  est'  (Xouv.  Ess.  IV,  eh.  2,  §  1).  Identische  Satze  haben  Wert,  indem 
man  auf  Grund  von  Folgerungen  und  Definitionen  zeigt,  daß  andere  Wahr- 
heiten sich  darauf  zurückführen  lassen  (1.  c.  eh.  8,  §  3  f.).  Chr.  Wolf: 
„Quodlibet,  dum  est,  est,  Jioc  est,  si  Ä  est,  utique  verum  est,  A  esse.  —  Idem  ^* 
est  illud  ipstwi  ens,  quod  ens,  seu  mnne  Ä  est  A"  (Ontolog.  §  55,  288).  „  Wem 
ich  evtl  Dvng  B  für  das  Ding  A  setxen  kann,  und  es  bleibet  alles  wie  ror/rm,  *v 
ist  A  und  B  einerlei"  (Vem.  CTed.  I,  §  17).  Baumgarten:  ,,Omne  possibile  A 
est  A,  seil  quiequid  est,  illitd  est,  seu  omne  subiectum  est  praedieatttm  sm**  (Met. 
§  11).  H.  S.  Keimarus:  „Ein  jedes  Ding  ist  das,  was  es  isf^  ffyRegel  der  Ein- 
Stimmung",  Vernunftiehre*,  1782,  §  12  f.,  §  115,  117). 

Nach  Kant  ist  die  Identität  einer  Erkenntnis  nut  sich  selber  das  formale 
Kriterium  der  Wahrheit  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  82 ;  Log.  8.  73  ff.).  „  Was  nieki 
ist,  ist  nicht^'  (Princip.  prim.  sct.  I,  prop.  II).  Das  Identitätsprincip  bt  dcf 
oberste  Grundsatz  für  die  Ableitung  der  Wahrheiten  (1.  c.  prop.  III).  „Einem 
jeden  Sitbjeete  kommt  ein  Prädicat  xti,  teelches  ihm  identisch  ist"  (Unters,  üb. 
d.  Deutl.  d.  Grunds,  d.  nat.  Theol.  u.  d.  Mor.  3,  §  3).  Bardili  nennt  das- 
Identitätsprincip  „die  Fegel  aller  Regeln  des  JJenkePis"  (Gr.  d.  erst.  Log.  S.  334v 
Denken  ist  Rechnen,  Setzen  eines  Einen  und  Selben  im  Vielen  (L  c.  S.  3i. 
Das  Eine  ist  das  Unwandelbare,  das  A,  welches  nie  sich  selbst  ungleich,  nie 
Non-A  werden  kann  (1.  c.  S.  5).  Den  „Öruiidsatx  der  Eifierleiheit*'  bezidit 
G.  E.  Schulze  auf  „das  Verhältnis  der  vollkommensten  Gleichheit,  worin  ein 
Begriff  mit  seinen  sämtlichen  Merkmalen  steht";  er  sagt  aus,  „dem  Verstandf 
sei  es  mvtnöglieh,  einen  Begriff  und  dessen  Merkmale  als  einander  ungleich  u» 
setxen"  (Gr.  d.  allg.  Log.«,  S.  32  f.).  Krug  erklärt:  „Der  Begriff  ist  für  den 
Verstand  das  Ding  selbst,  welches  gedacht  toird,  und  die  Merkmale  des  Dinget 
sifid  auch  die  Merkmale  des  Begriffes,  Ztvischen  detn  Begriffe  (A)  uftd  seinen 
sämtlichen  Merkmalen  (b,  c,  d  .  .  .)  findet  daher  ein  solches  Verhältnis  statt, 
daß,  wenn  ich  das  eine  setxe,  ich  auch  das  ajidere  setzen,  und  wenn  ich  beides 
einander  entgegensetze,  ich  es  als  röllig  gleich  oder  einerlei  setzen  muß"  (Handb. 
d.  Philos-  I,  126).  Fries:  „Halte  ich  .  ,  ,  im  Subfect  und  Prädicat  eines  Urteih 
dieselbe  Vorstellung  fest,  so  liegt  darin  die  bloße  Wiederholung  meines  eigenen 
Gedankens,  Daraus  entspringt  erstens  der  Satx  der  Identität:  Einen  Begriffe 
den  ich  im  Subject  ei?ies  befallenden  Urteils  denke,  kann  ich  auch  in  das  Prädieai 
desselben  setzen"  (Syst.  d.  Log.  S.  176).  „Jedes  Ding  ist  das,  was  es  ist'  (L  c. 
S.  177).  J.  G.  Fichte  leitet  den  Satz  der  Identität,  „A  =  A",  aus  em&r  „ur- 
sprüngliclien  Tathandlung"  des  Ich  ab.  Der  Satz  „Ich  =  Ich"  („Ich  bin**) 
begründet  den  Satz  „A  =  A"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  1 1).  „  Wird  im  Satxe  ,Ich  bin^ 
von  dem  bestimmten  Gehalte,  dem  Ich,  abstrahiert,  tmd  die  bloße  Form,  nrelehe 
mit  jenem  Gelialt  gegeben  ist,  die  Form  der  Folgerung  vom  Gesetxtsein  auf  das 
Sein,  übrig  gelassen  .  .  .,  so  erhält  man  als  GrundseUx  der  Logik  den  Stäx: 
,A  =  A^."  Erwiesen  wird  er  dadurch,  daß  „das  Ich,  welches  A  gesetzt  hat, 
gleich  ist  demjenigen,  in  welchem  es  gesetzt  ist^^  (1.  c.  S.  11  f.).  Schelling  er- 
klärt: „Das  liöchste  Gesetx  für  das  Sein  de?'  J'hmunft  und,  da  außer  der  Ver- 
nunft nichts  ist,  für  alles  Sein  .  .  .,  ist  das  Gesetz  der  Identität  (WW  I  4,  116l 
„Der  oberste  formale  Grundsatz  ,A  =  A^  ist  .  .  .  nur  möglich  durch  den  Act, 
der  im  Satx  ,Ich  =  Ich^  ausgedrückt  ist  —  durch  den  Act  des  sieh  selbst  Object 
werdenden,  mit  sich  identischen  Detikefis"  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  57).  Der  Säte 
,,.4  =  A"  ist  „das  einx  ige  Princip  unbedingter  und  absoliäer  Erkettfitnis"  (WV^. 


Identität  (Satz  der).  487 


I  6,  147).  In  ihm  spricht  sich  aus  „die  eicige  tmd  notwendige  Gleichheit  des 
Afftrmierenden  und  des  Äffirmiertenj  des  Subjects  wid  des  Objects ;  in  ihm  spricht 
sich  also  auch  allein  jenes  Selbsterkennen  der  eidgen  Gleichheit  und  demnach 
die  höcJiste  Erkenntnis  der  Vernunft  aus"  (ib.).  Eschenmayeb:  „Nach  dem 
iSatx:  ,Das  Ich  ist  sich  selbst  gleich^  entsteht  die  logiseJie  Formel  jA  =  A\ 
Das  Ich  ist  das  Identische  im  Wissen  und  im  /Sei»,  es  ist  in  allen  Functionen  .  .  . 
das  GleicJie^  und  diese  ursprüngliche  Identität  ist  es,  was  sieh  im  formalen 
Denken  wieder  abspiegelt"  (Psycho!.  S.  296).  —  Nach  Hegel  lautet  der  Satz 
der  Identität:  A  =  A,  negativ:  A  kann  nicht  zugleich  A  uiid  nicht  A  sein. 
Es  ist  kein  wahres  Denkgesetz,  nur  „da«  Gesetz  des  abstraeten  Verstandes", 
jyDie  Form  des  Satxes  underspriefU  ihm  schon  selbst,  da  ein  Satx  auch  einen 
Unterschied  xwischen  Subjeet  und  Prädieat  verspricht,  dieser  aber  das  nicht 
leistet,  was  seine  Form  fordert"  „Das  Sprechen  nach  diesem  sdn-soüenden  Ge- 
setze der  Wahrheit  .  .  .  gilt  mit  vollem  Recht  für  albern"  (Encykl.  §  115). 
Gering  gewertet  wird  der  Satz  der  Identität  von  Beneke  (Syst.  d.  Log.  I,  105), 
Drobisch  (Log.»,  §  58),  Überweg  (Log.  §  71),  Lotze  (Gr.  d.  Log.  S.  25), 
nach  welchem  das  Identitätsprincip  die  einfache  Wahrheit  ausdrückt,  „daß 
jeder  denkbare  Inhalt  sich  selbst  gleich  und  verschieden  von  jedem  andern  sei" 
(ib.).  Nach  ÜLRfci  ist  der  Satz  der  Identität  {^^Jedes  Ding  .  .  .  ist  sich  selber 
gleich  xu  denketi**)  „yiur  die  Formel,  der  allgemeine  Ausdruck  .  .  .  für  die  be- 
stimmte Art  und  Weise,  in  welcJier  die  unterscheidende  Tätigkeit  sich  vollxielU" 
(Log.  S.  94).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  der  Sinn  des  Identitätsprincips  der,  „daß 
das  Denken  das  sich  gleich  bleibende,  mit  sich  ,identische^  Wesen  der  Dinge  ans 
der  u^chselvollen ,  nicht  identisclten  Beschaffenheit  derselben  in  bloßer  Wa/ir- 
nehmung  hervorxuarbeiten  habe^^  (Psychol.  II,  108).  CzoLBE  hält  die  Annahme 
eines  notwendig-allgemeinen  Gesetzes  der  Identität  für  „durchaus  Überflüssig^^, 
Es  ißt  eine  „selbstverständliche  ursprüngliche  Tatsache",  daß  ,  Jeder  gedachte  ein- 
fache Inhalt  sich  selbst  gleich  (Blau  stets  oder  nie  etwas  anderes  als  Blau  ist)" 
(Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  221).  Nach  Sigwart  ist  das  Identitätsprincip  die 
,fForderufig  alles  wahren  Urteilens"  (Log.  I*,  107).  Die  „Constanx  unserer  ein- 
xelnen  Vorstellungsinhalte"  ist  eine  Bedingung  alles  Denkens  (1.  c.  S.  106;  vgl. 
S.  103  f.,  383;  II,  37).  Nach  Schuppe  besteht  das  Identitätsprincip  nur  darin, 
daß  jjeglicher  Eindruck  mit  jedem  xweiten  enttceder  iniialtlich  als  derselbe  xu- 
sammenfaÜen  oder  sich  von  ihm  unterscheiden  muß"  (Log.  S.  40;  Erk.u.  Log.  S. 
142  f.).  Nach  Schubert-Soldern  sind  der  Satz  der  Identität  und  der  Satz 
des  Widerspruches  nur  ,^wei  Seiten  des  Satxes,  daß  alles  in  einer  ursprüfig' 
liehen  ünterschiedenheit  gegeben  ist,  soweit  man  von  einer  Vielheit  ausgeht,  und 
daß  diese  Vielheit  nicht  statthat,  wo  keine  üniers^iedenheit  statthat"  (Gr.  e. 
Erk.  S.  172).  Nach  E.  v.  Hartmann  ist  die  logische  Bedeutung  des  Satzes 
der  Identität  „nur  von  dem  Satxe  vom  Widerspruch  abgeleitet".  „Der  Satx  der 
Identität  negiert  nur  diejenige  Nichtidefitität,  die  nach  dem  Satx  vom  Widerspruch 
logisch  wnsiatthaft  wäre^^  (Kategorienl.  S.  310). 

Auf  das  Identitätsprincip  legen  Wert  Twesten  (Die  Log.  1825),  W.  Hamil- 
ton (Lect.  on  Log.  I»,  5,  79  f.),  Jevons  (Princ.  of  Science»,  §  5).  Waitz 
leitet  es  aus  der  Einheit  der  Seele  ab.  Es  hat  den  Sinn:  ,flede  Vorstellung 
oder  besser  jede  psychische  Action  als  solche  ist  einfach  und  darum  im  strengen 
Sinne  sich  selbst  gleich"  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  546).  Nach  J.  Bergmann  ist 
das  Identitätsprincip  ein  „Prineip  der  nottcendigen  Verknüpfung"  (Sein  u.  Erk. 
S.  58).     ,fledes  Gesetzte  (AtiribiU  oder  Acddens,   SubstaJix  oder  Determination 


488  Identität  (Satz  der)  —  IdentitatiB  indiscernibilium. 

einer  Substanxjy   welches  ist,   ist  xur  Identität  dessen^   in  Bexiehung  auf  wdehes 
es  gesetzt  ist,  erfarderlieh''  (ib.).    Nach  L.  Busse  ist  der  Satz  der  Identität  da» 
einzige  Grundprincip  der  metaphysischen  Urteile  (Erk.  u.  Met.  I,  148).    Nach 
B.  Erdmaitn  ist  das  Identitätsprincip  das  Grundgesetz  des  Vorstellens  (Log. 
1,  172).    Das  Urteil  „Jeder  Gegenstand  ist  mit  sich  selbst  idenfiseh^^  bringt  da» 
Wesen  unseres  Vorstellens  zum  Ausdruck   (ib.).     Das  Identitätsprincip  ,,steüt 
lediglich  die  Setxung  eines  Gegenstandes  dar^^   (L  c.  S.  175).     Der   ,,Grundsati 
der  Niehtidentität  oder  der  unbestimmten  Verschiedenheit*'  lautet:   ,fleder  Gegen- 
stand istj   sofern  er  nur  mit  sich  seihst  identisch  ist,  von  jedem  andern  rtr- 
schieden'^  (ib.).  Nach  Hagemaitn  gebietet  das  G^esetz  der  Einerleiheit  (Identität), 
yycin  Denkobfect  als  dieses  und  kein  anderes  xu  denken  und  in  ihm  alle  digenigen 
Bestimmungen  xusammenxufassen,  die  ihm  zukommen"  (Log.  u.  Noet*,  S.  22). 
Nach  dem  „Gesetx  der  Übereinstimmung  (principium  eonvenientiae)"  sind  „PV- 
stellungen,  tcelcßie  als  Teilvorstellungen  des  Denkob/ectes  erkannt  tcerden,  mit  diesem 
XU  verbinden'^   (1.  c.  S.  23).     WuNDT  erklart:    „Die  Function  der  Cbereinstitn' 
mung  stellt  an    unser  Denken   die  Forderung,   überaü  das    übereinstimmende 
gleichzusetzen.     Daß  dies  geschehen  solle,   drückt  der  Satz  der  Identität  aus^ 
(Syst.  d.  Philos.*,  S.  70).    Der  Satz  bringt  vor  aUem  ,jdie  in  jedem  Urteil  vor- 
handene  Begriffseinheit^^  zum  Ausdruck.    „Er  sagt,  daß  im  Prädieat  der  nämliche 
Begriff  festgehalten  wird  wie  im  Subfect  des  Urteils,  somit  vollkommen  xttsammen 
bestehen  kann,   daß  das  Prädieat  eine  andere  Seite   als   das  Subject  an  diesem 
Begriff  hervorhebt  .  .  .    Der  Satz  der  Identität  bezeichnet  demnaeh   lediglieh  die 
Stetigkeit  unseres  logischen  Denkens".   Es  ist  das  „funda?nentalste  Gesell 
der  Erkenntnis".    Er  bezeichnet  zimächst  ein  „  Verhalten  unseres  Denkens  gegen- 
über den  Objecten,"  zugleich  aber  wird  vorausgesetzt,  daß  sich  die  Gegenstände 
des  Denkens  seiner  Anwendung  fügen  (Log.  I*,  558  ff.).    H.  Cohen  :  „A  ist  i, 
und  bleibt  A,  so  oft  es  auch  gedacht  wird"  (Log.  S.  79).    Die  Identität  bedeutet 
die  „Affirmation  des  Urteils"  (1.  c.  S.  81).    Nach  H.  Cornelius  ist  die  Forde- 
nmg  des  Identitätsprincips   „die  Forderung  der  feststehenden  Bedeutung 
der  im  Urteil  gebrauchten  begrifflichen   Symbole".     Der  Satz  A  =  A  ist 
erst  „eiTie  Folge  der  Erfüllung  des  Identitätsprincips"   (Einl.  in  d.  Philo^ 
S.  287).    Das  Identitätsprincip  ist  der  Ausdnick  der  Forderung  des  constanten 
Gebrauchs  der  Symbole  (Psychol.  S.  338).   Nach  Palagyi  identificiert  man  etwas 
nur  dadurch,  daß  man  in  demselben   ein  „Unvergängliches",   „Etdges^^   findet. 
Das  tut  man  aber,  „indem  man  einen  Prädicatsbegriff  auf  einen  Sul^'ectsbegrif 
bezieht"   (Die  Logik  a.  d.  Scheidewege  S.  214).     Das  Identitätsprincip  lautet: 
„Um  bloß  eine  Tatsache  xu  idefitificieren,  müssen  wir  ein  Doppelerlebnis  habcA^ 
bexw.  xwei  Begriffe  aufeinander  beliehen,   und  zwar  beziehen  wir  das  stellrfr- 
tretende  Erlebnis   auf  das  ursprüngliche,   bezw.  das  Prädieat  auf  das   Subjett*^ 
(1.  c.  S.  215).    Die  Formel  „A  ist  A"  ist  widersinnig  (L  c.  S.  217).    Der  Satz  <ler 
Identität   ist   „die   bedeutsamste   von   aüeti   Wahrheiten,  die  der  Mensch  besitzt^ 
(1.  c.  S.  223),  eine  „Selbstoffenbarung  unserer  Vemunft^^,  unserer  Kraft,  zu  identi- 
ficieren  (1.  c.  S.  224),  das  Vergängliche  auf  ein  Ewiges  zu  beziehen  (ib.).     „Die 
Identität  eines  Inhaltes  geht   uns  erst  auf  wenn   wir  die  Niehtidentität  JetHT 
gleichlautenden  Sprechhandlungen  erfaßt  haben,   in  denen  wir  einen  und  den-- 
selben  Inhalt  darstelle^i"  (1.  c.  S.  227).    ,Jn  allen  Urteilen,  die  wahr  sind,  herrsrl^i 
du  Identität"  (1.  c.  S.  229). 

Identitatls  iiidisf^mlbillam,  principium:  Satz  der  Identität  de»' 
Unimterscheidbaren,   womit  gesagt  ist,  daß  alles  Nicht-Identische,  individueli' 


Identitatis  iAdiscemibilium  —  IdentitätsphiloBophie.  489 

Unterechiedene  auch  verschieden   sei,  so  daß   es  nicht  zwei   (absolut)  gleiche 
Dinge  (Blatter  u.  s.  w.)  in  der  Welt  gebe. 

Das  Princip  ist  schon  bei  den  Stoikern  bekannt  (vgl.  Cicero,  Acad.  III, 
17,  18,  26).    Nach  Senega  gehörte  zur  Weltordnung  die  Forderung,  „«<,  qiiae 
aha  erantj  et  dissimüia  essent  et  tmpanW^  (Epist.  113,  13;  vgl.  Cicero,  Acad.  II, 
26,  85).    Ferner  bei  Nicolaus  CusANUß  (De  docta  ignor.  II,  11),  Pico  von 
MiRANDOLA  (vgl.  Ritter  IX,  307),  G.  Bruno,  Malebranche  (Rech.  III,  2, 
10),  insbesondere  bei  Leibniz.     Nach   ihm  kann  es  niemals  zwei  vollkommen 
gleiche  Dinge  geben,  weil  sonst  hier  keine  Individuen  unterschieden  würden 
(Nouv.  Eßs.  II,  eh.  27,  §  1,  3).     Die  Monaden   (s.  d.)   müssen   aUe  qualitativ 
(innerlich)  voneinander  verschieden  sem  (Monadol.  9).    Das  Princip  findet  sich 
auch  erörtert  bei  Chr.  Wolf  (Cosmol.  §  195  f.),  Bilfinger  (Diluc.  I,  4,  §  94), 
Baumgarten  (Met.  I,  c.  3,  sct.  1),  Hollmann  (Met.  §  242),  Mendelssohn, 
Platner  (Philos.  Aphor.  I,  §  1031  ff.).     Gegen  das  Princip  in  dessen  meta- 
physischen Folgerungen  Clarke,  Feder  (Syst.  d.  Log.  u.  Met.  S.  283  ff.),  auch 
Kant.    Wenn  mehrere   Dinge   innerlich  noch  so  sehr  übereinstimmen,   dem 
Orte  nach   aber  unterschieden  sind,   so  sind  sie  nicht  identisch  (Prmcip.  prim. 
sct  II,  prop.  XI).    ,jDer  Satx  des  Nicht xuunter scheidenden  gründete  sich  eigent- 
lich auf  die  Voraussetzung:   daß,  wenn  in  dem  Begriffe  von  einem  Dinge  über- 
haupt eine  gewisse  Unterscheidung  nicht  angetroffen  wird,  so  sei  sie  anch  nicht 
in  den  Dingen  selbst  anxuireffen;  folglich  seien  alle  Dinge  völlig  einerlei  (numero 
eadem}y  die  sich  nieht  schon  ihrem  Begriffe  (der  Qualität  oder  Quantität  nach) 
voneituinder  unterscheiden^'^  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  253).     Richtig  wäre  das  aber 
nur,  wenn  nicht  die  „Dinge^'  bloße  Erscheinungen  wären  (1.  c.  S.255).   „Imieres^* 
und  jyÄußeres'^  femer  sind  nur  „Refiexionshegriffe^'^  (s.  d.).     Die  Vielheit  und 
numerische  Verschiedenheit  der  Dinge  wird  auch  ohne  Monadologie  „schon 
durch  den  Raum  selbst,   als  die  Bedingung  der  äußern  Erscheinung,   angegeben, 
denn  ein   Teil  des  Raums,  ob  er  xwar  einem  anderen  völlig  ähnlich  und  gleich 
idn  mag,   ist  doch  außer  ihm  und  eben  dadurch  ein  vom  ersteren  verschiedener 
Teil''  (1.  c.  S.  242).    Vgl.  Hegel,  Encykl.  §  117.   Ritter,  Abr.  d.  ph.  Log.«,  146. 

IdentltJItelelire  s.  Identitätsphilosophie. 

IdentlUitepllilosopllie  (Identitätslehre,  Identitätstheorie)  ist  jene 
Lösungsart  des  ontologischen  Problems  (s.  d.),  nach  welchem  das  Wirkliche 
(Absolute)  weder  Materie  (Natur)  noch  Geist,  weder  Ich  noch  Nicht-Ich,  weder 
Bubjeet  noch  Object,  weder  Denken  noch  Sein  allein,  sondern  die  Einheit,  das 
Identische,  der  gemeinsame  Urgrund  aller  der  Gegensätze  ist.  Ein  und  das- 
selbe Wesen  (eine  identische  Wesenheit)  tritt  auf,  bekimdet  sich,  stellt  sich  dar, 
erscheint  in  zwei  Attributen  (s.  d.),  hat  zwei  Daseinsweisen  (ein  Innen-  und 
iu^en-,  Für-sich-  und  Für-andere-sein) ,  läßt  zwei  Betrachtungsweisen,  z^vei 
Standpunkte  der  W^ahmehmung  imd  denkenden  Verarbeitung  zu  u.  dgl.  Von 
äner  dem  Dualismus  (s.  d.)  noch  nahen  (realistischen)  bis  zu  einer  rein  mo- 
listischen  (idealistisch-spiritualistischen)  Form,  wonach  das  Eigensein  des 
iVirklichen  geistig  (psychisch),  das  Sein  in  der  Relation  und  Er- 
icheinung  materiell  (physisch,  leiblich)  ist,  gibt  es  verschiedene  Arten 
ler  Identitätsphllosophie.  Dieselbe  wird  allgemein-ontologisch  und  psychologisch 
betreffs  des  Verhältnisses  von  Leib  und  Seele)  gelehrt.  Die  Identitätsphilo- 
ophie  tritt  hier  mit  der  Theorie  des  psychophysischen  Parallelismus  (s.  d.)  ver- 
ant   auf  und   negiert   eine  W^echselwirkung  (s.  d.)   zwischen  Leib  und  Seele 


490  IdentitätaphUosophie. 


deshalb,  weil  beide  nur  zwei  Seiten  einer  Wesenheit,  nicht  selbständige,  von- 
einander getrennt  bestehende  Substanzen  sind. 

Eine  Identität  von  Denken  (Gedachtsein)  und  Sein  lehren  die  Eleaten. 
Von  PaiiM£1?ID£S  wird  sie  behauptet:  tb  ya^  airo  voaXv  äariv  re  xai  elvm 
(dasselbe  ist  Denken  und  Sein)  im  Sinne  von :  towtov  S'iari  voeiv  re  xai 
ovvBxiv  icTi  roTjua'  Ol  yäq  arev  tov  iovroij  iv  q>  nefatiOftirov  iüxip,  Ev^;a£ti 
to  roelv*  ov8iv  ya^  iariv  rj  i'ffjui  'Akko  Ttagi^  rov  iovjos  (das  Denken  ist  nur 
als  Sein-Denken,  als  Denken  eines  Seienden,  möglich;  Plot^,  Enn.  V,  1,  8; 
Clem.  Alex.  Strom.  VI,  G27b;  Simplic.  in  Arist.  Phys.  25  E,  146  D).  Von 
einer  potentiellen  Identität  des  Geistes,  Denkens  und  Denkinhaltes  spricht 
Aristoteles,  welcher  meint,  oV«  Öwaftn  Tiaii  lan  rd  vorjTa  6  ravi,  aU^  iy^lt- 

Xeiq  ovSivy  tiqIv  av  vor,  (De  an.  III  4,  429  a  30);  to  S'avro  ianv  r^  ydp  ivi^ 
yetav  intarrifiri  r^  TiQayfian  (De  an.  III  5,  430a  20).  Das  nvevua  der  Stoiker 
ist  der  gemeinsame  Träger  physischer  und  psychischer  Vorgänge.  Xach  Plotd? 
ist  der  Geist  {vovs)  identisch  mit  den  seienden  Denkinhalten:  vov^  St)  xeu  6r 
ravrot^'  atroe  votg  rd  nonyfiara'    ^an  Sa  i^eSrji  to  op  xai  vovs  (Enn.  V,  4,  2: 

I,  10).  Das  Seiende  ist  der  Geist,  indem  er  es  denkt,  setzt  Das  Denken  ist 
das  Gesetz,  die  Einheit  des  Seienden  (Enn.  V,  9,  5  f.).  Eine  Xatur  ist  das 
Seiende  und  der  Geist,  die  Gedanken  sind  die  Form  und  Gestalt  des  Seienden 
(1.  c,  V,  9,  8).  Denken  und  Sein  haben  eine  gemeinsame  Ursache.  Beide 
constituieren  in  ihrer  Zweiheit  das  Eine,  welches  zugleich  Intellect  und  seiend 
imd  denkend  und  gedacht  ist  (Enn.  V,  1,  4). 

Eine  realistische  Identitätsphilosophie  findet  sich  bei  G.  Bruxo,  besondere 
aber  bei  Spinoza.  Die  eine  Substanz  (s.  d.)  hat  (unter  vielen  auch  die)  zwei 
Attribute  (s.  d.):  Denken  umd  Ausdehnung,  sie  stellt  sich  als  Geist  und  als 
Materie  dar.  „Quod  substantia  eogita}is  et  substantia  extensa  una  eademque  est 
substantiQy  qt^ae  tarn  sub  hoc,  mm  sub  illo  attribuio  eomprehenditur.  Sic  etüim 
modus  ejctctisionis  et  idea  illius  modi  eademque  est  res:  sed  duobus  modis  ex- 
pressa"  (Eth.  II,  prop.  VII,  schol.).  Leib  und  Seele  (s.  d.)  sind  zwei  Sein&- 
weisen  der  einen  Substanz,  die  allen  Individuen  immanent  ist.  Eine  Ordnung 
und  Gesetzmäßigkeit  liegt  dem  geistigen  wie  dem  physischen  Greschehen  zu- 
grunde: „Ordo  et  connejcio  idearuvi  idefn  estj  ac  ordo  et  eontiejrio  rerum^*  (Eth. 

II,  prop.  VII).  y.Quiequid  ejc  infinita  Dei  fiatura  sequitur  formaliter,  id  omne 
ex  Dei  idea  eodem  ordine  eademque  connexiotie  sequitur  in  Deo  obiective**  (L  c. 
coroll.).  Mit  der  Identitätsphilosophie  hat  der  LEiBXizsche  Spiritualismus  (s.  d.) 
imd  Idealismus  eine  gewisse  Ven^-andtschaft.  Hypothetisch  formuliert  den 
Identitätsgedanken  Kant:  ,,06  wwn  .  .  .  gleich  die  Äusdekftung,  die  Undureh- 
dringliehkeit  .  .  .,  kurx  alles,  tcas  uns  äußere  Sinne  nur  liefern  können,  nicht 
Oedanken,  Oefühl,  Neigung  oder  Entschließung  sein  oder  solche  enthalten  trerden. 
als  die  überall  keine  Gegenstände  äußerer  Anschauung  sindj  so  könnte  doch  trohi 
dasjenige  Etwas,  welches  den  äußeren  Erscheinungen  xugnoide  liegt,  was  mtserett 
Sinn  so  afftciert,  daß  er  die  Vorstellungen  ron  Raum,  Materie,  Gestalt  etc.  be- 
kommt, dieses  Etwas,  als  Noumenon  (oder  besser  als  transcendentaler  Gegenstand! 
betrachtet,  könnte  doch  auch  zugleich  das  Sutject  der  Gedanken  sein.^^  ,,jIii/ 
solche  Weise  wilrde  ebendasselbe,  was  in  einer  Bexiehung  körperlich  heißt,  »« 
einer  andern  zugleich  ein  denkend  Wesen  sein,  dessen  Gedanken  wir  xwar  nichts 
aber  doch  die  ZeicJien  derselben  i?i  der  Erscheinung  afischaueti  können,  Dadurrk 
würde  der  Ausdruck  wegfallen,  daß  nur  Seelen  (als  besofidere  Arten  ton  Sub- 
stanten)  denken ;  es  würde  i^ielmehr  wie  gewöhnlich  heißen,  daß  Menschen  denken. 


IdentitätsphUosophie.  491 


d.  i.  ebendasselbe j  uas,  als  äußere  Erscheinung^  ausgedehnt  istj  innerlich  {an 
sieh  selbst)  ein  Subject  sei,  tras  nicfä  xusammengesetxt,  sondern  einfach  ist  und 
denkt''  (Krit.  d.  r.  Vera.  S.  305  f.). 

In  dieser  (idealißtischen)  Form  kommt,  die  Identitätsphilosophie  von  nun 
an  zur  Geltung.  Schon  J.  G.  Fichte  bemerkt:  f,Wie  ich  mich  .  .  .,  wie  ich 
muß,  wirkend  denke  auf  ihn  (den  Stoff) ^  werde  ich  mir  selbst  ^u  Stoff;  und  in- 
trief em  ich  so  mich  erblicke,  tienne  ich  mich  einen  inateriellen  Leib''  (Syst.  d. 
SittenL  S.  XV).  Ich  erscheine,  ,,ron  xwei  Seiten  angeselien,  als  Wille  wid  als 
Ijcih"  (1.  c.  S.  XVII).  Die  Außenwelt  ist  die  Erscheinung  der  ,jSelb8ttätigkeit" 
des  Ich  (1.  c.  S.  XVIII).  Fkies  nennt  Geist  und  Körper  ,^iceierlei  Ansichten 
dersdbeti  Welt'  (X.  Krit.  II,  113).  „Wir  behaupten,  daß  uns  in  den  Geistes- 
täiigkeiten  und  im  körperlichen  Leben  dasselbe  Wesen  erscheine,  aber  7iach  ganx 
rerschiedenen  Erscheinungsweisen"  (Anthrop.  §  2). 

Ein  System  der  Identitätslehre  begründet  Schellixg,  ausgehend  von  der 
Überzeugung,  ,//ay?,  was  in  uns  erkennt,  dasselbe  ist  mit  dem,  was  erkannt 
wird"  (WW.  I  10,  121).  „Was  außer  dem  Beicußtsein  gesetzt  ist,  ist  dem 
Wesen  n4jtch  ebendasselbe,  was  auch  im  Beuntßtsein  gesetxt  ist.  Die  ganxe 
Natur  bildet  daher  eine  xusammenhängende  Linie,  welche  nach  der  einen  Seite 
in  entschiedener  Übermacht  des  Subjectiven  über  das  Objective  ausläuft  .  .  ." 
(L  c.  S.  229).  Das  Absolute  (s.  Gott)  ist  die  „Indifferenz"  (Gleichmöglichkeit) 
von  Subject  und  Object,  die  „lebendige,  ewig  bewegliche,  in  nichts  aufzuhebende 
Identität  des  Subjectiten  und  Objectiven"  (1.  c.  S.  145).  Object  —  Subject,  Natur  — 
Geist  sind  die  „Pole",  in  die  das  Eine,  Absolute,  Identische  (in  verschiedenen 
,,Potenxen",  s.  d.)  sich  entfaltet.  Die  Natur  (s.  d.)  ist  der  „sichtbare  Geist", 
der  Geist  die  „unsichtbare  Natur"  (Naturphilos.  S.  64).  „Der  erste  Schritt  xur 
Philosophie  und  die  Bedingung,  ohne  welche  man  auch  nicht  einmcd  in  sie 
hineinkommefi  kann,  ist  die  Einsicht:  daß  das  absolut  Ideale  auch  das  absolut 
Reale  sei"  (1.  c.  S.  67).  Das  Absolute  ist  „reine  Identität",  „das  gleiche  Wesen 
des  Sutgectiven  und  Objectiven'*  (1.  c.  S.  72).  Es  hat  ,^wei  Seiten",  eine  ideale 
und  eine  reale  (1.  c.  S.  78).  Der  Name  „Identitätsphilosophie"  soll  ausdrücken, 
,4aß  in  jenem  Ganxen  Sidject  wnd  Object  mit  gleicher  Selbständigkeit  einander 
gegenüberstehen,  das  eine  nur  das  ins  Object  hinübergetretene  .  .  .,  das  aiukre 
nur  das  als  solches  gesetzte  Subject  sei"  (WW.  II  1,  371  f.).  Eschenmayer 
erklart:  „Die  WcdirJieit  bildet  im  Idealen  unsere  ganxe  Erkenntnisreihe,  im 
Realen  die  ganxe  physische  Welt,  und  diese  beiden  harmonierefi  so  miteinander, 
daß  das,  was  im  Idealen  als  Proportion,  Gesetx  und  lYineip  ganx  geistiger  Art 
ist,  im  liealen  in  den  Erscheinungen  sich  abspiegelt"  (Psychol.  S.  496).  Nach 
Cakcs  sind  Geistiges  und  Körperliches  nur  verschiedene  Daseinsarten  eines 
und  desselben  Wesens  (Psychol.  I,  12).  Heinroth:  „Der  äußere  Mensch  und 
der  innere  sind  beide  dasselbe,  nur  nach  xicei  Seiteji  geicendet"  (Psychol.  S.  193). 
Hu^LEBRAND  spricht  You  der  Identität  des  reinen  Denkens  und  des  Realen 
(Phüos.  d.  Geist.  I,  4).  „Was  notwendig  im  Gedanken  ist,  muß  es  auch  in 
der  Wirklichkeit  sein"  (ib.).  Hegel  bestimmt  das  Sein  selbst  als  Denken, 
das  (absolute)  Denken  (der  Begriff,  s.  d.)  ist  Sein.  Seele  imd  Leib  sind  „eine 
und  dieselbe  Totalität  derselben  Bestimmungen",  die  Se^4e  erscheint  im  Leibe, 
dieser  ist  die  Äußerlichkeit  jener  (Ästh.  I,  154  ff.).  Nach  Schleiermacher 
ist  „das  Sein  auf  ideale  Weise  ebenso  gesetxt  wie  das  Reale"  (Dialekt.  S.  75). 
Die  Form  des  Denkens  und  Seins  ist  dieselbe.  H.  Ritter  erklärt:  „Wir 
haben  von  jedem  erscheinenden  Dinge  xu  setxen,  daß  es  sich  in  reflexiven  Tätige 


492  Identitatsphilosophie. 


ketten  als  Oeistf  jedem  andern  Dinge  in  äußeren  Zuständen  als  Körper  ersfkeii^ 
(Syst.  d.  Log.  1,  S.  305).  Beneke  erblickt  im  Physischen  die  Erscheiiimig  da 
Psychischen  (s.  d.).  Nach  Trendelenbukg  ist  die  ..Bewegung'  (s.  d.)  (k 
Identische  im  Sein  imd  Denken  (Log.  Unters.  1*,  144).  Schopbnhafes  be 
tont:  j^Der  Grundfehler  aller  Systeme  üt  das  Verkennen  dieser  Wahrheit,  4sß 
der  Intellect  und  die  Materie  Correlaia  shid^  d,  h,  eines  für  das  andere  da  t^, 
beide  miteinander  stellen  und  fallen^  ja,  daß  sie  eigentlich  eines  und  dassdk 
sind,  von  xicei  entgegengesetxten  Seiten  betrachtet*^  (W.  a.  W.  ii.  V.  IL  BfL 
C.  1).  Der  Leib  ist  die  „Obfectität**,  die  Sichtbarwerdung  der  Psyche,  de 
Willens  (s.  d.).  Willensact  und  physische  Handlung  sind  y,eins  und  dassdht, 
auf  doppelte  Wei^e  wahrgenommen:  was  nämlich  der  innerti  Wahrfiehnna§ 
(dem  Selbstbewußtsein)  sich  als  wirklicher  Willensact  kundgibt,  dasselbe  äelS 
sich  in  der  äußeren  Anschauung,  in  welcher  der  Leib  ol^ectiv  dasteht,  sofort  th 
Äction  desselben  dar**  (1.  c.  C.  4).  Ebendasselbe,  was  als  Materie,  Kraft.  Be 
•wegung  erscheint,  ist  an  sieh  Wille.  Die  Identität  von  (Jeist  imd  Natur  betoB 
Carneri  (Sittl.  u.  Darwin.  S.  10).  J.  H.  Fichte  meint,  „daß  dasj&iige,  wa 
wir  ,Letb*  und  ,Seele*  nennen,  an  sich  selbst  nur  die  Form  einer  doppelte» 
Erscheinungsweise  eines  und  desselben  Qrundwesens  sei:  ,Leib\ 
wie  es  als  ühbeicußtes,  xugleich  aber  auch  als  Sinnenfalliges,  ,Seele^,  wie  a 
als  Betcußtsein  Erzeugendes  sich  kundgibt**  (PsychoL  II,  196).  E.  V.  Haktma5X 
erblickt  im  „Unbetc^ußten**  (s.  d.)  das  Identische  von  Natur  imd  GeisU 

Durch  Fechner  erhalt  die  Identitätfitheorie  Eingang  in  die  neuere  Psychokgit 
Materie  (s.  d.)  und  Geist  (s.  d.)  sind  ,^wei  Erscheinungsweisen  desselben  Wesenr 
(Tagesans.  S.  243  ff.).  „In  der  Tat,  ein  gemeitischaftlich  Wesen  liegt  der  geistigm 
Selbsterscheinung  und  der  leiblichen  Erscheinung  für  anderes,  als  das  Selbst  *rf, 
unter.  Innerlich  erscheint' s  sich  selbst  so,  anderetn  äußerlieh  so;  was  aber  er- 
scheint, ist  eines**  (Zend-Av.  I,  252  f.).  Es  gibt  einen  „itmerti**  und  nde 
„äußere^*  „Standpunkte**  der  Betrachtung  des  einen  Wesens  (1.  c.  S.  2531 
Dieses  hat  zwei  „Seiten**,  „Erscheinungsweisen**  (1.  c.  S.  254;  II,  135  f.^ 
Geistiges  und  Materielles  selbst  darf  man  nicht  identificieren  (1.  c.  II,  149). 
Außen-  und  Innensein  verhalt-en  sich  zueinander  wie  die  convexe  und  eonca^e 
Seite  eines  Ringes.  Das  Gemeinsame  beider  Erscheinungsweisen  liegt  „in  niekti 
als  der  untrennbaren  Wechselbedingtheit**  beider  (Üb.  d.  Seelenfr.  S.  220  i-U 
„  Was  dir  auf  innerem  Standpufikt  als  dein  Geist  erscheint,  der  du  selbst  Gtü 
bist,  erscheint  auf  äußerem  Standpunkt  dagegen  als  dieses  Geistes  körperliek 
Unterlage**  (Elem.  d.  Psychophys.  I,  4).  Paulsen  erklärt:  „Die  WirkUekkeü 
wendet  uns  xwei  Seiten  xu;  von  außen,  mit  den  Sinnen  gesehen,  stellt  sie  sieh 
als  Körperwelt  dar,  im  Selbstbeicußtsein,  von  innen  gesehen,  offenbart  sie  sieh 
als  seelisch-geistiges  Leben**  (Syst.  d.  Eth.  I*,  207).  Beide  Seiten  sind  glaA 
ausgedehnt;  jeder  psychische  Vorgang  hat  eiu  Äquivalent  in  der  physischen 
Welt,  und  umgekehrt  (ib.).  „Das  Körperliche  ist  Erscheinung  und  Symbol  d^ 
seelisch-geistigen  Lebens,  dieses  ist  das  eigentlich  oder  an  sich  Wirkliehe*  (ib-.* 
vgl.  Einl.  in  d.  Philos.*,  S.  115).  Ähnlich  schon  F.  A.  Lange,  femor  Hoff- 
DING  (Psychol.  S.  90  ff.),  G.  E.  MtJLLER,  Hering,  E.  König,  K.  LAsewro 
(Wirklichk.  S.  114;  Fechner  S.  154  ff.),  E.  Adickes  (Kant  contra  Haeckd 
S.  65),  Taine,  Ravaisson,  Paulhan,  Hodgson,  A.  Bain  (Mind  and  Body,  n. 
Mind  VIII,  402  ff.),  Grot  (Arch.  f.  System.  Phüos.  IV,  1898),  Lewes  (Probl.  of  life 
and  mind  II,  457  ff.),  P.  Carus,  nach  welchem  Körper  und  Geist  „two  aspeäs  af 
one  reality'*  sind  (Fundamental  Problems«,  1894,  p.  183),  FouiLLEE,  H.  SpekceB, 


Identdtätsphilosophie.  493 


nach  welchem  die  Bewußtsetnsvorgänge  die  „p»ychi3che  Seite^*  dessen  bilden, 
„tcas  von  der  physischen  Seite  als  vermickelte  Gruppe  von  durch  eifie  kunstvoll 
organisierte  Reihe  von  Nervenplexussen  fortgepflanzten  Moleeularveräfiderungen 
erseheint*'  (PsychoL  §  469),  G.  Heymans,  welcher  die  ,, abgeleitete,  secundäre 
Reihe  der  Naturerscheinungen^'  von  der  primären  Beihe  der  wirklichen  Processe 
unterscheidet  (Zeitschr.  f.  PsychoL  XVII,  62  ff.,  70).  Die  „realen,  nicht  wahr- 
genommenen,  sondern  vorausgesetüen ,  ihrem  eigenefi  Wesen  nach  völlig  un- 
bestimmt gelassenen  Vorgänge,  welche  unter  günstigen  Adaptionsverhältnissen 
Himproceßwahmehmungen  erzeugen^',  sind  mit  den  entsprechenden  Bewußtseins- 
processen  identisch  (1.  c.  S.  72  ff.).  Ebbinghau8  betont:  „Seele  und  Nerven^ 
System  sind  nichts  real  Getrenntes  und  einander  Gegenüberstehendes,  sondern  sie 
sind  ein  utid  derselbe  reale  Verband,  nur  dieser  in  verschiedenen  und  aus' 
einander  fallenden  Manifestationsweisen.  Seele  ist  dieser  reichhaltige  Verband,  so 
wie  er  sich  gibt  und  sich  darstellt  für  seine  eigenen  Glieder^  für  die  ihm  an- 
gehörigen  Teilrealitäteti.  Gehirn  ist  derselbe  Verband,  so  wie  er  sich  anderen 
analog  gebauten  Verbänden  darstellt,  wenn  er  von  diesen  —  menschlich  aus- 
gedrückt —  gesellen  und  getastet  wird''  ((ir.  d.  Psychol.  I,  42).  Beide  Mani- 
festationsweisen des  Realen  sind  gleich  echt  und  wahr  (1.  c.  S.  43).  Die  eine 
Beihe  ist  identisch  mit  der  anderen  (ib.).  Biehl  erklart:  ,ßer  Gegensatz  von 
Körper  und  Geist  hat  für  uns  nur  noch  die  Bedeutung  entgegengesetzter  Rieh- 
tungen der  Betrachtung"  (Philos.  Krit.  II  1,  63).  „Dasselbe,  was  vom  Stand- 
punkte des  Ich  ein  Empfindungsproceß  ist,  ist  von  dem  des  Nicht-Ich  ein  cere- 
braler Vorgang"  (L  c.  S.  270).  „Unser  empiriscJtes  Ich  ist  der  summarische 
Ausdruck  der  Einheit  des  indipiduellen  Lebens,  es  ist  dieselbe  Einheit  innerlich 
erfaßt,  die  sich  den  äußeren  Sinnen  als  Organismus  mit  der  Wechselwirkung 
seiner  Teile  und  seiner  Functionen  darstellt"  (1.  c.  II,  2,  198).  In  Wirklichkeit 
sind  t,nur  zwei  verschiedene  Betrachtungsweisen  eines  einzigen  Vorganges"  ge- 
geben, welche  „jederzeit  auf  zwei  verschiedene  Subjecte  verteilt  sind".  „Wir 
schließen  auf  die  Identität  des  realen  Vorganges,  der  dieser  doppelseitigen  Er- 
scheinung zugrunde  liegt.  Die  Welt  ist  nur  einmal  da;  aber  sie  ist  dem  ob- 
jeetiven,  auf  die  äußeren  Dinge  bezogenen  Bewußtsein  als  Zusamtnenhang  quan- 
titativer physischer  Vorgänge  wui  Dinge  gegeben,  während  ein  Teil  derselben 
Welt  einem  bestimmten  organischen  Individuum  als  seine  bewußten  Functionen 
und  deren  Zusammenhang  gegeben  ist"  („philosophisctier  Monismus")  (Zur  Einf. 
in  d.  Philos.  S.  164).  Ahnlich  Jgdl  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  57).  C.  Petekb: 
„Was  seelisch,  von  innen  angesehen,  auf  der  einen  Seite  ist,  stellt  sich,  von 
außen  betrachtet,  als  mechanisch  dar"  (Sonne  u.  Seele  8.  39  f.).  Nach  Wündt 
wird  die  eine  Wirklichkeit  auf  zwei  Weisen  erfahren:  unmittelbar-anschaulich, 
als  Geist,  Seele,  und  mittelbar-begrifflich,  als  Natur,  Körper  (Syst.  d.  Philos.*, 
S.  147,  277,  374;  s.  Erfahrung).  Es  ist  anzunehmen,  daß  „was  wir  Seele  nennen, 
das  innere  Sein  der  nämlichen  Einheit  ist,  die  tcir  äußerlich  als  den  xu  ihr 
gehörigen  Leib  erkenneti"  (Grdz.  d.  physiol.  Psychol.  II*,  648:  Philos.  Stud.  X, 
41  f.).  Die  Seele  (s.  d.)  ist  das  Innensehi  des  Organismus  (Syst.  d. 
Philos.*,  S.  379  f.;  Log.  I*,  551).  Das  geistige  Sein  ist  „die  Wirklichkeit  der 
Dinget'  (Gnk.  d.  phys.  Psychol.  II*,  648).  Identitätsphilosoph  ist  auch  M.  Palagyi 
(Die  Log.  auf  d.  Scheidewege  S.  253  f.),  —  Bedenken  gegen  die  Identitätstheorie 
erheben  Lotze  (Med.  Psychol.  S.  14:  Mikrok.  I»,  169),  Behmke  (Allg.  Psychol. 
S.  101  f.,  38),  Ladd  (Philos.  of  Mind,  p.  347,  350),  Ziehen  (Leitfad.  d.  physiol. 
Psychol.  S.  210),  L.  Busse  (Geist  u.  Körp.  S.  130  ff.)  u.  a. 


494  Identitätsphiloaophie  —  Ideologie. 


Nach  E.  DÜHRING  entsprechen  sieh  Denken  und  Sein  völlig  (Log.  S.  3j7«; 
„die  Xahincirklichkeit  muß  genau  dem  Gedanken  entsprechen*^  (1.  c.  S.  209 w 
H.  Cohen  faßt  die  Identität  von  Denken  und  Sein  so  auf,  ,^^  dürfe  im  Sein 
kein  Problem  stecken^  für  dessen  Lösimg  7iicht  im  Defiketi  die  Anlage  xu  ent- 
werfen ieär&*  (Log.  S.  501  f.).  Vgl.  Seele,  Leib,  Parallelismus,  Psychisch,  Mo- 
nismus. 

Identltfttoarteil  (Identisches  Urteil)  ist  ein  Urteil,  welches  ein  Objerr 
identificiert,  d.  h.  ein  A  als  A  bestimmt,  anerkennt,  also  den  Inhalt  von  Snb- 
ject  und  Pradicat  als  identisch  setzt.  Es  gibt  „formal*^  und  „real"  identiäch<* 
Urteile. 

Stilpo  imd  Antisthenes  anerkennen  nur  Identitatsurteile:  avrö  ya^  xad^  '; 
nvTo  ixaarov  ovofidaai  fiovov  sXrj,  Tt^oaeiTtelv  8e  ov^ev  aX)uf  8wax6t',  oxSi^  wi 
iarip,  ovd^  dg  ovx  ^axiv  (Plat.,  Theaet.  201).  Antisthenes  meint:  Das  Eine 
kann  nicht  vieles  sein,  es  kann  von  ihm  nur  wieder'  das  Eine  ausgesa^ 
werden:  aSvvaxov  rd  tb  noXkd  h*  xai  ro  iy  noXXd  elvai,  xai  SrjTtov  /Ä<^at<r«r  ; 
ovx  ioJVTBs  dya&ov  Xiyeiv  nvd'pcoTtov,  dXXa  t6  fiiv  dya&ov  dyad'ov,  Tor  Si 
ftvd'^amov  drd'Qfonov  (Plat.,  Sophist.  251  B).  ^y^vTiaO'et'rje  ^ero  Bvi^S'tffi  pK^'* 
a^icjv  Äe'yBod'ai  TrXrjv  ri^  oixaitij  Xoycp  iv  i<p  ivos  (Aristot.,  Met.  V  29,  l<^4b 
squ.).  —  Nach  GocxEN  ist  ein  Identitätsurteil  („idenitca^*)  „praedicatio  eitufärta 
de  eodem"  (Lex.  philos.  p.  212).  Den  Nutzen  identischer  Urteile  betont  (gegen- 
über Locke)  Leibniz  mit  dem  Hinweis  darauf,  daß  „les  propositions  identiquc^ 
les  plus  pures  et  qui  paraisscnt  les  plus  inutiles^  soni  d*un  usage  considfrable 
dans  Vabstrait  et  general''  (Gerh.  V,  344  ff.;  III,  224  ff.).  —  Nach  B.  Ekd- 
MANN  ist  ein  identificierendes  Urteil  „ein  SatXy  desseti  Pradicat  ledigli/^  dat 
Subject  in  anderer  Bexiehung  iriederhoU"  (Log.  I,  172,  302  f.).  WU2n>T  erklärt: 
„Bei  dem  formal  identischen  Urteil  besitzen  Subjekt  und  Pradicat  eine  idenii*tkf 
Fot^nty  bei  dem  real  identischen  ist  der  Ausdruck  beider  Begriffe  ein  rersehiedenfr^ 
aber  diese  werden  wegen  ihres  übereinstimmendeti  Inhaltes  identisch  gesetzt' 
(Log.  I,  170  ff.).  „^»V  bexeicfmen  einen  jeden  Schluß^  der  aus  xwei  Identitäten 
eine  dritte  folgert ^  als  einen  Identitätsschluß.  Die  beiden  Zwecke,  detien  der 
Identitätsschluß  dienen  kann^  sind:  1)  Ableitung  einer  netten  Definition  aus  zwei 
gegebenen  Definitionen  und  2)  Ableitung  einer  neuen  Gleichung  cuis  xwei  ge- 
gebenen Oleichmigen"  (1.  c.  I,  291).    Vgl.  Identität. 

Ideograplile  s  Bilderschrift. 

IdeolO|[^e:  Ideen-Wissenschaft,  Lehre  von  den  Gedanken,  Vorstellung«m. 
von  den  Bewußtseinsinhalten  (Psychologie,  Erkenntnislehre,  Geistesphilosophie). 
In  Frankreich  bedeutet  (seit  Condillac)  „Ideologie^*  „eine  Art  PhüowpHit. 
welche  durch  eine  gena^ue  und  systematische  Kenntnis  der  physiologischefi  «urf 
psychiscJien  Organismen  wid  der  physischen  Welt' praktische  Regeln  für  Er- 
xiehungj  Ethik  und  Politik  festzustellen  versucht"  (Überweo-Heinze,  Gr.  d 
Gesch.  d.  Philos.  IV*,  353).  Destutt  de  Tracy:  „Uideologie  est  la  seiene^ 
des  idees"  (El.  d^d^l.  I,  p.  5).  Franck:  „Ideologie  est  la  seienee  des  idees 
considerees  en  elles-meme^j  c'est-ä-dvre  conimc  sifnples  phenomhies  de  Vesprii 
humain''  (Dictionn.  p.  7(58).  Galuppi:  „L'Ideologia  i  .  ,  .  la  scienxa  delTori- 
gine  e  deUa  generaximw  delle  idee"  (Elem.  di  philos.  II,  2).  Nach  K.  Rosen- 
kranz versteht  die  „franxösische  Schtde^^  unter  Ideologie  „die  Lehre  ron  dem 
Gange  des  subjectiven  Erlcennefis"  (Syst.  d.  Wiss.  S.  119).  Er  selbst  bezeichnet 
80  yjdie  Einheit  der  Metaphysik  und  Logit^,  den  „Begriff  der  Idee  als  solcher' 


Ideologie  —  Idol.  495 


(ib.).  —  Im  Sinne  des  ,iSckicärmerUehen  (politischen)  Idealisten'^  gebraucht  das 
Wort  „Ideologe^'  Napoleon.  Der  Marxismus  (s.  d.)  betrachtet  die  „ideologischen^'^ 
(geistigen)  Gebilde  als  bloße  Keflexe,  Wirkungen  wirtschaftlicher  Factoren. 
„Die  Ideeti  sittd  Prodiicte  des  gesellschaftlichen  Productionsprocesses"  (Mehring, 
Lessing-Legende  1893,  S.  451). 

Ideomotoriscli  bedeutet  seit  Chabpentier  (1883)  die  Bewegungskraft 
von  Vorstellungen  u.  s.  w.  ohne  Vermittlung  des  Willens.  Ideomotorische 
Tendenz  hat  nach  Ribot  u.  a.  jeder  Bewußtseinszustand  (Mal.  de  la  Volonte 
p.  3  ff.). 

IdlOf^enetlscbe  Urtellstlieoile  heißt  die  Lehre,  daß  die  Urteils- 
fonction  ein  ursprünglicher,  selbständiger,  einfacher  Bewußtseinsact  sei  (J.  St. 
MiLL,  Brentano,  ^Mabty,  Hillebrand,  Höfler,  Meinong  u.  a.).  Vgl. 
Urteil. 

Idiopatlllsclie  =  egoistische  (s.  d.),  das  eigene  Ich  ziuu  Objecte 
habende  Gefühle  und  Neigungen.    Vgl.  Wert. 

Idiopsycbologlseli  nemit  Martineau  seine  auf  dem  individuellen 
Sittlichkeitsbewußtsein  basierende  Ethik  (Essays  III). 

Idiosynkrasie  {tSios,  avyxoaaiSy  Eigenmischung) :  eigenartige,  individuelle 
Reactionsweise  auf  Reize,  die  normal,  durchschnittlich  anders  (entgegengesetzt) 
wirken.  Die  Sonderart  von  Neigimgen  und  Abneigungen  bestimmten  Objecten 
gegenüber  ist  Idiosynkrasie.    Vgl.  Hillebrand,  Philos.  d.  Geist.  I,  357  ff. 

Idiotismas  (Idiotie):  Blödsinn,  fast  gänzlicher  Mangel  an  geistiger  Auf- 
fassung imd  Verarbeitung,  im  Unterschied  von  Schwachsinn  (Imbecillität), 
bei  welchem  die  geistigen  Kräfte  nur  herabgesetzt  sind. 

Idol  (etSaXav,  Bild):  Götzenbild,  Trugbild.  —  F.  Baoon  nennt  Idole 
(„idola^')  die  Vorurteile  des  Menschen,  die  vom  Wege  zur  Erkenntnis  abbringen 
und  daher  eliminiert  werden  müssen.  Die  „Idole  des  Stammes''  sind  die  in  der 
menschlichen  Natur  als  solcher  liegenden  Vorurteile,  die  „Idole  der  Höhlet'  sind 
die  individuellen,  die  „Idole  des  Marktes"  die  socialen,  die  „Mole  des  Theaters" 
beruhen  auf  der  Macht  der  Autorität.  „Mola  .  .  .,  a  quibus  oecupatur  mens, 
vel  adscitüia  sunt,  vel  innata,  Adscttttia  vero  immigrarunt  in  mentes  hominuni 
vel  ex  p/iilosopßwrum  placitis  et  sectis,  vel  ex  perversis  legibus  detnotistratimitmi. 
At  innata  ifihaerent  naturae  ipsius  intellecttis,  qui  ad  erroreyn  lange  proelivior 
esse  deprehendiiur,  quam  sensus"  (Nov.  Organ.,  dist.  op.  p.  6).  „Idola  et  notiones 
falsae,  quae  intellecium  humanum  iam  oceuparunt  atque  in  eo  alte  haerent^  non 
soluTn  mentes  hominum  ita  obsident,  ut  veritati  aditus  diffieilis  pateat,  seil  etiam 
dato  et  c&ncesso  aditu,  illa  rursus  in  ipsa  instauratione  scientiarum  occurrent  et 
molesta  erunt;  nisi  hmnines  praemoniti  adversus  ea  sc,  quantum  fieri  polest, 
mimiarä"  (1.  c.  I,  38).  „Idola  tribiis  sunt  fundaia  in  ipsa  natura  humanay 
atque  in  ipsa  tribu  seu  gente  hominum.  Falsa  enim  asser  itur,  sensum  human  um 
esse  mensuram  rerum;  quin  contra  ornties  perceptiones,  tarn  sensus  quam  mentis 
sunt  ex  anaiogia  hominis,  non  ex  analogia  universi,  Estque  intellectus  humanus 
instar  speeuli  inaequalis  ad  radios  rerum,  qui  suq^m  naturam  naturale  rerum 
immiscet  eamque  distorqttet  et  infieit"  (1.  c.  41,  Anfang  des  neuen  Subjecti- 
vismns,  s.  d.).  „Idola  speeus  sunt  idola  hominis  indinidui.  Habet  enim 
unusquisque  (praeter  aberrationes  naturae  humanae  in  generej  specttm  sive 
Cüüemam   qtuindam   individuam,    quae   lumen  naturae  frangit   et   corrumpit" 


496  Idol  —  musion. 


(1.  c.  42).  „Sunt  etiafn  idola  tanqua/tn  ex  contractu  et  societate  kumani 
ad  invicem,  quae  idola  fori^  propter  kominum  commercium  et  const 
appellamus.^'  „Sufü  denique  idola,  quae  immigrarunt  in  anintos  hominum  er 
diver sis  dog^natibus  philosophiarum  ae  etiam  experversis  legibus  demonslrationwn: 
quae  idola  theo  tri  nominamus,  quia,  quot  philosopkiae  reeeptae  aut  inivnUF 
sunt,  tot  fabiäas  produetas  et  actas  censemus,  quae  mutuios  effecerunt  fietitioi 
et  scenieos^^  (1.  c.  44;  vgl.  60).  Die  Idolenlehre  ist  eine  erste  Bekämpfung  des 
Dogmatismus  (s.  d.). 

Jesirali:  Körperwelt  (Kabbala). 

Ig^ava  ratio  s.  Faule  Vernunft 

Iipriorabiiiilis  (9}Unr  werden  es  nicht  wissen^^):  ein  Schlagwort  bei 
DU  Bois-Reymond,  darauf  hinzielend,  dafi  gewisse  Probleme  (Wesen  der  Ma- 
terie und  der  Kraft,  Ursprung  der  Bewegung,  Ekitstehung  der  Empfindung,  die 
Willensfreiheit)  für  unser  Denken  unlösbar  sind  und  bleiben  werden  (Grenz,  d. 
Naturerk.  1872).    Vgl.  WelträtseL 

Ignoratio  elenclii  s.  Elenchus. 

If^noti  nuUa  eapido:  Unbekanntes  wird  nicht  begehrt,  das  Begehreo 
(s.  d.)  hat  ein  bestinmites  Object. 

Ikonismas:  Versinnlichung  einer  Sache  durch  ein  Bild,  Bilderschrift 
(Ideographie). 

lUatlon  (illatio):  Schlußfolge. 

Illamlnations  (geistige)  Erleuchtung.  Illuminismus:  Glaube  an 
geistige,  mystische  Erleuchtung  im  Zustande  der  Ekstase  (s.  d.). 

Illaslon  (psychologische^  phantastische)  ist  eine  Vorstellung,  die  durdi 
Assimilation  (s.  d.)  unter  solchen  Bedingungen  entsteht,  daß  sie  nicht  im  Sinne 
des  wirklich  Wahrgenommenen,  sondern  im  Sinne  des  dadurch  Beproducierten. 
in  das  Wahrgenommene  Hineinassociierten  gedeutet  und  zugleich  als  wirkhch. 
objectiv  aufgefaßt  wird.  Auch  die  ganze  Erscheinung  der  Selbsttäuschung  heiät 
Illusion.  Die  ästhetische  Illusion  ist  von  großer  Bedeutung  für  den  ästhe- 
tischen Genuß  (s.  Ästhetik).  Praktische  Illusionen  sind  Selbsttäuschungen 
über  den  Wert  von  Gütern  aller  Art. 

Physiologisch  erklärt  die  „Illusionen^^  schon  Descabtes  ;  „Inter  pereqptvmn, 
quae  corj}oris  opera  producuntur,  maxima  pars  earum  pendet  a  nerpis;  sei 
quaedam  etiam  sunt,  quae  ab  Ulis  non  pendent,  et  qtdoe  nofninantur  tmagi' 
nationes  .  .  .,  a  quibus  tamen  differun^  in  eo,  quod  rolutUas  nostra  in  iUu 
formandis  non  oceupeiur;  unde  non  possunt  reponi  in  numero  actionum  animae: 
Nee  aiiunde  procedunt  quam  ex  eo  quod  spiritus  diversimode  agitcUi,  et  reperientm 
restigia  dirersarum  iinpressionum,  quae  praecesserunt  in  eerebro,  ctirsum  ^ 
dirigunt  fortuito  per  quosdam  porös  potius  quam  per  cUios.  Tales  sunt  t"//«- 
siones  nostrorum  somniorum  et  phantasiae,  quae  nobis  vigüantibus  aceiäwäf 
cum  cogitatio  nostra  negligefiter  vagatur,  nulli  rei  sese  addieens^*^  (Paus.  an.  I, 
21).  —  Volkmann  erklärt:  „Die  Illusion  geht  von  einer  wirklich  gegebeme» 
Empfindung  aus  und  nimmt  insofern  ihren  Ursprung  aus  einer  an  sich  rtehtige» 
WaJimehmung,  versetxt  sodann  die  Empfindung  als  Äußeres  aus  der  Seele  heravs 
und  involviert  insofern  eine  Täuschung  der  inneren  Wahrnehmung,  wird  abff. 
schließlich  xur  Sinnestäuschung   dadurcli,   daß  sie  entweder  Loealisation 


niQsion  —  lUnsioxiiamus.  497 

Prcjeeiion  witereinanderj  oder  innerhalb  jeder  von  beiden  eine  falsche  mit  der 
richtigen  Anwendung  verwechselt^^  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  146).    Nach  Fechner 
sind  die  Illusionen  „lUusehungen  .  .  .,  woxu  aUerdings  ursächliche  Objeete  vor- 
handen sind,  welche  aber  falsch  aufgefaßt  werden,  indes  es  bei  den  Hallueinationen 
an  äußeren  ursächlichen  Objecten  fehlt^  (Elem.  d.  Psychophys.  II,  505).    Ziehen 
versteht  unter.  Illusionen  ,,solche  Sinnesempfindungen,  für  welche  Mear  ein  äußerer 
Reix  existiert,  welche  aber  qualitativ  diesem  äußeren  Rdx  gar  nicht  entsprechen^'^ 
(Leitfad.  d.  physiol.  PBychol.*,  S.  182).     1£&  handelt  sich  hier  um  eine  „rück- 
läufige Erregung  und  Beeinflusstmg  der  Empfindtmgsxeüen  von  den  Erinnerungs- 
xellen  atis"  (1.  c.  S.  183).    Wukdt  führt  die  Illusion  auf  eine  Form  der  Assi- 
milation zurück.     „Bei  den  gewöhnlichen  Sinneswahmehmungen  übenoiegen  die 
direeten  Factoren  so  sehr,  daß  die  reproductiven  meist  ganx  übersehen  werden, 
obgleich  sie  in  Wirklichkeit  nie  fehlen  .  .  .    Beträchtlich  mehr  drängen  sich  die 
reproductiven  Bestandteile  unserer  Beobachtung  auf,  wenn  die  assimilierende 
Wirkung  der  direeten  Erregungen  durch  äußere  oder  innere  Einflüsse,  wie  Un- 
deutliehkeit  des  Eindrucks,  Erregung  von  Oefuhlen  und  Affecten,  gehemmt  ist. 
In  allen  den  Fällen,  wo  auf  diese  Weise  der  Unterschied  xwisohen  dem  Eindruck 
und  der  wirklichen  Vorstellung  so  groß  wird,  daß  er  sich  sofort  unserer  näheren 
Prüfung  verrät,   bexeichnen  toir  das  AssimilaUonsproduct  als  eine  Illusion^* 
(Gr.  d.  Psychol.*,  S.  281).     Von   den   bei   normalem  Bewußtseinszustand   vor- 
kommenden Sinnestäuschungen  sind  zu  unterscheiden  die  „phantastischen  Ilhi- 
sionen*^  (L  c.  S.  326,  s.  Hallucination).    Nach  Külpe  sind  Illusionen  „subjective 
Veränderungen  an  dem  obfectiv   Wahmefimbaren^'  (Gr.  d.  Psychol.  S.  184  ff., 
217).     Nach  Störring  besteht  eine  Illusion  da,  „wo  in  einefn  Assimilations- 
proceß  der  subjeetive  Factor  eine   abnorm   starke  Rolle  spielt'^  (Psychopathol. 
S.   93).      Wie   SuLLY   (Die   lUus.)   unterscheidet  er   passive  imd   active,   wie 
Eraefelik  (Üb.  Trugwahm.,  Viertelj.   f.  wiss.  Philos.  V)   Perceptions-   und 
Apperceptionsillusionen.     Nach  Uphues  ist  eine  Illusion  ,fiine  Wahrnehmung, 
deren  Gegenstand  nicht  so  beschaffen  ist,  wie  wir  ihn  wahrnehmen"  (Psychol.  d. 
Erk.  I,  184).    Nach  K.  Lange  ist  Illusion  ein  seelischer  Zustand,  in  dem  man 
etwas  glaubt,  was  nicht  Wirklichkeit  ist  (Wes.  d.  Kunst  I,  207).     Vgl.  James, 
Princ.  of  Psycho!  II,  85  ff. 

Von  der  „iüusion  volontairef^  spricht  SOURIAU.  Eine  „Illusionstheorie^^ 
stellt  für  die  Ästhetik  (s.  d.)  K.  Lange  auf,  deren  Kern  die  ,jbewußte  Selbst- 
täusehung"'  ist  (Wes.  d.  Kunst  I,  18  ff.,  207  ff.,  372  ff.).  Nach  K.  Groos  be- 
steht die  „spielende  Illusion"  1)  in  der  Verwirklichung  innerer  Bilder,  2)  darin, 
„daß  das  Oedächtnismaterial  mit  realen  äußeren  Erscheinungen  verschmilzt  und 
an  deren  Realität  teihunehmen  seheint'*  (Spiele  d.  Mensch.  S.  164  ff.).  Die 
Illusion  beruht  auf  Assimilation  (1.  c.  S.  171).    Vgl  Illusionismus. 

ninslonlBllillS :  Ansicht,  daß  alles  Illusion,  Täuschung,  Schein  (s.  d.) 
sei  (theoretischer  Illusionismus)  und  daß  alle  Werte  nur  Scheinwerte  seien, 
daß  das  Leben,  das  Dasein  keinen  wahrhaften  Wert  habe  (praktischer 
lUusionismus),  endlich  daß  die  sittlichen  Wertungen  nur  Scheinwertungen, 
nicht  objectiv  geforderte  Wertungen  seien  (ethischer  Illusionismus). 

Der  theoretische  Illusionismus  ist  eine  extreme  Form  des  erkenntnistheo- 
retiBchen  Idealismus  (s.  d.)  und  des  Skepticismus  (s.  d.)  und  Subjectivis- 
mus  (s.  d.).  Bein  hypothetisch -methodologisch  spricht  ihn  Fenelon  aus: 
„Tous  ees  etres  .  .  .  peuvent  avoir  rien  de  red  et  n'etre  qu'une  pure 
illusion  qui  se  passe  toute  entih^    en  dedans   de  moi  seul"    (De  l'ez.   de 

Philoiopliiaoh«!  Wörterbuob.    2.  Aufl.  32 


498  niUBlonimniis  —  Tminanent. 

Dieu  p.  120).  Illusionistisch  ist  die  Lehre  der  Veda-Philosophie  und  des." 
Buddhismus  sowie  die  Metaphysik  Schopenhavebs^  nach  welcher  die 
raum-zeitliche  Außenwelt  nur  ,,Schleier  der  Maya^^,  „Pkantasmagan^*,  „Oehim- 
Phänomen"  ist  Nach  Nietzsche  steckt  die  menschliche  Erkenntnis  (s.  d.) 
voll  Illusionen.  —  Dem  praktischen  Illusionismus  huldigen  Schopenhauer 
und  (weniger  scharf)  £.  v.  Hartmann.  Den  ethischen  Illusionismus  Tertretcfi 
einige  Sophisten,  Stirner  u.  a. 

Illusory  memory  s.  Gedächtnis. 

Imai^atloii :  Einbildung,  bildhaftes,  concretes  Vorstellen  und  Denken, 
Erzeugung  von  Bildern  der  Objecte  nach  der  Wahrnehmung  dieser.  VgL 
Phantasie. 

ImbecilllUlts  Schwachsinn,  eine  Form  der  Psychose  (s.  d.).  VgL 
Idiotismus. 

Immaneiit  (immanens,  darin  bleibend)  ist  ein  Ausdruck  für  das  Ein- 
geschlossensein, Innenwirken  einer  Sache,  Kraft,  eines  Ereignisses,  einer  Er- 
kenntnis. Immanent  ist,  was  in  der  Sache,  im  Begriff  selbst  steckt,  nicht 
darüber  hinausgeht  (nicht  ,Jtranscendent*^ ,  s.  d.)  ist  Bewußtseins-imma- 
nent  heißt  alles,  was  (nur)  im  Bewußtsein,  als  Bewußtseinsinhalt  Elxistenz  hat. 
Erfahrungs -immanent  ist,  was  innerhalb  der  Erfahrung  bleibt,  die  Erfah- 
rung nicht  überschreitet.  Erkenntnis-immanent  ist,  was  in  den  Bereich 
des  Erkennens  fallt,  ohne  deswegen  gerade  Erfahnmgsobject  sein  zu  müsKO. 
Welt-immanent  ist,  nach  dem  Pantheismus  (s.  d.),  Gott;  nach  dem  Pbnen- 
theismus  (s.  d.)  ist  die  Welt  Gott  immanent. 

yjmmanent**  sein  kommt  als  irvitd^x^iv  schon  bei  Aristoteles  vor  {ir- 
vTtaQXBiv  iv  r(y  ri  iartv,  iv  tqJ  I6y(p;  begriffliche  Immanenz,  AnaL  post.  I  4, 
73  a  35  squ.;  vgl.  De  coel.  II  9,  291a  11:  iv  fe^ofiivtp  .  .  .  ivvnd^M;  Phys. 
II  3,  194  b  24;  Met.  IX  8,  105  a  24  squ.  ist  vom  iwndgxBiv  der  ivdffyeia  die 
Rede). 

Die  Scholastiker  unterscheiden  die  „oc^ta  immanens" ^  welche  über  da^ 
Subject  der  Tätigkeit  nicht  hinausgreift,  von  der  „oc^to  traneient^^,  ,,lmntanenifs 
(actiones)  suni^  per  quaa  .  .  .  subiectum  non  transmiUatur.  Hae  tnanent  sftbiectkr 
in  agente.  Tales  suni  operationes  potentiarum  anitnae  cognitivarum  ei  appe- 
titimrum"  (Goclen,  Lex.  philos.  p.  1125).  Nach  Batjhoarten  ist  „irnmatuttr 
jede  „actio f  quae  nan  est  infltiosus"  (Met.  §  211).  Nach  Leibniz  sind  die  Hand- 
lungen der  Monaden  (s.  d.)  diesen  immanent  (vgL  Harmonie). 

Die  Unterscheidung  von  ^jCausa  immanen^^  und  „catisa  transientt'*  hat 
Bedeutung  bei  Spinoza.  Nach  ihm  ist  Gott  (s.  d.)  die  immanente  Ursache,  der 
permanente  Grund  alles  Geschehens,  insofern  er  (als  yynatura  fuUurans^y  e.  d.> 
nur  in  den  Dingen  (den  „niodi^^)  wirkt.  ,yDeus  est  omnium  rentm  eausa 
immanens,  non  vero  transiens,  —  Omnia,  quae  sunt,  in  Deo  sunt  et  per  Deum 
coneipi  debent,  adeoque  Dens  rerum,  quae  in  ipso  sunt,  est  causa  .  .  .  Deinde 
extra  Deum  nulla  potest  dari  substantia,  hoc  est  reSy  quae  exira  Deum  in  s€  *i^* 
(Eth.  I,  prop.  XVIII;  vgl.  Ursache). 

Den  Begriff  der  Erfahrung8-(Erkenntni8-)Immanenz  prägt  Kant.  Immanait 
ist  alle  innerhalb  der  Erfahrungsmöglichkeit  bleibende,  auf  ein  Erfahrbares  sich 
beziehende  Erkenntnis  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  271).    Die  Anschauungsformen  («.  d.> 


Immanent  —  Impalpabel.  499 


und  die  Kategorien  (s.  d.)  lassen  nur  eine  immanente  Anwendung  zu,  dienen 
nnr  zur  Verarbeitung  der  Erfahrung  (Prolegom.  §  40). 

Die  Bewußtseinsimmanenz,  d.  h.  die  Immanenz  der  Außendinge  im  erkennen- 
den Bewußtsein,  im  Ich,  betont  J.  G.  Fichte.  „D^  Kriticismus  ist  darum 
immanent,  weil  er  alles  in  das  Ich  setxt^^  (Gr.  d.  g.  Wise.  S.  41).  Schelling 
spricht  schon  von  einer  „immanenten  Philosophie"  (Vom  Ich  8.  113).  Nach 
E.  V.  Hartmann  ist  inmianent  „aües,  was  von  der  Form  des  Beicußtseins  als  vor- 
gestellter Inhalt  umfaßt  wird,  innerhalb  dieser  Sphäre  des  unmittelbar  Gegebenen 
bleibf^  (Grundl.  d.  transcendental.  Bealism.  S.  XIII).  Uphues  unterscheidet 
zweierlei  Lnmanenz,  „das  unmittelbar  Immanente,  welches  die  gegenwärtigen  Be- 
wußtseinsvorgänge  des  eigenen  Bewußtseins  umfaßt  und  den  Oegenstand  der  Re- 
flexion bildet,  und  das  mittelbar  Immanente,  die  vergangenen  Bewußtseinsvorgänge 
des  eigenen  Bewußtseins"  (Psychol.  d.  Erk.  I,  7). 

Logische  Inmianenz  nennt  B.  Erdmann  die  eigenartige  Beziehung  der 
Merkmale  des  Gegenstandes  zu  diesem,  des  Prädicats  zum  Subject  im  Urteil  (s.  d.). 
VgL  Object 

ImmaiiCTite  liOglk  heißt  die  in  einem  Geschehen  objectiv  sich  be- 
kundende Vemünftigkeit. 

Immanente  Hetaplijsik  s.  Metaphysik. 

Immanente  Teleolog^e  s.  Teleologie.  Immanente  Philosophie  s. 
Immanenzphilosophie.    Immanente  Ursache  s.  Immanent. 

Immanenz:  das  Immanentsein.    Vgl.  Immanent 

ImmanenspliilOBOpliie  (inunanente  Philosophie)  bedeutet  1)  eine  auf 
das  Erfahrbare,  Gegebene  sich  beschrankende  Philosophie.  So  bemerkt  Main- 
lInder:  „Die  wahre  Philosophie  muß  rein  immanent  sein,  d.  h,  ihr  Stoff 
sowohl  als  ihre  Grenze  muß  die  Welt  sein"  (Philos.  d.  Erlös.  S.  3);  2)  die 
Philosophie  des  unmittelbar  Gegebenen,  nach  welcher  alles  Bein  ein  dem  Ich, 
dem  Bewußtsein  inmianentes  Sein,  Bewußtseinsinhalt  ist  Transcendente  (s.  d.) 
Dinge  gibt  es  nicht  Alles  Wirkliche  ist  Inhalt  eines  „Beunißtseins  überhaupt^*. 
—  Eine  solche  idealistische  Philosophie  vertreten  schon  Berkeley  und  Hxtme. 
In  anderer  Weise  J.  G.  Fichte,  A.  Lange,  E.  Laab  u.  a.  (s.  Idealismus). 
Besonders  W.  Schuppe,  A.  v.  Leclair,  J.  Rehmke,  R.  v.  Schubert-Soldern, 
M-  Kaltfmann,  O.  Stock,  auch  F.  J.  Schmidt,  der  einen  „immanenten  Er- 
fahrungsmonismus" lehrt.  Vgl.  Zeitschr.  f.  immanente  Philos.  I.  —  Ahnlich  in 
manchem  ist  die  Philosophie  der  „reinen  Erfahrung"  (s.  d.).  Vgl.  Object,  Sein, 
Ding,  Ich,  Bewußtsein. 

Immateriallsmiui :  Lehre  von  der  Unkörperlichkeit  der  Seele  (s.  d.), 
auch  der  Dinge  an  sich,  Ansicht,  daß  die  Materie  (s.  d.)  nicht  existiert  (Berke- 
ley) oder  daß  sie  an  sich  geistig  sei  (^  Spiritualismus,  s.  d.). 

Immaterialltftt:  Stofflosigkeit,  Unkörperlichkeit.    Vgl.  Seele. 

Immateriell  s  stofflos,  unkörperlich.    Vgl.  Seele. 

Immorallsmas :  Morallosigkeit,  moralischer  Indifferentismus  (s.  d.), 
moralischer  Skepticismus  (s.  d.),  Bekämpfung  der  (überkommenen)  Moral,  Stand- 
punkt des  jflenseits  von  Gut  und  Böse"  (Nietz8CHE).  „Immoralismus"  schon 
bei  Krug,  Handb.  d.  Philos.  II,  271)  als  Gegensatz  zum  „Moralismus". 

Imiialpabels  unfühlbar,  un  tastbar. 

32* 


500  Impenetrabilität  —  Imperativ. 

Impenetrablllt&t  s.  Undurchdringilchkeit 

ImperatiT  ist  die  Formel,  der  AuBdruck  eines  Oebotes,  eines  SoUeos. 
Sittliche  (ethische)  Imperative  sind  die  Gebote  der  Sittlichkeit  (s.  d.),  der 
sittlichen  Vernunft,  des  Gewissens.  Sie  verlangen  imbedingte  Geltung,  weil  es 
keinen  Fall  geben  kann,  wo  sittliche  Widervernünftigkeit  statthaben  darf.  Will 
der  Mensch  vernünftig  sein  —  und  er  will  es  im  Grunde,  der  Idee  nach  — ,  ao 
muß  er  dementsprechend  handeln,  theoretisch  wie  praktisch -ethisch.  Der 
„kategorische^^  Imperativ  ist  die  Formel  des  Sittengebotes,  d^  Ausdruck  der 
Norm  des  sittlichen  Willens. 

Der  Begriff  des  „keüegorischen  hiipercUiva**  stammt  von  Kant.  ,yDie  Vor- 
stellung eines  objectiven  Prindps,  so  wie  es  für  einen  Willen  nötigend  ist,  heiß 
ein  Gebot  (der  Vernunft),  und  die  Formel  des  Gebotes  heißt  Imperatit^'  (Gnindl^. 
zur  Met.  d.  Sitt.  WW.  IV,  261).  Ist  die  Handlung  zu  etwas  anderem  gut,  so 
ist  der  Imperativ  hypothetisch,  w^ird  sie  als  an  sich  gut  vorgeBtellt,  ist  er 
kategorisch.  Letzterer  erklart  die  Handlimg  für  unbedingt  notweDdig,  ist 
ein  apodiktisches  Princip,  als  Imperativ  der  Sittlichkeit  (L  c.  IV,  262  ff.).  Der 
kategorische  Imperativ  ist  das  formale  Princip  der  Sittlichkeit  (s.  d.),  er  ent- 
springt der  „Würde^^  des  Menschen,  der  praktischen  Vernunft  (s.  d.)  in  ihm, 
bestimmt  die  Fonn  der  Willenshandlungen  a  priori  (s.  d.) ;  er  deutet  darauf  hin, 
daß  der  Mensch  an  sich  das  Glied  einer  intelligiblen  Welt  (s.  d.)  ist,  ist  der  Aus- 
druck des  „m«ew"  Willens  dieser  (1.  c.  S.  270  ff.).  „DiV?  praktische  Regei  ist 
jederzeit  ein  Product  der  Vernunft,  weil  sie  Handlung,  als  Mittel  xur  Wirkung, 
als  Absicht  vorschreibt.  Diese  Regel  ist  aber  für  ein  Wesen,  bei  dem  Vernunft 
fiiclU  ganx  allein  Bestimmungsgrund  des  Willens  ist,  ein  Imperativ,  d.  i. 
eine  Regel,  die  durch  ein  Sollen,  welches  die  objective  Nötigung  der  Handlung 
ausdrückt,  bezeichnet  unrdt  und  bedeutet,  daß,  wenn  die  Vernunft  den  WiUen 
gänxlich  bestimmte,  die  Handlung  unausbleiblich  nach  dieser  Regel  geschehen 
mirde^^  (Krit.  d.  prakt.  Vem.  S.  22).*  Der  kategorische  Imperativ  ist  „derjenige, 
welcher  nicht  etwa  mittelbar  durch  die  Vorstellung  eines  Ziceekes,  der  durch  die 
Handlung  erreicht  werden  könne,  sondern  der  sie  durch  die  bloße  Vorsteihmg 
dieser  Handlung  selbst  (ihrer  Form),  also  unmittelbar  als  objectiv  notwendig  denkt 
und  notwendig  machf^  (WW,  VII,  19).  Der  sittliche  Imperativ  gebietet  kate- 
gorisch, unbedingt,  ohne  Rücksicht  auf  „maieriale"  Motive  (auf  Nutzen,  Lust 
u.  s.  w.).  Er  lautet :  „Handle  so,  daß  die  Maxime  deines  Willens  jederzeit  xugieiek 
als  Priticip  einer  allgemeinen  Gesetzgebung  gelten  könne"  (Krit.  d.  prakt.  Vem. 
S.  36).  „Handle  nach  derjenigen  Maxime,  durch  die  du  xugleich  wollen  kannst, 
daß  sie  eiri  allgemeines  Gesetz  werde"  (WW.  IV,  269).  Ein  praktischer  Im- 
perativ ist:  „Handle  so,  daß  du  die  Menschheit  soioohl  in  deiner  Person  als  im 
der  Person  eines  jeden  andern  jederzeit  zugleich  als  Zioeck,  niemals  bloß  als 
Mittel  brauchst"  (WW.  .IV,  277).  —  Der  Inhalt  des  kategorischen  Inq)eratiTB 
findet  sich  schon  bei  Paley:  „The  general  consequence  of  any  action  may  be 
estimated  by  anytßiing,  w?Mt  wotdd  be  the  consequence,  if  the  sanie  sort  of  acHons 
were  generally  permitted^^  (The  princ.  of  moral  and  political  philos.*,  17S6, 
p.  62  ff.,  68). 

Eine  Kritik  des  „kategorischen  Imperativ"  gibt  Simmel  (Einl.  in  d,  Mofnd- 
wiss.  II,  1  ff.).  Während  sich  einige  Ethiker  diesem  ,Jmperatir^'  bezw.  sein«- 
Formuliermig  gegenüber  ablehnend  verhalten,  acceptieren  ihn  andere  in  modi- 
ficierter  W^eise.    H.  Cornelius  z.  B.  so:  „Handle  so,  daß  du  nach  dem  Stande 


Imperativ  —  Impresaion.  501 

deiner  bisherigen  Erfahrungen  die  Maxime  deines  Wollens  als  Princip  einer 
aügemeinen  Gesetzgebung  anerkennen  ivürdest,*'  oder:  „Handle  so,  daß  dein  Ziel 
nach  dem  Stande  deiner  Erfahrungen  als  das  positiv  Wertvollste  unter  allen 
mögliehen  Zielen  erscheint*^  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  349  f.).  Unold:  „L^  und 
handle  so,  daß  du  dich  und  das  Oanxe  (Volk  und  Menschheit)  erhältsf^  (Gr.  d. 
Eth.  S.  331,  vgL  8.  335).  R.  Goldscheld  erweitert  den  kategor.  Imperativ  im 
Sinne  des  Evolutiomsmus :  „Handle  so,  daß  du  das  Offenbanoerden  deiner  Motive 
wr  niemandem,  nicht  einmal  vor  dir  selbst  xu  scheuen  brauchst,  das  hei  fit  aber  : 
handle  so,  daß  du  nach  allen  dir  bekannten  Ergebnissen  der  Wissenschaft,  taie 
nach  den  Indiden  deines  gesamten  eigenen  Oefühlsldfens  fest  überzeugt  sein  kannst, 
deine  Handlung  sei  in  gleicher  Weise  geeignet,  lebendigem  Sehmerx  praktisch 
wirksam  entgegenxtäreten,  wie  sie,  zur  allgemeinen  Mamme  erhoben,  einen  Höher- 
enttcicklungsfaetor  der  menschliehen  Gattung  in  physischer  und  intelleciueller 
Hinsieht  darstellt*^  (Zur  Eth.  d.  GesamtwiU.  I,  85  f.).  Ehrenfels  erklärt:  „Ein 
Imperativ  oder  Befehl  liegt  überall  dort  vor,  u)o  einem  auf  das  Eintreten  oder 
Ausbleiben  einer  Handlung  gerichteten  Begehren  in  der  mehr  oder  minder  sicheren 
Erwartung  Ausdruck  gegeben  tcird,  daß  hierdurch  das  Eintreten  oder  Ausbleiben 
der  betreffenden  Handlung  tatsächlich  auch  beicirkt  u}erd&^  (Syst.  d.  Werttheor. 
n,  195).    Vgl.  SittHchkeit,  SoUen. 

ImperatlTe  3IotlTe  s.  Motiv. 

Impersonalleii  8.  Subjectlose  Sätze. 

Impetus  8  Andrang,  ein  Moment  der  Kraft  (Hobbes  ii.  a.). 

Implleatloii  s.  Explication.  —  Die  grammatisch- logische  Impli- 
cation  {„implicatio,  restrictio  per  itnplicationem",  durch  einen  Relativsatz)  schon 
bei  Petrus  Ramus  (Prantl,  G.  d.  L.  III,  58). 

ImpoaelblllUlt:  Unmöglichkeit.  „Per  impossibile  ductio'^:  die  Um- 
kehrung eines  Satzes  in  sein  contradictorisches  Gegenteil;  symbolisiert  durch 
„(?'  (s.  d.). 

Impression:  Eindruck,  Sinneseindruck,  Empfindung;  unmittelbar  er- 
lebter, primärer  Bewußtseinsinhalt  im  Unterschied  vom  secundären  Erinnerungs- 
bilde.   Impression  bedeutet  auch  den  unmittelbaren  Gefühlseindruck. 

Die  psychologische  Bedeutimg  von  „Eindruck*^  ist  alt.  Plato  und  Ari- 
stoteles vergleichen  das  Beharren  der  Vorstellungen  im  Gedächtnis  mit  dem 
Bleiben  eines  Siegelabdruckes  im  Wachse.  Die  Stoiker  sehen  in  der  Vor- 
stellimg (s.  d.)  geradezu  einen  „Eindriickf^  (rvTreoatg)  in  der  Seele  (Diog.  L.  VII, 
170).  nylmprimi^*  kommt  im  psychologischen  Sinne  bei  Cicero  vor  (Tusc.  disput. 
I,  25,  §  61).  —  Augustinus  spricht  von  den  „impressiones  imagimim^^  (De 
trin.  XI,  4;  XII,  9).  Die  Scholastiker  lehren  eine  „impressio^^  der  „/species'^ 
(s.  d.),  sprechen  von  j,species  impressae'^  als  Bedingungen  der  Wahrnehmung 
(B.  d.).  Goclen  bemerkt:  „Impressio  speciei,  seu  iynaginis,  sive  in  sensu,  sive 
in  intellectu,  per  metapharam  convenienter  dieitur  inhibitio,  hoe  est  ifUima  unio 
cum  sensu  vel  intellectu*'  (Lex.  philos.  p.  223;  vgl.  Zabarella,  De  specieb.  intell. 
C.  5).  Von  den  Impressionen  der  Objecte  auf  das  Gehirn  sprechen  Hobbes 
(Leviath.  I,  3)  und  Descartes.  Spinoza  bemerkt:  „Corpus  humanum  multas 
pati  potest  mutationes,  et  nihilo  minus  retinere  obieetorum  impressiones  seu 
testigia  et  eonsequenter  easdem  rerum  imagines"  (Eth.  III,  postul.  II). 

HVME  nennt  „impression*^  jedes  primäre  psychische  Erlebnis,  jede  unmittelbare 


502  Impression  —  Inbegriff. 


Bewußtseinserregung:  Empfindung,  Gefühl,  Streben.  Impressionen  sind  ,jallM 
sensaiums,  passions  and  emoiions,  as  they  inake  their  first  appearenee  in  tA 
«om/"  (Treat.  I,  sct.  1).  Die  Perceptionen  selbst  sind  Impressionen  (L  c.  S.  10. 
Es  gibt  einfache  und  zusammengesetzte  Impressionen  (L  c.  S.  II).  Ferotr 
ursprüngliche  („original^^J  und  „refleetire"  Eindrücke;  letztere  entstehen  durcii 
Vorstellungen  (y,ideas^^)  als  Gefühle  und  Neigungen  (1.  c  I,  sct.  2,  S.  17  l 
„Original '  impreastons  or  impressions  of  Sensation  are  such  (u  iciikoyt  an^ 
anteeedent  pereeption  arise  in  the  sota,  front  the  constitutum  of  tke  bodyy  frtm 
the  änimal  spiritst  or  from  tke  applieation  of  objeets  to  the  extenud  orgam. 
Seeondary  or  refleetive  impressions  are  such  as  proeeed  from  some  of  tkeu 
original  ones,  either  immediately  or  by  the  interposition  of  its  idea^*  (Of  the 
pass.  I,  sct.  I,  p.  75).  y,Of  the  first  kind  are  all  the  impressions  of  the  setaa, 
and  all  bodily  plains  and  pleasures:  of  the  second  are  the  passions  and  cther 
emotions  resembling  them"  (ib.).  Der  Ursprung  der  8inneseindrücke  ist  p^)W^ 
matisch,  nie  kann  man  feststellen,  ob  sie  unmittelbar  durch  den  Gegenstand 
oder  durch  den  Geist  selbst  oder  durch  Gott  erzeugt  werden  (Treat.  III,  scL  5. 
8.  112  f.).  Alle  Impressionen  sind  vorübergehende  Existenzen,  stellen  nur  sich 
selbst  dar  (1.  c.  IV,  sct.  6,  S.  258;  sct.  2,  8.  254).  Alle  Vorstellungen  (y,idtari 
stammen  aus  y^impressians*'.  Begriffe  ohne  Impressionen,  die  sich  zu  ihneo 
nachweisen  lassen,  sind  Pseudobegriffe  (1.  c.  III,  sct  14,  p.210  f.;  I,  sct.  1,  S.  13» 
Jede  einfache  Idee  muß  Abbild  einer  entsprechenden  Impression  sein  (Empinsmuei. 
Impression  und  Idee  sind  nur  durch  den  Grad  der  Lebhaftigkeit  unterschieden 
(1.  c.  I,  sct.  I,  8.  12).  —  Gab  ANIS  unterscheidet  ,yimpressions  internes'^  and 
yyeactenies^^  (Rapp.  I,  p.  155  f.).  Nach  Chr.  E.  8chmid  ist  ein  ^^Eitidrud^  ,^i> 
Wirkung  eines  Gegenstandes  (durch  das  sinnliehe  Werkxeug)  auf  das  Gtmiii 
wodurch  dasselbe  verändert  wird**  (Empir.  PsychoL  8.  187).  Nach  Krug  ist 
„Eindruck*'  die  Erregung,  vermöge  welcher  der  8inn  (s.  d.)  tatig  ist  (Handb.  d. 
Philos.  1, 58  f.).  — Nach  Palaoyi  besteht  jeder  Eindruck  aus  y,grenxenlos  rieten  zeit- 
lichen Abschnitten"  (Log.  auf  d.  8cheidewege  8.  175).  Die  Empfindungen  sind 
zusammengesetzt  (1.  c.  8.  178  ff.).  Jeder  Eindruck  ist,  als  grenzenlos  Zusammen- 
gesetztes, für  unsere  Erkenntnis  unerschöpflich.  y,Was  wir  aus  dem  JSimdrud 
schöpfen,  ist  immer  nwr  eine  Erinnerung  an  den  Eindruckt*  (L  c.  8.  185). 

ImpresBionlsinas  kann  (nach  Eiehl,  Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  243' 
diejenige  erkenntnistheoretische  Ansicht  genannt  werden,  welche  nur  die  Sinnes- 
eindrücke  (Impressionen),  die  Empfindungen  (s.  d.)  für  real  halt,  keine  tnm- 
cendenten  Dinge  (s.  d.)  annimmt  (Hume,  J.  8t.  Mill,  E.  Mach,  B.  Ave- 
NARius  u.  a.).  Es  gibt  auch  einen  künstlerischen  Impressionismus,  der  in 
der  Wiedergabe  der  reinen  8inneseindrücke  die  Aufgabe  der  Kunst  erblickt 
Palagyi  nennt  die  Psychologisten  (s.  d.)  „Impressionisten**  (Die  Log.  auf  d. 
8cheidewege  8.  72).  Die  „impressionistische  Logik**  verwechselt  Impressionen 
({Empfindungen)  mit  Erkenntnissen  (L  c.  8.  86). 

Impuls:  Antrieb,  Anstoß  (physisch  und  psychisch).  Impulsiv:  durch 
1  mpuke  bes tinmi t  (impulsiver  Charakter,  impulsives  Denken).  Impulsivität; 
die  Eigenschaft  des  Impulsiven. 

Impatablllt&ts  Zurechnungsfähigkeit  (s.  d.). 

Imputation:  Zurechnung  (s.  d.). 

Inad&quat  (unangemessen),  s.  Adäquat. 

Inbegrlir  heißt  ein  in  einem  einheitlichen  Denkacte,   in  einer  logischen 


Inbegxiff  —  Indifferenapunkt.  503 


Synthese  Zusammengefaßtes,  Ganzes  (vgl.  Bolzano,  Wissenscbaftslehre  I,  393  f.). 
B.  EsD^iAKif  bezeichnet  die  yjhbegriff^^  als  ^^Gegenstände  xweiter  Ordnung" 
<Ix)g.  I,  101  ff.). 

IneUnatlons  Neigung  (s.  d.). 

IndemoiiBtrabel:  un veranschaulichbar.  Demonstrabel  ist  ein 
Segriff,  dessen  Gegenstand  in  der  Anschauung  gegeben  werden  kann.  Nach 
Xant  sind  die  Vemunftbegriffe  (Ideen,  s.  d.)  indemonstrable  Begriffe  (Krit. 
d.  Urt.  §  57). 

Indeterminiert:  nicht  bestimmt,  nicht  genötigt. 

Indetermlnisnins  (absoluter)  heißt  die  Lehre  von  der  (absoluten) 
Willensfreiheit  Der  Wille  sei  nicht  determiniert,  ursachlos,  unabhängig  von 
allen  äußeren  und  inneren  Ursat^hen,  Bestimmungsgründen,  mit  der  Fähigkeit 
begabt,  sich  selbst  ganz  willkürlich  zu  bestinmien,  das  Entgegengesetzte  mit 
gleicher  Freiheit  wählen  zu  können  („liberum  arhürium  tndifferetUtae").  Der 
gemäßigte  Indeterminisi^us  behauptet  nur  die  Wahlfreiheit  (s.  d.),  die  Freiheit 
des  Handelns,  die  Unabhängigkeit  des  Willens  von  momentanen  Beizen,  die 
Bestimmtheit  der  (spontanen)  Willenshandlungen  durch  die  Persönlichkeit.  Diese 
Ansicht  fällt  mit  dem  psychologischen  Determinismus  (s.  d.)  zusammen.  Vgl. 
TVillensfreiheit. 

Indlelenbeirels:  Beweis  auf  Grundlage  von  äußerUchen  Anzeichen 
für  die  Tat 

Indllferent:  gleichgültig. 

IndiCerentlsnins :  Standpunkt  der  Gleichgültigkeit  bezüglich  der 
Wertung  von  Objecten,  Erkenntnissen,  Handlungen  u.  s.  w.  (ethischer,  philo- 
sophischer Indifferentismus). 

IndiCerenss  Gleichgültigkeit,  Unterschiedslosigkeit  Schellinq  nennt 
das  Absolute  die  jjindifferenx"  von  Subject  und  Object,  das,  was  zu  beidem  die 
MögHehkeit  hat  (WW  I  10,  130,  145;  vgl.  Identitätsphdosophie,  Gott).  — 
y,Indifferemlage"  des  Grefülüs  heißt  das  Durchgangsmoment  im  Wechsel 
des  Gefühls  von  Lust  zu  Unlust  oder  umgekehrt,  der  Zustand  der  Gleich- 
gültigkeit. Eine  Indifferenzlage  (Indifferenzpunkt)  nehmen  schon  die  Peripa- 
tetiker  (Alex.  Aphrodis.  Quaest  IV,  14)  an,  femer  Wundt  (Grdz.  d.  phys. 
PsychoL  II*,  508),  Ribot  (PsychoL  d.  Sentim.  I,  C.  5),  Külpe  (Gr.  d.  Psychol. 
8.  243  ff.)  u.  a.  Einen  Indifferenzpunkt  der  Wärme-  und  Kälteempfindungen 
gibt  es  gleichfalls.    Vgl.  Gefühl. 

Indllferena-Iielire  heißt  die  scholastische,  von  Adelard  von  Bath 
und  Walther  von  Mortaione  aufgestellte  Lehre,  wonach  ein  und  dasselbe 
je  nach  der  Betrachtungsweise  als  Individuum  oder  als  Gattung  (Allgemeines) 
erscheint,  indem  im  letzten  Falle  von  den  individuellen  Unterschieden  abgesehen 
wird.  „De  eodem  Socrate  qucmdoque  habetur  intelleetus  non  concipienSy 
quidquid  notat  haec  vax  Socrates;  sed  Soeratitatis  ohlitua,  id  tayitum  peretpit 
de  Soerate,  quod  notat  idem  homOf  id  est  animal  rationale  mortcdSy  et  secundum 
hoe  speeies  est  .  .  .  respeetu  diverso"  (Haureau  I,  p.  346  ff.;  Prantl,  G. 
d.  L  II,  138  ff.). 

IndlCerenapnnkt  s.  Indifferenz. 


504  Individualbegriifb  —  Individualpftychologie. 

IndlTldualbesrilfe  siod  Begriffe  ^  die  das  Constante,  Wesenüiche, 
CharakteristiBche  eines  Individuums,  eines  einzelnen  Gegenstandes,  von  dem  e» 
eine  Mehrheit  von  Vorstellungen  gibt,  fixieren  (z.  B.  der  Begriff  Napoleons,  der 
Erde  u.  dgl.). 

IndlTldualf^ffillle  sind  ,yQefükle,  die  eine  Bexiehung  zur  SdhsUr- 
haUtmg  xum  Beicußtsein  bringen"  (W.  Jerusalem,  Lehrb.  d.  PsychoL',  S.  155, 
vgl.  S.  156  ff.). 

IndlTlduallsleraiiig^  (ontologisohe)   s.   Individuation.   —   Eine  Indivi- 
dualisierung, Herausbildung  immer  zahlreicherer,  bewußterer  Individualitäten  ist 
die  Tendenz   der  geschichtlich-socialen,   der  Naturentwicklimg   (vgl.  Euckex» 
^Ges.  Aufs.  S.  19  ff.;  L.  Stein,  Die  sociale  Frage). 

IndlTlduallsiiiOB:  Wertung  der  Individualitat.  Der  (ontologi^he* 
metaphysische  Individualismus  behauptet  die  reale  Existenz  einer  Vielheit 
von  Individuen  (=.  Pluralismus,  s.  d.).  Der  logische  Individualismus 
meint,  es  gebe  nur  Individuelles,  nichts  Universales,  Allgemeines  (-=  Xomi- 
nalismus,  s.  d.).  Der  praktisch -ethische  Individualismus  betont  den 
Wert  des  Individuimis  als  Subject  imd  Object  des  Handelns.  Die  Fördening 
der  Individualität,  der  Persönlichkeit,  des  eigenen  und  fremden  Ich  (Egoismus. 
Altruismus,  s.  d.j  sei  Zweck  des  sittlichen  Handelns.  Der  Individualismus 
tritt  in  einer  eudämonistischen  (s.  d.)  und  in  einer  energistischen  (s.  d.)  Form  . 
auf.  Ethische  Individualisten  sind:  die  älteren  griechischen  Ethiker,  be- 
sonders die  Sophisten,  Sokrates,  Cyniker,  Kyrenaiker,  Epikureer^ 
Stoiker,  Plotin,  teilweise  das  Christentum,  die  Scholastiker,  Spinozi, 
Leibniz,  Chr.  Wolf,  Holbach  u.  a.  Femer  besonders  Fr.  Schlegel,  Stirner 
(beide  machen  das  Ich  zu  einem  Absoluten,  Selbstherrlichen),  Nietzsche, 
Mackay,  Tolstoi,  R.  Steiner  (Philos.  d.  Freih.  S.  1.54  ff.),  S.  ScHüLraE 
(Alex.  S.  12  ff.)  u.  a.  Den  Gegensatz  zum  ethischen  Individualismus  bOdei 
der  Universalismus  (s.  d.).  Der  historische  Individualismus  betrachtet 
das  Wirken  großer  Individuen  („B}minenxen*^)  als  Hauptfactor,  eigentliches 
Agens  der  Geschichte,  im  G^ensatze  zum  Collectivismus;  es  gibt  auch 
vermittelnde  Kichtimgen.    Vgl.  Individuum. 

IndiTldnalltat  {iSioTtje:  Stoiker)  heißt  die  Eigenheit,  Eigenart,  Sonder- 
art, die  Einheit  der  Merkmale  und  Eigenschaften  eines  Einzelwesens,  eise» 
Menschen,  der  Individualcharakter.  Es  kann  eine  physische  und  eine  psychische, 
auch  eine  ethische  Individualität  unterschieden  werden.  Im  engeren  Sinne  ist 
eine  yJndividtMlität"  ein  aus  der  Menge  hervorragendes  Individuum.  Solche 
Individualität  ist  nur  innerhalb  der  Gesellschaft  und  durch  social-histonsche 
Entwicklung  möglich  (vgl.  Lazarus,  Zeitschr.  f.  Völkerpsychol.  II,  279  ff.». 
Nach  SULLY  ist  Individualität  „die  besondere  Anhäufuftg  geistiger  Merkmale, 
welche  einer  Person  ihr  eigentümliches  Gepräge  gibt"  (Handb.  d.  Psychol.  S.  442,1. 
Vgl.  Individualpsychologie,  Individuum. 

IndlTldualpsjellolOgie  bedeutet:  1)  die  allgemeine  Psychologie  des 
Individuums,  die  Psychologie  des  Allgemeinen  an  jedem  Individmun,  des  Typi- 
schen in  jedem  Individuum,  also  die  gewöhnliche  Psychologie  im  Unterschit»de 
von  der  Völkerpsychologie  (s.  d.).  So  bei  Wundt,  der  unter  Individualpsycho- 
logie die  Untersuchungen  versteht,  „deren  Gegenstand  die  psychischen  Vorgänge 
des  individuellen  menschlichen  Bewußtseins  sind,  insofern  diese  eine  typische^ 


Individualpsychologie  —  Individuation.  505 

fiir  das  normale  Bewußtsein  allgemetngiätige  Bedeutung  besitzen^*  (Log.  II  2*, 
168);  2)  die  Charakterologie  (s.  d.;  bei  J.  St.  Mill,  Ribot,  Bahnsen  u.  a.),  die 
Psychologie  der  Individualitat  (des  Individuellen)  als  solcher.  So  bei  Galton 
(Inquir.  into  hum.  faciüt),  E.  Kraepelin  (Psychol.  Arbeit.  I,  1895),  Dilthey, 
BiNST  und  Henri.  y^DifferenticUpsyehologie^^,  „Psychologie  der  individuellen 
Differenxen^^  nennt  sie  L.  W.  Stern.  yyDifferenticU-psychologisch"  ist  j^diefenige 
Betrachtungsu>eise,  welche  nicht  die  in  aÜen  Individuen  ghiehen  Qesetxmäßigkeiten 
des  seelischen  Geschehens,  sondern  gerade  die  Variations formen,  in  denen  seelische 
Functionen  bei  verschiedenen  Individuen  auftreten  können,  xum  Gegenstände  hat*' 
(Zeitschr.  f.  PsychoL  22.  Bd.,  S.  13;  vgl.  Üb.  Psychol.  d.  indiv.  Differenz.  1900 
u.  Beiträge  zur  Psychol.  d.  Aussage  1903).    Vgl.  Psychologie. 

IndiTldaalarteil  (Einzelurteil)  ist  ein  Urteil,  dessen  Subject  ein  Indi- 
viduum, ein  Einzelding  ist  (dieses  S  ist  P). 

IndlTiduatlon:  Sonderung  des  Allgemeinen  in  Individuen,  Besonderung 
in  Einzelwesen.  Principium  individuationis:  das  Princip,  der  Entstehungs- 
grund der  Existenz  von  Einzelwesen,  von  Besonderheiten.  Diesen  Grund  ver- 
legt man  bald  in  die  Form,  bald  in  den  Stoff,  bald  in  deren  Vereinigung;  bald 
in  unsem  Int«llect  (in  die  Anschauungsformen),  bald  in  den  Willen,  die 
Willenskräfte  (Triebe)  der  Dinge  selbst,  die  sich  als  Einzelwesen  behaupten  und 
erhalten  (idealistische,  realistische  Auffassung  der  Individuation).  Die  In- 
dividuation  gilt  bald  als  ursprünglich,  bald  als  aus  einem  ursprünglich  All- 
gemeinen, Einheitlichen  (durch  Emanation,  Evolution,  Differenzierung,  y^AbfalV* 
ü.  8.  w.)  entstanden.    Vgl.  Werden. 

Nach  Aeistoteles  beruht  die  Individuation  auf  der  Verbindung  der 
„Form'*  (s.  d.)  mit  dem  „Stoff e'*  (s.  d.)  zu  einem  uvvoXov,  einem  Bestimmten 
(t69e  T«),  wobei  aber  der  Vielheitsgrund  im  Stoffe  liegt  {oaa  dpid'fi(^  nokXd, 
vh^v  k'x^r  sh  yap  Xoyoe  ^ni  6  avroe  nokkatv^  Met.  XII  8,  1074  a  33).  So  auch 
Avicenna:  „Individtiorum  muUiiudo  fit  amnis  per  divtsionem  materiae^^  (In 
Met.  XI,  1).  „Cmn  enim  niateria  sola  principium  sit  individuationis  et  niJiil 
sit  singulare  nisi  maieria  vel  per  materiam  .  .  .,  o?nn€s  formas  potentia  esse  in 
materia  et  per  motum  educi  de  ipsa**  (Prantl,  G.  d.  L.  III,  97).  So  auch 
Albertus  Magnus.  Thomas  bezeichnet  die  „materia  signata  vel  indimdualis*^, 
den  bestimmten  (concreten)  Stoff  (z.  B.  haec  cames)  als  ^.principium  individua- 
tionis* (Sum.  th.  III,  qu.  77,  2).  Die  „materia  sensibus  signata"*  ist  „in- 
dividuationis et  singularitatis  principium**  (1  cael.  19  b;  Sum.  th.  I,  3,  2: 
„Format,  quac  sunt  receptibiles,  in  maieria  individuaräur  per  materiam^  qiuie 
non  polest  esse  in  alio**),  „Materia  non  quotnodolibet  accepta  est  principium 
individuationis,  sed  solum  materia  signata"  (De  ente  et  ess.  2).  Nach  Bona- 
VKNTUEA  gibt  die  Form  das  „aliquid  esse**,  der  Stoff  das  „fioe  esse**  (In  1.  sent. 
III,  1,  1,  3).  „Individitatio  est  ex  communicatione  materiae  cum  forma**  (1.  c. 
III,  10,  1,  3).  In  die  Form  setzt  die  Individuation  DuNS  ScoTUS.  Die  Form 
macht  die  „quidditas**  zur  ,Jtaeccettas**  (s.  d.)  (In  1.  sent.  2,  dist.  3,  qu.  6,  11). 
„ünitas  individui  consequitur  aiiqiiam  eniitatem  aliam  deierminantem  istam,  et 
Ula  faciet  unum  per  se  cum  entitate  naturae"  (1.  c.  2,  d.  1,  3,  qu.  6,  9).  Der 
Nominalismus  (s.  d.)  setzt  die  Individuation  in  das  Dasein  des  Wesens  selbst, 
nicht  in  ein  Universales,  das  zum  Individuum  erst  determiniert.  Wilhelm 
VON  OCCAM  betont:  „Qiutelibet  res  singularis  se  ipsa  est  singularis^  unum  per 
s&*  (vgl  Prantl,  G.  d.  L.  III,  359  f.).  Es  gibt  in  Wirklichkeit  nur  IndividueUes: 


506  Individuation  —  Individuum. 


yjQmnis  res  poMtiiva  extra  animani  eo  ipso  est  singularis^^  (In  l.  sent.  1,  d.  2, 
qu.  7).  Wie  G.  BiEL  (In  1.  sent  2,  d.  3,  qu.  1)  erklärt  Buabez:  ^jOnrnü  n^ 
stantia  singularis  se  ipsa  seu  per  entxtaiem  suam  est  sitigularis  neque  aUo  im- 
diget  individueUtonis  principio  per  suam  entitaiem^^  (Met.  disp.  5,  sct.  6,  \\. 
Ähnlich  Petrus  Aukeolus,  F.  Herveüs  (In  quodL  3,  qu.  9),  Grexk>b 
VON  RiMiNi,  Durand  von  St.  P0UR9AIN,  Nioolaus  Cusanus  ^„trf  quodlibd 
per  se  sit  unum^\  Doct  ignor.  III,  4),  P.  Stahl  (Oomp.  met  C.  35),  Leibbiz 
(De  princ.  indiv.  §  4).  Spinoza  hingegen  betrachtet  die  Determination  (a.  d.). 
die  individuelle  Bestimmtheit  als  „Negatum^^,  Einschränkung  des  Allgemeinen 
ft,omnis  determincUio  est  negatio^*).  Die  Betrachtung  des  Alls  als  Summe  nw 
Individuen  ist  die  Erkenntnisart  der  y,imaginati&\  nicht  d^  speculativen  Ver- 
nunft. Chr.  Wolf:  „Per  principium  individuattonis  itUeUtgitur  ratio  suffi- 
cientis  intrinseca  individui  .  .  .  cur  ens  cUiquod  fit  s%tigular&'  (OntoL  §  228  L\. 

Nach  Eckhart  liegt  das  Individuationsprincip  in  der  raum-zeitlichen  Be- 
stinuntheit^  im  ^^hie  et  nun&^.  Nach  Locke  ist  das  Individuationsprincip  ,4iat 
Dasein  seihst^  tceleJies  einem  Dinge  für  eine  besondere  Zeit  und  Raumstelle  be- 
stimmt  lüird,  indem  diese  xwei  Dingen  derselbefi  Art  nicht  zugeteilt  werden 
können**  (Ess.  II,  eh.  27,  §  3;  vgL  Identitatis  indiscemib.  princ:  Kant).  Nach 
HuMB  ist  das  Princip  der  Individuation  y,nickts  als  die  Unreränderlichkeit 
und  Ununterbroehenheit  eines  Gegenstandes  tcährend  des  vofi  u$is  an- 
geno^nmenen  Wechsels  in  der  Zeit,  vermöge  welcher  der  Oeist  dem  Objeet  in  deu 
verschiedenen  Momenten  seiner  Existenz  nachgehen  kann,  ohne  die  Betraehtum^ 
XU  unterbrechen  und  gexirungen  xu  sein,  die  Vorstellung  der  Mehrheit  oder  An- 
zahl XU  bilden"  (Treat.  IV,  sct.  2,  S.  268). 

Schopenhauer  betrachtet  (wie  der  idealistische  Pantheismus,  s.  d.)  die 
Individuation  nicht  als  metaphysische,  sondern  nur  als  empirisch-phänomenale 
Tatsache,  als  Product  unserer  subjectiven  Auffassung  des  Seins.  Raum  und 
Zeit,  die  Anschauungsformen,  sind  „prineipia  individuaiionis**  (W.  a.  W.  n. 
V.  I.  Bd.,  §  63).  „Wir  wissen,  daß  die  Vielheit  überhaupt  notwendig  durch 
Zeit  und  Raum  bedingt  und  Jiur  in  ihnen  denkbar  ist,  welche  wir  in  dieser 
Hinsicht  das  principium  individtuUionis  nennen"  (L  c.  §  25).  „Die  Individuatum 
ist  bloße  Erscheinung,  entstehend  mittelst  Raum  und  Zeit,  welche  nichts  tteitfr 
als  die  durch  mein  cerebrales  Erkenntnisvermögen  bedingten  Formen  aller  seiner 
Objede  sind;  daher  auch  die  VieUieii  und  Verschiedenheit  der  Indiridtten  bloße 
Erscheinung,  d.  h.  nur  ifi  meiner  Vorstellung  vorhanden  ist*'  (Üb.  d.  GnmdL 
d.  Mor.  §  22).    Der  „Wille  ^um  Leben"  (s.  d.)  ist  Einheit. 

J.  H.  Fichte  verlegt  den  Individuationsgrund  in  den  Willen.  „Das  Denkern 
ist  das  Allgemeine,  xugleich  gemeinsam  Machende  (der  xoivoq  Xoyoi)  in  den 
Geistern;  der  Wille  das  Individualisierende  in  ihnen,  xugleich  der  Orund 
ihrer  iftdividuellen  Sonderung^^  (Psychol.  II,  79).    VgL  Vielheit 

IndlTldamn  (das  Unteilbare,  gr.  azofiov):  Einzelwesen,  Elinzelnes.  Meta- 
physische Individuen  sind  Wesen,  die  an  sich  eine  von  anderen  Wesen  unter- 
schiedene, gesonderte  Existenzweise  haben.  Empirisches  Individuum  ist  jed^ 
durch  das  Denken  als  relativ  selbständige,  raumliche,  zeitliche,  causale  (£[rafi-) 
Einheit  Bestimmte.  —  Die  menschlichen  Individuen  sind  in  steter  Wechsel- 
wirkung mit  der  Gesamtheit,  aus  der  sie  sich  ursprünglich  herausdifferenzieren« 
um  dann,  besonders  in  den  großen  Individualitäten  („Emineftxen",  ,fökrendem 
Geistern" f  „Heroen")  auf  die  sociale  Gemeinschaft  zurückzuwirken.     Das  In- 


Individuum.  507 


dividuum  ist  nicht  älter  als  die  Gesellschaft,  bildet  sich  nur  in  ihr  aus,  wenn- 
gleich es  einen  ursprünglichen  Kern  hat^  der  nicht  social,  sondern  psychologisch- 
metaphysisch  bedingt  ist. 

Der  Begrüf  des  Individuums  wird  schon  von  Seneca  formuliert:  y,Quaed4im 
separari  a  quibusdam  non  possurU,  eohaerent,  individtta  sunt**  (De  provid.  5). 
Porphyr  sagt  (in  der  IsagOg.):  aio/ia  Xiyerai  xa  roiavra,  Sri  iS  idiOTtjrcar 
cwt<rcTiicev  ixaarovt  (^  t6  a&potGua  ovx  av  in  aX).ov  rivos  noie  ro  avro 
yivono  r4»r  xara  fid^os.  BofiTHlus:  ^^Dtcüttr  individumn,  quod  omnino  secari 
ncfi  polest j  tä  umtos  vd  mens;  dicüur  indwiduMm,  quod  ob  solidüatem  dividi 
nequü,  ut  adamas;  dieitar  individuum,  euitts  praediecUto  in  rdiqua  simUia  non 
eonvenäf  ut  Soorates**  (Comm.  zur  Isagog.  1570,  p.  65).  Die  Scholastiker 
verstehen  unter  dem  Individuum  das  „ens  omnimodo  determifiatum^K  Thomas: 
,^Individuum  .  .  .  est,  qtiod  est  in  se  indistifietum,  ab  cUiis  vero  distinetum^^ 
(Sum.  th.  I,  29,  4  c).  Nach  DuNS  ScoTUS  ist  die  Individualitat  (^jkaeceeäas**) 
die  y^entitas  positiva*^, 

Thomasius  bestimmt:  „hidividimm  estj  quod  constat  ex  proprietatibuSy 
quanttn  coüeetio  fiumquam  in  alio  eadetn  esse  potest*'  (Eucken,  Grundbegr. 
S.  187).  Chr.  Wolf:  „Individuum  est,  quod  omnino  determinatum  est^^  (OntoL 
§  227).  jfQuicquid  sensu  percipimus,  sive  extemo,  sive  intemo  aut  imitgitiamur, 
id  singulare  quid  est  soletqtte  individuum  appellari"  (Philos.  rat.  §  43).  Nach 
J.  £b£RT  ist  Individuum  „ein  wirkliches  oder  einzelnes  Ding*^  (Vemunftl.  §  8). 
Plati^er  erklart:  „Ein  Individuum  im  eng  er  n  Verstände  ist  ein  Korper, 
tceleker  sich  unsem  Sinnen  darstellt  als  ein  besonderes,  meistens  auch  durch 
Gestalt,  Größe  und  Farbe  bestimmtes  Ganzes"  (Philos.  Aphor.  I,  §  215).  „Ein 
Individuum,  im  weiteren  Verstände  ist  .  ,  .  ein  Teil  eines  gewissen  allgemeinen 
materiellen  Ganzen^*  (1.  c.  §  216).  J.  E.  Erdmaitn  nennt  Individuum  „ein 
geistiges  Wesen,  welches  das  natürliche  Dasein  hat,  das  man  Leben  nennt**  (Gr. 
d.  PsychoL  §  13).  C.  H.  Weisse  zahlt  das  „Individuum^*  zu  den  Kategorien 
des  Mafies.  Es  ist  ein  „Unteilbares,  aber  nicht  Teilloses",  „bedingt  durch  sein 
Bestehen  das  Bestehen  der  Teile  und  wird  umgekehrt  durch  die  Teile  bedingt". 
Es  ist  „ein  dialektisch  aufgehobenes  Quantum"  (Grdz.  d.  Met.  S.  216  ff.). 
Ulrigi  betont,  „daß  den  Exemplaren,  wenigstens  der  höheren  Tierarten  und 
namentlich  des  Menschengeschlechts,  ein  ursprünglicher  Keim  der  Individualität 
einwohnt,  der  zwar  unter  der  Gesetzeskraft  des  Gattungsbegriffs  steht  und  daher 
gemäß  dem  normativen  Typus  desselben  sich  entwickelt,  aber  ihn  in  und  mit 
seiner  Entwicklung  zugleich  modificiert"  (Qott  u.  d.  Natur  S.  597).  Nägeli: 
„In  physiologischer  Hinsieht  ist  da^^enige  als  iftdividuell  zu  betracfäen,  was 
selbständig  für  sieh  leben  kann"  (Die  Individual.  in  d.  Nat  1856).  Schuppe 
erklart:  „Das  concret  Wirkliche  ist  das  Individuelle  .  .  .  Individuum  ist 
etwas,  was  nicht  etwa  tatsächlich,  sondern  nach  seinem  Begriffe  einzig  ist,  nur 
einmal  da  sein  kann"  (Log.  S.  79  f.).  „Coneretum  oder  Individuum  ist  .  .  . 
zunächst  nur  der  von  einer  Qualität  erfüllte  Baum-  und  Zeitteil"  (1.  c.  S.  80; 
vgL  S.  115). 

Nach  dem  Pluralismus  (s.  d.)  gibt  es  absolute  Individuen.  Der  Pan- 
theismus (s.  d.)  betont  die  Relativität,  bezw.  die  Phanomenalität  der  Individuen 
als  solcher.  Nach  Schopenhauer  ist  jedes  Individuum  und  dessen  Lebens- 
lauf „nur  ein  kurzer  Traum"  des  unendlichen  Willens  zum  Leben  (W.  a.  W. 
u.  V.  I.  Bd.,  §  58).  Nach  Lotze  sind  alle  Seelen  individuell  verschieden  (Kl. 
Sehr.  I,  242;  Met.  S.  379).     Nach  J.  H.  Fichte  wird  der  Geist  Individuum 


508  Individuum  —  Induction. 

j,di4rck  eigene  Tat,  durch  den  ihn  individuaiisierenden  Trieb  (Wtüen/*  (PsychoL 
I,  140).  Nach  E.  v.  Hartmann  sind  die  Individuen  yyobfeetiv  gesetxie  Er- 
8cheinungen'\  „gewollte  Gedanken  des  Unbeunißten  oder  bestimmte  WillengatU 
desselben''  (Philos.  d.  Unbew.»,  S.  599).  Nach  A.  Drews  ist  die  Realität  d« 
Individuums  keine  Substantialitat.  „/>ßr  Kern  des  Indiridtmms  ist  der  IFÄfe, 
aber  dieser  ist  ebensogut  zugleich  auch  Wille  eines  absoluten  Wesens.  £ku  In- 
dividuum ist  Erscheinung,  aber  das  Wesen  dieser  Erscheinung  ist  in  ailen  In- 
dividuen identisch''  (Das  Ich  S.  316).  Die  Individuen  sind  „dienenek  OHedar 
xur  Vencirkliehung  des  absoluten  Zweckes"  (1.  c.  8.  320).  '—  Die  relative 
Selbständigkeit  der  Individuen  betont  O.  Caspari.  Sie  haben  etwas  rektiv 
Undurchdringliches  an  sich,  sind  relativ  autonom,  bilden  aber  zusammen  cid 
Weltsystem  („ConstitutioncUismus",  Zusammenh.  d.  Dinge  S.  431  f.).  L.  W. 
Stern  :  „Jedes  Individuum  ist  etwas  SinguläreSy  ein  einzig  dastehendes,  nirgends 
und  niemals  sonst  vorhandenes  Oebilde.  An  ihm  betätigen  sich  wohl  aetriste 
Oesefxmäßigkeiten,  in  ihm  verkörpern  sich  wohl  gewisse  Typen,  aber  es  geht 
nicht  restlos  auf  in  diesen  Oeseixmäßigkeiien  und.  Typen;  stets  bleibt  noch 
ein  Plus,  durch  welches  es  sich  von  anderen  Individuen  unterscheidet^  die  den 
gleichen  Gesetzen  und  Typen  unterliegen.  Und  dieser  letzte  Wesenskem^  der  da 
bewirkt,  daß  das  Individuum  ein  Dieses  wid  ein  Solches,  allen  anderen  <iurckaui 
Heterogenes  vorstellt;  er  ist  in  fachteissenschaftlichen  Begriffen  wutusdrückbar^ 
unekusifieierbar,  ineommensurabel.  In  diesem  Sinne  ist  das  Individuum  ein 
Orenzbegriff,  dem  die  theoretische  Forschung  zwar  zustreben,  den  sie  aber  nie 
erreichen  kann;  es  ist,  so  kö^nnte  man  sagen,  die  Asymptote  der  Wissenschaft' 
(Üb.  PsychoL  d.  individ.  Differ.  1900,  u.  Beitr.  zur  Psychol.  d.  Aussage,  I.  H., 
S.  17). 

Der  historische  Individualismus  (s.  d.)  sieht  in  den  großen  Persönlidikeiteii 
die  eigentlichen  Factoren  der  Geschichte.  So  z.  B."  Carlyle,  der  die  „Äsitwi" 
aufs  höchste  vrertet  (Heros  and  Hero  Worship  1841).  Der  extreme  Colkcti- 
vismus  wiederum  betrachtet  das  Individuimi  als  passives  Glied  der  Gesellschaft, 
als  Product  der  f,  Umwelt",  des  „Milieu".  So  besonders  L.  Gümplovicz  (Gr. 
d.  Sociol.  1885;  Der  Bassenkampf  1883).  Eine  vermittelnde  Richtung  betoit 
die  Notwendigkeit  des  Zusammenwirkens  der  Individuen,  der  großen  Persönlich- 
keiten und  der  Masses  des  Milieu  (z.  B.  Eucken,  Kampf  u.  ein.  geist  LebensinL 
S.  278  f.).  So  bemerkt  Wundt  :  „  Überall  wird  der  einzelne  getragen  ron  dem 
QesamtgeistCy  an  dem  er  mit  alt  seinem  Vorstellen,  Fühlen  und  WoUen  ieä^ 
nimmt.  In  den  führenden  Geistern  aber  .  .  .  verdichtet  sich  der  gesamte  IVoeeß 
der  zurückgelegten  Enitvieklung,  um  Wirkungen  zu  erzeugen^  die  nun  dem  Gt- 
samtgeist  neue  Bahnen  aniceisen"  (Eth.>,  S.  491, 458  ff.).  Das  isolierte  Individuum 
hat  nie  existiert  (1.  c.  S.  453).  —  Am  Milieu  (s.  d.)  schafft  das  große  Individuum 
selbst  (Lindner,  Geschichtsphilos.  S.  55).  Die  große  Persönlichkeit  sieht  mehr, 
urteilt  richtiger,  fühlt  tiefer,  will  kräftiger,  ist  origineller,  idealistischer  als  die 
Masse  (P.  Barth,  Philos.  d.  Gesch.  I,  222;  Goldfriedrich,  Ideenlehre 
S.  523  ff.).    Vgl.  Ding,  Gesamtgeist,  Individuation,  Vielheit,  Persönlichkeit 

Induction  (inaycDyri,  inductio)  heißt  die  Methode  der  Gewinnung  all- 
gemeiner Sätze  durch  (Inductions-)  Schluß  vom  Besondern,  Particularen  aufs 
Generelle.  Die  Induction  {„inductive"  oder  y,analytische"  Methode)  dient  xur 
Aufstellung  von  Gesetzen  (s.  d.)  auf  Grundlage  der  (exacten)  Vergleichung  einer 
Beihe  von  Fällen,  mit  Berücksichtigung  der  „negativen  Instanzen"  (s.  d.),  unter 


Induction.  509 


Anwendung  des  „Äussehlußrerfahrens^^  (3.  d.)  und  ev.  des  Experiments,  und 
mit  Heraushebung  des  für  eine  Belhe  von  Erscheinungen  Typischen,  Begei- 
mäßigen,  Constanten.  Voraussetssung  jeder  Induction  ist  die  (durch  Erfahrung 
erhärtete)  Denkfordenmg,  daß  Gleiches  (Identisches)  sich  unter  gleichen  Be- 
dingungen gleich  verhalte,  d.  h.  daß  die  Dinge  ihre  Natur,  ihre  substantiale 
Wesenheit  zu  allen  Zeiten  und  in  allen  Bäumen  bewahren,  und  damit  auch 
ihre  Wirkungsweise.  Die  Voraussetzung  (Forderung)  einer  Gesetzmäßigkeit 
überhaupt  liegt  aller  Induction  zugrunde.  Die  Induction  setzt  sich  zusammen 
aus  vergleichender  Beobachtung,  Greneralisation  und  Verification  des  Gefundenen. 
Da  die  Inductionen  immer  nur  auf  einer  b^renzten  Zahl  von  beobachteten 
Fällen  beruhen,  da  femer  in  die  Beobachtung  Fehler  sich  einschleichen,  Fac- 
toren  eines  Geschehens  übersehen  werden  können  u.  dgl.,  so  kommt  ihnen  nur 
Wahrscheinlichkeit,  niemals  absolute,  apodiktische  Gewißheit  zu.  —  Es  gibt 
eine  „voÜständige^*  und  eine  „unvollständige**  Induction  („indueiio  eompleta,  in- 
eompleta**,  erstere  besonders  in  der  Mathematik),  eine  naive,  vage  („induetio 
per  enumerationem  simplicem")  imd  eine  kritische,  die  negativen  Instanzen  be- 
rücksichtigende Induction. 

Alß  Fortgang  vom  Einzelnen,  Concreten  zum  Allgemeinen,  Begrifflichen 
übt  das  inductive  Verfahren  bewußt  schon  Sokbates:  Er  sucht  rovs  riTtax- 
Tixove  Xoyovg  xai  to  oQit^sa&ai  %a»6Xov  (Aristot.,  Met.  XIII  4,  1078  b  28);  isti 
TJjy  vTiod'eaiv  iTtavrJYBV  av  Ttdvra  rov  Xoyov  .  .  .  ovrot  de  rcav  koyeav  inava- 
yofjiivonf  xal  rote  dvrtl^yovüiv  avrois  tfavsQov  iyiyvezo  rdXrjd'ie  (Xenoph.,  Memor. 
IV,  6,  13  ff.;  vgl.  III,  3,  9).  Plato  bedient  sich  desselben  Verfahrens,  mit 
Hinzunahme  der  V7i69'£ctg  (s.  d.).  Akistoteles  definiert  die  Induction  (ina- 
yi»yfi)  als  ^  dno  tcSv  xad**  ixaarov  ini  rd  xa&okov  itpoSoi  (Top.  I  12,  105 a  13). 
Der  Inductionsschluß  (s.  d.)  wird  formuliert.  Wissenschaftlich  ist  nur  die  voll- 
ständige Induction  (inayioyrj  Sid  ndvjtov^  Anal.  pr.  II  23,  68  b  15).  Den  Wert 
der  Induction  kennen  die  Epikureer  (vgl.  Gompebz.  Herculan.  Stud.  H.  1). 
Den  Begriff  der  „induction*^  formuliert  Cicero:  „Sunt  .  .  .  similitudineSy  quae 
ex  pluribus  coUatumUms  perveniunt,  quo  volunt^  hoc  modo:  Si  ttäor  fidem  prae- 
Stare  debet^  si  socius,  si  cui  mandariSf  si  qui  fidueiam  aceeperitj  debet  etiam 
proeurcUcr.  Haee  ex  pluribus  perveniens  quo  vult  appeUatur  induetio^  quae 
graece  inaytoyri  nomincUur^  qua  plurimum  est  usus  in  sermonibus  Soerates*' 
(De  invent  I,  61).  „Induetio  est  oratio,  quae  rebus  non  dubiis  captat  assen- 
sianes  eius,  quoeum  instiiuta  esty  quibus  assensianibus  faeit,  ut  illi  dubia  quae- 
dam  res  propter  similitudinem  earum  rerum,  quibus  assensit,  probetut**  (1.  c. 
I,  31,  51).  Geg^  die  Berechtigung  des  inductiven  Verfahrens  treten  die 
Skeptiker  auf.  Die  Induction  kann  nicht  alle  Fälle  berücksichtigen;  berück- 
sichtigt sie  aber  nur  einige  Fälle,  so  ist  möglich,  daß  der  Verallgemeinerung 
einige  nicht  berücksichtigte  Fälle  entgegentreten  (Sbxtus  Ebcpibicüs,  Pyrrh. 
hypot  II,  15). 

Eine  Definition  der  „induetio*'  gibt  Bo^mus:  yjnduetio  est  oratio,  per 
quam  fit  a  partieularibus  ad  universcUia  progressio**  (De  differ.  topic.  II,  418). 
Nach  Thomas  (und  den  Scholastikern  überhaupt)  wird  in  der  „induetio** 
geschlossen  das  „universale  ex  sitigularibus,  quae  sunt  manifesta  ad  sensum** 
(1  anal.  1  c).  Unterschieden  werden  „induetio  eampleta**  imd  „incompleta** 
(1  anal.  1  d).  Nach  W.  von  Occam  ist  die  „induetio**  eine  „a  singularibus  ad 
unicersaie  progressio**,  deren  Begel  lautet:  ,ySi  omnes  singtäae  alicuius  pro- 
posiiionis  sint  verae,  universalis  est  vera**  (Pkantl,  G.  d.  L.  III,  418  f.). 


510  Induotion. 


Erst  in  der  neueren  Zeit  kommt  das  eigentliche  (nicht  bloß  begrifflidi-) 
inductive  Verfahren  zur  Geltung.  Eine  Theorie  der  naturwissensehaftüclien 
Induction  gibt  (der  auf  Plato  sich  beziehende)  F.  Bacok,  welcher  das  sjUo- 
gistische  (s.  d.)  Verfahren  bekämpft,  zugleich  aber  die  echte,  wissenschaftliche 
Yon  der  vag-empirischen  Induction  imterscheidet  und  auf  eine  wohlgeoidiiete 
„Tafel  der  hutanxen*^  hohen  Wert  l^t.  y,In  logica . .  .  vtdgari  opera  fere  tuti- 
versa  circa  syllogistnum  eonsumitur.  De  inductione  vero  diaJectiei  rix  seri» 
eogitasse  videniur,  levi  mentione  eatn  trantmittentes  et  ad  dispuiandi  fonmdos 
praperantes,  At  nos  demanstrationem  per  syllogistnum  reieimus  .  .  .  hidueUtm^ 
per  omnia  et  tarn  ad  minores  propositiones,  quam  ad  maioreSf  utimur,  IndMe- 
tianem  enim  censemus  eatn  esse  demonstrandi  formam,  quae  sensum  tuetur  ft 
naiuram  premit  et  operibus  imminet  ac  fere  immiseetur**  (Nov.  Organ,  distr. 
op.  p.  4).  „Seeundum  tws  axiofnata  continenter  et  gradatim  exeOaniur^  ut 
nonnisi  pastremo  loco  €ui  generaiissima  veniatur  ...  Ät  in  forma  ipsa  quoqm 
induetionis  et  iudieio,  quod  per  eam  fit,  opus  longe  maadmum  fnot?emus,  Ea 
enim^  de  qua  dialeetiei  loquuntur^  quae  proeedit  per  enufneraOonem  siffiplieent^ 
puerile  quiddam  est  et  praecario  concludit  et  pericula  ab  instantia  conin- 
dictoria  eocponitur  et  consueta  tatitum  intuetur;  nee  exitum  reperif*  (ib.),  ^i- 
qui  opus  est  ad  seientias  induetionis  forma  tali,  quae  eaperientiam  sohat  H 
separet  et  per  eocclusiones  ae  reiectiones  debitas  neeessario  eoneludat^  {ihX 
„Spes  est  una  in  induetione  vera^*  (L  c.  I,  14).  „Fiat  instruetio  et  coordifiatie 
per  tabulas  inteniendi  idoneas  et  bene  disposiias^*  (1.  c.  102).  „De  seientiis 
tum  demum  sperandum  est,  quando  per  scaiam  teram  et  per  gradus  C€mtiHUos 
et  non  intermissos  aut  hiulcos  a  particularibus  aseendetttr  ad  axiomata  minore 
et  deinde  ad  media,  alia  aliis  superiora,  et  postremo  demum-  ad  generalissimtt 
(1.  c.  104).  „Inductio,  quae  ad  inventionetn  et  demonstrationem  scienJtieu^tm  ff 
artium  erit  utilis,  naturam  separare  dettet  per  reiectiones  et  exetusiones  dfintas: 
ac  deinde  post  negativas  tot,  quot  sufficiunt,  stiper  affirmatiras  eoneludere;  quod 
adhuc  factum  non  est,  nee  tentatum  certe,  nisi  tantummodo  a  PiatonCy  qui  ad 
exeutiendas  deßnitiones  et  ideas  hac  certe  forma  induetionis  aliquatenus  utitut* 
(1.  c.  105). 

Eine  Definition  der  Induction  gibt  die  Logik  von  Port-Koyal:  „Indudio 
fit,  cum  ex  rerum  particularium-  nofitia  dedueimur  in  eognitionem  reritatif 
generica^*  (1.  c.  III,  19).  Hume  führt  die  Induction  auf  Gewohnheit  zurück 
(Enquir.  sct.  IV,  V).  Nach  Beid  fußt  alle  Induction  auf  dem  Satze,  daß 
gleiche  Wirkungen  gleiche  Ursachen  haben  müssen  (Inquir.  II,  sct.  241 
Princip  der  Induction  ist,  „tkat,  in  ihe  pkenofnena  of  nature,  what  is  to  be^  tciil 
probably  be  like  to  uhat  Jias  been  in  simHar  circufnstanees".  Das  ist  ein  Princip 
des  „comtnon  sens^^  (s.  d.)  (Ess.  on  the  Intell.  Pow.  of  Man  VI,  eh.  4  i.\ 
Kant  schreibt  dem  durch  Induction  Gefundenen  nur  „comparaitive  Allgemein- 
keif*  zu  (s.  a  priori,  Erfahrung)  (so  auch  O.  Lebbmann,  AnaL  d.  WiIkL^ 
B.  235  u.  a.).  Auf  die  Voraussetzung  der  Gesetzmäßigkeit  der  Natur  gründet 
die  Induction  G.  E.  Schulze:  „Haben  urir  .  .  .  beobachtet,  daß  ein  bejahendes 
oder  verneinendes  Merkmal  rieten  Einxeldingen  einer  Art  zukomme,  so  sind  irir 
in  Rücksicht  auf  das  vorausgesetxte  gesetzmäßige  Verfahren  der  NatMtr  in  der 
Verbindung  getvisser  Beschaffenheiten  der  wirklichen  Dinge  geneigt  anzunehmen, 
dasselbe  Merkmal  werde  auch  in  allen  übrigen  Einxeldingen  der  Art  torhandm 
sein,  ob  es  gleich  darin  fweh  nicht  wahrgenommen  worden  isf^  (Gr.  d.  allg.  LogA 
S.  180).    Bachmann  betont:   „Die  allgemeine  Gesetzmäßigkeit  des  idealen  und 


I 

] 


Indnction.  511 


recUen    Seins  ist  ,  .  .  ein  notwendiges  PostuleU  unserer    Vernunft^  ohne  welches 
unser    ivissensehaftliches  Streben  sich  selbst   vernichten   trürde^*  (Syst.  d.  Log. 
B-  326  ff.).    Nach  Apelt  ist  die  Induction  formell  ein  disjimctiver  Vernimft- 
ecUuß.     Sie  gründet  sieh   auf  einen  angeborenen   Hang  der  Vernunft  nach 
E^iolieit  luid  Zusammenhang  ihrer  Erkenntnisse.     Die  Allgemeingültigkeit  der 
induedonsmäßig  gewonnenen  Gesetze  beruht  auf  apriorischen  Principien  (Theor. 
d.  Induct.  S.  17  ff.).    Ahnlich  Whewell^  der  die  Induction  auf  ,Jundament(d 
ideat^^    fundiert,   welche  das  Denken  in  die  Erfahrungen  legt  (Histor.  of  the 
Ind.  Science  1840).     Auf  die  Deduction  führen  die  Induction  zurück  W.  Ha- 
lai^TOK  (Lect.  on  Log.  I«,  319  f.),  Trendelenburg  (Log.  Unters.  II«,  363, 
370  f.),  LoTZE  (Log.  §  101  f.).  —  J.  St.  Mill  erblickt  in  der  Induction  das 
methodische  Fundament  alles  Wissens  (Log.  I,  169).     Sie  ist  ,^i^enige  Ver* 
siandesopercUion,  durch  welche  tcir  sehließen,  daß  dtufenige,  tcas  für  einen  be- 
sonderen Fcdl  (oder  Fälle)  wahr  ist,  auch  in  allen  Fällen  wahr  sein  tcird,  welche 
jefMefn  in  irgend  einer  nachweisbaren  Bexiehung  ähnlich  sind^^  (1.  c.  III,  C.  2, 
§  1).     Jede  Induction  laßt  sich  in  der  Form  eines  Syllogismus  darstellen,  dessen 
Obersatz  unterdrückt  ist  und  selbst  eine  Induction  ist  (1.  c.  III,  S.  364).    Die 
Induction  beruht  auf  der  „natürlichen  Neigung  des  Geistes,  seine  Erfahrungen 
ma  ffeneralisieren^*^  (L  c.  S.  367).    Die  Voraussetzung,  ,,daß  der  Gang  der  Natur 
gleichförmig  ist*',  ist  das  Axiom   der  Induction,  beruht  selbst  auf  einer  aU- 
gemeinsten  Induction  (1.  c.  S.  363  ff.).     Nach  Jeyons  kommt  den  Inductions- 
uiteilen   nur  Wahrscheinlichkeit  zu,    indem  das    inductive  Denken   nur   ein 
8peeialfall    des   Wahrscheinlichkeitsschlusses    ist.      Die    „imperfeet   induction^* 
„tnerely   unfolds  the  information  contained  in  past  Observation  or  events;  it 
merely  renders  eacplieü  what  tc€u  implicit  in  previous  experienee,    It  transtnutes 
knowledge,  but  certainly  does  not  create  knowledge^  (Princ.  of  Science  I,  168  f.); 
„tft  inductive  just  as  in  deductive  reasoning,  the  conclusion  never  passes  beyond 
the  premisses**  (1.  c.  I,  251).    „Naiure  is  to  us  like  an  infinite  baüot-box,  the 
eonietU  of  whieh  are  being  continuaUy  drawnj  ball  afler  bau,  and  exhibited  to 
US.     Science  is  but  the  careful  Observation  of  the  succession  in  which  baUs  of 
various  charaeter  usually  present  themselves;  we  register  the  combinations,  notice 
those  whieh  seem  to  be  excluded  from  oeeurrence,  and  from  the  proportional  fre- 
quency  of  those  whieh  usually  appear  we  infer  the  probable  charaeter  of  future 
drawing"'  (1.  c.  I,  169;  vgl.  I,  292  ff.).     Dagegen  erklart  G.  Heymans:   „Die 
Wahrscheinlichkeitstheorie  ist  ein  für  allemal  außerstande,  inductives  Denken  xu 
erklären,  weil  das  nämliche  Problem,  welches  dieses  in  sich  birgt, 
auch  in  der  .  .  .  empirischen  Anwendung  jener  enthalten  ist.    Denn 
hier,   genau  so  wie  dort,  geht  die  Schlußfolgerung  über  das  in  den  Prämissen 
Gegebene  hinaus'^  (Ges.  u.  Eiern,  d.  wiss.  Denk.  S.  290  ff.).    Die  Voraussetzung 
von    der  Unveränderlichkeit  des  Bestehenden   liegt  aller  Induction   zugrunde 
(L  c.  S.  402  f.).     Nach  B.  Erdmann  setzt  die  Induction  voraus,  daß  gleiche 
Ursachen  gleiche  Wirkungen  hervorbringen,  und  daß  gleiche  Ursachen  gegeben 
sind   (Log.  I,  580  ff.).     Der  Grundsatz   der   Induction  ist   ein   „Posttdai  des 
Vorherunssens*'  (1.  c.  S.  586),   das   sich   in   der  Erfahrung  bewährt  hat  (1.  c. 
8.  587 ;  vgl.  S.  569  ff.).    Nach  E.  v.  Hartmann  hangt  der  Wert  der  Induction 
davon   ab,   ,^aß  wir  eindeutig  determinierende  causale  Bexiehungen  xu  con- 
statieren  vermögen"  (Kategorienl.  S.  298).  Induction  und  Deduction  reconstruieren 
reale  Verhaltnisse  ideell,  indem  sie  dieselben  aus  ihrer  ideellen  Implication  re- 
explicieren  (1.  c.  S.  307).     Ihre  eigenartige  Bedeutung  für  das  Erkennen  liegt 


512  Induccion  —  Inductives  Verfahren. 


„in  dem   leitenden  Gesichtspunkt   der  Ausschließung   des    Widerspruchs^'  (L  c 
ß.  308).    Hagemann  betont:   ,fDie  Orundvoraussetxung  für  jede  ratianeiie  In- 
duetion  ist  die  Gewißheit,  daß  in  der  l^atur,  detn  eigentlichen  Berddu  dir 
Induetum,  Oesetxmäßigkeit  herrscht,  und  daß  dieselben  Gründe  die- 
selben Folgen  bewirken^^  (Log.  u.  Noet.«,  S.  103  f.).     Nach  Sigwaät  ist 
die  Induction    eine  Umkehrung   des   Syllogismus   (Log.   II,  402   ff.).     Nach 
WüNDT  ist  die  elementare  logische  Form  der  Induction  der  „  Verbindunffssekiuf' 
(Schluß  der  dritten  Aristotel.  Figur).     Die  inductive  Methode  sucht  erstex 
jjiurch  eine  mannigfach  wechselnde  Benutzung  d&r  analytischen  und  syniheHseken 
Methode  die  DetUungen  der  Tatsachen  xu  beschränken^^,    yyZweitens  nimmt  sie 
eine  einzelne  Deutung,  die  sich  ihr  als  möglich  darbietet,  hypothetisdi  als  wirkUck 
an,  um  die  daraus  sieh  ergebenden  Folgerungen  xu  entwickeln  und  em  der  &- 
fahrung  xu  prüfen."     „Als  das  Resultat  einer  Induction  ergibt  sieh   stets  ein 
allgemeiner  Satx,   tpelcher  die  einxelnen    Tatsachen  der  Erfahrung,    die  xu 
seiner  Ableitung  gedient  haben,  als  specieUe  Fälle  in  sich  enthalt.    Einen  sokkm 
Satx  nennen  wir  ein    Gesetx.      Wie  die    Constanx  der    Obfecte  unserer  Bf- 
obachtung  die  Bedingimg  ist  für  die  Abstraction  von  Gattirngsbegriffen,  so  üi 
die  Regelmäßigkeit  des   Geschehens  die  Bedingung  für  die  Induction    von  Qt- 
setxen"  (Log.  II»  22).     Nach  dem  Grade  der  Allgemeinheit  sind  drei  Stnfen 
der  Induction  zu  unterscheiden :  „1)  Die  Auffindung  empirischer  Gesetx^Cj  2)  dv 
Verbindung  einxelner  empirischer  Gesetxe  xu  allgemeineren  I^fahrungsges^ien, 
und  3)  die  Ableitung  von  Causalgesetxen  und  die  logische  Begründung  der  2U- 
sachefi^^  (L  c.  S.  23).     Die  allgemeine  logische  R^el  der  physikalischen  In- 
duction lautet:   „Unter  den  eine  Erscheinung  begleitenden  Umständen  sind  die- 
jenigen als  wesentliche  Bedingungen  derselben  anxusehen,  deren  Beseitiffung  die 
Erscheinung   selber   beseitigt,   und  deren  quantitative   Veränderung  eine   quem- 
titative  Veränderung  der  Erscheinung  herbeiführt^^  (1.  c.  S.  301).    Nach  SCHCFK 
ist  die  Induction  formal  ein  „Syllogismus  mit  disjunctivem  Obersatx".    „Vor- 
ausgesetxt  ist  dabei  der  Begriff  der  CatsscUität  oder  des  Zusammengekärens,  daß 
eine  Erscheinung  der  nottoendige  Vorgänger  oder  Nachfolger  oder  Begleiter  einer 
andern  ist"  (Log.  S.  53).     H.  Cohen  bestimmt  die  Induction  im   Sinne  der 
Hinführung  auf    die  allgemeinen   Gesetze    der   Causalitat    und  des   Systesis  | 
(Log.  S.  322).     Vgl.  C.  Gk)ERiNG,   Krit.  I,  391;   E.  Dühking,  Log.  S.  88; 
Volkmann,  Lehrb.  d.  Psychol.  I*,  5;   Lipps,  Gr.  d.  Sedenl.  S.  452,     Vgl 
Methode,  Axiom,  Causalitat,  Gleichförmigkeit.  i 

Indaetloii8SClilllß   (inductiver  Schluß)   ist  der  Schluß  vom  Be^  I 
sondern  aufs  Allgemeine,  vom  IndlTiduellen,  SpecieUen  aufs  Generelle,  Typischf,  i 
Gesetzmäßige.    Was   von   einer   Reihe   von  Fällen  gilt,   gilt   von  der  gsozea  | 
Gattung  dieser  Fälle:  M„  M^,  M^  .  .  .  =  P  |  M»,  M„  M,  .  .  .  =  S  || .    Jedes 
S  =  P  („Unvollständige"  Induction).     M„  M„  M,  =  P  |  S  =  M^,  M,,  M, 
S  =  P  („Vollständige^'^  Induction).  —  Der  Inductionsschluß  als  o  ^  äna/eajrfs  ; 
avXkoyiafiog  schon  bei  Aristoteles  (Anal.  pr.  II,  23).    Von  den  Epikureers  I 
wird  er  gewürdigt  (s.   Induction).     Vgl.  B.  £rdi£ANN,  Log.  I,  5&4  ff.     Un-  ! 
bewußte  (s.  d.)  Inductionsschlüsse  gibt  es  nach  Helmholtz  (Phys.  Opt,  S.  602; 
Vortr.  u.  Red.  I*,  358  ff.;  II*,  233).    Vgl.  Induction,  Object. 

IndoctlT   (änaxTixws,   ARISTOTELES,  Phys.  IV  3,  210  b  8):  durch  Id- 

duction  (8.  d.).    Inductiver  Schluß  s.  Inductionsschluß. 

InductlTes  Verfalireii  s.  Induction. 


Ineinander  —  Inhärena.  513 


Ineinander:  innerlich  notwendig  Verbundensein.  NachBENEKE 
sind  uns  das  Ineinander  und  Durch-etwas,  d.  h.  das  Zusammensein  in  einem  Dinge 
und  das  ursächliche  Verhältnis  nur  gegeben  in  unserem  eigenen  Seelensein; 
-wir  übertragen  es  dann  aui,die  Objectvorstellungen  (Lehrb.  d.  PsychoL*,  §  149; 
Syst  d.  Met.  ß.  165  ff.). 

Inesse:  Darinsein,  Enthaltensein  (Bo£thiu8,  Comm.  zur  Isagog.  p.  35, 
44).  „/?ie8«c**  =  „tn  tempore^  in  loco  csae**  bei  Abaelard  (vgL  PRAirrL,  G.  d. 
L.  II,  189).  jjinesse  naiuralüer^^,  „tTiease  per  aeddens^  per  se,  primo^^  bei 
Thomas  (Contr.  gent.  11,  6). 

Inexistens  s.  Intentional,  Object. 

Inexponlbel  s.  Exponibel. 
Infinit  und  indefinit  s.  Unendlich. 

Inflaxns  physicns:  EinfluJß  eines  Tätigen  auf  ein  des  Erleidens 
Fähiges,  Übertragung  der  Tätigkeit  von  der  Ursache  auf  die  Wirkung.  Thomas: 
fjd  quod  est  in  adu,  agit  in  id,  quod  est  in  potentia,  et  kuiusmodi  actio  dieOur 
influxus'*  (QuodL  3,  3,  7c).  Das  ,jSystem  des  tnfltuous  physteut^*  behauptet  eine 
directe  Wechselwirkung  (s.  d.)  zwischen  Leib  und  Seele.  So  die  Scholastiker. 
Femer  Desgartes,  der  aber  die  y.assistentia  Dei*'  (s.  d.)  zur  Ergänzung  seiner 
Theorie  heranzieht  Am  Influxus  halten  fest  Büdigeb,  Eitdtzen,  Baümgarten, 
Cbusiüs,  Günther,  in  modificierter  Weise  auch  J.  H.  Fichte  u.  a.  — 
Gegner  des  Influxus  sind  die  Occasionalisten  (s.  d.),  Spotoza,  Leibniz, 
der  yoD  der  Influxustheorie  bemerkt:  j^Cest  eacher  le  miracle  sous  des  paroles, 
<iui  ne  signifient,  rien**  (Gerh.  III,  354).  Auch  Kant  ist  Gegner  der  Theorie 
vom  übergehen  des  Zustandes  der  tätigen  auf  das  leidende  Ding.  ,^  in  hoc 
^uidem  consistit  influxus  physiei  tt^cotov  \pevSos,  secundum  tftägarem  ipsitts 
■sensum :  quod  commereium  substantiarum  et  vires  transeunies  per  solam  ipsarum 
existertiiam  affaiim  eognosdbües  temere  sumai,  adeoque  non  tarn  sit  systema 
'Oliqtiod,  quam  potius  omnis  systemcUis  phüosophicij  tanquam  in  hoc  argumento 
-super fluij  negleetus**  (De  mundi  sens.  sct.  IV,  §  17).  Nach  Lotze  gibt  es  kein 
Übergehen  eines  Einflusses  von  emem  Dinge  zum  andern  (Mikrok.  IIP,  480). 
VgL  Dualismus,  Wechselwirkung,  Harmonie,  Causalität. 

Informatio:  Beformimg,  Stoffgestaltung  durch  die  f,Form**  (s.  d.) 
welche  den  Stoff  zu  einem  besonderen  Dinge  macht:  Scholastik  (Wilhelm 
TON  Champeaüx  u.  a.;  vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  II,  130). 

InlillrenK  (inhaerere,  anhaften)  heißt  das  Verhältnis  der  Accidentien 
(s.  d.)  zur  Substanz  (s.  d.),  der  Eigenschaften  zum  Dinge.  Die  Accidentien 
„inhärieren**  der  Substanz,  yjtafien^^  ihr  an,  sind  von  ihr  ,^etragen".  Das  In- 
härenzverhältnis  hat  sein  anschauliches  Urbild  im  Verhältnisse  der  Erlebnisse, 
Zustande  eines  Ich  zu  diesem  selbst.  „Inhaerere  est  existere  in  aliquo,  ut  in 
stibiecto,  a  quo  habet  aettuUem  dependentiam  inhaesivam;  aceidens  esse  in  sub- 
ieeto  per  intimam  praesentiam"  (Goclen,  Lex.  philos.  p.  242  f.).  Nach  HüME 
^bt  es  keine  Inhärenz;  die  Perceptionen  bedürfen  keines  Trägers  (Treat.  sct  5). 
Kant  erklärt:  j^Wenn  man  .  .  .  diesem  Realen  an  der  Substanz  ein  besonderes 
Dasein  beilegt  (x,  B,  der  Bewegung^  als  einem  Aeddenx  der  Materie)^  so  nennt 
man  dieses  Dasein  die  Inhärenx,  zum  Unterschiede  vom  Dasein  der  Substanz^ 
4as  man  Subsistenx  nennte*  (Er.  d.  r.  Vern.  S.  178).     Hebbart  sieht  im  In- 

Philotophischet  Wörterbuch.    S.  Aufl.  33 


514  InharenB  —  Innen^Brelt. 


harenzverhältnis  einen  WiderBpruch  (s.  Ding).  Nach  Schuppe  ist  die  Substanz 
(s.  d.)  das  Inharenzverhältnis  selbst  (Log.  S.  33).    Vgl.  Ineinander. 

Inlialt  des  Begriffs  (B^rif&inhalt,  s.  d.)  ist  der  Complex  der  dnrrii 
den  Begriff  umspannten,  fixierten  Merkmale  {y,eomplexu8  notarum^*).  Xach  dem 
Inhalt  unterscheidet  man  einfache  und  zusammengesetzte  Begriffe.  — 
AkistoteLES  spricht  vom  iwTta^stv  iv  rip  koyip  t^  ti  icxi  Ifyom  (AnaL 
post  14,  73a  35;  Met.  VII  10,  1034b  20  squ.).  Kant  erklärt:  „iXn  jeder 
Begriff,  als  Teilhegriff,  ist  in  der  Vorstellung  der  Dinge  enthalten"  und  hat 
insofern  einen  Inhalt  (Log.  S.  147).  Fries:  „Die  Teiivar Stellungen,  wdeke  w 
einen  Begriff  gehören,  machen  seinen  Inhalt  oder  seine  intensive  Größe  aux*' 
(Syst.  d.  Log.  S.  103).  Herbabt:  „fla^  ei/n  Begriff  mehrere  Merkmale,  so  Imßei^ 
diese  xusammengenommen  sein  Inhalt"  (Hauptp.  d.  Log.  S.  106).  Nach  Dso- 
BISCH  ist  der  Inhalt  „(fte  Gesamtheit  der  in  bestimmter  Ordnung  durch  Däer- 
mination  miteinander  verbundenen  Merkmale"  (N.  Darst.  d.  Log.*,  §  25). 
B.  Erdmann  versteht  unter  dem  ,Jnhalt  eines  Gegenstandes^^  „die  ihm  eigene 
Gesamtheit  der  Merkmale"  (Log.  I,  129),  im  weiteren  Sinne  den  „Ltbegri/f  aller 
seiner  mögliehen  Prädicate"  (ib.).  Die  Beziehung  der  Merkmale  zum  Gegeo- 
Stande  heißt  „logische  Immanenx"  (ib.).  Im  Inhalt  liegt  das  Wesen  des  Gr^en- 
Standes  (1.  c.  S.  130).    Vgl.  Umfang. 

Inlialt  der  Elnipiliidiiiis  {idiov  bei  Aristoteles,  De  an.  II  6,  418  a 

11)  s.  Empfindung,  Qualität. 

Inhalt  der  VorateUnn^  ist  der  Inbegriff  des  wirklich  Yoi^esteUtou 

Bewußten.  Es  ist,  nach  Meinong,  nicht  der  Gegenstand,  sondern  das,  „worin 
Vorstellungen  verschiedener  Gegenstände  unbeschadet  ihrer  Übereinstimmung  im 
Acte  voneinander  verschieden  sind"  (Üb.  Gregenst.  höher.  Ordn.,  ZeitBchr.  L 
Psychol.  21.  Bd.,  S.  188).  Der  Inhalt  existiert,  ist  real,  auch  wenn  der  durch 
ihn  vorgestellte  Gegenstand  nicht  real  ist  (ib.).     Vgl  Object,  Transeeodecx 

(TWARDOWSKY,  ÜPHUES). 

Inhalt  des  BewoOteelns  (Bewußtseinsinhalt)  s.  Bewußtsein. 
Inhalte,  ftuidierte  =  Gestaltqualitäten  (s.  d.). 

InhaltsgefRlile:  vgl.  Lehmann,    Hauptges.  d.  menschL  CreföhlslebL 

S.  342  ff. 

Inhaltelogik  s.  Logik. 
Inhaltstheorien  des  Urteils  s.  Urteil. 

Innen  imd  außen  (s.  d.):  zwei  auch  erkenntnistheoretisch-metaphysisch 
verwendete  Begriffe,  „hmen"  =  im  Bewußtsein,  „außen"  =  unabhängig  vom 
Bewußtsein.  „Innen"  bezieht  sich  auch  auf  das  Innere,  das  Eigensem  eine» 
Wesens. 

Innenselns  das  innere,  eigene  oder  An-sich-Sein  eines  Wesens.  VgL 
An-sich.  —  „Inneres  Seelensein"  nennt  Beneke  den  Inbegriff  psychischer  An- 
lagen, Dispositionen  u.  dgl.  (Lehrb.  d.  Psychol.',  §  150). 

Innenwelt  (intramentale  Welt)  wird  von  der  Außenwelt  (s.  d.)  unter- 
schieden und  bedeutet:  l)'den  Inbegriff  aller  Bewußtseinsgebilde  im  G^geo- 
satze  zum  Extramentalen  (s.  d.),  2)  den  Zusammenhang  von  subjectiv-psychischen 
Erlebnissen  (Gefühle,  Erinnerungs-  und  Fhantasiebilder  u.  dgL).  VgL  Object» 
Introjection. 


Innere  Beobachtung  —  Instinct.  515 

Innere  Beobaclitans  8.  Beobachtung. 

Innere  Drfalimng,  fFalimehninnff  s.  Erfahrung,  Wahrnehmung. 

Innerer  Sinn  s.  Sinn. 

Inneres  s.  Äußeres.  Nach  (jOETHE  gestaltet  sich  das  Innere  an  dem 
Aufieren.  y^Nickis  ist  drinnen,  nichts  ist  draußen.  Denn  tcas  innen,  das  ist 
außen.*^  G^en  A.  V.  Hallebs  :  „Ins  Innere  der  Natur  dringt  kein  erschaffener 
Oeüt.  Glüekselig,  toem  sie  nur  die  äußere  Schale  weist^^  betont  Goethe,  Natur 
sei  „aües  mit  einem  Male^\  Kern  und  Schale,  „ht  nicht  der  Kern  der  Natur 
Mensehen  im  Herxen?"  (WW.  II,  237;  vgl.  Euckebt,  Ges.  Aufs.  S.  73  ff.). 
Hegel:  ,Jndem  das  Innere  der  Natur  nichts  anderes  als  das  Allgemeine  ist: 
so  sind  toir,  wenn  wir  Gedanken  haben,  in  diesem  Innern  der  Natur  bei  uns 
selbst*'  (Naturphilos.  S.  22). 

Innere  Spraebform  s.  Sprache. 

Innere  'Wabmelunnng^  s.  Wahrnehmung. 

Innervation s  Nervenerre^ung,  Erregung  eines  Organs  durch  Nerven. 

Innerratfonsempflndung^  (nerve-sensation):  die  Empfindung  der 
Innervation  (s.  d.),  die  eine  C!omponente  der  Bewegnngsempfindungen  (s.  d.) 
bilden  soll.  So  Bain,  Helmholtz,  Wundt,  Mach.  Dagegen  Volkmann 
(Lehrb.  d.  PsychoL  I*,  291),  Ziehen  (Leitfad.  d.  physioL  Psychol.*,  S.  51), 
W.  James  (Princ.  of  PsychoL  II,  493  ff.)  u.  a, 

In-Bieli*sein  („in  se  esse"):  das  Sein  der  Substanz  (s.  d.). 

Inspiration  s  geistige  Eingebung,  innere  Offenbarung,  Begeisterung. 

Instanz  {(fvaraais,  instans,  instantia):  Einwand  gegen  ein  Urteil,  gegen  einen 
(Inductions-)  Schluß,  Ausnahme  von  einem  inductiv  gewonnenen  Gesetze  (vgl. 
Bachmann,  Syst.  d.  Log.  S.  337),  Fall.  —  Aristoteles:  ivüiaais  ^iarl  ur^o- 
ractg  n^oxaesi  ivatTla  (Anal,  prior.  II,  28;  II  26,  69  a  37).  Nach  Goclen  ist 
„instans''  „propositio  contraria  propositioni  propositaef'  (Lex.  philos.  p.  245).  — 
F.  Bacon  unterscheidet  dreierlei  Instanzen  bei  der  Induction  (s.  d.):  „instantiae 
positivae,  negativae  (exclusivae),  praerogtUivaef'  (die  „instantia  crueis"  ist  von 
besonderer  Wichtigkeit)  (Nov.  Organ.  II,  12  ff.,  31  ff.).  Eine  ganze  Beihe 
specieller  Instanzen  zahlt  Bacon  auf.  VgL  J.  St.  Mill,  Log.  I*^  p.  451  ff., 
508  ff.    Vgl.  Methode,  Praerogativ. 

Instinct  (instinctus,  Antrieb)  ist  (subjectiv)  eine  Art  des  Triebes  (s.  d.), 
eine  Eegsamkeit  des  psychophysischen  Organismus,  die,  ohne  Bewußtsein 
(Wissen)  des  Endzieles,  eine  zweckmäßige  Handlung  (Bewegung)  einleitet.  Der 
Instinct  beruht  auf  einer  Anlage  (s.  d.)  des  Organismus,  die  als  Product  von 
Willens-  und  Triebbetatigungen  früherer  Generationen  und  der  Vererbung  jener 
aufzufassen  ist  Die  Instincthandlungen  sind  mehr  als  mechanisch,  sie 
sind  zwar  nicht  Object  des  Bewußtseins,  aber  doch  Bewußtseinsfunctionen  von 
geringer  Klarheit,  (generell)  mechanisierte  (s.  d.)  Willensvorgänge.  Sie  gehen 
von  inneren  Beizen,  Impulsen  aus,  welche  teilweise  von  außen  ausgelöst  werden. 
Die  individuelle  Erfahrung  ist  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Modification  der 
Instincte,  die  sich  oft  mit  eigentlichen  Trieb-  oder  Willenshandlungen  ver- 
binden.   Neben  den  individuellen,  selbstischen  gibt  es  sociale  Instincte. 

Die  Instincte  gelten  bald  als  unbewußte  Intellect-  und  Wlllenshandlungen, 
bald  als  bloße  Reflexbewegungen,  sie  werden  bald  einer  universalen  Vernunft 

33* 


516  Instinot. 


zugeschrieben,  bald  als  Producte  individueller  Erfahrung  und  Gewohnheit,  bald 
endlich  als  vererbte  mechanisierte  Triebe  und  Dispositionen  betrachtet  —  Im 
weitesten  Sinne  heilet  yjnsiinct^^  die  „Spürkrafl^^  des  Geistes. 

Über  die  Instincte  der  Tiere  handelt  schon  Seneca  (Epist.  121).  Vom  ,,tii- 
sitnctus  naturae^^  (Naturtrieb)  sprechen  die  Scholastiker  (vgl.  Tbobcas,  Coatt. 
gent   III,  75).    Hekbebt  yok  Chekbuby  betrachtet  den  „instinctiia  naturalis 
als   subjective  Quelle  teleologischer  oder  Wertbegriffe.     „Instindua  fuUurales 
sunt  actus  faeuUaium  ülarum  in  omni  hamine  sano  et  vnJUgfro  exisientium,  a 
qutbus  eommunes  iüae  notitiae  circa  analogiam  rerum  intemam,  cuiusmcdi  sunt, 
quae  circa  causam,  7nedium  et  finem  rerum  bonorum,  malum,  pulchrum,  graUm 
etc.  .  .  .  per  se  etiam  sine  discursu  conformaniur'*  (bei  Ritter,  Gesch.  d.  PhiloB. 
X,  406).    Shaptesbubt  bemerkt:  „The  u^orld  iwnate  let  us  change  üj  ifyou 
will  for  instinct,  and  call  instind,  (hat  naiure  ieaches,  exclusive  of  ort,  eulture 
or  diseiplinef^  (The  Moral.  III,  2).    Reid  erklart:  ,fiy  instinct,  I  mean  a  na- 
tural impulse  to  certain  actions,  tcithout  having  any  end  in  view,  withmU  ddi- 
heration,  and  very  withoui  any  conception  of  what  we  do"  (On  the  act.  pow. 
III,  2)     Nach  BiLFiNGEB  ist  der  „instincius  naturalis^^  „speeies  appetitus  sen- 
sitivi  et  aversaiionis  ea,  quam  sine  eonsdentia  sui  eoncipimus*'  (Diluc.  §  292). 
Kant  versteht  unter  Instinct  „ein  gefühltes  Bedürfnis^  ettcas  xu  tun  oder  km 
genießen,  wovon  man  noch  keinen  Begriff  hat^^  (Belig.  S.28),  „die  innere  Nötigung 
des  Begehrungsvermögens  xur  Besitznehmung  dieses  OegenstandeSy  ehe  nutn  ihn 
noch  kennt^'  (Anthropol.  I,  §  78).    Nach  C^R.  E.  Sohmid  ist  der  Instinct  un- 
erklärbar (Empir.  Psychol.  S.  387;  vgl.  S.  351).     Jacob  erklart  den  Instinct 
als   ^^Erregbarkeit  des   Begehrungsvermögens  durch  das   bloße    OefuM^^   (Gr.  d. 
empir.  Psychol.  §  223).     Nach  George  ist  der  Instinct  die  „Gesamtheit  der 
Bewegungen,  insofern  sie  durch  den  Affeci  bestimmt  und  geregelt  iverden^^  (Lehrb. 
S.  171) 

G.  E.  Schulze  definiert:  „Ist  mit  dem  Naturtriebe  eine  Vorstdlung  oder 
Ahnung  dessen,  was  dem  gefühlten  Bedürfnisse  abhilft,  schon  auf  angebor&te  Aft 
verbunden,  so  wird  er  Instinct  genannte*  (Psych.  AnthropoL  S.  411).  Nach 
Eschenmayer  ist  Instinct  oder  Trieb  (s.  d.)  „olles,  was  als  innere  Nötigung 
und  Aufforderung  in  uns  vorkommt**  (Psychol.  S.  44).  *Nach  Bürdach  ist  der 
Instinct  unbewußte  Äußerung  der  Lebenskraft,  „organische  SelbsterhaUung  im 
psychischer  Form''  (Blick  ins  Leb.  I,  206  f.).  Nach  Schopenhauer  ist  der 
Instinct  eine  unbewußt-zweckmäßige  Tätigkeit  des  Naturwillens  (W.  a.  W.  o. 
V.  II.  Bd.,  C.  27).  Die  Instincthandlungen  gehen  aus  einem  inneren  Trid) 
hervor,   welcher  aber  „seine  notiere  Bestimmung,  im  Detail  der  einxelnen 

mm  ——^ 

Handlungen  und  für  jeden  Augenblick,  durch  Motive  erhält^*  (Üb.  d.  Freili.  d. 
Will.  III).  K.  G.  Carus  definiert  den  Instinct  als  die  „sieh  unbewußt  em- 
bilflende  oder  abbildende  Ide^*  (Vergleich.  Tierpsychol  1866,  S.  59  f.).  Nach 
Han^usch  ist  der  Instinct  „das  der  unangenehmen  Empfindung  entsprechetuk 
Streben,  sie  selbst  aufzuheben  (xu  negieren/'  (Handb.  d.  Erfahrungs-Sedenl  S.  49)b 
Jede  Art  des  Instincts  ist  eine  besondere  Weise  des  Strebens  nach  Lebens- 
erhaltung (1.  c.  S.  50).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  der  Instinct  „ein  durch  aprith 
risches  und  eben  darum  bewußtlos  bleibendes  Vorstellen  geleiteter  Trieb'*  (Zui 
Seelenfr.  S.  29),  ,,vemunflvolles,  aber  vorbewußtes  Wollen**  (PsychoL  II,  41 ;  vgi 
II,  22,  80  ff.,  128  ff.).  Ein  System  von  Instincten  liegt  im  Menschen  schoa 
vor  dem  Bewußtsein,  als  Quelle  des  Apriorischen,  als  das  Apriorische  selfaei 
bereit  (1.  c.  II,  155;  vgl.  Anthropol.  S.  471,  473).     E.  v.  Haätmakn  sieht  in 


Instinct.  517 

Instincte  ein  bewußtes  Wollen  des  Mittels  zu  einem  unbewußt  gewußten  Zweck 
(Philos.  d.  Unbew.  I^'',  76).    Nach  Carxeri  ist  der  Instinct  „ein  Denken  auf 
dem  Standpunkt  der  bloßen  Empfindung^^  unbewußtes  Denken  (Sittl.  u.  Darwin. 
S.  47).    Er  ist  „das  Bewußtsein  an  sich  in  unterschiedsloser  Objecitvität" 
(L  c.  S.  51).    Es  gibt  eine  Anpassung,  Selection,  Vererbung  der  Instincte  (L  c. 
S.  49).  —  Volkmann  versteht  unter  dem  Instinct  ,Jene  organische  Präfor- 
mation,  infolgederen  ein  bestimmter  Trieb  sich  in  eine  bestimmte  Leibesbewegung 
ohne  Vermittlung  einer  klar  vortretenden  Vorstelltmg  in  constanter  Weise  um- 
setxt^*  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  438).     Nach  Frohschammeb  ist  der  Instinct 
jfiie  von  Natur  (Oeburt)  aus  innewohnende  Befähigung  der  lebendigen    Wesen, 
ohne  vorangehende  Erfahrung  und  ohne  Unterweisung  das  xu  tun,  was  der  Trieb 
.  .  .  erfordert.     Instinct  ist  lebendig  gewordene  und  über  das  Individuum  dem 
Baum  und  der  Zeit  nach  hinausreichende  teleologische  Einrichtung  des  Tieres", 
j^noch  unfreier  Verstand"  (Monad.  u.  Weltphantas.  S.  30).    Nach  A.  DÖRING 
ist  der  Instinct  „der  in  der  unbewußten   Taxierung  seines  VermJögens,  in  der 
unbewußten  Wahl  der  Mittel  und  der  unbewußten   Umgehung  der  Hindernisse 
unfehlbare   und   daher   stets    erfolgreiche    Trieb"  (Philos.   Güterlehre   8.   190). 
0.  Schneider:   „Instinct  ist  das  psychische  Streben  nach  ArterhaÜung  ohne 
Bewußtsein    des  Zweckes   von  diesem   Streben"   (Der  menschl.   Wille   S.    109). 
EREiBia  definiert  die  Instinct«  als  „das  Willenscorrelat  von  Bewegungen,  bei  deren 
Zustandekommen  der  biologisch  niitxlicfie  Zweck  unbetcußt  bleibt,  aber  die  Ver- 
anstaltung der  Beioegungen  und  xum  Teil  auch  die  Wahl  der  Mittel  mit  Bewußt- 
sein erfolgte*   (Werttheor.  S.  76).    Es  gibt  Instincte  der  Belbsterhaltung  und 
solche  der  Arterhaltung  (1.  c.  8.  77).    Vgl.  Lotze,  Medicin.  PsychoL  8.  534  ff. 
Auf  Grewohnheit  und  Erfahrung  führt  den  Instinct  Hüme  zurück  (Treat. 
in,  sct.  16).    Die  Vernunft  (s.  d.)  ist  ein  wunderbarer  „Instinct"  unserer  Seele, 
der  uns  von  Vorstellung  zu  Vorstellung  leitet  (ib.).    Condillac  bestimmt  den 
Instinct  als  „moi  d'habittM^  (Trait.  des  anim.  5).    Auf  die  Gewohnheit  bezieht 
den  Instinct  Rknotjvier  (Nouv.  Monadol.  p.  83).  —  Zur  Erfahrung  und  Asso- 
ciation bringt  Er.  Darwin  den  Instinct  in  Beziehung  (Zoonom.),  zur  Gewohn- 
heit CuviER.    Auf  vererbte  Gewohnheiten  führt  die  Instincte  Ch.  Darwin 
zurück  (Entsteh,  der  Art.  S.  217).    Diese  Gewohnheiten  entstehen  durch  natür- 
'liche  Zuchtwahl  (ib.).    H.  Spencer  bezeichnet  die  Instincte  als  „zusammen- 
gesetzte Beflexiätigkeiten"  (Psychol.  I,  §  194,  8.  451),  CJombinationen  von  Ein- 
drücken, auf  welche  Combinationen  von  Zusammenziehungen  folgen  (1.  c.  8.453). 
In  den   höheren  Formen  des  Instincts  besteht  wahrscheinlich  ein  rudimentäres 
'Bewußtsein  (ib.).   Die  Instincte  sind  Producte  wiederholter  Associationstendenzen 
in  den  Generationen  (1.  c.  §  196,  8.  458  f.).    Der  Instinct  ist  „eine  Art  von  or- 
ganisiertem Oedächtnis"  (1.  c.  §  199,  8.  465).     Nach  Preyer  ist  der  Instinct 
'ein  „vererbtes  Gedächtnis"  (Seel.  d.  Kind.»,  8.  186),  nach  Eimer  eine  „vererbte 
^Oewohnheitstätigkeit^'  (Entsteh,  d.  Art.  I,  240);   vgl.  G.  H.  Schneider   (Der 
tier.  WiUe  8.  146;  Der  menschl.  Wille  8.  68  f.).    W.  James  nennt  den  Instinct 
„a  mere  eocdtomotor  imptdse,  due  to  the  preeadstence  of  a  certain  ,reftex  ar& 
f»  the  nerve-centres  of  the  ereature^'^  (Princ.  of  Psychol.  II,  391).    Der  Instinct 
Ist  „tßie  faeulty  of  aeting  in  such  a  way  as  to  produce  certain  ends,  without 
foresighi  of  the  ends,  and  unthout  previous  education  in  the  Performance^^  (1.  c. 
n,  383;  vgl.  p.  385,  389:  Variabilität  des  Instinctes).    Nach  Ziehen  sind  die 
Instincte  „sehr  complicierte,  aber  .  .  .  außerhalb  des  Vorstellungslebens  sich  voll- 


518  Instdnot  —  Intellect. 

Mehende  Refleoce"  (Leitfad.  d.  physioL  Psycliol.*,  8.  12).    Viele  Instincte  and 
aber  „automaiische  Aetef^  (1.  c.  8.  13). 

Nach  Fechneb  ist  es  walirscheinlich,  ^^daß  auch  die  Natur  die  insiincHven 
Fähigkeüen  und  Fertigkeiten  ihrer  Tiere  erst  erlernen  mußte  y  mit  Bewtifitseitt 
erlernen  mußte,  um  sie  naehher  mit  halbem  ünbetcußtsein  anzuwenden*'  (Zend.Av. 
I,  280).  Auf  Einübung,  Vererbung  und  Mechanisierung  des  Eingeübten  beruht 
der  Instinct  nach  L.  Wilseb  (Die  Vererb,  d.  geist.  Eigensch.  8.  9),  Lbwibs 
(yylapsing,  of  intelligenee^')  Bomanes  ((jeist.  Entwickl.  8.  24),  Ribot  („eonseienee 
Steinte",  L'h^r^d.  peychol.',  p.  19),  8.  Exneb  (Entwurf  ein.  physioL  EbrkL  d. 
psych.  Erschein.  I),  besonders  nach  Wxtndt.  Nach  ihm  sind  die  Instincl- 
handlungen  „Bewegungen,  die  ursprünglich  aus  einfachen  oder  xusammengesetzien 
WHiensaeten  hervorgegangen,  dann  aber  toährend  des  individuellen  Lebens  oder 
im  Laufe  einer  generellen  Entwicklung  vollständig  oder  teilweise  mechaniaiai 
toorden  sind",  8ie  sind  automatisch  gewordene  psychische  Leistungen,  die  aba 
teilweiBe  unter  dem  Einflüsse  von  Motiven  stehen.  8ie  sind  das  Besultat  der 
Arbeit  zahlloser  Generationen.  Der  Vervollkommnung  sind  sie  fähig.  Durch 
Empfindungen  und  G^efühle  werden  sie  ausgelöst;  im  Nervensystem  sind  fertige 
Dispositionen  zu  zweckmäßigen  Bewegungen  vorhanden  (Grdz.  d.  physioL  PsycboL 
II*,  510  ff.,  591,  594;  Essays  8,  8.  217;  Vorles.«,  8.  422,  429,  437;  Syst  d. 
Philos.^  8.  590).  Die  Instincte  sind  „Triebhandlungen",  ,J)ie  pJtysiologiadten 
Ausgangspunkte  der  für  die  Instincte  vornehmlich  maßgebenden  Empfin- 
dungen sind  .  .  .  die  Nahrungs-  und  die  Fortpflan»ungsorgane.  Demnach  laswen 
sich  wohl  alle  tierischen  Instincte  schließlich  auf  die  beiden  Klassen  der  Nah- 
rungs-  und  der  Fortpflanxungsinstincte  xurückführen"  (Gr.  d.  PsychoL*. 
8.  338).  jyBei  allen  Ihstincten  gehen  die  individuellen  IHebhandltmgen  von 
äußeren  oder  inneren  Empfindungsreixen  aus.  Die  Handlungen  selbst  sind 
aber  den  Trieb-  oder  einfachen  Willenshandlungen  xuxurechnen,  weü  besinnmte 
Vorstellungen  und  QefüMe  als  einfache  Motive  ihnen  vorausgehen  und  sie  be- 
gleUen,  Die  xusammengesetxte,  auf  angeborener  Anlage  beruhende  Beschaffenheit 
der  Handlungen  läßt  sich  hierbei  nur  aus  generell  erworbenen  Eigenschaften  des 
Nervensystems  erklären,  infolgederen  auf  gewisse  Reixe  sofort  und  ohne  in- 
dividuelle Einübung  angeborene  Reflexmechanismen  ausgelöst  werden"  (L  c. 
8.  339).  Es  gibt  individuelle  imd  sociale  Instincte  (Eth.*,  8.  109).  Ähnlich 
KüLPE  (Gr.  d.  Psychol.  8.  340),  W.  Jebüsalem  (Lehrb.  d.  PsychoL«,  S.  187  f.) 
u.  a.  Vgl.  A.  J.  Hamlin,  An  Attempt  at  a  PsychoL  of  Instinct,  Mind  VI,  1897, 
p.  59  ff.;  Fouillee,  L'Origine  deP  Instinct;  Jgdl,  PsychoL    8ully,  Mind  VI. 

Die  ürsprünglichkeit  socialer  Instincte  (Triebe,  Neigungen)  betonen  GBonrs, 
BoDiN,  Shaftesbuby,  Hutcheson,  Clabke,  Wollaston,  Hume,  A.  Smtth 
u.  a.  (vgl.  8ocial).    VgL  Trieb. 

IntegTAtion  s.  Evolution  (H.  8pexceb;  vgl.  PsychoL  §  36  f.). 

InteUect  (intellectus):  Verstand  (s.  d.),  Vernunft  (s.  d.),  Geist  (s.  d.), 
Denkkraft,  Denkprincip,  subjectiver  Logos,  vernünftiges  Bewußtsein.  Der  In- 
tellect ist  nicht  etwa  ein  besonderes  Vermögen  neben  dem  Willen  (s.  d.  u. 
Voluntarismus),  sondern  dieser  betätigt  sich  schon  in  ihm  (als  active  Apper- 
ception,  s.  d.).  Das  Verhältnis  des  Intellects  zur  8innlichkeit,  ErMoting  be^ 
treffend,  vgl.  8ensualismus,  Empirismus,  Bationalismus. 

