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Wörterbuch
der
Philosophischen Begriffe
Historisch-quellenmäfsig bearbeitet
von
Dr. Rudolf Eisler
Zweite völlig neu bearbeitete Auflage
Erster Band:
A biß N
Berlin 1904
Ernst Siegfried Mittler und Sohn
Königliche Hofbachhandlung
Koohstnbo 68—71
■-'
Alle Rechte aus dem Gesetze vom 19. Jani 1901
sowie dfts Übenetzungsrecht sind yorbehalten.
Vor wrirfe
Der Gegenstand dieses Wörterbuches ist die Geschichte der
philosophischen Begriffe und Ausdrücke auf Grundlage der
Scbriften der Philosophen, so dafs diese möglichst selbst zum
Worte kommen. Jeder philosophische Terminus wird zunächst
Tom Herausgeber begrifflich bestimmt und sodann gezeigt^ welche
Bedeutung derselbe und welchen Inhalt der durch ihn vertretene
Bepiff bei den rerschiedenen Philosophen des Altertums, des
ICttelalt^, der neueren und der jüngsten Zeit besitzt. Nicht alles,
WBs Ton allen Philosophen jemals über den Sinn der Begriffe
gesagt wurde, konnte angeführt werden, eine Auswahl mufste natur-
gemäß getroffen werden, aber es wurde danach gestrebt, möglichst
Tiel tjpische Begriffsbestimmungen aufzunehmen, so dafs
wenigstens eine relative Art ^Yollständigkeit^ erzielt werden konnte.
Das Hauptgewicht wurde auf die eigentlich philosophischen Begriffe
gdegt, doch sind auch wichtigere angrenzende Begriffe und Termini
berücksichtigt worden; Begriffe, die weniger philosophische Theorien,
Oeiitangen, Bestimmungen ausdrücken als concrete, erfahrungs-
m&Cng • allgemeingültig festlegbare Tatsachen, sind teilweise nur
birz, mit Heraniiehung einiger Hauptquellen, erörtert worden
(l B. Gehörsinn, Affinit&t, Freude u. dergL). Betont mufs werden,
dali, wenn etwas unter dem einen Schlagworte vermifst wird, es
lidi noch finden kann: 1. bei verwandten Ausdrücken, 2. in den
Kachträgen im Anhang, wo auch Berichtigungen zu finden sind.
Ferner sei bemerkt, dafs der Herausgeber noch während des (lange
^it m Anspruch nehmenden und daher früh begonnenen) Druckes
lY Vorwort.
weiteres Material sammelte; dasselbe ist im Texte so weit verwertet,
als dieser noch nicht gedruckt war, zum anderen (kleineren) Teile
aber im Nachtrag angebracht; viele Autoren und Begriffs-
bestimmungen, die in den vorderen Partien des Buches
noch nicht vorkommen, treten in späteren Teilen noch
auf. ^) Teils die verhältnismäfsige Kürze der Zeit, die dem Heraus-
geber vergönnt war, teils die Unmöglichkeit, alle gewünschten Werke
rechtzeitig zu erhalten, sind schuld an diesem sowie an dem
Umstände, dafs auch in dieser zweiten Auflage noch manches fehlt,
was immerhin hätte berücksichtigt werden können. Wer also
gewisse Lücken findet, möge nicht etwa glauben, dafs sie aus Mifs-
achtung bestimmter Autoren entspringen, sondern möge sie den
Schranken, denen solch eine Arbeit begegnet, zuschreiben.
Die Anordnung des Materials ist so getroffen worden, dafs in
erster Linie die Übersichtlichkeit des Stoffes gesichert wurde. Die
logisch-systematische und die chronologisch-genetische Dispositions-
weise wurden nach Möglichkeit miteinander combiniert. Auf allzu
subtile Einteilungen kam es hier, in einem Wörterbuche, nicht so
sehr an, verführt doch eine solche, die gewöhnlich durch allerhand
Yoraussetzungen und Annahmen bedingt ist, selbst |ilso den
Charakter einer Theorie, einer Hypothese hat, zur Subjectivierung
der Darstellung, während doch dem Herausgeber an möglichster
Objectivität lag; diese ist denn auch von der Kritik anerkannt
worden. Den eigenen Standpunkt, den der Fachmann als einen in so
mancher Beziehung selbständigen erkennen wird, hat der Herausgeber
in den an der Spitze der einzelnen Artikel stehenden Begriffs-
bestimmungen zwar kurz, präcis, aber, wie er glaubt, nicht un-
wissenschaftlich, entwickelt.
Begriffe sind der Niederschlag von Einsichten in das Constante,
Allgemeine, Charakteristische, Typische einer Gruppe von Objecten,
die Concentrierung und Fixierung des in einer Reihe von Urteilen
Gedachten. Sie enthalten das „ Wesen ** einer Klasse von Objecten.
Dieses „Wesen" ist aber nicht etwa das »Ding an sich", sondern
das, was dem Denkenden als logisch wichtig, bedeutsam erscheint^
und das hängt sehr vom Standpunkt und von der Individualität des
^) Ein Urteil über den Grad der Reichhaltigkeit des Baches ist daher erst
nach Kenntnis des Gesamtwerkes möglich.
Vorwort. V
Denkenden ab. Daher repräsentieren insbesondere die philosophischen
Begriffe ganze Theorien, Hypothesen, Deutungen, Wertungen,
ein jeder von ihnen will eine Seite der Objecto erfassen, fixieren.
Die Verschiedenheit der philosophischen Charaktere bringt Einseitig-
keiten in der begrifflichen Bestimmung ^ der Dinge mit sich, der
Stand der wissenschaftlichen Forschung, der EinfluTs der Religion,
G^lschaft, Horal, Basse u. a. m., sie wirken auf die Gestaltung,
auf den Inhalt der Begriffe ein. Dazu kommt der Wechsel der
Bedentang der Ausdrücke, der seinen Grund teils in der Subjectivität
der Philosophen, teils in allgemeinen Zweckmäfsigkeitserwägungen
hat. Endlich führt die Notwendigkeit, neuen Begriffen entsprechende
Fiiationspunkte zu geben, zu neuen „Fachausdrucken^. Diesen
Wechsel in der Bedeutung der Begriffe und Auscfrücke,
diese Veränderung von Quantität, Qualität, Wert der
Begriffsinhalte will das vorliegende Wörterbuch erkennen
lassen. Es will zeigen, was jeder Philosoph mit den von ihm in
seinen Schriften gebrauchten, aber nur stellenweise definierten Aus-
drücken meint, und welchen Inhalt die von ihm verwendeten
Begriffe im Unterschiede von anderen Denkern haben. Es will damit
«ich die Quintessenz der Theorien und Weltanschauungen
der, verschiedenen Denker durch diese selbst formulieren lassen.
Der Unterschied wissenschaftlich-präciser von der „naiven" Begriffs-
bestimmung soll dem „Laien" klar werden. Unterscheiden sich doch
die philosophischen Begriffe von den „populären" hauptsächlich
dadurch, dafs in ihnen dasjenige, was der „Naive" functionell, unter-
bewufst denkt, mit voller Besonnenheit, mit der Klarheit und Be-
wufstheit der Apperception erfafst und fixiert wird. Gerade die
Einseitigkeiten und Halbheiten der Begriffsbestinmiungen aber sind
notwendig, damit im Fortgange der philosophischen Evolution all-
mählich das wahre Wesen der Dinge, nach Überwindung der
Einseitigkeiten, Irrtümer und Widersprüche, an den Tag komme.
Die Kenntnis der verschiedenen, einander ergänzenden „Meinungen"
wt ftr den nach Objectivität des Erkennens Strebenden wertvoll.
Solch eine Kenntnis wird zunächst durch das Studium der
klassischen Autoren selbst erworben. Teils zum besseren Ver-
ständnis dieser, teils um auch andere, dem Kichtf achmanne ferner
liegende Philosophen kennen zu lernen, also zur Vorbereitung und
VI Vorwort.
Ergänzung des philosophiBchen StudiumS) dienen die philosophie-
geschichtlich en Werke. Da diese aber in der Regel diePhilosophen
in tote als Systematiker behandeln und den Stoff nach Perioden und
Denkern anordnen, so sind auch Werke notwendig, welche eine
Geschichte nicht der Philosophen, sondern der Begriffe geben.
Eine vollständige, allumfassende, ausführliche Geschichte aller philo-
sophischen Begriffe gibt es naturgemäfs noch nicht, sie mufs erst all-
mählich entstehen. Das Bedürfnis nach Übersicht über die historische
Gestaltung der Begriffe kann daher bis jetzt nur beMedigt werden
durch das Studium: 1. der vorhandenen Monographien^), 3. einiger
Speciallexika^, 3. durch allgemeine philosophische Wörter-
bücher^, deren es eine Anzahl gibt. Während diese aber das
Historische nur nebenbei berücksichtigen und ihren Hauptzweck
darin setzen, eine philosophische Encyklopädie, ein lexi-
kalisches Compendium der Philosophie und Psychologie abzugeben, ist
das vorliegende Wörterbuch in erster Linie historisch. Insofern
unterscheidet es sich von allen anderen Werken dieser Art, vor allem
durch die im wesentlichen consequente Durchführung der quellen-
mäfsigen, bezw. auch der wörtlichen (im Originaltext oder in
Übersetzung) Darstellung. Das Wörterbuch bietet ein ausgewähltes,
^) Zu diesen ist auch B. Euckbns „Geschichte und Kritik der Grundbegriffe
der Gegenwarf, 1S78, zu rechnen; vgl. desselben Autors „Geschichte der philo-
sophischen Terminologie im Ümrifs*, 1879. Vgl. Windelband, „Gesch. d. Philo«.** 2. A.
^ Meissner, „Philosoph. Lexikon aus Wolffs deutschen Schriften*', 1737.
Mellin, „Kunstsprache der krit. Philosophie**, 1798; „Encyklopäd. Wörterbuch d.
krit. Philos,** 1797 — 1803; „Marginalien und Register zu Kants Kritik der Er-
kenntnisvermögen*, 1794— 95. G-. Weg NEE, „Kant-Lexlcon", 1893. Frauenstadt,
„Schopenhaner-Lezicon", 1871. L. Schulze, ^Thomas-Lexicon**, 1896. M. Kappes,
„Aristoteles-Lezicon**, 1894. BouRDET, „Vocabulaire des principaux termes de la
Philosophie positive**, 1875. J. J. WaGNER, „Wörterb. d. Piaton. Philos.«, 1799.
') GocLENlüs, „Lexicon philosophicum", 1613. MiCRAELiUS, „Lexicon philo-
sophicum', 1653. Martini, Fogeui „Lexicon philosophicum*, 16S9. WalcH,
„Philosoph. Lexicon**, 1726. CHAUVIN, „Lexicon rationale**, 1692. Lossius, „Neues
Philosoph, allgemein. Real-Lexicon**, 1803. KruQ, „Allgemeines Handwörterbuch
der Philosoph. Wissenschaften**, 1827 ff. Vgl. auch Bayle, „Dictionnaire histor. et
critique**, 1695—97. VoLTAlRE, „Dictionnaire philosophique**, 1764. Von neueren
Wörterbfichem seien erwähnt: A. FftANCK, „Dictionnaire dea sciences philosophiques*',
1844—52, 3. A. 1885. A. BeRTRAND, „Lexique de philosophie**, 1893. J. £. THOMSON,
„A Dictionary of philosophy", 1887; W. Flemming, „Vocabulary of Philosophy**,
4. A. 1887. Bawldin, „Dictionary of Philos. and Psychol.*, 1901 ff. E. KiRCaNER,
„Wörterbuch derphilosoph. Grundbegriffe.* 4. Aufl. von C. MichaSlis^ 1903 (populär).
Vorwort. VII
geordnetes Qnellenmaterial ffir yergleichende und kritische ünter-
nehiingeii, es erleichtert dem Fachmann e die Arbeit nach yer-
sehiedenen Richtungen, besonders demjenigen, der nicht eigentlich
Historiker der Philosophie ist. Dem Schriftsteller und Lehrer
gibt es Citatenstoff, dem Studierenden und Laien kann es zum
lächteren Verständnis bei der Lektüre und beim Studium und es
faum ihm als Hand- und Hilfsbuch für die Orientierung in der Ent-
wicklung der philosophischen Begriffe dienen. Es kann femer zum
eigenen Denken anregen. Zahlreiche Zuschriften haben dem Heraus-
geber dargetan, dafs er mit seinem Buche einem Bedürfnisse ent-
gegenkam. Nur möge man beachten, dafs das „Wörterbuch" nicht
eine Geschichte der Philosophie überhaupt sein, nicht eine
solche ersetzen will, sondern dafs es die Benutzung einer solchen
Toranssetzt, welche es ergänzen will. Bibliographisches z.B. bringt
ea nicht, zumal es schön ein eigenes biographisch-philosophisches
Wörterbuch (von L. Noack, 1879) gibt
Gegenüber der ersten Auflage weist die vorliegende besonders
folgende Yorzüge auf: 1. Eine bedeutende Vermehrung des Stoffes
(der Schlagworte wie der Gitate); 2. eine systematischere, über-
aehtlichere Anordnung; 3. genauere und meist ausführlichere
Begriffsbestimmungen seitens des Herausgebers; 4. umfassen-
des Berücksichtigung der Ethik, Ästhetik, Religions-, Rechts-,
Socialphilosophie sowie 5. der neueren ausländischen
Autoren. *)
Der meist wohlwollenden, wenn auch zuweilen strengen Kritik
qnricht der Herausgeber für verschiedene nützliche Fingerzeige seinen
DaDk aus. Ebenso dankt er dem Publikum für die über Erwarten
günstige Aufiiahme seines Buches, die ihn für seine nicht geringen
Änstrengongen entschädigt.')
Wien, Oktober 1903.
Der Herausgeber.
1) Soweit deren Werke hier za erlangen waren. Eine noch umfassendere
BerQckrichtigang (auch deutscher Autoren] behält sieh der Herausgeber fSr eine
'^eit neue Auflage vor.
*) Die Nachträge sowie das Literatur-Register befinden sich am Schlufs
^ xweiten Bandes.
i ( UNlVEr^'-ITY
r'\ i-..: .- -V
.iM.«
A: in der Schul -Logik = Zeichen für das allgemein bejahende Urteil
4äk S sind P), „Asserit Ä sed umpersaliter** (bei Petrus Hispakus: Prantl,
G. d. L III, 431). yyÄsserit A" wohl schon bei Psellüs (1. c. I, 643, 656).
YpL Logik von Port-Royal II, 2 u. dgl.
A = A: Schema für den Satz der Identität (s. d.). J. G. Fichte erklärt
''den Satz A = A für den Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie. Er ist als
mmittelbar gewiß g^eben. Er besagt, daß, „wenn Ä sei, so sei J.". Ein not-
vendiger Znsammenhang wird damit durch das Ich gesetzt, „schlechthin und
«*«? allen Orund" (Gr. d. g. Wiss. S. 4). Dagegen gilt der Satz Ich = Ich
nicht bloß fonnal, sondern auch material, das Ich ist darin selbst gesetzt. Aus
Idi = Ich folgt erst durch Abstraction das logische Gesetz A = A. Nach
€akktrrb ist A = A „(las erste Oesetx im Denken wie in der Natur^K „Die-
mbm Umstände haben immer dieselben Ergebnissen^ (Asth. I, 34). Bei Sohel-
uk(t igt A = A eine Formel für die Einheit des Absoluten, das sich in Potenzen
(ä i) A = A», A = A«, A = A« entwickelt.
A = iilclit Non-A: Schema für den Satz des Widerspruchs (s. d.).
Xach J. G. Fichte entsteht der Satz durch Abstraction aus dem sich Ent-
gegensetzen des Nicht-Ich durch das Ich (s. d.). Vgl. Negation.
Aballenatlon: Geistesstörung (s. d.).
Abdnetlon: Überleitung von einem Satz zum andern.
Abesse ad posse valet, a posse ad esse non valet consequentia:
dff Grundsatz, nach welchem man zwar von der Wirklichkeit auf die Möglich-
^ät, aber nicht umgekehrt schließen darf. „Quod extstit, id est possibUe^^
(CIhb. Wolf, Ont. § 170). Aus der Gültigkeit, des assertorischen folgt die des
problematischen Urteils, nicht aber umgekehrt.
Abfiül B. Böses, Gott.
AbgekArster Sdilnß s. Enthymem.
Abfielet tet ist jede Erkenntnis, die eine andere voraussetzt, zur Grund-
lage hat, aus ihr folgt. Vgl. Prädicabilien.
Abc^eBi€0sen = präcis = inhaltlich genau bestimmt, scharf umgrenzt
Abgescisen = abstract (s. d.).
AbbftBf^l^kett (Dependenz) ist die Beziehung, in welcher etwas seinem
^, saner Beschaffenheit nach durch ein anderes bestinmit, bedingt, gesetzt
■*• Abhängig ist, was nicht ohne ein anderes sein, so sein kann. Zu unter-
•dieiden ist: reale (ontologische) Abhängigkeit — die eines Dinges oder Ge-
fchAens von anderen Dingen oder Vorgängen; erkenntnistheoretische
Abb- — die der Objecte vom Erkennen, von den Anschauungs- und Denk-
P1ülotopbiMb«t WOrterbaoh. 8. Aufl. 1
Abhängigkeit - Absolut.
functioDen, vom Subject; logische Abh. — die eines Gedankens von anderen,
mathematische Abh. — das Functionsverhältnis (s. d.); moralische Abh.
— die einer Willenshandlung von einem Willen; religiöse Abh. — die der
endlichen Wesen von Grott. Daß mit dorn Grunde die Folge gesetzt ist, ist der
allgemeinste Ausdruck der Dependenz.
Die Scholastiker unterscheiden eine y,dependentta essentialüer^' und „aeei-
denialiter", „eausaiis^y „relatira", jypersoncUis" (vgl. GOCLEN, Lex. phil. p. 509).
Chr. Wolf: „Ens unum Ä dicitur dependens ab altero B, qtiotenus eius, qtwd
ipsi Ä ineocistit, ratio in hoc altero B eontinetur^* (Ontol. § 851). Kant rechnet
die Dependenz zu den Grundbegriffen des Denkens (Kr. d. r. V. S. 96). Eine
Beihe von Philosophen (Mach, Avenarius u, a.) setzt den Begriff der
functionellen „Abhängigkeit^^ an die Stelle des Causalbegriffs (s. d.). Avenabius
bezeichnet das „System O* (s. d.) als „Utiahhängige^^, von dem jeder einzelne
Erfahrungsinhalt „abhängig'' ist (Kr. d. r. E. I, 40; II, 5, 16 ff.). Vgl.
Oausalitat.
Abliftni^i^keitss^^MM s. Religion.
Abneig^nni^ s. Neigung.
Abraxas = die mystische Zahl 365 der Gnostiker. Nach Basilides
besteht ein System göttlicher Kräfte (Äonen) in 365 Sphären (vgl. Vorländer,
Gesch. d. Phüce. I, 210), die den Namen äß^ii^a führen: a{\) + ß (2) + ^ (100)
4- « ( 1 ) + { (60) + o (1) -f a (200) = 365.
AbscIireekMns^stlieorle: Nach ihr besteht der Zweck der Strafe in
der Einschüchterung des Verbrechers und anderer. Vgl. Rechtsphilosophie.
Abiieliea ist das Gegenteil von Begierde (s. d.).
Abslcllt (Intention) ist die bewußte Anstrebung eines Zieles und auch
das, worauf es bei einer Willenshandlung, abgesehen ist, das bewußt Be-
stimmende derselben, das eigentliche, directe Motiv. Nach den Scholastikern
ist Absicht ( inten tio) ein „virttäis appeiitivae a/^tiis", „actus roluntatis" (Thomab,
Verit. 22, 13 c). Es gibt intentio absoluta, actuaUs, habitualis, animalis, bona,
mentalis, femer intentio prima und secunda naturae (4 sent. 36, 1, 1 ad 2;
Verit 23, 2 c). Nach Chr. Wolf ist Absicht „da^enigcy ira^ wir durch ttnser
Wollen XU erhalten gedenken'' (Vem. Ged. I, § 910). MEmONO teilt die Ab-
sichten oder „Willens- Objecte" in egoistische, altruistische und neutrale ein
(Wertth. S. 95 f.). SiGWART erklart: „Wo die Möglichkeit der Ausführting als
vorhanden angenammen, aber der bestimmte Weg xum Ziel noch nicht gefunden
ist oder nicht sofort betreten oder wenigstens nicht mit eifietn Schritt xuriick-
gelegt werden kann, existiert der bejahte Zweck als Absicht^' (Kl. Sehr. II*, 150).
Absiclfttstlieorle: die Beurteilung des Sittlichen rein nach der Absicht,
dem Motiv des Handelns. VgL Ethik, Sittlichkeit, Tugend.
Absolut (absolutus): losgelöst von jeder Bestimmtheit, jeder Verbin-
dung, jeder Abhängigkeit; in und durch sich bestehend, uneingeschränkt, be-
ziehungs- und bedingungslos, unbedingt, in jeder Beziehimg. Gegensatz: relativ
(s. d.). „Absolut" entspricht dem xa^ avro (an sich) bei Plato, ARiSTOTEuas,
Plotin. Bei den Scholastikern bedeutet „absoltäum" das „purum", „sine idla
conditione", „non dependens ab alio" (GoCLEN, Lex. phil. p. 9). Gott wird das •
„absolutum" genannt von NicoLAUB CusANUS (Doct. ignor. II, 9). Bei Spinoza
u. a. finden wir den Gegensatz von „absolute" und „respectire" (Cog. met.
Absolut — Abstraot.
I, 6, p. 60). CoujEB gebraucht das Wort im Sinne von independent (Clav,
aniv. p. 2). Nach Teteks ist absolut, ,f<iUi8 auf nichts anderes sich Bextehendey dtzs
üfdtexogen^^ {Phil. Vers. I. 145). Zur Zeit^Kants bedeutet absolut y^daß etwas von
eitur Sache an sich seihst betrachtet und. also innerlich gelte^^ oder ,jdaß etwas in aller
Baiehtmg (uneingeschränkt) gültig ist" (Kr. d. r. V. S. 281). Bei J. G. Fichte heißt
absolut so viel wie „gänxlieh unbeschränkt^^ „schlechthin" (Gr. d. g. Wiss. S. 97).
£r ^richt von einem absoluten Ich (s. d.). Von Bghelling an wird yydus Ab-
iohfte*^ für den Urgrund der Dinge, die Gottheit, häufig gebraucht. Schopen-
HiüER eifert gegen diesen Gebrauch, das Wort bezeichne nichts als das ,fÄn-
niehts-geknüpft-sein" (Neue Fand. § 96). Als absolut wird Gott übrigens schon
rm Tbomas (,yAbsolutuin , secmtdum quod in se est*' Sum. th. I, qu. 85, 3),
femer auch von Leebniz (Erdm. p. 138 ff.) bezeichnet. Chr. Wolf definiert
d» Absolute als „dasjenige Ding, welches den Grund seiner Wirklichkeit in sich
hat tmd also dergestalt ist, daß es unmöglich nicht sein kann", d. h. ein „selb-
itändiges Wesen", das „von allen Ditzgen unabhängig ist" (Vem. G^ed. I, § 929,
§ 938|. VgL Gott.
Absolute Erkenntnis s. Erkenntnis. Absolute Existenz = das „inse
e«*?" der Scholastiker (Thomas, Smn. th. I, 85, 3). Vgl. Sein. Absolute
Freiheit s. Freiheit, Indeterminismus. Absolute Gültigkeit s. Gültigkeit
Absolute Idee s. Idee. Absolute Namen s. Connotatio. Absolute Not-
wendigkeit 8. Notwendigkeit Absolute Position s. Position.
Absolute Wahrheit ist eme Wahrheit, die unabhängig von anderen
Wahrheiten und von allen denkenden Subjecten gilt. Vgl. Wahrheit.
Abflolnter Geist s. G«ist Absoluter Idealismus s. Idealismus. Ab-
soluter Raum 8. Saum. Absoluter Wert s. Wert. Absolutes Ich oder
Sobject 8. Ich.
AlbselateA Wissen ist der Ausgangspunkt der ScHELUNGschen
Fliiloeophie. Es ist ein Wissen, „worin das Suhjective und Objective nickt als
Entgegengesetzte rereinigt, sondern worin das ganze Stibjective das ganze Objective
md umgekehrt ist" (Id. zu e. Ph. d. Nat. I*, 71). Vgl. Wissen.
AbsolatisnftUS s. Rechtsphilosophie.
Absondern = abstrahieren (s. d.).
AhmtaOwakgßlkrtM („v^is repulsiva") ist die den Körperelementen oder
den Atheratomen zugeschriebene distanzsetzende Kraft. Vgl. Atom, Materie.
Abstract (abgezogen) ist jeder Bestandteil einer Vorstellimg oder eines
fiefjiffes, der für sich allein durch die Aufmerksamkeit fixiert, appercipiert und
dadurch aus dem tatsächlichen Zusammenhange herausgehoben wird. ,rAbstract^*
im engeren Sinne und „begrifflich" sind identisch. Die abstracten Be-
?riffe sind die höchsten Stufen der Abstraction, sie haben nur mehr Verhalt-
&iä^, Relationen, kurz völlig Unanschauliches, Nichtsinnliches zum Inhalt
'*. B. Sein, Wirken, Tugend). G^ensatz: concret
Abetract (ro /£ itpat^asoH) ist nach AsiBTOTELES das Allgemeine, z. B.
dv Mathematische (Met 1061 a 29; 1077 b 9; de an. 403 b 15, 432 a 5). Den
Scholastikern gelten als abstract die Begriffe und Namen von Eigenschaften
o»d Verhältnissen, als concret die Gegenstandsnamen. „Coneretum significat
^ diqmm rem et supponit pro illa, quam nullo tnodo abstracttim signißcat fiec
fro Uta supponit" (Pkantl, G. d. L. III, 363). Das abstracte Wort steht
^f^f mttltis simul sumptis", das concrete „pro uno solo" (1. c. 364). Nach
1*
i
Abstraot.
H0BBE8 sind abstract Begriffe, wie Körperlichkeit, Größe, Ähnlichkeit, also
Attributsbegriffe (Comp. 4, 3). „Concreium^*^ ist „quod rei alicuiuSy quae existere
suppaniturj nomen est" (I. c. 3, 3; ähnlich J. St. Mill, Log. I, 32). Che.
Wolf versteht unter y,notio abstraeta" einen Begriff, welcher ,,aliqtiid, quod rei
midam inest rei adest (scili^et rerum attribuiaj nwdos, relaiiones) repraesentat
absque ea re^ cui hiest rei adest^* (Log- § HO). Nach Bonnet entsteht das
Abstracte durch Beschränkung der Aufmerksamkeit auf allgemeine Eigenschaften
(Ess. de Psych. C. 12). Destutt de Tracy bestimmt als „termes abstraits^
jjles mots purete, honte etc., qui exprinient ces qualites separees de taut si^et^
(EL d^ id^l. I, 6).
Berkeley bestreitet die Existenz von yyobstraet idetis", d. h. Allgemein-
vorstellungen; ein Dreieck, das weder gleichseitig, noch schiefwinkelig, noch
ungleichseitig u. s. w. sein, sondern nur die allgemeinen Eigenschaften des
Dreiecks haben soll, ist ein Unding, existiert nur „in den Köpfen der Gele/irten**
(Princ. XIII). Das Abstracte, Allgemeine (s. d.) ist eine Function des Namens.
In seinem Sinne sagt auch Hume: jy Alle abstracten Vorstellungen sind in Wirk'-
lickkeit nichts anderes als einzelne, die ron einem gemssen Gesichtspunkt aus
betrachtet irerden, mit allgemeinen Bezeichnungen rerknüpft^^ (Treat. II, sct. 3,
S. 52). Gegen diese Auffassung ist J. J. Engel (Schriften 1844, X, 75 ff.).
Kant nennt einen Begriff desto abstracter, ,Je jnehr Unterschiede der Dinge
aus ihm weggelassen sind" (Log. § 6). Nach Krug ist abstract „ein Begriff,
wenn er für sich allein, mithin außer Verbindung mit anderen Begriffen ge-
dacht wird" (Lexik. I, 15). Nach Schopenhauer sind alle Begriffe abstract
(W. a. W. u. V. Bd. I, § 9). Bolzano versteht unter dem Abstracten jede
„BescJuiffenheitsvorstellung" (Wiss. I, 259 f.). Hegel hält den Begriff nur in-
sofern für abstract, „als das Denken überhaupt und nicht das coficrete Sinnliehe
sein Eletnent, teils als es 7wch nicht die Idee ist", „als rein forfnellen Begriff^*^
(Encykl. § 164). Der lebendige Begriff (s. d.) ist hingegen das „schlechthin Conr
crete" (ib.). Das Vemünftig-Abstracte ist zugleich ein Concretes, „weil es nicht
eifi fache, formelle Einheit, sondern Einheit unterschiedener Bestim-
mungen ist" (§ 82). Alles „Wahrhaftige des Geistes sowohl als der Natur ist
in sich concret und hat der Allgemeinheit ohneracJUet dennoch Subjectiritltt und
Besonderheit in sich" (Ästh. I, 92).
Nach Fortlage ist ein „Begriff mit lauter fixen Merhnalen" concret ; er wird
um so abstracter, je mehr Merkmale beweglich werden (Psych. I, § 23). Ab-
stract sind nach Drobisch die Gattungs- und Artbegriffe (Neue Darst. d. Log.
S. 22). Nach C. GöRING gibt es nur Individualvorstellungen (Syst. d. krit
Philos. I, 234). So auch nach Stricker (Stud. üb. d. Bewußts. 1879, S. 40 ff.)-
Hagemann erklärt: „Das abstracte Wort bexeicJinet die Wesenheit, Beschaffen-
heit oder deren Mangel ( Privation) ^ abgesehen (abstrahiert) vofi dem Subjecte,
welchem sie xidcommt. Das conerete Wort bezeichnet die Wesenheit, Beschaffen-
heit oder deren Mangel, xugleich mit ihrem Subjecte" (Log. u. Noet. S. 35).
Nach Liebmann gibt es abstracte Denkfunctionen , wenn auch die Existenz
abstracter Begriffe durch innere Beobachtung nicht festzustellen ist (AnaL d.
Wirkl.*, S. 485). Nach Wundt smd abstract „diejenigen Begriffe, denen eifte
adäquate stell rer tretende Vorstellung nicht entepricht". Ihren anschaulichen
Charakter verlieren die Begriffe durch Verdunkelimg der mit den „herrschenden
Elementen" verschmolzenen repräsentativen Vorstellung und endlich durch Ver-
dimkelung dei herrschenden Elemente selbst. Dann ist das gesprochene oder ge-
Abstraot — Abstraotioii. 5
«hiiebene Wort das einzige Zeichen für den Begriff (Log. I*, S. 46 ff., 51 ff.
Gr. d. Pöych. S. 312 ff. Syst, d. Phil.«, S. 38 f., 44). Die abstractesten Be-
griffe bestehen nur noch in logischen Forderungen (vgl. B^riff). Nach Jgdl
'9i der logische Begriff abetract, „denn er greift aus (kr Ersclteinung . . getcisse
Züge hercms und fixiert sie in dieser Besonderheit als allgemeinem^; der „Wort-
begrifft hingegen ist concret (Lehrb. d. Psych. S. 609). H. CoKNELrüS: jfDie
Bedeulung des Prädieaiswortes ist ,abstract% insofern dasselbe gemäß der Eni-
fifktmg seiner Bedeutung alle Inhalte der betreffenden Art unterschiedslos (also
Abgesehen*" von ihren Unterschieden) bexeichnet^' (Einl. in d. Phil. S. 236).
HrsSERL nennt „abstractum^^ einen ,Jnhalty xu dem es überhaupt ein Oanxes
pbiy bezüglich dessen er ein unselbständiger Teil ist** (Log* Uiit. II, 260). „Con-
frHum*^ ist ein Inhalt mit Beziehung auf seine abstracten Momente (1. c. S. 261).
HÖFLEB bezeichnet als „abstra^cte Vorstellungen** „die durch die abstrahierende
Aufmerksamkeit hervorgehobenen Vorsteliungsnierkmale** (Gr. d. Log.*, S. 16).
Xich Schupfe ist ,^eoncret** das gegebene Individuelle, y^abstraeV* jedes für
äeh, gesondert gedachte Element der Wirkhchkeit (Log. S. 79). Abstract ist
.jfin aus dem Qanxen einer erlebten Wahmehmutig in Gedanken abgesonderter
Batandteil datm, wenn er für sieh allein absolut nicht wahrgenommen irerden
inm, sondern immer nur xusammen mit einem andern Bestandteil** (Zeitschr.
1 imm. Phil. I, 40; Erk. Log. S. 162 ff.). Das Concrete ist „dasfetiigej was
nmmlieh und xeiilirh oder doch wenigstens xeithch bestimmt ist und in dieser
Bettimmtheit seine Unterscheidbarkeit hat** (Grdz. d. Eth. S. 390). Rehmke
sctet „concret** gleich „unveränderlich**, „abstract** gleich „veränderlieh** (Allg.
P^choL S. 6 f.). ffDas Concrete besteht aus Äbstraetem und das Äbsfracfe be-
«<«*/ nur als wirkliche Bestimmtheit des Concreten** (1. c. S. 7). Es gibt ein
allgemeines und individuelles Abstractes (1. c. S. 9). Concretes (Veränderliches)
ist ,/lie gesetzmäßige Einheit des Nacheinander von unveränderlichen Augen-
bliekS'Einheiteny die untereinander sowohl Identisches als a^ich Verschiedenes
enthalten** (L c. S. 45).
Abstrmete Ctofllhle sind (nach Sully, Hum. Mind II, C. 10) die
intelleetuellen, ästhetischen, moralischen Gefühle.
Abstracte Vorstellung s. Abstract.
Abstraeter Begriff s. Abstract, Begriff.
Albstraetes Denken s. Denken.
Abstrmetloii (Abziehung, Absonderung) ist die Heraushebung eines
^kenntnisinhalts durch die willkürliche, active Aufmerksamkeit (Apperception),
das willkürliche, absichtliche, zweckbewußte Festhalten bestimmter Vorstellungs-
merknude unter gleichzeitiger Vernachlässigung, Zurückdrängung, Henuuung
anderer Merkmale. Der G^ensatz zur Abstraction im engeren Sinne, d. h. zur
Erweiterung des Begriffsinhalts, ist die logische Determination (s. d.).
Abstrahieren bedeutet das Absehen vom Individuellen, Zufälligen zugimsten
des Allgemeinen, Notwendigen, Wesentlichen, Gattimgsmäßigen, zunächst bei
Ambtotelbb (Anal. post. 74 a 37; Met. 1036 b 3, 1077 b 9; Phys. 187 b 33,
2f J6 a 15). Die Scholastiker betonen den Wert der Abstraction für die Er-
kenntnis der Üniveroalien (s. d.). „Per at>strahentem infellectum genera con-
(ipimtur et speeies'* (JoH. V. SalisbüRY bei Prantl, G. d. L. II, 248). Es wird
▼iel vom „abstrahere formam a materia inditiduali'* (Thomas, 8um. th. I, 85, 1)
gesprochen. Die ,fSpecies intelligihiles** (s, d.) werden von den sinnlichen Vor-
6 Abstraotion.
Stellungen (phantasmata) abstrahiert durch den yyinteUeettis agens*^. So können
wir f,in nostra conMercUione natura^ speeterwn sifie individucUibus eoftdicio-
nibu^^^ gewinnen (1. c. I, 85, 1). „Format fluni ifäelketae in actu per ab-
sirdctionem^^ (C. gent. I, 44, 98; II, 82). Die Abetraction kann auf zweierlei
Weise erfolgen: 1) ^yper moduni compositioms et ditnsianis, sictU cum intellt-
gimus aliquid nan esse in alio, vel esse separatum ab co", 2) ,jper rnodum »im-
jdieitatis, sicut cum intelligifnus unum, nihil considerando de alio" (ib.). Femer
gibt es eine Abstraotion, „secimdum qtwd tmitfersale abstrahitur a partietdari,
tä ani/nial ah horniney" und eine jjSecunduni quod forma abstrahitur a materia,
sicut forma eireuli abstrahitur per infeilectum ab omni materia sensibili" (Sum. th. I,
40, 3c). Nach DüNS ScoTUS gibt es eine zweifache Abetraction. „Lm est a
tnateria ei suppositisy sicut honw abstrahitur ab illo homine et ab isto et a ma-
teritty tä ab homine albo et *nigro . . . Alia est abstr. a suppositis, sed non a
materiay sicut homo albus abstrahitur ab illo homine et ab isto" (bei Prantl,
G. d. L. III, 212). Zabarella bestinunt das Abstrahieren als f,(zctio intelleetus,
quo separat a phantasmatibus seu visis universale et ipsum denudai omni nta^
ieriali eonditione*^ (de mente agent. 6). Goclen erklart, es sei die Abetraction
eine „eonsideratio aticuius absque eo, in quo est** (Lex. phil. p. 14); zwei Ab-
stractionsstufen gibt es: „abstr. prima" (z. B. color) und „abstr, secunda" (colo-
rei'tas) (1. c. p. 19). Campanella führt die Abetraction auf ein Nachlassen
der Verstandes tätigkeit zurück, sie hat also einen negativen Charakter. y^Al)-
stractio universalis non fit per virttUem aliquam agentem, sed ex latiguore acti-
vitatis in singularitatibus vel ex raritate agendi" (Univ. phil. I, 5, 1). Die
Logik von Pobt-Boyal erklart das abetracte, discursive Erkennen durch die
Beschränktheit unseres Greistes. yyLimitatio mentis nostrae causa est, ut
nequeamus eomprehendere res aliqualiter compositas alio modoy quam eas petrti-
ctUatim considerafuio et quasi diversas illarufn fades contemplandoy quae nobis
obverti possunt; hoc atUem ipsum est quod generäliter sdre per abstractionem
dicitur** (I, 4).
Locke setzt das Abstractionsverfahren in die gesonderte Auffassung der
Dinge, getrennt von allen andern Dingen und von den Neben unistanden der
Dinge wie Zeit, Raum u. s. w. (Ess. c. h. u. II, § 9). Berkeley betont, ab-
strahieren heiße nur „einzelne Teile oder Eigenschaften gesondert von anderen
betrachten", und das sei nur möglich bei Eigenschaften, weiche ebenso gesondert
existieren können (Princ. X; so auch Hume). Condillac erklart abstraire als
yyseparer une idee d'une aidre, ä laquelle eile parait natureUement unie^* (Tr. d.
Bens. I, eh. 4, § 2). Chr. Wolf: yySi ea, quae in perceptione distinguuntur,
tanquam a re percepta seiuncta intuernury ea abstrahere dicimur" (Psych, emp.
§ 282).
Als Absehen von dem Besonderen und Beibehaltung, Fixierung des All-
gemeinen durch Hemmimg, Verdimkelung des Specifischen wird, in einigen
Modificationen , die Abetraction bestimmt von G. F. Meier (Met. S. 73 f.),
von Kant (y, Absonderung alles Übrigen, worin die gegebenen Vorstellungen sich
unterscheiden") (Log. § 6). „Wir müssen nicht sagen: Etwas abstrahieren (ab-
strahere aliquid), sondern von etwas abstrahieren (abstrahere ab aliquo). Ab-
stracfe Begriffe sollte man daher eigentlich abstrahierende (conceptus abstrahentes)
nennen, d, h. solche, in denefi mehrere Abstractionen rorkommen" (1. c. S. 146 f.).
Lambert erklärt: „Da der Begriff der Art und Gattung nur die Merkmale in
sich faßt, die die Sache mit anderen gemein hat, so läßt man in diesem Begriffe
Abstraotion.
02£f eigenen Merhnnle weg und stellt sieh die gememsmnen besonders vor. Die
Vsrriektuiig des Verstandes j ivodvrch dies geschieht , nennt man abstrahieren^^
(Org. I, § 17). Dbbtütt de Tracy: „ Vous tirex de deux mi phrnetirs idies
indindueHes totä ce qui les confond, en rejetant tout ce qui les disHngne, et
rous en faites tme idee commune" (£1. d'id^l. I, 6, p. 91). Nach Hebbabt
beruht die Abetraction psychologisch auf« der yy Hetnmung des Verschiedenen
tider Vorstellungen" und Verschmelzuiig des Gleichartigen derselben zu einer
GtEamtvoiBtellung (Psych, a. Wiss. II, § 121; ähnlich Fbxes, Syst. d. Log.
S. 63). Dbobisch definiert die Abstraction als y,dte Denkoperation, welche von
dm rerglirhenen Objeelen die ihnen eigentümlichen Merkmale absondert und da-
iwrrh ihren Gattungsbegriff bildet" (Neue Daist, d. Log.», § 19, S. 21), Volk-
MAITK als den Process der „Loslösung des Vorstellungs- oder Formbewußtseifis
ton allen Bexiehungen auf ein anderes durch die wechselseitige Hemmung dieser
BeUthimgen untereinander^* (Lehrb. d. Psych. II*, S. 247).
Doi positiven Charakter der Abstraction betont Hegel. „Das abstrahierende
Beniefi , . . ist nicht als bloßes Auf-die-Seite^stellen des sinnlichen Stoffes zu
bftrarhten, tceleher dadurch in seiner Realität keinen Eintrag leidet, sondern es
iä fielmekr das Aufheben und die Reduction desselben als bloße Erscheinung
9Hf das Wesenttiehe, welches nur im Begriff sich manifestiert" (Log. II, 20).
Nach LoTZE erfolgt die Abstraction nicht durch bloße Weglassung, sondern
linidi „Ersatx der weggelassenen Merhnale durch ihr Allgemeines" (Log.*, S. 41).
W. Hamiltok betrachtet die Abstraction als eine Function der Aufmerksam-
keit So auch J. St. Hill, der aber keine gesonderte £xistenz des Abstracten
aonimmt. „The form€Uion , . , of a concept does not consist in separating the
Attributes which are said to compose it, from all other attributes of the same
43iijeets . . . Btit , . . we have the power of fixing our attention on them, to the
negleet of the other attribules" (Ebcamin. p. 393 ff.). Nach SULLY ist Ab-
straction eine „geistige Abtceisung dessen oder ein geistiges Abwenden von detn,
ttas fitr den Augenblick nicht von Wichtigkeit ist" (Handbuch d. Psych. S. 235).
Wahre Abstraction ist erst durch die Sprache ermöglicht (1. c. S. 253). A. Baik
bemerkt: „The idenlifging a number of different objecis on some one common
fmture, atid the seixing and marking thät feature as a distinct subject of thought"
Wdet das Wesen der Abstraction (Sens. and Int.', p. 511). Abstraction als
Bewußtsein des Abstracten ist nach B. EbdmAi^^n „Aufmerksamkeit auf das
Okiche, das in dem Verschiedenen, welches in dem Kreise des bloßen Bewußt-
«ifi» perbleibt, vorgestellt wird" (Log. I, 48). Sprachliche Abstraction ist die
JSüdimg und Verdichtung von Vorstellungen gleicher Merkmale durch die Re-
prodttetion von Erinnerungen und ihre Zusammenordnung xu neuen Gegenständen
öm/" Grund spraehlieher Überlieferung durch die Eitibildung" (1. c. S. 51 f.).
Nach Schuppe ist die Abstraction „ Unterscheidung der näclisthöheren eigentlichen
Gattung ron dem Speeifischen im einfachsten Element" (Log. S. 90 ff.), nach
Uphües ein „ Vorgang der Aufmerksamkeit auf bestimmte Teile der die Wahr-
^mutigen utul entsprechenden Vorstellungen vermittelnden Empfindungen, die
wHürlich notwendig mit dem Absehen von den übrigen Teilen verbunden ist, ohne
^t f^s dazu eines besondem Vorgangs bedürfte" (Psych, d. Erk. I, 239). Es
gibt eine natürliche und künstliche Abstraction (1. c. S. 240). Wundt
b€?timint die Abstraction (psychologisch) als active Apperception, Fixierung,
Aottonderung bestimmter („herrschende}-^^) Yorstellungselemente (auch an einer
vorigen Vorstellung) (Log. I*, S. 46 ff.). Die „isolierende^^ Abstraction besteht
8 Abstraction — Aooideiis.
in der Abtrennung eines bestürnnten Teiles von einer complexen Erscheinung^j
die „generalisierende*^ in der absichtliehen Vernachlässigung von Merkmalea
(Log. II, 11 f.). Nach Kreibig besteht die Abstraction darin, dafi „ein he^
atimmtes Merkmal in ntehreren Einxelrorstellungen fixiert tHrd, wodurch ron
selbst die übrigen Merkmale im Bewußtsein xurücktreten** (Die Aufm. S. 42),
Nach LiPPS ist Abstraction die „Heraushebung unselbständiger Bewußtseins^
elemente durch das bexeichnefide Wort" (Gr. d. Log. S. 126). H. CORNELltr»
Idirt (mit Hume): y,Äuf ein . . . Merkmal eines Inhaltes achten und von den
übrigen abstrahieren heißt nichts anderes j als die Ähnlichkeit des Inhaltes mü
einer Gruppe und nicht xngleteh diejenige mit den übrigen Gruppen ran In-
halten erkenne?ij mit weichen er außerdem noch Ähnlichkeit aufweist** (EinL in
d. Phil. S. 237 f. ; PsychoL 8. 50 ff.). Vgl. Meinong, Zeitschr. f. PsychoL u.
Phys. d. Sinne Bd. 24. Vgl. Allgemein.
Abstraction« absolute, nennt Schelling „die Handlung, rerfuöge
welcher die Intelligenz über das Objective absolut sich erhebt** (Syst. d. tr. IdeaL
8. 323).
Abstrahieren s. Abstraction.
Abstufonsttmetiiode s. Methode.
Ab0tnmpf\Bn|f der Ctofüllle ist ein Product der Wiederholimg eines
starken Gefühles.
Abanrd: sinnlos, denkwidrig, Widerspruchs volL Ad absurdum führen:
durch Aufzeigimg von Widersprüchen, Ungereimtheiten jemandes Ansicht, Be-
hauptimg ^nde^legen, entkräften, wie es besonders die Sophisten, Sokrates,
die Eristiker taten.
Abnile : Willenlosigkeit, Schwächung der hemmenden oder der dirigierenden
Function des Willens, verbunden mit einer übermäßigen Steigerung der auto-
matischen Tätigkeit oder einer Schwäche der Sensibilität (Ribot, Der Wille,
S. 33 ff.). Eine Abulie liegt in der (pathologischen) Unfähigkeit, eine Willens-
intention auszuführen, durchzuführen, Unfähigkeit der Entschließmig oder der
Ausfühnmg des Entschlusses (vgl. RiBOT, Les maladies de la volont<^).
Ab uniTersall ad particulare valet, a particulari ad univer-
sale non valet consequentia: Vom Allgemeinen darf man auf das Parti-
culare, Besondere schließen, weil dieses in jenem schon eingeschlossen ist.
Vgl. Dictum.
Absftlilani^tinftetiioden s. Methode.
Aeceptationstbeorie = die Lehre des Axselm (De conc. virg.
c. 20 ff.), daß der Sohn Gottes sich als Äquivalent für die (sonst unsühnbare)
Schuld des Menschengeschlechts geopfert hat.
Aecidens (Accidenz) (xo av/ußeßijxoe) heißt das unwesentliche, wechselnde,
äußere, „xtt fallige**, nur in Beziehung auf besondere Dinge auftretende Merk-
mal eines Dinges. Der Gegensatz zu „acfidentielb* ist „essentiell*^ Die „Acci-
detixen** werden auch als Zustände, Bestimmimgen der Substanz (s. d.) dieser
selbst gegen übergesteli t.
Das „Aecidens** im Sinne des Unwesentlichen, nicht im Begriffe eines
Dinges Liegenden oder direct aus ihm Folgenden kommt zuerst bei Aristoteles
vor. Es ist das, was sich olx i^ dt'dyxr^s ovr ini ro ttoXv an einem Dinge
Aoeidens — AceidentaliB.
findet (Met IV, 30, 1025 a 14), z. B. das Weiß-Bein des Menschen (Met. V, 2,
IC66b35). Was einem Dinge nur beziehungsweise zukommt, ist xara avftßeßijxog.
Vom Accidentiellen gibt es kein eigentliches Wissen (Met. X, 8, 10G5 a 4), weil
es unbestimmt (ao^iarav) ist (Phys. II, 4, 196 b 28). Plotin imterscheidet die
Äccidentien der Dinge von ihren Wesenheiten (Enn. II, 6, 2). Porphyb de-
finiert: <n^fißeßr.x6e 8d icriVy o yiverai xal dnoyirerai X^Q^^ '^^^ "^^^ vnoxetfit'yov
f&ooai (pag. 6, 4 a 25 ff.). In des Boethitts Übersetzung: „Accidens rero esty
quod adsst et abest praeter sulnectt corrupiionem^^. Es gibt ein „aceidens separabile^'
und „iftseparabile** {xotQtar6v und axca^ütov) (1. c. p. 39). Der Terminus
,jae«rfe?«" kommt schon bei Seneca (Ep. 117, 3) vor.
Die Scholastiker halten diesen Begriff fest (vgl. Prantl, G. d. L. III,
343). Man imterscheidet zuweilen „absolttte" (quantitas, qualitas) imd „re^pecfitr'^
Accidenzen (1. c. III, 282). Nach Thomas ist accidens „r^«, euiiis naturne dc-
hstwr esse in alio^^ (Sum. th. III, 77, 1 ad 2), es ist „praeter cssentiam^^ (1. c.
I. 54, 3 ad 2). „Arddentis esse est inesse/^ Es gibt „acc^idens eonirnune^* und
rflceidens proprium'^ (1. c. 1,3, 4c). SUAREZ erklart, „a^^«/«w esse talem formam,
^uae affieit cel modificat subiectum extra raii<mem. eius existens (Met. disp. 37,
8Ct 2). GoCLEX t€ilt uns mit, accidens bedeute „qiioil accedit vel decedit abs-
que rei corruptione^^. ,fQuicqtiid nihil confert ad constitutioneni stänectiy sed ad
iUud consiUutum insuper a4^cedit, ilhid potest abesse vel adesse praeter subierti
ipsim eorruptionefn'^ (Lex. phil. p. 26). So sind von den „formae e^seniiales^'^
die „formae aeeideniales^^ zu unterscheiden (ib.). Man spricht auch von einer
jflteidtnteitas'* als der „essentia accidefiiis^^j sowie von einem „a/^eidefis jxr
amtkns^' für jenes accidens, „quod non est per se seu essentiaie^^ (1. c. p. 33).
Die Motakallimün lehren das beständige Von-neuem-Geschaffenwerden
der Accidenzen durch Gott (vgl. StöCICL, G. d. Ph. d. M. II, 148).
Berkeley verwirft mit dem Begriffe einer materiellen Substanz auch den
des Accidens (Princ. XVII).
Nach Baumgahten ist accidens ein „praedicamenfum sire physicum, etdifff
«M? ei inessp*^ (Met* § 191), und er erimiert an den scholastischen Satz: „areidenfia
non fxistere posstmt nisi in aiiis, non extra suas subsfantias^^ (1. c. § 194 )
Kast nennt Accidenzen „die Bestimmungen einer Substanz j die nichts andere,^
find, ah die besonderen Arten derselben, xu existieren*^ (Kr. d. r. V. S. 178).
Nach Platner sind sie „die verschiedenen Arten und Grad^ des Wirkens od fr
NpiVw einer Substanx'' (Phil. Aph. I, § 864). J. G. Fichte: „T>ie Arcidcn\eH,
fynfketiseh rereinigtj gelten die Substanx — die Substanz, analysiert, gibt die
Afttfienxen*' (Gr. d. g. W. S. 161). Nach Schelling ist an einem Objecte das
Aceidais, was nur eine Größe in der Zeit hat (Syst. d. tr. Id. S. 218, 233).
Descartes gebraucht lieber das Wort y,modus", denn „accidens'* ist nicht
y^praeter modum cogitandi, utpote quod solummodo respectum denotat" (Princ. ph.
l •'il, 55). Ähnlich die Logik von Port-Royal (I, 6). Nach Hobbes ist
accidens ein „modus concipiendi corporis** (Comp. VII, 2). J. St. Mill nennt
Accidenzen „a/le Attribute eines Dinges, die weder in der Bedeutung des JSnmcns
^fignchiossen liegen, noch in einem noticendigen Connex mit den darin ein-
9^^dd(»sefien Attributen stehen** (Log. I, 158). Es gibt trennbare und untronn-
^ Accidenzen (ib.). Vgl. Substanz, Ding.
Aeeidentale possibile est putari destructum ut rcmaneat
s^Viectum (AviCKNNA bei Prantl, (.1. d. L. II, 326).
Accidentali» — accidentiell, accidential. (Vgl. Prantl, G. d. L. II, 326).
10 Aocidanteltaa — Act.
AcetdenteltAA ist die Eigenart des Accidenz-sein. Vgl. Accidens.
Aceidenter = per accidens = accidential.
AccIdentlAl oder accidentiell, s. Accidens.
Aecldemaeii s. Accidens.
AecomuModationPibeweipBiil^eit spielen eine Rolle bei der Aiis-i
bildung der Tiefenvorstellung. VgL Baum.
Aeedle (acedia): geistige Stumpfheit, Trägheit, Ekel an geistigen Gütern |
{Jaedium intemi boni'^) (AUGUSTINUS, THOMAS, Sum. th. I, 63, 2 ad 2), Welt- !
schmerz (Petrabca, De contempL mund. III). !
Aeerms (Haufen) ist der Name eines Schlusses, der die Unwahrheit,
den Scheincharakter der Sinneswahmehmung und der Veränderung der Dinge
dartmi soll (Eleaten). Ein fallender Komhaufe (xsyx^oe) kann hiernach kein
(ireräusch in Wahrheit hervorbringen, denn er ist aus lauter Körnern zusammen* !
gesetzt, die einzeln genommen lautlos zu Boden fallen (bei Abistoteles, Phm |
VIII 5, 250b 20). Eine andere Art des „Acervus^^ {acj^irr^) ist die, daß weder
ein Korn, noch zwei, noch drei Kömer einen „Komhaufen" bilden, und daft
dieser eigentlich gar nicht Zustandekommen kann. Vgl. Sorites.
Adiamotlft: die niedere Weisheit im System des Gnosticismus (s. d.).
Aellllleiis heißt ein von Zeno dem Eleaten zur Darl^ung der Unwirk-|
lichkeit der Bewegung (s. d.) aufgestellter Schluß. Achilleus, der schneUstei
Läufer, kann die langsame Schildkröte nicht einholen, auch wenn sie nur einen '
geringen Vorsprung hat; denn die trennende Distanz besteht aus einer unend-
lichen Zahl von Teilen, die in einer endlichen Zeit gar nicht durchlaufen werden
können (bei Aristoteles, Phys. VI 9, 239 b 14 sq.) Vgl. Unendlich.
Acbtnni^ ist anerkennende Berücksichtigung des Wertes einer Persönlich-
keit, des Sittengesetzes u. s. w. Sie besteht wesentlich in einem Ach tun gsge-
fühl, das sich an die Vorstellimg der Überlegenheit oder Ebenbürtigkeit ein«
Wesens knüpft. — Nach Kant ist Achtung „dow Oefühi der Unangeniessenheit
unsere» Vermögens zur Erreiekung einer Idee, die für uns Oesetx isf*^ (Kr. d. Urt
S. 111), „die Vorstellung von einem Werte, der mehier Selbstliebe Abbrueii tut'' ,„di6
unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Oesetx und Bewußtsein derselben^
(Gr. z. Met. d. Sitt. S. 20). Die Achtung vor dem Sittengesetz ist die Grund-
lage aller Mond (s. Sittlichkeit). In anderer Weise auch nach v. Ktrchkanx,
der unter Achtungsgefühlen die sittlichen Gefühle (das Gewissen) versteht (Kat .
d. Phil.», S. 172). Nach R. Wähle ist Achtung „die Vorstellung von der
Schwierigkeit gewisser einzelner Leistungen und der Bereitschafty die Person, rom
der sie ausgegangen, in einer ihr günstigen Weise %u beha^ideln'^ (D. G. d. PL
S. 391). Nach Iherinq ist Achtung „der durch Beachtung xum Ausdruck ge-
brachte Wert der Person'^, „Anerkennung des Wertes der Person" (Zw. im Recht II,
504). Nach H. ScErv\''AEZ ist Achtung ein „Gefallen an einer vorgestellten
Würde der fremden Person^' (Psychol. d. Will. S. 39).
Act (actus): einzelne Tätigkeit, Handlung, Wirksamkeit. Das schola*
8 tische „actus" ist die Übersetzung der dre^yem (s. d.) des Abistoteles (im
Cxegensatz zu „potetitia") und bedeutet Wirklichkeit, Wirklichsein, Verwärk-
lichung, Vollendung einer Möglichkeit („potentiae perfectio"). „Actus primus" ist
die Wirklichkeit, durch „actus secundus" die Tätigkeit (das operari) des wirklich
Actio — Aotivltät. 11
Gewordenen bezeiclmet. Der Gegensatz von esse „aetu*^ und esse „potattia" schon
bei BoETHTUS (Isag. Porph. p. 37, 49).
Actio manens, actio transiens: die in der Ursache bleibende, die auf
an anderes übergehende Tätigkeit. (Scholastiker).
ActIoM: Handlung, Tätigkeit (s. d.). Gegensatz: Passion (s. d.).
AetloMfttlieorle s. Apperceptionspsychologie.
Acut (activus): tatig, wirksam.
Actlver Intelleet s. Intellect.
ActiTitftt (activitas) = activer Charakter, Wirkungsfähigkeit („vis agendi^\
GocLEX, Lex. phiL p. 59). Dem Bewuiitsein konmit eine Activität zu, die es
im Denken und Wollen betätigt und die, als „Reaetivttät"y schon dem Wahr-
.liehmen und Empfinden zugrunde liegt. Der höchste Grad dieser Activität ist
idie Selbsttätigkeit, die Spontaneität (s. d.) des Ichs.
I Dbscabtes stellt den activen Geist der passiven Materie (s. d.) gegenüber.
Unter den yyaetiones animi" versteht er „omnes nostrae voluntatesj quia experi-
mur eas dirette venire ab aninia nostra, et videntur ab iUa sola pendere*^ (Pass.
aiL I, 17, p. 10). Spinoza verl^ die Action der Seele in das genaue £r-
; kennen : sie leidet, wenn sie unadäquate Vorstellungen hat. jjMens nostra quaedam
jcjif, qitatdam vero patitur; nempe qtiatenus adaequatas habet ideaSf eaienus
\fmyednm fiecessario agü, et quatenus ideas habet inadaequatas, eatenus neeessario
pnedam ptUüur^* (£ÜL III, prop. I). yjMentis actione^ ex solü ideü adaequatis
orimdur; pas9wnes atUem a solis inadaequatts penderU^*^ (1. c. prop. III). Ahn-
ilich meint Leibniz: ,yR n'y a de l' action dans les veritables substances, que
hrsqtte leur perception . , . se deveioppe et dement plus distinctey conime U n'y
1« (U passion que hrsqu'elle dement plus confuse^^ (Nouv. £ss. II, eh. 21, § 72).
jGECLtsrcx veriegt alle, auch die geistige Activität in Gott. Sein Grundsatz
ikutet: „Qtwd nesci^ quomodo fiat, id nan faeis^^ (Eth- I, c. 3, sct. 2, § 2, p. 32).
Daher y^tän nihil vales, ibi nihil veiis^* (1. c. Annot. p. 164). Ich bin nur ein
iZuecbauer (spectator) in dieser Welt, in der alles von Gott bewirkt wird (1. c.
pi 35 f ., s. Occasionalismus). Malebbaxche schreibt nur dem Wollen Activi-
tät zu. der Verstand verhält sich passiv , insofern er alles in und durch Gott
erkennt (Eech. II, 7). Nach Locke ist die Seele nur activ, insofern sie fähig
ist, Vorstellungen zu verknüpfen und zu ordnen (s. Empirismus). Nach Ber-
keley sind die geistigen Substanzen activ, die Dinge = Vorstellungen aber durch-
las passiv. Die Activität des Geistes liegt in seinem Vermögen , Ideen zu
pioducieren (bewußt zu machen) und zu verändern (Princ. XXVIII). Der
Sensoalismtis (s. d.) leugnet eine schöpferische, originäre Activität des Geistes.
Doch betont Condillac das Vorhandensein einer tätigen Kraft in der Seele,
v«rm^:e deren wir activ sind, nämlich in allem, was wir in oder außer uns er-
jagen, in unserem Nachdenken wie in unseren Willkürhandlungen (Tr. d. sens. I,
«h. 2. § 11). Die active Seite des Bewußtseins berücksichtigt Dügald Stewaet
iPhOos. of the active and moral powers), auch Hamilton.
Kant stellt der „Receptivität*^ (s. d.) der Sinne die „Spontaneität^^ des
I>enkens (s. d.) gegenüber. Seitdem berücksichtigen die meisten Erkenntnis-
ktitiker und auch viele Psychologen den activen Charakter des Bewußtseins.
; Eine Ausnahme machen die Associationspsvchologen (s. d.) und £. v. Haet-
! MA5if, nach welchem das Bewußtsein (s. d.) rein passiv ist; activ ist nur das
12 Aotdvität — Actoalitätstheorie.
yyUfibeunißte*^ (s. d.). — Nach Matvr de BmAX ißt die Activität des BewufiU
seins eine Tatsache, die im „effort voidu" (s. Wollen) zum Ausdruck gelangt
Fri£S erklärt die Passivität des Geistes für bloß relativ als Nötigung, die Tätigt
keit auf eine bestimmte Weise zu äußern (Neue Kr. I, 75). Die Activität dd
Bewußtseins betont Galuppi (Filosofia della volontk). So auch Lotze, Wünixk
Paulhan (Uactivit^ mentale . . .), Höffdeng, Witte (Wes. d. Seele S. 14^
Rehmke, der das „ Tätigsetn'* der Seele als „Bedingung^' für das Auftreten eil
einzelnen Bewußtseinsvorgangs auffaßt (AUg. Psychol. S. 482, 464) u. a.
Activität der Seele schon in der Sinnesempfindung behaupten u. a. FoRTLAi
(Psych. II, § 80), A. Bain (Sens. and Int.), HÖffding, der betont, die Activi!
des Geistes käme nur in ihren Resultaten zum Bewußtsein (Vierteljahrsschr.
w. Phü. Bd. 14, S. 308), Jgdl (Lehrb. ä. Psych. S. 96, 105), Stout (AnaLj
PsychoL). Vgl. Apperception. i
Acta esse s. Act
Actnallt&t (actualitas) : actuelles, tätiges Sein, Tätigkeitscharakter, Wirkn
lich-sein, Wirksamkeit (vgl. Thomas, Sum. th. I, 3, 4c; GrOCLEN, Lex. phiLj
p. 58).
Actualitfttstlieories a. metaphysische = die Lehre, daß die Wirk«!
lichkeit nicht in einem (ruhenden) Sein, sondern in Wirksamkeit (actus), (lebeori
digem, schöpferischem) Tun, in einem Werden, in stetiger Entwicklung und^
Selbstverwirklichung besteht; b. psychologisch = die Ansicht, daß dtt!
Psychische im Bewußtsein selbst besteht, real ist, die Auffassimg des Bewu6t>
seins (derSeele) als Geschehen, Tätigkeit, Proceß. Gegensatz: Substantialitäts-i
theorie (s. Seele).
Der Begründer der metaphysischen Actualitätstheorie ist Heraklit
mit seiner Lehre vom ewigen Werden (s. d.) ohne ruhendes Sein. Auf ein
geistiges Schaffen, Producieren führt Plotin das Sein zurück (Enn. VI, 8, 20)»
J. G. Fichte nimmt als das Ursprüngliche das unendliche Tun des absoluten
Ich (s. d.) an, welches das Sein erst setzt. Nach Hegel ist die „Idee^^ (s. d.)
als Weltgrund absoluter Proceß, dialektische Entwicklung. Nach Heixboih
ist die Kraft (s. d.) das Primäre, die Substanz ein Abgeleitetes. „Es üf daher ftur
ein Schein j eine Täuschung, die uns außer der Kraft noch ein von ihr rer-
schiedene^ Substrat, als Bedingung ihrer Wirklichkeit , annehmen läßt*^ (PsychoL
S. 273). Schopenhauer bestinmit das Sein als Product der Willens tat igkett
(s. d.). Nach Wundt sind die Wirklichkeitsfactoren Willenseinheiten, aber
nicht als tätige Substanzen, sondern als „substanxerxeugende Tätigkeiten^*
(Syst. d. Phil.*, S. 419 ff.). Es gilt der Satz: „so viel Äctitalität, so viel Reali-
fät^^ (Eth.*, S. 459). Die Verbindungen der Willenseinheiten zu einem Ge-
samtwillen sind daher ebenso real, ja, viel wirkungsvoller, realer als sie selbst
Die actuelle Willenseinheit ist „nur das letxte Glied in einer unendlichen
Reihe vorausxtisetxender Tätigkeiten, die alle bloß in der ihfien %ukomme7\de»
Verbindufig Wirklichkeit haben und deren Wechselbestimmungen daher in diesem
Sinne realer situi als sie selber^^ (1. c. S. 422 ff.).
Die psychologische Actualitätstheorie geht eigentlich schon auf Prota-
GORAS zurück, der gesagt haben soll, die Seele sei nicht na^a rag aia&iicai
(Diog. L. IX, 51). Bei Aristoteles konmit sie insofern vor, als er die Seele
(s. d.) als Entelechie (s, d.) bestimmt. Nach Spinoza ist die Seele keine Sub-
stanz, sondern die aus Teilideen zusammengesetzte „idea corporis*^ (Eth. IT»
ActnaUtatstheorle — Actus apprehensiviia. 13
^np. XV). HuME faßt die Seele geradezu als „Bündel" von Bewußtseinsinhalten
plme substantiellen Trager auf. Es gibt keine Seele außer dem aktuellen Be-
jinfiteein (TY«at IV, sct 5, set 6). Als Tätigkeit gilt die Seele bei J. G. Fichte
Liie InieUigenx ist dem Idealisrnt^s ein Tun und absohit nirJits weiter; nicht
pHinal ein Tätiges soll man sie nemien" WW. 1, 1, S. 440), Schelling, Hegel
ler Geist ist „absolute AetuaJität", Encykl. § 34), Schopenhaueb, als Kraft
i Heikboth (Psychol. S. 270 ff.). Fbchneb erklart ausdrücklich: „Im Be-
tßtsein gibt es . . . einen steten Flußy Wechsel, ewige Veränderung dessen, was
rij» erscheint . . . wohl aber ^beharrliche Verhältnisse, feste Oesetxe." „Was
Ja* in sich ist, braucht nicht auf Festes aufgeklebt xu werden" (Üb. d. Seel.
1^. 2iV)i. Ahnlich Pauuben: „SoU ein ,Träger^ für das Seelenleben gefunden
^trricH, so muß man ihn niclit in einem isolierten, starren WirklichkeitsUötxchen
^hfTty das man ,absolut setxt^, sonderfi in dem umfassenden Oanxen, aus dem,
■» dem und in dem es ist^' (Einl. in d. Phil. *, S. 136). WüNirr versteht unter
Actualitatstheorie die Tatsache, „daß jeder psychische Inhalt ein Vorgang
tus) ist", daß das Psychische Ereignis, Geschehen und nicht ruhendes Sein,
ie daß es unmittelbare Wirklichkeit, nicht Erscheinung ist (PhiL Stud. X,
101: XII, 42, 81 f.). Das geistige Leben ist „nicht eine Verbindung unter-
^erter Übjeete und trechselnder Zustände, sondern in allen seinen Bestandteilen
is, nicht ruhendes Sein, sondern Tätigkeit, nicht Stillstand, sondern Ent-
üung^' (Vorles.*, 8. 495; Ess. 4, S. 115). Das Psychische ist als „ein fort-
tend ivtehselndes Oesehehen in der Zeit, nicht als eine Summe beharrender
Otfeetf, wie dies meist der Intellectualismus infolge jener falschen Übertragung
CroH uns vorausgesetzten Eigenschafteti der äußeren Gegenstände auf die Vor-
Ittngen derselben annimmt^^ (Gr. d. Psych.*, S. 17 f.). Die innere Erfahrung
Ist ^n Zusammenhang von Vorgängen", sie besteht aus „Processen" (1. c. S. 18 f.).
Von diesem Standpunkte aus erklart sich auch das Verhältnis von Seele und
Leib iL c. S. 388). Als „reines substratloses Geschehen" bestimmt auch Jebu-
8AIEM das Psychische (Urteilsf. S. 7; Lehrb. d. Psych.», S. 3). Den Actuali-
titBStandpunkt (mindestens im Sinne des Erlebnischarakters des Psychischen)
▼«treten femer: von Habtmank (Phil. d. Unb.', S. 401), aber nur für
^ Bewußtsein, hinter dem doch noch ein „functionierendes Subject, das
^ Stibstattx XU bexeichnen ist^', steht (Krit. Wander. S. 95), H. Spenceb (auch
mir empirisch, Pöych. § 469), A. Spib (Viertelj. f. w. Ph. IV, 370), Höffding,
Stlly, James, Baldwin, Ladd, Villa, Rehmke, Riehl, Jgdl, Wähle u. a.
Dh? Theorie (Seele = Tätigkeit) wird bekämpft von Volkmann (Lehrb. d.
Psyt-L I*, S. C2). A. Vannebus u. a. Vgl. Seele.
Actaell (actualis): wirklich, wirksam, im Gegensatz zu „potentiell" (s. d.).
& ist das Aristotelische ivs^ei^. Nach Abistgteles erfolgt jeder Über-
|iog {KivriCK) vom Potentiellen zum Actuellen durch ein Actuelles {ael yd^ ix
T#i ivwifui 09TOS ylyvMTat ro ivs^yeiq bv \m6 ive^ytiq 6vT<n, Met. IX, 8). Vgl.
Wirklichkeit, Pötentialität
ActmeUe Energie s. Energie.
Actes B. Act
Actes »pprelftenslTOUis Erfassung des Objects durch das Bewußtsein,
«iffwBcnde Tätigkeit (Wilhelm voy Occam; vgl Pbantl, Gresch. d. Log. III,
333/. VgL Apprehension.
14 Actos entitativus — Adiaphora.
AetiM entltaÜTiM: nach Duns Sgotus das Sein der formloBen Matenil
(De rer. princ. 7, opp. III).
Actus IndieatlTa« s. Urteil.
Aetns nobilior est potentia: die Wirklichkeit ist mehr, ist wertrolkl
als die Möglichkeit (Avicenna u. a).
Actus primus — actus secundus: erste und zweite Wirklichkeli|
y, Opera fto est actus secundus, forma auieniy per quam aliquid habet specism, td
actus primus'' (THOMAS, C. gent II, 59). ,
Actus piumss reine Wirklichkeit, immaterielle Wirksamkeit, stofflo6i|
Tätigkeit. So nennen die Scholastikeb Gott (s. d.) im Anschluß an AristOi
TELES, nach welchem Grott ohne Leiden, nur ivi^eia ohne SvvafMg ist (Meb
XI 7, 1072 b sq., XII 6 sq.). „Deus est purus actus ^ tum hahens aliquid ^
poteniialitate'' (Thomas, Sum. th. I, 3, 2 c). Actus purus ist ein actus, „^
nihü habet admistum poteniiae, ut aetemum. Itaque est sine motu'' (GoGLESj{
Lex. phil. p. 47). Nach Leebniz ist Gott (s. d.), die oberste Monade, yya4;tui
purus", weil er körperlos ist, das Universum in höchster Klarheit vorstellt und
insofern rein activ ist (Monad. 72). Sghelukg nennt die Gottheit als UrsöÄ
actus punis. (WW. II, 210 f.). VgL Gott.
Adam Kadmon: nach der Kabbala das Urbild des Menschen uiri
der irdischen Welt, eine Einheit von zehn „Sephiroth" (s. d.) (Feanck, Li
cabb. p. 179 ff.).
Adaption s. Anpassung.
Adaptionstbeorie s. Sprache.
i^d&qaat: angemessen, gleichkommend, entsprechend, vollkonmien genau,
getreu. Eine Erkenntnis (s. d.) ist adäquat, wenn sie die Wirklichkeit möglichsl
getreu in Begriffen und Urteilen nachconstniiert VgL Definition.
Nach Spinoza ist eine Idee adäquat, wenn sie mit ihrem Gegenstände
übereinstimmt: „per idea/m adaequafam intelligo ideam, quae quaienus in se sint
relatione ad ohieetum consideraiur omnes verae ideae proprietates sive denami'
nationes intrinsecas habet — dico intrinsecas, ut illam secludam, quae extrinseea
est, nempe convenientiam ideae cum suo ideaio" (Eth. II, def. IV). Im adäquaten
Erkennen besteht die „actio" (s. d.) der Seele. Nach Leibniz ist eine Erkenntnis
adäquat, wenn in ihr alles deutlich gekannt wird oder wenn die Analyse dei
Begriffs vollkommen durchgeführt ist (opp. Erdmann, p. 79). Platner nenni
einen Begriff adäquat, „wenn er die ouur Unterscheidung des Oesehlechts erfordere
Hellen gemeinsamen und eigentümlichen Merkmale enthält" (Phil. Aphor. I, § 527),
— Adäquat muß jede gute Definition (s. d.) sein.
Ad&qnata causa s. Causa.
Ad&qnate Erkenntnis s. Adäquat.
Ad lionftlnenft (xa^ av&Qomov) sc. argumentatio: auf Zugeständnis,
Uberredimg, Autorität, persönliche Motive u. dgl. sich stützendes, |x>pulärea
Beweisverfahren.
Adiapliora [dSid^o^a): Unimterschiedenes , Gleichgültiges, Wertloses.
Als solches gilt den Cynikern und besonders den Stoikern alles mit Aus-
nahme der Tugend, des sittlich Guten. Adiaphora ist rti Si fiera^v a^err-s ««i
Adiaphora — AAct. 15
aucuLi (Diog. L. VI, 104). Selbst das Leben hat keinen Wert an sich, kann
daher, wenn notwendig, angegeben werden (1. c. YII, 130; Beneca, £p. 12, 10).
Die gpiteren Stoiker mildem die Schroffheit der Adiaphora-Lehre, indem sie
einige Güter als Ti^orjyfAdva und aTiOTt^oijyfuva (vorzuziehendes und abzulehnen-
des) bestimmen (Stob. EcL, II 6, 156). — Nach Gompekz (Griech. Denk. I^
345) hat Prodikob dai fiegriff der an sich gleichgültigen Dinge, die erst von
der richtigeii Verwaidung ihren Wert empfangen, in die Sittenlehre eingefCihrt.
AlUcto simpliciter imd secundum quid: schlechthin u. relativ gedacht.
Adltls Unendlichkeit, auch Materie (Upanishads). (Vgl. Deussek^
ADg. G. d. Ph. I, 200.)
Ad oeolos: augenfällig, anschaulich. yyÄd oculos demonstrieren^^: an-
lehanlich darlegen.
AdnMteft {dd^creta): die Unentfliehbare = das Schicksal (Plotik,
Enn. in, 2, 13), welches aveufevxros xai dvcm68^aaro£ ist (Stob. EcL I, 5, 188;
I, 41, 966).
AdTAJtmHis NichtVielheit, Einheitslehre: Qrundlehre des Vedftntd.
A#ect (affectus, passio, nd&os) heißt ein erregter Gefiihlsverlauf, Grefühls-
anefanich, mit welchem bestimmte psychische und physiologische Veränderungen
verknüpft sind, welche auf den Affect verstärkend zurückwirken. Im Altertimi
md Mittdalter werden die Affecte mit den Grefühlen und Trieben vermengt;
'der Affectbegriff bezeichnet hier „edle OefüMs- und Wülensxtisimidey in denen
dar }knseh ton der Äußemoelt abhängig isf' (WlNDELBAND, G. d. Ph. S. 129).
Znnäehst gut als Affect jede von außen in der Seele erregte mehr oder
«eniger starke Bewegung der Seele, des VorsteUimgs- und Gefühlsverlaufes,
ßo bei den Cyrenaikern (s. Gefühl.) ABlBTOTELEe versteht imter nd&i] rtii
f»7Vs alle Zustande {iSets) der Seele (De an. I, 1, 402 a 9), im engeren Sinne die
Gemütsbewegungen, die teils von der Seele, teils vom Leibe ausgehen {atofiaTtxd
Ti sa^, Eth- Nie. X, 2, 1173 b 9). Als Affecte werden aufgezählt: &vu6sr
»fOTffi, foßoi^ iXeogp &d^oe, X^^f ^i^lv, /uaelv, ^id'vfiia, OQyrj^ ^ovos, ^iXia,
«•»*•«, ^Ms (De an. I, 1, 403 a 17 squ., Eth. Nicom. II, 4, 1105 b 21 squ.,
Polit, VIII, 6). Die Stoiker definieren den Affect (Ttdd'oe) als anormale,
lüeht natui^mäße, stürmische, vemunftlose Bewegung der Seele, sie betonen
das Alogische des Affects: iari Se avro ro nd&og xatd Zrjvtova ^ dXoyoe aal
»«^ fi;o«v y^/^« xivrjcis tj b^firi nXsavd^oviFa (Diog. L. VII, 110). Ildd'o^
wdvai factv o^fstjv nkaovd^ovaav xai aTietd^ rtf ai^ovvri Xoyep 17 xivrjoiv ^v/rje
««f« fi^ttf (Stob. EcL II, 6, 47). y^Est igüur Zenonis haec definitio, ut pertur-
*ß^ «tV, quod nd&os üle dicity aversa a recta ratiane contra naturam animi
tommotio** (CiCEBO, Tusc. disp. FV, 6, § 11). yyOmnes perturbationes indieio
«0»*^ fieri et optnione*^ (L c. 7, § 14). Der Affect enthält ein unlogisches^
CrteiL Die Grundaffecte sind: XvTnj (aegritudo), fo/Sos (metus), iTti&vfiia (libido)^
i'H (laetitia) (Diog. L. VII, 110; Cic. Tusc. disp. IV, 6, § 11). Die Beherr-
•Anng, Unterdrückung der Affecte (Apathie, s. d.) ziemt dem Weisen, Tugend-
l*ft€ii, weil die Affecte gegen die Natur der vernünftigen Seele sind (Cic, Tusc.
<J»p. in, 9, rV, 19; Senec. Ep. 116). Doch gibt es auch exmd&eiaiy nämlich
Z«^', tvlafleia, ftovXtjGie (Diog. L. VII, 116). Seneca betont die freiheits-
^«*Mn«ide Natur der Affecte (De ira II, 17, 7). Nach Plotin ist der Affect ein
«n bestimmte Vorstellungen der Seele sich anknüpfender Zustand des Leibes
(^^ III, 6, 3).
16 Affect.
«
Nach Gregor von Nyssa stammen die Affecte vom Leibe her, sie sind
beim Menschen Krankheiten der Seele (De an. p. 47; vgl. Siebeck, G. d. PI,
I, 2, 378). Nemesius nennt als Affecte Lust, Unlust, Furcht, Begierde (7I«fi,
tpvcstoe 17), AUGUSTDOTS: Begierde, Freude, Furcht, Trauer (Conf. VIII, 14)*
Thomas: amor, concupiscentia, delectatio, dolor, tristitia (8um. th. II, qu.26ff.).
Affect heißt hier „affedio, affecttts, eomntatio animij passto animaej perturbcUto^;\
er ist eine Erregung des „appetitus sefisibilis", des sinnlichen Begehrens (1 ])enh.i
2a; Sum. th. I. II, 24, 2c; 2 eth. 5b; De ver. qu. 26, 2). Goclen verstehlj
unter Affecten jyappdittis et averaaiiones" (Lex. phil. p. 80). „Passio^^ wird ge-j
braucht für jede Fonn „potentiae appetitivae^^ (1. c. p. 802). Vgl. L. Vives, Dei
an. III, p. 146 ff. '
Nach HoBBES bestehen die Affecte gleichfalls in Begehrungen und Ver-j
abschemmgen (,,appetiUi et fidgayoTistant", De corp. c. 25, 12), Bewegungen deS;
Bluts liegen ihnen zugrunde. Passiones sind appetitus, cupido, amor, aversio,
odiiun, dolor (Leviath. I, 6). Physiologisch erklart die Affecte auch Descartes:
„causam pa^aionum animae tum aliam qtmm agitationerrif qua spiritiis (Lebens-:
geister) niovent glandulanif quae est in niedio eerebri" (Pass. an. II, 51). Die:
primitiven, einfachen Affecte sind ffOdmiratiOy amoTj odium, ctipidüasy laetütOfi
moeror" (1. c. 69). Spinoza erblickt (ähnlich wie die Stoiker) im Affect ein«;
„confusa idea^^ (Eth. III, Schluß). Unter Affecten versteht er „corporis affets-\
tioneSy quibus ipsius corporis agendi potentia augettir vel mirmitury iuvcUur rd
coercetury et simtU harum affectionum ideas" (Eth. III, def. III). Affecte sind
nur durch andere Affecte zu bekämpfen, zu beherrschen (Eth. V, so schon
F. Bacx)Nj. Die Grundaffecte, deren mannigfache Formen analysiert werden,
sind laetitia, tristitia, cupiditas. Malebbanghe versteht unter Affecten y,touki
les emotions que l'äme ressent ?iaturellement ä Voccasion des mouvemenis extra*
ordinaires des esprits anitnaux et du sang^^ (Bech. IL Bd., C. 1). Lkibnis
setzt die Affecte als yyperturbations ou passions" in die yypensees confuses oü ü
y a de Vifwolantaire et de rinconnu" (Grerh. IV, 565). ShaftesbüäY bestimmt
die selbstischen und socialen Affecte (Mitleid, Mitfreude u. dgl.) als natürliche,
denen die unnatürlichen Affecte (Bosheit, Schadenfreude) gegenüberstehen. Von
diesen yysinnlichen^^ werden die yjrationalen" (Reflexion8-)Affecte (Gefühle des
Schönen und Schlechten) (Charact. of Men) imterschieden.
Wieder als Erregungen des Begehrens erscheinen die Affecte bei Chr. WolP.
jy Äff ectiis sunt actus a/nim<iey quilms quid vehementer appetit vel aversatury vd
sunt actus vehementiores appetitus sensitivi et aversatümes sensitivae" (Psych,
erap. § 603 ff.}. Ein Affect ist „cm tnerkli^^her Qrad der sinnlicfwn Begierde
lind des sinnlichen Abscheues^^ (Vem. Ged. I, § 439). Ahnlich BULFINOEE
(diluc. met. § 294). Baumgabten betont wieder den alogischen Ursprung de8
Affects (y,ex confusa cognitione"y Met. § 678). Condillac erblickt im Affect
yyun desir qui ne permet pas d'en avoir d'autresy ou qui du moifis est le plu$
dominant" (Trait d. sens. I, eh. 3, § 3).
Das Überraschende, Packende, Hemmende des Affects wird betont zunächst
durch Kjlnt. Nach ihm ist Affect yydas OefiUd einer Lust oder Unlust m,
gegenwärtigen StandpunkiCy welches im Siihject die . . . Überlegung nicht auf*
kommen läßt^y yyÜt>erraschung durch Empfindung y wodurch die Fassung det
Oemüis aufgehoben wird" (Anthr. § 71 f.), yydie/enige Bewegung des GemvUt
weiche es unvermögend macht, sich nach freier Überlegung durch Grundsätze «#
bestimmen" (Krit. d. Urt. S. 130). Die Affecte sind von den Leidenschaften
Affect. 17
(l d) zu unterBcheiden (ib.). Je nachdem sie die Lebenskraft steigern oder
lundcTii, sind sie „sthenUehe (wackere)" oder „asthenisehe (sckmelxende)" Aifeete
(L c. S. 190, Anthr. § 74). Herbakt erklart die Affecte aus dem Auftreten
m großer oder eu kleiner Vorstellungsmengen, die „beträchtlich von ihrem
Oififhgmicht entfernt" sind (Psych, a. W. § 106; vgl. Volkmann, Lehrb. d.
I^jTch. II*, 390). Nach Nahlowsky ist der Affect ,ydie durch einen über-
TButhenden Eindruck bewirkte vorübergehende Verrüekung des
inneren Oleichgewichts, wodurch auch der Organismus in Mit-
Uidenschaft gezogen und demgemäß die besonnene Überlegung und
freie Selbstbestintmung entweder rcdueiert oder sogar rnomentan
%nf St hoben wird" (D. (iefühlsleb. S. 247). Zu unterscheiden sind „Affecte
ier activen oder Mus-Seite" und „Affecte der passiven oder Minus-Seite" (1. c.
B. 258 f.). Nach Bbneke entsteht der Affect aus einer Ausgleichung plötzlich
at«tandener Überreizung (Lehrb. d. Psych. 8. 181). Schopenhauer definiert
Ihn als y^ine durch unmittelbar dargebotene^ anschauliche Motive hervorgerufene
» tfarke Bewegung des Willens, daß sie für die Zeit ihrer Dauer den Oebrauch
litr Erkenntniskräfle hindert und hemmt" (Neue Paral. S. 401). Nach JoDL ist
der Affect „das plötxliche Eintreten oder rapide Anschwellen eines auf Vor-
tfeümgen beruhenden Gefühls %u solcher Intensität, daß dadurch jeder ander-
nitige Bewußtseinsinhalt verdrängt wird" (Lehrb. d. Psych. S. 692). Jerusalem
botimmt den Affect als einen „bestimmten Gefühlsverlauf, der sieh von der
mkigen Gemütslage deutlich abhebt und einen intensiven Einfluß auf den Ge-
mäxustand des Bewußtseins ausübt^' (Lehrb. d. Psych.*, S. 152). Es gibt
LoFt- und Unlustaffecte, erregende und deprimierende, spannende und lösende
Affecte (ib.). Nach A. Lehmann ist Affect der Seelenzustand, „in welchem
starke Gefühle mit größerer oder geringerer Störung des normalen Vorstellungs-
wrktHfes verbunden sind, und welche zugleich von verschiedenen Veränderungen
*» körperlichen Zustandes begleitet werden" (Gefühkleb. S. 59). Jeder Affect
w zugleich Trieb und umgekehrt (1. c. S. 141). Die Verwandtschaft von Affect
nd Trieb betont auch Külpe (Gr. d. Psychol. 8. 337); er sieht in beiden
n^Suftänäe, die eine Verschmelxung von Empfindungen und Gefühlen darstellen"
«l f. S. 331).
Diese Auffassung des Affecte als eigenartigen Gef ühls verlauf s ist die von
WüiTDT begründete. Von einem Affect ist die Rede, wo sich „eine zeitliche
fol^e ron Gefühlen xu einem zusamtnenhängenden Verlaufe verbindet, der sich
S^^niAerden vorangegangenen und den nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges
Oanxes aussondert, das im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das
M^t ausübt als ein einzelnes Gefühl" (Gr. d. Psych. », S. 203). Der Affect
« ein psychisches „Gebilde** (s. d.). „Jedes intensivere Gefühl geht in einefi
MfM über*' (1. c. S. 203), besonders das rhythmische (ib.). Jeder Affect be-
|nu« mit einem „mehr oder minder intensiven Anfangsgefühl, das durch
•Ruf Qualität und Richtung sofort für die Beschaffenheit des Affects kenyizeich-
**»? ist, mtd das entweder in einer durch einen äußeren Eindruck hervorgerufenen
^orttellung {äußere Affecterregung) , oder in einem durch Associations- uyid
^PPfneptionsbedingungen entstehenden psychischen Vorgang (innere Affecterregung)
^^ Quelle hat. Darauf folgt dann ein von entsprechefiden Gefühleti begleiteter
^ontellungsverlauf, der wieder sowohl nach der Qualität der Gefühle tcie
*** der Geschwindigkeit des Vorgangs bei den einxelnen Affecten charakteristiscßte
f»/fr«Ai«fe zeigt. Endlich schließt der Affect mit eitlem Endgefühl, welches
fkUotophUehet Wört«rbuota. 2. Aafl. 2
18 Affect — Afficieren.
^Kieh dem, Übergang jenes Verlaufes in eine ruhigere Qemütslage xurüekbleibt,
in tcelchem der Affect abklingt, falls er nicht sofort in das Anfangsgefuhl «i
neuen AffectanfaXles übergeht'^ (1. c. S. 204 f.). Durch die Summation und d
Wechsel der aufeinander folgenden Gefiihlsreize steigern sich auch die Wirk
auf das Herz, die Blutgefäße und die Atmung sowie auf die äußeren Bew<
Organe (pantonmnisehe Bewegungen u. s. w. als Ausdrucksbew^ungen, s.
Bei den relativ ruhigen Affecten: Verlängerung oder Verkürzung der
und der Atmungswellen, bei den sthenischen Affecten verstärkte Iimervati
verlangsamte imd verstärkte Pulsschläge, bei den asthenischen Affecten
mimg der Herzinnervation und des Tonus der äußeren Muskeln, starke
und Atembeschleunigung, aber schwächere Bewegungen des Pulses und Aimi
bei den schnellen imd langsamen Affecten größere oder geringere Schnellig«
keit der Zunahme oder Hemmung der Innen^ation (1. c. S. 207 f.). Die ph;
ßischen Begleiterscheinungen verstärken den Affect (1. c. S. 208; vgl. Phi
8tud. VI). Nach der Qualität der Gefühle gibt es Lust- und Unlustaffeci
excitierende und deprimierende, spannende und lösende Äff ecte; nach der Inten
sität sind schwache und starke Affecte zu unterscheiden, nach der Verlauf fr
form: plötzlich hereinbrechende, allmählich ansteigende, intermittierende Affectt
(1. c. S. 213—216).
Diese physiologischen Begleiterscheinungen (Bewegungen, vasomotoris
Stönmgen) machen zur Ursache des Affects James (früher) (Psychol. II, C.2
C. Lange (Üb. Gemütebeweg. 1887), auch Sergi (Dolore e piacere 1894). \
Ch. Fere, Sensat. et niouvem. 1887, Eibot, Psychol. des sentim.
Affection (affectio): a. Zustand sänderung, Errogun fr, Erleiden. Die Scho
lastiker unterscheiden ^^affecHo externa''^ „qime subiedo adrenit ob ejcterna^
causam'^ und j, affectio interna^^ , „quae manat a subiecti prhicipii-s i?iiimi^
(GocLEN, Lex. phil. p. 78). Bpinoza, der in den Einzeldingen Affection«
(modi, s. d.) der Substanz (s. d.) erblickt, vereteht imter „cutis affeetioneif^
„quacdani attributa, snh qtiibus uniuscuiusqiie csscniiarn rel existent iam inteUigi"
tmiSy a qua tarnen non nisi ratianc disfinguurUur^' (Cog. met. I, 3). Xadl
Kant beruhen alle Anschauungen (s. d.) als sinnlich auf j,Affectioncfi*\ dit
Begriffe auf „Functionen'^ (Kr. d. r. V. S. 88). Nach Lotze sind Affei^tionen
„Arten, me uns xumute ist'^ (Gr. d. Log. S. 9). — Sinnesaffection ist die.
Erregung der Sinnestätigkeit durch einen äußeren oder inneren Reiz. — Affec-'
tion bedeutet b. Zuneigung, Schätzung. „Pretium affectiouis'' ■— subjektiver
Wert. — Vgl. Afficieren.
Affectional (und „Coaffectional'') nennt Avenarius da.«4Jenige, wodurch!
ein Empfindungsinhalt (ein „E- Wert*') zum „Er?ipfindeu'' wird (z. B. eia
„Druck'' zu „gedrückt uerdeti", „drücken'') (Kr. d. r. E. II, 23, 89 f.).
Affectlosig^keit s. Apathie. j
Afficieren (afficere): erregen, erleiden machen, einen Zustand in einem;
Wesen bewirken. „Affici" (irtdaxeiv) = informari, disponi, moveri, variari, im-j
pressionem recipere. „Obiecta dicuntur nos afficere'^ (Goclen, Lex. phil. p. 79).'
Descartes: „a re . . . quae sefisus nostros afficit" (Pass. an. II, 1, p. 24>.;
Nach Kant werden die Sinne von den Gegenständen „afficiert" (Kr. d. r. V»i
S. 49), das erkennende Subject wird afficiert oder afficiert sich selbst (im:
Selbstbewußtsein), wobei es sich leidend, receptiv verhält (Anthr. § 7). Nacki
Fries ist „Afficiert' werden" die Passivität, das Leidend-bestinmit-werden zn
Affixiitat — Agnostioisinxis. 19
I «nnlichen Vorstellungen, die Nötigimg, sie zu haben (Syst. d. Log. 8. 37).
[VgL Wahrnehmung, Empfindung.
AMllitftts Verwandtschaft. Logische A. = Verwandtschaft von Be-
igriffen. Psychologische A. = Ähnlichkeit von Vorstellungen als Gnmd
I ihrer Association. — Kant nennt Affinitat den „Gnmd der Möglichkeit der
\ A^^oriatioH, sofern er im Objecte liegf*. Diese „empirisehe^^ ist die Folge einer
f^trattseendentaien", auf der Einheit des Selbstbewußtseins beruhenden Affinitat
! (Kr. d. r. V. S. 125 f., 132). Affinitat ist, allgemein, „ Vereinigung aus der
i Abfinmmttng des Mannigfaltigen von einem Grunde^* (Anthr. § 29). Das yy Gesetz
\^ logischen Affinität** lautet nach Fbies: y^ede xirei gegebenen Nebenarten
fmneH so afieinandery daß sich ein stetiger Übergang von der einen xur andern
\ ienhn läßt** (Syst, d. Log. S. 105).
AfüraiAtloii: Bejahung, Behauptung.
AlAmatiTM Urteils bejahendes Urteil (S ist P).
AK^tholOi^e : Lehre vom Guten (ayad-ov), von den Gütern = Teil der
I Eihik (8. d.). Vgl. Güterlehre.
A^ewt» (to Ttoioifp): das Tätige, Wirkende, Princip des Wirkens. „Agens
I eti Hobilius pntiente" (AUGUSTINUS, Thomas, Sum. th. I, 79, 2) = aei ti/uw-
I T*^ TÖ Ttouivv Tov TtdaxovTOi (AmsTOTELES, De an. 111, 5, 430a 18). Vgl.
Action«
Jkn»lv^l>^*tioii („Anleimung**) : die einfachste Form der apper-
I < e p t i V e n Verbindimgen (s. d.).
A|SKlre|;^ats äußerliche Aneinanderreihung von Teilen, Elementen. Die
K5rper sind nach Leibniz Aggregate von Monaden (s. d.) (Monad. 2).
A^MOSle {ayi^cjaift): Unwissenheit, Nichtwissen: a. als methodologisches
Princip voraossetzungslosen Erkennens (Sokbates: „i>ä iccißf daß ich nichts
«f«yJ", bei Plato, Apol. 21 A); b. als skeptisches Fundament, so schon bei
GoSGIAS, dann bei Akkesilaos: „negabat esse quidnam quod sciri potest^^,
nnd nicht einmal das könne man wissen, daß man nichts weiß (Cieer., Acad.
pnßt I, 12). Auch SANCHEZ-memt: „nee unum scio me nihil scire^^ (Qu. nih.
*- p. 13 1. VgL Nihilismus, Skepsis.
JklCnostlelsiiiiiS : Ansicht, daß es von dem an sich Seienden, von den
liingen an sich, den transcendenten Factoren, vom Absoluten kein Wissen gebe und
, geben könne — die Kehrseite zum Positivismus, Relativismus, Subjectivismus.
Ih» yjfynorabimus*' DU Bois-Reymonds (Üb. d. Grenzen d. Naturerk. 7, S. 40 ff.)
I kennzeichnet diesen Standpunkt Das Wort „Agnostiker" („Agnoeien") kommt,
; al< Bezeichnung fiir die „Mofwphysitefi", schon in der Kirchengeschichte vor.
HcTLEY setzt das Wort „Agnostiker*^ dem Terminus „Gnostiker** entgegen.
-Jier Agfifuttieismus ist in Wirklichkeit kein Glaubensbekenntnis, sotulem eine
Methode^ deren Kern in der strengen Anwendung eines einzigen Gnmdsatxes
^^t. . . . Positiv läßt sich der Grundsatz so ausdrücken: in Verstandesdingen
ffjfge deiner Vemutift, soweit sie dich eben trägt, ohne einer andern Erwägung
^n Ohr XU leihen. Und negativ: in Verstandesdingen gib Folgerungen, die
''(der naehgetciesen noch nachweisbar sind, nicht für sieher aus" (Sociale Essays
XXXV). Agnostiker nennen sich auch Ch. Dakwin und Carneri (Empf.
u. Bew. S. 28). H. Spencer, nach welchem das Absolute unerkennbar ist,
2*
20 AgnoBticiamuB — Akademie.
lehrt einen y,ag)U)8ttschen Mam-smtia" (Paülsen, Einl. in d. Phil.). M(
physisch sind Agnostiker auch die Kantianer (z. B. F. A. Lange)
Positivisten (s. d.), auch ß. Wähle.
Ai^raphoble: Platzangst, Furcht vor dem Überschreiten eines grÖl
Platzes.
Af^rapUe: pathologische Unfähigkeit, Worte niederzuschreiben. (\^
WüNixr, Gdz. d. ph. Psych. I», 170.)
Älmliellkelt ist partielle Gleichheit. Sie hat verschiedene Grade
wird durch das vergleichend-beziehende Denken constatiert, hat aber in d(
Objecten des Denkens ein Fundament. — Aristoteles definiert: oftoui Itysri
T« XF. TtfivTTj Tavro nenovd'OTa^ xai zd nKeito ravrd nenov^ora ^ Sre^a, xi
c^ ff TtotoTt^g tiia' xal xad' San dXXoiovc&ai ivSixarni rcSv ivavritov ro n/A
Sxov ^ xv^noxB^a ofiotov rovrqf* dvrixetfiivtos Si rote o/tioioig rd dvoftout
V 9, 1018 a 15 sq.). Nach Boethius ist Ähnlichkeit (similitudo) „verum dij
rentiarum eade^n qualitas^^. Thomas: „Simile cUieui dieitvry quod eins poi
qucUitatem rel formam^^ (Cont. gent. I, 29). Nach Campanella ist Ähnlicl
keit yyinfluonis uniiatü parti4npivmquc^^ (Dial. I, 6, p. 141). Chr. Woi
yySmiilihido est identitas eorum, per quae entia a se inviceni discemi debebm
(Ont. § 195). Zwei Dinge sind ähnlich, „wenn dasfenige, uormis man sie
kennen und voneinander uni^rscJieiden soll, oder trodureh sie in ihrer Art deit
fninieret trerden, beiderseits einerlei ist** (Vem. Ged. I, § 18). Die Wichtigk(
der Ähnlichkeit von Dingen für die Erkenntnis betont besonders Hl
(Treat I, sct. 7). Nach Spencer kommt das Bewußtsein der Ähnlichkeit
Stande, yyicenn Tucei aufeinamler folge}ide Bettußtseinsxustünde beide aus in gl
Weise angeordneten gleichen Beicußtseinsxuständen xtisammengesetxt sind**.
die Ähnlichkeit vollkommen, so besteht ein „Betcußtsein von der Cknniensii
xiveier eonnatUrlicher Bexiekwigen xwischen Beivußtseinsxuständen, die jeicei
gleicher Art, gewöhnlieh aber ungleichen Grades sind** (Psych. II, § 359, S. 2(
Nach Münsterberg sind diejenigen Eindrücke yyäJinlich**, welche „ieiliceisf^
gleiche Reaetiotten** (des erkennenden Ichs) yycrxeugen** (Grdz. d. Psychol. I,
8. 553). RiEHL bemerkt, das Verhältnis der Ähnlichkeit schließe, wenn es
nicht umnittelbar durch Vergleichimg gegenwärtiger Wahrnehmungen erMt
werde, schon die Causalitätsbcziehung ein (Z. fünf, in d. Phil. S. 90 f.). Nach
P^BBINGHAUS werden Ähnlichkeit imd Verschiedenheit auch schon immittelbar
sinnlich empfunden, ohne Denktätigkeit (Gr. d. Psychol. I, 476). Külpe er-
klärt, Ähnlichkeit sei kein Beproductionsprincip (Gr. d. Psychol. S. 197). Vgl
E. Mach, Die Ähnl. u. d. Analogie als Leitmotive d. Forsch.: Annal. d. Natur-
phil. I, 1902. Vgl. Association.
Älmllclikeltsassoclatloii s. Association.
Älmliclikeltsliypotliese s. Wiedererkennen.
Almiiilg; (Ahndung): unbestimmtes Fünvahrhalten, Vorherwissen. Nach
Fries = „rfw» Uberxetigung nur aus Gefiüileyi ohne bestimmten Begriff**, aus
welcher der religiöse Glaube entspringt (Syst. d. Log. S. 423 ff.). So schon
Jacobi.
Akademiey Platonische, nach dem Hain des Heros Akademos, in dem
Plato lehrte. Im weiteren Sinne imterscheidet man fünf ,yAkade7nien** des Alter-
tums: die ältere (Speusippos, Xenokrates, Krates, Polemok, Krantor).
Akademie — Algorithmus. 21
die mittlere (AjueesüiAOS), die jüngere (ICabnbades)) die vierte (Philo
Ton Larissa) und die fünfte Akademie (AjrriocHOS von Askalon). Die erste
Akademie setzt die letzten (pythagoreisierenden) Lehren Piatos fort, die zweite
ond dritte nehmen einen skeptischen Standpmikt ein, die beiden letzten Aka-
demien huldigen einem Eklekticismus. Eine neue platonische Akademie be-.
gründete CoeMO von Medici (1440) (erster Leiter: Gemibthob Plethon).
AkAtelepsie (axaralrj^a), Unb^reiflichkeit s. Aphasie.
Akateleptiscli s. Katalepsis.
AlLlMaiisiiiMCi: (Lehre von der) Weltlosigkeit = extremer Pantheismus,
fär den die Welt als Smnme von. Einzeldingen kein wahres Sein hat; wirklich
ist nur GotX, die unendliche Einheit, in der alles Einzebie nur als Modus (s. d.),
ab Zustand ohne Sonderexistenz enthalten ist. Nach Hegel (Encykl. g 50)
ist das System Spinozas Akosmismus (als gerader Gegensatz zum Atheismus),
weil in demselben ,/iie Welt nur als ein Phänomen, dem nicht icirkliche Ee-
oHtäi iutomme, bestimmt wirtt^,
AlurlM^s Grenauigkeit , Sorgfalt im wissenschaftlichen Denken und
Forschen.
Akrottatatiscll heißen diejenigen Abhandlungen des Aeistgteles,
Tdche aus zusammenhangenden Vorträgen {axQodas^g, Met. 11 2, 994 b 32)
henroigegangen sind. Zugleich sind sie esoterisch (s. d.). G^ensatz zu akroa-
Buuiüch: erotematisch (in Fragen).
ne = begriffliche Grundsätze (Fries, Syst. d. Log. S. 411).
tmdriliers Philosophen aus und in Alexandria, die meist grie-
duKhe mit orientalischen (jüdischen) Lehren verschmelzen (Aeistobülgs, PHlliG
JuDAECS, Xeupythagoreer, Neuplatoniker). Im 3. Jahrh. n. Chr. besteht
<me christliche Schule von Alexandria (Clemexs Alexandrinus, Oeigenes
fOD Alexandria u. a.).
AleXAndrllliSDillSf alexandrinische Secte, Alexandristen = Gegner
dts Averroismiis (s. d.), stützten sich auf die Schriften des Alexander
VOH Aphbodisias. Sie behaupteten die Sterblichkeit auch des vernünftigen
TeilcB der Seele.
Alexies krankhafte Unfähigkeit, Greschriebenes zu lesen, in Laute um-
Mfietzöi = Wortblindheit.
AlgorltllDiMCi Proportion um = die von Nicgle Orebme (t 1382)
cingefährte Rechnung mit Bruchpotenzen, wobei teilweise schon Buchstaben als
Zahlen dienen (vgL Labswitz, G. d. At. I, 281). Nach Ggclen bezeichnet
*fAlgorithmiis** y,rationum putaiianes seu a^i^fiovs, carrttpta voce Oraeca a
Saroffnis" (Lex. phü.). Jetzt versteht man unter logischem Algorithmus^
nrf*p symbolische Darstellung der logischen Operationen, hei weichen diese sotcic
die Begriffe durch Zeichen fixiert und aus den allgemeinen Gesetzen des Denkens
<ttp Verfahrungsiceisen entwickelt werden, detien die Zeichen xu untertrerfen sifid,
w» aus betUimmten Verbindungen derselbefi andere abzuleiten und deren logische
l>ftäimg XU finden" (WüNDT, Log. I, 218). Anfänge dieses Algorithmus finden
•ich schon bei Leibkiz (s. Ars magna), Hartley u. a. Der eigentliche Be-
gründer der yysgmbolischen*^ Logik ist G. Bggle (The Mathematical Analysis
<rf Logic 1847, An Analysis of the Laws of Thoughts 1&54). VgL Jevgns
22 Algorithmus — Allgemein.
(Pure Logic 18&i, The Substitution of Similare 1869), J. Venn (SymboUc Logic 1881),
Mc-COLL u. a., ferner Delboeüf (Logique algorithmique 1877). VgL Are.
All (to 7r«r zum Unterschied von o/.ov: Aristoteles, Met. V 26, 1024 a 38, ]
Stoiker (Plut., Ep. II): das Weltganze, Universum, der Inbegriff des Seienden. \
Allbeseelang; s. Panpsychismus.
AUbewußtselii: das göttliche Gresamtbewußtsein (Fechner, Pauijsek, I
auch WuNDT, RÜLF u. a.).
Alleinlielt (ßv xal Ttdv): das als göttliche Einheit gedachte All der ;
Dinge bei Xenophanes (SimpL, Arist. Phys. fol, 56, Diels, p. 22), Patritius '
{yjUn-omnia"f Panarch. 7) und den Pantheisten (s. d.).
JLUelnlieitslelire s. Pantheismus.
Alles in allem {ndvra iv Ttavri): Nach AXAXAGORAS sind in jedem
Dinge alle Elemente (Homöomerien, s. d.) enthalten, mit Überwiegen bestimmter.
Nach ProCLTJS ist Tiavxa iv Tiaaiv, oixaicas Se iv exdinep (Just., Theol. c. 103).
Nach Nicolaus Cusanüs ist jedes Ding eine besondere Contraction des Ganzen:
„omni^ res acta exUtens contrahit unirersaj ut aint aciu qtwd est". MaIiPIGHI
vertritt den Satz: „Tota in minimis natura". VgL Mikrokosmos.
Allsten wart (oimiipraesentia): Eigenschaft Grottes, bezeichnet dessen
Sein und Wirken in allem und jedem, dessen Unabhängigkeit vom Räume.
Allg^elst = Allbewußtsein (s. d.). Der Name und Begriff insbesondere
bei M. Venetianer.
Allg^emeln = einer Klasse von Objecten gemeinsam. Das Allgemeine,
Universale, Grattungsmäßige, Typische ist dasjenige an einem Dinge, was es mit
anderen teilt bezüglich Eigenschaften, Vorgänge, Tätigkeiten, gesetzmäßigen
Verhaltens. Das Allgemeine besteht in den Dingen, wird aber im Denken
(durch isolierende und generalisierende Abstraction) für sich gesetzt, oft auch
hypostasiert. Auf das Allgemeine geht der (abstracte) Begriff. Das Bewußtsein
der Allgemeinheit ist ein mit einem individuellen Inhalt verbundenes Meinen,
daß dieser Inhalt sich an einer ganzen Gruppe von Objecten findet, finden läßt
An den Begriff des Allgemeinen knüpft sich der mittelalterliche Uni-
versalienstreit. In des Boethius Commentar zur Isagoge des Porphyb
wird bei Besprechung der fünf „PrädiraMlen" (s. d.) gefragt, ob das All-
gemeine, der Gegenstand des Allgemeinbegriffs außer oder im Denken, außer oder
in den Dingen besteht, ob die genera und species „sire »tfbsistant sire in soUf
nttdis intellectihtis postta sinty sive subsistentia corporalia an incorporalia, ei
tUrum separafa a sensibilibus an insensibilibus posita et circa haec consisterüta^.
Die „Realisten" antworten: die UniversaUen (Allgemeinheiten) sind etwas un-
abhängig vom Denken Seiendes, die „Nominalisten" (Tenninisten , Con-
ceptualisten) halten sie für bloße subjective Namen oder Begriffe, eine ver-
mittelnde Richtung lehrt das Sein der Universalien, aber nicht außer den
Dingen („extra rea^^), sondern in den Dingen (jjin rebus"). Es wird auch erklärt:
die Universalien sind „ante res" (nämlich in Grott), „in rebus" und „post rtsT
(als Abstractionsproducte in unserem Denken).
Zunächst geben wir die Geschichte des universalistischen Realismus in
seinen verschiedenen Schattienmgen. Er beginnt mit der Lehre Platos von
den an sich (x«^' nind) seienden Ideen (s. d.). Aristoteles dagegen setrt
Allgemein. 23
das Allgemeine als den Dingen immanent (Met. VII 10, 1035 b 27). Es ist
<ia8jeiii^e, was einer Vielheit von Dingen naturgemäß zukommt: Xt'yca 8i xn&6Xov
fu%' 0 i:il n/Letovüüv Jii^^e xarijyo^Eiad'at, xad^ Sxacrov Se o fifj (De interpr.
\11, 17 a 39), o av naTO. Jtavros re vnd^xV ^"'•^ xad^ avro xal rj airro (Anal,
post. 14, 73 b 26). Begrifflich- wesenhaft {xara rov Xoyov) ist das Allgemeine
dtf Prras, in der Erkenntnis aber das Spatere, erst aus dem Einzelnen Ge-
vtnnene (Met. VII, 1018 b 33). Ein wahres Wissen gibt es nur vom All-
gemeinen (rj ^imarrifiri t(ov xad'oiovy De an. II, 5). POKPHYR betont, ort
Tff lur Srta xni ra rovTiOP yivr} xal ra tiBrj xai ni SiaipOQal ytQayftard icrty
wi Ol fiavai (E^y^ats f. 3a; Prantl I, 632).
Nach JoH. SCOTUS Eriugeka sind die Universalien (als Ideen, s. d.) so-
Tohl vor als in den Einzeidingen ; nach Bernhard von Chartres bestehen
sie fnr sich, bo auch nach Wilhelm von Champeaux (vgL Prantl, G^ch.
ALU, 118 ff.). Nach Johann von Salisburt sind die Universalien in
ideo Dingen, aus denen sie durch Abstraction erkannt werden (so schon GiL-
BEBTÜ6 Fobretanus). Alfärabi bestimmt das Allgemeine als ,fUnum de
naltü ^f in fnuliis", das „fwn ftahei esse separatum a multts" (bei Alb. Magnus,
De pnted. II, 5). Nach Averroes sind die Universalien in den Dingen (Ep.
met. 2, p. 42), aber als Universalien werden sie erst vom Intellect gesetzt, „/n-
tfUtrtus offieiwn est, abstrahere formam. a rnateria indimduata^' (1. c. p. 54).
J^ftüit in intelleetu ipsa uiviversalitas^^ (1. c. p. 55; schon Avigenna sagt:
rinifilfttus in formis agit universaUtatefn**, vgl. Prantl, G. d. L. II, 348 f.).
VcfCEXZ VON Beauvais: jjUmverscUia non soluvi in intellectu sunt, sed et in
fr* (Specnl. doctr. III, 9). Albertus Magnus: „UniverscUis dieitur ratioy
MW ideo quia tantum fit in nobisy sive in menie nostra: sed ideo quia est res
MM m UHO absolute citeepta, sed quae in eollatione aceipitury quae est in mtätis
d de muttiSf quam eollationetn faHt ratio" (Sum. th. I, qu. 42, 2). Das All-
gwadne, das „immutabile" ist (1. c. qu. 3, 3), ist „ante reni^ in re et post rem^^
(qo. 4, 1); es ist (wie schon Abaelard sagt) das von vielen Dingen Aussagbare
(De pnied. II, 1). „ VniverscUe naturae produeiiur in esse ab agente intelligent in,
^nae op^ratur per suum inteUecttude turnen in oynni natura" (Prantl, G. d. L.
III, 99; VgL Haur^u II, 1, p. 232). Thomas definiert das Allgemeine als
^qmd est aptum tiatum de pluribtis praedieari" (1 perih. 10 a), y^quod est semper
H tdnqtt^" (1 anal. 42b). yyUniversalia . . . non sunt res subsistentes, sed hahent
t*fe MoluM in singularibus" (Contr. gent. I, 65). Vor den Dingen sind die Uni-
Tcrulien im „intelleetus aetemus" Gottes (Sum. th. I, qu. 16, 7). yylntellectus
(fgem mtisat universale abstrahendo a rnateria" (Sum. th. I, qu. 9, 5). jjUni-
f^rtak fit per abstractionem a rnateria individuali" (Sum. th. 1, II, 29, 6c).
nQmd est rcntmufUf multisj non est aliquid praeter miUta, nisi sola ratione"
{Cont. gent. I, 26, 4). „Cognitio singularium est prior quoad noSy quam cognitio
^inrsatium" (Sum. th. I, 85, 3); „seieniia est universatium" (De an. II, 12 b).
vVnirfrsaiia non moventy sed partieularia" (Cont. gent. III, 6). (Vgl. Log. I, 1
0.0. gent. I, 32.) Durand von St. Pour^AIN: yy Universale, i. e. ratio rel in-
tmtio unirersalitatis . . . est aliquid formatiim per Operationen intelligendiy per
VOM res seeundum eonsid^rationem abstrahitur a condicionihus individuantibus"
{hk L sent. 1, d. 3, 5). „Uftiversale non est primum obiectum intellectus ?iec
iwaetristit inteUectioni, sed est aliquid formatum per operationem intelligendiy
per quam res seeundum consideratioyiem abstrakitur a conditionibus indiriduan-
**•«** (ib.). Nach Richard von Middleton sind die Universalien 1) „m
24 Allgemein.
eausando", (iii Gott), 2) „iw essende", 3) „t« repraeseniando", 4) „m praedi-
eando" (L c. 2, d. 3, 3, qu. 1). Dem Univereale entspricht ein y/tmdamentum
in re" — dies behaupten dieThomisten insgesamt Aber auch DuNS Scotüb:
„Unirersale est ab infelleetUy . . . universcdi atUem altqutd extra eorrespandety
a quo moveiur intellectus ad eausandum talem intentionem . . . Effectire est ab
inielleetu, sed fnaierialiter sive originaliier sive oeeastonaliier est a proprieiaU
in re, figmentum vero minime est" (Qu. sup. Porph. 4 ; Prantl, G. d. L. III, 207).
Univereale „nan atUern est in inteUeetu subiective, sed tantum 6bieetiv&*^ (Qu. de
an. 17, 14; Prantl III, 208). Suarez: „Naturas fieri aetu universaks solum
opere intelleetusy praecedente fundamento (üiquo ex parte ipsarum rerum, prapter
quod dicuntmr esse a parte rei potentia universales . . " (Met disp. 6, sct 2, 1).
Es gibt ein „uniperscUe pkysicum", „u. metaphysieum", „ti. logicuvi". y,Primam,
qua a parte rei didtur universalis; alteram, quam habet ab intelleetu per «c-
trinsecam denominatianem et abstractionefn, iuxta quam ipsa natura repra^
sentatur ut communis et indifferens; tertiam relationis" (De an. IV, 3, 22).*
NicoLAüS CuBANTJS erklärt: „Habent . . . universalia ordine fiafurae
quoddam esse universale, cantrakibile per singulare . . . non sunt solum
eniia rationis . . . non sunt nisi in corpore," „Intellectus tarnen faeü
eas extra res per abstractionem esse, quae quidem abstractio est en»
rationis" (De doct ign. II, 6). Nach Spiitoza ist das Allgemeinste, das All
oder Gott (s. d.) das wahrhaft Wirkliche. So auch nach Schelukg, Schopek-
HAUEB, Hegel. Dieser sagt: „Das Allgemeine der Dinge ist nicht ein Sub-
jectives, das uns zukäme, sondern vielmehr als ein dem transitorischen Phänomen
entgegengesefxtes Noumen das Wahre, Objective, Wirkliehe der Dinge selbst, tcie die
PlatoniseJten Ideen, die nicht irgendico in der Feme, sondern als die substaii"
tiellen Gattungen in den einxdnen Dingen existieren" (Naturph. S. 16 f.). Das
Allgemeine im Denken ist die Bestimmtheit oder Form der Gredanken (EncykL
§. 54). Nach K. L. Mighelet ist das Allgemeine das Wesen der Dinge, das
wahrhaft Seiende (Vorles. ü. d. Pere. Gottes, S. 81). K. BoSENKluiKZ: „A»
Allgemeine ist der Begriff des Seins an sich, die in sich cds Identität mit sieh
bestimmte Wirklichkeit, die Beziehung der unbedingten Gleichheit des Seins o«/'
sich", es ist die „ Tätigkeit, sich von sich xu unterscheiden" (Syst. d. Wiss. S. 99).
Das Besondere ist „der Unterschied des Allgemeinen von sich selber^^ (L c.
S. 100). Drobisch unterecheidet (wie Hegel) abstracte imd concreto All-
gemeinheit (Gattung — Art, Neue Daret d. Log.*, § 19).
Nach LoTZE ist das Allgemeine doB, „was in mehreren voneinander verschiedene»
Vorstellungen getneinsam, gleichartig vorkommt" (Grdz. d. Log. S. 11). A. Lanob
findet das Allgemeine schon in den Empfindungen enthalten (G. d. Mat. II*, SJU
J. Baumanit erblickt in der „Allgemeinheit" nur „eine mehr oder minder rer-
Ijreitete Tatsächlichkeit" (Ph. als Or. S. 154). Düubing: „Die Gattungen und
Artest, also überhaupt die gegenständlich fixierten Allgemeinheiten, sifui das, was
sie sind, nicht bloß durch Einerleiheit, sondern auch durch Ursächlichkeit*' (Log.
S. 196 f.). VON KlBCHMANK vereteht unter dem Allgemeinen sowohl eine Be-
ziehungsform als auch das damit Bezogene, d. h. die Begriffe imd Gegensätze,
welche in den Gebieten der betreffenden Wissenschaft bestehen (Kat d. Phil
S. 61). Schuppe definiert „allgemein" als „etwas, was vielen gemeinsam sein
kann" (Log. S. 79). Im Unterechiede vom numerisch Allgemeinen ist da»
inhaltlich Allgemeine „das Vorgestellte, sofern es durch seinen Inliolt das
verschiedenen Gegenständeti Gemeinsame wnfaßt" (1. c. S. 89); „es xerfäüt in
Allgemein. 25
ikt wibestimmiy enceiteri^ typisch und absiract Allgemeine^* (1. c. S. 89 ff.)- Das
Allgemeine ist schon, als ein Stiick der Wirklichkeit, im Einzelnen enthalten
(l c 8. 92), So auch von Bchübert-Soldebn, nach welchem das Allgemeine
nieht erst durch Induction gefunden wird (Viertelj. f. w. Ph. Bd. 21, S. 151).
Xach HussEKL ist das Allgemeine ein Gregenstand des Denkens, es hat ein ideales
Sein unabhängig vom Denkai (Log. Unt. II, 111, 123 f., 146 ff., 210). Die
Allgemeinheit des Wortes besagt, j,daß ein und dasselbe Wort durch seinen
tinkeitli^en Sinn eine ideell festbegrenxte Mannigfaltigkeit möglicher Änschau-
wgen so ufnspannt . . ., daß jede dieser Anschauungen als Grundlage eines
$kieksinmgen nominalen Erkennlnisaetes fungieren kann** (1. c. II, 501).
Der Nominalismus in seiner extremen Form behauptet, die Universalien
seiai bloße „nomina, flatus voeis**, nicht einmal im Bewußtsein des Erkennen-
den gebe es ein Allgemeines. Der gemäßigte Nominalismus oder Conceptua-
lismos hingegen setzt das Allgemeine in Allgemeinbegriffe (yyconceptus unirer-
talei^); es hat Existenz, aber nur im Bewußtsein.
Schon Antisthenbs soll gelehrt haben, es gebe kein Allgemeines für sich,
X. a kdne Pferdheit, nur einzehie Pferde (Prantl, G. d. L. I, 32). Die Stoiker
halten die Ideen (s. d.) oder Gattungsbegriffe nur für subjective Gedanken.
Tt hfvwifurta . . . /cifr« riva elvai fujre noidj tocarsi Ss xiva xai toüavsi 7t am
farti^uara yv/^r Tttvra 8e vno nSv a^x^i^"^ iStag yt^oaayoQsitcd'ni . .
Tavr« Bi Oi fmaixol ipMaoifoi faatv di*v7ra^xrovg elvai^ xal twv /tuv iworjudrcDv
meriXtiv ffuafj Tcäv 8k nrtoasatv, äs Srj npoaijyo^iae xaXovirtj Tvyjrrt»'«*«' (Stob.
EoL I, 12, 332); iwo^finra 8ä icii ^dvraafta diavolae, ovra n ov ovts 7to$6t\
d>9ayü dd T» ov tanavai noiov (Diog. L. VII 1, 61); ovriva t« xoivd nag
nxvvi Ädytrat (Simpl. in Categ. f. 26 c). Nach Kleanthes sind die Ideen
mcht einmal iworifiaxa (Stein, Psych, d. St. II, 293). Auch nach Alexander
T05 Aphbodisias sind die Universalien nur im Denken (De an. 139 b).
Im Sinne des Nominalismus lehrt schon Mabcianus Capella. Begründer
des scholastischen Nominalismus ist ItoBGELLnaJB. Von den Nominalisten bo-
nebtet AxsciJi: „/if/t utique nostri temporis dialeetici . . . qui nonnisi flaturn
WM putant esse universales substaniias** (Prantl, G. d. L. II, 78) und JOH.
VOK Balisbuey: „Fuerunt et qui voces ipsas genera dicerent et speciesy sed
nntm iam exphsa sententia est, et facile aim auctore stio evanuit** (I, p. 26<J).
NachABAEUUtD bestehen die Universalien nur in den „sertnones" („Sennofu's-
«"iw^VY da das Prädicat eines Dinges nicht selbst ein Ding sein könne, sondern
nnr das, „quod de pluribus natum est praedieari" (Prantl II, 181 ff.). ,fEsl
frmo praedicabilis** (vgl. Joh. Sarebb., Metal. II, 17). Algazel: y^Esse autem
vmtersaJe tum est nisi in intelleetibus" (Ritter VIII, 69). Nach Roger Bacon
w das Allgemeine nur eine yyConvenientia plurium indiriduorum" ; ,jsingulare
«' melius quam universale** (Op. m. p. 3a3; Prantl, G. d. L. III, 126). Der
Eraeufrer de« Nominalismus, Wilhelm von Oocam, hält die Universalien für
«objeetive Begriffe, Znsammenfassimgen von Ähnlichkeiten der Dinge. Das
Vort, die yjsiqnifieatio**, stellt das Allgemeine im Denken her. yyDicendum est,
9>«rf quodlibet universale est una res singularis ei ideo tum est universale nisi
P^ signifieationem, quia est signuni pUtrium . . . Universale est una infentio
angularis ipsius animae nata praedieari de pluribusy non pro se, sed pro ipsis
ffl>us** (Log. I, 14). Die Universalien sind „/^to quibus in esse reali corre-
*fondent vel eorrespondere possunt eonsimilia** (Prantl, G. d. L. III, 337).
tVniversale fioti est figmentum tale, eui non correspondet aliquid eonsimile in
26 Allgemein.
^ifse suhieeiivoj qucUe illud fingitur in esse obiertiro^^ (1. c. S. 358). ,,Nullmm
iinirersaU est extra animam existens realiter in substantiis individuin ruv erfi
de suhsta/ntia vel esse earum, sed unirerscUiter est t-antum in anima, quia de
plurihus est praedicahilis non pro se, sed pro rebus, quas signifirat*^ (1. c. B. ^3C!
Die Universalien entstehen im Bewußtsein ohne Spontaneität des Denker»,;
jjUnieersalia et intentiones secundae causantur naturaliter sifie omni oetiritate
intelleefiis et voluntatis a notitiis incomplexis temiinorum per i-stam viamy quia
primo cognosco aliqua singtdaria in partimäari intuitive vel abstrfietire^^ (1. c,
S. 846). G. BlEL: yyUniversale est conceptus mentis, i, e. actus cogfwseendi, qtti
est Vera qualitas in anima ei res singularis, significans uniroce plura sifigularia
aeque primo negative naturaliter proprie^^ (Coli. I, d. 2, qu. 8). Das Univer-
sale ist jyquoddam fictum ab inteUectu Habens tantum esse obiectirum in anima^^
(In 1. sent. d. 2, qu. 8). J. BukidaK: „Oenera et species nofi sunt nisi termini
apud anitnam existentes vel etiam termini voeales atä seripti" (Prantl, G. d. L
IV, 16). Nach M. XizoLius ist das Allgemeine nur ein Ck>llectivname, die
Comprehension einer Mehrheit von Dingen (De ver. princ. I, 4 — 7, III, 7).
Debgabtes erklärt das Universale für einen ,ymodus eogitandi^' (Ft. ph. I, ö8l
„Fiunt huec unirersalia ex eo tantum, quod unum et eadern idea utamur ad omnia
indiridua, quae ititer sc sifnilia sunt, cogitanda: Ut etiam unum et ideni nanten
Omnibus rebus per ideam istam repraesentatis imponimus; quod nomen est uni"
rersafe^^ (1. c. 59). Xach Spinoza entstehen Universalbegriffe, j,quia in carport
humano tot imagines, ex, gr. hominum formantur simtd, ut rim imagiptandi
non quidem penitus, sed ex) uaque tarnen superent, ut singulorurn parras differm-
tias . . , eorutnque detenninatum numerum mens imnginari nequeat, ei id tan-
tum, in quo omnes, quatenus corpus ab iisdem affieitur, conveniufit, distinete
imaginetur; nam ab eo corpus, maxime scili^et ab unoquoque singulari, affieetum
fuit, atqiie hoc iiomine hominis exprimit, hocque de infinitis singularibus prae-
dicat^^ (Eth. II, prop. XL, schol. I). Nach Leibniz ist das Allgemeine nur in
unserem Denken, zur Bezeichnung ähnlicher Dinge (ErdnL p. 305, 398, 439 1.
Wirklich ist nur das Individuum (s. Monade). Chb. Wolp: „Xotianes umrer-
sales sunt notianes similitudinum inter res plures intercedentium** (Phil. rat. §.5A\.
^yGetiera et species non existunt, nisi in individuis^^ (1. c. § 56; Psych, rat.
§ 393). „Ens unirersale est, quod omnino determinatum non est, seu quod tan-
tum modo continet determinationes intrinsecas communes pluribus singularibuf^
exclusis iis, quae in individuis dirersae sunt'^ (Ont. § 230). Der „allgemeine
Begriff^^ entsteht durch Abstraction des mehreren Dingen Gemeinsamen (Vem.
Ge<l. von d. Kr. d. m. V.*, S. 36).
HoBBBB setzt das Allgemeine in die Namen, welche ähnliche Dinge be-
zeichnen (De corp. C. 2, 10; Hum. nat. C. 5, p. 22). Locke: „Die Vorstellungen
sind allgemeine, wenn sie als die Darstellungen vieler einzelner Dinge aufgesteül
sind. Aber Allgemeinheit gehört nicht den Dingen selbst an, viehnehr s-in^ diese,
als daseiende, sämtlich einxelne, und dies gilt selbst bei dcfh IVortefi und Vor-
stellungen, deren Bedeutung eine allgemeine ist. Verläßt man daJier das Einxelne^
so ist das AUgemeifie, das übrigbleibt, nur ein von uns selbst gemachtes Geschöpf:
seine allgemeifie Natur ist nur die ron dem Verstände ihm beigelegte Fähigkeil,
rieles Einxelne xu bezeichnen und darzustellen; seine Bedeututtg ist ftur eine
Bexiehung, die ihm von der Seele zugegeben ist^^ (Ess. III, eh. 3, § 11). IHe
(renera und Species sind ein Product des Denkens, dem Ähnlichkeiten in den
Dingen selbst entsprechen (1. c. § 13). Entschiedener Nominalist ist Berkeley.
AUgemeizi — Allgemeingültig. 27
Kteh ihm gibt es nicht einmal allgemeine Ideen, sondern Allgemeinheit besteht
Bar in den Zeichen für mehrere Einzelideen, deren jede durch das Wort be-
ffinders im Bewußtsein anger^ wird (Princ. XV, XI). So auch Hume (Treat.
•rt. 7), James Mnx (AnaL C. 15). Hebbabt erblickt im Allgemeinen nur eine
rÄbbreriaiur, xur Bequemlichkeit, ohne irgend eine eigene BedeiUung'^ (Met II,
417). B^nriffliehe Allgemeinheit ist ein logisches Ideal (Lehrb. z. Psych.*, S. 127).
Kaxt betont, daß die wahre (im Unterschiede von der bloß „eomparcUiven^\
indoctiven) Allgemeinheit (-= Allgemeingültigkeit) a priori (s. d.) sei, durch das
Denken selbst gesetzt, nicht erfahren sei. Die Erfahrung jfSagt uns xwar, was
iä sei, aber niehty daß es notwendigerweise, so und nieht anders, sein müsse.
Bten darum gibt sie uns auch kerne wahre Allgemeinheit^^ (Kr. d. r. Y. S. 35).
fJErfakrung gibt niemals ihren Urteilen wahre oder strenge, sondern nur an-
genommpne und eomparative Allgetneinheü (durch Induetion), so daß e^ eigent-
W hHßen muß: soviel irir bisher wahrgenommen haben, findet sich von dieser
pier jener Regel keine Ausnahm^^ (1. c. S. 648 f.). Schon früher bemerkt K. :
>Ä" omnes spatii affeetiones nonnisi per eocperientiam a relaÜonibus exfeniis
mduatae sunt, axiotnatibus geometricis non inest undversalitas, nisi comparativa"
(De mund. sens. sei 3, § 15). Daß die Allgemeinheit von Sätzen aus unserem
Geiste stammt, betont Whewell (Phil, of In. I, 257 ff.). Nach G. Spickeb
in Allgemeinheit von Sätzen schon eine Folge der Notwendigkeit (Kant, Hume
Q. Berk. S. 177). Allgemeinheit kommt nicht nur apriorischen Erkenntnissen
«n (L c. S. 62). Unter „allgemein" ist zu verstehen „eine der Zahl nuch he-
ffimmie oder unbestimmte Menge gleichartiger Objecte, die irgend ein Merkmal
0Jer mehrere oder alle gleich sehr miteinander gemein haben". „Etwas im all-
fnufinett betrachten, heißt also eine Eigenschaft oder ein Merkmal, das allen
fkith trescfUlich ist, betrachten" (1. c. S. 142). Nach WuNDT bedeutet die All-
gemeinheit der Begriffe, daß ,jeder Begriff in xahlreiche Urteilsacte als Eletrient
tiagehen kann, und daß in diesen einzelnen Urteilen seine Bex/iehungen 9iu andern
Begriffen bestimmt werden" (Log. P, S. 95 ff.). Kiehl unterscheidet drei Arten
des Allgemeinen : das Objective, das Allgemeine als Schlußergebnis, das rationell
Allgemeine, als Folge der Gewißheit eines Urteils (Phil. Krit. II, 1, S. 223 f.).
E. Mach: „Den ,Öeneraliefi^ kommt keine physikalische Realität %u, wohl
•fcr eine physiologische" (Wärmelehre», S. 422). Nach Baldwin ist das All-
gemeine (Abstracte) kein Inhalt des Denkens, sondern „eine Haltung, eine Er-
tnrtttng, eine motorische Tendenx. Es ist die Möglichkeit einer Reaction, die
gi^iehmäßig einer großen Menge von besonderen Erfahrungen dienen kann"
iEntw. d. Geist. S. 308). Vgl. Allgemeinvorstellung, Allgemeingültig, Abstract,
Begriff, Gattung.
JJlg^emeiiiliegTiff ist ein Begriff, der „infolge des übereinstimmenden
Ablaufs rerschiedener Urteilsgliederungen" als Bestandteil vieler Vorstellimgen
vorkommt (Wukdt, Gr. d. Psych.», S. 322). Vgl. Allgemeinvorstellung, Begriff.
AU^eatelnes Urteil = universales Urteil (s. d.).
An^eaieliig^tig; ist ein Urteil, das imbedingt gilt, von jedem Den-
toden anerkannt werden muß und für jede mögliche Erfahrung bestimmter
An Geltung bewahrt. Das Allgemeingültige ist nach Kant eins mit dem
Apiiori (8. d.). Objective (logische) Allgemeingültigkeit ist die von allgemein-
notwendigen Erkenntnissen, subjectiv-ästhetische die des Gefühls, der
rrtdlfikraft (Kr. d. Urt § 8). Die Allgemeingültigkeit der Wissenschaft beruht
28 ^ Allgemeingültig — AUgemeinvorBtellimg.
auf der Einheit und Gesetz in die Erscheinungen bringenden Tätigkeit der
Vernunft Nach Riehl ist allgemeingültig jfeine Wakmekmung, wenn und
wofern sie gesetzmäßig ist, tcenn unter denselben obfeetiven une subjeetiven Um-
ständen immer nur eine und dieselbe bestimmte Wahrnehmung möglich ist" (PL
Krit. II, 70). WuNDT bestimmt das Allgemeingültige als das, y,icas für jeden
Evidenx" hat (Log. I, 78.) Nach B. Ebdmann ist ein Urteil allgemeingültig,
„wenn sein Gegenstand, d. i. das in Subject und Prädicat Vorgestellte, für alle
der gleiche, obfectiv oder allgemein gewiß, und die Aussage über den Gegenstand,
die es vollxieht, denknotwendig ist" (Log- I, 6). Allgemeingültigkeit ist „Otl-
timgsbewußtsein", „Denknotwendigkeit des seiner logischen Immanenx nach ge-
icissen Vorgestellten" (1. c. S. 281). H. CoRNEUUB betont: „Unsere allgefneinen
Begriffe und Gesetze, die wir auf Grund unserer Erfahrungen formulieren, um
eben diese Erfahrungen xu begreifen, d. h. dem Ganzen unseres Erkenntnis'
besitxes einxttordnen, gelten . . . als allgemein nur unter der Rest riet ion^
welche in dem genannten Gesetze ihren Ausdruck findet: wir geben in jenen
Formen unsere Erfahrungen als cUlgemeingültig icieder mit dem Vorbeknlt, daß
jeder Widerspruch gegen die Allgemeingültigkeit durch die Berücksichtigung
einer neuen, in jener allgemeinen Formulierung noch nicht berücksichtigten Be-
dingung sieh mit den fraglichen Erfahrungen vereinbaren, rf. A. unter einet»
höheren Gesichtspunkte xusammenfassen lassen muß" (Einl. in d. Phil. S. 329).
Vgl. Allgemein, Gültigkeit.
Allg^emeinTOrstelliiiig^ (repraesentatio commimis, generalis) ist eüie
Vorstellung, die typisch ist, d. h. eine Gruppe von Vorstellungen repräsentiert,
indem die Besonderheiten dieser „typischen Vorstellung" zugunsten der all-
gemeinen, charakteristischen Merkmale der Vorstellungsgruppe im Bewuß^in
zurücktreten; nur die letzteren werden appercipiert.
Gegen die Auffassung der Allgemeinvorstellung als einer Vorstellung mit
bloß allgemeinem Inhalt (schon bei Ajustoteles ist von den avyxsxvfitra, den
Verschmelzungen des Gleichartigen in einer Vorstellung, die Rede, Phys. 1 1,
184a 21 squ.) tritt LoCKE auf: „Words become general, by being made the signs
of general ideas; and ideas become getieral, by separating from them the
rircumstanccs of time and place and any other ideas, that may determinc them
to this or that particular existence" (Ess. III, eh. 3, § 6; es ist eigentlich schon
vom Begriff die Bede, der auf die beschriebene Weise entsteht). Berexley
leugnet die Existenz von Allgemeinvorstellungen. Es gibt nur Einzelvorstellun-
gen, und diese werden allgemein, indem sie andere Einzelvorstellungen derselben
Art vertreten (Princ. XII, vgl. abstract). HuME: „Smne ideas are particular
in their nature, but general in their representation . . . A partictdar idea be-
comes general by being annexed to a general ferm" (Treat. sct. 7). Es besteht
eine Tendenz, von einer Idee zu ähnlichen überzugehen (ib.). Nach James ^Iill
gibt es eine „general idea" nur, sofern „we can group all indij^iduats of a cer-
tain description into one elass, to which class we give a name, equally applicable
to epcry individual" (AnaL C. 15). J. St. Mill erklärt: „General concepts . . .
we have, properl y speaking, none; we have only complex ideas of objects in the
concrete: but we are able to atiend exdusirely to certain parts of the cancrete
idea," Die Association zwischen einem solchen Complex und einem Namen ver-
mittelt das Allgemeinheitsbe»nißtsein (Exam. p. 393). Nach Morell entsteht
die „general representation" durch Verschmelzung des Gleichartigen mehrerer
Allgemeinvorgtellimg -— AUgenugsamkeit. 29
I Toret^angen zu einer nC&mmon represefitaiion" (El. of Psych. I, 204 ff.), ähn-
llieh Galtok. Hesbabt faßt die AllgemeinvorstelluBgen als „Oesamieindrüclr
Mm ohnlieheH Oegenständen" auf, diese sind „Compleoeioneny worin das Ahn-
hthe der Teilvorstellttngen ein Übergetcieht hat über dem Verschiedenen" (Lehrb.
z. ftych.*, 8. 127). Übebweo: yfWenn mehrere Obfecte in getcissen Merkmalen
imd somit die Eimelrorsfellungen von denselben in einem Teil ihres Infuüts
iüereinstitnmenf so entsteht durch Reflexion auf die Gleichartigkeit und Ab-
ümrtion von den ungleichartigen Merkmalen infolge des psychologischen Gesetzes
der Miterregung der gleiefiartigen psychischen Elemente und gegenseitiger Ver-
stärkung des Öleicheartigen im Betcußtsein die allgemeine Vorstellung*^ (Log.*).
Nach WUKDT wird eine Vorstellung allgemein durch den „Nebengedafiken**,
Idiß sie eine ganze Gattung vertritt (s. Begriff). Nach Kbeibig wird eine All-
I gemeinvorgtellung so vorgestellt, ,ydaß tcir eine Einxelvorstellung anschaulich
imil dem Wissen vorstellen^ daß diese Einxelvorstellung nur ein Beispiel oder
[eine Vertreterin für eine Gruppe in bestimmter Weise ähnlicher Individuen sei"
; <Die Aufm. S. 42 f.). Nach KÜLPE sind Allgemeinvorstellungen Producte von
Verselmielzungen ähnlicher Vorstellungsbestandteile (Gr. d. Psych. S. 209).
5ach B. E^DMANK ist Allgemeinvorstellung eine solche, y^deren Gegenstand das
wtekreren Einxelgegenstäfiden Gemeinsame enthält" (Log. I, 88). Nach SuLLY
ist Allgemeinvorstellung eine Vorstellung, j,welche in einem allgemeinen Sinne
6ier einer allgmneinen Bedeutung gebraucht wird" (Handb. d. Psychol. S. 239).
I Sie stellt die gemeinsamen Merkmale einer Classe von Gegenstanden dar (ib.).
! Gattung»- oder typisches Bild ist „etw malerisches, geistiges Bild xusammengesetxten
I Ckarai^ters, das durch eine Reihe auffallend ähnlicher Wafimehmungen und Acte der
Wiedererkennung geformt wird" (1. c. 8. 240). Jebusalem versteht unter „typischen
i Vorstelhtngen" ,f8olche, die in wiseretn Bewußtsein als Vertreter einer ganzen
Klasse oder Gruppe von Objeeten fungieren. Das wesentliche Merkmal der typi-
schen Vorstelli*ng ist ihr repräsentativer Charakter". Auch einzelne Gegen-
«tände sind in unserem Bewußtsein durch typische Vorstellungen vertreten. Es
gibt daher typische Gemeinvorstellungen und typische Individualvorstellungen
(Lefarb. d. Psych.", 8. 97 f.). Die typische Vorstellung entsteht schon sehr früh,
sie ist j^ine Abstraetion, sondern ein wirkliches Erlebnis"^ sie ist vom logischen
Begriff vollkommen verschieden (1. c. 8. 98 f.). Der Grund ihrer Entstehung
Kt ein biologischer. ,fDie Ökonomie des Seelenlebens, welche mit den psychi-
seken Kräften haushält, läßt nur diejenigen Dispositionen äctuell werden, welche
Meutsam sind, und wir stellen von dem Objecte nur das vor, was für unsere
Lebenserhalttmg fcichtig ist. Eine typische Vorstellung ist somit xunächst der
Inbegriff der biologisch wichtigen Merkmale eines Objectes" (1. c.
*S. 99). Die typischen Vorstellungen sind anschaulich und individuell bestimmt
ond doch allgemein, sie lassen sich auch absichtsvoll erzeugen (1. c. 8. 100).
^ie sind ursprünglich die Resultate von Apperceptionen, die gleichsam instinctiv
vc^lzogen werden (1. c. 8. 101). Schon Gbillpabzeb bemerkt : „Es ist un-
ifreitig, daß durch öftere Wahmehmmg mannigfaltiger Individuen, die xu ehier
Gattung gehören, sieh der Einbildungskraft ein getvisses abgezogenes Bild, ein
Typus der Gattung eindrückt, der sodann beim Formen von Begriffen die Grund-
lage macht" (WVV. XV, 132 f.). Vgl. Begriff.
Aüg^eBielBwille s. Wille.
Allg^eBH^saiiikeit = Aseität (s. d.).
i
i
30 Allheit — Altnüsmus.
Aimelt (Totalität) ist, nach Kant, „Vielheit als Einheti betrachtet'' (Kl
d. r. V. S. 99).
AUmacllt (omnipotentia) : das unbedingt« Können Gottes, die unbe
schränkte Verwirklichungsmöglichkeit des göttlichen Willensinhaltes.
jUlorglunlsnias ist nach Scheluno das Weltganze. Vgl. Weltseelc
Allotrope Causalität s. CausaUtät
JJtoeele s. Panpsychismus, Weltseele.
JJlsetn 6. Pantheismus.
Allsinii: das Vermögen, die Wesenheit der Dinge unmittelbar zu er
fassen (Schelltng u. a.), = intellectuelle Anschauung (s. d.), Einheit voi
äußerem und innerem Sinne (vgl. G. M. Klein, Anschauungs- und Denklehn
1824, § 77).
AUwelslieit (Allwissenheit, omniscientia): das unmittelbare unendlichi
Wissen Gottes um den Weltinhalt (vgl. Fechnek, Zendav. I, 258).
AUwIUe 8. WiUe.
Aloglsell (aXoyov) : unvernünftig, vemunftlos, bar des logischen Principa
geistig blind, „'^^ioffia äXoyov"' (Aribtoteles, Phys. VIII 1, 252 a 24). Alo
gisch sind nach den Stoikern die Affecte (Stob. Ecl. II 6, 168). Alogisch ib
der y,Wüle^' (s. d.) Schopenhauees, der bei E. von Habtmann durch da
Logische, die Idee (s. d.), ergänzt wird.
Altera (secimda) pars Petri = der zweite, vom Urteil handelnde Td
der Logik (s. d.) des Petrus Ramus.
Alteration: Gemütserregung, Aufregung.
Alteritas = Andersheit.
Alternative (alternierende) Urteile = l)Urteüe,die miteinander vertausch
werden können, ohne daß der Sinn des Urteils sich ändert, 2) disjunctive Ur
teile von der Form ,yS ist entweder P, oder P," oder ,,»S' ist entweder P od(\
nicht P' (WÜNDT, Log. I, 179, 196).
Altraismas (von alter, der andere): Gegensatz zum Egoismus (s. d.), zu
Selbstsucht, bedeutet Uneigeimützigkeit, Denken an und Handeln für anderei
Wohl , Selbs tauf Opferung im Sinne des Christentums. Auch Senec A erklärt
y,alieri vicas oportet, si vis tibi vtrere'' (Ep. 48, 2; vgl. 60, 4). Der Termin«
„Altruismus'' stammt von Comte, der im Altruismus die Bedingung aller Oiltui
imd Sittlichkeit erblickt. Den Altruismus als ethisches Princip vertreten ii
verschiedener Weise Cümberland, Shaptesbüry, Hutcheson, Butler, Pai^ey
HuME, A. Smith, Leibniz, Chr. Wolf u. a. H. Spencer nennt altniistiscl:
jede Handlung, „welche im normalen Verlauf der Dinge anderen Nutzen schaffe
statt dem Handeiiulen selbst" (Pr. of moral. § 76). Der Altruismus ist ebensc
ursprünglich wie der Egoismus (ib.). Übertriebener Altruismus ist schadlicli
(1. c. § 73 f.). Nach LiPPS ist Altruismus „das Abxielen auf Vericirklichuti^
fremder Güter, d. h. auf Venrirklichung solcher sachlicher Werte, rf«
anderen Befriedigung getvähren" (Eth. Gr. S. 11). Der Altruismus ist etwa«
Ursprüngliches, er beruht auf natürlicher Sympathie, auf der inneren Einheit
meiner selbst mit fremden Persönlichkeiten, von denen ich weiß (1. c. S. 15 ff., 23>
Nach SiMMEL ist der Altruismus ein vererbter Instinct (Einl. in d. Mor. I, 92).
er ist „Gruppenegoismus" (I, 113, wie IHERING). Nach O. AllMON entspringen
Altruiflmua — Analogie. 31
I ^
i
' die aitrnistischen (socialen) Triebe dem Schutztriebe (GesellBchaftBordii. 8. 67).
P. Ree erklärt: „Xaekdein der Instinkt, die NaMcammetisehaft xu lieben, durch
Auflese und Vererbung seine Stärke erlangt katte^ zweigte sich von ihm durch
, Meoiterknüpfung, Gefühlsverhiüpfung der Nächstenliebeinstinrt ab^* (Philos. H. 14).
A. Medtong nennt ein Begehren altruistisch, „itetm dabei das Wohl des amiern
; ah solekes entscheidend ist^' (Werttheor. S. 99) ; es ist y^selbstisch-altruistisch'' (z. B.
I Familienliebe) oder fjUtiselbstisch-altrutstisch** (allgemeine Menschenliebe) (1. c.
S. 1(3). Nach WuNDT ist der Altruismus erst im Dienste der Idee sittlicher
Entwicklmig sittlich (s. d.j. H. Cornelius betont: y^nur die Rücksicht auf das
dauernd Wertrolle^ nicht aber die Rücksicht auf die einzelnen Gefiihlserlebnissp
darf für unser Handeln ausscMaggebetid sein'* (Einl. in die Phil. S. 351 f.). Ein
GtgDer des Hchwächlichen Altruismus ist Nietzsche. Vgl. Ethik, Sittlichkeit^
Sympathie, Social.
A ■laiorl ad minus: vom Größeren, Umfangreicheren, Stärkeren, All-
pfineineren auf das Kleinere, Besondere ist schließbar, aber nicht a minori
ad mains.
Aflibig^lllt&t s Zweideutigkeit.
Amecliaiilselie Bewegungen; nach Avenarius solche, die wir sonst
alü j^psyrkiwh*' bedingt betrachten (Weltbegr. S. 26 ff.). Vgl. Psychisch.
Amiaüe (und Paramimie) sind Störungen in den Ausdrucksbcwegungeu.
ABiaesie: krankhafte, senile Gedächtnisschwäche, wobei die neuen Ein-
drucke am schlechtesten haften luid das Abstracte, Allgemeine, Typische besser
ai< das Concrete, Particuläre. Es gibt eine partielle und totale (syste-
matische) Amnesie, VgL Gedächtnis.
Aaiptaibolie (nu^ißoXia): Zwiefältigkeit, Zweideutigkeit, Verwechselung.
So heißt eine sophistische Öchlußform (vgl. Aristoteles, De soph. elench.)
Nach den Stoikern ist Amphibolie eine >Uf{« Svo tj xai nkeiova n^ayfiara
Jiuaivoitüa XexTucwa xai xaxa ro avxo i&og (Diog. L. VII, 1, 62). Kaxt nennt
Jmtifrendentaie Amphibolie** die „Vericechselung des reinen Versiandesobjects
' mit der Erscheinung** (Kr. d. r. V. S. 245); einer solchen habe sich Leibniz schul-
dig gemacht, indem er Beziehungen, die nur für die erfahrbaren Objectc? Sinn
ond Geltung haben, auf Dinge an 'sich anwendete (1. c. S. 243 ff.). Vgl. Ke-
fl^xioiisbegriffe.
Aaiiphlloij^ie: Streit, Widerspruch.
AaiiiAie: Verlust der Auffassung für Töne oder der Fähigkeit des nuisi-
tauschen Ausdrucks.
AsAgog^e {avayayyiiy Hinaufführung): allegorische Deutung.
Anal^eflles pathologischer Mangel von Schmers^mpfindungen.
Analoga (draXoyoe): sich gleich verhaltend, entsprechend, proportional,
iknlicL
AMalajs:ie (avaXoyla): Proportionalität, Ähnlichkeit, Gleichheit der Be-
adiungen, Übereinstimmung. So bei Aristoteles (Eth. Nie. V 6, 1131a 31;
fkys. IV 8, 215b 29). So auch bei Qüintilian. Die Scholastiker imter-
«heiden „analogia proportionis*' und „analogia attributiofiis**. Tetens de-
finien Analogie als „Einerleiheit in deti Verhältnissen der Beschaffenheit*' (Phil.
CT*. I, 2()>. Analogie ist nach Kant „eiwc vollkommene Ähnlichkeit xiccicr
32 Analogie — AnalogleBohlafi.
_^_ , _■ _LI_
Verhältnisse xtüischen ganx unähnlichen Dingen'^ (WW. IV, 105). Nach Lippb
sind Analogien „ UrteUaübertragungen oder Übergänge einer Vorstellungsnötigung
ron Ähnlichem auf Ähnliehes^^ (Gr. d. Seel. S. 459). Höffding bestimmt die
Analogie als „queUitcUive Bexieku^tgsgleichheit^^ (Belig. S. 63). Jebubalex:
„0/? erweckt eine Beziehung x wischen Vorstellungen den Gedanken <m
eine früher bemerkte ähnliche Bexiehung. Die Identification solcher Bexi^uingen
nennen tcir Analogie^* (Lehrb. d. Psych.*, S. 79). Daß die Analogie allem
{)oetiBchen und philosophischen Schaffen, ja schon unserer naiven WeltCGn-
ception zugrunde liegt, betont besonders A. Biese. „^Vas tcir an uns und in
uns erleben, gibt uns den Maßstab für alles ron^ außen auf uns Eindringende^
iPh. d. Me'taph. S. 72). Die Analogie, das yjMetaphorische'\ baut die Brücke
zwischen Außen- und Innenwelt (1. c. 8. 74). Diese Nötigmig, unser Innensein
auf die Dinge der Außenwelt zu übertragen, ist das Metaphorische im
engeren Sinne, das Anthropocentrische, ein Gresetz unserer seelischen Or-
ganisation (1. c. S. 218). So ist denn auch die Sprache (s. d.) metaphorisch
(1. c. S. 40; so auch Nietzsche, Mauthker). VgL Object, Introjection, Ana-
logieschluß.
Analogien der Empfindung heißen die (durch ähnliche Gefühlslageo
vermittelten) Verwandtschaften von Empfindungen verschiedener Sinnesgebiete
(z. B. zwischen hohen Tönen und hellen Farben). Schon Akistoteles weifl
dies (vgl. Nahlowsky, Gefühlsieb. S. 147, C. Hermann, Ästh. Farbenldire
S. 45 ff., WUNDT, Gdz. d. ph. Psych. I», 530, Biehl, Phil. Krit. II, 1, 71).
Vgl. Audition color^.
Analogien der Erfahrung nennt Kant Kegeln, nach welchen „entf
Wahrnehmungen Einheit der Erfahniftgen entspringen soW^ (Kr. d. r. V. S. 173).
Sie gehören zu den „dynamischen^^ Grundsätzen (s. d.) möglicher Erfahrung,
welche diese a priori (s. d.) bestmimen. Die Analogien betreffen nicht die
Erzeugung der Anschauungen, sondern die Verknüpfung ihres Daseins in einer
Erfahrung, j,und xwar 7iic/U in Ansehung ihres Inhnlts, sondern der Zeitbestim-
mung und des Verhältnisses des Daseins in ihr, nach allgemeinen OesetxcfC^
(Prol. § 26). Sie sind Folgesätze aus den Kat^orien (s. d.). Ihr allgemeiner
Gnmdsatz lautet: „Alle Erfahrungen stellen, ihrem Dasein nach, a priori wtter
/Regeln der Bestimmung ihres Verhältnisses untereinander in der Zeit*-^ (Kr. A
r. V. S. 170). Da die drei Modi der Zeit Beharrlichkeit, Folge und Zugleich-
sein sind, so ergeben sich drei Analogien: 1) „Alle Ersclteinungen enthalten dM
Beharrliche (Substanx) als den Gegefistafid selbst und das Watuielbare als dessm
bloße Bestimmung d. i. eine Art, wie der Gegenstand existierte* 2) „Alles, um
geschieht, setxt etwas voraus, worauf es nach einer Regel folgt,** 3) y,AlU Sulh
stanxeti, sofern sie xugleich sind, stehen in durchgängiger Gemeinschaft** (L c.
S. 170 ff.). Die Analogien der Erfahrung bilden die tlieoretische Grundlage,
die Regulative der Naturerkenntnis. Vgl. Laas, Kants Anal, der Erfahr. 1876.
AnalOffiesclllaß ist ein „Schluß per analogiam** („ratioeinatio ^
analogiam**)^ d. h. von der Übereinstimmung zweier Objecte in mehreren wesent-
lichen Punkten auf die Gleichheit oder Ähnlichkeit auch in anderen Merkmalen-
— Als 7ta^d8eiyua kommt diese Schlußart schon bei Aristoteles (AnaL pr.
II, 24; Rhet. I, 2, 1357 b 25 sq.) vor. Femer als avlloyiauos xara j6 dvdloyvff
in der pseudogalenischen Eicaytoy^ (Prantl, G. d. L. I, 608), nachdem Thbo-
phrast mit diesem Terminus einen Schluß aus hypothetischen Prämissea
AnalogieBoliluß — Analyse. dS
bezachnet hatte (L c. I, 381, 391). Das na^Saty/Aa kommt als „eacemplum'^ bei
BoEthius vor (Opp. p. 864). Die Epikureer sehen im Analogieschluß (6 xard
tijy oMtorrjra rooTtog) den Weg von den Erscheinungen zu dem Unbekannten
<Tgl. CtOMPKRZ, Herculan« Stud. H. 1). Hume rechnet die Analogieschlüsse zu
den Wahrscheinlichkeitsschlüssen (s. d.) (Treat III, sct. 12), Wundt zu den Sub-
nuntionssehlässen (s. d.) (Log. I, 309). Vgl. Haoemakn, Log. u. Noet. S. 104 ff.
AnAtof^leTerfalireii s die Anwendung des Analogieschlusses als Quelle
Ton Erkenntnissen, besonders in der Metaphysik (Leibniz: „tout comvie chf^x.
woM^). Die Existenz fremder Ichs (Seelen) wird nach Berkeley u. a. auf
diese Weise erfaßt. Vgl. Analogie.
AüAloi^SMills = Analogieverfahren.
Analogon rationis: das der Vernunft Entsprechende in niederer Form
(Gedächtnis, Erwartung, Association u. dgL statt begrifflichen Denkens). Ein
mlclus schreibt Leibniz den Tieren zu (Monad. 26, 28); so auch Chr. Wolf
(PsTch. emp. § 506, Psych, rat. § 765, Vem. Ged. I, § 872).
Analjrse (avdXvci£\ logische Auflösung, Zerlegung eines Begriffes in seine
Merkmale, eines Bewußtseinsinhalts in seine Elemente (psychologische An.),
eb« Gegenstands in seine Eigenschaften, Zurückführung des Besonderen auf
dis Allgemeine. Qegensatz: Synthese (s. d.).
Als B^riffszerlegung bestimmt die Analyse schon Aristoteles (vgl. Eth.
Mein, 5, 1120 squ.), zugleich als Fortgang vom Besonderen zum Allgemeinen.
So auch AL£XAin>£R TON ApHRODIBIAS: ^AvaXvnxd 8e\ ort 17 navroe cw&dxov
ii| tav ^ üvv!^saii avrov dvaywyri^ dvnXvag xakeTrai^ avTSOrgafifiivaii yii^ rj
•täixGti h^ei Tfi avviyiaei, 17 fiiy yd^ avv!)'eaii dno ruiv d^x^^ 696^ icriv ini
fk hl rSv d^x^^y V ^^ dvdXvca ijtdvodos iartv ini rag d^x^i dnd rov rdXovg
Mi Ta it (Pnintl, G. d. L. I, 623). Diese Definition findet sich noch bei Kant :
pÄnalyns, priori sensu sunita, est regressiis a rationato ad rationenty posteriori
mlem signifieatuy reffressus a toto ad partes ipsitts posstbües s. mediatas h. e.
farfium parfes^^ (De m. sens. sct. I, § 1). Leesniz erklart: yyAnalysis haec est:
datus quieumque terminus resolvatur in partes formaleSy seuponaiur eins definitio;
fortes aiäem kae iterum in partes, seu terminorum definitionis definitiOf tisque
*rf partes »ivnplices, seu terminos indefinihiles** (De arte comb. Erdm. p. 23 a, b).
— Xaeh Wundt ist die analytische Tätigkeit eine Wirkung der Apperception
(Gr. d. Psydh.*, B. 303). Analyse und 8ynthese gehen aus der mehrfachen
IHederholang und Verbindung der Beziehungs- imd Vergleichungsfunction her-
vor. 80 daß die Analyse zunächst^ das Product der vergleichenden Apperception
;« (l c. S. 316). Sie tritt in zwei Formen auf: als Phantasie- tmd als Verstandes-
ütigkeit (L c. 8. 318). So beruht z. B. das Urteil (s. d.) psychologisch im
wesentlichen auf einer analytischen Fimction (1. c. S. 321; dagegen SlowART,
log. I*, 130 und Jerusalem, Urteils! S. 75). Die Analyse ist die ursprüng-
lichste Erkenntnisoperation, „welche durch die natürliche Bescßiaffenheii der Er-
fskrungsobjecte in der Regel xtterst angeregt unrd". Sie gliedert sich in drei
fitofen: 1) elementare Analyse, durch die eine Erscheinung in Teilerschei-
mngcn zerlegt wird (in der Chemie), 2) causale Analyse, welche die zerlegten
Bestandteile in ihren gegenseitigen Beziehungen erklärt (physikalische, psycho-
lioglische Analyse); hier sind wichtig die Principien der y,Isolatian" von Ele-
iBenten und der „ Variation*^ solcher (beim experimentellen Verfahren), 3) logische
Aiiahse (besonders in der Mathematik). Die Grundformen der Analyse sind
PbltoMphiaohM Wörfterbaob. S. Aafl. 3
34 Analyse — AnamneBe.
das disjunctive, das Abhangigkeits- und das Bedingungsurteil (Log. II*, 1).
Bjebl unterscheidet eine analytische, synthetische und analytisch-synthetische
Bewußtseinsfunction. „Mittelst der ersten wird das Beharrliche vom Veräfider-
liehen unterschieden, durch die xweite die Veränderung mit ihrem Grunde ver-
knüpft, durch die dritte endlich alles Wirkliehe, Dinge und Vorgänge, als xu
einer und derselben Welt gehörig, jedes Mnxelne als Teil des Ganzen der Xatttr
gedaeh^^ (Phil. Kr. II, 2, S. 68). Nach Schuppb ist jede Analyse eine Er-
weiterung der Erkenntnis und zugleich eine Synthese, insofern „das als im
Ganzen enthalten entdeckte Moment bis dahin unbekannt war^^ (Log* ö. 98). Vgl.
Induction, Methode, Psychologie,
Analyse« psycliisclies Zerlegung eines Bewußtseinsinhaltes in dessen
Componenten (vgl. Metnong, Beiträge zur Theorie d. psych. Analyse, Zeitschr.
f. Psychol. VI, 340 ff.). Vgl. Elemente (psychische), Psychologie.
Analytik {dvalvr^x^ '^^x*^) ^^ nach Aristoteles die Kunst des avakvsw,
der Gedankenzerlegung (Ehet. I 4, 1359 b 10), des Fortschreitens zu den Prin-
cipien. Daher der Name Analytica für die Logik des Stagiriten (Analytica
priora = Lehre vom Urteilen und Schließen, Analytica posteriora := Lehre vom
Beweise). JOH. ScoTUS Ebiugena: ,^u4vaXvzix^ enim est disciplina, quae nisi-
bilium imaginum interpretationem in invisibilium inlellectuum uniform itaiem
resolmt omni forma earentium" (Prantl, Gr. d. L. II, 27). Er nennt dvaJivrix^
auch die „divina processio" (s. d.). Nach Thomas ist „analytica" die „demon-
sfratira scientia, quae resohendo ad principia per se nota iudicativa dicifur**,
ein Teil der Logik, der auch „dicUecticam sub se continet" (Sum. th. II,
53, 4 C).
Analytik, transc en d en tale ist derjenige Teil der Vemunftkritik Kaxtb,
der „die Zergliederung unseres gesamten Erkenntnisses a priori in die Elemente
der reinen Verstandeserkenntnis" zum Gegenstande hat (Kr. d. r. V. S. 85), der
Teil der „transcendentalen Logik^^, der „die Elemente der reinen Verstandes-
erkenntnis vorträgt und die Prineipien, ohne welche überall kein Gegenstand ge-
dacht werden kann" {1. c. S. 84); sie ist „die Zergliederung des Verstandesver-
mögens selbst, um die Möglichkeit der Begriffe dadurch xu erforschen, daß trir
sie im Verstände allein, als ihrem Geburtsorte, aufsuchen und dessen reinen
Gebratich überhaupt analysieren" (1. c. S. 86). Sie handelt von den Kat^orien
(s. d.) und von den Gmndsatzen (s. d.) des reinen Denkens. Eine Analytik ent-
halt auch die „Kritik der praktischen Vernunft", sie beginnt mit der Darlegung
der Möglichkeit praktischer Grundsätze a priori und schließt mit der Lehre
vom moralischen Gefühl. Endlich gibt es bei Kant eine „Analytik des Schönefi^*'
(Kr. d. Urt. 1. T., 1. Abt., 1. B.), eine „Analytik des Erhabenen" (1. c. 2. B.)
und eine „Analytik der teleologischen Urteilskraft" (1. c. 2. T., 1. Abt.).
Analytlselt: durch Analyse (s. d.).
Analytiseiie Methode s. Induction, Methode.
Analytisehes Urteil s. Urteil.
Anamnese (dvdftrrjaie) : Erinnerung. Als solche betrachtete Plato die Kr-
kenntnis des Allgemeinen, Seienden, Typischen, Idealen. Im Zustande der Pra-
existenz (s. d.) hat die Seele die Ideen (s. d.) unmittelbar geschaut, und wenn sie nun
die Dinge wahrnimmt und denkt, so erinnert sie sich daran, d. h. sie erkennt
vermittelst angeborener Spuren der einstigen Schauimg, vermittelst einer Art
Anamnese — Anerkennen. 35
tpiionscher Maßstabe, die sie an die Erfahrung heranbringt sowohl im Logischen,
Theoretischen als auch im Ethischen und Ästhetischen. Tovro de iativ avdfivriaii
iMurav, a nor el8sv ^fuav 17 tf^^ cvfinogev^^iaa d'e<p xai vnsQiSovaa a vvv elvai
fauiv xai dvaxvy^aaa eis ib ov ovrots (Phaedo 249 C). *Hfiiv rj fidd'ijute ovx aXXo
u J avduprjCii rvyx^vei ovaa, xai xaiä tovtov dvayxtj nov rjfiä^ iv TtQore^t^
i»l Z^*'*P f^fMi&rixevat a vvv dva/ii/ivrjaxofts&a (Phaedo 72 E). Oiixovv ei fiev
Ußorrti avriiv ngo rav ysvec&ai i^ovree iyevofie&a^ ^laidfisd'a xai n^iv
ftvi9&at xai evd'i^ yevoftsvot ov fiovor t6 Xüov xai ro fisV^ov xai ro i'htxTOV^
iUja. nai ivftnavra rd roiavra (1. C. 75 C, Meno 86 A; vgl. WlNPEI^BAND,
Gesch. d. Phil. S. 92). Als Bewußtwerden der angeborenen Ideen {(^'aixai
ifpotat) kennt eine Anamnese Nebcesius (ne^i ipvaeaK 13, 203 f.). Im Sinne
Hatos lehrt auch Boethius (Cons. phil. V), femer M. FiciiOJS (Theol. Plat.
XII, 1), N. Taubellus (Phil, triumph. 1, p. 62). Ein Gegner der Lehre ist u. a.
ASKOBlüS (Adv. Gent II, 24). Hillebrai^D betrachtet das y,freie ideelle
Aoiiboi des Übersinnlichen^'' als eine Art Wiedererinnern (Phil. d. Geist. I, 91).
fine Art Anamnese auf biologisch (phylogenetisch) - erkenntnistheoretischer
Gnmdlage (als Bewußtwerden latenter Vererbungen) wird vielfach angenommen,
m auch von L. Noike (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 144), L. Geiger (ümf.
B. Qu. d. erf. Erk. S. 16), Simmel (Probl. d. Gesch. S. 25 f.) u. a.
AB&stliefile: Aufhebung der Erregbarkeit für Sinnesreize, des Empfindens,
Ijesonders der Tastempfindung, durch äußere und innere (intraorganische) Mo-
»ente, Gegenteil: Hyperästhesie. Unter Hypästhesie versteht man die
klßöe üerabsetzung der Empfindlichkeit (vgl. Hellpach, Grenzwiss. S. 221 ff.).
Anderlieit (alteritas): Übersetzung der itegorrj^ bei Abistoteles (bei
?UT0: e%sgav: Verschiedenheit der Gattung (Met X, 8, 1058a 7). „Älteritas^^
hi B0ETHIU8 (Conun. Isag. p. 33), „Älietas" bei Thomas. Nach Plotin hat der
mj (Geist, s. d.) im Unterschiede vom „Mnen" (ßv) eine Anderheit {eregoTTjs),
vcd »■ in sich eine Zweiheit des Erkennenden und Erkannten hat. Von der
iJuierheit im metaphysischen Sinne, als von der Eins ausgehend, spricht Geoboiub
VcfEnrs (Opp. III, 38).
Andemselns bei Hegel ein Ausdruck für die) Natur (s. d.) als äußere
Fotui, Veraußerlichung der Idee (s. d.), des Absoluten. „Die Xegatiorij nicht
^fkr das absiracte Nichts, sofidern als ein Dasein und Etwas, ist nur Form an
feswff, sie ist als Ander ssein^^ (Encykl. § 91).
AbAt^ das (xa dXAa tov evos, 16 aXXoy ir,v sre'pav fi'aiv tov ei'Sove)
iMnnt Plato das Nicht-Eine, den Gegensatz zum Einen, die Mannigfaltigkeit,
Cnbestimmtheit, die am Formprincip, an der Idee (s. d.) teilhat (Parm. 158 C,
129 A. 239 f., 258 f., Phaedo 1(X) C, 102 B).
Averkenneii = Beifall erteilen, für wahr halten, als wahr annehmen.
I)tt liegt in der Synkatathesis (s. d.) der Stoiker, im „actus iudicativus** des
Wilhelm von Oocah, „quo intelleetus non tantum apprehendit obiectum, sed
ttiom Uli tissentit vel dissentit . . . quod verum existimamus" (Prantl, Gesch.
4- L. in, 333), im „Glauben*^ (belief, s. d.) des J. St. Mill, endlich in der
FtmenoD des Urteils (s. d.), wie es Brentano auffaßt. — Platner nennt die
pAnerkemänis der Idee nach MerkmcUen der Gattung und Art in dem Gedächtnis"
IBun notwendigen Factor des Bewußtseins (Ph. Aph. I, § 44). Das Anerkennen
l*folgt durch „ dergleichen der vorschtcebenden Idee mit anderen im Gedächtnis
3*
36 Anerkennen — Angeboren.
durch sie erweckten" (1. c. § 71), ist also ein „Erkennen", — Nach Hegel ist
der Proceß des Anerkennens der „ THeb, »ich als freies Selbst xu zeigen und ßr
den andern als solches daxusein" (Encykl. § 430). Hier ist von Anerkennen
im praktisch-socialen Sinne die Rede.
An^^eboren: ererbt, in der Natur, der Organisation, der Gesetzmäßigkeit,
der Functionsweise des Ichs, des Geistes, des Anschauens, des Denkens be-
gründet. Angeboren können nur Anlagen, Dispositionen, nicht Erkenntnisse,
Begriffe als solche sein, wie der einseitige Rationalismus (s. d.) dies zuweilen
behauptet hat.
In der Lehre von den „angeborenen Ideen" finden wir zwei Richtungen,
deren eine das Angeborene als etwas Positives, Concretes, Fertiges, wenn auch
der Bewußtwerdung Bedürfendes aufzufassen geneigt ist, währ^d die andere
das Angeborene mehr als Potenz, Anlage, Entwicklungstendenz bestimmt.
Plato begründet durch seinen Begriff der Anamnese (s. d.) die Lehre
von den angeborenen Wahrheiten, die nur der Erweekung durch die Erfahrung
bedürfen, um bewußt zu werden. Nach Aristoteles sind die allgemeinsten
Begriffe und Grundsatze der Potenz nach (Swduet) angeboren, d. h. im Wesen
der Vernunft begründet. Die Stoiker setzen an die Stelle angeborener Ideoi
xoivai ii'voiai^ allen gemeinsame Begriffe, die, aus der Erfahrung entstehend, za
k'ft<fvroi TtQoXrixf'ets (eingepflanzten Vorannahmen) werden. Später werden daraus
„rwtioties innatas", deren jede yyanimo quasi insciäptum" ist (Cicero, De nat
deor. II, 12). Zu diesen Gemeinbegriffen, „notiones communes"^ gehören die
Idee der Gottheit, des Guten, der Unsterblichkeit (Cicero, De leg. I, 8, 24;
Tusc. disp. I, 24, § 57). So auch bei BoETHius (Cons. ph.). Zu gewisse Be-
griffen haben wir eben schon die Dispositionen in uns (ClOERO, De fin. IV, 3;
Seneca, Ep. 120, 4). Nach JüSTINUS ist der Gottesbegriff ^fifvxos rrj f^van
T(5v avd'QCJTtcov do^n (Apol. II, 6), ane^jua loyov ififpvxov (1. c. II, 8). Ähnlich
Arnobiüs (Adv. gent. I, 33). Nbmesius spricht von fvaixal ifvoiat (TTe^ ^{^^
13, 203 f.). JOH. Scotus nimmt die Existenz angeborener Begriffe an (Dir.
nat. IV, 7 f.). Nach Avicenna stammen dieselben aus der „tätigen Vernunft^
(vgl. Siebeck, G. d. Psych. I 2, 437). Thomas: „Anima cum ait quandoque
cognoscens in potentia tantum ad id quod postea actu cognoscit, impossihile est
eam cognoscere corporalia per speeirs naturaliter itiditas" (Simi. th. I, 84, 3>.
Doch „präexistierevi" „in nobis quaedam semina scientiaruni . . ., primae eon-
eeptiofies" (De ver. 11, 1). Als „ewige Wahrheiten" (s. d.) sind die Begriffe
Gottes u. a. angeboren, das lehren die Scholastiker allgemein.
M. FiciNUB glaubt, die Grundbegriffe seien in den Tiefen der Seele ver-
borgen (Th. Plat. XI, 3). Melanchthon verteidigt gleichfalls die Lehre vom
Angeborenen (De an. p. 208). Charron erklärt: „IjC^ germes de toutes scietiee»
et vertus sont naturdlement esparsees et insinues en nos esprii^" (De la sag. I,
14, 11). Sogar der Empirist F. Bacon spricht von Idolen fV^orurteilen), welche
„inJuierent naturae ipsius intelleeius" (N. Org. p. 6). Descartes erneuert die
Lehre von den angeborenen Ideen. Es sind „notionesy quas ipsimet m nobis
habemus" (Princ. phil. II, 75; vgl. Medit.). Sie sind nicht als bewußte Crebüde
angeboren, sondern führen den Namen „innaiae", weil sie „nee ab obiectis, ner
a voluntatis determinaiione procednnt, sed a sola facultaie cogitandi necessitaie
quadam naturae ipsius mentis inananl^* (Opp. I, p. 185), so daß sie einen aprio-
rischen, denknotwendigen Charakter haben. Ahnlich Malbbrakche (Eeeb.
Angeboren. 37
I, 4) und Spinoza (Em. int). Fenelon erblickt in der angeborenen Idee
Je seeau de Vauvrier taut-putssant, qu'il a imprime sur son auvrage** (De Vex.
de Dieu p. 132). Angeborene (BitÜiche u. a.) Ideen nehmen auch Cudworth
md H. MoRE an.
Leibkiz nimmt nur angeborene Anlagen, urBprüngliche Functionsweisen des
Geistes an, die der Erfahrung und Entwicklung bedürfen. Sobald eie aber ein-
mal za B^^ffen und Urteilen geführt haben, müssen diese als notwendig ein-
gcsdliai werden. „Ainsi fappelle innees les tfSrites, qui n'ont hesoin que de eette
tmMeration pour estre verifUes^ . , . les notions innees sont implicitement
dans l'esprü", d. h. der Geist hat „/a factdie de les eonnaisfre . . ., quand il y
fmse comme ü faut^* (Nouv. Ess. I, eh. 1,§ 21), Nur „mrttiellement**^ sind die
Gnmdwahrheiten, z. B. die ganze Arithmetik und Greometrie, angeboren: „Dans
te sens on doii dire que taute Va/rithmetique et toute la geo^netrie sofU innees ei
samt en nous d'une moniere viriudle^ en sorte qu'on les y peut trouver en con^
sideront aiteniivement et rangeant ce qu'on a dejä duns l'esprit^*^ (1. c. pr^f., I,
dL 1 iL). „Cest ainsi que les idees et les verites nous sont innees, comme des
i^linaiions, des indispositionsy des habitudes ou des virtualites naturelles'^ (ib.).
Der Geist ist keine „tabula rasa'' (s. d.), sondern er verhalt sich, „c&ntme la
fgure tracee par les veines du marbre est dans le marbre, avant qu'on les dicouvre
m traeaükmf* (L c. § 25). Gegen Locke (vorher schon Hobbes, Leviath. C. 1),
4tr den EmpiiiBmus (s. d.) vertritt, bemerkt Leibniz : „Nihil est in intellectu nisi
ipte inUliectus^' (L c. II, eh. 2, § 2). Es kann, da die Seele kein Körper und einfach
wt, niehts von aufien in sie hineinkommen, sie entwickelt alle ihre Anlagen aus
afch selbst (ib.). So bemerkt auch Chr. Wolf; „Weil die Seele durch ihre ihr
tigentwnliishe Kraft die Empfindungen hervorbringet, so kommen die Bilder und
Bfgriffe der körperlichen Dinge nicht vofi außen hifiein, sondern die Seele hat sie
•i der Jbi schon in sich, nicht wirklich, sondern bloß dem. Vermögen narh, und
^leickeU sie nur gleichsam in einer mit dem Leibe zusammenstimmenden Ord-
ntmg aus ikretn Wesen heraus^' (Vem. Ged. I, § 819; ähnlich Platner I,
i 91 ff.). Voltaire: „Nous appartons, en fiaissant, le germe de tout ce qui
ietrkppe en nous^' (Phil. ign. V). Locke stellt die von ihm angefochtene An-
gfhoren-TlieQrie so dar: ,fi is an esiablished opinion amongst some men, that
A?re are in the understanding eertain innate prindples; sotne primary notions,
BMyni IvtvMMy charaeters, as it were stafnped upon the mind of man, which the
9mü reeeives in its very first being, and brings into the world tcith it*' (Ess. I,
eh. 2, § 1). Zu vermitteln sucht Hume: „Versteht man unter ,angeboren' das
Vrsprüngliehe und von keinem vorhergehenden Eindruck Abgenommene, dann
ham man sagen, daß alle unsere Eindrücke angeboren und alle unsere Vor-
Mkmgen nicht angeboren sind" (Inqu. III, Anm.). Gegen die angeborenen Ideen
polemioiert Holbach (Syst I, eh. 10). Die schottische Schule hingegen be-
hauptet die Ursprünglichkeit von Axiomen, „self-evident truths", die im „common
•öM«'* (s. d.) b^ründet sind (vgL D. Stewart, Phil. Ess. p. 103, Reid u. a.).