Die  Lehre  vom  zweifachen  Intellect  {yovg)  begründet  Aristoteleb.  Es 
fußt  diese  auf  der  Unterscheidung  von  Stoff  und  Form,  Svvafiis  (Potenz)  and 


InteUeot.  519 


ivä^eia  (Wirklichkeit).  Der  ^jmssive^'  Intellect  (vovg  nad'r^'tiKos)  ist  die  Ein- 
heit der  Vemunftanlagen,  der  ^^tivef^  Intellect  aber  die  actuelle  Verwirklichung 
<lieser,  zugleich  die  geistige  Yerwirklichungskraft  (Wirklichkeit  und  Wirksam- 
keit). Der  active  Intellect  ist  bewußtmachende,  formale  Denkkraft,  er  gleicht 
^em  Lichte,  welches  die  potentiell  yorhandeoen  Farben  zu  wirklichen  Farben 
macht  (De  an.  III,  5).  ^Ensl  S*SansQ  iv  aTrdar}  zfj  fvae^  ioti  ri  ro  fiiv  vXrj 
i%a<rr<p  yevs&  .  .  .,  Srs^ov  3i  ro  atnov  xai  Ttoirfrueov,  zif  nouiv  ndvra,  olov  rj 
Ttxvri  n^og  rijv  vXtjv  ninov&av^  dvdyxri  xal  iv  t^  V^^XV  vff«f/€*«'  ravras  ras 
dta^o^s*  leal  iar&v  6  fiev  roiovzog  vave  z(f  ndvxa  yivaad'aL,  6  de  T<p  ndvxa 
noUl,  m  Sitg  TK,  olov  ro  fwg  (De  an.  III  5,  430a  10  squ.).  Der  erleidende 
Intellect  ist  vergänglich,  der  active  aber  unsterblich,  ^frenrnbrn^^  y^n^^  {xal 
-ovros  b  vovg  ;|fa»(»«(rT08  nal  aTta&^g  xai  dfuyi^g,  r^  ovaiq  dfv  ivi^eia  .  .  .  ttal 
ravro  fiovov  d&dvarov  xal  dtStov  .  .  ,  6  Si  na&ririxbg  vovg  tp&agrog,  ib.).  Be> 
züglich  der  Natur  des  activen  Intellects  sowie  seiner  Stellung  zum  Individuum 
(ob  individueller,  ob  universaler  Geist)  bestehen  verschiedene  Deutungen.  Theo- 
PHRA8T  rechnet  ihn  dem  Menschen  selbst  zu,  Eudemus  leitet  ihn  aus  Gk>tt 
ab  (Hinweis  auf  das  vovv  /i6vov  d'vQa&av  iTtetgtävat  xal  d'sXov  atvai  fiovov, 
Aristot.,  De  gen.  et  corr.  II,  3)  (Themist.,  Paraphr.  de  an.  f.  91 ;  Eth.  Eudem. 
VII  14,  1248a  25;  vgl.  Beentano,  Psychol.  d.  Aristot.  S.  5  f.).  —  Beentaiio 
deutet  den  activen  Intellect  als  bewuJßtlos  wirkende  Denkkraft  (1.  c.  S.  73). 
Siebeck  erklart:  ,,Wie  das  Lieht  das  Sehen  bedingt^  so  macht  der  tätige  oder 
leidenslose  vovg  das  bewußte  Denken,  Wie  ein  und  dasselbe  abwechselnd  DunkeU 
heit  und  Licht  ist,  so  ist  der  vovg  bald  bloße  Möglichkeit  des  bewußten  begriff- 
lichen Denkens  j  bald  tätige  Wirklichkeit  und  Bewußtheit  seiner  Inhalte"  (Gesch. 
d.  PsychoL  I  2,  67  f.).  Er  ist  mit  einer  Tafel  zu  vergleichen,  die  sich  selbst 
beschreibt  (1.  c.  S.  68,  Hinweis  auf  das  y^aufiarelov.  De  an.  III,  4).  Der 
passive  Geist  ,jbesteht  in  nichts  anderem  als  darin,  daß  die  Begriffe,  die  beim 
wirklichen  Denken  dem  Bewußtsein  aufleuchten,  auch  außerhalb  dieses  acOven 
Verhaltens  (als  unbewußte  Inhalte)  in  der  Seele  vorhanden  sind,  um  je  nach 
Umständen  auf  Anregung  durch  die  äußern  Eindrücke  unter  der  Wirkung  des 
./xetiven*  Geistes  beim  Denken  in  Action  xu  treten"  (Aristot.  S.  82).  Nach 
Bender  verhalt  sich  die  passive  Vemimft  nicht  passiv  gegenüber  der  activen, 
die  ihr  nichts  mitteilen  kann  als  die  formale  Tätigkeit,  sondern  „gegenüber  der 
Mannigfaltigkeit  der  Bilder,  welche  die  körperliche  Welt  in  sie  hineinwirft  und 
die  sie  eben  mit  Hülfe  der  activen  ordnen  soll"  (M.  u.  M.  S.  179).  Nach  Übeb- 
weg-Helnze  wirkt  der  active  vovg,  direct  oder  vermöge  des  von  ihm  stammen- 
den und  den  Dingen  immanenten  votjrov,  „auf  die  Vemunftanlage  in  uns  oder 
passive  Vernunft  ein  und  erhebt  die  potentiell  in  ihr  liegenden  Gedanken  xu 
aetuellen'*  (Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  I',  261).  Weitere  Deutungen  bei  Zellee, 
Tbendelekbubg,  Benan,  Bavaisson  u.  a. 

Alexander  von  Aphrodibias  sieht  im  vovg  noitjrtHog  (der  Terminus  stammt 
von  ihm)  den  göttlichen  Geist,  der  den  potentiellen  Intellect  des  Menschen 
actnalisiert  (De  an.  I,  f.  139b;  vgL  144).  Im  Menschen  wird  unterschieden: 
der  vovg  iXtxug  (tfvaMog),  der  vovg  iTtixrfjrog  (nad^  Siiv),  d.  h.  der  auf  Grund  der 
Yemunftanlagen  erworbene  Intellect:  6  9e  Bwdfisi  vovg  S  ix^vreg  yivofud'a  . .  . 
vlixog  vovg  xaXairai  re  xal  i'artv  xai  6  fiev  tpvaixog  ra  xai  vlixog  iv  ndai  rolg 
jifj  nenfiQOiftdvoig  r^v  8iafo^dv  ^on^,  xa&oaov  ol  fidv  tlatv  ev^v^are^ot  rcjv 
dv^^cintov  ol  Bi  dqwiare^ot  ,  ,  .  6  3s  inlxrr^rog  re  xal  vars^ov  iyyiyvofuvog 
xal  elBog  xal  (^ig  wv  xal  rskeiorijg   rov  ywaixov   ovxir    iv  näaiv,  aXX  iv  rolg 


520  Intdlleot. 


acxfjaaci  TS  xai  fiad'ovmv  (De  an.  I,  f.  138a;  ygL  144b).  Ähnlich  lehrt 
Thebostius.  Bei  den  Scholastikern  finden  sich  die  Ausdrucke:  f^inteUeduB 
agens  (aettvus),  separatusy  pcUiens,  passibilis,  adepius,  reeeptus,  aequUüuSy  infusH», 
appetitwus  (=  vovs  o^exriMog,  Aristot,  Eth.  Nie.  VI  2,  1139b  4;  Thomas, 
Sum.  th.  I,  83,  3  c),  ^flnaierialisy  habitualisy  acHiolts^'  (vgl.  Siebeck,  Gresch.  d. 
PsYchol.  I  2,  438).  Alfababi  spricht  vom  „irUellecius  agens^*,  „iUam  fanimamß 
in  actum  perducens^*  (Font,  quaest.  41).  ^ylüe  inteUectus,  a  materia  separatuSf 
post  corporis  mortem  permanet"  (1.  c.  8.  21).  Auch  vom  „intellecius  adepbts 
seu  rec^ttts'*  ist  die  Bede  (vgl.  De  intell.  p.  52).  Avicenna  unterBchddet 
„intetteetus  infusus^*  und  „(tdeptus*',  „Advenitmt  formae  vel  speeieä  mieUigibiies 
in  intdlectu  possibüi  dtu>bu8  modis  adventus:  quorufm  unua  est  infusio  rd 
manatio  divina  absqtte  dodrina  et  ahsque  aequisiiione  et  sensibus,  sieut  in- 
tellectiones  primorum  prindpiorum,  sicut  inteÜigere  vel  assentire,  quod  totum  est 
maitis  parte  etc.  (=  angeborene,  apriorische  ürteüskrafty  Evidenz  der  DenkgeseixeK 
—  Et  secundtts  modus  est  cum  aequisiiione  mediante  rationali  discarsu  out 
cognitione  demonstrativa^^  (De  an.  8).  Nach  AyerboSs  gibt  es  in  allen  Wesen 
nur  einen  (göttlichen)  activen  Intellect  (y^umim  in  omnibus  hofninibus^*}. 
jyBkoistimandum  est  in  anima  tres  partes  irUeUectus.  Prima  est  ipse  intdledus 
redpiens,  secunda  vero  ipse  agens,  tertia  vero  est  inteüectus  adeptus.  Et  horum 
duo  quidem  stmt  aetemi,  nempe  agens  et  redpiens,  tertius  vero  est  partim,  gene- 
rabüis  et  corruptibilis,  partim  vero  aetemus  .  .  .  Ex  hoc  dieto  nos  possumus 
opinari  intellectum  maierialem  esse  unicum  in  cunetis  ittdividuis"  (De  an. 
f.  165  a).  Der  potentielle  Intellect  ist  „une  chose  composie  de  la  dispoaition^ 
qui  eooiste  en  nous,  et  d'un  inteUect,  qui  se  Joint  ä  eette  disposition,  et  qui,  en 
tant  qu'il  y  est  Joint,  est  un  intellect,  predispose  (en  puissance)  et  non  pas  tm 
intellect  en  acte  en  tant  qu*il  n'est  plus  jdnt  ä  la  disposition^^  (MüXK,  M^ 
p.  447).  Der  active  Intellect  formt  den  potentiellen  zum  erworbenen.  Vgl. 
Unsterblichkeit,  Averroismus. 

Nach  Albertus  Magnus  ist  der  active  Intellect  keine  „drtus  eorporea'*, 
sondern  eine  „drtus  separata^*  (De  an.  I,  2,  8).  Der  Intellect  ist  „abstrakens*^ 
und  yjConstituens^^  (Sum.  th.  I,  60,  3).  Durch  eine  „illustratio"  werden  die 
„poientia  intellectualia*^  „aetu  intelleeta"  (1.  c.  I,  15,  3).  jjÄnima  rationalis  dno 
in  se  habet:  intellectum  possibüem,  quo  homo  coniungitur  continuo  et  tempori^ 
quod  est  sub  se:  et  intellectum  agentem,  quo  se  habet  ad  illuminationes  superto- 
rum*^  (1.  c.  II,  5).  „Intellecius  possibilis  in  anima  est,  quo  est  omnia  fieri^ 
(1.  c.  II,  77,  1).  „Intellectus  adeptus  est,  qua/ndo  anima  adipisdtur  inieUedas 
renmi  intdligibilium  per  prindpia  prima  scibilia"  (1.  c.  II,  93,  2).  „Inteüectus 
agentis  duplex  est  actus:  unus  in  abstrahendo  tntelligibüia  et  dando  eis  esse 
intelligibilium  secundum  spedem  intelligentis :  alter  est  illustraiio  inteüectus 
possibilis,  ut  resplendeant  in  ipso  spedes  intelligibüium"  (L  c.  II,  14,  3). 
Thomas  versteht  unter  dem  Intellect  {„inieiligere  quod  intus  legere*^  Verit,  1, 
12  c;  Sum.  th.  II,  8,  1)  das  (sinnliche  imd  besonders  das  übersinnliche)  Er- 
kenntnisvermögen. Der  Intellect  ist  Erfassung  „universalium  et  non  singidorum^ 
(Contr.  gent.  I,  44).  Der  active  Intellect  ist  „operativus"  oder  ,jtraeticus**, 
„contemplaiivus"  oder  y^speculativus**  oder  „theoreticus*^  (Sum.  th.  I,  14).  „Quoniam 
nihil,  quod  est  in  potentia,  redudtur  ad  actum  nisi  per  aliquod  ens  aetu,  neeesse 
est  in  anima  praeter  intellectum  possibilem,  quo  anima  omne  fieri  potest, 
eonstituere  intellectum  agentem,  quo  omnia  potest  facere  et  inteUigibüia  potentia 
ad  actum  deducere^'  (Sum.  th.  I,  79,   3).    Der  „intellectus  agens"  ist  ^^s^taratus 


InteUeot.  521 


a  corpore'*  (De  an.  III).  Er  ist  y^jprincipaie  agens,  quod  agit  verum  sirnüüudines 
in  irUeUeetu  possibüi  .  .  .  Intellecius  enim  possibilis  comparaiur  ad  res,  qiutntm 
rwiitiam  reoipü,  sietä  patiens,  quod  eooperatur  agenit**  (Quodl.  8,  2,  3  c). 
„Pkantasmaia  —  illuminantur  ab  ifiteUectu  agenti"  (Sum.  th.  I,  85,  1).  ^yPhantas- 
mata  per  lumen  intelleetus  agentis  fiunt  actu  inteUigibiliaf  tä  prosunt  movere 
ifUeUeetum  possibilem"  (Contr.  gent.  II,  59).  „Cum  intelleetuB  agena  sit  virtu& 
ammctey  necesse  est  non  unum  in  omnibus  esse,  sed  mtdtiplicari  ad  mtUtvpli- 
eoHonem  animarum*'  (Contr.  gent.,  ib.,  gegen  den  Averroismus).  Der  „m- 
tdlectus  adepius**  („in  aciu")  ist  die  actuelle  Denkkraft  (Sum.  th.  I,  79,  10  c; 
Contr.  gent  III,  42  f.).  DuNS  ScoTüS  bestimmt:  „Modus  inteüigendi  activus 
est  ratio  eoneipiendi,  qua  mediante  inteUeetus  rei  proprieiates  significat,  concipit 
vel  apprehendit;  modus  autem  inteüigendi  passivus  est  proprietas  ret,  prout  ab 
intelteeiu  apprehensa"  (bei  Prantl,  G.  d.  L.  III,  216).  Wilhelm  von  Occam 
erklärt:  ,Jnteilectus  procedit  de  potentia  ad  actum"  (In  1.  sent.  I,  d.  3,  qu.  5). 
„Inieüedus  agens  et  possibilis  sunt  omnino  idem  re  ae  ratione.  Tarnen  ista 
nomina  vel  conceptus  bene  connotant  diversa:  quia  intellecius  agens  significat 
animam,  connotando  intelleetionem  procedentem  ab  anima  aciive;  possibilis  autem 
significat  eandem  animam  connotando  intelleetionem  receptam  in  anima"  (1.  c. 
2,  qu.  25;  vgl  Stöckl  II,  993). 

GrOCLEN  bemerkt:  „Intdledus  .  .  .  possibilis  et  agens  non  sunt  partes  atit 
speeies  animae  intellectivae,  sed  modi  et  gradus  eius  seeundum  rationem  diffe- 
rentes.  Anima  enim  inieüediva,  ut  caret  inteüigibilibus  et  potentia  est  ad  Uta, 
dicitur  possibilis:  ut  habet  se  vi  maieria.  Cum  vero  singtda  facta  est,  habet 
alium  modum  seu  gradum  perfeetiorem,  et  dicitur  in  actu  primo  seu  habitu  .  .  . 
Ac  ut  lumen  faeit  potentia  colores  actu  colores :  ita  iniellectus  agens  facit  potentia 
intelligibile  actu  intelleetum"  (Lex.  philos.  p.  249).  Nach  M.  FiCiNUS  ist  das 
„inielligere"  ein  ,/ib  intdligentia  divina  formari"  (Theol.  Plat.  XII,  2).  Nach 
Melaxchthok  ist  der  Intellect  „potentia  mentis  cognoscens,  recordans,  iudicans 
et  ratioeinans  singularia  et  universalia,  habens  insitas  qtuisdam  notitias,  seu 
prineipia  magnamm  artium,  Habens  item  actum  reflexum,  quo  suas  actiones 
eemit  et  iudicat"  (De  an.  p.  205b).  Der  Intellect  hat  drei  „actiones":  „appre- 
kensio'^y  „compositio  et  divisio",  „discursus"  (ib.).  Der  Satz:  „nihil  est  in  in- 
telketUf  quod  non  prius  fuerit  in  sensu"  ist  falsch  (1.  c.  p.  207  b).  Hobbes  bringt 
den  Intellect  zur  Sprache  in  Beziehung  (De  hom.  2).  Nach  Spinoza  ist  der 
Intellect  ein  „modus  eogitandi"  (Eth.  I,  prop.  XXXI,  dem.).  Gott  (s.  d.)  ist 
„iniellectus  infinitus",  der  menschliche  Geist  ein  Teil  desselben  („Tneniefn  huma- 
nam  partem  esse  infiniti  intellecius  Dei",  Eth.  II,  prop.  XL,  coroll.).  „Intel- 
lecius inßnitus  nihil  praeter  Dei  attributa  eiusque  affeetiofies  compreliendit" 
(Eth.  II,  prop.  IV).  Gegen  Lockes  „Nihil  est  in  iniellectu,  quod  non  prius 
fuerit  in  sensu"  (Ess.  II,  eh.  1,  §  5)  erklärt  Leibniz:  „excipe:  nisi  intellecius" 
(Nouv.  Eßs.  II,  eh.  1,  §  2).  „On  peut  dire,  que  rien  n'est  dans  Veniendement, 
qui  ne  soit  venu  des  sens,  excepte  Veniendement  meme"  (Gerh.  VI,  488). 
Chb.  Wolf  versteht  unter  „intellecius"  die  „facultas  res  disiincte  repraesentandi" 
(Pgychol.  empir.  §  275);  ähnlich  Bilfinger  (Dilucid.  §  272).  „Purus  est  in- 
iellectus, euius  definiiio  competit  simpliciier,  hoc  est,  qui  ideas  habet  non  nisi 
distinctas"  (1.  c.  §  274). 

Kant  unterscheidet  einen  „intellecius  archetypus"  (schöpferischen,  göttlichen 
Intellect)  und  ,^typus".  Die  Idee  einer  höchsten  Intelligenz,  von  welcher  die 
Dinge  ihr  Dasein  haben,  ist  für  uns  notwendig,  „und  so  ist  sehr  natürlich,  eine 


522  Intelleot  —  Intellectnel}. 

ihr  correapondierende  gesetzgebende  Vernunft  (intelleetus  archetypus)  aiviundtmen, 
van  der  aUe  systemaiiache  Einheit  der  Natur,  als  dem  Gegenstände  unserer  Ver- 
nunft, abzuleiten  sei"  (Krit.  d.  r.  Vera.  S  521,  537).  Nach  Krug  Btammt 
Intellect  von  „inier  legere^^  „quoniam  fit  eleetio  inter  varias  noias^',  oder 
yjquaniam  plures  inter  se  diversae  notae  eoUiguntur"  (Fundam.  S.  178  li. 
A.  Bain  versteht  unter  dem  Intellect  „the  thinking  fundion  of  ike  minc^^  (Seoe. 
find  Int*,  p.  321).  Gabriere  erklärt:  „Unsere  Vemunftanlage  entunekeU  ncft 
durch  unsere  Arbeit,  das  Denkvermögen  vertvirklieht  sich,  andern  es  denkt*'  (Ästhet 

I,  36).  Als  Product  phylogenetisch  erworbener  und  vererbter  Erfahrungen  fafit 
den  Intellect  H.  Spencer  auf  (vgl.  auch  Ratzenhofer,  Poeit  Eth.  S-  41,  47). 
Der  Intellect  besteht,  nach  Spencer,  in  der  „Herstellung  von  Zusaimmenhämg» 
xwisehen  Beziehungen  im  Organismus  und  Beziehungen  in  der  Außenvdt' 
(Psychol.  I,  §  173).  Jeder  Verstandsact  ist  „eine  Änp<tsstmg  von  inneren  m 
äußere  Beziehungen"  (1.  c.  §  174). 

Eine  voluntaristische  (s.  d.)  Auffassung  des  Intellects  hat  Schopenhaüesl 
Nach  ihm  ist  der  Intellect  nur  „Aecidenz  des  Willens"  (W.  a.  W.  u.  V.  IL  Bd.. 
C.  30);  der  Wille  ist  „Ursprung  und  Beherrschet*  des  Intellects  (L  c.  C.  15|. 
,,Der  Intellect  ist  das  secundäre  Phänomen,  der  Organismus  das  Primärey  näm- 
lich die  unmittelbare  Erscheinung  des  Willens;  der  Wille  ist  metaphysisch:  der 
Intellect  ist,  une  seine  Objecte,  bloße  Erscheinung"  (1.  c.  C.  ^19).  Er  ist  Willa»- 
product,  „Qehimphänomen",  Nach  Nietzsche  u.  a.  dient  d^  Intellect  nur  der 
Lebenserhaltung.    Vgl.  Species  (Collier),  Vernunft,  Verstand,  Denken. 

InteUeetaale  Anscbaumiff  s.  Anschauimg. 

InteUeetualismus  ist:  1)  so  viel  wie  Rationalismus  (s.  d.);  2)  die  be- 
sondere Wertung  des  Intellects  (s.  d.),  des  Erkennens,  der  Theorie  vor  dem 
Fühlen,  Wollen  und  Handeln.  Der  ethische  Intellectualismus  leitet  das  Sin- 
liche  (s.  d.)  aus  der  Vernunft  ab  (IKant  u.  a,),  hält  (Sokrates)  die  Tugend 
für  ein  Wissen.  —  Eine  „intellectualistische  Ethik  auf  Örund  voluntaristiscker 
Psychologie"  lehrt  R.  GoLDSCHEiD  (Zur  Eth.  d.  GesamtwilL  I,  77  ff.).  Das 
Denken  ist  vom  Wollen  bedingt,  „aber  darauf,  daß  unser  im  Unbewußten  trur- 
xelnder  Wille  imfner  mehr  im  Geiste  unserer  Oefühis-  und  Vorstellungselementf 
functioniert,  darauf  allein  läuft  all  unsere  ethische  Arbeit  aus"  (1.  c.  S.  79l 
Der  metaphysische  Intellectualismus  hält  das  Logische,  die  Vernunft^  Idee 
(s.  d.),  für  das  Wesen  der  Dinge.  So  Heraklit,  Plato,  Plotin,  Spinoza. 
teilweise  Leibniz  und  J.  G.  Fichte,  Hegel  u.  a.  —  Der  psychologische 
Intellectualismus  (=  die  intellectualistische  Psychologie)  betrachtet  das  Denken, 
Vorstellen  als  Grundkraft,  Grundproceß  der  Seele,  leitet  alles  Bewußtseins- 
geschehen  aus  logischen  oder  Vorstellungs-(Empfindungs-)Vorgangen  ab.  So 
sagt  z.  B.  Thomas:  „intelleetus  altior  et  nobilior  voluntate"  (Sum.  th.  I,  82,  3k 
Spinoza  erklärt:  „Idea  primum  est,  quod  humanae  mentis  esse  constituii"  (Exh. 

II,  prop.  XL,  dem.).  Intellectualisten  sind  u.  a.  Kant,  Hegel  (das  Denkes 
macht  „die  innerste  wesentlicJie  Natur  des  Geistes  aus",  Ästhet  1, 18),  Herbart. 
die  Associationspsychologen  (s.  d.).  Unter  „wülenspsychologisehem  In- 
tellectualismus**  verstdit  H.  Schwarz  die  Ansicht,  alles  Vorziehen  und  Vcr- 
werfen  sei  ein  Urteilsact  (Psychol.  d.  Will.  S.  283).    VgL  Psychologie. 

InteUectnalität:    intellectueUer  Charakter.      Schopenhauer  belcot 

(gegenüber  Kant)  die  Intellectualität  der  Anschauung  (s.  d.). 

Intelleetuell  {voe^ov,  intellectualis) :  von  der  Natur  des  IntellectB  (s.  d.», 


InteUeotueU  —  Intelligil>eL  523 

geistig.  Intellectuelle  Gefühle:  höftsre,  geistige  Gefühle;  logische  oder 
Verstandes-Gefühle  (Ziehen,  Grdz.  d.  phys.  Psychol.*,  S.  125;  Wundt,  Grdz. 
d.  physiol.  Psychol.  II*,  521  ff.  u.  a.).  Es  gehören  dazu  (im  engeren  Sinne) 
das  Grefühl  der  Wahrheit,  des  Zweifels,  der  Gewißheit  u.  s.  w. 

InteUectneUe  "Welts  xoufioe  voe^og,  geht  nach  Jamblighus  aus  der 
inteUigiblen  (s.  d.)  Welt  hervor,  als  Inbegriff  der  geistigen  Kräfte.  Nach 
Fboklüs  gliedert  sich  die  intellectuelle  Welt  nach  der  Siebenzahl  (in  sieben 
Hebdomaden;  Theol.  Plat.  IV). 

Kant  definiert:  j,Intellectuell  sind  die  Erkenntnisse  durch  den  Verstand, 
und  dergleichen  gehen  <mch  auf  unsere  Sinnenwelt**  (Prolegom.  §  34).  Schon 
früher:  ,yCognitio,  quatenus  subieeta  est  legibus  intelligentiaef  est  intelleetualis** 
(De  mimdi  sensib.  sct  II,  §  3).    Vgl.  intelligibel. 

InteUeetnleren:  vergeistigen,  auf  Begriffe  erheben  (vgL  Kant,  Üb.  d. 
Fortschr.  d.  Met  S.  123). 

Intelli^^ns  (intelligentia) :  Einsicht,  Erkenntniskraft,  Vemünftigkeit, 
auch  intelligentes  Wesen  („Geist"). 

Thomas  versteht*  unter  f,intelligentia"  geistige,  auch  geistig -vernünftige 
Tätigkeit  (Sum.  th.  I,  84,  4c;  I,  10,  5c;  „intelligentia  prima,  seeunda":  I,  47,  Ic; 
„aelualis":  I,  93,  7  ad  3).  „jEToc  nomen  intelligentia  proprie  significat  ipsum 
actum  intellectus,  gm  est  intelligere.**  Intelligenzen  („intelligentiae^*)  werden  die 
jfSttbstantiae  separatae",  welche  Engel  sind,  genannt  (Smn.  th.  I,  79,  10). 
Spinoza  erklärt:  ,yNulla  .  .  .  via  raiionalis  est  sine  inteUigentiay  et  res  eatenus 
tantwn  bonae  sunt,  quaienus  hominem  itwant,  ut  mentis  vita  fruaiur,  quae 
intelligentia  definitur**  (Eth.  IV,  app.  V).  Kant  definiert:  „Intelligentia  (ratio- 
wüitas)  est  facultas  subieeti,  per  quam,  quae  in  sensus  ipsius  per  quaiitaiem 
suerni  incurrere  non  possunt,  sibi  repraesentare  valet"  (De  mundi  sensib.  sct.  II, 
§  3).  Als  intelligibler  Charakter  (s.  d.)  ist  der  Mensch  reine  Intelligenz.  Nach 
HiLLEBBANi)  ist  die  Intelligenz  „die  Seele  in  ihrem  reinen  Selbststreben  nach 
der  Wahrheit  an  und  für  sich**  (Philos.  d.  Geist.  I,  268  f.).  Es  gibt  eine 
intuitive,  apprehensive,  comprehensive  Intelligenz  (1.  c.  S.  271).  Nach  Wundt 
ist  die  Intelligenz  „die  Gesamtsumme  der  bewußten  und  im  logischen  Denken 
ihren  Abschluß  findenden  Oeistestätigkeiten**  (Essays  4,  S.  98),  die  „einheitliche 
Verbindung  von  Wollen  und  Vorstellen**  (Log.  II«  2,  17  f.). 

Intelllg^liel  (vorwog,  intelligibilis) :  verständlich,  denkbar;  femer:  nur 
durch  den  Verstand,  das  Denken  erfaßbar,  übersinnlich,  ideal. 

Plato  hypostasiert  die  varjrd  zu  Ideen  (s.  d.).  Nach  Aristoteles  ist 
alles  Seiende  wahrnehmbar  {ala&rrra)  oder  intelligibel  (voiprn,  De  an.  III  8, 
431b  22).    Die  mathematischen  Objecte  z.  B.  sind  vorjrd  (Met.  VII  10,  1036  a  3; 

VgL  I  8,  990a  31);  iv  rolg  si'dsüi,  rolg   atad'riroXg  rd  vorird  iaiiv  (De  an.  III  8, 

432a  5).    Philo,  Plotin,  Jamblighus,  Proklus  sprechen  von  einer  „inteUi- 
giblen Welt*  (s.  d.). 

Nach  BofiTHiUS  ist  „intellectibile**  „quod  tmum  atque  idenh  per  se  tn  propria 
äivinitate  eonsistens  nullis  unquam  sensibus,  sed  sola  tantum  mente  inteüectuque 
eapitur**,  Augustinus  definiert:  „Omnia,  quae  percipimus,  aut  sensu  corporis 
ttut  mente  pereipimus.  lÜa  sensibilia,  kaec  intdligibilia  .  .  .  nominamus** 
(De  magistro  39).  Nach  Hugo  von  St.  Victoe  ist  (üe  Seele  intelligibel,  „quod 
solo  percipiiur  intellectu**  (Erud.  didasc.  II,  3,  4).    Nach  Thomas  ist  „proprium 


524  Intelligibel  ~  Intelligibler  Charakter. 

obieetum  inteüeetus  ens  mtdligibüe^^  (Contr.  gent  II,  98);  ^^per  hoc  auUm 
aliquid  ftt  intelligibüe  in  adu,  quod  aUqudliter  abstrahitur  a  mcUeria^^  (1  phjs.  U). 
Noch  2iABARELixA.  wird  yyintelligibüis^*  gebraucht  „pro  eo,  quod  est,  quod  ^sum 
iräelligi  potest^^  und  ^^pro  eo,  quod  inteüigendi  vim  ßiahet^  ut  inteUeetus  agem 
agit,  non  quod  ipse  intelligatur  y  sed  quod  per  ipsutn  cUia  intelligantur^*  (De 
mente  ag*.  C.  4;  vgl.  Goclen,  Lex.  philos.  p.  251).  G.  Bruno  erklärt:  „Quid- 
quid  cognosdtur  i?itelligibil€j  per  ideas  cognoscitur"  (De  umbr.  idear.  p.  37l. 
Leibniz:  jyCe  qui  rCest  qu* intelligibler  comme  etant  Vobjet  du  aeul  eniendemeiü, 
et  tel  est  Vohjet  de  ma  pensee,  quand  je  pense  ä  moi  menu^^  (Gerb.  W,  oOIl 
Bebkeley  setzt  intelligibel  gleich  dem  „im  Oeist&*  (Princ.  LXXXVI).  Kaitt 
bestimmt:  „Quod  .  .  .  nHiil  continety  nisi  per  intelligentiam  cognoscendum ,  e*i 
ifitelligibile"  (De  mundi  sens.  sct  II,  §  3).  „Intelligibel .  . .  heißen  Oegenstände^ 
sofern  sie  bloß  durch  den  Verstand  vorgestellt  werden  können ,  und  euif  die 
keine  unserer  sinnlichen  Anschauungen  gehen  kann"  (Prolegom.  §  34).  „Bfeyi 
intdligibely  d,  i,  dem  Verstände  allein  und  gar  nicht  den  Sinnen  gegebeaf^ 
Gegenstand  einer  intellectuellen  Anschauung  (s.  d.)  sein  (Krit.  d.  r.  Venu 
8.  236  f.).  Intelligibel  ist  an  einem  Sinnesobjecte  das,  yyicas  selbst  nicht  Er- 
scheinung ist^  (1.  c.  S.  432).  Die  ,yintelligibilia"  sind  y,Noumena^^  (s.  d.).  Ton 
dem  Begriff  intelligibler  Gegenstände  kann  man  keine  Anwendung  machen, 
yytceil  man  keine  Art  erkennen  kanUy  wie  sie  gegeben  werden  sollten*',  „und  der 
problematische  Oedanke,  der  doch  einen  Platx  für  sie  offen  läßt,  dient  nur,  wie 
ein  leerer  Raum,  die  empirischen  Örundsätxe  einzuschränken  y  ohne  doch  irgend 
ein  anderes  Object  der  Erkenntnis,  außer  der  Sphäre  der  letzteren,  in  sich  tu 
enthalten  und  aufzuweisen**  (1.  c.  S.  238  f.).  Als  freie  Wesen  versetzen  wir  uns 
in  eine  intelligible  Welt  (Grundleg.  zur  Met  d.  Sitt.  3.  Abschn.).  VgL  In- 
teUigible  Welt. 

Intelli^ble  Welt  (xocfios  vorjjSsy  mundus  intelligibilis) :  die  nur  durch 
den  Intellect  erfaßbare  Welt,  die  geistig-übersinnliche  Welt,  Idealwelt,  Ver- 
nunftwelt.  Philo  bezeichnet  so  die  Welt  der  Ideen  (De  mundi  opif.  4).  8o 
auch  Plotin,  der  ihre  Einheit  im  Geiste  {vovs)  betont  Sie  ist  die  Welt  der 
Urbilder  der  Dinge,  ist  voll  Leben  (Enn.  V,  9,  9),  raumlos,  allg^;enwärtig  (L  c. 
V,  9,  13),  aber  nicht  außerhalb  des  Geistes,  sondern  in  ihm  ak  ein  ypiv^ter 
Gott"  (1.  c.  V,  2,  3).  Die  Sinnen  weit  ist  ein  Abglanz  der  Idealwelt;  was  in 
jener  vielfältig  ist,  das  ist  hier  zur  Einheit  verbunden  (1.  c.  TV,  1).  Das  In- 
telligible ist  der  Geist  in  Buhe,  Einheit,  Beharrlichkeit  {rjovxia  evorrfS^  ardci^ 
1.  c.  III,  9,  1).  Nach  Plutarch  ist  die  intelligible  Welt  die  Emanation  (s.  A) 
des  iv,  der  (zweiten)  Einheit  (s.  d.).  Proklus  leitet  aus  den  Henaden  (s.  d.) 
die  Trias  der  intelligiblen  (vorjrov),  intelligibel-intcllectuellen  {rorjror  aua  »«* 
vocQov)  und  intellectuellen  Welt  (voe^ov)  ab  (Theol.  Plat.  III,  24).  Das  In- 
telligible (die  ovala)  gliedert  sich  in  drei  Triaden:  niqae,  anet^ov  fuKxov  (^«wf^ 
(In  jeder  Triade:  Ttar^^,  8v%afiisy  vovg,)  Das  Intelligibel-Intellectuelle  gliedert 
sich  gleichfalls  triadisch  (1.  c.  IV,  37;  In  Tim.  94).  JoH.  Scotlts  Eritgena 
unterscheidet  von  der  vergänglichen  Sinnes  weit  („mundus  sensibüis")  die  ewige, 
unvergängliche  intelligible  Welt  („mundus  intelligibilis".  De  divis.  nat  V,  ib; 
V,  24).    Vgl.  InteUectueU,  Intelligibel,  Welt 

Intelligibler  Gliarakter  s.  Charakter.  Intelligibler  Raum 
8.  Baum. 


Intension  —  Intensität.  525 

Intenslon:  Spannungsgrad.  Gegensatz:  Extension  (Ausdehnung). 
VgL  Intensität 

IntensitEt:  Spannungsgrad,  Starke,  Xraftgröße.  Die  psychische  Inten- 
sität ist  die  Stärke  von  Empfindungen,  Gefühlen  und  Strebungen,  die  Kraft, 
mit  welcher  sie  sich  einstellen  und  behaupten,  verglichen  mit  der  Kraft  anderer 
psychischer  Inhalte  und  in  steter  Beziehung  zum  Ich.  Die  Intensität  des 
Reizes  steht  zu  der  des  Beizes  (s.  d.)  in  bestinmiter  Beziehung  (s.  Webersches 
Gesetz). 

Nach  Chr.  Wolf  ist  „iniensitas  sive  intemio^^  j,quasi  graduum  miUtihido*^ 
(Ontolpg.  §  759).  yylntensive  Qröße**  nennt  Kant  „diejenige  ÖrÖße,  die  nwr  als 
Einheit  apprehendiert  wird,  und  in  wekher  die  Vielheit  nur  durch  Annäherung 
xur  Negaiion  =  0  vorgestellt  werden  kann".  Jede  Bealität  in  der  Erscheinung 
hat  intensive  Größe,  d.  i.  einen  Grad  (Krit  d.  r.  Vem.  S.  164  f.).  E.  v.  Habt- 
MANN  erblickt  in  der  Intensität  eine  metaphysische  Kat^orie  (s.  d.),  sie  ist 
,/2a«  Princip  des  Unlogischen  selbst,  das  sich  objediv  als  Wollen  oder^aft- 
äußentng,  subjectiv  als  Empfindung  darstdlf^  (Kategorienlehre  S.  68).  Nach 
Teighmüller  sind  die  Intensitätsunterschiede  überall  an  die  Zahl  der  quali- 
tativen Elemente  gebunden  (N.  Grundleg.  S.  43). 

Daß  allzugroße  Intensität  der  Empfindung  den  Organismus  schädigt,  betont 

BChon  ABIBTOTELES:  ^  8a  rcSv  amtSv  vTtß^ßoXrj,  olov  &e^/i40V  xal  \froXQ^  ^nl 
oxhj^iSf,  dva&^eX  to  ^^ov  navrds  fikv  yd^  tme^ßoXri  aia&rjjov  avai^si  to  aia&rj' 
r^^iov  (De  an.  III  13,  435b  13  squ.).  —  Volkmann  definiert;  „Die  Stärke 
der  Empfindung  ist  die  Quantität  des  Empfmdens,  d.  h,  die  Energie,  mit  welcher 
der  Inhalt  der  Empfindung  xur  Geltung  gebracht  wird:  der  Qrad  seines  Bewußt- 
werdens*^  (Lehrb.  d.  Psychol.  I*,  228).  Ebbinghaus:  „Intensitäten  nennt  man 
di^snigen  Eigenschaften  der  Empfindungen,  die  von  quantitativen  Veränderungen 
der  oljfeetiven  Beixe  abhängen,  Qualitäten  die  übrigen  Eigenschaften'^  (Gr.  d. 
PByehoL  I,  422).  Nach  Wundt  ist  die  Qualität  (s.  d.)  eines  psychischen  Ele- 
ments (s.  d.)  inmier  in  irgend  einer  Stärke  gegeben.  Jedes  psychische  Element 
besitzt  ,^nen  bestimmten  Intensitätsgrad,  den  man  sich  in  einen  beliebigen 
andern  büensitätsgrad  des  nämlichen  qualitaliven  Elements  durch  stetige  Ab' 
stufung  übergeführt  denken  kann.  Hierbei  ist  aber  eine  solche  Abstufung  immer 
nur  nach  xwei  Riehtungen  möglich,  deren  eine  wir  als  Zunahme,  und  deren 
andere  wir  als  Abnahme  an  Intensität  bezeichnen,**  „Die  Intens itäts grade 
jedes  psychischen  Elementes  bilden  ein  geradliniges  Gontinuum. 
Die  Endpunkte  dieses  Ckmtinuums  nennen  wir  bei  den  Empfindungen  Minimal- 
und  Maximalempfindung ,  bei  den  Gefühlen  Minimal^  und  Maximal- 
gefühl"  (Gr.  d.  Psychol.»,  S.  37  f.;  vgl.  S.  305  ff.;  Grdz.  d.  physiol.  PsychoL 
I',  340  ff.).  Nach  Külpe  ist  Intensität  „diejenige  Eigenschaft  der  Empfindung, 
vermöge  deren  wir  sie  in  bexug  auf  den  Qrad  ihrer  Lebhaftigkeit  mit  anderen 
XU  vergleichen  imstande  sind'*  (Gr.  d.  PsychoL  S.  31).  Nach  B.  Avenabius  ist 
die  Intensität  eines  Aussageinhalts  (E,  s.  d.)  abhängig  von  der  Größe  der 
yySchwankung**  (s.  d.)  im  „System  C"  (Krit.  d.  r.  Erfahr.  II,  19).  Eine  neue 
Theorie  der  Intensität  stellt  F.  Bbentano  auf.  Unter  Intensität  versteht  er 
das  jyMaß  von  Dichtigkeit**  in  der  scheinbar  continuierlichen  Erfüllung  eines 
Sinnesraums.  Eine  maximal-intensive  Empfindung  ist  eine  Empfindung,  welche 
ihren  ,ßinniesraum**  in  der  Ausdehnung,  in  welcher  sie  als  ausgedehnt  erscheint, 
lückenlos  erfüllt.     Bei  sinnlichen  Inhalten  ist  die  Intensität  des  Empfindens 


526  Intensität  —  Intention. 


und  Vorstellens  nichts  als  die  Intensität  des  Empfundenen  und  Vor^gestefitcit 
bei  nicht  sinnlichen  Inhalten  hat  das  Vorstellen,  Urteilen,  die  GemütBtätigbst 
(Fühlen  und  Wollen)  keine  Intensität  (Zur  Lehre  von  d.  Empfind.,  Bericht  üb. 
d.  III.  IntemationaL  Congr.  f.  PsychoL  1897,  S.  A.,  S.  9  ff.).  Teilweiße  Ein- 
wände gegen  diese  Theorie  bei  Chr.  Eeirenfels  (Die  Intensit.  d.  Geföhk; 
Zeitschr.  f.  PsychoL  XVI,  1898,  S.  49  ff.).  Nach  R.  Wähle  hat  die  Empfia- 
düng  keine  Intensität  als  Eigenschaft  (Das  Gunze  d.  Philos.  S.  186  ff.).  MeA- 
bar  ist  nur  ^Jene  physiologische  Erregung,  welche  tcir  haben^  wenn  etwas  Neuet 
überhaupt  eitUritt^^  (1.  c.  S.  193).  Was  man  Intensität  nennt,  ist  in  Wafaiheii 
ein  Mehr  oder  Minder  in  einem  Aggregate  von  einfachen  Qualitäten  (ibi). 

Über  die  Intensität  des  Willens  äußert  sich  Ehrenfels  :  j,Die  Stikrke  da 
Willens  ist  ein  dispositioneller  oder  potentieller,  kein  psychologisch  aetuetkr 
Begriff,  Ein  stärkerer  Wille  ist  derjenige,  weicher  sehtoerer  xum  Wanken  gebratü 
und  besiegt  werden  kann^^  (Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Philos.  23.  Bd.,  S-  2751. 
Ähnlich  H.  Schwarz  (PsychoL  d.  Will  S.  43  f.).  Vgl.  Bradley,  Mind  X.  S.  IV. 

IntensiT:  Gegensatz  zu  „extensiv^*  (s.  d.);  von  einer  (großen)  Intensitix 
(s.  d.).  Intensive  Größe  s.  Quantität.  Intensive  Zustände  =  die  pej- 
chischen  (s.  d.)  Zustände.  Intensivität:  der  Charakter  der  Intensität,  des 
Intensiven. 


Intentlons  1)  Abzielen,  Absicht  (s.  d.).  Intentionalismiis: 
theorie  (s.  d.).  Intentionalität:  Absichtlichkeit  (vgl.  EL^irr,  Krit.  d.  Urt 
II,  §  73).  Bei  Bektham  u.  a.  bedeutet  „inteniiotuü*'  =  „voluniary'  (Introdocc 
eh.  8,  p.  137).  Intentio  bedeutet  2)  nach  scholastischer  Weise  die  Be- 
Präsentation  eines  Objectes  im  Bewußtsein,  das  G^erichtetsein  des  Bewußtseins 
(der  Vorstellung)  auf  das  Object  (s.  d.),  auch  das  Vorstellungsobject,  das  in  dff 
Vorstellung  repräsentierte,  vertretene  Object,  das  (sinnliche  oder  begrifflicbe) 
,,Äbbild^^  desselben.  Intentional  heißt  die  Beziehung  jedes  Vorsteliungsacte» 
auf  sein  Object,  vermöge  deren  dieses  durch  jenen  vergegenwärtigt  wird,  ohne 
selbst  im  Bewußtsein  gegeben  zu  sein.  Intentionales  Object  ist  der  Gegen* 
stand,  sofern  er  durch  die  Vorstellung  repräsentiert  wird,  der  Gegenstand,  der 
von  der  Vorstellung  (dem  Urteil)  gemeint  ist.  Das  „ens  (esse)  intentionaUr^  'i^ 
das  begriffliche,  gedachte  im  Gegensätze  zum  realen  Bein. 

Cicero  sagt  von  Abistoxents,  er  betrachte  die  Seele  als  y,corporis  quam* 
dam  intentionem"  (Tusc.  disp.  I,  10,  20).  Mit  „ini^ttio'^  wird  das  „tp»w*" 
(s.  Tonus)  der  Stoiker  übersetzt,  die  Spannung,  Erregung  der  Seele:  „Quid 
est  aliud,  quo  animus  noster  agitetur?  Quis  est  Uli  motus  nisi  intentitr 
(Sekega,  Natur,  quaest.  II,  4  u.  6).  AüGUSTiNtrs  bemerkt:  „Quod  in  ea  rty 
quamdiu  videtur,  sensum  detinet  oetdorum,  id  est  animi  intentio^  (De  trinit 
XI,  2). 

Thomas  setzt  die  „intentio"  mitunter  der  ,^imilitudo"y  ,ySpeoies"  (s.  d.) 
gleich  (4  sent.  44,  2,  1,  3  c).  „Intentio  animae":  4  phys.  17  a.  ,JntenHo  t#i- 
telleeta"  (intellectus,  intelligibilis)  ist  „id,  quod  intelleetus  in  se  ipso  eoneipit  de 
re  intellecta"  (Ck)ntr.  gent.  IV,  11).  „Intellectus,  per  speeiem  rei  formatuSj  «»- 
telligendo  format  in  se  ipso  quandam  intentionem  rei  inieUectcu^^  (Ck)ntr.  gent 
I,  53;  vgl.  Sum.  th.  I,  85,  1  ad  4).  „Intentio  prima"  ist  der  directe,  „^mienüo 
secunda"  der  reflective  Begriff,  die  reflective  Erkenntnis  (1  sent.  23,  1,  3cV 
„Intentionalis"  wird  im  Gegensatz  zu  „realis"  gebraucht.  Nach  Hervets 
Natalis  ist  „intentio"   1)  „omne  illud,   quod  per  modum  cdieuius  repraessn- 


\ 


Intention  —  Interesse.  527 


'ationis  dueit  tntellectum  in  cognitionem  alicuiua  rei,  sive  sü  speeies  inteüi- 
fibilis  sive  ctchAs  intelleettis  sive  conceptus  mentis^^,  2)  „quod  se  tenet  ex  parte 
Ti  inielleetae^  et  hoc  modo  dicüur  intentio  res  ipsuj  quae  ivUeUigitur,  in  quantum 
in  tpscum  tenditur  simU  in  quoddam  cognitum  per  actum  intelleetus."  „Prima 
wäentio  concretive  et  materialiter  dieit  illudf  quod  intelliffitur.  Quae  eonveniunt 
rebus  seeundum  quod  sunt  obieetive  in  intellectu,  sicut  est  ,absiractum'  et  ,tmi' 
verstüe'  et  similia  ista  pertinent  ad  seeundam  intentionem**  (Prantl,  G.  d. 
L.  III,  265  f.)-  B.  LuLLUB:  ,jInt€ntio  est  similitudo  in  andma  alicuius  vel  ali- 
ptorum  naturaliter  repraeseniativa;  est  autem  duplex,  sc.  prima  et  sectmda, 
Prima  est  similitudo  partieiäaris  vel  singularis  in  anima  eorrespondens  ter- 
mino  primae  impositionis  .  .  .  Seeunda  est  similitudo  in  anima  corre^ 
ipondens  termino  seeundae  impositionis  vel  primae  in  commtmi  sumpiae**^ 
(Dial.  introd.,  vgl.  Pbantl  III,  149).  Duiulnd  von  St.  PouRgAiN  bestimmt: 
„Esse  intentionale  .potest  duplidter  aecipi,  Uno  modo  prout  distvnguitur  contra 
esse  reale,  et  sie  dieuntur  habere  esse  intentionale  üla,  quae  non  sunt  nisi 
per  operationem  intelleetus,  siout  genus  et  speeies  et  logicae  intentiones" 
(Prantl,  G.  d.  L.  III,  293;  vgl.  III,  308).  Nach  Goclen  ist  „intentio*' 
1)  yfCmtus  mentis,  quo  tendit  in  obiectum*'  („intentio  formalis*%  2)  „obieetum  in 
quod^*  („intentio  obieetiva")  (Lex.  philos.  p.  253).  ^^Prima  intentio  forma lis 
est  acHis  inteHectus  directus,  id  est,  quo  obieetum  suum  perdpit  directe,  Seeunda 
intentio  formcUis  est  actus  intelleetus  reflexus,  id  est  quo  aliquid  per  reflexionemr 
eognoseitnus"  „Prima  tntentio  obiectiva  est  omne  id,  quod  per  actum  directum 
eognosdtur,  Seeunda  intentio  obiectiva  est  omne  id,  quod  per  actum  refkocum, 
intelleetus  cognoseitur**  (ib.).  „Scholastici  ens  intentionale  appellant  ens, 
quod  sola  intelleetus  eonceptione  et  consideraHone  inest,  seu  ens,  quod  est  intra 
animafn  per  notiones  —  cui  opponitur  reale,"  „IntentioncUes  dieuntur  speeies 
sensiles,  quia  obiecta  materialia  sensui  repraesentant"  (1.  c.  p.  256;  vgl.  Suarez^ 
De  an.  UI,  1,  4).  Es  werden  „voces"  (Namen,  s.  d.)  „primae  et  seeundae  inten- 
tümis"  unterschieden.  —  Nach  F.  Brentano  ist  es  das  Charakteristische  der 
psychischen  (s.  d.)  Acte,  ein  intentionales  Object  (s.  d.)  zu  haben.  Den  Intentions- 
begriff  (als  „Meinen"  u.  dgl.)  verwerten  besonders  Uphues,  H.  Schwarz, 
HtT68ERL  („intentionale  Einheit'  =  der  identische  Inhalt  der  Bedeutung  gegen- 
über der  Mannigfaltigkeit  der  Erlebnisse,  Log.  Unters.  II,  97).  Vgl.  Objecto 
Speeies,  Wahrnehmung. 


Intentional  s.  Intention.    Intentionalität  s.  Intention. 

Interesse  (interesse,  dabei  sein):  Teilnahme  der  Seele,  des  Ich,  an  etwas^ 
willige  Hingabe  der  Aufmerksamkeit  an  die  Betrachtung  eines  Etwas,  an  die 
Beschaftigong  damit  Subjectiv  ist  das  Interesse  ein  gefühlsbetonter  Wille  zum 
Aufmerken,  zimi  Bemerken,  Wissen  eines  Etwas.  Was  in  Beziehung  zu  diesem 
Willen,  zu  den  Zwecken  des  Ich  überhaupt  steht,  bildet  den  Gegenstand  eines 
(actuellen  oder  potentiellen)  Interesses,  „interessiert  uns.  Das  Gefühl  ist  ein 
Moment  des  Interesses,  sowohl  Motiv  als  auch  schon  Anzeichen  eines  solchen, 
Interesse  und  Aufmerksamkeit  (s.  d.)  stehen  in  Wechselbeziehung  zueinander. 
Bas  Interesse  weckt  und  fixiert  die  Aufmerksamkeit,  es  bedingt  eine  genauere 
Perception  und  Appercepüon  und  ein  treueres,  festeres  Gredächtnis.  Daher  die 
AVichtigkeit  des  Interesses  für  die  Pädagogik.  Das  praktische  Interesse 
^eht  sich  auf  den  Nutzen  eines  Etwas  für  die  Lebenserhaltung,  Lebens- 


528  Interesse. 


förderung  des  Ich  („interessiert  sein").  Der  ästhetische  Zustand  (s.  Ästhetik 
ist  ein  „uninteressierter^^  (ohne  praktisches  Interesse),  aber  nicht  interessdoeer: 
das  Interesse  haftet  hier  am  Schauen  allein,  ohne  Beziehung  auf  praktisciie 
Zwecke.  Auch  für  die.  Socio logie  (s.  d.)  hat  der  Begriff  des  Interesses  (in- 
dividuelle Interessen,  Interessengemeinschaft)  Wichtigkeit. 

Die  Bedeutung  des  Interesses  für  das  Erkennen  und  Lernen  betont  scboo 
OoNDiLLAG  (Log.  p.  8  ff.).  Die  Triebfeder  aller  socialen  Handlungen  erblicb 
im  Interesse  Helvetius:  „Si  Vunivers  pkysiqite  et  saumis  au  loix  du  tnowxuiaL 
Vunivers  moral  ne  Vest  pas  moins  ä  Celles  de  VintSret,"  £r  stellt  den  Begriff 
des  „woßUverstcmdenen"  Interesses  („interei  bien  eniendu")  auf  (De  l'espr.  1, 
p.  87  ff.).  Gabve  definiert:  „Alles  das  interessiert  uns,  was  uns  durch  den 
Eindruck  des  WohlgefallenSy  den  es  auf  uns  macht,  ohne  unsem  Vorsatz  auf- 
merksam  und  nach  der  Fortsetzung  und  der  Folge  begierig  erßUUt^'  (Samml.  einig. 
Abhandl.  I,  215).  „Alles  Wohlgefallen  entspringt  entweder  aus  dem,  uhms  unsere 
Kraft  XU  denken  beschäftiget,  oder  aus  dem,  was  unsere  Empfindungefi  erweckt^ 
(ib.).  Interessant  sind  „alle  die  Gegenständ^  oder  die  Arten,  sie  varxusteUen, 
welche,  ohne  unsere  freitrillige  Anstrengung,  vermöge  des  WohlgefaUefis,  das  sie 
in  uns  erregen,  sich  unserer  Aufmerksamkeit  bemächtigen  und  dieselbe  stetig 
machen",  die  Dinge  also,  welche  uns  „nach  ihren  Vorstellungen  begierig  tnaehat 
(L  c.  S.  211  f.).  E^AKT  bestimmt:  „Interesse  wird  das  Wohlgefaüen  genanmi, 
was  toir  mit  der  Vorstellung  der  Existenz  eines  Gegenstandes  verbinden.  Ein 
solches  hat  daher  immer  zugleich  Bexiekung  auf  das  BegehrungsvermögeK^ 
(Krit  d.  Urt.  I,  §  2).  „Ein  Urteil  über  einen  Gegenstand  des  Wohlgefalkm 
kann  ganx  uninteressiert,  aber  doch  sehr  interessant  sein,  d.  i.  es  grwM 
sich  auf  kein  Interesse,  aber  es  bringt  ein  Interesse  hervor^*  (ib.).  Das  Schöoe 
gefällt  uninteressiert  (s.  Ästhetik).  ,fiie  Abhängigkeit  eines  xufaUig  bestimm- 
baren Willens  .  .  .  von  Principien  der  Vernunft  heißt  ein  Int  er  es  se^^  (Gmndkg. 
zur  Met.  d.  Sitt  S.  35).  „Interesse  ist  das,  icodurch  Vernunft  praktisch,  d.  i. 
eine  den  Willen  bestimmende  Ursache  wird"  (L  c.  S.  90).  Das  Interesse  der 
Neigungen  darf  den  sittlichen  (s.  d.)  Willen  nicht  bestimmen.  Nach  Hegel 
ist  Interesse,  „daß,  insofern  der  Inhalt  des  Triebes  als  Sache  von  dieser  seiMr 
Tätigkeit  unterschieden  tcird,  die  Sache,  welche  zustande  gekommen  ist,  da$ 
Moment  der  subfectiven  Einzelheit  und  deren  Tätigkeit  enthält*'  (EncykL  §  4751 
Herbart  betont  im  Interesse  das  Moment  der  „Selbsttätigkeit^'  und  dessen 
pädagogische  Bedeutung  (Umr.  pädagog.  Vorles.  I,  C.  4,  §  71;  vgL  C.  5,  §  83l 
Nach  Volkmann  ist  Interesse  „die  Beziehung  einer  Vorstellung  zu  den  herr- 
schenden Vorstellungsmassen  des  Ich"  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  206).  Stectthil 
-versteht  unter  Interesse  die  „BereUtoüligkeit  einer  Vorstellungsgruppe  zu  apper- 
cipierender  Tätigkeit"  (Einleit  in  d.  Psychol.  S.  330;  vgl.  G.  A.  Lendkel 
Lehrb.  d.  empir.  Psychol.*,  S.  111).  Vischer  versteht  unter  Interesse  die  .^ 
einen  Zweck  gespannte  Stimmung"  (Das  Schöne  u.  d.  Kunst*,  8.  38).  Nacli 
J.  H.  Fichte  ist  Interesse  die  „Richtung  des  schon  bewußten  Willens  .  . . 
auf  irgend  einen  Vorstellungsinhalt"  (PsychoL  I,  2(X)).  Nach  Ebbinghaxts  ist 
Interesse  die  Lust,  „die  hervorgebracht  wird  durch  das  htirmonische  Zusammen- 
gehen eines  gegenwärtig  der  Seele  nahegelegten  Eindrucks  mit  früher  erworbeneA, 
jetzt  durch  ihn  geweckten  Vorstellungen,  durch  das  Entgegenkommen,  das  jener 
bei  diesen  findet"  (Gr.  d.  Psychol.  I,  577).  Stumpf  definiert  das  Interesse  als 
Lust  an  den  Acten  des  Bemerkens  selbst  (TonpsychoL  II,  280).  Nach  H.  Schwass 
ist  es  „ein  Gefallen  an  bemerkten  Gegenständen,  das  an  sieh  stets  von  Lust  bt- 


Interesse  —  Introjeotion.  529 

''  '*"  "  "'  '     ■■■—■■       ■      1   ■'  I  I        I  ■  ,■  I  ■  ■■  I  I  IMMM^  I        ■        ■      ■■■!     ^m^m^^   t        ■         11       II        ■■■■■  ^— ^^^— 

^ieüei  wird,  die  aber  durch  entgegenstehende  Unlust  aufgehoben  werden  kann'' 
(PBjchoL  d.  Will.  8.  85).  Nach  Th.  Kerrl  ist  Interesse  y,Lu8t  am  Bemerken 
und  Bemerkenwoüen"  (Die  Aufmerks.  S.  64).  E.  Zeller  betont :  „Das  Interesse 
4si  das  einzige  naturgemäße  Motiv  des  Handelns"  (Begr.  u.  Begründ.  d.  sitÜ. 
G^etze  1883,  S.  23).  Nach  Bibot  ist  das  Interesse  das,  „ee  qui  tient  l'esprit 
€n  eveil'^  (PsYchoL  de  Fattent.  p.  49).  Nach  W.  Jebüsalebc  ist  das  Interesse 
die  yyLust  aus  der  Betätigung  unseres  irUelleetuellen  Ikmctionsbedürfnisses^^ 
{Lehrb.  d.  PsychoL*,  8.  161).  Batzeüthofeb  spricht  von  einem  angeborenen, 
inhärenten  Interesse,  das  die  Zwecke  aller  Lebensfunctionen,  auch  der  socialen 
und  sittlichen  Handlungen  bestimmt  fPosit  Eth.  8.  64  ff.).  YgL  James,  Princ. 
of  PsychoL  I,  284  ff.;  II,  312  ff. 

Intermundlen  (Metakosmien;  fiaraxoaßiioy,  intermundium) :  Zwischen- 
-welten,  Raum  zwischen  den  Welten,  in  welchem  nach  Epkub  die  Qötter  ein 
seliges  Leben  führen,  unbeeinflußt  vom  irdischen  IVeiben.  Hie  wohnen  iv 
xocfup  xal  fisratcocfitqfj  o  Xsyoftav  fiexaiv  xoa/iaw  diaarrjfia  (Diog.  L.  X,  89; 
vgL  CiCEBO,  De  divin.  II,  17,  40;  Lucbetius  Cabus,  De  rer.  nat.  II,  23,  V, 
146  squ.). 

Intmpolatlon  nennt  O.  Liebmank  das  Verfahren,  durch  Denkzutaten 
den  lückenhaften  Wahmehmungszusammenhang  der  Natur  zu  einem  einheit- 
lichen Zusammenhang  zu  machen  (Die  Klimax  d.  Theorien  1884). 

Interpretation  s  Auslegung,  Deuttmg  von  Tatsachen.  „Naturae  inter- 
pres**,  „ars  inlerpretandi^',  „interpretatio  natt^raef*  bei  F.  Bacok  (Nov.  Organ. 
I,  1;  I,  28, 130).  —  Eine  Deutung  liegt  schon  in  den  Wahrnehmungen  (s.  d.). 

IntersubJecttT  ist  das  von  den  verschiedenen  Subjecten  gemeinsam 
£rlebte,  Vorgefundene,  Vorgestellte.  Intrasubjectiv:  im  Subject,  bewußtseins- 
immanent.   VgL  Transcendenz. 

Introjections  Hineinlegung,  Übertragung  („Prqfeetion")  des  eigenen  Ich, 
Subjectiven,  der  eigenen  Lebendigkeit,  Beseeltheit,  des  eigenen  Fühlens  und 
WoUens,  des  Innenseins  auf  Objecte  der  Außenwelt  (s.  Object)  in  und  mit  der 
Wahrnehmung  derselben  und  in  und  mit  dem  Denken  derselben  nach  Kate- 
^rien  (s.  d.).  Die  Introjection  beruht  psychologisch  auf  einem  Proceß  der 
Assimilation  (s.  d.),  indem  die  Wahrnehmung  des  dem  eigenen  psychophysischen 
Ich  Analogen  die  (nicht  objectiv  wahrgenommene,  aber  instinctiv  reproducierte) 
„Innerlichkeit^^  des  Ich  (Vorstellung  von  dessen  Fühlen  und  Streben)  mit  der 
Objectwahmehmung  zur  Einheit  verschmelzen  laßt,  so  daß  dieses  nun  unmittelbar 
{ohne  Schluß)  als  ein  ichartiges  Wesen,  Gegen-Ich,  später  als  Kraftcentrum 
(s.  d.)  erscheint.  Die  Dinge  (s.  d.)  sind  hiemach  jjQualitÖteneomplexe",  Intro- 
jeetümsqualitäten". 

Schon  HüME  erklärt:  „Man  beobachtet  oft,  daß  der  Geist  große  Neigung 
besitzt,  sich  selbst  in  die  Gegenstände  der  Außenwelt  xu  prqjicieren"  (Treat.  III, 
sct.  14,  S.  226).     Die  Introjection  berücksichtigen  in  verschiedenem  Umfange 

SCHOPENHAUEB,  SCHLEIEBMAGHEB,  BeNEKE,  RtTTEB,  ÜbEBWEQ  (Syst.  d.  Log., 

§  39),  LoTZE  (Mikrok.  III«,  539),  HoBWicz  (PsychoL  Analys.  II  1,  145  ff.), 
Nietzsche,  Noibe  (Einl.  u.  Begr.  e.  mon.  Erk.  S.  31  f.,  169,  176),  L.  Busse, 
J.  WoLFP,  W.  Jebüsalem,  H.  Cobnelius  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  22),  A.  Biese, 
A-  H.  Lloyd  (Dynamic  Idealism  1898),  Teichmülleb  u.  a.  VgL  Object, 
Kategorien,  Kraft,  Causalität,  Urteil,  Apperception  (fundamentale). 

PhlloiophlMhdi  WOrterbuoh.    2.  Aufl.  34 


530  .  Intarojectlon  —  Intuitiv. 

Der  Terminuß  ,Jntrqfection*^  (y,Einlegung^')  stammt  von  R.  Avenajuts 
(Menschl.  Weltbegr.  S.  25  ff.,  27).  Er  yereteht  darunter  die  Tatsache,  dafi  der 
Mensch  in  seine  Mitmenschen  ,,  Vorstellungen"  von  Umgebimgsbestandteüen  ak 
„irniere^^  Zustande  hineinlegt,  wodurch  eine  Spaltung  der  natiirlichen  Einheit 
der  empirischen  Welt  in  „Innen-  tmd  Äußemcelt",  „Object  und  Subjeei^',  eine 
„  Verdoppelung'*  der  Welt  erfolgt  (1.  c.  S.  28  ff.).  So  wird  die  Wirklichkat 
„verfälscht'^  Aufgabe  der  Wissenschaft  ist  es,  diese  Verfälschung  durch  die 
Introjection  zu  beseitigen,  die  Introjection  zu  eliminieren,  zuräckzanehmea 
(1.  c.  S.  77  ff.;  vgl.  S.  83  ff.).  Durch  „Ausschaltung"  der  Introjection  und 
durch  Ersetzung  derselben  durch  die  „empiriokrütsehe  Principiaieoordinatiar 
(8.  d.)  wird  der  „ncUürliehe  Weltbegriff''  restituiert  (1.  c.  S.  93).  Ein  „Lmm- 
sein"  neben  einem  „Äußeren"  gibt  es  hiernach  nicht,  ebenso  keinen  Gegensalz 
zwischen  „psychisch"  (s.  d.)  und  ^^physiseh",  nur  einen  Erfahrungsinhalt,  bald 
„ahsolut"y  bald  „relativ"  (s.  d.)  betrachtet.  Die  ursprüngliche,  „nati^liehe"  An- 
nahme ist:  yfier  Mitmensch  ist  Ceniralglied  einer  Prineipialeoordination^  derm 
Gegenglied  x,  B.  ein  Bmrni,  aber  auch  ylch'  sein  kann"  (Vierteljahrsschr.  f. 
wiss.  Philos.  18.  Bd.,  S.  147).  Durch  Introjection  wird  diese  Annahme  dahin 
verfälscht:  „Aüe  wahrgenommenen  ümgebungsbestandieile  —  o/«  ,  Wakr- 
nehmungen'  —  sind  nichts  als  ,Vorstelltmgen  in  uns'"  (1.  c.  S.  153).  Das 
Wahmehmungsobject  wird  in  den  aussagenden  Menschen  (bezw.  in  dessen  Ge- 
hirn) hinelnverlegt  (ib.).  „Diese  Introjection  ist  es,  loelche  allgemein  aus  dm 
jVor  mir'  ein  Jn  mir'  macht,  aus  dem  , Vorgefundenen'  ein  , Vorgestelltes^,  ow 
dem  fBestandteil  der  (realen)  Umgebung*  einen  yBestandteil  des  (ideellen)  Denbent, 
aus  dem  ,Baum*  mit  seinen  mechanischen  Energien  eine  ,Erscheinung*  von  jenem 
Stoff,  aus  welchem  die  Träume  geicebt  sind"  (1.  c.  S.  154).  Diese  IntrojeetioQ 
beruht  auf  einem  Fehlschluß  (1.  c.  S.  157  ff.).  So  auch  F.  Cähsttasiks, 
K.  Willy,  J.  Pbtzoldt,  J.  Kodis,  W.  Heinkich  u.  a.  Dagegen  erklärt 
W.  Jerusalem,  die  (wohlverstandene)  Introjection  gehöre  zum  natürlichen 
Weltbegriff,  indem  jede  Auffassung  mitmenschlicher  als  mehr  als  mechanisehfr 
Bewegungen,  als  Äußerungen  von  Gedanken,  Gefühlen,  Willensimpulsen,  schoa 
eine  Introjection  voraussetzt.  „Ich  muß  mir  im  Innern  des  Menschen  ein  Krafi- 
centrum  vorstellen,  toenn  ich  seine  Rede  verstehen  soll"  (ürteilsfunct  S.  244  1]. 
Seine  eigene  Theorie  des  Urteils  (s.  d.)  bezeichnet  Jerusalem  als  „Introfeetions- 
theorie"  (1.  c.  S.  244;  Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Phüos.  18.  Bd.,  S.  170).  VgL 
Psychisch. 

Introspectlon:  innere  Beobachtung  (s.  d.),  Beobachtung  (Wahrnehmung^ 
der  eigenen  psychischen  Erlebnisse  („inirospective  observatiofi"  bei  James« 
Princ.  d.  Psychol.  I,  185  ff.). 

Intuition:  Anschauung  (s.  d.).  Schauen,  besonders  geistiges,  denkende 
Schauen.  —  Nach  Plato  werden  die  Ideen  (s.  d.)  in  einem  präexistentiakü 
Leben  geschaut  (vgl.  Anamnese).  Nach  Aristoteles  besteht  die  Erkenntnis 
der  letzten  Principien,  des  Unvermittelten  (der  oifisaa)  in  einem  8ichei*en  Schauen. 
Vgl.  Intellectuale  Anschauung,  Mystik,  (Kontemplation. 

Intnition,  intellectuale,  s.  Anschauimg  (intellectuale). 
Intaitionisnins  s.  Ethik. 

IntoitlT  s  anschaulich,  durch  Anschauung  (s.  d.).  —  Wilhelm  von  Oocam 
definiert:  „Notitia  intuitiva  rei  est  talis  notitia,  virtute  cuitis  polest  sdri,  ufntm 


Intuitiv  —  Ironie.  531 


res  *Ä  vd  non  sü''  (In  1.  sent.,  prooem.,  qu.  1).  „Virtute  euius  potest  evidenter 
eogno8ei  aliqua  veritas  contingens,  mtixi'me  de  praesenti,  est  natitia  intuitiva" 
(bei  Prantl,  G.  d.  L.  III,  347).  Nach  Albert  von  Sachsen  ist  intuitiv  jene 
Erkenntnis,  „qua  cUiquia  apprehendit  rem  praesentem"  (1.  c.  IV,  61).  —  In- 
tuitive Erkenntnis:  die  durch  Anschauung  gewonnene  Erkenntnis,  das  an- 
schauliche Wissen,  auch  die  unmittelbare  Erfassung  des  Wesens  der  Dinge,  des 
Allgemeinen  im  Einzelnen,  das  speculative  (s.  d.)  Wissen.  So  bei  Spinoza, 
nach  welchem  die  ^fScientia  intuitiva*'  die  höchste  Art  der  Erkenntnis  (s.  d.) 
ist.  „Hoe  eognoseendi  genus  procedit  ab  adaequata  idea  esseniiae  formalis  quo- 
rundam  Dei  attribtäorwn  ad  adaeqiuxtam  cagnitionem  essenUae  rerum**  (Eth.  II, 
prop.  XL,  schoL  II).  Die  Intuition  trifft  inmier  das  Wahre  (1.  c.  prop.  XLI), 
,idoeet  no8  verum  a  falso  diisHnguere^^  (1.  c.  prop.  XLII).  Locke  schreibt  dem 
intuitiven  Wissen  höchste  Evidenz  zu;  er  meint  das  Wissen  des  unterscheidenden, 
vergleichenden  Erkennens  (Ess.  IV,  eh.  2,  §  1).  Leibniz  nennt  eine  Erkenntnis 
eine  intuitive,  wenn  man  die  in  einem  Begriffe  enthaltenen  Teilbegriffe  gleich- 
zeitig denken  kann  (Erdm.  p.  79  f.).  Alle  adäquaten  Definitionen  enthalten 
intuitive  Vemunf twahrheiten  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  2,  §  2).  Chr.  Wolf  definiert : 
„Cogniiio,  quae  ipso  idearum  intuitu  absolvittir,  dicitur  mtuitiva"  (Psychol. 
empir.  §  286).  Hume  versteht  unter  Intuition  das  „Mit-etnem-BUek-erfassen*^ 
von  Inhalten  (Treat.  III,  sct.  1). 

Insolation:  Einwicklung,  Gegensatz  zur  Evolution  (s.  d.).  Nach 
NicoLAxrs  CüaANüS  ist  „involutio**  so  viel  wie  y^eoniplieatio**  (s.  d.).  Leibniz 
betrachtet  den  Tod  (s.  d.)  nur  als  eine  Involution,  eine  Vereinfachung  des  Or- 
ganismus (Monadol.  73).  Chr.  Wolf  spricht  von  einer  „involtUio  praeierüi  et 
futuri  omniumque  praesentium  in  idea  senstMli**  (PsychoL  rational.  §  188). 
Hesbart  versteht  unter  Involution  einer  Vorstellungsreihe  (s.  d.)  die  Ee- 
production  (s.  d.)  durch  die  letzte  Vorstellung.  So  auch  Volkmann  (Lehrb. 
d.  Psychol.  I*,  460). 

InTOlTieren  (involvere) :  einhüllen,  einschließen,  z.  B.  der  Folge  in  dem 
Grunde:  Der  (jledanke,  Begriff  des  Grundes  involviert  den  der  Folge,  die 
Setzung  einer  Wesenheit  involviert  die  Setzung  der  Oonsequenzen  aus  dieser. 
tfEssentia  invatvii  existentiam"  (bei  der  „ocaisa  sui**,  s.  d.)  (Spinoza,  Eth.  I, 
def.  I). 

Joga  8.  Yoga. 

loniselie  Plillosoplien  („Physiker^^ ,  ,^hysiologen")  haben  das  Ge- 
meinsame, daß  sie  nach  dem  materialen  Principe  (s.  d.)  der  Dinge  forschen, 
und  daß  sie  Hylozoisten  (s.  d.)  sind.  Zu  ihnen  gehören  Thales,  Anaximander, 
Anaximenes,  Hippon,  Diogenes  von  Apollonia,  Idaeus  von  Himera, 
Herakltt. 

Iraseibilitlit  und  Concupiscibilität  {d'vftoeidü ,  dmd'v/iTjrixov  bei 
Plato,  Republ.  IV,  441  B;  Tim.  77  B):  Ausdrücke  für  die  activ-wollende 
und  die  passiv  -  begehrliche  Seelenfunction  (Alcijin,  Albertus  Magnus, 
Thomas  u.  a.). 

Ironie  (ei^afp^  Spötter;  siQtovsia,  Aristoteles,  Eth.  Nie.  II  7, 1108a  22): 
Verstellung,  spöttische  Behauptung  eines  Etwas,  dessen  Gegenteil  als  wahr 
gemeint  ist.  Zum  Zwecke  der  Aufzeigung  der  Unsinnigkeit  von  gegnerischen 
Behauptungen  stellt  sich  Sokrates  in  der  Unterredung  mit  anderen  als  un- 

34* 


532  Ironie  —  Irrtum« 


wissend,  aber  als  yom  Wissen  des  andern  überzeugt  (Sokra tische  Irome, 
vgl.  Xenoph.y  Memorab.  I,  3,  8).  „Socratee  auiem  de  se  ipso  deirahens  «n  di$- 
putatione  plus  iribnebai  iiSj  quos  volebat  refeüere.  Ita  cum  aliud  dieeret  atqme 
sentiret,  libenier  uii  solitus  est  ea  dissimilatione^  quam  Qraeei  ei^awelav  voeaMf 
(Cicero,  Acad.  II,  15).  Nach  Thomas  ist  „ironia**  das  Benehmen,  ,jMr  quam 
aliquis  de  se  fingit  minora**  (8um.  th.  II.  II,  113,  1  ob.  1).  Nach  Paulbest 
ist  Ironie  „der  innere  Habitus  des  Denkens  und  der  Rede^  der  da  entstM,  ws 
ein  in  Wahrkeit  Überlegener  sieh  vor  der  scheinbaren  und  angenommenen  Über- 
legenheit der  Umgebung  die  Stellung  des  minderen  Mannes  gibt  oder  vieimdir 
diese  ihm  von  der  Umgebung  xugeunesene  Stellung  annimmt  und  nun  aus  ihr 
heraus  redet  und  handelt^*  (H.,  Seh.,  M.  S.  237).  —  Romantische  Ironie  ist 
das  freie  Schweben  über  allem,  das  sich  Hinw^-setzen-können  über  alles  soost 
Qewertete,  auch  über  das  eigene  Ich,  die  Stimmung,  „tpelehe  alles  ubersükt^ 
sich  über  alles  Bedingte  unendlich  erhebt,  auch  über  eigene  Kunst,  Tugend  oder 
Oenialiiät**  (Fb.  Schlegel  in  Beichardts  „Lyceum  d.  freien  Künste**,  ygL 
Haym,  Die  romant.  Schule  1870,  S.  758  ff.).  Die  Schrankenloeigkeit  des  Ich, 
das  geniale  Spielen  mit  allem  kommt  so  zum  Ausdruck.  Der  Ironiebegnff. 
metaphysisch  gefaßt,  auch  bei  Solgeb.  Nach  HiLLEBRAin>  stellt  die  Ironie 
„den  Ernst  der  unendlichen  Beziehung  des  Endliehen  in  der  Nichtigkeit  des  ab- 
solut Endliehen,  also  im  Seheintoirklichen*^  dar  (Philos.  d.  Geist  I,  347).  Vgl 
ViscHEB,  Ästhet.  §  202;  Schasleb,  Das  Reich  der  Ironie  1879. 

Irradiation:  Einstrahlung,  Ausstrahlung,  Fortpflanzung  einer  Reizimg, 
Erregung  auf  die  Umgebung  der  gereizten  Stelle.  Es  gibt  auch  eine  Irradiation 
der  Gefühle. 

IrritabillUlts  Reizbarkeit,  Erregbarkeit,  ist  eine  allgemeine  Eigenschaft 
alles  Organischen,  des  Protoplasmas  überhaupt,  dann  besonders  der  Nenren. 
A.  y.  Halleb  nennt  die  Fähigkeit  des  Muskels,  durch  Reize  selbständig  erregt 
zu  werden,  seine  Irritabilität  (vgl.  Hellpach,  Grenzwiss.  d.  Psycho!  S.  185). 

Irrtam  (tpevSoe,  error)  ist  die  Verwechselung  des  Falschen  mit  dem 
Wahren,  irriges,  unrichtiges,  falsches  Denken,  das  (und  insofern  es)  als  wahr 
gilt.  Irrtümer  beruhen  auf  Vorurteilen,  Unvollkommenheiten  der  Sinne  and 
des  Gedächtnisses,  Mangel  an  Urteilskraft  und  Schlußvermögen,  Ungenauigkat 
der  Beobachtung  und  Reflexion,  allgemein  auf  Übereilimg,  auf  der  Schwäche 
der  Aufmerksamkeit  und  der  zu  geringen  Energie  des  Denkwillens  im  Ein- 
zelfalle. 

Psychologisch  erklärt  den  Irrtum  Epikub:  to  8i  rf/£v8og  xai  t6  dtr^fta-^TTr 
fit'vov  dv  T(^  TiQoaBo^aCtOfiivqf  dei  iari  xara  t^v  xivqaiv  iv  rifiiv  avrots,  trvwn^m- 
fiivTjv  rff  ^avraarixf,  inißoXfi,  9tdXrjy.uv  J*^ovO"rtv,  xad^  tjv  ro  ^svdos  yivtrai 
(Diog.  L.  X,  50).  —  Die  Scholastiker  führen  den  Irrtum  zum  Teil  auf  die 
Freiheit  (Übereilung)  des  Willens  zurück,  so  DuNS  ScoTUS,  Süabez  (Met.  disp. 
IX,  2,  6).  Descabtes  leitet  den  Irrtum  aus  der  Willensfreiheit  in  Verbindung 
mit  der  Beschränktheit  des  Endlichen  ab.  Soweit  der  Mensch  von  Crott  ge- 
schaffen ist,  gibt  es  in  ihm  keinen  Grund  zu  Irrtümern,  ,^ed  quaterms  etiam 
quodammodo  de  nihilo  sive  de  non  ente  participo  .  .  .  non  adeo  mirum  esse^ 
qmd  fallar*^.  Der  Irrtum  ist  nicht  „quid  reale  quod  a  Deo  dependeaf%  sondon 
ein  „defectus".  Ich  irre,  „ex  eo  quod  factätas  verum  iudicandi,  quam  ab  ilh 
habeOy  non  sit  in  me  infinita^^.  Der  Irrtum  ist  nicht  ,^pura  negatio,  sed  priratio, 
Site  carentia  cuiusdam  cognitionis,  qtme  in  me  quodammodo  esse  debercf*.    Die 


Irrtum.  533 

Irrtümer  hangen  ab  „a  duabus  causis  simul  eoneurrenübtis",  „nempe  a  facuUate 
eognoseendi  quae  in  me  est,  et  a  fctctdtcUe  digendi  sive  ab  arbitrii  libertate,  hoc 
est  ab  inteüedu  et  simtd  a  voluntcUe".  Der  Irrtum  entspringt  ,,ex  hoc  tmo  quod 
cum  IcUius  pateat  voluntas  quam  inteÜeetiu,  iUani  non  inira  eosdem  limites 
eontineo,  eed  etiam  ad  üla  quae  tum  intdltgo  extendo"  (Medit.  IV).  Wir  irren 
t^ßum,  etsi  aliquid  non  recte  perdpiamuSf  de  eo  nihilomintis  itidicamus**  (Princ. 
philofi.  I,  33).  „Certum  autem  est,  nihil  nos  unquam  falsum  pro  vero  ad- 
missuros,  ei  tantum  vis  aasensum  praebeamus,  quae  elare  et  disiincte  percipiemus^^ 
(L c.  1, 43;  vgl.  I,  6,  29,  31,  35,  36,  38,  42).  Hobbes  erklärt:  „Sensu  et  cogitatione 
erraiur,  quando  ex  praesenti  imagiruUione  aliud  imaginetur"  (De  corp.  C.  5, 1). 
Die  Negatiyitat  des  Irrtums  betont  Spinoza.  Der  Irrtum  liegt  nicht  in  der 
VorBtellung,  sondern  im  Mangel  des  richtigen  Urteils.  „Atque  hie,  ut  quid  sit 
error,  indicare  indpiam,  notetis  velim,  tnentis  imaginationes  m  se  speetatas 
nihil  erroria  eontinere,  sive  mentem  ex  eo,  quod  imaginatur,  non  errare:  sed 
tantum,  quatenus  consieleratur,  carere  idea,  quae  existentiam  iüarum  rerum, 
quas  sibi  praesentes  imagincUur,  seeludat^^  (Eth.  II,  prop.  XVII,  schoL).  „Nihil 
in  ideis  positivum  est,  propter  quod  fcUsae  dicuntur^*  (Eth.  II,  prop.  XXXIII). 
jj^alsitas  consistit  in  cognitionis  privatione,  quam  ideae  inadaequatae  sive  mu- 
tilatae  et  eonfusae  involvunt"  (L  c.  II,  prop.  XXXV).  Pascal  betont  die  Irr- 
tomsnotwendigkeit des  Menschen:  „L'homme  n'est . . .  qu'un  sujet  plein  d'erreurs; 
rien  ne  lui  montre  la  vSrite;  toui  Vabuse.  Les  deux  prineipes  de  vSrite,  la 
raison  et  le  sens,  outre  qu'üs  manquent  souvent  de  sincerite,  s'abusent  reoipro- 
quement  Vun  l'autre,  Les  sens  abusent  la  raison  par  de  fausses  apparenees  .  .  . 
Les  passians  de  Väme  troublent  les  sens  et  leur  fönt  des  impressions  fdoheuses. 
Us  mentent,  se  trompent  ä  l'envie"  (Pens.  IV,  8).  Nach  Locke  liegt  aller  Irrtum 
nur  im  Urteil  (Ess.  II,  eh.  32,  §  1;  ygl.  eh.  33,  §  9).  Der  Irrtum  entsteht, 
indem  unser  Urteil  dem  zustimmt,  was  nicht  wahr  ist.  Gründe  dazu  sind: 
Mangel  an  Beweisen;  Mangel  an  Greschick,  Beweise  zu  benutzen;  Mangel  an 
Willen  dazu;  falsches  Abmessen  der  Wahrscheinlichkeit  (L  c.  IV,  eh.  20,  §  1). 
Leibniz  sieht  im  Irrtum  eine  Art  „Beraubung"  (pnv&tio)  (ygL  Theodic.  I.  B., 
§  32).  Nach  Chr.  Wolf  ist  Irrtum  „ein  falscher  Wahn  von  der  Wahrheit  und 
Falschheit  eines  Urteils"  (Vem.  Ged.  I,  §  396).  „Error  est  assensus  propositioni 
falsae  datus"  (Philos.  rational.  §  623).  Mendelssohn  erklärt:  „Wenn  Unver- 
mögen der  oberen  Seelenkräfte,  Mangel  des  Verstandes  oder  der  Vernunft,  an  der 
Unwahrheit  schuld  ist,  nennen  wir  das  Falsche  in  der  Erkenntnis  Irrtum" 
(Morgenst.  I,  3).  Nach  J.  Ebert  besteht  der  Irrtum  in  dem  „Mangel  der 
Übereinstimmung  unserer  Gedanken  9nit  den  Dingen,  die  dadurch  abgebildet 
Verden"  (Vemunftlehre  S.  129  f.).  Feder  erklärt:  „Wir  irren  uns,  wenn  wir 
uns  eine  Sache  anders  vorstellen,  als  sie  ist"  ,Jkr  Irrtum  besteht  also  in  der 
Verbindung  dessen,  was  nach  der  Wahrheit  nicht  miteinander  verbunden  werden 
soü,  oder  in  der  Trennung  dessen,  u?as  der  Wahrheit  nach  beisammen  ist,  kurx 
in  einem  falschen  Urteile"  (Log.  u.  Met.  Ö.  158  f.).  Es  gibt  „unmittelbare" 
und  „gefolgerte"  Irrtümer  (1.  c.  S.  159;  Ursachen  der  Irrtümer:  S.  160  ff.), 
Htjme  leitet  den  Irrtum  aus  der  Verwechselung  ähnlicher  Vorstellungen  unter- 
einander ab,  aus  leichten  Associationsbeziehungen  (Treat.  IV,  sct.  2;  II,  sct.  5). 
Kant  definiert:  „Das  Gegenteil  von  der  Wahrheit  ist  die  Falschheit,  u>elche, 
sofern  sie  für  Wahrheit  gehalten  wird,  Irrtum  heißt.  Ein  irriges  Urteil  —  denn 
Irrtum  sowohl  als  Wahrheit  ist  nur  im  Urteile  —  ist  also  ein  solches,  welches  den 
Schein  der  Wahrheit  mit  der  Wahrheit  selbst  verwechselt^'  (Log.  S.  76).   „Der  Ent- 


534  Irrtum. 

stehungsgrund  alles  Irrtums  wird  .  .  .  einxig  und  aUein  in  dem  unrermerkiea 
Einflüsse  der  Sinnliehkeü  auf  den  Verstand  oder,  genauer  zu  reden^  auf  dat 
Urteil  gesucht  werden  mOssen.  Dieser  Einfluß  nämlich  macht  y  d4iß  tcir  im 
Urteilen  bloß  subjective  Qrü/nde  für  objeetive  halten  und  folglich  den  bloße» 
Sehein  der  Wahrheit  mit  der  Wahrheit  selbst  verwechseln''  (1.  c.  S.  77).  Zum 
Irrtum  y,verleitet  uns  unser  eigener  Hang,  xu  urteilen  und  xu  entscheiden,  wo 
tvir  wegen  unserer  Begrenztheit  xu  urteilen  tmd  xu  entscheiden  nicht  vermögend 
sind"  (L  c.  S.  78).  In  jedem  irrigen  Urteile  muß  etwas  Wahres  liegen  (ib.). 
Man  irrt,  „weil  man  dasfenige  Merkmal,  was  man  in  einem  Dinge  nicht  wahmimmi, 
auch  von  ihm  vemeini  tmd  urteilt,  daß  dasjenige  nicht  sei,  wessen  man  std$  itt 
einem  Dinge  nicht  bewußt  ist",  ,firtümer  entspringen  nicht  aüein daher jweü 
man  gewisse  Dinge  nicht  weiß,  sondern  weil  man  sieh  xu  urteilen  untertiimmty  ob  «mm 
gleich  noch  nicht  alles  weiß,  was  daxu  erfordert  wnxl"  (Unters,  üb.  d.  DeutL  d.  Grunds. 
3,  §  1 — 2).  Nach  Fbies  ist  Irrtum  „Gesetzwidrigkeit  im  Fürwahrhalten".  „Aller 
Lrrtum  gehört  also  der  unederbeobachtenden  Reflexion  und  nicht  der  unmiM- 
baren  Erkenntnis,  er  liegt  im  Urteilen."  Jeder  Irrtum  beruht  auf  den  Piä^ 
missen  eines  Wahrscheinlichkeitsschlusses  (Syst  d.  Log.  S.  448  ff.).  G.  K  Schuue 
bemerkt:  „Daß  .  .  .  der  menschliche  Verstand  Irrtümer  für  Wahrheiten  ttimmt^ 
rührt  daraus  her,  daß  er  sich  .  .  .  durch  Scheingründe,  d.  i.  solche,  wdtki 
nicht  aus  einer  Erkenntnis  der  Sache,  worüber  von  ihm  geurteilt  wird,  sondern 
bloß  aus  den  besonderen  Zuständen  der  urteilenden  Person  herrühren,  hintergehe» 
läßt"  (Gr.  d.  aUg.  Log.  S.  198).  Destutt  de  Tracy  betrachtet  als  eine  Irrtnms- 
quelle  „l'imperfection  de  nos  Souvenirs"  (£1.  d'id^ol.  III,  eh.  3).  „ThtUeg  nos 
perceptions  sont  originairement  justes  et  vraies;  et  Verreur  s'y  introduit  seulement 
ä  Vinstant,  oti  nous  y  admettons  un  HSment,  qui  y  est  oppose,  c'est^ä^ire  qm 
les  denaiure  et  les  change,  sans  que  mnis  nous  en  apercevions"  (L  c.  IV,  p.  17). 
Vgl.  Krug,  Handb.  d.  Phiios.  I,  215  ff. 

Nach  Hagemann  ist  der  Irrtum  „ein  falsches  Urteil,  welches  für  wahr, 
oder  ein  wahres  Urteil,  welches  für  falsch  gehalten  wird".  Der  formelle 
Irrtum  besteht  „in  einem  Urteil,  welches  durch  bloß  logisch  unrichtiges  Denken 
xustande  gekommen  isi^^  Der  materielle  Irrtum  besteht  in  dem  Wider- 
spruche des  Urteilsinhaltes  mit  dem  Gegenstande  (Log.  u.  Noet.*,  S.  170  L). 
Am  Zustandekommen  des  Irrtums  hat  der  Wille  seinen  Anteil.  Der  Wiüe 
bestimmt  den  Denkgeist  zur  Setzung  eines  falschen  Urteils  aus  einem  doppdlteD 
Grunde:  „Entweder  liegt  der  Qrund  in  der  Beschränktheit  des  Erkennens  un- 
m,ittelbar,  sofern  der  durch  die  Schwäche  der  Erkenntniskräfle  ermögUehU 
Schein  des  Wahren  xu  einem  falschen  Urteile  verleitet,  oder  mittelbar,  sofern 
xunächst  der  Wille  von  Stimmungen,  Neigungen,  Leidenschaften  beeinflußt  und 
dadurch  das  Denken  xum  unrichtigen  Urteilen  bestimmt  toird"  (1.  c,  S.  172  ff). 
WUNDT  erklärt  die  Irrtumsmöglichkeit  aus  der  Freiheit  der  logischen  Causalitit 
(s.  d.),  welche  darin  besteht,  ,4aß  bei  ihr  aus  gegebenen  Bedinguftgen  eine  Ff>igs 
nicht  notwendig  gexogen  werden  muß,  sondern  daß  es  Ufiserm  Denken  freisteht, 
ob  es  tätig  sein  will  oder  nichts*.  Der  Irrtum  geht  so  aus  einer  „unvoUsiändigen 
Anwendung  unserer  Denkkraft"  hervor  (Log.  I*,  S.  625  ff.).  Nach  Sghubest- 
Soldern  ist  der  Irrtum  „entweder  eine  in  Zeichen  ausgedrückte  Forderung  für 
das  Denken,  die  unvollxiehbar  ist,  oder  eine  der  Vergangenheit  scheinbar  ganx 
analoge  Erwartung  für  die  Zukunft,  welche  diese  selbst  nicht  bestätigt"  (Gr.  ein. 
Erk.  S.  156).  Schuppe  betont:  „Die  Definition  des  Irrtums  katm  .  -  .  mehi 
die  sein,  daß  er  Niehtwirkliches  für  Wirkliches  und  umgekehrt  ausgebe,  sondern 


Irrtum  —  Stampf.  535 


:nur  die,  daß  er  in  Wahmehtnungen  und  urteilen  besiehe,  tceiche  den  individuellen 
Unterschieden  der  einzelnen  Beumfltseine  .  .  .,  nicht  dem  gattungsmäßigen  Wesen 
^ngehihren"  (Log.  S.  171). 

Nach  Nietzsche  sind  unsere  „Wahrheiten*^  (s.  d.)  nichts  als  eingewurzelte 
Irrtümer,  die  sich  als  nützlich,  als  arterhaltend  erwiesen  haben  (WW.  V,  110; 
XV,  268, 272  ff.).  Die  „falschesten  Urteile^\  z.  B.  die  synthetischen  Urteile  a  priori, 
Bind  uns  die  unentbehrlichsten.  „Die  Falschheit  eines  Urteils  ist  uns  noch  kein 
Einwand  gegen  ein  Urteil^*  (WW.  VII,  1,  4).  Insofern  der  Irrtum  lebenerhal- 
tend, den  Willen  zur  Macht  fördernd  ist,  ist  er  ebenso  wertvoll,  ja  wertvoller 
als  die  „Wahrheit'  (WW.  VII,  1,  1  ff.).    Vgl.  Wahrheit. 

Isolatton  ist  ein  Verfahren,  das  darin  besteht,  jeden  Teü  eines  zusammen- 
gesetzten Vorganges  für  sich  rein  in  seiner  Bedeutung  zu  bestimmen  (vgl. 
P.  Volkmann,  Erk.  Gr.  d.  Naturwiss.  S.  70  ff.).  Die  isolierende  Abstraction 
hebt  bestinmite  Teilinhalte  von  Vorstellungen  gesondert  heraus. 

IndlcattTa  (pars  logicae):  Urteilslehre,  Analytik  (s.  d.)  (vgL  Thomas, 
Sum  th.  II.  II,  53,  4  c). 


K  (s.  auch  C). 


Kabbalft  (eig.  „Überlieferung''')  heißt  die  vom  Neuplatonlsmus  (s.  d.) 
"beeinflußte,  vom  9.  bis  13.  Jahrhundert  ausgebUdete  jüdische  Mystik  (vgl. 
J*BANCK,  La  cab.  p.  353  ff.;  Jellinek,  Beiträge  zur  Gesch.  d.  Kabbala,  185i). 
Die  kabbalistischen  Lehren  befinden  sich  in  den  Büchern  ,flexird''  und  „S6har^\ 
15s  wird  eine  Emanation  (s.  d.)  der  geistigen  (intelligiblen)  und  materiellen 
Welten  d^Axiluth,  Beriä,  Jexirä,  Asid'')  aus  den  zehn  „Sephiroth'*  (s.  d.)  (deren 
Einheit  der  „Adam  Kadmon",  s.  d.,  ist)  und  mit  diesen  aus  dem  Absoluten, 
<lem  „Ensoph''  (s.  d.),  gelehrt.  Mit  der  Kabbal&  beschäftigen  sich  auch 
Heuchmn  (De  art.  Cabb.),  Pico  von  Mieandola,  Agrippa,  H.  Moee  u.  a. 

Kablkopf  (yala^oe,  calvus)  ist  der  Name  eines  Trugschlusses,  ähnlich 
dem  „acervus"  (s.  d.). 

Kalolia^^atlile  (Haloxayad-in):  Schön-Güte,  das  schön-und-gut-Sein,  die 
schöne,  edle  Sittlichkeit  —  das  Ideal  der  Hellenen. 

Kalpa  heißt  in  der  indischen  Philosophie  der  zwischen  einer  Welt- 
entstehung und  einem  Weltuntergang  verstreichende  Zeitraum. 

ILftltepmilLte  sind  Hautstellen,  die  für  Kälte  besonders  empfindlich 
sind  (nach  Goldscheidee,  Arch.  f.  Physiol.  1885—87;  Ges.  Abhandl.  1898,  I). 

Kampf  (Streit)  ist  nach  Hebakut  der  Vater  aller  einzelnen  Dinge 
{noXefiOQ  naitiQ  7tavTa>v,  Plut,  Is.  et  Osir.  48).  Der  Kampf  läßt  aus  der  Ein- 
heit die  Vielheit,  Verschiedenheit  hervorgehen;  die  Bückkehr  zu  jener,  zum 
göttlichen  Urfeuer,  ist  der  Friede  (ofioXoyia  xal  sl^vrj,  Diog.  L.  IX,  8).  —  Nach 
Cakfanella  stehen  alle  Dinge  im  Kampfe  miteinander  (De  sensu  rer.  I,  5). 
Hobbes  spricht  vom  „bellum  omnium  contra  omnes"  (s.  Sociologie).  Den 
(directen  imd  indirecten)  ,yKampf  ums  Dasein*'  („siruggle  for  lif&')  aller  Lebe- 
wesen lehrt  Gh.  Daewin  (s.  Evolution).  Nach  Du  Peel  besteht  auch  ein 
^,Daseinskampf"  zwischen  den  Himmelskörpem.  Eolph  setzt  an  die  Stelle 
des  Kampfes  ums  Dasein  den  „Kampf  um  Mehrenoerb"  (Biolog.  Probleme  1884). 


536  Kampf  —  KantUnismus. 


Ähnlich  Nietzsche.  Nach  F.  Sghultze  ist  der  Kampf  ums  Dasein 
besonderer  Ausdruck  der  allgemeinen  Causcdüät*,  ,^€der  suefU  sich  so  soeü  *¥ 
erhaUenj  als  seine  ursächliehe  Kraft  reicht,  und  wird  so  weit  überwäUigty  als  die 
Kraft  des  Oegenstrebenden  die  des  Strebenden  überragt^  (Philos.  der  Naturwiss. 
11,  344).    Vgl.  Evolution,  Selection,  Dualismus. 

Kanon  (navciv):  Richtmaß,  Kegel.  Kavtoveg  sind  logische  S^ein 
(PsELLüs,  bei  Pbantl,  G.  d.  Log.  II,  268).  Kjlnt  versteht  unter  ,^anosr 
der  reinen  Vernunft  den  ,ylnbegr%ff  der  Orundsätxe  a  priori  des  richtigen  Gt- 
brau4!hs  gewisser  Erkenntnisvermögen  überhaupt".  „jSo  ist  die  allgemeine 
in  ihrem  analytischen  Ibüe  ein  Kanon  für  Verstand  wnd  Vernunft 
aber  nur  der  Form  nach,  denn  sie  abstrahiert  von  allem  InhaUef^  (Knu  d.  r. 
Vern.  S.  604  f.).  Fries  versteht  unter  Kanon  „einen  JMegriff  von  Regelte,  nach 
denen  ein  Erkenntnisvermögen  .  .  .  wirkt^.  Die  reine  Logik  ist  „etn  Kanon 
des  Verstandesgebrauehs"  (Syst.  d.  Log.  S.  12  f.). 

KanonÜL  (xavorwov)  nennt  Epikub  seine  Logik  (s.  d.),  die  er  der 
Dialektik  gegenüberstellt  und  welche  eine  Lehre  von  den  Normen  (canones)  der 
Erkenntnis  und  der  Wahrheit  (s.  d.)  sein  solL  Das  xavovtxov  ist  der  erste 
Teü  der  Phüosophie  (Diog.  L.  X,  29;   Qcero,  Acad.  II,  30;   De  finib.  L  7: 

Senec.,  Epist.  89).  Tfjv  dialexTutijv  eog  Tin^iXicovcnv  anodoHifid^ovcrtt^'  a^auir 
ya^  rove  (pvinxovs  x^Q"^^  xara  rovg  rdfv  n^ayfiariov  fpd'oyyovQ  (Diog.  L.  X,  90k 
ro  fiev  ovv  xavovtxov  itfoBovg  inl  rijv  ngayfiarslav  fyst  (1.  c.  X,  30). 

ILanttanlsmas:  die  Philosophie  Kants.    Sie  besteht  im  Kriticismus 

(s.  d.),  in  der  Negierung  apodiktischer,  transcendenter  Metaphysik  (s.  d.),  in 
der  Unterscheidung  von  Stoff  und  Form  (s.  d.)  der  Erkenntnis,  in  der  G^en- 
überstellung  des  a  posteriori  und  a  priori  (s.  d.),  in  der  Betonung  der  8p(Hi- 
taneität  (s.  d.)  des  Denkens  und  des  Zusammenwirkens  von  Begriff  und  An- 
schauung (s.  d.),  in  der  Behauptung  der  Aprioritat  und  Subjectivität  (s.  d.)*  der 
Anschauungsformen  (s.  d.)  und  Kategorien  (s.  d.),  der  transcendentalen  Idealität 
(nebst  empirischer  KeaUtät,  Objectivität)  der  Erkenntnisinhalte,  des  phäno- 
menalen (s.  d.)  Charakters  der  Dinge,  der  Unmöglichkeit  der  Erkenntnis  dfö 
fyDing  an  sich**  (s.  d.);  femer  im  ethischen  FormaUsmus  (s.  d.)  und  Rigorismiis 
(s.  d.),  in  der  Unterscheidung  des  empirischen  und  intelligiblen  Charakt^B  (s.  d.t; 
ferner  in  der  Unterscheidung  zwischen  Wissen  (s.  d.)  und  Glauben,  in  der 
Anerkennung  der  Berechtigung  von  Postulaten  (s.  d.)  der  Vernunft,  da,  wo  dne 
Erkenntnis  nicht  mehr  möglich  ist;  femer  in  der  eigenartigen  (formaliKtischeD) 
Auffassung  des  Zweckes  (s.  d.)  und  des  Ästhetischen  (s.  d.).  Kantianer  und 
Halb -Kantianer  sind:  J.  Schultz,  L.  H.  Jacob,  Chk.  K  BciaaD, 
G.  B.  JlscHE,  K.  L.  Reinhold,  Schiller,  J.  S.  Beck,  Maimon,  Krug, 
Fries,  Maass,  Kiesewetter,  Hoffbaüer  u.  a.  Von  Kant  beeinflußt  sind 
sehr  viele  Philosophen.  Der  Neukantianismus  lehnt  sich  teils  ziemlich  «n 
KsntB  Lehren  an,  teils  nähert  er  sich  dem  FiCHTEschen  Idealismus  od^  den 
HuMEschen  Lehren  (s.  Neuhumismus).  Zu  den  neueren  Kantianern  und  Xen- 
kantianem  gehören:  J.  B.  Meyer,  F.  A.  Lange,  Helmholtz,  E.  Arnoldt^ 
H.  Cohen,  P.  Natorp,  K.  Vorländer,  F.  Staudinger,  L.  GoLDscHimyT. 
H.  LoRM,  H.  Vaihinoer,  R.  Stammler,  W.  Tobias,  A.  Krause,  A.  Stadler. 
O.  Liebmann,  Renoüvier,  K.  Lasswitz,  J.  Volkelt,  W.  Windelband, 
Fr.  Schültze,  Rokitansky,  A.  Classen,  H.  Hertz,  C.F.  Zöllner,  die  Tlieo- 
logen  A.  RnscHL,  A.  Lipsius  (vgl  Überweo-Heinze.  Gr.  d.  G^sch.  d.  Fhih». 


i 


Kantiaxiiamua  —  Kategorialfanotioii.  537 

IV*,  215  ff.;   vgl.  auch  ^^ntstudien^' ^  hrsgegeb.  von  H.  Vaihinger.    Vgl. 
Idealismus,  Kriticismufi. 

Karma  (eig.  Tun,  Werk):  die  sich  verkörpernden,  objectivierenden  Wir- 
kungen eines  Wesens,  die  schicksalsgestaltende  Kraft  des  Wesens  (Verschulden 
und  Verdienst).  Das  Karma  bestimmt  Örtlichkeit,  Natur  und  Zukunft  des 
neuen  Wesens,  das  nach  dem  Tode  eines  andern  entsteht  (Buddhismus;  vgl. 
T.  W.  Rhys  Davids,  Der  Buddhism.,  dtsch.  S.  106). 

Katalepsie  (hypnotische)  s.  Hypnose. 

Kataleptifiielie  VorsteUung^  {favraaia  xaraXrptTixrj)  ist,  nach  den 
Stoikern,  das  Kriterium  der  Wahrheit  (s.  d.).  Unter  der  favraaia  Hara- 
XriitTtxri  (von  xatdkriyjii  j  Erfassung)  verstehen  die  Stoiker  die  den  Beifall 
(avyxarad'eatgf  s.  d.)  erzwingende,  uns  zur  Anerkennung,  zur  Fürwahrhaltung 
durch  ihre  Evidenz  nötigende  und  so  zugleich  das  Object  erfassende,  auf  ein 
solches  hinweisende  Vorstellung.  Während  Zelleb  (Philos.  d.  Griech.  III',  85) 
und  Heinze  (Zur  Erk.  d.  St.  S.  27  ff.)  die  fnpr.  xaraX,  als  eine  den  Er- 
kemienden  „packende^*  Vorstellung  auffassen,  meint  B.  Hibzel  (Untersuch,  zu 
Cic.  philos.  Schrift  II),  der  Verstand  sei  es,  der  die  Vorstelli^ng  „ergreife", 
Ubebweg-Heinze  bestimmt  die  ^avr.  xaraX,  als  y,die  den  Beifall  erzwingende 
(oder  die  mit  sinnlicher  Klarheit  das  Object  ergreifende)  Vorstellung"  (Gr.  d. 
Gesch.  d.  Philos.  I',  S.  291).  L.  Stein  meint:  ,yMit  Zeller  muß  man  annehmen, 
daß  das  xaralijTtTixov  ursprünglich  einen  activen  Sinn  hatte,  daß  der  Tonus 
desselben  xweifehohne  auf  die  Suivoia  einwirkt.  Anderseits  muß  man  Hirxel 
wieder  darin  recht  geben,  daß  die  Sidvota  sich  unmöglich  rein  leidend  verhalten 
kann"  (Psychol.  d.  Stoa  II,  174).  —  T^e  Si  tpavTaitias  riyv  ftev  xaTaXijTtrtxi}»', 
rr^v  $6  dxardXrjTrrov  xataXrjTtTixrjv  fidv,  rjv  x^irtj^tov  elvai  rmv  Ttgay/idttov  tpaai, 
t^v  ywofiivriv  dno  vffa^/o»^Off  xai  ivanofASfiaYfitvriv'  dxaTaXipiTOv  Si  r^v  iatj 
ano  vnd^ovTog,  ij  dno  vnd^ovTog  fiiv,  fii)  xar*  avro  8i  ro  vnd^x^p,  r^v  fiij 
T^avfj  ßAtjSi  ixTvnop  (Diog.  L.  VII,  1,  46).  Die  favr.  xaraX,  erzwingt  unsere 
avyxardd'eins  (L  c.  51),  sie  entspringt  aus  der  Wahrnehmung  und  dem  Schließen 
(1.  c.  52),  sie  ist  klar  (ira^yr^g  ovoa  xai  7tXi]XTixfj)  und  xaraancäaa  rifids  eig 
avyxaTdd-eoiv  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  257).  Sie  hat  objectiven  Charakter 
{indgxov  kariv,  o  xtval  xaTaXfjTtrixr^p  favxaaiav,  1.  C.  VII,  426).  CiCERO  be- 
merkt :  ,yZeno  cum,  extensis  digitis  adversam  manum  ostenderat,  visum  inquiebat, 
huius  modi  est.  Dein  cum  pauhrni  digitos  contraxerat,  adsensus  huius  modi. 
Tum  cum  plane  compresserat  pugnumque  fecerat,  comprehensionem  illam 
esse  dicebat"  (Acad.  II,  145). 

Philo  von  Larissa  glaubt,  dxaTaXrjnTa  (imbegreiflich,  nicht  mit  Sicher- 
heit erkennbar)  elvai.  rd  n^dyfiara  (Sext.  Empir.  Pyrrh.  hypot.  I,  235).  Nach 
Arkeselaos  (1.  c.  I,  233  squ.)  und  Karneades  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII, 
416  squ.)  kann  die  ^avxaala  xaraXi^Ttrix^  nicht  das  Kriterium  der  Wahrheit 
sein.    Vgl.  Synkatathesis. 

KateclietiBeli  (xaTtjxeiPj  unterrichten)  heißt  die  Unterrichtsmethode 
durch  Frage  und  Antwort  (=  „erotematisch").  Das  Sokratische  Verfahren 
ist  katechetisch. 

Kateg^orematlscli  s.  Synkategorematisch. 

Kateg^orlal  s.  Kategonen. 

Katefj^orlalfanctlon  s.  Kategorien. 


538  Kategorien« 


Kateg^orlen   {xarrjyo^iat  von   xarrjyo^eiVj  aussagen,   yypraedieameiUir): 

Aussagen,  allgemeinste  oder  Grundaussagen  über  das  Seiende,  Grundbegii^ 
Stammbegriffe,  oberste  Begriffe  als  Niederschlag  von  allgemeinsten  Urteflei 
über  das  Seiende,  Fundamen talbeurteilungen,  Denkformen,  DenkBetzongeB, 
Seinsarten.  Die  logischen  Kategorien  sind  die  allgemeinsten  B^riffe,  wddie 
aus  der  denkenden  Verarbeitung  der  Erfahrungsinhalte  entspringen.  Sie  sind 
nicht  direct  aus  der  Erfahrung  (den  Empfindungen,  Vorstellungen)  abstrahiot 
sondern  haben  in  dieser  nur  ein  „Fmidament"y  d.  h.  die  Erfahrung  (das  (ge- 
gebene) enthalt  Momente,  die  zur  Setzung  der  Kategorien  veranlassen,  nötiges. 
Formal  sind  die  Kategorien  ein  Product  von  Setzungen,  Urteilen,  ein  Werk 
des  beziehend-synthetischen  Denkens.  Aber  sie  sind  nicht  bloße  FoTnIbegTifi^ 
sondern  haben  auch  einen  der  (inneren)  Anschauung  entnommenen  Inhalt, 
nämlich  ein  Verhalten  des  Ich,  welches  in  und  mit  der  Kategorie  auf  die  Ib- 
halte  der  äußeren  Erfahrung  übertragen,  projiciert  wird.  Einheit,  Identität, 
Beharrlichkeit  (Substantialität) ,  Wirken  (Causalität)  sind  Bestimmungen,  die 
nicht  objectiv  erlebt  (empfunden),  auch  nicht  aus  „angeborenen"  Begriffies 
stanunen,  auch  nicht  bloß  formale  Beziehungen  des  Denkens  sind,  sondern  Be> 
Stimmungen,  die  das  Ich  ursprünglich  nur  bei  und  in  sich  selbst  vorfindet  und 
nach  deren  Analogie  es  die  Wahmehmungsobjecte  beurteilt,  dies  aber  nid« 
willkürlich,  sondern  psychologisch  und  logisch  motiviert  durch  dem  äußere  (er- 
fahrbare) Verhalten  der  Objecte,  das  dem  äußeren  (sinnlich-physischen)  Ver- 
halten des  Ich  gleichartig  ist.  Die  subjective  Quelle  der  Kategorien  ist  ako, 
in  formaler  und  materialer  Beziehung,  das  denkend-wollende  Ich.  Indem  dt» 
Subject  die  Kategorien  (primär  nicht  begrifflich,  sondern  in  concreter,  nn- 
reflectierter  Weise)  auf  den  Inhalt  seiner  Erlebnisse,  auf  das  Immanente  (s.  d.i. 
anwendet,  meint  es  (implicite,  in  der  Wissenschaft  und  im  philoeophlschai 
Bealismus  explicite)  die  transcendente  Gültigkeit  der  Grundbegriffe,  d.  h. 
es  setzt,  postuliert  mit  ihnen  transcendente,  nicht  objectiv  erlebbare  Factorefi 
der  Objecte,  es  bereichert  das  Für-ein-Subject  dieser  um  ein  Eigen-  und  Für- 
sich-sein.  Die  Function  der  Kategorien  (Kategorialfunctionen)  sind  also  Her- 
stellung von  Einheit,  Zusammenhang,  Ordnung,  Objectivität  {„ObfectirieruH^f 
in  den  Erlebnissen  und  zugleich  Setzung  eines  Transcendenten  im  Erkenntnis- 
immanenten  („Sub/eettrierung"j  „Hypostasterunff^^).  Insofern  die  Kategorien 
für  jede  mögliche  Erfahrung  notwendig  Gültigkeit  beanspruchen  und  insoweit 
sie  nicht  den  Erfahrungsinhalten,  sondern  der  Ichheit  und  dem  Denken  ent- 
springen imd  in  die  Erlebnisse  erst  hineingelegt  (introjiciert)  werden,  haben  sie 
apriorischen  (s.  d.)  Charakter.  Insofern  aber  die  Erfahrungsinhalte  selbst  den 
Anlaß  zur  Anw^idung  der  Kategorien  bieten  und  insoweit  die  Anwendbarkeil 
derselben  beständig  durch  die  Erfahrung  erhärtet,  erprobt  wird,  sind  sie  em- 
pirisch fundiert.  —  Die  Urkategorie  ist  die  ,Jch?i€it*,  Ihr  objectiver  Reflex 
ist  die  „Dinglieit*  (s.  d.).  Sie  enthält  schon  das  „PTtrÄ:«»".  Aus  ,,Din^*^  uni 
„Wirken^^  (Tun)  gehen  die  Kategorien  (und  „Pontprädicamerdt^^  s.  d.)  „Äi^ 
«ton*"  (Sein)  mit  „Accidetixen"  (Eigenschaften,  Zuständen),  „Causalität^,  „Ära/^", 
,fZwect^  u.  s.  w.  hervor.  „/cMciY"  und  „Ditigheii"  explicieren  sich  in  ^^itthedt^ 
(Identität),  „Anderkeit**  (Verschiedenheit),  „Vielheit*.  Psychologische  £[ate- 
gorien  sind  Begriffe  von  allgemeinen  psychischen  Tätigkeiten  und  Zustandeo. 
Ästhetische  und  ethische  Kategorien  sind  Arten  der  Wertbegriffe  (s.  d.). 

Die  Kategorien  werden  betrachtet:  1)  als  Denkbestimmungen,  die  für  das 
Seiende  zugleich  gelten ;  2)  als  apriorisch-subjective,  phänomenale  Bestinunungen ; 


Kategorien.  539 


3)  als  empirisch-objective;  4)  als  enipirisch-subjective  Bestimmungen;  5)  als  bloß 
biologisch- wertvolle  Begriffe.  Also :  rationaler,  aprioriacher  Ursprung  der  Kate- 
gorien, Ursprung  aus  der  äußeren,  aus  der  inneren  Erfahrung;  aus  dem  Zu- 
sammenwirken von  Denken  und  Erfahrung;  subjective,  objective  (transcendente) 
Gültigkeit  der  Kategorien ;  Elimination  derselben. 

Das  System  des  Kanada  unterscheidet  sechs  Kategorien  (pad&rthras) : 
Substanz  (dravja),  Qualität  (guna).  Wirken  (karma),  Gemeinschaft  (sämanja), 
Unterschied  (viceschna),  „Zueinandersein^^  (samanäja).  Die  vorsokratischen 
Philofiophen  verwenden  die  Kategorien  im  objectiv-metaphysischen  Sinne.  Eine 
gewisse  Verwandtschaft  mit  einer  Kategorien tafel  weist  die  Pythagoreische 
Tafel  der  Gegensätze  (s.  d.)  auf.  Der  erste,  der  die  Begriffe  auf  Grundbegriffe 
zurückführt,  ist  Plato.  Er  nennt  sie  ttoiva  ns^i  navrtov  (Theaet.  185  E), 
Ittyiaxa  yivr}  (höchste  Gattungen,  Soph.  254  C,  D).  Es  sind  dies  Sein  (Seiendes, 
&v),  Identität  (tävtoV),  Anderheit  (fts^ov)^  Veränderung  {xivrjirie),  Beharrung 
{rzacts)  (Soph.  254  C,  D).  KarijyoptjTs'ov  (jyÄusgesagtes^'J  kommt  Theaet.  167  A 
vor.  —  Der  eigentliche  Begründer  der  Kategorienlehre  ist  Aristoteles.  Von 
grammatikalischen  Gesichtspunkten  (vgl.  Trendelenburg,  Gesch.  d.  Kate- 
gorienL  S.  209)  geleitet,  nennt  er  xaTi?yo(>/ai,  yi'vrj  tööv  Harrjyo^täßv^  ff/if/iÄT«  i^g 
xarr^yo^iag  rdiv  ovrtov  die  (objectiven)  Grundaussagen  über  das  Seiende,  die 
allgemeinen  Seinsweisen  selbst,  die  obersten  Gattungsbegriffe,  denen  alles  Seiende 
sich  unterordnen  läßt.  Er  nimmt  zunächst  zehn  Kategorien  an:  Substanz 
(ovcia)y  Quantität  {noaov),  Qualität  {noiov)^  Belation  (tt^os  t«),  Ort  (ttoi;),  Zeit 
(nora),  Lage  (xeiad^ai),  Haben  oder  Verhalten  (^x^i^)*  Tun  (nouilv),  Leiden 
(naax^tv)  (Top.  I  9,  103  b  20  squ. ;  Categor.  4,  1  b  25).  Auch  eiue  Achtzahl  von 
Kat^orien  (ohne  xalad-ai  und  i^x^iv)  kommt  vor  (Analyt.  post.  I  22,  83  a  21; 
B3b  16;  Phys.  V  1,  225b  6).  Drei  Kategorien  (ovaiat,  ndd^,  tiqos  ti)  werden 
aufgezahlt  Met.  XIV  2,  1089  b  23.  Auch  steUt  Aristoteles  der  oifala  die  übrigen 
Kat^orien  als  avfißeßtjxora  gegenüber  (Analyt.  post.  I,  22).  Die  Kategorien 
haben  ihr  Correlat  im  Sein:  oaaxcSg  yaq  Xäyeratf  TocavraxöJs  to  eJvai  ar,uaivsi 
(Met  V,  7).  —  Strato  betrachtet  als  oberste  Kategorie  die  ovaia  (ProkL  in 
Tim.  242  E).  Die  Stoiker  stellen  vier  Kategorien  (n^wra  yivrj^  yevixcjTara) 
auf:  Substrat  oder  Substanz  {v7ioxBifuvov)y  Qualität  {noiov)^  Verhalten  [nrng 
i/av),  Belation  {n^og  xi  Ttcag  ^x^v)  (Simplic.  in  Cat.  f.  16).  Das  vnoxsi/uevov  ist 
die  oberste  Kategorie.  Plotin  unterscheidet  sinnliche  und  intelligible  Kate- 
gorien, d.  h.  Kategorien,  die  für  die  sinnliche,  und  solche,  die  für  die  Ideal- 
welt gelten;  die  intelligiblen  Kategorien  gelten  für  die  sinnliche  Welt  nur 
avaXoyiq  xal  Ofiofw/iiq  (Enn.  VI,  1  ff.).  Die  Ti^wra  yevt]  töw  votjxojv  sind: 
övf  axdatSf  xinjcigf  ravroTTjg,  arepari^g  (Enn.  VI,-  1,  25;  VI,  2,  7  ff.).  In  der 
Sinnenwelt  gibt  es  ovaia,  n^og  ri,  noaov,  noiov,  xivr^an. 

Die  Aristotelischen  Kategorien  (,,8umma  verum  genera^^)  werden  bei  Bofi- 
THius,  Claudius  Mamertinus  (De  statu  anim.  1, 19),  Johannes  Damascenus, 
Alcuin,  Gerbert,  Anselh  u.  a.  aufgezählt:  „substanüa,  qttantitas,  qualitasy 
rdaiioy  actio,  pcusio,  ubi,  quando,  sittts,  habiius*^.  Augustinus  nennt  drei  psycho- 
logische Kategorien:  j^memoria,  iniellecius,  volunttis",  denen  er  „esse,  nosse,  velle** 
als  Seinskategorien  gegenüberstellt.  Die  sinnlichen  Kategorien  sind  auf  (3k)tt  nicht 
anwendbar.  Gott  (s.  d.)  ist  „sine  qualitate  honwn^\  „sine  quantitaie^'^  u.  s.  w. 
(De  trinit.  V,  2).  Auch  JoH.  Scotus  Eriugena  behauptet:  „NiUla  categaria 
proprie  Deum  significare  potesP^  (De  div.  nat.  I,  15).  Alle  Kategorien  stehen 
zueinander  in  Beziehung.     Die  ovaia   ist  die  Grundlage  aller  anderen;  einige 


540  Kategorien. 

Kategorien  sind  zu  jener  ne^ioxaij  circnmstantes,  andere  dagegen  Accidema 
der  ovaia  (L  c.  I,  24;  I,  27;  I,  51;  I,  54).  Die  Kationen  constituieren  da 
Körper  (s.  d.),  welcher  demnach  aus  Unkörperlichem  (durch  den  Logos)  gebOdei 
wird.  „Omnes  .  .  .  eategorio/e  incorporales  sunt  per  se  intelleetcte.  Earwn  tamm 
quaectam  inier  se  mirahüi  qttodam  coitu  —  materiam  visibilem  efficiunt^  (L  c.  1, 36i. 
Nach  Abaelard  kann  Gott  nicht  kategorial  bestimmt  werden  (Introd.  ad  tbeoL 
II,  p.  1073).  Thomas  erklärt:  y^Modi  .  .  .  essendi  proportionales  sunt  modis 
praedicandi^'  (3  phys.  5i).  Nach  Wiilhelm  von  Occam  sind  die  PrSdicamcnte 
yytermim  primae  intentionis".  Es  gibt  ihrer  drei :  yysubstantia,  qualitas,  n- 
speetus^^  (In  L  sent.  I,  d.  8).    Eine  Menge  Pradicamente  gibt  es  nach  IL  Lüixrs. 

Laubentius  Valla  zählt  drei  Kategorien  auf:  y^sttbstantia,  qwüitas,  attvt 
(Dial.  disp.  I,  17).  Zehn  Kategorien  kennt  Campanella:  ^^substantioy  ^w»- 
tita^y  forma  seu  figura,  vis  vel  facultas,  operatio  seu  actuSy  aetioy  passioy  simäi- 
tudoy  dissimilitudo,  circfumstantia"  (vgl.  Trendelenbueg,  Gresch.  d.  Kat^oricnL 
8. 256).  Melanchthon  definiert :  yyPraedieanienta  sunt  certi  quidam  ordines  weim 
inter  se  cognatarum,"  yyPraedicamentum  est  ordo  generum,  et  speeierum  sub  tm» 
genere  generalissimo"  (Trendel.,  Gesch.  d.  Kategor.  S.  253).  Gegen  die  Ari- 
stotelische Kategorientafel  erklären  sich  L.  Viyes,  Peteüs  Kamüb,  Gasseso» 
(De  logicae  origine,  8  f.,  opp.  I). 

F.  Bacon  zählt  als  „transeendentia**  (s.  d.)  auf:  ,ynmiuSy  minusy  muUusu 
patuium;  iderriy  diversum;  poteniidy  actus;  habituSy  privatio;  totum,  partes;  agew^ 
paiiens;  motus,  quies;  ens,  noti  ens^*^  (De  augm.  seien t.  V,  4).  Wie  Spinoia 
kennt  Locke  drei  Kategorien :  Substanz,  modi,  Relationen.  Es  sind  zusammen- 
gesetzte Ideen,  Producte  der  verbindenden  Fiuiction  des  Denkens,  deren  Iiüiilt 
aus  der  Erfahrung  stammt  (Ess.  II,  eh.  12,  §  3).  Leibniz  zählt  als  „eth^  iüni 
generaua:'*  auf:  „suhstanceSy  qtiantitesy  qualitis,  aetions  ou  passions,  relatumr 
(Nouv.  Ess.  III,  eh.  10,  §  14).  Crusius  nennt  als  die  y,einfachsten  Betrifft: 
Subsistenz,  Irgendwo  und  Außereinander,  Succession,  Causalität,  unramnhcbes 
Auseinander,  Einheit,  Vemeinimg,  Darinnensein  (\^emunftwahrh.  §  102).  Mcitt 
werden  von  den  Philosophen  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  nur  Substanz,  Eigen- 
schaft, Zustand,  Verhältnis  (Relation)  aufgezählt  (vgl.  Platner,  Philos.  Aphor. 
I,  §  515).  —  Hume  betrachtet  die  Kategorien  der  Substanz  (s.  d.)  und  dff 
Causalität  (s.  d.)  als  bloß  subjective,  pseudoempirische  Begriffe,  als  Associatioi«- 
und  Phantasieproducte,  beruhend  auf  Gewohnheit  (s.  d.)  und  Glauben  (s.  d.). 
Dagegen  betont  die  schottische  Schule  den  rationalen  Ursprung  und  Wen 
der  Grundbegriffe  des  Erkennens.  Als  Denkgebilde,  die  ungeachtet  ihres  sob- 
jectiven  Ursprungs  Objectivität  setzen,  betrachtet  die  Kategorien  Tetens  (dff 
so  schon  E[ant  nahe  kommt).  „  Wenn  tcir  zwei  Dinge  für  einerlei  haUen,  ««w 
tcir  sie  in  ursächlicher  Verbindung  denken  .  .  .,  «o  gibt  es  einen  getffissen  Ääy» 
des  Denkens;  und  die  gedachte  Beziehung  oder  Verhältnis  in  uns  ist  etwas  Sii- 
jeetiveSy  das  tcir  den  Ob/ecten  als  etwas  Obfectives  xusckreiben  und  das  am  dir 
Denkung  entspringt."  „Diese  Actus  des  Denkens  sind  die  ersten  ursprüngliche* 
Verhältnisbegriffe''  (Philos.  Vers.  I,  303;  vgl.  Lambert,  Neues  Organ.). 

Eine  ganz  neue  Kategorienlehre  begründet  Kant.  Er  leitet  sie  aus  äff 
Gesetzmäßigkeit  des  Denkens,  aus  der  „reinefi  Vernunft"  (s.  d.),  aus  dar  Denk- 
tätigkeit, als  Formen  (s.  d.)  dieser,  ab;  nicht  sind  sie  Abstractionen  aus  den 
Erfahrungsinhalt,  sondern  sie  sind  etwas  die  Erfahrung  Formendes,  G^taiteudeß» 
Constituierendes,  Bedingendes,  sie  sind  a  priori  (s.  d.),  transcendental  (s.  d.1 
nicht  als   Begriffe  angeboren   (s.  d.)}   gehen   aber  aller  möglichoi   Er&faniBS 


Kategorien.  541 

logisch  voran,  d.  h.  sie  gelten  notwendig  und  allgemein -gewiß  im  vorhinein 
für  jede  Erfahrung,  weil  sie  eben  die  Formen  unseres  Denkens  und  damit  auch 
alles  Gedachten,  Erkannten  sind.  Sie  machen  (actuale,  geordnete)  Erfahrung 
erst  möglich,  setzen  erst  Einheit  und  gesetzmäßigen  Zusammenhang  in  den  Er- 
fahrungsinhalten.  Das  ist  ihre  Function;  sie  dienen  nur  der  Anwendung  auf 
Erfahrungsinhalte,  nicht  auf  Dinge  an  sich,  sind  also  nur  „suhfeetüf^*  (d.  h.  nicht- 
tnnscendent).  Schon  in  seiner  vorkritischen  Periode  bestimmt  Kant  die  Kate- 
gorien als  „mne  Verstandesbegriffe/^  „  Oiim  .  .  .  in  metaphysiea  non  reperiantur 
principia  empiricoy  conceptus  in  ipsa  obvii  non  qttaerendi  sunt  in  sensibus, 
ud  in  ipaa  natura  intellectus  puri,  non  tanquam  conceptus  eonnati,  sed  e 
kgibw  menti  insitts  (attendendo  ad  eius  actiones  occasione  eooperientiae)  ab- 
s^raeiiy  adeogue  aequisiti.  Huitis  generis  sunt  posstbilüas ^  existentia, 
neeessitaSj  suhstantia,  causa  etc.  cum  suis  oppositis  aui  correlaiis;  quas  cum 
mtmquam  seu  partes  repraesentationem  uliam  sensualem  ingrediantur,  inde  ab- 
ttrahi  nullo  modo  potuerunt"^  (De  mund.  sensib.  sct.  II,  §  8).  —  Zur  Verbindung 
des  Mannigfaltigen  der  Anschauung  bedarf  es  einer  einheitsetzenden  Synthese. 
jfDiese  Synthesis  auf  Begriffe  %u  bringen,  das  ist  eine  Function,  die  dem 
Verstände  zukommt,  und  wodurch  er  uns  aitererst  die  Erkenntnis  in  eigentlicher 
Bedeutung  verschaffet,"  „Die  reine  Synthesis,  allgemein  vorgestellt,  gibt 
nun  den  reinen  Verstandesbegriff,"  die  Kategorie  (Krit  d.  r.  Vem.  8.  95).  Sie 
ist  also  der  Begriff  eines  Denkactes  bezw.  dessen  Productes,  der  Synthese,  der 
Einheitsform.  Nun  ist  aber  nach  Kant  die  Einheitsfunction  im  Anschauen 
dieselbe  Function,  „welche  den  verschiedenen  Vorstellungen  in  einem,  urteile 
Einheit  gibt"  (ib.).  „Auf  diese  Weise  entspringen  gercuie  so  viel  reine  Verstandes- 
begriffe,  welche  a  priori  auf  Gegenstände  der  Änschattung  überhaupt  gehen,  als 
es  ,  ,  .  logische  Functionen  in  etilen  möglichen  Urteilen  gab:  denn  der  Verstand 
ist  durch  gedaMe  Functionen  völlig  erschöpft  und  sein  Vermögen  dadurch  gänx^ 
lieh  ausgentessen.  Wir  wollen  diese  Begriffe,  nach  dem  Aristoteles,  Kategorien 
flennen'*  (L  c.  S.  96).  Es  gibt  zwölf  Kategorien,  die  in  vier  Klassen  zu  bringen 
sind: 

Kategorientofel  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  96): 
Es  gibt  Kategorien 

1)  der  Quantität: 

Einheit 

Vielheit 

Allheit 

2)  der  Qualität: 

Realität 
Negation 
Limitation 
3)  der  Belation: 
Inhärenz  und  Subsistenz  (Substanz  und  Accidens) 
Causalität  und  Dependenz  (Ursache  und  Wirkung) 
Gemeinschaft  (Wechselwirkung) 

4)  der  Modalität: 

Möglichkeit  —  Unmöglichkeit 

Dasein  —  Nichtsein 

Notwendigkeit  —  Zufälligkeit. 

Das  sind  die  „ursprünglich  reinen  BegHffe,   die  der  Verstand  a  priori  in  sich 


542  Kategorien. 


enthält j   und  um   derentwillen  er  auch  nur  ein  reiner  Verstand  ist;   indm  e 
durch  sie  allein  etwas  bei  detn  Mannigfaltigen  der  Anschauung  verstehen^  d.i 
ein  Object  denken  kann*^.    Die  Einteilung  ist  ffSystematiseh  aus  einem  gemem- 
schaftlichen  Prindp,   nämlich  dem   Vermögen  xu  urteilen"  (1.  c.  S.  97).    De 
Kategorien  sind  y/iie  wahren  Siammhegriffe  des  reinen  Verstandest^  (ib.).  & 
ihnen  kommen  noch  die   „Prädicabilien"   (s.  d.),  „reine,  aber  abgeleitä^^  Ve- 
Btandesbegriffe  (Kraft,  Handlung,  Leiden,  Widerstand,  Verändening  u.  s.  wj 
(1.  c.  S.  98).    Die  Kategorientafel  zerfällt  in  zwei  Abteilungen,  „deren  enim 
auf  Gegenstände  der  Anschauung   (der  reinen  sowohl  als  der  etnpiris^un),  ^ 
Mceiie  aber  auf  die  Existenx  der  Gegenstände  (entweder  in  Beziehung  aufewandr 
oder  auf  den  Verstand)  gerichtet  ist^^.    Die   erste  Klasse  ist  die  der  „«taUe- 
rnatischen",  die  zweite  die  der  „dynamischen"  Kategorien  (1.  c.  8,99).  Bit 
„artige^*  Betrachtung  ist  es,  „daß  allerwärts  eine  gleiche  Zahl  der  Kategorien  jeir 
ElassCy  nämlich  drei,  sind  .  .  .    Daxu  kommt  aber  noch,  daß  die  dritle  Kalegcne 
allenthalben  aus  der  Verbindung  der  xweiteti  mit  der  ersten  ihrer  Klasse  enispriagt 
(ib.).    Die  Kategorien  (Prädicamente)  sind   „Denkformen"  für  den  Begriff  tob 
einem   Gegenstande   der  Anschauung  überhaupt,   sie  sind   für  sich  von  den 
Formen  der  Sinnlichkeit  (s.  d.)  nicht  abhängig  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met,  S.  11^»- 
Sie  sind  synthetische  „Functionen"  (1.  c.  S.  116),  „Gedankenformen"  (Krit  Ar. 
Vem.  S.  671),  „reine  Erkenntnisse  a  priori,  welche  die  notwendige  Einheit  der 
reinen   Synthesis   der  Einbildungskraft,   in  Ansehung  aller  mögliehen  Erstkä' 
nungen,  enthalten"  (1.  c.  S.  129).     Sie  gelten  a  priori,  notwendig,  für  alle  Er- 
fahrung, bestimmen  diese  a  priori  gesetzmäßig.    Die  Berechtigung  („M'ögli^ 
keil")  dazu  und  die  Möglichkeit  der  Beziehung  dieser  subjectiv-formalen  Begriffe 
auf  Objecte  zeigt  die  „transcendentale  DeducHon"  (s.  d.)  der  Kategorien  (l  c 
S.  107  ff.).    Die  objective  Gültigkeit  der  Kategorien  beruht  eben  darauf,  ^ 
durch  sie  allein  Erfahrung  (der  Form  des  Denkens  na>chj  möglieh  sei".     Sie  sind 
Bedingungen  der  Erfahrung.    Ohne  sie  kann  nichts  Object  der  Erfahrung  san^ 
nur  vermittelst  ihrer  kann  ein  Gegenstand  der  Erfahrung  gedacht  werden  (l  c. 
S.  109  f.).    Zuletzt  liegt  die  Notwendigkeit  der  Kategorien  in   der  „J95p5tV*i«?. 
welche  die  gesamte  Sinnlichkeit,  und  mit  ihr  auch  alle  möglichen  Ersekeinwi^ 
auf  die  ursprüngliche  Appercepiion  (s.  d.)  hohen,  in  u?elcher  alles  notwendig  den 
Bedingungen  der  durchgängigen  Ein^teit  des  Selbstbewußtseins  gemäß  sein,  d.  i 
unter  allgemeinen  Functionen  der  Synthesis  stehen  muß,  nämlich  der  Synthesit 
tiach  Begriffen,   als   worin  die  Appercepiion  allein   ihre  durchgängige  und  noi- 
wendige  Identität   a  priori  beweisen  kann".     Diese  Identität  (s.  d.)  muÜ  in  die 
Synthesis   der  Erscheinungen  hineinkommen,   und  deshalb  sind  „die  Erschei- 
nungen Bedingungen  a  priori  unterworfen,   welchen  ihre  Synthesis   (der  Appre- 
hension)   durchgängig  gemäß  sein  muß,   d.  h.  die  Erscheinungen  stehen  unter 
notwendigen  Gesetzen"  (1.  c.  S.  124  f.)    Der  reine  Verstand  ist  in  den  Kategoriea 
„das  Gesetz  der  synthetischen  Einheit  aller  Erschemungen",    Der  Verstand  tagt 
in  seinen  Synthesen  seine  „Spontaneität*  (s.  d.)  (1.  c.  S.  662  ff.).    Warum  die» 
gerade  zwölf  Kategorien  hervorbringt,  können  wir  nicht  wissen  (L  c.  S,  668).  — 
Die  Kategorien  verschaffen  nur  Erkenntnis,  wenn  sie  auf  (mögliche)  AnschaauO' 
gen  angewandt  werden;   sie  haben  keinen  Gebrauch  als  nur  für.  „O^enstäf^ 
möglicher  Erfahrung"  (1.  c.  S.  668  f.).     Sie  haben  „keine  Bedeutung,  wenn  sif 
von  Gegenstäfideti  der  Erfahrung  abgehen  und  auf  Dinge  an  sieh  selbst  (Koumensi 
bexogen  werden  sollen.    Sie  dienen  gleichsam^  nur,  Erscheinungen  xu  buehstabierai^ 
um  sie  als  Erfahrung  lesen  xu  können"   (Prolegom.  §  30).     Dir  Gebrauch  ist 


J 


Kategorien.  '^--.\  ..     /-''^       5^ 


ein  ImmaDenter  (s.  d.)  (WW,  IV,  76).  „Unsere  sitmltcke  und  etnpirische  An- 
Behauung  kann  ihnen  allein  Sinn  und  Bedeutung  verschaffen^^  (1.  c.  S.  670). 
Was  der  Verstand  ,/m8  sich  selbst  schöpft,  ohne  es  von  der  Erfahrung  xu  borgen'% 
das  hat  er  yydennoch  xu  keinem  andern  Behuf,  als  lediglieh  xum  Erfahrungs- 
^febrauch^^.  Abgesehen  von  der  Anschauung,  sind  die  Kategorien  ,,ßin  bloßes 
Spiel,  es  sei  der  Einbildungskraft  oder  des  Verstandes"  (1.  c.  S.  224).  ,fier 
Begriff  bleibt  immer  a  priori  erxeugt,  samt  den  synlhetisehen  Grundsätxen  oder 
Formeln  aus  solchen  Begriffen;  aber  der  Qebrauch  derselben  und  Bexiehung  auf 
angebliche  Gegenstände  kann  am  Ende  doch  nirgends  als  in  der  Erfahrung  gesucht 
werden,  deren  Möglichkeit  (der  Form  nach)  jene  a  priori  enthalten.**'  „Daher  können 
wir  auch  keine  der  Kategorien  definieren,  ohne  uns  sofort  xu  Bedifigungen  der 
Sinnlichkeit,  mithin  der  Form  der  Erscheinungen  herabxtdassen,  als  auf  welche, 
als  ihre  einxigen  Gegenstände,  sie  folglich  eingeschränkt  sein  müssen"  (L  c. 
S.  142  ff.).  Die  Kategorien  bedürfen  „Bestimmungen  ihrer  Anwendung  auf  Sinn- 
lichkeit überhaupt",  des  transcendentalen  „Schemas"  (s.  d.).  Die  Schemata 
j^reeUisieren"  die  Kategorien  und  „restringieren"  sie  auf  die  Sinnlichkeit  (1.  c. 
ß.  142  ff.).  Die  Kategorien  haben  transcendentale  Bedeutung,  aber  nur  empi- 
rischen Grebrauch,  sie  gelten  nur  für  Phänomene  (s.  d.),  setzen  ein  empirisch 
Gegebenes  zur  Anwendung  voraus  (L  c.  S.  229  ff.,  234).  Durch  die  Kat^oiien 
lassen  sich  nur  Erfahrungsobj^te  erkennen,  zu  praktischen  Zwecken  aber 
können  sie  auch  auf  das  Übersinnliche  bezogen  werden  (Krit.  d.  prakt.  Vem. 
I.  T.,  1.  Bd.,  1.  Hptst.).  Die  Apriorität  der  Kategorien  erklärt  die  Möglichkeit 
83^ihetischer  Urteile  (s.  d.)  a  priori.  —  Es  gibt  auch  ,yKategorien  der  Freiheit^*, 
die  auf  die  Bestimmung  eines  freien  Willens  gehen  und  die  Form  des  reinen 
Willens  zur  Grundlage  haben.  Sie  sind  „praktische  Elementarbegriffe^*  (Krit.  d. 
prakt  Vem.  S.  79).  Die  Tafel  derselben  ist  folgende  (1-  c.  S.  81): 
Kategorien  der 

1)  Quantität: 

Subjectiv,  nach  Maximen:  Willensmeinungen  des  Individuums 

Objectiv,  nach  Principien:  Vorschriften 

A  priori  sowohl  als  subjective  Principien  der  Freiheit:  Gresetze. 

2)  Qualität: 
Praktische  Kegeln  des  Begehens  (praeceptivae) 
Praktische  Begeln  des  Unterlassens  (prohibitivae) 
Praktische  Begeln  der  Ausnahmen  (exceptivae). 

3)  Belation: 
Auf  die  Persönlichkeit 

Auf  den  Zustand  der  Person 

Wechselseitig  einer  Person  auf  den  Zustand  der  andern. 

4)  Modalität: 
Das  Erlaubte  imd  Unerlaubte 
Die  Pflicht  und  das  Pflichtwidrige 
Vollkommene  und  imvollkommene  Pflicht. 
Die  Apriorität  (s.  d.)   der  Kategorien   wird   von   Kantianern  und   Halb- 
^tianem  teils  in  streng  logischem  (rationalem),  teils  in  mehr  psychologischem 
Binne  genommen.    Nach  Beinhold  sind  die  Kategorien  „bestimmte  Formen  der 
Zusammenfassung    in  objectiver  Einheü",    „Handlungsweisen    des    Verstandes" 
(Vers.  ein.  neuen  Theor.  II,  458).    Beck  setzt  das  Wesen  der  ICategorien  in  die 
Erzeugung  objectiver  Einheit  des  Bewußtseins  (Erl.  Ausz.  III,   155).     Nach 


544  Kategorien. 


S.  Maimok  sind  sie  Beziehungsformen  des  Denkens  (Vers.  üb.  d.  Transoesd. 
8.  44).  Platneb  sieht  in  den  Kategorien  „Orundanlagen  des  Vergtandar, 
subjectiv  und  zugleich  objectiv,  durch  die  Dinge  selbst  bedingt  (Log.  u.  MeL 
S.  83  ff.).  Krug  bestimmt  die  Kategorien  als  gesetzmäßige  HandlungBweiM& 
des  Verstandes  (Fundamentaiphilos.  8.  151,  168).  ,jK(äefforten  der  SinnUe^xit 
sind  Räumlichkeit,  Zeitlichkeit,  räumliche  ZeiÜichkeit  (Handb.  d.  Fhilos.  I. 
261).  „Die  Kategorien  des  Verstandes"  sind  „transcendentcUe  Begriffe^',  ^juMn 
nichts  anderes  ausdrücken^  als  die  ursprüngliche  Denkform  selbst  t  abffesomieri 
ifon  dem  Stoffe,  mit  welchem  sie  im  gemeinen  Bewußtsein  zu  empirischen  Bf- 
griffen  von  wirkliehen  Gegenständen  verschmolzen  isf*  (L  c.  I,  266).  Zu  unter- 
scheiden sind  „reine^^  und  „versinnlichtef*  (,jsekematisierte^^)  Prädicamente  (L  e. 
I,  273).  Die  ,,  ürkategorie"  ist  die  Bealität  (das  8ein).  Die  Verstandeskategonen 
sind:  Einheit,  Vielheit,  Allheit;  Positivität  (Oesetztsein),  N^:ativität,  Lamita- 
tivität  (Beschränktsein);  Beständigkeit,  Ursächlichkeit,  Gemeinschaftlichkeil: 
Möglichkeit,  Wirklichkeit,  Notwendigkeit  (1.  c.  I,  272  f.).  Nach  Fbie»  sind  die 
Kategorien  ursprüngliche  Tätigkeitsformen  des  Denkens,  welche  Einheit  in  die 
Erfahrung  bringen  (N.  Krit.  II*,  27).  Es  sind  dies:  Ding,  Beschaffenhät 
(Größe,  Eigenschaft),  Verhältnis,  Art  und  Weise,  Ort,  Zeit  (Syst.  d.  Log.  S.  387). 
—  Nach  Jacobi  sind  die  Kategorien  notwendig  imd  allgemeingültig,  nicht  wdl 
fiie  apriori  sind,  sondern  weil  die  durch  sie  ausgedrückten  Beziehungen 
mittelbar  und  in  allen  Dingen  vollkommen  tmd  auf  gleiche  H'eise  gegeben 
(WW.  II,  261). 

Schopenhauer  erklärt,  die  Kantische  Kategorientafel  verdanke  ihren  Ur- 
sprung einem  Hange  zur  architektonischen  Sjrmmetrie  (W.  a.  W.  u.  V.  L  BA. 
8.  447).  Von  den  Kategorien  sind  elf  als  grundlos  zu  entfernen.  Nur  die 
Causalität  (s.  d.)  ist  zu  behalten,  deren  Tätigkeit  aber  schon  ,yBedingung  der 
empirischen  ÄnschauuTig*'  ist  (1.  c.  8.  446  f.).  Für  die  Begriffe  dürfen  wir 
„keine  andere  a  priori  bestimmte  Form  annehmen,  als  die  Fähigkeit  X4tr  Reflexifm 
überhaupt^^  (ib.).  Nur  die  Causalitätskategorie  ist  a  priori  vorhanden  und  die 
tjForm  und  Function  des  reinen  Verstandes'*  (1.  c.  S.  449).  Nach  F.  A.  La17GE 
gehen  die  Kategorien  aus  bestinmiten  Einrichtungen  unseres  Denkens  hervor, 
durch  welche  „die  Einvnrkungen  der  Außenwelt  sofort  nach  der  Regel  jener 
Begriffe  verbunden  und  geordnet  werden"  (Gesch.  d.  MateriaL  II*,  44).  Helm- 
HOLTZ  erklärt  Causalität,  Kraft,  Substanz  für  apriorische  Grundbegriffe  (Täte, 
in  d.  Wahm.  8.  42).  Nach  O.  Schi^eideb  ist  die  Kategorie  (kat^oriak 
Function)  eine  „Qeistestätigkeit,  welche  den  Bewußtseinsxustand  klaren  und  detä- 
liehen  Auffassens  des  Seienden  und  des  Zusammenfassens  des  Vielen  im  Oemetm- 
samen  und  damit  jede  Erkenntnis  .  .  .  überhaupt  erst  ermöglicht^  dann  aber 
auch  dem  kritischen  Geiste  xu  jenem  Bewußiseinsxnstande  verhüft,  in  welchem  er 
sich  von  dem  Vorhandensein  solcher  Tätigkeit  Rechenschaft  gibt'*.  Die  Kate- 
gorien sind  a  priori,  formen  die  Erfahrungsinhalte  (TranscendentalpsychoL  S.  9li. 
Es  gibt:  1)  subjective  Stancunbegriffe,  welche  bewirken,  daß  ein  bestimmtes 
Etwas  in  meinem  Bewußtsein  und  für  dasselbe  als  Gegenstand  da  ist:  Ding 
und  Eigenschaft,  Einheit,  Vielheit  und  Allheit,  Identität  und  Verschiedenheit: 
2)  objective,  Wirkhchkeits-  oder  Seinsbegriffe:  Ursache  und  Wirkung,  Wirklich- 
keit und  NichtWirklichkeit  (1.  c.  8.  129).  Fr.  Schültzb  nimmt  vier  KatcgorieD 
an:  Zeit,  Kaum,  Causalität,  Empfindung.  Die  drei  ersten  sind  subjectiv,  imma- 
nent, apriorisch  (Philos.  d.  Naturwiss.  II,  325).  Nach  H.  Ck>H£N  sind  die 
Kategorien   ursprüngliche  Verknüpfungsarten   des  Mannigfaltigen,  notwaidige. 


Kategorien.  545 


logische  Bedingungen  der  Erfahrung  (Kants  Theor.  d.  Erfahr.*,  S.  248,  255). 
jflXe  Kategorien  sind  nicht  angeborene  Begriffe,  sondern  vielmehr  die  Grund- 
formen, die  Grundrichtungen,  die  Orundxiige  .  ,  ,,  in  denen  das  Urteil  sich 
t^Uiehi,"  „Betätigungsweisen  des  Urteils''  (Log.  S.  43  ff.).  Eine  Urteilsart  kann 
eine  Mehrheit  von  Kategorien  enthalten,  und  eine  Kategorie  kann  zugleich  in 
mehreren  Urteilen  enthidten  sein  (1.  c.  S.  47  ff.).  Die  Kategorie  bedeutet  f,die 
reine  Erkenntnis,  welche  die  Voraussetxung  der  Wissenschaft  ist"  (1.  c.  8.  222); 
ähnlich  Natobp,  K.  Vorlandeb  u.  a.  Nach  Hcbserl  sind  die  Kategorien 
a  priori,  sie  gehören  zur  Natiu:  des  Verstandes  (Log.  Unters.  II,  672),  sie  sind 
die  ergänzenden  Formen,  welche  unmittelbar  kein  Correlat  in  der  Wahrnehmung 
haben  (L  c.  II,  606).  Durch  Idealgesetze  wird  die  Anwendung  der  Kategorien 
geregelt,  begrenzt  (1.  c.  II,  660  ff.,  I,  243  ff.).  —  Vgl.  Windelband,  Vom 
System  der  Kategorien  IdOO. 

In  anderer  Weise  werden  die  Kategorien  aus  der  Gesetzmafiigkeit  des 
Denkens  abgeleitet,  wobei  zum  Teil  die  objective  (Geltung  jener  betont  wird, 
sei  es  für  die  immanenten,  sei  es  für  transcendente  Dinge. 

Nach  J.  G.  Fichte  sind  die  Kategorien  Setzungen  des  Ich  (s.  d.),  sie  ent- 
stehen „mtlf  den  Objecten  xugleich*'  „auf  dem  Boden  der  Einbildungskraft",  um 
die  Objecte  zu  constituieren   (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  415).     Dinge  an  sich  (s.  d.) 
gibt  es  nicht,  also  gelten  die  Kategorien  nur  fiu-  die  Dinge  als  Inhalte  des 
(überempirischen)  Ich.    Schelling  erklart:  „Alle  Kategorien  sind  Handlungs- 
weisen, durch  welche  uns  erst  die  Objecte  selbst  entstehen"  (Syst.  d.  transc.  Ideal. 
S.  223).    Ursprünglich  sind  nur  die  Kategorien  der  Belation  (1.  c.  S.  232,  292). 
Hegel  betrachtet  die  Kategorien  ebensowohl  als  subjective  als  auch  als  ob- 
jective Bestimmungen,   sie  sind  Denk-  und  Seinsformen  zugleich  (vgL  Encykl. 
§  20,  43  ff.).    Die  Kategorien  sind:  Sein:  Qualität,  Quantität,  Maß;   Wesen: 
Grund,. Erscheinung,  Wirklichkeit;  Begriff:  subjectiver  Begriff,  Object,  Idee. 
Nach  K.  Rosenkranz  sind  die  metaphysischen  Kategorien  „Momente  der  Idee 
als  logischer",  homogen  mit  den  logischen  Kategorien.    Sie  haben  abstract  nur 
^yideelie  Existenz",  sind  nicht  „kosmogonische  Mächie^*^   (Syst.  d.  Wiss.  S.  9). 
Aus  Denken  und  Erfahrung  (Wahrnehmung)  leitet  die  Kategorien  G.  W.  Ger- 
lach ab  (Hauptmomente  d.  Philos.  S.  124  ff.).    Nach  Schleiermacher  smd 
die  (subjectiv-objectiv   gültigen)  Kategorien   als  Anlagen  dem   Verstände  an- 
geboren,  sie  entstehen   aus  ihrem   „Schematismus",   aus   der  Vernunft,   dem 
^Ortef^  der  Kategorien  (Dialekt.  S.  104  f.,  315).     Chr.  Krause  sieht  in  den 
Kategorien    den   „Gliedbau    der    Grundwesenheiten'',    die   Grundgedanken    der 
Erkenntnis  des   Seins:    Wesenheit,    Formheit,    Seinheit,    Selbheit,    Ganzheit, 
Vereinheit  u.  s.  w.  (Vorles.  üb.  Philos.  173  ff.).     C.  H.  Weisse  versteht  unter 
den    „abstreiten   Allgemeinbegriffen"    oder    Kategorien    „die    sehlec^Uhin    not" 
loendige,  nicht  nicht  sein  und  nicht  anders  sein  könnende  Form  und  Gesetx- 
fnäßigkeit  edles   Daseienden,    Wesenhaften  und    Wirklicheyi"   (Grdz.   d.  Met. 
8.  37).     Die  Vernunft  besitzt  diese  Begriffe  „durch  sich  selbst",  schon  bevor 
sie  sich  ihres  Besitztums  bewußt  ist  (1.  c.  S.  47).     Das  natürliche  Bewußtsein 
trägt  diese  Begriffe  unbewußt  und  unwillkürlich  in  den  Weltinhalt  hinein  (1.  c. 
ß.  56  f.).    Sie  haben  „eine  von  aller  subjectiven  menschlichen  Auffassung  unab- 
hängige Geltung"  (1.  c.  S.  57).     Insofern   in  den  Kategorien  die  Totalitat  des 
Seienden  enthalten  ist,  heißen  sie  Ideen  (1.  c.  S.  65).    Ideen  sind  „die  Kate- 
$orien,  so  wie  sie  in  einer  Reihe  geschichtlicher   Gestalten  der  Philosophie,  jede 
^  Ausdruck  für  das   Game  auftreten".     Metaphysische   Idee  ist   ,4^  echt 

Pfailoiophisob««  WOTUrbach.    S.  Aail.  35 


546  Kategorien. 


wissenschaftlich,  mit  dem  ausdrüeklichen  Bewußtsein  ihrer  Bedeutung  für  tffli{ 
positiven  ItihcUt  aufgefaßte  Totalität  der  Kategorien"  (1.  c.  S.  66  f.).  Au%»W 
der  Metaphysik  (s.  d.)  ist  es,  y^die  Gesamtheit  der  Kategorien  in  einen  diabkr 
tischen  Oyclus  xu  verarbeiten"  (1.  c.  8.  75).  Die  Kategorien  sind:  Sein:  Kate- 
gorien der  Qualität:  Sein,  Dasein,  Unendlichkeit;  der  Quantität:  Zahl,  Grafie^ 
Verhältnis;  des  Maßes:  Individuum  —  Art  —  Gattung,  specifische  Gröfle  — 
Kegel —  Gesetz,  Form  und  Inhalt.  Wesen:  Identität  —  Einheit,  Zweiheit  — 
Gegensatz,  specifische  Dreiheit;  Ausdehnung,  Ort,  Raum;  Schwere,  Pokriltt 
und  Cohäsion,  Chemismus.  Wirklichkeit:  Kategorien  der  Reflexion:  Sob- 
Btantialität  —  Möglichkeit,  Causalität  —  Wirklichkeit,  Wechselwirkung  — 
Notwendigkeit;  des  Zeitbegriffs:  Bewegung,  Dauer,  2Seit;  der  Lebendigkeit: 
Teleologie  und  Organismus,  Leben,  Freiheit  (1.  c.  S.  99  ff.).  Eschenhayei 
versteht  unter  den  ICategorien  „allgemeine  Formen,  die  der  ganzen  BegriffsmR 
xukommen".  Nicht  die  Logik,  sondern  die  rationale  Psychologie  kann  ai 
deducieren,  nämlich  aus  der  Ichheit.  Das  formale  Denken  ist  nicht  das  HöchEte 
Das  Selbstbewußtsein  ist  das  Ursprüngliche  in  uns,  in  welchem  Form  und  Gfjuli 
zugleich  gegeben  ist.  „/n  dem  Grundgesetz  desselben,  welches  das  Centrum  da 
ganzen  geistigen  Organismue  einnimmt,  ist  die  Form  schon  mit  dem  GeM 
gegeben,  und  erst  von  ihm  aus  erhält  der  logische  Verstand  seine  Formen^  «ftm 
Kategorien,  seine  Fundamentalsätze,  die  er  dann  auf  die  ihm  anderwärts  ha 
dargebotene  Materie  des  Denkens  anwendef^  (Psychol.  S.  299  ff.,  309).  Nad 
Fbohschammeb  wohnen  die  Kategorien  des  Seins,  der  Causalität,  der  Not« 
wendigkeit  „dem  Geiste  insofeme  inne,  als  er  selbst  in  seiner  Bealität  um 
Wirksamkeit  deren  Realisierung  ist".  In  diesen  Kategorien  ist  die  objectiTi 
Phantasie  tatig.  Im  Geiste  sind  die  Kategorien  „gleichsam  die  Organe,  wodunA 
das  Material  der  Sinneswahmehmung  in  die  Einheit  des  psychischen  Orgemism» 
aufgenommen  werden  kann"  (Monad.  u.  Weltphantas.  S.  64  f.).  —  Nach  J.  Berg 
MANN  sind  die  Kategorien  „Momente  der  allgemeinen  Form  der  Gegensfä^idliek 
keit",  sie  sind  ,,Prq;ectionen"  von  Momenten  des  Ich  (Sein  u.  Erk.  S.  172).  - 
Aus  der  innern  Erfahrung  von  Bestimmtheiten  des  Ich  leitet  die  Kat«goria 
(„Urbegriffe")  J.  Wolff  ab.  £s  sind:  Identität,  Einheit,  Vielheit,  Subetantiali 
tat,  Causalität  u.  s.  w.  Nach  Analogie  unseres  Innern  w^en  die  Objecti 
kategorisiert  (Das  Bewußts.  u.  sein  Object  S.  593  ff.).  Aus  der  innem  Er 
fahrung  leitet  die  Kategorien  schon  M.  de  Birak  ab  (vgl.  Causalität,  Kraft] 
Vgl.  unten.  —  Aus  der  Idee  des  Seins  (s.  d.)  stammen  die  Kategorien  nad 
Rosmiki-Serbati. 

Trendelenburg  sieht  in  den  Kat^orien  Begriffe,  die  aus  der  Reflexici 
über  die  Formen  der  Denkbewegung  entspringen  (Log.  Unt  I*,  330).  Inden 
die  „Bewegung"  (s.  d.),  die  Quelle  der  Kategorien,  in  der  Anschauung  schoi 
mitenthalten  ist,  werden  sie  aus  ihr  abstrahiert  (1.  c.  S.  358).  Sie  sind  aba 
yjceine  imaginären  Größen,  keine  erfundenen  Hülfslinien,  sondern  ebenso  otgeeti» 
als  subjective  Grundbegriffe"  (Gesch.  d.  Kategorienl.  S.  368).  Reale  Kategoriei 
sind  die  Formen,  durch  welche  das  Denken  das  Wesen  der  Sachen  ausdrücke! 
will  (Log.  Unt.  I*,  329),  die  „Grundbegriffe,  unter  welche  wir  die  Dinge  fassen 
weil  sie  ihr  Wesen  sind"  (Kategorienl.  S.  364).  Modale  Kat^orien  suid  ,/i« 
Grufidbegriffe,  welche  erst  im  Act  unseres  Erkennens  entstehen,  indem  sie  dessn 
Beziehungen  und  Stufen  bezeichnen"  (ib.;  Log.  Unt.  II,  97  ff.).  Es  gibt  soirt 
Kategorien  aus  der  Bewegung  und  Kategorien  aus  dem  Zweck  (Log.  Unt  I 
278  ff.  II,  72  ff.).  Nach  J.  H.  Fichte  sind  die  Kat^orien  a  priori  und  zugleid 
objectiv  (Psychol.  I,  185  f.).    Nach  M.  Cakbiere  sind  die  Verstandcskat^goriei 


Kategorien.  547 


j^nugleieh  die  Oeadxe  der  Dinge  und  die  Normen,  nach  denen  die  Welt  unier- 
aekieden  und  geordnet  ist^^  (Sittl.  Wdtordn.  S.  92).  Doch  Btammen  sie  nicht 
ans  der  Erfahrung,  sondern  sind  Normen  unseres  Denkens  (L  c.  S.  94).  Lotz£ 
bestimmt  die  Denkformen  als  subjectiv-objective  Formen,  sie  sind  zur  Behand- 
lung der  Naturobjecte  bestinmit,  beziehen  sich  notwendig  auf  diese  (Mikrok. 
III",  204).  Sie  sind  „loeder  bloße  Folgen  der  Organisation  unseres  subfectiven 
Geistes,  ohne  Rüeksieht  auf  die  Natur  der  %u  erkennenden  Objecte,  noch  sind  sie 
unmittelbare  Abbilder  der  Natur  und  der  gegenseitigen  Beziehungen  dieser  Ol^'ecte. 
Sie  sind  vielmehr  /ormcU^  und  ,reat  zugleich.  Nämlich  sie  sind  di^enigen 
subjeetiven  Verknüpfungsiveisen  unserer  Gedanken,  die  uns  notu?endig  sind,  wenn 
wir  durch  Denken  die  objective  Wahrheit  erkennen  tcollen"  (Gr.  d.  Log.  S.  8). 
£b  gibt  vier  logische  Kategorien:  Ding,  Eigenschaft,  Tätigkeit,  Belation  (1.  c. 
8.  17).  Ulrici  leitet  die  Kategorien  aus  der  unterscheidenden  Denktatigkeit 
ab.*  Sie  sind  ,^ie  an  sich  rein  logischen,  schlechthin  allgemeinen,  ideellen,  for- 
mellen Begriffe  .  .  ,,  welche  die  allgemeinen  Beziehungen  der  Unterschiedenheit 
und  resp.  Gleichheit  der  (seienden  wie  gedachten)  Objecte  ausdrücken*^  (Log- 
8.  142,  215  ff.,  285  ff.).  Sie  sind  an  sich  nicht  Begriffe,  sondern  Normen  der 
Denktatigkeit,  leitende  Gesichtspunkte  für  dieselbe  (Gk>tt  u.  d.  Nat.  S.  563). 
ßie  haben  metaphysische  Gültigkeit  (1.  c.  S.  561).  Die  höchste  Kategorie  ist 
das  „Denkbare^*  (Log-  B.  53).  Die  ethischen  ICategorien  sind  ursprünglich 
i(Gott  u.  d.  Nat.  S.  680).  Fobtlage  betrachtet  die  Kategorien  als  Producte 
unbewußter  Geistesfunctionen,  die  auf  Veranlassung  des  Bewußtseins  entstehen 
:(8yst  d.  Psychol.  I,  165  ff.).  Sie  entspringen  dem  Triebleben  des  Geistes 
ifl.  c.  I,  464).  „  Trieb-Kategorien"  sind  Bejahung  und  Verneinung  (1.  c.  I,  92). 
INach  E.  V.  Habtmank  sind  die  Kategorien  nur  als  „Kategorialftinctionen", 
inicht  als  Begriffe  a  priori  (Krit.  Grundleg.  S.  125  f.).  Sie  sind  Denkformen, 
welche  sich  „aus  Keimen  und  Anlagen  des  Verstandes  entuncheln,  in  denen  sie 
vorbereitet  liegen**  (L  c.  S.  11).  Die  Kategorie  ist  „eine  unbewußte  IntellectucU- 
fimetion  von  bestimmter  Art  und  Weise,  oder  eine  unbewußte  logische  Deter^ 
mnatiün,  die  eine  bestimmte  Beziehung  setzt**  (Kategorienl.,  Vorw.  S.  VII).  Die 
Kategorien  sind  „supraindividuelte^*  „Betätigungsweisen  der  unpersönlichen  Ver- 
mmfl  in  den  Individuen**  (1.  c.  S.  VIII).  Sie  sind  Formen  der  Beziehung,  der 
Synthese,  der  logischen  Determination  (1.  c.  S.  334).  Ein  Teil  der  Kategorien 
^t  für  die  subjective,  objective,  metaphysische  Sphäre  zugleich,  ein  anderer 
inur  für  die  subjectiv-objective,  wieder  ein  anderer  nur  für  die  objective  und 
metaphysische  (vgl.  Causalität,  Quantität  u.8.  w.).  Die  Kategorientafel  ist  folgende: 

A.  Kategorien  der  Slnnliehkeit: 
'  I.  Kategorien  des  Empfindens: 

Qualität 
^  Quantität  (intensive,  extensive  =  Zeitlichkeit) 

^  II.  Kategorien  des  Anschauens: 

!  Bäundichkeit 

^  B*  Kategorien  des  Denkens: 

I.  Urkategorie  der  Belation 
i  IL  Kategorie  des  reflectierenden  Denkens  (5  Arten) 

*  III.  Kategorie  des  speculativen  Denkens: 

\  Causalität  (Ätiologie) 

i  FinaUtät  (Teleologie) 

I  Substantialität  (Ontologie). 

\  35* 


548  Slategorien. 

Das  Wahrgenommene  ist  y^dureh  und  durch  ein  Kategorienffespinsf,  6 
weist  auf  eine  transcendente  Wirklichkeit  hin  (L  c.  S.  339).  Ohne  Kat^ODOi 
ist  die  Welt  nicht  zu  verstehen  (Gesch.  d.  Met.  I,  562).  An  Hartmann  schlieft 
sich  eng  A.  Drews  an  (Das  Ich  S.  178).  Die  transsubjective  Geltung  der 
Kategorien  betont  Volkelt  (Erfahr,  u.  Denk.  S.  89, 95  u.  ff.).  Nach  G.  Spicxxe 
beruht  alles  Denken  auf  einem  sinnlichen  Substrat,  geht  aber  über  diesem 
hinaus  (K.,  H.  u.  B.  S.  165).  Die  Kat^orien  bringen  erst  geordnete  Erfahnu^ 
hervor  (1.  c.  S.  174).  Aller  „Oewohnkeü^*  hegt  schon  die  Denknotwendig^eü 
zugrunde  (1.  c.  S.  178  f.).  Die  Kategorien  haben  metaphysische  Geltung,  füduen 
zum  Ding  an  sich  (1.  c.  S.  180;  42,  47).  Die  Function  der  Kat^orioi  fingt 
erst  recht  da  an,  wo  die  Sinnlichkeit  aufhört  (1.  c.  S.  180).  Einen  erweitertes 
Gebrauch  der  Kategorien  im  Übersinnlichen,  in  der  Richtung  auf  das  Ganxe 
der  Erfahrung,  hält  Witte  für  zulässig  (Wes.  d.  Seele  S.  336).  Nach  G-  Thiei£ 
ist  den  Kategorien  das  „Nach-außen-sich-bextehen"  wesentlich.  Sie  „meitiknf^ 
etwas  außer  sich,  beziehen  sich  auf  ein  anderes,  sei  es  was  immer  (Philos.  d. 
Selbstbewufits.  S.  74  f.,  183,  411).  Ähnlich  Uphues  und  H.  Schwarz.  Nach 
A.  Dorner  haben  die  Kategorien  keinen  Sinn,  wenn  ihnen  nicht  eine  Realität 
entspricht.  Unser  Denkorgan  zwingt  uns,  in  das  Gebiet  der  Metaphysik  vlber- 
zugehen.  ^T^aß  unser  Denken  gextmmgen  ist,  Kategorien  xu  büden^  die  über  das 
bloße  Denken  hinausgreifen j  beweist  uns  .  .  .,  daß  es  intelligible  RealiUUen  gibt, 
die  die  Vernunft  beeinflussen^  Kategorien  xu  bilden  y  mü  denen  sie  sich  diese 
Realitäten  vergegenwärtigt*'  (Gr.  d.  Beligionsphilos.  S.  18  ff.,  24;  Das  mensdiL 
Erkenn.  314  f.).  „Z>»e  realen  Kategorien  sind  nicht  bloß  logischer  NcUur^  sie 
besagen  mehr;  sie  sind  nicht  bloß  Produete  der  Phantasie,  vielmehr  werden  durch 
sie,  die  wir  anwenden  müssen,  immer  die  Dinge  als  beharrend  und  wirkend, 
nicht  als  bloß  logisch  xusammenhängend  gedacht,  wie  ein  Begriffssystem^'  (Gr. 
d.  Beligionsphilos.  S.  X).  Die  Kationen  sind  nicht  zu  eliminieren,  wohl  aber 
müssen  sie  richtig  angewendet  werden  (ib.).  Die  transcendente  Gültigkeit  der 
Grundbegriffe  (Causalität,  Substanz,  s.  d.)  behauptet  W.  Jerusalebc.  —  Nach 
L.  Babus  sind  die  logischen  ICategorien  die  ,,Acte  des  Begreifens^' ,  dL  h.  d& 
Denkens,  welches  „die  gegenständliche  Mannigfaltigkeit  auf  die  ihr  zugrunde 
liegende  Einheit  xurückführt  und  umgekehrt  auf  Orund  solcher  Einheit  die  Man- 
nigfaltigkeit sich  xurechtlegt**  (Log-  S.  234).  Urkategorie  ist  der  Gedaoke  der 
Einheit  (ib.).  Idee  ist  das  „durch  die  Kategorie  in  seiner  universellen  Bedeutung 
begriffene  Bild'^  (1.  c.  S.  236).  Gegen  die  subjective  ICategorienlehre  eridirt 
sich  Haoemann  (Log.  u.  Noet.'^,  S.  146).  So  auch  die  katholisch-tho- 
mistische  Logik  und  Metaphysik  (Pesch,  Commer,  Gutberlet,  Log.  u. 
Erk.«,  S.  13,  209  ff.). 

Nach  Eenouvier  sind  die  Kategorien  „des  notions  abstraites  exprimant 
des  relations  d'ordre  general,  auxquelles  les  perceptions  sensibles  empruntent  des 
formes  et  sönt  assujetties  comme  ä  leurs  conditions  de  reprisentaiion,  ainsi  qm 
pour  les  jugements  qui  leur  sont  applicables*^  (Nouv.  Monadol.  p.  95).  Die  Ee- 
lation  ist  die  Kategorie  der  Kategorien.  Sie  sind  nichts  als  ,/iifferepits  modes 
de  relation".  „Chacun  de  ees  modes  exprime  une  certaine  identite  et  une  eer- 
taine  difference,  dont  il  est  la  synthes&*  (1.  c.  p.  98).  „Categories  stattques" 
sind  die  Kategorien,  „qui  par  elles-memes ,  dans  leur  forme,  n'impliquent  pas 
le  temps,  le  devenir  et  le  mouvement"  (1.  c.  p.  99).  Die  „calegories  dynamiquesl* 
sind  alle  in  der  Succession  eingeschlossen  (1.  c.  p.  103).  Folgende  Kategorien- 
tafel stellt  Benouvier  auf  (1.  c.  p.  163): 


Kategorien. 


549 


Belation 


Distinction 

Difförence 

Unit^ 

Ldmite  (espace) 


Identification 

Genre 

PluraUt^ 

Espace 


Determination 

Espace 

Totalite 

Etendue 


T>  1  ..       iSucceesion 

Belations  1  ^ 
j  .    I  Devenir 

dynami-  }^^^ 

"^""^      ICausalite 


Limite  (temps) 
Rapport  (ni^) 

Etat 

Acte 


Temps 

Rapport  (affirm^) 

Tendance 

Puissance 


Dur^ 

Changement 

Passion 

Force 


In  den  „Essais  de  critique  gSnSrale**  stellt  Renouvier  neun  Haupt-Kategorien 
auf:  Relation,  Zahl,  Lage,  Succession,  Qualität,  Werden,  Causalitat,  Zweck, 
Persönlichkeit 

Nach  £.  DÜHKING  sind  die  ontologischen  Grundbegriffe  Schemata  oder 
Gestalten,  ^/leren  gegenständlicke  und  an  sieh-  selbst  vorhandene  Seite  das  Ortmd- 
geriisi  des  Seins  und  der  SeinsverhäUnisse ,  also  die  Orundgesetxe  der  Seins- 
Verfassung  selbst  vorstellt**  (Log.  S.  206).  —  Sigwakt  nimmt  vier  logische  Kate- 
gorien an  (Log.  I,  28  f.).     So  auch  B.  Ebdmaitn^:  Dinge  (mit)  Eigenschaften,. 
Vorgange  (Veränderungen),  Beziehungen.    Nach  A.  Riehl  sind  die  Kategorien 
f^ie  allgemeinen  appereipierenden   Vorstellungen*'  (Philos.  Kritic.  I,  11).     Die 
formalen  Erkenntnisbegriffe  (Gleichheit,  Größe,  Ursächlichkeit  u.  s.  w.)  sind 
iJF^ormen  des  Äpperdpierens**,  y^Begriffe^  tvelehe  ausschließlieh  war   Verbindung 
eines  Vorstellungsinhaltes  mit  einem  xieeiten  dienen**  (L  c.  II  1,  S.  2).     j^Kate- 
gorien  entstehen,  indem  Gegenstände  der  Anschauung  durch  eine  oder  die  andere 
logische  Function  bestimmt  gedacht  werden.    Kategorien  sind  logische  Functionen 
in  deren  bestinmUer  Anwendung,  in  Anwendung  auf  Anschauungen**  (1.  c.  I,  358). 
Die  Kategorien  sind  „(£ie  durch  Refleocion  bewußt  gewordene  OesetxlicMeit  des 
Denkens**  (1.  c.  I,  276).    Sie  entspringen  aus  der  Identität  (s.  d.),  der  ,, formalen 
Einheit  des  Bewußtseins**,  aber  so,  daß  ihre  Verwirklichung  nur  an  dem  Ge- 
gebenen stattfinden  kann  (1.  c.  I,  384).     „Die  Kategorien  stammen  aus  einem 
einxigen  obersten  Principe  her,  dem  Principe  der  Einheit  und  Erhaltung  des 
Bewußtseins  überhaupt**  (1.  c.  II  1,  68).    Nach  Schuppe  werden  die  „Bestimmt- 
heiten** des  Seienden  durch  das  Denken  aufgefunden.    Identität  und  CausaUtät 
sind  Kategorien,  Denkprincipien,  Gesetze  (Log.  S.  36).  Ohne  Gegebenes  können  sie 
nicht  gedacht  werden,  nicht  existieren,  sie  bestehen  „von  vornherein  in  unserem 
Bewußtsein  nur  als  Bestimmungen  von  Gegebenem,  von  etwas,  tcas  da  identisch 
oder  verschieden  ist  und  mit  anderem  etwas  causal  verknüpft  ist**  (L  c.  S.  37). 
nSehon  daher  haben  sie  dieselbe  Objectivitäi  wie  das  Gegebene;  ein  subjectives 
TSm  findet  bei  diesem  Denken  nicht  statt.**    „Sie  gehören  .  .  .  xum  Bewußtsein 
überhaupt,  d.  h.  dem  gattungsmäßigen  Wesen  der  individuellen  Bewußtseine,  und 
dcuin  liegt  ihre  obfective  Geltung  —  ohne  sie  gibt  es  kein  Wirkliches,  dessen  wir 
Wis  bewußt  werden  konnten;  sie  constituieren  also  erst  die  toirkliche  Welt,  als 
den  notwendig  gemeinsamen  Teil  der  Bewußtseinsinhalte^'  (ib.).  —  Wundt  be- 
tont, nicht  in  fertigen  Begriffen,  nur  in  ^der  allgemeinen  Gesetzmäßigkeit  des 
lo^schen  Denkens  liege  das  Apriori  des  Erkennens.    Die  Form  des  Denkens 
kommt  erst  in  und  mit  der  Erfahrung  zur  Geltimg.    In  den  Erfahrungsbegriffen 
stecken  nicht  schon  von  vornherein  apriorische  Kategorien  (Syst.  d.  PhiloB.*, 
S.  210  ff.;  Log.  I*,  95  ff.,  104).    Indem  das  Denken  die  Wahrnehmungen  ver- 


550  Kategorien. 

arbeitet,  erzeugt  es  erst  logische  Kategorien,  ^^allgemeinste  Begriff skktssen^ :  die 
Gegenstands-,   Eigenschafts-  und  Zustandsbegriffe.     In   diese  Ehussen    müsgeo 
"wdr  alle  Begriffe  ordnen,  sie  sind  daher  die  ^^allgemeinsten  Erfahrung^begriff^. 
yyDieser  Ätcsdruck  sagt  xunächst,  daß  sie  sich  auf  die  Erfahrung  bexdehen,  und 
daß  es  keine  Erfahrung  gibt^  die  nicht  ihrer  bedürfte;  er  deutet  aber  xugl^ek 
an,  daß  auch  sie  ohne  die  Erfahrung  nicht  existieren  unirden"  (Log.  I*,   103  ff.; 
Syst.  d.  Philos.",  S.  214  ff.).    In  den  Beziehungsformen  der  Begriffe  findet  der 
Zusammenhang  der  Dinge  seinen  allgemeinsten  Ausdruck.     Von  den  „PV- 
bindungsformen"   sind   diese   ^yBexiehungsformen"   zu  unterscheiden.     In   allen 
yjBexiehungsbegriffen^*  ist  eine  Anwendung  des  Satzes  vom  Grunde  (s.  d.)  vor- 
ausgesetzt.    Sie  zerfallen   in   „abstracte   Begriffet*   und  „abstracte  Bexiekungs- 
begriffe";  letztere  stellen  selbst  Beziehungen  her.    Die  j^reinen  Bex^iektings^  oder 
Verstandesbegriff^^  haben  Beziehungen  des  logischen  Denkens  selbst  zum  Inhalt 
Sie  sind  nicht  Gattungsbegriffe  von  Erfahrungen,  es  machen  sich   bei    ihncD 
l(^iBche  Forderungen  geltend,  die  in  keiner  Erfahrung  verwirklicht  sind.     Sie 
entspringen  „aus  der  gesonderten  Auffassung  gewisser  Bexiehungen,  die   tmser 
Denken  zwischen  seinen   Vorstellungen  auffindet*.     Sie  sind  nicht  aprioriBchY 
sondern  sie  bedeuten  y,die  letzten  Stuf en  jener  logischen  Verarbeütmg  des  WaJw- 
nehmungsinhaäeSy  die  mit  den  empirischen  Einxelbegriffen  begonnen  hat'.     Sie 
erheben   relative  Bestimmungen  der  Objecte  zu  absoluten  (Log.  P,   103,  121, 
461;  Syst.  d.  Phüos.«,  S.  219,  225  ff.,  228;  vgl.  PhUos.  Stud.  II,  161  ff.;  VII, 
27  ff.).     Die  reinen  Verstandesbegriffe   zerfallen  in:   1)  reine  Formbegriffe 
(Einheit  und   Mannigfaltigkeit,   Qualität  und   Quantität,   Einfaches   und   Zu- 
sammengesetztes, Einzelheit  und  Vielheit,  Zahl  und  Function);  2)  reine  Wirk- 
lichkeitsbegriffe (Sein  und   Werden,   Substanz  [Accidenz]  und  Causalitat 
[Ursache,  Wirkung],  Kraft,  Zweck)  (Syst.  d.  Philos.«,  S.  228  ff.,  236  ff.,  241  ff., 
347  ff.;  Log.  P,  521  ff.;  IP  1,  131  ff.,  199  ff.,  201;  Phüos.  Stud.  II,  167  ff.). 
Als  Product  der  Erfahrung  (imd  psychologischer  Processe),  Ab6tractkin&- 
gebilde,  Erzeugnisse  der  Induction  (s.  d.)  werden  die  Grundb^riffe  von  deo 
Empiristen  (s.  d.)  betrachtet.  —  Nach  Hebbart  sind  die  Kategorien  Producte 
des  Vorstellungsmechanismus,  Modificationen  psychischer  „Reihenformen"  (Met 
I,  209),  die  „allgemeinsten  Begriffe,   die  xur  Äpperception  dienen"  (PsychoL  als 
Wiss.  II,  §  124  ff.).     Sie  sind   nicht  apriorische   Stammbegriffe   (Lehrb.  zur 
Psychol.',  S.  133).     Die  Hauptkategorien  sind:  Ding,  Eigenschaft,  VerhaltoiE, 
Verneintes.      Die    Kategorien    der   ,yinneren  Äpperception"    sind:    Empfinden, 
Wissen,  Wollen,  Handehi  (1.  c.  S.  134;  PsychoL  als  Wiss.  §  131  f.).    Die  ding- 
lichen  Kategorien    sind   Formen  der  gemeinen  Erfahrung,  die  noch  mit  allen 
„Widersprüchen"  (s.  d.)  behaftet  sind  und  einer  philosophischen  Bearbeitung 
bedürfen  (vgl.  Met.  II,  351  ff.).     ÄhnUch  Schilling  (PsychoL  8.  147  ff.)  und 
Volkmann  (Lehrb.  d.  PsychoL  II*,  282).     Beneke  leitet  die  Kationen  ans 
der   Gesetzmäßigkeit   des  Bewußtseins   ab,   sie  sind  das  Entwicklungsprodoct 
psychischer  Processe  (Log.  II,  35  f.).     Vor  ihrer  Entwicklung  in  imd  mit  der 
Erfahrung  sind  die  Kategorien  nur  ^^prädestinierte  Anlagen"  in  der  Seele  (L  c 
II«  271,  283).   Übebweo  bestreitet  (wie  Czolbe)  die  Aprioritat  und  Subjectivitit 
der  Kategorien.    Er  betont,  das  Wesentliche  der  Dinge  könne  nur  mittelst  der 
Erkenntnis   des  Wesentlichen   in   uns   erkannt  werden  (Log.*,  S.  129).     Nach 
E.  Laas  sind  „retti«"  Verstandesbegriffe  Undinge.    Es  ist  undenkbar,  daß  €iii 
Inhalt  in  eine  ihm  absolut  fremde  Form  eingehen  soll.    In  den  Empfindung^ 
daten  müssen  zwingende  Motive  zur  Bildung  der  Kategorien  liegen  (IdeaL  u. 


Kategorien  —  Kategorisches  Urteil.  551 

poeit.  Erkenntnistheor.  S.  374).    Nach  Steinthal  sind  die  Kategorien  „Formen 
des  IVocesseSy  in  welchem  sich  die  Begriffe  bilden'^  (Einleit.  in  d.  Psychol.  S.  105). 
!Xach  IL  Hamerling  abstrahiert  der  Verstand  die  Kategorien  durch  das  be- 
ziehend-vergleichende  Denken   aus  dem  Material  der  Sinnesanschauung.     Sie 
^reiten  für  die  Dinge  an  sich  (Atomist.  d.  WilL  I,  38,  49).    Nach  F.  Erhardt 
stammen  die  Kategorien  aus  der  Erfahrung  (teilweise  aus  der  innern)  und  sind 
von  objectiver  Gültigkeit  (Met  I,  443  ff.,  513  f.,  574  ff.,  600).     Nach  Lipps 
sind  yjStibfective  Kategorien" :  Einheit,  Einzelheit,  Identität,  Gleichheit,  Ähnlich- 
keit und  die  Gegensatze  davon.    Sie  besagen  alle,  ,ydaß  wir  etuHis  tun,  oder 
uns  in  unserem  Tun  etwas  begegnet**  (Gr.  d.  Log.  S.  105).    Oberste  Kategorie 
ist  die  des  Bewußtseinsobjectes  überhaupt  (1.  c.  S.  136  f.).  —  J.  St.  Mill  leitet 
die  Grundbegriffe  aus  der  Erfahrung  und  Association  ab  (vgl.  Substanz).    Nach 
H.  8p£NC£R  sind  die  Grundbegriffe  phylogenetisch  (s.  d.)  empirisch  erworben, 
ontogenetisch,  beim  Individuum  der  Anlage  nach  a  priori  (s.  d.).    Die  Grund- 
begriffe, Stoff,  Baum,  Bewegung,  Kraft  u.  s.  w.  entstehen  als  solche  aus  der 
Oenendisation  und  Abstraction  von  Erfahrungen  des  Widerstandes  (PsychoL 
II,  §  348,  S.  236).    H.  CoRNEurs  sieht  in  den  Grundbegriffen  nur  Formen 
des  Zusanunenhanges  actualer  imd  möglicher  Erfahrungen.    Die  y^naturalisti- 
scken^*  B^riffe  (s.  d.)  sind  ihren  dogmatischen  Elementen  nach  zu  eliminieren. 
eine  „Elimination"  der  Kategorien  Causalitat,  Substanz  u.  dgl.  als  bloß  sub- 
jectiver  Zutaten  des  Denkens  zur  Erfahrung  (s.  d.)  fordert  E.  Mach.    An 
deren  Stelle  hat  das  Princip  der  „Ökonofnie"  (s.  d.)   des  Denkens   zu   treten. 
Den  Kategorien  kommt  bloß   „praktische*'   (biologische)  Bedeutung  zu.  —  So 
auch    Ni£TZSCH£,    der    die    rein    biologische    Bedeutung    der    Kategorien 
betont  (WW.  X,  183).     Sie  haben  sich  durch  ihre  Nützlichkeit  bewährt,  sind 
iebenserhaltend.     Aber  diese  ihre  biologische  Zweckmäßigkeit  ist  ihre  einzige 
^Wahrheit"  (WW.  XV,  268).      Sie  sind  Producte  der   Phantasie,    des    An- 
thropomorphismus   (s.   d.)t   mit  der  (metaphorischen)  Sprache  (s.   d.)  werden 
sie  in  die  Objecte  introjiciert.    Erst  fingieren  wir  ein  ,Jch"  (s.  d.),  dann  pro- 
jicieren  wir  es  auf  die  Außenwelt,  imd  nun  erscheint  uns  diese  als  eine  Summe 
von  Substanzen,  Tätern,   Kräften  u.  s.  w.  (WW.  VIII,  2,  S.  80;  XV,  273). 
Eine  solche  Welt  entspricht  unserem  Verlangen  nach  einer  Welt  des  Bleibenden, 
der  unser  WiUe  zur  Macht  mehr  gewachsen  ist  als  dem  ständigen  Flusse 
des  Geschehens  (1.  c.  XV,  268  f.,  285).    Eine  biologisch-projectionistische  Auf- 
fassung der  Kategorien  findet  sich  bei  Simmel  (Philos.  d.  Geld.  S.  484,  507). 
L«.  Stein  erklärt:  „Zeit,  Zahl,  Raum,  CauscUität,  wie  die  Verstandeskategorien 
überhaupt,  sind  nichts  anderes,  als  das  Alphabet,  welches  sieh  die  Menschen  im 
Kampfe  ums  Dasein  als  Schutxmaßregeln  gebildet  haben,  um  erfolgreich  im 
Buche  der  Natur  lesen  xu  können"  (An  d.  Wende  des  Jahrh.  S.  6).    Vgl.  In- 
trojection,  A  priori,  Causalitat,  Ding,  Substanz,  Kraft,  Identität,  Einheit,  In- 
dividuum. 

Kate^ortocli  (xarrjyo^eXv):  aussagend,  behauptend,  bestimmt,  unbedingt. 
KateKorlseber  ImperatlT  s.  Imperativ. 
Kateg^oiiselier  Sclüaß  s.  Schluß. 


Kaies^oriselies  Urteil  ist  ein  schlechthin  bejahendes  oder  verneinendes 
Urteil  (8  ist  P,  S  ist  nicht  P).  So  bei  Kant  (Log.  S.  162),  Fries  (Syst  d. 
Log.  S.  137)  u.  anderen  Logikern.    Vgl.  Hypothetisch. 


552  KaiharsiB. 

Katliarsis {xad'aQaig) :  Eeinigimg, Läuterung (besond. in  der  Mystik).  Nach 
den  Pythagoreern  ist  die  Seele  (s.  d.)  im  Leben  an  einen  Körper  gefesselt,  der 
Tod  bedeutet  eine  Befreiung  von  demselben.  Li  diesem  Sinne  fafit  Plato  den 
Tod  als  Läuterung,  xdd'a^cie,  der  Seele,  als  Tr^mung  vom  Leibe  (xo>e*X^*^),  '^ 
Befreiung  von  dessen  Fesseln  (Phaed.  67  C,  D,  114  C;  Kep.  10,  613  A).  Plito 
spricht  auch  von  einer  Befreiung  der  Seele  von  sinnlichen  Leidenschaften  (Phaed. 
67  A;  Sophist.  130  C),  von  einer  xdS'a^cis  toSv  ri8oraiv  (L  c.  69  C);  r^S^rr 
xad'a^di  Phaedr.  268  C).  Nach  Plottk  ist  die  Loslösung  des  Mensch^i  vom 
Sinnlichen,  die  Emporhebung  des  Geistes  zum  Wissen  und  zur  Tugend  eine 
xdd'a^fftg  (Enn.  I,  2,  3).  Vom  fwrad'ijvai  ttjv  rpvxfjv  spricht  Greqor  tos 
Nyssa  (De  an.  et  resurr.  p.  202). 

Den  Begriff  der  ästhetischen  Katharsis  begründet  Abistotelbb,  wohl  in 
Anlehnung  an  ältere  medicinische  Lehren  (Hifpokrates).  Er  verstdit  unter 
xd&aQciQ  die  yfReintgung*'  von  Affecten  durch  die  Kunst  Es  ist  nicht  sicher, 
ob  er  meint:  entweder  die  Beinigung,  Läuterung  der  Aifecte  selbst,  d.  h.  deren 
Herabstünmung  auf  das  rechte  Maß,  Befreiimg  vom  Überwältigenden  und  ^- 
ieressiert^*  des  praktischen  Lebens  ( —  was  jedenfalls  bei  den  ästhedschen 
Affecten  Tatsache  ist  — ),  oder  aber  die  Beinigung  der  Seele  von  den  Affecten 
durch  deren  Ablauf,  die  (momentane)  Befreiimg  des  Gemütes  von  zu  starken 
Affectdispositionen,  von  bestimmten  (schädlichen  und  starken)  Affecten  seUst 
Nach  Lessing  besteht  die  tragische  Katharsis  in  einer  Umwandlung  der  Affecte 
in  „tugendhafte  Fertigkeiten"  (Hamburg.  Dramat  74  ff.).  Goethe  verlegt  die 
Katharsis  in  den  Helden,,  nicht  in  den  Zuschauer  (WW.  XXIX,  490).  Maabs 
bemerkt:  jyDas  Drama,  und  das  Trauerspiel  insbesondere,  soll  .  .  .  die  Leiden- 
scfiaften  reinigen,  d.  t.  sie  auf  eine  der  Vernunft  angemessene  Art  üben.  Es 
soll  einige  erwecken,  andere  unterdrücken,  einige  vermindern,  andere  vermekretir 
(Vers.  üb.  d.  Einbild.  S.  249).  Nach  J.  Bernays  besteht  die  xd&a^tg  in  einer 
„erleichternden  Entladung^*  von  Gefühlsdispositionen  (Zwei  AbhandL  üb.  d. 
Aristotel.  Theor.  d.  Drama  1880).  Überweg  betrachtet  die  Function  der  Ka- 
tharsis als  zeitweilige  Ausscheidung,  Wegschaffung  von  Affecten  (Furcht,  Mit- 
leid) (Zeitschr.  f.  Philos.  Bd.  36  u.  50;  vgl.  A.  Döring,  Kunstlehre  d.  Aiistot. 
1876,  S.  263  ff.);  „durch  den  Verlauf  der  an  die  tragischen  Ereignisse  geknüpften 
Affecte  leben  diese  sich  selbst  aus,  und  udrd  xugleich  der  Drang,  solche  Affette 
,  .  ,  xu  liegen,  befriedigt  und  gestillt"  (Übermteq-Heikze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  FhiloB^ 
I»,  276).  Ähnüch  Paulsen  (Syst  d.  Eth.  P,  247).  —  H.  Siebeck  betont: 
„Das  Wesen  der  tragischen  Katharsis  liegt  für  Aristoteles  nicht  in  der  Aw- 
scheidung  (Kenosis)  jener  beiden  Affecte  [Furcht  und  Mitleid],  sondern  in  ikrer 
durch  die  ästhetische  Wirkung  des  Oeschauten  bedingten  Ermäßigung"  (Aristot 
S.  88).  Die  Affecte  verwandeln  sich  in  Lustgefühle,  werden  in  einen  ,^tffohl- 
tuenden  Einfluß"^  aufgelöst,  werden  frei  vom  Drückenden  des  Affects  (L  c. 
S.  89,  112;  vgl.  Jahrb.  f.  Phüol.  1882,  S.  225  ff.).  H.  Lehr  erklärt:  ,J)as 
rechte  Verhältnis  im  Oemüt,  die  rechte  Gemütsart  in  ihrer  Reinheit  trieder- 
herstellen,  den  Einfluß  der  Sinne  und  des  Verstandes  auf  das  rechte  Maß  sei  a 
herabdrücken,  sei  es  steigern,  so  daß  das  lAcht  der  Vernunft  hell  strahlen  und  das 
Ziel  des  Schönen  klar  erleuchten  kann,  das  soll  die  Tragödie,  das  soll  die  en- 
thusiastische Musik  leisten,  und  diese  Leistung  heißt  Reinigung'^  (Die  Wirk,  d. 
Tragöd.  nach  Aristot.  8.  77).  Nach  Jgdl  besteht  die  Katharsis  in  der  Ab- 
lösung der  ästhetisch  erregten  Gefühle  von  Affect  und  Begehren  (Lehrb.  d. 
Psychol.  S.  710).    Ähnlich  Herzog  (Was  ist  ästhet.?).     K.   Lange  meint: 


Katharsis  — -  Klarheit.  553 


„Oer  Aristotelischen  Theorie  liegt  .  .  .  nur  eine  richtige  Ahnung  Mtgrunde^  näm- 
lich die,  daß  die  van  der  Tragödie  erzeugten  Gefühle  gar  keine  wirHieken,  son- 
dern gereinigte^  abgeblaßte,  ihres  emotionellen  Elements  entkleidete  QefüMe  sind^*^ 
(Wes.  d.  Kunst  II,  129).  —  Aristoteles  erklärt,  die  Musik  habe  zum  Zweck 

nicht  nur  nni8aia^  dtayatyrjj  areoie,  ar^vrovin^  sondern  auch  xtitfapoig  (Polit. 
VIII  7,  1341b  36).  Er  sagt  femer  über  die  kathartische  Wirkung  der  Kunst 
(Ifusik):  dx  8i  rtSv  Uqcjv  fiehov  o^toftev  rtnirova,  orav  ;|f(»ifao«^0r»  roTg  dSo^ 
/ia^ovat  triv  ^f'X'J^  /neXsai^  xad'iarapivovs,  &a7teQ  taxQtlag  iv^oiTag  xai  xatf'n^' 
4reojgj  talro  Bfj  rovro  dvnyxaXov  nna^siv  xnl  rove  iXer^/utovae  y-ni  rovi?  ^oßrjTixovg 
xai  rove  o^ov  nad'tirixove^  rove  Si  tiXXox'g  xad"^  oaov  inißdXksi  rtov  toiovrojv 
ixdcxq^  xai  ndat  yhead'ni  riva  xdd'nQOiv  xai  xov^i^ead'ai  Mtd"'  r^doviji'  o/ioieos 
Si  xai  rd  fukri  rd  xa&a^ixd  nngixei  /«^a#'  dßAaßrj  toIs  nvd'Qconoig  (Polit. 
Vin  7,  1342a  8;  vgl.  VIII  6,  1341a  21).  Die  Tragödie  (s.  d.)  bewirkt  8i' 
dXdov  xai  tfoßov  .  .  .  riiv  roiovzfov  natfriuattov  xdd'nQOiv  (Poet.  1449b  23  squ.). 
—  Über  religiöse''  Läuterung  vgl.  E.  Rohde,  Psych.  II«,  1898,  S.  48. 

KathoUsclie  Plillosoplile  s.  Thomismus,  Scholastik. 

Kennen  s.  Wiedererkennen. 

Renoma  s.  Pleroma. 

Kettenscliloß  s.  Sorites. 

Kinderpsyclioloitle  ist  jener  Teil  der  Psychologie,  der  die  psychische 
Entwicklung  in  den  ersten  Lebensjahren  untersucht.  Vgl.  darüber  KussmauIv, 
Untersuch,  üb.  d.  Seelenleb.  d.  neugeb.  Menschen  1859.  Eggeb,  D^veloppement 
de  rintellig.  et  du  lang,  chez  les  enfants  1879.  Pbeyeb,  Die  Seele  des  Kindes 
1882,  3.  A.  1890.  Sully,  Untersuch,  üb.  d.  Kindheit  1892.  Ament,  Entwickl. 
von  Sprech,  u.  Denken  beim  Kinde  1899.  Compayre,  Die  Entwickl.  d.  Kinder- 
seele 1900.    WüNDT,  Gr.  d.  Psychol.»,  S.  343  tf.  u   a. 

KltJsel^efQlil  ist  ein  Gemeingefühl  (s.  d.),  das  auf  intermittierenden 
schwachen  Tastreizen  auf  leicht  erregbaren  Stellen  der  Haut  beruht.  E^  setzt 
sich  zusammen  „aus  einem  sehwache  äußere  Tastempfindungen  begleitenden 
Lustgefühl  und  aus  den  an  die  Muskelempfindungen  gebundenen  Oefühlen  .  .  ., 
wdehe  durch  die  von  den  Tastrdxen  ausgelösten  Reflexkrämpfe  entsielien^^  (WüNDT, 
Gr.  d.  Psycho].*,  S.  193  f.). 

Klang^tarbe  (timbre)  heißt  die  Nuance  des  Klanges,  welche  von  der 
Beschaffenheit  der  ErregungsqueUe,  des  Instruments  abhängig  ist.  Klang- 
farbe des  Gefühls  („timbre  affectip*)  richtet  sich  bei  gemischten  Gefühlen 
nach  dem  überwiegenden  Elemente  (Paulhan,  Les  ph^nom.  affectifs  p.  124). 

KlangpTorstelliing^  s.  Gehörsinn. 

Klarbelt  (Lucidität)  im  psychologischen  Sinne  bedeutet  die  Eigenschaft 
einer  VorsteUung,  mit  ihrem  ganzen  Inhalte  in  bestimmtem  Bewuiitseinsgrade 
percipiert  zu  werden.  Die  Klarheit  ist  eine  Wirkung  der  Aufmerksamkeit 
(s.  d.);  der  Proceß  der  Klarwerdung,  Klarmachung  heißt  Apperception  (s.  d.). 
Eine  Vorstellung  ist  um  so  klarer,  mit  um  so  größerer  psychischer  Energie  sie 
auftritt,  sich  zu  behaupten  vermag;  klar  ist  die  vom  Willen  festgehaltene,  aus- 
gewählte Vorstellung.  Die  Deutlichkeit  einer  Vorstellung  besteht  in  ihrer 
rechten  Unterschiedenheit,  Gesondertheit  von  anderen  Vorstellungen.  Gegen- 
sätze: Dunkelheit  und  Verworrenheit.  Logisch  besteht  die  Klarheit  eines 
Urteils  in  der  Verständlichkeit  (s.  d.)  imd  (ev.  in  der)  Evidenz  (s.  d.)  desselben 


554  Klarheit. 

Ein  klarer  Gedanke  ist  ein  solcher,  dessen  Inhalt  sich  in  bestimmter,  eindeatiger 
Weise  mit  allen  seinen  Teilen  dem  Bewußtsein  darstellt 

Die  Stoiker  erblicken  in  der  sinnlichen  Klarheit  (iva^eia)  der  Vor- 
stellungen ein  Merkmal  ihrer  Objectivität  (vgl.  Kataleptische  Vorstellung).  Den 
Wert  der  ird^eia  der  Wahrnehmung  für  die  Erkenntnis  betonen  die  Epiku- 
reer (vgL  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  216). 

In  logischem  Sinne  kommt  „<?o»/msc"  —  „disttncte"  bei  Scholastikern 
vor,  so  bei  Wilhelm  von  Occam  (vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  III,  357 ;  „dar^ 
und  „düttncte''  bei  Suabez  (Met.  disp.  8,  3).  Nach  Goclen  ist  jene  Erkenntnis 
deutlich,  „qua  cognoscitur  etiam  quid  sit  res*'  (Lex.  philos.  p.  382). 

Bei  Descabtes  wird  das  y^elare  et  distincie"  von  Bedeutung,  weil  er  in  der 
iQarheit  und  Deutlichkeit,  in  der  subjectiven  aber  logischen  Gewißheit  und 
Bestimmtheit  der  Erkenntnis  das  Kriterium  der  Wahrheit  (s.  d.)  erblickt.  Ekr 
ist,  was  dem  aufmerksamen  Geiste  gegenwärtig  und  offen  ist;  deutlich,  wts 
zugleich  von  allem  anderen  im  Bewußtsein  geschieden  vorgestellt  wird,  „da- 
ram  voco  illam  (perceptionem),  quae  menti  attendenti  praesens  et  aperta  est; 
dtstinciam  autem  illarrij  quae  cum  clara  sit,  ab  omnibus  aliis  ita  seiuneta  es^ 
et  praeeisa,  ut  nihil  plane  aliud  quam  quod  darum  est  in  se  contineat'*  (Princ. 
philos.  I,  45).  Aber  nur  das  wirldich  klar  und  deutlich  Gedachte  hat  Ansprach 
auf  Wahrheit  (Medit.  III).  Höchste  Klarheit  und  Gewißheit  hat  das,  was  dem 
„lumen  naturale^*  (s.  d.)  entspringt  Nach  der  Logik  von  Pobt-Eoyal  ist  eine 
Idee  klar,  wenn  sie  ims  lebhaft  ergreift  (I,  8  f.).  Locke  bestimmt:  „As  a 
clear  idea  is  that  tchereof  the  mind  hos  such  a  füll  and  evident  pereepticn,  as 
it  does  receive  from  an  outward  ohjeet  operaiing  dtUy  in  a  wdl  dispased  organ: 
so  a  distinct  idea  is  that  wherein  the  mind  perceives  a  difference  from  aÜ  otker^ 
(Ess.  II,  eh.  29,  §  4).  Leibniz  definiert:  „Clara  cognitio  est^  cum  habeo  unde 
rem  repraesentatam  agnoscere  possim.  —  Distincta  notio  est  qualem  de  auro 
habeni  decimastae  per  notas  seilicet  et  ex  anima  sufficientia  ad  rem  €Mb  alOs 
omnibvs  corporibus  similibus  discemendam"  (Erdm.  p.  79).  Das  Cr^enteil  der 
deutlichen  sind  die  verworrenen  (s.  d.)  Vorstellungen.  Es  gibt  dunkle,  unter- 
bewußte (s.  d.)  Vorstellimgen.  Chb.  Wolf  definiert:  „Si  quod  pereipmus 
agnoscere  vd  a  perceptibilibus  ceteris  distinguere  valemus,  perceptionem  habemus. 
clara  est**  „St  in  re  percepta  plura  sigülatim  enuneiabilia  distfnguitnus,  per- 
cepiio  clara  dicitur  distincta**  (Psychol.  empir.  §  37  f.).  „Also  entsteht  die  Klar- 
heit  aus  der  Bemerkung  des  Unterschiedes  im  Mannigfaltigen;  die  Dunkdkeit 
aber  aus  dem  Mangd  dieser  Bemerkung**  (Vem.  Ged.  I,  §  201 ;  §  732).  Nach 
BiLFiNOEB  ist  das  Denken  klar,  „si  sufficiat  ad  rem  denuo  undeeumque  oblatam 
agnoseendum**,  deutlich  „si  et  partes  rei  sive  notas  eius  seorsim  discemere  pos- 
smmis**  (Dilucid.  §  240).  Cbusiüs  bestimmt  die  Deuthchkeit  als  ,/ii^emge 
Vollkommenheit  der  Gedanken,  da  sich  dieselben  von  allen  anderen  unterscheiden 
lassen**  (Vemunftwahrh.  §  8).  Nach  Lambebt  ist  ein  Begriff  klar,  wenn  wir 
durch  ihn  eine  Sache  wiedererkennen  können;  er  ist  deutlich,  wenn  alle  seine 
Merkmale  klar  sind  (N.  Organ.  I,  §  9).  —  Gabve  erklärt:  j.Die  Einriehhmg 
der  Natur  hält  xwischen  dem  dunklen  und  dem  hdlen  Teile  unserer  VorsteUungen 
ein  beständiges  Qleichgeuncht.  Sobald  die  einen  an  Klarheit  steigen^  so  sinken 
die  andern  in  eine  tiefe  Finsternis,  und  jede  Annäherung  der  Seele  auf  einen 
Gegenstand  ist  xugleich  eine  Entfernung  von  den  übrigen**  (SammL  einig.  Ab- 
handL  I,  31). 


Klarheit.  555 


Kant  definiert:  ,J)as  Betcußtsein  seiner  Vorstellungen,  welchem  xur  Unter- 
scheidung eines  Gegenstandes  von  anderen  Mtreichty  ist  Klarheit,  Dasjenige 
aber,  icodureh  auch  die  Zusammensetzung  -  der  Vorstellungen  klar  toird,  heißt 
Deutlichkeit*'  (AnthropoL  I,  §  6).  Ein  Begriff,  der  durch  ein  Urteü  klar  ist, 
ißt  deutlich  (WW.  I,  71).  Die  ,/iiscursive  Deutlichkeif  *  durch  Begriffe  ist  von 
der  fjintuitiven*'  Deutlichkeit  zu  unterscheiden  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  9).  „Dunkle 
Vorstellungen  sind  diejenigen,  deren  man  sich  nicht  bewußt  /«/"  (Unters,  üb.  d. 
Deuüichk.  d.  Grunds,  d.  nat.  Theol.  u.  d.  Mor.  II,  8.  82).  G.  E.  Schulze: 
„TTtVrf  der  Gegenstand,  worauf  sicJi  ein  Begriff  bezieht,  von  dem  durch  andere 
Begriffe  Vorgestellten  unterschieden,  so  heißt  der  Begriff  ein  klarer,  im  Gegen- 
teile aber  ein  dunkler,**  „Wird  das  Mannigfaltige  an  dem  durch  einen  Begriff 
Vorgestellten  unterschieden  oder  abgesondert  voneinander  geda^sht,  so  ist  er 
deutlich**  (Allg.  Log.»,  8.  217  ff.).  Die  Klarheit  und  DeutUchkeit  des  Wahr- 
nehmens hängt  „von  unserer  Selbstmacht  und  von  der  dadurch  bestimmten 
Richtung  der  Aufmerksamkeit  auf  den  Inhalt  der  Wahrnehmung**  ab  (Psych. 
Anthrop.»,  8.  140).  Nach  Kiesewetter  ist  Deutlichkeit  „möglichste  Eifihdt 
des  Mannigfaltigen  in  einer  Vorstellung**  (Gr.  d.  Log.  §  62).  Krug  erklärt: 
y,Ungeachtet  das  Bewußtsein  beim  Denken  der  Begriffe  unendlicher  Abstufungen 
fähig  ist,  so  lassen  sich  doch  xtoei  Hauptgrade  unterscheiden  ,  .  .  Entweder 
tritt  die  Einheit  oder  die  Mannigfaltigkeit  des  durch  den  Begriff  Verknüpften 
stärker  ins  Bewußtsein,  Im  ersten  Falle  findet  Klarheit  (claritas),  im  zweiten 
Deutlichkeit  (perspicuitas)  des  Begriffes  staU**  (Handb.  d.  Philos.  I,  8.  136). 
Klar  ist  ein  Begriff,  wenn  wir  imstande  sind,  „das  durch  ihn  im  ganzen  Vor- 
gestellte von  dem  durch  andere  Begriffe  Vorgestellten  ,  ,  ,  zu  unterscheiden**. 
Deutlich  ist  er  zugleich,  wenn  wir  auch  das  durch  ihn  verknüpfte  Mannig- 
faltige zu  imterscheiden  vermögen  (1.  c.  I,  8.  138  f.).  „Wiefeme  man  sich  des 
in  einem  Begriffe  enthaltenen  Mannigfaltigen,  also  seines  Inhaltes,  mit  Klarheit 
bewußt,  hat  der  Begriff  innere  Deutlichheit  fperspicintas  intensiva),  Wie- 
feme man  sich  aber  des  unter  einem  Begriffe  befaßten  Mannigfaltigen,  also 
seines  Umfanges,  mit  Klarheit  bewußt,  hat  der  Begriff  äußere  Deutlichkeit 
(perspicuitas  extensiva)**  (1.  c.  I,  138  f.).  Fries  bestimmt:  „Klar  ist  ein  Be- 
griff, wenn  ich  ihn  im  ganzen  abgesondert  für  sieh  als  Schema  der  Einbildungs- 
kraft vorstelle^  und  deutlich  ist  er  endlich,  wenn  ich  ihn  bestimmt  nach  detn 
Verhältnis  von  Inhalt  und  Sphäre  denke,  also  noch  Merkmale  in  ihm  unter- 
scheidet* (Syst.  d.  Log.  S.  111).  Kiax  sind  jene  Vorstellungen,  „die  wir  in  uns 
haben  und  auch  gleich  in  uns  gewahr  werden**  (1.  c.  8.  47).  Nach  Bolzano  ist 
eine  Vorstellung  klar,  ,^wenn  wir  sie  uns  selbst  wieder  vorstellen,  und  zwar  da- 
durch, daß  wir  sie  anschauen**  (Wissenschaftslehre  III,  29).  Beneke  betrachtet 
die  psychische  Klarheit  als  Product  einer  vielfachen  gleichartigen  Verschmelzimg 
von  seelischen  Gebilden  (Lehrb.  d.  PsychoL*,  8.  44).  Calker  erklärt:  „Klar 
ist  der  Begriff,  wenn  derselbe  von  andern  Vorstellungen  unterschieden  und  für 
sieh  aUein  gedacht  wird,**  „Deutlich  ist  der  Begriff,  wenn  derselbe  durch  die 
Unterscheidung  und  Zusammenfassung  aller  Teilvorstellungen  seines  Inhalts  und 
Umfangs  gedacht  wird^*  (Denklehre  8. 299  f.).  Im  8inne  Herbarts  (s.  Hemmung) 
sagt  Volkmann:  „Am  Klarheitsgrade  der  Vorstellung  tcerden  icir  indirect  der 
Größe  des  Vorstellens  bewußt**  (Lehrb.  d.  Psychol.  I*,  342).  Nach  Drobisch 
ist  ein  Begriff  deutlich,  wenn  sein  Inhalt  vollständig  bekannt  ist  (N.  Darst  d. 
Log.  §  116).  B.  Erdmann  erklärt:  „Vorstellungen  werden  klar  genannt,  sofern 
ihre  Gegenstände  von  anderen  unterschieden  werden  können;   anderenfalls  sind 


556  Klarheit  >-  KonÜBch. 


sie  dunkel.  Sie  sind  deutlich ^  sofern  die  Merknuüe  ihrer  QegensiäMäie 
einander  klar  sind;  anderenfalls  undeutlich  oder  venoorren"  (Log.  I,  ln6l  — 
B.  Ayenariüs  nennt  die  E^larheit  eines  Aussageinhaltes  „Abhdmn^'.  ISsBis- 
FELS  versteht  unter  ^jAundität  die  größere  Klarheit  oder  Heüigkeüy  durch  wdek 
sieh  die  Vorstellungen  ausxeiehneny  auf  tcelehe  die  Aufmerksamkeit  gericktet  v^ 
(Syst.  d.  Werttheor,  I,  253). 

WuKDT  betont  die  Tatsache,  daß  das  Bewußtsein  (s.  d.)  in  verschiedeDCfi 
Elarheitsgraden  auftritt  Ihr  Maß  hat  die  Klarheit  in  der  verschiedenen  Nadi- 
dauer  psychischer  Vorgänge,  in  der  Continuität  der  geistigen  Zustände  (By»t. 
d.  Philos.*,  S.  565  ff.).  Die  E[larheit  einer  Vorstellung  wird  y^gleiekzeUig  durek 
die  Stärke  ihrer  Empfindungselemente  und  durch  die  Schärfe  ihrer  Appereqdüm 
bedingt^'.  Deutlich  ist  eine  Vorstellung,  „frenn  sie  von  andern  im  Bewußtsein 
aniaesenden  scharf  unterschieden  wird*'  (Grdz.  d.  physiol.  PsychoL  11*,  27G> 
£s  gibt  eine  „Klarhettsschweüef*  (1.  c.  11^,  272).  Die  Klarheit  im  engeren  Siiifie 
ist  eine  Wirkung  der  Aufmerksamkeit  (s.  d.),  der  Apperception  (s.  d.)-  Um 
den  jjBlickpunkt"  der  Aufmerksamkeit  sind  die  Vorstellungen  „m  einer  Stufen- 
folge abnehmender  Klarheit  geordnet"  (Gr.  d.  PsychoL*,  Ö.  185).  Aus  der  BeQie 
aufeinander  folgender  Vorstellungen  in  jedem  Momente  ist  „die  unmittdbar 
gegenwärtige  in  unserer  Auffassung  bevorzugt*.  jyÄhnlich  sind  nMin,  atseh  w 
dem  simultanen  Zusammenhang  des  Bewußtseins  ...  einzelne  Inhalte  be- 
vorzugt. In  beiden  Fällen  bezeichnen  wir  diese  Unterschiede  der  Auffassung  eit 
solche  der  Klarheit  und  Deutlichkeit,  wobei  unr  unter  der  ersten  die  rdatir 
günstigere  Auffassung  des  Inhalts  seihst,  unter  der  zweiten  die  in  der  Regd  damit 
verbundene  bestimmtere  Abgrenzung  gegenüber  andern  psychischen  Inhaiien  9er- 
stehen"  (1.  c.  S.  249  ff.).    Vgl.  Unbewußt. 

Komiscli  (von  xoHfios)  ist  etwas,  insofern  es  uns  durch  seinen  Wider- 
spruch zum  Logischen,  Vernünftigen,  zur  Idee,  zum  Gewohnten,  Natürlichen, 
Zweckmäßigen  überrascht,  so  aber,  daß  wir  uns  durch  das  Object  selbst  nisdi 
besinnen  und  die  Verkehrtheit,  den  Widersinn  der  Sache,  der  Situation  ein- 
sehend, uns  wieder  erleichtert,  einheitlich  und  als  Überlegene  fühlen.  Das  Ge- 
fühl des  Komischen,  Lächerlichen  beruht  stets  auf  einem  (Kontrast,  einem 
Widerspruch  ziun  Gewohnten,  Natürlichen,  Vernünftigen,  auf  einer  Überraschung 
(Depression)  und  darauf  folgender  erhebender  Einsicht,  b^leitet  von  physio- 
logischen Processen  (Lachen);  doch  müssen  wir  von  ernsten  praktischea  Folgen 
der  betr.  Handlung  u.  s.  w.  absehen  können,  es  darf  sich  (bewußt)  nicht  um 
wichtige  Dinge  handeln,  eine  gewisse  „Harmlosigkeit**  ist  Bedingung.  Eine  Art 
des  Komischen  ist  das  Humoristische.  Humor  im  engeren  Sinne  bedeutet  die 
heitere  Betrachtung  eines  Ernsten,  die  Fähigkeit,  das  Heitere  im  Ernsten  zu 
erblicken  und  so  den  Ernst  zu  mildem,  zu  verklären. 

Aristoteles  erklärt :  ^B  xcofupdia  iativ  fu/irjaiQ  favXordQfov  (uVf  ov  furrm 
xara  naaav  xaxiav,  dXXd  rov  aiaxQOv  iari  t6  yekoiov  fto^iov  t6  yd^  ythnor 
iaxiv  dftd^T]f/d  ri  xai  alax^s  dvcidwov  xai  ov  ^p&a^ixov,  olar  ^v&v^  ro 
ys}^iov  TtQocojnov  alax^o^'  t*  x«*  Siecr^afifidvov  oBvprjg  (Poet.  5).  Aristoteles 
definiert  also  das  Komische  als  etwas  Ungereimtes,  das  unschädlich  ist.  Cicekq 
erblickt  das  Lächerliche  in  einer  „turpitudine  et  deformitate  quadam*%  die 
ohne  Schlechtigkeit  ist  (De  oratore  II,  58  ff.).  Nach  Hobbes  liegt  das 
Komische  im  Unerwarteten,  verbunden  mit  dem  Bewußtsein  eigene  Fähig- 
keit Überlegenheit  (,^Budden  glory**)  (Hum.  nat.  IX,  13).     Nach  Mendklsbohx 


J 


Komiflch.  557 


bernlit  das  Lachen  auf  einem  „Contrast  xtvischen  einer  Vollkommenheit  und 
Unvollkomvienheit.  Nur  daß  dieser  Contrast  von  keiner  Wichtigkeit  sein  und 
uns  nickt  sehr  nahe  angehen  muß,  wenn  er  lächerlieh  sein  solV^  (WW.  I  2,  41). 
Nach  Kant  ist  das  Lachen  ein  Affect  aus  der  ,fplötxlichen  Verwandlung  einer 
gespannten  Erutartung  in  nichts^*  (Krit  d.  Urt.  §  54).  Im  Lachen  Erregenden 
ist  etwas  Widersinniges  (ib.).  Nach  Jean  Paul  besteht  das  Komische  im 
„unendlichen  Contrast  zwischen  der  Vernunft  und  der  ganzen  Endlichkeit^^ 
(Vorsch.  d.  Ästhet.  §  31).  Der  Humor  ist  das  „romantisch  Komische^*  (ib.). 
Nach  BoüTERWEK  ist  das  Lacherliche  „eine  besondere  Erscheinung  des  Wider- 
sinnigen, das  sich  seihst  oder  wenigstens  seine  beabsichtigte  Wirkung  xerst&rt^^ 
(Ästhet.  I,  178).  Es  überrascht  uns,  ist  gleichsam  ein  Nervenkitzel  (L  c.  I, 
179  f.).  Das  Komische  ist  eine  Modiücation  des  Witzigen  (1.  c.  I,  181  f.). 
*  SUABEDISSEN  erklärt:  „Das  Wohlgefallen  an  dem  Lächerlichen  überhaupt  .  .  . 
entstehet  durch  alles  Uneinßtimmige  im  Menschenleben,  wiefern  es  die  Seele  auf- 
merksam macht,  auch  wohl  spannet,  sich  aber  auch  bald  als  bedeutungslos  dar- 
stellt und  so  die  Spannung  vneder  aufhebt*'  (Grdz.  d.  Lehre  von  d.  Mensch. 
8. 267).  Nach  Reikhold  ist  das  Lächerliche  die  ästhetische  Darstellung  einer 
Ungereimtheit,  eines  logischen  Widerspruches.  Nach  Bendayid  entsteht  es 
aus  der  Wahrnehmung  eines  Mißverhältnisses  zwischen  Wirkung  und  Ursache 
(Geschmackslehre  S.  117  ff.).  Wie  Heydenbeich  (Grundsätze  d.  Krit.  d. 
Lächerl.  1797)  erklärt  Pölitz:  „Das  Lächerliche  entspringt  aus  sinnlieh  er- 
seheinender,  aus  anschaulicher  Ungereimtheit  und  wird  durch  die  Ver- 
sinnliehung  von  etwas  Widersinnigem,  Zweck-  und  Verhältnis- 
widrigem bewirkt,  welches  wir  an  einer  menschliehen  Individualität 
bemerken**  (Ästhet.  I,  242).  Nach  C.  H.  Weisse  ist  die  Komik  ein  „Lügen- 
strafen  einer  angemaßten  Hoheit  und  AbsokUheif*  (Ästhet.  I,  212).  Nach 
A.  RcGE  ist  das  Komische  das  Sich -wiedergewinnen  der  Idee  aus  der  Ver- 
sunkenheit  (Neue  Vorsch.  d.  Ästhet  8.  58  ff.).  K.  Eosenkranz  definiert: 
jjlkts  Komisehe  ist  die  Auflösung  des  Häßlichen,  indem  es  sieh  selbst  ver- 
nichtet.** Die  gespannte  Erwartung  löst  sich  in  nichts  auf  (Syst.  d.  Wiss. 
S.  564).  Indem  das  Komische  „die  Nullität  des  Scheines  der  Idee  aufdeckt, 
der  sich  an  Stelle  ihrer  positiven  Erscheinung  aufspreixt**,  wird  sie  satirisch, 
ironisch,  humoristisch.  Der  Humor  ist  „die  vollkommene  Wiederherstellung 
der  Idee  des  Schönen  in  ihrer  EinJieit  mit  der  Idee  des  Wahren  und  Otäen,  und 
%war  so,  daß  er  die  ganxe  Tiefe  der  Entzweiung  der  empirischen  Existenx  mit 
dem  Wesen  des  Geistes  in  sich  aufnimmt,  den  Optimismus  der  absoluten  Frei- 
heit affirmiert  und  die  Versöhnung  des  Geistes  mit  sich  selbst,  auch  im 
Leiden,  im  Unglück,  im  Mangelhaften,  im  Endlichen  überhaupt,  als  das  Werk 
der  in  sich  unendlichen  Subjectivität  darstellt**  (1.  c.  S.  565).  Nach  Th.  Vischer  ist 
das  Komische  ein  „Schxmes  im  Widerstreit  seiner  Momente^*  (Ästhet.).  Er 
betont,  bei  allem  Komischen  leihe  der  Zuschauer  dem  Gegenstand  sein  „Besser- 
wissen'* (Das  Schöne  u.  d.  Kunst«,  S.  185;  vgl.  Üb.  d.  Erhab.  u.  Kom.  1837). 
M.  Carriere  erklärt:  „Im  Komischen  ist  immer  etwas,  das  uns  verblüfft  oder 
ekokiert,  und  wenn  es  bestehen  bliebe,  so  würde  es  uns  verwirren  und  ärgern;  aber 
indem  es  xugleich  an  seinem  eigenen  Widerspruch  xugrunde  geht,  löst  sich  die 
Dissonanx,  und  dies  anzuschauen  erheitert  wieder  und  gibt  uns  die  Gewißheit, 
daß  nur  das  Gute,  ScJume,  Wahre  auch  das  Wirkliche  und  Dauernde  ist** 
(Ästhet.  I,  197).  Nach  Beneke  werden  die  „Gefühle  des  Lächerlichen**  be- 
gründet, „wenn  zwei  Seelentätigkeiten,  den  Erweckung sverhältnissen  nach, 


558  Komisch. 


völlig  aufeinander  fallen  oder  eins  werden  sollten,  dieses  Einsicerden  aber  dtvtk 
den  Gegensatz  derselben  unmöglich  gemacht  und  infolgedessen  das  Bewußt- 
sein von  der  einen  zur  andern  hinüber-  und  herübergeworfen  wird, 
ohne  daß  sie  weder  sich  verbinden,  noch  xu  einem  reinen  Nebeneinander  geiangoi 
können'^  (Lehrb.  d.  Psycho!.»,  S.  200).  Nach  K.  Lange  beruht  das  (Katar-) 
Komische  auf  dem  gleichzeitigen  Entstehen  zweier  einander  inhaltlich  eigentlidi 
ausschließender  Vorstellungsreihen  (Wes.  d.  Kunst  I,  342).  —  Nach  Scbofks- 
HAUEB  entsteht  das  Lachen  „aus  der  plötzlich  wahrgenommefien  Buxmgmenz 
zwischen  einem  Begriff  und  den  realen  Objeeten,  die  durch  ihn,  in  irgend  einer 
Beziehung,  gedacht  werden,  und  es  ist  selbst  eben  nur  der  Ausdruck  dieser  h- 
cohgruenx**.  „Jedes  Lachen  also  entsteht  auf  Anlaß  einer  paradoxen  und  daher 
unerwarteten  Subsumtion"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  13;  Bd.  II,  C.  8).  Humor 
ist  „der  hinter  dem  Seherz  versteckte  Ernst"  (ib.).  Nach  K.  Fischkr  wefden 
wir  im  Komischen  frei  von  dem  Drucke  der  Welt,  von  der  Macht  der  Dinge, 
wir  sehen  herab  auf  das  Object,  wir  verhalten  uns  wie  das  Unendlich|irrofie  zum 
Unendlichkleinen  (Üb.  d.  Witz  S.  76  f.).  Aus  dem  ungedrückteo  Selbstgefohl 
entspringt  die  Heiterkeit  (L  c.  S.  85).  Nach  Th.  Zieoler  wird  im  Komischen 
ein  Unlogisches,  ein  Widerspruch  gegen  die  Vernunft  ad  absurdum  gefühn 
(Das  Gef.«,  S.  142  ff.).  Ähnlich  Renouvier  (Nouv.  MonadoL  p.  214).  F^cho- 
logische  Erklärungen  des  Lacherlichen  und  Komischen  geben  L.  Ouicoirr 
(Vergnüg,  u.  Schmerz  S.  244  ff.;  vgl.  Les  causes  du  rire  1862)  und  A.  Lbb- 
MANN  (Menschl.  Gefühlsleb.  S.  350).  Nach  H.  Höffding  ist  allem  Lacher- 
lichen gemein,  ,fdaß  etwas  Ohnmächtiges  wegen  des  Gegensatzes  xu 
überlegenen  Macht  plötzlich  in  seiner  Nichtigkeit  erscheint.  Das 
setzt  voraus,  daß  wir  uns  einen  Augenblick  haben  düpieren,  verblüffen,  von 
Illusion  befangen  oder  durch  eine  Erwartung  spannen  lassen,  und  daß  das 
Ganze  sich  nun  auf  einmal  in  nichts  auflöst:*  (PsychoL*,  S-  408  tu 
Die  Contrastwirkung  des  Lacherlichen  ,,entsteht  dadurch,  daß  zwei  Oedankei» 
oder  zwei  Eindrücke,  die  jeder  für  sich  ein  Gefühl  erregen  und  deren  letzterer 
niederreißt,  was  ersterer  aufbaut,  plötzlich  aufeinander  stoßen"  (1.  c.  S.  409  ti 
Humor  ist  „das  Gefühl  des  Lächerlichen  auf  Grundlage  der  Sympathie^  (L  c. 
ß.  407).  Nach  K.  Groos  besteht  die  positive  Grundlage  des  Komischen  immer 
in  einer  „Verkehrtheit",  „die  uns  mit  einem  angenehmen  Gefühl  unserer  eigenen 
Überlegenheit  erfüllt".  Die  Verkehrtheit  „v&'blüffl"  (erster  „Cho&%  diese 
Verblüffung  ist  eine  Spannung,  die  bis  zur  Erkenntnis  der  Verkehrtheit  dauert, 
dann  tritt  der  Genuß  der  Überlegenheit  auf  (E^inL  in  d.  Ästhet  S.  378  ff., 
463  ff.).  Nach  Lipps  beruht  das  Gefühl  des  Komischen  darauf,  daß  „/einem 
Bedeutungslosen  und  zur  Inanspruchnahme  seelischer  Kraft  aus  eigener  Energie 
relativ  Unfähigen  in  hohem  Maße  seelische  Kraft  zur  Verfügung  steht^.  Die 
leichte,  ungehemmte  Ausbreitung  des  Wahmehmungsinhalts  bewirkt  Lust 
(Philos.  Monatsh.  24.  Bd.,  S.  142  f.;  vgl.  Bd.  25  u.  Kom.  und  Hum.).  Ähnlich 
G.  Heymans  (Zeitschr.  f.  Psychol.  XI,  31  ff.,  333  ff.).  Überhorst  erklärt : 
„Komisch  erscheint  uns  ein  Zeichen  einer  schlechten  Eigenschaft  einer  andern 
Person,  wenn  uns  an  uns  selbst  keines  ebenderselben  schlechten  Eigenschaft  zum 
Bewußtsein  kommt,  und  das  keine  heftigen  unangenehmen  Gefühle  in  uns  hervor- 
ruft" (Das  Kom.  I,  2  f.).  Die  Lust  am  Komischen  ist  die  Lust  daran,  daß 
wir  die  guten  Eigenschaften  uns  selbst  beilegen,  uns  über  den  Besitz  derselben 
freuen  (1.  c.  S.  524  ff.).  Metaphysisch  faßt  den  Humor  Backhaus  auf.  ,Jkr 
Humor  ist  es,  welcher  mit  seinem    Weltblick  die  Einxeldinge  umfaßt  und  «• 


Komisch  —  Korper  559 


ihnen  das  Oanxe  der  Dinge  schaut:  die  unxerstörbare  Einheit  von  Idee  und 
Erscheinung^  von  Kraft  und  Maierie,  von  Wille  und  Vorstellung,  Sein  ganxes 
Streben  ist  darauf  gerichtet,  %u  vereinigen,  was  feindlich  sieh  flieht^^  (Wes.  d. 
Humors  S.  205).  „Der  Humor  ist  das  künstlerische,  in  der  Natur  gegründete 
Lebensprineip  aller  einxelnen  Erscheinungsformen  im  Kosmos"  (1.  c.  S.  79).  — 
Nach  Zeising  ist  das  Komische  „das  Schöne  in  der  Form  desjenigen  Wider- 
spruchs, durch  den  das  anschauende  Subfect  aus  der  Empfindung  einer  objectiven 
UnvoUhommenheit,  oder  richtiger  Vollkommenheitswidrigkeit,  unmittelbar  in  die 
Empfindung  der  subfectiven  Vollkommenheit  hinübergerissen  unr<t*^  (Ästhet. 
Forsch.  8.  282  ff.).  Vgl.  Sulzer,  Theor.  d.  schön.  Künste;  Flöqel,  Gesch. 
d.  kom.  Literat.;  Eberhard,  Ästhet.  II,  211  ff.;  H.  Spencer,  Physiol.  of 
Laughter,  £s8.  voL  I;  E.  Hecker,  Die  Physiol.  u.  Psychol.  d.  Lachens  u. 
d.  Kom.  1873;  J.  Cohk,  AUgem.  Ästhet.  S.  206  ff.;  Soloer,  Ästhet. 

Koros  (%6^oi):  Sättigung,  Fülle.  Bei  Heraklit  bedeutet  der  Ausdruck 
die  wiederhergestellte  Welteinheit,  Einheit  des  Urfeuers  (Diog.  L.  IX,  8). 
Plotin  nennt  xoQoi  die  Ideenwelt  in  ihrer  Einheit  (Enn.  V,  9,  8). 

KSrper  bedeutet  1)  geometrisch:  das  dreidimensionale  Eaumgebilde; 
2)  physikalisch:  ein  begrenztes  Stück  Materie  (s.  d.),  einen  einheitlichen  Gom- 
plez  von  raumlich  geordneten  Qualitäten  (naiver  Körperbegriff),  von  Wider- 
standen, Energien,  Kräften  (naturwissenschaftlicher  Körperbegriff).  Ein  Wesen 
ist  ein  Körper,  ist  körperlich,  hat  Körperlichkeit  (nur  und  erst),  insofern  es 
durch  seine  (Widerstands-)  Ejräfte  (s.  d.)  einen  Baumteil  erfüllt,  setzt  Körperlich- 
keit bedeutet  schon  die  (dynamische)  Beziehung  eines  Wesens  (einer  Wesens- 
Vielheit)  auf  andere,  zuletzt  auch  auf  das  erkennende  Subject,  auf  dessen  Em- 
pfindungen und  Anschauungsformen.  Die  Körperlichkeit  ist  die  Objectität 
(s.  d.),  die  (objective)  Erscheinung  „transcendenter  Factoren"  (s.  d.),  die  Seins- 
weise der  Dinge  vom  Standpunkte  der  äußeren  Erfahrung  (s.  d.),  der  begrifflichen 
Betrachtungsweise  der  Naturwissenschaft.  Die  Undurchdringlichkeit  (s.  d.)  ist 
das  Constituens  der  Körper  als  Körper.  Die  letzten  Teile,  in  die  sich  die 
Körper  denkend  zerfallen  lassen,  heißen  Atome  (s.  d.).  Der  Körper  wird  dem 
Geiste  (s.  d.)  gegenübergestellt,  von  der  Seele  wird  er  als  Leib  (s.  d.)  unter- 
schieden. 

Der  Körperbegriff  ist,  historisch,  teils  ein  mechanistischer,  teils  ein> 
dynamischer  oder  ein  energetischer.  Dem  BeaUsmus  (s.  d.)  gelten  die 
Körper  als  Dinge  an  sich  oder  als  Erscheinungen  von  solchen,  dem  Idealismus 
als  bloße  Vorstellungs-  (Empfindungs-)  Complexe,  gesetzmäßige  Zusammen- 
hänge (vgl.  Ding,  Object).  Der  Materialismus  (s.  d.)  hält  alles  Wirkliche  für 
körperlich. 

Über  die  Elemente  (s.  d.)  und  Qualitäten  (s.  d.)  der  Körper  bei  den  älteren 
griechischen  Philosophen  u.  s.  w.  vgL  die  betreffenden  Termini.  —  Aristoteles 
definiert:  eoSfia  fiev  yd^  icn  ro  Tidvxri  ^;fov  Staat amv  (Phys.  III  5,  204b  20); 
cmftn  Bi  ro  ndvrrj  diai^erov  (De  coel.  I  1,  268  a  7).  Die  Körper  (ijmaixd 
otCfiara)  sind  Substanzen  (Met.  VII  2,  1028  b  10).  Alle  Naturwesen  sind 
Körper,  haben  solche  oder  sind  d^x"^  ^^^  solchen,  die  Körper  haben  (De  coel. 
I,  1).  Nach  den  Stoikern  ist  alles  Wirkende  körperlich  {näv  ydg  x6  noiovv 
fttifid  den,  Diog.  L.  VII  1,  56).  Körper  ist  das  Dreidimensionale  (to  t^^xv 
BtaaraTov,  1.  c.  135).  Es  gibt  nur  Körper  und  das  Leere  (so  schon  Demokrit): 
nZeno  —  nvüo  modo  arbitrabatur  quidquam  effici  posse  ab  ea  (natura),  quae 


560  Körper. 

expers  esset  corporis"  (Cicero,  Acad.  I,  39).  Auch  die  Seele  (s.  d.)  ist  ein 
Körper  (vgl.  Seneca,  Ep.  106,  3).  Nach  EpiküR  ist  der  Körper  rö  r^xft  ^*"' 
atarov  ftera  dmTvnin^  (Widerstandskraft)  (Sext.  Empir.  adv.  Math.  I,  21). 
Alles  ist  körperlich:  t6  nav  ian  utüfin',  die  Körper  bestehen  aus  Atomen,  ak 
cxiyxQiaete  solcher  (Diog.  L.  X,  39  f.).  Die  Existenz  der  Körper  wird  uns  dunji 
die  Wahrnehmung  gewährleistet  (1.  c.  X,  39).  Nach  Ploten*  sind  die  Körper 
Erscheinungen,  Emanationen  (s.  d.)  intelligibler,  nicht  sinnlicher  WeseoheitaL 
Nach  Gregor  von  Nyssa  bestehen   die  Körper  aus  Nicht-Sinnlicbeni: 

ovbiv  i<^  iavTOv  rtov  ne^i  t6  ctofia  d'eat^ov/u'rtov  acSfia  iativ^  ov  ox^f^t  w 
XQfofia ,  ov  ßdgost  ov  Sidarrjfia ,  ov  nriXtxori^i ,  ovx  äXXo  ti  rahf  Sv  notm^i 
&s(o^ovnivcJv  oifdiv,  aXXd  rovrof^'  Sxaarov  Xoyo^  iotiv  (De  an.  et  reSQiT.  p.  240). 
Nach  JoH.  ScoTüS  Eriügena  sind  die  Körper  aus  y,Fonn"  und  ^yMaierie^, 
aus  Unkörperlichem,  Intelligiblem  zusammengesetzt  (De  divis.  nat.  I,  44 ;  I,  50; 
I,  54;  I,  59;  I,  62).  Der  Körper  besteht  im  Zusammensein  seiner  Accidenzen 
(1.  c.  I,  62;  vgL  I,  60,  61).  yyEx  .  .  .  qucUitatibus  eopulaiis  corpora  sensibäia 
confieiuntur^^  (1.  c.  III,  32).  —  Die  Scholastiker  erblicken  das  Wesen  des 
Körpers,  die  Körperlichkeit  („corporeitas")  in  der  ,/orma  »ubsiafüicdis  corporiir 
und  in  der  ,yforma  (leeiderUalis",  d.  h.  der  Dreidimensionalitat  (Thomas,  Contr. 
gent.  IV,  81).  —  Nach  Goclen  ist  der  Körper  „suhiectum  tripUcis  dimen- 
sionia".  Es  gibt:  „corpus  sensibile"  (physicum,  artificiosum)  und  „corpus  tR- 
ieütgibile^^  (mathematicum,  metaphysicum).  „In  polüieis  corpus  inlerdum  pro 
persona  accipitur"  (Lex.  philos.  p.  481). 

HoBBES  unterscheidet  natürliche  und  künstliche  Körper;  zu  den  letzteren 
gehört  der  Staat  („corpus  politicufn").  Ein  natürlicher  Körper  ist  „qweguid 
non  dependens  a  nostra  cogitatione  cum  spaiii  parte  e&tneidü  vel  eoexienditm^ 
(De  corp.  C.  8,  1).  Zwei  Accidentien  eignen  den  Körpern,  „magnUudo,  mohu^ 
{Leviath.  I,  9).  Descartes  definiert  den  Körper  mathematisch-quantitatiT  als 
erfüllten  Kaum  (Princ.  philos.  I,  11).  „Quoä  agenteSj  percipiemus  naturam 
fnateriae  sive  corporis  in  Universum  spectati,  non  consistere  in  eo,  qtuxi  sit  rti 
duraj  vel  ponderosaj  vel  colorata,  vel  aliquo  modo  sensus  effietens;  sed  tantmn 
in  eo,  quod  sit  res  extensa  in  longum,  latum  et  profundum"  (1.  c.  I,  4).  „Sub- 
stantia,  quae  est  suhiectum  immediaium  eactensionis  localis  et  accideniiunty  quae 
extensionem  praesupponunt  .  .  .,  vocatur  corpus"  (Append.  ad  Medit  rationeSf 
def.  VII).  Der  Körper  ist  eine  Art  der  Substanzen  (s.  d.).  Nicht  die  Sinne 
erkennen  den  Körper  als  solchen,  sondern  das  Denken,  das  Urteil  („sola  fnent&'t 
„sola  iudicandi  faeultate",  „solo  intellectu")  (Medit  II).  Die  Quantität  ist  das- 
jenige, was  der  Geist  klar  und  deutlich  an  den  Körpern  erkennt;  daher  mufi 
sie  das  den  Körper  Constituierende  sein  (Medit.  Y).  Die  Körper  sind  vom  Geist 
klar  und  deutlich  unterschieden;  Gott  kann  nicht  tauschen  (s.  Wahrhaftigkeit); 
wir  haben  den  Hang  (propensionem)  ziun  Glauben  an  die  Existenz  von  Körpern; 
also  muß  es  welche  geben  (Medit.  VI).  Aber  sie  existieren  an  sich  nur  so,  wie 
jsie  das  mathematische  Erkennen  bestimmt  (ib.).  Körper  und  Geist  sind  funda- 
mental verschieden,  vor  allem  in  Bezug  auf  die  Teilbarkeit  (ib.).  Die  Körper 
haben  keine  inneren  Kräfte  (s.  d.),  sie  werden  von  außen  bewegt.  Spikoza 
definiert:  „Per  corpus  intelligimus  quamcumque  quantitatem,  kmgam,  käam  d 
profundamy  certa  aliqua  figura  terminatam"  (Eth.  I,  prop.  XV,  schol.).  „^"or* 
pora  res  singtUares  sunt,  quae  ratione  motus  et  quietis  ab  inmeem  disti$tguunhar^ 
(l.  c.  II,  lem.  III,  dem.).  Die  Körper  sind  „modi  extensioms^\  ModificatioDec 
der  unendlichen   Ausdehnung,   die  eines  der  Attribute  (s.  d.)   der  gotüicfafin 


Körper..  561 

Substanz  ist:  ^^Per  corpus  inidligo  modum,  qui  Dei  essentiam,  quaienus  ut  res 
-extensa  eonsideratur,  certo  et  determinaio  modo  exprimit^*  (L  c.  II,  def.  I;  vgl. 
III,  prop.  II»  schoL).     Nach  Locke  ist  ein  Körper  eine  dichte  (solide),  aus- 
jgedehnte,  gestaltete  Substanz  (Ess.  III,  eh.  10,  §  15). 

Einen  dynamischen  und  zugleich  phänomenalistischen  Körperbegriff  hat 
IfBiBNlz.  Die  Körper  sind  Aggregate  von  einfachen  Substanzen,  Monaden 
^8.  d.)-  Der  Körper  selbst  ist  keine  Substanz,  sondern  ein  j^ttbstantiatttm",  ein 
^fSemiens^^  ^^haenomenon  bene  fundatum'^  (objectives  Phänomen)  (Erdm.  p.  269, 
440,  445,  693,  719).  Die  Sinnesqualitäten  sind  nur  Erscheinungen,  das  Wirkliche 
.an  den  Körpern  ist  die  Kraft  (s.  d.)  zu  wirken  und  zu  leiden  (1.  c.  p.  445). 
Die  yjOntiiypia**  (s.  d.)  constituiert  die  Körper.  Chr.  Wolf  erklart:  „Corpora 
-8unt  stthstaniiarum  simplieium  aggregaia"  (Cosmol.  §  176).  Nach  CbüSIUB  ist 
«in  Körper  „eine  ausgedehnte  SubstanXj  welche  aus  trennbaren  materialen  Teilen 
xtisamfnengesetxt  isf'  (Vemunftwahrh.  §  368).  Nach  Feder  sind  die  Körper 
^,Pkaenomena",  ,;xwar  außer  unserem  Kopf  vorhanden,  aber  uns  nur  nach  einem 
sehr  vermengten  Seheine  bekannt,  der  uns  die  Grundbeschaffenheiten  verbirgt 
/phaennmena  subsiantiata)'^  (Log.  u.  Met.  S.  309).  Die  Bewegung  der  Körper 
ist  gleichfalls  ein  Phänomen  (L  c.  S.  309  f.). 

Einen  idealistisch  -  positivistischen  Körperbegriff  prägt  Berkeley.  Wir 
brauchen  keine  Körper  außer  unserem  Geiste  anzimehmen^  weil  wir  auch  ohne 
«olche  unsere  Object Vorstellungen  haben  können  (Princ.  XVIII).  Körper  außer 
uns  wären  durchaus  nutzlos  (1.  c.  XIX).  Es  kann  nichts  sein,  was  nicht  per- 
-cipiert  wird.  Die  „Körper^*  sind  in  Wahrheit  nichts  als  associativ  verknüpfte, 
gesetzmäßig  (durch  Gott)  verbimdene  Vorstellungen  (vgL  Object).  Nach  Hume 
ist  der  Körperbegriff  nichts  als  eine  vom  Geiste  geschaffene  Verbindung 
/,,colfection  formed  by  the  mind^^)  von  Vorstellungen  sinnlicher  QuaUtäten,  die 
in  constanter  Weise  ein  Object  zusammensetzen  (Treat.  IV,  sct.  3).  Nach 
CoHDiLLAG  ist  ein  Körper  für  ims  „une  collection  de  qualites  que  vous  touchex, 
Tcyez  etc.,  quand  Vobjet  est  present;  quand  Vobjet  est  absent,  c'est  le  souvenir  des 
•qualitSs  que  vous  avex  touchees,  vttes  etc."  (Trait.  d.  sens.,  Extr.  rais.  p.  50). 

Kant  verbindet  den  dynamischen  mit  dem  phänomenalistischen  Körper- 
begriff. Ein  Körper  ist,  physisch,  „eine  Materie  xwisrfien  bestimmten  Orenxen" 
(Met.  Anf.  d.  Naturwiss.  S.  85).  Zweifellos  existieren  Körper  „cUs  Erscheinungen 
des  äußeren  Sinnes  außer  meinen  Gedanken"  (Prolegom.  §  49).  D.  h.  em- 
pirisch, im  Baum  (s.  d.)  haben  die  Körper  objective  Eealität.  Aber  sie  sind, 
als  Körper,  nicht  Dinge  an  sich  (s.  d.),  sondern  nur  „Erscheinungen  äußerer 
Sinne"  (Met.  Anf.  d.  Natui-wiss.  S.  9),  kategorial  verarbeitete  Erfahrungsinhalte. 
Als  solche  lassen  sie  sich  auf  Kräfte  (s.  d.)  zurückführen. 

Nach  Destutt  de  Tracy  sind  die  Körper  „ces  etres  atixquels  nous  attri- 
buons  d'etre  la  cause  de  nos  sensations"  (Elem.  d'id^log.  I,  eh.  7,  p.  115).  Nach 
Bosmini-Serbati  ist  ein  Körper  „una  sostanxa  fomita  di  estensione,  cfie  produce 
in  noi  un  sentimento  piacevole  o  doloroso"  "(Nuovo  saggio  II,  p.  366).  Czolbe 
betont:  „Die  aus  Atomen  xusammengefügten  Körper  sifvd  allerdings  obfectiv  nicht, 
une  sie  uns  stdrjectiv  als  Sinneswahmehmungen,  d.  h.  als  aus  Empfindungen 
xusammengesetxte  Bilder  erscheinen;  aber  wir  erkennen  ihre  wirkliche  Beschaffen- 
heit durch  hypothetische  Schlüsse  aus  diesen  Wahrnehmungen,  wir  erkennen  sie 
als  vielfach  bewegte  Atomeomplexe"  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  107).  Nach 
R.  Hamerlino  bestehen  die  Körper  aus  verschieden  verdichtetem  Äther 
<Atomist  d.  Will.  II,  86). 

Philosophisch««  Wörterbaoh.     S.  Aufl.  36 


562  Körper  —  Koamogoxiie. 

AIb  Erscheinung  faßt  die  Körper  Schopenhauer  auf.  Körper  ist  eine 
,^eformte  tmd  specifisch  bestimmte  Materie"  (Parerg.  II,  §  75).  Die  raum-aeit- 
lichen  Bestinunungen  der  Körper  sind  rein  subjectiv,  betreffen  nicht  das  Ding 
an  sich,  welches  Wille  (s.  d.)  ist.  Kraft  und  Materie  machen  den  empirisck 
realen  Körper  aus  (ib.).  Nach  Hsrbabt  ist  jeder  Körper  an  sich  ein  ^^ggngat 
einfacher  Wesen",  ein  Zusammen  von  „Realen"  (s.  d.)  (Psychol.  als  Wiss.  II, 
§  153 ;  Met).  Nach  Lotze  liegen  den  Körpern  einfache  geistige  Wesen  zugrunde. 
Die  Körper  als  solche  sind  „Complexe  von  sinnlichen  Eigenschaften^  die  sieh 
in  bestimmien  Raumvolumen  xetgen  und  ihren  Ort  im  Räume  wechseln"  (Gr.  d. 
Met.  S.  69).  Als  objective  Erscheinungen  von  an  sich  geistigen  Kräften  be> 
trachten  die  Körper  Fechner,  E.  y.  Hartmann,  Wündt,  L.  Busse,  Benou- 
VIER  u.  a.  —  Nach  Ostwald  sind  die  Körper  Energiencompleze. 

Idealistisch  erklart  K.  Lasswitz,  ein  Körper  sei  „nichts  anderes  als  eine 
gesetzliche  Bestimmung,  daß  sich  gewisse  Veränderungen  im  Räume  voüxieken 
müssen,  die  wir  als  Wechselwirkung  mit  andern  Körpern  bezeichnen"  (Wirklichk. 
B.  95).  Nach  Schuppe  sind  die  Körper  „Objecte  des  Denkens  wid  sind  sonsi 
nichts",  Complexe  von  Bewußtseinsinhalten  (Log.  S.  139).  Nach  P.  Reb  sind 
die  Körper  „draußen  localisierte  Tast-  und  Farbenempfindungen"  (Philoe.  S.  106W 
Nach  Clifford  sind  die  Körper  Complexe  von  Empfindungen  (s.  d.)  besv. 
von  „mind  stuff^^  (s.  d.).  Nach  £.  Mach  sind  die  Körper  „Complexe  von  Em- 
pfindungen", „  Oedankensymbole  für  Eleiuentencomplexe  (Empfindungsetmtj^exe^^ 
Nicht  die  Körper  erzeugen  Empfindungen ,  sondern  Empfindungscomplexe  büdm 
die  Körper  (Analys.  d.  Empfind.*,  ß.  2  ff.,  S.  23).  Der  Körper  „besteht  in  der 
Erfüllung  gewisser  Oleic?mngen,  welche  zwischen  den  sinnltehen  Elementen  statte 
fiaben"  (Princ.  d.  Wärmel.  S,  423).  Ahnlich  H.  Corneuub  (Einleite  in  d. 
Philos.  S.  259  ff.).  Auch  R.  Avenariüs  ist  hier  anzuführen.  Nach  M.  Vkr- 
WORK  zeigen  die  Tatsachen,  ,/iaß  das,  was  uns  als  Körpencdt  erscheint,  in 
Wirklichkeit  unsere  eigene  Empfindung  oder  Vorstellung,  unsere  eigene  Psyche 
ist"  (Allgem.  Physiol.*,  S.  37).  Vgl.  Ding,  Object,  Materie,  Idealismus,  Quali- 
täten,  Seele. 

K9rperbeweg;ang;en :  die  Bewegungen  des  tierischen,  menschlichen 
Körpers.  Sie  zerfallen  in  Reflex-,  automatische,  Instinct-,  Trieb-,  willkürliche 
Bewegimgen  (s.  d.  a.). 

KÖrpercben  s.  Corpuskel. 

KÖrperllcli  (corporell)  s.  Körper,  physisch.  Körperlichkeit  (corpo- 
reitas)  s.  Körper. 

Körperliclie  Oef&lile  =  sinnliche  Gefühle  (s.  d.). 

KSrperrorsAelliliig;  s.  Tiefenvorstellung. 

KosmlBcli:  auf  die  Welt,  den  Kosmos,  bezüglich.  Kosmisches  Ge- 
fühl: Gefühl  für  das  ^Ul,  das  Weltganze,  die  Weltordnung.  Kosmisches 
Lebensgefühl  ist  das  religiöse  Gefühl,  z.  B.  nach  HöFFDING  (Psychd.*, 
S.  365;  Eth,  S.  459). 

Kofitmocentrlscli:  vom  Standpunkt  des  Weltalls. 

Ko8nDMȣ^oiiie  (xoa/jioyovia):  Weltentstehung,  Mythus  oder  Lehre  vcm 
der  Weltentetehung.     Vgl.  Welt. 


Kosmologie  ~  Kosmologiaoher  Beweis.  563 


Kosmoloi^e  {»eSafiost  Xoyog) :  Welt-Lehre,  ein  Teil  der  Naturphilosophie 
(8.  d.).  Sie  stellt  den  Begriff  der  ,,  WM'  im  allgemeinen  auf,  forscht  nach  dem 
Daseinsgrande  der  Welt,  nach  den  Bestandteilen,  Kräften,  Gesetzen,  nach  der 
Entwicklung  derselben.  —  Chr.  Wolf  definiert:  t,Co8mologia  generalis  est 
scieniia  mundi  seu  universi  in  ge»iere,  quatenus  seüieet  ena  idqtte  campositum 
atque  modifieabile  est.^*  Sie  ist  y,scientifiea^^  oder  f,expertmentalis"  (Cosmolog. 
§  1,  4).  Baumoabten  erklart:  „Cosmoiogia  generalis  est  scieniia  praediecUorum 
mundi  generalium,  eaque  vel  ex  experientia  proprius,  empirica,  vel  ex  notione 
mundi  rationalis^*  (Met.  §  351).  BiLFiXGER:  „Cosmologiam  generalem  s.  trans- 
eendentalem  definio  scientiam  de  mundo  et  affectionibus  etus  generalibus"  (Di- 
lucid.  §  136).    Vgl.  Welt,  Atom,  Mechanismus,  Teleologie  u.  s.  w. 

Kosmolo^lselie  Antltbetlk  s.  Antinomien,  Unendlichkeit,  Teil- 
barkeit 

Kosmolog^lselie  Ideen  (Ausdruck  von  ELa^nt)  :  Zu  diesen  zählt  Wundt 
die  vier  Ideen  des  unendlichen  Raumes,  der  unendlichen  Zeit,  der  unbegrenzten 
Materie,  der  unaufhörlichen  Causalität.    Vgl.  Unendlichkeit,  Antinomien. 

KoBinolai^lAelier  Beweis  für  das  Dasein  Gottes  ist  der  Schluß 
von  der  Endlichkeit,  ,JZufäHigkeit^^  (Contingenz),  Bedingtheit  der  Welt  (der 
Dinge)  auf  die  Existenz  eines  unbedingten,  absoluten  Wesens  als  Urgrund  der 
Welt  Gott  wird  hier  als  die  höchste,  letzte  Ursache  bestimmt,  postuliert,  welche 
die  Reihe  der  endlichen  Ursachen  in  der  Idee  abschließt,  als  die  Ursache,  die 
nicht  mehr  als  Wirkung  eines  andern  betrachtet  zu  werden  braucht.  Aber 
nicht  um  einen  „Beweis*^  sondern  nur  um  ein  logisches,  metaphysisches  Argu- 
ment handelt  es  sich  hier,  wie  bei  allen  „Oottesbeweisen**  (s.  d.). 

Des  AxAXAGOBAS  Lehre  vom  „Oeiste^^  (s.  d.),  vove,  ist  kosmologisch 
fundiert.  Die  erste  Formulienmg  des  kosmologischen  Argumentes  findet  sich 
bei  Abistoteljss.  Alles  Werden  beruht  auf  der  Realisierung  eines  Potentiellen 
durch  ein  Actuelles  als  Ursache.  Schließlich  muß  es  eine  letzte  Ursache,  die 
nur  actuell,  nur  „Form*^  (s.  d.)  ist,  geben,  ein  „  Unbewegtes'^  (axivr^tov),  von  dem 
alle  Bewegung  (Veränderung)  herrührt,  ein  n^ahov  xtvavv,  einen  „Urbetceger'^f 
der  reine  drs^yeta  (ohne  Svvafit^)  ist  (Met  XII  6,  1071b  4;  XII  8,  1073  a  23; 
1073  a  27).  Er  wirkt  -nur  durch  das  Streben  der  Dinge  zu  ihm  hin  {oae  iQ<o- 
furovj  Met.  XII  7,  1072  b  3),  als  höchste  Einheit  und  Denken  seiner  selbst 
(vgl.  Grott).  Cicero  fragt:  Wenn  wir  den  Weltlauf  betrachten,  „possumusne 
dubiiare,  quin  his  praesit  aliquis  vel  effector  .  .  .,  moderator  tanti  operis  ei 
muneris?  Sic  mentem  hominisy  quamvis  eam  non  videas,  tU  dcum  non  videsy 
tarnen^  ut  deum  agnoscis  ex  apen'btis  eins,  sie  ex  memoria  rerumj  et  inveniione 
et  eeieritate  motits  omnique  ptüchritudine  virtutis  vim  divinam  mentis  agnoscito" 
(Tusc.  disp.  I,  28,  60). 

Ähnlich  argumentieren  Augustinus  (Confe8s.*X,  6)  imd  Johannes  Damas- 
CBNU8  (De  fide  orth.  I,  3).  Die  Notwendigkeit  Gottes  als  der  Weltursache 
betonen  Alfarabi  (Font  quaest  C.  2,  3,  13),  AvERBOfis  (Epit  met  IV), 
Maimonides  u.  a.  Nach  Hugo  von  St.  Victor  geht  der  menschliche  Geist 
von  der  Erkenntnis  seiner  Existenz  zu  der  Gottes  als  der  Ursache  der  ersteren 
(De  sacr.  I,  3,  6).  „Äuctorem  stia  natura  clamat'^  (1.  c.  I,  3,  10).  Richard 
VON  St.  Victor  erklart:  „Ex  illo  esse,  quod  non  est  ab  aeterno  fiec  a  semet  ipso, 
raüoeinando  coUigitur,  et  iUud  esse,  quod  est  a  semet  ipso"  (De  trin.  I,  8).  Der 
kosmologiflche  Beweis  findet  sich  bei  verschiedenen  Scholastikern,  so  bei  Thomas 

36* 


564  KoamologiBoher  Be^p^eis. 

(Contr.  gent.  I,  13).  Er  gibt  den  kosmologischen  Beweis  ,,«7  rcUione  caum» 
efficienii8^\  ex  possibtH  et  necessario^^ ,  „ex  gradibus^^  ex  gubematicne 
(Sum.  th.  I,  qu.  2,  3).  Süarez  bestimmt:  „Omne  est  aut  est  f<iöiumy  aut 
factum  seu  increatum;  sed  non  possunt  omnia  entia,  quae  sunt  in  untrerso,  esar 
facta:  ergo  necessarium  est  esse  aliquod  ens  non  factum  seu  increatum**  (Met 
dißp.  29,  Bct  1,  21). 

Descaktes  schließt  aus  dem  VorhaDdensein  der  Idee  des  Un^idliclieii  in 
miB  auf  die  Existenz  des  unendlichen  Gottes;  aus  dem  endlichen  Ich  kann 
diese  Idee  nicht  stammen,  denn  in  der  Wirkung  kann  nicht  mehr  Realital;  (s.  d.« 
enthalten  sein  als  in  der  Ursache  (Medit.  III).  Femer  daraus,  dafi  das  Ich 
nicht  durch  sich  selbst  existieren  kann,  weil  es  sonst  unendlich,  Gott  sdbst 
wäre  (ib.);  „dum  in  me  ipsum  mentis  adem  oanverto,  non  modo  inieliigo  me 
esse  rem  incompletam  et  ah  alio  dependentem,  remque  ad  maiora  et  niaiara  nte 
mdiora  indefinite  aspirantem,  sed  simul  etiam  inteüigo  illum,  a  quo  pendei^ 
maiora  ista  omnia  non  indefinite  et  potentia  tantum^  sed  re  ipsa  infinite  m  se 
habere,  atque  ita  Deum  esse;  totaque  vis  argumenii  in  eo  est,  quod  agnoseam 
fieri  non  posse  ut  existam  talis  naturae  qualis  sum,  nempe  ideam  Dei  in  mf 
habens,  nisi  revera  Dens  etiam  eonsteret^'  (ib.;  vgL  Princ.  philos.  I,  14,  18,  2(.K 
21).  Das  kosmologische  Argument  hält  Locke  für  unangreifbar  (Esa.  IV,  eh. 
10,  §  4  ff.).  Es  findet  sich  auch  bei  Clarke  und  Wollaston  (Eelig.  of  nat 
p.  67).  Nach  Leibioz  fordert  die  prastabilierte  Harmonie  (s.  d.)  einen  Gott. 
der  alles  miteinander  in  Übereinstimmung  bringt  (Nouv.  Ess.  IV,  eh.  10,  §  91 
Die  Dinge  sind  „xußUig*',  haben  kein  notwendiges  Dasein,  daher  mufi  man 
den  Grund  der  Welt  in  einem  Wesen  suchen,  das  den  Grund  seines  Daseins 
in  sich  trägt,  notwendig  imd  ewig  ist  (Theodic.  I.  B.,  §  7).  Das  ist  der  Beireis 
„e  eorüigenlia  mundi".  Auf  den  kosmologischen  Beweis  legen  Chr.  Wolf  und 
H.  8.  Reimarüs  Wert.  Feder  erklärt:  „Eine  Reihe  von  Folgen  ohne  Anfang 
xur  Ursache  angeben,  ist  eben  so  viel  als  keine  Ursache  angeben,  ist  eine  Bede 
voller  Widerspruch**  (Log-  u.  Met  S.  398).  Wir  müssen  einen  vemünfdgefi 
Weltgrund  annehmen  (1.  c.  8.  404).  Voltaire  betont:  „Tout  ouvrage 
un  ouvrier^*  (Philos.  ignor.  XV,  p.  74). 

Kakt  erklärt  den  kosmologischen  Beweis  in  der  Form:  „Wenn 
existiert,  so  muß  auch  ein  schlechterdings  notwendiges  Wesen  existieren.  Nun 
existiere  %um  mindesten  ich  selbst:  also  existiert  ein  absolut  notwendiges  Weaen*^ 
(Krit.  d.  r.  Vem.  8.  476)  fiir  unzulässig,  weil  er  sich  auf  den  (als  falsch  er- 
wiesenen) ontologischen  (s.  d.)  Beweis  stützt  (L  c.  8.  478).  Positive  Eanwände 
gegen  das  kosmologische  Argument  sind:  1)  Der  Schluß  vom  Zufälligen  auf 
eine  außerhalb  der  Welt  stehende  Ursache  ist  sinnlos.  2)  Der  Schluß  von  der 
Unmöglichkeit  einer  unendlichen  Beihe  von  Ursachen  auf  eine  erste  Uraacbe 
ist  unberechtigt.  3)  Die  Veniunft,  welche  die  Bedingung  wegschafft,  um  das 
Notwendige  zu  denken,  täuscht  sich  selbst.  4)  Die  logische  Möglichkeit  wird 
dabei  mit  der  transcendentalen  verwechselt  (1.  c.  8.  480).  Wir  sind  nicht  mr 
Überschreitung  aller  Erfahrung  berechtigt.  —  Das  kosmologische  Argument 
acceptieren  in  verschiedener  Form  8chi£I£RMacher,  C.  H.  Weisse,  Drobibgr 
(Grundl.  d.  Reiigionsphüos.  8.  120  ff.),  Lotze  u.  a.  A.  Dorker  acceptiert  es 
in  dreifacher  Form:  1)  „Au^  der  Beschaffenheit  der  Welt,  die  in  den 
von  Subject  und  ob/ectiver  Realität  zerspalten  ist  und  doch  diesen  Oegensatx 
gleichen  will,  wird  .  .  .  auf  eine  letzte  Einheit  geschlossen,  welche  die  Mogliekkeil 
der  Ausgleichung  dieses  Gegensatzes  garantiert.**   (Ähnlich  bei  Schleiermacbebi. 


J 


Koemologlsoher  Beweis. —  Kraft.  565 

2)  Alle  Dinge  stehen  in  bestimmter  Wechselwirkung  miteinander.  Woher  der 
mechanische  Naturzusammenhang?  y^Auch  hier  schließt  man  mit  Notwendigkeit 
fKuf  eine  letxte  einheitliche  ürsaehey  welche  diesen  ganzen  Zusammenhang  geordnet, 
weiche  die  Wdtpotenxen  so  xusammengeordnet  hat,  daß  sie  in  dieser  Weise  auf' 
einander  wirken,^'  (Schleiermacher,  Lotze.)  3)  Die  ganze  Kette  der  Ent- 
^cklung  setzt,  weil  zugleich  auf  Wechselwirkung  beruhend,  „eine  einheitliche 
ürscu^  voraus,  die  in  jedem  Stadium  dieser  Entwicklung  stets  das  Aufeinander- 
wirken  ermöglicht  und  am  Ende  auch  die  Ursache  dafür  ist,  daß  aus  früheren 
Entwicklungsstadien  spätere  sich  haben  entfalten  können*^  (gegen  Ka.kt)  (Gr.  d. 
Beligionsphüos.  S.  206  ff.). 

KosmopolltlBinafii  (xoo/ioc,  TtoXirrjg):  Weltbürgertum,  der  Standpunkt, 
Ton  dem  aus  die  ganze  bewohnte  Erde  als  Heimat,  alle  Menschen  als  Mitbürger, 
Brüder  betrachtet  werden,  im  Gregensatze  oder  auch  als  Ergänzung  zum  Natio- 
nalismus. Den  kosmopolitischen  Standpunkt  vertreten  im  Altertum  zuerst  die 
Cyoiker.  Antibthenes  erklart,  t6v  ao<p6v  ov  xaxa  roie  xet/iavovs  rouovs 
noXirevea^ai,  aXXa  xara  rov  a^trrjs  (Diog.  L.  VT,  11);  Tfp»  aofp^  ^ivov  ovBev 
9vd*  ano^ov  (L  C.  VI,  12) ;  (Jioyeviji)  iqtozri^eU  nod'ev  etrj,  xocfionoXizriSy  itpri 
(L  c.  VI,  63).  Die  Notwendigkeit  des  Zusammenhaltens  aller  Menschen,  die 
aOgemeine  Menschenliebe  betonen  die  Stoiker  (vgl.  Seneca,  Ep.  95).  So  auch 
das  Christentum.  —  Kaxt  schätzt  die  Idee  des  Kosmopolitismus  als  „regu- 
hüiws  Princip"y  dessen  Vollendung  „nur  durch  fortschreitende  Organisation  der 
Erdbürger  in  und  xu  der  Gattung  als  einem  System,  das  kosmopolitisch  ver- 
bunden ist,  erwartet  u?erden  kann"  (Anthropol.  II  E). 

Koemiori^anlsclie  Hypotbese  s.  Organismus. 

Kosmos:  Welt  (s.  d.). 

Kosmosoisclie  Hypotliese  s.  Urzeugung. 

Kraft  ist  ein  Begriff,  der  ursprünglich  aus  der  innem  Erfahrung  der 
n^uskeücraft"  und  der  Fähigkeit  des  Ich  überhaupt,  durch  seinen  Willen  etwas 
«tt  realisieren,  einen  Widerstand  zu  überwältigen,  entstammt,  und  der  dann  auch 
auf  die  Objecte  der  Außenwelt  übertragen  wird.  Das  Ich  selbst  ist  und  weiß 
sich  unmittelbar  in  seinem  Tun,  W^irken  als  eine  „Kraft",  d.  h.  als  ein  des 
Wirkens  Fähiges,  Mächtiges,  Könnendes.  Indem  das  Tun  des  Ich  an  der  Außen- 
welt seine  Schranke  findet,  sich  durch  die  Objecte  gehemmt  fühlt,  kann  es 
nicht  umhin,  den  erlittenen  Widerstand  als  Ausfluß,  Betätigung  einer  ihm 
(dem  Ich)  analogen,  einer  Willenskraft  zu  deuten,  die  das  Ding  ihm,  dem  Ich, 
gegenüber  gebraucht  und  vermöge  deren  es  auch  andere  Dinge  in  ihrem  Sein 
^«einflußt  oder  beeinflussen  kann.  ,,Eine  Kraft  haben"  heißt  so  beschaffen  sein, 
^  man,  wenn  man  etwas  erstrebt,  und  wenn  kein  unüberwindliches  Hindernis 
besteht,  das  Erstrebte  realisieren  wird.  Wir  schreiben  den  Dingen  Kräfte  zu, 
das  bedeutet,  wir  erwarten,  auf  Grund  der  obenerwähnten  Introjection  (s.  d.) 
^d  von  Erfahrungen  imter  gewissen  Bedingungen  eine  bestinmite  Wirkungs- 
weise des  Dmges,  das  wir  als  Eigner  der  Kraft,  als  ,^aftcentrum^'  auffassen. 
I^e  yyKraft^'  ist  kein  Ding,  sondern  das  Attribut  eines  Dinges,  nämlich  dessen 
^irkungsfähigkeit,  insofern  sie  in  der  Wesenheit  des  Dinges  selbst  gegründet 
"«t  Ursprünglich  sind  die  Kräfte,  die  der  Mensch  (der  Mythus)  den  Außen- 
düigen  zuschreibt,  Willenskräfte,  Strebungen,  also  qualitativ  bestinunt.    Das 


566  Kraft 

'  naturwissenschaftliclie  Denken  abstrahiert  von  dieser  Qualität,  berücksichtigt 
nur  das  Quantitative  im  Wirken  und  erhebt  den  Begriff  der  Kraft  za 
reinen  Beziehungsbegriff.  Die  Metaphysik  wiederum  kann  nicht  umhin, 
Kraftbegriff  seine  qualitative  Bestimmtheit,  mm  aber  in  geläuterter,  vcm  roll 
Anthropomorphistischen  befreiten  Form,  zurückzugeben.  —  Die  physischen 
Kräfte  sind  mechanische  (Bewegungs-)  oder  chemische  Kräfte,  die  psychischen 
(geistigen)  sind  Denk-  und  Willensfähigkeiten,  Fähigkeiten  der  Bewufitseiii^ 
Veränderung.  „Lebendige  Kraft**  ist  Energie  (s.  d.).  Dir  Maß  hat  die  media- 
nische Kraft  an  ihren  Wirkungen,  an  der  Beschleunigung,  die  sie  an  ein»  be- 
stimmten Masse  hervorbringt. 

Den  Ursprung  des  Kraftbegriffes  anlangend,  wird  dieser  von  den  Batk)- 
nalisten  (s.  d.)  als  angeborener,  denknotwendiger  Begriff  angesehen  (AristoteleSw 
Scholastiker  u.  a.).  Nach  Hume  ist  der  Kraftbegriff  ein  subjeetiv-psvcho- 
logisches  Gebüde  (s.  unten),  nach  Kaistt  ist  er  eine  der  yJPrädieabHien**  (s.  dL» 
ein  abgeleiteter,  aber  apriorischer  Verstandesbegriff  von  bloß  phänomenaler 
(s.  d.)  Geltung.  Nach  andern  ist  er  aus  der  Erfahrung  abstrahiert.  Insbesondenr 
wird  der  Ursprung  oder  wenigstens  das  Prototyp  des  Kraftb^riffis  in  das  Be- 
wußtsein von  der  eigenen  (physischen  oder  psychischen)  Wirkungsfähigkeit  6ea  - 
Ich  gesetzt. 

Galilei  erblickt  den  Ursprung  der  Kraft  im  Bewußtsein  imserer  Moskd-  ! 
kraft  (Dial.  delle  nuove  science  III).     Nach  Locke  entspringt  die  Vorstdhing  ! 
der  Kraft  (power)  der  Erfahrung,   daß   Wir  Körper  bew^en ,   daß  wir  uDseren  ; 
Vorstellungslauf  verändern  können,   zugleich  auch  aus  der  Wahrnehmung  der  i 
Wirkungen   der   Körper   aufeinander  (Ess.  II,  eh.  7,   §  8;   eh.  21,  §  1).     E» 
gibt  eine   tätige  imd  eine  leidende  Kraft  (1.  c.  II,  eh.  21,  §  2).     Die  Kraft 
schließt  eine  Eelation  ein  (1.  c.  §  3).    Die  Binnesqualitäten  sind  Wirkungen  der 
Körperkräfte  auf  uns  (ib.).     Die  klarste  Idee   der  tätigen  Kraft  entlehnen  wir 
von  imserem  Geiste  (L  c.  §  4).     Leibniz  sieht  das  Urbild  aller  Kraft  in  dem 
Streben  des  Ich  (s.  Monade).    Condillag  erklärt:  ,,Il  y  a  en  twus  un  principe 
de  no8  actions,  que  nous  sentons,  mais  que  noua  ne  pouvons  dSfinir:  on  Vappdk 
force,    Nous  sommes  egalement  actifs  par  rapport  ä  totä  ce  que  eette  forct  prodaii 
en  nous  ou  au  dehors.    Nous  le  sommes,  par  exemple,  lorsqtte  notts  refleeh\ 
ou  lorsque  nous  faisons  mouvoir  un  corps,     Par  atialogie  nous  supposons 
tous  les  objets  qui  produisent  quelque  ckangement  une  foree  que  nou3  eonnaissons 
encore  moitis^  et  nous  sommes  passifs  par  rapport  aux  impressions  qu'iis  fkmt 
sur  nous"  (Trait  de  sens.  I,  eh.  2,  §  11).     J.  J.  Engel  leitet  den  Krafthegiiff 
aus  dem  „sens  musculaire"  ab  (Memoire  sur  Porig,  de  Pidde  de  la  foree  18021. 
Nach  Feder   ist  Ejraft  das   „Ktwasj  worin  dasjenige  enthalten  ist,  womit  das 
Sein  eines  andern  Dinges  verknüpft  ist**.    „  Wir  empfinden  etwas  in  im»,  iceiekei 
sich  äußern  muß,  wenn  gewisse  Dinge,  wie  wir  begehren,  geschehen  sollen.    Dies 
ist  unsere  Kraft.      Wir  empfinden  vieles,   was  wir  nicht  unserem   Wirkern  ä«- 
sehreiben  können,  was  wir  leiden  müssen,   und  wodurch  tcir  die  Kräfte  emderer 
Dinge  kennen  lernen**  (Log.  u.  Met.  S.  246  f.).     G.  E.  Schulze  betont:   ,J>as 
Bewußtsein  der  Selbsttätigkeit  unseres  Geistes  hat  .  .  .   auf  die  ßestimnnmg  der 
Natur  der  den  Dingen  beigelegten  Kräfte  großen  Einfluß  gehabt.    Es  wird  nämiteh 
unter  der  Kraft  etwas  Inneres,  ühkörperliches,  den  Hindernissen  .  .  .   Überlegenes 
und  in  dieser  Hinsicht  der  Macht  des  menschlichen  WoUens  Ähnliehes  gedaetht^ 
(Üb.  d.  menschl.  Erk.  S.  138  f.).     Der  Kraftbegriff  hat  objective   Gültigk^ 
(1.  c.  S.  140).    Nach  Bouterwek  ist  die  Quelle  des  Kraftbegriffe  die  Kraft  des 


Kraft.  567 

Ich,  die  Individualitat  (Apodikt  II,  53  f.).  Eine  „Naturkraft"  ist  eine  ,^edachte 
Ur9ach^*  (1.  c.  II,  57).  Maike  de  Biean  leitet  den  K[raftbegriff  ab  aus  der 
yjapperception  interne  immSdiate  ou  conscience  <fime  force  qui  est  moi  et  qm 
sert  de  type  exemplaire  ä  toutes  les  notiona  gSnerales  et  universelles  de  cauaeSf 
de  forces^^  (Oeuvr.  III,  5).  Die  Vorstellung  der  Kraft  gewinnen  wir  aus  dem 
^jeffort  voulu"  des  Ich  (1.  c.  II,  117). 

Auf  die  innere  Erfahrung  weist  auch  E.  H.  Weber  hin  (Tastsinn  u.  Ge- 
meingef.  S.  85).   Wie  J.  St.  Mill  und  A.  Bain  sieht  H.  Spencer  die  Quelle 
•dee  Xraftb^riffes  in  der  durch  die  Muskelspannung  bestimmten  Widerstands- 
empftndung.      Unserer  B^riff   von  Kraft    ist    eine  Verallgemeinerung  jener 
Moskelempfindungen  (PsychoL  II,  §  348,  §  350).    Nach  du  Bois-Reymond  hat 
der  Ejraftbegriff  im  Bewußtsein  des  Willens  als  Ursache  seine  Quelle  (Beden  I, 
S.  243).     Nach  Überweg  fassen  wir  die  Naturkraft  nach  Analogie  unserer 
eigenen  Willenskraft  auf  (Log.  S.  84).     0.  Schneider  leitet  den  Kraftbegriff 
aus  dem  Bewußtsein  der  gewollten  Bewegung,  dem  Gefühl  der  Anstrengung  bei 
Überwindung  eines  Widerstandes   ab  (Transcendentalpsy6hol.  S.  148  f.).    Nach 
liiPPS  entstammt  er  unserem  Kraftgefühl  oder  Grcfühl  der  nicht  vergeblichen  An- 
strengung (Gr.  d.  Log.  S.  81).  Ähnlich  Dilthey  (Einl.  467),  Erhardt  u.  a.  Riehl 
erklart:  „  Wir  hohen  die  Begriffe  von  Kraft  und  Arbeit,  aus  der  gewollten  Muskel- 
Bewegung  abstrahiert  und  auf  die  äußeren  Bewegungserseheinungen  übertragen*' 
<Philo8.  Kritic.  II  1,  243).    Kraft  ist  die  Substanz  nach  ihrem  Wirken,  nach 
ihrem  Dasein  ist  sie  Materie  (1.  c.  S.  271).     Hagemaitk  erklart:    ,,PF«r  über- 
tragen .  .  .  den  an  uns  gewonnenen  Begriff  der  Kraft  und  Wirksamkeit  auf  die 
Außendinge,  und  wir  hohen  allen  Qrund  daxu"  (Met.*,  S.  55).  Siqwart  bemerkt: 
,,Wir  sind  uns  bewußt,   daß  unr  eine  Handlung  vollziehen  können,  sobald  wir 
^nur  wollen  .  .  .  dies  ist  der  Ursprung  des  Begriffs  eines  Vermögens,  einer  Kraft" 
<Log.  II*,  144  f.;.    Dieser  Begriff  wird  später  zum  abstracten  Belationsbegriff. 
Kraft  ist  die   ,jSubstanx  als  etwas    Unveränderliches  gedacht"   (1.   c.  S.   156). 
Wu3n)T  betont:  „Unsere  Muskelempfindungen  sind  der  Ursprung  der  Kraftvor- 
Mellung*^  (Beitr.  zur  Theor.  d.  Sinneswahm.  S.  429).    Allmählich  wird  der  anthro- 
pomorphe  Charakter  des  Kraftbegriffs  abgestreift.     Kraft  ist  dann  nichts  als 
die  an  die  Substanz  gebundene  Causalität  (Syst.  d.,Philoe.*,  S.  279  ff.;  Log.  I*, 
S.  583  f.,  614  ff.,  625;  II*  1,  327  ff.;  s.  unten).    Th.  Ziegler:  „Der  Begriff  der 
Kraft  ist  .  .  .   nichts   anderes  als  die  Übertragung  unserer  eigenen,   in  allerlei 
Gefühlen  sich  uns  offenbarenden- und  uns  xum  Bewußtsein  kommenden  Activität 
'Und  Causalität  auf  das  Wirken  der  Dinge  in  der  Außentcelt  und  auf  die  Art, 
^cie  wir  uns  dasselbe  vorstellen"  (Das  Gef.*,  S.  72).     Auf   die  Introjection  des 
subjectiven  Kraftgefühls  in  die  Dinge  führt  den  Kraftbegriff  P.  Bee  zurück 
(PhUos.  S.  171  ff.).    ÄhnHch  Nietzsche  (WW.  VIII  2,  S.  93;  XV,  S.  298; 
«.  unten).    Simmel  erklärt:   „Die  Oefühle  der  physisch-psychischen  Spannung, 
des  Imptäses,  der    Willenshandlung  prqficieren  wir  in  die  Dinge  hinein,   und 
toenn  wir  hinter  ihre  unmittelbare    Wahmehmbarkeit  jene  deutenden  Kategorien 
setxen,  so  orientieren  wir  uns  eben  in  ihnen  nach  den  Oefühlserfahrungen  unserer 
Innerliehkeä"  (Phiios.  d.  Geld.  S.  507).     Nach  W.  Jerusalem  wird  im  primi- 
tiven Urteilsacte  jeder  Vorgang  in  der  Umgebung  nach  Analogie  imserer  selbst 
sxd  einen   Willen   als  Ursache   zurückgeführt.     Indem  dann  das  Subjectswort 
zum  „Träger  von  Fähigkeiten"  schlechthin  wird,  verliert  das  Urteil  seinen  grob 
anthropomorphischen  Charakter.     „Der  WUle,  der  im  Subjecte  die  durch  das 
Prädieat  bezeichnete  Tätigkeit  hervorgebracht,   wird  xur  Kraft,  die  ebenso  im. 


568  Kraft. 

Dinge  tooknt  und  nur  des  persöhHehen  Chctrakters  entbehr  f  (Urteilsfimct.  S.  140  iV 
„Was  einmal  die  Subfectsfunctian  übernimmt,  ist  Kraftcentrumj  und  xmcqt  o6- 
jeetiv  vorhandenes  Kraftcentrum,  und  als  dessen  potentielle  oder  acttteüe  Wir- 
kungen werden  die  Vorgänge,  die  Thtsachen,  die  Oesetxe  des  Oesehehens  gefaßt^ 
(L  c.  S.  156). 

Nach  HuME  entspringt  der  Begriff  der  Kraft  (power,  force,  enei^,  efficacv^ 
agency;  Treat.  III,  sct.  14)  weder  aus  der  Vernunft  (1.  c.  ß.  213),  noch  aus  der 
Sinneswahmehmung  (1.  c.  S.  216),  noch  kann  uns  die  innere  Erfahrung  von 
der  Wirksamkeit  unseres  eigenen  Willens  die  Kraft  begreiflich  machen  (L  c 
S.  218).  Die  Notwendigkeit  (s.  d.),  die  wir  der  Kraft  zuschreiben,  ist  nichts 
als  die  subjective  Nötigung,  von  der  „ürsachef^  zur  „Wirkufig"  überzugehen 
(1.  c.  S.  225;  vgl.  Inquir.  VII;  s.  unten).  — 

Der  animistische  (s.  d.)  Ursprung  des  Kraftbegriffes  zeigt  sich  noch  bei 
Thales  (s.  Hylozoismus).  Anaxagoras  bestimmt  als  Urkraft  den  „Oeist^ 
(s.  d.).  Empedokles  betrachtet  als  Naturkräfte  Liebe  {tpiUa)  und  Streit  (veJxoq)^ 
welche  die  Dinge  (Elemente,  s.  d.)  bald  zusammen-,  bald  auseinanderbringen 
(Aristot,  Met.  II  4,  lOOOa  27;  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  115).  Herakut 
betrachtet  den  y^ampf^  (s.  d.)  als  die  Kraft,  der  alle  Veränderung  entspringt. 
Plato  schreibt  zuweilen  den  Ideen  (s.  d.)  Kräfte  zu.  Abistoteles  erblickt  in 
den'  „Formen^^  (s.  d.)  die  von  innen  gestaltenden  Naturkräfte.  Die  Si^'aius  ist 
Princip  der  Bewegung  (a^x^  xiv^aecog,  Met.  V  12,  1019  a  15).  Eß  gibt  SvvoMt^ 
rov  TToietv  und  rov  Ttdaxeiv  (L  c.  IX  1,  1046  a  20),  aXoyot  und  fi^d.  Xojtov 
Svvdfuis  (1.  c.  IX  1,  1046b  3).  Die  Stoiker  betrachten  die  Kraft  (rd  nowir} 
als  das  Wesentliche  des  Ttvevfta  (s.  d.),  das  aber  zugleich  Stoff  ist.  In  d&i 
Dingen  sind  die  Xoyoi  ans^fiazacoi  (s.  d.)  als  Ausflüsse  der  göttlichen  Urkraft 
(Diog.  L.  VII,  134).  Plotin  bestimmt  die  Ideen  (s.  d.)  als  vosQnl  Strva^ti. 
Geistige  Kräfte  sind  femer  die  evaSee  (s.  d.)  bei  Froklus,  die  Äonen  (s.  d.> 
der  Gnostiker  (s.  d.).  (Nach  Babilides  emaniert  die  Bvvafti^  mit  der  «ofv'ii 
aus  der  y^ovriais,  Iren.  I,  24.)  Die  Ato misten  kennen  nur  äußere,  nur  Be- 
wegungskräfte (vgl.  Atom). 

Die  Scholastiker  betrachten  als  Ejräfte  die  „fomuxe  substantiades^'  (s.  d.) 
und  „qualitates  oceultae"  (s.  d.).  Ejraft-  und  Vermögensbegriff  (s.  d.)  werden  nicht 
scharf  voneinander  geschieden.  Die  „poientia*^  ist  nach  Thomas  ,^principium 
operationis^'  (Sum.  th.  I,  25,  1  ob.  3).  Es  gibt  „potentia  activa*^  und  „pasmo'' 
(1.  c.  I,  77,  3  c),  „potentia  cum  ratione^*  und  „irrationalis"  (1.  c.  I,  79,  12a). 

Innere  Kräfte  nehmen  Paeacelsüs,  J.  B.  van  Helmont  u.  a.  an.  Nach 
Telesius  sind  Wärme  und  Kälte  die  elementaren  Naturkräfte  (s.  Princip).  Nach 
Campanella  ist  die  „factdtas'^  „potestativae  essentialis  virtus  ad  actum,  et  aettonem 
energens*^  (Dial.  I,  6).  G.  Bruno  erblickt  in  der  göttlichen  Natur  (s.  d.)  die 
Urkraft  (De  la  causa  III). 

Galilei. bestinmit  die  Kraft  (impetus)  als  stetige  Folge  momentaner  Im- 
pulse (Dial.  delle  nuove  science  III,  2).  Den  mechanischen  Kraftb^riff  hat 
DE6CABTE8.  „Hic  vero  diligenter  advertendum  est,  in  quo  eonsistat  vis  euiusque 
corporis  ad  agendum  in  aliud ,  vel  ad  actioni  alterius  resistendum:  nempe  in 
hoc  uno,  quod  unaquaeque  res  tendat,  quantum  in  se  est,  ad  permanefuhun  in 
eodem  statte  in  quo  est,  iuxta  legem  .  .  .  Eine  enim  id,  quod  alteri  eoniun^tum 
est,  vim  habet  nonntälam,  ad  impediendum  ne  disiungatur;  id,  quod  disiunctum 
est,  ad  manendum  disiunctum;  id,  quod  quiescii,  ad  perseverandum  in  suo  mäht, 
/ioc  esty  in  motu  eiusdem  celeritatis,  et  versus  eandem  partem.    Visque  iÜa  debet 


Kraft.  569 

aesttmari  tum  a  magnüudine  carporiSy  in  quo  est,  et  auperfietei,  secundum  quam 
istud  corpus  ab  alio  disiungitur;  tum  a  celerüate  motus,  ac  natura,  et  con- 
trartetate  m4>di,  quo  diversa  corpora  sibi  miäuo  occurrunt"  (Princ.  philos.  II,  43)» 
Spinoza  schreibt  jedem  Wesen  einen  „eonaius",  „in  suo  esse  perseverare**  zu  (vgL 
Erhaltung).  Newton  definiert  die  Kraft  als  ,^ne  auf  dm  Korper  geübte  Tätig- 
keiij  um  seinen  Zustand  der  Ruhe  oder  gleichförmigen  Bewegung  in  gerader 
Richtung  xu  cmdem^^  (Nat.  philos.  princ.  niath.  II,  def.  4). 

Leibniz  sieht  in  der  Kraft  (force,  effort,  acte,  entelechie)  das  Wesen  der 
Substanz  (s.  d.),  „le  constitutif  de  la  substanee*^,  „le  principe  d'aetion^*,  sie  „rend 
la  mcUikre  capable  d^agir  et  de  resister"  (Gerh.  IV,  472).  Sie  ist  kein  leeres 
Vermögen,  sondern  ein  Mittleres  zwischen  dem  Vermögen  zu  wirken  und  dem 
Wirken  selbst  Sie  enthalt  eine  ^vzeXt'x^ia  (s.  d.),  ein  Streben,  eine  Actualitat, 
die  nur  der  Beseitigung  des  Hindernisses  bedarf  (wie  bei  dem  gespannten  Bogen), 
um  von  selbst  zu  wirken  (£rdm,  p.  121).  Die  klarste  Vorstellung  yon  Kraft 
haben  wir  durch  innere  Erfahrung  (Nouv.  Ees.  II,  eh.  21,  §  4).  Der  Kraft- 
begriff selbst  wird  nicht  durch  „imaginaiio^^,  sondern  durch  den  „intellectus** 
gebildet  (Erdm.  p.  124).  Ihrer  inneren  Natur  nach  ist  die  Kraft  etwas  Psy- 
chisches, ein  Streben  von  einem  Vorstellungizustand  zum  andern  (Monadol.  15). 
Es  gibt  ,tprimitive'^  und  „abgeleitete^^  Kräfte  (Gerh.  VI,  236).  Die  passive 
Kraft  ist  der  Widerstand  (die  nfTirtmin,  s.  d.),  durch  den  ein  Körper  sowohl 
der  Durchdringung  als  auch  der  Bewegung  widersteht  (Math.  Schrift,  ed.  Pertz 
III,  100).  Die  active  ICraft  schließt  die  Tendenz  zur  Handlimg  ein  (1.  c. 
S.  101).  Die  derivative  Kraft  ist  der  Impetus,  die  Tendenz  zu  einer  bestimmten 
Bewegung  (1.  c.  S.  102).  „Lebendige^^  Kraft  ist  die  in  der  actuellen  Bewegung 
sich  äußernde  Kraft  (L  c.  S.  235).  Die  Kraftsumme  im  All  ist  constant  (Erdm. 
p.  775).  —  (Hhb.  Wolf  definiert:  „Die  Quelle  der  Veränderungen  nennt  man 
eine  Kraft^^  (Vem.  Ged.  I,  §  115).  Kraft  ist  „dasjenige,  wonnnen  der  Grund  von 
der  Bewegung  xu  finden**  (1.  c.  §  623).  „Alle  Kräfte  bestehen  in  einer  festen 
Bemühung,  etwas  xu  tun  oder  den  Zustand  eines  Dinges  xu  ändern**  (1.  c.  §  624). 
,yQuod  in  se  continet  rationem  sufficientem  actualitatis  actionis,  vim  appellamus** 
(Ontolog.  §  722).  „Posita  vi  ponitur  actio**  (1.  c.  §  723).  Die  Kraft  besteht 
„in  coniinuo  agendi  conatu**  (1.  c.  §  724).  „Vis  continuo  tendit  ad  muiatümetn 
Status  subiecti**  (1.  c.  §  725).  CBU8HJS  bestimmt:  „Die  Möglichkeit  eines  Dinges 
B,  welche  an  ein  anderes  Ding  A  verknüpft  ist,  heißt  in  dem  Dinge  A  in  dem 
weitesten  Verstände  eine  Kraft**  (Vernunftwahrh.  §  29).  In  den  Substanzen  sind 
mehrere  Grundkräfte  (Met.  §  73).  Nach  Mendelssohn  ist  die  „Kraft**  so  viel 
wie  ,^ie  beständigen  Eigenschaften  des  A,  oder  das  Fortdauernde  in  demselben** 
(Morgenst.  I,  2).  Platner  sieht  in  der  Kraft  das  Constituens  der  Substanz 
(ß.  d.).  In  einer  Substanz  gibt  es  eine  „Orundkrafi**,  von  welcher  die  übrigen 
Kräfte  abhängen  (Philos.  Aphor.  I,  §  930  ff.,  932).  Kraft  oder  Vermögen  im 
weiteren  Sinne  ist  ein  Name  für  die  „bleibenden  Bestimmungen,  Eigenschaften**, 
in  welchen  die  Möglichkeit  aller  Eichtungen  der  substantiellen  Kraft  gegründet 
ist  (L  c.  §  934).  —  Bonnet  bemerkt :  „Lcs  parties  de  la  matihre  sont  liees  entr' 
tlles,  et  cette  liaison  svppose  necessairement  une  force  qui  l'oph-e;  car  les  parties 
de  la  matiere  sont  indifferentes  par  elles-memes  ä  toute  liaison  ou  ä  toute  Situation 
partieuli^e.  De  plus,  la  matihre  resiste,  et  cetie  resistance  suppixose  encore  un 
force  qui  Vopere^*  (Ess.  analyt.  VI,  46).  Nach  Hüme  ist  „Kraft**  für  uns  nichts 
ak  der  unbekannte  Umstand,  wodurch  das  Maß  oder  die  Größe  der  Wirkung 
eines  Gegenstandes  bestinunt  wird  (Inquir.  VII,  1 ;  Treat  III,  sct.  14).  Laplace 


570 


erklärt:  „La  force  n*etant  connue  que  par  Fespace  qu'elle  faü  dierire  dam  « 
temps  determine,  il  est  naturel  de  prendre  cet  espaee  powr  sa  mesure**  (M^ean. 
Celeste  I,  1,  C.  2). 

Kant  erklart,  die  Kraft  sei  nur  die  Beziehung  der  Subßtanz  A  zu  etws 
anderem  B.  Man  darf  keine  ursprüngliche  Kraft  als  möglich  annehmen,  wenn 
sie  nicht  von  der  Erfahrung  g^eben  ist  (De  mund.  sens.  scL  V,  §  2Sl 
Die  „wahrhaft  lebendige  Kraft*'  wird  nicht  von  draußen  im  Körper  erzeugt, 
sondern  ist  „der  Erfolg  der  bei  der  äußerliehen  Sollieüation  in  dem  Körper  am 
der  irmem  Naiurkraft  entstehenden  Bestrebung**  (WW.  I,  168),  Spater  be- 
stimmt Kant  die  Kraft  als  eine  „Prädieabilie**  (s.  d.)  des  reinen  Verstände», 
als  (apriorischen)  Yerstandesbegriff,  der  nur  für  Erscheinungen  (s.  d.)  Geltong 
hat  „Bewegende  Kräfte*  ist  ^^ie  Ursache  einer  Beweguntf'^,  Durch  eine  solche 
Kraft  erfüllt  die  Materie  (s.  d.)  den  Raum  (Met.  Anf.  d.  Naturwisa.  8.  33i. 
Anziehende,  abstoßende  (Zurückstoßungs-)Kraft,  Flächenkraft,  durchdringend« 
Kraft  werden  definiert  (1.  c.  S.  34  f.,  67).  Doch  ist  es  „Über  dem  0eaicht8km$ 
unserer  Vernunft  gelegen,  ursprüngliche  Kräfte  a  priori  ihrer  Mögliehkeii  noek 
einxusehen,  vielmehr  besteht  alle  Naturphilosophie  in  der  Zurüekfükrung  gegebeim. 
dem  Anseheine  nach  verschiedener  fiuf  eine  geringere  Zahl  Kräfte  und  Vermögen*' 
(1.  c.  8.  104).  (Natur-)  „Kraft**  ist  etwas  den  Phänomenen  AngehöreDdes,  eia 
notwendiger  Begriff  unseres  Denkens,  um  die  Objecte  der  Er&üirun^  logisch- 
physikalisch miteinander  zu  verknüpfen.  —  Nach  Kbug  kommt  der  Materie 
(s.  d.)  eine  ursprünglich  .jbewegende^*  Kraft  zu  (Handb.  d.  Philos.  I,  336).  Nach 
SCHELLINO  ist  , Jeder  immanente  Orund  von  Realität  aus  dem  Begriff**  Knft: 
die  „absolute  Identität**  ist  Kraft  (WW.  I  4,  145).  Kraft  ist  „Extensität,  be- 
stimmt durch  Intensität**,  Die  Intensität  einer  Kraft  „kann  nur  gemessen  werden 
durch  den  Raum,  in  dem  sie  sich  ausbreiten  kann,  ohne  =:  0  xu  werden^  (§7^ 
d.  transcend.  Ideal.  8.  217).  Die  Dinge  sind  Producte  von  Kräften.  Denn 
„Kraft  allein  ist  das  Nichtsinnliche  an  den  Ohjeeten**  (Naturphiloa.  S.  308x 
Kraft  ist  ein  Verstandesbegriff,  kann  nicht  unmittelbar  G^^enstand  der  An- 
schauung sein.  Die  Grundkräfte  der  Materie  (s.  d.)  sind  verstandsmaßige  Aik- 
deutungen  des  An -sich  der  Dinge  (1.  c.  8.  322).  Die  Materie  als  solche  ist 
selbst  Kraft  (1.  c.  8.  327).  Nach  Steffens  ist  die  Kraft  „rfie  Identität  der  In- 
tensität und  Extensität**  (Grdz.  d.  philos.  Naturwissensch.  8.  23).  Im  Sinne 
Hegels  (vgl.  Log.  II,  170)  erklärt  K.  Rosenkranz:  ,^edes  Wesen  faßt  ah 
Oanxes  seine  Ihile  in  sich  xusammen  und  ist  die  Möglichkeit  ihrer  Vermehrung 
oder  Verminderung.  Als  das  In-sich-sein  des  Wesens j  tcelehes  seine  Untergekiede 
einfach  in  sich  geschlossen  hält,  ist  es  die  Kraft.  Die  Kraft  ist  nicht  eine  neue 
Qualität  des  Daseifis  oder  ein  apartes  Wesen,  sondern  das  Wesen  selber,  weis  et 
sieh  als  Erscheinung  aus  sich  als  dem  Orund  setzt  und  in  seinem  Erscheinen 
als  Qesetx  und  Inhalt  und  Totalität  derselben  tätig  ist**  (Syst  d.  Wisaenschaftsl 
8.  71).  C.  H.  Weisse  betrachtet  die  Kraft  (die  dvrafue)  als  das  Substantiilf 
des  Körpers  (Grdz.  d.  Met.  8.  420  f.). 

Nach  Schopenhauer  ist  die  Kraft  von  der  Ursache  (s.  d.)  völlig  vo-- 
schieden,  sie  ist  „das,  was  jeder  Ursache  ihre  CatMalität,  d.  h.  die  Mdgliehkeii 
XU  wirken,  erteilt*  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  Bd.,  C.  4;  Vierf.  Würz.  C.  4,  §  ÄU 
Die  Naturkräfte  sind  von  allem  Wechsel  ausgenommen,  aulkr  aller  Zeit^  stete 
und  überall  vorhanden  (Vierf.  Wurzel  C.  4,  §  20).  Jede  echte,  ursprünglichf 
Naturkraft  ist  qualitas  occulta,  physikalisch  unerkl&rbar  (ib.).  Die  Mateiie 
(8.  d.)  manifestiert  sich  nur  durch  Kräfte,  jede  Kraft  inhariert  einer  Materie 


Kraft.  57 1 

(Parerga  II,  §  75).    Kraft  ist  ^Jede  Ursache,  die  man  toillkürlich  oder  gexwungen 
als  eine  letzte  betrachtet'*  (Anmerk.  S.  20).    „Wir  sindgenöOgi,  hei  Kräften  x/u- 
letzt  stehen  xu  bleiben,  weil  die  Kategorie  der  ChuscUität  in  aufsteigender  Linie 
Befriedigung  sucht,  d,  h.  von  der  Wirkung  xur  Ursache  fortschreitet;  wo  sie  die 
Ursache  nicht  mehr  findet,  setzen  wir  eine  Kraft  .  .  .  gleichsam  ein  Merkzeichen, 
das  wir  anheften,  um  cmxudeuten,   wie  weä  wir  im  Regreß  gekommen'^  (1.  c. 
S.  144).    Die  Naturkräfte  sind  ErsdiemuDgen  des  Willens  (s.  d.).    „Die  einzelne 
Veränderung  hat  immer  wieder  eine  ebenso  einzelne  Veränderung,  nicht  aber  die 
Kraft  zur  Ursache,  deren  Wirkung  sie  ist.    Denn  das  eben,  was  einer  Ursache 
immer  die  Wirksamkeit  verleiht,   ist  als  solche  grundlos,  d.  h.  liegt  ganz  außer' 
halb  der  Kette  der  Ursachen  und  überhaupt  des  Gebietes  des  Satzes  vom  Gründe 
und  wird  philosophisch  erkannt  als  unmittelbare  Objectität  des  Willens, 
der  das  An-sich.der  gesamten  Natur  ist*^  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  26;  Parerga 
II,  §  75).    „Daß  das  Wesen  der  Kräfte  in  der  unorganischen  Natur  identisch 
mit  dem  Willen  in  uns  ist,  stellt  sieh  jedem,,  der  ernstlich  nachdenkt,  mit  völliger 
Gewißheit  und  als  erwiesene   Wahrheit  dar**  (Neue  Paralipom.  §  163).  —  Zu 
metaphysischen   Processen  setzen  den  Kraftbegriff  direct  oder  indirect  auch 
folgende  Philosophen  in  Beziehung.    Herbart  erklärt:  „Vermittelst  des  Zu- 
sammen eines   Wesens  mit  einem  andern  wird  .  .  .  auf  jedes  Aecidenx  das  Sein 
bezogen,  welches  außerdem  unmöglich  wäre.    Aber  das  Zusammen  verdankt  jedes 
Wesen  dem  andern,  mit  ihm  darin  begriffenen.     Insofern  sind  die  Acddenxen 
des  einen  zuzuschreiben  dem  andern,  als  einer  Kraft*^  (Hauptp.  d.  Met.  S.  38). 
Ursprünglich,  für  sich,  ist  kein  Wesen  Kraft,  es  ist  es  erst  im  „Zusammen** 
(s.  d.)  mit  andern,  in  welchem  die  Wesen  einander  „stören**  und  sich  selbst 
„erhalten**,  was  in  imserer  ,^ufalligen  Ansicht"  (s.  d.)  als  Wirksamkeit  sich  dar- 
stellt.   Ein  Wesen  kann  auf  unendlich  vielerlei  Art  sich  als  Kraft  äußern,  „es 
hat  aber  gar  keine  Kraft,  am  wenigsten  eine  Mehrheit  von  Kräften**  (1.  c. 
S.  43;  Allgem.  Met.  II).    Beneke  versteht  unter  Kraft  „das  Wirkende  in  dem 
Gesehehen**.    Eb  gibt  in  der  Seele  ursprüngliche  „Urkräfle**,  auf  deren  Grund- 
lage alle  übrigen  Kräfte  erzeugt  werden  (Lehrb.  d.  Psychol.',  §  19).     In  den 
Dingen  sind  die  Kräfte  das  Ursprüngliche,  für  die  Erkenntnis  ist  es  umgekehrt, 
denn  wir  müssen  von  der  Erfahrung  erst  auf  Kräfte  schließen  (1.  c.  §  20).    In 
'  der  Seele  gibt  es  eine  Vielheit  von  Urkräften,  die  aber  in  inniger  Verbindung 
miteinander  stehen  (ib.),  sie  sind,  vor  ihrer  „Erfüllung**,  Strebungen  (1.  c.  §  25; 
vgL  Seelenvermögen).     Eine  Eigenschaft  der  „sinnlichen  Urvermögen**  ist  die 
Kräftigkeit,  d.  h.  die  Vollkommenheit,  mit  der  die  Beize  angeeignet  worden 
sind  (1.  c.  §  33;   vgl.  Syst.  d.  Met.  S.  311  ff.).     J.   H.  Fichte  erklärt:  „Das 
reale  Wesen  tcird  zur  ,Kraft*  und  xu  ,Kräften*  erst  durch  die  Verbindung  mit 
anderen  realen  Wesen  und  die  dabei  eintretende  Behauptung  seiner  QucUität 
der  unterschiedenen  Qualitäten  des  andern  gegenüber"  (Psychol.  I,  6  f.).    „Poten- 
tielle^* Kraft  ist  das   Maß  von   Intensität,   welches  jedem  Bealwesen   eignet. 
,Jjebendige^*  Elraft  ist  „die,  welche  an  der  einzelnen  Gegenwirkung  in  bestimmter, 
aber  nicht  veränderlicher  Stärke  hervortritt**.     Die  potentielle  Kraft   ist   „das 
Gesamtkraftmaß  eines  realen  Wesens,  welcfies  in  einem  gegebenen  Zustande  des- 
selben unveränderlich  und  unüberschreitbar  dasselbe  bleibte*  (1.  c.  I,  7). 
Nach  Ulsigi  ist  die  „  Widerstandskraft**  die  „erste  fundamentale  Bestimmung  des 
Seienden  als  Seienden**.    Das  Seiende  als  solches  ist  die  „Kraft  des  Bestehens**, 
an  welche  alle  andern  Kräfte  gebunden  sind  (Leib  u.  Seele  S.  37).      „Kein 
Körper,  keine  Substanz,  also  auch  kein  Atom  wirkt  für  sich  allein,  selbsttätig, 


572  Kraft. 

unabhängig;  keinem  Stoffe  kommt  an  und  für  sich  eine  Kraft  oder  HUigheü  xu, 
die  er  unmittelbar  und  unbedingt  ausübte**    (Gott   u.  d.  Nat.  S.  59).     Nadi 
M.  Cabkiere  ist  die  Kraft  y,die  Substanz  der  Dinget*,    Das  All  ist  ein  „.S^jfem 
von  Kräften**,    Es  gibt  „selbstlose**  und  „selbstseiende^'  Kräfte  (8ittL  Weltordn. 
8.  32,  69).    In  der  Kraft  gibt  es  „e^o«  Vermögenj  dcts  ihr  für  sieh  zukommt^, 
und  die  „Energie,  die  sie  übt,  sobald  die  Bedingung  daxu  eintritt**  (L  c  S.  1331 
Nach  0.  Caspabi  sind  die  ICräfte  das  Dauernde,  das  Wesen  der  Dinge.    Die 
Kraft  ist  etwas  Relatives,   bedingt  einen  Widerstand   (Zusammenh.  d.   Dinge 
S.  5,  10,  14  ff.,  17,  21).    Caspari  lehrt  einen  ,yKraft'Gonstitutionalismuar*  (L  c. 
S.  22).     E.   V.   Hahtmakn   nennt  die  Ejaft  ein   ,yspiritualistisehes   PHneifh 
(Philos.  d.  Unbew.',  S.  464).     Sie  ist  Streben  (actus)  und  zugleich  2i^  de» 
Strebens  (1.  c.  S.  484).     Ihrem  inneren  Wesen  nach  ist  sie  Wille  (L  c.  S-  485). 
Die  Atomkräfte  sind  ^^individuelle   IVillensaete**  (1.  c.  S.  486).     „&>  tcenig  der 
sub/eetic  ideale  Stoff  einen  Widerstand  leisten  kann,  ebensowenig  kann  das  Ick 
als  subfectiv   ideale  Erscheinung  eine  Kraft  entfalten  oder  auf  den  Stoff  ein- 
wirken.    Wenn  das   Bewußtsein   die  Willensintensität  selbst  «u  erfassen  meint, 
so  erfaßt  es   in  Wahrheit  doch  nur  die  OefUhlsintensität  der  durch  das 
bewußte,  bewußtseinstranscendente  Wollen  ausgelösten  Spannungsgefühle,  also 
subj'eetip  idealen  Widerschein  der  dynamisch-thelistisehen  Äetivität**  (Kat^oi 
lehre  S.  346).    Nach  H.  Sfekceb  ist  die  unerkennbare  Urkraft  das  Absolute, 
Gott  (s.  d.).     Spencer   spricht  von   der  „inscnäable  'power   manifesied  io  us 
through  all  phenomena**  (First  princ.  §  31).    Mainlakdeb  bemerkt:  „i>ie  Wät, 
die  Oesamtheit  der  Dinge  an  sieh,  ist  ein  Oanxes  von  reinen  Kralen,  welche 
dem   Subject  xu   Ob^eeten  werden**  (Philos.  d.  Erlös.   S.  23).     Alle  Kräfte  ab 
solche  sind  entstanden  (1.  c.  S.  44).    Im  Selbstbewußtsein  erfassen  wir  die  £[rafi 
als  „  Willen  xum  Leben**  (1.  c.  S.  44).   Es  gibt  ein  Gesetz  der  „Schwächung  der  Kräfte 
im  Universum,  Wille  (s.  d.)  ist  die  Kraft  an  sich  nach  Bahnsen,  C.  Petebs 
u.  a.     Nach  Wallace  sind  alle  Kräfte  wahrscheinlich  Willenskräfte   (Beitr. 
zur  Theor.  d.  nat.  Zuchtwahl  1870).     Nach  B.  HAKERUiro  ist  der  Wille  die 
allem  Sein  innewohnende  Triebkraft  (Atomist.  d.  WilL  I,  263;  II,  50).   L.  NoiBS 
erklärt:   „Mies,  was  uns  von  außen  als  Kraft  erscheint,  ist  innerlieh    WiUe^ 
(Einl.  u.  Begr.  ein.  monist.  Erk.  S.  193).    Auch  nach  Wukdt  liegen  den  Kräften 
Willenseinheiten  (s.  d.)  zugrunde  (s.  unten).  Nietzsche  sieht  das  innere  Wesen  der 
Kraft  als  „  Wülen  xur  Macht**  (s.  d.)  an  (W W.  XV,  280,  296).    Die  Dinge  sind 
„dynamische   Quanta,  in  einem  Spannungsverhältnis  xu  allen  anderen  dyna- 
mischen Quanten**^  sie  bestehen  aus  Kraftcentren,  „Herrschaftsgebilden**,  „  Wiüens- 
Punctationen,  die  beständig  ihre  Ma^ht  mehren  oder  verlieren**  (WW.  XV,  297, 
299  f.).    Nach  Laghelieb  ist  Kraft  Tendenz  nach  einem  Ziele,  nach  Bealisation; 
die  Welt  besteht  aus  einfachen  geistigen  Kräften.    Ahnlich  nach  Renouvie& 
(s.  Monaden).    Nach  Foüillee  wirken  in  der  Welt  „idees-forces^*  (s.  d.).    Nach 
Dbossbagh  ist  £[raft  ,4as  auf  Realisierung  des  Ideals,  auf  Voükommenheii  der 
Verhältnisse,  mithin  auf  ein  Ziel  gerichtete  Streben**  (Üb.  d.  Obj.  d.  sinnL  Wahr- 
nehm.   S.  141).!     Nach    F.   Ebhabdt     ist    die    Kraft    (Das    Bewegliche    im 
Baume,  Wechselwirk.  zwisch.  Leib  u.  Seele  S.  101  ff.)  das  Ding  an  sich  der 
Materie  (Met  I,  575,  577).     Sie  ist  selbst  die  Substanz,  bedarf  keines  Trägers 
(1.  c.  S.  580  f.).     Nach  L.  Dumont  ist  die  Kraft  die  Menge  der  Causalität, 
durch« welche  das  Sein  sich  offenbart;  von  „innen'*  ist  sie  bewußt  (Vöqgn.  iL 
Schm.  S.  163  f.).     R.  Wähle  schreibt  die  wahre  Kraft  den  „Urfaetoren^  so. 
Die  phänomenale  Welt  ist  unkräftig  (Erkl.  d.  Eth.  Spinoz.  a  193)-  —  Nach 


Kraft.  573 

<  ■  ■ 

Überweg  smd  Kraft  und  Materie  zweifache  Auffassungen  einer  ,;untrennbaren 
Einheit^  (Log*  B.  84).  Nach  E.  Haeckel  sind  sie  ,ynur  verschiedene  unoer- 
äußerliche  Erscheinungen  eines  einzigen  Wdttcesens^  der  Substanz*^  (Der  Monism. 
8.  14;  Weltrats.).  Nach  L.  Büchner  bilden  Kraft  und  Stoff  eine  Einheit.  Die 
Sjräfte  sind  Eigenschaften  der  Stoffe  (Kr.  u.  St^^  S.  31).  Die  Kraft  muß  man 
betrachten  „cUs  einen  Tätigkeitsxustand  oder  als  Bewegung  des  Stoffes  oder  der 
kleinsten  Stoffteilchen  oder  auch  als  eine  Fähigkeit  hierzu,  oder  noch  genauer 
als  einen  Ausdruck  für  die  Ursache  einer  möglichen  oder  wirklichen  Bewegung^* 
(L  c.  S.  10).  —  Nach  Hagemann  sind  Kraft  und  Stoff  für  sich  genommen 
nur  Abstracta.  „Betrachten  wir  nämlich  die  Korper  in  ihrem  wirkungslosen 
Dasein  als  das  RattmerfUUendey  Beharrliehey  toas  aus  sich  nicht  zur  Bewegung 
oder  xur  Ruhe  kommt,  so  nennen  wir  dieses  Stoff  oder  Materie.  Dasjenige 
hingegen,  was  den  verschiedenen  Eigenschaften  und  Wirkungsioeisen  der  Körper 
zugrunde  liegt,  nennen  wir  die  Kräfte  derselben"  (Met.  S.  65). 

Als  (objectiver  oder  subjectiver)  causaler  Beziehungsbegriff  wird  die  Kraft 

verschiedentlich  formuliert.    B.  Mayer  faßt  die  Kraft  im  Sinne  der  Energie 

(s.  d.),  als  Arbeitsleistung,  auf  und  spricht  den  Gedanken  der  „Erhaltung  der 

Kraft^*  aus  (vgL  Energie,  dort  auch  Helmholtz).     Es  gibt  nur  eine  einzige 

Kraft.     „In  ewigem  Wechsel  kreist  dieselbe  in  der  toten  wie  in  der  lebenden 

NaUir;  dort  und  hier  kein  Vorgang  ohne  Formänderung  der  Kraft."    Formen 

der  Kraft  sind  Fallkraft,  Bewegung,  Wärme  u.  s.  w.    Das  Hypothetische  im 

Kraftbegriffe  wird  eliminiert  (Bemerk,  üb.  d.  Kräfte  d.  unbelebt  Nat.  1842; 

Die  organ.  Beweg.  1845).  Nach  E.  H.  Weber  ist  die  £[raf  t  „die  unbekannte  Ursache 

derjenigen  Wechselwirkung  der  Körper,  die  sich  durch  Bewegung  oder  durch  Druck 

äußert,  die  aber  für  uns  kein  Phänomen  ist",   „Der  einzige  Fall,  uh>  wir  von  dieser 

unbekannten  Ursache  etwas  mehr  toissen,  ist  eben  der,  wo  unser  Wille  die  Ursache 

oder  ein  Teil  der  Ursache  des  Denkens  ist,  den  unr  fühlen"  (Tastsinn  u.  Gemein- 

gef.  S.   85).    Nach  Bedtenbacheb   besteht  die  Kraft  „in  der  Fähigkeit  der 

Körper,  wechselseitig  anziehend  oder  abstoßend  einxuunrken  und  dadurch  die  Zu- 

stände  ihres  Seins  verändern' zu  können"  (Das  Dynamidensyst.  1857,  S.  11  ff.). 

Nach    LoTZE   bezeichnet  die  Kraft   „nichts  weiter  als  die  Fähigkeit  und  die 

Nötigung  zu  einer  nach  Art  und  Größe  bestimmten  zukünftigen  Leistung,  die 

allemal  eintreten  tcird,  sobald  eine  bestimmte  Bedingung  realisiert  sein  wird, 

und  die  solange  nicht  eintritt,  als  diese  Bedingung  nicht  realisiert  isf*  (Gr.  d. 

Met.   §   61).      Nur   in   Beziehung  zueinander  haben   die  Körper  Kräfte   (ib.). 

Fechker  bemerkt :  „  Was  man  jedetn  Körper  an  Kraft  besonders  beilegt,  ist 

nur  der  Anteil,  mit  dem  er  je  nach  seiner  Individualität  und  Stellung  zu  andern 

Körpern  zur  Erfüllung  des   Gesetzes  beiträgt"   (Üb.  d.  physikal.  u.  philosoph. 

Atomenlehre*,  S.  121).    Nach  O.  Liebmann  ist  die  Kraft  „der  in  rerum  natura 

liegende  objective  Reedgrund,  daß  das  Gesetz  giW\    Die  Kraft  ist  ein  „Grenz- 

begrifp^  (Anal.  d.  Wirkl.*,   S.  285);  sie  ist  das   „Realprineip"  des  Geschehens 

(ib.).    Nach  Volkmann  ist  die  Kraft  „eine  unbekannte  Eigenschaft  der  Ursache" 

(Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  279).    Nach  Volkelt  ist  sie  „Betätigung  der  Ursache 

nach  der  Richtung  hin"  (Erfahr,  u.  Denk.  S.  234).    Nach  Wündt  ist  Kraft  „die 

an  die  Substanz  gebundene  Causalität".    Physikalisch  ist  sie  „die  Beschleunigung, 

die  an  einer  Masse  von  bestimmter  Größe  hervorgebracht  wird"  (Log.  I*,  S.  583  f., 

614  ff.,  625;  II»  1,  327  ff.;  Syst.  d.  Philos.«,  S.  279  ff.).     Die  Materie  (s.  d.) 

ist  das   System  der  Ausgangs-  und  Angriffspunkte  der  Ejräfte  (1.  c.  Log.  II*, 

1,  S.  327  ff.;  Syst.  d.  Phüos.*,  S.  284  ff.;  Phüos.  Stud.  X,  11  ff.;  XII,  3.  Ar- 


574  Kraft. 

tikel).  Die  Kraft  einer  Substanz  ist  die  Eigenschafty  yermöge  deren  sie  ihre 
Wirkung  ausübt  Alle  Ejräfte  in  der  Natur  sind  fjbewegende  Kräfte  und  fririm 
xwisehen  räumlich  getrennten  Teilen  der  Maierie^^  Sie  sind  alle  „Centralkräft^, 
d.  h.  yysie  gehen  von  bestimmten  Punkten  des  Raumes  aus,  an  denen  sieh  sub- 
stantielle Träger  der  Kräfte  (Kraftpunkte  oder  Kraftatome)  befinden'^.  Die  Tier 
allgemeinsten  „dynamischen  Principien^'  sind:  1)  das  Trägheitsprincip,  das 
den  Charakter  einer  „permanenten  Hypothese^'  hat;  2)  das  „Prineip  der  Centrol- 
kräfte" :  ^flede  Kraft  wirkt  in  der  geraden  Verbindungslinie  ihres  Ausgangs-  und 
Angriffspunktes^  und  ihre  Wirkung  besteht  in  einer  Qesehwindigkeitsänderung, 
die  der  Größe  der  Kraft  direct  und  der  Masse,  auf  die  sie  wirkt,  umgeMri 
proportional  ist";  3)  das  „Princip  der  Oegenv^irkung** ;  4)  das  „/Vtnctp  der 
Kräfteperbindung''  (Syst  d.  Phüos.«,  S.  476  ff.;  Log.  I«,  S.  614  ff.;  II«  1,  K7  fU 
Die  fyKraftgleiehungen"  ,,enihalten  als  Wirkungen  die  Beschleunigungen  irgeaid 
welcher  Massen,  als  Ursachen  die  Componenten  samt  den  mit  ihn^i  verbundenem 
speciellen  Bedingungen,  unter  denen  die  Componenten  stehen"  (Log.  II«  1,  327  fLl 
Die  psychische  Kraft  besteht  in  der  „Wirksamkeit  des  wollenden  Ick  c» 
Bexug  auf  die  ihm  gegebenen  Vorstellungen",  sie  ist  rein  actuell  (s.  d.),  be^ 
deutet  im  engeren  Sinne  „die  WirkungsfHhigkeit  in  Besuug  auf  die  adive  Apper- 
ception  der  Vorstellungen"  (Log.  I*,  S.  625  ff.).  Nach  R.  Wahlb  ist  Kräh 
empirisch  „passive  und  aetive  Beeinflussungsfähigkeit".  Die  Kraft  selbst 
ist  ein  völliges  x,  ein  Postulat,  daß  Veränderung  nicht  durch  Bleiben  erfaßt 
werde  (Das  Ganze  d.  Philos.  S.  113  ff.). 

Den  idealistischen  Kraftbegriff,  nach  welchem  Kraft  nichts  ist  als  Gesetz- 
mäßigkeit (s.  d.),  Notwendigkeit  empirischer  Verknüpfungen,  haben  die  Kan- 
tianer (s.  d.)  und  Immanenzphilosophen  (s.  d.).  Nach  Schuppe  bedeuten 
die  Begriffe:  Kraft,  Vermögen,  Fähigkeit,  Anlage  nur  „Causalbexiekungen**, 
nicht  Wahmehmungsinhalte  (Log.  S.  72).  Sie  bedeuten  nur  die  direct  zum 
Sein  der  Dinge  gerechnete  Notwendigkeit,  nach  welcher  dem  a  ein  b  folgt 
„  Um  ujessenunllen  ein  Ereignis  möglich  genannt  wird,  um  deswillen  wird  eiium 
Dinge  die  Kraft,  es  xu  bewirken,  xugesprochen^'^  (1.  c.  S.  73).  Die  psychischen 
Kräfte  (Vermögen,  Anlagen)  sind  „da;s  direct  xum  psychischen  Sein  gehongf^ 
es  ausmachende  Oesetx,  daß  unter  bestimmten  Umständen  die  und  die  Regungen 
oder  Bestimmtheiten  bewußt  werden  oder  im  Bewußtsein  auftreten"  (1.  c  S.  73). 
ScHiJBERT-SoLDERN  versteht  unter  Kraft  die  gesetzmäßige  Notwendigkeit  de» 
Eintretens  bestimmter  Veränderungen  unter  bestimmten  Bedingungen  (Gr.  ein. 
Erk.  S.  62),  die  Erwartung  einer  bestinmiten  Veränderung  (1.  c.  S.  144). 

Den  (metaphysischen)  Kraftbegriff  will  aus  der  Physik  d'AxEMBEBT  di- 
minieren  (Trait.  de  dynam.,  pr^f.).  So  auch  Cobttes  Positivismus  (s.  d.).  Fernff 
KiBGHHoFF  (Vorle«.  üb.  mathem.  Phys.  I,  S.  5  ff).  Czolbe  betont:  „Das  Ver- 
langen, für  die  Bewegung  als  Ursachen  nicht  nur  unbekannte,  sondern  auth 
undenkbare  Kräfte  xu  finden,  beruht  .  .  .  nur  auf  der  theologischen  Neigung  naek 
einer  Welt  des  Unbegreiflichen,  die  hier  ausgeschlossen  ist.  Der  Begriff  yKraftt 
kann  wohl  aus  Bequemlichkeitsrilcksiehten  für  die  unsichtbaren,  etementtaren  Be- 
wegungen der  Atome  gebraucht  werden,  ihn  aber  für  die  tiefere  Ursache  der- 
selben anzusehen,  ist  durchaus  falsch  und  venHrrend,  Derartige  Kräfte  gibt  ei 
nicht^'  (Gr.  u.  Ursp.  d.  m.  Erk.  S.  82).  Kraft  ist  nichts  als  der  im  Räume  be- 
findliche anschauliche  Gegensatz  (Neue  Darstell,  d.  Sensual.  S.  110).  Kacb 
Dübois-Reyhond  sind  Kraft  und  Materie  Abstractionen  der  Dinge,  die  ver- 
einzelt keinen  Bestand  haben.    Die  Kraft  ist  nur  „eine  versteckte  Ausgeburt 


Kraft  —  Kriterium.  575 


unseres  Hanges  zur  Personification*^,  In  Wahrheit  ist  sie  nichts  als  „das  Maß, 
nickt  die  Ursache  der  Bewegung*^  (Untersuch,  üb.  tier.  Elektricit.  I,  Vorw. 
8.  XLI,  XLII).  £.  Mach  hält  die  Anwendung  des  Kraftbegriffs  für  „Fetischis- 
mus^' (Populärwiss.  Vorles.  8.  259).  Es  gibt  nur  „Abhängigkeiten^*  (s.  d.).  Ähn- 
lich R.  AvENARius,  auch  Stallo,  Hebtz.  Nach  Ostwald  ist  der  physi- 
kalische Gnindbegriff  nicht  die  Kraft  oder  Materie  (s.  d.),  sondern  die  Energie 
(s.  d.).  Kraft  ist  „cfcw,  u>as  sich  der  Bewegung  der  Körper  uidersetxt^*  (Vorles. 
üb.  Naturphüos.*,  8.157).  Masse  ist  nur  ,/ite  besondere  Eigenschaft ,  von  der  die 
Energie  eines  bewegten  Körpers  außer  seiner  Geschwindigkeit  abhängt**^  (1.  c.  6. 185), 
„Capaeüät  für  Bewegungsenergie  (1.  c.  8. 283  f.),  ,^ie  Eigenschaft  eines  gegebenen  Ob- 
jedes  unter  dem  Einfluß  von  Bewegungsursa>chen  eine  bestimmte  Qesekmndigkeit  an- 
zunehrnen"  (Energet  6.61, 13).  Nach  H.  Cornelius  bezeichnen  „Massen"  und 
„Kräfte^*  nichts  anderes  als  y^esetxmäßige  Zusammenhänge  von  Wahrnehmungen", 
Der  Wert  dieser  Begriff e  yjberuhi  nur  darin^  daß  durch  ihre  Einführung  die  Be- 
schreibung unserer  Erfahrungen  eine  Vereinfachung  erfährt**  (wie  bei  Mach  ;  Einl.  in 
d.Philos.  8. 327).  Ähnlich  H.  Kleinpeter.  Clifford  erklärt:  „Eine  gewisse  ver- 
änderlicßie  Eigenschaft  des  Stoffes  (der  Grad  der  Veränderung  seiner  Bewegung)  hat 
sieh  als  beständig  an  seine  relative  Lage  xu  anderem  Stoffe  gebunden  heraus- 
gestellt; betrachtet  man  sie  beschrieben  durch  Ausdrücke^  die  sich  auf  diese  Lage 
beziehen,  so  heißt  sie  Kraft,  ^aff  ist  somit  eine  Äbstraction,  die  sich  auf 
objeetive  Tatsachen  bezieht;  sie  ist  eine  der  Arten  der  Ordnung  meiner  Em- 
pfindungen" (Von  d.  Nat.  d.  Dinge  an  sich  8.  34).  Vgl.  8ecchi,  Die  Einheit 
der  Naturkräfte  1876.  —  VgL  Causalität,  Gesetz,  Vermögen,  Substanz,  Object, 
Wirken,  Energie,  Ich,  Seele,  Seelenvermögen. 

Kraftcentram  s.  Kraft 

Krafterbaltang  s.  Energie,  Apokatastasis  (Nietzsche). 

KraftK^effiM  ist  das  Bewußtsein  der  eigenen  physischen  und  psychischen 
Kraft,  der  Activität,  des  ungehemmten  Betätigens.  Vgl.  Schilling,  Psychol. 
S.  86f.;  Nahlowsky,  Das  Gefühlsleb.  8.  90  ff.;  Lipps,  Gr.  d.  Seelenleb. 
S.  56  f.;  Th.  Zieqler,  Das  Gef.*,  8.  278.    Vgl.  Muskelsinn. 

Krftltle^kelt  s.  Kraft  (Beneke). 

Kraftmaß,  kleinstes,  s.  Princip  des  kleinsten  Kraftmaßes. 

B^raftslnn  s.  Muskelsinn. 

üjraniolog^e  (Schädellehre)  s.  Phrenologie. 

Kreiaerklllrang  s.  Circulus,  Zirkelbeweis. 

Kreusung  (logische)  ist  das  Verhältnis  zweier  Begriffe  zueinander, 
welche  einen  Teil  des  Umfanges  (s.  d.)  miteinander  gemein  haben  (z.  B.  Mensch 
-  alt). 

Kriterinm  (xQnriQiov,  von  x^ireiv,  unterscheiden,  urteilen,  beurteilen): 
Kennzeichen,  Merkzeichen,  Prüfungsmittel,  Prüfstein.  Insbesondere  spricht 
man  philosophisch  vom  Kriterium  der  Wahrheit  (s.  Wahrheit).  So  zuerst 
bei  den  Stoikern:  x^in^Qtov  ioTt  n^ayfiaros  dtayvwOTixrj  KaTavorjuis  (Galeni 
histor.  philos.  12,  293;  Dox.  606).  Die  Skeptiker  bestreiten  die  Existenz  eines 
solchen  Kriteriums  (ovöiv  ä^iaav  xQixriQiov,  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII, 
150  ff.).  —  Nach  Clemens  Alexandren us  ist  xQ^rii^iov  t^s  inieTjjfijjs  17  nlans 
(Strom.  II,  4).  —  Chr.  Wolf  definiert:  „Oriterium  veritaiis  est  propositioni 


576  Kriterium  —  Kritdciamus. 


intrinseeumy  unde  agnaseitur,  eam  esse  veram"  (Philoe.  rational.  §  523).  FUES 
erklart:  y,Em  Grundsatx  wird  ein  Kriterium,  ein  ünterseheidungsgrund  der 
Wahrkeit  für  gegebene  Erkenntnisse^  toenn  ich  aus  ihm  die  Wahrheit  dieser  Er- 
kenntnisse beurteilen  kann**  (Syst.  d.  Log.  S.  182). 

KrItIcIsmaA:  der  Standpunkt  der  Kritik  (s.  d.),  des  kritisch-philo- 
sophischen, transcendentalen  (s.  d.),  erkenntniskritischen  (s.  d.)  Verfahrens,  die 
Methode,  vor  aller  positiven  Philosophie  (Metaphysik)  die  Möglichkeit,  Gesetz- 
mäßigkeit und  die  Grenzen  der  menschlichen  Erkenntnis,  die  Erkenntniskraft 
des  Bewußtseins  einer  systematischen  Prüfung  zu  unterziehen,  nichts  dogmatisch 
(s.  d.)  hinzunehmen,  sondern  überall  die  Begriffe  zu  analysieren,  auf  ihr  Fun- 
dament (s.  d.)  zurückzuführen  und  in  ihrer  logischen  Berechtigung  und  Gültig- 
keit zu  werten  („kritische  Methode**), 

Ansätze  zum  Kriticismus  finden  sich  bei  Plato,  Descabtes,  Lockb,  Leib- 
Niz,  HuME.  Durch  letzteren  wurde  Kant,  der  Begründer  des  Kriticismus  ab 
System,  aus  seinem  „dogmatischen  Schlummer'*  geweckt  (Prol^jomena,  Einleit.). 
Schon  in  der  Schrift  „De  mundi  sens  et  intell,  forma  et  prificipiis^^  ist  der 
kriticistische  Standpimkt  in  manchem  annähernd  erreicht  (vgl.  Raum,  Zeit).  In 
der  „Kritik  der  reinen  Vernunft**  (1781;  ursprünglicher  Titel:  „Die  Grenzen  der 
Sinnlichkeit  und  der  Vernunft**,  vgl  WW.  VIII,  686)  stellt  Kant  allem  Dogma- 
tismus (s.  d.)  und  Skepticismus  (s.  d.)  die  „Kritik^*  gegenüber,  die  Prüfung  des 
Intellectes  auf  seine  Fähigkeit  hin,  apriorische  (s.  d.)  Sätze,  synthetische  Urteile 
(s.  d.)  a  priori  aufstellen  zu  können,  zu  dürfen,  sowie  die  Art  und  den  Umfang 
der  Gültigkeit  der  allgemeinen  Urteile  und  Begriffe,  der  Anschauung»-  und 
Denkformen  (s.  d.).  Die  Gewißheit,  Gültigkeit  des  Erkennens,  nicht  der  psycho- 
logische Ursprung  desselben,  steht  im  Vordergrunde  der  Untersuchung,  die  formal, 
analysierend,  deducierend,  normierend-wertend  ist;  sie  stützt  sich  auf  die  Re- 
flexion (s.  d.)  über  die  Tatsachen  des  Erkennens  imd  sucht  die  formalen  Prin- 
cipien  (s.  d.)  der  Erkenntnis  auf,  um  aus  diesen  die  Möglichkeit  des  Ej-kennens, 
besonders  des  apriorischen,  zu  begreifen.  Als  System  lehrt  der  Kriticismus 
Kante  die  Apriorität  (s.  d.)  der  reinen  mathematisch-physikalischen  Grundsätze 
(s.  Axiome)  der  Anschauungs-  und  Denkformen  (s.  Kategorien),  der  Unendlich- 
keitebegriffe  (s.  d.),  ferner  die  transcendentale  Idealität  (s.  d»)  unserer  Erkennt- 
nisse, die  Phänomenalität  (s.  d.)  der  Erkenntnisinhalte,  die  Existenz  eines  un- 
erkennbaren „Ding  an  sich**  (s.  d.)  u.  s.  w.  —  Die  „Kritik  der  reinen  Vernunft 
ist  eine  Kritik  „des  Vemunftvermögens  überhaupt,  in  Ansehung  aller  Erkenntnisse^ 
XU  denen  sie,  unabhängig  von  aller  Erfahrung,  streben  mag,  mithin  die 
Entscheidung  der  Möglichkeit  einer  Metaphysik  überhaupt  und  die  Bestimmung 
sowohl  der  Quellen  als  des  Umfanges  und  der  Grenzen  derselben,  alles  aber  aus 
Principien**  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  5  f.).  Auf  das  Stadiimi  des  Dogmatismus 
und  Skepticismus  folgt  die  Kritik,  die  „nur  der  gereiften  und  männlichen  Ur- 
teilskraft xukomnU,  welche  feste  und  ihrer  Allgemeinheit  nach  bewährte  Maximen 
xum  Grunde  hat,  nämlich  nicht  die  Facta  der  Vernunft,  sondern  die  Vemunß 
selbst,  ruieh  ihrem  ganxen  Vermögen  und  Tauglichkeit  xu  reinen  Erkenntnissen 
a  priori,  der  Schätzung  xu  unterwerfen**  (1.  c.  S.  581).  „Bisher  nahm  man  an, 
aUe  unsere  Erkenntnis  müsse  sieh  nach  den  Gegenständen  rieklen;  aber  alU 
Versuche,  über  sie  a  priori  etivas  durch  Begriffe  ausxumachen,  wodurch  unsert 
Erkenntnis  erweitert  würde,  gingen  unier  dieser  Voraussetxwng  xunickte.  Maä 
versuche  es  daher  einmal,  ob  wir  nicht  in  den  Aufgaben  der  Metaphysik  damÜ 
hesser  fortkommen,  daß  wir  annehmen,  die  Gegenstände  müssen  sieh  nach  unserer 


Erltioinniui.  577 

Erkenntnis  richten^  weiches  so  s6hon  hesser  mit  der  verlangten  Möglichkeit  einer 
Erksenntnis  derselben  a  priori  xusammenstimmtj  die  über  Öegenstände,  ehe  sie 
^ns  gegeben  werden^  etwas  festsetzen  soll.  Es  ist  hiermit  ebenso^  als  mit  den 
ersten  Gedanken  des  Köpern ikus  bewandt,  der,  nachdem  es  mit  der  Erklärung 
der  Himmelsbewegungen  nickt  gut  fort  wollte,  wenn  er  annahm'  das  ganze 
Stemenheer  drehe  sich  um  den  Zuschauer,  versuchte,  ob  es  nicht  besser  gelingen 
fnlkkie,  wenn  er  den  Zuschauer  sich  drehen  und  dagegen  die  Sterne  in  Ruhe 
ließ*^  (L  c.  8.  18).  Der  Qnmdsatz  ist  eben  zu  beachten,  „daß  teir  nämlich  von 
den  Dingen  nur  das  a  priori  erkennen,  was  wir  selbst  in  sie  legen"  (1.  c.  S.  18). 
Im  Versuche,  ,^das  bisherige  Verfahren  der  Metaphysik  umzuändern,  und  dadurch, 
daß  wir  nach  dem  Beispiel  der  Oeometer  und  Naturforseher  eine  gänzliche  Re- 
vobäion  mit  derselben  vornehmen,  besteht  nun  das  Geschäft  dieser  Kritik  der 
reinen  speoulativen  Vernunft.  Sie  ist  ein  Tractat  von  der  Methode,  niM  ein 
System  der  Wissenschaft  selbst''  (1.  c.  S.  21).  Die  Kritik  wendet  sich  einerseits 
gegen  die  dogmatische  Speculation  (s.  d.)  der  rationalistischen  Metaphysik, 
anderseits  gegen  den  Skepticismus ,  der  die  Qewißheit  der  wissenschaftlichen 
Grundsätze  und  religiösen  Glaubensmeinungen  bezweifelt:  „Die  Kritik  beschneidet 
dem  Dogmatismus  gänuUieh  die  Flügel  in  Ansehung  der  Erkenntnis  übersinnlieher 
Gegenstände"  und  sie  geht  darauf  aus,  „etwas  Gewisses  und  Bestimmtes  in  Än^ 
tehmg  des  ümfanges  unserer  Erkenntnis  a  priori  festzusetzen".  Femer  will  sie 
,4^  unvermeidliche  Dialektik  (s,  d),  womit  die  allerwärts  dogmatisch  geführte 
reine  Vernunft  sieh  selbst  verfängt  und  verwickelt^*,  auflösen  (W.  h.  sich  im 
Denk.  Orient.  S.  135).  „Ich  mußte  .  .  .  das  Wissen  aufheben,  um  zum  Glauben 
Platz  zu  bekommen"  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  26).  —  Schon  in  den  ,yTräumen  eines 
Geistersehers"  äußert  Kant  den  Gedanken,  „daß  die  verschiedenen  Erscheinungen 
des  Lebens  in  der  Natur  und  deren  Gesetze  alles  seien,  was  uns  zu  erkennen 
vergönnt  ist,  das  Principium  dieses  Lebens  aber  .  .  .  niemals  positiv  könne  ge- 
dacht werden,  weil  keine  Data  hierzu  in  unseren  gesamten  Empfindungen  anzu- 
treffen sind"  (1.  T.,  4.  Hptst.;  vgl.  2.  u.  3.  Hptst). 

Kbug  bemerkt:  y,Wer  .  .  .  richtig  philosophieren  will,  darf  weder  alles 
hexweifeln,  noch  alles  für  wahr  und  gewiß  hallen,  was  den  Schein  der  Wahrheit 
und  Gewißheit  an  sich  trägt.  Er  muß  eben  darum,  mit  steter  Hinsieht  auf  die 
unmittelbaren  Tatsachen  seines  Bewußtseins,  die  ursprünglichen  Gesetze  seiner 
gesamten  Tätigkeit  zu  erforselten  suchen,  um  so  xu  allgemeingültigen  Principien 
XU  gelangen,  mittelst  welcher  allein  wahre  und  gewisse  Lehrsätze  nicht  nur  ge- 
funden, sondern  auch  der  Idee  eines  wissensehafüiehen  Ganzen  gctnäß  verbunden 
werden  können.  Dieses  Verfahren  kann  man  daher  mit  Recht  synthetisch  oder 
kritisch  nennen,"  Der  „Kanticis^nus"  ist  nur  eine  Art  des  Kriticismus  (Handb. 
d.  Philos.  I,  99).  Nach  Tenkemakn  geht  das  kritische  Philosophieren  „von 
^ner  vollständigen  und  gründlichen  Erforschung  des  Erkenntnisvermögens  zur 
Erkemünis  der  Objecte"  (Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.»,  S.  32).  Fries  erklärt:  „Das 
Eigentümliche  der  Kritik  der  Vernunft  ist  das  phüosophische  Aufschieben  des 
Urteils  bis  nach  Beendigung  der  Untersuchung'*  (Gr.  d.  Log.  S.  132).  J.  G.  Fichte 
betont:  „Darin  besteht  mm  das  Wesen  der  kritischen  [idealistischen]  Philo- 
sophie, daß  ein  absolutes  Ich  als  schlechthin  unbedingt  und  durch  fiichts  Roheres 
^timmbar  aufgestellt  werde."  „Im  kritisclien  Systeme  ist  das  Ding  das  im  Ich 
Gesetzte  .  .  .;  der  Kriticis?nus  ist  darum  immanent ^  weil  er  alles  in  das  Ich 
setzt"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  41).  Der  Kriticismus  muß  allen  allgemeinen  Er- 
nenn tnisinhalt  aus   der  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.)  ableiten,   er   darf  nichts  als 

PMlotophlMbaa  Wörterbuoo.    2.  Aufl.  37 


578  KriUolsmuB  —  Kritik. 


jjgegeben*^  voraussetzen  (s.  Wissenschaftslehre).  Die  kritische  Methode  hat  einoi 
teleologischen  Charakter.  Das  betont  auch  Windelband  (Prälud.  S.  275i 
jfiie  Voratissetxung  der  kritischen  Methode  ist  ,  .  .  der  Glaube  an  die  allgemein- 
gültigen Zwecke  und  an  ihre  Fälligkeit,  im  empirischen  Bewußtsein  erkannt  xu 
uerchn"  (1.  c.  S.  271).  „Von  ihrer  einzigen  Voraussetzung  her,  daß  es  Vor- 
stellungen, Willensentscheidungen  und  Gefühle  geben  soll,  welche  allgemein  ge- 
billigt werden  dürfen,  hat  die  kritische  Methode  alle  diefenigen  Betcegungsforfnen 
des  psychischen  Lebens  sich  xum  Betcußtsein  xu  bringen,  todche  als  unerläßliche 
Bedingungen  für  die  Realisierung  jener  Aufgabe  nachgewiesen  werden  können  . . . 
Das  allein  kann  gemeint  sein,  wenn  nian  verlangt,  daß  der  Nachweis  der  a  priori 
geltenden  Ämome  und  Normen  selbst  nicht  empirischen  Charakters  sein  dürft^ 
(1.  c.  S.  273;  vgl.  Psychologismus).  Den  Kriticismus  vertritt  in  bezug  auf  da» 
a  priori  des  Erkennens  Fr.  Sghultze  (Philos.  d.  Naturwissensch.  II,  21  ffj. 
BiEHL  setzt  die  kritische  Methode  in  die  principielle  Trennung  des  ideeUen 
Erkenntnisfactors  vom  empirischen  und  die  factische  Vereinigung  beider  (Philos. 
Kritic.  I,  221).  Nach  C.  GK)RING  ist  es  die  Aufgabe  der  philosophischen  Kritik, 
„den  festen  Punkt  aufxuxeigen,  von  welchem  alles  Erkennen  und  Wissen  ausgeht- 
(Syst.  d.  krit.  Philos.,  Vorw.  S.  VII).  Nach  H.  CkJHEN  ist  der  Kriticismui» 
,,Kritik  der  Erfahruftg^*,  Wissenschaft  von  der  Methode  (Kants  Theor.  d.  Erfahr.*; 
Logik).  Ahnlich  Natorp.  Nach  ihm  betont  der  Kriticismus,  daß  der  „Gegen- 
stand der  Erkenntnis'^  „nur  ein  x,  daß  der  Gegenstand  stets  Problem,  nie 
Datum  ist;  ein  Problem,  dessen  ganxer  Sinn  allein  bestimmt  sei  in  Beziehung 
auf  die  bekannten  Gi'ößen  der  Gleichung,  nämlich  unsere  fundamefitalen  Begriffe^ 
die  nur  die  Grund functionen  der  Erkenntnis  selbst,  die  Gesetze  des  Ver- 
fahrens, in  dem  Erkenntnis  besteht,  xum  Inhalt  haben".  „Der  Gegenstand  .  . . 
ist  nicht  gegeben,  sondern  vielmehr  aufgegeben;  aller  Begriff  von  Gege$istand,  der 
unserer  Erkenntnis  gelten  soll,  muß  erst  sich  aufbauen  aus  den  Grundfaetoren 
der  Erkenntnis  selbst,  bis  zurück  xu  den  schlechthin  fundamentalen.  Also  decki 
sich  die  kritische  Ansicht  mit  der  genetischen"  (Plat  Ideenl.  S.  367).  — 
WüNDT  betrachtet  als  Kriticismus  das  Verfahren  des  Nachweises  der  logischeji 
Motive  der  wissenschaftlichen  Erkenntnis  in  ihrer  reinlichen  SScheidung  von 
den  anderen  Motiven  (Philos.  Stud.  VII,  15).  Kritisch  ist  die  Philosophie, 
welche  von  vornherein  Rechenschaft  über  ihre  Voraussetzungen  und  Verfahrungs- 
weisen  gibt  (Log.  II«  2,  631;  vgl.  Phüos.  Stud.  IV,  19;  X,  82  f.;  XIII,  321; 
Ess.  14 ;  vgl.  Erkenntnistheorie).  —  Kriticisten  sind  u.  a,  auch  Renouvier  und  i 
Lachelieb  (Du  fondement  de  Tinduct.«,  1896). 

Vom  Kantischen  und  rationalistischen  läßt  sich  ein  empiristischer  oder 
besser  der  Kriticismus  schlechthin  unterscheiden.  Der  „Empiriokritieismua^ 
(s.  d.)  will  die  „reine  Erfahrung*^  (s.  d.)  von  den  subjectiven  „Zutaten"  reinigeiu 
Vgl.  Erkenntnistheorie,  Erfahrung,  A  priori,  Transcendental,  Wissenschaftslehi^ 
Philosophie,  Psychologismus,  Empirismus,  Rationalismus,  Idealismus,  Kantia-* 
nismus,  Criticism. 

Kritik  (x^tTtxij,  critica):  Scheide-,  Beurteilungskunst,  Prüfung  eines. 
Werkes,  einer  Sache,  einer  Lehre  auf  Güte,  Schönheit,  Richtigkeit,  Wahrheit 
hin.  Die  Kritik  forscht  nach,  ob  das  Object  den  (logischen,  ästhetischen,  tech- 
nischen etc.)  Forderungen  entspricht.  —  „Oritica"  bedeutete  früher  „pars 
dialecticae  de  iudicio,  quasi  itidiciaria"  (GOCLEN,  Lex.  philos.  p.  492),  Vgl 
Kriticismus,  Criticism. 


Kritik  der  reinen  Vemnnft  —  Kyrieuon.  579 

Kritik  der  reln^i  Vemiinlt  s.  Kriticismus. 

HrlUscbe  Hletapbysik  s.  Metaphysik. 

Krltlscber  ESinplrteiiiiui  s.  Empirismus.  Kritischer  Empirist  ist  auch 
Fr.  Schitltze,  welcher  behauptet,  ,ydaß  das  Zeülich-y  RäumUeh-  und  Cavscd' 
torsiellen  ein  Subjectives  in  uns  sei,  eine  Function  unseres  QeisteSy  insofern  weder 
ein  ÄngeboreneSy  noch  ein  bloß  Formales ^  nicht  em  Inhaltliches^  welches  ist  vor^ 
also  nicht  aus,  jedoch  in  aller  Erfahrung y  in  Actualität  tretend  durch y  also 
nicht  ohne  Erfakrung^^  (Philos.  d.  Naturwissensch.  II,  34). 

Krltis€ber  Idealismus  s.  Idealismus. 

Krltlsclier  Realismus  s.  Bealismus. 

Krokodilscliluß  {x^oxoSedhije,  crocodilus,  crocodiUna)  ist  der  Name 
eines  Trugschlusses  oder  trügerischen  Dilemmas  (s.  d.)  folgenden  Inhalts:  Ein 
Krokodil  hat  ein  Kind  geraubt.  Es  verspricht  der  Mutter  des  Kindes,  ihr  dieses 
wiederzugeben,  wenn  sie  ihm  darüber  die  Wahrheit  sagte.  Sie  erklärt  nun: 
Du  gibst  mir  das  Kind  nicht  wieder.  Das  Krokodil  erwidert:  Nun  erhältst  du 
das  Kind  keinesfalls;  wenn  du  die  Wahrheit  sagtest,  auf  Grund  deines  Aus- 
spruches, sprichst  du  aber  nicht  wahr,  unserem  Vertrage  gemäß.  Die  Frau  aber 
sagt:  Ich  muß  mein  Kind  unbedingt  erhalten;  entweder,  weil  ich  die  Wahrheit 
sprach,  also  auf  Grund  unseres  Vertrages,  oder,  wenn  ich  unwahr  sprach, 
gemäß  meiner  Aussage  (vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  I,  493).  Dazu  bemerkt  Schuppe: 
yylHe  Unklarkeit  des  verwendeten  Begriffs  yWakrheUf'  verschuldet  den  Unsinn.*^ 
Es  wird  ,ydie  Wahrheit ,  d,  i.  die  Übereinstimmung  der  Vorhersage  mit  der  nach- 
folgenden Handlung,  abhängig  gemacht  von  der  an  sie  geknüpften  Folge,  und  die 
Felge  wird  abhängig  gemacht  von  der  Übereinstimmung^^  (Log-  S-  180  f.). 

Kunst  5.  Ästhetik. 

Kunst,  gproße  (LuLLsche)  s.  Ars. 

Kyniker  s.  Cyniker. 

Kyrenaiker  (Hedoniker)  sind  die  Anhänger  des  Aristippus  (von 
Kyrene),  eines  Schülers  des  Sokrates.     Zu  ihnen  gehören:  Akete,  Akistippus 

DER    JÜNGERE,    AnTIPATER,    ThEODORUS    (ä&eog),    HeGESIAS    {nsiat&dvaros)y 

Annikeris  der  Jüngere,  Eühemerus.     Die  Basis  der  kyrenaischen  Philo- 
sophie ist  der  Hedonismus  (s.  d.)  und  Subjectivismus  (s.  d.). 

Kyrieuon  (xv^tevotv,  der  „Geioaltige^^  heißt  ein  Beweis  des  Megarikers 
DiODOR,  daß  nichts  möglich  (s.  d.)  ist,  als  das  Wirkliche,  denn  aus  einem 
MögHchen  könne  nichts  Unmögliches  folgen.  ,y[st  von  xwei  sich  aufschließen- 
den Fällen  der  eine  wirklich  geworden,  so  ist  der  andere  unmöglich;  tväre  er 
möglich  gewesen,  so  wäre  aus  einem  Möglichen  ein  Unmögliches  geworden^^ 
(Überweg -Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  I',  138;  vgl.  Zeller,  Üb.  d. 
xv^tevaw  d.  Megar.  Diod.,  Sitzungsber.  d.  kgl.  Akadem.  d.  Wiss.  zu  Berlin 
1882,  S.  151  ff.;  Prantl,  G.  d.  L.  I,  40;  vgl.  Cicero,  De  fato  6  f.;.EpiKTET, 
Dissert.  II,  18  f.). 


37' 


580  Lachen  —  Ijeb«ii. 


1j. 


liaclien  bt  eine  (in  der  B^el  unwillkürliche)  AuBdrucksbewegong  nr* 
mittelst  der  Atmungsorgane,  eine  stoßweise  Ausatmung,  die  an  einen  Affoct 
oder  körperlichen  Beiz  sich  knüpft  VgL  Ch.  Darwik,  Der  Ausdruck  d.  Ge- 
mütsbewegungen;  Heckes,  PhysioL  u.  Psychol.  d.  Lachens  u.  d.  Konüsdun. 
Vgl.  Komisch. 

liftcberlicli  s.  Komisch. 

Ijag^eempllndiui^feii  sind  Empfindungen,  welche  ein  unmittdbm 
Bewußtsein  der  Lage  eines  Gliedes  enthalten.  Vgl.  Külpe,  Gr.  d.  PsychoL 
S.  353. 

Ijaster  s.  Tugend. 

liatltndlnarler  s.  Bigorismus. 

LAUtere  Brüder  („icktcän  es  aaß*^):  Name  einer  arabischen  Secte, 
welche  ein  mystiBches  Emanationssystem  (s.  d.)  lehrte. 

LiaatK^eb&rden,  Ltantopraclie  s.  Sprache. 

Law  of  redlntegratlon  (W.  Hamilton)  :  Grundgesetz  der  Associatkn 
(s.  d.),  wonach  Vorstellungen,  die  Teile  eines  Vorstellungszusammenhangs 
waren,  einander  hervorzurufen,  die  Totali  tat  wiederherzustellen  die  Tendenz  haben. 

lieben  (^v^  vita)  heißt,  mit  irgend  einem  Grade  von  Bewußtsdn,  psy- 
chischer Activitat,  Innerlichkeit,  Erregbarkeit,  triebhafter  Beactionsfihigkeit  sich 
in  seinem  Dasein  einheitlich-dynamisch  und  teleologisch  (s.  d.)  erhalten,  (sloff-) 
aneignende  Functionen  ausüben,  Fremdes  dem  eigenen  Verbände  einTerkibeD 
(assimilieren),  sich  selbst  individuell  und  generell  vermehren  (Wacfastani, 
Zeugung),  sich  differenzieren  und  wieder  integrieren,  sich  von  „twwn"  ins 
(„eentrifugcU"),  zielstrebig  entwickeln.  Das  Lebendige  im  engeren  Sinn  ist  dtß 
Organische  (s.  d.);  absolut  Lebloses  dürfte  es  nicht  geben  (s.  PanpsychismiB. 
Hylozoismus).  Das  Lebendige,  Organische  bewahrt  im  Wechsel  seines  Stoffes 
(im  labilen  Gleichgewichte)  die  (innere)  Form,  die  specifische  Einheit  des  Wirkoks. 
Der  Lebensproceß  läßt  sich,  abstract,  physikalisch-chemisch  betrachten  und 
darstellen;  zugleich  ist  er  aber  schon  ein  psychischer  Proceß,  dem  Triebe, 
Strebungen,  Willens tendenzen  zugrunde  liegen.  So  ist  er  causal-mechanisdi 
und  teleologisch  zugleich.  Die  Lehre  vom  Leben,  die  Biologie  (s.  d.)  muß  die 
verschiedenen  Betrachtungsweisen  des  Lebens»  und  des  Lebendigen  reinlich  von- 
einander sondern  (Biomechanik,  Biochemie,  Biopsychik).  Die  universale  Auf- 
fassung des  Lebens  begründet  die  organische  Naturphilosophie  (s,  d.).  Die 
Ewigkeit  des  (potentiellen)  Lebens  ist  anzunehmen  (s.  Urzeugung). 

Mit  der  vitalistischen  (s.  d.)  und  psychistischen  Auffassung  des  Lebens 
streitet  die  rein  mechanistische  Lebenstheorie,  nicht  ohne  daß  Vermittlungen 
stattfinden.    Vgl.  Lebenskraft. 

Die  ioi^isohen  Naturphilosophen  (s.  d.)  betrachten  das  Leben  als  eine  dem 
Stoffe  immanente  Zustandlichkeit  (s.  Hylozoismus).  Nach  Ajobtoteleb  ist 
Leben:  spontane  Ernährung,  Wachstum  und  Abnahme:  S<t^^  ^*  Uyofuv  h 
avTov  rgotfrjv  re  xal  av^rjaiv  xai  tpd'iüiv  (De  an.  II  1,  412  a  14).  Das  Lebcfl 
begründet  den  Unterschied  des  Beseelten  vom  Unbeseelten,  denn  das  Leben  is* 


i 


lieben.  581 

seelische  Betätigung  {ßitoQiad'ai  ro  fyy^vxov  rov  axpvxov  rtf  iijvt  De  an.  II  2 
413  a  21).  LebenspTOcesse  sind  vovsj  aiad^uigt  Mivrjats  xal  <ndats  tj  xard  ronov, 
^i  KivT^cts  i}  Hord  tQoip^v  xai  ftd'iine  tb  xal  avStjate.  Auch  die  Pflanzen  haben 
Leben  (De  an.  II  2,  413  a  22  squ.).  Nach  Plotin  ist  das  Leben  eine  Energie 
(it^ä^/8ia),  die  um  so  geistiger  ist,  je  vollkommener  sie  ist  (Enn.  lU,  6,  6). 
Alles  Leben  ist  em  geistiger  Prooeß  (1.  c.  III,  8,  8).  —  Nach  VALENTiNTrs 
emaniert  die  ^an}  (mit  dem  Xoyog)  aus  dem  vavs  (bei  Iren.  I,  1,  1). 

Thomas  erklart:  „lUttd  proprie  vitere  dieimusy  quod  in  ae  ipso  habet  motus 
vel  cfpertUionea  quoBcumque^^  (De  verit.  4,  8):  „namen  vitae  ex  hoc  sumptum 
Ttdetur^  quod  aliquid  a  seipao  potest  moveri**  (3  sent  35,  1,  Ic;  vgl.  Sum.  th.  I, 
18,  1;  I,  18,  3), 

Die  mechanistische  Auffassung  des  Lebens  vertreten  Descartes  (De  hom.) 
und  HoBBES.  Nach  letzteren  ist  das  Leben  y,nihil  aliud  .  .  .  qtuim  artuum 
nwtus,  cuius  prineipium  est  intemum  in  parte  aliqua  corporis  prinoipali'^ 
(Leviath.,  introd.).  —  Spinoza  erklärt  das  Leben  als  „vinif  per  quam  res  in 
8UO  esse  persetferani**  (Ck)git.  met  II,  6).  Leibniz  bestimmt  es  als  ^.prindpium 
pereepHvum^^  (Erdm.  p.  466).  AUes  lebt  (s.  Monaden).  Nach  Ceusitts  ist  das 
Leben  ,/lieienige  Fähigkeit  einer  SubstanZy  vermöge  eieren  sie  aus  einem  innern 
Örunde  auf  mannigfcdiige  Art  tätig  sein  kann"  (Vemunftwahrh.  §  458).  Febgubon 
erklärt:  jyLeben,  im  weitesten  Verstände,  ist  das  Dasein  cUler  vegetabilischen, 
Herischen  oder  denkenden  Naturen"  (Grds.  d.  Moralphilos.  S.  127). 

Kaitt  erklärt:  „Leben  heißt  das  Vermögen  einer  Substanx,  sieh  aus  einem 
innern  Princip  xum  Bandeln,  einer  endlichen  Substanx  sich  xur  Bewegung  oder 
Ruhe  als  Veränderung  ihres  Zustandes  xu  bestimmen"  (WW.  IV,  439).  „Alles 
Lfcben  beruht  auf  dem  innern  Vermögen^  sieh  selbst  nach  Willkür  xu  bestimmen" 
(WW.  VII,  45).  „Ltben  ist  das  Vermögen  eines  Wesens,  nach  Qesetxen  des 
Begehrungsvermögens  xu  handeln"  (Krit  d.  prakt  Yem.,  Vorr.  S.  8).  Nach 
ScHELLiKG  besteht  das  Wesen  des  Lebens  ,^in  einetn  freien  Spiel  von 
Kräften,  das  durch  irgend  einen  äußeren  Einfluß  eofUinuierlieh  unterhalten 
wird"  (WW.  I  2,  566).  „Die  Lebendigkeü  besteht  .  ,  .  in  der  Freiheit,  sein 
eigenes  Sein  als  ein  unmittelbar,  unabhängig  von  ihm  selbst  gesetxtes  aufheben 
und  es  in  ein  selbst-gesetxtes  vertoandeln  xu  können"  (WW.  I  10,  22).  Steffens 
bemerkt:  „Ein  nie  ruhender  Assimilationsproceß  setxt  alles  erscheinende  Leben 
dem  Leben  der  Erde  gleich;  ein  Versehlingungsproceß,  der  nur  das  allgemeine 
Leben  duklet,  dessen  Centralpunkt  in  der  Unendlichkeit  des  Universums  liegt^ 
(AnÜiropoL  I,  126).  Eschenmayeb:  „Das  Leben  ist  der  mittlere  Eocponent  von 
Tod  und  Unsterblichkeit"  (Psycho!  S.  21).  Nach  Hillebrand  besteht  die 
Lebendigkeit  im  „substantiellen  Selbstbestimmen"  (Philos.  d.  Qeist.  I,  56  f.). 
Das  Leben  ist  ewig  (1.  c.  I,  48).  Nicht  alles  ist  lebendig,  aber  alles  ist  für 
das  Leben  da  (L  c.  I,  47).  F.  Baader  spricht  von  einem  „Bildungstrieb  des 
Lebens^*  (WW.  II,  99).  W.  Kosenkeantz  bemerkt:  „Alles  dasjenige,  was  ist 
ohne  das  Vermögen,  etwas  Weiteres  xu  werden,  ist  tot;  nur  das,  was  das  Ver^ 
mögen  hat,  mehr  tsu  sein,  als  es  noch  in  Wirklichkeit  ist,  kann  sich  entwickeln, 
und  die  Entwicklung  ist  sein  Leben"  (Wissensch.  d.  Wiss.  I,  8).  —  Nach 
Hegel  stellt  das  Leben  die  Selbsterhaltung  eines  Allgemeinen  in  seinen  Teilen 
dar  (Naturphilos.  S.  465  ff.).  Nach  Hanusch  ist  das  Leben  ein  „Selbstäußem 
seines  Innern",  ein  „Entunckdn  des  seienden  Unentwickelten  aus  sich  selbst^' 
(Handb.  d.  Erfahrungs-Seelenl.  S.  1  ff.).  K.  Bosenkeanz  betont:  „Man  darf. . . 
die    mechanische   und   dynamische    (oder  physikalische)  Natur    als    tote   oder 


582  lieben. 

unorganische  der  lebendigen  als  der  organischen  nicht  ahstrad  entgegensetzen, 
sondern  hat  beide  als  ein  Oanxes  aufzufassen,  das  erst  im  Leben  die  Form  woB' 
kommener  Subjectivität  erreicht,  die  sieh  selbst  in  ihre  Unterschiede  auseinander 
legt,  um  sie  wieder  ^üut  Einheit  in  sich  xurückxunehmen  und  stets  von  neuem 
XU  erzeugen.  Der  qualitative  Unterschied  aber  des  Lebendigen  vom  sogenannten 
Unorganischen  ist  die  sich  durch  immanente  Virtualität  artieulierende  Äuio- 
morphie.  Nicht  in  unbestimmt  begrenzten  Massen,  nicht  in  unbestimmt  aus- 
gedehnten Processen  eansiiert  das  Leben,  sondern  nur  in  Inditnduen,  tc^ehe  sieh 
selbst  in  sieh  gliedern  und  mit  solch  innerer  Gliederung  zugleich  na^  außen  al$ 
erscheinende  QestaU  sieh  abschließen^'  (Syst  d.  Wissensch.  S.  277).  Chb.  KRArSE 
bemerkt:  „Alles  Leben  ist  ein  Leben,  das  Leben  des  einen  Gottes,  als  des  ganzen 
Urwesens;  das  ist,  das  Ganzleben  Gottes  steht  dem  Leben  aller  einzelnen  yand 
vereinten  Weiten  in  ihm  entgegen  und  vereint  sieh,  wesenUieh  vollständig  und 
etcig  gleich,  mit  dem  Leben  aller  Welten"  (Urb.  d.  Menschb.',  S.  274).  AJle 
Wesen  beginnen  und  vollenden  ibr  Leben  in  Gott  (1.  c.  8.  275).  Nach 
M.  Cabkiere  ist  das  Leben  „der  etcige  Selbstverwirklichzmgsproceß  der  Wese^ 
(Ästbet.  I,  36).  Nacb  Boström  ist  alles  Leben  Selbstbewußtsein.  Fechnes 
betracbtet  das  Einzelleben  als  einen  „Wellenschlag  im  ewigen  Leben**  (Üb.  d. 
Seelenfr.  S.  115).  —  Nacb  Schopenhauer  liegt  den  Lebensprocessen  der 
metapbysiscbe  „  Wille  %um  Leben^  (s.  d.)  zugrunde.  Nietzsche  betrachtet  als 
Urgrund  alles  Lebens  den  ,,  Willen  zur  Machf*  (s.  d.).  Das  Leben  ist  „  WiUe 
zur  ÄceumulcUion  der  Kraft^\  es  „strebt  nach  einem  Maximalge fü hl  von 
Macht^*.  Auf  Überwältigung,  Einverleibung,  Aneignung  gebt  jede  L^msis- 
function  aus  (WW.  XV,  296,  303,  314  ff.,  317,  319).  Das  Leben  ist  um  jeden 
Preis  zu  bejaben,  zu  verberrlicben  (s.  Optimismus).  Nacb  E.  Y.  Hartmans 
liegt  den  Lebensfunctionen  das  „  Unbewußte"  (s.  d.)  zugrunde.  Nacb  B.  Hameb- 
LIKO  ist  das  Lebendige  ein  „Triebwesen",  „verkörperter  Lebenswille**  (Atomist 
d.  Will.  I,  131).  Das  Sein  ist  Leben.  „Leben  ist  clas  unendliche  Sein  in  der 
Form  der  Endlichkeit"  (1.  c.  I,  138).  Alles  Leben  ist  Bew^ung  (L  c  II,  58j. 
Spontaneität  (L  c.  I,  278).  Nacb  Kenouvier  ist  das  Leben  für  eine  Monade 
(s.  d.)  „la  suite  et  Vensemble  des  actions  et  des  reactions  qu'eUe  exerce  ou  qu'dk 
subit  dans  un  organisme  dont  eile  fait  partie"  (Nouv.  Monadol.  p.  47).  Für 
den  Organismus  ist  das  Leben  „l'evolution  des  organes  liSs,  la  suite  et  rensemble 
des  fonctions  qu'ils  remplissent  conformement  ä  la  loi  eonsiitutire  de  cei  orga- 
nisme" (ib.).  Nacb  Wundt  ist  die  Anlage  zum  Leben  scbon  dem  Anor- 
ganiscben  eigen  (Syst.  d.  Philos.«,  S.  503  ff.;  Log.  II«  1,  576  ff.).  Jede  Lebens^ 
erscbeinung  läßt  sieb  als  cbemiscber,  als  pbysikaliscb'pbysiologiscber  und  als 
psycbologiscber  Proceß  zugleicb  interpretieren  (Syst.  d.  Pbilos.«,  S.  513  ff.,  517; 
Log.  II»  1,  569  ff.;  Phüos.  Siud.  V,  327  ff.).  Trieb  und  WiUe  liegt  dem  Leben 
zugrunde;  Leben  und  Beseeltbeit  bangen  innig  zusammen.  Nacb  H.  Spsngkr 
ist  Leben  „correspondence  of  inner  and  outer  relations",  beständige  Anpassung 
innerer  an  äußere  Beziebungen  (Princ.  d.  Biolog.  IV,  §  30;  PsycboL  I,  §  131). 
Nacb  HÖFFDU^G  besteht  das  Leben  in  einem  Wechsel  von  Stoffaufnahme 
(Assimilation)  imd  Stoffverbraucb  (Desassimilation),  von  Vegetieren  und  Fungier 
ren  (Psycbol.*,  S.  162).  Nacb  E.  Df^HRiNG  ist  das  Leben  „das  Ergebnis  einer 
Arbeit  der  Naturkräfte,  und  seine  Hervorbringung  wird  in  der  Richtung  auf 
Steigerung  und  reicheren  Gehalt  fortgesetzt"  (Wert  d.  Leb»,  S.  65).  Das  Leben 
ist  der  Zweck  der  Natur  (ib.).  Mit  ViRCHOW  u.  a.  nennt  Czolbe  „Leben**  „ä 
Störung  der  Reizbarkeit  oder  des  stabilen  Gleichgewichts  der  Organismen^  nebst 


Leben  —  LebensgelBter.  583 


^MÜen  daraus  folgenden  Bewegungen  oder  Tätigkeiten"  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk. 
S.  114).  Moleschott  betrachtet  das  Leben  als  einen  rein  causalen,  physikalisch- 
•chemischen  Proceß  (Kreislauf  d.  Leb.',  1886);  so  überhaupt  der  Materialis- 
mus (s.  d.).  Kassowitz  stellt  eine  „metabolüehe  Theorie*'  des  Lebens  auf, 
nach  welcher  alle  Lebensprocesse  in  einem  Abbau  und  Wiederaufbau  lebender 
Substanz  bestehen  (Allgem.  Biolog.  1892).  Ostwald  erklärt:  „Für  alle  Lebe- 
wesen ist  ein  nie  fehlendes  Kennzeichen  der  Energie  ström''*  (Yorles.  üb. 
Naturphilos.*,  8.  813).  Der  Stoffwechsel  ist  nur  die  Begleiterscheinung  des 
Energiestromes  (1.  c.  S.  314).  Die  Lebensvorgange  sind  nur  Energievorgange 
<ib.).  Die  Lebewesen  haben  ^^die  Fähigkeit,  einen  gewissen  Zustand  xu  be^ 
haupien,  auch  wenn  die  Einflüsse  der  Umgebung  sieh  ändern**  (ib.).  Eine 
«elbsttatige  Aneignung  der  Energievorräte  ist  dem  Leben  wesentlich  (1.  c.  S.  316). 
VgL  LoTZE,  Mikrokosm.  I*,  57  ff.,  84  ff.,  Claude  Bebnabd,  Legons  sur  les 
ph^om^es  de  la  vie;  Bouillier,  Du  principe  vital;  Paküm,  Einleit  zur 
PhysioL  2.  A.,  1883.    Vgl.  Lebenskraft,  Psychologie,  Vitalismus,  Organismus. 

l^ebendi^kelt  ist  nach  Beneke  neben  der  Kräftigkeit  (s.  d.)  eine  ur- 
;sprüngliche  Eigenschaft  der  seelischen  „  Urvermögen'*  (s.  d.)  und  Processe  (Lehrb. 
<i.  Psycjiol.»,  §  37  ff.). 

liebensanscbaniuii;  ist  die  (individuell  und  ethnisch  verschiedene) 
Deutung  und  Wertung  des  individuellen  und  socialen  Lebens.  „Die  Probleme 
<ier  Lebensanschautmg  sind  Wertprobleme**  (Biehl,  Einf.  in  d.  Philos.  S.  173). 
Es  gibt  eine  realistische  imd  idealistische  (s.  d.),  eine  egoistische,  altruistische, 
eudämonistische,  hedonistische,  künstlerische,  ethische,  optimistische,  pessi- 
mistische Lebensanschauung,  je  nach  den  Zwecken,  die  man  sich  im  Leben 
setzt  und  für  die  man  das  Leben  als  Mittel  betrachtet  Vgl.  Optimismus, 
Pessimismus,  Pflicht,  Sittlichkeit. 

liebensgefillil  ist  das  unbestimmte  Gefühlsganze,  das  mit  den  Gtemein- 
empfindungen  (s.  d.)  verbunden  ist.  Es  ist,  nach  Höffding,  die  Grundstim- 
mung, die  durch  den  „gesamten  Zustand  des  Organismus  j  durch  den  normalen 
oder  abnormen  Gang  der  Lebensbewegungen^  besonders  der  vegetativen  Fuficiionen^' 
bedingt  ist  (Psychol.«,  S.  126).    Vgl.  Kosmisch. 

lieb^iSf^elsCer  („spiritus  animales**,  f,esprits  animaux**^  „Nervengeister**) 
sind  gedacht  als  feine,  gasartige  Teilchen  in  den  Nerven,  welche  durch  diese 
vom  Blute  ( —  aus  dem  sie  ausgeschieden  werden  — )  mit  großer  Schnelligkeit 
nach  dem  (Miim  geleitet  werden  und  die  Seele  zur  Tätigkeit  veranlassen,  auch 
wieder  vom  Gehirn  zu  den  Muskeln  gesandt  werden.  Diese  Lehre  geht  zurück 
Auf  das  Pneuma  (s.  d.),  die  nvtvftara  der  Stoiker,  ausgebildet  bei  Galen 
(vgL  Siebeck,  Gesch.  d.  Psychol.  I  2,  269  ff.).  Sie  (bezw.  die  Lehre  vom 
yjspiritus**)  findet  sich  bei  Nemesius,  Origenes,  Augustinus,  Thomas  („Spiri- 
tus, qui  est  qtioddam  corpus  subtile,  medium  est  in  unione  corporis  et  animae", 
8um.  th.  I,  76,  7  ob.  2),  Scaliger,  Telesius  (De  rer.  nat  V,  5),  Nicolaus 
CusANus,  Caesalpinus,  Paracelsus,  Melakchthon  (De  an.  p.  135),  F.  Baoon 
<Nov.  Organ.  II,  7),  Hobbes  („spirits",  vgl.  De  corp.  C.  25),  besonders  bei 
Descartes.  „Notutn  est,  omnes  hos  motus  musetdarum,  ut  omnes  sensus,  pendere 
a  nervis,  qui  sunt  instar  tenuium  filamentorum  aut  instar  parvorum  tuborum, 
qui  ex  cerebro  oriimtur;  et  coniinent,  ut  et  ipsum  cerebrum,  cerium  quendam 
aerem  aut  ventum  subtilissimum,  qui  spirituum  anhnalium  nomine  exprimitur" 


5^  Iiebenagsistor  —  Iiebenokraft. 


(Pass.  an.  I,  7).    Hae  autem  partes  sanguinis  subiilissimas  componuni  Spiritus 
animales;  nee  cum  in  finem  alia  üUa  egent  muiaiione  in  eerebro,  nisi  qtsod  ibi 
separeniur  ab  aiiis  sanguinis  parHbus  minus  subtüius.    Nam  quos  kic  iwiiw 
Spiritus,  nil  nisi  eorpora  sunt  et  aliam  nuHam  proprietatem  habeniy    nisi  fuoi 
sint  eorpora  tenuissima  et  quae  moventur  eelerrime,  instar  partium  flamunat  er 
face  exeuniis;   ita  ut  nusque  eonsistant^  et  quamdiu  ingrediuninr  quaedam  er 
Ulis  in   eerebri  eavitaies,  similiter  etiam  egrediuntur  alia  per  porosy   qm  w 
illius  sunt  substantia;   qui  pari  ea  deducunt  in  nervös  et  inde  in  mu^emlos: 
haeque  ratione  corpus  movent  tot  et  tarn  dioersis  modis,  quot  mow  i  potest" 
(L  c.  I,  10).    „Denique  spiritus  animaks,  qui  cum  ferantur  per  kos  i^p0o»  tubss 
a  eerebro  usque  ad  museulos,  efßciunty  ut  haec  filamenta  plane  libera 
et  tali  modo  eoctensa^  ut  vd  minima  res,  quae  movet  partem  eam  eorporisj 
extremitati  aliquod  eorum  inneetitur,  movere  faciat  simul  partem  eertbri^  ex  fw 
venu;   ut  eum  extrema  funieuli  parte  tracta^  simul  alia  ei  opposita  motHm* 
(L  c.  I,  12).    Nach  Malebranche  sind  die  Lebensgeister  ,Je8  parties  les  plus 
subtiles  et  les  plus  agitees  du  sang,  qui  se  subtilise  et  s'agite  prineipalentent  par 
la  fermentation  et  par  le  mouvement  violent  des  museles  dont  le  coeur  est  eonspose  — 
eonduits  par  les  arth'es  jusqu*  au  cerveau"  (Beeh.  11,  2).    Habyey  nennt  die 
Lebensgeister  einen  &e6v  ano  fifix***^iei   er  habe  sie  nicht  finden  könAen  (De 
motu  cordis  1661,  p.  226).  —  Nach  Platnee  wirken  die  Nerven  ,^nitielst  eines 
sie  durchdringenden,   feinen,  ätherischen    Wesens^*   (Philos.   Aphor.  I,    §  151). 
Dagegen  betont  Q.  £.  Schulze,  die  Verschiedenheit  der  Empfindungen 
sich  „nicht  aus  einer  einfachen,  bloß  mit  quantitativer  Verschieden!^ 
Bewegung  eines  feinen  körperliehen  Stoffes  ableiten"  (Psych.  Anthiop.*  8.  51  i). 
Erneuert  wird  die  Lehre  von  den  Lebensgeistern  von  Beeger  und  Tboxlek 
(EL  S.  147  ff.).     Dann  macht  sie  gänzlich  der  physikalisch -chemischen,  bexw. 
elektrischen  (du  Bois-Ketmokd)  Nerventheorie  Platz. 