Kant verwirft die Annahme angeborener Erkenntnisse oder Begriffe und
MSzt statt derselben ursprüngliche, in und mit dem Intellecte gegebene Func-
tiooen der Verarbeitung des Erfahrungsstoffes durch die Einheit des Ichs. Das
A priori (s. d.) hat an imd für sich mit dem „Angeboren" nichts zu tun, jenes
« logisch, dieses psychophysisch. Doch setzt Kant zuweilen beide Begriffe
flKmander in Beziehung. ,iWir werden also die reinen Begriffe bis xti ihren
ersten Anlagen und Keimen im menschlichen Verstände verfolgen, in denen sie
38 Angeboren — Angenehm.
vorbereitet tisgerif bis sie endlich^ bei Gelegenheit der Erfafirufig enticiekeÜ und
durch eben denselben Verstand von den ihtien anJiäftgenden empirischen Be-
dingungen befreiet f in ihrer Lauterkeit dargestellt werden" (Kr. d. r. V. S. 86 f.).
„Die Kritik erlaubt schlechterdings keine anerschaffetien oder angeborenen Vor-
stellungen; alle insgesamt y sie mögen »ur Anschauung oder xu Verstamde*-
begriffefi gehören, nimmt sie als erworben an. Es gibt aber auch eine m-
sprüngliehe Erirerbung. . . . Dergleichen ist, wie die Kritik behauptet, er st lieh
die Form der Dinge in Raum und Zeit, xweitens die synthetische Einheit
des Mannigfaltigen in Begriffen; denn keine von beiden nimmt unser Erkenntnis-
rermögen von den Objecten, als in ihnen an sieh selbst gegeben, her, sondern
bringt sie aus sich selbst a priori zustande. Es muß aber doch ein Grund dazu
im Si/b/ecte sein, der es möglich macht, daß die gedachteti Vorstellungen so wid
nicht anders entstellen und noch daxu auf Obfecte, die noch nicht gegeben sifid,
bezogen werden könnest, und dieser Grund wenigstens ist angeboren" (üb. e.
Entdeck. 1. Ab., 8. 43). Nur der „erste formale Grund" z. B. der Möglichkeit
einer Baumanschauung, nicht diese selbst, ist angeboren (1. c. S. 44).
Nach S. Maimon sind die Verstandesbegriffe dem Denken angeboren«
werden aber erst durch die Erfahrung bewußt (Vers. üb. d. Tr. S. 44). An-
geboren = ursprünglich sind nach Jagobi die Begriffe der Einheit, Vielheit
des Tuns, Leidens, der Ausdehnung und Succession (WW. II, 262). Nach
HiLLEBRAND gibt CS keine angeborenen Begriffe, wohl aber eine „eigentiimlithe
ürstimmung" des Geistes (Phil. d. Geist. I, 89 ff.). Schellino : „Sicht Begriffe,
sondern unsere eigene Natur und ihr ganzer Mechanistnus ist das uns An-
geborene^^ (Syst d. tr. Id. S. 317). Angeborene Ideen nimmt an Che. Kraüsb
(Gnmdr. § 43), so auch Ahreks („idees fondamentales"), femer RoSMiNi Serbati
(vgl. Sein) und Jouffroy. Ursprüngliche Anlagen, Dispositionen (s. d.) gibt
es nach Beneke, von Hartmann u. a. P. Ree bemerkt: „In geitissem Sinw
sind alle Objecte angeborene Vorstellungen des Subjects" (Philos. S. 125).
Einige führen die „angeborenefn Vorstellungen" auf Vererbung zurück.
So H. Spencer, der in ihnen Niederschläge, Spuren der „Erfahrung aller
Vorfahren" erblickt (Gr. d. Psych. II, § 332), Carneri, nach dem die Fähig-
keit zur Reproduction von Ideen angeboren ist (Sittl. u. Dan^*. S. 229), Simhel,
L. Stein. Letzterer erklärt: „Nihil est in intelleetu — nisi futictiones, qnae
forma nt intellex:tum" (An d. Wende d. Jahrh. S. 30). Der Streit zwischen Em-
pirismus und Nativismus ist durch den „evolutionist ischen Kritieismus" so ge-
schlichtet, daß „der Empirismus für den Natur me^ischen, der Nativismus fär
den Culturmenschen gilt". Dieser findet bereits die Dispositionen zu Vor-
stellimgen und ihren Verbindungen als „ererbte, abgetrennte, rasch funetionierendt
Associationsl)ahnen" vor (ib.). Angeborene Dispositionen ninmit Jerusalem an
(Lehrb. d. Psych.*, S. 31). Kroell erklärt, vor dem Reiz sei in der Hirnrinde
nur eine „Functionsynöglichkeit" angeboren (Die Seele, S. 42). WUNDT vemeini
die Möglichkeit angeborener Vorstellungen, da diese keine Objecte, sonden
Functionen sind, die nur als Bewußtseinsvorgänge wirklich bestehen (Grdz. d
ph. Psych. II", 234). — Der psychologische Nativismus (s. d.) lehrt dn» An-
geborensein der Raumanschauung (s. d.). Vgl. A priori, Disposition.
Angeleg^belt s. Anlage.
Ann^emesBeii s. Adäquat.
Angenehm ist, was sinnlich gefällt, dem Willen gelegen konunt^ —
Angenehm — Anmut* 39
Xach Crusius ist angenehm „derjenige Zustafid unserer Seele, welcher aus der
Erfiiliufig eines WoUens entsteht^^ (Anweiß., vemünft. zu leben*, 1751, 8. 28), nach
Kant, ^yicas den Sinften in der Empfindung gefcüW*^ (Kr. d. Urt. § 3). ,,Was
unmittelbar (durch den Sinn) mich antreibt, meinen Zustand xu verlassen (aus
iknt hfrauszugehen), ist mir unangenehm — es schmerxt mich; was ebenso mich
antreibt, ihn xu erhalten (in ihm xu bleiben), ist mir angenehm — es per-
^nügt mirh^^ <Anthr. II, § 58). Angenehm ist, was vermittelst der Empfindung,
mdividuell-subjectiv, den Willen bestimmt (Gr. z. Met. d. Sitt. 2. Ab.). Nach
Herdeb ist angenehm, „was unser Sinn gern annimmst, was ihm gemlim, d. i.
angemessen ist, was er im Empfangen genehmig f^ (Kallig. 1800, I, S. 6). Nach
ZiEGLEB ist angenehm, was uns reizt und von uns assimiliert wird (D. Gef.*,
S. 106). Nach Gboos ist angenehm das der Sinnestätigkeit Angemessene.
(EinL in d. Asth. 8. 206, 283 ff.).
AnllHiAllsclie = „körperlicfie Empfindung" = sinnliches Gkfühl (Kant,
Kr. d. rn. § 54).
.InlmisniiMs 1) der Glaube an Seelen, Geister in Menschen und Natur-
objecten als primitive Religion (vgl. Tyloe, Anfänge der Cultur 1873, von
ihm der Terminus; vgl. AksJLkow, Anim. u. Spirit.*, 1894). 2) Ansicht, daß
die Seele (das Seelische) das Pnncip des Lebens und Lebendigen sei. Diese
Auffassung findet sich bei den ionischen Naturphilosophen (s. Hylozobmus),
ba Abibtoteles (s. Seele), den Stoikern (s. Pneuma), bei den Schola-
stikern. In der Benaissance-Philosophie wird das Leben auf einen „spiritus",
jjtreheus^^ u. dgl. zurückgeführt, so von Pabacelsus, Aobippa von Nettes-
HDM, VAN BteLMONT, CAitDAirüS, Telesius u. a. Auch Leibniz vertritt den
Animismus. Vorzugsweise heißt Animismus die Lehre des G. £. Stahl, de\:
dlff Seele als Bildnerin des Leibes betrachtet. „Corpus hoc verum et imme-
diainm aniniae organon. . . . Anima praesens omniuin aetuum in homifie"
(Diäqu. de mech. et organ. div. p. 44). Ahnliche Lehren in der Scheluno-
sehen Naturphilosophie. — Wündt Versteht imter Animismus „digmige
metaphysische Anschauung, welche, van der Überzeugung des durcligängigen
Zummmenhangs der psychischefi Erscheinufigen mit der Gesamtheit der Lebens-
^Tfcheinutigen ausgehend, die Seele als das Priticip des Lebens auffaßt". Die
Seele (s. d.) ist nach ihm eins mit dem Lebensprincip, Leben imd Beseelung
sind Wechselbegriffe; die physische Entwicklung ist schon die Wirkung der
psychischen Entwicklung (Gdz. d. ph. Psych. II*, S. 633 ff. ; PhiL Stud. XII, 47 ;
Ek 4, S. 124; Syst. d. Phü.», S. 605 f.). Vgl. Lebenskraft, Seele, VitaHsmus.
Ai«fr;Hng^»i der (GesichtB-)Empfindungen : Ausdruck für die Tatsache,
daß jeder Eindruck (auf den Gesichtssinn) einer gewissen Zeit bedarf, mn
wahrgenommen zu werden (schon bei Tbtens).
Anla^e^ psychophysische, heißt zunächst jede ursprüngliche Beschaffen-
heit des Organismus, des Ichs, vermöge deren dieses imstande ist, bestimmte
Fimctionen überhaupt oder leicht und sicher zu verrichten (s. Genie, Talent).
Erworbene Anlagen entstehen durch Übung (s. d.). Es lassen sich unter-
scheiden: Empfindungs-, Gefühls-, Trieb-, Charakter-, Willens-, Verstandes-,
Phantasie- Anlagen. Vgl. Disposition, Angeboren, Angelegtheit, Phrenologie.
Anton s. Veranlassimg.
ist Schönheit in der Bewegung, beruht in der I^ichtigkeit und
40 Anmut — Anpassimg.
Harmonie dieser. — Die literarische Bichtung der Schweizer im 18. JahrL
bestimmte y^AnmuV^ als undeutliche Vorstellung einer Schönheit des Kleina
(Debsoib, G. d. n. Psych. I*, S. 596). Schiixeb definiert: „Anmut ist eine
Schäfiheit, die nicht van der yatur gegeben, sondern von dem Subjeete selbst
hervorgebracht wird^^ (Üb. An. u. W.; PhiL Sehr., hrsg. von Kühnemann, 8. 99i.
,yAnmiU ist die Schönheit der Qesialt unter dem Einfluß der IVeiheit.** Sie
kann nur der Bewegung zukommen, wiewohl auch feste und ruhige Züge, ak
Spuren früherer Bewegungen, Anmut zeigen können (gegen Home, Grds. d.
Krit. II, 39; 1. c. S. 109). „Anmut ist eine bewegliche Schöfüieit; eine Schön-
heit nämlichy die an ihrem Subjeete xufällig entstehen und ebenso aufhören kami^
(1. c. S. 96). Sie ist Ausdruck der „schönen Seele" (1. c. S. 134), li^ in der
„Freiheit der icillkürlichen Beuregungen", während die „Wurde" in der „Be-
herrschung der unwillkürlichen" beruht (1. c. S. 144). Nach VISCHER ist an-
mutig „eine Erscheinung, die ohne weiteres, ohne Störung schön ist" (D. ScL u.
d. Kunst*, S. 192). Simmel bestinunt Anmut als „fließende Schönheit" (£. in
d. Mor. I, 228).
AvnaliMie (acceptio) sc. als wahr, = Fürwahrhalten, Glauben (s. d.},
Voraussetzung bei einem Beweise. Vgl. Hypothese.
Annilillatioii: Zunichtemachung, Zerstörung.
Anomalie (npofutXia): Abweichung von der Regel, Ungesetzmäßigkeit.
Der Name stammt von den Stoikern (Stein, Psych, d. Stoa II, 284).
Anordnung s. Ordnung.
Ajiorf^aniscli r nicht organisch, unlebendig. Vgl. Organismus.
Ajtosnile: Unempfindlichkeit, Abstumpfung für Gerüche.
AnpaSBimg (Adaption, Adaptation): 1) Organische, biotische = die
Gestaltung der Organe und Functionen eines Lebewesens entsprechend den Lebens-
bedingimgen, dem biologischen Milieu. Die Anpassung ist das Resultat des Zu-
sammenwirkens von Organismus (und dessen Trieben und Willensacten) + MilieiL
Überwiegen die Einflüsse des letzteren, spricht man von passiver, konmit
mehr das eigene Sich-anpasscn des Organismus in Frage, von activer An-
passimg. Die Anpassimg ist eine directe, wenn unmittelbar, eine indirecte,
wenn durch Selection (s. d.) erfolgend. Die Anpassung ist ein Factor der
Entwicklung (s. d.) der Organismen. — Schon Anaximander soll die Idee der
Anpassung ausgesprochen haben (Plut, Plac. V 19, 1). Ch. Dabwin hat die
(auch von Laharck gelehrte) Anpassungs-Theorie neu begründet, insbesondere
sie auf Selection zurückgeführt (Entsteh, d. Arten). Während der extreme
Darwinismus die Anpassung ausschließlich als selectorische, indirecte auffaßt
(z. B. Weismann), betonen andere Naturforscher und Philosophen (z. B. Wi'NDT,
E. VON Hartmann, Baldwin, James, Stoüt, Fouillee u. a.) die Notwendig-
keit directer und activer Anpassungen. So auch Reinke. Nach ihm ist An-
passung „die vorteilhaft wirkende Beactiofi des Organis?nus gegenüber der Außen-
welt sowohl in seiner Gestaltung wie auch in seinen Verrichtungeti" (Welt a.
Tat S. 245). Active Anpassung ist „die Fähigkeit, sich den Bedingungen der
Außenwelt entsprechend xu verämlern", „die Fähigkeit, auf die Umgebung xwerk-
7näßig xu reagieren" (Einl. in d. th. Biol. S. 105 ff.). Die Anpassung ist letzten
Endes eine Reizwirkimg. (Es gilt der PFLtJGERsche Satz: „Die Ursache jedes
Bedürfnisses eiftes lebendigen Wesens ist zugleich die Ursache der Befriedigung
Anpassung — Ansohaunng. 41
des Bedürfnisses'^, D. teleol. Mech. d. leb. Nat. 1877, S. 37; ähnlich schon
LäXASCX nnd Lotze). „Die Veränderung der Lebensbedingungen tcirkt als
BeiXy löst eine Reaetiofi aus, die für den Organismus nütxlich ist" (1. c. ß. 122;
▼gL A. Waoner, Grundprobl. d. Naturwiss. 1897, S. 230). Unter „functioneller
Änpassufig^ versteht W. Boüx die Fähigkeit der Organe, durch verstärkte
Übung in höherem Mafie ihren Functionen sich anzupassen (Beitr. zur Morph,
d. fonct. Anpass., Arch. f. Anat. u. Phys. 1883); er lehrt eine Anpassung der
Oigane aneinander (D. Kampf d. Teile im Organ. 1881). Nach Sihmel muß
(bs Anpossungsprincip nicht zur Erhöhung imd Erhaltung einer bestimmten
Art fahren, sondern zur Steigerung der G^esamtlebenssumme auf einem ge-
giebenen Baume (I>linl. in d. Mor. I, 185).
2) Psychologische Anpassimg: a. der Binnesfunctionen an die Reize
(SpEirCER, JoDL, WuNDT, BlEHL u. a.); b. der Aufmerksamkeit an den sie
nslosenden Beiz. Sie bekundet sich in Spannungsempfindungen (Wundt,
Grdz. d. ph. Psych. II*, 269 ff.; Phil. Stud. II, 34). EßBlNGHArs versteht
unter Adaptation die ,, Abstumpfung der Empfindungen bei continuierlicher Fort-
dauer der objectiven Beixe'^ (Gr. d. Psychol. S. 520).
3) Logische Anpassimg der Gedanken an die Tatsachen, besonders von
Hach betont (Popularwiss. Vorles. S. 231 ff.). Vgl. Evolution, Ökonomie.
iWkf; (Intuition) ist die unmittelbare (nicht durch Begriffe und
I ^cfaltidse vermittelte) Erfassung eines concret gegebenen Objectes in dessen
(räumlich'Zeitlieher) Bestünmtheit. Das f,Anschauen" besteht in der ruhigen
I Betrachtung des Objects, in der Umspannung der Merkmale des Objects durch
! die Einheit der Apperception. Von der „sinnlichen" unterscheidet man oft die
I r^eisfige^' Anschauung (yySchauung") als eine auf Erinnerungsbilder, Phantasie-
i gestalten oder aber auf das eigene psychische Erleben gerichtete Bewußtseins-
fonction (yyinnere" Anschauung).
Dafi das Denken (s. d.) der Anschauung {pdvracfia) bedarf, betont Abi-
STOTELES imd mit ihm Thomas von Aquino (Suul th. I, 85, 5) ; nach diesem
üenker ist „intuitus" die „praesentia inielligibilis ad intellectum quocumque
modo" (1 sent. 3, 4, 5 c). Als Gegenstand der Anschauung im Sinne des Einzel*
hegriffg („conreptus singtdaris") bestimmt Baumo arten das Einzelding (Acroas.
L<^. § 51).
Kaitt stellt die Anschauung dem Denken einerseits, dem bloßen Empfinden
andereeits gegenüber. Die Anschauung ist ein Zustand der Beceptivität (s. d.)
des Bewußtseins {„intuitus nempe mentis nostrae semper est passivus", De mmid.
•eng. sct. I, § 10). Sie ist „eine Vorstellung, so wie sie unmittelbar ron- der
(stgenwart des Gegenstandes abhängen würde" (Prol^. § ^8), „diejenige Vor-
etHhmg, die vor allem Denken gegeben sein kann" (Kr. d. r. V. S. 659). Sie
enthält nur die Art, „t«€ irir van Oegenständen affideri tcerden" (1. c. S. 77),
beruht auf „Affeeticn" (1. c. S. 88). Anschauung und Begriff sind „ganx ver-
9ehiedene Vorsteilungsarten", und erstere ist nicht eine „verworrene" Erkenntnis
(Fortschr. d. Met. S. 120; gegen die Leibnizianer). „Der Versta^ui vermag niehfa
9musehauen, und die Sinne vermögen nichts xu denken. Nur daraus, daß sie
sirh rereinigen, kann Erkenntnis entspringen." „Gedanken ohne Inhalt sind leer,
Anstauungen ohne Begriffe sind blind" (Kr. d. r. V. S. 77). Die Anschauung
maß, um Erkenntnis zu verschaffen, erst kategorial (s. d.) verarbeitet werden.
, Empirisch ist sie, wenn „Empfindung darin enthalten ist*^ (1. c. S. 76) oder
42 Anaehauung.
wenn sie sich „auf den Gegenstand durch Empfindung bexieht^' (1. c. S. 48).
Die reine Anschiuiung enthalt ,ylediglich die Form, unter welcher etwas vor-
gestellt wird** (1. c. S. 76), sie ist eins mit der Anschauungsform (s. d.), die
.,a priori, auch ohne einen leirklichen Gegenstand der Sinne oder Empfindung
als eine bloße Form der Sinnlichkeit im Gemiite stattfindet* (1. c. S. 49). Die
^Sunune der äußeren Anschauungen bildet den äußeren, die der inneren den
inneren Sinn (s. d.) (L c. S. 50).
Nach Beck heißt anschauen „sieh der Dinge selbst bewußt sein** (Lehrb. d.
Log. § 1). Kbüg versteht unter Anschauung im weiteren Sinne jede „sinnlieke
Vorstellung**, im engeren die auf das Objective gerichtete VorsteUung (Fundani.
S. 166). Nach G. £. Schulze ist Anschauung der Zustand der Erkenntnis-
kraft, in dem „der erkannte Gegenstand dem Bewußtsein selbst gegenwärtig ist*'
(Gr. d. allg. Log.», S. 1). Frees definiert Anschauung als „unmittelbar ßr
sich klare Vorstellung** (Syst. d. Log. S. 36); die reme (mathematische) An-
schauung ist die, welche ,jursprünglich der Selbsttätigkeit ututerer Erkenttindskraft
gehört** (1. c S. 75).
J. G. Fichte bestimmt die Anschauung als „absolutes Zusammenfassen
und Übersehen eines Mannigfaltigen rom Vorstellen, welches Mannigfaltige denn
auch wohl überall zugleich ein Unendliches sein dürfte** (WW. I 2, S. 7). Sie
ist „stumme, beicußtlose Contemplation, die sich im Gegenstande verliert*' (Gr. d.
g. W. S. 364) und erfolgt durch einen „Anstoß** auf die ins Unendliche gehende
Ich-Tätigkeit, die nach innen getrieben wird und dann zurückwirkt, so daß das
Angeschaute ein (unbewußt gesetztes) Product des Ich ist (1. c. S. 194). Nach
Schelling ist die Anschauung „jene Handlung des Geistes, in welcher er aus
Tätigkeif und Leiden — aus unbeschränkter und beschränkter Tätigkeit in sieh
selbst — ein gemeinschaftliches Product schafft** (Naturph. S. 311). Nach Hegel
liestimmt die Intelligenz „de7i Inhalt der Empfindung als außer sich Seiendes,
wirft ihn in Raum und Zeit hinaus, welchem die Formen sind, worin sie an-
schauend ist** (Encykl. § 448 f.). J. E. Ebdmann erklärt das Anschauen als
Abtrennen desselben Inhalts, der als mein Zustand Grefühl war, und Hinein-
versetzen desselben in Raum und Zeit (Psych, Br. S. 272). Die Intelligenz ist
anschauend, insofern sie sich „auf die in Zeit und Raum hinausgeworfene
Totalität ihrer Bestimmtheiten bezieht** (Gr. d. Psych. § 71). Nach K. RofiEX-
KRANZ ist der Geist anschauend als „der den Inhalt des Gefühls in seinem
l)esiimmten Unterschied von allem andern Inhalte setzende Geist** (Syst. \i. WLss.
&>. 419). Von der Intellectualität der Anschauung spricht (im Gregensatz zu
Kant) Schopenhauer, für den sie schon ein unbewußtes Denken enthält.
tSie ist „Erkemitnis der Ursache aus der Wirkung** y daher ist „alle Arischammg
intellectual** (W. a. W. u. V. I. Bd., § 4). Die anschauend-denkend gesetzte
Ursache wird zum Object (s. d.) der Anschauung. Diese ist „primäre Vor-
stellung**, während der Begriff „secundär** ist (1. c. Bd. II, C. 7). Die In-
tellectualität der Anschauung behaupten im Sinne Schopenhauers Helmholtz,
(Tatsach. d. Wahm. S. 27), A. .FiCK (D. W. a V. S. 5 ff.), 0. Liebmaxx
(Üb. d. obj. Anbl. S. 1 ff.). Nach Preyer ist die Anschauung ,y€ine Wahr-
nehmung mit ihrer Ursache** (Seele d. Kind. S. 227). Nach Herbabt heißt
Anschauen „ein Object, indem es gegeben wird, als ein solches und kein apuleres
auffassen** (Lehrb. z. Psych. S. 204). Bolzano nennt eine Einzelyorstellim^
erst dann Anschauung, „wen?i für den Gegenstand derselben kein reinerj ihn
allein auffassender Begriff angeblich ist** (Wiss. 1 , 341). Er nimmt auch
AnBchaunng — Anschauung, intellectuale. 43
..Ansckauunffen an stck^^ (die unabhängig vom erkennenden Subjecte gelten) an.
Nach V18CHEB ist Anschauung „der Act der Ergreifung durch die Auf-
nterkgamkeity ivoditrch das Angeachaiäe in verschärften Umrissen von seiner
T7mgebttng wie von einem Hintergrund abgehoben und dem Anschauenden xu-
gleieh Eigentum und zugleich gegenständlich klar gegenübergeetellt wird^^ (Asth.
II, 2, 316 f.). O. Caspabi halt eine völlig „reine>^ Anschauung für unmöglich
^Gnuid- u. Lebensfrag. S. 91; vgl. R Zimmermann, Anthropos. S. 23).
Uberwbg verstdit imter Anschauung „das psychische Bild der objectiven (oder
doch mindestens als objectiv fingierten) Mmelexistenx'^ (Log**> § 45). VöLKMANN
nennt Anschauung „jene Complexe von Empfindungen, deren Glieder die Zeit-
<tder Raum form angenommen haben" (Lehrb. d. Psych. II*, 115). SiMMEL be-
stimmt „Anschauen" (eines Gegenstandes) als „Empfifidungen in einer Art ordnen,
Hie trir räumlich nefifien" (Einl. in d. Mor. I, 5). Nach H. SPENCER ist An-
schauung ,,jede durch eifien unzerlegbaren geistigen Act erreichte Erkenntnis"
!«cnrohI in der Wahrnehmung als auch in der Erinnerung (Psych. II, § 278, S. 11 ;
Hamilton beschränkt die Anschauung auf das wahrnehmende Erfassen). Nach
Lazarus ist Anschauung die „Sammlung und Einigung der verschiedenen Em-
pfindungen gemäß der in den Dingen verbundenen Eigensc/iaften" (Leb. d. Seele
II*, 92). Sie ist ein psychischer Act, „die ideelle Vereinigung der inhaltlich
§egonderfen Empfindungen" (1. c, S. 93). Die Anschauimg enthält auch re-
ppoducierte Elemente (ib.). Steinthal sieht in der Anschauung nur einen
.^Begriff geringer Subsurmtionsfähigkeit" (Einl. in d. Psych. S. 110). Nach
TON Habtmann ist Anschauimg alles Positive in imseren Bewußtseinsinhalten
iKr. Gnindleg. S. 149), im engeren Sinne ist sie „nur ein Begriff von niedrigerer
Ahsiraetiopui' und CombincUionsstufe" (1. c. S. 151). — WüNiyr nennt An-
!«faauimgen „Vorstellungen, welche sieh auf einen wirklichen Gegenstand be-
'^i^hen, mag dieser wm außer uns existieren oder xu unserrn eigenen Körper
y kören" (Gdz. d. ph. Psych. II*, 1). Die reine Anschauung ist Anschauung,
sofern wir uns „einen beliebigen, übrigens völlig homogenen Inhalt vorstellen",
«n Begriff ist sie aber, „sobald sich mit dieser Vorstellung der Gedanke ver-
Ifindeif daß der xur Vergegenwärtigung der Form gewählte Inhalt ein gleich-
gültiger sei, und daß daher stall seiner jeder andere gewählt werden könne"
iLug. I*, S. 480; Syst. d. Phil.', S. 105 ff.). Anschaulich ist „alles concret
Wirkliehe, im Gegenteil xum abstraet und begrifflich Gedachten" (Gr. d.
Psych.*, S. 6). Anschaulich oder unmittelbar ist die Erkenntnisweise der Psy-
chologie (8. d.) ElEHL: „Impressionen für sieh genommen sind nicht einmal
Anschatifingefi, Zu Anschauungen werden sie erst dadurch, daß sie Raum und
Z^t bestimmen, als Teile von Raum und Zeit erscheinen" (Z. Einf. in d. Phil.
i5. 10^). Jerusalem erklärt: anschaulich ist, ,^was ich jetxt in meiner Um-
gehung icahmekme, die Dinge und- Vorgänge, die ich von bestimmten eigenen
Erlebnissen her in der Erinnerung habe, was ich tnir mit meiner Einbildungs-
traft jetzt so und nicht anders vorstelle" (Viertel], f. w. Ph. Bd. 21, S. 1(>4).
j.Phy$isc/ie Phänomene können nur discursiv, p»ychische nur intuitiv erkannt
irerden^ (Urteilsf. S. 260). Vgl. Intuition, Contemplation.
AMSChaillui§^9 intellectuale (oder intellectuelle), bedeutet eine
übersinnliche, geistige, aber doch anschaulich-unmittelbare Erfassung des Wesens
eines Objects, ein schauendes Denken, denkende Selbstbesinnung auf das, was
in uns eigentlich vorgeht, wenn wir allgemeine Urteile fällen, Grundbegriffe
44 AnschauiULS» inteUectuale.
(Kategorien) gebrauchen. Die inteUectuale Anschauung, weit entfernt eine
mystische Kraft zu sein, beniht auf einer logischen Betätigung der Phantasie,
welche das Typische, die Idee einer Sache intuitiv, in einem Acte heraushebt
und klar macht.
Schon Plato imd Aristoteles schreiben der Vernunft die Fähigkeit zu,
die letzten Seinsgründe unmittelbar (diurch &aw^ia) zu erfassen. Auch BoETHirs
kennt eine „Änsckcuiung der Vernunft^ welche die Idee des Menschen an sich
unmittelbar erkennt (Consol. phil. V). Nach Augustinus gibt es einen
„adspeetus animiy quo per se ipsuni tum per corptts verum intueiwi**^ (De trin.
XII, 2, 2). Thomas schreibt Gott eine unmittelbare Anschauung seines Weseos-
inhaltes zu. ,yDetis ornnia simvl videt per tmum, quod est essentia sua^* (Suni.
th. I, 85, 4). Die Mystiker glauben an ein ekstatisches (s. d.) inneres An-
schauen des Gottlichen im Geiste. Nicolaus Cusanus spricht von einer
„msio intellectiuüis^^ (so schon JoH. ScoTUS, der sie auch „intuittis g^wstict*^
nennt) (De div. nat II, 20). Vgl. Contemplation, Speculation.
Plotin schon bezeichnet das „Sein^^ als Product eines ,,Schauens^' (sc. des
yjGeistes*% s. d.) (Enn. III, 8; vgl. VI, 9, 3). In der Lehre von der intellectualen
Anschauung seit Kant konmit dieser Gedanke zu neuer Verwendung. Kxsr
versteht unter intellectualer Anschauimg eine schöpferische, Objecte setzende
(nicht bloß nachbildende) Intuition. „Divinus auieni irUuitits, qui obiectorum
est prineipium, non prineipatum, cum- sit independenSy est areheiypus et propterta
perfecte intelleettialis*^ (De mund. sens. sct. II, § 10; dies führt auf die Lehre
von den Ideen (s. d.) als Urbilder der Dinge im göttlichen Geiste zurück).
,J?itelleetiieW* ist eine nicht auf Beceptivität (s. d.), sondern yySelbsttäHgkeif"
benihende Anschauung (Kr. d. r. V. S. 72), „durch die selbst das Dasein des
Objecis der Anschauung gegeben wird (und die . . . nur dem Urwesen xukomtnefi
kannj^^ (1. c. S. 75), die aber „nickt die unsrige isV^ (1. c. S. 685), denn diese
bedarf des Denkens, der Kategorien (s. d.) und kann daher nur auf Er-
scheinimgen sich beziehen (Üb. e. Entdeck. 1. Abschn., S. 37 ; gegen Eberhard,
der im Philos. Mag. Bd. I, S. 280 f. nicht-sinnliche Anschauungen der Dinge
an sich annimmt). J. G. Fichte nimmt eine inteUectuale Anschauung auch
für das Ich an; sie ist „das unmittelbare Bewußtsein, daß ich handle und ttas
ich handle; sie ist das, wodurch ich etwas weiß, weil ich es tue^^ (WW. I 463).
Sie ist die Quelle philosophischer Erkenntnis. So auch bei Scheu-iING. „Uns
allen wohnt ein geheimes, wunderbares Vennögen bei, uns ai4s dem Wechsel der
Zeit in unser innerstes, von allem, was von außen her hinzukam, entkleidetes
Selbst xurückxuxieheti und da unter der Fortn der Unwandelbarkeit das Ewige
anxuschauen; diese Anschaimng ist die innerste, eigenste Erfahrung, vofi welcher
allein alles abhängt, was wir voti einer übersinnlicJien Welt wissest und glmthen^''
(Phil. Br. üb. Dogm. u. Krit). Diese inteUectuale Anschauung ist das Ver-
mögen, „gewisse Handlungen des Geistes xugleich xu produciereti und an-
xuschauen, so daß das Produeieren des ObjecU und das Anschauen selbst absolut
(ins ist'^ (Syst. d. tr. Id. S. 51). Diese Anschauung ist „der Putikt, wo dat
Wissen um das Absolute und das Absolute selbst eins sind*' (Darst. m. Syst. § 2).
Chr. Krause nimmt eine „inteUectuale Intuitimi'' oder „Wesensschaumuf^' an
(Abr. d. Rechtsph. S. 19 f.; Vorles. üb. d. Syst. d. Ph. I, 273). Hegel spricht
von einem „übersirnüieken Anschauen^' imd einem „anschauendai Verstand"'
(WVV. III, 328 ff.). Stahl schreibt der inteUectiialen Anschauung Weissagiuigs-
kraft zu (Rechtsph. II, 499), J. H. Fichte ein Hellsehen (Anthr. S. 354). Eine
Anachaumig, intelleotoale — Axuohatiaiigsformen. 45
intellectuale Anschauung der Wirklichkeit gibt es auch nach Glooaü. Gregen
die intellectuale Anschauung als Quelle philosophischer Erkenntnis polemisiert
ScHOPENHAiTER, wiewohl er eigentlich selbst etwas Ähnliches voraussetzt. Vgl
Intuition.
Ansettavniii^sfoniteil sind die Ausdrücke für Kaum und Zeit, in-
soiem diese zunächst nichts sind als zwei Arten der Formung, Ordnung, Ver-
einheitlichung unserer Anschauungen oder Wahrnehmungen (Empfindtmgs-
inhalte). Diese Formungen sind als solche a priori (s. d.) und subjectiv (s. d.);
da aber keine Form ohne Inhalt bestehen kann und da femer im Geistigen die
formende Tätigkeit sich nach dem zu formenden Stoffe richten muß, so sind
die Anschauungsformen objectiv bedingt, d. h. sie haben ein Fimdament in der
Erfahrung und damit in den Dingen selbst, ohne daß damit gesagt wäre, die
Dinge seien an sich schon raum-zeitlich ; sie können es — cum grano salis ge-
nommen — , müssen es aber nicht sein.
Zuerst gelten die Anschauungsformen (ohne aber noch als solche bestimmt
zu werden) als empirisch und objectiv zugleich. Empirisch und subjectiv (aber
objectiv: in den Dingen, in Gott) begründet sind sie nach Leebniz, nach
Berkeley u. a. Als absolut apriorisch und subjectiv fassen sie Kant und
seine Anhänger auf. Als relativ apriorisch und subjectiv-objectiv gelten sie bei
verschiedenen neueren Philosophen. Der Begriff „Änscfiauufigsform^^ wird bald
mehr logisch (transcendental), bald rein psychologisch, bald physiologisch
(peychophysisch) bestinmit.
G^en die idealistische Auffassung Leibniz' wendet sich L. Euler (Reflex,
snr Tespace et le temps 1748). Tetens (er nennt Baum imd Zeit „Fer-
hälinrndeen*^^, Phil. Vers. I, 359) imd Lambert machen auf den Unterschied
von Form (s. d.) und Stoff der Erkenntnis aufmerksam. Kant erst prägt den
Begriff der „Afischauungsformen^^ (= „reifte Anschauungen^^). Form der Er-
(thnmg ist allgemein das, „welches macht , daß das Mannigfaltige der Er-
^ebeinung in getcissen Verhältnissen geordnet angeschauet icird*^ (Kr. d. r. V.
^. 49). Die Fonn, d. h. „rfa«, icari?i sich die Empfindungen ordnen^^ ,jkami
nirht selbst Empfitidutig sein, sondern muß xu ihnen insgesamt i?n Gemüte
'i priori bereit liegen, und dahero abgesondert von aller Empfindung können be-
frachtet werden^^ (ib.). Baum und Zeit sind Formen des äußeren bezw. des
inneren Sinnes (s. d.). Sie sind a priori (s. d.) und subjectiv (s. d.). Sie sind
ßioht als fertige Vorstellungen angeboren (s. d.). Angeboren ist nur der „erste
formale Ortmd^* der Möglichkeit einer Raum- oder Zeitanschauung, nicht diese
seihst. ,ßenn es bedarf immer Eindrücke, um das Erkenntnisvermögen zuerst
*« der Vorstellung eines Obfeets . . . xu bestimmen^' (Üb. d. Fortschr. d. Met.
^- !'*>). Raum und Zeit sind „nichts als subjective Formen iinserer similichen
-in^hauufiff^^, nicht Bestimmungen der Dinge an sich (1. c. S. 107). Zwar sind
die letzten objectiven Gründe von Raum und Zeit Dmge an sich (s. d.), aber
^^ seihst sind nicht im Räume und in der Zeit zu suchen (1. c. S. 26 f.).
Mit Kant stimmt Lichtenberg überein. Nach Reinhold sind die „Formen
^ Vorstellung^^ vor jeder Einzelvorstellung im Subjecte begründet (Vers. e. n.
^eor. S. 291 f.). Beck bestinmit die Anschauungsfonnen als lu^prüngliche
Verknupfungsarten des Mannigfaltigen in der Erfalirung (Erl. Ausz. S. 144).
Kiro meint, die Anschauungsformen seien nicht „Fachwerke" , sondern Hand-
^gBweiaen des Geistes (Fundam. S. 151, 168). Bardili nennt die
46 Anschauungsformen.
Anschauungsform einen „modus generalis^^ des Vorgestelltwerdens (Gnindr. d. erst
Log. S. 72). Nach G. E. Schulze ist die Unterscheidung von Fonn und In-
halt nichts Ursprüngliches, sondern eine Folge der Reflexion (Aenesid. S. 216;
vgl. auch Wundt).
Nach J. G. Fichte sind die Anschauungsformen durch die Handlunge-
weise des Ichs bestimmt, sie entstehen zugleich in und mit dem Anschauungs-
inhalte als dessen imd damit der Objecte Formen (Gr. d. g. Wiss. S. 415),
ScHELLiNO betrachtet die Anschauungsformen gleichfalls als Producte des
reinen, überzeitlichen Ichs (Syst. d. tr. Id. S. 59 f.) und zugleich als Formen
der Dinge. Letzteres gilt auch von Hegel (Encykl. S. 177) und Schleieb-
MACHEB (Dialekt. S. 335). Dagegen betont Schopenhauer die Subjectivitat
der Anschauungsformen. Diese sind „selbsteigene Formen des Intellectes^^ be-
stehen nur im Kopfe des Erkennenden, bedeuten nur „die Art und Weise, tcu
der Proceß objectiver Apperception im Oehim vollzogen tcird^^ (W. a. W. u. V.
Bd. II, C. 4). Nach Fries äußert sich in der Form des Anschauens wie des
Denkens unmittelbar die Selbsttätigkeit des Bewußtseins (Neue E>it. I*, 73 f.).
Abicht erblickt in den Anschauungsformen „a^ctive Sinneshräft&^ (Syst. d.
Elementarph. S. 42 ff.). J. H. Fichte verlegt den Urspnmg der Anschauungs-
formen in den vorbewußten G«ist; sie sind apriorisch, aber doch objectiv be-
dingt (Psych. I, 326 f., 329; II, 236, 256). Carriere: „Raum und Zeit sind
Grundformen unserer Anschauung j weil sie Grundformen der Dinge sind"'
(Ästh. I, 13). Trendelenbubo betrachtet die Anschauungsformen als Er-
zeugnisse der dem Geiste immanenten Bewegung (s. d.), die zugleich für die
Dinge Geltung haben (Log. Unt I, 160, 166 ff.). Nach Übebweg sind sie
„das gemeinsame Resultat subjectiver und objectiver FactoreHj deren Beitrag er-
mittelt werden kann und muß^*- (Log.*, S. 89). Nach Fechneb sind Raum und
Zeit „wesentlie/ie Formen der Intelligenx überliaupt*^ (Tagesans. S. 228). Nach
LoTZE entspringen sie aus der Gesetzmäßigkeit unseres Vorstellens der Dinge
(Log. S. 521); sie sind aber in den Dingen selbst begründet. A. Laxoe erblickt
in der seelisch -leiblichen Organisation die Bedingung imd Quelle der -^-
^4chauungsfo^nen (G. d. Mat. II, 36). Ähnlich Helmholtz (Tats. d. Wahni.
S. 16, 30), Laas (Id. u. pos. Erk. S. 444). Nach Jgdl sind sie „Abstraetionen
rofi der uns gegebenen Wirklichkeit^ durchaus auf sie bexogen und in ihrer for-
malen Beschaffefiheit für jeden Inhalt unserer Erfahrung unbedingt gültig, ikrem
InJialte naeh von unserer Organisation abhängig^*^ (Lehrb. d. Psych. S. 543).
Die Kantianer (Renouvier, Cohen, Natorp, Liebmann u. a.) betonen die
Apriorität (s. d.), meist auch die Subjectivitat der Anschauungsformen (so z. B.
H. LoBM, Grundlos. Optim. S. 163 ff.).
Spenceb: „Es gibt eine otvtologische Ordnung ^ aus welcher die phänomemlf
Ordnung entspringt, die wir als Raum erkennen; es gibt eine ontologische Ord-
nung, aus icelcher die phänomenale Ordnung entspringt, die tpir als Zeit er-
kentien . . ." (Psych. I, § 95, S. 238). Die Anschauungsformen sind gattungs-
mäßig erworben, individuell a priori (s. d.). Nach Ostwald sind sie „wälirend
xahlloser Generationen encorbeti und durch Vererbung festgelegte Formen . . i
in denen uns unsere Erfahrung erscheint** (Vorl. üb. Nat.*, S. 141). Nacb
Martineau sind die Anschauungsformen apriorisch, aber sie können auch ob-
jectiv sein. E. VON Hartmanns „transcendentaler Realis7nus" behauptet die
Gültigkeit der Anschauungsformen auch für das Sein (Kr. Grundl. S. 145;
Phil. d. ünb.», S. 309). So auch Dühring (Wirklichkeitsph. S. 272 ff.). Nach
Anaohauungsformen — An-sioh. 47
G. SnCKEB sind die Anschauungsformen auch Begriffe (K., H. u. B. S. 56),
&b sind nicht a priori, sondern ^^gedachte Bmpfindungen" (1. c. S. 180). Nach
RiEHL sind die Anschauungsformen zugleich „empirische Orenxbegriffe, derepi
inkalt in gleichem Örade für da* Bewußtsein, wie für die Wirklichkeit selber
j&Hg ist' (PhiL Krit I, 2, S. 73). Ähnlich Wundt (Phil. Stud. VII, 48,
Xin, 355; U}g, I«, S. 487 ff., 506 ff.; Syst d. PhiL», S. 140 ff.). Die Trennung
von Form und Inhalt der Anschauung ist nicht ursprünglicher Art Die
Constanz der Anschauungsformen ist der Gnind ihrer Allgemeingültigkeit
QDd Notwendigkeit (Syst. d. Phü.«, S. 106, 111 ff.; Einf. in d. PhU. S. 345;
PhiL Stud. VII, 14 ff., 18 ff., XII, 355). Diese Constanz beruht auf der beUebigen
Wahl des Empfindimgsinhaltes, die es gestattet, von dem besonderen Inhalte ab-
zusehen. Zur Sonderung von Form imd Stoff der Anschauung führt sowohl die
^Cmtianx der allgemeinen Eigenschaften der formalen Bestandteile^^ als die unab>
hängige Variation der materialen und formalen Bestandteile der Wahrnehmung.
Der Wahmehmungsstoff kann sich verändern, ohne daß die räumlich-zeitliche
Form sich mit ändert, dagegen wird jede Veränderung der Form von einer
Vmmdenmg des Stoffes begleitet (Syst d. PhiL*, S. 105 ff.). Auf der Constanz
der Anflcbauungsformen beruht auch deren Objectivität. Als aUgenieinste
Fonnen des Denkinhalts sind sie zugleich Formen der Dinge selbst, „subjectire
RfcoHstrucHonen eines objectiv Oegebenen^* (Log- I» 307, 463). Das Apriorische
». d.) der Anschauungsformen bedeutet teils die Unableitbarkeit des Specifischen
deredben, teils die ihnen zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit des denkenden Be-
vnfitseins. Nach Siqwart sind die Anschauungsformen Producte der not-
wendigen Verknüpfungstätigkeit des Bewußtseins (Log. II*, 86). H. Cornelius
versteht unter den ^^allgemeinen Formen unserer Anschauung" Ordnungen, „in
wiche alle rorgefimdenen Inhalte sieh fügen müssen" (EinL in d. Phil. S. 245).
Za diesen Formbegriffen gehören diejenigen der Gesamtheit und der Teile, die
Zahlbegriffe, die Zeitbegriffe (während die Raumform nicht allgemein ist), die
Begriffe der Ähnlichkeit und Gleichheit, der Constanz und Veränderlichkeit
•L c. S. 245 ff.).
Herbart führt die Anschauungsformen auf „Reilien" von Empfindungen
zurück, deren Ordnungen schon in und mit ihnen gegeben sind (Met II, 411).
Nach B£NEK£ sind die Anschauungsformen schon in den Empfindungen ent-
luJten und können nicht von ihnen ganz abstrahiert werden (Syst. d. Log.
II, 29). VgL Baum, Zeit, A priori, Nativismus.
Aaseliailllliij^sfttse unterscheidet Bolzano von den Begriffssätzen.
J^it zerfallen in 1) reine Wahmehmungsurteile, 2) Erfahrungsurteile.
An-slcli = dem eigenen Sein nach, unabhängig vom erkennenden Be-
voAtsein und dessen Formen, in metaphysischer Wirklichkeit imd Wahrheit,
^iegensatz: Erscheinung, Für-uns-sein, Objectivation. Das „An^sich" der Dinge
= der jeder Erscheinung zugrunde liegende, „transcendente" Factor.
Der Gegensatz von „An sieh" (svagam-bhu) und Erscheinung findet sich
«ciion in der indischen Philosophie. Deitokrit lehrt, die Atome (s. d.) seien
in Wahrheit, an sich {irefj), die Sinnesqualitäten nur in unserer Meinung (vofuy),
^ Scholastiker unterscheiden das „esse in ref^ (dingliche Sein) vom y,esse
w« irUeüeetu" (Ctedachtsein). Nach Descartes erfahren wir durch die Sinne
nicht, wie die Dinge „in se ipsis" sind (Pr. phil. II, 3). Malebranche spricht
geradezu von den „choses en elles-memes" (Rech. I, pr^.); so auch Fenelox
4S An-slch — Anatrenffong.
/De Tex. d. Dieu p. 195 ff.). Spinoza versteht unter der j.iniuitiven''^ Er-
kenntnis ein Erfassen des Wesens der Dinge, während die „imaffinatio^* (s. d.)
uns die Dinge von einem beschränkten Standpunkt aus zeigt (Eth. II, prop. XL.
schol. II). Leibniz stellt die Verstandeserkenntnis der Dinge ihrer bloß ^jitr-
tcorrenen*^ Vorstellung durch die Sinne g^enüber. Bonwkt: „chase en soi^ —
^,ee qu/t ia chase parait etre^* („chase par rappart ä naus^*) (Ess. d. Psych. C. 36).
Lahbekt: jyDie Sache an stch^^ — die Sache, „«?*c wir sie empfinden^ vor-
stellen" (Organ. Phän. I, § 20, § 51). Kant bringt den Gregensatz von y^Ding
an sick^^ (s. d.) und „Erscheinung^^ (s. d.) zu fundamentaler Bedeutung. „An
sich" ist nach ihm das Sein, unabhängig sowohl von den Anschauungsformen
als auch von den Formen des Denkens, es ist das positiv durchaus ITn-
bestimmbare, Unerkennbare, nicht bloß ein „ens ratianis" gegenüber den Sinnes-
objecten. Später wird diese Bedeutung des „An-sich" beibehalten (Neu-
kantianer, die teilweise ein An-sich negieren, nur Bewußtseinsinhalte kennea)
oder dahin modificiert, daß als „An sieh" das vom erkennenden und wollenden
Subjecte unabhängig Existierende betrachtet, aber doch auf positive Weise
jietwa analog dem eigenen Ich) bestimmt wird (z. B. Wundt). Im Sinne
ScHELLiNOs meint u. a. Carbiere: „Indem sich mittelst unserer Empfindtmg
die Natur xur Welt der Töne tsnd Farben steigert, ufird das An-sich der Dinge
rericirklicJit; es bringt »ich in der eigenen Lebensge^taltung herrar ufid wird da-
durch zugleich für ander&' (Ästh. I, 100). (Ähnlich Fechner, Br. Wille.)
Xach Gütberlet kann das An-sich der Dinge durch die Erscheinungen, in
•denen es sich manifestiert, erkannt werden, wenn auch nicht vollkommen
(Kampf um d. Seele, S. 14; so schon Thomas). Vgl. Ding an sich, Er-
scheinimg, An-sich-Sein.
An-slcli-selli = das Sein in seiner Unmittelbarkeit, Ursprünglichkeit, Ab-
.solutheit, Begrifflichkeit, Wesenhaftigkeit im Gegensatze zum beziehungsweisen
.Sein, Schon bei den Pythagoreern kommt der Begriff des xad^ avxo^ avro
To ip vor (Aristoteles, Met. I, 5). Dann bei Plato, der das wahre Sein der
Ideen (s. d.) als avrö xad^ avro, ovrcag 6v bestimmt (Phaedo 78 D, Parm. 129 A,
K 9 B, D, 130 B etc.). Nach Aristoteles ist das im Begriff erfaßte Sein der
Dinge (to ri rjv elvai)^ ihr Wesen, das x«^* avro, und dieses ^vtrei Tt^ore^ov^
<la8 in Wirklichkeit Primäre, während es im erkennenden Bewußtsein (;r^os
r)fiäs) das Spätere ist (Eth. Nie. I 3, 1096 b 20). Die Stoiker unterscheiden
xad^ ttvrd — n^og ti. Die Scholastiker halten an der Aristotelischen Be-
griffsbestimmung des An-sich-seins fest. Sie wird erneuert von Hegel, der unter
„An-sich" die in sich betrachtete, unentfaltete Wesenheit im Unterschiede von der
„Bexiehmig auf anderes" versteht, das „Sein der Qualität als solches" (Encykl.
§ 91). An-sich ist der Begriff (s. d.) in seiner „Unmittelbarkeit' (1. c. § 83V
Die Eichel z. B. ist das An sich des Eichbaumes. „An-sich" — „Für-siek" —
„An uyid-für-sich" bedeuten die drei Stadien des dialektischen Processes (s. d.).
Anstellt = Meinung, Auffassung, Betrachtung („Weltansicht").
Anstrengrnnn^ besteht in Spannungs- und Widerstandsempfindungen >^
Gefühlen passiver und activer Art, die eine Willensintention, insbesondere die
Betätigung unserer Muskeln begleiten. Die Anstrengung ist nach SiGWART
„ursprünglich ein intensiveres Wollen^ mit dem sich aber sofort die Gefühle ver-
knüpfen, welche die höchste Spannung unserer Muskeln begleite?i" (Kl. Sehr. II*,
S. 131). — M. DE BiRAN sieht im „effart voulu" die Quelle des Ich- und
AnBtrengnxig — Anthropomorph. 49
Objectsbewoßtseins (s. d.). In jedem freiwilligen Bewegungsact sind zu unterscheiden
die ,xe*istanee organique^*, y^sensation mt^seulaire^^ und ,yforee kyperorganiqtie*^
lOeovr. in^. p. par C!ousin I, 217). A. Bain leitet die y^e^isatum of efforf^
juis döi „/r»ö/ nvocements^*' (Probebewegungen) her, welche das Ich macht, um
Hn Lastgefühl zu erlangen. Vgl. L. Dumont, Vergn. u. Schmerz, S. 147 ff.
Antef^onlflllllis [aytov^ Kampf): Gregenstreit, Entgegenarbeiten. Solch
.\iitagonLsmus findet sich im religiösen Dualismus (s.d.), femer nach Schopen-
hauer zwischen Wille und InteUect (W. a. W. u. V. Bd. II, C. 30).
.imtecedens — Consequens: das Vorhergehende — das Nachfolgende.
Im Urteil = Subject — Prädicat, im Schlüsse = Ober-, Untersatz — Conclusion,
beim Beweise heißt „antejceden^^'^ der Beweisgrund. Sonst = Grund — Folge.
jUiteprftdieaiiieiite unterscheidet Albertus Magnus von den Prä-
dkiunenten (s. d.) (Prantl, G. d. L. III, 103).
Antbropoeemtrlscli ist jene Anschauimg, nach welcher der Mensch
derMittelpunkt, das Centrum, das Ziel, der Zweck der Welt, des Weltgeschehens
k /= ^^Anihropologismv^^^). In verschiedener Weise denken so Sokrates, die
christlichen (Irenaeüs, Ref. V, 29, 1, u. a.), scholastischen Philosophen,
Chr. Wolf u. a. Diese Auffassimg hängt eng mit der geocentrischen (s. d.)
Weltanschauung zusammen.
AatliropolOi^ie: Wissenschaft vom Menschen, besonders in körperlicher
fieziehimg (Schädelbau, Basse, Abstammung u. dgL). Früher war Anthropologie
<lie Lehre vom specifisch menschlichen Leben in physischer imd psychischer
Hinsicht- — Kant: „Eine Lehre vmi der Kenntnis des Menschen, systevnatisch
^bgtfnßt f Anthropologie), kann es entweder in physiologischer oder in präg-
matisfher Hinsicht sein. Die physiologische Menschenkenntnis geht cm f die
B-forschiifig dessen, tras die Natur mis dern Menschen macht, die pragmatische
mf das, iras er, als frei handelndes Wesen, aus sich selber macht, oder ma^Jien
kann find soll" (Anthr. Vorw.). G. E. SCHULZE: „Die teissenschaftliche Dar-
sMlung dett in der menschlichen Natitr vorkommenden Lebens ist Menschenlehre,
Uemrkenktinde, Anthropologie^*^ (Psych. Anthr. § 1). „Philosophische" Anthro-
pologie nennt Fries die Theorie des inneren Lebens des Menschen (Neue Kr.
S. Z\ ff.i. Nach Hillebrajtd besteht die „Anthropologie des Geistes" aus
Psychologie, Pragmatologie (s. d.), Philosophie der Geschichte (Phil d. Geist.
I, S. \). Die Gliederung der Anthropologie in Physiologie imd Psychologie
b«ri FoRTiiAGE (Psych. I, § 2), nach andern in Somatologie, Biologie, Psy-
thok^e.
Amtliropoloi^lsiiias s. Anthropocentrisch.
Anthropomorpll (Anthropomorphisch, Anthropomorphistisch) : nach
<lön Ebenbilde des Menschen, in menschlicher, menschlich-bedingter Form, ver-
menschlicht. Anthropomorphismus: Vermenschlichung, Hineinlegen des
Menschlichen in die Dinge. Insofern unser ganzes Erkennen die Formen des
Menschentums an sich trägt, ist es anthropomorphisch, muß sich aber gleich-
wohl vom Anthropomorphismus im engeren, schlechten Sinne, d. h. von der
Betnurhtiing des Außermenschlichen als etwas dem specifisch Menschlichen
Analogen fernhalten.
G^en die anthropomorpheBeligion wendet sich schon derEleateXENOPHANES.
Er sieht ein, daß die Menschen die Götter nach ihrem Bilde denken (Clem. Alex.,
PhlloaopbiMhet WOriorbnoh. S. Aafl. 4
50 Anthropomorph — Antilogie.
StroixL VII, 711b), ihnen menschliche Eigenschaften beulen (L c. V, 601c;
Sext £mp. adv. Math. IX, 193). Protago&as lehrt, der Maisch sei das Maß aller
Dinge : Tttivrafv x^futran* fiirgov at'&^noe (s. Erkenntnis). QoETHE macht auf das
Anthropomorphische unserer Erkenntnis aufmerksam. — J. 0. S. Schiller lehrt
(Riddles of theSphins 1891) eine wissenschaftlich-anthropomorphische Methode und
Weltanschauung, die alles auf individuelle E^xistenzen, auf Monaden (s. d.) zurück-
führt. SüLLT betont den anthropomorphen Ursprung der Idee der Ursache (s. d.)
imd des Zwecks (s. d.) (Unt. üb. d. Xindh. S. 74 ff.). Auf den Ursprung der
Kategorien (s. d.) aus der inneren Erfahrung und die Introjection (s. d.) der-
selben in die Außenwelt machen verschiedene Denker aufmerksam. So auch
Nietzsche, für den alles Erkennen durchaus anthropomorphistisch ist {\Wi\
III, 1, S. XIV; XV, S. 168). Die „etnpirische^^ Welt ist nur die anthropomor-
phisierte Welt. Die Menschen sehen einen Wert und eine Bedeutung in die
Natur hinein, die sie an sich nicht hat (X, 176; XII, 1, 8; 1, 9; XI, 6, IX
Reinke erklärt: tyWir können über die Natur nur nach Maßgabe unseres &-
ketintni^vermögens urteilen. Dies ist die grundlegende Voraussetxiing aJles For-
Sehens f durch die allerdings die Wissenschaft eine anthropomorphe Orundiage
erhält*' (Einl. in d. theor. Biol. S. 17). Jerusalem betont (in ,^. Urtäls-
funet^'J, daß wir den Anthropomorphismus auch auf der höchsten ßtufe des
Erkcnnens nicht los werden. So auch H. Cornelius (EinL in d. Phüos. 25. 22).
AntliropoiloStlsiiilfts s menschliche Denkungsart Vgl. AnthropomorpL
Antbropopathlsmnss die Auffassung Gottes als eines menschlicher
Affecte {na&Ti) fähigen Wesens, als zürnend, eifervoll u. dgl.
Anthroposophie: Menschen Weisheit, Philosophie vom menschlichen
Standpunkte (vgl. R. Zimmermann, Anthropos.).
Anthropoteletismuft : Beziehung des Weltgeschehens auf die Zwecke
der Menschheit. Vgl. Teleologie.
Antiehthon {avxixd'on), Gegenerde, nahmen die Pythagoreer an, um
die Zehnzahl der Himmelskörper zu erreichen (Aristoteles, Met. I 5, 9S6a 11;
De coel. II 12, 293 a 24).
Amtlcipatlon: Vorwegnahme. Bei Eeid = Voraussicht des Gleich-
artigen im Geschehen (Inqu. II, 24). Vgl. Prolepsis.
Antlclpatlonem der Wahrnehmung nennt Kant die aus dem
apriorischen (s. d.) Charakter der Anschauungsformen (Raum und Zeit) unmittel-
bar sich ergebenden, alle Erfahrung formal a priori bestünmenden Grundsätze.
Anticipation ist eine ^.Erkemitnis^ wodurch ich dasfenige^ was zur empirischen
Erkenntnis gehört, a priori erkennen und bestimmen kann'' (Kr. d. r. V. S. 103).
Anticipiert können aber nur ,,die reiften Bestimmufigefi im Baum und in der Zeü,
sowohl in Auffassung der Gestalt als Grösse" werden, imd zwar deshalb, weil „das
Reale y was den Empfindungen überhaupt eorrespondiert, niehts bedeutet als die S^-
thesis in einem empirischen Bewußtsein überhaupt*' (1. c. S. 169). Der Grund-
satz der Anticipation lautet: „In allen Ersclieinungen hat die Empfindung und
d^as Reale, welches ihr an dem Gegenstande entspricht, eine intensive Größe,
d. i. einen Grad" (1. c. S. 162).
AntllOi^ie {dvTikoyia): W^iderspruch, besonders vom Standpimkt der
Skeptiker, nach welchen jeder Grund eines Beweises [Xoyoe) seinen Gregen-
grimd von gleicher Gültigkeit hat (darauf beruht das Gleichgewicht der Argu-
AntUogie — Antinomie. 51
aKDte, die iaocd'dveta reiy Xoyaw)^ 80 daß nichts mehr, sicherer^gilt (ov fiäkkov)
als eein Gregenteil. Vgl. Skepticismus.
AatUof^lfteb : dem Logischen entgegengesetzt, widerspnichsvolL
JjittaiorAllsiiias s die Auffassung des Ethischen als ohne Eigenwert
«iend {„ofäiethiscke^* Auffassung), Gegensatz zur Moral, z. B. bei Nietzsche
(T^L H. SCHWAILZ, Gr. d. Eth. S. 8).
AntlMomles Widerstreit zweier Gesetze (vo/iot), zweier Urteile oder
Schlüsse, welche (anscheinend) von gleicher Überzeugungskraft imd Geltung
räd, wiewohl sie einander widersprechen. Der Terminus „a«/««wwia" wird
nich Goci^EN gebraucht ^^o pugnaniia seu controrietate quarumlibet senten-
tiarum seu propositionum'* (Lex. phil. p. 110). BoNNET hat ihn in die natür-
liche Theologie eingeführt (vgL Eücken, Termin.).
Der Begriff der Antinomie findet sich schon bei dem Eleaten Zeno (s. Be-
wegung), Plato (Phaedo 102; Rep. 523 ff., Pann. 135 E), Aristoteles und
den Skeptikern. Der eigentliche Begründer der philosophischen Antinomien-
Jefare ist Kant. Unter Antinomien versteht er „ Wider sprüdie^ in die sich die
Vernunft bei ihrem Streben^ das Unbedingte xu denken^ mit Notwendigkeit ver-
riöW/, Widersprüche der Vernunft mit sieh selbst^' (Kr. d. r. V. S. 340). „Den
Bfpiff eineA absoluten Ganzen von lauter Bedingtem sieh als unbedingt xu denken^
enthalt einen Widerspruch; das Unbedingte kann also nur als Olied der Reihe
hdraehtei werden j welches diese als Grund begrenxt, der selbst keine Folge aus
finejn anderfi Grunde isty und die Unergründlichkeit, welche durch alle Klassen
fier Kalegorien geht^ sofern sie auf das Verhältnis der Folgen xu ihren Gründen
angewandt werden, ist das, wtis die Vernunft mit sieh selbst in einen nie bei-
itUegenden Streit verwickelt, solange di^i Gegenstände in Raum utid Zeit für
Dinge an sieh und nicht für bloße Erseheimingen genommen werden^*' (Üb. d.
Fortsehr. d. Met. S. 130). Den „dialektischen Schein^^ welcher auf unkritischem
Boden entsteht, hat die Kritik der Vernunft aufzulösen. Vier Antinomien
eitstehen nämlich, indem die Vemimft nach dem Grundsatze: „wenn das Be-
dingte gegeben ist, so ist aueh die ganxe Sutnme der Bedingungen, mithin das
fphUehthifi Unbedingte, gegeben", die absolute Totalität der Erscheinungen fordert.
Jede Antinomie besteht aus einer „Thesis" (Behauptung) und „Antithesis"
(Gf^enbehauptung). 1) „Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und ist dem
Raum nach auch in Grenxen eingeschlossen," — „Die Welt hat keinen Anfang
w»d keine Grenxen im Räume, sondern ist, sowohl in A^isehung der Zeit als des
Raumes, unendlich" (1. c. S. 354 ff.). 2) „Eine jede xusammeyigesetxte Substanx
in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert tiberail nichts als das
Einfache oder das, was aus diesem xusammengesetxt ist" — „Kein xueammen-
fejfixtes Ding in der Welt besteht aus einfachen Teilen, und es existiert überall
tnchtA Einfaches in derselben" (1. c. S. 360 f.). Das sind die mathematischen
Antinomien. Bei ihnen sind, vor dem Fonmi der Kritik, sowohl Thesis als
Antithesis falsch, weil Raum, Zeit, Einfachheit, Zusanmiengesetztheit nicht Be-
»timmimgen von Dingen an sich, sondern nur von Erscheinungen sind. „Man mag
nämlich . . . annehmen, die Welt sei dem Rawne und der verflossenen Zeit
nach unendlieli oder sie sei endlich, so verwickelt man sich unvermeidlich in
Wider9priiehe mit sich selbst, Detin ist die Welt, so wie der Raum und die
terflossene Zeit, die sie einnimmt, als unendliche Größe gegeben, so ist sie ei^ie
ygebene Größe, die niemals ganx gegeben werden kann, welches sich widerspricht.
4*
52 Antinomie.
Besteht jeder Körper oder jede Zeit in der Veränderung des Ztistandes der Ihrige
aus einfachen Teilen^ so muß, weil Raum sowohl als Zeit ins Unendliche teilbar
sind, . . . eine u7iendUehe Menge gegeben sein, die doch ihretn Begriff /«iM
niemals ganz gegeben sein kann, welches sich gleichfalls tcidersprickt*^ (Üb.
d. Fortsehr. d, Met S. 132). Mögliche Erfahrung hat weder eine Grenze
noch kann sie unendlich sein; die Welt als Erscheinung ist aber nur
das Object möglicher Erfahrung (1. c. S. 133). — 3) „Die CausaliiUt nach Oe*
setzen der Natur ist nicht die einzige, aus welclier die Erscheinungen der WtÜ
insgesamt abgeleitet werden könfien. Es ist 7ioch eine Causalität durch Freiheit
xur Erklärung derselben anxufie/mten twt wendig. ^'^ — „Es ist keine Freiheit, son-
dern alles in der Welt geschieht lediglich nach Gesetzen der Nalur^^ (Kr. d. r. V.
S. 368 f.). 4) „Zu der Welt gehört etwaSy das etitweder als ihr Teü oder ihre
Ursache ein schlechthin fwtwendiges Wesen ist.^^ — „Es existiert überall kein
schlechthin notwendiges Wesen, weder in der Welt, noch außer der Welt, ah
ihre Ursache^^ (1. c. S. 374 f.). Das sind die dynamischen Antinomien. Hier
gilt die Thesis für die Welt der Dinge an sich, die Antithesis für die Erschei-
nungen, beide sind also wahr (1. c. S. 432 ff.). — Allgemein beruhen die Anti-
nomien auf einer „tuUürliclien Täuschung", weil man „die Idee der absoluten
Totalität, welche nur als eine Bedingung der Dinge an sich selbst gilt, auf Er-
scheinungen angewandt hat" (1. c. S. 411). Als „regulatives Princip" enthalten
aber die Antinomien die berechtigte Fordenmg, daß, „soweit wir auch in der
Reihe der empirischen Bedingufigen gekommen sein mögen, wir nirgends eine
ahsoltUe Grenxe annehmen sollen" (1. c. S. 420). Aus den mathematischen Anti-
nomien folgert Kant auch (nochmals) die Idealität (Subjectivität, s. d.) vcm
Kaum imd Zeit (Kr. d. r. V. S. 411 f.; vgl. von Hartmann, G. d. Met. II, 4).
An Garve schreibt er: „Nicht dis Untersuchungen vom Dasein Gottes u. s. w,,
sondern die Antinomie der reinen Vernunft war es, welche mich aus dem dog^
malischen Schlummer z^uerst aufweckte und zur Kritik der Vernunft, selbst hin-
trieb" (vgl. A. Stein, Üb. d. Bez. Chr. Garves zu Kant 1884, S. 44 f.). Ea
gibt drei Antinomien, die alle die Vernunft zwingen, die Objecte der Sinne für
Erscheinungen zu halten (Kr. d. Urt. § 57, Aiimerk. II): erkenntnistheoretische,
ästhetische, ethische Antinomie (ib.). Bezüglich des ästhetischen Greschmacks
behauptet die Thesis, das Geschmacksurteil gründe sich nicht auf Begriffen,
die Antithesis: es gründe sich auf solchen, sonst ließe sich nicht über den
Geschmack streiten (L c. § 56 f.). Auch bezüglich der teleologischen Urteil»-
skraft (s. d.) besteht eine Antinomie (1. c. § 69 ff.). In der Ethik gibt
es eine Antüiomie zwischen Tugend und Glückseligkeit als Motiven (Kr,
d. pr. Veni. 1. T., 2. B., 2. Hptst). Fries legt auf den Beweis der Idealitail
von Kaum und Zeit aus den Antinomien großes Gewicht (Neue Krit, I*^ Vorr.>,
Fichte, Schelling, Hegel (auch Herbabt) haben das antinomische Ver-
fahren verwertet. Nach Hegel gibt es eine Antinomie in allen Vorstelli
Begriffen und Ideen (Encykl. § 48). Schopenhauer erklart die Kantsch«
Beweise für die Thesen als „Sophismen", während die Antithesen berechtigt sö<
(W. a. W. u. V. Bd. I). WuNDT führt die mathematischen „Antinomien" Kant
auf die Vertauschung des .Jnfiniten" und „Transfiniten" zurück. Da die Th<
die vollendete Unendlichkeit, das Transfinite, die Antithesen aber die unvollen<
bare Unendlichkeit, das Infinite, im Auge haben, so haben in Bezug auf Rai
und Zeit Thesis und Antithesis recht (Log. II«, 1, S. 153, 461 f.; Ess. 3, S. '\
Syst. d. Phil.«, S. 340 ff.). Vgl. Hodgson, PhU. of Refl. II, 88 ff. Vgl. Vi
endlich, Antithetik, Teilbarkeit.
AntlparistaslB — Ansahl. 53
JüitiiMUrlstasis nennt Bovillvs die Bewegung eines Begii^es durch
seinen Gegensatz zu sieh selbst zurück (z. B. vom Nichts durch Negation des-
selben zum Sein) (Op. foL 72b, 83b; Willmann, G. d. Id. III, 41 ff.).
Jüttlperlstoslft (avTiyre^iajaate) : Wechsel des Ortes im erfüllten Kaum,
(Inrch den nach Akistoteles die Bewegung (s. d.) erfolgt. So auch nach
Plato, DE8CABTE8 u. a. im Gegensatz zu den Atomisten (s. d.).
JÜitil^leolsteii oder Vacuisten: ein Name für ältere Anhänger der
Lfchre vom leeren Räume. Gegensatz: Plenist en (vgl. Lasswitz, G. d. At.
11,291).
Aatlramlsteii s. Ramisten.
JlBÜsireplloii {avrici^feiv, umkehren): Name eines Trugschlusses.
Eoathlos, der Schüler des Protagoras, hat mit diesem ausgemacht, er wolle
öan das Honorar für seinen Unterricht nach Gewinnung des ersten Processes
bezthlen. Der Lehrer verklagt ihn und sagt: Du mußt nun jedenfalls zahlen:
gewinnst du, kraft imseres Vertrages, verlierst du aber, kraft des Richterspruches.
Der Schüler erwidert: Ich habe keinesfalls zu zahlen: gewinne ich, kraft des
Urteüß, verliere ich, laut des Vertrages.
Amtlteleoloi^ie : Leugnung aller Zweckursachen, aller Teleologie (s. d.)
in der Natur (bei Materialisten, Darwinisten, Vertretern der mecha-
sistischen Naturauffassung).
Amtitliese {avrid'Büig): Gegensatz (Aristoteles, Phys. V 1, 225 a 11).
Vgl These.
Amtitbetik heißt bei Kant der „Wülersireit der dem Scheine fiach
ifipnatischen Erkenntni^e . . ., ohne daß man einer vor der andern einen vor-
iigiirhen Anspruch auf Beifall beilegt^. Die Jranscendentale Antithetik^^ ist
r/w VtUersuchung über die Antifiomie der reinen Vernunft, die Ursachen mid
da$ Resultat derselben'' (Kr. d. r. V. S. 349). Vgl Antinomie.
Amtitlietlsclies Verfaluren nennt J. G. Fichte y,die Handlung, du
•an im Verglichenen das Merkmal aufsucht, worin sie entgegengesetzt sind'*
fQr. d. g- W. S, 31). Er verwendet sie als philosophische Methode. Unter
faü Antithetischen versteht Bahnsen den widerspruchsvollen Widerstreit
» Sein.
Amtitypie (avrtrvnin: Stoiker, antitvpia: Gassendi) nennt Leibniz
& passive Widerstandskraft der Materie (s. d.), die ihrer Undurchdringlichkeit
ngnmde liegt (Opp. ed. Erdm. p. 466, 691).
Antrieb (impetus, conatus) heißt der Bewegungsimpuls als Element der
■erhanischen Kraft.
An-and-lfir-ftlcli-eelli heißt bei Hegel das „In-sich-xurückgekehrf-sein''
te Begriffs (s. d.) in seiner dialektischen (s. d.) Entwicklimg (Naturph, S. 32).
Vgl Geist.
Aassilil^ Gesetz der bestimmten: Zahl und Größe sind in jeder
Bezidiung nur endlich. „Eine jede Anzahl, die als etwas irgendwie Fertiges ge-
iaehf wird^ ist eine bestimmte, d. h. sie schließt den Begriff der U^iefidlichkeit
9it8, yter das Unfertige in der Zahlenhäufung kann auf eine Unendlichkeit
ynaiuäatifen; denn nur xu dem noch nicht Geendeiefi, also nicht VoUendctenj
54 An»aTi1 — Apathie.
kann noch etwas hinzukommen. Eine abgexählte Unxahl oder Unendlichkeit von Ein-
ßieiten tcäre der völligste Widerspmch*^ (DÜHRING, WirklichkeitsplL S. 5). Schon
Kant sagt etwas Ähnliches in seiner Lehre von den Antinomien (s. d.). Ekoelb
nennt das „Ges, d. best. Anxuht'^ eine „rontradietio in adieeto^y es setzt schon
voraus, was es beweisen soll; die unendliche Reihe der Zeit ist in Wahrheit
gar nicht abgezählt, sondern nur unbegrenzt, kein Gregebenes, daher kein Be-
stimmtes, Endliches (H. Eug. Dühr. I'mwälz. d. Wiss.«, 1894, S. 39 f.). Vgl.
Unendlich.
AnsieliaiiK^ s. Attraction, Materie.
lön {oietn'j aevum = to dei tlrni): 1) Beständige Dauer. Schon Empe-
D0KLE8 spricht von einem SunsBos aimv (Aristot., Phys. VIII 1, 251a 1). Im
Sinne des (Aristoteles (De coel. I, 9, 279a 25) nennen die Scholastiker die
unveränderliche Dauer „aetum" (Suakez, Disp. met. 50, sct. 6, 9). — 2) Gottliche
Wesenheit, göttliche Kraft, die personificiert wird von den Gnostikern. So
bezeichnet Yalentinus Gott als den vollkonmienen Aon (reXetos ai&y), aus
dem 80 niedere Äonen entspringen, deren jüngster die Weisheit {aowia) ist.
Der Inbegriff der Äonen = das Pleroma (s. d.). Vgl. Gnosticismus.
Aorlstles skeptische Unentschiedenheit (ovSev o^i^m^ l^iog. L. IX.
104 squ.).
ApAipOH^ifiscli (von anaYmyri) heißt der indireete und negative Beweis
aus der Falschheit des (angenommenen) Gegensatzes, wie ihn schon der Eleate
Zeno anwandte. Bei Aristoteles heißt er an68etSis Sin rov aSwarov (Anal,
pr. I 23, 40b 25; 41a 23), «.• ro aSvvarov anayioyfi (1. c. I 6, 28b 2), als ,/ip-
duetio ad impossibile>^ bei den Scholastikern. ^/47rayo>yf} (deduetio) nomt
Aristoteles die Zurückführung eines Problems auf ein anderes (Anal. pr. II
25, 69a 20). Sie gehört zu den rhetorischen Schlüssen. Chr. Wolf: „Demon-
stratio apagogica seit hidireeta est^ qua, posito contrario eius, quod probari debetf
tanqunm vero colligitur; quod propositioni verae, vel notioni subiecti canlradicit^
(Log. § 556). Nach Kant kann der apagogische Beweis „»frar nicht GeitißheU^
aber irohl Begreiflichkeit der Wahrheit in Ansehung des Zusammenhanges mit
den (hriinden ihrer Möglichkeit hervorbringen^^ (Kr. d. r. V. S. 600), er kann nur
da erlaubt sein, „wo es unmöglich ist, das Sidbjective unserer Vorstellungen dem
Objectiren, nämlich der Erkenntnis desjenigen, was am Gegenstande ist, unter'
xuschieben^'' (1. c. S. 601). Nach WuNiyr sucht der apagogische Beweis ,//•<
Wahrheit eines Satxes festxustellen, indem er die Umrahrheit aller derjenigen
Annahmen dartiä, die an Stelle der xu beweisendeti gemacht werden könnfen^\ ei
j/olgeri also durch Ausschließung ; sehie syllogistische Grundform ist der modus
tollendo ponens des disjunctiren Schlusses^^ (Log. II, 68). Es gibt eine disjunctiv^
conträre und contradictorische Form des apagogischen Beweises (ib.)
Apathie (andd-em): Unempfindlichkeit (Aristoteles, 17 ana^iu
rov nioi^rjTixov, De an. III 4, 429 a 2t)), Affectlosigkeit, Gemütsruhe ist nacl
den Cynikern (Diog. L. VI, 1, 8), nach dem Megariker Stilpon, den Skep-
tikern, besonders aber den Stoikern das dem Weisen und Tugendhafte!
gemäße Verhalten. Den Unterschied der stoischen von der mcgarischen Apathie
erklart Seneca: „Xoster sapiens vincit quidefn incommodum omne, sed setttit
illonim ne sentit quidem'*^ (Ep. 9). Philo wertet die Apathie als Mittel md
Glückseligkeit (Leg. alleg. II, 85). Geläuterte (nicht stumpfsinnige) Apathie
empfiehlt Spinoza (Eth. IV u. V), auch Kant (Anthr. § 73). Vgl. Affect
Apeiron — Aphasie. 55
Apelron (änet^ov): das Unbegrenzte. So nennt Anaximander das
Princip, den Urgnind aller Dinge (n^xv*^ **"* aroix^Xov t6 anai^ov, Diog. L. II, l ;
rth' ovximf a^x't*' «^*'«* "»"ö dnei^ov, Stob. EJcl. I, 10, 292). Das Apeiron ist
ctgeDsehaftiich unbestimmt; in den aus ihm entstandenen Dingen beharrt es
imTeränderlich (aunnßlriTov), unzerstörbar (avtaX6d'Qov\ unsterblich {d&dvarov;
Aristot, Phys. III 4, 203 b 13). Es umfaßt und behen-scht alles (ne^iixeiv
sidrta xal ndvra xvßeavdv, 1. e. 203b 11). Die Dinge entstehen aus ihm
durch Aus- oder Abscheidung (ixx^ivead'ai, dnoxoivßa&ai; Simpl. ad Arist.
Phys. 24, 23), zuerst das Warme und Kalte, dann das Flüssige, Feste (Erde),
Luftförmige, Feurige (1. c. Dieb 150, 22). Die Zahl der entstehenden Welten ^
die wieder vergehen müssen, ist unbegrenzt (Stob. Ecl. I, 10, 292). Der Urgnmd
selbst muß äitBioi»' sein, damit das Werden sich nicht erschöpfe (iva ufjSiv
iuei:ir^ t} yBvects r; vfiüjautvT], 1. c. I, 10, 292). Immer wieder kehren die
Dinge ins Apeiron zurück: ix ydo rovrov ndvra yiyvead'ai xal etg tovto Tidvra
f^tioecd'ni (ib.), um zu büßen für ihr Verschulden gemäß der Zeitordnung
i^oiai yaQ avrd riaw xai Sixip' rfjs d8txiae xard rrjv rov ;f(>{Jvot/ rd^iv, Simpl.
L c: vgl. Zeller, G. d. gr. Ph. I, 1*, S. 229). Die Einzelexistenz erscheint hier
als eine Art Schuld, als ein Baub am Sein, der an diesem wieder gutgemacht
woden muß. — Das Apeiron ist wohl nicht als „/«y^a" (Aristoteles, Met.
XII 1, 1069 b 22), als Gremenge fertiger Qualitäten anzusehen (so Ritter,
BüecEX, Üb. d. Apeir. 1867, Teighmüller, Stud. zur Gesch. d. Begr. S. 71,
0. a.», sondern als ein stofflich Unbestimmtes (Strümpell, Seydel, Tannery,
KÜHXEMANir, Grundl. d. Philos. S. 2), das die Qualitäten der Dinge potentiell
in sich birgt (ÜBERWEG, Grundr. I, 45; Zeller, G. d. gr. Ph. I, 1*, 201, 218).
Bemerkenswert ist die Ansicht Windelbands: „Das Wahrscheinlickste ist hier
norhj daß Anaximander die unklare Vorstellung des mystischen ChaoSy welches
I fing und doch alles ist, begrifflich reprodttciert liat^ ifidetn er als den Wdtstoff
j fine unendliehe Körpennaese amnahm, in der die verschiedenen empirischen Stoffe
so gemischl seien^ daß ihr im gan/xen keine bestimmte Qualität mehr zugeschrieben
werden dürfe, daß aber aucli die Ausscheidung der FAnxelqualitäten aus dieser
felhfibewegien Materie nicht mehr als eigentliche qualitatire Veränderung derselbeti
I umgesehen werden kannte'^ (G. d. Phil. S. 25 f.). (Vgl. Natorp, Phil. Monats-
i befte XX, 367 ff.; J. Cohn, Gesch. d. Unendl. S. 13 ff.). Den pythago-
reischen Gegensatz des Bestimmten und Unbegrenzten {Tti^ae und dnetQov)
erneuert Plato. Das dne^^ov ist das Unbestimmte, Nicht-Seiende (fiij 6v), das
erst durch das ni^as^ die quantitative Bestimmtheit und Ordnung, zum Seien-
I dai {^£7t£(faffudrovf ovcin) wird (Phileb. 16 C, D, 24, 25 A). Nach Aristoteles
: (Met. I, 6; XIV, 1) hat Plato auch in den Ideen als Factoren derselben ein ni^as
und d:tei^ov angenommen. VgL Idee.
Apliasie (Nicht-Sagen, Sprachlosigkeit): 1) Bei den Skeptikern: die
I Enthaltung {htoxri) von allen positiven, bestimmten Aussagen über das Wesen
I der Dinge, da dieses nicht erkennbar sei. Nur ein „es scheint so"y (nicht „es
ist gir*) laßt sich sagen (Sext. Emp. adv. Math. I, 12, 13). — 2) In der Psycho-
I Pathologie: eine central bedingte Störung der Sprachfähigkeit bei Unversehrtheit
I des Articulationsmechanismus (vgl. Steinthal, Einl. in d. Psych. S. 455). Bei
\ der amnestischen (sensorischen) Aphasie geht die Erinnerung an die Be-
zeichnung der Worte verloren. „Die Sprache an sich ist ungestört, die Kranken
sprechen fließend nach; nur die Worte für die eirixelnen Dinge fallen ihnen nicht
56 Aphasie — Apokastastasls.
eiftj die Mtäterspraohe eracheint tote ein frefttdes Idirnn, das m^an schlecht be-
herrsck^^. Die ataktische (oder Innervations-, motorische) Aphasie (= Aphemie
besteht in einer Beeinträchtigung der Function der Wortbildung als solcher
Bei der Worttaubheit (y^rditas verhalis'\ 1877 von Kussmaul so genannt
versteht der Kranke nicht, was gesprochen wird (Hellpagh, Grerurwiss. d
Psych. S. 249 ; Jgdl, Lehrbuch der Psych. S. 473 ; Wundt, Gr. d. Psych.«
S. 245). Preyer zählt auf: 1) corticale sensorische (centrosensonsche) Dysphask
und Aphasie (= Paraphasie)/ 2) intercentrale Leitungsdysphasie und Aphask
1., 2., 3. Ordnung, 3) centromotorische Dysphasie und Aphasie (Spr. d. Kind
S. 264 ff.). Alalie heißt das gänzliche Unvermögen, zu articulieren (1. c. S 278)
Dysarthrie, Anarthrie ist die Unmöglichkeit des Verstehens von Ge
sprochenem (1. c. S. 265). Vgl Kussmaul (Stör. d. Sprache 1885).
Apodlkticitftt: der apodiktische Charakter (eines Urteils).
Apodiktik {anoBeixxtxri) nennt BOUTEBWEK „e^te Wissenschaft, durch
welche der Grund der Erfahrungeyi gefunden und vor der Vernunft gerechtfertigt
icird^*^ (Apod. I, 6); „als Wisse?ischaft der Beweisgründe ist sie die Wissensehafi
von den letzten Gründen des Wissens und der al)soluten Überzeugung überhaupt
a. c. S. 29).
Apodiktlscli (anoSsixTMos) heißt alles, was bewiesenermaßen, imbedingt
notwendig, unumstößlich gilt. Der B^riff des apodiktischen Urteils (S ist
notwendig P, S muß P sein) schon bei Aristoteles (Anal. pr. I 1, 24 a 30;
De gener. II 6, 333 b 25). Die Wissenschaft (dmaxrjfirf) ist bSh anodsiyciTiKw^
(Eth. Nie. VI 3, 1139 b 31). — ILlnt gründet die „apodiJdisehe Gewißheit
aller geomeirisehen Grutidsätxe und die Mögliclikeii ihrer Cofistruetiofi a priori^
auf die Aprioritat (s. d.) des Raumes (Kr. d. r. V. S. 54). Die mathematischen
Gnmdsätze sind „insgesamt apodiktisch, d. h. mit dem Bewußtsein ihrer Xot-
wendigkeit verbunden^% sie können „nicht empirisclie oder Erfahrungsuricite sein,
noch aus ihnen geschlossen werden^^ (1. c. S. 54), denn Erfahrung gibt keine un-
bedingte Gültigkeit von Urteilen (1. c. S. 52). Die apodiktischen Sätze zerfallen
in „Dogmuta^^ und „Maihemata^^ (1. c. S. 616). Vgl. A priori, NotwendipTkeit,
Demonstration.
ApokAteetASis {nnoxaTatnaai^ Ttdi-row, restitutio universalis): Wieder-
herstellimg, Wiederkunft alles dessen, was gewesen. Schon die Pythagoreei
sollen eine Apokatastasis gelehrt haben. Ei 8a ne Ttitnevaeie tocc nv^nyoQtioti
{6e 7tn?.iv T« avTfi a.Qiif'ficvy xayco fnvd'oXoyr^aco t6 QaßSiov i'xiov xad'Tj/uirots avvftM^
xai Trt alXa ofioicjg l'le« (Simpl. ad Phys. Ar. 732 Diels). Heraklit nimmt
einen ewigen Kreislauf des Geschehens an : die aus dem Urfeuer hervorgegangen«
Welt kehrt nach bestimmten Zeiten immer Mieder, periodisch, zurück. Die
Stoiker fügen hinzu, daß wegen der Gleichheit der Gesetze, denen die Welt-
bewegung folgt, die aufeinander folgenden Welten (nach jeder Ekpyrosis, s. d.j
sich so ähnlich sind, daß in jeder von ihnen die gleichen Personen, Dinge, Er-
eignisse wiederkommen (vgl. Zeller, Gr. d. Gesch. d. gr. Ph.*, S. 47, 59, 2l)9u
M. AuREL lehrt eine periodische Wiedergeburt der Seele (In se ips. XI, 1).
Bei Mtnuciüs Felix erscheint die Apokatastasis als die Auferstehmig des
(christlichen Glaubens (Octav. C. 34, 9). Origenes versteht unter der Apo-
kastastasls die Wiederherstellung der Seelen in ihrer Einheit mit Gott, in ihrer
Güte (De prin. III, 1, 3). In neuerer Zeit lehren Blanqui (L'^temit^ par le»
astres 1871) und Le Bon (L'homme et les soci^t^s 1878), die Menge der
ApokatastaaiB — Aporatiker. 57
Combioationen der Daseinsfonneii sei eine begrenzte, daher komme das Gleiche
immer wieder (vgL Ljchtenbebo, Die Phil. Fr. Nietesches •, 1900). Unabhängig
TOQ diesen (aber im Anschluß an Heraklit) glaubt Nietzsche an eine ,, Wieder-
amft des Oleiehen^\ Er leitet sie aus der von ihm angenommenen Endlichkeit
der Weltkraft ab. ,Määe die Welt ein Ziel, so müßte e» erreicht «eiw." Die
Vdt hat kein Ziel, kein Vermögen zur ewigen Neuheit. Der Satz vom Be-
ruhen der Energie fordert die ewige Wiederkehr aller Dinge, Ereignisse, Zu-
stände. .yWenndie Welt ah bestimmte Größe von Kraft utid als bestimmte Zaid von
Krafteenireti gedacht irerdefi darf — und jede andere Vorstellung bleibt unbestimmt
wd folglieh unbrauchbar — , so folgt daraus, daß sie eine berechcfibare Zahl von
Combinatiofiefi, im großen Würfelspiel ihres Daseins, durchzumachen fiai. In einer
wendlichen Zeit ttürdejede mögliche Comhination irgendtcann einnuU erreicht sein:
mehr noch: sie tcürde unendliche Maie erreicht sein. Und da zwischen jeder Com-
btnaiion und ihrer näcJisten Wiederkeltr alle überhaupt noch möglichen Combinatio-
rnn abgd(mfen sein müßten und jede dieser Combinationen die ganze Folge der
Oombinaiiofien in derselben Reihe bedingt, so wäre damit ein Kreislauf von absolut
identischen Reihen bewiesen: die Welt als Kreislauf der sich unemllich oft be-
mig wiederholt hat und der sein Spiel in infinitum spielt. ^^ Alles, was da lebte
nnd wie es lebte, kehrt immer wieder — das ist die Unsterblichkeit, die
XiEiZBCHE an SteUe des Jenseiteglaubens setzt (WW. XV, 375 ff., 380, 3^ ff.,
XII, 1, 203 ff., 2^; VgL Naumajto, Zarathustra Comm. 18Ö9— 1901, R. Hteiner,
lüg. f. Litt. 21. Apr. 1900; Horneffer, Nietzsches Lehre von der ewig. Wiederk.
l^.V). Zu dieser Lehre meint Riehl, es werde, in der Lehre von der Wieder-
kunft, von Nietzsche „die absoluie Realität der Zeit angenommen, als hätte
n noch keine Kritik der Antiruymien des Unendlichen gegeben; die Zeit, die un-
abhängige Variable in der Betcegung, wird zu einer unabhängig Variablen von
der Betregung gemaeht, als sei sie selbst etwas für sich Bestehendes. Auch kömite
nne und dieselbe Combination von Energie forfnen auf unendlich vielen Wegen
erreicht werden und unendlich verscJiiedene Folgeerscheinungen naeh sich h'ingcn'"
lZ.£inf. in d. Phil. S. 231). P. MoNORE hält Nietzsches Lehre von der ewigen
Wiederkunft für schlecht begründet, nimmt aber selbst die „Möglichkeit der
identischen Reproduetion jeder einzelnen 2^iistreckey an (Sant-Ilario 181)7).
ApoUiniscli und dionyslnelis zwei Termini, die bei Nietzsche
drti Gegensatz zwischen dem theoretischen, intellectuellen, nach Maß, Ordnung.
Uanuouie strebenden Triebe und dem Dynamischen, Leidenschaftlichen den
Lebens- und Machtwillens bezeichnen. VgL Wille.
Apel^i^eten ianoXoyslad'ai^ verteidigen) heißen die sich der Waffen des
I^iüosophisehen Denkens bedienenden Verteidiger des Christentums wider die An-
griffe und die Lehren der Nicht<»hristen. iSie greifen vielfach auf stoische und
neoplatonische Ideen zurück. Zu ihnen gehören: Tatiaütus, Quadratijs,
JusTDfrs. Meuton, Apolixnaris, Athenagoras, Theophilos, Hermias.
Ikesaeus. Hippolytus, Minuciüs Felix, Tertüluanüs. Zeit: ca 120—250
n. (lir. VgL Harnack, Dogm. I», 45;"» ff.
jlpoptonle [aTtontiocia] nennen die Stoiker die Kenntnis der Fälle.
in vdchen man seine avyxarnd'eoie (s. d.) geben oder verweigern muß (Diog.
L Vll. 46; Stein, Psych, d. Ötoa II, 211).
Aporem iaTTo^tia): Schwierigkeit, Untersuchung einer logischen Aix)ri('
{Aristoteles, Top. VIII 11, 162a 17j.
A^retifeer »• Skeptiker.
f)S Aporie — Apx>eroeption.
Aporle {ano^ia XoyiKi^): logischer Zweifel, logische Schwierigkeit, Denk-
hindemis, auch absichtlich, methodisch aufgestellt als Einwand gegen eine
Denkweise, g^en Dogmatismus u. dgL, so von Sokrates, Plato (ApoL 23 A,
Phaedo 84 C, D, 85 D, Phileb. 15 C). Der Terminus Aporie auch bei Ari-
stoteles (Phys. I 2, 185 b 11; III 1, 208 a 33; III 2, 202 a 21; De an. I 1,
402 a 21). Aporien gegen die Realität der Bew^ung (s. d.) bei dem Eleaten
Zeno, gegen den Causalitatsbegriff (s. d.) bei den Skeptikern.
AporlftlüA heißt bei JOH. von Sausbury ein .Syllogismus diaiecticus
cofttradictionts'^ (Prantl, Gesch. d. Log. II, 238).
A posteriori: aus der Erfahrung. Vgl. A priori.
AppArens = Erscheinung s. d.
Apperceptlon (apperceptio von ad-percipere) heißt jetzt die Klam*erdung
bezw. Klarmachung eines Vorstellungsinhalts durch aufmerksames Erleben des-
selben. Die Wirkimg des Appercipierens besteht in der größeren Bestimmtheit,
Bewußtheit des Vorstellungsinhalts und in der Einreihimg desselben in den
Zusanmienhang des Ichbewußtseins. Die passive Apperception ist eine Trieb-
handlung, geht von einer gefühlsbetonten VorsteDimg als Motiv der Aufmerk-
samkeitseins tellimg aus; die active Apperception ist eine Willkür- oder eine
Wahlhandlung, in ihr bekundet sich die Einheit, Totalität und Activität des
Ich. Die active Apperception liegt allem Denken, aller productiven Phantasie-
tätigkeit und allen äußeren Willenshandlungen zugrunde; sie selbst ist schon
eine (innere) Willenshandlung, die den Verlauf der Vorstellung hemmt, dirigiert,
ordnet.
Bevor noch der Begriff der Apperception gebildet ist, betont man ver-
schiedenerseits die Fimction der Aufmerksamkeit (s. d.) für das Bemerken, be-
wußte Erfassen, Bevorzugen eines Inhaltes. So schon Augusthois (De trin.
XI, 19, De mus. VI, 8, 21), DuNS ScoTUS (Op. Ox. II, 25, 22, 24 f. Opp. XI,
13, 16, 412 f.). Desgartes spricht direct von dem Vermögen der Seele,
„d'appercevmr oe qu'elle retW^ (Pass. de F&me I, 19).
Begründet wird die Lehre von der Apperception von Leibniz. Unter
Apperception versteht er zunächst die bewußte im Unterschied von der unbe-
wußten (imterbewußten) Vorstellung (der „petite percepttan")^ die durch Zuwachs
oder Addition zu einer bewußten werden kann: „La percepHon dei^ient apper-
opptible par une petite addition ou a/uffmenicUwn^^ (Nouv. Ees. II, eh. 9, § 4).
Die Apperception ist eine ^percepfio ^neliar^ cwrn attentione et memoria coniuneta!*.
Apperceptionen haben nur die höheren, geistigen Monaden (s. d.). Zugleich ist
die Apperception Erfassung des inneren, seelischen Zustandes im Subjecte
[Ja conscience ou la cannaissance reflexive de eet etat tnterieury laquelle n*est
point donne ä toutes les dtnes ni toujours ä la meme äme^^ Gerh. VI, 600).
Da aber die Reflexion auf das Ichbewußtsein zurückführt („les actes reftexifs
woi/Ä foni penser ä ce qui s'appelle moi,^^ Monad. 30), so bedeutet Apperception
die Erhebimg einer Vorstellung ins Selbstbewußtsein, ist sie das Bewußtsein
eines Inhaltes zugleich mit dem Bewußtsein, daß dieser Inhalt in memem Be-
wußtsein ist. Die Apperception unterscheidet sich von der „verworrenefi'^ Vor-
stellung durch ihre Klarheit, öofem wir appercipieren, sind wir activ (s. d.).
CJhr. Wolf bringt gleichfalls die Apperception zum Selbstbewußtsein in Be-
ziehung. „Dum . . . attetitiofiem nostra^n in hoc converiimtiSy quod rerum per-
ceptarum nobis conscii sumus, nostri eriim conscii sumus. Sed tum apper*
Apperoeptlon. 59
(fftionem, acHonem quandani, animae, percipimtts et nos per eam tanqunm
fubiertum perripieng ab obiectis^ qtme percipiimtur, distinguimus agnoscentes
9/tiqw perripüns stibieeUifn esse quid dicersum a re percepta^* (Psych, rat. § 13;
PSTch. emp. § 25). Tetekb stellt das Appercipieren als active Bewußtseins-
titigkeit als ,,Heue hinxukomtnende ÄcHon der Seel&*^ der Perception gegenüber
iPhil. Vera. I, 290).
Kaxt gebraucht den Ausdruck „empirische Äppereeption^^ gleichbedeutend
mit d€'m des „irmeren Sinues^*^ (s. d.). Sie ist „rfa« Betcußtsein seiner selbst,
nach den Bestimmungen unseres Zustandes t)ei der intwren Wahrnehmung^^. Von
diegem „irandelbaren^^ Ichbewußtsein (Kr. d. r. V. S. 121) unterscheidet er die
Jranseendentaie Apperception**^ (s. d.) als reine, constante, synthetische, active
Ichheit. Jacob versteht unter Apperception die Auffassung und Zusanunen-
fiasung von Vorstellungsinhalten zu einem Ganzen (Gr. d. Erfahr.', S. 201 ff.).
M. DE BiRAK versteht ebenfaUs unter „Apperception interne immediate^^ das Be-
wußtsein des Ichs von sich selber (Oeuvr. III, 5). „J'appelierai apperception
toute impression ou le rnoi peut se reeonnattre comme cause produetrtce en
se distiptguant de l'effet sensible que son action determinei^' (Oeuvr. inM. I, 9,
III, a46).
Einen neuen Begriff der Apperception führt Herbart ein. Apperception
ist naoh ihni die Aufnahme und Bearbeitung von Vorstellimgen durch eine
Rdhe anderer, neuer durch alte, manchmal auch alter durch neue VorsteUimgen.
Die Starkeren Vorstellungen sind die appercipierenden, die schwächeren die
appercipierten ; diese verschmelzen mit jenen. Neue Vorstellungen werden
jq>pcreipiert, an- oder zugeeignet, indem „ältere gleiehartige Vorstellungen er-
ifoekeHy mit jenen verschmelxen und sie in ihre Verbindungen einführen^^ (Psych.
«. Wiss. II, § 125). „Anstalt daß die appercipierten Vorstellungen sich nabelt
ihren eigenen Gesetzen xu heben und xu senken im Begriff sifidy werden sie in
ihren Bewegungen durch die mächtigeren Massen unterbrochen, welche das ihnen
Entgegengesetzte xurücktreiben, obschon es steigen mochte, und das ihnen
(ileiehartige, wenngleich es sinken sollte, anhalten und mit sich verschmelxen^^
(Lehrb. z. Psych. S. 32 f.). Durch die Aufnahme neuer Vorstellungen seitens
«Des gefestigten Bestandes alter Vorstellungen, sog. „Vorstellungsm<Msen^\ ge-
schieht die Bereicherung unseres Seelenlebens, die Deutung und Erkenntmg
des Unbekannten. VoLKMANN definiert ebenfalls die Apperception als „Ver-
sektrteUung einer neuen isoliertcfi Vorstelhingsmasse mit eitler älteren, ihr an
Vmfang und intterer AusgeglicJienheit überlegenen^^ (Lehrb. d. Psych. II*, 190).
fJTEiNTHAL nennt die appercipierenden Vorstellungen apriorische, die apper-
cipierten aposteriorische; er unterscheidet eine identificierende, subsumierende,
harmonisierende, disharmonisierende Apperception. (Einl. in d. Psych.) Nach
Lazarus ist die Apperception die Beaction der „vom Inhalf bereits erfüllten,
äurrh die früheren Processe seiner Erzeugung ausgebildeten Seele^^ (Leb. d.
ßede II*, 42). Jede wirkliche Perception ist schon Apperception (ib.). Nach
Lnrs wirj^ ein Inhalt appercipiert, ,^cenn er solche in der Seele vorhandenen
Asitoeiationen wachruft, die ihn mit einetn vorher vorhandetten Inhalte in gesetz-
mäßige Beziehung setzen'^ (Gr. d. Seel. S. 407). Wir appercipieren, indem wir
Inhalte uns aneigneti, d. h. sie zu unserem Selbstgefühl in Beziehung bringen
oder in das Ärgstem unseres Selbstbewußtseins einordfien" (1, c. S. 409). Es gibt
eine logische, ästhetische, praktische Apperception (s. d.). Stoüt definiert die
Apperception als den Proceß, vermittelst dessen ein vorhandener geistiger Vorrat
(30 Apperception.
um ein neues Element vermehrt wird (Anal. Psych. II). Ahnlich Jodl (Lehrb.
d. Pfsych. S. 443). W. Jebusajlem versteht unter Apperception „rfte Fomttmg
und Aneignung einer Vorstellung infolge der durch die Aufmerksamkeit aetueU
gewordenen Vorstellungsdispositionen" (Lehrb. d. Psych.», S. 87). Die Apper-
ception gibt dem Vorstellungsverlauf j,die Richtung und einen getr-issen Abschluß^*'
(ib.). Die am leichtesten erregbaren appercipierenden Vorstellungsgruppen sind
die jjkerrschefide Apperceptionsniasse" (ib.). ,J*\mda7rientale^^ Apperception ist
die yjApperceptionsweise . . . , durch welche alle Vorgänge der ümgelniPig als
Willensäußerungen selbständiger Objecte gedeutet werden" (1. c. S. 90).
Sie liegt der Urteilsfunction (s. d.) und den Kategorien (s. d.) zugrunde.
MÜNSTERBEBG: „Wir fassen ein Ohjeet auf heißt, daß wir xu einem bestimmten
Handlungstypus übergehen." In den motorischen Centren bestehen moleculare
Dispositionen, vermöge deren der Reiz eine complexere Wirkung auslosen kann,
als seiner isolierten Einwirkung entsprechen würde (Princ. d. Psych. S. 551).
Nach HusSERL ist Apperception „ofer Überschuß, der im Erlebnis selbst, in
seinem descriptiven Inhalt gegenüber dem rohen Dasein der Dmpfindu^tg bestehf"
(Log. Unt. II, 363).
Als Willensvorgang wird die Apperception von Wundt bestimmt, zugleich
als bewußtseinssteigemder, hemmender, ordnender Act. Apperception nennt
Wundt „den einxelnen Vorgang, durch den irgend ein psychischer Inltalt \u
klarer Auffassung gebracht wird", im Unterschiede von der bloßen Pereeption
(Gr. d. Psych.*, S. 249). „Die Inhalte, denen die Aufmerksamkeit zugewandt ist,
bezeichnen wir, nach Aiuäogie des äußeren optischen Blickpunktes, als den Blick-
punkt des Bewußtseins oder den inneren Blickpunkt, die Gesamtheit
der in einem gegebenen Moment vorhandenen Inhalte dagegen als das Blickfeld
des Bewußtseins oder das innere Blickfeld" (ib.). Nur ein sehr kleiner
Teil luiserer Vorstellungen wird jederzeit, mit verschiedener Klarheit, apper-
cipiert. In zwei Formen tritt die Apperception auf. „Erstens : Der 9ieue hthalt
drängt sich plötxlich und ohne fHyrl>ereitende Gefühlsicirkung der Aufmerksamkeit
auf; wir bexeichfien diesen Verlaufstypus als den der unvorbereiteten oder der
passiven Apperception." Sie ist durch ein Gefühl des Erleidens charakte-
risiert, das aber rasch in ein Tätigkeitegefühl übergeht (1. c. S. 259). „Zweitcfis:
Der neue Inhalt wird durch Gefühlsteirkungen . . . vorbereitet, und es ist infolge-
dessen schon vor seinem Eintritt die Aufmerksamkeit auf ihn gespannt: icir
bezeichnen diesen Verlaufstypus als den der vorbereiteten oder der acfiren
App erception". Ein Gefühl der Erwartung geht hier, verbunden mit Spannuugs-
empfindungen, der Auffassung des Inhalts voran, das durch ein Gefühl der Er-
füllung und dann durch ein Tätigkeitegefühl abgelöst wird (1. c. S. 260). Alle
Apperception ist ein WiDens Vorgang , bei dem „nicht der Gegenstafid selbst,
sondern seine Wahmehmufig getrollt wird" (Völkerpsych. I 2, 244). Die passive
Apperception ist, subjectiv, eine Triebhandlung, denn hier ist „der untorbereitet
sich aufdrängende psychische Inhalt offenbar das allein vorhandene Motir der
Apperception". Die active Apperception ist eine Willkürhandlung, di§ aus einer
Mehrheit von Motiven, oft nach einem „Kampf" derselben, hervorgeht (1. o.
S. 261). Die Ausdrücke „activ" und „passiv" beziehen sich „nicht unmittelbar
auf den Vorgang der Apperception selbst, der im wesentlichen ül/erall der nämlichf
ist, sondern auf den gesamten Beicußtseinsxtistand" (1. c. 8. 261). Apperception
und Aufmerksamkeit (s. d.) sind die objective und die subjective Seite eines
Vorgangs. Die Apperception ist schon eine Bedingimg der Association (s. d.); die
Apperception — Apperoeption, personificierende. 61
active Apperception liegt aUer geistigen Tätigkeit zugrunde. Die Functionen der
Apperception sind das Beziehen — Vergleichen, Analyse — Synthese (1. c. S. 303 ff.,
Vorles.«, a 267, 263, 274 ; Grdz. d. ph. Psych. II*, S. 266 ff., 278 f., 437 ; Phü. Stud.
II, 33 f., X, 95; Syst. d. PhiL«, S. 576 f.; Ess. 6, S. 174; Lc^. I •, 30, II«, 265 f.).
Die Apperception ist keine Tätigkeit, die außer dem Zusammenhange von-Gre-
fühlen und Empfindimgen bei der Auffassung eines Inhalts existiert, kein
.,S(tl^Hrermögen'\ Physiologisch ist sie ein Hemmungsproceß, durch den das Klar-
wenien anderer Eindrücke als der appercipierten verhindert wird ; nach Wundt
pbt et? ein (vielleicht im Stimhim localisiertes) Apperceptionscentrum,
von dem senso- motorische Wirkungen ausgehen. Aber ,,nur insoweit jeder
App^reeptumsvorgang mit Veränderwigen am Empfindungsinhalte verbunden ist,
jjiW für ikfi physiologische ParcUlelvorgänge a?ixunefimen" (Grdz. d. ph. Psych.
II*. 274, 276, 283 f. PhiL Stud. II, 33 f., X, 95). Apperception imd Association
(5. d.i sind nicht voneinander unabhängige Vorgänge oder gar Äußerungen von
,.S^Ienvermögen*% sondern „xusamniengehörige Factoren des psychischen Oe-
*^hfhenjt'' (Völkerpsych. I 2, 575). Unter Einheit der Apperception ver-
geht AVuNDT ,,die Tatsacßie, daß jeder in einem gegebenen Augenblick apper-
cipifTf^ Inhalt des Beirußtseins ein einheitlicher ist, so daß er als eine einzige
mehr (/der minder xusammengesetxte Vorstellung aufgefaßt icird^^ (1. c. I, 2, 466).
Anhänger der WuNDTschen oder doch einer ähnlichen Apperceptionslehrc
Mnd O. KÜLPE (Gr. d. Psych. S. 441), E. Meumann, Höffding, James,
VnxA, Kael Lange, (Üb. Apperception 1899), Hellpach (Grenzwiss. d.
P:!ych. S. 6) u. a. Eine physiologische Deutung des Apperceptionsvorganges
gibt OppENHEDiER (Physiol. d, Gef. 8. 103 ff., 115 f.), auch Kroell, der aber
k«ne Spontaneität des Bewußtseins anerkennt, sondern eine „Reflejctheorie" auf-
stellt (Die menschliche Seele S. 58 ff.), femer Ostwald f\^orles. üb. Natur-
philo*.*). Gegner sind Volkmann (Lehrb. d. Psych- II*, 193 ff.), Jgdl
iLehrb. d. Psych. S. 443), Ziehen (Leitf. d. ph. Psych.«, S. 148) und die
Associationspsychologen überhaupt. Sie führen, wofern sie die Verände-
nmg des Vorstellungsverlaufs durch die Aufmerksamkeit berücksichtigen, diese
aaf Association zurück, wie z. B. Jgdl Zweckvorstellungen als ^^Assodaiimis-
fentrutH^^ die Reproduction leiten läßt (Lehrb. d. Psych. S. 492, 499, 505, 508,
')11 f.). Ziehen erklärt die Erscheinungen, die man sonst der Apperception
ra«iohreibt, durch die Deutlichkeit, den Gefülüston, die Energie der Association,
die Constellation der Vorstellungen (Leitf. d. ph. Psych. S. 174 ff., 198, 200 f.).
— Ziegler nimmt an, das Gefühl (Interesse) sei das Agens der Apperception,
diese sei keine Willenstätigkeit (D. Gef.«, S. 47 ff., 307). E. von Hartmann
bestimmt die Apperception als absolut unbewußte psychische Function ohne
materielle Gnmdlage (Mod. Psych. S. 140). Vgl. Apperceptionspsychologie,
Aufmerksamkeit.
Apperception, empirische s. Apperception.
Apperception, fundamentale s. Apperception.
Apperception, personificierende, nennt Wcni>t die dem naiven
Bewußtsein überall zukommende Art der Apperception, die darin besteht, y^daß
die appercipierten Objecte ganx und gar durch die eigene Natur des wahmehmen-
den Subjeetes bestimmt werden j so daß dieses nicht bloß seine Empfindungen ,
Äffecte und willkürlichen Bewegungen in den Objecten wiederfindet, sondern daß
es insbesondere auch durch seinen augenblicklichen Gemütsxustand jeweils in der
62 Apperception, perBonificierende — Appereeption, transcendentale.
Auffassung der wahrgeTiommenen Erscheinungen bestimmt tmd xii Vorstellungen
über die Beziehungen derselben xu dem eigenen Dasein veranlaßt mrd. Infolge
dieser Auffassung werden dann dem Gegenstand die persönlichen Eigenschaften^
die das Sub/ect an sich selbst vorfindet, zugeschrieben^^ (Gr. d. Psych.*, S. 367 f.).
Diese Apperception liegt allem Mythus zugrunde.
Appereeption 9 transcendentale oder reine, ist ein durch J^jlstt
geprägter Terminus. Die empirische Apperception (s. d.) ist das in jedem Augen-
blick modif icierte , die transcendentale Apperception aber das reine, eonstanto»
identische Selbstbewußtsein, die Ichheit, die in allen erkennenden Subjecten die
gleiche ist. Diese transcendentale Apperception ist die ursprüngliche, einheit-
setzende, synthetische Fimction des Bewußtseins, die formale Quelle alles
Apriorischen in der Erkenntnis, die Bedingimg derselben. Ohne die Constanz
des reinen Ich gäbe es keine Einheit, keinen Zusammenhang in unseren Vor-
stellungen. „Nun können keine Erkenntnisse in uns stattfinden, keine T>»--
knüpfung und Einheit derselben untereinander , ohne digmige Einheit des JBe^
irußtseins, welche vor allen Datis der Anschauungen rorhergehi, und worauf in
Bexiehutig alle Vorstellung von Oegenständen möglich ist. Dieses reine, Ursprung-
liehe, unwandelbare Beicußtsein will ich nun die transcendentale Apper-
ception nenfien^^ (Kr. d. r. V. S. 121). Die „Eifiheit der Apperceptioti^\ die
eine Bedingung des Zusammenhangs unserer Vorstellungen, ihrer Aufbewahrung,,
ihrer Wiedererkennung ist, besteht in der (rein formalen, nicht substantiellen)
Identität des Ich. „ Wir sind uns a priori der durchgängigen Identität unser
.selbst in Ansehung aller Vorstellufigen, die xu unserer Erkenntnis jemals
gehören können, betrußt als einer notwendigen Bedingung der Möglichkeit aller
Vorstellungen^^ (1. c. S. 172). Der Ausdruck der Einheit der Apperception
ist das Bewußtsein des „Ich denke^\ das alle meine Vorstellungen muß be-
gleiten können. ,,Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine notwefuiige
Beziehung auf das ,Ich denke*" in demselben Sul^ect, darin dieses Mannigfaltige
angetroffen wird^* (1. c. S. 659). Diese Apperception heißt auch „Ursprung^
liche^^ Apperception, „weil sie cUis^enige Selbstbetrußtsein ist, was, indem es die
VorsteMung ,Ich denk^ hervorbringt, die alle andern muß begleiten könnefi und
in allem Bewußtsein ein und dasselbe ist, von keiner weiter begleitet werden
kann'* (ib.). Das „stehende und bleibende Ich" der „reinen** Apperception „tna^ht
das Correlatum aller unserer Vorstellungen aus, sofern es bloß möglieh ist, sieh
ihrer bewußt zu werden, und alles Bewußtsein gehört ebensowohl zu einer all^
befassenden reinen Apperception, wie alle sinnliche Anschauung als Vorstellung
xu einer reinen inneren Anschauung, nämlich der Zeit" (L c. S. 133). Die
P^inheit der Apperception bezieht sich auf die „reine Synthesis" (s. d.) der
„produetiven Einbildungskraft^* (s. d.) und ist insofern die allgemeinste Verstandes-
function (1. c. S. 129). Sie ist zugleich die Quelle der Kategorien (s. d.) und
der Objectivität der Erscheinungen. „Eben diese transcendentale Einheit der
Apperceptioti macht aber aus allen mögliehen Erscheinungen, die immer in eifker
Erfahrung beisammen sein köfinen, einen Zusammenhang aller dieser Vorstellungen
nach Qesetxefi** (1. c. S. 121). Die reine Apperception gibt „ein Principiujn der
synthetischen Einheit des Mannigfaltigen in aller möglichen Anschauung an die
Hand** (\, c. S. 128).
Fries versteht unter „reiner^* Apperception die „eigene Spontaneität (Selbst-
tätigkeit) des Geistes", das ,lreine Selbstbetrußtsein** (Neue Krit. I, 120, II, 65;
Syst. d. Log. S. 50), unter „tramcendenfalcr** Apperception daß „unmittelbare
Appereeption, transcendentale — Apperceptionapsychologie. 6^i
Oanxe der Erkermim^' (Neue Kr. II, 65). J. G. Fichte prägt den Begriff der
transcendentalen A]^rception zu dem des absoluten Ich (s. d.) lun. Nach
SCHOPKNHAITER ist die Einheit der Apperception das ,,Sub;eft des ErkefvnenSy da^
Crmreiai aller Vorstellungen'' (W. a. W. und V. Bd. I). RiEHL setzt die tran-
scendentale Apperception der ^^synthetischen Identität^' (s. d.) gleich, der Einheit-
Emerleiheit des Bewußtseins, in welche alles sich einordnen muß, um Er-
tthiung zu werden (PhiL Krit. I, 2, ö. 78; I, 1, S. 68). Wundt versteht unter
ranar Apperception (reinem Willen) eine wollende Tätigkeit, welche, „alle unsere
ktnerrn Wahmekinungen xur Einheit verbindend, niettuUs getrennt von denselben
tmd also niemaU ohne einen Vorstellungsinhait vorkommen kann, gleichwohl aber
fUs die letzte Bedingung aller einxelnen Wahrnehmungen vorausxusetxen ist''.
Die reine Apperception ergibt sich erst in der Metaphysik als Endpunkt den
[DdiTidaell-psychologischeii Regresses, empirisch ist sie nirgends antreffbar; in der
Psychologie und Logik kaim nur eine empirische Apperception (s. d.) in Frage
kommen (Syst d. Phil.*, S. 278 ff.). Diese hat die Bedeutung einer Einheits-
fraiction (Grdz. d. ph. PsychoL II*, 499; Phil. Stud. X. 119). Vgl. Identität,
Einheit.
Apperceptionismus s. Apperceptionspsychologie.
Appereeptionsmassen s. Apperception.
AH^ereeptionspsyeliOloc^ie ist jene von Wundt begründete psycho-
logische Richtung, welche, im Gegensatze zur reinen Associationspsychologie
i d.» eine den Vorstellimgsverlauf hemmende, dirigierende, ordnende, gliedernde,
Tcreinheitlichende Tätigkeit der Apperception (s. d.) in umfassender Weise be-
rocksiehtigt. Die Association allein kann das Auftreten herrschender Ele-
mente in den Vorstellungsverbindungen nicht erklären. Die eigentümliche
Foim der associativen Verbindung selbst ist schon durch eine Tätigkeit bestimmt,
die gewisse Vorstellungen vor anderen bevorzugt. Diese innere Willenshand-
lung ist eben die mit der Aufmerksamkeit (s. d.) innig verknüpfte Apperception,
die uns die höheren geistigen Processe (Urteilen u. s. w.) begreiflich macht
iLog. I», B, 30 f.; Grdz. d. ph. Psych. II*, 4.>4; Vorles.*, S. 319; Phil. Stud.
VII. 329 ff., 87 f.).
Gegner der Apperceptionspychologie sind vor allem die Associationspsycho-
logen (Ziehen u. a.). E. von Hartmann erklärt: „IHe Ässociationspsyehologie
ireisf die Apperceptionspsychologie Wundts und seiner Schule mit Hecht xurück;
ne selbst aber vermag weder die FÜUe der Tatsachen xu erklären, noch sich des
Uinabgleitens in Materialismus xu erwehren^' (Mod. Psych. S. 172). Die Apper-
ception muß in das Unbewußte (s. d.) verlegt werden (ib.). „Jeder Versuch ^
vermittelst des Bewußtseinsinhalts durch Heratishebting besotiderer herrschender
Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen die Ässociationspsyehologie xtir Apper-
ceptionspsychologie xu erheben (Wundt), scheitert daran, daß die herrschenden
Vorstellungen oder Vorstellungsgruppen doch auch wieder den Associationsgesdxen
ontenrorfen sind und nichts weiter leisten, wie jede Vorstellung, die einen Asso-
*iotümnorgang auslöst^' (1. c. S. 425). Mt^NSTERBERG versteht unter „Apper-
^^ionstheorief* ,/ti^enige Vorstellung vo?n Zusammenhange des Psychischen und
Ph:ys%sehen, welche zwar einen durchgängigen Parallelismus für die elementaren
Empfindungen kennt, die Bewertungen, die Entscheidungen, die Bexiehtoigen tmd
die Beicußtseinsformefi dagegen rein psychologisch ohne begleitende physiologische
Vorgänge auffaßt' (Pr. d. Psych. S. 452). Diese Theorie ist als „Arbeitshypothese''
64 Apperoeptionapsyohologie — Apprehension.
,^unfru^hihar*% bedeutet aber „die gesunde cofiservafire Gegenbetregung gegen die
oberfläekliche Übersckäfxung der Assoeiatiofistheorte*^ (1. c. S. 455 f.). Beiden
^^tensorischen*'^ Theorien stellt Münsterberg seine „ÄcHoptstheorie'* entg^en,
welche „von der Assoctatwnstheorie die Consequenx der psyehophysisehen An-
sehauung erben soll, von der AppereeptionsÜteorie aber die Berüeksiehtiguftg der
■activen Seife des geistigen Lebefns, der Aufmerksamkeit^' und Hemmtingsersehei-
nufigeti herübemimmt^'^ (1. c. S. 527). Sie betrachtet die „Bewegmigsantriebe",
<\ie motorischen Gehimfunctionen selbst als Bestandteile des psychophysischen
Processes (1. c. S. 528). Die Actionstheorie verlangt, „daß Jeder Betrußtseifi»-
inhalt Begleitersdieinung eines nicht nur sensorischen, sondern sensorisch-nwtori-
schen Vorgangs ist und somit von den vorhandenen Dispositionen zur Handlut^
ebensosehr abhängt ivie von peripheren und assoeiatiren Zufühmngefi^* {1. c.
Ö. 549). Sie besagt allgemein, „daß jede Empfindung und somit jedes Element
des BetcußtseinsinJuütes dem Übergang von Erregung xu Entladung im Rifuien-
gebiet zugeordnet ist, und zwar derart, daß die Qualität der Empfindung von der
räumlichen Lage der Erregungsbahn, die Intensität der Empfindung roti der
Stärke der Erregung, die Wefintuince der Etnpfindung von der räumliehen Lage
der Eniladungsbahn und die Ijebhaftigkeit der Empfi/ndu7ig von der Stärke der
Entladung abhängt^^ (ib.).
ApperceptionSTerbinduiiseii b. Apperceptive Verbindungen.
Apperceptive Analyse s. Phantasie, Verstand.
Appereeptive Syntliese s. Synthese.
Appereeptlve Verbindunc^en (Apperceptionsverbindongen) nennt
WüNDT jene Verbindungen von Vorstellungen, bei denen das Tätigkeitsgefühl
<len Verbindimgen schon vorausgeht, so daß die letzteren selbst „unmittelbar
als unter der Mitwirkung der Aufmerksamkeit zustande kommend
aufgefaßt werden" und als „active Erlebnissen^ zu bezeichnen sind (Gr. d. Psych.*,
S. 301). Sie nihen auf den Associationen, „ohne daß es jedoch möglieh wäre,
ihre wesentlichen Eigenschaften auf diese xurückzuführen^' (1. c. S. 302). Sie
entstehen durch die Wirkung der Apperception (s. d.) als einer den Associations-
verlauf unterbrechenden und stellenweise fixierenden, zweckvoll agierenden Tätig-
keit, die vom Ich als Totalkraf t des Bewußtseins ausgeht (Grdz. d. ph. Psych. Il\
279, 284, 479; Vorles.«, S. 338; Ess. 10, S. 280; Log. I*, 34, 80, II 2«, 207; Syst
d. Phil.*, S. 586). Die simultanen Apperceptionsverbindungen zerfallen in
Agglutination, apperceptive Synthese, Begriff (s. d.), die successiven in den
einfachen und zusammengesetzten Gedankenverlauf (s. d.) (Log. I*. 8. 33 ff.,
II, 2«, 288 f.; Vorles.«, 340 ff.; Grdz. d. ph. Psych. II*, 476 ff.; Syst d. PhiL«.
S. 583 ff.). In Apperceptionsverbindungen bestehen die intellectuellen Procesee.
die Gedanken (s. d.) und Phantasiegebilde (s. d.).
Apperelpleren s eine Vorstellung aufmerksam erleben, sie zu einer im
Bewußtsein herrschenden, klaren machen. Vgl. Apperception.
Appetltnss Streben, Begehren (s. d.).
Apprebensloii (apprehensio) : Erfassung, Auffassung eines Vorstellung»-
inhalts, Erhebung desselben ins erkennende Bewußtsein, Begreifen. Die
Scholastiker sprechen von einem „actus apprehensivus" (Praittl, Gresch. d.
Log. III, 333). Die ,^implex appre/iefi^io" ist stets wahr, weil sie noch kein
Urteil enthält (1. c. IV, 15). „Apprehensio absoluta" (= simplex) und ,^appr^
Apprehension — A priori 65
htnsio inquüitfra" unterscheidet THOMAS (Sum. th. I, II, 30, 3 ad 2). Süarez
imterBcheidet eine sinnliche und intellectuelle y^simpiex appreJiengio" (De an.
m. 6). Die Logik von Port-Boy al erklärt : j^apprefienstonem dicimus simplweni
Ttmm, quae menti siMuntur, coniemplatianem*\ (Einl.). Chr. Wolf bestimmt
die ./ipprehefisio svnipleoif*^ als „attentio ad rem sensui vel imaginaiioni praesentent
>m metUi qaamodomnque repraesentatam^* (Log* § 33).
Kant nennt Apprehension die ,yUnimttelbar an den Wahrnehmungen aus-
gtübU Handlitn^' der productiven Einbildungskraft (Kr. d. r. V. S. 130), die
a priori ausgeübt wird , indem sie die Raum- und Zeitvorstellung erst erzeugt
«L c. S. 116). Sie ist also eine Bedingimg aller Erfahrung (1. c. S. 133). y^ede
ÄMf kauung' enthalt ein Mannigfaltiges in sicky welches doch nicht als ein solchem
wrgfstellt werden würde, wenn das Oeniüt nicht die Zeit in der Folge der Ein-
irüeke aufeinamler unterschiede: denn als in einem Augenblick enthalten hami
yif Vorstellung niemals etwas anderes als absoltäe Einheit sein. Damit nun
oHf diesem Memnig faltigen Einheit der ÄnschauuTig werde (wie etwa in der Vor-
fteUung des Raumes), so ist erstens das Durchlaufen der Mannigfaltigkeit und
damn die Zusanimennehmung derselben nottcendig, welche Handlung ich die
Synihesis der Apprehension nenne, weil sie geradezu auf die Anschauung
gnirhtet ist, die xwar ein Mannigfaltiges darbietety dieses aber als ein solches,
und iwar in einer Vorstellung enthalten, niemals ohne eine dabei vorkommende
^^thesis bewirken kann^* (1. c. S. 115).
A princlplo ad principiatum: vom Grunde zum Begründeten, zur
Folge = progressiv (s. d.). y,A prineipiato ad pnneipium" = regressiv (s. d.).
A priori (vom Früheren): im vorhinein, vor der Erfahrung, unabhängig
TOD der Elrfahrung, selbstgewiß, absolut denknotwendig und allgemeingültig,
nicht erst durch Erfahrungen, durch Inductionen aus dieser bedingt, sondern
im Gegoiteil die möglichen Erfahrungen schon formal im vorhinein, für alle
Fälle bedingend, bestimmend, constituierend. Das a priori der Erkenntnis ist
in der allgemeinen synthetischen Natur des Bewußtseins, der Ichheit begründet,
es entsteht erst in und mit der Erfahrung, stammt aber nicht aus dem Er-
iüinmgBstoffe, sondern kommt zu diesem als dessen allgemeine, notwendige Form
cm hinzu, nicht ohne durch die Erfahrungsinhalte selbst specificiert und moti-
Tiert in der Anwendung zu sein. Das a priori der Erkenntnis ist als solches
enbjectiv, setzt aber Objectivitat der Bewußtseinsinhalte. Es ist nicht „angeboren^' y
beruht ^ber psychophysisch auf ursprünglichen Dispositionen (s. d.). Apriorisch
sind nicht Begriffe als solche, sondern synthetische Functionen und Functions-
notwendigkeiten. Logisch apriorisch sind die Anschauungsformen (s. d.), die
Kategorien (s. d.) und die unmittelbar auf diese sich stützenden Gnmdsatze
(Axiome, s. d.) des Denkens.
A posteriori ist das Gegenteil des a priori. Es bezeichnet das, was aus
der Erfahrung stammt, was durch diese bedingt ist, kurz allen Erfahrungsinhalt
im Unterschiede vom Formalen (s. d.) der Eirkenntnis und der Erkenn tnis-
objecte. —
Die älteste Bedeutung von a priori ist die der Erkenntnis der Dinge
tttp ihren Ursachen oder Gründen im Unterschiede von der aposte-
riorischen, aus den Wirkungen, Folgen schöpfenden Erkennt-
nisart Dies führt auf Aristoteles zurück. Nach ihm ist das Allgemeine
^s. d.) das von Natur FrOhere (n^ore^or fvcet, olalq, yvto^tfiov ankmi)y aber in
Fkil««ophiMli«t WOrterbaob. %, ▲all. 5
66 A priori.
Beziehung auf uns das Spätere {Ttgore^ov npoe tifids oder ^fuvy Anal. poet. I 2,
71 b 33). Es ist das Allgemeine, das begrifflich Vorangehende, Primäre (xain
ftev ycLQ Tov Xoyov tu xad'olov Ttgoxs^), das Einzelne aber in der Wahr-
nehmung früher (x«t« Bi xrjv aia&ijaiv ra xad^ &cacTa (Met. VII, 1018 b 32).
Das Allgemeine enthält aber den Grund des Einzelnen, aus dem dieses erkannt
wird. BoBTHiUB bestimmt (in seinem Comment. zu Aristoteles) : f,Pnora mäem
et nottora duplieiter sunt, non enim idem est natura prius et ad nos prius^^
er gebraucht die Ausdrücke „per priora, per posteriora". Die arabischen
Philosophen Alfababi („denumstratio quia et propter qutd*% Prantl, Gr. d. L
II, 317), AviCEimA (jyposterius, ex priori*^ j AvEBBOfiS („re» priores in esse, res
posteriores in esse"f 1. c. 359, 372, 394) acceptieren diese Begrif&bestimmimg.
Bei Albebt von Sachsen findet sich wohl zum erstenmal das a priori als
„Beweis atis der Ursa4^he". y,De/nonstratio quaedam est proeedens ex eattsis ad
effectum et vocatur detnanstratio a priori et demonstratio propter quid et po-
tissbna-; . . . alia est demonstratio proeedens ah effectibus ad causas et talis
vocatur defnonstraOo a posteriori et demonstratio quia et demonstratio non
potissima^^ (1. c. IV, 78). JOH. Gebson bemerkt (De concept p. 806): „Con-
cipiens res naturales . . potest dtiatms viis quasi contrariis ineedere et ordinem
seientiis dare; una via est ex pa/rt-e reru/m cogfiosciinliuin a priori, altera ex
parte eognoscentium a posteriori*^ (Pbantl IV, 144). JoH. Pabbeut sagt (Qiiaest.
in Cat-eg.): „Notitia essentiatis et a priori est, qua eoqnoscitur terminus esse in
praedicamento ex eo, sine quo non potest esse in praedicamento . . . sed
notifia ac&idepitalis et a posteriori est, qua cognoseitur terminus esse in
praedicamento ex eo, sine quo potest esse in praedicamento** (1. c. IV, 240),
Thomas unterscheidet „prior Cognitionen* („qnoad nos**) und „prior in ordifie
naturae** (Sum. th. I, 11, 2 ad 4, I, 77, 4c). „Priora et notiora seewidum
fuUuram — posteriora et minus nota seeundum nos,** „niagis unirersalia
et communia sunt priora in nostra intellectuali et sensitiva eognitione** (Sum.
th. I, 85, 2 — 3). SUABEZ stellt „a priori** = „ex eausis** und „a poste-
riori** ^ „ex effectibus** einander gegenüber (Disp. met. XXX, 7, 3). GocLEH:
„lYius natura est universale: quo ad nos partieularia sunt priora** (Lex. phü.
p. 868). LuTHEB übersetzt a priori durch „von vomen her**, a posteriori durch
„von dem, iras hernach folget** (Tischred. ed. Förstemann IV, 399; Euckek,
Termin.). Die scholastische Bedeutung der Wörter a priori und a posteri<Ni
auch. bei Spinoza (Ren. Cart pr. princ. I, prop. VI), Geulincx (Eth. annot
p. 208), Gassendi (Exerc. II,. 5), in der Logik von Pobt-Royal: „Soü en
prouvant les effets par les causes, ce qui s*appelle demontrer a priori, soit en
demotitrant au contraire les causes par les effets, ce qui s'appelle prourer a
posteriori** (vgl. EucKEN, Gesch. d. Grundbegr. S. 98). Ähnlich Bebkelet
(Princ. XXI).
Das a priori bezieht sich ferner auf die begriffliche im Unter-
schiede von der empirischen Erkenntnis (dem a posteriori). So bei
Hobbes und HiTBfE (j,our reasonings a priori**, Inqu. IV, 1), besonders
aber bei Leibniz (neben der scholastischen Auffassung, Gpp. Erdm. p. 79):
„Philosophie experimentale qui proeede a posteriori — la pure raison ou a priori"*
(1. c. p. 778 b). „Connattre a priori — par Veocperience** (Nouv. Ess. III, cL
3, § 15; Monad. 76: a posteriori** =. „tire des expMences**). Die Möglichkeit
eines Dinges erkennen wir a priori, „cum notionem resolvifnus in sua requisita,
seu in alias notiones cognitae possibilitatis, nihilque in Ulis incofnpatibite esse
sdmus** (Med. de cogn. Erdm. p. 80 b). So auch Chb. Wolf: „Quod experitmdo
A priori. 67
addigcimuSj a posteriori eognoseere dteimur: quod vero ratiocinafido nobis innotes-
r*f, a priori eognoseere dteimur*^ (Psych, emp. §§ 5, 434 ff., 460 f.). „Si veritas
a priori eruitur, ex notionibus . . . per raiiocinia eolligitur^* (ib.). „-4 posier iori^^
aach „er phaenomenis" (L c. § 125). So auch Baumgarten. Nach CKueius
erkennt man a posteriori nur, daß etwas so ist, a priori aber, warum es so ist
iVemunftwahrh. C. 3, § 35). Platneb unterscheidet: a posteriori = aus der
Erfahrung, a priori = aus der Vernunft (Phil. Aphor. I, § 7(X)). Ein begriff-
liches a priori nehmen auch neuere Denker wie Bolzano, Rosmini u. a. an,
die nicht Kriticisten sind.
Die dritte Bedeutung von „a priori" ist die des von der Erfahrung
Unabhängigen, nicht aus ihr Stammenden, ihr Vorhergehenden, sie
notwendig im vorhinein Bestimmenden und Bedingenden, für alle
Erfahrung im voraus Gültigen, in sich selbst objectiv Gewissen,
Allgemeingültigen im Gegensatze zum „a posteriori", dem auf Erfahrung
sich Stützenden, durch diese Gegebenen, aus ihr Entnommenen.
Der eigentliche Begründer dieser Theorie des Apriorischen ist Kant. Ansätze
(kza finden sich aber schon vor ihm. So schon in Platos Begriff der Ana-
mnese (s. d.). Die allgemeinen Denkbestimmungen der Dinge sind hiemach uns
ingeboren (s. d.), lassen sich aus unserer Vernunft, in der sie schlummern,
^ijewinnen, bei Gelegenheit der Wahrnehmung, nicht aus dieser (Phaedo 75 E,
76 E, 92 D). Plato spricht geradezu von einem „ Vorauswissen" {nQoeiSevai)
da rein Begrifflichen, Formallogischen der Erkenntnis (1. c. 74 E). Vgl. Natobp,
Platos Ideenlehre S. 138 ff.; Guggenheim, Die Lehre vom apriorischen Wissen . . .
1885; D. Peipers, Unters, üb. d. d. Syst Platos I, 1874. Doch wird das
t priori metaphysisch auf Erfahrungen im Jenseits (s. Präexistenz) zurück-
bezogen. Der Begriff des Apriorischen als des Denknotwendigen, ohne Er-
äüurnng Gewissen liegt eingeschlossen in der Lehre von den angeborenen (s. d.)
Begriffen, besonders bei Debcabtes, auch in dessen „lumen naturale", (s. d.).
(tAijlei betont die unbedingte Gewißheit und Notwendigkeit der Mathematik,
deren Einsichten y,da per se" sind. Leibniz nimmt mit seinem Begriffe der
^Vemunfttcahrkeiien" (s. d.) apriorische Erkenntnisse an. „7/ y a des id4es, qui
ne nous vienneni point des sens et que nous trouvons en nous sans les former,
quoique les setts ftous donttent oceasiofi de nous en appereevoir'^ (Nouv. Ess. I,
eh. 1, § 1). „L'appereeption immediate de notre eodstence et de nos pensee^ nous
foumit les premieres vSrites a posteriori ou de fait, e'est-ä-dire les pretnihres
tiperienees; com nie les perceptions identiques contiennent les premieres verites
« priori, e'esi ä dire les premieres lumih-es" (1. c. IV, eh. 9, § 2). Tetens
leitet die Kategorien (s. d.) aus einer apriorisch-subjectiven Denktätigkeit ab
(PhiL Vers. I, 303). Lambert bemerkt: j,Wir fcollen es demnach gelten lassen,
^ß man absolute und im strengsten Verstände nur das a priori heißen könne,
mbei wir der Erfahrung vollends nichts xu danken haben" (Organ. Dianoiol. 9,
{f (39). Reid betont, daß notwendige Wahrheiten nicht aus dem Sinnlichen
goefaloflsen werden können, denn die Sinne bezeugen uns nur, was ist, nicht
«18 notwendig sein muß (Ess. on the powers of the mind I, 281, II, 53, 204,
239 1, 281). Der „common sens&^ (s. d.) ist die Quelle von „seifevident truths"
•uünitiv gewisser Wahrheiten). Ähnlich andere Denker aus der schottischen
^hnle, wie z. B. Dugald Stewabt (Philos. essays V, 123 f.).
Kant versteht unter dem a priori nicht etwas, was zeitlich der Erfahrung
rarangeht — denn alle Erkenntnis beginnt mit der Erfahrung, er faßt es nicht
5*
68 A priori.
psychologisch, sondern logisch, transcendental (s. d.) auf. Apriorisch ist alles
Formate (s. d.) der Erkenntnis, das, was einen Erkenntnisstoff erst zur Erkenntnis,
zur Erfahrung gestaltet, was also schon aller Erfahrung bedingend, consti-
tuierend zugnindeliegt. „Apriorisch^* nennt K. 1) absolut ge^iisse, allgemeiD-
gültige, nicht inductiv gewonnene Erkenntnisse (Urteile), 2) die formalen Ele-
mente solcher Erkenntnisse, d. h. die Anschauungs- und Denkformen als solche,
3) die subjectiven Bedingungen derselben im erkennenden Ich, in dem sie .An-
gelegt** sind, um aber erst in und mit der Erfahrung zum Bewußtsein zu kommen.
A priori ist, „was durch und durch apodiktische Öewißheit, d. i. absolute Kot-
wendigkeit ^ bei sich führty also auf keinen Erfahrungsgründen beruht, mithm ein
reines Prodiiet der Vernunft, überdehn aber durch und durefi synthetisch ist'
(Proleg. § 6). „Solche allgemeine Erkenntnisse nun, die zugleich den Gh€irakter
der inneren Notwendigkeit haben, müssen, von der Erfahrung unabhängig,
vor sich selbst klar und gewiß sein; man nennt sie daher Erkenninisse a priori,
da im Gegenteil das, was lediglieh von der Erfahrung erborgt ist, nur a posteriori
oder empirisch erkannt wird** (Kr. d. r. V. 8. 35). „GänxlicJi a priori, unabhängig
von der Erfahrung entstanden, . . . weil sie machen, daß man von den Oegensiänden,
die den Sinnen erscheinen, mehr sagen kann, . . .als bloße Erfahrung lehren würde,
und daß Be/iauptungen wahre Allgemeinheit und strenge Notwendigkeit enthalten,
dergleichen die bloß empirische Erkenntnis nicht liefern kann** (1. c. S. 35 f.).
Erkenntnisse a priori, „die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig statt-
finden. Ihnen sind empirische Erkenntnisse, oder solche, die nur a posteriori,
d. i. durch Erfahrimg, möglich sind, entgegengesetzt** (1. c. S. 647, 648). Das
a priori wird a priori erkannt, denn „was . . . die Beschaffenheit derselben [der
Erkenninisse], Urteile a priori zu sein, betrifft, so kündigt sich die von selbst
durch das Bewußtsein ihrer Notwendigkeit an** (üb. d. Fortschr. d. Met. S. 113).
Das Apriorische liegt allein in der Form (s. d.) der Erkenntnis, gilt nur för
(mögliche) Erfahrungen (entgegen dem ontologistischen Rationalismus). Es
ist uns „keine Erkenntnis a priori möglich, als lediglich vofi Gegenständen mog-
Heller Erfahrung** (Kr. d. r. V. S. 648). „Eine Anschauung, die a priori möglieh
sein soll, kann nur die Fonn betreffen, unter welcher der Gegenstand angeschatti
wird; denn das heißt, etwas sieh a priori vorstellen, sich vor der Wahrnehmung,
d. i. dem empirischen Beunißtsein, und unabhängig von demselben eine Vor-
stellung davbn metchen.** „Es ist aber nicht die Form des Objeets, wie es an sieh
beschaffen ist, sondern die des Subjects, nämlich, des Sinnes, welcher Art Vorstellung
er fähig ist, welche die Anschauung a priori möglieh macht. Denn sollte diese
Form von den Objecten selbst hergenommen werden, so müßten tcir dieses vorher
wahrnehmen und könnten uns nur in dieser Wahrnehmung der Beschaffenheit
derselben bewußt werden** (1. c. S. 105). A priori ist alles, was in unserer An-
schauung oder in unserem Denken „niemals weggelassen*' werden kann (Prol^.
§ 9), und das fällt zusammen mit dem, was aus der formenden Tätigkeit des
Bewußtseins constant entspringt (1. c. § 13). Apriorische Elemente enthalten die
Mathematik, die Physik, die Ethik, die Ästhetik, die (kritisch gehandhabte;
Metaphysik (Ej:. d. r. V. S. 651 ff.). So sind z. B. die Anschauungsfonnen
(s. d.) a priori, sie müssen „im GemiUe a priori bereit liegen, und dahero ab-
gesondert von aller Empfindung können betrachtet werden** (1. c. S. 49). An-
geboren sind die apriorischen Formen nicht, wohl aber „ursprünglich erworben^',
das Erkenntnisvermögen „bringt sie aus sich selbst a priori zustande**. Nur
der Grund, „der es möglich macht, daß die gedachten Vorstellungen so und
A priori. 69
nifkt anders entstehen und noch daxu auf Objecte^ die noch nicht gegeben sind,
btu)gen^?erden können'^ ist angeboren (Üb. e. Entdeck. S. 43). Das a priori
der Erkenntnis erklart die Apodikticitat, die absolute Notwendigkeit von Urteilen
s. d.), die Sicherheit und Exactheit der Mathematik und Physik. Apriorität
und 6abjectiyitat (s. d.) der Erkenntnisformen sind für Kant Wechselbegriffe,
eins efgibt sich aus dem andern. Es ist unter reinem, absolutem a priori
das Tölüg Empiriefreie zu verstehen. „ Von den Erkenntnissen a priori heißen
nher digenigen rein, denen gar nichts Empirisches beigemischt ist^* (Kr. d. r. V.
S. 648; vgl. Vaihinger, Ck>mm. I, 168). Die Urquelle des Apriorischen ist die
Einheit der „transcendenialen Apperception" (s. d.). Auf den Unterschied des
Kutschen a priori vom y^Ängeboren^* machen aufmerksam H. Ck)H£N (K.s Theor.
d. Erf. 8. 83), O. Liebmann, Eucken (Gtesch. d. Grundbegr. S. 101), Vai-
HixoER (Conmi. I, 54) u. a.; auch schon Kiesewetter (Gr. d. Log. S. 269).
Die Lehre vom a priori erfährt nach Kant eine teUs qualitative, teils
quantitative Ausgestaltimg. Qualitativ, insofern der Begriff des Apriorischen
bald im rein logischen, bald im psychologischen oder psychophy siechen, bald
im vermittelnden Sinne bestimmt wird. Quantitativ, indem das Apriorische
entweder in einer Beihe von Formen oder aber in der allgemeinen Gesetzmäßig-
keit des erkennenden Bewußtseins allein erblickt wird. Die Gegner jedes a priori
im Eantschen Sinne suchen die Notwendigkeit (s. d.) der A:xiome auf Induction
<9. d.) zurückzuführen.
Das a priori bei Kantianern, besonders in der logischen Auffassung: Kach
Bbck besteht das a priori im y^ursprünglichen Vorstellen", in verknüpfender Be-
woAtBemstatigkeit (ErLAusg. III, 144, 371). Reikhold nennt die Formen der Vor-
steUung ,,a priori", ,,sofem sie notwendige Bestmidteile jeder Vorstellung sitid, die,
«fe Vermögen, vor aller Vorstellung im erkennenden Subjeete anzutreffen sind" (Vers,
f. neu. Theor. S. 291 1). Die Bedingungen der Raum- und Zeitanschauung sind der
in uns liegende „Stoff a priori" (1. c. S. 305 f.). Nach Chr. E. Schmid ist
a priori rMles, sowohl insofern es ststs in denknotwendigen Bexiehungen gedacht
trsekeini, als auch insofern die Zukunft nur aus der Vergangenheit xu schöpfen
möglieh ist; alles dagegen a posteriori, insofern nur die Zukunft und auch die
nicht mit roUer Sicherheit bestimmen kanuy daß die Zukunft eine richtige «rar".
JLpriori^^: a. „vergleichungsiveise a priori", b. „schlechterdhigs a priori, un-
otkängig von aUar Erfahru/ng"^ („comparaii&^ — „rein" a priori) (Emp. Psych.
i^. 17 f., 21). Kbüo nennt a priori das „Ursprimgliche im Ich, welches Be-
dingung aller Erfahrung isf* (Org. S. 96, 101). Die apriorischen Formen sind
keine „Faehwerke^^ , sondern gesetzmäßige Handlungsweisen des Subjectes (Fun-
dam. S. 151, 168). A priori ist nach Maimon die „allgemeine Erkenntnis, . . .
die die Form oder Bedingung aller besonderen ist, folglich derselben vorausgehen
muß, deren Bedingung aber keine besondere Erkenntnis ist*' (Vers. üb. d. Tr.
J?. 55). Nach Kiesewetter ist die Allgemeinheit und Notwendigkeit des
a priori in der „unveränderlichen Natur des Erkenntnisvermögens selbst gegrmidet*^
•Or. d. Log. S. 260). Fries meint, das a priori w^erde durch innere Erfahnmg
gefmiden (Neue Kr. I«, S. 31 ff.). A priori ist die ursprüngliche Selbsttätigkeit
des Bewußtseins, die sich in den Anschaumigs- und Denkformen bekundet und
nringende Notwendigkeit in das Erkennen bringt (L c. S. 73 ff.). Die reinen
Aoflchanungen a priori sind „ursprüngliche Arten der Verknüpfung der Mannig-
{nüigkeit, welche nicht aus der Empfindung entspringen" (1. c. S. 177). Von
neneren Kantianern betont den rein logischen Charakter des a priori besonders
70 A priori.
H. Cohen (Kants Theor. d. Erf.^ S. 135). Das a priori ist nicht angeboren,
psychologisch entwickeln sich die Anschauungsformen, logisch aber 8in#sie und
die Denkformen ursprünglich , d. h, „constituierende^^ notwendig -allgemeine
Factoren aller Erfahrung^ active Verknüpfungsweisen des G^ebenen zu Erfah-
rungen, die sie erst möglich machen; in der Einheit des Selbstbewußtsein»
haben sie ihre Quelle (1. c. S. 83, 214 ff., 246). O. Liebmann betont, Apriorität
sei nicht psychologische Subjectivitat (Anal. d. Wirkl.*, S. 97). „A priori i*t
nichts anderes^ als das für uns und für jede homogene Intelligenz streng All-
geftneine und Notwendige, das Xicht'anders-zu-denkende^^ (1. c. S. 98). „Aus bloßer
Vernunftanlage oh'ne Veniunftnuiterial, aus blindem und taubem a priori ohw
Empfindtmg tcird freilich nie eine Intelligenz; aber aus bloßen Sensationen ohne
a priori ebensowenig^*^ (1. c. ö. 209). Es gibt herrschende Grundformen imd
Normen des erkemienden Bewußtseins (1. c. S. 222), sie sind das Prius ?on
Körper und „Seele*^ (1. c. S. 223). Nicht psychologisch, sondern ein y^Modus der
Evidenx^^ ist das a priori, es ist „metakosmisch^^ (1. c. S. 239 f.). Ererbte Vor-
stellungen kann es dabei auch geben. Das a priori besteht in den höchsten
G^e8etzen, welche jede Intelligenz beherrschen, bedingen. Ahnlich Natorp,
A. Kraübe, K. VoblIndek, Lasswitz, Windelband: „Keine Norm kommt
. . . anders als durch empirische Vermittdungen zum Bewußtsein: ihre Apriorität
hat mit psgcfiologischer Priorität nichts zu tun, ihre Unbegründbarkeit ist nieki
empirische Ursprüngliehkeit. Aber die Geschichte ihres Entstehens ist immer
nur diejenige ihrer Veranlassungen^^ (Prälud. S. 284). Volkelt unterscheidei
ein erkenn tnis theoretisches und ein psychologisches a priori : „ Unter jenem ist
die unbex weifelbare Tatsaehe zu verstehen j daß die eigentümlichen Functionen des
Denkens nicht durch die Erfahrung gegeben sind; also daß das Detiken Leistungen
vollzieht^ zu deuten es die Erfahrung als solche nicht berechtigt^ deren es unter
bloßer Zugrundelegung der Erfahrung nietnals fähig wäre,^*^ ,,Dagegen will die
psychologische Apriorität ?nehr besagest: sie hat den Sinn, daß die Functionen
des Denkens aus der Erfahrung überhaupt flicht entsprungen sein können, daß
es neben der Erfahrung besondere und ursprüngliche Functionen gibt, deren In-
begriff man eben als Denken bezeichnet*^ (Erf. u. Denk. S. 494). Beide Arten
der Apriorität bestehen wirklich (L c. S. 496). Die Gesetzmäßigkeit des Den-
kens imd seiner Functionen ist apriorisch (1. c. S. 499, 501). G. Thiele ver-
steht unter a priori so viel wie ,,durch die Gesetzmäßigkeit des Denkens, durch
das IVe^en des Erkenntmsrermögens . . . bedingt^^ (Phil. d. Selbstbew. S. 16,
68, 357 f.). Riehl betont, bei Kant bezeichne „a pri^ri*^ „et» begriffliches
(nicht zeitliches) Verhältnis zugehen zwei Vorstellungen'^ (Ph. Kr. II, 1, S. 9).
Das a priori liegt zuletzt in der Identität (s. d.) des 8elbstbei\i.ißtseins, die
sich in den Anschauungs- und Denkfonnen am unmittelbarsten betätigt (1. c.
II 1, S. 103, 78, I, S. 3^). ,flede Vorstellung ist ein Produet der besondem
Erfahrungen in die Gesetze der allgemeinen, welche letztere allein, erkenntnis-
theoretisch genommen, apriorisch ist*' (1. c. S. 8).
Psychologisch wird das a priori zmiächst von einigen (partiellen) Auhängem
Kants bestimmt. Schopenhauer bemerkt: „Ijockes Philosophie war die Kritik
der Sinnesfunetionen. Kant aber hat die Kritik der Gehimfwnctionen geliefert*^
W. a. W. u. V. Bd. II, C. 1). A priori =r die Art und Weise, „une der Proeeß
ob/ectirer Apperceptiofi im Gehirn vollzogen wird" (L c. C. 4). „ IVenn man rom
Subject ausgeht, d. h. a priori'*, „wenn man vom Object ausgeht, d. h. a posteriori^
fl. c. Bd. I, § 17, vgl. § 15). JoH. MtJLLEK macht die apriorischen Anschauung»-
A priori. 71
ftHnuen zu .eingeborenen Energien" (Zur vergl. Phys. d. Gresichtssinn. S. 45 ff.,
826). Helmholtz neigt zu einer psychologischen Auffassung des a priori (Tats.
d. W&hm.) besonders aber F. A. Lange, der behauptet, das a priori werde
durch E^hrung gefunden (Gesch. d. Mat. II*, 29 ; ähnlich J. B. Meyer). Es
<iit5priiigt aus der Natur des Bewußtseins, ist bedingt durch die „psgeko-
phfsisrhe OrganisaHon^* (1. c. 8. 28). „i>«f p^ychophysiscke Einrichtung, vermöge
vfieker irir genötigt sindy die Dinge nach Raum ufid Zeit anxusciumen, ist
jfdenfaiie rar alter Erfahrung gegeben" (1. c. S. 36).
Von Xieht-Kantianem bestimmen das a priori psychologisch: J. H. Fichte,
nach dem das Apriorische in „Urgefühlen", „Urstrebungen", „unbewußten Än-
lagen^^ des Geistes besteht (Anthr. S. 563). Fortlage nennt a priori das,
was in der Tätigkeit des Auffassens allem beliebigen Inhalt verhergeht und
isich auf jeden beliebigen Inhalt beziehen läßt (Psych. I, § 10, 8. 91). „Aprio-
rUcke SehenuUa" sind die „Begriffsformen, welche nicht aus dem Vorstellungs-
inkalt als solekefHj sondern aus seinem Verhältnisse xuar Tätigkeit des Beobaehlers
stammen** (1. c. 8. 91). Waitz: „Afe a priori gegeben kann . . . ein Begriff
mar betraget werden^ wenn er ein allgemeines Oesetx des Vorstellungsxusammen-
Ittmgs überhaupt darstellt^ so daß geordnetes Denken überhaupt erst durch die
Befolgung und in dem Maße der Befolgung dieses Gesetzes möglich wird" (Lehrb.
i Psych. S. 575, 507). Nach Volkmann besteht die Apriorität nur „in con-
ttanten Beziehungen der Vorstellungen, nicht in präformierten Eigentümlichkeiten
der Sinnliehkeit, sondern in dem formierenden Mechanismus der Wechselwirkung
der Vorstellungen^* (Lehrb. d. Psych. II*, 7). A. Spir versteht unter Begriffen
a priori ,, Gesetze des Vorstellens, welche dem Subjeete selbst von Anfang an
eigen sind" (Doik. u. Wirkl. II, 221). LiPPS betont: „Im menschlichen Geiste
findet sieh . . . a priori nichts als er seWst, d. h. seine Nalur und eigenartige
Oesetztnäßigkeit**. „Rein a priori kann also nur das Urteil heißen, das zwar
— wie Jedes Urteil — Ohjecte der Erfahrung zu Inhalten hat, bei dem aber
das, was das Urteil macht, d. h. das Bewußtsein der objeetiven Notwendigkeit
des Vorstellens oder der Vorstellungsverbindung, nur durch die Gesetzmäßigkeit
des Geisfes begründet ist" (Gr. d. Log. 8. 141). Es gibt 8tufen der Apriorität
(L c. 8. 142). Bein a priori sind die Urteile über die Zeit, nicht aber die über
den Raum (l. c. 8. 144). „Alles xeiäiehe Vorstellen setzt, ebenso wie alles räum-
lieke, eine solche ^irsprüngliehe Beschaffenheit der Seele voraus, die ihr erlaubt
wler sie tmtigt, unter gewissen sonstigen Bedingungen die Zeit- bezw. Raumform
aus sieh hervorgehen zu lassen ... So ist auch das Farbenempfinden der Seele
a priori eigen" (Gr. d. Seele 8. 591 f.) M. Benedict: „Als ,aprioristisch* er-
ifheinen gewisse Vorstellungen, wie z. B. Jene von Zeit und Raum, gewisse Em-
pfindungen und Handlungsweisen nur insofern, als die Eindrücke an die Mechanik
der Xerventätigkeit gebunden sind" (8eelenk. d. Mensch. 8. 11 f.) MÜNSTER-
BEB6 erklärt, die psychophysischen Dispositionen seien gegenüber dem wirk-
lichen Bewußtseinsinhalt relativ apriorisch, indem sie die Fonnen seines Zu-
sammenhanges notwendig bestimmen. Im Gehirn besteht eine gattungsmäßige
Organisation. Aber die Synthesis des Mannigfaltigen ist nicht Function des
psyelK^ogischen Subjects (Qrdz. d, P&ych. I, 8. 209). H 8pencer erklärt die
£rkenntnisformen „als apriorisch für das Individuum, aber als aposteriorisch
ßr die ganze Reihe von Individuen, in der jenes nur das letzte Glied bildet"
tPsych. II, § 332, 8. 193 f.). Das Apriorische des individuellen Erkennens
ist gftttungsniässig erworben, erfahren, eingeübt, als Disposition ererbt, fest
72 A priori.
eingewurzelt (1. c. § 208, S. 487 ff.). Ähnlicli auch Lewes, Nietzsche,
Bimmel und L. Stein: y,Raum und Zeit als Anscha/u/imgs formen, di^ zwölf
Kategorien ah Denk- bexw. Verknüpfttngsformen a priori nehmen sieh bei Kant
so aus, als seien sie ursprüngliche und nicht melmehr erworbene Öehimtätig-
ketten des sich entwickelnden Menschengeschlechtes. Hier können wir unmöglich
stehen bleibeti. Die gesamte Entwicklungsgeschichte %n der neueren Biologie ist
ein einziger lebendiger Protest gegen diese, auf PkUon hinschielende Fassung
des a priori. Soll Kant uns fruchtbar sein, so tnüssen seine Wahrheiten an
denen Dancins gemessen werden." „Der Evolutionisnms muß ganx und ohne
Rest in den Kriticisnius hineingebildet werden" (An d. Wende des Jahrh.
S. 264).
Teils in rein logischem, teils in überwi^end logischem Sinne fassen das
a priori verschiedene Denker, die sich mehr oder weniger von Kant ent-
fernen. J. G. FtCHTE bestimmt das a priori als „ursprüngliche Bestimmung
des Ich'*, des „Ich als Intelligenx", und damit auch der vom Ich prodneiertra
Erkenntnisformen (Gr. d. g. W. S. 113). Ähnlich Schelling (Syst. d.
tr. Id. S. 59 f.). Das ganze Wissen ist a priori, „insofern nämlich das
Ich alles aus sich produeiert". Aber „insofern wir uns dieses Produeierens
nicht bewußt sind, insofern ist in uns nichts a priori, sondern edles a poste-
riori" (1. c. S. 316). Ähnlich E. v. HaktmanK', dem es als erwiesen gilt,
daß die Erkenntnis des a priori nicht selbst apriorischer Art ist (Kr. GrundL
Vorr. S. XVI). A priori bedeutet „vor FertigsteUung der Erfahrung", „durch
Abstraetion aus der vollendeten Erfahrung isoliert bewußte* (1. c. S. 125). Da»
a priori ist „ein vom Unbewußten Oesetxtes, das nur als Bestdiat ins Beirußt-
sein flau" (Phil. d. Unb.», S. 275), es ist „die unbewußte synthetische Function'*
(Kr. Gr. S. 157 ff.), „das Prius alles Bewußtseinsinhalts" (K&teg, Vorr. S. VIII).
Die fertigen Anschauungs- und Denkformen sind nicht apriorisch (Kr. Gr.
S. 146 ff.). — Nach Hegel kommt durch die apriorische Gesetzmäßigkeit des
Denkens, die zugleich die des Seins ist, „immanenter Zusamm&ihang in den
Inhalt der Wissenschaften" (Encykl. § 81). In aller Erkenntnis ist das „/r«€,
in sich selbst reflectierte Denken" des a priori (1. c. § 12). Schleiermacher
setzt das a priori in die formende und das Wissen vereinheitlichende Denk-
tätigkeit (Dial. S. 63, 108, 387). Trendelenburg betrachtet als das a priori
die ursprüngliche „Bewegung" des Denkens, die schon Bedingimg der Erfahnmg
ist, ihr logisch vorangeht (Log. Unt. I", S. 144 ff.). Es entwickelt sich aus der
„ursprünglichen Tat des Denkens'' (L c. S. 166 ff.). Aber die apriorischen
Formen des Denkens sind nicht bloß subjectiv, sondern zugleich objectiv; in
den Kantschen Beweisen für die Subjectivität des Apriorischen ist eine „Lücke"
(1. c. S. 1(Ö ff.). LoTZE erblickt in der Form der Bewußtseinstätigkeit den
apriorischen Factor der Erkeimtnis, dessen Kennzeichen Notwendigkeit und
Allgemeinheit sind (Log. S. 526). Die apriorischen Wahrheiten drangen sich
uns mit einer Überzeugimgskraft auf, welche jeden Beweis eigentlich überflüssig
macht (1. c. S. 580). Erkenntnisse sind a priori, „weil sie nicht durch Induetion
oder Summaiion aus ihren einxelnen Beispielen entstehen, sondern zuerst all"
gemeitigültig gedacht werden utui so als bestimmende Regeln diesen Beispielen
vorangehen" (1. c. S. 582f.). Dieses logische a priori ist nicht angeboren, sondern
])esteht darin, daß wir uns seiner W^eise überall unmittelbar bewußt werden
(1. c. S. 580). Das „metaphysische" a priori besteht in der Bedingtheit der
Erkenntnis durch die psychische Organisation (1. c. S. 521). Nach Froh-
A priori. 73
SCHAUM KR ist anch die apriorische Erkenntnis „er<< wi Naturproeeß und durch
EtUwiMung der mensckliehen Natur aümählieh gewonnen^ insofern aus Oesetx
tmi Formprineip der mensehliehe Oeist mü seiner Erkenntniskraft in fVeehsel-
icirhmg mit den yaturverhäUnissen sieh gebildet hat, Hiniviederum ist auch
die sog. apasteriorisehe oder empirische Erkenntnis ohne die rationale Begabung
iks Geistes als Grundlage nicht möglieh** (Mon. u. Weltph. S. 66). Nach
C. GrÖJKDTG gibt es weder ein a posteriori noch ein a priori, denn yydas eine
tit nickt früher als das anderef sondern der subfecfive und der objective Factor
^md gleichzeitig in der Erkenntnis verbunden*^ (Syst. d. krit. Philos. II, 248).
Xach B. Erdmann ist jeder Teil der Vorstellungen (Materie wie Form)
ho priori, sofern die psgehisehen Tätigkeiten, die sie erzeugen, in Betracht
kommen; jeder dieser Teile (tber ist zugleich empirisch oder a posteriori, so-
fern auf die Bedingungen gesehen wird, uelehe seine Auslösung veranlassen^'
I Axiome d. Geom. S. 96). Es handelt sich nui* um einen „Gegensatz der
Betraekiungstceise" (ib.). Nach Steinthal ist ,Jede ErkemUnis zugleich
npriorisck und aposteriorisch, synthetisch und analytische^ (EinL in d. Psych.
!?. 10). Nach SiGWART ist „Äpriorität** der „Ausdruck innerer Notwendigkeit^^
z. B. dafi aDes, was ist, ein Ding mit Eigenschaften und Tätigkeiten ist (Log.
II', 166). WiTNDT verlegt das a priori in die allgemeine Gesetzmäßigkeit des
Denkens und seiner Functionen, nicht in fertige Begriffe. „In uns liegen Udig-
liek die allgemeinen Functionen des logischen Denkens,^^ die aber ohne Wahr-
nefamimgBinhalt sich nicht betätigen können. Alle Erkenntnisgebilde sind
ygfmeinsame Erzeugnisse des 'Denkens und der Erfahrungen. Die UrsprüngUch-
kfit der Anschauungsformen imd die Apodikticität der mathematischen Axiome
beruhen auf der Constanz, Unaufhebbarkeit dieser Formen ; a priori sind sie nur.
«crfeni Zeit und Raum begrifflich unabhängig von jeder speeiellen Erfahrimg
bestimmt werden können ; zugleich haben die Axiome die Bedeutung allgemeinster
ErfihrungBgesetze (Syst d. Phü.», S. 140, 208 ff.; Phü. Stud. XIII; Log. I*,
Jf. 387, 490 ff.). Die apriorischen Bedingungen jeder Erfahrung sind selbst
Hnfachste und allgemeinste Erfahrungen (Log. I', S. 435). Die Eigenschaften
von Raum und Zeit sind in ihrer Eigenart nicht deducierbar, wiewohl die An-
achannngsformen psychologische Entwicklungsproducte sind. Aber das a priori
diewr Formen li^ doch erst in den Denkfunctionen, die zu ihrer Sonderung
Tom Empfindungsinhalte nötigen (Syst. d. Phil.«, S. 106, 111 ff.; Phil. Stud. VII,
14 ft, 18 ff., 21, XII, 355; Einf. in d. Philos. S. 345). Gegen Kants Lehre
V0D der Unabhängigkeit der Anschauungsformen vom Wahmehmungsinhalt er-
hebt W. begründete Einwände (Log. I*, S. 482, 48f) f., 490 ff.; vgl. Axiome).
Aach die Kategorien (s. d.) sind nicht apriorisch, wiewohl sie einen apriorischen
Fictor, die vergleichend -beziehende, analytisch-synthetische Denkfimction, vor-
! tnmetzen, aber auch einen Erfahrungsinhalt, der denkend verarbeitet wird.
! t?CHrpPE bezeichnet den Erfahrungsinhalt als aposteriorisch, „iceü niemand im
I t*jraus aus einem Grunde erraten kann oder könnte, was es da alles gibV^ (Log.
ts. %). Ausgeschlossen ist die Apriorität der Anschauungsformen dadurch, daß
öe „Elemente des Gegebenen" sind (1. c. S. 84 f.). „Insofern aber auf Gi-und
äer einmal gewonnenen Raumanschauung Erkenntnisse gemacht werden ohne sich
*nif weitere Wahrnehmungen zu stiäxen, sind sie nicht a posteriori, sondern
iffhen — mag man auch den Ausdruck a priori verabscheuen — doch jedenfalls
tm Gegensatz xu denjenigen Erkenntnissen, welche immer nur auf Grund
fpeeidler Beobachtung mit Sinnen gemacht werden könnende (1. c. S. 89). „Alles,
74 A priori.
was sich aus der Raum- und ZeüansehauMng ergibt^ gehört xtir elementaren
yotirendigkeit^* (ib.). H. Cornelius erklärt, unser Denken trage Notwendigkeit
und Gesetzmäßigkeit in den Ablauf der Erscheinungen hinein. Die allgemeinsten
Formen, welche das Begreifen der Erscheinungen nach Gesetzen ermöglichen,
müssen sich jederzeit auf unsere Erfahrungen anwenden lassen (Einl. in d. PhiL
S. 329 f.). E. DÜHRING versteht unter dem a priori nichts als den „Inbegriff
rein formaler Satxungen, denen kein besonderer ErfahrungsinhaU je widerspreelten
kann" (Neue Dial, S. 193). O. Caspari nimmt eine Durchdringung von Sinn-
lichkeit und (relativem) a priori (Idee, Logischem) in der concret-ästhetischen
Anschauung an (Grund- u. Lebensfr. 8. 92). Nach Harms entstehen die ursprüng-
lichen Erkenntnisformen mit der Erfahrung (Log. S. 67 ff., 98 ff.). — Auch
französische Philosophen, wie M. de Biran (Oeuv. II, 4), Renoüvier, eng-
lische, wie J. F. Ferreer, Green, Bradley u. a., nehmen irgend einen aprio-
rischen Factor der Erkenntnis (Ich, allgemeines Bewußtsein u. dgl.) an.
Die Apriorität von Erkenn tnisfonnen leugnen verschiedene Philosophen,
besonders natürlich die ausgesprochenen Empiristen und Sensualisten, für die
alle Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit auf bloßer Induction (s. d.) beruht
imd nur relativer Art ist. Nach G. E. Schulze läßt sich das Notwendigkeits-
bewußtsein auch „durch die besondere Art undWeise, wie die Außendinge unser
Gemüt affieieren und Erkenntnis in demselben reranto^^cn", erklären (Aenes. S. 143 f.,
151 f.). Die Ableitung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit aus der
Natur des Bewußtseins macht „da^ Dasein derselben im geringsten nicht be-
(/reiflicher als eine Ableihmg ebenderselben von Gegenständen außer uns^^ (L c
S. 145). Bardili meint, die Merkmale des a priori, Allgemeinheit und Not-
wendigkeit, könnten nicht erst in uns entstehen, sondern müßten schon objeetiv
begründet sein (Gr. d. erst. Log. Vorr. S. XV). Die Vemunftkritik nennt er eine
Verbindung von Locke und Leibniz (1. c. S. 345). Gegen die Apriorität der Erk^int-
nisformen polemisiert Herbart (Allg. Met. I, S. 88). Beneke sieht im a priori
keinen Gegensatz zum Empirischen, beides ist bedingt durch die Gresetzmaßigkeit
des Geistes (Syst. d. Log. I, S. 1, 73, 271). Überweg bekämpft die Lehre von der
Apriorität und Subjectivität der Erkenntnisformen (Syst d. Log.*, S. 87). Ein y^ßprio-
rische^s" Element enthält jeder B^riff nur, weil „die Erkenntnis des WesenlUchenin
den Difigen nur mittelst der Erkenntnis des Wesentlichen in uns getcofmen
tcerden kann" (1. c. S. 129). Czolbe meint, die Ableitung der Notwendigkeit
der Axiome aus angeborenen Denkformen, also die Bestimmimg derselben als
a priori, sei keine Erklänmg, „da nicht einzusehen ist, wie und weshalb der Geist
die Qualität der Notwendigkeit besitzen und den Axiomen mitteilen soll" (Gr. u.
I^rspr. d. m. Erk. S. 99). Das Notwendige ist vielmehr ..Bestandteil des sinn*
lieh wahmehtnbaren mechanischen Catisaherhältnisses*'^ (1. c. S. 104). E. Laas
l>ekämpft die für die Apriorität vorgebrachten Beweisgründe (Id. u. pos. Erk.
S. 443 ff.). „A priori" ist nur das Bewußtsein als solches überhaupt (L c. S. 28).
J. St. Mill leugnet mit anderen Empiristen (s. d.), die sich wieder dem Hume-
schen Standpunkt nähern, die Existenz jeglicher apriorischer Erkenntnisformai.
Die strenge Apriorität der Anschauungs- und Denkformen bestreitet G. Spicker
(K., H. u. B., S. 61).
Ein „praktisches a priori"^ das in einem immlttelbar-intuitiv , aus der
praktischen Vernunft entspringenden Antrieb zum Handeln besteht, ninunt im
Anschluß an die Kantsche Ethik (s. d.) Kreyenbi^hl an (PhiL Monatsh.
Bd. XVIII, H. 3). H. Schwarz lehrt einen „voluntaristischen Apriorismusr*.
A priori — Arbeit. 75
ySieki die apriorischen Regeln der Vemunftf sondern eigne apriorische Normen
ipolten i»i WiUensgebiet Es sind die Normen des analytischen und synthetischen
Vorxiehens" (PsychoL d. WilL S. 333 ff.; Gr. d. Eth.). Vgl. Anbchauungsformen,
Axiom, Fonn, Lumen naturale, Kategorien, Rationalismus, Baum, Zeit, Urteil.
Apriorisell s. A priori. Apriorische Anschauung s. Anschauung.
Apriorische Begriffe s. Kategorien. Apriorische Formen s. A priori,
Form- Apriorische Grundsätze s. Grundsätze. Apriorische Urteile
*. Urteile.
Aprlorlamiiss Annahme eines a priori (s. d.) im Erkennen, Handebi,
Sthaoen (logischer, ethischer, ästhetischer Apriorismus).
ApriorltJlt = apriorischer Charakter, das A-priori-(s. d.)8ein.
Api^eptosle {aTt^ocTnataia): Ungestörtheit, gehört zum glücklichen
Leben gemäß den Fordenmgen der Stoiker (Alexand. Aphrod., De an., fol. II,
154 a).
Apsyelile: Unbeseeltheit, Bewußtlosigkeit.
JL^Wlllbriiiiii indifferentiae: Gleichgewicht zwischen zwei ent-
gcg^igesetzten WiUensintentionen , Motiven, Gleichwertigkeit der Motive, so
dafi es zu keinem Handeln kommt. Die Annahme der Möglichkeit einer ab-
solut freien Wahl zwischen zwei Möglichkeiten r= Äquilibrismus. Vgl.
Willensfreiheit
JL^wIpolleiixs logische Gleichgel timg, wonach ein Begriff oder Urteil
zu einem andern von gleichem Inhalt, aber verschiedener Form sich äquipollent
verhält. yyPropositiones aequipoUentes'^ zuerst bei Apuleius als Übersetzung
<le» GALENschen iaodwaßiovaat n^ardaeis (Prantl, G. d. L. I, 568, 583: „pro-
fumtitmes aequipoUentes dicuntur, quae alia enuntiatione tantundem possunt, et
fiauU verae fiimi aut simul falsae altera ob alteram scilicei**). Die Aquipollenz
wird auch von Psellüs erörtert (1, c. II, 268). Chä. Wolf: jfludicia aequi-
foÜtntia dieuntur, quibus eadem netto complexa respondet" (Log. § 278). —
AquipoUent sind z. B. die Urteile: „5 ist entweder P* oder P^^ und „Wenn S
niekt P« ist, so ist es P*"' (Wündt, Log. I, 205).
.l^nl'valeiim (Gleichwertigkeit), physikalische, ist der Ausdruck für die
Erhaltung der Energie der Ursachen in den Wirkungen, für die Umwandlungs-
möglichkeit bestimmter Quanten mechanischer Energie und einer Form der
Materie in die gleichen Quanten anderer Energien oder anderer Stoffe. Vgl.
Ckusalität, Energie.
JL^oItoIk (gleichbedeutend) heißen Namen, die doppelsinnig, zweideutig,
anbestimmt sind („termini aequivoei^^ im Gegensatz zu den „univoci^^). Petrus
UlsPANUs: ,yEorum, quae praedieantur, quaedam sunt univoea, quaedam aequi-
nea** (Prantl, G. d. L. III, 46). Äquivocation: Gebrauch äquivoker Ter-
mini, in der Philosophie zu vermeiden; dies betont besonders die Schule
Beentanos.
Arbeit (A = pXs): anstrengende, auf einen Zweck gerichtete Tätigkeit,
Überwindung eines Hindernisses. Die psychische Arbeit besteht in der Uber-
vindnng von Hindernissen, die sich der psychischen (logischen, Willens-) Be-
tätigung entg^enstellen. Die physikalische Arbeitsmenge in der Natur ist
constant (.yErhaÜung der Arbeit*', vgl. Ostwald, Vorles. üb. Naturph.*, S. 155j.
76 Arbeit — Ars magna.
Betreffs der psychischen Arbeit vgl. Höfler, Psych. Arbeit 1893, ß. 6 ff.,
MÜNSTERBERG, Grdz. d. Psychol. I, 277,
Arbeitsteilung s. Differenzierung, Sociologie.
Arbltrlam llbemiii s. Wülensfreiheit.
Areamun heißt bei Paracelbüs u. a. eine Kraft des Archeus (s. dL).
ein tfCxtrixetum naiurcte intertoris euüisquam" (Goclen, Lex. phil. p. 165).
Arebetyps Urbild, Urform. „Mundus arehetypus*' = die Welt der Ur-
bilder, der Muster der Dinge, der Ideen (s. d.).
ArebeuB (Archaeus, „Herrscher*) heißt nach Paragelsus die lebendige,
schöpferische, bildende Naturkraft, welche unbewußt in den Dingen als rffabri-
caior" (Meteor. C. 4) wirkt (in den Elementen als „Vuleanua"), Nach J. B.
VAN Helmont ist der Archeus „generattonis faber ae reetor^, ,/orma vitolü
sive animalis juxta imagima sui enteUchiam^^ „Constat Archeus vero tx
conneonone vitcUis aurae veUU materiae cum imagine semincdi, quae est interiar
nudeua spiritaalis foecundttatem semmis continens*' (Arciieus faber 4). M. MARa
bestimmt den archeus als „ri» et potestas animae per systema ideale limiUäa
ad vitcdüer agendum^^ „idea operatriXj formatrtaf^ (Idear. operatr. idea 1635,
p. 414, 418).
Arebltektonlk (logische) nennt Kant „die Ktmsi der Syeteme^^ „ctie
L/ehre des Scientifischen in unserer Erkenntnis überhaupt**» Sie g^ort zur
Methodenlehre (Kr. d. r. V. S. 628). Sie ist nach Fries „rfie Lehre vom System
aller menschlichen Wissenschaften** (Syst d. Log. S. 483). — Schopenhauer
wirft Kant „Hang xur architektonischen Symmetrie^* vor, die sich besonders in
der Bestimmung der Zahl der Kategorien (s. d.) bekunde.
Arcbon (a^x^ s* Gnosticismus.
Aretolog^e: Tugendlehre (s. d.).
Argo» loifOS (a^yoe loyo^) =: „pigrum sophtsma^* s. faule Vernunft.
Arn^ament (argumentum): Beweis (s. d.), Beweisgnmd. „Argumentum
dicitur, quod arguit mentem ad asseniiendum aJtieui^^ (Thomas, Qu. disp. de
verit. 14, 2 ob. 14). Argumentum ad hominem s. Ad hominem. Argu-
mentum e con sensu gentium: Beweis aus der allgemeinen Übereinstimmung
der Denkenden (s. Consensus). „Argumentum ad reritafem'*: objectiver
Beweis. „Argumentum e contrario** s. Beweis.
Argumentation s Beweisführung, Begründung, Schlußfolgerung.
Ar^nmentleren: beweisen, begründen, erschließen.
Ar§f utlen : Spitzf in d i gkeiten .
Arlstotellf^mnH s. Peripatetiker.
Arrbepsle (d^^eipin): Gemütsruhe, Product der inoxri, Urteilsenthaltiing
bei den Skeptikern (Diog. L. IX, 74). Vgl. Ataraxie.
Ars comblnatorla s. Ars magna.
Ars Invenlendl s. Dialektik.
Ars ma£:na (j^große Kunst**) nennt R. Lüllus seinen Versuch, durch
Kreise, auf denen die verschiedensten Begriffe verzeichnet sind, vermittelst der
Drehung dieser Kreise, die verschiedensten (Kombinationen von Begriffen und
77
damit eine Topik (s. d.) derselben und eine ,,8eientia generalis*^ zu erhalten.
JInemotechnisch hat dies einen gewissen Wert Mit dieser ,yLullsehen Kunat^^
beschäftigen sich besonders Cobneliüs Agrippa, Valehtus, G. Bkuno. Eine
^n eomlnnatoria**, die Darstellung der Wissenschaften in emem abstracten
Zeichensystem durch eine jjeharaeterisHca tiniversalia'^y gilt Leibniz als Desiderat
(Saar. Ess. TV, eh. 3, § 18). Der mathematische soll in einen logischen Calcul
omgiewandelt werden, in einen logischen Algorithmus. Eine fyErfindungslamst"
k\ zu wünschen, för diese aber eine „ars eafnbinaiaria", die alle möglichen
Begriffe erschöpft Die ,y8cientia ffeneralis" lehrt die Methode, „omnes alÜM
Ktaiiüts ex datis suffieterUtbus mventendi et demonstrcmdi" (Erdm. p. 86 a;
TgL p. 162 a, b, 163 b) für die einfachsten Begriffe imd die Verbindungsarten
der Begriffe werden Zeichen gesetzt (vgl. Trendele»3ürg, Histor. Beitr. zur
Philos. III, 1 ff.). Ghb. Wou definiert: yyÄrs eharaeteristica eombinaioria
at ars tUa, quae doeet signa ad inveniendum utüia et modum eadem eombinandi
«mmdemqus eombmationem eerte lege variandi*' (Psych, emp. § 297). Vgl.
PiLOTL, G. d. L. in, 149 ff.; G. Frege, Begriffsschrift 1879. Vgl. Algo-
rithmus.
Art (elSoe^ species) = Inbegriff ähnlicher, venn'andter Individuen, deren
gemeinsame Merkmale im Artbegriff einheitlich zusammengefaßt werden.
Bei ABI8TOTEUES heißen die Arten ra cag yivrj et8i] (Met. XIV 5, 1079 b 34).
ZEXoder Stoiker definiert die Art als das von der Grattung Umfaßte: el3os Se ian
ro v:r6 rov yivovs ne^iexQ^urov (Di<^. L. VII, 1, 42). POBPHYR: layerai $e
aioi »ai t6 vno ro nnoBod'av yivoi (Isag. 1 b, 35). BofiTHitJS: yySpecies — ea,
fne eti sub adsignato genere^' (Comm. z. Isag. p. 28). Nach der Logik von
PoKT- Royal ist Art die yyidea communis , quae communiori et generaliori
fnbat^ (I, 6). Chb. Wolf: ,yEntium singularium similitudo est idy quod speciem
, itppeüamus'' (Ont. § 233; Log. § 44). Nach Kant heißt Art „(fer niedere Be-
pif w Ansehung seines höheren" (Log. S. 150). — Der Nominal Ismus (s. d.)
lült die Arten für bloße subjective Begriffe, der (scholastische) Realismus
l?. d.» für objective Wesenheiten. Die Arten der Lebewesen sind nach der
Bibel ursprünglich von Gott erschaffen. Linne halt die Arten für feste, ur-
fnmgliche Formen, während der Evolutionismus (Lamarck, Darwin u. a.)
die Arten als Producte der Entwicklimg aus Varietäten betrachtet, einen Über-
gang von Arten in andere, eine Abstammung verschiedener Arten aus gemein-
atmen Urformen annimmt. Vgl. Gattung, Evolution, Specification.
AaHuu^Jas Name einer arabischen Philosophensecte.
AsCitAt (aseitas, a se esse): das Von-sich-selbst-sein, yjWas sein Sein nicht
ton anderswoher etnpfangen haf' (v. Hartmann, Kateg. S. 527). Damit wird
<& Allgenügsamkeit, Absolutheit, vollkommenste Selbständigkeit Gottes von den
Scholastikern, Schopenhauer (Aseität des Willens), v. Hartmann (Aseität
<^ Unbewußten) u. a. bezeichnet Gegensatz: abalietas, das Von-anderem-
«in (Willmann, G. d. Id. H, 374).
Amali (Ausgestaltung) = die materielle Welt (Kab halft).
Aakeee (äaxr^aey Übung): Buße, Kasteiung, Abhärtimg, Abtötung der
Begierden. In der indischen Philosophie (als „to/ww") = ein Mittel der Er-
kenntnis des Brahman (s. d.), auch als schöpferisches Princip gedacht (Deüsben,
'Ulg. Gesch. d. Philos. I, 2, 70 f.). In der Askese besteht die eigentliche Tugend,
'8 Askese — Assimilation.
so auch den Lehren des Buddhismus gemäß, für den Askese ein Mittel zur
Erlösung vom individuellen Dasein bedeutete Zur „Reinigung^* der Seele vom
Irdischen verlangen Askese die Neuplatoniker, die Essäer, das Urchristen-
tum (und dessen Wiederemeuerer Tolstoi), die Mystiker. Ein gewisses Maß
von Askese zum Zwecke der Selbstbeherrschung fordert auch die Ethik und
Pädagogik (vgl. Paui^en, Syst d. Eth. IP, 15 ff.).
Asomatiseli (aadfiaTov): körperlos, unkörperlich. So nennen die Stoiker
das Leere {xeror) und die Zeit (aaoifiarov Si ro olov re xaxix^cd'ai int 6 amuo'
tiov ov xnrexpfisror, Diog. L. AT!I, 1, 70). 8o auch Epikur (L c. X, 67).
BofiTHirs übersetzt das Wort durch „tneorporeUü" (Comm. z. Isag. p. 25).
Asseriorteeli heißt ein Urteil von der Form „S ist P^, oder „:< iä
flieht P'S in welchem schlechthin etwas behauptet oder verneint wird.
Aaslinilations Verähnlichung, Umwandlimg eines Stoffes (physio-
logische Assimilation), eines Objects (logische Assimilation), eines Bewußt-
Reinsinhaltes (psychologische Assimilation). Durch die Assimilation machen
wir uns etwas zu eigen, wandeln wir es in einen Bestandteil unseres Ichs um.
Die Scholastiker führen die Erkenntnis (s. d.) auf eine Assimilation zurück.
Schon David von Dinant bemerkt: yyNihü inteUigit inteUeetus nm per assp-
müationem ad ipsutn** (Hauheau II, 1, p. 79). Campanella erklärt, das Wahr-
nehmen (sentire) erfolge „per assimilationem seniierUis cum aensünli" (Un. phil. 1, 5,
2). — Einen neuen Begriff der Assimilation b^ründet Wundt. Er nennt Assi-
milationen yydiefenigen simultanen Associationen . . ., die in der Verände-
rung gegebener psychischer Gebilde durch die Einwirkung von Elementen anderer
Gebilde entstehen" (Gr. d. Psych. 5, S. 270). Die Assimilation besteht in der Asso-
ciation zwischen den Elementen gleichartiger psychischer Gebilde, wobei durch
eine neu in das Bewußtsein tretende Vorstellung ältere Vorstellungseleniente
mit neuen verschmelzen; die älteren Eindrücke heißen die assimilierenden, die
neuen die assimilierten Elemente (Grdz. d. ph. Psych, II*, 438 ff.; Vorles.*,
S. 307 ff.; Log. I*, S. 16 ff.). Die entscheidenden Eigenschaften der Assimila-
tion bestehen darin, ,ydaß sie 1) aus einer Summe elementarer Verbindungs-
Vorgänge besteht^ d. h. solcher y die sieh nicht auf Vorstellungsganxe, sondern au(
Vorstellungsbestandteile bexiehen, und (laß bei ihr 2) die sich verbindendefi Ete-
mente im Sinne einer wechselseitigen Assimilation rerändemd aufeinander
einwirken" (Gr. d. Psych.*, S. 280). Die Assimilation ist „eine namentlich bei
der Bildung intensiver und räumlicher Vorstellungen fortwährend zu beobachtende
und den Proceß der Versehmelxung ergänzende Form der Assoeiation*^ ., Am
deutlichsten nachweisbar ist sie danUj wenn eiftxelne Componenten des Assi-
milatiansproductes durch einen äußeren Sinneseindrttek gegeben werden, während
andere früher gehabten Vorstellungen angehören. In diesem Falle läßt sich flas
Stattfindeti einer AssimikUion eben dadurch constatieren, daß gewisse Bestand^
teile, die in dem objectiven Eindruck fehlen oder durch andere vertreten sind,
nachweisbar aus früheren Vorstellungen stammen" (1. c. S. 274). Assimilatioiien
kommen vor besonders bei GrehÖrsvorstellungen, intensiven Gefühlen, vorzüglich
aber bei den räumlichen Vorstellungen (1. c. S. 274 ff.). Die Assimilation
liegt auch dem Erkennungs- und dem Wiedererkennungsvorgang (s. d.) za-
grunde. Der Wundtsche Begriff der Assimilation hat Ähnlichkeit mit dem
Apperceptionsbegriff (s. d.) bei Herbart. Die Assimilation besteht nadi
Hellpach darin, „daß durch einzelne Empfindungen eines neuen Sinneseitidruek»
Assimilation — Association. 7^
Empfindungen einer früheren Vorstellung geiceckt werden y und nun
ikrtrteiU auf die weckenden irgendwie einwirken, sie ctssimilieren^^ (Grenzw. d.
Psych. S. 4).
AsstoteüB (aseiBtentia), Beistand Gottes (eoneursus Dei^^J zur Ermöglichung
der Wechselwirkung (s, d.) zwischen Seele und Leib (Cartesianer). „System
der Assistenz" = Cartesianismus (s. d.).
AiSMOCiabllitAt: Associationsfahigkeit, aBsoeiative Kraft. Vgl. Association.
Asaociatioii (Vergesellschaftung), psychologische = Verbindung von Be-
wnfitseiiiseleinenten bei passiver Apperception (s. d.) in verschiedenen Formen,
die man für y^Ässociatumsgesetze" ausgegeben hat £s gibt einerseits simul-
tane und successive, anderseits Berührungs- und Gleichheits- (Ähnlich-
keits-) As80ciati(»ien. Die Associationen liegen allem Denken als Material zu-
gnmde, sind aber selbst noch kein Denken (s. d.), können aber durch Übung,
Mechanisierung apperceptiver Verbindungen (s. d.) aus diesen hervorgehen. Bei
den Associationen ist das eigentlich verbindende (synthetische) Princip das
ifahkod-wollende) Ich, die Einheit des Bewußtseins, aber ohne alle Spontaneität
Sdbsttädgkeit).
Die „Assoeiaiionsgesetxe^^ der Späteren sind schon bei Abibtqteles an-
gedeutet, der Ähnlichkeit, Contrast, Ck)^i6tenz und Succession als Verbindimgs-
pincipioi bestimmt (De insomn. 3). ''Orar ow ava/itfivt}oxf6fie&a, xivovfisd'a rcSr
^^orivwv Ttva »ivr,a£tav^ iaae av Ktttid'mfuv fted^ l^v nXXov rivoe, xai dfp ouoiov
i irarziov fj rov uiveyyvg' Sia tovto yivsrai ij dvafiitn^ate (De memor. 2),
Maximiib von Tyrus nimmt Succession, Nebeneinander, inneren Zusammen-
hang als Erijmerungsgrundlagen an (Dissert. 16, 7). Auf Coexislenz von Vor-
ileUungen gründet die Association Spinoza: „6V corpus humanuni a duobus
sti pluribua eorporihus sitmü affeetum fuerit semel, übt mens postea eorum
ttiquod imaginabitury statim et aliorum recordahitwr^^ (£th. II, prop. 18). So
todi Maleb&anche (itech. II, 23). Die Lehre von der yyldeenassociation^^
cawoctation of ideas) begriindet Locke (Ess. II, C 33, § 5 f.). Er kennt nur
Berohrungsassociationen (wie auch Hobbes) und interpretiert sie auch physio-
logisch durch Bewegungsreihen der „Ldtensgeister** (s. d.), „oft«, wenn sie ein-
mal einen Weg genommen, diesen fortbehaÜen; durch das ofle Betreten unrd er
zu einem glatten Pfade, und die Bewegung vollzieht sieh so leicht, ais wenn sie
eine naimrliche wäre" (L c. § 6). Die Lehre erfährt ihre Ausbildung durch
Habtl£Y. Die Ursache der Association besteht darin, daß oft wiederkehrende
Wahmehmiingen Veränderungen im G«him hervorbringen (Observ. I, S. 3, 11).
jyfVenn einige Sensationen Ä, B, C . . . zureichend oft initeinander associiert
itntf, so erkalten sie eme solche Gewalt über die ihnen entsprechenden Ideeti a,.
b, c , . .y daß eine dieser Sensationen Ä, wenn sie allein abgedrückt wird, ver^
mSgend ist, b, c , , . oder die Ideen der übrigen SenscUionen in der Seele hervor-
uibringen. Es sind aber Sensationen associiert, wenn ihre Eindrücke entweder
in dem Zeitpunkte oder in den unmittelbar folgenden Zeitpunkten ge-
(L c. S. 14). Es gibt synchronistische und successive Associationen,.
Anociationen vom Teil aufs Gkmze, durch den Namen u. s. w. (1. c S. 14 ff.).
Dorch Association entstehen zusammengesetzte Ideen und Vorstellungsreihen
(mins) (L c. S. 18). Physiologisch wird die Association auch von Pmestleit
and BoHKET begründet Letzterer führt sie auf die Leichtigkeit der Bepro-
dnetion mittelst der Anlagen in den Gehimfibem zurück (Ess. de Psych. C. 6).
80 AsBooiation.
Zum Princip des geistigen Lebens macht die Association Hüme, der (nebst
Hartley) als Begründer der ,,A8soeia4t4^nspayekologie'' (s. d.) angesehen werden
kann. Ihm ist die Association eine Art „Anziehung in der geistigen Wdt^
(ähnlich später J. St. Mill) (Treat. I, sct. 4, S. 23). Die Association ist du
„Princip des erleiehterten Überganges von einer Idee xur andern" (On pass. 2i.
Die jjConnexion or association of ideas" ist das verknüpfende Band der Vor-
stellimgen (1. c. S. 21). Sie erfolgt nach Ähnlichkeit (i-essemblance), räumlichem
oder zeitlichem Zusanmiensein (Berührung, contiguity in time or place), Causalitat
(cause and effect) (l. c. S. 21). Die Association ist die Quelle des QiumI-
begriffs (s. d.) An Hartley und Hume schließen sich an Reid, Duoald
Stewart, Erajbmub Darwin (Zoonom. u. Tempi, of Nat). James Mill sucht
die Ahnlichkeitsassociation aus der Association durch Berührung abzuleiten.
Die Association ist ein Grundprincip, eine jjUitr of inseparable association^
(„law of frequency") (Anal, of the Phenom.). Th. Brown, der die Association
dem Begriffe jjsimple Suggestion" unterordnet, anerkennt nur ein AasociationB-
gesetz. J. St. Mill setzt das Associationsgesetz dem Gravitationsgesetz an Be-
deutung gleich und spricht von einer „psychischen Chemie", vermöge deren
durch die Verbindung von Vorstellungen neue entstehen (Ezam. p. 190l
A. Bain nimmt zwei Grundformen der Association an: durch Contiguitat und
Bimilarität. Er unterscheidet einfache und zusammengesetzte, sowie „constructimr
Associationen. Die „law of contiguity" lautet: „ActionSy sensations and states
offeelingy occurring togefher or in dose Suggestion, tend to grotc togetheTy or cohere^
in such a icay that, when any one of them is afterward presented to the mindj
the others are apt to he brought up in idea" (Sens. and Int.', p. 327 fL; ak
„Oeseix der Ordnung" schon bei Platner, als „Princip der identischen Reihen-
folge" bei Liebmann, Analys. d. Wirkl.«, S. 449); H. Spencer erklärt, „wenn
irgefvd xi/m psychische Zustände in unmitteitharer Aufeinanderfolge auftreten, so
wird eine derartige Wirkung hervorgebrachty daß, sotnüd später der erste Zustand
wiederkehrt, eine bestimmte Tendenx wirksam ist, aiith den xw-eiten darauf folgen
XU lassen" (Psychol. § 189, S. 443). Die Ck)ntiguität löst sich auf in Ähnlich-
keit der Beziehung, im Raum oder in der Zeit oder in beiden (1. c. § 111 ff..
120, S. 279). 8UT.LY (Handb. d. Pöychol. S. 165 ff.), Ladd betonen die Contigui-
tat als associatives Gnmdgesetz. Baldwin stellt ein „Gesetz der OorrehÜott*
auf (Handb. of Psychol. I, 201). James b^ründet die Association physiologiadi
durch die „/<Mr of neural kabit^^ (Princ. of Psychol. I, 553 ff., 566) und betont,
Association finde nur zwischen Vorstellungs dementen (Empfindungen) statt (L c
S. 591 ff.; so auch Wundt, s. unt, und Villa, Einl. in d. Pöychol. S. M7}.
James ist Gregner des Associationismus. — Im Gegensatze zur Associationspsycho-
logie betont Hamilton die Activität des Ich. Er führt die Associationsgesetse
auf eine „law of redintegraiion" zurück, nach welcher VorsteUimgen, die Teile
eines Zusammenhangs bildeten, die Tendenz haben, einander zu rcprodttcieren.
Vgl HODGSON, PhiL of Reflect. I, 283 ff.
Die englische Associationspsychologie hat die deutsche (und französische
Psychologie) stark beeinflußt Wir betrachten hier erst die Bestinmiungen des
Associationsbegriffes vor dem Auftreten der eigentlichen Associationspsychologie.
Chr. Wolf: „Si quae semel percepimus et unius perceptio dermo produeaiur . . .,
imaginaiio producü et perceptionem aUerius" (Psych, emp. § 104). Das „Oesetx
der Totalitäi^^ (Beproduction eines Ck)mplexe8 durch seine Teile) wird schon vcm
Wolf ausgesprochen. Nach Tetenb ist die Association ein Gesetz der Phantasie
AsBOciation. 81
und der Beproduction der VorsteUungen (Phil. Vers. I, 751). M. Herz findet
dai Grund der Association in der „Fertigkeiij welche jede Kraftäußerung auf der
i^eüe m der Seele erzeugt, dieselbe Tätigkeit mit minderer Anstrengung und folg-
iiek unter kleinerer Weile xu triederholen^^ (Vers. üb. den Schwindel 1791, S. 124).
Käst nennt die Association den ^^subjeetiven und efMpirisehen Grund der Be-
produeHon nach Regeln** (Kr. d. r. V. S. 131). y.Das Oesetx der Association
ist: Empirische Vorstellungen, die einander oft folgten, beicirkefi eine Angewohn-
keä im Öemütc, irenn die eine erzeugt tcird, die andere auch efitstehen xu lassen**
Anthr. I, § 29). Platner nimmt Ähnlichkeit, Gleichzeitigkeit, Ordnmig als
.Vfimciationsprincipien an (Ph. Aphor. I, § 350 ff.), Maas Coexistenz (Vers. üb.
<l. Einbild. 1797, S. 445); er erklärt (wie Irwing) die Association physiologisch.
FsiBB versteht unter Association die „ Wiederterstärkung der geistigen Tätigkeiten
flurtk ihre Beigesellung** und erklart sie aus der Einheit des Lebens un4 Be-
wofiiseins (Syst. d. Log. S. 56). Ihr Gesetz ist das der „Belehung unseres ganxe^i
Innern dttreh die erkühie Tätigkeit eines einzigen Teils** (Neue Kr. I, 159). Nach
HfißEL ist die Association der Vorstellungen als „Subsumtion der einzelnen
taUer eine allgemeine, tifslche deren Zusammenhang ausmacht, xu fassen** (Encykl.
;^ 456). — Herbart bringt die Association in Beziehung zum Begriffe unmittel-
harer und mittelbarer Beproduction (s. d.) und zu dem der „Reihen** (s. d.).
Xach Shteikthal ist Association „nur ein Verhältnis des Beunißtwerdens, I^eihifig
Her Beipußtheit, nävilieh die durch eine andere, beu^ißte Vorstellung vermittelte
Erhebung eifier Vorstellung zur Hohe des Beurußtseins** (Einl. in d. Psych,
r». 141 1. — J. H. Fichte findet in der Vorstellungsassociation nur die Wirkung
der aneignenden Vorstellungstätigkeit des Geistes (Psych. I, 437 ff.). Nur eüi
A«oeiationsgesetz gibt es. „ Vorstedlungen, trclclie . . . derselben Vorstellungsreihe an-
yharen^ erneuern sich gemeinsam, icenn eine aus der Reihe . . . reprodueiert icird^*
L c. I, 437). CzoLBE bemerkt, daß der Cöntrast als Associationsprincip w^en
«ier in ihm liegenden Ähnlichkeit (,jdie Extretne berühren sich**) wirkt (Gr. u.
Urnpr. d. m. Erk. S. 223). Lotze erklart Association als „das gegenseitige
Haften der Eindrücke aneinander** (Mikrok. I, 235). Lipps: „Um Dispositionen
•H erregen, müssen Vorstellungen daxu in geeigneten Verhältnissen oder Be-
xiehungen stehen. Wir bezeichnen diese Verhältnisse oder Beziehungen als Asso-
eiaHcnen** (Gr. d. SeeL S. 96). Es gibt „ursprüngliche** und „getrordene**
.VflBociationen. Die Principien derselben sind Ähnlichkeit (Ck)ntrast) und Gleich-
seitigkeit (1. c. S. 96 ff.). HoRWicz betrachtet die Association als Urphänomen
d« Zusammenhangs psychischer Vorgange (Psych. Anal. I, 281, 369 f.). Jede
ittociation ist ursprünglich die Verknüpfung eines Triebes mit einer Empfin-
«iangy Bewegungsassociation (1. c. II, 16S f.). Ziehen definiert die Association
ib y^Vorgang der Aneinanderreikung der Vorstellungen** (Leitf. d. ph. Psych.*,
?*. 140). Ihr Grundgesetz lautet: ,fJede Vorstellung mft als ihre Nachfolgerin
*^tweder eine Vorstellung hervor, icelche ihr inhaltlich ähnlich ist, oder eine
yorstellung, mit welcher sie oft gleichzeitig aufgetreten ist. Die Association der
ersten Art bezeichnet man auch als innere, die der xtceiten auch als äußere
Association** (1. c. S. 144). Ziehen ist ausgesprochener Associationspsycholog.
Früher war dies auch MfJNSTERBERO, der jetzt eine (vermittelnde) „Actione-
ikeori^* aofetellt (s. Apperceptionspsychologie). Jgdl dehnt den Begriff der
Asaociation auf alle Bewußtseinsphanomene aus. „ Von jedem erregten Teile des
BeKußt9eins pftanxi sieh die Erregung stets auf di^enigen unbewußten Elemente
f»ty wdehe am stärksten mit demselben verbunden oder eins sind. Diesem Gesetze
FbnoiopbiMbea WOrterbaoh. 2. Aufl. 6
S2 Association.
gemäß bexeichnet man die Wiederbringwig des einen Bewußieemsdemente du/^
das andere auch ais Association.^" Es gibt Ahnlichkeits- und Berühnings-Assoi
ciationen (Lehrb. der Psych. S. 476 f.).
HÖFFDINO entfernt sich schon von der reinen A8sociati<Mifip6ych0logie, indea
er eine synthetische Tätigkeit des Bewußtseins annimmt Das Gefühl und dann
auch der Trieb, der Wille erweist sich bei der Association mit wirksam (Psych.*
8. 445 ff.). Die Associationen erfolgen (besonders) nach Ähnlichkeit^ (auch nacb
Berührung, Verhältnis von Teil und Ghinzem (1. c. S. 208 ff.; Vierteljahrsscfai
f. w. Ph. Bd. 13—14; Phil. Stud. Bd. V); dagegen erkennt A. Lehmann nm
das Berührungs-Prineip an (Phil. Stud. Bd. VII— VTII). Ziegler betrachte
als das yyBestimmende und Ausschlaggebende^^ der Association das Gefühl (D
Gef.*, S. 152). * „Solche Vorstellungen werden reprodudert, wdehe mit unser*
jeweijfgen Stimmungen und Oefühlen harmcniereny dadurch selbst Oefiihleutr
erhalten und durch diesen sieh eben jetxt den EiniriU in das Bewußtsein er'
xwingen. Und fürs zweite: Was einnuil zusammen unser Lüeresse erregt hat
uns angenehm oder unangenehm war, das kehrt auch xustmtmen wieder*^ (L e
H. 151). Ähnlich Wikdelband. „In dem Turniere des Sedenkbens sind dm
Vorstellungen nur die Masken, hinter denen sieh die wahren Streiter, die Ge*
fühle y vor dem Auge des Bewußtseins verbergen^^ (Prälud. 8. 190 ff.). Auf da
Willen führt die Association schon Schopenhauer zurück: „Was aber dm
Oesamtorganisaiion selbst . . . m IHiigkeit versetzt y ist in letzter Instanz odn
im Geheimen unsers Innern der Wille** (W. a. W. u. V. Bd. II, C. 14). Di«
Association beruht y^entweder auf einem Verhältnis von Grund und Folge . .
oder aber auf Ähnlichkeit y auch bloßer Analogie; oder endlieh auf Oleieh-
zeitigkeä . . ., welche wieder in der räumliehen Nachbarspliafl ihren Grund habet^
kann'^ (ib.). O. Liebmann ist Gegner der Associationspsychologie (AnaL d
Wirkl.*, 8. 466, vgl. S. 435 ff.), auch L. Busse. Renouyier führt die Associatioi
auf die Gewohnheit, die y^loi de l*habitude^% zurück (Nouv. Monadol. p. 83 f.)
Nach £. y. Hartmann fällt der Associationsvorgang als causaler Proceß in
bewußtseinstranscendente Gebiet (Mod. Psych.). Materielle und psychische Ur
Sachen cooperieren dabei (Ph. d. Unb.'", I, 245 f., III, 101 ff.). Die psychischi
Ursache ist in den Interessen und Willensrichtungen, welche der Auswahl de
Vorstellungen bestimmte Ziele stecken, zu suchen (1. c. I, 246 f., III, 123 f.)
Die bewußte Vorstellung wirkt nur als Motiv mit, welches den Willen zui
Production einer anderen Vorstellung auslöst (Mod. Psych. S. 133). Dazi
kommen moleculare Gehimdispositionen, körperlich bedingte Stimmungen (Ph. d
Unb.*^ I, 245 f., III, 101 f.). Die physiologische Associationstheorie y/iat daris
Recht, daß die Regelmäßigkeit in dem unmittelbaren Zusammenhang dei
Bewußtseinsinhalte nur ein passives Ergebnis aus gesetzmäßigen Vorgänffe*
ist, die sieh hinter dem Bewußtsein abspielen, und daß ein wesentlicher Facta
des gegebenen Products in der physiologischen Grundlage des bewußte»
Geistes zu suchen ist; aber sie hat unrecht, indem sie einen Factor für dm
Gesamtheit der Factoren hält und aus ihm allein das Produet erklären tpüt
(Mod. Psych. 8. 171).
WuNPT betont zunächst, jydaß den gewöhnlieh allein so genannten Asso-
ciationen zusammengesetxter Vorstellungen elementarere AssociaHonsprocesm
ztcischen ihren Bestandteilen vorausgehen" und daß die gewöhnlichen Associatio-
nen „nur die complexen Producte solcher elementarer Associationen sein könnend
(Gr. d. Psych.', 8. 269). „Mit dieser doppelten Folgerung schtcindet dann zugleicA
Aaaooiation. 83
]ßede Bereehügungy di^enigen elemeniaren Verbindungen^ deren Produete nickt
^uecesnpej sondern simüUane Vorstellungen sind, von dem Begriff der Association
mehliefien, und ebenso liegt durchaus kein Orund für die Beschränkung
Begriffs auf die Vorstellungsproeesse vor" (ib.). Die simultanen Abso-
ionen sind: die VerBchmelzung, die Assimilation, die Complication (s. d. a.).
successive Association unterscheidet sich von der simultanen ,ynur durch
Nebenbedingung f daß der Verbindungsvorgang , welcher dort in einem xeülich
die unmittelbare Beobachtung unteilbaren Acte vor sich geht, hier eine Ver-
zögerung erfahrt, vermöge deren er sich deutlich in xwei Acte sondert. Der
fTste dieser Acte entspricht dem Auftreten der reproducierenden, der
fxeite dem der reproducierten Ekmente^* (1. c. 8. 283). Seltener kommt
zu einer ganzen Associationsreihe (1. c. 8. 284). Die successiven
jAfsociationea li^en den sinnlichen Wiedererkennungs- und Erkennungsvor-
|iogen (8. d.) sowie den Elrinnerungsvorgängen (s. d.) zugrunde („Erinnerungs-
$uoeiation"). Die „mittelbare Association" ist nicht principiell von den ge-
irdhnlich«! Associationen unterschieden. Nur kann die Vermittlimg unter
^bewußt oder bewußt erfolgen; im ersten Falle hat man es mit ,jUUenten
AssoeiaHonen" zu tun (1. c. 8. 291 f.; vgl. 8criptube, Phil. Stud. VII, Cordes,
RiiL Stud. XVII). Die sogenannten Associationsgesetze sind nichts als all-
gemeine Klassen von Verbindungen elementarer Associationen (Log. II^ 2,
Sl 159 f.), ihre Schemata sind teils unzutreffend, teils viel zu allgemein und
labestimmt (Gr. d. Psych.^, 8. 294). „Qeht man auf die elementaren Processe
uiruety m die sieh hierbei der Erinnerungs- wie jeder xusammengesetxte Asso-
tietioHsvorgang zerlegen läßt, so ergeben sieh als solche stets Oleichheits- und
Berührung SV er bindungen" (l. c. 8. 293). Der Ausdruck „Aknlichkeiis-
SMsoeialion^'^ ist unpassend, „weil vor allen Dingen gleiche Elementarprocesse
CtmUierend aufeinander einwirken" (1. c. 8. 294). Je nachdem die Gleich-
ts- oder die Berührungsverbindungen überwiegen, entstehen zusammengesetzte
Ahnliefakeits- (Gleichheits-) imd Berührungsassociationen. Die Gleichheit wirkt
■nmittelbar, die Berührung mittelbar (Log. I«, 8. 25 f.; Vorles.«, 8. 316 ff.;
ßrdz. d. ph. Pisych. II*, 8. 454, 466 ff.;. Da den Associationen Verbindungen
ccDtraler Innervationsvorgänge „parallel" gehen, so sind alle Associationen
rychophysische Vorgänge (Grdz. d. ph. Psych. II*, 8. 474 f.; Log. I',
27). Die Associationen werden als „passive Erlebnisse^* aufgefaßt. „Denn
ftir die Willens- und Aufmerksamkeitsvorgänge charakteristische lütigkeits-
greift immer nur in der Weise in sie ein, daß es bei der Apperception
psychischer Inhalte an die bereits gebildeten Verbindungen sich
iß/W" (Gr. d. Psych.*, 8. 301). Die Associationen sind diejenigen Ver-
ungen v(hi Bewußtseinsinhalten, die sich „bei passivem Zustande der Auf-
* bilden (Vorles.*, 8. 306; Log. I*, 8. 13). Doch liegt ihnen schon
4a Wüle, aber nur in der einfachen, triebmäßigen Form zugrunde, sie sind
Triebvorgänge (Vorles.*, 8. 338; Syst. d. Phil.*, 8. 583). Erst die Apper-
ception (s. d.) aber reguliert den Associationsverlauf zur planmäßig geistigen
iTiti^eit — KCtlpe gibt eine Kritik der überkommenen Associationsldire
^Qr. d. Psych. 8. 191 f.). Das „Oesetx der Association** besagt allgemem nur,
\,^kifl zwei Vorstellungen a und b unter gewissen Umständen eine solche Ver-
bindung miteinander eingehen, daß das Auftreten der einen von ihnen (a) die Re-
proiuetion der andern (b) bewirket* (1. c. 8. 191). Mehrfach versteht man unter
Association „nicht eine Bedingung der Association, sondern diese selbst* (1. c. 8. 198).
6*
84 AsBooiation — Assooiationapsychologie.
Külpc formuliert: „Empfindungen, die einmcU im Bewußtsein zusammen traren,
begründen eine Tendenz xur Reprodtietion in dem Sinne, daß, wenn die eine vcn
ihnen tcieder erregt wird, auch eine der andern ähnliche zu entstehen pflegt"
(1. c. S. 2(12). Die Stärke der Reprodiictionstendenz hängt ab „von der eine
einheitlieJie Auffassung und Beurteilung erleichternden oder erschwerenden Art
des Zusammenhangs, der Verbindung der Empfindungen im Betrußtsein"
(1. c. S. 202 f.). Eine ganze Reihe von Bedingungen bestimmt den Grad der
Reproductionstendenz (1. c. Ö. 203 ff.). Was man sonst Association nennt, be-
zeichnet Külpe als „empirisch motivierte Reproducfion*' (1. c. S. 206). An
WiTJDT schließt sich genau an Hellpach (Grenz^nss, d. Psych. S. 3 ff.), wäh-
rend Hughes (Mim. d. Mensch.) noch stärker den Wilienscharakter auch des
associativen Geschehens betont. Nach H. Cornelius sind die Associationd-
gesetze „notwendige Folgen der Bedingungen . . ., ohne welche die Einheit unseres
Bewußtseins nicht gedacht werden kann** (Einl. in d. Phil. S. 204). Von ver-
schiedenen Associationen in Bezug auf denselben Inhalt ist ceteris paribus
diejenige die wahrscheinlichste, welche mehr eingeübt ist (1. c. S. 228). Sowohl
das Gesetz der Berührungs- als das der Ahnlichkeitsassociation sind „Oonse-
quenxen der Factoren, ohne weiche auch der einfachste Fall einJieitlichen Be-
lüußtseinsverlaufes nicht einmal gedacht werden kann-* (1. c. S. 231; vgL Psych.
S. 38 ff.). Ebbin GHAU8 erklärt : „ Wenn beliebige seelische Gebilde einmal gleich-
xeitig oder in naher Aufeinanderfolge das Bewußtsein erfüllt haben, so ruft
hinterher die Wiederkehr einiger Glieder des frisieren Erlebnisses Vorstellungen
auch der übrigen Glieder hervor, ohne daß für sie die ursprüngliehen Ursachen
gegeben zu sein brauchen*^ (Gr. d. Psychol. I, S. 607). ,yDie Seele erweitert und
bereicliert jederzeit das unmittelbar Gegebene auf Grund früherer Erfahrungen:
sie stellt fortwährend, soweit sie es durch VorsteUinigen vermag, die umfassenderen
Verbände und größeren Einliciten wieder her, in denen sie das gegenwärtig frag-
mentarisch und lückenhaft in ihr Hervorgerufene früher erlebt hat** (1. c. S. 607).
Nach Rehmke kann Gleichheit nur als Ähnlichkeit reproducierend wirken und
das „Aneinander*' nicht ohne Gleichheit der reproducierenden Vorstellung
(Lehrb. d. allg. Psych. S. 291). W. Jerusalem nennt den Vorstellungsverlauf,
insofern er durch frühere Erfahrungen allein bestimmt wird, den „associativen
Verlauf* (Lehrb. d. Psych.', S. 73). Er ist aber schon eine Abstraction (ib.).
Es gibt Associationen durch Berührung und durch Ähnlichkeit (1. c. S. 74 1.
Nach L. Stein sind schon Associationsbahnen ,4urch Vererbung übertragen und
durch Selection verschärft und verfeinert** (An d. Wende d. Jahrh. S. 27). Vgl.
über Association: Mind, Vol. X u. XII. Vgl. Erinnerung, Eeproduction.
AssoelatlonlHinnii»: Associationspsychologie (s. d.).
ABSOcIations^eentren (drei) nimmt Flechsig außer den Sinnescentreii
an, als Centren der Verarbeitung der Sinneseindrücke und der Co-agitation
(„Cogitationscentren**). Sie sind die physiologischen Unterlagen der Association,
des Gedächtnisses, des Urteilens, Schließens u. s. w. Es gibt angeblich ein
vorderes, mittleres, hinteres Associationscentrum, jedes ist ein „Denkorgan** (Geh.
u. Seele). Dagegen u. a. Hellpach (#tenzw. d. Psych. S. 73 ff.).
AHf^odatlonfsgpesetze s. Association.
AM^oolationspsyeliolog^e (Association ismus) heißt jene psychologische
Richtmig, welche die Association als Princip aller seelischen Verbindungen be-
trachtet und die alles Denken, alle höheren geistigen Vorgänge aus blofien
Aflsociationspsychologie — Ästhetik. 85
Aasociationen ableiten will. Sie tritt bald physiologisch (psychophysisch), bald
rem psychologisch auf. Gegensatz: Vermögenspsychologie (s. d.), Apperceptions-
pFTchoLogie (s. d.), Actionspsychologie (s. d.). H. Corneliub betont, die
•Schwächen der Assoeiationspsycholc^e seien da auffällig, wo es sich lun die Er-
klärung derjenigen Tatsachen handelt, für deren Zustandekommen ^^der Zu-
mmmenhang unserer Erlebnisse xur Einheit des Bewußtseins maßgebend ist**
EinL in d. Phü. S. 192).
Afi«ociatioii8tbeorle s. Association.
ABMieiatlonszeiten = Dauer, deren das Zustandekommen von Asso-
ciationen bedarf (vgl. Phü. Stiid. I).
AaeoetatiTe Nyntliese nennt Wundt die „Versekmelxung elementarer
Empfindungen zu Vorstellungen** (^g- I« 10).
AjMoelative Verblndniifi^eii s. Association (Wündt).
Aasoeiativer Factor s. Ästhetik.
As8€ieiatiTer Verlauf s. Association (Jerusalem).
Asilieiiiseli s. Affect.
Aatlietik heißt die Wissenschaft vom Ästhetischen (s. d.), von dem, was
unmittelbar und beziehungslos, um seiner selbst willen (uninteressiert), in der
anschaulichen Erfassung, gefällt; ästhetisch (schön) ist, was den Willen zum
iScfaaaen, zur lebendigen, anschaulichen, dem Ich angemessenen, einheitlichen
Zosammoifflssung einer Mannigfaltigkeit von Inhalten befriedigt, was die Seele
aa wohlgeordneten Anwendung aller ihrer Grundfunctionen anregt. Das (dem
Objeet and dem Ich) angemessene Verhältnis von Form imd Inhalt verschafft
den ästhetischen G^iuß. Die Ästhetik gibt Aufschluß über das Wesen des
AsUietischen (des Schönen u. s. w.), sie analysiert es, forscht nach den Be-
dingungen ästhetischen Genießens und Schaffens sowie nach der Bedeutung
des Ästhetischen, der Kunst in biologischer, psychologischer, rein künstlerischer,
culturell-socialo' imd allgemein philosophischer Hinsicht. Die Ästhetik muß
empirisch begründet, kritisch ausgedeutet werden; „nonnaiiv** ist sie nur in-
ärfem, als gewisse Bedingungen eben eingehalten werden müssen, wenn be-
^inunte Effecte hervorgerufen bezw. vermieden werden wollen imd sollen. Der
Stieit zwischen Grdialts- (Stoff-) und Form-Ästhetik hat erkennen lassen, daß
onr in der Vereinigung des formalen und materialen Factors das Ästhetische
concret besteht. Der Unterschied der j^peeulativen** imd „empirischefi** Ästhetik
bezieht sich hauptsachlich auf die Methode, während die Ausdrücke „ifi-
tMleäualistisekt^* imd „Oefühls-Äsihetik^* auf die Interpretation des ästhetischen
Pft)cesee8 selbst gehen. — Der Name „Ästhetik^* stammt von A. BatJMGARTEN
(Äcsthetica 1750) her. Er versteht darunter zunächst die allgemeine W^ahr-
ncimumgs- Wissenschaft (im Unterschied von der Wissenschaft des „oberen^'
Erkenntnisvermögens), die j^seientia eognitionis sensitiva^** , „gnoseologia inferior** j
dann die y/irs ptdcre cogitandi**^ „ars formandi gustum**, ^yOesthetica critica**
'Aesth. 1, 14; Met. § 607, 662). Zweck der Ästhetik ist die ..Vollkommenheit der
ififndieken Erkenntnis als solcher, in welcher die Schönheit besteht^* („Äesthetices
tinis est perfeetio eognitionis sensitivae. qua talis, Haee aviem est piäcritudo**)
Aesth. 14). Der Terminus „Ästfietik^* hat sich bald, besonders durch Schiller,
eingebürgert. In England sagt man dafür „criiidsm^**.
86 Ästhetik.
Die Anfänge der Ästhetik finden sich schon im Altertum. Sokrateb setzt
das Schöne in das Taugliche, Gute, Zweckmäßige (Xenophon, Memor. 3, 8:
4, 69; Sympos. 5, 3 squ.). Nach den Cynikern ist nur das Gute schön, das
Schlechte häßlich (Diog. L. V, 12). Plato (obgleich selbst Künstler) sehatzt
die Kunst (sociologisch) gering, weil sie nur Nachahmung (juiuijatg) von Nach-
ahmimgen (eiSfoka) bietet (Kunstwerke = Nachahmungen der empiri8ch<m Dinge,
diese =: Abbilder, Erscheinungen der Ideen). Die Schönheit (die von der Gut-
heit nicht scharf unterschieden wird) beruht auf dem Hindurchscheinen der
Idee durch das Sinnliche (Phaedr, 250 B. squ.), auf der Wirkung des Tis^g im
ünbestinmiten {ansi^or)y auf der Wahrnehmung des Hannonischen und Sym-
metrischen (ßteT^iorrjg xai avfjfier^ia)^ welches an sich {xa^ attro) gefällt, ur-
spriuigliche Gefühle {ptxeCag oder avfifvxovs riBovas) erzeugt (Phileb. 51, Tim.).
Wert hat nur eine das Gute nachahmende, sittlichen Zwecken dienende Kunst
(Republ.). Aristoteles imterscheidet bildende (noitica) und praktische Tätig-
keit (n^a^ia). Die Kunst (n'xn]) ist die nach Regeln wirkende Grestaltungskraft.
sie vollendet das von der Natur nicht zu Ende Geführte oder ahmt die Natur
nach: "Oiats Se ij ti^vri la fiev imrakel n 17 tpvcis adwareX ane^cLOac^atj ra
8i fiuislrai. (Phys. II, 8, 199 a, 15 squ.). Doch betrachtet die Kunst das Einzel-
object als Stellvertreter einer Gattung, sie ahmt mehr das Typische nach: r, fiiv
yaQ noirjais fiaXXov xa xad'okov^ rj ^iaro^ia ra xad^ ixaexov ktysi (Poet. 9j.
Das Schöne besteht in ta^tg xai avfifteT^ia xai ro m^iaftet'ov (1. c. c. 7).
Psychologisch ^vird die Kunst begründet durch den dem Menschen angeborenen
Nachahmungstrieb sowie diurh das ursprüngliche Wohlgefallen an Erzeugnissen
der Nachahmung als solchen (1. c. c. 4). Die Kunst dient der Unterhaltung
(dtaytoyi]) und Erholung (avsaig) mittelst Gefühlsanregung und Kathaisis (s. d.)
der Affecte (Pol. VIII, 7). So auch die Tragödie (s. d.). Plotin b^ründet
eine speculativ-idealistische, eine intellectualistische Gehalts-Asthetik. Die Kunst
ahmt das Seiende, die Ideen (s. d.) selbst nach; der Künstler erhebt sich zum
Xoyos dessen, was er wahrnimmt, aus sich selbst das in der Gregebenheit Fehlende
schöpfend: (n>x nnXtog ro oQcaußvov fMifiovvxui nl rsxPcii, aXX! avar^ix^^'^*^ ^^*
Tovs loyovSf i^ iov rj ^vois' slxa xai noX^A na^ avrwv noiovaiv. Kai tt^octi-
d'saat ya^ oT(f} n Meinei, m Ä5fov<ra< to xd)log (Enn. V, 8, 1). Das Schone
ist „rf<w an der Idee gleichsam HerrorstraJtlende^^ (Enn. "\^, 2, 18). In der
Natur besteht das Urbild der sinnlich erscheinenden Schönheit, das intdligil^
Urschöne (Enn. V, 8, 1 ff.; VI, 2, 18). Seneca bemerkt: „Onmis ars natwrc^
imitaiio esf* (Ep. 65). — Thomas definiert die Kunst als ,,ratio redu aliqttorutff
operum faeiendorum^^ (Sum. th. II, 1, 57, 3). Das Schöne gefallt unmittdbar
(yjptilrhrum atäem dicattir id euitis ipsa apprehensio plaeei"; 1. c. II, 1, 27, 1, ad 3).
Eine neuscholastische Ästhetik lehrt S. Meier (Der Real, als Princ. d. seh.
Künste 1900). Im Sinne des Thomismus lehrt Jungmann: „Die Schönheit der
Dinge ist deren OutheU^ ifisofem sie durch diese dern vernünftigen Geiste, auf
Grund klarer ErkevifUnis desselben^ Gegenstand des Gentisses xu sein sieh eigneti^*
(Ästhet. 1884, S. 149).
Die intellectualistische Richtung der Ästhetik, d. h. die Auffassung des
ästhetischen Genießens als einer Art Erkenntnis, kommt in Deutschland seit
Leibniz zur Geltimg. Leibniz erklärt die Lust an harmonischen Verhältnissen
durch die Annahme eines unbewußten Zählens imd Vergleichens und bringt
das Schöne mit dem Vollkommenen, Zweckmäßigen in Zusammenhang (Opp.
Erdm. p. 7, 8). Chr. Wolf: ,yPulehrittido eonsistit in perfeetione rei, quatenus
Ästhetik. 87
M ci iUitts ad vohtptateni in nobis producendam apta*^ (Psych, emp. § 543 f.).
l^hÖnheit ist ,/'et aptihulo produeendi in nofns voluptatem, gnod sit observabilitas
ffrffctumia^ (1. c. § 545). A. Batthgajrten definiert die Schönheit als „per-
feftio phaefwmenon^* (Met § 662), die durch ^,eogniHo sensitiva^^ erfaßt wird
(s. oben). Nach Mendelssohn (der das Begierdelose des Ästhetischen betont,
Vf^, n, 294 f.) beruht Schönheit „m der undeutlichen Vorstellung einer Voll-
kmmenheit' (Br. üb. d. Empf. 2, S. 8; Bibl. d. schön. Wiss. I, 331 ff.); sie
Mtzt .^Einheit im Mannigfaltigen" voraus (1. c. 5, S. 27 f.). Ahnlich Sulzer,
*der den moralischen Zweck der Kunst betont (Allg. Theor. d. schön. Künste
I792>, f^BCHENBUBG u. a. — Nach Hemsterhuis beruht die Schönheit auf dem
^ten Verhältnis eines Gegenstandes zur auffassenden Seele, auf der leichten
Ubereichdichkeit des Mannigfaltigen; schön ist das, was in kürzester 2^it die
größte Fülle von Vorstellungen erzeugt (Oeuvr. philos. 1792). — Von Einfluß
ad die deutsche ABthetik sind die Versuche einer psychologischen Theorie des
Schönen bei den Engifindem gewesen. Shaftesbuby leitet das Gefühl des
Schonen aus der Wahrnehmung von Ordnung, Einheit, Harmonie durch den
inneren Sinn ab und setzt das sittlich Gute (s. d.) dazu in Beziehung (Sens.
comm. IV, 3). Home unterscheidet „eigene^'^ Schönheit (^yintrinsie beauty^*)
ond „Schönheit der Bex^iehung^* (y^elath be^uity*^). Erstere ist Gegenstand der
Empfindung, letztere erfordert „understanding and refleetion". ,Jn a word, in-
triwie beauty is tUtimaie: relative beatäy is tfuU of ^neans rekUing to some good
or purpose^' (Eiern, of Grit. I, 3, p. 195 ff.). Nach Burke ist die Schönheit
eine sociale Emotion, indem ims das Schöne zum Zusammensein mit ihm reizt,
in nns Liebe, sanfte und gesellige Gefühle erregt. „We cail beauty a social
ifualHy'* (Enqu. I, 10). Die Schönheit ist ohne Zweckbewußtsein („in beauty
tke fffeci is previous to any knotcledge of the usef^). Zur Liebe und zum Ge-
»hkchtlichen setzt Erasmtts Darytin das Ästhetische in Beziehung (Zoonom.
XVI. 6 k Bei angehäufter Energie ist die Sinnesbetatigung als solche schon
hutvoll (1. c. XL, 6). Vom Schönen ist das Erhabene (s. d.) zu unterscheiden.
Eine neue Begründung erhält die Ästhetik durch Kant. Die jßsthetische
(rtcilskrafi** bezieht sich nicht auf das Erkennen oder Begehren, sondern auf
das Gefühl der Lust und Unlust In der Urteilskraft li^ ein apriorisches
Pirincip der ästhetischen Beurteilung, das auf die subjective, ästhetische Be-
schaffenheit des Objects geht, vermöge deren dieses Lust erweckt, und dies,
vcü das Bewußtsein der Zweckmäßigkeit des Objects für das Erkenntnis-
vermögen zugrunde liegt. Das Geschmacksurteil bezieht Vorstellungen durch
die Einbildungskraft aufs Subject, ist nicht logisch, sondern ästhetisch. „TTo«
an der Vorstellung eines Objects bloß sui^ectiv ist^ d, i. ihre BexieJiung auf das
Stibfecf, nickt auf den Gegenstand ausmacht^ ist die ästhetische Beschaffenheit
dertelbeft' (Kr. d. Urt Einl. VII). Das Ästhetische bildet die Vermittlung
zwischen Natur und Sittlichkeit (1. c. § 6). Das ästhetische Urteil ist a priori,
insofern es subjective Allgemeingültigkeit besitzt, vermöge deren es die Ein-
stimmung jedermanns mit dem eigenen G^eschmack (s. d.) erwartet, wenn auch
nicht absolut fordert (ib.). Schön ist, was uninteressiert, durch sich selbst, ohne
Begdiren, ,phne Begriffe ^ als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt
vird^ (ib.). (Schon Mendelssohn sagt: „Wir befrachten die Schönheit der
yatur und der Kunst, ohne die mindeste Regung von Begierde, mit Vergnügen
und Wohlgefallen", Morgenst, Schrift. II, 294 f.; vor ihm schon Montesquieu:
JL/HTsque naus trouvons du plaisir ä roir une chose arec une utilite pour nous,
88 Ästhetik.
nous disons qu'elle est bannen lorsqt^ notis trouvons du plaisir ä la roir sans
qtte notis y demelions une tUilite presente^ nous l'appellons bellet*, B6flex. sur 1«
cause« du plaisir . . . Oeuvr. 1835, p. 586; Riedl: jjSekön ist, was ohne inter-
essierte Absicht sinnlich gefallen und auch dann gefallen kann, wenn wir es
nicht besitxen^\ Theor. d. schön. Künste 1767, S. 17; Sitlzer: „/)<w Schäm
gefallt uns ohne Rücksicht auf den Wert des Stoffes, wegen seifier Form oder
Gestalt, die sich den Sinnen oder der Einbildungskraft angenehm darstellt. \
„Schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines notwendigen Wohlgefallens
erkannt wird"' (1. c. § 22). Schönheit ist die „Fortn der Zweckmäßigkeit eiftes*
Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zweckes an ihn wcJtrgenommen
trird"^ (1. c. § 17). Es gibt zweierlei Arten von Schönheit, ,Jreie Schönheit
(pulchritudo vagaj, oder die bloß anJiängende Schönheit (puiehritudo adhaerens).
Die erstere setxt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll:
die xweite setxt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes nach
demselben voraus" (1. c. § 16). Den Übergang vom Schönen zum Sittlichen
bildet das Erhabene (s. d.). Die Kunst ist „Hervorbringung durch Freiheit*,
„als ob es ein Product der bloßen Natur sei" (1. c. § 45). In ihr gibt die Natur,
vertreten durch das Genie (s. d.) schöpferisch Regeln (1. c. § 46). Eine Weiter-
bildung erfährt diese Ästhetik durch Fr. Schiller. Er leitet die Kunst aus
dem Spieltrieb (s. d.) ab. Im Spiel befreit sich der Mensch von den Sorgen
und Engen des Alltags, er erhebt sich zu etwas Höherem, lebt ein reineres,
freieres Leben. Denn „der Mensch spielt nur, tco er in voller Bedeutung de»
Wortes Mensch ist, utid er ist nur da ganx Mensch, wo er spielt" (Üb. d. ästh.
Erz. d. M. Br. 15). (Vom „freien Spiel der Vorstellungskräfte^^ spricht schon
Kaut, Kr. d. Urt. § 9.) Die Kunst ist dem Menschen als etw^as Specifisches
eigen. Das Ästhetische vermittelt zwischen Natur und Sittlichkeit, läutert den
Menschen, ist ein eminenter Oulturfactor. (Üb. d. äst. Era. d. M., Ph. Sehr.
S. 183; vgl. Br. 23.) Der ästhetische Sinn sucht „m der Form ein freies Ver-
gnügen" (Üb. Anm. u. Würde, Phil. Sehr. S. 128), „ohne alle Rücksicht auf
Besitz, aus der bloßen Reflexion über die Erscheinungsweise^*^ (Üb. d. Erhab.,
(1. c. S. 190). Vernunft und Sinnlichkeit stimmen im Schönen zusammen
Üb. Anm. u. W., 1. c. S. 128). Die Schönheit ist „die Bürgerin xweier WcltefV\
„sie empfängt ihre Mristenx in der sinnlichen Natur utul er tätigt in der
Vernunftwelt das Bürgerrecht" (1. c. S. 105), dadurch, daß die Vernunft das
Sinnliche übersinnlich behandelt, es zum Ausdruck einer Idee macht (1. e.
S. 104 f.). Schönheit ist „Freiheit in der Erscheinung" (WW. XII».
W. V. Humboldt erinnert in dem Gedanken der Harmonie zwischen der
sinnlichen und der geistigen Natur des Menschen durch das Ästhetische an
Schiller. Ein Gegner Kants ist Herder (Kalligone 1800). Er behauptet u. a. :
„Interesse hat die Schönheit, ja alles Gute hat nur durch sie Interesse^*^ (1. c.
I, 195). „Des Menschen Spiel, wie das Spiel der Natur ist sinniger Ernst''
(1. c. III, 290). Schönheit ist „das Gefühl der Vollkommenheit eines Dinges"'.
Beziehungen zur Kant-Schillerschen Ästhetik weisen ästhetische Bemerkungen
J. G. FiCHTEs auf (WW. VIII, 275 u. ff., IV, 355), auch solche Fr. Schlegels,
der eine Theorie des Häßlichen gibt. — Nach Goethe ist Schönheit da vor-
handen, wo wir „das gesetzmäßige I^ebendige in seiner größte^i Tätigkeit und
Vollkommenheit sc/iaueti" (WW. Hempel, XXV, 155). Das Kunstwerk stellt
die Grundformen der Dinge in indi\nduellen Gestaltungen und typischer Voll-
kommenheit dar. Das Schöne ist eine „Manifestation geheimer Naturgesetze'^
Ästhetik. 89
(Weim. Ausg. Bd. 48, S. 201). Nach Bouterwek ist die Aufgabe der Ästhetik,
.AH erUären, was wir empfinden, wenn wir mit Recht ttrfeüen, daß etwas schön
i*f, und wie sich die Empfindung des Schönen xu den natürlichen Anlagen so-
ifohl als xur Entwicklung einer mttsterhaften Cultur des mefischliehen Geistes
rerbält* (Asth. I, 3). Wir wollen wissen, „was sich in der Seele ereignet , wenn
ffir etwas schön finden^^ (1. c. I, 19). Das ästhetische Gefühl ist „ofa« ur-
.*priingliek^Menschengefiihl^\ das „menschliche Urgefühl'^ (1. c. I, 41), y,ein Ge-
fühl, in welchem die menschliche ^'atur wie ein uftgeteiltes Ganxes tpirkt^ (ib.).
Das Spiel ist niit der Kunst verwandt (1. e. S. 42 ff.). Das Schöne beruht auf
dem Gesetz einer ,Jiarmonischeti THtigkeit aller geistigefi Kräft&*^ (1. c. I, 50).
Schönheit beruht auf gewissen Verhältnissen einer Mannigfaltigkeit von Eigen-
Khaften der Dinge zu unserem Geisteszustände (1. c. S. 56). „Allen Elementen
des Schönen liegt xwtn Grunde eitie innere Harmonie oder ästhetische Einlieit
im Jiamdgfaltigen'"' (1. c. S. 58), die wieder auf die Einheit der Seele zurück-
fahrt Es gibt keinen besonderen Schönheitssinn (1. c. S. 71). Alles Schöne
intoessiert unmittelbar durch sich selbst (1. c. S. 80). Die Kunst ahmt nicht
nach, sondern wetteifert mit der Natur (1. c. S. 200 ff.). Die Bouteniceksche
Anffawnng des ästhetischen Grefühls billigt Gbillpabzer (WW. XV, 131).
niSrAöfi ist dasjenige, das, indem es das Sinnliche vollkommen befriedigt, xugleich
die Seele erhebt.*^ ,ßie Schönheit ist die vollkommene Übereinstimmwng des
iHimliehen mit dem Geistigen" (ib.). „Wenn der sinnlich befriedigende Eindruck
durch Erweckung der Idee des V^ollkommenen ins Übersinnliche hinüberreicht, so
«ernten wir das das Schöne^^ (ib.). „Schön ist, was durch die Vollkommenfieit
in seiner Art die Idee der Vollkommenheit im allgemeincfi erweckt" (1. c. S. 136).
Die Kunst ist ,/lie Hervorbringung einer andern Natur, als die, welche uns um-
yütt, einer Xatur, die mehr mit den Forderungen unseres Verstandes, unserer
Empßndtffig, unseres Schönheitsideals, unseres Strebens nach Einheit überein-
liimmt^ {\h.).
Mit SCHELLIXG beginnt die Reihe der speculativen Ästhetiker, der Ver-
treter einer idealistischen Gehaltsästhetik. Nach Schelling ist die
Kunst die Überwindung der Gegensatze des Realen und Idealen. Sie stellt
d»» Absolute (Unendliche) endlich dar, nachdem sie es in der Anschauimg er-
&6t, und zwar unbewußt: „Der Grundeharcdäer des Kunstwerks ist . . . eine
bfKußtlose Unendlichkeit" (Syst d. tr. Ideal. S. 463, 459). Sie ist die
VoUendung des Wissens und der Philosophie (1. c. S. 486, 475), sie »bringt den
ganzen Menschen, wie er ist, . , . xur Erkenntnis des Höchsten" (1. c. S. 480).
Ihr Ziel ist ^die Vernichtung des Stoffes durch Vollendung der Form" (Üb. d.
Verh. d. bild. Künste zu d. Nat. 1807, ähnlich schon ScHn^LER). Schönheit
in JUis Unendliche endlich dargestellt" (Syst. d. tr. Id. S. 465). Nach Solger
oriaeht die ,Jkün8tlerisehe Ironie" (der Romantiker) das Wesen der Kunst aus,
denn f^sie ist die Verfassung des Gemüts, worin wir erkennen, daß unsere
^'irUiehkeit nicht sein würde, wenn sie nicht Offenbarung der Idee wäre, daß
(Aer eben darum mit dieser Wirklichkeit auch die Idee etwas Nichtiges wird
Mrf untergeht" (Vorles. üb. Ästh. 1829, S. 241). Im Schönen offenbart sich
die Idee in der Existenz unmittelbar, daher ist aUe Kunst symbolisch (1. c.
15. 66 t, 73; Erwin 1815, II, 41). Chr. Krause erblickt in der Schönheit „rf«€
<m Endliehen erscheinende GötUiehheit oder Gottähnliehkeit" (Vorles. üb. Ästh.
11*2, S. 88). Schön ist, „was Vernunft, Verstand und Phantasie in einefu
lArm Oesetxen gemäßen, entsprechenden Spiele der Tätigkeit befriedigend
90 Ästhetik.
beschäftigt und das Gemüt mit einem uninteressierten WohlmfaUen erfiUW'
(Gr. d. Asth. § 10). Chr. Weisse definiert die Ästhetik als „ Wissenschaft von
der Idee der Schönheit' (Syst. d. Ästh. 1830). Subjectiv ist Schönheit „rft« auf-
gehobene Wahrheit* y objectiv Erscheinung und Form der Dinge, ein IMaß-
Verhältnis. Das Häßliche ist das „tmmittelbare Dasein der Schönheit^'. Hegel
definiert das Schöne als „das sinnliche Scheinen der Ide^' fS^orles. üb. Ästh.
1835, I, 144). Nur als y^den Oeist bedeutende^ charakteristische ^ sinrnndle NeUur-
form'' soll die Wirklichkeit durch die Kunst nachgeahmt werden (EncykL § 558).
Die Kunst, die sinnliche Darstellung des Absoluten (Ästh. I, 90), bringt den
Inhalt erst ziun Bewußtsein (1. c. § 562), sie reinigt den Geist von der Un-
freiheit (ib.). Es gibt classische, symbolische, romantische Kunst (1. c. § 561 f.;
Asth. I, S. 99 ff.). Ästhetik ist yyPhilosophie der Kunst' (Ästh. I, 3). Nach
K. EosENKRANZ ist das Häßliche das notwendige negative Ck>rrelat zum
vSchönen, dessen die Kunst bedarf, um die Idee nicht einseitig zur Anschauung
zu bringen (Ästh. d. Häßl. S. 115, 38). Nach ScHOPEiraAUER wiederholt die
Kunst „die durch reine Confemplation aufgefaßten ewigen Ideen''. „Zfer einxiger
Ursprung ist die Erkenntnis der Ideen; ihr einziges Ziel Mitteilung dieser Er-
kenntnis" (W. a. V. u. V. Bd. I, g 36). Jedes Ding ist schön, sofern es yjAus-
drtiek einer Idee" ist (1. c. § 41). Die Kunst sondert die Idee aus den Zufällig-
keiten der Wirklichkeit, verhilft dadurch zur leichteren Auffassung des Wesens
der Dinge (1. c. § 37), die Musik ganz unmittelbar (1. c. § 52). In der ästhetischen
Anschauung reißen wir ims vom Willen los, dieser schweigt, alles Streben
kommt zur Ruhe, wir sind yyreines Subfeet des Erkennens", So ist die Kunst
ein jyPalliativ" gegen das Leiden (1. c. § 38 u. ff.). Eine idealistische Gehalis-
ästhetik findet sjch bei Lotze (Gr. d. Ästh.«, § 20; Gesch. d. Ästh. S. 97); auch
bei Sghasler (Ästh. I u. Das Syst. d. Kimste«, 1885); ferner bei Th. Vischeb:
Schön ist yydie Idee in der Form begrenzter Erscheinung" (Ästh. I, 54; so auch
C'arneri, Sittl. u. Darw. S. 79). yjDie Natur ist der Boden, woraus der Oeist
aufsteigt" (D. Schöne u. d. K.*, S. 92). Im Schönen ist yyVerborgene Philosophie^*
(1. c. S. 99). Im Individuum muß das Gattungsmäßige erscheinen (1. c. S. 105).
Das Schöne ist yyausdrucksrolle Formy formgewordener Äusdruek, Einheit pon
Ausdruck und Harmonie, oder mimisch -harmonische Form^' (1. c. S. 78). Es
findet ein unbewußtes yyEinfiihlen" , ein „Ijeihen" , ,yUhterlegen" seitens der
Seele statt (1. c. S. 69 f., 77). Carkcere erblickt das eig^tUch Ästhetische in
der Form, diese aber schon als yyAusdruck des Innern" genommen (Ästh. I,
S. VII). Schön ist, yywas sofort durch sein Erscheinen die ihm XAtgrf49»de
liegende Idee in uns waehruft' (1. c. S. 19), yyWas rein durch seine Form gefiUit*
(1. c. S. 76). Schönheit ist y,angesehaute Zweckmäßigkeit' (1. c. S. 89), „rftc
Idee, fcelche ganx in der Erscheinung gegenwärtig, die Erscheinung, ireleßte ^anx
von der Idee gebildet und durchleuchtet ist' (1. c. S. 70). Nach Kirchmakk ist
schön das idealisierte, sinnlich angenehme Bild eines seelenvollen Realen
(Ästh. 1868). Wie HoRWicz lehrt er eine Geföhlsästhetik. v. HAKTMAJi^iT
sieht im Schönen eine Erscheinungsform des unbewußt Logischen. In der
Realität, mit der Form, wird die Idee erfaßt — lehrt die „coneret-idealistim^he^
Ästhetik. Das Schöne ist sinnlich ästhetischer Schein „th der Sphäre einer
idealen Phänomenalität' . Durch die Kunst werden nur „ästhetische Schein--
gefühle" erweckt, es genießt das „Schein-Ich" ästhetisch (Phil. d. Schön. 1887,
8. 26, 455 ff.). RusKiN erklärt die Schönheit für die Manifestation dee
schöpferischen Weltgeistes (Lect. on Art 1870).
Ästhetik. 91
Zwischen Gdudts- und formalistischer Ästhetik vermittehi verschiedene
FMosophen. Nach Wuia>T liegt in jedem ästhetischen Urteil „«tne unmütdbare
Amrimnung des Belbsiändigen Werte» der den Gegenstand des Urteils bildenden
geistigen Lebensntßuütf^* (Syst d. Phil.*, 8. 674). Der ästhetische Wert liegt
Kilon im Object selbst begründet, er beruht auf objectiven Bedingungen. Die
Hauptfrage der Ästhetik lautet: „Welche Eigenschaften müssen die Gegenstände
haben, um in uns ästhetische Wirkungen hervorzubringen" (l. c. S. 674 ff.). Es
gefallt niemals die Form als solche, sondern „die vollkommene Angemessenheit
4er Form, an den Inhalt^ (1. c. S. 677 ff.). Die Kunst will das wirkliche Leben
dusteUen, aber nicht durch einfache Nachahmung, sondern durch Hervorhebung
des Bedeutsamen in dessen Reinheit. G^enstand der künstlerischen Schöpfung
irt .^f> ideale Wirklichkeit" , d. h. die Widclichkeit, „wie sie im Lichte der
4mTh die Anschauung im künstlerischen Genius enteckten Ideen erscheint^^.
Die Idee, welche die Einheit des ästhetischen Objects vermittelt, liegt latent
schon in ihm. Xur der „bedeutsame Lebensinhalf^ ist ästhetischer Gegenstand
(L c. S. 683 £f.). Aufgabe der Kunst ist, „die Wirkliehkeü in der Fülle ihrer
bedeutsamen Formen in die Sphäre jener reinen Betrachtung xu erheben y von
4er jedes der Versenkung in den Gegenstand selbst fremde Begehren weit abliegi^^
iL c. S. 687 ff.; Gnmdz. d. ph. Psych. II*, 235 ff., 250 ff., 526). Ähnlich lehrt
Volkelt, der in dem „Menschlich-Bedeutungsvollen" den Gegenstand der Kirnst
erblickt (Asth. Zeitfrag. 1895). Die Ästhetik hat „in metaphysische Be-
&aehtm»gen auszulaufen" (1. c. S. 221, Ästh. d. Trag. S. 425 ff.). Die
Jistheiisrhe Beseelung^^ ist wichtig (Zeitschr. f. Philos. Bd. 113, 115; vgl. auch
Wftasek, Zeitschr. f. Psychol. Bd. 25). Riehl: „Die Kunst ist productive
Tätigkeit^ kein Spiel", sie ist j^ein öomplement des Ijcbens" (Z. Einf. in d. Phil.
S. 174 f.).
Die formalistische Ästhetik hat ihren Begründer in Herbart. Dieser
rersteht unter ^yÄsthetil^^ die Wissenschaft von den Werturteilen überhaupt,
tfeo auch die Ethik (s. d.). Das Gefühl des Schönen entspringt aus formalen,
imieren Verhältnissen zwischen unseren Vorstellungen, der Inhalt kommt erst
wcundär zur Geltung (Psych, a. Wiss. II). So auch R. Zimmermann (Ällg.
Ä«ÜL 1865). Das ästhetische Urteil als Kunsturteil bezieht sich auf die Formen
«irr Objecte (L c. § 351). Das Schöne als solches gefällt nur durch die Form
(Send. u. Krit 1870, II, 252). So auch Th. Vogt (Form u. Gehalt in d. Ästh.
18<Bi und Volkmann (Ldirb. d. Psych. II*, 355). — Vermittelnd lehren
KoEPTLiN (Ästh. 1860) und Siebeck: Zum Ästhetischen gehört zunächst eine
nretgende Gestaltenfülle, dann ein besonderer Inhalt (Das Wes. d. ästh.
Ansch. 1875).
Entgegen der speculativen oder vag empirischen „Ästhetik von oben" fordert
FECHNEit eine „Ästhetik von unten auf", und zwar auf experimenteller
Gnmdlage (Vorarbeiten bei Zeisino, Lehre vom „goldenen Sehnitf*). Er unter-
tcfaeidet zwischen „dtreetetn" und „assoeiativem" Factor des Ästhetischen.
.JHrect . . . igt der Eindruck eines Gegenstandes, insofern er subjeetiverseits von
ier angeborenen oder nur durch Aufmerksamkeit und Übung im Verkehr mit
Oegenständen gleicher Art enhoiekeUen und verfeinerten inneren Einrichtung
etkangt, assoeiativ, insofern er von einer Einrichtung abhängt, die dadurch
mtstandem ist, daß sieh der Gegenstand wiederholt in Verbindung und Be-
iiekung mit gegebenen Gegenständen anderer Art dargeboten hat^ (Vorsch. d.
Arth. I, S. 121).
92 Ästhetik.
In verschiedener Weise wird die Ästhetik psychologisch begründet.
Lipps sieht im Schönen ein ästhetisch Wertvolles, einen Eigenwert (Kom. u.
Humor S. 199). Die Kunst ist gerichtet ^ftuf Erxeugung eines in »ich idbst
Wertvollen'' (1. c. S. 209). Aller ästhetische Genuß Jiegt schließlieh änxig
und allein in der Sffmpathie begründet' (1. c. S. 216). In der Kunst handelt
CS sich um ,/istheiischen Sehein'' (Ausdruck schon bei Schilleb, bedeutet bei
ihm einen „Schein, der weder RecdiUU vertreten toilly noch von derselben pertreten
zu werden braucht", Asth. Erz. 26). In der ästhetischen Anschauimg beseeleD
wir das Object, legen ein ideelles Ich in es hinein (ästhetische „EinfiihUmf'i
(Asth. Einf., Zeitschr. f. Psych, u. Phys. 1900; Eth. Grundfr. S. 180). ,,Malt
und Form eines Kunstwerkes sind jederzeit xwei untrennbare Seiten einer und
derselben Sachet' (Eth. Gr. 8. 181). Die einzelnen Bedingungen des Ästhetischen
sind aufzusuchen (vgl. Baimiästh. 1897, Asth. Factoren d. Baumansch. 1891).
Eine psychologische Fundierung der Musik enthalt die „Tonpsychologie^' von
K. Stumpf (eine physiologische die „Lehre von den Tonempfindungen" von
Helmholtz). H. V. Stein definiert die Ästhetik als „Lehre vom Oefiihi" und
„Lehre von den Kunstwerken" (Yorles. üb. Asth. S. 1 f.). ,yÄsthetik soll das
Kunstwerk mit dem gesamten geistigen Leben deutend und erklärend i$i Be-
xiehung setzen" (Entst. d. neuer. Asth. S. 263). Das „Verweileti beim Ein-
druck als solchem" ist das Element des Ästhetischen (Yorles. S. 4; ähnlich
R. Wähle, D. Ganze d. Philos. S. 397 ff.). Der ästhetische Eindruck besteht
in der Fülle normaler Tätigkeit (Yorles. üb. Asth. S. 4). Die ungehinderte
Ausübung der (triebartigen) Einheitsfunction des Bewiißtseins erweckt das
ästhetische Wohlgefühl (1. c. S. 9). Unter „organischer Associaium" ist die
ästhetisch bedeutsame Association zu verstehen (1. c. 8. 14). Die Aufgabe aller
Künste ist, „eine Sache xu bedeutendem Ausdruck xu bringen" (1. c. 8. 19k
Grundform des Ästhetischen ist das ,/reie Spiel der VorsteUungen" (1. e. S. 28).
Eine Loslösung vom Begehren findet statt (1. c. S. 30). „Schön" = „ein Auf-
gehen im Schauen" (Entsteh, d. neuer. Asth. S. 97). Dilthey betont die
,,Steigerufig der auffassenden Kräfte, die Erweiterung der Seele, ihre Entladung
mid Läuterung, wie sie das große Kunsttverk hervorbringt" (Deutsche Kundsch.
1892, S. 225 ; vgl. Die Einbildungskr. d. Dicht. S. 309). Nach Höffding ist
die Kirnst eine „ideelle Fortsetxufig der Naturentuncklung", sie lehrt uns ,jrf«e
Augen aufmachen", ,^ie auf die großen leitenden Züge heften und dadurch die
Wirklichkeit besser verstehen" (Psychol.*, S. 250). Nach Jgdl stellt die Kunst
die typischen Fälle der Wirklichkeit anschaulich dar (Psych. S. 156 ff.).
J. A. Herzog definiert das Ästhetische als das, „was reine Affecte erregt^
(Was ist ästh.*, S. 55). Die reinen, ästhetischen Affecte sind schwächer als
die gemeinen, unpersönlich (1. c. S. 39 ff.). Durch die Kunst wollen wir ge-
täuscht sein (1. c. S. 65).
K. Groos verbindet die psychologische mit der biologischen Interpretaticm
des Ästhetischen. Er bringt, das Ästhetische zum Spiel in Beziehung (Spiele
d. Mensch. S. 348, vgl. S. 445 f.). Der ästhetische Genuß ist ein ,^spielendes
setisoriscJics Erleben" (Spiele d. Mensch. S. 505), „das edelste Spiel, welches der
Mensch kennt" (D. ästh. Genuß S. 14). Der Selbstzweck des Spiels (s. d.) liegt
auch im ästhetischen Genuß vor (ib.). Groos verbindet Lotzes und R. Vischer!»
Theorie des innerlichen Miterlebens mit Schillers Lehre vom Spiel (L e. S- 179).
„Das innerliche Miterleben ist . . . das eigentliche Cefitrum des ästhetischen
Oenießens" (1. c. S. 183). Die „Scheingefiihle" , die den ästhetischen Schein
Aathetik.
begieiten, sind wirkliche, nicht bloß vorgestellte Xfeffnili5" (1. c. S. 209).
Ästhetischer Schein ist ,^n Produet der Einbildungskraft y die sieh von dem
äußeren Gegenstand ein inneres Biid ablöst, welehes sie nur dctdureh erhatten.
bann, daß sie sieh einseüig auf bestimmte Teile der Sinnesempfindung ewi-
eeiffriert* (Einl. in d. Asth. 8. 40). Nur der ^Jherrsehende Sehein^^ ist ästhetisch
iL c. S. 45), er ist ^jinnere Nachahmung' (1. c. S. 84). Die ästhetische An-
iachAuung ist j^ine innere Xaehahmtmg des äußerlieh OegebefteHy durch welche
tieh das Bewußtsein das innere Bild, den ästhetischen Schein erxeugt und in
der Erzeugung dieses Scheins spielend verweiW (1. c. S. 196). Die „ästhetische
Bkmon''^ ist „eine THuschung, die ich selbst im freiwilligen Spiel der inneren
Xaehahmung erzeuge. Ich versetze mein Ich spielend in das fremde Objeet, und
diese Selbstversetximg, die jeden leblosen Gegenstand personifieiert, gilt mir als
t^stekendj obwohl ich recht gui weiß, daß sie in Wirklichkeit nicht stattfindet'
iL c. S. 191). Drei Arten der ästhetischen Illusion („ästhetische Realität^' bei
Lipps) gibt es: „Illusion des Leihens, Copie, Original- Illusion, Illusion des Mit-
frirbens"' (Asth. Gen. S. 23, 213 ff.). Die „ästhetische Sympathie'* beniht darauf,
ikß der gebotene Inhalt, dem wir eigene Zustande anschauend „leihen" (der
Aosdnick ist von Vischer, Asth. II, 1, 27), mit unseren Neigungen, Be-
dürfnissen ti. s. w. übereinstimmt Daher ist der Inhalt des ästhetisch Wirk-
«men durch ererbte Triebe bestirimit. Die „mopiarehisehe Einrichtung" des
Bewußtseins beeinflußt die künstlerische Darstellung; diese bedeutet der Natur
^icgenüber eine Erleichterung unserer Ooncentration auf das ästhetisch Weit-
ToOe. K. Lange polemisiert gegen alle „metaphysisch-transcendentaien" sowie
jwgen die Theorien der „Einfühlung" und „Association" (D. Wesen d. Kunst
L 4). Kern des künstlerischen Grenusses ist die „bewußte Selbsttäuschung"
iT^ Die bew. Seibett., 1895). Die Aufgabe der Kunstlehre ist die Ermittlung
and Erklärung des ,^äst/ietisehen Gattungsinstinets" (Wes. d. K. S. 15). Form-
ond Inhaltsasthetik sind beide einseitig (1. c. S. 17). Die „Iüusionsiheori&' er-
Mickt im psychischen Voi^ang des ästhetischen Schauens selbst die immittelbare
Untache der ästhetischen Lust (1. c. S. 18). Die ästhetische Illusion ist ein
Mtkäisckes Spi^\ ,fiewußte Selbsttäuschung^' (1. c. S. 27), die einem Grund-
bedürfnis entgegenkonmit (1. c. S. 28). In der Kraft der Illusion besteht das
BcaKstische (1. c. S. 31). Die Ästhetik ist „die Wissenschaft von den ästhetischen
Lustgefühlen", den receptiven und productiven (1. c. S. .33). Die Kunst hat sich
a» dem Spiel entwickelt, ist eine besonders verfeinerte Form des Spiels (1. c.
}^. fß). Endziel der Kunst ist die „Steigerung und Vervollkommnung des
Meudkentums durch Vertiefung und Ericeiterung der Anschauungen und Ge-
fühlt* (L c. II, S. 57). Die ästhetische Lust beniht „lediglieh auf der Stärke
uttd Lebhaftigkeit der Illusion" (1. c. I, S. 81), entsteht „aus der in der Vor-
ddlung vollzogenen Ubersetxung des Toten ins I^beti, der phantasiemäßigen Be-
s^ehmg des in Wirklichkeit Unlkiseelten" (1. c. S. 84). Ästhetische Beseelimg ist
.Jede Ansehatmng eines toten Naturgebildes, bei der wir dasselbe in der Phan-
issie beleben" (1. c. II, 381). Die Illusionsgefühle sind gedämpfte, gemäßigte
Gefühle, „Oefählsvorstellungen" (Scheingefühle) (1. c. S. 100 ff.). Der Kunst-
jmoß liegt in dem „Widerspiel zweier einander eigentlich niderspreehender Be-
tmßtseinsinhalte, einerseits des Wissens von der Scheinhaftigkeit des Wahr-
jenommenen, anderseits des Olaid)ens an die Wirklichkeit" (1. c. S. 224); der
Miedsche Genuß ist ,4ic Folge einer gleichxeitigen Entstehung zweier Vor-
steüufigsreihen, die sieh eigentlich ausschließen" (1. c. S. 326, 334 = „Schaukel'
94 Ästhetik.
theorie^^). Die bewußte Belbettauschung ist ,4'iejeinige Form der geizigen Be-
eeption , . ,, die dem Mensehen erlauht, in der verhäUndsmäßig kürxesteti Zeii
die verhältnismäßig größte Zahl von Vorstellungen und QefähUn in sielt auf-
xufiehmen, ohne xu ermüden'* (l. c. S. 345). Das Schöne ist f/ias, was Mensehan
mit richtiger und^ intensiver NtUuransehauung in Illusion tfersetzi^* (1. c. S. 54,
347, 349, 351, 357). Naturschön ist, „icas, tnit den denkbar geringsten Ver-
änderungen in die Kunst übersetxiy eine ästhetische Wirkung hervorbringen
tcürd&* (1. c. II, 349). Das Spiel (s. d.) hat eine biologische und sociale Be-
deutung, damit aber auch die Kunst. ^yKunst ist jede lUtigkeä des Menschen,
durch die er sich und andern ein von praktischen Interessen losgelöstes, auf einer
bewußten Setbsttäuschufig beruhendes Vergnügen bereitet und durch Erzeugung
einer Änsehauungs-, QefüMs- oder Kraßvorsteüung xur Brtceiterung und Ver-
tiefung unseres geistigen und körperliehen Lebens und dadurch xwr Erhaltung
itnd Vervollkommnung der Gattung beiträgt* (1. c. IT, 60). In der Form des
Scheins ergibt sich ein Mittel der Ausgleichung der Einseitigkeit»! menschlicher
Kräfte und Fähigkeiten (1. c. S. 54 ff.).
Biologisch wird das Ästhetische auch von H. Spencer gedeutet £r leitet
die Kunst aus dem Spiele (s. d.) ab. Eine Vorbedingung des Ästhetischen ist
die Ablösimg eines Grefühls von der (bewußten) Aufgabe, dem Leb^i unmiUeL-
bar zu dienen (Psych. § 535, S. 172), die bewußte Zwecklosigkeit liegt im Schönen
(1. c. S. 715). Doch macht sich in den ästhetischen (jrefühlen eine möglichst
wirksame und ungehinderte Tätigkeit der Sinne und der Association geltend
(l. c. §. 536, S. 716 ff.). Auf den Zusammenhang der Kunst mit dem Spide
weist auch Sully hin (Unt. üb. d. Kindh. S. 306). Die ästhetischen Gk^nüsse
bilden einen „ Überschuß über die täglichen Befriedigungen" (Handb. d. Psvchol.
S. 366 ff.). Nach L. Dumont ist schön, „was in der Einheit einer und der-
selben Vorstellung ein VielfaUiges darstellt, so daß es einen beträcMUehen Kraß-
aufwand erfordert, um diese Vorstellung im Geiste xu verwirklichen** (Vergn. u.
Schm. S. 205 ff.). A. Lehmann betont, die ästhetischen Gefühle seien nicht
ganz trieblos (Gefühlsleb. S. 348). „Alles, loas bei der Betrachtung Lust erregt,
heißt ,sehün* ** (ib.). Nach B. Hamerlino hängt der ästhetische Trieb mit dem
Lebenswillen und der Lebensfreude, der Freude an dem, was ist, zusammen
(At. d. Will. II, 231). Ähnlich Nietzsche, der die Kunst als „Stimulans xwn
Leben** betrachtet (WW. VIII, 135). Sie Idirt „Lust am Dasein %u Itaben** (II,
207; vgl. Zeitler, Nietzsches Ästhetik 1900). Ästhetik ist „eine angewandte
Physiologie*. Ch. Darwin bringt das Ästhetische zum Sexuellen in Beziehung
(Urspr. d. Mensch.), so auch Nietzbche imd G. Naumani« (Geschlecht u.
Kunst 1899, S. 159), femer W. Bölsche (liebeal. in d. Nat. 2. Folge, 1901).
Physiologisch begründen die Ästhetik Grant AiiLEN (PhysioL Aesthetics 1877)
und G. HiRTH. — Nach W. Jerusalem sind die ästhetischen Gefühle y^eine
Wirkung l)efriedigter oder gehemmter Functionsbedürfnisse** (Lehrb. d.
Psych.», S. 174). Das ästhetische Genießen ist eine Art Spiel (1. c. S. 176).
,,Die Kunstwerke regen alle unsere seelischen Tätigkeiten an** (1. c. S. 176). Die
ästhetischen Gefühle haben infolge ihres functionellen Ursprungs, wegen ihrer
Begierdelosigkeit, ,^ujas Zartes und dabei zugleich etwas Reinigendes und
Läuterndes an sich" (L c. S. 177). Die Kunst beruht auf „LiebesweHnmg**
des Künstlers für das von ihm Dargestellte (Einf. in d. Philos.)
Kulturgeschichtlich -ethnologisch wird die Kunst betrachtet von Gro68E
(Anfänge d. Kunst), der auch die sociale Bedeutung der Kunst betont (L e.
Ästhetik — Ästhetdach. 95
S.299£L; der üeiste Grund und Wert der Kunst besteht in der Betätigung und
in dem Genüsse der Freiheit Kunstwiss. Studien 1900, S. 15), sowie von
Yiüö HiEN (Origins of art 1900) und K. Büchker (Arb. u. Rhythmus), der
die gesellige Arbeit als Auslöserin rhythmischer, ästhetischer Functionen be-
tnchtet
Die sociale Bedingtheit der Kunst betont (vorher schon u. a. Dubos,
Pboüdhon, Du principe de Part . ., 1865) H. Taike durch seine Theorie
ram „Milieu**. ,Jj*oe9wre cCart est determinee par tut ensemble qui est Vetat
foUrai de Cesprit et des moeurs envinmnanies'' (Phü. de Tart 1865, p. 17, 22,
^\, Der Zweck des Kunstwerkes ist, einen wesentlichen Charakter, eine Idee
deutücher und vollständiger darzutun, als es die wirklichen Objecte tun (vgl. Zettler,
Die KunB^[>hilos. von Hipp. Ad. Taine 1901). Die sociale Function der Kunst
betonen u. a. besonders Guyau (L'art au point de vue sociologique, 1888),
er ist gegen ,fart pour Vart'. Durch die Kunst wird die sociale Solidarität
imd Sympathie erweckt und gesteigert (1. c. p. 15 u. ff.). „Le but le plus haut
de fort est de produire une emotion esthetique d*un earaetere sociat^ (L c. p. 21).
Ähnlich Tabde, G. Seailles (Ess. sur le genre dans l'art*, 1897). Gegner
dieser Auffassung ist n. a. Benouyier (La th^rie esthetique du jeu, Critique
philos. 1885). Er vertritt die Kantsche Theorie (Nouv. Monadol. p. 312 ff.).
M. Burckhard : „Einmai beeinflussen die socialen Bestrebungen den gegenständ-
Uekem Inhalt der Kunst, und diese wirkt dann durch die künstlerische QestaUung
»kr durch sie propagierten Ideen fördernd txuf die sociale Bewegung selbst zurück :
dowi aber hat die Kunst durch das ihr innewohnende formale Moment . . . einen
maektigen Einfluß auf die geseflsehafUiche Entuncklung*^ (Ästh. u. Socialwiss.
1^, S. 4 f.). Der Schönheitssinn ^^entsprang aus den Eindrücken, welche einer-
seits gewisse für die Entwicklung der Gattung förderliche Körpereigenschaflen
9if die btdividuen dieser Gattung, anderseits die Erscheinungen der umgebenden
ystur auf die inneren Stimmungen, insbesondere ou/* das ganxe Liebeslebeii
ükn" (L c. S. 11). flrst war das im Kampf ums Dasein Nützliche angenehm,
«dion, spater gefiel das Schöne um seiner selbst willen (L c. S. 70 f.). Eine
resehe historische Zusammenstellung der Lehren von der Beziehung zwischen
Kunst und Moral gibt E. Reich (Kunst u. Moral 1901), der die sociale Be-
dingtheit und Wirksamkeit der Kunst scharf betont Zur Geschichte der
Asshecik v^l. R. Zimmermann, Gesch. d. Ästh. 1858. M. Schasler, Krit.
G«ch. d. Asth. 1871. LoTZE, Gresch. d. Ästh. in DeutechL 18(58. v. Stein,
Die Entsteh, d. neuem Ästh. 1886. Vgl. Erhaben, Komisch, Tragisch, Form.
ÄstihetilK, trän sc en dentale, nennt Kant die Lehre von dem Apriori-
•dien der Anschauung, der Wahrnehmung. „Eine Wissenschaft von allen Prin-
eipien der Sinnlichkeit nenne ich die transcendentale Ästhetik^* (Kr. d. r. V.
Ö« -19). Sie bildet den ersten Teil der Vemunftkritik. Sie beantwortet die
Frige: wie ist reine Mathematik möglich? durch Nachweis der Apriorität (s. d.)
^ Anschauungsformen, Raum und Zeit (s. d.). Sie bildet mit der transcen-
<lcotalen Logik (s. d.) zusammen die „transeendentale Elementarlehr&',
jlstlietiacli (aia9^ix6s): 1) zur sinnlichen Wahrnehmung gehörig, auf ^
die Wahrnehmung bezüglich (Griechen, Kant); 2) unmittelbar in der An-
idiauung gefallend oder mißfallend, im engeren Sinn = schön. Das Ästhetische
bomht objectiv auf Eigenschaften, Verhältnissen der Dinge, subjectiv auf der
eigenartigen Stellung, die das schauende Ich zu ihnen nimmt. Es ergeben Bioh
96 Asthetiach — Asthetisohe Urteilskraft.
so ästhetische Gefühle, wie das Oefühl des Schönen, Erhabenen, Anmutigen,
Komischen, Tragischen. Vgl. Ästhetik.
JUitlietiselie Beseelnnf^ ist das Ausstatten des Kimstobjectes mit
einem Scheinleben durch y,EinfÜhhmg^\ vermittelst einer simultanen Association
(Assimilation). Wir „leihen^^ dem Objecte ein Ich, Seele, Leben (Visc'her,
Iipps, Groos, Volkelt, Witasek, K. Lange u. a.). VgL Ästhetik.
Ästlietisclie Elemeiitars^effilile nennt man im weiteren Sinne die
zusammengesetzten Gefühle im Gebiet des Gesichts- und Grehörsinns. Im engeren
Sinne gehören dazu „di^/mi^fn, die als Elemente ästhettseher Wirkungen in dem
engeren Sinne dieses Wortes vorkommen", „Der Begriff des Elementaren be-
zieht sieh demnach bei diesen Gefühlen nicht auf die Gefühle selbst, die durchaus
nicht einfach sindy sondern er soll nur einen relativen Gegens€Ux xu den noch
ufeit xusammengesetxteren höheren ästhetischen Gefühlen ausdrücken" (Wuhdt,
Gr. d. Psych.*, S. 195). Auf die ästhetischen Elementargefühle lassen sich die
„nicht das eigene Wohl- oder Übelbefindenj sondern das Verhältnis der Gegenstände
xum vorstellenden Subfect xum Ausdruck bringenden Gegenstände des Gefallens
und Mißfallens" anwenden (1. c. 8. 195 f.). Es gibt zwei Klassen von Wahr-
nehmungs- (Elementar-) Gefühlen. „Unter den intensiven Gefühlen verstehen
wir diejenigen, die aus dem Verhältnis der qualitativen Eigenschaftett der Em-
pfindungselemente einer Vorstellung , unter den extensiven solche, die fMs der
räumlichen oder zeitlichen Ordnung der Elemente entspringen" (1. c. S. 196).
Die extensiven Gefühle zerfallen in die „Formgefühle" und „rhyüimisehen Ge-
fühl' (1. c. S. 198). Vgl. Goethe, Farbenlehre, Didakt. Teil, 6. Abt. Fbchneb,
Vorsch. d. Ästh. I. J. Cohn, Phil. Stud. Bd. X. R. Vischer, Das opt
Formgeftihl 1873.
Ästlietlsebe Gteffilile s. Ästhetik, ästhetische Elementargefühle.
Ästliettscbe Ideen gibt es nach Herbart fünf; sie entspringen aun
unwillkürlichen Geschmacksurteilen. Vgl. Idee.
Ästlietifiiebe lUaston s. Ästhetik (Lakge).
Ästlietlsiebe Urteile = Geschmacksurteile = Einzelurteile, die An-
spruch auf subjective Allgemeingültigkeit machen ; ihr Inhalt ist der ästhetische
Wert eines Objects, also eüie Beziehung desselben auf das schauende Subject Nach
Kant beruhen diese Urteile auf apriorischen Bedingungen des Bewußtseins, der
Urteilskraft (s. d.; Kr. d. Urt. § 8 f.). Nach Herbart ist ein ästhetisches
Urteil eüi solches, welches „das Prädicat der Vorxüglichkeit oder Vencerfltehkeä
unmittelbar und unwillkürlich, also ohne Beweis und ohfte Vorliebe oder
Abneigung, den Gegenständen beüegf^ (Encykl. § 80). Es ist die Quelle äsüietischer
Ideen (s. d.). Volkmann nennt ästhetisches L^rteil , Jenes Urfeil, das tfon einem
Verhältnis von Vorstellungen ein unbedingtes Wohlgefallen oder Mißfallen aussagt^
(Lehrb. d. PHych. II*, 291). Lipps versteht darunter „das Strebungs- oder Wert-
urteil, das ausdrücklich darauf vernichtet, sein Object in das System der Ursachen
und WirkungeUf Mittel und Zwecke als Glied dnxufügen, obgleich ihm freüieh
die erfahrungsgemäßen Zusammenhänge der Teile des Objects untereinander,
ebenso wie die xwischen ihnen bestehenden qualitativen Verhältnisse wichtig sind*'
(Gr. d. Seelenl. S. 611).
JUitbetlsehe UrteltekrafÜ s. Urteilskraft.
AsthetischAr Scheiii — Äther. 97
IsOtetteelier SclietD ist nach Schiller ein „Schein^ der toeder Realiiät
nrträeH wiü, noch von derselben vertreten xu werden braucht" (Ästh. Erzieh. 26).
VgL. Ästhetik.
.IsOiO-Pliystolas^ie untersucht die Nervenprocesse als Substrat der
Wahmehmungsvorgänge (H. Spencer, Psych. I, § 41).
AstrallSeteter s Gestimgeister (bei Aristotelikern des Mittelalters, auch
bei Fechner).
AsCrattelb (= siderischer Leib) nennt Paracelsüs die primäre Seelen-
hälle, die ^idea corporis elementarts**, die vom Archeus (s. d.) gestaltet wird
und selbst den sinnlich wahrnehmbaren Leib gestaltet.
Ataraxte (ara^aSia): UnerschütterUchkeit des Gemütes, völlige Seelen-
rnhe als Ziel des Handelns, als höchstes Gut. So schon bei Demokrit (Stob.
EcL II, 6. 76), besonders bei den Skeptikern des Altertums. Nach ihnen
ist sie an die ^Ttox^ (Enthaltung) vom Urteil über die Dinge geknüpft: reXoe
ii Ol cxtJtitxoi faai rijv inoxrjVy J cxiai tqotcov ivcaxoXovd'ei rj axa^a^ia
iDiog. L. IX, 11). Verwandt mit der Ataraxie ist die Apathie (s. d.).
AtaTlsmns : Rückschlag bei der Vererbung, Zurückverfallen eines Or-
ganismus auf eine frühere Entwicklungsstufe (der Gattung, der Ahnen).
Ataxie heifit die mangelnde Ordnung der Bewegungen bei erhaltener
Oontractionsenergie der Muskeln.
Ätemitftt = Ewigkeit (s. d.).
AtfumiMe (ad-ftfißiij): Unerschrockenheit, innere, seelische Ruhe, welche
Demokrit preist VgL Cicero, De fin. V, 39, 87 ; Stob. Flor. III, 34, VII,
32; EcL U, 76).
Atlianaste =- Unsterblichkeit (s. d.).
Atbamiiaste (a&avfiairia): Nicht- verwundem , Nicht-überrascht- werden
iofdert der Stoiker Zeno vom Weisen {(n>8ev d'avfia^eiv, Diog. L. VII, 12 f., 64);
d« „Rt/ admirari" des HoRAZ (Epist. I, 6, 1).
Attieiams: GU)ttlo6igkeit, Leugnung der Existenz eines göttlichen Prin-
zips, Annahme, dafi die Welt in und durch sich selbst besteht. Ausgesprochene
Atheisten sind Lammettrie, Holbach, mich dem Atheist ist f,un komme qui
ditruit de» ekimh-es nuieibUs au genre humain pour ramener lea hommes ä la
«fi0v, ä texperienee, ä la raison** (Syst. de la nat. II, eh. 11, p. 320), Fetter-
ÄACH. Stirner, Dühring, Nietzsche, MAiNLXin>ER (Phil. d. Erlöis. S. VIII)
0.1. F. Bacon meint: ^ileves gustus in philosophia movere foriasse ad cUheismum,
«ri plemores kaustus ad religionem redueere** (De augm. sc. I, 5). Vgl. Gott
ÄtMer {aid^^, aether) : die schwerlose, widerstandslose, unwägbare, feinste
Materie, die als Substrat der strahlenden Wärme, des Lichtes und der elektro-
n^gnetiflchen Energien gedacht wird, als ein alle Körper durchdringender, den
Wdtraom erfüllender Stoff, der sich in Elemente, Äther-Atome, gliedert.
In mythischer Form tritt der Äther auf bei Hesiod als Sohn des Erebos
(Finsternis) und der 'Syx. (Nacht). In den orphischen Dichtungen erscheint
«r als Weltseele (s. d.), als Zeus (Stob. EcL I, 2, 42). Später gilt der Äther
«k einer der Grundstoffe, als eine Art feinster Luft, immer noch als etwas
^Qmiekes^* (aid-e^a 9iav, Empedokles: Aristot, De an. I 2, 404 b 14). Bei
AUoiofbisehat WOri«rb«oh. S. Aaü. 7
98 Äther — Atom.
den Pythagoreern (Philolausfragment) kommt der Äther als fünftes Element
(6. d.) vor, 60 besonders bei Abistoteleb. Nach ihm ist der Äther der fdnste,
leichteste Stoff, der den Himmelskörpern als Substrat dient (De coeL 1 3 ; De gen. et
corr. II, 2 f. ; Diog. L. V, 1). Er ist der Qualität nach das erste Element (Meteor.
I, 3 ; De gen. an. II, 3), der Zahl nach aber das fünfte (später ndfotrov ^To«jffeMW',
quinta essentia (s. d.) genannt). Die Stoiker bestimmen den Äther als Feuer-
hauch, in welchem die Hinmielskörper sich bildeten: avonaTca ^Uv ovr tlvai to
nvQ o 8^ ai&BQa xakeXcd'tit, iv tp n^wnjv rrjr tcSv ankavmv aipalQav yevt'äc&ai,
eha rr,v t<»v TtXavoftsvior (Diog. L. VII, 1); er ist die unmittelbare, reine Form
des Pneunia (s. d.) (Cicero, De nat. deor. VII, 137; Lactanttüs, Inst. V, 5;
Stein, Psych, d. Stoa I, 26 ff.). Zeno, Kleanthes (Min. Fd., Octav. 19, 10)
und BoßTHlus rufen im Äther die Gottheit an (Stob. Ecl. 1, 2, 60). Als feinsten
Stoff bestinmit den Äther Philo Judaeus. Bei Proclub ist er eins mit
der alles durchdringenden Weltseele, ein Lichtstoff. Ahnlich lehren die Xator-
' Philosophen der Renaissance, so Agrippa, für den der Äther der ^rspirtius
mundi", das fünfte Element, die samenentfaltende Kraft der Dinge bedeutet.
G. Bruno sieht im Äther, den er dem leeren Baum gleichsetzt, das einigende
Band der Körperelemente (De min, I, 2), zugleich den y^tritus unirers^', das
Wärmend-Belebende (De immenso IV, 421 ; De monade p. 09 ; Lasswitz, Gesch.
d. Atom. I, 388 f.). Als feinst« Materie im physikalischen Sinne ohne occulte
Qualitäten bestimmen den Äther Hobbes, B. Hook, Malebrakche, Leibniz,
Newton, Bernoulli, Huygens (der ihn als Ursache der Schwere betrachtet)
u. a. K. Rosenkranz bestimmt den Äther als „die cdlgemeine, gestaühae
Materi^^, „das universelle, absolute Continuum" (Syst. d. Wiss. S. 199). Nach
R. Hamerling bestehen die Körper aus „versckied^i verdichtetem Äiher*^ (At
d. Will. II, 86). — Nach Oken ist der Äther „die erste Realwerdung OoUes^
die ewige Position desselben. Qott und Äther sind identisch*^. Er ist die Ur-
materie, der .göttliche I^^eib, die Ousia oder die Substanx'' (Naturph. I, 44).
Spiller erblickt im Äther die Urkraft, Gott; den reinen Monotheismus nennt
er „Ätherismus'' (D. Urkr. d. Weltalls 1876).
Ätiieiiscb {ai&iQiov)\ aus Äther, von der Natur des Äthers (s. d.).
ylid-d^iov nvQ\ Parmenides (Simpl. ad Phys. 9, 38).
Ätlierletb (Pneumatischer Leib bei Paulus, Astralleib bei Paracelsus):
Seelenleib, feinste, unsterbliche Hülle der Seele. Bei Porphyr, Origenes,
Agrippa („aetfierum animae vehietdum'*, De occ. phil, III, 36), Leibniz,
Priestley, Fr. Groos, J. H. Fichte (Anthrop. S. 273 f.). Spiller. Lassok
unterscheidet den inneren, wahren Leib als lebendige Tätigkeit, Enteleehie von
der äußeren Erscheinung desselben (Der Leib 1898).
Ätiologie {airtoXoyia): Lehre von den Ursachen, Gründen (z. B. bei
K. Rosenkranz, Syst. d. Wiss., S. 48 ff.).
Atman: Hauch, Odem, Lebenshauch, das Selbst, das Wesen, die Seele,
das An-sich des Ich und der Dinge, die göttliche Urkraft, das Weltprincip
(A'^edische Philosophie). Vgl. Deussen, Allg, Gesch. d. Phil. I, 1, S. 2a') ff.).
Atom {nrofwvj das Unteilbare) : letztes Körperelement, vom Denken gesetzt,
um die complicierten physikalisch-chemischen Vorgänge berechnen zu können,
als B[raftpunkt, Kntftcentnun gedacht, (jeistige, psychische Atome = Monaden
(s. d.). Die Lehre von den Atomen = Atomistik, die Annahme, dafi die
Welt aus Atomen wahrhaft besteht = Atomismus.
Atom. 99
Von AtCMuen als Bestandteilen der Körperwelt ist schon bei Kanada (Yaice-
shikain-SvBtem) die Bede. Im Abendlande wird die Atomistik durch (Leukipp
nnd) Demokbit begründet. Das Seiende muß als Vielheit gedacht werden,
am die Erscheinmigen zu begreifen, es muß in Atome zerfällt werden, aus deren
Zusammensetzung die Eigenschaften der Körper abgeleitet werden können. Das
^^eiende ist nHj^es xai arepeov, das Nichtseiende (der leere Raum) ist xsvov
xai fMV9v (Aristot, Met. I, 4, 985b 4 squ.; Diog. L. IX, 12; Stob. Ecl. I, 306).
Eb gibt eine unbegrenzte Menge von Atomen (ccto/i«, iSdai^ aj^ff^r«, Arist.,
Phys. III 4, 203 a 22; Diog. L. IX, 12); sie sind ewig (L c. VIII 1, 252 a 35),
verschieden an Gestalt [axtlfm), Größe ijuye&os), Lage (d'icis), alle aber dicht
nnd hart (Arist., Met. I 4, 985 b 17 squ.). Von der Größe der Atome ist ihre
(H^hwere abhängig (Arist, De gen. et corr. I 8, 326a 10). Die Atome sind inl ^
URprünglieher Bew^ung begriffen (Arist, Phys. II 4, 196a 25) imd leidens- '
unffthig {anad'ds . , , ov ya^ olov re näa^^eiv alX* ij 8td rov xevovj Arist., De
goi. et corr. I 8, 326a 1, 325b 36). Ovaiae aTtei^ove ro Ttkrj&os drofiovs re
jBffi dButfi'^oui ^i S^ dnoiov^ xni dTra&eis iv rqi xev(^ ye^BC&ai Sieanaft/i^'vae
»Plut, Adv. Gol. 8). Durch den Zusammenprall der Atome bilden sich Wirbel
iiirri), ans diesen unendliche Welten {aTrei^ove xocfiove, Diog. L. IX, 12, 45;
^fexL Emp. adv. Math. IX, 113), alles aber ohne Absicht, ohne metaphysische
Xotwendigkeit („nuLla eogente natura, sed coneursu qiiodam fortuitu^^ Cicebo,
De nat deor. I, 66). Die Dinge sind Anhäufungen {avyx^ifiara) von Atomen,
»tstehen durch die avfinXou^ xai ne^mlhiBi der Atome (Arist, De coel. III
4. 303 a 7). Die Atome sind das An-sich der Dinge, das, als was sie gedacht
Verden müssen, während die Sinneswahmehmimg nur subjectiv ist (Sext. Emp.
adv. Math. VII, 13.5). Aus feinsten Atomen besteht die Seele (s. d.); auf Ab-
lösung von Atomen von den Dingen beruht die Wahmehmimg (s. d.). Epikur
«meucrt die Atomistik. Die Körper bestehen aus unveränderlichen Atomen
•€Tfaa xai dfierdßXr^«, Diog. L. X, 41), den Principien (äqx^^ &Uer Dinge.
Die Eigenschaften der Atome sind Größe, Gestalt, Schwere (ßn^os, Plut., Epit I / /- "^
I. 3; Dox. Diels p. 285). Anfangs bewegten sich die Atome mit gleicher '
ifcimeUigkeii. durch das Leere (xevJv), ohne Hindernis (jiv;Öev6e arrixonrovrog,
L c. p. 61), in gerader Richtung („ferri deorsutn suo pondere ad lineamy hunc
mfuralem esse mnnium corporum motum^^ Cicer., De fin. I, 6; De nat. deor.
I, 25 ff.; Plut, Plac. I, 12). Um aber die Entstehung der Mannigfaltigkeit
von Dingen zu erklären, nimmt Epikur an, die Atome hätten sich rein wiU- '
küriich, frei von ihrer Richtung ein wenig entfernt: ,,Dedinare dixit atomum , j 1
l^rptndutn, quo nihil posset fieri minus; ifa effid complexiones et copulaiionesl
*i adkaesiones atomorum inter *c" (Cic, De fin. I, 18; De nat. deor. I, 69).
^Corpora cum deorsum rectum per inatie feruntur, ponderibus propriis incerto
f^mpore ferrne incertisque loci spaiiis decellere paulum^^ (Lucr., De rer. nat
IL 217 ft). Aus feinen Atomen bestehen die Seele (s. d.), die Götter, die in
den Intermundien (s. d.) wohnen. Eine Ausführung der Atomistik gibt Lugrez.
AuNoe (principia, minima, semina) muß man annehmen, sonst bestände jeder
Körper, der kleinste wie der größte, aus unendlichen Teilen, und es gäbe dann
keinen Unterschied zwischen dem Kleinsten und Größten, beides wäre imendlich,
rfMorf quaniam ratio reclanuU vera negaique credere posse animum", ,,victus
foieare neeessest esse ea quae nullis tarn praedita partibus extent et minima-
'^nstent natura . . . quae quonia^n sunt, illa quoque esse tibi solida aique aeterno
ffiiendttm'' (De rer. nat I, 615 ff.). Ein Gegner der Atomistik ist Cicero
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Atom. 101
wie dies später Naegeli, L. Noire, £. Haeckel u. a. tun (s. Hylo-
zoifimus).
Neben der quantitativ-extensiven kommt nun eine dynamische Atomistik
uf, welche in den Atomen unausgedehnte Kraftpunkte erblickt. Zugleich wird
der Gedanke wach, dafl die Atome als solche niu* Producte unseres Denkens
sind, Ansatzpunkte der Berechnung, nicht Dinge an sich, femer auch bei vielen
die Idee, dafi die Atome überhaupt nur relativer, nicht absoluter Art sind, dafl
die Dinge sich in sie zerlegen lassen, daß aber von der Existenz ursprünglich
isoliater Atome nicht die Bede sein kann.
Wissenschaftlich begründet BoscowiCH, philosophisch Kant die dynamische
Atomenlehre. Atom ist nach Kant „e»n kleiner Teil der Materie^ der physisch
mtmittelbar ist. Physisch untniUelbar ist eine MtUerie, deren Teile mit einer
Kraft xttsofnmenhängen, die durch keine in der Natur befindliclie beiregende Kraft
aberwääigt werden kann*' (Met. Auf. d. Naturw. WW. IV, 427). Die Atome be-
«tdiea aus abstoßenden Kräften, durch die sie erst einen Raum erfüllen (s. Ma-
terie); sie gehören der Sphäre der Erscheinung (s. d.) an. Schon in der
^Monadologia physica** spricht Kant von Atomen, ^^monades physicae'* , y^Corpara
timsia$ä partibus, quae a se invicem separaiae perdurabüem habeni existentiam"
•l c. sct I, prop. II); jede „manas** hat eine y^haera activitaiis" (1. c. prop. VI).
ScHELLiNG nennt die Atomistik ,y^ einxig consequente System der Kmpirie^^
dfts metaphysisch einer rein dynamischen Auffassung Platz machen muß (Ideen
z. e. Ph. d. Xat*, S. 297 f., s. Materie). Nach Herbart entsteht das materielle
Atom durch das Gleichgewicht zwischen Attraction und Repulsion (Allg. Met.).
K. Rosenkranz: „Dte absohUe ConHnuüät des Äthers realisiert ihre absolute
IHsereUon in dem Minimum einfacher materieller Existenz y im Atom** Dieses
M eine Voraussetzung, es ist das Minimum der Auflösung des Äthers, keine
onreranderliche Substanz, sondern ein Symbol, eine Fiction (Syst d. Wiss.
8. 200). J. H. Fichte definiert die Atome als „einfacßie ünxerlegbarkeüen, aber
pudHaiüfer Arty welche ihren Raum setxen — erfüllen und durch ihre innere
Affimiäi sowie durch die damit zwischen ihnen hervortretenden Weehsdwirhmgen
das Phänomen relativ undurchdringlicher Körper erzeugen** (Anthr. S. 194).
Xaeh Ulrici erscheint jedes Atom als yycin l*unkty in welchem mehrere Kräfte
sieh eimgcHy als ein Ort, von dem unterschiedliche Kraftäußerungen ausgehen,
mithin als ein Gentrum y das eine Peripherie von Wirkungen umgibt** (Leib u.
Seele S. 37). Nach G. Spicker ist das Atom nicht absolut isoliert. yyAlle
AUtme bedingen sich gegenseitigy ihre CausaliUU und Wirksamkeit ist nur als
eine gemeinschaftliche zu detdcen** (Vers. e. n. Grott. S. 112 ff.). E. v. Hart-
XAinr betrachtet die Materie als aus yyAtomkräften**, yyDynamiden** (so schon
Redtkkbacher), unausgedehnten Kraftpunkten zusammengesetzt (Phil. d. Unb.',
B. 474; Gresch. d. Met. II, 506 f.); die Atome sind yyWillefisatome^* mit primi-
tiTstein Bewußtsein (Ph. d. Unb.», S. 498, 512), y,obfeetiv reale Erscheinungen
oier Manifestationen des AU-Einen** (1. c. S. 491). R. Hamerlino erklärt:
JVfifil/ €las Atom, sondern nur seine Wirkungssphäre ist räumlich** (At d. Will.
I, 109). Das Continuum ist nur Sinnenschein wahrhaft bestehen yySeins-
puddt^y yjljcbens- und Kraftpunkte** (1. c. I, 26), unausgedehnte, immaterielle
WiDenfseinheiten mit primitivstem Bewußtsein (1. c. I, 26 f., 239, 170 ff.). Er
fßft ein y^ Atomgefühl** . CzoLBE dagegen nimmt yybegrenzte und nach allen
Dimensionen ausgedehnte** Atome an, die sich ursprünglich anziehen und
>b»tofien (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 83). Rein dynamische y, Atome** gibt es nach
102 Atom — Atomismus.
Fakaday (Üb. d. Nat. d. Mat., Phil. Magaz. 1844, Bd. 24, S. 136), ZöLunsR
(Wiss. Abh. I, 127). Wundt betrachtet die continuierliche AuBdehnung der
Körper als Wirkung der bewegten Materie auf unser Anschauungsvermögen
(Syst. d. Phil.*, S. 442 ff., 453 f.). Atome (relative) sind als Kraftcentren, als
Ausgangspunkte von Bewegungen denkend zu postulieren (Log. II, 362, 374).
Biehl: „Z>0i* Atombegriff ist der Atisdruek des einfachen Denkaetes d^ Seixung
eines Wirklichen, auf Anlaß und entsprechend der einfachen Empfindung nach
Abxug ihrer Qualität und ihres bestimmten Orades^* (Phil. Krit. II, 1, 22). Es
sind „nicht erst Elemente da, welche hinterher xu einem ihnen selbst äußerliehen,
gleichgüÜigen Systeme oiusammengeraten; vielmehr sind die Elemente durch ihre
Orundeigenschaften xusammengehörig^^ (1. c. S. 276). Atome sind Abstraetions-
produete, Gedankensymbole, nicht (am Ende gar beseelte) Dinge. „Ihe Atomistik
ist eine Zeichensprache für Dinge, die für die Unterscheidung und Indimducdi^
sierung der Erscheinungen Stützpunkte, für die Rechnung Ansatxpunkte liefert . . "
(Z. £inf. in d. Phil. S. 153). Nach Lipps sind die Atome ,^nur Ausgangs- untl
Zielpunkte gesetzmäßig aneinander gebundener Arten des räumlichen Oeschehens^
(Gr. d. Log. 8. 91). H. Cornelius warnt vor der Hypostasierung des Atom-
begriffes, betont aber auch den Wert desselben als „reines Bild für die Zu-
sammenfassung der Erscheinungen^^ (Einl. in d. Phil. S. 328). So auch die
Kantianer.
Nach Schopenhauer sind die Atome ,Jcein notwendiger Gedanke der Ver-
nunft, sondern bloß eine Hypothese xur Erklärung der Verschiedenheit des speei-
fischen Gewichts der Körper^^ (W. a, W. u. V. I, S. 495). Fechner erblickt den
Beweis der Realität der Atome allein „in der mathematischen Notwendigkeit, sie
XU gebrauchend^ (Üb. d. Seelenfr. S. 216 ff. ; Phys. u. phil. Atom.«). Die Atome
haben kein Für-sich-sein, sind nur als Bestandteile des allgemeinen, göttlichen
Bewußtseins real. Nach L. Busse sind die Atome „nur praktisch brauchbare
Fictionen, symbolische Bexeiehnungen eines Seins und Geschehens"^ (Phil. u.
Erk. I, 1, 245). Benouvier bemerkt: „Uatome semble . . . n'etre qu' uns ea»t-
ception proprement chimique*^ (Nouv. Mon. p. 11). O. Liebmann sieht in de«
Atomen punktuelle Kraftcentren, Dynamiden (Anal. d. Wirkl.*, S. 307, 311).
Das Atom ist Grenzbegriff von provisorischem Charakter, eine „Rechenmarke
der Theorie^', eine „Fiction^' (1. c. S. 311 f.). Schuppe sieht in den Atomen
nur Produete der „ZerfSüung des mit QucUitäten erfüllten Raumes in kleinste
Teile^^ (Log. S. 83). E. Mach erklärt, man dürfe in den von der Natunvissen*
Schaft „selbstgeschaffenen veränderlichen Ökonomischen Mitteln, den Moleeulen und
Atomen'% nicht „Realitäten hinter den Erscheinungen erblicken". Das Atom ist
ein Denkmittel, die Erscheinungen darzustellen (Populärw. Vorl. S. 223). Eine
reservierte Haltung gegenüber der Atomistik ninrnit (^'ie schon Helmholtz,
Vortr. u. Red. II, 47) P. Völkmann ein (Erk. Gr. der Naturwiss. S. 152 ff.).
Ostwald schaltet die Atomtheorie aus, ersetzt sie durch eine „energetische^*
Auffassung (s. d.), — „Wirbelatomef^, die in und aus dem Fluidum des Stoffa«
entstehen, nehmen P. G. Tait und Thomson an. Haeckel u. a. nehmen
zweierlei Arten Atome an: Massen- und Äther- Atome. Vgl. Monade, Hylo-
zoismus, Materie, Homöomerien, Elemente.
Atomiftmn»; Annahme, daß die Dmge insgesamt aus Atomen (s. d.)
zusammengesetzt sind, daß alles Geschehen auf Mischung und Entmischung,
Vereinigung und Trennung, Anziehimg und Abstoßung, Umlagerung der Atome
AtomiamuB — Attribut. 103
bffnht (Demokrit, Epikub, Lucrez, Gassgkdi, Holbach, Bobinet, Büch-
KER u. a). Einen psychischen Atomismus, nach welchem aus psychi-
sehen Elementen das Bewufitsein sich aufbaut, lehren Spencer (Psychol. I),
TADfE (De rintellig. III), Clipford (s. Mind-stuff), Haeckel. Dagegen
James (Prine. of Pbychol. I, p. 145 ff.), Lotze, Külpe (Einl. in d. Philos.),
L Busse u. a.
AtomtetilKS Lehre, Theorie von den Atomen (s. d.): a. quantitative
At(Hni8tik, b. qualitative Atomistik (Anaxaooras u. a.). Vgl. Homoeomerien,
demente.
Atomistlfselie PsyeliolOfi^e wird jede psychologische Bichtung ge-
mimt, welche voraussetzt, dafi das Psychische sich aus ursprünghch bestehenden,
isolierten Ellementen aufbaut. Dagegen besonders H. Cornelius (Psychol.
S. 117 ff.; Einl. in d. Psych. S. 205). Vgl. Psychologie.
Attraetlon (Anziehung) und Bepulsion (Abstofiung) als Grundeigen-
M>haft«i der Körperelemente beruhend auf Attractions- und Bepulsionskräften,
die aber nur in ihren Wirkungen gegeben und gedacht sind. Leibniz leugnet,
diß die Attraction eine ursprüngliche Eigenschaft der Materie sei (Opp. Erdm.
p. 767). Kant definiert die Attractionskraft als yjäte/enige bevregende Krafty
Kodurch eifie Materie die Ursctche der Annäherung anderer xu ihr sei^i kamiy
oier, trelehes eifterlei isty dadurch sie der Entfernung anderer von ihr understeht*'
(Met, Anf. d. Nat. WW. FV, 389). Aus Attractions- und Bepulsionskräften
heBteht alle Materie (s. d.). So auch Schelling. — Von einer „seelischefh
Attraetion^' spricht Steinthal als von einem Streben, in Verhältnis und Ver-
bindung zu treten (EinL in d. Psych. S. 115).
Attriblit (attributum, das Zuerteilte): wesentliche, unmittelbare, notwendige,
onprungliche, constitutive Eigenschaft oder Wirkungsweise eines Seienden, Art
und Weise des Seins selbst.
Bei Abistoteles bedeutet avfißaßrjfcoe xad^ avio die w^esentliche, notwendige
Eigenschaft eines Dinges, die von ihm nicht abgetrennt gedacht werden kann
fAnaL post. I 22, 83b 19; Met. V 30, lQ25a 30). So auch bei Thomas das
•Alinbntufn" (Sum. th. I, 39, 8c). Insbesondere sprechen die Scholastiker
nm den Attributen Grottes, y,attribiäa Dei intema^^ (Allwissenheit u. s. w.).
Xach Piebre d'Ailly sind sie „nomirui sive signa vocaiiay eupponentia
immediate pro perfeetione divina^^ (Stöckl II, 1029). Albertus Magnus:
nÄttributa divina dieunt modum creaiionis quo ereaturae exetmt ab ipso" (Sum.
th. n, 39, l). Der Begründer der Schule der Mutaziliten, Wasil ben Ata,
leugnet die Vielheit der göttlichen Attribute (Stein, An. d. W. d. Jahrb. S. 93).
r,Sifätija^* hießen die arabischen Anhänger der Attribute (jottes (1. c. S. 94).
Descabtes nennt Attribute die Grundeigenschaften der Substanz (Princ.
phiL I, 56). In Gott gibt es weder yyquaiitates" noch yyinodi^y sondern nur
fjtttributa^^ weil Gott unveränderlich ist. „M etiam in rebus creatis, eae quae
mtmquatn in iis diverso modo se habent, ut existentia et dttratio, in re existente
fi duranie, non qualitates aut modiy sed attributa dici debent" (ib.). Attribut
des Geistes ist das Denken, Vorstellen (yyCogiUUio")y Attribut des Körpers die
Aosdehnung (y^extensio") (1. c. 53). Die Attribute: Zahl und alle Universalien
and nur in unserem Denken (1. c. 58).
Eine fundamentale Bedeutung hat der Begriff des Attributs bei Spinoza.
104 Attribut — Aufklärung.
Er versteht darunter das, was das Denken als die Wesaiheit der „Substanx^'
(b. d.) constituierend auffaßt: „Per aUribuium inielligo id quod inielleetas de
substantia pereipit tamquam eiusdem easefüicte constüuens'* (£tlL I, prop. lY; —
„quod attribtUum dieaiur reapeHu intelleetus, substaniiae csrtam talem nahtram
iribuentis** (Epist. 27). Die „Substanx^^ (= Gott) besteht in unendlichen Attri-
buten : y,Deus sive subatuntia eonstans infinüis aäribuiis, quorum unumquodque
aeteniam et infinitatn essentiam exprimiiy neeeasario existif^ (Eth. I, prop. XI).
Wir aber erfassen von Gott nur zwei Attribute, „cogiUUio^^ (Denken, Bewußtsein)
und „extefisio'^ (Ausdehnimg) (1. c. II, prop. I, II), Jedes dieser Attribute muß
durch sich allein gedacht werden (,jE7er se eaneipi debet^ [1. c. I, prop. X, dem.]).
Es ist aber die Substanz nur ein Wesen mit mehreren Seinsweisen: „Quamvts duo
aitributa realiter digttncia eaficipiantur , hoc est, unum sine ope aUeriuSy nari
possumus tarnen inde coneluderej ipsa duo eniia sive duas diversas substantias
eonstiiuere^^ (1. c. I, prop. X). Die göttlichen Attribute sind so ewig wie Grott
selbst: jj)eus sive omniaDei aitributa sunt aetema^' (L c. prop. XIX). Alles, was
aus dem Attribut folgt, existiert notwendig ewig und unendlich (1. c. prop. XXI).
— Während K. Fischer in den Attributen Spinozas zwei real gesonderte
Daseinsarten der Substanz erblickt, bestimmt J. E. Erdmann sie idealistisch
als zwei jyA.uffässungsu:eisen des beiraektenden Verstandes** , gleichsam durch ge-
färbte Brillengläser (Gr. d. Gesch. d. Phil. II*, 62).
Chr. Wolf: „Quae per essentialia determtnantury dieuntur attributa^'^ (Ont.
§ 146). yy Attributa etiti consfanter insufit* (1. c. § 150). Crusius: „Da^'efttge^
was aus dem Grundwesen einer Sache mit einer Beständigkeit hinfließt ufui sofern
derselben allexeü xukomfnt, heißt ein attribtäum** (Vernunftwahrh. § 40). Attri-
bute im logischen Sinne sind nach Kant (Log. S. 89) imd Fries y,Folgen der
eonstitutiren Merkmale" eines Begriffs (Syst. d. Log. S. 123). E. v. Hartmaxx
betrachtet als die beiden Attribute des yyUnbewußtcfi^* {s. d.) Idee imd Wille
(Kategor. S. 221).
Aactor: das Wort schlechthin gebraucht, bezieht sich im 11. bis 13. Jahr-
hundert auf BofiTHirs.
Audltloil eolorte (farbiges Hören) heiüt die bei manchen Personen
(zuweilen in Familien erbliche) innige, associative Verbindimg, Verschmelzung
von Gehörs- imd Farbenempfindungen, vielleicht durch den gleichartigen
Gefühlston vermittelt. Dieses Phänomen wiuxle untersucht von Lr.<^??AXA,
Fechner, Lehmann, Bleuler, Steinbrxjgge u. a. Vgl. Anidogicn der Em-
pfindung.
•
AaffaHmaiii; s. Apprehension. y,Qule Ätfffassufig** ist ein leichtes Apper-
cipieren, Aneignen eines Wissensstoffes.
Aafklilrani^ heißt die Verbreitung freierer, selbständiger, klarer Ideen, eine,
klares Bewußtsein von der Bedeutung, dem Urspnmg, dem Grunde der Dinge
und des physischen, geistigen, socialen, religiösen Lebens verschaffen wollende
Tendenz im Denken imd Handeln des 18. Jahrhunderts. Die Aufklärung ent-
spricht dem Triebe nach Individualisierung imd Autonomie des Denkens und
Lebens. Ihren Ausgang nimmt die Aufklärung in England, indem sie hier im
Empirismus (s. d.) Lockes u. a. wurzelt; zugleich komnit ihr das rationalistische
Streben nach Klarheit und Deutlichkeit der Begriffe (Descartes), nach „rer-
nünftigen Gedanken'' (Chr. Wolf) entgegen. Zu den englischen Aufklaiem
Aufklärung — AufmerkBamkeit. 105
geboren Toland, Tenbal und andere Deisten und j^Freigeister^^, zu den französi-
schen Bayle, Montesquieu, Voltaire, Rousseau (zum Teil), Helvetius,
Holbach, Gbdch, die EncyklopadiBten: Diderot, D'Alembert u. a.; zu den
(leatBchen Friedrich der Grosse, Lessing, Mendelssohn, Beimarub, Eber-
hard Nicolai, Abbt, Garve, Sulzer, Engel, Feder, Bahrdt, Lichten-
berg u. a. Die Philosophie der Aufklarung hat zum Teil den Charakter einer
ekleküschen Popularphilosophie mit besonderer Berücksichtigung von Fragen,
die mit der Religion zusammenhangen, teleologischen imd psychologischen
UntersDchungen (vgL Überweg, Gr. d. Gesch. der Phil III», 227 ff.). Nach
Kant ist Aufklarung der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
ünmändigkeit (Was ist Aufkl.? Berlin. Monatsschr. 1784). — Als Beaction gegen
die Aufklärung tritt eine Bevorzugung des Gefühlslebens auf bei Rousseau,
Hamann, Jacobi, den Romantikern. Vgl. Leoky (Gresch. d. Aufklär, in
Europa 1873).
Anftnerksamkeit ist der Inbegriff der subjectiv-psvchologischen Vor-
gänge und Zustände, die der Apperception (s. d.) eines Vorstellungsinhaltes
(flt^reohen. Sie bedeutet einen höheren Grad der Bewußtheit, Concentration
d€8 Bewußtseins, Bevorzugung, Fixierung von Erlebnissen und Henmiung, Ver-
nachlässigung anderer. Das aufmerksame Erleben wird charakterisiert durch
^pumungsempfindungen, verschiedenartige Gefühle, Strebungen ; der Zusammen-
kng aller dieser Factoren, in und mit welchen die Aufmerksamkeit gegeben
M, läßt diese als Trieb- bezw. Willenshandlung erkennen (unwillkürliche =
triebhafte — willkürliche Aufm.).
Die Aufmerksamkeit gilt zunächst als eine besondere Bewußtseinstätigkeit,
deitn die Klarwerdung, Erfassung eines Inhalts bedarf, oft geradezu als Willens-
titigkeit. So schon bei Augustinus (s. Apperception), nachdem schon im
Altmom besonders Strato die bemerkende Function der Aufmerksamkeit her-
vorgehoben hatte (Plut, De solL an. 3, 6). Thomas unterscheidet „attentio
wiualis''^ und „attentio seeufidum virtutem^^ (4. sent 15, 4, 2, 4c) und betont:
yfld actum ctdusltbet cognoscitivae polentiae requiritw interUio^^ (Verit. 13, 3c) ;
die intentio ist j^aetus voluntaiis" (Verit. 22, 19 c). Descartes erklärt die Auf-
Bffksamkeit durch den Einfluß des Willens auf das Seelenorgan. yfCum quis
•Kffw attentiotiem sistere vuit in eonsideratione wnius obieeti per aliquod iempiiSj
iflw poluntas per illud tempus retinet giandem inclinatam in eandem parfem"
'Pags. an. I, 43, p. 20). Malebranche: „«/c sens qtte la luniiere se repand
^ans tnofi esprit ä proportion que je le desire et que je fai^t un certain effort
fw fappelU aftmtton" (M6d. chr6t. I, 2). Locke betont, daß die Vorstellungen
der inneren Erfahrung erst klar und deutlich werden, wenn der Verstand sich
»ach innen auf sie wendet, auf sie achtet (Ess. II, eh. 1, § 8). Leibniz schreibt
der Aufmerksamkeit eine bewußtmachende Wirksamkeit zu , durch sie werden
die Peroeptionen zu Apperceptionen (s. d.) (Nouv. Ess. Pr^f. u. II, eh. 9); ein
t»reben der Seele, von einer Perception zur andern überzugehen, liegt ihr zu-
gnmde iy^Fereepturitio", s. d. bei Chr. Wolf). Nach Chr. Wolf ist die Auf-
Dkerksamkeit „faetätas efficiendi, ut in perceptione composita partialis una
maiortm cl4tritaiem eeteris habeat^^ (Psych, emp. § 237). „IFtr finden in der
Äefe ein Vermögen sowohl bei ihren Empfindungen als Einbildungen und allen
Rurigen Gedanken . . ., sich auf eines unter ihnen dergestalt xu richten, daß wir
i«t dessen mehr ais des übrigen beicußt werden, das ist, xu machen, daß ein
106 AufmerkBamkeit.
Gedanke mehr Klarheit behytnmet, als die übrigen haben: icdches wir die Auf-
mericsamkeit xti nennen pflegen" (Vern. Ged. I, § 268). Bonnet faßt die
Aufmerksamkeit als Beaction der Seele auf die Wahmehmungseindrücke in üir
auf. y,L'ä7ne peut par eÜe-meme rendre träs vire une impression tr^s faibU.
En reagissani sur les fibres representatives d'un certain obfety eile peut rendre
plus fort ou plus durable le mou^etnent impriine ä ces fibres par l'obfet, et ceite
faculte se nomme Vattentuyn" (Ess. de Psych. C. 7). Im 18. Jahrhundert üb«"-
haupt wird imterschieden : äußerliche — innerliche, natürliche, unvorsatzliche
— willkürliche, vorsätzliche Aufmerksamkeit. So unterscheidet Platnek active
imd passive Aufmerksamkeit und definiert die Aufmerksamkeit als f^diefenige
Tätigkeit der Seele, durch wddie sie den innem Eindruck icahmimmt^ (PhiL
Aph. I, 157). Reid erblickt in der Aufmerksamkeit eine Willenshandiung
(Inqu. 2, sct. 10). Th. Brown erklärt : „ Attention to objects of sense appears tc
be notking more than the eoexistence of desire tcith the percepHon of the obfeet^^
(Phil, of the Hum. Mind, Lect. 31). Nach Kant ist das Aufmerken ein „Be-
streheti, sich seiner Vorstellungen beirußt xu werden" (Anthr. I, § 3). Xach
Chr. E. Schmid ist die Aufmerksamkeit „cter Zustand, wo die Vorsteüungskrafl
in Bexug auf den Stoff vorhandener Vorstellungen tätig ist" (Einp. Psych. S. 227).
— M. DE BiRAN bestimmt die Aufmerksamkeit als Willenshandlimg. „Tappelle
attention ce degre de Veffort superieur ä celui qui constittie Velai de veilie des
divers sens externes et les rend simplemeni aptes ä pereevoir ou ä representer
eonfusement les ohjects qui rienne/it les frapper. Le degre superieur dcnt il s'agit
est determin^ p€vr une volonte positive et expresse qui s'applique ä rendre plus
distincte une perception d'abord eonfuse, en l'isolatit, pour ainsi dire, de ttH4tes
les impressions collaterales qui tendent ä l'obscurir" (Oeuvr. in^. II, p. 86, 88).
Renoitvier: ,,U attention est une volonte de s'arreter ä la eonsideratiofi efun
objet et de ses rapports au lieu de sutpre le cours naturel des assoeiations^
(Nouv. Monadol. p. 97).
Nach Fries bedeutet Aufmerken „willkürliche innere Wahrnehmung unserer
Tätigkeüen". Aufmerksamkeit ist die „Association unserer Willensbestinmtung
viit gcicissen Vorstellungen, icodureh eben die Vorstellungen, für die ich mich
interessiere, die ich haben will, lebhafter werden und leichter icahrgenommen werden*^
(Syst. d. Log. S. 66). Schopenhauer sieht im Willen das, was „die Auf-
merksamkeit xusammenhält" (W. a, W. u. V. Bd. II, C. 30). K. Bosenkrakz:
„Das Aufmerken ist derjenige Act der Intelligenx, wodurch sie sieh die Rich-
tung auf sieh selbst in ihrem Gefühl gibt" (Psychol.*, S. 332). Jacx>B:
„ Wir bemerken ein Bestreben in uns, sobald WaJvmehmungen da sind, uns diese
klar vorxusteüen. Diesem Bestreben nennt man Aufmerksamkeit" (Gr. d. Kr-
fahrungsseel. S. 206). Als Tätigkeit bestimmen die Aufmerksamkeit Beneke
(Lehrb. d. Psychol.) und Lotze (Med. Psychol.), auch Bolzano (Wiss. III, 86).
Nach Fechner ist die Aufmerksamkeit eine psychische Tätigkeit, die sich auf
psychische Phänomene jeder Art beziehen kann, und die durch ein Gefühl der
Selbsttätigkeit charakterisiert werden kann (Phil. Stud. IV, S. 207). Fechner
gibt eine genaue Schilderung der im Gefolge der Aufmerksamkeit auftretenden
Bewußtseinsvorgänge (Psychophys. II, 475 ff.). Die Aufmerksamkeit ist dieselbe
Tätigkeit, welche im Willen wirksam ist (1. c. II*, 450). Als Willenstatsache
faßt die Aufmerksamkeit Höffding auf (PsychoL S. 160, 431). Nach Tönkxbb
ist die Aufmerksamkeit „wesentlich bedingt durch die vorhatwlenen Antriebe und
deren ErregungsxtMtand" (Gem. u. Gesell. S. 140). Kreibio: „Die Aufmerksamkeit
AuftnerkBamkeit. 107
ist ein WoUeity das darauf gerichtet ist, einen äußeren Eindruek oder eine re-
fndueierfe VorsteUung, beziekungeiveise bestimmte Einzelheiten darin klar und
iaälieh betrußt xu machen'' (Die Aufm, als Willensersch. S. 2, vgl. S. 68. 76 ff.
83ff.i. Hier ist auch Ueberhorst (Wes. d. Aufm.: Arch. f. syst Philos. IV)
Dl erwähnen. B. Wähle bestimmt die Aufmerksamkeit als „Erreichentcollen
(VK9 Wissefis'' (D. Ganze d. Philos. S. 372 ff.) Preyer: ,jJeder WiOensaet
I (rfordert Aufmerksamkeit, und jede Ooncentration der Aufmerksamkeit ist ein
\ f^Hlmsact'' (Seele d. Kind. S. 223). Hodoson bemerkt: „Attentionj when guided
I ly a prapose, is an exerdse of volitioh'' (Phil, of ßeflect. I, 291; so auch
I Mansel, Leiters . . . p. 48). Als actives Bewußtsein faßt die Aufmerksamkeit
; auf Stoüt (AnaL Pöychol. II, C. 283), auch J. Ward. James erklärt, Auf-
BKrkMmkeit sei „the taking possession by the mind, in elear and vivid form,
tjMe out of ufhat seem several simuUa/neously possible obfeots or trains of
tku^. Foealixaiian, eoneentration of eanseiousness are of its essence" (Princ.
of PsychoL I, 404; 434, 441, 446). Eine specifische Activität ist die Auf-
nerksamkeit nicht (vgL 1. c. C. 11, 14). So auch Brapley (Mind XI, 1886,
' p. 322). Als actiye, auswählende, bewußtseinssteigemde Tätigkeit faßt die Auf-
m^ksamkeit Sullt auf (Hum. Mind 0. 6, Handb. d. Päychol. S. 101 ff.; vgl.
Baldwin, Handb. of Psych. I). Nach E. v. Hartmakn ist sie mit dem
WoQen verwandt, physiologisch „ein eentri/ugtäer InnervaUonssirmn, der die
^rtgbarkeit der getroffenen Endorgane erhöht oder herabsetxt'' (Mod. Psych.
& *Ä)1). Sie deckt sich mit der Apperception (s. d.). — Wündt bestimmt die
Aufmerksamkeit als ,^ie Gesamtheit der mit der Apperception von Vorstellungen
nrbundenen subjeetiven Vorgärige'' (Vorles.*, S. 267), als „den durch eigentüm-
^ Gefühle charakterisierten Zustand, der die klarere Auffassung eines psy-
fkitcken Inhalts begleitet" (Gr. d. Psych.*, S. 249). Es eignen sich besonders
naammengesetzte räumliche Vorstelliuigen dazu, um ein Maß für den Umfang
der Aufmerksamkeit zu gewinnen (1. c. S. 251). Diese Versuche ergeben je
, licfa den besonderen Bedingungen einen Spielraum zwischen 6 imd 12 Ein-
(iracken (1. c. S. 252). Die „sueeessire Bewegtmg der Aufmerksamkeit über eine
Vielheit psychischer Inhalte" scheint ein „periodischer Vorgang xu sein,
(fer tau einer Mehrxahl aufeinander folgender Apperceptionsacte besteht" (1. c. S. 254).
Bie Aufmerksamkeitsvorgänge sind „innere WiUensprocesse", Trieb- und Will-
bincte (1. c. 8. 261 f.). Der Tätigkeitscharakter der Aufmerksamkeit liegt
udit in einem besonderen Vermögen, sondern in dem Bewußtseinszusammen-
kmge, der sie constituiert (Grdz. d. phys. Psych. II*, 266 f.; PhiL Stud. II, 33;
l4)g. II <, 2, 265 f.). Die Aufmerksamkeit wird teils durch äußere Beize, teils
durch innere Einflüsse gelenkt. Ihre Adaptation an den Beiz bekundet sich in
ßpMmungsempfindungen (Grdz. d. phys. Psych. II*, 269 ff., Phil. Stud. II, 34).
Der Gesamtproceß der Aufmerksamkeit und Apperception (s. d.) besteht in:
1) dner Klarheitszunahme, verbunden mit Tätigkeitsgefühl, 2) einer Hemmmig
laderer disponibler Eindrücke, 3) in Spannungsempfindungen mit verstärkenden
flnnlichen Gefühlen, 4) einer verstärkenden Wirkung der Spannungsempfin-
<iniigen auf die Vorstellungsinhalte durch „associative Miterregu/ng". Die unter
öer Mitwirkung der Au&nerksamkeit zustande kommenden Vorstellungsver-
bindangen heißen Apperceptionsverbindungen (s. d.). Die Leistungen der Auf-
»erksamkett sind in einer Beziehung Hemmungsprocesse. Das nimmt auch
KüLPE an (Gr. d. Psych. S. 460). Die Aufmerksamkeit ist nichts neben den
Bewußtseinsinhalten Gregebenes (1. c. S. 439 f.), sondern „ein allgemeiner
106 Anfmerksamkeit.
Zustand des Bewußtseins . . ., dessen Bedingungen freilieh außerhalb der wechseln-
den InhdUej die in ihn geraten, gesucht werden müssen" (1. c. S. 440 f.). Die
Wirkungen der Aufmerksamkeit bestehen in einer Vergrößerung der Empfind-
lichkeit und Unterschiedsempfindlichkeit (1. c. 8. 444 f.), der Beproductions-
Tendenz und -Treue (1. c. 8. 445), in einer Herabsetzung oder Elimination der
Gefühle, in einer Verfeinerung der Analyse, einer Verschmelzung (L c. S. 446),
in einer Beeinflussimg des zeitlichen Verlaufs der BeMTußtseinsinhalte (L c.
S. 447). Die Begleiterscheinungen der Aufmerksamkeit werden von Külpe auf-
gezahlt (1. c. 8. 448 ff.) und die BMingungen der Aufmerksamkeit erörtert
(1. c. 8. 452 ff.): I. äußere Bedingungen, a. motorische, b. sensorische;
II. innere Bedingungen, a. Gefühlswirkung eines Eindrucks = Interesses, b. Be-
ziehung zur psychophys. Disposition. Ahnlich wie Wundt lehrt G. ViLUk
(Einl. in d. Psychol. 8. 284). Vgl. N. Lange, Beitrage zur Theor. d. sinnL
Aufmerksamkeit (Philos. 8tud. IV). Einen positiven psychophysischen Vor-
gang, der in der Unterstützung, Verstärkung einer vorhandenen E^rregung, in
der Steigerung der Disposition für die erwartete Erregung besteht, erblickt in
der Aui&nerksamkeit G. E. Müller (Zur Theor. d. sinnL Au&n. 1873); PiLZ-
ECKEB (Lehre von d. sinnl. Aufm. 1889) schließt sich der spateren Ansicht
Müllers betreffs der Aufmerksamkeit an. A. Höfler definiert: y,Aufmerhen
heißt: bereit sein xu psychischer Arbeit, nämlich spedell xu intelleetueüer Arbeit**^
(Psych. Arb. 8. 1(X)). Ehrenfels bestinmit die Aufmerksamkeit als „eine
innere Willens- oder Strebenshandlung mit dem Zweck, gewisse Vorsteüungen in
das Gebiet der Luddität hereinxuxiehen, respeetive ihnen jenes Merkmal in relativ
höherefn Maße xuxuwenden" (8yst d. Werttheor. I, 253 ff.). JoDL sieht in der
Aufmerksamkeit ein Willensphänomen, einen Act der Spontaneität, der Aus-
wahl, der Bevorzugimg. 8ie ist „Fianerung des Bewußtseins auf einen bestimmtert
Inhalt oder Eindruck, welcher eben dadurch vermöge der Enge des Bewußtseins
andere Inhalte verdunkelt und aus dem Bewußtsein drängf* (Lehrb. d. Psych.
8. 437, 438 ff., 501 ff.). Es gibt sinnliche und repräsentative, active und passive
Aufmerksamkeit (ib.). Nach G. Oppenheimer besteht der AufmerksamkeitB-
vorgang „in der Vorbereifung von gewissen Sinnesxellen oder einem Complexe
von solchen, die eine Vorstellung bewirken können, xur Aufnahme, einer neuefi^
Sinnesempfindung oder Vorstellung" (Phys. d. Gef. 8. 103). Es befinden sich
hier „gewisse RindenxeÜen in einem Zustand erhöhter Erregbarkeit**, in welchem
ein kleiner Zuwachs des Reizes große Wirkungen erzeugen kann (L c. 8. 104 ff.).
Münsterberq nimmt den 8tandpunkt der „Aetionstheorie'* (s. d.) ein : „ Unbemerkt
bleibt das, wofür die Handlung nicht vorbereitet ist, bis die Stärke der Erregung
die Handlung erxwifigt; von der Aufmerksamkeit erfaßt dagegen ist das, was die
Bedingungen der motorischen Entladung bereit findet" (Grdz. d. Psych. I, 8. 5r)<j).
Ähnlich Kroell (Wes. d. 8eel. 8. 58).
Eine Beihe von Philosophen betrachtet die Aufmerksamkeit bloß als Zustand,
Verstärkung eines Bewußtseinsinhalts, Uenmiung anderer Inhalte, ohne speci-
fische innere Tätigkeit. Die Hemmung der übrigen Vorstellungen infolge vor-
herrschender Erregung des 8eelenorgan8 für eine bestimmte Vorstellung betont
schon UoBBES (De corp. 25, 6). Nach Cokdillac ist die Auhnerksamkeit
nur „une sens€Uian plus vive que toutes les autres" (Tr. des sens. p. 37); er
imterscheidet eine passive und active Aufmerksamkeit (1. eh. c. 2, § 11, p. 14).
Herbart bestinmit die Aufmerksamkeit als „die Fähigkeit, eitten Zuwachs des
Vorstellens xu erzeugen" (Psych, a. Wiss. II, § 128). Die Aufmerksamkeit ist
Aufinerksamkait. 109
nDwülkürlich = passiv, oder willkürlich = activ (Lehrb. zur Psych.*, S. 147).
Die erstere hat ihren Grund j^xitm Teil in der augenblicklichen Lage des Geistes
wbkrmd des Merkens; andemteils toird sie bestimmt durch die älteren Vor-
Mtngen, tcelehe das Oemerkte reprodueiert*^ (L c. S. 148). y^Attentus dicüur is,
pd mtnte sie est dispositus, ut eius nationes inerementi quid eapere possint^^
(De attent. mensura 1822). Es wird bei den Herbartianem auch zwischen „sinn»
lieker*' und „intelleetueller^^ Aufmerksamkeit unterschieden; bei der letzteren
werden Eindrücke vor andern durch „ Vorstellungshülfen", Apperceptionsmassen
I& d.) bcTorziigt. Wattz versteht imter Aufmerken ,,e»n scharfes und genaues
Pernpieren von Einzelnem" (Lehrb. d. Psych. S. 624 ff.), ein gespanntes Er-
warten (1. c. S. 637). Nach Yolkmann heißt aufmerksam sein, „eine Vor-
Mungy Vorstellungsreihe oder Vorstellungsmasse dem Drange xum Sinken ent^
j^gen uturerrüekt festhalten" (Lehrb. d. Psych. II*, 204). Georoe versteht unter
Aufmerksamkeit die Concentration des allgemeinen Wachseins auf ein Einzelnes
iLehrb. d. Psych. S. 84). CzoLBE : „Atifmerksamkeit ist nur Isolation der inten-
sitenH Empfindungen aus der Menge gleichzeitig statt findender y von denen wir
Math abstrakteren" (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 222). Nach Lipps ist die
Aufmerksamkeit keine besondere Kraft, sondern die sich concentrierende Be-
podactioiistätigkeit selbst mit Hilfe begünstigender Vorstellimgen (Gr. d. Seel.
$. 62Ci, 123). Im Zustande der Aufmerksamkeit finden wir in uns „den Gegen-
ttsniy daneben die subjeetiven Strebungs- und Spannungsempfmdtmgen samt den
m oder so gearteten Lust- und Unlustgefühlen" (1. c. S. 46). Nach H. E. Kohn
Bl die Aufmerksamkeit in irgend einem Grade mit jedem Bewußtseinsinhalte
wbonden (Zur Theor. d. Aufm. 1895, S. 19). Nach Rehmke ist zu unter-
«haden swischen yy Deutliehhaben" und yyDeuÜiekhabenwollen" (Allg. Psych.
& ö24 f.). Unwillkürliche Aufmerksamkeit ist y4asjenige yBemerken^, desscf^
imnäere Bedingung allein der in dem Gegebenen xusammen sich bietende
Seyensaix der Unterschiedenen ist, willkürliche Aufmerksamkeit dagegen
iufemige Bemerken, dessen besondere Bedingung überdies noch das bemerken-
sollende Bewußtsein ist" (1. c. S. 526). Ähnlich Th. Kerbl (Lehre von
^ Anfmerks. S. 71). Schuppe bestreitet den Tätigkeitscharakter der Auf-
merksamkeit. „ Wessen wir uns dabei bewußt werden, das ist nur das Gefühl des
kUresses an den gemeinten Vorstellungen oder an der auszuführenden Bewegwig,
m4 höchstens noch eine nicht weiter definierbare Regung, die als Wille bezeichnet
mrden kann . . . Von einem Tun — ist nichts zu entdecken" (Log. S. 143).
^y^i EB8IXGHAÜ8 besteht die Aufmerksamkeit „in dem lebhaften Hervortreten
Mrf Wirksamwerden einzelner seelischer Gebilde auf Kosten anderer** (Gr. d.
^ehoL 6. 575). Sie ist ,4as Resultat eines Selectitynsprocesses ; sie besteht in
fMn' Einsekränkung oder Concentration der Seele auf eine gewisse Anzahl der
ir den obwaltenden Umständen nach überhaupt möglichen Empfindungen und
ymteiktnffen" (ib.). Nach H. Cornelius besteht das Beachten eines Wahr-
ickmungBinhalts ,jnur in der Unterscheidung desselben von seiner Umgebung und
M Meinem Wiedererkennen^^ die ,yintellectuelle^^ Aufmerksamkeit nur in einem
Fmhalten eines Gredachtnisbildes, woran sich „eine mehr oder minder bestimmte
Itkenntnis der Ähnlichkeit des betreffenden Inhalts mit Gruppen ander-
feiiger von früher her bekannter Inhalte"' anschließt (EinL in d. Phil. S. 218).
Die Leistung der sinnlichen Aufmerksamkeit ist die Zerlegung eines Inhalts
[P^dL 8. 168 ff.).
Im Gefühle (Interesse) erblickt besonders Th. Zieglbr das Agens der
110 Aufmerksamkeit — Ausdehniiiig.
Aufmerksamkeit Das Gefühl ist ,,efer tragende Hintergrund, aus dem die Vor-
stellung in das helle Lieht des Bewußtseins tritf' (D. Oef.*, S. 47). Durch den
G^efühlston erzwingt sich die Vorstellung die Aufmerksamkeit (1. c. S. 50).
Stumpf identificiert die Aufmerksamkeit mit dem Interesse, bestimmt sie als
„Lust am Bemerken selbst (Tonpsychol. I, S. 68, 279). Der Wille ist die Auf-
merksamkeit (1. c. S. 69, 281). «
BiBOT bestimmt als die ursprüngliche Form der Auhnerksamkeit die „spon-
tanem^ Aufmerksamkeit („attention spontanie, na^urelkf^ im Unterschied ron der
„attention voUmtaire, artifieieü&^) (Psych, de Patt. p. 3). Der „Mechanismus^
der Aufmerksamkeit ist wesentlich motorischer Art, besteht in einem „arrit*
auf die Muskeln (1. c. p. 3). Die Einheit des Bewußtseins ist die Quelle der
Aufmerksamkeit (1. c. p. 4). Diese ist ein auf die motorische Kraft über-
tragener Affectzustand, der in Gefühlen und Btrebungen wurzelt (L c. p. 12).
Sie ist ein „monoidiisme inteUeetuel apee adaptaiicn spontanes ou artifieielle de
Vindividu", d. h. eine Concentration auf einen Zustand des Bewußtseins (L c.
p. 6). Bei der „aiteniion voUmtaire^^ ist das Ziel gewollt, gewählt; sie ist be-
gleitet von einem ^^seniiment cCeffort'' (1. c. p. 47 f.).
Eine biologische Begründung der Aufmerksamkeit findet sich bei
K. Gboob. Sie ist nach ihm ursprünglich „^n Mittel in dem ld>rperliehen
Kampfe ums Dasein^^, Der ,Jnstinet des Laiuems^' ist die Urform der Auf-
merksamkeit. Aus dieser „motorischen^^ hat sich die „theoretische^' Aufmerk-
samkeit entwickelt. Die Grundform der Aufmerksamkeit ist die y^Erwartung
des Zukünftigen'' (Spiele d. Mensch. S. 180 f., Spiele d. Tiere S. 210 f., ygL
damit die Definition der Aufmerksamkeit als ,^ie sieh mit einer Vorstellung
verknüpfende Frage nach dem, was in Zukunft in Beziehung auf dieses Vor-
gestellte vorgehen wird", bei Fortlage, Psych. I, § 9, S. 78). Ähnlich Jeeü-
BALEM, nach dem die Aufmerksamkeit „in einer Art ConeentreUion des ganzen
Organismus auf einen erwarteten Eindruck*' besteht (Lehrb. d. Psych.*, S. 83).
„Wir müssen icissen, wessen wir uns von den Dingen unserer Umgebung . . .
XU versehen hohen. Zu diesem Zwecke müssen irir alle unsere psychisehepi Kräfte
anstrettgen, und eben diese Anspannung nennen wir Aufmerksamkeit'' (ib.). Die
Aufmerksamkeit hangt sehr eng mit dem Interesse zusammen (1. c. S. 84).
Als Wirkungen der Aufmerksamkeit zählt Jerusalem auf: die auswählende
Tätigkeit, Verengerung des inneren Gesichtsfeldes, Zerlegung der Vorstellimgen,
Abstraction, Apperception (1. c. S. 85 ff.).
Verschiedene Associationspsychologen führen die Aufmerksamkeit auf eine
Siunme von Spannungsempfindungen zurück, die mit bestimmten Be-
wußtseinszuständen sich verknüpfen. So z. B. Ziehen (Leitfad. d. phys. Psych.*,
S. 166). Vgl. Apperception.
Anfreehtoehen wird in verschiedener Weise erklärt. Wundt z. R
erklärt es aus den Bewegimgen des Auges. „Unsere Orienfierungslinie im
Raum ist ja die äußere Blicklinie oder, für das binoculare Sehen, die aus dem
Zusammentrirken der Blickbewegungen hervorgehende mittlere Orientienmgslinie.
Einer im äußern Raum nach oben gehenden Richtung dieser Linie entspricht
aber in dem hinter dem Drehpunkt gdegenen Raum des NetxhatUbUdes eine nach
unten gehende Richtung, %md umgekehrt" (Gr. d. Psych.», S. 163 f.).
Auc^ensclielii s. Evidenz.
Aasdelllliuif; ist eine GnmdeigenBchaft der optischen imd taetilen
Aiudehnung — Ausdrucksbewegungen. III
» -.
1 WthmehmimgsiDlialte, die Bäunüichkeit der Körper. Im weiteren Sinne ist
! Anedehnimg (extension) das Erfülltseiii von Baum und Zeit durch einen Wahr-
MhmimgBinhalt. Debcaktes sieht in ihr das Wesen der Materie (s. d.), ebenso
Spinoza., dem sie als eines der Attribute (s. d.) der „Substanx^^ gilt (Eth. 11^
: prop. IT). „Extensio est id, qtiod tribus dimensionibua oonstaf^ (Ken. Gart. pr.
I ph. IL def. I). Nach Leibniz ist die Ausdehnung nur eine „p^^orretie Vor-
' Mmi0^ von inneren Verhältnissen der Monaden (s. d.). Ein j^kaenimienoti*'
ist sie nach Chb. Wolf, welcher erklart: „Si phira diversa adeoque extra se
I mruMR Gnsieniia taftquam in tmo nobis repraeseniamiis : twtio exten^cnia
I ^fitHr: Ht aäeo extenato sit miUtorum dwersorum, aut, si mcms, eoctra se in-
I tieem exisientümi eoexüteniia in uno^^ (Ont. § 548). Platker erklärt die
Ausdehnung aus dem „Zusammenfließen vencarrener Vorsteüungefi einfather
I .%&itef»m" (Phil. Aph. I, § 903). Nach Berkeley ist die Ausdehnung nur
eine Idee (s. Baum), nach Hume ist die „id^ea of extension** eine „idea of visihle
er tangible points distributed in a eertain wder** (Treat. I, p. 358), einer Ord-
nung von Empfindungen. Nach Beid besteht zwischen der objectiven Aus-
dtrhnung und der Ausdehnung der Empfindungsinhalte keine Congruenz (Inqu.
pi 120). Kakt erklärt die Ausdehnung fiir eine apriorische Anschauungsforni
<fl. (L); sie ist rein subjectiv. So der gesamte Idealismus im Gegensatze zum
Brtlismus, der die Dinge an sich für ausgedehnt hält oder die Ausdehnung
als dne W^irkung dieser Dinge selbst ansieht. So ist nach Ulrici (ähnlich
J. H. Fichte) die Ausdehnimg „Folge einer den Baum einnehmendeti und
f^ da» Eindringen eines andern Widerstand leistenden Kraft" (Leib u. Seele
}^. 36l. E. T. Hartmakk betont, daß sie den primitiven Empfindungen nicht zu-
kommt (so auch Herbart u. a.), diese ist erst (wie bei Lotze) das Product
«Der raumsetzenden Seelenfimction. „ Was als Ausdehnung des Dinges erscheint^
it^ mtr der von diesem Kräftesystem und Kraftäußerungsformen oeciipiertCf he-
iidmngsweise geseixte und producierte Raum** (D. ProbL d. Erk. S. 20). Nach
CtoLBE ist die Ausdehnung nicht nur eine Eigenschaft, sondern auch „Sidfjecty
Sidatanx sotcohl der Atome als des sie durchdringenden Baumes** (Gr. «. Urspr.
i m. Erk S. 78 f., 95, 253). Nach H. Spencer ist Ausdehnung ein secund*re&
Attribnt der Dinge. Wir erkennen sie nur „vermöge einer Combination ron
Widerständen** (Psych. II, § 348, S. 233). Nach Uphues ist Ausdehnung „eine
•Swim« gleiehariigeTy gleiekxeitiger, wechselseitig zusammenhängender j aber nicht
*9^nder bedingender Teile ^ die wir uns in Empfindtingen rergegenmirtigcn**^
iVb. d. Erk. I, 208). Vgl. Baum, Empfindung.
Aasdrnek: Darstellung einer Vorstellung durch ein Zeichen (s. d.).
Xieli HU86JBRL bezieht sich jeder sprachliche Ausdruck auf eine Gegenständ-
5chkeit (Log. ünt II, 46, vgL 80 f.). Vgl. Name.
Assdimckflbewei^lUif^en heißen die im (jefolge von Affecten und
ö«fiüden auftretenden, erst triebhaften und zum Teil willkürlichen, später durch
^ohnheit vielfach mechanisierten, iteflexartig gewordenen Bewegungen der
^««achtsmuskeln, der Extremitäten, des Gesamtkörpers (mimische und panto-
■fflusche Bewegungen). Mit ihnen beschäftigen sich besonders J. B. Porta
•De famnana physiognomica 1593), Lavater (Physiognom. Fragmente 1783 ff.),
Es6EL (Ideen zu einer Mimik 1785 ff.), Ch. Bell (Essays on anatomy of ex-
pftÄion 1806), HuscHKE (Mimices et physiognomices fragmenta 1821), Harless-
'Ldirb. d. plast. Anatomie), Piderit (Mimik u. Physiogn. 2. A. 1866), Duchenne^
112 AiLBdraoksbeweguxigen — AuBflüsse.
Okatiolet u. a. Ch. Daswin stellt drei Principien cier Ausdnicksbewe^i
auf: das Princip zweckmäßig associierter Gewohnheiten, das Princip des
Satzes, das Princip der directen Tätigkeit des Nervensystems (D. Ausdr.
(lemütsbew. 1872, S. 28 ff.). Nach H. Spekcee zieht jedes Gefühl als prin
Begleiterscheinmig eine diffuse Nervenentladung nach sich, welche die Mus!
erregt; die Muskeltätigkeit wird dann zur natürlichen Sprache des Gefi
Die Ausdrucksbewegimgen sind angeboren (Psych. II, § 502). Nach A. Lehm^
besteht die Verbindimg zwischen den Affecten und den Ausdrucksbewegunge
in einer Association; in directer oder indirecter Beproduction motorischer Y(X
gänge infolge der wiederholten Association ist das Auftreten der Ausdntckl
bewegungen begründet (Haupts, d. menschl. Gefühlsieb. § 360 ff.). JasH
i Psych. II, C. 25) und C. Lange (Üb. Gemütsbew.) leiten aus den Ausdruckt
bewegungen die Affecte (s. d.) ab. Nach Wundt treten die Ausdruckt
bewegimgen in der Regel unwillkürlich auf, „enttüeder den Affeeterreffunge
folgend oder in der Form impulsiver, tms den Oefiihlsbestandteilen des Affeei
entspringender Triebhandlufigen". Sie können also auch durch den Willen b<
einflußt werden (Gr. d. Psych.^ S. 206). Sie zerfallen in drei Klassen: 1) rei
intensive Symptome, 2) qualitative Gefühlsäußerungen = mimische Bewegungoi
3) Vorstellimgsäußerungen = pantomimische Bew^egungen (1. c. S. 206 f.). Di
<1ritte Form ist wegen ihrer genetischen Beziehung zur Sprache (s. d.) wichti
(1. c. S. 207). Die Ausdrucksbewegungen sind B^leiterscheinungen, nicht Ui
Sachen des Affects, verstärken diesen aber (L c. S. 208 f.). Von den Ausdruckt
bewegungen sind die einfachem „ursprünglich Triebhandlungen, tcährend nutstek
pericickeltere pantomimische Betcegungen wahrseheinlieh auf einstige WiHkm
handlungen xurückxuführen sind, die xuerst in IHeb- und dann sogar in Reflex
bewegungen übergingen*^, wobei die Vererbung eine Bolle spielt (L c. S. 231
Die Ausdrucksbewegungen sind automatisch gewordene, ursprünglich bewufit
Leistimgen und zugleich (wie bei Darwin) vererbte Grewohnheiten (Grdz. i
phys. Psych. II*, 510 ff.; Ess. 8, S. 217; Vorles.«, S. 422 ff.; Syst d. Philos.'
S. 590; Völkerpsych. I, 1, S. 31 ff.; PhiL Stud. III). Voluntaristisch erkläi
die Ausdrucksbew^ungen Hüqhes (Mim. d. Mensch. 1900). VgL Hellpaci
Grenzwiss. d. PsychoL S. 9, 436 u. ff. und L. Dumont, Vergn. u. Schmes
S. 277 ff.
Ausdrucksmetliode geht in der Psychologie auf die „exaete Dar
Stellung eentrifugaler Äußerungen der Gefühle^' (Külpe, Gr. d. Psych. S. 239
„Es sind vier körperliche Processe, die in einer functionellen Beziehung xu Lau
und Unlust xu stehen seheinen: die mit Hülfe eines Dynanuyfneters (Krafhnessert
darstellbaren toillkürlichen Betcegungen, die mit detn Spkygmographen (Puls
Schreiber) registrierbaren Vtrönderungen des Pulses, die mit dem Pneusnat€
graphen (Atmungsschreiber) ganx ähnlich registrierbaren Hebungen und Senkungen
der Brust bei der Inspiration und Exspiration, endlich die mit dem Pletkysm^
graphen aufxuxeichnenden Schwankungen in dem Volum eines Körperteils^' (L i
S. 250 f.). WüNDT nennt Ausdrucksmethode „die Erforschung der physiologiseken
Rückwirkungen psychischer Vorgänge^' (Gr. d. Psych.*, S. 105; PhiL Stuc
XV, XVIII). Vgl. Fere, Sensation et mouvement 1887. Lbhmaniy, I>i
Hauptges. d. menschl. (jefühlsleb. 1892; Die körperL Äußerungen psych. Zu
stände 1899—1901.
Aiuflttsfle (effluvia, ano^^oaC) gehen nach Empedokles von den Kdrpen
Anaflüue — AossohlufiverfahrexL 113
aus und werden von den nogoi anderer aufgenommen, wodurch die Wechsel-
wirkung und die Wahrnehmung erklart werden (Plut, Quaest. nat. 19, 3;
Aristotel., De gen. et corr. I 8, 324 b 26).
AnsfUirllcli ist nach Chb. Wolf ein deutlicher Begriff, „trcfm die
Merkmal fj so man angibt, zureichen, die Saehe jederzeit xu erkennefi und von
allen andeni xu unierseheiden^*^ (Vem. Ged. von d. Kr. d. m. Verst.', S. 22).
Attsi^escIilasseBen Dritten, Satz vom, s. Exclusi tertii.
AnslSsiui^ heißt, physikalisch, die Freiwerdung lebendiger Kraft durch
einen quantitativ der ausgelösten Energie nicht äquivalenten Impuls. Nach
08TWALD besteht die Auslösung in der Ermöglichung des Ausgleiches von
Energie, in der Aufhebung der Compensation der Intensität an einer Stelle
(VorL üb. Naturph.*, S. 300 f.). Der Begriff der physiologischen Auslösung
(d^crochenient) schon bei Cournot imd de Saint- Venant, auch bei älteren
deutschen Physiologen (vgl. Dubois-Reymond, Red. I, 405 ff.).
Aussauge (xari^/o^ctv, praedicatio) : sprachlich geformtes Urteil. Der
Kegariker SnLPO soll behauptet haben, von einem Etwas lasse sich nichts als
dasselbe Etwas aussagen {Stb^ov eri^ov firi xarijyo^eJad'aif Simpl. ad. Ar. Phys.
26 r, 120 f.). Antisthbnbs meint, es gebe von jedem nur einen oix^Xos Xoyos;
es dürfen nur identische Urteile: S ist S (z. B. der Mensch ist Mensch) auf-
gestellt werden (Plat. Soph., 251b; Aristot., Met. V, 29). Unter rd ydvij rwv
lunrjyo^tiov, Arten der Aussage, versteht AiasTOTELES die allgemeinsten Begrlffs-
ionnen, die Kategorien (s. d.). Ausgesagt kann nach ihm und den Scho-
JEfetikern nur das Allgemeine werden (De interpr. 7, 17a 39). Nach Thomas
ist „pra^dieatio" ,yquoddamy quod completur per actionem intellectua cotnponentis
et diridentis, habens tarnen funda/nientum in re, ipsam unitatem eoruniy quorum
tmum de altero dieitur*^ (De ente 4 k). Hubbebl betont, alle theoretische
Forschung terminiere zuletzt in Aussagen (Log. Unt. II, 5). Von dem Acte
der Auslage ist der yyideale Inhalt*^, der constant gilt, zu unterscheiden (1. c.
S. 44). Jede Aussage hat eine Meinung, bedeutet etwas (1. c. 8. 45). Vgl.
Logik, Bedeutung. — Avenabius bezeichnet die yyÄussagen*^ als „E- Werte"
is. d.) und betrachtet sie als „abhängig" vom y,Systeni C" (s. d.), als yyFunction"
4€s^ben. Die „Aussagen" zerfallen in yyElemente" (s. d.) und yyOuiraktere^^
lls. d.). — Die Aussage als Bericht über ein Ereignis hängt von der Treue des
Gedächtnisses ab, sie wird durch die Phantasie beeinflußt (vgl. W. Stern,
Zur PsychoL d. Aussage 1902).
AllSSClialtll]lf^9 Gesetz der. „Ncieh diesem Oesetx beivirkt die bei dem
simuiianeyi oder successiven Ziisamnienhang dreier Inhalte a, b und c entstandene
Reprod4ietlonste7idenx. xwiscfien a utui c, daß allmühlich e direct durch a, ohie
Vermittlung von b, erregt wird" (KÜLPE, Gr. d. Psych. S. 213). Dadurch geht
z. B. das mittelbare in das unmittelbare Wiedererkennen über (s. d.).
AlUMchlnflTerfalireii ist der Beweis, welcher (nach Lotze) yySämtliche
^enidxxrefi MmelfcUle eines allgemeinen Falles aufxählt und von allen Übrigen,
^ußer einem, beweist y daß sie unmöglich sind, so daß, falls überhaupt feststeht,
daß irgend eine Art des allgemeinen Falles stattfinden muß, dann diese übrig-
g^iebene notwendig gültig ist" (Gr. d. Log.*, § 74). Auf diese Methode (s. d.)
fegt J. St. Mill großes Grewicht, auch Schuppe (Log. S. 56).
Philosophisch«« Wörtcrbnob. 2. Aufl. 8
114 AuSen — Aufier iine.
Außen s. Außer uns.
Anßendljo^e s. Dinge.
AnßeMWelt ist der Inbegriff der Außendinge mit ihren Eigenschaften,
die Summe des vom Ich Unterschiedenoi, Objectiven, in Kaum und Zeit con-
staut Vorgefimdenen (den Leib des Erkennenden inbegriffen), vom fühlend-
wollenden Subject imabhängig Existierenden, der ,ytran^cendenten Fartoren*^
(s. d.), die sich uns in Vorstellungen und Begriffen objeetivieren. Was ich als
mir Entgegenstehendes, von mir Unabhängiges setze, ist für mich Außenwelt im
Gegensatze zur Innenwelt, der stetigen Beihe meiner Erlebnisse als solcher.
Je nach der Stufe der Erkenntnis ist der Außenweltsbegriff ein verschiedener:
das naive Bewußtsein halt seine Wahmehmimgsvorstellungen unmittelbar für
die Objecte selbst, die Einzelwissenschaft unterscheidet die (gedachten) Objecte
von den subjectiven Empfindungen und Vorstellungen, die erkenn tniskri tisch
fundierte Metaphysik versteht unter Außenwelt eminenter die den Objecten,
den vorgestellten wie den wissenschaftlich gedachten, zugnmde liegenden Fac-
toren (das „An^sick" der Dinge). Während femer der Eealismus (s. d.) die
Außenwelt ganz außerhalb des erkennenden Bewußtseins setzt, betrachtet der
Idealismus (s. d.) die Außenwelt als etwas dem erkennenden (aUgemeinen,
reinen, transcendentalen) Bewußtsein Immanentes, als Summe von Vorstellungen
und Vorstellungsmöglichkeiten oder als Verwebungen von Vorstellungen mit Elin-
heit, Gesetzmäßigkeit, Objectivität setzenden Gedanken (empirischer u. kritischo',
transcendentaler oder methodischer Idealismus). Der naive, dogmatische Re-
alismus setzt die Dinge der Außenwelt den Vorstellimgen qualitativ gleich, dar
kritische Realismus nimmt nur eine Confomiität zwischen Vorstellung (Ge-
danke) und Gegenstand an. Anders stellt sich femer der Materialismus (s. d.)»
anders der Spiritualismus (s. d.) zum Außenweltsproblem. Für den Solipsismus
(s. d.) endlich ist die Außenwelt nur im und für das (Einzel-) Ich. Bezüglich,
des Problems des Außenweltsbewußtseins bestehen mannigfache Theorien.
VgL besonders Object, dann Ding, Ding an sich, Qualitäten, Anschauung!»-
formen, Kategorien, Wahrnehmung u. s. w.
Anßenweltsbewnßtseln s. Außenwelt, Object.
AnlSer niui: 1) außerhalb des empirischen Ich, im Raum, 2) unabhängig
vom erkennenden Bewußtsein, an sich (s. d.), bewußtseinstranscendent ; in einem
andern, umfassenden, allgemeinen Bewußtsein enthalten, nicht actuell präsent.
Bebkjsley nennt die sinnlich wahmehmbaren Dinge außer uns (extemal),
obzwar sie nur Ideen (s. d.) sind, „?ntt Rüdcsichi auf ihren Ursprung, soferp^
sie nicht von innen her, durch den Qeist seihst, erzeugt, sandem durch cine9%
Gei^t, der von dem sie percipierenden rerscßfieden ist, diesem eingeprägt irerdeti*'^
(Princ. XC). Nach Ghb. Wolf setzen wir die Dinge „außer utis", „indem iciw
erkennen, daß sie von uns unterschiedeti sind", „außereinander^*, „indem wir er^
kennen, daß sie coneinander unterschiedefi si?id" (Vem. Ged. I, § 45, 740 ;
Ont § 544). Nach Kant heißt außer luis so viel wie im Baume (Plt)legom. § 49),
auch unabhängig von uns. Keinhold erklärt „ron außen" durch „etiras tranm
bloßen Vorstellungsvermögen Verschiedenes", „von innen" durch „eigene Spon-^
taneltät" (Vers. e. neuen Theor. II, 365). „Außer niir^^ ist nach S. Mahioxt
nur „eftcas, 7nit dessen Vorstellung wir uns keiner Spotitaneität bewußt »ind^
(Vers. üb. d. Tr. S. 203). Ähnlich J. G. Fichtb (s. Object). Schopenhauer r
Aufler un8 — Automatentheorie. 115
rjAußer uns sind die Dinge nur, sofern wir sie vorstellen*^ (W. a. W. u. V.
Bd. II, C. 2). BiEHL bemerkt y außer uns heiße erkenntnistheoretisch f, nickt
Uoß extroy sondern praeter nos" (Phil. Krit. II, 2, 157). Nach R. Hamerlino
I ist außer uns nur die Summe jener Bedingungen, welche bewirken, daß sich
I in uns eine Anschauung erzeugt, also das An-sich des Dinges. „Außer uns
ist nur das Obfeet selbst, aber nickt das vorgestellte, sondern das für uns
\ ^anx unvorstellbare, daher nickt vorgestellte Object, das unbekannte Reale,
' tteickes (mf unsere Sinnesorgane ivirkt** (Atonl. d. Will. I, 17, 19). R. AvE-
SAiaus und £. Mach negieren den üblichen psychologisch-erkenntniBtheoretischen
Unterschied von „außefi*' und „t«w€n"'(s. Object).' So auch H. Cobnelius.
f^hmerkalb unseres Betcußtseins** heüJt nichts als „Inhalt unseres Bewußtseins**,
\ tflußerhalb des Bewußtseins" bedeutet nur, „dass etwas existiere, was nicht
1 gtgetucärtig Inhalt unseres Bewußtseins ist** (Psychol. S. 244). Vgl. Object,
Introjection, Immanenzphilosophie.
ÄnlSeres und Inneres sind Correlatbegriffe. Das Äußere ist, erkenntnis-
ÜiÄÄetisch, das raumlich Wahrgenommene, das Innere das psychische Erleben
als solches ; das Innere der Dinge = das Wesen (s. d.) der Dinge. Fries be-
trachtet als Äußeres „einen Gegenstand als Teil in einer Verbindung mit andern**,
als Inneres „das Qanxe, in welchem die Bestimmungen vereinigt sind** (Syst. d.
log. 8, 100). Hegel erklärt: „Das Innere ist der Grund, urie er als die
Uoße Form der einen Seite der Erscheinung und des Verhältnisses ist, die leere
Form der Reflexion in sich, welcher die Existenz gleichfalls als die Form der
mdem Seite des Verhältnisses mit der leeren Bestimmung der Refleoßion-in-
awieres als Äußeres gegenübersteht** (Encykl. § 138). Carriere: „Das Äußere
ui die Äußerung des Innern, damit ist dieses in ihm gesetxt und zur Er-
itkeinung gebracht** (Ästh. I, 100).
ÄnHerlicllkelt = die Form des in Raum und Zeit Gegebenseins.
Xach H£6EL besteht der Begriff (s. d.) zuerst im An-sich, dann in der
»ÄufierUchkeit**, aus der er zu sich selbst fortschreitet, bewußt wird (Natur-
phiL S. 39).
Änftem = etwas Geistiges, eine Idee zur Darstellung bringen, ob-
jektivieren.
AmMitraMung s. Emanation, Monade.
Amswftblende Function des Bewußtsein« wird von James
tenoQt (Princ. of Psychol. I, 225, 284 ff.).
Antüridle (avra^xeia): Selbstgenügsamkeit, sc. der Tugend zur Glück-
seligkeit, nach der Ansicht der Cyniker (avrd^fj Si r^v olqbttjv n^os evSai-
/roVtv, Diog. L. VII, 11) und Stoiker (Diog. L. VII, 1, 65); aber Panaetiub
wad PosiDOKius fordern als Bedingungen zur Glückseligkeit noch Gesundheit,
Eächtum (xo^yl«) und Macht (ib.).
AwtogBOflies Selbsterkenntnis.
Antobypnose s. Hypnose.
Antomaten, einen geistigen, nennen Spinoza (Em. int. S. 49) und
letEKJZ die Seele (s. d.). Nach Descartes sind die Tiere ungeistige Automaten.
Antomatentlieorie nennt Jähes (Princ. of Psychol. I, 128 ff.) die
8*
116 Automstentheorie — Autonomie.
Ansicht, daß die Handlungen der Organismen rein phyBisch-mechanisch , ohne
Beeinflussung durch psychische Factoren erfolgen.