Iieb^i»iiilialt:  Gregenstand,  Sinn,  Zweck,  Idee  des  Lebens.  VgLE^CKEX,. 
Kampf  um  ein.  geist.  Lebensinhalt. 

liebenskraft  (Lebensprincip,  „vis  vücdis^*)  heißt  die  von  einigen  Philo- 
sophen angenommene  specifische,  innere  Ursache  der  Lebensfunctioneai,  eine 
unbewußt  wirkende  organisierende  und  regulierende  Kraft  Setzt  man  sie  dem 
physikalisch-chemischen  Lebensproceß  dualistisch  entgegen  und  sondert  man 
sie  von  der  Seele  (s.  d.),  vom  Psychischen,  so  vertritt  man  eine  veraltete  An- 
sicht. Die  Lebenskraft  als  Inbegriff  der  biotischen  Functionen  der  Seele,  de» 
Psychischen,  des  ,Jnnenseins*^  des  Organismus  selbst  und  seiner  physikalisch- 
chemischen „Außenseite**  hat  immer  noch  ihren  guten  Simi,  ohne  dafi  man 
darum  einem  „VitcUismtis**  (s.  d.),  der  die  mechanistische  Biologie  schroff  be- 
kämpft, zu  huldigen  braucht.  Der  „Xeo- Vitalismus**  allerdings  ist  zum  Tdl 
von  der  „mechanischen  Biologie'*  nur  graduell  unterschieden. 

In  die  vegetative  Seele  (s.  d.),  d'^enriHijf  verl^  die  Lebenskraft  Aristoteles. 
Als  Lebenskraft  faßt  die  Seele  Dikaearch  auf  (Cicer.,  Tusc.  disp.  I,  10,  21;  31; 
77).  —  JoH.  ScoTUS  Eriugena  setzt  die  Lebenskraft  in  die  Seele  nur  in  deren 
Beziehung  auf  den  Körper  (De  div.  nat.  IV,  5;  IV,  11;  I.  6;  III,  38).  Ähnlich 
die  Scholastiker.  —  Die  Natuiphilosophen  der  Renaissance  nehmen  zweck- 
voll wirksame  Lebenskräfte  an.  Nach  Campaxella  ist  die  „anima  sensitivet* 
als  warmer,  zarter,  beweglicher  Geist  (spiritus)  die  organisierende  Kraft,  welche 
mittelst  einer  „idea**  des  Körpers  wirkt  (De  sensu  rer.  II,  3  ff.).    PARACKLsr» 


Iiebenskraft.  585 


nennt  die  Lebenskraft  yyOrcheus^^  (s.  d.),  y^spirittis  vtiae^\  sie  ist  ein  Wesen, 
das  den  Körper  plastisch  beeinflußt,  ein  Ausfluß  des  „spirttua  mundi^^.  Die 
körperliche  Lebenskraft  ist  die  „Mumie",  das  „arcanum"  des  Menschen.  Eine 
Lebenskraft  nehmen  auch  F.  M.  und  J.  B.  tan  Helmont,  Mabcus  Mabci 
IL  a.  an.  So  auch  die  englischen  Piaton iker:  B.  Cübworth  (s.  Plastische 
Natur),  H.  Mobe,  femer  Glisson.  Leibniz  leitet  das  Leben  aus  den  psy- 
chischen Tätigkeiten  der  Monaden  (s.  d.)  ab  (Erdm.  p.  429  f.). 

Im  18.  Jahrhundert  nimmt  die  medicinische  Schule  von  Montpellier 
eine  ,/oree  hypermieanique^^  A.  v.  Haller  eine  Lebenskraft,  Blumenbach 
einen  yJBüdungatrieb**  (s.  d.)  an.  G.  £.  Stahl  begründet  einen  Vitalismus  (s.  d.), 
der  in  der  j^nima  inscia"  die  Baumeisterin  des  Organismus  erblickt  (Theoria 
medica  1706).  „Corpus  hoe  verum  et  immedicUum  animae  organon"  (Disqu* 
de  mech.  p.  44;  De  scopo  p.  238  f.).  Krug  halt  „organische  Kraft*  imd 
tjj^ienskraff^*  für  eins  (Handb.  d.  Philos.  I,  357).  —  Eine  specifische  Lebens- 
kraft nehmen  Tbevibanus  (Biologie  1802—1805),  L.  Oken,  Tboxleb,  Eschen- 
MAYER  ( —  nach  ihm  baut  die  Seele  ihren  Körper  — ,  PsychoL  S.  157  ff.; 
Lebensprincip  nennt  er  das  zwischen  Natur  und  Geist  allgemein  Vermittelnde, 
die  Entelechie,  Gr.  d.  Naturphilos.  S.  3),  Autenbieth,  J.  J.  Wagneb,  H. 
Steffens,  Schubebt  u.  a.  an.  Schopenhaueb  führt  die  Lebenskraft  auf  den 
Willen  zurück.  „Allerdings  unrken  im  tierischen  Organismus  physikalische  und 
chemische  Kräfte:  aber  was  diese  xusammenhält  und  lenkt,  so  daß  ein  xtceek- 
mäßiger  Organismus  daraus  wird  und  besteht  —  das  ist  die  Lebenskraft: 
sie  beherrscht  detnnach  jene  Kräfte  und  modifietert  ihre  Wirkung,  die  also  hier 
nur  eine  untergeordnete  ist.  Hingegen  xu  glauben,  daß  sie  für  sieh  allein  einen 
Organismus  xustande  brächten,  ist  nicht  bloß  falsch,  sondern  .  .  .  dumm,  —  An 
sieh  ist  jene  Lebenskraft  Wille**  (Parerg.  II,  §  96).  Hebbabt  betont :  „Lebens- 
kräfte .  .  .  sind  nichts  Ursprüngliches,  und  es  gibt  nichts  ihnen  Ähnliches  in  dem 
Was  der  Wesen,**  „Nur  ein  Systetn  von  Selbsterhaltungen  in  einem  und  dem- 
selben Wesen  vermag  sie  xu  erxeugen,  und  sie  sind  anxusehen  als  die  innere 
Bildung  der  einfachen  Wesen*^  „Einmal  erworben,  bleibt  einem  jeden  Elemente 
seine  Lebenskraft,**  Die  Lebenskräfte  sind  in  ihren  Bewegungen  nicht  durch 
ehemische  oder  mechanische  Gesetze  zu  verstehen.  Die  Lebenskräfte  können 
qualitativ  und  graduell  sehr  verschieden  sein  (Lehrb.  zur  PsychoL*,  S.  111  ff.)- 

Für  die  Lebenskraft  sind  (in  verschiedener  Weise)  Joh.  Mülleb  (Handb. 
d.  Physiol.*,  1854,  S.  4  ff.,  17  f.),  RuD.  Wagneb  (Lehrb.  d.  specieU.  Physiol. 
1842,  8.  307 ;  Kampf  um  d.  Seele  1857,  S.  209  f.),  Bischoff  (Wissensch.  Vor- 
trage 1858,  8.  318),  Floubens  (De  la  vie  et  de  l'inteUig.  1858, 1,  pr6f.,  II,  98). 
M.  Cabbiebb  erklärt,  in  der  Vielgliedrigkeit  des  Organismus  verwirkliche  sich 
die  Lebenskraft,  organisierend,  belebend,  die  Seele  selbst  (Sittl.  Weltordn. 
S.  63,  G9).  Ulbici  versteht  unter  Lebenskraft  das  „tätige,  dem  lebenden  Orga^ 
nismus  Eigentümliche**,  den  letzten  Grund  der  Lebenserscheinungen  (Gott  u.  d. 
Nat  S.  229).  Im  lebenden  Körper  konmit  zum  Physikalisch-Chemischen  eine 
Ursache  hinzu,  „durch  welche  die  Cohäsionskräfte  beherrscht  werden,  durch  welche 
die  Elemente  xu  neuen  Formen  xusammengefügt  werden,  durch  die  sie  neue 
Eigenschaften  erlangen'*  (Leib  u.  Seele  S.  43).  Das  Leben  ist  eine  Betätigung 
der  Seele  (L  c.  S.  364).  Ähnlich  Hobwicz  (Psychol.  Anal.  I,  19  f.).  —  Ver- 
schiedene Forscher  äußern  sich  im  vermittelnden  Sinne,  indem  sie  zwar  keine 
I^benskraft  als  „qualHas  oeeulta**,  wohl  aber  ein  im  Oi^anismus  begründetes 
Lebensprincip  festhalten.    So  Liebig.    Eh:  erkennt  ein  ,/ormbHdendes  Prindp 


586  Iiobenakraffc. 


4n  und  mit  den  chemischen  und  physikalischen  Kräften^*  für  das  orgamsehe 
Leben  an.  Im  Organismus  ,,wirken  die  chemischen  Kräfte  unter  einer  nidä 
chemischen  Ursache'  (Chem.  Briefe»,  S.  18  ff.).  Claude  Beenard  spricht  vod 
einer  „influenee  vitale^^,  die  im  Organismus  wirkt  neben  der  „eaiuse  exeeutit^ 
{Revue  des  deux  Mondes  1865,  LVIII,  p.  645  f.).  R.  Vibchow  versteht  unter 
der  Lebenskraft  eine  den  Elementarstoffen  mitgeteilte  Bewegungsrichtong,  die 
nur  in  den  jMtalen  Einheiten^^  vorkommt  und  Ergebnis  besonderer  Bedingungen 
ist  (Ges.  AbhondL  zur  wissensch.  Med.  1856,  I,  252  ff.).  Lotze  bekämpft  die 
specifische  Lebenskraft  (R.  Wagners  Handwörterb.  d.  PhysioL  1842),  betont 
aber  doch  die  auf  der  besondem  Art  der  Verknüpfung  der  Teile  im  Organtsmos 
zu  einem  einheitlichen  System  beruhenden  ,jL&bendigen  Kräfte^*  (Allgem.  PhysioL 
1851,  S.  96  f.;  Mikrok.  I,  54).  Organische  Kräfte  besonderer  Art  ndmies 
Bergmank  (Unters,  üb.  Hauptp.  d.  Philos.  S.  354  ff.),  Adickes  (Kant  contn 
Haeckel  S.  78  ff.)  u.  a.  an.  Nach  O.  Liebmann  gibt  es  em  „rätselhaftes  Plus^, 
-welches  zum  Mechanismus  und  Chemismus  hinzutritt  Das  organische  Leben 
ist  mehr  als  ein  ungebundenes  Spiel  physikalischer  und  chemischer  ProoeaR 
(Anal.  d.  Wirkl.^,  S.  337).  Ein  Lebenspnncip  ninmit  Hagemann  an  (Met 
8.  85  f.).  Übebweo  hegt  die  Vorstellung  einer  „organisierten  Potenx  als  eines 
Systems  wissenschaftlich  erforschbarer  Kräfte,  die  von  den  meehanisehen  spedfisck 
verschieden  sind  und  eine  mittlere  Stellung  zwischen  diesen  und  den  psychischen 
Kräften  des  animalischen  Betoußtseins  einnehmen^^  (Welt*  imd  LebensansclL 
S.  50).  DuBOC  lehrt  das  Wirken  eines  im  und  am  Stotfe  bestehenden  organi- 
satorischen Lebensprincips  als  realen  Trägers  der  Lebenserscheinung  (Der  Optim. 
S.  125).  Czolbe  betrachtet  als  organisches  Princip  ,^«e  wahrnehmbare  und 
atomistische  Structtir,  sowie  die  dadurch  bedingte  Form  der  innem  Betcegung 
des  Organismus,  welches  beides  den  chemischen  Processen  eine  eigentünüieke 
Richtung  gibt*^  (Gr.  u.  Urspr.  d.  m.  Erk.  S.  119).  Nach  E.  Düheino  ist  ts 
naheliegend,  daß  im  Organismus  „außer  einer  bloßen  Anordnung  noch 
eigentümliche  Tätigkeit,  die  nicht  in  den  Elementen  selber  liegt,  nötig  seiy 
das  Leben  xu  begründen"  (AVirklichkeitsphilos.  S.  257  ff.).  Die  „Neoritalisierf 
(BüNGE,  O.  Hamann,  Bindfleisch,  G.  Wolff,  Dbiesch  u.  a.)  begnügen  sidi 
nicht  mit  der  rein  mechanistischen  Lebenserklärung  (s.  Vitalismus).  Nach 
J.  Beinee  gibt  es  einen  „vit<üet%"  Best  innerhalb  der  Lebensvorgänge,  der 
nicht  energetisch  erklärt  ^'erden  kann  (Einleit.  in  d.  theoret  Biolog.  S.  53il 
Keine  Lebenskraft,  aber  ein  Lebensprincip  ist  anzunehmen  (1.  c.  B.  54).  „Das 
Lebensprincip  ist  keine  Kraft,  sondern  der  symbolische  Ausdruck  für  ein  ver- 
wickeltes Getriebe  zahlreicher  Einxelwirkungen"  (1.  c.  S.  55).  Die  „besondere 
Form  und  Structur  der  organisierten  Wesen"  bildet  die  Grundlage  des  Lebe» 
(1.  c.  S.  57).  Das  Ergebnis  der  Organisation  sind  „Dominanten"  (s.  d.).  Di» 
sind  Kräfte,  durch  welche  die  Umwandlung  der  Energieformen  ineinander 
sowie  die  Veränderung  der  Bichtung  ihrer  Tätigkeit  bestimmt  werden  (L  c 
S.  168  f.).  Eine  ähnliche  Anschauung  vom  Lebensprincip  (als  unbewußt 
wirkende  Gestaltimgskraft)  hat  E.  v.  Hartmann.  Er  sieht  den  „völligen  Sieg 
des  Vitalismus"  voraus  (Mech.  u.  Vital.,  Aroh.  f.  system.  Philos.  IX,  8.  377; 
vgL  Phüos.  d.  Unbew.  I«",  36  ff.,  377  ff.,  430  ff.,  II«°,  65  ff.,  202  fL,  448  ff. 
III »%  33  ff.,  74  ff.,  238  ff.;  Mod.  Psychol.  S.  397  ff.).  Ähnlich  L.  Bübsk  (Gast 
u.  Körp.  S.  238  ff.). 

Gegner    der    „Lebenskraft",    des    Lebensprincipes   sind    K.   E.  v.   Baeb, 
C.  Ludwig,  A.  Fick,  Hyrtl  (Anatom,  d.  Mensch  1881,  S.  6),  Moleschott, 


Lebenskraft  —  Iieib.  587 


IL  Vogt,  D.  Fb.  Stkauss,  du  Bois-Eeymond  (Untere,  üb.  d.  tier.  Elektricit. 
I,  S.  32  f.),  G.  A.  Spiess  (PhysioL  d.  Nervensyst.  1844,  S.  486  ff.),  M.  J.  Schleiden 
(Grundz.  d.  wissensch.  Botan.*,  1845,  I,  55  f.),  E.  Haeckel  (Gener.  Moiphol. 
1, 120  ft),  WUNDT,  HöPFDiNG  (Psycho!.«,  S.  13,  44  f.),  W.  Haacke  (Die  Schöpf, 
d.  Mensch.  1895),  Weismakn,  Bütschli  (Mechan.  u.  Yitalism.  1901),  Th.  Eimer 
(Entfalt  d  Arten  1888),  H.  E.  Ziegler  (Üb.  d.  derzeit  Stand  d.  Descendenz- 
theor.  1902),  Preyer  (Naturwissensch.  Tats.  u.  ProbL  1880),  F.  Mach  (Religions- 
u.  Weltprobl.  II,  1196  ff.),  M.  Verworn  (AUgem.  PhysioL«,  S.  48),  Ostwald 
(Vorles.  üb.  Naturphiloe.«,  S.  317,  319:  „Der  Organismus  ist  wesentlich  ein 
Complex  ehemiseker  Energien")  u.  a.    Vgl.  Vitalismus,  Seele. 

JLebensprIiicIp  s.  Lebenskraft,  Seele.  , 

liebensstoff:  Als  einen  solchen  denken  sich  einige  ältere  Vitalisten 
(s.  d.)  die  Lebenskraft  (s.  d.). 

liebenssy stein  („Syniagma")  nennt  B.  Eucken  einen  einheitlichen 
Zusammenhang  von  Lebensanschauungen,  Lebenstendenzen  (z.  B.  der  Natura- 
lismus, der  Intellectualismus)  (vgl.  Kampf  um  ein.  geist.  Lebensinh.  S.  108  ff. ; 
Die  Einheit  d.  Gteistesleb.). 

liebllAfligkelt  ist  ein  Merkmal  der  primär  erregten  Bewußtseins- 
Vorgänge,  besonders  der  Wahrnehmung,  wodurch  sie  sich  von  den  reproducierten 
Vorstellungen  unterscheiden.  —  Nach  Leibniz  ist  die  Lebhaftigkeit  eines 
Phänomens  eines  der  Kennzeichen  seiner  Beahtät  (Erdm.  p.  442  f.).  Nach 
HüME  ist  der  Grad  der  Lebhaftigkeit  („force,  vivcunty,  vigour,  liveliness")  der 
einzige  Ünterechied  zwischen  den  ,fimpressions"  (s.  d.)  und  „ideas'^  (s.  d.)  (Treat. 
I,  9ct  1;  III.  sct.  7).  Lebhaftigkeit  eignet  auch  dem  „Olatiben'*  (s.  Behef.). 
Volkmann  erklärt:  ,yNennen  wir  die  der  Vorsieüungsgimlität  aus  ihrer  Be- 
iormng  in  der  Empfindung  .  .  .  entspringende  Eigentümlichkeit  deren  Leb- 
haftigkeit ^  so  können  wir  kurx  den  Mangel  oder  die  Herabsetx/ung  der  Leb- 
haftigkeit als  das  Kriterium  der  Reproduetion  der  Empfindung  gegenüber 
bexeiehnen*^  (Lehrb.  d.  Psychol.  II*,  475).    Vgl.  Keproduction. 

I^eer:  ohne  Inhalt.  Ein  Begriff  (s.  d.)  ist  „le^^j  wenn  er  auf  keine  An- 
schauung Bezug  hat  (Kant). 

lieerer  Raam  s.  Baum. 

]>£^alltftt  (Gesetzlichkeit)  der  Handlungen  unterscheidet  Kant  von  der 
Monüität  (s.  d.).  Erstere  ist  i^die  bloße  Übereinstimmung  oder  Nichtüberein- 
stimmung einer  Handlung  mit  dem  Oeseixe  ohne  Rüeksicfit  auf  die  Triebfeder 
derselben*'  (WW.  VII,  16;  vgl  Krit.  d.  prakt.  Vem.  I.  T.,  1.  B.,  3.  Hptst.).  — 
t^hon  die  Stoiker  machen  einen  solchen  Unterschied,  nämlich  zwischen  dem 
ica&fJMov  und  dem  xar6od'a>fia  (Diog.  L.  VII,  107  f.;  Stob.  EcL  II,  158).  Vgl 
Moralität. 

lielmsats  s.  Lemma. 

lielirsatx  s.  Theorem. 

Iieib  heißt  der  Körper  in  seiner  Zugehörigkeit  zur  Seele  (s.  d.),  der  orga- 
nisierte, beseelte  Körper,  der  zwar  vom  Geiste  (s.  d.),  von  den  höheren  Denk- 
^d  Willensfunctionen  als  untergeordnetes  System  von  Kräften  verechiedeh  ist, 
^^her  doch  selbst,  an  sich,  seelischer  Art  ist  und  der  physikalisch-chemisch  als 
Objectivation  (s.  d.),  Äußerung,  Ausdrucksform  der  Seele,   des  Psychischen  be- 


588  Iielb. 

trachtet  werden  kann.  Das  Ich  (s.  d.)  erfaßt  sich  zunächst  in  seinein  Leibe, 
d.  h.  hier  in  dem  (Komplex  von  Gemein-  und  anderen  Empfindungen,  den  » 
(wegen  der  Eigenart  desselben:  doppelte  Tastempfindung,  Schmerz  u.  s.  w.)  vtm 
anderen  Complexen  unterscheidet.  Seele  imd  Leib  sind  zwei  Daseins-  und 
Betrachtungsweisen  eines  einheitlichen  Wesens,  eines  Lebenssystems.  Kne 
Wechselwirkung  (s.  d.)  zwischen  Leib  und  Seele  besteht  nur  insofern,  als  der 
Leib  schon  als  Seele  auf  die  Seele  (den  j^Oeist*^,  die  höher^i  Functionen)  ein- 
wirkt. Der  Leib  als  „Körper**  geht  in  seinen,  Processen  der  „Äßcfe"  „paraüit 
(s.  Parallelismus). 

Der  Leib  wird  der  Seele  schroff  gegenübergestellt  oder  er  wird  als  Produ« 
oder  Erscheinung  der  Seele  selbst  angesehen. 

Die  Vedanta-Philosophie  lehrt  die  Existenz  eines  Astralleibes,  eines 
feinen  Seelenleibes  („a^aya,  sukskniam  ^riam").  Auch  der  Zend-ATcsta 
(„ferner**).  Die  Pythagoreer  nennen  den  Leib  ein  ^jZeiehen**  der  Seele  (<nj^ 
rrjg  yn^x^g)  (Plat.,  Cratvl.  400  B).  Plato  und  die  Neupia  toniker  sehen  im 
Leibe  einen  „Kerker**  der  Seele  (s.  d.).  Cicero  bemerkt:  „Corpus  quidem  quagi 
vas  est  aut  aliquod  animi  receptactdum**  (Tusc.  disput.  I,  12,  52).  PoKPHTE 
(Sent  32),  Jamblich  (De  myst.  Aegypt.  I,  8;  V,  10),  Hierokleb  {cwfBA 
aid-i^tov),  Syrianüs,  Priscian  (Solut.  p.  255  b)  nehmen  einen  ,jLtkerleih"  (s.  i> 
an.  —  Im  Neuen  Testamente  unterscheidet  Paulus  oa^S  und  atSfut,  Das 
awfut  Ttvevfiaxixov,  der  pneumatische,  geistige  Leib,  wird  dereinst  auferst^ien 
(2.  Kor.  5,  1  ff.;  1.  Kor.  15,  44;  Rom.  8,  21,  29).  Nach  Valentdtus,  Basi- 
LIDES,  Origenes  (De  princip.  II,  8,  4;  10,  7)  ist  die  Verleiblichung  der  Seele 
eme  Folge  des  Sündenfalles  (vgl.  Siebeck,  Gesch.  d.  Psycho!.  I  2,  362).  Die 
Auferstehung  mit  einem  ätherischen  Leibe  lehren  Origenes  (De  princ.), 
Tertullian  (De  carne  Chr.  6),  Augustinus  (De  div.  et  daem.  3,  5)  u.  «. 
Nach  Gregor  von  Nyssa  ist  der  Leib  an  sich  geistiger  Natur  (SiEBECCf 
Gesch.  d.  Psychol.  I  2,  377).  Nach  JoH.  ScoTUS  Eriuoena  schafft  sich  die 
Seele  einen  intelligiblen  Körper  geistiger  Art  (De  divis.  natur.  IV,  9;  IV,  12V 
Der  sinnliche  Leib  ist  ein  Product  der  Seele  nach  dem  Sündenfalle  (L  c  II, 
25;  IV,  13j.  Einen  ,^iderisehen**  Leib  (Astralleib)  nimmt  die  Kabbal&  an, 
ferner  Paracelsus  („corpus  spiritus**^  „unsichtiger  Leib**,  „corpus  spirituait", 
„syderischer  Leib**,  Phil.  sag.  I,  1;  I,  3;  I,  6;  I,  9;  De  limatic.  II,  1;  De  virt 
imag.  WW.  I,  274;  II,  406,  550).  Ähnüch  Aqrippa,  der  den  Sedcnlcib 
„Wagen  der  Seelen*  nennt  (Occ.  Philos.  III,  36  f.). 

Descartes  stellt  Seele  (s.  d.)  und  Leib  einander  dualistisch  (s.  d.)  gegen- 
über. Seele  und  Leib  sind  durch  Gott  miteinander  geeint  Nach  Snxozx 
sind  Seele  und  Leib  zwei  Daseinsweisen  eines  Wesens.  „Mens  kumana  t^ 
est  ad  plurima  perdpietidumf  et  eo  aptior,  quo  eivs  corpus  pluribus  madis  di»- 
poni  potest**  (Eth.  IV,  prop.  XIV).  „Omntay  quae  in  corpore  kumano  ccnUingtitU, 
mens  percipere  debet^  (1.  c.  dem.).  Einen  geistigen  Leib  nimmt  J.  Böhms  an. 
Nach  Leibniz  besteht  der  Leib  an  sich  aus  einer  Vielheit  geistiger  Monaden 
(s.  d.).  Die  Constanz  unseres  Leibes  als  Unterscheidungsgrund  gegenüber 
anderen  Körpern  betont  Chr.  Wolf:  „Unter  diesen  K&rpem  halfen  ttir  einen 
für  unsem  Leib,  toeil  sich  die  Gedanken  von  den  übrigen  nach  ihm  riehien  w»d 
er  uns  ailexeit  gegenwärtig  bleibet,  wenn  sieh  alle  übrigen  ändern**  (Vem.  Ged. 
I,  §218).  G.  E.  Stahl  erklärt:  „Corpus  hoc  verum  et  i$nmediaium  ammtt 
organon"  (Disquis.  de  mech.  et  org.  divers,  p.  44;  Opp.  1831;  De  scopo  et 
corp.  p.  238  ff.). 


Leib.  589 

J.  G.  FrCHTB  erklärt:  ,^cä,  als  Prindp  einer  Wirksamkeit  in  der  Korper* 
itelt  angesekaut,  bin  ein  articuiierter  Leib^*  (Syst.  d.  Sitteolehre  S.  XV).  Der 
Leib  ist  ein  Triebcomplex  (L  c.  8.  138).  Nach  Scheluno,  Suabedissen 
(Grdz.  d.  Lehre  von  d.  Mensch.  S.  190  f.),  Bteffeits,  Mehrivg,  Eschenmayeb, 
€.  G.  CABÜ8  (Symb.  d.  Leib.  8.  3;  Vorles.  8.  272),  Schubert  (Gesch.  d.  Seele 
8.  423),  Burdach  (Anthropol.  §  201,  208  ff.,  391  ff.),  Hkinroth  (Psychol. 
8. 197  f.)  ist  der  Leib  die  Manifestation  der  Seele,  eine  Gestaltung,  ein  Symbol 
derselben.  Nach  Heoel  ist  der  Leib  „die  Existenz  der  sysiematiaehen  Olie- 
derung  des  Begriffs  selbsiy  der  in  den  Oliedem  des  lebendigen  Organismus  seinen 
Bestimmtheiten  ein  äußeres  Naturdasein  güft^*  (Ästhet.  I,  154).  Seele  und  Leib 
sind  ^n  und  dieselbe  Totalität  derselben  Bestimmungen^^  (1.  c.  S.  155). 
Schopenhauer  nennt  den  Leib  die  y,Siehtbarkeit*'  („Obfeetitäf')  des  Willens. 
Der  Leib  ist  .,/ia«  unmittelbare  Objeet^  des  WiUens.  Dem  Subject  des  Er- 
kennens  ist  der  Leib  „auf  xwei  ganz  verschiedene  Weisen  gegeben:  einmal  als 
Verstellung  in  verständiger  Anschauung^  als  Object  unter  Objeeten^  und  den  Qe^ 
setxen  dieser  unterworfen;  sodann  aber  auch  zugleich  auf  eine  ganz  andere 
Weise,  nämlieh  als  jenes  jedem  unmittelbar  Bekan?ite,  welches  das  Wort  ,Wille* 
bezeichnet".  Willaisact  und  Leibesbewegung  sind  zwei  Betrachtungsweisen 
einer  Wesenheit.  „Die  Äetion  des  Leibes  ist  nichts  anderes  als  der  obfeetiviertSf 
d,  h.  in  die  Anschauung  getretene  Act  des  WiUens,"  j^Mein  Leib  und  mein 
Wille  sind  eines"  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  18  f.).  Jede  Leibesaction  ist  Er- 
scheinung eines  Willensactes.  Der  ganze  Leib  ist  der  ,^htbar  gewordene 
Wiüef'.  „Die  Teile  des  Leibes  mOssen  deshalb  den  Hauptbegehrungen,  durch 
welche  der  Wille  sieh  manifestiert,  vollkommen  entsprechen,  müssen  der  sichtbare 
Ausdruck  derselben  sein:  Zähne,  Schlund  und  Darmcanal  sind  der  objeetimerte 
Hunger;  die  Oenitalien  der  objectivierte  Öeschleehtstrieb;  die  greifenden  Bände, 
die  raschen  Füße  entsprechen  dem  schon  mehr  mittelbaren  Streben  des  Willens, 
welches  sie  darstellend^  (1.  c.  §  20).  Bekeke  erklärt:  „  Was  wir  votn  mensch- 
Hehen  Leibe  durch  die  Sinne  auffassen,  oder  was  man  gewöhnlich  4cn  Leib* 
nennt,  haben  wir  nur  als  äußere  Zeichen  oder  Repräsentanten  von  dem 
innem  (An-sich^)  Sein  des  Leibes  anzusehen,  welches,  ebenso  wie  die  Seele, 
aus  gewissen  Kräften  und  deren  Entwicklungen  besteht,  die  zwar  von 
denen  der  Seele  verschieden,  aber  doch  denselben  im  wesentlichen  gleich- 
artig  sind"  (Lehrb.  d.  PsychoL«,  S.  35;  Syst  d.  Met.  S.  91  ff.,  194  ff.;  Ver- 
Mltn.  von  Leib  u.  Seele  S.  239  ff.). 

Nach  LoTZE  besteht  der  Leib  aus  Monaden  (s.  d.).  Nach  Ulbici  ist  der 
Leib  ein  Inbegriff  von  Atomen,  bei  welchen  die  einigende  Kraft  in  der  Wider- 
standskraft liegt  (Leib  u.  Seele  S.  131).  Fortlagb  nimmt  einen  „Empfmdungs-" 
oder  „Seelenleib"  an  (Blätfc.  f.  liter.  Unterhalt.  1861,  Nr.  46).  Nach  J.  H.  Fichte 
ist  der  Leib  der  reale  „Ausdruck  der  Individualität  der  Seele"  (Anthropol. 
S.  257),  die  „  Vollgebärde^'  der  Seele  (Psychol.  II,  81),  das  „Raum-  und  Zeitbild" 
der  Seele  (1.  c.  I,  13).  Es  gibt  einen  „innem  I^eib",  „pneumatischen  Orga- 
nismus", „Oeisileib^^ ,  der  „von  der  Seele  selbst  durch  vorbewußte  raum- 
eonstruierende  Phantasietätigkeit  produciert"  wird  (1.  c.  I,  13,  66;  Anthropol. 
S.  269,  283).  So  auch  nach  Oetinger,  Perty,  Aksakow,  Du  Prel  (Mon. 
Seelenl.  S.  131  ff.)  u.  a.  Nach  Teichmüller  ist  der  Leib  „das  Coordinaten- 
system  der  lebendigen  Kräfte  der  bewegenden  Function  des  Ich  —  sofern  dieses 
System  durch  die  Functionen  beherrschter  anderer  Wesen  sieh  in  Wirklichkeit 
erhält"  (Neue  Grundleg.  S.  209).    Das  Wesen  des  Leibes  gehört  dem  Ich  (der 


590  Leib  —  lieiden. 


Seele)  selbst  an  (1.  c.  S.  213).  Nach  A.  Lasson  ist  der  Leib  an  sich  (im 
Unterschiede  vom  Körper)  kein  Ding,  sondern  ein  Proeeß,  die  ^jidea  corporif, 
die  „Entekekie"  des  Körpers,  die  Seele  selbst,  ein  Inbegriff  von  Beflexoi,  In. 
stincten  u.  s.  w.  (Der  Leib;  Philos.  Vorträge  III,  6.  H.,  18Ö8,  8.  54,  71  t 
78  ff.,  84  f.).  —  Nach  Fechner  ist  der  Leib  die  Außenseite  desselben  Wesens, 
das  sich  unmittelbar  als  Seele  (s.  d.)  erscheint  (Üb.  d.  Seelenfr.  S.  9  fLV 
Nach  WüXDT  sind  Leib  und  Seele  (s.  d.)  nur  Inhalte  zweier  Betrachtungg-  , 
weisen  eines  und  desselben  Seins.  Nach  Du  Pkel  ist  der  Leib  Producta  Ge- 
staltung der  Seele,  Sichtbarkeit  dieser  (Mon.  SeelenL  S.  128  ff.)-  Nadi 
Renouyier,  £.  Y.  Hartmaxn,  L.  Busse  u.  a.  besteht  der  Leib  ans  Monaden 
(s.  d.).  —  Schuppe  erklärt:  „Der  eigene  Leib  gekört  xum  InkaU  des  Bevußi- 
seinSf  d.  h.  ist  etwCLS  und  besteht  aus  latäer  etwctSf  dessen  oder  deren  da»  Itk 
sich  bewußt  ist.  Grundlage  edles  dessen,  was  diesen  BewußiseinsinhaÜ  atU" 
macht,  ist,  daß  das  Ich  unmittelbar  sieh  mit  der  Bestimmtheit  seiner  eompaden 
Ausgedehntheit  empfindet  oder  sich  dieser  bewußt  ist"  (Log.  S.  26  f.).  Vgl 
Seele,  Körper,  Physisch,  Parallelismus,  Identität^hilosophie,  Wechselwirkmig. 
Selbstbewußtsein,  Ich. 

lielbiiizlaiilsmiis:  die  monadologische  (s.  d.),  spiritualistJfiche  (s.  du 
optimistische  (s.  d.)  Weltanschauung  von  Leibniz.  Vgl.  Monaden,  Harmonie, 
Seele,  Apperception,  Substanz,  Theodicee,  Teleologie.  Der  Ausdruck  „Leibniz- 
Wolfsche  Philosophie"  stammt  von  BiLFiNGER.  Von  Leibniz  beeinflußt 
sind  Chr.  Wolf,  Kant,  Platner,  J.  G.  Fichte,  Sghelung,  He&babt, 
LoTZE,  WuNDT,  L.  Busse,  Kenouvier  u.  a. 

Lielden  (Erleiden,  passio)  ist  der  Gegensatz,  das  Correlat  zur  Tätigkeit 
(s.  d.);  es  bedeutet  ein  Geschehen  in  einem  Wesen,  welches  demselben  toh 
außen  aufgenötigt  wird,  einen  Zustand,  dessen  Träger  zwar  das  leidende  Wesen 
selbgt  ist,  der  aber  seinen  Gnmd  in  einem  anderen  Wesen  hat  Das  Leiden 
ist  nicht  absolut  tätigkeitslos,  es  kann  als  gehemmte,  aufgehobene,  gezwungene 
Tätigkeit  (vgl.  das  juridische  „eoaetus  volui'*)  aufgefaßt  werden.  Das  seelische 
Leiden  im  engeren  Simie  ist  schmerzhaftes,  unlustvolles  Erregtsein. 

Aristoteles  zählt  das  Leiden  (ndax^iv)  zu  den  £jitegorien  (s.  d.).  Es  gibsr 
ein  Leiden,  bei  dem  etwas  genommen,  und  ein  Leiden,  bei  dem  etwas  ereeiigt 
wird:  ovx  ian  S*anXovv  olSe  to  nacxBtv,  akXa  t6  fuv  yd'o^d  rte  V7t6  rav 
ivavtiov,  to  8e  ffwirj^ia  fiäkkov  rov  dxyydfist  ovxog  vno  rov  ivrsXax^l^  ovxoi  xmi 
bfioiov,  ovrcos  (oe  dvvofiig  i'xei  ngog  ivrsXt'xeta*'  (De  an.  II,  5).  Das  Leiden  läßt 
das  Leidende  dem  Tätigen  gleich  werden:  ndax^*  (^  y«^  to  dvofioiav,  7t£Sf09^ 
d'os  ^ofjLOiov  ioTiv  (De  an.  II,  5,  417  a  squ.).  Die  Belativitat  der  'Begriüe 
Leiden  und  Tun  betont  Plotin  (Enn.  VI,  1,  19;  l,  22). 

Nach  Albertus  Magnus  ist  „passio"  ,fiffectus  illatioque  actionis'^  rjdis- 
positio  imperfecti"  (Sum.  th.  I,  7,  1).  „Passio  fluit  ex  essentialibus  stMedi^ 
(1.  c.  I,  9).  Thomas  unterscheidet  drei  Arten  des  „pati".  „Uno  modo 
priissime,  scüicet  quando  aliquid  removetur  ab  eo  quod  convemt  sibi 
naturain  aut  secundum  propriam  inclinationem,  sieut  cum  aqua  firigidiiatem 
amittit  per  calefactionem  et  cum  homo  aegrotat  aut  tristatur,  Se^cundo  modo 
minus  proprie  dieitur  aliquis  pati  ex  eo  quod  aliquid  ab  ipso  abficitur,  siwe  sä 
ei  eonveniens  sive  non  conveniens  .  .  .  Tertio  modo  dicüur  aliquis  pati  com-- 
muniter  ex  hoc  solo,  quod  est  in  potentia  ad  aliquid,  recipit  illud  ad  quod  erat 
in  potentia  absque  hoc  quod  aliquid  abjiciatur.     Secundum  quem  modum 


Leiden.  591 

quod  exit  de  poientia  in  actum  potest  diei  pati:  etiam  cum  perfidtur.    Et  sie 
intelligere  nastrum  est  pati"  (Sum.  th.  I,  79,  2). 

Nach  GocLEN  wird  „passio'*  ^Jlgemein  gebraucht  „jwo  acquisitione  vel 
deperditione  alieuius  formae,  atä  inceptione  vel  desitiane  alicuius  rei"  (Lex, 
philos.  p.  W2).  Campanella  bestimmt:  „Passio  est  actus  impotentias  deper- 
ditivus  propriae  entiiatis,  sive  essentialis  sive  aceidentaliSy  sive  ex  toio  sive  ex 
parte,  et  reeeptio  alienae"  (DiaL  I,  6). 

Debcabtes   nennt   ^animae  passianes"  „omnes  species  perceptionum  sive 
eoffnitionumj  quae  in  nobis  reperiuntur;   quia  saepe  aeddit,  ut  anima  nostra 
eas  tales   non  faeiat,   quales  sunt,   et  semper  eas  recipiat  ex  rebus  per  Utas 
repraeseniatis"  (Pass.  an.  I,  17).    Nach  Spinoza  leiden  wir,  insofern  wir  nicht 
aus  unserer  Naturgesetzlichkeit  heraus  handeln.    „Nos  tum  pati  dicimur,  quum 
aliquid  in  nobis  oritur,  euius  non  nisi  partialis  sumus  causa,  hoc  est  aliquid, 
quod  ex  solis  legibus  nosirae  naturae  deduci  nequit.    Patimur  igitur,  qucUenus 
naiurae  sumus  pars,  quae  per  se  absque  aliis  nequit  concipi"  (£th.  IV,  prop. 
II,  dem.).     Wir  leiden,  insofern  wir  im  Affecte  (s.  d.)  sind,  als  wir  unklare, 
inadäquate  Vorstellungen  von  den  Dingen  haben,    als  wir  nicht  mit  klarem 
Bewußtsein  erkennen  und  handeln.    Die  „passiones"  sind  dem  Geiste  (mens) 
nur  eigen    „quatenus  res  inadaequate  concipit"  (1.  c.  app.  II).     „Äffectus,  qui 
passio  est,  desinit  esse  passio,  simulatque  eius  claram  et  distinctam  formamus 
ideam^*   (1.  c.  V,  prop.  III).     „Äffectus,   qui  passio  est,  idea  est  confusa,     Si 
itaque  ipsius  aff^tus  claram  et  distinctam  fomiemus  ideam,  kaec  idea  ab  ipso 
affeelu,   quatenus   ad  solam  mentefn  refertur,  non  nisi  ratione  distinguetur  ; 
adeoque  äffectus  desinet  esse  passio,^*    ,yAffectus  igitur  eo  magis  in  nostra  pote- 
State  est  ei  mens  ab  eo  minus  patitur,  quo  nobis  sit  notior"  (1.  c.  dem.  u.  coroll.). 
„Quatenus  mens  res  omnes  ut  necessarias  inteUigit,  eatenus  maiorem  in  äffectus 
potetttiafn  habet,  seu  minus  ab  iisdem  patitur"^  (1.  c.  prop.  VI).    „Deus  expcrs 
est  passionum"  (1.  c.  prop.  XVII).    „Mentis  potentia  sola  cognitione  definitur; 
impoteniia  autem  seu  passio  a  sola  cognitionis  privatione,  hoc  est,  ab  eo,  per 
quod  ideae  dicuntur  inadaequatae,  aesti?natur^^  (1.  c.  prop.  XX,  schol.).    Leibniz 
setzt  das  Leiden  in  die  verworrene  (s.  d.)  Erkenntnis.     „On  attribue  l'action  ä 
la  monade  en  tant  qu'elle  a  des  perceptions  distinctes,  et  la  passion  en  tant 
qu'eUe  a  de  confuses"  (Monadol.  49).     Etwas  ist  leidend,   insoweit  der  Grund 
von  dem,  was  in  ihm  vorgeht,  in  einem  andern  enthalten  ist  (L  c.  52).    So  auch 
nach  Chr.  Wolf  (Vem.  Ged.  I,  §  620).    „Passio  est  mutatio  staitis,  cuius  ratio 
eontvnetur  extra  subiectum,  quod  statum  suum  mutat"  (Ontolog.  §  714).    Ceu- 
8IIJS  definiert:  „Leiden  ist  derjenige  Zustand  eitles  Dinges,  da  ein  anderes  ver- 
mütelst  seiner  Kraft  in  dasselbe  urirket"  (Vemunftwahrh.  §  66).     Nach  CoN- 
OILLAC  leidet  die  Seele  „au  moment  qu'elle  eprouve  une  Sensation,  parceque  la 
cause  qui  la  produit  est  hors  d'elle"  (Trait.  d.  sens.  I,  eh.  2,  §  11). 

J.  G.  Fichte  betrachtet  das  „Leiden"  des  Ich  (s.  d.)  als  bloße  Beschrän- 
kung der  (ins  Unendliche  strebenden)  Tätigkeit  des  Ich.  „  Wenn  das  Ich  einen 
kleinem  Grad  der  Tätigkeit  in  sich  setxt,  so  setzt  es  dadurch  .  .  .  ein  Leiden  in 
fich"  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  78).  „Es  ist  in  das  Ich  ein  Leiden  gesetzt,  d,  i.  ein 
Quantum  seiner  Tätigkeit  ist  aufgehoben^^  (1.  c.  S.  89).  Leiden  ist  ,positive", 
„quantitative*^  Negation  (1.  c.  S.  62).  „Alles  im  Ich,  was  nicht  umnittdbar  im 
Jeh  bin*  liegt,  ist  für  dasselbe  Leiden  (Affection  überhaupt)**'  (1.  c.  S.  63).  Auch 
nach  Schellinq  ist  Leiden  beschränktes  Tun  (Naturphilos.  S.  311).  —  Nach 
WuNDT  leidet  unser  Wille,  insofern  er  Wirkungen  erfährt,  und  er  bezieht  sein 


592  Leiden  —  lieidensohaft 

Leiden  auf  eine  Tätigkeit  außer  sich,  auf  ein  fremdes  Wollen  (Syst  d.  Philos.*, 
S.  403  ff.;  Philos.  Stud.  XII,  61  f). 

Nach  ScHOPENHAUEB  entspringt  das  allseitige  Leiden  der  Welt  dem  blin- 
den ,,  Willen  xum  Leben^*  (s.  Pessimismus).  Nietzsche  yerherrlicht  das  Leiden 
als  Mittel  zur  Höherentwicklung,  zur  Seelengröße.  Von  der  y, Wonne  da 
Leids^*  spricht  u.  a.  R.  Haherling  (Atomist.  d.  Will.  II,  243).  —  VgL  AffectM», 
Beceptivitat,  Empfindimg,  Object,  Tätigkeit. 

Lieidenscliaft  {nad'o^j  passio)  ist  ein  dauerndes  und  heftiges  (habitiieUes) 
Begehren,  die  starke  Disposition,  Bereitschaft  zu  Begierden,  Trieben  bestimmter 
Art,  die  auf  Befriedigung  warten  und  das  Vorstellungsleben  einseitig  beherrschen, 
lenken.  Lisofem  die  Leidenschaften  unbekümmert  um  schädliche  Folgen, 
wider  die  Vernunft  den  Willen  determinieren  können,  sind  sie  ,jbltnd^. 

In  der  älteren  Philosophie  wird  die  Leidenschaft  nicht  genauer  yom  Affect 
(s.  d.)  unterschieden.  Die  Stoiker  fordern  vom  Weisen  Freisein  von  Leiden- 
schaften (s.  Apathie).  Augustinub  verlangt  nur  Beherrschung  der  Leiden- 
schaften (De  genes.  20;  De  civ.  Dei  XIV,  6).  So  auch  Spinoza  (s.  Affect). 
Nach  Leibniz  sind  die  „passiona"  „tendanees  au  plutot  modificeäüms  de  k 
tendanre  qui  vienneni  de  l'optnion  ou  du  sentiment  et  qui  »ont  aeeompagnee  dt 
plaisir  ou  de  deplaisir''  (Nouv.  Ess.  II,  eh.  20).  Nach  Chb.  Wolf  ist  „Leidett- 
Schaft"  „eine  Veränderung^  davon  der  Orund  in  einer  andern  Sache,  als  die  wer- 
ändert  loird,  anxtäreffen"  (Vem.  Oed.  I,  §  104).  Nach  Ck)in>iLLAC  ist  ,,paM*ofi^ 
„t«n  desir  qui  ne  permet  pas  d'en  awir  d'auires,  ou  qui  du  moins  est  le  pUu 
dominani^^  (Trait.  d.  sens.  I,  eh.  3,  §  3).  Uelvetius  erklärt:  „Les  paseiom 
sont  dans  le  moral  ce  que  dans  le  physique  est  le  mouvemeni^^  (De  Tespiit  III,  4). 

Erst  Kant  scheidet  Leidenschaft  und  Affect  Leidenschaft  ist  zur  bleTben- 
den  Neigung  gewordene  Begierde  (WW.  IX,  257),  eine  y^Neiffung,  die  die  Herr- 
schaft über  eich  selbst  ausschließt'^  (Belig*  S.  28).  Leidenschaften  sind  y^ei- 
gungen,  welche  alle  Bestimmbarkeit  der  Willkür  durch  OrundsäUe  erschweren 
oder  unmöglich  machen"  (Krit.  d.  Urt.  I,  §  29).  ,yDie  Neigungj  durch  weleht 
die  Vernunft  gehindert  wird,  sie,  in  Ansehung  einer  gewissen  Wahl,  nnt  der 
Summe  aller  Neigmigen  xu  vergleichen,  ist  die  Leidenschaft*^  (AnthropoL  L 
§  78).  Die  Leidenschaften  zerfallen  in  solche  „der  natürlichen  (angeborenen) 
und  die  der  aus  der  Cultur  des  Menschen  hervorgehenden  (encorbenen)  Neigung 
(ib.).  Leidenschaft  ist  „die  durch  die  Vernunft,  des  Subjects  schwer  oder  gar 
nicht  bexwingliche  Neigung"  (1.  c.  §  71).  „Wo  viel  Affect  ist,  da  ist  gemeinig- 
lich wenig  LeidenscJioff  (1.  c.  §  72).  G.  E.  Schulze  erklärt:  „Die  aus  Öfterer 
Befriedigung  oder  Gewohnlieit  etiispringende  große  Stärke  der  Begierden  teiri 
Leidenschaft  genannt"  (Psych.  AnthropoL*,  S.  426  f.;  vgl.  374).  Nach  Platveb 
ist  die  Leidenschaft  „die  durch  öftere  Wiederholungen  der  Sehnsucht  xur  leident- 
liehen  Fertigkeit  gewordene  Belebung  der  Idee"  (Philos.  Aphor.  II,  §  458;  Anthro- 
poL §  1414).  Ähnlich  Fries  (AnthropoL  I.  §  64,  69),  F.  A.  Cabus  (PsychoL 
I,  306),  E.  E.E1NH0LD  (Lehrb.  d.  philos.  propäd.  PsychoL  S.  269  f.),  Feü< 
leben  (Lehrb.  d.  ärztL  Seelenkunde  1845,  §  47),  Nt^ssLEiN  (Grundr.  d.  ailgem. 
PsychoL  §  476  ff.),  Lindemann  (Lehre  vom  Mensch.  §  434)  u.  a.  Narib 
Süabedissen  ist  die  Leidenschaft  eine  Neigung,  wenn  diese  ,ySo  mächtig 
Menschen  ist,  daß  er  sich  in  ihrer  Befriedigung  nur  mit  Mühe  mäßigen 
-wenn  sie  den  Menschen  „vor  allen  atidem  Neigungen  beherrsdit"  (Grdz.  d.  Ldbiv 
von  d.  Mensch.  S.  225).    Der  Affect  ist  ein  Gefühl,  welches  die  Seele  so 


J 


Leidenaohaft.  593 


nimmt,  dafi  der  Mensch  die  ßelbetmacht  ganz  oder  beinahe  verliert  (1.  c.  8.  224). 
^Jkr  Affeet  ist  sehneil  vorübergehend,  die  Leidensehaft  ist  dauernd;  jefier  setxt 
den  Menstken  außer  sieh,  diese  beschränkt  seine  Selbstmaeht  in  der  Richtung  mi 
ihrem  Ziele"  (L  c.  8.  227).  Nach  C.  G.  Caeus  ist  die  Leidenschaft  ein  „hef- 
tiges und  anhaltendes  Begehren ,  den  Zustand  eines  gewissen  Affeetes  immer 
wieder  herbeizuführen"  (Yorles.  8.  379).  Nach  Maass  ist  die  Leidenschaft  eine 
starke  sinnliche  Begierde  (Üb.  d.  Leidensch.);  es  gibt  objective  und  subjective 
Leidenschaften  (1.  c.  II,  20).  Ähnliche  Definitionen  der  Leidenschaft  bei 
floFFBATTEB  (PsychoL«,  8.  353),  Haoemann  (Psychol.  8.  94)  u.  a. 

Nach  Hegel  ist  die  Leidenschaft  ,/iie  subjective,  insofern  formelle  Seite  der 
Energie,  des  Willens  und  der  Tätigkeit'  (Phüos.  d.  Qesch.  8.  28).  Leidenschaft 
ist  der  Wille,  „insofern  die  IbtalOät  des  praktischen  Geistes  sich  in  eine  etn- 
%elne  der  mit  dem  Oegensatxe  überhaupt  gesetxten  vielen  beschränkten  Be- 
Stimmungen  legt**  (EncyL  §  473).  „Die  Leidenschaft  enthält  in  ihrer  Bestimmung, 
daß  sie  auf  eine  Besonderheit  der  Willensbestimmung  beschränkt  ist,  in  welche 
sieh  die  ganze  Subjeetivität  des  Individuums  versenkt,  der  QeheUt  jener  Be- 
stimmung mag  sonst  sein,  welcher  er  will.  Um  dieses  Formellen  willen  aber  ist 
die  Leidensehaft  weder  gut  noch  böse;  diese  Form  drückt  nur  dies  aus,  daß  ein 
Subfeet  das  ganxe  lebendige  Interesse  seines  Geistes,  Talents,  Charakters,  Genusses 
in  einen  InhaU  gelegt  habe.  Es  ist  nichts  Großes  ohne  Leidensehaft  vollbracht 
worden,  noch  kann  es  ohne  solche  voübraeht  werden"  (L  c.  §  474).  Ähnlich 
HiCHELET  (AnthropoL  8.  488),  Daub  (Yorles.  üb.  phüos.  AnthropoL  §  61  ff.), 
K.  RosEKKBANZ:  „Dos  Versehwinden  des  Subfeetes  in  den  Abgrund  einer  einzigen 
Bestimmung  ist  die  Größe  der  Leidenschaft*  (PsychoL*,  8.  437).  In  der  Leiden- 
schaft ist  das  8ubject  dem  Inhalt  des  Gefühls  ganz  unterworfen  (1.  c.  8.  434). 
—  Nach  80HOPENHAI7EE  sind  die  Leidenschaften  „das  heftige  Verfolgen  ein- 
gebildeter Genüsse"  (Neue  Paralipom.  §  129). 

Nach  Hebbart  sind  Leidenschaften  ^Dispositionen  xu  Begierden,  icelche 
in  der  ganxen  Verwebimg  der  Vorstellungen  ihren  Sitz  haben"  (Psychol.  als 
Wiss.  II,  §  107).  Jede  Begierde  kann  Leidenschaft  werden.  „Sie  wird  es, 
indem  sie  zu  einer  Herrschaft  gelangt,  wodurch  die  praktische  Überlegung  aus 
ihrer  Richtung  kommt.  Das  Vernünfteln  ist  das  eigentliche  Kennzeichen  der 
Ijeidensehaften"  (Lehrb.  zur  Psychol.»,  8.  81).  Ähnlich  definia*t  G.  8cHiLLn7a 
(Lehrb.  d.  PsychoL  §  62):  Leidenschaften  sind  ,ßauemde  Dispositionen  zu  be- 
stimmten Begehrungen,  die  bei  vorkommender  Gelegenheit  unausbleiblich  hervor- 
brechen  und  mit  überwiegender  Gewalt  zu  Handlungen  führen,  wie  sehr  auch  die 
Umstände  und  ruhige  Überlegung  gegen  ein  solches  Begehren  und  Handeln 
sprechen  mögen".  Nach  Nahlowsky  ist  die  Leidenschaft  „eine  fixierte  und 
vorwiegende  Disposition  zu  einer  bestimmten  Art  von  Begehren,  welches  der  Lei- 
tung durch  die  Vernunft  widerstrebt,  vielmehr  selber  den  Gedankenlauf  und  die 
Gefühlsrichtung  des  Individuums  beherrscht"  (Das  Gefühlsieb.  8.  263).  Nach 
6.  A.  LmBNEB  ist  die  Leidenschaft  „eine  Begierde,  die  so  stark  geworden  ist, 
daß  sie  sich  nicht  mehr  appercipieren  läßt,  sondern  selbst  als  oberste  apper- 
eipierende  Vorstellungsmaese  das  Bewußtsein  beherrscht",  „die  herrschend  ge- 
uordene  Begierde*  (Lehrb.  d.  empir.  Psychol.',  8.  204  ff.).  —  Nach  Waitz 
unterscheidet  sich  die  Leidenschaft  vom  Affeet  besonders  durch  ihre  Dauer 
(Leihrb.  d.  Psychol.  8.  486).  Volkmann  erklart:  „Positive  Unfreiheit  ais 
bleibende  Eigentümlichkeit  des  Subjectes  ist  Leidenschaft"  „Das  Wesen  der 
Leidenschaft  besteht  darin,   daß  bezüglich  einer  Klasse  von  Vorstellungen  die 

PhilotophlMhat  WOrt«rbnoh.    t.  Aufl.  38 


594  IieidenBehaft  —  Lemma. 

McKcime  xwar  vernommen^  das  Wollen  aber  gegen  die  Maxime  entschieden 
(Lehrb.  d.  Psychol.  11^,  509).  —  Nach  Benbke  ist  die  Leidenschaft  ein  „Qf- 
aamtgebüde  (Aggregat)  von  Ängelegtheiten  für  Lustempfindungen  (Sehäixun- 
gen)  und  für  Begehrungen"  mit  großer  Vielfachheit  der  „Spuren'*  (s.  d.), 
infolge  deren  „sie  sieh  stets  in  einer  Art  von  Balbbewußtsein  behauptet,  stets 
gleichsam  auf  dem  Sprunge  steßU,  vur  vollständigen  Erregtheit  xu  gelangen,  stk- 
bald  nur  die  Seele  frei  ist  von  anderen  Entwiddungen"'  (Lehrb.  d.  PsychoL', 
§  175,  vgl  §  187,  188).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  die  Leidenschaft  an  ,^tarker 
und  dauernder  Affect,  begleitet  von  ebenso  starker  und  dauernder  WiUens- 
erregung"  (Psychol.  II,  139).  Kirchmakk  erklart:  „Die  Affeete  entspringen 
OMS  sehr  starken  äußern  Ursachen  der  Oefühle;  die  Leidenschaft  beruht  auf 
der  dauernden  Empfänglichkeit  für  gewisse  Arten  der  Lust*'  (Grundbegr.  <L 
Rechts  u.  d.  Mar.  S.  42).  —  Den  Wert  der  Leidenschaften  für  das  Leben  be- 
tont E.  DÜHKING  (Wert  d.  Leb.»,  8.  68  ff.). 

Nach  Th.  Zibgler  ist  das  Wesentliche  der  Leidenschaft  „die  dauernde 
Vorherrschaft  einer  einzelnen  Neigung  und  die  Beherrschung  des  ganxen  öe- 
dankenganges  und  Vorstellungsverlaufes  durch  ein  Begehren  in  einseitiger  Rieh" 
tunf''  (Das  Gref.',  8.  302).  Nach  Wundt  sind  die  Leidenschaften  psychc^ogiach 
nicht  von  den  Aifecten  (s.  d.)  zu  trennen  (Gr.  d.  Psychol.*,  8.  209).  Nach 
H.  HÖFFDINQ  ist  der  Affect  „ein  plötzliches  Aufbrausen  des  Gefühls  .  .  ., 
welches  das  Oemüt  eine  Weile  iibenoättigt  und  die  freie  und  natürliche  Ver- 
bindung der  Erkenntniselemente  hemmt^^.  Die  Leidenschaft  ist  hingegen  ^ie 
xur  Natur  gewordene,  durch  Gewohnheit  eingewurzelte  Bewegtmg  des  OefühU. 
Was  der  Affect  im  einzelnen  Moment  ist,  mit  gewaltiger,  expansiver  Bewegung^ 
das  ist  die  Leidenschaft  in  der  Tiefe  des  Gemüts  als  eine  ersparte  Sumnte  von 
Kraft,  die  zur  Verwendung  bereit  liegt^^  (PsychoL*,  8.  392).  Nach  Jgdl  ist  die 
Leidenschaft  eine  WiUensgewohnheit,  eine  Disposition,  deren  Gefühle  sich  im 
Falle  der  Befriedigimg  zimi  Affect  steigern  (Lehrb.  d.  PsychoL  8.  700).  Nach 
Xbeibig  sind  die  Leidenschaften  „dispositionelle  Seelenxustände,  bei  welcken 
eine  relativ  eng  umschriebene  Gruppe  von  Vorstellungen  vermöge  ihres  stoHten 
Gefühlswertes  eine  herrschende  Bolle  einnimmt  und  auf  das  Handeln  eine  em- 
seUig  übermächtige  Wirkung  ausübf^  (Werttheor.  8.  42).  Affeete  dageg^ 
sind  „actuelle,  an  assodativ  concentrierie  Bewußtseinsinhalte  anknüpfende 
Gefühlszustände,  tvelche  in  einer  ungewöhnlichen  Erregung  oder  Lähmung  louere« 
ganzen  Selenlebens  und  regelmäßig  auch  in  äußerlich  tcahmehmbaren  Begtek- 
erscheinungen  Ausdruck  finden^^  (1.  c.  8.  41);  sie  sind  8teigenmgaforniai  der 
Gefühle  (ib.).  Nach  F.  Mach  entsteht  die  Leidenschaft  „dadurcli,  daß  esn 
bestimrnter  WoUenskreis,  indem  er  sich  von  den  übrigen  absondert,  zur  Neigung 
urird  und  sich  schließlieh  zu  einem  Wollen  auswächst,  das  sich  dem  Verbote 
der  sittlichen  Maacime  gegenüber  tnit  Hartnäckigkeit  behauptet*^  (Religions-  und 
Weltprobl.  II,  1308).    Vgl.  Affect. 

Liekton  {hxrovj  Gesagtes)  nennen  die  Stoiker  einen  sprachlich  ge- 
formten Gedankeninhalt,  eine  sprachlich  ausgedrückte  Abstraction.  Das  Xextir 
ist  „non  corpus  .  .  .,  seä  enuntiatimim  quoddam"  (Seneca,  Ep.  117,  13);  ra  ^i 
i.By6fi6va  Hai  Xexrd  rd  vorj/uard  iariv  (Simplic.  in  Aristot  Categor.  3  a).  Von 
den  ^£XTa  handelt  die  Logik  (vgl.  Sext.  Empir.  Pyrrh.  hypot  III,  52;  Praxtl, 
G.  d.  L.  I,  416;  L.  Stein,  Psycho!,  d.  Stoa  III,  219). 

liemma  (A^^^a,  lemma;  sumptio  bei  Cicero,  De  divin.  11,  53,  106): 


liemm»  —  Ubenun  arbitritixii  indifferentiae.  595 

Lehnsatz,  d.  h.  ein  Lehrsalz,  dessen  Begründung  in  eine  andere  Wissenschaft 
fallt,  den  man  aus  ihr  entlehnt  hat  und  als  bewiesen  voraussetzt.  Bei  Aristo- 
teIjBS  ist  ^^/t»a  so  viel  wie  Prämisse  (s.  d.)  (ra  Xtjfiftara  tov  avXioytafiov,  Top. 
VIII  1,  156b*  21).  Vgl.  G.  E.  Schulze  (Gr.  d.  allg.  Log.  S.  210),  Fribb  (Syst. 
d.  Log.  S.  294),  Bachmakn  (Syst  d.  Log.  S.  485,  184). 

liemeii  ist  nach  Plato  eine  Anamnese  (s.  d.)  (^  futd-f^cts  —  dvtifivrjiftg^ 
Meno  SlDsqu.).  So  auch  M.Ficintts,  Nicolaus  Taubellub  (Philos.  triumph.  1), 
nach  Val.  Weigsl  (Studium  universale  1700,  O.  3)  u.  a  —  Frieb  erklärt: 
„IVtr  soffen,  daß  wir  eine  Kunst  können  oder  gelemt  haben,  tcenn  sie  durch 
unsere  bloße  Association  der  Vorstellungen  ausgeübt  mtd,  sobald  wir  vpoUen,  ohne 
daß  die  Reflexion  im  einzelnen  immer  darauf  xu  achten  bratuckt^^  (Syst  d. 
Log.  S.  71).  Nach  Fobtlaoe  ist  Lernen  j,Äuf fassen  einer  Veränderung  in 
einer  Vorstellungsverbindung  ^  ohne  aufmerksame   Unterscheidung^^  (Psychol.  1, 

§  11). 

liex:  Gesetz  (s.  d.).  Lex  continuationis  s.  Monade.  Lex  naturae 
8.  Gesetz.  Lex  parsimoniae:  Gesetz  der  Sparsamkeit  im  Haushalte  der 
Natur  (besonders  die  Wolfianer):  Die  Natur  strebt,  die  größten  Wirkungen 
mit  den  geringsten  Mitteln  zu  erzeugen. 

Libemin  arbltrlniii  indlffereiitlae  („libertas  aequilibrii**) :  ab- 
solute Wahlfreiheit  und  Willkür  (s.  d.),  Vermögen,  in  einem  gegebenen  Momente 
sich  für  das  eine  wie  für  das  entgegengesetzte  Motiv  frei,  grundlos,  undeter- 
miniert  entscheiden  zu  können.  Die  Annahme  einer  solchen  bei  älteren  Philo- 
sophen ist  nur  eine  Übertreibung  der  psychologischen  Willensfreiheit  (s.  d.); 
zuweilen  bedeutet  sie  nicht  mehr  als  diese. 

Nach  Clemens  Alexandrinüs  ist  „liberum  arbitrium"  die  „virtus"  der 
8eele,  „qtM  se  possit  ad  quos  actus  velit  inclinar&^.  Augustinus  definiert: 
„Liberum  arbürium  est  facultas  rationis  et  voluntatis,  qua  bonum  eligitur  graiia 
assistentCf  et  malum  ea  desistente^^  (De  lib.  arb.  1).  Anselm  erklärt  das  liberum 
arbitrium  als  „potestas  servandi  rectitudinem  voluntatis  propter  ipsam  reetitudi- 
nem^*  (De  lib.  arb.  3).  Eiohard  von  St.  Victor  bemerkt:  „AW  autem  ar- 
bitrium hominis  idcirco  liberum  dicimus,  non  quia  promptum  habet  bonum  et 
malum  facercy  sed  quia  liberum  habet  bono  vel  malo  non  eonsentire**  (De  statu 
int  homin.  tr.  1,  C.  3,  13).  Bernhard  von  Clairvaux  sagt:  „Ubi  voluntas, 
ibi  libertas.  Et  hoc  est,  quod  dici  puto  liberum  arbitrium"  (De  grat.  C.  1,  2). 
Abaelard:  tyLibertmi  arbitrium  definientes  philosophi  dixerunt  liberum  de 
voluniate  iudieium.  Arbitrium  quippe  est  ipsa  deliberatio  sive  diiudicatio 
animi,  qua  se  aliquid  faeere  vel  dimittere  quilibet  proponit^*^  (Intr.  ad  iheol. 
m,  7).  „Liberum  arbitrium  est  ipsa  facultas  deliberandi  et  diiudicandi 
id,  quod  velit  faeere ^  an  seilicet  sit  faeiendum,  an  non,  quod  elegerit  sequen- 
dum**  (vgl.  Stöckl  I,  261).  Petrus  Lombardus  erklärt:  „Arbitrium  — 
quia  sine  eoactione  et  necessitate  vaiet  appetere  vel  eligere,  quod  ex  ratione 
deereverit"  (Lib.  sent.  II,  25,  5).  Albertus  Magnus  bestimmt:  „Liberum  ar- 
bitrium est  de  hisj  quae  in  nobis  sunt,  et  qucrum  nos  ipsi  causa  sumus  agendi 
vel  non  agendi"  (Sum.  th.  II,  qu.  58).  „Propter  hoc  dicitur  liberum  arbitrium, 
quia  in  arbitrando  non  habet  limites  sibi  praefixos,  quantum  debeat  moderari 
pro  ratione  et  pro  voluniate"  (Sum.  de  creat.  II,  68,  2).  Thomas  betont:  „Vo- 
luntas  et  liberum  arbitrium  non  duae,  sed  una  tantum  potentia  sunt"  (Sum.  th. 
I,  83,  4).  „Liberum  arbitrium  est  ipsa  voluntas"  (De  verit.  qu.  24,  6).  „Actus 
Hberi  arbitrii  est  electio"  (Sum  th.  II,  83,  3).     Durand  von  St.  PoURgAiN 

38* 


596        Liberum  arbitritmi  tndiflbrentiae  —  lilohtempflndnngen. 

erklärt:  „Ldbertiis  arbiirii  est,  qua  quis  potest  in  (üiquem  actum  vd  eiu$  oppo- 
sttum  contrarie  vel  contradictorie,"  DüKS  ScoTüB  meint:  „Volwüas  .  .  .  /«- 
bera  est  ad  opposüos  aeius^'  (Lib.  sent.  1,  d.  39^  qu.  5,  15). 

Nach  GoCLEN  ist  liberum  arbitrium  „volimtas  tU  fertw  sine  eoactione  in 
aliqua  re.  Nam  vohmtas  potest  velle,  vel  non  veüe^*  (Lex.  philoB.  p.  643).  Nach 
Malebbanche  ist  liberum  arbitrium  „la  puissanee  de  vauioir  ou  de  ne  pa$ 
votäoiTj  ou  bien  de  vouhir  le  contraire^^  (Bech.  I,  1).  Gr^en  das  liberum  ar- 
bitrium erklärt  sich  Leebniz  (Theodic.  I.  B.,  §  46).  Vgl  Willensfreiheit, 
Willkür. 

Ldclit  und  Plnstemls:  Zwei  Urprincipien,  die  der  theologische  Dua- 
lismus (s.  d.)  amiimmt.  So  der  Zenb-Atesta,  die  Manichäer  (s.  d.),  Ba- 
siUDES  (vgl.  Ritter  V,  135),  J.  Böhme,  E.  Fludd.  —  Als  Potenz  (s.  d.)  beew. 
Moment  im  absoluten  Sein  betrachten  das  Licht  die  Schellingianer  und 
Hegel. 

IJ€litempfindiiii§^eii  sind  die  Empfindungen  des  Gesichtssinnes  (s.  d.), 
die  zum  äußeren  Beize  transversale  Schwingungen  des  Lichtäthers  (450 — 800 
Billionen),  zum  inneren  Beize  chemische  Processe  in  der  Netzhaut  haben.  Sie 
zerfallen  in  Helligkeits-  und  Farbenempfindungen.  Von  der  Elnergie,  der 
Wellenlänge  und  der  Zusammensetzung  der  Atherschwingungen  hangen 
Helligkeit,  Farben  ton  und  Sättigung  der  Lichtempfindungen  ab.  Organ  der 
Lichtempfindung  sind  die  „Stäbe ftefi^^  und  ,jZapfen"  der  Netzhaut  Der  ^Jdinde 
Fleck**  (Eintrittsstelle  des  Sehnerven)  ist  für  Licht  nicht  empfänglich  (weil  ohne 
Stäbchen-  und  Zapfenschicht;  der  „gelbe  Fleek^^  ist  die  Stelle  des  deutlichsten 
Sehens  (wegen  der  dichten  Zapfenanordnimg).  Es  gibt  eine  Beihe  von  „Grund- 
färben*^  die  sich  in  einem  j^Farbensysiem*^  anordnen  lassen  (Farbenkreis,  Farfoen- 
pyramide),  und  die  „  Weiß-Sehtcarx-Beihe"  („reine  Belligkeitsempfindungen% 
An  jeder  Farbe  ist  zu  unterscheiden:  „Farbentofi"  (die  FarbenquaUtät :  roc 
u.  8.  w.),  „Sättigungsgrad**  (Sättigung,  abhängig  von  der  geringen  Blässe,  Weib- 
lichkeit), „Helligkeit**  (Lichtstärke).  Farben,  die  in  qualitativem  GegensatEe 
zueinander  stehen  und  sich  zu  Weiß  verbinden  lassen,  heißen  „Gegenfarben*^, 
„Ergänxungs-  (Complementär-)  Farben**,  Licht-  und  Farbencontrast  besteht 
darin,  daß  in  der  Umgebung  eines  Lichteindrucks  eine  E^mpfindung  von  ent- 
gegengesetzter Helligkeit  oder  Farbe  entsteht  („Randcontrast**).  Es  gibt  ver- 
schiedene Farbentheorien  (s.  unten). 

Empedokles  ninmit  als  Grundfarben  (wie  die  Pythagoreer)  an:  Weiß, 
Schwarz,  Gelb,  Bot  (Theophr.,  De  sens.  59).  Demokbit  ersetzt  das  Gelb  durch 
Grün  (L  c.  73  squ.).  Nach  Aristoteles  ist  die  Farbenempfindung  die  ivaf- 
yeainTij  aiad^aie  (Probl.  VII,  5).  Die  objective  Farbe  entsteht  aus  der  Afischung 
des  „Durchsichtigen**  mit  dem  Undurchsichtigen.  Die  Farbenempfindung  ent- 
steht durch  Umwandlung  des  Bwrifiei,  Durchsichtigen  im  Auge  in  actuell  Durch- 
sichtiges (De  an.  II,  7).  Alle  Farben  gehen  aus  der  Verbindung  von  Wdß 
und  Schwarz  hervor  (ib.;  vgl.  De  sens.  2).  Ahnliche  Anschauungen  im  Mittel- 
alter, wo  zugleich  die  Lehre  von  den  j,speeies**  (s.  d.)  herrscht. 

Gegen  die  NEWTONsche  Farbentheorie  kämpft  Goethe,  indem  er  die  physio- 
logische Function  des  Sehens  in  den  Vordergrund  rückt  „Die  Netzhaut  befindet 
sich  bei  dem,  was  wir  sehen  heißen^  xu  gleicher  Zeit  in  verschiedenen^  ja  in 
enigegengeseixten  Zuständen**  (WW.  XXXV,  92).  Aus  Hell  und  Dunkel  gehen 
die  Farben  hervor.    „Ein  Weißes,  das  sieh  verdunkelt,  das  sieh  trübt,  wird  gelb. 


Idohtempfindungen.  597 

das  SekuHxrxey  das  sieh  erhellt,  wird  blau"  (L  c.  S.  219).  Gelb  entsteht  durch 
erhellteB  Trübes  bei  lichtem  Grunde,  Blau  bei  dunklem  Grunde.  Bot  ist  die 
gesteigerte  Einheit,  Grün  die  Indifferenz  der  beiden  Gegensätze  (L  c.  S.  262  ff.). 
Almlich  lehrt  Hegel.  Schopenbaueb  betont,  y,daß  Belle,  Finsternis  und 
Farbe  .  .  .  Zustände,  Modifieaiionen  des  Auges  sind,  welche  unmiäelbar  bloß 
empfunden  tperden".  „Das  die  volle  Einwirkung  des  Lichts  empfangende  Äuge 
äußert  ,  .  .  die  volle  Tätigkeit  der  Retina.  Mit  Abwesenheit  des  Lichtes 
oder  Finsternif  tritt  Untätigkeit  der  Retina  ein''  (Ob.  d.  Seh.  u.  d.  Färb. 
§  2).  Auf  der  „intensiven  Teilbarkeit"  der  Eetinatatigkeit  beruht  die  Hellig- 
kätsreihe,  auf  der  „qualitativ  geteilten  Tätigkeit^'  der  Betina  die  Farbenreihe. 
Jeder  Farbe  ist  ein  Grad  von  Helle  oder  Dunkelheit  wesentlich  (ib.).  „Die 
Farbe  ist  die  qualitativ  geteilte  Tätigkeit  der  Retina.  Die  Verschieden- 
heit der  Farben  ist  das  Resultat  der  Verschiedenheit  der  qualitativen  Bälften,  in 
welche  diese  lUtigkeit  auseinandergehen  kann,  und  ihres  Verhältnisses  xuein- 
ander"  (1.  c.  §  5  ff.;  vgL  Parerg.  II). 

Es  gibt  drei  Haupt-Farbentheorien.    Nach  der  YouNG-HELMHOLTZschen 
Hypothese  ist  jedes  Netzhautelement  dreier  elementarer  Erregungen  fähig,  die 
einzeln  die  Empfindungen  des  Roten,  Grünen,  Violetten  auslösen  und  durch 
deren  Verbindung  alle  übrigen  Farben  entstehen  (vgl.  Helmholtz,  Physiol. 
Opt  §  19  ff.;  Vortr.  u.  Red.  I*,  312  f.).     Nach  Heking  gibt  es  drei   Seh- 
snbstanzen,  von  welchen  jede  zwei  gegensätzliche  Processe  durchmacht:  eine 
weiß-schwarz,  rot-grün,  gelb-blau  auslösende  Substanz,  deren  Dissimilation  Weiß, 
Bot,  Gelb,  deren  Assimilation  Schwarz,  Grün,  Blau   erregt  (Zur  Lehre  vom 
Lichtsinn  1  ff.).    Nach  Wunpt  besteht  ,Jede  einfache  Lichtempfindung  wahr- 
scheinlich aus  der    Verbindung    zweier  photochemischer  Processe  .   .   .,   ei^ies 
achromatisch  en ,  der  sichwieder  aus  einer  bei  größerer  Lichtstärke  überwiegenden 
Zersetzung  und  aus  einer  bei  schwächerem  Lieht  voncaltenden  Restitution  zusammen- 
setzt,  und  eines  chromatischen,  welcher  sich  derart  stufenweise  verändert,  daß 
die  ganxe  Folge  der  photochemischen  Farbenxersetzungen  einen  Kreisproceß  bil- 
det, in  dem  sich  die  Zersetzungsproducteje  zweier  relativ  entferntester  Stufen  tceehsel- 
seilig  aufheben"  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  90;  Philos.  Stud.  IV;  Grdz.  d.  physiol.  Psy- 
choL  IP,  C.  10;  vgl.  über  Farbentheorien:   Chr.  L.  Franklin,  Zeitschr.  f. 
ftychoL  IV,  211 ;  Ebbinghaus,  Zeitschr.  f.  Psychol.  V,  145  ff.  u.  Gr.  d.  Psychol. 
I,  180  ff.,  245  ff.;  J.  VON  Kries,  Zeitschr.  f.  PsychoL  IX,  81;  G.  E.  Müller, 
Zeitschr.  f.  Psychol.  X,  1  u.  321).  —  Nach  Wündt  besteht  das  System  der  Licht- 
empfindungen „flus  zwei  Partialsgstemen,  den  farblosen  Empfindungen  und 
den  Farbenempfindungen ,  zioischen  deren  QtMlitäten  aber  allle  möglichen 
stetigen   Übergänge  stattfinden  können"  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  67).    „Die  farb- 
losen Empfindungen  bilden,  für  sich  allein  betrachtet,  ein  System  von  einer 
Dimension"     Es  „hat  die  Eigenschaft,   daß  es,   abweichend  von  der  Tonlinie, 
gleichzeitig  ein  Qualitäts-  und  ein  Intensitätssystem  ist,  indem  jede 
Qualitätsänderung  in  der  Richtung  von  Schwarz  nach   Weiß  zugleich  als  In- 
tensitätszunahme, und  jede   Qualüätsäfiderung  in  der  Richtung  von  Weiß  nach 
Schwarz  als  Intensitätsabnahme  empfunden  wird.    Jede  auf  solche  Weise  quali- 
tativ und  intensiv  bestimmte  Stufe  des  Systems  nennt  man  die  Helligkeit  der 
farblosen  Empfindung**    (System    der   „reinen  Helligkeitsempfindungen")  (1.   c. 
8.  68).     Das  System  der  Farbenempfindungen   ist  auch  eindimensional, 
aber  in  sich  zurücklaufend  (1.  c.  S.  70).     „Die  durch  die  Einordnung  in  das 
Farbensystem  bestimmte  Qualität  der  Empfindung  nennt  man  .  .  .  den  Farben- 


598  Ijichtempfindtmgen  —  lAebe. 

tonJ^  „Unter  Farbengrad  oder  Sättigung  versteht  man  die  Eigenschaff  der 
Farbenempfindungen,  in  beliebigen  Übergängen  tu  farblosen  Empfindungen  vor- 
xukommen"  (L  c.  S.  71).  Femer  kommt  der  Farbenempfindmig  Helligkdt  zu. 
jjÖeht  man  nämlich  von  einer  bestimmten  Helligkeitsstufe  aus,  so  nähert  sieh 
jede  Farbenempfindung,  wenn  man  ihre  Helligkeit  zunehmen  laßt,  in  ihrer 
Qualität  dem  Weiß,  während  gleichzeitig  die  Intensität  der  Empfindung  wäeksL** 
Für  jede  Farbe  gibt  es  eine  gewisse  mittlere  Helligkdt,  bei  der  ihre  Sattignng 
am  größten  ist;  für  Bot  ist  dieser  Helligkeitswert  am  höcluften,  für  Blan  am 
niedrigsten  (PuREiNJEsches  Phänomen,  s.  d.)  (1.  c.  S.  73  f.).  Das  gesamte 
System  der  Lichtempfindungen  ist  ein  dreidimensionales  und  in  sich  geschloisenes 
Continuum  (1.  c.  S.  75  f.).  Grundfarben  sind  Bot,  Gelb,  Grün,  Blau  (so  zu&st 
L.  DA  Vma).  Vgl.  VON  Kbies,  Die  Gesichtsempfind.  1882.  Grakt  Aiajss, 
Der  Farbensinn  1880.  —  Vgl  Nachbild,  Contrast. 

Liebe  {ftXia,  ^^io9i  aydiiTi^  amor)  ist  die  innige  Sympathie  (s.  d.)  mit 
einer  Person,  die  Freude  an  der  Gegenwart,  Existenz,  den  Eigenschaften,  dem 
Glücke  dieser.  Liebe  ist  dauerndes  Wohlgefallen  an  etwas,  es  enthalt  Vor- 
stellung, Lustgefühl,  Wille,  ist  eine  Neigung  (s.  d.),  ein  Sich-hingezogen-fühlen 
zum  geliebten  Gegenstande,  ein  freudiges  Gedenken  an  denselben  („Minne^J.  Es 
gibt  verschiedene  Arten  der  Liebe.  Die  sexuelle  Liebe  wurzelt  im  Geschlechts- 
triebe, entwickelt  sich  aber  beim  Culturmenschen  zu  einer  geistigeren  Form. 
Die  sociale  Liebe  wurzelt  in  Gefühlen  der  Sympathie  (s.  d.)  für  die  Mitglieder 
der  Gemeinschaft.  Die  religiöse  Liebe  ist  freudige  Hingebung  an  Gott.  Mit 
ihr  verwandt  ist  der  „amor  intelleetualis  Dei^^  (s.  unten)  der  Philosophie;  die 
philosophische  Liebe  ist  femer  Liebe  zum  Forschen,  zum  Erkennen.  Als 
metaphysisches  Princip  ist  die  Liebe  die  das  AU  durchwaltende,  alle  Gegen- 
sätze immer  wieder  vereinigende  synthetische  Tendenz,  als  deren  Ideal  die  Gott- 
heit zu  betrachten  ist. 

Die  Veda-Philosophie  sieht  in  der  Liebe  (käma),  dem  Verlangen,  das 
erste  aus  dem  Urwesen  geborene  Princip  (Deussen,  Allg.  Gesch.  d.  Fhilos. 
I,  1).  Ähnlich  Hesiod  (Theogon.  v.  120).  Von  Empedokles  werden  Liebe 
((fiXta,  fdoTijs,  aroQYv)  ^^^  ^^  {veiKo^)  als  Principien  des  Geschehens  be- 
stimmt. Die  Liebe  halt,  bringt  alles  zusammen,  der  Haß  trennt  das  Einheit- 
liche in  die  Vielheit  der  Gegensätze:  alkore  (tev  fikotrjxi  awex^ofuv  sie  £9 
aTtnvra   —   akXors   S*    av   Si'x    ^xaora   (fo^evfieva  rslxeog  ^^^«i  (De  nat.  68  f., 

Mull.,  Fragm.  I).  Liebe  und  Haß  prävalieren  abwechselnd.  Im  Zustande  der 
Trennung  ist  der  Haß  allein  w^irksam,  im  Zustande  der  Liebe  gibt  es  keine 
Einzelheit  (vgl.  Fiat.,  Soph.  242;  Aristot.,  Phys.  VIII,  1).  Pabmenii>£8  soll 
gesagt  haben:  Tt^orrtarov  fiev  'Eqcjxa  &€cjv  fir^rlaaro  Ttdvrav  (Stob.  EksL  I,  274; 
Aristot,  Met.  1 4, 984  b  25).  —  Plato  begründet  den  Begriff  der  rein  theoretischen, 
geistigen  („Platonischen^^)  Liebe  {k'QCjq),  der  Begeisterung  für  das  Erkennen  als 
solches,  des  Strebens  nach  der  Erkenntnis,  Schauung  des  Seienden,  der  Ideen 
(s.  d.),  insbesondere  des  Guten,  Göttlichen.  Der  i^(oe  treibt  zum  Forschen  und 
Erkennen,  er  läßt  ims  erst  in  der  Schauung  des  Wahren  ruhen,  er  ist  geistiger 
Zeugungstrieb,  er  strebt,  uns  dem  Göttlichen  anzimähem  (Sympos.  178  ff.,  2Cö  E: 
Phileb.  30  B;  Kep.  V,  479  f.,  505  A).  ,ßie  im  tiefsten  Qrund  der  SeeU  schium- 
memde  Erinnerung  an  das  vorxeitliche  Schauen  der  Idee  erwacht,  und  sie  ver- 
wandelt sich  in  den  Eros,  den  heißen  Trieb,  die  Ideen  wieder  zu  schauen,  wie 
sie  an  sich  sitid**  (BENDER,  M.  u.  M.  S.  137).  Nach  Aristoteles  wirkt  Gi>tt 
(s.  d.)  in  der  Welt,  durch  Liebe  zu  ihm  (i^tofiepoi).    Von  der  Liebe  sagen  die 


Liebe.  599 

Stoiker,  bJvui  da  tdv  ^^arta  imßokqv  ^tXo7Zoi6v  Sni  nriXkog  i^yaivo/isvov  (Diog. 
L.  VII  1,  130).  Plotin  erblickt  das  höchste  Glück  des  Menschen  in  der  sehn- 
suchtsvollen Liebe  zum  Göttlichen,  Guten  (£nn.  VI,  7,  22).  Der  Erkennende 
wird  zum  liebenden  Geist,  der  mit  dem  „EHnen"  (s.  d.)  eins  zu  werden  sucht 
<L  c.  VI,  7,  35). 

Das  Christentum  wertet  den  Begriff  der  allgemeinen  Menschenliebe 
{Caritas)  und  der  Gottesliebe  aufs  höchste.  Gott  ist  die  Liebe,  die  Liebe  ist 
götüich.  Nach  Grboor  von  Nyssa  ist  die  Erkenntnis  Gottes  eins  mit  der  Liebe 
zu  ihm:  17  Sa  /vcSiru  dydnij  ylvexai,  (Dean. etre8un.p.225).  Nach AüGüsrnnTS 
ist  die  Liebe  ,,vita  quaedcwn  eopuUms  vel  copulare  (xppeUnS^*  (De  trin.  VIII,  10). 
„Ämorem  seu  dilectionem^  quae  wUeniior  est  voluntas"  (1.  c.  XV,  41).  Von  der 
mystischen  Liebe  zu  Gott  spricht  Dionysiub  Areopagita:  ^oti  de  xal  ixcra' 
^txoi'  i  &810S  i^OQ  ovx  iSv  aJrat  joif9  igaardgy  akla  rcSv  igm/iivmv  (De  dir. 
nom.  4,  13).  Nach  JoH.  Scotitb  Ebiuobna  zieht  Gott  durch  Liebe  alles  zu 
sich,  zur  Einigung  der  Geschöpfe  mit  sich.  Gott  liebt  sich  selbst  und  wird 
Ton  sich  in  uns  geliebt  (De  divis  nat.  I,  76).  „Amor  est  cofmeocio  (tut  wMulum, 
quo  omnium  renxm  tmipersitatis  ineffabüi  amicitia  insolubiltgue  unitate  eopu^ 
lahtrJ*  „Amor  est  naturalis  motus  ofrmium  rerumy  quae  in  motu  sunt,  finisy 
quieta  statio  ultra  quam  nullius  ereaturae  progredittsr  motus,'*  „Merito  ergo 
amor  Deus  dieitur,  quia  amoris  eausa  est,  et  per  omnia  diffunditur  et  in  unum 
coüigü  amor  et  ad  ipsum  ineffabilem  regressum  repolviiur;  totiusque  creati4rae 
unuUorios  malus  in  se  ipso  terminat"  (ib.).  Amalbich  von  Bens  meint» 
^^Bpiritum  ratumcUem,  dum  perfeeto  amore  fertur  in  Deum,  deficere  peniius  a  se 
ae  reverti  in  ideam,  quam  habuit  immtUabiliter  ac  aetemaliter  in  Deo'*  (bei 
Stögkl  I,  290).  Bebnhabd  yok  Claibyaux  erklart:  „Oausa  düigendi  Detim 
Deus  est"  (De  dil.  Dei  1,  1).  Die  beiden  St.  Victor  erheben  die  Gottesliebe 
zum  Princip  des  Erkennens.  Thomas  rechnet  Liebe  und  Haß  zu  den  „eon* 
eupiseiblen'*  Affecten.  Die  Liebe  (amor)  ist  „aliquid  ad  appetitum  pertinens^, 
,,tnelinatio  rei  ad  aliquid",  „complacentia  appetibilis  seu  boni"  (Sum.  th.  I, 
26  2;  I.  II,  25,  2).  Er  unterscheidet  „amor  sensitivus'*  (sinnliche  Liebe)  und 
j,/amar  intellectivus"  (geistige  Liebe)  (1.  c.  II,  26,  1).  Von  der  geistigen  Liebe 
(Caritas)  spricht  Duȧ  Scotus  (Op.  Ox.  I,  17,  3,  16). 

Ähnlich  wie  Baymund  yon  Babxtnde  lehrt  Campaneliji:  „Res  eunctas 
magis  amare  primum  ens  infinitum  quam  se  ipsas"  Alle  Dinge  lieben  Gott 
mehr  als  sich  selbst  (TJniv.  philo«.  II,  5,  3;  VI,  10).  Der  Mensch  liebt  Gott, 
Gott  liebt  seine  Geschöpfe  (1.  c.  VIII,  6,  2;  XVI,  2,  1).  Nach  Eckhart 
mümet  Gott  alle  Oreaturen,  in  denen  er  selbst  ist,  er  minnet  sich  in  ihnen. 
Die  geistige  Gottesliebe  betont  Leo  Hebbaeus  (Dialogi  di  amore  1535). 
G.  Bbuno  preist  die  heroische,  feurige  liebe  zur  göttlichen  Natur.  —  Nach 
X«.  V1YE8  ist  die  Liebe  „allubeseentia  eonfirmata"  (De  an.  III,  153). 

Nach  Descartbs  ist  die  Liebe  eine  „commotio  anim/ie,  producta  a  motu 
^pirituum  (Lebensgeister,  s.  d.),  qui  eam  incitat  ad  se  voluntate  iungendum 
oMeetis,  quae  ipsi  convenientia  videntur.  Et  odium  est  eommotio  producta  a 
spiritibus,  quae  animam  ad  id  incitat  ut  velit  separari  ah  ohiectis  quae  Uli 
offeruntur  ut  noxia"  (Pass.  anim.  II,  79;  vgl  II,  82,  84,  97,  98,  102,  103,  107, 
106,  120).  Nach  Spinoza  ist  die  Liebe  „laetitia  eoncomitante  idea  causae  ex- 
terna^' (Eth.  III,  prop.  XIII,  schoL).  Aus  der  adäquaten  Erkenntnis  (s.  d.) 
Oottes  entspringt  die  intellectuelle  Liebe  zu  Gott  („amor  inteUectualis  Dei", 
der  Begriff  geht  bis  auf  Plato  zurück).    Diese  ist  ein  Teil  der  Liebe,  mit  der 


600  Iiiebe. 

Grott  sich  (in  seinen  Modificationen)  selbst  liebt.  Diese  Qottesliebe  ist  de 
höchste  Gut,  das  größte  Glück,  die  Seligkeit  jfQui  se  stdosque  affechu  dort 
ei  distinete  mteUigity  Deum  amcU,  et  eo  magis^  quo  se  stwsqtie  affeetu»  magU 
intelligit'^  (Eth.  V,  prop.  XV).  „Hie  erga  Deum  amar  tnmtem  maacime  oeeu- 
pare  debe^'  (Eth.  V,  prop.  XVI).  y^Nemo  polest  Deum  odio  habere,"  „Amor 
erga  Deum  m  odium  verti  nequit^  (1.  c.  prop.  XVIII).  „Qut  Deum  amai, 
conari  non  potest,  ui  Deus  ipsum  eontra  amet^  (1.  c.  prop.  XIX).  ^yHie  erga 
Deum  amor  neque  itwidiae  neque  xelotypiae  affeetu  imaginari  polest;  sed  eo 
magis  fovetur,  quo  plures  homines  eodem  amoris  vineulo  Deo  ümetos  imagina- 
mur,"  „Hte  erga  Deum  otmor  summum  bonum  est,  quod  ex  dictamme  rtUümu 
appetere  possumus"  (1.  c.  prop.  XX).  Die  Gtottesliebe  entspringt  aus  der  Be- 
trachtung der  Dinge  y,sub  spede  aetemital%8^\  vom  Ewigkeitsstandpunkte  (s.  d.) 
aus.  yyNam  ex  hoc  cognitionis  genere  oritur  laetitia  eoneomüanie  idea  Dei  Um- 
quam  eausay  hoe  est  amor  Dei,  non  quatenus  ipsum  ui  praesentem  wutginamur, 
sed  quatenus  Deum  aetemum  esse  inieüigimusj  et  hoe  est,  quod  amorem  De%  «n- 
telleetucUem  voeo^'  (1.  c.  prop.  XXXII,  corolL).  „Amor  Dei  intelleetualis  .  .  . 
est  aetemz$s"  (L  c.  prop.  XXXIII).  y^Deus  se  ipsum  amore  inteUectuali  tnfmüo 
amat^*  (L  c.  prop.  XXXV).  „Mentis  amor  intelleetualis  est  ipse  Dei  amor,  quo 
Deus  se  ipsum  amat  non  quatenus  infmitus  est,  sed  quatenus  per  essentumi 
humanae  mentis  sub  specie  aetemitatis  consideratam  explicari  polest,  hoc  tat, 
mentis  erga  Deum  amor  intelleetualis  pars  est  infiniti  amoris,  quo  Deus  se 
ipsum  amcU"  (1.  c.  prop.  XXXVI).  y^Hine  sequitur,  quod  Deus,  quatenus  se 
ipsum  amat,  homines  amat,  et  consequenter  quod  amor  Dei  erga  homines  et 
mentis  erga  Deum,  amor  intelleetualis  unum  et  idem  sit"  (1.  c.  coroll.).  „Er 
his  clare  intelligimus,  qua  in  re  salus  nostra  seu  beatitudo  seu  libertas 
consistit,  nempe  in  constanti  et  aeterno  erga  Deum  amore,  sive  in  amore  Dei 
erga  homines"  (L  c.  schol.).  „Nihil  in  natura  datur,  quod  huie  amori  intelke- 
tuali  Sit  contrarium,  sive  quod  ipsum  possil  toüere^  (L  c.  prop.  XXXVII;  De 
Deo  II,  3;  II,  5).  —  Geulincx  unterscheidet:  „amor  affectionis,  amor  bene- 
volentiae,  amor  eoneupiscentiae,  amor  oboedientiae"  (Eth.  I,  1,  p.  13).  Mensch 
und  Gottheit  lieben  sich  wechselseitig  (1.  c.  V,  §  1  ff.,  p.  121  ff.).  Nach 
Leibihz  ist  Lieben  „ein  Sich-erfreuen  an  des  andern  Qlück  oder .  .  .  das  Olikk 
a/nderer  xu  dem  eigenen  mit  zu  rechnen"  (Erdm.  p.  118).  Liebe  ist  ein  Ge- 
triebenwerden, an  dem  Wohle  des  geliebten  Gegenstandes  Lust  zu  haben  (Noot. 
Ess.  II,  eh.  20,  §  4).  Da  Gott  die  voUkonunenste  und  liebenswürdigste  Sub- 
stanz ist,  so  ist  die  Gottesliebe  die  reinste  und  beseligendste  (Princ  de  la 
nat  16).  Locke  definiert:  „Wenn  .  .  .  jemand  auf  die  Gedanken  achtet,  die 
er  von  dem  Vergnügen  hat,  welche  ein  gegenwärtiges  oder  abwesendes  Ding  ik» 
verursachen  kann,  so  hat  er  die  Vorstellung  der  Liebe"  (Ess.  II,  eh.  20,  §  4). 
Chb.  Wolf  bestimmt:  „Jimor  est  dispositio  animas  ad  percipiendam  voluptatem 
ex  alterius  felicitaie^*  (Psychol.  empir.  §  633).  „Die  Bereitschaft  aus  eines  andern 
Olück  ein  merklushes  Vergnügen  xu  schöpfen,  ist  die  lAebef^  (Vern.  Ged.  I. 
§  449).  Mendelssohn  bestimmt:  „Die  Liebe  ist  eine  Bereitwilligkeit,  sieh  a» 
einer  andern  Olückseligkeit  xu  vergnügen"  (WW.  I  2,  48).  Vauvenargu» 
bemerkt:  „Uamour  est  une  complaisance  dans  l'obfet  aime"  (Introd.  ä  la  ood- 
naiss.  de  l'espr.  hum.  p.  194). 

Kant  unterscheidet  die  „praktische  Ijieb&*  (Nächsten-  und  Gottesli^» 
von  der  ,,pathologischen"  (sinnlichen  Neigung)  (Krit  d.  prakt.  Vern.  1.  T.,  1.  Bs 
2.  Hptst.).     yfien  Nächsten   lieben  heißt  alle  Pfiichi  gegen  ihn  gern  ausubtn*" 


Uebe.  601 

(WW.  V,  87).  —  Einen  ,,Trieb  nach  Liebet'  nimmt  Heinboth  an  (Psychol. 
8.  ö8).     E.  Reinhold  definiert:   ,yDie  immer  mit    WerUckMxung  verbundene 
anhaUende  Richtung  des  Wohlgefallens  auf  einen  Öegenstand  ist  die  Zuneigung, 
die  Liehe.    Die  anhaUende  Richtung  des  Mißfallens  .  ,  .  ist  die  Abneigung,  der 
Haß"  (Lehrb.  S.  246).  Nach  Schleebbmacher  ist  die  Liebe  ,/ias  Seekn-werden- 
wollen  der  Vernunft,  das  Hineingehen  derselben  in  den  organischen   Proeeß^^ 
(Philoe.  SittenL  §  .^3).     Es  gibt  freie  und  gebundene,  gleiche  und  ungleiche 
Liebe  (L  c.  §  304).     „Die  gebundene  Liebe  im  Charakter  der  Oleiehheit  ist  Qe^ 
reehttgheit^*  (1.  c.  §  305).    G.  SCHiLiJNa:  „Die  Liebe  ist  Neigung;  also  entweder 
schon  angehende  Begehrung  oder  die  nächste  Disposition  daxu"  (Lehrb.  d.  PsychoL 
8.  115).     Nach  Nahlowsky  ist  liebe   das  „an  einer  Person,  Sache  oder  Be-^ 
UUigungsform  .  .  .  sieh  ooneentrierende  Wohlgefallen,   welches  sich  bald  auf  ob- 
jective,   bald  bloß  auf  subjective  Vorzüge  stützt,   eUlemtü  aber  den  betreffenden 
Gegenstand  zum  Mittelpunkt  eines  größeren  Oedankenkreises  und  zum  Ausgangs- 
punkt eines  mannigfachen  Begehrens  macht^^  (Gefühlsl.  8.  225).    Nach  8chopen- 
HAUEB  wurzelt  alle  „  Verliebtheit^,  „wie  ätherisch  sie  sieh  auch  gebärden  mag**, 
im    Geschlechtstriebe.     Bei  aller  Geschlechtsliebe  führt  der  Gattungsinstinct 
die  Zügel  und   schafft  Illusionen,   „weil  der  Natur  das  Interesse  der  Gattung 
allem  andern  vorgeht".    „Was  .  .  .  zwei  Individuen  verschiedenen  Geschlechts  mit 
solcher  Gewalt  ausschließlich  zueinander  zieht,  ist  der  in  der  ganzen  Gattung 
sieh  darstellende   Wille  zum  Leben,  der  hier  eine  seinen  Zwecken  entsprechende 
Olffeetivation  seines   Wesens  antizipiert  in  dem  Individuo,  welches  jene  beiden 
zeugen  können*'  (W.  a.  W.  u.  V,  II.  Bd.,  C.  44).  —  Nach  Fechneb  geht  Gottes 
Liebe   über  alles,  er  Uebt  alle  wie  sich  selbst,   weil  er  eben  Teilwesen  seines 
eigenen  Wesens  darin  liebt  (Tagesans.  8.  24).     Nach  B.  Hameblikg  ist  die 
Liebe   „flfei«  lebhafte  Sich-selbst-befahen  des  Seins**  (Atom.  d.  Will.  II,  164).  — 
Nah  Chb.  Kbause  ist  die  Liebe  Gottes   „cUis  Urleben  des  Gemütes"  (Urb.  d. 
Menschh.  8.  3).    „Liebe,  ein  mächtiger  unvertilgbarer  Trieb,  läßt  alle  Wesen  dem 
Weltgesetze  der  Geselligkeit  folgen,    Sie  ist  die  lebendige  Form  der  imvem  orga- 
nischen Einung  alles  Lebens  in  Gott;   sie  ist  der  ewige  Wille  Gottes,   in  allen 
Wesen  lebendig  gegenwärtig  zu  sein,  und  das  Leben  aller  seiner  Glieder  in  sich 
selbst,  als  in  das  ganze  Leben,  zurückzunehmen**  (1.  c.  8.  67).    „Jedes  Wesen  ist 
seiner  Natur  nach  gottliebend  und  gottinnig**  (ib.).    „Die  Liebe  encaeht  im  Än- 
sehatten  der  Vortrefflichkeit,  der  innem  Gesundheit  und  Schönheit  des  geliebten 
Wesens,  als  das  Sehnen,  mit  ihm  ein  höheres  Leben  zu  sein**   (1.  c.  8.  68). 
V.  CouBn«  erklart:   „(7 est  .  .  .  l'infini  que  nous  aimons  en  croyant  aimer  les 
choses  finies**  (Du  vrai  p.  107).      Die  pantheistische  All-Liebe,  die  alles  ver- 
einigt, feiert  R  Wagneb  im  „Tristan**.     Auch  M.  Messeb.     „Wie  sich  die 
NaiuT  durch  das  Gehirn  des  Mensdien  ihres  Seins  und  itires  Seins  Grund  be- 
wußt werden  will,  so  versucht  sie  durch  die  Liebe  die  Zwiespältigkeit  ihres  Seins 
XU  tiberwinden,  die  Einheit  wieder  zu  gewinnen,   mit  der  sie  in  der  Seele  Gottes 
lag  vor  der  Schöpfung**   (Mod.  8eele    8.  33  f.).     „Der  Liebende  erweitert  sich 
durch  seine  Liebe  zu  Gott,   die  liebende  Seele  wird  Gottesseele**  (L  c.  8.  38). 
„Liebe  heißt  die  Sehnsucht  nach  dem  Unsterblichen  noch  im  Diesseits  des  Lebens** 
(L    c.    8.  40).      „Äües    Von-sich-selbst-weggehen,    Ergänzung  -  suchen  in    einem 
andern  .  .  ,  ist  Liebe,  ist  der  Trieb,  seine  im  irdischen  Sein  gefangene  und  ver- 
kürxte  Seele  z/ur  Allseele  zu  verschwistem**  (1.  c.  8.  43).     „Das  Mittel  jeder  Ent- 
uneklung  ist  Liebe**  (1.  c.  8.  133). 

Nach  Renan  läßt  sich  die  (geschlechtliche)  Liebe  durch  das  Vorhanden- 


602  Liebe  —  Limitative  („unendliche")  Urteile. 

sein  des  Bewußtseins  der  Keime  erklären.  ^^Das  numnbare  Indivtätium.  trS^ 
Millionen  von  dunklen  Bewußtseinen  in  sich^  welche  im  Besitxe  eines  undeuiUekm 
Gefühles  ihrer  Enttoieklungsbedingungen  xu  sein  verlanffen,  nadi  einem  Sein 
streben  und  ihm  ihr  Sehnen  laie  ihren  Sehmerx  mitteilen**  (Philos.  DiaL  n. 
Fragm.  S.  68).  Naeh  Volkmann  ist  Liebe  ^.eine  Neigung,  die  ihre  Befriedigung 
an  der  Oegenwart  des  geliebten  Gegenstandes  findet*  (Lehrb.  d.  PsychoL  11^,  490). 
H.  HÖFFDINO  erklärt:  „Die  Vorstellung  von  dem,  was  mit  dem  iMstgefäkl  «i 
wesentlicher  Verbindung  steht,  versehmUxt  mit  diesem  und  bestimmt  es  in  ei$ter 
gewissen  Richtung,  Es  entsteht  ein  unwillkürlicher  Drang  zum  Festhalten  und 
Beschütxen  dessen,  was  Lust  erregt.  Die  Freude  ist  dieser  Drang  von  der  pas- 
siven (diffttsiven),  eontemplativen  Seite  gesellen,  ist  die  Lust  am  Verweilen  beim 
Objeet;  die  Liebe  bezeichnet  die  actitfe  Seite,  den  Trieb  xu  einer  Handlung,  die 
das  Objeet  sichern  oder  aUen falls  uns  dasselbe  sichern  kann  Auf  höheren 
Stufen  der  Entwicklung  entsteht  die  Sympathie  der  Liebe,  Lust  an  der  Lust 
anderer  sowohl  als  Unlust  an  der  Unlust  anderer  (Mitleid/'  (Psychol.*,  8.  324). 
„Das  Liebesgefühl  in  seiner  rein  primitiven  Form  ist  .  ,  ,  ein  Movnent  des 
Lebensgefühls**  (1.  c.  S.  349).  Nach  Döring  ist  Liebe  „ein  Lustgefühl  aus  der 
Vorstellung  eines  Wesens,  dessen  Existenz  für  das  eigene  Wohlsein  in  irgend 
einer  Beziehung  eine  hervorragende  Bedeutung  hat*'  (Philos.  Güterlehre  S.  114). 
Nach  R.  Wähle  heißt  Lieben  ,festhaltend,  angespannt  um  etwas  bemußtt  seit^ 
(Das  Ganze  der  Philos.  8.  378).  Brentano  versteht  unter  „PhUnomenen  der 
Liebe  und  des  Hasses**  die  Gefühle  und  Begehrungen;  er  spricht  von  „riektig 
charakterisierter  Liebe**  (s.  Sittlichkeit).  Vgl.  Teichmüller,  Üb.  d.  Wesen  d. 
Liebe;  Darwin,  Abstamm.  d.  Mensch.;  Michelet,  Die  Liebe;  Mantbgazza. 
Physiol.  d.  Liebe;  J.  DuBOC,  Psychol.  d.  Liebe,  2.  A.  1880;  Bölschb,  Liebedeb. 
in  d.  Natur;  L.  Büchner,  Liebe  u.  Liebesieb,  in  d.  Tierwelt  VgL  8electioo, 
Ästhetik. 

Liefen  (xeXcd^ai)  ist  eine  der  Kategorien  (s.  d.)  des  Aristoteles.  Es  be- 
zeichnet, nach  H.  Cohen,  die  Trägheit  oder  die  Beharrung  (Log.  S.  206). 

IJinbas    infeml:    Vorhölle  (Thomas,    Som.  th.  IL  II,  2,  7   ad  2i 

Paracelsüs  nennt  „Limbus**  die  Urmaterie  (s.  Materie). 

Limitation:  Beschränkung.  Bei  Kant  eine  der  Kategorien  (s.  d-u 
J.  G.  Fichte  leitet  sie  aus  der  präempirischen  Tätigkeit  des  Ich  (s.  d.)  ab.  Sie 
entsteht  begrifflich  durch  Beflexion  auf  den  Act  des  Setzens  und  Gegenaetiais, 
des  sich  selbst  Begrenzens  des  Ich  (Gr.  d.  g.  Wiss.  S.  45).  —  Geülincx  nennt 
die  Einzeldinge  Limitationen  Gottes  (Met.  p.  56). 

Liimitative  (99nnendliclie*^)  UrteUe  sind  Urteile,  welche  ein  nega- 
tives Prädicat  enthalten,  aber  der  Form  nach  bejahend  sind:  S  ist  noo-P, 
d.  h.  es  ist  alles  mögliche  (Unendliches),  nur  nicht  positives  P  (dieses  wird 
ausgeschlossen  aus  der  Sphäre  des  Gültigen).  Als  eine  besondere  Klasse  von 
Urteilen  hat  die  limitativen  Urteile  Kant  aufgestellt.  „Ebenso  müssen  in 
transcendentalen  Logik  unendliche  Urteile  von  bejahenden  noch 
schieden  werden,  wenn  sie  gleich  in  der  allgemeinen  Logik  jenen  mit  Recht  bei- 
gexählt  sind  und  kein  besonderes  Olied  der  Einteilung  (msmachen.  Diese  nämUtk 
abstrahiert  von  allem  Inhalt  des  Prädicats  (ob  es  gleich  verneinend  ist)  und  sieht 
nur  darauf,  ob  dasselbe  dem  Subject  beigelegt  oder  ihm  entgegengesetzt  werde. 
Jene  aber  betrachtet  das  Urteil  aiieh  nach  dem  Werte  oder  Inhalt  dieser  Itfgisehem 
Blähung  vermittelst  eines  bloß  verneinenden  Prädicats,   und  was  diese  in  Än^ 


Iiimitative  (Mimendllohe*«)  Urteile  ~  Localiaatioii.  603 

Hhung  des  gesamten  Erkenntnisses  für  einen  Gewinn  tferschafft."  Durch  das 
Urteil:  „Die  Seele  ist  unsterblich^^  „toird  nur  die  unendliche  Sphäre  alles  Möglichen 
insoweit  beschränkt,  daß  das  Sterbliche  davon  abgetrennt  und  in  den  übrigen 
Raum  ihres  ümfanges  die  Sede  gesetzt  wird  .  .  .  Diese  unendlichen  Urteile 
also  in  Ansehung  des  logischen  Ümfanges  sind  wirklich  bloß  beschränkend^^ 
(Erit.  d.  r.  Vem.  S.  90  f.)*  j^Das  unendliche  Urteil  zeigt  nicht  bloß  an,  daß  ein 
Sutjeet  unter  der  Sphäre  eines  Prädieats  nicht  enthalten  sei,  sondern  daß  es 
außer  der  Sphäre  desselben  in  der  unendlichen  Sphäre  irgendwo  liege;  folglich 
stau  dieses  Urteil  die  Sphäre  des  Prädieats  als  beschränkt  vor"'  (Log.  8.  161). 
,Jk  verneinenden  Urteilen  affidert  die  Negation  immer  die  Copula;  in  unend~ 
liehen  wird  nicht  die  Copula,  sondern  das  Prädicai  durch  die  Negation  affidert'' 
(L  c.  6.  162).  Das  „unendliche  Urteil*  acceptiert  u.  a.  Fries  (Syst  d.  Log. 
8.  133).  Trendelenbubg  nennt  es  eine  „künstliche  FoTm^\  ,Jediglieh  aus 
einem  Experiment  der  Logiker  entstandene^  (Gesch.  d.  KategorienL  S.  290;  Log. 
Unters.  II*,  256  f.).  Ähnlich  denken  W.  Rosenkrantz  (Wissensch.  d.  Wiss.  II, 
154),    WuNDT  u.  a. 

IJnie,  starre:  ein  Begriff,  'durch  den  Heebart  die  Anordnung  der 
einfachen,  unraumlichen  „Realen^^  (s.  d.)  erklären  wilL  „Setxe  man  der  Ein- 
fachheit wegen  nur  zwei  Wesen,  so  hat  man  auch  nur  zwei  Orte.  Diese  sind 
völlig  außer  einander,  aber  ohne  alle  Distanz.  Sie  sind  aneinander,  —  Behalte 
man  das  Aneinander,  setze  aber,  da  der  Ort  den  Wesen  zufällig  ist,  eins  in 
den  Ort  des  andern,  so  entsteht  dem  zweiten  Wesen  ein  dritter  Punkt  (ein- 
facher Ort  des  einfachen  Wesens).  Der  zweite  Punkt  liegt  nun  gerade  zwischen 
dem  ersten  und  dritten,  weil  für  die  letzten  noch  kein  anderer  Übergang  vor- 
handen ist  als  ganz  und  gar  durch  den  zweiten.  —  Dasselbe  aus  demselben 
Grunde  fortgesetzt,  ergibt  eine  unendliche,  starre,  gerade  Linie^'  (Hauptp.  d. 
Met  S.  47  f.).  ,tDas  einfache  und  starre  Aneinander  (nicht  In-  noch  Von- 
einander) erwächst,  fortgetragen,  zu  einer  Linien*  (1.  c.  S.  52).  Der  Übergang 
der  Punkte  ineinander  erzeugt  die  stetige  Linie  (Allg.  Metaphys.  I). 

liOeallsatloii  (von  locus,  Ort)  ist  die  Verlegung  von  Empfindungen  an 
eine  mehr  oder  weniger  bestimmte  8teUe  im  Leibe  oder  dessen  Umgebung,  die 
Beziehung  einer  Empfindung  auf  einen  Ort  als  Ausgangspunkt  derselben,  als 
Statte  der  Err^ung.  Die  Localisation  beruht  auf  einer  (eingeübten)  Association 
der  Empfindung  mit  einer  Baumvorstellung,  mit  Bewegungs-  und  Lageempfin- 
düngen.  Sie  ist  von  der  Protection  (s.  d.)  zu  unterscheiden.  —  Die  Localisation 
wird  bald  als  unmittelbare  Function  der  Empfindung,  bald  als  Associations- 
product  betrachtet 

Die  Localisation  erörtert  Desgartes:  „Quamvis  .  .  .  haec  [titillatio  ao 
dolor]  extra  nos  eise  non  putentur,  non  tarnen  ut  in  sola  mente  sive  in  per- 
eeptione  nostra  solent  spectari,  sed  ut  in  manu,  aut  in  pede,  aut  quavis 
alia  parte  nostri  corporis.  Nee  sane  magis  certum  est,  cum  exempli  causa, 
dolorem  sentimus  tanquam  in  pede,  illud  quid  esse  extra  nostram  mentem, 
in  pede  exisiens,  quam  cum  videmus  lumen  tanquam  in  sole  illud  lumen 
extra  nos  in  sole  existere;  sed  täraque  isla  praeiitdicia  sunt  primae  nostri 
aetatisi"  (Princ.  philos.  I,  67).  „Probatur  autem  evidenter,  animam  non 
quatenus  est  in  singtdis  membris,  sed  tantum  quatenus  est  in  cerebro,  ea 
quae  corpori  accidunt,'  in  singulis  membris  nervorum  ope  senlire^^  (1.  c. 
IV,  196).  -^  Nach  J.  G.  Fichte  versetzt  die  Seele  alles  in  ein  bestinmites 


604  Iiocalisatioii  —  Looalisatioii,  physiologische. 

Baumverhältnis  £u  dem  ihr  a  priori  imiewohnenden  Ausdehnangsgebilde  ihres 
Leibes  (PsychoL  I,  3^).  A.  Bain*  führt  die  Localisation  auf  Association  jqbl 
Gesichts-  und  Tastempfindungen  zurück  (Sens.  and  Int  p.  3d4  ff.;  Ment  and 
Mor.  ßcienc.  p.  101).  Nach  Volkmank  ist  Localisation  der  ,^oeeß  der  Um- 
gestaltung der  Empfindimg  aus  der  bloßen  Vorstellung  xu  einem  Vorgang  an 
einer  mehr  oder  weniger  bestimmten  Stelle  des  Ijeibes"  (Lehrb.  d.  PsjchoL  ll\ 
117).  Sie  ist  ein  zur  Empfindung  neu  hinzukommender  Prooeß  (L  c  S.  HS). 
„Was  der  an  sich  ortlosen  Empfindung  ihre  örüiehe  Beziehung  verleiüdy  das  id 
ihre  reproducierende  TUtigkeit,  die  sie  mit  einer  Vorstellung  in  VerbinduHg 
bringt,  welche  bereits  ihre  Stellung  in  einem  Raumsehema,  und  xwar  m  (te 
Raumschema  des  Leibes ,  gefunden  hat"  (1.  c.  S.  119).  Nach  Lotze  u.  a.  gibt 
es  „Localxeichen"  (s.  d.).  Nach  G.  Hetmans  kommt  den  Gehörs-,  Gemcfas- 
und  Hautempfindungen  eine  ursprüngliche  (nicht  erst  aus  der  Verbindung  mit 
Gesichtseindrücken  abgeleitete) '  Localisation  zu  (Ges.  u.  £rk.  d.  wiss.  Denk. 
S.  218).  Sebgi  erklärt  die  Localisation  als  ^tendance  de  la  pereeption  ä  revemr 
vers  la  cause  qui  a  exdte  le  fait  psychique,  pareeque  ce  fait  est  en  rMUem 
avee  eile"»  „La  perceptivite  se  developpe  par  une  refleocion  de  Vonde  exeiia4rief^ 
et  cette  onde  ne  peut  itre  reflechie  sur  un  autre  point  que  sur  le  point  mimt 
d'excitation"  (Psychol.  p.  189).  Nach  Biehl  ist  „Localisation"  der  Ausdruck 
dafür,  daß  ,Jede  Empfindimg  begrenzt  und  bestimmt  ist  durch  etwas,  wtu  niekt 
selbst  empfunden  wird"  (Philos. Kritic.  II  1,  42).  G.  Villa  erklärt:  ,yDie  Locali- 
sation ist  nie  mit  einer  einzigen  Vorstellung  gegeben,  sondern  das  Ergebnis  einer 
Bexiehung  xunschen  der  'fast-  und  der  Oesiohtsvorstellung ;  denn  auch  die  erdt 
erweckt  immer  eine  wenn  auch  sehr  dunkle  Vorstellung  von  dem  Thile  des  be- 
riUtrten  Körpers"  (Einleit.  in  d.  Psychol.  S.  276).  So  auch  schon  Wuitdt  (Gr. 
d.  Psychol.^,  S.  126).  Die  Localisation  des  Tastsinnes  ist  beim  sehoiden  Mes- 
schen keine  unmittelbare  (ib.).  Die  Erweckung  einer  Gresichtsvorstellung  duidi 
den  Tasteindruck  wird  durch  Localzeichen  (s.  d.)  ermöglicht  (ib.).  Nach  Jgdl 
ist  Localisation  der  Proceß,  „durch  welchen  ein  Empfindungsphänomen  an  eine 
bestimmie,  ento-  oder  epiperipherische  Stelle  des  Leibes  perlegt  wird"  (Lehrb.  d. 
Psychol.  S.  551).  Externalisation  ist  , Jener  Vorgang,  durch  weichen  ein 
Empfindungspfiänomen  an  irgend  einen  Punkt  des  den  Leib  umgebenden 
verlegt  wird"  (1.  c.  S.  553).  Nach  Faüth  ist  die  Localisation  y,die 
Tätigkeit  der  Äppereeption,  welche  den  Teilen  ihre  Stelle  im  Oanxen 
(Das  Gedächtnis  S.  44).  Külpe  betont:  „Loccdisieren  im  eigenüiehen  Sinns 
lassen  sieh  nur  diefenigen  Empfindungen,  denen  wir  eine  ursprunglich  räumUeks 
Eigenschaft  beilegen,  also  die  Tost-  und  Qesiehtsempfindungen"  Bei  den  Ge- 
ruchs- und  Gehörseindrücken  ist  die  Localisation  eine  Association  (Gr.  d.  PsychoL 
S.  388  ff.).  Vgl.  £.  Hering,  Der  Baumsinn  u.  d.  Beweg,  d.  Auges,  in 
Hermanns  Handb.  d.  Phys.  III,  1,  S.  343  ff.;  H.  Münsterberg,  Beitr.  zur 
exper.  Psychol.  H.  2,  1889.  —  Vgl.  Baum. 

liOcallsatloii 9  physiologische  (Gehimlocalisation)  heißt  die  Ver- 
teilung von  Gehimfunctionen  (nebst  deren  psychischer  Innenseite)  an  verschiedeiie 
Gehimpartien  oder,  besser,  an  bestimmte  Coordinationen  von  Gehimstelkn. 
Über  die  Berechtigung  der  Annahme  einer  GehimlocaUsation  bezw.  des  Um- 
fanges  und  der  Art  derselben  besteht  noch  Streit 

Gall  begründet  durch  seine  Phrenologie  (s.  d.)  die  Lehre  von  der  Gehim- 
localisation,  er  spricht  schon  von  einem  Sprachcentrum  (s.  d.),  wie  apator 


Localisatlony  physiologische  —  Iiooalseicheii.  605 

Bboca  (1861).  Flourenb  dagegen  meint,  alle  Himpartien  seien  gleichwertig, 
das  ganze  Gehirn  sei  an  jeder  Seelenfunction  beteiligt.  Fbitsgh  und  Hitzig 
zeigen  (1870),  daß  die  Reizung  bestimmter  Punkte  an  der  Oberflache  des 
Giofihims  bestimmte  Bewegungen  nach  sich  ziehe.  Nach  H.  Munk  ist  jedes 
Sinnesorgan  in  einem  Teile  der  Hirnrinde  vertreten  (Seh-  und  Hörsphare  etc.) ; 
die  Intelligenz  aber  hat  „überall  in  der  öroßhimrinde  ihren  Sitx^'  (Üb.  d. 
Fanctianen  der  Großhirnrinde  1881,  S.  73).  Dagegen  Gk>LTZ  (Pflügers  Arch. 
f.  Physiol.  XX,  XXVI,  XLII),  auch  Wundt:  „Berechtigt  ist  man  nur  xu 
sehliefienf  daß  die  LoealieaJtion  keine  absolut  unveränderliche  sei,  sondern 
daß  «m  Laufe  der  Zeü  andere  Teile  des  Gehirns  die  Fähigkeit  gewinnen  können^ 
für  die  Leistungen  der  hinweggefallenen  eimuUreten*^  („Oesetx  der  SteUoertretun^^), 
Dies  beweist,  „daß  nicht  9Msammengesetxte  Fähigkeiten,  wie  das  fSprachver- 
mcgen^,  als  solche  loealisiert  sein  werden,  sondern  daß  derartige  Tätigkeiten 
immer  aus  einem  verwickelten  Zusammenwirken  einfeusher  Vorgänge  entspringen, 
die  ntm  erst  an  bestimmte  centrale  Elemente  gebunden  werden**  (Essays  4,  S.  109 ; 
Philos.  Stud.  VI;  Grdz.  d.  physiol.  Psychol.  I,  C.  5;  Vorles.»,  30.  VorL;  Gr.  d. 
PsychoL*,  S.  244  ff.).  Höffdikg  glaubt  nur  an  die  Localisation  von  ele- 
mentaren Processen  (Psychol.*,  S.  55).  Einen  vermittehiden  Standpunkt  nimmt 
auch  HelIjPACH  ein  (Grenzwissensch.  d.  Psychol.  S.  70  ff.).  FLECHSia  hin- 
g^en  nimmt  viele  Gehimprovinzen  und  drei  Associationscentren  (s.  d.)  an 
(Gehirn  u.  Seele^  1896).  Vgl.  Leiden  und  Jastrowitz,  Beitrage  zur  Lehre 
van  d.  Localisat  im  Gehirn  1888;  B.  HoLLi^XDER,  Die  Localisation  d.  psych. 
Tätigkeiten  im  Gehirn  1900;  J.  Souey,  Les  fonctions  du  cerveau  1890. 

IjoealBeielieii  heißen  (seit  Lotze)  die  mit  den  Empfindungen  des  Tast- 
und  Gesichtssinnes  verknüpften,  von  der  Stelle  der  Err^ung  abhangigen  raum- 
setzenden Bestimmtheiten. 

In  Weiterführung  der  Lehre  E.  H.  Webess  von  den  Empfindungskreisen 
(s.  d.)  versteht  Lotze  unter  Localzeichen  „charakteristische  Nebenbestimmungen 
neben  dem  InhaUe  der  Empfindung,  dem  Punkte  ausschließlieh  etttspreehend,  in 
welchem  der  Reix  die  empfängliehe  FUü^  des  Organismus  trifft,  und  welche 
eine  andere  sein  würde,  wenn  der  gleiche  Eeix  eine  andere  Stelle  des  Organis7nus 
berührt  häit&'  (Mikrok.  I,  332  ff.;  Medic.  Psychol.  S.  296,  310,  324).  ,/afer 
Farbeneindruck  r,  x.  B,  Rot,  bringt  auf  allen  Stellen  der  Netxhaut,  die  er  trifft, 
dieselbe  Empfindung  der  Röte  hervor.  Nebenbei  aber  bringt  er  an  jeder  dieser  ver- 
schiedenen Stellen  a,  b,  e  einen  gewissen  Nebeneindruck  a,  ß,  y  hervor,  welcher 
unabhängig  ist  von  der  Natur  der  gesehenen  Farbe  und  bloß  abhängig  von  der 
Natur  der  gereixten  Stelle.*'  ,fiies  ist  die  Theorie  von  den  Loealxeiehen. 
Ihr  Grundgedanke  besteht  darin,  daß  alle  räumlichen  Verschiedenheiten  und  Be- 
xiekungen  xwisehen  den  Eindrücken  auf  der  Netxhaut  ersetzt  u^erden  müssen 
durch  entsprechende  unräumliche  und  bloß  intensive  Verhältnisse  xunschen  den 
in  der  Seele  raumlos  xusammenseienden  BHndriicken,  und  daß  hieraus  rückwärts 
nicht  eine  neue  wirkliche  Äuseinanderbreitung ,  sondern  nur  die  Vorstellung 
einer  solchen  in  uns  entstehen  muß"  (Gr.  d.  Psychol.  §  32  f.).  Die  Localzeichen 
der  Netzhaut  knüpfen  sich  an  Beflexbewegungen  (ib.).  Helmholtz  bestimmt 
die  Localzeichen  als  „Momente  in  der  Empfindung,  durch  welche  wir  die  Rei- 
xung  einer  Stelle  von  der  aller  übrigen  unterscheiden,  unabhängig  von  der  Quan- 
tität und  Qualität  der  Empfindung,  über  deren  nähere  Beschaffenheit  wir  jedoch 
nichts  wissen"  (Physiol.  Opt.  S.  539,  797 ;  Vortr.  u.  Red.  I*,  332,  394).  Th.  Zieg- 
USB.  betrachtet  die  Localzeichen  als  ,^efühlsmäßige  Nuancierungen"  (Das  Gef.*, 


606  IiOcalaeiohexL  —  Logik. 

S.  148).  Eine  Ergänzung  der  Lotzeschen  Theorie  findet  sich  ba 
R  Geijer  (PMos.  Monatsh.  1885),  auch  bei  Höffding  (Psycho!.«,  8.  275  f, 
vgl.  Baum).  Die  Locakeichentheorie  erneuert  Wundt.  Jedem  Funkte  des 
Tastorgans  kommt  ,,eine  eigeniümlieke  qualüative  Färbung  der  Tasiempfmdtmg 
%u  .  ,  .,  die  unabhängig  von  der  Qualität  des  äußeren  Eindrucke  ist  und  itakr- 
sckeinlieh  von  den  von  Punkt  xu  Punkt  teeekselnden  und  an  iuoei  entfenüm 
Stellen  niemals  völlig  übereinstimmenden  StmetureigentünUiehheüen  der  HatA 
herrührt'^  (Gr.  d.  Psychol.^  S.  127).  Es  gibt  qualitative  und  intensive  Loeil- 
zeichen,'  deren  Verschmdzung  miteinander  und  den  G^ichtsempfindungea  die 
Baumvorsteilung  (s.  d.)  ergibt  (Grdz.  d.  phys.  Fsychol.  U*,  32,  222  fL;  Gr.  d. 
Psychol.  S.  154  ff.,  161  ff.).  G«gen  die  Locakeichentheorie  erklärt  sich  o.  a. 
VOLKMANK  (Lehrb.  d.  PsychoL  11^,  46).  Lipps  ersetzt  die  Lotzeschen  Local- 
zeichen  (Bewegungsempfindungen)  durch  andere.  Gegen  die  Lotzesche  Fonn 
derselben  ist  Külpe  (Gr.  d.  PsychoL  S.  384  ff.).  Den  einzehien  Netxfaant- 
dementen  kommen  Localzeichen  zu,  y^gewisse  Eigentümliehkeiten,  vermöge  deren 
sie  bestimmte  räumliehe  Angaben  an  sieh  heften^\  Sie  sind  „nießU  iüs  beteufis 
Merkmale  der  einzelnen  Gesiehtseindrücke  aufxufassen",  sondern  es  ist  ihnen  eine 
physiologische  Bedeutung  zuzuschreiben  (1.  c.  S.  386).     Vgl.  Baumvorstelliii^. 

liOel  {roTioi,  örter):  logische  örter,  Gemeinörter  (,Joei  eommunee"),  all- 
gemeine Begriffe,  als  Fixation  und  Ck>ncentration  specieller  Begriffe;  aus 
jenen  sollen  sich  diese  durch  Analyse  u.  s.  w.  finden  lassen.  Die  Lehre  von 
den  „Öriem**  begründet  Aristoteles  (Topik  u.  Rhetor.  I  2,  1358a  10  squ-l 
Theophrast  definiert:  ^an  ya^  6  roTtog  .  .  .  d^xv  ''"'ff  •?  CTotx^lov  «y  «r 
Xafißdvofiev  rag  ne^l   ^caarov   d^x^e  iniffrijaavTsg  ti^v   Stdvoiav  t^   Tte^ty^oft^ 

ftiv  (hQia/uvm  (bei  Prantl,  G.  d.  L.  I,  394).  Nach  Cicero  sind  die  „foci" 
„sedeSj  e  quibus  argumenta  promuntur^  i.  e  rationeSy  quae  rei  dtdnete  fadami 
fidem"  (Top.  2).  —  Die  „foct  topici*^  spielen  in  der  Bhetorik  eine  Bolle  (bis  ii» 
18.  Jahrb.).  „Loci  topici  seu  dialeetiei  sunt  sedes  argumentorum^  unde  depro- 
muntury  quae  ad  aliquid  probandum  condueunt,  unde  etiam  voeantur  loci 
eommunes*^  (Micraelius,  Lex.  philos.  p.  601).  Die  Logik  von  Port- Royal 
definiert:  ,yLoci  argumentorum  quaedam  generalia  sunt,  ad  quae  reduei  possumt 
illae  eommunes  probationeSf  quibus  res  varias  traetantes  utimur^*  (HI»  1<^)*  Ee 
gibt  „loci  grammatiei,  logiei,  metaphysici^*  (1.  c.  III,  18).    Vgl.  Topik. 

liOeomotlTa  faenltas:  Bewegimgs vermögen,  von  Aristoteles  und 
den  Scholastikern  der  Seele  zugeschrieben. 

liOi^ea  communis,  generalis,  universalis,  docens,  utens,  vetus,  nova,  for- 
malis  u.  s.  w.  s.  Logik. 

liOi^eltftt:  der  logische  Charakter,  die  Vemünftigkeit. 

liOg^lk  {Xoyixrjj  logica):  Lehre  vom  loyog,  vom  Denken,  die  Wissenschaft 
von  den  logischen  (s.  d.)  Gesetzen  und  Principien  des  Denkens,  von  den  Denk* 
gesetzen  und  Denkfunctionen,  die  bei  der  Erforschung  der  Wahrheit  wirksam 
sind,  angewendet  werden  müssen.  Die  Logik  analysiert,  auf  Grundlage  der 
Psychologie  (deren  sie  sich  ab  Hülfsmittel  bedient,  ohne  mit  ihr  zuRammen- 
zufallen),  den  Denkproceß,  untersucht  die  Denkformen,  Denkfunctionen  (Urteil. 
Schluß,  Begriff)  —  formale  Logik  — ,  prüft  die  Gültigkeit  der  allgemeineil  Er> 
kenntnisprincipien  —  Erkenntnistheorie  (s.d.)  —  und  untersucht  kritiach  die 
Methoden  der  Wissenschaften  —  Methodenlehre  (Methodologie).    Die  Logik 


Logik.  607 

ist,  indem  sie  das  Denken  audf  seine  Taugliclikeit  zur  Wahrheit  hin  prüft  und 
indem  sie  Begebi,  Nonnen  (s.  d.)  für  das  richtige  (s.  d.)  Denken  aufstellt,  eine 
normative  Wissenschaft,  sie  ist  Kritik  des  Denkens  und  Erkennens,  nicht 
bloß  beschreibend-genetische  Psychologie,  wie  der  extreme  Psychologismus  (s.  d.) 
glaubt  Die  ,formale^  Logik  hat  ihren  Namen  davon,  daß  sie  die  Form  des 
Denkens,  die  Denkfunction,  zum  eigentlichen  Object  der  Beflexion  macht,  ohne 
deshalb  von  allem  Denkinhalt  abstrahieren  zu  können,  wie  die  (extrem)  „for- 
malistische^^ Logik  es  vermeint.  Die  Grundvoraussetzung  der  Logik  ist  der 
Wille^zur  Wahrheit  (s.  d.),  die  Forderung  des  denkenden  Ich  nach  Einheit 
and  Übereinstimmung  mit  sich  selbst  in  allen  Tätigkeiten,  das  Postulat  der 
Zweckmäßigkeit  der  Denkacte,  also  ein  teleologisches  (s.  d.)  Princip.  Die 
Logik  kann  als  eine  ,yEkkik^*  des  Denkens  bezeichnet  werden.  —  Die  „Logil^* 
im  weiteren  Sinne  umfaßt  formale  Logik  und  Erkenntnistheorie,  im  engeren 
Sinne  wird  sie  von  letzterer  unterschieden. 

Der  Name  jyLogik*^  als  Xunstlehre  des  Denkens  geht  auf  die  Stoiker 
zorück.  Das  Xoyixov  zerfallt  in  Bhetorik  und  Dialektik  (s.  d.)  (Diog.  L.  VII, 
41).  CiCBRO  bemerkt:  ,jJam  in  aUera  pkiiosopkiae  parte  quae  est  quaerendi  ac 
disserendiy  quae  Xoytxij  dieitur*'  (De  fin.  I,  7,  22;  vgl.  Prantl,  G.  d.  Log.  I, 
514,  535). 

Eine  gewisse  Ausbildung  erfährt  die  Logik  schon  in  der  indischen  Nyaya- 
Lehre.  Schluß  und  Beweisführung  werden  bewußt  gebraucht  von  denEleaten,. 
Sophisten,  Megarikern.  Sokrates  legt  Wert  auf  Definition  (s.  d.)  und 
Induction  (s.  d.).  Plato  begründet  eine  „DialekÜk^^  (s.  d.).  Begründer  der 
Logik,  die  zwar  formal,  aber  nicht  formalistisch  ist  (weil  sie  die  Denk-  ab 
Seinsformen  auffaßt),  ist  Aristoteles.  Es  finden  sich  bei  ihm  analytische 
mid  dialektische  Untersuchungen,  später  im  y,Organon**  (s.  d.)  vereinigt  (vgL 
Analytik).  Die  Aristotelische  Logik  ist  eine  Begriffe-Logik  und  eng  mit  dem 
Sprachlichen,  der  Grammatik,  verknüpft  (vgl.  Trendelenburo,  Elementa  logices 
Aristotelicae  1836,  ed.  IX,  1892).  Die  Peripatetiker  EuDEBfus  und  Theophrast 
bilden  diese  Logik  teilweise  weiter  aus,  formulieren  die  hypothetischen  und 
disjunctiven  Schlüsse,  so  auch  die  Stoiker,  deren  Logik  grammatisch-forma- 
hstiseh  ist;  sie  bauen  auch  die  Erkenntnistheorie  (s.  d.)  aus.  Die  Epikureer 
ersetzen  die  Logik  durch  die  Kanon ik  (s.  d.),  beschäftigen  sich  mit  der  Lehre 
von  der  Induction  (s.  d.)  und  Analogie  (s.  d.).  Von  den  Skeptikern  stellt 
besonders  Karneadbs  eine  Theorie  der  Wahrscheinlichkeit  (s.  d.)  auf.  Den 
Universalienstreit  (s.  d.)  inauguriert  Porphyr  durch  seine  Lehre  von  den 
t^qudnque  voees*^  (Isagoge  in  Aristotel.  organ.).  Von  Bedeutung  für  die  Logik 
ist  auch  APUiiEiUB  (De  interpretat.  =  3.  Buch  der  Abb.  d.  Deo  Piatonis). 

BofiTHlus  übersetzt  und  erläutert  Teile  des  Organon  und  die  „Isagoge**  des 
Porphyr,  schreibt  auch  über  Schlüsse  und  über  Topik  (s.  d.).  „Est  .  .  .  finis 
hgieae  inventio  itidiciumque  rationum**  (Prantl,  G,  d.  Log.  I,  681).  Nach 
Augustinus  ist  die  Logik  die  Wissenschaft,  „in  qua  quaeritur,  quonam  modo 
teritas  pereipi  possif*  (De  civ.  Dei  VIII,  10).  Die  Logik  der  Scholastik 
wird  immer  mehr  formaler  Art,  Begriffs-  und  Subsumtions-Logik  (s.  d.),  der 
Universalienstreit  (s.  d.)  hingegen  ist  erkenntnistheoretisch -material.  y,Logica 
tetus**  ist  die  durch  Boethius  überlieferte,  yjtogica  modemorum**  fyyfiova**)  die  um 
die  Analytik  und  Topik  bereicherte  (also  das  ganze  Organon  enthaltende)  Logik  (seit 
JOH.  VON  Salisbüry,  Metalog.  1160).  Die  Araber  geben  den  Anstoß  zur 
Unterscheidung  einer  theoretischen,  reinen  Logik  („logica  doeens**)  und  einer 


606  liogik. 

praktischen,  angewandten  IiOgik  („logiea  täens").  Ein  vielbenutztes  Coinpaidiux& 
der  Logik  ist  im  Mittelalter  die  ^vvoyfts  eU  r^v  ^AQtaxorihn>s  Xayix^v  inurrrifo^ 
von  Michael  Psellus  (11.  Jahrb.),  übersetzt  von  Petbüb  Hispanub,  desees 
yjSummtUae  logiccUes^'  lange  in  Gebrauch  stehen.  —  Nach  Abaeljlrd  ist  die 
Logik  „diligens  ratio  düferendi  i.  e,  diaeretio  argumentorum^  per  quae  disserü» 
4,  e,  diaputatur*^.  —  „Hoc  atäem  logicae  diseipltnae  proprium  rdinquitwr^  tä 
seüicet  voeum  imposiiiones  pensando,  quantum  unaquaque  proponaiur  oraÜom 
siffe  dictione,  diaeuticU;  pkyaicae  verum  proprium  est,  inquirere,  tUrum  m 
natura  eofuentiat  enuniiatum^^  (DiaL  p.  351).  JoH.  von  Balibbubt  bemerkt: 
„Loguia  est  ratio  disserendi,  per  quam  totius  prudentiae  agitatio  solidatur**^  (ba 
Pbantl,  G.  d.  L.  II,  237).  Nach  Albebtüs  Magnttb  ist  die  Logik  ^^sapieiUia 
eontempkUiva  docens,  qualiter  et  per  quae  deoenitur  per  nohtm  ad  ignoti  noH- 
iiam",  Sie  ist  „ratio  disserendi  .  .  .  quae  in  duas  distribuiiur  partes:  sden- 
tiam  inveniendi  .  .  ,  et  sdentiam  itidieandi**  (vgl.  Pbantl,  G.  d.  Log.  III,  92; 
Überweg-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  IP,  267).  Gegenstand  der  Logik 
ist  die  „argumentatio**,  die  Logik  ist  ein  „insirumentwn  philosophiae^'.  Naeh 
Thomas  ist  die  Logik  „ars  quaedam  neeessaria  .  .  ..  quae  sit  direetiva  ipeiua 
actus  raUoniSy  per  quam  seüicet  homo  in  ipso  aetu  raiionis  ordivaie,  faeüiter 
et  sine  errore  procedat"  (1  anaL  1  a).  Die  Lc^ik  ,,est  de  intentionüms  raiioms, 
quae  ad  omnes  res  se  habeivt'^  (1  anaL  20  d).  Sie  handelt  von  den  ^^entia 
rationis",  lehrt  den  „modum  procedendi  in  omnibus  seientiis^j  betrachtet  (wie 
die  Mathematik)  „tantum  res  seeundum  prindpia  formalia",  Sie  hat  zwei 
Teile:  „inventivam"  et  „iudieativam"  (Log.  IV,  1),  zerfällt  in  „logiea  docens^  nod 
„logica  utens''  (Trin.  2,  2,  Ic;  vgL  in  IV  met.  4).  Bogeb  Baoon  erUiit: 
f,Finis  logicae  est  eompositio  argumeniorum,  quae  moveni  intellectum  praetieum 
ad  finem  et  amorem  virtutis  et  feliritatis  fuiurae"  (Op.  maj.  p.  59).  R.  Lüllus, 
der  eine  j/xts  magna"  (s.  d.)  begründet,  bestimmt:  „Logica  est  (ors  et  seieniia. 
qua  verum  et  falsum  ratioeinando  cognoscuntur  et  unum  ab  altera  diseemäur 
verum  eligendo  et  falsum  dimittendo"  (bei  Pbantl,  G.  d.  L.  III,  150).  Nach 
DuNS  ScoTDS  ist  die  Logik  ein  ^^modus  sdendi".  y^Subiectum  logicae  est 
ceptus  form4itus  ab  actu  raiionis"  (vgl.  Pbantl,  G.  d.  L.  III,  150). 
WiLHELM  VON  OccAM  hat  CS  die  Logik  zu  tun  „intentionibus,  quae  vere 
nostra  sunt*',  y^Logiea,  rhetoriea  et  grammatiea  sunt  vere  notitiae  practieae  et 
non  speculativaey  quia  vere  dirigunt  intelleetwn  in  operationibus  suis,  quae 
mediante  voluntate  in  sua  potentia"  (vgl.  Pbantl,  G.  d.  L.  III,  331). 

Der  Peripatetiker  Zababella  bestinmit:  „Logica  est  habüus 
seu  disciplina  insfrunientalis  a  philosophis  ex  philosophiae  habitu  genita^ 
secundas  notiones  in  eonteptionibus  rerum  fingit  et  fabriciU,  ut  sint  instrumeKie. 
quibus  in  omni  re  verum  cognoseatur  et  a  falso  diseemcttur**  (De  nat.  log.  I,  lOt 
Aristoteliker  ist  auch  Melanchthon  (Dialekt.),  ferner  L.  Valla,  L«.  Vms 
u.  a.  Gegner  der  überkommenen  (als  annatürlich  betonten)  Logik  ist  teilweise 
Petbus  Kamus  (Dialect.  partit  1543;  Institut  dialect  1543).  Er  teilt  die 
Logik  (die  „ars  bene  disserendi")  ein  in:  1)  die  Lehre  von  der  Erfindung 
(yyinventio  argumentorum"),  d.  h.  von  den  Begriffen,  und  2)  die  Lehre  von  der 
y^ispositio"  und  dem  „iadicium"  (Urteil,  Schluß,  Methode).  Zwischen  seiDcn 
Anhängern,  den  Ramisten  (s.  d.),  und  den  Aristotelikem  vermitteln  die  8emi- 
Itamisten,  so  Goclen,  nach  welchem  eine  Art  des  Sorites  (s.  d.)  benannt  irt. 
Den  extremen  Formalismus  bekämpfen  Nicolaub  Cubanxjs,  Telbsius,  Campa- 
2?ELLA  (Philos.  rational.),  Vanini,  G.  Bbui^o  (De  progressu  et  lampade 


lK>glk.  609 

toria  Logicorum  1587).  Nach  Micraelius  ist  die  Logik  tjora,  qua  intdleetum 
nogtrum  m  suis  tribuß  operatianibus  informamus,  ut  verum  a  falso  sciat  reete 
diseemen^^  (Lex.  philos.  p.  602). 

F.  Bagon  flteUt  der  syllogistischeii  seine  Logik  der  Induction,  seine  Me- 
ihodenlehre  entg^en.  ,yLogieq,  quae  nunc  habetur,  tnuHlis  est  ad  invenitanem 
seientiarum**  (Nov.  Organ.  I,  11).  „Logiea,  quae  in  usu  est,  od  errores  .  .  . 
Mtabüiendos  et  figendos  vaiet,  potius  quam  ad  inquisiiionem  veritatis;  ut  magis 
damnasa  sit,  quam  utilis**  (1.  c.  I,  12).  „In  notionibus  nil  sani  est,  nee  in 
logieis^'  (L  c.  1, 15).  Die  Logik  ist  „doetrina  de  inteUeetu  et  raUone^*  (De  augm. 
scient).  Dbsgabtes  wendet  sich  gegen  die  Dialektik  (s.  d.),  „quae  modum 
doeet  ea,  quae  iam  seimus,  aliis  expanendi,  vd  etiam  de  iis,  quae  nescimus, 
muUum  sine  iudicio  loquendit  quo  pacta  banam  meniem  magis  eorrumpit  quam 
^ntffet^'  (Princ.  philos.,  praef.).  Er  gibt  methodische  (s.  d.)  Begehi  der  Forschung 
und  stellt  ein  festes  Princip  des  Erkennens  audf  (s.  Cogito).  Von  den  Car- 
tesianern  sind  als  Logiker  zu  nennen  A.  Geulincx  (Logica  1662),  Claü- 
BERO:  „Logiea  est  ars  ratiane  utendi'*  (Logica,  Opp.  p.  913),  Arnauld  und 
Nicole,  die  Verfasser  der  „Logik  von  Pört-Royal*^  (La  logique  ou  Tart  de 
penser  1644):  „Logiea  est  ars  bene  utendi  raiione  in  rerum  eognüione  acqui- 
renda,  tarn  ad  sui  ipsius,  quam  aliorum  instiHäionem"  (L  c.  p.  1).  Nach 
OA88ENDI  ist  die  Logik  die  Lehre  vom  richtigen  Denken.  Sie  ist  „abiuncta  a 
rebua^*  (reine  Logik)  und  „eoniuneta  cum  rebus"  (angewandte  Logik)  (Opp. 
IV,  1658). 

Nach  Locke  beschäftigt  sich  die  Logik  oder  Semiotik  (s.  d.)  mit  der 
Untersuchung  der  Zeichen  (s.  d.)  für  das  Verständnis  der  Dinge  und  für  die 
Mitteilung  des  Wissens  an  andere  (Ess.  IV,  eh.  21,  §  4).  Er  begründet  eine 
neue  Erkenntnislehre  (s.  d.).  So  auch  Leibniz,  der  die  Schullogik  nicht  unter- 
schätzen will  (Theodic.  I  A,  §  27).  Die  Logik,  „seientia  generalis^*,  ist  die 
Wissenschaft,  „quae  modum  doeet,  omnes  alias  seientias  ex  datis  sufficientibus 
4npeniendi  et  demonstrandi^'  (Erdm.  p.  86  a).  Alle  logischen  Hegeln  sollen  „per 
^numeros'*  demonstriert  werden  (L  c.  p.  164  b;  vgL  p.  85  a,  86  a).  Che.  Wolf 
bestimmt  die  Logik  als  den  Teil  der  Philosophie,  „quae  usum  facuUatis  co- 
gnosdüvae  in  cognoseenda  veritate  ae  vitando  errore  trcutit**  (Thilos,  rational. 
§  61).  „Definitur  logiea  naturalis  docens  per  notitiam  eonfusam  dirigendi 
faeultaiem  eogtwscitivam  in  veritate  cognoseenda,^^  „Logiea  naturalis  utens  est 
Habitus  sive  ars  dirigendi  facuüatefn  eognoseitiva/m  in  eognüione  veritatis  solo 
ttsu  aequisitus"  (1.  c.  §  8,  9).  Die  Logik  hilft  uns  dazu,  ,/iafl  unr  die  Kräfte 
des  menschlichen  Verstandes  und  ihren  rechten  Gebrauch  *tn  Erkenntnis  der 
Wahrheit  erkennen  lernen"  (Vem.  Ged.  von  d.  Kr.  d.  m.  V.  S.  6).  Es  gibt 
«ine  yjkhrende^^  und  eine  ^/msübende^"^  Logik  (1.  c.  S.  227).  Nach  Fedeb  soll 
die  Logik  „reckt  denken  lehren"  (Log.  u.  Met.  S.  17).  Die  Logik  muß  ein 
^,Organon  für  die  übrige  Philosophie  sein"  (1.  c.  S.  18).  Ähnlich  Baumgarten, 
Daries,  G.  F.  Meier,  J.  Ebert,  H.  S.  Beimarus,  Ulrich  (Lastit.  logic. 
1785),  Reüsch:  „Logica  est  scientia  perfectionum  facuUatis  cognosciüvae 
mediis  convenieniibus  obtinendarum"  (Log.  1760,  §  99),  Haksch  (Ars  inveniendi 
1727 ;  'O^ttvov  1743).  Versuche  zur  Beform  der  Logik  machen  Tbchirnhausen 
(Medic.  ment),  Crusiub  (Weg  zur  Gewißheit  1747),  Plouoqubt,  Lambert 
<N.  Organ.),  Condillac  (Logique  1792),  de  Crousaz  (Logique  1725),  Feder 
<Log.  u.  Met.  8.  17  ff.).  d'Argenb  erklart:  „La  logique  consiste  dans  les  re- 
flexions  que  nous  faisons  sur  les  principales  Operations  de  notre  esprit^*  (Philos. 

Philoiopliltoli«!  WOrtarbuoh.    %,  Aufl.  39 


610  IiogUc. 

du  Bon-sens  I,  p.  197).  Nach  Hume  ist  die  Aufgabe  der  Logik  „die  Darietfwt^ 
der  Princtpien  und  Operationen  unseres  Denkvermögens  und  der  Beschaffenkeit 
unserer  Vorstellungen"  (Treat.,  Einl.  S.  3).  Platner  erklärt:  „Die  höhere  Logik 
ist  eine  Untersuchung  des  menschliehen  Erkenntnisvermögens^  angestellt  in  der 
Absieht,  genauer  xu  bestimmen,  ob  der  Mensch  Jahig  sei,  die  Wahrheit  zu  er- 
kennen und  wu  beweisen,  d.  i.  ob  das  menschliche  Erkenninisrermägen  gdte» 
könne  als  Maßstab  der  Wahrheit"  (Philos.  Aphor.  I,  §  10).  Die  Logik  ist  j,eim 
pragmatische,  mit  Bemerkungen,  Orundsätxen  und  Regeln  von  Wahrheit  tmd 
Irrtum  begleitete  Oesehiehte  des  menscJdichen  Erkenntnisvermögens"  (L  c.  §  13). 
„Wiefern  die  Logik  hinzielt  auf  Berichtigung  und  Beweis  der  großen  Wahr- 
heiten der  hohem  Philosophie,  sofern  ist  sie  höhere  Logik.  Wiefern  sie  Ab- 
sichten hat  für  Berichtigung  und  Beweis  solcher  Begriffe  und  Urteile,  tcelche  er- 
scheinen  in  den  niedem  Kenntnissen  und  Wissenschaften  des  gegentcärtigm 
Lebens,  sofern  ist  sie  niedere  Logik"  {1.  c.  §  14).  „Wiefern  die  Logik  all- 
gemein untersucht  die  Beschaffenheit,  Wirkungsart  und  den  Orund  der  menseh- 
liehen  Erkenntniskräfte,  sofern  ist  sie  theoretisch.  Wiefern  sie  mitteilt  Be- 
merkungen von  dem  Ursprung  und  Regeln  von  der  Verhütung  des  Irrtums,  sowit 
auch  von  Erfindung  und  Behandlung  der  Wahrheit,  sofern  ist  sie  praktiseh^ 
(l.  c.  §  15).  Später  versteht  er  unter  Logik  eine  „kritische  Unterstichung  de» 
Erkenntnisvermögens"  (Log.  u.  Met  S.  3). 

Kants  formale  Logik  ist  (im  Gegensatze  zur  „transcendentaien  Logiir\ 
formalistisch  und  antipsychologisch  (WW.  VIII.  14).  Die  Logik  ist  die 
„Wissenschaft  von  den  notwendigen  Gesetzen  des  Verstandes  und  der  Vernunft 
überhaupt  oder  —  welches  einerlei  ist  —  von  der  bloßen  Form  des  Denkens  über- 
haupt" (Log.  S.  4).  Sie  abstrahiert  von  allen  Objecten  (ib.),  ist  kein  OrgancHi 
(s.  d.),  sondern  ein  Kanon  (s.  d.)  des  Verstandes  und  enthält  „lauter  Oesetxe 
a  priori",  ohne  auf  psychologischen  Principien  zu  fußen  (1.  c.  S.  6).  Sie  fragt 
wie  wir  denken  sollen  (ib.).  Die  Logik  ist  eine  „Selbsterkenntnis  des  Verstandet 
und  der  Vernunft  .  .  .  lediglich  der  For?n  nach"  (1.  c.  S.  7).  Sie  ist  die 
„  Wissenschaft  der  Verstandesregeln  überhaupt",  während  die  Ästhetik  (s.  d.) 
die  ,1  Wissenschaft  der  Regeln  der  Sinnlichkeit"  ist  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  77). 
„Als  allgemeine  Logik  abstrahiert  sie  von  allem  Inlialt  der  VerstandeserkemUnis 
und  der  Verschiedenheit  ihrer  Gegenstände,  und  hat  mit  nichts  als  der  bloßen 
Form  des  Denkens  xu  tun"  „Als  reine  Logik  hat  sie  keine  empirischen  IVin- 
cipien  .  .  .  aus  der  Psychologie"  (1.  c.  S.  78  f.).  Die  angewandte  Logik  ist 
„eine  Vorstellung  des  Verstandes  und  der  Regeln  seines  notwendigen  Gebrauchs 
in  concreto"  (1.  c.  S.  79).  Die  allgemeine  Logik  betrachtet  „nur  die  logische 
Form  im  Verhaltnisse  der  Erkenntnisse  aufeinander*^  (ib.).  Die  transcendentale 
(s.  d.)  Logik  hingegen  ist  material,  ist  Erkenntnistheorie  (s.  d.).  ,yLn  der  Er* 
Wartung  .  .  •.,  daß  es  vielleicht  Begriffe  geben  könne,  die  sieh  a  priori  auf  Gegen- 
stände beliehen  mögen,  nicht  als  reine  oder  sinnliche  Anschauungen,  sondern 
bloß  als  Handlungen  des  reinen  Denkens,  die  tnithin  Begriffe,  aber  weder  em- 
pirischen noch  ästhetischen  Ursprungs  sind,  so  machen  wir  uns  zum  vorttus  die 
Idee  von  einer  Wissenscfuift  des  reinen  Verstandes  und  Vemunfterkenntnisses, 
dadurch  icir  Gegenstände  völlig  a  priori  denken.  Eine  solche  Wissensehafl. 
welche  den  Ursprung,  den  Umfang  und  die  objective  Gültigkeit  solcher  Erkennt- 
nisse bestimmte,  würde  transcendentale  Logik  heißen  müssen,  weil  sie  es  bloß 
mit  den  Gesetxen  des  Verstandes  und  der  Vernunft  xu  tun  hat,  aber  ledigliehy 


Iiogik.  611 

Bofem  sie  auf  Gegenstände  a  priori  bexogen  tüird"  (1.  c.  S.  80  f.).  Sie  zerfällt 
in  die  transcendentale  Analytik  (s.  d.)  und  Dialektik  (s.  d.)  (1.  c.  S.  80  f.). 

Im  Sinne  der  Eantschen  formalen  Logik  lehren:  Hoffbauer:  Die  reine 
Logik  ist  die  „Wissenschaft  von  den  Formen  des  Denkens"  (Anfangsgründe  d. 
Log.  S.  137).  Ejebewetteb:  Die  Logik  ist  ,jdie  Wissenschaft  von  den  all- 
gemeinen und  notwendigen  Regeln  des  Denkens"  (Gr.  d.  Log.  §  1),  Schmid  (Gr. 
d.  Log.  1797),  Maass  (Gr.  d.  Log.  1793),  Tiepteunk  (Gr.  d.  Log.  1801), 
Abicht  (Verbess.  Logik  1802),  G.  E.  Schulze:  Zweck  der  Logik  ist  die  „An- 
gabe der  Gesetzmäßigkeit  des  Verfahrens  bei  allen  Arten  der  Einheit,  welche 
ihireh  den  Verstand  an  Vorstellungen  jeder  Art  hervorgebracht  werden  kann" 
(Gr.  d.  allgem.  Log.  S.  9).  Fries:  Die  Logik  ist  die  „Wissenschaft  von  den 
Regeln  des  Denkens^*  (Gr.  d.  Log.  S.  3).  Die  philosophische  (demonstrative) 
Logik  ist  die  „Wissenschaft  der  analytischen  Erkenntnis  oder  von  den  Gesetzen 
der  Denkbarkeit  eines  Dinges",  die  „anthropologiscßi&^  Logik  „die  Wissenschaft 
von  der  Natur  und  dem  Wesen  unseres  Verstandes"  (1.  c.  S.  4;  Syst.  d.  Log. 
S.  3  ff.),  Gbrlach  (Gr.  d.  Log.  1817),  Fischhaber  (Lehrb.  d.  Log.  1818), 
EIeug  (Denklehre  1806,  2.  A.  1819):  „Die  Wissenschaft  van  der  ursprünglichen 
Gesetzmäßigkeit  unseres  Geistes  in  Ansehung  des  bloßen  Denkens  .  .  .  heißt  eine 
Denklehre"  Sie  ist  „eine  Wissenschaft  vom  gesetzmäßigen  (analytischen) 
Verstandes-  oder  Vemunftgebrauch"  (Handb.  d.  Philos.  I,  §  112),  L.  H.  Jacob 
(Gr.  d.  allg.  Log.  4.  A.  1800),  Koppen  (Leitfad.  für  Log.  u.  Met.  1809), 
Twesten:  Die  Logik  ist  die  „Theorie  von  der  Anwendung  der  beiden  Grund- 
sätze der  Identität  und  des  Widerspruchs"  (Log.  1825,  Anf.),  £.  Eehhiold: 
„Die  formale  Logik,  als  die  Lehre  von  den  sub/ectiven  Formen  unseres  Denkens, 
schöpft  ihren  Inhalt  .  .  .  aus  dem  Vereine  rationaler  Betrachtung  und  em- 
pirischer Beobachtungen"  (Lehrb.  d.  philos.  propädeut.  Psychol.  u.  d.  formal. 
Log.»,  S.  30,  vgL  S.  313  ff.),  Bachmann  (Syst.  d.  Log.  1828),  Calker  (Denk- 
lehre 1822).  Nach  ihm  ist  die  Logik  (Dialektik)  „</tß  Lehre  von  der  Ent- 
stehung, Gesetzgebung  und  Ausbildung  des  höheren  (intellectuellen)  Bewußtseins 
im  Mensehen"  (Denklehre  S.  3,  7,  9  f.)  u.  a. 

Selbständiger  sind  S.  Maimon,  der  die  Logik  auf  Erkenntnislehre  (Trans- 
cendentalphilosophie),  im  Gegensatze  zu  Kant,  stützen  will  (Vers.  ein.  neuen  Log. 
1794,  Vorr.  u.  S.  407  ff.),  C.  L.  Reinhold  (Theor.  d,  menschl.  VorsteUungs- 
vermögens  1789;  Vers.  ein.  Krit.  d.  Log.  1806),  Bardiu,  der  das  Denken  (s,  d.) 
als  Rechnen  auffaßt  (Gr.  d.  erst.  Log.  1800).  Debtutt  de  Tracy  bestinmit: 
„La  sdence  logique  ne  consiste  que  dans  Vetude  de  nos  operalions  intellectuelles 
et  de  leurs  effets."  ,fja  theorie  de  la  logique  n'est  donc  autre  chose  que  la 
sdence  de  la  formation  de  nos  idees,  de  leur  expression,  de  leur  combinaison  et 
de  leur  deduetion;  en  un  mot  ne  consiste  que  dans  Vetude  de  nos  moyens  de 
connaUr&'  (EL  d'idöol.  III,  eh.  1,  p.  143). 

Als  Reaction  gegen  den  logischen  Formalismus  tritt  eine  metaphysische, 
ontologische  (s.  d.)  Gehaltslogik  auf,  welche  Denk-  und  Seinsformen  identificiert« 
das  Sein  aus  dem  Denken,  aus  logischen  Processen  ableiten  will.  Die  Logik 
wird  zugleich  Erkenntnistheorie  und  Metaphysik.  So  schon  bei  J.  G.  Fichte, 
in  dessen  „Wissenschaftslehre"  (s.  d.).  Die  „gemeine  Logik^^  ist  keine  wahre 
Wissenschaft  (Nachgelass.  WW.  I).  Die  allgemeine  Logik  muß  aus  der 
Wissenschaftslehre  deduciert  werden,  setzt  das  Erkennen  voraus  (Üb.  d.  Begr. 
d.  Wissenschaftsl.  1794,  S.  45  ff.;  Gr.  d.  g.  Wissensch.  S.  2  ff.,  208,  282). 
Ähnlich  Schelling  (Syst.  d.  tr.  Ideal.  S.  35  ff.;  Vorles.  üb.  d.  Meth.  d.  akad. 

39* 


612  Logik. 

Stud.  8.  122  ff.).     Ferner  Mehmel  (Vers.  ein.  analyt.  Denklehre  1803),  Eleik 
(Verstandeslehre  1810,  8.  20),  Thanneb  (Lehrb.  d.  Log.  1807),  Troxuer:  Die 
Logik  ist  eine  yjsdbständige  Wissenschaft,  durch  die  der  menschliche  Oeisi  und 
die  Denkkraft  xttr  Selbsterkenntnis  ihrer  ursprünglichen   Vermögen  und  ihrer 
naturgemäßen   Wirksamkeit  geführt  wird"  (Log.  1829,  I,  13),  Che.  Kbaube, 
welcher  ,jhistarisehe"  (empirische),  kritische  und  transcendentale  (philosophische) 
Logik  unterscheidet  (Gr.  d  histor.  Log.  1803,  §  11  ff.).    Logik  ist  „das  arganisehe 
Qanxe  der  Erkenntnis  von  dem  Erkennen  —  Erkenntnistvissenschaft^^  (Log.  S.  1), 
LiNDEMAim  (Die  Denkkunde  1846),  Tibebghien  (Logique  1865).    F.  Baader 
unterscheidet  y^theosophisehe^*  und  „anthroposophische^*  Logik,  Wissenschaft  des 
unendlichen  und  des  endlichen  Denkens.     Die  Logik  ist  fjSprach-  und  Denk- 
lehre",  f/iie  Formierungslehre  oder  die  Lehre  vom  Logos  ais  Formator  dur^ 
seinen  Geist"  (WW.  I,  315).    Ähnlich  Fb.  Hoffmann  (Qt.  d.  aUg.  rein.  Log. 
2.  A.,  1855),  Schaden  (8yst.  d.  posit  Log.  1841).  —   Heqel  betrachtet  die 
Logik  als  Grundwissenschaft,  als  System  des  reinen  Gedankens,  der  Wahrheit 
an  sich,  der  £inheit  von  Subjectivem  und  Objectivem,  Denken  und  Sein;  das 
Sein  selbst  ist  „Begriff"  (s.  d.).     Sie  zerfällt  in  die  objective  (Logik  des  Seins) 
und  subjectiye  (Logik  des  Begriffs).    Sie  ist,  als  Dialektik  (s.  d.),  MetaphysiL 
Sie  enth&lt  den  „Gedanken,  insofern  er  ebenso  sehr  die  Sache  an  sich  seihst  itt^ 
(Log.  I,  35  f.).    Sie  ist  insofern  die  „Darstellung  Gottes,  wie  er  in  seinem  ewigen 
Wesen,  vor  der  Erschaffung  der  Natur  und  eines  endliehen  Geistes  ist**  (L  c. 
S.  36),  die  „Wissenschaft  der  absoluten  Form",  die  „reine  Idee  der  Wahrheit 
sdbsf  (L  c.  III,  27),   die  „Wissenschaft  der  reinen  Idee,  das  ist  die  Idee  im 
abstracten  Elemente  des  Denkens"  (Encykl.  §  19).     Sie  ist  eins  mit  der  Meta- 
physik, „der  Wissenschaft  der  Dinge  in  Gedanken  gefaßt,  welche  dafür  gaUen, 
die  Wesenheiten  der  Dinge  auszudrücken"  (L  c.  §  24).     Die  Logik  zerfillt 
in  die  „Lehre  vom  Sein",  „Lehre  vom    Wesen",  „Lehre  von  dem  Begriffe  und 
der  Idee"  (L  c.  §  83).     Die  gemeine  „Verstandes-Logikf^  ist  nur  „eine  Hisicrie 
von  mancherlei  zusammengestellten  Gedankenbestimmungen,  die  in  ihrer  Bnd' 
lichkeit   als  etwas    Unendliches  gelten"   (1.   c.   §  82).      Hierher  gehören    audi 
HiNBiCH  (Grundlin.  der  Philoe.  d.  Log.  1826),  Gableb,  Ebdhann  (Gr.  d.  Log. 
u.  Met.  1841),  Weibsenbobn  (Log.  u.  Met.  1850),  K.  Bobenkbanz  (Wissenach. 
d.  log.  Idee  1858),  welcher  die  subjective  Logik  von  der  (objectiven)  Ideologie 
(s.  d.)  unterscheidet,  K.  Fisgheb  (Syst.  d.  Log.  u.  Met  1852—65)  u.  a. 

Die  formalistische  Logik  erneuert  Hebbabt.  Sie  dient  der  VerdeuÜichimg 
der  Begriffe  (Hauptpunkte  d.  Log.  1808),  ist  eine  normative  Wissenschaft,  hat 
es  nur  „mit  Verhältnissen  des  Gedachten,  des  Inhaltes  unserer  VorsteÜut^/et^ 
zu  tun  (PsychoL  als  Wissensch.  II,  §  119).  Sie  beschäftigt  sich  „nicht  mit  dem 
Actus  des  Vorsteüens  .  .  .,  somlem  bloß  mit  dem,  was  vorgestellt  wird"  (Haaptp. 
d.  Log.  8.  103).  „In  der  Logik  ist  es  notwendig,  alles  Psychohgisehe  xu  ^no- 
rieren,  weil  hier  lediglich  diejenigen  Formen  der  mögliehen  Verknüpftmg  des 
Gedachten  sollen  nachgewiesen  werden,  welche  das  Gedachte  selbst  nach  Meiner 
Beschaffenheit  zuläßt"  (Lehrb.  zur  Einl.  in  d.  Philos.  §  35;  vgL  EncykL  d. 
Philos.  8.  1,  241  ff.).  Nach  Dbobisch  ist  Aufgabe  der  Logik  die  Fesistellang 
der  „Normalgesetze^^  unseres  Denkens  (N.  DarstelL  d.  Log.  S.  XVII).  Hierher 
gehören  femer  Waitz,  Stbümpell,  Allihn  (Antibarbarus  logicus  1850\ 
B.  Zihmebmann  (Gr.  d.  Log.  1860),  Lindneb  (Lehrb.  d.  formal  Log.  1861), 
Dbbal,  Volkmann:  „Die  Aufgabe  der  Logik  besteht  in  der  Darstellung  jener 
Gesetze,   denen  das  Denken  seine  Richtigkeit  in  formaler  Beziehung  verdantiU 


Logik.  613 

(Lebih,  d.  PäychoL  1*,  52).  —  Nach  Whatelt  ist  die  Logik  eine  Wissenschaft 
vom  Schließen  (Elem.  of  Log.,  Introd.),  nach  W.  Hamilton  „the  seience  of  the 
lam  of  ihought  as  thoughf*  (Lect.  on  Met  and  Log.  III,  p.  4).  —  Dag^en  hat 
die  Logik  von  J.  St.  Mill  einen  erkenntnistheoretischen  Charakter.  Sie  ist  ^/iie 
Wüsensehaft  von  den  Versta/ndesoperaUoneny  welche  mit  Sekätximg  der  Evidenx 
dimenf*  (Syst.  d.  Log.  I,  12).  Sie  muß  die  psychologischen  Bedingungen  des 
Denkens  berücksichtigen  (Ezam.^,  p.  461).  Zum  Teile  ist  sie  (inductive)  Me- 
thodenlehre (s.  d.).  So  auch  die  Logik  von  Jevoks  (Princ.  of  Science*,  1877). 
Er  behandelt  auch  den  logischen  „Algoriikmus^^f  die  mathematisch  formulierte 
Logik  (Pure  Logic  1864).  So  auch  Boole,  Peirce,  Mg  Coll,  Sghbödeb, 
Delboeuf  (Log.  algorim.),  Wündt  (s.  unten)  u.  a. 

Zwischen  formalistischer  und  (ontologischer,  speculativer)  G^ehalts-Logik 
wird  in  verschiedener  Weise  yermittelt  Anstatt  der  Identität  (s.  d.)  von  Denken 
und  Sein  wird  nur  ein  Farallelismus  (s.  d.)  oder  eine  Gorrelation  zwischen 
beiden  statuiert  So  bei  Sghleiermacheb,  nach  welchem  Logik  und  Meta- 
physik zur  Dialektik  (s.  d.)  vereinigt  werden  müssen  (DiaL  §  16).  Vermittelnd 
lehren  femer  H.  Bitter  (Syst.  d.  Log.  u.  Met.  1856),  Braiboss,  Chaxybaeus, 
Brneke  (Syst.  d.  Log.  I,  5,  26  ff.),  nach  welchem  die  Logik  auf  der  Psy- 
chologie fußt  (Neue  Psychol.  S.  94;  Pragmat.  Psycho!  II,  184  f  ;  Lehrb.  d. 
FfychoL*,  §  125),  Trekdelenburo  (Log.  Untersuch.),  Hillebrand,  nach 
welchem  die  Logik  „Theorie  der  Wüsensehaft^*,  Wissenschaft  des  Begriffes 
schlechthin  ist  (Philos.  d.  Geist.  II,  7  ff.),  Bolzano,  der  die  Unabhängigkeit 
der  Logik  von  der  Psychologie,  die  Notwendigkeit  der  Abstraction  von  den 
subjectiven  Denkfunctionen  betont  (Wissenschaftslehre),  W.  Bosenkraktz 
(Wissensch.  d.  Wiss.  I,  123  f.,  129;  II,  73  f.),  Ulrict  (Syst.  d.  Log.),  Hxrms, 
der  die  Logik  als  Wissenschaft  vom  (formalen)  Wissen  bestimmt  (Log.  S.  38). 
Nach  Y.  CoüBiN  ist  die  Logik  „Vexamen  de  la  wdeur  et  de  la  Ugüimüe  de 
nos  dipers  moyens  de  connäUre^^  (Du  vrai  p.  34).  Nach  Hagemann  ist  die 
Logik  ,/iie  Wissenschaft  von  den  Gesetzen  des  Denkens  und  der  dadurch  be- 
dingten Richtigkeit  der  Qedahhenfon/^ien^^.  Sie  ist  formal,  aber  nicht  formalistisch 
(Log.  u.  Noet.*,  S.  12),  bedarf  nicht  der  Psychologie  (1.  c.  S.  14),  ist  auch  nicht 
mit  der  Grammatik  zu  identificieren  (l.  c.  S.  14).  Scholasticierend  sind  die 
logischen  Lehrbücher  von  Rothenflue,  Liberatore,  Tongiorqi,  Sanbe- 
VERiNo,  Stöckl,  Combier,  Baxmes,  Gratry  u.  al 

Nach  Überweg  ist  die  Logik  ,^die  Wissenschaft  von  den  normaiiven  Ge- 
setxen  der  menschlichen  Erkenntnis^^  (Lc^-  §  !)•  Er  betont  die  objective  Gültig- 
keit des  richtigen  Denkens  und  den  Gedanken,  ,^ß  die  wissenschaftliche  Er- 
kenntnis nicht  mittelst  apriorischer  Formen  von  rein  subfeciivem  Ursprünge 
gewonnen  wird,  noch,  wie  Hegel  u»  a.  meinen^  durch  apriorische  und  zugleich 
otjeetiv  gültige  Formen,  sondern  durch  die  Oomhination  der  Erfahrungstatsachen 
nach  logischen,  durch  die  objective  Ordnung  der  Dinge  selbst  mitbedingten  Normen^ 
deren  Befolgung  unserer  Erkenntnis  eine  objeeiive  Oültigkeä  sichert*'  (1.  c.  VI). 
Die  Logik  ist  als  „Theorie^*  „der  Inbegriff  der  Normen  und  als  Kunst  die  rich- 
tige Anwendung  der  Normen,  denen  die  subjedive  Erkenntnistätigkeit  sich  unter- 
werfen muß,  um  ihr  Ziel  xu  erreichen,  tcdches  in  der  Erhebung  des  Seins  xum 
Bewußtsein,  in  der  Übereinstimmung  unserer  subjectiven  Gedanken  mit  der  ob- 
jeetiven  Realität  liegt"  (Welt-  u.  Lebensansch.  S.  18).  Lotze  erklärt:  „Die 
Logik  soll  bloß  lehren,  in  welchen  Formen  wir  unsere  Einxelvorstelltmgen  ver- 
binden, wie  unr  eine  Vielheit  solcher  verbundenen  Ganzen  aufeinander  beziehen 


614  Iiogik. 

und  sowohl  jene  Form  als  diese  Beziehung  abändern  müssen,  damit  unser  Ge- 
safntgedanke  dem  xu  erkennenden  Tatbestande  und  dessen  Änderungen  immer  so 
entspricht,  daß  unr  durch  die  Verbindung  unserer  Gedanken  imstande  sind,  aus 
gegebenen  Jhtsachen  der  Wahrnehmung  andere  nicht  wahrgenommene  oder  xu- 
künftige  xu  berechnen"  (Gr,  d.  Log.  S.  J02).    Die  Logik  ist  unabhängig  von  der 
Psychologie  (Log.  S.  53).    Nach  E.  Dühbing  ist  die  Logik  ,/iie  Lehre  von  den 
Bestandteilen  und  den    Verbindungsarten  eines    tüissensehaftlichen  Zusammen- 
hanges" (Log.  S.  1).     Nach  Biehl  ist  sie  die  „Theorie  der  allgemeinen,  wider- 
spruehslosen  Relationen  xicischen  Objecten  überhaupt*  (Philos.  Erit.  II  1,  226). 
Nach  J.  Bergmann  hat  die  Logik  ziim  Gegenstand  „das  Denken  hinsiehüich 
seiner  Angemessenheit  xu  dem  im  Erkennen  und   Wissen  bestehenden  Zwecket 
(Die  Grandprobl.  d.  Log.",  S.  2).     Nach  Volkelt  ist  die  Logik  ein  Teil  der 
Erkenntnistheorie  (Erfahr,  u.  Denk.  S.  46  f.).     Nach  Sigwart   ist  sie  dne 
„Kunstlehre  des  Denkens'^  (Log- 1»  l)j  welche  die  „Kriterien  des  wahren  Denkens^ 
feststellen  soll  (l.  c.  S.  10).    B.  Erdmann  sieht  als  die  Hauptaufgabe  der  Logik 
die  Untersuchung  über  das  Wesen   des  Urteils  an  (Log.  I,  Vorw.).    Sie  ist  ru 
definieren  als  „die  Wissenschaft  von  den  formalen  Vorausseixungen  des  wissen- 
schaftlichen Denkens,   d,  i.   als  die    Wissenschaft  von  den  formalen    Voraus- 
setximgen  gültiger  Urteile  über  die  Gegenstände  der  Sinnestcahmehmung  und  des 
Selbstbewußtseins"  (1.  c.  S.  15).     Aber  sie  abstrahiert  nur  von  den  besonderen 
Inhalten  des  Erkennens,  nicht  von  allem  Denkinhalt.    Sie  ist  nicht  ein  Teil 
der  Psychologie,   diese  setzt  die  Gültigkeit  des  logischen  Verfahrens   voraus 
(1.  c.  S.  18  f.).  —  Erkenntnisiheoretisch  ist  die  Logik  von  Schuppe.    Wichtig 
ist,  „die  reinen  Gedankenelemente  von  der  sprachlichen  Einkleidung  genau  xu 
unterscheiden"  (Log.  S.  1).    Das  Denken  muß  in  seiner  Arbeit  gleichsam  be- 
lauscht vrerden.    „Vor  allem  müssen  auf  diesem  Wege  die  verschiedenen  Arten 
von  Einheit,  d,  i,  die  obersten  Begriffe  selbst,  vor  unseren  Augen  entstehen;  das 
ist  Erkenntnis  der   Grundxüge  des   Wirklichen;   von  dieser  Seite  ist  die  Logik 
materiale  Logik^  xugleich  Ontotogie"    „Die  Logik  lehrt  also  nicht  eine  subjeetire 
Verfdhrungsweise  des  bloßen  Denkens  (ohne  Otjecte)  —  die  ist  gar  nicht  denk- 
bar — ,  sondern  gibt  inhaltliche  Erkenntnisse,  natürlich  allgemeinster  Art,  vom 
Seienden  überhaupt  und  seinen  obersten  Arten.    Dies  die  Normen  des  Denkend 
(1.  c.  S.  4).     Die  Logik  ist  „die  Wissenschaft  von  dem  ohjeetiv  gültigen,  «f.  t. 
dem  aus  dem  Wesen  des  Beumßtseins  überhaupt  notwendigen  Denken,  €L  «'.  von 
dem  ins  Bewußtsein  aufgenommenen  oder  bewußt  gewordenen  ufirklichen  Sein"* 
(L  c.  S.  99).    Nach  Schubert-Soldern  hat  die  formelle  Logik  nur  den  Wert 
einer  „Ijogik  der  Sprachformen"  (Gr.  ein.  Erk.  S.  169).  —  Nach  Külpe  ist  die 
Logik  die  „Wissenschaft  von  den  formalen  Principien  der  Erkenntni^^  (EinL 
in  d.  Philos.*,  S.  46).     Sie  ist  eine  „Kunstlehre  des  Denkens^*  (L  c.  S.  47),   isi 
unabhängig  von  aller  Psychologie  (1.  c.  S.  48).   Das  betont  auch  Husserl  (Log. 
Unters.  I,  59),  der  sprachliche  Erörterungen  in  den  Vordergrund  rückt  (L  c. 
II,  3  ff.).     Die  Erkenntnistheorie  ist  „descriptive  Phänomenologie^^  der  Dioik- 
und    Erkenntniserlebnisse    zum    Zwecke    erkenntniskritischer   Untersuchongen 
(1.  c.  S.  4).    Aufgabe  der  Phänomenologie  ist,  „die  logischen  Ideen,  die  Begriffe 
Und  Gesetxe,   xu  erkenninistheoretischer  Klarheit  und  Deutlichkeit  xu  bringef^ 
(1.   c.   II,   7).     Erkenntnistheoretisch,    antipsychologisch    ist    die    Logik    von 
H.  Cohen.    Sie  ist  „Logik  des  Urteils",  ist  formal  und  sachlich  zugleich  (Log. 
S.  501).    „Die  Logik  des  Urteils  erxeugt  formal  aus  dem  Urteil  die  Kategorien, 
als  die  reinen  Erkenntnisse.    Diese  aber  sind  die  Sachen,  welche  den  hthaii  und 


Logik.  615 

OehaÜ  vomehrdieh  der  maihematisehen  Naturtcissensekaft  ausmachen.  Das 
formaie  Urteil  erzeugt  diese  sachlichen  Grundlagen,  als  die  Voraussetzungen  der 
Wissenschaft^  (ib.).  Aufgabe  der  Logik  ist,  die  Wissenschaft  ihres  W^es  be- 
wußt zu  machen  (L  c.  S.  502),  sie  ist  Lehre  von  der  Methode,  ist  „Logik  des 
Ursprungs'^  (1.  c.  S.  33).  Es  ist  eine  y^Logik  des  Idealtsmus"  (1.  c.  S.  507);  die 
Principien  des  Seins  werden  aus  Denksetzungen  abgeleitet.  Die  Logik  ist  die 
jyLehre  vom  Denken,  welche  an  sieh  Lehre  von  der  Erkenntnis  ist"  (1.  c.  S.  12). 
jjDas  reine  Denken  in  sich  selbst  und  ausschließlieh  muß  die  reinen  Erkennt- 
nt89e  zur  Erzeugung  bringen"  (ib.).  Das  Denken  der  Logik  ist  das  Denken 
der  Wissenschaft  (L  c.  S.  17).  Die  Logik  ist  zugleich  die  Metaphysik  (L  c. 
a  516).    Ähnlich  Natokp  (Phüos.  Monatsh.  XXIII,  264  ff.). 

Psychologistisch  ist  die  Logik  der  englischen  Associationspsychologen 
(Bain,  Log.),  von  Lipps:  Die  Logik  ist  eine  „psychologische  Diseiplin"  (Gr.  d.  Log. 

5.  1),  von  F.  B&ENTANOs  Schule,  von  G.  Heymans  (Phüos.  Monatsh.  XXV).  Die 
formale  (analytische)  Logik  gehört  teils  zur  Erkenntnistheorie,  teils  ziur  Metho- 
dologie (Ges.  u.  El.  d.  wiss.  Denk.  S.  38).  Sie  fragt,  „une  es  Mtgehe,  daß  im 
Beufußtsein  aus  gegebenen  einfacheren  neue  zusammengesetzte  Urteile  entstehen; 
sie  versucht  diesen  Proeeß  auf  allgemeine  und  allgemeinste  Gesetze  zuriick- 
suifUkren  und  unsere  Überzeugung,  daß  die  Ergebnisse  derselben  a/ueh  für  die 

IVirklichkeit  gelten  müssen,  zu  erklären".  Sie  imtersucht  ferner  die  ver- 
schiedenen Formen,  in  welchen  die  Denkgesetze  zur  Anwendung  gelangen 
(1.  c.  S.  38).  Aufgabe  der  Erkenntnistheorie  ist  ,jdie  exacte,  durch  em- 
pirische Untersuchung  des  gegebenen  Denkens  zu  ermittelnde  Feststellung  utid 
Erklärung  der  causalen  Beziehungen,  toelche  das  Auftreten  von  Überzeugungen 
int   Bewußtsein  bedingen"  (L  c.  S.  3).     Sie  ist  „Psychologie  des  Denkens"  (1.  c. 

6.  10).  Die  fintscheidung  über  den  Erkenntniswert  des  Wissens  kann  nur  auf 
psychologischem  Wege  gesucht  werden  (1.  c.  S.  17).  ,J)ie  Erkenntnistheorie  hat 
zuerst  zu  fragen:  Was  tvissen  wirf  —  Sodann:  Über  welche  Daten  müssen  wir 
demnach  verfügen?"  Hier  gilt  die  „regressiv-analytische  Methode"  (1.  c.  S.  478). 
Nach  IJpHUES  ist  die  Logik  „die  Wissenschaft  von  der  Art  und  Weise,  wie  wir 
zu  richtigen  Urteilen  gelangen,  oder  von  der  Methode  des  Erkennens"  (Psychol. 
d.  Erk.  I,  9).  Nach  H.  Schwakz  ist  die  Logik  „die  Lehre  von  den  Be- 
dingungen, unter  denen  unr  unsere  Denkinhalte  für  wahr  oder  falsch  halten,  so- 
wie von  den  Mitteln,  zu  wahren  Denkinhalten  %u  gelangen"  (Psychol.  d.  Will. 