Antomattecbe Beweg^iuif^eii sind solche Bewegungen, die ihre Aus-
lösung unmittelbar in den Nervencentren finden, ohne Beteiligung des Willens,
impulsiv stattfinden. Infolge der Übung (s. d.) erfolgt vielfach eine Mechani-
sierung (s. d.) von Willenshandlimgen zu automatischen Bewegungen. Dessoik
nennt automatische Handlungen solche, „die alle Merkmale psychischer Bedifigt-
heit tragen-y nur daß sie von der cmsführendefi Person im Augenblick der Aus-
führung nicht gewußt werden*^ (Doppel-Ich ß. 9).
Antomatteimis, psychischer: Selbsttätigkeit imd Regelmäßigkeit der
elementaren Bewußtseinsvorgänge (vgl. Jaitet, L'automatisme psychologiqiie,
1889).
Antonomle (Selbst-Gesetzgebung): Gesetzgebung durch das vernünftige
Ich, die Vernunft selbst. Gegensatz: Heteronomie. Je nachdem die Ethik
die Sittlichkeitsgebote oder das Sittengesetz schlechthin auf Autonomie oder
Heteronomie zurückführt, ergibt sich eine autonomische oder eine heteronomische
Moraltheorie (s. Ethik). — Kant begründet die Sittlichkeit durch die Aprioritat
(s. d.) der praktischen Vernunft (s. d.), deren kategorischer Imperativ (s. <L)
unbedingt, unabhängig von aller Erfahrung gilt imd Befolgung verlangt, weil
er die Stinmie der sittlichen, gesetzgebenden Vernunft ist. „Also drückt das
moralische Öesetx nichts anderes aus als die Autonomie der reinen praktischen
Vernunft, d. i. der Freiheit^^ (Kr. d. pr. Vem. I, § 8; vgL Einl.). Autonomie
des Willens ist „die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst
(unabhäfiyig von aller Beschaffenheit der Öegenstände des Woüens) ein Oeseix
ist. Das Princip der Autonomie ist also: nicht anders xu wählen als soy daß
die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines OesetXr
mit begriffen seien^^ (Gr. zu e. Met d. Sitt. S. 67). Diese Autonomie ist das
einzige Princip aller moralischen Gesetze, alle Heterogonie der WiUkür ist der
Sittlichkeit entgegen. Die „Heteronomie der Willkür*^ entsteht, „wenn der Tiyile
irgend u)orin anders als in der Tauglichkeit seiner Maximen xu seiner eigenen
allgemeinen Oeseixgebung, mithin, wenn er, indetn er über sich selbst hinausgehty
in der Beschaffenheit irgend eines seiner Objeete das Oesetx sucht, das ihn be-
stimmen soU^^ (1. c. S. 67 f.) „ Der Wille gibt cUsdann sich nicht selbst, sondern
das Objeet durch sein Verhältnis gibt diesem das Oesetx^' (ib.). Die Autonomie
ist das Princip der Würde des Menschen. Die Allgemeingültigkeit des ästlie-
tischen Urteils beruht auf einer Autonomie des urteilenden Subjects (Kr. d.
Urt. § 31). LiPPS erklärt: „Sofern tnein Willensentscheid einem eigenen Zug
xum Sittlichen entstammt, und das Gebot nur Anlaß ist, diesen Zug xu we^^het^y
ist mein Willensentscheid sittlich autonom". „Soweit dagegen das sittliche
Gebot lediglich als ein freundes ynir gegenübersteht und seinem Inhalte nach nirrht
xugleieh als ein Gebot meiner eigenen Natur oder ais ein Gesetx meines eige^^en
Willens sieh darstellt, will oder handle ich heteronom" (Eth. Grundfr.
S. 98). „So ist also schließlich alle Sittlichkeit gleichbedeutend mit J^Vei-
heit im Sinne der freien Übereinstimmung mit einem eigenen innem Ge9eJx^*^
(1. c. S. 107). RiEHL: „Autojuymie des Willens, das ist nichts anderes cUs
ethisclie Freiiieit'', „ Wille xur Persönlichkeif' (Z. Einf. in d. Phü. 8. 196 f .>.
Der Wille soll ein naturgesetzlicher sein, als vernünftiger Wille; „nicht fier
Mensch, sofern er Mensch, sondern sofern er ein Veniunfhceser^ ist, ist
Autonomie — Axiom. 117
Siäiject und xttgleich die Quelle des etkisehen Hcmdelns" (1. c. S. 197 f.). Vgl.
Sittlichkeit
Avtopeie: Selbstbeobachtimg.
Aatoritat B. Ethik, SittHchkeit.
AvtaBai^Sestion s. Suggestion.
ATMToYamvs heißt die Deutung des Aristoteles im Sinne des Avebboes,
ufgekommen und vom 14. bis zum 17. Jahrhundert herrschend in der Schule
von Padua. Nach der averroistischen Lehre ist der „tätige Intslleet" (s. d.) eins
mii don göttlichen t^eiste, der in allen Seelen einheitlich wirksam und imsterb-
lifh ist, während es eine individuelle Unsterblichkeit nicht gibt. Die Alexan-
dristen (s. d.) hingegen leugnen jedwede Unsterblichkeit. Averro'isten sind mehr
oder weniger Nicoletto Verniab (De unitate intellectus), Alexander Achil-
U5I, Atjgustinijs Niphus, ZabakktJjA, Andkeas Caesalpinus, nach welchem
Gott die „aninia universalis^^ ist (Quaest. peripat. 1571), Cesare CREMOinia
iT^ ÜBERWEG, Gr. d. Gesch. d. Phü. IIP, 19 ff. u. Stöckl III, 203).
ATersion: Abneigung. Eine Definition derselben bei Spinoza als
jfrüHiia eoncamitante idea alicuitis rei, quae per aodderis c(msa est tristitiae*^
(EtL ni, def. äff. IX).
iTmin (aevum) s. Ewigkeit.
Axiom {aSloffta = dignitas): Grundsatz, Grundlage aller Beweise auf
einem Gebiete, ursprünglicher, unbeweisbarer Satz, Grundurteil. Die specieUen
Axbme grimden sich auf allgemeine Grundsätze der Anschauung und des
Be&kens, die insofern a priori (s. d.) sind, als ohne sie Erfahrung im Sinne
räenschaftücher Erkenntnis nicht möglich ist, wenn auch die Bedeutung
^ Axiome erst in und an der Erfahrung bewußt wird. Es sind zu unter-
KbeideD : mathematische, physikalische, logische Axiome (= Denkgesetze, s. d.).
Der Begriff des Axioms ist bei Plato schon insofern vorhanden, als dieser
in reinen, dem Denken entstammenden Grundsätzen, Grundurteilen die Quelle
»Der Erkemitnis erblickt. Von dem relativen Grundsatze (vTto&eaie) muß zu
GMn j^zulängliehen'^y „ersten" Satz (apxij) zurückgegangen werden (Phaedo
H/7B, 101 E), zum voraussetzungslosen Princip (iT^ «(>/'?*' dtnmod'eTovj Rep.
MOB). Bei Aristoteles bedeutet d^icafta einen des Beweises nicht bedürftigen,
lue Grundlage eines Beweises bildenden Satz (Met. IV 3, 1005 a 20; Phys. VIII
i 252a 24), auch einen praktischen Grundsatz (Eth. Nie. IV 7, 1123b 21). Die
Stoiker verstehen unter d^iwfia einen durch sich selbst klaren Satz (o icnv
«i^^iff ^ tffevSos fj npayfia avroreXis dnotpavTOv ocov itp eavrtp, Diog. L. YJl, 1,
^). Nach Bo£thtU8 ist Axiom (dignitas) eine „propositio per se noia, quam
f^ifque probat auditam" (bei Albertus Magnus, Sum. th. I, qu. 17). Den
Scholastikern gelten die Axiome als uns angeborene (s. d.) „etcige Wakr^
*«fe»" (8. d.).
In der neueren Philosophie stehen einander zwei Auffassungen der Axiome
S^fenüber: die rationalistische und die empiristische, femer die aprioristische
fi«iKt Vermittelungen.
Rationalistisch lehrt Descartes die Vemunftnotwendigkeit der Axiome.
rtCifl» . . . agnosdmus fieri non posscj ut ex nihilo aliquid fiaty tunc propositio
*«, ez nihilo nihil fit, non tanquam res aliqua existens, neque etiam tä rei
^us wnsideratur: sed ut veritas aetemaj quae in mente nostra sedeni habet ^
118
vocaturque communis notio, sive axionta, Ouiua generis sunt: tmpassilnle est
idem simul esse et non esse; quod factum est, infeetum esse nequü; is gut oogüat^
non potest non existere dum cogitat'* (Princ. phlL I, 49). Nach Galilei haben
die Axiome ursprüngliche Evidenz, sie sind „da per 5«". F. Bacon unter-
scheidet zwei Methoden, zu den Axiomen zu gelangen und diese zu gebrauchen.
,y Altera a sensu et particutariims adrolai ad axionwia maxime generalia, atque
ex iis prineipiis eorumque immota verUate itidicat et invenit axiomata media:
aique haee via in usu est. Altera a sensu et particularibus exeitat axiomata,
aseendendo eontinenter et gradatim, ut ultimo loco perveniatur ad maxime gene-
ralia; quae via vera est, sed intentata^^ (Nov. Org. I, 19). Nach Locke gehören
zu den Axiomen alle aus unmittelbarer Erfahrung entspringenden Sätze, wie
der Satz der Identität u. dgl. Sie beruhen auf der unterscheidend-vcrgleichen-
den Function der Seele, ihre Klarheit auf der Festigkeit, die sie im Bewußtsein
erlangen (Ess. IV, C. 7, § 1 ff.). Leibniz betrachtet die Axiome als „angeboren^"
(8. d.) in dem Sinne, daß sie, potentiell, im Bewußtsein angelegt sind und daß
man sie im Denken finden kann, ohne von der Erfahrung auszugehen (Nouv.
Ess. I, eh. 1, § 5). Chr. Wolf definiert „Axiom*^ als „propositio theoretiea
indemonstrabilis" (Log. § 267). HuME betont, daß die Axiome durch das reine
Denken entdeckt werden können, ohne von irgend einem empirischen Dasein
abhängig zu sein (Inqu. IV, 1). Nach Redo sind die Axiome oder Principien
durch Intuition bewußt werdende ursprüngliche Wahrheiten („self-evident fruths^'),
sie sind von strenger Notwendigkeit und Allgemeinheit (Ess. on the pow. II,
270 ff.); das Gegenteil derselben ist unmöglich. Die Erfahrung lehrt uns nur,
was L»t, nicht das Notwendigsein („experienee informs us only of ichat is, or
has heen, not of what must 6c", 1. c. p. 281 ; I, 40 ff.).
Kant begründet die Notwendigkeit der Axiome aus der Aprioritat (s. d.)
der Anschauungs- und Denkformen. Qeometrische Sätze sind apodiktisch,
daher können sie „nicht empirisefie oder Erfahrungmrteüe sein, noch aus ihnen
geschlossen werden^^ (Kr. d. r. V. S. 52, 54). Diese und die arithmedschen
Axiome „können aus der Erfahrung nicht gexogen werden, denn diese würde
weder strenge Allgemeinheit noch apodiktische Gewißheit geben. Wir würden
nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber: so muß
es sich verhalten. Diese Orundsätxe gelten als Regeln, unter denen überhaupt
Erfahrungen möglich sind, und belehren uns vor denselben und nicht durch die-
selben^^ (1. c. S. 58 ; Proleg. § 10 ff.). Aus dem Grebrauch der Kategorien (s. d.)
entspringen apriorische Grundsätze, durch die allein Sicherheit und Objectivitat
in aller Naturerkenntnis möglich ist. Diese Grundsätze sind ursprünglicher
Art, „nictU in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet (Kr. d. r. V.
S. 149). Die Quelle aller Grundsätze ist der reine Verstand, „nach welchem
alles (was uns nur als Gegenstand vorkommen kann) noUvendig unter Regeln
steht, weil ohne solche den Erscheinungen nietnals Erkenntnis eines ihnen
correspondierenden Gegenstandes xukommen könnt e^^ (1. c. S. 156). Die Grund-
sätze sind die obersten Regeln, Bedingungen der synthetischen Urteile, sie sind
„zugleich allgemeine Geseixe der Natur, welche a priori erkannt werden können",
da sie sich auf mögliche Erfahnmg beziehen, sie machen erst ein „Natursysiem'*
aus (Proleg. § 23, 26). Die Grundsätze zerfallen in mathematische und;
dynamische; erstere gehen nur auf die Anschauung, letztere auf das Daseia
einer Erscheinung überhaupt, erstere sind unmittelbar, letztere nur mittelbar
evident. Die mathematischen Gnmdsätze gliedern sich in Axiome der
119
Anscluuiung und Anticipationen der Wahmehmimg (s.d.); die dynamischen Grund-
Mtze gliedem sich in die Analogien der Erfahrung (s. d.) und die Poetulate
des empirischen Denkens (s. d.; Kr. d. r. Vem. S. 172 ff.). Axiome der An-
scbauung sind die Grundsätze, worauf sich die Möglichkeit und objective
Gühigkeit der Mathematik a priori gründet. Das Princip dieser Axiome lautet:
^Alie £rscheimmge9h sind ihrer Anschauung nach extensive Größen" (1. c. S. 159).
Im Sinne des Eriticismus lehrt BECK. Nach ihm beruht die Notwendig-
kflt der Axiome auf den Eigenschaften von Baum imd 2ieit, sich in der Ck)n-
«tniction, d. h. durch die Zurückführung der Sätze auf die apriorischen Ver-
knüpfungen der Anschauung, darstellen zu lassen (Erl. Ausz. III, 188). Nach
FsiES beruht diese Notwendigkeit auf der dauernden Tätigkeit der Vemimft
(Xeue Krit. II, 43). Sie werden demonstriert dadurch, yfdaß wir die Anschauung
nadateisen, die in ikneti nur icieder ausgesprochen tvird*^ (Syst. d. Log. S. 411).
Gnmdsätze sind die „hJSehsten Prineipien der Systeme von Urteilen" (1. c. S. 292).
^ksoPENHAUBB betont, die Wahrheit der mathematischen Axiome leuchte nur
mitteist der Anschauung und Construction ein (Vierf. Würz. C. 6, § 39).
WcTDELBAND erklärt, für die genetische Methode seien die Axiome „tatsächliche
Auffassungsweiseny tcelehe »ich in der Entwicklung der menschlichen Vorstellungen,
Qtfiihle und Willensentscheidungen gebildet haben und darin xur Geltung ge-
kmm&i sind", für die kritische Methode aber sei es ,^anx und gar gleichgültig,
«f weit ihre taUäcJdiehe Anerkennung reicht", sie sind „Normen, welche unter
^ Voraiussetxung gelten sollen, daß das Denken den Zweck, tcahr xu sein, das
Collen den Zweck, gui xu sei/n, das Fühlen den Zweck, Schönheit xu erfassen,
M allgemein anxuerkennender Weise erfüllen tcill" (Prälud. S. 257).
Als Hauptvertreter der empiris tischen Auffassimg der Axiome ist
J. St. Mill zu nennen, für ihn sind sie experimentale Wahrheiten, Gbnerali-
saäooen aus der Beobachtung (Log. II, C. 6, § 1), durch Induction (s. d.) ge-
woimen, freilich unter der Voraussetzung der Gleichmäßigkeit des Natur-
gochehens (Log. I, 277 ff.). Nach Helmholtz wiederum sind die Axiome Pro-
<hicte „unbeieußter, aus der Summe vom, Erfahrungen als Obersätxen entspringender
S^iisse^^ (Tats. d. Wahm. 8. 28). Sie sind durch Erfahrung gewonnen imd
bestätigt (Vortr. u. Red. II*, 30 f., 230 ff.). „Die geometrischen Axiome spreclien
. . . nicht über Verhältnisse des Raumes allein, sondern gleichzeitig auch über
dat mechanische Verhalten unserer festesten Körper bei Betcegungen" (1. c. S. 30),
Empnisten sind B. Erdmaiot (Axiome d. Geom. 8. 91 ff.), Rdsmaxn (WW.
B. 475 f.), OsTWALD (Vorles. üb. Naturph.*, S. 305 f.). Auch Überweg betont
den empirischen, abstractiven Ursprung der Axiome (Syst. d. Log.*, S. 69 ff.).
Nach CzoiiBE sind die Axiome „Abstractionen aus sinnlich wahrnehmbaren,
äas Eletneni der Bewegung enthaltenden CausalverhÖltnisseti" (Gr. u. Urspr. d.
OL Erk. S. 66, 98 f., 100). Nach Laas bekundet sich in den Axiomen der
Mathematik die Uniformität der Anschauungsformen, und diese besagt, daß
^ keinen Grund haben, „von den Formen der Anschauung jenuäs andere Ge-
«ö« xu erwarten als diejenigen, die wir beständig an ihnen constatieren" (Id.
tt. pos. Erk. S. 447). — Schon Jacobi erklärt die Notwendigkeit der Axiome
ans dem Vorkommen der Anschauungsformen in aller Erfahrung (WW. II,
213 f.).
Teils rationalistisch, teils wenigstens den logischen, ursprünglichen Factor
in den Axiomen würdigend und dem Kriticismus in manchem nahekonmiend
lehren: Babdili. Er begründet die Apodikticität der Axiome aus dem
120 Axiom — Barbara.
Vorhandensein des DenJcens in ihnen (Gr. d. erst. Log. S. 82 ff.). Nach Maimox
sind die mathematischen Axiome nicht a priori, da sie der Erkenntnis des
Gegenstandes nicht vorhergehen (Vers. üb. d. Tr. S. 169); ihre Notwendigkeit
ist keine absolute, objective, sondern bloß subjectiv (1. c. S. 173). Nach Tren-
DELENBURG sind die mathematischen und physikalischen Axiome Producte der
Denkbewegung, die dem Geiste als dessen eigene Tat unmittelbar yerständlich
sind (Log. Unt. I*, 292). Nach Lotze kommt den Axiomen Evidenz zu, die
sie jedes Beweises enthebt (Log. S. 580). E. v. Hartmann versteht unter da*
Aprioritat der Axiome die Tatsache, daß in ihnen allgemeine logische Formen
enthalten sind (Kr. Grundleg. S. 168). Ihre Notwendigkeit beruht darauf, daß
sie nur für die formalen Verhaltnisse eines an sich gleichgültigen Materials
gelten, das sich jeder stets in derselben Weise reproducieren kann (L c. S. 167).
WüNDT betont, daß apodiktische Sätze sich nicht aus Anschauungen, Bondem
aus Z¥ringenden Schlußfolgerungen ergeben (Log. I*, 486 f.). Die Notwendigkeit
der geometrischen Sätze beruht nur auf deren ausnahmsloser Gültigkeit; die
Axiome der Zeit yykönnen nur a/us der Erfahrung gezogen sein, weil sie, ab-
gesehen von der Aufeinanderfolge unserer Vorstelhmgen, völlig gegenstandslos
sind" (1. c. S. 482, 490 ff.). Die mathematischen Axiome sind Anwendungoi
des Satzes vom Grunde auf mathematische Grundb^riffe. A priori sind sie
nur, sofern Zeit und Raum begrifflich unabhängig von jeder speciellen Er-
fahrung bestinmit werden können; insofern sie sich aber auf die Anschauung»-
formen selbst beziehen, haben sie den Charakter allgemeinster Erfahrungsgesetze.
Sie haben ihre Quelle in der Induction, beruhen auf ursprünglichen Inductionen,
sind gleichzeitig Gesetze des Denkens und der Objecte des Denkens. Ihre
Apodikticität erklärt sich daraus, daß das Denken an den formalen Bestand-
teilen der Dinge am unmittelbarsten und einfachsten sich betätigt. Das „Prin-
eip der Constanx mathematischer Oesetxe" und das „Prinzip der Pemuine^ix der
mathe^natischen Operationen" bringen die Allgemeingültigkeit der mathematischen
Begriffe zum Ausdruck (1. c. S. 387, II«, 1, S. 106, 114* ff.). Riehl erklart die
Notwendigkeit der Axiome daraus, daß sich an der Anschauungsform die syn-
thetische Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins und seiner Identität (s. d.) aui un-
mittelbarsten betätigt (Phil. Krit. II 1, S. 100). Schuppe sieht den Grund der
Evidenz der mathematischen Axiome in deren Anschaulichkeit (Log. S. 89).
Diese Evidenz beruht nach Schtjbert-Soldeen auf der „ündenkbarkeit des
Oegenteils" (Gr. e. Erk. S. 310). SiGWART bestinunt die Axiome als ,,Sätxe,
deren Wahrheit und öetcißheit unmittelbar einleuehiefid, deren Gegenteil xu
denken durum unmöglieh ist" (Log. I*, 412).
Axiome, empiriokritische, s. Empiriokri tisch ; logische s. Denkgesctze;
mathematische s. Axiome; mechanische s. Mechanisch.
Axilntli (von azel, absondern) heißt nach der Kabbalä die obere oder
Idealwelt (Franck, La cab. p. 197).
Bamallp ist der erste Modus (s. d.) der vierten Schlußfigur (s. d.) : Ober-
sate und Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung besonders verneinend (i).
Barbara ist der erste Modus der ersten Schlußfigur: Ober- vmd Untersatz
allgemein bejahend (a) Folgerung gleichfalls (a).
Barooo — Bedürfnis. 121
Raroeo ist der zweite Modus der zweiten Schlußfigur: Obersatz allgemein
bejahend (a), Untersatz und Folgerung besonders verneinend (o).
Redentnnf^ eines Wortes ist der Begriff, den es bezeichnet, der Inhalt,
das (jegenständliche, das es meint, auf das es sich bezieht (vgL Mabtinak,
PsychoL Untere, zur Bedeutungslehre 1901). Nach J. St. Mill besteht die
Bedeutsamkeit von Namen (s. d.) in der Mitbezeichnimg (connotation). Hüsserl
betont den Unterschied zwischen dem subjectiven Bedeutungsacte und der
objectiy-idealen y,Bedeuitmg an sick^* selbst. Bedeutsame Zeichen sind Ausdrücke.
Diese haben eine ,^cundgebende" Function, femer eine Bedeutung (Log. Unt.
n, 30 ff., 90 ff.). Nach H. Corneltüs hat das GedächtniBbild ,jStets eine von
3m selbst xu unterscheidende Bedeutung", Sie ist dasjenige frühere Erlebnis,,
d» durch ein Erinnerungsbild repräsentiert wird (Einl. in d. PhiL S. 212).
VgL G. Fkege, Üb. Sinn u. Bedeut. (Zeitschr. f. Phüos. Bd. 100, S. 25).
VgL Wahrheit.
Redeotnni^wandel s. Sprache.
Bedln^en^ Princip des („prindpley law of conditioned"), lautet nach
Hamiltok: alles Begreifliche im Denken ist bedingt durch zwei unbedingte
Eitreme. Denken ist Bedingen („to ihink is to eofidition").
Bedlnf^mif^ (conditio) ist ein Umstand, ohne den ein Causalverhältnis
nicht statthaben, ein Ereignis nicht stattfinden kann. Das „Bedingende" ist
das, was die Abhängigkeit eines (physischen, psychischen, logischen) Vorganges.
Zostandes setzt, das „Bedingte" das, was als abhängig bestimmt wird. „Con-
diito sine qua non" = absolute unerläßliche Bedingung.
Nach GocLEN ist „conditio" „qualitas ea, qua- aliquid condi, id est, fieri
ipiwn esf* (Lex. phil. p. 435). Kant sieht in den Anschauungsformen (s. d.)
solqective „Bedingungen" aller Erfahrung. Der Bedingimgsbegriff ist eine der
Kfttegoden (s. d.). „Bedingen" ist nach Schelling „die Handlung j tcodurch
c^itas zum Ding wird", yfiedingt" ist „das, was xum Ding gemacht ist, woraus
'ugleieh erhellt, daß nichts durch sich selbst als Ding gesetzt sein kann" (Vom
Ich 6. 11). Nach Hegel ist Bedingung „das Unmittelbare, auf das der Orund
fith als auf seine wesentliche Voraussetxung bezieht" (Log. II, 107). J. St. Mill
Knut Bedingimg eines Phänomens „das Oanxe der Umstände", unter denen es
aatthat (Log. I, 388). Hodgson gebraucht statt „Ursache" den Tenninus
-ml condition" (Met. of Exper. 1898). Nach 0. Schneider ist Bedingung
kfin „Sfammbegriff^*. „Das Bewußtsein der Bedingutig und Bedingtheit ist nur
«W Vorstufe des Bewußtseins der Ursaclie und der Ursächliciikeit, ist das noch
^tftfnitriekelte, gleichsam das noch knospende Ursächlichkeitsbewußtsein" (Transcend.
J?- 197). Nach Sigwart ist Bedingung „etwas, was die Wirksamkeit de^ her-
i^jrbringenden Grundes möglich macht" (Log. II*, 157). Die Sunmie der Be-
«üngungen ist „ Ursache" (s. d.) ; so auch Schuppe (Log. S. 73), dagegen WLTn)T
A Ursache): Bedingung ist der weitere Begriff; die Erde z. B. ist die per-
manente Bedingung der einzelnen Fallerscheinung, deren „Ursache" in der Er-
Itebung in eine bestimmte Höhe besteht (Log. I«, S. 597 ff., 103 ff.; Syst. d.
HüL*, S. 290 f.). Ostwald versteht unter Bedingung die zeitliche oder räum-
Hthe Regelung eines energetischen Verlaufes (Vorles. üb. Naturph.*, S. 299).
Enige Forscher wollen den Causalbegriff (s. d.) durch den der Bedingtheit
Be4MrAils ist alles, was ein Wesen bedarf, zur Erhaltung imd Steigerung
*ffl€T Existenz braucht, benötigt (B. im objectiven Sinne), zugleich das
122 Bedürfiiis — Begehren.
Bewußtsein (Grefühl) einer Unzuträglichkeit, verbunden mit dem Streben nach
deren Beseitigimg (B. im subjectiven Sinne). Eb gibt körperliche und
geistige, materiale und functionelle Bedürfnisse.
Nach Kant ist Bedürfiiis das Verhältnis eines lebenden Menschen zu dem
nötigen Gebrauche gewisser Mittel in Ansehung eines Zweckes. Nach Hille-
BRAND ist Bedürfnis ,,die eioige Seibatforderung des Individuums, eine endliehe
Hypostase xu haben, um eine unendliche Richtung seiner Tätigkeit nehmen %u
können'' (Phil. d. Geist. II, 105). Nach Hebmann ist Bedürfnis j^as Gefühl
eines Mafigeis mit detn Streben, ihn xu beseitigen" (bei O. Kraus, Das Bed.
S. 8). Nach Meinono hat man ein Bedürfnis „nach detnjenigetij im« tnir ab-
geht, wenn es nicht vorhanden ist" (Werttheor. S. 7). Nach R. Wähle entsteht
durch Störung des gewohnheitsmäßigen Ablaufs der Vorstellungen eine „ Unruhe^'.
„Diese Unruhe bexuglich einer Vorstellung und das Bewußtsein, daß sie durch
eine getcisse Vorstelhmg behoben leürde, nennen udr da>s Bedürfnis, die. Vor-
stellung ruhig, ohne Triibutig klar xu besitzen" (Das Ganze d. PhiL S. 371).
A. DÖRING bestimmt das Bedürfnis („Erfordernis") als Erfüllung der Erhaltungs-
bedingungen des Organismus, subjectiv als Bewußtsein dessen (Philos. Güter-
lehre S. 74 ff.). Jerusalem imterscheidet (wie Döring L c. S. 77 ff.) körpeiüche
imd seelische Bedürfnisse; die körperlichen zerfallen in stoffliche und functionelle
Bedürfnisse, unter welchen ein Verlangen der Organe nach Betätigung zu
verstehen ist. Die seelischen Bedürfnisse sind durchaus functioneUer Natur,
«ie gliedern sich in intellectueUe imd emotionelle Functionsbedürfnisse (Lehrb.
d. Psych. S. 160 f., s. Ästhetik). Mit anderen betont Ihering die sociale Be-
deutung der Bedürfnisse. Das Bedürfnis ist „das Band, mit dem die Natur den
Menschen in die Gesellschaft xiehi*' (Zweck im Recht I, 107). Vgl. Ästhetik,
Sociologie, Trieb.
BedfirfBlslosi^kelt ist nach Sokrates göttlich, so wenig als möglich
zu bedürfen, dem Göttlichen am nächsten (Xenophon, Memor. I, 6, 10). Nach
ANTI8THENES ist sie, als frei machend, eine Tugend (Xen., Symp. 4, 34 ff.).
Auch die Stoiker legen auf Bedürfnislosigkeit Wert. VgL Cynismus.
Befeblsaatomatle ist ein Zustand höchstgesteigerter Suggestibilität,
hervorgenifen durch Hypnose (s. d.): Auf Befehl des Hypnotisatons vollzieht
der Hypnotisierte jede Bewegung, die nur irgendwie möglich ist, nimmt nicht
vorhandene Objecte wahr u. dgl. (Vgl. Hellpach, Gr. d. Psych. S. 337 f.;
WüNDT, Gr. d. Psych.», 8. 331.)
Beg^elireil (Begierde) ist ein intensives, durch ein Hindernis gewecktes,
verstärktes Streben, das sich seines Zieles bewußt ist („Ignoti jmUa cupido").
Es gibt ein sinnliches und ein geistiges Begehren. Die Begierde ist insofeni
„blind", als sie nicht auf die Folgen der Begehrung achtet. Das Gregenteil
des Begehrens ist das Verabscheuen, das Widerstreben gegen einen Zustand
oder Gegenstand.
Nach Empedokles geht das Begehren auf Herstellung der normalen
Mischung im Organismus (Siebeck, G. d. Psych. I 1, 152). Plato nimmt
einen besonderen begehrenden Teil der Seele (dmd'vfirirtxov) an (Rep. IV, 441 b;
Tim. 77 b). Nach Aristoteles entspringt das Begehren (o^B^ts, iniS'vfiUn) aus
gefühlsbetonten Vorstellungen (De an. II 3, 414 b 4). Es ist Streben nach Lust
(1. c. II, 3, 4l4b 66), wird nicht von der Vernunft geleitet (ist iv nf aloy^f*
1. c. III 9, 432 b 6). Die Seele wird durch das Begehrte {oQtxrSv) gleichsam
123
bewegt (1. c. III 11, 333 a 27). Die Stoiker bestimmen die Begierde als yer-
AimfUoses Streben {oqs^iv aneidij loyxpj Stob. Ecl. U, 6, 172). Epikur teilt die
Begierden {int&vfiitu) ein in: natürliche (fvcixai) und nichtige {xBvaC); die
enteren sind teils Begierden schlechthin {fvctxai fiovov)^ teils notwendige Be-
gierden savayxaiai) (Diog. L. X, 127; vgL X, 149). Nach Cicero ist yylibido"
die „opinio venturi honi*^ (Tusc. disp. FV, 9).
Grbgor von Ntsba stellt drei Arten des Begehrens auf: fleischliche,
seäische, geistige Begehrungen (De opif. 8). PHiLOPONua unterscheidet das
flcelische Begehren (4'nid'vfiia) von der fwftxrj Swafug^ vom körperlichen Drange
(Seebeck, G. d. Ps. I 2, 356). Die Scholastiker unterscheiden vom Er-
komtnisTermögen die „Pts appetitiva^' (s. Streben). „Oupiditas^^ ist nach ihnen
.^attgioy quae tendit in bonum", „(wersio^* ist „fuga malt**. HUGO VON St.
Victor unterscheidet fleischliches und geistiges Begehren (StÖckl I, 335).
Albertus 3Iagnu8 erklart: „Oupiditas didtur tribus modis: 1) Pronitas ad
jjeeramiuni. 2) Coneupiseenlia ad deleetabüia cartiis, 3} Amor ülicihis cuius-
cmnque rei temporcUis** (Sum. theoL II, 133, 1). Vom sinnlichen ist das in-
teilective Begehren, der Wille, zu unterscheiden. Thomas bestimmt das Begehren
sb ^ppettius senaitiifus**, sinnliches Streben, das in sich hat die „coficupiscibi'
UUa^' und „ireueibiliias** (De pot. an. 5; Sum. th. I, 81, 2). Nach Süarez
iit das Begehren „appeiitua elieitiis** (De an. V, 1, 2).
HoBBBB bezeichnet das Begehren als „prinrns conatus**, der auf Angenehmes
sieh richtet (De oorp. 35, 13). Dbscartes erklart die Begierde physiologisch,
SOS der Wirksamkeit der Lebensgeister (s. d.). „Passio cttpidiiatia est agitatio
autnae producta a spiritibus, per quam disponitur ad volendum in futurum re«,
fHo» sibi repraesentat convenientea** (Pass. an. II, 86). Es gibt so viele Arten
da- Begierde als Gegenstande derselben (1. c. II, 88). Nach Spinoza ist das
Begehren .,appetitu8 cum eitisdem eanscientia" (Eth. III, prop. IX, schol.).
^Cupidilas est ipsa hominis essentia, quatenus ex data quacumque eius affectionc
determincUa concipitur ad aliquid , agendum" (1. c. III, äff. def. L). Leibnxz
erklärt das Begehren als „tendance d'une perception ä Vautre** (Erdm. p. 714 a).
Ba Chr. Wolf tritt neben das „Erkenntnisvermögen** ein „Begehrungsvermögen**,
Streben im allgemeinen („appetitus in genere**) ist „inclinatio animae ad ohiectum
yro ratione boni in eodem percepti** (Psych, emp. § 579). „Oupiditaa** ist „prae-
putus tfoiuptaiis vel gaudii ex bofw absente, quod nobis praesens esse mallemiis**
(L c. § 805). Die sinnliche Begierde entspringt y,aus der undeutlichen Vorstellung
*» Guten*'' und ist die „Neigung der Seele gegen die Sache, davon toir einen
wideutli^rhen Begriff des Övten haben** (Vem. Ged. I, § 434). Nach CONDILLAC
ist das Begehren die auf ein Bedürfnis gerichtete Seelentätigkeit, die aus Em-
pfindungen entspringt (Tr. d. sens. I, 3, 1). Platner definiert das Begehren
tb ^innere Veränderung der Seele, welche auf vorherrschende Vorstellungen eines
TnUkommetMn Zustandes, also einer freien oder gehinderten Wirksamkeit ihres
Ornndvermögens in ihr erfolgt** (N. Anthr. § 1124). Nach Th. Brown ist das
Begdu-en eine „prospective emotion** (Lect. III, 314). Kant unterscheidet ein
vnceres und oberes Begehrungsvermögen , ersteres ist durch materiale Motive,
ieteteres rein formal, durch die Vernunft selbst (mit der es identisch ist) be-
stimmt (Kr. d. pr. Vem. 1. T., 1. B., 1. Hptst., § 3). Begierde ist ,/iie Selbst-
ie$timmung der Kraft eines Subfectes durch die Vorstellung von etwas Künftigem,
oli einer Wirkung derselben** (Anthr. § 71). Nach Chr. E. Scumid ist das
BegehrungByermogen „etn Vermögen, welches Vorstellungen realisieret, d, h. macht
124 Begehren.
oder XU machen strebt, daß da^emge icirJdich werde ^ was in der Vorstelhmg
enthalten ist*^ (Emp. Psych. S. 335). Das Begehren ist „rft« Art der laiigkeitj
tcelche den Stoff so oder anders bestimmt oder sieh auf denselben bexieht^^ (L c.
ö. 337). In jeder Begierde konunt j,etwas Angeborenes, d, h. im Begehrttngg-
vermögen selbst Gegründetes, und etwas durch Einwirkung Hervorgebrachtes ror^
(L c. S. 339).
J. G. Fichte bestimmt das Begehren als „ein durch seinen Oegenshnd
bestimmtes Sehnen^^ (Syst d. Sitt. S. 160). „Das Mannigfaltige des Begehrens
überhaupt, in einem Begriffe vereinigt und als ein im Ich begründetes Vertnögen
betrachtet, heißt Begehrung svermögen^^ (ib.). Nach Heoel ist B^erde „das
Selbstbewußtsein in seiner Unmittelbarkeit^*, „der Widerspruch seiner Abstraetüm,
welche objectiv sein soll, oder seiner Unmittelbarkeit, tvelche die Gestalt eines
äußeren Objects hat und subjeetiv sein soll" (EncykL § 426). Hetneoth miter-
scheidet das Beehren vom Willen (Psychol. 8. 68). Nach Bekeeie ist das
Begehren „abgeleiteter Natur, tritt erst ais Reproduetionsform in die Ausbildung
der Seele ein" (Pragm. Psych. I, 50 f.; Lehrb. § 167). Nach Herbabt ist da«
Beehren ein secundäres Phänomen, „dae Hervortreten einer Vorstellung, die
sich gegen Hindemisse aufarbeitet" (Psych, a. Wiss. II, § 104). Begierde ist
eine „Vorstelltmg, die wider eine Hemmung auftritt" (1. c. § 150). Zwischen
Beehren und Wollen, unterem und oberem Begehrungsvermögen ist zu unter-
scheiden (Lehrb. z. Psych.*, S. 78 ff.). Volkmann definiert die „Begekrung^
als „das Bewußttcerden des Anstrebens des Vorstellen^ und Geltendmachung seiner
Vorstellung" (Lehrb. d. Psych. II*, 405); ähnlich Deobibch (Emp. Psych. § 143).
Nach Stbümpell ist das Begehren „jene Seelentätigkeit, worin eine Vorstelltmg
troix der auf sie ausgeübten Hemmungen im Bewußtsein im Gemüte aufstrtht
und sich gegenwärtig erhält" (Gr. d. Psych. 8. 94). Allihn : „Begehrwigen sind
Vorstellungen, welche im Streben begriffen sind, xur Vollendung des Vorstellens
XU gelangen" (Gr. d. allg. Eth. 8. 53). Waitz definiert Bq^cJirung als „das-
jenige Gefühl, welches entsteht, wenn wir etwas als angenehm Vorgestelltes xu-
gleich als nicht sinnlich gegemcärtig vorxusteUen uns genötigt finden" (Lehrb.
d. Psych. 8. 420). George sieht im Begehren ein „Wahmiaehen" des Er-
kannten (Lehrb. d. Psych. 8. 548). Ulrich bestimmt die Begierde als Form
des 8trebens (Leib u. Seele 8. 594). Lipps bezeichnet das Begehren als das
„qualitative Ihnpfindungsstreben" (Gr. d. 8eelenleb. 8. 600). Nach H. Spencer
sind Begehningen „ideelle GefiUäe, welche auftreteti, wenn die reellen Gefühlt,
denen sie entsprechen, längere Zeit nicht erfahren worden sind" (Psych. I, § 50).
Nach SiGWART ist Begehren der „empfundene Drang" aus der Gegenwart
heraus nach der vorgestellten imd anticipierten relativ höheren Lust der Zu-
kunft hin (Kl. Sehr. II», 141). HÖffding definiert Begehren als „einen vofi
deutlichen Vorstellungen beherrschten Trieb" (Psych. 8. 325), JODL als einen
„seines Zieles bewußten" Trieb (Lehrb. d. Psych. 8. 426). Nach Wündt ist das
Begehren eine Richtung des Triebes (s. d.); Begehren und Widerstreben bilden
die Grundlage aller Willenshandlungen (Grdz. d. ph. Psych. II*, 411). Nach
Külpe handelt es sich bei den B^erden und Abneigungen um „Triehfortnen,
die den Affecten besonders nahe stehen" (Gr. d. Psych. 8. 338). Ehrenfelö
nennt Beehren alles Wünschen, Streben, W^ollen, alle psychischen Acte, die
auf ein bestimmtes Ziel gerichtet sind, „nämlich efUweder auf die Existenz oder
die Entstehung eines Dinges, das Eintreten oder Zutreffen eines Vorgangs, oder
aber auf die Nichtexistenx oder Vernichtung eines Dinges, das Hintanbleiben
Begehren — Begriff. 125
aStr Atifhören eines Vorgangs", Es gibt positive und negative Acte des Be-
^^ehrcDs (Werttheor. I, 6, 18). Begehren ist kein besonderes Bewußtseinselement,
sondern nichts anderes als „die — eine relcUive Glüeksßrdenmg begründende —
Vorgteiiung von der Ein- oder Äussehalhmg irgend eines Objects in der oder
ans dem C<misalgewebe um das Gentrum der gegenwärtigen Ickvorstettung" (1. c.
S. 248). Vgl. Streben, Wille.
RegeliniiigSTemiKi^n s. Begehren.
Beg^liardeii s. Mystik.
ie s. Begehren.
ist so viel wie: etwas auf einen Begriff bringen, in einer
Mannigfaltigkeit logische Einheit, Zusammenhang und Ordnung herstellen,
rtwa? in den Bestand des Gewußten, in den Verband des Ich einreihen, es
richtig beurt«Qen, deuten können, es seinem Wesen nach erfassen.
Bei den Stoikern hat das Begreifen als xaräkrjyjis (s. d.) den Sinn des
Erfai^sens der Vorstellung durch das Bewußtsein. ,jCum aeeeptum iatn et ad-
probatiofi esset, comprehens%one?n appellabat (Zeno), simileni iis rebt4s, quae manu
frtHdrreniur" (CiCKRO, Acad. I, 41, II, 47, 145). Nach »Albeetüs Magnus
ist ^.cffmprehensio" der „eontaetus intelleclus super ferminos rei*^ (Sum. th. I,
13. 1). Xach Lambert, heißt eine Sache begreifen, „sich selbige vorstellen
können, und xwar so, daß man die Sache für das ati»teht, was sie ist" (N. Org.
l J 1). Nach Kant ist Begreifen (comprehendere) „in dem Grade durch die
Vtrmmft oder a priori erkeniien, als xu unserer Absicht hinreichend ist** (Log.
S. 97 L Xach Kiesewetteb heißt Begreifen „etwas aus Principien hinreichend
fifuehen** (Gr. d. Log. ad § 195, S. 246). Fbies versteht unter Begreifen die
SfMständigkeit der Einsicht" (Syst. d. Log. S. 362). Nach Hegel besteht das
Begreifen des Gegenstandes „tw nichts anderem, als daß das Ich sich denseibtn
iH eigen maeht, ihn durchdringt und ihfi in seine eigene Form, d. h. in die
Miffnneinh^t, welche unmittelbare Bestiynmtheit ist . . ., bringt** (Log- III, 16).
X*ch J. E. Erdmann ist Begreifen „als noiwetidig erkenneti** (Gr. d. Psych.
% '2\. H. Spencer bestimmt das Begreifen als „Oleichsetxung eines Falles mit
^ anderen" (First Princ. p. 70); BlEHL als „Identität zweier oder mehrerer
ymieüungen erkennen" (Phil. Krit. I, 380), „aus Gründen erkennen" (1. c. II, 2,
237?. Nach Avenarius wird Begreifen erzielt durch „Subsumtion einer Einxel-
fjnstellung unter inhaltlich bekamUe Begriffe", was eine „Kraflerspamis" („Oko-
fiomi^^ nach Mach) des Denkens bedeutet (Phil, als Denk. S. 43). Nach
VrsDT will der Verstand die Wahmehmungstatsachen begreifen (Syst. d.
PhiL*, S. 169 ff.). Dieses Ziel ist erreicht, „wenn alle bekannten Tatsachen in
w rerständliche Verbindung gebracht sind" (ib.). Nach SULLY begreifen wir,
*«in wir gewisse Merkmale eines Gegenstandes speciell beobachten, indem wir
<lic6ellK3i als gemeinsame Merkmale einer Klasse von Gegenständen erkennen
iHfflidb. d. Psych. S. 234).
Bef^riJr (Ao^off, oQOQ, ^t^ota, conceptus, notio, terminus, idea) ist das, was
•ir unter einem Namen begreifen, zusammenfassen, die isolierte Fixierung, Verwen-
«ioAg eines bestimmten Bewußtseinsinhaltes, der Inb^jiff aller Merkmale, die
»ir als das Wesen einer Sache bestimmend, constituierend in einer Reihe von
Tneilen aussagen können, so daß der Begriff die Potenz zu einer Reihe von
l neuen bedeutet, in denen er allein lebendig ist. Der logische Begriff unter-
Kiieidet sich vom psychologischen durch die volle Bestimmtheit, Pracision
126
seines Inhaltes. Dieser besteht in dem Constanten, Allgemeinen, Charakteristi-
schen, Typischen, Objectiven einer Beihe von Vorstellungen desselben Gegenstandes,
das durch die active Apperception (s. d.) erfaßt, festgehalten, herausgehoben,
abstrahiert wird imd das vom Gesichtspunkt der Betrachtung abhängig ist. Der
Begriff ist als solcher ein Product des Denkens, ein Niederschlag von Urteilen,
hat aber seinen Stoff, sein Fundament im ooncreten Erleben, in der Erfahrung,
bestehe diese auch nur in einem Postulate (s. d.) des Denkens oder Wollens.
Vertreten wird der Begriff durch eine ,^repräs€nUUiv&' Vorstellung sinn-
lichen Inhalts (concreter Begriff, s. d.) oder symbolischer Art (abstracter
Begriff, s. d.), wobei ein ^fiegriffsgefüht^ (Begriffsbewufitsein) auftritt, d. h.
das Bewußtsein, daß die Individualvorstellung eine ganze Klasse vertritt. Es
sind Individual- und Allgemein- (Gattungs-) Begriffe (s. d.) zu unterscheiden.
Inhalt (s. d.) eines Begriffes ist das Ganze des von ihm zu einer Einheit Zu-
sammengefaßten, Umfang (s. d.) des Begriffes die Beihe der Objecte (Vor-
stellungen), auf die er sich bezieht oder Anwendung findet. Die begriffliche
Erkenntnisart imterscheidet sich von der anschaulichen, unmittelbaren dadurch,
daß sie den Inhalt der Erlebnisse zu abstracten Symbolen der Dinge verarbeitet
Ursprung und Wert der Begriffe werden anders vom Rationalismus (s. d.), anders
vom Empirismus (s. d.) und Sensualismus (s. d.), anders vom Dogmatismus
(8. d.) und Kriticismus (s. d.) aufgefaßt. Von „angeborenen^^ (s. d.) B^riffen
spricht man nicht mehr wissenschaftlich.
Die Lehre, daß der Begriff im Gegensatze zur Sinneswahmehmung das
Wesen (An-sich) der Dinge erfaßt, bestimmt, daß er die eigentliche Form der
Erkenntnis ist, durchzieht die ganze Geschichte der Philosophie, nicht ohne
Widerspruch seitens verschiedener Denkrichtungen. Schon Heraxlit, die
Eleaten, Demokbit (s. Erkenntnis) werten das begriffliche Erkennen so.
S0KRATE8 erst betont vollbewußt die fundamentale Bedeutung des Begrifflichen
für Wissenschaft imd Ethik. Das logische Verfahren besteht darin, das Was
der Dinge (ri ixaarov etij)j das Constante, Allgemeingültige, durch yjnduction"'
(s. d.), auf dem Wege des Zusammendenkens, der Unterredung zu bestimmen.
So gelangt man zum Wesen, Sein der Dinge imd überwindet den sophistischen
Skepticismus und Subjectivismus (s. d.) (vgl. Aristoteles, Met I, 6, XIII, 4;
Xenophon, Memor. 1, 1, 16, IV, 6, 1). Plato baut auf dieser Lehre weiter. Im
Begriffe wird das gemeinsame Was einer Gattung von Dingen, ihr Wesen, ihr
wahres, objectives, ihr An-sich-sein, ihr Unwandelbares {dei 6v)y ihre Idee (s. d.)
erkannt (Lach. 191 E, Meno 72, Phaedr. 238 D, Phaedo 65 D etc.). Der Be-
griff setzt Einheit, Bestinuntheit in die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen (PhiL
23 E, 26 D). Die Begriffe beruhen auf der Gesetzmäßigkeit des Denkens (s. d.).
Nur das begrifflich Bestimmbare ist Object des Wissens {mv fäv fit- ian koyo^
ovx intaTTjrd elvai, Theaet. 201 D). Auch Aristoteles lehrt, der Begriff
(7.o/off) gehe auf das Wesen der Dinge (o Xoyoe ttjv olaiar o^i^i, De part. an*
IV, 5). Er hat zum Gegenstande das t6 ri ?v tlvai (s. d.), die Wesenheit des
Dinges (De an. II 1, 412 b 16), die Form (s. d.) desselben (1. c. 414a 9, I 1,
403 b 2). Der Begriff ist zeitlos, unwandelbar, er gilt oder gilt nicht, hat aber
kein Werden {rov 8i k6yov ovx icrtv avnoe £ms ^d'Mi^a&ai, ovSi ydp ytvetrtg . . ^
dXX* avev ytreaecag xai ^&opde sial xal ov« eiciv (Met. VII 1.5, 1039 b 24 sqn.).
Es gibt einen allgemeinen (xavoe X6yoe) und Einzelbegriff (tStos l6yoi) (De an.
II 1, 412 a 5, II 3, 414 b 23). „Materieller'' Begriff {X^os vJUrof) ist der im
Objecte steckende Begriff, den das Denken heraushebt (De an. I 1, 403 a 25).
Begriff. 127
Begriff und YorBteUimg {ya$rraaia) sind zu unterscheiden (Dean. III 3, 428 a 24).
F^cfadogisch geht der Begriff {v^rjfia) aus der Verarbeitung der Erfahrung
durch den Intelleet hervor (De memor. 1; Anal. post. II, 9, 1). Die Stoiker
giaaben wiederum, daß erst das begriffliche Denken wahre Erkenntnis ver-
«iurfft (Cicero, Acad. II, 7). Von besonderer Wichtigkeit sind die Tt^oXtjy/aie
lg. (L) und xoit'ai ftfroiou {y,notitiae eonfmunes" bei CiCEBo), die von allen auf
gleiche Weise ursprünglich erworben, wenn auch nicht angeboren sind (vgU
Sthn, Psych, d. Stoa II, 238). Die Begriffe (ivvoiat) entstehen aus der Wahr-
odunung und Erfahrung (s. d.), entweder natürlich -psychologisch ((fvctxc^g,
aytmrexyfß'^) ^^^ wissenschaftlich-bewußt, planmäßig (9t ^furegae didaaxakias
*ai isfiiuÄeias, Plac. IV, 11, Dox. 400; yyOut U8U — ant eoniunefione atU simi-
litudine aut eoüatione'^^ CICERO, De fin. III, 33). Nach EPIKUR entspringt
ied^ Begriff aus der Wahrnehmung, ist sinnlichen Ursprungs (nae Xoyoi ano
xav aia&iqmcDv rjgnjxaiy Diog. L. X, 32; ai inlvotat näaai, ano rtov aiad'riaeoiv
•ftyovaai xatd re TtB^iTcroHiiv xai ävaXoyCav xai hfiotorfjra xai avrd'aair, ib.
inoTjua Bi imt ^avtaa/Mt 8&avoias, ovre t6 ov ovrs 710161% rboavel 9e rt ov xai
ötavü Tioiov, 1. c. VII, 1, 61). Die ngolrjxptg (s. d.) ist eine Allgemeinvor-
Stellung. Plotin bestimmt die „Begriffe** (Xoyoi) als geistige Kraftformen der
Dinge, als plastische, schöpferische Wesenheiten, die sich in den sinnlich wahr-
nehmbaren Erscheinungen manifestieren und in unserem Denken zum Bewußt-
em kommen (Enn. II, 6). Die ^^materiellen** Begriffe {Xoyoi' vXivoi) sind die
Begriffe, wie sie durch das Stoffliche, in dem sie wirken, verunreinigt sind
lEnn. I, 8, S). Auch BofiTHlus glaubt, daß die Dinge gewisse Begriffe ver-
körpern (Consol. V).
Die Scholastiker schätzen das begriffliche Wissen aufs höchste. Aus
Uofien Begriffen, ohne genügende Berücksichtigung der Erfahnmg (der Beobach-
ning, des Experimentes), suchen sie alles Mögliche dogmatisch (s. d.) abzuleiten
aod es ontologistisch (s. d.) vom Seienden selbst auszusagen. Nach Thomas geht
der Begriff auf das Wesen der Dinge, ist die geistige Reproduction dieses Wesens
\^müitudo rei intelleetae quantum ad eins essentiam**^ Contr. gent. IV, 11, 6;
ihnlich PETRUS AUREOLUS, Pnuitl III, 324 f.). Unter „terminus meiitalis**
vwsteht man ein „signum naturale**, einen „coneeptus sive actus infelligefidi
9mma^* (1. c. IV, 61, 108). WILHELM VON OcCAM erblickt im Begriffe ein
Zeichen für eine Klasse von Objecten, die er vertritt (supponit. Log. I, 1, 12).
Der Begriff (conceptus) ist „aliqtm qualitaa existens »ubiectire in me?ife, quae
er natura sua est signum rei extra** (ib.). Nach GOCLEN ist „concejyfn^ for-
malit* ein „coneepttis, quem, de aliqtia re per intellectum apprehensa forma7m(s**y
r^mceptus obiedivus**, aber „res,* qtiae cancipitur** (Lex. phil. p. 428). Es gibt
onen y,caneeptu8 simplex^* und „concepttis complexus** (ib.). Die AUgemein-
t>^riffe (s. Allgemein) wertet der scholastische Nominalismus (s. d.) andei-s als
^ Realismus (s. d.).
Campaxella erklärt, wir hätten allgemeingültige Begriffe („noii'Oncs commu-
^^) von der größten Sicherheit und von fundamentaler Bedeutung für das
Erkennen. „Notiones eonimunea kabemtiSj quibus facile asseniimur, alias ab
««ft», innata ex faeultate, alias de foris per universalem eonsensum amnium
^inm aut kaminum; et haee sunt certissima prindpia sdentiarwn** (Univ.
1^ I, 2, 5). Nach Descarteb enthalten die „notiones cammunes** „eieige
^ohrkeiten** (s. d., Princ. phil. I, 49 f.). Nach Spinoza sind begriffliches und
^«ns- Wesen eins (Ren. Cart I, def. IX). Die „notiones universaies** entstehen
128 Betriff.
aus der verworrenen Vorstellung vieler Bewußtseinsinhalte. y,Uhi imaginea in
-corpore plane confunduntur, mens etiam omnia corpara eonfuse sine uUa distiiic-
iione imaginabitur et quasi suh wio attrihuto camprehendet, nempe sub aUributo
entisj rei etc,^^ (Eth. II, prop. XL, schol. I). Den eigentlichen B^riff nennt
Spinoza j,idea", „mentis cwtceptus", vom Vorstellungsbilde (imago) wohl zu
unterscheiden (1. c. II, def. III). Nach Tsghirnhausen ist in jedem Begriffe
schon ein Urteil (Bejahung oder Verneinung) enthalten (so auch schon nach
Spinoza, s. Idee). Chb. Wolf versteht unter Begriff (notio) die fjrepraeseHtatio
rerum in universali seu getierum seu specierum" (PhiL rat. § 34). „Einen Ä-
griff nenne ich eine jede Vorstellung einer Sa^e in unseren Oedayiken^*^ (Vem.
Ged. von d. Kr. d. m. Verst.", § 4). Der Begriff enthält alles, wodurch ein
Ding erkannt imd von anderen unterschieden wird (1. c. § 8). Allgemeiner
Begriff ist ein solcher, der allen Dingen von einer Art zukommt (L c. § 28).
j,Notiones universales^^ sind „notiones similihulinum inter res plures intercedeti-
Hum" (Phil. rat. § 54). Nach Baumgakten ist der Begriff eine y^repraeseniatio
r&i per intdlectum^^ (Met § 612). G. F. Meier und Beimakus (Vemunft-
lehre, § 30) identificieren Begriff und Vorstellung (Idee).
Für Locke sind die Begriffe Zusanmienfassungen einfacher Vorstellungen
(,^hnple ideas") unter einem Namen (Ess. II, eh. 12, § 1). Es entspricht ihnen
objectiv die Ähnlichkeit einer Reihe von Dingen, als Begriffe aber sind sie
Producte des Denkens (1. c. III, eh. 3, § 13). Berkeley erklart, eine Vor-
stellung werde zum B^riffe dadurch, daß sie als Biepräsentantin von Vor-
stellungen gleicher Art, in deren Beziehung zu anderen, auftritt (Princ. XV).
Ähnlich lehrt Hume, ein Begriff entstehe dadurch, daß mit einer Vorstellung
sich eine gewohnheitsmäßige Tendenz („a certain eustom") verbindet, ähnliche
Vorstellungen ins Bewußtsein zu rufen (Treat. I, sct. 7, S. 34 ff.). Nach
Th. Brown beruht der Begriff auf dem Bewußtsein (feeling) der Ähnlich-
keiten mehrerer Vorstellungen und ihrer Zusammenfassung unter einem Namen
(Lect. II, p. 457, 475). A. Bain erklärt den Begriff als Bepräsentanten einer
Gruppe ähnlicher Vorstellimgen (Sens. and Int.*, p. 470).
Kant scheidet scharf zwischen Begriff und Anschauung (s. d.). Ersterer
ist „eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Ob-
Jecten getnein i^t, also eine Vorstellung, sofern sie in verschiedenst enthalten
sein kanfi" (Log. S. 139). An jedem Begriffe sind Materie imd Form zu unter-
scheiden (1. c. S. 140). Es gibt empirische und reine Begriffe, letztere ent-
springen auch dem Inhalte nach aus dem Denken (ib.). Der empirische Begriff
„entspringt aus den Sinnen durch Vergleiekung der Gegenstände der Erfahrtmg
und erhält durch den Verstand bloß die Form, der Ällgemeifiheit" (1. c. S. 141).
Es gibt „gegebene (conceptus doli) oder genuichte Begriffe (concepius faetitii).
Die ersteren sind enttceder a priori oder a posteriori gegeben^*' (ib.). Die Begriffe
entst,ehen durch „Comparation^*, „Reflexion" und „Äbstraction" (1. c. S. 145).
Anschauimg und Begriff sind „der Speeies nadi ganX' verschiedene Vorstelkmgs-
arten^^ (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 120). Begriffe sind Producte oder y^Ektfietio-
ne?i" des Verstandes (s. d.), der Spontaneität (s. d.) des Denkens, die sich auf die
Gegenstände nur mittelst der Anschauung, nicht unmittelbar richten (£jr. d. r.
Vem. S. 88). Sie sind ohne Inhalt „leer", wie Anschauimgen ohne Begriffe
jjblind" sind (L c. S. 77). Die „reinen" Begriffe (Kategorien, s. d.) können
nichts Empirisches enthalten, „müssen aber gleichwohl lauter Bedingungen
a priori zu einer mögliehen Erfahrung sein" (1. c. S. 113). Berufe sind
Begriif 129
Bestandteile möglicher Urteile. Nach Reinhold ist der Begriff eine ,, Vorstellung,
vtiche aus einer Anschauung durch die Handlungsweise der Spontaneität ent-
ftfkf* iTh. d. Vorst II, 425). Beck versteht unter Begriff ein „Beilegen ge-
rtfser Bestimmungen, wodurch tHr einen Bexiekimgspunkt uns fixieren^^ (Erl.
ni. 141). Nach IQesewetteb ist ein Begriff „die Vorstellung , welche mehrere
Vorsfeihtngen unter sich begreift, oder wodurch mehrere Vorstellungen als eine in
einer Einheit r^bunden gedacht werden^^ (Gr. d. Log. § 12, vgl. § 17). Chb. Schbod
fiarnt Begriff eine Vorstellung „mit Rücksicht auf die bestimmte Art der Tätig-
beii, die das Oemüt an dem gegebenen Stoff ausübt, une das Oemüt den Stoff
ifkmideit, nämlich ihn xu verbinden (begreifen)** (Emp. Psych. S. 199). G. E.
Schulze versteht unter B^piffen „allgemeine oder gemeinsame" Vorstellungen,
indem sie das vorstellen, was „mehrere Dinge als Bestimmungen miteinander
ymein haben** (Gr. d. aUg. Log.*, S. 3). Nach Fbies entstehen die Begriffe
^ri'k Vergleichung und Abstraction, indem toir einxelne Teilvorstellungen aus
elfter ganxen Erkenntnis heraus trennen** (N. Krit. I, 210). „Jeder Begriff ent^
hält ein abgesondertes Bewußtsein einer allgemeinen Vorstellung. Seine Form
knt^t in der Allgemeinheit der Vorstellung, das heißt darin, daß mehrere andere
Vorffellufiffen^ denen er als Thilvorstellung zukommt, unier ihm stehen, er aber
mdere, die seine Teilvorstellungen sind, in sich enthält** (Syst. d. Log. S. 105).
Xach ScH£LLiNO ist der Begriff ein Denkact (Syst. d. tr. Id. S. 45). Er ist
Dicht das Allgemeine, sondern „die Regel, das Einschränkende, das Bestimmende
4fr Anschatiung** (L c. S. 286). „Die Begriffe als solche existieren . . . nirgends
dfe im Betrußtsein** (WW. I, 10, 140). Nach Schopenhauer ist der Begriff
^VviUlhtng einer Vorstellung** (W. a. W. u. V. Bd. I, § 9), keine eigen t-
iehe Vorstellung, sondern hat sein Wesen in der Beziehung auf Vorstellungen.
Ef gibt auch Begriffe von Einzeldingen (ib.). Die Begriffe bilden „eine eigen-
tämliehcy ron den . . . anschaulichen Vorstellungen toto genere verschiedene Klasse,
die allein im Geiste des Menschen vorhanden ist** (ib.). Nach Hillebrand ist
^T Begriff „rfie freie Zusammennähme der einxelnen endlich-bestimmten Vor^
ädhmgen und BexieJmngen in tms unter der Einheit des allgemeinen Wesens**
tfbfl. d. Gteist. I, 206). Günther versteht unter Begriff den Gedanken von
dm Allgemeinen der Erscheinungen (Vorsch. I, 236).
Nach J. G. Fichte ist der Begriff, „wenn er nur ein der Vernunft not-
baldiger ist, selbst das Ding, und das Ding nichts anderes als der notwendige
begriff von ihm** (Syst. d. Sittenl. S. 83). Hegel hypostasiert den Begriff,
Baeht ihn zum Wesen und treibenden Factor der Dinge; der logische, sub-
JKtive Begriff ist eine Entwicklung des natürlichen Begriffes, der in einem
erifjen ,yProeeß** (s. d.) besteht, Activität, Schöpferkraft besitzt und in dialek-
cbcher (s. d.) Weise jedesmal seinen G^ensatz erzeugt, lun sich mit diesem in
on€f höheren Einheit zu verbinden, „aufzuheben**. Der Begriff ist „nicht bloß
eine subjeeiire Vorstellung, sondern das , Wesen* des Dinges selbst, dessen ,An-sich***
(Fhän. S- 68), die „an sieh seiende Sache** (Log. I, 21). Als Gedanke ist er
a der Vernunft als dem „Ort aller Begriffe** (Encykl. § 105), dieser ist er ab
J^tendiger Trieb** angeboren; er ist „xeitlos** (1. c. § 108). Das „Sein** bildet
cm Moment des Begriffe (L c. § 154). Auf dem Begriffe beruht alle Wahrheit
oad Wirklichkeit (L c. § 157). Er ist die „Freikeit und Wahrheit der Substanx**,
fie „Wahrheit des Seins und des Wesens**, „das Erde, die Totalität, in dem
jdes der Momente das Ganze ist, das er ist, das am und für sich Bestimmte**^
4« „sckleehihin Ooncrete^* (1. c. §. 158—164). In der Natur (s. d.) ist der
PUloaophitobM WOrtorbaob. i. Aufl. 9
130
Begriff nur ein yjblinder^^ (Log. III, 20). Erst im Leben als Seele kommt er zur
innerlichen Existenz (Naturphil. S. 30). Nur als jyQeseixtes^^ ist der Begriff ein
„Siäffectwes*^, ein „formeller" Begriff (Log. S. 32). Als „adäquater*' Begriff ist
er „die Vernunft, die sieh selbst enthüllende WahrheW (1. c. S. 33). In der
Wirklichkeit wie im Denken entwickelt sich der Begriff „in unaufh€dtsamemy
von außen nichts hereinnehmendem Gange" (1. c. I, 41). Der Begriff entwickelt
sich aus dem „An-sich" (s. d.) durch die Natur (s. d.) hindurch zum An-ond-
für-sich, zum selbstbewußten B^riff, zum absoluten Greist (s. d.).
Nach Schleiermacher entspricht der B^riff dem Für-sich-sein der Dinge«
den „substanticUen Formen". Kitter nennt den Begriff yjdie Form des Detihns^
welche den bleibenden Qnmd der Erscheinung darsteUf^ (Log.*, S. 50). Tren-
DELENBüRO bestimmt ihn als ^yForm des Denkens, die der realen Substam als
geistiges Abbild entspricht^ (Log. Unt II, Set. XTV f.). Der Begriff wird erat
durch das Urteilen lebendig (1. c. II, 237). Nach O. Gruppe ist der Begriff
das Product von Urteilen (Wendep. d. Phil. S. 48, 60). Beneke spricht dem
äegriff jedes Tätigkeitsmoment ab (Log. II, 202). Er entsteht ,^urch gegefir
seitige Anxiehung ähnlicher Vorstelltmgen" (1. c. S. 197), enthalt das Constante,
Identische des Dinges, ohne dieses selbst zu sein (L c. S. 198, 201). Psycho-
logisch besteht er in den „durch Vereinigung der gleichen Bestandteile x u einem
Act erzeugten Vorstellungen" (Lehrb. d. Psych. § 122), er ist „ein Vorteilen
von stärkerem, klarerem Bewußtsein" (Neue Psychol. S. 108).
Nach Herbart entstehen die Begriffe aus der „Hetnmufig" (s. d.) des Un-
gleichartigen mehrerer Vorstellungen (Psych, a. Wiss. I, S. 498). Jede Vor-
stellung ist Begriff, „in Hinsicht dessen, was durch sie vorgestellt wird" lEiiü.
in d. Phil. § 34). Die B^riffe als solche existieren „nur in unserer Abstraciion^
(Lehrb. z. Psych.', S. 126), sind keine besondere Art von Vorstellungen {ib.),
fjAllgemeine Begriffe, die bloß durcfi ihren Inhalt gedacht würden, ohne ein Hinab-
gleiten des Vorstellens in ihrefi umfang'^ sind „logische Ideale" (L e. S. 127),
Wir denken sie nur „cer mittelst der Urteile", wobei gewisse „Gesamteifidrückt
mn ähnlichen Gegenständen" als Material für die Begriffsbildung vorausgesetzt
werden (ib.). „Die Ausbildung der Begriffe ist . , . der langsame, allmühliehe
Erfolg des immer fortgehenden Urteilens" (1. c. S. 130). Logischer Begriff ist
, Jedes Gedachte, bloß seiner Qualität fioch betrachtet" (Psychol. a. Wiss. II,
S. 119), d. h. „Vorstellungen, bei denen wir von der Art und Weise abstraJiierefiy
wie sie psycftologiscli entstandeti seien" (Einl. in d. Phil. S. 77). Nach Drobisch
bildet das Denken Begriffe, sofern es „an den Vorstellungeti nur da^ betrachtet,
was in ihnen' vorgestellt wird" (N. Darst. d. Log.*, S. 10). Volkmaitn bestimmt
den Begriff als „die auf ihr reines Was xurüekge führte Vorstellung oder Vor-
sfellungsform" (Lehrb. d. Psych. II*, 247).
Nach Waitz ist der Begriff „die bestimmte Art des Zusamtnenhange^i im
ciftetn Vorstellungskreise, er drückt stets ein Gesetz des Zusainmenh^mge^ def
Vorstellungen fiach ihrem Inhatte aus und kann deshalb nur entstehen durch dit
Ausbiklufig der besonderen Beziehungen, in welche die einzelnen Vorstelltd^tgen
ihrem Inhalte gemäß zueinander tretest" (Lehrb. d. Psych. S. 515). Georq£
bestimmt den Begriff als „die vollendete Erkenntnis eines Gegenstandes, tr4e &u
durch das Zusammenfallen des Inductions- und Deductionsprocesses gegeben wirc^
(Lehrb. d. Psych. S. 5(X)). Nach Lazarus ist der Be^ff „der <hirch V6r^
Stellungen, d. h. in Satz- und Urteils fortn, deutlieh und klar erfaßte InluUf eine$
discursiven oder allgemeinen Anschauung^^ (Leb. d, Seele II*, 301). Er enihali
Begriff. 131
die Wesen der Dinge (ib.). Ein wahres Begreifen gibt es erst vermittelst der
Sprache (1. e. S. 306). Nach Überweg ist der Begriff j^diejenige Vorstellung,
« wicher die Gesamtheit der wesentlichen Merkmale oder das Wesen (essentia)
itr häreffenden Obfeete vorgestellt wird" (Log.*, § 56). Nach Czolbe bedingt
(bs in jeder Gruppe von Objecten vorhandene Gemeinsame oder Wesentliche
die fiSdong des Begriffs, d. h. „der gemeinsamen Merkmale in der Wahmeh-
mmg oder Vorstellung ähnlicher Dinge" (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 182).
XadiDEiTssEN besteht der Begriff im „Festhalten des Identisclien^^ (EL d. Met.
Ü 103). Nach KntCHinSR ist er das „ Vorstellen des Gem^nsamen an einer Vor-
Melhrngsgruppe"^ (Kat. d. Log.», S. 112). Nach O. Ldebmann sind die Begriffe
keine Phantasiebilder, sondern „unbildliche Verständnisacte", die das CJene-
I relJe und Gemeinsame herausheben (Anal- d. Wirkl,«, S. 492). O. Schneider
vcmeht unter ihnen den logischen „BeunißtseinsTüustand, in welchem das einer
I Beike wn Einzeldingen Gemeinsame xusam/mengefaßi und als dieser Reihe von
K^aeldingen anhaftend gewußt unrd oder gegenwärtig ist^ (Transc. S. 132). Nach
F. K&AüSE ist der Begriff „die Zusammenfassung der gemeinsamen Teüvor-
ädkmgen aus gleichartigen Gesamtvorstellungen xu einer seelischen Mfüieit"
iBas Leb. d. menschl. Seele I, 173). Die Begriffe sind „das Äppercipierende und
AiHmüierende in der Seele" (1. c. S. 180). Helmholtz: ^fiurch das Zusammen-
I (feten des Ähnliehen in den Tatsachen der Erfahrung entsteht ihr Begriff. Wir
fnnen ihn G attungsbegriff, wenn er eine Menge existierender Dinge, wir
90mm. ihn Gesetx, werm er eine ReiJie von Vorgängeti oder Ereignissen um-
ftßt' (Ob. d. Verh. d. Naturwiss. zur Gesarath. d. Wiss. 1862, S. 14). Nach
^nxY ist der Begriff eine Synthese von Eigenschaften, ein Product de^» activen
BemifitseinB, er schliefit schon einfaches Urteilen ein (Handb. d. Psychol. S. 246,
Ä). 280). Ostwald versteht unter Begriff den Inbegriff übereinstinmiender
Bestandteile ahnlicher Erlebnisse unt«r Ausschluß der verschiedenen, eine Gruppe
Bttmmenhangender Erfahrungen (Vorles. üb. Naturphil.«, 8. 17, 19). Der Be-
piff ist nicht vorstellbar, sondern „eine Regel, nach welcher wir bestimmte Eigen-
^MiMeüen der Erscheinung beachten" (1. c. S. 22 f.).
Nach LlPPS ist der Begriff „die Bedeutungssphäre eines Wortes oder sprach-
Wen Ausdrucks oder die Sphäre möglicher B^ctißtseinsobfecte, die und sofern
*f m einem sprachlichen Ausdruck ihren xusafnmenfassenden Mittelpunkt ufid
^it zugleich ihre Abgrenzung gefunden hohen" (Gr. d. Log. S. 124). Das Wort
tteg, was bei jedem allgemeinen Begriff die Festhaltung eines bestimmten
Goaeinsamen fordert (1. c. S. 126). An sich ist der Begriff ein „potentielles
9f^i»eUeiiiges Urteü" (1. c. S. 127; Gr. d. Seelenleb. S. 464). Schuppe nennt
fcpiff ,/dle8j was man bei einem Worte als dessen Bedeutung denkt, indetn die
f^threren als wesentlich erkannten Prädicate als eine Eitiheit gedacM werden"
(Log. S. 88). Der Begnff ist eine „Erkenntfiis des Wirklichen, des wirklichen
^»mmenhaftges in dem wirklichen Gegebenen" (1. c. S. 163). M. Kauffmann
definiert den Begriff als „Klasse von anschaulichen Objecten, welche das gemein-
*w Merkmal haben, von einem solchen gleichen Symbole repräsentiert xu tcerden,
iwfaÄe» keinem Objecte außerhalb dieser Klasse xukommt^'' (Fund, d. Erk. S. 21).
&BHEB' bestimmt den Begriff als „Gesamtcwnplest^*^ von Yorstellungsinhalt,
KcvegungsvorBtellung des gesprochenen, akustischer Vorstellung des gehörten
Portes (Leitfad. d. phys. Psych.«, S. 115). Nach Schubert- Soldern werden
iorch das Wort die begrifflichen Bestandteile isoliert und verselbständigt (Gr.
tEik. S. 104, vgl. S. 99, 103). Nach Clifford ist der Begriff „eine Gr^ippe
9*
132 BegrifT.
von Empfindimgen, die als Symbole für verschiedene Wahrnehmungen dienen
und von Bandefi xtcischen diesen tmd andern Empfindungen" (Von d. Nat. d.
Dinge an sich S. 40). Nach £. Mach ist der Begriff jjkeine fertige Vorstel-
lung, sondern eine Anweisung, eine vorliegende Vorstellung auf gewisse Eigen-
schaften XU prüfen, oder eine Vorstellung von bestimmten Eigenschaften her-
XUS teilen" (Wärmelehre*, S. 419). Die physiologische Grundlage des BegnÜH
liegt in den „eonformen Reactionen" des Individuums (1. c. S. 416 ff.). Der
Begriff ist „eine bestimmte Reaetionstätigkeit , welche eine Ihtsache mit neuen
sinnlichen Elementen bereichert" (Anal. d. Empfind. S. 246). Nach F. Mauthner
ist der B^riff (fast identisch mit dem Wort) „nichts weiter als die Erinnerung
oder die Bereitsehaft einer Nervenbahn, einer ähnlichen Vorstellung xu dienen^^
Kr. d. Spr. I, 410).
Nach NiETZBOHE sind Begriffe „mehr oder weniger bestimmte Bildxeicken
für oft wiederkehrende und xusammenkommende Empfindungen, für EmpfindungS'
gruppen" (Jens, von Gut u. Böse*, S. 242). Wir müssen aus biologischen
Gründen unsere Erfahrungen capitalisieren können, daher bringen yrir sie
unter constante Begriffe (WW. XV, 272 f.). Gedanken sind aber nichts als
die „Scheuten unserer Empfindungen — immer dunkler, leerer, einfacher als
diese" (WW. V, S. 187). Simmel betont, die Bildung der Begriffe werde von
praktischen Interessen und Urteilen beeinflußt, sie beruhe auf einer Wertung
(Einl. in d. Moralw. II, 82 ff.). Der B^riff ist eine „Verdichttmg bedeutaafner
Urteile" (1. c. S. 86). „Die Begriffe enthalten oder markieren in ihrer über-
logischen historischen Bedeutung eine Ordnung der Dinge, sie enthalten be-
sti?nmte Ansichten über die Zusammengehörigkeit der Einxelheiten, über das
Wesentliche an ihnen*^ (L c. S. 89). Nach G. SPICKER ist der Begriff ,/iie
Summe oder Totalität aller möglichen Urteile, die ich von einem OegensUmd m4r
bilden kann" (K., H. u. B. S. 146). „Kein Begriff ist sireng genommen efn-
pirisch, sondern jederzeit logisch. Er ist nicht eine Abstraetion cms der Er-
fahrung, sondern eine Subsumtion desselben Merkmals einer Reihe gleichartiger
oder ungleichartiger Wesen unter eine Vorstellung" (1. c. S. 180 f.). Dö* B^riff
ist schon eine Folge des (immittelbaren) Schließens (1. c. S. 181). Nach Bo-
KANE8 ist der Begriff ein verdichtetes Urteil (Greist Entwickl. d. Mensch.
S. 322, vgl. S. 24). W. Jerusalem betrachtet die B^riffe als „Niederschlag
von Urteilen" (Urteilsfunct S. 22). Sie sind „die Subjeciwörter als Träger jener
Kräfte, die in vielen Dingen in gleicher Weise wirksam sind" (1. c. S. 138).
Nach BlEHL sind die Begriffe „Ergebnisse von Urteilen, die sie im Bewußtsein
vertreten**, „potentielle Urteile", „Fertigkeiten, bestimmte xusammengesetxte Ur-
teile xu reprodueieren" (Phil. Krit. II, 1, 224). Sie sind keine Gemein-
Vorstellungen, sondern von großer Bestimmtheit (L c. II, 1, 84). Nach A. Höfl£B
sind Begriffe „Vorstellungen von eindeutig bestimmtem Inhalte" (Gr. d. Log.*
S. 14). Volkelt versteht unter Begriff die „bestimmte Vorstellung des JLU^
gemeinen" (Erf. u. Denk. S. 324). Nach Höffding ist der Begriff eine „ l^or-
Stellung, deren Inhalt uns deutlich tmd bestimmt bewußt ist, so daß er in einen»
verschiedenen Zusammenhange, in welchem er vorkommt, nicht geändert urird**
(Psych.^ S. 419). £. Dühriko nennt Begriff „jegliches Gedachtes, welches e»fM
Bexiehung auf einen Gegenstaiui hat**, „das, was wir bei demselben denken**
(Log. S. 10). Nach v. Kirchmann entspricht jedem Begriffe ein Stück des
Wahmehmungsinhaltes (Kat. d. PhiL S. 31).
LoTZE unterscheidet den „loerdenden, unvollkommenen" vom „verwirkt inhlen^
Begriff — BegrifDigefühl. 133
Begriff, welcher erst dann da ist, y^trenn der unbestimmte Nebengedanke der
üattxheü überhaupt zu dem Mitdenken eines bestimmten Grundes gesteigert ist,
trdrher das Zusammensein gerade dieser Merkmale, gerade dieser Verbindungen
(ierseiben und die Ausschließung bestimmter anderer rechtfertigt^^ (Log-*» S- 39).
Der Begriff ist so „die xusammengesetxte Vorstellung, die idr als ein xusammen-
gehöriges Ganzes denken" (L e. S. 32; Psych. § 24). Wundt nennt (psycho-
logischen) Begriff „jeden im Betvußtsein isolierbaren Bestandteil eines durch die
Zerlegung einer Gesamtvorstellung entstehenden Satxes" (Völkerpsych. I, 2, 455).
yBegriffsrorstdlungen" entstehen durch Analyse von Gesamtvorstellungen (s. d.)
imd sind Vorstellungen, die ,^u andern dem nämlichen Ganzen angehörenden
VtnteUiingen in irgend einer der Beziehungen stehen, die durch die Ämrendung
der aUgemeifien Functionen der Bexieliung und Vergleichung auf Vorstellungs-
inhaUe gewonnen werden" (Gr. d. Psych. S. 321). Der einzelne Begriff kann
niemals isoliert vorgestellt werden, er kann „in unbestim7tU vielen einxelnen
Abhandlungen existieren" (L c. S. 322). Den Allgemeinbegriffen entspricht „eine
tnfkr oder minder große Änxald einxel?ier Vorstellungsinhalte". „Von diesen
Kird stets irgend ein einzelner als Stellvertreter des Begriffs geicahli." Damit
■t das Bewußtsein (Gefühl) der bloß stellvertretenden Vorstellung verbunden.
Dieses „Begriffsgefühl" „läßt sich wohl darauf xurückfähren, daß sich dunklere
y^rsleUungen, die sämtlich die xwr Vertretung des Begriffs geeigneten Eigen-
if'kaften besitzen, in der Form wechselnder Erinnerungsbilder zur Auffassung
ihimgen^^ (1. c. S. 322 f.). Die abstracten Begriffe werden nur durch Worte
vertreten. Der Anfang der Begriffsbildung liegt in dem „Nebengedatiken", daß
diie Vorstellung nur im Hinblick auf b^timmte Eigenschaften eines Objects
ihre Bedeutung hat. Die Apperception (s. d.) bevorzugt bestimmte Elemente
dtr „repräsentativen" Vorstellung und macht sie zu herrschenden (Log. I*,
5f, 46 ff., 51 ff.; Syst. d. Phil.^ S. 38 f., 44; Grdz. d. phys. Psych. II*, 477).
Logidch ist der Begriff ein „Denkinhalt, der aus einem logischeti Denkacte, einem
Urteil, durch Zergliederung desselben gewonnen werden kann". Seine Eigen -
«(^baften sind: Bestinmitheit (Ck)nstanz) des Inhalts, logischer Zusammenhang
aüt anderen Begriffen (Allgemeinheit). Die Verarbeitung des Wahrnehmungs-
ishalts beginnt mit „Erfahrungsbegriffen", führt zu allgemeinsten „Begriffs-
ÜBM««« und zu „abstracten Bexiehungsbegriffen" (Log. I*, S. 95 f., 104; Syst.
i PhiL», S. 210 ff.). Die Begriffe erzeugen nicht die Wirklichkeit, bilden sie
DDT ideell nach (PhiL Stud. II, 331). Von der unmittelbar-anschaulichen ist
^ begrifflich-mittelbare Erkenntnis (s. d.) zu unterscheiden. Nach Siowabt
« Voraussetzung der Begriffsbildimg die „Analyse in einfaehe^ niclit weiter
'^^rUgbare Elemente, und anderseits die reconstruierende Synthese aus diesen
dementen'' (Log. I*, S. 331 f.).
9 naturalistische, s. Naturalistisch.
, reine, s. Kategorien.
Bcf^flniclie Erkenntnis s. Erkenntnis.
Bei^rlffsbestlmmuni; s. Definition.
Besifffidlclitnnfi^ s. Metaphysik.
Beg^rWselemente oder elementare Begriffe nennt Ostwald die
«nfachen B^riffe (Vorles. üb. Naturphil.«, S. 49).
ResrlAse^Uil s. Begriff.
134 Begrifbinhalt — Beharrung.
Bei^rUTsinltalt s. Begriff, Inhalt.
Beg^lffsoperatlonen sind, nach Wündt, „diejefiigen Verändermigeny
die mit gegebenen Begriffen vorgenommen werden können, um aus ihnen neue
Begriffe xu bilden, nämlich logische Determination, Summation mid Negation^*
(Log. I, 222).
Be^llTsiiliifaiiis; s. Umfang.
Bef^lflsartelle sind urteile, deren Subject ein Begriff ist (ygL
W. JerusaIiEM, Urteilstunct. S. 138 ff.).
Beg^llTsTerliftltliisse sind die verschiedenen Weinen, wie B^riffe
zueinander in Beziehung stehen. Die „bestimmten" Begriffsverhältnisse sind:
Identität, Verschiedenheit, Über- und Unterordnung, Nebenordnung, Abhängig-
keit, Wechselbestimmung; die „unbestimmtefi" : das Contradictorische, das Diß-
parate (Wundt, Log. I, 115 ff.).
Be§^rlir8Torfltellii]i|; s. Begriff.
Beg^rllTswalirlielteil nennt Bolzano Wahrheiten, „die bloß atis reiften
Begriffen bestehen, ohne irgend eine Anschauung xu enthalten" (Wiss. II, § 133).
Befl^rÜTswiirseln nennt Jgdl die weder auf Interjection noch auf
Nachahmung zuriickführenden Sprachwurzeln. Gboos nennt sie „Experimentier-
Wurxeln" (Spiele d. Mensch. S. 381).
Beg^rfinden heißt, den Grund (s. d.) eioes Urteils dartun, etwas als
Folge eines andern nachweisen (Eeehl, Phil. Krit. II 1, 237), den Denk-
zusainmeiihang herstellen, aus dem die Notwendigkeit eines Satzes erhellt.
Nach WüNDT ist das begründende Denken das eigentliche Erkennen (Syst. d.
Phü.«, S. 80 ff., 167 f.). Vgl. Vernunft.
Bebariilclükelt ist Ausdauer im Ertragen und Überwinden von
Schwierigkeiten. Sie ist nach Paulsen eine Form der Tapferkeit, die Kraft
des Willens, Beschwerden aller Art zu ertragen (Syst d. Eth. U*, 2.5; vgl.
SCHLEIEBMACHER, Phil. Sittenl. § 315 ff.).
Beliarrani^ ist das Bleiben in der Zeit, im Räume, im Wirken, die
Permanenz (Constanz) einer Substanz (s. d.), Activität, eines Geschehens, ein^
Beziehung, eines Gesetzes. Das Beharrende im Baume ist die Materie (s. d.)
und Energie (s. d.), das Beharrende im Geistigen ist die Ichheit (s. d.>, das
Subject, das Einheit setzende Princip im Lebewesen. Absolute Permanenz
kommt keinem Einzelding, nur dem All als Einheit aller Seinsbeziehongen zu.
Ein „Beharrungsvemifigen" („vis inertiae") wird den Körpern zugeschrieben.
Nach Heraklit beharrt nur das Werden (s. d.). Nach den Eleaten das
Sein (s. d.). Nach Demokrit nur die Atome (s. d.). Nach Plato nur die
Ideen (s. d.), nach Aristoteles die „Formen" (s. d.). Nach anderen beharrt
nur die Substanz, oder beharren die Substanzen schlechthin. Nach den Re-
lativisten (s. d.) beharrt nur der Wechsel, das Gesetz im Wechsel; so spricht
SiMMEL vom „absoluten Bewegungscharakter" der Welt, in der nur die Gesetz«
als solche beharren (Phil. d. Geld. S. 552). Nach Nietzsche gibt es nui
scheinbar Behammg {VTW. XV, 280, VIII, 2, 5).
Das Beharrungsvermögen der Körper leitet Descartes metaphysisch aus
der l'n Veränderlichkeit Gottes ab. „Ex hoc eadcm immut<ibilitnte Dei regulat
quaedam sire leges naturae coguosci possunty quae sitnt causae sectt9idariae ai
Behanxing — Blähung. 135
partürufares dirersorttm moiuum, qtios in singulis corporibus advertimits. Haruni
prima esfy unamquamque rem, quatenus est simplex et indivisa, manere quantu77h
in se p^t in eodem semper statu, nee unquam mutari nisi' a catisis extemis"
{Princ. phil. n, 37). Auch Spinoza begründet das Beharren der Dinge aus
der Natur der göttlichen Substanz. „Ufuiquaeque res, quantuni in se est, in
^uo esse persererare conalur." „Res enim sin-gulares modi stint, quibtts Dei
attriimfa rerto et determinato modo exprimuntur, hoc est res, quae Dei potentiam,
qua Detis est et agit, certo et determinato modo exprimunt. Neqtte ulla res ali-
quid in se habet, a quo possit destrui, sine quod eins existentiam tollaV^ (Eth.
III, prop. YT). Alle Dinge haben ein Streben (conatus), in ihrem Sein zu ver-
harren (l. c. prop. VII, IX). Newton lehrt: „Jeder Körper beharrt in sei^ient
Zu*ttt9ide der Buhe oder der gleichförmigen Beicegung in gerader Richtung, außer
9&fem er von eingedrückten Kräften gexirungen icird, jenen Zustand xu rer-
nndem" iPrinc. math. p. 12; vgl. Spinoza: „Corpus, quod semel mavetur, semper
wyreri pergit, nisi a causis extertiis retardetur^* Ren. Cart. II, prop. XIV, Corol.).
Xach Kant ist beharrlich, „was eifie Zeit hindurch existiert, d. i. dauert"
tMet. Anf. d. Naturw. WW. IV, 374). Der „Grundsatz der Beharrlichkeit'' ist:
^AUe Erscheinungen enthalten das Beharrliche (Substanz) als den Gegenstand
Hlbsi und das Wandelbare, als dessen bloße Bestimmung, d. h. eine Art, wie der
Gegefisfand existiert (Kr. d. r. Vem. S. 174). Dieses Princip ist ein Gesetz
für alle Erfahrung, die dadurch erst ermöglicht wird. „Wir können nur in
dem. was beharrt, das Wechseln bemerken ..." Die Beharrlichkeit „drückt
überhaupt die Zeit, als das beständige Correlatmn alles Daseins der Er-
feheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung aus. Denn der Wechsel trifft
die Zeit selbst nicht'' (1. c. S. 176). Dühbing spricht von „beharrlichen Elf-
htenten^', „ruhenden Allgemeinheiten" des Seins (Curs. d. Phil. S. 24). LiPPS
bemerkt: „Indem tcir unsere Beharrlichkeit oder Denkconsequenx anthro-
pnmcrphisierend in die Inhalte der Wahmeh7nung verlegen, schreiben wir diesen
Bekarrungsrermögen xu" (Gr. d. Seel. S. 434). Nach Herbart beharrt jede
Vorstellung (s. d.) nach ihrem Verschwinden unbewußt in der Seele weiter.
:?o auch nach Steinthal (Einl. in d. Psych. S. 114). Rehmke formuliert das
^Gesetx der Beharrung" so: „Im Gegebenen überhaupt versehwindet nichts, es
tei denn ein anderes mit, welches verschtrinden soll, zugleich, aber selber in einer
anderen concreten Einheit gegeben als die notwendige Bedingung" (Allg. Psychol.
S- 107). Die englischen Psychologen verstehen unter geistigem Beharrungs-
vermögen (,^rdeniireness") die Eigenschaft des „primären" Gedächtnisses; es
beruht auf der Erzeugung functioneller Dispositionen (Sully, Handb. d.
IVrchol. S. 157 f.). Vgl. Erhaltung, Dauer, Sein, Substanz.
Beliaiiptllli§^s Aufstellung eines Satzes als gültig sein sollend.
Beleiitander = (Dontiguitat (s. d.).
Beifall ist Billigung, Anerkennung, Zustimmung seitens des Denk-
willens zu einem Urteile. Thomas : „Polest etiam dici, quod intellectus assentit,
iftquantum a voluntate movetur" (Sum. th. II, 15, 1 ad 3). Vgl. Anerkennung,
Ckiallen, Glaube, SjTikatathesis.
Beiordnung s. Coordination.
Befallendes Urteil s. Affirmativ.
Bcjalran^ (Affirmation) ist die Zustimmung des DenkwiUens zu einem
136 Bejahung — Beobachtung^
Urteil, die Aimahme eines Etwas als gültig, wirklich, wertvoll. Nach BEKEn>
bedeutet bejahen oder verneinen „einen Beifall geben oder keinen BeifaÜ geben^^
(Abh. von Gott 1742, S. 287, bei Debboir, Gesch. d. Psychol. I«, 426). Nach
Schopenhauer „b^ahi^* der Wille (s. d.) das Leben, obgleich es ihm Unheil
bringt ; denn der Wille ist alogisch (s. d.). Nach Nietzsche ist das Leben um
jeden Preis zu bejahen (s. Optimismus). — Nach Fortlage ist Bejahung „ein
Begriff, welcher bezeichnet, daß mit einem gegebenen bestimmten VarsieUungs-
inhalt aus einer gewissen Sphäre ein Inhalt ans eifier andern Sphäre eins umi
ununtersehieden sei, ohfie daß damit über die Beschaffenheit des Identisehefi
irgend etwas ausgesprochen würde^^ (Psych. I, S. 91). Das „«/a" bedeutet die
„AetipitäV^, das „Nei/n^^ „die Suspension der Activität eines vorhandenefi Be-
gehrens oder Triebes". ,fla und nein sind Triebkategorien^* (1. c. S. 92). LoTZB.
betont: „Man kann weder Dinge noch Ereignisse, sondern nur eine Bexiehung
zwischen xu^ei Bexiehungspunkten, also den Inhalt eines Satxes blähen" (Gr. d.
Met. S. 10). Während Wundt erklärt, alles Urteilen sei „ursprünglich ufid
seiner Natur nach affirmierend" (Log- I, 187), meint Jerusalem, es gehe der
Bejahung die „Zurückweisung der möglichen Negation*' voraus. „Die Sprache
bildet erst dann ihr ,Ja* aus, welches die Geltung eines Urteils gegenüber allen
Anfechtungen aufrecht hält. Dieses ,Ja' bleibt ein vom Urteilsade selbst ver-
schiedener ufid ,auch im Bewußtsein getrennter Ausdruck der Zustimimmg^^
(Urteilsfimct S. 185). Vgl. Negation.
Bekanntheltsqaalltftt s. Wiedererkennen.
Belief 8. Glauben.
Bellsclier Sats: die hinteren Wurzeln der Rückenmarksnerven wirken
sensibel, die vorderen motorisch (Ch. Bell, The nervous System of the human
body 1830).
Benennanssurteile sind Urteile, in welchen ein zimächst unbe-
stimmtes Etwas benannt und zugleich damit appercipiert, gedeutet, classifieiert
wird (vgl. Sigwart, Log., u. W. Jerusalem, Urteilsf. S. 112 ff.).
Beobaclitii]i§^ (Observation) ist die aufmerksame, planmäßige Be-
trachtung eines Objectes. Das Physische ist wegen seiner Constanz unmittelbar,
das Psychische wegen seiner Flüchtigkeit und wegen der Stönmg des Be-
wußtseinsverlaufs durch die absichtliche Lenkung der Aufmerksamkeit auf das-
selbe nur mittelbar, in der Erinnerung beobachtbar.
Den Wert der Beobachtung (rrj^T^oii) kennen im Altertum Hippokrates,
Aristoteles, Galenüs, die „Empiriker**, im Mittelalter, wo sie im allgemeinen
vernachlässigt wird, Albertus Magnus, Wilhelm von Occam, Roger Bacon.
Später betont diesen Wert methodologisch (im Anschlüsse an die Errungen-
schaften eines KoPERNiKUS, Kepler, Galilei u. a.) zunächst der Empirismus
(6. d.). F. Bacon bemerkt: „Homo naiurae minisiei' et interpres tantnm facii
et intelligit, quantum de naturae ordine re, rel mente, obserrarerii, nee amplius
seit ant potest** (Nov. Organ. 1). Die Beobachtung ist der Ausgang aller In-
duction (s. d.). Nach Platner ist Beobachtung „eine mehr angestrengte^ vor-
sätxliehe und zugleich absichtsmäßige Richtung der sinnlichen Vorstellkraft auf
Gegenstände der Sinne** (Phil. Aph. I, § 211). Nach Ulrici ist sie „ein auf-
'merksames Betrachten des Gegenstandes in der Absicht, voti seiner Beschaffenheit,,
seinen Bestimmungen, Eigenscluifteti, Merkmalen, besonderen Eigentümlichkeiten etc^
Beobachtung — Beraubung. IST
fine möglichst genaue KemUnia xu gewinnen*' (Leib u. Seele S. 301). —
Für die Selbstbeobachtung („introspection") als psychologische Methode sind
Hebbabt, Bekeee, Fobtlage, Ulkici, Waitz, der betont, es würden nur
Erinnerungsbilder beobachtet (Lehrb. d. Psychol. 8. 672 f.), Fortlage, auch
HÖFFDIKG (PsychoL», S. 20 ff.), der die Mängel der reinen Selbstbeobachtung
würdigt {1. c. C. 1), MÜKBTBKBKRG (Avdg. u. Meth. S. 63 ff.), Volkelt (Zeitschr.
f. Philos. 1887), Lipps (Gr. d. Seelenl. S. 10 f.), teilweise Spencer (y^subfective'^
neben der y,obfeetiven** Psychologie), Bain, James, auch Jodl (Lehrb. d. Psych.
S. 10), W. Jerusalem (Lehrb. d. Psychol.*, S. 5 ff.) u. a. Es wird betont,
daß die Beobachtung anderer ergänzend zur „Selbstbeobachtung" (besser Selbst-
wahrnehmung: Ebbinghaüs, Gr. d. PsychoL I, 57, Brentano, Wundt u. a.)
treten muß. Gregen die „Selbstbeobachtung" ist HuME, insofern er betont, die-
selbe störe den Ablauf der seelischen Vorgänge (Treat. S. 7), und besonders
A. CoMTE, der sie für unmöglich erklärt und von der „profonde absurdite"
^cht, „que presente la seule supposition si ividefmnent cmitradictoire de rhomnie
«f regardani penser** (Cours de phil. pos. III, 766 ff., I, 30 ff.; ähnlich
F. Mauthneb, Krit d. Spr. I). Wundt betont, in der Psychologie sei „eine
emete Beobachtung nur in der Form der experimentellen Beobachtung
möglich" (Gr. d. Psych.*, S. 27). Die Absicht der Beobachtung verändert Ein-
tritt und Verlauf der psychischen Vorgänge (1. c. S. 28). Die reine Beobachtiuig
ist ausgeschlossen auf dem Gebiete der Individualpsychologie, weil es hier keine
beharrenden Objecte gibt, zulässig aber, ja gefordert in der Völkerpsychologie
{L c S. 29 f.). Die „xußüige" innere Wahrnehmung (nicht Beobachtung) kann
aber in der Individualpsychologie (am besten in der Form unmittelbarer Er-
innerung) als vorbereitende und ergänzende Methode vem-endet werden. Die
Twmeintliche willkürliche „Beobachtung" aber ist in Wahrheit schon Reflexion
und Fälschung des Tatbestandes durch Vorurteile aller Art (Log. II*, 2, S. 160,
171, 174; Grdz. d. phys. Psych. I*, 4 f.; Essays 5, S. 135 ff.; Phil. Stud. IV,
5j2 ff.). Vgl. Experiment, Methoden.
Beranbmis (<jT£^<r<ff, privatio) hat philosophiBch den Sinn des Fehlens,
deb Mangels, der Negativität; im Gegensatze zu allem Positiven und Actuellen,
Activen bedeutet es ein Nichtiges, d. h. nicht wahrhaft Seiendes, Wesenhaftes,
rnwirkliches, der Vollkommenheit des Alls keinen Abbruch Tuendes.
Nach ABI8TOTBLE6 ist die are^fftg das Fehlen einer Eigenschaft, die einem
Dinge von Natur aus zukommt, z. B. Blindheit ist eine axigr^irti St^'stas (Met.
V 22, vgl. X 4, 1055b). Insbesondere hat die Materie (s. d.) eine art^rjati,
iii^rfem sie noch (begrifflich-abstract) der Fomi ermangelt (ori^aie rov etSovi
«'u Tjj« fto^frje^ 1. c. 1055b 13). Augustinus u. a. nennen das Böse (s. d.)
ttne jjpriraH^ boni". Die Motakallimün halten die „prirationes" (negativen
Eigenschaften) für wirkliche Qualitäten. „Credunt, privationes habituum esse
r^ existentes in corpore, substantiae ipsius additas, et esse quoquc aceidefitia
fiistenWa^^ (bei Maimonides, Doct. perplex. I, 73). AviCENNA definiert:
ylHeiiur privatio id, quod 1) debet esse in aliquo nee est in eo, non quod von
*it illius modiy itt sit in co, quam vis sit illius Tiaiurae, nt sit in aliquo; 2) idj
f^iuf natura est esse rei non absoluta, sed in sua hora; 3) aniissio ]}er rio-
ifntiatn; 4) id, per quod amisit res infegritatem suam; 5) ne^atio" (bei Pbantl,.
<T. d. Log. II, 252). Albebtus Magnus imterscheidet „privatio perfecta",
',yr. imperfecta" (Sum. th. 27, 1). Nach Thomas ist „privatio" der Gegensatz.
138 Beraubung — Beschreibung.
zu „habitus" und „per fectio"j ein „«on-e/w absque omni forma^^ (1 gener. 6 g),
„careniia oppositi habittts^'^ (Sum. th. II. II, 36, Ic), „abseniia formof^^
(1 cael. 6a), y^negatto in stibstantia^^ (Contr. gent. III, 7). Es gibt „priraiio
simplex (pura)^\ „pr. non simplex**. „Privaiio non habet causam per 9e.
agentem^*^ (Contr. gent. II, 41). „Privatio non ponit illiquid" (Sum. th. I, 17, 4c).
Nach Chr. Wolf ist privatio „defeefus alieuius realitaiisy qtiae esse poterat^^
(Ontol. § 273).
BereltseliafI; wird die Disposition (s. d.) zur Reproduction von Vor-
stellungen genannt.
Beroliiiiri^nii^ ist nach R. Ayenabius sowohl der Ausgangs- als der
Endpunkt einer ,y Vital reihe'^ (s. d.). H. Cornelius: y,Das Ungewohnte ist
uns jedesmal xugleich ein Befremd Hohes y Beunruhigendes. Die Be-
unridiigung aber löst sich, wenn es u^is gelingt, das Neue als Glied eines
bekannten Zusammenhanges xu erkennen." — Wir fühlen uns dann be-
ruhigt (Einl. in d. PhiL 8. 25 f.).
BerlUiraiiii^ (Contaet) ist das Maximum des Aneinander zweier Körper.
Durch yyBerübrung" {ng>ij) erfolgt nach Aristoteles die Binneswahmehmiing
(De an. III 13, 435a 12). Der Sternhinmiel wird von Gott durch „Berührung^^
{aTiTsad-ai) bewegt (De gener. I 6, 323a 4). Nach TuoMAS gibt es einen „ran-
factus duplex, quantitatis et virtutis". „Primo modo corpus non tangitur nisi
a corpore. Secundo modo corpus potest tangi a re incorporea quae tnoret
corpus'' (Sum. th. I, 75, 1). Chr. Wolf: „Duo exte^isa ferminata eontiffua
appeüantury quorum sujferficies se muttu) c<yntingunt" (OntoL § .556). Die
Associationspsychologie versteht unter „Berufinmg" (contiguity) das räumlich-
zeitliche Zusammen von Vorstellungen. Vgl. Association.
BerfihnuigpBiassoclatloii s. Association.
Berüliraiii^enipftndiiiig ist eine Art der Hautempfuidungen (vgl.
KÜLPE, Gr. d. Psych. S. 90 f.).
Berfiliriin^tlieorle s. Wiedererkennen.
Bescliaffenlieit s. Qualität.
Bescliaiillciikeit s. Contemplation.
Beschreibende (descriptfTe) Psychologie s. Psychologie.
Besclirelbende Urteile sind Urteile, deren Prädicat in einer Eigen-
schaft Ix^teht.
Besclirelbiuig^ (Deseription) ist die vollständige oder doch zureichende,
geordnete Aufzählung der charakteristischen Merkmale einer Sache. Die Be-
schreibung muß eindeutig, exact sein.
Die Stoiker bestimmen die Beschreibung (vnoyga^ij) als Xoyoi rvTzojSetii
eiadyun» eU tn noo-yfLaxa (Diog. L. VII, 60). Die Logik von Port-Roval;
„Minuji accuraia deßnifioy descripiio dicfa, ea est, quae rem facU fwtnm per
acddcHlia, propria, atque ita detcrmincUy tä nohis possimus ülius ideam formare,
quae Ulam ah omni alia re disfifiguat" (II, 12). Nach KANT ist Beschreibung
„die Exposition eines Begriffs, sofern sie nicht präcis ist" (Log. § 105). Nach
Fries ist sie die „Angabe der Attribute" eines Begriffe (Syst. d. Log. S. 276).
Nach J. E. Erdmann ist sie eine ausgespi-ochene Wahrnehmung (Gr. d. Psych.
S 74). Hagemann erklärt die Beschreibung als „die Herrorfiebufig sotroh^
Besobreibung — Bestimmtheit. 139
ir^entlicfier als imwesefUlicher (namentlich äußerlicher, sinnfälliger) Merhnaley
wn eiti klares, ofischauliehes Bild des Gegenstandes, zum Unterschiede von
andertti Gegenständen, xu vermitteln" (Log. u. Noet S. 82). Nach Schuppe ist
die .Angabe der an bestimfmtem Orte in bestim^^mtem Zeitpiankt gemachten Wahr-
n^tmufigen*^ (Log. S. 76). Verschiedene Forscher wollen die Erklärung (s. d.)
diircli ^^rollständige Beschreibung** unter Elimination alles Hypothetischen und
Metaphysischen ersetzen. So Comte, R. Mater, Hertz, Kirchhoff (nur
bedingt, Vorles. üh. math. Phys. 1876, I), Ostwald, E. Mach (Popul. Vorles.
S. 251 ff.), R. Avenarius (Kr. d. Erf. II, S. 331 ff.), J. Petzoldt (Viertel-
jahreschr. f. w. Phü. XIX, 147), R. Willy (1. c. XX, 80), H. Cornelius
lEinl. in d. Phil. S. 38 f.), Nietzsche (WW. V, 112). Dagegen Wundt, nach
▼elchem jede Beschreibung schon eine Erklärung und Deutung einschließt
<Sy3t d. PhiL«, S. 288 ff.; Log. IP, 1, S. 28 ff., 343 ff.; Phü. Stud. XIII, 98 f.,
l'H, AfA ; Einl. in d. Phil. S. 299). 0. Caspari will die naturwissenschaftliche
Beschreibung durch philosophische Erklärung ergänzt wissen (Grund- u. Lebensfr.
S. 45 f.j. Vgl. Erklänmg.
Beseelt {fyy^vxos^ animatus) ist alles, was seelischer Regungen fähig ist,
was auf äußere Reize in triebhafter, mehr als mechanischer Weise zu antworten
^Tnnag. VgL Panpsychismus, Monaden, Hylozoismus.
Rcaeelniig» ästhetische, s. Ästhetik, Ästhetisch.
Befi»illiill]i||f ist actives Sich-erinnem, Lenkimg der Aufmerksamkeit auf
Erinnenmgsbilder, Suchen von solchen, spontane Bereitschaft-Herstellung für
solche. Das Phänomen wird schon von Aristoteles besprochen.
Besonnenlielt (ctoy^oavvTj, auch Maßhalten, Enthaltsamkeit) ist die
Eigenschaft oder Tugend des besonnenen Handelns, d. h. des voUbewußten,
Temünftigen, überlegten, mit Bedacht auf die Folgen stattfindenden Handelns.
Sie gilt schon Plato und Aristoteles (Eth. Nie. I 13, 1103 a 6) als eine
Tagend (s. d.); nach ersterem besteht sie darin, ro te ä^ov xai rm a(»/o^Vai
To Aoyt^nixov OfioSo^ciai. 6bXv a(>/««v %al /mj araatd^eaaiv nvrtp (Rep. 442 D),
nach letzterem ist sie eine fMcorr/i ne^i riBoväi xai kvnas (Eth. Nie. III, 13).
Die Stoiker bestimmen sie als äTi&aTjjfirj al^BzöHv xcU ipevxx<ov (Stob. Ecl.
U 6. 102). Platner versteht unter ihr „da^ Vermögen der menschlic^ien Seele,
die Kraft der Vernunft oder geistige THtigkeit xu äußern, 7niUelst gewisser
Fakigheiten der Organisation*^ (Phil. Aph. I, § 775). Herbart: „Besonnen-
hiit ist die Öemütslage des Menschen in der Überlegung** (Lehrb. zur Psychol.*,
S. S3). Schleiermacher erklärt sie als „das Produderen aller Acte des Er-
kemtens in einem empirischen Subject, irelche einen Teil der sittlichen Aufgabe
w ihm setzen** (Phü. SittenL § 313), als „vollkommen der Idee angemessene
Omstmetion des Begriffs und der Anscliauung** (1. c. § 314).
Beständiurkelt s. Constanz.
Be^tnmitiielt = Sicherheit, Gewißheit (s. d.), dann Geformtsein, Ge-
tfdnetsein, Gesetzlichkeit, durch Begriffe, Ideen nach Plato, durch Kategorien
^5. d.) nach Kant. — Nach Uphues ist etwas bestimmt, „wenn es Merkmale
Quficeist, durch die es von edlem oder von einigeln atideryi unterschieden werden
kann"* (Psych, d. Erk. I, 244). Ein Begriff ist logisch bestimmt, wenn sein
Inhalt genau von dem anderer Begriffe abgegrenzt ist. Vgl. Determination,
Definition.
140 Bestimmung — Bewegung.
BestlHUiraiigf 9 logisch = Setzen einer Bestimmtheit (s. d.); meta-
physisch, psychologisch = Bedingtheit des Geschehens, des Handelns, des
Willens. Vgl. Detennination, Prädestination.
Begtlmmungggmnd s. Motiv.
Betonung^ s. Gefühl.
BevrtelllUis ist schätzendes, wertendes Urteilen, Urteilen über Werte
ästhetischer, ethischer, logischer Art. Kant spricht von ästhetischer Beurteilung
(Kr. d. Urt. § 9). Nach Windelband ist die Beurteilung das, was das Urteil
(8. d.) als wahr oder unwahr anerkennt (Prälud. S. 29 f.). B. Erdmakk ver-
steht unter Beurteilungen „Urteile über ürieile^^ (Log- I, § 56).
Beweggrund s. Motiv.
Bew^egong ist der (actuelle) Wechsel der Lage eines Körpers in Be-
ziehung zu anderen Körpern oder zu einem gedachten Coordinatensystem. Alle
Bewegung ist relativer Art, auch die sogenannte yfOhsoltUe*' Bew^uiig. Die
scheinbare Bewegung ist die dem Augenschein oder dem statischen Sinne
(8. d.) immittelbar sich darstellende Bewegung, sofern sie nicht mit der wahrai,
mathematisch-physikalisch bestinmiten, constanten, objectiven, notwendig zu
denkenden Bewegung übereinstinmit. Die Bewegung gilt als ursprüngliche
Eigenschaft der Materie (s. d.). Man spricht auch von einer geistigen Be-
wegimg, von einer Gemüts- und einer Denkbewegung (s. Dialektik).
Nach Hebaklit und Pbotaooras ist alles in beständiger Bewegung, alle
Ruhe ist nur Sinnenschein {fpaai nvee xtveXc9'at rdiv ovzonf ov ra fisv ta. B'ovy
dlXd TtaiTa xai nel, akXa kavd'dvetv rovro rr^v rjfieri^av aXad^rjüiv, ARISTOTELES,
Phys. VIII 3, 253 b 10). Zeno von Elea dagegen bestreitet die Bealität der
Bewegimg. Diese sei in Wahrheit unmöglich, denn das Bewegte bew^t sich
weder da, wo es schon ist, noch da, wo es nicht ist, also überhaupt nicht {xb
xivovfABvov ovT iv üf ioTt TOTttp xiveiTat ovr iv f fi^ k'axty Diog. L. IX 11, 72).
Vier Argumente {loyoi) bringt er vor. Bewegung kaim nicht stattfinden:
1) wegen der unendlichen Zahl von Distanzen, die durchlaufen werden müßten,
2) wegen des ,yArkiUeus" (s. d.), 3) wegen des Ruhens des „fliegenden Pfeife*
(s. d.), 4) wegen der Gleichheit der Geschwindigkeit auf dem halben wie auf
dem ganzen Wege, gemessen an der entgegengesetzten Bew^mg eines
Körpers (Aristoteles, Phys. VI 9, 239b 33). Gegen diese Antinomien re-
kurriert Diogenes der Cyniker auf die Evidenz der Sinne (Diog. L. VI, 39;
8ext. Emp. Pyrrh. hyp. III, 66), während Aristoteles betont, daß die Stetig-
keit der Zeit und der Bewegimg verkannt werde; diese besteht nicht aus Teilen,
so auch jede andere Größe, sondern sie läßt sich stetig teilen (Phys. \J 9,
239b 8; vgl. Spinoza, Epist. 29; Leibniz, WW. Gerhard I, 403; J. St. Mill,
Examin. p. 474; Dühring, Krit. Gesch. d. Phil. 1869, S. 40 ff.; GoMPERZ,
Grieoh. Denk. I, 159; Überweg, Logik», S. 409*; Kühnemann, Grundl. d.
Philos. S. 83 ff.). — Demokrit erblickt in der Bewegung eine primäre Eigen-
Hchaft der Atome (s. d.). Sie ist (nach Stob. Ecl. I, 18, 394) geradlinig von
Xatur. Die Megariker behaupteten, es gäbe an sich keine Bewegung (/«^
elvat xivr^air, Sext. Emp. adv. Math. X, 85 squ.). Plato unterscheidet zwei
Arten der Bewegung: qualitative Veränderung {nUoioHFig) imd Ortsbew^:ung
ine^tfo^n, Theaet. 181). Die primäre Bewegimg ist Selbstbewegimg (Leg. 894 B,
D, 895 A), diese aber ist Leben, Beseel img (1. c. 896 C). Im Organismus sind
141
die K^perbewegungen yon den inneren, seeliBchen Bewegungen {n^rov^oi
xanfßui) abhängig (1. c. 897 A). Die sich selbst bewegende Weltseele (s. d.) ist'
das Princip aller kosmischen Bewegungen (Tim. 43 ff.). Aristoteles versteht
unter tUvricti Veränderung (s. d.) überhaupt, deren er vier (De an. I 3, 406 a
12 squ.) oder sechs (Caieg. 14) unterscheidet 8ie ist die Verwirklichung des
Möglichen als solchen (^ rov 9vraroVf rj Swarov, hrreld/sta ^«vs^ov ort Klttiüiq
hrtv^ Phys. III 1, 201b 4), Übergang aus der Potenzialität in die Actualität.
Eigentliche Bewegung ist nur die Ortsbewegung («irrjas xarti tottov, ^ogdy
Phys. III 8j 208a 31). Die Bewegung ist stetig \sw8xris, Ptys. IV 11, 219a
10). Zur Bewegung bedarf es keines leeren Baumes (gegen die Atomisten),
scadem sie besteht in einer Ortsvertauschnng im Vollen (dvrtTZBplaraats, Phys.
VIII 10, 267 a 18). Jedon Körper kommt constant Bewegung zu {avayxri 8i aal
xin;ütv #jfei«' <ri»fia näv tfn'cwov, De coel. I 1, 274 b 4). Die Bewegung ist die
Ursache des Werden» (17 yaQ fo^ notr,<f8i rriv ytraütr^ De gen. et corr. II 9,
^a 17). £s gibt geradlinige, kreisförmige, gemischte Bewegung {evd'ata, xvxkq?,
h TovToff fuxTi^, De coeL I 1, 268 b 17). Die vollkommenste ist die kreis-
fonnige Bewegung, sie kommt dem Äther (s. d.) und dem Sternhimmel zu (De
gen. et corr. II 11, 338 a 18 squ.). Da alle Bewegung in der Verwirklichung
eines Potentiellen besteht, so muß es zuletzt einen selbst unbewegten ersten
Beweger der Welt {ngarov xirovy Axlvr^rov avro, Met. IV 8, 1012 b 31), Gott
<& d.), geben ; dieser bewegt i^eafuvos^ durch das Streben der Dinge nach ihm. Als
(geistige) Bewegung fassen Theophbast und Strato das Denken auf (Simpl.
Phys. 225 a). Die Stoiker definieren die Bewegung (xivrjatg) s\b fieraßolr^ xard
TKiov $ oktf 9 fu^t fj finraXXay^r ix xonov. Es gibt ursprünglich geradlinige
und gewundene Bewegung {evd'alav xai rrjv xafxnvlrjv, Stob. Ekil. I 19, 404,
-i06). Nach Efikur gibt es Bewegung xtttd ardd'firjv xai xard TiapeyxXtaw
($tob. EcL I 18, 394, s. Atom). Plotin definiert die Bewegung im Sinne des
Aiistoteles (Enn. VI, 3, 22). Sie ist kein Seiendes, sondern die Wirksamkeit
dessdben, dessen Natur sie gleichsam vollendet (als ivi^sta, 1. c. VI, 2, 6).
Die Scholastiker bestimmen das Wesen der Bewegung in der Weise des
Aristoteles. Ayicenka: j^Motus est exittts de potentia ad (letum in ienvporc
iontinuo, ncn subito** (bei Albertus, Suhl th. I, 73, 2). Albertus Magnus
bcstinunt ganz allgemein: „Moveri est aliter se habere qiia/m prius^* (Sum. th.
I. 74. 1). Das Tt^dnov xivovv übersetzt er mit y^motor primus" (L c. I, 18, 1).
Thomas nennt die Bewegung (motus) einen jyoetus imperfeeti" (3 an. 12 a).
Jfopen' est exire de potentia in actum . . . niavens dat id quod habet mobüi,
inquanHifn faeit ipsum esse in actu** (Sum. th. I, 75, 1). Es gibt y,mottts al-
terationis** f=s. „w. se4rundum qtuüitatem**), „m. augmenti et decrementi**, „m,
fmndmn locum", „m. appetitus**, „w. affectus** (Contr. gent III, 151), „w. ani-
malis oder sensualis**, „m. intelleettudis oder rationis**, „w. nahiralis", „m.
ammt«, „m. voluntatis** (Sum. th. I, 81, IC; Contr. gent. III, 23; Sum. th. I,
n, 17, 9, I, II, 22, 2C.). SUAREZ bestimmt die Bewegung als Weg und
Fließen fDisp. met. 49, 4).
KoPBRNiKUS, Kepler, Galilei verbreiten richtige Anschauungen über die
Xttur der kosmischen (quantitativ zu bestimmenden) Bewegungen. Desgartes
^nt, es gäbe nur Ortsbew^ung als Zustand der Materie, den jeder Körper von
«öfien erleidet. „Non admdito varia motuum generay sed solum loeaiem, qtii eorporum
o^nrnum tarn animatorum quam inanimatorum communis est** (Ep. II, 11; Princ.
phiL II, 23). Und zwar ist die Bewegung yyoctioy qua corpus aliquod ex uno loco in
142 Bewefi^ung.
alium miffraf^ (Princ. phil. II, 24), OrtBwechseL Ruhe ist Aufhören der Tätig-
keit. Grauer bestiiiant ist die Bewegung Übertragung eines Körpers aus der
Nachbarschaft der ihn beriihrenden, ruhenden Körper in die Nachbarschaft
anderer („dicere possumws esse translcUionem umus parits meUeriae, sire unius
corporis y ex mcinia eorum corporum, quae ülud immediate eontiftgunt et fanquam
quiescentia speciantur, in vun^niam cUiorum'\ Pr. phil. II, 25). Jedem Körper
kommt in einem Momente nur eine Bewegung zu („non possiitnus üti mMli
plures mottis eodem tempore tribuere, sed tmum tantum*^, Princ. phiL II, 28).
Es gibt keinen leeren Baum, daher muß ein Körper bei seiner Bewegung andere
aus ihrem Orte verdrängen (1. c. II, 33). Von Natur aus ist jede Bew^ung
geradlinig, strebt es zu sein (1. c. II, 39). Gott hat die Bewegung erschaffen
und erhalt ihre Menge (die „Bewegungsgröße^^ mv) constant. y,Nam quamvis
nie mottis nihil aliud sit in maieria mota quam eius modus, certam tarnen et
deierminatam höhet quantitaietn^ quam faeüe intelligimus eandem semper in tota
rerum universitcUe esse posse, quanitns in singiUis eius pariibus mutetur^^ (1. c.
II, 36). Auch nach Spinoza erhält jeder Körper seine Bewegung von außen
her. „Corpus motum vel quiescens ad motum vel quielem determinari d€bi4Ü ab
alio corpore, quod etiam ad motum, vel quieiem determinatum fuit ah aliquo, et
illud iterum ab alio, et sir in infinitum" (£th. II, prop. XIII). Nach TscanKK-
HAU8EN ist alle Materie in steter Bewegung (Med. ment. II, ISO). Nach
HoBBES ist alles Naturgeschehen auf Bew^egung ziurückzuführen, diese ist „coti-
tinua unius loci relictio et alterius acquisitio" (El. phil. VIII, 10). LoCKE
erklärt, die Bewegung könne und brauche nicht definiert zu werden (Ess. II,
eh. 4, § 8 ff., II, eh. 18). Newton definiert die absolute Bewegung als ,, Über-
tragung eines Korpers aUfS einem absoluten Ort in einen anderti absoluten Orf\
die relative als Übertragung aus einem relativen Ort in einen andern relativen
Ort (Princ. math. 6, IV). Die wahren Bewegungen beruhen auf Kräften in den
Körpern (1. c. p. 8). Nach Berkeley ist alle Bew^ung relativ, ein einziger,
isolierter Körper wäre notwendig unbewegt (Principl. CII) ; in den Körpern, die
nur Vorstellungen sind (s. Idealismus) gibt es keinerlei bewegende Kräfte.
Nach Leibniz besteht alle Bewegung in einer wahrnehmbaren Lage-
veränderung der Körper. Wirklich ist die Bewegung, wenn die unmittelbare
Ursache der Veränderung im Körper selbst liegt. An sich ist die Bewegung
Kraftimpuls, deren Erscheinung das „wofUbegründete Phäfiomen*^ des Ortswechsels
darstellt. „ Ce n'esi qu*un phenomene reel, parceque la motiere et la masse, a laqueüe
appartient le mouvement, n'est pas ä proprement parier une suhstatice. Cepeptdant
n y a une image de Vaction dans le mouvement, comme il y a une image de la stth-
stance dans la mcisse; et ä cei egard on peut dire que le corps agit, quand il ya de
la spontaneite dans son changemeni^^ (Nouv. Ess. II, eh. 21). Nach Che. Wolf
ist Bewegung „cofitinua loci miUatio^^ (Ont. § 642; Vem. Gred. I, § 57 k Cru-
SiUß: „Bewegung ist derjenige Zustand einer Suhstanx, da dieselbe ihren Ort
rerändert" (Vemunftwahrh. § 391). Hole ACH: „Le mourefneni est un e ff ort,
par lequel un corps change ou tend ä changer de place" (Syst. I, eh. 2, p. 12).
Bonnet : „Si Vdme considerani une etendue comme immobile voit un corps
s'appliquer successivement ä differents points de cette etendue, eile se formera la
notion du mouvement" (Elss. de Psych. C. 14).
Nach Kant ist Bewegung eines Dinges „die Veränderung der äußeren TV-
hältnisse desselben xu einem gegebenen Raum"; Ruhe ist „die beharrliche Gegen-
irart (praesentia perdurabilis) an demselben Orte^^ (Met. Anf. d. Naturw. S. 5,
Bewegung. 143'-
lOl Alle erfahnuigsmäßig constatierbare Bew^ung ist relativ (1. c. S. 3):
Bewegung ist kein apriorischer (s. d.), sondern ein Erfahrungsbegriff, weil er
&n^ Baum und Zeit die WaJimehmung eines bew^lichen Etwas voraussetzt
(L c. S. 4; Kr. d. r. Vem. 8. 66). Die Bewegung besteht nicht an sich, son-
dern ist Erscheinung (s. d.), objectiver Erkenntnisinhalt; so auch der Idealis-
mus (s. d.). Für SCHOPENHAUEB ist die Bewegung Objectivation des Willens
ts. d.). Für Herbabt ist sie y^objecHver Schein"y „ei7i natürliches Mißlingen-
der tersuchten räumlichen Zusammenfasaung*^ während im An-sich der Dinge
eich nichts verändert (Met II, § 295). Hegel bestinunt die Ortsbewegung als
J'ergehen und Sieh'wieder-erxeugen des Raums in Zeit und der Zeit in Raum^,
iüß die ZeU sieh räumlieh als Ort, aber diese gleichgültige Räumlichkeit ebenso-
unmittelbar xeitlich gesetzt tüird^* (Naturphil. § 261). Die dialektische (s. d.)
,,Betcegung'' liegt dem Seienden zugrunde. Hillebrand erklärt die Bewegung
für die „cUlgemeine Grundform der erscheinenden WirklichJceif", sie ist „cfer
fmiiw Ausdruck der ursprünglichen Kraftstellungen der Substanzen für die
Anjtehauufig^* (Phil. d. Geist. I, 108). Tbendelenbubg nimmt Bewegung im
weiteren Sinne als f,das Allgemeinste, was im Denken und Sein vorkammt^^ (Log.
Uot I, 143). Sie erzeugt die Formen der Dinge (1. c. S. 266). Die ^ycmistruc-
titt^ Bewegung ist die „allgetneine Bedingung des Denkens , eine geistige Tat,.
(Tfifhe nicht erst von der ErfaJtrung abhängt, aber diese möglich vmcht^^, das
ft priori (s. d.) des Erkennens (Gesch. d. Kat. S. 365 ff.). Czolbe hält die
Bewegung nicht für eine passive Wirkung, sondern für eine „ursprüngliche
TaiigkeiV^ (Gr. u. Ursp. d. m. Erk. S. 80). „AnxieJiung und Äbstoßung sind
niekf Orfsveränderung selbst, sondern ihre Ursache^* (ib.). Nach L. NoiBE ist
die Bewegung eine Grundeigenschaft der Dinge (neben der Empfindung), „ob-
ftivK Causalität'^ (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 135). „Ihr Crrund- und Ur-
nnen ist aber nur räumliche Differenz, die Zeit gibt ihr erst das heobaehlende,
trbnmende Obfeet** (ib.). B. Hamebung betont, die Bewegung sei ein Leiden,
m Passives (Atom. d. Will. II, 62) (ähnlich schon v. Hartmann). Nach
Helmholtz ist alle Veränderung in der empirischen Welt Bewegung, diese ist
<üe „ Urveränderung^'. Alle elementaren £j*äf te sind „Bewegungsh-äfte" ( A'ortr.
n. Red. I*, 379 ff.). H. Sfenceb erklärt, die Darstellung aller objectiven Tätig-
keiten in Ausdrücken der Bewegung sei nur symbolische Erkenntnis (Psychol.
I. § 63 ; First Princ. § 16). Hodgson definiert Bewegung als „change in per-
*fpts of sighi, tüueh, or bath'' (PhiL of Reflect. I, 266). Nach Riehl ist die
Belegung, auf die wir die Sinnesqualitäten zurückführen, nur ein in der Form
<ier Gesichtswahmehmnng gedachtes, gedeutetes Geschehen (Phil. Krit. II, 2,
N 35). Nach Nietzsche ist Bewegung Vorstellung , nur ein Bild des Wirk-
fielien in der Sinnensprache des Menschen, „Folgeerseheinting" nicht Urkraft
<WW. XV, 297). Nach Wundt besteht die Bewegung in der „relativen Lage-
vtdertmg gegebener Raumgebild&*, Die Ordnung unserer Vors tellungs weit setzte
ioweit sie quantitativ ist, die Bewegung voraus (Log. I*, S. 518 ff.; Syst. d.
ITüL*, S, 124 ff.). Die objectiven Relationen der Körper führen auf Bew^ungen
d» Subetanzelemente zurück (Syst. d. Phil.*, S. 437 ff.). Von den inneren
Eigenschaften der Dinge wird dabei geflissentlich abstrahiert (Syst. d. Phil.*,
^. 459 ff.). In das Beich dies „An-sich" fällt die Bewegung als räumlicher
Vorgang nicht, ol^leich sie objectiv begründet ist wie der Baum (s. d.).
Nach Rehmke heißt Bewegung „in aufeinander folgenden AugenblicJcen an
frrsehiedenen Orten sein" (Gedenkschrift f. R. Haym S. 109 f.). Schuppe
144 Beweg^ang — BewegangsTorstellung*
versteht unter Bewegung yydde wahrnehmbare Tatsachey daß ein Subject sich in
einem folgenden Zeitpunkte an einem anderen Orte befindet ah vorher ^ also dojt
•andere Wo in eifieni andern Wann" (Log. 8. 108). Sie ist „Jhnw« THtigkeit,
die verschieden wäre von der Orisveränderung selbst'^ (1. c. S. 109). Schubeet-
SoLDERN erklärt alle Bewegung für relativ (Gr. e. Erk. S. 297). Sie ist nur
denkbar als „räumliehe BexAehungj Änderung der Lage eines Baumteües xum
€mdern^^ (1. c. 8. 300). Nach R. Wähle präsentiert sich uns die Bewegung
„in der Sucoession der Erscheinung einer Fläche an verschiedenen Orten*^. Dieses
„Durch-den-Raum-durchgleiten" ist etwas „ Unverstandenes sui generis" (D. Ganze
d. PhiL 8. 101 ff.). Die Bewegung ist keine metaphysische Kraft, kein „Factor^.
Vgl. Empfindung, Qualität, Mechanik, Phoronomie, Materie.
Bewe^^mi^^seiDpfindlliii^en (kinästhetische Empfindungen) sind die
an die (active imd passive) Ausführung von Bewegungen der Körperteile ge-
knüpften Haut-, Muskel-, Sehnen- und Grelenkempfindungen in ihrer Vereinigung,
die sind bedeutsam für die Ausbildimg der Baumvorstellung (s. d.). Nach
M. DE BiBAN enthalt jeder spontane ßewegungsact die „rSsistance organique^^,
„Sensation musctdaire" und „force hyperorganiqu^* (Oeuvr. in^. p. par Cousin
I, 217). Nach Bain ist die Bewegung ein Bestandteil jeder Empfindung (s. d.).
Ziehen unterscheidet active und passive Bewegungsempfindungen (Leitf. d.
ph. Psych.*, S. 51). Wuinyr rechnet die Bewegungs- oder Ck)ntractionsempfin-
dungen zu den „inneren^'' Tastempfindungen (Gr. d. Psych.*, S. 57). KÜUE
lehnt den Namen „Bewegungsempfindung^^ als irreführend ab (Gr. d. Psych.
S. 146). Die Wichtigkeit der Bewegungsempfindungen betont E. Mach (Grund-
lin. d. Lehre von d. Bewegungsempfindungen 1875). Vgl. Beaunis, Sensations
Internes eh. 8 ff., James, Princ. of PsychoL C. 26. VgL Muskelsinn, Span-
nungsempfindungen, Baumvorstellung.
Be^renraiii^linpiils s. Wille.
Bewesnwgwn^-gfttlvlsmuB ist das Ausführen entgegengesetzter Be-
w^mgen, als den Hypnotisierten befohlen wird (Hellpach, Gr. d. Psych.
8. 340).
Be^ires^nii§psTor9teUaii§^ ist die Vorstellung eigener oder fremder
Bewegung. Mit ihr ist eine mehr oder weniger starke Tendenz zur Ausführung der
Bewegung verbunden (vgl. Stricker, Stud. üb. d. Wortvorst.). Nach Spengea
besteht im unentwickelten Geiste schon ein (actives) BewegungsbewuJßtsein ohne
Baum- und Zeitvorstellung (Psych. II, § 341). Die Bewegung wird erkannt
aus dem Muskelempfinden, als „wechselnde Reihe von Zuständen der Muskel-
Spannung^ d, h. von Empfindungen des Widerstandes^^ (1. c. § 348). Sigwakt
betont, es gäbe kein unmittelbares Sehen einer Bewegung im strengen Sinne.
„Nur durch eine Vergleichung der Bilder in aufeinander folgenden Momenteth
kommen wir xu der Vorstellung ihrer Bewegung" (Kl. Sehr. II", 106). NiETZBCHS
bemerkt, daß wir keine „Bewegtmgen" wahrnehmen, sondern nur mehrere gleiche
Dinge in einer gedachten Linie (WW. XI, 243 f.). Nach Ziehen ist die Be-
wegungsvorstellung das Erinnerungsbild einer Bewegung (Leitfad. d. ph. Psycli.*,
S. 18). Nach Ebbinghaüs haben wir das „Bewußtsein eines räumlichen Über-
gatigeSf des continuierlichen Durchlaufens einer Raumstrecke" (Gr. d. Psyclioi.
I, 467). Nach Wundt beruhen die reinen Vorstellungen der elg^ien Be-
wegungen auf inneren Tastempfindimgen (Gr. d. Psych.*, S. 134). Dazu koncimt
BewegungsTorstellung — Bewela. 145
ein Eriimerungsbild des Gesichtssinnes, das mit jenen (unvollkommen) ver-
^hmüzt (1. c. S. 135). Beim Blindgeborenen ist eine Verschmelzung der Be-
wegoDgsempfindungen mit Localzeichen derselben wirksam, wobei äußere Tast-
empfindongen unterstützend hinzutreten (1. c. S. 136; vgl. Th. Hblleb, Phil.
i5md. XI). Für die Vorstellung der Lage und Bewegungen des Gresamtkörpers
gibt es einen „statisehen Sinn*' (s. d.). Vgl. Wille.
Betrete {ajtoSBiSiSf argumentatio, probatio) ist die Darlegung der Prämissen,
ans denen ein Urteil (Beweissatz, Thesis) als notwendige !Folgerung, als Behaup-
tung, der das Denken sich nicht entziehen kann, hervorgeht. Beweisen heißt
die Wahrheit, die Gültigkeit eines Satzes anschaulich oder syllogistisch (durch
Schlußverfahren) dartun (Beweisform, modus probandi). Der Beweis kann
direet oder indirect (apagogisch, s. d.), objectiv oder subjectiv (ad hominem, s. d.),
apriorisch oder empirisch, progressiv (s. d.) oder regressiv (s. d.) sein. Die
äatze, auf die der Beweis sich stützt, heißen Beweisgründe („prmctpia demon-
Mrondi''), Die Beweiskraft (,jnermts probandi") liegt in den Gründen. Ein
richtiger Beweis darf weder zu viel noch zu wenig beweisen (nimium, parum
probare), er darf nicht auf ein fremdes Gebiet überschweifen (heterozetesis, meta-
basis eis allo genos), er soll stetig, lückenlos sein, keine falschen Prämissen
enthalten (proton pseudos), auf keinen erst zu beweisenden Satz sich stützen
{hvsteron proteron, petitio principii, s. d.), keinen Zirkel (s. d.) beschreiben.
Zeno aus Elea stellt ,ßewei8&^ (koyoi) für die Unwirklichkeit der Be-
wegung (s. d.) und Vielheit (s. d.) auf. Nach Pbotagorab gibt es bezüglich
jeder Sache zwei entgegengesetzte Beweisgründe — eine echt sophistische Be-
hauptung {nQWTOi i(pri 3vo Xoyovg elvat Ttß^i navroe n^yfiazoe avTixBifidvovi
al^koii, Diog. L. IX, 8, 51). Aristoteles definiert den Beweis als Schluß-
verfahren, durch das die Principien von Dingen (Gründe von Urteilen) dargetan
werden: 17 anoBtt^ts fiiv imi avXXoytfffiog Ssixtixos airias xai zov Bid ri (Anal,
post. I 24, 85 b 23); anoSei^iv Be Isyat avXXoyiafiov inunrifuoviiiov (Anal,
post, 12, 71b squ.); djioBeiSts /uv ovv ianv, örav i^ dkrjd'cäv xal n^ortcav
o üvXkoyiCfiOQ fi, ^ ix roiovTOfv, a 8id rtrofv n^tartov xal dXrjd'tav lijs negl avrd
yrtomofs rrfv dgxv^ aiXrjfev (Top. I 1, 100 a 27). Nicht alles kann bewiesen
werden, das ginge ins Endlose; das Anschauliche, die Principien, die Axiome
(s. i) bedürfen keines Beweises (Met. III 2, 997 a 7, VII 14, 1039 b 28). Die
Principien werden durch aftacoi nQordaetSf intuitiv gewiß bestimmt; agxv B^eaziv
i^ioBtii^tag Ttgdzaaig afteaos (AnaL post. I 2, 72 a 7; vgl. Met. IV 5, 1011a 13).
Ajristoteles kennt den directen (Betxvvrai Bßtxzixwe) und indirecten, apagogi-
sehen Beweis (Anal, prior. I, 23, 40 b 25). Die Beweisgründe heißen ap/ai zrje
dnoBeiieofs (Top. I, 1). Sie führen schließlich (formal) auf den Satz des Wider-
spruchs (s. d.) zurück. Die Stoiker bestimmen den Beweis als Xoyov Bid zav
udAXov xaraXafißavofUvafv x6 ijttov xazahifißavofisvov ytegi Ttdvtojv (Diog. L.
VII, 1, 4.5); iimv ovv . , , rj dn6Bai(ie loyog Bi bfioXoyov/Aivfov krififidzüfv xazd
9vvay€oy^ inifOQdv ixxaXvTtziov dBijXor (Sext. Emp. Pyrrh. hyp. II, 135; adv.
Hath. VIII, 310). Die Skeptiker bestreiten die Möglichkeit einer Beweis-
fährung, weil jeder Syllogismus (s. d.) ein Cirkelschluß sei (Sext. Emp. Pyrrh.
hyp. II, 234 ff.), weil es zu jedem Beweis einen Gegenbeweis gebe {icocd'eveia
zw ioyefv), weil jeder Beweis ins Unendliche führe (6 eis dnet^ov ixßdkktov) und
« überhaupt keine Gewißheit gebe (1. c I, 164 ff., 178; adv. Math. VIII, 316 ff.).
BofiTHicrs definiert j/trgumenium^'' als j^ratio rei dubiae fadens fidem".
PhiJoaopbiicli«« Wörterbaob. S. Avfl. 10
146 Beweis — Bewußtsein.
Nach Thomab ist die ^ydemmistraiio^'^ ein y^llogistmis faeiens seire^^ (Siim.
th. I. II, 54, 2 ad 2). Die Scholastiker überhaupt unterscheiden y^emof^
stratio a priori*' und „rfe^w. a posteriori^\ femer „ö?«w. formalis^^ und „rfwi.
materialis" (GOCLEN, Lex. phil. p. 504).
Nach Locke ist der Beweis ^^n Darlegen der Übereinstimmung oder des
Oegensdtxes xtceier Ideen vermittelst eines oder mehrerer Qrimde, die eine gleich-
mäßige^ unveränderliche und sichtbare Verbindung tnitHnafider haben" (Ess. IV,.
eh. 15, § 1). Kant betont, ein jeder Beweis müsse überzeugend wirken (nicht
bloß überreden : Scheinbeweis) ; er solle bestimmen, was der Gegenstand an sich
(xar aXtjd'siav) oder für uns {xar dv&Qomov) sei; im letzteren Falle kann er
nur auf moralische Überzeugung Anspruch erheben, wenn ein praktisches Ver-
nunftprincip zugrunde liegt (Kr. d. Urt. § 90). Unter „transcendentalem*' (s. d.)
Beweis versteht Kant den Beweis objectiver Gültigkeit reiner Begriffe (Kate-
gorien, 8. d.) imd ihrer Synthesen a priori (s. d.), y^welcher xeigt, daß die Er-
fahrung selbst, mithin das Object der Erfahrung ohne solche Verknüpfungen nickt
möglich wäre"' (BiEHL, Zur Einf. in d. Phil. S. 114 f.). Nach G. E. ScHixzE
heißt beweisen, „die Wahrheit einer Erkenntnis aus einer andern dartun oder
ableiten}* ,,Jeder Beweis ist also eine Oedankenreihe, deren Glieder so miteiu-
afider verknüpft worden sind, daß die Wahrheit, womit einige Glieder, für sich
genommen, versehen sind, auf die übrigen übergeht** (AUg. Log.', S. 169). Fbies
versteht unter „eineti Satx beweisen** „seine Wahrheit aus der Wahrheit anderer
Sätxe ableiten** (Syst. d. Log. § 72). Lotze erklärt den Bew^eis als einen ,ySchJuß
(Hier eine Schlußkette, welche xu dem gegebenefi Satxe T die Prämissen ergänxi,
aus deren Ineinandergreifen T als denknotwendige Forderung herrorgeht** (Log.*,
S. 271). ÜLRici: „Beweisen heißt: einen Gedanke?i, eine Sache (ein gedachtes
Object) gewiß und evident machen, also die Getcißheit oder Eridenx eifws Oe-
dankens darlegen**, „die Denknotwendigkeit xum Bewußtsein bringen** (Log. S. 33).
Nach Überweg ist der Beweis „die Ableitung der nuiterialen Wahrheit ^ines
Urteils aus der materialen Wahrheit anderer Urteile** (Log.*, § 135). E. DÜH-
ßiNG bestimmt den Beweis als „die Hervorbrifigung der Einsicht in die Wahr-
heit eines gedanklichen Satxes mit Hülfe von anderen Sätxen** (Log. S. 63). Nach
SiGWART besteht der Beweis in der syllogistischen Ableitung aus Sätzen, die
als gewiß imd notwendig erkannt werden (Log. II*, 275.) Wundt versteht
unter einem Beweis die „Darstellung der Gründe, durch welche die Wahrheit
oder WaJirscheinlichkeit eitles gegebenen, einen realen Erkenntnisinhalt aussprechefi-
den Urteils festgestellt trird*' (Log. II, 56). BERGMANN: „Einen Satx betreisen
heißt xeigen, daß er aus Urteilen von ofierkannter Wahrheit folgt** (GnmdprobL
d. Log.*, S. 221). Vgl. Demonstration.
BeweUi, apagogischer, s. Beweis. Beweise für das Dasein Gottes s*
Gott^^beweise.
Bewelsn^rfinde s. Beweis.
Bewelsverfabren s. Demonstration.
Bewußte SelbsU&aseliiiiigf s. Ästhetik (K. Lange).
Bewnßtlieit s. Bewußtsein.
Bewaßtoein bedeutet im weitesten Sinne den Zusammenhang der psy-
chischen Erlebnisse in einem Individuiun (Individualbe wußtsein) oder inj
einer socialen Gemeinschaft (Collectivbewußtsein, Gesamtbewußtsein^l
Be^mßtsein. 147
s. d.). Bewußtsein heißt femer das Gattungsmäßige aller psychischen Vor-
ginge, ihr gemeinsames Wesen, ihr Charakter als Erlebnis, Für -ein -Ich -sein.
Vom Ich ausgesagt, ist das Bewußtsein eine subjective Tätigkeit, ein Zustand,
HDe Modification des Ich: actiyes Bewußtsein. Von den Objecten ausgesagt,
ist es Bewußtheit, im Sinne von passivem Bewiißtsein, ein Ausdruck für den
Umstand, daß etwas, ein Inhalt, in den Zusammenhang des Ich getreten ist
oder sich bereits darin befindet oder befunden hat. Im engeren Sinne ist Be-
wußtsein aufmerksames Erlebnis, im engsten Sinne = Gewußtsein bezw. Wissen,
reflectiertes Bewußtsein und dazu auch noch Selbstbewußtsein. Das Bewußt-
sein ist keine für sich, gesondert von den Erlebnissen existierende Wesenheit,
Tätigkeit oder Eigenschaft, sondern in und mit dem Psychischen schon (in ver-
schiedenen Graden der Activität und der Helligkeit) gegeben; in dieser Weise
aber hat es unmittelbare Wirklichkeit und causalen Charakter, ist es ein ur-
sprüngliche, nicht weiter ableitbarer Factor alles psychischen Geschehens. Es
^^mthält** immer ein Ich -Moment imd eine Reihe positiver Bestimmtheiten
(Bewußtseinsinhalte). Jeder Vorgang, der als „bewtißt^* charakterisiert wird,
ist insofern fjBewußtseinsvorgang".
Der Begriff „Bewußtsein" wird von verschiedenen Philosophen verschieden
bestimmt-. Die erste und älteste Bedeutung von Bew^ußtsein ist die des Wissens
um einen Vorgang in uns. Das Bewußtsein wird hier von den Inhalten,
deren man sich bewußt ist, als ein besonderes Vermögen der Seele unter-
tvhieden.
Der Keim zu dieser Auffassung findet sich schon bei Plato. Er weist auf
das Wissen um ein Wissen (Charmides), auf die Aufnahme der Eindrücke durch
die Seele hin, auf deren Erfassen des Gemeinsamen der Dinge durch sich selbst
lavri} Si* avf^g rj xfrvxv ''^^ tcoipd fioi tpaiverai Tiapi ndvxcav hctaxoTcalv, Theaet.
m D; vgl. Phüeb. 21 B, 24 A; Rep. 508 D). Ähnlich spricht sich Aristo-
teles aus, wenn er dem Gemeinsinn (s. d.) die Fähigkeit zuerkennt, mit dem
(lemeinBamen der einzelnen Sinneswahmehmungen auch wahrzunehmen, daß
wir wahrnehmen (aia&avofied'a on o^mjmv xal dxovoiiev, De anim. III 2, 425b
12). Das Bewußtwerden der Wahrnehmung in der Seele betont Alexander
VOK Afhrodisias und nennt es awatad'rjoie (Quaest. III, 7). Aber erst bei
(tALEX erhalt der B^riff des Bewußtseins seine bestimmte Prägung im Sinne
triner den seelischen Inhalt begleitenden Tätigkeit, eines Tta^axoXovd'eiv rfj
^tavoiq und einer Erkennung (didyvcaaie) organischer Veränderungen in der
Seele (Opp. ed. Kühn, 1821 ff.). Plotin sieht in dem na^anoXovd'elv geradezu das
Wesen des Geistes. Das Bewußtsein ist ihm eine reflective Tätigkeit, eine
cwaicd^oiSy ein Zurückbiegen des Gedankens in sich selbst {dvaxdfjmrovTos tov
rorifULxos). Das Bewußtsein {auvtai^) ist Tätigkeit, es gleicht einem Spiegel
'Enn. I, 4, 10). Erst in der Seele entsteht das Innewerden der Veränderung des
Organismus (Enn. IV, 4, 18). Von Augustinus wird die Bewußtmachung eines
Erlebnisses der Tätigkeit des inneren Sinnes zugeschrieben, durch den wir ein
Wissai um imser Empfinden gewinnen (De lib. arb. II, 4; De trin. XI). Wie
andere Scholastiker faßt Thomas Aquinas das Wort j^Beicußtsein" (conscientia)
ak Wissen um etwas auf; „ . . . dicimur habere canscientiafn alicuvus actus,
inquantum seimus, illum actum esse factum vel non factum" (Verit. 17, Ic).
Diese Anschauimg findet sich dann wieder bei Locke, der in dem inneren Sinn
ds« Bewußtsein der eigenen seelischen Tätigkeit („</ic notiee tchich the tnind
<«fc» of its opercUions", Ess. II, eh. 1, § 4) erblickt. Ähnlich lehren Chr. Wolf,
10*
148 Bewußtsein.
BaümgarteNj auch Ejlkt (s. lim. Sinn). Als ,, Wissen der Seele um sich sdbst^^
definiert das Bewußtsein Gütberlet (PsvchoL 8. 167), nachdem auch schon
Fries es als „innere Selbstansehaaung des Geistes" (Neue Krit I, S. 112) be-
stimmt hatte. TÖNNIES versteht unter Bewußtheit den „Complex von Erkennt-
nissen und Meinungen, welche einer über den regelmäßigeti oder wahrscheinlichen
Verlauf der Dinge . . . vor sich haben und bemäxen mag, daher die Kemttms
vofi den eigenen und fremden, entgegenstehefiden (also xu iibertcindenden) oder
günstigen (also xu gewinnenden) Säften oder Mächtefi" (Gem. u. G^es. S. 128 f.).
Eine zu den seelischen Erlebnissen hinzukommende Tätigkeit oder Wirkung
der Seele ist das Bewußtsein nach Leibntz. Insofern ist es eins mit der
Apperception imd als „eonnaissance riflexive de cet itai irUerieur^^ eins mit der
Beziehimg au& Selbetbewußstein. Denn die „actes reflexifs nous fönt penser
ä ce qtii s'appelle moi^' (Monad. 30). Anderseits erklart er, die „petiies per-
ceptiofis" würden einfach durch Zuwachs, Addition, zu bewußten Vorstellungen
(„distinguer entre perception et entre s'apercevoir; la perception . . . derieni
apperceptible par une petite addiiion ou augmetitaiion" , Nouv. EsA II, eh. 9, § 4).
Wichtig ist der BegrifiP der verschiedenen Bewußtseinsgrade, durch den sich
die Monaden (s. d.) voneinander unterscheiden, ein Gredanke, der von Wundt
(s. u.) wieder angenommen wurde. Mit dem Ich bringt das Bewußtsein in
Verbindung auch Clarke. Als Reflexion des Geistes auf sich faßt Hbgel
das Bewußtsein auf. Es ist „Für-sich-sein der freien Allgemeinheit*' (Encykl.
§ 412). „Das Bewußtsein macht die Stufe der Reflexion oder des Verhältnisses
des Geistes, seiner als Erscheinung, a/us'* (1, c. § 413; vgL § 414). Das Selbst-
bewußtsein im engeren Sinne aber ist eine Elntwicklung des Bewußtseins
(§ 424 ff.). Nach Braniss ist das Bewußtsein die Einheit des Sich-ergreifens
und Sich-besitzens (Syst d. Met. S. 185). Nach K Rosenkranz ist der Begriff
des Bewußtseins der „des einfachen Verhältnisses des Geistes xu sich als Sub-
ject und Object'* (Syst. d. Wiss. S. 406 ff.). Das Bewußtsein ist der Act,
„durch u?elchen der Geist sich als sich xu sich und xu anderem verhedtend für
sich setxt**, es ist „reine lUtigkeit des Geistes", es ist „übersinnlich" (PsychoL*,
S. 266 ff.); es ist ein Act des Sich-unterscheidens des Geistes von allem Nichts
Ich (1. c. S. 270). Maine de Biran betont: „Le mot conseience ne signifie
rien, si on l'entend autrement que se savoir soi avec une modificaiion diffiSrente
du soi puisqu'il reste quand eile passe" (Oeuvr. in6d. III, p. 397, 405, II, p. 239).
Und R. Hamerlino bemerkt, Bewußtsein sei „immer vor allein Selbstbewfsßt-
sein. Ein Beicußtsein ohne Selbstbewußtsein ist undeTÜdHxr^' (At d. WiU. I, 239).
„Beicußtsein ist: das Sein als Sich-wissen" (ib.). Schon den Atomen kommt
ein Bewußtsein zu (S. 239 f.). Nach Carriere ist unser Bewußtsein „kein
Zustafid, sondern eine sich selbst erfassende v/nd dadurch erzeugende TSÜgkeit"
(Ästh. I, 42). Nach Natorp ist Bewußtsein eine „Bexiehung auf das Ich"
(Bewußtheit), eine ursprüngliche Tatsache (Einl. in d. Psychol. S. 11 ff.).
Ein besonderes Vermögen ist das Bewußtsein nach Th. Reid und
DuoALD Stewart. Nach Maass ist das Bewußtsein jederzeit von d^ Vor-
stellung, deren wir uns bewußt sind, verschieden. Lotze erklart das Bewußt-
sein als , Jenes einfache transitive Wissen, welches alle Vorstellungen, Oefuhie
und Bestrebungen dergestalt durcJidringt, daß von ihnen allen ohne dieses Oe-
tmißticerden gar nicht die Rede sein konnte" (Kl. Sehr. 11, 124). Frohbchammeb
nennt das Bewußtsein „Empfbidimg der Etnpfindung und ihrer Arten", ,/ias
innere Licht oder Leuchten, in welchem und durch welches wir in Anschauungen
Bewußtsein. 149
(Sinnemcakmeßtnnmgen}, Vorstellungefi und Begriffen das Obfective, Oegenständ-
liehef das andere uns Gegenüberstehende innerlich naehhilden^* (Monad. u. Weltph.
S. 39 f.). £b ist der ^^Zustand der Seele, welcher beharrt j gleichsam stillsteht im
tcechselnden Strom der Vorstelluftgen^ Gefühle und Willensstrelmngen*^ (Die Phant
S. 163). ScHBLLixo nimmt vor dem Bewußtsein eine Tätigkeit an, „die nicht
mehr selbsty sondern nur durch ihr Resultat in das Beumßtsein kommt^^ und die
niehtB anderes ist als ,jdie Arbeit des Zursich-selbst-hommetis , des Sich-hewußt-
«trdens selbst** (WW. I, 10, S. 93). Nach Heinboth ist das Bewußtsein „die
fortwährende Bestrahlung des Selbst vom Lichte" (Psychol. S. 28). Das Ich
«zeugt nicht das Bewußtsein, ist schon an dieses gebunden (1. c. S. 29 ff.).
Nach FoBTLAGE ist das Bewußtsein eine zum Vorstellungsinhalt ganz neu
hinzukommende Eigenschaft oder Form (Syst. d. Psych. I, 54, 58 ff., 386; II, 1).
Eß geht aus einer „Triebhemmung** hervor (1. c. I, 62, 53, 81, 108). J. H. Fichte
bestimmt das eigentliche Geschehen als unbewußt. Das Bewußtsein ist nur eine
Eigenschaft, ein Zustand des Geistes, keine ursprüngliche Tätigkeit, es geht aus
dem Triebe hervor (PsychoL I, 152 f., 157, 162, II, 39; I, 81 ff., 175, I, 97,
2C0). Es gibt noch ein zweites, übersinnliches, transeendentales Bewußtsein
I, 97 ff., 533, II y 52). Steinthal betrachtet das Bewußtsein als „eine xur
Vbrstellungstätigkeit der Seele oder xu den gebildeten Vorstellungen hinxutretende
Energie der Seele^* (Einl. in d. Sprachw. S. 132). E. V. Hartmann erblickt
im Bewußtsein gleichfalls einen secundären Zustand, eine „Erscheinung des
Unbewußten** „das Individualbeunißtsein ist nach Form und Inhalt unproductivy
rein reeeptiv und bloß ein passives Product, Begleiterscheinung oder Nebe?ierfolg
Hnbemtßter Vorgang^* (Die mod. Psych. S. 122). Als Bewußtheit hat das Be-
wußtsein keine Grade (1. c. S. 75 f.). Metaphysisch ist es „die Stupefaction
des Willefis über die von ihm nicht gewollte und doch empfindlich vorliandene
EiisUnx der Vorstellung** (Phil. d. Unb.», S. 404). L. NoiBE meint: „Das Be-
Kußtiterden geht aus defm Schmerxe, aus der Hemmung der Willenstätigkeit
hervor** (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 195, 198). Daß das Bewußtsein kein
areprünglicher Zustand, sondern Product einer Tätigkeit der Seele sei, betont
auch Ulkici (Leib u. Seele 318, 323 f.). — Secundären Charakter hat das
Bewußtsein als „Epiphänomenon" bei HrxLEY, Maudsley (Physiol. of mind",
1S76, C. 4), Lewe8 (The physical basis of mind 1877, C. 4), Sergi, Richet,
Debpine (vgL dagegen: ForiLLEE, L'^vol. des id^s-forces p. 158 ff.), Ribot,
der es als y^rajovtt*^ als Begleiterscheinung eines Nervenprocesses (Les maL
de la volonte p. 8; vgl. MaL de la personnal. u. Psychol. Angl.», p. 423), be-
stimmt, bei den Vertretern des psychophysischen Materialismus (s. d.), in
anderem Sinne auch bei Lipps (Grundt. d. Seel. S. 35, 356). Auch Nietzsche
bemerkt: „Das Nervensystem hat ein viel ausgedehnteres Reich: die Bewußtseins-
i€tU ist hinzugefügt** (WW. XV, 263). Das Bewußtsein ist nichts Actives,
Schöpferisches, nur ein Mittel zur Lebengsteigerung, ein Überschuß, ein Product
des „Willens xur Macht** (WW. XV, 263, 266, 314 f., V, 292). (Dies erinnert
in Schopenhaueb, für den alles Bewußtsein ein Erzeugnis des y^Willens xum
Üben** ist,) RiEHL: „Unser bewußtes Leben ist nur ein kleiner Ausschnitt
Hnsfres Ij^bens** (Zur Einf. in d. Phil. S. 160). „Nicht irgend einer einxehien
Energiefarm . . . entspricht das Bewußtsein; sein objectives Gegenstück ist eine
Struttur, der Bau des Nervetisystefns^ getuiuer, die durch diese Structur ermög-
lichte, durch sie geleitete Zusammenordnung von Efiergien^^ (1. c. S. 159). Der
Begriff eines ^yAtomhetcußtseitis** ist sich selbst widersprechend (ib.). Das Be-
150 Bewußtsein.
wußtsein ist entstanden, „ja eigentlich ist es in jedem Attgetiblick neu enUtteketid,
es ist ein Proceß^ eine Äctiritätf kein Ä«n" (1. c. S. 161). JODL betont gleichr
falls den secundären Charakter des Bewußtseins (Lehrb. d. Psych. S. 67, H4,
86 ff.). Es ist eine intennittierende Function (S. 119), keine beöondere Qualität,
Bondern die „Eigefischaft, ireicfw das Wesen der psychischen Phä9umiene aus-
macht^' (S. 111). Daß allgemeinste Merkmal des Bewußtseins ist ,4if Innerlich-
keit eines lebe}uitn Wesens^ welches sich in. der Entgegensetzung von Object und
Siibjeci oder eines Inhalts und des auffassenden Wesens oder seiner Tätigkeit
kundgiW- (S. 91). Zu unterscheiden sind primäre, secundäre, tertiäre
ßewußtseinserregimgen (B. 139 u. ff.).
Als Eigenschaft des Vorstellungsvermögens, der Vorstellungen
selbst wird das Bewußtsein bestimmt von Malebraxche (Rech. III, 2, 7),
Locke (Ess. II, eh. I, § 9), James Mill (Analys. of the phen. I, p. 224).
HUME set^t Bewußtsein und „innerlich vergegenwärtigte Vorstellung^^ gleich
(Treat., übers, von Lipps, Anhang, S. 363.) Nach Bonnet ist Bewußtsein ein
„Hentiment distvncf* (Ess. d. Psych., eh. 38). Nach Herbabt ist BewußtBein
„die Gesamtheit alles gleichzeitigen ^ icirklichen Vorstellens^' (Lehrb. z. Psych.
S. 16; Psych. I, § 48). Ähnlich lehren Waitz (Lehrb. d. Psych. § 57) iind
Volkmann (Lehrb. d. Psych. I*, 169). Nach Clifford ist das Bewußtsein
(»in Complex von Empfindimgen und Reproductionen von solchen (Von d. Nat.
d. Dinge an sich S. 39, 42 f.), so auch Lotze (Med. Psychol. S. loff.), Fechxek
(Elem. d. Psychophys. I, 13 f., II, 452 ff,). J. Bergmann nennt Bewußtsein
„jedes Percipicren, jedes Irgend wie- Kunde^nehmen-ron-ettcas" (Sein u. Erk. S. 14.^).
„Es gehört xur Natur des Bewußtsei fiSj eincfi Inhalf 7nit mannigfachen und fort-
während wechselnden Unterschieden xu bemtxen'^ (S. 147). — Nach Brentano ist
Bewußtsein „jede psychische Erscheinimg, insofern sie einen Inhalt hat*. Das
Gerichtetsein auf ein Object ist dem Bewußtsein wesentlich (Psych. I, 181).
A. Höfler definiert: „Beicußtsein im ursprünglichen Sinm: fieicußt-sein*^ heißt:
ein wahrgenommener oder wenigstens wahrnehmbarer psychischer Act sein. —
Bewußtsein im xusawmen fassenden, Sinne . . . heißt der Inbegriff aller psy-
chischen Erlebnisse je eifies Individuums^'' (Psychol. S. 274). Ein psychischer
Vorgang ist bewußt == gewußt, „wenn und insofern er Gegenstand eines
Wahr n eh mungs urteil es wird'" (S. 273).
Als die allgemeinste Eigenschaft aller psychischen Processe, als das
ihnen Gemeinsame, als deren Inbegriff sieht das Bewußtsein HORWIGZ an
(Psych. Analys. III, 3). Bewußtsein bedeutet dreierlei: 1) die Eigenschaft, sich
eines Inhalts bewußt werden zu können, 2) einen zeitweiligen Zustand der Be-
wußtheit eines Inhalts, 3) den Bewußtseinshorizont (I, 156 f.). Nach Czolbe
ist das Bewußtsein „als gemeinsamer Bestandteil der Empfindmigen und GefiMe
xn betrachten'' (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 194 f.). Volkelt bestimmt das
Bewußtsein als „eine Mannigfaltigkeit qualitativ verschiedcfwry empirisch unah-
leitharer, einfacher seelischer Fmwti<ynen'' (Zeitschr. f. Phil. 112. Bd., 8. 237).
Nach Dessoir ist das Bewußtsein im weitesten Sinne ein „Kennxeichefi aller
seelischen Vorgänge'^ im engeren Sinne eine „vorherrsc/wnde Synthesenbildung'^
(Doppel-Ich S. 54). H. Cornelius erklärt, Bewußtsein sei ein allgemeiner
Ausdruck für die gemeinsame Eigentümlichkeit aller psychischen Tatsachen
(Psychol. S. 16). Es gibt nur concrete Bewußtseinsinhalte (ib.). Nach Wuxdt
besteht das Bewußtsein darin, „daß wir überhaupt Zustände und Vorgänge in upts
ßiuieUj und dasselbe ist kein von diesen imwren Vorgängen xu trennender Zustand'^
Bewußtsein. 15J
Es ist keine Schaubühne, kein geistiger Vorgang neben anderen, sondern ein
Aufdruck für die Tatsache, dafi wir innere Erfahrungen haben. Eine Vor-
stellung haben und sie im Bewußtsein haben, ist ein und dasselbe. Bevt^ußtsein
ist ,jdas unmittelbare Gegebensein unserer innerefi Erlebnisse^^ Es ist eine Ab-
straetion von den einzelnen allein wirklichen Vorgängen unserer innem Erfah-
rung. Im engeren Sinne ist Bewußtsein die „allgemeine Verbindung der seelischen
Erlebnisse . . ., aus der sich die eifixelnen Gebilde als engere Verbindungen
herausheben^^. Dieser Zusammenhang ist teils ein simultaner, teils ein suc-
ressiver. Es gibt Grade des Bewußtseins. Der „relative Umfang des Be-
imßti^ins^' kann experimentell festgestellt werden (Grundr. d. Psych.*, S. 243 ff.,
(Jidz. d. ph. Ps. II*, 254, Vorl.«, S. 253 ff., Ess. 8, S. 208, Eth.«, S. 434 f.,
Syst d. PhiL*, S. 558 ff.). Alles Geistige ist bewußt. Das Bewußtsein kommt
in verschiedenen Graden der Klarheit (s. d.) überall vor, von dem „Momentan-
betrtißtsein'"^ (s. d.) der einfachsten Wesen an bis zu den höchsten Graden der
Apperception (s. d.). Külpe versteht unter Bewußtsein (psychologisch) alles,
^jra* tofi erlebetiden Individuen abhängig isf*^ ; es ist die Summe alles Psychischen
(Gr. d. PsychoL S. 3). So auch G. Villa (Einl. in d. Psychol. S. 282, 307 ff.),
ähnlich H. Spencer, Baik, James (Princ. of Psychol. I, C. 9 u. 10), Sülly,
Baldwik, Laj>d, Höffding (Psychol. S. 60 ff.). Ziehen setzt bewußt mid
psychisch gleich (Leitfad. d. ph. Ps.*, S. 3 f.). Nach Zieolee bezeichnet „Ä?-
trufifsein*^* 1) jden Zustand oder die. Eigenschaft des seelischen Vorgangs ^ trodurch
derselbe als betcußter bezeichnet icird — die Beteußtheit, das Bewußtsein, dajt
passire oder . . . das adjectinisclie Bewußtsein'^ 2) den ,yZustand oder die Tätig-
keit des SubfectSf wodurch der seelische Vorgang seine Eigenschaft erhält, die das
Bewußtsein hervorrufetule Function des Subjects — Bewußtsein im etigeren Sinn,
aetices Bewußtsein'^ (D. Gef.*, S. 30). Stufen und Grade des Bewußtseins sind
zu unterscheiden. Wie nach Wundt und Höffding (Psych.*, 431) das Be-
wußtsein im Grunde Willenstätigkeit ist (s. Wille), so nach Ziegleb Gefühl
(B. d.). W. Jebusalem nennt Bewußtsein „das Erleben psychischer Phänomene''',
jiie den rerschiedenen psych isehefi Vorgängen, dem Denken, dem Fühlen, dem
Wollen gemeinsamen Züge, die allgemeine Eigefischaft aller psychischen Phäno-
rnene" (Lehrb. d. Psych.', S. 2). Bewußt sei nszust and ist „jeder wirklich
erlebte psychische Vorgang in seiner vollen individuellen BcMiymntheii und itidiri-
duellejt Färbung^^ Bewußtseinsinhalte sind „Gruppen ron Objecten, die sich
aus der Gesamtheit unserer jeweiligen Erlebnisse leicht herrorlteben und durch
unsere Aufmerksamkeit isolieren lassen'' (S. 2). Drei Entwicklungsstufen des
Bewußtseins sind zu unterscheiden: primäre, secundäre, tertiäre Phänomene
<S. 26 f.).
Auf die Stärke des erregten seelischen Seins führt das Beviiißtsein Beneke
zurück (Lehrb. d. Ps.«, § 57; Neue Psych. S. 171 ff.; Pragm. Psych. I, § 4).
E. H. Webee betont die Wirksamkeit der Aufmerksamkeit zur Bewußtmachung
der Empfindungen (PhysioL Wörterb., hrsg. von R. Wagner, S. 487), so auch
WrxDT u. a. (s. Aufmerksamkeit, Apperception). — Fechner nennt das Be-
wußtsein „ein Sein, das weiß, wie es ist, und ganx so ist, wie es weiß, daß es
ist' (Üb. d. Seelenfr. S. 199). Bewußtsein und ünbewußtsem sind nur relativ
verschieden (2iendav. I, 282 ff.). Niedere Bewußtseinseinheiten sind in höheren,
alle aber in der höchsten Be>\'ußtseinseinheit, Gott (s. d.), eingeschlossen. „Das
Bewußtsein der endlichen Geschöpfe ist . . . eifw periodische Fufietion, indetn es
152 Bewußtsein.
immer von Zeit xu Zeit mit Unbeumßtsein icechselt" (S. 284). Wie Hebbart
spricht Fechnee von einer Schwelle (s. d.) des Bewußtseins.
Das vereinheitlichende (synthetische) Moment des Bewußtseins betont
Kant (nachdem schon Priscian das Bewußtwerden der Empfindung in die
vereinheitlichende Zusammenfassung imd Zuspitzung, anooco^v<p(oaiSy der Einzel-
eindrücke gesetzt hatte, Siebeck, G. d. Psych, I, 2, 348). Bewußtsein ist „ Tätig-
heit im Zusammenstellen de^ Mannigfaltigen der Vorstellung nach einer Regel
der Einheit desselben" (Anthrop. I, § 7). Es gibt ein empirisches und ein
transcendentales Bewußtsein, das auf der tr. Apperception (s. d.) beruht.
,jAlles empirische Bewußtsein hat aber eine notwendige Beziehung auf ein trän-
scenderUales (vor aller besonderen Erfaknmg vorhergehendes) Bewußtsein, nämlich
da^ Bewußtsein meiner selbst, als die ursprüngliche Apperception" (Krit. d. r. V.
S. 127 f.; WW. IV, 5(X)). Das „Bewußtsein überhaupf' ist das allgememe,
objective, überempirische, überindividuelle Bewußtsein, das rein erkennende, Ein-
heit setzende, gesetzmäßig verknüpfende Bewußtsein. Bewußtsein heißt bei
Kant oft jjOemüt" (Kr. d. r. V. S. 76 u. ö.). Die Einheitsfunction, die syn-
thetische Kraft des Bewußtseins wird nicht bloß von strengen Kantianern,
sondern auch von Wundt, Höffding u. a. (s. Synthese) betont. Nach G. Ger-
BER ist Bewußtsein „rfie Gesamtheit des von uns Gewußten, sofern es in dem-
selben Äugenblick als Einheit vom Ich hervorgebracht wird" (Das Ich, S. 221).
Spencer erklärt: „Betcußtsein haben heißt denken; denken heißt Eindrücke und
Ideen xiisammenordnen ; dieses tun heißt das Suhject von inneren Verändertingetr
sein" Kein Bewußtsein ohne Veränderung (Psychol. I, § 377). Nach H. T. Stein
ist das Bewußtsein y^gleichsam die Fähigkeit, mehreres an eitler Stelle xu ver-
einigen" (%^orle8. üb. Ästh. S. 3); es ist „triebartig" (1. c. S. 9). Nach L. Busse
ist alles Bewußtsein „einheitliches und vereinheitliciiendes Bewußtsein", die ein-
zelnen Vorstellungen sind „nur al^ einxelne Momente des eitiheülichen Betcußt-
Seins möglieh und wirklich" (Geist u. Körp. S. 226).
Einige finden das Wesen des Bewußtseins im (beziehenden) Unterscheiden.
So zunächst Chr. Wolf : „ Wir finden demnach, daß wir uns alsdann der Dinge
heicußi shid, wenn wir sie voneinander unterscheiden" (Vem. Ged. von Gott . . .
I, § 729). Sulzer bemerkt: „Die Philosoplien verstehen durch daß Wort Be-
wnißtsein diejenige Handlung des Geistes, wodurch wir unser Wesen von den
Ideen, welche uns beschäftigen, unterscheiden und also deutlich wissen, wai< wir
tun und was in uns vorgeht" (Verm. Sehr. II, 200). Tetens bestinunt da?>
Bewußtsein („GewaJtmeJimen") als ein Unterscheiden. „Sich einer Sache bewußt
sein, drücket eifien fortdauernden Zustand aus, in welchem man einen Gegenstand
oder dessen Vorstellung unterscheidet und sich selbst dazu" (Ph. Vers. I, 21)2 f.).
E. Reinhold setzt das Bewußtsein in das „Bcxogenicerden der bloßen Vorsfcllttng
auf das Obfeet und Subjeci" (N. Theor. d. Vorst. II, 32). Der „Saix des Be-
W7ißtseir\s" lautet: „Im Betcußtsein wird die Vorstellung vom Vorstelletidcn und
Vorgestellten unterschieden und auf beides bezogen" (S. 235). Nach Chr. Schmidt
ist Bewußtsein „das wirkliche Beziehen oder Bexogenwerden eifier Vorstellung auf
ihr Object und Subject" (Emp. Psych. S. 184). J. G. Fichte gründet das Be-
wußtsein auf die Trennimg der absoluten Tätigkeit des Ich (s. d.) in Object
und Subject (Gr. d. g. Wiss. § 1 ff.). In allem Bewußtsein ist „etiras, dessen
man sieh bewußt ist, und das nicht das Bewußtsein selbst ist^' (Syst d. Sitt.
S. 13). Nach Ulrici ist das Bewußtsein imterscheidende Tätigkeit, insbesondere
Bewußtaein — Bewußtsein, besseres. 153
lüch Ph)dact der Selbstimterscheidung der Seele von den Objecten (Leib u.-
Me S. 293, 318, 323 f.; Log. S. 19),
Uphueb unterscheidet „bewußt werden^^ und „ofe bewußt aufgefaßt werden" ;
erstffes eignet den Sinnesqualitäten , letzteres den Gefühlen (Wahm. u. Empf.
i^. 66^). „Es gibt Bewußtseinsinhalte j die nicht als Beicußtseinsxustände betrachtet
werden können. Zu diesen gekoren die SinneseindrücJce oder sinnli'Chen Qualitäten.
Sie bilden den Gegenstand der äußeren Wahrnehmung. Die Bewußtsemsxttstände
hingegen, die Gefühle, Empfindvfngen , Wahrnehmungen y Vorstellungen sind
Gegenstand der innern Wahrnehmung^* Q.. c. S. V). „Beunißtheit** ist das Gattungs-
ffleitmal aller Bewußtseinsvorgänge, „Bewußtsein*^ meint entweder dies oder
(irappeo von Bewußtseinsvorgängen (Psych, d. Erk. I, 127).
Nach £. DÜHBING bestehen die seelischen Vorgänge „in der subje-ctiveti,
immer wieder unterbrochenen Einheit nur durch die gedanklieh umsjyannende
Zusammenfassung stets wiederholter Beproductionen** (Log. S. 202). K. Lange
sieht im Bewußtsein ein „Zusammenwirken der verschiedenen geistigen Arbeits-
fffUren derart, daß jedes einzelne von ihnen eine Controlle über die anderen aus-
i^ (Wes. d. Kunst I, 394).
Nach E. Habgeel ist das Bewußtsein eine „mechanische Arbeit der Qanglien-
idUn, und als solche auf ehemische und physikalische Vorgänge im Plus?na
iendben xurückxufiihren** (Der Mon. S. 23). M. Benedict bestimmt es als
eine ,^genartige Umsetxung äußerer physikalischer wid innerer biochemischer
Kräfte in eine neue . . . Seelen-Kraft- L/eistung" (Seelenk. d. M. S. 34). Nach
Ostwald sind die Bewußtseinserscheinungen Wirkungen oder Eigenschaften
der ^ervenenergi^* (Vorl. üb. Naturphil.«, S. 382, 393).. Du Boi8-B^ymond
ffüärt die Entstehung des Bewußtseins für ein unlösbares Weltrat«el (Grenzen
i Naturerk., Sieben Welträts. Bd. I, 387 f.).
Die Idealisten setzen vielfach Bewußtsein und Sein als eins. Die
Knge (8. d.) sind ihnen nur (actuelle oder potentielle) Bewußtseinsinhalte. So
Wonders die Immanenzphilosophie (s. d.). Schuppe, der im Sein ein
Bewußtsein findet, versteht unter letzterem nicht8 als das unmittelbar Gegebene
ÄToßt (Log. S. 23). V. Schubert-Soldern erklärt: „Es gibt kein Seiendes,
^ nitht Bewußtes wäre, und es gibt nichts Bewußtes, das nicht Seiendes wäre''
iGr. e. Erk. S. 7). Bewußtsein ist kein selbständiges Moment, sondern „Oe-
f^ff^in van Itihalten überhaupt^', es geht in den Dingen völlig auf imd kann
fiiff in abstracto von ihnen geschieden werden (S. 72). Sich eines Datums be-
wußt sein heißt, „daß eben dieses Datum in irgetid einer Bexiehung xu jenem . . .
H Hteht' (S. 9). REEn£S£ nimmt ein absolutes, allumfassendes, concretes,
tehöpferisches Bewußtsein an, das die für alle Individuen gemeinsame Bewußt-
wnsiform bildet. Alles Psychische ist als solches bewußt (Allg. Psych. 63, 67,
^^ ff., 144, 455 ff., 464). Bewußtsein ist „das unmittelbare Seelengegebene'' .
Jirundmomenfe^* des Bewußtseins sind das Siibject und die Inhalte (1. c. S. 49).
Ei gibt gegenständliches, zuständliches, ursächliches Bewußtsein (1. c. S. 148 ff.)..
Die ßewußtseinseinheit ist etwas Ursprüngliches (1. c. S. 155, 452 ff.). Auch
Xatorp und RlCKERT sprechen von einem „Beicußlitein überhaupt*^ Vgl. Un-
^»fwußt. Psychisch, Wissen, Subject.
BeimUtfi^ln, absolutes, s. Be^iißtsein (Rehmke).
BewvOtfi^lii, besseres, wendet sich, im Unterschiede vom „xeitlichen"^
^vüßtsein, von der Bejahimg des Willens zum Leben ab: Schopenhauer
te. ParaL g 345).
154 Bewußtsein, doppeltes — Beiiehungsdiapositionen.
BewnOteeln^ doppeltes (double conscience), nennt man die krankhafte
Spaltung des Ichbewußtseins (s. d.). Vgl. Doppel-Ich.
BeifTUßtseln, empirisches und transcendentales, s. Bewußtsein.
(Kant).
BewnOtselnseiiilieit s. Einheit.
BewnOtseliiHeleiiieiite s. Elemente.
BewnßteeinHeng^e („narrowness of eonsciouatiess^^) nennt Locke die
Beschränkung des jeweiligen Bewußtseins auf wenige Inhalte (Ess. II, eh. 10,
§ 2). Später hat man in verschiedener Weise den Umfang des Bewußtseins zu
bestinmien gesucht, so besonders Wundt (Grdz. d. ph. Psych. II*, S. 246 ff.;
Gr. d. Psych.", S. 251, 255). Nach R. Wähle ist die Enge des Bewußtseins
nur eine ,^Engr der Aufmerksamkeit^ (Das Ganze d. Phil. S. 377). jjEnge der
Auflncrknamkeit^^ nennt Kreibig die Tatsache, yjdaß die Aufmerksamkeit im
gleichen Augenblieke nur einer bestimmten geringen Anzahl von Vorstellungen^
irelche associatir oder auf andere Weise xusammenhängen, xugetcendet tcerden
kann"^ (Die Aufmerks. S. 14 f.).
Bewnßtseiniiierrei^iuig s. Bewußtsein. Bewußtseinsgrad s. Be-
wußtsein. Bewußtseinsimmanent s. Immanent. Bewußtseinsinhalt
s. Bewußtsein. Bewußtseinspsychologie s. Psychologie. Bewußtseins-
schwelle 8. Schwelle. Bewußtseinstätigkeit s. Bewußtsein, Tätigkeit.
Bewußtseinsumfang s. Bewußtsein. Bewußtseins Vorgang s. Be^^nißt-
sein. Bewußtseinszustand s. Bewußtsein.
Bezielieii« Besieliangr s. Bektion.
Bezielimiseii, Methode der, dient nach Herbabt der philosophischen
^^Bearbeitung der Begriff&^, Sie sucht die Beziehungspunkte oder notwendigen
,yErgün\ungsl)egriffe}^ auf, diurch welche die yyWidersprüehe*' (s. d.) der formulen
Begriffe (Ding, Ich u. dgl.) beseitigt werden. „/« dmn Zusammen, also in den
Formen des Gegebenefiy icie sie dttreh Begriffe xunäehst gedacht werden, müsseti
Widersprüche stecken. Die Speculation wird diese Widersprüefw ergreifen und
i>ie loben, indeyn sie die Formen ergänxf, d. h. indem sie den durch die Er^
fahrung dargebotenen Begriffen diejenigen Begriffe hinxufOgt, icorauf dieselben
sich not trendig bexiehen"^ (Hauptp. d. Met. S. 14, 8).
Besieliiuigrsbeg^rilfe sind Begriffe, die Beziehungen, Belationen (s. d.)
zum Inhalte haben. Nach Dbobisch entstehen sie durch eine Svnthese dei
einzelnen Glieder, die einen Begriff construieren (Log. 4, S. 157). Nach WuNDT
haben die j,reinen Bexiehungs- oder Verstandesbegriffe^*^ Beziehungen des logisches
Denkens, die auf die Objecte des Denkens übertragen werden, zum Inhalte.
Sie sind nicht Gattimgsbegriffe, sondern entspringen „aus der gesonderten Auf
fassung gewisser Bexiehungen^ die unser Denken xicischen seinen Vorstell ungept
auffindet''^. Sie sind nicht apriorische Kategorien, sondern „die letxten Stufet^
Jener logischen Verarbeitung des Wahmehmungsinhaltes , die mit den ern-
^irischen Ein \ei begriffen begonnen haf^ (Log- I*» S- 103, 121, 461; Syst, d
PhU.«, S. 219, 225 ff., 228; Phü. Stud. II, KU ff., VII, 27 ff.). VgL Kate
frorien, Verstandesbegriffe, Relation.
Bezietaan^dispositionen entstehen durch Einübung wiederholt«
Beziehimgstätigkeit (Lipps, Gr. d. Seel. S. 84 f.).
\
Bralehiingsgefühle — Bildung. 155
BeBielilui£^0§^flillle entstehen, nach Höffdikg, aus dem Gegensatze
des Neuen, ungewohnten zum Alten, Bekannten (Psychol.*, S. 387 f.). Sie sind
nach A. Lehmann Grefühle, die „<m/ä etTiem Einklang oder einem Streit xitriscfien
Gtdanim über ein bestimmtes Object hervorgehen^^ „formelle Gefühl^'' (Grefühlsleb.
5^. 227).
BeslebimgSg^esetK, allgemeines, s. Webersches Gesetz.
Resielilliif^flf^esetse^ psychologische, sind eine Klasse der Grund-
«[esetze des psychischen Geschehens. Sie geben sich, nach Wündt, „vorxitgs-
veifp in den Processen zu erkennen, die der Entstehung und unmittelbaren
^trhsfhrirkttng der psychischen Gebilde xugrufide liegen*^ (Gr. d. Psych.*,
S.392). Drei allgemeine Beziehungsgesetze lassen sich unterscheiden: „die Öe-
^^e der psychischen Resultanten, Relationen und Contrasfe^^ (1. c. S. 393).
Jhi Geseix der psychischen Resultanten findet seiften Ausdruck in der
Tatsnche, daß jedes psychische Gebilde Eigenschaften xeigt, die xwar, nachdem
ii^ gegeben sind, aus deyi Eigenschaften seiner Elemente begriffen irerden können,
dif aber gleichtrohl keineswegs als die bloße Summe der Eigenschaften jener
Bnn^nte anzusehen sind^* (1. c. S. 393 f.). In diesem Gesetz kommt das
.ßrineip schöpferischer Synthese^^ (s. d.) zum Ausdruck (1. c. S. 394). „Dc^
Oes^tx der psychischen Relationen bildet eine Ergänzung zu dem Gesetz
4rr Restiitanten, indem es sich nicht auf das Verhältnis der Bestandteile eifies
jiiyekiscli^n Zusammenhangs zu dem- in diesem zum Ausdruck kommenden
Weriinhalte, sondern auf das Verhältnis der einzelnen Bestandteile zueinander
hexieht. Wie das Gesetz der Residtanten für die synthetischen, so gilt daher
4as Gesetz der Relationen für, die afuilgtischen Vorgänge des Beieußtseins^^
(l c. 5?. 396). Es gelangt zu seinem vollkommensten Ausdruck in den Vor-
»n^nen der ^^pperceptiven Analyse" und den ihnen zugrunde liegenden Func-
tionen der Beziehung und der Vergleichung. „Bei den letzteren insbesondere
mreifii sich als der wesentliche Inhalt des Gesetzen der Relationen das Princip,
naß jeder einzelne psychische Inlialt seine Bedeutung empfängt durch die Be-
xifkungeft, in denen er zu anderen psychischeyi Inhalten stellt" (1. c. S. 397).
Jkts Gesetz der psychischen Contraste ist wieder eine Ergänzung zu de?»
<resrfx der Relationen. Denn es bezieht sich gleich diesem auf die Verhältnisse
pitffhiseßter Inhalte zueinander" Indem die Gefühle, Affecte, kurz die „sub-
jfffiven^' Erfahrungsinhalte sich nach Gegensätzen ordnen, „folgen diese Gegen-
*3/;^ xugleieh in ihrem Wechsel dem allgemeinen Gesetz der Contrast-
ffrntnr,kung" (1. c. S. 397 f.). Da alle psychischen Processe Grefühls- und
Willensvorgänge einschließen, so beherrscht dieses Gesetz auch die intellectuellen
Processe (PhU. Stud. X, S. 112 ff.; Vorles.», S. 334 ff.; Grdz. d. ph. Psych.
\\\ S. 490 ff.; Syst. d. Phil.«, S. 596 ff.; Log. II», 2, S. 285). Das Contrast-
princip bewährt sich auch im geschichtlichen Leben als „Entwicklutig in Gegen-
mtxefi" (8. d.).
BIldeMde Kraft s. Plastische Natur.
BIldHnip hieß früher so viel wie äußere Gestaltimg, seit Just US Moser
und Goethe bedeutet das Wort besonders die geistige Kultur (vgl. Eucken,
TerminoL 8. 168). Nach Lazarus b^teht die Bildung eines Volkes in der
^^amme seines gesamten geistigen Lebens, seiner Bestrebungen in Kunst imd
NVissenschaft, seiner Sitten und Gebräuche (Leb. d. Seele I*, 6 f.). Die in-
dividuelle intellectuelle Bildung „bestellt in der Atieignung desjenigen geistigen
156 Bildung — Biologie.
Inhalts, welcher die Oesamtheü des geistigen Lebens der Menschheit und ihrer
Interessen ausmacht" (1. c. S. 30). PAUL8EN definiert: ^yBüdung ist die xu
vollendeter EhUtüicMung gelangte Gestalt des inneren Menschen. Sie erscheint in
der durch Unterricht und Übung envorbenen Fähigkeit zur lebendigen Teihiahme
an detn geistigen Leben xtmächst eines Volkes^ xuhöchst der Menschheit^^ (Syst
d. Eth. I", 64). P. Volkmann; ,^ldung ist die Fähigkeit, aus dem an twd
für sich toten Wissensstoff Werke des Lebens und des (feistes gestalten xu
können'' (Erk. Gr. d. Nat S. 16 f.). Vgl. Pflaum, Was ist Bildung? Zeitschr.
f. Philos. u. Pädagog. 1899.
Bildnnfirstrieb („nisus formaiivus'') ist nach Blümenbach die auf
Gestaltung und Ausbildung des Organismus und seiner Organe gerichtete
innere Tendenz der organisierten Materie. Er besteht aus dem „nisus gene-
rativus'' und der Beproductionskraft (Üb. d. Bildungstr. 1791, S. 92). Nach
Goethe liegt im Bildungstrieb „rfie Fntekchie, die nichts aufnimmt , ohne sich's
durch eigene Zutat xuxueignen'' (WW. XIX, 81). Er ist die Idee als ein
Wirkendes. Nach Heoel ist der ,yBildungstrieb" ,,ein Sich-selbst-sich-äußerlich'
machen, aber als Einbildung der Form des Organismus in die Außen4celtr\ er
ist ,,Kunsttrid>'' (Naturph. S. 635). Einen „eingeborenen Bildungstrieb'' der
Seele nimmt Heinroth an (Psychol. S. 64). Beinke spricht von einem
BildungstTieb als innerem Zwang zur Gestaltung, der mit Sicherheit wirkt
(EinL in d. theor. Biol. S. 194). Vgl. Lebenskraft, Vitalismus, Dominanten.
Blllii;e9 das (to iTiieixe'gjj ist das Gerechte, das der vemönftigen Ein-
sicht in die Besonderheit eines Falles entspringt und das Gesetzesrecht ergänzt,
nach Aristoteles ein inavoQd'tofia vo/tufiov Bixaiov, inavo^d'tofia vouov i?
ikkeinu Sid TO xad-oXav (Eth. Nie. V).
BilUg^ung; ist ein Gutheißen, Anerkennen, Bechtfinden, ein als gut,
wertvoll Beurteilen, die Zustimmung seitens des sittlichen Willens zu einer
Handlung infolge des Wohlgefallens an derselben. Das Gegent-eü heißt Miß-
billigung, Verwerfung. Von einem „BüHgwngsvermögen" spricht Mendels-
sohn (Br. üb. d. Empfind.). Wentscher erklärt die Billigimg und I^üß-
billigung fremder Handlungen aus dem Hineinversetzen des eigenen in das
fremde Ich (Eth. I, 43). Nach A. Lehmann ist Billigung „Lust an der Über-
einstimmung, jMißbilligung* Unlust an der Nicht- Übereinstimmung einzelner
Handlungen mit dem idealen Handeln" (Gefühlsleb. S. 354). Vgl. Sittlichkeit.
Biog^enetisclies Ornndgreisetz : Die Ontogenese (Entwicklung des
Individuums) ist eine (abgekürzte imd modificierte) Wiederholung der Phylo-
j^enese (Entwicklung des Stammes, der Gattung): E. Haeckel (Gen. MorphoL
1866). Vorher schon angedeutet bei Erasmus Darwin, dann bei L. Oken:
„Es ist . . . kein Zweifel, daß hier eine auffallende Ähnlichkeit besteht, tcelche
die Idee reMfertigt, daß die Entwicklungsgeschichte im Ei nicliis anderes sei als
eine Wiederholung der Schöpfufigsgeschichfe der Tierklassen"' (Allg. Naturgesch.
S. 468 f.). Auch bei Fritz Müller (Für Darwin 1864). Von verschiedenen
Philosophen wird die Geltimg des biogenetischen (Tnindgesetzes auch in der
Psychologie angenommen (z. B. Sülly, Handb. d. Psychol. S. 49).
Biologie: Wissenschaft vom Leben, dessen Formen, Processen, Kräften,
Entwicklung. Die theoretische Biologie hat, nach Reinke, „die doppelte Auf-
gabe, die Lebetisersclieinungen in Element arprocesse aufxulösen, dann aber auch
Biologie — Böse. 157
dm Zusammenhang dieser Processe untereinander und mü den allgemeinen
Xaturprincipien , unter denen das Energieprindp obenan steht, festxustellen^^
«EmL in d. theor. BioL S. 86). VgL Darwinismus, Evolution, Lebenskraft,
Dominanten, Vitalismus u. dgL
BiolOfi^isclie Erkenntnistheorie, Psychologie, Sociologie s. die betr.
Teraiini.
Blomten nennt H. Wolff die Elemente des Seins als einfache Lebens-
cernren {Kacfios II). Die Lehre von den Bionten heißt y^Biontologi^^ .
BMekflftclie und Blickpunkt des Bewußtseins sind übertragene Aus-
drücke. Chr. Wolf: ,yCampum pereepHmim dico multiiudinem perceptionum
tmulfanearum^' (Pöych. rat. § 259). Baumgahtek spricht von einem „eampus
darftafis^* (Met. § 514), einer ,^haera et punetum sensationis" (1. c. § 537),
Platner vom „Otsichtskreis" der Seele (Phil. Aph. § 490), Fortlagb vom
JTdd des Bewußtseins^^, „Feld der Aufmerksamkeit^^ „Foeus der Aufmerksamkeit^*
iPöych- § 12). Gegenwärtig gebraucht die Ausdrücke besonders Wundt (s.
Aufmerksamkeit).
BocArdo ist der fünfte Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
besonders verneinend (o), Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung besonders
verneinend (o).
B5se ist das Gegenteil des Guten (s. d.), der Gegensatz dazu, sofern er
ik solcher bewußt wird; jede Handlung, die dem sittlichen WUlen zuwider ist;
iUes zwecklos und willentlich Zerstörerische, Negative, brutal Gewalttätige,
unser Fühlen absichtlich Verletzende; alles, was der Lust am Schlechten, Ver-
verflichen. Grausamen entspringt
Das Böse wird zuweilen als ein dämonisches Princip dem göttlichen, guten
Gaste entgegengesetzt, so im Typhon der Ägypter, im Ahrimän des Parsismus,
im Satan des späteren Judentums und noch mehr des Christentums. Als
selbständiges Princip wird das Böse auch von den Manichäern (s. d.) auf-
Xaeh Aktisthenes ist das Böse ein dem menschlichen Wesen Fremdes
(iwixör, dUor^iov, Diog. L. VI, 12, Plat., Conviv. 205 C). Plato leitet das
Böse aus der Natur des Körperlichen, aus der Unbestimmtheit, Unordnung des
3Cateriellen, noch nicht Geformten, ab (Tim. 68 E), auch aus der „bösen Welt-
»ir' »Leg. 896 E). Das Böse ist imgöttlich, widerstrebt dem Ordnungsprincip
flheaet. 776 A; Polit. 269 D; Tim. 47 E); die gute Gottheit kann des Bösen
Trheber nicht sein (Rep. II, 379 C). Die Stoiker setzen das Böse nur in die
Tfüe des Alls, nicht in den Kosmos selbst (releav fiev 6 x6c/ioe cSfid i<nw, ol
tof« $i Ta Tov xocfiov fU^, Plut. de Stoic. rep. 44, 6). Durch das Böse
^ommt erst das Gute zur Geltung (1. c. 36, 1). Jenes ist nur ein Mittel zur
Beförderung des Guten (Kleanthes, Hymn. v. 18 f.). Nach Philo geht das
Böge aus der Verbindung der Seele mit der unreinen Materie (s. d.) hervor, die
isch Plotin selbst schon etwas Böses {xanov) ist Das Böse ist nicht im
^€nden, es stammt aus der „(üten Natur**, der Materie (Eon, I, 8, 3, I, 7).
^ Anfang des Bösen der Seele ist das Vergessen der göttlichen Herkunft,
dag Verlangen, sich selbst anzugehören (Enn. V, 1, ähnlich schon Anaximakdeb ;
*• Apeiron). Plutabch betrachtet das Böse als eine dem Guten entgegen-
wirkende Kraft (De Isid. 46 squ.), die aus der „bösen Weltseele" (s. d.) stammt
' «
158 Böse.
(De an. proer. 3). Die Gnostiker verlegen das Böse wiederum in die Materie
(vgl. Habnagk, Dogm. I», 246).
Nach Bo£thiu8 hat das Böse keine positive Wirksamkeit und Wirklichkeit,
es veranlaßt indirect das Gute (De cons. phiL lY). Auch nach Clemens
Alexais^dbinus ist es keine Wesenheit, ist nicht von Gott geschaffen (Strom.
IV, 13). Es ist nach Okigenes eine ,^Ber(mbung^^ (privaüo) des wahren, guten
Seins, ein Negatives (De princ. I, 109), eine Notwendigkeit für die Ver-
wirklichung des Guten (Contr. Cels. VI, 53). AxTGUSTnnJS sieht im Bösen die
Folge einer verkehrten Willensrichtung, eines Abfalles von Gott (Enchir. 23);
es ist nur Beraubung, Mangel (amissio) des Guten, hat nur relatives Sein (De
civ. Dei XI, 22). Dionysiub Areopagita und Joh. Sootus Ertugena
nennen das Böse ein „irmatural€f\ j^incauscUe^^ (De div. nat IV, 16). Letzterer
bemerkt: jjNon ergo in natura hutnafm planiatum est f/ialunij sed in percerso
et irrationabili motu rationainlis liberaeque voluntatis est eonstituium*^* (1. c.
IV, 16). Nach Alexander von Haleh ist das Böse ,^ivatio boni" (Sum.
th. I, 18, 9), so auch nach Albebtub Magnus (Sum. th. I, 27, 1) und Thomas,
nach welchem Gott das Böse nur als Beförderer des Guten zugelassen hat
(Sent. 32).
Nach J. BÖHME ist das Böse die negativ-treibende, zum Leben anreizende
Kraft im All, der yjQegenwurf^^ des Guten, als ,^mfeuer^^ in Gott selbst ent-
halten (Aurora). Leibniz leitet das Böse aus der Beschränktheit der endlichen
Wesen ab; es dient nur der Vollkommenheit des Ganzen, da nichts von allem
Möglichen fehlen darf. Gott läßt das Böse zu, weil sonst vieles Gute vw-
hindert würde (Theod. II, Anh. IV, § 34). Nach Chr. Wolp ist böse, ,,wa9
uns und unsern Zustand unvollkommener maekt^* (Vem. Gred. I, § 425). Kant
nimmt ein ,,radicaies^^ (ursprüngliches) Böses an, einen Hang zum Bösen,
„welcher j da es nur als Bestimmung der freien Willkür möglich w/, diese aber
als gut oder böse nur durch ihre Maxime beurteilt iverden kann, in dem sub-
jectiven Grunde der Möglichkeit der Abteeichung der Maxitnen vom moraluKchen
Gesetze bestehen mufi^^ fRclig. S. 28). Mit dem Guten besteht das Böse ur-
sprünglich im Menschen, es ist ihm angeboren, in seiner Selbstliebe begründet,
entsteht durch eine „transcendentale Handltmg^\ ist unausrottbar und verdirbt
die reine Moralität des Menschen (1. c. S. 31). Es ist eine „angeborene SrhuUt*-
(1. c. S. 38). Es entstand, als der Mensch aus dem Stande der Unschuld in
den der Sünde geriet (1. c. S. 43; vgl. das Dogma von der „Erbsünde''), Das
Böse ist das, was vom vernünftigen Willen verabscheut werden muß, was dem
moralischen Gesetze entgegen ist (Kr. d. pr. Vem. I. T., 1. B., 2. Hptst.). Vc«
einem „ Urbösen^^ in der Seele spricht Heinroth (Psychol. S. 463). Ein radicales
Böses, d. h. den Egoismus, ninmit auch Eucken an (Kampf um e. geist.
Lebensinh. S. 223 f.). Schelling leitet das Böse aus einer vorzeitlichen
WiQenshandlung ab, es gehört zum Sein (WW. I, 7, 403), nachdem schon
Baader das Böse als in der „ewigen Natur in Gotf^ begründet angesehen
hatte; Volkelt nimmt etwas Ahnliches an (Asth. d. Trag.), über das Böse
handeln Heäbart (Gespräche üb. d. Böse 1818), Blasche (Das Böse im Ein-
klang mit d. Weltordn. 1827), H. Bitter (Üb. d. Böse 1869) u. a. — Xach
Hillebrand ist das Böse ,jder seiner bewtißte moralische Widerspruch*^^, Eb
ist ein dialektisches Moment in der Weltordnung, hat keine wesenhafte Wirk-
lichkeit (Phil. d. Geist. II, 128 f.). Fechner meint, das Böse entstehe wohl
in Gott, aber nicht durch seinen Willen (Zendav. I, 247). Nnr im „Gebiete der
Böse — C-Svsteim. 15»
EhudheUen'' taucht das fiöse (Übel) auf, das zugleich Quelle des Guten wird
1 c. I, 244 f.). Das Böse hat vermöge des Gegenstrebens in Gott ,^inen
Gipfel, Zusammenschluß und Abschluß^^ (Tagesans. 8. 48 ff.). LiPPS erklart:;
Jkts Böse ist ein Verhältnis xwischen der Stärke von Motiven. Es ist ein
Ubenriegefi con an sich guten oder berechtigten Motiven und ein Zurücktreten
wMkrer'' (Eth- Gnmdfr. S. 53). ,yNicht das Wollen des Menschen ist böse,
mMvkm sein Nicht wollen^^ (1. c. S. 55). Es ist das Böse, wie der Irrtum,
ein Negatives (ib.). Zwei Quellen des Bösen gibt es, „die Schwäche ron Mo-
iUen uml den Irrtum oder die THttsehung, vor allem die SelbsttäuscJnmg^'^ (1. c.
5?. 56), Pauubkn betont: „Was aber das sittlich Schlechte oder das Böse an-
hmftj so wird die Ethik es eonstruieren, wie die medicinische Diätetik Stömngen,
Stkträekeny Mißbildungen construiert; wie hier diese Vorkommnisse als Folge
Rw äußeren Hemmungen und Störungen angesehen werden, die der Tendenx der
Anlage xu normaler Entwicklung xuwider waren, so wird die Ethik das Schlechte
und Böse nicht auf den eigentlichen Willen des Wesens selbst . . ., sondern auf
Hugiinstige Entwicklungsbedipigungen xuriickführen, unter denen die Anlage rer-
kümmerte und Mißbildungen erlitP^ (Einl. in d. Phil.*, S. 435). Nur im Kampfe
mit dem Bösen kann auf Erden das Gute Kraft gewinnen. Das Böse ist um
de« Guten willen da, als Reiz, Widerstand, Folie; es ist an sich ein Nichtiges,
Xegatives (Syst d. Eth. P, 306 ff.). Der Utilitarismus bestinmit das Böse
Schlechte) als das, was die (sociale) Wohlfahrt bewußt schädigt. Nach
Nietzsche entsteht der Begriff „6ö«c" aus dem „Ressentiment^* der Schwachen
pg«i den Maehtwillen der „Herren** (Jens, von Gut u. Böse*, S. 228 ff.).
Vgl Gut, Übel, Theodicee.
Bnlliniaii: das schöpferische, erhaltende Princip, das Absolute, das
Weltwesen (Veden) (vgl. Deüssen, Allg. Gesch. d. Philos. I 1, S. 242, 261).
BMddliliUDlls: die Lehre Buddhas (des „Wissenden, Erleuchteten"),
Principien: Einheit des Alls, Nichtigkeit und ünwirklichkeit des individuellen
Daseins, der Au^nwelt („Scldeier der Maja*'), Wiedergeburt, Seelenläuterung,.
Askese, Mitleidsmoral, Nirvana (s. d.).
Bvrldans Esel s. Willensfreiheit.
C = (scholastisches) Symbol für die logische Conversion (s. d.), auch für
die Umkehrung ins Gegenteil („conversio syllogismi**}, die „ductio jjcr con-
trqdietoriam propositionem sive per impossibile** . Vgl. CJonversion.
C-System. Unter dem „System C** verstdit R. Avenarius die Einheit
tller Bedingungen, von denen die menschlichen Erlebnisse „abhängig** sind.
Die in diesem System sich abspielenden Processe sind biologischer Art, bestehen
tUgemein in „Ernährung** und „Arbeit**, Es ist ein System, „welcfies die ron
*r Peripherie ausgehenden Änderungen in sich samjuelt und die an die Perl-
fkerie abxugebenden Änderungen verteilt**. Von den „Änderungen** dieses (im
Omfihim zu denkenden Systems) sind sMe „Aussagen** („E-Werte**, Vorstellimgen,
Urteile, Erkenntnisse) abhangig (Kr. d. rein. Erf. I, S. 33 ff.). Die volle „Er-
kaltung** des Systems C heißt das „vitale Erhaltungsmaximum**, die „Schwan-
kungen** (8. d.) desselben bestehen in Verminderung oder Behauptimg des Maxi-
160 C-System — Cardinalwert.
mums (L c. S. 60 ff.)- Durch die „Congregation^'^ mehrerer Individuen ent-
stehen ,jSy8t€7?ie C höherer Ordnung^\ „CongregaUysteme'* (-TC) (L c. S. 153 ff.).
Vgl. Principialcoordination, Vitaldifferenz.
CaleulHS plillosoplilCHS s. Logik, Algorithmus.
Calemes ist der zweite Modus der vierten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
-allgemein bejahend (a), Untersatz und Folgerung allgemein verneinend (e).
Calvus {fpaXaxQos, Kahlkopf), Name eines Fangschlusses des Eubulides,
■analog dem Sorites (s. d.).
Camestres ist der zweite Modus der zweiten Schlußfigur (s. d.): Ober-
satz allgemein bejahend (a), Untersatz und Folgerung allgemein verneinend, (e).
Capacit&t: Aufnahmefähigkeit (z. B. „Bewegungscapaeität^^ in der mo-
dernen Energetik). Nach QcOCLES ist „eapcufitas" fypotentia reeipiendt cUiquid,
lä eap. materi<ie^^ (Lex. phil. p. 353). Vgl. Energie.
Card inalpnnkt nennt Fechner den Punkt, wo das relative Maximum
der Empfindung eintritt. Cardinalwert des Reizes ist der Beizwert, bei dem
jenes eintritt (Elem. d. Psychoph. II, 49). Beim Cardinalwert der Empfindung
wächst die Empfindung der Beizstärke proportional (Külpe, Gr. d. Psych.
S. 256).
Cardlnaltugrendeii heißen jene Tugenden (s. d.), die zuhöchst gewertet
und als Grundlagen aller anderen Tugenden betrachtet werden. Plato unter-
scheidet ihrer vier, die in Beziehung zu den Seelenteilen und deren Einheit
stehen: Weisheit {aotpia) = Tugend des erkennenden Seelenteiles, Tapferkeit
{avS^sia) = Tugend des „mutigen" Seelenteiles, Maßhalten oder Besonnenheit
{aaxpQoavvrj) und Gerechtigkeit {dixaioavvrj); daneben wird auch die Frömmig-
keit (o<r«oTJ7ff, Protag.) erwähnt. Im Staate sind diese Tugenden in den ver-
schiedenen Ständen der Herrscher, Krieger, Handwerker, (Gewerbetreibenden
vertreten (Rep. IV 10, 433). Akistoteles gibt eine ausführliche Gliederung
der Tugenden (s. d.). Die Stoiker erblicken in der Einsicht (f^o^^ffiris) die
Haupttugend (Stob. Ecl. II, 6, 102 ff.; Plut., De Stoic. rep. 7); so auch die
Epikureer (Diog. L. X, 132). Die christlichen Cardinaltugenden sind
Glaube, Liebe, Hoffnung (Ambrosiüs). Albertus Magnus verbindet sie (als
„pirttUes infusaä*) mit den „virttäes acquisitae^\ deren wichtigste „pmdentia^',
,jitisittia^\ ,/ortitiido^\ „tempercuntid' sind (Sum. th. II, 103, 1). Thomas: y^Vir-
tus aJiqua didtur carduialis, quasi principcUiSy quia super eam ali<te virtutes
firmaniur, sieut otium in eardine>^ (De virt. 1, 12 ad 24). Als Cardinaltugenden
nennt er Emsicht, Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Seelengröße (Sum. th. II, 61, 2).
Telesius nennt als solche ,jSapientia" j^ollertia", „fortihulo", „bemgmtas^\
Gexjlincx definiert die Cardinaltugenden als „proprietates virttäis^ quae praxime
(X immediaie ab illa dimanant et ad nullam exlernam circunistantiam spedaiim
referufiiur^^ (Eth. I, 2, § 3), „tales virtutes, quae neeessario coneummt ad omne
viriutis exercitium" (Eth. annot. p. 153). Sie sind „fUiae virtuHs" (Eth. § 3),
heißen: „diligentia", „oboedientia", „it^titia", jjhumilitas" (Demut, die Haupt-
tugend, 1. c. p. 7). Nach SCHLEIEBMAGHER sind die Cardinaltugenden: Weis-
heit, Besonnenheit, Liebe, Beharrlichkeit (Syst. d. Sittenl. § 296); nach Natoäp:
Wahrheit, sittliche Stärke, Tapferkeit, Reinheit, Gerechtigkeit.
Cardinalwert s. Cardinalpunkt.
Cartasiaiiinniu — Causa cansae est etiam causa causatL 161
C^artesianteiiiiiss die Lehre des Cabtbsiüs (Descartes). Principien
desselben: Selbstgewißheit des Ichbewußtseins (s. cogito), Klarheit und Deutlich-
keit als Kriterium der Wahrheit (s. d.), Materie (s. d.) als Baiunerfüllung,
Duahsmus (s. d.), Corpusculartheorie (s. d.), methodischer Zweifel (s. d.), Ratio-
nalismus (S.d.), Wertschätzung der ^lathematik. Die bekannteren Cartesianer
sind: Rexebits, Regiüs, Raey, Heebebobd, Hetoanus, Claude de Cleb-
SELIER, Abxauld, Nicole, Fenelon, Beekeb, Chb. Stubm, Antoine Le
Grand, CiArBEBG, Oobdemoy, viele Oratorianer imd Jansenisten, teilweise
Mersenne, Pascal, Poibet. Gegner: besonders Hobbes, Gassendi (vgl.
Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. PhiL III», 98 ff.).
CasMaltemHss die Ansicht, daß die Welt ein Werk des Zufalls
<8. d.) sei.
CasotetÜL heißt der Teil der Moralwissenschaft, der von den Conflicten
iwi^chen verschiedenen Pflichten oder Handlungsweisen (casus) handelt. Findet
ach schon bei den Stoikern (Cicebo, De offic. I, 2, 7 ff.), dann bei Scho-
lagtikern, Jesuiten. Vgl. Pflicht.
Catasyll€»sftsntV8: Gegenbeweis (Joh. von Salisbüby, vgL Pbantl,
G€9ch- d. Log. II, 257).
CaHfiMis Ursache (s. d.). „Causa aetiva (agens)*^: tätige Ursache. „(7.
tdaequata^*: entsprechend^ Ursache. „C. cognoscendi^^ : Erkenntnisgrimd. „C.
wjtoraiis^^- physische Ursache. „C. ereairia^^: schöpferische Ursache. „C de-
fieiens (defectiva)^^ : negative Ursache. „C directa" : unmittelbare Ursache.
S. efßtiens (effeetiva/^- wirkende Ursache (tvoiovv alktov bei Abistoteles).
„C. essefidi und fietidi^^: Seinsgrund, Ursache des Werdens. „C. eoctrinseca und
intrirueca** : äußere, innere Ursache. „C finalis^^: Zweckursache (ov ivsxa bei
Aristoteleb). „C formalus'^: gestaltende Ursache. „(7. iimnanens und tratut-
»flw"; immanente und (auf ein anderes) tibergehende Ursache. „C. influens*^ :
anfließende Ursache. „C. tnstrumentalis" : Mittelursache. „C. maierialü^^:
URächlichkeit des Dinges, auf das eingewirkt wird. „C. moveris (motiva)^^:
bewegende Ursache. „C oceasionalü*' : (xelegenheitsursache. „(7. per aceidens
wirf per 8&*: accidentielle (s. d.) Ursache und Ursache durch sich selbst (Al-
M5RTÜ8 Maoitus, Sum. th. I, 55, 1; Thomas, Sum. th. I, 77, 3). „C. prifi-
»paiW: Grundursache = „(7. primordialis , prima^^ {n^torri airia: Plato,
Aristoteles). ,,Cau8a primu est, cuüis »ubstantia et actio est in momento
oitemii^Miis et non temparis" (Albebtus MAGNUS, Sum. th. I, 32, 1). Thomas:
Sau$a prima causai operationem e^usae secundae secundum modum ipsius^^
«Contr. gent III, 148). Gegensatz zu C. prima = „C. secunda^'; secundäre,
tbfeldtete Ursache (vgl. Albebtüb Maokus, Simi. th. I, 26, 2; Baumgabten,
Met § 317). „(7. privans^*: beraubende, ein Nichtsein setzende Ursache. „(7.
prarima und remota^*: nächste und entfernte Ursache. „Per causam remotam
fa'mi inielligimus, qtiae cum effeciu nullo modo coniu/ncta est^^ (Spinoza, Eth.
I, prop. XXVIII, dem.). „C. sim qua non": unbedingte Ursache. „C. soeia
If9ntmunis/* : gemeinsame Ursache. „C. solitaria (propria)" (Chb. Wolf, Ontol.
18^*). „(7. suffidens": zureichender Grund. (Chb. Wolf: „sufficiens — quac
feinet raiionem sufßeientem effeeius alicuias dati^j Ontol. § 897). „C. vera^\'
Tthrhafte Ursache (Newton). Vgl. Causa sui.
Ca«aa causae est etiam causa causati: Die Ursache einer Ursache
PUlotophitoh«! WörUrbvoh. t. Aufl. 11
162 Causa causae est etiam causa caiisati — Causalitat.
ist auch die Ursache der Wirkung dieser. Schon bei Alanüs ab insülis
(Stöckl I, 412). Auch bei Chr. Wolf (Ontol. § 928).
Causa cessante cessat eff ectus: mit der Aufhebung der Ursache ver-
schwindet die Wirkung. Ein scholastischer Satz (Thomas, Sum. th. I, 96, 3,
ob. 3), durch Galileis Begriff der „2m> itiertiae^^ (Opp. II, 577) widerlegt.
CaHsa est potior causato: Die Ursache ist vornehmer, hat mehr Seins-
w^ert als die Wirkmig. Ein scholastischer Satz (Thomas, Sum. th. I, 60, 4, ob. 2).
Causal (causalis, airtioSijs: Stoiker): von der Natur der Ursache, auf
die Causalitat (s. d.) bezüglich, wirkungsfähig, ursächlich. Gegenteil: incausaL
Caiif»albefinriff s- Causalitat.
Causalg^esetz s. Causalitat
CausalltHt (causalitas) : Wirkungsfähigkeit, ursächliche Beziehung. Ver-
hältnis von Ursache und Wirkung, Causalzusammenhang. Der Begriff der
Causalitat (Causalbegriff) ist ein allgemeiner, formaler B^riff (eine Kategorie^
R. d.), ein Grundbegriff des Denkens, der für alle Erfahrung notwendig ge^
braucht wird. Insofern er in der Gesetzmäßigkeit unseres Denkens begründet
ist, gemäß der wir keine Einheit, keinen Zusammenhang, keine objective Ord-
nung in imseren Vorstellimgen herstellen, finden können ohne Auffassung eines
Geschehens als „Abhängige" j als Folge, Wirkimg, Bedingtes, Venireachtes eines
andern, insofern also solcherart erst Erfahnmg (s. d.) möglich ist, ist die Kate-
gorie der Causalitat a priori (s. d.). Aber ohne eine Grundlage in der Er-
fahnmg kommt sie niemals zur Anwendimg, sie ist durch die Erfahrungstat-
sachen motiviert, hat also ein empirisches Fundament. Was im einzelnen
Ursache oder Wirkung ist, kann nur auf Grundlage der Erfahnmg bestimmt
werden, aber der Grundsatz: Kein Vorgang ohne zureichenden Grund, ohne
bestimmte Ui*sache ( — das Caiisalgesetz — ), ist nicht rein empirisch, sondern
t^ntspringt einem Postulat (s. d.) unseres Denkens, in letzter Linie des denkenden
Ich, das zugleich wollendes Ich ist und in seinem inneren, unmittelbaren Er-
leben sich selbst als causierend, als wirkend mid wirkungsfähig vorfindet, um
dann, veranlaßt durch die äußere Erfahnmg, das Causalverhältnis (analog seinem
eigenen) auch in dieser zu setzen. Anfangs wird die Ursächlichkeit ganz nach
Art der eigenen Willenswirksamkeit aufgefaßt (infolge Assimilation und In-
trojection, s. d.), später treten abstractere Relationen von quantitativer Bestimmt-
heit an die Stelle innerer Kräfte. Gedacht, gemeint wird die Causalitat, obgleich
sie vom Denken gesetzt wird, also subjectiven Ursprung hat, als objective Ver-
knüpfimg, transcendentes (s. d.) Wirken. Etwas als causierend auffassen heißt
schon, (^ als ein dem eigenen Ich Analoges, Gleichwertiges, Selbständiges, von
uns Unabhängiges deuten. — Zu unterscheiden sind physische und psychische
(psychologische) Causalitat (s. Wundt).
Betreffs des Ursprungs des Causalbegiiffs bestehen folgende Ansichten:
Der Rationalismus leitet ihn aus der Vernunft ab, der Empirismus aiu? der
Erfahrung und Induction, der Psychologismus eines Hume aus Gewohnheit
imd subjectivem Glauben, der Apriorismus betrachtet ihn als ursprimglich, un-
abhängig von aller Erfahnmg gültig, der Kriticismus im weiteren Siiuie erklärt
ihn aus der denkenden Verarbeitung der Erfahrungstatsachen, nach einigen
stammt er aus der inneren Erfahrung imd wird auf die äußere Erfahrung über-
tragen, die biologische Erkenntnistheorie erklärt ihn nach ihrer Art. Was die
CausaUtat. 163
Geltung dieses Begriffs betrifft, so wird ihm vom Bealismus objcctive, transcen*
deote, vom Idealismus subjective, erkemitnisimmanente Bedeutung zugeschrieben.
Zunächst wird der Causalbegriff dogmatisch (s. d.) verwendet imd bestinmit.
Daß der Causalitat der Dinge in letzter Linie etwas Geistiges zugrunde liegt,
meinen Empedokles (s. Kraft), Anaxagoras (s. Geist), Heraklit (s. Logos).
Nach ihm beruht alles Geschehen auf vernünftiger Notwendigkeit {ndvra Si
K«^* eifia^fiitnjvj Stob. Ecl. I, 5, 178). Auch Pythagoras betont die in allem
herrschende Notwendigkeit. Demokrit spricht zum erstenmal das Causalgesetz
ans: nichts geschieht von ungefähr, sondern alles aus einem notAvendigen
Grunde (ovSiv X^f^ fidrrjv yiyverai, akXa Ttavra dx koyov re xai vJt dvdyxijgj
Stob. Ecl. I, 4, 160). PlJLTO unterscheidet zwei Arten von Ursachen: airiai
x^toxai (die Ideen, s. d.), die vernünftig wirkenden Gründe, und ahiai SevTsqai
oder iwairuit (Mitursachen), die im Materiellen liegen, gezwungen, blind, ver-
nunftloe wirken, aber von der Vernunft geleitet werden können (Tim. 46 C — E,
ö6 C, 69 A). Alles Gewordene hat eine Ursache: dvayxaXov slvai ndvra rd
ytyro/ieva 8ia tiva aixiav yiyvBa^ai (Phileb. 26 E). ARISTOTELES versteht unter
Uraaehe (Grund, «mov, ahia) besonders das, wovon die Veränderung sich her-
leitet {o^ev J7 d^x^ ''^V^ fUTaßoXfjß)^ femer das „Wesw€gen^^\ (ot> ivsxd) der
Veränderung (Met. V 2, 1013a 29 squ.), auch das „Woraus'' {ii ov); der Stoff
-TÄi;), die Form (elSos), der Grund {^oyog) gehören zu den Ursachen (Met. V 2,
1U13 a 24 gqu.). Er faßt auch bewegende, Zweck- und formale Ursachen in eins
zusaomien und stellt sie dem Stoffprincipe gegenüber (Phys. II 6, 198a 24 squ.).
Es gibt absolute und bloß beziehentliche (zufällige, accidentielle) L^rsachen
u«^ ffvTo, xard ovfißeßi]x6sj Met XI 8, l(X)5a 29). Erstere sind bestimmt
itMiOfuvopjj letztere unbestimmt {do^taTov)^ entziehen sich der Erkenntnis
(Phvs. II 5, 196 b 28; Met. XI, 8, 1065 a 7, VI 2, lC^7a 7 squ.), liegen in der
Materie (1. c. VI 2, 1027a 13). Die Stoiker betonen den strengen Causal-
zQsammenhang der Dinge, die slfiaQfiivTj^ die davon herstammt, daß eine Kraft
ils Vernunft ()^yos) imd Vorsehung (ngovoid) im All waltet; aller Zufall ist nur
^heinbar (Plut., De fato 11, 574; 7, 572). Die Ur kraft (nvevfia, s. d.) gestaltet
den Stoff, indem sie ihn diu*chdringt als das allein Tätige, Wirkende {rb fjuev
oir stdaxov elrat tijv dnoiov ovaiav rrjv vA.t]v, t6 Se Ttoiovv rov iv avrfi Xoyov
TW' ^eot^, Diog. L. VII, 134). Die göttliche Weltkraft wirkt als Einheit der
Vemunftkeime {koyot ansQfiaTixol , Diog. L. VII, 148). Das Schicksal hält
alles in fester Ordmmg zusammen (Diog. L. VII, 149). yyCausa autetti, id est
ralioy mnteriam format et quoennque vidt versa fj ex iUa varia opera prodiwit;
fftw ergo debet, unde aliquid fiatj deifide a quo fiaf' (Seneca, Ep. ()."), 2).
CttRYSiPP unterscheidet (nach Cicero, De fato 41) einen Teil der Ursachen als
jperfectae et principales'' von den „eausae adjuvantes et jn-oxhnae''. Epikur
erklärt, aus nichts werde nichts {ovSev yiverai, ix rov ftrj ovzog), denn sonst
könnte aus allem alles werden (Ttdv ya^ ix navxos iyivBri dv, Diog. L. X, 38).
Ohne irgend welches göttliches Eingreifen (XeirovQyovvroe rtvoe, Diog. L. X, 76)
hat ein Vorgang einen andern notwendig zur Folge. Aber nur Körperliches
ist wirksam, weil alles Wirksame körperlich ist (1. c. 67). Nur ursprünglich
weichen die Atome (s. d.) von der strengen Causalordnung ab. Lucrez betont
zleichfalls, „nullam rem e nilo gigni'% jjnam si de nilo fiereritj ex omnibus rebus
fmne genus naset passet^' (De rer. nat. I, 150, 159 f.). Die Skeptiker hegen
Bedenken gegen die Geltung des Causalbegriff s. „Ursache^' ist ein Relations-
begriff, bezieht sieh notwendig auf Wirkung; da aber das Relative nur im
11*
164 CausaUtät.
Denken besteht (intvosXrat fiovov), so hat die Ursache kerne Existenz {ovx
vndgx^h Sext. Empir. adv. Math. IX, 207 f.). Femer kann die Ursache weder
gleichzeitig mit der Wirkung sein, da sonst kein Erzeugungsverhältnis bestände;
noch kann sie ihr vorangehen, weil ohne die Wirkung nichts „Ursaeke'* ist;
noch nachfolgen, denn das ist unsinnig. Ursache und Wirkung setzen ein-
ander gegenseitig voraus, jede Oausalerklarung führt zu einer DiaUele (s. d.).
Auch kann Gleichartiges weder auf Gleichartiges, noch auf Ungleichartiges
wirken (1. c. IX, 241 ; Pyrrh. hyp. III, 3 ; Diog. L. IX, 98 f.). Plotin führt
die Causalität auf das Wirken der Xoyot ansQ/taxixoi {voe^ai BwdfiBn,), der ver-
nünftigen Kräfte (yjBegriffe^^' „Gründe") j in den Dingen zurück (Enn. III, 2).
Alles Endliehe hat seine Ursache, es gibt kein Ursachloses (Enn. III, 1). Die
natürlichen (empirischen) Ursachen müssen zimächst aufgesucht werden (ib.).
Die Scholastiker unterscheiden verschiedenartige Ursachen (s. causa),
legen ihnen innere Kräfte, ,,verborgene Qualitäten", .^substantielle Formen" (s. d.),
zugrunde und betonen, daß Gott der Urgrund, die Seinsursache sei. So auch
die Motakallimün imd Ayerro£S: „Inicllectus divinus est causa remni . . .
et prifwipium in omnibus et ubique eausans est" (bei Albertus Magnus, Sum-
th. I, 60, 4). Thomas betont (wie Augustinus), die Ursächlichkeit bestehe
nicht im Überführen einer Qualität von einem Dinge zum andern, sondern in
der yerwirklichung einer Möglichkeit (im Sinne des Aristoteles). „Agens
naturale non est traducens propriam formam in aüerum sulneettmi, sed reducens
subiectum quod paiitur de potentia in actum" (De pot. 3, 13). In gewisser
Weise strebt jedes Wirksame „suam similitudinem in effectum inducere, seam-
dum quod effectum capere polest" (CJontr. gent. II, 45). Grott ist der letzte Grund
der Dinge, nur durch ihn vermögen sie zu wirken. y,Deus est causa rei non
solum ad formam, sed etiam qtumtum ad mcUeriam, quae est principiufn in-
dividuattonis" (Sent. II, dist. III, 2, 3). „Deus tum solum dat rebus virtutem^
sed etiam ntUla res polest propria virtute agere, nisi agat in virtute ipsius"
(Contr. gent. III, 89).
Eckhart sieht in allem Geschehen einen Ausfluß göttlicher Wirksamkeit
NiooLAUS CusANUS vereinigt den Begriff der Naturcausalität mit dem
der göttlichen Wirksamkeit. Agrippa von Nettesheim erklärt: y^ulla . . .
est causa necessiUUis effectuum, quam rerum omnium conneado cum prima causa
et correspondetitia ad illa divina exemplaria et ideas aetemas" (Occ. philos. I, 1).
Paracelsus erkennt nur innere Ursachen an. Dagegen fassen Cardaistus,
Telesius, Campanella, Galilei u. a. die Causalität der Natur als eine
mechanische (s. d.) auf. So auch F. Baoon und besonders Hobbes. Nach
ihm „u^irkt^ ein Körper auf jenen Körper, in welchem er einen Zustand erzeugt
oder vernichtet (De corp. IX, 1). Die vollständige Ursache ist ein A^regat
aller Zustände (Accidentien) des Tätigen (1. c. 3). Mit der vollständigen Ur-
sache ist die Wirkung gegeben. Jede Wirkung setzt notwendig eine Ursache
voraus (1. c. 5). Desoartes rechnet das Causalgesetz („ex nihilo nihil fit")
zu den „ewigen Wahrheiten" (s. d.), d. h. zu den denknotwendigen Batzen, die
immer gelten (Princ. phil. I, 49). Alles Geschehen hat eine Ursache seiner
Existenz sowohl wie seiner Fortdauer (Besp. ad I. Obi.). Nicht die Zweck-,
sondern die bewegenden Ursachen sind wissenschaftlich zu suchen, yylta denique
ntdlas unquam rationes circa res naturales, a fine, quem Deus aut natura in
iis fadendis sibi proposuit, desumemi^ . . . Sed ipsum ut causam efficientem
rerum omnium cofisiderantes, videbimus, quidnam ex iis eius attributis^ quorum
Cansalitat. 165
mg nomwllam notUiafn voluü habere ^ circa illos eius effectus, qui sensilms
nasfyris apparent, lumen naturale, quod iiobis indidit, coneludendum esse
(jstemlat^ (Princ. phiL I, 28). Spinoza erblickt in Grott oder der „natura
naiwrans^^ den Urgrund alles Geschehens , aber derselbe ist den Dingen
ünnument, wirkt in ihnen als Substanz (s. d.). Aus Gott „folgt^^ (se-
(jiiitur) alles mit mathematisch-logischer Notwendigkeit, wie aus der Natur des
Dreiecks folgt, daß es zwei rechte Winkel hat (Eth. I, prop. XVI). Gott ist
„rottsa c/Tiricns", „causa per «c", „absolute causa prima'^ (Eth. I, prop. XVI).
JkuB est omnium rerum causa immanens, non vero transiens^* (1. c. prop. XVIII).
Innerhalb des AUs ist jedes Geschehen streng causal — ohne finale Ursachen
«s. Tdeologie) — bedingt, ein Modus (s. d.) der „Substanx^^ durch den andern.
..£r data causa determinata neeessarto sequitur effectus, et contra st nulla detur
determinaia causa, impos»ibüe est, vi effectus sequaiur*^ (Eth. I, ax. III, prop.
XXA^ni)- „Effectus cognitio a cognitione causae dependet et eandem inrolvif^
'L e. ax. IV). Nichts ist ohne Wirkung: „Nihil existit, ex ctdus natura aliquis
ffferius non sequatur"' (Eth. prop. XXXI). Sowohl für die Existenz als die
Xichiexistenz eines Dinges (Geschehens) muß ein Grund, eine Ursache bestimmt
werden. „Cuiuscunque rei assignari debet causa seu ratio, tarn cur existit, quam
cur non existit^ (L c. prop. XI, dem.). „Adäquate" Ursache („causa ad€iequata")
ist jene, „euius effectus potest clare et distinete per eandem percipi", „inadäquate"
'oder „partielle^*) Ursache jene, „euius effectu>s per ipsam solam intelligi nequit"
'Eth. m, def. I). Greistiges kann nicht auf Körperliches wirken, es besteht
hier nur ein Parallelismus (s. d.). Gott ist „causa sui" (s. d.), hat keinen Seins-
grond aufier sich, besteht in und durch sich. Auch Geuuncx (s. Occasionalis-
mos) und Malebbanche erkennen in Gott die wahre Ursache alles Geschehens.
Letzterer betont: „II y a nul rapport de causalite d'un corps ä un esprit.
Que dis-je! ü n*y en a aueun d'un esprit ä un corps. Je dis plus, il n'y en a
oüfun d'un eorps ä un corps, ni d' esprit ä un autre esprit" (Entret. sur la m^t
IV, 11). yJXeu, qui agit en fious" (Rech. II, 6). „// n'y a done qu'un seul
trai IHeu et qu'une seule cause, qui soit veritablement cause, et Von ne doit pas
f'ifnoffiner que ce qui precede un effet en soit la rerUahle caus&^ (Rech. VI, 2, 3).
Dis Einzelgeschehen ist nur Gelegenheit („occasio") für ein durch das Ganze
bestimmtes anderes. Leibniz führt das Causalprincip auf das Denkgesetz des
^Üatxes vom Örunde^^ (s. d.) zurück, welches dazu dient, Erfahrungstatsachen zu
begreifen. Nach diesem Gesetze geschieht nichts ohne zureichenden Grund
{.raison süffisante^'); das ist keines Beweises bedürftig (Monad. 32, 36; Theod.
I. § 44; 3. u. 5. Br. an Clarke). Aber die Causalität besteht nicht in einem
jHfluxus" eines Dinges auf andere, alle Wirksamkeit ist immanent, bleibt inner-
halb der Wesen, Monaden (s. d.). Aus der Einfachheit dieser folgt, daß die
natürlichen Veränderungen der Monaden von einem inneren Princip kommen
I Monad. 11). Jeder gegenwärtige Zustand einer Monade ist eine natürliche
Folge ilires vorhergehenden Zustandes (1. c. 22). Keine wahrhafte, directe
Wechselwirkung besteht zwischen den Dingen, sondern eine „prästabili^rte Har-
monik' («. d.), aus der eine bestimmte Ordnung, eine bestimmte Abhängigkeit
der Dinge voneinander sich ergibt, obgleich die Tätigkeit derselben in ihnen
verbleibt- „Uaciion entre substances crees ne consistant que cfans cetfe depen-
dnne^ que les unes ont des autres en suite de la Constitution originale, que Dieu
leur a dofifiee . . ." (Cierh. IV, 492). „Les efforts sont chex eiix et ne ront pa>s
des unes dans les autres, cor ce ne sont que des tendances" (1. c. S. 493). Es
166 CausaUtät.
gibt auch eine rein psychische Causalität in den Seelen : ^^Vänie est excitee aus
pensees suivantes par son ohjel intenie, e'est'ä-dtre par les pensies preeedent^s^^
(Gerh. III, 464). Nach Chk. Wolf ist Causalität , oratio illa in causa contenta,
cur caiisatum rel simplieifer existat vel tah existat" (Ont. § 884). Crusius
nennt Causalität ^.dasjenige Verhältnis xwischen Ä vnd B, da die WirJdiehkeit
B von der Wirklichkeit A abhanget, ohfie daß B nur mit A zugleich *>/ oder
darauf folget, und auch so, daß B kein Teil, determinierende oder inhäriere»tde
Eigenschaft von A sein darf^ (Vemunftwahrh. § 32).
Eine psychologische Erklärung des Causalb^riffes beginnt bei Locke, der
ihn auf die Wahrnehmung der Entstehung von Eigenschaften und Dingen durch
die Tätigkeit anderer Dinge zurückführt (Ees. II, eh. 26, § 1). Der Causal-
begriff ist ein Eelationsbegriff, der aus der Vergleichung mehrerer Dinge mit-
einander entspringt, wobei dasjenige, dem Tätigkeit und Kraft ^„pairer"y zu-
geschrieben wird, als Ursache gilt (1. c. § 2). Berkeley betont, daß den
Körpern (s. d.) als bloßen „Ideen" keine Wirksamkeit zukommt. Grott ist es,
der die regelmäßige Yerknüpfimg der Ereignisse herstellt (Princ. XXX). Wir
schreiben den Dingen dann Kraft und Tätigkeit zu, wenn wir bemerken, daß
auf gewisse Vorstellimgen beständig bestimmte andere Vorstellungen folgen und
wir zugleich wissen, daß dies nicht von unserem Tun herrührt (1. c. XXXJI).
Die vermeintlichen „Ursachen" sind aber nur Zeichen für das Auftreten be-
stinunter Zustände, die wü* erwarten müssen (1. c. LXV). Die einzige erkenn-
bare Ursache ist der Geist (s. d.). Condillac bemerkt: „Aprh les effets qu'on
voit, on juge des cauaes qu'on ne voit pas. Le mmweimeni dun eorps est un
effet: il y a dotu^ une cause. II est hors de dotäe que eeäe cause existe, quoigu
aucun de mes sens ne nie la fasse apercevoir, et je la nomme force^' (Log- I, 5).
Nach Bonnet führt die Beobachtung („Observation"), daß die Natur sich stetig
verändert, und daß jede Veränderung die unmittelbare Folge irgend welcher
vorangegangenen ist, zum Causalbegriff (Ej»s, de Psych. C. 16).
Daß aus der Wahrnehmung des regelmäßigen Zusammenvorkommens von
Zuständen nicht ohne weiteres auf einen Causalzusammenhang geschlossen werden
kann, betont Glanville. „All knoicledge of causes is dedtietire^ for we h^wtr
turne by simple iniuition, but through the mediation of their e/fects. So that tre
cannot conclude any thing to be the cause of anotfier but from its coniinual
accotnpanying it, for the causality itself is' insensible. But now to argue froni
a eoncomitaney to a causality is not infaüibly conclusive, yea in this way lies
notorious delusion" (Sceps. seien t. 23, p. 142). ^ Hume vollends erklärt, die Gültig-
keit des Causalprincips sei weder aus der Vernunft noch aus der objectiven
Erfahrung zu deducieren, sondern der Causalbegriff entstehe rein subjectiv-
psychologisch, durch die subjective Notwendigkeit der Ideenassociation. Das
Causalgesetz lautet : Whatever begins to exist, must have a cause of existetine^
(Treat. I, p. 380). Die Causalität liegt nicht in den Binnesimpressionen, sondern
beruht auf geistiger Verknüpfung von Vorstellungen (1. c. III, sct. 14). Die
regelmäßige, constante Verbindimg von Vorstellungen erzeugt in uns die Er-
wartung einer bestinunten Vorstellung beim Auftreten der einen, ein Gefühl
der Notwendigkeit, von einer zur andern überzugehen, einen subjectiven Glauben
(belief), der aus dem post hoc ein propter hoc macht, eine Notwendigkeit in
die Dinge hineinl^t, obgleich sie nur im Bewußtsein steckt (ib. und Inquin
IV, 1). So muß es sein, denn begrifflich, a priori, kann eine Wirkung aus der
Ursache nicht gefimden werden (Inqu. IV, 1, 11); die Erfahrung wiederum
CauaaUtät. 167
«nthält keine „impreasiona^f von denen der CausaLbegriff zu abstrahieren wäre ;
er hat keine anschauliche Grundlage. Das Dasein objectiver und noch weniger
metaphysischer Ursachen und Kräfte ist also nicht plausibel und erkennbar zu
machen, wiewohl wir den Causalbegriff empirisch nicht entbehren mögen; er
ist hier actueUer Natur, bezieht sich nicht auf Dinge, sondern auf Vorgänge,
die miteinander associativ verknüpft werden (Inquir. IV, 1). Ahnlich lehren
teilweise Jameh Mill (Anal. eh. 24) imd Th. Brown (On cause and effect
p. Kbs ff.).
Die schottische Schule betrachtet den Causalbegriff als ursprünglich,
Ak ewige Wahrheit, als y^aelbst-evident*^ im Denken liegend. Nach Ferguson
irt bei jeder wahrgenommenen Veränderung ,jder Mensch van Natur geneigtj
eine verändernde Kraft oder Ursache xu vermuten^^ (Gr. d. Moralphil. S. 4).
3(£Nl>EL8äOHN meint, „daß die öftere Folge xweier Erseheiruingen aufeinartder
UHS (he gegründete Vennutung gäbey daß sie miiema/nder in Verbindung stehen"
(Uorgenst. I, 2). Nach Tetens nehmen wir den Causalbegriff „xunächst aus
detH Gefühl von unserem eigenen Bestreben und dessen Wirkungen" und über-
tragen ihn dann auf die Außendinge (Phil. Vers. I, 323 f.). Die Theorie
HocEs kritisiert er, mit Anerkennimg des in dieser Berechtigten (1. c. I, 312 ff.).
Doch sieht er im Causalbegriff weder ein Product der Association noch der
Induction, sondern ein Denk- (Verstandes-) Erzeugnis, eine „notwendige Wirkungs-
ari" des Denkens, die aus dem ,,Be%iehen" entspringt (1. c. S. 317 ff.).
Als eine Kategorie (s. d.) des Denkens, als apriorischer (s. d.), ursprüng-
licher, unabhängig von der Erfahrung gültiger, diese schon bedingender, in der
Einheit des reinen Ich begründeter, den objectiven Zusammenhang der Vor-
stellungen herstellender, aber nur für die Dinge als Erscheinungen (s. d.) gültiger
Begriff wird die Causalität von Kant bestimmt. Mit Hume stinmat er darin
überein, daß wir „die Möglichkeit der Causalität^ d. i. der Bexiehung des Da-
*eins eines Ditiges auf das Dasein von irgend etwas anderem, was durch jefies
noticendig gesetzt werde, durch Vernunft auf keine Weise einsehen" (Proleg. § 27).
Aber er ist weit entfernt, den Causalbegriff „ais bloß aus der Erfahrung ent-
lehnt* und die causale Notwendigkeit „als angedichtet und für bloßen Schein
XU hatten, den u?is eine lange Geirohnheit vorspiegelt" (ib.). Vielmehr
ist der Ursprung des Causalbegriffs ein logischer, intellectualer, indem dieser
Begriff erst Erfahrung ermöglicht, objective Notwendigkeit in ihr erzeugt, setzt.
Er ist ein Einheitsbegriff, eine Form aller Erfahrung, ein „reiner Verstandes-
hegri/p% der nicht in der Wahrnehmung liegt (Krit. d. r. Vem. S. 181). Es
ist eben „nur dadurch, daß wir die Folge der Erscheinungen, mithin alle Ver-
änderung dem Gesetze der Causalität untenrerfen, selbst Erfaßirung möglieh" (ib.).
^ ergibt sich a priori das Gesetz: „Alles, was geschieht (anhebt xu sein), setxt
tttcas voraus, worauf es fiaeh einer Regel folgt" (1. c. S. 180). Die Vorstellung
der Aufeinanderfolge setzt schon die Nötigung, die Ordnung der Wahrnehmungen
als eine bestimmte zu betrachten, voraus (1. c. S. 186). Das Schema der Zeit-
folge ermöglicht die Anwendung des Causalbegriffs auf die Anschauimg (1. c.
S. 191). Dieser dient der Herstellimg „einer synthetischen Vereinigung der
Wahrnehmungen in einem Bewußtsein überhcmpt", bezieht sich aber nicht auf
Dinge an sich (s. d.), die völlig unerkennbar sind (Proleg. § 29). Der Causal-
begriff hat also wohl objective Gültigkeit, aber keine transcendente (s. d.)
Realität. Als empirische Ursachen sind nicht Dinge, sondern Vorgänge an-
zusehen.
168 CauaaUtat.
Nach Beck ist die Causalitat ,,die ursprüngliche Synihesis der Zustände
eines Beharrliehen und eine ursprüngliche Anerkennung, wodurch diese Synthese
fixiert und objectiv wird" (ErL Aiisz. III, 159). SCHOPENHAUER bezeichnet die
Caiisalität als „die einxige Kategorie, die »ich nicht wegdenken läßt". Sie ist
a priori (s. d.), eine Gnmdfunction des reinen Verstandes, eine Bedingung aller
Erffkhrung, durch die erst das Bewußtsein von Außendingen (s. Object) entsteht.
Der Causalbegriff ist eine der Gestaltungen des Satzes vom Grunde (s. d.).
Die „ Ursache^' ist kein Ding, sondern immer eine Veränderung (W. a. W. u. V.
II. Bd., C. 4). Helmholtz betrachtet das Causalgesetz als a priori gegeben
und transcendental (s. d.), es bedingt alle Erfahrung (Tats. in d. Wahni. tS. 42,
Vortr. u. Red. II*, 243 f.). Auch nach O. Schneider ist die Causalitat eine
apriorische Kategorie des Denkens (Transcendentalpsych. S. 129). L. Noirb
sieht in ihr eine apriorische Form des Denkens (Einl. u. Begr. ein. mon. Erk.
S. 25). Er unterscheidet Empfindungs- oder innere und Bewegungs- oder äußere
Causalitat (1. c. S. 27). Die „wahre Causalitat^ ist das Ich (1. c. S. 175). Nach
WiNDELBAKD ist das Causalgcsctz „der assertorische Ausdruck für unser Postulat
der Erklärung (Prälud. S. 217). A priori, aber transcendent gültig ist die Cau-
salitat nach MainlXnder. A priori und bloß erkenntnisimmanent, für mög-
liche Erfahrungen gültig ist der Causalbegriff nach A. Lange, H. Cohek,
P. Natorp, O. Liebbiann (AnaL«, S. 190), H. Lorm (Grundlos. Optim. S. 163 ff.),
Witte (Wes. d. Seele S. 154 f.), E. Koenig u. a. Betreffs M. de Birax,
Renoüyier, IVIanbel u. a. vgl. unten.
Bevor wir die an die KANTsche Auffassung der Causalitat sich M'eniger
streng anschließende, aber doch nicht (rein) empirische Bestimmung des Causal-
begriffs verzeichnen, sei erst noch eine Reihe z. T. objectiv -metaphysischer
Formulierungen erwähnt. S. Maimon bemerkt: „Nicht das Dasein eines Ob/erfs
ist Ursache xurn Dasein eiftes andern ObjectSj sondern bloß das Dasein eines
Objects Ursache von der Erkenntnis des Daseins eines andern Objecis als ir*r-
kung und umgekehrt" (Vers. üb. d. Tr. S. 223). Nach J. G. Fachte stammt
der Causalbegriff aus ursprünglichen Setzungen (s. d.) des Ich. Indem das
Ich (s. d.) Realität im Nicht-Ich setzt, findet es sich durch dieses bestimmt und
leidend, während das Nicht-Ich als tätig erscheint (Gr. d. g. Wiss. S. 64).
SCHELLING sieht im CausalitätsverhältnLs „die fwtwendige Bedingung, unter
welcher allein das Ich das gegen icärdge Objeet als Object anerkeyuwn kanw*^
(Syst. d. tr. Ideal. S. 222). Ohne Wechselwirkung kein Causalverhältnis (1. tv
-S. 228). „Nach dem Öesetx der Ursache und Wirkung xu urteilefi, ist uns . . .
durch eine nie/U bloß von unserem Wollen, sondern selbst von utiserem Denken
unabhängige und diesem vorausgehende Notwendigkeit auferlegt,*^ es ist ein „reales
Principe (Zur Gesch. d. neueren Phil. W\V. I, 10, 78). Nach Hegel ist jede
Ursache (s. d.) eigentlich „causa sid" (s. d.), die sich in eine unendliche Reihe
Bpaltet (Encykl. § 15B). K. Rosenkranz erklärt: „2hir Causalitat wird eitie,
Substanx, wenn sie ein von ihrer Macht relativ selbständiges Dasein setxt, icclehe^y
als gesetxtes . . ., fortan sein eigenes Schicksal xu haben vermag." „Die Stib-
stanz wirkt nur sich selbst aus," als Ursache setzt sie sich in der Wirkung; es
entsteht ein „nejrus rerum omnium cum omnibus" (Syst. d. Wiss. S. 82 ff.).
HiLLEBRAKD betrachtet das Causalgesetz als ein real-objectives, dessen Not-
wendigkeit in der imveränderlichen Gegenseitigkeit der Substanzen liegt (PhiL
d. Geist. I, 16 f.). Trendelenburg leitet die Causalitat aus der „constructiren
Bewegung" des Denkens ab ; sie ist ein subjectiv-objectiv gültiger Begriff (Gesch.
Oanaalitat. l^
d. Kateg. 8. 366). Nach Herbabt enthalt der Causalbegriff „Widersprüche*^
'S, d.), die sich aus dem Denken der Veränderung und dem Grunde derselben
»geben; dieser kann weder eine äußere noch eine iimere Ursache der Veräiide'
rang sein, noch kann dieselbe ursachlos sein, auf ein absolutes Werden zurück-
geführt werden. Es kann nicht der Erfolg eines Wirkens auf ein anderes Ding
übergehen (wie Leibniz). Vielmehr ist anzmiehmen, daß die realen Wesen sich
jEegen die „Störungen*^ ein „Zusamtnen** mit anderen in ihrem Selbst erhalten.
Dieses Sich-selbst-erhalten ist das wirkliche Geschehen, die immanente Causalität
in doa Dingen, die im ,,Zuschauer*'^ den „objeetiven Schein^*, die „zufällige Arir-
fickt*^ einer Wechselwirkung erzeugt (Met. II, 209 ff.). Es gibt metaphysisch
nur Gelegenheitsursachen, keine äußerlich wirkenden Kräfte. Auch Lotze be-
tont, die Causalität sei keine Ablösung eines Zustandes und Übergehen des-
selben Ton Ding zu Ding; jede Ursache sei Gelegenheitsursache, Veranlassung.
^Uberail besteht das Wirken eines a auf ein b darin j daß nach einer allgeyyieitien
Weitcrdnung ein Zustand des a für b die xtcingende Veranlassung ist, auf welche
dieses ö Otts seiner eigenen Natur einen neuen Zustand ß hervorbringt, der im
aägemeinen mit dem Zustand von a keine Ähnlichkeit xu haben braucht* (Grdz..
d. PSTchol. § 67). Die Causalität ist eine Beziehung, der in Wirklichkeit nur
eine Abfolge innerer Zustände der Dinge entspricht (Grdz. d. Met. § 44). Sie
ist stets Wechselwirkung, deren Begriff lautet: Wenn zwei Dinge a und b in
eine bestimmte Beziehung c treten, so geht a in a, b in /9, c in v über (1. c.
i^ 33). £in „Übergang^* von Zuständen kann aber deshalb nicht stattfinden,
weil scdclie nicht einen Augenblick ohne Substrat in der Luft schweben können
'L c. § 35). Erklärlich ist die Wechselwirkung jedoch nur, w^enn man die Dinge
als 5,7«»/e*% „Modificationen**, „Emanatiotien^*^ eines Einheit herstellenden Ur-
wesens (3f) ansieht, so daß alle Causalität auf Grott zurückführt. „Wejin nun
in dem Eifixdiresen a ein Zustand a entsteht, so ist dies a sofort auch ein Zu-
ftand des M. Denn da a nicJUs anderes ist als ein Teil von M, so ist jener
Zustand des a zugleich einer des M" „So une nun a in unserer Beobachtung
Utk als Zustand oder Prädicai eines Einzelwesens a darstellt so können ß und y
ais Zustände anderer Binxeltresen b und c erscheifien , und dies gibt für uns den
Anschein, als tcirkte a unmittelbar auf ein voti ihm unabhängiges b, trährend in
Her Tat nur M auf sich selbst ttirkt, d. h. geuisse Vorzusiände des M innerhalb
der Wesenseinheit des M die Folgexustände herr orbringen, die um der Natur des
M Witten ihre eonsequente Folge sind" (1. c. § 38; Mikrok. I, 162, II, 158, 308,
in. 232; Met. 103 ff., 359 ff.; Log. 192, 518 ff.). E. v. Hartmann sieht in
der Causalität eine Kategorie (s. d.), das Product einer „nnbettußten InteUectualfunc-
*ion^, durch die der Erfahrungsstoff geordnet, vereinheitlicht wird. Aber die
.^Causalität in der subjectiv idealen Sphäre" ist „repräsentative Nachbildung
fjhjeetiv realer Causalbeziehungen fürs Betrußtsein" (Kategor. S. 377). Der ob-
jectiven liegt wieder die Causalität des Absoluten in der „metaphysischen Sphäre"
zugrunde (l. c. S. 363). Alle Causalität ist „Tra7isformatiofi einer Intensität
aus einer Erscheinungsform in eine andere", d. h. sie ist „ätiotrop'' (1. e. S. 4()8).
I>ie ,,transeendente^* Causalität umfaßt die „intralndiriduelle", „interindiriduelle^' ^
j^lotrope^' und „isotrope^* Causalität. „Transeufit*^ ist die Causalität, die von
nner Substanz zur andern übergeht; solche ist aber unmöglich (1. c. S. 417).
Daher können die Individuen keine Substanzen sein (1. c. S. 419). Alle inter-
individuelle Causalität ist eine intraindividuelle in Bezug auf das Universum
»ib.). „Alte Wechselwirkungen der huiividuen ufüereinander sind genta absoluti
170 Causalitat.
j)€r indtvülua*^ (1. c. S. 421; vgL Phil. d. Unbew.*, Ö. 790); Alle psychische
Causalitat ist imbewußt (s. d.).
Aus der Anwendung der Gesetzmäßigkeit des Denkens auf den Inhalt der
Erfahrung, aus der begründenden Xatur des Denkens, das in alle seine In-
halte Einheit und Zusammenhang bringen muß, um seine Identität zu be-
wahren, leiten verschiedene Philosophen den Causalbegriff ab, der bald mehr
realistisch, bald mehr idealistisch aufgefaßt wird. Nach L. Strümpell hat
der Satz vom Grunde auch für diejenigen Prämissen Gültigkeit, in welche die
Tatsachen der Wahmehmimg eingefügt sind (Der Causalitätsbegr. S. 22). Aus
dem Satze vom Grunde folgt, „daß, wo Prämissen gegebeti sind, sich logisch
notwendig die Coiirltision, uml xivar nur die eine ergibt, für tcelehe der xU'
reichende Orund in den I^rävrissen liegt. Diese Folgerung uandelf sieh da, tro
die Prämissen eine Erfahruiigstaisaehe einsehließen und in der Coficlusion wieder
XU der Vorstellung einer ErfaJirungstaisaehe xurüekfükren, in den Satz um, daß
in jenen Prämissen die Ursachen, in der Conclusion die notwendige Wirkung
-der Ursachen erkannt sei*^ (1. c. S. 24). Das Causalitätsgesetz heißt, ,^ß alles,
was geschieht, sieJi diso als Wahmekmungstatsache darstellt, auch denknottcendig
ist* (ib.). „Die Causalitat bedeutet . . . dasjenige Verhältnis xwischen den
logischen Wahrheiten und einer an sieh unbekannten un sinn liehen Wirk-
lichkeit, nach ireleJiem beide in dem Gebiet der Tatsachen xusammen-
jttimmend sich verknüpfen" (1. c. S. 25). „Der wahre Sinn des Causali-
tätsgesetxes ist daher nicht der gewöhnliehe Gedanke, daß jede Wirkung ihre
Urswhen habe, sondern daß jede Tatsache ein Glied im intellectuellen
Baue der Welt ist und sich als solche begreifen läßt^" (1. c. S. 26).
Nach B. Erdmaxn sagt das Causalgesetz aus, ,4aß wir Vorgänge nur als
icirklich annehmen, sofern wir xureichende Ursachen ihrer Wirklichkeit voraus-
srfxen'* (Log. I, 298). Nach SiGWART entspringt aus der Natur des Denkens
„die Forderum/ , daß, was wir als seiend denken, aus einetn Realgrund seines
Seins und So-Seins als notwendig begriffen werde^' (Log* H*» 134). Ein „Muster-
fall" aller Causalitat sind die uns am meisten interessierenden „Weehselbe-
xiehungen xwisclufi uns und der Außenwelt^ (1. c. S. 142 f.). Das metaphysische
Element (den Gedanken) des „Wirketis eines Dinges auf andere können wir nicht
entbehren" (1. c. S. 179). Nach Lipps ist die Causidität ein Specialfall des
Satzes vom Gnmde (Gr. d. Seelenleb. S. 443). ,^e€le Veränderung im büialte
einer Vorstellungsnötigung setxt eine Veränderung in den Bedingufigefi der Vor-
stef/ungsnötigung voraus" (1. c. S. 443). Das Causalgesetz ist nicht der Erfah-
rimg entnommen, sondern ist „ein Gesefx utweres Defikens, ein Gesetx, das in
der Xatur des menschlichen Geistes liegt** (Eth. Gr. S. 259); es beruht auf einem
,, Vertrauen in die Gesetx maß igkeit aile^ Geschehens in der Welt" (L c. S. 263).
Nach HÖFFDIKG ist das Causalprincip ein Ideal, das durch unser Erkennen
nie vollständig vemirk licht werden kann (Psychol.*, S. 292). Müksterberq
betont: „Regelmäßigkeiten haben . . . Erklärungswert nur, wenn sie als Bürg-
schafien oder wenigstens als Anxeichen reiner Notwendigkeiten atierkannt werden*^
(fVincip. d. Psychol. S. 80). Die Forderung des Causalzusammenhanges ist
(wie der Satz vom Grunde überhaupt) nur eine Anwendung des Identitäts-
principe«. „Aller Causalxusamnienhang ruht auf der Identität der Objeete,
aller lof/ische Zusammenhang auf der Identität der Subjeetaete^* (1. c. S. 82).
Nach H. Spexcer entspringt der Begriff der Verursachung dem Denken
(Psych. II, § 398) auf Gmndlage von Erfahrungen der ganzen Gattimg (s. A priori).
CausaUtat. 171
Xach RiBHL ißt die Causalität „die Anwendung des ScUxes vom Grwuie auf die.
njfitiirheti Veränderungen der Ersefieinunge^i oder kurx: dasPrincip des Grutuies
in der Zeit' (Phil. Kr. II, 1, 240). Causalität besagt, „rfa)J jeder Vorgang %u
heaitmmien früfierepi im Verhältnis der Folge stehe^ drückt mithin den Gedanken
^r Continuitäi des Gese/iehens aus" (L c. II, 2, 46). Psychologisch ist sie der
.Amdruek des Gefühls der Abhängigkeit einer Erscheinung von einer andern und
rffi» Triebes, die wahrgenommene Veränderung meines Zustandes ansc?iaulich xu
er^nien** (1. c. S. 65). Ihrem Inhalte nach stammt die Vorstellimg des Ver-
ursachens ans dem Bewußtsein der eigenen WiUenstätiglceit (Phil. Kritic. II, 1,
Ä6). „ Wir suchen Ursachen in der Natur ^ tveil wir selbst Ursachen in i/ir sind,
tcmn wir aiwJi nicht wissen wie'' (Zur Einf. in d. Philo». S. 101). Zu betonen
igt: „Ursächliche Abfolge unterscheidet sich von xeitlicher Folge j atich wenn diese
eine cftUkommen regelmäßige ist, durch die Constanx, der Größe, die das Voran-
gehende mit dem Folgetiden einheitlich rerbindet, und da diese Verbindung der
Fonu alles Begreifens, dem Satxe des logischen Grundes, d. i. der Identität des
Grundes in der Folge etitspricht, -macht sie zugleich die Notwendigkeit im ursäcli-
liehen Verhältnis begreiflich'' (Zur Einf. in d. Philos. S. 144). VoLKELT ver-
bindet mit dem Ausdruck „ Causalität'^ den Sinn, „daß eine Ersdieinung für eine
mtdere bestimmend, maßgebend ist". Causalität bezeichnet ein Abhängigkeits-
verhältnis, zu ihr gehört das „Durch" (Erf. u. Denk. S. 89), das zu den Er-
scheinimgen ,Jtinxugedacht" wird. Aber der Sinn des Causalitätsgedankens ist
der, ,/laß das causale Verhalten von den betreffenden Erscheinungen selber ge-
lltet werde, ^ie selber angehe" (1. c. S. 95). „Das Bewußtsein postidiert die
OcMsnlität, es bestimmt, daß im Transsubjectiren Causalität Jierrsche, ohtie doch
y mit dem Transsubjectiven in Berührung kommen xu können" (ib.). Causalität
bedeutet „unabänderliehe Regelmäßigkeit in der Verbindung zweier Factoren oder
Facioreneomplexe^' (l. c. S. 226). Nach G. Spicker beruht alles Denken auf einem
sinnlichen Substrate, geht aber über dieses hinaus (Kant, Hume u. Berkeley, S. 165).
FHe Causalität ist a priori, insofern die Denknotwendigkeit schon aller „Gewohnheit^'
n. dgL zugnmde liegt (1. c. S. 178 f.). Durch den Causalbegriff wird die Er-
&hrung überschritten, er führt zum Ding an sich (1. c. S. 42). Nach G. Thiele
,^neint" die Kategorie der Causalität etwas außer dem Denken, sie bezieht sich
auf etwas außer ihr, sei es was immer (Philos. d. Selbstbew. S. 74 f., 183, 411).
WirsTDT unterscheidet vom „substantiellen" Causalbegriff, dessen Ursprung
tin anthropomorpher ist, den „actuellen", der Vorgänge (nicht Dinge) mit-
einander verknüpft; er enthält nichts Metaphysisches (Syst. d. Phil.', S. 290 f.,
Log. I*, S. 595 ff.). Die naturA\issenschaftliche Bedeutung des Causalprincips
b^teht darin, daß der gesamte Zusammenhang der Erscheinungen als einziges
System von Gründen und Folgen betrachtet werden will. Die speciellen Natur-
gesetze sind schon Anwendungen des Causalprincips , das nicht zu entbehren,
nicht zu „eliminieren" ist (Syst. d. PhiL«, S. 288 ff.; Log. II«, 1, S. 28, 30 f.,
m ff.; Phü. Stud. XllI, 98 f., 101, 404; Einleit. in d. Phüos. S. 299). Betreffs
des Urspnmgs des Causalbegriff s ist gegen Hume zu sagen, daß die Association,
aaf die er sich berufe, zu viel erkläre, „weil sie über die Begeht, nach detten
*nr aus einer größeren Zahl associativ verbutidener Ersclwinungen diejenigen
futsicählen, denen wir eine Causalverbindung xusckreiben, keine Rechensclwft gibt".
Die Annahme der Apriorität des Causalbegriff s wiederum macht die Frage nach
den Kriterien, die zur Anwendung dieses Begriffs veranlassen, nicht entbehrlich.
Xach WüXDT liegt die Quelle der Notwendigkeit des Causalgesetzes im Logi-
172 CatuaUtät.
sehen, im Satz vom Grunde. Aus ihm geht das Causalprincip hervor, indem
es jjLedigliek die Amcendung des letzteren auf den gesamten Inhalt der Erfahrung
darsfetW*. Es ist „Erfahrungsgesetx^', insofern es y/ür alle Erfahrung gilt, weil
unser Denken nur Erfahrungen sammeln und ordnen kann, indem, es sie naeh
dem Satz vom Grunde terbindet^K Apriorisch ist das Gausalpriucip, insofern es
auf der Gresetzmäßigkeit des Denkens beruht, empirisch, insofern es Anschau-
ungen voraussetzt, auf die es anwendbar ist Es hat den Charakter eines
Postulates, dem sich die Erfahrung überall fügt, wobei sie die Form der An*
Wendung des Cansalprincips bestimmt So setzt ihr die Erfahrung Schranken.
Erst aus den besonderen Bedingungen der Raumanschauung und des Substanz-
begriffs geht das Princip der Äquivalenz von Ursache und Wirkung hervor.
Im Psychischen hat dieses keine Anwendung, hier herrscht vielmehr ein Princip
des Wachstiuns geistiger Energie (s. d.) (Log. I«, S. 556, 606 ff., 611 ff., II«, 2,
S. 141; PhU. Stud. X, 106, XII, 388, 393; Gr. d. Psych.», S. 395 f.; Syst, d.
Phil.«, S. 304). Vermittelst der psychischen Causalität wird der Zusanmienhang
der Bewußtseinsvorgange hergestellt. Diese Causalität ist unmittelbar-anschAU-
lieber Art, während die physische Causalität begrifflich -abgeleitet ist. Beide
CausaHtäten sind aber in Wahrheit nur eine, die sich von verschiedenen Stand-
punkten aus verschieden darstellt und die in der logischen Causalität des
Denkens in unmittelbarster Reinheit gegeben ist (Syst d. Phil.«, 291, 593 f., 301;
Log. I«, 625 ff., II«, 2, 291; PhiL Stud. X, 107,' 109, 111). Die psychische
Causalität ist rein actueller Art, setzt keine Substanz (s. d.) voraus.
Auf die Erfahrung und auf Induction wird das Causalgesetz mehrfach
zurückgeführt, wobei aber oft das Bedürfnis oder der Trieb nach Zusammen-
hang der Erfahrungen oder irgend eine allgemeine Voraussetzimg immerhin
als ein relativ Apriorisches anerkannt werden muß. J. St. Mill führt das
Causalgosetz auf Induction (s. d.) zurück, die aber selbst die Gleichföniügkeit
des Naturverlaufes voraussetzt — was allerdings auch wieder Resultat allge-
meinster Induction sei. Im einzelnen erklärt sich das Causalgesetz aus der
Beobachtung einer „Unveränderlichkeit der Successian xtrisclien einer Tatsache
in der Xattir und einer andern, die ihr vorhergegangen ist** (Log. I, 386). Ein
„ursprünglicher Fettschismus** ist es, „daß wir unsere Willeftsacte als Tgpwt aller
Causalität auffassen** (1. c. S. 415). Wir verlegen unser Anstrengimgsgefühl
beim Übenvinden eines Hindernisses in die Außendinge (Exam: p. 378). Nach
C. GoERiNG ißt das Causalgesetz das Ergebnis der Induction (Syst d. Krit.
Phil. II, 211). Es besagt, daß jede Wirkung ihre Ursache hat Seinen Inhalt
bildet „die durch Erfahrung hinlänglich bestätigte Voraussetzung, daß jede in die
Erscheinung tretende Veränderung oder, coftcreter gefaßt, jedes efiljitehende Object
wie jeder Zustand nicht ein Letxtes, rrsprüngliehes, daher einfach als tatsäch-
lich Anxuerkennendes, sondrrn eine Wirkung mehrerer Factoren oder Elemente
sei** (1. c. S. 209). Nach Czolbe findet in jedem wahrnehmbaren Causal-
zusammenhang „xunächst ein bloßes Nacheinander der Ursachen und der
Wirkung** statt (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 64). Bestandteil des Causalver-
hältnisses selbst ist die Notwendigkeit der Verknüpfimg; ihr Wesen liegt darin,
,ydaß gewisse Verhältnisse nur in einer Weise ausführbar sind oder stattfinden"'^
(L c. 8. 07). Das gilt aber niu* von der mechanischen Causalität, alle anderen
Vorgänge beurteilen wir, infolge eines logischen Bedürfnisses, nach Analogie jener
(1. c. S. 07 f.). Nach P. Ree stammt der Causalbegriff aus der Erfahrung.
CauaaUtät. 173
^CausaiterhäUnisse sind regelmäßige Folgeverfiältnisse^^ (Philos. S. 144). Die
GaosalitSt ist eine jyDenhgewoknheit^^ (1. c. S. 155 ff., 168 f.).
Zur ursprünglichen Erwartung, daß Analoges sich analog verhalt, bringt
ScHTBERT-SoLDERN den Causalbegriff in Beziehung (Gr. e. Erk. S. 242 ff.>.
Narh Laas gründet sich die Causalität auf das ^fBedürfnis, die Zukunft vorawi'
lus^hen, xu berechnen und xu beherrsefien" (Ideal, u. posit. Erk. S. 261). Die
objcctive Motivierung des Causalprincips betont E. DÜhrino. yjNieht weil wir
eim in unserer Versiandesperfasstmg einen UrsäMichkeitshegriff wie eifien Ma-
sekittenieil eingerichtet erhalten hätten^ fragen wir nach den Ursachen^ sofnderji
dia geschieht, treil die gegenständlichen Vorgänge in speciellen Richtungen von
der Art sind, daß sie selber nötigen, dem Zusammenhang zwischen ihren Teilen
narhxu forschen'' (Wirklichkeitsphilos. S. 48 f.; vgl. Ix^. S. 194). F. Ebhabdt
oklirt ähnlich: „Wir bilden . . . bei- unserer causalen Erklärung der Ver-
ämlerungen die objecticen Verhältnisse des Seienden selbst in unserem Geiste
nur nach und tragen nicht vermöge einer sidijectiven Denknotwendigkeit eine
Verknüpfwig in die Dinge hinein, die tcir rein erfahrungsmäßig nicht aus ihnen
kerau»iulesen rermöehten.'' Die Causalität muß den Dingen selbst zukommen.
Das Bewußtsein des Wirkens stammt aus der innem Erfahrung (Metaph. I,
S. 443 ff., 513 f., 574 ff., 600). Patjlsen bemerkt: ,,Äuf Grund der Wahr-
^dommg, daß allemal, wenn wir einer Reihe von Vorgängen mit Aufmerksamkeit
folgten, auf gleiche Vorgänge unter gleichen Umständen gleiche Vorgänge ein-
traten, ist in uns zunächst eine allgemeine Disposition xur Erwartung dieses
Verhaltens entstanden, und diese Erwartung ist dann durch die xur wissen-
vkaftlichen Forschung entioickelte Erfahrung im CauscUgesetx als ihre all-
ifemeinste Voraussetzung über den Naturlauf formuliert worden'' (Imman. Kant
^. l^K jyFreilieh ist es dann nicJit ein a priori notwendiges Gesetz, sondern,
w alle Naturgesetze, ein bloß präsumtiv allgemeingültiger Satz" (L c. S. 191).
Nach DiLTHET sind Causahtät und Substanz „nicht eindeutig bestimmte Be-
Sriffe^ sondern der Ausdruck unauflöslicher Tatsachen des Bewußtseins" (Einleit.
in d. Geisteswiss. I, 512). Nach Schuppe ist jede causale Verknüpfung nur
«ine zum Bewußtsein kommende Verbundenheit von Daten und gehört somit
znr wirklichen Welt objectiver Bewußtseinsinhalte (Log. S. 59). Der „An-
*fruch\ daß sich die Daten der Erfahnmg in eine Gesetzlichkeit einordnen
Itsen, darf nicht auf Transcendentes angewandt werden (1. c. S. 60). Die
<^tQsale Notwendigkeit liegt aber nicht im Denken, sondern kommt dem Sein
<x d.) selbst zu, dessen „feste Ordnung" zu seiner Denkbarkeit gehört (1. c.
^. 65). Während die Tatsachen des inneren, geistigen Lebens „zugleich mit
ikrem inneren Zusammenhangt' bewußt werden, werden die Verbindimgen der
Außendinge durch das Ausschlußverfahren (s. d.) und durch Induction bestimmt
'l e. S. 63). R. Wähle meint, der Satz der Causalität besage nichts als:
^iebe sieh cUles immer gleich, so bliebe sieh alles immer gleich. Ist sich nicht
<^ei gleich geblieben, so muß etwas Neues im Spiele gewesen sein" (Das Ghmze
<L Philos. 8. 99). Die Objecto als solche sind incausal, es wirken nur die un-
brannten „Urfaeioren" (s. d.). Wir haben nur einen negativen Begriff der
Treachlichkeit (Kurze Erkl. d. Eth. Spinozas S. 187 f.). H. Cornelius findet
^ formale Grundlage des Causalgesctzes das Bedürfnis des Denkens nach
Begreiflichkeit der Erfahrungen. Für jede unerwartete Änderung wird eine
J'rsache!" gefordert. Diese Forderung oder das allgemeine Causalgesetz ist
nichts anderes als „die für die Einheit unserer Erfahrung unentbehrliclie
174 CauaaUtat.
Forderung der Einordnung aller Erscheinungen unter constanie empirische Zu
sammerihänge^^ Dadurch wird das Neue, Befremdende zu einem Bekanntei
Vertrauten (Einl. in d. Philos. S. 294). Unter der „Erkenntnis der Ursache
ist nur die Art imd Weise zu verstehen, „une unser Denken die begrifflich
Ordnung der Erscheinungen, welche durch die unerwarteten Erfahrungen gestöt
war, gemäß dein Prineip der Ökonomie des Denkens unederherstelW (L c. S. 296)
y,das CausalgeseAx muß für alle Erfahrungen in der objeetiven Welt fioticendi
gelten, weil es nichts anderes ist als die Folge derjenigen Begriffsbildung, okn
tcelche die otjectire Welt für unser Denken nicht bestünde^^ (1. c. S. 298). „Dl
Tcdsa^che, daß tcir alle Änderungen in unserer Umgebung auf die ,Wirkungeik
bestimmter ,Ursa^hen^ xurüekxuführen bestrebt sind, ist nur ein besofiderer Fal^
jenes allgemeinen Gesetzes, welches uns dazu treibt, das Neue und Fremdartig
der Erscheinungen jederTieit unter das von unserem eigenen Dasein her bekattnt
Sehetna einzufügen. An unseren eigenen Wülenshandlungen offenbart sieh un
der Zusammenlumg eines Wirkenden und der von ihm ausgehenden Wirkung
je geläufiger und selbstverständlicher uns dieser Zusammenhang ist, um so be
gieriger streben wir alle Erscheinungen in derselbeti Weise xu begreifen. En
einer späteren Stufe des wissenschaftlichen Denkens ist es vorbehalteHy die letxtet
Beste dieser anihropornorphen Auffassung der Natur xu beseitigend^ (L c. S. 221]
Damit sind wir bei der Ansicht, daß der Causalbegriff (wenigstens seinen
Inhalte nach, dem „ Wirken^^) aus der inneren Erfahrung der eigenen Willens
action stammt, angelangt. Schon Hume macht darauf aufmerksam, ohne ih
Gewicht beizulegen. Bonnet lehrt, daß die aus der inneren Erfahrung ver
standliche Causalität auf die Außendinge übertragen wird. Tetens erklärt
wir nähmen den Causalbegriff „zunächst aus detn Gefühl von unserem eigenft
Bestrehen und dessen Wirkungen^^ , und „diejsen aus unserem Selbstgefühl ge
nommenen Begriff tragen ivir auf die äußeren Gegenstände über^^ (Phil. Vers
I, 323 f.). M. DE BiRAN leitet den Causalbegriff aus der unmittelbaren Er
fassimg der eigenen Willenswirksamkeit ab (Oeuvr. in^d. I, 208 ff.). Renouviei
führt die Causalität objectiv auf Harmonie (s. d.) zurück und betrachtet dei
Causalbegriff als eine Kategorie, die besonders sich gründet auf „Vauticipaticn
innee qui est inseparable en nous d'une appetifian suivie d'une volition^^ (Soxw
Monadol. p. 22). Es muß eine „cause premUre^^ geben (1. c. S. 149). — Nad
JaCOBI würden wir „ohne die Grunderfahrung einer tätigen Kraft, deren ici
tms i?i einemfort l)ewiißt sind^^, „nicht die geringste Vorstellung ron Ursaek
und Wirkung haben^' (WW. II, 201). Nach Eschenmayer stammt die Katt
gorie der Causalität aus dem Grundgesetz des Selbstbewußtseins. Das Ich ii
als „Substrat des Handelns mit der Folgereihe aller Wirkungen^' l'rsach
(Psychol. 1817, S. 299 ff.). Ähnlich lehrt Frohschammer (Monad. u. Well
phant. S. 65). Nach Beneke wird das „Ineifuinder" seelischer Vorgänge, an
Veranlafisung des Zugleich und Nacheinander der Wahmehmimgen, von un
der Außenwelt erst untergelegt (Log. I, 307). Ahnlich SchleiermachjO
H. Ritter (Hyst. d. Log. II, 209), Waitz (Lehrb. d. Psychol. S. 563 ff.. 57||
Schopenhauer, L. Noire (Monist. Gedanke S. 333; Doppelnat. d. Causil
S. 30), A. RiEHL (Phil. Krit. II, 1, 209), ]VLln^sel, Romanes („All causation ^
rolitional% Ladd (Psychol. S. 215, 472 f.), Sully (Handb. d. PsychoL S. 294 f^
H. CoRNELn^s (Einl.' in d. PhUo«. S. 22), Sigwart (Log. II*, 143 ff., 571]
Wündt (Phil. Stujl. X, 109 f.), Erhardt (Wechselwirk. 8. 162), DiLTfflB
(Einl. in d. Geisteswiss. I, S. XVIII), J. Wolfp (Das Bewußte, u. s. ObjeJ
Caiisalitat. 17>
S. 593 f.), J. DuBOC, der die Causalität aus der Auffafisung der eigenen Lebens-^
titigkeit ableitet (Die Lust. S. 44 f.). Nach Hameeling ist unser Willens-
impuls „ct«e unmittelbar gewisse Urstiche" (Atom. d. Will. II, 34). Die einzige
m-ahrhaft schöpferische Causalität ist die des Willens (1. c. S. 42). Es gibt nur
Ursachen des Geschehens, nicht des Seins (1. c. S. 44). „Alle Wirkung von
Monaden aufeinander beruht . . . darauf, daß eifie Monade der andern ihren-
Zustand mitteüt^^ auf einer ,yVerschmelxung" (1. c. S. 8, 14). Causalität ist
rjier Zusammenhang von aüem mit allem" (1. c. S. 45). Nach L. Busse ist die
psychische Causahtät „das Vorbild aller Causalität" (Geist u. Körp. S. 191).
&TSICKER erklärt, y,daß wir den Typus xu unserer ürsachetworstellung in
unserem Willen finden ; daß die in der Außenwelt gesttehten Ursachen nur
daraus hervorgehen, daß unsere eigenen Muskeln nicht imni£r unserem Wüleny
\ sondern einer äußeren Anregung (xtcingend) folgen; daß wir demgemäß auch in
4er AußetHceÜ einen Willen suchen" (Stud. üb. Assoc. S. 26 f.). Auch Jodl-
! äehi im Ich das Musterbild aller Causalität. A. KÜhtmann bemerkt: „In
unserem eigenen Wollen ist ufis das Urbild der Kraft und damit eine immanente
Causalität gegeben. Das Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein eines Wirkens,
\ und eine Veränderungen bewirkende Willenshandlung ist das Prototyp des
' Qutsal Verhältnisses" (Maine de Bh-an S. 15, 176, 181). Nach Groos hat das
' Causalbedürfnis eine „motorische und eifie theoretische Form". Die ursprüng-
I lichste Vorstellung vom Causalzusammenhang ist der Willenshandliuig ent-
fiommen (Spiele d. Mensch. S. 497). Grogs spricht von der „Freude am Ur-
Ita^he-sein" als einem Factor im spielerischen imd ästhetischen AVirken (ib.).
iXaeh Jerusalem sind unsere Willensimpulse „die einzige Ursache, die wir
\4ir^€t erleben-^, sie sind „das Organ für die Erkenntnis causaler Zusammen-
\hnnge^' (Urteilsfunct. S. 220 ff.). Im Urteile (s. d.) übertragen wir, vennöge
[eiDer y,fundatnentaUn Appereeption" (s. d.), die eigene Ursächlichkeit auf die
I Dinge (L c. S. 253 f., Lehrb. d. PsychoL», S. 141 ff.). Der Causalbegriff ist
!«ne „objeetiv mitbedingte" Form unserer Auffassung der Welt (Urteilsfunct.
S. 2T>\). SiMHEL meint, daß wir uns in den Kategorien der Causalität und
Eraft nach den Gefühlserfolgen unserer Innerlichkeit orientieren; „die Gefühle
*r physisch-psychischen Spa?inung, des Impulses, der Willenshandlung proji-
tieren wir in die Dinge hinein" (Philos. d. Geld. S. 507). Es gibt keine in sich
susammenhängende Causalität des Psychischen, denn dieses „bildet eben nur
nnen sehr variablen Ausschnitt aus dem Gesamtsystem des Menschen, und des-
halb ist der einzelne psychische Act nicht aus den vorangehenden psychischen
Acten allein xu verstehen, da diese erst im Zfusammentreffen mit anderen, außer-
pi^yehiscketi Vorgängen die xureichende Ursaelie jenes bildeten" (Einl. in d.
Moralwigs. II, 297). Nach Kreibig gibt es eine geschlossene psychische Cau-
salität (Die Aufmerks. S. 51).
Biologisch begründet wird das Causalprincip von Kroman, nändich aus
dem Selbsterhaltungstriebe, der den Menschen nötigt, die Welt, mit der er zu
kämpfen hat, zu begreifen (Unsere Naturerk. 1883). L. Stein bemerkt: „Zeü,
Zahl, Raum, Causalität . . . sind nichts anderes als das Alphabet, welches sich
der Mensch im Kampfe ums Dasein als Schutxnujßregeln gebildet hat, um erfolg-
reieh im Buche der Natur lesen xu können" (An d. Wende d. Jahrh. S. 6).
'Xietzsche erblickt den Ursprung des Causalbegriffs wie den aller Kate-
gorien <9. d.) in der Nützlichkeit der causalen Auffassung für das Leben
n\^V. XV, 268).* Diese Auffassimg ist diurchaus anthropomorph, metaphorisch »
176 CausaUtat.
am jyOrundirrtum" primitiver Vernunft und Sprache (WW. VIII, 2, 5, S. 80).
Wir meinen uns selbst als Täter, als Ursache von Vorgängen zu finden (1. c.
S. 93). Die einzige CausaHtat, die uns unmittelbar bewußt wird, ist die zwischen
Wollen und Tun gesetzte, „diese übertragen wir auf alle Dinge und denken uns
das Verhältnis von xwei imm^r beisammen befindlichen Veränderungen^*^ analog.
„/>?<? Absicht oder das Wollen ergibt die Nomina^ das Tun die. Verba" (WW. X,
S. 192 f.). „Einen Reix als Tätigkeit xu empfinden, etwas Passives
aetiv XU empfinden, ist die erste Ckmsalitätsemp findung. Der iftnere Zu-
sammenhang von Sinnes- Reix und -Tätigkeit , übertragen auf alle Dinge, ist Cai*-
salitäi. An unseren Sinnesfunctümen denken wir uns die Welt, das heißt: wir
setzen überall eine Causalität vora/us, weil unr selbst solche Veränderungen
fortwährend erleben'' (WW. X, S. 193). Aber das ist keine wirkliche Er-
fahrung von einer Ursächlichkeit. „Wir haben ein Oefühl von Kraft, An-
spannung, Widerstand, ein Muskelgefühl, das schon der Beginn der Handlung
istj als Ursache mißverstanden . . ." (WW. XV, 298). Alle „geistige Zr-
sächlichkeif' ist eine Fiction (WW. XV, Anh. III, 7, S. 513). Nicht wir sind
tätig, sondern es wirkt in uns (WW. VIII, 2, S. 94 f.). Der Begriff der Ur-
sache hat etwas „Fetischistisches'' an sich. Man soll Ursache und Wirkung
nicht verdinglichen, sondern als reine Begriffe, d. h. als „eonventionelle Fie-
tionen" zum Zwecke der Verständigung gebrauchen. Unabhängig von uns gibt
es keine selbständigen Ursachen, keinen Zwang, kein Oesetz, wir dichten dies
alles nur in die Welt hinein (WW. VII, 1, 21). Es gibt keine Zweiheit von
Ursache und Wirkung, das sind von uns isolierte, fixierte Teile des Welt-
geschehens; an sich besteht ein continuierlicher Fluß des Greschehens (WW.
V, 109).
In Consequenz des Gfedankens, daß der Causalbegriff einen mythischen,
metaphysischen Ursprung habe, fordert man auch die „Eliminierung*' dieses
Begriffs bezw. dessen Keducierung auf den Begriff bloßer functioneller „Ab-
hängigkeit" eines Vorgangs von einem anderen; diese Abhängigkeit wird im
Sinne eines mathematisch-logischen Functionsverhältnisses genonmien, soll
nichts Hypothetisches, Uberempirisches enthalten, sondern nur reine Erfahrungen
ordnen, aufeinander beziehen. Schon Claude Bernabd fordert: „L'obseure
notion de cause doü etre reportee ä Vorigine des choses: eile n'a de sens gue
cdui de cause premih-e ou de cause finale; eile doü faire place, dans la seiente,
ä la notion de rapport ou de eonditüm" (Legons sur les ph^nom. de la vie 11^
p. 396 f.). Ähnlich auch CJomte; dann R. Mayee, ICirghhoff, H. Hebtz,
femer R. Avenarixjs und seine Schüler, besonders J. Petzoldt, der an Stelle
des Causalprincips das „Oesetx der Eindeutigkeit^' setzt. Endlich E. Mach,
nach welchem die Begriffe Ursache und Wüle „einen starken Zug von Feti-
schismus" haben (Populärwiss. Vorles. S. 269; Princ. d. Wärmelehre*, S. 433).
Sie stammen von „animistischen Vorstellungen" ab, sind anthropomorph. Der
Begriff der Ursächlichkeit muß durch den „Functionsbegriff" ersetzt werd^i,
durch den Begriff der „Abhängigkeit der Erscheinungen voneinatider, genauer:
Abhängigkeit der Merkmale der Erscheinungen voneinander*', und zwar im rein
logischen Sinne (Populärwiss. Vorles. S. 269). Eine eigene psychische Causalität
besteht nicht (Anal. d. Empfind.*, S. 132). Nach Ostwald ist die Causalität
ein praktisches Ergebnis unserer Bemühungen, unsere Erfahrungen zu be-
herrschen und zu ordnen (Vorles. üb. Naturphil.*, S. 296). Ursache für ein
physisches Greschehen ist immer eine Energie (ib.). P. VoLKBtANN will die
Causalität — Celarent. 177
Cftusaütat durch „reale. Notwendigkeit** ersetzen (Erk. Gr. d. Naturw. S. 155).
Nach Clipfoed hat das Wort „Ursache** ^Jceinen bereehtifften Platx auf dem
Qdfiäe der Wissenschaft und der Philosophie** (Üb. d. Nat. d. Dinge an sich
S. U f.). R. GoLDSCHEiD faßt die Causalitat als „durchgängige wechselseitige
Abhängigkeit aller Empfindungen*' auf. Es gibt nur eine Causalitat, die psycho-
phv8is<*he, keine rein psychische (Eth. d. Gesamtwill. I, 20). Gegen die Re-
ducrion der Causalitat auf bloße Functionalität erklärt sich Stumpf (Leib u.
Seele S. 34). Vgl. Gesetz, Ursache, Wirken, Wechselwirkung, Grund.
Csnsalitftty psychische, s. Causalitat. Über psychophysische
CÄUsalitat s. Wechselwirkung, Parallelismus.
Cansalltfttosclilllß heißt ein Schluß von der Wirkung auf die Ur-
sache. Ein imbewnßter Causalitätsschluß liegt nach Schopenhauer, Helm-
HOLTZ u. a. der Wahrnehmung der Objecte (s. d.) der Außenwelt zugrunde.
Cansatnexns : Verknüpfung von Ursache und Wirkimg. Vgl. Cau-
salitat
Cansalprlnelp s. Causalitat.
Causa posita ponitur causatum: Mit der Ursache ist die Wirkung
j gesetzt (z. B. bei Baumgarten, Met. § 326).
Causa praecedit effectum: Die Ursache geht der Wirkung voran
{z. B. bei JoH. Scottis, Div. nat. I, 39). „Causa est potior causato** (Thomas,
' 8nm. th. I, 60, 4 ob. 2). Vgl. Ursache.
Causa SUii Selbstursache, Grund seines eigenen Seins, d. h. grundlos
\ im Sinne des Durch-sich-selbst-gesetzt-seins, absolut, unabhängig von anderem,
notwendig und ewig in und durch sich seiend und so zu begreifen. Nach
Plotin schafft sich Gott, schauend, gleichsam selbst (Enn. VI, 8, 16). Der
Begriff „causa sui** („ens a se**) tritt in der Scholastik auf bei Avicenna,
Albertus Magnus, Suarez u. a. Thomas: „Liberum didmus hominem, qvi
I foma sui est* (Sum. th. II, 16, 1). Spinoza nennt die göttliche „Substomx**
\ (s. d.) ..causa sui** als Absolutes, als das Wesen, mit dessen Begriff unbedingt
I der Gedanke seines Seins verbunden werden muß. „Per causam sui inteUigo
I id. atius essentia involvü existentiam, sive id^ cuius Jiatura tum polest c/meipi
' nisi fxisfens** (Eth. I, def. I). Nach J. G. Fichte ist das Ich (s. d.) eine sich
I «dbei jysetxende** Tätigkeit. Schelling lehrt: „Oott hat in sich einen Chrund
I meiner Existenx, der insofern ihm als Existierendem vorangeht; aber ebenso ist
(rott irieder das Prius des Orundes, indem der Orund auch als solcher sein
tötmte, wenn Oott nicht aetu existierte** (WW. I 7, 358). Dieser Grund ist die
^Vo^iir in Oott** (1. c. S. 357). Nach Hegel ist eigentlich jede Ursache „causa
\ <nn", die in den endlichen Dingen sich auseinander gezogen hat (Encykl. § 153).
LiPPs erklart die Bezeichnung der absoluten Substanz als „causa sui** für
I Jogiseh völlig berechtigt**. Daß etwas war, ist notwendige Voraussetzung imd
; damit zugleich, sofern diese Voraussetzung die einzige ist, Ursache dafür, daß
I « ist (Gr. d. Log. S. 162).
Cansieren: verursachen, wirken (s. d.).
CaTlDations Trugschluß (s. d.).
Celarent heißt der zweite Modus der ersten Schlußfigur (s. d.) : Obersatz
Pbüoaophiflolies Wörterbnoh. 2. Aufl. 12
178 Celarent — Charakter.
allgemein vemeinend (e), Untersatz aUgemein bejahend (a), Folgerung allgemein
verneinend (e).
Central erregte Empfindungen s. Empfindung.
Centren« psychische, s. Localisation.
Cerebratlonen : Grehimerregungen, Grehimprocesse, Auslosungsproeesse
im Gehirn (Jodl, Lehrb. d. Psychol. S. 119).
Cesare ist der erste Modus der zweiten SchluSfigur (s. d.): Obersatz
allgemein vemeinend (e), Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung allgemein
vemeinend (e).
Cessante causa s. Causa cessante.
Cliaos (von x^^^^f-^j gähnen): ungeordneter Weltzustand ohne Bestimmt-
heit, Gesetzmäßigkeit, Harmonie der Vorgänge, Urzustand des noch ungeformten
Weltstoffes, Weltraumes. In noch mythischer Weise lehrt Hesiod, von allon
sei zuerst das Chaos entstanden indvrayv fiev n^corccra x^^^ yivtrt ^ avrd^ inena
Fat ev^art^oß, Theog. V, 116; dx x^eos S* 'E^eßoe re udXaivd tb NvS iytvovzo
(1. c. V, 123). Nach Anaxagoras wird das Chaos durch den Greist (»'ws,
Diog. L. II, 6) gestaltet. Plato ninmit (im Tim. 30 A ff.) eine chaotische
Masse {xtvovfisvov nXijfifieXios xai aTaxra^e) und (im Philebus) ein Unbestimmtes
{aTiei^oPj 6. d.) an. Gegen die Annahme eines ursprünglichen Chaos erklart
sich Aristoteles (De coel. 2). Ovid spricht von der j^rudis indigestaque
moles^* (Met. I, 7). Nach Nietzsche ist die Welt an sich ein Chaos von Vor-
gängen ohne Zwang und Gesetee (WW. V, 109, vgl. XV, 319). P. Möngre
erblickt in der empirischen Welt einen von unserem Bewußtsein vollzogenen
jjAusschmtt aus dem gesetzlosen Chaos^* (Das Chaos in kosm. Ausl. 1898).
Cliarakter (ji^afaxTi^^, Gepräge, von ;ifa^aa<reiy; j^a^axr^^e« schon von
Theophrast auf Menschen angewandt): die bestimmte Art imd Weise des
Heins imd Wirkens, die eigentümliche Natur eines Wesens, dann der Grundzug
des Wollens und Handelns, die constante Richtung desselben. Der Charakter
eines Menschen ist das Product der Wechselwirkung angeborener Anlagen (Ge-
fühls- und Willensdispositionen) mit äußeren (physisch-psychischen) Einflüss^i
(ursprünglicher — erworbener Charakter). Das Handeln wird durch den Charakter
bestimmt, imd es beeinflußt diesen wiederum, indem es ihn modificiert, variiert
Im engsten Sinne des Wortes bedeutet Charakter den festen, imentM'egten, sich
selbst treuen Charakter, den strengen, guten Charakter; G^ensatz dazu:
Charakterlosigkeit. Der Terminus „chara^ter*^ bedeutet seit Augustinus ein
durch die Sacramente der Seele eingeprägtes heiliges Zeichen (später y^character
saeramentalis^' genannt). Seit La Bruyere (Les Charact^res 1687) hat das
Wort die jetzige Bedeutung (vgl. Eucken, Gesch. d. Grundbegr.).
Nach der Lehre der Veden ist der Charakter die Frucht imd Folge
des Handelns in einer Präexistenz (Deussen, AUg. Gesch. d. Philos. I 1, 21)7 f.).
Heraklit sagt, der Charakter bestimme das Leben des Menschen {tjd'oi yd^
dvd-goint^ 8aifio>v, Alex. Aphrod., De fato 6). Seneca versteht unter dem Cha-
rakter das jySemper idem eeüe aiqne ideni noUe^* (Ep. 29, 4).
Kant unterscheidet „empirischen'' und „intelltgiblen'' Charakter. Ersterer
ist der objectiv-phänomenale, d. h. der Zusammenhang der WiUenshandlongen,
Charakter. 179
unter der Kategorie der Causalität betrachtet^ letzterer gleichsam das An-sich
6ießa Charakters oder der Charakter, rein durch die Yemunft und unter dem
Postnlate der Freiheit (Selbstbestimmung) aufgefaßt „Man könnte auch den
enteren den Charakter eines solchen Dinges in der Erscheinung, den xweiien den
CkaraÜer des Dinges an sieh seihst nennen^'- (Kr. d. r. Vern. S. 433). Für den
empirischen Charakter gilt der (psychologische) Determinismus (s. d.). Der in-
tdligible Charakter des Subjects ist der, dadurch es zwar die Ursache seiner
Handlungen als Frscheinungen ist, „der aber selbst unter keinen Bedingungen
fier Sinnlichkeit steht und selbst nicht Erscheinung ist^^ (ib.). „Als solches
Kürde dieses tätige Wesen sofern in seinen Handlungen von ailer Natumotu^endig-
keity als die lediglieh in der Sinnenwelt angetroffen toird, unabhängig und frei
seis^' (L c. S. 434). Schopenhauer lehrt, „daß der intelligible Charakter
jedes Mensehen als ein außerxeitlieher, daher unteilbarer und unteränderlicher
WüUnsact xm betrachten sei, dessen in Zeit und Baum und allen Formen des
Satzes vom Grunde entwickelte und auseinandergexogene Erscheinung der em-
pirische Charakter ist, wie er sich in der ganzen Handlungsweise und im
Lebenslaufe dieses Menschen erfahrungsmäßig darstellt** (W. a. W. u. V. I. Bd.,
§ 35). Die Freiheit liegt nur im Sein, nicht im Tun : „operari sequitur ess&\
das Handeki ist notwendig durch das Sein bedingt (Üb. d. Freih. d. Will. V).
J)er Charakter des Menschen ist constant: er bleibt derselbe, das ganxe Ld>en
kmdureh,^* „Der Mensch ändert sich nie,'* „Der individuelle Charakter ist an-
geboren** (1. c. III; Neue ParaUp. § 220). An eine vorzeitliche Bestimmung
des eigenen Seins durch den Willen glaubt auch Schellino. Chr. Krause
^richt von der „LAensgrundtceise**, Nach Fries ist Charakter die „Kraft der
perständigen Selbstbeherrschung** (Anthrop. § 75). Nach J. £. Erdmann ist er
die ^4^UTch wiederholte Entschlüsse xur Gewohnheit getcordene Weise sich xu
entschließen** (Gr. d. Psych. § 162). Nach Herbart ist er das, was der Mensch
eigentlich wiU (Allg. Pädag. S. 299). Volkmann : „Psychologische Freiheit als
bleibende Eigentümlichkeit des Subjects bezüglich einer ganxen Klasse von Wollen
heißt Charakterxug , und über das gesa?rite Wollen ausgedehnt: Charakter**
(Lehrb. d. Psychol. II*, 5(H). E. Dühring: „Der Charakter ist das Fest-
^nrordene und Verkörperte, sowie überhaupt das Beharrliche in den materiellen
warf geistigen Antrieben und Verhaltungsarten** ( Wirklichheitsphilos. S. 202). Nach
E. V. Hartmann ist der Charakter der allgemeine Reactionsmodus auf die
besonderen Klassen der Motive (PhiL d. Unb.*^ S. 203). Nach Carneri wird
der Charakter „mit dem Menschen geboren, insofern er nichts ist als der Aus-
druck des ganxen Mensehen, sein bestimmtes Ich** (Sittl. u. Darwin. S. 129).
RiBOT bestinmit den Charakter als Besultante aller Zustande imd Tendenzen
dfii Ich (Mal. de la Volonte, dtsch., S. 127; vgl. Mal. de la personnal.; Revue
Philos. 34; vgl. Paulhan, Les Caract^res, 1894). Nach Wundt ist der Cha-
rakter ,^n aus der vorangegangenen geistigen Causalität resultierender Total-
^ffeet, der seihst uneder an jeder neuen Wirkung sich als Ursache beteiligt**
lEth.*, S. 478). Der Kern des Charakters ist ein Erbteil der Ahnen, etwas
rrspriingliches (Grdz. d. phys. Psychol. II*, S. 576 ff.; Vorles.», S. 470 ff.).
(iiZYCKl betont die Zusammengesetztheit des Charakters; dieser ist „eine Ge-
iamtheit verschiedenartiger Triebfedern** (Moralphilos. S. 165). SüU.Y versteht
onter Charakter im engeren Sinn „die enttvickelte Individualität, d. i. die Gruppe
der natürlichen Neigungen, insotceit als diese ausgewählt, gestärkt und durcli die
Eimcirktmg der Verhältnisse . . . befestigt ufcrden** (Handb. d. Psychol. S. 423).
12*
180 Charakter — Ciroulus in probando.
Nach Th. Ziegleb ist der Charakter die Summe aller Gewöhnungen and
Übungen, aller erworbenen Dispositionen, aller gelaufigen Maximen (Das Gef.',
S. 178), die ,i Summe der Wiüensdisposüionen" (1. c. S. 300). „Das Angeborene,
das Temperament bildet die Unterlage, die Brxdehung im weitesten Sinne macht
den Mensehen erst xu dem^ was man Charakter nennt, der selbst nie angeboretu
sondern stets erworben, Product und Ergebnis isf^ (1. c. S. 297). JODL veisteht
unter „encorbenem*^ Charakter „rfte Wülensgeicohnheiten, welche ein Mensch in
sich ausgebildet hat^^j unter „angeborenem^^ Charakter die „verschiedenen Weisen,
auf Motive xu reagieren** (Lehrb. d. Psychol. S. 737). SlnofEL bemerkt: jj)tu
einzige, was gegeben ist, sind die einzelnen Handlungen des Menschen; gewisse
innere oder in den Beziehungen xu anderen sich herausstellende Eigenschaflen
derselben fassen wir xu dem Begriff des Charakters dieses Mensehen zusammen:
allein das ist ein allgemeiner Begriff, gezogen aus der Summe seiner Lebens-
elefnente, aber nicht die hervorbringende Ursache dieser** (EinL in d. MoraL I,
268 f., 282). Unold versteht unter sittlichem Charakter „die Gesamtheit der
Eigenschaflen, Gewöhnungen, Motive, Kräfte und Grundsätze, welche dem ein-
zelnen sittliches Wollen und Handeln ermöglichen, aus denen das sittliche Ver-
halten im einxelTien Fall, sowie die dauernde sittliche Gesinnung sieh ergeben'^
(Gr. d. Eth. S. 265, vgl. S. 262 ff.). Wentsohee betont, der Charakter werde
durch den Willen selbst mitbestinmit (Eth. I, 325). Jerusalem versteht unter
Charakter „die Summe erworbener Urteils^ und Willensdispositionen, die xu
bleibenden Eigenschaften des Individuums geworden sind^^. ,yEr ist das
Resultat aller Erfahrungen^ die tcir gemacht^ alter Einwirkungen, dde wir von
außen erfahren haben, und aller Denk- und Willensaete, durch welche wir diese
Erfaknmgen verarbeitet . . . haben** (Lehrb. d. Psychol.*, S. 205). VgL Smilbb,
Der Charakter, 1878. Vgl. Freiheit
diaraktere nennt B. Avenarius Aussage-Inhalte (E- Werte, s. d.) wie
lustvoll, wahr, bekannt u. dgl., kurz Auffassungsweisen von Erlebnissen in deren
Stellung zum Ich fKrit. d. rein. Erf. I, 16). Vgl. Positional.
diarakterlstica s. Ars magna.
Cliarakterollli^le: Lehre vom psychologischen Charakter des In-
dividuums, Psychologie der Individualität {„Differentialpsychologie^*^ s. d.), auch
Lehre vom Charakter (s. d.). VgL Individualpsychologie.
diarakterologlscli: (^en Charakter betreffend.
Clieiiile, psychische: Ausdruck für das Entstehen neuer geistiger Ge-
bilde imd Werte aus der Synthese von Bewußtseinselementen. Der Ausdruck
zuerst bei J. St. Mill, dann besonders bei Höffding (PsychoL«, S. 326),
WUNDT (s. Synthese). Vgl. Synthese.
CliokiiiAs Weisheit (Eabbalä).
Ghronoskop (Hippsches): elektrischer Begistrierapparat, der die Zeit
(bis auf ViMo") ^i Beactionsversuchen (s. d.) angibt.
GIrciiliis in probando (circulus vitiosus, probatio circularis):
Cirkelbeweis, Boveis mittelst Prämissen, die das zu Beweisende schon voraus-
setzen, enthalten. Schon Aristoteles führt ihn an : ro ^« Kvxkf^ xai dS aX^-
Xtov Stixvvad'ai icxi t6 Sia rov avfiste^da/iarog xai rov avdnaXtv rj xarijyo^q,
TTJr eri^av Xaßurra n^oxaciv avfiTte^dvaed'ai r^v Xom^v, ^v dXdfiftavev iv d'd-
Tf^(j> ffvkkoyta,uoß (Anal. pr. II 5, 576 18). VgL Zirkel.
Cläre et distincte — Cogito, ergo suin. 181
CUure et distlnete s. Klarheit.
Classtfteatloil ist die Einteilung nach (in) Klassen, die vollständig
durchgeführte, systematische Einteilung von Begriffen. Nach Hillebrand
hat die Classification logische und reale Bedeutimg. Die logische Classification
ist „die ideelle Setxung eines^ecUen Systems der Dinge des Wirklichen in seiner
o^jeeiiren Weltordnung und damit in seiner Notwendigkeit** (Phil. d. Geist. II, 21).
WuNl>T definiert die Classification als jjEinteilung, ico die gewonnenen Begriffe
allgemeine Klassen hexcichnen, an denen der Vorgang der Teüung nochmals oder
mehrmals unederholt werden kann'' (Log. II, 40). Sie ist descriptiv, genetisch
oder analytisch (1. c. S. 43). Nach Sigwart ist die Classification die .^logische
Division der Begriffe, vom höchsten bis zur untersten Species^* (Log* II*? S. 695).
Nach H. Spkncee ist Classification „ein Zusammengruppieren von dem, was
ähnlich ist, ein Trennen des Ähnliehen vom Unähnlichen" (Psychol. II,
§ 309, S. 112). Sie ist ein Grundproceß des Erkennens, kommt schon in der
Wahmehmimg (s. d.) vor.
CHnamen atomorum: die willkürliche Abweichung der Atome (s. d.)
von der geradlinigen Bewegung, nach Epikur imd Lucrez.
Coenaestliesis s. Gremeinsinn.
OoSxistenz: Zugleichsein in der Zeit. Vgl. Association, Eaum.
Co^tation: Vorstellen, Denken (s. d.).
C^o^tatlonscentreii (Flechsig) s. Associationseentren.
C<if^t09 erg^o snin: ich denke, also bin ich, Ausdruck für die unmittel-
We Erfassung der eigenen Existenz des Subjects als Subject (nicht als meta-
physische Substanz) in der innem Wahrnehmung und Erfahrung. Das Sein
ist ein integrierendes Moment des Selbstbewußtseins, der Ich-Tätigkeit; diese
wtzt sich, wirkend als seiend, ohne Schluß auf ein Sein hinter dem Bewußt-
sein. Die Sicherheit der innem Erfahrung wird durch das „Co^'to, ergo »imi"
begründet.
Schon in den Upanishads findet sich die Bemerkung: „Das Selbst ist die
Basis (d^aya) für die Tätigkeit des Beweisens, und mithin ist es auch vor der
Tätigkeit des Beteeisens ausgemacht . . ., denn teer es in Abrede stellt, eben dessen
eigenes Wesen ist es" (Deüssen, Allgem. Grcsch. d. Philos. I 2, 240). Dann bei
Augustinus: „Quando quidem, etiam si dtUntat, vioit, si dubitat, cogitaf" (De
irinit X, 14). Wenn ich zweifle oder irre, so muß ich sein (Solu. II, 1 f.;
De ver. relig. 72 f.). Thomas: „Nullus polest cogitare se non esse cum assensu:
in hoc enim, quod cogitat, percipit se esse" (De verit. 10, 12 ad 7). Ahnlich
Wilhelm von Occam. Femer Campanella: „Si negas et dicis me fallt,
phne eonfUeris, quod ego sum; non enim posstim falli, si non sum" (Univ.
philoe. I, 3, 3). „Ergo nos esse et posse scire et pelle est certissimum principium,
fieinde secundaria, nos esse aliquid et non omnia^* (ib.).
Neu aufgestellt und zum formalen Fundament der Gewißheit der Erkennt-
nis gemacht wird das Erfassen des Ich-Seins aus dem denkenden Bewußtsein
voD Descabtes. Der methodische Zweifel (s. d.) fordert, daß an allem, was
bifiho' dogmatisch für objectiv gehalten wurde, gezweifelt wird. Zweifelt man
aber, so denkt man, und wie könnte das Denken, das Denkende nicht sein?
Mag ich selbst in allem meinem Denken betrogen sein, niemand, auch Gott
nicht, kann bewirken, daß ich nichts sei, solange ich denke, „adeo ut omnibus
182 Coglto» ergo aum.
saits superqiie pensüatis deniqut statuendum sit hoe pranunciatum: ego sum,
ego existo, quoties a me profertur, vel mente eoneipitur, neeessario
esse per um" (Medit. II, p. 9). Das Denken kann vom Ich nicht getrennt
werden: „eogit(Uio est, haec sola a me divelli nequit, ego sum, ego existo, eerUim
est" (Medit. 11, p. 10). Das Ich ist also, und zwar ist es „res cogitans" (Medit.
II, p. II). „Faeile supponimus mdhtmesse Deuni, nuUum eoelum,nuUa corpora;
nosque etiam ipsos non habere manus, nee pedes, nee denique ullum corpus; non
autem ideo nos qut talia eogitamus nihil esse : repugnat enim, tU ptäemtis id, quod
cogitatf eo ipso tempore, quo cogitnt, non ernstere, Ac proinde haee eognüioy ego
eogito, ergo sum, est omnium prima et certissima" (Princ. philos. I, 7). Der
Satz ist nicht Kesultat begrifflicher Schlußfolgerung (mit der Prämisse: alle*
Denkende existiert), sondern immittelbar durch „prima quaedam notio quae ex
nuUo syüogismo concludiiur** gewonnen (Kespons. ad II. obi.). Er ist klar und
deutlich einzusehen, also wahr. „Descartes tcill mit diesem Satxe xu der Vor-
aussetxung aller y auch der naturtcissenschaftlichen Erkenninis, defn denkenden
Subjecte, x/uriickgreifen, um von da aus in methodischem Fortschritte und auf
dem Wege einer lückenlosen Deduction xu den Grundbegriffen des Wissens und
den Elementen des Seins xu gelangen" (EiEHL, Zur Einf. in d. Philos. S. 43).
Gassendi meint, aus jeder Handlung des Ich, nicht bloß aus dem Denken,
folge das Sein des Ich. Nach Leibi^^iz ist der Satz: ^^ieh bin" von äußerBt»-
Evidenz, eine unmittelbare Wahrheit. Ich bin denkend bedeutet schon im-
pUcite: ich bin (Nouv. Ess. IV, eh. 7, § 7). Chk. Wolf hingegen faßt den
Satz: eogito, ergo sum als logische Demonstration auf (Vem. Ged. I, § 6 f.).
Destutt de Tracy wiedenun meint, Descartes hätte sagen können „penser et
exister sont pour moi une seule et meme ehose^^ (El. d'id6ol. III, 2). Nach
M. DE BnLAN hätte Descartes richtiger sagen sollen ,Je veux] done je suis^*, ich
will, also bin ich (,jVolo, ergo sum") (Oeuvr. in^. III, p. 410, 413, 420). Nach
GÜNTHER ist das „eogito, ergo sum" ein Vemunftschluß, der sich auf die Iden-
tität des Denkens und Seins im Ichbewußtsein stützt. Nach O. Schkeider
ist der Satz kein Schluß, sondern eine Tautologie: „Ergo sum enthalt nichts
weiter, als was schon in dem eogito versteckt liegt und icirkt* (Transcendental-
psych. S. 445). J. Bergmann betont: „Oeiviß ist , . ., daß wir niehts als </a-
seiend denken können, ohne unser denkendes Ich selbst als daseiend xu denkend
(Begr. d. Das. S. 294).
Schopenhauer stellt den (jregen-Satz auf: „Cogito ergo est — d h. wie ich
geicisse Verhältnisse (die mathematischen) an den Dingen denke, genau so müssen
sie in aller irgend mögliehen Erfahrung stets ausfallen" (W. a. W. u. V. II. Bd.,
C. 4). A. BlEHL corrigiert den Cartesianischen Ausspruch in „eogito, ergo sum
et est*^. „Nicht mein Selbstbetpußtsein, mein Bewußtsein ist mir ursprünglich
gegeben; die innere Erfahrung geht v)eder der Zeit noch dem Begriffe nach der
äußern voran" (Philos. Kritic. II 2, 147). „Indem ich ynir meines eigenen Da-
seins beicußt werde, werde ich mir unter einem des Daseins von etwas bewußte
was ich nieht bin" (ib., ähnlich Kant, s. Object).
Daß aus dem „eogito'* niu: die Existenz des „cogitari", Gedachtwerdens,
nicht des Ich als Träger, Subject des Denkens folgt, behauptet zuerst Lichten-
BERQ. „Wir kennen nur allein die Existenx unserer Empfindungen, Vorstellungen
und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu
sagen cogito, ist schon xu viel, sobald man es durch ,Ich denket übersetzt. Das
Ich anzunehmen, xu postulieren, ist praktisches Bedürfnis." „Mit eben dem
Ck>glto, ergo aum — CommuxiiBmua. 183
Orade pon Omcißheit, mit dem unf*^ über%eugt sind, daß etwas in tms vorgeht,
sind wir aueh überzeugt, daß etwas außer uns vorgeht^^ (Bemerk. S. 129).
Schellikg: „Die Meinv/ng des Cartesius ist also, das Sum sei in dem Cogito
eingeschlossen^^ (Zur Gesch. d. neuer. Philoe. WW. I 10, 9 f.). Das „wahre
Factum*^ dabei ist aber nur : „Es denkt in mir, es mrd in mir gedackf* (1. c. S. 12).
Xach Nietzsche ist nur sicher: „Ich stelle vor, also gibt es ein Sein: cogito^
ergo est^. ,-Daß i^h dieses Vorstellen des Seins bin, daß Vorstellung eine Tätig-
keit des Ich ist, ist nicht mehr gewiß: ebensowenig alles, was ich vorstelle. —
Das einzige Sein, welches icir kennen, ist das vorstellende Sein" (WW. XII,
1, 6). Das ,/rÄ*' als Substanz wird nur geglaubt, fingiert. „Es wird gedacht;
folglich gibt es Denkendes : darauf läuft die Argumentation des Cartesius hinaus.
Aber das heißt, unsem Glauben an den Substanxbegriff schon als ,wahr a priori^
ansetzen: — daß, wenn gedacM wird, es etwas geben muß, ,da8 denkt\ ist ein-
fach eine Formulierung unserer grammatischen Oewöhfiung, es wird hier bereits
ein logisch" metaphysisches Postulat gem^wht — und nicht nur constatiert^*^
(WW. XV, 3, 260, VII, 1, 16 f.). Der „Oeist", der denkt, ist nur „imaginiert",
das .^Subjeel^' des Bewußtseins eine Fiction (WW. XV, 262 ff.). Nach P. Ree
darf es nur heißen „Sum cogitans. Ich bin ein Häufchen Vorstellungen" (Philos.
S. 115).
Costtor, eri^ sums Ich werde gedacht (vom Absoluten), also bin ich
(Baader, auch Hamebuno, Atomist. d. Will. I, 127).
ColiieidenB der Gegensätze („coinddentia oppositorum"), Zusammen-
üllen, Auf gehobensein der G^ensatze und Widersprüche des Seins im Einen,
Uneidlichen, Absoluten, Aufhebung der Vielheit (s. d.) in Gott. Der Begriff
der „eoincidentia" tritt (in gewissem Sinne schon bei Ai^aximander, s. Apeiron)
zuerst bei Nioolaub Cusaxus auf. Nach ihm sind in Gott, dem Unendlichen,
das Größte und IQeinste eins („coinddentia maximi cum minimo*', De doct.
ignor. I, 4), in ihm verschwindet alle Vielheit, die nur der Welt (s. d.) als
Ezplieation des Grottlichen zukommt. „In divina complicatione omnia absque
differentia coinddunt" (De coniect. II, 1). Reüchiin erklart: „In mente datur
eoineidere contraria et contradictoria, quae in ratione longissim-e separantur^^
(De arte cabbaL 1517). Nach G. Bruno ist alles Widersprechende und £nt-
g^engesetzte im Einen, im göttlichen Principe eins und dasselbe (De la causa,
Dial. \). Ahnlich Schelung. Vgl. Complication.
Colntenfiiioii: Gleichheit von Beziehungen, sofern sie die Contraste
zwischen ihren Gliedern betrifft (H. Spencer, Psychol, 11, § 292).
ColUl^atioil ist nach Drobibgh, „die Zusammenfassung nur gleichartiger
(unter einem und demselben Gattungsbegriffe stehender) Obfecte". „GolligationS'
begrifft* ist ein Begriff, welcher eine Ck)lligation zum Inhalte hat (N. Darstell,
d. Log.», § 29).
Oolllsion der Pflichten s. Casuistik.
Comblnatioiiskiiiist s. Ars magna.
CombinatioiisUlne s. Gehörssinn.
Coamioii Sense s. Gemeinsinn.
Commnntamna s. Sociologie.
184 Ck>mparatiTe AUgemeinheit — Ck>nception.
ComparaÜTe Allgemeinheit s. Allgemein. Comparative Psychologie
s. Psychologie.
Complemeiitilrfarbeii s. Lichtempfindungen.
Complex: Inbegriff, Verknüpfungsganzes, z. B. Complexe von Empfin-
dimgen zu Vorstellungen, Qualitaten-Complexe als Objecte (s. d.). „Cofnplexe^*^
nennt Stricker die Vorstellungen von der Außenwelt, unter ihnen sind festere
Associationen, ^^Orundcomplexe^^ (Stud. üb. Assoc. S. 5) und „multiple Com--
plexe^^ (1, c. S. 15). H. Cornelius nennt Complex „die Oesamtheä der gleich-
oi£itig beachteten bex. gletchxeitig erinnerten Inhalte^^ (Psych. S. 38). — ^^CmnpkjT"
ist em zusammengesetzter Begriff. Vgl. Inhalt.
CompUcation: Verbindung, Vereinigung, Vereinheitlichung einer Man-
nigfaltigkeit: 1) Metaphysisch. Nach Nicolaus Cusanus ist die Welt eine
Explication Gottes, und dieser die „ctnnplicatio omnium^\ „Deus ewnplicitc est
omnia'^ (De doct ignor. II, 3). Auch R. Fludd erklärt, „tU omnes res essent
eomplieite in potentia divina*^ (PhiL Mos. 1, 3, 2). 2) Psychologisch. Nach
Herbart „complideren" sich die nicht entgegengesetzten Vorstellungen (wie
Ton und Farbe), soweit sie imgehemmt zusammentreffen, im Bewußtsein zu
einem Ganzen, entweder vollkommen oder unvollkommen (Lehrb. z. Psychol.*^
S. 21 f.). Nach Fortlage sind Complicationen Verbindungen ungleichartiger
Bewußtseinsinhalte (Psychol. I, 169, 174). Nach Lipps ist Complication „rfte
räufnluihe Verbindung disparater Vorstellungsinkalte" (Gr. d. Seelenleb. S. 579).
WuNDT versteht unter Complicationen „die Verbindungen zwischen ungleicit-
artigen psychischen Oebilden^^ ■ (Gr. d. Psychol.*, S. 281). Gegenüber der Assi-
milation erscheint die Complication als eine losere Verbindung (ib.). Unter den
verbundenen Gebilden ist eines das „herrscJwnde" , klarer bewußte (1. c. Ö. 282).
Oft ist die Existenz einer Complication nur durch ihre Gefühlswirkmig bemerk-
bar (ib.). Nach KtJLPE sind Complicationen Verbindungen von Empfindungen ,
„bei denen die gleichxeitigen Cotnponenten verschiedenen Sinnen angehören" (Gr.
d. Psychol. S. 328).
Composfilbel: zusammen möglich, (miteinander) vereinbar, (einander)
nicht ausschließend. Nach Leibioz ist nicht alles Denkbare auch wirklieh
composteibel; die Welt hingegen ist der Inbegriff alles Compossiblen.
Comprehenslon : Begreifen (s. d.). Zusammenfassen, Erf lassen.
Cönftf^thefBilH s. Coenaesthesis.
Conataü^: Streben (s. d.). L. Stein spricht von einem „Conatus der
Oeschichie".
ConeanfBiae (awalTiai, s. Causalität): Mitursachen, auch = Ursachen-
complex, „plures causae eiusdem causaii" (Chr. Wolf, Ontol. § 885).
Coneentratlon des Bewußtseins heißt die „mehr oder tcmiger große
Einschränhifig der Aufmerksamkeit auf eine geirisse Zald von Inhalten" (Külpe,
Gr. d. Psychol. S. 446). Mit jeder Concentration ist eine partielle „Zerstreuung^*
(für andere Inhalte) gegeben. Nach Kreibig ist Concentration „ein bestimmtes
Maß von Enge der Äufmerksanikeit während des Fixierung sst ad i um s''^ (Die
Aufm. S. 30). Vgl. Aufmerksamkeit, Enge des Bewußtseins.
Coneeptlon: Erdenken, Begreifen, Begriffebildung (z. B. Sully, Haudb.
d. Psychol. S. 238). Nach Hodgson ist „eonception" „a case of voluntartf
Conoeptlon — ConsoientialiamiiB. 18&
Ttdintegration'^ (Philos. of Eeflect. I, p. 289). Das ,^mommt of attention^' macht
dea ÜDterBchied zwischen y,eoncqpf' und ,jpereepf^ (s. d.) (1. c. p. 294 f.).
OonceptaallBiniifBi heißt die Richtung der Universalienlehre (s. d.)^
nach welcher das Allgemeine (s. d.) wenigstens in unseren Begriffen (im „con-
ttptut*) Existenz hat So ist nach Wilhelm von Occam das Allgemeine ein
jeoneeptus mentis significans univoce plura singtdaria^K Ahnlich Petbus
AuEEOLUs, Durand de St. PouRgAiN, später Locke, Leibniz, Beid, Brown
u. a. VgL Allgemein, Terminismus, Nominalismus.
Oonctasion : logische Folgerung, Schlußsatz. Bei Aristoteles = <rt/^-
zü^aaiiu (AnaL pr. I 9, 30 a 24, II 6, 58b 16). Die Folgerung ist in den ver-
schiedenen Modis der Schlußfiguren (s. d.) verschieden. Stets ist sie der
jsektcä^herefi^* (d. h. particularen oder verneinenden) Prämisse gemäß: „Con-
ciugio sequitur partem debüiorem^^. Der Satz schon bei Theofhrast, Eudbmus :
iv ndcatg Tals avfetXoxais xo av/ine^aafia dal rq; iXatrovi xai x^^Q^^*- f^^^
numivtov ä^o/ioiovc&ai. Auch bei Apuleius (vgl. Prantl, G. d. Log. I,
371, 587).
ConereaÜanismiis s. Creatianismus.
Ooncret s. Abstract. Concreter Monismus s. Monismus.
Concret-aU^emeln heißt nach Hegel der sich selbst besondemde Be-
griff, das Allgemeine (s. d.) als im Besonderen bestehend.
Coiiciir»ll8 Oel: Assistenz, ^ütwirkung Gottes bei den Wechsel-
beziehungen zwischen Leib und Seele (s. d.). (Descartes, Occasionalisten.)
Conditio 8lne qua non: notwendige, absolute, unerläßliche Bedin-
jfimg. Vgl. Bedingung.
ConfbrmiUlt (conformitas): Gleichheit oder Übereinstimmung der Form
'2. B. bei GiLBERTüs PoRRETANüS, Vgl. Prantl, G. d. Log. II, 220). Eine
Conf ormität der Denk- und Seinsgesetze nehmen an Spinoza, Schleiermacher,
Hegel, Trendelenburg , E. v. Hartmann, Lotze, Überweg, Riehl,
WrxDT u. a.
C^nfns: verworren (s. d.)
Con^preg^alfiiysteiii s. C-System.
Conjectnr (coniectura) : Vermutung, Mutmaßung, indirecte, aus Anzeichen
stammende Erkenntnis. Nach Nicola us Ctjsanus ist alles Wissen vom Wesen
^^ott^i nur Conjectur. ,,Consequens esfy omneni humafiam veri positiram asser-
iionem esse coniectura m*^. ,,Cognoscitur igitur hiatiingiinlis Verität is unitas
'ilf^fate ctmieeturaW" (De coniect 1).
Co^jonctlTes Urteil ist ein Urteil mit einem Subject imd einer Mehr-
liHi von Prädicaten: S ist sowohl Pj als P, als Pj oder, negativ, S ist weder
P, noch Pj noch P,.
Connatiir: Ubereinstinunung in der Natur (H. Spencer, Psyohol. II,
Connex (connexus): Verknüpfung, Zusammenhang.
Connotatlv: mitbezeichnend, s. Name.
CoDsrlentialUiinns ist (nach B. Erdmann, Log. I, 78) die Lehre, alles
5^ sei Bewußtsein (Idealismus, s. d.).
186 Consecutiv — Ck>n8traotion.
ConseeiitiT s. Merkmal.
donseiiftlis (gentium) : allgemeine Ubereinstimmmig bezüglich einer Idee,
einer Annahme, eines Glaubens, sofern sie in der gleichartigen Natur aller
Vernunft begründet ist. Verschiedentlich wird der Consensus als Argumait
für die Wahrheit allgemeiner Begriffe, besonders der Begriffe Gott, Unsterblich-
keit u. dgl. ausgegeben. Besonders von den spateren Stoikern. So beruft
sieh Cicero in Bezug auf die Gottesidee (s. d.) auf den j^consenmis nationum^
(Tiiscul. disp. I, 16, 36). Und Seneca bemerkt: y^Multum dare solemus prae-
^umptioni omniurn hominnm, et apitd nos peritatis argttmentum est aliquid
Omnibus videri^^ (Ep. 117, 6). MiNüClüS Felix: „Itaque cum omnium gentium
de dis immortalibus quamvis incerta sit vel ratio vel origo, maneal tarnen firnta
^onsensio" (Octav. 8, 1).
Conseqnens (consequentia): logische Folge, Folgerichtigkeit. Der Ter-
minus bei Albertus Magnus (,, consequentia fannalis^'^ und „e. nuUerialis^^), der
Begriff schon bei den arabischen Philosophen. Consequens: der Nachsatz
im hypothetischen Urteil.
Consonans s. Klang.
Constabllierie Harmonie: die feste Ordnung des Weltsystems
(Swedenborg, Oeconomia regni animalis 1740).
Constans: Beständigkeit im Dasein, im Tun, im Wollen. Constant ist,
„was hei allen Veränderungen eines und desselben Inhalts sich fortwährend gleich-
-artig erhälV^ (Lotze, Gr. d. Log. S. 11). Ein Postulat des physikaUscheo
Denkens ist die Constanz der Energie (s. d.), der Materie (s. d.). Vgl. An-
schauungsformen, A priori (Wundt), Fehler.
Conütltnlerens etwas ausmachen, bestimmen, begründen, zusammen-
setzen (besonders begrifflich, durch Kategorien). Der Terminus schon bei
BofiTHius (Comm. Isag. p. 46).
Constitation : Zusammensetzung, Einrichtung, Gefüge, z. B. des Orga-
nismus, der Seele. „Constiiutio est principale animi quodammodo se haben»
erga corpus^' (Seneca, Ep. 121, 10).
Consiltationaltomiis^ philosophischer, s. Individuum.
ConstitatiT: bestimmend, objective Wesenheit bestimmend. So sind
nach Kant die Kategorien (s. d.) constitutiv, die Ideen nur regulativ (s. d.).
Vgl. Merkmal.
Constmctlon^ logische (Begriffsconstruction) ist das Verfahren, auf be-
griffliche Weise durch Deduction aus Begriffen Erkenntnisse zu gewinnen, welche
Objeote der Erfahrung bestimmen (so bei Schelling). Sie ist ein apriorisches
Verfahren, das überall da, wo es sich um mehr als formale Bestimmungen
handelt, wohlbegründeter Inductionen bedarf, um nicht in der Luft zu schweben
und die Erfahrung zu verfälschen, wie man denn besonders die HEGELsche
Methode des Philosophierens oft im tadelnden Sinne als BegriffBconstniction
bezeichnet. Nach Kant ist Construction ein f,Darsteüen des Gegenstandes fii
einer Anschauung^' (WW. IV, 359). Einen Begriff construieren heißt „die ihm
correspondierende Anschauung a priori darstellend^ (Krit d. rein. Vem. S. 548;
Log. S. 22). „/n allgemeiner Bedeutung kann aus Darstellung eines Begrifft
durch die (selbsttätige) Hervorhringyng einer ihm correepondierenden Ansehaumg
Constmotlon — Ck>ntingenx. 187
Omstruction heißen, Oesekieki sie durch die bloße Einbildungskraft, einem
Begriffe a priori gemäß, so heißt sie die reine . . . Wird sie aber an irgend
einer Materie ausgeübt, so tviirde sie die empirische Construction heißen
kotmen. Die erstere kann auch die schematische, die xweite die technische
genannt werden^'^ (Üb. e. Entdeck. S. 9). Die Gewißheit der matheinatisdieii
Axiome (s. d.) beruht auf der Möglichkeit, sie in einer reinen Anschauung (b. d.)
zu construieren (so auch besonders Schopenhauer). ICruo bestimmt: „Mnen
Begriff construieren heißt den innem Oehalt desselben so darstellen, daß das,
worauf er sieh bexiehi, dem OemiUe wirklieh sich vergegenwärtigt^' (Fundamentalph.
S. 239). Nach Schelling heißt über die Natur philosophieren so viel wie sie
schaffen, d. h. aus Begriffen construieren (WW. I 3, 13). „Construction über-
haupt ist Darstellung des Realen im Idealen, des Besonderen im schlechthin All-
gemeinen, der Idee^* (Vorles. üb. d. Methode d. akad. Stud.*, 11, S. 256).
HiLLEBRAND versteht unter CJonstruction ,^ogisehe Selbstaufioeisung^^ des Be-
griffes als seines eigenen Werkes (Phil. d. Geist. U, 64).
Contemplatloii : Betrachtung, Schauen, Beschaulichkeit, ruhiges gei-
stiges Anschauen des Übersinnlichen, des Greistigen, (göttlichen in der Seele
and im All, besonders als Mittel mystischer Erkenntnis (Buddhismus, christ-
liche Mystik). Sekeca spricht von der „contetnplatio veri^' als einem Teile
der Tugend. Plotin lehrt, es gäbe im Zustande der Ekstase (s. d.) ein Schauen
(•^f) des göttlichen Einen (Enn. VI, 9, 3), zu dem man sich nur durch Ab-
kehr vom Sinnlichen erheben kann. So auch die Mystiker. Nach Bernhaeit
vosr CuLlRVAUX ist die „contemplatio^^ „verus certusque intuitus animi de
quaetmque re, sive apprehensio rei non dubia" (De consid. II, 2). Nach Bighard
voK St. VicrroR gibt es sechs Stufen der Contemplation, deren höchste eine
^jalienatio mentis" (Verzückung) ist (De cont. V, 2; ähnlich Bonaventura).
X<intemplationem dieimus, quando veritatem sine aliquo involucro umbrarum-
^ rel animi in »ua puritate videmus^^ (1. c. V, 14). Nach Bovillus entsteht
die Contemplation, „quamdiu reservaias in fnemoria spedes speculatur inteUectus
ffpraesentante atqtie afferente eas Uli memoria" (De intell. 7, 7). Ahnlich lehrt
Locke, eine Contemplation finde statt, wenn die Vorstellung eine Zeitlang
wirklich gegenwärtig behalten werde (Ess. II, eh. 10, § 1). Nach Schopen-
hauer verhält sich der Mensch in der Anschauung des Schönen „rein coniem-
pUUiif' (W. a W. u. V. I. Bd., § 39, vgl. Ästhetik). — Die Unterscheidung
einer ^,notitia eontemplatira" und „n. practica" schon bei Albertus Magnus
(bum. th. I, 35, 2), einer ,j9hilosophta contemplativa" und „pÄ. aetiva" schon
bei SEsnscA (Ep. 95, 10). Das contemplative Leben wird besonders von Plato,
AsigTOTELES, Plotin, Spinoza, SCHOPENHAUER hoch gewertet. Vgl. An-
Bchanimg (intellectuelle), Intuition.
CTontii^llitilt (contiguity): Berührung, Zusanmien in Baum und Zeit
«eontiguns = anro/uvos bei ARISTOTELES, Phys. V 3, 226 b 23). Die Con-
tigoität ist ein Princip der Association (s. d.).
Contliig^lit (benachbart) heißen die zwischen conträren Begriffen einander
nahestehenden Artbegriffe.
ContiBf^eiUB (Contigenz): Gegensatz zur Seins-Notwendigkeit, Möglichkeit,
Zofalligkeit, Anders-sein-können. „PossibUe quidem et contingens idem prorsus
sonant^ (Abaelard bei Prantl, G. d. Log. II, 198). Thomas: „Contingens
188 Contiiigena — Contrast.
est, quod potest esse et non esse^* (Suin. th. I, 86, 3c). Spinoza: „Si ad rei
esserUiam simplictterj non vero ad eins causam attendamus, ülam cofitingetUem
dieemtis** (Cog. met. I, 3). Nach Leibniz ist die ^yvodix eantingentia^^ der Tat-
Bachen der progreeeus in infinitum, der bei der Erklärung einer Tatsache aus
anderen schließlich zu Gott führt (Erdm. p. 83b). Chb. Wolf: ,,Cantingens
est, cuias opposttum mälam contradictionem involvit, seu qttod fiecessarium non
est^^ (OntoL § 294). Nach Baumgarten ist „contingenHa^^ „entis detervninatioy
qua contingens est*^ (Met § 104). Destütt de Tracy: „Notis appellons eon-
tingens les effets dont nous voyons la cause sans voir Venehatnement des cattses de
rette cause" (El. d'id^l. III, 8, p. 356). Ein Gottesbeweis (s. d.) ist der Beweis
„e cantingentia mundi". Vgl. Zufall.
Continnitilt : Stetigkeit (s. d.).
Continniiiii: das Stetige.
Contradlctlo In adlecto : Widerspruch im Beiwort, d. h. Widersprudi
des Prädicats mit dem Subject, Urteil, in welchem der Prädicatsbegriff den
Subjectsbegriff aufhebt.
Contradlction: Widerspruch (s. d.).
Contradlctortech (contradictorium, avrifarixm bei Aristoteles) heißt
die Art des (logischen) Gegensatzes (s. d.) zwischen Begriffen, bei welchem der
eine die directe Verneinung, Aufhebung des andern ist (z. B. sterblich — nicht
sterblich). Contradictorische Begriffe können nicht gleichzeitig von einem und
demselben Subject ausgesagt werden, weil dies einen Widerspruch einschließt.
Der Terminus „contradictio** schon bei BoBthiub: „Voco autetn contradietumis
opposüionem., quae affirmatiane et negatione proponttur^* (vgl. Prantl, G. d.
Log. I, 686).
Contraposition s. Conversion.
Contra princlpla ne^antem non est dlspntandnnoi s ohne
Übereinstimmung in den Grundvoraussetzimgen kein logischer Streit.
Contrftr (contrarium) sind Begriffe, die als Glieder einer disjunctiven
Reihe am weitesten voneinander abstehen (z. B. schwarz — weiß). Im contraren
Ciegensatze stehen Urteile, zwischen welchen noch ein drittes Urteil denkbar ist
(von der Form: einige S sind P). „Conträr^* heißt bei Aristoteles drTtxeiucros
10 xara Siafier^ov (De cael. 18, 277a 23 squ.). Cicero: „Contrarium est^
quod positum in genere diverso ab eodem, cui contrarium esse didtur, pturimum
distatj ut frigus cahri" (De invent. 28, 42; Top. 11, 47). Albertus Magstjb:
„Contraria sunt, quae maxime distant in eodem et expeüunt se mutuo ab eodem
susceptibili'^ (Sum. th. I, 24, 3). Thomas: „Contraria sunt, quae maxime
differunt*^ (Sum. th, I, 77, 3 ob. 2). Chr. Wolf: „Opposäa, quae enti sirmd
inesse nequeunt, sunt contraria" (Ontol. § 272). Hegel verwirft die Unter-
Fcheidimg von conträr und contradictorisch (Encykl. § 165). Nach Herbart
sind Begriffe conträr, die miteinander imvereinbar sind (z. B. Kreis — Viereck).
ContraMt: scharfe Abhebung eines Objects von einem andern, qualitativ
größter Unterschied und Gegensatz (z. B. von Farben, von Gefühlen). Der
Contrast bewirkt eine Verstärkung der contrastierenden Gefühle. Der Contnist
wird zuweilen als ein Factor der Association (s. d.) betrachtet. Nach Kaitf
ist Contrast „die Aufmerksamkeit erregende Xebeneinanderstellung einander tcider-
Ck>]itra8t — Conversion. 180
ftortiger SitmeavorateUtmgen unter einem tmd demselben Begriffe^^ (Anthrop. I,
§ 23). ContraBtierend sind nach Volkmann y^jene hofnologen OesamivoreteUungetiy
hei denen die Differefnx der Oegensatxgrade sieh ihrem Maximum nähert^ (Lehrb.
d. Psychol. I*, 374). Wundt unterscheidet physiologischen und (eigentlichen)
psychologischen Oontrast. Unter dem Namen ^.ContrasP' faßt man Erschei-
nungien zusammen, „6e» denen die xu vergleichenden Größen als relativ größte.
Unterschiede oder, wenn es sieh itm Gefühle ha'ndeU, als Gegensätze auf-
fefaßt werdefi^^ (Gr. d. Psychol.*, S. 313). Der psychologische Oontrast ist „(Äm
Produet eines Bexiehungsvorgangs" (ib.). Bei den Gefühlen hangt die Wirkung
des Contrastes mit den ^^natürlichen Gegensätzen^^ der Gefühle zusammen. „So
trerden Lustgefühle durch unmittelbar vorangegangene Unlustgefuhle und manetue
Entspan$tungsgefuhle durch die vorangegangenen ISpannungsgefukle, x. B. das Ge-
fühl der Erfüllung durch das der vorangehenden Erwartung, gehoben^* (1. c. S. 314).
(j€geD die Zurückführung des Contrasts auf ein Beziehungsgesetz ist Xülpe
<Gr. d. PsychoL S. 420), auch gegen die Theorie von Helmholtz (vgl. Physiol.
Optik*, 2. Abechn., § 24), daß die optischen Contrasterscheinungen auf Urteils-
liiiÄ-hungeii beruhen (1. c. S. 420). K. imterscheidet zwei Hauptklassen von
CoQtnisterscheinungen in qualitativer Hinsicht. jyZicei verschiedene Helligkeiten ,
die nebeneinander oder nacheinander beobachtet werden, scheinen sieh deutlicher
voneinander abxuheben, und ganx ähnlich beeinflussen, sich xu>ei verschiedene
Fsrbentöne gegenseitig. Dagegen kann man bemerkenswerter Weise von einem
fohhen Contrast zwischen Farbenton und Helligkeit nicht reden ... Es gibt
^ keinen eigentlichen Sättigungscontrast. Was man mit diesem Namen
w der Regel bezeichnet, ist vielmehr der Einfluß der Sättigungsstufen der ein-
idnen Farben auf den Farbencontrast, Neben dieser Haupteinteilung pflegt man
ftoch eine Unterscheidung des simultanen und successiren Contrastes und
de» mono ciliaren und binocularen vorxunehmen. Aber in allen diesen Fällen
iegegnen uns nicht sowohl neue Contrasterscheinungen, als vielmehr neue Be-
engungen oder Umstände der in jener Haupteinteilung atigedeutetefi Vorgänge"
{l e. S. 415 f.). Es gibt Helligkeits- und Farbencontrast (1. c. S. 416 ff.), auch
«n«! Größencontrast (1. c. S. 414; vgl. PhiL Stud. IV, 310 ff., VI, 417 ff.).
Xach R, AVENARiüS lautet der „Satz des Contrastes'' : ,fleder E- Wert (s. d,)
ittt v<M er ist, nur als Gegensatx xu einem differenfen E-Wert, und er ist um.
*» ^n^sehiedener, was er ist, je mehr er mit diesem contrastiert' (Krit. d. r.
Erf. II, 74). VgL Komisch, Gesetz der Contraste.
Contrast^^ffillle sind nach Wundt Gefühle, die „aus einer Folge
TOR Lust- und UfUustgefühlen bestehen, in der je Jiach Umständen bald das eifie
leid das andere vorherrschen kann"; z. B. das Kitzelgefühl (Gr. d. Psychol.*,
S. 193).
CoDTentions Übereinkommen, Vertrag. Vgl. Sociologie.
C^ODTersion, logische; Umkehrung, Umformung eines Urteils zu einem
todem, behufs Prüfung, ob und innerhalb welcher Grenzen ein Urteil gültig ist.
Zn onterecheiden sind: reine oder einfache Umkehrung (conversio pura, simplex),
wobei bloß die Stellung von Subject und Pradicat eine andere wird ; quantitative
rmkehrung (conversio per accidens), durch Wechsel der Quantität (s. d.) des
Urteils; Oontraposition, durch Wechsel auch der Qualität (s. d.) des Urteils,
I wobei das contradictorische Gegenteil des Prädicats zum Subjecte wird. Regeln
& die Conversion: l) Allgemein bejahende Urteile sind nur dann rein umkehrbar,
190 Ck>nv«nio]i — Ck^pnla.
wenn sie identuch (s. d.) sind: a (b. d.) wird zu a. Alle übrigen allgemem
bejahenden Urteile sind nur einer conyersio per accidens fihig: a wird zu i (s. d.).
2) Bei besonders bejahenden Urteilen ist möglich a. reine Umkehrung: i wird
zu i, b. unreine Umkehrung: i wird zu a. 3) Allgemein remeinende Urteile
haben reine Umkehrung: e (s. d.) wird zu e. 4) Besondere verneinende Urteile
sind nicht umkehrbar. Für die Oontrapoeition gelten folgende Begdn: 1) All-
gemein bejahende Urteile werden zu allgemein verneinenden: a wird zu e.
2) Besonders bejahende Urteile sind nicht contrapcmierbar. 3) Besonders ver-
neinende werden zu bejahenden Urteilen: o (s. d.) wird zu L 4) Allgemein be-
jahende Urteile werden zu besonders bejahenden Urteilen: e wird zu i. Kate-
gorische lassen sich in hypothetische Urteile umformen. Speichen für die conversio
Simplex: s, für die conversio per accidens: p.
Bei Aristoteles heißt die Conversion dvxioTQOfiq. Er erklart: t6 av-
Tiar^yeiv iüri t6 fmaTt&ivra v6 avfini^afia nouiiv rov avXXoyuifiov ori r^
vo äx^ov T^ fiiaqf ovx iind^et ^ rovro rtf Ttkevrait^ (AnaL pr. II 8, 59b 1;
vgl. I 2, 24b 31 squ.) „Conoeraio^^ im logischen Sinne erst bei Afuleius (vgl
Prantl, G. d. Log. I, 584). Die Logik von Port-Boy al bestimmt: jyPrcfo-
aüio converti dioüur^ cum aubiectwn in attributum, vel cUtribuiwn mutcUur m
subiectum^ üa tarnen, tä prapasitio tum desinat esse vera , si prius vera fuerii^
(U, 3). Vgl. Kant, Log. ö. 184 f., Überweg, Log. 4, § 89. Schuppe halt
die (Konversion für eine Spielerei (Log. S. 52). VgL Umkehrung.
CJoordinatloii: Beiordnung, besonders von Begriffen. Coordiniert sind
Begriffe von gleichem Umfange in Beziehung auf einen dritten, ihnen über-
geordneten (Gattung8)-Begriff. Nach Wündt gibt es fünf Arten der Coordi-
nation von Begriffen: disjuncte (rot + blau), correlate (Mann -(- Frau), contrare
(weiß + schwarz), contingente (weiß + gelb), interferierende (Neger -f- Sclave)
Begriffe (Log. I, 115 f.).
Copnla (Band): das Wortzeichen (yftst", „«tm/" u. s. w.), welches im
Satze die Beziehung von Subject und Prädicat ausdrücken kann. Das „«Sern'*
im Sinne der Copuia bedeutet nicht die Existenz, sondern die als gültig ge-
raeinte Zuordnung, Zugehörigkeit des Prädicats zum Subjectsb^riffe.
Nach BofiTHius ist das „est*^ ^»«o»* ^*^V eine bloße ^jSigmficaiio qualitatü^
(vgl. Prantl, G. d. Log. I, 96). „Chpula*^ kommt zuerst bei Abaelard vor:
„Membray ex quibiis coniunetae stmt, praedieaium ae stiineetum atque ipsontm
coptda." „ Verhum vero interposüum praedicatum subiecto eaptäai^^ (vgl. Prantl,
G. d. Log. II, 196). Nach Chr. Wolf ist die Copuia „voeiUa ista, quae nexuin
praedicati et subiecti signißeat* (Log* § 201). Kant bestimmt die Copuia als
„die Form, durch welche das Verhältnis xwisehen Sul^ect und Objeet ausgedrüeit
u'ird^* (\\^V. III, 287). Nach J. St. Mill ist sie nur ein Zeichen der Pradi-
cation (Log. I, 93). Schelling: „A ist B heißt: A ist nicht selbst, es ist nur
Träger, d. h. Subject von B' (Darstell, d. philos. Empir. WW. I 10, 264). Die
„(hpiäa^^ ist das absolute Band, die Identität im Absoluten. Heqel erklan:
„Die Copuia: ,ist* kommt von der Natur des Begriffs^ in seiner Entäußerimg
identisch mit sieh xu sein; das Einxelne und das Aügetyieine sind ais seine
Momente solche Bestimmtheiteti, die nicht isoliert werden können'^ (EneykL § 166).
Nach Chr. Weisse ist die Copuia nicht» anderes als „die reine Denknot icendig-
krity nur noch nicht in ihre Momente auseinander gebreitet, sondern in eine
unterschiedlose AUgemeinlieit wie in einen Keim verschlossen*^ (Met. S. 113).
Ck>piüa — Correlate. 191
Nach Waitz bezdciinet die Copula ,^ie besondere Art der Bex/vehung und Ver-
bmdumg^ in welche SuJbjeet und Prädieoi »ueinander ireten^^ (Lehrb. d. PsychoL
S. 534). LoTZE defmiert ähnlich wie Kant (Log. 8. 59). Nach B. Ebdmann
ist die Copula ^^die Bexdehung, weiche im Urteile als xwischen Subfeet und
Mdieat stattfindend ausgesagt wir^^ (Log. I, § 42). Nach Wundt ist sie
^i^eitige BexiehuTigsform, tcelehe das Verhältnis xweier Begriffe km einem prä-
dieatüfen erhebt^' (Log. I, 147). Sie gehört dem Prädicate an (1. c. S. 143).
Schuppe meint, das ,,ist^^ bedeute nicht eigentlich Identität. ,yDas Ding ist
rot — deute ich . . . auf die Aussage des Seins, das Ding ist, — lasse aber
iieges Sein Kjugleich durch das x/ugesetxte, ein rotes, determiniert sein" (Log.
S. 138). Vgl. HoDGflON, Phü. of Reflect. I, 353 ff.
CkipnlatiTe Urteile sind Urteile mit einer Mehrheit von Subjecten
and einem Prädicate (Sj, Sj, Sg sind P). Negativ-copulative Urteile heißen
remotive Urteüe (weder Snoch Sj noch Sg sind P).
f)omiatiiB {HB^rivr^e, der Gehörnte): Name eines Fangschlusses des
EcBTnJDES. ,yWas du nicht verloren hast, hast du noch, Homer hast du nicht
(trhren. Also hast du Homer'' (Diog. L. VIT, 187).
Corollar (corollarium): Zusatz, Folgesatz. Nach Goclen = „omne idy
(juod ex propositüme cUiqua eonsequitur^' (Lex. phil. p. 480). Corollarsätze sind
Mbch Drobisch (N. Darstell, d. Log.*, S. 154) und Wündt (Log. II, 57) un-
mittelbare Folgerungen aus bewiesenen Sätzen.
Corpnscnlarphlloaoplile s. Corpuskel.
Corpaakel (corpuscula, bei Cicebo, Acad. p. II, 6): Körperchen, ele-
mentare, einfache Körper von verschiedener Form, aber nicht als unausgedehnt
vie die Kraft-Atome (s. d.) gedacht.
Plato denkt sich die Elemente (s. d.) der Körper aus verschiedenartigen
Crestalten zusammengesetzt, die wiederum aus Dreiecken bestehen (Tim. 58 A,
60 C, 79 B). Die Corpusculartheorie der neueren Zeit hat in Descartes einen
Haoptrertreter. £lr nimmt an, daß alle Materie ,Juisse initio a Deo dimsam in
fortieul4is quatnproxime inter se aequales et magnitudine mediocres^' (Princ. phil.
ni, 46). Es gibt dreierlei Elemente (s. d.), deren zweite Art die ist, „quae
(ütisa est in particulas sphaericas valde quidem minutas, si cum iis corporibus
?«ac oeulis cemere possumus, comparentur ; sed tarnen certae ac determinatae
piantitaiis et divisibües in alias muUo minores" (1. c. 52). Die Corpuskel sind
in Wirbelbewegungen begriffen (L c. 65 ff.). Auch Spinoza denkt sich die
Körper in einfachste Körper zerlegt (Eth. II, lem. III, ax. II). Corpuskel
nimmt auch Hobbes (De corp.) an, ferner Locke (Ess. IV, eh. 3, § 16).
Chb. Wolf spricht von „Korperlein", die nicht die letzten Elemente der Dinge
sind (Tem. Gred. I, § 613). Die „corpuscula" sind „eniia composita per se in-
'iUervabilia, seu adeo exilia, ut omnem visum effugiard" (Cosmol. § 227). Es
gibt „corpuscula primitiva" und „c. derivativa" (1. c. § 229). „Corpuseular-
pküosophie" (f^hHosophia oorpusadaris") ist jene Philosophie, „qu>ae phaeno-
nenorum rationem a eorpuseulis desumit" (1. c. § 230). Ähnlich Baumgarten
Met. § 425).
Corr^ate (correlata) oder Correlatbegriffe sind Begriffe, die Wechsel-
^J€2Üglich sind, d. h. nur in wechselseitiger Beziehimg Sinn haben (z. B. Ursache
— Wirkung).
192 Correlation — Cultar.
Correlation: Wechselbeziehung, besonders zwischen Object (s. d.) und
Subject, äußerer und innerer Erfahrung (vgl. Eiehl, PhiL Krit. II 2, 30).
CorrelatiTlsmas : die Betonung der untrennbaren Verknüpfung von
Subject und Object (s. d.) des Erkennens (Laas u. a.).
Correapondens: wechselseitiges Entsprechen z. B. des Physischen
und Psychischen. Vgl. Harmonie,- ParaUelismus.
C^reatianlsimis : Schöpfungstheorie bezüglich des Entstehens der Seele,
w^elche nach dieser Auffassung im Moment der Greburt des Organismus vou
<TOtt mit demselben vereinigt wird. Gregensatz: Traducianismus (s.d.). Creatianer
sind: Arxobius, Augustinus, Alexandeb von Hales (Sum. ül II, 62, lu
Wilhelm von Champeaux, Peteus Lombaedus, Wilhelm von Conchbs.
Hugo von St. Victor (De sacr. I, 7, 30), Thomas (Contr. gent. EI, 83),
DuNs ScoTUS (De rer. princ. 10, 2), Calvin, van Helmont u. a. Der Creatia-
nismus tritt in zwei Formen auf: „Les infusiens • — pretendant que Vämf
s'unit au corps dejä engendre. Les coexistenciens — soutenant, que VvfwUm des
deux parties du eompose s'opere dans le mime temps que la genercUion de futte
et de Vautre^' (Haureau II 1, p. 404). Creatianer ist auch Lotze (Med.
Psychol. 1. B., C. 3).
Creatio continna: fortgesetzte Schöpfung, ständige Erhaltimg der
Welt im Dasein durch (jott. Vgl. Schöpfung.
Credo^ qvla alislirdiiiii: ich glaube es, gerade weil es wider die
Vemimft, übervemünftig ist (Teetullian).
Credo« nt IntelUn^ams ich glaube, um zu verstehen, zu wissen. So
sagt Anselmus: ,,Neque enim quaero int^igere, ui eredam^ sed eredam, ut in-
teUtgam'" (Proslog. I). Schon Augustinus bemerkt: ,yOredinms, ut cognaseanms,
non eognoscimus, ui credamtcs,'* Die Bedeutung des Glaubens für die (religiöse»
Erkenntnis wird hiermit betont.
CMmlnalpsycholoi^e (forensische Psychol.): Psychologie des Ver-
brechens, der Zurechnung, der Verantwortlichkeit u. dgl.
CMtica 8. Kritik.
Oritietem: Ästhetik (Hume u. a.).
Cultnr (geistige, sociale, ethische): Ausbildung der intclleetuellen und
moralischen Fähigkeiten des Menschen in geistigen, socialen Gebilden (Wissen-
Schaft, Recht, Sittlichkeit u. s. w.), Bändigung des imgezügelten Trieblebens
durch den Willen; Verwertung und Bearbeitung alles ,yNaiürliehen^^ im Dienste
höherer Bedürfnisse im Sinne einer fortschreitenden Humanität, Inbegriff der
social entstandenen Gebilde und Institutionen, bewußtes, planmäßiges Leben
unter dem Einflüsse von Ideen; sittliche Ausbildung. Von der Culturge-
schichte ist die Culturphilosophie als Theorie und Wertung der Cultur-
gebilde zu unterscheiden. Xach Kant ist Cultur „rfi« Herrorbringung der
Tauglichkeit eines remünftigen Wesens Mi beliebiger Zweckmäßigkeit überhaupt —
folglich in seiner Freiheif\ die Tauglichkeit, sich selbst Zwecke zu setzen und
die Natur als Mittel dazu zu gebrauchen. Die wahre Cultur kann nur in der
Gesellschaft erreicht werden (Krit. d. Urt. § 83). Nach J. G. Fichte ist Cultur
,jÜbung aller Kräfte auf den Zweck der völligen Freiheit, der völligen Unab-
hängigkeit von allein, was nicht wir selbst sind^^ (WW. VI, 86). Nach E. EuCKEN
Cidtur — BarU. 193
besteht die Cultur in der Schaffung einer neuen, geistigen Welt, einer Durch-
brechung der Xatiur (Kampf um e. geist. Lebensinh. S. 8 ff.). Nach Unoli)
ist das letzte Ziel aller Cultur die Herstellung einer sittlichen Weltordnung,
eines harmonischen Vereines aller (Gr. d. Eth. 8. 261 f.). H. Schifbtz bemerkt:
„CulUtr ist die Erbschaft der Arbeit vorhergehender OenercUionen, soweit sie sich
in dm Anlagen j dem Beicußtsein^ der Arbeit und den Arbeitsergebnissen der jedes-
mal Lebenden rerkörpert*^ (Urgesch. d. Cult. S. 5). Vgl. Sociologie.
Cvltar, etUsehe, s. Ethik (Schluß).
Cyntemiis: die Philosophie und die Lebensweise der Cyniker; deren
Begründer: Aittlsthenes. Princip des Cynismus (der Name Cyniker, Kyniker
wohl vom Lyceum Kwoad^yrjgf in welchem Antisth. lehrte) ist extreme Bedürfnis-
losigkeit (s. d.), in der sich besonders Diogenes von öinope auszeichnete.
Die Tugend (». d.) gilt als das einzige Gut. Cyniker sind auch Krates und
dessen Gattin HiPPARcraA, Metrokles, Bion, Menippus, Demonax u. a.
ivgl. Überweg - Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. !•, 139 ff.). Cynismus im
vetteren Sinne = Verachtung alles Formalen im Betragen, Verhöhnung aller
allgemeinen Werte.
Daimonion {ßaifioviov) nennt Sokrateh die von ihm für göttliche
EiDgebung gehaltene innere Stimme der praktischen Vernunft, des Gewissens,
dfs sittlichen Tactes, die ihn von der Begehung unziemlicher, unvernünftiger,
mit der sittlichen Persönlichkeit nicht in Einklang stehender Handlungen ab-
hält. Sie sage ihm a re x^V ^oielv xai a /nrj (Xenophon, Memor. I, 4, 15, IV,
3, 12; vgl. auch IV, 8, 6); ifiol di tovt iaxlv ix natSos a^idfiBvoVj (piorrj
Ti» yi'/foudyrj, rjj oxav yavijraiy dsl ditOTQiTtsi fie rovrov, o dv fiikkio n^dtrsiv^
n^inoijtei 3^ ovTtore (Plato, Apolog. 31 D; Phaedr. 242 B; vgl. Cicero, De
dinn. I, .54, 122, femer Volquardsen, Das Dämon, d. Sokr. u. s. Interpreten
lVi2; RiBBiNG, Sokrat. Stud. II, 1870).
Oftmonens Greister, insbesondere böse, schädliche. Der Dämonenglauben
bildet einen Bestandteil wohl aller primitiven Religionen, besonders des j^Animis-
muf* <im Sinne Tylors). An Dämonen glaubten auch die Perser, Juden u. a.
Auch in die Philosophie ist die y^Dämonologie^^ eingedrungen, indem man hier
onter Dämonen geistige Kräfte versteht, welche zwischen der (iottheit imd den
Menschen vermitteln. Als Anhanger solchen Glaubens sind besonders zu
nennen: Xenokrates (Plut De Is. et Osir. 26; De def. orac. 14), die Stoiker
(TgLZELLER, Phü. d. Griech. III, 1», 319), Neupythagoreer (1. c.III, 2», 91),
PUTTARCH (1. c. III, 2», 176), Philo Jüpaeus (De somn. I, 22), Plotin (Enn.
VI, 7, 6: iüJt fUftfifia &bov SoUfictry, ais d'aov dvrj^rrjuayoejj JambLICH, ProCLÜS,
BofiTHiüs, Porphyr (De abstin. II, 37 ff.), Tattan (,/iylisehe Geister'^ Orac.
ad Graec 4).
Darapti ist der erste Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
ftUgemein bejahend (a), Untersatz auch (a), Folgerung besonders bejahend (i).
Daiii ist der dritte Modus der ersten Schlußfigur (s. d.): Obersatz all-
gemein bejahend (a), Untersatz imd Folgerung besonders bejahend (i).
PUlotophitoh«! Wörterbuch, i. Aufl. 13
194 Darstellen — Dauer.
Darstellen: zum Ausdruck, zur Erscheinung bringen. So sagt Leibniz,
die Monaden (s. d.) stellen das Universum („rqDresentent Vunivers^^) vorstellend
dar als Mikrokosmen (s. d.).
Darwlntemiis: die Lehre des Charles Darwin (On the origin of
species 1859) von der Variabilität der Arten, vom Kampfe ums Dasein und der
natürlichen Auslese, von der allmählichen Entwicklung der Arten durch diese
Factoren, durch passive, von außen erreichte Anpassung (s. d.) ohne Zielstrebig-
keit und Teleologie. Vgl. Evolution.
Dasein s. Existenz.
OaUsl ist der vierte Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz all-
gemein bejahend (a), Untersatz und Folgerung besonders bejahend (i).
Oauer ist beständige, ununterbrochene Existenz, constante Zeiterfüllung,
Identisch-Bleiben eines Inhalts eine bestimmte Zeit hindurch (relative, absolute
Dauer). Das Ich findet zunächst sich in seiner Identität (s. d^ als dauernd,
permanierend, und dann Vorstellungsinhalte, die es aus dem Flusse des Ge-
schehens immer wieder herauszuheben vermag und die es daher gleichfalls als
dauernd auffaßt und sogar begrifflich auf dauernde Einheiten (Substanzen)
zurückführt.