S.  11). 

Zwischen  antipsychologistischer  und  psychologistischer  Logik  vermittelt  jene 
Logik,  welche  bei  aller  Selbständigkeit  des  logischen  Grebietes  und  der  logischen 
Methode  doch  die  Psychologie  als  eine  Basis  bezw.  als  ein  Hülfsmittel  der 
logischen  Untersuchung  berücksichtigt.  So  Wundt.  Ihm  ist  die  Psychologie 
ein  Hülfsmittel  der  logischen  Forschimg,  welche  den  Tatbestand  der  Logik  auf- 
zeigt Aber  die  Fragen  nach  den  Gründen  des  Erkenntniswertes  und  nach  der 
^Entwicklung  des  logischen  Denkens  führen  weit  über  das  Grebiet  der  Psy- 
chologie hinaus.  Alles,  was  Ergebnis  planmäßiger  Reflexion  ist,  gehört  schon 
der  logischen,  d.  h.  zimi  Behufe  zusanunenhängender  Erkenntniszwecke  ge- 
schehenden Denkbetätigung  an  (Phüos.  Stud.  IV,  9;  X,  82  f.;  XIII,  321; 
V,  51).  Die  Logik,  eine  normative  Wissenschaft,  „hat  Rechenschaft  zm  geben 
von  denjenigen  Gesetzen  des  Denkens,  welche  bei  der  Erforschung  der  Wahrheit 
wirksam  sind  .  .  .  Während  die  Psychologie  uns  lehrt,  tcie  sich  der  Verlauf 
der  Gedanken  wirklich  vollzieht,  will  die  Logik  feststellen,  wie  sich  derselbe  roll- 


616  Iiogik. 

xdehen  soll,  damü  er  ui  richtigen  Erkenntnissen  führe.  Während  die 
xelnen  Wissenschaften  die  tatsäehliehe  Wahrheit,  jede  auf  dem  ihr  xugeuriesenen 
Gebiete,  wu  ermitteln  bestrebt  sind,  sucht  die  Logik  für  die  Methoden  des  Denkens, 
die  bei  diesen  Forschungen  xur  Anwendung  kommen,  die  cUlgemeingiUtigen  Regein 
festxusteüen.  Hiernach  ist  sie  eine  normative  Wissenschaft,  ähnlich  der  EthiL 
Wie  diese  die  Gefühle  und  Willensbestimmungen,  deren  Verhalten  die  F^g- 
chologie  schildert,  nach  ihrem  sittlichen  Werte  prüft,  um  Normen  xu  gewinnen 
für  das  praktische  Handeln,  so  scheidet  die  Logik  aus  den  mannigfachen  Vor- 
Stellungsverbindungen  unseres  Bewußtseins  di^enigen  aus,  die  für  die  Eniwiek- 
lung  unseres  Wissens  einen  gesetxgd)enden  Charakter  besitzen"  (Log.  I*,  1). 
Die  Logik  hat  auch  zu  liefern  „eine  psychologische  Entwicklungsgeschiehie  des 
Detikens,  eine  Untersuchung  der  Grundlagen  und  Bedingungen  der  Erkenntnis 
und  eine  Berücksichtigung  der  logischen  Methoden  der  wissenschaftlichen  For- 
schung^, „Die  Logik  bedarf  der  Erkenntnistheorie  xu  ihrer  Begründung  und 
der  Methodenlehre  xu  ihrer  Vollendung"  (1.  c.  S.  2).  Sie  hat  „das  werdende 
Wissen  darzustellen,  die  Wege,  die  xu  ihm  führen,  und  die  Hülfsmittel,  über  die 
das  menschliche  Denken  verfügt^*,  „Aus  den  tatsächlich  geübten  Verfahrungs- 
weisen  des  Denkens  und  der  Forschung  abstrahiert  sie  ihre  allgemeinen  Re- 
sultate; diese  aber  überliefert  sie  den  Einxehvissenschaften  als  bindende  I^ormen^ 
denen  sie  zugleich  feste  Bestimmungen  Über  die  Sicherheit  und  die  Grenzen  des 
Erkennens  hinzufügt."  Die  „Erkennlnislehre"  gliedert  sich  in:  1)  f annale 
Logik,  2)  reale  Erkenntnislehre  (Erkenntnistheorie,  Erkenntnisgeschichte)  (L  c. 
S.  1  ff.;  Syst.  d.  Philos.»,  S.  31;  Phüos.  Stud.  V,  48  ff.).  —  W.  Jebubaijqi 
erblickt  die  Aufgabe  der  Logik  in  der  ,^Erforschung  der  allgemeinen  Be- 
diftgungen  obfectiver  Gewißheit  und  Wahrscheinlichkeit"  (Urteilsfunct.  S.  22). 
Nach  HÖFFDING  ist  die  Psychologie  die  Grundlage  der  Logik,  aber  diese  ist 
nicht  selbst  Psychologie  (Psychol.*,  S.  36).  „Die  Psychologie  ist  eine  spedeUe 
Diseiplin,  die  die  allgemeinen  Prineipien  unserer  Erkenntnis  voraussetzt,  deren 
Gültigkeit  aber  nicht  zu  erklären  vermag*'  (1.  c.  S.  487).  „Es  ist  Sache  der 
Logik,  nicht  der  Psychologie,  einen  Maßstab  für  die  Vorstellungsverbindungen 
aufzustellen  und  die  Regeln  nachzuweisen,  die  sich  aus  einem  solchen  Maßstabe 
für  die  mit  der  Erfahrung  stimmende  Vorstellungsassoeiation  ergeben.  Die 
Logik  ist  eine  Kunstlehre,  die  Psychologie  eine  Naturlehre.  Die  Kunst  uächst 
aber  aus  der  Natur  hervor  und  ist  eine  Fortsetzung  der  Natur**  (1.  c  &  239). 
„Die  Logik  mißt  .  .  .  jede  Vorstellungsassoeiation  nach  dem  Grade,  in  tcelekem 
diese  das  Identitätsprincip  befriedigt,  d.  h.  die  Forderung  erfüllt,  daß  jede 
Vorstellung,  wo  und  wann  ich  sie  anwende,  denselben  Inhalt  habef^  (ib.).  G.  Vilxjl 
erklärt:  „Es  ist  wissenschaftlich  unmöglich,  eine  richtige  Definition  der  logischen 
Processe  im  allgemeinen,  der  Begriffe,  der  Urteile  und  des  Schlusses  zu  geben 
außer  durch  Aufzeigung  eines  Zusammenhanges  zwischen  ihnen  und  andern 
psychischen  Processen,  deren  entwickelte  und  bewußte  Form  sie  darstellen.  Eine 
Logik,  welche  nicht  die  direete  Fortsetxung  der  wissenschaftlichen  Psyehologis 
wäre,  hätte  heute  keinen  Wert.'^  „Jene  GedankenassocicUionen,  U!elehe  der  Aus- 
gangspunkt  der  Logik  sind,  bilden  auch  einen  Jkü  des  psychologischen  Stoffes, 
sind  auch  psychische  Processe  und  lassen  sich  mithin  in  ihrem  innersten  Wesen 
nicht  ohne  eine  tiefe  Kenntnis  der  psychologischen  Gesetze  erklären**  (EinL  in  d. 
Psychol.  S.  103).  —  Nach  M.  Palagti  hat  die  Logik  die  Aufgabe,  ,^durch  die 
Untersuchung  der  Erkenntnistätigkeit  selbst  unser  Wissen  von  der  WcUnrheit  zu 
befördern"  (Streit  S.  65).    Die  Logik  stellt  sich  in  den  „Dienst  des  allget 


lK>gik  —  Iiogisch.  617 

ErkmrUniMeaU''  (L  c.  S.  69).  Sie  suclit  die  eine  Wahrheit  (ib.,  wie  Uphues, 
Grds.  d.  Erk.  S.  24).  Sie  untersucht  ,^ie  {Mgemeine  oder  abstraete  psyehüehe 
Function  des  Wissens  resp.  M-kennens^*  (1.  c.  S.  73).  Logik  und  Psychologie 
bedingen  sich  wechselseitig  (ib.).  PaUgyi  bekämpft  jede  f^^kuäistiscßü^*  (Form 
und  Inhalt  des  Erkennens  sondernde)  Erkenntnislehre,  lehrt  eine  y^monistisehe^^ 
Logik,  die  ,/iynamisehe  Urteilslogik^*  ist  (Die  Log.  auf  d.  Scheidewege  S.  12). 
Die  specielle  Logik  zerfallt  in  yyMeUigeometri&\  „Metadynamik^' ^  ^yMetabiologie*' 
(ib.).  Zwischen  „impressionistischer*'  (s.  d.)  und  einseitig  ,f8ymboliseher*'  (s.  d.) 
Logik  ist  2u  vermittehi  (1.  c.  S.  72  ff.).  „Unsere  Erkenntnis  hat  es  immer  mit 
dem  Unvergänglichen  in  dem  Wechsel  aüer  Erscheinungen'^  der  Lnpressionen^ 
zu  tun,  sie  ist  ,yErfas8en  des  Ewigen  im  Vergänglichen*^  (1.  c.  S.  87).  Haupt- 
problem dar  Logik  ist  die  Frage  nach  dem  Wesen  des  Urteils  (s.  d.;  vgl. 
„Kant  u.  Bol%ano"),  —  Vgl.  Bossuet,  Logique  1828;  Opzoomeb,  Logik;  Chb. 
Plaitck,  Gnmdr.  d.  Log.  1873;  Hoppe,  Die  gesamte  Logik;  Mabgi,  Logica; 
BoBAKQVET,  Logic  1888;  G.  Ratzenhofer,  Die  Krit  d.  IntelL  1903;  A.  Bastian, 
Die  Lehre  vom  Denken  1903;  Fowlee,  Log.  1869;  Venn,  Log.  1889;  Shute, 
Dific.  on  Truth  1877. 

Über  Geschichte  der  Logik  vgL  Prantl,  Gesch.  d.  Logik  im  Abend- 
lande ia55— 1870;  Haemb,  Gesch.  d.  Log.  1881.  —  VgL  Erkenntnistheorie, 
WiBsenschaftslehre,  Methode,  Denken,  Begriff,  Urteil,  Schluß,  Definition,  Be- 
weis, Abstraction,  Denkgesetze,  Psychologismus,  Vemunftlehre  u.  s.  w. 

liOitik  dcp  Tatsarlieii  (immanente  Logik):  die  den  Dingen  inuna- 
nente  vernünftige  Gesetzmäßigkeit,  das  Logische,  Vernünftige  außerhalb  des 
Denkens  (vgl.  O.  Liebmakk,  Anal.  d.  WirkL*,  S.  187  ff.),  das  Denken  an  der 
Hand  der  Tatsachen  (vgl.  Übebweg,  Welt-  u.  Lebensansch.  S.  18  f.). 

liOi^«  naÜirllclie  („logica  naturalis*' ,  „logique  naturelle^*) :  die  Logik, 
Gesetzmäßigkeit  des  natürlichen,  allgemeinen  Denkens. 

IjO^ky  qualitative  (Inhaltslogik)  und  quantitative  (Umfangslogik) 
8.  Urteil. 

liOgtlK«  sociale,  s.  Sociologie  (Tarde). 

I«oglscll  {Xoymoe):  zur  Logik  (s.  d.)  gehörig,  den  Denkgesetzen  gemäß, 
richtig  gedacht,  vernünftig,  aus  dem  Denken  stanmiend.  Gegensatz:  unlogisch, 
alogisch  (8.d.),  antilogisch  (widervemünftig),  sinnlich.  Der  logische  Begriff 
(b.  d.)  ist  der  präcise,  wissenschaftliche  Begriff.  Das  logische  Denken  ist 
das  den  Denknormen  gemäße  Denken  (s.  d.).  Von  den  psychologischen  sind 
die  logischen  Denkgesetze  (s.  d.)  zu  unterscheiden. 

Bei  Abistoteles  bedeutet  Xoyixov^  loyixme  das  Begriffliche  im  Gegensatze 
zu  fvcixdk  (Met.  XII  1,  10e9a  28;  XIV  1,  1087b  21).  Auch  im  Sinne  von 
dialektisch  (s.  d.)  wird  es  gebraucht  (Top.  VIII  12,  162  b  27;  Anal.  post.  118, 
93  a  15);  X^yof  di  loyut^v  ri^v  anoSatiiv  8td  tovto,  on  oat^  xad'oXov  fiäkXov, 
vo^f&TBQto  Tcjv  oixeiofv  iajlv  a^x^*'  (P^  g^*  oniia.  II  8,  747  b  28).  —  Vom 
Jogisehen  Denken**  spricht  schon  S.  Maimon,  Vers.  e.  neuen  Log.  1794,  S.  5  ff., 
235.  Nach  Babdiu  ist  logisch  „das  Formelle  des  Denkens  selbst**  (Gr.  d.  erst. 
Log.  S.  6).  Nach  G.  E.  Schulze  ist  logisch  y^nicht  aUes,  was  in  den  Erkennt' 
niesen  aus  dem  Verstände  herrührt  .  .  .,  sondern  es  hat  Beziehung  auf  di^'enige 
Einheit,  welche  an  den  Stoffen  des  Denkens  durch  die  Verknüpfung  derselben 
vermittelst  des  Verstandes  hervorgebracht  wird**  (Gr.  d.  allg.  Log.  S.  10).  Hegel 
macht  das  Logische  zum  Weltprincip  (s.  Begriff),  es  ist  das  „Übernatürliche^* 


618  liOgisoh  —  I<ogo8. 


(Log.  I,  11),  die  Idee  (s.  d.),  die  Geistiges  und  Körperliches  aus  sich  heraus  em- 
wickelt.     Alles  ist  an  sich  logisch  (Panlogismus,  s.  d.).     Schelltng  erklärt 
dagegen,  das  Logische  sei  das  ,jbloß  Negative  der  Existenx'^^  „daSj  ohne  tcdekei 
nichts  existieren  könnte^  woraius  ctber  noch  lange  nicht  folgt,  daß  alles  auch  nur 
durch  dieses  existierf*,     „Es  kann  alles  in  der  logischen  Idee  sem^  ohne  daß 
damit  irgend  etwas  erklärt  wäre  .  .  .  Die  ganze  Welt  liegt  gldchsam  in  den 
Neixen  des  Verstandes  oder  der  Vernunft^  aber  die  Frage  ist  eben,  fcie  sie  in 
diese  Netxe  gekommen  sei,  da   in  der    Welt  offenbar  noch  etwas  anderes  und 
ettoas  mehr  als  bloße  Vernunft  istj  ja,  sogar  etwas  über  diese  Schranken  Hinaui' 
strebendes'^  (WW,  I  10,  143  f.).    E.  V.  Hartmann  sieht  im  Logischen,  der 
Idee  (s.  d.),  ein  Attribut  des  ,fUnbeicußten*'  (s.  d.).    Nach  L.  Feuekbach  sind 
die    logischen   Formen    „nur  die  abstracten,  elementarischen    Sprach- 
formen".    Sie  gehören   nicht  in   die  „Optih\  sondern  in  die  „Dioplril^  des 
dreistes  (WW.  II,  199).    Nach  Yolkelt  ist  logisch  „alles  speci fisch  durch  das 
Denken  Geleistete"  (Erf.  u.  Denk.  S.  165).     Nach  L.  Rabü8  ist  das  Ic^ische 
Denken  yjdas  Denken  als  Urteilen'^  mit  Bezug  auf  die  „Betätigung  einer  dem 
Denkorganismus   innewohnenden  normativen  und  richterlichen  Instanz,^    (Log. 
8.  105).    H.  Schwarz  betont  den  „logischen  Zwang",  der  aus  der  Gresetzlich- 
keit  der  inneren  Normen  des  Denkens  resultiert  (PsychoL  d.  WilL  S.  11).    In- 
nere Evidenz  kommt  dem  logisch  Oedachten  zu  (1.  c.  8. 15).  —  Nach  Nietzsghe 
ist  die  Logik,  das  Logische  aus  der  „Unlogikf'f  aus  befestigten  Irrtümem  oit- 
standen  (WW.  V,  110).    Die  Logik  hat  erst  rein  biologische  Bedeutung,  spater 
wirkt  sie  als  „Wahrheit"  (s.  d.)  (WW.  XV,  274  f.,  271).    Die  Logik  gut  nur 
von  fingierten  Wesenheiten  (WW.  XV,  271).     Wir  erst  logisieren  das  Chaos 
unserer  Eindrücke  (WW.  XV,  275,  279).    Vgl.  Logik. 

LiO§^elier  Materlalisiniis  s.  Materialismus. 

LiOg^mns  ßoyiafios):  Schluß  (s.  d.). 

liOi^macliie  (loyo/iaxlo):  Wortstreit,  Streit  um  Worte,  um  Bezeich* 
nungen. 

LiOg^s  ßoyog):  Wort,  (ausgesprochener)  Gedanke,  Begriff,  Definition. 
Vernunft,  göttlicher,  schöpferischer  Gedanke,  Weltgedanke,  Weltvemunft 

Die  Lehre  vom  Logos  als  dem  die  Welt  durchdringenden,  alles  beherr- 
schenden Gedanken  Gottes,  als  der  von  Gott  ausgehenden  Vernunft,  als  dem 
schöpferischen  Wort  ist  alt.  Im  Big-Veda  ist  der  Logos  (yyvat'  =  lateinisch 
vox)  die  von  der  Gottheit  ausgehende  Weisheit  (vgl.  Willmann,  Gescfa«  d. 
Ideal.  I,  89).  Im  Zendavesta  geht  aus  dem  Urwesen  (^^laruana  akmranec^} 
das  Schöpferwort  („ahuna-vairfa,  honover*^)  hervor,  durch  welches  die  Welt  er- 
schaffen wird.  Nach  der  biblischen  Genesis  ist  die  „Spraehe^^  Qottes  bei 
der  Schöpfung  wirksam  (Gen.  I,  3,  6,  9  ff.).  —  AnaxagorAs  lehrt  einen  alle» 
beherrschenden  „Geisf*  (s.  d.).  Heraelit  bezeichnet  zuerst  die  W^eltvemonft 
als  Xoyog.  Er  ist  das  ewige  Weltgesetz,  dem  zufolge  alles  geschieht  (rov  Äay0t 
TovS^i  iorrog  aiei  —  yiyvofiivotv  yaq  navxcav  maTo.  tov  loyovy  Fragm.  2: 
Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  132).  Der  Xoyos  ist  zugleich  die  elfuzQfidvr^^  da» 
Schicksal  (Stob.  Ecl.  I  2,  60),  die  eherne  Gesetzmäßigkeit  des  Alls.  Der  loyi 
(oder  die  yvtofirjy  8lxr})  ist  den  Dingen  immanent,  aber  ohne  Bewußtsein  seiner 
selbst  {},6yov  rov8*  iovroQ  ael  a^veroi  yiyvovxai  dv^^tonoi  xai  fr^aa9'e%'  ^ 
axovaai   xal   dxowravrae   to   n^tSrov),     Jeder  soll   dem  allgemdnen  loytK  üft 


Logos.  619 

Denken  und  Handeln  gehorchen  (Sic  Sei  insad'ai  rtv  iwt^  Tovrtcri  ti^  xoip^' 
%ov  loyov   9s  iovTog  Swov   t,taovaiv  oi  noXXoi   ebg  iBiav  exottes  f^a%njCiv  (Sext. 

Empir.  ady.  Math.  VII,  133).  Aristoteles  versteht  unter  Xoyog  Begriff  (s.  d.) 
und  Vernunft  (s.  d.).  Er  unterscheidet  den  iSw  k6yoe  (Wort)  vom  icaf  koyo^ 
(GManke  in  der  Seele)  (Anal,  post  I  10,  76  b  24).  Der  6^d'o9  Xoyos  ist  die 
richtige  Vernunft,  der  sittliche  Tact  (Eth.  Nie.  VI  13,  1144  b  23).  Das  gött- 
liche ßich-selbst-denken  {yorja^G  votjaatos)  ist  das  höchste  Princip  der  Welt  (vgl. 
Met.  I,  3).  Die  Stoiker  nennen  das  Schicksal  (s.  d.)  auch  Xoyot,  es  ist  das 
alles  durchdringende  sittlich-vernünftige  nvsvfia  (s.  d.).  Es  ist  die  el/uz^fUnj 
miria  rmv  ovrofv  ai^ofiinj  ^  loyos,  xad^  ov  6  noofio^  dieSaynai  (Diog.  L.'VII  1, 
149);  das  Schicksal  ist  loyos  tc5v  dv  np  xoe/up  Tt^ovoiq  Sioixovfiavav  —  xad^ 
Sr  rd  /iir  ytyovora  yt'yova  (Stob.  Ek;l.  I  5,  180).  Die  Xoyoi  cne^/iarixoif  die 
Vemunftkeime,  vemiinftigen  Potenzen,  sind  Kräfte,  die  in  allem  wirken  (Diog. 
L.  VII  1,  157),  sie  treiben  zur  vernünftigen  Entwicklung  an  (vgl.  L.  Stein, 
FlsychoL  d.  Stoa  I,  49).  Vom  loyog  ivSidd'erog,  der  innem  Bede,  d.  h.  dem 
Gedanken,  wird  der  loyog  n^ofOQixSg^  das  Wort,  die  äußere  Bede  unterschieden. 
Ersterer  besteht  r^  a&niati  xwv  oixBifov  xal  ^vy^  xtav  alXortqiotv^  t^  yvcioai 
tüiv  eU  TOVTo  avvratPovciSv  xaxvöivt  r^  avriXrppat  rtSv  xard  Trjv  oixaiar  ifniaiv 
o^exA^  rtSv  na^  Tri  nd^.  Der  Xoyog  n^ofogixog  ist  tptovfi  8id  yXcarrtje  arjftav- 
TXX17  Twv  ^tfSov  xal  xard  yntx^v  nad'eor,  er  ist  i^of  ^t^oXt&v  (Sext.  Empir.  Pyrrh. 
hyp.  I,  65;  Porphyr.,  De  abstin.  III,  3).  Der  Xoyog  h^td&arog  ist  to  xivrifia 
rijg  y^jf^ff  TO  iv  T(f  diaXoyiartxtß  yivousvov  (Nemes.,  De  nat.  hom.  C.  14). 

ABiSTOBUiiOS  spricht  von  der  göttlichen  Kraft,  welche  alles  beherrscht 
(oTi  Bid  nnvrafv  iorlv  17  3vva/iig  rov  &80v,  Euseb.,  Praep.  ev.  XII,  12).  AsiSTEAS 
onterscheidet  von  Gott  selbst  die  dvvafitg  Gottes,  welche  Sid  ndvrwv  ist:  Das 
yjBueh  der  Weisheif*  lehrt,  die  y,Weükeif*  Grottes  (aofla)  sei  ein  die  Welt 
durchdringender  Greist  (Ttvavfin).  Philo  bezeichnet  als  Xoyog  die  höchste  der 
göttlichen  Kräfte,  in  welcher  die  Ideenwelt  (s.  d.)  ihren  Ort  hat  (De  mimdi 
<^if.  I,  4).  Der  Xoyog  ist  Vermittler  zwischen  Gott  und  Welt,  durch  ihn  hat 
Gott  die  Welt  geschaffen.  Der  Xoyog  ist  npanSyorog,  der  Sohn  Gottes  (De 
agric.  12),  sein  „Sch€Uten"  (axtd  &eov  3i  6  Xoyog  avrov  iartv,  <}  xad'dnsQ  6^ 
ydvi^  n^ocx^od/itvog  ixocfionolat,  Leg.  alleg.  III,  31).  Er  ist  der  j^Moeite  OoW* 
(Sevre^og  &e6e,  Euseb.,  Praep.  ev.  VII,  13,  1).  'O  X6yog  Sa  rov  d-aov  vTta^nvat 
navToe  iOTi  rov  xoa/iov  xal  n^ecßvrarog  xal  yevtxiöraTog  rdiv  oaa  yayope  (Leg. 
alleg.  in,  61).  Im  Menschen  und  im  All  gibt  es  einen  Xoyog  ivBidd'axog  und 
einen  Xoyog  n^ofo^ixog  (De  vita  Mos.  III).  In  Gott'  ist  eine  ipvoia,  die  aofia ; 
diese  wird  auch  als  Mutter  des  Xoyog  bezeichnet  (De  profugis  562 ;  vgl.  Heinze, 
Lehre  vom  Logos  1872;  Überweq-Heinze,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philos.  !•,  357). 
Plotik  sieht  im  vovg,  dem  Geiste  (s.  d.)  eine  Emanation  (s.  d.),  ein  Erzeugnis, 
ein  Abbild  {aixciv)  des  göttlichen  Einen  (s.  d.),  er  ist  die  Einheit  der  Ideen 
(b.  d.). 

Das  Christentum  faßt  den  Xoyog  persönlich  auf,  als  Sohn  Gottes^  der  von 
Ewigkeit  her  bei  Gott  ist,  die  Welt  erschafft  und  (in  Christus)  Fleisch  wird: 
iv  aQxi  V^  ^  Xoyog'  Ttdvra  Bi  avrov  iydvero'  6  Xoyog  od^  Ayevaxo  (Evang.  Joh. 
I,  1),  —  Athen AGORAB  erklärt:  Xdyog  rov  nar^og  iv  i8dq  xal  iva^yaiq'  TtQog 
airov  yd^  xal  8i  avrov  ndvra  iydvaro  (bei  Ubebweg-Heinze,  Gr.  d.  Gesch. 
d- Philos.  IP,  50).  TheOPHILUS  sagt:  Xoyog  ivSidd'avog  ivroXg  iSiotg  anXdyxvoigj 
irStad-erog  iv  xa^iq  d'eov  (vgl.  Iren.  I,  24;  Harnack,  Dogmengesch.  I*,  491). 
Lactantius:   „melius  Oraeci  Xoyov  dicunt  quam  nos  verbum  sive  aermonem: 


620  Logos  —  Lügner. 


Xoyos  enifn  et  sermonem  signifieat  et  rationem:  qu/ia  iUe  est  pox  et  sapieiitk 
Dei*'  (Divinar.  institut.  lY,  9).  Nacli  Babilideb  ist  der  Logos  der  EntgewngK 
des  ewigen  Vaters  (bei  Iren.  U,  24,  3).  Nach  Valenttnus  emanierai  li/H 
und  ^afij  aus  dem  v&ve  und  der  Wahrheit  (bei  Iren.  I,  1,  1).  Nach  Clevisi 
Alexakdbinus  durchdringt  der  Xoyos  das  All  (StronL  V,  3);  er  ist  die  Qodk 
der  Erleuchtung  bei  den  alten,  guten  Philosophen  (1.  c.  I,  5 ;  Ckthort.  VI,  58^ 
Während  nach  Abiüs  der  Logos  ein  (vor  der  Zeit)  durch  Gott  Geschafienei 
ist  („Subordinationstkeorie^^Jy  betont  Athanabiub  die  ewige  Einheit  des  Logv 
mit  Gott-Vater,  aus  dessen  Natur  er  gezeugt  ist  (Oontr.  Arian.  III,  €2).  Dff 
Logos  •  ist  Tiyefuov^  Sij/uov^^og  rov  navroQ  (Contr.  gent.  29 ;  38) ;  b  yap  xsT^ 
Tov  jLoyov  kv  Ttvevfiaxi  ayiqf  ra  ndvra  noul  (Oontr.  Arian.  1, 28).  Nach  JUSTHTS 
hat  Gott  Svvafäv  Tiva  Xoyixrjv,  den  Logos,  seinen  Sohn,  erzeugt,  der  selbst  Gott 
ist  (Apol.  I  u.  II,  6).  Am  loyog  hat  jeder  teil  B^a  ro  ifi/fvxov  navxi  /c*« 
nvd'^toncar  ffTtt^ua  tov  Xoyov  (L  c.  II,  8).  Nach  Tatian  ist  der  loyos  %w 
Tt^toTOTOxov  TOV  TtaT^os.  ObioeNES  sieht  im  loyoe  die  iSea  idetSv^  eletr^ 
&eo>^fiaTofv  iv  avTtf  (vgL  LoMMATSCH  I,  127).  Der  Logos  ist  Demiuig  (s.  <L) 
(Contr.  Gels.  VI,  62).  In  den  Dingen  ist  ein  Xoyo'S  ans^ftnn^og  (L  c  V,  22;  De 
princ.  II,  10,  3).  Nach  Gregob  von  Nyssa  durchdringt  (Jott  alles  vennitteto 
der  aofoi  ts  xai  Texrtnol  loyot  (De  an.  et  resurr.  p.  188).  Die  Apologeten 
(s.  d.)  überhaupt  verstehen  unter  dem  Logos  „die  Hypostase  der  wirktamm 
Vermmfikraft,  die  einerseits  die  Einheitlichkeit  und  ünveränderliMeit  Octkt 
trotx  der  Verwirkliehung  der  in  ihm  rtihenden  Kräfte  sehütxt,  anderseits  dm 
diese  Vermrktickung  ermöglichte^  (Habkack,  Dogmengesdi.  I*,  488).  —  AJ- 
SELM  nennt  die  Form  der  Dinge  eine  „i?Uima  loeuti&^  in  der  g5ttlidieD 
Vernunft,  eine  innere  Sprache,  deren  Worte  die  Dinge  selbst  sind  (Mond 
C.  10,  12).  Thomas  unterscheidet  das  yyverbum  interius  eoneeptwn^^  (t^porbm 
mentis",  s.  d.)  vom  „verbum  exterius  vocale  quod  est  eins  sigw^m"  (De  diätt- 
div.  verbi  et  hum.).  Die  Mutaziliten  bestinmien  eines  der  Attribute  Gott« 
als  Wort  oder  Bede.  Nach  Eckhabt  spricht  Gott  das  „TForf'  aus,  böh« 
Sohn.  —  Vgl.  DüNCKEB,  Zur  Gesch.  d.  christl.  Logoslehre  1848;  Heinze,  D« 
Lehre  vom  Logos  in  d.  griech.  Philos.  1872 ;  A.  Aall,  G^sch.  d.  Logosidee  io 
d.  griech.  Philos.  1896;  Daub,  Üb.  d.  Logos;  Stud.  u.  Krit  1833,  EL  IL 

Hegel  versteht  imter  dem  Logos  den  objecüven  Begriff  (s.  d.),  ,4^  ^^ 
nunft  dessen,  was  ist^'  (Log.  I,  21),  die  Weltvemunft  Vgl.  Orthos  Logoß» 
Verstand. 

Liog^os  spermatlk'os  s.  Logos. 

JLol  de  la  molndre  aetlon  (Maupebtuib)  s.  Princip  des  klanstei 
Kraftmaßes. 

I^ncldltilt  nennt  Ehbenfels  die  größere  Klarheit  oder  Helligkeit  der 
aufmerksam  erlebten  Vorstellungen  (Syst.  d.  Werttheor.  I,  253). 

lifig^e  des  Bewußteelns  nennt  H.  Schwabz  „jene  Erscheinung,  dsf 
wir  unser  eigentliches  Dickten  und  Trachten  vor  uns  seilest  verdeekenj  indem  W 
uns  einbilden y  andere  Willensregungen  bewegten  uns  xu  den  Gedanken,  die  um 
vorsehweben"  (PsychoL  d.  Will.  S.  179,  183  ff.,  193). 

Lifii^er  (tff€v86ftevos)  heißt  ein  Fangschluß  des  Eueuubeb.  Ist  met  cä 
Lügner  und  sagt  es,  so  lügt  er  und  spricht  zugleich  die  Wahrheit  ^ 
Kretenser  sagt:  Alle  Elretenser  sind  Lügner.    Also  ist  diese  Aussage  seDbst  eoe 


liügner  —  Iiumen.  621 


Lüge.  Also  sind  nicht  alle  Kretenser  Lügner  (Aristoteles,  De  soph.  elench. 
25,  180a  35;  Diog.  L.  VII,  119;  Cicero,  De  div.  II,  4;  Quaest.  acad.  IV,  30). 

Lallselte  Kunst  s.  Ars  magna.  Vgl.  G.  Bruno,  De  compendioea 
architectnra  et  complemento  artis  Baim.  Lulli  1582. 

Lmnen:  Licht,  Klarheit,  geistiges  Licht,  geistige  Klarheit,  Einsicht, 
Evidenz,  Ebrkenntnis,  (angeborene)  Erkenntniskraft.  Die  Scholastiker  unter- 
scheiden das  „lumen  naturale^^  („natttrae"),  das  natürliche  Erkenntnisvermögen, 
rom  „lumen  ffratiae*',  der  Erleuchtung  durch  göttliche  Offenbarung. 

Psalm  35,  10  enthalt:  ,Jn  lumine  Hto  videbirrms  lumen."  Plato  bezeich- 
net zuweilen  die  Ideen  (s.  d.)  als  das  licht,  welches  die  Vernunft  schaut  (vgl. 
Praittl,  Q.  d.  L.  I,  75).  Aristoteles  vergleicht  den  activen  Intellect  (s.  d.) 
dem  Lichte.  Die  Stoiker  erklaren:  rije  fvastoe  oloval  fpiyyoq  ii/iiv  Tt^os  ini" 
yvtMiv  rijg  aXtj^eias  rrjv  aiadtjjixrjv  Svvaftiv  nva8ovai]g  xal  xtjv  Bi    avTtje  yivo' 

fiivris  tpavraalav  (Sext.  Empir.  adv.  MaÜL  VII,  259).  Cicero  spricht  vom 
f^urae  lumen"  mit  Bezug  auf  angeborene  Anlagen  („semina  innata  virhUum") 
(Tusc.  disp.  III,  1,  2),  Plotin  vom  Lichte,  durch  welches  der  Geist  erleuchtet 
wird  (£nn.  VI,  7,  24).  Porphyr:  ytjgf»!*'  ^oyixi^v  ...?•'  r^ifti  6  vove  ras  dv 
atT{7  iwoias  ag  hfrrvntoüs  xal  ivBX^Q^i^^  ^^  '^s  rov  d'eiov  vofiov  dlij&Blag  sie 
ivayva^iatr  aytov  8ia  rov  noL^  avrcp  yanos  (Ad  Marc.  26). 

Nach  NuKENius  ist  alle  flrkenntnis  ein  Anzünden  des  kleinen  Lichtes  an 
dem  großen,  die  Welt  erleuchtenden  (Euseb.  Praep.  evang.  XI,  18,  8).  Orioenes 
spricht  vom  „lumen  Dei  .  .  .,  in  quo  quia  videt  lumen"  (De  princ.  I,  1),  vom 
f^mtelleetualts  lux^^  (L  c.  IV,  36).  Augustinus  bemerkt:  „Ratio  ineita  sive 
mseminaia  lumen  animae  dieitur**  (De  bapt.  parv.  I,  25).  „Lumen  autem 
merUium  esse  dixerunt  [StoiciJ  ad  diseenda  omniaj  eundem  ipsttm  deum^  a  quo 
facta  sunt  omnia"  (De  civ.  Dei  VIII,  7).  „Oredibüius  est  .  .  ,  vera  respondere 
de  quibusdam  disdplinis  etiam  imperitos  earum,  quando  hene  interrogantur^ 
^ifta  praesens  est  eiSy  quanium  id  eapere  possunt,  lumen  rationis  aetemae,  ubi 
haec  immutahüia  vera  eonspieiunf^  (Betract  I,  4,  4).  Im  „publicum  lumen" 
der  Vemiinft  erkennen  wir  die  ewigen  Wahrheiten  (De  lib.  arb.  II,  33). 
V^ilhelm  yok  Auvergne  sagt:  „Dixit  Aristoteles  de  ea  [inteÜigentia  agentej, 
^uod  ipsa  est  velut  sol  inteUigibüis  animarum  nostrarum  et  lux  inteüectus 
wstri,  faciens  rehteere  in  effectu  formas  inteUigibües  in  eodem,  quas  Aristoteles 
^uit  potentia  esse  apud  ipsam,  eamque  reducere  eas  de  potentia  in  actum** 
[De  univ.  II,  14).  Bonaventura  bezeichnet  als  Erkenntnisquelle  das 
Jumen  inferius^*  im  Unterschiede  vom  ,jUimen  superius"  der  Offenbarung. 
Das  yjkimen  inferius"  ist  „lumen,  cognitionis  philosophicae",  das  „lumen 
mperius"  ist  Jumen  gratiae  et  sacrae  scripturae^*  (Sentent.  III,  d.  14).  Al- 
bertus Magnus  erklart:  f^Noster  intellectus  perficitur  luminibus  et  ele- 
fotur:  ed  ex  lumine  quidem  connaturali  non  elevaiur  ad  scientiam  trinitatis 
Ex  lumine  autem  fluente  a  superiori  natura  ad  supermundana  elevatur** 
ßum.  th.  I,  1,  6).  „Concedendum  enim  est,  quod  sine  lumine  iüustrante  intel- 
^ectum  nullius  cogniti  intellectus  noster  possibilis  perceptivus  est.  Per  hoc  enim 
^umen  efficitur  intellectus  noster  possibilis  oculus  ad  videndum:  et  hoc  lumen 
ul  naturalia  reeipienda  naturale  esf*  (1.  c.  qu.  15,  3).  Thomas  stellt  das 
Junten  naturale",  („connaturale",  „naturae^^,  „naturalis  rationis")  dem  „lumen 
mpematuralef^  gegenüber.  Das  „lumen  intellectuale"  ist  „quaedam  participata 
fimilitudo  luminis  increcUij  in  quo  continentur  rationes  aetemae^*  (Sum.  th.  I, 
^f  ^c))   „quaedam  impressio  veriiaiis  prima&^   (L  c.  I,  88,  3  ad  1).    Thomas 


622  Ijiiinen. 

spricht  vom  „rationis  lumen,  quo  prtncipia  .  .  .  sunt  nobü  nota^  est  nobU « 
Deo  inditum,  quasi  quaedam  similüudo  increatae  veritaMs  in  nobis  resultatäir 
(De  verit  11,  11);  ,jquod  (Uiquid  per  certitudinem  scicUur,  est  ex  kumine  ratiem 
divinüus  interius  indiio,  quo  in  nobis  loquitur  Deus^*  (L  c.  11,  1  ad  13).  Jju 
influaca  divinitus  in  mentem  est  lux  naturalis,  per  quam  eonstituitur  vist^ 
f^llectiva**  (Opußc.  70).  „Nihil  est  aliud  ratio  naturalis  hominis,  nist  refidgenÜA 
divinae  dariiatis  in  nobis'^  (zu  Psalm  36).  „Requiritur  .  .  .  lumen  inteÜeeba 
agentis,  per  quod  immutahiliter  veritatem  in  rebus  mutabiiibus  cognoseamut 
(Sum.  th.  I,  84,  6).  „Principia  indemonstrabilia  eognoscuntur  per  Iwnen  «■ 
tellecius  agentis"  (Contr.  gent.  III,  46).  „Lumen  naturale  rationis  partieipoHo 
quaedam  est  divini  luminis"  (Sum.  th.  I,  12,  11  ad  3).  „Änima  hutnana  waüm 
rei  aeeipit  sdentiam,  nisi  illius  cuius  prineipia  prima  habet  aptsd  9e  ipsam"^ 
(Sum.  th.  I.  III,  13,  3).  DuNS  ScoTiis  erklärt:  „Lux  increata  est  prümm 
principium  entium  speetdabüium"  (Sent.  I,  3,  5).  JoH.  Gebsok  bemoit: 
„Intelligentia  Simplex  est  vis  anim^ae  eognitiva,  susdpiens  immediate  a  Da 
naturalem  quandam  lueem,  in  qu>a  et  per  quam  prineipia  prima  eogfioseuniiir 
esse  Vera  et  certissima"  (De  myst.  theol.  10). 

NIOOLAUS  CüSANUS  Spricht  vom  „lumen  intellectuale*'.  „In  lumine  Dei  ed 
omnis  cognitio  nostra.  Intellectus  hoc  lumine  ducitur."  Goclen  bemerkt: 
„Pater  ille  luminum  Deus,  qui  luce  sua  humanem  mentes  collustraf'  (Lex.  phiki& 
p.  250).  Nach  Melanchthok  ist  uds  von  Gott  ein  „lumen  natural^  rar 
Richtschnur  gegeben,  aus  welchem  alle  Principien  des  Denkens  und  Handetes 
fließen.  Die  Evidenz  durch  das  „lumen  naturale^^  betont  Savonarola.  Natör* 
liches  und  göttliches  „Licht"  imterscheidet  Paracelsüb  (De  morb.  caduc  I,  4). 
F.  Baoon  sagt:  „Tu,  pater,  qui  lucem  visibi-lem  primitias  ereaturae  dedisti,  H 
lueem  inteÜeetualem  ad  fastigium  operum  tuortim  in  fadem  hotninis  inspira^" 
(Nov.  Organ.,  Distr.  oper.  p.  13).  Der  Mensch  hat  „cavemam  qwmdam  t»A- 
viduam^j  „quae  lumen  naturae  frangit  et  corrumpit"  (1.  c.  I,  42).  Descasts 
versteht  unter  dem  „lumen  naturale"  die  angeborene  Fähigkeit  des  Geistes» 
aus  eigener  Kraft  und  Einsicht  die  Principien  des  Erkennens  in  ihrer  doI- 
wendigen  Gültigkeit  zu  erfassen,  die  logische  Erkenntnisfähigkeit,  auch  un- 
abhängig von  Erfahrungen.  „Ratio  formalis,  propter  quam  rebus  fidis  assenti- 
mur  .  .  . ,  consistit  in  lumine  quodam  intemo"  (Besp.  ad  II.  obieet).  „S 
quaecunque  lumine  naturali  mihi  ostenduntur  ...»  nullo  modo  dubia 
possunt,  quia  nulla  alia  facultas  esse  polest,  eui  aeque  fidam  ac  lumini  ish, 
quaeque  illa  non  vera  esse  possit  docer&*  (Medit.  III).  „Sequitur,  lumen  naiwr»^ 
sive  cognoscendi  facultcUem  a  Deo  nobis  datam^  nullum  unquain  obieeiwn  pag^ 
attingere,  quod  non  sit  verum.,  quatentts  ab  ipsa  aUingitur,  hoc  est,  quakmmi 
elare  et  distincte  percipitur*^  (Princ.  philos.  I,  30).  Es  gibt  etwas,  was,  ohiw 
bewiesen  zu  werden,  „animis  a  natura  impressum  est",  so  daß  es  als  sicfcff 
betrachtet  werden  muß,  z.  B.  daß  das  Klare  und  Deutliche  wahr  (s.  d.)  «?« 
(1.  c.  43).  Charron  versteht  unter  „lumiere  naturelle"  das  dem  Menschd 
eingepflanzte  Naturgesetz  (Ritter  X,  218).  Fenelon  erklart:  ,nCest  .  .  .  d  fe 
lumiere  de  Dieu  que  je  vois  taut  ce  qui  peut  etre  vu"  (De  Fexist.  de  Dieu  p.  152l 
„Cette  lumine  fait,  que  les  objets  sont  vrais."  „II  ne  faut  poifit  la  a 
cette  lumih^e,  au  de/iors  de  soi;  chacun  la  trouve  en  soi-menve;  eile  est  la 
pour  tous  .  .  .,  eile  funts  fait  juger"*  (1.  c.  p.  153).  Pascal  spricht  von 
„lumüres  naturelles j  raisons  naturelles";  durch  diese  ist  Gottes  Existenz  niciit 
beweisbar  (Pens.  V,  3).  —  Locke  spricht  vom  ,frue  light  in  (he  mind"  ab  tm 


Lumen  —  Macht.  623 


der  Gewißheit  eines  Satzes  (Ebb.  IY,  eh.  19,  §  13;  vgl.  §  14).  Vom  Lichte  der 
Natur  ist  bei  Newton  die  Bede  (Opt.  p.  330),  bei  Berkeley  vom  Lichte  der 
Vernunft  (Princ.  LXXII).  —  Leibxiz  erklärt:  „Mais  ce  qu'on  appelle  la  lumüre 
wUureüe  suppose  um  eonnatssanee  distincte,  et  bien  souvent  la  eansideratian  des 
choses  n'est  autre  ekose  qus  la  eonnoissanee  de  la  nature  de  nostre  esprit  et  de  ces 
idees  innees  qu'on  n'a  point  besoin  de  eher  eher  au  dehors"  (Nouv.  Ess.  I,  eh.  1, 
§  21).  ,yOn  y  trouve  la  force  des  cotisequences  du  raisonnement  gut  sont  de  ce 
qu'on  appelle  la  lumüre  naturelle"  (Gerh.  VI,  489).  „G'est  par  eette  lumüre 
naturelle  que  Von  reeonnatt  aussi  les  axiomes  de  mathemattque^*  (1.  c.  p.  503). 
„Pour  revenir  aux  verites  necessaires,  il  est  generalement  vrai  que  nous  ne  les 
eonnoissons  que  par  eette  lumih'e  naturelle  ei  naturellement  par  les  experienees 
des  sens^*  (1.  c.  p.  504).  Chr.  Wolf  versteht  unter  „lumen  animae"  die  „clarttas 
pereeptionum"  (PsychoL  empir.  §  35).  Ein  „Licht"  in  unserer  Seele  ist,  „welches 
machet,  daß  unsere  Oedanken  klar  sind  und  mr  durch  ihren  Unterschied  einen 
vor  dem  andern  erkennen  kömien,  das  ist,  welches  uns  des  Unterschiedes  ver- 
geunsseri"  (Vem.  Gred.  I,  §  203).  —  Das  „lumen  naturale"  ist  in  manchem  ein 
Vorlaufer  des  „a  priori"  (s.  d.). 

Last  {f)Sovrj,  voluptas)  ist  eine  der  Gefühlsqualitäten  (s.  Gefühl).  Es  gibt 
eine  „Lust  an  etwas"  (Wohlgefallen)  und  eine  „Lust  zu  etwas"  (Begierde,  Nei- 
gung). Die  Lust  ist  ein  positiver  Zustand,  nicht  bloße  Abwesenheit  von  Unlust. 
Der  Hedonismus  (s.  d.)  erhebt  die  Lust  zum  Lebens-  und  Sittlichkeitspnncip. 
—  Nach  Plato  ist  die  Lust  ro  nXrj^ovad'ai  rmv  fvati  Tt^oatjxovTtov  (ßep.  IX, 
583  ff.;  vgl.  Phüeb.  53  C,  54  C;  Tim.  64  A  ff.).  —  Nach  Hobbes  ist  Lust 
Bewiißtsein  einer  Machterhöhung,  Unlust  das  einer  Machtverringerung  (Hum. 
Nat  VIII,  4;  vgl.  VII,  4  ff.).  Nach  Schopenhauer  ist  die  Lust  ein  N^atives, 
f/ias  bloße  Aufheben  des  Wunsches  und  Endigen  einer  Pein"  (Parerga  II,  §  150). 
Dagegen  betont  u.  a.  E.  v.  Hartmann  die  Positivität  der  Lust  (Philos.  d. 
Unbew.'y  S.  544  ff.).  Nach  Beneke  entsteht  Unlust,  wenn  ein  Heiz  zu 
gering  für  das  ihn  aufnehmende  „Urvermögen"  (s.  d.)  ist,  Lust,  wenn  der 
Beiz  in  großer  Fülle  gegeben  ist,  ohne  übermäßig  zu  sein  (Lehrb.  d. 
pByehoL*,  §  58).  „Lustaffecte"  sind  die  „Affecte  der  freudigen  Rührung"  (1.  c. 
§  284).  Vgl.  Ferguson,  Grds.  d.  Moralphilos.  S.  128;  Mendelssohn,  WW.  I 
1,  71  f.,  83;  Platner,  Anthropol.  §  612  ff.;  Lotze,  Mikrok.  I,  261  ff.;  Kirch- 
mann, Grundbegr.  d.  Rechts  u.  d.  Moral  S.  23  ff.;  Chr.  Krause,  Urb.  d. 
Menschh.',  S.  49  f.;  J.  DuBOC,  Die  Lust  als  socialeth.  Entwicklungsprincip 
1900.  —  Vgl.  Glück,  Hedonismus,  Eudämonismus,  Gefühl. 


M. 

m  ist  1)  das  Zeichen  für  den  Mittelbegriff  (s.  d.)  eines  Schlusses ;  2)  das 
Zeichen  für  die  „Metathesis  praemissorum,"  (s.  d.)  bei  der  logischen  Conversion 
(8.  d.).    „U  puU  transponi"  (vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  II,  274  ff.,  III,  48  f.). 

Maellt  ist  Gewalt  über  etwas,  Kraft,  Vermögen  (s.  d.),  Einfluß,  Be- 
herrschung. Das  Selbstgefühl  (s.  d.)  ist  im  wesentlichen  Machtgefühi  (vgl. 
HöFFDiNG,  Psychol.*,  S.  337).  —  Hobbes  versteht  unter  Macht  („power")  die 
geistig-körperüchen  Kräfte,  Vermögen  (Hum.  Nat  II,  4;  VIII,  3).  Die  Gefühle 
und  Affecte  werden  (wie  von  Spinoza)  auf  das  Bewußtsein  erhöhter  oder  ver- 


624  Macht  —  ICafi. 

minderter  Macht  zurückgeführt  (1.  c.  VIII,  3  ff.).  Es  gibt  ein  allgemeiiia 
Streben  nach  Macht  (Leviath.  C.  11).  Nietzsche  bestimmt  als  Princip  da 
Natur  und  des  Menschen  den  „Wülen  xur  Maehi"*  (s.  d.).    VgL  GrefuhL 

MEentlk  (fiauvtixr,^  Hebanmienkunst)  nennt  Sokbates  (der  Sohn  eins 
Hebanmie)  sein  Verfahren,  durch  Fragen,  durch  y,Prüfung^'  (iSeraais)  richtige 
Begriffe  im  Gespräche  mit  andern  zu  entwickeln,  aus  der  blofioi  Anlage  zor 
Wirklichkeit  zu  erheben  (vgl.  Plato,  Theaet.  210  B). 

Ma^e  (von  den  medischen  j,Magiem'^  heißt  die  vermeintliche  Kunst,  dk 
geheimnisvollen  Kräfte  der  Natur  sowie  Geister,  Dämonen  etc.  zu  beherrBeha 
und  zu  verwenden  („sckwarxe^*,  y,weiß^*  Magie).  An  eine  Magie  gianba 
Agrifpa  (De  occ.  philos.  I,  1),  Pico,  Marstlius  Figdtus,  Pa&ag£I£;ub  il  a. 
F.  Baook  rechnet  die  y,natürliche  Magien*  (f,fnagica  naturalia^^)  zur  praktäachm, 
„operatitfen**  Physik  (De  dignit.  et  augm.  scient.  UI,  5).  Goclen  definiert: 
yjMagioa  naturalis  est  seereHor  phüosophia  et  diaboliea,  doeens  faeere  open 
admirabüia  iniervementibus  virttäibus  naturalibtut  per  applioationem  earum  ad 
se  irmcem  et  paiientia  ruUurcUia*'  (Lex.  philosoph.  p.  657).  Vgl.  Sghindleb, 
Das  magische  Geistesleben  1855. 

Mai^ettBinitB,  tierischer,  s.  Hypnotismus. 

Malor  (sc.  terminus)  s.  Terminus,  Schluß.    VgL  a  maiorL 

Makroblotlk:  Kunst  des  langen  Lebens,  Diätetik.     VgL  Hufelasd. 

Makrobiot  1796. 

Makrokosmos  s.  Mikrokosmos. 

Maltlinslsclies  Oesets  s.  Evolution. 

Manleliaelsinits  ist  die  von  dem  Perser  Mani  {Mdvfjgj  Manes)  be- 
griindete  religionsphilosophische  (dualistische)  Lehre  von  dem  Kampfe  zweiff 
Principien:  des  Lichtes  (des  Guten)  imd  der  Finsternis  (des  Boeeo).  tJh» 
prinoipia  canfitemury  sed  tmum  ex  his  Deum  vocamtUf  tdtemm  l^len**  {bä 
Augustinus,  C.  Faust  XXI,  1).    VgL  Panpsychismus,  ÜbeL 

Manie  (jiavia)  ist  ein  durch  Exaltation,  Bewegungsdrang,  Ideenflodit 
charakterisierter  krankhafter  Seelenzustand.  Manien  sind  mit  Zwangsvor- 
stellungen (s.  d.)  verbimdene  Triebe  (Pyromanie,  Erotomanie  u.  dgL). 

Manifestation  s  Sichtbarmachung,  Offenbarung,  Kundgebung,  Erschs- 
nung  (Gottes  in  der  Natur,  im  menschlichen  Geiste;  der  „Dinge  an  aiek*  ia 
den  Phänomenen;  des  Charakters  in  den  Handlungen;  der  Seele  im  Leibe). 

Mannigfaltigkeit  ist  die  Einheit,  der  Inbegriff  einer  Reihe  v(»  Ob- 
jecten.  Der  Baum  (s.  d.)  ist  eine  „Mannigfaltigkeit^^.  Nach  Ostwald  ist 
Mannigfaltigkeit  „die  Oesamtkeit  irgend  toeleher  geordneter  oder  miteinander  w 
Beziehung  gebrachter  Dinget*  (Vorles.  üb.  Naturphilos.*,  S.  79).  Es  gibt  stetig« 
tind  unstetige  Mannigfaltigkeiten  (1.  c.  S.  137). 

Harxlsmns:  die  von  K.  Marx  aufgestellte  „maierialistiseh^  (s.  di 

Geschichtsphilosophie  u.  Wirtschaftstheorie. 

Maß  ist  jede  bestimmte  Größe,  durch  die  eine  andere  gemessen  wird;  dv 
Zahl  des  Enthaltenseins  des  Maßes  in  der  zu  messenden  Größe  (die  MtflrsMt 
wird  durch  das  Messen  bestimmt.  —  Nach  Hegel  ist  das  Maß  (abstract)  ,y^ 
qttalitative  Quantum,  zunächst  als  unmittelbares ^  ein  Quantumy  an  wdeka 


i 

i 


Kafi  —  JCaterialiamuB.  625 

ein  Dasein  oder  eine  Qualität  gebunden  iet^  (Encykl.  §  1Q7).  Nach  Hillebbakd 
ist  das  Maß  die  BestiininuDg  des  QuantuntB  durch  Beschränkung  (Philos.  d. 
Geist.  II,  49).  —  Über  psychologische  Messung  und  Maßformel  vgL  Psycho- 
physik,  Webersches  Gesetz. 

Ulaßfomiel  s.  Webersches  Gesetz. 

Ulasse  6.  Kraft. 

niftßlffkelt  (Maßhalten)  s.  Tugend  (Asibtoteles  u.  a.).  Vgl.  Be- 
sonnenheit. 

Material  bedeutet  das  Gegenteil  von  formal  (s.  d.),  also  inhaltlich,  sach- 
lich, stofflich  (z.  B.  matenale  Principien,  s.  d.).  Materiale  Wahrheit  s. 
Wahrheit    Vgl.  MaterieU. 

materiaUsmiis  ist  (theoretisch)  die  Lehre,  daß  das  wahrhaft  Beale  in 
der  Natur  (kosmologischer  Materialismus)  wie  im  Geistigen,  Seelischen 
(psychologischer  Materialismus)  die  Materie  (s.  d.)  oder  das  Körperliche, 
Physische  (s.  d.)  sei.  Nach  dem  kosmologischen  Materialismus  ist  alles  Wirk- 
liche körperlich,  alles  Geschehen  im  Grunde  mechanischer  Art,  Bewegung  der 
Körper  und  Atome  (s.  d.).  Der  psychologische  Materialismus  tritt  in  ver- 
schiedenen Formen  auf:  1)  Der  Geist  ist  selbst  eine  bestimmte  Materie  (Atom, 
Gehirn);  2)  das  Greistige  ist  Product,  Ausscheidung  der  Materie,  des  Körpers; 
3)  das  Geistige  ist  Function  (s.  d.)  der  Materie;  des  Grehims;  4)  das  Psychische 
ist  ein  (der  Bewegung  coordinierter,  aber  von  ihr  causal  abhängiger)  Zustand 
der  Materie  („psyeßiopkysiecher  Materialismus^^),  Der  ethische  Materialismus 
setzt  den  Lebenszweck  in  Genuß,  Sinnlichkeit,  Nutzen,  kennt  keine  eigent- 
lichen Ideale.  Der  geschichtliche  (sociologische)  Materialismus  betrachtet 
alle  geistigen  Culturprocesse  als  Beflexe,  Wirkimgen  von  wirtschaftlichen  Ver- 
änderungen (s.  Sociologie).  —  Von  dem  dogmatischen,  metaphysischen 
Materialismus  ist  der  kritische,  empirische,  phänomenologische  Mate- 
rialismus zu  unterscheiden,  der  zwar  wissenschaftlich  alles  Natur-G^chehen  auf 
materielle  Processe  bezieht,  im  Materiellen  selbst  aber  nur  eine  Erscheinung  er- 
blickt. Der  heuristische  Materialismus  endlich  ist  nichts  als  die  consequente 
Durchführung  der  mechanistisch-energetischen  Naturbetrachtung. 

„MatericUist'^  kommt  schon  bei  B.  Boyle  vor.  Berkeley  versteht  imter 
einem  Materialisten  jeden,  der  überhaupt  die  Existenz  einer  Materie  (s.  d.)  an- 
nimmt (Princ.  LXXIV).  Chr.  Wolf  bestimmt:  ^yMaterialistae  dieuniur  philo- 
sophi,  qui  iantummodo  entia  malerialia  sive  corpora  existere  affvrmanV^ 
(Psychol.  rational  §  33).  Baumgartex  erklärt:  ,^Quinegat  existentiam  monor 
dum,  est  materialista  universalis,  Qui  negat  existentiam  monadum  universi, 
e.  g,  huiuSf  partium  est  matericUista  eosmologicus"  (Met.  §  395). 

Der  griechische  Hylozoismus  (s.  d.)  ist  organischer,  den  Stoff  als  beseelt 
betrachtender  Materialismus.  Die  Atomistik  (s.  d.)  bestimmt  alles  Greschehen 
als  Bewegung  (s.  d.)  von  Atomen  (s.  d.);  die  Seele  (s.  d.)  besteht  aus  feinsten 
Atomen.  Von  den  Peripatetikem  (s.  d.)  nähert  sich  Strato  dem  Materialis- 
mus (s.  Seele).  Die  Stoiker  lehren  einen  organischen  Materialismus,  indem 
ihnen  der  Weltstoff,  das  Pneuma  (s.  d.)  zugleich  als  vernünftiger  Urkraft  gilt. 
Alles  Wirkliche  ist  körperlich:  näv  yag  ro  noiovv  aojfia  dort  (Diog.  L.  VII  1, 
56);  ovra  yaQ  fiova  rd  aejfima  xa?,oCaiv  (Plut.,  De  comm.  not.  30;  vgl.  Plac.  I, 
11,  4;  Cic,  Acad.  I,  11,  39).    Einen  mechanischen,  atomistischen  Materialismus 

Fhllosophisebea  Wörterbnoh.    2.  Aufl.  40 


626  JCaterialismus. 


lehren  die  Epikureer  (Diog.  L.  X,  39).     Ka9^   iavrov  Bi  ovx  Um  ^o^cai  to 
aatA/*arov  Ttlfjp  inl  rov  usvov  (1.  c.  X,  67). 

Von  den  Patristikem  (s.  d.)  halten  Abnobius  und  Tertuluan  die  Sede 
(s.  d.)  für  materiell.  Letzterer  erklärt  von  ihr:  „Nihil  emm,  9%  non  eorpwt^ 
(De  an.  7;  Adv.  Prax.  7).  „Omne  quod  est,  corpus  est  sui  generis;  nihil  ett 
incorparaley  nxsi  quod  non  est^^  (De  carne  Chr.  11).  Von  den  Materialisten 
bemerkt  Augustinus:  ,,Qm»  opinantur  [mentem]  esse  corpoream,  non  ob  koe 
errare  [videntur],  quod  mens  desit  eorum  notüiae,  sed  quod  adiungant  eOj  sifte 
quibus  ntdlam  possunt  eogüare  naturam.  Sine  phantasiis  enim  corponrnL, 
quidquid  iussi  fuerint  cogitare,  nihil  omnino  esse  arbitrantur*'  (De  trinit.  X. 
7,  10). 

Das  epikureische  System  erneuert  Gassendi,  der  aber  doch  die  Ursprüng- 
Uchkeit  der  Empfindung  zugibt.  Hobbes  betrachtet  als-  Grundlage  aller  Ge- 
schehnisse; auch  der  psychischen ,  die  Bewegung.  Die  meehanistisehe  (s.  d.) 
Naturauffassung  hat  auch  Descartes,  Priestley  identificiert  die  Empfindung 
mit  dem  Nervenproceß  (Disquis.  I,  sct.  VII,  p.  81  ff.),  während  Hartlsy  gie 
nur  als  von  der  Gehimbewegung  abhängig  betrachtet.  Im  18.  Jahrhundert 
überhaupt  blüht  der  Materialismus  (und  Hylozoismus:  Diderot,  Robinet  u.  a.l 
Zum  System  wird  er  bei  Holbach,  für  den  die  Welt  nichts  als  ein  grofi«* 
Mechanismus  ist;  alles  Geschehen  ist  das  Spiel  von  Anziehung  und  Abetoßun^ 
der  Atome,  im  Menschen  als  Liebe  und  Haß  auftretend  und  in  der  Gieschichte 
wirksam.  „Uhomme  est  tin  etre  purement  physiqu^^  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  1^ 
p.  2).  Lamettrie  betont  die  Gebundenheit  des  geistigeu  Lebens  an  die  leib- 
lichen Zustande  (L'homme  mach.  S.  23  ff.).  Der  Mensch  ist  nur  eine  „Maschine, 
welche  selbst  ihr  Triebwerk  cmfziehf'  (1.  c.  S.  25).  Die  Seele  ist  nur  ein  Teil  des 
Gehirns  (1.  c.  S.  66).  Das  Denken  ist  eine  Eigenschaft  der  Materie  (1.  c.  S.  74), 
deren  Wesen  allerdings  unbekannt  ist.  —  Während  Locke  hypothetisch  be- 
merkt, die  Materie  könne  vielleicht  die  Eigenschaft  des  Denkens  besitzen^ 
betont  HuME  die  Ünvergleichbarkeit  von  Gedanken  und  Ausdehnung  (TreaL 
IV,  sct.  5).  Gegen  den  Materialismus  richtet  sich  der  kritische  Idealismus  (s,  d.) 
Kants.  Dieser  bemerkt:  „  Wir  hohen  .  .  .  bewiesen,  daß  Körper  bloße  Ersfhei- 
nungen  unseres  äußeren  Sinnes  und  nicht  Dinge  an  sich  selbst  sind.  Diesem 
gemäß  können  tcir  mit  Recht  sagen:  daß  unser  dankendes  Subjeet  niehi  körper- 
lich sei,  das  heißt:  daß,  da  es  als  Gegenstand  des  innem  Sinnes  von  uns  vor- 
gestellt toird,  es,  insofern  als  es  denkt,  kein  Gegenwand  äußerer  Sinne,  d,  *. 
keine  Erscheinung  im  Räume  sein  könne^*  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  304). 

Nach  Cabanis  ist  das  Denken  eine  physiologische  Function  des  G^uins, 
etwa  wie  die  Absonderung  der  Galle  von  der  Leber  (Bapp.  du  phys.*,  lS05i 
Schopenhauer  nähert  sich  zuweilen  dem  (phänomenologischen)  Materialismus^ 
indem  er  den  Intellect  als  „Gehimphäno^nen"  bestimmt.  „Es  ist  ebenso  wahr, 
daß  da^  Erkennende  ein  Product  der  Materie  sei,  als  daß  die  Materie  eine  bloße 
Vorstellung  des  Erkennenden  sei:  aber  es  ist  ebenso  einseitig.  Denn  der  Maie- 
rialismus  ist  die  Philosophie  des  bei  seiner  Rechnung  sich  selbst  vergessenden 
Subjects''  (W.  a.  W.  u.  V.  IL  Bd.,  C.  IV;  vgl.  Parerga  II,  §  7.5).  Nach  L.  Feteb- 
BACH  ist  alles  Wirkliche  körperlich  (WW.  II,  321).  Als  Reaction  gegen  die 
St»helling8chen  und  Hegeischen  Begriffsc^nstructionen  und  gegen  die  einseitige 
Betonung  des  „Geistes^^  tritt  um  1850  ein  neuer  Materialismus  auf.  Der 
„Materialismusstreit"  kommt  1854  zum  Ausbruch,  aus  Anlaß  eines  Vortrages 
von  RcDOLP  Wagner,  „  Über  Mensehenschöpfung  und  Seelensubstanx",  der  sicli 


.  Materialismus  —  MateriaUamna,  logischer.  627 

zum  Teil  gegen  C.  Vogt  wendet.  Darauf  und  auf  die  Schrift:  „Üiber  Wissen 
fjmd  Glauben"  (1854)  erwidert  C.  Vogt  in:  „Köhlerglaube  und  Wissensckaß' 
(1854),  wo  er  erklart,  „daß  die  Gedanken  etwa  in  demselben  Verhältnis  xum 
Gehirn  stehen,  wie  die  Galle  xu  der  Leber  oder  der  Urin  xu  den  Nieren"  (vgL 
PhysioL  Briefe  1847,  S.  206).  Weitere  Ausbildung  erfährt  der  Materialismus 
durch  L.  Kkapp  (Syst  d.  Bechtsphilos.),  in  anderer  Weise  durch  Moleschott 
(Kreislauf  d.  Leb.»,  1876/85),  L.  Büchxer  (Kraft  und  Stoff  1855,  19.  A.  1898; 
Natur  u.  Geist  1857  u.  a.),  dessen  Begriff  des  Psychischen  (s.  d.)  ein  schwan- 
kender ist,  D.  Fr.  Stbacss  (Der  alte  u.  d.  neue  Glaube),  Mobitz  Berger 
(Der  Material,  im  Kampfe  mit  d.  Spiritual,  u.  Ideal.  1883),  J.  C.  Fischer 
(Die  Freih.  d.  menschL  Willens  1871;  Das  Bewußtsein  1874),  F.  Wollny 
(Der  Materiaüsm.  1888),  W.  Strecker  (Welt  u.  Menschh.  vom  Standp.  d. 
^laterial.  1891),  B.  Ck>NTA  (Philos.  mat^rialiste  I,  1880).  Materialist  ist  eine 
Zeitlang  Czolbe  (Neue  Darst.  d.  Sensual.  1855;  Entsteh,  d.  Belbstbewußts. 
1856).  E.  DÜHRTNG  lehrt  eine  „Wirklichkeitsphilosophie"  (s.  d.).  Es  gibt 
keinen  andern  Träger  für  j^liches  Wirkliche  als  die  Materie  (Körperlichkeit) 
(Wert  d.  Leb.*,  S.  52).  Als  methodisch  -  heuristisches  Princip  schätzt  den 
Materialismus  F.  A.  Lange  (Geschichte  des  Material.").  Über  imd  besonders 
gegen  den  Materialismus  vgl.  u.  a.  Ulricis  Schriften,  femer  J.  B.  Meyer, 
Zum  Streit  üb.  Leib  und  Seele  1856,  Schellwien,  Krit  d.  Material.  1858, 
K.  Snell,  Die  Streitfrage  d.  Material.  1858,  M.  J.  Scjhleiden,  Üb.  d.  Mater. 
in  der  neueren  Naturwiss.  1863,  O.  Flügel,  Der  Material.  1865,  Fr.  ScHifi-.TZE, 
Die  Grundged.  d.  Material.  1881 ;  vgl.  Philos.  d.  Naturwiss.  I,  5  ff.,  E.  Dreher, 
Der  Material.  1892,  J.  Bergmann,  Material,  u.  Monism.  1882,  Schüler,  Der 
Material  1891,  Kramar,  Das  Problem  d.  Materie,  Lelut,  Physiol.  de  la  pens^ 
1862,  P.  Janet,  Le  mat^rial.  contemp.  en  AUem.  1864,  Ladd,  Philos.  of  Mind 
1895,  p.  293  ff.  u.  a.  Vgl.  Ostwald,  Überwind.  d.  wissensch.  Material.  1895; 
L.  Busse,  Geist  u.  Körp.  S.  12  ff. 

Den  psychophysischen  Materialismus  vertreten  KCflpe  (in  der  Psy- 
chologie, s.  Dualismus),  Ziehen  (psychologisch),  H.  MI^nsterberg,  R  Ave- 
NARnis,  E.  Mach,  W.  Heinrich,  Despine,  Eichet,  Huxley,  Sergi,  Eibot 
VL  a.  Der  psychophysische  Materialismus  betrachtet  als  Substrat  der  psychischen 
Vorgange  das  körperliche  Individuum;  das  Psychische  ist  etwas  Eigenartiges, 
aber  es  besteht  aus  Elementen  (Empfindungen),  die  durch  Gehimprocesse  zu 
o-ldaren  sind,  als  „Abhängige"  dieser.  Dagegen  besonders  Wundt.  „Der 
Masterialismus  beseitigt  die  Psychologie  überhaupt^  um  an  ihre  Stelle  eine  imagi- 
näre Gehimphysiologie  der  Zfikunft  ,  ,  ,  xu  setxen,^*  Der  Materialismus  ver- 
kennt, dafi  „der  inneren  Erfahrung  vor  der  äußern  die  Priorität  xukommt,  daß 
die  Objeete  der  Außenwelt  Vorstellungen  sind,  die  sich  nach  psychischen  Gesetxen 
in  uns  entwickelt  haben,  und  daß  vor  allem  der  Begriff  der  Materie  ein  gänxlieh 
hypothetischer  Begriff  ist"  (Grdz.  d.  physiol.  Psychol.  II*,  629).  Das  Psychische 
(8.  d.)  laßt  sich  nicht  als  Function  des  Physischen  ansehen  (Philos.  Stud.  XII, 
14  f.,  17,  20,  30  ff.).  Vgl.  Psychisch,  Seele,  mechanistische  Weltanschauung, 
Materie,  Hedonismus. 

3Iateriali8mn8,  geschichtlicher,  s.  Sociologie. 

iHateriallsmits,  logischer,  ist  nach  M.  Palagyi  ^Jene  Verirrung  des 
Denkens,  die  den  Gedanken  mit  seinem  2^eichen  verwec/iselt"  (K.  u.  B.  S.  92). 
Logischer  Materialismus  findet  sich  bei  den  Scholastikern,  Bolzano  u.  a. 

40* 


628  MateriaUtat  —  ICaterie. 

MaterialiUlt:  Stofflichkeit,  Körperlichkeit,  materieller  Charakter.    Y^ 

Materialismus,  Seele. 

Materie  (materia,  vXtj)  oder  Stoff  bedeutet  zuDächst,  allgemein,  d» 
Correlat  zur  Fonn  (s.  d.),  den  Inhalt  derselben,  das  Geformte,  Gestaltete, 
Formungsfähige  in  Abetraction  von  seiner  Form,  also  alles,  sofern  es  Object 
einer  Formung  ist  oder  werden  kann,  allen  Gehalt  einer  Sache,  eines  Begriffe, 
eines  Urteils  (s.  d.),  einer  Erkenntnis,  eines  Kunstwerkes.  Der  absolut  ungefonnie 
Stoff  ist  nur  eine  Idee,  ein  abstracter  Begriff;  alle  concrete  Materie  ist  aar 
relativ  „Stofp*^  von  oder  zu  etwas,  im  Verhältnis  zu  einer  höheren,  activereB 
Form,  einer  Formung.  Seit  Kant  unterscheidet  man  Form  (s.  d.)  und  Stofi 
des  Erkennens  (s.  d.),  der  Erfahrung  (s.  d.).  Stoff  der  Erfahrung  ist  das  noeb 
ungeordnete  Chaos  der  Empfindungen  (vgl.  Kaitt,  Krit  d.  r.  Vem.,  Transeend. 
Ästhet).  W.  RoSENKRANTZ  betrachtet  („Materie  und  Form^^  als  Nebenkategoria 
der  Hauptkategorie  „Ursache  und  Wirkung^'  (Wissensch.  d.  Wiss.  II,  201). 
„Soll  überhaupt  etwas  werden,  so  muß  immer  schon  etwas  vorhanden  sein,  da» 
entweder  seihst  etwas  anderes  wird,  oder  woran  etwas  anderes  tetrd.  —  Da 
femer  die  Ursache  der  Wirkung  entgegengesetzt  ist,  so  kann  jede  Ursache  das, 
was  sie  wirkt,  nur  an  einem  andern  wirken,  toas  sie  nicht  selbst  ist.  —  Dat- 
jenige  endlich,  was  dadurch  an  diesem  andern  entsteht,  erscheint  nur  der  Ursatke 
gegenüber  als  Wirkung,  Im  Vergleiche  mit  dem,  woraus  es  entsteht,  erscheint 
es  als  etwas,  was  dieses  nicht  ursprünglich  war,  sondern  wozu  es  van  außea 
bestimmt  wurde,  sohin  als  Form,  xu  welcher  das  hierzu  Bestimmte  tn  seinetn 
ursprünglichen  Zustande  die  Materie  bildete^'  Q.,  c.  S.  201  f.).  Nach  Cabnebi 
ist  der  Stoff  die  Identität  von  Geist  und  Materie,  vod  Inhalt  und  Form  (Sitd 
u.  Darw.  S.  95). 

Metaphysisch  bedeutet  die  Materie  den  beharrenden  Trager  der  sinnUdi 
wahrnehmbaren  Erscheinungen,  die  Substanz  (s.  d.)  der  Körper,  insofern  gie 
räumlich-mechanisch  und  dynamisch  begrifflich  bestimmt  wird.  Die  Materie 
ist  nicht  ein  Ding  unter  Dingen,  sondern  das  allen  gemeinsame  Subetantielk 
im  Baume  und  in  der  Bewegung.  Ein  Ding  ist  materiell,  insofern  es  raumlidi 
ausgedehnt,  bewegt  imd  widerstandskräftig  ist.  Die  Materie  als  solche,  der 
Stoff,  ist  weder  ein  Ding  an  sich  noch  Schein,  sondern  eine  b^;riffliche  Hypo- 
stase (s.  d.)  der  Körperlichkeit  der  Dinge,  welche  dynamische  und  energetisdie 
(s.  d.)  Belationen  der  Dinge  untereinander  und  auf  das  erkennende  Subjeet 
darstellt.  Qualitativ  läßt  sich  die  Materie  in  (active  und  passive,  actuelle  und 
potentielle)  Kräfte  (s.  d.)  auflösen,  im  engeren  Sinne  ist  sie  der  Inbegriff  ?qd 
Widerständen  in  räumlicher  Form,  insofern  diese  Sitz,  Ausgangs-  und  Angriffe- 
pnnkte  von  Bewegungskräften  bilden.  Die  Constanz  der  Materie  bedealet 
die  Unzerstörbarkeit  derselben,  das  Postulat  des  (naturwissensehaftlichea) 
Denkens,  die  einmal  gesetzte  materielle  Substanz  für  alle  Veränderung  fest- 
zuhalten, ein  Postulat,  das  durch  die  Erfahrung  beständig  ab  berechtigt  er- 
härtet wird.  Der  Materialismus  (s.  d.)  erblickt  in  der  Materie  die  einzige  oder 
doch  eine  absolute  Bealität  ersten  Ranges.  In  der  modernen  Physik  bestellt 
teilweise  die  Tendenz,  den  Begriff  der  Materie  zu  „eliminieren^*,  ihn  durch  den 
Begriff  der  Energie  (s.  d.)  zu  ersetzen.  Als  Gegensatz  der  Materie  wird  <rft 
der  Geist  (s.  d.  betrachtet. 

Die  Materie  wird  bald  als  das  Seelische  einschließend,  als  belebt  (HylocoE- 
mus,  s.  d.),  bald  als  vom  Geiste  schroff  unterschieden  betrachtet,  es  werdoi  ihr 


Materie.  629 

bald  innere  Kräfte  zogesehrieben,  bald  gilt  sie  ak  träge  Masse  („ntdü  indi- 
gestaque  moles"),  sie  wird  geometrisch -mechanisch  und  auch  dynamisch  be- 
itimmt. 

Von  den  ionischen  Naturphilosophen  (Thaleb,  Anaximandbr,  Herakltt) 
vird  die  Materie  als  bestimmter  Stoff  (Wasser,  Luft,  Feuer)  bestimmt,  von 
Anaxihandeb  als  unbegrenzter  Kraftstoff  (s.  Apeiron).  Bei  den  Eleaten  tritt 
die  Materie  im  Begriffe  des  starren  Seins  (s.  d.)  auf.  Nicht  ganz  sicher  ist  es, 
was  die  PLATOirische  Materie  eigentlich  bedeutet,  ob  einen  Stoff  oder  eher  den 
leeren  Banm  (so  nach  Abistoteleb,  Phys.  IV,  2,  209  b  11  squ.;  £.  Zelleb, 
Gesch.  d.  Philos.  d.  Griech.  II*,  1,  727  ff.;  Siebeck,  Piatons  Lehre  von  d. 
Mat;  Unters,  zur  Philos.  d.  Gesch.«,  S.  49  ff.;  Windelband,  Plato«,  S.  108  ff.; 
BlUHKEB,  Probl.  d.  Mat.  S.  177  ff.).  Plato  vergleicht  die  Materie  mit  der  vhj 
der  Handwerker.  Sie  ist  das  r^irav  yivos  neben  den  Ideen  und  den  Sinnen- 
dingen, ein  fi^  ov,  relativ  Nichtseiendes  (Tim.  48  £).  Sie  ist  gestaltlos,  un- 
begrenzt, qualit&tolos,  unwahmehmbar,  nur  durch  einen  unechten  Schluß 
{loytfffitß  Tivi  vod'tp)  erfaßbar,  sie  ist  der  Schoß  des  Werdens,  die  deSa/uvrj,  ein 
iKftayeiot;  ein  alles  Aufnehmendes  (napSex^g),  sie  ist  yet'os  r^g  xt^^^^s  (Tim.  52  A); 
die  Dinge  entstehen  in  ihr  {iv  ^  yiyvea&ai,  Tim.  50  C),  Ildcrjg  elvai  yspicemg 
vnoioxv^  avTOy  olov  ri^^vrjv  (Tim.  49  A).  Js'xaTai  ra  yaQ  atl  in  ndvra  xai 
fiO(ff7fv  ovBafiiav  nori  avBsvl  reSv  aiatovrcav  bftoiav  eiXrjfsv  ovSaju^  ovSafitSg: 
ixftayaXov  ya^  fvüai  navri  Meiraij  xivovfitvdv  ra  nal  9iaaxfll*^f'^t^f*f^vov  vn6  rc5v 
attiWTtav  .  ,  ,  iv  i^ovr  rtp  naqovri  x^i  y^^  Siavofj&^vai  T^rra^  ro  fuv  yvyvo- 
fuvovy  t6  ^  iv  (f  yiyverat,  ro  ^  od'av  a^ofioiovftavov  ^pvarai  t6  yiyvouevav*  xal 
A7  xal  n^o9aixn<fai  n^inei  t6  fikv  Bexofiarov  fifjftqi  (Tim.  50  C,  D);  xai  rf  ra 
jtSv  navTOfv  aal  ra  ovratv  xara  ndv  iavrov  TtoXXdxig  d^ofioicS/iara  xahog 
ftiiXorri  S^'xao&at  ndvrofv  ixrog  avx^  n^oarjxsi  nafvxdvai  tc5v  eiScSfv,  816  Sfj 
T^  rov  yeyovoxogy  o^aTOv  xal  ndvrcug  aUs^rixov  firj^d^a  xai  vnodoxrv  fnira  yfjv 
fofta  di^a  fifjra  nv^  f^V^'  vBa^  Xt'yofuv,  fujra  oca  ix  TovTtov  fti^xB  ki  tov  ravja 
yiy^vav'  dX£  dvo^aror  aUfSe  rt  xal  dfioQtpov,  navSex^g  (Tim.  51  A).  T(}iTOv  Sa 
ov  yivog  ov  ro  i^g  x^Q^^  <^^A  y&o^dv  ov  n^oaSexo/uvov,  iS^ar  8a  nagaxov  oaa 
fyti  yivactv  nnctv,  avro  Ba  fiax  dvaia&rjaiag  aTirar  XoyiGfuf  rivl  vo&qf,  fioyig 
xunov  (Tim.  52  A,  B). 

Den  Begriff  der  Materie  im  Gegensätze  zum  Formbegriffe  prägt  Ari- 
stoteles. Die  Materie  (vXfj)  ist  eines  der  Principicm  (agx^^*  Sie  ist  die 
8wafug,  das  Swdfiat  ov,  die  Möglichkeit  (Potenz)  zu  allem,  das  Unbestimmte 
(i6^ieror)y  das  der  Form  zur  concreten  Existenz  bedarf,  die  Grundlage  aller 
Gestaltung,  das  „weibltche"  Princip  (ro  &^Xv,  De  gener.  anim.  II,  1).  y^ayto 
yag  vXfjv  TO  TfQcuTOv  vTtoxeifiBvov  ixdaripf  iS  ov  yiyveral  ri  ivvTrd^x^^^^^  (Phys. 
I  9,  192  a  31);  ov  ydg  17  8iafo^d  xai  rj  noiorijg  icttj  rovx  ioti  ro  vnoxeifuvovj 
0  ^-iyofiav  vXtfv.  —  Aayto  9%Xf\v  ^  xad"^  avrijv  f*T,Ta  ti  fiiqra  noaov  fuJTB  dXXo 
foffihf  Idyazai  olg  ea^tarai  t6  ov  ian  ydg  ri  xad^  ov  xarrjyogeXrai  rovTtav 
ixaaxov,  t^  to  elvai  fra^v  xal  rcav  xanjyo^itSv  axdcrrj  (Met.  VII  3,  1029  a 
20  squ.);  8vvax6v  ydg  xal  alvai  xal  fitj  aXvai  fxamov  avTcav,  rovro  8*ioriv  t> 
buLQXf^  vXrj  (Met.  VII  7,  103  a  21);  vXrjv  8e  Xe'ytü,  ^  /irj  T68a  n  ovca  ive^yaiq 
iwufui  iurl  r68a  rt  (Met  VIII  1,  1042  a  27).  Die  Materie  ist  trage,  formlos 
{«t*8eg  xal  dfio^ov\  unbegrenzt  {do^iarov,  Met.  VII  11,  1037  a  27),  allein  für 
sich  unerkennbar  (dyvoHfrog  xad^  avrijv,  Met  VII  10,  1036a  8).  Zu  unter- 
Mheiden  sind  vXrj  aie&rjrij  und  foijnj  (sinnlicher  und  geistiger  Stoff,  Met  VII 
10,  1036a  9  squ.).      Die    vXrj  ist  8wdfiat,  oxi  ^X&oi  av   eig  ro    alBog'    orav  8i 


630  ICaterie. 

yivt^Blq  17,  Torc  iv  t^  ei8et  iarlv  (Met.  VIII  8,  1050  a  15).  Die  Matoie  ist 
den  Dingen  immanent:  ^  fdv  yaQ  vitj  ov  x^*^"^^  ^<^*'  Ttgayfiarafp  (Met.  lY  7, 
214a  13).  Allen  Dingen  liegt  die  gleiche  Materie  zugrunde:  iarlv  vhq  fdn  rmw 
ivavj{a>v  .  .  .  T(^  S*e2vai  ite^ov,  xai  /lia  rif  a^id'fi^  .  .  .  oxar  yap  iS  viatoi 
ariQ  yivrjraif  rj  avrrj  vXtj  av  n^ocXaßovca  rt  aXlo  iyirsro^  alX  o  rv  St^raßu, 
ive^iiq  fydvtro  (Met.  IV  9,  217  a  22  squ.).  Das  Substrat  (vnoxtiftsvati)  aller 
Dinge  ist  die  Urmaterie,  vXij  ngurtri  („materia  prima^^),  die  aber  für  sich  aUeiD 
nur  in  der  Abetraction,  begrifflich  Existenz  hat  (Met  V  4,  1015  a  7).  IHe  rhi 
icx^rtj  (iSieCf  oixßia,  „nuUeria  secunda")  ist  die  specifische  und  schon  roh  ge- 
formte Materie,  die  noch  weiter  zu  formen  ist  (z.  B.  Erz)  (Met  VTII  6,  1045  b 
18).  Die  vXi]  Tt^totfi  ist  oiaia  7r<os,  insofern  sie  sich  mit  der  Form  zn  einer 
ovaia  verbindet  (Fhys.  I,  9).  Jedes  Ding  ist  Materie  im  Verhältnis  m  onem 
höheren  Dinge:  atl  ya^  ro  arwregov  n^oe  to  v^  avxv,  iog  atSog  noog  vJapr, 
ovTfos  fyu  npog  aXXrjXa  (De  coeL  IV  3,  310b  15).  Nur  Gott  (s.  d.)  ist  ohne 
Materie,  reine  Form  („actus  puru8"y  s.  d.).  Die  Materie  ist  der  Grund  des  Zo- 
fälligen  (cvf/ßißijxog),  Accidentiellen,  des  Mechanischen,  Alogischen:  eSaxt  Arra 
^  vXrj  i;  ivdexofievrj  na^a  to  (as  htl  ro  noXv  aXXwe  rav  cvftßeßrpcorag  airim 
(Met.  VT  2,  1027  a  13).  *Ep  r^  ya^  vXrj  ro  avayxatoVf  ro  9*  ov  ivexa  iv  np  Xayif 
(Phys.  II  9,  200  a  14).  Nach  Eubemos  ist  die  Materie  ein  CrestalÜoses ,  kein 
atofittj  sondern  cofftaroeidtjg;  die  Formen  sind  in  ihr  (SimpL  ad  Arist  Phys.  I 
u.  IV;  von  ^wXot  Xoyot  ist  die  Bede  bei  Aristoteles,  De  an.  I,  403  a  25; 
SwXa  eiÜri:  ALEXikKDEB  APHRODis.,  De  an.  89).  Die  Stoiker  idendficicRo 
die  Urmaterie  (n^cjrrj  vXri)  mit  dem  „Leidenden"  (Tracx^v),  welches  mit  dem 
Ttoiovv  zur  Einheit  verbunden  ist.  Das  nticxov  bestinmien  sie  als  n^^^  äsrotov 
ovaCav  rrjv  vXriv  (Diog.  L.  VII,  134).  Die  Materie  ist  als  solche  trage  und  ge- 
staltlos, ihre  Größe  ist  constant  „Materia  iaeet  iners,  r&t  ad  amnia  pantta 
creaturOy  ei  nemo  moveat*'  (Sbneca,  Ep.  65,  2).  ''TXrj  3i  iunv  i(  ^g  ort  df^aw- 
ovv  yiverat,  KaXsirni  8i  SixtSg,  ovaia  re  xai  vAi;,  ^  ra  reSv  ndvropv  uclI  17  T»tr 
inl  /ii'^ovs'  97  fiiv  ow  rav  oXeov  ovrs  nXeiofv  o\S*  SXarrofv  yivtrai,  17  9i  rvr 
inl  fii^ovg  xal  TtXeiofv  xal  iXdrrtov  (Diog.  L.  VII,  150);  litSt^ov  xai  avxe  ^Itim 
yiyvofitvTjv  ovre  iXdrraf  ovrt  av^rjaiv  ovrs  fieiioaiv  vnofiivovüav;  ano^ov  ami 
cifiogtpov  (Stob.  Ecl.  I  11,  322,  324).  Die  Ck)nstanz  der  Matme  spricht  der 
Epikureer  LüCREZ  aus:  „Nee  stipata  magis  fuit  unquam  tnateriae  copia 
porro  tnaioribus  intervallis :  nam  neque  adaugescii  quicquam  neque  deperit 
(De  rer.  nat.  II,  294—96).  Nach  Philo  ist  die  Materie  quahtatslos,  tot  {mx^\ 
passiv  (dnoios),  gestaltlos  (duo^og)^  unrein,  bÖs  (s.  d.)  (Zelusb,  Philos.  d. 
Griech.  III  2*,  386  f.).  Plotin  unterscheidet  von  der  intelligiblen  Materie  in 
den  Ideen,  welche  Formen  annimmt  (Enn.  IV,  4,  4)  die  sinnliche  Materie^  das 
Abbild  {uifirjua)  jener.  Die  Materie  iyXfj)  ist  ro  ßd&og  ixdarov,  das  Substimt 
von  allem,  sie  ist  dunkel,  unbestimmt  {anetQov\  ein  Böses  {xnxdv),  eine  ar^ 
^ais  (Beraubung)  des  iv,  ein  ftrj  ov  (Nicht-Seiendes),  eine  Anovaia  dya9^&Vy 
cxid  Xoyov  xal  ixTtrtoaiSy  darußiarovy  ihr  Begriff  ist  ein  „tnteehter*^, 
(Enn.  I,  8,  7 ;  II,  4,  3  squ. ;  III,  6,  6  squ.).  Das  gegenseitige  In-einander-nber« 
gehen  der  Elemente  bezeugt,  daß  für  die  Körper  ein  Substrat  als  ein  andere» 
neben  ihnen  bestehen  muß  (1.  c.  II,  4,  6).  Die  Materie  ist  die  letzte,  schwaeks^i» 
Emanation  (s.  d.)  des  „Einen"  (1.  c.  I,  8,  7).  Eine  intelligible  Matme  ninubt 
auch  Jamblich  an:  vXriv  nva  xa&aQnv  xal  d'aiav  Blvat  Xiyoffiev  (De  mvsfeer. 
Aegypt  V,  23).  —  Nach  Alexander  von  Aphrodisias  hat  die  Materie 
Vermögen  zu   den  entgegengesetztesten   Qualitäten   (Quaest   nat  I,   15); 


Materie.  631 

bedarf  der  Form,  um  Bestimmtheit  {toBb  rt)  zu  erlangen  (1.  c.  de  an.  II, 
p.  120). 

Nach  den  Yalentinianern  ist  die  Materie  eine  olaia  äfio^oQ  (Iren.  I,  4; 

II,  29,  3),  ein  Nichtiges,  sie  hat  eine  fvcixtj  i^fii,  ein  Streben  (l-  c«  h  2»  ^i 
von  einem  Streben  nach  Dasein  in  der  Materie  spricht  schon  Flotin,  £nn. 

III,  6,  7).  Das  Materielle  entstand  durch  den  Fall  der  co^ia,  au«  deren  ntid^ 
die  Elemente  wurden  (Iren.  II,  10,  3).  Die  Quaüt&tslosigkeit  der  Materie  be- 
hauptet H£RMOQEK£8  (Tertull.,  Adv.  Herm.  35,  37).  Die  Mat^ie  ist  weder  gut 
noch  böse  (L  c.  37),  ist  ursprünglich  in  ungeordneter  („incondite^^)  Bewegung 
<L  c.  42).  Ihre  Teile  haben  alle  von  allem  etwas  (L  c.  39).  Obioknes  lehrt 
die  Schöpfung  (s.  d.)  der  Materie  durch  Gott  (De  princ.  II,  164).  Sie  ist 
qualitätslos,  aber  fähig,  qualitativ  bestimmt  zu  werden  (Ck)ntr.  Gels.  III,  41), 
existiert  nur  mit  den  Qualitäten :  „JSaae  tarnen  fnaieria  qiuitniois  secimdum  suam 
propriam  raüonem  sine  qualitoHlma  sit,  numquam  tarnen  subsistere  exira  qua- 
litatem  invenüur**  (De  princ.  II,  1).  Augustinus  definiert:  ^yHykn  dieo  quati' 
dam  peniitu  informem  et  sine  qwditate  meUeriam,  unde  tstae,  quae  serUitnus 
qtiolittUeSf  formantwr^^  (De  trin.  VIII,  35Sc).  Sie  enthält  die  Pot^iz  zu  allen 
Dingen,  ist  niemals  zeitlich  ohne  Form,  wenn  sie  auch  logisch  der  Form  (als 
deren  Grund)  vorhergeht  (Conf.  XII,  8;  40;  De  civ.  Dei  XXII,  2).  An  sich 
ist  sie  y,quaedam  informUae  sine  uUa  epeeie!^*  (Conf.  XII,  3).  Nach  JoH.  Philo» 
POifüB  ist  die  Materie  von  Gott  aus  dem  Nichts  geschaffen;  sie  kann  nicht 
ohne  Form  sein  (De  aetem.  mund.  XI,  1;  XII,  1). 

Nach  Greqob  von  Ntssa  besteht  die  Materie  aus  immateriellen  Quali- 
täten (s.  d.)  (De  hom.  opif.  24).  So  auch  nach  JoH.  Scotüs  Eriifoena:  „Ipsa 
etiam  materies,  si  quis  intenttts  aspexerit,  ex  inoorporeis  qualitatibus  eoptt^ 
lahif*^  (De  div.  nat.  I,  42;  vgL  I,  61  f.).  Die  Materie  ist  j,invi8%bÜiSf  in- 
^orporea"  (1.  c.  III,  14),  eine  yyprivatio"  (1.  c.  I,  56),  keine  Substanz. 

David  von  Dinant  nennt  Gk>tt  die  „materia  omnium"  (Alb.  Magn.,  Sum. 
th.  I,  20,  2).  Die  Materie  ist  y^primum  indivisibiley  ex  quo  eonstituuniur  cor- 
p€»ra"  (Thom.,  In  sent  2,  d.  17,  qu.  1,  1).  Nach  Avicenna  ist  die  Materie 
ewig,  das  Princip  der  Individuation  (Met  VI,  2).  Nach  Averbo^  hat  die 
Materie  die  Formen  der  Dinge  potentiell  in  sich.  Nach  Ibn  Gebirol  ist  eine 
(von  Gott  emanierende)  Materie  auch  in  der  Geisterwelt,  allem  liegt  eine  „f9ia- 
ia^  univer8€Ui^*  zugrunde,  nur  der  Gottheit  nicht  (Stöckl  II,  62;  M.  Eisler, 
Jüd.  Philos.  I,  62  ff.).  —  Ähnlich  Bonaventura.  Die  geistigen  Wesen  haben, 
weil  aus  Potentialität  und  Actualität  zusammengesetzt,  eine  „materia  spiri" 
ttialis^^  (In  sent  2,  d.  3,  17).  —  Nach  Maimonides  ist  die  Materie  von  Gott 
geschaffen. 

Albertus  Magnus  erklärt:  „Materia  est  primum  subiecium  eius  quod  esf' 
{Sum.  th.  II,  4,  1).  „Materia  appetit  formam^^  (1.  c.  I,  26,  1).  Die  Urmaterie 
(„materia  prima^^)  S&i  „potentia  inchoationis  farmae^*  (L  c.  II,  4,  4).  yyMateria 
TUitnquam  separcUa  est  a  formis  omnibtis  propter  sui  imperfedionenty  quae  adesse 
^non  suffieit  sine  forma,  et  haec  imperfectio  numquam  relinquit  materiam;  et 
4deo  cum  forma  semper  erit  secundum  actum"  (In  phys.  I,  2,  4).  Es  gibt 
^,maieria  incorruptünlium  et  corruptibilium"  (Sum.  th.  II,  47).  Die  schon  von 
einer  bestimmten  Form  gestaltete  Materie  ist  ,ymaJteria  sigfuUa"  (Met.  VII,  3,  2). 
Nach  Thomas  ist  die  Materie  das,  „ex  quo  est  genercUio"  (De  princ.  nat., 
Op.  31),  sie  ist  yy potentia  pura"  (Opusc.  15,  7),  „idy  quod  est  in  potentia" 
<Sum.  th.  I,  3,  2  c),  „ex  qua  aliquid  fit"  (1.  c.  I,  92,  2  ad  2),  „primum  sub- 


632  Materie. 

ieetumy  ex  quo  aliquid  fU  per  s&^  (1  phys.  15;  Sum.  th.  III,  72,  2).  Due 
„prima  dtsposüio"  ist  „qttanttkis  dimensiffa*'  (Sum.  th.  HI,  72,  2).  Sie  wird 
„substantia*^  geaannt,  „non  quasi  ens  aliquid  aetu  eanstens  in  ge  eonsideratOj 
sed  quasi  in  poteniia,  ut  sit  aliquid  aeh^'  (8  met  1  1).  „Materia  primn^  ist 
dasjenige,  y,quod  est  in  genere  substantiae  ut  poientia  quaedam  intelleeta  prader 
omnem  speciem  et  farmam  et  etiam  praeter  priwUionein^  quae  tarnen  est  suseep- 
titfa  et  formarum  ei  privationum*^  (Spir.  1  c).  Es  gibt  eine  j,materia  sennbäir^ 
und  yyintelligibüi^'  (Sum.  th.  I,  85,  Ic;  C.  gent.  II,  75,  III,  105).  Zu  unter. 
scheiden  sind  femer:  „maieria  eamposita"  und  „simplex^*  (C.  gent.  III,  97|, 
„materia  eorparalis**  und  ,^spiritualis*'  (Siun.  th.  .1,  12,  11c),  „maieria  de- 
mentaris^'^  (L  c.  I,  71,  1  ad  1),  ,ymateria  communis"  und  „particularis^  (Sum. 
th.  I,  3,  3c;  C.  gent  II,  30,  HI,  41),  y,materia  prima  (pura/'  und  „uUima^ 
(Sum.  th.  I,  3,  8c;  O.  gent.  I,  17),  „materia  demonstrata'*  desiffnata,  Signatar^ 
(Sum.  th.  I,  75,  4e;  0.  gent.  I,  21,  65;  De  ente  et  ess.  2;  De  yerit.  II,  6  ad  It 
„Materia  signata  (individualis)^*  ist  die  schon  von  einer  Form  gestaltete  Materie 
(z.  B.  ein  Knochen,  ein  Stück  Fleisch,  Sum.  th.  I,  85,  1).  „Signatio  maieriae 
est  esse  sub  certis  dimensionilms,  quae  faciunt  esse  hoc  et  nunc  ad  sensum 
demonstrabile^'  (Sum.  th.  III,  77,  2).  Sie  ist  „principium  individuaUoms^ 
(s.  d.)  (1  anal.  38c;  1  caeL  19b).  Es  gibt  endlich  eine  „materia  enunciatiom^ 
und  „syüogismi".  DüNS  ScoTUS  schreibt  allen  endlichen  Dingen  eine  (anch 
ohne  Form  wirkliche)  Materie,  als  „subieetum  omnis  receptianis'^  (De  rer.  prine. 
qu.  8,  4,  26)  zu.  Die  formlose  Urmaterie  (yfietus  entitatimts")  ist  ,jmat€ria 
prima  prima"  (1.  c.  qu.  8,  3,  19).  „M€Ueria  seeundo  prima^^  ist  „subieetum 
generationis  et  earruptionisl"  (L  c.  qu.  8,  3,  20).  „Materia  tertio  prima"  ist  die 
Matme  „cuiuslibet  artis  et  materia  euiuslibet  agentis  naturalis  partieulari^ 
(ib.).  Nach  Suarez  ist  die  Materie  y^subiectum  primum"  der  Verandenmg 
(Met.  disp.  13,  sct.  1,  8),  die  bleibende  Potentialität  der  Körper  (1.  c  3,  sei.  4, 
5).  —  GOGLEN  erklärt:  „Materia  est  causa  interna,  ex  qua  ens  produeitur.^ 
„Materia  propria  est  materia  disposita,  id  est,  prajeparata  et  adepta^  (Lex. 
philos.  p.  669).  MiCBAELiüs  bestimmt:  ,yMateria  est  altera  causa  naturalis  in- 
terna et  essentialisy  ex  qua  corpora  fiunt  et  consiant,"  yyMateria  suntitur  rel 
obieetive  pro  materia  circa  quaniy  quae  dieitur  obieetum;  vel  subiedive^  pro  ma- 
teria in  qua  et  dieitur  subieetum  inhaerentiae;  vel  constitutive  pro  materia  ex 
qua,  ita  ut  insit  composito  materiaio;  vel  logiee  pro  genere^^  (Lex.  philos.  pu  622i. 
Als  Gründe  für  die  Annahme  der  Materie  bei  den  Scholastikem  wird  an> 
gegeben:  1)  ,/a/  nuUua  elementorum  iransmuiationef*,  2)  „ex  generatione  rerumr^ 
3)  ,/a/  puro  aeti^,  4)  „ev  contrarietate  privationis  et  formae^*  (L  c.  p.  624). 

NicoLAus  CüSANüs  bezeichnet  die  Materie  als  das  (aus  dem  Nicfats  ge- 
schaffene) yyWerden-können",  als  „passe  fieri";  die  intelligible  Materie  ist  eins 
mit  dem  schöpferischen  Vermögen  Gottes  (De  venat.  siq>.  39).  PAKACELfiTB 
bestimmt  die  Urmaterie  als  ,jlimbus  mundi"  (yylimbus  maiar**)y  ,;gliaster^  (viir^ 
astrum),  yykyaster**,  in  welchem  die  Keime  zu  allen  Dingen  lagen;  sie  ist  „mif 
sterium  magnum"  (Paramir.  I,  1).  Die  materiellen  Elemente  sind  die  „üäffar' 
aller  Dinge,  sind  beseelt.  Nach  Cabdaktjs  ist  die  Materie  das  in  allen  Dingfo 
Gemeinsame,  das  Gonstante  im  Entstehen  und  Vergehen  (De  subtiL  p.  358  ff.). 
Als  trage,  tote  Masse,  „ccrparea  moles",  bestimmt  die  Materie  Tblebixts,  der 
ihr  eine  Widerstandskraft  gegen  alle  Veränderung  zuschreibt,  der  zufolge  ihre 
Menge  stets  constant  bleibt  (De  rer.  nat  I,  4  ff.).     Von   ein»*   „restsfenha^ 


Materie.  633 

y,antiiypia^^  (b.  d.,  wie  die  Stoiker)  der  Materie  spricht  Patritiüs,  der  die 
Materie  als  yjluor  seu  humor  Primogenitur*  bestimmt  (Panaug.  6^  p.  78). 

Campanella  bestimmt  die  Materie  als  (von  Gott  geschaffene)  y^seeunda 
substantW^,  y^basia  formarum,  pHneipmm  paasivum  composttionis  rerwn^*j  als 
„iner^%  „inviaihüü^*,  „niffra**  (Real,  philoe.  p.  6).  „Materiam  universale^M, 
loeum  omnium  formarum,  sicuti  spatium  est  locus  omnium  matertarumj  moiem 
esse  eorpoream  wUeUigimus^^  (De  sensu  rer.  II,  1;  PhysioL  I,  3).  Die  feinste 
Materie  ist  der  Äther  (L  c.  I,  4).  J.  B.  van  Helmont  bestimmt  die  Materie 
als  fftuorem  genericum  sive  generatwum".  Sie  ist  die  Substanz  jedes  Dinges 
(Causae  et  init.  rer.  nat.  p.  35  f.).  Eine  tmbestimmte  Materie  gibt  es  nicht 
(1.  c.  p.  33).  G.  Bruno  faßt  die  Materie  als  Gestaltungsstoff  auf.  „Es  gibt .  .  . 
eine  Art  Suttstrat,  aus  welehem,  mit  und  in  welefiem  die  Natur  ihre  Wirksam- 
heii,  ihre  Arbeiten  voUxieht  und  welches  durch  diese  in  so  viele  Formen  gebracht 
wird,  als  sieh  in  der  großen  Verschiedenheit  der  Arten  den  Blicken  des  Be- 
trachters darbieten**  (De  la  causa  III).  Die  Materie,  das  Formlose,  die  Potenz 
der  Formen,  ist  das  Bleibende  in  den  Dingen,  das  nur  b^^fflich  erkannt  zu 
werden  vermag.  y,Wie  auch  die  Formen  sich  ins  Unendliche  vermannigfaltigen 
und  eine  auf  die  andere  folgt,  es  bleibt  doch  immer  eine  und  dieselbe  Materie 
rorhanden."  „Es  muß  also  immer  eins  und  dasselbe  sein,  was  an  sich  nicid 
Stein,  nickt  Erde,  Leichnam,  Mensch,  Embryo,  Blut  oder  etwets  anderes  ist,  was 
(MbeTy  nachdem  es  BltU  war,  Embryo  teird,  indem  es  das  Embryo-Sein  annimmt. 
Nur  die  Formen  wechseln,  die  Materie  aber  ist  unvergänglich,  fest,  euig,  die 
wcJtrhaft  seiende  Substanx,"  „Sie  ist  nickt  eigentlich  körperlich,  denn  sie  hat 
alle  Arten  von  Gestaltungen  und  körperlichen  Richtungen,  und  weil  sie  cUle  hat, 
so  hat  sie  keine  von  allen"  (1.  c.  IV).  Die  Materie  ist  als  Wirksamkeit  gött- 
licher Natur  (ib.).  Das  ist  die  Beaction  gegen  die  häufige  Verachtung,  Gering- 
wertung der  Materie  bei  den  christlichen  Philosophen  des  Mittelalters.  B.  Fludd 
nimmt  einen  Urstoff,  „universa  massa",  welcher  die  Finsternis  ist,  an.  Die 
Materie  ist  formlos,  qualitatlos,  hat  die  Möglichkeit  zu  allen  Körpern  in  sich 
(Historia  utriusque  cosmi,  C.  4,  6).    Ähnhch  Getinger. 

Nach  Galilei  ist  die  Materie  stets  imverändert  und  dieselbe  (Discorei, 
Opp.  III,  p.  4).  Sie  besteht  aus  unausgedehnten  Atomen  (II  Saggiatore, 
Opp.  II|  p.  342).  Die  Constanz  der  Materie  behauptet  auch  F.  Bagon:  „Om- 
nia  tnutari  et  nil  vere  interire,  ac  summam  materiae  prorsus  eandem  manere 
satis  eonstat**  (Gpuscul.  philos.,  Works  V,  p.  82).  Nach  Hobbes  ist  die  Materie 
nichts  als  ,yCorpus  generaliter  sumptum"  (De  corp.  0.  8,  24),  d.  h.  der  Körper 
bloß  hinsichtlich  seiner  Größe  und  Ausdehnung  und  der  Fähigkeit,  Form  und 
Accidentien  anzunehmen,  betrachtet  (ib.).  Descartes  scheidet  schroff  die  Ma- 
terie als  besondere  Substanz  (s.  d.)  vom  Geiste.  Sie  hat  keine  inneren  Kräfte, 
ist  nichts  als  „reff  extensa",  mit  der  Eigenschaft  der  Bewegung  (s.  d.),  rein 
passiv,  sie  ist  erfüllter  Baum.  Die  Ausdehnung  constituiert  die  Natur  der 
^^ntbstantia  corporea**  (Princ.  philos.  I,  63).  „Quod  agentes,  percipiemus  naturam 
materiae,  sive  corporis  in  Universum  spectaii,  non  eonsistere  in  eo  quod  sit  res 
dura,  vel  ponderosa,  vel  colorata,  vel  alio  aliquo  modo  seneus  afficiens;  sed  tan- 
twrn  in  eo,  quod  sit  extensa  in  langum,  latum  et  profundum**  (1.  c.  II,  4).  Eine 
und  dieselbe  Materie  liegt  dem  Himmel  und  der  Erde  zugrunde  (1.  c.  II,  22). 
„Materia  itaque  in  tote  universo  una  et  eadem  existii;  utpote  quae  omnis  per 
hoc  unum  tantum  agnosdtur,  quod  sit  extensa.  Omnesque  proprietates,  quas  in 
ea    clare  percipimus,  ad  hoc  unum  reducuntur  quod  sit  partibilis  et  mobilis 


634  Materie. 

aecundum  partes;  et  proinde  capax  iUarum  omniwn  affectioruanj  quas  er  em 
partium  motu  sequi  posse  pereipimtis,  Partiüo  enim^  quae  sü  sola  cogüaHom, 
nihil  mutat;  sed  omnis  materiae  variatio,  sive  amnium  eius  formarum  diiDersiiat, 
pendet  a  motu'*  (1.  c.  II,  23).  Auch  Spinoza  bestimmt  die  Materie  durch  ds» 
Prädicat  der  AusdehnuDg.  sie  ist  nicht  Substanz,  sondern  Attribut  (s.  d.>  der 
einen  Substanz  (s.  d.).  Malebkanche  setzt  „matier&*  und  „VUendMut*-  gleich. 
Die  Materie  hat  zwei  Eigenschaften:  ^^cüle  de  reeevoir  differentea  fiffttres'*  und 
^yla  capaeite  d'etre  mue^'^  (Bech.  I,  1).  jJm  ^naiih-e  est  toute  sans  actione  (ib.L 
Gassendi  erklärt:  t,Quia  imprimis  sensu  manifestum  est,  in  rerum  naiurs 
muUa  fieri  et  muUa  quoque  interire:  ideo  mente  tenendum  est,  opus  ad  hoc  esse 
maiena,  ex  qua  res  gignantur,  in  quam  resolvantur^*  (Philos.  Epic.  srnt.  IL 
sct.  I,  4).  Die  Materie  besteht  aus  Atomen  (1/c.  II,  set.  I,  5  squ.)-  Nadi 
Newton  besteht  die  Materie  aus  harten,  undurchdringlichen,  beweig^choi 
Teilchen  (Opt.  qu.  31,  p.  325).  Nach  J.  Bobooyigh  sind  die  y^primae  materiae 
elementa*'  j,puncta  peniius  inextensa  et  indivisUnlia,  a  se  invieem  aliquo  inkr- 
vaüo  disiuncta''  (Theor.  philos.  1763,  p.  41).    Vgl.  Atomistik. 

Nach  H.  More  besteht  die  Urmaterie  aus  gleichartigen  Monaden  (Eoehir. 
met.).  Bildende  (plastische)  Kräfte  („vires  plastieae*')  schreibt  B.  Cudwobth 
der  Materie  zu  (Syst  intelL).  Nach  GussoN  kommt  ihr  ein  Streben  zu  (Traet 
de  natur.  subst.  energ.  p.  90  f.).  Dynamisch  bestimmt  die  Materie  Leibniz. 
yjMateria  prima"  ist  die  Widerstandskraft  (,fintitypia^*)y  die  Becepiiviüt,  die 
Kraft  der  Undurchdringlichkeit,  eine  rein  passive  Kraft  (Erdm.  p.  157,  4fö, 
466,  691).  Die  „materia  seeunda"  ist  eine  Erscheinung,  aber  ein  y^phaenomenoM 
bene  fundatum"  (1.  c.  p.  725),  die  „veruwrene"  Vorstellang  von  geistigeo  Mo- 
naden (s.  d.),  deren  Aggregat  sich  uns  als  Körper,  als  y^substantiatum*^,  darstellt 
(vgl.  Gerh.  IV,  18;  Nouv.  Ess.  IV,  eh.  3).  —  Nach  Chb.  Wolf  ist  Malaie 
yyillud,  quod  determinatur  in  ente  eomposito"  (Ontolog.  §  948).  Sie  ist  .yextfefwvM 
vi  inertiae  praeditum"  (Cosmolog.  §  141).  ,yDa^enige  nun,  was  einem  Körper 
die  Ausdehnung  gibt  mit  seiner  widerstehenden  Kraft,  wird  die  Materie  genamet 
(Vem.  Ged.  I,  §  607).  Sie  besteht  aus  Natur-Monaden  (s.  d.).  Büdig£R  unter- 
scheidet die  Materie,  deren  Wesen  die  Ausdehnung  bildet,  von  der  Körperiicfakeit, 
die  in  der  Elasticität  besteht.  Die  Seele  (s.  d.)  ist  materiell,  aber  nicht  körper- 
lich.   Nach  L.  EuLBR  besteht  das  Wesen  der  Materie  im  Tragheitswiderstand. 

Locke  definiert  die  Materie  („matter*^)  als  „an  extended  solid  suhstana" 
(Elem.  of  nat  philos.  eh.  1).  Die  jyMaterie^*  ist  ein  unklarer,  problematiscfaff 
Begriff,  sie  ist  nur  eine  Abstraction  vom  Körper,  bezeichnet  die  überall  gldcbe 
und  einförmige  Dichtigkeit  der  Körper  (Ess.  III,  eh.  10,  §  15).  Für  sidi  alloB 
ist  die  Materie  passiv,  unbewegt  (1.  c.  IV,  eh.  10,  §  10).  Als  bloße  Vontdlunf: 
faßt  die  Materie  A.  Collier  auf:  „AU  mattersy  which  exisi,  eooist  m  ar  depett- 
dantly  on  mind"  (Clav.  univ.  p.  10).  Berkeley  bestreitet  die  Existenz  einer 
Materie.  Sie  ist  nichts  als  der  abstracte  Begriff  eines  Wesens  (yjbei»%g^^)  über- 
haupt  (Princ.  XVII),  existiert  weder  außer  noch  in  dem  Bewußtsein  (L  c. 
LXVII).  Die  Annahme  einer  Materie  (yyMcUerialismus",  s.  d.)  nützt  nkkts. 
die  Erscheinungen  der  Natur  sind  direct  durch  das  Wirken  Gottes  zu  erklarai 
(1.  c.  LXXII).  Da  alle  Qualitäten  (s.  d.)  samt  Ausdehnung  und  Bewegung 
nur  Vorstellungen  sind,  so  hat  die  Materie  keinen  realen  Sinn  (L  c.  LXXIIL 
LXXX).  Auch  HuME  hält  den  Begriff  der  Materie  für  eine  blofie  F^cti» 
(Treat.  IV,  sct.  3;  vgl.  Substanz).  —  Boyle  definiert  die  „universal  tnatta*' 
als  „a»  extended,  divisible  and  inpenetrabU  substanee^'  (Works  1738,  p-  197). 


Katerie.  635 

Die  Materialisten  (b.  d.)  halten  die  Materie^  das  Materielle  für  absolut  reaL 
17 ach  Pbiebtlby  ist  die  Materie  ,,a  subgtance  possessed  of  the  property  of 
extenaicn  and  of  potoera  of  attraetion  or  reptUsion^*  (Disquis.  L  Introd.  p.  II). 
Hoi4BACH  erklärt:  j,La  matüre  en  genSral  est  taut  ee  qui  affecte  noa  aens  d'une 
fa^on  queleonqtie^*  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  3,  p.  31).  y,La  maiüre  est  etemeUe  et 
^tSeessaire,  mais  aea  eombinaiaana  et  aea  fortnea  aont  paaaagerea  et  contingentea^* 
(L  c.  I,  eh.  6).  —  Nach  Diderot  ist  die  Materie  ewig,  in  sich  selber  bestehend, 
sie  hat  (In  ihren  Atomen)  Empfindung  (Pens^  sur  l'interpr^t.  de  la  nat. 
175;  Sur  la  mati^re  et  sur  le  mouvement,  1770).  Nach  d'Alembebt  ist  das 
Wesen  der  Materie  unbekannt  (Mä.  T.  V).  BoU88Bi.u  nennt  Materie  alles,  was 
aaller  uns  wahrgenommen  wird  und  was  auf  unsere  Sinne  wirkt  (Emil  IV). 
BoiETNET  betont:  „77  n'exiate  point  de  matüre  en  gSneral;  tnaia  il  eadste  une 
iftfinüe  de  eorpa  partimdieray  dana  leaquela  noua  remarquona  dea  diterminationa 
cofnmunea  ei  dea  dUerminations  propres,  Noua  dSduiaona  de  ceUea^lä,  par  la 
r^fleacicnj  la  notion  des  attributa  eaaentiela  dea  eorpa,  et  fwua  donnons  ä  la  ool^ 
ieeiion  de  ees  cUtributa  le  nom  de  matih-&^  (Ess.  analyt,  pr^f.  p.  XXVI  f.). 

Phinomenalistisch  und  dynamisch  ist  der  Begriff  der  Materie  bei  Kant. 
I>a  alle  Qualitäten  (s.  d.)  sowie  Ausdehnung  und  Bewegung  subjectiver  Natur, 
da  femer  die  Kategorien  (s.  d.)  des  Denkens  apriorisch-subjectiv  sind,  ins- 
besondere  auch  der  Begriff  der  Substanz  (s.  d.),  so  ist  die  Materie  kein  Ding 
an  sich  (s.  d.),  sondern  die  Erscheinung  eines  solchen  ganz  in  der  Form  unserer 
Anschauung  und  unseres  Denkens,  als  solche  aber,  empirisch,  objectiv  reaL 
Sie  hat  eine  Wirklichkeit,  „dte  nicht  geschloaaen  tcerden  darf,  aondem  unmittelbar 
wahrffenommen  wird"  (Krit  d.  r.  Vem.  8.  314).  Die  Materie  der  Erscheinung 
(das  Physische)  bedeutet  ein  Etwas,  das  im  Baume  und  in  der  Zeit  angetroffen 
wird  und  der  Empfindung  correspondiert  (L  c.  8.  555).  Die  Materie  ist  die 
Resultierende  von  Anziehungs-  und  Abstoßungskräften.  Die  Abstraction  von 
der  Erfahrung  der  Undurchdringlichkeit  (s.  d.)  bringt  in  uns  den  Begriff  der 
Materie  hervor  (Traume  ein.  Geisterseh.  I.  T.,  1.  Hptst).  Die  Materie  hat 
f^eine  Kraft  der  Zuriiekatoßung*^  (ib.).  Materie  ist  „daa  Bewegliehe  im  Bäumet*, 
„dits  Bewegliehe,  aofem  ea  einen  Raum  erfUUt^^,  d.  h.  allem  Bew^lichen  wider- 
steht (Met.  Anf.  d.  Naturw.  S.  1,  31),  und  zwar  durch  eine  „beaondere  be- 
treffende Kraft*^  (1.  c.  8.  33).  „Die  Materie  erfUUet  ihre  Räume  durch  repulaive 
Kräfte  aUer  ihrer  Teile,  d,  i.  durch  eine  ihr  eigene  Äuadehnungakraft,  die  einen 
bertimmien  Orad  hat,  Über  den  kleinere  oder  größere  ina  Unendliche  können  ge- 
dacht werden*^  (1.  c.  6.  36).  Alle  Materie  ist  daher  ursprünglich  elastisch  (1.  c. 
S.  37).  „Materielle  Substanz  ist  da^enige  im  Baume,  was  für  sich,  d,  i.  ab- 
geaondert  von  (ülem  anderen,  waa  außer  ihm  im  Räume  exiatierty  beweglich  iat" 
(1.  e.  S.  42;  vgl.  8.  106).  Materie  ist  „dcu  Bewegliche,  aofem  ea,  ala  ein  aolchea, 
ein  Oegenatand  der  Erfahrung  aein  kann"  (1.  c.  8.  138).  Es  kann  nur  „eine 
urspriingliche  Anziehung  im  Gonfiict  mit  der  uraprünglichen  Zuriickatoßung 
einen  beatimmten  Orad  der  Erfüllung  des  Raumes,  mtthin  Materie  möglich 
fnaehen**  (L  c.  8.  70).  „Ä»  edlen  Veränderungen  der  körperlichen  Natur  bleibt 
die  Quantität  der  Materie  im  ganzen  dieselbe,  unvermehrt  und  unpermindert^* 
(L  c.  8.  116;  vgl.  dazu  die  chemischen  Versuche  Lavoisisrs). 

Bei  der  Mehrzahl  der  philosophischen  Systematiker  nach  Kant  herrsc^it 
ein  dynamischer  Materie-Begriff,  der  vielfach  zugleich  phänomenologisch  ist,  in- 
dem die  Materie  als  objective  oder  subjective  Erscheinung,  auch  als  Product 
immaterieller  Kräfte  oder  Tätigkeiten  betrachtet  wird. 


636  Matorie. 

Nach  LiGHTENBERO  ist  die  Materie  ein  abetracter  Begriff,  dem  empirisdi 
nur  Kräfte  entsprechen.  Phänomenal  ist  der  Begriff  der  Materie  nach  BourBB- 
WEK  (Lehrb.  d.  philos.  Wiss.  I,  154).  A.  Weishattpt  betont:  ,,Keine  MUerie 
ah  solche  wirkt;  alte  Wirkungen  der  Materie  sind  also  Wirkungen  der  imma- 
teriellen Eräftey  aus  welchen  sie  besteht"  (Üb.  Material,  u.  IdeaL*,  S.  46).  Alle 
Materie,  alle  Ausdehnung,  alle  Zusammensetzung  ist  Erscheinung  (1.  c.  B.  183). 
Nach  £[rug  ist  die  Materie  ,,em  TStiges  oder  Wirksames  im  Baume,  so  daß 
wir  von  ihr  d>en  nichts  weiter  als  diese  Wirksamkeit  erkennen".  „Die  Materie 
ist  also  als  ein  ursprünglich  dynamisches  Etwas  xu  denken"  (Handb.  d 
Philos.  I,  331).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  die  (nur  als  Product  des  ,Jch",  s.  d^ 
existierende)  Materie  yydas,  was  im  Baume  ist  und  denselben  ausfiUlt**  (Syst.  d. 
Sittenl.  8.  162).  Schelung  erklärt:  „Aller  Stoff  ist  bloßer  Ausdrude  eines 
Oleichgewichts  entgegengesetzter  JUtigkeiteny  die  sich  wechselseitig  auf  ein  bloßes 
Substrat  von  Tätigkeiten  redueieren"  (Syst  d.  tr.  Ideal  8.  101).  „Alle  Materie 
ist  innerlich  eins,  dem  Wesen  nach  reine  Identität*  (Naturphilos.  I,  239). 
„Materie  ist  ,  .  ,  etwas,  was,  nach  drei  Dimensionen  ausgedehnt,  den  Raum  er- 
fülW*  (1.  c.  8.  246).  8ie  bestdit  nur  „durch  Wirkung  und  Gegenwirkung  an- 
xiehender  und  xurückstoßender  Kräfte^*  (L  c.  8.  247),  sie  ist  nichts  ,yaZ«  diese 
Kräfte  im  Conflict  gedacht^'  (1.  c.  8.  266).  „Materie  und  Korper  also  sind 
selbst  nichts  als  Producte  entgegengesetzter  Kräfte,  oder  vielmehr  selbst  mekis 
anderes  als  diese  Kräfte"  (1.  c.  8.  270).  Die  Materie  ist  das  erste  „Elwa^eis^ 
des  Welt-8ubject8.  Dies  ist  die  nichtkörperliche  Urmaterie,  die  Potenz  der 
sinnlich  wahrnehmbaren  Materie  (WW.  I  10,  104).  L.  Oken  bestimmt:  „Mst-- 
terie  ist  nur  die  sichtbar  gewordene,  begrenxte  TStigkeit  ,  .  .  Es  gibt  keine  tote 
Materie,  sie  ist  durch  ihr  Sein  lebendig,  durch  das  Absolute  in  ihr,"  Urmaterie 
ist  der  (göttliche)  Äther  (Natuiphilos.  I,  42  ff.).  Die  Materie  ist  ewig,  grensen- 
los  (1.  c.  8.  41).  Nach  J.  £.  y.  Beroeb  ist  die  Materie  eine  Abstraction,  ideale 
Principien  sind  das  Wirksame  in  ihr  (Zur  philos.  Naturerk.  1821).  Ahnlich 
Lammenais.  8TEFFEKS  erklärt:  „Das  AbsohUe,  insofern  es  die  Indifferenz  aüff" 
Dimensionen  ist,  ist  die  Materie."  „Die  Materie  ist  ewig  und  das  Absolute  der 
Natur  selbst,"  „Der  Baum  ist  von  der  Materie  nicht  verschieden,  sondern  ist 
die  Materie  selbst,  insofern  ihm  die  endliehe  Unendlichkeit  der  Zeit  eingepflanxt 
ist"  (Grdz.  d.  philos.  Natunviss.  8.  23).  Nach  8chlei£RMACHE&  ist  „Materie^ 
„nicht  nur  das  BaumerfUllende,  sondern  au4ih  das  nur  ZeiterfiÜlende,  das  ekaaÜsek 
Materielle  des  Bewußtseins*'  (Dial.  8.  140).  Nach  H.  Bitteb  gibt  es 
Materie,  der  nicht  ein  inneres  oder  geistiges  Dasein  entspräche.  „Der 
toird  ntcht  erfüllt  durch  materielle  Substanxen,  Atome  u.  s.  tr.,  sondern  durch 
Tätigkeiten  oder  Kräfte  .  .  .,  welche,  von  verschiedenen  Subjeeten  ausgehend^  siA 
in  einem  Baume  sättigen  und  so  die  Undurehdringliehkeit  der  körperlichen  £r- 
scheinung  bilden"  (Abr.^d.  philos.  Log.*,  8.  45).  Nach  F.  Baader  ist  die 
Materie  keine  8ubstanz,  sondern  die  Äußerlichkeit  der  nichtdenkenden  Natur. 
Die  Natur  integriert  beständig  aus  „immateriellen  differentialen  Materiell'  Weseni^ 
(Üb.  d.  Incompet  unserer  dermal.  Philos.  8.  12  f.,  31;  vgl.  Fenn.  Cögnit). 
Jeder  Körper  besteht  aus  einem  Kräfte-Temar  (Beitr.  zur  £lementarph3r9ioL 
1796).  Nach  Heinroth  ist  die  Materie  nur  Kraft  (Psychol.  8.  264),  aonst 
nichts  (1.  c.  8.  264).  Nach  Hillebrakd  besteht  das  Materielle  in  „icr«|>rifii^ 
liehen,  einfach  wirkenden  Selbstkräften,  gleichsam  bloß  in  einem  medumiaekm 
Sich^setxen"  (Philos.  d.  Geist.  I,  49  ff.).  Hegel  bestimmt  die  Materie  als 
„Identität   des  Baumes  und  der  Zeit,  des  unmittelbaren  Außereinander  und  der 


Materie.  337 

Negaiwitäi  oder  der  ais  für  sieh  seienden  Binxelheit^'  (Encykl.  §  261),  als  ,,das 
Reale  an  Raum  und  Zeü'^y  die  „erste  Realität,  das  daseiende  Filr-sieh-sein^^ , 
als  „positives  Bestehen  des  Raumes*^,  als  j/iauemdes  Etw€uf"  in  der  Bewegung 
(NaturphiloB.*,  S.  67).  „Die  Materie  ist  die  Form,  in  weleher  das  Außersich- 
sein  der  Natur  xu  ihrem  ersten  In-sieh-sein  kommt,  dem  abstraeUn  Für-sich" 
sein,  das  aussehließend  und  damit  eine  Vielheit  ist,  welche  ihre  Einheit,  als 
das  fur-sieh-^eiende  Viele,  in  ein  allgemeines  Für-sich-sein  xusammenfassend,  in 
sieh  zugleich  und  noch  außer  sich  hcU  —  die  Schwere**  (1.  c.  S.  41  f.).  Eine 
Belbständige  Substanz  ist  die  Materie  nicht,  ihr  Wesen  besteht  in  Bewegung. 
E.  RosENKBANZ  bemerkt:  „insofern  .  .  .  das  Wesen,  indem  es  sieh  als  Existenx 
setxi,  nach  verschiedenen  Seilen  hin  seinen  unterschied  von  andern  Existenxen 
verschieden  ttusxudrüeken  vermag,  kann  es  gegen  diesen  mögliehen  Wechsel  der 
Form  als  die  Materie  erscheinen,  welche  gestaltet  wird  und  als  passiver  Stoff  gegen 
die  acHve  Form  sieh  verhält**  (Syst  d.  Wiss.  S.  67).  Die  Materie  ist  die  Äußer- 
lichkeit der  Idee  (1.  c.  S.  178).  „AUe  eonerete  Materie  ist  ,  ,  ,  qualitativ  und 
quantitativ  sieh  unaufhörlich  verändernd**  (L  c.  8.  221).  —  Bbaniss  bestimmt 
die  Materie  als  das  Sein,  „welches  die  entgegengesetxten  Kräfte  als  verschwindende 
Momente  zum  Inhalt,  deren  Bestimmungen  aber,  nämlich  Repulsion  und  Ät-- 
traetion,  als  ruhendes  Außereinander  und  indifferente  Einheit  zu  seiner  Form 
hat*'  (Syst.  d.  Met  S.  324).  Nach  Chalybaeus  ist  die  Materie  das  räumlich- 
zeitlich  Unendliche  {anet^ov),  „das  reale  Moment  im  Absoluten**,  das  objective 
Sein  des  Unendlichen,  ein  der  Störungen  passiv  fähiges,  aber  nicht  activ  pro- 
ductives  Wesen  (Wissenschaftslehre  S.  105  ff.).  Vgl.  G.  Bibdebmann,  Philos. 
als  Begriffewiss.  II,  25  ff.    Vgl.  Rosmini,  Teoeofia,  V,  p.  449  ff. 

ScHOPENHAüEB  betrachtet  die  Materie  als  Erscheinung,  Objectivation  (s.  d.) 
des  „allgemeinen  Willens  zum  Leben**,  Ihr  Sein  ist  „  Wirken**  (W.  a.  W.  u.  V. 
I.  Bd.,  §  4).  Aus  der  Vereinigung  von  Baum  und  Zeit  entstehend,  ist  sie  wie 
diese  nur  Vorstellung  (L  c.  §  7).  Sie  ist  durch  und  durch  Causalität,  ist  nur  „die 
objeetiv  aufgefaßte  Verstandes  form  der  Causalität  selbst**,  die  „obfeetivierte,  d,  h. 
nach  außen  prqjicierte  Verstandesfunction  der  Causalität  selbst,  also  das  ob^ 
jeetivierte  hypostasierte  Wirken  überhaupt ,  ohne  nähere  Bestimmung  seiner  Art 
und  Weiset*,  Die  empirisch  gegebene  Materie  manifestiert  sich  nur  durch  ihre 
Kräfte,  jede  Kraft  inhäriert  einer  Materie;  beide  zusammen  machen  den  em- 
pirisch realen  Körper  aus.  Die  Materie  ist  „die  bloße  Sichtbarkeit  des 
Willens,  nicht  aber  dieser  selbst:  demnach  gehört  sie  dem  bloß  Formellen 
unserer  Vorstellung,  nicht  aber  dem  Ding  an  sich  an.  Demgemäß  eben  müssen 
wir  sie  als  form-  und  eigenschaftslos,  absolut  träge  und  passiv  denken;  können 
sie  jedoch  nur  in  abstraeto  also  denken:  denn  empirisch  gegd^en  ist  die  bloße 
Materie,  ohne  Form  und  Qualität,  nie.  Wie  es  aber  nur  eine  Materie  gibt,  die, 
unter  den  mannigfaltigsten  Formen  und  Acddentien  oAiflrelend,  doch  dieselbe 
ist,  so  ist  auch  der  Wille  in  edlen  Erseheinungefi  xuletxt  einer  und  derselbe* 
(Prol^om.  II,  §  75).  Das,  woraus  alle  Dinge  werden  und  hervorgehen,  muß 
als  Materie  erscheinen,  „d,  h,  als  das  Reale  Oberhaupt,  das  Raum  und  Zeit 
Erfüllende,  unter  allem  Wechsel  der  Qualitäten  und  Formen  Beharrende,  welches 
das  gemeinsame  Substrat  aller  Anschauungen,  jedoch  für  sieh  allein  nicht  anr 
sehaubar  ist**  (ib.).  In  der  Anschauung  kommt  sie  nur  in  Verbindung  mit  der 
Form  und  Qualität  vor,  als  Körper.  Sie  ist  Bedingung,  nicht  Gregeustand  der 
Erfahrung,  wird  nur  gedacht  als  „das  durch  die  Formen  unseres  Intellects,  in 
welchem  die  Welt  als  Vorstellung  sich  darstellt,  notwendig  herbeigeführte,  bleibende 


638  Materie. 

Substrat  aller  vorübergehenden  Ersehemungen",  Sie  iBt  „dasfentge,  toodwrk 
der  IV nie  y  der  das  innere  Wesen  der  Dinge  ausmaekt^  in  die  Wahrnehmbar' 
keit  tritt,  anschatäiehy  sichtbar  wird.  In  diesem  Sinne  ist  also  die  Materie 
die  bloße  Sichtbarkeit  des  Willens  oder  das  Band  der  WeU  als  Wille  mit 
der  WeU  als  Vorstellung,  Dieser  gehört  sie  an,  sofern  sie  das  Produei  der 
Functionen  des  InteUecis  ist,  jener,  sofern  das  in  allen  materiellen  Wesen,  d,  t. 
Erscheinungen,  sich  Manifestierende  der  Wille  ist^^  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  BcL 

0.  24).  Die  einmal  von  uns  gesetzte  Materie  „können  wir  sehlecßäerdinffa  nieki 
mehr  wegdenken,  d.  h,  sie  als  verschwunden  und  vernichtet,  sondern  immer 
als  in  einen  andern  Raum  versetxt  uns  vorstellen:  insofern  also  ist  sie  mit 
Erkenntnisvermögen  eben  so  unxertrenniieh  verknüpft,  wie  Raum  und  ZeU  sdbsL 
Jedoch  der  Unterschied,  daß  sie  dabei  »uerst  beliebig  als  vorhanden  geeebU  sein 
muß,  deutet  schon  an,  daß  sie  nicht  so  gänxlieh  und  in  jeder  Hinsieht  dem 
formalen  Tkile  unserer  Erkenntnis  angehört,  wie  Raum  und  Zeit,  sondern  zu- 
gleich ein  nur  a  posteriori  gegebenes  Element  enthält.  Sie  ist  in  der  Tai  der 
Anknüpfungspunkt  des  empirischen  Teils  unserer  Erkenntnis  an  den  reinen  und 
apriorischen,  mithin  der  dgentiimließie  Grundstein  der  ErfahrungswdJP'^  (W.  a. 
W.  u.  Y.  II.  Bd.,  C.  24).  Aus  den  innern  Eigenschaften  der  Materie  geht  alle 
bestimmte  Wirkungsart  der  Körper  hervor,  und  doch  wird  die  Materie  seibBi 
nie  wahrgenommen,  sondern  zu  den  Wirkungen  hinzugedacht  (ib.).  Jedes  Ob> 
ject  ist  als  Ding  an  sich  Wille,  als  Erscheinung  Materie;  auf  dem  Willen  be- 
ruht alles  Empirische  der  Materie.  Die  niedrigste  Stufe  der  Objectivation  des 
Willens  ist  die  Schwere.  Was  objectiv  Materie  ist,  ist  subjectiv  Wille  (ib.). 
Kraft  und  Stoff  sind  im  Grunde  eines.  Für  die  physische  Forschung  ist  die 
Materie  der  Ursprung  der  Dinge,  die  „maier  rerum*^,  aber  sie  ist  selbst  ein 
Mittelbares,  Secundäres,  was  der  Materialismus  (s.  d.)  verkennt  (ib.).  Alle 
Materie  ist  „nur  für  den  Verstand,  durch  den  Verstand,  im  Verstände*^  (L  c. 

1.  Bd.,  §  4).  Die  Beharrlichkeit  der  Materie  ist  ein  Reflex  der  Zeitloeigkeit 
des  Subjectes:  „So  erscheint  die  endlose  Dauer  der  Mat&ne  als  Spiegel  der 
Ewigkeit  (d.  t.  Zeitlosigkeit)  des  Subjeets^*  (Neue  Paralipom.  §  12). 

Herbart  betrachtet  die  ausgedehnte  Materie  als  „objeetiven  Schein**^  ak 
Erscheinung.  „Ebendieselbe  Materie  aber  ist  real,  als  eine  Summe  einfaeker 
Wesen,  und  in  diesen  Wesen  geschieht  wirklieh  etwas,  welches  die 
Erscheinung  einer  räumlichen  Existenx  xur  Folge  hat."  Den 
Zustanden  der  „Realen^*  (s.  d.),  den  „Selbsterhaltungen*'',  gehören  ,^ewisse 
bestimmungen,  als  notwendige  Äuffassungsweisen  für  den  Zuschauer^*  zu,  die 
„eben  weil  sie  nichts  Reales  sind,  sieh  nach  jenen  innern  Zuständen  riehiem 
müssen**,  so  daß  „ein  Schein  von  Attraktion  und  Repulsiofi"  entspringt,  deren 
Gleichgewicht  den  Dichtigkeitsgrad  u.  s.  w.  der  Materie  bestimmt  (Lehrb. 
Psychol.*,  S.  110  f.).  „Die  Cohäsion  und  Dichtigkeit  jeder  Materie  hängt  ab 
einem  Oleichgewichte  xwischen  Attraction  und  Repulsion,  welches  beides  nieki 
von  gewissen  räumlidien  Kräften  der  einfachen  Wesen,  sondern  von  der  fcrusalen 
Notwendigkeit  herrührt,  daß  der  äußere  Zustand,  d,  i.  die  räumliehe  La^,  deem 
innern  Zustande,  d.  h.  den  SdbsterhaUungen  der  Wesen,  völlig  entsprechet*  (PsvclioL 
als  Wissensch.  II,  §  153).  Die  Materie  entsteht  durch  partielle  Durchdringoag^ 
der  „Realen**.  Je  nach  der  Art  und  Stärke  des  G^ensatzes  entsteht  die  feite 
oder  starre  Materie,  der  Wärmestoff  (Caloricum),  das  Electricum,  der  Äther. 
Die  Materie  ist  ,^ein  Continuum,  sondern  ursprünglich  eine  starre 
(All.  Met.  II,  §  246  ff.,  253  ff.,  269  ff.,  274;  Lehrb.  zur  PsychoL»,  S.  111). 


Materie.  639 

Materie  besteht  aus  imraumlichen  Elementen,  aus  Monaden  (Encykl.  d.  PhOoe. 
S.  221 ;   vgl  Lehrb.   zur  Einl.»,  S.  178  ff.,   314  ff.).     Eine   innere  Biidaainkeit 
kommt  ihr  zu.     Als  Erscheinung  von  immateriellen  realen  Wesen  betrachten 
die    Materie   die   Herbartianer  Volkmann,    R.  Zimmermann  (Anthropos.)^ 
0.  Flügel  u.  a.  —  Renan  erklärt:  ftÄllea  geht  ton  der  Materie  au$f  aber  die 
Idee  ist  es,  die  alles  belebt.^^    ,jNiehts  besteht  ahne  Materie,  aber  die  Materie  ist 
nur  die  Bedingung  des   Seins,   nicht  die    Ursache^*   (Philos.  Dial.  u.  Fragm. 
p.  41  f.).    Nach  Trendelenbübo  verstdit  das  Denken  die  Materie  nur  durch 
die  Bewegung  als  deren  Wesen.    W.  Weber  hat  den  Begriff  einer  „Masse,  an 
vehher  die  Vorstellung  der  räumliehen  Ausdehnung  gar  nicht  notwendig  hafteP*^ 
(bei  Feghner,  Atomenl.',  8.  88  1).    Nach  Lotze  ist  die  Materie  „ein  System 
unausgedehnter    Wesen  .  .  .,  die  durch  ihre  Kräfte  sich  ihre  gegenseitige  Lage 
im  Räume  vorxeiehnen  und,  indem  sie  der  Verschiebung  untereinander  wie  dem 
Eindringen  eines  Fremden  Widerstand  leisten,  jene  Erscheinungen  der  Undurch- 
dringliehktU  und  der  stetigen  Raumerfiülung  hervorbringen^^  (Mikrok.  I*,  403). 
„Es  bleibt  .  .  .  bloß  die  eine  Ansicht  übriff,  die  einfachen  Wesen  oder  die  Atome 
der  Physik  als  unausgedehnte  Mittelpunkte  von  Kräften,  d.  h.  von  aus-  und 
eingehenden  Wirkungen,  jede  stetige  Materie  aber  cds  eine  bloße  Erscheinung  an^ 
tuschen,  die  aus  einer  Vielheit  weehselwirkender  discreter  Atome  besteht*^  (Gr.  d. 
Met.*,  S.  79).   Die  träge  Materie  ist  kein  Wahmehmungsgegenstand,  sondern  eine 
Hypothese  (Med.  Psychol.  S.  58  ff.).    Die  Eigenschaften  der  Materie  sind  nur 
„Formen  des  äußerlichen   Verhaltens  mehrerer  Subjecte  gegeneinander^'^  (1.  c. 
6.  63).    Ulrigi  faßt  alle  Materie  als  „Kraftäußerung^^  auf,  als  Erscheinung  der 
,^faehen  Central-  und  Widerstandskräfte'*  eines  Dinges,  nicht  als  totes  Sub- 
strat (Leib  u.  Seele  8.  30  ff.).     Der  Stoff  ist  nur  die  Erscheinung  der  Eraft^ 
ist  an  sich  Kraft,  Widerstandskraft  (Gott  u.  d.  Nat  S.  456  ff.,  19).    Ähnlich 
K.  Snell  (Streitfr.  d.  Mat.  8.  327).    Nach  M.  Carriere  ist  die  Materie  „das 
Phänomen,  die  Erscheinung  des  Zusammentreffens  der  Kraft  in  uns  mit  Kräften 
außer  uns;   die  Kräfte  in  ihrer    Wechselbeziehung  bringen  den  Stoff  hervor*' 
(Sittl.  Weltordn.  8.  32).    Die  Materie  ist  Widerstandskraft  (1.  c.  S.  33).    Nach 
J.  H.  Fichte  ist  die  ausgedehnte  Materie  nur  ein  „Phänomen  .  .  .  auf  dem 
Augenpunkte  unseres  Beumßtseins",  Erscheinung,  Bild  eines  Realen  (Psychol.  I, 
34  f.).     E.  y.  Hartmann  bestimmt  die  Materie  (die  vom  sinnlichen  „Stoff" 
zu  unterscheiden  ist)  als  „System  von  Atomkräften",  „Dynamidensystem"  (wie 
Rei>tenbacher),  „System  von  Atomkräften  mit  gewissem  Oleichgewichtsxustande" 
(Philos.  d.  Unbew.*,  S.  474,  484),   objective  Erscheinimg  unbewußter  Willens- 
kräfte (s.  d.).    Der  Begriff  der  Materie  ist  nicht  zu  eliminieren  (Weltansch.  d. 
mod.   Phys.   8.  206  ff.;    ähnlich  A.   Drews,    Das   Ich    8.  261   ff.).     Nach 
R.  Hamerlinq  ist  die  Materie,  genau  besehen,  ein  Immaterielles  (Atomist.  d.  Will. 
II,  47).    „Materie  ist  in  alle  Ewigkeit  nichts  anderes  als  die  Combvnation  sinn- 
ßüiger   Wirkungen  immaterieller  Kräfte^'  (1.  c.  S.  49),  nur  „Folgeerscheinung 
von  Kraft",  nicht  Ursache  und  Träger  derselben  (1.  c.  S.  50  f.;  ähnlich  Nietzsche, 
8.  Mechanisch).    Nach   G.   Spicker  ist  die   Materie  „nichts   anderes  als  die 
mittelst  der  Empfindung  vorgestellte  Kraft"  (K.  H.  u.  B.  S.  195).    Dynamisch  be- 
itimmen   die    Materie    auch  Vacherot   (La  science   et  la   conscience    1865), 
Ch.    Leveque  (La  science  et  Finvisible   1865),   Bouillier  (Le  princ.  vitale*, 
1874),  P.  Janet,  Wallace,  Zöllner,  A.  Wiesner.    Nach  Hellenbach  ist 
iie  Materie  nur  eine  Zusammensetzung  individueller  Kraftwesen  (Der  Individual. 
S.  188).    Ein  System  von  Kräften  ist  sie  nach  du  Prel  (Mon.  Seelenl.  8.  301). 


640  Materie. 

0.  Caspari  führt  die  Materie  auf  Kraft  zurück  (Zuaammenh.  d.  Dinge  S.  5). 
Nach  F.  Erhardt  liegt  die  Bealität  der  Materie  in  der  Kraft  (WechfidiriiL 
zw.  Leib  u.  Seele  S.  101  ff.).  —  Nach  Renouvier  ißt  die  Materie  die  Er- 
scheinung von  Monaden  (s.  d.).  Feghner  betrachtet  das  Materielle  ak  die 
Erscheinung  desselben,  was  an  sich  geistig  ist  (Zend-Av.  II,  164).  GreistigeiD 
und  Materiellem  liegt  ein  Wesen  zugrunde  (1.  c.  II,  149).  Die  Biaterie  ist  für 
den  naiven  Verstand  das  y^Handgreifliehe^^,  für  den  Physiker  die  y^gemeüuk 
Unterlage  der  Naturerscheinungen"  (PhysikaL  u.  philos.  Atom.*,  8.  105  fx 
Nach  H.  iSPENCER  ist  die  Vorstellung  der  Materie  „nur  das  Symbol  irgend  einer 
Farm  jener  Macht ,  ,  ,,  die  uns  absolut  und  ßir  i/mmer  unbekannt  bleibt^  (Flsychd. 

1,  §  63;  First,  pnnc.  §  16).  yyDie  Darstellung  aller  obfeetiven  latigkeiten  tu 
Ausdrücken  der  Bewegung  ist  nur  eine  Darstellung  und  nieht  eine  BSrhenmtnit 
derselben"  (Psychol.  I,  §  63,  ß.  166).  Die  Vorstellung  der  Materie  beruht  auf 
der  Wahrnehmung  des  Widerstandes.  „M  follows,  that  forees  are  siantUng  in 
eertain  relations  from  the  tohole  content  of  our  idea  of  mattet*^  (First  princ  I. 
§  3).  Lewes  erklart:  f,Matter  is  the  feit  vieioed  in  iis  statieal  aspeet^'  (ProbL 
II,  262).  yyForc^'  ist  „activity  of  the  feU".  „Matter  is  the  symbol  ofaüthe 
known  properties"  (L  c.  p.  264).  Rishl  bestimmt  die  Materie  als  die  (phäno- 
menale) „Substanz  im  Räume" y  yydie  von  den  räumlichen  Empfindungen  de» 
Drucks  und  des  Widerstandes  abgeleitete  Vorstellung  des  Realen^  als  Substrat  der 
obfecHven  Teilvorstellung"  (Philos.  Kritic.  II  1,  274  f.).  Nach  B.  Wähle  ist 
die  Materie  eine  bloße  subjective  Wirkung,  eine  Vorstellung;  ihr  entspricht 
eine  imbekannte  Ursache  (Kurze  ErkL  S.  172).  Sie  ist  kein  Agens,  ist  ohne 
Kräftigkeit  (Das  Ganze  d.  Phüos.  S.  107  ff.).  Nach  Maiklaitdeb  ist  die 
Materie  yydie  apriorische  gemeinsame  Form  für  alle  Sinneseindrüeke^^  (Philos. 
d.  Erlös.  S.  7). 

Frohbchammer  setzt  das  Wesen  der  Materie  in  die  Baumlichkeit  (Die 
Phantas.  S.  230),  Czolbe  in  die  Ausdehnung  (s.  d.).  Nach  £.  Dühbikg  ist 
die  Materie  der  yy Träger  alles  Wirklichen"  (Log.  8.  201),  das  yyWeUmedimm'^ 
als  yylnhegriff  aller  Regungen  und  Kräft^^^  y,ein  großer  Gesamtkörper,  der  unter 
sich  relativ  getrennte  Gruppen  befaßt*^  (ib.).  Nach  Lord  Ejblyik  ist  die  Materie 
eine  durch  Wirbelbewegung  entstehende  Differenzierung  des  Äthers,  sie  besteht 
aus  Wirbelatomen  (yyvortex  atoms").  —  Moleschott  betont :  „Kein  Stoff  ohne 
Kraft,  Aber  auch  keine  Kraft  ohne  Stoff'  (Kreisl.  d.  Leb.«,  S.  394).  So  andi 
L.  BÜCHNER  (Kr.  u.  St  S.  2).  Nach  Du  Bois<  Retmond  sind  Kraft  mid 
Materie  nur  Abstractionen  der  Dinge  ohne  isolierten  Bestand  (TJntexB.  fibi  d. 
tier.  Elektric.  I,  S.  XLI).  Das  Wesen  der  Materie  ist  unerkennbar  (L  e.  L 
105  ff.).  —  Überweg  erklärt:  ,,Maierie  und  Kraft  —  bexeichnen  die  xuseifaeke 
Auffassung  einer  untrennbaren  Einheity  einesteils  durch  die  Sinnesi 
anderesteils  nach  der  Analogie  der  inneren  Wahrnehmung  von  unserer 
Willenskraft''  (Log.  S.  84).  Nach  Überweg  sind  Materie  und  Kraft  „nur  *i«i 
verschiedene  Weisen  der  Auffassung  des  nämlichen  Seins",  yyMat&rie  ist  sinn- 
lich angeschaute  Kraft.''  „Kraft  ist  die  nach  der  Analogie  der  ifmem  Wahr- 
nehmung, insbesondere  der  Wahrnehmung  von  unserem  Wollen  ^  vorgestellte 
Realität  der  erscheinenden  Materie"  (Welt-  und  Lebensansch.  S.  52  f.).  Nach 
Hagemann  sind  Kraft  und  Stoff  nicht  zu  trennen,  y,  Betrachten  wir  nämUA 
die  Körper  in  ihrem  vdrkungslosen  Dasein  als  das  Raumerfüllende,  Bekarriiek^^ 
was  aus  sich  nicht  zur  Bewegung  oder  xur  Ruhe  kommt,  so  nennen  wir  dieses 
Stoff  oder  Materie,     Dasjenige  hingegen,  was  den  verschiedenen  Bigensekaftm 


Materie*  641 

und  Wirkungsweisen  der  Körper  xtigrunde  liegt,  nennen  tcir  die  Kräfte  der^ 
selben''  (Met.«,  S.  65). 

BoBiKET,  Goethe,  L.  Noire,  L.  Geiger,  E.  Häokel,  Bölsche,  Clif- 
FORD,  BoMANES  u.  a.  (s.  Hjlozoismufi)  schreiben  der  Materie  Leben,  Trieb, 
Empfindung  zn. 

Nach  Wtrinyr  ist  der  Begriff  der  Materie  der  Niederschlag  der  begrifflichen 
Verarbeitung  der  äußern  Erfahrung,  für  die  allein  er  Gültigkeit  hat;  sie  ist  ein 
Hülfsbegriff  zur  Erledigung  der  naturwissenschafüiehen  Aufgaben,  der  aus  dem 
„Bedürfnis  der  GauscUerklänmg  stammt.  Hypothetisch  ist  dieser  Begriff  ifisofemj 
als  tersehiedene  Voraussetzungen  über  die  Eigenschaften  der  Materie  denkbar 
sindf  tpelche  Postulate  der  Änschatmng  sind."  Die  Materie  wird  gedacht  als 
y,d€^  Substrat  der  in  den  äußeren  Anschauungen  gegebenen  Erscheinungen",  als 
,,Siix  der  Kräfte  oder  der  Energien** ,  als  System  der  Ausgangs-  und  Angriffs- 
punkte der  Kräfte.  Die  Materie  ist  die  Form,  unter  der  unser  Denken  die  ihm 
gegebenen  Objecte  appercipiert,  begreift  (Log.  I«,  537  ff.,  548  ff.,  626  ff.;  II«, 
1,  327  ff.;  Syst.  d.  Phüoe.»,  S.  284  ff.,  438,  461  ff.;  Philoe.  Stud.  II,  187,  X, 
11  ff.,  Xni,  80).  yjDie  Materie  ist  ein  Begriff  und  keine  Anschauung,  Die  letztere 
hat  es  nur  mit  zusammengesetzten  Körpern  zu  tun.  Die  Erscheinungen^  welche 
an  diesen  sich  darbieten,  nötigen  uns  erst,  jenen  hypothetischen  Begriff  zu  bilden, 
der  den  Zusammenhang  der  Erscheinungen  deuüieh  machen  soll"  (Ess.*,  8.  36). 
In  den  ursprünglichen  Bedingungen  der  Naturerkenntnis  liegt  die  Aufgabe,  die 
Natur  als  ein  System  beharrender  Subetanzelemente  zu  begreifen,  die  nur 
^ufiere  CausalitätsTerhaltnisse  zueinander  darbieten  (Syst.  d.  Philos.',  8.  275). 
I>aher  ist  die  Materie  nicht  zu  eliminieren  (ib.).  An  sich  jedoch  gibt  es  keine 
Materie  als  Wesen,  sondern  Tätigkeit,  Willen  (s.  d.).  Der  Satz  von  der  Con- 
stanz  der  Materie  ist  ursprünglich  eine  Denkforderung,  alle  Veränderung  in 
das  Princip  der  CausaUtät  aufzunehmen.  „Die  materietle  Substanz  bleibt  be- 
harrlich, weil  ihre  Causalität  als  ein  bloßes  Princip  äußerer  Veränderungen 
angenommen  ist»  Diese  äußeren  Veränderungen  bestehen  in  räumlichen  Lage' 
Änderungen,  also  in  einem  bloßen  Wechsel  der  äußeren  Relationen  der  Substanz- 
elemente,  wobei  die  Elemente  selbst  constant  bleiben  "  Auf  die  äußeren  Belationen 
der  Dinge  muß  sich  die  Naturwissenschaft  beschränken  (Syst.  d.  Philos.*,  S.  260  ff. ; 
PhiloB.  Stud.  II,  182,  187  f.).  Uphües  führt  die  Materie  auf  Undurchdring- 
lichkeit zurück  (Psychol.  d.  Erk.  I,  85).  Nach  Thomson  und  Tjlit  ist  die 
Materie  „that  which  can  be  perceived  by  the  senses**,  „that  which  can  be  acted 
-upon  by,  or  can  exert  force"  (Natural  Philos.  161).  Ejioma.n  erklärt:  „Die 
Materie  kann  nicht  aus  nichts  entstehen  oder  sich  in  nichts  verwandeln.  Da- 
gegen ist  die  Behauptung  von  dem  constanten  Quantum  der  Materie  in  der  Welt 
mit  Unrecht  ais  notwendiges  Princip  aufgestellt*  (Unsere  Naturerk.  S.  289  ff.,  296). 

Der  erkenntnistheoretische  Idealismus  (s.  d.)  erblickt  in  der  Materie  nur 
•ein^i  für  die  Interpretation  der  Erfahrungen  notwendigen  Begriff  oder  eine 
Vorstellung.  So  Schubebt-Solderk,  dem  die  Materie  „ein  räumliches  Zu- 
^satntnen  sinnlicher  Qualitäten"  ist,  deren  Grundlage  der  „qualitativ  bestimmte, 
also  anschauliche,  conerete  Raum"  ist  (Gr.  e.  Erk.  S.  59,  63).  Schuppe  definiert 
die  Materie  als  einen  „mit  Sinnesqualitäten  erfüllten  Raum"  (Log.  S.  83).  Ahn- 
lich T.  Lbclaib,  M.  KA.UFFMAKN  (vgl.  Immanenzphüosophie).  Collyns- 
&OL01S  betont,  „that  there  is  no  maierial  suhstance  in  the  Universe"  (Universal 
Inunaterial.  p.  198  ff.).  Eine  vom  Erkennenden  unabhängige  Materie  gibt  es 
jdcht  nach  J.  F.  Ferrier,  Green,  Bradley  u.  a.    Nach  H.  Cohen  ist  die 

Phlloaophi*eli6fl  WOrUrbaoh.    S^  Aufl.  41 


642  Materie. 

Materie  die  „objeetivierte  Empfindung^* ^  y^dd^enige  Gruppe  von  Erscheinungen 
des  BezvußtseinSy  an  welcher  mr  die  andere  Gruppe  derselben,  die  psychischen^ 
studieren  müssen"  (Princ.  der  Infin.  S.  153).  jyMaterielle  Teüehen  sind  xunächat 
geometrische  Punktey  an  welchen  dynamische  Bexiehungen  verrechnet  werdem, 
und  welche,  sofern  solche  dynamischen  Bexiehungen  der  Rechnung  gemäß  unier 
ihnen  obwaUen,  %u  maierieUen  Punkten  und  Teilchen  werden*''  (1.  c.  S.  134). 
Stoffliche  MaBsenpunkte  sind  nicht  anzunehmen  (L  c.  S.  135).  Nach  ZnsHKW 
ist  die  Materie  nur  eine  allgemeine  Hypothese,  sie  ist  nicht  Erlebnis,  sondem 
zu  den  Empfindungen  und  Vorstellungen  hinzugedacht  als  Ursache,  als  In- 
begriff von  Eraftcentren  (Leitfad.  d.  physiol.  Psychol.*,  S.  2.5).  Nach  Münster- 
BEBO  ist  die  Materie  nicht  in  den  wirklichen  Dingen,  sondem  nur  in  den 
physikalischen  Objecten,  den  Producten  einer  Abstraction,  wirksam  (Grdz.  d. 
Psychol.  I,  390).  Sie  ist  ein  „Äbschlußbegriff  für  die  Ausarbeitung  der  Qhjeßt/t^ 
(1.  c.  S.  391).  Nach  Cufford  ist  die  Materie  „^'n  Gedankenbild,  in  dem  Seelen-- 
Stoff  (ymind-stufp,  s.  d.)  das  vorgestellte  Ding  ist**,  ein  Bild  des  Wirklichen  im 
Geiste  (V.  d.  Nat  d.  Dinge  an  sich  S.  47).  Nach  E.  Mach  ist  die  Materie 
nur  „ein  Gedatikensymbol  für  Empfindungen"  (Populärwiss.  Vorles.  S.  230),  „em 
gewisser  gesetzmäßiger  Zusammenhang  der  Elemente**,  wobei  das  „Verbindungs- 
gesetx**  daa  Bestandige  ist  (Analys.  d.  Empfind.  S.  222  f.).  ,J)as  Ding,  der 
Körper,  die  Materie  ist  nichts  außer  dem  Zusammenhang  der  FcMrben,  Töne  «.  s.  it., 
außer  den  sogenannten  Merkmalen**  (Analys.  d.  Empfind.^,  S.  5).  Die  Annahme 
eines  Stoffes  als  absoluten  Trägers  der  Kraft  ist  eine  Illusion.  So  auch  nach 
Ostwald,  der  den  Begriff  der  Materie  ganz  eUminieren  und  durch  den  der 
Energie  (s.  d.)  ersetzen  will  (Überwind.  d.  wissensch.  Material.).  Materie  ist  nichts 
als  „eine  räumlich  xuswinmengesetxte  Gruppe  verschiedener  Energien*'^  (L  c.  S.  28), 
ein  „räumlich  xusammengeordneter  Complex  gewisser  Energien**  (VorL  üb.  Natnr- 
philoe.^  8.  245).  „Dadurch  .  .  .,  daß  eine  Anxahlvon  Eigenschaften,  wie  Maese^ 
Gewicht,  Volum,  Gestait  und  Farbe,  dauernd  örtlich  beisammen  bleibt  und  sieh 
xum  Teil  gar  nicht  (wenigstens  nicht  meßbar),  xum  Teil  nur  in*  geringem  Maße 
mit  der  Zeit  und  den  äußeren  Umständen  ändert,  ist  der  Begriff  eines  von  aller 
Zeit  und  edlen  Umständen  unabhiCngigen  Trägers  entstanden,  an  dem  diese 
Eigenschaften  haften**  (Energet.  S.  5).  Ähnlich  lehrt  Tait  (Properties  of  Matter 
1886;  ygL  auch  die  Arbeiten  Stallos).  fi.  Corneuus  betont:  „Von  einem 
Gegensätze  xwischen  der  Welt  der  Erscheinungen  und  einer  unabhängig  von 
diesen  Erscheinungen  bestehenden  materiellen  Welt  im  Sinne  eines  GegensaiJLes 
jbloßer  Erscheinung*  und  ,wahren  Seins*  ist  hier  nicht  mehr  die  Rede:  die 
materielle  Welt  ist  ihrer  empirischen  Bedeutung  nach  nur  ein  abgekürzter  Aus- 
druck  für  die  gesetzmäßigen  Zusammenhänge  der  Erscheinungen**  Die  „  JHoMen^ 
und  „Kräfte^*  sind  nichts  als  solche  Zusammenhänge;  „der  Wert  dieser  Be- 
griffe beruht  nur  darin,  daß  durch  ihre  Einführung  die  Beschreibimg  unserer 
Erfahrungen  eine  Vereinfachung  erfahrt^*  (Einleit.  in  d.  Philos.  S.  327).  — 
Gegen  die  „reine  Energetik^'  sind  Wundt,  E.  v.  Hartmaki?  u.  a.  Biehl  be- 
merkt: „/n  den  Capacitäten  .  .  .  steckt  der  empirische  Begriff  der  Materie^ 
statt  diesen  Begriff  wirklich  eliminieren  zu  können,  hat  die  Energetik  ihn 
anders  benannt.  Mag  die  Materie  immerhin  ein  Abstr actum  sein,  darum  ist 
noch  kein  bloßes  Gedankending;  sie  ist  überhaupt  kein  Ding,  sondem  die  Vor- 
stellungsart von  Dingen  durch  die  äußeren  Sinne"  In  jedem  physikaliseiien 
Erscheinungsgebiete  treffen  wir  auf  besondere  Größen,  die  wir  uns  natorgemäß 
nur  unter  dem  Bilde  der  Materie  vorstellen  können.    „Wir  werden  die  Materie 


Katerle  —  Mathematik.  643 

nieht  los,  wie  tcir  den  Baum  nicht  los  werden^^  (Zur  Einf.  in  d.  PhiloB.  S.  148  f.). 
Vgl  J.  C.  S.  Schiller,  Biddles  of  the  BphiIlx^  1894;  Kramab,  Das  Problem 
d.  Materie;  Siowabt,  Log.  TP,  244  ff.,  705;  Maxwell,  Matter  and  Motion, 
dtscL  1875;  Baeüiikeb,  Problem  d.  Materie;  Chevreuil,  B^sum^  d'une  histoire 
de  la  mati^e  1878.  Vgl.  Körper,  Object,  Substanz,  Kraft,  Unendlichkeit, 
Atomy  Element,  Materiell. 

BlatialeU  {vXiMoSf  materialis):  stofflich,  körperlich,  von  der  Natur  der 
Materie  (s.  d.).  Materialität:  Stofflichkeit,  Körperlichkeit  (vgl.  Thomas, 
Sum.  th.  I,  14,  Ic).  Nach  Goglen  ist  y,m€Uerialef*  das  „constans  ex  maieria", 
r^quod  maierias  ancUogum  est^^  (Lex.  philos.  p.  670).  Nach  Fbies  ist  (wie  nach 
Kant)  materiell,  „iceu  iwm  MomnigfcUHgen  gehört^  (Syst  d.  Log.  8.  99). 
ScHOFENHAUEB  bestimmt  das  Materielle  als  ,/ia»  Wirkende  überkaupt^^  (W.  a. 
W.  u.  V.  II.  Bd.,  C.  24).  Nach  Fechner  ist  das  Materielle,  „tro«  anderem  als 
sieh  aelbat  erseheint'  (Zend.  II,  164).  £.  v.  Hartmaitn  nennt  materiell  „eine 
solche  Anordnung  bestimmter  Kraftäufierungeny  dtireh  welche  die  subfectiv  ideale 
ßraeheinung  einer  stofflichen  RaumerfiUlung  im  Bewußtsein  eines  wahrnehmenden 
Beobaekiers  hervorgerufen  wird^^  (Mod.  PsychoL  S.  366).    Vgl.  Physisch. 

MaterieUe  Ideen  s.  Ideen. 

Materllerens  Materie  setzen,  materiell  werden.  Von  den  Kräften  ist 
nach  E.  v.  Hartmann  ein  Teil  y,materiierend**. 

Matlieina  (/uzd^fAUf  z.  B.  fidytatov  fidd^ua:  Plato,  Kep.  VI,  505  A  squ.) 
ist  nach  E[ant  ein  apodiktischer  Satz,  und  zwar  ein  „direct  synthetischer  Satx" 
durch  „Construetion  der  Begriffe^',  während  ein  Dogma  (s.  d.)  ein  solcher  Satz 
,fim  BegHffm''  ist  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  563  f.). 

MatlieniatllL  (juid'riiiaTMcri,  Wissenschaft) :  Wissenschaft  von  den  Größen, 
Quantitäten  (s.  d.).  Sie  ist  eine  Anwendimg  der  logischen  Denktätigkeit  und 
der  logischen  Gresetze  auf  allgemeinste  Inhalte  des  Denkens,  eine  höchst  ab- 
stracte  Wissenschaft.  In  den  logischen  Functionen  und  Gesetzen  sowie  in  der 
Eigenart  der  Anschauungsformen,  besonders  des  Baumes  (s.  d.),  liegt  die  Quelle 
der  Sicherheit  und  Evidenz  der  mathematischen  Axiome  (s.  d.)  und  Sätze.  Da 
die  mathematischen  Operationen  consequente  Anwendungen  der  Denkfunctio- 
nen,  die  in  aller  Erfahrung  die  gleichen  bleiben  müssen,  auf  die  Inhalte  der 
Erfahrung  sind,  so  gelten  die  mathematischen  Principien  für  alle  mögliche 
Erfahrung  und  alle  &fahrung8objecte,  auf  die  sie  sich  überhaupt  beziehen,  im 
vorhinein,  a  pnori,  mit  Notwendigkeit. 

Der  BationaÜsmus  (s.  d.)  wertet  oft  das  mathematisch-demonstrative  Ver- 
fahren so  hoch,  daß  er  es  auf  die  Philosophie  (Metaphysik)  zu  übertragen  sucht. 
Dem  Empirismus  wiederum  gilt  die  Mathematik  als  formales  Hülfsmittel  zur 
EIrförBchung  der  erfahrungsmäßig  gegebenen  Wirklichkeit.  Während  der 
iprioiismus  (s.  d.)  die  Axiome  der  Mathematik  als  a  priori  in  den  Anschauungs- 
formen gegründet  betrachtet,  will  sie  der  Empirismus  aus  Erfahrung  und  In- 
luction  (s.  d.)  ableiten. 

Die  Pythagoreer  werten  die  mathematischen  Principien  (Zahlen,  s.  d.) 
üs  Seinsprincipien.  Nach  Plato  stehen  die  mathematischen  Dinge  in  der  Mitte 
irischen  den  immer  werdenden,  nie  seienden  Sinnendingen  und  den  ewig 
leienden  Ideen.  Die  Mathematik  leitet  zur  Philosophie,  zur  Dialektik  (s.  d.)  an 
vgL  Rep.  525  D,  527  A;  Phileb.  56,  57,  58  A).  Unter  allen  Wissenschaften 
außer  der  Dialektik)  hat  die  Mathematik  die  größte  Exactheit  und  Gewißheit. 

41* 


644  Kathematik. 


Gegen   die  Trennung  des  Mathematischen    vom   Sinnlichen  polemisiert  Asu- 
8TOTELE8  (Met.  II,  2,  998a  7  squ.,  XII  2,  1076b  11  squ.). 

Erkenntnistheoretische  Bedeutmig  erhalt  die  Mathematik  wieder  durch  die 
Forschimgen  eines  Eopebniktjs,  Kepler,  Gaulel  Das  Urbild  aller  Exact- 
heit  und  Sicherheit  des  Erkennens,  der  Klarheit  und  Deutlichkeit,  erblickt  in  der 
reinen  Mathematik  Descarteb  (Medit.  V).  Das  mathematische  Erkennen  at- 
hält  etwas  Überempirisches  (E^p.  aux  cinq  obj.,  Oeuvr.  publ.  par  Coasin  II, 
p.  290).  So  auch  nach  Leibniz  (Nouv.  Ess.  I,  eh.  1 ;  IV,  eh.  17 ;  Math.  WW. 
VII,  17  ff.).  —  Spikoza  stellt  sein  philosophisches  System  geradezu  y/non 
geometrico"  dar;  y/'ationes,  Dei  existentiam  et  animae  a  corpore  disttnetionm 
probanies,  more  geometrieo  dispasttae^^  schon  bei  Descartes  ( Append.  zu 
den  Medit.).  Das  mathematisch-beweisende  Verfahren  schätzt  auch  Tbghibf- 
HAÜ8EN,  und  auch  Chr.  Wolf  wendet  es  philosophisch  an.  —  Büdioeb  betoot 
hingegen  den  Unterschied  von  mathematischer  und  philosophischer  Demonstratioii; 
jene  geht  vom  Möglichen,  diese  vom  Bealen  aus.  Nach  Berkeley  ist  die 
Mathematik  keineswegs  frei  von  Irrtümern  (Princ.  CXVIU).  Hüme  betrachtet 
die  Mathematik  als  eine  demonstrativ-apriorische,  analytische,  deductive  Wissen- 
schaft (s.  Demonstration).  Nach  Mendelssohn  gründet  die  Mathematik  Dir 
Gewißheit  auf  das  allgemeine  Axiom ,  daß  nichts  zugleich  sein  und  nicht  san 
könne  (Abh.  üb.  d.  Evid.  B.  13),  auf  den  Satz  des  Widerspruchs  (ib.).  In  der 
Mathematik  überhaupt  werden  unsere  Begriffe  von  der  Größe,  in  der  Geometrie 
die  Begriffe  von  der  Ausdehnimg  entwickelt  und  auseinandergesetzt  (L  c 
S.  13  f.).  Die  Mathematik  ist  eine  analytische  Wissenschaft  (1.  c.  B.  14).  Die 
Gewißheit  der  geometrischen  Wahrheiten  stützt  sich  nur  ,yauf  die  unveräfider- 
liehe  Identität  eines  eingetci^elten  Begriffs  mit  den  abgeleiteten  eniviebelien 
Begriffen**  (1.  c.  S.  35  f.).  Aber  das  gilt  nur  von  der  „reinen  tkeoretist^ 
Mathematik**.  „Sobald  wir  von  einer  geometrischen  Wahrlieü  in  der  Ausiänrng 
Öebraueh  machen  ,  .  .,  so  muß  ein  Erfahrungssat»  xum  Gründe  gelegt  uerdm^ 
welcher  aussagt,  daß  diese  oder  jene  Figur y  Zahl  u.  s.  w.  wirklich  Vorhemden  «er* 
(1.  c.  S.  36). 

Kant  erklart  in  der  Schrift  „De  mundi  sens.  et  inteUig,  forma  .  .  .^ 
die  reine  Mathematik  als  das  Muster  der  höchsten  Gewißheit;  indem  sie  die 
Form  der  sinnlichen  Erkenntnis  behandelt,  ist  sie  das  Organon  jeder  sinn- 
lichen und  deutlichen  Erkenntnis  (1.  c.  sct  II,  §  12).  In  der  yyKrit.  d.  rem, 
Vem**  betont  er  das  Gleiche,  lehrt  die  apriorische  (s.  d.)  Grundlage  der  matl»- 
matischen  Axiome  (s.  d.)  und  die  synthetische  (s.  d.)  Natur  der  nuithematiscbfli 
Grundsätze.  Beine  Mathematik  ist  niu:  möglich,  weil  es  apriorische,  notwend^ 
Bedingungen  aller  Erfahrung,  Eaum  und  Zeit  (s.  d.)  gibt  Auf  die  Metaph 
kann  die  „mathematische  Methode^*  nicht  angewandt  werden.  Novalis  sii 
im  Mathematischen  den  realisierten  Verstand.  Nach  J.  J.  Wagnee  sind 
Verhältnisse  mathematische  Verhältnisse.  Die  Mathematik  ist  das  eigentli^ 
Organ  der  Erkenntnis  (Mathemat.  Philos.  1811).  —  Schopenhauer  verlang 
(im  Gegensatze  zur  begrifflich-deductiven  EuKLiDschen  Mathematik)  „die  Zurikt 
führung  jeder  logischen  Begründung  auf  eine  anschatäiche'*).  Bei  Euklid  erfibl 
man  nicht,  warum  das  Demonstrierte  so  und  nicht  anders  ist  Die  mathe« 
matische  Erklärung  und  Gewißheit  fußt  auf  dem  Satz  vom  Grunde  (s.  d. 
(Welt  a,  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  15;  II.  Bd.,  C.  13).  J.  St.  Mill  betont  die  in- 
ductive  Grundlage  der  Mathematik  (s.    Axiom).     R.  Shüte   hält  die  math^ 


Mathematik.  645 


matisclieii  Gesetze  für  bloß  relativ,  für  menBchlich  bedingt  (Discourse  on  tnith 
p.  264  f.,  289). 

Nach  0.  Cabpabi  entwickelt  die  Mathematik,  die  sich  zum  Principe  der 
Philosophie  erhebt,  „etVie  Metaphysik  schlimmster  Art^^  (Grund-  und  Lebensfrag. 

5,  38).  yyReine  Ebene^^^  ^^reiner  Baum^^  u.  s.  w.  sind  metaphysische  Voraus- 
setzungen der  Mathematik  (L  c.  8.  39).  Die  sogen,  reine  Mathematik  ist  in 
Wahrheit  eine  „streng  aneUytische,  somit  atich  ihrem  begrifflichen  Wesen  nach 
eine  rein  metaphysische  Wissenschaft^^,  Sie  „vollfährt  alle  ihre  Ckm- 
siruetianen  nur  auf  Grundlage  einer  Abstraetionj  welche  erlaubt,  alle  ihre 
Säixe  und  Folgerungen  mit  Hülfe  des  ScUxes  vom  Widerspruch  xu  beweisen'^ 
(L  c.  S.  40).  Nach  Wttndt  hat  die  Mathematik  die  Aufgabe,  „die  denkbaren 
Q^fUde  der  reinen  Anschauung,  sowie  die  auf  Qrund  der  reinen  Anschauung 
voUxiehbaren  formalen  Begriffsconsiructionen  in  Bexug  auf  aUe  ihre  Eigenschaften 
und  wechselseitigen  Relationen  einer  erschöpfenden  Untersuchung  zu  unter- 
werfen^*. Sie  ist  eine  rein  logische  Wissenschaft  (Log.  IP  1,  S.  88  ff.).  Die 
mathematischen  Axiome  sind  durch  Induction  entstanden  (1.  c.  8.  114  ff.).  Nach 
F.  BCHULTZE  hat  die  Mathematik  apriorische  Fundamente  (Philos.  d.  Natur- 
wiss.  II,  118  ff.).  yj)ie  reinen,  mathematischen  Anschauungen  der  geometrischen 
Gebilde  und  ebenso  die  reinen  und  abstracten  Anschauungen  der  Zahlen  ent-  und 
bestehen  aus  dem  Empfindungsmaterial  des  Qemeingefühls ;  aus  ihm  construiert 
der  causal  verknüpfende  Geist  seine  mathematisch  reinen  Formgebilde  oder 
Anschauungen**  (L  c.  II,  320).  Nach  H.  Cohen  muß  auf  Mathematik  alles 
reduciert  werden  können,  was  irgend  als  Naturwirklichkeit  soll  behauptet  werden 
können,  wenngleich  nicht  alle  Eigentümlichkeiten  der  letzteren  ohne  Best  in 
liathematik  ansehen  (Princ.  d.  Infin.  8.  143).  Der  Begriff  des  Infinitesimalen 
ist  der  Trager  der  mathematischen    Naturerkenntnis  (s.    Unendlich).     Nach 

6.  Heyhan  sind  die  arithmetischen  Sätze  analytisch  (Ges.  u.  Elem.  d. 
wissensch.  Denk.  8.  115  ff.,  125  f.).  Nach  Vacheeot  ist  die  Mathematik  „la 
seienee  des  rapports  abstraits  ou  exterieurs  des  choses,  telles  que  VimaginaHon 
nous  les  represente**  (M6t  III,  p.  211).  Nach  Krouajs  ist  in  der  Matiiematik 
die  Anschauung  das  producierende,  der  Satz  der  Identität  das  controllierende 
Princip  (Unsere  Naturerk.  S.  151  ff.).  Die  Mathematik  ist  eine  apriorische 
Wissenschaft  wie  die  Logik,  d.  h.  ein  „System  von  allgemeingültigen  und 
allgemeinen  Gewißheiten  und  Genauigkeiten**,  eine  Ideal-  oder  Form- 
wifisenschaft  wie  die  Logik  (L  c.  S.  139,  143).  M.  Palagti  nennt  die  Mathe- 
matik die  „Wissenschaft  von  der  neutralen  Besinnung**,  weil  in  den  mathe- 
matischen Urteilen  kein  Unterschied  zwischen  dem  Subjecte  und  dem  Prädicate 
gemacht  wird  und  das  Identitätsprincip  die  Gestalt  des  Principes  der  Gleichheit 
annimmt  (Die  Log.  auf  d.  Scheidewege  S.  270  ff.).  Da  die  Mathematik  die 
Objecte  völlig  durch  Symbole  zu  ersetzen  vermag,  ist  sie  die  symbolische  Wissen- 
schaft par  excellence.  „  Trotx  ihrer  großen  Selbstherrlichkeit  darf  sie  jedoch  den 
lebendigen  Contact  einerseits  mit  der  Physik,  anderseits  mit  der  Logik  (Meta- 
physik) nicht  aufgeben  .  .  .  Sie  ist  ihrem  ganzen'  Wesen  nach  die  haarscharfe 
Orenxe  zwischen  Physik  und  Metaphysik*  (L  c.  8.  273  f.).  Sie  ist  gewisser- 
maßen das  Surrogat  der  absoluten  (der  Zeit  nicht  bedürftigen)  Erkenntnis 
(L  c.  8.  274),  indem  sie  von  allen  Attributen  des  Vergänglichen  absieht  (1.  c. 
ß.  275).  Vgl.  F.  Bacon,  De  dignit  III,  6;  E.  Weigel,  Philos.  matiiem.  1693; 
Chaltbaeus,  Wissenschaftslehre  8.  120  f.;  J.  Duhamel,  Des  m^thodes  dans 
les  Sciences  de  raisoonement   1866/72;  Eheekfelb,  Zur  Philos.  d.  Mathem., 


646  Mathematik  —  Maya. 


VierteljahrsBchr.  f.  w.  Philoe.  15.  Bd.,  S.  285  ff.;  G.  F.  LiPPß,  Phüos.  Stud. 
IX — XII;  HUBSERL,  Log.  d.  Mathem.;  Cantor,  Vorlesung,  üb.  d.  Gesch.  d 
Mathem.  1894/1900;  Bauicank,  Lehren  von  Raum,  Zeit  und  Mathem.;  Slow  ART, 
Log.  II',  41  ff.  VgL  Metamathematik,  Zahl,  Baum,  Psychophysik,  Axiome, 
Bealismus,  NominalismuB,  Unendlichkeit. 

Matlieiiiatlseli  Erliabene  s.  Erhaben. 

Matlieiiiatlaelie  OewiOlielt:  Bestimmtheit,  Notwendigkeit  der  mathe- 
matischen Sätze.    VgL  A  prion. 

Matlieiiiatlselie  liosik  s.  Ijogik. 

Matlieiiiatlaelie  Psyehologie  s.  Psychophysik. 

]IEatliesi8:  Wissenschaft  (s.  d.). 

Maxlmallon  of  liapplneas  s.  Utilitarismus. 

maxlme  /"„moa^ma,  sc.  propoeitio  etve  regula'^J:  höchster  Giuadsatz  des 
Handehis,  höchstes  Willensprincip,  allgemeine  Lebensregel,  vom  Subject  des 
Handelns,  vom  Ich  selbst  gesetzt  oder  anerkannt,  praktisches  Princip. 

Der  Ausdruck  „Maaßime^^  hat  seine  Quelle  in  des  BofiTHiüS  „moa^imae  et 
prmeipales  propositiones**  („qtiarum  mdla  probatio  eaf^),  woraus  das  SubstantiTom 
„maaiima^^  hervorgeht,  das  erst  logische  Bedeutung  besitzt  („Loeorwn  alms 
dieitur  locus  mcudma",  Albert  von  Sachsen),  und  erst  im  Franzöaischai 
(„les  mooDtmes")  ethisch-praktischen  Sinn  gewinnt  (vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  IV, 
19;  78).  Die  logische  Bedeutung  noch  bei  d'AROEKS:  ^.Proposüions  evidenieg 
et  gSnercUeSy  teües  que  aont  Celles  qu'on  appelle  maximes  ou  axiomes  .  .  .  G« 
appelle  cea  premiers  prindpes  des  maximes  ou  des  axiomeSy  pareeque  ce  $omi 
des  propositions,  dont  ü  suffit  de  concevoir  le  senSf  pour  itre  eonpoincu  de  lern 
eertitude^^  (Philos.  du  Bons-Sens  I,  p.  244  1).  In  der  praktischen  Bedeatong 
schon  bei  La  Boghefoucauld  (B^flexions  ou  sentences  et  maximes  momles  16föL 
Nach  Kant  ist  Maxime  „dcu  subjectwe  PHneip  des  WoUens*^,  das  ^^nd^fedüt 
Princip  xu  handeln''  (WW.  IV,  248,  269),  y^das  stdffeetive  PHneip  xu  kandeim, 
Ufas  sich  das  SuJbject  selbst  zur  Regel  machte'  (WW.  VII,  28).  „Ich  nenne  alle 
subfeetiven  Orundsäixej  die  nicht  von  der  Beschaffenheit  des  Obfects,  sondern  dem 
Interesse  der  Vernunft^  in  Ansehung  einer  gewissen  mögliehen  Vollkontmenkeä 
der  Erkenntnis  dieses  Objects,  hergenommen  sind,  Maximen  der  Vernunft' 
(Krit.  d.  r.  Vem.  S.  518).  Nach  Fries  sind  logische  Maximen  ^fiegeln  der 
Verfahrtmgsa/rt  im  Suchen"  (Syst.  d.  Log.  S.  439).  Waitz  erklärt:  ,,/Vftnetjptf» 
sind  Orundurteile,  die  wir  als  Normen  tmseres  Denkensy  Maximen  OrtmdurteHi. 
die  wir  als  Regeln  unseres  Handelns  anerkennen'*  (Lehrb.  d.  Psycho!-  S.  646i 
Strümpell  unterscheidet  Maxime  und  Grundsatz  so,  daß  jene  als  das  Modüicier- 
bare  erscheint  (Vorsch.  S.  131).  Nach  G.  A.  Lindner  ist  eine  Maxime  (ein 
yyprttktischer  Orundsatx")  „eine  apperdpierende  Vorstellungsmasse  für  eine  be- 
stimmte Klasse  von  Wollen",  ein  „allgemeines  Wollen"  (Lehrb.  d.  empir.  PsychoL', 
S.  224  f.).  Kreibiq  versteht  unter  Maximen  ,/<»te  selbstgesehaffene  Regeln 
eines  Subfeetes  für  die  Art  des  Handelns  bei  Mntritt  einer  bestimmten  Art  von 
Wertfdüen"  (Werttheor.  S.  25). 

maya:  ursprünglich  Name  einer  Göttin,  dann  die  Ursache  der  Ulasioii, 
durch  welche  das  AU-Eine  als  sinnlich-materielle  Vielheit  wahrgenommen  wird, 
durch  den  Schleier  der  Sinne  und  der  Imagination  fy,SMeier  der  Maigt^)". 
brahmanische,  buddhistische  Philosophie,  Schopenhauer  u.  a. 


Mechanik  —  Meohftniaienmg  des  Bewußtseins.  647 

Hecliaiilk  (^i7;^arixif):  WisBenBchaft  von  der  Bewegung  (b.  d,),  zerfällt 
in  Kinematik  und  Dynamik.  Eine  „absolute^*  Bewegung  leugnen  E.  Mach, 
Streiktz  u.  a.,  während  z.  B.  Heymakb  eine  solche  annimmt,  als  den  ,fAnteil 
des  WirHiekenj  auf  wüekes  vfir  eine  BewegtmgsBrsekeimmg  hexiehen,  an  dieser 
Bewegungserscheinung^*^  (Gfes.  u.  Elem.  d.  wissensch.  Denk.  8.  425).  Unter 
Mechanik  versteht  er  „di^fenige  Wissenschaft,  welche  die  Bedingungen,  der  Be- 
greifliehkeit  gegebener  Bewegungserseheinungen  uniersuehf*  (1.  c.  8.  452).  —  Die 
mechanischen  Axiome  sind,  nach  Newton,  das  Qesetz  der  Trägheit  (s.  d.), 
das  Gresetz  der  Proportion  der  Bewegung  zur  Kraft  und  das  G^etz  der  Gleich- 
heit von  Wirkung  und  Gegenwirkung.  WuKDT  stellt  -sechs  physikalische 
Axiome  auf  (s.  Dynamisch).  —  Biomechanisch  nennt  sich  eine  biologisch- 
psychologische Bichtimg  (Ayekasius  u.  a.),  welche  die  Lebens-  imd  Seden- 
iunctionen  als  Abhängige  des  physiologischen  Systems  betrachtet.  Nach 
M.  Benedict  ist  Biomechanik  die  „Lehre  von  den  Bau- Anordnungen,  todche  das 
Auftreten  von  Lebensvorgängen  ermögliehenf  und  von  der  Art  des  Betri^fes  durch 
die  in  den  Organen  aufgehäuften  Ladungen"  (Das  biomechan.  [neovitalist] 
Denken  in  d.  Medic.  u.  in  d.  BioL  1903,  8.  3).  —  Eine  psychische  Mechanik 
sncht  Hekbart  durch  seine  Lehre  von  den  „Selbsterhaltungen**  (s.  d.)  und  von 
dem  Gleichgewichte  und  den  Bewegungen  der  Vorstellungen  (s.  d.)  in  der 
Seele  zu  construieren.  „Mit  der  Berechnung  des  Oleichgewichts  und  der  Be^ 
wegung  der  Vorstellungen  beschäftigt  sich  die  Statik  und  Mechanik  des 
Geistes"  (Lehrb.  zur  PsychoL',  8.  17;  vgl.  Hemmung,  Beproduction,  Statik). 
—  Vgl.  Kant,  Met.  Anf .  d.  Naturwiss. ;  Sghelungs  und  Hegels  Naturphilo- 
sophien; WuNDT,  Log.  II*  1;  O.  ScmcTTZ-DuMONT,  NaturphiloB.  1895;  E.  Düh- 
MNG,  Krit  Gesch.  d.  allgem.  Princip.  d.  Mechan.*,  1877;  E.  Mach,  Die 
Mechanik  in  ihrer  Entwickl.,  4.  A.  1901 ;  Lange,  Die  geschichtl.  ElntwickL  d. 
Bew^nngsbegriffes  1886.  —  Vgl.  Teleologie. 

Mecliaiilseli  (von  firjxdvrj):  durch  Bewegung,  durch  Druck  imd  Stoß, 
durch  eine  äußere  Ursache  blind  und  notwendig  hervorgebracht,  im  Gegensatz 
zum  Geistigen,  Teleologischen  (s.  d.),  automatisch.  —  Leibniz  stellt  dem 
y^neeaniquement**  das  „metaphysiquement**  gegenüber  und  betont:  „La  source  de 
la  mecanique  est  dans  la  meiaphysiqu^*  (Gerh.  III,  607).  Kant  erklärt:  j^Die 
Wirkung  bewegter  Körper  aufeinander  dttreh  Mitteilung  ihrer  Bewegung  heißt 
mechanisch**  (Met  Anf .  d.  Naturwiss.  8.  95).    Vgl.  Mechanistisch. 

Mecliaiilslerangr  ^^^  Bewnßtoelns  (der  Willenshandlungen)  be- 
steht in  dem  durch  Übung  (s.  d.)  und  Gewohnheit  (s.  d.)  erfolgenden  Auto- 
matischwerden  der  zugleich  an  Bewußtheit  bis  zum  Nullpunkte  herab  ein- 
Imßenden  psychischen  Vorgänge  (der  Willkür  —  zu  Triebhandlungen,  dieser 
zu  automatischen  und  zu  Keflexbewegimgen,  der  Denkacte  zu  Associationen). 
Auf  der  Mechanisierung  des  Bewußtseins  (durch  die  geistige  Energie  erspart 
wird)  beruhen  alle  Fertigkeiten,  femer  die  Instincte  (s.  d.). 