Zimächst wird die Dauer als eine den Dingen innewohnende Tätigkeit auf-
gefaßt, von den Scholastikern als ^jßennattere in eonstentia" (Suarez, Met.
disp. 50, 1, 1). Es wird unterschieden reale, imaginäre (vorgest-ellte), relative
Dauer (1. c. 5). Die absolute Dauer oder Ewigkeit heißt „aemim^^ (1. c. 50, 6, 9,
bei Aristoteles aimv = to aei slvai, De coel. I 9, 279a 25). Nach Goclen
ist jjdurdtio^^ die „persislentia (pennatisio) rei^^ (Lex. philos. p. 561). Spinoza
definiert Dauer als „atiribiitumy suh quo rerutn creatanmi existerUiam, prout in
8ua actuaUtate perseverant, conetpimus^^ (Cog. met. I, 5), als ,,indefimta eristendi
continuaiio^^ (Eth. II, def. V), als „existentia, quatenus abstracte concipOur, et
tanquam qi4aedam quantitatis species" (Eth. II, prop. XLV). Psychologisdi
bestinmit wird die Dauer schon von Locke. Sie ist nach ihm der Abstand
zwischen dem Auftreten zweier Vorstellungen im Bewußtsein, das Dasein oder
der Fortgang unseres Daseins oder eines andern Dinges nach dem Maße der Vor-
stellungen in uns (Ess. II, eh. 14, § 3). Der Begriff der Dauer entspringt aus
der inneren Wahrnehmung des Vorstellungsverlaufes (1. c. § 4). Nach Leibkiz
wird die Vorstellung der Dauer nicht durch die Folge der Vorstellungen er-
zeugt, sondern nur erweckt, indem in der Wahrnehmung selbst nicht die
Constanz der Zeit liegt, die eine y^eicige Wahrheif^ (etwas Apriorisches) ist (Nouv.
Ess. II, eh. 14). Hume betont, die Vorstellung der Dauer stamme immer aus
einer Folge veränderlicher Gegenstände, niemals aus dem Bewußtsein ein«
Gleichförmigen, Unveränderlichen (Treat. II, sct. 3). Nach Condillac ist das
Bewußtsein der Veränderung des Ich an die Vorstellimg einer Dauer gebunden
(Trait. d. sens. I, eh. 4, § 11). Nach Chr. Wolf ist die Dauer „existeniia
simtdtanea cum rebus pluribtis sueceastpis^^ (Ontol. § 578). Nach CRrsrrs ist
sie ,ydie Fortsetximg der Existenz durch mehr ah einen Augenblick'^ ,4as
Zugleieh'Sein eines Difiges mit der Existenx eines andern" (Entw. d. notw. Ver»
nirnftwahrh. § 55).
Kant erklärt: „Das Beharrliche ist das Substraium der empirisclten Vor-
Stellung der Zeit selbsiy an welchem alle Zeitbestitnmung allein möglieh ist,'*"
Dauer — DQducieren. 195
„Durch das Beharrliche ailem bekommt das Dasein in verschiedenen Teilen der
ZeHreihe nacheinander eine Größe, die man Dauer nennt. Denn in der bloßen
Folge allein ist das Dasein immer verschwindend und amhebefid und hcU niemals
die mindeste Qröß^^ (Krit d. r. Vem. S. 176). Daß Beharrliche in der Zeit ist
das „Schema" (s. d.) der Bubetanz. Nach Fries ist die Dauer ^^ne dunkle
Vorstellung, welche wns erst mittelbar durch Vergleichungen unserer Zurück-
mtmerung, also durch unUkürliche Reflexionen xum Beumßtsein kominV (Syst.
d. Log. S. 81). Hegel bestimmt die Dauer als ,yrelatives Aufheben der Zeü^^
(Xaturphil. S. 55). Carnebi meint: „Datier im gemeinen Sinn gibfs keine;
denn alles Sich-erhalten ist nur ein ununterbrochener Wechsel^* (Sittl. u. Darw.
y. 90), y,nur der tms unmerkliche Grad des Wachsens mid Vergehens^^ (1. c.
S. 90 f.; ähnlich H^bakut, Nietzsche, Huxley u. a. Emerson erklärt:
^ der Natur gibt es keine absolut feststehenden Größen. Das Universum ist
flässig und flüchtig. Dauer ist nur ein relativer Beg^riff" (Kreise, Essays
S. 107). Nach J. Baumann heißt Dauer, ,ydaß eticas oder etwas an etwas sich
nickt verändfrty ufährend andere Dinge sich so verändern, daß auf ihre Ver-
änderungen der Zeitbegriff Anwendung erleidet^^ (Lehre von R. u. Z. II, 525).
VoLK3iANN: „ZWß Gegenwart wird xur Dauer y indem wir in dem wachsenden
>>pa3mungsgrade der Zukunft bewußt werden, daß sie sich behauptet gegen die
Zukunft. Dieses Gefühl des Noch-da ist das Dauergefühl und hat das Maß
mner Intensität an der Größe der abgewiesenen Hemmungen, das Maß seiner
Eztensüäl an der Länge der Zeüreihe des Lebens, durch welche es sich hindureh-
üeht^ (Lehrb. d. Psychol. II*, 20). Nach Wündt ist innerhalb der Zeit-
aoschauung selbst, ohne Übertragung dieser auf den Raum, „die Vorstellung
ei$ier absoluten Dauer, d, h. einer Zeit, in welcher sich nichts verändert,
irklechterdings unmöglieh^^. „Dauernd nennen wir daher nur einen Eimlruck,
dessen einzelne Zeitteile einander ihrem Empfindung s- und Gefühlsinhalte
nach vollständig gleichen, so daß sie sich bloß durch ihr Verhältnis xum
Vorstellenden unterscheiden^^ (Gr. d. Psychol.*, S. 172). Külpe rechnet (wie
Baldwin, Handb. of Psychol. I, 85) die Dauer als elementare zeitliche Be-
fsdiaffenheit zu den Eigenschaften der Empfindung (Gr. d. Psychol. S. 30,
394, 396). Die Dauer von Empfindungen ist mehrfach berechnet worden (1, c.
S. 397 ff.), auch die Dauer psychophysischer f^Beactionen** (s. d.). Nach Ebbing-
HAUS ist Dauer ,^ie Zeiilichkeü eines bestimmten gleichartigen Erlebnisses, das
für uns gerade im Vordergrund des Interesses steht wui durch beliebige andere
bihalte begrenzt wird** (Gr. d. Psychol. S. 458). Nach Riehl beruht die Vor-
stellung der Dauer darauf, daß das Ich seine Identität (s. d.) in der Folge der
Vorstellungen festhält (Phil. Erit. II, 1, 73). Die anschauliche Zeit und jeder
Teil in ihr ist oder hat Dauer. „Aus dem beständigen Hinschwinden der Zeit
läßt sieh . . . die ^Dichtigkeit ihres Inhaltes nicht folgern, und statt zu sagen:
nichts beharrt, alles ist ohne Dauer, müssen icir vielmehr sagen: nichts ist völlig
fergänglieh. Das Vergangene ist in seinen Wirkungen, das Künftige in seiner
Vrsaehe da, und das zurück- und vorgreifende Bewußtsein verbindet Succession
und Beharren" (Zur Einf. in d. Philos. S. 210, gegen Schopenhauer). Auch
nach RoYER-Ck>LLARD setzt die Vorstellung der Zeitfolge schon das Bewußtsein
der Dauer voraus; dieses entspringt aus dem Bewußtsein der Identität des Ich
(in Jouffroys Übers, der WW. Reids 1828, III, 327 ff., IV, 273 ff.). Vgl. Zeit,
Werden.
Dedneierens ableiten, s. Deduction.
13*
196 Beduotdo ad absurdum — Beductioii.
Oedaetio ad absurdum s. Absurd.
Oeduction: Ableitung, Begründung einer Wahrheit, einer Erkenntnis,
eines Urteils aus einem allgemeinen, begrifflichen Wissen, Darlegung der (xültig-
keit eines Satzes, eines Gesetzes aus (inductiv gewonnenen oder apriorischen
Erkenntnisfactoren gemäßen) allgemeingültigen Sätzen oder Gesetzen, Be-
gründung luid Begreiflichmachung von Einzeltatßachen durch Nachweis ihres
Zusammenhanges mit Gesetzmäßigkeiten. Etwas deducieren heißt, es, das Be-
sondere, als Specialfall eines Allgemeinen bestimmen. Das Verfahren dazu
heißt deductive (progressive) oder synthetische Methode.
Aristoteles versteht imter aitaytoyti (deductio) die Lösung eines Problems
durch ein anderes, näher liegendes (Anal. pr. II 25, 69 a 20). Der Ausdruck
jjdeduHio^^ findet sich im logischen Sinne schon bei BofiTHiüS. Die Scho-
lastiker verstehen unter Deduction die Ableitung des Concreten aus dem Ab-
stracten (vgl. GtOCLEN, Lex. philos. p. 499). F. Bacon schätzt die Deduction
(den Syllogismus, s. d.) gering, sofern sie nicht auf wahre Induction ^„m tw-
duetione i^era") sich gründet (Nov. Organ. 14). Kant luiterscheidet von der
jjemptriscken^^ die ^^trcmscendental^^^ Deduction. Unter letzterer versteht er die
Darlegung der Möglichkeit und Notwendigkeit, des Bechtsgrundes der An-
wendung apriorischer (s. d.) Denkformen (Kategorien) auf den Erfahrungsinhalt,
die Ableitung der Kationen (s. d.) aus einem einheitlichen Princip (Krit d.
rein. Vem. S. 103). „Unter den mancherlei Begriffen . . .^ die das sehr ver-
mischte Gewehe der menschlichen Erkenntnis ausmaxihen, gibt es einige, die auch
xum reinen Oettrauch a priori (völlig unabhängig von aller Erfahrung) bestimmt
sindy und diese ihre Befugnis bedarf jeden^t einer Deduction, weil xu der
Rechtmäßigkeit eines solchen Gebrauches Beweise aus der Erfahrung nicht hin-
reichend sind, man aber doch wissen muß, wie diese Begriffe sieh auf Obfeete
beziehen können, die sie doch aus keiner Erfahrung hernehmen. Ich nenne daher
die Erklärung, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände bex-iehen, die tran-
scendentcUe Deduction derselben und unterscheide sie von der empirischen De-
duction, welche die Art anxeigt, wie ein Begriff durch Erfahrurhg und Reflexion
über dieselbe encorben worden, und daher nicht die Rechtmäßigheit, sondern das
Factum betrifft, u>odurch der Besiix entsprungen^^ (1. c. S. lOi). Das Ergebnis
der transcendentalen Deduction der Kategorien ist, daß ohne Anwendung dieser
Erfahrung (s. d.) überhaupt nicht möglich wäre, daß sie, als Denkformen, die
Erfahnmg geradezu constituieren, daher notwendig und allgemeingültig sind. —
Nach Fbies ist die Deduction die „Begründung eines Urteils aus der Theorie
der erkennenden Vernunft" (Syst. d. Log. S. 410). Nach Hillebraih) hat die
Deduction die Aufgabe, die factische Bestimmtheit als Folge des Zusanunen-
hanges eines Inhaltes aufzuweisen, als innerliche darzulegen (PhiL d. Geist
II, 80). Nach J. St. Mill besteht die deductive Methode aus drei logischen
Operationen : Induction, Syllogismus, Verification (Log. I, 533). Nach Schuppe
ist die Deduction aus Begriffen zugleich Erkenntnis des Wirklichen, weil der
Begriff selbst Erkenntnis des Wirklichen, des wirklichen Zusammenhanges ist
(Log. S. 163). WcTNDT unterscheidet synthetische und analytische Deduction.
Erstere „geht von einfachen Sätxen von allgemeiner Geltung aus und leitet aus
der Verbindung derselben andere Sätze von specielleretn und meist zugleich rer-
wickelterem Charakter ab**. Sie ist eine Form des „subsumierenden SyUogistnsis*^
(Log. II, 29). Die analytische Deduction, die einen logischen oder einen eau-
salen Charakter haben kann (1. c. S. 31), setzt sich zusammen aus 1) der Zer-
Beduotion — Befinitiozi. 19(
legong eines allgemeinen Begriffs in seine Bestandteile, 2) dem Übergang von
einem allgemeinen zu einem in ihm enthaltenen engeren Begriffe oder von einem
allgemeinen Gesetze zu einem speciellen Fall desselben, 3) der Transformation
gegebener B^riffe mittelst einer veränderten Verbindungsweise ihrer Elemente
iL c. 8. 32). H. Cornelius betont, die Hoffnimg, „aw« irgend toekhen durch
reines Denken %u getrinnenden allgemeinsten Begriffen und Sätxen deductiv alle
einzelnen Tatsachen erklären xu können'', sei trügerisch. „Deductian im Sinne
der Mathematik kann nur da xu fruchtbaren Ergebnissen fuhren, wo die Prä-
tmssen , . . in ihrer tatsächlichen Bedeutung und allgemeinen Gültig-
keit für unsere Erfahrung van vornherein feststehen,^' Nur in der Mechanik
oder Astronomie sind die Principien der Deduction nichts als „einfachste Zu-
iammenfassungen tatsächlicher BeobaeJitiingen'' (Einl. in d. Philos. S. 150 f.).
Deflnleren s. Definition.
Heflnltloii: Begriffsbestimmung, Abgrenzung des Inhaltes eines Be-
griffes von dem anderer, Angabe der Merkmale, die den Inhalt eines Begriffes
eonstituleren, Bewußtmachung des Begriffsinhalts in einem Urteil. Die Nominal-
definition besteht darin, daß die Bedeutung eines Wortes durch Zurückgehen
tof ein allgemeineres oder bekannteres geklart wird. Die Realdefinition
iSaeherklänmg) gibt durch Zergliederung des Begriffs zugleich das Wesen (s. d.),
das Typische, Allgemeine, Gesetzmäßige einer Gruppe von Objecten (das ,rgenus
proopimum'') und dazu die besonderen, unterscheidenden Merkmale der Art (die
.^ifferentiae speeificae^') an. Beine Nominaldefinitionen sind nur Übersetzungen
von Worten. Die analytische Definition zerlegt einen gegebenen Begriff in
andere, die synthetische (genetische) Definition baut den Begriff aus seinen
Teilinhalten auf. Kegeln für die Definition: 1) Die Definition darf nicht zu
weit, nicht zu eng sein, es darf weder zu wenig noch zu viel gesagt werden;
tie muß adäquat sein. 2) Die Definition darf nicht zur Einteilung werden.
3) Sie darf nichts Überflüssiges enthalten. 4) Sie darf nicht bildlich, dimkel,
zweideutig sein. 5) Sie darf keinen Zirkel (s. d.) beschreiben. 6) Sie soll nicht
tantologiseh (s. d.) sein. Elementarste Tatsachen können nicht eigentlich definiert,
w<^ aber „charakterisiert'* werden.
Der erste, der auf das definitorische Verfahren Wert legt, ist Sokrates.
Er sucht stets zu bestimmen, was ein jedes Ding sei (i^t^rsi t6 ri iartv, Ari-
bTOTELES, Met. XIII 4, 1078 b 23; axomov avv toXs awovai, ri ^caaror eliy raip
WT«f , ovdenofnoT ikriyev, XenophON, Memor. IV, 6, 1 ; vgl. I, 1 , 16 u. Plato,
Phaedr. 265). Antisthenes definiert die Definition {koyoi) als Bestimmung
des Wesens {Xoyos iarlv 6 ro t£ ^v tj iari Sr^kojv, Diog. L. VI, 3). Das Ein-
ftche läßt sich nicht definieren (vgl. Aristoteles, Met. \n[II 3, 1043b 23;
Plato, Theaet. 201 E). Plato sieht in der Definition die Bestimmung des
Wesens von Dingen (Theaet. 200 E; Phaedr. 237 C; Meno 86 D). So auch
Aristoteles: ogicfiog icn loyog t6 ri ^v tlvai OTjfiaipotv (Top. VII, 5), ootafiog
.0*»' ya^ rov ri iari xal ovcias (Anal. post. II 3, 90 b 24). Die Definition be-
stdit aus der Angabe der Gattung und der Artmerkmale (o ogioftog ix ye'yovs
K«i 8iaf>op(ov icriv, Top. I 8, 103 a 15); man darf aber nicht InBQßaiveiv rd
yivr^ (Top. VI 5, 143 a 15: y^definitio fiat per genus proximum et differentias
ipeeifieas" der Schullogik). Es gibt Real- und Nominaldefinitionen (o o^i^o/usvos
hixwciv § ri icrt fj ri (TTjftaivei rovrofia. Anal. post. II, 7; Xoyoe ovofiaroiSrii*.
AnaL post. II, lOj. Die Peripatetiker unterscheiden oQog n^ayfmrtodr^g
198 Definition.
(„definitio realis^^) und o^oe ovcit»8tj6 („definitio easentialis*'). Nach den Stoi-
kern ist die Definition (o^os) Xoyoe Mar avdXvaiv nnti^ri^ovTojg ix^e^ofievog
(Diog. L. VII, 1, 60). Cicero erklärt: „IMfifiitio est, quae rei alieuiua propria^
ampleetiUtr potestates breviter et absolut^'' (Ad Herenn. IV, 25, 35 ; Top. 5, 26).
Die Skeptiker halten Definitionen für unnütz (Sextus Empiricüs, Pyrrh.
hyp. II, 205 ff.). Nach Bofirmuß gibt die Definition an, was das Ding i»t
(yjquid 8Ü*^, vgl. pRANTL, G. d. Log. I, 689). Er tmterscheidet „definitto «-
Gttndum suhstantiam" und jydefinitio secundum accidena^^ (deBcriptio) (vgL Über-
weg, Log.*, S. 141). Marcianüs Capella erklärt: „Definiito est, quum in-
vohUa unüisctiiusque rei notitia aperte ae brevüer explicatur; in hae tria vitanda
sunt, ne quid faisum, ne quid plus, tie quid minus signißeaiur^* (vgl. J^aitfl,
Ct. d. Log. I, 674).
Nach Alexander von Hales ist die definitio „ctetus animae caneludens
seu terminans rem intra fines essefitiae suae^^ (bei Goolen, Lex. phiL p. 500).
Abaelard sagt: „nikü est definitumj nisi deelaratum seeundum stgnifieaiionem
voeabulum^'^ (Dial. p. 496). Albertus Magnus: „Definitio est enuntiatira fui-
turae et esse rei^^ (Sum. th. I, 25, 1); „definitio indieat esse rei et essentiam^'^
(1. c. II, 6, 1). Thomas: „Definitio indieat rei quidditcttem et essentiarn^* (Sum.
th. II, II, 4, Ic). „Definitio est ex genere et diff^entia*^ (1. c. I, 3, 5c). „De-
finitio divisit definitiim in singularia" (7 met. 9a = o Se o^uruos avxov Sicu^l
elg id xa&' ixaera^ ARISTOTELES, Phys. 1 1, 184b 11 squ.). WILHELM VON OCCAM
imterscheidet Real- und Nominaldefinition (vgl. Prantl, G. d. Log. III, 366 f.).
GocLEN versteht xmter „definir&* „naturam rei terminare et finire per essen-
tialia eius" (Lex. phil. p. 500). M elanchthon : „Est . . . rei definitio oratio,
quae rei partes aut causas aut aecidentia exponit** (Dial.). Sanchez: „Mihi . . .
omnis nominalis definitio est et fere omnis quaestio*^ (Quod nih. seit p. 14).
Spinoza meint, „veram uniuscuiusque rei definitionem nihil aliud quam
rei definüae simplicem naturam ineludere'^ (Ep. 39, p. 602; Eth. I, prop. VIII).
Geulincx: „Definitionem evidentem voeo illam scientiam, qua scimus optime
et intuitive, ut loquuntur, quod rei sit*^ (Log« P« 434)« Die Logik von POKX-
RoYAL verlangt, daß jede Definition „universalis, propria, clara^^ sei (11, 12).
Hobbes : jyDefinitio est propositio, cuius praedicatum est suineetum resohäirum,
ubi fieri polest, übt non polest, ejcemplieativum" (De corp. 6, 14). Die Definition
stellt die Idee eines Dinges klar dar (1. c. 6, 15). Nach Locke legt sie den
Sinn eines Wortes durch mehrere andere Ausdrücke dar (Ess. III, eh. 4, § 6).
Der Satz vom „genus proximum^^ u. s. w. ist nur eine Bequemlichkeitsregel
(1. e. eh. 3, § 10). Reid : „A definition is nothing eise but an explieation of the
meaning of a word'^ (Ess. on the Pow. I, p. 2). Leibniz unterscheidet „defi-
nitiones nominales, quae notas tantum rei ab aliis diseeniendae continent, et
reales, ex quibus eonstat rem esse possibiletn'^ (Med. de cognit. Erdm. p. 80 b;
vgl. p. 306 a). Nach Chr. Wolf ist die Definition eine „oratio, qua significatur
notio completa atque determinata termino euidam respondens'^ (Phil. rat. § 152).
„Definitio, per quam patet rem defimtam esse possibilem, realis vocaktr^* (1. c.
§ 191). „Es erklären . . . die Erklärufigen entweder Wörter oder Sachen: daher
sie in Wort- und Saeh- Erklärungen gar füglich eingeteilet werden. Jene
bestehen in einer Erxählung einiger Eigenschaften, d€idurch eine SaeJie ran allen
anderen ihresgleiefien unterschieden trird; diese zeigen die Art und Weise, wie
etwas möglich sei^' (Venl. Ged. von d. Kr. d. m. Verst.^, S. 48; Definitionsregeln:
S. 48 ff.). BiLFiNGER: „Realem illam (definitionem) dicimus, quae ipsofn rei
Definition. 199
^enesin exprimit. Nominalem, quae characierem rei proprium et distinc-
iivmn, cuius ope agnosci et discemi polest ex omnibus aliis^^ (Diluc. § 140).
Nach KAifT ist die Definition ,^n xureichend deutließter und abgemessener
Begrifft oder ein „logisch rollkommener Begriff" (Log. §99). Realdefinition ist
diejenige, welche y,nicht bloß einen Begriff, aofuiem xugleich die obf'e^tire Rea-
iiiät desselben deutlich maehf* (Krit. d. r. Vera. S. 225, 558). Nach G. E. Schulze
ist die Definition die „Afigabe der einem Begriff xidoo7nmenden Merkmale"
iGr. d. allg. Log.', 8. 224). Fries versteht unter ihr „die systematisch geordnete
detttliche Vorstellung eines Begriffes" (Syst. d. Log. S. 270). Destutt de Tracy
betont: ,,// n'y a jamais que des definitions d'idees" (£1. d^d^l. IV, 21). Die
Regel vom „genus proximum" ist unnatürlich (1. c. p. 24). Hebbakt: „Die
Stelle eines Begriffs unter deti übrigen, soioohl durch Subordination als Co-
ordiiuitiwi, angeben, heißt deiiselben bestimmen (definire)" (Hauptp. d. Met.
S. 107). Dbobisch bestinunt die Definition als „das conjunctive Urteil, dessen
Subjeef der xu verdeutlichende Begriff (das definiendum) und dessen Prädieat die
durch den Artunterschied determinierte nächsthöhere Oattung ist" (N. Darst. d.
Log. § 116). Lotze versteht unter Definition „die Art der Constmetion, welche
durch bloß logische Operatiwien einen Begriff aufzubauen sucht" (Gr. d. Log.
S. 65). Nach Überweg ist die Definition „die voUsUmdige und geordnete An-
gabe des Inhaltes eines Begriffes" (Log.*, § 60). Nach Beromann ist die Defi-
nition ,,«« identisches Urteil über den Begriff, der definiert wird" (Gr. d. Log.*,
8. 2()8). Nach Dühring ist die Definition „eine systematische Zusammeti-
feixung des Begriffs aus einfacheren Bestandteilen" oder die „Darstellung eifies
Begriffes mit Hülfe anderer Begriff e^^ (Log. S. 11).
Nach J. St. Mill heißt ein Ding definieren, „aus dem Oanxen seiner
Eiyefischaftefi di^enigen wählen, welche durch dessen Namen bezeichnet und aus-
gesprochen werden sollen" (Log. S. 1). Jede Definition ist eine nominale, die
iber zugleich von dem Gedanken begleitet ist, daß dem Worte ein Ding ent-
spricht (1. c. S. 172). Nach Haoemanx besteht die Definition, begriffliche
Grenzbestimmung, in der Angabe des nächsten Gattungsbegriffes und des Art-
nnterochiedes (Log. u. Noet. S. 79 ff.). Nach Lipps ist die Definition eines
Begriffs „die Be^cußtwerdimg seines Inhaltes, also der Vollzug des wecltsel-
seäigen , . . Urteils, in dessen potentiellem Dasein der Begriff besieht" (Gr. d.
Log. S. 131). Alle Definitionen sind „Nominaldefinitionen" (1. c. S. 133).
Xich SiGWART ist die Definition „ein Urteil, in welchem die Bedeutung eines
einen Begriff bezeichnenden Wortes angegeben wird" (Log. I*, S. 370). Genetisch
ist sie, wenn sie ,//»e Vorstellung ihres Objects aus ihren Elementen entstehen
lassen kann" (1. c. S. 375). Die „diagnostische" Definition besteht in der „An-
gabe der charakteristischen Eigenschaften eines Obfeets" (1. c. S. 379). Sully
eikliurt die Definition als Darl^^g des Inhalts eines Namens, als ein „Auf-
zählen der verschiedenen Merkmale oder Eigenschaften, welche seine eigentliche
anerkatmte Bedeutung ausmachen" (Handb. d. Psychol. S. 266 f.). Nach Wcndt
sucht die Definition „einen gegebenen Begriff auf das schärfste von den ver-
triuulten Begriffen xu trennen" (Log. II, S. 34). Sie besteht darin, „daß ein Wort,
dessen begrifflicher Sinn noch nicht festgestellt ist, durch Worte bestimmt wird,
deren begriffliche Bedeutung als bekannt vorausgesetzt werden darf" (1. c. S. 35).
Bei der Nominaldefinition sehen wir völlig ab von dem „trissensehaftlichen 2Su-
»ammenhang, in welchen der betreffende Begriff durch die Definition gebracht
Verden soll" (1. c. S. 36). Zu unterscheiden sind analytische und synthetische
200 Definition — BeismuB.
(bezw. genetische) Definition (1. c. S. 38 f.). Marty erklart: „Eine Definition
im strengen Sinne gibt man, so oft man einen minder veritändlieken Kamen
durch einen gleichbedeutenden verständliclieren erklärt. Sie ist in Wahrheit eifie
Kairumerklärung, nichts mehr.^'^ „In weniger strengem Sintie nennt man auch
diejenigen Kamenerklärungen Definitionen, welche einen Begriff verdeiäürhen^
indem sie nicht seinen eigenen Inhalt angeben, sondern den eines afidem, der
ein proprium des ersteren ist, oder dessen Gegenstand im Verhältnis der Ursache
find Wirkung xum Gegenstand des ersteren steht u, dgV^ Das sind „um-
schreibende (circumscriptive) Definitionen.^'^ „Die strenge Definition dagegeti he-
xeichnet, nur mit andern verständliehen Worten, eben denselben Begriff icie der
XU definierende Käme und ist in diesem Sinne nottvendig eine Tautologie^
(Vierteljahrsschr. f. w. Phil. 19. Bd., S. 57). Höfler bezeichnet als Definition
„die vollständige und geordnete Angabe des in seine Merkmale analysierten In-
haltes eines Begriff es^^ (Gr. d. Log.*, S. 47), „die Ersetzung eines Kofnens für
eitlen bestimmten Begriff durch einen andern Kamen, der gleichen i^inn mit
jenetn hat, aber verständlicher ist" (ib.). Von „deiktischer" (inhaltsaiifzeigender)
Definition spricht H. Cornbltüs (Allg. Psychol. S. 72). Nach E. Mach ist
die Definition eines Begriffes „ein Impuls xu einer genau bestimmten, oft
eomplieierten, prüfenden, vergleichenden Tätigkeit, deren meist sinnliches Er-
gebnis ein Glied des Begriffsumfangs ist" (Popularwiss. Vorles. S. 267). Nach
Schuppe hat „die Angabe des eigentliehen genus proximum den Wert der Er-
kenntnis grundlegender Causalbexiehungen , daß das als generiseh bezeichnete
Mofnent die Bedingung der Denkbarkeit des Specifisehen ist, nur diese wid die.se
näheren Bestimmungen xuläßt und alte andern ausschließt^' (Log« H. Iö2).
Oelliiltorlsclies Verfabren s. Definition.
Oetfieatton s. Theosis.
Oetsmus: Vemunftreligion, Annahme einer Gottheit, die aber nicht in
den Lauf der Natur eingreift, keine Wunder tut, sich nicht direct offenbart.
Die bekanntesten Deisten {„Freidenker", freethinker) des 17. — 18. Jahrhundert»
sind: Herbert von Cherbüry, Ch. Bloünt, J. Toland, M. Tindal,
A. CoLUNS, Bolingbroke, Shaftesbury, Voltaire, Rousseau, H. S. Rei-
M4RUS. „Deist" kommt schon bei Blount, Toland und Shaftesbury (The
moral. 1, 2) vor. (\"gl. G. V. Lechler, Gesch. d. engl. Deismus. 1S41.)
Crurius bezeichnet als „Deisten" oder „ Universalis fe?i" eine „Art ton Atßteisien**
nach welchen „alles, tcas wir sehen und hören, mit xti Gott gehöret", also die
Pantheisten (Vernunftwahrh. § 236). Nach Kant glaubt der „Deist" au eineii
Gott überhaupt (Kr. d. r. Vem. S. 496). ,^l)er, so allein eitte transccndcntale
Theologie einräumt, wird Deist, der, so auch eine natürliche Theologie annimmt^
wird T hei st genannt. Der erstere gibt xu, daß unr allenfalls dos Dasein eitles
Urwesens durch bloße Vernunft erkennen kötmen, aber unser Begriff ton iJtm
bloß transcendeniai sei, nämlich nur als voti einem Wesen, das alle Bealität hat,
die man aber nicht näJter beetimmen kann. Der x weite behauptet, die Vernunft
sei imstande, den Qegenstand nach der Afialogie mit der Katur näher xu be-
stimmen, nämlich: als ein Wesen, das durch Verstand und Freiheit den l^grufui
aller andern Dinge in sich enthalte" (1. c. S. 494 f.). „Der deisfische Begriff
ist ein gatn reiner Vernunftbegriff, welclier aber nur ein Ding ist, das alle Rea-
lität vorstellt, ohne deren eine einzige bestimmen xu können" (Prolegom. § 7üu
Vgl. Theismus.
Beliberation — Demut. 201
O^ib^raUon b. Überlegung.
Oemllirg^ (St}ßuov^Y^g): Weltbildner, Weltbaumeister, Gott als Gestalter
der Welt aus dem Chaos oder der Materie, als Ordner des Weltalles. So bei
Plato, der ihn jyAHrater*^ (yrarij^ rovSe rov natTog^ Tim. 28 C, 29 A) nennt;
dtiT Demiurg ist das Gute an sich, der alles im Sinne der Ideen (s. d.) gut ge<
staltet. Die Gnostiker (s. d.) nennen Demiurg den vom höchsten Gott unter-
schiedenen, teilweise mit dem Judengotte identificierten , teilweise sogar als
bösartig betrachteten Weltbildner. Numeniu8 unterscheidet den Demiurgen
als zweiten Gott (o Sevie^og &e6g, 6 drjfiiovpyog d'eog) von der höchsten Gottheit.
Jener bildet in Anschauung der Ideen die Welt, den dritten Gott (Prokl. in
Um. II, 93; £useb. Praep. ev. XFV, 5). Der Demiurg wird auch mit dem
Logos (s. d.) identificiert.
D^HiOiiSiratioil (logische): Beweis (s. d.), syllogisdscher Beweis = Be-
weis durch Schlußverfahren, begriffliche Methode der Wahrheitsbestimmung.
F. Baook lehnt die Demonstration als Erkeuntnismethode ab (,tnos deman-
ftrationefn per syllogismum rej-icimus, quod confusius agai et naturam emittat
t manibus^^ (N. Organ, dist. oper. p. 3). Hobbes versteht unter Demonstration
einen y^Uogisnma vel syllogismorum series a nominum definitionibua tMque ad
emduaionem uUimam derivcUa" (De corp. 6, 16). Nach Locke ist die Demon-
stration nach der Intuition (s. d.) die nachstsichere Erkenntnisart (Ess. IV,
(L 2, § 2). Jeder Schrit derselben muß sich auf die Anschauimg beziehen
(l. c. § 6 f.). Demonstrative Gewißheit ist nicht nur in der Mathematik, son-
dern auch in anderen Disciplinen, z. B. in der Moral, erreichbar (1. c. § 9; IV,
eh. 3, § 18). Leibniz stellt die Logik, was die Demonstrationsfähigkeit betrifft,
der Mathematik gleich (Nouv. Ess. IV, eh. 2, § 9). Chr. Wolf definiert die
Demonstration als „eine beständige Verknüpfung vieler Schlüsse, darinnen keine
Vordersät xe angenommen werden, als deren Richtigkeit wir vorhin erkannt xu
haben uns besinnen'^ (Vem. Ged. I, § 347). Hume hält die Mathematik (be-
Kmdets die Arithmetik) für die einzige demonstrative Wissenschaft, „in welcher
eine Kette ron Schlußfolgerungen bis xu einem beliebig verunckeUen Grade möglich
iit, ohne daß dabei die vollständige Genauigkeit und Sicherheit verloren ginge'^
'Treat. III, sct. 1, S. 97, vgl. IV, sct. 1). Kant betont : ,,Nur ein apodiktischer
Beweis, sofern er intuitiv ist, kann Demonstration Iieißen*^ (Kr. d. rein. Vern.
S. .302). Verstandesbegriffe müssen demonstrabel sein, d. h. der ihnen corre-
spondierende Gegenstand muß in der Anschauung gegeben werden kömien (Kr.
d. Urt. § 57). Die Vernimftideen hingegen sind iudemonstrable Begriffe (ib.).
I-'kies: „Demonstrieren heißt nur, eine Wahrheit in der Anschauung nachweisen^'
:J?Tst. d. Log. S. 411). Nach Hillebrand ist die Demonstration „eine objective
I Darlegung der genetischen Selbstvollendung des Begriffes als einer Selbst Wirklich-
keit- (Phil. d. Geist, II, 82). Nach Wundt besteht die Demonstration in der
.^Darstellung der Gründe, durch welche die Wahrheit oder Wahrsclieinlichkeit
eines gegebenen, einen realen Erkenntnisinhalt aussprechenden Urteils festgeJialten
vir&' (Log. II, 56). Vgl. Beweis.
Demut: eine specifisch christliche Tugend. Bernhard von Clairvaux
erklärt: „Hitmilitas est virtus, qua homo verissima sui cognitione sibi ipsi
rifepci^* (De grad. humil. 1, 2). Spinoza: „Humilifas est trist itia, quae ex eo-
f/ntur^ quod homo suam impotentiam contempUUur*\ sie ist keine Tugend, weil
sie nicht aus der Vernunft entspringt (Elh. IV, prop. LIII). Dag(^en
202 Demut — Denken.
betrachtet Geulincx die Demut als Haupttugend. „Partes humiliUUisf'*^ sind
^jin-speetio und despectio sui^^ (Eth. I» C. 2, sct. 2, § 2).
Oenfebarfeett ist die MÖglicKkeit, gedacht zu werden, die Möglichkeit
logischer, begrifflicher Bestimmung eines Inhaltes. Nicht alles Denkbare ist
auch erkennbar, z. B. das Unendliche, Absolute, Ding an sich. Vgl. Kategorien,
Noumenon.
Oenkens 1) im allgemein-populären Sinne = sich vorstellen, überlegen,
urteilen, schließen. 2) im engeren Sinne: a. psychologisch =^ die apper-
"ceptive (s. d.) Tätigkeit, innere Willenshandlung, durch welche Vorstelliuigen
in Elemente zerlegt, miteinander verglichen und aufeinander bezogen und zu
einer Einheit bewußt, willentlich zweckvoll verknüpft werden. Das Denken ist
also analytisch-synthetische, vergleichend-beziehende, auswählende, bevorzugende,
hemmende Tätigkeit, die Associationen (s. d.) voraussetzt, aber selbst nicht
Association ist, die sie vielmehr activ, spontan gestaltet, wodurch Denkverbin-
dungen entstehen ; b. logisch = Bildung von Begriffen, Urteilen, Schließen, wobei
das Urteilen (s. d.) die Grundfunction ist. Die (gewollte) Function des Den-
kens ist Herstellung eines objectiv gültigen Zusammenhanges in einer Beihe
möglicher Vorstellungen, Auffindung der Wahrheit (s. d.). Setzen einer Be-
stimmung im Unbestimmten, Formung und Gliedenmg eines Voretellungs-
inhaltes zu Gebilden, in welchen die Wirklichkeit, das Sein der Objecte zum
< symbolischen) Ausdnick kommt. Das primäre Denken bearbeitet den Vor-
stelhuigsinhalt direct, das secundäre Denken reproduciert das Gedachte oder
knüpft an dieses an. Das concrete Denken arbeitet mit Anschauungen und
Erinnemngsbildem, das abstracte Denken mit Begriffen, die es zerlegt und
verknüpft, was ohne Sprache (s. d.) nicht möglich ist. Bedingungen, Postulate
des Denkens sind die Denkgesetze (s. d.). Die allgemeinen, für alle Er-
fahnmg notwendigen imd gültigen Denkweisen heißen Denk formen (s. d.).
Ein Denken ohne Inhalt gibt es in Wirklichkeit nicht, das „reine** Denken ist
nur eine Abstraction sowohl vom besonderen Inhalte als auch vom Grefühls-
und Willensfactor des Denkens. Ursprünglich hat das Denken rein biologische
Bedeutimg, es dient der Erhaltung des Lebens.
Der weitere Begriff des Denkens (cogitatio) findet sich, abgesehen von
älteren Bestimmungen, die das Denken noch nicht im heutigen engst«n Sinne
nehmen, bei Descartes. Er versteht unter Denken jedes bewußte Vorstellen,
jedes Präsenthaben eines Bewußtseinsinhaltes. „Cogitationis nomine inteUigo
lila omniay quae nobis cwisciis in nobis sunt, qnatenus earum in nobis eonseienfia
est: atque ita non modo intellu/ere y reih, imaginari, sed etiam sentire, idefn
est hoc quod cogitare^* (Phil, princ. I, 9). Die Seele ist „res eogitans" (Med. II).
Malebranche sagt demgemäß, die Seele denke stets („l'äme pense toi^ours^^t
Rech. I, 3, 2). Spinoza faßt das „Denken^^ als Attribut (s. d.) Gottes auf
(Eth. II, prop. I); Gott ist das letzte Subject aller unserer Gedanken, er denkt
in jedem seiner Modi, ist unendlicher Intellect (s. d.): „Singulares eogitaiumes
sipe haec et illa cogitatio modi suntj qui Dei naturam eerto et determifiato modo
expritnunf' (Eth. II, prop. I). Gott denkt Unendliches auf unendliche Wdse,
indem er sein eigenes Wesen denkt. „Dem enim infinita infmitis fnodis cogitare,
jtirc ideam suae essefiiiae et omnium, qtme neoessario ex ea sequuntiir, forman
potesf' (1. c. prop. III, dem.). Das vernünftige Denken (s. Vemimft) betrachtet
•die Dinge in ihrer cons tauten Wesenheit und Notwendigkeit. Chr. Wolf
Denken. 203
definiert: „Coffi^a-re dieimus, quando nobis consdi sumus eorwn, qtiae in nobis
eontingunt, et quae ywhis tanquam extra nos repraesentantur. Cogiiatio igitiir
ett acttis auitnae, quo siln rerumqtde cUinrum extra se conscia est^' (PsychoL einp.
J 23), Denken ißt „do« Beicußtsein von Dingen außer ti»M" (Vem. Ged. I, § 194).
BiLFDfGER: „Repraesentatio rerum Uta, euius consdi siwms nobis, dicitur eo-
ptatio'' (Diluc. § 240). Bei Hume und anderen englischen Philosophen heißt
Jkmi'ing'' so viel wie: etwas gegenwärtig haben, femer: Vorgestelltes verknüpfen;
j^asoning"^ = logisch verknüpfen (Treat, übers, von Lipps, S. 10). Im engeren
»Sinne besteht das Denken in einer y^eomparison^^ von Vorstellungen, im Auf-
Ünden der Relationen zweier Objecte (L c. III, sct. 2). J. G. Fichte versteht
imter Denken im weitesten Sinne „vorstellen oder Bewußtsein überhaupt^^ (Syst.
d. Sittenl. S. 12). Es ist im engeren Sinne ein „Herausgehen aus der unmittel-
baren Ansehautmg*^ (WW. I, 2, 545). Das reine Denken ist das sich selbst
denkende, seinen Inhalt selbst producierende Denken.
Das Denken wird femer als geistige, -von der sinnlichen Wahrnehmung
verschiedene, auf das Allgemeine, Seiende, Wahre gehende Tätigkeit bestimmt
Alkmaeon soll im Denken ein ausschließliches Kennzeichen des Menschen
€d)liekt haben (or* fiovos iwiija, Theophr., De sens. 25). Heraklit lehrt,
die vernünftige Denkkraft (s. Vernunft) sei allen gemeinsam (fwoV ian näai
j6 ^ooyBiv, ¥t. 91 ; Stob. Floril. III, 84 : Sext. Emp. adv. Math. VII, 133). Er,
wie (He Eleaten und wie Demokbit, betont, daß die Wahrheit nur durch den-
kende Verarbeitung des Wahmehmungsinhaltes erlangt werde. Parmenides
lehrt die Identität (s. d.) von Denken und Sein. Plato betrachtet das Denken
als rein geistige Seelenfunction, die Seele denkt das Allgemeine durch sich
^l^t, ohne ein Organ [avxTJ 8t avriji rj yrvxi ta xoivd fioi fpaiverai nt^i ndv-
fov iTzurxoTtsiv, Theaet. 185 E). Das Denken ist ein inneres, stilles Sprechen
der Seele mit sich selbst. Plato nennt das Denken ein Xoyov ov avrij n^ds
am^v rj xpvxf} ^«|«(»;if«Ta« neifi ov av axonfl . . , rovro yd^ fioi ivSdXkerai Sia-
rootuipr; ovx dXXo Ti ^ SiaXdyaad'aiy avrij iavtrjv i^torwffa xai aTtox^ivo/uen]^
xai fdcxovca xai ov fpdaxovca , , , ov fiivroi Tt^os dXXov ov8i g>mv^ , dXkd
ttyf^ 7t ^i avTov (Theaet. 189 E). Man vergleiche damit die Ansicht Prantls,
Denken und Sprechen seien dem Wesen nach eins, ferner die Behauptung von
L Geiger, unser heutiges Denken sei nur ein „leises Sprechen, ein Sprechen
mf oder in uns selber'* (Urspr. u. Entwickl. d. m. Spr. I, 12, 59; vgl. Sprache).
Und Lazabxjs: ,, Alles Denken ist enhoeder ein Dialog oder ein Monolog, denn
das Worty hörbar oder unhörbar, ist für das Denken die unablöslieke Form, die
vnertrennliehe Gestalt, die unefUrinnbare Fessel seines Inhalts" (Leben d. Seele
II*, 3). — Abistoteles imterscheidet das Denken vom sinnlichen Wahrnehmen
ivoeiv , , . §xB^v rov aUt&dvee&ai, De anim. III 3, 427 b 27). Aber ohne an-
whauliehe Grundlage kann man nicht denken {ovSinoxa voel dvev ^avrdiffiaxoi
h y-'i^f De an. III 7, 431 a 16 ; orav le &bo}q^, dvdyxri afta ipavxdifftaTi &eo>-
ftly. De an. 432 a 8). Das Denken geht aufs Allgemeine, Constante, auf die
,Jorm^*y das Wesen (^ S* imeri^ufj reSv xa&6kov ■ Tavra ^ iv ainfj Ttoiis i<m
''f ^XÜ ' ^*^ voijeai fiif in avrtp, onorav ßovlijrai (Dean. II 5, 417b 22 squ.).
Indem das Denken die „Formen** der Dinge begrifflich erfaßt, bewußt macht,
«iid es gleichsam mit diesen Fonnen eins, formt es sich selber (vgl. Siebegk,
Aristot. S. 80). Nur den vernünftigen Wesen eignet das Denken (SiavoeXffd'at
• . . ovSsvi vnd^x^i 4* ftv '^«^ Xoyos, De an. III 3, 427 b 14). Gk>tt ist reines
Öenken, Denken seiner selbst (vorjeie voi^<rsws, Met. XII 9, 1074 b 34). Theo-
204 Denken.
PHRAST (Simpl. Phys. Fol. 225 a) iind Strato sehen im Denken eine (geistig
Bewegung. Den Wert dee Denkens betonen die Stoiker (Diog. L. VII , 89
Plotin unterscheidet vom Denken das Bewußtsein des Denkens (Eiul IV,
30). Das Denken ist ein Product des Strebens (Enn. V, 6, 5). Das Ein
CTÖttliche bedarf nicht des Denkens (ib.).
Gregor von Nybsa bestimmt das Denken (Sidvoia) als Betatigimg d
(xeistes. Augustinus erklärt (ähnlich wie Varro): „eww in unum cogwü%
ab ipso coaetu cogitaiio dieitur*^ (De trin. XI, 3, 6). Das Denken ist ein imiem
Sprechen. ^yFormata cogitaiio ab ea re quam sdmua, verbum est, quod in cor
dieimus: quod 7ie4s Oraecum est, nee Ldtinum^^ (1. c. XV, 10). Die Seh(
lastiker stellen die ,,vis cogitativa" dem Wahrnehmen gegenüber, als ,jirtn
distingvere interUiones individtuUes et eomparare eas ad invicem^' (THOMi
Ck)nt. gent. II, 60). Das Denken ist also unterscheidende und vergleich^M
Tätigkeit, es abstrahiert die geistigen j^Formen*^ (species, s. d.) der Objecte ui
bringt sie in begriffliche Beziehungen. Thomas sieht im Denken die unmittt
bare, organlose Seelenfunction (De ver. 15, 2). „InteUigere est operatio anim
kunianae, seeundum quod superexcedit proporiionem materiae corporalis et id
non fit per aliquod Organum corpordle^^ (De spir. creat art. 2). Das ^joogitcm
ist ein ,yConsiderare rem seeundum partes et proprietates suas, unde eogitm
dicitur quasi eoagitare*^ (1 sent. 3, 4, 5 c). Wir können nur an der Hand vc
Anschauungen denken: „InteÜeettcs noster seeundum statum praesentem nik
intelligit sine phantasmaie^^ (Cont gent. III, 41). Object des Denkens Ist dl
Wesen, das ,,quod quid esl^^ der Dinge, das Allgemeine (Sum. th. II, 8, 1). S
sagt auch DuNS Scotus: ^yProprium obieetum inielleHtis est universale , siet
singulare est obieetum sensus*^ (Quaest. univ. 13, 2, 15). Das Allgemeine (s. d
wird durch die y^pecies intelligibiles^^ (s. d.) erkannt.
Als verbindend-trennende Tätigkeit bestimmt das Denken Locke, der dl
Beteiligung der willkürlichen Aufmerksamkeit am Denken beachtet (Es». I
eh. 9, § 1). Leibniz betrachtet jede Seelentätigkeit als ein (deutliches od(
verworrenes) Denken; dieses ist im engeren Sinne ein vernünftiges Vorstella
Reflexionsfälligkeit (Erdm. p. 464, 716). Unsere Gedanken (id^es) ,,«<? formentpa
nouSy non pas en consequertce de notre volonte, mais suivant notre nainre <
Celle des ehoses^^ (1. c. p. 619 b, 620 a). Nach Baumgarten ist Denkobjeot d>
Allgemeine (Akroas. Log. § 51). Holbach bestimmt das Denken als Fähigkei
des Menschen, „d'appercevoir en lui-meme au de sentir les diff^entes modk
fic/itions ou idees qu'il a re^ues, de les combiner et de les separer, de les etendi
et de les restreindre, de les comparer, de les renoureler^^ (Syst. d. 1. nat. I. eh. I
p. 112). Nach Destutt de Tracy ist Denken = „sentir un rapport, appef
eeroir un rapporf de convenance ou de discofivcnance etitre deux idees"' (E
d'id^ol. I, 23).
P^ine Art Rechnen ist das Denken nach Hobbeb, ein Addieren un
Subtrahieren von Begriffen oder Worten. „Ratiocinari igitur idem esi
quod addere et abstraherey vel si quis adiufigat his mtUfijjlicare ei diriden
Compuiare est plurium rerum simul additarum siimmam colligere rel un*
re ab alia detracfa cognoscerc residuum*^ (El. phil. I, 1, 2; Leviath. L o
Auch Bardili sieht im Denken eine Art Eechnen. So auch J. J. WagxH
(Organ, d. m. Erk. 1830). Und Schopenhauer bemerkt: „Denken im strenifstfi
Sinne ist eticas, das große AkfUichl-eit mit einer Bucltsiabetirechnwig hat: di
Begriffe sind 2kichen für Vorstellungen y uie Worte Zeichen für Begriffe sind
FW
Denken. 205
j :
fr kennen die Bexiehungen der Begriffe cmfeinmider und köfuien deshalb die
^griffe fiin und her tcerfefn xu ailerhand neuen Verbindungen^ ohne daß wir
Ifltig hätten, die Begriffe in Bilder der Phantasie von den Oegetiständen, die sie
fttellen, xu verwandeln. Bloß beim Resultat pflegt dies xu geschehen^^ (Anmerk.
^4 f.). Nach M. MÜLi^R ist cUs Denken ein CJombinieren und Trennen
Denken im Lichte der Sprache S. 26). Denken ist Sprache (1. c. S. 69 ff.).
AIb active, synthetische, Einheit setasende Function, aus der Begritfe ent-
^gen, wird das Denken wiederholt bestimmt. Nach Teteks heißt denken
fiiändig Vorstellungen bearbeiten und tätig mit dem Oefühl auf diese be-
iteieti Vorstellungen xurückwirken" (Phil. Vers. I, S. 607). „Denkkraft^^ Ist
Vermögen der Seele, „womit sie Verhältnisse hi den Dingen erkennt^ (1. c.
295). Kant scheidet das Denken schroff von der Anschauung (s. d.). Das
en ist Fimction der ,,Spontaneität^^ (s. d.) des Verstandes (Kr. d. r. V.
76). ^^Die Sache der Sinne ist, anzuschauen; die des Verstandes, xu denken^'^
legem. § 22). Aber ohne Anschauung ist alles Denken „leer*^. Denken ist
orstellungefi in einem Bewußtsein vereinigend^ und da dies ein Urteilen ist,
„dmken so viel wie als urteilen oder Vorstellungen auf Urteile Oberhaupt
iuehen'' (ib., Krit d. r. Vem. S. 88). Es ist „Erkenntnis durch Begriffe'' (Kr.
[ r. V. S. 89), anderseits „die Handlung, gegebene AnschoMung auf einen Oegeti-
tnd xu beziehen'^ (1. c. S. 229). Bedingungen und Formen des Denkens sind
e Kategorien (s. d.) des Verstandes. Die Einheit der Apperception (s. d.)
Igt allem Denken zugrunde. Chr. E. Schmid nennt als Denkfunctionen das
binden, Trennen, Vergleichen der Vorstellungen (Empir. Psychol. S. 225 f.).
h S. Maimon heifit denken „Einheit im Mannigfaltigen hervorbringen^^
WS. üb. d. Transc. S. 33). Nach Krug ist das Denken „das mittelbare Vor-
kn, welches darin besteht, daß ein gegebenes Mannigfaltiges von Vorstellungen
Einheit eifies Begriffs verknüpft idrd^' (Fundam. S. 175). Kiesewetter
iert das Denken als „diejenige Handlung des Öemüts, wodurch Einheit des
ußf Seins in die Verknüpfung des Mannigfachen gebracht wird^^ (Gr. d. Log.
10). Xach Fries ist Denken die „unllkürliehe lUtigkeii'' des Bewußtseins,
lohe im Urteile Erkenntnisse als Verbindungen allgemeiner Vorstellungen
Bewußtsein bringt (Syst. d. Log. S. 94). G. E. Schulze bezeichnet als
ken alles das, „was im Erkemien und Vorstellen aus dem Entschlüsse, es
teken xu lassen, herrührt. Es xeigt aber nicht bloß das Vorstellen durch
iffe an, sofwlem auch das Deutlichmachen jeder Art ron Erkenntnis durch
irillkürliche Verwenden der Aufmerksamkeit auf die Unterschiede an den
'andteilen derselben, ferner das Vorstellen abwesender Dinge durch Erinnerung,
leiehen aUes aus Qründen herrührende Ürteüen, endlieh das Vorstellen und
^dn flach Absicht^' (Gr. d. allg. Log.', S. 4). Nach Drobisch ist Denken
EZusa?nmenfassen eines Vielen und Mannigfaltigen in eine Einheit'' (N.
t. d. Log.*, S. 5). Volkmann bestimmt das Denken als „Verbinden und
nen der Vorstellungen, d<is seinen Orund hat lediglich im Inhalte der be-
^ffenden Vorstellungen seihst" (Lehrb. d. Psychol. II*, 238). Nach Lipps ist
penken „otjectiv bedingtes Vorstellen" (Gr. d. Log. S. 4), ein „Hinausgehen
9er das unmittelbare Tatsächliche xu dem, was um dieses Ihtsächlichen unllen
pia^kf werdeti muß" (ib.). Nach Rehhke ist das Denken ein activer Seelen-
Föeeß, der Zerlegen oder Unterscheiden und Verknüpfen enthält (Allg. Psychol.
P* ^~S, 486). Nach Helkholtz ist Denken „die bewußte Vergleichung der schon
l^jnnenen Vorstellungen unter Zusaunnenfassung des Oleichartigen xu Begriffen"
206 Denken.
(Vortr. u. Bed, II*, Ml). Als Vergleichiing von Daten bestünmt das Denkai
TÖNNIES (Gern, u. Gee. S. 168 f.). H. Spencer versteht.imter Denken (thougbt)
das Feststellen von Beziehungen („establiskmefU of relcUions^^), das Zusammen-
ordnen von Eindrücken und Ideen (Psychol. § 378), eine „Änpeissitfig ton in-
tieren an äußere Bexiehungen" (1. c. § 174).
Nach Hegel ist das Denken der Intelligenz ein yyOedafiken-haben^'y wobei
der Gedanke die Sache selbst ist, ,,einfaehe Identität des Sub^eetiven und Ob-
jeetiven'' (Encykl. § 465), d. h. wir denken im Begriffe das Wesen des Dinges
selbst. Das Denken ist (subjectiv) das „tätige Allgemeinem^. Das Denken ist,
als Subject vorgestellt, Denkendes (1. c. § 20). Das „reine^^ Denken denkt sich
selbst (1. c. § 24, Zus.), hat bloße Begriffe zum Inhalt. Das „abstrakierendt
Denken*^ ist „nicht als bloßes Äuf-die^ Seite-steilen des sinnliehen Stoffes xu be-
tmehten, welcher dadurch in seiner Realität keinen Eintrag leide, sondern es ist
vielmehr das Aufheben der Reduction desselben als bloßer Erscheinung auf das
Wesentliche, tvelches nur im Begriff sieh manifestiert'^ (Log. III, 20). Die
Denkbew^^ung ist „di^üeJäisch'^ (s. d.), eine Folge des in den Gedanken steckeD-
den „Widerspruches^^ der zum „Umsehlagen'* der Begriffe ins G^^enteU und
zur „Aufhebung** der Gegensätze in einem höheren Begriff führt (vgl. K. Rosen-
kranz, Syst. d. Wiss. § 644 ff.). Nach Schelling ist reines Denken kein
wirkliches Denken; dieses ist nur da, wo „ein dem Denkefi Entgegengesetxies
Überminden wird** (WW. I 10, 141). HiLLEBRAND erklart das reine Denken
als „Setxung der allgemein-concreten Einheit des Subjeet-Objecls** (Phil. d. Geist.
1, 198), als „subjective Position der reinen, der absoluten Wahrheit^* (1. c. S, 199 ff.).
Nach Heenroth ist das Denken durch den Willen geleitet (PsychoL S. 141),
es ist ein „Im-Bewußtsein^beschränken** (1. c. S. 247). Trendelenbüro betont,
es gebe „kein Denken ohne das gegenüberstehende Sein, an dem es arheitä'^
(Gesch. d. Kategor. S. 364). Das Denken muß „rfic Möglichkeit seiner Gemein-
schaft mit den Dingen in sich tragen** (L c. S. 365), dadurch, daß die „con-
struetive Beicegtifig** desselben, vermöge deren es tatig ist, dem Wesen nach
dieselbe ist wie die Seinsbewegung (ib.; vgl. Log. Unt. I*, 136, 144). Lotze
sieht im Denken „eine fortwährende Kritik, weicJie der Geist an dem Material
des Vorstellungsverlaufs ausübt, indem er die Vorstellufigen trennt, deren Ver-
knüpfung sieh nicht auf ein in der Natur ihrer Inhalte liegendes Recht der Ver-
bindung gründet** (Gr. d. Log. S. 6). ^^Das Denken, den logischen Gesetzen seiner
Beicegung überlassen, trifft am Ende seines richtig durchlaufenen Weges wieder
mit dem Verhalten der Sachen xusammen** (Ix^. S. 552). Nach SteintH-AL
ist das Denken „die Erkenntnisbeivegung als logische angesehen^* (Einl. in d.
Psychol. S. 108). Überweg definiert es als „die auf mittelbares Erkertnei^
abzielende Geistestätigkeit'* (Log. 4, § 1). Es spiegelt „die innere Ordnung,
welche der äußeren zugrunde liegt**, ab (1. c. S. 14). Nach E. DÜHRING ist das
Denken ein Product des Seins selbst, ein besonderer FaU der Wirklichkeit
(Log. S. 171). Es ist „eine Hervorbringung subjeciiver Formen für die Auf-
fassung und Kennzeichnung von Gehalt und Wirkungstceise der Dipigf* (1. c,
S. 173). Denken und Sein „entsprechen sich völlig** (1. c. S. 207). „Reinesf*'
Denken ist nichts als „die GedankenJbewegtmg in dem abgesonderten Gebiete der
reinen Logik und Mathematik** (N. Dialekt. S. 196). L. Büchner sieht im
Denken nur „eine besotidere Form der aügemeinefi Naturbewegung'* (Kr. u. St*,
S. 321). Kirchmann erklärt: „Das Denken befaßt alle xu dem Wissen ge-
hörenden Tätigkeiten mit Ausnahme des Wahmehmens. Es bewegt sieh in fünf
Denken. 207
Bidiimigen: I) ai^ das wiederholende Denken^ 2) als das trennende Denken,
B} als das verbindende Detiken, 4) als das bexiekende Denken und 5) als
dk persehiedene Art, den Inhalt eines Gegenstandes xu tcissen^^ (ICat. d. Fhilos.
8. 27). Nach Deussen ist Denken ein j^Operieren mit Begriffen" (Eiern, d. Met..
$ 33). SiGWABT charakterifiiert das Denken als ,^eiin innere Ijebendigkeit des
VorsteUens" (Log. I*, 2), dessen Zweck ,yErkenntnis des Seienden" ist (1. c. S. 4),
iodem es darauf ausgeht, yjin dem Bewußtsein seiner Notwendigkeit und All-
gemeingültigkeit xu beruhen" (1. c. 8. 6). Es entspringt dem ,yDenken^woUen"
(L c. S. 3). Nach Volkklt ist Denken eine „ Verknüpfung der Vorstellungen
mit dem Bewußtsein da* logischen und sachlichen Notwendigkeit^'^ (Erfahr, u.
Doik. S. 163), ein „Postulieren transsubjeetiter Bestimmungen" (1. c. S. 96).
Nach O. SCHKEIDEB ist Denken „(/t^'em^e geistige Tätigkeit des Metiseheny in
icMier er sieh mittelst der Stammbegriffe überhaupt erst eineti Inhalt schaffty
iifh dessen Eigenschaften nach Maßgabe der ihn schaffenden Stamm-
hffgriffe zum Bewußtsein bringt und zugleich de^ Verhältnisses solches Inhaltes
u« einem gegebenen Sein bewußt isf* (Transcendentalpsych. S. 167). Nach
H. CoBNELiUB verfolgt das theoretische Denken y^tets das Ziel y Zusammen-
hang xwisehen den xunäehst getrennt vorgefundenen Tatsachen herxustellen, das
Mannigfaitige unter einheitliche Gesichtspunkte xu ordnen" (Einl. in d. Philos..
K 26). BiEHL betont die Notwendigkeit des Denkens für alle Erfahning (s. d.).
,4)as Denken ergänxt die Wahrnehmung. Immer wieder setxen wir einen weif
froßeren Zusammenhang vormiSy cUs in den bloßen Tatsachen gegeben ist^' (Einf.
in d. Philos. S. 69). Als active Betätigung der Aufmerksamkeit (des Wollens),
vergleichend -synthetische Tätigkeit bestunmt das Denken Sully (Haiidb. d.
Psychol. S. 235 ff.; Hum. Mind C. 11). Ähnlich Stout (Anal. Psychol. II,
C. 9 u. 10), James, Baldwin, auch Höffding.
W. Hamilton bestimmt das Denken als Bedingen (yyto thifik is to con-
dition"). Ulmci versteht unter Denken „die geistige Tätigkeit überhaupt^''
(Log. S. 4), es ist wesentlich yyUnterscheidende Tätigkeit y und xwar sich in
WC* selbst unterscheidend^^ (1. c. S. 13). Nach Haems ist das Denken y,eine
reine, ihr Object nicht verändernde lUtigkeit' (Log. S. 87). Nach Spicker
hi Denken nichts als yydie logische Verallgemeinerung der empirischen Einxel-
itahmekmwtg" (K., H. u. B. 8. 181). J. St. Mill (Examin. p. 453), B. Erd-
itunr (Log. I, 1), Hagemanit (Log. u. Noet. S. 22), W. Jerusalem (Lehrb.
d. PsychoL', 8. 103) bestimmen das Denken als Urteilen.
Nach Leclair sind Denken und Gedachtes nur eine yyAbbreviatur für die
fonxe Mannigfaltigkeit der Betcußtseinstatsachen" (Beitr. S. 16). Alles Denken
ist Doiken eines Seins (s. d.). Nach Schuppe gehört es zum Denken, daß es
i/wm Inhalt oder Object hat", sowie der y,Anspruchy daß dieser Inhalt wirklich
Seiendes ist^^. „Was eine rein sulff'ective Denktätigkeit ohfie oder noch ohne Ob-
jeet . . , sein könnte, ist absolut unerfindlich" (Log. S. 7). Das Denken ist ein
Jhn^Betcufitsein-haben" ohne ,^Bul^ectives Tun" (1. c. B. 35, 37), es besteht im
Urteilen, d. h. es y^nennt die Art des Zusammenseins der Daten" (ib.). Schubert-
Soldern: yyDas Denken ist nur ein Denken der Welt, und die Welt ist nur in
Uerütbexiehungen gegeben, ohne welche sie reines Abstractum ist" (Gr. e. Erk.
6. 226, vgl 8. 155).
Der Sensualismus (s. d.) betrachtet das Denken als eine Art Wahrnehmung
oder Product von Empfindungen. Nach Campakella ist das Denken nur ein
ibgebladtes Wahrnehmen (,ysentire languendum est et a longe", Univ. philos. 1, 4, 4)..
208 Denken.
Ck>NDlLLAC betrachtet das Denken als Entwicklungsproduct des Empfindens (j,pen-
ser c'est sentir^^J. Die Empfindung wird von selbst Autinerksamkeit, Urteil, Reflexion
(Tr. d. sens. p. 38). Logisch ist das Denken „decompositian des phenamhies et cümpo-
sition des idees" (Log.). Nach Czolbe sind alle Begriffe der empirischen Erkenntnis
„aw5 Etnpfmdtmgen und Gefühlen als ikren Merkmalen xusammengesetxtj odff
anschauliche Be^ffe", „alles Denken ist ein Schauen, das Innere der körper-
lichen und geistigen Welt in seitien Prineipien absolut durclisiehtig oder begriffeti^^
(Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 257). Nach Nietzsche beruht das Denken aiif
einem praktischen Instinct, es wurzelt im Lebenstrieb, im „Willen zur Macht
(WW. XV, 268, 270), ist biologisch wertvoll, ohne wahres Erkenntnismittel zu
sein (l. c. 272 ff.). Es ist nur eine Fortsetzung und Umformung unserer Em-
pfindungen. Gedanken sind nur der „Scheuten unserer Empfindungen — imm^
dunkler, leerer, einfacher als diese" (WW. V, 187). Sie sind nur Symbole für
die Wirklichkeit, zugleich sind sie Folgen von Triebbew^ungen. Das bewufite
Denken ist nur die Oberfläche des ijistinctiv-unbewußten Denkens. Das Denken
ist, als Vorgang des Wählens, Auslesens, Bevorzugens, ein y^ntoralisehes Er-
eignis'', es beruht auf Wertschätzungen (WW. XI, 6, 250, 254 ff., 258, X,
S. 194 f., XV, 356). Es birgt alle Irrtümer der Sprache (s. d.). Unser Denken
ist nur ein „sehr verfeinertes, xusammenverflochienes Spiel des Sehens, Hörens ^
Fühlens'', es ist Übung der Phantasie (WW. XI, 6, 233—235). Als eine Art
Nachbild der Wahrnehmung betrachtet den Gedanken R. Ayenabiüs (Kr. d.
r. Erf. II, 77). E. Mach erblickt im Denken eine Fortsetzung der Wahr-
nehmungsvorgänge, es hat zunächst biologische Bedeutung, ist nur ein Teil des
Lebens der Welt (Populärwiss. Vorles.", S. 208), geht auf Vereinheitlichung,
Vereinfachung, Beherrschung der Erfahrungen aus (s. Ökonomie).
Die Associationspsychologie (s. d.) anerkennt keine spontane Denktätigkeit,
sondern sieht in allem Denken nur ein Spiel der Associationen, eine f^xusammen-
gesetxte" Association. So Ziehen, welcher meint: „Wir können nicht denken,
toie wir wollen, sondern tcir müssen denken, urie die gerade vorhandenen Asso-
ciationen bestimmen" (Leitfad. d. physiol. PsychoL*, S. 171). Die „Willkürlich'
keit" des Denkens beruht nur darauf, daß das Denken von Bewegungsempfin-
dungen begleitet wird (ib.). Ähnlich Mükstebbebg.
Der Intellectualismus (s. d.) sieht im Denken die primäre geistige Tätigkeit
Die Gefühlspsychologie leitet das Denken aus dem Grefühle (s. d.) ab als ge-
steigerte Energie u. dgl. So HoRWiCZ (Psychol. Analys. I, 258, II, 115 ff.)
und Th. Zieoler. — Nach Ribot ist das Denken schon der Beginn eines
motorischen Processes, ein „catntneneement d'activite musctdaire" (PsychoL de
Patten t p. 20; vgl. L'^volut. des id^ g^n^rales 1897).
Der Voluntarismus (s. d.) betrachtet als das eigentlich Active im Denken
den Willen (s. d.), der (in der activen Aufmerksamkeit) den Lauf der Vor-
stellungen hemmt, regelt, der (durch die Apperception, s. d.) Vorstellungen und
Vorstellungsbestandteile auswählt, bevorzugt, ,zur Klarheit bringt. Nach
Schopenhauer ist das Denken eine Function des (im Gehirn objectivierten)
Willens (s. d.). Rümelin betont: „Der InteUect ist nicht das PrinUk^ und
Leitende in uns, sondern er nimmt eine seeundäre wid dienende Stellung ein.
Alle seine Tätigkeiten sind nur formeller Art und bestellen in einem fortwähren'
den Bilden und Umbilden, Verknüpfen und Unterscheiden nach stets gleichen
Formen und Oesetxen. Seine Richtung, sein Stoff wird ihm durch den Willen,
oder , . ., da es kein Wollen im allgemeinen gebeti kann, durch die Triebe gesetit^
Denken. 209
(Red. u. Aufis. I, 64 f.). „Die Triebe . . . sind die Directiven des Intellects"
(Lc. S. 65). Nach Tönnies liegt dem Denken ein Gefühls- und Willenscharakter
zugninde (Gem. und Gesellsch. S. 139 f.). Das abstracte Denken ist die „7nit
KQcher Aufmerksamkeit geschehende Vergleichung von Daten, urekhe bloß vermöge
der mit Worixeiehen operierenden Erinnerung wahrnehmbar sind, ihre Auflösung
und Zusammensetzung*^ (1. c. 8. 168 f.). Sülly betont: „Das Kind offenbart
sieh als Denker zuerst dunkel auf praktischem Gebiet. Die Denkfähigkeit ist bei
der EniiciekUmg der Rasse xuerst durch die Erregung des instinetiven Begehrens
und Widerstrebens in Tätigkeit gesetzt worden^^ (Unters, üb. d. Kindh. S. 65).
Nach Kreibig ist das Denken eine Willenserscheinung (Die Aufmerks. S. 3).
— WcTNDT erblickt im Denken eine Function der Aufmerksamkeit oder Apper-
ception (s. d.). Das Denken ist, psychologisch, Willenstätigkeit, innere WiÜens-
handlung, die das Material der Associationen bewulSt verwertet. Das Denken
ist willkürliche, zwe||ftplle Tätigkeit. Indem verschiedene Associationen mit-
einander in Kampf göRten, ist es j^der miUkürlieh fixierte Zweck des Oedanken-
Verlaufs, der einer bestimmten, diesem Zweck entsprechenden Verbindufig vor
anderen defi Vorxug gibt" (Syst. d. Philos. 8. 41; Grdz. d. phys. Psychol. II*,
479 f. ; Log. I«, 79 f. ; Gr. d. Psychol.», 8. 301 ff.). Die Merkmale des Denkens
sind (psychologisch): 1) subjective Tätigkeit (Spontaneität), 2) selbstbewußte
Tätigkeit, 3) beziehende Tätigkeit (Syst. d. Philos.«, 8. 35 ff.). Die logischen
Merkmale des Denkens sind Evidenz (s. d.) und Allgemeingültigkeit (s. d.).
Das Denken als Yerstandestätigkeit (s. d.) wird von einem Gesetz der „diseursiven
Gtiederuftg ton Oesamiparstellungen*', vom Gesetz der y,Dualität der logischen
DenkfoTfneti" (s. d.) beherrscht. Das abstracte Denken entwickelt sich Hand in
Uand mit der Sprache (Gr. d. Psychol.*, S. 365). Logisch ist das Denken
^Jedes Vorsteilen, welches einen logischen Wert besitzt*^. Ein leeres, reines Denken
gft>t es nicht (Log. I», 8. 59; 435; Syst. d. Philos.«, S. 85 ff.) Zwischen Denken
imd Sein besteht keine Identität, wohl aber eine (Konformität. Die Denk-
functionen sind die Hülfsmittel, mit denen wir die realen Beziehungen der
Objecte auffinden und sie in idealer Weise (begrifflich-symbolisch) nachcon-
»tmier^n (Ideal-ßeaHsmus) (Log. I*, S. 86 f., 90, 98 f., 6 f.; Grdz. d. phys.
Rsyehol. II*, 479 f.). Die Einheit von Denken und Sein besteht nur vor der
Differenzierung des Bewußtseins in Subject und Object (Syst. d. Philos.«, 8. 87 f.).
Das Denken beginnt schon an der Anschauung (Syst. d. Philos.«, 8. 67, 77, 150 ff. ;
Log. I«, 558 ff.). KÜLPE bemerkt: „Die imiere Willenshandlung tritt uns
namentlich beim Denken entgegen. Auch hier handelt es sich um eine anti-
tipierende Appereeption, die teils einen größeren, teils einen kleineren Kreis einxelner
Jieprcduetionen beherrscht und sieh nur durch die Consequenx, mit der alles
diesem Kreise Femstehende zurückgehalten oder verdrängt icird, von xufäUigefi
Beproductionsmotiven unterscheidet** (Gr. d. Psychol. S. 464). „Nicht durch eine
besondere Art von Verbindungen, sondern nur durch die Leitwng des Vorstellungs-
rerlaufs vermittelst anticipierender Apperceptionen scheint uns das Dcfiken von
dem auiomaiiscßien Spiel der Vorstellungen sich xu unterscheiden^^ (ib.) Nach
W. Jerusalem ist das Denken (praktisch) das Überlegen, das unseren Ent-
schlüssen voranzugehen pflegt, theoretisch die Seelentätigkeit, die bei der Er-
brschmig der Wahrheit wirksam ist. Das Denken ist der vom Willen beeinflußte,
d. h. der apperceptive Vorstellungsverlauf (Lehrb. d. Psychol.», S. 103). —
HüBBESl« erklart: „Alles Denken . . . vollzieht sich in gewissen , Acten*, die im
Zusan$menhange der ausdrüekefiden Rede auftreten. In diesen Acten liegt die
PUlosophUohet Wörterbuob. 2. Aufl. 14
1
210 Denken — Denkgesetae.
Quelle all der Oeltungseinkeiten j die als Denk- und Erkennlnisobjecte oder als
deren Theorien und Wissenschaften dem Denkenden gegenüberstehen^^ (Log.
Unt II, 472). Das objectiv Gedachte gilt allgemein, unabhängig vom Acte des
Denkens (s. Wahrheit).
Nach Flechsig gibt es „Cogitationseentren" (s. d.). M. Benedict bemerkt:
„In der grauen Substanx des Stimhirfis befindet sieh ein eig&tes Samniehrgany
ein Leistungsknotefi für die höhere Denktätigkeü — ein Denker-Organ^^ (Die Seelöi-
kunde d. Mensch. S. 79). Damit ist eine phrenologische Anschauung Galla
wieder erneuert. Vgl. Gredanke, Verstand, Ökonomie, Urteil, Wahrnehmung^
Erkennen, B&tionalismus, Panlogismus, Parallelismus (logischer).
Denkformeii s. Kategorien.
Denkufeg^enatand s. Object.
I^enkflfesetjse (logische Axiome) sind 1) psycholq^lßh = die natürlichen
Bedingimgen, unter denen das Denken (s. d.) sich vollzieht; 2) logisch = die
Postiüate des Denken- und -Erkennen-woUens, des einheitlichen und seine Einheit
bewahren-wollenden Ich, denen alles Denken folgen muß, soll, weil sonst eine
normale, fortschreitende, erkennende Function desselben nicht möglich ist und
weil sonst die Einheit, der Zusammenhang des (geistigen) Ich in Frage gestellt
wird. Die Denkgesetze sind Normen des Denkwillens. 8ie sind die allge-
meinsten Bedingungen des Erkennens, des empirischen wie des speculativen.
Bie specificieren sich in die Sätze der Identität (s. d.), des Widerspruches (s. d.),
des ausgeschlossenen Dritten (s. d.) und des Grundes (s. d.).
Dem älteren Rationalismus gelt^i die Denkgesetze als „eicige Wahrheiten*^
(s. d.), d. h. als unmittelbar evidente und allgemein-notwendig aufzustellende
Gesetze für das Denken. Sie haben apriorische (s. d.) Natur. So nach. Plato,
ARIST0TELE8, nach den Scholastikern, nach De8CARTE6 (Princ. philos. I,
49), Leibniz, Cudworth, der schottischen Schule u. a. J. G. Fichte
leitet die Denkgesetze aus yjSetxungen*' des Ich (s. d.) ab. Schopenhauer
bezeichnet sie als y^metalogische Wahrheiten^* f\V. a. W. u. V. Bd. I, 454),
Ui.Rici als Gesetze der unterscheidenden Tätigkeit des Denkens (Log. S. 93 ff.).
Nach Rümelin sind die Denkgesetze ,;nichi in dem Sinn Oesetxe, daß sie ein
ausnahmsloses tatsächliches Geschehen hemrkten^ sondern sind die Hegeln, von
welchen das aufmerksame^ unheirrte und auf Erkenntnis der Wahrheit gerichtete
Denken untcillkürlich geleitet icird und sich leiten lassen muß, wenn es zur
Wahrheit gelangen und andere davon überzeugen wilV* (Red. u. Aufs. II, 123).
Nach SiGWART sind sie „die ersten und unmittelbaren Ergebnisse einer auf
unsere Denktätigkeit selbst gerichteten^ sie in ihren Grundformen erfassenden
Befleodon** (Log. II, 40). Nach Wundt sind die Denkgesetze zugleich „Oes^xe
des Willens** (Log. I*, 79 f.). Die psychologischen Denkgesetze ,^agen nur aus,
wie sieh unter geicissen Bedingungen das Defiken tatsächlich voUxieht^*, ,/iie
logischen Denkgesetxe aber sind Normen^ mit denen wir an das Denken heran--
treten, um es auf seine Richtigkeit xu prüfen.*^ Da es kein Denken ohne Inhalt
gibt, 80 sind sie zugleich die allgemeinsten Gesetze des Denkinhalts selbst.
Bie sind von aUgemeinster Geltung, weil jedes Anschauungs- und Denkobject
ihre Gültigkeit beanspruchen muß. Insofern sie auf der Erfahrung fuden,
durch diese ausgelöst werden, sind sie Erfahnmgsgesetze. Die Denkgesetze
sind sowohl Anschauungsgesetze als Begriffsgesetze. Sie sind „rfte allgemeinsteti
Oesetxe, die unser Denken bei der Verknüpfung der empirischen Tatsachen
Denkgesetae — Determination. 211
ic/ötyf*. Zugleich sind sie Poetulate (Log. I«, 558 ff.; Syst d. Phil.«, S. 67, 77,
150, 152 ff.; Phil. Stud. XIII, 405). Nach Jodl folgt das Denken seinen
eigenen Gesetzen, y^aber diese Oesetxe des Denketis sind nur der Reflex jener
Getetzmäßigheitj tcelehe unser Bewußtsein sch^n auf primärer Stufe im Za-
sammenmrken mit den Dingen erxeugt" (Lehrb. d. Psychol. S. 639 f.). Nach
SCHUBEBT-SoLDEBN sind die Denkgesetse nur „möglichst einfache Beispiele der
emfaehsten Denkbexiekungen^^ (Gr. e. Erk. S. 177). Nach Husserl sind die
DeDkgesetze Verstandesgesetze überhaupt, ideale Gresetze (Log. Unt. II, 668).
Sie sind die Normen de« Denkens, das echte logische Apriori (L c. S. 670).
Nach Nietzsche ist die Grundvoraussetzung der Denkgesetze die (irrtümliche)
Annahme, daß die Wirklichkeit aus beharrenden Dingen bestehe (WW. III, 1,
12, S. 30).
Denklelire s. Logik.
]>^lunilttel sind allgemeine Begiiffe, Kategorien (s. d.), insofern sie als
herrschende Gesichtspunkte, die Erfahrungen zu ordnen und zu deuten, dienen.
Bo sind z. B. die Begriffe der Substantialität und Causalität Denkmittel, die
in der Greschichte der Philosophie abwechselnd ihre Betonung finden (vgl.
K. Lasöwitz, Gesch. d. Atom. I, 44).
Denluiotwendli^Melt s. Notwendigkeit.
Denomination: Benennung nach etwas. Thomas: „Omnis detertninaiio
est a forma*^ (Pot. 7, 10, ob. 8). „Denominatio fit a potiori'^ (Sum. th. I, II,
25, 2, ob. 1).
Deontology: Pflichtenlehre (J. Bentham, Deontology 1834).
D^liendens: Abhängigkeit (s. d.).
DeiNnesslon (psychische) besteht in der Abnahme der Gefühlserregbarkeit.
Die Depressionszustande bestehen im Vorwalten der henmienden, asthenischen
Affecte (WuNDT, Gr. d. Psychol.*, S. 325, 327 ; Hellpach, Grenzw. d. Psychol.
S. 328 f.). Gregensatz: Exaltation (s. d.).
Deseendenztiieorle (Abstamnmngslehre) s. Evolution.
Oeeerlptlon: Beschreibung (s. d.).
De«crlptlTe Psyefeiolo^e s. Psychologie.
Desperatlsmns nennt E. v. Haktmann (Phil. Frag. S. 282) ,,die. Ein-
si^ki in die Unentrinnharkeit des Leides und die Unerreichbarkeit des Wissens"
bei Bahnsen.
Detemninatlon (determinatio, 7t ooad'eais): Bestinmiung, Bestimmtheit,
das Bestinmit-sein. Es gibt eine (psychologische und metaphysische) Willens-
Determination (s. Determinismus), und die logische Determination ist das
(T^enteil der Abstraction (s. d.), nämlich Einengimg des Begriffsmnfangs durch
Hinzufügung von Merkmalen.
Von der logischen Determination (nQoad'eaii) spricht schon Akistoteles
(Anal, poet I 27, 87 a 34 squ.; Met. XIII 2, 1077 b 10). Chr. Wolf unter-
scheidet „determincUiones genericae", „speeificae^^ und ^^singidares" (Ontol. § 236),
ferner ,^ommufies'\ „propriae^*, „numericae^^ (1. c. § 238 f.). Nach Kant ist
j4eterminar&* yjponere praedicaium cum exclusi&ne oppositi" (Princ. prim. cogn.
met, sct, II, prop. IV). Fries versteht unter Determination „rfie Zusammen-
14*
1
212 Determination — Dialektik.
Setzung der Begriffe, die logische Synthesis", welche „d^rck Verbindung cUlge-
meinerer Vorstellungen^* besondere bildet (Syst. d. Log. S. 115). Nach Überweg
ist sie „die Bildung miniler cUlgemewier Vorstellung^^ von den allgemeifieren aas**
(Log.^ § 52).
Spinoza faßt die Determination metaphysisch auf als Eünschrankung des
Allgemeinen auf ein Besonderes; sie muß von der unendlichen Substanz (s. d.)
ausgeschlossen sein, da jede Bestimmung der Unendlichkeit Ghienzen setzt,
etwas in ihr aufhebt: „omnis deierminatio est negcUio" (Epist 59). So erklärt
auch Bchelling: .fleds Bestimmung . . . ist eine Aufhebung der absoluten
Realität, d. h. Negation'' (Syst. d. tr. Ideal. S. 69). Hegel sieht m der Nega-
tion die Grundlage aller Determination.
Determlnlereii : bestimmen, einschranken, zu etwas nötigen. Vgl.
Determinismus.
Oetermliilsiiilis heißt die Lehre von der Determination (Bestimmtheit,
Bedingtheit) des Handelns imd WoUens durch äußere und innere Ursachen
(Motive), im engeren Sinne die Anschauimg, daß es eine (absolute) Willens-
freiheit nicht gebe, weil das Wollen wie alles andere (geschehen dem Causal-
gesetze untenv'orfen sei. Der empirische Determinismus lehrt das Bedingt-sein
des einzelnen WoUens in der inneren Erfahrung, der metaphysische das
Eingereihtsein des WoUens in den Weltzusanmienhang. Der mechanische
Determinismus betrachtet das WoUen und Handeln als Product äußerer Fac-
toren und Reize, der psychologische als unmittelbares Resultat innerer,
geistiger Factoren, von gefühlsbetonten VorsteUungen und schließUch vom Ich,
vom Charakter, von der Persönlichkeit. Vgl. WiUensfreiheit.
OeatlieUkelt s. Klarheit.
Oialekilk. (diahxrixif): Unterredungskimst, Methode der Unterredung,
begriffliches Verfahren (durch Entwicklung von Sätzen oder Wahrheiten ans
Begriffen), logische Bewegung des Denkens von einem Begriff zum anderen
mittelst Aufhebung von Widersprüchen. Im schlechten Sinn bedeutet „dialeJc-
tisch'' ein auf Überredung hinzielendes Argumentieren ohne stichhaltige Er-
fahrungsgrundlagen.
Ein dialektisches Verfahren machte sich schon der Eleate Zeno zu eigen
(Diog. L. VIII, 57: '^QtaTOrihjs iv rqJ ^apiaxfl fT^ai ttqSxov Zr^vcara StnXex"
TixTJr tvgeJv, Vgl. IX, 25). Die Sophist en begründen eine Dialektik im schlechten
Sinne, die darauf ausgeht, rov tjTTM Xoyov x^eirrio noufiv, durch Scheinbeweise,
Sophismen (s. d.) den Schein der Wahrheit zu erzeugen (vgl. Aristoteles,
Rhet. II 24, 1402a 23). Die Unterredungskunst zum Zwecke der B^riffs-
bestimmung übt Sokrateb aus. Im Zusammen-Denken glaubt er das Wahre.
Objective finden zu können: 'Eipri Si xai to diaXt'yea&ai ovofiaad'fjvat ix tov
awiovrag xoivfj ßovXsveaf^ai SiaXcyorras xara yspi] ra ngäyfinra (XeNOPHON,
Memor. FV, 5, 12). Bei den Megarikern artet die Dialektik in Eristik (s. d.)
aus. Plato versteht unter Dialektik die Kunst des logischen, philosophischen
Verfahrens, d. h. des Verfahrens, durch Analyse und Synthese der Begriffe,
durch Fortgang des Denkens von niederen zu höheren, allgemeineren B^riffen
zur Erkenntnis des Seienden, der Wirklichkeit, der Ideen (s. d.) zu gelangen
{rj rov Siakdyea&ai Svvafug ist die Erkenntnis [yvwais] ytepi ro ov xni ro ot^ops
xai t6 xnra ravrov ael ne^pvxog, sie ist fiax^tp «/It/^äö-täti?, Phileb. 58 A, 57 E).
Dialektik. 213
Vom Eros, von der Liebe zum Forschen, ergriffen, sucht der Dialektiker das
Wesen der Dinge zu bestimmen (dia^^Mrixov xaXeTe rov Xoyov inaarov ka/i-
ßtivorra r^e oiaims, KepubL 534 B; vgl. Soph. 253 B, Phaedr. 265, 266, 276 E).
Aristoteles nennt dtnlexrtxij das Beweisverfahren aus überlieferten Sätzen
{ii ivdo^afv, Top. I 1, 100a 27); SiaXexrutcas = auf syllogistische Weise (Top.
I U, 105 b 31), auch = sophistisch (De an. I 1, 403 a 2); BiaXsxnxal Tt^otdaaig
= Wahrscheinlichkeitsiu^ile (Anal. pr. I 1, 24a 22). Die Stoiker verstehen
unter Dialektik teils die Grammatik, teils die Logik imd E^rkenntnistheorie.
Das Icyixov ^cfos zerfallt in Bhetorik und Dialektik (Diog. L. VII, 41). Letztere
ist die Wissenschaft rov oqd'me SiaXsysod'ai Tte^l xdSv iv i^an^oei xal anox^iaei
Xcyotv'f od'sv xcu ovtuk avrrjv o^i^ovrat^ iTfianffir^v dXvj&cav xal xpavBtZv xai
oi^ne^w (Diog. L. VII, 42 ff. ; vgl. Prantl, G. d. Log. I, 413 ; L. Stein,
ftychoL d. Stoa II, 101). Cicero spricht über Dialektik im Sinne der Stoa
{De erat II, 38, 157; Brut. 41, 152; Disp. Tusc. V, 25, 72; Acad. II, 28, 91;
Top. 2, 6). Seneca: Jialsxrtxiq „in duas partes ditndüiir^ in verha et signi^
fieaiiones i. e. in res quae dictmtur et vocabula quibus dieuntttr^*^ (Ep. 1, 1; vgl.
89, 9). Epikttr ersetzt die Dialektik durch die „Kanonit^ (s. d.).
JoHANKES ScoTUS Versteht unter Dialektik die Forschung nach dem Wesen
der Dinge durch logisches, speculatives Verfahren. Sie ist „communium animi
caneeptionum rcUionabilium düigens investigcUrixqtie disciplina" (Div. nat. I, 27),
die „tnaier artium*^ (1. c. V, 4). Sie geht vom Allgemeinen zum Besonderen
und gewinnt aus diesem das Allgemeine. „lila pars philosophiae, quae diciiur
dialectic<iy evrea horum generum divisiones a generalissimis ad specialissima
iierumque coUeetione a speeialissimis ad generalissima versatur^^ (1. c. I, 16).
„btehocU per genera generalissima mediaque genera usque ad formas et speeies
tpeeialissimas'^ (L c, V, 4). „Diaiecticae proprietas est rerum omnium, quae
inteUigi possunt, naturas dividere, eoniungere, discemere, propriosque locos uni-
tuiqtte distribuere atque ideo a sapientibtis vera rerum contempfatio solet
oppeUari^^ (L c. I, 46). Die Dialektik ist im Wesen der Dinge gegründet („m
natura rerum ab auetore omnium artium, quae vere artes sunt, condita"j 1. c.
IV, 4). Nach Abaelard ist die Dialektik die begriffliche Feststellung der
Wahrheit oder Falschheit von Urteilen, „veritatis seu fahitatis diseretio^*^ (Dial.
p. 435). Johann von Bausbury erklärt: „Dialeetices intentio, ut sentionum
rim aperiat et ex eorum praedicalione examinandi veri et statuendi sciefUiam
assequatur"' (Prantl, G. d. Log. II, 236). Nach Lambert von Auxerre
ist Dialektik „ars artium ad principia omnium methodorum viam habens"
(L c. B. 26). Nach Thomas gibt es eine ,ydialeqtiea docens*^ und „dialectica
uten^^ (4 met. 4 b).
6^en die scholastische Wertschätzung des dialektischen Verfahrens wenden
äch LuDOVicus ViVES, NizoLius imd besonders Petrus Ramus. Ihm ist die
Dialektik nichts als Disputierkunst. „Dialectica virtus est disserendij quod vi
hominis intelligitur : SiaXiysff&ai enim et disserere unurn idemque valent, idqtie
est disputare, diseeptare atque ofunino ratione uti^^ (Dial. inst p. 1). Sie ist
„ikfcfrina disserendi''^ (1. c. p. 6). BoviLLüö nennt die dialektische Denkbewegung
jjaniiparistasis*^ (s. d.). Nach Melanchthon ist die Dialektik „ars et ma doeendi^\
j/Mnsistit in definiendo, dividendo et argumentando^* (Dial. I, p. 1).
Kant erklärt, die Dialektik sei nur ebie „Logik des Scheins'^ (Kr. d. r.
Vem. S. 88), eine „ars sophistiea, disptäatoria^^, die aus einem Mißbrauch der
Logik entspringt (Log. S. 11). Denn y,da sie uns gar nichts über den Inhalf
214 Dialektik.
der Erkenntnis lehret, sondern nur bloß die formalen Bedingungeyi der Überein-
stimmung mit dem Verstände . . .,'so muß die Zumtäungy sieh derselben €Us
eines Werkzeugs (Organo^i) xu gebrauchen, um seine Kenntnisse, wenigstens dem
Vorgeben nach, ausxubreiten und xu enceitem, auf nichts als Oeschwatxigkeit
hinauslaufen, alles, was man unll, mit einigem Schein xu behaupten, oder €tueh
nach Bdieben anzufechten^' (Kr. d. r. Vem. S. 84). K. selbst will unter Dia-
lektik mir „ei-^ie Kritik des dialektiscfien Scheins" verstanden wissen. Auf dem
Gebiete des Erkennens zunächst besteht eine in der Natur des Denkens
liegende „trafiscendeniale Dialektik^', die zu einer Verwechselung subjectiver
Notwendigkeit mit objectiver Bealität führt Sie „beruht auf ursprünglichen,
naiürlichen Illusionen, auf einem transcendenialen Schein, dessen Folge es ist,
daß in unserer Vernunft . . . Grundregeln und Maximen ihres Gebrauches
liegen, welche gmixlich das Ansehen objeetirer Orundsäixe haben und wodurch es
geschieht, daß die subjective Notwendigkeit einer Verknüpfung unserer Begriffe
zugunsten des Verstandes für eine objective Notwendigkeit, der Bestimmung
der Dinge an sich selbst, gehalten urird" (Krit. d. r. Vem. S. 263). Die „trans-
cendenlale Dialektik^' als Kritik begründet den „Schein", ohne ihn zerstören zu
können (1. c. S. 263 f.). j,Da aller Sehein darin besteht, daß der subjectire
örund des Urteils für objectiv gehalten wird, so tcird eine Selbsterkenntnis der
reinen Vernunft in ihretn transeendentalen (überschwenglichen) Gebrauch das
einzige Venvahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in u?elche die Vernunft
gerät, leenn sie ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige transcendenlerteeise
aufs Objekt an sich selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subfect und die Leitung
desselben in aUem immanenten Gebrauche angeht^^ (Proleg. § 40; vgl. § 45).
Die transcendentale Dialektik besteht in der Untersuchung der Paralogismen
(s. d.), Antinomien (s. d.) und Ideale (s. d.) der reinen Vernunft. Es gibt auch
eine Dialektik der praktischen Vernunft, indem diese unter dem Namen des
höchsten Gutes (s. d.) ein Unbedingtes sucht (Kr. d. pr. Vem. I. T., 2. B.).
So auch in der Urteilskraft, nämlich betreffe der Antinomien des Geschmacks
(8. d.) (Kr. d. Urt. § 55 ff.).
J. G. FiCHTEs philosophische Methode, nach welcher in Entgegengesetztem
das übereinstimmende Merkmal aufgesucht und der Dreischritt: Thesis, Anti-
thesis, Synthesis gemacht wird, ist dialektisch („synthetisch*^, Gr. d. g. Wiss.
S. 31; ähnlich £Leg£L, s. weiter unten). Sghleiermacheb versteht iintar
Dialektik eine „Kunstlehre des Denkens**, die Kunst des Begründens (Dialekt.
S. 8), die philosophische Principienlehre (Metaphysik und Erkenntnistheorie).
Dialektik ist die Philosophie, weil das Wissen ein Product des gemeinsamen
Denkens ist (1. c. S. 66). Sie ist „die Idee des Wissens unter der isolierten
Form des Allgemeinen" (1. c. S. 309, vgl. S. 22, 315). Schopenhauer versteht
unter Dialektik „die Kunst des auf gemeinsame Erforschung der Wahrheü^
namentlich der phüosophischeti, gerichteten Gespräches*^ (W. a. W. u. V. IT. Bd-,
C. 9). Spicker erklärt: „Unter Dialektik verstehen wir nicht bloß eine Begriffs-
xergliederung, sondern xugleich auch eine Begriffserxeugung. Beides Muamtnen
fassen wir unter den Ausdruck: ,Begriffsentwicklung*. Die xteei Haupt--
momente der Dialektik sind also: Analyse und Synthese. In jener wird ge-
xeigt, was ein Begriff ist und was er nicht ist; in dieser, was er sein solt^
(K., H. u. B. S. 165). WuNDT versteht imter dialektischen Methoden ^^aile
diejenigen philosophischen Methoden . . ., bei denen aus gegebenen Begriff ep^ r^T-
mittelst einer rein logischen Entwicklung andere Begriffe abgeleitet wertien^*
(Phil. Stud. XIII, 68).
Dialektik — Dianoiologie. 215
Auf die Wirklichkeit selbst wendet zuerst Proklüs den Begriff der Dia-
lektik an. Der Weitprocefi macht eine triadische Entwicklung durch: aus der
Einheit oder Ursache, in der das Erzeugte vermöge seiner Ähnlichkeit verharrt
ijufvr) tritt es heraus infolge seiner Unähnlichkeit (n^ooSog), um dann w^ieder
zu ihr zurückzukehren {inungoftD (Procli aroixeitooie d'soXoyixrj , c. 31 ff.).
Später übertragt Hegel die dialektische Entwicklung, die nach ihm das logische
Denken beherrscht, auf das Sein. Die Dialektik ist „(/tie tvüsenschaftliehe J.n-
Wendung der in der Natur de^ Denkens liegenden Geaetxrnäßigkeit** (Encykl. § 10)
und zugleich diese Gesetzmäßigkeit selbst. Diese besteht in der immanenten
Bewegimg des y.Begriffs^ (s. d.), der infolge des in ihm steckenden „Wider-
spruchs** (8. d.) sich selbst aufhebt, um wieder zu sich, auf einer höheren Ötufe,
zurückzukehren. Der Begriff schlägt in sein Gegenteil um, geht mit diesem in
einem höheren Begriff zusammen, wodurch der Widerspruch „aufgehoben'* wird.
,,Das dialektische Moment ist das eigene Sich-außeben solcher Cfidlichen Be-
Stimmungen und ihr Übergehen in ihre entgegengesetzte^* (Encykl. § 81). So
entwickeln sich die Begriffe auseinander „m unaufhaltsamem j reinem, von außen
nichts hereinnehmendem Oange^* (Log. I, 41). Der Geist ist hierbei nicht pro-
ductiv, sondern sieht der Selbstentwicklung des Begriffs zu (Bechtsphil. S. 65).
Die Dialektik ist ,ydie eigene, wahrhafte Natur der Verstandesbestimmungenj der
Dinge und des Endlichen überhaupt^* (Encykl. § 81). Die geistige Entwicklung geht
vom An-sich-sein durchs Für-sich-sein zum An- imd Für-sich-sein. Hillebrai^d :
^lles Geistige hat Fonn und Inhalt . . . nur in der Dialektik seines eigenen
Tuns"' (Phil. d. Geist. II, 95). Schasler erklärt den dialektischen Proceß als
.JFcrtgang tom abstract Allgemeinen durch die Differenz und Besonderung xum
Indiriduellen j worin der in der Besonderung enthaltene Oegensatx xu einer
höheren Einheit aufgehoben, d. h. die abstraete Einheit des Allgemeinen xur con-
treten erhoben wird^* (Kr. Gesch. d. Ästh. S. 8). J. E. Erdmann übertragt die
Dialektik auf die Psychologie (Psychol. Briefe*, 209, 250, 256). Bahnsen nünmt
nur eine ,f Realdialektik**, eine (antilogische) dialektische Entwicklung des Seins
an (s. Widerspruch). R. Hamerling betrachtet die Seins-Dialektik als logisch,
zweckmäßig, er kennt auch eine Dialektik des Denkens und der Anschauung
(Atom. d. Will. I, 73 ff.). Im Sinne Hegels lehrt Carneri (Sittl. u. Darwm.
8. 12j. Vgl. E. DÜHRING, Natürl. Dialektik 18^5.
DlaleMilker {diaXetcrtxoi, dialectici): Beiname der Megariker (Diog. L.
II, 10, 106), auch der Scholastiker.
Diallele (^<' aiX^XatVj durcheinander) heißt die Zirkeldefinition, bei der
das zu Definierende zur Definition verwendet wird, auch der „cireidus ritiosus**,
der Zirkelbeweis (s. d.), der Beweis durch das, was schon des Beweises bedürftig
ist, und zwar durch das zu Beweisende selbst. Die Stoiker verstehen unter
iiaXXry^s loyoi Fragen wie die: „TFo tcohnt Theon? Da, tro Dian. Wo wohnt
Dion'f Da, wo Theon** (vgl. Prantl, G. d. Log. I, 492). Die Skeptiker be-
haupten, jeder Beweis (s. d.) sei eine Diallele (vgl. Tropen).
Dlano^Uk: Urteilslehre (K. Rosenkranz, Syst. d. Wiss. S. 101 ff.)-
Diano^titiclfte Tug^enden s. Tugend.
Dianotoloc^e: Lehre von der Sidvoia, von der Denkkraft (Schopen-
hauer). Dianoiologische Gesetze sind nach Liebmann die logischen Denk-
gesetze (Anal. d. Wirkl.«, S. 251 f.).
216 DiaseuxiB — IMffereaBieruxig.
Olaoenxia (9taiBvSie) heißt die i-nod'eotQ iv Sicu^icu (PmLOPONX's ad
Anal. pr. f. LX b; Prai^tl, G. d. Log. I, 384).
Olclftotoiiile: logische Zweigliederung, Einteilung nach zwei Gresichts-
punkten. Sie wird bevorzugt von Plato (Polit 262 A; Gorg. 500 C), Leebkiz
(Opp. Erdm. p. 304 b) u. a.
Oiclftte (solidity): nach Locke u. a. eine primäre Qualität (s. d.) der
Körper.
DlcUun de omni et nullo: der Satz von allem und keinem, d. h.
die logische Regel, daß alles, was dem Allgemeinen, der Gattung als Merkmal
zukommt oder nicht zukommt, auch vom Besonderen, der Art, dem Lidividuum
gilt oder nicht gilt: ,jQutdquid de omnilms valet, valet etiam de quibusdam et
singtdis; quidquid de nullo vodet, nee de quibusdam vel singtUis valet, '^ „iVoto
notae est nota rei tpaius, repugnans "tiotae repttgnat rei ipsi*^ (jyDaa MerkmcU des
Merhruüs ist auch Merkmal des Dinges, das dem Merkmale Widerspreclunde ist
auch mit dem Difige nicht vereinbar^^). Aiustoteles bestimmt: orav ire^v
xad^ irtQOv xarijyo^eirai tas xad^ vnoxBifievov, oaa xaxa roxi xarrjyo^ovfuvov
Xiyerai^ Tiavra xai xard zov v7tox£tuivov ^dijaerai (K&teg, 3, 1 b 10). Die
Gleichsetzimg des Allgemeinen mit der G|Lttung findet sich bei den Scho-
lastikern. Dann bei Chr. Wolf: „Quicqnid de genere tel specie omni affir-
mari potest, illud etiam affi/nnaiur de quovis sub illo genere vel illa specie eon-
tento; quicquid de genere vel specie omni negcUur, illud etiam de quovis sub illo
genere vel illa specie contento negari debet^* (Phil. rat. § 346 f.). Lambert fügt
das „dictum de diverso, de exeniplo, de reeiproeo" hinzu (Organ. I, Von*.).
Kant: „Ein Merkmal vom Merkmal ist ein Merkmal der Sache selbst" (WW.
II, 57). „ Was einem Begriff allgemein xukotnmt oder iciderspricht, das kommt
auch XU oder iciderspricht allem Besondem, was unter jenem Begriff enthalten
ist" (Krit. d. r. Vern. S. 253). Fries: „Was unter dem Subject einer bejahefiden
Regel steht, das steht auch unier ihrem Prädicat; was utiter dem Subject einer
vemeinetulen Regel steht, das ist von ihrem Prädicat ausgeschlossen" (Syst. d.
Log. S. 175). J. Bt. Mill anerkennt das dictum nicht als Basis des Schließens,
es wird vom Bt'sonderen aufs Besondere geschlossen (Log. II, c. 3). Lotze:
„Jedetn Subject kommt das Prädicat seiner Gattung xu" (Gr. d. Log. § 85).
Oleslielt = haecceitas (s. d.) bei Chr. Wolf (Vern. Ged. I, § 180).
I>lirerentialpsyclftolo((le: Psychologie der Verschiedenheiten, der
Individuen, Charakterologie (s. d.). Vgl. Individualpsychologie.
OllTereiME: Verschietlenheit, Unterschied (s. d.). Differentia spoci-
f ica: das artbildende Merkmal (s. Definition) (bei BoßTHlüß u. a., bei Ari-
stoteles: diafOQa eiSoTtotoi, Top. VI 6, 143b 8). Differentia numerica
ist „der Inbegriff der Merkmale, wodurch sich die Individuen einer Art von-
einander unterscheiden" (Hagemann, Log. u. Noet. S. 28). Diese Merkmale
sind nach der scholastischen Logik: „Forma, figura, locus, tempus, stirps, pa-
tria, nomen".
DifferenBl^riing^ s Ausbildimg von Differenzen, Unterschieden, Be-
sonderung eines Homogenen in verschiedenartige Teile, Organe, FunctioneD,
verbunden mit Arbeitsteilung bei den Organismen und in der Gesellschaft. Es
gibt eine biologische, psychologische und sociale Differenzierung (alle besonders.
von H. Spencer berücksichtigt). Vgl. Evolution, Bociologie.
Dilemma — Ding. 217
Dilemma {Bis-l^fifia^ zweiteilige Annahme) ist eine Art des Disjunctions-
BchluBBes (s. d.) oder ein Schluß mit zweigliedrigem disjunetiven und zugleich
hypothetischen Obersatz: 1) Wenn A ist oder wäre, so ist oder müßte B ein C
sein. Weder B noch C sind oder können sein. Also ist A nicht. 2) Wenn S
nicht gut, so muß es weder A noch B sein. S ist A. Also gilt S- Bei mehr
als zwei Unterscheidungsgliedem ergeben sich Trilemmen, Tetralemmen,
Polylemmen. Das Dilemma konmit oft als Trugschluß vor, z. B. der „(^e-
Äömfe** (Comutus, s. d.), der jyKrokodiisehluß*^ (s. d.), der „Antistrephon** (s. d.).
Vgl Gellius X, 5; Logik von Port-Koyal III, 16; Prantl, G. d. Log-
l 510.
IMmatis ist der vierte Modus der vierten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
besonders bejahend (i), Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung besonders
bejahend (i).
Dimension: Ausmessung im Räume (dreifache, n-fache Dimension), in
der Zeit (einfache Dimension). Nach Zöllner u. a. gibt es noch eine „vierte
IMmenswn** des Raumes, was auch der Spiritismus behauptet. Schon
H. Mobs spricht von einer vierten Dimension als der ,yWesensdkhtigkeit^
(.j9pis$iiwio essefitialis*^) der inmiateriellen Substanzen. y,Ita vbicumque rel
piures vel plus essentiae in aliquo ubi cofäinetur, quam quod ampiittidinem
kuiits adaequat, ibi eognoscatur quarta haec dimensio, quam appello spissitvdinetn
f»9entialem" (Enchir. met. I, 28, § 7). Vgl. Raum.
Din^ ix^fi^t Tf^yfMij res, ens): 1) Allgemein jede Sache, jedes Etwas, das
sich doiken, von dem sich sprechen laßt. Gegensatz: das Nichts, das „üh"
iing^. 2) Das Einzelding als Ganzes von Eigenschaften, das „Äußending^j das
reale Object, das wirkliche Wesen als Träger von Merkmalen. Der Ding-Begriff
ist eine logische Kategorie (s. d.), er entsteht dadurch, daß das Ich einen con>
Staaten Complex von Qualitäten, der mit Widerstandsempfindungen verbunden
Ulftritt, als ein einheitliches, identisches, dauerndes, wirkungsfähiges Wesen
auffaßt, es nach Analogie seiner (des Ich) selber deutet. Das „Ding" ist ur>
{»prünglich eine Art Gregen-Ich, ein Ich-Analogon, d. h. ein ebenso Selbständiges,.
Kraftvolles, Permanierendes wie das Ich. Es ist von Anfang ein Vorstelluiigs-
znaammenhang, der mehr als die unmittelbare Simieswahmehmung enthält, und
der noch um einen „transcendenfen Factor" (s. d.), um eine durch „Mrojection"
{K d.) hineingelegte Art Ichheit bereichert wird. Die „Dinge" des naiven
Menschen sind also mehr als bloße objective Bewußtseinsinhalte, sie setzen sich
aus etwas (vom philosophischen Standpunkte) Bewußtseinsimmanentem und
etwas als transcendent, an sich seiend Gemeintem zusammen. Der Ding-Begriff
eitsteht formal aus der synthetischen Tätigkeit des Denkens, welche den Er-
tahrungBinhalt formt, material durch die Ergänzimg der äußeren durch die
iimere Erfahrung. Einzeldinge erstehen dem erkennenden Bewußtsein erst
durch die (apperceptive) Zerlegung des Vorstellungsganzen.
Dem Realismus (s. d.) gelten die Dinge als Wesenheiten außer und
noahhängig von den Bewußtsein des Subjects, dem Idealismus (s. d.) hin-
gegen als Vorstellungen oder als Complexe, Zusammenhänge von Vorstellungen
und Vorstellungsmöglichkeiten.
Im weiteren Sinne wird der Begriff „Ding" gebraucht in der antiken
Philosophie. Dami bei den Scholastikern, weiche unter Dingen („entla, res"l
sowohl Außendinge („entia redlia") als auch Denkinhalte überhaupt (Gedanken-
218 Ding.
dinge, „entia rationis'^ verstehen. Schon DiONYSiUS Areopaoita unterscheidet
yjentta rationalia, tnteUeettialia, sensibüia, simplieiter existentia" (bei Albertus
Magnus, Sum. th. I, 15, 2). Nach Thomas ist „res" sowohl das, „quod est in
anima^* als auch y,qiwd est extra animafn" (1 sent. 25, 1, 4 c). j,Efns" = „quod
significat s^tbstantiam rei^*^ (De ente et ess. 1). ,y£}ns ratiatiis^* ist nach DllKS
ScOTüS „stihieetutn logicae^^, „ens in quantum mobile est^* = y^subiedtim natu-
ralis sei^ntiae", „c»m stih ratione*' = ,j»i4lnectum meiaphysicae" (vgl. Pbaktl,
G. d. Log. III, 203). Wilhelm von Occam betont: „tum ideo aliquid diritwr
ens rationis, quia non est vera res existens in rerum n<Uura, sed ideo dicitur
ens rationis, quia non est nisi in raiione^ qua niens täiiur pro alio vel inteUi-
gitnr aliud" (Sum. th. I, 40). ,jEns reale accipitur pro omni vera re existente
in rerum 7iatura" (Sent. prol. qu. 1). Nach Spinoza ist „ens" „id omncy quod,
eti?n dare et distificte percipitur, necessario existere, vel ad minimum passe exi-
stere, reperimus" (Ck)git. met. I, 1). „Eins fiefum" ist „quod ex sua natura exi-
stere nequit" (ib.). Nach Leibniz ist ein Ding alles, dessen Begriff etwas
Positives enthalt oder das als möglich Yorstellbare (Opp. Erdm. p. 442).
Chr. Wolf bestimmt „e^r/s" als jyquod existere potest, consequenter cui existentia
mm repuyfiat" (Ontol. § 134), „non^efis" als ,y(]Uod existere tiequit*' (1. c. § 137),
„ens imaginarium^^ als „qitod riotiofie itnaginaria exhihetur^^ (L c. § 141).
„Quod possibile est, etts est" (1. c. § 135). „Quicqnid est rel esse passe ron-
eipiiur, dicitur res, quatenus est aliquid^^ (1. c. § 243). Ding ist „alles, was sein
kann^ es mag wirklich sein oder nicht" (Vem. Ged. I, § 16).
Das Ding als Substanz (s. d.), als Wesenheit außer dem Bewußtsein, als
Ursache der Vorstellung, als von seinen Merkmalen ontologisch Verschiedenes:
in der antiken Philosophie und in der Scholastik, bei Descartes (s. Sub-
stanz), Locke, der schottischen Schule u. a. Crusiits versteht unter Ding
„dasjenige^ was wirklich soj wie es gedacht wirdj auch außerhalb der Gedanken
vorhanden ist" (Vemunftwahrh. § 11). — Nach Herbart ist das Ding ,/i#m
ComplexioH von Merkmalen, noch ohne Frage mich ihrer realen Einheit, die
dabei blindli?igs tforausgesetxt wird" (Lehrb. z. Psychol. S. 86). Die VoiBtellung
des Dinges entsteht durch „Zerreißung** der Umgebung (Psychol. a. Wies. II,
§ 118). Das Ding ist „die Stibstanx, welcher die Merkmale inhärieren" (Met. 11»
§ 215). In dem Begriffe des Dings mit vielen Eigenschaften steckt ein Wider-
spruch, weil die Mehrheit der Eigenschaften die Einheit des Dinges aufhebt
Der Widerspruch wird gelöst durch die Methode der „Bexiehungen" (s. d.)
(Met. II, § 184 f.).
Nach Ardig6 ist ein Ding (cosa) das in einem Baume Ooexistierende
(Op. filos. I, 72). Nach SiQWART li^ der Ding- Vorstellung zuerst ,^i> ein-
heitliche Zusammenfassung einer im Räume abgegrenzten und danemdepi Gestalt
zugrunde, also eine räumliche und xeiÜicJie Sytithese^^ (Log- II*» 113). Das
Ding ist „eifi Vorgestelltes, das als eine räumlich abgegrenzte, t» der 2Seit
dauernde Gestalt sich uns darstellt*^ (1. c. S. 117). Uphues bestimmt das Ding
als „das in demselben Räume Coeoc^'stierende" (Psychol. d. Erk. S. 58). „Unter
Ding verstehen icir . . . ein Undurcltdringliches, das wir auf Orund der Tost-
und Gelenkempfifidungen kennen lernen" (1. c. I, 57). Nach B. ERDMAlfK ist
da« Vorgestellte ein Ding mit Eigenschaften, „sofern es sieh als beharrendes
selbständig WirklicJies , d. t. cds selbständig Wirkendes und Leidendes xu er--
Ji'ennen gibt. In diesem Sinne si}ui die Körper, ist aber auch das Subfeet des
Bewußtseins ein Ding mit Eigenschaften" (Log. I, 56).
\
Ding. 219
Der Pantheismtis (s. d.) sieht in den Einzeldingen nur relative Existenzen,
Formen oder Modificationen des einen Wesens, der Natur, Substanz, Gottheit.
So besonders nach Spinoza. „Bes sifigulares*^ sind Dinge, y^gtiae fmüae sunt
et dekrminaiam habent existentiam^^ (Eth. II, def. VII). „Res partietdares
nihil sunt ntsi Dei attribuiorum affecttoneSj sive modiy quibus Dei attrihuta eerto
d determinato modo exprirmmtufr*'^ (Eth. I, prop. XXXV, Coroll.). Nach
MAiiEBRAXCHK sind die Dinge nur „des partidpatvms imparfaites de Vetre
diritr (Rech. II, 6). Nach SCHELLINO ist das Ding ein „Monient^^ des „ewigen
Aetes der Verwandlung^ des Absoluten (Naturphilos. S. 76), „wwr ein beMimmter
Grad ron Tätigkeit^ tnit tcelehem der Raum erfällt irird^^ (Syst. d. tr. Ideal.
S. 61). Hjbqsl versteht unter Ding „das existierende Etwas" (Log- ^^f 124),
r/ti( Totalität als die in eifiem gesetxte BhUuncklung der Besthnmungen des
(jrtmdes und der Existenx" (Encykl. § 125). Nach K. Rosenkranz ist „Ding"
das Wesen j/üs in seiner Existenx sieh als Totalität aller seiner Bestimmungen
auf sieh selbst bexiehend" (Syst. d. Wiss. S. 60 f.). Für Schopenhauer sind
die Dinge nur flüchtige Erscheinungen des einen Willens (s. d.). E. Dühring
rereteht unter Ding „eitie bestimmte Abgrenzung der Materie, in tcelcher irgend
ein Verkalten mehr oder minder dauernd angelegt ist" (Log. S. 201). Die Dinge
and „uim Teil vorübergehende Ausprägungen bestimmter Formen und Örup'
pienmgsverhältnisse und nur i^isoweit, als sie allgemeinen WeUstoff enthalteny
aueh absolute Dauerbarkeifen" (1. c B. 202).
Der empiristische Idealismus besonders bestimmt das Einzelding als (asso-
ciativen) Complex von Sinnesqualitaten und Erinnerungsinhalten. So Berkeley
tPrinc. XCIX), Hume (Treat I, III, sct. 14, Inquir. IV, 1), J. St. Mill
lExam. eh. 11, p. 190 ff.). R. Avenarius versteht unter „Ding*^ das „Bleibende"
m einem Eigensehaftscomplexe (Krit. d. r. Erf. II, 74). E. Mach bestimmt
das Ding als eine constante Gruppe von Empfindungen oder „Elemefnten"
(Analys. d. Empfind.^, S. 5 ff.). Das Ding ist nichts außer dem Zusammen-
hang dieser Elemente (s. d.). Die vermeintlichen Einheiten „Korper^% „Ich"
sind nur „Xotbelielfe zur vorläufigen Orientierung und für bestimmte prak-
tische Zweeke^*^ (L c. S. 10 f.). Ostwald versteht imter „Ding" „ein Erlebnis,
das wir topt anderen als getrennt oder unterscheidbar empfifuien" (Vorles. üb.
Xaturphil.*, 8. 77 f.). — Schuppe erblickt den Dingcharakter in der Einheit
und Notwendigkeit, welche die in der Wahrnehmung vereinten Sinnesdata
Jtier ufid jetxt*^ verbindet (Log. S. 117, 120). Die Dinge sind etwas dem Be-
wußtsein Immanentes (s. d.). Es gibt Baum- imd Zeitdinge (1. c. S. 123 ff.).
Was als ein Ganzes oder als eine Einheit gedacht wird, ist in gewissem Sinne
«n Ding (1. c. S. 130). Das Ding ist nicht die Summe seiner Eigenschaften,
«ndem die „Einheit von Unterscheidbarem, durch trelche auch die unter-
tcheidbareH Einzelnen erst deti Charakter der Eigenschaft oder des Teiles be-
kommen^"^ (1. c. S. 130). Vom Körperlichen ist das „Ichding" (1. c. S. 140) zu
nnterscheiden. Nach Schtjbert-Soldern ist das Ding „eine Gruppe räumlich
ieitlirh-qtailitativ bestimmter Causalbeziehungen" (Vierteljahrsschr. f. w. Philos.
r. Bd., S. 430), „ein zeitlieh und räumlich bestimfntes, in einer bestimmten Art
Sesetzließier Veränderung begriffenes Zusammen von einfachen Daten" des Be-
wußtseins (Gr. e. Erk. S. 68, 126 ff., 138). Nach Rehmke gründet sich die
Einheit des „Ding-Concreten" „auf das notwendige Zusammen im Nacheinander
rerschiedener Augefiblickseinheiten" (Allg. Psychol. S. 44). „Ding^^ und „ge-
gißtes Din/gt*^ sind dasselbe Gregebene (L c. S. 74). Die Dinge sind nicht außer
dem Bewußtsein, gehören der Seele zu (1. c. S. 81 f.).
220 Ding.
Fegknek bestimmt: ^^Jedes Ding^ mit dem wir umgehen, ist für ufis geistig
charakterisiert durch eine Residtante von Erinnerungen an alles^ was wir je be-
züglich dieses Dinges und selbst verwandter Dinge äußerlieh und innerlieh er-
fahren, gehört, gelesen, gedacht, gelernt haben. Diese ResuUante von Erinnerungen
knüpft sieh ebenso unmittelbar an den Anblick des Dinges, wie die Vorstellung
desselben an das Wort, womit es bezeichnet wird^'^ (Vorech. d. Asth. I, 93).
Nach L. Geioeb ist ein Ding die Gesamteamme von Empfimdungsmöglichkeiten,
eine durch das Wort hergestellte „ideale E^inheit^ (Urspr. u. Entw. d. m. Bpr.
I, 46, 51). Th. Lipps versteht unter Dingen „Cotnplexe von Vbrstellungs-
inhtUten, aber nicht von solchen, die wir beliebig vereinigen, sondern ton solchen,
die wir — wenigstens unter Voraussetxung anderer, stillschweigend hinxu-
gedachter Bedingungen — xusammendenken müssen*^ (Gr. d. äeelenleb. S. 43.5).
„Was aber ,Dinge^ und yEigenschaften^ schließlich macht, ist das mit den
Elementen des Dinges nicht gegebene, sondern vom Denken auf Orutid der Er-
fahrung hinzugefügte Band der Zusammengehörigheit oder der wechselseitigen
logischen (,causalen*) Relation xwischen den Elementen, Dies Band der
Notwendigkeit . . . kann als das letzte ,Substrat^ in dem Ding bezeichnet tcerden"-
(Gr. d. Log. S. 89). Hussebl versteht unter Dingen ,^ie durch eine Causal-
gesetxlichkeit einheitlich umspannten Cotiereta^*^ (Log* Unt II, 249). H. CoB-
NSLIU8 erklärt, das Ding sei seinem Begriffe nach „identisch mit einem gesetz-
mäßigen Zusammenhange unserer Wahrnehmungen^^ im Begriffe des G^egenstandes
wird die Gesamtheit der Wahrnehmungen verknüpft (Einl. in d. Philos. S. 262,
257 ff.; Psychol. S. 236 ff., 246 ff.). Nach E. v. Hartmaiin ist das Ding
„eine Gruppe von äußeren Wahrnehmungen^ die einen . . . relativ beständigen
Kern hat* (Kat€gor. S. 496). Das Ding gilt als das, dem die Eigenschaften
inharieren; es wirkt also schon hier die Kategorie der Substantiahtat mit (ib.).
Der Kriticismus leitet den Dingbegriff aus der synthetischen Fimction des
Bewußtseins ab, aus der nach (apriorischen) Kategorien (s. d.) formenden Tätigkeit
des Ich, welches das Vorstellungsmaterial in seine eigene Einheit hinein-
verarbeitet, zu objectiven, gesetzmäßigen Zusammenhangen verknüpft. Die
Einheit des Dinges ist nach Kant ein Reflex der Identität des erkennenden
Bewufiteeins (Kr. d. r. Yern. B. 122). Die Dinge im Baume sind kategorial
verknüpfte Vorstellungsinhalte, nicht die Dinge an sich (s. d.), sondern Er-
scheinungen (s. d.) (1. c. S. 57, 316). Das Dasein der Dinge ist nicht zu be-
zweifeln (s. Object). Im Sinne Kante bestimmen das Ding A. Lange (einheit-
liche, zusammenhängende Gruppe von Erscheinupgen), H. Cohen, Natorp
u. a. Nach O. Scüneider bezeichnet der Dingbegriff „diejenige dem Geiste
ureigene Denkverrichtiing, durch welche aus dem steten Flusse der wechselnden
mannigfaltigen Bewußtseinsxustände ein bestimmter Denkinhalt als Inbegriff einer
Anxahl solcher xusammengehöriger Beivußiseinsinhalte geformt ufui dergestalt
herausgehüben wird, daß nun erst das Subject, das Betcußtsein seinen Denk--
gegetistand hat' (Transcendentalpsychol. S. 186 f.).
Nach RiEHL legt das Ich seine eigene Identität (s. d.) in die Dinge. Diese
sind „constante Gruppen von Eigenschaften, zur Einheit des Bewußtseins ge-
bracht^' (Phü. Krit. II 1, 2H4 ff., 295). Wundt betont, der Substanzbegriff
stecke noch nicht im Dingbegriffe. Die Erfahrungsdinge sind nichts absolut
Beharrendes, sondern „was im fortwättrenden Wecttsel der Erscheinungepi zu-
sammenhäfigt^', constante Complexe von Eigenschaften und Zuständen. Der
Dingbegriff ist nicht Product der bloßen Association, sondern einer „apper-
Ding — Ding an sioh. 221
«^iken Sifnthese" und hat seine letzte Quelle in der Einheit des Bewußtseins.
Wie sich die Apperception (s. d.) als constante Tätigkeit abhebt vom wechseln-
den Inhalt des Appercipierten, so sondert sich an unseren Vorstellungen von
den wechselnden Vorgängen der bleibende Gregenstand. Das Ich überträgt „die
9U8 der eigenen appereepHven JUtigkeit hervorgegangene Idee eines iSubstrats der
Vorstellungen auf die Gegenstände des VorsteUens^^ . „Die Selbständigkeit unseres
kk und der stetige Zttsammenhang unserer Vorstellungen werfen ihren Reflex
stffdie Dinge außer uns"' (Syst. d. Phüos.*, S. 163, 255 ff.; Log. I«, S. 462 ff.,
170 iL: Phü. Stud. II, 171 f., XII, XIII). Das geistige Geschehen ist nicht
selbst ein Ding (Syst. d. Phil.*, S. 277 ff.; Log. I«, 537 ff.). Anlaß zur Bildung
de? Dingbegriffes ist überall da g^eben, „wo einerseits ein Complex von Fr-
idieimtngen s^ieh selbständig abhebt von andern, mit denen er in Bexiehung steht, und
vo anderseits die Veränderwigen, wele/te jener Complex deirbietet, stetig aus-
nmnder hervorgehen^^. Die Sonderung des Gegebenen in eine Mannigfaltigkeit
ron Einzeldingen wird besonders durch die Anschauung der Bewegung ver-
mittelt, indem das in der Bewegung selbständig und unabhängig Bleibende als
«in Ding aufgefaßt wird. Nach Jgdl ist die Dingvorstellung das Product
ein« Synthese (Lehrb. d. Psychol. S. 548).
Durch eine Introjection (s. d.) der Ichheit, des eigenen Seelenseins in die
Inhalte der Wahrnehmung kommt der Dingbegriff zustande nach Sghleier-
JUCHEB, Bekeke (Syst d. Met S. 170 ff.; Lehrb. d. Psychol. § 149), Ritter
(Syst. d. Jjyg, I, 294), Übebweo (Syst d. Log., S. 77 f.), HoEWicz, nach
welchen das Ding ein „Quasi-leh" ist (Psychol. Anal. II, 1, 145 ff.), J. Wolfp
0. a., Jerusalem (Lehrb. d. Psychol.*, § 55). So auch Nietzsche. Nach ihm
ist das jjDing" eine Fiction, ein Grundirrtum, ein Phantasieproduct, da imsere
Organe, die nicht fein genug sind, überall die Bewegung wahrzunehmen, uns
etwas Beharrendes vorspiegeki (WW. III, 1, 18, S.38f., XI, 2, 31, XII, 1, 15).
Die ,JHngkeit^^ ist eine subjective Kategorie, eine Folge des Subjectsbegriffs,
«ne Projection der (geglaubten) Ich-Substanz in die Wahrnehmung (WW. XI,
% 239, XV, 275). In Wahrheit sind die Dinge nur Oomplexe des Geschehens,
<üe relativ dauerhaft sind (WW. XV, 277). Vgl Object, Identität
DlBf^ an stell heißt dasjenige, was den Objecten der Außenwelt als
tnuiscendent^r Factor (s. d.) zugrunde liegt, das Ding, wie es unabhängig vom
^kennenden Subject in seinem Eigensein besteht, die Wirklichkeit außerhalb
<i» erkennenden Bewußtseins und nicht in die Formen desselben gekleidet.
Es manifestiert sich in der Erscheinung (s. d.). Da die Dingheit schon (an
<Jfl" Hand der Erfahrung) durch das Denken gesetzt ist, so spricht man besser
^om j^An^sich der Dinge*^ als dem äußeren Grunde der Objectvorstellungen.
Die Unabhängigkeit dieser vom Willen des Subjects, ihre Constanz, Bestimmt-
keit und Gesetzmäßigkeit nötigt das Denken, ein An-sich der empirischen
Dinge anzimehmen, zu fordern; dadurch wird das Transcendente nicht zu einem
fiewußtseinsimmanenten, sofern es nur mit Bestimmungen gesetzt wird, die
wirklich als außer dem erkennenden Ich exLstierbar gedacht werden können.
Das An-sich der Dinge ist ein Correlat, ein Analogon zur Ichheit Es wird
<tiin auch vom Spiritualismus (s. d.) als etwas Seelisches, vom Voluntarismus
(s. d.) als Wille, vom Intellectualismus (s. d.) als Vernunft gedacht. Für den
lUterialisnius (s. d.) ist die Materie Ding an sich. Für den subjectiven Idealis-
ÄiL« gibt es überhaupt keine Dinge an sich. Der (aprioristische) Kriticismus
<aiKl Agnosticismus) behauptet die Unerkennbarkeit der Dinge an sich.
1
222 IMng an sich.
Der Begriff des j^An-sick** (s. d.) findet sich schon in der antiken Philo-
sophie. Die Kyrenaiker unterscheiden von dem objectiven Bewnßteeinsinhalt«
(to Tfd&oe fifüv imi fpaivofiavov) das Ding an sich, das unbekannt ist (ro imo*
vTtoxeiftevov xai rav ndd'ovs TtoiijTixov, Sext. £mpir. adv. Math. VII, 191).
Auch Chrybipp unterscheidet Erscheinung und Ding (L c. VIII, 1 1 ; Pvrrhon.
hypot. II, 7).
Nach Descartes sagen uns die Sinnesqualitaten in der B^;el nichts über
die Beschaffenheit der Dinge an sich. „ScUis erit, st adpertamtis, sen^imm per-
ceptiones non referri nisi ad istum corporis kumani emn menie conivfictionem,
et nohis quidem ordinarie exhibere, quid ad Ulam eactema corpora prodesse
possini, ai4i nocere; non a/utern, nisi interdum et ex aeeidenti, nos docere, quaiia
in seipsis existant^^ (Princ. philos. II, 3). Malebrancöe meint, Gott schaue
die Dinge an sich („en elles^ynemes^^). Leibniz sieht in den Monaden (s. d.)
Dinge an sich, deren Phänomene die Körper sind.
LocK£ halt das Wesen des Geistes und der Materie, die „thifigs them-
selves^*, für unbekannt; so auch Humb (Treat. Einl. S. 5). Maupertüis er-
klärt: „Notis vivons dans un monde oii rien de ce que nous apercerons ne
ressemble ä ce que nous apercevons. Des etre^ ineonnus exeitent dans fiotre dme
tous les sentiments, toutes les perceptions, qu'elle eprouve, et, ne ressembiant ä
aucufie des ehoses que nous apercevofts, nous les representent toutes" (Lettres
philos. 1752). Nach Condillag steht es fest, daß wir nicht die Dinge an sich
wahrnehmen. Sie können ganz anders sein, als sie sich ims darstellen (Trait
d. sens. IV, 5, § 1). Bonnet unterscheidet die Erscheinung („ee que h chose
paratt etre") von der y^ekose en soi". „Ätärefois on ckerchait ce que les chose»
sofit en eÜes'tnemeSy et on disait orgveüleusement des savantes sottises. At^wrd'hd
on cherche ce que les ehoses sont par rapport ä notis, et ont dit modestemeni des
grandes rerifes/^ f,L'essenee reelle de Vatne nous est aussi ifUionnue que cdU
du Corps, Nous fie connaissons Väme que par ses fac^dies, crnnme nous ne
conaissons h corps que par ses attributs" (Ess. de Psychol. C. 36). Ähnlich
Hemstebhuis. Nach Lambebt ist die Sache, „trie sie an sich isf*\ zu unter-
scheiden von der Sache „wie wir sie empfinden, vorstelleti*^ (Organ. Phaen. I,
§ 20, 51).
Eine neue Prägung bekommt der Begriff des Ding an sich bei Kant. Er
versteht darunter das unerkennbare Sein der Dinge außerhalb des erkennenden
Bewußtseins, den „Grund" unserer Wahrnehmungen. Es sind uns Dinge ge-
geben, „allein von dem, was sie an sich sein mögen, wissen wir nichts, sotulem
kennen nur ihre Erscheinungen (d. i. die Vorstellungen, die sie uns mrkenß'"
(Prolegom. § 13, Anm. II). Die Dinge an sich sind uns gänzlich unbekannt,
alles Vorstellbare, positiv begrifflich zu Bestimmende gehört zur Erscheinung
(8. d.), die aber ein „Correlat^^ an sich haben muß (Krit d. r. Vern. 8. hl\
„ Was für eifie Bewandtnis es mit den Gegenständen an sich und abgesondert ron
aller dieser Receptivität unserer Sinnlichkeit hohen möge, bleibt uns gänzlich itn^
Mannt" (1. c. S. 66). Doch kann, ja muß die Existenz von Dingen an sich
zwar nicht erkannt, aber doch wenigstens gedacht werden. „Denn sonst trürde
der ungereimte Satx daraus folgen, daß Erscheinung ohne etwas wäre, was da
erscheint" (1. c. Vorr. z. 2. Ausg., S. 23). Der „Orund des Stoffes sin fit icher
Vorstellungen" liegt in etwas „Übersinnlichem"; „die Gegenstände, als Dinge
an sich, geben den Stoff xu empirischen Anschauungen (sie enthalten den Gruftdf
das Vorstellungstermlkfcn, seiner Sinnlichkeit gemäß, xu bestimmen), aber sie
Ding an sicli. 223
iind nicht der Stoff derselben'* (Üb. e. Entdeck. S. 35 f.). Die praktische
Phik)6ophie Kants ist geneigt, den reinen Willen, d. h. den freien, sich selbst
2ur Sittlichkeit bestimmenden WiUen, als Ding an sich anzusehen (Kr. d. pr.
Vera. 1. T., 1. B., 3. Hptst.). Als „Nown^non" (s. d.) ist das Ding an sich ein
„Grerahegriff'' (Kr. d. r. Vem. S. 235).
Die Annahme von Dingen an sich zugleich mit der Behauptung der Bub-
jectivitat der Kategorien, welche ein „Ding'* erst constituieren, wird von einer
Bdhe von Philosophen beanstandet oder corrigiert. So von Jacobi. Nach ihm
können Dinge an sich nicht auf uns einwirken, da die Causalität nur für Er-
«heinungen gilt (WW. II, 301 f.). Ohne die Voraussetzung von Dingen an
äeh kommt man nicht in das Kantsche System hinein, und mit ihr kann man
nieht darin bleiben (1. c. S. 304). (ranz ähnlich argumentiert G. E. Sohülzs
(Aenesid. S. 262). Beck will den Begriff des „IHftges an sich^' eliminieren, das
^abject wird nicht durch dasselbe, sondern durch die E^rscheinungsobjecte
tfficiert (Erl. Ausz. III). Auch S. Maimon setzt die „Affection^^ ins Bewußt-
sein selbst und negiert das Ding an sich. Mit diesem Idealismus macht
J. G. Fichte vollkommen Ernst. Nach ihm ist der Gredanke des „Dingen an
fidi" ein Ungedanke; das Ding ist so, wie es von jedem Intellecte gedacht
wotieD muß. Kein Object ohne Subject — daher kein Ding an sich (Gr. d.
?. Wiss. S. 131). Das Ding ist ein Setzimgsproduct des Ich (s. d.), praktisch
«, wie wir es machen sollen (l. c. S. 275). Doch kann Fichte den „Anstoß" nicht
inseitigen, der uns nötigt, Objecte anschaulich-begrifflich zu setzen. — Schel-
U5G erklart die Dinge an sich für „Ideen in deni eicigen Erkenntnisacf^* (Natur-
phiL S. 76). Es gibt wohl ein Erstes, für sich Unerkennbares, aber es gibt kein
Ding an sich, das Ding mit den subjectiven Bestimmungen ist das wahre
Ding (WAV. 1 10, 216). Hegel sieht im „Ding an sieh'* ein Abstractions-
product aus der Beflexion auf die Dingheit. Es ist ,ydas Existieremie als das^
durch die aufgehobene Vennüthmg vorhandefie wesentlich Unmittelbare^'' (Log^
11, 125). Das An-sich der Dinge ist nicht unerkennbar, es ist „Idee" (s. d.).
K. RoBENKBAKZ: „Dos sogenannte Ding an sieh ist . . . ein bloßes Abstractum" y,
weil jedes Ding nur in seinen Bestimmtheiten Existenz hat (Syst. d. Wiss..
^. 61). „Da^ taahrhafte Ding an sieh sind die Ufüersehiede^ icelclie das l^'esen
w ieine Eacistenx setzt" (ib.). Nach Chalybäus ist der Begriff des Ding an
wh der, daß es das j^ndere" jedes subjectiven Begriffs ist (Specul. Philos. seit
Kant^ ß. 92).
Die Unerkennbarkeit des „Ding an sich" betonen in abgestufter Weise die
Kantianer und andere Denk^. So V. Cousin: „Nous savons qu'il exi^le quelque
flfctwe hors de nous, pareeque nous ne pouvons expliquer nos perceptiotis sans Ics
raäaeher ä des causes disHnctes de notss^memes . . . Mais savotts-fious quelqiie chose
de plus? Nous ne so/vons pas ee que les choses sont en dles^meftnes" (Cours d'hist.
de la jÄiiL 8»« ley.). Ähnlich W. Hamilton, J. St. Mill (Log. I, 74), auch
H. Spencer, nach welchem das Absolute, Gott (s. d.) „unknotcable" ist. A. Lange
seht im Ding an sich einen „Qrenxbegriff^\ der notwendig aber völlig proble-
matisch, ohne positiven Inhalt ist (Gesch. d. Mat. II', 49). Wir kennen nur
<lie Eigenschaften; das Ding selbst ist nur ein yyRukepunkt für unser Denken"..
0. Liebmann halt das Ding an sich, wie es bei Kant auftritt, für ein „Unding"
(K.U. d. Epig. S. 45 ff.), für ein ,^Mxemes Eisen" (1. c. S. 27). Nach Cohen ist das
Ding an sich ein bloßer „Oremhegriff" (Kants Theor. d. Erf. S. 252). Helm-
HOLTZ Tialt unsere Erkenntnis für ein „Zeichensystem" unbekannter Verhältnisse
224 Ding an sich.
der Dinge an sich (Tatsach. i. d. Wahm. S. 39). Sabatieb hält das „IHng
an sieh" für ein „Unding'^ (Religionsphilos. S. 295). £. Laab halt die Frage
nach den Dingen an sich, wegen der Relativität (s. d.) unseres Erkennens. für
iindiscutierbar (Id. u. pos. Erk. S. 458 f.). Biehl hält nur die „ffrcw««»" der
Dinge für erkennbar, d. h. die in unseren Anschauungs- und Denkformen zum
Ausdruck gelangenden einfachen Verhältnisse derselben (PhiL Krit. II 1, 24).
Von Idealisten und Positivisten wird das „IHng an sieh^^ ganz eliminiert.
iSo von der „Immanenxpkilosophie^* (s. d.). Nach HoDGSOK gibt es kein Ding
an sich, „heeause there is fw eadstence beyond eonsciatisness^* (PhiL of Beflect
I, 219). yjT/nng-in-itself is a word, a pkrasej toithout meaning, flatus roeis,^^
„Everythtng is phenomenal^^ (1. c. p. 167, vgL p. 213). ScHüPPE hält den Be-
griff des „Diftg an sieh* für einen „tmmögliehen^K Etwas, das weder formal
(mittelst der Kategorien) noch inhaltlich (nach Analogie der Wahrnehmung)
gedacht werden darf, ist ein Nichtseiendes (Log. 8. 14). — L. Stein betont:
^^Die Welt erscheint uns . . . nicht , wie sie ist, sondern sie ist so, tvie sie uns
erseheint; das Ding an sich ist nur ein Ding für mich . . . Eine andere
Wirklichkeit, als die von uns gedachte, gibt es schlechterdings mchf^ (An d.
Wende d. Jahrh. S. 266). Nach H. CJoknelius ist das „Ding an si^'' im
Sinne der unerkennbaren Ursache der Erscheinungen ein „Unvorstellbares und
seinem Begriffe nach- innerlich Widerspruchsvolles*' (EinL in d. Phiios. S. 323).
Die Frage nach der Beschaffenheit der Dinge an sich, des „beharrliehen Seins
in der WeW hat eben ,jin dem gesetxmäßigefi Zusammenhaftge der Erscheinun-
gen** ihre Antwort (1. c. S. 330; Allg. Psychol. S. 246 ff.). E. Mach hält das
Ding an sich für eine Fiction (Anal. d. Empfind.^, S. 10), so auch Ostwald
(Vorles. üb. NaturphU.«, S. 242).
Nach anderen Philosophen ist die Unerkeipibarkeit des Dinges an sich
eine relative; das An-sich der Dinge wird von ihnen meist nach Analogie
der Ichheit, des geistigen Seins bestinmit. Schopenhauer betont, durch
äußere Erfahnmg, auf dem Wege der Vorstellung kann man nie zu Dingen
an sich gelangen. Nur durch innere Erfahrung, besser durch innere Intuition
erfaßt das Ich sich selbst unmittelbar in seinem An-sich, ak Willen (s. d.).
„Ding an sieh . . . ist allein der Wille: als solcher ist er durchaus nicht Vor-
Stellung, sondern toto genere von ihr verschieden: er ist es, wovon alle Vorstellung,
alles Obfeet die Erscheinung, die Sichtbarkeit, die Objectität ist. Er ist das
Innerste, der Kern jedes Einxelnen und ebenso des Oanxen : er erscheint in jeder
blind tcirkenden Naturkraft** (W. a. W. u. V. Bd. I, § 22, II, C. 1). Nach Heb-
bart erkennen wir nur die Beziehungen, welche die Dinge an sich (,yRealen**,
s. d.) in unserem Denken annehmen (Met. I, S. 412 ff.). Beneke (Syst d.
Log. II, 288) hält das geistige Leben für eine angemessene Erscheinung der
Dinge an sich. LoTZE bestinmit die Dinge an sich ids (geistige) Monaden (s. d.),
deren Beziehungen objectiv-phänomenal erkannt werden, so auch Renouyier
(Nouv. Monadol.) Clifford bestimmt die Empfindung (s. d.) als „Ding an
sich** (Von d. Nat. d. Dinge an sich S. 39, 44). Das Ding an sich ist ^ySeeten-
Stoff** (mind-stuff , s. d.). R. Hamerling sieht im Ding an sich die „ Vwaus-
seixung desjenigen, was von dem Wahrgenommenen übrigbleibt, wenn man die
Wahrnehmung davon abxieht*' (Atom. d. Will. I, 82). Das An-sich der Dinge
besteht in Kraft- imd Lebenspunkten (1. c. S. 83 f.). Nietzsche verwirft den
Begriff einer Welt von Dingen an sich unbekannter Qualität, einer „fii*i/«--
weU**, die von uns nur zu den Erscheinungen hinzugedichtet wird (WW. XV,
Ding au sioh — DiaoorBiv. 225
271, 278, 285). Er selbst betrachtet als das An-sich der Dinge den „ Willen
ur Ma4::hl^'^ (s. d.). Nach Wundt entsteht der Begriff des „Ding an sieh^^
durch HvjxMtasierung der Objectivität. Die Möglichkeit, daß unser Denken
,A«r idealen Fotisetxung von Qedankenreihen veranlaßt toirdy die über jede ge^
gebene Erfahnmg fiinausreiehen", ist nicht zu bestreiten. Aber dabei müssen
doch wieder die Denkgesetze und Denkformen angewendet werden (Phil. Stud.
VII, 45 ff.). Bezeichnet man als Ding an sich den „Gegenstand unmittelbarer
Reaiüät'f so muß das denkend-woUende Subject ein solches sein. Die Objecte
liaben nur mittelbare Bealitat, sie weisen auf ein An-sich hin, das als Wille
(s. d.) gedacht werden kann, sind aber selbst nur Phänomene, das geistige
Subject aber ist nicht Erscheinung, sondern Ding an sich (Log. I', 546 ff., 549,
552, 555). Das An-sich der Welt ist (vorstellender) Wille (Syst. d. PhiL*,
S. 403 ff.; Phil. Stud. XII, 61 f.). Vgl. An-sich, Ding, Erscheinung, Object,
Noumenon, Gott, Spiritualismus.
Din^lielt: das Dingliche, der Dingcharakter, das ein Ding Constituierende,
der reine Dingbegriff.
Dlonyslscli s. Apollinisch.
Direeter Factor s. Ästhetik.
Dteamis ist der dritte Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
besonders bejahend (i), Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung besonders
bejahend (i).
Oiscontliiiilm'lielis unstetig.
Olseret s. Stetigkeit.
Oteerlmlnatlon: Unterschiedsbewußtsein (Bain u. a.).
OiscnrsiTS durchlaufend, von einem Inhalt zum andern übergehend,
SQooessiy Stück für Stück verbindend ist das Denken (besonders als Schließen),
im Gegensatze zur Anschauung, Intuition.
Bei Plotin ist die Rede vom dv 8iaSo8qf . . . insiUrai (Emi. VI, 2, 21).
Thomas stellt einander gegenüber „discursive^^ (durch Folgerung) und yjsimpliei
fnfuitu*^ ^Sum. th. II. II, 180, 6 ad 2); „discursus est quidam motus intelleetus
<fe uno in aliud" (Qu. anim. 7 ob. 3). Hobbes: ,jPer seriem imaginationum
fnieUigo sueeessianem unius eogitationis ad aliam; quam, iä distinguatur a dis-
türm verborumj appdlo diseursum mentalem^* (Leviath. I, 3; vgL De corpor.
C. 25, 9). Die Logik von Pobt-Royal erklärt: „Diseursu7n vocamus illam
nuntis operationem, per qtuan e pluribus iudieiis aliud dieimus" (p. 1). Leibniz
versteht unter y^iscursus'' den successiven Denkverlauf. Nach Chr. Wolf ist
ein „iudiciufn diseursivum" eines, „quod per rationem dieiiur*^ (= „diano^ieum^*,
Phü. ration. § 51). Kant unfbrscheidet die „discursive (lagische) Deutlichkeit
durch Begriffe" von der intuitiven Deutlichkeit (Kr. d. r. Vem. S. 9). Das
Dteoschliche .Denken ist discursiv, nicht ,,intellectuelle Anschauung" (s. d.), es
ist b^rifflich (1. c. S. 88). Der Raum (s. d.) ist kein „discursiver*^ oder „a//-
gemeiner^^ Begriff (1. c. S. 52). Krug nennt das y,mittelbare Vorstellen" (das
Begriffliche) „discursiv", „quoniam metu discurrit quasi inter notas ad ea^ in
unam repraesentationem condpiendas" (Fundam. S. 175). Nach G. £. Schulze
bat die discursive Erkenntnis ihren Namen davon, „daß %w Entstehung der*
sdben ein Vergleichen mehrerer Erkenntnisse und ein Übergang des Geistes von
PUlo0ophiich«t WOrtarbaob. 2. Aufl. 15
1
226 Discursiv — Dispositioii.
der einen xur andern erforderlich isV^ (Gr. d. allg. Log.*, S. 4). Fries nennt
die Erkenntnis eine discursive (gedachte, logische) „deren wir uns erst mitteihar
bewußt werden, indem wir Merkmale xu Begriffen und Urteilen xttsammensetxen"^
(Syst. d. Log. S. 87; N. Krit. I, 83). Wundt bemerkt: „Discursiv nennt
man das Denken eben deshalb, uml es nie gleichzeitig ?nehrere Verbindungen
rolhieht, sondern in einem einxigen Acte immer nur von einer bestimmten Vor-
stellung XU einer einxigen andern fortschreiten kann^^ (Log. I, 139).
iDIsJnnct sind B^riffe, deren Umfange auseinander fallen und die zu-
gleich einem höheren, allgemeineren Begriffe untergeordnet sind (z. B. Hund —
Katze: B^ubtier).
Dlejniictlon: das logische Verhältnis von Begriffen, deren Umfange
auseinander liegen.
DteJanetlTe fScliIfisse sind Schlüsse, deren Obersatz ein disjunctives
Urteil ist imd in deren Untersatz Glieder der Disjimction gesetzt bezw. auf-
gehoben werden: 1) Modus ponendo tollens: S ist entweder P, oder P, oder P,.
S ist P,. Also ist S weder Pj noch P,. 2) Modus toUendo ponens: a. S ißt
entweder P, oder P, oder Pg. 8 ist weder P, noch P,. Also S ist Pj. b. S
ist entweder P^ oder P, oder P,. S ist nicht P,. S ist entweder P, oder P,.
Vgl. Dilenmia.
DteJnnctlTe Urteile sind Urteile mit disjimctiven Begriffen, von der
Form: S ist entweder P^ oder P, oder P, . . ., also Urteile mit einer Dis-
junction. Von ihnen ist schon bei den Stoikern die Rede: Su^evyfurov Si
iartv o vno rov "Hroi Sia^evKTixov awSeCfiov St6^£vxzaif olov 'Hroi tjfjieoa tcxiv
rj rvS i<mv (Diog. L. VII, 1, 72).
I>lsparat sind Begriffe, die nicht zusammen zur Einheit verknüpft werden
können (z. B. Tugend — grün); disparat nennt man auch Empfindungen ver-
schiedener Sinnesgebiete. BofiTHiüS: „Disparaia a^item ea voco, quae tantum
a se diversa sunt nulla contrarietate pugnantiu, veluti terra, vesti^y ignis^^ (De
syll. hyp. p. 608; vgl. Prantl, G. d. Log. I, 686). yyDisparatus" kommt auch
bei Thomas (Sum. th. I, 96, 3 ob. 1 u. 2) vor. Herbart neimt „disparat'-^
Begriffe, die miteinander imvereinbar sind, sowie Empfindungen, die ver-
schiedenen Sinnen angehören imd miteinander y,Coniplic<itiofwn" (s. d.) eingehen.
Disposition: 1) Logische D. = methodische Anordnimg von Begriffen
und Lehrsätzen zur systematischen Darstellung. Aristoteles versteht unter
Sidd'eaie die rS ^x^vros fti^tj rd^is (Met. V 19, 1022 b). Die Logik von Port-
Roy al definiert: ,yDispositionem vocamus üh/tn mentis operationem, per qtdam
rarias ideasy iudicia et rationesy quas de uno eodemque stänecto ftahemus, eo
ordine disponimusy qui Uli expUcando ma^ime idofieus est*^ (p. 1 f.).
2) Psychophysische D. = Anlage des Organismus zu einer Tätigkeit,
bestehend in einer bestimmten Anordnung oder potentiellen Energie körperlielier
Elemente, in einer durch Übung entstandenen größeren Leichtigkeit und Sicher-
heit psychischer Betätigung. Es gibt ursprüngliche (primäre) imd envorbene
(secundäre) Dispositionen, onto- und phylogenetisch entstandene Anlagen*
Femer lassen sich unterscheiden intellectueUe, Gefühls-, Trieb- imd Willens-
Dispositionen. Die psychischen Dispositionen sind Nachwirkimgen von Vor-
gängen, die nur in den erleichterten Acten des Bewußtseins zum BewuSteein
kommen, nicht aber selbständige Wesenheiten oder unbewußte Processe eigener
Disposition. 22^
Äit^ Der AuBdriick „Disposition^^ ißt seit Haktley gebräuchlich, y,Spur^' seit
A. y. Haller.
Angedeutet ißt der DispoBitionsbegriff schon bei Plato (Theaet. 191 C)
imd Aristoteles (De an. III, 2). Eine Disposition zur Gewinnung von AU-
gemeinbegriffen nehmen die Stoiker an (Cicebo, De fin. IV, 3; Sekeca,
Ep. 120, 4). Kleaitthes spricht von einer zvTtanns iv yn^xüi Chrysipp von
einer ere^oiwais (aXXoitoais) der Seele (Diog. L. VII, 50). Plotin führt die
peychißchen Dispositionen auf die Übung der Seele zurück (Enn. IV, 6, 3).
Die Scholastiker sprechen von einer „inidlecius disposifio" (Albertus Magnus,
Sam. th. I, 15, 4).
In physiologischer Weise werden die Dispositionen schon von Descartes
bestinmit. Sie bestehen in den „ideae materiales" (s. d.), unter welchen er Ge-
hirneindrücke versteht, „species^* (s. d.), denen die Seele sich zuw^endet (De
bom. p. 132; Princ. phüos. IV, 196 f.). Diese Anschauung bilden Malebrakghe
u. a. weiter aus; von Rbid u. a. wird sie bekämpft. Hobbes identificiert die
Dispositionen mit Bewegungen der Seele (De corp. 25, 3), Locke mit Be-
iregongsreihen der jyLebensgeister^' im Zusammenhang mit der Übung (Ess. II,
cL 33, § 6). Alß Nervenschwingungen erscheinen die Dispositionen bei Hartley
uod Prlbstley, bei Oondillac als dauernde Eindrücke im Nervensystem
Trait. d. sens. I, eh. 2, § 6). Bonnet erklärt: „Plus les rapports de deux idees
sont prochains, plus le rapport est prompt et facile. Ges rapports consistent dans
une teile disposition des fibres ou des esprits, que la forte motrice trouve plus
de faeüiie ä s'exercer suivant un certain sens qtie suivant tout aukre^^ (Ess. de
PsychoL C. 6). — In neuerer Zeit tritt die materielle Auffassung der Dis-
positionen (Anlagen) wieder auf bei Meynert imd anderen Physiologen oder
Anatomen, bei Associationspsychologen wie Ziehen. Nach ihm bleibt von
jeder Empfindung in der Hirnrinde eine „materieUe Veränderung" y eine „Spur^*
zurück, ohne psychischen Parallelvorgang (Leitfad. d. phys. Psychol.*, S. 109).
Diese Spur denkt man sich am einfachsten als „eine bestimmte Anordnung in
^timmter Weise xusammengesetxter Molecüle der Oanglienxelle, . . . cUso als
Entente Disposition^^, vermöge welcher sie „auf eine bestimmte Vorstellmig ab-
9^timmt^' ißt (1. c. S. 110). Dieses „latente Erimierungsbild" hat seinen Sitz
in einer von der „Empfindungsxeile** verschiedenen „Erinnerungsxelle" des Groß-
bims (L c. S. 111 f.). — Auf die phylogenetische Übung als Quelle erworbener
Dispositionen weisen H. Spencer, Simmel u. a. hin.
Als functionell-psychische, bezw. zugleich physische Dispositionen werden
die Anlagen wiederholt bestimmt. So von Leibniz, nach welchem die Seele zu
allem, was sie produciert, die Anlagen hat. Aber auch erworbene Dispositionen,
als Residuen früherer Bewußtseinsvorgänge, die gew^öhnlich nicht bewußt werden,
i»iiid der Seele zu eigen. Es steht fest, daß die Seele hat „des dispositions,
?tfi sont des restes des impressions passees dans l'dme aussi bien que dans le
forps, mais dont on ne s'appercoit, que lorsque la memoire en trouve quelque
^''fasion^*^ (Nouv. Ess.). Die primären Anlagen sind „tendances^^ (Strebungen)
w Handlungen. Chr. Wolf (der übrigens die Lehre von den „materiellen
Ii«en^^ acceptiert) definiert „dispositio" als „possibilitas acquirendi potentiam
ogendi vel patiendi" (PsychoL empir. § 426). Platner faßt die seelischen
Dispositionen als „Fertigkeiten'' auf (Phil. Aphor. I, § 239 ff.). Kant spricht
von einer yyAngewokfiheit im Gemüt", die durch die wiederholte Folge der Vor-
neUnngen entsteht (Anthrop. I, § 29 B). Zu den Anschauungs- und Denkformen
15*
228 Disposition ~ Bissooiatioii.
gibt es jjAnlagen^^ im Bewußtsein. Fries faßt die Disposition als , geschwächte
Erkenntnis auf* (Syst. d. Log. S. 63). Gegen die Annahme von Residuen in
„Fibern und Plätxen" ist Hegel. Die Disposition besteht nach ibm in einem
bleibenden, unbewußten Bilde. „Die Intelligenx ist aber nicht nur das Bewußt-
sein und Dasein j sondern als solche das Subjeet und das An- sich ihrer Be*
stimmwigeny in ihr erinnert ist dca Bild nicht mehr existierend, bewußiloi
aufbewahrt** (Encykl. § 453). E. BosENKRAKZ nimmt angeborene Anlagen
an (Psychol.*, 8. 87). Das „Bild**, das die Anschauung hinterlaßt, „bUibi w
der Tiefe der Intelligenx aufbewahrt" (1. c. S. 344). Nach Hebbabt dauern
die einmal entstandenen Vorstellimgen in der Seele fort (Lehrb. z. Psycho!.',
S. 10, 15 ff.), aber so, daß das wirkliche Vorstellen sich in ein yßtreben, vor-
zustellen** verwandelt (1. c. S. 16). So auch nach Wattz (Lehrb. d. PsychoL
S. 81) und Volkmann (Lehrb. d. Psycho!. II*, 399). Beneke bezeichnet die
Disposition als „Ängelegtheit** , als seelische „Spur**. Sie ist das, .^tcas pon
früheren Seelenacten innerlieh fortexistiert**, etwas Inmiaterielles. Die „-^r"
ist das, „was xivischen der ersten Bildung und der Reproduetion eines Seelen-
aetes liegt**. Im Verhältnis zum folgenden Acte ist sie „Angelegtheit**, ein (Ge-
wordenes, eine functionelle Nachwirlnmg imd Vorbildung für Neues (Pragmat
Psycho!. I, 38 f.; Neue PsychoL S. 125; Lehrb. d. PsychoL § 27). Die Dis-
position ist ein „unbetmißt Beharrendes** (ib.). Auch Abel bezeichnet die Dis;
Positionen als „Spuren** (Seelen!. § 139). J. H. Fichte sieht in den Dispositionen
unbewußte Tätigkeitsformen des Oeistes seilet, „Fähigkeiten xur erneuerten
Hervorbringung der bewußtlos gewordenen Vorstellung*^ (PsychoL 1, S. 426). Nach
L^lbigi behält die Vorstellung auch als Disposition das Eigentümliche des
Vorstellungsinhaltes (Leib u. Seele S. 489). Nach Fechneb sind die Dis-
positionen die Beste bewußter Tätigkeit; sie gehen .form- und riehtunggdxmd
in unsere ganze fernere bewußte lUtigkeit mit ein** (Zend-Av. I, 280 f.). LiPFS
sieht in den Dispositionen unl)ewußte psychische Zustande; sie „erzeugen Vor-
stellungen, indem sie von anderen xtir Tätigkeit erregt werden** (Gr. d. SedenL
S. 96). WuNDT faßt die „Spuren** der Vorstellungen „nur als functianelle
Dispositionen** auf (Grdz. d. phys. PsychoL II*, 274). In der Erleichterung des
Wiedereintritts eines l)estimmten Bewußtseinsvorgangs- l)esteht physisch und
psychisch die Disposition; die psychische Seite dersel!)en ist aber unbekannt
(L c. S. 235; I, 222). Eine Erleichterung durch functionelle Dispositionen als
Producte der Obimg lehrt auch Külpe (Gr. d. Psycho!. S. 455). Psychisch
latente Dispositionen nimmt Höffding an (PsychoL S. 94 ff.). Functionelle
Dispositionen gibt es nach Bbentano (PsychoL I, 77 f.), A. Meinong, Wita-
8EK (Arch. für system. Philos. III, 273), James, Sully (Handb. d. PsychoL
S. 55), Jgdl u. a. Nach Ebbinghaus entsprechen den physischen DispoeitioneD
des Nervensystems psychische Dispositionen (PsychoL I, 53). W. Jebubalem
l)etont den unanschaulichen Charakter der psychischen Disposition. Diese ist
„ein Hülfsbegriff, der nach der Analogie des Begriffes der potentiellen
Energie gebildet ist** (Lehrb. d. PsychoL», S. 30). Er unterscheidet primäre
und secimdäre, angeborene und erworbene Dispositionen (1. c. S. 31). VgL
Gedächtnis, Association.
Dissimilation s. Lichtempfindung.
Dissoeiatlon des Bewußtseins heißt nach Pabish (Ob. d. Trugwahm.)
die Versperrung der Bahn zu Ontren, die im Normalzustande erreicht würden«
DiBBonan« — Dogma. 229
entsteht, wenn das Verhältnis zweier Töne eine gewisse Ab-
weichung von der Harmonie besitzt. Überschreitet die Differenz ihrer Schwin-
gungszahlen eine gewisse Grenze nicht, bei den höheren Tönen etwa sechzig
Schwingungen, bei den tiefsten dreißig und weniger, so entstehen Intermissionen
des Zusammenklangs, welche, ,ytoenn sie bloß in suceessiven Schwächungen und
Verstärktingen des Klangs bestehen, als Schwebungen, oder, wenn Mcischen
den einzelnen Tonen vöilige Unterbrechungen des Klangs liegen . , , als Ton-
sföfie" bezeichnet werden. Über die angegebene Grenze hinaus ergeben die
Traunterschiede erst die „Rauhigkeit*^, dann die reine Dissonanz. Die gewöhn-
liche Dissonanz setzt sich „atis Schwebungen, Rauhigkeiten des ZusamtnenkUmgs
tmd reiner Dissonanz" zusammen (Wundt, Gr. d. Psychol.', S. 119 f.; vgL
Helmholtz, Lehre von d. Tonempf., Stumpf, TonpsychoL).
DlsteBseneri^te s. Energie.
Dlsttiiets deutlich, unterschieden, s. Klarheit.
DisÜnettoii: Untersdiieidung (s. d.).
Division 8. Einteilung.
IMtIsIt« Urteile sind Urteile, die eine Einteilung formulieren (S ist
teils Pj teils P„ teils P,).
Docta isnorantla: gelehrte Unwissenheit, d. h. das Wissen von Gott,
das eine Unwissenheit bezuglich der positiven Eigenschaften Gottes und rein
negativer Art ist, zugleich ein mystisches Schauen des Göttlichen ohne Be-
greifen.
Schon AUGUSTIKUB bemerkt: „Est ergo in nobis quaedam, ut dicam, docta
ignorantia, sed docta spiritu dei, qui adiuvat infimiüatem nostram" (Epist. ad
Probom 130, c. 15, § 28). Bei Dionybiüs Areopaqita konunt ayv^axtas
arard&Trrt vor (De myst. theoL c. 1, § 1). Bonaventura erklart: „spiritus
noster non solum effidtur agilis ad ascensum verum etiam quadam ignoranlia
• docta supra se ipsum rapitur in caliginetn et ejccessum** (bei Übinger, Docta
ignor. S. 8). Im Sinne der obenstehenden Definition bestinunt die docta igno-
lantia NlOOLAUS CüSANUS. Sie bedeutet ihm eine „visio sine comprehensione,
fpeeulatio" (De docta ignor. I, 26). „Supra igitur nostram apprehensionem in
qnadam ignorantia nos doctos esse convenit" (1. c. II, praef.). „Ad hoc ductus
*um, ui incomprehensibilia incomprehensibiliter amplecterer in docta ignarantia**
(L c. III, peror.). „Et tanto quis doctior erit, quanto se magis sciverit ignoran-
iem** (L c, I, 1). Die docta ignorantia ist „perfecta scientia" (De poss. f. 181,
p. 1). Auch nach Bovillus ist sie „verissima et suprema soientia" (De nihilo
II, 7). Campa^ELLA bemerkt: „Sic in ignorantia nidemus aliquo paeto Deum,
qui est intra nos, sed in ccUigine abscondiius** (Univ. phil. VII, 6, 1). Mon-
taigne: „Cest par Ventremise de notre ignorance plns que de notre sciefice,
que nous sommes s^avans du divin s^voir" (Ess. II). Sanchez: „Quid . . . aliud
eft scire nostrum quam temeraria fidueia cum otrinimoda ignorantia cotiiuncta?"
(Quod nih. seit p. 183). Gassendi: „Adeo tä non immerito dixerit quispiam
f*se illorum ignorantiam doctissimam*^ (bei Übingeb 1. c. S. 228). Locke
stellt das eingestandene Nichtwissen („avowed ignorance") dem „leanied igno-
ranee*^ gegenüber.
IKli^mas Lehrsatz; Behauptung ohne Beweis, Annahme. Als Soyfiara
werden die philosophischen Lehrsatze der Alten (Cicero, Quaest Acad. IV, 9;
230 Dogma — Dogmatismus.
Seneca, Ep. 94, 95) im üoterachiede von der inoxri (s. d.) der Skeptiker be-
zeichnet (Diog. L. IX, 74). Kant versteht unter „Dogma" einen direct synthe-
tischen Satz aus Begriffen (Kr. d. r. Vera. S. 616). — Die christlrchen
Dogmen sind „rf«> begrifflich fonntdierten und für eine tvissenschafHich-apologe-
fische BekandJung ausgeprägten, christlichen Olcmbenslehrefif welcM die Bhrhenntim
Oottesj der Welt und der Heilsveranstaltungen Oottes -zu ihrem Inhalte haben**
(Harn ACE, Dogmengesch. I*, 3). Im neuen Testament kommt das Won
„Dogma** {Soy/na) im Sinne eines „Edicts** vor (Lukas II, 1). Clemens
Alexandrinus nennt die göttlichen Naturordnungen ra SeSoYfjutTiafiiva vnh
d'eov] er spricht vom S'elov Soyfia (Paedag. I; vgl. Sabatier, Religionsphilos.
S. 213 ff.). Bei Ionatius (Ep. ad Magn. 13) findet sich iv rolg Soyfiaciv (in
den Lebensregeln). Erst die Apologeten (s. d.) gebrauchen doy/u^ra im theo-
logischen Sinne (Harnack L c. S. 482). In den Dogmen, die durch die
Kirchenväter und Scholastiker ausgebildet wurden, sind neben christlich- jüdischai
auch Elemente der griechischen Philosophie enthalten. Das Dogma ist j,eine
Lehre, atis der die Kirche ein Gesetz gemacht hat** (SABATIER, BeügionsphiL
S. 205).
Dogmatlker heißen ursprünglich diejenigen Philosophen, welche Posi-
tives behaupten, im Gegensatze zu den Skeptikern. Diese nennen alle Nicht-
Skeptiker Dogmatiker: disreXow 8tj oi axcTtzixoi ree rtov aip^aean' döyftaxa
TtdvT avaTQinovTBi, avioi S*ovSiv ans^aivovxo doy/uarixcag (Diog. L. IX, 74).
„Dogfnafixare** kommt z. B. bei Irenaeus vor (Adv. Haer. II, 14, 2). Pascal
bemerkt: „Uunique fort des dogmatistes (gegenüber den pyrrhoniens) . . ." (Pois.
IV, 77). Chr. Wolf definiert: „Dogmatil sunt, qui veriiates unirersales
defendunt, seu qui affirmani rel negant in tiniverscUi** (Psychol. rat. § 40).
Dogpniatlsiiias heißt seit Kant das unkritische, ohne Prüfung der
Erkenntnisbedingungen, Erkenntnisgrenzen verfahrende Philosophieren; im enge-
ren Sinne die Auffassung der Erkenntnisobjecte als etwas fertig Gegebenes, von
uns nur Nachzuconstruierendes ; diese Bestimmung bei Kantianern.
Kant nennt die Metaphysiker „Dogmatiker** (Kr. d. r. Vem., Vorw. zur
1. Ausg. 8. 4). „Der Dogmatism der Metaphysik, d. i. das Vorttrteü, in ihr
ohne Kritik der reinen Vernunft fortzukommen, ist die wahre Quelle filier der
Moralität iciderstreitenden Unglaubens, der jederzeit gar sehr dogmatisch ist**
(1. c, Vorr. z. 2. Ausg., S. 26). Dogmatisches Verfahren und Dogmatismus sind
zu unterscheiden, nur letzterer ist der Kritik entgegengesetzt. „Die Kritik ist
nicht dem dogmatischen Verfahrender Vernunft in ihrer reinen ErkentUnis,
als Wissenschaft, efUgegengeseixt (denn diese muß jederzeit dogmatisch^ d. i. aus
sicheren Principien a priori- strenge betoeisend sein), sondern dem Dogmatism,
d, i. der Anmaßung, mit einer reinen Erkenntnis aus Begriffen (der philo-
sophischen), naeii Prifieijrien, so wie sie die Vernunft läfigst im Gebrauehe hat,
ohne Erkundigung der Art und des Rechts, icodurch sie dazu gelangt ist, allein
fortzukommen. Dogmatism ist also das dogmatische Verfahreri der reiften Ver-
nunft, ohne vorangehende Kritik ihres eigenen Vermögens** (1. c.
S. 29). „Unter dem Dogmatismus der Metaphysik versteht diese . . . das
allgemeine Zutrauen zu ihren Principien^ ohne vorhergehende Kritik des Ver-
nunftrermögens selbst, bloß um iJvres Oelingens vrillen** (Üb. e. Entdeck. S. 50).
Dogmatisch wird man, wenn man die Principien möglicher Erfahrung auf das
Transcendente anwendet (ib.). Die (alte) Metaphysik verfährt teils theoretisch-,
Dogmatismus — Doppel-Ich. 231
teÜB praktisch-d(^mati9ch (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 145). Tennemann:
„Ai* uftkrüiseJie Phiio8ophierer$ sucht aus blindem Vertraueti zur Vemtinft ge-
wisse Behauptungen, Dogmen — thetisch oder cmtitfietisch — aufxtistellen^^ (Grundr.*,
S. 32). J. G. Fichte nennt jede Philosophie dogmatisch, welche die Ein-
wirkung von Dingen an sich auf das Ich annimmt, voraussetzt (Gr. d. g. Wiss.
S. 41). Die Philosophie ist dogmatisch, die dem Ich etwas gleich- und ent-
gegensetzt; dieser Dogmatismus ist jytranseendent , weil er noch über das Ich
hinausgeht*^ (ib.). SCHELLENG bemerkt ähnlich, Dogmatiker sei, „der alles ur-
sprünglich als außer uns vorhanden (nielit als aus uns werdend und entspringend)
Türaussetxt . . ." (NaturphiL S. 42). Hegel versteht unter Dogmatismus „die
Meintfftgy daß das Wahre in einem Satze, der ein festes Eestätat ist, oder auch
der unmittelbar gewußt wird, bestehe" (Phänom. S. 31 ; Encykl. § 32). Natoep
setzt Dogmatismus und „ahstractive Erkenntnis** gleich (Plat. Ideenl. S. 366).
Für den Dogmatismus ist der Gegenstand der Erkenntnis gegeben, „weil er ihn
als Produet aus endlichen, also erschöpfbaren Factoren ansieht**. Es kommt
nur darauf an, das Gegebene auch zum vollen Bewußtsein zu bringen. Dagegen
betrachtet der Kriticist „die Aufgabe, den Gegenstand aus seinen Companenten
aufxubauen, als eine unendliche^* (1. c. S. 368). H. Cornelius stellt den
Dogmatismus dem reinen (kritischen) Empirismus gegenüber. Dogmatismus ist
überall da, „i/x? in den Erldärtmgen irgend welclie etnpirisch nicht völlig legi-
timierte Voraussetzungen eingeschlossen sind, mit anderen Worten, wo Begriffe
xur Anteeffdung kommen, deren Bedeutung und Verwendung sieh niclit in be-
kannter Weise und ausschließlieh auf rein erfahrungsmäßige Daten gründet**.
,yDogmaiisch in diesem Sinne sind also insbesondere auch alle diejenigen Be-
griffe^ deren icir uns in bloß gewohnheitsmäßiger oder conventioneller
Weise bedienen, ohne die Frage nach ihrer empirischen Legitimation aus-
drücklich t« stellen und xu beantworten** (Einl. in d. Philos. S. 36 f.). — Zu-
ireilen wird Kants transcendentaler Idealismus (s. d.) z. B. betreffs der Anschau-
ungsformen (s. d.) als „negativer Dogmatismus** bezeichnet, so von E. V. Habt-
MANN (Gesch, d. Metaph. II, 19 f.).
I^f^ginen s. Dogma.
Dofeetteinan : die gnostische Ansicht, daß die sichtbare Erscheinung
Christi ein bloßes Phantasma sei (vgl. Harnack, Dogmengesch, I*, 247).
Dominanl/eii nennt J. Blinke „die Kräfte zweiter Hand im Organismus,
deren Dasein unr aus ihrem Wirken und Schaffen erkennen, deren weitere Analyse
jedoch nicht gelingt**. Sie sind „eine Personificaiion der nicht unter den Begriff
dar Energie zu fassenden richtenden Triebkräfte in Pflanze und Tier**. Sie
bilden „eitie Art ron Beseelung, von Durchgeistigu^ig der materiellen Substanz**
(Weh ab Tat, S. 273, 275). Zu unterscheiden sind Arbeits- und Gestaltungs-
dominanten (1. c. S. 277). Die Dominanten sind das Ergebnis der Organisation,
wirken unbewußt zweckmäßig (Einl. in d. theor. Biol. S. 625 f.), sind „Über-
mergeti.sche Kräfte** intelligenter Art (1. c. S. 172 ff.).
Dominierende Vorstellung^ nennt Wundt ,4'^genige Wortvorstellung
dfM Satzes,, die beim Sprechen desselben im Blickpunkt der Aufmerksamkeit stefU**
(Völkerpsychol. I 2, 262).
Ooppel-Icii (Doppeltes Bewußtsein; double conscience, altemance de
deux x)er8onnes: Ribot) heißt die Spaltung des empirischen Ich in eine
5
232 Doppel-Ioli — DiialismuB.
Zweiheit von Persönlichkeiten. Nach Dessoir ist die Persönlichkeit ,jaus
mindestens xwei detUlich trennbaren Sphären xusammenffesetxi, die jede für sieh
durch eine Erinnerungskette xusa/mmengehalien unrd" (Doppel-Ich*, S. 1). „Wir
tragen gleichsam eine verborgene Betüufttseinssphäre in uns, die, mit Verstafidy
'Empfindung, Willen begabt, eine Reihe von Handlungen xu bestimmen fähig ist.
Das gleichxeitige Zusammensein beider Sphären Jienne ich Doppelbewußtsein'^''
(1. c. S. 11). Vgl. P. Janet, L'automatisme peychoL", 1894, u. Ribot, Malad,
de la personnal.
Doppelte Beiilliniiifpseiiipiliidiini^ entsteht z. B., „wenn ein beweg-
licher Gegenstand, etwa ein Stab, von der tastenden Hand gegen ein xweites Ofy'eet
gestoßen oder gedrückt oder über dusselbe hingeführt wird^ (KÜLPE, Gr. d. PsychoL
S. 91). Sie setzt sich aus Haut- und Gelenksempfindungen zusammen (L c.
S. 329). Sie spielt eine Rolle bei der Entwicklung des Selbstbewußtseins (s. d.).
Double mitbodlques methodischer Zweifel bei Descartes, s. Zweifel.
Dmekempiliidiuii^en sind Hautempfindungen, welche den von einem
Objecte gegen die Haut ausgeübten Druck zum Bewußtsein bringen. Die Haut^
stellen, die für Druckreize besonders empfindlich sind, heißen Druckpunkte.
£inige wollen die Druck- von den Berührung8-(Ta8t-)Empfindungen sondern.
Dagegen Wundt (Gr. d. PsychoL», S. 57), Külpe (Gr. d. PsychoL S. 93).
VgL E. H. Weber, Tasts. u. Gemeingef., Handwörterb. d. PhysioL III. 2;
Blix, Zeitschr. f. Biologie 20 u. 21 ; Goldbcheider, Arch. f. PhysioL 18S5 ff.
u. Ges. Abh. 1898, I.
Draekpunkle s. Druckempfindungen.
DuaUamas (Zweiheits-Lehre) heißt jetzt die Aufstellung zweier Principien
des Seienden, die Betrachtungsweise, nach welcher Geistiges und Körperliches,
Psychisches und Physisches, Seele und Leib zwei voneinander vei*8chiedene
Wesenheiten (Substanzen oder Vorgänge) bedeuten. Der empirische Dualismus
anerkennt die Verschiedenheit der Daseins- oder Erscheinungsformen des Wirk-
lichen, ist aber mit einem metaphysischen Monismus (s. d.) verträglich; der
metaphysische Dualismus ist kosmologischer tmd anthropologischer Art
Die ältere Bedeutimg von „Dualümiis^\ die auch heute noch neben der
angeführten besteht, ist die einer ethisch-religiösen Weltanschauimg, der zufolge
zwei Principien im All einander gegenüberstehen : das Gute, der Lichtgeist, das
Göttliche, und das Böse, die Finsternis, der Satan, wobei aber in der Regel
doch die Superiorität des guten Princips betont wird. In diesem Simie wird
das Wort „Dualismus" gebraucht bei Thomas Hyde (Histor. rel. vet. Pers.
17(X), c. 9; nach Eucken, TerminoL). Durch Bayle findet es seine Ver-
breitung. Die neuere Bedeutung hat das Wort schon bei Chr. Wolf. ,^Dtiaiistae
sunt, qui et suhstaniiarum maierialium ei immaterialium existeniiam ndmütitnt''
(PsychoL rat § 39). Der „Dualist'' glaubt, nach Mendelssohn, ,fis gäbe eben-
sotcohl körperliche cUs geistige Substanxeti*' (Alorgenst. I, 6). Nach Kant ist
„Dualism^^ auch „die Behauptung einer möglichen Oemßheit ton Gegefistäfulefi
äußerer Sinne"' (Krit. d. r. Vem. S. 311).
Den „religiösen'' Dualismus lehren die Perser (Ahuramazda — AhrimanV
Plutarch, die Manichäer (s. d,), in gewissem Sinn auch J. Böhme, R. FLtn>i>
(Phil, mosaic. 1, 3, 6), Schelling. VgL Gott.
Einen ethischen Dualismus bekimden die Stoiker, nach denen Natur-
DnaUsmuB — DuaUt&t. 233:
notwendigkeit und (Bitüiche) Freiheit des Willens einander gegenüberstehen, und
Kaut mit seiner Lehre vom absoluten Gegensatze zwischen Sinnlichkeit und
Getstigkeit (dem vemünftig-moralischen Gesetze).
Der metaphysische Dualismus kommt in reinen und imreinen Formen
Tor. Zuerst bei An.axagobab, der dem passiven Stoffe den ordnenden, ge-
staltenden yyG^ist^^ (vovg) gegenüberstellt, der zu jenem hinzukommt eha 6 vovs
il^tav avrd Suxocftijce, Diog. L. II, 6). Plato scheidet die Welt in zwei von-
einander gesonderte (zof^icra) Bestandteile: die Sinnendinge, die immer werdend,
nicht seiend, und die Ideen (s. d.), die seiend sind. Aristoteles bringt mit
der Unterscheidung von „Form^* (s. d.) und „Äo/f * der Dinge ein dualistisches
Moment in seine Philosophie. Noch abgeschwächter ist dieser ^ßtuüiamus^^
bei den Stoikern (s. Kraft). Dagegen kommt er bei den Neuplatonikern
wieder zum Ausdruck; Geist (Seele) und Materie (s. d.) stehen einander hier
Khroff gegenüber; die Sinnenwelt ist von der „inteUtgiblen^* ganz verschieden..