Fechneii  erklärt:  „Unxähliges  in  der  Natur,  ja  wohl  alles,  was  wir  von 
festen  an  sieh  unbewußten  Einrichtungen  und  Werken  in  der  Natur  bemerken, 
kann  aus  dem  Oesichtspunkte  des  Residuums  eines  dereinst  bewußten  Processes 
XU  betrachten  sein,  der  sozusagen  darin  erstarrt,  kristallisiert  ist**  (Zend-Av.  I, 
282;  dieser  Gedanke  schon  in  der  8cH£LLiNQ8chen  Naturphilosophie).  Nach 
R.  HAMEBLiNa  wird  der  bewußte  Wille  später  unbewußt  (Atomist.  d.  WiU.  I, 
268).    Die  Mechanisierung  willkürlicher  Handlungen  zu  unbewußten  Vorgängen 


648  Meohanisiarung  des  Bewudtaeins  —  KEeohanistisohe  Weltanaioht 

lehren  Lewes  (Probl.  of  Life  and  Mind),  Eohanes  (^jUipsing  inteUtffena^}, 
HöPFDiNG  (Psycho!.«,  S.  67),  Jodl  (Lehrb.  d.  PsychoL  S.  427  f.,  432)  n.  a. 
Besonders  Wuxdt.  Die  „regressive  Entwieldung  des  Wittens^*,  die  „.Mccfto- 
nisisrteng^*  desselben,  besteht  im  wesentlichen  „in  der  MiminaHon  aüer  xwisdm 
dem  Anfangs-  und  Endpunkt  gelegenen  psychischen  Mütelglieder^^,  „Sobald  sieh 
nänUieh  xusammengesetsUe  Willensvorgänge  von  übereinsiimmendem  Motirinhait 
häufiger  wiederholen,  erleichtert  sich  der  Kampf  der  Motive :  die  in  den  frukenm 
Fällen  unterlegenen  Motive  treten  bei  den  neuen  Afüässen  zunächst  sekwäeher 
auf  und  verschwinden  xtdetxi  völlig.  Die  xusammengesetxte  ist  dann  in  ei» 
einfache  oder  Triebhandlung  übergegangen,^^  Setzt  sich^die  gewohnheitam a ffige 
Einübung  der  Handlungen  weiter  fort,  so  schwächt  sich  auch  noch  das  Tri^ 
Motiv  ab,  und  es  wird  a,us  der  Trieb-  eine  automatische,  schließlich  eise 
Reflexbewegung  (Grundr.  d.  PsychoL^  S.  229  f.).  Die  Ausdrucksbew^nngcn 
(s.  d.)  sind  so  zu  erklären  (1*  c-  3*  ^^1 ;  Grdz.  d.  physiol.  PsychoL  IP,  512  fL, 
591,  594;  Ess.  8,  S.  217;  Vorles.»,  S.  422,  429,  437;  Syst  d.  Phüos.«,  S.  571  iL]. 
VgL  Ubxmg,  Unbewußt. 

nieeliaiilsiiiass  Bewegungssystem,  mechanisch  sich  verhaltendes,  be- 
wegtes Wesen;  „Mechanismus^^  ist  auch  so  viel  wie  mechanistisclie  (s.  d.)  Welt- 
anschauung. Man  spricht  auch  vom  Mechanismus  der  Seele,  vom  psychisches 
Mechanismus,  mit  Bezug  auf  den  gesetzmäßigen  (associationsmäßigen)  Ablauf 
der  Vorstellungen.  —  Einen  geistigen  Automaten  (s.  d.)  nennen  Spinoza  und 
Leibniz  die  Seele  (s.  d.).  Vom  „Mechanismus  der  Seele"  spricht  Maass  (Vers, 
üb.  d.  Einbild.  S.  235),  vom  „psychischen  Mechanismus*'  Eüxlbbrand  (s.  Vor- 
stellung) und  Herbabt  (s.  Mechanik,  Statik).  —  Nach  Sigwart  ist  Mechanis- 
mus diejenige  ^yBexiehung  einer  geschlossenen  Vielheit  unveränderlicher  Substanzen 
zueinander,  daß  sie  nach  unveränderlichen  Oesetxen  ihre  Relationen  zueinander 
ändern**  Log.  IT',  633). 

mieeliaiilstlsclie  'Weltanslclit  ist:  1)  metaphysisch  der  Materialismus 
(s.  d.),  2)  empirisch-methodologisch-heuristisch  die  (bewußt  einseitige,  abstract, 
aber  consequent  festzuhaltende  und  nur  metaphysisch-teleologisch  zu  ergänzende) 
Betrachtung  der  Natur  als  System  von  Bewegungen  und  von  meßbaren  Großen 
(quantitative  Naturbetrachtung).  Nach  der  mechanistischen  Weltansicht  muß 
jedes  Naturgeschehen  mechanisch-causal,  aus  Bewegungen  der  Materie  (s.  d.» 
interpretiert  werden.  In  der  Biologie  bedeutet  die  mechanistische  Ansicht,  im 
Gegensatze  zum  Vitalismus  (S.  d.),  die  rein  mechanische  (physikalisch-die- 
mische)  Erklärung  der  organischen  Processe. 

Die  mechanistische  Weltansicht  vertritt  (metaphysisch)  die  antike  Atomi- 
stik (s.  d.):  Jfj/iox^iTog  Si  t6  ov  ärexa  atpBis  kiyetv  ndvrtt  avayei  eis  awayKt^ 
oU  /(»^Tac  ri  fvais  (Aristot,  De  gener.  anim.  789  b  2),  LUCREZ  (De  nat  rer.  I, 
1020;  IV,  833),  der  Materialismus  (s.  d.).  —  Durch  Kopernikus,  Ebplbs, 
Galilei  erhält  die  mechanistische  Naturbetrachtung  ihre  wissenschaftliehe 
Begründimg.  Kepler  erklärt:  „Mundus  participai  quantitate,  et  mem  kominir 
(res  supramunda  in  mundo)  mhil  rectius  intelligii,  quam  ipsas  quantitaie$, 
quibus  pereipiendis  factus  tnderi  polest**  (Epist.  de  harmon.,  Op.  V,  28).  Doch 
nimmt  Kepler  noch  Gestimgeister  als  Agentien  an.  Zur  Verbreitung  dieser 
Naturbetrachtung  tragen  F.  Bagon  (der  die  Teleologie  in  der  Naturwissenecbaft 
selbst  ausschließt)  und  noch  mehr  Hobbes  bei,  der  sie  auch  auf  das  PäyduBche 
(s.  d.)  überträgt.    Femer  Dbbcartbs,  dem  die  Ausdehnung  als  einziges  Attribiit 


KEeohanistiBohe  Weltanaloht.  649 

der  Materie  (s.  d.)  gilt,  der  in  der  Phjsik  (s.  d.)  keiae  anderen  als  die  mathe- 
matischen Principien  anerkennt  (Princ.  philoe.  II,  64)  und  der  nur  die  quanti- 
tativen Qualitäten  (s.  d.)  als  real  betrachtet,  wie  es  auch  Locke  tut.  Im 
Gebiete  des  Körperlichen  hält  auch  Spinoza  die  mechanistische  Naturbetrach- 
tung fest;  das  Teleologische  (s.  d.)  wird  von  ihm  durchgehends  ausgeschlossen, 
da  aus  Qott  (s.  d.)  alles  mit  logisch-mathematischer  Notwendigkeit  folgt  (Eth. 
I,  prop.  XXXVI,  app.).  Der  empirisch-mechanistischen  Naturauffassung  gibt 
Newton  neue  Stützen. 

Zwischen  Mechanismus  und  Teleologie  (s.  d.)  vennittelt  Leibniz.  Die 
Cartesianische  Naturphilosophie  ist  ihm  nur  ,yVant%ckambre  de  la  verite^*.  Alles 
geht  (als  Erscheinung  und  relativ)  mechanisch,  zugldch  aber  (im  Innensein) 
jffnetapkystseh",  d.  h.  hier  geistig-teleologisch  zu,  ohne  Widerspruch.  „Tbtä  ce 
fait  mSeantquement  et  metapkysiquement  dans  le  meme  temps.*^  „La  souree  de 
la  mieanique  est  dans  la  metapkysiqtie"  (Gerh.  III,  607;  IV,  282,  471). 

Kant  versteht  unter  ,,meehamscher  Naturphilosophie^*  „die  ErkUmmgsart 
der  specißsehen  Versehiedenheä  der  Materien  durch  die  Beschaffenheit  und 
Zusammensetxunff  ihrer  kleinsten  Teile,  als  Masekinen"  (Met.  Anf.  d.  Naturwiss. 
S.  100).  Diese  Auffassung  vertritt  Kant  empirisch-methodologisch,  für  die 
Organismenwelt  das  teleologische  (s.  d.)  Princip  reservierend,  die  Dinge  an  sich 
aber  ganz  als  unerkennbar  bestimmend.  Schließlich  muQ  alles  Mechanische 
auch  teleologisch  aufzufassen  sein.  Der  Begriff  der  organisierten,  teleologisch 
durchwirkten  Materie  führt  notwendig  „auf  die  Idee  der  gesamten  Natur  als 
eines  Systems  nach  der  Regel  der  Zwecke,  welcher  Idee  nun  aller  Mechanismus 
der  Natur  nach  Principien  der  Vernunft  (wenigstens  um  daran  die  Natur^ 
erseheinung  xu  versuchen)  untergeordnet  werden  muß^^  (Krit.  d.  Urt.  II,  §  67). 
„Hierauf  gründet  sich  nun  die  Befugnis  und  . . .  auch  der  Beruf:  alle  Producte  und 
Ereignisse  der  Natur,  selbst  die  xweekmäßigsten,  so  weit  mechanisch  xu  erklären, 
als  es  immer  in  unserem  Vermögen  .  .  .  steht,  dabei  aber,  niemals  aus  den  Äugen 
xu  verlieren,  daß  toir  die,  welche  wir  allein  unter  dem  Begriffe  vom  Zwecke  der 
Vernunft  xur  Untersuchung  selbst  auch  nur  anstellen  können,  der  tcesenüichen  Be- 
schaffenheit gemäß,  jener  mechanischen  Ursachen  ungeachtet,  doch  xuletxt  der  Causa- 
lität  nach  Zwecken  unterordnen  müssen**  (1.  c.  §  78).  Der  „Netcton  des  Orashalms"  ist 
noch  nicht  gefunden.  —  Schelling  bemerkt:  „Fassen  icir  endlich  die  Naiur  in 
ein  OanPLCS  xusammen,  so  stehen  einander  gegenüber  Mechanismus  —  d,  h  eine 
abwärts  laufende  Reihe  von  Ursachen  und  Wirkungen,  und  Zweckmäßigkeit,  d.  h, 
Unabhängigkeit  von  Mechanismus,  Qleichxeitigkeit  von  Ursachen  und  Wirkungen, 
Indem  wir  auch  diese  beiden  Extreme  noch  vereinigen,  entsteht  in  uns  die  Idee 
von  einer  Zweckmäßigkeit  des  Ganxen"  (Naturphilos.  S.  61).  Nach  Schopen- 
hauer ist  der  Mechanismus  der  Naturprocesse  eine  Objectivation  des  „Willen 
xum  Leben"  (s.  d.).  Nach  E.  v.  Haktmann  sind  Mechanismus  und  Teleologie 
die  zwei  Seiten  des  einen  Princips  der  logischen  Notwendigkeit,  das  mit  dem 
alogischen  Willen  verbunden  ist  (Philos.  d.  Unbew.  II",  450).  M.  Carriere 
erklart:  „Mechanistische  und  teleologische  Auffassung  der  Natur  tcidersprechen 
einander  so  wenig  wie  Zweck  und  Mittel;  sie  schließen  einander  nicht  aus,  viel- 
mehr fordern  sie  einander;  die  eine  xeigt  uns  die  Art  und  Weise  des  Geschehens 
und  der  Dinge,  die  andere  erschließt  ihren  Sinn  und  ihre  Bedeutung  für  sich 
und  im  ganxen"  (SittL  Weltordn.  S.  63).  Lotze  betont  die  universelle  Aus- 
dehnung und  zugleich  die  Unterordnung  des  Mechanismus  unter  die  Teleologie 
(Mikrok.  I«,  S.  XY):    Ahnlich  J.  Wabd  (Naturaüsm  and  Agnostic.  1899).    Nach 


650  KEeohanlfltlsohe  Weltanoioht. 

WUVDT  ist  der  Mechanismus  der  Natur  ,,nwr  ein  Teil  des  aJllgememen  Zmt 
sammenhangs  geistiger  Causalüät^  (Eth.*,  6.  472).  Nach  O.  Liebmann  sind 
Mechanismus  und  Teleologie  zu  vereinigen  (Analys.  d.  Wirkl.*,  S.  389  ff.).  So 
auch  nach  Planck  (Test.  ein.  Deutschen.  S.  323),  Rayaisson  u.  a.  Fouilueb 
erblickt  im  Mechanismus  nur  die  Außenseite  und  das  Resultat  geistiger 
J&äfte  {yyideea-forees^^,  s.  tSpiritualismus).  Nach  Nietzsche  zeigt  uns  die  mecha- 
nistische Weltanschauung  nur  yfFolgen"  und  diese  noch  dazu  im  Bilde,  in  der 
Sprache  unserer  Empfindungen.  Alle  Voraussetzung«!  des  Mechanismus, 
Stoff,  Stoß,  Druck,  Schwere,  Atom,  sind  nicht  Tatsachen  an  sich,  sondern 
Interpretationen.  „Die  Mechanik  als  eine  Lehre  der  Bewegung  ist  bereOs  enu 
Übersetzung  in  die  Sinnenspraehe  des  Mensehen,**  „Die  meehamsliseihe  WeU 
ist  so  imaginiert,  wie  das  Äuge  und  das  Oetast  sieh  allein  eine  WeU  vorsteUen . .  .^ 
Die  ursfichliche  Kraft  wird  dadurch  nicht  berührt  (WW.  XV,  296  f.).  Die 
wahre  Kraft  ist  der  „Wille  xur  Macht**  (s..d.).  Der  Mechanismus  ist  nur  eine 
„Zeichensprache  für  die  interne  Jhtsachen'Welt  kämpfender  und  aberwindender 
WillenS'Quanta**  (WW.  XV,  297  ff.).  Die  Ergänzung  der  mechanistischen  durch 
die  metaphysische,  dynamische  Weltanschauung  fordert  Backhaus  (Wes.  d. 
Hum.  S.  8  ff.).    Vgl.  Dilthey,  Einl.  I,  470. 

Nach  Helmholtz  sind  alle  Veränderungen  in  der  Welt  als  Bewegungen 
aufzufassen,  die  Bewegung  ist  die  „ürveränderung ,  welche  allen  andern  Ver- 
änderungen in  der  Welt  zugrunde  liegte*.  Alle  elementaren  Kräfte  sind  Be- 
wegungskräfte. Endziel  der  Naturwissenschaft  ist  es,  alles  in  Mechanik  auf- 
zulösen (Vortr.  u.  Ked.  I*,  379).  Ähnlich  F.  A.  Lange  (Gesch.  d.  Material). 
Auch  Dübois-Reymond :  „Es  gibt  für  uns  kein  anderes  Erkennen  als  das 
mechanische^  ein  toie  kümmerliches  Surrogat  für  w€thres  Erkennen  es  auch  sei, 
und  demgemäß  nur  eine  tcahrhaft  wissenschaftliche  Denkfarm,  die  phtfsikaliseh" 
mathematische^*  (1.  c.  I,  232).  ,J)ie  theoretische  Naturwissenschaft  ruht  nicht 
eher,  als  bis  sie  die  Erscheinungswelt  auf  Bewegungen  letzter  Elemente 
fuhrt,  welche  nach  denselben  Gesetzen  vor  sieh  gehen,  wie  die  der  gröberen, 
fUlligen  Materie**  (Red.  I,  434).  So  auch  Wundt  (Syst  d.  PhUos.«,  S.  484), 
Ebbingeuub  (Gr.  d.  PsychoL  8.  34),  E.  Haeckel,  femer  die  Physiker  Clau- 

6IU8,  BOLTZMANN,  THOMSON,  MAXWELL  U.  a. 

Dagegen  erklärt  £.  Mach:  „Daß  aüe  physikalischen  Vorgänge  meehattiseh 
zu  erklären  seien,  halten  wir  für  ein  Vorurteil**  (Mechan.  S.  486;  PopulärwisB. 
Vorles.«,  S.  181),  ähnlich  P.  Volkmann  (Erk.  Grundz.  d.  Naturwiss.  S.  153  f.). 
femer  Obtwald,  der  an  Stelle  der  mechanistischen  die  energetische  (s.  d.) 
Naturanschauung  setzt  (Vorles.  üb.  Naturphilos.  S.  165  f.,  202  f.,  229  f.).  Gegen 
den  Dogmatismus  der  mechanistischen  Weltanschauung  sind  E.  V.  Habtmanv 
(Mod.  PsychoL  S.  354),  Stallo,  Helm  u.  a.  H.  Cornelius  meint:  ^^  keiner 
Weise  findet  sich  .  .  .  das  Dogma  bestätigt,  daß  aüe  Naturerscheinungen  fnecha- 
nisch  erklärt  werden  müßten;  nur  insofern  die  mechanischen  Analogien  ein  «er- 
einfachendes  Bild  für  die  Darstellung  der  TcUsaehen  anderer  Gebiete  ergeben^  ist 
ihre  Anwendung  zur  Erklärung  dieser  Tatsfiehen  berechtigt**  (Einleit.  in  d.  Phik». 
S.  327  f). 

Nach  WüNDT  hingegen  gibt  es  zwingende  logische  Motive,  die  der  med»- 
nistischen  Naturbetrachtung  (empirisch)  ihre  Gültigkeit  bewahren.  EIrBieiia  gät 
es  Naturvorgänge,  von  denen  die  unmittelbare  Erfahrung  nichts  ofithSlt  und 
die  Mrir  dennoch  auf  Grund  exacter  Analyse  der  Erscheinungen  als 
gegeben  annehmen  müssen,  und  die  sich  dann  als  Bewegungsvorgänge 


Mechanistiache  Weltaasioht  —  ICeinung.  651 

(Schall,  Licht  etc.).  Zweitens  müssen  wir  die  Empfindungsqualitäten  als  sub- 
jectiy  aus  den  objectiyen  Vorgängen  eliminieren,  sonst  kämen  wir  aof  ein  Meer 
nferloser  Hypothesen  (Syst.  d.  Philos.*,  S.  463  ff.;  Philoe.  Stud.  XIII,  80).  Die 
Annahme,  daß  alle  Energieformen  Abwandlungen  der  mechanischen  Energie 
seien,  erklärt  die  Tatsachen  am  besten,  sie  trägt  dem  yJPostuUä  der  Änsehau- 
HtMeif*f  welches  den  Objecten  adäquate  symbolische  Bilder  fordert,  Rechnung 
(Syst.  d.  Philos.*,  S.  484  ff.,  488).  —  Nach  Biehl  ist  der  Mechanismus  „nur 
das  Symbol  für  die  allgemeine  Gesetzlichkeit  des  Oesckehens*',  Durch  ihn  allein 
wird  nicht  bestimmt,  was  geschieht  (Zur  Einf.  in  d.  Philos.  S.  165).  Vgl. 
Dynamismus,  Teleologie,  Pandlelismus  (psychophysischer),  Notwendigkeit. 

miediclna  mentte  heißt  bei  Tbchirnhauben  die  Logik. 

Meditations  Nachdenken,  Nachsinnen,  wissenschaftlich-philosophische 
Beflexion.  Nach  Hugo  (De  an.  II,  1,  19)  und  Bjghard  von  St.  Victor  ist 
die  „mediiatio"f  das  begriffliche  Denken,  die  Contemplation  Gottes,  die  zweite 
Stufe  der  Erkenntnis  (s.  d.).  „Meditatio"  u.  a.  bei  Thomas  (Sum.  th.  II.  II, 
180,  3  ad  1).  „Meditationes"  ist  der  Titel  einer  Schrift  von  Debcartes.  Nach 
£ant  ist  yyMeditierm''  ein  „meihodisehes  Denken"  (Log.  S.  232). 

Medllims  Mittel  (s.  d.).  Mittelbegriff  (s.  d.). 

Medliim  s.  Spiritismus. 

Medliis  termlniis  s.  Mittelbegriff. 

WLegBFÜLer  heißen  die  Anhänger  des  Sokrates- Schülers  Euklid  von 
Megara,  welcher  das  Seiende  (s.  d.)  als  das  Gute  bestimmt.  Wegen  ihrer  logischen 
Streitigkeiten  und  dialektischen  Spitzfindigkeiten  (Fangschlüsse)  heißen  sie  auch 
Eristiker.  Es  sind  das  außer  Euklid:  Eubulides,  Alexinob,  Diodobos 
KsoNOS,  Philon,  Stilpon.    Vgl  Kyrieuon. 

mielirlielt  s.  Vielheit  —  Nach  H.  CoR2!rELiUB  unterscheiden  sich  durch 
die  Selbständigkeit  der  Teile  die  „Mehrheiten  van  Inhalten"  wesentlich  von  der 
„Mehrheit  der  Qualitäten  oder  Merkmale  eines  Inhaltes"  (Einleit.  in  d.  Philos. 
S.  174). 

MelBen  (im  engeren  Sinne):  eine  Meinung  haben,  d.  h.  hier  etwas  im 
Sinne  haben,  sagen-wollen.  Die  Kategorien  (s.  d.)  des  Denkens  „meinen"  ein 
Transcendentes,  außer  ihnen  und  dem  erkennenden  Ich  Liegendes,  sie  beziehen 
stell  auf  ein  solches.  Nach  Husserl  kann  das  Bewußtsein  sozusagen  „hinaus- 
meinen,  und  die  Meinung  kann  sich  erfüllen"  (Log.  Unters.  II,  513;  ähnlich 
schon  Volkelt,  Uphues).  Jameb  spricht  von  der  j/iynamio  meaning^*  eines 
Wortes  und  von  der  „statie  meaning**,  mit  Bezug  auf  die  , /ringe"  des  Bewußt- 
seins (s.  Strom)  (PsychoL  I,  265).    Vgl.  Object,  Aussage. 

• 

Melnuiii^  {SoSa,  opinio):  eine  Art  des  Fürwahrhaltens,  subjectives,  nicht 
siclieres  Urteilen,  Glauben  (s.  d.),  nicht  streng  determiaiertes,  der  Möglichkeit 
des  Irrtums  bewußtes  Urteilen. 

Auf  bloßen  Schein  (s.  d.)  geht  die  Meinung,  ^ofa,  im  Unterschiede  vom 
Wissen  des  Seienden  nach  Parmeiodes.  Auch  Plato  unterscheidet  die  86ia 
von  der  iTucni/ir^;  erstere  ist  nur  auf  die  Sinnendinge,  das  immer  Werdende, 
letztere  auf  das  Seiende  gerichtet  (Bepubl.  V,  477  B,  478  A).  Die  Meinung  ist 
ein  Mittleres  zwischen  Wissen  und  Nichtwissen  (1.  c.  V,  477  A).  Die  86Sa 
dXn^s  ^^  ilu^ii  Wert  (Meno  97  E;  Theaet.  210 A).    Aribtoteles  definiert  die 


652  KEeinung  —  Melancholie. 

do^a  als  Tov  ävdßxoßidvov  aXXoJS  ijf»v  (Met.  VII  15,  1039  b  33).  Aiym  ane- 
SstxTixde  Tag  xoiväg  SoiaSf  dS  (ov  anavree  Seixvvovatv  (Met.  III 2, 996  b  28  sqiL). 
Die  Stoiker  bestimmen  die  Boia  als  Tr,v  aa&vt'ij  ani  rp^vdrj  ovyxara^ectt^  (Seit 
Empir.  adv.  Math.  VII,  151 ;  Stob.  EcL  II,  230).  Cickbo  nemit  die  ,fipi»aiw' 
yyimbecülam  assensionem^^  (Tusc.  disp.  IV,  7).  Nach  Epieub  entstdit  die  S^ia 
oder  vnokrjxpis  (Annahme),  welche  wahr  oder  falsch  sein  kann  (je  nach  d^a 
Zeugnis  der  Wahrnehmung),  durch  die  Fortdauer  der  Eindrücke  d^  Objecte 
in  uns  (Diog.  L.  X,  33  f.;  Sext.  Empir.  adv.  Math.  VII,  211  squ.). 

Nach  Thomas  ist  „optnio'*  f,aceeptto  id  est  existimatto  qtuudam  immediaiae 
proposittonis  et  non  necessariaef^  (1  Anal.  44  c).  Nach  Bokaventuba  ist 
„opinio^^  yfOssenaio  animae  generaia  ex  rationibus  probabüibus*^  (In  L  seilt  3, 
d.  24,  2,  2).  —  Nach  Micraeltcts  ist  ,yOpinio*^  „assensus  ex  medw  seu  argu- 
mento  prohabili  in  Ulis  rebys,  quae  alüer  se  habere  posaunt  et  in  quibus  ad 
utramqtie  partem  indinari  polest  Est  igitur  imperfecta  intellectus  eoffnüi&' 
(Lex.  philos.  p.  756).  Spinoza  versteht  unter  „opinio  vel  iniaginatio**  die 
,,cognitio  ex  signis,  ex,  gr,  ex  eo,  qtwd  atiditis  aut  lectis  qtiibusdam  verhis  rerum 
recordemur*^  (Eth.  II,  prop.  XL,  schol.  II).  Chk.  Wolf  bestimmt:  jyProposiHo 
insufficienter  probata  est  opinio*'  (Philos.  rational.  §  602).  „TTcw*  wir  ei$9eH 
Saix  durch  solche  Vordersätze  herausbringen,  von  deren  Richtigheit  trKr  niekt 
vöUig  überzeugt  sind,  so  heißet  unsere  Erkenntnis  eine  Meinung'  (Vem.  Ged. 
I,  §  384). 

Kant  erklart:  „Da«  Meinen  oder  das  Fürwahrhalten  aus  eineni.  Erkennini»- 
grunde,.  der  weder  sübjectiv  noch  objectiv  hinreichend  ist,  kann  als  ein  vor- 
läufiges Urteilen  (sub  eonditione  suspensiva  ad  interim)  angesehen  werdeft^ 
(Log.  S.  100).  „Meinen  ist  ein  mit  Bewußtsein  sowohl  sübjectiv  als  obfeetiv  un- 
zureichendes Fürwahrhalten''  (Kr.  d.  r.  Vem.  S.  622;  vgl.  WW.  IV,  347).  In 
Urteilen  a  priori  findet  kein  Meinen  statt  (Krit.  d.  Urt.  §  90).  Meinungssachen 
sind  immer  Objecte  möglicher  Erfahrung  (1.  c.  §  91).  Nach  Frdsb  ist  die 
Meinung  „ein  Fürwahrhalten  nur  mit  Wahrseheinlichkeü^  die  Annahme  eines 
vorläufigen  Urteils'*  (Syst.  d.  Log.  S.  421).  Krug  definiert:  ,fDas  Meinen  . . . 
beruht  auf  Gründen,  die  zwar  an  sich  nickt  ungültig,  aber  doch  unzureichend 
sind,  eine  vollständige  und  gewisse  Überzeugung  hervorzubringen''  (Handb.  d. 
Philos.  I,  90).  „Schwach  begründete  Meinungen  heißen  Vermutungen  oder 
Mutmaßungen  (coinecturaej"  (ib.).  Hillebrand  nennt  die  Meinung  die  ab- 
stracte  Subjectivitat,  insofern  sie  sich  als  die  Wahrheit  des  Begriffs  behaupten 
will,  die  „Vorstellung,  insofern  sie  sich  als  Begriff  geltend  macht^^  (Philos.  d. 
Geist.  II,  68).  Nach  E.  Reinhold  ist  das  Meinen  „ein  mehr  oder  weniger 
zweifelndes  Fürwahrhalten"  (Lehrb.  S.  173).  Nach  Qutberlet  ist  die  Meinung 
„das  Fürw ahr halten  eines  Satzes,  das  die  Furcht  vor  Irrtum,  oder  die  Furekt, 
auch  das  Oegenteü  könne  wahr  sein,  nicht  ausschließt"  (Log.  u.*  Erk.»,  S.  loOu 
Nach  WUNDT  ist  die  Meinung  ein  „objectives  Fürwahr  halten",  bei  dem  die 
„Sicherheit  der  Überzeugung"  fehlt.  „Durch  irgend  welche  obfectiten  Zeugmese 
werden  tcir  veranlaßt,  ein  Urteil  vorläufig  als  wahr  anztmehmen ;  aber  weder 
setzt  das  Meinen  eifien  besondem  Grund  subjectiver  Bevorzugung  ftoo4  ein 
solches  Gewicht  objectiver  Gründe  voraus,  daß  kein  Zweifel  zurückbliebe.  Der 
Meinende  fühlt  sich  stibjectiv  frei,  objectiv  ist  er  zwar  bestimmt,  aber  in  beiner 
Weise  zwingend  bestimmt^'  (Log.  I,  370).    Vgl.  Meinen. 

melaneliolle  (ßiXai,  xo^i  Schwarzgalligkeit)  ist  ein  D^ressionazustand 


KEelanoholie  —  KEenaoh.  653 


(s.  d.),  mit  Vorwiegen  trauriger  Vorstellungen,  Schwäche  des  Willens,  düsterer 
Stimmung.    Vgl.  Temperament 

üleiiscli  (manisco,  das  Denkende):  der  höchstdifferenzierte  irdische  Or- 
ganismus, das  sprachbegabte,  denkende,  reflexionsfähige,  selbstbewußte,  persön- 
liche, actiT  wollende,  Ideen  realisierende,  vollbewußte  Wesen,  der  Abschluß  der 
oi^aniBchen  Entwicklung  auf  Erden,  der  Idee  nach  imd  potentiell  schon  in 
die  „il»/a«^c"  zu  setzen ;  in  der  Zeit  als  Entwicklungsproduct  eines  „  ürmensehen^^ 
(„komo  primigenius  cUalus*^  Haeckel)  und  tieränlicher  Vorfahren  zu  betrachten. 
Im  Menschen  kommt  die  Natur  zur  Besinnung  ihrer  selbst,  in  ihm  tritt  sie 
sich  selbst  (als  höhere  Natur)  gegenüber.  Der  Mensch  ist  das  Culturwesen, 
das  sociale  Wesen  par  excellence,  das  Wesen,  das  eine  wahre  Geschichte  hat. 

Abistoteles  nennt  den  Menschen  ein  ^^ov  noXirixov  (Polit.  I,  2).  Die 
Stoiker  erklären  den  Menschen  als  t,^ov  XoyixoVj  &rrir6v,  vov  xai  intaniurjs 
8£XTix6v  (Sext.  Emph-,  Pyrrh.  hypot.  11,  26;  Stob.  Ecl.  II,  132).  Nach  Philo 
ist  der  Mensch  Gottes  Ebenbild. 

Nach  dem  Alten  und  Neuen  Testament  ist  der  Mensch  das  Ebenbild 
Gottes,  das  geistbegabte,  vernünftige,  sittliche  Wesen,  das  zum  Herrn  der 
Erde  bestinmit  ist.  Das  Wesentliche  im  Menschen  ist  die  Seele  (wie  auch  bei 
PliATO):  „Quid  enim  magis  est  homOy  quam  anima?**  (Hugo  von  St.  Victor, 
De  sacr.  II,  1,  11).  Einen  übersinnlichen  Urmenschen  (Adam)  nehmen  die 
Gnostiker  an,  auch  die  Kabbala  („Adam  Kadm(m"j  s.  d.),  auch  Maki. 
Nach  JoH.  ScoTUS  Ebtuoena  ist  der  Mensch  als  intelligibles  Sein  Ebenbild 
Gottes  (De  div.  nat.  FV,  7).  Er  faßt  als  Intelligibles  alle  Creaturen  in  sich 
(L  c.  II,  4;  III,  39).  „Homo  est  notio  quaedam  inteHectiuüis  in  mente  divina 
aetemcUiter  facta*^  (1.  c.  V,  7;  vgl.  Adam  Kadmon).  Albertus  Magnus  betont: 
,yHomo  inquantum  homo  solufi  est  intellecius"  (De  intell.  11,  8;  Sum.  th.  II,  9). 
Nach  Thomas  u.  a.  besteht  der  Mensch  „ex  spirituali  et  eorporcUi  substantia" 
(Sum.  th.  I,  75,  1).  Der  Mensch  ist  „animal  rationale"  (Contr.  gent.  III,  39; 
De  pot.  8,  4  ob.  5).  —  Nach  Paracelsus  besteht  der  Mensch  aus  Materie, 
ätherischem  und  gottlichem  Wesen,  er  hat  an  allen  drei  Welten  (s.  d.)  teil 
(Paragr.  2).  Nach  J.  B.  van  Helmont  ist  der  Mensch  ein  in  einem  Körper 
wohnender  Geist  (Venat  scient.  p.  25  f.). 

Nach  Leibniz  ist  der  Mensch  ein  kleiner  Grott  (Theod.  I.  B.,  §  147).  Nach 
Bonnet  ist  er  ein  „etre  mixte"  aus  Leib  \md  Seele  (Ess.  analyt.  I,  1,  4). 
HoiiBACH  sagt  vom  Menschen:  „Cest  un  itre  materiell  organise  ou  conforme 
de  mani^e  ä  sentir,  ä  penser ,  ä  etre  modifii  de  certaines  fa^ons  propres  ä  lui 
setU,  ä  son  Organisation"  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  6,  p.  80).  Lamettrie  nennt 
den  Menschen  eine  „Mascliine"  (L'honmie  mach.).  —  Nach  Swedenborg  ist 
der  Mensch  seinem  Innern  nach  ein  Geist  (De  coelo,  §  432  ff.).  Nach  De  Bo- 
NALD  „une  intelligence  servie  par  des  organes", 

Kant  betrachtet  den  Menschen  (der  außer  dem  empirischen  einen  „intelli- 
gtblen*'  Charakter,  s.  d.,  besitzt)  als  „Subjeet  des  moralischen  Gesetzes",  als 
^^Zweck  an  sieh  selbst";  „niemals  bloß  als  Mittel"  darf  er  behandelt  werden 
(W.  W.  V,  91  f.,  137  f.).  Für  die  reflectierende  Urteilskraft  ist  der  Mensch 
der  letzte  Zweck  der  Natur  (Krit.  d.  Urt  §  83).  Die  Menschheit  in  ihrer 
moralischen  Vollkommenheit  ist  Gottes  eingeborener  Sohn  (WW.  VI,  155). 
Schiller  sagt :  „Alle  andern  Dinge  müssen;  der  Mensch  ist  das  Wesen,  welches 
wiU"  (WW.  XII,  192);  seine  Freiheit  betätigt  er  auch  im  Spiel  (s.  d.),  in  der 
Kunst.    Der  individuelle  Mensch  hat  die  Bestinunung,  den  „reiften  idealischeth 


654  Mansch  —  KEerkmaL 

Menschen"  zu  realisieren  (Ästhet  Erz.  4.  Br.).  Eine  sittliche  Bestimmung  hat 
der  Mensch  nach  J.  G.  Fichte,  Schlei£RMACH£&  u.  a.  ,,Die  voükommem 
Übereinstimmung  des  Menschen  mit  sich  selbst  .  ,  .  ist  das  letzte  höehsie  Zid 
des  Menschen*'  (Fichte,  Bestimm,  d.  Gelehrt  1.  Vorl.,  S.  13).  Nach  Tboxlbr 
besteht  der  Mensch  aus  Geist,  Seele,  Leib,  Körper  (Blicke  in  d.  Wes.  d.  MensdL 
S.  30  ff.).  Chr.  Krause  setzt  die  Bestimmung  des  Menschen  darin,  ,^dafi  er 
seine  eigene  Wesenheit  (seinen  Begriff)  in  der  Zeit  wirklich  mache  oder  geetaUe^ 
in  unendlicher  Bestimmtheit,  individuell ,  als  ein  IndividvunK  Oder:  daß  er  ein 
ganxer,  vollwesentlich  und  vollständig,  gleicharmig  ausgebildeter  Mensch  .  .  . 
werde"  (Abr.  d.  Bechtsphilos.  S.  5).  Es  gibt  eine  yyAUmensehheit',  „Mensekheit 
des  Weltalls"  als  Idee  (Urb.  d.  Menschh.  S.  147,  164  ff.).  Alle  Menschen  sind 
ursprünglich  ein  Wesen  (1.  c.  S.  7).  Die  Menschheit  ist  ein  Organismus  (L  c. 
ß.  59),  sie  soll  sich  zu  einem  „Menschheitsbund"  vereinigen  (L  c.  S.  287  fL). 
„Die  Menschheit  des  Weltalls  ist  ein  organisches  Wesen  in  Oott,  als  das  eine 
Vereinwesen  der  Vernunft  und  der  Natur,  von  Oott  ewig  geschaffen"  (L  c. 
S.  287;  vgl  8.  18,  25).  Nach  J.  H.  Fichte  ist  der  Mensch  ein  geschieht»- 
bildendes  Wesen  (PsychoL  II,  S.  XX).  Au&  höchste  werten  d^i  Menschen 
L.  Fetterbach,  Comte  (die  Menschheit  ist  das  quasigöttliche  „gremd  Hre^)y 
M.  Stirner,  Nietzsche  (s.  Übermensch).  —  Nach  verschiedenen  Philosophen 
ist  der  Mensch  ein  „Mikrokosmos"  (s.  d.).  Vgl.  Suabedissen,  Lehre  von  d. 
Mensch.  1829;  B.  Vetter,  Die  mod.  Weltansch.  u.  d.  Mensch,  4.  A.,  1903; 
GuTBERLET,  Der  Mensch*,  1903.    VgL  Teleologie,  Anthropologie,  Übermensch. 

menselilieitelelire  (Chr.  Krause):  Anthropologie  (s.  d.). 

Menseliliclikeit  s.  Humanität. 

niental  (mentalis):  im  Geiste  (mens),  geistig,  gedankenhaft.  Intramen- 
tal  (s.  d.):  im  Bewußtsein,  extramental  (s.  d.):  außerhalb,  jenseits  des  Be- 
wußtseins. „Verbum  mentale"  ist  bei  den  Scholastikern  der  Begriff,  das 
innere  Urteil,  „conceptus  mentis  formatus"  (s.  Verbum). 

mental  teftts  heißen  die  eine  psychische  Individualität  bestimmendai 
Prüfungen,  Befunde,  als  eine  (in  Amerika  beliebte)  Methode  der  Individual- 
Psychologie. 

merkelselies  Oesets  s.  Webersches  Gesetz. 

merken  bedeutet:  1)  so  viel  wie  Bemerken,  Wahrnehmen,  Percipieren; 
2)  das  „Sich -merken",  Behalten,  Im -Gedächtnis -festhalten,  Sich-einprageD. 
Nach  Ulrici  bedeutet  Merken  „das  Erwachen  des  Bewußtseins  durch  Empfäng- 
nis irgend  eines  Inhalts"  (Leib  u.  Seele  S.  31).  VgL  Herbart,  Umr.  pädagog. 
Vorles.  I,  4,  §  73.  Merklich  ist,  was  bemerkt,  percipiert,  empfunden  werden 
kann  (s.  Ebenmerklich). 

merkmal  {rsxfii^^iov,  nota,  determinatio,  praedicatum)  ist  eine  Bestim- 
mimg, eine  Eigenschaft,  an  welcher  man  ein  Object  erkennt,  der  Teilinhalt 
eines  Begriffs.  Man  unterscheidet  wesentliche  (essentielle),  ursprüngliche  (ffiri- 
ginariae,  primitivae,  constituiivae"),  abgeleitete  („consecutivaef*),  unwesentliche 
(accidentielle)  Merkmale. 

Nach  Aristoteles  ist  das  Merkmal  ein  Zeichen  {mifislov),  welches  su 
einem  Dinge  notwendig  gehört  (Ehetor.  I  2,  1357b  14).  Die  Scholastiker 
betonen:  „Non  entis  nulla  sunt  praedicata"  —  Nach  Platker  sind  Merkmale 
„Teile,   Eigenschaften,   Wirkungen,    VerlUUtnisse,   wiefern  sie  einem  Dinge 


»[«rlunal.  655 

ieines  Geaehieektes  willen  xukommen^^  (Philos.  Aphor.  I,  §  221).  Nach  Kant  (Log. 
&  147 ;  vgl.  FalBche  Spitzfind.  §  1)  und  Fries  (Syst.  d.  Log.  S.  120)  ist  ein  Merk- 
mal ein  Begriff  als  Erkenntnisgnind  von  anderen  Begriffen.  Es  gibt  ,^entüm- 
lieke,  chardkkrisiische^^,  ^fgemeinsame",  ^fWesentliche*^  (constitutive  oder  Attribute), 
yfOufierwesentliehe^*  (unveränderliche  und  veränderliche)  Merkmale  (1.  c.  S.  122  ff.). 
Kbüo  erklärt:  „Ein  logisches  Ding  wird  mittelst  gewisser  Vorstellungen  gedacht, 
velche  tcir  darauf  beziehen  und  wodurch  toir  es  von  andern  Dingen  unterscheiden. 
Solche  Vorstellungen  heißen  daher  Merkmale  oder  Kennzeichen^^  (Handb.  d. 
Philos.  I,  125).   Jacob  definiert:  „Merkmale  werden  .  .  .  solche  Teüvorstellungen 
genannt^  wodurch  die  Vorstellungen  oder  Gegenstände  von  andern  unterschieden 
werden  können"  (Gr.  d.  Erfahrungsseel.  S.  212).    Nach  H.  Ettteb  ist  Merkmal 
des  Begriffes  das,   „woran  er  von  den  andern  Begriffen  unterschieden  wird" 
(Abr.  d.  philos.  Log.*,  S.  57).    Nach  Trendelenburg   ist  Merkmal  objectiv 
das,  was  den  Begriff  in  der  Seele  bildet  (Log.  ünt.  II,  255).    Nach  Überweg 
ist  Merkmal  eines  Objects  „alles  dasjenige  an  demselben,  wodurch  es  sieh  von 
andern  Objecten  unterscheidet"   (Log.*,  §  49).     StöCKL  definiert:  „Unter  Merk- 
malen  im  allgemeinen  versteht  man  alle  jene  Momente,  wodurch  ein  Gegenstand 
als  das,  was  er  ist,  erkannt  und  von  allen  andern  Gegenständen  unterschieden 
wird"  (Lehrb.  d.  Philos.  I,  §  75).     Hagemann  erklart:  „Die  Bestimmtheiten 
überhaupt,  wodurch  sich  ein  Ding  von  andern  unterscheidet,  nennen  unr  seine 
Merkmale  (notae/^  (Log.  und  Noet.*,  S.  25).    „Diese  sind  entweder  wesent- 
liehe  (notwendige)  oder  unwesentliche  (zufällige),  je  nachdem  sie  mit  dem 
Denkobjeete  unxertrennlieh  verbunden  gedacht  werden  müssen,  oder  ihm  auch 
fehlen  können.    Jene  nennt  man  auch  Eigenschaften  (attribtUa),  diese  außer- 
icesentliche  Beschaffenheiten  (modij"  (1.  c.  S.  25  f.).    Oorrelative  Merkmale 
sind   diejenigen,  die  sich  gegenseitig  voraussetzen  (z.  B.  dreiseitig  imd  drei- 
winklig) (1.  c.  S.  26).      B.  Erdmann  definiert:   „Die  einzelnen  in  einer   Vor- 
Stellung  enthaltenen  Begriffsbestandteile,  ihre    Teüvorsteüungen,  werden,  als  Be- 
stimmungen   des    Gegenstandes    aufgefaßt,   Merkmale   genannt"   (Log.   I,   118). 
„Nicht  jedes  Prädieat  eines  Gegenstandee  ist  ,  .  .  ein  Merkmal"  (ib.).    Merkmale 
sind  „die  tmterseheidbaren  Bestimmungen  der  Gegenstände  des  Denkens"  (L  c. 
S.  119).    Es  gibt  einfache  und  zusammengesetzte,  materiale  und  formale  (1.  c. 
S.  119),  constante  und  veränderliche  (1.  c.  S.  120),  ursprüngliche  imd  abgeleitete 
0'  c.  8.  121),  eigene  und  gemeinsame  (1.  c.  S.  123  f.),  wesentliche  und  imwesent* 
liehe  Merkmale  (1.  c.  B.  125 f.).   Artbildende  Merkmale  sind  „die  Modiflcationen 
der  Merkmale,  welche  die  Arten  aus  der  Gattung  entstehen  lassen"  (1.  c.  S.  135). 
BoLZANO   behauptet,    „daß  es   verschiedene  Bestandteile  einer   Vorstellung 
gebe,   welche  nichts  weniger  als  Beschaffenheiten  des  ihr  entsprechenden  Gegen- 
standes ausdrücken"  (Wissenschaftslehre  I,  §  64).    KsRRf  hingegen  meint,  „daß 
ein  Begriffsgegenstand  in  gewisser  Weise  mindestens  alle  Merkmale  seines  Be- 
griffes an  sich  haben  müsse,  widrigenfalls  man  nicht  sagen  könnte,  daß  er  unter 
diesen  fallet'  (Vierteljahrsschr.  f.  wiss.   Philos.  X,  422).     Nach  Twardowski 
sind   als   Merkmale  „immer  nur  Teile  des  Gegenstandes  einer  Vorstellung,  nie- 
mals jedoch  Tkile  des  Vorstellungsinhaltes  xu  bezeichnen"  (Zur  Lehre  vom  Inh. 
u.  Gegenst.  d.  Vorstell.  S.  46).     „Es  gibt  an  jedem  Gegenstande  materiale  und 
formtde  Bestandteile,  welche  durch  die  entsprechende    Vorstellung  nicht  vorgestellt 
werden,  denen  also  im  Inhalte  derselben  keine  Bestandteile  entsprechen,"  z.  B. 
die  Mehrzahl  der  Belationen  eines  Gegenstandes  zu  andern  (1.  c.  8.  82).    Merk- 
mal   ist   ein   Name   ,für  jene  Bestandteile  eines  Vorstellungsgegenstandes  .  .  ., 


656  Merkmal  —  »Eetapliysik« 

toelehe  durch  die  entsprechende  Vorstellung  vorgestellt,  in  ihrem  Mialte  durA 
ihnen  eorrespondierende  Bestandtetie  derselben  vertreten  erseheinen"  (L  c.  S.  83). 
Vgl.  Prantl,  G.  d.  L.  I,  424;  Hegel,  WW.  VI,  325;  Hinkichb,  Gnindlin. 
d.  Philos.  d.  Log.  S.  25  ff.;  Hoppe,  Die  gesamte  Log.  1868,  §  104;  Siowast, 
Log.  I^  §  41  f.;  Höfleb,  Log.  §  15;  Baumann,  Einleit  in  d.  Philos.  S.  9  L 
—  Vgl.  Begriff,  Definition. 

MessianlsimiB:  Erwartung  eines  Messias,  Heilandes,  E^rlöserB.  —  yr^Uo* 
sianismus*^  nennt  H.  Wronski  seine  Lehre  von  der  einstigen  Herrschaft  der 
Vernunft. 

Metabasis  eis  allo  genos  {/leräßacig  ste  dXXo  ytvos):  der  logische 
Fehler  des  Sprunges  von  einem  Gebiet  auf  ein  fremdes,  nicht  zur  Sache  ge- 
höriges Gebiet  und  der  damit  verbundenen  Begriffsverwechselung  (Abistotelbb, 
De  coel.  I  1,  268b  1;  vgL  Quintil.,  Instit.  or.  IX,  5,  23). 

nietabiolofl^les  Logik  und  Metaphysik  der  biologischen  Erscheinuiigeo. 

nietaf^eoiiietrle  s.  Metamathematik. 

HEetalLOsnilBeli  bedeutet  nach  O.  Liebmann  das  absolut  Notwendige, 
Allgemeine,  Apriorische,  Transcendentale,  im  Unterschiede  vom  Psychologischen 
(Anal.  d.  Wirkl.»,  S.  239  ff.). 

MetalotieiiB:  Titel  einer  Schrift  von  JoH.  yon  Sausbury. 

metalojt^scli  (/usra  Xoyov  SC.  iniorrififj)  ist  nach  Abibtoteles  das  be- 
griffliche durch  Erkenntnistätigkeit  erworbene  Wissen  (AnaL  II,  19).  Sonst  heifit, 
seit  Schopenhauer,  metalogisch  so  viel  wie  „^ur  Grundlage  des  Logisehen  ge- 
hörig^\  y, Endlich  können  auch  die  in  der  Vernunft  gelegenen  formalen  Bedin- 
gungen (dies  Denkens  der  Orund  eines  Urteils  sein,  dessen  Wcdtrheit  al^dtnm 
eine  solche  ist,  die  ich  am  besten  xu  bexeichnen  glaube,  wenn  ich  sie  m  et  alo- 
gische Wahrheit  nenne,"  Die  metalogischen  Wahrheiten  sind  die  Denkgeseüe 
(Vierf.  Würz.  §  33).  Nach  E.  v.  Hartmann  ist  metalogisch  z.  B.  das  Zu- 
sammensein mehrerer  Attribute  in  einer  Substanz,  als  von  der  Logik  nicht 
a  priori  gefordert  (CJesch.  d.  Met.  II,  318). 

metamatlieiiiatiscli  (metageometrisch)  heißen  jene  SpeculatioDen, 
nach  welchen  unser  dreidimensionaler  Baum  nur  ein  Specialfall  unter  denk- 
baren anderen  (n-dimensionalen)  Bäumen  (von  anderem  Krümmungsmafie),  in 
welchen  die  Euklidschen  Axiome  nicht  gelten  würden,  erscheint  Gr^naneres 
vgl.  imter  Baum. 

Metamorpliopsien  sind  Verzerrungen  der  Gresichtsbild»  bei  ge- 
wissen Erkrankungen  der  Netzhaut  (vgl.  Wundt,  Gr.  d.  PsychoL*,  S-  144). 

metamorpliose:  Verwandlung,  Entwicklung.    VgL  Evolution. 

melaorg^anisnias  nennt  Hellenbach  die  unbekannte  innere  Organi- 
sation der  Seele  (Der  Individual.  S.  197). 

9Ietaplier  (uerafo^d):  Übertragimg,  Bild.  Metaphorisch:  bildlich. 
im  übertragenen  Sinn,  z.  B.  anthropomorph  erfaßt.  Nach  Nietzsche  denkea 
wir  die  Außenwelt  in  lauter  Metaphern  (s.  Erkenntnis).  Das  Metaphorische 
unserer  Erkenntnis  und  Sprache  betont  A.  Biese  (Die  Philos.  d.  Metaphor. 

S.  5  ff.). 

Metapliysik  {„metaphysica'%  fisra  ra  fvaixd)  ist  die  Wissfaischaft  von 


Metaithysik.  657 


den  Grundbegriffen  (Frincipien)  des  Erkennens  und  der  EinzelwisBenschaften 
in  ihrem  letzten  für  uns  erreichbaren  Sinne  und  in  ihrem  Zusammenhange 
untereinander  und  mit  den  Forderungen  des  nach  Einheit  und  Geschlossenheit 
{Harmonie)  der  Weltanschauung  strebenden  Denkens.  Die  Metaphysik  ist 
keine  Sonderwissenschaft  geheinmisvoller  Art,  sondern  die  (relativ)  ahschliefiende, 
auch  nach  dem  Sinn  und  der  Bedeutung  der  Welt  fragende,  in  diesem  Sinne 
speculative  Verarbeitung  der  Voraussetzungen  und  Ergebnisse  der  Einzelwissen- 
flchaft  mit  Hilfe  der  Erkenntniskritik  und  schließlich  auch  der  kiinsüerisch 
gestaltenden  Phantasie  und  der  Intuition.  Auf  Wissenschaft  fußend,  im  Cen* 
trum  wissenschaftlich  verfahrend,  mündet  die  Metaphysik  in  Kunst  und  Eeligion, 
mit  denen  sie  also  letzten  Ebudes  ebenso  verwandt  ist  wie  mit  der  Einzelwissen- 
schaft; im  ursprünglichen  Mythus  (s.  d.)  waren  oder  sind  Metaphysik,  Wissen- 
schaft, Religion  noch  undifferenziert  enthalten.  Die  Metaphysik  darf  die 
Erfahrung  nicht  überfliegen,  nicht  aus  selbstgemachten  Begriffen  die  Erfahrungs- 
tatsachen ableiten,  sie  muß  vielmehr  von  der  Erfahrung  ausgeh^i,  diese  bis 
zum  jeweiligen  Ende  begleiten  und  erst  dann,  auf  dem  durch  die  Erfahrung 
angedeuteten  Wege  die  Erfahrung  transcendieren.  Metaphysik  und  Empirie 
müssen  möglichst  reinlich  auseinandergehalten  werden.  Der  metaphysische 
Trieb  ist  der  Trieb  nach  dem  Unbedingten,  Absoluten,  Einheitlichen,  in  sich 
Geschlossenen  der  Weltbetrachtung.  Die  Metaphysik  gliedert  sich  in:  1)  all- 
^meine  Metaphysik  (Ontologie,  s.  d.),  2)  specielle  Metaphysik:  a.  Natur- 
l^iiloeophie,  b.  Geistesphilosophie,  c.  natürliche  Theologie  nebst  Unterabteilungen. 

Von  den  metaphysischen  Problemen  sind  die  hauptsächlichsten:  1)  das 
ontologische  Problem.  Danach  gibt  es  Materialismus  (s.  d.),  Spiritualismus 
(b.  d.),  Identitatsphilosophie  (s.  d.);  2)  das  kosmologische:  verschieden  be- 
jmtwortet  von  der  mechanischen  (s.  d.)  xmd  von  der  teleologischen  (s.  d.)  Welt- 
anschauung, vom  Monismus  (s.  d.)  und  vom  Pluralismus  (s.  d.);  3)  das  meta- 
psychologische: Monismus  (s.  d.),  Dualismus  (s.  d.),  Identitätslehre  (s.  d.), 
ParaUelismus  (s.  d.);  4)  das  theologische:  Theismus  (s.  d.),  Pantheismus  (s.  d.), 
Panentheismus  (s.  d).,  Atheismus  (s.  d.);  5)  das  Freiheitsproblem:  Deter- 
minismus (s.  d.),  Indeterminismus  (s.  d.).  Die  Principien  (s.  d.)  der  Welt 
werden  verschieden  bestimmt  VgL  Materie,  Elraft,  Substanz,  Seele,  Atomistik, 
Gott,  Monaden,  Geist,  Natur  u.  s.  w. 

XHe  ältere  Metaphysik  ist  dogmatisch  (s.  d.);  der  Skepticismus  (s.  d.)i  in 
neuerer  2^it  besonders  Hume,  und  der  Kriticismus  (s.  d.)  Ka.nts  (s.  unten)  be- 
streiten ihre  Ansprüche  und  Gültigkeit,  sie  erhebt  sich  dann  (Schelling, 
HsGBii  u.  a.)  zu  neuem  Dogmatismus,  um  mm  zur  kritischen,  sich  ihrer 
Oreii2en  wohlbewußten,  erkenntnistheoretisch  fundierten  Metaphysik  zu  werden. 
Der  Positivismus  (s.  d.)  negiert  alle  Metaphysik 

Das  Wort  yjMetapkysih'  entstand  aus  der  Stellung  der ,, ersten  Philosophie^^ 
•des  Aristoteles,  /ibtu  xa  ^vaixtij  nach  der  Physik,  in  der  Anordnung  der 
Schriften  des  Stagiriten  durch  Andronicus  von  Bhodus.  Bald  erhält  der 
Terminus  die  Bedeutung  einer  Wissenschaft  vom  Übersinnlichen,  Überempiri- 
schen,  Transcendenten.  Herennius  bemerkt:  fiera  ra  fvcixa  Xhyovrat  äne^ 
^astoß   vne^irai  xal  vnsQ  atrlav  Mal  Xoyov  etciv  (ECJCKEN,  Terminol.  S.  183). 

Bei  Plato  ist  die  Metaphysik,  die  Lehre  vom  Seienden,  ein  Teil  der 
Dialektik  (s.  d.)  Bei  Aristoteles  tritt  sie  als  n^cSrrj  tpiXoaofia,  f^ersU  PhHo- 
3opkie^j  auch  als  &eoXoy$x4  (weil  Gott  das  höchste  Princip  ist)  auf,  als  Wissen- 
schaft  vom  Seienden  als  solchem  und  dessen  letzten  Gründen  (Principien): 

Fhllosophisohes  Wörterbaoh.    S.  Aufl.  42 


658  Metaphysik. 


Tov  OPTOS  iarlv  ^  6v  (Met.  IV  3,  1005  a  24;  Bei  yaQ  ravrijv  zcSr  n^tanav  a^»r 
xai  atnwv  slvai  d'eM^rjrix^v  (1.  c.  I  2,  d82b  9).  Die  Metaphysik  handelt  xe^ 
Xat^i^rd  xai  axlvrira  (1.  c.  VI,  1026  a  16).  Die  allen  Dingen  gemeinsamen 
Prineipien  (s.  d.)  werden  hier  untersucht. 

Die  antike  und  mittelalterliche,  audi  ein  Teil  der  neueren  Metaphysik  ist 
ontologistisch  (s.  d.),  erhebt  Denkgebilde  zu  realen  Wesenheiten  oder  schließt 
aus  jenen  auf  diese.  —  Von  der  „metaphysica*^  bemerkt  Albertus  Magstb: 
yylsta  sdeniia  transphyaiea  vocatuf*^  (vgl.  Haureau  II  1,  p.  123).  Nach 
Thomas  handelt  die  Metaphysik  ,jde  ente  sive  de  sttbstafUia**  (1  AnaL  41b), 
,yde  ente  in  eommuni  et  de  ente  primo,  quod  est  a  nuUeria  eeparatitm^*  (1  gener., 
prooem.).  Die  Metaphysik  ist  yytranephysiea^^  (1  met.,  pr.).  y^Fere  totius  pküo- 
sophiae  consideratio  ad  Dei  eognittonem  ordinaiur,  Propter  quod  metapkynea, 
qwie  drca  divina  versaiur,  inter  pküasophiae  partes  ultima  remanet  acUiiseenda*^ 
(Contr.  gent  I;  4).  Nach  Suarez  hat  die  Metaphysik  ihren  Namen  daher, 
„qtwniam  de  primis  rerum  eausis  et  aupremis  ae  diffieiüimis  rebus  et  quodam- 
modo  de  univerais  entibus  disputat^'  (Met.  disp.  I,  1).  —  Micrablics  erklart: 
„Metaphysica,  quasi  seientia  post  vel  supra  physicafn,  ea  considerat  quae  auni 
supra  Corpora  naturalia.^*^  „Metaphysicae  obiectum  est  ens,  quatenus  ens  est, 
Unde etiam  voeaiur  aliquibus  ovroXoyla,*^  ^Metaphysica  dimditur  in  generalemj 
qua  ens  in  abstractissima  ratione  et  omnimoda  indifferentia  consideraiur,  eum 
quoad  naturam  tum  quoad  affeetiones  tarn  eoniunelas  quam  diasolutas:  Ei  m 
specialem,  qua  ens  eonsideratur  in  isiis  speciebus  substantiarum,  quae  ab 
omni  materia  sunt  absolutae^*  (Lex.  phUos.  p.  654).  Ziemlich  Aristotelisch  st 
u.  a.  die  y^prima  philosopkia**  von  L.  Vn^s  (1531).  —  Nach  Campakella 
enthalt  die  Metaphysik  die  Voraussetzungen  der  Wissenschaften  und  deren 
Begründung  (Univ.  philos.). 

F.  Bacon  spricht  von  der  „inquisitio  formarumy  quae  statt  (rcUiotie  certty 
et  sua  lege)  aetemae  et  immobileSy  et  oonstituat  metaphysieam"  (Nov.  Organ. 
II,  9).  Die  Metaphysik  ist  ein  Teil  der  Naturphilosophie  und  handelt  ,yde  forma 
et  fine^^  (De  dignit.  III,  1  squ.,  IV,  1  squ.).  Bei  Descartes  ist  sie  Prineipien- 
lehre.  Nach  Clauberq  ist  die  Metaphysik  Ontologie  (s.  d.).  Nach  Bayle  ^ 
sie  yyla  science  speeulative  de  l'etre^^  (Syst.  de  philos.  p.  149).  Bei  Spinoza 
bildet  sie  einen  Teil  der  jyEthiea",  bei  Geülincx  tritt  sie  als  y,metaph/siea'^ 
auf.  Skeptisch  gegenüber  der  Metaphysik  ist  schon  Locke,  während  Huxs 
sie  ganz  verwirft.  Chr.  Wolf  teilt  die  Metaphysik  ein  in:  Ontologie  (s,  d.i, 
Kosmologie  (s.  d.),  rationale  Psychologie  (s.  d.),  rationale  Theologie  (s.  d.u 
Nach  ihm  wie  nach  Baumgartek  (Met.  §  1)  ist  sie  yyseientia  prima  eogniHoms 
humanae  principia  eontinens",  Crusius  definiert  die  Metaphysik  als  die 
„Wissenschaft  der  notwendigen  Vernunftwahrheiten,  inwiefem  sie  den  xufaüigen. 
efitgegengesetxt  tcerden"  (Vemunftwahrh.,  Vorr.  zur  1.  Aufl.,  §  4).  Nach  Platner 
untersucht  die  Metaphysik  „nicht  was  das  Wirkliche  sei  nach  der  Erfahrung, 
sondern  was  das  einxig  Mögliche  und  Notwendige  sei,  nach  der  reinen  Vernunft^ 
(Philos.  Aphor.  I,  §  817).  Später:  „Die  Metaphysik  iet,  ihrem  Zwecke  nach,  eine 
Reifte  geordneter  Untersuchungen  über  die  wirklichen  Oründe  unserer  Vor'- 
Stellungen  von  der  Welt.  Ihrem  Inhalte  nach  ist  sie  der  Inbegriff  ntensckUeher 
Vemunftideeti  über  diesen  Gegenstand^*  (Ix)g.  u.  Met.  §  33.5).  Nach  Feder 
stimmen  alle  Philosophen  darin  überein,  „dafi  in  der  Metaphysik  die  ali- 
gemeitisten  Vernunftwahr  heilen  y  die  allgemeinsten  Gesetze  der  Natur  porgetragm 
mtd  mittelst  derselben  die  letzten  Oründe  der  Eigenschaften  und  Veränderungin 


I 


»Eetaphysik.  659 


der  Dinge  so  viel  möglieh  aufgedeckt  werden  sollen"  (Log.  u.  Met.  p.  219). 
Die  Metaphysik  klärt  die  Grundbegriffe  und  allgemeinsten  Grundsätze  des 
menschlichen  Denkens  auf  (1.  c.  S.  220).  Nach  M£NDEL880H24r  sind  die  meta- 
physischen Wahrheiten  y^war  derselben  Qetcißheit,  aber  nicht  derselben  Faßlich" 
keit  fähig  .  ,  ,,  als  die  geometrischen  Wahrheiten"  (Abh.  üb.  d.  Evid.  S.  11).  — 
CoxBtLiiAC  bemerkt:  ,,77  faut  distingtter  deux  sortes  de  metaphysique,  L'unSy 
ambüieuse,  reut  percer  totis  les  mysüres  —  Vautre,  pltis  retenue,  proportionne 
sea  reeherches  ä  la  faiblesse  de  l'esprit  kumain;  et  aussi  peu  inqmet  de  ce,  qui 
doü  lui  eehapper,  qu*amde  de  ee,  qu'elle  peut  saisir,  eile  fait  se  conienir  dans 
les  bomes,  qui  lui  sont  marquees"  (Essai  sur  l'orig.  des  connaiss.  hum.,  Introd. 
p.  V).  Nach  d'Alembert  ist  die  (echte)  Metaphysik  besonders  eine  Theorie 
vom  Ursprung  der  Ideen  (M^lang.  Y). 

Gegen  die  ontologische,  aus  Begriffen  die  Bealität  der  Dinge  an  sich  ver- 
meintlich herausanalysierende,  hierbei  apodiktisch  auftretende  Metaphysik  kämpft 
Kakt   in   seiner  Vemunftkritik,   deren  Ergebnis   ist,   daß   eine   transcendente 
Metaphysik  eine  Schein  Wissenschaft  sei  und  daß  es  nur  eine  kritisch-immanente 
Metaphysik,  als  Wissenschaft  von  den  allgemeinsten,  apriorischen  (s.  d.),  der 
Erfahrung  zugrunde  liegenden,  transcendentalen  (s.  d.)  Begriffen  („  T^anscendental- 
Philosophie'^,  s.   d.)   geben   könne.     Früher  definiert  er:    „Philosophia  autem 
prima    eontinens   principia    usus    intellectus  puri  est   metaphysiea*" 
(De  mundi  sens.  sct.  II,  §  8).     Den   Übergang  zur  kritischen   Periode  bildet 
folgende  Bemerkung:  ,yDie  Metaphysik,  in  todche  ich  das  Schicksal  habe  ver- 
liebt  XU  sein,  .  .  .  leistet  zweierlei   Vorteile,     Der  erste  ist,  den  Aufgaben  ein 
Genüge  xu  tun,  die  das  forschende  Oemüt  auficirft,  wenn  es  verborgeneren  Eigen- 
schaften der  Dinge  durch  Vernunft  nachspäht.    Aber  hier  täuscht  der  Ausgang 
nur  gar  xu  oft  die  Hoffnung  .  .  .     Der  andere  Vorteil  ist  der  Nahir  des  mensch- 
liehen  Verstandes  mehr  angemessen  und  besieht  darin:  einzusehen,  ob  die  Auf- 
gabe  aus  demjenigen,  was  man  tcissen  kann,   auch  bestimmt  sei,  und  welches 
Verhältnis  die  Frage  xu  den  Erfahrungsbegriffen  habe,  darauf  sich  alle  unsere 
Urteile  jederzeit  stützen  müssen.    Insofern  ist  die  Metaphysik  eine  Wissenschaß 
von  den  Grenzen  der  menschlichen   Vernunft^  (Träume  ein.  GeLsterseh. 
II.  T.,  II.  Hpst.,  WW.  II,  375).    In  der  Vernunftkritik  spricht  Kant  von  der 
Metaphysik  als  von  einer  „ganz  isolierten  speculaiiven  Vemunfterkenntnis,  die 
eich  gänzlich  über  Erfahrungsbelehrung  erhebt,  und  xwar  durch  bloße  Begriffe" 
(Krit.  d.  r.  Vem.,  Vorr.  II,  S.  16).    Die  Metaphysik  ist  eine  „Philosophie  über 
die  ersten  Gründe  unserer  Erkenntnis"  (WW.  II,  291),   „w«n  will  vermittelst 
ihrer  über  alle  Gegenstände  möglicher  Erfahrung  (Irans  physicam)  hinausgehen, 
um  tcomöglich  das  zu  erkennen,  was  schlechterdings  kein  Gegenstand  derselben 
sein   kann"  (WW.  VIII,  576).     Die  Apriorität  der  Metaphysik  steht  fest,  sie 
ist  „Erkenntnis  a  priori,  oder  aus  reinem  Verstände  und  reiner  Vernunft'^,  sie 
muß  „lauter  Urteile  a  priori  enthalten**,  die  insgesamt  synthetisch  (s.  d.)  sind ; 
die  metaphysische  ist  „jenseits  der  Erfahrung  liegende^'  Erkenntnis  (Prolegom. 
g  ly  2,  4).    „Gott,  Freiheit  und  Seelenunsterblichkeit  sind  diejenigen  Auf- 
gaben, xu  deren  Auflösungen  alle  Zurüstungen  der  Metaphysik,  als  ihrem  letzten 
und     alleinigen  Zwecke,  abzielen"   (Krit   d.   Urt.   II,   §  91).      Die  Frage:    ist 
Metaphysik  als  Wissenschaft  möglich?  wird  im  transcendenten  Sinne  verneint 
(8.  Oialektik),  im  immanenten,  transcendentalen  bejaht.    Die  „Kritik  der  reinen 
Vernunft*  ist  die  „notice^idige  vorläufige  Veranstaltung  zur  Beförderung  einer 
gründlichen  Metaphysik  als    Wissenschaft"  (Krit.  d.  r.  Vem.,  Vorr.  II,  S.  29). 

42* 


660  »Eetapbysik. 


1 


„ÄUe  wahre  Metaphysik  ist  aus  dem  Wesen  des  Denhungstfermögens  selbst  ge- 
nommen und  keineswegs  darum  erdichtet^  weil  sie  nicht  von  der  Erfahrung  ent- 
lehnt ist,  sondern  enthält  die  reinen  Handlungen  des  Denkens,  mithin  Begrife 
und  Grundsätze  a  priori,  welehe  das  Mannigfaltige  empirischer  Vorsteüsmgem 
allererst  in  die  gesetx/mäßige  Verbindung  bringt,  dadurch  es  empirisches  Er* 
kenntnisy  d,  h,  Erfahrung ^  werden  kann^^  (WW.  IV,  362;  Proleg<HDL  §  57). 
Metaphysik  (im  guten  Sinne)  iBt  also  ,4as  System  aller  Prineipien  der  reinen 
theoretischen  Vemunftbegriffe  durch  Begriffe;  oder  kurz  gesagt:  sie  ist  das 
System  der  reinen  theoretischen  Philosophie^*  (Üb.  d.  Fortschr.  d.  Met.  S.  99). 
Metaphysik  ist  eine  y,Wissenschafl  von  den  Gesetzen  der  reinen  mensehliehen 
Vernunft  und  also  subfeetiv*',  „pküosophia  pura",  „Philosophie  über  die  Form*^ 
(Reflex.  8.  106,  110).  Das  Übersinnliche,  Jenseitige  ist  nur  G^egenstand  des 
Glaubens,  der  praktisch  vernünftigen  Betrachtung  (1.  c.  8.  156).  Die  Meta- 
physik, d.  h.  materiale  reine  (apriorische)  Philosophie,  ist  Metaphysik  der  Natur 
(Met.  Anf.  d.  Naturwiss.,  Vorr.  8.  VII)  und  Metaphysik  der  Sitten  (Moni). 
Sie  soll  ,idie  Idee  und  die  Prineipien  eines  mögliehen  reinen  Willens  unter- 
suchen'' (WW.  IV,  238).  —  Nach  Reixhold  ist  die  Metaphysik  ,4ie  Theorie 
der  a  priori  bestimmten  Gegenstände'^  (Theor.  d.  YorstelL  II,  486). 

Nach  YjlST  erhebt  sich  die  Metaphysik  häufig  wieder  zu  einer  Lehre  vom 
Transcendenteu  (s.  d.),  das  man  durch  intellectuelie  Anschauung  oder  dmdii 
Dialektik  (s.  d.),  teilweise  gestützt  auf  die  Annahme  der  Identität  (a.  d.)  von 
Denken  und  Sein,  erfassen  zu  können  glaubt.  —  Anthropologisch  (paychologisdi) 
begründet  die  Metaphysik  Fries  (Syst.  d.  Philos.  1804).  Calker  nennt  die 
Metaphysik  „  ürgesetzlehre'^  des  Wahren,  Guten ,  Schönen  (Urges.  1820).  — 
BouTERWEX  ist  Metaphysik  „  Wissenschaft  der  noticendigen  Beziehungen 
Gedanken  auf  das  ilbersinnliehe  Wesen  der  Dinge"  (Lehrb.  d.  philos.  Wissensch.  I. 
11).  Mit  J.  G.  FiCHTEs  „  IVissenschafislehre^'  (s.  d.)  beginnt  eine  idealistiBche  MeC 
Hegel  identificiert  Lqgik  (s.  d.)  und  Metaphysik  (EncykL  §  24).  Die  Meta- 
physik ist  reine,  abstracte  Begriffswissenschaft,  speculativ  (s.  d.).  Sie  ist  der 
„Umfang  der  allgemeinen  Denkbestimmungen,  gleiehsam  das  diamantene  Nets^ 
in  das  wir  allen  Stoff  bringen  und  dadurch  erst  verständlich  maehen'*  (Log.  III. 
18  f.).  Nach  E.  Bosenkkakz  zerfällt  die  Metaphysik  in  Ontologie,  Ätiologie, 
Teleologie  (Wissensch.  d.  log.  Idee).  Nach  C.  H.  Weisse  ist  die  MetapbyBä 
die  „  Wissenschaft  des  reinen  Denkens,  reine  Wissenschaft  a  priorv*  (Metaphjs.. 
Einleit.  C.  3,  S.  38).  Chr.  Krause  nennt  die  Metaphysik  „UrwisBenscha/t 
(vgl.  Vorles.  üb.  d.  Syst  d.  Philos.,-  s.  Philosophie).  Nach  Braniss  hat  die:| 
Metaphysik  (Idealphiloeophie)  „von  der  absoluten  Idee  aus  den  Wdtbegriff  «■ 
bestimmen  und  zu  entwickeln''  (Syst.  d.  Met  S.  143  ff.).  —  Nach  Heilrast 
hingegen  ist  die  Metaphysik  „die  Lehre  von  der  Begreiflichkeit  der  Erfakrmif^ 
(Allg.  Met.  I,  215),  die  Wissenschaft  von  der  „Ergänzung  der  Begriffe,  bdinfr 
ihrer  Denkbarmachung  (Lehrb.  zur  EinL»,  S.  255).  Sie  bearbeitet  die  &- 
fahrungsbegriffe,  behufs  Beseitigung  der  Widersprüche  (s.  d.)  dersdben,  diiRi| 
die  „Methode  der  Beziehungen"  (s.  d.).  Sie  zerfällt  in  Methodologie,  Ontofegie. 
Synechologie,  Eidolologie  (s.  d.)  (vgL  Encykl.  d.  Philos.  S.  297  ff.).  Be2(SO 
gründet  die  Metaphysik  auf  die  innere  Wahrnehmung,  auf  Psychologie,  irefl 
wir  das  fremde  Sein  nach  Analogie  unseres  Innoiseins  deuten  (I^eloh.  <L 
Psychol.»,  §  129,  159).  Das  gleiche  tut  die  Metaphysik  Schopenhauek». 
alles  Sein  als  „  Willen"  (s.  d.)  bestimmt  Es  ist  nicht  die  Aufgabe  der 
physik,  „die  Erfahrung,  in  der  die  Welt  dasteht,  zu  überfliegen. 


Ketaphyaik.  661 


Grund  aus  xu  verstehen,  indem  JErfakrung,  äußere  und  innere,  allerdings  die 
EauplqueUe  aller  Erkenntnis  üf*  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  S.  426).     Die  Meta- 
phyBik  fadt  das  Vorhandene  „als  eine  gegebene,  aber  irgendwie  bedingte  Erschein 
nungj  in  welcher  ein  von  ihr  selbst  verschiedenes  Wesen,  welches  demnach  das 
Ding  an  sich  wäre,  sich  darstellt.    Dieses  nun  sucht  sie  näher  kennen  xu  lernen: 
dis  Mittel  hierxu  sind  teils  das  Zusammenbringen  der  äußern  mit  der  innem 
Erfahrung,  teils  die  Erlangung  eines  Verständnisses  der  gesamten  Erscheinung, 
mittelst    Auffindung  ihres   Sinnes   und  Zusammenhanges  ....     Auf  diesem 
Wege  gelangt  sie  von  der  Erscheinung  xum  Erscheinenden,  xu  dem,  was 
hinter  jener  steckt**,     Sie  zerfallt  in :   Metaphysik  der  Natar,  Metaphysik  des 
Schönen,  Metaphysik   der  Sitten  (Parerga  11,   §  21).      Die   größeren   Fort- 
schritte  der   Physik   machen    das   Bedürfnis    nach  Metaphysik  immer   fühl- 
barer (W.  a.  W.  u.  y.  II.  Bd.,  C.  17).     Das  eigenste  Gehiet  der  Metaphysik 
liegt  in   der  Greistesphiloeophie,  weil  der  Mensch  nach  seinem  Innem  (dem 
Willen,  8.  d.)  die  Natar  begreift  (ib.).    Aufgabe  der  Metaphysik  ist  ,/fte  richtige 
Erklärung  der  Erfahrung  im  ganzen",  sie  hat  ein  empirisches  FuiHlament  (ib.). 
Indem  sie  das  Verborgene  immer  nur  als  das  in  der  Erscheinung  Erscheinende 
betrachtet,  bleibt  sie  immanent  (ib.).     Sie  hat  aber  keine  apodiktische  Gewißheit 
0b.).    Das  Metaphysische  ist  das  Ding  an  sich,  das  Physische  die  Erscheinung. 
Trendelenburo  bestimmt  die  Metaphysik  als  Wissenschaft  des  allgemein 
Seienden  (Log.  Unt.).    Eine  „mitaphysique  positive^^  lehrt  Vachebot  (La  m^t 
et  la  science*,  I,  p.  XLVI).    Metaphysik  ist  ,/a  science  de  Vinfini,  de  Vabsolu, 
de  Vuniversd,  de  Cuniti,  du  tout*  (L  c.  I,  p.  211).    Nach  Lotzb  ist  Metaphysik 
die  „Lekrcy  welche  die  für  unsere  Vernunft  unabweislichen  Voraussetxungen  über 
die  Natur  und  den  Zusammenhang  der  Dinge  nicht  fragmentarisch,  wie  die 
gewohnliehe  Bildung,  sondern  vollständig  und  geordnet  darstellt  und  die  Grenxen 
ihrer  Öiiltigkeit  bestimmt"  (Gr.  d.  Log.  S.  99).     Sie  untersucht  „den  wahren 
Qrund,   den  genau  bestimmten  Sinn  und  die  Anwendungsgrenxen"  der  allge- 
meinen Gnmdsatze  der  Wissenschaften  (Gr.  d.  Met.  S.  6).     E.  v.  Hartmann 
bestimmt  die  Metaphysik  als  inductive,  aposteriorische  Wissenschaft  (Gesch.  d. 
Met  n,  594).    So  auch  Drews,  der  die  Wissenschaft  als  „Wissenschaft  vom 
realen  Sein**  definiert  und  im  Ich  (s.  d.)  das  Grundproblem  der  Metaphysik 
erblickt  (Das  Ich  S.  6,  11).    Spicker  hält  die  Metaphysik  für  den  „eigentlichen 
Kemgehaä  aller  Philosophie^*.    Jeder  allgemeine  Satz  ist  metaphysisch,  „denn  er 
reicht  über  die  Erfahrung  hinaus  und  kann  nie  durch  Tatsachen  aus  der  Wirk- 
Uekkeit  eontrolliert  werden**  (K,  H.  u.  B.  S.  176).     Nach  Harms  ist  die  Meta- 
physik  die  „Wissenschaft  vom   Sein,  von  den  Formen  und  Arten  des  Seins, 
wdehes  von  allen  Wissenschaften  als  ihr  xu  erkennendes  Obfect  gedacht  wird^ 
(Log.- 8.  38).     EUqemakx  definiert:    „Die   Wissenschaft,  welche  sich  mit  dem 
Wesen,  dem  ursächlichen  2hisammenhange  und  dem  Endxiel  der  Dinge,  also  mit 
dem,  was  hinter  dem  Sinnliehen  verborgen  liegt,   befaßt,  ist  die  Metaphysik** 
(Log.  u.  Noet.»,  S.  8).     Die  Metaphysik  ist  „die  Wissenschaft  von  dem  Wesen, 
Orund  und  Ziel  alles  wirkliehen  Seins**  (Met.*,  S.  3).     Sie  ist  „Fundamental- 
wissenschaft**  (ib.).     Sie  zerfällt  in:  allgemeine  Metaphysik  (Ontologie)    und 
specielle  Metaphysik  (L  c.  6.  6).     Nach  Gutberlet  handelt  die  allgemeine 
Metaphysik  vom  Sein  im  allgemeinen  und  den  ihm  zunächst  stehenden  Be- 
griffen, die  specielle  Metaphysik  von  den  letzten  realen  Gründen  der  besonderen 
Weltdinge  (Log.«,  S.  2;  Met«,  S.  1  ff.). 

Eine  kritische,  teilweise  auch  eine  immanente,  positive  (auf  die  allgemeinsten 


662  Metaphysik. 


Erfahrungstatsachen,  Erfahningsgrundlagen  gehende)  Metaphysik  erkennen  ver- 
schiedene Philosophen  an.  So  Volkelt,  O.  Liebmanx,  welcher  erklart:  ,fDie 
kritische  Metaphysik  ,  ,  ,  ist  hypothetische  Erörterung  menschlicher  Vorstelhmgem 
über  Wesen,  Grund  und  Zusammenhang  der  Ding&^  (Klimax  d.  Theor.  S.  112^ 
„  Warum  hier  und  jetxt  dies  oder  das  ist  und  geschieht,  -^  dies  hat  dis  Physik 
aus  allgemeinen  Naturgesetzen  xu  deduderen,  und  xwar  womöglich  auf  mathe- 
matischem Wege,  Warum  aber  dies  und  das  überhaupt  irgendwo  und  irgenduann 
ist  und  geschieht f  —  dies  ist  Sache  der  Metaphysik^*  (als  Transcendentalphilo- 
Sophie)  (Anal.*  S.  351).  Femer  F.  Schüi-tze  (Philos.  d.  Naturwiss.),  F.  E^hardt 
(Met.),  Fechner,  F.  Patjlsen,  Witte  (Wes.  d.  Seele  S.  58,  336),  K.  Lass- 
witz (G.  d.  Atom.  I,  6),  Teichmüller  (Neue  Gnindl^.  S.  16),  Nibtzscbe, 
Kenouvier,  Foüillee,  J.  C.  8.  Schiller,  MainlXnder  (Philos.  d.  Erlös.), 
J.  Bergmann,  nach  welchem  Metaphysik  die  Wissenschaft  von  der  Bewußthdt 
oder  Ichheit  ist,  u.  a.  Leweb  betont:  ,yThe  scientific  canon  of  exeluding  firom 
calculation  all  incaletdahle  data  places  Metaphysies  on  the  same  lerel  «räA 
Physich"  (Probl.  I,  60).  Als  auf  Erfahrung  fußende  Wissenschaft  faßt  dk 
Metaphysik  E.  Zeller  auf  (Arch.  f.  syst  Philos.  I,  S.  8  f.).  —  P.  Carus 
definiert  die  Metaphysik  als  ^.Wissenschaft  von  den  Principien,  d  h. 
dem  letzten  Grunde  des  Daseins  und  des  Denkens'*  (Met  S.  6;  vgl.  S.  34  ffj. 
Das  Transcendente  ist  unerkennbar.  —  Nach  Sigwart  ist  die  Metaphysik 
die  Wissenschaft,  welche  „einerseits  die  letzten  Voraussetzungen,  van  denen 
alles  planmäßige  Denken  ausgeht,  anderseits  die  Resultate,  zu  denen  dieses 
gelangt,  in  einer  einheitliehen  Auffassung  von  dem  letzten  Grunde  des  Verhää-  ' 
nisses  der  subjectiven  Gesetze  und  Ideale  des  Denkens  und  Wollene  zu  dem  ob- 
jectiven  Inhalte  der  Erkenntnis  zusammenzubringen  hat**  (Log.  II*,  750).  Ihr 
höchstes  und  schwierigstes  Problem  ist  die  „Bestimmung  des  VerhäUni^ses,  in 
welchem  die  Notwendigkeit  als  Leitfaden  aller  Erkenntnis  des  Seienden  xu 
der  Freiheit  steht,  welche  das  subjeetive  Postulat  des  bewußten  Wollens  tsf**  (ib.». 
Wundt  versteht  unter  Metaphysik  die  „Principientehre"*.  Sie  stellt  den  Inhalt 
des  Wissens  „in  allgemeinen  Begriffen  über  das  Seiende  und  in  Gesetzen  über 
dessen  Beziehungen  dar  .  .  .  Auf  diese  Weise  ist  das,  freilich  oft  verfehlte,  Ziel 
der  Metaphysik  die  Aufrichtung  einer  widerspruchslosen  Wettansehauung,  treiehe 
cUles  einzelne  Wissen  in  eine  durchgängige  Verbindung  bringt**.  Ihre  Haupt- 
aufgabe ist  „das  Geschäft  der  Ergänzung  der  Wirklichkeit  .  .  .  durch  Aufstehen 
von  dem  in  der  Erfahrung  Gegebenen  zu  weiteren  Gründen,  die  nicht  gegeben  simh 
(Log.  I*,  7,  421).  Die  Metaphysik  ergänzt  die  Erfahrung  so,  „daß  sie  die  in 
der  Erfahrung  begonnene  Verbindung  nach  Grund  und  Folge  consequent  und  in 
gleicher  Richtung  weiter  führt,  bie  die  Einheit  gewonnen  ist,  welche  ee  uns  mo^iek 
macht,  die  ganze  Reihe  samt  den  Gliedern,  welcßie  der  Erfahrung  angehören^  ol* 
ein  Games  zu  denken**.  Die  negative  Aufgabe  der  Metaphysik  besteht  in  der 
Kritik  der  in  jeder  Wissenschaft  steckenden  metaphysischen  Voraussetzungen, 
die  positive  in  der  Berichtigung  und  Ergänzung  dieser.  Die  specielle  Meta- 
physik gliedert  sich  in  Naturphilosophie  (Kosmologie,  Biologie,  Anthropologie) 
und  Geistesphüosophie  (Ethik,  Rechts-,  Geschichtsphiloeophie,  Ästhetik,  Rs 
ligionsphilosophie)  (Einleit  in  d.  Phüos.  S.  85;  Syst  d.  Philos.*,  S.  30  ft: 
Philos.  Stud.  V,  48  ff.).  Die  Metaphysik  ist  nicht  zu  beseitigen.  „Sobaiä 
innerhalb  der  Einzelforschung  ein  unchtiges  Problem  von  allgemeiner  T^ragweilt 
sieh  auftut,  so  wird  es  von  selbst,  indem  es  die  Hilfe  anderer  WissetisgMeie  unJ 
unter   ihnen  insbesondere   auch   diejenige   der  Psychologie  und  Erkenntnislekrt    ! 


Metaphysüc.  663 

torttusselxty  xu  einer  pküosopkisehen  Aufgabe.  So  erhebt  steh  atts  der  Mitte  der 
Mnxeltaiesensehaften  selbst  die  Forderung  nach  einer  Wissenschaft  der 
Prineipien,  der  allgemeinen  Grundbegriffe  und  Grundgesetze,  für  die  der 
Name  jMeiaphysikf  beibeheUten  teeret  niag*^  (Ebb.  I,  S.  20;  Philo8.Stud.  V,  51). 
Nicht  als  „Begriffsdiehtung**  (wie  bei  F.  A.  Laitge),  sondern  als  Wissenschaft, 
deren  Methode  die  der  Einzelwissenschaften  ist,  ist  die  Metapliysik  aufzufassen 
(Syst  d.  Philos.*,  8.  Vj.  Zu  betonen  ist:  „Wer  über  die  Fragen,  auf  die  allein 
die  Erfahrung  Antwort  geben  kann,  die  letzten  metaphysischen  Ideen  xu  Rate 
zieht,  vermag  höchstens  die  empirischen  Tatsachen  in  Verunrrung  xu  bringen. 
Ebensowenig  können  endlieh  die  metaphysischen  Probleme  allein  aus  der  Erfah- 
rung entschieden  werden.  Diese  deutet  uns  aber  den  Weg  an,  den  wir  zu  gehen 
haben.  Denn  Voraussetzungen,  die  über  die  Tatsachen  der  Erfahrung  hinaus- 
reiehen,  können  ihre  logische  Berechtigung  immer  nur  dadurch  gewinnen,  daß  sie 
sieh  als  folgerichtige  Weiterentwicklungen  der  auf  empirisehem  Gebiete  notwendig 
gewordenen  Hypothesenbildungen  erweisen"  (Log.  I*,  630  f.).  Die  Metaphysik 
hat  „den  gesamten  Inhalt  der  Erfahrungsurissensehaften,  insofern  er  eine  prin- 
eipielle  Bedeutung  besitzt  und  beiträgt  xur  Gestaltung  unserer  tcissensehaftlichen 
Weltanschauung**  zu  ihrem  Gegenstande  (E^s.  1,  S.  21).  Metaphysik  gehört 
aber  ans  Ende,  nicht  an  den  An&ng  des  Erkennens  (Philos.  Stud.  XIII,  428). 
Metaphysisch  sind  alle  „Anneüimen,  die  irgendide  hypothetische  Ergänzungen 
der  Wirklichkeit  sind"^  (ib.).  Metaphysisch  ist  ,Jede  Untersuchung,  die  sieh  auf 
die  nicht  unmittelbar  der  Erfahrung  zugänglichen  Voraussetzungen  über  das 
Wesen  der  Dinge  bezieht*^  (Eth.*,  S.  14).  Metaphysisch  wird  eine  Theorie  dadurch, 
jjdaß  sie  irgend  ein  empirisch  gegebenes  Verhältnis  über  alle  Gretnen  der  /•>- 
fahrung  hinaus  erweitert"  (Philos.  Stud.  XIII,  361).  Jede  definitive  Hypothese 
ist  metaphysisch,  jede  Metaphysik  hypothetisch.  Metaphysischer  Begriff 
ist  ein  solcher,  der  direct  aus  dem  Motiv,  den  Weltzusammenhang  zu  begreifen, 
hervorgeht  (Einleit.  in  d.  Philos.  S.  351).  —  iNach  Husserl  hat  die  Metaphysik 
die  Aufgabe,  „die  ungeprüften  .  .  .  Voraussetzungen  metaphysische}-  Art  zu 
fixieren  und  zu  prüfen,  die  mindestens  allen  Wissenschaften,  welche  auf  die 
reale  Wirklichkeit  gehen,  zugrunde  liegen"  (Log.  Unt.  I,  11).  Nach  HÖFFDINO 
spricht  der  Metaphysiker  „nur  die  Gedanken  aus,  die  mehr  oder'  iceniger  tm- 
bewußt  dem  erfahrungs7fiäßigen  Forschen  zugrunde  liegen,  und  er  führt  ihre 
(hnsequenzen  durch"  (Psychol.*,  S.  18).  Nach  F.  Mach  beschäftigt  sich  die 
Metaphysik  „nur  mit  der  Erforsclmng  des  Wesens,  des  Grundes  und  Zweckes 
des  wirklich  Seienden"  (Religions-  u.  Weltprobl.  I,  57).  Uphues  erklart: 
„Die  Philosophie  als  Metaphysik  wUl  eine  Weltanschauung  geben,  eine  Vorstellung 
von  der  Welt  im  ganzen"  (Psychol.  d.  Erk.  I,  13).  KÜLPE  versteht  unter 
Metaphysik  den  „  Versuch  einer  mit  wissenschaftlichen  Mitteln  ausgebauten  Welt- 
anschauung*' (Einl.  in  d.  Philos.*,  S.  21),  so  auch  W.  Jerusalem  (Einl.  in  d. 
Philos.*).  —  Nach  Simmel  hat  die  Metaphysik  „den  formalen  Wert,  überhaupt 
ein  vollendetes  Weltbild  nach  durchgehenden  Prindpien  anzustreben"  (Problem, 
d.  Geschichtsphilos.  8.  63).  Alle  Metaphysik  besteht  in  der  Zurückführung 
der  sinnlichen  Äußerlichkeit  auf  geistige  Ptincipien  (1.  c.  S.  99).  Die  meta- 
physische Bpeculation  entspringt  dem  Spieltriebe  (1.  c.  S.  105).  Nach  H.  Corne- 
lius wäre  das  Ziel  der  (immanenten  Metaphysik)  eine  „einheitliche  Weltan- 
schauung, die  von  den  Erscheinungen  der  Natur  und  des  geistigen  Lebens,  von  den 
Gesetzen  der  objeetiven  Welt  und  von  den  Gesetzen  der  mensehlic/ien  Bestrebungen 
in  gleicher    Weise  Rechenschaft  gäbe"   (Einleit.   in   d.   Philos.   S.   12).     Nach 


664  Metaphysik  —  ITetaphysiBch. 

Heymans  ist  die  Metaphysik  ,,angewandU  Erkenntnütheorie^',  sie  hat  „die  fiir 
unser  Denken  notioendigen  Qrtmdlinien  des  Weltbildes  xu  bestimmen,  sofern  sitk 
dieselben  atis  den  Gesetzen  des  Denkens  entwickeln  ktssen^*  (Ges.  iL  Eiern.  <L 
wiss.  Denk.  S.  38).  Adickes  anerkennt  fietaphysik  nicht  als  WiBseoschaft  des 
Transcendenten  (Zeitschr.  f.  Philos.  104.  Bd.,  S.  52j,  nur  als  abschliefiendoi 
subjectiven  Glauben  (Zeitschr.  f.  Philos.  112.  Bd.,  S.  231).  Nach  Hodgson  iit 
die  Hauptaufgabe  der  Metaphysik  die  Analyse  des  Erkenneus  (The  Met  of 
Experience  1898).  Nach  Bi^XL  ist  die  Metaphysik  nur  als  kritische  Discipün, 
als  Theorie  der  Grenzbegriffe  der  E^rfahrung,  als  ,ySysiem  der  Erkenntnisprim- 
dpien"  berechtigt  (Philos.  Eritic.  II  1,  4).  B.  Erdmai^n  idenüüciert  die 
Metaphysik  mit  der  Erkenntnistheorie  (Log.  I,  11).  So  auch  (mit  der 
„Logik  der  reinen  Erkenntnis'^  H.  Cohen  (Log.  S.  516)  und  andere  Kantianer. 
—  Nach  M.  Palaqyi  betrachtet  die  Metaphysik  die  Tatsachen  der  Wissen- 
schaft unter  dem  Gesichtspunkte  der  Ewigkeit  (Log.  auf  dem  Schetdevege 
S.  243).  Die  eigentliche  Metaphysik  besteht  aus:  Metageometrie,  Metadynamik^ 
Metagenetik  (1.  c.  8.  310). 

Die  Berechtigung  und  Möglichkeit  jeder  (speculativen)  Metaphysik  negiert 
der  Positivismus  (s.  d.).  Nach  E.  Dühbing  hat  an  die  Stelle  der  Meta- 
physik die  „nur  auf  Wirklichkeiten  gegründete  Weltanschauungslekre"  zu  treten 
(Log.  8.  9).  Meti4>hysik  ist  nur  eine  phantastisch  oder  betrügerisch  ausgeföhite 
Art  der  Sachlogik  (Wirklichkeitephilos.  S.  278).  L.  Stein  sieht  in  aller  Meta- 
physik y^nur  Rauschesäußerungen  einer  trunken  gemachten  Logik,  im,  besten  Faüe 
Oedankendichtungen  großen  Stiles  —  eine  Poesie  des  dialeküach  geschulten  Ver- 
standes" (An  d.  Wende  d.  Jahrh.  S.  258).  E.  Mach  will  alle  metaphysischen 
Elemente  aus  den  naturwissenschaftlichen  Darstellungen  eliminieren  (Popolir- 
wiss.  Vories.  S.  363).  „Die  Ansieht,  tcelehe  sich  allmählich  Bahn  bricht,  daß  die 
Wissenschaft  sieh  auf  die  übersichtliche  Darstellung  des  TcUsächliehen  xu  he^ 
schränken  habe,  führt  folgerichtig  m^  Ausscheidung  aller  müßigen^  durch  die 
Erfahrung  nicht  controUierbaren  Annahmen,  vor  allem  der  metaphysischen  (im. 
Kantschen  Sinne)''  (AnaL  d.  Empfind.*,  Vorw.S.  V).  VgLDiLTHBY,  EinL  1, 163, 165. 

Außer  den  Systemen  der  Philosophen  und  Specialabhandlungen  vgl.  über 
Metaphysik  noch:  Goclen,  Isagoge  in  metaphysicam;  Gengvesi,  Elementa 
scientiarum  metaphysicarum  1743;  Fries,  Syst.  d.  Met.  1824;  Afelt,  Metaphys. 
1857;  E.  Ph.  Fischer,  Wissenäch.  d.  Met.  1834;  J.  E.  Erdmanit,  Gr.  d.  Log. 
u.  Met.*,  1864;  K.  Fischer,  Syst.  d.  Log.  u.  Met«,  1865;  George,  Syst  d. 
Met.  1844;  H.  Bitter,  Syst.  d.  Log.  u.  Met  1856;  E.  BEUfHOLD,  Syst  d. 
Met*,  1854;  Hartenstein,  Die  Grundprobleme  und  Grundlehren  d.  allgeoL 
Metaphys.  1836;  Fouillee,  L'avenir  de  la  m^taphys.  fond^  sur  Texp^ence 
1889;  Lachelier,  Du  fondement  de  Tinduction*,  1896;  P.  Janbt,  Principes  de 
metaphys.  et  de  psychol.  1897;  W.  Hamilton,  Lectures  on  Meti4>hy8.  and  Log.; 
Mansel,  Metaphysics  1860;  J.  F.  Ferrier,  Institut  of  Met  1854;  K  Caisp. 
Ess.  II  u.  a  Vgl  R.  Lehmann,  Zur  Psychol.  d.  Met  Dilles,  Weg  zur  MeL  1903. 

Über  Geschichte  der  Metaphysik  vgl.  E.  v.  Hartmann,  Gesch.  d.  Meta- 
phys. 1899/1900.  —  Vgl.  Philosophie,  Wissenschaft,  Problem,  Principien,  Sub- 
stanz, Seele,  Materie,  Kraft,  Spiritualismus,  Panpsychismus,  Gott^  Sein,  Objert 
Ding  an  sich,  Wirklichkeit,  Teleologie,  Naturphilosophie. 

Metapliysiftch :  zur  Metaphysik  (s.  d.)  gehörig,  überempirisch.  So  hat 
z.  B.  nach  Schopenhauer  der  Begriff  der  Causalitat  bloß  ,jphysiseke"^  mcbi 
„metaphysische"  Anwendung  (W.  a  W.  u.  V.  II.  Bd.,  C.  17). 


MetaphyBische  Begriffe  (Kategorien)  —  Methode.  665 

BletapliyBiselie  Bei^rÜfe  (Kateg^orlen)  sind  jene  Grundbegriffe, 
welche  direct  zum  Zwecke  der  HerstelluDg  eines  allgemeinsten  Erfahnmgs- 
Zusammenhanges  dienen  (Sein,  Substanz,  Ejraft  u.  s.  w.)>    Vgl.  Kategorien. 

BletapliysUielie  Probleme  s.  Problem. 

Metaphysisclie  Psycliologie  s.  Psychologie. 

nietapliysiselie  PanlLte  („points  metaphysiques^^)  nennt  Leibkiz 
(Gerh.  IV,  3d8)  die  Monaden  (s.  d.). 

Hetaphyidbielier  Oarwiiitomiis  heifit  die  Ansicht  von  du  Pael, 
wonach  das  Anpassungsresultat  auf  das  organisierende  Princip  übergeht  und  in 
einer  neuen  Incamation  wirksam  wird  (Mon.  Seelenlehre  8.  98  f.). 

Metapliyftisclier  Trieb  ist  der  in  dem  Einheitsstreben  des  Geistes 
begründete  Trieb  nach  Ergänzung  und  Deutung  der  Erfahrung  zum  Zwecke 
einer  Weltanschauung.  Nach  Schopenhauer  entsteht  mit  der  Besinnung  und 
Verminderung  (s.  d.)  über  sein  Dasein  beim  Menschen  das  metaphysische  Be- 
dürfnis, das  ihn  zum  ,/mimcU  nietaphysicum*^  macht  (W.  a.  W.  u.  V.  II.  Bd., 
C.  17).    Die  Religion  ist  „Volks^metaphysik"  (ib.) 

BletapliyBisebes  Siadlnm  (Comte)  s.  Wissenschaft 

Bleiatliesis  praemissamm:  Umstellung  der  Prämissen  bei  der  Ck)n- 
version  (s.  d.). 

Metempirteeli  (ametempiriecU^^)  ist  nach  Lewes  vom  Empirischen 
unterschieden.  Es  bedeutet  das  außerhalb  der  Erfahrung  Liegende,  Über- 
empirische. ,JPhysic8  and  Metaphysiea  deai  with  thinga  and  their  relaiians,  as 
tkese  are  known  to  us,  and  as  they  are  believed  to  exisi  in  our  umverae^  Met- 
empiries  toeeps  mU  of  this  region  in  seareh  of  tke  othemess  of  tkings:  seeking 
to  behoid  tkingSj  not  as  they  are  in  our  universe  —  not  as  they  are  to  us  —  it 
tubstiiutes  for  the  ideal  eonstruetions  of  science  the  ideal  constntetions  of  imagi- 
nattcn''  (ProbL  of  Life  and  Mind  I,  p.  17  f.).  y^Metempirical*'  bedeutet 
„whatever  lies  beyond  the  limiis  of  possible  Experienee"  (ib.). 

Metempsycliose  (^«r«,  iuxpvxoio) :  Seelenwechsel,  Seelen  Wanderung  (s.d.). 

mietliexis  (^«^«f»^):  Teilhaben  der  Dinge  an  den  Ideen  (s.  d.)  nach 
Plato,  Rosmini  u.  a. 

Bletliode  (usd'odos):  logisches,  planmäßiges,  systematisches  Verfahren 
wissenschaftlicher  Forschimg,  Untersuchungsweise,  Art  der  Wahrheitsfindung. 
Zu  unterscheiden  sind  besonders  naturwissenschaftliche,  psychologische,  philo- 
sophische Methoden.  Femer  analytische  (s.  d.),  regressive  (s.  d.),  inductive  (s.  d.) 
und  synthetische  (s.  d.),  deductive  (s.  d.),  progressive  (s.  d.)  Methode,  genetische 
(s.  d.)  und  systematische  (s.  d.),  speculative  (s.  d.),  dialektische  (s.  d.),  akroa- 
matische  (s.  d.),  erotematische  (s.  d.),  experimentelle  (s.  d.),  darstellende  und 
entwickelnde  Methode. 

Bei  Aristoteles  bedeutet  ftäd-oSog  Methode  (De  an.  I  1,  402  a  14),  auch 
Wissenschaft  (Phys.  I  1,  184a  11).  Er  bedient  sich  der  Analytik  (s.  d.)  und 
Dialektik  (s.  d.).  —  Boqeb  Bacon  stellt  die  Methode  der  „eocperieniia*^  der  des 
,/3trpumentum^^  gegenüber  (s.  Erfahrung).  —  Nach  Zabarella  ist  y^mähodui^* 
der  f/i€tbitus  intellectualis  instrumentalis  nobis  inserviens  ad  rerum  eognitionetn 
adtpiscendam**  (De  metL  I,  2;  Opp.  log.  p.  135). 


666  Methode. 

F.  Bacon  bildet  entgegen  der  begrifflich-speculativen,  deducüven,  sTllogi- 
s tischen  Methode  der  Scholastik  die  Methode  der  Induction   (s.   d.)    weiter. 
Galilei  stellt  neben  dem  Experiment  die  analytische  (resolutive)   und   syn- 
thetische   (compositive)    Methode    auf.      Diese    beiden    Methoden    (^meihodm 
resolutiva"  und  ,yCamposütva")  und  deren  Mischung  unterscheidet  auch  HoBB£^ 
(De  corp.  C.  6,  1,  2).     Es  wird  nämlich  entweder  fortgegangen  „a  generaiumt 
ad  effectus  possibiles"  oder  ab  „effectibtis  ffatvofiivon  ad  posstbiles*'  (L  c.  C  25,  11 
Descartes  sieht  das  Muster  aller  Methoden  in   der  der  Mathematik:   „solfn 
Mathematicos  demonstrationes  cUiquas,  hoc  est,  certas  et  evidentes  rationes  in- 
venire  potuisse"  (De  methodo  II,  p.  12).     Vier  allgemeine  methodische  Begidn 
haben  sich  bewährt:    ,,Primuin  erat,  ut  nihil  unqtiam  veltäi  rerum  admiäerem 
nisi  quod  certo  et  evidenter  verum  esse  cognoscerem;  hoe  est,  ut  aynnem  praeei- 
pitantiam  atqne  antidpaiionem  in  iudicando  düigentissime  vitarem;   nihüque 
amplius  conclusione  complecterer,  quam  quod  tarn  clare  et  distineU  rationi  meae 
pateret,  ut  nullo  modo  in  dubium  possem  reroeare,"  —  „AUerum,  ut  diffieultaie», 
quas  essem  examinaturus,  in  tot  partes  dividerem,  quot  expediret  ad  illas  commo- 
diiis  resolvendas/^  —  „Tertium,  ut  cogitationes  omnes,  quas  veritaii  qidoerendae 
impeTiderem,   certo   setnper  ordine   promoverem:    prineipiendo  scüieet  a    relna 
simplicissimis  et  cognitu  faeillimis,  ut  paulatim  et  quasi  per  gradus  ad  diffi- 
eüiarum  et  magis   compositarum   eognitionem   asoenderem;  in  aliquam   eiiam 
ordinem  illas  mente  disponefido,  quae  se  mutuo  ex  natura  sua  non  pra/ecakmt.^ 
—  „Ac  postremum,  ut  tum  in  quaerendis  mediis,  tum  in  difßeultaium  partHms 
pereurrendis,   tam  perfecte  singula  enum^rarem  et  ad  omnia  cireunupieereaty  ut 
nihil  a  me  omitti  essem  certus*^  (1.  c.  p.  11  f.).    Spinoza  erklärt  die  Methode 
als  reflexive  Erkenntnis  („cognitio  reflexiva^^  oder  die  Idee  der  Idee.    Sie  mufi 
die   wahre   Idee  von  dem  übrigen   unterscheiden,  femer  Regeln  geben,  durch 
welche  das  Unbekannte  begriffen  werden  kann,   und  die  Ordnung  bestimmen, 
nach  welcher  untersucht  wird  (De  emend.  intelL).    In  „Ethü^*  wird   der  „mos 
geometrieus*^   (s.  d.)   angewandt.     Die  Logik   von  Port -Royal  bestimmt  die 
Methode  als  „ars  bene  disponendi  seriem  plurimarum  eogitationum^^  (1.  c.  IV,  2l 
Pascal  erklärt :  „  Cette  vSritable  methode,  qui  formerait  lea  demonstraüons  dam 
la  plus  haute  eoceellence,  s'il  etait  possible  d*y  arriver,  consisteraii  en  deux  ckoses 
principales:  l'une,  de  n*employer  Jamals  aueun  terme  dont  on  n'eüt  aupar<want 
explique  nettement  le  sens;  l'autre,  de  n* avancer  jamais  aueune  proposition  qu'an 
ne  demonträt  par  des  ven'tes  dejä  eonnues;  en  un  mot,  ä  deßnir  tous  les  iermn 
et  ä  prouver  foutes  les  proposiiions"   (Pens.  I,   1).     D'Argkns  bestimmt:   „On 
entend  par  ce  mot  de  methode  la  demikre  des  opiratians  de  notre  esprit,  qtte 
nous  avons  indiquee  .  .  .  par  le  terme  de  coneevoir,   qui  signifie  disposer  oh 
arranger  ce  que  nous  avons  imagine  sur  un  sujet,  de  la  tnaniere  la  plus  promptt 
et  la  plus  claire  qu'il  nous  est  possible!^*  (Philos.  du  Bons-Sens  I,  p.  269).    ffi 
y  a  deux  sortes  de  methodes;  Vune,  qui  sert  ä  decouvrir  la  veritS,  et  qu'on  appeUe 
analyse,  ou mitßwde de  resohäion,  ou  mime  methode  d'ifwention,  et  Vautre,  qu'om 
nomme  Synthese,    ou  methode   de  compositum,   qu'on  emploie  lorsqu'on  veat 
rendre  sensibles  aux  autres  les  verites  doni  on  est  d^ä  convaincu*^  (L  c  p.  270k. 
Von  der  analytischen  Methode  sagt   Condillac:   ,fAn€Uyser  n^est  tlone  auire 
ehose  qu'observer  dans  un  ordre  suecessif  les  qualitSs  dun  ohjet,   afin  de  teir 
donner  dans   Vesprit   Vordre  simultane  dans   lequel  eües  existent*'  (Log.  I,  2). 
J.  Ebert  definiert:   „Die  Ordnung,  welcher  man  sich  bei  dem  Vortrage  seiner 
Beweise  und  seiner  Gedanken  überhaupt  bedienet,  heißt  die  Lehrart  oder  Metkodi, 


Methode.  667 

welche  man  getneiniglich  in  synthetische,  analytisehe  und  vermischte  einxiUeilm 
pflegt'  (Vemunftlehre  S.  121).  . 

Kaitt  versteht  unter  Methode  „die  Art  und  Weise,  tcie  ein  geivisses  Object, 
XU  dessen  Bhrkenntnis  sie  anxuwenden  ist,  vollständig  xu  erkennen  sei.  Sie  muß 
aus  der  Natur  der  Wissenschaft  selbst  hergenommen  werden"  (Log.  S.  16).  „Die 
seieniifische  oder  scholastische  Methode  unterscheidet  sich  von  der  popu- 
lären dadurch,  daß  jene  von  Orund-  und  Elementar- Sätxen,  diese  hingegen  vom 
Gewöhnliehen  und  Interessanten  ausgeht^  (1.  o.  S.  228).  „Die  analytische 
Methode  ist  der  synthetischen  entgegengesetxt.  Jene  fangt  von  dem  Bedingten  und 
Begründeten  an  und  geht  xu  den  Prindpien  fort  (a  prineipiatis  ad  prinoipia), 
diese  hingegen  geht  von  den  Prindpien  xu  den  Folgen  oder  vom  Einfachen  xum 
Zusammengesetxten,  Die  erstere  könnte  man  atich  die  regressive,  sowie  die 
letztere  die  progressive  nennen"  (1.  c.  8.  230).  „Die  syllogisiische  Methode 
ist  di^enige,  nach  welcher  in  einer  Kette  von  Schlüssen  eine  Wissenschaft  vor- 
getragen  wird"  (1.  c.  S.  230  f.).  Nach  Fries  ist  die  Methode  „eine  Handels- 
weise,  die  an  notwendige  Regeln  gebunden  ist**  (Syst.  d.  Log.  ö.  508).  Nach 
Hegel  ist  die  Methode  „der  sich  selbst  udssende,  sich  als  das  Absolute  .  .  .  xum 
Gegenstand  habende  Begriff^*,  „der  reine  Begriff,  der  sich  nur  xu  sich  selbst 
verhält*',  der  „sieh  begreifende  Begriff'*  (Log.  III,  330,  352).  Ähiüich  K.  Rosen- 
kranz (Syst.  d.  Wiss.  S.  123  ff.).  Nach  Hinkighs  ist  die  Methode  „das 
Wissen,  das  sich  sowohl  als  Sein  als  auch  als  Denken  .  .  .  gegenständlich  ist". 
Sie  ist  nicht  bloß  ein  Äußerliches.  Analysis  und  Synthesis  sind  in  ihr  unzer- 
trennlich (Grundlin.  der  Philos.  d.  Log.  S.  232  ff.).  Herbabt  bestimmt  die 
Methode  als  „die  allgemeine  Angabe  der  Art  und  Weise,  aus  Prindpien  etwas 
abxuleiien"  (Lehrb.  zur  Einleit.  in  d.  Philos.  §  13).  Nach  Bachmann  ist  die 
Methode  das  sichere,  kunstgerechte  Fortschreiten  in  der  Wissenschaft  (Syst.  d. 
Log.  S.  358).  „Die  wahre  Methode  der  Wissenschaft  ist  analytisch  wnd  synthetisch 
xugldeh,  aber  nicht  aus  ihnen  xusammengesetxt,  sondern  als  Indifferenx,  so  daß 
diese  beiden  nur  die  besonders  hervorspringenden  Pole  derselben  sind.  Von 
Tatsachen  ausgehend,  sucht  sie  die  absoluten  Prindpien  der  Erkenntnis,  sowohl 
der  Form  als  des  Oehalts,  wnd  aus  den  gefundenen  ist  sie  bemüht,  syn- 
thetisch die  ganze  Fülle  der  Wissenschaft  hervortreten  xti  lassen"  (1.  c.  S.  361). 
Das  ist  die  kritische  Methode  (1.  c.  S.  362).  „Die  Methode  in  ihrer  lebendigen 
Bewegung  sowohl  von  den  Gegebenen  xur  Idee,  als  von  der  Idee  xu  ihrer  Offen- 
barung in  den  dnxelnen  Momenten,  ist  die  Dialektik",  d.  h.  „die  Wissenschaft 
in  ihrer  organischen  Entwicklung**  (1.  c.  S.  371).  —  Nach  W.  Hamilton  ist  die 
Methode  „tlte  regtdaied  procedure  towards  a  certain  end"  (Lect.  on  Met.  and 
Log.  IV,  XXIV  ff.,  p.  3).  Nach  Teichmülleb  ist  die  Methode  „a  priori  be- 
stimmt, weil  sie  aus  der  Natur  des  Denkens  und  nicht  aus  der  Natur  der  xufallig 
gegebenen  Gegenstände  des  Denkens  herstammt"  (Neue  Grundleg.  S.  240).  Die 
Methode  ist  „diejenige  Ordnung  der  geistigen  Functionen,  durch  welche  die  ob- 
jeetiven  Coordinaten  dner  gesuchten  Erkenntnis  xum  Bewußtsdn  gebracht  werden" 
(L  c.  S.  324).  Von  einer  „sachlogischen"  Methode  spricht  E.  Dühring.  Nach 
GUTBERLET  bezeichnet  „Methode^*  „eine  solche  Zusammenordnung  der  Mittel, 
daß  durch  dieselbe  das  Ziel  am  besten  erreicht  wird"  (Log.  S.  136).  Nach 
Haoemann  zeigt  die  heuristische  Methode  „den  Weg,  auf  welchem  der  Stoff 
dner  Wissenschaft  in  möglichster  Genauigkeit  und  Vollständigkdt  xu  finden  ist** 
(Log.  u.  Noet*,  8.  106).  Nach  B.  Erdmann  ist  die  Methode  „die  Art  und 
Weise  dner   Wissenschaft,  gültige  Urtdle  über  ihren  Gegenstand  xu  gewinnen" 


668  Methode  —  Methoden  psychophysische. 

(Log.  I,  11).  Nach  M.  Palaoyi  gibt  es  nur  zwei  wissenschaftliche  Methoden: 
die  yjMethode  der  directen  Besinnung^  (physische  M.,  Induction)  und  die 
„Methode  der  eonirären  Besinnung'^  (metaphysische  oder  logische  M.,  DeductioD) 
(Log.  auf  dem  Scheidewege  S.  241  f.). 

H.  OoEnsN  (Log.)  und  Natokp  (Plat.  IdeenL)  fassen  die  „Methodef'  er- 
kenntniskritisch als  gesetzmäßige  Vereinheitlichung  der  £r&hrang8inhalte  durdi 
die  synthetische  Tätigkeit  des  Denkens  auf.  —  Husserl  betont,  ,fdaß  aik 
wissenaehaftlicken  Methoden,  die  nicht  selbst  den  Charakter  von  fcirldiehen  Be- 
gründungen .  .  .  haben,  entweder  denkökonomische  Abbreviaturen  und 
Surrogate  von  Begründungen  sind,  die,  nachdem  sie  selbst  durch  BegrimdungeH 
ein  für  aUemal  Sinn  und  Wert  empfangen  haben,  bei  ihrer  praktischen  Ver- 
tcendung  xwar  die  Leistung  aber  nicht  den  einsichtigen  Oedankengehaii  «w 
Begründungen  in  sich  schließen;  oder  daß  sie  mehr  oder  weniger  eomplieierie 
Hilfsverriehtungen  darstellen,  die  %Air  Vorbereätmg,  ^sur  Erleiekierung, 
Sicherung  oder  ErmÖgliehung  künftiger  Begründungen  dienen'*  (Log.  Unt 
I,  23). 

J.  St.  Mill  stellt  vier  Methoden  inductiv-wissenschaftlicher  Forachung 
auf:  1)  Methode  der  Übereinstimmung  („Method  of  agreement'):  „Wenn 
alle  beobachteten  Fälle  einer  zu  erforschenden  Naturerscheinung  nur  einen  efn- 
xigen  Umstand  gemein  haben,  so  ist  dieser  Umstand,  in  welchem  allein  aüe 
Fälle  übereinstimmen,  der  betreffenden  Erscheinung  wesentlich,  entweder  Ursache 
oder  Wirkung  derselben,^'  2)  Methode  der  Unterscheidung  (Differenz* 
methode,  „Method  of  differenc^^}:  „Wenn  ein  Fall,  in  welchepn  die  xm  er- 
forschende Naturerscheinung  eintritt,  und  ein  Fall,  in  welchem  sie  nickt  emtriU, 
alle  Umstände  gemein  haben  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  der  niur  im 
Falle  vorkommt,  so  ist  dieser  Umstand,  wodurch  allein  die  beiden  Flaue 
unterscheiden,  der  betreffenden  Naturerscheinung  tcesentlich,"  3)  Methode  der 
Beste  (Bückstände,  „Method  of  residues"):  „Wenn  man  von  einem  Ihäe 
einer  Erscheinung  durch  schon  gemachte  Inductton  weiß,  daß  er  Wirkung 
bestimmten  Umstandes  ist,  so  schließt  man,  daß  der  übrige  Teil  (Riiekstand 
Rest)  der  Erscheinung  durch  die  restierenden  Ufnstände  bedingt  ist.**  4)  Me- 
thode der  sich  begleitenden  Veränderungen  („Method  of  coneomitafd 
variations^') :  „Wenn  eine  Erscheinung  sieh  verändert,  so  oft  eine  andere  in 
einer  eigentümlichen  Weise  sich  verändert,  so  ist  sie  entweder  Ursache  oder  Wir- 
kung der  andern  ode?-  ist  durch  irgend  einen  Causahfexus  damit  verknüpft^ 
(Log.  I,  C.  8,  S.  453  ff.;  vgl.  Siowart,  Log.  II*,  470  ff.).  VgL  Wuhdt, 
Log.  II',  1 ;  Duhamel,  Des  m^thodes  dans  les  sciences  de  raisonnement  1866/72; 
A.  CoüRNOT,  Des  m^thodes  dans  les  sciences  de  raisonnement  1865 ;  W.  Smith, 
Methods  of  Knowledge  1899;  M.  F.  Scheler,  Die  transcendentale  und  die  psychoL 
Methode  1900.  Vgl.  Methodenlehre,  Methodisch,  Analyse,  Synthese,  Ausschhifl- 
verfahren.  Beweis,  Demonstration,  Definition,  Psychologie,  Psychophysik, 
Naturwissenschaft. 

Metliode  der  Bezlelmiif^eii  s.  Beziehungen. 

nietliode«  descriptive,  s.  Descriptiv ;  genetische,  s.  Genetisch,  Psychologie^ 

MeUioden»  psychologische,  s.  Psychologie. 
Metlioden,  peychophysische,  s.  Psychophysik. 


Methodenlehre  —  Methodisoh.  669 


ületliodeiilehre  (Methodologie)  ist  jener  Teil  der  Logik  (s.  d.),  der  die 
aUgemeine  Methodik  des  Forschens  (Definition,  Beweis  u.  s.  w.)  und  die  spe- 
ciellen  Methoden  der  Einzelwissenschaften  im  Hinblick  auf  den  logischen  Wert 
und  die  logische  Richtigkeit,  Zweckmäßigkeit  derselben  untersucht:  Die  Me- 
thodenlehre ist  Analjse  und  Kritik  des  wissenschaftlichen  Verfahrens. 

Methodologische  Ansätze  finden  sich  bei  Plato,  Aristoteles,  in  der 
scholastischen  Philosophie  (als  yylogica  utens*\  „ars  invemendi"),  femer  bei 
F.  Bacx)n,  Desgaktes,  Spinoza,  Locke,  Leibniz,  Chr.  Wölp,  Condillac, 
d'AxEHBEBT,  Kant,  J.  St.  Mill,  Whewell,  Jevons,  Duhamel  u.  a.  Li 
der  neueren  Lc^ik  spielt  die  Methodenlehre  eine  bedeutende  Bolle. 

Kant  versteht  unter  der  „transeendentiüen  MethodenUhre^^  die  .^Bestimmung 
der  formalen  Bedingungen  eines  vollständigen  Systems  der  reinen  Vemunff^ 
(Krit  d.  r.  Vem.  S.  544).  „Methodenlehre  der  reinen  pmktisehen  Vernunft"  ist 
die  Art,  yjUne  man  den  Oesetxen  der  reinen  praktischen  Vernunft  Eingang  in 
das  mensehliehe  Oetnüt,  Einfluß  auf  die  Maximen  desselben  verschaffen,  d.  i. 
die  obfeeHv-praktische  Vernunft  auch  subjeetiv  praktisch  manchen  könn&^  (Krit. 
d.  präkt.  Vem.  IL  T.,  S.  181).  Für  die  Ästhetik  gibt  es  keine  Methodenlehre 
(Krit.  d.  ürt.  §  60).  Wohl  aber  gibt  es  eine  „Methodenlehre  der  teleologischen 
Urteilskraft"  (L  c.  §  79).  —  Nach  Fries  sollte  „Methodenlehre"  nur  „die  logische 
Technik,  als  der  letzte  Teil  der  angewandten  Logikf^  genannt  werden  (Syst.  d. 
liOg.  8.  12).  Sie  hat  „die  Regeln  des  Verfahrens  naehxutceisen,  nach  denen  diese 
Ausbildung  unserer  Erkenntnis  geschehen  muß"  (L  c.  S.  506).  Nach  Bachmann 
sucht  die  Methodenlehre  (Systematik,  Architektonik)  darzutun,  wie  die  logischen 
£leinente  in  ihrer  organischen  Verbindung  als  Ideal  der  Wissenschaft  erscheinen, 
und  welche  Cresetze  der  Geist  befolgen  muß,  um  dieses  Ideal  allmählich  zu 
verwirklichen  (Syst.  d.  Log.  S.  27).  Die  Methodenlehre  strebt,  „den  richtigen 
H'eg  %ur  Wissenschaft  kenntlich  xu  machen,  mit  Bezeichnung  der  Abwege,  todehe 
dabei  xu  vermeiden  sind"  (1.  c.  S.  267).  Bei  Herbart  ist  die  „Methodologie^^ 
der  erste  Teil  der  Metaphysik  (Aüg.  Met.  §  182  f.).  —  W.  Hamilton  versteht 
unter  „iogical  methodology"  das  Verfahren,  welches  darauf  ausgeht,  „by  the 
expasüion  of  the  rules  and  ways  by  which  we  attain  the  formal  or  logical  per- 
feeticn  of  thought^^  (Lect.  on  Älet.  and  Log.  IV,  XXIV,  p.  4).  Nach  Sigwart 
hüt  die  Methodenlehre  die  Aufgabe,  „Anweisung  xu  dem  Verfahren  xu  geben, 
mittelst  dessen  von  einem  gegebenen  Zustande  unseres  Vorstellens  und  Wissens 
aus  durch  Anwendung  der  uns  von  Natur  xu  Gebote  stehenden  Denktätigkeiten 
der  Zweck,  den  das  menschliche  Denken  sieh  setxt,  in  vollkommener  Weise,  also 
durch  vollkommen  bestimTnte  Begriffe  und  vollkornrnen  begründete  Urteile  erreicht 
werden  könnet'  (Log.  II*,  3).  Schuppe  erklärt:  „Der  Sinn  des  Urteils  und 
seine  Arten  lassen  sieh  nur  finden,  wenn  man  das  Denken  in  seinen  einfachsten 
Betätigungen  an  seinen  Objecten  kennen  gelernt  hat,  und  die  ControUe  und  Be- 
riektigung,  namentlich  die  berühmte  Analyse  der  Begriffe,  ist  nur  möglich,  wenn 
man  die  Entstehung  jedes  Begriffs,  aus  welchen  einfachsten  Ansätxen,  durch 
tvelehe  Reihe  von  Urteilen  er  xustande  kommt,  erkennen  gelernt  hat.  Das  ist 
analytische  Logik,  xugleich  Meihodenlehre"  (Log.  S.  4).  Nach  Wundt  beschäftigt 
sich,  die  Methodenlehre  ( —  die  er  sehr  ausführlich  behandelt  — )  mit  den  be- 
8<Mideren  Gestaltungen  der  Erkenntnisprincipien  in  den  Einzelwissenschaften 
(Log.  I*,  8.  1  ff.;  II*,  1  u.  2).    Vgl.  Methode. 

Hethodlseli s  mit  Methode,  auf  die  Methode  bezüglich.  Methodischer 
Idealismus  s.  Idealismus. 


670  Methodologi*  —  HikrokosmoB. 


MeUiodolait^e:  Methodenlehre  (s.  d.).  Methodologisch:  anf  die  Me- 
thodenlehre  bezüglich. 

iUetron  Antliropon-SaÜE  s.   Homo  mensura,  Erkenntnis,   Snbjec- 

tivismus. 

MetropaOiles  das  Mafihalten,  Einhalten  der  richtigen  Mitte  als  Tugend 
(8.  d.)  bei  Aristoteles  und  den  Peripatetikern. 

Aikrokosmoft:  die  kleine  Welt,  d.  h.  der  Mensch  als  Welt  im  kleinen« 
als  höchste  Potenz  aller  Naturkrafte  und  als  geistiger  „Spiegü^^  des  Univenoms. 
Makrokosmos:  die  Natur,  das  Universum,  zuweilen  als  großer  Mensch,  al» 
Organismus  gedacht  (s.  Welt,  Weltseele). 

Plato  (Phileb.  30),  Abistoteleb  (De  an.  III,  8),  die  Stoiker  sehen  im 
Menschen  eine  Ck>ncentration  des  WesenÜichoi  des  Alls.  Bei  Ajbibtotelbk 
findet  sich:  iv  ftixp^  xocftqr  yiverau,  xal  iv  fuyaltp  (Phys.  \T[II  2,  252b  26). 
Die  Stoiker  nennen  den  Menschen  ßgaxvv  Kva/iov,  die  Welt  fuyav  at^^€Ki0r 
(vgl.  L.  Stein,  PsychoL  d.  Stoa  I,  207,  441;  schon  Plato  nennt  die  Wdt 
einen  fiaxQcivd'Qamov).  Beneca  erklart:  „Quem  in  hoc  mundo  loeum  deus  Minety 
hunc  in  komine  animm;  quod  est  illie  maieria^  id  in  nobis  corpus  est^  (£{». 
65,  24). 

Bo£thiu8  bemerkt:  „avS^^amos  ian  finx^xocftoe,  id  est,  hotno  est  mmor 
ntundttsJ'  MtxQoxoofios  auch  bei  G&eqob  von  Nazianz  (Ontt.  34).  Semesics 
sieht  im  Menschen,  der  alles  abspi^elt,  einen  Mikrokosmos  {Ile^i  ^vaeofSj  C.  1;, 
80  auch  Gregor  von  Nyssa  (De  an.  et  resurr.  p.  188).  So  auch  der 
Manichäismus  (s.  d.):  ro  ya^  atifia  tovxo  xda/tO£  xakeirai  Tr^og  xov  tiiymr 
xSofiov  xal  oi  dvd'Qftmoi  ^t^ag  i^^vci  «atto  awSed'giaag  rolg  avw  (ArcheL  et 
Man.  disp.  8;  Bitter  V,  163).  JoH.  ScoTüS  Eeiuqena  bemerkt:  yyhomo  peUdi 
omnium  eonclusio  .  .  .  quod  omnia  .  .  .  in  ipso  tmiversahier  comprehenduntutr 
(De  divLs.  nat.  IV,  10).  Ein  Mikrokosmos  ist  der  Mensch  nach  Bernhard  yos 
CHARTRE8(Bibliothecaphilosophor.  mediae  aetat.  1867).  So  auch  nach  Eckhabt 
(Deutsche  Myst  II).  —  Auch  nach  Nicolaüs  Cüsanus  ist  der  Mensch  der  In- 
begriff und  das  Maß  aller  Dinge  (De  doct.  ignor.  III,  31).  Nach  Aqrippa  ist 
der  Mensch  ein  Mikrokosmus,  die  „xweüe  Welt''  (Occ.  phOos.  III,  36).  Nach 
Paracelsus  ist  der  Mensch  ein  Auszug,  die  Quintessenz  aller  Wesen  und 
Kräfte  (Philos.  sag.  p.  345;  De  nat.  rer.  VIII,  p.  314).  „Omnia  una  ermUa 
sunt.  Makrokosmus  et  homo  unum  sunt,''  Im  Menschen  sind  alle  coelestia» 
terrestria,  imdosa,  acria  (Paragran.  C.  2).  Ähnlich  lehren  Pico,  Campaneixa 
(De  sensu  rer.  I,  10),  G.  Bruno,  Val.  Weigel  (Tvca^t,  ceavr,  I,  4),  F.  M.  VAX 
Helmont  (Princ.  phüos.  5,  6),  J.  Böhme  (Myst  magn.  15  ff.J,  L.  Vivk: 
„Homo  microcosmus" ;  „hominem  parvum  quendam  mundum  appeUani,  qmd 
vim  fiaturamque  rerum  omnium  sä  eomplexus"  (De  an.  I,  42).  Leibkiz  erklärt: 
„Chaque  cfiose  est  une  certaine  cxpression  de  Vunivers  .  .  .  oomme  un  unittrt 
eneentre"  (Gerh.  III,  347).  Jede  Monade  (s.  d.)  ist  eine  Welt  für  sich.  Der 
Mensch  ist  ein  bewußter  Spiegel  des  Universums,  eine  Ck>ncentration  desselbai. 
—  Schopenhauer  bemerkt:  ,/«/er  findet  sich  selbst  als  diesen  Willen,  » 
welchem  das  innere  Wesen  der  Welt  besteht,  so  u^  er  sieh  auch  als  das  v- 
kennende  Subfect  findet,  dessen  Vorstellung  die  ganxe  Welt  ist  .  ,  ,  Jeder  i^  also 
in  di€se7n  doppelten  Betracht  du  ganxe  Welt  selbst,  der  Mikrokosmos,  findet  beide 
Seiten  derselben  ganx  und  vollständig  in  sich  selbst.  Und  was  er  so  aU  sein 
eigenes  Wesen  erkennt,  dasselbe  erschöpft  auch  das   Wesen  der  ganxen   Welt,  des 


MikrokoaoDioB  —  Minderwertigkeiten.  671 


Makrobfsmos''  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  §  29).  Ein  Mikrokosmus  ist  der  Mensch 
nach  ScHEixiNG,  J.  J.  Wagnee  (Syst.  d.  Idealphüos.  S.  LIII),  Schubert 
(Lehrb.  d.  Menschen-  u.  Seelenk.  S.  2)  u.  a.  J.  H.  Fichte  nennt  den  mensch- 
lichen Greist  einen  Mikrokosmos  (Psychol.  I,  93),  so  auch  Lotze  (Mikrok. 
I — ^III).  Nach  WüNDT  ist  die  Seele  (s.  d.)  ein  Spiegel  des  Universums.  Nach 
Emebson  gelangt  das  Weltall  auch  im  kleinsten  seiner  TeUe  zur  Darstellung. 
fyEin  jegliches  Ding  in  der  Natur  enthält  alle  Kräfte  der  Naiur^^  (Essays  S.  17). 
VgL  „ÄUes  in  Allem".  —  Vgl.  A.  Meyer,  Wesen  u.  Gesch.  d.  Theorie  vom 
Mikro-  u.  Makrokosm.,  Bemer  Stud.  zur  Philos.  XXV,  1900. 

Hilesiselie  Sclmle:  Zu  ihr  gehören  Thales,  Anaximaxder,  Akaxi- 
MENES,  alle  aus  Milet. 

Milien  blolOi^que:  die  biologische  Umschicht  (Klima,  Boden,  Basse), 
die  auf  die  Lebewesen  modificierend  einwirkt  (A.  Comte).  Vom  socialen 
Milieu  sind  nach  Taixe  (Philos.  de  Tart)  u.  a.  Künstler  und  Kunstwerke  ab- 
hängig. Den  Einfluß  des  Milieu  auf  das  Individuum  betonen  schon  Montes- 
quieu, DuBos,  Rousseau,  Sta^l,  Villemain,  Stendhal,  Diderot,  Baron 
Grimm,  Balzac,  St.  Beuve,  Herder,  Goethe,  Buckle  u.  a.  <vgl.  J.  Zeitler, 
Die  Kunstphiloe.  von  H.  A.  Taine  S.  21  ff.;  E.  Dutoit,  Die  Theorie  des 
Milieu,  Bemer  Studien  zur  Philos.  XX,  1899;  H.  Driesmans,  Rasse  u.  Milieu 
1902.    Vgl.  Rasse,  Sociologie. 

Hlmansaplillosoplile  ist  eine  Art  der  brahmanischen  Philosophie. 

Hlnd  (engl):  Geist  (s.  d.),  Bewußtsein  (s.  d.),  Intellect,  Seele  (s.  d.).  Vgl. 
Seelenvennögen. 

Hlnd-StafT:  Seelenstoff,  Seelenmaterial,  nennt  Clifford  das  psychische 
Atom,  Element,  aus  dem  die  Empfindung  (s.  d.)  zusammengesetzt  ist,  und  das 
allen  Dingen  zukommt.  y,Ein  bewegtes  Teilchen  der  Materie  besitzt  weder  Seele 
noch  Bewußtsein;  aber  es  nennt  ein  kleines  Stückchen  Seelenstoff  sein  eigen. 
Wenn  Molekeln  so  miteinander  verbunden  werden^  daß  sie  die  Haut  auf  der 
Unterseite  einer  Qualle  bilden,  sind  die  entsprechenden  Elemente  des  Seelenstoffes 
so  miteinander  verknüpft,  daß  sie  die  schwachen  Anfänge  des  Gefühles  vorstellen. 
Wenn  die  Molekeln  so  vereinigt  sind,  daß  sie  das  Oehim  und  Nervensystem 
eines  Wirbeltieres  xusammensetzen,  so  sind  die  entsprechenden  Elemente  des 
Seelenstoffes  so  miteinander  verknüpft,  daß  sie  eine  Art  von  Bewußtsein  bilden  .  .  . 
Wenn  die  Materie  die  xusammengesetxte  Form  eines  lebenden  menschlichen  Ge- 
hirnes annimmt,  hat  der  entsprechende  Seelenstoff  die  Form  eines  menschlichen 
Bewußtseins,  das  mit  Intelligenx  und  Willen  begabt  ist*^  (von  d.  Nat.  d.  Ding, 
an  sich  S.  44  f.).  Der  Complex  elementaren  Seelenstoffes,  der  dem  materiellen 
Object  parallel  geht,  ist  das  Ding  an  sich  (s.  d.).  Die  Realität,  die  wir  als 
Materie  vorstellen,  ist  an  sich  Seelenstoff.  ,ßas  Weltall  besteht  somit  xu  seiner 
Oänxe  aus  Seelensioff,  Kein  Teil  desselben  ist  in  die  cofnplicierte  Form  mensch- 
licher Geister  verwoben,  die  unvollkommene  Vorstellungen  des  Seelenstoffes  außer- 
halb ihrer  selbst  besitxen^'  (1.  c.  8.  47). 

lIliid*Stair- Theorie  nennt  W.  James  den  psychologischen  Atomismus, 
die  von  ihm  bekämpfte  atomistische  (s.  d.)  Psychologie,  ,/he  theory  that  our 
mental  states  are  Compounds"  (Princ.  of  Psychol.  I,  145  ff.,  178  ff.). 

Blindei^wertlf^keiten,  psychopathische,  nennt  J.  L.  A.  Koch 
geringere  Grade  geistiger  Defecte  (Die  psychopath.  Minderwert.  1891/93). 


672  Mlxiimalandenmgen  —  Mitleid. 

Mlnimalftnderans^en,  Methode  der,  s.  Psychophysik. 

Mlnlmiinis  EHeinstes,  Einfachstes,  Atom  (s.  d.),  Monade  (s.  d).  „Minimal 
nennt  Ltjcbez  die  Atome  (De  rer.  nat.  I,  615  u.  ö.).  Nach  G.  Bruno  ist  das 
„mimmutn"  ,yquod  iia  est  pars,  tä  eit*8  nulla  sit  pars,  vel  aimplieiter,  vel  aeetm^ 
dum  ffenus^*  (De  min.  I,  7).  Es  gibt  verschiedene  Arten  des  Miniminn  (der 
Qualität,  Substantialitat,  Quantität  nach)  (1.  c.  I,  2).  —  Nach  Hodqsok  sind 
die  „minima  of  cansdousnesa"  „the  ultimate  empirical  cbjects  of  meiaph^9i&* 
(Phüos.  of  Reflect.  1,  269). 

Hinor  s.  Terminus. 

Hlsanthrople:  Menschenhaß  (z.  B.  bei  Timon  von  Athien).  Vgl 
SCHOPENHAUER;  Neue  Paralipom.  §  337. 

Hlftclmii^  und  Entmischung  s.  Veränderung. 

]Ilsolo§^es  Haß  der  Vernunft,  der  Cultur  (vgl.  Kant,  Gr.  d.  Met  d. 
Sitt.  1;  Hegel,  EncykL  §  11). 

Mißbillis^nsf  s.  Billigung. 

Mißfallen  s.  Gefallen,  Beifall. 

Hltbewesfan^^it  sind  Bewegungen,  welche  teils  als  Nachahmung  (s.  d), 
teils  rein  reflectorisch,  durch  Übertragung  einer  Erregung  von  sensorischen  auf 
motorische  Bahnen  entstehen  (vgL  Wundt,  Grdzg.  d.  physioL  PäychoL  I»,  106  i). 

Mitfirende  ist  eine  Art  des  Mitgefühls,  Freude  an  der  Lust  anderer, 

„eigene  Lust  aus  der  Vorstellung  fremder  Lust"  (Kreibig,  W«rtthe(M*.  S.  109). 
Jean  Paul:  „Zum  Mitleiden  genügt  ein  Mensch;  »ur  Müfreude  gehört  ein  Enget' 
(Hesperus).  —  Nach  W.  Stern  bedeutet  die  Mitfreude  über  eine  sittliche 
Handlung  „die  Freude  über  den  Sieg  eines  beseelten  Wesens  über  die  sehädlickeu 
Eingriffe  der  obfectiven  Außenwelt  ins  psychische  Leben"  (Das  Wea.  d.  Mitleid. 
S.  7;  Gr.  d.  Eth.j.  Vgl.  Platner,  Philos.  Aphor.  II,  §  867  ff.).  VgL  Sym- 
pathie. 

Mlt^eflilil  (Mitfühlen)  s.  Sympathie. 

Mitleid  {^osy  misericordia,  conmiiseratio)  ist  eine  Art  des  MitgefOhk, 
das  Mitfühlen  des  Leides,  der  Trauer,  der  Unlust  anderer  durch  lebhafte  Vor- 
stellung der  Lage  dieser,  unter  Voraussetzung  des  Verständnisses  für  die 
Situation  und  die  Organisation  anderer,  welche  letztere  der  eigenen  nicht  xa 
unähnlich  sein  darf.  Es  knüpft  sich  dann  an  die  Vorstellung  des  fremden 
Leides  eigene  Unlust,  Betrübtheit,  die  in  der  B^el  zu  altruistischen  Hand- 
lungen oder  doch  zimi  Streben  dazu  führt 

Das  Mitleid  ist  nach  Aristoteles  XtTtij  nc  inl  faivofiivqf  xaxtp  ^S'a^rat^ 

Httl  Xvnr}^<f  rov  ava^lov  Tvy^dreiVy  o  xqp  avrog  TtpoaSoxi^aetsv  av  Tra^'tJr^  f 
Tmv  avTov  tivn  •  xai  tovto,  ornv  nXijclov  falnjrai  (Rttetor,  II,  8,  2) ;  ^JUos  und 
vsfueie  sind  nad'ij  rj&ovg  /^orotT  (1.  c.  II,  9,  1).  Mitleid  und  Furcht  werden 
durch  die  Tragödie  (s.  d.)  erweckt.  Gegen  das  weichliche  Mitleid  sind  die 
Stoiker  (vgl.  Stob.  Ecl.  II  6,  180:  ^Ibo£  8i  XvTtrjv  hti  r<ß  Soieowrt  a9^ii0s 
xaxonad'eir).  OiCERO  definiert:  „Misericordia  est  aegriiudo  ex  miseria  oKernff, 
iniuria  laborantis"  (Tusc.  disp.  IV,  8,  17).  —  Als  sittlich  wertet  das  Mitleid 
besonders  das  Christentum,  auch  schon  der  Buddhismus. 

Nach  HoBBES  ist  das  Mitleid  „dolor  ob  calamiitUem  iüienam"  (Leviath.  1,  ^ 


Mitleid.  673 

Descarteb   definiert:   „CommtseriUio  est  spedes  tristüiae,  amori  miaiae  aut 
beneoolentiae  erga  illoSy  quoa  cdiquid  mali  pati  videmuSf  quo  eos  indignos  iudu 
eamus^^  fPass.  an.  III,  185).     Spinoza  definiert  das  Mitleid  als  „triaiüia  oria 
ex  aUerüis  damno^%   als   „trUtitia  coneomiianU  idea  mali,  quod  alterif  quem 
ncbia  similem  esse  imaginamury  evenit^  (Eth.  III,  prop.  XXII,  schoL;  1.  c. 
afL  def.  XVIII).    ^^Ex  eo,  quod  rem  nobis  similem  et  quam  nuUo  affectu  pro- 
seeuii  sumus,  aliquo  affectu  affid  imaginamury  eo  ipso  simüi  affeetu  affici- 
mur*'  (L  c.  prop.  XXVII).    „Rem,  euit^  nos  miseret,  a  miseria,  quawtum  pas- 
sumus,  liberare  eonabimur*^  -(l«  c**  coroll.  III).    Das  (theoretische)  Mitleid  ist, 
als  ein  die  Afacht  des  Ich  yermindemder  Aifect  (s.  d.),  schlecht  und  für  den 
Temimftig-sittlichen  Menschen  unnötig:  „Gommiseratio  in  homine,  qui  ex  ductu 
rationis  vivü,  per  se  mala  et  inuiilis  est"    „Oommiseratio  enim  tristiiia  est, 
ac  proinde  per  se  mala."    „Eine  sequitur,  quod  hämo,  qui  ex  dietamine  rationis 
üivit,  eonaiur,  quantum  potest  effieere,  ne  eommiseraiione  tangaiur."    „Qui  rede 
novit,  omnia  ex  naturae  divinas  necessiiate  sequi  et  secundum  aetemas  leges  et 
regulas  fieri,  is  sane  nihil  reperiet,  quod  odio,  risu  aut  contemptu  dignum  sit, 
nee  euiusquam  miserebüur;  sed  quantum  humana  fort  virtus,   eonabüur  bene 
agere,  ut  aiunt,  et  laetari.     Hue  aecedit,  quod  is,  qui  eommiserationis  affectu 
facile   tangitur  et  alterius  miseria  vel  lacrimis  movetur,  saepe  aliquid  agit, 
cuius  postea  ipsum  poenitet;  tam  quia  ex  affectu  nihil  agimus,  quod  certo  seimus 
bonufn  esse,  quam  quia  facile  lacrimis  deeipimur,    Atque  hie  expresse  loquor 
de  homine,  qui  ex  ductu  rationis  vioit,   Nam  qui  nee  ratione,  nee  eommiseratione 
mopetur,  ut  aliis  attxilio  sit,  is  recte  inhumanus  appeüatur;  nam  homini  dis- 
similis  esse  videtur*'  (1.  c.  schoL).     Chr.  Wolf  bestimmt:   ,J)as  Mißvergnügen 
und  die  Traurigkeit  über  eines  andern  Unglück  heißet  Mitleiden**  (Vern.  Ged. 
I,  §  461;  vgl.  Psychol.  empir.  §  687).    Nach  Mendelssohn  ist  das  Mitleid 
y,eine  vermischte  Empfindung,  die  aus  der  Liebe  xu  einem  Gegenstände  und  aus 
der  Unlust  über  dessen  Unglück  xusammengesetxt  ist"  (Br.  üb.  d.  Empfind.,  WW. 
II  2,  S.  26).    Lessinq  erklärt  da2ai:  „Denn  da  jede  Liebe  mit  der  Bereitwillig- 
keit verbunden  ist,  uns  an  die  Stelle  des  Gelitten  xu  versetzen,  so  müssen  icir 
alle  Arien  von  Leiden  mit  der  geliebten  Person  teilen,  welches  man  sehr  nach- 
drüeklieh  Mitleiden  nennt*   (Hamburg.  Dramaturg.  74).     Nach  Platneb  ist 
y,Mitleidigkeit^*  „tätige   Teilnehmung  an  jedem  Schmerxe  lebendiger  Wesen  über- 
haupt** (Philos.  Aphor.  II,  §  989).    Eousseau  erklärt  das  Mitleid  als  ein  Sich- 
Tersetzen  in  die  Lage  der  leidenden  Person,  durch  Identification  unserer  selbst 
mit  dem  Leidenden:  „En  effet,  eomtnent  nous  laissons  nous  emouvoir  ä  la  pitie, 
si  ee  n*est  en  nous  transporiant  hors  de  nous  et  nous  identifiant  avec  Vaninuü 
souffrant,  en  quitlant,  pour  aimi  dire,  notre  etre  pour  prendre  le  sien?"  (Emile 
1788,  T.  II,  1.  rV,  p.  141).    „La  pitie  est  douce,  parcequ'en  se  tneitant  ä  la  place 
de  celui  qui  souffre,  on  sent  pourtant  le  plaisir  de  ne  pas  souffrir  eo7nme  lui" 
(L  c.  p.   138).     Ähnlich  bemerkt  A,  Smith:  „Thai  this  is   the  souree  of  our 
felUnc-feäing  for  the  misery  of  oihers,   tkat  it  is  by  changing  places   in  fancy 
ivith  sufferer,  that  we  eome  either  to  eonceive  or  to  be  affect  by  what  he  feels, 
mcty   be  demonsirated  by  many  obvious  observaiions,  if  it  should  not  be  thought 
sufficiently  evident  of  itselp*  (Theory  of  moral  sentim.',  1792,  p.  4).    Ähnlich 
Oassina  (Saggio  analitico  sulla  compassione  1788). 

Eine  geringe  Meinung  vom  sittlichen  Werte  des  Mitleids  hat  Kant:  „Selbst 
dies  Oefiihl  des  Mitleids  und  der  weichherxigen  Teilnehmung,  wenn  es  vor  der 
Überlegung,  was  Pflicht  sei,  vorhergeht  und  Bestimmungsgrund  wird,  ist  wohl- 

Philotophiiobet  Wörterbuch.    2.  Anfl.  43 


674  Mitleid  —  MitteL 


denkenden  Personen  selbst  lästig,  bringt  ihre  überlegten  Maximen  in  Verwimmf 
und  bewirkt  den  Wunsch,  ihrer  entledigt  und  allein  der  gesetxgd)enden  Vemtmfl 
unterworfen  xu  sein"  (Krit.  d.  prakt.  Vem.  I.  T.,  11.  B.,  2.  Hptst.).  G.  E. 
Sghxjlze  bemerkt:  j,Das  Mitleid  äußert  sieh  der  Erfahrung  nach  weit  lekkier 
und  allgemeiner  als  die  Müfretide.  Auch  scheint  jenes  uneigennütziger  xu  sem. 
Inxwischen  gewähren  doch  auch  dessen  Regungen  ein  Vergnügen  besonderer  Ärt."^ 
„Im  Mitleid  und  in  der  Mitfreude  fühlt  aber  der  Mensch  bloß  seinen  eigenen 
innem  Zustand,  nicht  den  des  andern,  womit  er  sympathisierte*  (Psych.  As- 
thropol.*,  S.  352).  J.  G.  Fichte  betont:  „Wer  xu  folge  der  IHebe  der  Sympathiey 
des  MiÜeids,  der  Menschenliebe  handelt,  handelt  xwar  legal,  aber  sehleehthin  ni^t 
moralisch.  Denn  es  widerspricht  der  Moral  und  ist  unsittlich,  sieh  blind  treiben 
xu  lassen*'  (Syst  d.  SittenL  8.  199).  Auch  Nietzsche  verwirft  das  schwäch- 
liche, der  „Sklavenmoral"  (s.  d.)  angehörende  Mitleid.  Schopenhaiter  hin* 
gegen  macht  es  zum  Princip  seiner  Ethik.  Alles  Sein,  welches  an  sich  Wille 
(s.  d.)  ist,  leidet,  in  allen  Wesen  ist  aber  nur  ein  Sein;  im  anderen  leiden  wir 
selbst,  denn  der  andere,  das  sind  wir  selbst  („tat  ttcam  asi**).  Das  Mitleid  ist 
die  „echte,  d.  h,  uneigennüixige  Tugend*,  Liebe  ist  Mitleid.  Es  ist  die  ,yBasis 
aller  freien  Oereehtigkeit  und  aller  eehien  Menschenliebe^*  (Grundl.  d.  Moral  §  16). 
IVIitleid  ist  die  ganz  unmittelbare  „Teilnahme  xunächst  am  Leiden  eines 
Andern  und  dadurch  an  der  Verhinderung  oder  Aufhebung  dieses  LddensJ^ 
„Nur  sofern  eine  Handlung  aus  ihm  entsprungen  ist,  hat  sie  moralieehen 
Wert  .  .  .  und  jede  aus  irgend  welchen  andern  Motiven  hervorgehende  hat  laem.ii'( 
(ib.).  Im  Mitleidsphänomen  sehen  wir  ,4ie  Scheidewand,  welche  .  .  .  Wesen 
von  Wesen  durchaus  trennt,  aufgehoben  und  das  Nieht-Ich  gewissermaßen  xmm 
Ich  gevoorden**  (ib.).  Wir  fühlen  das  Leiden  nicht  in  unserer,  sondern  in  der 
Person  des  andern.  „Wir  leiden  mit  ihm,  also  in  ihm:  wir  fühlen  s^nen 
Schmerx  als  den  seinen  und  haben  nicht  die  Einbildung,  daß  es  der  unserige 
sei"  (ib.).  Dieser  Vorgang  iBt  „mysteriös**,  er  muß  metaphysisch  erklart  werden 
(1.  c.  §  18).  Das  Mitleid  beruht  demnach  auf  der  Ej*kenntnis  der  Einheit  und 
Identität  aller  Wesen  (1.  c.  §  22;  vgl.  Neue  Paralipom.  S.  171).  Nach  Waitr 
ist  das  Mitgefühl  an  und  für  sich  noch  nicht  ethisch  (Lehrb.  d.  PsychoL 
B.  396  ff.).  Nach  Th.  Zieoler  ist  nur  das  Mitleid  des  sittlichen  Menschen 
sittlich  (Das  Gef.>,  S.  170).  Nach  P.  Bee  ist  das  Mitleid  angehöre  (Phik». 
B.  24).  Kbeibig  definiert  das  Mitleid  als  „eigene  Unlust  aus  fremder  Unlust*^ 
(Werttheor.  S.  109).  Wundt  bemerkt,  daß  das  ursprüngliche  Leid  und  das 
Mitleid  qualitativ  nicht  miteinander  übereinstimmen  (Eth.  S.  390  f.).  W.  Sterk 
betont:  „Das  Mitleid  ist  ,  .  ,  weder  durch  das  Sieh-versetxen  in  die  Lage  oder 
an  die  SieÜe  des  Leidenden  xu  erklären,  noch  metaphysisch  xu  begründen.  Es 
muß  vielmehr  genetisch  begründet  werden.  Es  ist  das  allmählich  im-  Ijoufe  sehr 
vieler  Jeüirtausende  entstandene  verletxte  Gefühl  der  Zusammengehörig- 
keit  mit  allen  anderen  beseelten  Wesen  gegenüber  den  schädlichen  Eingriffen 
der  sowohl  unbeseelten  als  auch  beseelten  objectiven  Außenwelt  ins  pmfdUseke 
Leben**  (Das  Wesen  des  Mitleids  S.  49;  vgl.  S.  34  f.,  37,  39,  41,  43).  VgL 
Sympathie. 

Mltoeliwiii^iliif^    unbewußter    Vorgänge,     Dispositionen     (Lazarus^ 
Wündt  u.  a.)  8.  Unbewußt. 


Hittel  (medium)  ist  alles,  was  zur  Erreichung  eines  Zweckes  (s.  d.) 
insbesondere  jede  Tätigkeit,  die  durch  das  Wollen  eines  Zweckes  bedingt,  ge> 


Mittel  —  ModaUtat.  675 


setzt,  motiviert  ist.  Das  Verhältnis  von  Mittel  und  Zweck  ist  ein  finales  (s.  d.), 
auf  psychischer  (Willens-)  Causalität  beruhendes. 

Mittel  ist  nach  Chr.  Wolf  ,fda8fentge,  icodureh  wir  die  AMeht  erhalten, 
das  ist,  welches  den  örund  in  sieh  enthalt,  warum  die  Absieht  ihre  Wirklichkeit 
erreicht**  (Vem.  G^.  I,  §  912).  „Quicquid  ratianem  cantinet,  cur  finis  actum 
eomequatur,  medium  vocatur**  (Ontolog.  §  937).  Kant  definiert:  „Was  .  .  . 
bloß  den  Grund  der  Möglichkeit  der  Handlung  enthält,  deren  Wirkung  Zweck 
ist,  heißt  das  Mittel"  (WW.  IV,  275).  Vgl.  Volkmann,  Lehrb.  d.  Psychol. 
II*,  450;  W.  RoSKNKÄANTZ,  Wissensch.  d.  Wiss.  II,  234  ff.  —  VgL  Zweck, 
MitteluTBache. 

Mittelbare  ESrnpfindliehkelt  s.  Empfindlichkeit. 

Mittelbares  Erkennen  s.  Erkenntnis.  G.  E.  Schulze  yersteht 
unter  mittelbarer  Erkenntnis  die  Erkenntnis  der  Dinge  durch  natürliche  Speichen, 
durch  Vorstellungen  (Üb.  d.  menschl.  Erk.  S.  22  ff.).    VgL  Vorstellung. 

Mittelbesrtff  (o^os  fuaog,  terminus  med  ins)  s.  Schluß. 

Mittelbim  s.  Nervensystem. 

Mlttelursaebe  (^«*  ov)  fügt  Galen  den  vier  Aristotelischen  Pnncipien 
(s.  d.)  hinzu. 

Mnemonik  oder  Mnemotechnik  (von  ftnjfirj,  re'xrfj):  Gedachtnis- 
kunst,  Kunst  des  richtigen  Grebrauchs,  der  Erleichterung  und  Übung  des  Ge- 
dächtnisses (durch  Training,  Association  mit  concreten  Vorstellungen,  aufmerk- 
sames Aneignen,  Interesse  u.  dgL).  In  verschiedener  Weise  wird  Mnemonik 
gelehrt  von  Simonides  (QuintiL,-Instit  or.  XI,  2,  11),  von  Sophisten,  Ambto- 
TELEB,  Cicero  (vgl.  De  oratore  II,  86  ff.),  Quintiuan,  R  Lullub,  G.  Bkuno, 
Leibniz,  Aretin  (Mnemon.  1810),  H.  Kothe  (Lehrb.  d.  Mnemon.«,  1852).  Vgl. 
G.  E.  Schulze,  Psych.  AnthropoL«,  S.  186  ff.;  J.  H.  Fichte,  Psychol.  I,  453  ff. 

JHodalisninB:  die  Ansicht,  daß  Logos  und  Heiliger  Geist  nur  Modi  des 
einen  Gottes  sind;  also  so  viel  wie  Monarchianismus  (s.  d.). 

Modalitftt  (von  „modus'^i  Art  und  Weise  des  Seins  und  Gedacht- 
werdens;  Art  und  Weise  des  Urteils  („modale  UrteiU^*,  „Modalitätsurteil^*),  Art 
der  Gewißheit  desselben,  wonach  es  assertorisch,  problematisch  oder 
apodiktisch  (s.  d.)  (Kant)  ist  —  £[elmholtz  unterscheidet  von  der 
Qualität  (s.  d.)  die  Modalitat  der  Empfindungen  (s.  d.)  (Vortr.  u.  Red.  IIS 
219,  299). 

Die  Modalitat  des  Urteils  berücksichtigt  schon  Aristoteles:  naaa  n^- 

lacic  iariv  rj  rov  tma^x^iv  tJ  tov  iS  avdyxr^g  vnaQXstv  ij  rov  irStX'cd'a^  vnaQ- 
Xe»v  (Anal.  pr.  12,  24  b  31;  De  interpret.  12  squ.).  —  Die  älteren  Logiker 
unterscheiden  von  den  „ahsohUen"  Sätzen  die  „propositiones  modales"  (W.  Ha- 
milton, Lect.  on  Met.  and  Log.  III,  XIV,  p.  256  ff.).  Kant  sieht  in  den 
Modalitätsbegriffen  (Möglichkeit,  Wirklichkeit,  Notwendigkeit,  s.  d.)  apriorische 
Kategorien  (s.  d.).  Sie  haben  das  Besondere  an  sich:  „daß  sie  den  Begriff,  dem 
sie  als  Prädicate  beigefügt  werden,  als  Bestimmung  des  Objects  nicht  im  mindesten 
vermehren,  sondern  nur  das  Verhältnis  xum  Erkenntnisvermögen  ausdrücken" 
(Krit.  d.  r.  Vem.  S.  202).  D&her  sind  die  „Grundsätze  der  Modalität"  „nichts 
weiter  als  Erklärungen  der  Begriffe  der  Möglichkeit,  Wirklichkeit  und  Not- 
wendigkeit in  ihrem  empirischen  Gebrauche  und  hiermit  zugleich  Restrietionen 

43* 


676  ModaUtät. 


aller  Kategorien  auf  den  bloß  empirischen  Gebrauch,  ohne  den  iranscendentaltn 
xuxtdassen  und  xu  erlauben^^  (L  c.  S.  203).  Durch  die  Modalitat  wird  y^ 
Verhältnis  des  ganxen  Urteils  xum  Erkenntnisvermögen^*  bestimmt,  sie  zeigt  nur 
,ydie  Art  und  Weise  an,  wie  im  Urteile  etwas  behauptet  oder  verneinet  wirf^ 
(Log.  S.  169).  „Die  Modalität  der  Urteile  ist  eine  ganx  besondere  Function  der- 
selben, die  das  Unterseheidende  an  sich  hat,  daß  sie  nichts  xum  JnhaÜe  des  Ur- 
teils beiträgt  .  .  ,,  sondern  nur  den  Wert  der  Coptda  in  Bexiekung  auf  das 
Denken  überhaupt  angeht,  Problematisehe  Urteile  sind  solche,  wo  man  das 
Bejahen  oder  Verneinen  als  bloß  möglich  (beliebig)  annimmt;  assertorische, 
da  es  ah  wirklich  (wahr)  betrachtet  wird;  apodiktische,  in  denen  man  es 
als  notwendig  ansieht"'  (Krit  d.  r.  Vem.  S.  92).  Fbies  erklart:  „Die  Modalüat 
der  Urteile  besieht  in  ihrem  Verhältfiis  xur  erkennenden  Tätigkeit  des  OemiUeg^ 
(Syst.  d.  Log.  S.  155).  Krug  bestimmt:  „Bt  Ansehung  der  Modalität  aU 
eines  subjectiven  Verhältnisses  der  Begriffe  lassen  sieh  dieselben  teils  als  bloß 
mögliche,  teils  als  wirkliche  schlechtweg,  teils  als  in  ihrer  Wirklichkeit  notwendige 
Denkacte  betrachten"  (Handb.  d.  Philos.  I,  148).  „Die  Modalität  des  Urteilt 
(modus  cogitandi  iudicii)  ist  ein  durchaus  suhjectives  Verhältnis,  in  welchem 
das  ganze  Urteil  xum  Denkvermögen  selber  steht*'  (1.  c.  S.  160).  Nach  EsCHSV- 
MAYER  ist  die  Kategorie  der  Modalität  nicht  eigentliche  Kat^orie.  „Die 
Glieder  derselben  bringen  keine  formale  Bestimmung  in  die  innere  Xatur  de» 
Denkens,  sondern  sind  lediglich  suhjeetive  Bexiehungen  der  Erkenntnis  XMnn  Er- 
kannten" (Psychol.  S.  305).  Sie  hat  ihren  Ursprung  „au^  dem  Grundge&ix  des 
Selbstbewußtseins",  „Was  xum  reinen  Wissen,  xum  Noumenon  gehört,  liegt  im 
Gebiet  des  Notwendigen.  Was  xum  materiellen  Sein,  xum  Phänomen  gehört, 
liegt  im  Gebiet  des  Wirklichen.  In  der  Mitte»  xwischen  beiden  liegt  das  Beitk 
der  Möglichkeiten  —  da,  wo  das  Selbst  als  eine  unbestimmbar  peräfulerliehe 
Größe  =  X  sich  darstellt**  (1.  c.  S.  307).  Gegen  die  Annahme  einer  Modalitit 
,  der  Begriffe  erklärt  sich  u.  a.  Bachmann  :  „  Was  gar  nicht  gedacht  wM,  ist 
auch  kein  Begriff.  Nun  soll  ein  Begriff  A  möglich  sein,  wenn  er  gedacht  werde» 
kann,  d.  i.  seine  Merkmale  keinen  Widerspruch  enthalten.  Daß  aber  die  Merk- 
male desselben  keinen  Widerspruch  enthalten,  kann  man  nur  dadurch  wissen, 
daß  man  eben  den  Begriff  denkt;  denkt  man  aber  dies,  daß  die  Merkmale  in  A 
sich  nicht  widersprechen,  so  denkt  man  eben  A,  mithin  ist  er  dann  auch  ein 
wirklicher  DenkacV*  (Syst.  d.  Log.  S.  115).  Chalybaeus  bestimmt  die  „Modal- 
kategorien" als  formale  Begriffe  des  Verhältnisses  der  logischen  zur  ontologi&chcD 
Sphäre  (Wissenschaftslehre  S.  224  f.).  —  Nach  Wundt  ist  es  unzulässig»  die 
drei  Modalitätsformen  als  Grade  einer  aufsteigenden  Gewißheit  anzosdieiL 
,yApodikiisches  und  assertorisches  Urteil  stehen  sich  in  dieser  Beziehung  roO- 
ständig  gleich:  beide  unterscheiden  sich  als  Ausdrucksformen  der  Gewißheit  w<m 
dem  problematischen  Urteil.  Hinunederum  steht  das  assertorische  Urteil  als  der 
einxig  mögliche  Ausdruck  tatsächlicher  Gewißheit  dem  problematischen  und  afo- 
diktischen  gegenüber,  in  welche  im  allgemeinen  nur  die  Resultate  von  Sehlmf- 
folgerungen  gekleidet  werden  können"  (Log.  I,  199).  Nach  B.  Erdmann  sind 
die  „Geltungsurteile  der  Modalität"  durch  „Urteile  üb&r  Urteile  oder  Be- 
urteilungen gegeben"  (Log.  I,  370  f.).  Nach  Heymans  ist  die  Modalität  tob 
der  Quantität  und  Qualität  der  Urteile  nur  sprachlich  unterschieden  (Cres.  a 
Elem.  d.  wiss.  Denk.  S.  52  f.).  Schuppe  bemerkt;  „Die  Urteile  der  Relation  . . . 
und  die  der  Modalität  .  .  .  unterscheiden  sich  eigentlich  gar  nicht.  Die  apo- 
diktischen und  problematischen  Urteile  können  nicht  auf  die  (psycholoffisek  xm 


ModaHtat  —  Modifioatlon.  677 

erklärende)  subfeetive  Gewißheit  oder  Ungewißheit  des  Urteilenden  gedeutet  werden. 
In  der  Setehe  aber  ist  immer,  auch  wenn  nur  Möglichkeit  ausgesagt  wird,  eine 
Notwendigkeit  vorhanden,  ohne  welche  überhaupt  der  Sinn  der  Urteilseinheit 
fehlen  würde.  Diese  Urteile  unterscheiden  sich  nicht  als  Urteile,  sondern  nur 
inhaltlich''  (Log.  S.  95).    Vgl.  Sigwart,  Log.  I»,  44,  125,  129  ff.,  282,  439. 

M^Mlalltftte-SelilfieMse  sind  Schlüsse  von  einer  bestimmten  Modalität 
(s.  d.)  auf  eine  andere.  Es  gelten  hier  die  Kegeln:  „Ä  posse  ad  esse  non  valet 
eonsequentia",  „a6  esse  ad  oportere  non  palet  consequentia",  „a  posse  ad  oportere 
non  vcUet  eonsequentia",  „ab  esse  ad  posse  valet  consequentia**,  „ab  oportere  ad 
esse  valet  eonsequentia" ,  „ab  oportere  ad  posse  valet  consequentia",  und  negativ. 

M^Mle  (von  modus)  ist  die  von  den  Zeitverhältnissen  abhängige,  wechselnde 
Form  gewisser  socialer  Gfebilde  und  allgemein-individueller  Eigentümlichkeiten 
(Eleider-,  Kunst-,  Sprach-  u.  a.  Moden).  Die  Mode  nimmt  ihren  Weg  von  oben 
nach  unten.  Sie  entsteht  durch  das  Bestreben  der  oberen  Klassen,  sich  von  deu 
andern  zu  unterscheiden,  und  die  imteren  alunen  die  Mode  nach  (vgl.  Ihesing^ 
Zweck  im  Becht  II,  229  ff.,  234  ff.).  Dies,  sowie  der  Wechsel  der  Neigungen^ 
der  Trieb  nach  neuem,  der  Einfall  einzelner  und  das  Vorbild  angesehener 
Personen  bedingen  den  Wechsel  der  Mode.  Nach  Simmel  genügt  die  Mode 
j^nerseits  dem  Bedürfnis  nach  socialer  Anlehnung,  insofern  sie  Nachahmung 
ist;  sie  führt  den  einzelnen  auf  der  Bahn,  die  alle  gehen;  anderseits  aber  be- 
friedigt sie  auch  das  Unterschiedsbedürfnis,  die  Tendenx  auf  Differenzierung, 
Abwechselung,  Sieh-abheben".  Die  Mode  ist  „eine  besondere  unter  jenen  Lebens- 
formen, durch  die  man  ein  Compromiß  zwischen  der  Tendenz  nach  socialer 
Egalisierung  und  der  nach  individuellen  Unterschiedsreizen  herzustellen  suchte^', 
Sie  ist  ,/ier  eigentliche  Tummelplatz  für  Individuen,  welche  innerlich  und  in- 
haltlich unselbständig,  anlehnungsbedürftig  sind,  deren  Selbstgefühl  aber  doch 
einer  gewissen  Auszeichnung,  Aufmerksamkeit,  Besonderung  bedaarf,  Sie  erhebt 
eben  den  Unbedeutenden  dadurch,  daß  sie  ihn  zum  Repräsentanten  einer  Oe- 
samtheit  macht;  er  fühlt  sieh  von  einem  Gesamtgeist  gelragen^^  (Zur  Psychol.  d. 
Mode,  „Die  Zeit'  V,  Nr.  54,  S.  23).  Vgl.  Vischer,  Mode  und  Cynismus  1877 ; 
WUNDT,  Eth.«,  S.  134. 

Modems  zeitgemäß,  dem  actuellen  Empfinden  und  Denken  gemäß, 
modisch.  M.  Messer  bemerkt:  „Je  mekr  sich  etwas  vom  Alten,  Gewohnten 
unterscheidet,  nicht  aus  Willkür,  sondern  als  Produet  einer  Entwicklung  oder 
als  Anfang  einer  Bnttvicklungsmöglichkeit,  desto  modemer  ist  es'*  (Die  mod. 
Seele»,  S.  17). 

Modeml  s.  Logik  („logica  fnodemorum'*),  „Modemi*  heißen  auch  die 
Noxninalisten  (s.  d.)  (Prantl,  G.  d.  L.  II,  82). 

Hodl  (syllogismi):  Schlußfiguren  (s.  d.).    Vgl.  Modus. 

Modlfieatlon:  Veränderung  des  Modus,  Zustandsänderung,  Abänderung, 
Abart,  Zustand.  —  Chr.  Wolf  definiert:  „Varialionem  modorum,  hoc  est  suc- 
cessionem  modi  unius  in  locum  cUterius  a  se  diversi,  appellamus  modifieationem 
rei**  (Ontolog.  §  704).  Nach  K  Rosenkranz  ist  Specification  oder  Modi- 
fication  „diejenige  Veränderung,  welche  die  Qualität  oder  Quantität  eines  Dar 
seins  oder  beide  nur  in  einem  Moment,  nur  relativ,  nicht  aber  in  der  Hinsicht 
ändert,  daß  dadurch  ein  schlechthin  anderes  Dasein  entstündet*  (Syst.  d.  Wissensch. 


678  ModifLoatton  —  Modus. 


S.  40  f.).    Hagemaitn  nennt  Modificationen  (modi)  die  zufälligen  Eigenscbafteo 
der  Dinge  (Met«,  8.  25).    Vgl.  Modus. 

Modas  (r^oTiog):  Art  und  Weise  (des  Seins,  des  Tuns,  des  Denkensi, 
Seinsart,  Seinsweise,  Zustand  von  etwas,  concrete  Daseinsform  eines  Seins,  einer 
Substanz  (s.  d.),  unselbständige,  abhängige  Daseinsweise. 

AhmoniuS  HermtAR  definiert :  r^onos  ^iv  ovv  iart  ip<»rri  tnjftairovca  oJieK 
vna^X^t  10  KnrriYOQovfAevor  rtp  vnoxBifuvif  (Ad  Arist  de  interpret  f.  171  b; 
Peantl,  G.  d.  L.  I,  654).  —  Die  Scholastiken  unterscheiden  „modus  essendr", 
y,realü*\  „intelligendi",  ,y8iffntficandi**,  j^subsistend^^y  „iniemual^^  (yyintrinseeush), 
„extemus",  „purua"^  „entitcUitn^^y  „modi  ab8olut'^\  „relativi"  (vgl  GoGUQi, 
Lex.  philos.  p.  694  ff.;  Micbaelius,  Lex.  philos.  p.  667).* —  Nach  GrOCifsr  ist 
ein  Modus  „rei  quaedam  ektenninatio"  (1.  c.  p.  694),  nach  Micraelius  „rei 
determincUio,  qua  res  aliter  aiqne  aliier  obtinet  essentiam^'.  y^Modus  igitur  mm 
componit  rem,  sed  distinguü  eam  et  determinai*'  „Ideoque  modus  est  entüas 
determinans  aut  eontrahens."    yyModum  habet  omne,  quod  est^  (1.  c.  p.  666). 

Desgabtes  erklärt:  y,Et  quidem  hie  per  modos  plane  idem  inteUigimMSy 
quod  alibi  per  attribiUa,  vel  qualiiates,  Sed  cum  consideramus  substaniiam  ab 
Ulis  affiei,  vel  variari,  vocamus  modos"  (Princ.  philos.  I,  56).  Zahl  und  Zeit 
z.  B.  sind  ,ymodi  eogitandi^*  (L  c.  I,  55  u.  ff.).  Nach  der  Logik  von  Pobt- 
BoYAL  ist  „modus"  y,quod  naturaliter  existere  nequit  nisi  per  substaniiam*^ 
(1.  c.  I,  6).  Che.  Wolf  definiert:  „Quod  essentialibus  non  repugnat,  per  essentia 
tarnen  minime  determinatur^  modus  a  nobis  dieitur"  Nach  Bonket  sind  die 
„modes"  Determinationen  der  Substanz,  y^qui  peuvent  itre  ou  n'Ure  pas  dans  k 
st^et,  mais  qui  derivent  de  ses  attributs"  (Ess.  analyt.  XV,  236).  Nach  Fedes 
sind  die  Modi  (wie  nach  E[ant)  „Merkmale,  welche  innere  Bestimmungen  eina 
Gegenstandes  enthalten"  (Syst  d.  Log.  S.  124),  während  andere  in  den  „modi*^ 
zufällige,  accidentielle  Merkmale  (s.  d.)  sehen.  Nach  Bachmakk  kann  yyvnodusr 
nur  bedeuten  „die  Art  und  Weise,  wie  die  Merkmale  in  dem  Obfeete  vorhanden 
sind,  es  %u  diesem  bestimmten  xu  manchen,  es  sei  innerlieh  oder  äußerliek" 
(Syst.  d.  Log.  S.  107).  —  Bei  R  Avenaeius  bedeutet  „Modus"  die  „Schwan- 
kungsform"  des  „System  C**  (s.  d.)  (Krit.  d.  r.  Erfahr.  II,  18). 

Bei  SpmozA  hat  der  Begriff  des  „modus"  metaphysische  Bedeutung. 
„Modi"  sind,  nach  ihm,  die  Einzeldinge  als  individuelle  Daseinsweisen  der  einen. 
göttlichen  Substanz  (s.  d.).  Die  Dinge  (s.  d.)  sind  nicht  selbständige  Wesen, 
sondern  Zustandsweisen,  Besonderungen  der  Alleinheit.  „Per  modum  inteüigo 
substaniiae  affcctiones,  sive  id  quod  in  alio  est,  per  quod  etiam  eoneipitwr 
(Eth.  I,  def.  V).  Die  „modifieaiiones"  sind  „id  quod  in  alio  est  et  quarum 
eonceptus  a  eonceptu  rei,  in  qua  sunt,  formatur**  (Eth.  I,  prop.  YIII,  schoL  Ilk 
Die  Modi  sind  notwendige  „Folgen"  der  Substanz- Attribute.  „Omnis  modus, 
qui  et  necessario  ei  infinitus  existit,  necessario  sequi  debuit  vel  ex  absoluta  na- 
tura alicuius  attribuii  Dei,  vel  ex  aliquo  attributo  modifieaio  modificatione,  quae 
et  necessario  et  infinita  existit"  (L  c.  prop.  XXIII).  „Res  partieulares  nihH 
sunt  nisi  Dei  attributorum  affeetiones,  sive  modi,  quilms  Dei  aitributa  certo  rf 
determinato  modo  eocprimuntur^*  (L  c.  prop.  XXV,  schoL).  Der  Intellect  ist  ein 
„modus  cogitandi",  so  auch  der  Wille  (L  c.  prop.  XXXI,  XXXII).  „Üotfi 
eogitandi,  ut  amor,  cupiditas,  vel  quieumque  nomine  affectus  animi  insigntum- 
tur,  non  dantur,  nisi  in  eodem  individuo  detur  idea  rei  amatae,  desideratas 
ete,"  (1.  c.  II,  ax.  III).    „Singulares  cogitationes  sive  haee  §t  illa  eogOatio  modi 


Modus  —  MdsUohkeit.  679 


stifäj  qui  Dei  naturatn  eerio  et  determinaio  modo  exprimunt'  (1.  c.  prop.  I,  dem.), 
ebenso  die  ^^modi  corporis^*.  Die  Substanz  bat  das  logiacbe  Prius  vor  ibren 
modis  {„substantia  prior  est  natura  suis  affectionibus",  1.  c.  I,  prop.  I),  obne 
ibnen  aber  zeiüicb-causal  vorberzugeben  (vgl.  De  Deo  I,  9). 

Locke  nennt  „modi"  („modes")  zusammengesetzte  Begriffe,  welcbe  niebts 
selbständig  Existierendes,  sondern  von  Substanzen  Abb&ngiges  entbalten  (z.  B. 
Dreieck,  Dankbarkeit).  Die  ,/iimple  modes^*  sind  jene  Modi,  deren  Elemente 
gleicbartig,  und  die  nur  Modificationen  einer  und  derselben  einfaeben  Vor- 
stellung sind  (z.  B.  ein  Dutzend).  Die  „mixed  modes'^  sind  aus  Vorstellungen 
Terscbiedener  Art  gebildet  (z.  B.  ScbÖnbeit)  (Ess.  II,  ob.  12,  §  4  f.).  Baum, 
Zeit,  Denken  u.  s.  w.  geboren  zu  den  reinen  Modalbegriffen.  Leibniz  reebnet 
die  gemiscbten  Modi  zu  den  Belationen  (Nouv.  Ess.  II,  cb.  12,  §  5). 

Hodus  ponens  (setzender  Modus)  ist  eine  Form  des  gemisebt-bypo- 
tbetiscben  Scblusses  (s.  d.),  der  Scbluß  von  der  Setzung  des  Subjects  im  Unter- 
satze auf  die  Setzung  des  Pradicats  in  der  Conclusion:  Wenn  A  ist,  ist  B  | 
A  ist  I  Also  ist  aucb  B.  Es  gibt  j,Modfis  ponendo  ponens^%  ,yModus  toüendo 
ponens^^. 

Alodas  tollens  (aufbebender  Modus)  ist  eine  Form  des  gemiscbt-bypo- 
tbetiscben  Scblusses  (s.  d.),  der  Scbluß  von  der  Aufbebung  (Verneinung)  des 
Prädicates  im  Untersatze  auf  die  Aufbebimg  des  Subjects  in  der  Conclusion: 
Wenn  A  ist,  ist  B  |  B  ist  nicbt  |  Also  ist  aucb  A  nicbt  Es  gibt:  ^^Modus  po- 
nendo ioUens",  „Modus  toUendo  tollens". 

II5|^llelie  Wahmehnaiiiiisen  s.  Object  (J.  St.  Mill). 

JII5|^llehkelt  {ßvrafiiet  possibilitas,  potentia)  ist:  1)  die  Denkbarkeit  einer 
Sacbe,  das  Gredacbt-werden-kÖnnen  den  Denkgesetzen  gemafi,  die  Widersprucbs- 
losigkeit  (formal-logiscbe  Möglicbkeit),  2)  das  Seinkönnen  einer  Sacbe,  eines 
Gescbebens,  einer  Belation,  die  objective  Denkbarkeit,  gemäß  den  Gesetzen  der 
Erfabrung,  der  erfabrbaren  Wirklicbkeit  (materiale  oder  reale  Möglicbkeit), 
3)  die  Potenz,  das  Vermögen  (s.  d.).  Die  logiscbe  (und  die  reale)  Möglicbkeit 
ist  keine  Eigenscbaft  der  Dinge,  sondern  nur  ein  Ausdruck  für  eine  Beziebung 
2wiscben  dem  Denken  und  dessen  Objecten,  für  die  Erwartung  eines  Tat- 
bestandes auf  Grund  der  bisberigen  E^rkenntnis.  Unmöglicb  ist,  was  ent- 
weder den  Denkgesetzen  oder  der  wissenscbaftlicb  verarbeiteten  Erfabrung 
widerspricbt. 

Der  Megariker  Diodob  bebauptet,  alles  Mögliebe  sei  aucb  wirklieb  und 
notwendig  (s.  Kyrieuon).  Eial  $e  nves  oi  ^a<nv,  olov  oi  Meyagixoi^  orav 
iv€^^  fLOvov  8vva<r9'aif  orav  8i  fttj  ive^yj  ov  8vvaa9'aiy  olov  rov  fir^  oixodo' 
ftovvra  ov  Bvracd'ai  oixoSofieiVf  aXXa  rov  otxoBouovvra^  oTav  oixo8o/jifj  (Aristot., 
Met  IX  3,  1046b  29  squ.).  „Plctcet  autem  Diodoro  id  solum  fieri  posse,  quod 
out  verum  sit  aut  verum  futurum  sit  .  .  .  Nihil  fieri,  quod  tum  necesse  fuerit^^ 
(Cicer.,  De  fato  17).  Den  Begriff  der  real-metapbysiscben  Möglicbkeit  (Potenz, 
8.  d.)  prägt  Aristoteles  aus.  Das  Mögliebe,  Bwdfisi  ov  (die  Materie,  s.  d.), 
ist  das,  was  für  sieb  nocb  nicbt  ist,  wobl  aber  durcb  die  Form  (s.  d.)  realisiert 
wird,  es  ist  also  die  Bvvafitg  reale  Seins-Möglicbkeit,  nicbt  nur  Denkbarkeit 
<De  Interpret  12).  Die  Erde  z.  B.  ist  Bwafiei  Menscb  (Met.  IX  7,  1049  a  1); 
£cri  Bs  Bwarov  roviOy  ^  iav  vTid^irj  t}  M^ye^a  ov  Xtyerai  ^x^iv  rr^v  Bvva/iiv,, 
cvBbv  iaxtti  dBvvarov  (Met  IX  3,  1047  a  24;  V,  12);  dBwafiin  S^iari  aT€Qr,aie 
dvvAfuwi  xai  Tfji  roiavtrje  d^xns  (Met  V  12,  1019  b  16).     Die  Ansiebt  des 


680  MogUohkeit. 

Diodor  wird  von  Chbybipp  bestritten.  Nach  Plotik  besteht  die  Svva/tts  in 
einer  Art  vnoxsifist^ov  für  Affectionen,  Gestalten,  Formen,  die  aufzunehmen  sind 
(Enn.  II,  5,  1;  vgl.  II,  5,  5). 

Nach  Abaelard  ist  nur  das  möglich,  was  Gott  wirklich  geschaffen  hat. 
Nach  Thomas  sind  „possiinlia",  ^^quae  contingunt  esse  et  tum  ess&*  (9  met.  3); 
,fdieitur  possibile,  qmd  potest  esse  et  non  esse^^  (Contr.  gent  III,  86).  Es  gibt 
„possibüitas  otbsoltUa"  und  „ea;  supposittone^*  (vgL  Vermögen).  Dttns  Scotts 
bestimmt:  „Possibüe  logt  cum  est  modus  compositionis  fonnatae  ab  intdledu, 
iUius  quidetn  ßuites  termini  non  ineludunt  contradietionetn,  .  .  .  sed  pos9ihäe 
reale  est,  quod  accipitur  ab  aligua  potentia  in  re  sicut  a  potentia  inhaerenie 
alifiui  vel  terminata  ad  illud  sicut  ad  terminum**  (Sent  I,  d.  2,  qu.  7).  — 
MiCBAELius  definiert:  y^Possibile  (igitur)  est,  quod  non  involvü  repugnaniiam^ 
(Lex.  philos.  p.  871). 

HoBBES  erklärt  den  Unterschied  zwischen  Möglichkeit  und  Wirklichkeit 
für  einen  bloß  relativen  (De  corp.  C.  10,  1;  4;  6).  Spinoza  definiert:  y^Res 
possibüis  itaque  dioitur,  cum  eius  causam  effidefüem  quidem  inteiliffimus, 
attamenj  an  causa  detenninata  sit,  ignoramus^^  (Cogit.  met  I,  3).  ,yRe9  sin- 
gulares  voeo  possibiles,  queUenus,  dum  ad  eausas^  ex  quibus  produei  dAenty 
attendimuSj  nesdmus,  an  ipsae  determinatae  sint  ad  easdem  producendunt*^ 
(£th.  IV,  def.  IV).  ,yRes  aliqua  impossihilis  dtdtur,  nimirum  quia  vel 
ipsius  essentia  seu  definitio  contradictionem  involvU,  vel  quia  nulla  causa  ex- 
terna datur  ad  talem  rem  producendam  deierminata**  (£th.  I,  prop.  XXXIII, 
.schoL).  yyQuicquid  concipimus  in  Dei  potestate  esse,  id  neeessario  est*  (Eth.  1, 
prop.  XXXV).  Leibniz  hingegen  neigt  der  (scholastischen)  Ansicht  zu,  in  der 
göttlichen  Vernunft  seien  unendlich  viele  Möglichkeiten,  von  denen  nur  ein 
Teil,  das  miteinander  Verträgliche  („le  compossibl&*)  und  Beste,  verwirklicht 
werde  (Princ.  de  la  nat.  10;  Theod.  I  B,  §  225).  —  „Tout  ce  qui  n'implique 
point  de  contradiction,  est  possibW  (Theod.  I  B,  §  224).  TbchirnhaüSEN  be- 
stimmt: „Possibile  est,  quod  condpi  potest**  (Med.  ment.  I,  1).  Chb.  Wolf 
definiert:  ,JPossibile  est,  quod  nullam  contradictionem  involrit**  (Ontolog.  §  85). 
,Jmpossibile  dieiiur,  quicquid  contradictionem  inpolvit"  (1.  c.  §  79).  Möglich 
ist,  „irflw  nichts  Widersprechendes  in  sich  enthäW*  (Vem.  Ged.  I,  §  12).  Meta- 
physisch möglich  ist  etwas,  „uml  es  ton  dem  göttlichen  Verstände  vorgestellei 
icird^*  (1.  c.  §  975).  Bestimmungen  des  Möglichen  gibt  H.  S.  Keimabus  (Ver- 
nunftldire  §  98  ff.).  Ckusius  erklärt  als  möglich  „was  gedacht  wird,  aber 
noch  nicht  eonstieret,  oder  von  dessen  Existenx  wir  noch  abstrahieren**  (Vemunft- 
wahrh.  §  56).  Nach  Platner  ist  möglich,  „was  als  Begriff  frei  ist  von  Wider- 
spruch** (Phüos.  Aphor.  I,  §  819;  vgl.  Log.  u.  Met  S.  89,  92). 