Anthropologische Dualisten (s. Seele) sind (wie Plato, Aristoteles u. a.)-
einige Kirchenväter, Augustinus, Thomas und andere Scholastiker,.
auch Mystiker, wie Bonaventura, welcher bemerkt: ,jFaeit Deus hominem
tx naturis maxttne äiatantibus (corpore et anima) coniunctis in unam peraonam
et fuUuram'^ (Breviloqu. II, 10).
Eine neue, schroffe Formiüierung erfährt der Dualismus durch Descartes.
Vom „Coffito, ergo sum*^ (s. d.) ausgehend, bestimmt er die Seele (s. d.) als
rein geistige, vom Leibe toto genere verschiedene Substanz, als „re» eogitans^^ im
Gegensatz zur „rw extensa**. Zwischen Leib imd Seele besteht Wechselwirkung,,
die freilich nur mit Gottes Beistand („eoneuraus, aasistentia Dei*^) möglich ist..
Zwei Substanzarten, Geist imd Körper, constituieren die Welt. Die Verschieden-
heit beider sowie von Seele und Leib ist y^lar und devÜich^^, daher objectiv
gewiß. jjSubatantiaa — pereipimua a ae mutuo realiter eaae diatinctaa, ex koc
iolo, quod unam abaque altera elare et diatinete inteÜigere poaatmtia. — Itemque
ex hoe aoh^ quod unuaquiaque intelligat ae eaae rem cogitantefn, et poaait cogi-
tatione exeludere a ae ipao omnem aliam aubatantia?fi, tarn eogitanteni quam
extenaam, eertum eat unumquemque aie apeetatumj ab omni alia aubatantia cogi-
iante atque ab omni aubatantia corporea realiter diattngui^^ (Princ. philos. I, 60)..
Die Occasionalisten (s. d.) nähern diesen Dualismus dem Monismus, in den
er fast ganz bei Spinoza übergeht, der Geist und Materie als bloße Attribute
(& d.> eines Wesens, der Substanz (s. d.), ansieht. Dualistischer ist Leibniz,
obgleich er im Materiellen nur die Erscheinungsform des Geistigen erblickt;
aber er bestimmt die Seele als eine Einzelmonade, die vom Leibe ver-
schieden ist.
Eine Erneuerung des scholastischen Dualismus findet sich bei den modernen
katholisch denkenden Philosophen, z. B. bei Gutberlet. Den Cartesianischen
Dualismus erneuert Günthers „creatürlicker Dualismus**, Einen anthropolo-
jd^hen Dualismus (zum Teil in Annäherung an Leibniz) vertreten Herbart,
Volkmann, Lotze, J. H. Fichte, Ulrici, Martineau, Jameb, G. Thiele,
L BuKBE, KÜLPE, Rehaike, W. Jerusalem u. a. Vgl. psychophysischer
ParalleLismuB, Seele, Wechselwirkung.
OuaUtftt: Zweiheit (z. B. von Principien). Der Ausdruck „dua^ifas'*
ftchon bei BofiTHlUB. — Ein y^Princip der ursprünglichen Dualität** in den Tat-
sachen kennt M. de Biran (Essai sur les fondem. de Psycho!., Introd. g(?n. II)..
Xach WuNDT findet der discursive Charakter des Gedanken Verlaufs im „Gesetz
234 DoaUtät — Dysteleologie.
(ler Zweigliederung oder logischen Ihuditäi^'^ seinen Ausdruck. Es wird nämlich
durch die apperceptive Analyse der Inhalt einer Gesamtvorstellung (s. d.) zu-
nächst in zwei Teile (Subject und Prädicat) zerlegt, worauf dann an jedem
Teile eine ähnliche Zweigliederung sich wiederholen kann (Vorles. üb. d. M.*,
S. 340 f.; Gr. d. Psychol.*, S. 320; Grdz. d. phvs. Psychol. II*, 478; Log.
I», 34 f.).
Dactlo per ImpOSSlMte (^<a rov aBwarov 9<ai rip ixd'ia&at Ttouiv
TTjt' n:i68et^ir, ARISTOTELES) = y,ductio per propositionein contradictoriwn^*^ =
„duHio ad absurdum^'. Vgl. Absurd, Apagogiseh.
Dankel s. Klarheit.
I>iirclidrlii^iing^ s. Undurchdringlichkeit.
Dnrsteiiipiliidiui^ ist eine der Gemeinempfindungen (s. d.), beruht auf
der Trockenheit von Schleimhäuten.
I>yaiS {Bvdg): Zweiheit. Eine j.unbegrenxte Ztceiheif^^ (aogicros 8vdi) als
Gegenprincip zur Einheit (^ovds) nehmen die Pythagoreer an. Aus beiden
entspringen die Zahlen (Diog. L. VIII, 1, 25; Sext. Empir. adv. Math. X, 277).
Bei Xenokrates erscheint außer der do^iaroe Svds eine Jvde als weibliche
Gottheit (Plut., Plac. I, 7, 30, Dox. D. 304). Nach Plutarch erzeugt die
uorde mit der (receptiven) Svdg dd^iaros die Welt.
Dynamik: Lehre von der Kraft, von den Bewegungskräften. — Eine
psychologische Statik (s. d.) imd Dynamik hat Herbart begründet. Eine
sociale Dynamik unterscheidet Comte von der socialen Statik. Vgl. Sociologie,
I>ynaiiil8 (Svvafus): Potenz, Vermögen (s. d.).
I>ynainl8Cli s kraftartig, von der Natur der Kraft, auf Kräfte, auf ein
Wirken bezüglich. Der dynamische Seelenbegriff betrachtet' die Seele als
die Bewußtseinsactivität selbst (s. Actualitätstheorie). Die dynamische Welt-
anschauung oder der Dynamismus führt alle Erscheinungen der Natur
auf Kräfte (s. d.). zurück. Die dynamische Auffassung der Materie (s. d.) sieht
in dieser (anziehend-abstoßende, Widers tands-)Kräfte; die dynamische Atomistik
(s. d.) betrachtet die Atome als Kraftpunkte. Einen Dynamismus lehren in
verschiedener Form Leibniz, Chr. Wolf, Kai^t, Schelldig, Oer.sted,
Schopenhauer, Lotze, Ulrici, J. H. Fichte, E. v. Hartmann (Weltansch.
d. mod. Phys. S. 204 ff.), der unter einer ,jDgnamid^^ das „System aller gleich-
xeitigen acfuellen und potentieilen Kraftäußerungen mit gleichem Durchschnitt^'
punkt^ versteht (1. c. S. 206) und in ihr das „wahre Atorn^^ das „betcegliche
Reale'' (ib.) sieht; es gibt anziehende und abstoßende Dynamiden (1. c. S. 207).
Die Dynamiden setzen erst Raum und Zeit, indem sie sie dynamisch (durch ihr
W^irken) erfüllen (ib.). Dynamisch ist auch die Atomistik Hamerlings, Wukdts
u. a. Die moderne Energetik (s. d.) hat auch einen dynamischen Charakter.
Vgl. Atom, Materie, Kraft.
I>ynaiiii»iiiafii s. Dynamisch.
DysteleolOi^te (Haeckel) heißt sowohl die partielle Unzweckmäßigkeit
der Natur als die Abneigung gegen jede teleologische (s. d.) Naturbetrachtung.
E — Egoismus. 235
XQ«
Es 1) logisches Zeichen für das aUgeniein verneinende Urteil („negat e, sed
universal iter*^ ) ; 2) Zeichen für die „Empfindlicfdeit" (s. d.)
E- Werte nennt R. Avenamus j Jeden der Beschreibung Mtgänglichen
Werf^ sofern er als Inhalt einer Aussage eines anderen menschlichen Individuunis
angenomtnen wird" (Krit d. r. Erf. I, 15). Die E- Werte zerfallen in ,jElemente"
(s. d.) und „Charaktere^* (s. d.). Sie sind von den j,Schwa7ikungen** (s. d.) des
.,Syisiems C** (s. d.) „abhängige" Grundwerte von verschiedenen Modificationen
(L c. II, o, 16 ff.).
Ebemnerkllcli heißt eine Empfindung oder ein Empfindungsunter-
whied, die das Minimum von Intensität besitzen, welches zu ihrer Bewußtheit
nötig ist.
Ebjonlten: eine christliche Secte.
Ediu^on (eductio) heißt bei den Scholastikern das Hervorgehen der
yFormefi" (s. d.) aus der Potentialität des Stoffes, in welchem sie der Anlage
nach vorhanden sind; diese yyeductio" erfolgt vermittelst eines Wirklichen,
Actuellen. „Eduetio fortnae de potenti<i materiae" (SuAREZ, Met. disp. I, 15,
2, p. 207).
Effect s. Wirkung.
Effort TOUlu: gewollte, spontane, active Kraftanstrengimg in der Be-
wegimg des Ich, bei M. de Biran QueUe des Causalitatsbegriffs (s. d.), des
Kraft- und Objectsbewußtseins (s. d.).
E^olfiimiu (theoretischer) s. Solipsismus.
Eg^lfiiiiilis (praktischer): Ichtum, Selbstsucht, Eigennutz, bedeutet 1) im
wetteren Sinne: die Betonung des eigenen Ich imd dessen Interessen, jene
Handlongs- und Gesinnungs weise, die auf das Wohl und Wehe des eigenen
Ich abzielt, die in Motiven der Selbstförderung gegründet ist; 2) im engeren
Sinne: die Selbstsucht, die auf Kosten des Wohles anderer für sich sorgt (ge-
meiner, brutaler Egoismus, im Unterschiede vom geläuterten Egoismus, der das
fremde Wohl berücksichtigt). Egoistisch handelt, wer bei seinem Tun nur
oder überwiegend das eigene Wohl, den eigenen Nutzen im Auge hat; altrui-
stisch, wer bei seinem Tun fremdes Wohl zu bewirken beabsichtigt. Dadurch,
daß die altruistische Handlungsweise selbst für das handelnde Ich lustvoll wird,
hat sie noch nicht einen egoistischen Charakter — das Motiv und das Hand-
lungsziel ist das, w^as den Egoismus, bezw. den Altruismus constituiert. Die
egoistische Moraltheorie führt das Sittliche auf egoistische Motive zurück
(8. Ethik).
Den praktischen Egoismus lehren einige Sophisten, femer die Cyniker
und Kyrenaiker, welche den Zweck des Daseins in der Erlangung eigener
Glückseligkeit erblicken, also Eudämonisten (s. d.) sind; so auch die Epi-
kureer als Hedoniker (s. d.). — Hobbes leitet Recht und Sittlichkeit aus dem
egoistischen Selbsterhaltungstriebe der Menschen, aus dem gegenseitigen Auf-
einander-angewiesen-sein derselben ab (De cive C. 1, § 2). Einen geläuterten
yJBgoismtts" vertritt Spinoza. Der vernünftig -gute Mensch will zw^ar j^snum
236 Egoismus — Eidola.
c^fiß", das Eigensein bewahren (Eth. prop. IV, XXTV), aber nicht auf Kosten
fremden Wohles. „Sequitur, homines, qui ratione gubemaniur, hoc est, hominesy
qui €X ctudu rationis stutm utile quaertmt, nihil sibi appetere, quod reliqui»
haminibus non eupiant^' (1. c. IV, prop. XVIII, schol.)* Während Shaftes-
BURY eine harmonische Verbindung egoistischer und socialer Neigungen als
sittlich gut wertet, betonen Holbach, Helvetiub, Volney mehr das egoistische
Moment des Handelns. JSjlnt bezeichnet die ursprüngliche, in der sinnlichen
Natur des Menschen liegende Selbstsucht als das ,,radic(ile Böse^' (s. d.). Der
„moralische Egoist^^ ist „der, tcelcher alle Zwecke auf sieh selbst einschrätiki, der
keitien Nutzen worin sieht, als in dem, was ihm nütxt^* (Anthrop. I, § 2).
Schopenhauer (der selbst eine Mitleidsmoral lehrt) erklärt: „Die Haupt- und
Grundtriebfeder im Menschen tcie im Tiere ist der EgoismrUS, d, h. der Drang
zum Dasein und Wohlsein*' (Üb. d. Grundl. d. Mor. § 14). Eliner der conse-
quentesten Egoisten (nicht ganz consequent, denn er spricht von einem „ Verein
der Egoisten*') ist Max Stirner (Der Einz. u. s. Eigent.) mit der Behauptung,
das Ich sei selbstherrlich, erkenne keine Werte außer ihm an, werte nur das,
was es selbst werten will, gebrauche die Welt zu seinen Zwecken, folge nur
der Pflicht gegen sich selber u. dgl. Vor ihm äußert ähnliches schon
Fr. Schlegel, dem das praktische Ich ebenso absolut ist, wie das theoretische
„Ich" (s. d.) Fichtes. EgoistlBch, mehr aber individualistisch ist die Ethik
NnsTZSCHEB. Nach H. Spencer ist der Altruismus (s. d.) von gleicher ürsprüng-
lichkeit wie der Egoismus. Ihering sieht die Wurzel des Rechts im Egoismus
der Gesellschaft. Nach E. Dühring ist der Egoismus nichts Natürliches,
sondern „ein Oebilde der Entartung und Verderbnis** (Wirklichkeitsphilos. S. 139).
Auch der Altruismus ist nicht das Ursprüngliche, sondern das Gegenstück ziun
Egoismus (ib.). „Nicht die Befahung des eigenen Interesses, sofidem die unstati-
ftafte Verneinung des fremden, ähnlieh oder gleich berechtigten Anspruehs cott-
sfituiert den tcirklichen Egoismus** (1. c. S. 143). Nach Meinong begehrt
egoistisch, „teer begehrt um der eigenen Lust willen** (Werttheor. S. 97 f.). Das
Egoistische im engsten Siime liegt im selbstisch-inaltruistischen Begehren (1. c.
8. 103). LiPPS bemerkt: „Egoistisch ist das Wollen, das abzielt auf ein Sach-
liches, das und sofern es dem Wollendefi als ein unmittelbar ihn befriedigendes
vorschwebt** (Eth. Grundfr. S. 10). Die neuere, besonders die individualistische
Ethik (s. d.) erkennt die Berechtigung des „gesunden** Egoismus an. Sigwart
betont, es sei „nicht bloß der Eudäm<mis7ntis, die Rücksicht auf das Gefühl der
lAisi überhaupt, sondern auch der Egoismus, die Rücksicht auf das Gefühl der
eigenen persönlichen Lust notwendig in jedem menschliehen Wollefi enthalten**
(Vorfrag. d. Eth. S. 6). So auch Th. Ziegler (Das Gef.», S. 289). Nach
Paulsen gibt es in Wirklichkeit keinen absoluten Egoisten (Syst. d. Eth. I*,
232). Nach R. Steiner ist Egoismus „das Prineip, durch sein Handeln die
größte Sumtne eigener Lust xu bewirketi, d. h. die individuelle Glückseligkeit xu
erreichen** (Philos. d. Freih. S. 144). Nach GiZYCKi ist eine Handlung nur
dann egoistisch, wenn das Ich auch Object des Handelns ist (Moralphilos.
S. 97). Renouvier erklärt den Egoismus als „Vamour de soi et de son hiepi,
ä Vexclusimi du bien d*autrui, ou simplement safis en tenir compte** (Xouv.
Monadol. p. 198).
Ef^otetlsebe (Idlopatlilscbe) Geffible s. Egoismus.
Eldola {BidioXn) : „Bildercfien**, die, nach Demokrit und Epikür, sich von
Eidola — Eigenaohaft. 237
den Dingen ablösen^ zu den Sinnesorganen gelangen und die Wahrnehmung
(s. d.) ermöglichen.
CHdololcli^e: Lehre von den Eidola, den Erscheinungen im Bewußtsein,
ist nach Herbart ein Teil der Metaphysik (Metaph. I, 71).
CHdiis: Gestalt, Form (s. d. und Idee).
EiKeiiseliaft ist eine dem Dinge eigene Art zu sein, eine Seinsweise des
Dinges ; dieses ist die Einheit, der „ Träger*^ seiner Eigenschaften. Im Begriffe
der Eigenschaft liegt erstens die (empirische) Zugehörigkeit zu einem Dinge,
das Enthaltensein eines Etwas in einem Oomplex, zweitens die Beziehimg der
Jnhärefix'^ (s. d.), das „Haben*^ des Quäle seitens des Dinges, analog gedacht
dem Verhaltnisse der Bewufitseinszustände zum erlebenden Ich. Formal ent-
steht der Eigenschaftsbegriff als Product der analytischen Function der Apper-
ception (s. d.) zugleich mit dem Dingbegriff, wobei die innere Erfahrung yor-
bildlich ist. Die Eigenschaft ist das, was dem Dinge als (relativ) dauernder,
constanter, in dessen „ Wesen^^ begrimdeter Zustand zuerkannt wird. Die Eigen-
schaften der Dinge zerfallen in Qualitäten (s. d.), Quantitäten (s. d.) und
dynamische Eigenschaften. Von den sinnlichen sind die begrifflich -wissen-
achaftlich gesetzten Eigenschaften zu unterscheiden, von den empirisch-phänome-
nalen die transcendenten Eigenschaften der Dinge zu sondern. Endlich lassen
sich noch physische (materielle) und psychische (geistige) Eigenschaften unter-
scheiden.
Xaeh Aristoteles ist eine Eigenschaft (idtov), was einer bestimmten Art
von Dingen zukommt. Es gibt ursprüngliche, primäre Eigenschaften (Y8m
cnrJUyff, propria constitutiva) imd abgeleitete, secundäre Eigenschaften (Y3ia xara
^vftßfßr^xosy propria consecutiva) (Top. VI, 128 b 16). Die gleiche Definition der
Eigenschaft bei Porphyr und BoSthius {„proprium^^ = „id quod soli cdicui
9peeuii aeetdtf*, Isagog. p. 38). Nach Thomas ist jede „pMsio^^ eine „qtialitasy
tecundum quam fit alteratio^^ (5 met. 20c); „pcissiones*' heißen die Zustände
eines Dinges, „quia passionem ingerunt sensibus vel quia ab aliquibus passtom-
bus catisatitur'* (7 phys. 4b). Chr. Wolf erklärt: y^Attributa^ qtiae per atnma
f*9€ntialia simul detenninaniur, dieuntur proprietates^' (Philos. rat. § 66). K. Bosen-
KRAKZ bemerkt: „Das wahrhafte Ding an sieh sind die üntersckiedej welche das
Wesen in seine Existenx seixL Die Unterschiede sind das deni Ding Eigene^
wodurch es dies Ding ist. Sie sind seine Eigenschaften.^'^ „Das Ding ist seine
Eigenschaften^' (Syst d. Wiss. § 109 ff.). Herbart findet im Begriff des einen
Dinges (s. d.) mit vielen Eigenschaften einen Widerspruch. Nach LoTZE sind
die Eigenschaften „nichts, was ein für aüemal die Natur der Dinge ausmachte,
fttndem sie sind etwas, was den Dingen unter Umständen widerfährt, oder Arten,
wie sie sich utiier Bedingungen verhalten" (Gr. d. Met.*, S. 17). WuNDT betont,
dafi „m einem einigermaßen exacteti Sinne als ,Eigensehaften' eines Körpers nur
solche fyädieate gelten können, die ihn dauernd als ihm selbst angehörige Merk-
male xtdcommen, nicht Wirkungen, die der Körper erst ausübt oder empfängt,
trenn er unter bestimmte Bedingungen versetzt wird'' (PhiL Stud. XIII, 386).
Der Eigenschaftsbegriff ist eine logische Kategorie (s. d.). Nach Uphctes sind
sinnliche, mathematische, mechanische Eigenschaften zu unterscheiden (Psychol.
d. Erk. I, 8. 43). Nach R. Hamerling sind die Eigenschaften „nicht objective
Wesenheiten der Dinge . . ., sondern Wirkungen derselben auf unsere Sinnet'
lAtom. d. Will. I, 15). Nach Höffdino sind die Eigenschaften eines Dinges
238 Eigenaohaft — Einbildungskraft.
^^niehis als die verschiedenen Arien und Weisen^ tote dieses Ding andere Dinge
beeinflußt und van diesen beeinflußt wird. Sie sind dessen Fähigkeiten des
Wirkens und des Leidens'^ (Religionsphil. S. 31). Jerusalem sieht in den
EigenecliafteD die ^potentiellen Wirkungen^^ der Dinge (Lehrb. d. PsychoL*,
S. 100). Nach Schuppe sind Ding und Eigenschaft CJorrelatbegriffe. „TT«
ais Eiget^ehaft gedacht resp. in der Fomi des Eigenschaftswortes ausgesproehett
wird, hat also diese Bexiehung schon in sieh, daß es mit anderem zusammen
das so und so benannte Oanxe ausmacht, etwas von allem demjenigen ist, teas
durch die , . . Oesetxliehkeiten die Einheit eines Dinges ausmacht*' (Log. B. 131 iL).
Die Eigenschaftsbegriffe „verknüpfen hieht ein Zusammen von Erscheinungen
auf Grund vermuteter oder erschlossener Zusammengehörigheit, sofident haben in
erster Linie ein Objeetsverhältnis und combinieren Motive, Bedingungen, Zwecke,
so daß die Mehrheit der wahrnehmbaren Einzelheiten nur als die natürliche
Consequenx a/us dem einen Principe und Grunde erscheint*^ (1. c. S. 162). Nach
Bchubebt-Soldern ist jede Eigenschaft eines Dinges eine „causale Bexiehung
XU anderen Dingen" (Gr. e. Erk. S. 132); sie ist „das an einem Ganzen, einem
Zusammen von Daten unterschiedene einzelne Datum oder eine unterschiedene
TeHgruppe desselben, bezogen auf das Zusammen als catisal oder räumlidi xu
ihm gehörig"' (l. c. 8. 146).
Die Eigenschaften werden also bald der dinglichen Einheit g^enüber-
gestellt, bald ab Bestandteile, Factoren des Dinges selbst aufgefaßt Die Rea-
lität der Eigenschaften anbelangend s. Qualität. Vgl. Attribut, Zustand.
E31§^enwerteg;efniile unterscheidet Lipps innerhalb der „Persönlich-
keitstcertsgefühle.'' (Eth. Grundfr. S. 29).
£lnbildiiii|f9 Elnbildnn^kraft, Elnbildmi^Torslelliuig s.
Phantasie.
Elnbildniii^kraft« transcendentale oder reine, productive
imterscheidet Kaitt von der reproductiven Einbildungskraft (s. Phantasie).
Erstere ist eine der „subjectiven ErkenfUnisqu^dlen" (Krit. d. r. Vem. 8. 126),
die aller Association der Vorstellung schon zugrunde liegt (1. c. S. 127). Sie
ist ;,eine Beditigung a priori der Möglichkeit aller Zusammensetzung des Mannig-
faltigen in einer Erkenntnis"" (1. c. S. 128). Sie ist „franscendental'" (s. d.),
weil „ohne Unterschied der Anschauungen sie auf nichts als bloß auf die Ver-
bitidung des Mannigfaltigen a priori geht"" (1. c. S. 129). Sie vermittelt zwischen
Anschauung und Denken, ermöglicht die Anwendimg der Kategorien (s. d.)
auf den Erfahrungsinhalt (ib.). Sie „bringt das Mannigfaltige der Anschauwig
in ein Bild"" (1. c. 8. 130). „W^tr haben . . . eine reine Einbildungskraft, ais
ein Grundvermögen der menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori xum
Grunde liegt. Vermittelst deren bringen icir das Mannigfaltige der Anschauung
einerseits mit der Bedingung der notwendigen Einheit der reiyien Apperception
anderseits in Verbindung. Beide äußerste Enden, nämlich Sinnlichkeit und
Verstand, müssen vermittelst dieser transcefidentalen Function der Einbildungs-
kraft notwendig xusammenhängen, weil jene sonst zwar Erscheintingen, aber keine
Gegenstände eines empirischen Erkenntnisses, mithin keine Erfahrung geben
würden"" (1. c. S. 133). In der 2. Ausgabe der Kr. d. r. Vem. heißt es: „Eif^
bildungs kraft ist das Vermögen, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegen-
wart in der Aftschauung vorzustellen. Da nun alle unsere Afischauung sintüich
ist, so gehört die Einbildungskraft, der subjectiven Bedingung wegen^ unter der
Sinbüdungskraft — Einfachheit. 23<>
sie allein den Verstandesbeffriffen eine eorrespondierende AnscJiauung geben kann,
xur Sinnliehkeit; sofern aber doch ihre Synthesis eine Ausübung ihrer Spon-
ianeüäl ist, welche bestiimnend und nicht, wie der Sinn, bloß bestimmbar isty
mthin a priori den Sinn seiner Form ncuih der Einheit der Appereeption genfäß
bestimmen kann, so ist die Eifibildungskraft sofern ein Vermögen, die Sinfüich-
keit a priori xu bestimmen, und ihre Synthesis der Anschauungen, den Kate-
gorien gemäß, muß die transcendentale Synthesis der Einbildungskraft
sein, icdehes eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit und die erste
Eifttcirkteng desselben (%/ugleieh der Orund aller übrigen) auf Gegenstände der ^
uns mögliehen Anschauung ist^^ (L c. S. 673). — J. G. Fichte führt diese
Lehre weiter. Ihm ist die productive Einbildungskraft die unbewußt An-
sehauungB-Inhalte und -Formen setzende Tätigkeit des Ich (Gr. d. g. Wiss. S. 415).
So auch ScHELiilKG (Syst. d. tr. Ideal. I, 223). Über die erkenntnistheoretische
Wertung der Einbildungskraft bei Hume, Nietzsche u. a. s. Phantasie.
EiDdeotii^liLelts feste Bestimmtheit eines Geschehens. J. Petzoldt
will an die Stelle des Causalprincips das „Gesetx der Eindetäigkeit'^ setzen,
welches es ermöglicht, ,för irgend einen Vorgang Bestimmungsmittel xu finden^
(ktrch die er allein festgelegt wird^^ (Vierteljahrsschr. f. w. Phil. Bd. 19^
8. 146 ff.).
EiiidnicliL s. Impression.
Eine« das, s. Einheit
Einerlellielt s. Identität.
EHn/aelilielt bedeutet Freisein von Teilen und Ausdehnung. Einfach
ist der geometrische, der dynamische Pimkt, das Atom, einfach ist die Icbheit
in ihrer (abstracten) Reinheit. Von einigen wird die Seele (s. d.) für ein ein-
faches Wesen gehalten.
Chr. Wolf definiert: „Ens simplex dicitur quod partibus caret^ (OntoL
§ 673), „extensum non est^^ (1. c. § 675), „est indivisibile^^ (1. c. § 676), „nulla
praeditttm est figura'^ (1. c. § 677), „caret niagnitudine*^ (1. c. § 678), „mdlum
fpatium implere potesi^^ (L c. § 679). Das Einfache ist das schlechthin Teillose,,
Größeloee, Formlose u. s. w. (Vem. Ged. I, § 81). Wie Leibniz (s. Monaden)
erklärt er: „Wo xusamnwfigesetxte Dinge sind, da müssen aueh einfache sein^'-
iVem. Ged. I, § 76). Kant betont, „daß, wenn wisere Simie auch ifis Uti-
blicke geschärft würden, es doch für sie gänxlich unniöglich bleiben müßte ^
dem Einfachen aueh nur näher xu kommen, viel weniger endlich darauf xu
t^ßen, ufeü es in ihnen gar nicht angetroffen wird; da alsdann kein Austccg
übrigbleibt, als x/u gestehen : daß die Körper gar nicht Dinge an si-ch selbst, und
ihre Swmenrarsf eilung, die wir mit dem Namen der körperliclien Dinge belegen,
nichts als die Erscheinung von irgend etwas sei, was, als Ding an sieh selbst,
QÜein das Einfache enthalten kann, für uns aber gänxlich unerkennbar bleibt^^
(Üb. e. Entdeck. S. 29). „Ein Object sich als einfach vorstellen, ist ein bloß
negativer Begriff, der der Vernunft unvermeidlich ist, weil er allein das Un-
bedingte xu allem Zusammengesetxten . . . enthält, dessen Möglichkeit jederzeit
hedingt »/." Ob das Ding an sich einfach oder' zusammengesetzt ist, können
wir nicht wissen (gegen die Monadologie) (1. c, S. 29). — Fechner erklärt:
,vÄm psychisch Einheitliche und Einfache knüpft sieh an ein physisch Mannig-
faltiges, das physisch Mannigfaltige xielä sich psychisch ifis Einheitliche, Ein-
240 Binfaohheit — Einheit.
fache oder noch Einfachere xusammen" (Elem. d. Psychoph. II, 526). B. Wähle:
„Der Begriff des Einfachen ist die vernünftig nicht faßbare Verk&rpenmg des
Wunsches, den Gegensatx von demjenigen zu begreifen, an dem wir Teile tDokr-
nehmen können" (Das Ganze d. Philos. S. 90). Vgl. Monaden, TeUbarkeit, Un-
endlichkeit.
Einfaehhelts-Prlnclp b. Princip.
Cilnlielt ist ein Fundamentalbegriff, der aus der Reflexion auf die ver-
bindend-zerlegende Tätigkeit des Bewußtseins, des Ich entspringt. Das Ich
(s. d.) ist die Quelle aller Einheitsbegriffe, es ist (sich und Objecte setzende)
Einheitsfun ction, faßt Erlebnisse, Inhalte in einem Act« in einem Ck>mplex, in
einer Synthese zusammen und trennt, unterscheidet einen Inhalt, einen Complex
Yon Inhalten von anderen Inhalten oder Objecten. Die Einheit des Be-
wußtseins (der Apperception) ist das Formal- Apriorische alles Erkennens, die
subjective Quelle der Kategorien (s. d.) und Anschauungsformen (s. d.) sowie
der Setzung von Objecten (s. d.). — „Einheit** ist sowohl das Als-eins-gesetzt^
sein als auch, im engeren Sinne, das, was als eins gesetzt wird, das Eine,
die Eins. Einheit ist nicht mit Einfachheit identisch, sie schließt die
Vielheit nicht aus, . kann sie einschließen. Die Einheit des Vielen, Mannig-
faltigen ist anschaulich oder begrifflich, mathematisch (numerisch), causal-
dynamisch oder teleologisch, je nach der Art der Zusammenfassung, Verbindung.
Die subjective Einheit ist die des Ich, die objective die des Dinges, die kos-
mologische die der Welt, von der noch die göttliche Einheit unterschieden
werden kann. — Der Terminus „Einheit" stammt von Leibniz (für unitas, unit^),
früher sagte man „Einigkeit^*,
Zunächst betrachten wir die verschiedenen Bestimmungen des Begriffs Ein-
heit im allgemeinen.
Aristoteles unterscheidet das schlechthin Eine (iv xad' avro) und die
relative Einheit (iv xata ffvfißeßrjxog); ersteres besteht im Stetigen und UnteU-
baren (Met. V 6, 1015b 16 squ., III 3, 999 a 2). Einheit ist nicht Zahl (Met
XIV 1, 1088 a 6), sondern die QueUe aller Zahl (Met. V 6, 1016 b 18), sie ist
kein Gattungsbegriff (Met. VIII 6, 1045 b 6), ist nicht mit Einfachheit zu ver-
wechseln (icTT* To ^ xal ro anlavv ov ro avro, Met. XII 7, 1072a 32; vgl
V 6, 1016b 25). Der Mathematiker Euklid bestimmt: i^ovag iimv, x«^ ^V
i'xaarov tcSv ovraw bv leyerai (Elem. VII). Nach BoßTHlus ist in der wahren
Einheit keine ZaU.
Die Scholastiker betrachten die Einheit (unitas) als Attribut jedes Dinges
(„omne ens verum, unum, bomim**). „ U?iitas igitur singulis rebtts forma essend*
est; utide vere didtur: omne quod est ideo est quia unum est* (bei Haureau
I, p. 402). Albertus Magnus erklart: „unitas est qua quaelibei res una est"
(Sum. th. I, 22, 1). Zu unterscheiden sind: „unitas puneti, corporis, homogenii,
principiorum substantiae, companentium quidcumque compositum, et intelligi-
bilium** (L c. 20, 2). Thomas unterscheidet „unitas rmmercUis" und „unitas
trafiscendens" (metaphysische Einheit, Einheitlichkeit) (Sum, th. III, 2, 9 ad 1;
1 sent. 31, 3, Ic); „ratio unitatis consistit in indivisiane^* (1 sent. 24, 1, 2 c).
Die „unitas formae" ist das, vermöge dessen „nihil est simpliciter unum, nisi
per formam unum, per quam habet res esse" (Sum. th. I, 76, 3). „ Unum nihii
ali/ud significat quam ens indivisum" (1. c. I, 11, 1). Unter „unitas essenüaiis^*
verstehen die Scholastiker die Einheit der Wesenheit, der Natur ^es
Sinheit. 241
Dinges. Xach den Formalisten gibt es nur eine Einheit in vielen In-
diriduen.
Spinoza betont, daß die Einheit dem Wesen nichts hinzufüge („unitatem
. . . enti nihil addere^*), sie ist (wie nach Desgartes) bloß ein Begriff (^ytan-
tmn modufn eogiiandi esse, quo rem ah aliis separamus, qtuie ipsi similes suntf
rei cum ipsa aliquo modo conveniunt^' (Cogit. met. I, 5). Leibniz sagt im
scholastischen Sinne: f,Ce qui n'est pas veritablement un estre, n'est pas fwn
yius reritabiement un estre** (Gerh. II, 97). „// n*y a point de mtUfüude saphs
<fr« reriiMef unites*^ (L c. IV, 482, s. Monaden). Ch». Wolf: fJnseparMNtas
«nw», per qnae ens detenninatur , unitas entis appellatur*^ (Ontol. § 328).
Bonnet erklart die Vorstellung der Einheit so: ,J/dme ne eonsiderant dans
tkaqtte objet que Vexistence et faisant V abstrctction de toute ewnpoaition et de iotäe
attribiU, eile acquerra Videe d'unitt'' (Ess. de PsychoL C. 14). Berkeley erklärt
Einheit für eine gegenstandslose, abstraete Idee (Princ. XIII, CXX). Hume be-
trachtet ab} Einheit nur das Unteilbare (Treat. II, sct. 2).
Von nun an wird die Einheit der Objecte (und des Bewußtseins) vielfach
aus dem Selbstbewußtsein abgeleitet. So zunächst von Kant. Die Einheit
des (reinen) Selbstbewußtseins, die Einheit der synthetischen Function des
Sabj€ct8 ist die Quelle aller Einheit in der Erkenntnis, die formale Bedingimg
aller Erfahrung, d. h. sie ist transcendental (s. d.). Nichts kann ein Erkenntnis-
object werden, ohne in die Einheit des Bewußtseins, der ,fApperceptian" gefaßt
worden zu sein. Es ist „die Einheit, icelehe der Gegenstand notwendig maeht, nichts
<Mderes . . ., als die formale Einheit des Beteußtseins in der Synthesis des
Mannigfaltigen der Vorstellungen^*^ (Xrit. d. r. Vem. S. 119). Die „iranseen-
dtntale Eifiheit*'^ der productiven, verknüpfenden Einbildimgskraft (s. d.) ist
,vrf« reifte Farm aller mögliehen Erkenntnis^^ (1. c. S. 129). Die „Einheit der
Äppereeption^* besteht in der Identität des Ich mit sich selbst durch alle
Modificationen hindurch, in dem „ich denket*, das alle Vorstellungen des
Ich begleiten muß können (1. c. S. 659). Alle Bewußtseinsinhalte werden, um
objectiv zu sein, auf die allbefassende, reine Apperception (s. d.) bezogen (1. c.
S. 133). Die jftranscendentale Eifiheit der Apperception" macht aus den Er-
(ahrungsinhalten einen gesetzmäßigen Zusammenhang; das Subject legt seine
eigene Einheit in die Objecte hinein (1. c. S. 121). Als Betätigimgen der Ein-
bdtfiform des Bewußtseins überhaupt bringen die Eüategorien (s. d.) Einheit in
<iie Anschauungsobjecte (1. c. S. 129). Nach Fries sind die Einheitsvorstellungen
,^s reine Eigentum unsrer Selbsttätigkeit im Erkennten" (Syst. d. Log. S. 54).
Es gibt eine ,/inalytische^^ Einheit (Allgemeinheit), welche „rtc/c Vorstellungen
ftnter sich efUhälf\ und eine „synthetische" Einheit, welche yyviele Vorstellungen
in sich enthält" (1. c. S. 95). Nach Schleiermachbr liegt die Quelle der
Einheit von Objecten in der Vemunfttätigkeit (Dial. S. 63). Nach Herbart
besitzt der psychische Mechanismus eine ursprüngliche Einheit. „Die Einheit
*r Se^e selbst ist der tiefe Orund, aus welchem in ufiser Vorstellen die/efiige
Einheit kommt , die wir hintennach im Vorgestellten vermissen" (Lehrb. z. Psych.*,
8. 135 f.). Was im Vorstellen nicht durch „Hemmungen" (s. d.) getrennt wird,
t4m bleiht beisammen und wird vorgestellt als eins" (PsychoL a. Wiss. II,
B. 115). Nach Lotze ist die dingliche Einheit kein (Gegenstand der Erfahnmg
^6r. d. Met. S. 17). Die Seele ist eine Einheit, setzt denkend Einheiten (Med.
PiychoL S. 15; Mikiok. I, 174). Nach Fechner knüpft sich die Einheit des
Bewußtseins ,/m einen weehselwirkendefi Zusammenhang" der Weltelemente
PhiloiophUoh«* WörUrbsoh. %. Aafl. 16
242 Einheit.
(„synechologüche^*^ Ansicht, Tagesans. S. 246). „Da« psychisch EinheitlicJie und
Einfache knüpft sich an ein physisch Mannigfaltiges, das physiscJi Mannigfaltige
xieht sich psychisch ins Einheitliche^ Einfache oder doch Einfachere xttsammer^^
(Elem. d. Psychophys. II, 526). Nach Lipps besteht alle Einheit „tw der Ein-
heit des xtcsammenfassenden Denkens. Dagegen gibt es keinen Sinn, die Einheit
als etwa^ x/u fassen, das tcir in den Dingen fänden und anerkermlen^' (Gr. d.
Seelenleb. S. 590). Einheit bezeichnet „die einfaclie Setzung eines Mannig-
faltigen^^, Einzelheit aber „die einfache Setxung von bestimmtein Inhalt im
Gegensatx xur Setxung weiterer Objecte" (Gr. d. Log. S. 99). Nach Ebbing-
HAUS wird die Einheit eines Ganzen nicht erst durch das Denken gesetzt,
sondern kann unmittelbar wahrgenommen werden (Gr. d. Psychol. I, 481 ff.).
BiGWABT unterscheidet äußerliche und zufällige, causale und teleologische Einheit
(Log. I*, 258 ff.). E. V. Hartmann erklärt : „Jede Einheit ist Einheit mehrerer
oder Vieleinigkeit, jede Vielheit ist Oetrenntheit oder Vereinxelung eines irgendwie
Oeeinten^^ (Kategor. S. 231). Zu unterscheiden sind: substantielle und fimctionelle
Einheit, dynamisch thelistische imd logisch ideale Einheit, causale und teleologische
Einheit (1. c. S. 234 f.). Die Einheit des Bewußtseins entsteht durch das Vergleichen
gegenwärtiger mit vergangenen Vorstellungen (Philos. d. Unbew. II'®, 62). Das
individuelle Ich ist nicht das eine, absolute Bubject, sondern eine Summe von
Tätigkeiten, die von einer „Centralmonade^^ dirigiert werden (1. c. II, 481, 404 f.;
Mod. Psychol. 8. 287 ff.). Nach Wundt beruht die Einheit des Ich auf der
Einheit des WoUens, des Appercipierens (Vorles. üb. d. Mensch.', S. 271, 250).
Der Wille (die Apperception) ist eine Einheitsfimction, das Denken ist Willeiis-
handlung imd damit auch die Quelle der objectiven Einheitsvorstellungen (Log.
I, 417; Grundz. d. ph. Psychol. II*, 499; Phü. Stud. X, 119). „Einheit der
Apperception^^ ist „die Tatsache, daß jeder in eifiem gegebenen Augenblick apper-
cipierte Inhalt des Beinißtseins ein einheitlicher ist, so daß er als eine
einxige mehr oder mitider xusammengesetxte Vorstellung aufgefaßt iftrrf*^ (Völker-
psych. I 2, 4()6). Biehl erblickt im Ich die formale Einheit aller Bewußtseins-
vorgänge, die auch das Objective erst zur Einheit verknüpft (Phil. Kritic. II 1,
234; vgl. Identität). Schuppe findet die numerische Einheit darin, daß „po-
sitive Bestimmtheit als solche beteußt wird, ohne in sich Unterschiede er-
kennen oder beacfiten xu lassen'* (I^g* S. 104). Der Einheitsbegriff gehört
dem Identitätsprincip an. Einheit ist „nietnals unmittelbares Sinnesdatnm . . .,
sondern immer hinxugedachf** (1. c. S. 105). Sie ist das, was den Dingcharakter
ausmacht (1. c. S. 120). H. Corneliits bemerkt: „Wenn wir . . . ron eifier
Zusammensetxung unseres gesamten Bewußtseinsinhaltes aus Teilen und ton
einheitlichen Teilen im Oegensatxe xu den daraus gebildeten Mehrheiten
sprechen, so führt uns daxu die BhrfaJirung, daß wir eben diese Teile nicht immer
bloß in der betreffenden Zusammenstellu/ng, nicht bloß als Glieder gerade dieser
Mehrfteit, sondern auch abgesondert bex. in aii derer Umgebung ketifi&i
lernen" (Einl. in d. Philos. S. 173). Husserl erklärt: „Alles wahrhaft Einigende
. . . sind die Verhältnisse der Fundierung**, Einheit ist ein „kaiegoriale^ Prä-
dicat" (Log. Unt. II, 272 f.). Nach Volkelt ist die Einheit des Bewußtseins
unmittelbar gegeben, sie ist Product einer unbewußten Tätigkeit (PsychoL
Streitfr. II; Z. f. Phüos. Bd. 92, S. 80, 99 f.; vgl. Bd. 112 u. 118). Natobp
betrachtet die Bewußtseinseinheit als eine ursprüngliche Tatsache (EinL in d.
PsychoL S. 11 ff., 112). So auch Rehmke; das Bewußtsein selbst ist Einheits-
grund (Allg. Psychol. S. 152 ff., 452 ff.). So auch L. Busse, nach welchem
Einheit. 243
8ie kein Analogon im physischen Organismus hat (Geist u. Körp. S. 226; gegen
HÖFFDING, PsychoL', S. 62). „Die Einheit des Bewußtseins bedeutet nieJit eine
besondere Vorstellung, die xu den a/nderen Vorstellungen gelegentlich noch hinxu-
träie^ sie. bedeutet ebensowenig eine Su/mmation der einzelnen, mit der Eigen-
tümliehkeit der Bewußtheit ausgestatteten ,Psyehonfe' oder fPsychosen^ sondern
.ne stellt eine dieselben xusammenfassende und sie in Bexiehung xueinander
setxende formale und allgemeine Eigentümlichkeit edles Betcußtseins überhaupt
dar}^ „ Und für diese Gnindeigentümlichkeit des seelischen Lebens inangelt es . . .
an einem physiscfien Änalogon" (G. u. K. S. 226). Nach HÖFFDING ist die
Einheit des Bewußtseins ein Product synthetischer Tätigkeit in der Vielheit
der Zustände (Psychol. S. 64). AhnKch Ardigö (UnitÄ della conscienza 1898),
G. Villa (Einl. in d. Psychol. S. 469). Nach G. Spicker setzt die Einheit
des Bewußtseins die reale Einheit des Organismus voraus (Vers. e. n. Gottesbegr.
^^. 165). Nach Simmel ist die Einheit der Seele „offenbar nur der Name für
das etnpirisch normale Zusammenbestehen ihrer Inhalte^^ (Einl. in d. Moralwiss.
n, 370). Nach Cufpord ist die „Einheit der Äpperception" „nicht in dem
mufenblicklichen, einigenden Beipußtsein vorhanden^ sondern in seiner nachträg-
lichen Beflexion auf dnsselhe"; dieses besteht in der Fähigkeit, „einen getcissen
Zusammenhang zidschen den Erinnerungen xweier Empfindungen herzustellen,
dk wir in dernselbeti Augenblick gehabt haben** (Von d. Nat. d. Dinge an sich
S. 38 f.). E. Mach meint: „daß die nerschiedetien Organe, Teile des Nerven-
fystetns, miteinander physisch xusammenhängen und durcheinander leicht
erregt werdefi können, ist wahr scheint ich die Grundlage der ,psychischen* Ein-
heit** (Anal. d. Empfind.*, S. 21, 22 f.). Nach der Associationspsychologie
ts. d.) ist die Bewußtseinseinheit das Product der Verbindimg und Wechsel-
wirkung der Bewußtseinsinhalte, bezw. der Oganismus-Teile imd -Functionen.
Bezüglich der kosmologisch-götüichen Einheit, des Einheitsprincips der
Dinge ist die pantheistische (s. d.), theistische (s. d.), atheistische (s. d.) Auf-
fassung zu unterscheiden.
Als eine Einheit betrachtet das All Parmenides {ev xai nav, s. Pantheismus).
Pythagoras sieht in der Einheit (jiovdg) das Princip der Ding<i und deren
Wesenheiten (der „2jahlen** , s. d.) : a^x^^ f^^ aTtdvrcav uovdSa (Diog. L.
VIII, 25; Stob. Ecl. I, 2, 58; vgl. I, 308). Plato nennt die „Ideen** (s. d.)
Einheiten {uordSss, et^dSeg); die höchste Einheit ist die Idee des Guten (s. d.).
ilODERATUS erblickt in der Eins die Ursache der Harmonie der Dinge (Porphyr.,
Vit. Pythag. 48 ff.; Stob. Ecl. I 1, 18; vgl. 306). Plotin bezeichnet die über-
seiende, übergeistige {inixeiva vov), übervemünftige göttliche Wesenheit, aus
der alles emaniert, als das Eine {^v). Es ist nicht das All selbst, sondern nqo
^idvtan' (Ennead. III, 8, 8), aber es enthält alles (1. c. VI, 7, 32). Von ihm
peht alles aus, und es ist das Ziel aller Dinge (1. c. VI, 2, 11; vgl. VI, 2, 21 f.;
!*. Grott). Jambuch ninmit eine erste und zweite überseiende Einheit an
iJ^toh EcL I, 184; vgl. Zeller III 2», 688, 793 ff.).
XicoLAiJS CusAN^us nennt Gott (s. d.) die „unitas. absoluta*^ (Doct. ignor.
II, 4); so auch G. Bruno. Nach ihm und nach Spinoza ist das All eine
Einheit göttlicher Art. Schelling erklärt: „Alles ist absolut eines, und alle
Totalität quillt unmittelbar aus der absoluten Identität fiervor*' (Naturphilos.
S. 276). Nach Schopenhauer liegt allem Sein ein einheitlicher Wille (s. d.)
zugrunde. Nach K. Hamerling ist die ewige Einheit eins imd vieles zu-
16*
244 Eiiüieit — 'Bintiiilmig.
^eich (Atom. d. WilL I, 145). VgL Gott, Hoiaden« Individuum, Monaden,
:5ubstanz. Identität, Ich, SeLbstbewufltsein.
EfnlieitlieULelt: der Cluirakter der Einheit «s. d.i.
Ciiniieltefoiirtioii s. Einheit.
EfnlieitepBiilLt s. Ich.
Eiiior«bi«iis*^lliearie s. UrteiL
Einsieht s Wissen um das Richtige, Verständnis, Beurteilungsvennögen
theoretLsch-praktütcher Art, Yon den Stoikern u. a. als Quelle alier Tugenden
(S. d.) betrachtet. Sie ist imanjut; aya&ior xai xaxdiv xai oiSfT^afr oder
iTficrr^uTj lov Ttotr^toi' xai ov 7ioir;riov xal oideri^opv (Stob. EcL II, 1<J2;
Sext. Erapir. adv. Mathem. XI, 170, 246).
EUnsteUBüff ist eine y^Prädisposition sensarisrher oder moioriaeker Centren
für Hfie bestimmte Erreguttg oder einen beständigen Impul^" (KÜLPE, Gr. d.
Psycho!. S. 44). Sie besteht in einer Tendenz der Seele, j^das besonders häufig
Oeleistete in die Vericirklichnng abtceichetider Anforderungen ^ die tm sie gesteUi
werden, hineimidragen''^ , ist eine Ubungserscheinung (Ebbinghaus, Gr. d.
PsjchoL I, S. 681 1). Es gibt eine sensorische, gedankliche, motorische Ein-
stellung (L c. S. 682 j. Der Ausdruck „Einstellung' in diesem Sinne zuefst bei
G. E. MüLLEB und F. Schumaiw (Pflügers Arch. Bd. 45, S. 37).
E:iiistell«Bg«inettHMleii s. Methoden.
KlwiwtfJmnitylrtffcil, Satz der: logisches Gesetz, welches fordert, von
jf.tlem B('<^ffe nur das ihm wirklich Zukommende auszusagen.
üünailmitiMMiy des Lebens mit der Natur (ouoßjoyovfUvoH tjjv rf^ fvctt.
Stob. Ecl. II, 132) ist die Maxime des Handelns bei den Stoikern, auch bei
Rousseau, Tolstoi u. a. Vgl. Tugend.
EiiliteilBiiif, logische (Division, divisio, Siai^eca) ist die Gliederung
eines Begriffes in seine Artbegriffe oder die Au&ahlung der Arten, welche zu-
sammen den Umfang eines Begriffes ausmachen. Zu jeder Einteilung gehören:
1) das Einzuteilende („totum divisum'^), 2) der Einteiltmgsgrund, das Princip,
wonach die Division erfolgt („fundamentum ^ prificipium divisionis^^J , 3) die
Einteilungsglieder („membra divi^iofiis"). Es sind zu unterscheiden die Haupt-
einteilung, die Xebeneinteilungen, Untereinteilungen (j^ubdivisiones^*^). Nach
der Zahl der Einteilimgsglieder gibt es Dichotomien (s. d.), Trichotomien,
Tetratomien, Poly tomien. Eine richtige Einteilung m\x& sein : 1) adäquat, d. h.
weder zu weit noch zu eng; 2) muß der Einteilungsgrund consequent beibehalten
werden; 3) die Glieder der Einteilung müssen einander ausschliefien ; 4) die
Classification oder vollständige Einteilung muß stetig sein.
Auf die richtige, umfassend durchgeführte Einteilung der Begriffe in Arten
und Unterarten legt Plato Gewicht (Phileb. 16 C; Polit. 262 B, 254 A; Soph.
253 D). Bei Aristoteles bedeutet diai^eats sowohl die Einteilung als auch
die Trennung, Verneinung (Anal. pr. I 31, 46 a 31; Met. III 5, 1002 a 19).
Eine Definition der Einteilimg findet sich bei den Stoikern (Siai^tris 8s icri
ytvovg T} eig rd Ttooaexij ei3ri TOfiij, Diog. L. VII 1, 61). ThOMAB unterscheidet
„dii^isio essentiae^*, „d. formalis'% ,//. per «<?", „d. seoundum naturam^', ,//. *p-
cundum raiionem^^ „d. seeundum quid^% „rf. simplicüer^^ „Onints dtpisto debet
esse per opposita'' (Sum. th. I, II, 35, 8, ob. 3). Die Logik von Port-Koyal
i
Einteilimg — Ekstase. 245
definiert die Division als „iotitts in omnia quae eonttnet distrihtitio^^ (II, 11).
Nach TiAMBKRT ist sie ,^tc Bestimmung der Arten einer Qattung^'^ (N. Organ.
§ 80). Kakt erklärt : „Die Bestimmung eines Begriffs in AnseJtung edles Mög-
Urhen, was tmter ihm enthalten ist, heißt die logische Einteilung des Begriffs"
(Log. S. 225). Fries: y^Die EifUeilung eines Begriffes teilt die Sphäre eines
Qesehleehtsbegriffes xwisehen verschiedenen Artbegriffen" (Syst. d. Log. S. 287).
,fkde Einteilung wird in eitietn vollständigen disfunctivefi Urteil ausgesprochen,
dessen Subfeet der einxjuteüende Begriff, dessen Trennungsstücke die Artunter-
ädfiede jeder Art sind" (L c. S. 288). Nach Überweg ist die Einteilung
„die vollständige und geordnete Angabe der Teile des Umfangs eines Begriffs
oder die Zerlegung der Gattung in ihre Arten" (Log.*, § 63). Nach WüNDT ist
rie die „Gliederung eines Begriffs, durch icelche derselbe in eitie Anzahl eo-
ordinierter, additiv miteinander verbundener Teile xerlegt ttird" (Log. II, 40).
Eänaeldlni^ s. Ding, Individuum.
EStnsellirtelle sind Urteile, deren Subject ein einzelner, ein Individual-
begriff ist Nach Kajtt sind die Geschmacksurteile bezüglich der Quantität
18. d.) einzelne Urteile (Krit. d. Urteilskr. § 8).
EiiiBelwteseiiBebafleii s. Wissenschaft
lyect» C^eetiT, I^eetlTatlons Ausdrücke für die (nach Analogie
des eigenen Ich gefolgerte) Existenz von psychischen Zuständen anderer Wesen
(K. CT.IFFORD, K0MANE8, Geist. Entwickl. d. Mensch. S. 198, 206). Nach
Clifford führt der Schluß auf fremde Empfindungen aus unserem Bewußtsein
heraus zu selbständigen Existenzen. Diese sind „Ejecte" „als Dinge, die aiis
meinem Bewußtsein transprojiciert iterden, xum Unterschiede von den Objerten
als Dingen, die in meinem Betcußtsein als Erscheinungen auftreten" (Von d.
Xat. d. Dinge an sich S. 28). Die allgemeinen (socialen) Objecte (s. d.) sind
Symbole von Ejecten, fremden Bewußtseinen (L c. S. 29 f., 35).
CSkelempflndoiifi^ (Ekelgefühl) ist „wahrscheinlich eine Muskelempfindufig,
deren Ausbreitung und Verlauf durcJi die antiperistaltischen Beweg^aigen der
Seklingmuskeln, des Oesophagus und Magens bestimmt wird" (Wundt, Grdz. d.
physioL PsychoL I«, 412; ähnlich Külpe, Gr. d. Psychol. S. 102).
Eklelctifstainas {ixUyew, auswählen) ist jenes philosophische Verfahren,
das (bewußt oder imbewußt) das in verschiedenen Systemen als gut Befimdene
zu einer Lehre verarbeitet. Es gibt einen Eklekticismus im guten Sinne, der
die Selbständigkeit des Denkens nicht ausschließt, und den „Synkretismus"
',ä. d.). Eklektischen Charakter haben besonders die Theoreme von Cicero imd
anderen römischen Philosophen, von Scholastikern, von Leibniz („Eo semper
animo fui, nt ?nallem reeepta amendari quam everti", Gerh. II, Ep. ad des
Bosses), Chr. Wolf, von den Popularphilosophen, von V. Cousin, von
E. V. Hartmann u. a.
CSkpyroslfft (ixnvocjüii) ist nach Heraklit (Diog. L. IX, 8) imd den
Stoikern (Stob. Ecl. I, ii04) der nach bestinmiten Perioden immer wieder
^entstehende Weltbrand, in dem alles zur Einheit des Seins vereinigt wird, die
dann neu sich differenziert.
{^xütaaig): Außer-sich-sein, Verzückung, Entrückung der Seele
von den Eindrücken der Sinne, Steigerung des Bewußtseins über alles Normale
246 Ekstaae — Eleaten.
hinaus zur erregten, phantasievollen, gefühlsmäßigen Erfassung geistiger In-
halte in einer lebendigen Vision. Die Zustande der Elkstase sind ron hoher
psychologischer, socialer, religiöser, ethischer, ästhetischer Bedeutung (vgl.
ACHEUS, Die Ekstase 8. 24 ff., 113 ff., 184 ff., 196 ff., 208 ff.).
In der mystischen Philosophie spielt die Elkstase als derjenige Zustand,
in den die Seele durch Übung (Askese) und Reinigung (Katharsis) von allen
B^erden, durch beständige Concentration der Aufmerksamkeit auf die Inhalt!^
der productiven Phantasie gerät, als (vermeintliche) unmittelbare Erfassung des
Göttlichen, eine große Rolle. Die Keime zur Lehre von der Ekstase in diesen
Sinne finden sich schon bei Plato und Aristoteles (vgl Problem. 3«), 1;
die künstlerische Ekstase, Begeisterung, ist besonnen, gehört zur künstlerischen
Phantasie; vgl. Poet. 17, 2). Aber erst bei Philo, und noch viel mehr bei
Plotik ist sie ausgebildet. Nach letzterem ist die Ekstase ein Zustand, der
durch xa&a^aig und aaxrjatg zuweilen erreicht werden kann, ein Zustand des
Ruhens in Gott, der immittelbar erfaßt wird {ankwaig^ a^, Enn. VI, 9, 11).
Im Innern, bei sich weilend, versunken im reinen Schauen, weiß die Seele
nichts von sich, da sie nicht denkt, sondern sie ist eins mit dem Göttlichen
(Enn. VI, 9, 7; VI, 9, 11; VI, 7, 25). Die späteren Mystiker sprechen wieder-
holt von der Ekstase („ecffiastSy rapttis mentis^^J, So Richard von St. Victor:
jyCum per meniis excesaum stipra sive intra nosmet ipsos in divinorum eoniem-
plafionem rapiniur, exteriorem omnitim statim^ inntio fU>H solum eontm, quac extra
noSj verum etiam earutn, qtiae in nolns sunt, omnium obliriseititr'^ (De cont.
IV, 23). Nach Bernhard von Clairvaux ist sie „prima et maxima contet»-
platio'' (De cons. V, 14, 42). Bona Ventura definiert die Ekstase: „Ecstaaü
est, dcserto exteriore homitie, sui ipsius stipra se voluptuosa quaedam eletatio,
ad superintellectualeni amoris fontem, mediantitms stirsum actiris virtutibus pro
v^irihus se extendens^^ (De sept. gradib. cont. p. 97 a). JOH. Gerson: „Eestasüt
est raptus meniis cum ee^satiane amniwfi operaiimutw in inferioribus potentiis*'
(De myst. theol. spec. cons. 36). Den Zustand der Ekstase kennen und schildern
Nicolaus Cüsanus, Eckhart, Suso, Tauler, J. Böhme, L. Vives (De an.
III, p. 173), G. Bruno, auch Schleiermacher: „So off ich aber ins innere
Seihst den Blick xuriichcende, bin ich xugleich im Reich der Eicigkeif; ich
schaue des Geistes Ij€t}en an.^^ „Es schlecht schon jetxt der Geist über der xeit-
liehen Welt, und solches Schauen ist Ewigkeit und unsterblicJter Gesänge himm-
lischer Genuß"' (MonoL 1). Vgl. Mantegazza, Die Ekstasen . . .
fiktliesls (^xd-eais): Heraushebmig eines Teiles aus dem Umfang de?
Mittelbegriffs (s. d.) und Einsetzung dieses Teiles für den Mittelbegriff selbst
(Aristoteles, Anal, prior. I, 6). Bei den Stoikern ist vom a^ioffta ix&ertxor
die Rede. Daraus wird bei den Scholastikern Aex „Syllogismus expositorius^\
„euius praemissae sunt singulares" (vgl. Rabus, Log. S. 82).
Oeatens die aus Elea stammenden bezw. dort lehrenden Philosophen
des Altertums (Xenophanes, Parmenides, Zeno, Melissüs), welche die Ein-
heit sowie die seiende, an sich unveränderliche Natur des Alls, die Phäno-
menalität der sinnlich wahrnehmbaren Welt betonen. Sie haben zum erstenmal
den Begriff des Seins als solchen zur Grundlage des Philosophierens gemacht.
Eleatismus heißt die Lehre der Eleaten, aber auch die Verwertung des Be-
griffs des unveränderlichen Seins bei Plato, den Megarikern, bei Spinoza,
Herbart u. a. Vgl. Sein, Pantheismus.
Elektara — Elemente. 247
Elektra (ähnlich „</«• Verhüllte", iyxsxalvfifiivos): Name eines Trug-
schlusses der megarischen Philosophen. „Elektra kennt Orestes als ihren
Brwier; den vor ihr stellenden Orestes, der sich verhüllt haf^ kennt si^ nicht als
ihren Brtider: also kennt sie xugleich nickt, tcas sie kennt^^ (Uberweg-Heinze,
Gr. d. Gesch. d. Philos. I», S. 138). Vgl. Enkekalymmenos.
Elementarfonnel s. Webersches Gesetz.
Elementiiri^edankeii nennt Ad. Bastian die allen Völkern gemein-
samen, aus gleichartiger Organisation entspringenden Ideen über Gott, Seele
u. dgL (z. B. des Aniniismus, s. d.). Schon Vico bemerkt: „öleichfömiige Ideen
bti yatnen Milkern, die untereinander sich nicfU bekannt sifid, müssefi ein
gemeinsf haftliches Motiv des Waliren haben" (Princip. 1844, S. 114, vgl. S. 51).
Elementarg^ffilile) ästhetische, s. Ästhetisch.
Elementarlelire s. Logik.
EHemente heißen die qualitativ nicht weiter zerlegbaren, einfachen Be-
«tuidteile von Körpern oder Bewußtseinsinhalten (von Vorstellungen, Begi'iffen,
Willensactenj, im engeren Sinne die Grundstoffe der Welt. Die Elemente,
welche die Chemie z^üt, sind vielleicht Modificationen eines Urelementes.
Die Elementen-Lehre ist zuerst philosophisch-speculativ, später erhält sie
einen naturwissenschaftlich-empirischen Charakter. Nach der Lehre des Inders
Kanada gibt es vier Elemente: Erde, Wasser, Luft, Licht. Tuales sieht im
Wasser, ANAXIMENE8 in der Luft das Element (Aristoteles, Met I 3, 984 a).
Die Pythagoreer nehmen fünf Elemente an (Diog. L. VIII, 2.')), die sie zu-
gleich als geometrische Formen bestimmen: Feuer fTetraeder), Erde (Kubus),
Luft (Oktaeder), Wasser (Ikosaeder), dazu noch den Äther (Dodekaeder) (Stob.
EcL I, 10, 26; Plut., Plac. II, Dox. 334). Herakut betrachtet als Elemente
die drei Aggr^atzustände Feuer, Wasser, Erde; vielleicht nahm er vier Ele-
mente an (vgl. DiELS, Elementum 1899, S. 15, 21). Nach Parmenides gibt
68 [xftrd Bo^ar) zwei Elemente («(>/«*): nv^ (Feuer) und y^ (Erde) (Theophr.,
Phys. opin. fr. 6, Dox. 482 ; Arist., De gener. et corr. II 2, 330 b 14). Empedokles
gilt als der eigentliche Begründer der Lehre von den vier Elementen (Wurzebi,
^i^ni): Feuriges, Luftförmiges, Feuchtes, Erdiges (TSTtaga fiir Uysi aroix^Tay
:tv^ aiga vSof^ yijv, Plut. Plac. I, 3, 2, Dox. 280, Diog. L. VIII, 2, 76 ; raaaaQa
r»v TZfitTOftf ^i^ojfiara Ti^dhov dxove' Zsvs a^y^i*'H^Tj rs q>BQdaßiOQ ijb^ ^ACSmvBv^
!^crie d^ ^ dnx^vots rayyai x^ovvcaua veixog, Stob. Ecl. I, 10, 286, 288). Die
Elemente sind das Beharrende in aller Verändenmg (s. d.), die nur in Mischung
und Entmischung der Elemente besteht. Anaxagoras betrachtet als Elemente
die Homöomerien (s. d.), Demokrit die Atome (s. d.). Plato führt den
Xamen aroc/eTot/ ein (Diog. L. III, 19), nimmt die vier bekannten Elemente
an, betrachtet sie aber geometrisch als regelmäßige Körper (iTtiTteSa), die aus
klonen rechtwinkligen Dreiecken bestehen (Tim. 53 C). So kann ein Element
in ein anderes sich umwandeln, mit Ausnahme des Erdigen (Tim. 54 F.).
Aristoteles definiert das Element: aroixelov Idytiai iS ov avyxeirat tt^cotov
iwna^X^vTOi, aSiatQiTov rt^ aiSai aig ixagov al8oe, olov y>{07'^s orot^ala i^ tor
ciyxuTat ri y^ofvrj xal eis S Biai^eirai ^cxaTa, ixeivn $i firjxer' eii aXkns tptoväs
eiegae r^ atSai avrdiv (Met. V 3, 1014 a 26 squ.). Element ist femer das
Kleine, Einfache, Unteilbare {ßto xal r6 fiixQov xal anXovv xal ddiai^arov axoi-
Xaiov ?Jyerat, Met. V 3, 1014 b 5). Es gibt einfache Bewegungen, daher auch
248 Blemente.
einfache Körper, Elemente (eufi yaQ xai xivjjasis aTtXal' aicre S^Xov xai ox.
toTi cToixsia xai 8id xi iariv, De coel. III 3, 302 b 9). Ee gibt fünf Element«.
Die ersten vier bestehen aus Gegensätzen (ivamtüceig): das Feuer aus dem
Wannen und Trockenen, die Luft aus dem Warmen und Feuchten, das Waaer
ans dem Kalten imd Feuchten, die Erde aus dem Kalten und Trockenen (De
gener. et corr. II 2, 330 b 2 — 5). Feuer und Luft bewegen sich nach der Peri-
pherie, Erde und Wasser nach dem Centrum hin (1. c. 330b 32). Das fünfte
(bezw. ytcrste*^) Element, der Äther (s. d.) ist einfacher Natur. Strato nimmt
als Elemente das Warme und Kalte an (Stob. Ecl. I, 10, 298). Die Stoiker
halten an der Vierzahl der Elemente fest (Diog. L. VII, 1, 136; Stob. Ecl. 1,
10, 314) und unterscheiden diese von den „Principien" (s. d.): Jiaipi^Biv 8i
faüiv a^X^^ ^^^ (JTOix^la' ras fiev ydp elvai dyenjrovg xcU d^d'a^oxf^, rä 3e
aro^x^la xazd xrjv ixnvQwatv ^d'ei^ead'ai' dXXd xai dirafßidrove slvai rdg dqx^*
xai dfi6^fovg, rd 8e /uefio^^aJad'ai (Diog. L. VII, 1, 134). Epikur niuunt vier
Elemente an (Plac. IV, 3, 11, Dox. 388). Urelemente sind die Atome (s. d.),
so auch nach Lucrez, der von ihnen als „denienta^^ spricht (De rer. nat).
Cicero erwähnt die „quattuor naitiras^^ (De nat. deor. I, 12).
Die Scholastiker recipieren die Aristotelische Elementenlehre. Die
K abhalft ninmit drei Elemente („Miiäet^^J an: Hauch, Wasser, Feuer. Vier
Elemente gibt es nach: Nicolaus Cusaijus (De coniect. II, 4), Bovillus^
welcher erklart: „Elementa sutit ingenitaf ntdlave generatiofie orta, omniwn
tarnen generatimium inifia^^ (De gener. 14, 7), ParaG£L8U8 (De nat. rer. 30, 1),
nach welchem sie aus „aal, mercttry atdphur^^ zusanunengesetzt sind, Patritius
(Wärme, Licht, Flüssiges, Baum, Labswitz, G. d. At. I, 314). Zwei Elemente
nehmen an: Telesiüs (Wärme imd Kälte), Campanella (Univ. phil. I, 9, 12;
Met. II, 5, 6), J. B. VAN Helmont (Wasser und Luft). Nach Cardanus gibt
es drei Elemente (Erde, Wasser, Luft); Element ist ,jdas;enige, tais kehier Xah-
rung bedarf, niciit sdbsf vergeht^ nicht unstet herumschtreift, sondern einen he-
stimmten Plaix behauptet ^ seiner Natur getnäß eijie große Masse besitxt und \ur
Erzeugung geeignet w/" (De subtil. III, p. 44, bei Lasswitz, G. d. At, I, 309),
Nach GOCLEN ist „Elemetit*^ die „prima materin et forma, quae ax mdlis aliis
prioribus atit simpliciorihus constant". Er unterscheidet „eletnenta essendi et
eognitionis'^ (Lex. phil. p. 145). G. Bruno bestimmt das Element (,jntinimum'')
als „qtfod ita e^t pars, ut eins nulla sit pars, vel simplieiter, rd secundum
genus'^ (De min. I, 7). Seb. Basso nimmt fünf Elemente an (Wasser, Erde,
Luft, Phlegma, Caput mortuum, Lasswitz, G. d. Atom. I, 339 f.), Daniel
Hennert vier: „atomi igneae, aereae, aqueae, ferreae^^ (1. c. I, 443 f.). G. HoRN
erklärt: ,^Elementa sunt particuiae corporum minimae, ejr quorum eonfluxu
Corpora c&mpanuntur, effluxu et influxu operantur, diffluxu intereunt**^
(Area Mosis 1669, p. 4). P. J. Faber bemerkt: „Die Elenmita sind . . . ma-
irices und Gebär^Mütter aller Difvge. Denn in ihnen liegt der unirersaJ und
mamliche Geist aller Dinge verborgen^^ (Chym. Sehr. 1713, I, p. 305). Nach
C/HR. Wolf ist „Elet^ient*^ ein „principium internum corportim irresolubile in
alia, sire primvm'* (Cosmol. § 181), ein „atomus naturae" (ib.). Die Elemente
sind y,substantiae simplices^^ (1. c. § 182), „nmi sunt extensa, mala figura aique
magnitudine praedita, spatium nuUum Implenf' (1. c. § 184), „imlirisibilia*^
(1. c. § 185). BÜDIQER bestimmt als Elemente den Äther und die Luft
{„particula radians — btälula'^, Phys. divin. I, 3, sct. 6, 7). Herbart nennt
als Elemente: Erde, Caloricum, Electricum, Äther (Üb. d. allg. Verh. d. Natur
Elemente — Elemente des Be'wußtseixis. 24i>
1828, WW. Kehrb. VI, 435). Hilleb&and unterscheidet von den empirißchen,
relativen die wahren Elemente oder Substanzen (Phil. d. Geist. I, 44). Vgl.
Atom, Monade.
9,E2Ieineitte^^ nennt B. Ayekakius einfache Aussageinhalte, wie „grün'\
rrsüß"', „Ton a" (Krit. d. rein. Erf. I, 16; Viertelj. f. w. Philos. 18, S. 407).
„Elementeneomplexe" sind die „Dinge^^ der Erfahrung. E. Mach versteht unter
.fElefnenten" (Empfindungen, s. d.) die Bestandteile, aus denen sich sowohl die
Objeete (s. d.) als das Ich (s. d.) zusanmiensetzen.
Caemenle des Bewußteelns (psychische Elemente) erhält man
durch eine abstrahierende Analyse dessen, was im wirklichen Erleben eine Ein-
heit, ein ooncretes Ganzes bildet, aber Momente, Seiten, Teile aufweist, die sich
in der Betrachtung voneinander sondern lassen. Das Primäre ist das einheit-
liche Erlebnis, dajs sich in Elemente „obfecdver*^ (Empfindungen) und „subfecttrer^'
Art (Gefühle) auseinander legen läßt.
Die Associationspsychologie (s. d.) neigt zur atomistischen Auffassung
des Seelenlebens, das sie als aus selbständigen psychischen Elementen (Em-
pfindungen) ausbaut betrachtet. — H. Spencer sieht in den psychischen
Elementen (j/eelings") Teile des Bewußtseins, die für sich hervortreten, aber in
Beziehungen zuemander stehen (Psychol. I, § 60). Wundt bemerkt: „Z>a aile
pfyfkisehefi Erfahrungsinhalte von xMsammengesetxter Beschaffenheit sind, so
sind psychische Elemente' im Sinne absolut einfacher und unzerlegbarer
Bestundteile des psychiselien Geschehens die Erzeugnisse einer Analyse mtd Ab-
ftraetion, die nur dadurch möglich mrdy daß die Elefnente tatsächlich in weeh-
selnder Weise miteinander verbunden sind'^ (Gr. d. Psychol.*, S. 35; Syst,
d. Phüoe.*, S. 572; Vorles.«, S. 14; Ess. 8, S. 208 f.). „Der Tatsache, daß die
unmittdbare Erfahrung xwei Factoren enthält, einen objectiven Erfahrwigsinhalt
md das erfahrende Subjeei, entsprechen xwei Arten psychischer Eleynente^
die sich als Producte der psychologischen Analyse ergeben. Die Elemente des
(i^eetiven Erfahrungsinhaltes bexeichtien wir al^ Empfindung sei em etile oder
fckUchthin als Empfindungen . . . Die stibjectipen Elenietite bezeichnen wir
(Ut Gefühlselemente oder als einfache Gefühle}' (Gr. d. Psychol.*, S. 36).
J)a die wirklichen psychischen Erfahrungsinhalte stets aus mannigfachen Ver-
hindufigen von Empfindungs- und Gefühlselementen bestehen, so liegt der sjjeeifiscJie
Charakter der einzelnen psychischen Vorgänge zum größten Teile durchaus nicht
in der Beschaffenheit jener Elemente, sotulem in ihren Verbindungen xuzu-sammen-
gtsetxien psychischen Gebilden begründet^' (1. c. S. 36). „Specifische Be-
fcJtaffenheit und elementare Xatur psychischer Vorgänge si}id . . . völlig rer-
fchiedene Begriffe. Jedes psychische Element ist ein specifischer Erfahrungsinhalt ,^
aber nicht jeder specifische Inhalt ist zugleich ein psychisches Element^' (1. c.
«S. 37). AUen Elementen kommen zwei ,,Bestimmungssfücke*' zu: Qualität und
Intensität (ib.). SüLLY rechnet zu den „primitire psychical elemenfs^' die Em-
pfindungen, die einfachen Gefühle und die reflectorischen und Instinct-Hand-
hmgen (Hum. Mind I). Ebbinghaus ist nicht Anhänger der „aiotnisiischen''^
Psychologie, hält aber die Zerlegung des Bewußtseins in Elemente für not-
wendig (Gr. d. Psychol. I, 164). Külpe betont, die einfachen Seelen Vorgänge
seien nicht den Atomen der Physik vergleichbar. „Einfacher Beivußtseins-
inhalf^ ist ein solcher, der keine Verschiedenheit in qualitativer Hinsicht er-
kennen laßt. Die Zahl der qualitativ unterscheidbaren Bewußtseinselemente ist
250 Elemente des Bewußtseins — Emanation.
sehr groß (Gr. d. PsychoL S. 20). Wir erhalten sie durch Analyse und Ab-
straction (1. c. S. 22). Gegner der yjatomistischen^^ Psychologie (s. d.) ist
H. Cornelius. Nach ihm ist das unmittelbar Gegebene nicht eine Summe
psychischer Elemente, sondern die einheitliche, zusammenhängende Erfahrung,
innerhalb welcher wir, auf dem Wege der Abstraction, Elemente unterscheiden
(Eüil. in d. Philos. S. 206). Vgl. Impression.
Oenelms (i'leyxoi, refutatio): Widerlegung, Gegenbeweis (Aristoteles,
Anal, prior. II 20, 66 b 11). 'Elayxoi aofiaTixai: sophistische Trugschlüsse
(s. d.). „Ignorafio elenchi^^ (nyvota SXeyx^^) ist das Übersehen des eigentiioh
zu Beweisenden, die Unkenntnis des Widerspruchs zwischen zwei Behauptimgen
(De soph. elench. 6, 168 a 18; vgl. Logik von Port -Royal III, 19).
Elimliiatloii aller nicht dem Erfahnmgsinhalt angehörenden ,jZuiatm^'
des Denkens, z. B. des Causal-, Substanzbegriffes (s. d.), fordern Positivisten,
wie E. Mach, auch R. Avenariüs u. a., auch Nietzsche. Nach H. Cob-
NELius besteht das Endziel des consequenten Klarheitsstrebens „in der Eli-
mination aller dogmatischen Bestandteile unseres Denkens und in der rein em-
pirischen Erkläning der Tatsachen" (Einl. in d. Philos. S. 44).
Eüiselie Schule {7)hnxrj): die philosophische Richtung des Bokratikers
Phädon, dessen Schüler Menedemus, der eine der megarischen ähnliche
Tugendlehre aufstellte.
E2manatlo|i (Ausfluss) : Hervorgehen des Niederen, Unvollkommenen aiis
dem Höheren, Vollkonmieneren, wobei das Urprincip selbst, aus dem alles sich
herausentwickelt, beharrlich-imveranderlich, eine Einheit bleibt. Die Emanation
ist das Gegenstück zur Evolution (s. d.). Die Lehre von der Emanation der
Dinge aus der göttlichen Einheit heißt Emanationssystem oder Emana-
tismus.
Xenokrates betrachtet das höchste Sein als das Eine und Gute, von dem
alles Geringere abstammt (Aristoteles, Met. XIV 4, 1091b 16), wie schon
die Pythagoreer die Zahlen (s. d.), Plato die Ideen (s. d.) auf eine höchste
Einheit zurückführen. Die Stoiker nennen die Seele (s. d.), Plutarch die
W^elt einen „Ausfluß" {anoanncfia) der Gottheit. Auch bei Philo sind Keime
zum Emanatismus entJialten, dieser aber kommt erst bei Plotin zur Ausbildimg.
Aus dem Einen, Uberseienden, Vollkommenen, in sich Verbleibenden geht
durch Emanation, durch Hervorstrahlung {ne^ikafAxpis) die Welt hervor (ßtl U
Xaßtlv ^xelvo, ovx ixQiovaav^ dXXd fiirovoav fiev Ttjv iv avrtp r^v Si d/iXr-r
vfiarnuevr^Vf Emi, V, 1, 3). Das pjine ist zu denken wie die strahlende Sonne
(Enn. V, 16), deren Strahlen mit der Entfernung an Intensität abnehmen
(Enn. TI, 4, 10 squ.). Aus dem Vollkommenen findet ein „Überfließen"^
{v7i6(fQorj) statt, durch Überfülle desselben (to vneonXrj^ei avrav ntnoifficev «JüU,
Enn. V, 2, 1; vgl. III, 8, 10). Aus dem Einen {iv) emaniert der Geist (r<nV»,
aus diesem die Ideenwelt {xoafiog voriros), aus dieser die Weltseele (yfvxfjv ytwä
roxi) und damit die Einzelseelen, die aus sich die Körperwelt herausbildeji.
Die Materie (s. d.) ist das Geringst« in den Producten der Emanation, denn
von oben nach unten nehmen die Kräfte ab (Enn. VI, 7, 9). Die Kräfte, die
vom Einen ausgehen, erfüllen das AU, imd doch bleibt das Eine bei sich
(Ejin. VI, 4, 3). Nach Jamblich geht aus dem Urgründe (aQxn) das Eine {hl
AUS diesem die intelligible W^elt {xofffwg vorjros), aus dieser die intellectueUe
Welt (xoofiog vosQOi) mit dem Geiste (vovs), aus diesem die Seele, aus dieser
Emanation — ISmpflndliohkeit. 251
die Sinnenwelt hervor. Nach Proklus ist die Beihe der Emanationen: ür-
gnmd, Henaden (s. d.), Triaden (intelligible, intelligibel-intellectuelle, intellectuelle
Wdt). Hebdomaden, Seele, Materie.
Die neuplatonische Emanationfilehre tritt in verschiedener Form bei den
Gnostikern (s. d.), bei Dionysiüs Areopagita, Scotus Eriugena auf.
Xach diesem geht aus der ungeschaffen-schaffenden Natur (s. d.) die geschaffen -
schaffende Ideenwelt (Logos), aus dieser die geschaffen-nichtschaffende Welt
der endlichen Wesen hervor. Auf diesem Wege (processio, s. d.) bleibt die
Welt in Gott, Gott mit seinem Wirken in der Welt. „ISam et creatura in Deo
est subsisfens, et Deus in creatura mdrabili et ineffabüi modo creatur, se ipsum
manifestans" (De div. nat. III, 17). Die Welt ist eine Selbstoffenbarung Gottes
(Theophanie, s. d.). Emanation sichre ist auch der arabische Sufismus. —
L'nter ,^7nanaiio^^ versteht Nicolaus Cusanüs die Entfaltung des göttlichen
Seins in der Welt. „Emanatio in divinis duplex est, una per modum fiaturae
et haec est generatio, alia per nwdmn voluntatis*^ (De doct. ignor. II, 27). „Per
fimpltcem ernanationem maantni contraeti a tnaacimo absoluto Universum prodiit
in e^e^" (L c. II, 4). Emanatistisch sind die Lehren der Mystiker, wie
Eckhart, J. Böhme u. a. Leibniz sieht in den Monaden (s. d.) „Fulyuraiionen^^
(fulgurations) Gottes; die Dinge fließen beständig aus der göttlichen Einheit
i^ffluwU^^ Erdm. p. 147 f.). Emanatistisch ist die spätere Philosophie Schelungs
(Einfluß J. Böhmes). Vgl. Einheit, Dialektik, Gott, Pantheismus.
dmlnenter: in überragender Weise, im höheren Sinne. Ein scho-
laBtischer Ausdruck, der die höhere Realität eines Princips bezeichnet.
..Eminenter est supra omnern mensuranij super omnes gradus, Deus . . . causa
ae prinetpium etninenter^^ (GocLEN, Lex. philos. p. 146). Als Steigerung des
.^ealiter*^ („actualiter^^) gebraucht das Wort Descartes, um auszudrücken, daß
in der Ursache noch mehr Realität, Seinsfülle als in der Wirkung enthalten sei.
jj^er eminenter in(ellig% cum causa perfeetius continet omnem reaUtatem effectns,
qmni effeeius ipse'^ (Spinoza, Renat. Cartes. pr. phil. I, ax. VIII). Chr. Wolf
erklart: „Per etninentiam esse didtur ensj quod praprie loquendo non est^ ubi
tarnen quid habet in se, quod vicem eins supplet, quod proprie eodem iribui
npugnaV' (Ontol. § aiö).
Eminenzen: geschichtliche Persönlichkeiten ersten Ranges, führende
Geister, schöpferische Individualitäten. Vgl. Individuum.
Emotion s Gemütsbewegung (s. d.). Die Emotionen („emotions^\ engl.)
umfassen höhere Gefühle, Affecte, Leidenschaften u. dgl. (vgl. Descartes,
Princ. philos. IV, 190; Hume (Of the Pass. I, sct. 1, p. 76); H. Spencer,
Pteyeh. I, § 66).
Empfindens 1) im älteren, weiteren Sinne = sich erregt fühlen, einen
ZuBtand bemerken; 2) im engeren Sinne = eine Empfindung (s. d.) haben.
Empfindüellkeit (Sensibilität, s. d.): 1) im älteren, weiteren Sinne =
eine Gemütsdisposition zur leichten, schnellen Err^barkeit, zum Arger, Zorn
IL dgL So ist nach Chr. Wolf „Empfindlichkeit^'^ „eine Neigung xu schnellem
Zom&' (Vem. Ged. I, § 487); 2) im neuen, engeren Sinne = die Feinheit des
Empfindens, ün Verhältnis ziu* Stärke des Reizes oder Reizunterschiedes. Die
Empfindlichkeit („E,^^J verhält sich umgekehrt wie die Reizgröße: je stärker
der Reiz ist, der zur Auslösung einer Empfindung nötig ist, desto geringer die
Empfindlichkeit, resp. die Unterschiedsempfindlichkeit („ U. E}^), Die Empfind-
252 Smpfindliehkeit — BmpflTidnug.
liehkeit wird gemessen durch den reciproken Wert der zn einer bestimmten
Empfindong (bezw. EmpfindongBÜndening) nötigen Änderung der Rdzintensitit
(vgl. WUKDT, Grdz. d phys. Psychol. I», 341 ff.). Xach Eülpe ist Empfind-
lichkeit ,4^. Fähigkeit, Empfindungen überhaupt xu erleben undmitxuieilen'^ (Gr. d.
Psychol. B. 35). ^^Sinnesempfindliehkeit^ ist die Empfindung in Bezug auf ein
ganzes Binnesgebiet, „Sensibilität^ die Empfindung in Bezug auf die einzelnoi
Empfindungen (ib.). Es gibt eine ,^nmittelbare'^ und eine ,ymittdbare^^ flmpfind-
lichkeit (und U. E. L c. B. 36). Von Einfluß auf die E. und U. £. ist die
Aufmerksamkeit, mit deren Größe jene wachsen (L c. 8. 39 f.), die Erwartung
und Gewöhnung (1. c. 8. 41 ff.). Zur Messung der £. und U. K dienen die
pHvchophysischen Maßmethoden (s. d.), die seit Fechner bestehen und aus-
gebildet werden.
EmpilndsaiiiliLett (Bentimentalität): leichte, zur Rührung, Gefühls-
(?rgüssen neigende Erregbarkeit des Gemüts, des Nervensystems; übertriebenes,
affectiertes Beagieren der (Jefühlsseite der Beele. „Sentimental" kommt bei
Lawrence Bteene vor (Sentimental joumey 1767, übers, von Bode 1768).
„Empfindsam" stammt von Lessd^g. Es kommt bei Adelung (Wörterbuch)
vor, femer bei J. H. Campe (Od. Empfindsamkeit und Empfindelei 1779),
Tetens (Philos. Vers. I, 53, 59). Kant erklärt Empfindsamkeit als „ein Ver-
mögen U7id eine Stärke, den Zustand sowohl der Lust als Unltist xuxula^^sen,
oder auch vom Öemüt abzuhalten". „Empfindelei^* dagegen ist „eine Schwäche,
durch Teilnehmung an dem Zustande anderer, die gleichsam auf dem Organ des
Empfindelnden nach Belieben spielen können, sieh auch tcider Willen afficierm
%u lassen" (Anthropol. II, § 60). Das Wort auch bei Schiller u. a.
Empfindan^ {aiad-rjaie, Tidd'og, sensio, sensatio; Sensation, impression,
feeling (engl.); Sensation (fr.): 1) im weiteren Sinne = unmittelbares Erleben,
Fühlen, Gewahrwerden; 2) im engeren, wissenschaftlichen Sinne = das durch
psychologische Analyse zu gewinnende Element der Vorstellung, ein qualitativ
einfacher Inhalt (Zustand) des Bewußtseins, der auf der Erregimg des Organis-
mus (des Nervensystems) durch (äußere oder innere, peripherische oder centrale)
„Reixe" (s. d.) beruht. Die Empfindungen sind Keactionen des lebenden Or-
ganismus auf die Einwirkungen der Außenwelt, zugleich Zeichen (Symbole) für
die Beschaffenheiten der „Dinge an sich", die sie zwar nicht „abbilden", wohl
aber in subjectiver Form „darstellen", „vertreten". Im concreten Erleben kommt
die isolierte Empfindung nicht vor, stets bildet sie einen Teil von Empfindungs-
complexen, von Wahrnehmungen (s. d.). Die Bestimmungen jeder Empfindung
Kind Qualität (s. d.) und Intensität (s. d.), im weiteren Sinne auch der „(?«-
ffUilsfon*^ (8. d.). Die „Extensität" (s. d.) ergibt sich erst aus dem Zusammen
von Empfindungen. Das „Empfindcfi" ist das Statthaben, Auftreten, Präsentsein,
Actuellsein eines Inhaltes (Farben, Ton etc.) Es sind organische (Gemein- 1 und
Sinneaempfindungen zu unterscheiden.
Die Trennung des „Empfindens" vom „FiUden", der „Empfindung" vom
(Tcfühle der Lust und Unlust erfolgt erst bei Tetens und Kant (s. unten).
In der antiken Philosophie besteht noch keine scharfe Unterscheidung
zwischen Empfindung und (Sinnes-) Wahrnehmung (s. d.).
Nach AuQUSTiNi'8 ist die Empfindung ,passio corporis per se ipsam noH
latcns animam" (De quant. an. 20). In der Empfindimg ist die Seele selbst
tätig (Mus. VI, 5). Die Scholastiker verarbeiten die Aristotelische Theorie
von der „Formung" der Seele im Empfinden durch die Objecte zur (der Demo-
Empfindung. 253
kritischen j^i'8ot?M^*'Thßone ähnlichen) Lehre von den ,j8pecies sensünM^ (s. d.).
Wilhelm von Ck>NCHE8 definiert die Empfindung als ^^animaii eorparis appli-
caiione exieriorum non levis mtUatio^^ (bei SiEBECK, Gresch. d. Psychol. I 2,
432). Nach Wilhelm von Ogcam sind die Empfindungen jjsubieetive in amma
sensit ira mediate vel immediaie^^ (Quodl. 2, 10). Bei mittelalterlichen Mysti-
kern findet sich die Auffassung der Empfindung als „confuaa coneeptio*^. Die
Lehre von den .^speeies** tritt bei Scalioeb (Exerc. 298, sct 15), Suabez u. a.
auf (vgl. GoCLEN, Lex. phil. p. 1023).
NicOLAüS CüSANUS bemerkt: „Äscefidii . . . sensibile per Organa corporcUia
wq94e ad ipsam rationetn, quae tenuissimo et spirittuilissimo spiritu cerebro
adkatreP^ (De coniect. II, 16). Casmann erklärt: „Ui sensio fiat cum facultate
tria co7icummt: 1} sensile sen causa morens sensum, 2) Organum recipiens seu
patiens, in quod suinectum movens agit, 3) affectio . . . qiioe fit in organo a
faeuitate rem sensihilem in illud agentem apprehendente*^ (Psychol. p. 289).
Campakella sieht in der Empfindung einen seelischen Zustand („senHre est
pati*'/, welcher aus dem Zusammenwirken des Subjects und Objects entspringt
(Univ. phiL I, 4, 2). y.Sefisus . . . videlur esse passio, per quam scimus, quod
etU quod agit in nos, quonia^n similem entitatetn in nobis fadt^' (1. c. I, 4, 1).
Die Empfindung ist als psychischer Act nicht selbst „passio"j sondern yyper-
ceptio'' der Affection (L c. I, 51; VI, 8, 1, 4). Telesius lehrt: „Superest . . .,
ut renim actionum aerisque impulsionum et propriarumpassiominipropriarumque
mmut4Uicnem ei propriorufm motumn perceptio sensus sit .... Propterea enim
iUas percipity quod ab Ulis paii se immutarique et commoveri percipit** (De rer.
nat. VII, 2). Nach L. ViVES ist die Empfindung (sensio) „cognitio animaey
per ejcternum corporis instrumentum" (De an. I, p. 14). „Oportet . . . sive
anatogütm sive proportionem esse aiiquam inter vim sentieniem et suum sensile*'
(1. c. p. 15).
DE8CABTE8 sieht in der Empfindung einen „vencorrenen Denkaet^^ Uj^^on-
fusus eogitandi modus"^ Medit VI), dessen Inhalt dem Objecte nicht gleicht
(L c. III u. VI). Die Seele empfindet, indem sie vermittelst der „Lebetis-
geister^ und Nervenerregungen afficiert >Wrd. ,,Motus autem qui sie in cerebro
a nerris exeitantur, animarn, sive ffientem inti^ne cerebro coniunctam, diversimode
üffiriunt, prout ipsi sunt diversi. Atque ha>e diversae mentis affectiones, sive
eogitationes ex istis motibus immediate consequentes, sensuum pereeptiones, sive,
ut vulgo loquimuTf sensus appeUaniur^^ (Princ. philos. IV, 189). Die Seele em-
pfindet, insofern sie mit dem Gehirn geeint ist: „Probatur autem evidenter^
anitfu^m non quatenus est in singtäis membris, sed tantum quatenus est
in cerebro f ea quae eorpori aceidunt in singulis membris nervorum ope
»entire^' (h c. 196). Im Empfinden glauben wir die Objecte, die Ursachen
der Empfindungszustände, selbst zu erfassen (Pass. anim. I, 23). Nach
ä»iKozA empfindet der Organismus zugleich mit der Natur des Außenreizes
den eigenen Zustand. ,Jdea euiuscumque modiy quo corpus humanuni a corporis
^xtemis affioitur, involvere debet naturam corporis humani et simul naturam
corporis extemi** (Eth. II, prop. XVI). „Sequitur . . ., quod ideae, quas cor-
porum extemorum habemus, magis nostri corporis constitutionemy quam corporum
eitemorum naturam indicant^* (1. c. Corr. 2). Nach Geulincx enthalten unsere
Empfindungen eine Beziehung aufs Objective. „Perceptionem sensus soleamtus
referre ad res ext&mas, iamquam ifide provenientes , et plerumque cum existi-
nationCy quod eae res similiter affectae sint, similemque haheant modum aliquem,
]
254 Empfindung.
qwilein nobis ifigerant** (Etil. IV, p. 104). Nach Malebranche entstehen die
Empfindungen durch „images iniermedimres^^ (Rech. III, 2, 2). Es gibt „«en-
sations fortes et vives^* (douleur, chatouillement, grand froid), bei denen das
Gehirn durch die Lebensgeister (s. d.j stark err^t ist, y^sensaiiofis faibUs ä
fanguissantes^* (lumifere m^iocre, couleur), j^sefisatians moyennes^'^ (grande himi^re)
(1. c. I, 12).
Hobbeb bestimmt die Empfindimg als Bewegung der empfindenden Organe,
bezw. als Beaction imd Ergebnis des Organismus auf die von außen erlittene
Einwirkung. „*Scw^ est ab organi sensorii eofiaiu ad extra qui generatttr a
conatu ab obieeto versus ifUema, eoque aliquamdiu manente perreactiotiem faehm
pkafUtuma" (Elem. phiL 25, 2; Leviath. I, 1). Alle Erkenntnis führt auf die
Empfindimgen zurück. Nach Locke beruht die Empfindung (j^ensation^^) auf
der Empfänglichkeit der Seele für Eindrücke (Ess. II, eh. 1, § 24). Durch
Stoß und Druck der Körper auf die Sinnesorgane wird sie ausgelöst (L c eh.
8, § 11), indem die Körperteilchen dem Gehirne eine gewisse Bewegung zu-
führen (L c. § 12, 13). Die Empfindungen sind als solche seelische, subjecäye
Zustände, denen bestinunte Qualitäten (s. d.) und £[rafte in den Dingen ent-
sprechen (1. c. § 14). Hartley erklärt die Empfindung aus einer jyBerühnmg
der Nerven^^ wodurch in diesen eine Vibration hervorgerufen wird, die sich biß
in das Gehirn fortpflanzt (Observat. on man I). Hume rechnet die Empfin-
dung zu den unmittelbaren Eindrücken {„tmpressiafis"y s. d.), die der Geist v(H)
der Außenwelt empfängt. „Original impressiofis or impressions of sensatians
are stich as withoui any antecedent peroeption arise in the souI, from the
Constitution of the body, from the animal spirits, or from the applications of
objeeis to the extenml organs^^ (Of the Pass. sct. I, p. 175). Aus Empfindungai
bestehen (wie nach Berkeley) die Sinnesobjecte. Reid sieht in den Empfin-
dungen Zeichen für äußere, objective Vorgänge (Inquir. C. 2, sct. 9).
Die Passivität der Empfindung betont Condillac, der sensualistisch (s. d.)
das ganze Bewußtsein auf Empfindungen ziuückführt. Die Seele ist „^xmjfiV«
an moment qu'elle eprouve une Sensation j pareeque la cause qui la produit est
hors d'elle^* (Trait. d. sens. I, eh. 2, § 11). Die Seele selbst empfindet mittelst
der Sinne, j,c'est l'dme seule qui sent ä Voceasian des organes*^ (1. c. Extr. rais.).
Helvetius betrachtet das Empfinden als ein ursprüngliches Seelenvermögen
(De l'espr. I, eh. 1). Holbach bestimmt die Erapfuidimg als eine Cxehim-
erregung. „O seniiifient est une fa^n d'etre ou un changenieni marque produit
dans notre cerveau ä Vocca^ion dßs impulsiotui que nos organes recoirenf^
(Syst. de la nat. I, eh. 8, p. 107). „Touie Sensation n*est . . . qu^une seeousse
donnee ä nos organes" (1. c. p. 108). Robinet erklärt: „/xt Sensation^ dans ies
fibres sensitives y est Vimpression re^me des objets exterieur: dans l'äme, c'est ce
qu'elle sent par Vimpression faite sur l'organe" (De la nat. I, p. 280).
Nach Leibniz ist die Empfindung (sensio) eine venvorrene Vorstellung
(Monadol. 13 f., 25), ein innerer Zustand der Seele, dem ein objectives Ge-
schehen entspricht. „Le« ämes sentent ce qui se passe hors d'elles par et qui
sc passe en dies, repondant aux choses de dehürs" (Erdm. p. 733b). Die Em-
pfindung ist die Darstellung des Zusammengesetzten im Einfachen. So auch
Chr. Wolf (Psychol. rat § aS ; Vem. Ged. I, § 749). Die Empfindungen ent-
stehen durch „ideae materiales" (s. d.). „/>ie Gedanken, irelefie den Grund in
den Veränderungen an den Gliednuißen unseres Leibes hahcfi und roti den
körperlichen Dingen außer uns veranlaßt icerden, pflegen icir Empfindungen
Smpflndung. 255
wirf das Vermögen tu empfinden die Sinnen . . . . xu nennen^^ (Vern.
(t«1. I, § 220). „Empfinden^' setzt Wolf für y^percipere^^, „Ich sage aber,
daß wir etwas etnpfindeUj trenn wir uns desselben als uns gegenwärtig be-
mißt sind. So empfinden wir den Schmerz, den Schall, das Licht und
msere eigenen OedatikenJ^ Die „Empfindungen^^ sind „Gedanken von uns gegen-
Körtigen Dingen*^ (Vera. Ged. von d. Kr. d. m. Verst.*, S. 11). Nach
Baumgakten ist die Empfindung eine ,yrepraesentatio non distincta sensitiva^*,
r/epraesenkUio status mei praesefUis^^ (Met. § 521 , 534). Bilfinger erklärt :
^ßepraesentaiiones rerum a mente distinctarum eae, quibtis hae res ridentur ni
m-fis corporis organis tntUationes aliquas producere, dicuntur setisationes^^ (Diluc.
§246). Crüsius bemerkt: „Wir nehmen in uns Gedanken wahr. In einigen
derselben sind wir hei wachendem Zustafide genötiget, Dinge unmittelbar uns als
wirklich und gegenwärtig wrxustellen, und dieser Zustafid heißt Empfindung^^
(Vemiinftwahrh. § 426). Eüdigek versteht unter „sensio" besonders die Wahr-
nehmung der Erregungen des eigenen I^ibes. Bei Mendelssohn bedeutet
Empimdung auch das Gefühl (s. d.), bei Abbt wird es für „sefisatum*^ (jyEvi^
pfindnis" für ,^entiment^J gebraucht, auch bei Eberhard und Tiedemann
•vgl DESSOm, Gesch. d. neuer. Psychol. I*, S. 353). Bei Tetens bekommt der
Terminus „Epnpfindmig" seine Ausprägung im Unterschiede vom Grefühle als
„Empfindnis^' (Philos. Vers. I, 13). Empfindung ist, „iras wir nicht sowohl für
fine Beschaffenheit ton uns selbst ansehen, als vielmehr für eine Abbildung eines
f)bjecis, das wir dadurch xu empfinden glauben" (1. c. I, 214). In der Empfin-
dung entsteht „eitie Veränderung unseres Zustandes, eifte neue Modification der
.*yicfe", yydie gefühlte Veränderung ist die Empfifidung" (1. c. S. 166). Es gibt
fjäußere^*, auch „intiere" Empfindungen (1. c. H. 29). Platner bestimmt die
Empfindungen als „ Vorstellungen von den Bexiehufigen der Sache auf den selbst-
eigenen Zustand" (Phil. Aphor. I, § 67), als die „bewußten Ideen der Sinnen . . .,
insofern sie verbunden sind mü eitlem Beunißtsein des gegenwärtigen Zustandes"
(I. c. II, § 32). „Empfmdnisse" sind die „bewußten Ideen der Phantasie . . ,y
insofern sie verbunden sind mit dem Bewußtsein des gegenwärtigen Zustandes"
iL c. § 33). Die Empfindmig ist eine „undeutliclte Idee" (1. c. § 37). M. Herz.
tfklärt: „Vorstellung von detn Widerstand haben, welcher der Lebefiskraft ent-
gegengesetzt wird, heißt empfinden" (Briefe, 2. Samml. 1784, S. 280).
Xach Kant ist die Empfindung „die Wirkmig eines Gegetistandes auf die
Vorstellungsfähigkeit, sofern wir von dettisdben affigiert werden" (Kr. d. r. Venu
S. 48). „Eifte Pereeption, die sich lediglich auf das Sidyect als die Modification
mnes Zustandes bexdehi, ist Einpfindung" (1. c. S. 278). Sie setzt die „wirkliche
Gegenwart des Gegenstandes" voraus (1. c. S. 76). Ihr „correspondiert" die
nMaterie" (s. d.) der Erscheinung. Empfindung hat einen subjectiven und,
vorzugsweise, einen objectiven Sinn. „ Wenn eine Bestimmufig des Gefühls der
iMst oder Unlust Empfifulung genannt wird, so bedeutet dieser Ausdruck etwas
9anx anderes, als wenn ich eine Vorstellung einer Sache (durcJi Sinne, als eine
lum Erkenntnis gehörige Receptivität) Empfindung fienne, Detm im letxteren
Falle wird die Vorstellung auf das Object, im erstem aber lediglich auf das
Suhjeet bexogen , , ," K. will daher die subjective Empfindtmg „Gefühl" (s. d.)
nennen. „Die grüne Farbe der Wiesen gehört xur objectiven Empfindung, als
^Wahrnehmung eines Gegenstandes des Sinnes" (Kr. d. Urt. § 3).
B. Maimon erblickt in der Empfindung eine „Modification des Erkenntnis^
Vermögens", ein „Leiden", eine „bloße Idee, xu der wir uns durch Verminderung:
256 Empfindung.
des Bewußtseins immer nähern'' (Vera. S. 168). Nach J. G. Fichte i8t die
Empfindung eine (unbewußte) geistige Function, „ein« Handlung des Ich, durch
welche dasselbe etwas in sich aufgefundenes Fremdartiges auf sich bexieht, sieh
xKeignet, in sich setxi^' (Gr. d. g. Wiss. S. 351). „f>t€ aufgehobene, vemiehtete
Tätigkeit des Ich ist das Empfundene^' (1. c. S. 349). (Diese active Auf-
fassung der Empfindung steht im Gegensatz zur passiven Natur der Empfin-
dimg bei Kant.) Ahnlieh lehrt Schelling, indem er die Empfindung aus
einer Selbstbegrenzung des Ich ableitet (Syst. d. tr. IdeaL 8. 102). Empfinden
ist jySelbstansehauen in der Begrenxtheit' (1. c. S. 108, 111). „TFenn wir empfinden,
empfinden mr nie das Object; keine Empfindung gibt uns einen Begriff ron einem
Objecty sie ist das schlechthin Entgegengesetzte des Begriffs (der Handlung), also
Negation von TUtigkeit'' (1. c. S. 110). Das Ich empfindet, „wenn es in sich
findet etwas ihm Entgegengesetztes, d. h. weil das Ich nur Tätigkeit ist, eine
reelle Negation der THtigkeit, ein Äffunertsein" (1. c. S. 123). „Alle Realität der
Erkenntnis haftet an der Empfi/ndung" (1. c. S. 114). L. ÜKEK bestimmt die
Empfindung als „unendliche, centrifugale Tätigkeit'*, Heoel als ein „Sich-selbst-
in-sieh-finden" (Naturphilos. S. 429). Sie ist die unterate Stufe des Zu-sich-
kommens der „/rfee" (s. d.), nämlich die „Form des dumpfen Webens des Geistes
in seiner betcußt- und verstandlosen Individualität, in der alle Bestimmtheit noch
unmittelbar ist*' (Encykl. § 400). Empfinden ist ein „Verinfierliehen und zu-
gleich Verleiblichen" der lu'sprünglichen Bestinmitheit, das „gesunde Mitleben
des individuellen Geistes in seiner Leibliehkeif (1. c. § 401). Nach J. E. ErdmaKK
ist Empfinden ein „In-sich-finden" der Leibeszustände (Psychol. Br.*, S. 162 fL).
Elmpfindung ist ein Zustand, der durch das Zusammentreffen eines Afficierenden
und eines Empfindenden entsteht (Gr. d. Psychol. § 69). K Bosenkbakz
erklart: „Das Empfinden setzt imtner: 1) ein Subfect voraus, das empfinden,
2) einen Inhalt, der von demselben empfunden werden kann. Beide sind an sieh
als Möglichkeiten voneinander getrennte Existenzen, Das Empfinden selbst ist
der Proceß, in welchem die Möglichkeit der Einheit des Empfindbaren ufid des
Empfindenden sich verwirklieht" (Psychol.*, S. 126). Das Empfinden ist „Ver-
geistigung der von außen kommettden organischen Erregungen, u>elehe sieh durch
die Vermittelung der sensitiven Nerven individualisieren" und „Verleibliehung
der von innen . . . entstehenden Erregungen" (1. c. S. 127). „Die Empfindung ist
das unmittelbare Dasein des Geistes in seiner unmittelbaren Identität mit der
Natur, worin er sich ebensosefir durch sie als durch sich bestimmt findet.**
„Die Empfindung ist zunächst die durch die Affection des Organismus gesetzte
Bewegung: die äußere Empfindung; sodann aber umgehehrt die durch die Spon-
taneität des Geistes gesetzte Bewegung: die innere Empfindung** (1. c. S. 129).
Nach Hillebrand hat sich die Seele in der Empfindung „als bexiehutigslose,
unmittelbare, endlich-bestimmte Einheit mit der Natur** (PhiL d. Geist I, 143).
Die Empfindung ist ein Act der Seele (L c. S. 144). Alle besonderen £#m-
pfindimgen sind „Modifioationen einer Ur- und Centralenipfindtmg**, d. h. der
Individual- oder Selbstempfindung (1. c. S. 148). Die Empfindungen sind ,^as
Resultat des Wechselwirkens mehrerer Substanzen,*' beruhen auf objectiver Action
und Bubjectiver Beaction (1. c. S. 154). Es gibt Existentialempfindungen
(Vital-', Virtualempfindungen) und Actualempfindungen (1. c. S. 148 iL). Nadi
Sghleiekmacher liegt der Empfindung ein Aufnehmen wollen des Beizes seitens
der Seele zugrunde (Dial. S. 420). Die Empfindung ist eine Action des Geistes
selbst; durch dessen „Geöffnetsein" nach außen entsteht mittelst der „organischen
Empfindting. 257
Funetian" die Mannigfaltigkeit der Empfindungen (1. c. S. 386 ff.). Benekb
betont, die Empfindungen enthielten schon eine y^Selbstbetätigung des Geistes^^ (Log*
II, 24, 28) ; es gehen ihnen Aneignungskrafte in der Seele voraus (s. Wahmehm.).
Gk)SGE unterscheidet Empfindung und Vorstellung (s. d.). Erstere ist „tier Eifp-
druck, Kelchen die sensiblen Nerven durch die Beixe der Äußentvelt erfahren" (Lehrb.
d. PsychoL S. 44). Fortlage findet in jeder Empfindung schon einen Trieb
(8. d.) enthalten. Nach J. H. Fichte ist die Empfindung ein Product des
Geistes, das auf Trieben beruht (PsychoL I, 8. 195 ff.). Sie ist ein yjnnetcerden
des ttnwiilkürliehen Oebundenseins dtsrch einen umnittelbar sieh aufdrängenden
Inhalt' (1. c. S. 260). Nach ÜLKICI ist die Empfindung ein Product und zugleich
ein Leiden der Seele (Leib u. Seele S. 282). Lotze versteht unter einfacher
Empfindung das ,jbetcußte Empfindeti einer einfachen Sinnesqualität" (Med.
PsychoL § 16, S. 180). Die Empfindungen sind „Erscheinungen in uns, welche
;»ör die Folge von äußeren Reixen, aJ)er nicht die Abbilder derselben sind" (Gr.
d. PsychoL § 13). Feghner bemerkt, die einfache Empfindung sei an zusammen-
gesetzte physische Vorgänge gebunden (Elem. d. Psychophys. II, C. 37; Üb. d.
Seelenfr. S. 212). Nach Frohsghammer ist die Empfindung „das Sich-inne-
finden als Subject und das Innewerden des eigenen teleologisch organisierten
Wesens", ein „Formbilden, ein Sich-gestalten nach innen xu" (Monad. u. Welfr-
phant. S. 36 f.).
Nach Herbart enthalt jede Empfindung eine „absolute Position" (s. d.),
einen Hinweis auf das Seiende (Met. II, S. 90). Die Empfindung ist eine ein-
fiiche Vorstellung (s. d.). Sie ist eine „Selbsterhaltung der Seele, die sich selbst
nicht sieht und nichts davon weiß, daß sie in allen ihren Empfindungen sich
9flbst gleich ist, und vollends nichts davon, daß diese ihre Zustände abhängen
tum Geschehen in xusamnientreffenden Wesen außer ihr, deren eigene Selbst-
^Haltungen ihr in keiner Weise bekannt werden können" (Met. II, S. 340).
Zwar ist die Empfindung nur Ausdruck der inneren Qualitäten der Seele, aber
^4ie Ordnung und Folge der Empfindungen verrät das Zusammen und Nicht-
xusammen der Dinge" (1. c. S. 341). Nahlowsky imterscheidet scharf zwischen
Empfindung und Grefühl. Empfindungen sind „alle Jene Zustände, die auf der
bloßen Perception organischer Beixe beruhen" (Das Gefühlsieb. ß. 27). Sie sind
..ursprüngliche^'^ Zustände „primitiver" Art (L c. S. 28). Die Empfindung ist
als solche subjectiver Natur, ist sie ja doch „eine Innen-Findung, ein Auf-
gestöritrerden, ein Eben -nur -sich- (und -nicht -anderes-) finden; — ein Selbst-
trhaltitngs-Act, und xwar der einfachste und ursprünglichste", „Das Subjective
der Entpfindung tvird erst abgestreift durch BeihiUfe der Association und Re-
production, durch ihre Ausgestaltung xu Bild und Begrifp* (1. c. S. 20 f.).
Die Empfindung, diese „Antwort der Seele auf die ihr zugeleiteten organischen
ßptV', ist „der erste Ansatx xu einem Beicußtsein", sie „repräsentiert ein
psychisches Element" (1. c. S. 28). Es gibt: Innen- oder Körperempfindung
önd Außen- oder Sinnesempfindung (1. c. S. 35). „Etnpfindungsinhult" ist
,Jas speeifisch Eigentümliche des isoliert fortgeleiteten Reixes", „Tbfi der Em-
• pfindung" ist „der Störungswert dieser bestimmten Reixung ...,«?. h. das
besondere Verhältnis, in welches sieh dieser Reix, teils xu der im Moment
torhatidenen Stimmung des Nerven und der Central&rgafie, teils mitunter selbst
iu den Processen des vegetativen Lebens setxt^^ (1. c. S. 13). Nach Volkmann
ist die Empfindung der „Zustand, welcher von der Seele bei Veranlassung des
ihr entgegengebrachten Nervenreixes entudckeU ist" (Lehrb. d. PsychoL I*, 212),
Philoiophteoh«e Wört«rbaoh. 2. Aofl. 17
258 Empfindung.
ein jjn-sich'fi/nden der Seele", ein „Zustand, den die Seele, von außen daxu rer-
anlaßt, aus sich selbst entmckelt" (1. c. S. 214). Nach Steikthal bedeutet
Empfinden „vermittelst der Sinne Erregungen seitens der Elemente empfangen
und bewußt werden lassen" (EinL in d. Psychol. S. 318). Lipps unterscheidet
objective und subjective Empfindungen (Gefühle) (Gr. d. Seelenleb. S. 298).
Nach Maine de Biban enthalt die Empfindung zwei Faetoren: y/iffeefion
simple" und „element per sonnet" (einfaches Ichbewußtsein, Oeuvr. II, 115).
Nach W. Hamilton ist die Empfindung von der Wahrnehmung zu unter-
scheiden: je lebhafter jene, desto schwächer diese. H. Spencer sieht auch in
den Empfindungen (subjective) Wahrnehmungen (PsychoL II, § 353). Die
Empfindimgen sind die geistigen Atome (1. c. I, C. 2), die „subfeetiren Seiten
solcher Nertfenveränderungen . . ., welche nach dem allgemeinen Centrum der Nerren-
Verbindungen übertragen worden sind" (1. c. § 43). Jede Empfindung ist schon
eine Widerstandsempfindung. So auch Höffding (PsychoL S. 283), nach dem,
durch das „Bexiehungsgesetx", die Empfindungen zur Einheit des Bewußtseins
verbunden sind (1. c. S. 149 ff.; ahnlich Ladd, Psychol. p. 659 ff.; Jameb,
Princ. of Psychol. I, 224 ff., 449 ff., 483 ff.). Nach A. Bain ist die Empfindung
(„mental impression") ein „state of eonsciousness", der durch „eoctenial eauses^
veranlaßt wird (Sens. and Int.», C. 2). Nach Sülly ist die Elmpfindung ein „ein-
facher geistiger Zustand, der sieh aus der Reixung des äußeren Endes eines
fXuführenden* Nerven ergibt, trmvn diese BeiMing auf die höheren Oe/iimcepUren
oder psychischen Centren^ übertragen ivird^^ (Handb. d. PsychoL S. 82). Voll-
kommen einfache Empfindungen erleben wir niemals (ib.). Die Empfindungen
haben eine intellectuelle und emotionelle Seite (1. c. S. 82; vgl. Hum. Mind I,
94 : zu den Eigenschaften der Empfindung gehören Qualität, Intensität, „massi-
ve7iess or extensity"). Ahnlich James („element of voluminousness", Princ of
Psychol. II, 134 f.), Wabd (Encycl. Britann.», Art. „Psychology", p. 40, 53),
Titchener (Outl. of Psychol. p. 76 ff.). Stumpf (TonpsychoL I, 207 ff.),
Jgdl (Lehrb. d. PsychoL S. 203). Bald'WIN bestimmt als Eigenschaften der
Empfindimg „quantity" (Qualität und Intensität), „duration", „tofie" (Gefühls-
ton) (Handb. of Psychol. I, 85). — Seroi erklärt: „La Sensation est ... im
phenomhvc qui se produit alors que la foree psychique est provoquee a agir par
la force exterieure de in nature, d'une fa/^on qui lui est propre, par une fnani^
festcUion, qui est commwie et constanie" (Psychol. p. 17).
Helmholtz unterscheidet „Modalität" und „Quaiität^'^ (s. d.) der Empfin*
dimg, die ihm als Perception eines Nervenzustandes gilt. Die Empfindungen
sind subjective Symbole für objective Vorgänge, „nur Zeichen für die äußeren
Obfecte", nicht Abbilder (Vortr. u. Red. I*, 393), „eine durch unsere Organisation
uns mitgegebene Sprache, m der die Äußendinge xu mis redeti" (ib.). So auch
A. Lange (Gesch. d. Mat.), Überweg (Logik), A. Fick (Vers. üb. Urs. u.
Wirk.«), B. Erdmann (Ax. d. Geom. S. as f.). Nach E. Dühring hat jede
Empfindung eine objective Bedeutung (Wirklichkeitsph. S. 276 f.). — CzoLBS
führt die Empfindung auf Projeetion der von den Dingen sich ablösenden
Qualitäten, die zur Seele gelangen, durch diese in den Raum, also auf eine
Kreisbewegung zurück (N. Darstell, d. Sensual. S. 27 ff.). Spater betont er
die Ursprünglichkeit der Empfindungen; diese sind nebst den Gefühlen die
Elemente alles Seelischen (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 198). ElmpfindungeD
und Gefühle sind latent immer vorhanden, sie werden „aus dem die Korpencdt,
mithin auch das Oehim der Menschen und Tiere dwchdringe^iden unhegr&vUen
Empfindung. 259
Rowne, in welehetn sie als sein ruhender Inhalt, als tote, unsichtbare Spann-
kraft überall verborgefi sind, durch ganx bestimmte Oehimbewegungen als lebetidige,
%um Betct*ßtsein kommende Kräfte frei gemacht oder ausgelöst*' (1. c. S. 200;
R. Welteeele). Nach £. Haeckel, L. Noire, Hering, B. Wille ii. a. ist die
Empfindiuig eine Ureigenschaft aller Körperelemente. Vgl. Preyer, Elemente
d. reinen Empfindungslehre.
HoRWicz betrachtet die Empfindung als Entwicklungsproduct des Ge-
fühles. Jede Empfindung enthalt eine Bewegung, einen Trieb der Annäherung
oder Abwehr (PsychoL Anal. I, 306, 358, III, 46, 48). Als das Primäre der
Empfindung betrachtet das Gefühl (s. d.) auch Th. Zieqler. So auch
E. V. Hartmans, nach welchem die Empfindung ein „Product actirer syn-
thetischer Intellectttalfunctionefi'* ist (Kategor. 8. 55). Die Empfindung ist
y/ine für das Beicußtsein des xusammfngej^eixten Individuums überschwellige
Synthese aus unterschwelligen Empfi/ndungen und Gefühlen der umspanntefi In-
dividuen tiächsttieferer Stufe, letxten Endes aber eine indirecte .Synthese aus
qualitätslosen Lust- und Unlust- Oefühleti der Uratome" (Mod. Psychol. S. 195 f.).
Nach O. 8chk£IDER ist Empfindung der rein subjective „2kistand des
durch Sinnesreixe erregten Innetverdens** (Transcendentalpsychol. S. 39). Berg-
MAITK sieht in der Empfindung das „letxfe Element, welches die Analyse im
*rnkmehmenden Beunißtsein findet, insofern dasselbe auf die Außenirelf bexogen
ist^ (Grundlin. e. Theor. d. Bewußts. S. 38). „Während die Empfindung an
»ich ein subjediver Zustand, eine Daseinsweise des empfindenden Subjects ist,
findet durch das Bewußtsein gleiclisam eine Zerseixung dieses Zustandes statt;
der Inhcdt der Empfifidung oder das Empfundene irird aus dem Zustande als
solehem ausgeschieden und als ein selbständiges Wesen dem empfmdenden Svbjeei
g^enübergestelli" (1. c. S. 34). Nach Uphües ist die Empfindung „die Auf-
fassung der Siwieseindrüeke ... als Bewußtsei ttsinJinlte" (Wahm. u. Empfd.
S. 3, 9, 14). Empfindungen sind „die einfachen Beimßtseinsvorgänge, die als
trste Begleiterscheinungen der Einwirkungen auf unsem Korper . . . auftreten^^
iPsychoL d. Erk. I, 158).' Zu unterscheiden sind „ursprüngliche^^ und „vneder-
wflebende^^ Empfindungen (ib.). Empfinden ist nach Husserl „die bloße Tat-
faehe, daß ein SinnesinhaU . . . in der Erlebniscomplexion präsent ist^^ (Log.
l'nt, II, 714). Die Elmpfindungen sind Componenten des Vorstellungserlebnisses,
nicht dessen Gregenstände (1. c. S. 75). Nach Riehl ist Empfindung „das Be-
icußtwerden des Unterschiedes xweier Erregungen" (Phil. Krit. II 1, 47). Der
Empfindungsvorgang enthält außer der „Reeeptimi des Betcußtseim" eine psy-
efajsche Tätigkeit, einen „Act des Urteilens" (1. c. S. 34). Jede Empfindung
htt eine Gefiihlsseite (1. c. S. 36); ihr Inhalt selbst ist objectiv (1. c. S. 38).
Die Empfindung ist „etwas, dets nicht icir sind" (1. c. S. 42). „Dureh das Ge-
fühl, womit sie das Beicußtsein erregt, gibt sich die Empfindung als etwas kund,
das nicht ausschließlich aus uns stammt^' (1. c. II 2, 40). Sie „enthält das
ganze Bewußtsein im Keime". „Sie ist das Gefühl, dureh einen Üeix^ affieiert
sH sein^ Reaetion gegeti einen Reix und Vorstellung der Beschaffenheit desselben"
<1. c. n 2, 197). Sie ist das bewußte Correlat des Stoffwechsels im Nerven-
systeme (L c. S. 207). Nach Hodoson gibt es keine reinen Empfindimgen, da
»lle Bewußtseinsinhalte in den Formen von Raum oder Zeit gegeben sind
iPhiL of Reflect. I, 260 f.). — Nach Witte sind die Empfindungen nichts Ur-
sprängliches , sondern Schöpfungen des vorempirischen Bewußtseins (Wes. d.
Jseele S. 127, 141). Nach Rehmke ist die Empfindung nichts „Ooncretes"
17*
260 Empfindung.
(s. d.), sondern ein yyÄbsiractes'^ (s. d.), eine Bestimmtheit des Bewußtseins (Allg.
Psychol. S. 192 ff., 166 f.). Wundt bestimmt die Empfindungen als „diefetiigen
Zustände unseres Bewußtseins, welche sich nicht in einfachere Bestandteile ver-
legen lassen" (Grdz. d. phys. PsychoL I*, 281). Sie sind Producte der psycho-
logischen Analyse. ,.Z>te Elemente des ohjeeiiven Erfahrungsinha-ltes bexeiekueH
wir als Empfindungselemente oder schlechthin als Empfindungen" (Gr.
d. Psychol.*, Ö. 36). Diese sind Teile von Vorstellungen, „m««" Empfindungen
sind Abstractionsproduete; sie bilden eine Reihe disparater Qualitatensysteme
(1. c. S. 46). Die speciellen Empfindungssysteme dürften aus den Empfindung»-
Systemen des ,,allgemeinen Sinnes" (s. d.) durch allmähliche Differenzierung ait-
sumden sein (1. c. S. 47 f.). Jede Empfindung ynxA durch einen (äußeren oder
inneren) Beiz ausgelöst. Die Empfindung selbst kann nur „o/a ein intensives Quäle
betrachtet werden, dessen Verbindung mit anderen äßinlichen Empfindungen xkw
durch gewisse regelmäßig coexistierende oder einander folgende Reixeinuirkufigen
äußerlich veranlaßt, nidit aber im eigentlichen Sinne verursaM werden kann" (Phil.
Stud.X,81). Gemäß dem Princip des psychophysischen Parallelismus (s.d.) muß
angenommen werden, daß „nicht der physische Sinnesreiz die Empfindung er-
xettgt, sondern daß diese aus irgend welchen psychischen Elementarvorgängen
entspringt, die unt^r der Sehwelle unsres Bewußtseins liegen, und in denen unser
Seelenleben mit einem aügemeinen Zusamm^enhang psychischer Elementarvargängf
in Verbindung steht" (Vorl. üb. d. Mensch.«, S. 490, ähnlich Fechneb und
Paulsen). Qualität und Intensität sind die Bestimmungsstücke jeder Em-
pfindimg (Gr. d. PsychoL», S. 37 ; Grdz. d. phys. PsychoL I*, 282). An Wundt
schließt sich an G. Villa (Eünl. in d. Psychol. S. 295 u. a.). Külpe erklärt:
Die erste Klasse der psychischen Elemente „ist dadurch ausgezeichnet, daß das
Auftreten der in sie hindnxureehnenden Qualitäten von der Erregung ganz be-
stimmter peripherischer und wahrscheinlich auch cerUraler nervöser Organe ab-
hängig ist. Wir nennen die hierher gehörigen elementaren Inhalte des Bewußt-
seins Empfindungen. Dieser Name bezeichnet alsonic/äeine allgemeine Fähigkeit
der Seele, auf äußere Eindrücke z/u reagieren . . . sondern ist Repräsentant eittes
Gattungsbegriffs, unter den als reale Vorgänge einxdg die besonderen durch das
hervorgehobene Merkmal speeificierten Elemente fallen" (Gr. d. PsychoL S. 21).
„Die Empfindung ist also nichts außer ihren Eigenschaften^^ (1. c. S. 30); diese
sind: Qualität, Intensität, Dauer, Ausdehnung (L c. S. 30" f.), aber nicht jede
Empfindung hat alle diese Eigenschaften (1. c. S. 31). Es gibt „peripherisch
erregte^^ imd „central erregte" Empfindimgen (L c. S. 37). Zieecen Tersteht
imter Empfindung das „erste psychische Element", welches einem durch einen
Reiz veranlaß ten Nervenprocesse entspricht (Leitfad. d. phys. PsychoL*, S. 15).
Aus E^mpfindungen baut sich nach ihm wie nach anderen Associations-
psyc ho logen (s. d.) da^ Seelenleben auf. Bbentano rechnet die Eampfindungen
zu den physischen Erscheinungen (PsychoL I, 8. 103 ff.). Jodl bestimmt die
Empfindung als einen „im Centraiorgan auf Veranlassung eines ihm von den
peripherischen Organen xugeführten Nervenreizes enhpickeltenBewußtseinsxustandj
in welchem ein qu/üitaliv und quantitativ bestimmtes Etwas (Inhalt, aliquid) zur
itvnerlichen Erscheinung kommt" (Lehrb. d. PsychoL S. 169). Die Eigenschaften
der Empfindung sind Modalität, Qualität, Intensität, Extensität (bezw. Proten-
sität) (1. c. S. 194). Ebbinghaüs betont, nirgends gebe es isolierte Empfin-
dungen, stets nur Empfindungsverbände (Gr. d. PsychoL I, 10; so auch
H. Cornelius, Lehrb. d. PsychoL S. 182). Die Empfindung ist „das psychische
Empfindung. 261
Äquivalent der Eintcirkung eines tmd desselben real ungeteilt ablaufenden Vorgangs^*^
(Gr. d. Psychol. I, 421). Zu den Eigenschaften der Empfindung gehört räum-
liche oder (und) zeitliche Ausdehnung (ib.). Jede Empfindung ist ursprünglich
Ton bestimmten Bewegimgen gefolgt, entladet sich gleichsam in ihnen (L c.
S. 688). VgL A. Meinong, Üb. Begr. u. Eigensch. der Empfind., Viertel-
jahrsschr. f. wiss. Philos. XII; Witasek, Zeitschr. f. Psychol. XIV.
MÜNSTERBERG führt in der Psychologie das ganze geistige Leben auf
£mpfmdungen zurück. Diese sind jedoch Abstractionsproducte , bei denen
vom Subject (s. d.) abgesehen wird (Psychol. and Life p. 44 ff.; ähnlich
H. RiCKERT, Grenz, d. naturwiss. Begriffebild. I, ö, 147 ff.), Die Empfindung
ist yyderfenige einfachste Bestandteil der Wahrnehmung, der noch in noetischem
Verhältnis xu Bestandteilen des Wakmehmungsobjectes besteht'^ (Gnmdz. d.
Psychol. I, 310). Xach der yyÄctiofistheorie" (s. d.) ist jede Empfindung an
einen motorischen Proceß gebunden, „dem Übergang von Erregung zur Eni-
laduing im Ritidengebiet xugeordnet^'y und zwar derart, y,daß die Qualität der
Empfifidmig von der räumlichen Lage der Erregungsbahn, die Intensität der
Empfindung von der Stärke der Erregufig, die Wertnuance der Empfindung von
der räumlichen Lage der Entladungsbahn und die Lebhaftigkeit der Empfindung
ron der Stärke der Entladung abhängt"' (1. c. S. 549, 531).
Als Bestandteile der Wirklichkeit selbst, als Bealitäten betrachtet die Em-
pfindungen J. St. MiLL (Examin. p. 225 f.). So auch die Immanenzphilo-
Sophie (s. d.). Schuppe z. B. bemerkt: „Sind die Empfindungen nicht als
siAjeetiver Island oder Tätigkeit, sondern als der Empfindungsinhalt, selbst'
terständlieh mit alier räumlicJien und zeitlichen Bestimmtheit, ohne tcelche er
keine concrete Existenx seift könnte, xum Bewußtseinsinhalt gemacht, so ist es
diese ganze räumlich-zeitliche Welt, welche ja aus solchen EmpfindungsinhaÜen
oder Wahrnehmungen sich a/ufbatä, nieht also etwa als innerseelisches Gebilde^
sondern ganx so und ganx diesetbe, irie wir sie aus der unmittelbaren Atischaimng
kennen^" (Log- 8- 24). Empfindung ist „Bewußtsein mit dem und dem Inhalt
oder Obfeet"", „Was außerdem eine von dem Empfifidungsinhalt wohl zu unter-
neheidende subjective Tätigkeit cfe* Empfindens sein mag, ist absolut unerfindlich'*^
(L c. S. 22). Empfinden heißt „eignen Betoußtseinsinhalt haben" t(l. c. S. 23).
Clifford betont: „Die Schlüsse der Physik sind sämtlich Schlüsse, die sich
auf meine wirklichen oder möglichen Empfindungen beziehen'' (Von d. Xat. d.
Dmge an sich S. 27). Die Empfindungen (feelings) bedürfen keines „Trägers'',
sie haben selbständige Existenz, sind „Dinge an sieh'*, bilden den „Seelenstoff^*
i„mind-stuff"), aus dem das An -sich der Dinge besteht; erst bestinmite Com-
plexe von Empfindungen bringen ein Bewußtsein mit sich (1. c. S. 39, 42 ff.,
44, 46 ff.). E. Mach erblickt in den Empfindungen („Elementen^') die Bestand-
teile der Dinge selbst. Alle Elemente, sofern wir sie als „abhängig" von un-
serem Organismus bezeichnen , sind insofern „Empfindungen" (PopulänWss.
Vorles. S. 226; Analys. d. Empfd.*, 8. V, S. 14, 17). Nicht die Körp<T (s. d.)
erzeugen Empfindungen, sondern Elementencomplexe bilden die Körper (1. c.
H. 23). Nach R. AvEKARrüS sind die Empfindungen „Setzungscharaktere'''' der
j^Saeken'^, d. h. die Elemente der Wirklichkeit, insofern sie „abhängig" sind
vom „System C" (s. d.), vom Organismus (Kr. d. rein. Erf. II, S. 78 f.; vgl.
KoDis, Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 21 , S. 428). Nach Ostwald empfinden wir
nur T'ntenschiede der Energiezustände gegen unsere Sinnesapparate (vgl. Energie).
Vgl. Qualität, Intensität, Wahrnehmimg, Sinn, Sensualismus, Impression.
262 Umpfindungscomplex — XSmpiriokrltische Axiome.
Empfinduii^eoniplex s. Empfindung, Ck>niplex, Object
EmpfindimssftLrelse nennt £. H. Weber jene Hautstelleu, innerhalb
deren zwei Berühnuigen nicht mehr unterschieden werden, wo sie also ab
eine Empfindung auftreten. Die Haut besteht aus Empfindungskreisen von
verschiedener Größe imd (xestalt (Tasts. u. Gemeingef.; vgl. Goldscheidee,
Arch. f. Physiol. 1885 ff.; Hellpach, Grenzwiss. d. Psychol. S. 125).
Empfindiinssqaallt&t u. Empfindnngsstftrke s. Qualität, In-
tensität.
Empfindmif^seliwelle s. Schwelle.
Empliasieolog^e: Lehre vom Ausdnick (A. Baumgarten).
Emplr^m: Erfahrungssatz.
Empirie s. Erfahrung.
Empiriker: Gegensatz zum Theoretiker. Empiriker ist, wer durch die
Praxis, durch Versuch, Induction eine Erkenntnis gewinnt. Im engeren Sinne
heißen „Ernpiriker^^ (ä/uTiei^txot) die philos. Arzte, die um 200 n. Chr. lebten
(z. B. Sextus Empiricüs).
Empiriofturiticismns heißt das von B. Avenarius begründete System
der „reiften Erf<iJirung" (s. d.), dafi ein jfkritiseher'^ d. h. die Erfahrung von allen
metaphysischen Zutaten reinigender Empirismus sein will (vgl. Vierteljahisschr.
f. wiss. Philos. 22, S. 53 f.). Er will die Philosophie auf die Bestinunung des
allgemeinen Erfahrungsbegriffs nach Form und Inhalt beschränken. Das System
stellt sich in Gegensatz zu allem Aprionsmus, will realistisch und positivistisch
sein. Einen principiellen Unterschied zwischen psychisch und physisch, Subject
und Object, Bewußtsein und Sein gibt dieses System nicht zu, alle „Introfectüm^^
(s. d.) wird perhorresciert. Die Erkenntnis besteht aus „Aussagen^' über Inhalte,
die vom menschlichen Individuum (System C, s. d.) in der Form der „Er-
fahrtmg^^ y^abhängig" sind. Das Ideal des Erkennens ist die Gewinnung des
rein empirischen „Welibegrtffs^^ (s. d.), die Beseitigung jedweden Dualismus, die
Elimination aller metaphysischen Kategorien. Der Charakter der empirio-
kritischen Erkenntnistheorie ist ein biologischer (Avenarius, Philosophie als
Denken der Welt . . . 1876; Kritik der reinen Erfahnmg 1888, 1890; Der
menschliche Weltbegriff 1891; Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18 u. 19; Car-
STANJEN, K. Avenarius' biomeohan. Grundleg. . . . 1894; R. Willy in Viertel-
jahrsschr. f. wTiss. PhüoB. 16, S. 20()ff.; 20, S. 55 ff., 191 ff., 261 ff.; J. Petzoldt,
Einführ, in d. Philos. d. r. Erfahr. I, 1899). Vgl. „Elemente", Introjection,
Erfahnmg u. s. w.
Eiinpiriokritteclie Axiome« Deren stellt R. Avenabius zwei auf
als Voraussetzungen des „Empiriokriticismtu" (s. d.): 1) „Jedes mensehliehe
Individuum nimmt ursprünglich sieh gegenüber eine Umgebung tnit mannigfaehen
Bestandteilen^ andere menschliche Individuen mit mannigfaehen Aussagen und
das Ausgesagte in irgend icelcher Abhängigkeit von der Umgebung an. Alle Er-
kenninisinhalte der philosophischen Weltanschauungen — kritischer oder nicht-
kritischer — sind Abänderungen jener ursprünglichen Annahme^*^ (Axiome dex
Erkenntnis in halte). 2) „Das wissenschaftliche Erkennen hat keine u?esentlieh
anderen Formen oder Mittel als das nichttcissenschafüiche, alle speeieüen wissen-
schaftlichen Erkenntnis-Formen oder -Mittel sind Ausbildungen rondssenschaft-
licher^^ (Axiome der Erkenntnis formen) (Krit. d. rein. Erf. I, Vorr. VIIj.
Empiriokritiflolier Befund — Empiriamus. 263
EmpirlokrtAteclier Befyuid(oder ,^empirü(^Prmeipialcoordination^%
ist nach E. Avenarivs die Grundvoraussetzung aller Erkenntnis, nämlich die,
daß jedes menschliche Individuum ursprünglich sich gegenüber eine yylhn-
gebunff*^ mit verschiedenen Bestandteilen und andere Individuen mit ,f Aussagen"
über diese Umgebimg vorfindet, die darauf hinweisen, daß sie (die Aussagen)
eine „mehr-als-mechanisehe^* Bedeutimg haben, d. h. daß sie gleichfalls ein
^Vorfindefi** ausdrücken (Menschl. Weltbegr. S. 7). Dieser jyfuUürliehe Welt-
hegriff'^^ wird durch die „Introjectian*' (s. d.) verfälscht; diese muß durch die
Wissenschaft und Erkenntniskritik wi^er beseitigt werden (Vierteljahrsschr.
f. wißs. Philos. 18).
Emplriseli (iftTist^ixo^): der Erfahrung angehörend, erfahrungsmäßig,
durch Erfahrung gewonnen, aus der Erfahrung stammend, durch Erfahrung
begründet, aus der Erfahnmg abgeleitet („empirisches Verfahren^^J, Gegensatz:
ntional (s. d.), apriorisch (s. d.), transcendent (s. d.). Vgl. Schellixg, Syst. d.
tr. Ideal. S. 315; Vom Ich ft. 36; K. Fischer, Krit. d. Kantschen Philos.
8.83.
Emplrlselie Psyeholo^Ie s. Psychologie.
Emplrlsckei* Monisma« s. Monismus.
liBipIriieliefi Bewußtsein s. Bewußtsein (Kant).
Eniplrteclie«i leli s. Ich.
Empirtemiis (von iunsi^ia): Erfahrungsstandpunkt. Psychologisch be-
deutet Empirismus die Ableitung aller Bewußtseinsinhalte aus psychischen
Elementen und deren Zusammensetzung; so z. B. gibt es eine empiristische
Raum- und Zeittheorie (s. d.). Empirist ist in diesem Sinne jeder, der (in der
Psychologie und Erkenntnistheorie) alle Begriffe (Erkenntnisinhalte) auf Er-
fahrung (s. d.) zurückführt, der nichts Angeborenes (s. d.). Apriorisches (s. d.)
annimmt, sondern glaubt, daß alle Begriffe Abstractionen von concreten Er-
lebnissen, Vorkommnissen sind. Im logischen Sinne bedeutet Empirismus die
Wertung der Erfahrung als einzige Quelle alles Erkennens; es gibt danach
entweder keine andere als empirische Erkenntnis, oder „wahrf^^ Erkenntnis ist
nur da zu finden, wo Erfahrung (und Induction aus Erfahrungen) gegeben ist^
Der (rrundsatz des Empirismus lautet: nichts ist im Denken (in unseren Be-
griffen), was nicht aus der Erfahrung stammt. Wird die Erfahrung als sinn-
liche Wahrnehmung aufgefaßt, dann gestaltet sich der Empirismus zum Sen-
sualismus (s. d.). Der dogmatische Empirismus setzt die empirische Grundlage
alles Erkennens, den unbedingten, ausschließlichen Wert der Erfahrung ohne
weiteres voraus; der kritische Empirismus kommt zu seinen Ergebnissen erst
nach Prüfung des Erkenntnisinhaltes imd der Erkenntnismittel. Gegensatz
zun psychologischen Empirismus ist der Nativismus (s. d.), zum logischen der
Rationalismus (s. d.) tmd der Apriorismus (s. d.). In der Gegenwart besteht
rielfach eine Synthese von Empirismus und Apriorismus, mit Ubenniegen bald
des einen, bald des anderen Bestandteiles, so daß es oft schwer fällt, die Lehre
eines Philosophen imter einen der Begriffe zu subsumieren. Vielleicht ließe
ueh der vermittelnde Standpunkt als kriticistischer Empirismus oder als
Kriticismus (s. d.) im weiteren Sinne bezeichnen.
G^enüber den rationaHs tischen Systemen vorsokratischer Philosophen
(mit Ausnahme der Kyrenaiker) sowie denen Platos und Aristoteles'
264 EmpiriBinus — UnergetiBche Naturauffassung.
• haben die Erkenntnislehren der Stoiker und Epikureer einen mehr empi-
rietischen Charakter. Im Mittelalter neigen dem Empirismus teilweise zu
Wilhelm von Occam, Boger Baco, zur Zeit der Benaissance L. Vives,
N1ZOLIÜ8, Galilei, Campanella, L. da Vinci. Den neueren Empirismus
begründet F. Bacon. Bei Hobbes, reiner bei Locke ist er zu finden, auch
bei Berkeley, in „skeptischer^^ Färbung bei Hume, sensnal istisch gestaltet bei
CONDILLAC u. a. Kant überwindet die Einseitigkeiten des Empirismus und
des Rationalismus durch seinen Ejriticismus. Einen „rationellen Empirismus^'
vertritt Goethe (vgl. Siebeck, Goethe als Denker S. 23). Einen „indttciiteit
Empirismus begründet J. St. Mill. Einen kritischen (oder kriticistischen)
Empirismus lehren Beneke, Überweg, Comte, O. F. Gruppe, C. \V. Opzoo-
mer, E. Dühring, C. Göring, Laas, auch noch Biehl, Wundt, Nietzsche,
H. Spencer, O. Caspari (Zusammenh. d. Dinge S. 192), Harms, F. von Bares-
BACH (Grundleg. d. krit. Philos. I, 1873), E. v. Hartmann. Eine Theorie der
^^einen Erfahrung'' gibt B. Avenariüs, ähnlich lehren Kirchhofe, Hertz,
E. Mach, B. Wähle und H. Cornelius. Dieser unterscheidet den ,,<wj-
seqttenten'' oder „erkenntnistheoreti-scfie^i" vom „n4ituralistischen Scheinetnpirismur^
(Einl. in d. Philos. S. 335). Wahrer Empirismus ist die Art des wissenschaft-
lichen Betriebes, welche die Erfahrung, von allen dogmatischen Voraussetzungen
geläutert, begrifflich für die Erklärung der Tatsachen verarbeitet (L c. S. 36).
Vgl. Erfahrung, Erklänmg, Baum, Zeit, Kategorien.
Eiinptrlstiseli: aus der Erfahrung ableitend, auf Erfahrung gründend.
Empiristisch kann sein die Erkenntnistheorie, die Ethik. Gegensatz : speeulativ
(s. d.), aprioristisch (s. d.).
Empyrenm: bei Dante das oberste Paradies (Parad. 31 f.), bei Patei-
TTüS II. a. der Feuerhinmiel, die empyreische, feurige Welt, die den äußersten
Kreis des Universums bildet und von geistigen Wesen bewohnt wird. Empv-
reisch: himmlisch.
Enar^ie {ivagyeta): Evidenz (s. d.j, Klarheit (s. d.).
EIncyklopftdtsten heißen die Herausgeber und Mitarbeiter der ,,Encif
clopidie m( dictictnnaire raisonne des sc-iences, des arts et des mMiers'* (1751 bis
1772), die in aufklärerischer Weise schrieben (d'Alembert, Diderot, Hol-
bach, B0U88EAU, Voltaire u. a.).
Endeleeble s. Entelechie.
Endlicli ist, was ein Ende, eine Grenze in Baum oder Zeit oder in
beiden! hat. Endlich, d. h. Anfang und Ende des Daseins habend, kann sein
ein Ding, ein Geschehen, ein Wirken, eine Kraft. Vgl. Unendlich.
Endoxa (k'vSo^a): Sätze, die schon außenvissenschaftlich Geltung haben;
t| irSoSüir schließt der „dialektische"' (s. d.) Schluß nach Aristoteles (Top. 1, 1).
Endursaclie, Endzweck s. Zweck.
£nerg^etlk: allgemeine Energielehre (vgl. Ostwald, Energet.«, S. 11).
Enei^etisehe Natnranffassan^: die Annahme der Energie (s. d.>
als Princip, Gnmdlage, Substanz alles physischen Geschehens, im Gegensatze
zur mechanistischen (s. d.) Weltanschauung, welche die Materie (s. d.) mid das
Mechanische als Princip des Physischen bestimmt.
Energie. 265
Elneri^le {ire^ysia) : Wirksamkeit, Betätigungskraft, Arbeitsfähigkeit, Arbeit.
Die physikalische Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten, die Wirkungs-
lahigkeit der Masse; sie ist actuelle (insbesondere kinetische) oder potentielle
Energie, d. h. sichtbare, an die Bewegung geknüpfte, oder unsichtbare, analog
der lebendigen Elraft gedachte Energie. Das Gesetz der Constanz und Er-
hütimg der Energie besagt, dafi bei allen Umwandlungen der Energieformen
in andere das Quantum (actueller und potentieller) Energie unverändert bleibt,
daß Energie weder neu entstehen noch verloren gehen kann. Es beruht dies
Gesetz auf einem durch Erfahrung wachgerufenen und auch erhärteten Postulate
des auf Geschlossenheit und Einheit des Naturgeschehens ausgehenden causalen
Denkens, in letzter Linie auf der Setzung der materiellen Substanz als eines
permanierenden Principes. Psychische (geistige) Energie ist die Wirkungs-
fähigkeit, Wirksamkeit von Beif^iiBtseinsfactoren, die Wertgröße eines psychischen
Gebildes. Der Name y, Energie^* wird auf mechanischem Gebiet schon von
Th. Young (1800) gebraucht, aber erst nach 1850 von den englischen Physikern
auf die gesamte Physik übertragen (Mach, Wäiinelehre*, S. 256).
Der Terminus „Energie^* verdankt seine Entstehung dem Aristoteles.
Bei ihm heifit M^Bia (dv fy/c^ elvai) die lebendige Wirklichkeit imd Wirk-
samkeit, das Auswirken, Verwirklichen, Wirklichsein im Unterschiede von der
bloßen Potenz {8vvafug) (Met. IX, 6 squ.). Sehen, Erkennen, Leben u. dgl.
sind Enei^en. Alles Geschehen ist Übergehen aus dem Zustande der Bvvafus
in den der drt'^ua durch die Tätigkeit einer j^Fann^^ (s. d.), die selbst ivd^sta
wt Die Energie ist das Prius der Potenz {favs^ov ort ttqots^ov ive^yeia
ivvdfttck iartv, Met. IX 8, 1049 b 5). Eine Energie kann wieder nur durch
eine Energie ausgelöst werden {aiel yd^ ix rov Swdusi ovrog yiyvsrat t6 iv8Q-
ytiq or vTcb ive^siq. ovroe, olov avd'Q(onog iS dv^Qonov . . ., aUi Ktvovvroe
uvoi n^TOV ro de xivavv ivef^eiq rjSrj iariv^ Met. IX 8, 1049 b 25). Die
Energie ist zugleich Zweckursache {rdlog 8^rj ive^ysia, xai tovtov ;ir «(>«»' r;
Üivautg XafißdvexaL, Met. IX 8, 1050 a 9 squ.). Der Stoff ist bloß dvvatuif.
Gott (6. d.) hingegen reine ivi^eta (j^aetus puru^^^). Die Unterscheidung von
,,p(tlen(ia** und Energie (actus, actualitas = operatio, vgl. ScoTUS Eriugena,
Divis, natur. I, 44) spielt in der Scholastik eine große Bolle. Leibniz schreibt
den Monaden (s. d.) eine beständige Energie zu.
Das Gesetz der Constanz der Energie hat seine Vorläufer in dem Gesetz
der Ejrhaltung der Materie (Bewegung) und der Kraft. Aristoteles spricht
von einer E^haltimg des G^zen bei Veränderung der Teile ioire dei rd avrd
fum; Siafidveij ovre yijg ovxe d'aXdrTTjgy dXXd fiovov 6 Tids oyxog, Meteor. II 3
3r>Sb 29). Teleshtb schreibt der Materie einen Erhaltimgstrieb zu, vennöge
dessen die Masse unverändert bleibt (vgl. Lasswitz, (Tcsch. d. Atom. I, 331).
Xach Dbscartes bleibt die Bewegungsgröße (m v) constant (s. Bewegung).
HcYGHENB lehrt in mathematischer Weise die Erhaltimg der lebendigen Kraft
im Universum (Horolog. oscillatorium IV, hyp. I, II). So auch Leibniz:
;t . . . ü 9e eonserve non seulement la meme qtiantite de la force mouvanUy
maü encore la meme ^uatUite de directian vers quel coli qu'ofi le prenne dxina
k rnonde"' (Erdm. p. 133; vgl. p. 108, 429 f., 520, 045, 702, 711, 723) undD'ALEM-
BERT (Trait^ de dynam. 1743, p. 169). Kant erklärt: „Quantum realitatis
obfolutae in mundo nnturaliter non mtUcUur^ nee augeseendo nee decrescendo^^
{Cogn. phil. nov. diluc. sct. II, prop. X).
Wissenschaftlich exact begründet wird das Gesetz der Constanz der Energie
266 Energie.
(Kraft) von Joule, B. Mayer, Uelmholtz. Nach B. Mayer gibt es ,jMr
-eine Kraft Im ewigen Wechsel kreist dieselbe in der toten trie in der lebenden
NcUur**. Die Kraft ist y,iinxer8törlicfi". Eine Äquivalenz in den Wechsd-
wirkungen der Kräfte besteht (Bemerkung, üb. die Krä^ der unbelebten Natur,
in Liebigs Annalen der Chemie 1842; Die organ. Bewegung . . . 1845; vgl
Sigwart-Festschrift S. 159 ff.). Nach Helmholtz kann lebendige Kraft eine
ebenso große Menge Arbeit wiedererzeugen, ^vie die, aus der sie entstandoi
war (Vorträge u. Bed. I*, S. 33 f.). Das Energieprincip besagt, daß „rfo« Natur-
^anxe einen Vorrat wirktingsfähiger Kraft besitzt, welcher in keiner Weise treder
vertnekrt noch vermindert werden kann, daß also die Quantität der wirkmigs-
fähigen Kraft in der wwrganisehefi Naiur ebenso ewig und unveränderlich Mt,
une die Quantität der Materie^^ (1. c. S. 41). Die Quantität der Gesamtkraft in
der Natur iat imveränderlich (1. c. S. 152). „Alle Veränderung in der Xaiur
besteht darin, daß die Arbeitskraft ihre Form und ihren Ort weehselt, ohne daß
ihre Quantität verändert wird. Das Weltall besitzt einfiirallemal einen Schatz ton
Arbeitskraft, der durch keinen Wechsel der Erscheinungen veränderty vermehrt
oder vermindert werden kann und der alle in iktn vorgehende Veränderung
unterfiält'' (1. c. S. 187; vgl. I, 227, 380 ff.). Ähnlich O. Liebmann (AnaL d.
Wirkl.»», S. 384 f.).
Fechner betont: „Nicht die Größe der eben vorßiandefien lebendigen IGraftj
aber die Größe der vorhandenen lebendigen Kraft zusamtnen mit der . . . poief^
iieUen KrafV^ ist für die Welt eine constante Größe (Elem. d. Psychophys. 1889,
I, 32). H. Spencer verlegt die „persistenee of force^*^ in das Absolute selbst
(First Principl. § 58 ff.). BiEHL hält das Energieprincip für eine „unmittelbare
Conscquenx des Caiisalitätsprincips^^, welche eine Denkforderung und zugleich
durch Erfahrung bewiesen ist (Phil. Krit. II 1, 259, 263). Stallo führt das
Aquivalenzprincip auf den Satz: Aus nichts wird nichts zurück (Die Begr. u,
Theor. d. mod. Phys. S. 38; vgl. dagegen Kromann, Unsere Naturerk. S. 296,
303, 316 ff.; Sigwart, Log. II«, S. 531, a33 f.; P. Volkmann, Erkenntnis-
theor. Gnmdz. d. Naturwiss. S. 48, 150, 168; E. v. Hartmann, Weltansch. d.
mod. Phys. S. 13; L. Busse, Geist u. Körper S. 451 ff.). Nach K Lasswitz
ist Energie „eine Realität im Räume und unterscheidet dadurch die Natur als
das Gebiet des notwendigen Geschehens von dem geistigen Gebiete, das urir er-
leben^^ (Wirkl. S. 113). Im Seelischen gibt es keine Energie (ib.). Die Ck>nstanz
der Energie der Welt setzt die Geschlossenheit der Natur voraus (1. c. S. 104;
vgl. S. 111). Über das Energieprincip finden sich Bemerkungen bei DuBOis-
Beymond (7 Welträtsel 1891, S. 94), Paulsen (Eml. in d. Philos. S. 90),
KtJLPE (Einl. in d. Philos. S. 133), Adigkes (Kant contra Haeckel, S. 32 f.).
HÖFFDiNG (Psychol. S. 69). Ebbinghaus erklärt: „Bei allen Umwafidtuptgen
der körperlichen Dinge ineinander und bei allem Wechsel des Gesefiehens an
ihnen bleibt stets ein Factor in seinem Gesamtwerte unverändert, an dem sie alle
in wechselndem Maße Anteil futben, nämlich ihre Fähigkeit (unter geeigfteten
Umständen) mechanisclie Arbeit %u verrichten*^ (Grdz. d. Psychol. I, S. 29 f.).
Stumpf sieht im Energieprincip ein „Gesetz der Transfortnaiion*^ ; „u^m
kinetische Energie (lebendige Kraft in sichtbarer Bewegutig) in andere Kraft-
formen umgewandelt und diese sefdießlieh in kinetische Energie xurückvencatuklt
icerden, so kommt der nämliche Betrag zum Vorsehein, der ausgegeben tcürdn^'
<Leib u. Seele S. 24). Das Energieprincip läßt eine psychophysische AVechsd-
wirkung (s. d.) zu (1. c. S. 33). Mach erklärt: „Schätzt man jede physikalische
Energie. 267
Zusiandsäudenmg nach der mechanischen Ärbeüy welche beim Verschwinden der-
selben geleistet werden kann^ so kann 7ftan alle physikalisehen Zustandsänderungen,
so verschiedenartig dieselben sein mögefiy mit demselben gemeinsamen Maß messen
und sagen: Die Summe aller Energien bleibt eonstani** (Populärwiss. Vorles.
S. 182 f., 156). Das Ekiergieprincip hat keine imbedingte Gültigkeit, es gilt nur
für jene Fälle, in welchen die Processe wieder rückgängig gemacht werden
können (Wärmelehre*, S. 345 f.; vgl. Die Gesch. u. die Wurzel des Satzes der
Erhalt, d. Arbeit 1872). Nach Ostwald besagt das Gesetz der Energie, „daß
eil in der Natur eine getcisse Größe von immaterieller Beschaffenheit gibt, die bei
nlkfi X frischen den betraehteien Objeeten stattfindenden Vorgängen ihren Wert
beibehält, währefid ihre Erscheinungsform auf das vielßitigste weeliselt** (Energet.*,
8. 10 L Alle Umwandlungen der Arbeit lassen ihren Betrag im verändert (Vorles.
üb. Naturphilos.*, S. 155 ; vgl. S. 159, 247). Energie ist „Arbeit, oder edles, was
aus Arbeit entsteht und sieh in Arbeit umwandeln läßt** (1. c. S. 158). Die
Energie ist die „allgemeinste Substanz** des Geschehens (1. c. S. 146, 152 f.,
280), aus Enei^en besteht die sog. „Materie** (s. d.) (Überwind. d. Mater. S. 28).
Masse ist Capacität für Bewegungsenergie, Baumerfüllung ist Volumenergie.
Die Energie bedarf keines Trägers, ist selbst das Wirkliche. „Alles, was wir
rtfti der Außenwelt wissen, können wir in der OestaU von Aussagen über vor-
hitndene Energien darstellen** (1. c. S. 153). Auch das Psychische (s. d.) kann
als eine Energieform aufgefaßt werden. Qualitative Elnergetiker sind auch
Mach und Helm. Dagegen betont Wündt die Notwendigkeit der mechani-
stischen Xaturauffassung. Das üiergieprincip ist schon eine Folge der. einfachen
mechanischen Principien. Die Energetik trägt femer dem „Postidat der Ati-
«chatdiehkeit** keine Bechniin^ (Syst. d. Philos.*, 8. 484 ff.). Das Energieprincip
schließt ein das Oonstanz-, Äquivalenz-, und Entropieprincip. Ck)nBtant ist nur
die Gesamtenergie. Der Satz von der Erhaltung der Energie ist zunächst ein
& priori angenommenes Princip. „Seine Geltung für die Erfahrung hat aber
dieses Princip nur beivahren können, weil sich alle Beobachtungen mit demselben
in Übereinstimmung brittgen lassen** (Log. I*, 621 ff., !!• 1, 302 ff., 453 ff.;
Syst. d. Philos.«, S. 481 ff.; Phil. Stud. XIII, 375). Das Äquivalenzprincip kann
*uf das psychische Creschehen nicht angewandt werden. Hier besteht ein Gesetz
des Wachstums der Werte, ein „Princip des Wachstums geistiger Energie**.
Psychische Energie ist die „Größe eines psychischen Wertes im Hinblick auf
die ihm xiücmnmende geistige Wirkungsßhigkeit** (Phil. Stud. X, 116); „psg-
thisehe Energiegröße** ist „die qualitative Wirkungsfähigkeit in der Erzeugung
Tff» Wertgraden** (Gr. d. Psychol.*, S. 396). Die Zunahme der psychischen
Energie bildet die Kehrseite der physischen Constanz. Sie „gilt nur unter
der Voraussetzung der Continuität der psychischen Vorgänge. Als
ihr in der Erfahrung unzweifelhaft sich aufdrängendes psychologisches Correlat
tteht ihr darum die Tatsache des Verschwindens psychischer Werte
gegenither** (ib.). Das Constanzprincip der Naturwissenschaft erstreckt sich nur
Ulf quantitative Beziehungen, abstrahiert vom Qualitativen, so daß kein Wider-
spruch zwischen diesem und dem Wachstimisprincip besteht. Die subjectiven
Werte können zunehmen, ohne daß die Massen und Energien des physischen
Organismus ihre Constanz einbüßen (Syst. d. Philos.«, S. 304, 307; Log. II*,
S. 275 f.; PhiL Stud. X, 116; Eth.«, S. 404). Lazarus erklärt, in der Seele
bleibe alles erhalten, nicht bloß der Zusammenhang, die Resultante einer geistigen
Verbmdimg, auch die Elemente, im Unterschiede von den physischen Processen
268 Energie.
(Leb. d. Seele II*, 392 f.). Gegen das Wachstumsprincip sind die Anhänger
einer associativen ParallelismuBlehre , auch Münsterberg wiU das Constanz-
princip auf das Psychische angewandt haben. Jodl erkennt nur ein Wachstum
der psychisch-physischen Leistungsfähigkeit des Organismus an, der infolge der
Reactionen auf verschiedene Beize sich stetig verändert (Lehrb. d. Psychol
ß. 88). Ziehen versteht unter Energie der Vorstellung die Stärke derselben
(Leitfad. d. phys. Psychol.', S. 122). — Gegen die „Energetik^* im Sinne Ost-
walds erklärt sich A. Biehl, welcher bemerkt: „-fi?« muß tUs irreführend bt-
xeichnet werden, wenn von der Energie als einer einzigen Größe neben Battm
und Zeit geredet wird, da jede Energieform sich vielmehr als das Product xireier
Größen darstellt: eines GapaeitätS' und eines Intensitätsfaetors, die beide reeJk
Größen sind, Gapaeität bedeutet Aufnahmefähigkeit für Energie und ist sid^
von dieser begrifflich verschieden, wenn auch sachlich mit ihr verbunden. In den
Capaeitäten aber, der Masse x, B. bei der kinetischen Energie, steckt der empi-
rische Begriff der Materie, und statt diesen Begriff wirklieh eliminieren xm
können, hat die Energetik ihn nur anders benannt** (Zur Einf. in d. Philos.
S. 148). Gegner der „quaUtcUiven Energetik" ist auch E. v. Hartmann, da
an der mechanistischen Energetik (im Sinne von Claustüs, Thomson, Max^
well, Boltzmann u. a.) festhält (VVeltansch. d. mod. Phys. S. 76 ff., 19l) ff.^
Die Energie ist nichts Ursprüngliches, darf nicht hypostasiert werden (1. c
S. 195 ff.). L. Busse hält das Problem für unentschieden (Geist u. Körpei
S. 416). Das Energieprincip enthält: 1) das „Äguivalenxprincip**, es besagt, ,/iaß
bei allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander ein Factor, die Energie^
d. h. wieder die Fähigkeit, unter Umständen mechanische Arbeit zu verrichten^
sieh gleich bleibt, d, h. daß für jede Energie, die irgefidwo zur Erzeugung einek
Zustandes aufgewandt, verbraucht unrd, anderswo ein gleich großes Qimfitun
der gleichen oder einer andern Energieform auftritt**; 2) das „Consianxprineip^\
es besagt, j,daß die Gesamtenergie, Ober welche das physische WeltM rerfügt^
sieh stets gleich bleibt, also keiner Vermehrung und keiner Verminder^mg fak^
ist** (1. c. S. 405 ff.). Das Äquivalenzprincip bildet kein Hindernis für dk
Annahme einer psychophysischen Wechselwirkung, wohl aber das Oonstans
princip (1. c. S. 407, 417 ff.), aber letzteres ist nur ein Dogma, eine petitil
principii (1. c. S. 460 ff.). Mit dem Constanzprincip halten dagegen die Wechsel
wirkimgstheorie (s. d.) für vereinbar: von Grot (Arch. f. System. Philos. IV, 257 f.)
Külpe (Eml. in d. Philos.*, S. 144 f.), Ostwald (Vorles. üb. Naturphilo«
8. 373, 377 f., 396), Stumpf, Rehmke (AUg. Psychol. S. 110 ff.), Erharim
(Die Wechselw. S. 85, 94), Wentscher (Über phys. u. psych. Causal. S. 113
Eth. I, 291 ff.), E. V. HARTikiANN (Mod. Psychol. S. 415), H. Schwarz (Psycho!
d. Will. S. 375 f.), auch Höfler (Psychol. S. 59), Jerusalem (Einl. in d
Philoß. S. 91). Manche bezweifeln noch die Geltmig des Energieprincipes fü
die Organismen, z, B. Ladd (Phil, of Mind S. 354 f.). Aus dem universalei
Constanzprincip folgert Nietzsche die „eivige Wiederhnmfl** (s. Apokatastasia
der Dinge. Nach H. Cornelius sagt das Energieprincip, „daß die in einen
gegebenen System vorhandene Ärheitsmenye unveräfidert bleibt, solange dm
^stem nicht Arbeitsmengen nach außen abgibt oder von außen aufnimmt** (Ein!
in d. Phüos. S. 110). Femer geht mit allen Änderimgen in der Natur etm
„Zerstreuung der Energie** Hand in Hand; keine Ändenmg kann jemals voll
ständig rückgängig gemacht werden (1. c. S. 112). Reinke erklärt: „Insofert
eine Kraft die Trägheit eifies Körpers überwindet, wird sie zur Energie, dnin sü
Energie — Energie, apeciflaohe. 269
küf€t dabei meehanisehe Arbeit^' (Einl. in d. theoret. Biol. S. 144). Die Energien
und „fceehselnde Formen einer zahlenmäßig auszudrückenden Orunderseheinung"
^.). Die Eiiiergien in den Organismen werden von Kräften, „Dominanten^^ (s. d.)
^chtet, gelenkt, transformiert, reguliert (1. c. S. 169 ff.; vgl. Lotze, Mikrok.
[, 81). Vgl. J^laterie, Kraft, ParallelismuB, Wechselwirkung, Gefühl, Spiel.
Energ^es^letclmiig^en sind nach Wu:n^i>t ein Ausdruck für Abhangig-
bitßbeziehungen der Naturerscheinungen neben den f,Kraftgleichungen" (s. d.).
Sie treten auf: 1) als ^yTrafisfarmationsgleiekungen", in denen „irgend einer als
Bediftgttng betrarhteten Energieform die aus eieren Umttandlung hervorgegangenen
^enjini als Wirkungeti gegenübergestellt tcerden^^y 2) als „Zustandsgleichungen^^ ,
b denen yf^wei aufeinander bexogene, aber durch beliebige xwisehenliegende Um-
tandlungen geschiedene Energiegrößen E^ und E^ herausgehoben und in deni
^nne einander gleichgesetzt werden, daß die früher beobachtbare Energiegröße Ei
rfo die Ursache der später ermittelten E^ ersclieint^* (Log. II* 1, S. 327 ff.; Syst.
L Philo?.«, S. 284 ff.; PhiL Stud. X, 11 ff., XII).
Energie, speeilliäelie« ist die eigenartige Erregungsweise eines Sinnes-
irpanes, die Tatsache, daß jedes Sinnesorgan auf verschiedene äußere Beize
Itets mit den gleichen Empfindungsqualitäten antwortet. Dies weist wohl auf
jine phylogenetisch entstandene Anpassung der Sinnesorgane und Sinnesnerven
|D besondere Beize der Außenwelt hin, dergestalt, daß jeder derselben stets
llnen bestimmten, specifischen Erregungsvorgang (inneren Beiz) in jedem Sinnes-
jlgane zur Folge hat.
I Die Grundverschiedenheit der einzelnen Sinnesfunctionen betont Galen
fv rnii aic&rji^iKdig bvvdfuai: III, 639). Descartes erklärt sie aus der Ver-
^edenheit der Nerven und Nervenbewegungen. „Horum sensuum direr-
fhtesy primo ab ipsorum nervoruin diversitate, ac deinde a ditfersitate motuufn,
fti in sih^uiis nervis fiimt, dependent^ (Princ. phiL IV, 190). BoNNET erklärt:
£kaque sens a une Organisation qui lui est propre, d'oü resultent ses effet^"
pßs. de Psychol. C. 27). Platnek betont: j^Daß die Nerven eines jeden Sitme^-
ferkieugs eine besondere Beschaffenheit haben, ist niciä unwahrscheinlich^' (Phil,
bhor. I, § 156). Diese Ansicht ist bei den Physiologen des 18. Jahrhun-
(arts verbreitet (vgl. Dessoib, Gesch. d. Psychol. I', S. 401).
; Neu b^ründet wird (im Anschlüsse an Kants Apriorismus, s. d.) die
{ehre von den j^specifisehen Sinnesenergien^* durch JoH. Müller. Nach ihm
lonunt den Sinnesnerven eine ursprüngliche ,Mngeborene Energie^* zu, vermöge
leren sie auf die verschiedensten Beize stets mit der gleichen Empfindungsart
fitworten, so daß die Empfindungen rein subjective Zeichen für unbekannte
foi^änge sind (Handb. d. Physiol. d. Sinne ia37, I, 261 ; Zur vergleich. Physiol.
|. (I^sichtwsinn. 1826, S. 45, 52 ff., Lehrb. d. Physiol. d. Mensch.* I, 1^44,
i. 667.). Helmholtz verwertet dieses Gesetz für die Theorie der Ton- und
ichtempfindungen (Physiol, Opt.*, S. 233; Lehre von d. Tonempf., Abschn.
in. 4). Aber nur die „ModcUität^ der Empfindimgen ist durch den Sinnes-
pparat bestimmt, die „QtuUität^^ wird durch den äußeren Beiz mitbestinmit.
ifle Xervenfäden haben dieselbe Structur, dieselbe Erregbarkeit (Vortr. u. Eed.
\ 08 ff., 296 ff.). So auch H. Spencer, Jgdl (Lehrb. d. Psychol. S. 182 ff.),
tiEHL (PhiL Krit. II 1, S. 52 ff.). Er betont, daß der äußere Beiz erst einen
Böeren erzeugt, der erst den adäquaten Anlaß zur Empfindung (z. B. der Licht-
mpfindung) bildet. Der Sinn wählt vermöge seiner Adaptation an specifisch
270 Energie» speciflsohe — Enge des Bewoßtaeins.
bestimmte Beize denjenigen Teil eines Eeizcomplexes aus, der seinen adäquaten
Reiz entliält. Femer ist der Sinnesapparat j^elbst ein Teil der objeetiven WeU^'.
y, Außer quantitativen oder meßbaren Wirkungen müssen die Dinge auch qualir
tative Wirlamgen austauschen, so gewiß es specifische Empfindungen
gibt, und die Empfindung stellt sich uns als die vollendete EntunMung der
Beschaffenheit der Beixe dar; sie ist durch die Beschaffenheit der Sintie mii-
bestimnit, aber nicht durch diese allein erxeugf* (Zur Einf. in d. Philos. d.
Gegenw. S. 63 ff.). Auch Wundt erklärt sich gegen die Einseitigkeiten der
Energie-Theorie, ßei den chemischen Sinnen findet eine y^Transformation" der
Beize in innere Processe statt (Gr. d. Psychol.*, S. 51). Das „Gesetz der speci-
fischen Energie'^ ist aus drei Gründen unhaltbar: 1) steht es in Widerspruch
mit der Entwicklungsgeschichte der Sinne. Diese setzt eine Veränderlichkeit
der Sinneselemente voraus, und das wieder eine Modificierbarkeit dieser durch
die Beize. „Darin liegt eingeschlossen , daß die Sinneselemenie überhaupt erst
in secundärer Weise, nämlich infolge der Eigensehaftenj die sie durch die Urnen
xugeführten Reixungsvorgänge annehnen, die Empfindungsqualiiät bestimmen^'
(1. c. S. 52 f.). 2) yyDer Begriff der specifischen Energie widerspricht der Tat-
sache, daß in xcMreiefien Sinnesgebieten der Mannigfaltigkeü der Empfindimgs-
qualitäten eine analoge Mannigfaltigkeit der physiologischen Sinneselemente
durchaus nicht correspondiert^' (1. c. S. 53). 3) „Die Sinnesnerren und die
centralen Sinnesetetnente können deslialb keine ursprüngliche specifische Energie
besitxe?!, weil durch ihre Reixung nur dann die entsprechenden Empfindungen
entstehen, wenn mindestens xjuvo'r während einer xureiehend langen Zeit die
peripheren Sinnesorgane den adäquaten Sinnesreizen zugänglich gewesen sind*^
(1. c. S. 54). „Alles spricht demnach dafür, daß die Verschiedenheit der Em-
pfindungsqualität durch die Verschiedenheit der in den Sinnesorganen entetehenden
Reixung s Vorgänge bedingt ist, und daß die letxteren in erster Linie ron der
Beschaffenheit der physikalischen Sinnes^-eixe und erst in xweiter von der
durch die Anpassung an diese Reixe entstehenden Eigentümlichkeit der Aufnahffte-
apparate ahhängen. Infolge dieser Anpassung kann es dann aber aueii geschehen,
daß selbst dann, wenn statt des adäquaten, die ursprüngliche Anpassung der
Sinneselemente bewirkenden physikalischen Reixe ein anderer Rdx eimrirkt, die
dem adäquaten Reix entsprechende Empfindung entsteht. Doch gilt dies weder
für alle Sinnesreixe noch für alle Sinneselemente** (1. c. S. 54). Zwischen Em-
pfindungen und physiologischen Beizungsvorgängen besteht ein Wechselverhaltnis,
insofern verschiedenen Empfindungen stets verschiedene Beizungs Vorgänge ent-
sprechen (Satz vom „Parallelismus der Empfindungsunterschiede und der phy-
siologischen Reixunterschiede") (1. c. S. 55 ; vgl. Grdz. d. phys. Psychol. I*, C. 8).
Vgl. Qualität, Sinn.
£2nerg^ina8 nennt Paulsen die (von ihm vertretene) ethische Anschan-
ung, die „das höchste Out nicht in subfective OefühJserregu/ngen, sondern in eiften
objectiven LebensinhaU, oder, da Leben Betätigung ist, in eine bestimmte Art
der Lebensbetätigung setzt*' (Einl. in d. Philos.*, S. 432).
Eüf^e der Aufimerksaiiikelt s. Bewußtseinsenge.
E]n§^e defii Beimßteeliis („narrowness of Ute consciousness**) : ein von
Locke stammender (Ess. II, eh. 10, § 2) Ausdruck für die Beschränktheit des
Bewußtseins auf eine geringe Zahl gleichzeitiger gesonderter Vorstellungen.
Vgl. Bewußtseinsenge, Aufmerksamkeit, Hemmimg, Umfang.
Engel — Enthusiasmus. 27 t
[: geistige Mittelwesen zwischen Gott und dem Menschen (Pars Is-
mus, Judentum, Christentum, Philo u.a.). Nach Jon. Scotüs Eriugena
sind die £ngel „inielligihile^j aetemi, incesaabilesque inotus circa principium
omntum" (Div. nat. 11, 23). Fechner setzt seine „öestirfmeister^' den ^yEtigeM'
gleich (Zend-Avesta).
Hen kal pan {iv xal ndv) s. Pantheismus.
Enkekalymmenofii (eynexalvfiftivosy velatus): „c^^er Verküllte^^ Name
eines Trugschlusses des Megarikers EJttbulides (Diog. L. II 10, 108), der auch
bei den Stoikern discutiert wird (Lttcian, Vit. auct. 22). ^yKannst du deinen
Vafer erkennen? Ja. Kannst du diesen Verhüllten erkennen? Nein. Du icider'
gprichst dir; denn dieser Verhüllte ist dein Voller. Du kannst also deinen Vater
erkennen und doch auch nicht erkennen!'^ (vgl. Ajustoteles, De soph. elench. 24,
179 a 33). Vgl. Elektra.
EnferaUteii (die Enthaltsamen): Name einer von Tatiak gestifteten
8ecte,
(ens, ov)\ Seiendes (s. d.), Wesen (s. d.), Ding (s. d.).
Ensopli: nach der Lehre der Kabbai ä das unendliche, unbestimmte
Umichts, das göttliche ,,IAch1^^ aus dessen Ck)ntraction die Welt entstand
(Fkanck, La cab. p. 173 ff.). Revchlix spricht vom Ensoph als der j,infinitudOf
qtme est summa qiwedam res seeundum se incowprehe^isihüis et iiieffabilis^''
iDe art. cabbal. I, 21a).
■
ESaielecliie {ivreUxBia) nennt Aristoteles die vollendete Wirklichkeit,
das Ziel des Verwirklichens, die Actualitat Die ivi^eia (s. d.), die Wirksam-
keit eines Dinges, gestaltet sich zur iv^BXixsia (awreivet n^oe r^v dvrelsxetav,
Met IX 8, 1050 a 23). Die „Bnteleehie^^ bezeichnet das diu-ch das Wirken selbst
erreichte Ziel (De an. II 4, 415 b 15 squ.). Die ivreUxBia ist zugleich der loyo^
des BvvauBt Seienden (De an. II 2, 41a 25 squ.). Die Seele (s. d.) ist n^eorrj
ivTtkixeia des Organismus (De an. II 1, 412 a 27). Bei Hermolaus Barbarus
wird die AvxsXdxBia zur ^^erfectihabia^^. Die Scholastiker halten an dem
Begriffe der Entelechie fest, der auch als „endelechia^* vorkommt, so auch bei
MELA27CHTHON: yyEndelechia id est agitatio" (De an. p. 8 a). Leibniz nennt
die Monaden (s. d.) Entelechien, weil sie aus eigener Kraft ihre Zustände heraus-
entwickeln und ihr Sein so verwirklichen. Sie haben eine gewisse Vollkommen-
heit in sich (ixovci ro ivrekee), eine Selbstgenügsamkeit {ax^dqxeia), die sie
gleichsam zu un körperlichen Automaten macht (Monadol. 18). Wundt be-
trachtet die Seele (s. d.) als Entelechie.
£iitfaltilii§^ 6. Explication.
£iitCemiiii|; s. Baum.
Igntlufcltjmg von Urteilen s. Skepticismus.
Entlmsiasililis (kv&ovaiaafi6a): Entzückung, Begeisterung, ursprünglich
in religiöser Beziehung (so auch bei Plato, Aristoteles), in mystischem Sinne
W den Neuplatonikern. Nach Alpinus ist Elnthusiasmus ^,studium cultus
intemi neghcto extemo". Bei G. Bruno hat der Enthusiasmus eine philo-
sophische Bedeutung (s. Furioso). Nach Shaftesbury ist Enthusiasmus
nJjeiden^chafl für das Quie und Schöne^\ die Grundlage alles Philosophierens
(Lett concem. enthus. 1708). Nach Platner ist Enthusiasmus „em affect-
272 Enthustasmus — Epikureismua.
artiger Eifer für Personeti, die wir sehr lieben und beumndem, oder für Dingen
die toir als sehr loichtig ansehen^' (Phil. Aphor. II, § 815). Kant erklart:
yjDie Idee des Griten mit Affect heißt der Enthusiasmus^*^ (Krit. d. Urt. §29).
Entltymeiii (ivd'v/urjjua) : verkürzter Schluß, bei dem eine Prämisse (s. d.)
dv d'vuip, d. h. verschwiegen bleibt. Es kann der Obersatz oder der Untersatz
fehlen. Bei Aristoteles bedeutet ivd'vfjLtjfia den bloß rhetorischen Schluß
(ßvd'vfirjfia fiev ovv iari avXloytafiioe i^ atnoxc^v fj arifieiiav)^ der nicht überzeugt.