Kant  rechnet  den  Begriff  der  Möglichkeit  zu  den  modalen  fi[ategorien 
(s.  d.).  „  IVas  mit  den  formalen  Bedingungen  der  Erfahrung  (der  Änschatamg 
und  den  Begriffen  nach)  übereinkommt,  ist  möglich**  (Krit  d.  r.  Vem.  S.  202). 
„Daß  der  Begriff  vor  der  Wahrnehmung  vorhergeht,  bedeutet  dessen  bloße  Mög- 
lichkeit** (1.  c.  S.  207).  „Der  Begriff  ist  allemal  möglieh,  wenn  er  sich  nicht 
ipiderspricht.  Das  ist  das  logische  Merkmal  der  Möglichkeit,  und  dadurch  wird 
sein  Gegenstand  vom  nihil  negativum  unterschieden.  Allein  er  bann  niekis- 
destoweniger  ein  leerer  Begriff  sein,  wenn  die  objeetive  Realität  der  Syntkesis, 
dadurch  der  Begriff  erxeugt  wird,  nicht  besonders  dargetan  wird,  welches  aber 
jederzeit,  .  .  .  auf  Principien  möglicher  Erfahrung  und  nicht  auf  dem  Qrmnd- 
saixe  der  Analysis  (dem  Satxe  des  Widerspruchs)  beruht.    Das  ist  eine  Warnung^ 


MögUohkdlt.  681 


von  der  Möglichkeit  der  Begriffe  (logische)  nicht  sofort  auf  die  Möglichkeit  der 
Dinge   (reale)  xu  schließen^'  (1.  e.  S.  471).     „Alles y  tcas  in  sieh  selbst  wider- 
sprechend i^t,  ist  innerlich  unmöglich^'  (WW.  II,  121).     Die  „Möglichkeit  der 
Erkenntnis"  zu  begründen,  ist  Aufgabe  der  Vemunftkritik  (s.  Kritik).    Fries 
bemerkt:  „Wenn  wir  .  ,  ,  die  Gesetze  für  eine  Begebenheit  im  allgemeinen  (durch 
Denken)f  nicht  aber  die  näheren    Umstände  des  einxelnen  Falles   (durch  An- 
schauung)  kennen  und  nun  diesen  nicht  genau  genug  bekannten  Fall  nur  mit 
der  allgemeinen  Regel  vergleichen,  so  nennen  wir  die  Bestimmung  desselben  eine 
bloße  Möglichkeit"  (Syst.  d.  Log.  ß.  160).    Nach  Bouterwek  ist  das  Mögliche 
(logisch)  „rf<w  vernünftigerweise  Denkbare"  (Lehrb.  d.  philos.  Wissensch.  I,  114). 
Die   metaphysische  Wirklichkeit   bezieht   sich    auf    die   Causalitat,    auf    das 
„Können"  (1.  c.  S.  115  f.).    J.  G.  Fichte  betont:  yjch  kann  etwas  Mögliches 
setzen,  lediglieh  im  Gegensaixe  mit  einem  mir  schon  bekannten  Wirkliehen, 
Alle  bloße  Möglichkeit  gründet  sich  auf  die  Abstraction  von  der  bekannten  Wirk-' 
lichkeit.     Alles  Beumßtsein  geht  sonach  aus  von  einem   Wirklichen"  (Syst.  d. 
8ittenl.  S.  290).     J.  J.  Wagneb  erklärt:   „Nur  das   Mögliche  kann  unrklich 
icerden,  aber  alles  Mögliche  muß  wirklich  werden",  mit  Einschränkung  auf  die 
im  Schöße  des  Möglichen  entstandenen  Gegensätze  und  deren  gelimgeue  Ver- 
mittlung (Organ,  d.  menschl.  £rk.  S.  102).     Hegel  bestinmit  die  Möglichkeit 
als  „die  leere  Abstraction  der  RefUxion'in'-sich" ,  die  „bloße  Form  der  Identität- 
mit'sieh"  (Encykl.  §  143),   als  ein  äußeres  „Moment"  (s.  d.)  der  Wirklichkeit 
(L  c.  §  145).    Es  gibt  „formelle"  und  „reale^'  MögUchkeit  (WW.  IV,  203,  208; 
vgl  SCHELUNG,  WW.  II  2,  526).    Chr.  Krause  betont:  „Im  Ewigen  .  .  ,  ist 
kein   Gegensatx  des  Notwendigen,    Wirklichen  und  Möglichen,  welcher  nur  im 
Zeitlichen  und  in  seinem  Verhältnisse  xum  Ewigen  sich  findet.    Denn  das  Zeit- 
liche ist  wirklich,  sofern  es  überhaupt  in  bestimmter  Zeit;  möglich,  sofern  es  in 
bestimmter  Zeit  xufolge  bestimmter  ursachlicher  Bedingungen;  notwendig  endlich, 
sofern  diese  ursachlichen  Bedingungen  eins  sind  mit  dem  ewigen  Urwesentlichen 
des  lebenden  Wesens"  (Urb.  d.  Menschh.',  S.  330).    Hillebrand  erklart:  „Vor 
der  metaphysischen  Anschauung  der  Dinge  ist  ,  ,  ,  das  Mögliche,   als  solches^ 
auch  das  Wirkliche^'  und  Notwendige.    „Insofern  jedoch  der  unendliche  Inlialt 
des  Daseins  dem  Gedanken  nicht  unmüielbar  und  absolut  offenbar  wird,  'können 
diejenigen  Momente,  u^elche  nicht  sofort  notwendig  gedopt  werden,  sondern,  sicli 
im    allgemeinen    erst   nur  denken    lassen,    ohne  daß   ihre    concrete    Be- 
stimmtheit noch  xum  Betcußtsein  gekommen  ist,  unter  die  Kategorie  der  Mög- 
lichkeit fallen"  (Philos.  d.  Geist  I,  36).     Nach  Trendelenburg  beruht  die 
Möglichkeit  auf  einem  „Vorgreifen  des  Gedankens"  und  auf  einer  Ergänzung 
der   vorhandenen  Bedingungen   durch   die   gedachten  (Log.  Unters.  11^  167). 
W.  ROSENKRANTZ  bestimmt:    „Logisch  möglich  ist  alles  Denkbare,   was  sich 
nicht  widerspricht,  physisch  möglich  dagegen  nur  dasjenige,   xu  dessen    HVrA- 
lichkeit  die  Bedingungen  außer  dem  Denken  gegeben  sind^^  (Wissensch.  d.  Wiss. 
I,  134).    Möglichkeit  ist  eine  Kategorie  (1.  c.  II,  224  ff.),   eine  Nebenkategorie 
von  Grund  und  Folge  (1.  c.  S.  232),  eine  Kategorie  nur  des  endlichen  Denkens 
(1.  c.  S.  234).    Der  Unterschied  von  Möglichkeit  und  Wirklichkeit  besteht  nur 
in  der  Beziehung  des  Denkens  auf  die  äußere  Natur,  nicht  im  Denken  oder  in 
der  Natur  allein  (1.  c.  S.  231).     Nach  Chalybaeus  ist  die  Möglichkeit  weder 
nur   Bubjectiv,   noch  ontologisch,   sondern   ein   Verhältnis  beider  Seinsweisen. 
Das    Mögliche    ist    „das     Wißbare    oder  Erkennbare"   (Wissenschaftslehre 
8.   233,  237;  vgl.  Branibs,   Syst.  d.   Met.   S.  282  f.).     Nach  Planck  sagt 


682  MögUchkeit. 


„Möglichkeit^^  aus,  „daß  jedes  Objeet  bedingt  sei  durch  die  ZusafnmenstifMmmg 
mit  dem  Vorausgehenden  in  ihm,  so  daß  auch  das  im  freien  Vorstellen  Vor- 
ausgesetzte  zugelassen  sein  muß''  (Testam.  ein.  Deutsch.  S.  320).    £.  Y.  Habt- 
HANN  unterscheidet  „logische  (passive/^  und  „dynamische  faetive)"  Möglichkeit 
„Die  erstere  bedarf  eines  Anstoßes^  um  sich  xu  entfalten^  eines  Gegenstandes,  um 
sieh  auf  ihn  anxutoenden,  eines  Gegensatzes,  um  mit  logischer  Betäiigung  vn 
reagieren;  die  letztere  dagegen  reagiert  von  selbst  ohne  jeden  außer  ü^  beiegenen 
Anstoßt'  (Kategorienlehre  ß.  357).     G.  Spicker  defmiert:  „Logisch  möglieh  ist 
alles,   was  sich  selbst  nicht  widerspricht;   metaphysisch  möglieh,  was   in  dem 
letzten  Grund  potentiell  vorhanden  isf*  (Vers.  ein.  neuen  Oottesbegr.  S.  162). 
Nach  Hagemann   ist  das  Mögliche  „dcts  Denkbare  oder    Wider spruehslostf*. 
„Die  Abwesenheit  des   Widerspruchs  macht  die  innere  oder  absolute  Möghek- 
keit  aus,"    Das  Vorhandensein  eines  Grundes  oder  einer  Ursache,  welche  das 
an  sich  Mögliche  zu  verwirklichen  vermag,  macht  die  äußere  oder  relative 
Möglichkeit  aus.     „Das  absolut  Mögliche  oder  das  Denkbare  macht  das  tneta- 
physisch  Mögliche  aus,  und  dieses  umfaßt  den  Kreis  dessen,  was  durch  Oott, 
die  unendlielie  Ursache,  verunrklieht  werden  kann.     Das  relativ  Möglidke  teiU 
man  ein  in  cUis  physisch  und  das  moralisch  Mögliche.    Ersteres  ist  das- 
jenige, was  durch  die  Kräfte  der  Natur  venvirklicht  u^erden,  letzteres  da^enige, 
was  nach  dem  regelmäßigen  Laufe  der  Weltereignisse  geschehen  kann"  (Met*, 
S.  14  f.).    Nach  G.  H.  Lewes  ist  Möglichkeit  „the  ideal  admission  as  preeent 
of  absent  factors:   it  states  what  wotdd  be  the  faet,  if  the  requisite  factor  wert 
preseni*'  (Probl.  of  Life  and  Mind  I,  397).     Nach  Fb.  Schultzb  ist  für  uns 
möglich  „das  Erfahrbare,   d.  h,  alles,   was  den  Bedingungen  der  menschliehen 
ErfaJirungsfahigkeit  nicht  underspricht"  (Philos.  d.  Naturwissensch   II,  345  f.). 
Unmöglich  für  uns  ist  alles  Außerräumliche,  Außerzeitliche,  AuflerarBächliche, 
Außerempfindliche  (1.  c.  Ö.  346).     Nach  Siqwabt  ist  l<^iBch  mögiich,  „was 
weder  zu  bejahen  noch  Z4i  verneinen  notujendig^^  (Log.  I^  231  ff.,  244,  265  ff.). 
Schuppe  erklärt:    „Möglichkeit  (Können)  hat  nur  den  Sinn  eines  bestimmten 
Verhältnisses  unter  genannten  Qualitäten  als  solchen,  daß  a  allerdings  weder 
gerade  e  noch  d  noch  e  fordert  und  auch  keines  durch  sieh  selbst  ausschließty 
aber  daß  es  doch  um  seiner  Natur  willen  durchaus  eines  von  ihnen  fordert,  daß 
sowohl  c  als  auch  d  als  auch  e  ein  a  fordern,  in  seiner  Anwesenheit  also  eine 
Bedingung  ihres  Erscheinens  haben"  (Log.  ß.  67).    „Behauptung  von  Mogliek- 
keä  meint  also  ein  gesetzliches  Verhältnis  unter  Qualitäten,  nicht  die  Eadetetn 
einer  Bedingung"  (1.  c.  8.  68).     Das  „Mögliehe"  bezeichnet  nur  bestimmte  Re- 
lationen innerhalb  des  Notwendigen  (1.  c.  S.  133;  vgL  Ehrk.  Log.  X;  Grdz.  d. 
£th.  B.  63  ff.).    Nach  Sghubert-Soldern  ist  reine  Möglichkeit  dies,  ,/iafi  er- 
fahrungsgemäß nichts  hindert,  irgend  eine  Tatsache  oder  einen  Cdmplex  ttm 
Daten  mit  andern  Daten  verbunden  zu  erwarten,  ohne  deswegen  aber  auch  emen 
Grund  für  positive  Erwartung  dieser  Verknüpfung  angeben  zu  können"  (Gr.  ein. 
Erk.  8.  231  f.).     Nach  J.  y.  Kries  bedeutet  in  vielen  Fällen  die  Möglichkdt 
eines  Ereignisses  nur  dessen  Ungewißheit    Objectiv  möglich  aber  ist  das 
treten  eines  Ereignisses  unter  gewissen  imgenau  bestimmten  Umständen,  „ 
Bestimmungen  dieser  Umstände  denkbar  sind,  weiche  gemäß  den  faetiseh  getUnden 
Gesetzen  des  Geschehens  das  Ereignis  verwirklichen  würden"  (VierteLjalmschr. 
f.  wLbs.  Philos.  12.  Bd.,  8.  180  f.).    Nach  B.  Erdmann  ist  Möglichkeit  Jeiis- 
lieh    eine  Bestimmung    des    Gedachtwerdens"   (Log.   I,  382).     Nach  Höfl£E 
negieren  wir  durch  die  Behauptung  der  Möglichkeit  ,4as  Bestehen 


MögUchkelt  —  Monade.  683 


UnverirägliekkeitS'Relation^^  (Gmindl.  d.  Log.  S.  76).  E.  Ayekakiub  er- 
l:lart:  ,f  Verlegt  sich  das  ,Künnen^  auf  das  ^denkbare  Künftige^  selbst,  so  erscheint 
dieses  nicht  mehr  als  etwas,  das  ^edatM  tcerden  Icanrij  sondern  als  etwas,  tcelches  sein 
kamif  und  d,  h,  in  der  Modification  des  , Möglichen*"  (Erit  d.  r.  Erfahr.  II,  121). 
Nach  G.  ßiMMEL  ist  „Möglichkeit*'^  „die  gedankenmäßige  Aniieipaiion  einer 
künftigen  Bntwieklung*'  (Einl.  in  d.  Mor.  II,  220) ;  sie  drückt  ,^ie  Unvollständig- 
heü  der  Einsicht  in  die  Qründe  der  Wirklichkeit**  aus,  mit  der  sie  sachlich 
zusammenfallt  (Lei,  38).    Vgl.  Modalität,  Notwendigkeit,  Vermögen. 

Momeiit  (momentum,  von  moveo):  1)  =  der  Moment,  Augenblick,  Zeit- 
punkt, 2)  das  dynamische  und  das  statische  Moment  {=-  Product  der  Kraft  in 
die  Entfernung  ihrer  Richtungslinie  vom  Drehungspunkt),  3)  psychologisch  und 
metaphysisch:  Durchgangspunkt,  Phase,  Bestandteil,  Stufe  eines  Processes; 
z.  B.  ist  das  Gefühl  ein  Moment  der  Willenshandlung. 

MiCBAELiUB  erklärt:  „Momenta  metaphysieis  sunt  incomplexa  prindpia, 
nempe  essentia  et  existentia.  Nam  esseniia  dicitur  momefitum  primum, 
existentia  momentum  secundum.  Unde  rede  dicitur,  quod  ens  ponaiur  in 
duobus  momentis**  (Lex.  philos.  p.  669).  —  Galilei  versteht  unter  „nurttienio** 
,,/a  propensione  di  andare  al  basso**,  „la  propensione  al  moto**,  die  Kraft,  mit 
welcher  das  Movens  bewegt  und  der  bewegte  Körper  widersteht  (Della  scienza 
mecan.  Opp.  I,  p.  555;  Discorsi  III,  103;  Opp.  I,  p.  191;  vgl.  Newton,  Opuscul. 
I,  p.  59  f.).  Ein  Moment  ist  nach  Locke  ein  Zeitteil,  in  dem  man  keine  Folge, 
nur  eine  Vorstellung  bemerkt  (Ess.  II,  eh.  14,  §  10).  —  Nach  Kant  nennt 
man  ,yden  Qrad  der  Realität  als  Ursache  ein  Moment,  x.  B.  das  Moment  der 
Sehteere,  und  xwar  darum,  weil  der  Qrad  nur  die  QrÖße  bezeichnet,  deren  Appre- 
hensio^n  niclU  successiv,  sondern  Augenblick  ist**  (Krit.  d.  r.  Vem.  S.  165).  „Alle 
Verändertmg  ist  ,  .  .  nur  durch  eine  continuierliche  Handlung  der  Causalität 
moglieh,  welche,  wenn  sie  gleichförmig  ist,  ein  Moment  heißt**  (L  c.  S.  194  f.). 
y,Die  Wirkung  einer  bewegenden  Kraft  auf  einen  Körper  in  einem  Augenblicke 
ist  die  SoUicitation  desselben,  die  getvirkte  Geschunndigkeit  des  letzteren  durch 
die  Soüieitation,  sofern  sie  in  gleichem  Verhältnis  mit  der  Zeit  wachsen  kann, 
ist  das  Moment  der  Acceleration**  (Met.  Anf.  d.  Natunviss.  S.  134).  —  Heoel 
bezeichnet  jeden  Durchgangspunkt,  jede  Phase,  jede  Ck)mponente  des  dialekti- 
schen (s.  d.)  Entwicklungsprocesses  des  Alls  als  Moment  (vgl.  Encykl.  §  145; 
Bechtsphilos.  S.  66).  —  Husserl  nennt  Moment  jeden  zu  einem  Ganzen  relativ 
unselbfitändigen  Teil  des  Ganzen  (Log.  Unters.  II,  260).  —  Moment  des 
Willens  (Willensmoment)  ist  das  herrschende  Motiv  (s.  d.).  Man  spricht  auch 
vom  ,/iranuäischen  Moment*. 

lUonade  (ßiovds):  Einheit  (s.  d.),  metaphysische  Einheit,  selbständiges, 
individuelles  Wirklichkeitselement  (im  weiteren  Sinne  auch  das  Atom,  s.  d., 
lunfassend),  im  engeren  Sinne  seelenartiges,  einfaches,  substantielles  Wesen ;  aus 
der  Zusammensetzung  solcher  Monaden  bestehen  nach  der  Monadologie  (s.  d.) 
die  Körper  (s.  d.)  ihrem  An-sich>sein  nach,  auch  die  Organismen,  die  aber  (nach 
einigen)  von  besonderen  Geistesmonaden  beherrscht  werden. 

Der  Begriff  und  Terminus  fiovdg  als  Einheit  (s.  d.)  findet  sich  bei  Pytha- 
GOBAB,  Ekphantus,  Akistoteles,  Euklid,  Modebatus  u.  a.  —  Plato  nennt 
fiovaSes  die  Ideen  (s.  d.).  Synesius  nennt  Gott  die  „monas  monadum**,  so 
auch  Sabelltcs,  wie  überhaupt  Gk)tt  öfter  als  „monas**  bezeichnet  wird  (vgl. 
QoCLiES,  "Lex,,  philos.  p.  707). 


684  Monade. 

NiooLAUS  CusAiojs  betrachtet  die  fiinzeldinge  als  Einheiten ,  welche  die 
Welt  verkleinert  abspiegeln.  G.  Bruno  versteht  unter  der  „ifMWMw"  das  „wi- 
nimum*^,  das  als  „rerum  substantia"  angenommen  werden  muß.  j^Momu  ratio- 
ncUiter  in  numeris,  essentialiter  in  omnibus"  (De  min.  I,  2).  Aus  unzerstörlnren, 
ausgedehnten  und  zugleich  beseelten  Monaden  bestehen  alle  Dinge.  Die  ,;numas 
monadum^^  ist  Grott  (L  c.  I,  4).  Die  Monas  ist  y,8tibstantia  rei,  indüridua  tri 
suhstantia"  (De  monade).  F.  M.  van  Helmont  erklärt:  ^JHpisio  rtnm 
numqiiam  fU  in  minima  mathematica,  sed  in  minima  physiea;  cumque  mattria 
canereta  eo  usque  dividiiur,  ut  in  manades  abeat  physicaa^*  (PVinc.  philos.  3,  9). 
„Ätamus  atUem>  tarn  est  exilis,  ut  nihil  in  se  recipere  qtdeal"  (1.  c.  7,  4).  H.  Moke 
nennt  Monaden  die  homogenen  (beseelten)  Elemente  der  Dinge,  der  Materie, 
f,actu  soliUae  monadeSy  quamquam  contigtUi&^  (y,8piritus  naturae^^)  (E^chir.  met. 

I,  9;  I,  28,  §  3).  F.  Glisson  nimmt  beseelte  Substanzen  an  (Tract.  de  natura 
substantiae  energetica  1672).  B.  Cüdwobth  schreibt  den  Dingen  eine  „n> 
plastica**  (s.  Plastisch)  zu.  Gassendi  nimmt  empfindungsfähige  Atome  (s.  d.) 
an  (später  auch  Bobinet,  Didebot  u.  a.). 

Der  Begründer  der  Monadenlehre  ist  aber  Leibniz.  Er  stellt  sie  auf  im 
Gegensatz:  1)  zu  Descartes,  welcher  die  Körperelemente  für  rein  passiv  erklärt, 
2)  zum  Atomismus,  weil  nach  Leibniz  alles  Körperliche  ins  imendliche  teilbar 
ist,  3)  zum  Pantheismus,  der  nur  eine  Substanz  (s.  d.)  kennt  Dagegen  nimmt 
Leibniz  an,  die  Welt  bestehe  (an  sich)  aus  unkörperlichen,  unausgedehnten, 
punktuellen,  einfachen,  seelischen,  vorstellenden  und  strebenden  Krafteinheiten 
(Substanzen,  s.  d.),  die  er  (seit  1697)  Monaden  (j,monades**)  nennt.  Sie  sind  den 
substantialen  Formen  (s.  d.)  der  Scholastiker,  den  y,Enteleehien"  (s.  d.)  der 
Peripatetiker  analog,  sind  im  Grunde  nichts  als  die  vielfach  gesetzte  Icfaheit 
Die  Monaden  sind  die  Elemente  der  Dinge,  die  v^diren  Atome  in  der  Natur 
(Monadol.  3).  y^La  monade  .  .  .  n*est  atäre  chose,  qu'une  substance  simple,  qui 
entre  dans  les  coniposis;  simple,  c^est-ä-dire,  sans  parties**  (Monadol.  1).  Eß 
muß  Monaden  geben,  weil  es  zusammengesetzte  Dinge,  Aggr^ate,  gibt  und 
weil  das  Einfache  nicht  ausgedehnt  sein  kann  (Monadol.  2 — 3).  Sie  können 
sich  nicht  auflösen,  können  nur  (durch  Schöpfung)  mit  einem  Male  anfangen 
oder  enden  (Monadol.  6).  Sie  sind  gleichsam  metaphysische  Punkte  (,,pouUs 
metaphysiques**),  substantielle  Punkte  („points  de  substance^')  (Gerh.  IV,  398; 
Erd.  p.  126).  Sie  können  innerlich  nicht  verändert  werden,  weil  nichts  in  sie 
hineinkommen  kann;  sie  haben  „keine  Fenster**  („n*<mt  paint  de  feneire^'),  so 
daß  sie  keine  directen  Einwirkungen  von  außen  erleiden,  noch  selbst  auf  andere 
Monaden  direct  einwirken  können  (Monadol.  7).  Kur  einer  immanenten,  rein 
Innerlichen  Entwicklung  sind  sie  fähig  (Monadol.  10  f.).  Diese  beruht  auf 
einem  inneren  Princip,  welches  seelischer  Art  ist  und  eine  Mehrheit  von  Zu- 
ständen bedingt,  welche  in  Vorstellungen  („pereeptions**,  zugleich  Empfindungen, 
Gefühlen)  bestehen  und  infolge  emes  Strebens  („tendanee**)  wechseln  (MonadoL 

II,  13,  14,  15).  Alle  Monaden  haben  „quelque  ehose  d'analogigue  ou  seniiment 
et  ä  Vappetü**,  sind  „Entelechien**,  „Seelen**  im  weitesten  Sinne  (MonadoL  18—19). 
„De  la  manih-e  que  je  definis  perceptions  et  appStit,  il  faul  que  toutes  les  mo- 
nades  en  soient  douees.  Cor  perception  m'est  la  representaiion  de  la  muÜitude 
dans  le  simple,  et  Vappetit  est  la  tendanee  d^une  perception  ä  une  ttuhre;  er  eet 
detix  ckoses  sont  dans  toutes  les  tnonades,  cor  autrement  une  monade  n'tnanail 
aucun  rapport  au  reste  de  ckoses,**  Es  gibt  „autant  de  substances  veriUMes  et 
pour  ainsi  dire  de  miroirs  vivants  de  l'univers  toufours  subsistants  ou  rf'i 


Monade.  685 

eonetfUres  qu'ü  y  a  de  monades^'  (£rdm.  p.  720).  Jede  Monade  folgt  dem  Ge- 
fietze  ihrer  inneren  Entwicklung,  der  „lex  continuationü  seriei  stiarutn  operatio- 
fntm'*,  confonn  den  Entwicklungsphasen  der  anderen  Monaden  (Erdm.  p.  107). 
y,Tout  prisent  etat  d'une  substance  simple  est  ncUurellement  une  suite  de  son 
etat  preeecUmt,  teUement  que  le  present  y  est  gros  de  Vavenir*'^  (Monadoi.  22). 
Alle  Monaden  sind  yerschieden,  denn  es  gibt  in  der  Natur  nicht  zwei  voll- 
kommen  gleiche  Dinge  (MonadoL  9,  vgL  Identitatis  indisc.).  Eb  besteht  eine 
Stufenfolge  höherer  und  niederer  Monaden,  deren  höchste  Grott  ist.  „Monas  seu 
substantia  simplex  in  genere  continet  perceptionem  et  appetüum,  estque  vcl 
primitiva  seu  Deus^  in  qua  est  ttUima  ratio  rerum,  vel  est  derivativa,  nempe 
numas  ereatot  eaque  est  vel  raiione  praeditaf  mens,  vel  sensu  praedita,  nempe 
anitna,  vel  inferiore  quodam  gradu  pereeptionis  et  appetitus  praedita,  seu 
anima  analoga,  quae  nudo  monadis  nomine  contenia  est,  quum  eins  varios 
gradus  non  eognoseamus^*  (E^dm.  p.  678).  Die  Körpermonadeu  („monades 
simples",  „iotU  nues^^)  leben  in  einer  Art  dumpfen  Schlafes  dahin  (Monadoi.  24), 
während  die  höchste  Monade,  Gott  (s.  d.),  alles  mit  höchster  Klarheit  vorstellt 
und  die  Beziehungen  der  Monaden  untereinander  durch  die  prästabilierte  Har- 
monie (s.  d.)  regelt  (Monadoi.  51).  Die  Monaden  sind  ,/tdgtiraiions  continuelles'* 
Gk>tte8.  Jede  Monade  spiegelt  (stellt  vor,  stellt  dar,  „represente^%  als  „miroir 
vivant\  das  Universum,  als  eine  Welt  für  sich  („momle  ä  part^),  aber  mit  ver- 
schiedenem Grade  der  Klarheit,  Bewußtheit  (Monadoi.  62,  83),  jede  von  ihrem 
Standpunkte  (,^point  de  vue"),  so  daß  man  in  jeder  Monade  das  All  erkennen 
konnte  (Erdm.  p.  714  ff.;  Principe  de  la  nature  3,  4,  13,  14).  Die  Monaden 
sind  auch  dadurch  voneinander  unterschieden,  daß  sie  mehr  oder  weniger  über 
andere  herrschen  (L  c.  4),  wie  etwa  die  Seele  (s.  d.)  die  herrschende  Monade  des 
Organismus  ist. 

Chr.  Wolf  schreibt  den  Körpermonaden  keine  Perception,  nur  eine  „Kraft" 
(s.  d.)  zu  (Psychol.  rational.  §  644,  712).  Nach  Baumoarten  sind  die  Monaden 
„simpliees  vires,  rqpraesentativae  sui  universi,  mundi  in  compendio,  suiqtte 
mundi  coneentrationes^^  (Met.  §  400).  Nach  CRUsnrs  sind  die  Monaden  mathe- 
matisch ausgedehnt,  nehmen  einen  Raum  ein  (Met.  §  107).  So  auch  nach 
Dabjes  (Elem.  met.  1753).  Kant  nimmt  (in  seiner  vorkritischen  Periode) 
„monades  physieae^*  an,  welche  undurchdringlich  sind  und  elastische  (abstoßende) 
sowie  anziehende  Kräfte  haben.  „Substantia  simplex,  monas  dieta,  est,  quae 
ntyn  eonstat  pluralitate  partium,  quarum  una  absque  aliis  separaiim  existere 
poiest,"  „Corpora  eonstant  partibus,  quae  a  se  invicem  separatae  perdurabüem 
hctbent  existentiam"  (Monadoi.  phys.  I,  prop.  I — II).  Verschiedene  Arten  von 
,Jdonaden"  nimmt  Goethe  an;  er  nennt  sie  auch  „Enteleehien"  (Goethes  Ge- 
spräche, hrsg.  von  Biedermann,  III,  63  f.).  Monaden  ohne  Vorstellung  nimmt 
BoscoviCH  an  (s.  Materie). 

Ein  intelligibles  „Monadenreich"  als  selbstbewußter  göttlicher  Gedanke  in 
seinem  gegliederten  Inhalte  nimmt  Soloer  an  (Erwin  II,  126).  —  Herbart 
lehrt  die  Existenz  von  einfachen  „Realen"  (s.  d.).  Lotze  lehrt  die  Existenz 
von  Substanzen  (s.  d.)  seelischer  Art,  die  in  Gott  ihren  Einheitsgrund  haben. 
Monaden  nehmen  femer  an:  J.  H.  Fichte  (Psychol.  I,  4),  Ulrici,  Kircjhner, 
L-  Busse,  E.  v.  Hartmann  (b.  Wille,  Seele),  H.  Wolff  („Bionten",  Kosm.  I) 
(als  Producte  des  Unbewußten,  s.  d.),  Bahnsen,  M.  Wartenberg  (Probl.  d. 
Wirk.  S.  134),  Peters,  Wundt  (aber  nicht  als  Substanzen,  sondern  als  Willens- 
actionen,  s.  d.),  ferner  Gioberti,  J.  Dtjrdik,  M.  Petöcz,   Ch.  B.  Upton 


686  Monade  —  Monismus. 


Lachelieb  (Eev.  philoa.  XIX,  1885),  Delboedp  (La  mat  brate),  J.  C.  S- 
ScHH^LEB  (Riddles  of  the  Sphinx*,  1894),  Astafjew  n.  a.  M.  Carrie&e  lehrt 
die  Existenz  von  „selbstlosen^^  und  j^selbstseünden",  sich  selbst  bestimmenden 
Monaden,  die  in  Wechselwirkung  miteinander  stehen.  Sie  sind  nicht  abeoint 
isoliert,  sondern  j^anx  Fenster,  ganx  Auge^*  (Sittl.  Weltordn,  S.  137),  sind  in 
einer  alldurchwaltenden  Einheit  enthalten  (ib.,  vgl.  S.  146  £L).  D^i  MiUd- 
pimkt  selbstseiender  Wesen  bildet  je  eine  „Oentrtümanade"  (L  c.  S.  72).  Eine 
Vielheit  nicht  sinnenfälliger  Wesen  ninunt  Teichmülleb  an  (Neue  Grundleg. 
S.  65).  £..  Hamebling  nennt  Monaden  Gruppen,  Einheiten  von  (Willens-) 
Atomen  und  auch  einzelne  Atome  (Atom.  d.  Will.  I,  180).  G.  Sfickbb  nimmt 
psychische  Monaden  an,  die  imtereinander  in  Wechselwirkung  stehen,  acüv  and 
passiv  zugleich  und  auch  materiell  sind  (K.,  H.  u.  B.  S.  193  ff.).  Nach  Dbosb- 
BACH  bestehen  die  Dinge  aus  „Kraftwesen"  (Geaee,  d.  Bewußts.),  so  auch  nach 
Hellenbach  (l>er  Lidividual.  S.  185).  Renouvieb  (mit  L.  Pbat)  erklärt: 
„I/O  trumade  est  la  sttbstanee  simple^  d<mt  la  donnie  est  impltquSe  par  Vexisienee 
des  substanoes  eomposSes"  (Nouv.  Monadol.  p.  1).  Sie  ist  f^sans  partieaU^  ,,fi'a 
ni  eiendue  ni  figttref^  (1.  c.  p.  2).  Die  Monaden  haben  „le  sentiment  de  sai,  ie 
rapport  du  süßt  ä  l'objet,  dans  le  st^ef*  (L  c.  p.  3),  „representaiion"  (ib.).  Jede 
Monade  ist  „une  unite  dont  la  repetition  forme  des  nombres^''  (1.  c  p.  4).  Sie 
hat  „aeiivite  tntemef^  „en  tant  qu'elle  est  un  principe  de  son  propre 
hat  „une  foree  suscitative  de  ses  etats"  (1.  c.  p.  5).  Es  gibt  „monades 
„centrales"  y  „dominantes"  (1.  c.  p.  53).  Monaden  als  psychische  Kräfte  nimmt 
DuBAND  DE  Gboos  an;  sie  constituieren  das  An-sich  der  Materie.  Monaden 
gibt  es  nach  E.  BoiBAC  (L'id^  de  ph^nom^e  1894).  Vgl.  Atom,  HyloEoismoE, 
Körper,  Kraft,  Materie,  Ding  an  sich,  Wille,  Substanz,  Harmonie,  Seele,  Plnim- 
Usmus. 

Honaden  s.  Monade.  —  Monaden  heißen  auch  die  Teile,  ans  denen 
einige  sich  die  Atome  (s.  d.)  bestehend  denken. 

Honadolos^e :  Monadenlehre,  Theorie  der  Monaden  (s.  d.),  Lehre  vom 
Einfachen,  von  den  einfachen  Wesen.  Vgl.  Leibniz,  Monadologie;  Bekouvieb 
ET  L.  Pbat,  La  nouvelle  Monadologie;  Fbohschamheb,  Monaden  und  Welt- 
phantasie 1879  u.  a. 

Monareliiaiilsiiiiiei:   Lehre  von  der  absoluten  Einheit  Gottes,  Lehne 

von  der  Herrschaft  von  Gott- Vater  als  der  einzigen  selbständigen  götüichen 
Person  (vgl.  Übebweg-Heinze,  Gr.  d.  Gresch.  d.  Philos.  II«,  77).  VgL  Mo- 
daUsmus. 

Honarelftie  s.  Rechtsphilosophie. 

Honarebomaelfteii  heißen  ältere  Anhänger  der  Lehre  von  der  Volks- 
souveränität auch  dem  (das  Recht  verletzenden)  Herrscher  gegenüber  (G.  Bucha- 
NAN,  H.  Languet,  J.  Althusiüs. 

IHonerg^iiills  (fiovoe,  iV/o«'),  christlicher:  Zurückfiihrung  alles  Gutes 
auf  das  Wirken  (jk)tte8  in  uns,  während  der  Synergismus  die  Mitwirkung 
des  Menschen  anerkennt. 

MonismiiB  (fiovos,  eins,  einzig)  (metaphysisch):  1)  Einheitslehre, 
d.  h.  jene  metaphysische  Ansicht,  nach  welcher  es  nur  eine  Wirküchkeitsait,» 
ein  Seinsprincip  gibt>  sei  dieses  nun  Geist  (Spiritualismus,  Idealismus,  a.  d.) 
Materie  (Materialismus,  s.  d.),  oder  die  Einheit,  der  gemeinsame  Trag^  beider 


Monismns.  687 

■ 

(Identitätsphüoeophie,  b.  d.).  Der  „phiiosophiseke"  MonismuB  ist  von  dem 
f^uihtralistisehen*^  sich  „Monismus*^  nennenden  „Pseudomontsmus^*,  der  in 
Wahrheit  verhüllter  Dualismus  imd  Hylozoismus  (s.  d.)  ist,  zu  unterscheiden. 
Der  metaphysische  Monismus,  der  nur  eine  Wirklichkeits weise  als  absolut  real 
setzt,  ist  mit  einem  „empirischen",  „methodischen^*  Dualismus  (s.  d.)  vereinbar. 
Monismus  bedeutet  2)  Einzigkeitslehre,  d.  h.  die  Ansicht,  daß  alle  Dinge 
Modificationen  einer  Wesenheit  (Natur,  Materie,  Weltseele,  Gottheit)  sind 
(■=  metaphysischer  „Henismus^y  bezw.  Pantheismus,  s.  d.).  Der  psycho- 
logische Monismus  lehrt  die  Einheit  von  Psychischem  und  Physischem,  sei 
es  in  materialistischer,  spiritualistischer  oder  identitatsphilosophischer  Form.  Der 
erkenntnis theoretische  Monismus  behauptet,  die  einzige  Wirklichkeit  sei 
die  erfahrungsmafiig  gegebene,  erlebte,  sinnenfällige,  bewußtseinsinmianente 
Realität.  Der  ethische  Monismus  leitet  das  Sittliche  (s.  d.)  aus  einem  einzigen 
Moralprincip  ab.  t>er  theologische  (religiöse)  Monismus  ist  entweder  Theismus 
(s.  d.)  oder  Pantheismus  (s.  d.) ;  letzterer  ist,  als  Extrem,  „AJcostnismus",  Gk>tt  hat 
allein  ige  wahre  Realität.  Der  logische  Monismus  erkennt  nur  ein  Erkenn  tnis- 
princip,  keine  Dualität  von  Form  und  Materie  des  Erkennens  an  (M.  PalIgti). 
Zu  ihm  gehören  auch  der  (extreme)  Rationalismus  und  Empirismus  (s.  d.). 
Naturwissenschaftlicher  (physikalischer)  Monismus  heißt  (auch)  die  ener- 
getische (s.  d.),  die  Materie  eliminierende  Lehre  (Ostwald  u.  a.). 

Den  Ausdruck  „Monist"  anbelangend,  so  erklärt  Chr.  Wolf:  „Monistae 
dieuntur  phUosopki,  quiunutn  tantummodo  substantiae  genus  admitiunt^*  (Psychol. 
rationaL  §  32).  Bei  J.  G.  Fichte  findet  sich  „Uniiismus'*  (WW.  II,  89). 
„Monismus  des  Gedankens"  nennt  (jÖschbl  (Monism.  d.  (jkdank.  1832)  den 
Hegeischen  Panlc^mus  (s.  d.).  E.  y.  Hartmann  möchte  den  qualitativen 
Monismus  lieber  als  „ühitarismus"  bezeichnai  (Mod.  Psychol.  S.  371). 

Mehr  oder  weniger  rein  wird  die  Einheitslehre  vertreten  durch  die 
ionischen  Naturphilosophen  (s.  d.  und  „Princip*%  die  Atomistik  (s.  d.). 
die  Stoiker  (s.  d.),  Epikureer  (s.  d.),  femer  durch  G.  Bruno,  Spinoza, 
Lbibniz,  Berkeley,  J.  G.  Fichte,  Schellino,  Hegel,  Schopenhauer, 
J.  H.  Fichte,  Carrierb,  Wundt,  H.  Spencer,  Clifford,  Renouvier, 
F.  Masci,  Nietzsche,  Fechner,  K.  Lasswitz,  Paulsen  u.  a.  Einen  „Artrt- 
schen"  (philo«iophischen)  Monismus  lehrt  Riehl  (Philos.  Kritic.  II*,  206;  s.  Iden- 
tit&tslehre).  Einen  „»wwawcn/e»",  „empirischen",  „kritischen",  „transeendentalen" 
Monismus  vertritt  F.  Schultze:  Alles  ist,  als  unsere  Vorstellung,  gleichartig, 
unsere  Erfahrungswelt  ist  einheitlich.  „Die  Vorstellungstcelt  ist  .  .  .  dualistisch, 
insofern  sie  der  Wrseheinungswelt  eine  hypothetisch  notwendig  gesetxte  Welt  der 
Dinge  an  sieh  unterstellt'  (=  ,/eritiseher  Dualismus";  Philos.  d.  Naturwissen- 
schaft II,  201  f.).  P.  Carus  versteht  imtec  Monismus  die  höhere  Einheit  von 
Idealismus  und  Realismus.  Die  Welt  ist  ,jdas  Resultat  aus  Subject  und  Object", 
Geist  und  Materie  sind  durcheinander  bedingt;  das  An-sich  beider  „congruiert" 
im  Metaphysischen  (Met.  S.  33  f. ;  Fundam.  Probl.  1889).  Der  kritische  Monis- 
mus ist  Idealrealismus,  Realidealismus  (1.  c.  S.  226).  Einen  „dynamischen"  Monis- 
mus lehrt  L.  Ferri,  einen  Monismus  als  Glauben  Huxley  (Sociale  Essays 
S.  XL),  einen  metaphysischen  Monismus  M.  L.  Stern  (Philos.  u.  naturwiss» 
Monism.  1885),  einen  idealistischen,  das  Mechanische  als  Äußerung  geistiger 
Kräfte  bestimmenden  Monismus  A.  Fouillee  (s.  Voluntarismus).  Den  „posi- 
tiven Monismus",  der  hinter  allen  Erscheinungen  eine  Urkraft  constatiert,  ver- 
tritt G.  Ratzenhofer  (Pos.  Eth.  S.  33).    „Monismus"  heißt  auch  die  Ansicht, 


688 


Monismus  —  Monolemmatisch. 


daß  ein  Wirkliches  mit  zwei  Eigenschaften  (Attributen),  Empfindung  lud 
Bewegung,  existiert:  B.  Ca&neri,  E.  Haeckel  (Die  Weltratsel),  L.  Noire  (Der 
monist  Gedanke  1875),  L.  Geiger  (Urspr.  d.  Sprache),  nach  welchen  den  beidoi 
Attributen  Bewegung  und  Empfindung  ein  „Monon^*  zugrunde  Hegt  (Noire, 
Einl.  und  Begr.  e.  monist.  Erk.  B.  183). 

Die  Einzigkeitslehre  finden  wir  bei  Xenophanes,  Herakut,  den  Stoikern, 
G.  Bruno,  Spinoza,  J.  G.  Fichte,  Schelling,  Hegel,  Schopenhaueb, 
Nietzsche,  H.  Spencer  u.  a.  (s.  Gott,  Pantheismus).  Einen  Individualismufi 
innerhalb  des  Monismus  lehrt  J.  FrauenbtIdt,  M.  Carriere  (SittL  Weltoidn. 
S.  3B4),  so  auch  E.  y.  Hartmann.  Dessen  „eoncreter  Monismus"  beschrinkt 
die  Identität  der  Dinge  mit  dem  Absoluten,  Unbewußten  (s.  d.)  auf  „das  dem 
Eraeheinungsindividuum  xugrunde  liegende  Wesen"  (PhanomenoL  d.  sitiL  Be 
wußts.  S.  860).  Der  concrete  Monismus  ist  das  System,  nach  welchem  ,/to 
Eine  durcfi  die  Vielheit  seiner  dynamischen  Functionen  und  Functionengruppen 
im  Widerspiel  dieser  Dynamik  xu  vielen  realen  Individuen  sieh  eoncresciert  und 
als  der  denselben  invtnanent  substantielle  Träger  ihre  reale  Existenx  in  gesetz- 
mäßiger, relativer  Oonstanx  aufrecht  erhält"  (Philos.  Frag.  d.  Gregenw.  S.  69). 
O.  Cabpari  stellt  dem  „spiritualistischen"  den  „empirischen"  Monismus  gegen- 
über. „Nach  letzterem  sind  Weltschöpfer  und  Weltplan  ausgeschlossen,  der 
empirische  Monismus  ist  causaUmeehanische  Weltanschauung,  Der  eausak 
Mechanismus  besteht  aber  aus  einer  Reihe  relativ  getrennter  Einxel- 
factoren"  (Zusammenh.  d.  Dinge  S.  442).  Nach  F.  Mach  existiert  yydas  eine 
und  einzige,  absolute,  eunge  Weltwesen  —  das  Universum,  das  Allleben  oder  die 
Natur  —  als  Complex  maierieü-geistiger  Kräfte,  das  sieh  nach  intmanenten 
notwendigen  Oesetxen  betätigt  und  in  einer  Stufenreihe  teleologischer  Organi' 
sationen,  deren  irdischer  Abschluß  der  Mensch  ist,  entwickelt*^  (Reiigions-  u. 
Weltprobl.  S.  464).  Einen  theistischen  Monismus  vertritt  A.  L.  Kyv.  — 
E.  Haeckel  versteht  imter  Monismus  die  „einheitliche  Auffassung  der  Gesamt" 
natur^*  (Der  Monism.  S.  9),  die  Ansicht,  daß  die  Welt  eine  „kosmische  Einheit" 
bildet  (1.  c.  S.  10),  daß  Gott  und  Welt  eins  sind  (1.  c.  S.  12;  ähnliche  An- 
schauung bei  D.  F.  Strauss,  auch  bei  L.  Büchner,  C.  Vogt,  Moi^ebchott, 

CZOLBE,  NOACK  u.  a.). 

Den  erkenntnistheoretischen  Monismus  lehrt  der  (erkenntnistheoretische) 
Idealismus  (s.  d.),  besonders  bei  Berkeley,  Hume,  J.  G.  Fichte,  bei  J.  St.  Mnx, 
Eehmke  (Welt  als  Wahm.  u.  Begriff  S.  68),  Schupfe,  Schubert-Soij>£BN. 
M.  Kauffmann,  Leclair:  „Ablehnung  eines  transcendentalen  Factors  der  Er- 
kenntnis" (Beitr.  S.  9),  Ziehen,  M.  Verworn  (=  „Psyehomonismus^*,  Allgem. 
Physiol.^,  S.  39),  in  anderer  Weise  (mehr  realistisch)  auch  bei  £.  Mach. 
E.  AvENARius.  Femer  bei  Ebbinohaus,  E.  König,  G.  Heymans  u.  a.  («l 
Parallelismus).  —  Vgl.  die  Zeitschrift  „The  Monist**,  herausgegeb.  von  P.  Can» 
1890  ff.  (auch  die  ältere  Zeitschrift  „Kosmos"),  —  Vgl.  Seele,  Pantheismus, 
Parallelismus  (psychophysischer),  Wirklichkeit 

Moiileitlsclfte  Weltanscbaauns  s.  Monismus. 

nionoldeisiiias  („monoideisme") :  Aufgehen  in  einer  einzigen  Yot- 
stelliuig,  Bindung,  Concentration  des  Bewußtseins  nach  einer  Richtung  (RibotI 
Gegensatz:  Polyid^isme  (Charcot).  „Monoideismen*  zaet^i  hei  1^VUJJ}.  Vgl 
Aufmerksamkeit. 

Monolemmatlselft  heißt  ein  verkürzter  Schluß,  ein  Enthymem  (s.  d). 


Monomanie  —  Moral-Beweis.  689 


Monomaiile  s.  Manie. 

Monopltyletteelfte  Theorie  der  Abstammung:  die  Ansicht,  daß  alle 
Organismen  von  einer  einzigen  Art  abstammen  (Haecgb:el  u.  a.)>  während  die 
poljphjletische  Theorie  eine  Mehrheit  ursprünglicher  Arten  annimmt.  Beide 
Ausdrücke  werden  auch  für  die  Abstanmiung  des  Menschen  (aus  einer,  bezw. 
ans  mehreren  Menschenarten)  gebraucht. 

Monopltyslten  (j^dfr^,  fiais)  heißen  die  Anhanger  der  Lehre,  daß  in 
Christus  menschliche  und  göttliche  Natur  in  eins  vereinigt  sind. 

HIonopneaiiiatteiiraB  (cu^os,  nvev/ia):  Annahme  nur  einer  Ichheit  in 
allai  empirischen  Ichs  (J.  G.  Fichte  u.  a.). 

nionopsyclilenniis  (/toros,  ^xv)*  Lehre,  daß  alle  individuellen  Seelen 
nur  Modificationen  einer  einzigen,  einer  Weltseele,  sind  (Avebro£s  u.  a.). 
VgL  Seele. 

nionotlielsiiias  (fiovos,  d-^os):  Ein-Oott-Lehre,  Glaube  an  einen  ein- 
zigen, alles  beherrschenden,  lenkenden  Gott  (s.  d.).  VgL  Henotheismus, 
Theismus. 

Moral  (von  „mores'* ^  Sitten)  bedeutet:  1)  Sittlichkeit  (s.  d.),  besonders  die 
historisch  bedingte,  sociale  Sittlidikeit,  2)  Sittenregel,  3)  Ethik  (s.  d.),  Sitten- 
lehre (s.  d.).  Unterscheidungen  von  Moral  und  Sittlichkeit  bei  Hegel  (s.  Mo- 
ralitat),  Lipps  :  Die  Moral  ist  hier  diese,  dort  jene,  die  Sittlichkeit  dagegen  nur 
eine  (Eth.  Grundfr.  S.  1)  u.  a.  Nach  M.  Cabriere  ist  Moral  „eine  bestimmte 
Zusammenfassung  van  SiUenregeln**  (SittL  u.  Darwin.  S.  180).  Nach  Ejieibio 
ist  Moral  „die  in  der  praktischen  Betätigung  wirksam  gewordene  sittliche  Ge- 
sinnung** (Werttheor.  S.  107).  Die  Franzosen  stellen  den  j^denees physiques*^ 
die  y^seienees  morcUes^*  (Geisteswissenschaften)  gegenüber,  „^  ont  pour  objet 
des  manifesiations  de  la  pensSe  et  de  la  volonti  humaines**  (Bibot,  PsychoL 
AngL*,  p.  15).    VgL  Moralphilosophie,  Moralisch,  Moralität 

Moral:  „HerrenmorcU"  und  „Sklavenmoral**  (Herdenmoral)  unterscheidet 
Nietzsche.    VgL  Sittlichkeit 

lUoral-BewelB  (ethiko-theologischer  Beweis),  moralisches  Argument  für 
das  Dasein  Gk)ttes.    Aus  der  Eidstenz  des  Sittengesetzes  wird  auf  einen  Stifter' 
der  sittlichen  Weltordnung,  aus  dem  Verlangen  nach  Harmonie  zwischen  Tugend 
imd  Glückseligkeit  auf  einen  gerechten  Weltenlenker  geschlossen. 

Von  der  Tatsache  des  Sittengesetzes  schliefen  auf  einen  Urheber  desselben, 
auf  Gott,  Calvin,  Melanghthon  u.  a.  Den  ethiko- theologischen  „Beweis** 
halt  Kant  für  den  einzigen,  der  uns  zwar  nicht  rein  theoretisch,  aber  gestützt 
auf  Postulate  (s.  d.)  der  praktischen  Vernunft  das  göttliche  Sein  gewährleistet. 
Kant  führt  zusanmienhangend  aus:  „Nun  gebietet  das  moralische  Gesetz j  als 
ein  Gesetz  der  Freiheit,  durch  Bestimnnmgsgründe,  die  von  der  Natur  und  der 
Übereinstimmung  derselben  xu  unserem  Begehrungsvermögen  (als  7}riebfedem) 
ganz  unabhängig  sein  sollen;  das  handelnde  vernünftige  Wesen  in  der  Welt 
aber  ist  doch  nicht  zugleich  Ursache  der  Welt  und  der  Natur  selbst.  Also  ist 
in  dem  moralischen  Gesetze  nicht  der  mindeste  Grund  zu  einem  notwendigen 
Zusammenhang  zwischen  Sittlichkeit  und  der  ihr  proportionierten  Glückseligkeit 
ein/es  zur  Welt  gehörigen  und  daher  von  ihr  abhängigen  Wesens,  welches  eben 
darum  durch  seinen  Willen  nicht  Ursache  dieser  Natur  sein,  und  sie,  was  seine 

Phllosophlaohe«  WOrterbnoh.    t.  Anfl.  44 


690  Moral-Beweis. 


Glückseligkeit  betriffty  mit  seinen  praktischen  Orundsätxen  nicht  durchgängig 
einstimmig  machen  kann.  Oleichtoohl  vnrd  in  der  praktischen  Aufgabe  der 
reinen  Vernunft  ^  d.  i,  der  notwendigen  Bearbeitung  xum  höchsten  Oute^  et» 
solcher  Zusammenhang  notwendig  postuliert :  udr  sollen  das  höchste  Out  (tcelehti 
also  doch  möglieh  sein  muß)  xu  befördern  suchen.  Also  icird  auch  das  Dasein 
einer  von  der  Natur  unterschiedenen  Ursache  der  gesafrUen  Natur ^  welche  den 
Orund  dieses  Zusammenhangs ,  nämlich  der  genauen  Übereinstimmung  der  Glitck- 
Seligkeit  mit  der  Sittlichkeit^  enthalte,  postuliert."  y.Diese  oberste  Ursache  aber 
soll  den  Grund  der  Übereinstimmung  der  Natur  nicht  bloß  mit  einem  Oesetxs 
des  Wittens  der  vernünftigen  Wesen,  sondern  mit  der  Vorstellung  dieses  Oe- 
setxeSj  sofern  diese  es  sieh  xum  obersten  Bestimmungsgrund  des  Willens 
setxen,  also  nicht  bloß  mit  den  Sitten  der  Form  nach,  sondern  auch  ihrer  Sitt- 
lichkeit, als  dem  Bewegungsgrunde  derselben,  d.  h,  mit  ihrer  moralischen  Ge- 
sinnung, enthalten.  Also  ist  das  höchste  Gut  in  der  Welt  nur  möglich,  sofern 
eine  oberste  Ursache  der  Natur  angenommen  wird,  die  eine  der  morcUiseben 
Gesinnung  gemäße  Causalitäl  hat.  Nun  ist  ein  Wesen,  das  der  Handlungen 
nach  der  Vorstellung  von  Gesetzen  fähig  ist,  eine  Int  ellig  enx  (verttünftiges 
Wesen)  und  die  Oausalität  eines  solchen  Wesens  nach  dieser  Vorstellung  der 
Gesetxe  ein  Wille  desselben.  Also  ist  die  oberste  Ursache  der  Natur,  sofern 
sie  xum  höchsten  Gut  rorausgesetxt  werden  muß,  ein  Wesen,  das  durch  Verstand 
und  Willen  die  Ursache  (folglich  der  Urheber)  der  Natur  ist,  d.  i,  Gott. 
Folglich  ist  das  Postulat  der  Möglichkeit  des  höchsten  abgeleiteten  Guts 
(der  besten  Welt)  xugldch  das  Postulat  der  Wirklichkeit  eines  höchsten  ür- 
sprünglichen  Guts,  nämlich  der  Existenx  Gottes.  Nun  war  es  Pßieht  für 
uns,  das  höchste  (}ut  xu  befördern,  mithin  nicht  allein  Befugnis,  sondern  auch 
mit  der  Pflicht  als  Bedürfnis  verbtmdene  Notwendigkeit,  die  Möglichkeit 
höchsten  Guts  vorausxusetxen,  welches,  da  es  nur  unter  der  Bedingung  des 
Gottes  stattfindet,  die  Voraussetxung  desselben  mit  der  Pflicht  unxertretmliek 
verbindet,  d.  i.  es  ist  moralisch  notwendig,  das  Dasein  Gottes  anxunekmenr 
(Krit.  d.  prakt.  Vem.  I.  T.,  2.  B.,  2.  Hptst.,  S.  149  f.).  Gott  muß  aus  mofa- 
lischen  Gründen  all  wissend,  allmächtig,  allgegenwärtig,  ewig  u.  s.  w.  sein.  So 
ist  der  Begriff  Gottes  „ein  ursprünglich  nicht  xur  Physik,  d.  i.  für  die  epeeu- 
lative  Vernunft,  sondern  xur  Moral  gehöriger  Begrifft  (1.  c.  S.  167  f.).  Die 
„moralische  Teleologie^^  ergänzt  die  physische  und  hängt  mit  der  ,,Nomotheiik 
der  Freiheit"  zusanmien  (Krit  d.  Urt.  §  86  ff.).  Indmn  das  moralische  Gesetz 
a  priori  uns  einen  Endzweck,  das  höchste  Gut,  bestimmt,  imd  dieses  nur  unter 
der  Bedingung  der  Glückseligkeit  zu  realisieren  ist,  so  „müssen  wir  eine  mora- 
lische Weltursache  feinen  Welturheber)  annehmen"  (1.  c.  §  87).  Aber  zu  beton«» 
ist:  „Die  Wirklichkeit  eines  höchsten  moraliseh-gesetxgebenden  Urhebers  ist  ,  .  . 
bloß  für  den  praktischen  Gebrauch  unserer  Vernunft  hinreichend  dargetam^ 
ohne  in  Ansehung  des  Daseins  desselben  etwas  theoretisch  xu  bestimmend*  (ib.). 
Die  Vernunft  bedarf  der  Annahme  eines  Gottes  „nicht,  um  davon  das  rar- 
bindende  Ansehn  der  moralischen  Gesetxe,  oder  die  Triebfeder  xu  ihrer  Be- 
obachtung abxuleiten  ,  .  .,  sotulern  nur,  um  dem  Begriffe  vom  höchsten  Gmt 
objective  Realität  xu  geben,  d.  i.  xu  verhindern,  daß  es  xusamt  der  ganxen  Sitt- 
lichkeit nicht  bloß  für  ein  bloßes  Ideal  gehatten  werde,  tcenn  dasfenige  nirgmd 
existierte,  dessen  Idee  die  Moralität  unzertrennlich  begleitet"  (Was  heißt:  sicJi 
im  Denken  orientieren«,  S.  130 ;  vgl.  Vorles.  üb.  d.  philoe.  Religionslehie  1817, 
S.  29  ff.).  —  Fechner  stellt  für  das  Dasein  Gottes  ein  „argumentum  a 


Mbral-BewelB  —  Moralisohe  Notwendigkeit.  691 

bani  ei  veri^*  auf  (Zend-Av.  II,  90  ff.).  A.  Dobker  formuliert  das  moralische 
Argument  so:  „Daß  die  sittliche  Forderung  einen  unbedingten  Charakter  hat, 
wird  man  anerkennen  müssen.  Aber  sie  ist  inhaltlich  jedesmal  durch  die  gegebenen 
Verhältnisse  bedingt  .  .  .  Diese  Forderung  gestaltet  sich  xu  einem  Ideale  j  das 
unter  den  gegebenen  Verhältnissen  mit  Hülfe  der  Natur  und  des  eigenen  Natur- 
Organismus  realisiert  werden  soll.  Da  dieses  Ideal  ein  Handeln  fordert,  das  Ober 
den  Kreis  des  Ich  übergreift  und  2koecke  setxt,  die  in  der  empirischen  Welt 
realisiert  werden  sollen,  so  muß  vorausgesetzt  werden,  daß  die  Natur  außer  uns 
und  unser  eigener  Organismus  so  beschaffen  sind,  daß  sie  die  Realisierung 
dieser  Zwecke  ermöglichen.  Die  objective  Welt,  auf  die  wir  handeln,  d.  h.  in  der 
wir  unser  Ideal  verwirklichen  wollen,  muß  mit  dem  Ideal,  mit  den  Ztoeekhegriffen, 
die  wir  bilden,  xusammenstimmen  können.  Das  ist  aber  nur  dann  der  Fall,  wenn 
wir  eine  höhere  Maeht  annehmen,  welche  das  Subject  mit  seiner  Ideale  bildenden 
,  lUtigheii  und  die  Natur,  mittelst  deren  wir  diese  Ideale  realisieren  wollen,  für- 
einander bestimmt  hat^  (Grundr.  d.  Beligionsphiloe.  S.  219  f.).  Der  Endzweck 
ist  die  Bealisierung  des  sittUchen  Ideals.  „Wenn  die  Gottheit  diesen  WeUxweck 
gesetxt  hat  und  beständig  für  diesen  Ztoeck  die  Weltordnung  begründet,  so  ist  auf 
sie  auch  die  Setxung  dieses  Zweckes  in  unserem  Bewußtsein  xurückxufükren, 
und  die  Erkenntnis  des  sittlichen  Ideals  ist  durch  die  Gottheit  bedingt,  tvie  seine 
Bealisierung.  Die  Welt  toird  dann  ein  Reich  Gottes  und  Gott  ist  es,  der  die 
Welt  dazu  bestimmt  hat,  sein  Reich  xu  sein*^  (L  c.  S.  221). 

Moral-I^ynamie  nennt  S.  Alexander  die  Factoren  der  sittlichen 
Evolution  (Moral  order  and  Progress*,  1891). 

Moral  insanlty  (Psighard):  Moralisches  Irresein,  Mangel  an  Gefühl 
und  Urteil  für  das  SitÜidie. 

IHoraliscll  (j,moralis*^  zuerst  bei  Cicero  als  Übersetzung  von  ^&tx6e): 
sittUch  (s.  d.),  ethisch  (s.  d.),  von  guten  Sitten,  im  Französischen  =  geistig 
(s.  Moral). 

„Moralis'^  im  Sinne  von  „ethicus"  bei  Thomas  (z.  B.  Sum.  th.  I,  48,  1 
ad  2).  „Actus  moralis"  ist  „actus  qui  est  a  ratione  procedens  voluntarius^^  (De 
malo,  qu.  2,  6).  Micraelius  bemerkt:  „Kt  sie  morale  opponitur  naturali:  si- 
euti  contradistinguuntur  bona  moralia  et  bona  naturalia"  (Lex.  philos.  p.  675). 
,yMoralis  causa  est,  quae  aliquid  praestat  suadentio,  doeendo,  instigando,  con- 
tradistincia  causae  physieae"  (1.  c.  p.  676).  Es  gibt  „moraJes  actus  probi"  und 
,^urpes**  (ib.).  „Moralisch^''  ist  nach  Crusius,  „was  vermittelst  des  Willens  U7id 
vernünftigen  und  freien  Geistes  dergestalt  bewerkstelliget  wird,  daß  derselbe  dabei 
nach  wissentlichen  Bndxu^ecken  strebet^^  (Vemunftwahrh.  §  13).  Von  „moralischen 
Gesetzen"  spricht  Ferguson  (Grunds,  d.  Moralphilos.  S.  73  f.).  Hegel  be- 
tont: „Das  Moralische  muß  in  dem  weitem  Sinne  genommen  werden,  in 
welehem  es  nicht  bloß  das  Moralisch-  Gute  bedeutet"  (Encykl.  §  503).  VgL  Moral, 
Sittengesetz. 

Morallsehe  Oeffthle  s.  Moral  Sense. 

MoraUsclie  Oesetze  s.  Sittengesetz,  Imperativ,  Sittlichkeit. 

Moralisehe  Gewißlielt  ist  die  Gewißheit  eines  Satzes,  „dessen  Gegen- 
teil den  allgemeinen  Gewohnheiten  der  sittlichen  Wesen  undersprieht^^  (Gütberlet, 
Log.  u.  Erk.«,  S.  154). 

Morallielie  Notwendifi^keit  s.  Notwendigkeit 

44* 


692  MoraliBohe  Ordnung  —  Moralphiloaophie. 

IHorallsclie  Ordnung  b.  Gott  (J.  G.  Fichte). 

Moralische  Regeln  b.  Bittlichkdt 

Moralisehe  Urteile  a.  Urteil,  Ethik. 

Morali Helle  HVelt  ist,  nach  Kai^t,  ,^ie  Weit,  sofern  sie  allen  sütUdun 
Oesetxen  gemäß  wäre  (toie  sie  es  denn  nach  der  Freiheit  der  vernünftigen 
Wesen  sein  kann  und  nach  den  notwendigen  Oesetxen  der  Sittliehkeii  seim 
so  11/^.  fyDiese  wird  sofern  bloß  als  inielligible  Welt  gedacht,  weil  darin  von 
allen  Bedingungen  (Zwecken)  und  selbst  von  allen  Hindernissen  der  Moralität  in 
derselben  .  ,  .  abstrahiert  wird.  Sofern  ist  sie  also  eine  bloße,  aber  dock  prak- 
tische Idee,  die  wirklich  ihren  Einfluß  auf  die  SinnenweU  haben  kann  und  soü, 
um  sie  dieser  Idee  so  viel  als  möglieh  gemäß  xu  machen*^  (Krit.  (L  r.  YeiiL 
S.  612). 

MorallMelie  Wesen  sind,  nach  Lebsing,  „  Wesen,  welche  Vollkommen^ 
heil  halten,  sich  ihrer  Vollkommenheit  bewußt  sind  und  das  Vermögen  besüxen, 
ihnen  gemäß  xu  handeln,  das  ist,  welche  einem  Oesetxe  folgen  könnend  (Ghristent 
d.  Vem.). 

Moraliselier  Beweis  b.  Moral-Beweis. 

Morallselies  Irreseln  b.  Moral  insanity. 

Moralismnss  Anerkennung  eines  (bindenden)  Sittengesetzes  (ygLKBUO, 
Handb.  d.  Philos.  II,  271).    Vgl.  Inunoralismus. 

Moralist:  Moralphilosoph,  Sittenlehrer,  Sittenprediger.    YgL  Ethik. 

Moralltftt  („moralitas") :  Sittlichkeit  (s.  d.),  sittlicher,  sittlich  guter 
Charakter  einer  Handlung.  „Moralitas^^  schon  bei  Macbobiub  („moralilas 
stili**).  Bei  Ambbosius  schon  im  Sinne  von  „morttm  probiUu^^  (vgL  Wusdt, 
Eth.«,  S.  21). 

Zwischen  Legalitat  (s.  d.)  und  Moralität  unterscheidet  Kaitt.  Moralität 
ist  „das  Verhältnis  der  Handlungen  xur  Autonomie  des  WiUefis,  d.  i,  xur  mög- 
lichen allgemeinen  Oesetxgebung  durch  die  Maximen  desselben"  (WW.  IV,  287). 
„Man  nennt  die  bloße  Übereinstimmung  oder  Nichtübereinstimmung  emer  Hand- 
lung mit  dem  Oesetxe  ohne  Eiicksichi  auf  die  Triebfeder  derselben  die  Leffoliiät 
(Gesetxlichkeit),  diesige  aber,  in  u/elcher  die  Idee  der  Pflicht  xugleich  die  lVw6- 
feder  der  Handlung  ist,  die  Moralität  (Sittlichkeit)  derselben''  (WW.  VII,  16)i 
„Das  Wesentliche  alles  sittlichen  Wertes  der  Handlungen  kommt  darauf  an^  daß 
das  moralische  Qeaetx  unmittelbar  den  Willen  bestimmt.  Geschieht  die  Willen»-' 
bestimmung  xwar  gemäß  dem  moralischen  Oesetxe,  aber  nur  vermittelst 
Gefühls,  welcher  Art  es  auch  sei,  das  vorausgesetxt  werden  muß,  damit  jenes 
hinreichender  Bestimmungsgrund  des  Willens  werde,  mithin  nicht  um  des  Ge- 
setxes  willen,  so  idrd  die  Handlung  xwar  Legalität,  aber  nicht  Moralität 
enthalten"  (Krit.  d.  prakt  Vem.  S.  87). 

Hegel  unterscheidet  Sittlichkeit  (s.  d.)  und  „Moralitäf',  Letztere  ist  das 
(subjective)  „moralische  Beufußtsein"  (Phänomenol.  S.  457),  es  ist  ,/las  einfache 
Wissen  und  Wollen  der  reinen  Pflicht  im  Handdn''  (1.  c.  S.  458).  „Der  freie 
Wille  ist  —  in  sich  refiectierty  so  er  sein  Dasein  innerhalb  seiner  hat  und 
hierdurch  xugleich  als  particulärer  bestimmt  ist,  das  Recht  des  subjectiven 
Willens  ~  die  Moralität''  (Encykl.  §  487;  vgl.  §  502;  Eechtsphiloe.  S.  148ff.\. 

Moralplillosoplile  (j,philosophia  moralis*',  philosopkia  de  moribuih; 


Möralpbiloflophie  —  Moral  sense.  603 

Gassenbi,  PhiL  Epic.  synt.  III,  p.  427)  8.  Etihik.  Als  „mortü  ictence"  bei 
HuifE:  „Moral  phihsapky,  or  the  seienee  of  human  ncUure^*,  Greisteswissenflchaft 
(Treaty  Einl.  S.  6;  Inquir.  sct  1,  p.  3).  Nach  Ferguson:  ^^die  Kenntnis  dessen, 
was  sein  soll'*  (Grunds,  d.  Moralphilos.  S.  8).  Nach  Mendelssohn  ist  die 
Moralphilosophie  „die  Wissenschaft  der  Beschaffenheiten  eines  freitoüligen  We- 
sens, insoujeü  es  einen  freien  Witten  hat'*  (Üb.  d.  Evid.  S.  125).  Nach  Kakt 
kann  die  Moralphilosophie,  soweit  sie  die  ersten  Grundsätze  zur  Beurteilung 
bietet,  nur  durch  den  reinen  Verstand  erkannt  werden,  sie  gehört  zur  reinen 
Philosophie  (De  mundi  sensib.  sct.  II,  §  9).  Cabnbbi  definiert  die  Ethik  als 
^^Zusammenfassung  der  letzten  Resultate  der  gesamten  philosophischen  Wtssen- 
sehaften  in  ihrer  Anwendung  aufs  praktische  Leben,  auf  die  Gesittung  Überhaupt^', 
„Während  die  Moralphilosophie  bestimmte  SiUengesetxe  aufstellt  und  xu 
halten  befiehlt,  damit  der  Mensch  sei,  uhis  er  sein  soll,  entwickelt  die  Ethik  den 
Mensehen,  wie  er  ist,  darauf  sieh  beschränkend,  ihm  xu  zeigen,  was  noch  aus 
ihm  werden  kann**  (1.  c.  S.  1).  Nach  Giztcei  ist  die  Aufgabe  der  Moral- 
philosophie, ,/2ei»  Menschen  ein  klares  Bewußtsein  über  sein  sittliches  Leben  xu 
verschaffen,  ihm,  ein  tieferes,  auf  die  letzten  Oründe  xuriiekfuhrendes  Verständ- 
nis dieser  für  ihn  bedeutungsvollen  Seite  der  Wirklichkeit  zu  gewähren.  Ihre 
praküsche  Aufgabe  ist,  die  eine  persönlichste,  ernsteste  Frage  des  Menschen  zu 
beantworten:  Was  soll  ich  tun?  Wie  soÜ  ick  mein  Leben  einrichten?^^  (Moral- 
philos. 8.  1). 

nioralpriiicip:  Princip  des  sittlichen  Handelns,  Princip  der  Ethik  (s.  d.). 
Es  werden  formale  (apriorische)  und  materiale,  empirische,  rationale, 
eudämonistische,  hedonistische,  aristokratische,  sociale,  rigo- 
ristische,  altruistische,  individuelle,  universelle  u.  a.  Moralprincipien 
angestellt.    Vgl.  Ethik,  Sittlichkeit. 

Moral  flense:  moralischer  Sinn,  Gefühl  (der  Billigung  bezw.  Miß- 
billigung) für  das  Gute  und  Schlechte,  angeborenes  oder  social  bedingtes  und 
als  Disposition  ererbtes  Sittlichkeitsgefühl,  Sittlichkeitsbewußtsein,  moralisches 
Urteilsvermögen. 

Die  Lehre  vom  „moral  sense^*  begründet  ShaftbsbüRY.  Er  versteht  unter 
ihm  „a  recU  antipathy  or  aversion  to  infustiee,  a  natural  prevention  or  pre- 
pqßsession  of  the  mind  in  favour  of  the  morai  disiinction**  (Inquir.  concem. 
virtue  I,  2,  sct  3).  Nach  Hutchbson  ist  der  moralische  Sinn  („deeori  et  ho- 
nesti  sensus*^  „laudi  et  vituperii  senstM",  Philos.  moral.  I,  1 — 2)  ein  Teil  des 
„internal  sens&^,  eine  Art  Instinct  der  Billigung  oder  Mißbilligung  (Inquir.^, 
1753,  p.  43  ff.,  125  ff.,  159).  Ein  moralisches  Billigungsvermögen  ninmit  Fer- 
guson an  (Histoiy  of  civil  Society  I,  sct.  6;  Grunds,  d.  Moralphilos.  S.  94  ff.). 
Hume  spricht  vom  „moral  sentiment**  (Inquir.  sct.  12;  Ess.  II,  III),  so  auch 
A.  Smith  (Theor.  of  moral  Sentiment)^  James  Mill  (y, moral  sense,  moral 
faeuUy,  sense  of  right  and  un-ong,  moral  affection**.  Anal.  II,  18),  Merian 
(Sur  le  sens  moral  1758),  Bobinet,  der  auch  von  moralischen  Nervenfibem 
spricht  Nach  Chr.  Wolf  gibt  es  einen  „instinctus  moralis"  (Philos.  pract. 
II,  §  904).  Nach  CRrsrus  gibt  es  eine  angeborene  Neigung,  über  die  Moralität 
unserer  Handlungen  zu  urteilen  (Moral  §  132  ff.).  Gegen  die  Annahme  eines 
„moral  sensef*  sind  Bere^eley  (Alcyphr.  3),  R.  Price  (Review  of  the  prin- 
dpal  questions  and  difficult.  in  monds  1788),  W.  Paley,  Basedow  (Philaleth. 
I,  43  ff.),  Feder  (Üb.  d.  moraL  Gef.  1792)  u.  a.    Nach  Rousseau  gibt  es  in 


694  Moral  aense  —  Mos  geometrioiu. 

der  Seele  ein  angeborenes  Princip  der  Gerechtigkeit  und  Tugend,  das  Gewissen 
(Emil  TV),  Platner  erklart:  „Von  der  moralischen  Vemunß  ist  unterschieden 
das  moralische  Gefühl.  Jene  ist  die  Erkenntnis  von  der  Notwendigkeit  und  dem 
Werte  der  Tugend,  in  Bexiehung  auf  Eigenschaften  und  Endzwecke  des  höehsten 
Wesens,'  dieses  ist  die  Fähigkeit,  xu  unterscheiden  Outes  und  Böses,  Recht  tmd 
Unrecht,  nach  Merkmalen  des  Wahren  und  Widersinnigen,  NcUürliehen  und 
UnnaHirliehen,  in  eigenen  und  fremden  Gesinnungen  und  Handlungen^  (Phüog. 
Aphor.  II,  §  189).  „Das  moralische  Gefühl  bezieht  sich  mehr  auf  die  Ver- 
meidung des  Bösen,  als  auf  die  Ausübung  des  Guten"  (1.  c.  §  190).  „Die  Wirk- 
samkeit des  moralischen  Gefühls  bezieht  sich  teils  auf  eigene,  teils  auf  fremde 
Gesinnungen  und  Handlungen.  Jenes  ist  d<is  Gewissen,  dieses  ist  die  mo- 
ralische Billigung  Oberhaupt"  (1.  c.  §  192).  „Das  moralische  Gefühl  hat 
nicht  xum  Gegenstand  den  Erfolg,  sondern  die  Absicht  von  Gesinnungen  und 
Handlungen"  (1.  c.  §  202).  „Inteiefem  das  moralische  Gefühl  unterscheidet  naek 
Merkmalen  des  Wahren  und  Widersinnigen,  insofern  ist  es  eine  Äußerung  an- 
geborener moralischer  Begriffe"  (L  c.  §  205)  ak  angeborener  Gesetze  der 
Vernunft  (1.  c.  §  206;  angeborene  moralische  Begriffe  gibt  es  nach  Plato, 
CüDWOBTH,  H.  MoB£;  Locke  bestreitet  sie,  s.  Ethik).  Das  moralische  Gkföhl 
ist  „das  Werk  eines  eigenen  Sinnes"  (L  c.  §  209),  eines  „moralischen  Sinnet^ 
(1.  c.  §  212).  Es  gibt  ein  „ursprüngliches"  und  ein  „refleetiertes^^  moralisches 
Gefühl  (1.  c.  §  218).  Kant  betrachtet  das  moralische  Gefühl  als  Gefühl  der 
Achtung  (s.  d.)  vor  dem  Sittengesetz  (Krit.  d.  prakt.  Vem.  S.  95  ff.),  es  ent- 
springt der  praktischen  Vernunft  (s.  d.).  Maass  erklärt:  „So  wie  ein  ürteü 
des  gemeinen  Menschenverstandes  auf  der  Angemessenheit  des  Objectes  xu  den 
Gesetzen  der  Erkenntnis  beruht,  so  stiäxt  sich  ein  Urteil  des  moralischen  Gefühls 
auf  die  Angemessenheit  des  Gegenstandes  xu  den  Sittengesetxen,  Diese  An- 
gemessenheit aber  wird  wiederum  nicht  aus  einem  Begriffe  von  dem  Gegenstande 
hergeleitet  .  .  .,  sondern  aus  einem  Gefühle  des  innem  Sinnes  erkannt"  (Vers. 
üb.  d.  Einbild.  S.  205).  —  Herbabts  Lehre  von  den  „ästhetischen"  (moraUschai) 
Urteilen  (s.  d.)  ist  durch  die  englische  Theorie  der  moralischen  Gefühle  beein- 
flußt. Volkmann  versteht  unter  dem  moralischen  Gefühle  ,4as  Wohlgefallen 
und  Mißfallen  an  den  Verhältnissen  der  Bilder  des  Wollens^^  (Lehrb.  d.  PsychoL  U*, 
365).  Die  Quelle  der  moralischen  Gefühle  ist  (wie  nach  Hebbabt)  ,/iie  Har- 
monie und  Disharmonie  des  VVollens  mit  seinem  ideellen  Musterbilder^  (LiKDNSB, 
Lehrb.  d.  empir.  PsychoL»,  S.  175;  vgl  Nahlowbky,  Das  G^efühlsleb.  S.  197  fL). 
Nach  E.  Laas  ist  das  moralische  Gefühl  zum  Teil  ererbt  (Ideal,  u.  Positivism. 
II,  146).  Nach  Th.  Zieoler  sind  die  sittlichen  Gefühle  zimächst  KraftgefOhk, 
sie  enthalten  die  Freude,  causa  werden  zu  können  (z.  B.  im  Mitleid).  Das 
Gef.',  S.  165  ff.).  Unold  unterscheidet  individuell-  und  social-ethische  Gefühle 
(Gr.  d.  Eth.  S.  196  ff.).  —  Vgl.  Lewes,  ProbL  III,  p.  44  ff.  —  VgL  Sittlich- 
keit, Sociale  Gefühle. 

MoralstatlstilL  ist  ein  Teil  der  Statistik  (s.  d). 

Moraltlieolog^e  („Ethikotheologie^^)  ist,  nach  Kant,  „der  Versudi,  aus 
dem  moralischen  Zwecke  vernünftiger  Wesen  in  der  Natur  (der  a  priori  erkannt 
werden  kann)  auf  jene  Ursache  [Gott]  und  ihre  Eigenschaften  xu  schließen"  (Krit 
d.  ürt.  II,  §  85).     VgL  Moral-Beweis. 

mos  seomeUleiui  s.  Methode  (Spinoza). 


Motakallimün  —  Motiv.  695 

MotakalUniiui  (Mutakallimun,  Mutakallim,  arafo.,  Medabderim,  hebr.): 
Lehrer  des  „Kalam**,  des  Wortes,  des  Dogmas;  Dogmatiker;  orthodoxe  Philo- 
sophen, Dialektiker,  bei  den  Arabern,  auch  bei  den  Juden  des  Mittelalters 
(Saadja).  (Vgl.  SxöCKir  II,  139;  ÜBEBWEa-HEiKZE,  Gr.  d.  Gesch.  d.  Philoe. 
II',  226).    VgL  Atom,  Occa^ionalismus. 

MotaBiliten:  die  arabischen  Theologen  und  Philosophen,  die  eine  freiere 
Auffassung  gegenüber  dem  Dogma  bezeugen. 

MotlT  (von  moveo):  Beweggrund,  Bestimmimgsgnmd  des  Handelns,  des 
WoUens.  Jedes  Motiv  besteht  in  einer  gefühlsbetonten  Vorstellung  oder  in 
einem  mit  Vorstellung  verbundenen  Gefühle  („  Trieb feder^^J,  Die  Motive  wirken 
mit  psychischer  Causalität  (s.  d.),  nicht  mechanisch-zwingend,  sie  stehen  dem 
Ich,  dem  WiUen  nicht  äußerlich,  fremd  gegenüber,  sondern  sind  selbst  schon 
Momente  des  Wollens.  Was  Motiv  werden  kann,  hängt  ab:  1)  von  der  Um- 
gebung des  Ich,  2)  von  der  momentanen  Constellation  des  Bewußtseins,  3)  von 
der  Vergangenheit,  vom  Charakter  (s.  d.)  des  Ich,  der  Persönlichkeit.  Bei  den 
Triebhandlungen  ist  ein  Motiv  sofort  wirksam,  bei  den  Willkürhandlungen  gibt 
es  einen  ,yKampfj  Weitstreit  der  Motive^\  aus  welchem,  nach  „Überlegung" y  ein 
Motiv  (oder  ein  Motivencomplex)  als  yfierrschend^''  hervorgeht.  Der  Wille  lolgt 
dem  stärkeren  Motive  („Gesetx  der  MotivcUtan^  aber  das  ,f8tärkere"  Motiv  ist 
schon  durch  die  Natur  des  Wollenden  bestimmt.  —  Motivation  bedeutet 
Motivierung,  Causalität  des  Motivs. 

In  verschiedener  Weise  wird  die  Motivation  vom  Determinismus  (s.  d.)  und 
Indeterminismus  (s.  d.)  aufgefaßt.  — 

Thomas  Aquinas  erklärt  :„ifope^  iniellectua  voluntatetn  tum  quoad  exer^ 
eitium  aeitis,  sed  quoad  8peeifieati<mefn :  voluntcts  vero  onmes  potentias  movet 
quoad  exereitium  aeius^^  (Sum.  th.  II,  9,  1).  Nach  DuKS  ScoTUS  detenmnieren, 
y,neeessüieren*^  die  Motive  den  Willen  nicht,  sie  „inclinieren"  ihn  nur  für  be- 
stimmte Entscheidungen  (Gp.  Gx.  I,  17,  2,  3;  II,  7,  1;  ähnlich  später  Leibniz). 

Nach  Locke  ist  das,  was  den  Willen  bestinmit,  die  8eele  selbst  (Ess.  II, 
eh.  21,  §  29).  Ein  Unbehagen  („uneasiness"),  Unlust  ist  es,  was  den  Willen 
zur  Wirksamkeit  veranlaßt  (L  c.  §  31  ff.).  Leibniz  erörtert  den  Kampf  der 
Motive  als  eiuen  Gegensatz  verschiedener  Strebungen,  welche  aus  verworrenen 
und  aus  deutlichen  Gedanken  hervorgehen  (Nouv.  Ess.  II,  eh.  21,  §  35).  Als 
Motive  wirken  auch  unmerkliche  Gefühle  imd  Begehrimgen  nach  Befreiung  von 
Hemmungen  (1.  c.  §  36).  Nach  Chr.  Wolp  ist  das  Motiv  „ro^io  sufficiens 
volUionis  ac  nolitionis'*  (Psychol.  empir.  §  887) ;  es  besteht  in  der  Vorstellung 
des  Gbjects  als  ,ybonum  ad  nos"  (1.  c.  §  889  ff.,  ähnlich  die  Scholastiker). 
Motive  sind  „die  Oründe  des  Wollens  und  NichtwoUens"  (Vem,  Ged.  I,  §  496). 
MENDEI.880HN erklärt:  „ Wenn .,,d%e wirksame  Erkenntnis  [bei  einer  Handlung] 
deutlieh  ist,  so  werden  ihre  Wirkungen  in  das  Begehrungsvermögen  Bewegungsr 
gründe  genannt.  Diese  Bewegungsgründe  haben  in  der  Ausübung  nicht  selten 
mit  entgegengesetzten  Betoegwigsgründen,  als  mit  dunklen  Neigungen  y  die  wir 
Triebfedern  der  Seele  genennet  haben,  xu  kämpfen'*  (W W.  II 2, 62  f.).  G.  E.  SCMüLZB 
definiert:  yyErkenntnisse  und  Vorstellungen  aller  Art,  welche  das  Handeln  be- 
wirken, heißen  Triebfedern  (Beweggründe,  Motive)'*  (Psych.  Anthropol.*,  S.425). 
—  Nach  Holbach  sind  Motive  „les  objets  extSrieurs  ou  les  idees  interieures 
qui  fönt  naUre  celte  disposüion  [de  rouloirj  dans  notre  eerveau*'  (Syst.  de  la 
nat  ly  eh.  8,  p.  115).     Nach  J.  Bentham  ist  Motiv  im  weiteren  Sinne  „a»y 


696  MotlT. 

ihing  that  ean  eontribtäe  to  give  birth  to,  ar  even  to  present,  any  Idnd  of  actione, 
im  engeren  Sinne  „any  ihing  whatsoever,  wkiek,  hy  inftueneing,  tke  wül  of  c 
sensitive  being,  is  auppased  to  aerve  cu  a  mean  of  determining  htm  to  ad,  or 
voluntary  to  forbear  to  <zet,  upan  aniy  oeeasian^*  (Introd.  eh.  10,  §  1,  p.  161  if.}. 

Schopenhauer  sieht  in  der  Motivation  ein  Art  der  Gestaltung  des  Satzes 
vom  Grunde  (s.  d.).  Der  Wille  der  Lebewesen  wird  durch  Instinct  (s.  d.)  oder 
durch  Motivation  bewegt,  ohne  daß  ein  absoluter  Gegensatz  zwischen  beiden 
Bestimmungsgründen  besteht.  „Das  Motiv  nämlich  wirkt  d)enfaüs  nur  unter 
Voraussehung  eines  inneren  Triebes,  d.  h.  einer  bestimmten  Beschaffenheit  des 
Willens,  welche  man  den  Charakter  desselben  nennt:  diesem  gibt  das  jedes- 
malige  Motiv  nur  eine  entschiedene  Richtung,  —  individualisiert  ihn  für  dm 
conereten  FaW*  (W.  als  W.  u.  V.  II.  B.,  C.  27).  „Bei  jedem  wahrgenommenen 
Eniseßiluß  sowohl  anderer,  als  unser  selbst  halten  wir  uns  berechtigt,  xu  fragen: 
Warum  ?  d,  h.  wir  setzen  als  notwendig  voraus,  es  sei  ihm  etwas  vorhergegangen^ 
darofus  er  erfolgt  ist,  und  welches  wir  den  Örund,  genauer  das  Motiv  der  jetzt 
erfolgenden  Handking  nennen.  Ohne  ein  solches  ist  dieselbe  uns  so  undenkbar, 
wie  die  Bewegung  eines  leblosen  Körpers  ohne  Stoß  od^  Zug.^^  „Die  Einwirkung 
des  Motivs  .  .  .  wird  von  uns  nicht  bloß,  wie  die  aller  andern  Ursachen,  ton 
außen  und  daher  nur  mittelbar,  sondern  zugleich  von  innen,  ganz  unmittelbar 
und  daher  ihrer  ganzen  Wirkungsart  nach  erkannt.  Hier  stehen  wir  gleichsam 
hinter  den  Coulissen  und  erfahren  das  Geheimnis,  wie,  dem  innersten  Wesen 
nach,  die  Ursache  die  Wirkung  herbeiführt :  denn  hier  erkennen  wir  attf  einem 
ganz  andern  Wege,  daher  in  ganz  anderer  Art.  Hieraus  ergibt  sieh  der  itmA- 
tige  Satz:  die  Motivation  ist  die  Causalität  von  innen  gesehen*'  (Vier- 
fache Wurzel  d.  Satz,  vom  zur.  Grunde  C.  7,  §  43). 

Nach  LoTZE  ist  das  Trachten  nach  Festhaltung  und  Wiedergewinn  der 
Lust  und  nach  Vermeidung  der  Unlust  die  „Triebfeder^^  der  praktisch-natür- 
lichen Begsamkeit  (Mikrok.  II*,  312).  v.  Kirchmann  erklfirt:  ,Jn  die  Sede 
treten  viele  Vorstellungen  ein,  welche  an  sich  zum  Ziele  einer  Handlung  genommen 
werden  könnten;  dennoch  geschieht  dies  nicht  bei  allen.  Dies  zeigt,  daß  das 
bloße  Vorstellen  und  Denken  nicht  zureicht,  das  Wollen  zu  erwecken;  sondern 
daß  noch  ein  anderes  hinzutreten  muß.  Dies  ist  der  Beweggrund.  Der  Be- 
weggrund kommt  nicht  aus  dem  reinen  Vorstellen,  auch  nicht  aus  dem  Begehren, 
sondern  er  entspringt  aus  den  Oefühlen**  (Grundbegr.  d.  Bechts  u.  d.  Moral 
S.  4).  Die  Motivgefühle  sind  entweder  Gefühle  der  Lust  oder  Crefühle  der 
Achtung  (1.  c.  S.  5;  vgl.  S.  91  ff.).  Nach  H.  Höffddtg  ist  Motiv  ,/Uu  durch 
die  Vorstellung  vom  Zweck  erregte  Gefühl"  (PsychoL«,  S.  444).  „Die  willens- 
erregende  Kraft  sind  in  Wirklichkeit  immer  wir  selbst  in  einer  bestimmten 
Form  oder  von  einer  bestimmten  Seite**  (1.  c.  S.  471).  „Es  beruht  auf 
der  Beschaffenheit  unseres  Wesens,  ob  etwas  für  uns  Motiv  werden  kann"  (ib.). 
„Die  Motive  sind  nicht  nur  durch  unsere  ursprüngliche  Natur  bestimmt^  sondern 
auch  durch  unser  eigenes  früheres  Wollen  und  Wirken"  (L  c.  S.  472).  Nach 
Th.  Zieoler  ist  Motiv  das  Gefühl  (Das  Qef.\  S.  277,  320  f.).  K  GoLDecHEiD 
betont:  „Nur  ein  stark  gefühlsbetontes  Vorstellen  vermag  den  Willen  zu  beetn- 
flussen,  denn  nicht  die  Empßndungselemente  in  den  Vorstellungen  sind  es,  welche 
den  Willen  bestimmen,  sondern  die  stets  mit  den  Empfindungsdementen  mt- 
bundenen  Gefühlsbetonungen"  (Zur  £th.  d.  Gesamtwill.  I,  80  f.).  —  A.  Bdsbl  be- 
tont: „Ein  Motiv  wirkt  gesetzlich,  aber  nicht  unwiderstehlieh,  es  kann  durch 
Gegenmotive  aufgehoben  werden"   (Philos.  Kritic.  II  2,  232).     Seroi   ventdit 


Motiv. 


unter  Motiven  yjks  sUmtdants  ä  la  tolüum,  quand  üs  8oni  passees  dans  la  con- 
sdenee  de  Vagent  aous  une  forme  payehiqtte**  (PsychoL  p.  419).  Nach  O.  Somnsi- 
BBR  ist  das  Motiv  ,jder  erste  bewußte  Beweggrund  oder  der  unbewußte  Anstoß  xu 
unserem  Handeln'^  (Transcendentalpsychol.  S.  200).  Nach  L.  Dumont  sind 
Motive  nicht  Gefühle,  sondern  Instincte  oder  Vorstellungen  (Vergnüg,  u.  Schmerz 
8.  307).  Nach  Rehmke  ist  Motiv  des  Willens  „</er  ihm  vorausgehende  praktische 
Oegensaix^*  (Allgem.  Psycho!.  B.  406),  nach  Th.  Kebbl  ,^der  praktische  Gegen- 
saix,  der  besteht  zwischen  einer  Lustvorstellung  und  jetxt  vorhandener  Unlust 
bexw.  geringerer  Lust*  (Lehre  von  d.  Aufmerks.  8.  63  f.).  Nach  R  Bteineb 
sind  die  Motive  des  Sittlichen  Vorstellungen  und  Begriffe  (Philos.  d.  Freih. 
8.  144).  Nach  E.  Y.  Hartmann  ist  der  Motivationsvorgang  und  sein  Resultat 
unbewußt  (Philos.  d.  ünbew.  I",  125  ff.;  Mod.  Psychol.  8.  197).  ,,Was  als 
Motiv  wirkt,  ist  eine  Empfindung  oder  Vorstellung,  und  xwar  ihrem  qucUitativen 
Inhalt  nach,  nicht  ihrem  Oefühiston  nach  Welche  Vorstellung  MoHv  wird, 
welche  nickt,  hängt  vom  Charakter  des  Individuwns  ah,  der  allein  ihnen  ein  be- 
stimmtes Maß  motivierender  Kraft  verleiht  oder  sie  erst  xu  Motiven  stempelf* 
(Mod.  Psychol.  8.  197  f.;  Neukant.  8.  196  ff.).  „Was  durch  die  motivierende 
Vorstellung  eigentlich  beeinflußt  wird,  ist  nicht  das  Wollen  seiner  Form  nach, 
welches  als  Form  immer  sieh  selbst  gleich  ist,  sondern  sein  jeweilig  wechselnder 
Inhalt  einsehließlich  des  bestimmten,  augenblicklieh  aufxuwendenden  Maßes  von 
Intensität.  Da  nun  der  Willensinhalt  Vorstellung  ist,  so  ist  letzten  Endes  der 
Motivationsvorgang  eine  Beeinflussung  von  Vorstellung  durch  Vorstellung, 
nämlich  des  jeweiligen  Willensxieles  durch  die  jetveilig  motivierende  Vorstellung^'^ 
(Mod.  PsychoL  8.  198;  Arch.  f.  System.  Philos,  V,  21  ff.).  „Werm  Qefühh  den 
Sehein  erwecken,  als  ob  sie  den  Willen  motivieren,  so  liegt  dabei  eine  Ver- 
weekselung  vor;  nur  die  Vorstellung  eines  künftig  xu  erlangenden  oder  abzu- 
wehrenden ÖefÜhls  kann  Motiv  werden^^  (Mod.  PsychoL  8.  198).  „Reale  Gefiihle 
begleiten  allerdings  häufig  den  Motivationsvorgang  und  können  dann  als  Symptom 
fUr  seine  Lebhaftigkeit  dienen;  aber  sie  sind  dann  nicht  Ursache  des  erregten 
Willens,  sondern  Wirkung  und  Begleiterscheinung  desselben,  sein  Widerschein 
im  Bewußtsein.  Sehr  oft  aJber  fehlt  auch  jede  Vorstellung  künftiger  Lust  oder 
Unlust,  und  es  unrken  Vorstellungen  ganx  andern  Inhalts  als  Motive  ohne  jede 
bewußte  Rücksichtnahme  auf  Lust  und  Unlust  lediglich  nach  Maßgabe  des 
Charakters''  (ib.;  Eth.  Stud.  8.  155  ff.;  Krit.  Wander.  8.  107  ff.).  Nach 
Nietzsche  ist  das  Gefühl  keia  Motiv,  nur  Symptom,  Folge  des  Machtwillens. 
Die  eudämonistische  Motivation  wird  bestritten  (WW.  XV,  262,  302,  305,  307, 
309).  Die  „charakterologische  Motivation"  (s.  d.)  lehrt  auch  R  Wähle  (Das 
Ganze  der  Philos.  8.  338  ff.).  —  Motiv  ist  nach  Jgdl  die  Vorstellung  mit  dem 
Gefühle  zusammen  (Lehrb.  d.  Psychol.  8.  427).  Nach  Gizycki  gehören  Be- 
weggrund und  Triebfeder  zusammen  (Moralphilos.  8.  173).  Kreibio  versteht 
unter  Motiv  „die  tust-  oder  unlustbetonte  Vorstellung,  die  vermöge  dieser  Wert- 
qualität den  Beweggrund  für  die  Richtung  eines  Einxelwollens  bildet"  (Wert- 
theor.  8.  72).  Es  gibt  End-  und  Zwischenmotive  (ib.).  Wundt  sieht  in  den 
Gefühlen  die  „unmittelbaren"  Motive  des  Willens  (Eth.*,  8.  437).  Motive  sind 
,^ie  in  unserer  subjeetiven  Auffassung  [des  Willensvorganges]  die  Handlung 
unmittelbar  vorbereitenden  Vorsteüungs-  und  Gefühlsverbindungen".  „Jedes  Motiv 
läßt  sich  aber  wieder  in  einen  Vorsteüungs-  und  in  einen  Qefühlsbestandteü 
sondern,  von  denen  wir  den  ersten  den  Beweggrund,  den  zweiten  die  Trieb- 
feder des  Willens  nennen  könnten.     Wenn  ein  Raubtier  seine  Beute  ergreift,  so 


698  Motiv. 

besteht  der  Beweggrund  in  dem  ArMick  der  Beute,  die  Triebfeder  kann  in  dem 
Unlustgefühl  des  Hungers  oder  des  durch  den  Anblick  erregten  Gattungsbassa 
bestehen"  (Gr.  d.  Psychol.^,  S.  221  f.).  Eine  Vorstellung  wird  Motiv,  sobald  sie 
durch  das  sie  begleitende  Gefühl  den  Willen  sollicitiert;  die  (jefühlsstärke  einer 
Vorstellung  ist  eins  mit  ihrer  Motivationskraft  (Grdz.  d.  physioL  PsychoL  II*, 
576;  Vorles.  üb.  d.  Mensch.»,  S.  247  f.;  Ess.  11,  S.  299  f.).  „TTtr  nennen  alle 
dig'enigen  Motive,  welche  tatsächlich  xur  Wirksamkeit  im  Wollen  gelangeny  die 
aetuellen,  di^enigen  dagegen,  die  als  gefühlsärmere  Elemente  des  Bewußtseins 
unwirksayn  bleiben,  die  potentiellen^^  (Eth.*,  S.  440).  „Insofern  ein  aetueUes 
Motiv  mit  der  Vorstellung  des  Effectes  der  entsprechenden  Handlung  verbunden 
ist,  heißt  es  ein  Zweckmotiv.  Ein  solches  Zu?eckmotiv  endlich^  welches  den 
Endeffect  der  Handlung  in  der  Vorstellung  arUicipiert,  heißt  Hauptmotiv, 
im  UrUerschiede  von  den  Nebenmotiven**  (L  c.  S.  440).  Die  sittlichen 
Motive  zerfallen  in  Wahmehmungs-,  Verstandes-,  Vemunftmotive  (1.  c.  S.  510). 
Die  imperativen  Motive  sind  impulsiv  wie  alle  Motive,  aber  „sie  verbinden 
sich  mit  der  Vorstellung,  daß  sie  aüen  andern  bloß  impulsiven  Motiven  vor- 
gexogen  werden  müssen"  (1.  c.  S.  484  f.).  Die  Quellen  dieser  Motive  sind: 
äußerer,  innerer  Zwang,  dauernde  Befriedigung,  Vorstellung  eines  sittUchen 
Lebens  (1.  c.  S.  486).  Es  sind  Imperative  des  Zwangs  und  der  Freiheit  zu 
imterscheiden  (1.  c.  S.  487  ff.).  —  Nach  Llpps  ist  (ähnlich  wie  nach  Green) 
das  Motiv  „nichts  anderes  als  der  Gedanke  an  den  Endxweekf*  (Eth.  Gnindfr. 
B.  8).  Nach  Unold  ist  Motiv  nicht  allein  das  Gefühl,  sondern  auch  die  Vor- 
stellung (Gr.  d.  Eth.  S.  186).  Nach  Wektscher  sind  Motive  frühere,  unter 
Zuhülfenahme  von  uns  vollzogene  Willensentacheidungen,  wenn  sie  im  Augen- 
blick der  Reflexion  über  das  gegenwärtig  einzuschlagende  Verhalten  wieder- 
kehren und  unsere  Entscheidung  beeinflussen  (Eth.  I,  253).  Sie  sind  eigene 
Geschöpfe  des  Willens.  Entscheidung  ist  die  active  Stellungnahme  des 
Subjects  gegenüber  den  Motiven,  sie  gibt  ihnen  die  genügende  Motivkraft  (L  c. 
S.  256  f.).  Nach  H.  Sghwabz  ist  jeder  Act  des  Gefallens  und  MififaUens 
Motiv  und  hat  ein  Motiv  (Psychol.  d.  WilL  8.  240).  Das  Motiv  ist  1)  Willens- 
regung,  2)  Wertvorstellung.  Kampf  der  Motive  ist  „das  Verhältnis,  in  das 
xtoei  gleichzeitige  Willensregungen  (Antriebe)  eintreten,  wenn  dtu  Hcmddn  nach 
der  eifien  das  nach  der  andern  ausschließt,  Sie  eoncurrieren,  wenn  sie  uns 
umgekehrt  xum  gleichen  Handeln  bewegen"  (1.  c.  S.  240  f.).  „Es  ist  .  .  .  falsch, 
daß  xwei  oder  mehr  Vorstellungen  mechanisch  wie  Winde  die  Wetterfahne  des 
Willens  drehen"  (1.  c.  S.  244  f.).  Das  „Motivgesetz"  ist  das  „erste  Naturgeaetx 
des  Willens",  daß  nämlich  „gewisse  Anstöße  auf  gewisse  Seiten  des  wollenden 
Ich  ufirken  müssen,  damit  Willensrichttmgen  entstehen"  (1.  c.  8. 78).  ,yEs  schreibt 
uns  vor,  was  wir  wert  und  unwert  halten  müssen,  ufas  gefällt  und  nUßf&lti: 
daher  könnte  es  auch  Wertgesetz  heißen"  (L  c.  B.  78).  Ein  „MoHvwandd^ 
findet  statt,  „wenn  unr  aümöMich  anfangen,  Handlungen,  die  wir  früher  atu 
irgend  einem  älteren  Motiv  getan  hatten,  aus  einem  neuen  xu  tun,  und  darüber 
das  alte  hintanxusetxen  oder  xu  vergessen"  (L  c.  S.  203  ff.).  Es  gibt  einen  fort- 
schreitenden und  einen  rückschreitenden  Motivwandel  (egoistisch -altruistisch, 
altruistisch-egoistisch)  (1.  c.  8.  208  ff.,  221).  Nach  Ehaenfels  ist  der  Motiven- 
kampf ein  specieller  Fall  der )  gelungenen  oder  sistierten  allmählichen  Aus- 
bildung des  Wunsches  zum  Streben  oder  Wollen  (Syst.  d.  Werttheor.  I,  232|. 
Motivationsgesetz  ist  das  Gesetz  der  relativen  „Qlü6ksförderun^*  (s.  d.).  Vgl 
Motiwerschiebung,  Heterogonie  der  Zwecke,  Ethik,  Willensfreiheit 


^ 


Mothratdön  —  Muskelempfindungen.  699 

IHotlTatiion:  Beetimmxmg  des  Willens  durch  Motive  (s.  d.).  Nach  der 
eudämonis tischen  (s.  d.)  Motivation  besteht  das  Motiv  in  dem  Gefühle  der 
Lust  oder  Unlust,  nach  der  charakterologischen  im  Charakter  des  Han- 
delnden selbst.    Vgl.  Motiv. 

lHotiTenkampf  s.-  Motiv. 

MotiiTgesetc  s.  Motiv. 

lHotlTTerschiebiuis  nennt  H.  Höffdiko  die  psychologische  Tat- 
sache, dafi  das  anfangs  aus  einem  Motive  Ausgeübte  später  aus  einem  ganz 
andern  Motive  ausgeübt  wird,  indem  das  ursprüngliche  Mittel  zum  Zweck  ge- 
worden ist  und  das  Interesse  des  Handelnden  sich  verschoben  hat  (Psychol. 
VI  B,  2  d;  C,  2,  5;  E,  4-5;  Eth.«,  S.  261).  Das  Gesetz  der  Motivverschiebung 
ist  schon  Spinoza,  Hartley,  James  Mill  u.  a.  bekannt.  Motiv  Verschmel- 
zung ist  die  Verbindung  mehrerer  Motive  zu  einem  neuen  Motiv.  Vgl.  Hetero- 
gonie  der  Zwecke. 

niotoriseli:  bewegend,  auf  Bewegung  (s.  d.)  bezüglich.  Motorische 
Nerven  sind  Nerven,  welche  den  Beiz  auf  Bewegungsorgane  übertragen.  Nach 
RlBOT  (wie  nach  M.  de  BIran)  enthalten  alle  psychischen  Zustände  „c^  ele- 
ments  moteura^^  (Les  MaL  de  la  Volonte  p.  107).  So  auch  Münsterbebg  (Beitr. 
zur  exp.  Psychol.  III,  27),  N.  Laitge,  Dessoib  (Doppel-Ich  S.  61)  u.  a.  Vgl. 
Nervensystem,  Empfindung,  WiUe,  Ideomotorisch,  Actionstheorie. 

Mildlg^lKeit:  Zustand  der  Ermüdung  (s.  d.),  Ermattung,  des  Nachlassens 
der  Spannkräfte  der  Muskeln,  der  Nerven,  Zeichen  des  Stoff  Verbrauchs  in  den 
Nervenzellen. 

Miiltlponible    höchster    Ordnung    nennt    B.  Aye^t^abiüs   die   End- 
beschaffenheit des  ff  System  Q^  (s.  d.).    Die  von  ihr  abhängige  Multiponible  ist 
der  yyWeltbegriff^^  (s.  d.),  der  sich  auf  die  ,f Allheit  der  Umgebungsbestandteüe^* 
bezieht  und  sich  allmählich  dem   „reinen    UniverscUbegriff^^  als   Lösung   des 
,  ..WdträUeU"  nähert  (Krit.  d.  rem.  Erfahr.  II,  375  ff.;  I,  197  ff.). 

Miuidiis  archetypus:  die  urbildliche  Ideal- Welt,  die  übersinnliche 
Welt  der  Ideen,  die  intelligible  (s.  d.)  Welt.    Vgl.  Welt. 

llliskeleilipllndlliiffeii  („mtisctdar  feeling*\  j^ensatians  museiUaires") 
sind  die  mit  der  Contraction  und  Expansion  der  Muskeln  verknüpften  Em- 
pfindungen, die  einen  Bestandteil  der  Bewegungsempfindungen  (s.  d.)  ausmachen 
und  für  die  Wahrnehmung  des  Widerstandes  (s.  d.)  der  Objecte  sowie  eigener 
Kraft  (s.  d.)  von  Bedeutung  sind. 

In  verschiedener  Weise  erörtern  die  Muskelempfindungen  Beid  („effort 
emphyetP'j  Inquir.  p.  336),  James  Mill,  Th.  Brown  (Lectur.  I,  513),  J.  öt. 
MiLL,  W.  Hamilton  (Diss.  on  Beid  p.  864),  besonders  A.  Bain,  nach  welchem 
das  „museular  feeling^^  ein  Bewußtsein  des  ,yptätmg  forth  of  etiergy"  ist  (Sens. 
and  IntelL  p.  59,  187,  376;  Ment.  and  mor.  sc.  p.  13  ff.),  G.  Payne,  H.  Spencer, 
nach  welchem  ebenfaUs  die  Muskelempfindungen  zu  den  frühesten  und  all- 
gemeinsten Erfahrungen  gehören  (Psychol.  I,  §  46;  II,  §  350),  Sully  (Handb. 
d.  Psychol.  ß.  88  f.),  W.  James,  Baldwin,  Stottt,  Ladd,  Btbot,  BiCHBr  u.  a., 
femer  Beneke  (Lehrb.  d.  Psychol.',  §  67),  Hillebranb  (Philos.  d.  Geist.  I, 
162  f.),  George  (Lehrb.  d.  Psychol.  S.  231),  Trendelenburo  (Log.  Unt.  I«, 
242),  Volkmann  (Lehrb.  d.  PsychoL  I*,  291),  Lotze  (Med.  PsychoL  S.  305  fi), 


700  Muflkelempflndimgen  —  Mystilc. 

LiKDEMANN,  E.  Reikhold,  L.KNAPP(S7st.d.  Bechtsphiloe.,  S.  61  f.),  Heluholtz 
(Phys.  Opt  S.  599)  u.  a.  £.  H.  Weber  betrachtet  die  Miuakehonpfindimg  ak 
„Bewußtsein  der  Lage  unserer  Glieder^'  (Tests,  u.  Gemeingef.  8.  83).  Dnrdi 
den  „Drueksinn"  der  Haut  erkemieii  wir  unmittelbar  „unsere  eigene  bettegende 
Kraft  und  die  uns  Widerstand  leistenden  Kräfte  der  Körper*^  (L  e.  S.  84). 
Wuin>T  rechnet  die  Muskelempfindungen  zu  den  „inneren  Thstempfmdunge^ 
(Gr.  d.  Psychol.",  8.  57).  Vgl.  A.  Golbscheideb,  Üb.  d.  Muskelsinn,  Zeitschr. 
f.  klin.  Med.  XV.    Vgl.  Object,  WiUe,  Eaum,  Zeit,  Wideretand. 

nHiskelmliiii  („museular  sense'*) :  Fähigkeit  der  Muskelempfindung  (s.  d.). 
Einen  „Muskelsinn"  gibt  es  nach  Ch  Bell  (Phys.  u.  pathol.  Untere,  d.  Nerren- 
syst  1836,  8.  185  ff.),  E.  H.  Weber  (=  „Kraftsinn'')  (Tasts.  u.  Gemeingef.; 
Phys.  Handwörterb.  S.  582). 

Mat  s.  8eelenyennögen  (Plato). 

niiitatio  elencbl  ist  so  viel  wie  Heterozetesis  (s.  d.). 

Blatatlon:  Veränderung.    De  Vries  nennt  „Mutaiion"  die  spmn^iafte 

Entwicklung  der  Arten.    VgL  Selection,  Evolution. 

MysteriiUDs  Cfeheimnis,  G^heimlehre.  Mysterium  magnum  nennt 
Paracelsus  die  Urmaterie  (Paramir.  1). 

MyMticIsinas  :  mystisches  Gebaren,  Neigung  zur  Mystik,  zum  MystisclieD. 
—  Mysticismus  der  praktischen  Vernunft  nennt  Kaitt  diejenige  Doik- 
art,  welche  „das^  was  nur  xuni  Symbol  diente,  xum  ßekema  macht,  d,  i. 
wirkliehe,  und  doch  nicht  sinnliehe  Anschauungen  (eines  unsichtbaren  Beiekei 
Qottes)  der  Anwendung  der  moralischen  Begriffe  unterlegt  und  ins  Übersehweng- 
liehe  hinaussehtveift"  (Krit.  d.  prakt.  Vem.  8.  86).    Vgl.  Mystik. 

Mystik  (von  fivo),  schließen,  nämlich  die  Augen,  um  in  die  Inne&wdt 
sich  zu  vereenken)  ist  die  (vermeintliche)  Erfassung  des  ÜberainnlicheEi,  GK>tt- 
liehen,  Transcendenten  (nicht  durch  die  Sinne,  nicht  durch  Vernunft,  Bonden) 
durch  eigenartige  innere  Erfahrung,  durch  unmittelbare  (inteUectueUe)  Intoitioii 
(s.  d.),  Contemplation  (s.  d.),  gefühlsmäßiges  Erleben,  liebendes  Erfassen  im  Zu- 
stande der  Ekstase  (s.  d.) ;  Streben  nach  Vereenkung  in  die  Tiefen  des  dgenen 
Gemüts,  um  so  der  Vereinigung  mit  dem  göttlichen  Sein  („unio  mysHea^}  auf 
unbegreifliche,  geheimnisvolle  Weise  teilhaftig  zu  werden ;  die  mystische  Lehre, 
das  mystische  Verhalten. 

Mystische  Elemente  finden  sich  bei  verechiedenen  Metaphysikem,  wie  Plato; 
Cardanus,  Pico,  Campanella,  Agrippa,  Paragelbus,  Nioolaub  Cubanüs: 
G.  Bruno,  Pascal,  Malebranche,  Spinoza  („amor  Dei  intelleetuaüs*');  F.  vok 
Schlegel,  Novalis,  Schelling,  Chr.  Krause,  F.  Baader,  Schopenhauee, 
Fechneb,  E.  V.  Hartmann,  Nietzsche,  u.  a.  Mystiker  sind  insbesoodeR 
die  indischen  Theosophen,  die  Orphiker,  die  Neupythagoreer  (s.  d.), 
Neuplatoniker  (s.  d.);  die  Gnostiker  (s.  d.),  die  Kabbalft,  Dioktshts 
Areopagita,  Bernhard  von  Clairvaux,  Bonaventura,  Richard  und 
Hugo  von  St.  Victor,  Eaymund  von  SABUNDE,die  Begharden,  derSüfi«- 
mus;  femer  Eckhart,  Tauler,  Suso,  Buysbroek,  Gerhart  Groot,  Thomas 
A  Kempib,  der  Verfasser  der  „deutschen  Theologie*'  (hrsg.  von  F.  Pfeiffer  1856), 
Val.  Weigel,  Cabp.  Schwenkfeld,  Sebabt.  Frank,  J.  Böhme,  Bob.  Fludd, 
Angelus  Silesius,  Swedenborg,  St.Martin,  Jaoobi,  F. J.Moutor,  Pkbtt, 


Mystik  —  Msrthoa.  701 


Wl.  Ssolovjow  u.  a.    Einige  Mystiker  nähern  sich  dem  Pantheismus  (b.  d.). 

—  SCHELUNG  erklärt:  ,,7^  /ivcnxov  heißt  alles,  was  verborgen,  geheim  ist," 
Das  „vorzugsweise  Mystisehe  ist  gerade  die  Natur**.  ,^  Mystiker  ist ,  ,  ,  niemand 
durch  das,  was  er  behauptet,  sondern  durch  die  Artf  wie  er  es  behauptet,  Mystieis- 
mus  drückt  nur  den  Gegensatz  gegen  formell  toissenschaftliche  Erkenntnis  aus" 
„Mystieismus  kann  nur  jene  Oeistesbeschaffenheit  genannt  werden,  welche  alle 
wissensehaftliehe  Begründung  oder  Auseinandersetzung  versehmäht,  die  edles  wahre 
H^issen  nur  von  einem  sogenannten  inneren,  auch  nicht  allgemein  leuchtenden,  son- 
dern im  Individuum  eing eschlossenen  Lieht,  aus  einer  unmittelbaren  Offen- 
barung,aus  bloßer  ekstatischer  Intuition  oder  aus  bloßem  Gefühl  herleiten  will**  (WW. 
1 10, 1911).  SUABEDISSEN  spTiclit  von  der  „Mystik,  die  uns  im  Schauen  der  Seele 
aufgeht*  (Psychol.  S.  117).  ,ßem  Mystiker  gut  der  Begriff  nickt  mehr  viel,  aber  sein 
Gemüt  und  seine  Phantasie  sind  vom  Überirdischen  erfüllt**  (L  c.  B.  11^).  Nach 
Ulrigi  best^t  das  Mystische  darin,  „daß  wir  uns  bewußt  jsind,  einen  Gedanken 
haben,  ein  Sein  annehmen  zu  müssen,  und  doch  mit  unsem  Versuchen,  es  in 
einen  Begriff  zu  fassen,  ihn  auszudenken,  immer  wieder  scheitern**.  Das 
Mystische  ist  ,^n  unaustilgbares  Moment  unseres  Denkens,  Erkennens  und 
Wissens**  (Gott  u.  d.  Nat.  S.  639).  V.  Gousm  bemerkt:  „Le  mystieisme  con» 
ttient  un  seeptieisme  pusiÜanime  ä  Vendroit  de  la  raison,  et  en  mime  temps  une 
foi  ttveugle  et  portSe  jttsqu*  ä  l'oubli  de  toutes  les  condüions  imposees  ä  la  na^ 
Iure  humain&*  (Du  vrai  p.  105).  Qegen  die  Mystik  betont  er:  „Le  sentiment 
par  lui-mhne  est  une  souree  d'hnotion,  non  de  oonnaissanee,  La  seule  faculti 
de  eonnattre,  c'est  la  raison**"  (L  c.  p.  114).  „La  vraie  union  de  Väme  avec  Dieu 
se  fait  par  la  verite  et  par  la  vertu,  Totti  autre  union  est  une  chim^e,  un 
perü,  quelquefois  un  crime**  (1.  c.  p.  115).  „Ueoüase,  hin  d' elever  thomme 
jusqu'  ä  Dieu,  Vabaisse  au-dessous  de  r komme;  car  eUe  effaee  en  hii  la  pensSe 
en  ötarU  sa  eondition,  qui  est  la  oonscience^*  (1.  c.  p.  126).  Für  die  Mystik 
spricht  B.  Steeneb.  Qott  ruht  in  den  Dingen,  da  er  sich  all^n  hingegeben. 
Der  Mensch  mu£  ihn  schaffend  erlösen.  „Der  Mensch  blickt  nun  in  sieh.  Als 
verborgene  Schöpferkraft,  noch  daseinlos,  pocht  das  Göttliche  in  seiner  Seele, 
in  dieser  Seele  ist  eine  Stätte,  in  der  der  verzauberte  Gott  wieder  aufleben  kann. 
Die  Seele  ist  die  Mutter,  die  den  Gott  aus  der  Natur  empfangen  kann.  Lasse 
die  Seele  sich  von  der  Natur  befruchten,  so  wird  sie  ein  Göttliches  gebären.  Aus 
der  Ehe  der  Seele  mit  der  Natur  wird  Gott  geboren.  Das  ist  nun  kein  ,ver- 
borgener*  Gott  mehr,  das  ist  ein  offenbarer  Gott.**  „Die  mystische  Erkenntnis 
ist  damit  ein  wirklicher  Vorgang  im  Weltprocesse.  Sie  ist  eine  Gebiert  Gottes** 
(Das  Christent.  als  myst.  Tatsache  8.  23  f.;  vgL  Die  Mystik  im  Anfange  neu- 
zeitL  Geistesieb.).  Auch  du  Prel  schätzt  die  Mystik  hoch  (Philos.  d.  Myst.; 
Monist.  Seelenldu-e  S.  11).  Vgl.  W.  Jerusalem,  Einf.  in  d.  Philos.*;  Noack, 
Die  cbiistL  Mystik  1853;  F.  Pfeiffer,  Deutsche  Mystiker  d.  14.  Jahrhund. 
1845/1857;  J.  H.  Th.  Schmid,  Gesch.  d.  Mysticism.  im  Mittelalter;  Godfer- 
KAUX,   Sur  la  psychologie  du  mysticisme,   Bev.  philos.  53,  1902,  p.  158  ff. 

—  Vgl.  Theosophie,  Emanation,  Gott. 

IHystlsclis  unbegreiflich-geheimnisvoll,  übervemünftig,  zur  Mystik  (s.  d.) 
gehörig.  —  E.  V.  Hartmann  erblickt  das  Wesen  des  „Mystischen**  in  der 
„Erfüllung  des  Bewußtseins  mit  einem  Inhalte  durch  unwillkürliches  Auftauchen 
desselben  aus  dem  Unbmcußten**  (Philos.  d.  Unbew.',  S.  323). 

MytliliB  {/ivd'oe,  Bede,  Erzählung)  heißt  die  primitive,  die  bildlich-phan- 


702  Mythus  —  Nachahmung. 

tasievolle  Naturauffassung  als  Bestandteil  der  Religion  (s.  d.).  Der  M3rthiifi  vi 
ein  social-geistiges  Gebilde,  ein  Product  des  Gesamtgeistes,  aber  modificiert 
durch  Persönlichkeit  (Dichter,  Priester  u.  s.  w.).  Im  Mythus  ist  zugleich  die 
primitive  Metaphysik  gegeben,  aus  dem  Mythus  differenzieren  sich  später  Be- 
ligion,  Philosophie,  Wissenschaft.  Der  Mythus  faßt  alles  das,  was  die  Philo- 
sophie abstract-begrifflich  bestimmt,  persönlich,  anthropomorph,  concret-sinnUch 
auf.  Formal  ist  der  Mythus  das  Werk  der  j^mythenbüdenden  PkanttiM^.  Die 
Lehre  von  den  Mythen  der  Völker  heißt  (vergleichende)  Mythologie  (vgl 
besonders  die  Werke  von  Ad.  Bastian,  Taylor,  Lubbock,  H.  Sfencsbs 
Sociologie  u.  a.).  Das  Wesen  des  Mythus  ist  Object  der  Völkerspychologie 
(s.  d.),  Sociologie  (s.  d.),  der  Culturgeschichte  imd  Ethnologie.  Mythisdie  Ele- 
mente finden  sich  noch  bei  Philosophen  (z.  B.  Plato,  Neupiaton iker, 
Gnostiker,  Scheluno  u.  a).  —  W.  Bender  versteht  unter  Mythus  ,^t 
Lehre  von  den  Göttern  als  den  Begründern^  Leitern  und  Sehutxherren  der  Weit. 
Mythische  Welterklärung  ist  ,ydie  geschichtlieh  vorliegende  Form  der  Erkenntnis^ 
in  welcher  der  Mensch  ursprünglich  die  gesamte  ihn  umgebende  Wiridießtkeit 
nach  seinem  Bild  und  nach  seinen  Bedürfnissen  und  Wünschen  sieh  xiureeht- 
gelegt  hai^^  (Mythol.  u.  Metaphys.  I,  20).  Wündt  betrachtet  als  GrundfnncCion. 
welche  den  mythischen  Vorstellungen  zugrunde  liegt,  die  personificierende 
Apperception  (s.  d.).  Beim  primitiven  Culturmenschen  führt  die  Umgebung 
dem  Einzelbewußtsein  eine  Fülle  mythischer  Vorstellungen  zu,  ,/2fe,  auf  über- 
einstimmende Weise  ursprünglich  individuell  entstanden,  allmählieh  sich  in  einer 
bestimmten  Gemeinschaft  befestigt  hohen  und  mittelst  der  Sprache  von  Generation 
«M  Generation  übertragen  werden,  wobei  sie  sich  allmählich  mit  den  Verände- 
rungen der  Natur-  und  Gulturbedingungen  selber  verändern^*.  »^'^  ^'^-  Richtung, 
in  der  diese  Veränderungen  erfolgen,  ist  i?n  allgemeinen  die  Tatsache  bestimmend, 
daß  der  jeweilige  Gemütszustand  die  besondere  Art  der  mythologischen  Apper- 
ception wesentlich  beeinflußt**  (Gr.  d.  PsychoL*,  S.  367  f.).  Die  frühesten  mythi- 
schen Gedankenbildungen  beziehen  sich  auf  das  eigene  Schicksal  in  der  nächsten 
Zukunft.  Erst  später  entsteht  der  Naturmytl^us  mit  persönlichen  Gotter- 
vorstellungen  (1.  c.  S.  370).  Der  Mythus  ist  das  Product  des  Gesamtgeistes, 
der  gemeinsamen  Vorstellungen  der  socialen  Gruppe  (1.  c.  S.  361;  vgL  Eth. 
I«,  C.  2).  Vgl.  L.  George,  Mythus  u.  Sage  1836;  Schelung,  Philos.  d.  My- 
thologie, WW.  II,  1—2;  Steinthal,  Myth.  u.  Relig.  1870;  Fr.  Schultze, 
Psychol.  d.  Naturvolk.  1900.    Vgl.  Wissenschaft,  Keligion. 


HS. 

y achaliinil  ng  (jitfirjaiet  imitatio):  DarstelLung  eines  Objeetes,  einer 
Handlung  durch  ein  möglichst  ähnliches  Eigen-Product.  Der  Nachahmungs- 
trieb ist  dem  Menschen  (auch  Tieren)  als  Disposition  angeboren.  Die  Vor- 
Stellung  eines  Vorganges  löst  durch  das  mit  ihr  verbundene  Interesse  (Cieföbr^ 
eine  imitative  Bew^ung  als  Nachahmungsvorgang,  wenigstens  die  Tendenz  dazu, 
aus.  Es  gibt  unwillkürliche  und  willkürliche  Nachahmung.  Letztere  spielt, 
als  Natumachahmung,  eine  Holle  in  der  Kunst,  die  aber  mehr  als  bloße  Wieder- 
gabe des  Naturobjects  ist  (Composition,  Idealisienmg,  Typisierung).  Die  Nach- 
ahmung hat  auch  hohe  pädagogische  imd  sociale  Bedeutimg. 

Pythagokas  nennt  die  Dinge  /ufujesiG  der  Zahlen  (s.  d.).     Plato  nennt 


Nachahmung  —  Nachbild.  70^ 

die  Dinge  fufujcaig  der  Ideen  (s.  d.).  Bei  ihm  und  bei  Asibtoteles  hat  die 
Nachahmong  auch  ästhetische  Bedeutung  (s.  Tragödie).  Aristoteles  nennt  den 
Menschen  das  ^tpov  fttfifjztHeoTarov  und  sagt,  das  fufABia&ai  sei  avfitpvrov  rois 
avd'^toTioig  (Poet.  2).  Als  ästhetisches  ^incip  stellt  die  Nachahmung  auf 
Ch.  Batteux  (Les  beaux  arts  r^uit  ä  un  m^me  principe  1746).  Nach  Sülzer 
hingegen  (Theor.  d.  Schön.)  hat  die  Kunst  nur  die  schöne  Natar  nachzuahmen. 
EiLASMUS  Darwin  betont  die  größere  Leichtigkeit,  die  aus  der  Nachahmung 
von  Bewegungen  entspringt  (Zoonom.  XV,  sct.  7).  Die  Nachahmung  hat 
individuelle  und  sociale  Bedeutung  (1.  c.  XXII,  sct.  2).  —  Einen  Nachahmungs- 
larieb  nimmt  auch  Fries  an  (Psychol.  Anthropol.  I,  §  52,  80).  Nach  Bekeke 
beruht  der  jjNciehakfnungstrieb*^  auf  dem  ,yÄn^chlteßen  der  unerfüllten  Urver- 
mogen  an  das  stärkste  gleiekartige  Gebilde'^.  „Die  Nachahmung  erfolgt,  indem 
die  freien  ürvermögen,  von  den  Vorstellungen  (des  bei  andern  Wahrgenommenen) 
auSy  auf  die  Angelegenheiten  für  das  entsprechende  Tun  übertragen  werden^^ 
(Lehrb.  d.  PsychoL».  §  169;  vgl  Psychol.  Skizz.  II,  629  ff.).  Nach  Teich- 
müIjLER  ist  die  Nachahmung  eine  durch  das  Gefühl  vermittelte  Beflexbewegung, 
y^i^enige  Bewegung,  welche  sich  durch  ReflexverhUipfung  in  Gleichung  mit  einer 
von  Seiten  der  äußern  Welt  in  uns  ausgelösten  Bewegung  zu  setxen  sucht"  (Neue 
Grundleg.  S.  103).  Die  Kunst  ist  „diejenige  Na^chahmung,  welche  die  Gleichung 
mit  dem  geistigen  ürbilde  sueht^^  (ib.).  Eine  gründliche  (genetische)  Unter- 
suchung der  Nachahmung  beim  Individuum  und  bei  der  Gresellschaft  findet 
sich  bei  Baldwin  (Mental  Developm.).  Die  Anpassung  der  Organismen  ist 
eine  E^rscheinung  „organischer  ImitcUion",  auf  welcher  die  „organische  Selec- 
tion"  (s.  d.)  beruht.  Wukdt  führt  den  Nachahmungstrieb  darauf  zurück,  „daß 
eme  aus  psychischen  Motiven  hervorgegangene  Handlung  im  allgemeinen  in  gleich 
gearteten  Wesen  einen  ähnlichen  Äffect  erweckt,  une  er  in  dem  Handelnden  selbst 
existiert  Damit  ist  aber  auch  eine  ähnliche  Wirkung  nach  außen  bedingt" 
(Vorles.  üb.  d.  Mensch.*,  S.  434).  G.  Tarde  erblickt  in  der  Nachahmung,  die, 
voa  den  „inventeurs"  ausgehend,  die  Massen  ergreift  und  geistig  formt,  die 
sociale  Grundtatsache  („phenomene  social  Slementaire").  „La  societe  c*est  Vimi- 
taiion  et  Vimitation  c'est  une  esp^  de  somruimbulisme^*  (Les  lois  de  Pimitation 
1890;  La  logique  sociale  1894).  Yierkandt  unterscheidet  unbewußte,  unwill- 
kürliche, bewußte,  willkürliche  Nachahmung  (als  Mittel,  als  Selbstzweck)  (Zeit- 
schr.  f.  Socialwissensch.  II,  1899,  S.  575  f.).  Nach  K.  Grogs  ist  uns  die  Lust 
zum  Nachahmen  als  ein  besonderer  Trieb  eingepflanzt  (Spiele  d.  Mensch.  S.  360). 
Die  Nachahmung  hat  den  Zweck,  „andere  Instincte,  die  zugunsten  der  In- 
teUigenxentuncklung  abgeschwächt  sind  oder  doch  für  die  Lebensaufga^ben  des 
Individuums  nicht  genügen,  xu  ergänzen"  (1.  c.  S.  368).  Das  Nachahmen  selbst 
ist  kein  Instinct  (L  c.  S.  370).  Innere  Nachahmung  ist  der  ästhetische  Proceß, 
„tcobei  wir  uns  in  das  betrachtete  Object  hineinversetzen  und  dadurch  in  einen 
Zustand  innerlichen  Miterlebens  geraten"  (1.  c.  S.  416).  Das  ist  die  „ästhe- 
tische Einfühlung"  (1.  c.  S.  417;  vgl.  JouFFROY,  Cours  d*esth^tique  1845,  p.  256). 
VgL  Ästhetik,  Spiel. 

K^aelibild  ist  die  Nachdauer  einer  Gesichtsempfindung,  (physiologisch) 
beruhend  auf  der  Nachwirkung  des  chemischen  Processes  in  der  Netzhaut.  Es 
gibt  positive  und  negative  Nachbilder.  So  erklart  Wukdt:  „Aus  der  An- 
nahme, daß  die  lAchtreizung  auf  chemischen  Vorgängen  in  der  Netzhaut  beruhe^ 
läßt  sich  nun  auch  das  relativ  langsame  Ansteigen  der  Empfindung  und  ihre 


704  Naohbüd  —  Naiv. 


relativ  lange  Nachdauer  nach  vorausgegangener  Reisumg  erklären."    Diese 
Nachdauer,  indem  man  sie  auf  das  als  Beiz  benützte  Object  bezieht,  nennt 
man  Nachbild  des  Eindrucks.    yJZunächst  ergeheinl  das  Ka^hbüd  in  einer  dem 
Reix  gleichen  HeUigkeits-  oder  FarbenbeschaffenheU:  also  weiß  bei  weißen,  sduoan 
bei  sehwarxen  und  gleichfarbig  bei  farbigen  Obfeeten  (positives  oder  gleickfarbiga 
Nachbild);  nach  kurzer  Zeit  geht  es  dann  aber  bei  farblosen  Eindrücken  in  du 
entgegengesetzte  Helligkeäy  Weiß  in  Sehwarx,  und  Sehwarx  in  Weiß,  bei  Farben 
in  die  Oegen-  oder  Complemeniärfarbe  über  (negatives  und  eomplemeniäres  Nach' 
bUd),    Bei  der  Einwirkung  kurx  dauernder  Liehtreixe  im  Dunkeln  kann  sieh 
dieser  Übergang  mehrmals  unederholen,  indem  dem  negativen  abermals  ein  posi- 
tives Nachbild  folgt  u.  s,  w.,  so  daß  ein  Oseillieren  der  Empfindung  xwisehen 
beiden  Naehbildphasen  stattfindet.    Das  positive  Nachbild  läßt  sich  nun  emfaek 
darauf  xurückführen,  daß  die  durch  irgend  eine  Lichtart  bewirkte  photoehemiseke 
Zersetzung  nach  der  Einwirkung  des  Lichtes  noch  eine  kurze  Zeit  andauert;  das 
negative  und  complementäre  kann  ma$i  dagegen  daraus  ableiten,  daß  jede  in 
einer  bestimmten  Richtung  eingetretene  Zersetzung  eine  teilweise  Oonsumti&n  der 
xunächst  an  ihr  beteiligten  lichtempfindlichen  Stoffe  xuriickläßt^  wodurch  sieh 
bei  der  Fortdauer  der  NetzhoMtreizung  die  photochemischen   Vorgänge  in  ent- 
sprechendem Sinne  verändern  müssen.    Diese  Auffassung  wird  dadurch  bestätigt, 
daß  sieh  in  einem  gegebenen  Stadium  des  Abklingens  eines  Nachbildes  die  Netx^ 
haut  irgend  einem  plätxlich  einwirkenden  andern  Liehtreixe  gegenüber  genau  so 
verhält,  wie  die  unermüdete  Netzhaut  dem  um  den  Betrag  der  Naehbüdheüigkeü 
oder  Nachbildfarbe  veränderten  Reize  gegenüber  (Fechner-Hümholtzsches  Gesetz 
der  negativen  und  eomplementären  Nachbilder)"  (Gr.  d.  Psychol.*,  S.  84  1).  „Mü 
den  positiven  und  negativen  Nachbildern  hängen  u>ahrscheinlich  die  Ersckeimmgen 
der  Licht'  und  Farbeninduction  nahe  zusammen,    Sie  bestehen  darin,  daß 
in  der   Umgebung  irgend  welcher  Lichteindrücke  gleickxeitig  Erregungen  von 
gleicher  oder  entgegengesetzter  Beschaffenheit  entstehen**^  (L  c  S.  85  f.).    Vgl 
Fechneb,  Poggendorf£B  Annal.  d.  Phys.  Bd.  44,  50 ;   Hebiko,  Pflügen  ArcL 
f.  Physiol.  Bd.  43;  Wibth,  Philos.  ßtud.  XVI— XVIL    Vgl  Gedanke. 

Nadidenken  s.  Meditation,  Reflexion. 

Nacitelnander  s.  Succession. 

Nachempflndangen  knüpfen  sich  bei  kurzer  Berührung  an  eine 
Pruckempfindung  (vgl.  Külpe,  Gr.  d.  PsychoL  S.  93). 

Nacbf^edanke  heißt  bei  B.  Ayenabius  der  schwache,  ganz  unanschau- 
liche Best  eines  Gedankens,  im  Unterschiede  vom  anschaulichen  ,,Naehbild^ 
einer  Vorstellung. 

Nachsäte  s.  Hypothetisches  Urteil. 

Nachscliliiß  s.  Episyllogismus. 

Naeittwandeln  s.  Sonmambulismus. 

Nftchstenllebe  s.  Liebe,  Altruismus. 

NahruDi^siiistiiict  s.  Instinct 

NaiT  {„naif*  von  nativus,  durch  Gellebt  aus  dem  Franzöeischeo  ins 
Deutsche  eingeführt) :  angeboren  —  natürlich,  harmlos  —  unbefangen,  kindlich 
—  vertrauensvoll,  unbewußt  —  unschuldsvoll ;  \mreflectiert,  „naives  Bewußtsein^ 
(„naiver  Realismus'*).     Nach  Kakt   ist  die   Naivität  „der  Ausbruch  der  der 


NaiT  —  Name.  705 

-Mir        -        ■  ■■!■-'  ■        i.  ,  -     IUI  I  -  I    ■!    I  ■  _ 

Menschheit  ursprünglich  natürlichen  Aufrichtigkeit  inder  die  »ur  andern  Natur 
gewordene  Ferstdlungskunst*^  (Krit.  d.  Urt.  I,  §  54).  Schiller  definiert:  ,,/)a9 
Naive  ist  eine  Kindlichkeit,  wo  sie  nicht  mehr  erwartet  tvird.^'  Das  „Naive  der 
Denkart  yerbindet  ,/iie  kindliche  Einfalt  mit  der  kindischen".  Das  „Naive 
der  Gesinnung*-  wird  auch  poetisch  auf  die  Natur  übertragen.  Naivität  gehört 
zu  jedem  wahren  Genie.  Es  gibt  eine  naive  und  eine  sentimentalische  Dich- 
tung; ersfcere  ist  mehr  objectiv,  aus  der  Natur  heraus  geschaffen,  .JdAssiseh^y 
letztere  mehr  subjectiv,  „romantisch"  (Üb.  naive  u.  sentimental  Dicht.  WW. 
XII,  115  ff.,  121  ff.).  —  Naiv  ist  nach  Külpe,  wer  „triebartig,  d.  h.  in  der 
Form  des  unmittelbaren  Erlebens^  handelt,  denkt  und  empfindet^*  (Philos.  Stud. 
VII,  394). 

NaiTer  Realismas  s.  Realismus,  Object. 

Name  {övo/m,  nomen)  ist  ein  Wort  (s.  d.),  sofern  es  etwas  nennt,  benennt, 
bezeichnet.  Es  sagt  aus,  was  das  (zur  Zeit  der  Namenbildung  oder  aber  ob- 
jeetiv-allgemeine)  Kennzeichen  einer  Gruppe  von  Objecten,  Vorstellungen  bildet ; 
in  diesem  „Meinen"  seitens  des  Namens,  in  dem  mit  ihm  verknüpften  Bewußt- 
sein liegt  die  Bedeutung  (s.  d.)  des  Namens. 

Plato  unterscheidet  avofia  und  ^fia  (s.  Urteil).  —  Die  Scholastiker 
unterscheiden  „nomina  primae  et  secimdae  intentionis,  impositionig^',  Namen  von 
Objecten,  Nameu  von  Eedeteüen,  „nomina  absoluta,  substantiva"  und  „adiectiva, 
ccnnotaHva",  d.  h.  Namen,  von  Selbständigem,  von  Dingen,  Namen  z.  B. 
von  Eigenschaften,  Beziehungen.  Nach  AiiBBBTUS  Magnus  bezeichnet  der 
Name  „sttbstantiam  cum  qualitate^^  (Sum.  th.  I,  51).  Nach  WiLH.  VON  OccAM 
sind  „nomina  absoluta"  „illa,  quae  non  significant  aliquid  prineipaliter  et  aliud 
Tel  idem  secundario,  sed  quiequid  significaiur  per  tale  nomen  atque  primo 
significatur'^  (bei  Prantl,  G.  d.  L.  III,  364).  „Connotativum"  ist  ein  Name, 
„quod  sigmficcU  aliquid  primario  et  aliquid  secundario"  (ib.;  vgl  Goclen, 
Lex.  philos.  p.  446).  —  Die  scholastische  Unterscheidung  von  „nomina  primae  et 
seeundae  intentionis"  findet  sich  auch  bei  F.  Baoon  (Nov.  Organ.  I,  63).  Ebenso 
unterscheidet  die  Logik  von  Port-Eoyal  „nomina substantiva  seu  absoluta" 
imd  „nomina  adiectiva  et  connotaHva"  (1.  c.  I,  2).  Hobbes  definiert:  „A  name 
or  appellaiion  ,  ,  .  is  the  voiee  of  a  man  arbitrary  imposed  for  a  mark  to  bring 
into  his  mind  some  conception  concerning  the  thing  on  which  it  is  imposed" 
{Hum.  Nat  eh.  5,  p.  20).  „Nomen  est  vox  humana  arbitratu  hominis  adhibita, 
ut  »it  nota,  qua  cogitationi  praeteritae  cogitatio  similis  in  animo  exdiari  possit, 
quaeque  in  oratione  disposita  et  ad  alios  prolata  Signum  iis  sit,  qualis  cogitatio 
in  ipso  proferente  praecessit  vel  non  praecessit"  (Ck)mput  p.  9).  Chr.  Wolf 
bestinmit:  „Wir  haben  aber  anfangs  Wörter,  dadurch  wir  die  Arten  und  Ge- 
schlechter sowohl  der  vor  sich  als  durch  andere  bestefienden  Dinge  andeuten,  und 
diese  pflegen  wir  die  Namen  der  Dinge  xu  nennen"  (Vern.  CJed.  I,  §  300). 
James  Mill  unterscheidet  „notation"  und  „connotation"  (Analys.  C.  14,  2). 

Nach  Heoel  ist  der  Name  „die  Sache,  wie  sie  im  Reiche  der  Vor- 
Stellung  vorhanden  ist  und  Gültigkeit  haf^,  die  „Existenx  des  Inhalts  in  der 
Inteüigenx"  (Encykl.  §  462).  Bei  dem  Namen  bedürfen  wir  keiner  Anschauung, 
^fSondem  der  Name,  indem  vnr  ihn  verstehen,  ist  die  bildlose  einfache  Vor- 
stellung, Es  ist  im  Namen,  daß  wir  denken"  (ib.).  J.  St.  Mill  definiert: 
„A  name  is  a  word  taken  at  pleasure  to  serve  for  a  mark  which  may  raise  in 
4nar  mind  a  thought  we  had  before  and  which  being  profiouneed  to  others,  fnay  be 

Philotophiaoh«t  WOrterbaoh.    S.  Aufl.  45 


'06  Name  —  Natur. 


to  tkem  a  sign  of  what  thought  the  Speaker  kad  before  in  his  mind^^  (Log*  h 
eh.  20,  §  1).  Die  Namen  beziehen  sich  auf  die  Objecte,  nicht  auf  Voistellungen 
von  ihnen  (ib.;  vgl.  Examin.  p.  393).  Es  gibt  absolute  und  connotative,  ,;mit- 
bexeicknende"  Namen.  Nach  J.  H.  Fichte  ist  der  Name  „der  Begriff  der 
Sache  in  seiner  Unmitielbarkeü"  (Psychol.  I,  497).  Das  Benennen  ist  ein 
Act  des  begriffebildenden  Denkens  (1.  c.  S.  499).  Nach  Höffdiko  steht  der 
Name  als  „Stelherireter  einer  ganzen  Reihe  von  Ähnlichkeitsassoeiaiiorien"^ 
(Vierteljahrsschr.  f.  wissensch.  Philos.  14.  Bd.).  Nach  Bomanes  bezeichnen  die 
Namen  generische  Ideen  (Geist  EntwickL  S.  80).  Sully  erklart:  fJHe  Namen 
sind  ein  Kunstgriff,  durch  tcdehen  wir  die  Restdtate  unserer  analytischen  TtUig- 
keü  künstlich  isolieren  und  auseinanderhcdten  können"  (Handb.  d.  FsychoL 
S.  242).  E.  Mach  sieht  im  Namen  eines  Begriffs  einen  „Impuls  %u  einer 
genau  bestimmten,  oft  eomplieierten,  prüfenden,  vergleichenden  oder  construieren- 
den  Tätigkeit,  deren  meist  sinnliches  Ergebnis  ein  Olied  des  Begriffsanfangs 
ist"  (Populärwissensch.  Vorles.  S.  267).  Ähnlich  wie  Brentano  (PsyehoL 
Bd.  II,  C.  6,  §  3)  und  A.  Marty  (Vierteljahrsschr.  f.  wissensch.  Philos.  a  Bd, 
8.  293,  300)  erklärt  K.  Twardowsky:  „Unter  einem  Namen  hat  man  alles, 
was  die  alten  Logiker  ein  kategoremoHsches  Zeichen  nannten ,  zu  verstehen. 
Kategorematische  Zeichen  sind  aber  alle  sprachlichen  Bexeiehnungsmitiel,  die 
nicht  bloß  mitbedeutend  sind  (wie  ,des  Vaters^,  M^^,  yniehtsdestoweniger*  u.  dgl)^ 
aber  auch  für  sieh  nicht  den  vollständigen  Ausdruck  eines  Urteils  .  .  .  oder  eina 

Gefühls  und    Willensentschlusses  u.  dergl .sondern  bloß  den  Ausdruck 

einer  Vorstellung  bilden"  (Zur  Lehre  von  Inhalt  u.  Gegenstand  d.  VorstelL 
S.  11).  „Die  drei  Functionen  des  Namens  sind  .  .  . ;  erstens  die  Kundgabe 
eines  VorsteÜungsaetes,  der  sich  im  Redenden  abspielt;  xweitens  die  Erueckung 
eines  psychischen  Inhaltes,  der  Bedeutung  des  Namens,  im  Angesprochenen; 
drittens  dfie  Nennung  eines  Oegenstandes,  der  durch  die  von  dem  Naaun  be- 
deutete Vorstellung  vorgestellt  wird"  (L  c.  S.  12).  Wundt  erklart:  ^Jn  ndkent 
Zusammenhange  mit  der  Abstraktion  steht  ,  .  ,  die  Benennung  der  Erschei- 
nungen. Sie  ist  eine  Erzeugung  der  Isolation.  Denn  der  Name  eines  Gegen- 
standes .  .  .  bexeichnet  stets  ein  einzelnes  Merkmal,  Hieran  schließt  sieh 
aber  sofort  eine  Gener alisation  an,  indem  der  bei  einem  bestimmten  Gegenstande 
geschaffene  Na/me  auf  andere  ähnliche  Gegenstände  Übertragen  wird,  die  er  in 
eine  Gattung  zusammenfaßt"  (Log.  II,  14).  Vgl  Slow  ART,  Log.  I*,  59,  341, 
351.  —  Vgl.  Wort,  Terminus,  Synkategorematisch,  Sprache,  Begriff,  Allgemein- 
heit, Nominaüsmus. 

NattTlsmus  bedeutet,  allgemein,  die  Lehre  von  den  angeborenen  (s.  d.) 
Ideen.  Psychologischer  Nativismus  ist  die  Ansicht,  daß  ims  gewisse  Vor- 
stellungen oder  Vorstellungsdispositionen  bestimmter  Art,  besonders  die  Baom- 
und  Zeitanschauungen  (s.  d.)  angeboren,  ursprünglich  zu  eigen  sind.  Den 
Gegensatz  dazu  bildet  der  Empirismus  (s.  d.),  bezw.  die  genetische  Theorie  von 
Raum  und  Zeit.  Den  Ausdruck  „Nativismus"  (von  nativus)  hat  Helmholts 
eingeführt.    Vgl.  Kaum,  Zeit,  Rationalismus,  Anlagen. 

Natur  (natura,  von  nasci,  fvcig)  bedeutet:  1)  im  Gegensatz  zur  Cultur 
(s.  d.),  zum  Künstlichen,  das  durch  die  fremde  Tätigkeit  des  Maischen  Un- 
berührte, den  „Urständ"  der  Dinge  und  deren  Ordnung  und  Wirken;  2)  im 
Gegensatz  zum  Geist  das  sinnlich  Wahrnehmbare,  Objective,  MatmeUe,  noch 
nicht  Vernünftig-Freie,  unter  dem  Zwange  der  Causalnotwendigkeit  Btehende, 


Natur.  707 

phvgikalisch-gesetzlich  Geordnete,  Wirksame;  3)  das  innere  Princip,  Wesen, 
Gonstitttierende,  den  Seinscharakter  eines  Dinges  (^^cdur  der  JXnge'^),  daj», 
worans  seine  Tätigkeit  entspringt  und  zunächst  zu  begreifen  ist;  4)  die  Allheit, 
Totalität,  das  Ganze,  den  Zusammenhang  der  Dinge,  insbesondere  der  Körper 
(oft  als  Einheit  gedacht,  hypostasiert,  personificiert,  „Mutter  Natur^').  Wissen- 
schaftlich genommen  ist  Natur  der  gesetzmäßig  verknüpfte  Zusammenhang  von 
Erscheinimgen ,  von  begrifflich  fixierten  Bestimmtheiten.  Was  zur  Natur  ge- 
hört, ans  der  Natur  (direct)  entspringt,  ist  natürlich  (s.  d.).  —  Die  Natur  gilt 
bald  als  Schöpfung  (s.  d.)  Gottes,  bald  als  selbständige,  ewige  Bealität;  bald 
als  das  Reich  der  Dinge  an  sich,  bald  als  Inbegriff  von  Phänomenen  oder 
geeetzmäßig  verknüpft«]  Vorstellimgen  (vgl.  Idealismus,  Phänomenalismus, 
Realismus,  Pantheismus). 

Nach  der  Sankhja-Philosophie  ist  die  Natur  („prakriti*^)  der  Urgnmd 
aller  Dinge,  unerschaff en ,  ewig,  blind  wirkend,  im  Bunde  mit  der  Vernunft. 
Pla-To  spricht  von  der  ^ais  im  Sinne  der  8vvaßue  rov  nouiv  tj  nduxetv  (Phaedr. 
270  D  u.  ö.),  auch  in  der  Bedeutung  von  ovaia  (Gorg.  465  A  u.  ö.).  Ari- 
stoteles versteht  unter  der  ftaie  das  (innere)  Princip  der  Veränderung  (Phys. 
in  1,  200b  12),  auch  den  Inb^riff  des  Seienden,  insbesondere  aber  bald  die 
vh]  (Materie,  s.  d.),  bald  die  juo^ij  (Form,  s.  d.),  so  daß  es  eine  zwiefache 
Natur  (fvaie  Strx^  gibt  (1.  c.  II  8,  199  a  30).  0vai6  idysTat  Sva  fiev  r^onov  ij 
T»r  f^ofievtov  yh^eatg  .  .  .  ipa  Se  i^  ov  ^verai  yt^tarov  t6  ^vofuvov  iwnd^x^^' 
TOi'  irt  od'sv  i]  Hiv/^an  ^  Ti^cSrt]  iv  ixdarif  Tt5v  f>va€&  ovtcjv  iv  avrtf  17  avro 
vad^et  »  .  .  ir«  Bs  ^aie  kiyerai  ii  ov  n^toxov  ^  iariv  rj  yiyvttai  r«  tmv  ftrj 
fuifai  ovrcov  .  .  .  ^«  S'nXkov  r^onov  Xeyarai  ^  fvais  17  Ttov  qivüei  ovratv  ovaitt 
.  .  .  uaxn^ogq  S*^]8i]  xnl  oXtag  ndaa  ovüia  ^vais  kiyerai  8id  ravTijVj  ort  xal  rj 
fv<H£  Ovüia  Ti6  iartv  ix  8^  TOfv  eigofisvcav  ^  Ttguarri  tpvGie  xnl  xv^icae  Xsyofiivrj 
imiv  fi  ovcia  17  tcJv  i^ovron'  dgx^*'  xtv^ifecjg  iv  avrois  jj  airrd  (Met.  V  4,  1014  b 
16  squ.).  —  ''Eua  ßtiv  ovv  rgonov  ovrofg  17  ffvatg  leysraiy  ri  Ttgturrj  ixdare^  vtio- 
xttfi9vrj  vXij  Toiv  kxovTtov  iv  avTCli  oqxV'^  xivtjaaioe  9cal  jMxaßoX^s,  dXXov  8e 
T^onov  fi  fiogiff^  xal  ro  alBoe  t6  xazd  top  Xoyov  (Phys.  II  1,  193a  28  squ.);  ^ 
fviftg  8izTijy  4i  ftiv  dfs  vXtj  7}  S*cj€  fiog^tj  (1.  c.  II  8,  199  a  30).  Als  vXij  ist  die 
Xatnr  die  Quelle  der  mechanisch-blinden  Notwendigkeit  {iv  ydq  vkrj  ro  dvayxaXov, 
L  c.  II  9,  200  a  14).  Die  Natur  ist  auch  die  Totalität  der  körperlichen,  be- 
wegten Objecte  (vgl.  De  cod.  I,  1).  —  Strato  erhebt  die  Natur  zum  göttlichen 
Allwesen:  „Strato  .  .  .  qui  omnem  vim  divina/m  in  natura  sitam  esse  censet, 
quae  causas  gignendi,  augendi,  minuendi  habetf  sed  careai  omni  sensu  et  figura" 
(Cicero,  De  nat  deor.  I,  35).  Identisch  sind  Natur  und  Gottheit  (wie  bei  Hera- 
KLTT)  bei  den  Stoikern.  Die  Natur  ist  das  Pneuma  (s.  d.),  der  causal-zweck- 
mäßig  wirkende  Kraftstoff  in  allem,  als  Einheit  gedacht.  JoxeX  S'avToXs  ti^v 
ftiv  f^Giv  elvai  TCvg  T«/yixo«',  ö^^  ßa8{^ov  eis  yivBüiVy  otzsq  iari  nvavfia  TivgoetSis 
xai  Ttxt^oaiSe'g  (Diog.  L.  Vll  1,  156).  <Pvaiv  Si  Tioxe  fiiv  dnotpaivorrm  rrjv  awi- 
Xovcav  Tov  xoaiwv,  utozi  8e  r^  <pvovaav  td  ini  yrjg'  iari  8i  tpvcig  i^ig  iS  avzrjg 
xtvovfi$rrj  xard  aneQfiatixovg  Xdyove  dnoreXovüd  re  xai  awixovaa  rd  iS  avrijg  äv 
oguffUvois  X9^^^^  ^^^  Toiavra  8Qwaa  dtp  oitov  dnexQi&ri  (1.  c.  VII  1,  148). 
jjZeno  igitur  naturam  ita  definit,  ut  eam  dicat  ignem  esse  artißciosum  ad  gi^ 
gnendum  progrediente  via**  (Cicero,  De  nat.  deor.  II,  57).  „Natura  est  igitur, 
quae  contineat  mundum  omnem  eumque  tueaiur,  et  ea  quidem  non  sine  sensu 
atque  ratione^*  (1.  c.  II,  29).  Seneca  sieht  in  der  Natur  die  wahre  Gottheit 
CE^.  31).    Die  Epikureer  lösen  die  Natur  in  eine  Summe  von  Atomen  (s.  d.) 

45* 


706  Natur. 

auf  (vgl.  LüGREZ,  De  rer.  nat.).  —  Einen  geringen  Wert  hat  die  Natur  jEur  dk 
Neuplatoniker  (s.  d.)i  sie  ist  bloß  eine  Emanation  (s.  d.)  des  göttlichea 
Einen  (s.  d.),  nur  ein  ovronov  ayalfia^  ein  sich  selbst  sehendes  Bild,  aber  ohne 
Wissen  {ov8s  olSs,  fiovov  8i  noui:  Plotin,  Enn.  IV,  4,  13).  Die  Natur  ist 
nach  Plotin  das,  was  von  der  Weltseele  (s.  d.)  in  die  Materie  einstrahlt,  die 
f zweite  Seele**,  yiwri/ia  yn'X^s  nQoxiQag  SwaTtore^ov  ^toar^g  (Enn.  III,  8,  3). 
Jambijch  nennt  Natur  ri^v  tixctiptarov  rov  xocfum  xai  axfo^ioTOK  ne^iixovtar 
Tag  öXas  airiag  xijg  yevsaetog  oüa  x^^^"^^  ^^  KQeixroveg  ovaiai  xal  duixocfe^^us 
awedTJfaciv  iv  iavraig  (Stob.  Ecl.  I  5,  186).  Nach  Proklus  ist  die  Natar 
alogisch  {aloya),  Pseudo-Hermes  („Tristnegistas**)  bestimmt:  ^  yd^  fvatg  tot 
Ttavrog  r^  navrl  naQdx^*'  ^i'^^^fsig,  fiiav  fiev  rrjv  xaTot  dvvafuv  avrfg^  eri^r  ii 
TTfV  xar  ivi^Biav '  xai  rj  ftsv  Sttjxet  8m  tov  av/änavxog  xocftov  xcU  ivrag  ffwij^, 
rj  Sa  ntt^xti  xai  ixrog  naQtixei,  xai  Sia  Tzdvrtov  yts^oirrjxaai  xotv^*  xai  17  fv^ti 
ndvTcav  ifvovca  ja  yiyvofieva  ^pw/v  yta^t'xst  tolg  ^o/ievotg,  cmi^ovffa  ßiv  xm 
iavxfig  anegfiaraj  ysviaatg  ^jfovo'ce  8i  vXriv  xtvrjri^v  (Stob.  Ecl.  I  35,  740  sqo.).  — 
Nach  Philoponits,  Simpligius  u.  a.  ist  die  Natur  ein  „n^y/ia  äXoyo»^,  — 
Bo£thiu6  definiert:  „Natura  est  eantm  rerum  quae  cum  Hnt  quoquo  modo 
iniellectu  capi  poasunt**  (De  duab.  natur.  C.  1). 

Augustinus  unterscheidet  „eattsay  quae  facti,  nee  fW^  (Dens)  und  „eauaa^, 
welche  ,/aciunt  et  fiunt"  (De  civit.  Dei  V,  9).  JoH.  SooTUS  Ebiugeka  nennt 
„natura''  sowohl  das  (Schaff ene,  als  auch  die  schöpferische,  alleinige  Gottheit, 
das  Urprincip,  y^quod  est  natura  non  solum  ereata  universitas,  verum  etiam 
ipsium  creatrix  solet  signifieari'*  (De  divis.  nat.  III,  1).  Vierfach  ist  die  Natur. 
yyPrima  —  quae  ereat  et  non  ereaiur;  seeunda  —  qua^  ereati^  et  creai;  fertia  — 
quae  ereatur  et  non  ereat;  quarta  —  quae  nee  creat  nee  crealur^*  (De  divis.  nat. 

1,  1).  „Est  enim  generalissima  quaedam  et  communis  amnium  natura  ab  «no 
omnium  pHnctpio  ereata,  ex  qua  vdui  amplissimo  fonU  per  porös  oeeuUos  cor- 
porales  creaturae  velut  quidam  rivuti  dertvantur,  et  in  dioersas  formas  singu- 
larum  rerum  eruetanf*  (1.  c.  I,  47 ;  vgl.  IV,  5). 

Heibic  yok  Auxerkb  erklart:  „Quicquid  est,  sive  visibile  sive  tnmsibüe, 
sensibile  seu  intelligUnle,  creans  seu  creatum,  natura  didtuf  (bei  Haureau  I, 
p.  189).  GiLBERTUS  PoRRETAKUS  definiert:  „Natura  est  unamquamque  rem  hh 
formans  spedfica  differeniia**  (bei  Stöckl  I,  279;  Prantl,  G.  d.  L.  II,  217). 
Als  y^mma  natura*'  bezeichnet  Anselm  Gott. 

Die  Unterscheidtmg  von  „natura  naturans"  (schöpferische,  active  Natur) 
imd  „natura  naturata"  (Inbegriff  der  Geschöpfe)  kommt  beiAvERRofis  (Gomm. 
ad  De  coelo  I,  1)  auf  und  dringt  von  da  in  die  christliche  Scholastik  ein. 
—  Albertus  Magnus  definiert:  „Natura  dicitur  duplex,  sc.  ut  lex  naiurae  vd 
ut  eonsuetus  naturae  nobis  motus,  et  hie  duplex,  se.  intrinseeus  et  extrinaseu^ 
(Sum.  th.  II,  31,  2).  Zu  unterscheiden  sind:  „natura  divina,  humana,  spki' 
tualis,  corpcralis** .  Thomas  versteht  unter  Natur  das  innere  Princip  einer  Er- 
zeugung oder  einer  Tätigkeit  „prindpium  intrinsecum  motus"  (Sum.  th.  III, 

2,  Ic),  auch  die  „essentia"  eines  Dinges,  femer  das  Ding  selbst  und  die  Tota- 
lität der  Dinge,  insbesondere  der  vemirnftloseu.  „Natura  absoluta*^  ist  die  reine 
Wesenheit  des  Dinges  (1.  c.  I,  75,  5  c).  Es  gibt  femer  „natura  eondita,  ereata. 
inereata,  eorporatis,  spirituatis"  (Sum.  th.  I,  69,  Ic),  femer  „natura  naiuram^% 
Gott  (Sum.  th.  II,  85,  6  c);  „est  autem  Deus  universalis  causa  omnium,  quor 
naturaliter  ßunt,  unde  et  quidam  ipsum  nominant  naiurant^n**  (De  nom.  4, 211 
„Natura  in  sua  operatione  Dei  operaiionem  imitatur**  (Sum.  th.  I,  66,  1  oh.  2). 


Natur.  709 

EcEäAJtT  nnterBcheidet  „naturierende**  (Gott)  und  ,^€naiurte^*  Natur  (Deutsche 
MyBt  II). 

Nach  G.  BiEL  ist  die  Natur  y,re8  aliqua  pasitiva  Habens  esse  reale^^y  und 
nach  Zabasella:  „prindpium  motus  in  eo,  quo  ipsa  est*'  (De  reb.  nat  p.  223). 
Nach  GoGLEN  ist  die  „universalis  natura"  „prineipium  motus  et  quietis  a 
Deo  naiuralibus  eomnmniter  inditum",  die  j^partieidaris  natura"  ist  jene,  t^quae 
in  rebus  singularibus  .  .  .  inest,  seeundum  quam  seu  ex  qua  naiura  namen 
eausae  vel  effectus  tribuitur  individuo"  (Lex.  philos.  p.  741). 

Die  Naturphilosophie  der  Renaissance  wertet  die  Natur  höher  als  die 
christliche  Philosophie,  im  Gegensatze  zu  dieser  ist  sie  teilweise  geneigt,  in  der 
Natur  selbst  das  Göttliche,  die  Gottheit  zu  erblicken.  Nach  Patbitiub  ist  die 
Natur  eine  unköiperliche  Kraft,  welche  ohne  Bewußtsein  zweckmäßig  wirkt 
(Panarch.  XVIII,  p.  39).  Nach  Cabcpanella  wirkt  die  y,natura  communis" 
m  aUem.  „Naiura  partieipatio  est  legis  aetemae"  (De  sensu  rer.  I,  6).  So  be- 
sonders G.  Bruno  (s.  Gott),  der  die  Allnatur  religiös  verehrt.  Die  Natur  ist 
j^nens  insita  omnibus"  (De  tripL  min.  I,  1).  Sie  ist  „ohieeiwm  amabilef'  (ib.), 
eine  ewige  Wesenheit,  die  instinctiv-vemünftig  wirkt  (Acrotism.  contra  Peripat. 
1586).  Laurent.  Valla  bemerkt:  „Mem  est  natura,  quod  Deus,  aul  fere  id&m" 
(De  Yolupt  I,  13).  Nach  VAinia  ist  die  Natur  die  göttliche  Kraft,  Gk)tt;  sie 
ist  ein  ewiges  Grebären  (De  admir.  natur.  1616). 

Niooi/AUB  CusANUS  definiert  hing^en:  „Natura  est  quasi  complicatio 
ornntutn  quae  per  motum  ftunt'*  (De  doct.  ignor.  U,  10).  Ahnlich  fassen  die 
Natur  (als  Mechanismus)  auf  Galilei,  Descabtes,  Gassendi  (Natur  =  „summa 
rerum",  PhiL  Ep.  Synt.  II,  sct.  I,  1),  Hobbes,  R.  Boyle,  Newton  u.  a.  — 
F.  Bacx>n  spricht  von  der  „natura  naturans^*  als  dem  „fons  emanationis^^ 
(Nov.  Organ.  II,  1).  La  Fobge  erklärt:  „Quid  enim  est  natura  .  .  .  nisi  iste 
ordo,  seeundum  quem  deus  suas  creaturas  regit"  (Tract.  XIII,  10).  Und  Male- 
branche: ,Jl  n'y  a  point  d'auire  nature,  je  veux  dire  d'auires  lois  naturelles, 
que  les  volontes  efficaces  du  tout-puissant"  (Entret.  sur  la  m^taphys.  lY,  11). 
—  MiCRAELius  definiert:  „Natura  est  intemum  operationum  prineipium." 
Metaphysisch  ist  sie  „quodvis  ens,  prout  respeetum  höhet  ad  operationes  et  pro- 
prietates**,  physisch  „essentia  composita  ex  materia  et  forma  seu  quidditas  spe- 
dei"  (Lex.  philos.  p.  7(X)).  „NcUura",  für  (jrott  gebraucht,  ist  „naiura  naturans", 
für  die  „universitas  creaturarum"  aber  „natura  naiuraJta"  (L  c.  p.  701).  „Na- 
tura adiva"  ist  die  Form,  „natura  passiva"  die  Materie  (ib.). 

Spinoza  unterscheidet  zwischen  „natura  naturans"  (Gott  als  Einheit)  und 
„natura  naturata",  dem  Inbegriff  der  Modi  (s.  d.),  der  Dinge  als  Modificationen 
der  Gottheit.  „Deus  sive  natura"  ist  Qott  als  „natura  naturang"  (Eth.  I, 
prop.  XXI).  Durch  Gottes  „absoluta  natura"  ist  alles  notwendig  bestimmt  (1.  c. 
{Hop.  XXIX).  „Per  naturam  naturantem  nobis  intelligendum  est  id,  quod 
in  se  est  et  per  se  coneipitur,  sive  talia  substantiae  attributa,  quae  aetemam  et 
infimtam  essentiam  exprimunt,  hoe  est  Deus,  quaienus  ut  causa  libera  con- 
sideratur.  Per  naturatam  autem  inielligo  id  omne,  quod  ex  necessitaie  Dei 
naturae  sive  uniuscuiusque  Dei  attribuiorum  sequitur,  hoc  est,  omnes  Dei  attri^ 
hutorum  modos,  quaienus  considerantur  ut  res,  qttae  in  Deo  sunt  et  quae  sine 
Deo  nee  esse  nee  condpi  possunt"  (Eth.  I,  prop.  XXIX,  schol.).  „Ex  absoluta 
Dei  natura  sive  infinita  potentia"  (ib.  app.).  Die  geschaffene  Natur  besteht 
aus  der  allgemeinen  und  der  besondem  (De  Deo  1,  8 — 9;  vgl.  II,  praef.). 

Nach  J.  Böhme  ist  die  Natur  die  Emanation  eines  in  Gott  (s.  d.)  seienden 


710  Natur. 

Gegensatzes.  Nach  Leibniz  ist  sie  die  Erscheinung  von  Monaden  (s.  d!),  die 
von  Gott  ausstrahlen.  Chr.  Wolf  versteht  unter  Natur  „die  wirkende  Erofi, 
insoweit  sie  durch  das  Wesen  eines  Dinges  in  ihrer  Art  determinieret  tctrirf" 
(Vem.  Ged«  I,  §  628).  yyNcUura  est  prineipium  aetionum  et  passionum  eorpori^^ 
(Cosmol.  §  145).  BaumGartek  erklärt:  y, Natura  entis  est  compleocus  earum  eüu 
determinationum  intemarum,  qtiae  mutationem  eius,  a/ut  in  genere  aeeidentiwn 
ipsi  inhaerentium  sunt  principia"  (Met.  §  430).  „Natura  eorporum'*  ist  der 
„modus  compositionis  eorum''  (L  c.  §  431).  Platker  versteht  (wie  CbusiüS) 
unter  Natur  den  „Inbegriff  der  gesamten  endliehen  Substanzen,  ihrer  ursprüng- 
lichen und  erworbenen  Eigenschaften,  und  die  ursächliche  Verknüpfung,  in 
welcher  sie  miteinander  stehen"  (Philos.  Aphor.  I,  §  1027).  —  Berkeley  siebt 
in  der  Natur  die  gesetzmäßig  verknüpfte  Ordnung  von  Ideen  (s.  d.),  die  C^t 
in  den  Erkennenden  bewirkt.  —  Holbach  hält  die  Natur  für  ewig,  in  sich 
seiend.  Die  Natur  im  weitem  Sinne  ist  „le  grand  tout  gm  risuüe  de  Passem- 
blage  des  differentes  nuxtieres,  de  leurs  differentes  eombinaisons,  et  des  differenti 
mouvemeHts  que  nous  voyons  dans  l'univers'\  Im  engem  Sinne  bedeutet  Natur 
„le  tout  qui  resulte  de  l'essenee,  c^est-ä-dire  des  propriites,  des  combinaisoHS  ou 
fa^ons  d'agir^'  (Syst.  de  la  nat.  I,  eh.  1,  p.  10  f.).  Nach  Diberct  ist  die 
Natiu:  „le  resultat  genSral  aetuel  ou  les  rSsultats  gSneraux  suceessifs  de  la  com- 
binaison  des  Clements"  (M^l.  philos.  58,  p.  64).  —  Nach  (jtOETHE  ist  die  Natur 
„der  Gottheit  lebendiges  Kleid"  (Faust  I).  ,yQott  in  der  Natur,  die  Natur  in 
Gott"  (WW.  XXXIV,  99).  „Es  ist  ein  ewiges  Leben,  Werden  und  Bewege»  « 
ihr,  und  doch  rückt  sie  nicht  weiter.  Sie  verwandelt  sich  ewig,  und  ist  kein 
Moment  Stillstehen  in  ihr.  Fürs  Bleiben  hat  sie  keiften  Begriff,  und  ihren  Fbuk 
hat  sie  ans  Stillestehen  gehängt"  (L  c.  S.  72).  „Auch  das  Unnatürlichste  ist 
Natur"  (ib.).  Die  Natur  ,/reut  sieh  an  der  Illusion"  (ib.).  Sie  „scheint  aOei 
auf  Indinidualität  angelegt  xu  haben  und  macht  sich  nichts  aus  den  Indiriduert'* 
(1.  c.  S.  71).  Nach  Schiller  ist  die  Natur  „das  freiwillige  Dasein,  das  Be- 
stehen der  Dinge  durch  sich  selbst,  die  Existenx  nach  eigenen  und  unabändeHidten 
Gesetzen"  (Üb.  naive  u.  sentimental.  Dicht.  WW.  XII,  111). 

Eine  phänomenalistische  Theorie  der  Natur  begründet  Kant.  Die  Nator 
ist  ihm  nichts  als  die  durch  das  (der  Anschauung  bedürfende)  Denken  gesetz- 
mäßig verknüpfte  Ordnimg  von  Erscheinungen  (s.  d.),  Vorstellungen,  denen 
allerdings  ein  „Ding  an  sich"  (s.  d.)  zugrunde  liegt.  Die  Natur  als  solche  ist 
gleichsam  ein  geistiges  Gewebe,  ein  durch  die  apriorischen  Formen  (s.  d.)  de? 
Intellects  bestimmtes  Ganzes.  Natur  im  formalen  Sinne  ist  „das  erste  innert 
Princip  alles  dessen,  was  xum  Dasein  eines  Dinges  gehörf^,  im  materialen  i^nne 
der  „Inbegriff  aller  Dinge,  sofern  sie  Gegenstände  unserer  Sinne,  mithin  auch 
der  Erfahrung  sein  können,  worunter  also  das  Ganxe  edler  Erscheimmgen,  d.  t. 
die  Sinnenwelt,  mit  Ausschließung  aller  nicht  sinnliehen  Objeete,  verstanden 
wird"  (Met,  Anf.  d.  Naturwiss.,  Vorr.  III).  Natur  ist  die  Allgemeinheit  des 
Gesetzes,  wonach  Wirkungen  geschehen  (Grundleg.  zur  Met.  d.  Sitt.,  2.  AbschiLL 
,,Naiur  ist  das  Dasein  der  Dinge,  sofern  es  nach  allgemeinen  Gcsetxen  be- 
stimmt ist"  (Prolegom.  §  14).  Sie  ist  der  „Inbegriff  der  Erscheinungen,  d.  i. 
der  Vorstellungen  in  uns"  (1.  c.  §  36).  „Die  Ordnung  und  Regelmäßigkeit  .  .  . 
an  den  Erscheinungen,  die  unr  Natur  nennen,  bringen  wir  selbst  hinein,  und 
unirden  sie  auch  nichl  darin  finden  können,  hätten  wir  sie  nicht,  oder  die  Natur 
unseres  Gemüts,  ursprünglich  hineingelegt"  Der  Verstand  ist  selbst  ,/tte  Oe- 
setxgebung  für  die  Natur,  d.  i.  ohne    Verstand  umrde  es  überall  nicht  Natur, 


Natur.  711 

d,  f.  synthetische  Einheit  des  Mannigfaltigen  der  Erscheinungen  nach  Regeln, 
j^eifen*^  (Erit.  d.  rein.  Vern.  S.  134  f.).  yjNaktr,  adieciive  (formaliter)  genommen, 
bedeutet  den  Zusammenhang  der  Bestimmungen  eines  Dinges  nach  einem  innem 
Prineip  der  Causalität,  Dagegen  versteht  man  unter  Natur,  suhstaniive  (ma- 
terialiter),  den  Inbegriff  der  Erscheinungen,  sofern  diese,  vermöge  eines  inneni 
FVineips  der  Gausaliiät,  durchgängig  zusammenhängen"  (L  c.  S.  348).  —  Natur 
ist  ,/iie  Eaeistenx  der  Dinge  unter  Qesetxen",  „Die  sinnliche  Natur  vernünftiger 
Weeen  überhaupt  ist  die  Eodstenx  derselben  unter  empirisch  bedingten  Oesetxen, 
mithin  für  die  Vernunft  Heteronomie.  Die  übersirmliche  Natur  ebenderselben 
Wesen  ist  dagegen  ihre  Eocistenx  naeh  Oesetxen,  die  von  aller  empirischen  Be- 
dingung unabhängig  sind,  mithin  xur  Autonomie  der  reinen  Vernunft  gehören. 
Und  da  die  Oesetxe,  nach  welchen  das  Dasein  der  Dinge  vom  Erkenntnis  ab- 
hängt,  praktisch  sind,  so  ist  die  übersinnliche  Natur,  soufeit  wir  uns  einen  Be- 
griff von  ihr  machen  können,  nichts  anderes  als  eine  Natur  unter  der  Autonomie 
der  reinen  praktischen  Vernunft,  Das  Gesetx  dieser  Autonomie  aber  ist  das 
moralische  Gesetz,  welches  also  das  Grundgesetz  einer  übersinnlichen  Natur  und 
einer  reinen  Verstandeswelt  ist,  deren  Gegenbild  in  der  Sinnlichkeit,  aber  doch 
zugleich  ohie  Abbruch  der  Gesetze  derselben,  existieren  soll.  Man  könnte  jene 
die  urbildliehe  (natura  archeiypa),  die  wir  bloß  in  der  Vernunft  erkennen, 
diese  aber,  weil  sie  die  möglit^e  Wirkung  der  Idee  der  erstem,  als  Bestimmungs- 
grundee  des  Willens,  enthält,  die  nachgebildete  (natura  ectypa)  nennen"  (1.  c. 
8.  52  f.).  —  Nach  Kbug  ist  die  Natur  „ein  Inbegriff  von  Erscheinungen  oder 
von  Gegenständen  möglicher  Erfahrung  in  gesetzlicher  Verknüpfung"  (Handb. 
d.  Philoe.  1,  314  f.).  Nach  Fries  ist  die  Natur  der  Dinge  des  Granze  der 
Sinnenwelt  (Syst.  d.  Met.  1824).  Nach  Boutebwük  ist  sie  „das  atigemeine 
Werden  der  Dinge  und  die  Summe  der  Kräfte,  durch  deren  Beziehung  aufein- 
ander eins  aus  dem  andern  entsteht  und  nacfi  einer  gewissen  Dauer  vergeht" 
(Lehrb.  d.  philoe.  Wissensch.  I,  145). 

J.  G.  Fichte  betrachtet  die  Natur  (das  „Nicht-Ich")  als  ein  durch  das  Ich 
<8.  d.)  Gesetztes,  Unselbständiges,  Unreales,  Minderwertiges.  Schelling  huldigt 
erst  einer  ähnlichen  Ansicht,  später  wird  ihm  aber  die  Natur  zu  einer  Seins- 
weise des  Realen,  Absoluten  selbst  Natur  ist  der  „Inbegriff  alles  Obfectiven  in 
unserem  Wissen"  (Syst.  d.  tr.  Ideal.).  Die  „tote^*  Natur  ist  eine  „unreife  In» 
telligenz"  (1.  c.  S.  4).  Sie  ist  der  „sichtbare  Geist"  (Naturphilos.  S.  64).  Natur 
und  Gteist,  die  beiden  „Pole"  des  Absoluten,  Identischen  sind,  in  verschiedenen 
„Potenzen"  (s.  d.),  in  allem  (1.  c.  S.  78).  Natura  naturans  ist  das  Absolute  als 
solches  („natura  natvrans  absoluta"),  Sie  spaltet  sich  in  die  ideale  Natur 
(System  der  Ideen)  und  in  die  reale  Natur  (Allorganismus).  Die  „natura 
naturata  idealis"  ist  die  geistige  Monadenwelt,  die  „natura  naturata  realis" 
ist  die  materielle  Welt  (vgl.  v.  Hartmann,  Gesch.  d.  Met.  II,  118).  „Die 
Natur  an  sich  oder  die  ewige  Natur  ist  .  , ,  der  in  das  Objeetive  geborene  Geist, 
das  in  die  Form  eingeführte  Wesen  Gottes,  nur  daß  in  ihm  diese  Einführung 
unmittelbar  die  andere  Einheit  begreift.  Die  erscheinende  Natur  dagegen  ist  die 
als  solche  oder  in  der  Besonderheit  erscheinende  Einbildung  des  Wesens  in  die 
Form,  also  die  ewige  Natur,  sofern  sie  sich  selbst  zum  Leib  nimmt  und  so  sich 
selbst  durch  sich  selbst  als  besondere  Form  darstellt.  Die  Natur,  sofern  sie  als 
Natur,  das  heißt  als  diese  besondere  Einheit,  erscheint,  ist  demnach  als 
solche  schon  außer  dem  Absoluten,  nicht  die  Natur  als  der  absohäe  Erkenntnis- 
aet  selbst  (,natura  naturans*),  sondern  die  Natur  als  der  bloße  Leib  oder  das 


712  Natur. 

Symbol  desselben  (^naJtura  naturaia*).  Im  Absoluten  ist  sie  mit  der  entgegen- 
gesetxten  Einheit,  welche  die  der  ideellen  Welt  ist,  als  eine  Einheit,  aber  eben- 
destoegen  ist  in  jenem  nieder  die  Naiur  als  Natur,  noch  die  ideelle  Welt  als 
ideelle  Welt,  sondern  beide  sind  als  eine  Welf^  (Natuiphilos.  S.  79).  „Die  Oe- 
sa/mtheit  der  Dinge,  intoiefem  sie  bloß  in  Oott  sind,  kein  Sein  an  si^  haben- 
und  in  ihrem  Nichtsein  nur  Widerschein  des  Alls  sind,  ist  die  refleetierte  oder 
abgebildete  Welt  (natura  naturata),  das  All  aber,  als  die  unendliche  Affirmution 
Gottes,  oder  als  das,  in  dem  alles  ist,  was  ist,  ist  absolutes  AU  oder  die  schaffende 
Natur  (natura  naturans/*  (WW.  I  6,  199).  „  Wer  die  Natur  als  das  schlechthin 
üngeistige  xum  voraus  wegwirft,  beraubt  sich  dadurch  selbst  des  Stoffes,  in  und 
aus  welchem  er  das  Geistige  entwickeln  könnte"  (WW.  I  10,  177).  Die  Natur 
ist  die  unbewußte  Form  der  Yemunft,  werdende  Intelligenz;  das  Leben  einer 
Urkraft  (b.  Weltseele).  Nach  Novalis  ist  die  Natur  ein  „encyklopädiseher^ 
systematischer  Inbegriff  oder  Plan  unseres  Geistes*^,  eine  „versteinerte  Zauber- 
Stadt",  die  der  Mensch  erst  erlösen  muß.  Nach  L.  Ok£N  ist  die  Natur  der 
materiell  gesetzte  Gott  (Naturphilos.).  Nach  J.  E.  von  Beroer  ist  sie  die 
Erscheinungssphare  der  Greister,  eine  Entfremdung  des  Greistes  von  sich  (Philos. 
DarstelL  d.  Harmonie  d.  Weltalls  1806;  Allgem.  Grundz.  zur  Wissensch. 
1817/27,  I:  die  Natur  ist  eine  Schöpfung  des  Geistes).  Nach  J.  J.  Wagner 
ist  die  Natur  die  extensiv  schaffende  Welt  (Syst.  d.  Idealphilos.  S.  XLIX). 
Nach  H.  Steffens  ist  sie  ,/ler  ewige  Leib  oder  das  körperliehe  Universum"  ^ 
„insofern  das  Wesen  der  Form  auf  ewige  Weise  eingepflanzt  ist"  (Grdz.  d. 
philos.  Naturwissensch.  8.  10),  sie  ist  „das  Unendlich- Endliche^^  (1.  c.  S.  13). 
,J)ie  wahre  Natur  ist  im  Einxelnen  wie  im  Ganzen  absolut  organisiert''  (L  c 
S.  27).  Nach  Eschenmayer  ist  die  Natur  ein  „Abbild  eines  in  uns  liegenden 
Urbildes"  (Psychol.  S.  12).  Die  Natur  entspringt  dem  göttlichen  Ursein.  Sie 
ist  bestimmt  durch  das  Gesetz  der  Notwendigkeit  (L  c.  S.  2  f.).  Oebstedt 
betrachtet  die  Natur  als  ein  „unaufhörliches  Werk^%  als  Krafteproduct;  Vernunft- 
gesetze  walten  in  ihr  (Der  Geist  in  d.  Natur).  Nach  C.  G.  Carus  ist  Natur 
„das  Bildende,  das  aus  sich  hervor  Wachsende,  das  sich  ewig  Umgestaltende 
oder  Umbildende"  (Vorles.  üb.  Psychol.  S.  10).  Nach  F.  Baader  ist  die  „Natur 
in  Gott"  die  schaffende  göttliche  Kraft  (WW.  XIII,  78).  Nach  Chr.  Krause 
stellen  Natur  und  Vernunft  dasselbe  Wesen  der  Gottheit  dar  (Urb.  d.  Mensch- 
heit', S.  15).  „Die  Natur  ist  die  Einheit  des  Unendlichen  und  Endlichen  itn 
vollendet  Endlichen"  (Vorles.  üb.  d.  Syst.  S.  401,  409,  438  ff.).  Hilusbrand 
erklärt  als  das  Wesen  der  Natur  das  Sein  in  seiner  reinen  Objectivitat  und 
Unmittelbarkeit,  ,^das  Sein  mit  der  Bestimmung,  bloß  Objeet  xu  sein"  (Philos. 
d.  Geist.  I,  41).  Sie  ist  das  ,fitumme  Zeugnis"  des  Göttlichen  und  des  Geeistes. 
(1.  c.  S.  42  ff.). 

Nach  Hegel  ist  die  Natur  die  Äußerlichkeit  der  Idee  (s.  d.),  eine  Durch- 
gangsstufe in  der  dialektischen  Selbstentwicklung  des  Geistes,  die  Vorstufe  des 
(bewußten)  Geistes.  Sie  ist  „die  Idee  in  der  Form  des  Anderssein",  die  „Äußer^ 
lichkeit",  das  „AtM-sich-heraustreten  dei*  Idee;  daher  zeigt  sie  in  ihrem  Dasein 
keine  Freiheit,  sondern  Notwendigkeit  und  Zufälligkeit*  (Encykl.  §  247  f.).  „Die 
Natur  ist  der  Sohn  Gottes,  aber  nicht  als  der  Sohn,  sondern  als  das  Verharren 
im  Anderssein,  —  die  göttliche  Idee  als  außerhalb  der  Liebe  für  einen  Atigen- 
blick festgehalten.  Die  Natur  ist  der  sich  entfremdete  Geist,  der  ehrin  nur 
ausgelassen  ist,  ein  bacchantischer  Gott,  der  sich  selbst  nicht  xügelt  und  faßt; 
in  der  Natur  verbirgt  sich  die  Einheit  des  Begriffs."    „  Von  der  Idee  entfremdety 


Natur.  713 

üt  die  Natur  fnur  der  Leichnam  des  Verstandes"  (Naturphilos.  S.  24).  In  ihrem 
Dasem  zeigt  die  Natur  ,Jcetne  Freiheit,  sondern  Notwendigkeit  und  Zu- 
fälligkeit^^.  ,yDie  Naiur  ist  an  sich,  in  der  Idee  göttlich:  aber  wie  sie  ist, 
entspricht  ihr  Sein  ihrem  Begriffe  nicht;  sie  ist  vielmehr  der  unaufgelöste 
Widerspruch,  Ihre  Eigentümlichkeit  ist  dcu  Gesetxtsein,  das  Negative" 
ij^er  Abfall  der  Idee  von  sieh  selbe f*  (L  c.  §  248,  S.  28).  „Die  Natur  ist  als 
ein  System  von  Stufen  xu  betrachten,  deren  eine  aus  der  andern  notwendig 
hervorgeht  und  die  nächste  Wahrheit  derjenigen  ist,  aus  welcher  sie  resultiert: 
aber  nicht  so,  daß  die  eine  aus  der  andern  natürlich  erxeugt  tmirde,  sondern 
in  der  innem,  den  Orund  der  Natur  ausmachenden  Idee,  Die  Metamorphose 
kommt  nur  dem  Begriff  als  solchem  xu,  da  dessen  Veränderung  allein  Eni- 
Wicklung  ist"  (L  c.  §  249,  S.  32).  „Die  ZufiUligkeü  und  Bestimrntheit  von  außen 
hat  in  der  Sphäre  der  Natur  ihr  Recht."  „Es  ist  die  Ohnmacht  der  Naiur, 
die  Begriffsbestimmungen  nur  abstract  xu  erhalten"  (L  c.  §  250,  S.  36  f.).  „I>ie 
Naiur  ist  an  sich  ein  lebendiges  Oanxes:  die  Bewegung  durch  ihren  Stufengang 
ist  näher  dies,  daß  die  Idee  sich  als  das  setxe,  was  sie  an  sich  ist;  oder,  Ufas 
dasselbe  ist,  daß  sie  aus  ihrer  Unmittelbarkeit  utui  Äußerlichkeit,  welche  der  Tod 
ist,  in  sieh  gehe,  um  xunächst  als  Lebendiges  xu  sein,  aber  femer  auch  diese 
Bestimmtheit,  in  welcher  sie  nur  Leben  ist,  aufhebe,  und  sich  xur  Existenx  des 
Geistes  hervorbringe,  der  die  Wahrheit,  der  Endzweck  der  Natur  und  die  wahre 
Wirklichkeit  der  Idee  ist"  (1.  e.  §  251,  S.  38  f.).  Die  „Natur  eines  Gegenstandes" 
ist  sein  Begriff  (Philos.  d.  Gresch.  I,  S.  41).  „Was  als  wirkliche  Naiur  ist,  ist 
Bild  der  göttlichen  Vernunft;  die  Formen  der  selbstbewußten  Vernunft  sind  auch 
Formen  der  Natut"  (Philoe.  d.  Gesch.  III,  684).  Nach  K.  Rosenkeanz  ist 
die  Natur  das  System,  „worin  sieh  das  Denken  als  Sein  setxt"  (Syst  d.  Wissensch. 
5  284,  S  152).  In  der  Wirküchkeit  ist  der  Geist  die  „reale  Cauealiiät",  das 
Prius  der  Natur  (1.  c.  §  285,  S.  153).  —  Nach  Schleiermacher  ist  die  Natur 
,4as  Ineinander  alles  dinglichen  und  geistigen  Seins  als  Dingliches,  d.  h.  Ge- 
wußtes" (Philofi.  Sittenl.  §  47).  W.  Rosenkrantz  erklart  „Natur"  als  „aU- 
gemeine  Productivität  samt  ihren  Producten"  (Wissensch.  d.  Wiss.  I,  423). 
A.  DÖRING  betrachtet  die  Natur  als  eine  „durch  mannigfache  Stufen  sieh 
realisierende  Einheit  der  realen  und  der  idealen  Potenx  unter  dem  Übergewicht 
der  realen  Potenx"  (Grundr.  d.  Religionsphilos.  S.  4.1).  Gott  schafft  die  Natur 
aus  in  ihm  vorhandenen  Potenzen  (1.  c.  8.  34  ff).  —  Nach  Schopenhauer 
ist  die  Natur  „der  Wille,  sofern  er  sich  seihst  außer  sich  erblickte*  (Parerg.  II, 
C.  6,  §  71).  Jedes  Wesen  in  der  Natur  ist  j^ugleich  Erscheinung  und 
Ding  an  sich,  oder  auch  naiura  naturaia  und  natura  naturans"  (1.  c.  C.  4, 
§  64).  Fechner  erblickt  in  der  Natur  „die  äußere  Seite  oder  äußere  Er- 
scheinung oder  Äußerung  Gottes  selbst"*  (Zend-Av.  I,  260).  Herbart  be- 
|trachtet  die  Natur  als  System  von  „Realen"  (s.  d.).  Nach  Beneke  ist  sie 
ihrem  An-sich-sein,  dem  Geistigen  (s.  d.),  analog.  —  Nach  H.  Spencer  ist  die 
[Katur  eine  Manifestation  des  unbekannten  Absoluten  (First  Princ). 

Nach  Eavaisson  ist  die  Natur  gleichsam  eine  Refraction  des  Geistes,  eine 
Abschwächung  des  göttlichen  Denkens.  Gott  ließ  aus  dem,  was  er  von  der 
|imaidlichen  Fülle  seines  Wesens  gewissermaßen  vernichtete,  durch  eine  Art 
Wiedererweckung  alles  Sein  hervorgehen  (Die  französ.  Philos.  S.  275).  E.  v.  Hart- 
JfANN  bestimmt  die  Natur  als  „objectiv-reale  raumxeitliche  Erscheinung"^  als 
eine  „von  jeder  bewußten  Perception  unabhängige  Manifestation  des  Weltwesens", 
des  Unbewußten  (s.  d.).    Sie  ist  die  „teleologische  Vorstufe  und  der  Sockel  des 


714  Natnr. 

Oeistes*^  (Philos.  Frag.  d.  Gegenw.  S.  29).  Das  bewußt  Psychißche  gehört  nicht 
zur  Natur  (Mod.  Psychol.  S.  441).  Nach  TEiCHMi^LLEB  (Neue  Gnmdleg.  ö.  65) 
ist  die  Natur  die  Erscheinung  Ton  nicht-sinnlichen  Wesen  in  deren  Wirkung 
auf  unsere  Sinnlichkeit.  —  Nach  B.  Eucken  sind  Natur  und  Geist  ,/iie  Eauft' 
stufen  einer  großen  Bewegung  des  ÄlW.  Der  Naturproceß  y^^eigt  die  Wirklieh' 
keit  vereinxeU,  %£rsplittertf  auseinandergelegt^  in  einem  Stande  gegenseitiger  Ent- 
fremdung der  Dinge;  er  zeigt  sie  xugleieh  in  einem  Stande  der  Verimßerlickun^ 
(Kampf  um  ein.  geist.  Lebensinh.  S.  28).  Nach  Planck  ist  die  Natur  ,,%«- 
nächst  nur  das  sinnlieh  Äußerliche  und  dem  Geiste  Entgegengesetxit^ 
(Testam.  ein.  Deutsch.  8.  55).  Sie  entstammt  aber  einem  innerlich  universelleD, 
lichten,  zum  Geiste  hinführenden  Grunde  (L  c.  S.  73).  Nach  G.  Spicker  ist 
die  Natur  nicht  Gott,  aber  göttlich,  sie  hat  etwas  von  seinem  Wesen  (Vos. 
ein.  neuen  Gottesbegr.  S.  155  ff.).  Nach  Steinthal  sind  Natur  und  Creist 
doppelte  ErscheLnungsweisen  und  Namen  einer  Wesenheit,  des  Realen  (Zettsehr. 
für  Völkerpsychol.  IX,  1876).  Glogaü  nennt  das  Wesen  des  Geistes  die 
natura  naturans  oder  das  An-sich-seiende  (Abr.  d.  philos.  Grundwiss.  II,  26).  — 
Du  Peel  betrachtet  Natur  und  Geist  als  Ausstrahlungen  eines  Wesens 
(Monist  Seelenl.  S.  77).  —  Nach  Wündt  ist  die  Natur  ,,  Vorstufe  des  Geistes, 
also"  in  ihrem  eigenen  Sein  Selhstentuneklung  des  Geistes*^,  Objectivation  des 
Geistes  (Syst.  d.  Philos.«,  S.  568  ff.,  619  f.).  Natur  als  solche  ist  ,//i«  Oe^ 
samtheit  der  in  der  Anschauung  gegebenen  Erscheinungen^^  (Log-  H";  1>  279), 
der  fjnbegriff  reiner  Obfecie  und  ihrer  äußeren  Relationen"  (Philos.  Stud.  XIII, 
406).  —  Als  Gesetzgeber  der  Natur  betrachtet  die  Grottheit  F.  Bettex  (Nat. 
u.  Gfesetz  1897).  —  Der  Spiritualismus  (s.  d.)  betrachtet  die  Natur  als  Er- 
scheinung von  geistigen  Substanzen  oder  Kräften. 

Nach  Ulkici  ist  die  Natur  y,eine  Mannigfaltigkeit  körperlicher,  unter- 
schiedlich bestimmter  Dinge,  die  im  Zusammenudrken  mit  unserem  Denken  die 
unmittelbar  notwendigen  Gedanken  ihrer  selbst  und  damit  die  Gewißheit  ihrer 
Realität  in  uns  hervorrufen"  (Log*  S.  56).  J.  St.  Hill  versteht  unter  der 
Natur  eines  Dinges  den  ,Jnhegriff  seiner  Fähigkeiten,  Erscheinungen  hervor- 
xubringen**  (Natur  S.  4).  Natur  ist  femer  ,4*^  Summe  aller  Erscheinungen 
xusammen  mit  den  Ursachen,  welche  sie  hervorbringen"  (1.  c.  S.  5),  femer  ^ydas, 
was  ohne  die  Mitunrkungy  oder  ohne  die  freiwillige  und  absiehÜiehe  MHwirkung 
des  Menschen  geschieht^*  (1.  c.  S.  7).  —  Nach  Lewes  ist  die  Natur  j^the  swn  of 
things''  (Probl.  II,  124).  ,,Nature  is  only  ihat  is  feU"  (ib.).  Nach  Harms  hat 
die  Natur  keinen  Willen,  „^te  begreift  in  sieh  alles  Geseheken,  sofern  es  allein 
durch  betcegende  Kräfte  bedingt  und  begrifflich  ist^^  (PsychoL  S.  78).  Unter 
„Natur^^  wird  nichts  weiter  gedacht  als  „die  Erhaltung  dessen,  was  durch  stets 
in  gleicher  Weise  icirkende  Kräfte  entsteht",  während  Creschichte  „er»  stets  fort- 
schreitendes, neue  Gestaltungen  der  Wirklichkeit  erxeugendes  Geschehend  ist 
(1.  c.  S.  81).  Nach  Janet  ist  Natur  „rensemble  des  etres  finis  qui  Unnbent 
sous  Vexperienoef'^  (Princ.  de  m^t.  II,  321).  Nach  Hagemank  ist  die  Natur 
eines  Dinges  die  Wesenheit  als  inneres  Princip  aller  Tätigkeit  des  Dinges 
(Met.",  S.  37;  vgl.  Psychol.*,  S.  13  f.,  15).  —  Uphues  versteht  unter  Natur 
„das  Transeendente  (d.  h,  da^,  was  nicht  Bewußtseinsvorgang  ist),  das  uns  ur- 
sprünglich in  Empfindungen  xum  Bewußtsein  kotnmt  und  von  uns  in  Vor- 
Stellungen  und  Gedanken^  die  auf  Grund  der  Empfindungen  gebildet  McerdetK 
vorgestellt  und  gedacht  wird"  (Psychol.  d.  Erk.  I,  56). 

Der  Naturalismus  (s.  d.)   mid   der  Materialismus  (s.  d.)  sowie   der 


Natur  —  Naturalismus.  715 


Atheismus  (s.  d.)  sehen  in  der  Natur  die  absolute  Wirklichkeit  der  Dinge, 
die  blind-mechanisch  in  allem  wirkt.  Nach  L.  Feukrbach  ist  die  Natur  „(2er 
Inbegriff  der  Wirkliehkeif',  die  „Basis  des  Oeisies''  (WW.  II,  231,  236).  Gott 
ist  urspriinglich  nichts  anderes  als  die  Natur  (WW.  I;  s.  Religion).  Ähnlich 
D.  Fb.  8TRAU88  (Der  alte  u.  d.  neue  Glaube).  Nach  E.  Dühbing  ist  die 
Natur  yjder  universeUe  Zusammenhang  des  Materiellen^^  (Curs.  d.  Philos.  S.  62). 

Ähnlich  MOLESGHOTT,  C.  VOOT,  L.  BÜCHNER  u.  a. 

Der  Eriticismus  (s.  d.)  sieht  in  der  Natur  eine  (durch  da«  Denken)  ge- 
setzmäßig verknüpfte  Ordnung  von  Erscheinungen  oder  von  Vorstellungen  (Be- 
griffen). Nach  O.  Liebmann  ist  die  Natur  die  „Einheit  in  der  Vielheit^  aü- 
lealtende  Oesetxliehkeit  in  der  verwirrenden  Überfülle  der  Einzel flüle,  ordo 
ordinanSf  objedive  Weltlogit'  (Anal.  d.  Wirkl.*,  8.  267),  „Triebkraft,  unerschöpf- 
liche, ununterbrochene  Produetivitäf'  (1.  c.  S.  268),  „Fortschritt'*  (1.  c.  S.  260). 
Nach  K.  Lasswitz  ist  Natur  ^/iasjenige,  was  durch  systematisches  Denken  als 
räumlieh^xeitliche  Erscheinung  objectiviert,  d.  h,  begrifflich  fixiert  und  dadurch 
geaetdieh  garantiert  isf*  (Gesch.  d.  Atomist.  I,  80).  Kickert  bestimmt  Natur 
als  ,4*^  Wirklichkeit  mit  Rücksicht  auf  ihren  gesetzmäßigen  Zusammenhang" 
(Grenz,  d.  naturwiss.  Begrif&bild.  S.  212).  Nach  Fb.  Sghultze  ist  die  Natur 
,ßurch  und  durch  ein  Produet  unseres  Subjeets;  sie  ist  Empfmdungs- 
nuUerial,  welches  durch  unsere  spontane,  apriorische  Geistestätigkeit  ihre  eigent- 
liehe  Form  als  räumliche,  zeitliche  und  causale  Objeete  erst  erhäW.  Sie  ist 
durch  unsere  Causalsynthese  produciert  (Philos.  d.  Naturwiss.  II,  269).  Nach 
H.  Ck>HEN  ist  die  Natur  nichts  Fertiges,  sondern  ein  Produet  des  wissenschaft- 
lichen Denkens,  welches  das  Chaos  der  Empfindungen  erst  ordnet,  gestaltet 
(Princ.  d.  Infinitesimahneth.;  vgl.  Syst.  d.  Philos.  I).  —  Nach  E.  Mach  u.  a. 
ist  die  Natur  nichts  als  ein  Inbegriff  von  gesetzmäßig  verknüpften  „Elementen** 
oder  „Empfindungen**  (s.  d.).  Nach  der  Immanenzphilosophie  (s.  d.)  ist 
sie  die  Totalitat  von  Bewujßt-Seiendem.  VgL  Physis.  —  Vgl.  Naturalismus, 
Materie,  Welt,  Wirklichkeit,  Geist,  Vernunft 

Natur,  plastische,  s.  Plastische  Natur. 

Natnra  arclietypa  s.  Natur. 

Natura  natnrans  s.  Natur. 

Natura  nilill  faclt  fk*iuitra:  In  der  Natur  geschieht  nichts  zwecklos. 
VgL  Teleologie. 

Natura  non  facit  fialtom:  Die  Natur  tut  keinen  Sprung;  Grundsatz 
der  Stetigkeit  (s.  d.)  der  Naturentwicklung. 

Natural  Reallsm  s.  Realismus. 


Natural  8eleetlon  s.  Evolution,  Selection. 

Natnralla  uon  sunt  turpia:  Nichts  Natürliches  ist  schandlich,  zu 
verabscheuen;  ein  Grundsatz  des  Cynismus  (s.  d.). 

NaturaUsmus:  Natur-Standpunkt,  Auffassung,  Wertung  der  Natur 
als  das  Ursprüngliche,  allein  Seiende,  als  die  Mutter,  die  Urquelle  alles  Ge- 
schehens, auch  des  geistigen  (metaphysischer  Naturalismus).  Die  Natur 
(s.  d.),  hier  als  Inbegriff  der  raum-zeitlichen  Objeete,  gilt  als  die  einzige,  als 
die  wahrhafte  Realität,  das  Geistige  als  die  secundäre,  abgeleitete;  abhängige 
Daseinsweise.     Der  ethische  Naturalismus  erklärt  das  Sittliche  (s.  d.)  aus 


716  NaturaliBiiius. 

natürlichen  Bedingungen,  nicht  ans  (idealen)  Normen,  und  neigt  zur  ausschliefi- 
liehen  Wertung  des  aus  den  Naturtrieben  Entspringenden,  des  y,AusM)ens^'  aller 
Naturanlagen  ohne  Hemmung  durch  den  Socialwillen.  Der  sociologieche 
(geschichtsphüosophische)  Naturalismus  faßt  die  Greschichte  als  Naturprocefi, 
als  streng  causal  (nicht  teleologisch)  bestimmten  Ablauf  von  Ereignissen.  Der 
ästhetische  Naturalismus  hält  die  peinliche  Wiedergabe  des  ,jNatiirlidien*% 
immittelbar  Vorgefundenen,  ohne  „Idealisierunff^*  für  die  wahre  Kunst  Der 
religiöse  Naturalismus  identificiert  die  Natur  (bezw.  Naturobjecte)  mit  der 
Grottheit  (bezw.  mit  (röttem). 

„Naturalist*^  bedeutet  bei  J.  Bodin  einen  die  natürliche  Erkenntnis  als 
primäre  Erkenntnis  setzenden  Denker  (Eugken,  TerminoL  8.  172).  G.  F.  Meeer 
erklärt :  „Mn  Naturalist  leugnet  überhaupt  alle  iibemaiürliehen  Begebenheiten  in 
der  Weif  (Met  IV,  487).  Nach  Kant  ist  Naturalismus  die  Ableitung  alles 
Geschehens  aus  Naturtatsachen  (WW.  IV,  111).  „Naturalist  der  reinen  Ver- 
nunft" ist  der,  „welcher  sich  xuiraut,  ohne  aUe  Wissenschaft  in  Sachen  dar 
Metaphysik  xu  entscheiden"  (Prolegom.  §  31).  —  KÜHNEBfANN  stellt  Naton- 
lismus  und  Idealismus  einander  gegenüber.  „Der  Gegensatz  ist  schon  im 
Theoretischen  toichtig  genug.  Hier  sieht  der  Naturalismus  im  Erkennen  ni^ts 
eUs  die  aus  der  ErfahrtmgssehtUung  sich  natürlich  ergebende  Gestaltung  unserer 
Varstellungen,  Der  Idealismus  aber  enreist  die  —  ganx  abgesehen  von  jeder 
suhfectiven  Enttcicklung  —  ohjectiv  und  notwendig  oder  logisch  gültigen  Ideen, 
In  der  Lehre  vom,  sittlichen  Leben  aber  kommt  der  Gegensatz  der  Ansichten 
eigentlich  xum  Austrag,  Der  Naturalismvs  sieht  auch  in  den  sittlichen  Ge- 
bilden nur  eine  irgendwie  geartete  Gestaltung  des  natürlichen  Geschehens^ 
(Schill,  phüos.  Schrift  S.  22). 

Zum  metaphysischen  Naturalismus  gehören  die  Lehren  der  ionischen 
Naturphilosophen,  des  Stsatok  aus  Lampsacus,  der  alles  aus  Nator- 
kräften  erklärt  und  betont:  „Omnem  vim  divinam  in  natura  sitam  esse  eenset^ 
(Cicer.,  De  nat  deor.  I,  13,  35).  Er  leugnet,  „opera  deorum  sc  uti  ad  fabrp- 
candvmfi  mundumy  quaecunque  sitj  docet  omnia  esse  effecta  naturata"  (Cic,  Acad. 
pr.  n,  38, 121;  s.  Seele).  Naturalisten  sind  die  Stoiker,  Epikureer,  LuCBSZ. 
Seine  Benaissance  erfährt  der  Naturalismus  bei  G.  Bbüno  und  andern  Natur- 
phüosophen  (s.  d.),  ferner  bei  VAinNi  (De  admir.  naturae  regia.  1616),  teü- 
weise  bei  Hobbes,  Spinoza,  Gassendi  u.  a.,  femer  im  Materialismus  (s.  d.), 
welcher  eine  extreme  Form  des  Naturalismus  ist  Holbach  erklärt:  „L'homime 
est  Vouvrage  de  la  natur&^  (Syst  de  la  nat  I,  eh.  1,  p.  1).  Einen  naturalistischen 
Pantheismus  lehrt  Th.  Thorild.  Naturalistisch  gefärbt  ist  auch  Herders 
Beziehimg  der  Geschichte  auf  die  Naturentwicklung  (Ideen  zur  Philos.  d. 
Gesch.),  ist  femer  Goethes  Weltanschauung.  —  Oonsequenter  Naturalist  ist 
L.  Feüerbach,  für  den  die  Natur  (s.  d.)  der  „Inbegriff  des  Wirklichen"  ist 
„Die  Rückkehr  xur  Natur  ist  allein  die  QueUe  des  Heils"  (WW.  II,  231).  Die 
Natur  ist  die  „Basis  des  Geistes",  sie  bringt  den  Menschen  hervor  (WW,  II, 
236;  VIII,  26  ff.).  Übernatürliches  gibt  es  nicht.  Zum  Naturalismus  suid 
femer  zu  rechnen  Czolbe,  E.  Dühring,  Nietzsche,  E.  Haeckel,  Büchner, 
Loewenthal  (Syst.  u.  Gesch.  d.  Naturalism.^,  1897)  u.  a.  Einen  „natura- 
listischen Monismus*^  vertritt  F.  Mach  (Beligions-  u.  Weltprobl.  I,  464). 

Den  praktischen  Naturalismus  vertreten  die  Cyniker,  die  Stoiker 
mit  ihrer  Maxime:  yynaturam  sequi"  (s.  Ethik,  Sittlichkeit).  Naturalist  ist 
Eousseau,  der  den  ,yNaturxustand"  vor  jeder  (Pseudo-)  Cultur  wertet  ,J^'homme 


17aturaliBmu8  —  Natürlioh.  717 

qui  mSdite  est  un  antmal  dSprape^^  (Disc.  but  Porig,  et  les  fond.  de  Tm^gal., 
Oeuvr.  1790,  p.  63).  „Tout  est  bien  soriarU  des  maina  de  VatUeur  des  ehoses, 
tout  degenhre  entre  les  mains  de  Vkomnu^*  (Emile).  Ähnlich  lehrt  Tolstoi  die 
Vorzüge  des  „natiirltehen  Lebens**  gegenüber  den  Schaden  der  Cultur.  Ethischer 
Naturalist  ist  Nietzsche,  insofern  er  die  natürliche  Moral  in  der  „Berren- 
morcd**  erblickt,  welche  dem  y, Starken"  das  Ausleben  der  Persönlichkeit  ge- 
währt (s.  Sittlichkeit). 

Den  Naturalismus  bekämpfen  die  Kantianer,  Idealisten,  Spiri- 
tualisten  (s.  d.).  Vgl  A.  J.  Balfoue  (The  Foundations  of  Belief  1895), 
Jos.  BoYCE  (The  Idea  of  Immortality  1900). 

Natliralistlscbe  Begriffe  nennt  H.  Coekeliüs,  „die  in  dem  naiilr- 
liehen  Weltbilde,  in  dem  vorwissenschaftlichen  Erkenntnisbesitx  des  eniicickelten 
Individuwns  jederxeit  als  scheinbar  selbstverständliche  Daten  enthalten  sind^* 
(z.  B.  der  Ding-,  der  Baum-,  der  Ich-Begriff).  Sie  sind  „dogmatische"  Be- 
griffe, solange  wir  nicht  über  ihren  empirischen  Urspnmg  Bechenschaft  zu 
geben  wissen  (Einleit.  in  d.  Philos.  S.  46  f.).  Jede  auf  sie  gegründete  Er- 
klärung ist  eine  naturalistische  Erklärung  (1.  c.  S.  47).  Vgl.  Kategorien,  Er- 
fahrung. 

Natorfsaasalitftty  Pnncip  der  geschlossenen:  das  Postulat,  die  Causal- 
reihe  der  physischen  Processe  nirgends  zu  durchbrechen,  die  Ansicht,  dafi 
physische  Proceye  wieder  nur  in  physischen  Processen  ihre  Ursachen  haben, 
ohne  Hereinspielen  einer  fremdartigen,  geistigen  Causalität.  Dieses  Princip  ist 
eng  mit  der  Theorie  des  psychophysischen  Parallelismus  (s.  d.)  verknüpft. 

Naturell  heißt  die  besondere,  individuelle  Disposition,  gefühlsmäßig  auf 
Eindrücke  zu  reagieren,  bestimmte  Triebe  imd  Bedürfnisse  zu  haben.  Nach 
J.  H.  Fichte  ist  Naturell  „die  eig entütnliche,  aber  (noch)  unwillkürliche 
Weise  .  .  .,  mit  welcher  das  Subject  die  von  außen  kommenden  Anregungen  in 
Gefühle  umsetxt  und  mit  Willensregungen  beantwortef*  (Psychol.  II,  148), 
„rfie  Oesamtheit  der  im  Bewußtsein  wirkenden  Triebt*  (1.  c.  II,  161).  Vgl. 
Temperament. 

BTatnrgelster  vermitteln  nach  J.  Böhme  die  Emanation  der  Welt  aus 
dem  „eentrum  ncUurae"  und  zuletzt  aus  Oott. 

Natnrgesets  s.  Gesetz. 

NaturlBiniiss  die  Lehre,  daß  der  Urspnmg  der  Beligion  die  Natur- 
vergötterung ist.    Vgl.  Beligion. 

Natilrlleli  (naturalis,  fvatnos):  zur  Natur  (s.  d.)  gehörig,  naturgemäß 
(Gegensatz:  unnatürlich),  naturgesetzlich,  im  Wesen  der  Dinge  begründet  (Ge- 
gensatz: übernatürlich),  ursprünglich,  imverarbeitet  (Gegensatz:  künstlich, 
cultiviert). 

Bei  Plato  hat  xara  tfvaiv  die  Bedeutung  des  Normalen  (Phileb.  31 D). 
Aristoteles  stellt  das  ^aixm  teils  dem  Xoyixoäs  (De  gener.  et  corr.  I  2, 
316  a  11),  teils  dem  xard  r^v  ze'xvrjv  gegenüber  (Phys.  II  1,  193  a  33  squ.). 
Natürlich  ist,  was  den  Grund  seiner  Verändenmg  in  sich  hat  (Met.  XI  7, 
1064a  15).  Ähnlich  die  Scholastiker.  Nach  Thomas  ist  ,,naiurale",  „quod 
habet  naturam"  (De  mal.  5,  5  c),  j^quod  habet  ens  fixum  in  natura"  (gegenüber 
dem  „ens  in  anima")  (2  sent.  2,  2  ad  4),  auch  „ad  quod  natura  inclinat" 
(4  sent.  26,  1,  Ic;  Sum  th.  I,  82,  Ic).    Das  Übernatürliche,  Supranaturale,  auch 


718  Natürlich  —  Naturphilosophie. 

das  Geistige,  Vernünftige  wird  vom  Gebiet  des  Natürlichen  geschieden.  — 
Leibniz  versteht  unter  „natürlicherweise*^  das  „per  se"  ohne  hinderndes  Da- 
zwischentreten eines  Etwas  (Theod.  II  B,  §  383j.  Mach  Chb.  Wolf  ist  natür- 
lich, was  „in  dem  Wesen  und  der  Kraft  der  Körper,  das  ist  in  ihrer  Natur, 
gegrimdet  ist  oder  auch  seinen  örund  in  dem  Wesen  und  der  Kraft  der  Wdt, 
das  ist  in  der  ganzen  Natur,  hat"  (Vem.  Ged.  I,  §  630).  KAirr  stellt  dem 
Natürlichen  das  Sittliche  (s.  d.)  gegenüber.  Schopenhauer  erklart:  ^yDas 
Natürliche  im  Gegensatz  des  Übernatürlichen  bedeutet  das  dem  gese^- 
mäßigen  Zusammenhange  der  Erfahrung  überhaupt  gemäß  Eintretende.*^  Das 
Übernatürliche,  d.  h.  das  den  Ei'fahrungsgesetzen  zuwider  Erfolgende,  ist 
„Äußerung  des  Dinges  an  sich  als  solchen,  welche  in  den  Zusammenhang  der 
Erfahrung  gesetzwidrig  einbricht"  (Neue  Paralipom.  §  155).  Hagemann  bestimmt, 
es  sei  „einem  Dinge  jede  Zuständlichkeit  (TUtigkeU  und  Leiden)  natürlich,  weldie 
in  seiner  Wesenheit  begründet  ist  oder  ihr  xusagt;  widernatürlich  da^jenige^ 
was  seiner  Wesenheit  nicht  nur  nicht  xusagt,  sondern  geradezu  widerstreüd: 
übernatürlich  endlich,  was  mit  seiner  Wesenheit  zwar  vereinbar  ist,  aber 
nicht  in  dieser,  sondern  nur  in  einem  mit  ihr  in  Verbindung  tretenden  höheren 
Prifunp  seinen  Orund  haben  kann"  (Met.*,  S.  37).    Vgl.  Supranaturalismus. 

Natfirllclie  Abstraetlon  (Uphtjes)  s.  Object. 

Biatilrllclie  Auslese  s.  Selection,  Evolution. 

Natilrliclie  liOg^ik  („logica,  dialectica  naiuralis")^\si  das  logisch- 
richtige  Denken,  die  normale  Denkfähigkeit  ohne  Bew^ußtsein  der  logischen 
R^eln  (vgLH.  S.  Reimabus,  Vemunftlehre*,  §  7).  Sie  ist  der  „Inbegriff  logisdier 
Ansichten,  xu  dessen  Besitz  jemand  ohne  ein  der  Erlernung  solcher  Wahrheiten 
eigens  gewidmetes  Nachdenken  gelangt  ist^^  (Bolzano,  Wissensch  I,  §  8,  S.  34). 

Natfirllehe  IHag^e  („magia  naturalis")  s.  Magie.  VgL  J.  B.  von  Porta 
(Magiae  naturalis  sive  de  miraculis  rerum  naturalium  libri  IV,  1561).  Cam- 
PANELLA  (De  sensu  rer.  I,  1  ff.);  F.  Bacon  („7nagia  naturalis"  =•  ,j>kysiea 
operaiiva  maior**,  De  dignit.  III,  5). 

Natfirlielie  Religion  („religio  naturalis")  s.  Religion. 

Natfirllciie  Zaclitwalil  s.  Selection,  Evolution. 

Natilrliciier  WeltbesrilT  s.  Weltbegriff. 

Natfirllclieei  Uelit  s.  Lumen  naturale. 

Natfirllclies  Reelit  s.  Becht 

NatunnytliQB  s.  Mythus. 

Nainmotwendlgkelt  ist  die  naturgesetzliche  Bestimmtheit  im  Unter- 
schiede von  der  Willensfreiheit  (vgl.  Kant,  Gnmdleg.  zur  Met.  d.  Sitt  III; 
Krit.  d.  prakt.  Vem.  I.  T.,  1.  B.,  3.  Hptst.). 

Natnrordniuiii^  s.  Ordnung. 
Natnrpantlielsinas  s.  Pantheismus. 

NatorpblloBopllle  („philosophia  naturalis"  schon  bei  Seneca,  fvcua(, 
f,physica",  „cosmologia" ,  „natural  phüosophy"  =  Naturwissenschaft)  ist  die 
Metaphysik  (s.  d.)  der  Natur,  die  letzte,  einheitliche,  die  allgemeinen  Ergebniese 
der  Naturwissenschaft  (s.  d.)  nach  allgemeinen,  erkenntniskritiBchen  Principieii 


Naturphilosophie.  719 


bearbeitende,  deutende,  verbindende  Theorie  des  Wesens  der  Naturobjeete  und 
Naturprocesse. 

Im  Altertum  ist  die  Naturphilosophie  eins  mit  der  Naturwissenschaft,  so 
bei  den  ionischen  Naturphilosophen  (s.  d.),  bei  den  Atomistikern  (s.  d.), 
bei  den  Eleaten,  bei  PiiAto,  Aristoteles,  Theophrabt,  Strato,  bei  den 
8toikern  (s.  d.),  £pikureern  (s.  d.),  bei  Lucrez  (De  nat.  rer.)  u.  a.  Die 
Scholastik  pflegt  die  Naturphilosophie  im  Sinne  des  Aristoteles.  Zu  neuem 
Leben  erwacht  sie  Ton  der  Zeit  der  Renaissance  an,  bei  Paracelsus,  Car- 
DAiojs,  Teussius  (De  natur.  rer.  1586),  Patritius,  Campanella  (De  sens. 
rer.),  G.  Bruno,  van  Helmont,  Simon  Porta  (De  rer.  natural,  princ.  1698), 
als  quantitative  Naturauffassung  bei  Nioolaub  Cubanus,  Kepler,  Kopernikus, 
Galilei,  Leonardo  da  Vinci  (vgl.  Edm.  Solmi,  Studi  sulla  filosof ia  naturale 
di  L.  da  Vinci  1898),  F.  Bacon,  Hobbes,  Descartes,  Gassendi,  Leibniz, 
Newton,  Holbagh,  Robinet  u.  a.  Nach  F.  Bacon  zerfällt  die  Naturphilo- 
sophie in  ffSpeeulcUivef'  (Physik,  Metaphysik)  und  „opercUtPe"  Naturphilosophie 
(Mechanik,  yjnagia  naturalis*^)  (De  dignit.  III,  3).  Eüdioer  stellt  der  mecha- 
nischen eine  yjgötiliche"  Naturphilosophie  gegenüber  (Physica  divina  1716). 

Eine  dynamische,  phänomenalistische  (s.  d.)  Naturphilosophie  lehrt  Kant. 
Er  unterscheidet  allgemein  Natur-  (theoretische)  und  Moral-  (praktische)  Philo- 
sophie (Krit  d.  Urt.  I,  Einleit).  Die  Naturphilosophie  im  engem  Sinne  be- 
steht in  der  j,Zuriiekführung  gegebener,  dem  Anscheine  nach  verschiedener  Kräfte 
auf  eine  geringere  Zahl  Kräfte  und  Vermögen,  die  xur  Erklärung  der  Wirkungen 
der  ersten  xulangen,  ufelehe  Reduction  aber  nur  bis  xu  Qrundkräften  fortgeht, 
über  die  unsere  Vernunft  nicht  hinaus  kann"  (Met.  Anf.  d.  Naturwiss.  S.  104). 
Im  Kantschen  Sinne  lehrt  u.  a.  Bendayid  (Vorles.  üb.  d.  met.  Anf.  d.  Natur- 
wiss. 1798). 

Die  Blütezeit  der  Naturphilosophie,  als  einer  von  der  empirischen  Natur- 
wissenschaft unterschiedenen  begrifflich -constructiven,  aphoristischen,  meta- 
physischen Speculation  über  die  letzten  Principien  der  Natur,  ist  das  erste 
Drittel  des  neunzehnten  Jahrhunderts,  in  der  ScHELUNOschen  Schule.  Schel- 
LING  erklärt:  „Mit  der  Naturphilosophie  beginnt,  nach  der  blinden  und  ideen^ 
losen  Art  der  Natur for sehung,  die  seit  dem  Verderb  der  Philosophie  durch  Baco, 
der  Physik  durch  Boyle  und  Newton  allgemein  sich  festgesetzt  hat,  eine  höhere 
Erkenntnis  der  Natur;  es  bildet  sieh  ein  neues  Organ  der  Anschauung  und  des 
Begreifens  der  Natur."  „Das,  wodurch  sich  die  Naturphilosophie  von  allem,  was 
man  bisher  Theorien  der  Naturerscheinungen  genafint  hat,  unterscheidet,  ist,  daß 
diese  von  den  Phänomenen  auf  die  Gründe  schlössen,  die  Ursachen  nach  den 
Wirkungen  einrichteten,  um  diese  nachher  aus  jenen  wieder  abzuleiten.  Ab- 
gerechnet den  ewigen  Zirkel,  in  dem  sich  jene  fruchtlosen  Bemühungen  herum- 
drehen, konnten  Theorien  dieser  Art  doch,  wenn  sie  das  Höchste  erreichten,  nur 
eine  Möglichkeit,  daß  es  sich  so  verhalte,  dartun,  niemals  aber  die  Notufcndig- 
htit  .  .  .  In  der  Naturphilosophie  finden  Erklärungen  so  wenig  statt  als  in  der 
Mathematik:  sie  geht  von  den  an  sich  geudssen  Principien  aus,  ohne  alle  ihr 
etwa  durch  die  Erscheinungen  vorgeschriebene  Richtung,  ihre  Richtung  liegt  in 
ihr  selbst,  und  je  getreuer  sie  dieser  bleibt,  desto  siclierer  treten  die  Erscheinungen 
ton  selbst  an  diejenige  Stelle,  an  welcher  sie  allein  als  notwendig  eingesehen 
fcerden  können,  und  diese  Stelle  im  System  ist  die  einzige  Erklärung,  die  es  von 
ihnen  gibt"  (Naturphilos.  I,  83  f.).  Die  Naturphilosophie  geht  den  „Potenzen^* 
(s.  d.)  des  Absoluten  auf  den  verschiedenen  Stufen  der  Naturentwicklung  nach. 


720  Naturphilosophie. 


Sie  betrachtet  die  Natur,  wie  sie  in  Gott  ist  (Philos.  Schrift.  1809,  I,  S.  429». 
Nach  L.  Oken  ist  die  Naturphilosophie  „die  Wissenschaft  mm  der  ewigen  Ver- 
wandlung Qottes  in  die  WeW*  (Lehrb.  d.  Naturphiloe.  I  1,  S.  VII).  In  der 
Schrift  jfübersicht  des  Grundrisses  des  Systems  der  Naturp^iiiosophie^*  (ISfB) 
wird  die  Begründung  der  Naturwissenschaft  auf  mathematischer  Basis  gefordert 
Steffens  bemerkt:  „Die  Naturphilosophie  hat  für  das  ErJcennen  die  Priorität, 
denn  sie  ist  als  das  Erkennen  des  Erkennens  oder  oUs  das  potenzierte  EHeennm 
XU  betrachten^*  (Grdz.  d.  philos.  Naturwiss.  S.  16).  „Das  wissensoh(rfüiehe  Be- 
streben aller  Naturforschung  geht  dahin,  in  der  Belativität  der  Form  des  Em- 
xelnen  die  AbsohUheit  des  Wesens  xu  erkennen,"  „Es  ist  der  Zwe^  aller  Natur-  - 
unssenschaftf  den  trügerischen  Schein  der  endlichen  Anschauung,  durch  tceUhe» 
ein  jedes  Einzelne  von  dem  Qanxen  verschlungen  wird  .  .  .,  aufzuheben.  Das 
wahre  Sein  des  Oanxen  ist  nur  dann^  wenn  die  Ewigkeit  des  Einzelnen  gesickert 
ist^*  (1.  c.  S.  57).  Zur  Schellingschen  Richtung  gehören  auch  Nees  yox  Fbes- 
BECK  (Naturphilos.  1841),  Eschenmayer  (Grundr.  d.  Naturphilos.  1832),  Bub- 
DACH,  Schubert,  Carus,  Oersted,  teilweise  auch  J.  J.  Wagner  (Von  d. 
Natur  d.  Dinge  180)),  Troxler  (Eiern,  d.  Biosophie  1807;  BUcke  in  d.  Wes. 
d.  Mensch.  1812).  —  Aprioristiseh,  constructiv  (s.  d.)  ist  auch  die  Naturphilo- 
sophie Hegels,  nur  daß  das  Phantasiemaßige  hinter  dem  Logischen,  BegnÜ- 
lichen  mehr  zurücktritt,  da  der  Panlogismus  (s.  d.)  die  Naturprocesse  als 
Momente  (s.  d.)  der  Selbstentwicklung  der  Idee  (s.  d.)  dartun  will.  Die  Natur- 
philosophie betrachtet  als  „rationelle  Physik'*  (Naturphilos.,  EinL  S.  5)  dis 
Allgemeine  der  Natur  „für  sich**  y,in  seiner  eigenen  immanenten  Notwendigkeit 
nach  der  Selbstbestimmung  des  Begriffes**  (1.  c.  S.  11).  „Die  Naiurphilosopkie 
nimmt  den  Stoff  auf  bis  wohin  ihn  die  Physik  gebracht  hat,  und  bildet  ihn 
wieder  um,  ohne  die  Erfahrung  als  die  letxte  Bewährung  zugrunde  xu  legen;  die 
Physik  muß  so  der  Philosophie  in  die  Bände  arbeiten,  damit  diese  das  ihr 
überlieferte  verständige  Allgemeine  in  den  Begriff  iWersetxe,  indem  sie  zeigt,  wie 
es  als  ein  in  sieh  selbst  notwendiges  Ganzes  aus  dem  Begriff  hervorgeht*  (L  c. 
S.  18).  Die  Naturphilosophie  gewährt  dem  Geiste  die  Erkenntnis  seines  Wesens 
in  der  Natur  (1.  c.  S.  23).  „Die  denkende  Naturbetraehtung  muß  betraehten, 
wie  die  Natur  an  ihr  selbst  dieser  Proceß  ist^  zum  Geiste  xu  werden,  ilir  Anders- 
sein aufzuheben,  —  und  une  in  jeder  Stufe  der  Natur  selbst  die  Idee  vorhanden 
ist**  (1.  c.  24;  Encykl.  §  245  ff.).  „Der  Geist,  der  sich  erfaßt,  wiU  sieh  auch  tfi 
der  Natur  erkennen,  den  Verlust  seiner  uneder  aufheben.  Diese  Versöhnung  des 
Geistes  mit  der  Natur  und  der  Wirklichkeit  ist  allein  seine  wahrhafte  Be- 
freiung, worin  er  seine  besondere  Denk"  und  Anschauungsweise  abtut.  Diese 
Befreiung  von  der  Natur  und  ihrer  Notwendigkeit  ist  der  Begriff  der  Natur- 
philosophie** (Naturphilos.  S.  697).  Ähnlich  K.  Rosenkranz,  Michelet,  G.  Bie- 
dermann (Philos.  als  Begriffswiss.  II,  1  ff.),  u.  a. 

Eine  Zeitlang  lehnt  die  Naturwissenschaft  jede  Naturphilosophie  ab  and 
stellt  höchstens  eine  materialistische  (s.  d.)  Naturtheorie  auf.  Dann  kommt  e» 
zu  einer  neuen  Naturphilosophie  auf  Grundlage  der  Naturwissenschaften,  die. 
anfangs  noch  stark  speculativ,  immer  mehr  den  Charakter  einer  abechliefienden 
Theorie  der  allgemeinen  Naturwissenschaft  annimmt.  Der  Darwinismus  (s.  d.)  hat 
der  Naturphilosophie  einen  neuen  Impuls  gegeben.  —  Das  Speculati?e  über- 
wiegt noch  bei  Herbart  (Allg.  Metaphys.).  Die  Naturphilosophie,  die  in  einen 
synthetischen  und  in  einen  analytischen  Teil  zerfällt  (Lehrb.  zur  Einl.^,  8.  287), 
ist  nicht  auf  idealistische  Weise  bloß  aus  den  Gesetzen  unseres  YorsteUens  ab- 


Naturphilosophie  —  KaturwiaaeziflohaftexL  721 

zuleiten  (1.  c.  8.  309),  sondern  beruht  auf  Bearbeitung  der  Begriffe  der  Natur- 
wiseenschaft.  Schopenhauer,  ein  Gegner  der  Schellingschen  „Hyperphyaik^*, 
meint,  die  durch  Bchelling  eingeführte  Naturansicht,  „dcu  Nachspüren  des  näm- 
lichen TifpuB,  der  darehgängigen  Analogie  und  der  inneren  Verwandlsehaft  aller 
Naturer sekeinungen"^  werde  ,/iine  ganx  richtige  Philosophie  der  Natur  sdn^  so- 
bald sie  gereinigt  wird  von  cUler  Seheüingschen  Hyperphysik^^  „Das  einxig 
Brauchbare  und  Bleibende^  tcas  aus  der  Naturphilosophie  unserer  Tage  her- 
vorgehen unrd^  wird  sein  eine  Philosophie  der  Naturwissenschaft :  d.  h. 
eine  Anwendung  philosophischer  Wahrheiten  auf  Naturwissensehafl^^  (Neue  Parap 
lipom.  §  71).  In  mehr  oder  minder  starker  Anlehnung  an  die  Naturwissenschaften 
lehren  Naturphilosophie  J.  H.  Fichte,  Ulkigi,  M.  Carrtkiie,  £.  y.  Habt- 
HANN,  Planck  (Testam.  ein.  Deutsch.  1881),  Feghkbb,  Wundt,  £.  Haegkel 
(NatürL  Schdpfungsgesch.,  Weltratsel),  H.  Spencer,  Renouvier,  Magy, 
H.  Martin,  Pesch  (Die  groß.  Weltratsel),  Secchi  (Einf.  d.  Naturkräfte  1876), 
O.  ScHMiTZ-DtTMONT  (NaturphUoB.  als  ezacte  Wissensch.  1895),  P.  Carus, 
N.  8.  Shaler  (The  Interpretat.  of  Nature  1893)  u.  a.  VgL  Huicbolpt,  Kos- 
mos 1845;  Schaller,  Gesch.  d.  Natorphilos.  1831/46;  F.  A.  Lange,  Gesch.  d. 
MaterialisnL  6.  A.,  1898;  Fr.  Schultze  (Philoe.  d.  Natur.  I  u.  II),  der  unter 
^.Philosophie  der  Natur''  die  y^Theorie  des  Wissens  von  der  Natur  oder  eine 
natürliche  Erkenntnistheorie*  versteht  Sie  ermöglicht  erst  eine  wahre  Natur* 
Philosophie  (1.  c.  1, 12).  VgL  Natur,  Naturwissenschaft,  Hylozoismus,  Atomistik, 
Körper,  Materie,  Energie,  Kraft,  Princip,  Dynamismus,  Quantitativ,  Mecha- 
nistisch,  Leben,  Lebenskraft,  Organismus,  Evolution,  Selection,  Vitalismus,  Welt, 
Teleologie  u.  s.  w. 

Natairecbt  s.  Becht. 

NataraehOiüielt  s.  Ästhetik.         « 

Naturtrieb  s.  Trieb. 

üfatnrwlSBeiisehalteii  sind  jene  Disciplinen,  die  es  mit  Naturobjecten, 
d.  h.  mit  den  Gegenstanden  der  äußern  Erfahrung  (s.  d.),  der  mittelbaren 
Erkenntnis  (s.  d.)  als  solchen  zu  tun  haben.  Sie  beschreiben  die  Eigenschaften 
der  Objecte  und  erklären  sie  aus  den  gesetzmäßigen  Verknüpfungen  und  Be- 
ziehungen der  Dinge  im  Baume.  Von  der  äußeren  Wahrnehmung  (s.  d.)  aus- 
gehend und  mit  Hülfe  der  Grundbegriffe  (Kategorien)  des  logischen  Denkens 
bestimmen  die  Naturwissenschaften  den  Inhalt  der  äußeren  Erfahrung  in  be- 
grifflicher, nach  Möglichkeit  in  mathematisch-quantitativer  und  causal-mecha- 
niseher  Weise,  dem  Postulate  nach  Einheit  und  Geschlossenheit  der  Gedanken 
Bechnung  tragend.  Nicht  das  „An-sich"  (s.  d.),  wohl  aber  die  objectiv-aUge- 
meinen,  constanten  Belationen  dei*  Dinge  fallen  in  den  Bereich  der  Natur- 
wissenschaften. Den  Ausdruck  dieser  Belationen  bilden  feste,  eindeutige 
Gesetze  (s.  d.).  Von  den  Naturwissenschaften  sind  die  Geisteswissenschaften 
(s.  d.)  durch  den  Standpunkt  der  Betrachtung  des  Erfahrungsinhaltes  zu  unter- 
scheiden. Die  Naturphilosophie  (s.  d.)  ergänzt  die  Ergebnisse  der  Natur- 
wissenschaften. 

Während  die  Naturwissenschaft  des  Altertums,  des  Mittelalters  und  eines 
Teiles  der  neueren  Zeit,  abgesehen  von  einzelnen  empirischen  und  mathe- 
matischen Ergebnissen,  vorwiegend  speculativ  und  metaphysisch  ist,  kommt  im 
16.  Jahrhundert  die  empirische,  experimentelle  (s.  d.),  mathematisch-quantitative 

Philo«ophiteh«t  Wörterbueh.    S.  Aufl.  46 


722  NatuxwiBflensohaffcen. 

(8.  d.)  Methode  auf,  um  immer  mehr  Boden  zu  gewimien.  Daß  die  Xatur- 
wissenschaft  quantitativ  und  zugleich  empirisch  (nicht  metaphysisch-tnmscen- 
dent)  sein  mujß,  betont  energisch  Kant,  der  auch  die  apriorischen  (s.  d.)  Gnmd- 
lagen  der  Naturwissenschaft  (in  synthetischen  Urteilen  a  priori,  s.  d.)  aufdeckt 
,yleh  behaupte  aber,  daß  in  jeder  besondem  Naturlehre  nur  so  viel  eigenüieke 
Wissenschaft  angetroffen  werden  könne^  ais  darin  Mathematik  ansuäreffen  itt^ 
(Met  Anf.  d.  Naturwiss.  S.  VIII;  vgL  Üb.  d.  Fortschr.  d.  Metaphys.  S.  128). 
„Eine  rationale  Naturlehre  verdient  .  .  .  den  Namen  einer  NeUurwissensehaft 
nur  alsdann,  toenn  die  Naturgesetze,  die  in  ihr  zum  Gründe  liegen,  a  priori 
erkannt  u>erden  und  nicht  bloße  Drfahrungsgesetze  sind.  Man  nennt  eine  Natur- 
erkenntnis  von  der  erster en  Art  rein;  die  von  der  zweiten  Art  aber  wird  an- 
gewandte Vemunfterkenntnis  genannt^^  (Met.  Anf.  d.  Naturwiss.  S.  VI).  „Natur- 
Wissenschaft  udrd  uns  niemals  das  Innere  der  Dinge,  d,  i.  dasfenige,  was  niekt 
Erscheinung  ist  .  .  ,,  entdecken;  aber  sie  braucht  dieses  auch  nicht  zu  ihren 
physischen  Erklärungen"  (Prolegom.  §  57).  Schellino  dag^en  weist  der 
Naturforschung  die  Aufgabe  zu,  das  Wesen  der  Dinge  an  sich  selbst  zu  er- 
kennen. „  Wissenschaft  der  Natur  ist  an  sich  selbst  schon  Erhebung  über  die 
einzelnen  Erscheinungen  und  Products  zur  Idee  dessen,  uHtrin  sie  eins  sind  und 
aus  dem  sie  als  gemeinsehaftliehem  Quell  hervorgehen"  (Vorl.  üb.  d.  MetL  d. 
akad.  Stud.*,  11,  S.  254;  vgL  Syst.  d.  tr.  IdeaL  S.  3  f.).  Eine  systematische 
Einteilung  und  Anordnung  der  Naturwissenschaften  findet  sich  bei  A.  Comte 
(s.  Wissenschaft). 

Von  manchen  wird  zwischen  Natur-  und  Geisteswissenschaften  kein  Unter- 
schied gemacht,  andere  hingegen  sehen  nur  in  ersteren  eigentliche  Gesetzeswiseeo- 
schaften.  Während  der  Materialismus  alle  Greisteswissenschaften  auf  Natur- 
wissenschaft zurückführen  will,  sehen  einige  Idealisten  (s.  d.)  in  den  Natur- 
wissenschaften nur  einen  Ausschnitt  aus  der  allgemeinen  Lehre  vom  Sein 
(Sein  =  Bewußt-Sein),  oder  auch  der  Psychologie  (,yPsychomonismus").  Nach 
anderen  ist  es  die  eine  Gesamterfahnmg,  die,  je  nach  dem  Standpunkt,  Object 
der  Natur-  oder  der  Geisteswissenschaften  wird. 

Nach  Fechker  abstrahiert  die  naturwissenschaftliche  Betrachtung  von 
aller  qualitativen  Bestinmitheit  der  Dinge,  sie  „obfeciiviert  bloß  qtuintitativ  auf- 
faßbare  Bestimmungen  unserer  äußeren  Wahrnehmungen  als  der  Natur  außer 
uns  zukommend"  (Tagesans.  S.  234).  Haems  unterscheidet  scharf  zwischen 
Natur-  und  Geschichtswissenschaft.  „Natur  und  Geschichte  sind  .  .  .  zwei  Ge- 
biete der  Causalität  der  Dinge,  ihrer  Wirksamkeiten,  Der  Unterschied  liegt  in 
der  Beurieilungstreise  dessen,  was  geschieht,"  Die  Natur  ist  das  Reich  der  Be- 
wegungsvorgänge, die  Greschichte  und  Ethik  das  Reich  der  Willenskräfte 
(PsychoL  S.  53  ff.,  76  ff.,  79).  Den  Unterschied  der  Natur-  von  den  Geistes- 
wissenschaften betont  besonders  Windelband.  Während  die  Naturwissen- 
schaft es  mit  Abstractionen  zu  tun  hat,  hat  die  Geisteswissenschaft  die  volle 
Wirklichkeit  zum  Gegenstande,  gegeben  in  einer  Fülle  von  einzelnen,  das 
nicht  auf  eine  Naturgesetzmäßigkeit  zurückzuführen  ist  (Gesch.  u.  Naturwiss. 
1894,  2.  A.  1900).  Ähnlich  Rigkert.  Während  die  Geisteswissenschaften  „Er- 
eigniswissenschaften"  sind,  haben  die  Naturwissenschaften  den  Charakter  von 
„Gesetzesu^'ssenschaften",  Die  naturwissenschaftliche  Betrachtung  will  die  Un- 
endlichkeit der  Dinge  und  Ihrer  Merkmale  überwinden  durch  allgemeine  Be- 
griffe und  Gesetze,  mit  Abstraction  von  allem  Individuellen;  dieses  fiilit 
dagegen  der  geschichtlichen  Betrachtung  zu  (Grenz,  d.  naturwiss^isch.  Begriffe- 


NattirwiBsensehaften.  723 


bild.  1896).  Früher  betont  schon  Dilthey,  daß  die  Geisteswissenschaften 
ein  j^Bigenes  Reich  von  Erfahrungen^^  haben,  welches  im  innem  Erlebnis  seinen 
sdbetändig^i  Ursprung  und  sein  Material  hat  (Einl.  in  d.  QeistesWiss.  I,  10). 
Das  Material  der  Oeisteswissenschaften  bildet  die  fjgeaehiehUiek'gesellaehaftliehe 
Wiridiehkeit*'  (L  c.  S.  30).  Tatsachen,  Theoreme,  Werturteile  constituieren  diese 
Wissenschaften.  „Die  Auffassung  des  Singularen,  Individuellen  bildet  in  ihnen 
so  gut  einen  letzten  Zweck  als  die  Entwicklu/ng  absiraeter  Gleichförmigkeiten^'' 
(L  c.  S.  33).  Die  8ubjecte  der  Naturwissenschaften  sind  „Elemente,  tcelche  durch 
eine  Zerteüung  der  äußeren  Wirldiehkeit,  ein  Zersehlageny  Zersplittern  der  Dinge 
nur  hypothetisch  gewonnen  sind;  in  den  Oeisteswissenschaften  sind  es  reale,  in 
der  innem  Erfahrung  als  Tatsachen  gegebene  Einheiten*^  (1.  c.  8.  36;  ähnlich 
MÜNBTEBBRBG,  s.  Geisteswissenschaften).  —  Wunpt  erklärt:  „Alle  Natur- 
forsehung  geht  aus  von  der  Sinneswcüimehmung."  Da  aber  die  Vorstellungen 
der  einzelnen  Sinnesgebiete  sich  einer  durchgängigen  Verbindung  der  Erschei- 
nungen widersetzen,  so  ordnen  wir  sie  unter  allgemeine  Begriffe  (Log.  II'  1, 
8.  272  ff.).  „Die  Naiurwissenschaft  abstrahiert  geflissentlich  von  allen  den  Be- 
standteilen der  Erfahrung,  die  dem  erfahrenden  Suhjeet  und  der  Art  und  Weise 
angehören,  wie  dieses  sich  xur  Außenwelt  und  xu  anderen  Subjecten  unmittelbar 
verhält.  Sie  betrachtet  demnach  die  Natur  als  einen  Inbegriff  reiner  Obfecte  und 
ihrer  äußern  Relationen**  (Philos.  8tud.  XIII,  406).  Die  Naturwissenschaft 
jjbetr achtet  die  Objecte  der  Erfahrung  in  ihrer  von  dem  Subject  unabhängig  ge- 
dachten Beschaffenheit*,  vom  Standpunkt  der  mittelbaren  Erfahrung  (Gr.  d. 
FsychoL^  8.  3).  Sie  abstrahiert  nicht  vom  erkennenden  Subject  überhaupt, 
sondern  von  denjenigen  Bestinminngen,  die  untrennbar  vom  Subject  sind  (1.  c.  8. 5). 
Der  Grund  für  die  Scheidung  der  Naturwissenschaften  von  den  Geisteswissen- 
schaften kann  nur  darin  gesucht  werden,  ,4^ß  Jede  Erfahrung  einen  objectiv 
gegebenen  Erfahrungsinhalt  und  ein  erfahrendes  Subject  eUs  Factoren  enthält" 
(ib.).  Zwei  Betrachtungsweisen  haben  hier  statt.  Die  eine  ist  die  der  Psycho- 
logie (s.  d.),  die  zweite  die  der  Naturwissenschaft  „Indem  die  Naturwissen- 
schaß  »u  ermitteln  sucht,  wie  die  Objecte  ohne  Rücksicht  auf  das  Sttbfect  be- 
schaffen sind,  ist  die  Erkenntnis,  die  sie  zustande  bringt,  eine  mittelbare  oder 
begriff  liehe:  an  Stelle  der  unmittelbaren  Erfahrungsobjecte  bleiben  ihr  die  aus 
diesen  Obfeeten  mittelst  der  Abstraction  von  den  subfeetiven  Bestandteilen  unserer 
Vorstellungen  gewonnenen  Begriffsinhalte.  Diese  Abstraction  macht  aber  stets 
XMsgleich  hypothetische  Ergänxumgen  der  Wirklichkeit  erforderlich**  (L  c.  8.  6)« 
Nach  G.  Glooau  gehen  Natur-  und  Geisteswissenschaften  einander  als  ver- 
schiedene „Betrachtungsweisen**  gleicher  Objecte  parallel.  Die  eine  Betrachtungs- 
weise ,ffaßt  den  Inhalt  der  in  der  sinnliehen  Anschauung  gegebenen  Welt  (in 
bewußter  oder  unbewußter  Abstraction)  als  ein  äußeres  Oeschehen,  während  die 
andere  jeden  sinnlichen  Vorgang  als  Zeichen  und  Ausdruck  eines  an  sich  ver- 
borgenen, inneren  Erlebens  xu  deuten  sucht**  (Abr.  d.  philos.  Grundwiss.  I,  34  ff.). 
—  Der  Positivismus  (s.  d.),  die  Philosophie  der  reinen  Erfahrung  (s.  d.),  wiU 
nur  exacte  „Beschreibung**  (s.  d.),  nicht  hypothetische  Naturbegriffe.  So  Comte, 
£.  Mach,  Ostwald  u.  a.  —  O.  Caspari  betont:  „Die  Naturwissenschaft  soll 
in  ihren  Specialgebieten  descriptiv  und  nur  insoweit  erklärend  verfahren,  als  es 
das  oberste  Prindp  der  jedesnudigen  Specialunssensckaft  erfordert.  Ein  Über- 
gehen dieser  Restriction  führt  in  das  Gebiet  der  Naturphilosophie,  von  der  sich 
mUurwissensehaftliche  Fachleute  als  solche  fernhalten  sollen^*  (Grund-  u.  Lebens- 
frag.  8.  13).    Du  Prel  bemerkt  ähnlich:  „Es  ist  .  .  ,  gar  nicht  Aufgabe  der 

46* 


724  Naturwiuenschaften  —  Kogatioii. 

• 

Naiurufissensehafty  das  Wesen  der  NcUurkräfte  xu  entdecken;  ihre  Aufgabe  iä 
erfüllt^  wenn  das  Oesetx  des  Einiriäs  erkannt  ist.  Das  übrige  ist  Sache  der 
Metapkysit^  (Mon.  Seelenl.  8.  4).  Im  gleichen  Sinne  lehren  schon  Schofen- 
HAtTER,  Helmholtz,  die  Kantianer  u.  a.    Vgl.  Psychologie. 

NatnrwlssenscliaftUclier  MonlsmaB:  die  Ansicht  der  energe- 
tischen (s.  d.);  die  Materie  (s.  d.)  eliminierenden  Naturauffassong. 

Natorsfielitiiiis  s.  Selection,  Evolution. 

NatarsQstamd  heißt:  1)  der  primitive,  unentwickelte,  wenig  cnltivieite 
Zustand  der  Lebensverhältnisse  bei  Naturvölkern;  2)  der  sociale  Zustand  tot 
dem  (Gesetzes-)  Recht,  der  Zustand  der  Gewalt  (zwischen  Stamm  und  Stamm), 
der  bloß  durch  Brauch  und  Sitte  (s.  d.)  geregelte  Zustand  (im  Stamme).  Vgl 
Sociologie,  Rechtsphilosophie. 

NatarBwang  s.  Zwang. 

Natnrsweck:  objectiver,  in  den  Dingen  liegender  Zweck  (s.  d.). 

Nebeneintellnnii;  s.  Einteilung. 

NebnlarliypotlieBe  s.  Welt. 

Neeessitlereii  (necessitas,  Notwendigkeit):  nötigen,  zwingen,  deter- 
minieren.   VgL  Willensfreiheit. 

Nei^atlon  {^^negaüo^^  tbtofacis):  Verneinung,  Zurückweisung,  Ablehnung 
einer  Behauptung  als  ungültig,  unwahr  seitens  des  Denkwillens,  Ausschließung 
von  Merkmalen  aus  dem  Inhalt  eines  Begriffs  im  (negativen)  Urteil,  entweder 
um  gerade  auf  das  Fehlen  dieser  Merkmale  aufmerksam  zu  machen,  oder  am 
einem  positiven  Urteile  entgegenzutreten.  —  Von  der  ,^egatio"  ist  die  „frisatio^ 
(Beraubung,  s.  d.)  zu  unterscheiden. 

Nach  Aristotelbs  steht  die  YemeiDung  {anofaa^s)  der  Bejahung  gegen- 
über (De  interpret.  5 — 6).  Nach  den  Scholastikern  bedeutet  die  ontologiache, 
metaphysische  Negation  die  „carerUia  rei^*,  f,Negaiio**  und  „privatio"  sind  ver- 
schieden, „quia  negaiio  dieitur  carentiam  praeeise  sine  aptitudine  subieeH  et 
voeaiur  Nihil  negaiivumj  item  Negaiio  pura:  Privatio  autem  praeter  oarenOam 
seu  essentiam  realitatis  dieit  si/tmd  aptitudinem  subiecH  ad  redpiendum  habitum"^ 
(MiCKAELius,  Lex.  philos.  p.  706  f.).  „Negationis  via  in  cognoseendo  Deo 
dicitur,  cum  removetur  a  Deo  imperfecta  amnia"  (1.  c.  p.  707).  —  Nach  J.  BÖHMS 
ist  in  Grott  (s.  d.)  als  y^Oegenwurf^  zum  Ja,  zum  Positiven  ein  „iVem",  ein 
Negatives,  das  yyZomfeuer*^, 

Locke  bezweifelt  die  Existenz  negativer  Vorstellungen.  Das  „Niekts"  be- 
deutet nur  den  Mangel  an  Vorstellungen  (Ebb,  III,  eh.  1,  §  4).  H.  S.  Rn- 
MABUB  erklart:  y,Die  Erkenntnis  oder  die  Einsieht  von  der  NiehteinsHmmtmg 
xweier  Begriffe  kann  ein  unterscheidendes  oder  unbestimmt  verneinendes 
Urteil  genannt  werden,"  y^Die  Erkenntnis  oder  die  Einsieht  von  dem  Widrnr^ 
Spruche  zwischen  zwei  Begriffen  heißt  ein  grade  verneinendes  Urteil** 
(Vemunftlehre^,  §  115).  Nach  Kant  wird  im  verneinenden  Urteile  das  Subjed 
„außer  der  Sphäre^^  des  Pradicats  gesetzt  (Log.  S.  160).  Die  Negation  afficiert 
immer  die  Copula  (1.  c.  S.  162).  So  auch  nach  andern,  z.  B.  nach  F&iES  (Sjst 
d.  Log.  S.  131);  ein  Begriff  wird  als  Negation  gedacht,  wiefern  er  unter  den 
Merkmalen  einer  Vorstellung  als  aufgehoben  gedacht  wird  (1.  c.  S.  121;  vgL 
KiESEWETTEB,  Log.  §  88;  Krug,  Log.  §  38;  Calker,  Denklehre  §  68).    Nach 


Negation.  725 

Baghmanit  wird  dnrch  das  negative  Urteil  behauptet,  daß  etwas  nicht  sei 
(Syst.  d.  Log.  8.  124).  —  J.  G.  Fichte  leitet  die  Kategorie  der  Negation  aus 
dem  Acte  des  „Qegensetxen"  des  Ich  A\f  (Gr.  d.  g.  Wiss.  8.  20  f.).  Heoel 
setzt  die  Negation,  Negativitat  als  „Widertpnteh"  (s.  d.)  in  das  8ein  selbst 
Die  Natur  (s.  d.)  ist  ihm,  der  Idee  (s.  d.)  gegenüber,  ein  blofi  „Negative^',  nicht 
an  und  für  sich  Seiendes,  absolut  Wahres,  Ewiges.  8chopbnhaüeb  lehrt  die 
Notwendigkeit  der  „  Verneinung"  des  „  Wülen  xum  Leben"  (s.  Pessimismus). 

Nach  Chb.  Krause  setzt  der  Gedanke  der  „Neinheit^*  die  Bejahung  voraus 
(Vorles.  üb.  d.  8yst  8.  175,  267).  Bolzako  spricht  von  „verneinenden  Vor- 
Stellungen^'  von  zweierlei  Art:  a.  „Nicht-Ä"  —  Verneinung  ohne  Forderung  des 
Denkens  einer  andern  Vorstellung  („rein  oder  durchaus  verneinend") ;  b.  A,  das 
nicht  B  ist  (Wissensch.  I,  415  ff.,  §  89).  Nach  W.  Bo8E2<rKRANTZ  besteht  die 
negative  Bestimmung  des  Seienden  „immer  in  der  Ausschließung  von  bestimmten 
PrädiecUeny  von  welchen  ein  Seiendes  nur  durch  ein  anderes  Seiendes  ausge- 
schlössen  wenien  kann.  Auf  einer  solchen  Ausschließung  beruhen  alle  Ver- 
schiedenheiten der  endliehen  Dinget'  (Wissensch.  d.  Wiss.  I,  135;  II,  211  f.). 
„Die  reine  Verneinung  .  .  .  findet  sieh  nur  im  Denken  und  auch  hier  nie 
selbständig^  sondern  immer  nur  als  eontradietorisohes  Oegenteil  einer  B^'ahung^* 
(ib.).  Letzteres  behauptet  auch  W.  Hamiltok  (Lect  on  Met  III,  253).  Haoe- 
MANN  erklärt:  „Alle  Negation  ist  .  .  .  ursprünglich  Affirmation  eines  Anders- 
sein**  (Met*,  8.  13).  FoRTliAOE  bestimmt  die  Negation,  wie  die  Bejahung  (s.  d.), 
als  „Triebkategorie",  als  einen  Begriff,  „welcher  bexetchnet,  daß  mit  einem  ge- 
gebenen bestimmten  Vorstellungsinhalte  irgend  ein  anderer  nicht  übereinstimme, 
ohne  daß  damit  über  die  Natur  des  Widerstreitenden  irgend  etwas  ausgesprochen 
würdet'  (PsychoL  I,  §  10,  8.  91).  Volkmann  leitet  das  Bewußtsein  einer 
Vemeinimg  aus  der  Hemmung  einer  Vorstellung  durch  andere  ab  (Lehrb.  d. 
PsychoL  11^,  338).  Tendelenburo  betont:  „Jkfe  Verneinung  muß  sich  .  .  . 
in  ihrem  Gründe  als  die  ausschließende,  xurücktreibende  Eraft  einer  Blähung 
darstellen"  (Log.  Unt  II,  147  f.).  Nach  Siowabt  richtet  sich  die  Negation 
gegen  den  Versuch  einer  Synthese  im  Urteil  (Log.  I^  8.  150);  sie  ist  „ein 
Urteil  über  ein  Urteil",  das  nicht  vollzogen  werden  darf  (1.  c.  S.  123),  ist 
„unbestimmte  Disjunction"  (1.  c.  B.  191).  Nach  W.  Jerusalem  ist  die  Negation 
„nichts  anderes  als  der  sprachliche  Ausdruck  für  die  Zurückweisung  eines  Urteils**. 
,ffede  Verneinung  setxt  ein  blähendes  Urteil  voraus.  Nur  ein  Urteil  kann  ver- 
warfen toerden,  nickt  aber,  wie  Brentano  will,  eine  Vorstellung"  (Urteilsfunct 
8.  183j.  Nach  H.  Cohen  ist  die  Negation  nicht  ein  Urteil  über  ein  Urteil, 
sondern  „ein  Urteil  vor  dem  Urteil"  (Log.  8.  88).  Die  selbständige  Leistung 
der  Verneinung  als  „abdicatio"  ist  zu  betonen.  Das  „Nicht*  spricht  die  „  Ver- 
niehtungs-Instanx"  des  Urteils  aus.  „Sicherung  der  Identität  gegen  die  Gefahr 
des  Non-  A,  das  ist  der  Sinn  der  Verneinung"  (1.  c.  8.  89  f.).  Nach  Wundt 
ist  die  Vemeinimg  keine  selbständige  Urteilsform,  sondern  „es  betätigt  sieh  in 
ihr  lediglich  die  aus  der  willkürlichen  und  selbstbewußten  Natur  des  Denkens 
entspringende  Fähigkeit,  irgendtcie  äußerlich  dargebotene  Urteile  nicht  zu  wollen^* 
(Syst  d.  Philos.*,  8.  59).  ,J)ie  Verneinung  ist  erst  eine  seeundäre  Function  des 
Denkens,  welche  die  Fxistenx  positiver  Urteile  voraussetzt**  (Log.  I,  187).  Aber 
das  negative  Urteil  hat  „nicht  die  Function,  einen  Irrtum  abzuwehren,  sondern 
es  verfolgt  den  positiven  Zweck,  einen  Begriff,  wenn  von  ihm  ein  bestimmtes 
Verhältnis  xu  einem  andern  Begriff  nicht  ausgesagt  tverden  kann,  so  weit  zu 
bestimmen,  als  dies  auf  dem  Wege  der  Ausschließung  möglieh  ist"  (1.  c.  I,  190). 


726  Negation  —  NegatiTiBmiu. 

yjWohl  gibt  es  auch  solche  negierende  Urteüef  bei  denen  die  Verneinung  nur  dm 
Zweck  der  Abtoehr  eines  Irrtums  hat,  aber  gereute  diese  Fäüe  der  Vemeimmg 
sind  von  untergeordneter  Wichtigkeit  (1.  c.  S.  191).  Ee  gibt  ein  ,^negativ  präd»- 
eierendes'^  Urteil  und  ein  ,yVemeinendes  Trennungsurteü^^.  EiBteres  dient  der 
Unterscheidung  und  Begrenzung  der  Begriffe;  die  Negation  haftet  hier  don 
Prädicate  an.  Das  Trennungsurteil  will  hervorheben,  daß  die  Bcigriffe  dispiiiit 
sind;  die  Negation  bezieht  sich  hier  auf  die  Copula  (1.  c.  B.  192  ff.).  Nach 
B.  Ebdmann  wird  im  negativen  Urteil  „6^  Fehlen  der  Immanenx  des  Ver- 
neinten^^ ausgesagt,  behauptet  (Log.  I,  3«54).  Die  Verneinung  ist  Leistung  des 
beziehenden  Denkens  (1.  c.  8.  360).  Schuppe  erklart:  „Die  Unterscheidung  ist 
Negation  .  .  .  Die  Negation  ist  so  undefinierbar  wie  die  Position;  sie  sind  die 
Voraussetzung  jeder  Definition'*  (Log.  S.  39).  „Reine  Negation,  d,  h.  solche, 
welche  nicht  Unterscheidung  eines  Positiven  von  einem  andern  wäre,  gibt  et 
nicht"  (1.  c.  S.  41  f.).  „Beim  negativen  Urteil  wird  ein  gemeinter  DeHemdrutk 
von  der  Prädicatsvorsteüung  unterschieden"  (1.  c.  S.  41).  E.  v.  HABTMAinr 
bestimmt:  „Das  Nicht  ist  die  explicite  Beziehung  der  Verschiedenheit  ohne  ROek- 
sieht  auf  die  positive  Bestimmtheit,  die  dem  als  verschieden  Oonstatierten  tu- 
kommt"  (Kategorienl.  S.  211).  ,ßie  Negation  im  urteil  ist  .  ,  .  nur  ffme 
Tätigkeit  des  discursiven  Denkens,  die  daxu  dienen  soU,  eine  etwaige  verkehrte 
Denktätigkeit  xu  berichtigen,  oder  ihr  vorzubeugen.  Diejenige  Negation,  welehi 
eine  Realopposition,  einen  dynamischen  Widerstreit  und  sein  Ergebnis,  die 
gegenseitige  Aufhebung  der  intendierten  Aetion  im  Bewußtsein  widerspiegelt,  ist 
keine  bloße  Abwehr  eines  falschen  Denkens,  sondern  der  Vorstdhmgsrepräsenttmt 
einer  realen  GoUision  und  Paralysierung  der  Aetion"  (L  c.  S.  212  f.).  — 
F.  Brkntaäo  erblickt  im  Verneinen  („Verwerfen")  eine  „ebenso  besondere 
Function  des  UrteUens  .  .  .  une  das  Annehmen  oder  Zusprechen"  (Vom  Unpr. 
sittL  Erk.  S.  74).  —  Vgl  J.  G.  TiTiUS,  Ars  cogitandi  1702,  S.  97,  Chaly- 
BAEU8  Wissenschaftslehre  8.  1(X)  ff.,  sowie  andere  Lehrbücher  der  Logik  (s.  d.). 
Vgl.  Negativ,  Dialektik,  Determination  (Spinoza),  Limitation,  Widersprach, 
Gregensatz,  Position. 

Nei^atlTe  (unbewußte)  ümpllndiiiii^eii  nennt  F£Ch:!7EB  die 
Correlate  zu  den  unterschwelligen  Beizen.  Der  Grad  ihrer  Unbewufitheit  hangt 
ab  von  der  Entfernung  der  ihnen  entsprechenden  Beize  von  der  Schwelle  (Elem. 
d.  Psychophys.  II,  416  f.,  439).  Gegen  die  Annahme  der  negativen  Empfin- 
dungen erklären  sich  HoRWicz  (Psychol.  Analys.  II  2,  20  ff.),  E.  v.  Habt- 
MANN  (Mod.  Psychol.  S.  75;  Philos.  d.  Unbew.  I",  16,  32,  106)  u.  a.  Für  die 
Annahme  ist  u.  a.  Wtjndt  (Grdz.  d.  phys.  PsychoL  I*,  384). 

Negative  Gr8ße  ist,  nach  TCant,  jede  Größe  in  Ansehung  einer  andern, 
„insofern  sie  mit  ihr  nicht  anders,  als  durch  die  Bnigegenseixung  kann  tu- 
sammengenommen  werden,  nämlich  so,  daß  eine  in  der  andern,  soviel  ihr  glei^ 
ist,  aufhebt"  (Vers.,  den  Begr.  d.  negat  Groß,  in  d.  Weltweish.  einzuf.,  1.  Ahschn., 
S.  28).    Hier  ist  die  reale  Opposition  enthalten  (1.  c.  S.  29). 

Nei^ative  Merkmales  Merkmale  die  im  Mangel  von  Eigenschaftoi 
bestehen.    Vgl.  Sigwart,  Log.  I*,  359,  365 ;  II»,  224. 

Negative  PiilloBoplile  s.  Philosophie  (Schelling). 

NegatlTe  Tbeologle  s.  Theologie. 

Nec^allvlsmas:  der  Zustand  des  Hypnotisierten,  in  welchem  er  jeder 


Negativittniu  —  Ifeigniif .  727 

Aufforderung,  eine  Bewegung  auszuführen,  zuwider,  regungslos  bleibt.  Be- 
wegungsnegativismus  besteht  in  Ausführung  der  der  befohlenen  entgegen- 
gesetzten Bewegung  (vgL  Hellpach,  Grenzwiss.  d.  Psych.  8.  337,  340). 

Nei^atlvltilts  das  Moment  der  Negation  (s.  d.). 

Nelf^nng  (inclinatio,  impulsus)  ist  ein  bestimmter  Grad  der  Disposition 
zu  Willenshandlungen,  zu  Begehrungen;  ein  noch  höherer  Grad  ist  der  Hang 
(propensio,  penchant). 

Thomas  Aqttinas  erklärt:  „Omnis  inclinoHo  est  cui  simüe  et  oonveniens" 
(Sum.  th.  II,  8,  1).  Chr.  Wolf  definiert:  ^yDeterminatio  generalis  appeHtus  ad 
aliquid  appetendum  dtciiur  inelinaiit/*  (Philos.  pract.  II,  §  985).  Über  die 
Bildung  der  Neigungen  handelt  Ck>CHiüS  (Unters,  üb.  d.  Neigungen  1769). 
Nach  Gabye  besteht  die  Neigung  in  einer  Fähigkeit,  Begierden  zu  bekonunen 
(Ob.  d.  Neigungen  S.  98).  Die  „neUürlicßien"  Neigungen  haben  ihren  Grund 
in  der  Beschaffenheit  der  Seele  (1.  c.  S.  101).  Nach  Fedek  ist  Neigung  „eine 
innere^  Bestirmnung  xu  einer  geunseen  Art  des  WolienS^'  (^g*  u-  ^^^  3.  324). 
Platneb  bestimmt  die  Neigung  als  ^,Eiehtung  des  WiUensvermögens  auf  Gat- 
tungen des  Vergnügens^^  (Philos.  Aphor.  II,  461).  Kakt  definiert:  ,fDie  dem 
Subject  Mir  Regel  (Oewohnheit)  dienende  sinnliche  Begierde  heißt  Neigung 
(Anthropol.  §  78).  „Z>»e  subjeetive  Möglichkeü  der  Entstehung  einer  gewissen 
Begierde^  die  vor  der  Vorstellung  ihres  Gegenstandes  vorhergeht^  ist  der  Hang" 
<ib.).  „Hang  ist  eigentlich  nur  die  Prädisposition  xum  Begehren  eines  Ge- 
nusses,  der,  wenn  das  Subject  die  Erfahrung  davon  gemacht  haben  wird,  Neigung 
daxu  hervorbringt*  (Belig.  S.  28).  Der  Mensch  hat  einen  (angeborenen)  „Hang 
xum  Bösen"  (L  c.  S.  27  ff.).  Nach  E.  Schmid  ist  die  Neigung  „fias  Verhältnis 
des  Begehrungsvermögens  xu  einer  wirkliehen  Begierde"  (Empir.  PsychoL  S.  351). 
Nach  Krvq  ist  die  Neigung  eine  Richtung  des  Triebes.  Eine  herrschende 
Neigung  ist  ein  Hang,  eine  Sucht  (Handb.  d.  Philos.  I,  60).  Auf  Gewohnheit 
führt  Neigung*  und  Hang  Frieb  zurück  (Handb.  d.  psych.  Anthropol.  §  64). 
Ähnlich  J.  Salat  (Lehrb.  d.  höh.  Seelenk.  S.  241).  G.  E.  Schulze  bestimmt: 
^yDas  durch  Öftere  Befriedigung  einer  Begierde  xur  Gewohnfieä  gewordene  Begehren 
macht  eine  Neigung  aus,  wovon  der  Hang  ein  stärkerer  Grad  isf^  (Psych. 
Anthropol  S.  426).    Vgl.  Bitjnde,  Emp.  PsychoL  II,  340  ff. 

Nach  der  HEOELschen  Psychologie  ist  die  Neigung  eine  auf  Erhaltung 
des  Objectes  hingehende,  constante  „Wiüensrichhmg^*  (vgl.  Daub,  Anthropol. 
325  ff.,  358;  J.  E.  Erdmank,  Grundr.  §  141).  Nach  K.  Bosenkrakz  ist  der 
Hang  ,^ne  bleibende  Tendenx  des  Trieben",  Die  Neigung  ist  „die  eoncrete 
Bestimmtheit  des  Hanges"  (PsychoL*,  S.  429  ff.).  Herbakt  versteht  unter 
Neigungen  „diejenigen  dauernden  Gemütslagen,  weiche  der  Entstehtmg  gewisser 
Arten  von  Begierden  günstig  sind",  Sie  sind  „großenteils  Folgen  der  Gewohn- 
heit, die  aus  dem  Vorstellungsvermögen  hierher  ins  Begehrungsvermögen  herüber- 
xureichen  seheint"  (Lehrb.  zur  PsychoL»,  S.  81).  Nach  Volkmann  ist  die 
Neigung  eine  „ruhende  Disposition  xu  Begehrungen  eifier  bestimmten  Art,  soiceit 
sie  in  erworbenen  Vorsiellungsverhälinissen  begründet  ist".  Sie  wird  zum  Hang, 
„wo  sie  xu  einem  besonders  hohen  Grade  angewachsen  ist"  (Lehrb.  d.  PsychoL 
11^,  415  f.).  Nach  G.  A.  Ljndneb  ist  die  Neigung  „eine  Disposition  xu  eifiem 
bestimmten  Begehren  oder  Verabscheuen  und  äußert  sich  deshalb  in  käufig  wieder- 
kehrenden Begehrungen  derselben  Arf*,  Die  Neigungen  haben  etwas  Wandel- 
bares in  sich.     „  Wenn  eine  Begierde  öfter  im  Bewußtsein  da  war,  wird  sie  xur 


728  Ifeigong  —  Neovitoltomna. 

Oetcohnheit  und  erxeugt  die  Neigung"  nWo  die  Naturanlage  einer  Neigung 
günstig  oder  wo  sie  durch  lang  gepflogene  Qewohnheiten  mit  uns  gleieksam  auf- 
gewachsen ist,  da  wird  sie  xum  Hange,  Dieser  ist  ein  so  starker  Orad  der 
Neigung,  daß  er  wie  ein  Trieb  wirkt"  (Lehrb.  d.  empir.  Psycho!.*,  8.  203  f.). 
Nach  G.  ßcHiLLiNa  liegt,  wo  uns  Tätigkeiten  leicht  faUen,  ein  gewisser  Anreiz 
sich  ihnen  hinzugeben,  den  man  Neigung^  Hang,  Sucht  nennt  (Lehrb.  d.  PisychoL 
8. 85).  —  Nach  Chb.  Krause  ist  die  Neigung  eine  ,jbestimmte  Richtung  der  TStig- 
keü  auf  das  Ersehnte,  woxu  ich  mich  getrieben  fühUf\  „Neigung  des  Qemütet*^ 
ist  „ein  bestimmtes  be/ahiges  Gefühl  für  das,  welches  der  Gegenstand  der  Be- 
trachtung ist"  (Vorles.  üb.  d.  Syst  d.  Phüos.  304). 

Beneke  erklart  die  Neigung  als  „e»n  mehr  oder  weniger  vielfaches  Aggregat 
von  Schätxungs-fSteigerungS',  Herabstimmungs-J  und  Begehrungsanlagen"  (SitteoL 
I,  134}.  Es  gibt  keine  angeborenen  Neigungen,  wohl  aber  unmittdbare  und 
mittelbare  Neigungen  (1.  c.  S.  140).  „Neigungen  xu  psychischer  Erregung^^  sind 
besonders  wichtig  (1.  c.  8.  165  ff.).  Neigung,  Hang  ist  ein  „Oesamigdnkie 
(Aggregat)  von  Angelegtheiten  für  Lustempfindung en  (Schätzungen)  und 
für  Begehrungen"  (Lehrb.  d.  Psycho!.«,  §  175  ff;  vgl  Psychol.  Sldzz.  II,  213  ff., 
312  ff.;  Pragm.  PsychoL  I,  63  ff.,  206  ff.).  Nach  v.  Kibchmann  sind  die 
Neigungen  „eine  gesteigerte  Empßnglichkeit  für  bestimmte  Ursachen  der  Lust^ 
(Grundbegr.  d.  Hechts  u.  d.  Moral  8.  41).  Nach  Sülly  sind  Neigungoi 
dauernde  Gemütsdispoeitionen  (Handb.  d.  PsychoL  8.  323;  Hum.  Mind  II,  C. 
13—14;  vgL  Stout,  Anal.  PsychoL  II,  C.  12;  Jameb,  Princ,  of  PsychoL  C.  24; 
TiTCHENEB,  OutL  of  PsychoL  C.  9).  Ldpps  nennt  Neigung  ,/ias  subfeetuf  fc- 
dingte  Wollen"  (Eth.  Grundfr.  8.  129).  Nach  Hageicakn  ist  Neigung  „dos  auf 
besondere  sinnliche  oder  geistige  Gebiete  gerichtete  Streben"  (Psycho!-*,  8.  114). 
Nach  P.  Janet  sind  die  Neigungen  und  Hänge  („indinations  et  penehwnit^) 
„des  tendances  qui  poussent  ä  l'action"  (Princ.  de  m^t  I,  472  ü.,  479).  Die 
Neigung  ist  eine  Manifestation  „de  foree  et  d'activite"  (1.  c.  p.  480).  Die  Nä- 
gungen  inhärieren  der  Seele,  „ils  soni  anterieurs  et  postSrieurs  äu  plaisir  et  a 
la  douleur"  (1.  c.  p.  479;  vgL  Ribot,  PsychoL  des  sentim.). 

NeofiehteanlsmaB:  Erneuerung  des  J.  G.  Fichtesch^i  (besond^s  des 
ethischen)  Idealismus  (J.  Bergmann,  Schuppe,  Eehmke,  K  Euckek,  auch 
Windelband,  Rigkeet,  Münsterberq). 

Neoliegeliaiilsmii8:  Erneuerung  des  H^elschen  Panlogismus  (s.  d.) 
in  modificierter  Form:  Monbad,  J.  L.  Heibeeg,  P.  M.  Mölleb,  K  Nielben, 
BoBELius,  Veba,  Spaventa,  C.  S.  Everett  (Science  of  Hiought  1869), 
B.  Stebrett  (The  Ethics  of  Hegel  1893),  J.  Watson  (An  Outline  of  Philoeophy 
1898) ;  J.  Royce  (The  World  and  the  Individual  1900),  Strachow,  Gogozeü, 

B.  CZIGZERIN  u.  a. 

Neobomisnilis:  die  Erneuerung  des  empirischen  IdeaUsmus  und  Positi- 
vismus  (s.  d.)  Humes.  J.  St.  Mill,  E.  Laas^  ein  Teil  der  Immanenzphilo- 
sophie (s.  d.),  E.  Mach  u.  a. 

Neokantlanlsnias  u.  Neokriticismus  s.  Kantianismua,  Kriticismos. 

Neosebolastlk  s.  Scholastik. 

NeospinoBlBmoB  s.  Spinozismus. 

H'eotlioiiiismiis  s.  Thomismus. 

NeoTitalismiui  s.  Vitalismus. 


lYervengeister  --  Nenrodamamisoh.  729 

UrerFenceteter  s.  Lebensgeister,  Spiritus. 

Nerrensycitein  ist  die  Einheit  von  Neuronen  (s.  d.),  Nervenzellen,  Nerven^ 
fasern.  Das  Centralnervensystem  ist,  empirisch,  der  „Sitx'%  das  Correlat 
der  psychischen  Vorgänge.  Das  Nervensystem  dient  dem  Verkehre  des  Orga- 
nismus mit  der  Außenwelt;  es  hat  sich  in  Anpassung  an  die  Beize  der  Objecte 
entwickelt,  aus  der  äußeren  Schicht  (dem  „Ectoderm")  des  primitiven  Metazoon 
differenziert.  Das  Nervengewebe  besteht  aus  den  Nervenzellen  (Ganglien), 
welche  Empfangs-,  Sammel-  und  Verarbeitungsstätten  für  die  ankommenden 
Beize  sind,  und  aus  den  Nervenfasern,  welche  die  Beize  (isoliert)  leiten. 
Zum  centralen  Nervensystem  gehört  das  Gehirn,  das  verlängerte  Mark  (medulla 
oblongata)  und  das  Bückenmark;  zum  peripherischen  Nervensystem  gehören 
die  Nerven;  das  „sympctthische^*  System  hat  seinen  Sitz  im  Unterleibe.  Es  gibt 
centripetal  und  centrifugal  leitende,  sensorische  (Empfindungs-)  und  motorische 
(auch  vasomotorische,  secretorische)  Nerven,  die  sich  nicht  qualitativ-anatomisch, 
sondern  nur  functionell,  durch  die  verschiedene  Endung  (Sinneswerkzeuge, 
Muskeln)  unterscheiden.  Das  Gehirn  besteht  aus  dem  Großhirn,  dem  Zwischra- 
him,  Mittelhim,  Hinterhim,  Nachhim,  dem  Kleinhirn,  der  Brücke,  dem  Him- 
Bchenkel.  Das  in  zwei  Hemisphären  gegliederte  Großhirn  besteht  aus  der 
grauen  und  der  weißen  Substanz ;  erstere,  besonders  die  Großhirnrinde  bildend, 
besteht  aus  Ganglien,  letztere  aus  Nervenfasern.  Zahlreiche  Windungen  und 
Fm-chen  durchziehen  die  Hirnrinde;  ihre  Zahl  steht  zur  Höhe  der  geistigen 
Entwicklung  in  Beziehung.  Sensorische  und  motorische  Bindenfelder  sind  zu 
unterscheiden  (s.  Localisation).  Das  Kleinhirn  scheint  vorwiegend  ein  Lenkungs- 
apparat für  Bewegungen  zu  sein.  Das  Bückenmark  besteht  aus  dem  „Käqser" 
lind  den  Nervenwurzeln  (s.  BELLsches  Gesetz).  Das  Nervengewebe  ist  der  Sitz 
complicierter  chemischer  Processe;  die  Nerven  sind  elektrisch  durchströmt 
(düBois-Reymond;  vgL  schon  Cabanis).  Vgl.  Localisation,  Beiz,  Empfindung, 
Energie  (specifische). 

Nerwus  probandi:  der  eigentliche,  überzeugendste  Beweisgrund. 

NenkantlaiilBnias  s.  Kantianismus. 

NenmaterlaUamas  heißt  der  psychophysische  Materialismus  (s.  d.). 

Nenplatoniker  sind  diejenigen  Philosophen,  welche  Lehren  Platos 
und  anderer  griechischer  Philosophen  (Pythagoreer,  Stoiker  u.  a.)  mit  orienta- 
lischen Ideen  verbinden.  Ihre  Lehre  ist  Mystik  (s.  d.),  Emanationslehre  (s.  d.), 
Theosophie  (s.  d.).  Zu  ihnen  gehören:  Ammonius  Sakkas,  Plotin,  Porphyr, 
Jamblich,  Proklu8,  Synesiub,  Nemgsius,  Aeneas  von  Gaza,  Joh.  Philo- 
P0NÜ8,  D10NY8IU8  Areopagita.  Vom  Neuplatonismus  beeinflußt  sind  ver- 
schiedene andere  Philosophen,  wie  Joh.  Scotus  Eriugena,  die  Mystiker 
(8.  d.),  die  Kabbalä,  jüdische  und  arabische  Philosophen  des  Mittelalters 
n.  a.    VgL  Einheit,  Emanation,  Gott,  Geist,  Intelligibel  u.  s.  w. 

Nenpytlias^oreer  sind  die  Erneuerer  und  (unter  dem  Einflüsse  orienta- 
lischer Ideen)  Umbilder  der  pythagoreischen  (s.  d.)  Zahlen-Mystik:  Nigidiüs 

FIGÜLÜ8,    MODERATUS,    ApOLLONIüS  VON  TyANA,    NiCOMACHUS,  NüMENIü8. 

VgL  ZahL 

Neiirodyiiailiiseli  ist  die  directe  Wechselbeziehung  verschiedener  Ge- 
himteile,  welche  vermutlich  darauf  beruht,   ^fdaß  die  durch  die   Functions' 


730  Neurodynamlsoh  —  Nichts. 

hemmung  angehäufte  Energie  durch  die  nervösen  Verbindungen  nach  andern 
Centredgebieten  abfließt^*,  während  die  vasomotorische,  indirecte  Wecfasd- 
beziebung  darauf  beruht,  ,ydaß  eine  Functionshemmung  von  Vererkgerung  der 
kleinsten  Blutgefäße  und  diese  von  compensatoriseher  Enceüerung  der  Geßße 
anderer  OebietSy  der  erhöhte  Bluixufluß  aber  wieder  von  Funetionssteigerung  be- 
gleitet ist*'  (WuNDT,  Gr.  d.  Psychol.»,  S.  333). 

Nenronentheorie  besteht,  nach  Hellpagh,  in  folgendem:  y,hde 
Nervenzelle  entsendet  xweierlei  Fortsätxs:  einmal  eine  größere  oder  geringere 
Änxahl  von  kurzen^  dicken  Ausläufern  y  die  an  ihrem  Ende  sieh  baumartig  ver- 
ästeln: die  Dendriten;  cUmn  aber  einen  dünnen  Faden  von  zumeist  längerem 
Verlaufe,  der  ebenfalls  mit  einer  Aufsplittervng  endet :  den  Neurit  oder  Nerven- 
fortsatx^^;  „niemals  kommt  es  vor,  daß  der  Neurit  oder  Dendrit  einer  ZelU 
direet  mit  dem  Neuriten  oder  mit  Dendriten  einer  andern  versckmilxt.  Jede 
Nervenzelle  bildet  vielmehr  mit  ihrem  Neuriten  und  ihren  Dendriten  eine  in  siek 
abgeschlossene  Einheit."  Diese  ist  das  Neuron.  „Unser  ganzes  Nervensystem 
baut  sich  aus  zahlreichen  Neuronen  auf,  die  miteinander  nur  durch  Berührung^ 
durch  Contaet,  in  Verbindung  stehen,  ohne  jemals  ineinander  überzugehen 
(Grenzwiss.  d.  Psychol.  S.  31).  Der  Neurit  heißt,  soweit  er  sich  aus  „Primitiv- 
fibrillen"  aufbaut,  „Achseneylinder^^  Nach  dem  Austritt  aus  der  Zelle  hat  er 
meist  eine  Hülle,  die  „Markscheide"  (ib.). 

Nexus  s.  Verknüpfung. 

NJ^ja  s.  Nyaya. 

Nicht-Ichs  so  nennt  J.  G.  Fichte  die  Außenwelt    VgL  Object. 

Nichts  (nihU,  /irj  or,  non  ens)  ist  das  contradictorische  Gegenteil  des 
Etwas,  das  Nicht-Etwas,  der  Ausdruck  der  Verneinung,  N^ation  (s.  d.)  aller 
Merkmale,  event.  auch  des  Merkmals  des  Seins  (absolutes  Nichts).  „Aus  mehU 
wird  nichts":  Grundsatz  der  Causalität  (s.  d.).  Die  „Schöpfung  (s,  d.)  ans 
nichts"  bedeutet  die  Unabhängigkeit  des  göttlichen  Schaffens  von  einer  außer 
Grott  vorhandenen  Wesenheit 

Der  theoretische  Nihilismus  ^s.  d.)  des  Gorgias  erklart:  ovx  iariv,  es  ist  nichts 
(in  Wahrheit).  Ein  relatives  Nichts  (ji^  6v)  ist  nach  Plato  (und  Plotin)  die 
Materie  (s.  d.).  Das  Nichtsein  (/irj  elvai,  fttj  6v)  bedeutet  das  Anderssein  als 
das  Sein  (Sophist.  257  B,  258  B).  —  Das  Nichts,  aus  dem  nach  der  Lehre  der 
Heiligen  Schrift  Gott  die  Welt  geschaffen  (vgl.  Augustinus,  De  civ.  Dci  XIL 
2),  ist  nach  SooTUS  Eriugena  das  eigene  Wesen  Gottes  (De  div.  nat  III,  19; 
21).  „Ex  igiiur  nomine  q.  e,  nihilum,  negaiio  atque  absentia  totius  essentiae  vd 
subsiantiae,  immo  etiam  cunetorum,  quae  in  natura  ereata  sunt,  insinutmtuf 
(L  c.  III,  5).  Frbdegisus  erklart,  das  „Nichts"  sei,  da  jeder  Name  etwas  be- 
zeichne, ein  Etwas  (Migne,  Patrol.  T.  105,  p.  752).  Ähnlich  lehnen  die  Mota- 
ziliten.  Absolutes  und  relatives  Nichts  unterscheidet  DüKS  Sgotus.  Als  das 
Nichts  wird  Grott  (s.  d.)  von  der  Kabbalä  bezeichnet  (s.  Ensoph).  Nach 
Eckhart  war  das  Nichts  eher  als  das  „Ichts",  sich  selber  unbekannt  (Deatscfae 
Myst  II) ;  im  Verhältnisse  zu  Gott  sind  die  Einzeldinge  nichts.  —  Nach  Civ- 
FAN  ELLA  besteht  jedes  endliche  Wesen  aus  Sein  und  Nichtsein ;  Gott  ist  Über- 
seiendes,  nichts  von  allem  Endlichen.  Jedes  Ding  ist  „compositio  eniis  H 
non-entis"  (Univ.  philos.  II,  6).  R.  Fludd  nennt  die  formlose  Materie  ein 
Nichts  (Philos.  Mos.  I,  3,  2).  —  Erh.  Weigel  erklart  das  Nichts  als  „id,  quod 


l^iohts  —  ITihiUsmiu.  731 


^ogitamus,  quando  plane  nan  eogttamua"  (Philos.  math.  sct.  I,  def.  2).  Chb. 
Wolf  definiert:  „Was  weder  ist,  noch  möglich  ist,  nennet  man  niehts^^  (Vem. 
€red.  I,  §  28).  „Nihilum  dtctmuSy  eui  nulla  respondet  notio^*  (Philos.  rat). 
Nach  BoüTEBWEK  erzeugt  das  Denken  das  „reine  Niehis^^,  wenn  es  von  allen 
Gegenständen  der  Sinne  abstrahiert  (Lehrb.  d.  philos.  Wissensch.  I,  101). 

Xach  ScHELiii9^G  wird  das  Absolute  zuerst  als  nichts,  als  ohne  gegenständ- 
liches Sein,  als  reine  Wesenheit  gedacht  (WW.  I  10,  100).  Hegel  behauptet  die 
inhaltliche  Einerleiheit  des  reinen  Seins  (s.  d.)  und  seines  (Gegensatzes,  des  Nichts; 
beide  sind  „reine  ÄbstraeOan,  damit  das  Absolut^Negative^*,  Das  reine  Sein  ist 
das  Nichts  wegen  seiner  „reinen  Unbestimmtheit^*  (EncykL  §  87).  Aus  diesem 
Nichts  des  reinen  Seins  geht  dialektisch  (s.  d.)  die  Welt  henror.  L.  Feuebbach 
erklärt:  „Das  Nichts  ist  das  cibsoltU  Gedanken-  und  VemunfUose.  Das  Nichts 
kann  gar  nicht  gedacht  werden**  (WW.  II,  223).  yfier  Öegensatx  des  (allgemeinen) 
Seitis  .  .  ,  ist  nicht  das  Nichts,  sondern  das  sinnliehe,  canerete  Sein**  (L  c. 
8.  206).  Haobmann  erklärt:  „Der  Begriff  des  Nichts  setxt  .  .  .  den  des  Seins 
voraus  und  ist  nur  als  Öegensatx  zu  diesem  denkbar.  Beide  Begriffe  kommen 
aber  darin  überein,  daß  sie  ohne  alle  Bestimmtheit  sind**  (Met*,  S.  13).  „Nicht- 
dasein**  ist  ,^n  bestimmtes  Sein,  welches  unabhängig  vom  Denken  nicht  wirklich 
ist,  aber  als  solches  gedacht  und  erkannt  wird,  das  existieren  kann**  (L  c.  S.  14). 
Nach  TwABDOWSKY  ist  das  „Nichts**  ein  synkategorematischer  (s.  d.)  Ausdruck, 
es  bedeutet  keine  Vorstellung  (Inh.  u.  Gegenst  d.  VorstelL  S.  35).  Nach 
H.  Cohen  ist  der  Begriff  des  Nichts  nicht  ein  Correlatbegriff  zum  Sein,  sondern 
nur  ein  Durchgang  zum  Sein  (Log.  S.  77).    VgL  Sein. 

Nlclit  BU  nnierselieldendeii«  Säte  des,  s.  Identitatis  principium. 
Nlliil  est  in  InteUeeta  s.  Sensualismus. 

Nihfl  ex  nlhilo  s.  Causalität  VgL  Thomas  (Sum.  th.  I,  45,  2  ad  1; 
der  Satz  gilt  nicht  für  die  transcendente  Ursache:  Contr.  gent  II,  10;  16;  37).  Den 
Satz,  daß  aus  nichts  nichts  wird,  bestreitet  Hegel  (Log.  I,  89,  104).   Vgl.  Nichts. 

NihUi  nulla  sunt  praedicata:  das  Nichts  hat  keine  Merkmale,  vom 
Nichts  kann  nichts  ausgesagt  werden  (Chb.  Wolf,  Ontolog.  §  67). 

NihUlsinass  Vemeinungs-Standpunkt  Der  theoretische  Nihilismus 
leugnet  jede  &kenntnismöglichkeit,  jede  allgemeine,  feste  Wahrheit  (erkenntnis- 
theoretischer Nihil.),  jede  Realität  der  Außenwelt  ak  solcher,  der  Vielheit  der 
Dinge  (metaphysischer  NihiL).  Der  ethische  Nihilismus  erkennt  keine  ab- 
soluten Werte  und  Normen  des  Handelns  an.  Das  Wort  „Nihilismus**  kommt 
schon  bei  Jacobi  (für  Solipsismus,  s.  d.)  vor;  im  praktischen  Sinne  „Nihilist** 
bei  Turgenjew  (Väter  u.  Söhne). 

Nach  dem  Sophisten  Gorglas  ist  nichts  {ovx  ianv),  ist  kein  Sein.  Wäre 
aber  selbst  ein  Sein,  so  wäre  es  nicht  erkennbar  {dyvojarov  xal  dvaniv6r]Tov), 
wenn  selbst  erkennbar,  so  nicht  mitteilbar,  wegen  der  Subjectivität  der  Sprache 
(Sext  Empir.  adv.  Math.  VII,  65,  77  squ.).  —  Einen  erkenntnistheoretischen 
Nihilismus,  fiir  den  die  Welt  ein  Chaos  ohne  festes  Sein,  unsere  Erkenntnis 
rein  subjectiv  - anthropomorph  ist,  lehrt  (als  Durchgangstheorie)  Nietzsche 
(8.  Erkenntnis,  Wahrheit;  vgl.  WW.  XV).  Einen  „transcenderUen  Nihilismus** 
lehrt  P,  MoNORE,  der  keine  „wahref*  Welt  als  Urbild  der  „scheinbaren'*  an- 
nimmt (Das  Chaos  S.  188),  das  „schrankenlose  Chaos**  ist  die  Wirklichkeit 
(1.  c.  S.  188  ff.). 


732  Nirvana  —  Nomologle. 

Nirranas  nach  buddhistischer  Ansicht  der  Zustand  der  Erlösung 
von  der  Individualitat,  vom  eigenen  Wollen  und  der  Ichheit,  vom  Leiden  des 
Lebens,  von  der  Wiedergeburt  (^fParinirvana"). 

NoUma  (vort/ia,  notio):  Gedanke,  Begriff. 

NoSra  (voe^):  intelligible  (s.  d.)  Objecte,  tibersinnliche  Gegenstände  d» 
Denkens. 

NoSto  (voTjTd):  Gedachtes,  Denkobjecte.    VgL  Object 

NoStIk:  Begriffslehre  (bei  K.  Bobenk&akz,  Syst  d.  Wiss.  &  d8  fl); 
Denkgesetz-Lehre  {^yNoetie",  bei  W.  Hamilton,  Lect  on  Met  III,  5,  p.  72); 
Erkenntnislehre  (materiale  Logik)  (Gutberlet,  Log.  u.  Erk.*,  S.  3;  B.AQEUAJsns, 
Log.  u.  Noet*,  S.  115  ff.  u.  a.).    VgL  Erkenntnistheorie. 

NoStlseli:  zum  Denken,  Erkennen  gehörig,  denk-,  erkennbar.  Vgl 
Synthesis  (ötout). 

Xolitlo:  „Niektwollen^y  im  Gegensatz  zur  „volüio^^  Das  Nicht-Wollen 
als  nolitio  ist  nicht  das  absolute  Fehlen  des  Willens,  sondern  der  positive  Act 
des  Ablehnens  seitens  des  Willens. 

Nach  Thomas  Aquinas  ist  „nolle  fieri"  so  viel  wie  y,velle  non  fieri^ 
(1  sent  46,  1,  4  ad  2;  j^noluntas*' :  ßum.  th.  I.  II,  8,  1  ad  1).  Micbaelius 
bemerkt:  „Voluntatis  funetiones  sunt  veüe  et  nolle.  AUqui  tarnen  distinguunt 
inter  nolle  et  non  velle:  quasi  id  nolimus,  quod  impeditnus,  id  autem  non 
velinms,  quod  permittimus  cum  deiestaiione^'  (Lex.  philoe.  p.  1112).  Cha.  Wolf 
betont  gleichfalls :  „Nolitio  et  aversio  sensitiva  non  sunt  aetiones  privatitae,  sei 
positivae"  (Philos.  pract.  I,  §  38).  —  Nach  Pkeyer  ist  die  Noluntas  (Nolentift) 
ein  eigentümlicher  positiver  Erregungszustand  (6eele  d.  SJndL  8.  126).  BsNor- 
VIER  erklart,  die  „no/on^e*'  (das  „vouloir  ne  pcts'^  sei  „le  pouvoir  d'opposer  lai 
Veto  ä  Vacte  suggere,  ä  l'aete  reflexe  de  Vimagination  ou  du  disir*^  (MonadoL 
p.  231).  Nach  Sigwart  heißt  „noüe^^  y^einen  möglichen  Zweckgedanken  ver- 
neinen" (KL  Schrift  II«,  125).    Vgl.  Wille. 

Noluntas  s.  Nolitio,  WUle. 

Nomlnaldeflnitloii  ist  die  Angabe  der  Bedeutung  eines  W*ortes  durch 
Ausdruck  desselben  in  bekannten  Worten,  im  Unterschiede  von  der  Beal* 
definition,  welche  den  Begriff  inhaltlich  bestimmt  (s.  Definition).  —  Nach 
Herbart  erklären  die  Nominaldefinitionen  den  Sinn  eines  Wortes,  „^  lassen 
aber  zweifelhaft ,  ob  ein  solclies  Wort  mit  solchem  Sinn  überall  einen  tcissenr 
schaftlichen  Wert  habe".  Die  Bealdefinitionen  „entwickeln  die  Merkmaie  eines 
gültigen  Begriffs"  (Lehrb.  zur  Einl.»,  S.  83  f.). 

Nomlnallsiniis  (nomen,  Name)  heißt  diejenige  Bichtung  in  der  Theorie 
des  Allgemeinen  (s.  d.),  der  Universalien  (s.  d.),  nach  welcher  die  Allgemem- 
begriffe  (die  Begriffe  überhaupt)  keine  Existenz  außer  dem  Denken  besitzen, 
auch  Dicht  als  besondere  Inhalte  des  Denkens  bestehen  (s.  Ck)nceptualismus), 
sondern  nur  Namen,  Worte  („flatus  vocis")  sind.  —  „Täc  only  generality  possessing 
separate  existence  is  the  Nam^"  (Bain,  Ment  Scienc.  p.  179;  vgL  App.  p.  1  ÜX 
Vgl.  F.  Exner,  Nominal,  u.  Bealism.  1842;  H.  Spitzer,  NominaL  u.  Bealism.; 
K.  Grube,  Üb.  d.  NominaL  in  d.  neuem  engl.  u.  französ.  Philos.  1890.  Vgl.  Allgemein. 

Nomolosle  (v6/iog):  Geseteeslehre,  Lehre  von  den  Gresetzen  der  Encbei- 
nungen,  der  psychischen   Vorgänge  (W.  Hamilton).     Nomologisch  nennt 


Komologle  —  'Novtcl  733 


J.  y.  Kbies  „  UrteüsmhdUe,  die  den  gesetzmäßigen  Zusammenhang  des  Oesdiehens 
betreffen"  (Vierteljahrsschr.  f.  wiss.  Phllos.  12.  Bd.,  8.  181).  Nomologische 
Wissenschaften  sind  die  abstracten,  theoretischen  Wissenschaften  (1.  c.  16.  Bd., 
8.  255),  im  Unterschiede  von  den  ontologischen  (concreten)  Disciplinen. 
jyArUhmetisehe  Nomologuf*^  nennt  Hüsserl  die  allgemeine  Mathematik  (Log. 
ünt  I,  172). 

Non-A  s.  Widerspruch  (Satz  des). 

Hon  eansa  ut  causa:  Annahme  eines  falschen  Grundes. 

Hon-ensx  Nichtseiendes.  Non  entis  nulla  sunt  praedicata:  das 
Nichtseiende  hat  keine  Merkmale.  Non  entis  nulla  est  seien tia:  das 
Nichtseiende  ist  nicht  Gegenstand  des  Wissens.    Vgl.  Nichts. 

Hooloi^e  {voviy  Xoyoe) :  Geisteslehre  (bei  Cbusius  =  Psychologie).  Jetzt 
wird  das  Noologische  vom  Psychologischen  unterschieden;  jenes  bezieht  sich  auf 
den  concreten,  lebendigen,  activ-synthetischen  Geist,  auf  das  Geistige  als  Seins- 
princip.  Bo  scheidet  besonders  B.  Eucken  das  schaffende  Geistesleben  vom 
empirischen  Seelenleben,  in  jenem  ,yerfolgt  ein  Aufsteigen  der  Wirklichkeit  xu 
einer  innem  Einheit  und  xu  voller  Selbständigkeit^^  (Gesanmi.  Aufs.  8. 116).  Das 
„noologische  Verfahren"  muß  in  den  Geisteswissenschaften  angewandt  werden, 
€8  geht  nicht  auf  die  Psyche,  sondern  auf  das  Geistesleben  als  solches  (Elinh. 
d.  Geistesieb.  1888).      ^ 

Noolon^ten  (vovs,  Xoyos)  nennt  Kant  die  rationalistischen  Metaphysiker, 
iosofem  diese  aus  bloßen  Begriffen,  durch  reines  Denken  die  Wirklichkeit  er- 
kennen wollen  (Krit  d.  r.  Vem.  8.  643). 

Norm  (norma)  ist  eine  Begel,  die  für  eine  Sphfire  von  Geschehnissen,  Hand- 
lungen Gültigkeit,  Befolgung  verlangt,  ein  Maßstab,  den  wir  an  die  Beurteilung, 
Wertung  von  G^egebenem  heranbringen.  Die  logischen,  ethischen,  ästhetischen 
Nonnen  sind  im  Wesen,  in  der  Gesetzmäßigkeit  imseres  Geistes,  unseres  Denkens, 
Wollens,  Fühlens  gegründet.  Die  Normen  stammen  daher  nicht  aus  der  Er- 
fahrung, sondern  sind  a  priori  (s.  d.),  als  subjective  Bedingungen  von  Urteilen, 
die  auf  Allgemeingültigkeit  Anspruch  machen,  für  jeden  Geist,  für  jede  Ver- 
nunft gelten  wollen;  durch  innere  Erfahrung  werden  sie  uns  bewußt. 

MiCKAELiUB  definiert:  „Norma  est  regula,  ad  quam  aliquid  eonstituitur 
seu  efficiiur^^  (Lex.  philos.  p.  716).  —  Beneke  leitet  die  Allgemeingültigkeit 
der  praktischen  Normen  aus  den  bei  allen  gleichartigen  psychologischen  Pro- 
cessen ihrer  Bildung  ab  (Lehrb.  d.  PsychoL',  §  257  ff.).  Nach  W^indelband 
ist  die  Norm  ,jeine  bestimmte,  durch  die  Naturgesetxe  des  Seelenlebens  herbei- 
xuführende  Form  der  psychischen  Bewegung",  Eigentümlich  ist  ihr  „die  Be- 
xiekung  auf  den  Zweck  der  Allgemeingültigkeit^*  (Prälud.  8.  224  f.).  „Normen 
sind  du^'enigen  Formen  der  Verwirklichung  von  Naturgesetzen,  welche  unter 
Voraussetzung  des  Zwecks  der  Allgemeingültigkeit  gebilligt  werden  sollen"  (L  c. 
S.  226).  Das  normative  Bewußtsein  verhält  sich  auswählend  (ib.).  „MV  un- 
mittelbarer  Evidenz  knüpft  sieh  an  das  Bewußtwerden  der  Norm  eine  Art  von 
psychologischer  Nötigung,  sie  zu  befolgen"  (L  c.  8.  237).  Der  Ablauf  der  Vor- 
stellungen selbst  führt  zum  Bewußtsein  der  Normen,  und  dann  „wird  die  Norm 
xu  einer  ordnenden  und  bestimmenden  Macht  in  dem  mechanischen  Ablauf  selbst 
und  führt  in  vollkommen  naturgesetzlicher  Weise  ihre  eigene  Realisierung 
herbei".     Darin'  besteht  ihre  Freiheit     Diese  ist  „Herrschaft  des  Gewissens", 


734  Norm  —  li'ormalBeit. 


y^ie  Bestimmung  des  empirischen  Bewußtseins  durch  das  Normalbewußtstin^ 
(L  c.  S.  238  f.).  Nach  Wundt  sind  Normen  „Regeln,  welche  für  bestimmU 
Erscheinungen  gültig  sein  sollen,  ohne  daß  diese  ihnen  in  cUlen  Fällen  vnrUidi 
folgen"  (Log.  II,  513).  „Den  drei  .  .  .  einfachen  Willenstätigkeiten,  dem  logischen 
Denkaet,  der  willkürlichen  Phantasievorstellung  und  der  willkürlichen  Handbmgt 
entsprechen  dreierlei  Normen,  welche  das  logische,  künstlerische  und  sittUeke 
Denken  in  allen  ihren  OestaUungen  beherrschen"  Diese  Nonnen  machen  dch 
in  Gefühlen  geltend,  bevor  sie  begrifflich  formuliert  werden.  Die  Einheitlichkeit 
des  Willens  bedingt  den  Zusammenhang  zwischen  den  verschiedenen  Normen 
(1.  c.  S.  513  f.).  In  der  Forderung  6iner  allgemeinen  Gesetzmäßigkeit  des 
Seins  übertragt  unser  logisches  Denken  seinen  eigenen  normativen  Charakter 
auf  seine  Gegenstände  (Eth.*,  8.  8)*.  Im  weiteren  Sinne  ist  Norm  jeder  „Satz, 
den  wir  irgend  einem  Oehiet  von  Tatsachen  als  eine  Forderung  entgegenbringen^^. 
Im  engeren  Sinne  ist  sie  eine  „Willensvorsc?iriff*,  ,^  bezeichnet  unier  ver- 
schiedenen Arten  möglicher  Handlungen  di^enige,  die  bevorzugt  werden  soit^ 
(Eth.*,  S.  539  f.).  Es  gibt  „Grundnormen'*  und  „abgeleitete  Normen",  ^ 
bietende"  und  „verbietende"  Normen  (1.  c.  S.  541).  Die  sittlichen  Normen 
zerfallen  (nach  den  Zwecken)  in  individuale,  sociale,  humane  Nonnen  (subjecd?^ 
und  objectiv)  (1.  c.  S.  557).  „Sobald  Normen  verschiedener  Gattung  in  Wider- 
streit treten,  ist  der  Vorxug  jener  xu  geben,  die  dem  umfassenderen  Zwecke  dient: 
dem  individuellen  geht  der  sociale,  dem  socialen  der  humane  Zweck  vor^*  (1.  c 
S.  548).  Nach  Simhel  sind  die  (logischen)  Normen  „Aiehts  als  die  Arten  wtd 
Formen  der  Relativitäten  selbst,  die  sieh  xwischen  den  Einzelheiten  der  Wirk- 
lichkeit, sie  gestaltend,  entwickeln.  Eben  deshalb  können  sie  als  das  Absolute 
auftreten,  da  sie  freilieh  selbst  nicht  relativ,  sondern  die  Relativität  sdbst  sind*' 
(Philos.  d.  Geld.  S.  77).  Nach  C.  Stange  entstehen  ethische  Normen  dadurch, 
daß  wir  „Musterbilder  der  ethischen  Verhältnisse  entwerfen"  (EinL  in  d.  Eth. 
II,  140).  H.  CoBNELius  erklart:  „Da  die  Bestimmung  unseres  Strdfens  durch 
höhere  Werte  ihrerseits  als  die  wertvollere  gegenüber  jeder  Bestimmung  durch 
minderwertige  Ziele  charakterisiert  ist,  so  ist  die  erstere  Bestimmung  stets 
diejenige,  nach  welcher  tcir  unser  Verhalten  richten  sollen.  Jede  aügemeine 
Bestimmung  eines  Rangunterschiedes  höherer  und  geringerer  Werte  ist  daher 
zugleich  eine  normative  Bestimmung  für  unser  praktisches  Verhalten,  d,  h.  für 
unser  Streben  und  Bandeln''  (Einl.  in  d.  Philos.  S.  345).  Nach  Hubserl  setzt 
jeder  normative  Satz  eine  Werthaltung  voraus  (Log.  Unt.  I,  43).  Jeder  Sats 
ist  normativ,  der  „irgend  tvelche  notwendige  oder  hinreichende,  oder  notwendige 
und  hinreichende  Bedingungen  für  den  Besitx  eines  solchen  Prädieats  ottf- 
spricht'^  (1.  c.  8.  44).  Vgl.  Schuppe,  Die  Normen  des  Denkens,  Vierteljahrs- 
sehr.  f.  wiss.  Phüos.  7.  Bd.,  S.  385  ff.;  Sigwart,  Log.  II«,  730.  —  Vgl  Sitt- 
lichkeit, Denkgesetze,  Imperativ,  Idee,  Normativ. 

Normals  der  Norm  (s.  d.)  gemäß,  regulär  (vgL  Sigwart,  Log.  II',  670). 

Normalidee«  ästhetische,  ist  nach  Kant  das  zwischen  den  einzelnen 
individuellen  Anschauungen  schwebende  Gattungsbild  (Krit  d.  Urt  §  17). 
VgL  Idee. 

Normalrels  s.  Heiz. 

Normalzeit  und  Schätzungszeit  werden  bei  experimentellen  Ver- 
suchen über  die  Zeitvorstellung,  das  Zeitgedächtnis,  den  „2jeitsinn"  (s.  d.) 
verglichen. 


Normativ  —  Notwendigkeit.  735 

NormatlTS  normgebend,  auf  Normen  (s.  d.)  bezüglich.  Normative 
Wissenschaften  (Normwissenschaften)  sind  Logik,  Ethik,  Ästhetik,  weil  sie 
es  nicht  bloß  mit  einem  (psychischen)  Tatbestande,  sondern  auch  mit  (natür- 
lichen, nicht  kiinsüich-willkürlichen)  Normen  für  das  Denken,  Wollen,  Kunst- 
schaffen zu  tun  haben.  —  Nach  Wundt  haben  die  G^enstände  der  Norm- 
wissenschaften den  Charakter,  ,ydaß  bei  ihnen  gewisse  Tatbestände  von  andern 
durch  das  Moment  einer  besondem  Wertsehätxung  unterschieden  toerden^^ 
(Eth.*,  H.  3).  Logik  und  Ethik  sind  die  eigentlichen  Normwissenschaften  (1.  c. 
S.  6),  so  aber,  dafi  die  Ethik  (s.  d.)  die  ursprüngliche  Normwissenschaft  ist 
(ib.).  Nach  Bimmel  ist  die  normative  Wissenschaft  j^nur  Wissenschaft  vom 
Normaitoen,  Sie  selbst  normiert  niektSy  sondern  sie  erklärt  nur  Normen  und 
ihre  Zusammenhänget  denn  Wissenschaft  fragt  stets  nur  causal,  nicht  ieleo- 
logisch"  (Einleit.  in  d.  Moralwiss.  I,  321).  Nach  Husserl  besteht  das  Wesen 
der  normativen  Wissenschaft  darin,  „daß  sie  allgemeine  Sätxe  begründet,  in 
welchen  mit  Bexug  auf  ein  normierendes  Orundmaß  —  x,  B,  eine  Jäee  oder 
einen  obersten  Zweck  —  bestimmte  Merkmale  angegeben  sind,  deren  Besitx  die 
Angemessenheit  an  das  Maß  verbürgt  oder  umgekehrt  eine  unerläßliche  Be- 
dingung für  diese  Angemessenheit  beistellt"  (Log.  Unt  I,  27).  Vgl.  Ethik 
Logik. 

Normswaiif^  s.  Zwang. 

Nota:  Merkmal  (s.  d.).  Nota  notae  est  etiam  nota  rei  s.  Dictum 
de  omni. 

Notal  heißt  nach  B.  Avenabiüs  der  „Charakter"  (s.  d.)  der  Bekanntheit 
(Krit  d.  rem.  Erfahr.  II,  41). 

Notlon  (notio) :  Gkdanke,  Begriff  (s.  d.).  Zuerst  bei  Cicebo  (Top.  6,  30) 
sls  Übersetzung  von  ifvoia.  —  Nach  Goclen  bedeutet  „notio"  sowohl  die 
it^peeies  apprehensa"  als  die  „apprehensio  rei  per  speciem"  seitens  des  Denkens 
(Lex.  philos.  p.  767).  Nach  Migraelius  ist  „notio"  so  viel  wie  „coneeptus 
animi  de  re  certa"  (Lex.  philos.  p.  713).  BoKNET  definiert:  „Les  idies  auoc- 
(tuelles  les  abstractions  intelleetuelles  donnent  naissanee,  portenl  le  nom  gineral 
de  notions,"  „La  notion  n'est  done  pas  une  perception:  eile  ne  rSstäte  pas 
nmplement  de  l'action  de  Vobjet  sur  les  sens;  die  suppose  encore  une  Operation 
de  Vesprit  sur  cette  aetion"  (Ess.  anal.  XV,  230).  „TotUe  notion  renferme  .  .  . 
tm  jugement"  (L  c.  XVI,  284).  Als  Oedanke,  Begriff  bezw.  als  Gesamt- 
vorstellung  von  einer  Sache  kommt  „notion"  bei  Bekkeley  bezw.  bei  Hume 
vor.    Kant  nennt  Notionen  alle  „a  priori  gegebenen  Begriffe"  (Ix)g.  S.  143). 

Notlones  eommanes:  Allgemeinbegriffe  (s.  d.). 

Notwendigkeit  (necessitas,  dvdyxTJ)  ist  ein  modaler  (s.  d.)  Begriff.  Er 
entspringt  ursprünglich  aus  der  Beflexion  auf  das  unter  dem  Einflüsse  be- 
stimmter Motive,  Gründe,  Bedingungen  Nicht-anders- wollen-  und  handeln- 
können  des  Willens  (des  praktischen  und  des  Denkwillens) ;  dieses  Bestimmtsein, 
Müssen  wird  in  die  äußere  Erfahrung  introjiciert,  hineingelegt.  Notwendig 
ut,  was  nicht  anders,  ak  es  ist,  gedacht  werden,  geschehen,  sein  kann,  was  ge- 
setzmäßig auftritt,  was  so  ist,  weil  ein  anderes  es  fordert,  es  dazu  nötigt,  be- 
stimmt, determiniert,  veranlaßt.  Es  bilden  sich  verschiedene  Notwendigkeits- 
begriffe aus:  1)  Subjective  Notwendigkeit:  a.  psychologische  N.,  die 
Bestimmtheit  der  Bewußtseinsvorgänge  durch  andere  (Notw^endigkeit  der  Asso- 


736  ITotwendigkeit. 


oiation);  b.  logische  N.,  Bestimmtheit  des  Denkens  (Urteilens,  Schlieflcns) 
durch  logische  Motive,  durch  Gründe,  durch  bestimmte  Denkacte  und  Denk- 
inhalte, durch  apriorische  Gesetsce  (formal-  und  materiallogische,  mathematische, 
erkenntnistheoretische  Notwendigkeit);  c.  praktische  N.,  Bestinomtheit  der 
Handlungen  durch  den  Willen  überhaupt,  der  Willensacte  durch  die  Motire, 
durch  den  Grundwillen;  d.  moralische  N.,  Bestimmtheit  der  Handlungen 
durch  den  „  Willen  xum  Outen*%  der  Willensintentionen  durch  den  allgemeinen 
8ittlichkeitswillen.  2)  Objective  (Natur-)  Notwendigkeit  (die  den  Au£eo- 
dingen,  Außenvorgang^n  auf  Grund  der  Erfahrung  zugeschriebene  Notwendig- 
keit, das  Folgen  und  Erfolgenmüssen):  a.  physisch-empirische  N.,  Bestimmt'- 
hMt  eines  Vorganges  durch  andere;  b.  metaphysische  N.,  Bestimmtheit  der 
Tätigkeiten  durch  das  Wesen  der  Dinge,  der  transcendenten  Factoren.  —  Za 
imterscheiden  sind  femer  begrifflich:  causale  N.,  die  Bestimmtheit  der  Wir- 
kung durch  die  Ursache;  teleologische  N.,  Bestimmtheit,  Bedingtheit  der 
Mittel  durch  den  Zweck.  Femer:  relative  N.,  die  Notwendigkeit  als  Be- 
dingtheit; absolute  N.,  die  unbedingte  Notwendigkeit  im  und  aus  dem  Ab- 
soluten. —  Gegensatz  zur  Notwendigkeit  ist  die  Zufälligkeit  (Contingenz,  s.  d.), 
zum  Zwang  (s.  d.)  die  Freiheit  Notwendigkeit  und  Freiheit  schließ^i  einand« 
nicht  aus  (s.  Willensfreiheit). 

Die  alten  (Dramatiker  und)  Naturphilosophen  hypostasieren  die  reale,  ob- 
jective  Notwendigkeit  zum  Schicksal  (s.  d.),  zur  eifta^fuvfj.    Sophokles:  ir^ 

T^v    avdyxTjv    ol8  '-^^6    dvd'taTarat,      £UBIPIDE8:    noos    T^v    avdyxr^   ndvrm 

xdlX  ffoT  dad-evr}  (vgl.  Stob.  EcL,  I  3,  154,  156).  Pythagoras  erklärt, 
dvdyxtjv  Tte^ixalad'ai  Ttf  x6afi<^  (ib.).  Nach  Hebakiit  ist  die  slfttz^uirr]  der 
Logos  (8.  d.),  eine  vernünftige  Notwendigkeit  waltet  in  den  Dingen  (Diog.  L 
IX,  1,  7).  Nach  Leukipp  und  Demokbit  geschieht  alles  xar  drdymrr  (Diog. 
L.  IX,  7,  45;  Stob.  Ecl.  I,  5,  160),  streng  causal-mechanisch.  Diodob  hält 
alles  Mögliche  für  wirklich,  alles  Wirkliche  für  notwendig  (s.  Möglichkeit). 
„Nihil  fierif  quod  non  necesse  fuerit"  (Cic,  Üe  fato  17).  —  Plato  bestinunt  die 
(blind-causale)  Notwendigkeit  als  ein  neben  der  teleologischen  (s.  d.)  Ideen- 
Wirksamkeit  herrschendes  Naturprincip,  das  sich  aber  dem  Xdyos,  der  Ver- 
nünftigkeit,  unterordnen  muß:  Jel  Si  xal  rd  Bi'dvdyxf^g  yiyroiiGva  t^  if^f^ 
TtaQad'iif&at*  fisfiiYfiiviq  yd^  ev  »;  TOv9e  rov  xdü/iov  yirtüte  dS  drdyitr^  ta  xai 
vov  avardaeojs  iyBwrj&r}'  vov  8i  dvdyxrjG  ä^;|fo«nroe  rtp  nai^atv  atn^  xwt 
yiyvu/idv<ov  Tce  nkeUiTa  ini  id  ße'Xriarov  ayaiv,  ravTrj  xard  ravxd  ra  8i  avdyx^ 
^TTfOfJhinji    iiTio    neid'ovg    ^/i^poros    oinea    xar     dg^dg    ^wiatato   roSa    x6    naw 

(Tim.  47  E,  48  A).  Aristoteles  definiert  das  Notwendige  als  das  Nicht- 
anders-sein-könnende  {x6  fiij  t.vBaxofievov  dXXfog  fyaiv  dvayxalov  tpaftev^  MeL 
y  5,  1015  a  34).  Objective  und  logische  Notwendigkeit  werden  unterschieden 
(1.  c.  V,  5).  Das  dvayxalov j  rd  dS  dvdyxije  steht  dem  avfifießrjxoe  (s.  Acciden») 
g^enüber  (Met.  VI  2,  1026b  28  squ.).  Das  Notwendige  ist  das  dai  im  Cregen- 
satz  zum  tni  tö  noXv  (Met  XI  8,  1064b  33  squ).  Es  gibt  ein  dvayxaUv 
dnköji^  dS  vnod'iaeeos  (bedingte  Notwendigkeit),  ftiq  (Zwang).  Was  ist,  ist,  in- 
sofern es  ist,  notwendig :  to  alvai  ro  ov  otav  ^,  xai  rd  fir,  ov  firj  alvai  dxar  ft^ 
p,  dvdyxrj  (De  Interpret.  9).  Die  logbche  Notwendigkeit  bestimmen  die  Stoiker 
als  das  widerspruchslos  Wahre:  dvayxalov  Sa  dütiv  onag  d?.ij9'ig  ov  ovx  i^rnr 
dntdexTixov  rov  rpevSos  ett'ai  (Diog.  L.  VII,  75).  Die  physische  Notwendigkeit 
beherrscht   alle  Dinge    (s.   Schicksal).     Nach  Plotin    ist  die    fvcis   »6^^' 


Notwendigkeit.  TS« 


gemischt  {/jiafiiy/isvTJ)  ifx  %•  rov  nai  avdyxrje  (Enn.  I,  8,  7).  —  Die  streng  causale 
(s.  d.)  Notwendigkeit  des  Alls  betont  Lügrez  im  Sinne  des  Epikureismus. 

Verschiedene  Arten  der  Notwendigkeit  unterscheidet  die  Scholastik. 
Ajr8£LM  bemerkt:  „Est  .  .  .  necessitas  praeeedcns,  quae  eausa  est,  tU  stf  res;  et 
est  neeessitas  consequens,  quam  res  fadP^  (Cur  Deus  homo  II,  18).  Albertus 
Magnus  unterscheidet:  „necessitas  absoluta,  eansequens,  positione,  causcUiter, 
rei"  (Sum.  th.  I,  62,  8;  II,  3,  2).  Thomas  definiert:  „Necesse  est  .  >  ,,  quod 
non  potest  tum  esse^*  (Sum.  th.  I,  82,  1).  Es  gibt  „necessitas  entis,  essendi"  als 
Gegensatz  zur  „conHngenHa**  (Ck)ntr.  gent.  I,  42),  „necessitas  naturalis,  absoluta, 
condieionalis,  ftnis,  coadionis,  eonsequentis,  ex  alio,  formae,  materiae"  (De  veiv 
22,  5).  „Necessartum  vel  habet  causam  suae  nee  cUiunde,  vel  non,  sed  est  per 
seipsum  necessarium"  (C!ontr.  gent.  I,  15).  „Necessitas  naturalis  non  repugnat 
volunicUi**  (Sum.  th.  I,  82,  1).  —  Micraelius  erklart:  „Neeessitas  dioitur  a 
non  eessando,  aiU  quod  absque  illo  res  nee  est,  nee  esse  potest,^*  Es  gibt 
„neeessitas  indigentiae  (xQeia),  eoaetionis,  expedientiae,  immutabüitatis**.  Letz- 
tere ist  jene,  „qtdae  non  potest  aliter  esse**  (Lex.  philos.  p.  703).  Es  gibt  femer 
y^neeessitas  in  praedieando"  und  „existentiae" ,  „neeessariutn  absolute"  und 
,/»ypothetice"  (L  c.  p.  704  f.). 

Die  Notwendigkeit  des  Schicksals,  wonach  alles  in  der  Natur  geschieht, 
betont  Campanella.  Es  gibt  „necessitas  quidditatis,  inevitabilitatis,  infalli^ 
büitaiis",  erstere  kann  nicht  einmal  von  Gk>tt  aufgehoben  werden,  z.  B.  die 
geometrische  Notwendigkeit  (Univ.  philos.  IX,  1).  Die  Existenz  notwendiger 
Wahrheiten  (s.  Wahrheiten)  lehrt  (wie  schon  die  Scholastik)  Desgabtes.  — 
G.  Bruno  erklart:  „Vokmtas  divina  est  non  modo  neeessaria,  sed  etiam  est 
ipsa  necessitas  .  .  .  Necessitas  et  libertas  sunt  unum'*  (De  immenso  I,  11). 
Spinoza  versteht  imter  dem  (logisch-objectiven)  Notwendigen  das,  dessen  Nicht- 
sein einen  Widerspruch  involviert  (Emend.  int).  Notwendig  ist,  „cuius  nulla 
ratio  nee  eausa  datur,  quae  impedit,  quominus  existat^  (Eth.  I,  prop.  XI,  dem.). 
Grott  ist  (als  „ca^isa  sm",  s.  d.)  notwendig  („necessario  existit^,  Eth.  I,  prop.  XI). 
Aus  Gottes  Wesen  (Natur)  „folgte*'  („sequitur**J  alles  mit  logischer  Notwendigkeit, 
und  doch  ist  Grott,  da  nichts  außer  ihm  besteht,  frei.  „Ex  sola  divinae  naturae 
neeessüaie,  vel  (quod  idem  est)  ex  solis  eiusdem  naturae  legibus"  (Eth.  I,  prop. 
XVII,  dem.).  In  der  Natur  ist  alles  determiniert.  „In  rerum  natura  nullum 
datur  contingens,  sed  omtiia  ex  necessitate  divinae  naturae  determinata  sunt  ad 
eerto  modo  existendum  et  operandum"  (Eth.  I,  prop.  XXIX).  „Res  nullo  alio 
modo  neque  cUio  ordine  a  Deo  produei  potuenmt,  quam  productae  sunf*  (Eth.  I, 
prop.  XXXIII),  weil  die  Dinge  Modi  der  ewigen  Wesenheit  Gottes  sind. 
^jQuicquid  condpivnus  in  Dei  potestate  esse,  id  necessario  est"  (Eth.  I,  prop. 
XXXV,  s.  Ewigkeit).  „Res  aliqua  neeessaria  dicitur  vel  ratione  suae  essentiae, 
vel  ratione  ca/usae.  Rei  enim  alicuius  existentia  vel  ex  ipsius  essentia  et 
definitione,  vel  ex  data  causa  efficiente  necessario  sequitur^*  (Eth.  prop.  XXIX, 
schoL  I).  Notwendigkeit  im  Sinne  des  Zwangs  wird  von  dem  Dinge  aus- 
gesagt, „quae  determinatur  ad  existendum  et  operandum  certa  oc  determinata 
ratione"  (Eth.  I,  def.  VII).  Letbniz  unterscheidet  „geometrische^'  (logische), 
„physische^*,  „moralisch^'  Notwendigkeit.  Die  „geometrische**^  Notwendigkeit 
ist  jene,  deren  Gegenteil  einen  Widerspruch  einschließt  (Theod.  II.  B,  §  282), 
die  moralische  die,  welche  der  freien  Wahl  der  Weisheit  in  Bezug  auf  ihre 
Endzwecke  entspringt  (1.  c.  §  349);  daher  ist  die  Notwendigkeit  Consequenz 
des  Handelns  und  Wollens,  keine  Nötigung,  kein  Zwang  (1.  c.  II,  Anl.  1,  §  3). 

PhlloBOphiioh«!  WOrterbnoh.     %,  Aufl.  47 


738  ITotwendigkeit. 

Man  kann  sagen,  ^^que  la  neeessite  physique  est  fondee  sur  la  neeessiU 
morale,  c'est  ä  dire  sur  le  ckoix  du  sage,  digne  de  sa  sagesse  et  que  Pune  mun 
bien  que  Vautre  doit  etre  disitnguie  de  la  necessite  gSomStrique,  (küe 
necesstte  physique  est  ee  qui  faü  Vordre  de  la  nature  et  cansisie  dans  les  riglts 
du  mouvement  et  dans  quelques  autres  loix  g^nSrales;  qu'il  a  plu  ä  Dien  de 
dofmer  attx  choses  en  leur  donnant  l'etre^*  (Theod.  I.  A,  §  2;  vgL  §  124,  175: 
s:  Wahrheit).  Chr.  Wolf  definiert:  ,,Guius  oppositum  impossibUty  seu  contra^ 
dictionem  involvü^  id  neeessarium  dieitur*'  (Ontolog.  §  279).  Vom  „neeesearium 
absolute^*  ist  das  jjiypothetiee  neeessarium^*  zu  unterscheiden  (1.  c  §  317  ij; 
eine  Abart  des  letzteren  ist  das  natürliche,  physische  Kotvendige.  yf Spede^ 
illa  neeessitatis  hypotheticae,  quae  a  eonsHtutione  universi  et  eausarum  serie, 
seUy  ut  alii  loquuntuTy  a  praesente  reruan  ordine  pendet,  neeessttas  pkysiea  je» 
naturalis  appellatur*'  (Cosmolog.  §  109).  „Moraliier  neeessarium  est,  emus 
oppositum  moraliter  impossibile^*  (Philos.  pract  1,  §  115).  ,j^as  in  dieter 
Welt  möglieh  ist,  das  muß  auch  kommen,  wenn  es  nicht  schon  dagewesen  oder 
noch  da  ist,  und  kann  unmöglich  außen  bleiben"  ,,Es  ist  aber  aUerdings  ei» 
merklicher  Unterschied  unter  demjenigen,  was  schlechterdings  notwendig  ist  und 
was  nur  unter  gewisser  Bedingung  .  .  .-  notwendig  ist,"  Man  nennt  ffSMeekter- 
dings  notu^endig,  toas  vor  sich  notwendig  ist  oder  den  Grund  der  Notwendigkeit 
in  sich  hat:  hingegen  notwendig  unter  einer  Bedingung,  was  nwr  in  Ansehutig 
eines  andern  notwendig  wird,  das  ist,  den  Örund  der  Notwendigheit  außer  skh 
hat.  Und  die  letztere  Art  der  Notwendigkeit  wird  insbesondere  die  Notwendig- 
keit d&r  Natur  genennet,  weit  sie  ihren  Orund  in  dem  gegenwärtigen  Laufe  der 
Natur  hat,  das  ist  in  dem  gegenwärtigen  Zusammenhange  der  Dinget,  Die 
geometrische  und  metaphysische  Notwendigkeit  ist  in  den  Dingen  befindlich, 
welche  zur  Greometrie  und  Metaphysik  gehören  (Vem.  Ged.  I,  §  575).  Abscdut 
notwendig  ist  nach  Bilfinoer,  was  „per  ipsam  rei  essentiam  adest,  sine  prae- 
supposita  aliqua  hypothesi  et  conditione"  (Düuc.  §  47).  C&USIUS  bestimmt: 
„Notwendig  ist,  was  dergestalt  ist  oder  geschieht,  daß  es  nicht  anders  sein  oder 
geschehen  kann"  (Vemunftwahrh.  §  120).  Nach  Platner  ist  notwendig  ,/illet 
das,  was  gedacht  werden  muß**  (Philos.  Aphor.  I,  §  834),  „was  nach  der  Ver- 
nunftidee  (als  logisches  Urteil)  gedacht  loerden  muß**  (Log.  u.  Met.  S.  90;  v^. 
Mendelssohn,  Morgenst.  I,  284  ff.). 

Locke  erklärt:  „  Wo  das  Denken  oder  die  Macht,  nach  der  Leitung  der  Ot' 
danken  xu  handeln  oder  nicht  xu  handeln,  ganx  fehU,  da  tritt  die  Noiwendigkat 
ein**  (Ess.  II,  eh.  21,  §  13).  Nach  Priestley  (wie  schon  nach  Hobbes,  s.  Oan- 
salität)  herrscht  in  der  ganzen  Natur  causale  Notwendigkeit  „/  mainiain,  tkere 
is  some  fioced  law  of  nature  respeeting  the  will  as  well  as  the  other  powers  of 
the  mind  and  every  thing  eise  in  the  Constitution  of  nature^*  (Of  philos.  Neceasit 
1777,  p.  7).  —  HuME  betont,  Notwendigkeit  sei  nichts  Gregebenes,  nichts  Ob- 
jectives,  sondern  rein  subjectiv- psychologisch,  Product  der  Association  (s.  d.). 
„Ich  finde,  daß  nach  häufiger  Wiederholung  der  Oeist  beim  Auftreten  eines  dir 
Gegenstände  durch  die  Gewohnheit  genötigt  wird,  den  Gegenstand  sich  xu  ver- 
gegenwärtigen, der  ihn  gewöhnlich  begleitete,  und  xwar  so,  daß  er  vermöge  dieser 
Bexiehung  xu  jenem  erstem  Gegenstande  in  helleres  Licht  gesetzt  erscheint.  Dieser 
Eindruck  oder  diese  Nötigung  nun  ist  dasjenige,  was  mir  die  Vorstellung  der 
Notwendigkeit  verschaffte*  (Treat.  III,  sct.  14).  „Die  Vorstellung  der  Notwendig- 
keit entsteht  aus  einem  Eindruck.  Kein  Eindruck,  der  uns  durch  unsere  Sintie 
xugeführt  wird,  kann  diese  Vorstellung  veranlassen.     Sie  muß  also  aus 


l^otwendiskeit.  739 

mnem  Eindruck  oder  einem  Eindmek  der  Reflexion  stammen.  Es  gibt  aber 
keinen  andern  innem  Eindruck,  der  irgend  eine  Beziehung  xu  dem  hier  in  Rede 
stehenden  Phänomen  hätte^  als  jene  durch  die  Gewohnheit  hervorgerufene  Cteneigt- 
keä,  von  einem  Gegenstande  auf  die  Vorstellung  desjenigen  Gegenstandes  Ober- 
%ugehenj  der  ihn  gewöhnlich  begleitete.  Jbi  ihr  besteht  also  das  Wesen  der  Not- 
wendigkeit. Allgemein  gesagt^  ist  die  Notwendigkeit  etwas j  das  im  Geist  besteht, 
nicht  in  den  Gegenständen;  wir  vermögen  uns  niemals  eine,  sei  es  auch  noch 
so  annäherungsweise  Vorstellung  von  ihr  xu  machen,  solange  wir  sie  als  eine 
Bestimmung  der  Körper  betrachten.  Entweder  also,  wir  haben  überhaupt  keine 
Vorstellung  der  Notwendigkeit,  oder  die  Notwendigkeit  ist  nichts  weiter  als  jene 
Nötigung  des  Vorstellens,  von  den  Ursctehen  xu  den  Wirkungen  oder  von  den 
Wirkungen  xu  den  Ursachen,  entsprechend  der  von  uns  beobachteten  Verbindung 
derselben,  Hberxugehen^^  (1.  c.  S.  224  f.).  „  Wie  also  die  Notwendigkeit,  daß  xwei- 
mal  xwei  vier  ist,  oder  daß  die  drei  Winkel  eines  Dreiecks  gleich  xwei  Reckten 
sind,  nur  au  dem  Acte  unseres  Verstandes  haftet,  vermöge  dessen  wir  diese  Vor- 
stellungen betrachten  und  vergleichen,  so  hat  auch  die  Notwendigkeit  oder  Kraft, 
die  Ursachen  und  Wirkungen  verbindet,  einxig  in  der  Nötigung  des  Geistes, 
ton  den  einen  auf  die  anderen  ilberxugehen,  ihr  Dasein^^  (1.  c.  8.  225).  „  Unser 
Begriff  einer  Notwendigkeit  und  Causalität  entspringt  also  lediglieh  aus  der 
wahrnehmbaren  Gleichförmigkeit  in  der  Natur,  in  welche  gleiche  Dinge  immer 
miteinander  verknüpft  sind  und  der  Verstand  durch  Gewohnheit  bestimmt  wird, 
von  dem  einen  auf  dfis  andere  xu  sehließen"  (laquir.  VIII,  sct.  1). 

Sowohl  gegen  die  Übertragung  der  Notwendigkeit  auf  die  Dinge  an  sich 
sdtens  des  ontologistischen  Bationalismus  (s.  d.),  als  auch  gegen  die 
bloß  empirisch-inductive  Auffassung  der  logischen  Notwendigkeit  und 
endlich  gegen  die  skeptische  (s.  d.)  Leugnung  aller  Denknotwendigkeit  wen- 
det sich  Kakts  Lehre  vom  a  priori  (s.  d.)  des  Erkennens.  Strenge,  apodik- 
tische (s.  d.)  Notwendigkeit  liegt  nicht  im  Gegebenen,  in  der  Erfahrung  (s.  d.), 
auch  nicht  in  der  Association,  sondern  in  der  Gesetzmäßigkeit,  mit  der  der 
Geist  wahrnimmt  und  denkt,  in  den  Formen  (s.  d.)  der  Anschauung  und  des 
Denkens  und  in  der  allgemeinen  Bedingtheit  jeder  möglichen  Erfahrung  durch 
sie.  Die  Notwendigkeit  der  Axiome  (s.  d.)  der  Naturwissenschaft  und  der 
Mathematik  beruht  auf  der  Apriorität  von  Baum,  Zeit  und  den  Kategorien 
(s.  d.).  Fa  ist  die  Art  des  Greistes,  nicht  anders  erkennen  zu  können,  als  es 
die  Form  seiAer  Synthesis  (s.  d.)  fordert.  —  Als  modale  (s.  d.)  Kategorie  be- 
deutet das  Notwendige  das,  „dessen  Zusammenhang  mit  dem  Wirklichen  nach 
allgemeinen  Bedingungen  der  Erfahrung  bestimmt  ist^^  (Krit  d.  r.  Vem.  S.  202). 
Objective  Notwendigkeit  kann  nicht  rein  begrifflich,  sondern  nur  erfahrungs- 
mäßig-gesetzlich  constatiert  werden  und  bezieht  sich  nicht  auf  das  Sein,  son- 
dern auf  Vorgänge,  Erscheinungen  in  ihren  Beziehungen  zueinander.  ,J)a 
ist  nun  kein  Dasein^  was  unter  der  Bedingung  anderer  gegebener  Erscheinungen 
als  notwendig  erkannt  werden  könnte,  als  das  Dasein  der  Wirkungen  aus  ge- 
gebenen Ursachen  nach  Geseixen  der  OauscUität.  Also  ist  es  nicht  das  Dasein 
der  Dinge  (Substanxen),  sondern  ihres  Zustandes,  wovon  wir  allein  die  Notwendig- 
keit erkennen  können,  und  xwar  aus  andern  Zuständen,  die  in  der  Wahrnehmung 
gegeben  sind,  nach  empirischen  Gesetxen  der  Causalität.  Hieraus  folgt:  daß 
das  Kriterium  der  Notwendigkeit  lediglich  in  dem  Gesetxe  der  möglichen  Er- 
fahrung  liege:  daß  alles,  weis  geschieht,  durch  ihre  Ursache  in  der  Erscheinung 
bestimmt  sei.    Daher  erkennen  unr  nur  die  Notwendigkeiten  der  Wirkungen  in 

47* 


740  Notwendigkeit. 


der  Natur ^  und  das  Merkmal  der  Noiwendigkeü  im  Dasein  reicht  nickt  weiter, 
als  das  Feld  möglicher  Erfahnmgj  und  selbst  in  diesem  ffüt  es  nickt  von  der 
Existenx  der  Dinge,  als  Substanxen,  weil  diese  niemals  als  empirische  WirhmgeHj 
oder  etwaSf  das  geschieht  und  entsteht,  können  angesehen  werden.  Die  Notwendig- 
keit betrifft  also  nur  die  Verhältnisse  der  Erscheinungen  wich  dem  dffnamiseken 
Gesetze  der  Causalität  und  die  darauf  sich  gründende  Möglichkeit,  aus  irgend 
einem  gegebenen  Dasein  (einer  Ursache)  a  priori  auf  ein  anderes  Dasein  (der 
Wirkung)  xu  schließen/^  jy^ll^y  v?as  geschieht,  ist  hypotheiisch  notwendig,  das 
ist  ein  (jhrundsaix,  welcher  die  Verändertmg  in  der  Welt  einem  Öesetxe  unter- 
tpirft,  d.  i.  einer  Regel  des  notwendigen  Daseins,  ohne  welche  gar  nickt  einmal 
Natur  stattfinden  würde.  Daher  ist  der  Satz  ,Nichts  geschieht  durch  ein  blindes 
Ohngefähr  (in  mundo  non  datur  casus/  ein  Naturgesetz  a  priori;  imgldehe» 
keine  Notwendigkeit  in  der  Natur  ist  blinde,  sondern  bedingte,  mithin  verständ- 
liehe Notwendigkeit  (non  datur  fatum).  Beide  sind  solche  Gesetze,  durch  tcekh 
das  Spiel  der  Verämderungen  einer  Natur  der  Dinge  (als  Erscheinungen) 
unterworfen  wird,  oder,  tcelches  einerlei  ist,  der  Einheit  des  Verstandes,  in 
welchem  sie  allein  xu  einer  Erfahrung,  als  der  synthetischen  Einheit  der  Er- 
scheinungen, gehören  können"  (1.  c.  S.  211  f.).  Zu  betonen  ist :  „  Die  unbedingte  Not- 
u>endigkeit  der  Urteile  ,..ist  nicht  eine  absolute-Notwendigheit  der  Sachen,  Denn  die 
absolute  Notwendigkeit  des  Urteils  ist  nur  eine  bedingte  Notwendigkeit  der  Sacke 
oder  des  Prädicats  im  ürteilef^  (1.  c.  S.  469).  Den  Geschmacksurteilen  (s.  Ästhetik) 
kommt  subjective  Notwendigkeit  zu  (Krit.  d.  Urt.  §  22).  Nötigung  ist  die  Be- 
stimmung des  Willens  gegen  dessen  Gutfinden  (Grundleg.  z.  Met.  d.8itt.2.  Abschn.). 

In  der  Philosophie  nach  Kant  wird  die  Notwendigkeit  bald  als  Aprioritat  (B.d.), 
bald  empiiisch-Bubjectiv  (psychologisch)  oder  empirisch-objectiv ,  bald  rationsl 
und  objectiv  (metaphysisch),  bald  empirisch-rational,  subjectiv-objectiv  bestimmt. 

G.  E.  Schulze  bemerkt,  Notwendigkeit  sei  kein  Kriterium  des  a  priori 
(s.  d.),  sondern  komme  auch  den  als  vorhanden  anzuerkennenden  Empfindungen 
zu  (Aenesid.  S.  144).  Nach  Boütebwek  ist  empirisch  notwendig,  ^,was  nickt 
xu  ändern  is1^\  philosophisch  „der  feste  Punkt,  an  den  die  Vermmfl  alle  Urteile 
anxüknüpfen  stteht,  durch  die  sich  die  Wissenschaft  unterscheiden  soll  von  der 
Meinung"  (Lehrb.  d.  philos.  Wissensch.  I,  121),  Auf  die  Form  des  Ganüts 
gründet  sich  die  formale  Notwendigkeit  der  Urteile,  die  sich  aus  dem  Bevufitr 
sein  der  höchsten  Gesetze  des  menschlichen  Erkennens  entwickeln  (L  c.  8. 121). 
Die  metaphysische  Notwendigkeit  hat  Beziehung  aufs  Dasein.  „Im  Absoluten 
selbst  ist  das  Mögliche  mit  dem  Wirklichen  und  Notwendigen  eins  und  dasselbe' 
(1.  c.  B.  122  f.).  Nach  Feies  ist  die  Notwendigkeit  in  unserer  Erkenntnis  nur 
„durch  ursprünglich  dauernde,  sieh  gleich  bleibende  lUtigkeit  der  einen  Erkennt- 
niskraft in  unserer  Vernunft  möglich"  (Neue  Krit  II,  43).  „Wenn  wir  ein- 
zelne Begebenheiten,  die  uns  vor  der  Anschauung  erseheinen,  außer  ihrem  Zu- 
sammenhang betrachten,  so  reden  vnr  vom  bloß  Wirkliehen;  nehmen  uir 
dagegen  mit  auf  diesen  Zusammenhang  Rücksicht,  so  finden  wir  dann  ihre 
Notwendigkeit"  (Syst.  d.  Log.  S.  159).  Nach  J.  G.  Fichte  ist  die  Deiik- 
notwendigkeit  ,^icht  absolute  Notwendigkeit,  dergleichen  es  überhaupt  nicht  geba^ 
kann,  da  ja  alles  Denken  von  einem  freien  Denken  unser  selbst  ausgeht,  sondern 
dadurch,  daß  überhaupt  gedacht  werde,  bedingt"  (Syst.  d.  SittL  52).  SCHEUiKO 
bestimmt:  ,yNotwendig  ist,  was  in  aller  Zeit  gesetzt  is^'  (Syst  d.  tr.  Ideal 
S.  312  f.)  —  Nach  Che.  KbaüSE  ist  die  Notwendigkeit  eine  „Ihilbexugkeif 
der  „Seinheit''  (s.  d.).    Etwas  ist  für  etwas  notwendig  heißt,  es  ist  „ein-ieutg- 


Notwendigkeit.  741 

wesenlieh-  eUi**  hinsichtlich  dessen  (Vorl.  üb.  d.  Syst  8.  421  ff.).  Nach  Hille- 
BKAND  ist  Notwendigkeit  ,/ia8  Denken  des  Zweckes  der  Dinge  für  das  Denken^^, 
Das  Sein  ist  seine  eigene  absolute  Notwendigkeit  (Philos.  d.  Greist  II,  60  ff.). 

—  Hegel  hypostasiert  die  Notwendigkeit  zu  einem  Moment  des  Seins  selbst 
„Wenn  alle  Bedingungen  vorha/nden  sind,  muß  die  Sache  wirklich  werden, 
und  die  Sache  ist  selbst  eine  der  Bedingungen,  denn  sie  ist  xunächst  als  Inneres 
selbst  nur  ein  Vorausgesetztes.  Die  entwickelte  Wirklichkeit,  als  der  in  eins 
fallende  Wechsel  des  Innern  und  Äußern,  der  Wechsel  ihrer  entgegengesetxten 
Bewegungen,  die  xu  einer  Bewegung  vereint  sind,  ist  die  Notwendigkeit** 
(EncykL  §  147).  „Die  Notwendigkeit  ist  an  sieh  daher  das  eine  mit  sich 
identische  aber  inhaltsvolle  Wesen,  das  so  in  sich  scheint,  daß  seine  Unter- 
schiede  die  Form  selbständiger  Wirklicher  haben,  und  dies  Identische  ist 
zugleich  als  absolute  Form  die  Tätigkeit  des  Aufhebens  in  Vermitteltsein  und 
der  Vermittlung  in  Unmittelbarkeit.  —  Das,  was  nottcendig  ist,  ist  durch  ein 
anderes,  welches  in  den  vermittelnden  Orund  (die  Sache  und  die  Tätigkeit) 
und  in  eine  unmittelbare  Wirklichkeit,  ein  Zufälliges,  das  zugleich  Bedingung 
ist,  xerfdülen  ist.  Das  Notwendige  als  durch  ein  anderes  ist  nicht  an  und  für 
sieh,  sondern  ein  bloß  0  es  e  Ixt  es.  Aber  diese  Vermittlung  ist  ebenso  unmittel- 
bar das  Aufhdfcn  ihrer  selbst  f  der  Grund  und  die  zufällige  Bedinguttg  wird  in 
ünmiUelbarkeit  übergesetzt,  wodurch  jenes  Gesetztsein  zur  Wirklichkeit  auf- 
gehoben und  die  Sache  mit  sich  selbst  zusammengegangen  ist.  In  dieser 
Büddcehr  in  sich  ist  das  Notwendige  schlechthin,  als  unbedingte  Wirklichkeit. 

—  Das  Notwendige  ist  so,  vermittelt  durch  einen  Kreis  von  Umständen:  es 
ist  so,  weil  die  Umstände  so  sind,  und  in  einem  is^  es  so,  unvermittelt,  — 
es  ist  so,  weil  es  ist*'  (1.  c.  §  149).  „Das  Notwendige  ist  in  sich  absolutes 
Verhältnis,  d.  i.  der  entwickelte  Proceß,  in  welchem  das  Verhältnis  sich  ebenso 
zur  absoluten  Identität  aufhebt**  (L  c.  §  150).  Nach  K.  Bosenkkakz  ist  der 
Grund  der  realen  Möglichkeit  „die  absolute  Notwendigkeit,  welche  an  und  für  sich 
nicht  anders  sein  kann,  als  sie  ist**  (Syst  d.  Wissensch.  S.  80).  —  Chalybaeüs 
versteht  unter  Notwendigkeit  „die  Wirklichkeit  desjenigen,  de-ssen  Nichtsein  un- 
denkbar, widersprechend  und  unmöglich  ist**  (Wissenschaftslehre  S.  237  ff.). 
Trendelenbubg  betont,  „fiaß  die  Notwendigkeit,  eine  Tat  des  Denkens,  ihr 
strenges  Band  aus  den  realen  Elementen  webt,  und  daß  sie,  weit  entfernt,  nur 
subjeetiv  zu  sein,  eine  eigentümliche  Doppelbildung  ist,  in  unsicher  das  Denken 
mit  dem  Sein  verschmilzt**  (Gesch.  d.  Kategorienl.  S.  378).  „  Wenn  alle  Be- 
dingungen erkannt  sind  und  demnach  die  Sache  aus  dem  ganzen  Grund  ver- 
standen wird,  so  daß  das  Denken  das  Sein  völlig  durchdringt:  so  gibt  das  den 
Begriff  der  Notwendigkeit^*  (Log.  Unt  II»,  165). 

Schopenhauer  leitet  die  Notwendigkeit  aus  dem  Satze  vom  Grunde  (s.  d.) 
ab.  ,Jeh  behaupte,  daß  Notwendigsein  und  Folge  aus  einem  gegebenen  Grunde 
sein  durchaus  Wechselbegriffe  und  völlig  identisch  sind.  Als  notwendig  können 
wir  nimmermehr  etwas  erkennen,  ja  nur  denken,  als  sofern  wir  es  als  Folge  eines 
gegebenen  Grundes  ansehen:  und  weiter  als  diese  Abhängigkeit,  dieses  Gesetxtsein 
durch  ein  anderes  und  dieses  unausbleibliche  Folgen  aus  ihm  enthält  der  Begriff 
der  Notwendigkeit  schlechthin  nicht.  Er  entsteht  und  besteht  also  einzig  und 
allein  durch  Anwendung  des  Satxes  vom  Grunde.  Daher  gibt  es,  gemäß  den  ver- 
schiedenen Gestaltungen  dieses  Satzes,  ein  physisch  Notwendiges  (der  Wirkung 
aus  der  Ursache),  ein  logisch  (durch  den  Erkenntnisgrund,  in  analytischen  Ur- 
teilen, Schlüssen  u.  s.  w.J,  ein  tnathematisch  (nach  dem  Seinsgrunde  in  Raum 


742  Notwendisk«lt. 


und  Zeit)  und  endlich  ein  praktisch  Notwendiges,  wodurch  wir  nicht  etwa  das 
Bestimmtsein  durch  einen  angeblich  kategorischen  Imperativ,  sondern  die,  bei 
gegebenem  empirischen  Charakter,  nach  vorliegenden  Motiven  notwendig  eintretende 
Handlung  bezeichnen  wollen,  —  Mies  Kotwendige  ist  es  aber  nur  relativ,  nämliek 
unier  der  Voraussetzung  des  Grundes,  aus  dem  es  folgt:  daher  ist  die  absolute 
Notwendigkeit  ein  Widerspruch''  (W.  a.  W.  u.  V.  I.  Bd.,  Krit  d  KantBchen 
Philos.  S.  461  f.).  Notwendigkeit  ,JuU  keinen  andern  wahren  und  deutlichen 
Sinn  als  den  der  ünausbleiblichkeit  der  Folge,  wenn  der  Qrund  gesetzt  ist". 
Es  gibt  eine  vierfache  Notwendigkeit:  „1)  Die  logische,  nach  dem  Satz  vom 
Erkenntnisgrunde,  vermöge  welcher,  wenn  man  die  Prämissen  hat  gelten  lassm, 
die  Conelusion  unweigerlich  zuzugeben  ist.  2)  Die  physische,  nach  dem  Gesetz 
der  Causalität,  vermöge  welcher,  sobald  die  Ursache  eingetreten  ist,  die  Wirkung 
nicht  ausbleiben  kann.  3)  Die  mathematische,  nach  dem  Satz  vom  Grunde  des 
Seins,  vermöge  weleher  jedes  von  einem  wahren  geometrischen  Lehrsatze  auS' 
gesagte  Verhältnis  so  ist,  wie  er  es  besagt,  und  jede  richtige  Rechnung  ununder- 
leglich  bleibt.  4)  Die  moralische,  vermöge  weleher  jeder  Mensch,  auch  jedes  Tier, 
nach  eingetretenem  Motiv,  die  Handlung  vollziehen  muß,  welche  seinem  an- 
geborenen und  unveränderlichen  Charakter  allein  gemäß  ist,  und  demnach  jäxt 
so  unausbleiblich,  vne  jede  andere  Wirkung  einer  Ursache^  erfolgt^'^  (Vierf.  Won. 
C.  8,  §  49).  Nach  F.  A.  Lange  besagt  die  Notwendigkeit  des  Geschehens 
„nichts  als  seine  Allgemeinheit^^  (Lo^-  Stnd.  S.  41).  Die  Kantianer  (s.  <L) 
fassen  die  Notwendigkeit  im  Erkennen  als  apriorische  Gesetzmäßigkeit  aul  — 
Nach  BoLZANo  hat  Notwendigkeit  nur  in  Beziehung  auf  den  Begriff  des  Seins 
Geltung  (Wissensch.  II,  2S9,  §  182).  Jedes  Müssen  ist  ein  „Seinmuseen^'^  (L  c 
S.  230).  Notwendig  ist  das  Sein  eines  Gegenstandes,  „wenn  es  eine  reine  Be- 
griffswahrheü  von  der  Form:  A!  ist  (oder  hat  Dasein)  gibt,  in  welcher  A  eim 
dejn  Gegenstand  A  umfassende  Vorstellung  ist^*  (I.  c  S.  230  ff.). 

W.  BosENKKANTZ  definiert  das  Notwendige  als  das,  ,^was  einen  zwingen- 
den Grund  seiner  Wirklichkeit  hat,  zufällig  dagegen  dasjenige,  was  keinen 
solchen  Grund  hat,  oder  wovon  uns  wenigstens  ein  solcher  Grund  nicht  be- 
kannt ist*^  (Wissensch.  d.  Wiss.  II,  127).  „ßine  Notwendigkeit  erfahren  wir 
allerdings  atich  in  der  äußern  Anschauung,  sofeme  wir  tms  in  dieser  der  Em- 
pfindungen der  äußeren  Dinge  nicht  ertoekren  können^  und  dieselben  sieh  uns 
selbst  gegen  unsem  Willen  aufdringen.  Diese  Notwendigkeit  fällt  jedoch  einzig 
und  allein  auf  unsere  Seite.  Sie  besteht  lediglieh  in  dem  Gefühle  aufgehobener 
Freiheit  in  uns,  welche  uns  über  den  Grund  der  At^hebung  gar  nichts  entnehmen 
läßt."  „Der  Zwang  der  Wirklichkeit,  welcher  im  Begriffe  der  Notwendigkeit 
liegt,  kann  nur  aus  dem  Verhältnisse  zwischen  Ursache  und  Wirkung  ent- 
springen. Nur  eine  Ursache,  welche  eine  bestimmte  Wirkung  unvermeidlieh  her- 
vorbringt, kann  eine  Notwendigkeit  begründen"  L  c.  S.  128).  Die  unvermeidliche 
Folge  aus  dem  Grunde  ergibt  die  Notwendigkeit.  „Alle  Notwendigkeä  besteht 
darin,  daß  Verschiedenes  miteinander  zusammentrifft  und  das  Zusammen- 
treffen durch  einen  gemeinschaftlichen  Grund  bestimmt  ist."  Im  abeoluteo 
Geist  fällt  der  Unterschied  zwischen  Möglichkeit,  Wirklichkeit,  Notwendi^eit 
hinweg  (1.  c.  S.  232,  234).  Gizygki  erklärt:  „Notwendig  sein  heißt:  aus  einem 
zureichenden  Grunde  folgen"  (Moralphilos.  S.  209).  Die  Notwendigkeit  liegt 
im  Subject  (1.  c.  S.  210).  Nach  Ulrici  ist  denknotwendig  alles,  ohne  wdches 
tmser  Denken  in  seiner  logischen  Bestimmtheit  unmöglich  wäre  (Log.  8.  40). 
Nach  Teichmülles  bedeutet  Notwendigkeit,  „daß  die  Bewegung  des  Denkens 


Notwttndiskeit  743 

immer  dieselben  Coordinationen  trifft^  so  weit  man  auch  versucht,  andere  Wege 
*u  nehmen*'  (Neue  Grundl^.  8.  125).  Nach  Planck  knüpft  sich  die  Not- 
wendigkeitskategorie an  das  logische  Causalgesetz.  Diesem  muß  sich  alles 
Wirkliche  fügen.  ,,D€r  Gedanke  der  Notwendigkeit^  der  uberaÜ  an  das  logische 
Causalgesetx  sich  knüpft  und  sein  Wesen  ausmacht,  ist  überall  kein  empirischer 
.  .  .,  sondern  ein  rein  logischer  und  formaler*^  (TestauL  ein.  Deutsch.  S.  319). 
Nach  Lewes  ist  Notwendigkeit  f,the  intuüion  of  the  actual  factors  —  the  per- 
eeption  of  adequate  rekUion  —  the  reeognition  that,  what  is,  must  be  what  it  is'^ 
(PlobL  1, 397  f. ;  vgl  HoDOSON,  Phüos.  of  Eefl.  1, 244  ff.,  422  ff.,  432  ff. ;  U,  100  ff.). 
Nach  Überweg  tut  die  Einsicht  not,  „daß  die  Denknotwendigkeit  niemals 
für  sieh  allein,  sondern  immer  nur,  sofern  sie  in  den  logischen  Gesetzen  sich 
offenbart,  maßgebend  sein  darf'  (Welt-  und  Lebensauff.  8.  74).  „Wo  uns  die 
logischen  Gesetze  nötigen  anzunehmen,  daß  etwas  an  sich  so  sei,  wie  wir  es 
denken,  ist  jeder  Zweifel  notwendig  ausgeschlossen"  (L  c.  8.  78).  Volkelt 
versteht  unter  sadüich-logischer  Notwendigkeit  die  ,/lirecte,  reine  Abhängigkeit 
meiner  Vorstellungsverknüpfungen  von  der  in  der  Sache  liegenden  Bedeutung''' 
(Erf.  u.  Denk.  8.  140  f.).  B.  Ekdmann  bemerkt:  „Die  Denknotwendigkeit  .  .  . 
ist  eine  obfeetive;  sie  fließt  aus  den  Bedingungen  unseres  Denkens  entsprechend 
der  Natur  seiner  Gegenstände^'  (Log.  I,  6).  Die  Denknotwendigkeit  ist  nur  eine 
hypothetische,  keine  absolute  Notwendigkeit  (1.  c.  I,  372  ff.).  Nach  G.  Glogau 
stammt  Notwendigkeit  aus  dem  Denken,  denn  ,ysie  besteht  in  der  Einbildung 
der  logischen  Forderungen  in  das  sinn-  und  xieUose  Spiel  der  niederen  Wahr- 
nehmung" (Abr.  d.  philos.  Grundwiss.  I,  361  f.).  —  E.  Dührikg  sieht  in  der 
Notwendigkeit  keinen  Begriff  mit  besonderem  Inhalte.  ,J>ie  Notwendigkeiten 
sind  entweder  absolute  Tatsachen,  wie  die  aadomaiischen  Bestandteile  der  Natur- 
Verfassung  und  des  Denkens,  oder  sie  sind  Bexiekungsformen,  die  wiederum  auf 
einfache  sachliche  oder  begriffliehe  Verbindungsarien  zurückzuführen  sind^'  (Log. 
S.  195).  „Unmöglichkeit  ist  der  Kern  alür  Notwendigkeit,  die  daher  sogar 
wesentlich  einen  verneinenden  Charakter  hat.  In  aller  Notwendigkeit  liegt  es, 
daß  etwas  nicht  anders  sein  kann.  Es  ist  also  etwas  Einschränkendes  vorhanden, 
in  Bezug  worauf  der  gedankliche  Zwang  statthat.  Ja  es  liegt  sogar  der  Gedanke 
der  Unterordnung  und  mithin  der  Passivität  in  der  Notufcndigkeit*'  (Wirklich- 
keitsphilos.  8.  372).  „Insofern  das  Taisächliehe  den  Spielraum  einschränkt, 
macht  es  irgend  etwas  notwendig;  indem  es  überhaupt  einen  Spielraum  bietet, 
macht  es  allerlei  möglieh"  (1.  c.  8.  373).  —  Nach  Hagemann  ist  notwendig 
,4as  Sein,  dessen  Nichtdasein  unmöglich  ist,"  „Absolut  notwendig  ist  dasjenige, 
dessen  Gegenteü  in  sich  widersprechend,  also  absolut  unmöglich  ist;  relativ  oder 
bedingt  notwendig  dasjenige,  dessen  Gegenteil  unter  gewissen  Bedingungen  un- 
möglich ist"  (Met.*,  8.  15).  Nach  Gutberlet  ist  „Notwendigheit  eines  Urteils" 
i^twendige  Wahrheit  eines  Urteils",  „Absolut  notwendig  ist,  was  unter  keiner 
Bedingung  nicht  nicht  sein  kann,  oder  unter  jeder  Bedingung  ist,  dessen  Sein  also 
unabhängig  (absolutum)  ist  von  jeder  Bedingung,  Diese  Notwendigkeit  kommt 
im  Gebiete  des  Existierenden  nur  Gott,  im  Gebiete  des  Mogliehen  den  idealen 
^'esenheiten  xu  Hypothetisch  notwendig  ist,  was  zwar  auch  nicht  sein  kann, 
aber  unter  gegebener  Bedingung  ist."  „Für  die  Existenz  der  Geschöpfe  gibt  es 
keine  ihnen  vorausgehende  oder  in  ihnen  gelegene  Notwendigkeit,  ist  aber 
ihre  Existenz  Totsage  geworden,  so  ergibt  sich  aus  derselben  von  selbst  eine 
tatsächliche,  historisdie  Notwendigkeit,  welche  als  solche  (der  Thtsache)  nach- 
folgende Notwendigkeit  heißt"  (Log.  u.  Erk.«,  8.  153). 


744  Notwendigkeit. 


Nach  E.  V.  Hartmann  hat  die  Notwendigkeit  keine  Statt«  in  der  sab- 
jectiv  idealen  Sphäre,  sofern  die  unmittelbare  Erfahmng  in  Betracht  kommt; 
nur  der  Schein  von  ihr  entsteht  hier,  wenn  der  naiv  realistische  Glanbe  an  die 
Oausalität  der  mit  den  Dingen  an  sich  identificierten  Wahmehmungsobjecte 
unkritisch  festgehalten  wird  (Kategorienlehre  S.  340  f.).  HÖfler  rechnet  die 
Notwendigkeit  (mit  der  Möglichkeit,  Unmöglichkeit)  zu  den  „Verträgliehktü»' 
Belationen*'  (Grundl.  d.  Log.  S.  37).  —  Nach  öigwart  erhalt  die  Denknot- 
wendigkeit  j,ihren  eigenen  Charakter  ziäetxt  von  der  Einheä  des  Selbstbeteußt- 
seins*^  (Log.  I*,  243).  Zu  aller  logischen  Notwendigkeit  ist  zuletzt  f,ein  seiendes 
denkendes  Subfeet,  dessen  Natur  es  istj  so  xu  djenki&fi.^''  vorauszusetzen  (L  c. 
S.  262).  Etwas  als  notwendig  erkennen  heißt  ^ßs  als  Folge  von  etwas  erkenne», 
das  sfsiig  und  allgemein  giW^  (1.  c.  S.  257).  In  jedem  mit  yollkommenem  Be- 
wußtsein ausgesprochenen  Urteil  wird  die  Notwendigkeit,  es  auszusprechen,  mit- 
behauptet (1.  c.  S.  230  ff.).  Es  gibt  psychologische,  logische,  reale,  madie* 
matische,  causale,  teleologische,  moralische  Notwendigkeit  (L  c.  S.  98  ff.,  229  fi, 
259  f.,  261  ff.).  „Indem  wir  den  einzelnen  Fall  auf  ein  Wirken  xurückfiikrmy 
erseheint  das  Verhältnis  der  Notwendigkeit,  in  welchem  der  Orund  xu  seiner 
Folge  steht,  xunächst  in  Form  des  Zwanges,  den  das  Ohject  der  Wirkung  er- 
leidet .  .  .  Aber  indem  die  logische  Entwicklung  des  Begriffs  fortsekreüel,  ver- 
tieft sich  auch  der  Sinn  der  Notwendigkeit;  vrtde/in  in  dem  Wesen  des  Wirkenden 
und  des  Leidenden  der  Orund  ihres  Verhaltens  gesucht  wird,  versehwindet  die 
Vorstellung  des  äußeren  Zwanges,  und  die  Notwendigkeit  erseheint  als  eine 
solche,  der  beide  Teile  vermöge  %hrer  Natur  gleichmäßig  unterworfen  sind,  ah 
ein  innerer  Zusammenhang  ihrer  Wesensbestimmtheit*^  (L  c.  II',  162).  Nach 
WüNDT  ist  die  Denknotwendigkeit  mit  der  Willensfreiheit  (s.  d.)  wohl  ver- 
einbar (s.  Denkgesetze).  Nach  H.  Bickekt  ist  „  Urteilsnotwendigkeit"  die  Not- 
wendigkeit des  Sollens,  die  jedem  Urteile  eigen  ist,  durch  die  wir  ims  gebunden 
fühlen  (Der  Gegenst.  d.  firk.  S.  61  ff.).  Schuppe  rechnet  die  Notwendigkeit 
zum  Sein  (s.  d.)  als  dessen  „Gesetzlichkeit*^  (Erk.  Log.  X;  Grdz.  d.  Eih.  S.63  fl; 
Log.  S.  29  f.).  Das  „Seiende**  als  solches  ist  (implicite)  notwendig,  aber  ,4i^ 
ausdrückliche  Behauptung  der  Notwendigkeit  fmdet  nur  dann  statt,  wenn  Ver- 
anlassung da  ist,  Zufälligkeä  auszuschließen**  (Log.  S.  64).  „Eine  Qualität  ist 
als  solche  der  notwendige  Vorgänger  oder  Nachfolger  oder  Begleiter  einer  anderen. 
Es  gehört  also  xu  ihrem  Sein  (Wesen)  nicht  nur  die  nennbare  positive  Bestimmt- 
heit, Farbe  etwa  und  Gestalt  und  Consistenx,  sondern  auch  dies,  daß  sie  ein 
Glied  in  der  und  der  Reihe  ist.  Zur  Denkbarkeit  des  Seins  gehört  sokhe  feste 
Ordnung  des  Seienden**  (1.  c.  S.  65).  Schubert-Soldern  halt  Notwendigkeit  für 
unableitbar;  „alles  Gegebene  erscheint  in  notufendigen  Beziehungen  gedacht*^  (Gr. 
ein.  Erk.  S.  230).  Notwendigkeit  ist  eine  „Ertvartung,  die  sieh  an  Bedingungen 
knüpft**  (1.  c.  S.  231).  Nach  Hubserl  ist  subjective  Notwendigkeit  „der  stA- 
jective  Zwang  der  Überzeugung,  welcher  jedem  Urteil  anhaftet**.  Apodiktische 
Notwendigkeit  ist  das  eigenartige  Bewußtsein,  „in  dem  sieh  das  einsichtige  Er- 
fassen eines  Gesetzes  oder  des  Gesetzmäßigen  constituiert^*  (Log.  Unt.  I,  134). 
Die  unbedingte  Geltung  der  Denkgesetze,  der  „logisehe  Absolutismus**,  ist  sn 
betonen  (1.  c.  I,  141).  „Obfeeiive  Notwendigkeit  überhaupt  bedeutet  nichts  anderes 
ah  objective  Gesetzlichkeit,  bexv>.  Sein  auf  Grund  objecticer  Gesetzlichkeit 
(1.  c.  IL  235;  vgl.  S.  246).  —  M.  Palagyi  bemerkt:  „Eine  jede  Tatsache  ist  not- 
wendig, und  es  gibt  nirgends  irgendwelche  zufallige  Tatsachen.  Mit  der  Sct- 
wendigkeit  einer  jeden  Tatsache  ist   aber  nur  so  viel  gemeint,  daß,  wenn  isir 


Notwendigkeit  —  Noumenon.  745 

fdkig  wäreny  den  unencUicken  Raum  tmd  die  unendliche  Zeit  mit  einem  Blick 
7M  umfassen^  uns  solche  törichte  Oedanken,  ob  dieses  alles  auch  anders  sein 
könnie,  gar  nicht  kommen  würden,*^  In  der  Natur  herrscht  eine  unwandelbare 
Ordnung^  eine  ewige  Qeeetzmäßigkeit  (Die  Log.  auf  d.  Scheidewege  S.  152  ff.). 
—  J.  St.  Mill  (u.  a.)  kennt  nur  empirisch  fundierte,  inductive,  psychologisch 
begründete  Notwendigkeit  (s.  Axiom).  Nach  Lipps  ist  uns  Notwendigkeit  ur- 
sprünglich ,^fmr  als  Inhalt  des  Selbstgefühls"  gegeben  (ähnlich  J.  Wolff). 
jfEine  Nötigung,  die  niemand  fühlt,  ist  wie  der  Ton,  den  niemand  hört"  (Grundt. 
d  Seelenleb.  S.  430).  Vgl.  A  priori,  Axiom,  Causalität,  E\ddenz  Determinis- 
mus, Willensfreiheit,  Prädestination,  Fatalismus,  Ontologismus. 

IToaiitenolog^le  heißt  bei  Ennemoser  Lightenfels,  Nüsslein  die 
allgemeine  Psychologie. 

Nounenoii  {voav/nsvov):  Gedachtes  Verstandesding,  intelligibles  (s.  d.) 
Wesen,  im  Unterschiede  vom  Sümending  oder  Phänomenon  (s.  d.);  voovueva 
schon  bei  Plato  (s.  Ideen). 

Kant  versteht  unter  dem  Noumenon  einen  Grenzbegriff  (s.  d.),  nämlich  das 
als  nicht  sinnlich  zwar  nicht  erkannte^  aber  (negativ)  gedachte  Ding,  das  zu- 
gleich als  positiver  Gegenstand  einer  nichtsinnlichen  (göttlichen)  Anschauung 
gedacht  wird.    ,,  Schon  von  den  ältesten  Zeiten  der  Philosophie  her  haben  sich 
Forscher  der  reinen  Vernunft  außer  den  Sinnentcesen  (Phänomena),  die   die 
Sinnemodt  ausmachen,  noch  besondere  Verstandesvesen  (Noumena),  welche  eine 
Verstandesu)eÜ  ausmachen  sollten,  gedacht,  und  da  sie  ,  ,  .  Brscheinimg  und 
Schein  für  einerlei  hielten,  den  Verstandeswesen  allein  Wirklichkeit  x/ugestanden" 
(Proleg.  §  32).     In  Wahrheit  aber  haben  die  Phänomena  empirische  Wirk- 
lichkeit, wenn  sie  auch  nicht  Dinge  an  sich  (s.  d.)  sind.    Solche  muß  es  geben, 
nur  können  sie,  wegen  der  Subjectivität  der  Erkenntnisformen,  nicht  erkannt 
werden.    „Erscheinungen,  sofern  sie  als  Gegenstände  nach  der  Einheit  der  Kate- 
gorien gedacht  werden,  heißen  Phänomena.     Wenn  ich  aber  Dinge  annehme,  die 
bloß  Gegenstände  des  Verstandes  sind  und  gleicJiwohl,  als  solche,  einer  Anschauung, 
obgleich  nicht  der  sinnlichen  (als  coram  iniuiiu  intelleciuali)  gegeben  werden 
kÖ9men,  so  würden  dergleichen  Dinge  Noumena  (intelligibüia)  heißen"  (Krit  d. 
r.  Vem.  S.  231).     Der  B^riff  des  Noumenon  ist  aber  nicht  positiv,  nicht  Er- 
kenntnis, sondern  ein  abstracter  Gedanke,  nicht  das  Ding  an  sich  selbst  (1.  c. 
S.  233  f.).     „Der  Begriff  eines  Noumenon,  d.  i,  eines  Dinges,  welches  gar 
nicht  als  Gegenstand  der  Sinne,  sondern  als  ein  Ding  an  sicJi  selbst  (lediglich 
durch  einen  reinen  Verstand)  gedacht  werden  soll,  ist  gar  nicht  undersprechend: 
denn  man  kann  von  der  Sinnlichkeit  doch  nicht  behaupten,  daß  sie  die  einzig 
mögliche  Art  der  Anschctuung  sei.    Femer  ist  dieser  Begriff  notwendig,  um  die 
sinnliche.  Anschauung  nicht  bis  über  die  Dinge  an  sich  selbst  auszudeftnen,  und 
also,  um  die  objective  Gültigkeit  der  sinnlichen  Erkenntnis  einzuschränken  (denn 
dus  übrige,  worauf  jene  nicht  reicht,  heißt  er  eben  darum  Noumena,  damü 
man  dadurch  anzeige,  jene  Erkenntnisse  können  ihr  Gebiet  nicht  über  alles, 
wcu  der  Verstand  denkt,  erstrecken).     Am  Ende  aber  ist  doch  die  Möglichkeit 
solcher  Noumenorum  gar  nicht  einzusehen,  und  der  Umfang  außer  der  Sphäre 
der  Erscheinungen  ist  (für  uns)  leer,  d,  i,  wir  haben  einen  Verstand,  der  sich 
problematisch  weiter  erstreckt,  als  jene,  aber  keine  Anschauung,  wodurch  uns 
außer  dem  Felde  der  Sinnlichkeit  Gegenstände  gegeben  und  der  Verstand  über 
dieselbe  hinaus  assertorisch  gebraucht  werden  könne.    Der  Begriff  eines  Nou- 
menon ist  also  bloß  ein  Grenzbegriff,  um  die  Anmaßung  der  Sinnlichkeit 


746  Noumenon  —  Nyaya- Philosophie. 

einxusehräfiken,  und  also  nur  von  negativem  Gebrauche,  Er  ist  aber  gleiehuokl 
nicht  willkürlich  erdichtet,  aondem  hängt  mit  der  Mnsekränkung  der  Sinnlich- 
keit x/usammenf  ohne  doch  etwas  Positives  außer  dem  Umfange  derselben  sefoeH 
XU  kömien^'  (1.  c.  S.  235).  yjhr  Begriff  eines  Noumenon  ist  also  meht  der  J%- 
griff  von  einem  Ohject,  sondern  die  unvermeidlich  mit  der  Einschränkung  unBerer 
Sinnlichkeit  xusammenhängende  Aufgabe,  ob  es  nicht  von  jener  ihrer  Anschauung 
ganx  entbundene  Gegenstände  geben  möge^'  (1.  c.  S.  257 ;  Prolegom.  §  32  ff.).  Nur 
das  moralische  Gesetz  laßt  uns  die  Welt  der  Noumena,  der  Freiheit  (s.  d.) 
auch  positiv  bestimmen,  nämlich  als  Welt  autonomer  (s.  d.)  Yemunftwesen 
(Krit  d.  prakt.  Vem.  I.  TL,  1.  B.,  1.  Hptst).  Der  Mensch^  „als  nUt  innenr 
Freiheit  begabtes  Wesen  (homo  noumenon)  gedacht,  ist  ein  der  Verpfliektuang 
fähiges  Wesen'^  (Met.  Anf.  d.  Tugendl.  S.  65).  —  Ampebb  nennt  Noumeoa  die 
wirklichen  Wesen.  Lewes  versteht  unter  ihnen  nichts  als  ,jthe  unknouxUik 
othemess  of  relational*,  „ihings  in  their  relation  to  other  forme  of  sentienee  .  .  . 
than  our  oum"  (Probl.  I,  182).  Mokrad  nennt  so  die  Dinge  an  sich  (Arch.  i 
System.  Philos.  III,  129).  Nach  H.  Cornelius  ist  das  Noumenon  nur  ein 
Verstandesbegriff,  der  sich  in  den  wechselnden  Phänomenen  manifestiert  (Pbt- 
Chol,  S.  253;  Eiiil.  in  d.  Philos.  8.  263).  Vgl.  G.  D.  HlCKS,  Die  Begriffe 
Phänomenon  u.  Noumenon  u.  ihre  Verh.  zueinander  bei  E[ant  1897. 

Bfnanc^n  (oder  „Tönef*)  sind  Verschiedenheiten  derselben  Qualität  (Höff- 
PING,  PsychoL  ö.  135). 

NiilUbiBteit  nennt  H.  More  (Enchir.  met  27, 1)  die  Anhänger  der  Lehre, 
daß  die  öeele  keinen  Baiun  einnehme. 

MuUpiiiikt  des  Eeizes,  des  Gefühles:  Unmerklichkeit  dieser. 

Hos  (vovs)  s.  Geist. 

Nntxen  (utilitas)  ist  die  Beziehung  emer  Sache  auf  (praktische)  Zwecke 
eines  Wollenden,  die  Förderung  dieser  Zwecke.  Nützlichkeit  ist  Tauglich- 
keit zur  Bealisiermig  eines  Zweckes,  zur  Förderung  des  Ich,  zur  Vannehraxig 
seiner  „Vermögen**  (im  psychischen  und  realen  Sinne).  Zu  unterscheiden  sind: 
wahrer,  scheinbarer,  objectiver,  subjectiver,  idealer,  materialer,  biologischer, 
wirtschaftlicher  Nutzen.    Über  Grenznutzen  s.  Wert 

Nach  Albertus  Magnus  ist  nützlich  (utile),  „^uod  expediens  est  ad  eon- 
sequendum  id  quod  iniendiiur**  (Sum.  th.  I,  8,  3).  Geulikgx  bestimmt:  „Utile 
est  medium  boni**  (Eth.  III,  §  6,  p.  1(X)).  Spinoza  versteht  unter  Nutzen 
Förderung  der  Macht  des  Ich  (s.  Utilitarismus).  Chr.  Wolf  definiert  den 
Nutzen  eines  Dinges  als  „Folgerung  aus  seinem  Wesen,  die  wir  vorher  nickt 
bedacht  haben,  da  wir  es  hervorxubringen  getrachtet**  (Vem.  Ged.  §  1029).  Eine 
Erkenntnis  ist  nützlich,  „wenn  sie  die  Bequemlichkeit  des  menschliehen  Lebens 
befördert^'  (Vem.  Ged.  von  d.  Kraft,  d.  menschl.  Verst',  S.  175).  Baumoarten 
erkläit:  „Utilitas  est  bonitas  respectiva,  quae  si  tribuitur  rei,  eui  alterum  pro- 
dest,  Passiva,  si  Uli,  quod  prodest,  activa  did  polest^*  (Met  §  336).  Nach 
J.  Bentham  ist  „utüity**  „that  property  in  any  objeet,  whereby  it  tends  to  pro- 
duce  benefit,  advantage,  pleasure,  good,  or  happines^*  (Introd.  I,  eh.  1,  p.  3). 
Ihebing  erklärt:  „Nutxen  ist  bewirkte  Annäherung  an  das  gesteckte  Ziel*'  (Zweck 
im  Recht  II,  209).  Nach  A.  Meinono  heißt  Nützen  „eine  Werttatsache  ver- 
ursachen** (Werttheor.  S.  13).    Vgl.  Utilitarismus,  Selection. 

Nyaya-PhiloBophie  (indisch)  ist  wesentlich  Logik. 

Draok  Ton  Fr.  Aug.  Enp«l,  Hofbnelidnioker«!,  SondeiBhaiiMB.  ^  J 


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