Die neuere Bedeutung hat Enthymenm schon bei Bo£thiü8 : „Enthymemu rero
est imperfectus Syllogismus ^ cuius aliquae partes vel propter brevitcUem vel propter
notitiam praetennissae sioii** (In Top. Cicer. Conmient. I, Migne T. 64, 1050 B).
Nach Thomas ist „enthymema^^ ,,quida7n Syllogismus detnmcatus^^ (1 anaL Id).
-^ Zu den Enthymemen gehören auch die Entg^ensetzungsschlüsse (Oppo-
sitionsschlüsse), Gleichheitsschlüsse, Umkehnmgs- und Unterordnungsschlüsse.
£2iitltftt (entitas): Seinscharakter, Wesenheit (Thomas, Sum. th. I, 16, 6c;
<jr00LEN, Lex. phil. p. 156).
Entropie heißt die (von Clausius u. a.) gelehrte Tendenz der fort-
schreitenden yeni'andlimg actueller in potentielle Energie, die schließlich einen
Stillstand im Universum herbeiführen soll.
Enteclietdaiis^ s. Entschluß.
Entschloß (Entscheidung) ist der Abschluß einer Wahl- oder Willkur-
handlung, bestehend in dem Motivwerden einer der miteinander streitenden
Möglichkeiten. Wukbt: ,yDen der Handltmg unmittelbar vorausgehenden psy-
chischen Vorgang des nielir oder weniger plötxliehen Herrschendwerdens des ent-
scheidenden Motivs nennen wir bei den Willkürhandlungen im allgemeinen die
Entscheidung, bei den Wahlhandlungen die Entschließung. Hier weist
das erste Wort nur auf die Scheidung des herrschenden von den andern Motiven
hinj während das xweite durch seinen Zusam/menhang mit dem Zeitwort schließen'
andeutet, daß der Vorgang als ein Endergebnis aus mehreren Vorbedingungen
betrachtet unrd" (Gr. d. Psychol. S. 225). Abzuweisen ist die Ansicht, als ob
die Willensentschließung ein logischer Schlußproceß oder dergleichen sei (ib.).
Entscheidung und Entschließimg sind von Grefühlen begleitet (1. c. S. 225 t)>
£ntstelften s. Werden, Veränderung.
Entrrlcklani^ s. Evolution.
Epas^os^e (inaycjyi^) s. Induction.
Epliektlker {efexzixoi): Bezeichnimg für die Skeptiker des Altertums
(wegen der inoxn, Enthaltung vom Urteilen, Dig. L. IX, 11, 70).
Epicilerem (intx^l^fia) : abgekürzte Schlußkette (s. d.), in welcher mü-
der Episyllogismus (s. d.) vollständig, der Prosyllogismus (s. d.) aber versteckt
ist: M ist P, denn es ist A; S ist M, denn es ist B. Also S ist P. Bei
Aristoteles bedeutet inixei^fjfia einen dialektischen (s. d.) Schluß (Top. VIII
11, 162a 15; vgl. Hagemann, Log. u. Noet. S. 77).
Epl^enese s. Präformation.
ISplkurelsmus: 1) im weiteren Sinne = Genußsucht, hedonistische
(s. d.) Lebensanschauung; 2) im engeren Sinne = die Philosophie der Epi-
kureer: Atomismus (s. d.), Tugend (s. d.) = Streben nach Glück, Lust, Sen-
Epikureismua — Erfahrung. 273
sualismiis (s. d.). Außer Epikitr sind zu nennen : Metrodorus, Hkrmarghus,
Zkno von Hidon, Phtlodemus, T. Lucretiitb Carüs u. a. (vgl. Überweg-
HEiyzE, Gr. d. Gresch. d. Philos. I», 305 ff.). Erneuerer des theoretischen
Epikureismus ist Gassendi (Syntagma philos. Epicuri 1655). Den weiteren
{und schlechten) Sinn hat das Wort „Epikureer" schon im Mittelalter, hier und
später ist es oft gleichbedeutend mit Atheist.
Epiph&nontenoii (Huxley, Maxtdsley u. a., „surajottfe" : Ribot)
8. Psychisch, Bewußtsein.
CSpistemolos^y: Erkenntnislehre (z. B. bei J. F. Ferrier).
EplHyUog^teiniis (Nachschluß) heißt in einer Schlußkette (s. d.) der
^^chluß, dessen Prämisse im folgenden Schlüsse die Conclusion bildet. Epi-
syllogistisch ist das Schlußverfahren, das vom Prosyllogismus (s. d.) zum
Episyllogismus fortschreitet. Vgl. Progressiv.
Epoche (ßnoXfj) ß* Skepticismus.
EZrdf^tet ist nach Feghner das den Menschen, Tieren u. s. w. über-
geordnete Bewußtsein der Erde (Tagesans. S. 33 ff.).
Ereff^nlfii s. Actualitatstheorie.
firetrlkers die Schüler des Mekedemüs von Eretria. Von ihnen sagt
Cicero: .,A Menedemo Eretriaei appelladj quorum omne honum in rnente posittim
et mentis acte, qua terum cemerctur^^ (Acad. II, 42, 129). Vgl. Tugend.
Erfabnuiii^ (Empirie) bedeutet im allgemeinsten Sinne des Wortes jedes
Vorfinden, Erleben von Inhalten irgend welcher Art, jedes Aufnehmen eines
Inhalts, jedes Percipieren einer Bestimmtheit von Objecten oder des Subjectes.
Im engeren Sinne ist Erfahnmg die Erwerbung eines Wissensinhaltes durch
die äußere oder die innere Wahrnehmung (s. d.), durch Beobachtung, Experiment,
Induction. So genommen, enthält die Erfahrung schon ein Denken. Erfahrungs-
inhalt ist das „Physische^^ (s. d.) und j^Psyehiscfie^' (s. d.). Form (s. d.) der Er-
fahrung die bestimmte, gesetzmäßige Tätigkeit des Intellects, durch welche
,Srfahntfigen^^ gemacht werden. Die Form der Erfahrung stammt natürlich
nicht selbst aus der Erfahrung, wenn sie auch erst imd nur mit dem Erfahrungs-
Inhalt (in einer concreten Einheit, die erst die Reflexion zerlegt) besteht. „Äußere"
niid „innere^^ Erfahrung sind zwei verschiedene Aufmerksamkeitsrichtungen auf
einen ursprünglich einheitlich gegebenen Inhalt: die äußere Erfahrung ab-
strahiert vom erlebenden Subject und geht dem objectiv-gesetzmäßigen Zu-
sammenhange der Erfahrungsinhalte nach, die innere Erfahrung nimmt die
Erlebnisse in ihrer unmittelbaren Beziehimg aufs Subject, also als Erlebnisse
oder Bewußtseinsvorgänge. — Das Wort „erfahren" weist auf die Annahme
einer Wirklichkeit hin, von der wir Einwirkungen erhalten, die wir durch
,,rar7i" erreichen, erkunden (so schon bei Notker).
Der Empirismus (s. d.) wertet die Erfahrung als einzige Quelle der Er-
kenntnis, der Rationalismus (s. d.) schreibt dem Denken überempirische Er-
kenn tnigkraft zu, der Kriticismus (s. d.) betont in verschiedener Weise die
Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Erfahrung imd Denken.
Bei den antiken Philosophen herrscht vielfach eine Bevorzugung des
(speculativen) Denkens vor der Erfahrung. So bei den Eleaten, welche geradezu
das Erfahrungs wissen für ein Scheinwissen erklären; so auch bei Heraklit und
PhiloaophUobes Wörterbuch. 2. Aufl. 18
274 Erfahrung.
Demokrit, auch bei Plato, obgleich dieser die Erfahrung methodisch nicht
verwirft. Noch mehr zur Geltung kommt die Empirie bei Aristoteles, der
gleichwohl ebenso Rationalist ist wie seine Vorgänger. Die Erfahrung ist Er-
kenntnis des Einzelnen, Besonderen (r; fiev Ifinetgia nSv xad^ ixaarov itm
yvwaie, Met I I, 981a 15). Nur das Was (ox«), nicht das Warum {Stört) lehrt
uns die Erfahrung kennen (Met. I 1, 981a 29). Doch ist die Erfahrung das
Mittel zur Gewinnung allgemeiner Einsichten (*x . . . rr^g iunei^las r^r xa&o-
lov lafißdvo/uv imarr^firiy f Phys. VII, 3). Aus der Ansammlung von Er-
innerungen geht die Erfahrung hervor (yiyverai S'ix jrje fivrfur^g iftjiei^a roU
nvd'^amote' nl ya^ noXkal fiv^fiai rov avrov ngay/uijoi fitds e/inei^ai SivcL/nv
nTfortkotaiVy Met. I 1,980b 28; Anal, post II, 19), Ähnlich lehren die Stoiker
{eunti^ia yaQ saxi t6 riov o/noeiSaw (pavxaaicuv nkij&osf Plac. IV, 11; Dox. 400).
Von der gemeinen Erfahrung ist (nach Polybius) die ifineipia fisS'odtxij zu
unterscheiden. Bei den Epikureern wird der Empirismus zum Sensualis-
mus (s. d.).
Die Scholastiker vernachlässigen die Erfahrung gegenüber dem begriff-
lichen Denken. Erfahrung ist nach Albertus Magnus ,^ngtdarium co^nitio''
(Sum. th. II, 25, 2). Thomas erklärt: ,yEacperientia fit ex muJtis memoriiir*
(Siun. th. I, 54, 5 ob. 2; Contr. gentil. II, 83; vgl. Sum. th. I, lU, 2). Bei
Wilhelm von Occam, noch mehr bei Roger Bacx)n kommt die Erfahrung
mehr zur Geltimg. Letzterer stellt das Erfahrungswissen dem ,yCognoseere per
argumefituvi^'^ gegenüber (Op. maj. VI, 1). „.SVwf experimento nihil suffieienter
seiri polest." Es gibt eine äußere (y^per seiimus exteriores") und eine innere,
aufs übersinnliche gehende Erfahrung („scientia interior, illumifiatio*') (L c.
p. 446). Nach J. Buridan heißt erfahren „ex midtis memoriis cansimilium
prius sensatorum iudicare de aiio simüi occurrettie" (bei Prantl, G. d. Lpg.
IV, 35). SuAREZ bemerkt: „lielinquiturj experieniiam solum requiriri ad
seientianij td inteUectus fwster nianuducatur per eam ad inleüigefidas exacte
rationes termitiorum sirnplicium^ quibim intellectis iptse naturalis ridet dort
imfnediatam exnmexianein eorum inter se^ qtiue est prima et unica ratio assen-
tiendi illis^' (Met. disp. 1, sct. 6). Bei den Mystikern gilt die innere Er-
fahrung als übersinnliche Erkenn tuisquelle. „Innere Erfahrung" kommt schon
bei V. Weigel vor. In der Renaissancephilosophie wird auf die Er-
fahnmg schon Nachdruck gelegt, so auch bei L. da Vinci, nach welchem alle
Erkenntnis auf Erfahrung beruht, auch bei Paracelsus (Paragran. p. 208).
Die rationalistische Philosophie der neueren Zeit verachtet zwar die
Erfahnmg durchaus nicht, erkennt aber noch eine andere ErkenntnisqueUe an
und leitet die Notwendigkeit der Erkenntnis aus der Vemimft (s. d.) ab. So
Descartes, Malebranche, Spinoza (s. Erkenntnis). Nach letzterem stammt
ein Teil unserer Begriffe aus „vager Erfahrung"^. „Äpparetj nos nudta percipere
et twtiones universales fortnare ex singtdaribus nobis per sensus fnutilaie, confttse
et sine ordine ad intellectum repraeseniatis : et ideo tales pereeptimies cognitiofiem
ab experientia vaga vocare co7isuem" (Eth. II, prop. XL, schol. II).
Der neuere Empirismus beginnt bei F. Bacon. Gegenüber dem ab-
stracten Begriffsverfahren und Syllogismus (s. d.) betont er den Wert der
methodischen Erfahnmg und Induction (s. d.). Die gemeine Erfahnmg ist aber
wertlos. „ Vaga enitn experientia, et se tantum sequens . . . uiera palpaiio est,
et hofnines potius sttipefaeii, qtuivi informat" (Nov. Organ. I, 100). Die „«-
perientia literata" ist zu verwenden (1. c. 103; vgl, W). Nach HoBBES ist die
Urfahrung. 275
Erfahrung j^phantasnuttum eopia orta ex mtUtarum rerum sensionibus*'^ (Elem.
phiL C. 25, 2). „Memoria mtUtarum rerum experierUia dieitur^^ (Leviath. I,
p. 9). Gegen die Lehre von den angeborenen (s. d.) Begriffen polemisiert Locke
^Ess. I, eh. 2 ff.). Nach ihm stammt alles Wissen aus äußerer oder innerer
Erfahrung. Die Seele ist eine „tcUnda rasa^' (s. d.), ein j,tchite paper^'. Um
zar Erkenntnis zu gelangen, muß sie die Objecte oder sich selbst beobachten (1. c.
II, eh. I, § 2). Die Erfahrung ist teils .^sensation*^ (Sinneswahmehmung), teils „rc-
fleetion'^ auf das seelische Sein (1. c. § 3, 4). Die Tätigkeit des Geistes wird
nicht geleugnet, aber sie beschränkt sich auf Verbindung und Trennimg der
Vorstellungen, auf Abstraction imd Greneralisation. Der Stoff der Erkenntnis
mufi durch Erfahnmg gegeben sein: „nihil est in inteüectu, quod non priu^
fuerit in sensu^' (1. c. II, eh. I, § 5). Nach Berkeley hat die innere Erfahnmg
em«i Vorrang vor der äußeren. Nach Tschibnhausen ist die Erfahrung (be-
sonders die innere) die Quelle der Erkenntnis (Med. raent).
Leibniz erklärt, die Erfahrung enthalte schon den Intellect, das Denken
<Xouv. £^. II, eh. 1, § 2). „Nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu,
fxcipe: nisi intellectus ipse^^ (1. c. II, eh. 1, § 6). Empirisches Wissen haben
wir, wenn wir etwas erfahren haben ohne Einsicht in die Verknüpfung der
Dinge, ohne causale Kenntnis (1. c. IV, eh. 1, § 2). Unser eigenes Seelensein
kemien wir durch innere E^rfahrung. Die logische Notwendigkeit ist kein Er-
fahrungsinhalt, kein Product der Wahrnehmung oder Induction: Die Sinne
gewähren nur „individuelle Wahrheit^n'^ und aus dem, was geschehen ist,
folgt nicht, daß es immer ebenso geschehen muß (1. c. Pr^f.). Che. Wolf will
alles erfahrungsmäßig (konstatierte rationell (durch „vernünftige Oedanken^^)
begründen. Erfahrung ist „die Erkenntnis, darxu urir gelangen, ifidem wir auf
unsere Empfindungen und die Veränderungen der Seele aeht hahen^^ (Vem, Ged.
I, § 325). Die j^Erfahrungen^^ sind „7iiehts als Sät^e von einxelnen Dingen'^
(Vem. Ged. von d. Kr. d. m. Verst.*, S. 110). „Experiri dieimus quicquid ad
peree^imtes nostras attenii cogtioseimus. Ipsa vero liorum cognitio, quae sola
(üientione ad perceptiones nostras patet, experientia vocatur^^ (Phil. rat. § 664).
rrExperieniia*^ ist „cognitio singularimn^^ (1. c. § (365). Lambert versteht unter
,^fahren^^ „eifie Sacke mit Beumßtsein empfinden — mit der Vorstellung, daß
m eine Empfituiung sei'^ (N. Organ. § 552). „Gemeine Erfahrung" ist „die
bloße Empfindung dessen, ivas ohne weiteres Zutun in die Sinne fällt" (1. c.
li 557).
HuME fragt weniger, woraus die Erfahnmg entsteht, als woraus sie besteht,
nach ihrem Gehalt (Riehl, Zur Einf. in d. Philos. S. 87). Die Erfahrung be-
ruht auf Gewohnheit, ihr Princip ist ein Glaube (s. d.). Erfahrung besteht in
«ner Folgenmg auf Tatsachen. Apriorisch (s. d.) ist nur die Grundlage der
Arithmetik (Treat. Einl. S. 5). Die Existenz von Dingen, die Verbindungen
der Ereignisse sind nur durch Erfahrung zu erkennen (1. c. III, sct. 6). Was
nicht auf Erfahrung zurückzuführen ist, gehört der Einbildungskraft an, hat
nur subjective Gültigkeit, wie die Causalität (s. d.). Ein Begriff (idea, thought)
hat nur dann Erkenntniswert, wenn er als die „Copie" (copie, Image) einer
güinliehen Bewußtseins tatsache (einer „impression") zu verificieren ist (1. c, I,
8ct. 1). Die schottische Schule nimmt Principien (s. d.) an, deren Gewiß-
heit unabhängig von der Erfahrung feststeht. Erfahrung erzeugt keine logische
Notwendigkeit. So Beld: „Experience informs us only of what is, or has been,
not of what must b^' (Ess. on the pow. II, p. 281).
18*
276 Erfahrung.
So lehrt auch Kant. „Erfahrung gibt niemals ihrefi Urteilen trahre oder
strenge, sondern nur angenrnntnene und cofnparative Allgemeinheit (dureh
Indiivtion), so duß es eigetülieh heißen muß: soviel trir bisher tcahrgenomvien
habeny findet sieh von dieser oder jener Regel keine Ausnahme" (Kr. d. r. Vera.
S. ^48 f.). Erfahrung „lehrt mich xicar, was da sei und wie es sei, niemaU
aber, daß fs notwendigerweise so und nicht anders sein müsse^* (VrolegQm. § 14 1.
Kant fragt: wie ist Erfahrung möglich? Was ist die Grundlage der Erfahrungen,
welches sind die Bedingungen zu einer Erfahrung, was lehrt uns die Erfahrung,
wie weit reicht sie? Es zeigt sich, daß die Erfahrung ein a priori (s. d.) ent-
hält, daß sie selbst eine Intellectualfunction sei, indem sie die synthetische
Tätigkeit des einheitlichen Bewußtseins voraussetzt Alle Erkenntnis beginnt
mit der Erfahrung, aber das Erkennen selbst enthält Formen (s. d.), die erst
die Erfahrung constituieren. Die Erfahrung bietet nur die Erkenntnis von Er-
scheinungen (s. d.), die ein Unerfahrbares, das Ding an sich (s. d.), voraussetzen.
Erfahnmg ist „das ErkennMis der Gegenstände der Sinne als solcher , d. i. durch
empirische Vorstellungen^ deren man sich heirußt ist (durch verbundene Wahr-
neh?nufigen)" (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 114). Erfahrung besteht „in der
synthetischen Verknüpfung der Erscheinungen in eitiem Bewußtsein, sofern die-
selbe notwendig ist". Sie bedarf „reiner Verstandesbegriffe^* zu ihrer Allgemein-
gültigkeit (Prol^om. § 22, 26). „Erfahrung ist ohve Zweifel das erste Prodfwt,
welches unser Verstand hervorbringt^ indem er den rohen Stoff sinnlicher Em-
pfindungen bearbeitet . . . Gleichwohl ist sie bei weitem nicht das einzige Feld,
darin sich unser Verstand einschränken läßt. Sie sagt uns xioary tcas da s^i,
aber nicht, daß es notwendigerweise so und nicht anders sein müsse. Eben darum
gibt sie uns auch keine wahre AllgemeinJieit . . ." (Krit. d. r. Vem. S. 30..
„Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Ehr fahrung anhebt j so ent-
springt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung, Denn es könftte
wohl sein, daß selbst unsere Erfahrungserkenntnis ein Zusammengesetztes aus dein
sei, was wir durch Eindrücke empfangen, und dem, was unser eigefies Erkennt-
nisvermögen (durch sinnliche Eindrücke bloß veranlaßt) aus sich selbst hergibt,
welchen Zusatx unr von jetiem Grundstoffe nicht eher unterscheiden, als bis
lange Übung uns darauf aufmerksam und xur Absonderung desselbe^i geschickt
gemacht hat^^ (1. c. 2, A., S. 647). Alle Erfahrung enthalt „außer der An-
schatmng der Sinne j wodurch etwas gegeben unrd, noch einen Begriff von einem
Gegenstande, der in der AnscJiauung gegeben wird oder erscheitit : demnach werden
Begriffe von Gegenständen überhaupt, als Bedifigungen a priori, aller Er-
fahrungserkenninis xum Grunde liegen'^ (1. c. S. 110). „Alle Erfahrung . . .
besteht aus Afischauung eines Gegenstandes, d, i. einer unmittelbaren ufid ei*i-
xelnen Vorstellung, durch die der Gegetistand, als xum Erkenntnis gegeben, u*ui
aus einem Begriff, d. i. einer mittelbaren Vorstellung durch ein Merkmal, was
mehreren Gegetiständen gemein ist, dadurch er also gedac/U icird** (Üb. d. Fortschr.
d. Met. S. 105). Die „Pri7icipien a priori^*, nach denen allein Erfahrung mög-
lich ist, sind die Formen der Objecte, Raum und Zeit, sowie die Kategorien
(s. d.) (1. c. S. 115). Das „Synthetische der Erkenntnis" ist das Wesentliche
der Erfahrung; der Empirismus ist unhaltbar (ib.). Erkenntnis gibt es nur „in
dem Ganxen aller möglichen Erfahrung" (Kr. d. r. Veni. S. 148). AUe Er-
fahrungsobjecte müssen, um Erkenntnis zu gewähren, sich nach den Gesetzen
des Verstandes richten (1. c. S. 18). Mehr als gesetzmäßige Verknüpfungen
von Erfahriuigen kann keine Erkemituis material enthalten. Das Unbedingte
Erfahrung. 27'
(s. d.), das uns über die Erfahrung hinaustreibt, kann doch nur „m praktischer
Almekt*^ bestimmt werden (1. c. S. 20). Innere Erfahrung ist nicht ohne
au^re Erfahrung möglich (1. c. 8. 211). Sie besteht im Bewußtsein des „Ich
detM^ und kann „nicht als empirische Erkenntnis, sondern muß als Erkenntnis
des Empirischen überhaupt angesehen werden'* (1. c. S. 294).
Einen „rationellen Empirisnms" fordert Goethe, die Verknüpfung der
Tatsachen nach innerer Notwendigkeit (vgl. Siebeck, Goethe als Denk. S. 23).
G. E. Schulze betont: yJHe Erfahrung lieferty für sieh genommen^ immer nur
die Erkenntnis gegenwärtiger Gegenstände , und xicar lediglich in Ansehung
dessen^ was in ihnen vorhanden ist (nicht aber sein muß)^' (Gr. d. allg. Log.*,
S. 175). Nach Hoffbauer heißt „erfahren^^ im weiteren Sinne „etwas sich
durch den Sinn mit Bewußtsein vorstellend^ in der engeren Bedeutung ^^Gegen-
aiände in dem Verhältnisse denken, in welchem sie in Rücksieht ihrer Eifi-
frirkung auf unsere Seele stehen^* (Log. S. 4). Nach Maine de Biran ist die
innere Erfahrung die Quelle der apriorischen (s. d.) Begriffe. Nach Fries
wird uns das Apriorische der Erkenntnis durch innere Erfahrung bewußt. Er-
feihrong ist „Erkenntnis, wiefern wir uns auch ihres notwendigen Zusammen-
hanges mit anderen durch ihre Unterordnung unter die apodiktischen Gesetze
beicußt werden'* (Syst. d. Log. S. 321), „apodiktische Erkenntnis, die aus der
Einheit und Verbindung der Anordnung und Zusammensetzung der einzelnen
Wahmehmfingen resuUiert^* (N. Krit. I, .308). Nach J. G. Fichte ist Erfahrung
^das System utiserer Vorstellungen", „Die Erfahrung kann höchstens lehren,
daß Wirkungen gegeben sind, die den Wirhmgen vernünftiger Ursaciien ähnlich
sifui; aber nimmermehr kann sie lehren, daß die Ursachen derselben als ver-
nimflige Wesen an sich wirklich vorhanden seien ; demi ein Wesen an sich selbst
ist kein Gegenstand der Erfahrung." „Wir selbst tragen dergleichen Wesen erst
in die Erfahrung hittein" (Üb. d. Best, d. Gelehrt. S. 17). Nach Schelijng
versteht man gewöhnlich unter Erfahrung „die Geicißheit, die wir durch die
Siftne von äußeren Dingen und deren Beschaffenheit erhalten" (WW. I 10, 196).
^y^helling lehrt in späterer Zeit einen „höheren" „Empirismus", der sich auch aufs
Übersinnliche, Göttliche (diurch Offenbarung) erstreckt (1. c. S. 198 f.). Hegel
macht die Erfahrung von den Bestimmimgen des reinen Denkens abhängig.
Herbart findet in den Erfahrungsbegriffen „Widersprüche" (s. d.), die seitens
der Philosophie zu bearbeiten sind. Auch die innere Erfahrung enthält Wider-
sprüche (Lehrb. zur PsychoL*, S. 11). Beneke schätzt die innere Erfahnmg
als Quelle der Erkenntnis des Innenseins der Dinge. So auch Schopenhauer
(s. Wille). Nach ihm ist Erfahrung „alles, was in meinem empirischen
Bewußtsein vorkommen kann" (Anmerk. S. 107). Nach Ulrici ist Erfahnmg
„rfrw Ganze der unmittelbar notwendige7i (objectiven) Gedanken und damit das-
jenige Erkennen und Wissen, welches unmittelbcr aus dem Zusammenwirken
unseres Denkefis mit dem reellen Sein entspringt" (Log. S. 58). AUe Erkenntnis,
die auf der „Mitwirkung eines andern, von unserer Denkfähigkeit verschiedenen
Factors beruht", ist eine „empirische oder Erfahmngserkemitnis" (Leib u. Seele
i?. 16).
Bei den neueren Kantianern wird das a priori (s. d.) der Erfahrung be-
tont, teils mit mehr rationalistischer Färbimg (O. Liebmann, Cohen, Natorp
u. a.), teils mehr empiristisch. So bei A. Lange, nach welchem Erfahrung der
Proceß ist, durch welchen die Erscheinungen von Dingen in uns entstehen
{Gesch. d. Mat. II, 27). Der (nicht streng Ejintsche) Kriticismus (s. d.) erkennt
278 Erfahrung.
iii der Erfahrung nichtempirißche Factoren an. Nach H. Spenceb ißt aller
Intellect durch die Erfahrung envorben, aber auch durch Erfahrungen der
Vorfahren, die für das Individuum ein Apriori (s. d.) bilden (Psychol. II,
§ 332). Ähnlich Lewes. E. v. Haktmann betrachtet als Constituenten der
Erfahrung „unbeivußte Kateyarialfunctianen** (s. Kategorien). Die „mitUXbarf^
Erfahrung bedeutet die jyhypofhetwk ersehhasenen Dinge an sich im objectir
realen Raum^^ (GeBoh. d. Met. II, 31). Nach Volkelt wirken Erfahrung und
Denken zusammen. Erfahrung ist „unmittelbarem, seheidewanddoses hmetrerden*'
(Erf. u. Denk. S. 64), „Rein&^ Erfahrung ist das „Wissen van den eigenen Be-
im ßfseinsvorgängen^' (1. c. S. ()5). Nach Eücken bedarf das Erkennen der Er-
fahnmg, „aber es kann nicht aus ihr schöpfen, ohne die äußere Welt in Begriffe
und Gesetze, d. h, in geistige Größen umzuwandeln, sie damit aber über den
ersten Befund weit hinaitszuheben^^ (Kampf um e. neuen Lebensinh. S. 35 f.).
Nach Lazarus ist die Erfahnmg nicht ein bloßes Sinnesproduct, sondern ein
Erzeugnis der Apperception (Leb. d. Seele II*, 58). Nach Hagemann ist die
Erfahnmg nicht die einzige Erkenntnisquelle, sie enthält nicht den Grund der
Tatsachen (Log. u. Noet. S. 143). Riehl erklärt, die Erfahrung sei „ein
socialer, kein indiridueU-p^ychologiseher Begriff^^ (Phil. Krit. II 2, W). Sie ist
das Product des „gemein8chaftliehen oder intersuhjectiven Denkens*', an be-
stimmte „Regeln des Denkverkehrs'' gebunden (1. c. S. 65). Die Erfahnmg weist
zugleich auf etwas hin, was selbst nicht Erfahrung ist (1. c. II 1, 3), das
„Überempirisehe" in der Erfahrung, das Apriori (s. d.), ist. Es gibt nur eine
Erfahrimg, die zwei Richtungen oder Seiten hat, die „beide prineipiell gleich-
fcertige eoordinierte Arten des Betrußtseins sind" (1. c. II 1, 4). Das Denken
ergänzt die Wahrnehmung; reine Erfahrung kann keine Wissenschaft begründen
(Zur Einf. in d. Philos. S. 69). Reine Erfahrung „ist nichts Gegebenes; sie ist
ein Product der Abstraction, ein Educt, ein Auszug aus der tcirklich gegebenen
Erfahrung, Diese aber ist empfangen in den Formen des Ansehauens und etil-
wickelt flach den Formen des Denkens". Erfahnmg ohne Denken ist nicht
möglich (1. c. S. 244). Wundt erklärt, nur aus den Wechselwirkungen von
Erfahrung und Denken erwachse Erkenntnis. Alles Denken ist an einen em-
pirischen Inhalt gebunden, und jeder empirische Inhalt wird durch ein Denken
verarbeitet. „Reine Erfahrung und reines Denken sind datier begriffliche
Fietionen, die in der wirklichen Erfahrung ufui im, wirklichen Denken nicht
rorkmnmen" (Syst. d. Philos.*, S. 208 ff.; Phil. Stud. XIII, 6). Die Erfahrung
bedarf der Berichtigung und Erweitcnmg durch das Denken (PhiL Stud.
VII, 47). „Außer&' und „innere" Erfahrung bezeichnen „niclii rerschiedcnr
Gegenstände, sondern verschiedene Gesichtspunkte . . ., die wir bei der
Auffassung urui wissenschaftlichen Bearbeitung der an »ich einheitlichen Er-
fahrung anwenden. Diese Gesichtsptwkte werden aber dadurch mihe gelegt, daß
sich jede Erfahrung unmittelbar in xwei Factoren sondert: in einen Inhalt,
der upis gegeben wird, und in unsere Auffassung dieses Inhalts, Wir be-
zeichnen den ersten dieser Factoren als die Objecte der Erfahrung, den
zweiten als das erfahrende Subjeet. Daraus entspringen zwei Richti^tgen
für die Bearbeitung der Erfahrung, Die eine ist die der Naturwissenschaft :
sie betrachtet die Objecte der Erfahrung in ihrer von dem Sul^eet unabhängig
gedachten Beschaffenheit. Die andere ist die. der Psychologie: sie upUcrsucht
den gesamten Inhalt der Erfahrung in seinen Beziehungen zum Sufy'ect und in
den ihm von diesem unmittelbar freigelegten Eigetischaftcfi", Der naturwissen-
Erfahrung. 279
schaftliohe Standpunkt ist der der ,jmütelbaren*^, der psychologische der Stand-
punkt der j,unm4tfelbaren" Erfahrung (Gr. d. Psychol.*, S. 3). „Indem . . . die
Ersteheinungen in dem Sinne als äußere erscheinen, daß sie au^h dann noch
unreründert stattfinden icürden, wenn das erkennende Subject überhaupt nicht
vorhanden wäre, wird die neitur wissenschaftliche Form' der Erfahrung auch die
äußere Erfahrung genannt. Indem dagegen . . . aJle Erfahrungsifihalte als
unmittelbar in dem erkennenden Subjeci selbst gelegene beirachiet werden, Jieißt
der psychologische Standpunkt der der inner n Erfahrung*^ (1. c. S. 387; Phil.
Ötad. XII, 23; Syst. d. Philo«.*, S. 147, 172). KtJLPE betont: „Die Wisseti-
ichaft liefert uns sehr oft eine Ergänzung der Erfahrt47ig, nicht bloß deren
Nachbildung oder Verallgemeinerung,^^ Die Gedanken haben eine selbständige
Gesetzlichkeit (Philos. d. Gegenwart, S. 20 f.).
Der Empirismus betont in verschiedener Weise die Erfahrung als Quelle
wahren Wissens. J. St. Mill leitet aus Erfahrung und Induction (s. d.) alle
Erkenntnis ab. Comte lehrt einen Positivismus (s. d.), der alle metaphysischen
Zutaten der Phantasie abstreifen will. Lewes bestimmt: „Experience is the
registration of feelings afid the relaiions of their correlative objects" (Probl. of
Life and Mind I, 100). Nach E. Dühbing ist Erfahrung die „unmittelbare
Erprobung des tatsäehlichen Verhaltenst' (Log. S. 84). Auf sinnliche und innere
Erfahrung führt Czolbe alle Erkenntnis zurück (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 5).
Ahnhch auch Überweg, C. Göring. Nach Lipps ist Erfahrung „Bewußtsein
Tofi etwas'* (Gr. d. Log. S. 3). Reine Erfahnmg, mit Elimination aller „Zu-
taten'' des Denkens, gilt als wissenschaftliches Ideal bei einer Beihe von Denkern,
die an HuME erinnern. So bei R. Avenarius. In der „ursprünglichen'' Er-
fahrung liegt „rf<w, was wirklieh durch den Gegenstand inhaltlich gegeben ist,
und alles das, was etwa das erfahrende Individuum in den Gegenstand hifiein-
gedacht haben möchte, röUig ungesehieden zusammen" (Phil, als Denk. 8. 27).
Die „Zttsätxe" des Denkens sind zu „eliminieren" (1. c. S. 40), „Reine^' Er-
faüirung ist ein „Ausgesagtes", „welches in aUen seinen Componenien rein nur
Bestandteile unserer Umgebung xur Voraussetxwig hat' („Synthetischer*' B^riff
der reinen Erfahrung). Sie ist die Erfahrung, „welcher nichts beigemischt ist,
was nicht selbst wieder Erfahrung wäre, welche mithin in sich selbst nichts
anderes als Erfahrung ist" („Analytischer" Begriff der Erfahrung, Krit. d. r.
Erfahr. I, S. 4 f.). Im weiteren Sinne ist reine Erfahrung jeder Inhalt einer
^Aussage'^ jeder „E-Wert" (s. d.), im engeren ein als „ein Saehhaftes" bezeich-
neter Wert (1. c. II, 363 f.). Jede Erfahrung enthält als „Vorgefundenes" ein
(erfahrendes) „Centralglied" und ein „Gegenglied" der „Umgebung" sowie die
..Aussagen" des ersteren über das letztere (1. c. I, 13; Weltbegr. S. 9). Die
Erfahnmg wird verfälscht durch die (zu eliminierende) „Intrqfection" (s. d.).
Der „natürliche Weltbegriff" (s. d.) ist zu restituieren. Ähnlich lehren Car-
8TANJEN, J. Pbtzold, R. Willy. Reine Erfahnmg ist auch das Ideal von
E. Mach; ökonomisch geordnete Erfahrungen bilden die Erkenntnis. Ahnlich
lehrt auch H. Ck)RNEUTJ8; nach ihm besteht das Wissen „in der 2Susa7nmen'
fassung unserer bisherigen Erfahrungen und der darauf gegründeteti Ertrartungen
für die Zuktmß", Alle weiteren Elemente sind „dogmatisch" (s. d.) (Einl. in d
Philos. S. 256). Die Theorie, welche in der „äußeren" Erfahrung der Sinne
eine unmittelbare Erfahrung von Physischem sieht, ist zurückzuweisen; denn
unsere sinnlichen Erlebnisse als solche sind nicht, wie das Physische, imabhängig
vMi uns, stehen auf gleicher Stufe mit den Erlebnissen der „inneren" Erfahrung
28() Erfahrung — Erfahrungsurteile.
(1. c. S. 179). Ostwald bestimmt als das Wesentliche der Erfahrung die
Fähigkeit, durch die Voraussicht einer näheren oder ferneren Zukimft zweck-
mäßig zu handebi, wozu wir durch Vergleichen gelangen (Vorles. üb. Natur-
phil.*, S. 16 f.). Vgl. Empirismus, Erkenntnis, Erfahrungsurteile, Wahrnehmung,
Induction.
!Erfahraii§;8be^lffe sind Begriffe, die durch unmittelbare Verarbeitung
von Erfahnmgsinhalten durch das abstrahierende Denken zustande kommen.
Lambert unterscheidet sie von den ,jLehrhegriffen^^ (X. Organ. § 646, 652).
WuNDT unterscheidet von den empirischen Einzelb^riffen die ^ycdlgemeinm
Erfakrungsb€griff&^ ; diese beziehen sich stets auf eine Mannigfaltigkeit von
Gegenständen, die erst durch das Denken in Verbindung gebracht werden, imd
entstehen diu-ch eine denkende Vergleichung gesonderter Vorstellungsinhalte,
wobei das in diesen als übereinstimmend Erkaimte festgehalten wird (z. B.
Pflanze, Körper) (Syst. d. Phüos.*, 8. 214 ff.; Log. I«, S. 106). H. CoRKELirs
erklärt : durch den Begriff der „B^el" werden Erfahrungen der verschiedensten
Art in einheitlicher Form zusammengefaßt. Ein bestimmter Inhalt erscheint
ims dadurch auch als .fiestandteil hundertfältiger ^ mis erfahningsmäßig be-
kannter Zusammenhänge^^ (Einl. in d. Philos. S. 255). Begriffe von Zu-
sammenhängen dieser Art sind „Erfahnmgsbegriffe" oder ,,empin^che Begrifft'
(B, der zweiten Kategorie) (ib.).
£rfaliran|[^sfttBe sind Sätze, die auf Erfahrung (s. d.) sich stützen,
nicht begrifflich abgeleitet sind. Nach G. E. Schulze sind es Sätze, .Aereti
Wahrheit nicht auf Beweisen aus Urteilen j sondern auf angeführtefi Tatsachen
der Erfahrung heruht^^ (Gr. d. allg. Log.', S. 210). Nach Fries sind es ,.Sätxej
irelche durch Tatsachen belegt werden^* (Syst. d. Log. S. 294).
Erfahrnngfiitateaclieii: Tatsachen (s. d.), die durch Erfahrung be-
wahrheitet sind.
Erfahrang^sarteile sind Urteile von objectiver, zugleich allgemein-
subjectiver Gültigkeit, im Unterschiede von den individuell-subjectiven Wahr-
nehmimgsurteilen. Diese Unterscheidung bei Kant. „Efnpirische Urteile j
sofern sie objective Gültigkeit haben, sind Erfahrungsurteile; die aber, so
nur subjectiv gültig sifut., tienne ich bloße Wahrnehmung s urteile. Die
letxteren bedürfen keines reinen Verstandesbegriffs, sondern nur der logii^rhen
Verknüpfung der Wahrnehmungen in einem denkendefi Subjeet. Die erstem aber
erfordern jederxeity über die Vorstellung der sinnlichen ÄnscJmuung, noch be-
sondere im Verstände ursprünglich erzeugte Begriffe, trelcßte es ebcpi
viachen, daß das Erfahrungsurteil objectiv gültig ist^^ (Prolegom. § IB). Die
Erfahrungsurteüe machen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, enthalten con-
ßtante Verknüpfungen (1. c. § 19). Aus einer Wahrnehmung wird Erfahrung,
indem die erstere im Urteil imter einen Begriff gebracht wird. „Wenn die
H(mne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urteil ist ein bloßes Wahr-
nehm migsur teil und enthält keine Xoticendigkeit . . . Sage ich aber: die Sonne
erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff
der Ursache hinxu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme not-
wendig verknüpft, und das synthetische Urteil wird notwendig allgemeingültig,
folglich objertiv und aus einer WahmeJimung in Erfahrung verwandelte^ (L c.
§ 20). Es ist also ersichtlich, „daß, obgleich alle Erfahrungsurteile empirisch
sind, d. i. ihren Grund in der unmittelbaren Wahrnehmung der Sinne haben,
Erfahrungstirteile — Erhaben. 281
dennoch nicht umgekehrt alle empiriseken Urteile darum Erfahrufigsurteile sind,
sfMdem daß über das Mnpirische und überhaupt über das der sinnlichen An-
gi'hataifig Gegebene noch besondere Begriffe hinxukommen müssen, die ihren Ur-
spnmg gänzlich a priori im reiften Verstände haben, unter die jede Wahr-
nekmung allererst subswniert und dann vermittelst derselben in ErfaJtrung
kann verwandelt icerden^^ (1. c. § 18). Nach Hebbart stecken in den Erfahrungs-
begriffen Widersprüche (s. d.), die durch Philosophie zu berichtigen sind»
H. CoRNEMUS nennt „ErfaJtrungsttrteil^* ein Urteil über einen nach einer Regel
Terbundenen Erfahrungsinhalt (Einl. in d. Philos. S. 255).
Erfabrangswalirlielteii s. Wahrheit (Leebxiz).
ürfaliraiigsw^lsseiiselialteii können den „Vemunfttvissenschaften"
gegenübergestellt werden; zu den letzteren gehören z. B. Mathematik, Logik,
zu den ersteren alle Disciplinen, die es mit Objecten der Erfahrung zu tun
haben. Diese Gegenüberstellung u. a. bei Fries (Syst. d. Log. S. 325).
Erfinduiigskiuist s. Ars magna.
Iirf&]lliii|^9 Gefühl der, löst die Erwartung bei der aetiven Apperception
(s. d.) ab (W^UNDT, Gr. d. Psychol.», S. 260). — Nach Husserl besteht die
nBrßUung^'^ in der „identtfieieren€len Anpassung fCarrespondierender* Anschauung
an eine signitive Intention^^ (Log. Unt. II, 547 ff., 556).
VtTgfkuKuns (logische) ist nach Herbart „diejenige Operation des
Denkens, wodurcJi das Mangelhafte [der Erfahrungsbegriffe] verbessert wird"
iPßychol. als Wiss. I, § 11).
lii^illlBliiii^sfarbeii = Complementarfarben. Vgl. Lichtempfindungeu.
firbabeii ist alles Große, Kraftvolle, Mächtige, sofern wir uns ihm gegen-
über klein dünken, wenn wir uns unmittelbar damit vergleichen. Das Gefühl
d« Erhabenen entsteht aber erst, wenn unser Ich gegenüber der Depression,
die es durch das Große erleidet, mit einer Erhebung über das Sinnliche, mit
einem Bewußtsein der eigenen Größe, die selbst das Große der Natur, des
Xicht-Ich, im Bewußtsein zu umspannen vermag, reagiert. Erhaben ist, was
ons ziu* Idee des Großen schlechthin erhebt. Nach Burke ist erhaben, was
die VorsteUung von Schmerz und Gefahr für uns zu erwecken vermag; es wirkt
angenehm, wenn wir ims sicher fühlen. „Whaiever is fitted in any sort io
^-reiie the ideas of pain and danger, thai is to sag, whaferer is in any sort
ffrrible, or diseonversani about terrible objects . . . is a source of the sublime"
lEnquir. I, 7). Nach Kant gefällt das Erhabene, wie das Schöne, für sich
etlbst. Aber „das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in
äer Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen
, ^t^nstande xu finden, sofern Unhegrenxtheit an ihm, oder durch dessen
y^onlassung, porgestellt und doch Totalität derselben hinzugedacht uird^^. Das
«gentlich Erhabene „kann in keiner sinnlicfien Form enthalten sein, sondern
trifft nur Ideen der Vernunft" (Krit. d. Urt. § 23). Das Gefühl des Erhabenen
führt mit sich „eine mit der Beurteilung des Gegenstandes rerbundcfie Be-
legung des Gemüts" (1. c. § 24). Erhaben ist „das, was schlechthin groß
w^S d. h- „was über alle Vergleiehung groß ist". Es besteht hier ein Wohl-
gefallen „a« der Erweiterung der Einbildungskraft an sich selbst*^, „Erhaben
w/ das, mit welchem in Vergleiclvung alles andere klein ist.^* Diese „ Unangemessen-
st unseres Vetnnögeyis der Größenschätxung" erweckt gerade das „GefiUil eines
282 Erhaben.
übersinnlichen Vermögens in uns^*, die erhabene Geistesstimmimg. „Erhaben
istj tcas auch nur denken xti können ein Vermögen des Oemütes betretset^ das
jeden Maßstab der Simie überlrtfff^ (1. c. § 25). Das Vermögen, das Unendliche
denken zu können, ist über alle Vergleichung groß; erhaben ist die Natur Jn
de?ijenigen ihrer Erscheinungen , deren Anschauung die Idee ihrer Unendliehknl
fm sich führV^, die „cfen Begriff der Natur auf ein übersinnliehes Substrat . . .
führen j welches über allen Maßstab der Sinne groß ist tmd daher nicht sowohl
den Oegenstarui, als nielmehr die Oemütsstifnmung, in Schätzung desseUten, als
erhaben beurteilen läßt^\ Beim Erhabenen bezieht die ästhetische Urteilskraft
•die Einbildimgskraft auf die Vernunft; in seiner eigenen Beurteilung fühlt sieh
hier das Gemüt erhaben (1. e. g 26). Das Gefühl des Erhabenen in der Natur
ist „Achtung für unsere eigene Bestimmung, di^ wir einem Objecfe der Xatur
durch eine gacisse Subrepiion . . . beweisen , welches uns die Überlegenheit der
Vemunflbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der
Sinnlichkeit gleichsam anschaulich macht". „Das Gefühl der Erhabenheü ist
also ein Gefühl der Unlust, aus der Unattgemessenheü der EinbUdangskraß in
der Orößenschätxung für die durch die Vernunft, und eine dabei zugleich er-
weckte Lust, aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit
des größten sinnlichen Vermögens xu Vemunftideen, sofern die Bestrebung xu
fletiself)en doch für uns Gesetx ist" (1. c. § 27). „Erhaben ist das, was durch
seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar geftillt.** Das Er-
habene ist „ein Gegetistand (der Natur), dessen Vorstellung das Gemüt
bestimmte sich die Unerreichbarkeit der Satur als Vorstellung ton
Ideen xu denken^". Ohne „eine Stimmung des Gemüts, die der xum moralischen
äJmlioh ist^\ laßt sich das Gefühl des Erhabenen nicht denken. Das Wohl-
gefallen am Erhabenen der Natur ist „nur negativ^*, „nämlieh ein Gefühl der
Beraubung der Freiheit der Einbildutigskraft^' (1. c. § 29). Es gibt ein „mathe-
matisch Erhal)enes", das auf das Erkenntnisvermögen bezogen wird, das Große
der Anschauung, und ein ,jdgnamiseh Erhabenes^^, das auf das Begehrungs-
vermögen bezogen wird (1. c. § 24). „Die Natur im ästhetischen Urteile als
Macht j die ül)er uns keine Gewalt hat, betrctehtet, ist dynamisch- erßutben"
(1. c. § 28). — „Das Erhabene (sublifne) ist die ehrfurchterregende Großheit
(magnitudo rererendajy dem Umfange oder dem Grade nach, xu dem die An-
näherung (um ihm mit seinen Kräften afigemessen xu sein) einladend, die Furcht
aber, in der Vergleichung mit demselben in seiner eigenen Schätzung xu rer-
schwinden, xugleich ahsehrerkend isP* (Anthropol. II, § 66; vgl. WW. II, 229 ff.).
Nach Schiller besteht das Gefühl des Erhabenen „einerseits aus dem Gefühl
unserer Ohnmacht und Begrenxnng, einen Gegenstand xu umfassen, anderseits
aus dem Gefühle unserer Übermacht, weiche vor keinen Qrenxen erschrickt und
dasjenige sich geistig unferunrft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen" ,
(WW. XI, 287). Beim Erhabenen fühlen wir uns frei, „weil die simUichen
Triefte auf die Gesetxgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist
hier handelt^ als ob er unter keifien anderen als seinen eigenen Gesetzen stünde^.
„Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl, Es ist eine Zusammen'
j^etxung ton U'ehsein ... und von Frohsein . . ." (Üb. d. Erhab. Seh.,
Phil. Sehr. 8. 192). „Der erhabene Gegenstand ist ron doppelter Art. Wir be-
xiehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen bei dem Versuch,
uns ein Bild oder einen Begriff von ihm xu bilden: oder wir bexiehen ihi auf
unsere Lebenskraft und betrachten ihfi als eine Macht, gegen icelche die unsrige
Erhaben — Erhaltung. 283
in nichts rersektn'fidei^^ (1. c. ß. 193). Das Erhabene ^yverscfiafft uns einen
Ausgang aus der sinnliehen KW/" (1. c. 8. 196). Über das Erhabene handelt
Herder in seiner ,^aUtgone^\ Nach J. Paul ißt das Erhabene „das an-
gewandte J^nendHche^% das unendlich (xroße, das ßen^oindening en»eckt (Vorsch.
d. Ästhet.). Nach Bouterwek ist es eine y, ästhetische Modifieation des
Großen^ (Ästh. I» 154 ff.). Nach Heoel ist das Erhabene „der Versuch, das
Fneftdliche au^xitdriieketiy ohne in dem Bereich der Erscheinungen einen Oegen-
stand XU finden, welcher sich für diese Darstellung passend enriese** (Asth. I, 467;
vgl. ViscHER, Üb. d. Erhabene u. Kom. 1837). Schopenhauer erklärt: „Beim
Schönen hat das reine Erkennen ohne Kampf die Oberhand gewonnen . , . hin-
gegen bei dem Erhabenen ist jener Zustand des reiften Erkennens allererst ge-
Kannen durch ein bewußtes und gewaltsames Losreißen von den als ungünstig
erkannten Beziehungen desselben Ob/ects zum Willen, durch ein freies, vom Be-
trufitsein begleitetes Erheben über den WiUen und die auf ihn sich beziehende
Erkenntnis'' (W. a. W. ii. V. I. Bd., § 39). Das Erhabene ist „das Extrem des
Schönen, wo sicli die theoretische Negation der zeitlichen Welt und
Affirmation der ewigen, welche durchaus das Wesen aller Schön-
hext ist . . ., auf die unmittelbarste, ja fast handgreifliche Weise ausspricht''
(Anmerk. S. 78). Herbart bestimmt: „Wenn in detn Schönen die Qröße vor-
tciegt, so entsteht das Erhabene" (Lehrb. zur Psychol.*, S. 73). RuGE: „Die
ästhetische Idee teird in der Gestalt betrachtet, wo sie noch nicht die Befriedigung
fies Sich'findens ist, also als die sieh suchende Idee, und als solcher kann es ihr
zuerst begegnen, daß sie gewinnt, was sie erstrebt. In dem Erfolge ist dann
das Gefühl des Suehens enthalten, und diese Befriedigung des Strebens mit dem
(refiUd der Erhebung aus dem Mafigel ist die Erhabenheit, welche cdso die
Unruhe des Sich-heraustrindens aus der Bedürftigkeit fioeh an sich hat" fV^orsch.
d. Aiith. 8. 58). Nach Carriere ist das Erhabene „dasjenige Schöne, welches
nicht sowohl durch die Anmut als durch die Qröße der Form auf uns mrkt"
{Asth. I, 118). 8lEB£C$ erklärt: „Das Erhabene ist diejenige Art der Schönheit,
in welcher das Moment der Begrenzung zurücktritt" (Wes. d. ästh. Ansch.
S. 16()). Groos meint: ,J}as Erhabene ist ein Gewaltiges in einfacher Form."
Der Credanke des Unendlichen ist dafür nicht wesentlich (Eiul. in d. Asth.
»S. 318 ff.). L. DuMONT erklärt das Vergnügen am Erhabenen daher, „daß der
Gegenstand durch seine Unerschöpflichkeit uns die Möglichkeit gewährt, alle
unsere disponible Kraft , . . für den Gedanken anzuwenden" (Vergn. u. Böhm.
f^. 2<J1). Als ein gemischtes Gefühl bestimmt das Erhabene A. Lehmann
(Oefühlsleb. 8. 350).
Eriialtann^: Bestchenbleiben eines Dinges, einer Kraft, Energie (s. d.),
einer Cxröße, eines Selbst im Wechsel des Geschehens. Der „Selbsterhaltung"
der Lebewesen liegt ein Trieb („Wille xum Leben") zugrunde, eine Betätigung
imd Widerstandskraft gegenüber den Mächten der Umgebung. Es gibt auch
eine psychische (geistige), femer eine sociale Selbsterhaltung.
Nach den Stoikern hat jedes Lebewesen einen ursprünglichen Selbst-
erhaltimgstrieb : jiq(Ziov oixsioy elvm navii ^cjqf triv airov axaiaaiv xai rriv
TavTT^i awelSrjatv — ; tiJ» di TT^ahrjt' OQfiriv tpaai t6 ^i?ov i'axBiv iiti to rrj^eiv
iaiTo (Diog. L. VII 1, a')). Ähnlich Auguhtinus (De civ. Dei XI, 28).
Thomas erklärt: „Quaelibef res naturalis conserrafionem sui esse appetit"
(Quaest. d. disp. de potent. 5, 10b, 13). „Conservatio rei non est nisi conti-
282 Erhaben.
übersinnlichen Vermögens in uns", die erhabene Geistesetimiiiung. „Erh(d)m
ist, was auch nur denken xu können ein Vermögen des Gemütes beweiset, das \
Jedefi Maßstab der Sinne überlrifff^ (1. c. § 25). Das Vermögen, das Unendliche
denken zu können, ist über alle Vergleiohung groß; erhaben ist die Nator „in
denjenigen ihrer Erscheinungen, deren Äfisrhauung die Idee ihrer Unendlichkeü
tm sicJi fuhrt^% die „den Begriff der Natur auf ein übersinnUehes Substrat . . .
führen, trelches über allen Maßst^xb der Sinne groß ist und daher nicht sowohl
depi Gegenstand, als vielmehr die Gemütsstimmung, in Sehätxung desselben, ah
erhaben beurteilen läßt^. Beim Erhabenen bezieht die ästhetische Urtnlskraft
die Einbildimgskraft auf die Vernunft; in seiner eigenen Beurteilung fohlt sich
hier das Clemüt erhaben (1. c. § 26). Das Gefühl des Erhabenen in der Natur
ist „Achtung für unsere eigene Bestimmwtg, die wir einem Objecte dejr Xatur
durch eine geicisse Subreption . . . beweisen, welches uns die Überlegenheit der
Verrinn flbestimmung unserer Erkenntnisvermögen über das größte Vermögen der
Sinnlichkeit gleichsam anschaulich maehi^\ „Das Gefühl der Erhabenheü ist
also ein Gefühl der Unlust, aus der Unaftgemessenheit der Einbildungskraft in
der Größenschätxung für die durch die Vernunft, und eine dabei zugleich er-
weckte Lust, aus der übereifistimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheü
des größten sinnlichen Vemiögens xu Vemunftideen, sofern die Bestrebung \u
denselfjen doch für utis Gesetx ist" (l. c. § 27). „Erhaben ist das, was durch
seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefiillt,** Das Er-
habene ist „ein Gegenstand (der Xatur), dessen Vorstellung das Gemüt
bestimmte sich die Unerreichbarkeit der Xatur als Vorstellung ron
Ideen xu denken^'. Ohne „eine Stimmung des Gemüts, die der xum momlischen
ähnlich iaf', laßt sich das Gefühl des Erhabenen nicht denken. Das AVohl-
gefallen am Erhabenen der Natur ist „wwr negativ^^, „nämlich ein Gefühl der
Beraubung der Freiheit der Einbildungskraft^ (1. c. § 29). Es gibt ein „mathe-
matisch Erhaf)enes", das auf das Erkeimtnisvermögen bezogen wird, das Grofie i
der Anschauung, und ein „dynamisch Mirhahenes^^ das auf das Begehrungs-
vermögen bezogen wird (1. c. § 24). „Die Xatur im ästhetischen Urteile als
Macht, die iilter uns keine Getralt hat, betrachtet, ist dynamisch -erhaben*'
<1. c. § 28). — „Das Erhabene (sublitne) ist die ehrfurehterregende Oroßheit
(magniiiido reverenda), dem JTmfange oder dem Grade nach, xu dem die An-
näherung (um ihm mit seinen Kräften angemessen xu sein) einladend, die F^trcht
alm-, in der Vergleichung mit demselben in seiner eigenen Schätzung xu rer-
aehwinden, xugleich abschreckend ist^ (Anthropol. II, § 66; vgl. WW. II, 229 ff.).
Nach Schiller besteht das Gefühl des Erhabenen „einerseits aus dem GefiM
unserer Ohnmacht und Begrenxung, einen Gegenstand xu umfassen, anderseits
aus dem Gefühle unserer Ubennacht, welche vor keinen Grenzen erschrickt und
dasjenige sich geistig unterwirft, dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen"^ ,
(WW. XI, 287). Beim Erhabenen fühlen wir ims frei, „u^eü die sinnlichen
Triebe auf die Gesetxgebung der Vernunft keinen Einfluß haben, weil der Geist
hier handelt, als ob er unter keinen atuieren als seinen eigenen Gesetzen stimde^^.
y.Das Gefühl des Erhabenen ist ein gemischtes Gefühl. Es ist eine Zusammen-
.Setzung vofi Wehsein . . . und von Fr oh sein . . ." (üb. d. Erhab. Seh.,
Phil. Sehr. S. 192). „Der erhabene Gegefnstand ist ron doppelter Art. Wir be-
ziehen ihn entweder auf unsere Fassungskraft und erliegen Im dem Versuchy
uns ein Bild oder einen Begriff von ihm xu bilden: oder wir beziehen ihn auf
unsere Lebenskraft und betrachten ihn als eine Macht, gegen tcelche die unsripe
Erhaben — Erhaltung. 283
?/i nichts rerschwifidet^^ (1. c. S. 193). Das Erhabene yyVeraclMfft uns einen
Auggang aus der sinnli4:hen Welt'* (1. c. S. 196). Ober das Erhabene handelt
Herder in seiner „Kalligon&\ Nach J, Paul ist das Erhabene ,^a« an-
gewandte Unendliche", das unendlich Große, das Be^^Tinderung erweckt (Vorsoh.
d. Ästhet.). Nach Bouterwek ist es eine „ästhetische Modification des
Großen** (Asth. I, 154 ff.). Nach Heoel ist das Erhabene „der Versuch, das
rmndliche auszudrücken, ohne in detn Bereich der Erscheinungen einen Gegen-
mm
stand XU finden , tvekher sich für diese Darstellung passend enviese** (Asth. I, 467 ;
vgl. ViscHJER, Üb. d. Erhabene u. Korn. 1837). Schopenhauer erklärt: y^Beim
Schönen hat das reine Erkennen ohne Kampf die Oberhand gewonnen . . . hin-
gegen bei dem Erhabenen ist jener Zustand des reinen Erkennens allererst ge-
trennen durch eifi bewußtes und gewaltsames Losreißen von den als ungünstig
erkannten Beziehungen desselben Objeets zum Willen, durch ein freies, vom Be-
trußtsein begleitetes Erheben über den Willen und die auf ihn sich beziehende
Erkenntnis'* (W. a. W. ii. V. I. Bd., § 39). Das Erhabene ist „das Extrem des
Sehönefi, wo sieli die theoretische Negation der zeitliehen Welt und
Affirmation der ewigen, welche durchaus das Wesen aller Schön-
htit ist . . ., auf die unmittelbarste, ja fast handgreifliche Weise ausspricht"
{Amnerk. S. 78). Herbart bestimmt: „Wenn in dem Schönen die Größe vor-
wiegt, so entsteht das Erhabene** (Lehrb. zur Psychol.*, S. 73). Rüge: „Die
ästhetische Idee wird in der Oestalt betrachtet, wo sie noch nicht die Befriedigung
des Sich'findens ist, also als die sieh suchende Idee, und als solcher kann es ihr
xuerst begegnen, daß sie gewinnt, was sie erstrebt. In dem Erfolge ist dann
das Gefühl des Suehens enthaÜen, und diese Befriedigung des Strebens mit dem
Oeflihl der Erhebung aus dem Matigel ist die Erhabenheit, welche also die
Unruhe des Sich-heraustcindens aus der Bedürftigkeit fioch an sieh hat** (Vorsch.
<I. Asth. S. 58). Nach Carriere ist das Erhabene „dasjenige Schöne, wdehes
nickt sowohl durch die Anmut als durch die Größe der Form auf uns icirkt**
<Ästh. I, 118). SlEBBCil^ erklärt: „Das Erhabene ist diejenige Art der Schönheit,
in welcher das Moment der Begrenzung zurücktritt** (Wes. d. asth. Ansch.
S. 166). Groos meint: „Das Erhabene ist ein Gewaltiges in einfacher Form.**
Der Gedanke des Unendlichen ist dafür nicht wesentlich (Einl. in d. Asth.
S. 318 ff.). L. DuMONT erklärt das Vergnügen am Erhabenen daher, „daß der
Qegetistand durch seine Unerschöpfliehkeit uns die Möglichkeit gewährt, alle
unsere disponible Kraft . . . für den Gedanken anzutcenden" fS^ergn. u. Schin.
j?. 201). Als ein gemischtes Gefühl bestimmt das Erhabene A. Lehmann
«Gefühlsleb. S. 350).
Erbaltimii^: Bestehenbleiben eines Dinges, einer Kraft, Energie (s. d.),
einer Größe, eines Selbst im Wechsel des Geschehens. Der „Selbsterhaltwtg*^
der Lebewesen liegt ein Trieb („Wille xiim Leben'') zugrunde, eine Betätigung
und Widerstandskraft gegenüber den Mächten der Umgebung. Es gibt auch
eine psychische (geistige), femer eine sociale Selbsterhaltung.
Nach den Stoikern hat jedes Lebewesen einen ursprünglichen Selbst^
erhaltungstrieb : nqHiov oixsioy alvat jiani ^tat^ rrjv alrov aiaraatv xai Trjv
iavro (Diog. L. VII 1, 85). ÄhnUch Augustinus (De civ. Dei XI, 28).
Thomas erklärt: „Quaelibet res naturalis conserrationem sui esse appetit'*
(Quaest. d. disp. de potent. 5, 10b, 13). „Cmiservatio rei non est fiisi conti'
284 Erhaltung — Erizmening.
nuatio esse ipsius" (Contr. gent. III, 65). L. da Vinci: „Naiuralmente o^
cosa desidera mantenersi in suo essere." Telesius schreibt der Materie eineo
Selbsterhaltungstrieb zu; die Selbsterhaltung ist ihm die Grundlage der Ethik.
Wie DE8CABTE8 (Medit.) erklärt Spinoza : „Non minor catisa requiritur ad rem
conservandam, quam ad ipsam pritnum produeendam" (Ben. Cart. pr. phiL I,
ax. X). ,^Omnia, qtiae exiattmt, a sola vi Dei consertKirUwr^^ (1. c. prop. XII).
Der Selbsterhaltungstrieb (des Seins, des Lebens, der Vernunft) ist in jedem
Dinge gelegen. ,y TJnaquaeque res, qttantum in se est, in suo esse perseverare
canatur^^ (Eth. III, prop. VI). Auch Ho^BES betont die Wichtigkeit des Sdbst-
erhaltungstriebes. Leibniz erklart: „Chaque substanee se eonserve, mais let
masses en vertu des loix de leiir propre nature tendettt ä se deiruire^^ (GerL IV,
585). Holbach betont den Selbsterhaltungstrieb der Dinge. (Syst. de la nat. I,
eh. 4, p. 48). J. G. Fichte : „Ich finde mieti selbst als ein organisiertes Xatur-
product. Aber in einem solchen besteht das Wesen der Teile in einem Triebe,
bestimmte andere Teile in der Vereinigung mit sich xu erhalten, v^dcher Trid>,
dem Oanxen beigetnessen, der Trieb der Selbsterhaltung heißf* (Syst d. Sitten-
lehre S. 154). Der Trieb geht stets auf „eine bestimmte Eaoistenx^' (1. c. 8. 155i.
Nach Hegel erhält sich nur das, „was, als abscltd, fnü sich identisch ist, und
das ist das Allgemeine, Ufas für das Allgemeine w^," die Grattungsidee (Natur-
philos. S. 649). Nach Herbabt bestehen die Zustände der „RecUen^^ (s. d.) in
„Selbsterhaltungen** gegenüber drohenden Störungen anderer Realen. Die Vor-
stellungen (s. d.) sind Selbsterhaltungen der Seele (vgl. Hauptp. d. Met. S. 42;
K. Encykl. S. 344 ff.). Heinroth erblickt im „Erhaltungstrieb** einen Grund-
trieb der Seele (Psychol. S. 92). Eine Erhaltung der am besten angepaßten
Hassen (Arten) im Kampf ums Dasein lehren Ch. Darwin, H. Spencer u. a.
(s. Evolutionismus). Einen Grund trieb der Selbsterhaltung bei den Lebewesen
nimmt Fobtlage an (Syst. d. Psychol. I, 478). E. DChbino erklärt: „J^rfes
Lebenselement u^l sich behaupten.** Das „Beharrungssireben** ist ein Grundgesetz
der Natur (Wirklichkeitsphilos. S. 84). Spickeb: „Sidt^ im Dasein xu erhalten
und behufs dieses Zweckes die entsprechenden Mittel xu ergreifen^ bexw, die ein-
wohnenden Kräfte xu betätigen, ist das große allgcfneine Oesetx, welches durch
die ganxe Natur geht** (Vers. e. n. Gottesbegr. S. 121). TÖNNIES: „Alles Leben
und [Vollen ist Selbstbejahung** (Gem. u. Ges. S. 118). Nietzsche leugnet die
Existenz eines primären Selbsterhaltungstriebes. Vielmehr strebt das Lebendige,
mehr zu werden, als es ist (WW. XV, 302). Die Selbsterhaltung ist nur eine
Folge des Willens zur Macht (WW. VII, 1, 13). HÖFFDING sieht in der Erblich-
keit die „Tendenx der Natur, das Erworbene xu erhalten** (Psychol. S. 4SI).
R. Avenabius nimmt an, das „System C** (s. d.) (Repräsentant des mensch-
lichen Individuimis) strebe beständig, sich den ändernden Einflüssen gegenüber
zu „erhalten**. Der „ideale** Zustand ist das „vitale Erhaltungsmaximum*\ das
jjositiv oder negativ verändert werden kann („Vitaldifferenx** , s. d.). Die
variable Größe der vitalen Erhaltung ist der „vitale Erhaltungswert** (Krit. d.
r. Erf. S. 62). Von den „Schwankungeti** des Systems C ist das Erkennen
„abhängig*' (1. c. I, S. 64 ff.). Ostwald versteht imter dem „Oesetx der Er-
haltung der Elemente^' die Möglichkeit, daß chemische Elemente aus jeder ihrer
Verbindimgen in unveränderlicher Menge wieder zu gewinnen sind (Vorles. üb.
NaturphUos.», S. 286 f.). Vgl. Energie.
Erlnneraii^ s. Gedächtnis.
Erinnerungsbilder etc. -> Erkenntnis. 285
EMnnerui^sbllder, ErliineniiiipsifefBlil, Ijilnneniii^naeli-
bilder, E2rliinemii||^Bellen s. Gedächtnis.
£i*iiiiieniiig8lirtelle sind nach W. Jerusalem „Urteile, in welchen
der beurteilte Vorgang nicht in der Sinnestcahmehmung gegeben, sondern erinnert
ist und als erinnert bezeichnet tdrd" (Urteilsfiinct. S. 130). Es sind Urteile, in
denen der Sprechende Selbsterlebtes mitteilt (ib.). Das „Präteritwn bedeutet
psychologisdi ein Phts, eine Beziehung auf den Sprechenden, logisch ein Minus,
utdem es ein individuelles Erlebnis und keine allgemeifte Behauptufig enthält'^
(L c. S. 133).
E2ristik : Disputierkunst, besonders die der £ r i s t i k e r oder Megariker (s. d.).
Etklides von Megara griff nicht die Prämissen, sondern die Conclusion der
Behauptungen oder Beweise an (rale $e dnoSei^eair dviararo oh xara Xijfi/iara,
a/Mt xar ETCifo^av, Diog. L. II, 107).
ErlL^Dii^D (psychologisch) s. Wiedererkennen.
Erfeeiiiitiila (logisch) ist die Bestinmiung der Merkmale (Eigenschaften,
Kräfte, Beziehungen) eines Seienden, ein Denken (Urteil), dessen Inhalt objectiv,
allgemeingültig ist. Durch den und im Erkenntnisact (Erkeimen) wird das
Erkannte (der Erkemitnisgegenstand) subjectiv-logisch so bestimmt, wie es ge-
mäß den Erfahrungen, Folgerungen und Postulaten des Denkens geschehen muß.
Einerseits setzt alle Erkenntnis ein erkennendes Subject voraus, dessen Tätigkeit
und Gesetzmäßigkeit Bedingung der Erkenntnis ist, anderseits muß sich das
Subject nach den ihm aufgenötigten, immer wiederkehrenden, constanten In-
halten des Bewußtseins richten. Erkenntnis ist das Resultat des Zusammen-
spiels von Erfahrung (s. d.) und Denken, das Product denkender Verarbeitung
eines CTegebenen, Vorgefundenen. Erkenntnis im einzelnen ist ein wahres Urteil,
d. h. ein solches, von dem geglaubt werden muß, daß es die Beschaffenheit des
Seienden, wenn auch in subjectiver Form, symbolisch, ausdrückt, darstellt.
Die Subjectivität (s. d.) und Relativität (s. d.) der Erkenntnis bedeutet nicht
ein absolutes Nichtwissen um das Sein, sondern niu: die Abhängigkeit der Form
der Erkenntnis vom Ich. — Ursprung und Gültigkeit der Erkenntnis werden
vom Rationalismus (s. d.), Empirismus (s. d.), Sensualismus (s. d.), Apriorismus
<s. d.), Kriticismus (s. d.) verschieden beiurteil t. Betreffs des Ejrkenntnisgegen-
standes gehen Realismus (s. d.) und Idealismus (s. d.) auseinander.
Die Erkenntnis des „Gleichen durch das Gleiche^^ (im Subjecte) behaupten
schon die Upanishads. So auch Pythagoras {vno tov o/uoiov ro ofioiov
Kaxa/Mfißdread-ttt nitpvxav, Sext. Empir. adv. Math. VII, 92). Auch Empe-
DOKLES: Ti yxoais rov ofioiov t(^ otioiq) (Sext. Empir. adv. Math. VII, 121;
ARISTOTELES, Met. III 4, 1000b 6); y«»j? fiiy yng ynXar oncmafisv, vSari ^vBcoQy
ai^iffi S'ai&dQa diar, ard^ nvpl txvq tttSrjlov, aroQyfj $i aro^yijv, velxog Ss re
vtixei Xvy^ (ARISTOTELES, De anim. I 2, 404 b 13 squ.). Heraklit meint,
das Bewegte werde durch das Bewegte, die Seele, erkannt (ro Si xtvovftevov
xtvovfiirt^ ytvtocxead'ai, ARISTOTELES, De an. I 2, 405 a 27). Die aus allen
Elementen bestehende Seele erkennt alles {<y>a<yl ydq yivwaxead'ai t6 ofiotov tu)
Oftoüp' d7t£i8^ yoLQ 17 yi^jifij Trdvra yiyvmaxet, cwiaraaiv «vrij*» ix naümv Tc5r
«fafwv, L c. I 2, 405 b 15). Nach Anaxagoras erkennt die Seele durch Affection
von dem (ihr) Ungleichen (toi» ivavxioi<i* t6 yuQ ofioiov anad'is vno rat bfioiov,
Iheophr., De sens. 27, Dox. 507). Parmenides betont (wie Heraklit u. a.),
daß nur das begriffliche Denken wahre Erkeimtnis gewlUire. Von der auf das
286 Erkenntnia.
Bein gerichtetai Erkenntnis ist die auf das Nichtsein, auf deaa Schein gerichtete
(empirische) Erkenntnis zu unterscheiden {Bicaiqv t iftj rtjv ftXo90f>iar Tr,v fuv
xax aXr^d'eiav, rtjv Sa xaia Soiar, Theophr., Phvs. opin. fr. 6a, Dox. 483).
D£MOKJUT unterscheidet zwei Erkenntnisweisen, die j/kmkle^^ Sinneserkenntnis
der Erscheinungen, die ,^ht€^^ Wirklichkeitserkenntnis durch das Denken:
'/raiurjs Si 8vo eiaiv iBiai' ^ tuv •pTfCiri, rj Si axorirj' xal axoTitjs fiiv rdSe ivft-
TiatTa, otpie, nxor,, 68ur,f yevate, xpavan' rj Se yitjcir^ anoxex^ifts'vf] Si Tavrr^i . . .
orav rj axorifj fijjxtri Stfvrjrai fiijre 6q f^r «tt ikanrov fii^re axoveir fMfjrs oSuaa&m
fiijre ytvBO&ai /iTJre iv rfj ^avaet alad'dre<r9'ai, aXX iiii )x7iT6r€Qov (Fr. 1, Mull,
p. 206; Sext. Empir. adv. Math. VII, 135, 138 squ.). Von den ^atrotam
muß man auf die dSijXa schließen (Sext. Empir. adv. Math. VII, 140). Die
Wahrheit ist „in der Tiefe^^ (iv ßvd-t^j Diog. L. IX, 72), in der Regel wissai
wir nichts von der wahren Beschaffenheit der Dinge: ori ireij avSiv tSgMtv m^
ovSevoSf dXX int^^va(drj ixdaroiaiv r, So^ie' yivtoaxeiv iv dno^to iart (Sext
Empir. adv. Math. VII, 137); r,fiiBs Se tiS fUv iovrt oiSev dr^Bxis 5i»»'i««£i>
fteraTtJjtTOv Si xaxd re acifiaxos Siad'iy^r xai rcav isieiaiovxtov xal xmv dvriGJS^'
^övTOfv (1. c. VII, 135 squ.) ; irsf, uiv wv^ on olov ixaarov i*sti t} ovx iartr^
ov ^wiofuv, TtoXXaxj SaSi^Xforat (Fr. 1); Sio JrifioxQiioi yi fijciv r^roi ovSir
eh tu diti&is r, rifiivy dSrjlov (ARISTOTELES, Met. IV 5, 1009 a 38).
Die Sophisten betonen die Subjectivität und Relativität aller Erkenntnis.
So PROTAGOBAS, dem der Mensch das Maß alles „Seienden^^ und j^Niehtselendev^
ist; die Dinge sind für jeden so, wie er sie auffaßt {ndvnafv ;f^i7/<aTft^ m'r^
nvd'^Ttog, Diog. L. IX, 51; ndvxa etvai oca Ttdai y?airsraij Sext. Empir.
Pyrrh. hypot. I, 217). Das Wissen löst sich in Einzelwahmehmungen auf
(Plato, Theaet. 160 D), alles ist Meinung {So^a, 1. c. 179 C). G0R6IA8 be-
streitet die Möglichkeit objectiver Erkenntnis; gäbe es selbst ein Sein, so wäre
es dyvtaarov xai dvanivorjxov; gäbe es Erkenntnis, so wäre sie (wegen der Sub-
jectivität der Sprache) nicht mitteilbar (Sext. Empir. adv. Math. VII, 65,
77 squ.). Dagegen erklärt Sokrateö, es gibt objective, allgemeingültige Er-
kenntnis, und zwar durch das begriffliche Denken, welches das „TFas*^ jede*
Dinges bestimmt (vgl. B^riff, Definition, Induction).
Auch Plato findet nur im Begriffe das wahre Erkennen: a^* ovr oix iv
T(f koyi^ead'nif eine^ nov dXXod'i^ xardStjXov ctvr^ ytyrexai xi xdiv 6vTcar'\ vei
(Phaedo 65 C). Der Gegenstand wahrer Erkenntnis ist das Sein, das Reich der
Ideen (s. d.). Nur wenn die Seele o^iyrjxai rov övxoi, hat sie Erkenntnis (L c.
(>5 C, 66 A, D, 67 B). Es gibt außer dieser wahren noch eine „Erkenntnis*
des NichtSeienden, Werdenden (der Sinnendinge) und die mathematische Er-
kenntnis, die eine mittlere Stellimg einnimmt {/uxa^v xi Soirjs xai tot r^**
Sidvoiav, xcJv yetofier^ixatv . . . k'^iv, Republ. VI, 511 D; Tim. 27 D). Die
iTttaxT^fir,, rofjais des Seienden ist zu unterscheiden von der bloßen So^a über
das Werdende (Theaet. 210 A; Rep. V, 476 E squ., 534 A; Tim. 29 C). Er-
kenntnisweisen sind vovs (vorjais) oder STzumjfirj, Sidroia; Tttaxte und hixaein
als Formen der S6^a (Republ. 509 squ., 533 squ.). Die höchste Erkenntnis
iuiyioxov fidd^fia) ist die Idee des Guten (1. c. 505 A squ.), die dem Geiste die
Erkenntniskraft, den Dingen die Erkennbarkeit gibt (Republ. VI, 509 B). Die
Erkenntnis der Ideen beruht auf dvdfivtiais (s. d.). Nach Aristoteles haben
die Menschen einen natürlichen Erkenntnistrieb {ndvxBi avS-^eanoi rov eiSircu
oQtyovxai fvoBi, Met. I 1, 980a 21). Die iTnaxrjfir} ist von der aic&t^cte des
Veränderlichen wohl zu unterscheiden (Met. III 4, 999 b 2; De anim. II 5,
Erkenntnis. 287
417 b 23), wenn sie auch von ihr ausgeht. Wahre Erkenntnis bezieht sich auf
das AUgemeine {uad'olov ya^ al iTttar^/uai Ttdvnov^ Met. III 6, 1003a 14), ist
be^fflicher Art (Ao/o«, Met. IX 1, 1046 b 8), geht auf das Constante, Not-
vendige, nicht aufs Accidentielle , Zufällige {avußeßrfxos) {sntcri^fir, lUv yap
Tiaaa tov aUl Svroe ? wg ini ro noXv, Met XI 8, 1065 a 5). Die vollendete
Erkenntnis ist mit dem Erkannten eins (t6 S^avro ianv tj xax Ivi^eiav imarTJur;
TßJ Tt^'/fiari, De an. III 6, 431a 1; i'an S* r; emaTTJfii] fjtiv la BnujrrjTn noHy
l. c. 8, 431b 22). Die letzten Principien (s. d.) des Seienden erkennt die Ver-
nunft durch sich selbst. Drei Richtungen des Erkennens gibt es, nQaxTix^^
xotTjTuc^, d'emgrjTixij (Met. VI 1, 1025 b 25). Die Stoiker leiten alle Erkenntnis
aus der Eriahrung und deren begrifflichen Verarbeitung ab. Die Seele ist eine
tabula rasa, der Mensch hat bei der Geburt die Seele wmtBQ /«otj^v eveqyov eis
«To/^a^wjv eig tovto fiiav ixdoTTjv j(d^rriv imv ewoicor sraTioy^n^erai (Plac.
IV, 11, 1, Dox. 400). Epikur gründet die Erkenntnis auf die Evidenz (evd^eia}
der Öinneswahmehmung. Die Skeptiker (s. d.) bezweifeln die Möglichkeit
objectiver Erkenntnis. Ein übersinnliches Erkennen kommt nach Plotix der
Seele durch sich selbst zu, indem sie das Übersinnliche selbst in gewisser Weise
ist, das in ihr der Potenz nach Buhende zur geistigen Wirklichkeit entfaltet^
bewußt macht (Enn. IV, 2, 3). Die Erkenntnis kommt nicht durch „Abdrücke^^
der Dinge in der Seele zustande (Enn, IV, 6, 1). Im Zustande der Ekstase (s. d.)
erkennt der Geist immittelbar das Göttliche imd sich in ihm. Nach Galen er-
kennt der Verstand gewisse Wahrheiten (dpx^^ Xoyixai, mathematische Axiome,.
Causalitätsprincip u. dgl.) aus sich selbst, ohne Beweis (De opt. disc. 0. 4; De
Hipp, et Plat. IX, 7; Therap. meth. I, 4; vgl. Zeller, Phil. d. Griech. III,
1* 825).
Nach Augustinus beruht jede Erkenntnis auf einem Glauben, einer
Willenszustimmung. Das Wissen ist das Begreifen der Objecte in ihrer Not-
wendigkeit (De lib. arbitr. I, 7; II, 31). BoftTHius unterscheidet vier Erkenntnis-
stufen: „Sensus . . . figuram in subieeta materia cofistifiäavi, imaginatio vcro
folam sine materia indicat figura/mj ratio vero harte quoque transc^ndii, sjjeciemqtfe
ipsaniy quae sifigtUaribus inest, universali consideratione perpendit. InteUigentia
vero celsior octUtes existit supergressa nanique universitatis ambitum ipsam
simpiieem formam pura mentis acte eoniuetur^* (Consol. phil. V ; später gliedert
R. V. St. Victor die Erkenntnis in: imaginatio, ratio, intellectus. De contempL
1, 3, 7). — Nach Augustinus ist die Erkenntnis ein Product des Erkennenden
nnd des Erkannten („o^ läroque . . . noiiiia parittir a cognoseente et cognito,^^
De trin. XIX, 12). Die Mystiker (s. d.) betrachten die innere „Erfahning^'",
die geistige Intuition als eine Erkenntnisquelle. Die Scholastiker sehen im
begrifflichen, schließenden Denken die Hauptquelle der Erkenntnis. Nach
AviCENNA wird der InteUect des Menschen durch den außer uns seienden
activen Intellect erleuchtet (vgl. Siebeck, Gesch. d. Psychol. I 2, 437). Abae-
LARD definiert Erkenntnis als „ipsarum rerum experientia per ipsam earum
praesentiam^' (Theol. Christ. II, 3). Albertus Magnus behauptet: ,,Si?mle
fimÜi eognoecimus,*^ ,^Ntdlius rei cognitio fit, nisi per assimilationem ad illam'^
(Sum. th. I, 13, 6). Die Erkenntnis besteht in einer ,yVerähnliehiing^^ des Be-
wußtseins dem Objecte zu. Die Seinsprincipien in sich habend, vermag die
Seele zu erkennen. „Änima humana nullius rei aeeipü seientiam nisi illius
«m« prineipia prima habet apud seipsam (1. c. qu. 13, 3). Thomas erklärt,
die Erkenntnis entstehe dadurch, daß vom Erkennenden und Erkannten im
288 Erkenntnis.
Erkennenden ein „Büd^^ (species, s. d.) erzeugt wird. Das Erkennen beruht
auf einer „Verähfütchung^^ des Erkennenden mit dem Erkannten: y^Omnis to-
gnitio fit per assimüaiionem cognoscenHs et cognM^ (Contr. gent. II, 77). Das
Erkannte ist im Erkennenden (als „es»c intenttonale**) nach der Weise des Er-
kennenden, diesem gemäß. „Qmnis eognitio est secundwn altquam formam,
quae est in cognoscente princtpium cognitionis^* (De verit. 10, 4). „OognUum
est in cognoscente secundum niodum eognoscentis*^ (De verit. 2, 1 ; Sum. tL I,
83, 1 ; 1 sent. 38, 1, 2 C). „Omnis cognitio est per unionein rei cognitas ad
cognoseeniem'^ (1 sent. 3, 1, 2 ob. 3). j,Omnts cognitio est per speciem aliquam
cogniti in cogno8eent&^ (1 sent. 36, 2, 3 a). Die Erkenntnis ist um so voll-
kommener, je weniger das erkennende Prineip sich dem Materiellen nähert:
„Ratio cognitionis ex opposiio se habet ad rationem materialitatis*^ (Sum. th. I,
84, 2). Von den Sinneswahmehmungen geht die Erkenntnis zum Wesen (s. d.)
der Dinge. „Omnis nostra cognitio a sensu incipH, qui singularium esf
(Gontr. gent. II, 37). „Cognitio sensitiva oceupatur circa quaUtates sensibUe*
exteriores; cognitio intellectiva penetrat usque ad essentiam rei^* (Sum. th. 11^
8, 1), Wir erkennen alles durch Grottes Erleuchtung (yjOmnia discimur in Deo
vulerCy^' Sum. th. II, 12, 11), in den ewigen Ideen („anima kumana in rationibus
aetemis oinnia cognoscit^*^ Sum. th. II, 84, 5). Sich selbst erkennt der Greist
in seinem Wirken unmittelbar, „per praesentiam" (De verit 10, 8), nicht durch
,^peci^.s^^. „Int£llectus humanus . . . non cognoscit seipsum per suam essentiam;
sed per actum, quo intellectus agens abstrahit a sensihüibus species intdligibües'^
(Smn. th. I, 87, 1). Durand von St. PouKgAiN bemerkt: „(Jognitio non ß
per realem assimilaiionem in natura . . . sed fit per proportionem inter poten-
iiam cognifivam et rem cognitam . . ." (In sent I, 3, 1). Boger Bacon unter-
scheidet demonstrative imd Erfahr ungserkenntnis. yjDtw enim sunt modi cogno-
scendij se. per argtimenium et per experientiam. Argumentum coneludit et facü
nos candudere quaestianem, sed non certificai neque removet dubitcUionemy ul
quiescai animus in intuitu veritatis nisi eani inveniat via experientiae'^ (Op.
maj. VI, 1). W. VON Occam bestimmt Wahrnehmung, Gedächtnis, Erfahrung,
Begriff, als Stufen der Erkenntnis. „Omnis disciplina ineipü ab indiriduit.
Ex sensUy qui non est nisi singulariumy fit memoria, ex memoria experinkeniwn,
ei per experimentum accipüur universale, quod est principium artis et scientiae^
(In lib. sent I, 3). Die Erkenntnis ist anschaulich (intuitiv) oder begrifflich
(abstract). „Notitia intuitiva rei est talis notitia, virtute cuius potest seiri,
uinim res sit vel non sit. Äbstractiva atäem est ista, virtute cuius de re eon-
tingenii ?um potest sciri evidenter, utrum sit vel non sit.^^ „Omnis cognitio
intellectiva praesupponit necessario imaginationem sensitivam tarn sensus exterio-
ris quam interioris** (1. c. I, 3, 1). Zur Erkenntnis der Objecte bedarf es keiner
„species^^ (s. d.). Seine eigenen Tätigkeiten (inteUectiones, actus volimtatis) erfaßt
der Geist unmittelbar-anschaulich („potest homo experiri inesse sibi'^). Ai^bert
VON Sachsen imterscheidet: „notitia intuitiva, qua aliquis apprehendit rem
praeseniem, notitia äbstractiva,, qua aliquis apprehendit rem absent^m" (vgl
Prantl, G. d. Log. IV, 61). Nach Suarez erfolgt das Erkermen „per quattdnm
assimilationem*^ (De an. III, 1). — Im Sinne der Scholastik lehrt spater Grr-
BERLEt: „Das Geheimnis der ewigen Zeugung des Logos lehrt uns, daß das
Erkemien eine Art Abbildung, eine Darstellung, eine geistige Wi e der-
er xeugung des Erkannten im Erkennenden ist'^ (Kampf u. d. Seele S. 139),
Marsilius FidNUS betrachtet die Erkenntnis als „spiritualem imiofiem
Erkenntnis. 289
cd fonnatn aliquam sptritualem" (Theol. Plat. III, 2). Nicolaus Cusauus
sieht im Erkennen ein ^jOssimilare" und „memurare^^, „Nisi enim intelleeius
se ftUelligendi CLssimilet, nofi inteUigü: cmn intdligere sit asstmilare, et m-
tdligentia se ipso, seu inteUectaaliier mensurare^ (De poss. p. 253). Vermöge
der in uns liegenden Begriffe erkennen wir, wenn auch nur durch ,jConieciura^*
{s. d.), die Dinge, deren Ideen in Gott sind (De coniect. II, 14). „Sertstis",
JfUeüectu^'^ „ratio^* sind die Stufen der Erkenntnis (De doct. ignor. III, 16).
Das höchste ist das geistige, intellectuale Schauen der Einheit Gottes, in der
alle Gegensatze rerschwinden (s. ^^Coineidenx^'^ und „Docta ignoranM'). Je
mehr sich eine Erkenntnis der mathematischen nähert, desto gewisser ist sie
U. 0. I, 11). Nach CAMPA27ELLA entspringt die Erkenntnis aus der Wahr-
nehmung, ist doch das „inteUigere^^ nur ein „sentire langutdum et a longe et
ronfusitm^^ (Univ. phil. 4, 4). Im Erkennen verähnlichen wir uns dem Er-
kannten („eoffnosoimus üludy quid sit, quoniam simiks Uli effidmur*^ (L c. I,
4. I). G. Brcko erklärt: y^Omne simile simüi eognoseüur^^ (De umbr. idear.
p. 30). Nach GoGLEN ist die Erkenntnis der „actus cognoaeendi^^ vermöge
dessen die Dinge ,^nmt in intellectu per repraeseniatumem, tum seeundum 9UUfn
esse formaU^^ (Lex. phil. p. 381). „Absoluia*^ ist die Erkenntnis, „cum res con-
sideratter sine respeetu aiU comparatione ad aliud^* (1. c. p. 383). Deutlich ist
die Erkenntnis, „qua cognosdtur etiam quid sü res^^ (1. c. p. 382). Nach
NiooLAUS Taurellus ist das Erkennen eine Anamnesis (s. d.), „discere est
Temfniseer&*' (Phil, triiunph. 1, p. 68). Es liegt ihm aber eine geistige Activität
zugrunde. „Non enim, ut sensus, intelligere passio est^ sed actio, qua mens
rerum noiiiias apprehenditj nee ab eis afficitur, cum voj^futra non ut sensiles
qtuUitaies in rebus sint intellectiSf sed mentis effectus existant, a quibus affici
non potesf' (1. c. 1, p. 61 f.). L. VrvES unterscheidet dreierlei Erkenntnis:
.,tmtf»t, quod norit corpora tantumniodo praesentia: aUerttm, quod entia
absentia: tertium, quod res incorporeas^^ (De an. I, p. 14). Nach Sakchez ist
jene Erkenntnis vollkommen, „qua res undtqucj intus et extra perspicitur, intet-
Ugitur^*^ (Quod nih. seit p. 105). Wir erkennen durch die Sinne, den InteUect
und durch beider Vereinigung (1. c. p. 106 f.). Aber das Wesen der Dinge
bleibt uns unbekannt: „Rerum naturas cognoscere non possumus^* (L c. p. 14).
Skeptisch äußern sich auch Charron und Montaigne. Auch Gassendi meint:
..Planum feeimus non cognosei ab hominibus intimas rerum naturas^^ (Exerc.
n, 6). Von Gott haben wir eine „ab ipsa natura impressa quaecUim notäia",
.Aniicipaiio generalis^^ (Phys. IV, 2). Galilei spricht von einer Art a priori
^9. d.) des Erkennens.
Der Bationalismus (s. d.) nimmt überempirische Principien des Erkennens
ÄL Die Notwendigkeit der Erkenntnis stammt aus der Vernunft. Nach
Dbscartes ist „Klarheit und Deutlichkeit'* das Kriterium wahrer (s. d.) Er-
kenntnis. Gott ist der Bealgrund aller Erkenntnismöglichkeit, das „Oogiio,
ergo sum*^ (s. d.) die subjective Basis der Erkenntnis. „Ewige Wahrheiten'*
(e. d.) liegen allem Erkennen zugrunde. Malebranche kennt vier Erkenntnis-
arten r 1) die Erkenntnis der Dinge durch sich selbst, die Gott hat, 2) die Er-
kenntnis der Dinge durch ihre Ideen (s. d.), 3) die Erkenntnis durch innere
Wahrnehmung, 4) die conjectunde Erkenntnis fremder Seelen. Gott wird uns
als das Unendliche (s. d.) bewußt, alles, was wir erkennen, erkennen wir in
Gott „Spiritus ereati quaectmqtt^ vident et cognoscunt, in Deo cognoscunt, in
quo eontinentur et cuius substantia totum mundum seu Universum ipsis exhibet,
PhiloiophiBOh«! Wört«rbtteh. S. Aufl. 19
290 BrkenntaiiB.
unde eitam Uquet, quomodo possideamus qimndum notitiam generalem faniici-
patam) de otnntbus entibus^ antequam adhuc earundem experientiam feeerimmr
So auch Fenelon: „Cest en Dieu que je vois toutes choses, cor je ne eofmais
rien que par mes idees^^ (De Uexist de Dieu p. 152). Spinoza unterscheidet
(au^r der „cognitio ab experientia vaga", s. Erfahrung) drei Erkenn taisarten:
Imagination (sinnliches Vorstellen, concretes Denken) oder „opinio" (Meinung),
ratio (begriffliches Denken), Intuition (speculative Erkenntnis). y,Xotiof9es^
werden gebildet y,ex signis, ex, gr, ex eo, quod auditis aui lectis quibwfdofn rerbit
rerum reeordemur, et earum quasdam ideas fomiemus similes iis, per quas ret
imaginamur. Utrumqtie hunc res contemplandi modum cognitionetn prtmi
generisy opinionem rel imaginationem in posterum voeaho. Deniqm esr
eo, quod noti&nes cornmunes rerumque proprtetatum ideas adaegtUMias habemus.
Ätque hunc rationem et seeundi generis cognitionetn vocabo. Praeter
kaec duo cognitionis genera datur . . . aliiid tertium, quod seientiam in-
tuitiv am vocabvnms, Atque hoc cogtioseendi genus proeedit ab adaequata idea
essentiae fortnulia quorundam Dei attributorum ad adaequatam eognitionem
essentiae rertum" (Eth. II, prop. XL, schol. II). Nur die zwei letzten Erkenntnis-
arten führen zur Wahrheit (L c. prop. XU f.). Die Vernunft erkennt die
Dinge in Gott, in ihrer ewigen Notwendigkeit und Wesenheit. „ZV natura
rationis non est res tU eontingentes, sed ut neeessarias eontetnplari" (L c. prop.
XLIV). „De natura raiiotiis est res sub qtiodam aetemitatis speeit" (L c.
coroU. II). „Mens humana adaequatam habet cognüionem aetemae et infinitae
essentiae Dei" (1. c. prop. XL VII). Leibntz leitet die Erkenntnis aus der bei
Anlaß der Erfahrung sich betätigenden Denkkraft, die die Anlage (8,.d.) zu den
Principien hat, ab. Ein a priori (s. d.) liegt dem Erkennen zugrunde, namÜch
der Intellect mit seinen Anlagen. Es gibt eine Vorstellungserkenntnis und eine
solche, die in der Übereinstinmiung der Vorstellungen mit den Sachen best^t
(Nouv. Ess. IV, eh. 1, § 1). Erfahrungs- und Vemunft-Ehrkenntnisse sind zu
unterscheiden. Es gibt klare (s. d.) und dunkle Erkenntnis nebst Unterarten.
Nach Chr. Wolf ist Erkenntnis j,actio animae^ qua notionem vel ideam rei
sibi acquirit" (Psychol. empir. § .52). Es gibt historische (empirische), philo-
sophische (rationale), mathematische Erkenntnis. ,f Cognitio eorum, quae sunt
atque fiunt^ site in mundo maierialif sive in 8iä>stmüiis immaierialibus arcidant^
historia nobis appeJtkitur" (Phil. rat. § 3). „Cognitio rationis eorum, qtioe sunt,
vel fitmtf philosophica dicitur^^ (1. c. § 6). „Cognitio quantitutis rerum est «i,
quam maihetnaiicarn appellamus" (1. c. § 14). „Cognitio intuüiva^* und „«yw-
boliea" ist zu unterscheiden (Psychol. empir. § 286, 289; wie Leibniz, s. Klar-
heit). Bauhgarten bestimmt: „Cognitio latüts sunUa est repraesentaiio in
cogiiante seu perceptio. Striciius est complexus repraesentationum in eogitantt,
seu complexus pereepttonufn" (Acroas. log. § 4). Nach Walch ist Erkenntnis
„diejenige Wirkung des Verstandes überhaupt, da Ufis die vorher unbekannten
Ideen, auch deren Venrandtschaft untereinander bekannt werden" (Phil. Lex.
S. 806). Platner definiert Erkennen als „ Vbrstellungeti haben von der Be-
schaffenheit der tkiche" (Phil. Aphor. I, § 67).
Der Empirismus (s. d.) gründet alle Erkenntnis auf (äußere und innere)
Erfahrung (s. d.). So F. Bacon, der eine Theorie der Induction (s, d.) gibt
Nach HOBBES geht alle Erkenntnis auf die Ursachen, auf das btort der Dinge
(Elem. phil. I, C. 6, 1). Locke betont, Erkenntnis sei nur möglich, weim die
VorsteUungen ihren Archetypen, den Gegenständen, entsprechen (Ees. IV, cIl 4.
§ 8). Erkenntnis (knowledge) ist die Auffassung (perception) der Verbindung
291
(eonnezion) und Übereinstimmiing (agreement) oder des Widerstreites (repugnancy)
uDter den Vorstellungen (1. c. IV, eh. 1, § 2; eh. 7, § 2). Alle Erkenntnis ent-
springt aus der ,^enaation^^ oder „refsetion^^, Sie ist beschrankt, abhangig von
der Natur der Seele, deren Organe den Lebensbedingungen angepaßt sind (1. c.
II, cL 23, § 12). Es gibt intuitive, demonstrative und sinnliche Erkenntnis.
„0/* real existence we have an intuitive knowledge of our oum, demonstrative of
Go^s^ sensitive of same for otker things" (1. c. IV, eh. 3, § 21). Die intuitive
Erkenntnis ist „irresistibk^^j ein „clear light\ weil hier die Übereinstimmung
in den Vorstellungen „immediately by themselves, tvithoiU ihe intervention of any
other^* gefunden wird (1. c. eh. 2, § 1). Die einfachen Vorstellungen („simple
ideas^') sind das Product der Erwirkung der Dinge auf uns (L c. IV, eh. 4,
§ 4). Die mathematische Erkenntnis ist eine sichere (1. c. § 6). Berkeley
erklärt Erkenntnis als ausgedehntere Auffassung, diu*ch die „Äknlichkeitenf Rar-
fnomeJi, Übereinstimnnmgen in den Naturwerken entdeckt und die einxelnen Er-
fekeinunffen erklärt, d. h, auf allgemeine Regeln xurückgeführt werden^* (Principl.
CV). Die Erkenntnis bezieht sich nicht auf Dinge außer dem Bewußtsein •:—
solche gibt es nicht, weil esse = percipi, sondern auf die Gesetzmäßigkeit des
VorstellmigBzusammenhanges (1. c. CVII). Außer der Erkenntnis objecüver
Vorstellungen (Ideen, s. d.) gibt es eine (indirecte) Erkenntnis der Geister (s. d.)
(L c. LXXXVI). Die mathematische Erkenntnis ist nicht frei von Irrtümern
in den Voraussetzungen (L c. CXVIII). Condillac leitet alle Erkenntnis der
Dinge aus den Empfindungen (s. d.) ab. jyLe principal ol^'et de cet ouvrage est
de faire voir comment toutes nos eonnaissances et touies nos facultes viennent
des sens, ou, pour parier plus exaetementj des sensations^^ (Trait. d. sens., Extr.
nüs. p. 31). HuME reduciert die Erkenntnis auf erfahrungsmäßige Verknüpfung
von Vorstellungen (s. Idealismus). Die sog. „ersten ßetxten) Ursachen^^ sind
ans unbekannt. Apriorisches Wissen gibt es nur in der Mathematik. Es gibt
mathenoatische Gewißheit, Erfahrungserkenntnis und Wahrscheinlichkeit (s.d.)
{TreaL III, sct. 11, S. 172). Die Erkenntnis von Tatsachen beruht auf Ge-
wohnheit (s. d.) und Association (s. d.), auf einem natürlichen Triebe oder In-
stincte, auf einem biologisch -psychologischen Princip. Ohne „Impressionen^*
IS. d.) keine wahre Erkenntnis. — Die schottische Schule nimmt als Grund-
lage der Erkenntnis f^elf-evident tnähs^", apriorisch (s. d.) gültige Principien, an.
Kaitt findet in aller Erkenntnis zwei Factoren: Form (s. d.) und Stoff
des Eirkennens. Die Formen des Erkennens sind das Apriori (s. d.), die sub-
jeetiv-notwendige Bedingung desselben, durch die Objectivität (s. d.) in die
Erkenntnis kommt. Erfahrung und Denken constituieren alle Erkenntnis ; diese
hat zum Inhalte subjective (Ich) und objective Erscheinungen (s. d.), die Dinge
an sich (s. d.) sind unerkennbar. Erkennen heißt allgemein „mit Bewußtsein
eticas kennen** (Log- S. 97). Das Erkennen ist mehr als bloßes Denken (s. d.).
.jEinen Gegenstand erkennen, daxu udrd erfordert, daß ich seine Möglichkeit
(es sei nach dem Zeugnis der Erfahrung aus seiner Wirklichkeü, oder a priori
dureh Vernunft) beweisen könne. Aber denken kann ich, was ich unU, wenn
ich mir nur nicht selbst widerspreche** (Krit. d. r. Vem., Von*, zur 2. Ausg.,
&. 23). „Erkenntnis ist ein Urteilf aus welchem ein Begriff hervorgeht, der ob-
jective Realität hat, d, i. dem ein correspondierender Gegenstand in der Erfahrung
gegeben werden kann** (Üb. d. Fortechr. d. Met S. 105). Alle Erkenntnis er-
fordert einen Begriff (Kxit. d. rein. Vem. S. 120), zuletzt allgemeine oder Grund-
begriffe (Kategorien, s. d.) als „transcendentale** Bedingimgen. Erkenntnis ist
19*
292 Erkenntnis.
ein Product der Spontaneität (s. d.) des Geistes, nicht passive Aufnahme ge-
gebener Inhalte. Die „Spitheais der Appereeption" (s. d.) ist die sabjective
Quelle aller Erkenntnismöglichkeit Aber alle menschliche Erkenntnis ist auf
mögliche Erfahrung beschrankt, ist y^nnlieh". Innerhalb der EHahrung gibt
es ein Apriori, absolute Gewißheit (Üb. d. Fortschr. d. Met S. 114). Aber nur
das erkennen wir von den Dingen a priori, „fr<w trtr selbst in sie legen'' (Kr.
d. r. Vem. S. 18; vgL Gesetz). Nur Erscheinungen, nicht die „SaeJte an sidi"^
wird von uns erkannt. j,Daß Raum und Zeit hur Formen der sinnlieken An-
srhauung, also nur Bedingungen der Existenx der Dinge als Erscheinungen sind,
daß wir femer keine Verstandesbegriffe, mithin aueh gar keine demente zw
Erkenfünis der Dinge haben, als sofern diesen Begriffen eorrespondierende An-
schauung gegeben trerden kann, folglieh uir von keinem- Gegenstand eUs Dinge
ati swh selbst, sondern nur sofern es Obfeet der sinnliehen Anschauung ist, d. i.
als Erscheinung, Erkenntnis haben können, wird im analytischen Teile der
Kritik betciesen, woraus denn freilieh die Einschränkung aller nur mögUehen
speeulaiiven Erkenntnis der Vernunft auf bloße OegensUmde der Erfahrung
folgte' (1. c. S. 23). Erkennbare Dinge sind Sachen der Meinung, Tatsachen oder
Glaubenssachen. Gegenstände von Yemunftideen (s. d.) sind nicht positiv er-
kennbar (Krit d. r. Urt § 91). — Nach Krug heißt etwas erkennen, ,^einen
gegebenen Gegenstand als einen bestimmten- Gegenstand vorstellen*'. Erkenntnis
besteht in der „bestimmten Beziehung unserer Vorstellungen auf gegebene Gegen-
stände*^ (Fundamen talphilos. S. 179). Nach Kiesewetteb heißt etwas erkemien,
„seine Vorstellungen auf ein Objeet beziehen" (Gr. d. Log. S. 73). Nach Reik-
HOLD kommt Erkenntnis durch Verbindung von Form und Stoff des Voretellens
zustande. Der „Satx des Betvußtseins" (s. d.) ist die Urtatsache aller Erkenntnis.
Fries bestimmt die Erkenntnis als „ Vorstellung vom Dasein eines Gegenstandet,
oder von dem Gesetze, unter dem das Dasein der Dinge steht^ (N. Krit I, 65).
Jede Erkenntnis enthalt eine Assertion (Behauptung). B^rkenntnisse sind die
„behauptenden, assertorischen Vorstellungen" (Syst. d. Log. S. 32 f.). Drei Er-
kenntnisarten gibt es: „Die historische oder empirische Erkenntnis ist , ..
die aus den Sinneswahmehmungen entspringende Erkenntnis von den Tatsachen
Über das Dasein der einzelnen Dinge; die nuUhematische Ehrkenntnis ist die aus
den Gesetzen der reinen Anschauung entspringende Erkenntnis von den Gesetzen
der Größe; die philosophische Erkenntnis ist die, deren wir uns nur mit
Hülfe der Reflexion bewußt werden" (1. c. S. 319). Tennemanx erklärt: „£r-
kentien ist die Vorstellung eines bestimfnten Gegenstandes, oder Bewußtsein einer
Vorstellung und ihrer Beziehung auf etwas Bestimmtes, von der Vorstellung Ver-
schiedenes" (Gr. d. Gresch. d. Philos.», S. 26). S. Maihon leitet die Erkenntnis
aus dem Denken ab, dessen oberstes Princip der Satz des Widerspruches ist
(Vers. üb. d. Transcend. S. 173 ff.). Tiedemank: „Vorstellungen, Begriffe.
Ideen und Urteile, auf Empfindungen und Gegefiatände der Empfindungen be-
xogen, dc^ ist angenommen, daß jedes unter ihnen gewisse Dinge in der Em-
pfindung bezeichnet und aUenuU sieher uns auf sie hinweist, heißen ErkenfUnissf"'
(Theaet. S. 9). Bardili sieht im Erkemien ein Verarbeiten des Gegebenen
diurch das Denken, es führt zu einem „wahren, notwendigen, ewigen und «in-
wam/elbaren Sein, dessen innerste Natur eine rein geistige ist und rofi deren
wirklichen Verhältnissen die Vorstellungswelt eine Spiegelung ist^' (Gr. d. erst
Log. S. 92). Nach Jacobi ist die Erkenntnis der Innen- und Außenwelt eine
unmittelbare (\VW. II, 161). Der Erkenntnisproceß ist das Kesultat „lebendiger
Erkenntnifl. 293
und tätiger'' Vermögen der Seele (1. c. S. 272). Der Glaube (s. d.) der Vernunft
erfaßt die Wahrheit der Dinge. G. E. Schui-ze erklärt: jflede Erkenntnis . . .
enthälty als solche, eine doppelte Bexieiningj nämlich auf das erkennende Ich (das
Stibfeet im Bewußtsein) und auf das dadurch Erkannte (das Object). In der
ersten Bexiehung genommen, ist sie eine besondere Bestimmung der Äußerung
der Erkenntniskraft . . . Nach der xweiten Bexiehung genommen oder betrachtet,
treiset sie das erkennende Ich auf etwas hin, das von der Geistestätigkeit, woraus
sie besteht, verschieden ist** (Gr. d. allg. Log.*, S. 157). „Erkenntnismasse** ist
yjede Vielheit ungeordneter und unverbundener Einsichten** (1. c. S. 149).
Die systematischen Philosophen nach Kant wenden den Kriticismus (s. d.)
ins EationaliBtische; die Erkenntnis gilt ihnen als Product der aus sich schöpfen-
den Denkkrait und zugleich als Erfassung des wahren Seins, mag dieses
idealistisch oder realistisch bestimmt werden. Andere Philosophen betonen
wieder mehr den Anteil der £«rfahrung an der Erkenntnis. Dazu kommen ver-
schiedene (realistische und idealistische) Formen des Empirismus. Von einigen
Denkern wird die biologische Bedeutung der Erkenntnis betont.
J. G. Fichte leitet alle Erkenntnis aus der Tätigkeit des Ich (s. d.) ab.
Dieses produciert Form und Stoff der Ejrkenntnis und macht sieh sein Pro-
dueieren stufenweise bewußt, zum objectiven Inhalt. So auch Schelling in
seiner ersten Periode, später betont er immer mehr das überindividuelle, trans-
subjective Sein des Absoluten, dfis durch intellectuale Anschauung (s. d.) erfaßt
wird. „Das meiste Erkennen ist eigentlich ein Wiedererkennen** (WW. II 3, 58).
^ünter der Erkenntnis a priori wird ein Begriff verstatiden, der ohne andere
als ideale Bexiehung auf das Object als wahr befunden wird** (WW. I 6, 512).
„Absolute** Erkenntnis ist „ Vernunfterkenntnis**, „Erkenfntnis der Dinge als ewiger'*
iL c. 8. 531). Das Wissen beruht auf der „Übereinstimmung eines Objectiven
mit einem Stdfjectiven** (Syst. d. tr. Ideal. S. 1). Vom „bedingten** Wissen
(Vom Ich S. 5) ist das „absolute^* als jenes Wissen zu unterscheiden, „worin
das SubjeeUve und Objeetive nicht als Entgegengesetxte vereinigt, sondern worin
das ganze Subjective das ganze Objeetive und umgekehrt ist** (Naturphilos. I, 71).
,^'icht ich weiß, sondern nur das Ml weiß in mir, trenn das ll'issen, das ich
das meinige nenne, ein irirkliches, ein wahres IVissen ist** (WW. I 6, 140). Er-
kennendes und Erkanntes müssen gleichartig sein. „Eine und dieselbe Ursache
bringt an dem bloß erkennbaren Teil der Welt das Erkennbarsein, an dem er-
kennenden Teil das Erkennen hervor. Alles, was ein Erkennbares ist, muß selbst
«cAo« das Gepräge des Erkennenden, d, h. des Verstandes, der Intelligenz an
Heh tragen, wenn es auch nicht das Erkennende selbst ist** (Darstell, d. philos.
Empir. WW. I 10, 237). Hegel leitet die Erkenntnis aus der dialektischen-
(8. d.) Selbstbewegung des (reinen) Denkens ab. Erkennen ist ihm ein Zusich-
fielbstkommen des Absoluten. Das notwendig Gedachte ist Erkenntnis, trifft
niit dem Wesen der Dinge zusammen. „Die InteUigenx findet sich bestimmt;
dies ist ihr Schein, von dem sie in ihrer Unmittelbarkeit ausgeht; als Wissen
«ier ist sie dies, das Gefundene als ihr Eigenes xu setxen. Ihre Tätigkeit hat es
^ der leeren Form xu tun, die Vernunft xu finden, und ihr Ztceck ist, daß
ihr Begriff für sie sei, d. t. für sich Vernunft xu sein, womit in einem der
InkttÜ für sie vernünftig wird. Diese Tätigkeit ist Erkennen** (Encykl. § 445).
tX!HT.KrF.RMACHER setzt die Erkenntnis in die Bearbeitimg des Erfahrungs-
niaterials durch das Denken, wodurch eine Übereins tinmiung (ein Parallelismus)
nüt dem Sein erzielt wird. Ideales und Reales „laufen parallel nebeneinander
294 Erkexmtnis.
fort als Modi des Seins'* (ohne „identisch** zu sein; Dialekt S. 75). Wissen ist
„das Denken^ welches a. vorgestellt wird mit der Notwendigkeit, daß es von aüen
Denkfahigen auf dieselbe Weise produeiert werde, und weiches b. porgestelÜ
icird als einem Sein, dem darin gedachten, entsprechend** (1. c. S. 43). Wissen
ist das Denken, welches „in der Identität der denkenden Subfecte gegründet ist*
(1. c. S. 48), „was alU Denkenden auf dieselbe Weise construieren können, \md
was dem Oedachien entspricht** (1. c. S. 315). TrendelenbüRG sieht die Mög-
lichkeit der Erkenntnis darin, daß sie in der „Beicegung** (s. d.) ein init dem
Sein gemeinsames Element besitze (Log. Unt. I*, 136). Das Erkeimen schafft
ein ideales „Gegenbild^' des (parallel gehenden) Bealen (1. c. S. 358). Nach
BoLZA23^0 ist Erkenntnis ,jedes Urteil, das einen wahren Satx enthält, oder . . .
der Wahrheit gemäß oder richtig ist** (Wiss. 1, 163). Chb. Krause bestimmt: ,,Er-
kennen, oder besser Schauen, ist , . . Vereinwesenheit des SelhwesenHchen als
des Ziierkennenden mit dem erkennenden Wesen, als SeUncesenlichentj in letzterem**
(Log. S. 71). Nach Heinroth ist das Erkennen ein Sehen, ein Wahrnehmen,
Empfangen der Wahrheit oder Einheit, ein Einswerden des Gegenstandes mit
uns selbst (Psychol. S. 61, 95). Nach F. Baader ist das Erkennen ein „Dureh-
und Eindringen**, ein „Umgreifen**, „Buden und Oestalten, folglich ein gestalt-
empfatigendes Erhobenwerden des so Durchdrungenen in das Ein- und Durch-
dringcfide und von ihm**. Der Erkenntnistrieb ist organischer Bildungstrieb,
er geht auf geistige Zeugung, auf „ideale Forfnation** (WW. I 1, 39 ff., 42 f.,
314). Kein wahres Erkennen ist „affectlos**. Das Erkennen ist „ein Ergründen
mid Befunden und zugleich ein Be- und Umgreifen, d. i. ein GestuUen des
Erkannten** (WW. I, 51 f.). Es gibt ein mechanisches, äußeres, figürliches,
dynamisches, lebendiges, inneres, wesentliches Erkennen. Jeder Greist ,/orschet
nur seine eigene Tiefe** (1. c. S. 52). „Das Gestaltende gestaltet sieh nur sich
selbst im Gestalteten und spiegelt sich in ihm, bildet sieh in ihm für uns ah**
(1. c. S. 53). Alles Erkennen geht vom Glauben aus (1. c. S. 238). Günther:
„Die Begriffe können im Verhältnis, das sie schon untereinander im Geiste haben,
betrachtet icerden, und dies ist dc^ formale oder logische Denken; sie können
aber auch im Verhältnis xur äußeren Natur neben detn Geiste betrachtet werden,
und dies ist formales oder logisches Erkennen** (Vorsch. I). Nach
GiOBERTi ist alles Erkennen eine Offenbarung Gottes in uns. Galuppi be-
trachtet als Urtatsache des Erkennens das ein außer ihm Seiendes erfossende
Ich. Nach Schopenhauer erkennen wir verstandesmäßig nur Erscheinungen
(s. d.); das Ding an sich aber unmittelbar im eigenen WiUen (s. d.). Nach
Herbart ist die Erkenntnis insofern bloß formal, als sie nur die Beziehungen
der Dinge, nicht die Beschaffenheit der wirklichen Wesen (Realen, s. d.) erfaßt
(Met. II, 412 ff.). Beneke erklärt die Erkenntnis der Außenwelt für relativ
und subjectiv, die innere Erfahnuig dagegen gewährt adäquate Erkenntnis
(Syst. d. Log. II, 288).
Nach LoTZE stimmt imsere Erkenntnis, nach Abschluß der Denkarbeit,
mit dem Verhalten der Dinge überein (Log. S. 552). Wir erkennen die Dinge
in subjectiven Symbolen ihrer Verhältnisse. Ahnlich Helmholtz: „Was fnr
erreichen können, ist die Kenntnis der gesetxliclien Ordnung im Reiche der Wirk-
lichkeit y diese freilich nur dargestellt in dem Zeiehensystetn unserer Sitmescin-
drücke** (Tatsach. d. Wahm. S. 39). A. Lange behauptet die völlige Abhängig-
keit des Erkennens von unserer psychophysischen Oganisation (Gesch. d. Material
II*, 36 ff.). Nach O. Liebmann ist die Wirklichkeit nur deswegen erkeimbar,
Erkenntnis. 295
weil sie ,,nur ein Phänomen innerhalb unserer wahrnehmenden Intelligenz und
daher den Oeaeixen derselben unterworfen ist^^ (Anal. d. Wirki.*, S. 328). Er-
kennen ist jjene Art des Vorstellens und Denkens^ imlehe von der sidfjectiven
Überxeitffung begleitet ist, es eorrespondiere ihr ein objectiver SachverhcUt, d. h. sie
ettthaUe WcUtrheit" (1. c. S. 251). Nach Bergmann ist Erkennen ein ^fienken,
dessen GedOiChtes mit dem Sachverhalte übereinstimmt, d, i., welches wahr ist"
iReine Log. S. 2). Volkmann definiert Erkennen als „jenes Urteilen, bei detn
Sitb/eet und Prädteat objediv notwendig xusammengehören, d. h. bei denen die
Zusafntnengehörigkeit beider lediglich durch die qualitativen Verhältnisse bestimmt
ut' (Lehrb. d. Psychol. II*, 2^). Steinthal: ,^eder Act der Erkenntnis setxt
ein Besonderes in einem Allgemeinen, aber nicht etwa so, cUs wäre das Allgemeine
ein gegebenes, bereit liegendes Fa>chiverk, in welches ein Einxelnes gelegt unirde,
sondern so, daß eben erst durch die Erkenntnis das Allgejfieine selbst geschaffen
und damit zugleich das Besondere erfaßt wird^^ (Einl. in d. Psychol. S. 17).
Nach Lazarus besteht alle Erkenntnis in einem Apperceptionsproceß (Leb. d.
i^le 11^ 253). Nach U. Spencer ist das Erkennen eine Identification und
„Classification eines gegenwärtigen Eindruckes mit früheren Eindruckend^ (Psychol.
I, § .59, 312 f.). Es gibt präsentative, repräsentative, präsentativ-repräsentative,
re-repräsentative Erkenntnis, d. h. Wahmehmungs- und begriffliche Erkenntnis
nebst den Zwischenstufen (1. c. § 423, 480). Wir erkennen nur die Erscheinimgen
des Absoluten, dieses selbst ist „unknowabW^. Sigwart erklart: „Wer Wahres
und Falsches scheidet, mißt das menschliche Denken an einem Zwecke und er-
kennt an, daß es dazu da sei, die Wahrheit xu finden. Würde aber die Natur
der Dinge ihm das Vermögen ihrer Notwendigkeit versagen, so wäre sein Be-
ginnen wahnwitxig, er muß vorausseixen, daß seine eigene geistige Organisation
auf Erkenntnis der Wahrheit angelegt ist, und daß darum auch die Natur der
Dinge darauf angelegt ist, erkannt xu werden^^ (Kl. Sehr. II', 67). Nach Beinkb
besteht Erkennen „darin, daß tcir die Gegenstände der Erfahrung auf einen in
unserer Vorstellung vorhandenen Maßstab xurüekführen, oder daß wir in einem Un-
bekannten Afuüogien nachweisen xu etwas Beka?mtem^^ (Welt als Tat, S. 43 f.). Nach
RiEHL ist Erkenntnis das „mittelbare, durch bewußte Denkaete hervorgebrachte, von
Reflexion begleitete Wissen" (Phil. Krit. II 1, S. 1). Erkennen heißt „das Oesche/ieth
auf das Sein, auf beharr liehe Eletnente und unveränderliche Begriffe des Geschehens,
die irir Oesetxe der Natur nennen, xurüekführen*^ (1. e. II, 1, 16). Sinnliche Er-
kenntnis ist „die Erkenntnis der Verhältnisse der Dinge durch die Verhältnisse
der Empfindungen der Dinge^^ (1. c. II 2, 40). Alle Erkenntnis ist bedingt
durch die apriorische Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins (l. c. II, 1, 5). Zwischen
den Erkenntnisformen und den Grundverhältnissen der Wirklichkeit besteht
eine Congruenz (1. c. II 1, 24). Nur die Grenzen der Dinge, nicht deren An-
sich, werden von ims erkannt. Das Erkennen ist ein sociales Product (so auch
JoDL, Lehrb. d. Psychol. S. 161). Nach Wundt ist Erkennen ein Denken,
ijnit dem sich die Überzeugung der Wirklie/ikeit der Oedankenitüialte verbindet**^
(Syst. d. Philos.«, S. 85). Ursprünglich gilt alles Denken als Erkennen, ist das
Erkennen eins mit semem Gegenstande. „Allmählich erst scheidet sich, teils
infolge der Reflexion über die Oedächtnis- und Phantasie- Tätigkeit, teils aus
Anlaß der Conflicte, die sich xwischen verscfiiedenen Erkenntnisacten erheben,
der Vorgang des Erkennens von dem Object, auf dae es bexogen wird, und
mm erst tcird dem Denken die Rolle einer subjectiven Tiäigkeit xugeteüt, die mit
den Objeeten, die in sie eingehen, nicht identisch, sondern daxu bestimmt sei,
296 Erkenntnis.
diese in aUmäklicher Annäherung naehxubüden'' (I c. S. 85 ff.)- -Das „Postulat
von der Begreißichkeü der Erfahrung'^ liegt allem Erkennen zugrunde. „Indetn
die Erkenntnisobjecte beständig die Probe bestehen, daß sie sieh durch unser
Defiken in einen begreifliehen Zusammenhang bringen lassen^ zeigt es sieh, daß
unser Denken auf die Erkenntnis des Wirklichen angelegt ist^^ (Log* I*» S. 89 L,
59, 435). Erkennen ist „begründendes Denken" (1- e.. Syst d. Philos.*, S. 8ü ff.,
167 f.). Die Erkenntnis ist ,^n Resultat der Bearbeüung unmittelbar gegdtener
Tatsaehen des Bewußtseins durch das Denken" (Log. I», 423), ein Product der
Bearbeitung der Erfahrung durch das Denken (PhiL Stud. VII, 47). Drei
ßtufen solcher logischen Bearbeitung gibt es: Wahmehmungs-, Verstandes-,
Vemunfterkenntnis, d. h. Erkenntnis des praktischen Lebens, einzelwissenschaft-
liehe, philosophische Erkenntnisart (Log. I', 89 f.; Syst d. Philos.*, S. 89, 104;
Phil. Stud. XII u. XIII). Von den Außendingen haben wir in der Natur-
wissenschaft eine mittelbare, gymbohsch-begriffliche, von uns selbst eine un-
mittelbare, anschauliche Erkenntnis (s. Erfahrung). Nach Uphijes besteht der
Erkennthisvorgang in einem „Bewußtseinsausdruek des Gegenstandes" (PsychoL
d. Erk. I, 101). Nach Hus8ERL ist „Erkenntnis" die „Erfüllung der Bedeutungs-
intention" (Log. Unt. 11, 505), ein yyldentilätserlebnis", ein identificierender Act
(1. c. S. 507). „Alles, was ist, ist ,an sieh^ erkennbar . . .", aber nicht allcB
wirklich ausdrückbar (1. c. S. 90 ff.). Nach Th. Ziegleb ist das Erkennen
ein Product der Abstumpfung des Gefühles (Das Gefühl S. 147). Nach Hage-
mann ist Erkennen „diesige Tätigkeit, wodurch wir einen bestimnUen Oegen-
fttand auffassen oder die Vorstellung desselben in uns ausdrüeken". Es ist .,Wn
Denken f toelches ein Seiendes xum Inhalte hat^ (Log. u. Noet*, S. 124). Nach
R. Steinek besteht das Erkennen „in der Verbindung des Begriffes mit der
Wahrnehmung durch das Denken" (PhiL d. Freih. S. 228, 90).
Die Kantianer (H. Cohen, P. Natorp u. a.) sehen im Erkennen eine
synthetische, gesetzschaffende, Objectivitat herstellende Synthesis (s. d.) von
Erfahnmgsinhalten actualer und potentieller Art, keine Nachbildimg von Dingen
an sich. Das Letztere behauptet auch die Immanenzphilosophie (s. d.), nach
der alles Sein (s. d.) Bewußtsein ist (Schuppe, Eehmke, Schübert-Soldern,
V. Leclair, M. KAUFFMAJfN, ZIEHEN u. a.). — EüCKEN lehrt euien dem
Fichteschen verwandten Idealismus (s. d.).
Der Empirismus (imd Positivismus) tritt sowohl in realistischer als auch in
idealistischer Form auf. Überweg bestimmt das Erkennen als „die Tätigkeit
des Geistes, vertttöge deren er viif Beicußtsein die Wirklichkeit in sieh re-
prodtseiert" (Log.*, § 1). Die Erkenntnis ist unmittelbar (äußere und innere
Wahrnehmung) oder mittelbar (Denken). Sie ist bedingt: 1) subjectiv, durch
das Wesen und die Naturgesetze der Seele, 2) objectiv, durch die Natiu* der
Dinge selbst, die unabhängig von uns existieren (1. c. § 2). Nach E. Dühring
besteht die Erkenntnis in der „Nachireisung des Ursprungs von Begriffen jeder
Art'* (Log. S. 2). Die Wirklichkeit wird so erkannt, wie sie ist. v. Kirc?hmann
stellt zwei Fundamen talsätze des Erkennens auf: 1) „Das Wahrgenommene ist
seinem Inhalte nach nicht bloß in der Wahrnehmung des Mensehen, sondern
auch außerhalb der Wahrnehmung als ein Seiendes . . . vorhanden," 2) „Das
sich Widersprechende kann weder als eines gedacht werden, noch als
solcfies im Sein bestellen" (Kat. d. Phil. S. 55). M. Benedict erklärt: „IT«-
sehen . . . viele Tatsachen und Vorkommnisse aus vorausgegangenen Erfahrungen
voraus, und sie treten wirklich ein. Das beweist, daß unsere Auffassungsweise
ErkeuntaüB. 297
und die Verbindung der Eindrücke %u SekKissen dem Wesen der Dinge und den
Oeeetxen der Naiur entsprechend^ „Oehäufle Erfahrung und mathematisch über'
prüfte Schlußfolgerung sichern den Siäx, daß unsere Erkenntnis eine richtige
Prqjeeüofi (BUd'Darsteüung) des Wirklichen isf^ (Seelenk. d. Mensch. S. 29). —
.1. St. MiiiL beschrankt die Erkenntnis auf Erfahrungsmöglichkeiten (s. Object,
Induction). £. Laas sieht das Wesen der Erkenntnis in der logischen Be-
arbeitung der Wahmehmungsdata (Ideal, u. posit. Erk. 8. 407). Die Erkenntnis
ist durchaus relativ (1. c. S. 450). Sie besteht in der ,yHeraussan€lerung des
objectiü Zusammengehörigen aus dem sub/ectiv Zusa^nmengeraienen^^ (1. c. S. 534).
Nach Lipps ist Erkenntnis ^fibjectiv notwendige Ordnung von Objeeten
des Bewußtseins^ Einordnung derselben in einen objeetiv notwendigen Zu-
sommenhang^^ (Gr. d. Log. 8. 3).
Der „Empiriokriticismus" (s. d.) betrachtet die Erkenntnis vom ,,6*o-
meehanisehen^* Standpunkte als ,,Abhängige^^ von den „Sehu?ankungen^^ des
„System C" (s. d.). Wahre Erkenntnis besteht in der ffreifien" Erfahrung (s. d.)
Ton Atissageinhalten. Ein Sein außerhalb der Erfahnmgen gibt es nicht, nur
eine vorgefundene Wirklichkeit existiert, von der der Erkennende ein Teil ist^
Alk philosophischen Erkenntnisinhalte sind nur Abänderungen des ursprüng-
lichen Erkennens (Krit d. r. Vem. I, S. VII). Das „Erkennen" ist eine Function
des nervösen Centralorganes, ist durch dessen Zustandsänderungen (functionell)
bestimmt (L c. II, 222 f.). Zwischen „IVoblematisation" und ^yDeproblematisation"
der jyE' Wert&^ (s. d.) bewegt sich der Erkenntnisproceß (1. c. S. 225). Die bio-
logische Grundlage des Erkennens betont auch E. Mach: ,yDie Vorstellungen
imd Begriffe des gemeinen Mannes von der Welt werdest nicht durch die volle,
reine Erkenntnis als Selbstzweck, sondern durch das Streben fiach günstiger
Anpassung an die Lebensbedingungen gebildet und beherrscht" (Anal. d.
Empfind/, S. 26). Die Wissenschaft ist ein Mittel im Dienste der Selbst-
erhaltung (Wärmelehre^, S. 364, 386). Erkenntnis besteht in der vollständigen
^yBesehreibung" der Erfahrungstatsachen, die gemäß dem Principe der Ökonomie
(s. d.) des Denkens geordnet und vereinheitlicht werden, mit Elimination aller
metaphysischen Begriffe. Letzteres lehrt auch Nietzsche (WW. III, 1, S. XI V)-
Die Erkenntnis arbeitet im Dienste des Lebens, des ,,Willens xur Macht", ist
einer rein biologischen Nötigung unterworfen, ist Verarbeitung von Erlebnissen
zum Zwecke der Orientierung, Beherrschung der Tatsachen (WW. X, 3, 1,
S. 183, VII, 1, 6, V, S. 294 f., XV, 268, 270 ff., 289). Alle menschliche Er-
kenntnis ist metaphorisch, anthropomorphistisch, verfälscht die Wirklichkeit,
gewährt nur Schein, beruht auf Introjection menschlicher Eigenheiten und
Werte in die Natur. Alles Erkennen ist „ein Widerspiegeln in ganz be-
stimmten Formen, die von vornherein nicht existieren", die nur für uns gelten»
Nur durch Aufzeigung der subjectiven Zutaten, durch ,,EfUtnensckung" der
Natur als Natur können wir uns vom grob Anthropomorphischen befreien
(WW. XV, S. 168, XII, 1, 106, XI, 61, XI, 6, 40, XI, 6, 209, X, 2, 1, S. 166,
X, 1, 11, S. 57, X, 21, S. 163, X, S. 176). Eine erfahnmgstranscendente Welt
gibt es nur in unserer Einbildung, die einen verfälschenden Factor des Er-
kennens bildet, wie das auch mit der Sprache (s. d.) der Fall ist (ähnlich
F. Mauthner, Sprachkrit. I). Den biologischen Factor des Erkennens (Arch-
f. System. Philos. I, 45) betont femer G. Sdimel (s. Wahrheit). So auch
W. Jekusalem. Nach ihm sind Erkenntnisse „Urteile, von deren Wahrheit
«wr Überxeugi sind" (Lehrb. d. Psychol.», S. 127). Die Erkenntnis ist (besonders
298 Erkenntnia — Erkenntnistheorie.
in den Anfängen) ein Mittel zur Erhaltung des Lebens (1. c. S. 128). So auch
L. Stein. „Die Entstehung der Anschauungen und Begriffe im menschliehen
Qehim, also die Bildung des Intelleets, haben wir uns genau so xu erldären, wie
die aUer übrigen Functionen und Fertigkeiten ^ Neigungen und Talente des
menschlichen Organismus: durch Selectian und Vererbung.'^ ,Jm Kampf ums
Dasein erzeugt das Gehirn vornehmlich solche Vorstellungen^ welche ihm diesen
Kampf erleichtern" (An der Wende d. Jahrh. S. 24). K. Lange bemerkt: ,yDas
oberste Gesetx alles menschlichen TunSf Denkens, Fühlens und Wollens ist das
Wohl der Gattung" (Wes. d. Kunst I, 13). — Einen kritisch-empinstischen
Standpunkt nimmt H. Corneltus ein (s. Erfahrung).
Der Agnoeticismus (s. d.) hält das Wesen der Dinge (an sich) für un-
erkemibar. Vgl. Wissen, Nihilismus, Kategorien, Wahrheit, Erkenntnisvermögen,
Object, Sein u. s. w.
ErkenntnlsbesiUre s. Kategorien.
Krkenntiiisi^iind s. Gnmd.
JBrkenntiilfiikrltlk s. Erkenntnistheorie.
Krkenntiilstheorle ist jener Teil der Philosophie, der zunächst die
Tatsachen des Erkennens als solche beschreibt, analysiert, genetisch untersucht
(Erkenntnispsychologie) und daim vor allem den Wert der Erkenntnis
und ihrer Arten, Gültigkeitsweise, Umfang, Grenzen der Erkenntnis prüft
(Erkenntniskritik). Die Erkenntnistheorie unterscheidet sich von der Psycho-
logie durch ihren kritisch-normativen Charakter, bedarf aber der Psychologie
als Htilfsmittel und ist selbst die Gnmdlage der Metaphysik (s. d.). ürsprang
imd Wert der Erkenntnis muß sie gleicherweise untersuchen, sie hat fest-
zustellen, was der Erfahrung (der Wahmehmimg), was dem Denken angehört,
wie die Gnmdbegriffe der Erkenntnis (naiv imd wissenschaftlich) gebildet und
wie sie venvertet werden, welche Berechtigung die Anwendung dieser Begriffe
hat und in welchem Siime sie genonmien werden darf.
Die Erkenntnistheorien sind nach den ihnen zugrunde liegenden Methoden
und Gesichtspimkten zu unterscheiden. Vorerst finden wir eine logisch-specu-
lative, später eine psychologische, dann die „transcendentale^* (s. d.) und
kritische Methode, die aber auch nebeneinander hergehen. Als selbständige
Wissenschaft kommt die Erkenntnistheorie erst im 17. Jahrhimdert (bei
JjOCKE) auf.
In logisch-speculativer Weise werden erkemitnistheoretische Untersuchungai
angestellt bei Plato, Akistoteles, den Stoikern, Epikureern, Skep-
tikern, Neuplatonikern, bei Augustinus, den Scholastikern. Mit der
Methodik des Erkennens befassen sich F. Baoon, Desgabtes u. a. Leibniz
nähert sich schon der späteren kritischen Methode.
Die psychologische Erkenntnistheorie begriindet Locke (Ess. conc. hum.
understand.). Er versucht, „den Vrsprtmgy die Geirißheit und die Atssd^mwig
des mensehlicfien Wissens, sowie die Grandlagen und Abstufungen des Glaubens,
der Meinung und der Zfitstimmung xu erforschen" (Ess. I, eh. 1, § 2). Über
eine bloße Psychologie des Erkennens geht er also doch hinaus. So auch Bee-
keley und HuME.
Die „transcendentale" Erkenntnistheorie begründet Kant. Sie will die Be-
dingimgen des Erkennens feststellen, um so die Gültigkeit imd die Grenzen
der Erkenntnis werten zu können. Sie fragt nicht, aus welchen psychologischen
Erkenntnistheorie. 299
£]eiuenteii die Erkenntnis sich aufbaut, Bondem nach der Bedeutung der Er-
kenntnisfactoren für das Ziel alles Erkennenwollens. Die j^Kriitk der reinen
Vernunft^* prüft das „Vemunftvermögen überhaupt j in Ansehung aller Er-
henntnisse, %u denen sie, unabhängig von aller Erfahrung^ streben niag^^y
ist also ,,die Etttseheidung der Möglichkeit einer Metaphysik überhaupt^* und die
Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen der Er-
kenntnis nach Principien (Krit. d. r. Vern. S. 5 f.). Die Fähigkeit der Ver-
nunft zu fyTeinen Erkenntnissen a priori^* ist zu prüfen (1. c. 8. 581). Damit
gibt K. zugleich eine Theorie der Erfahrung. Bei Fichte, Schelling, Heoel
kommt die Erkenntniskritik schlecht weg. Letzterer erklart geradezu: „/>»6
rntersuehung des Erkennens kann nicht anders als erkennend geschehen; bei
diesem sogenannten Werkzeuge heißt dasselbe untersuchen nickt anders als es
erketmen. Erkennen wollen aber, ehe man erkenne, ist ebenso ungereimt, als der
weise Vorsatz jenes Scholastieus, schwimmen xu lernen, ehe er sich ins
Wasser wage** (Eneykl. § 10). Herbart erblickt die Aufgabe der Er-
kenntnistheorie (= Metaphysik, s. d.) in der Bearbeitung der Begriffe. Beneke
verlangt von der Erkenntnistheorie eine Untersuchung der Formen und Ver-
haltnisse des Denkens und dessen Factoren (Log. I, 5).
Nach E. Zeller ist die Erkenntnistheorie die Wissenschaft, „welche die
Bedingungen untersucht, an welche die Bildung unserer Vorstellungen durch die
Xatur unseres Geistes geknüpft ist, und hiemach bestimmt, ob und unter welchen
Voraiuiseixungen der menschliche Geist xur Erkenntnis der Wahrheit befähigt
ist** (Vortr. u. Abh-, 2. Samml., S. 479 f.). Windelband erklärt: ,J>ie Pro-
bleme . . ., welche sich aus den Fragen über die Tragweite und die Grenze der
menschlichen Erkenntnisfahigkeit und ihr Verhältnis xu der xu erkennenden
Wirklichkeit erheben, bilden den Gegenstand der Erkenntnistheorie** (Gesch. d.
Philo«. 8. 16). Unabhängig von der Psychologie ist die Erkenntniskritik nach
Idealisten wie Mansel, Green und Kantianern wie H. Cohen, O. Libbmann
(Anal. d. Wirkl.*, S. 251;, P. Natorp u. a., auch nach Husserl (Log. Unt.
II, 8 ff., 8. Phänomenologie, Logik). Volkelt definiert die Erkenntnistheorie
als die Wissenschaft, „welche sich die Möglichkeit und Berechtigung des Er-
Ixnnens in seinem vollen Umfange und von Grund aus zum Probleme macfä**
{Erfahr, u. Denk. S. 9). Sie ist „Theorie der Gewißheit** (i. c. S. 15; ähnlich
Xeüdecker, Grundprobl. d. Erkenn tnistheor. S. 3 f.), ist voraussetzungslos
<L c. S. 10). Sie beweist nicht, sondern zeigt zunächst das im Bewußtsein
Vorhandene auf (1. c. S. 38 f.). „Sie will das Bewußtsein dahin führen, daß
w nrk die unmittelbar in ihm enthaltenen Kriterien der objectiven Gewißheit
tum Betrußtsein bringt** (1. c. S. 39). Sie befolgt die „Metfiode der denkenden
Selbstbetätigung des Bewußtseins** (1. c. S. 41). Höfpding betont: „Die Er-
kenntnistheorie untersucht die Formen und Elemente unserer Erkenntnis hin-
sichtlich der Frage, ob sie sich gebrauchen lassen, um das Seiende xu verstehen,
^tähre9ui die Psychologie sie hinsichtlich ihrer tatsächlidien Entsteltufig unter-
sucht, sie fnögen nun brauchbar und gültig sein oder nicht** (Religionsphü.
•^. 85j. Nach Riehl ist die Erkenntnistheorie die „Tlieorie der allgemeinen
Erfahrung**. „Sie hat xu zeigen, welche reale Bedeutung der Empfindung, den
Verhältnissen der Empfittdungen und dem Schetna ihrer Auffassung in Raum
und Zeit zukomme, tcie aus denselben unreflectierten Urteilsacten, durch weklie
gegetiständliche Wahrnehmungen erxeugt werden, die allgemeinen apperdpierenden
Vorstellungen (Kategorien) entspringen** (Phil. Krit. I, 11). Unabhängig von
300 Erkenntniatheorio.
der Psychologie ist die Erkenntnistlieorie auch nach Eülfe, dem sie ,^»f
Lehre von den Grundbegriffen und Orundsäixen als den materialen Voraus-
setzungen aller besonderen Wissenschaften^* ist (Einleit in d. Philos.*, &. 36).
Nach Haoemann ist die Erkenntnislehre (= Noedk, s. d.) von der Psychologie
unabhängig (Log. u. Noetik', S. 14). Sie ist ,/ft« Wissenschaft von der Wahr-
heit, der Gewißheit und den Grenzen unseres Erkennens** (1. c. S. 115 f.). Auch
R. Wähle erklart die Erkenntnistheorie für unabhängig von der Psychologie
(Kurze Erklar. d. Eth. Spin. S. 168). — Nach Wündt ist die Erkenntnistheorie
ein Teil der Logik (s. d.). Die „reale Erkenntnislehre^* zerfällt in die ,,£r-
kenntnistheorie^* und „Erkenntnisgeschich te^*, Elrstere untersucht die logische
Entwicklung des Erkennens, indem sie die Entstehung der wissenBchaftlichen
Begriffe auf Grundlage der Denkgesetze zergliedert. Als ,/illgemeine Er-
kenntnistheorie" untersucht sie die Bedingungen, Grenzen und Principien des
Erkeimens überhaupt, als „Methodenlehre" (s. d.) beschäftigt sie sich mit den
besonderen Gestaltimgen dieser Principien in den Einzelwissenschaiten (Log. 1\
S. 1 ff.; Syst. d. Philos.*, S. 31; Phil. Stud. V, 48 ff.). Die Erkennöiistheorie
hat die Aufgabe, „die Bildung der Begriffe nach den logisetien Motiven, die bei
ihrer tatsächlichen Enttcicklung innerhalb der Wissenschaften staitgefundefi fiot,
nach Elimination aller Irrungen und UmtcegCj zur Darstellung zu bringen*'
(PhiL Stud. X, 6). Ohne Anhänger des „Psyehologismus" (s. d.) zu sein, erklärt
WtJNDT doch, daß jeder Erkenntnisact als geistiger Vorgang j^eineifi tat-
sächlichen Charakter nach vor das Forum der Psyeliologie kommt, ehe er von
der Erkenntnislehre selbst auf die ihm zustehende Bedeutung für den allgemeinen
Proceß der Entioicklung des Wissens geprüft werden kann" (Einleit. in d. Philo«*.
S. 82). W. Jerusalem teilt die Erkenntnislehre in „Erkenntnistheorie^^ (die
genetisch verfährt) und „Erkenntniskrü^* ein, die von der Psychologie un-
abhängig ist (Einf . in d. Philos.).
Nach Schuppe fragt die Erkenntnistheorie: „Was ist das Denken? Was
ist das icirkliche Sein, welches sein Object irerden soll?" (Log. S. 3). Das
Denken ist gleichsam in seiner Arbeit zu beobachten, die Bildung der Begriffe
zu untersuchen (1. c. S. 4 ; ähnlich gibt Sigwakt als Methode der Erkenntnis-
theorie an das „Achten auf das, was wir tun, wenn wir irgend welche Gegefi-
stände vorstellen", Log. II, 39). M. Kauffmann meint, die Erkenntnistheorie
sei ,jceine folgernde oder beireisende, sondern eine aufzeigende und darlegende
Wissenschaft" (Fundam. d. Erk. S. 7; so auch Hüsserl, Log. Unt. II, 2l) f.).
Schübeet-Soldebn bezeichnet als das Gebiet der Erkenntnistheorie die „a//-
gemeinen Elemente aller Wissenschaften in ihren allgemeinen gleichzeitigen Be-
ziehungen". Sie hat aus ihnen „die allgemeinen Folgerungen für die Methode
wissenschaftliclier Forschung überhaupt zu zielten itnd das Verhältnis der ein-
zdnen Wissenschaften zueinander festzustellen" (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos.
21. Bd., S. 155 f.). Sie „betrachtet die Welt als Datum überhaupt" (Gr. e. Erk.
S. 348, 1). Hierher gehört auch teilweise Ziehen (Psychophysiol. Erkenn tnb-
theor.).
Auf psychologische Erfahrung will Frier die Erkenntnistheorie gründen
(N. Krit. d. Vem. I, Vorw. S. XIX). Psychologisch ist die Erkenntnistheorie
vieler englischer Philosophen, auch die von Ljpps, Brentano u. a. Nach
Uphues hat die Erkenntnistheorie die Entstehimg imseres Weltbildes zu er-
klären, wobei sie der „genetischen Methode'^ nicht entbehren kann (Psychol. d.
Erk. I, 10). Biologisch ist die Erkenntnistheorie von R Avenarr's (u. a..
Erkexmtniatheorie — Erklärung. 301
8. Erkennen), d«n sie yjKritik der reinen Brfcthrung^^ Zurückführung der Er-
kenntnis auf reine, metaphysikfreie Erfahrung bedeutet. Ahnlich E. Mach.
Nach H. CORNEUTTS zielt die f^rkenntnistheorie auf „Vertiefung unserer
Erklärungen durch die Prüfimg des Begriffsmaterials und die Elimination der
Vnklarheiien aus diesem Material'^ (Einl. in d. Philos. S. 13). Eine j^aügemeine
Vnt^suchung des Mechanismus unserer Erkenntnis" ist not^'endig (1. c. S. 162).
^Psychologie im Sinne vorurteilsfreier Analyse und Besehreibung der un-
mittelbar gegebenen Tatsachen des Bewußtseins . . . ist . . . die
unentbehrliche Grundlage aller erkenntnistheoretischen Beweis-
führung^* (1. c. S. 53). Auch die Entwicklung unserer Begriffe muß auf-
gezeigt werden (L c. S. 168 ff.). „Zunächst sind die empirischen Daten
aufiuxeigen, auf welchen die Bedeutung der Grundbegriffe der Wissen-
9thaflen beruht. Zweitens aber muß, damit die Klärung dieser Begriffe eine
vollkommene sei, die Art und Weise aufgezeigt tverden^ wie sich auf diesen
Daten unser Besitx an Begriffen aufbaut (1. c. S. 49). Vgl. EJrkenntnis,
Wissenschaftslehre, Logik u. s. w.
£rkeiintiitetrleb s. Erkenntnis.
£rkenntilisTeriii9|^n („facultas cognoscendi") gilt den Scho-
lastikern, besonders auch Chr. Wolf als das erste der Seelen vermögen
(8. d.). Ein niederes (sinnliches) und oberes (geistiges, intellectuelles) Er-
kenntnisvermögen wird von den Wolfianern unterschieden. Kant kennt
drei Erkenntnisvermögen: Verstand, Urteilskraft, Vernunft, „deren jedes (als
oberes Erketmtnisvermögen) seine Principien a priori haben muß*^ (Krit. d. Urt.
§ 57). Xach W. Hamilton gibt es sechs Erkenntnisvermögen: 1) „acquisitive
or presentaiive faeulty** (äußere und innere Ferception), 2) das Behaltungs-
▼ermögen, 3) das Keproductionsvermögen, 4) die Einbildungskraft („representative
faculty^^Jy 5) das Vermögen des Vergleichens oder der Relationen („elaborative
faetäty"*}, 6) das Bewußtsein als Quelle des Apriori, der Erkenntnisprincipien
(Leciur. on Met).
SrUftrende Urteile sind Urteile, die einen Gegenstand des Denkens
auf bekannte Begriffe zurückführen (Wundt).
ErUftran^: 1) = Definition (s. d.). So sind nach Platneb Er-
klärungen „wörtliche Ausdrücke passender deutliefier Begriffe^*^ (Phil. Aphor. I,
§ 535). Es gibt empirische und philosophische Erklärungen (1. c. § 537).
^T. E. Schulze versteht unter Erklärung „die Angehe der einem Begriffe zu-
kommenden Merkmale^* (Gr. d. allg. Log.', S. 224). 2) = Aufzeigung des Zu-
sammenhanges, aus dem eine Tatsache zu begreifen ist, Darlegung nicht bloß
des „Was" (ort, wie bei der Beschreibung, s. d.), sondern auch des „Warwfi"
{Btott)^ des zureichenden Grundes einer Tatsache, der Gesetzmäßigkeit eines
Geschehens.
In der älteren und scholastischen Philosophie nimmt die Erklärung
meist eine speculativ-constructive (b^riffliche) Form an (rationale Erklärung).
Später tritt die causale Erklärung auf. So schon bei Hobbes, Galilei,
Kepler, Debcabtes u. a. Nach Berkeley heißt erklären „xetgen, unxrum
itir bei besthnmten Anlässen mit bestimmten Ideen afficiert werden** (Princ. I),
Zurückführen des einzelnen Greschehens auf allgemeine Regeln (1. c. CV).
Che. Wolf: „Wenn ein deutlicher Begriff ausführlich, das ist so beschaffen
*nrd, daß er nicht mit mehreren Dingen als von einer xukommet, und sie daher
302 Erklärung.
durch ihn van allen andern ihres gleichen xu allen Zeiten können uniersckiedtn
werdenf so nenne ick ihn eine ErklUrun^^ (Vem. Ged. von d. Kr. d. m.
Verat*, S. 44). Kant definiert: „Erklären heißt von einem Princip ableüeir
(Krit. d. Urt. § 78). Nach Frieb wird etwas erklart, „wenn nicht nur na^
getviesen, was sieh ereignet hcUy sondern hetoiesen wird, warum es nach dl-
gemeinen Qesetxen sieh gerade so ereignen tnußtt^ (Syst. d. Log. S. 2971.
Schopenhauer bestimmt: ,,Eine Saehe erklären heißt ihren gegelmien Bestand
oder Zusammenhang xurüekführen auf irgend eine Gestaltung des Satzes roM
OrundCj der gemäß er sein muß, icie er ist^' (Vierf. Würz. § 50). CoBfXE ve-
steht unter Erklärung die Unterordnung besonderer Tatsachen unter allgemeincR
Tatsachen (Cours de phil. posit. I, 1^'« le^.). Volkmann nennt „Erkiärwf
der psychischen Phänomene'' die „Zurückführtmg der allgemeinen Klassen der
bloß xeäliehen Erscheinungen unserer Innenwelt auf das ihnen zugrunde liegend
irirklich Gesctiehene und die Aufstellung der Oesetxe, denen gemäß jene au$
diesem hervorgehen** (Lehrb. d. Psychol. I*, 2). Nach Helmholtz ist Erklärung
yyZurüekführung der einxelnen Fälle auf eine ufUer bestimmten Bedingungen
einen bestimmten Erfolg hervorrufende Kraft* (Vortr. u. Red. II*, 187). Eine
Erscheinung erklären bedeutet nach Lazarus, .^ihre Bedingungen oder doi
Gesetx ihrer Entstehung nachweisen** (Leb. d. Seele I*, S. VI). Hussekl:
„Erklären im Sinne der Theorie ist das Begriff liehmachen des Einxelnen
aus dem allgemeinen Gesetx und dieses leixteren wieder aus dem Grundgeseti'^
(Log. ünt. II, 20). Paulsen: „Eine ErscJieinung erklären^ heißt in den
Naturunssenschaften überall nichts anderes^ als eine Formel finden, unter der sif
als Fall begriffen ist, mit deren Hufe sie vorhergesehen , berechnet, t^Uer Tä-
ständen auch herbeigeführt werden kann** (Einl. in d. Philos. S. 82). WlTfDT
versteht unter Naturerklärung die ,yFeststelltmg der regelmäßigen Bexiehung^n,
welrfte sich durch die experimentelle und rergleicJiendc Untersuchung xtriseken
den Objecteti der Beschreibung ergeben**. Sie findet da statt, „wo ton einem
Gegenstande Beziehungen logischer Abhängigkeit irgend icelcher Art ai*sgefayt
werden** (Phil. Stud. XIII, 99). Wundt ist gegen die Zurückführung der Er-
klärung auf bloße Beschreibung (s. d.). So auch R. Göldscheid (Zur Eth. d.
(^esamtwill. I, 28).
Eine Reihe von Forschem führt den Begriff der Erklärung auf den der
(vollständigen) ,yBesehreilnmg** (s. d.) zurück. So R. Mayer, dem eine Tatsache |
erklärt ist, wenn sie „nach allen ihren Seiten hin bekannt ist**, so Kirchhoff.
Nach ihm ist es die Aufgabe der Mechanik, „«/te in der Natur vor sieh gehen- \
den Bewegungen xu beschreiben^ und xwar vollständig und auf die einfackiif |
Weise xu beschreiben**, d. h. anzugeben, „welches die Erscheinungen sind, die
sfcUtfindefi, nicht aber darum, ihre Ursachen xu ermitteln** (Vorles. üb. d. i
math. Phys.", 1877, Vorr.). So auch H. Hertz, E. Mach, Ostwald. Redtke: ;
„Die Natur erklären heißt sie beschreiben** (VVelt als Tats. S. 48 ff.). Auch
die Aufzeigung der nächsten Ursachen ist ein Stück Beschreibung (1. c. S. 56^-
Nietzbohe bemerkt: „Erklärungen nennen wir's: aber ,Beschreibungt ist e^. ttat
uns vor älteren Stufen der Erkenntnis und Wissenschaft ausxeichnei. Wir be-
schreiben besser — trir erklären ebensowenig wie edle Früheren** (VPN, V, 112).
H. CoRNEUUS : „ Überall wird die Erklärung dadurch zuwege gebraeht, daß des
VereinxeUe als Glied eines größeren Zusammenhanges aufgefaßt wird und da-
durch den Charakter dee Äusnafifn^weiseti verliert, uns als ein in diesem Zm-
sammenhange Notwendiges rerständlicli wird.''* Es wird so stets eine „!«'-
Erklärung — Erörtenuig. 30^
einfachung unserer Erhmninis^^ bewirkt (Einl. in d. Philoe. S. 30 f.). Die
^ttissenschaftlieke Erklänmg^^ bleibt innerhalb der Grenzen der Erfahrung, sie
besteht in einer begrifflichen Zusammenfassung von Merkmalen, ist ^^rein er-
fakrungsinäßige oder empirische Erklärung*^ im Gegensatze zu „dogfnatischeti^''
Erklärungen (1. e. S. 36). Jede empirische Erklärung ist ,^u8aminenfa88ende
Darsteliufig oder Besehreibting eitler größeren Beihe voti Bjrfahnmgen unier einem
einheitliehen Oesichtspunkt* , y^oereinfcichende xu^ammenfassende Beschreibung
unserer Erfahrungen^^ (1. c. S. 38; Psychol. S. 4 f.). Vgl. Psychologie.
Sfriel^iilsae sind alle psychischen Vorgänge, durch welche einem Subject
(Ich) ein Inhalt, Etwas präsent, bewußt wird. Mit ihnen als solchen beschäftigt
eich die Psychologie (s. d.). Nach Külpe sind Erlebnisse „rftc ursprünglichen
Data unserer Erfahrung, tcas den Gegenstand der Reflexion bildet, ohne selbst
eine xu sein" (Gr. d. Psychol. S. 1). Erlebnisse sind nach Husskkl „die realen
Vorkommnisse^ welche von Moment xu Moment wechseln, in mannigfacher Ver-
hnüpfung und Durchdringung die reale Bewußtseinseinlieit des jeweiligen psy-
chischen Individuums constituieren" (Log. ünt. II, 326). H. Cornelius
bemerkt: „Unmittelbar gegeben . . . sind uns . . . nur unsere Erlebnisse, die
xeitlich verlaufenden j rastlos wechselnden Ersc/ieinungen unseres psychischen
Lebens" (Einleit. in d. Philos. S. 324). K. Lasswitz sieht im „Erleben" „nur
die Bexeiehnung dafür, daß eine Veränderung des Systems stattfindet^ welches
nein Ich heißt; aber es bedeutet nicht, daß eine andere Art des Seins xu der
Veränderung meines Leibes hinxutrete" (Wirklichk. S. 95). Vgl. Actualitäts-
theorie, Psychisch.
Erleleliternng s. Disposition, Übung.
£rl9saiif^ vom (irdischen, individuellen) Dasein durch Vernichtung der*
Existenz bezw. Vereinigung mit dem Alleinen lehren der Buddhismus (auch
«eben die Upanishads, vgl. Deussen, Allgem. Gesch. d. Philos. I", 308 ff.),
das Christentum, der Pessimismus (s. d.), Mainlander u. a.
Enniidlliii; ist ein organischer Zustand, der wohl auf Dissimilation in
den Nervenzellen und dabei entstehenden Vergiftungsstoffen beruht. Er-
müdungsempfindungen sind Zeichen für einen bestimmten Grad von
Muskelanstrengungen. Auf Ermüdung bei Beobachtungen beruht die Unfeinheit
nnd Erschwerung dieser. (VgL Messe, La fatica; Kraepelins „Psychol. Arbeit",
Bd. I, 152, 300, 378, 627, II, 118, III, 482; A. Binet, La fatigue inteUectueUe
189S; KÜLPE, Gr. d. Psychol. S. 45 f., 56, 125, 216 f., 222, 265, 406 u. a.;
Ebbinghaus, Gr. d. Psychol. I, 683 ff . ; L. Dumont, Vergn. u. Schm. S. 147 ff. ;.
Hellpach, Grenzwiss. d. Psychol. S. 404.)
ErSrtenmi^ (Exposition, locatio): Bestimmung der Stelle eines Begriffs
nn Systeme einer Wissenschaft. Unter der „transcendentalen Erörterung" ver-
steht Kant „die Erklärung eines Prineips, als eines Prineips, woraus die
Mögliehkeä anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann^*^
(Krit. d. r. Vem. S. 53). Fries: „Die Exposition eines Begriffes stellt aus den
^frsehiedenen Fällen des Gebrauches die verschiedenen Verhältnisse eines Begriffes
f^beneinander und sucht ihn so xu zerlegen" (Syst d. Log. S. 399). Nach
J- G. Fichte heißt einen Begriff erörtern, „den Ort desselben im System der
^ensehliehen Wissenschaften überhaupt" angeben, zeigen, „wdcher Begriff ihm
•fw« Stelle bestimme, und welchem andern sie durch ihn bestimmt icird" (WW.
304 Erörterung — Erscheinung.
I, 1, 55). Nach Haoemanx ist Erörterung „die Ermittelung der Stelle, welche
ein Begriff xu übergeordneten oder nebengeordnetefi Begriffen einnimmt^ (Log- ^
Noet. S. 83). Vgl. Exponible Satze.
£ro8 8. Liebe.
ISrreif 11119: Auslösung eines Zustandes im Nervensystem, in der Psvclie;
auch Cremütsbewegung (s. d.). Erregbarkeit ist die Disposition der Nerven,
<ier Psyche, auf Beize (s. d.) entsprechend zu reagieren. „Große Erregbarieü
bedeutet ein leichtes und schnelles, geringe Erregbarkeit ein schweres und lang-
sames Reagieren auf Beixe" (Külpe, Gr. d. Psychol. ö. 89). Vgl. Irritabilität
ErsiClietnilii^ (Phänomen): 1) im weiteren Sinne so viel wie Apparenz,
Vorkommen im Bewußtsein, Auftreten eines Etwas für das Ich; 2) im engeren
Sinne (als Gegensatz zur Wirklichkeit „An-sich", s. d.): d. h. das vorgestellte,
vom Subject abhängige Sein der Dinge, die subjectiv-relative Seinsweise, die
Manifestation, Äußenmg, Sichtbarwerdung, Objectivation der Dinge. Die
Erscheinung unterscheidet sich vom Scheine (s. d.), insofern sie auf einen
Factor außerhalb des Einzelbewußtseins, auf ein „Ansich" irgend welcher
Art hinweist. Insofern die Erscheinungen von allen erkennenden Subjecten
unter Umständen müssen wahrgenommen werden, haben sie objectiven Cha-
rakter, wenn sie auch nicht das Für-sich-sein, sondern das Sein der Dinge
für andere bedeuten. Die Dinge der Außenwelt (Körper) sind als solche Er-
scheinungen, denen „iranscendenie Faktoren" (s. d.) zugrunde liegen ; das eigene
(reine) Ich, das woUend-denkende Subject ist nicht Erscheinung, sondern Wirk-
lichkeit an und für sich. Die Erscheinungen sind die Dinge, in den Formen
der Empfindung, der Anschauung, des Denkens aufgefaßt. Sie sind nicht
identisch mit Wahrnehmungen oder (Einzel-) Vorstellungen, sondern ein Gewebe
solcher mit begrifflich-allgemeingültigen Bestinunungen. Sie sind Object des
„Betcußtseins ÜberhaupP\ des denkenden, wissenschaftlichen Bewußtseins, das
die sinnlich gegebene Wirklichkeit (sinnliche Erscheinung) zur Objectivität
verarbeitet.
In der Philosophie sind ein mehr objectiver und ein mehr subjectiver Be-
griff der Erscheinung zu unterscheiden.
Demokrtt sieht in den sinnlichen Eigenschaften der Dinge (Farben, Töne,
Gerüche, Geschmäcke, Wärme) Erscheinungen, Wirkungen der Atomeigenschaftai
auf die Seele (s. Atom, Qualität). Aus den (paivofieva ist auf die a^la (die
verborgenen Factoren) zu schließen (Sext. Empir. adv. Math. VII, 140; so auch
Anaxaooras). In einigen Eigenschaften (Ausdehnung u. s. w.) gleichen die
Dinge an sich (Atome) den Erscheinungen. Nach Protagoras erkennen wir
die Dinge stets nur so, wie sie uns gerade erscheinen (vgl. Plat., Theaet 157 A).
Aribtipp lehrt, wir wüßten nur lun Bewußtseinserscheinungen: ra na&ti xai
ras fpavxaifias iv avzole rid'evTee ovx t^ovro tr^v dno xovxtov Ttiüxtv slvai
Sia^xij Ttpog rag vneQ tcSv Tf^yfidrafv xaraßeßait&ffBie (Plut. Adv. Colot. 24);
fwva T« Ttdd'rj xaiaATpird (Sext. Empir. Pyrrh. hypot. I, 215; Diog. L, II, 92).
„Praeter permotiones intimas nihil putant esse iudidi" (Cicero, Acad. II, 46,
142). Plato sieht in den Sinnesobjecten Erscheinungen der wahren, seienden
Welt von Ideen (s. d.) (Theaet. 13). Aristoteles versteht unter y>aiv6,usror
das sinnenfällig G^ebene (Met. IV 5, 1010 b 1). Nicht alles Erscheinende ist
wirklich (Met. IV 6, 101 la 19). Im Traume z. B. erscheint etwas, ohne wirklich
zii sein (De an. III 3, 428a 7, III 3, 428b 1 squ.). Chrysipp unterscheidet die
Eracheintoig. 305
Ekteheinung vom Ding an sich (Sext. Empir. adv. Mal^ VIII, 11; Pyrrhon.
hypot. n, 7). Nach Plotin ist die sinnliche Welt die Erscheinung der in-
teUigiblen (s. d.), geistigen Welt, des Reiches der Ideen und deren Einheit, des
wvs (s. Geist).
Ähnlich auch die Gnostiker (s. d.). Atjoustinus nennt die Offen-
banmgen „Dei apparitiones^^ (De trin. III, p. 867 f.). ScoTüS Ebiugena
erklart: „Deum . . . intdlectnaU ereatttrae mirabüi modo apparere^* (Div. nat
1, 10, p. 450 A). Die Sinnenwelt ist nur Erscheinung einer geistigen Wirklich-
keit (tjisie tnundta sensibtts apparens**, 1. c. I, 30). „Omne eninty quod inteUigitwr
€t sentitur^ mhü aliud est, nisi apparentis apparitto, occulH manifestatio" (1. c.
III, 4). yfOmnia 8tquidem, quae hcts temporibusque variaräury corporeü sensibus
suemmbuntf non ipsae res suhsiantiales vereque existentes, sed ipsarum renmi
tert existentium quaedam iransitoriae imagines et resultaiiones intelligenda simt^
<L c. V, 25). Bei Scholastikern, z. B. Petrus Aurbolus, heißt „«s«
<»pparen8^* des Dinges, das Sein des Dinges im Bewußtsein, im „mentis conceptus
sivt noUtia obieetimi" (vgl Prantl, G. d. Log. III, 323). Nach Wilhelm
Tox OcGAM sind die Qualitäten (s. d.) der Dinge nur Zeichen der Wirklichkeit.
0. BiEL nennt jjapparentia^' jede „veram speeiem seu ostensionem" (IV dist.
1, 1). GocLENius unterscheidet: „apparentia vera — inanis (fapraarixi^Y^
Jiüerior — exterior*^. „Äpparentia seu 86xijaie verüati opponüur'^ (Lex. phil.
p. 110 f.).
Nach G. Bruno ist die Vielheit (s. d.) der Dinge Erscheinung des Einen,
Ewigen (De la causa V). Nach Gassendi sind j^apparentioi^* die y^phantastae^'
(Exerc. II, 6). y.Secundum naturam — secimdum apparentiam" wird unterschieden.
HoBBES versteht unter Erscheinungen (yyphaenomena^^) Bewußtseinstatsachen,
Pnncipien des Erkennens (De coip. 25, 1). Erscheinungen sind die Empfin-
dungen (s. d.), die als y,phantasfnata" (s. d.) bezeichnet werden, die Sinnes-
qualitäten (ausgenommen Bewegung und Größe, die auch real sind), auch der
Eanm (s. d.). Es sind Bilder, die sich auf Objecte beziehen (1. c. 10). Als ein
Äußeres erscheint jedes Bild infolge eines yyconatus^^ des Empfindenden (L c. 2).
Die Subjectivitat der Sinnesqualitäten betont Desoartes, femer Locke, welcher
bemerkt, bei anderer Organisation der Siime würde uns die Welt anders er-
scheinen (Ess. II, eh. 23, § 12). Nach Collier und Berkeley sind die
Körper nur Vorstellungen, Erscheinungen (yyappearances in the sotU or mind"),
<Üe von Gott uns aufgenötigt werden, so daß sie uns als wirkliche Dinge (s. d.)
gelten (Princ. XXXIII). Alles Sein ist VorgestelltseiQ, yyssse = percipi" (1. c.
XXXIV). Nach Hume kennen wir nur die Wirkungen der Körper auf die
Binne, die Impressionen (Treat. II, sct 5). Baum und Zeit sind Arten, wie die
rifiipressions" erscheinen (jyappear to the mind^^Jy Ordnungen derselben (1. c.
«et 3). CoNDiLLAC und Bonnet unterscheiden Erscheinung imd yyDing an
«(** (s. d.).
Leibniz prägt den Begriff der objectiven, yyWohlbegründeten Erscheinung^^
' {f^phaenomenon bene fundatum*^). Die yypkaenomena realia^^ sind von den ,^A.
imaginaria^'^ wohl zu unterscheiden. Die Körper mit ihren Qualitäten (s. d.) und
mit dem Eaum (s. d.) sind Erscheinungen einer geistigen Welt von Monaden
(8- d.). Dem Materiellen, Bäumlichen entspricht etwas (Kraft, Ordnung) in den
Dingen an sich. Chr. Wolf bestimmt: ,yPkaenomenon dioitur quicquid sensui
<Mim eonfuse percipüur*' (Cosmol. § 225). Und Baumgarten; „D(m Wahr-
PUlotophitohet Wörterbuob. 2. Aufl. 20
306 Erscheinting.
xunekmende (phaenofnenon^ observabile) ist dasfenige, was icir durch unsere Süme
(verworrener) erkennen können^^ (Met § 307).
Kaxt lehrt erst die Existenz objectiver Erscheinungen, spata neigt er
sich dem Begriffe eines Phänomens zu, das niur seine Existenz dem Ding an sidi
(s. d.) verdankt, im übrigen rein subjectiv, d. h. Product des Intellectes, ist
„Phaenomenon" ist das Wahrnehmbare (j^ensibM^ De mund. sens. sct. II, § 3).
„Sensitive eogitaia esse rerum reprtiesentationes , uti apparent, inieUeetuaiia
OMtem, sicuti sunt" (1. c. § 4). „In senstialibus autem et pkaenamenis id^ quod
antecedü usum inteüectus logicunty dicitur apparentia'^ 9- c, § 5). ,yQuaeeunque
ad Sfsnsus nastros referuntur ut obiecta, sunt phaenomena^^ (1. c. § 12). j^Qwm-
quam atäem phaenomena proprie sint rerum species, non ideae, neque intemam
et absolutam obieeiorum qualiiatem exprimant, nifiHo tarnen minus iüorum
cognitio est verissima^^ (L c. § 11). ^ Die Erscheinungen sind als solche den
geistigen Gresetzen unterworfen. ,yBes non possunt sub uUa speeie sensibus
apparere, nisi mediante vi animi, omnes sensaiiones seeundum stabilem et naturae
8uae insitam legem coordinantef^ (1. c. sct III, § 15). — Auf dem Standpunkte
der £jritik (s. d.) ist Erscheinung die subjective Form der Existenz der Wirk-
lichkeit, zu der das Ding an sich das Ck>rrelat bildet, das Ding, ,^ofem es
Object der sinnlichen Änsehammg ist" (Krit d. r. Vera. S. 23). Die Gegen-
stande j^seheinen" uns, d. h. sie sind „Gegenstände der Sinnlichkeit^^ (1. c. S.^).
Aber auch die Objecte des Verstandes sind nur Phänomene. „ Was gar nicht
am Objeete an sich selbst, j&ierxeit aber im Verhältnisse desselben xum Subfeci
anxutreffeti und von Vorstellung des ersteren unzertrennlich ist, ist Erscheinung^
(1. c. S. 73). Erscheinungen sind „bloße Vorstellungen, die tiaeh empirischen
Gesetzen xusammenhängen", sie haben „selbst noch Gründe, die nicht Erschein
fiungen sind*' (1. c. S. 431). Die Erscheinungen haben empirische Bealitat (s. d.},
sind objectiv (s. d.), nicht Schein (s. d.). „Wenn ich sage: tm Raum und der
Zeit stellt die Anschauimg, sozcohl der äußeren Objecte, als auch die Selbst-
anschauung des Gemütes, beides vor, so toie es unsere Sinne affieiert, d. u ttie
es erseheint, so will das nicht sagen, daß diese Gegenstände ein bloßer Sehein
wären. Denn in der Erscheinung werden jederzeit die Objecte, ja selbst die Be-
schaff enlieiten, die wir ihnen beilegen, als eiivas wirklich Gegebenes angesehen,
nur daß, sofern diese Beschaffetiheit nur von der Anschauungsart des Subjeets
in der Relation des gegebenen Gegenstandes xu ihm abhängt, dieser Gegenstand
als Erscheinung von ihm selber als Object an sieh unterschieden wird. So
sage ich nicht, die Körper scheinen bloß außer mir xu sein, od&r meine
Seele scheint nur meinem Selbstbetnißtsein gegeben xu sein, wenn ich behasi^Cy
daß die Qualität des Raums und der Zeit, welcher, als Bedingufigefi ihres Daseins,,
gemäß ich beide setze, in meiner AnscJtauungsart und nicht in diesen Objeeten
an sich liege*^ (1. c. S. 73). Erscheinung ist „empirische Anschauung, die durch
Reflexion und die daraus entspringenden Verstandsbegriffe xur inneren Erfith-
rung und hiermit Wahrheit wird*^ (Anthrop. I, § 7). Von den Dingen kennen
wir nur die Art, sie wahrzunehmen; anderen Wesen mögen sie anders er-
scheinen (Krit d. r. Vem. S. 66). Auch das Ich (s. d.) wird nur als Er-
scheinung erkannt Die Materie (s. d.), die Bewegung (s. d.) sind nur Er-
scheinungen. Die „nach der Einfieit der Kategorien" gedachte Erscheinung ist
„Phaenomenon" (1. c. S. 231). Die Dinge der Erfahrung sind „Erseheinungeft^
deren Möglichkeit auf dem Verhältnisse gewisser an sich unbekannter Dinge xu
etwas anderem, nämlich unserer Sinnlichkeit, beruht'^ (Prolegom. § 13). Alles in
Srsoheinting. 307
Baom und Zeit Befindliche ist als solches Erscheinung (1. c. § 13, Anm. I).
&Bcheinmigen sind die Vorstellungen, welche die Dinge (an sich) „in uns wirkefiy
indem sie unsere Sinne affieieren^* (1. c. Anm. II). Erscheinimg, solange als
sie in der Erfahrung gebraucht wird, bringt Wahrheit, sonst aber Schein hervor
(L c. Anm. lU). Die Cresetze (s. d.) der Erscheinungen entstammen dem Ver-
Bt&nde. ,
Nach Beck sind Erscheinungen „die Objeete unserer Erkenntnis , die auf
uns wirken und Empfindungen in uns hervorbringen^^ (ErL Ausz. III, 159)..
Was nach Wegfall aller Intelligenzen von der Außenwelt noch bliebe, ist un-
erfindlich (L c. S. 399). Bei J. G. Fichte wird die Erscheinung ganz subjectiv,
zum Producte der Tätigkeit des Ich (s. d.). — Bei den extremen Neukantianern
sind die Erscheinungen nichts als kategorial (s. d.) verknüpfte Erfahrungsinhalte
(Natorp, H. Cohen u. a.). Der subjective Idealismus (s. d.) kennt nichts
als Erscheinungen im Bewußtsein. So z. B. Bradley. Nach Hodoson gibt
es kein Ding an sich, „because there is no existenee beyond eonsciousness"
(Phil, of Refl. I, 219). „Our aetucU phenomenal world is a part of a larger, but
ttäl phenomenal world whieh we must eoneeive as possible, possible in our view,
fnU aelual io oiher modes of eonseiousness than ours^^ (1. c. I, 213). Ähnlich
J. St. Mill, B. Bain u. a* Keinen Gegensatz von Erscheinung und Ding an
sich kennt der Empiriokriticismus (s. d.), femer die Immanenzphilo-
Sophie (s. d.). Schuppe z. B. nennt die y,Elemente des Oegebenen" auch „-Eir-
tekeinungselement&% dabei ist aber „Erscheinung nicht im Oegensaixe xu dem
wirkHeh Gegebenen, sondern eben im Sinne desselben gemeint, in welchem das
Wort sel^ oft gebraucht wird"', als das „Sinnßllige^' (Log. S. 79). Ähnlich
E. Mach. Nach H. Corkeuub sind die Erscheinungen eins mit den Sinnes-
objecten, sie sind von den Noumena (s. d.) nur relativ unterschieden: ,yDie
Erscheinungen sind die einx einen Fälle der in dem voovfisvov gegebenen
allgemeinen BegeV^ (Einl. in d. Philos. S. 263). Die Einzelerscheinung der
Sinneswahmehmung ist von der begrifflich fixierten, objectiven Erscheinung zu
imteracheiden (Psychol. S. 246 ff.).
In mehr oder weniger bestinunter Weise wird die Erscheinung auf etwas in
den Dingen an sich bezogen von verschiedenen Philosophen. Bardili sieht in
der Vorstellungswelt eine „Spiegelung*^ der „Wirklichkeitsverhältnisse^'^ (Gr. d.
eist. Log. S. 92). Schelling nennt Erscheinung das „relative Nichtsein des
Betondem in Bezug auf das ÄW (WW. I 6, 187). Für Hegel ist die „Er-
idieimmg^^ nur ein Moment (s. d.) im dialektischen Processe der Wirklichkeit,
deren Wesen durch den Begriff erfaßt wird. Erscheinung ist „das Wesen in seiner
Sadstenv" (^g- H, 144). „Das Wesen muß erscheinen. Sein Scheinen in
ihm ist das Aufheben seiner xur Unmittelbarkeit, welclte als Reflextcn^iii-sieh so
Bestehen (Materie) ist, als sie Form, Reflexton-in-anderes, sieh aufhebendes
Bestehen ist. Das Seheinen ist die Bestimnimig, wodurch das Wesen nicht Sein,
fondem Wesen ist, und das entwickelte Scheinen ist die Erscheinung. Das
Wesen ist daher nicht hinter oder jenseits der Erscheinung, sondern dadurc/i,
^fi das Wesen es ist, welches existiert, ist die Existenx Erscheinutig" (Encykl.
§ 131). „Erscheinung . . . heißt nichts anderes, als daß eine RecUität existiert,
jedoch nicht unmittelbar ihr Sein an ihr selbst hat, sondern in ihrem Dasein
gleich negativ gesetzt isf* (Ästh. I, 157). K. Bobenkraxz erklart; „Das
Wesen setxt sich als Existenx; die Existenz setzt sich aU ein Existierendes; das
Existierende führt sich aber durch die Auflösung seiner Existenz in seinen
20*
308 Erscheinung.
Qrtmdf in das gegen seine Existenz freie Weseti xurUek. So ist die Exisienx
xur Erscheinung des Wesens geworden." „Das Wesen ist es, welches erst^teint*
(Syst. d. Wiss. S. 64 ff.). Herbart nennt „objectiven Schein*^ den „Sehern,
der von jedem einzelnen Objecte ein getreues Bildj loenn auch kein voUständigeSj
so doch ohne alle Täuschung dem Subjeeie darstellt, daß bloß die Verbindung
der mehreren Oegensfände eine Form annimmt, welche das xusantmenfassendf
Subjeet sich muß gefallen lassen" (Met. II, S. 320). ,yWie viel Schein, so viel
Hindeutimg aufs Sein" (1. c. S. 351). Ähnlich Caspari (Zusammenh. d. Dinge
S. 428). Nach Beneke ist die Außenwelt Erscheinung einer geistigen Wirk-
lichkeit (Log. II, 288). So auch nach Schopenhauer, der in den Dingen
„Obfectitäten" (Sichtbarwerdungen) des Ding an sich, des Willen (s. d.) sieht
„Objeci'sein und Erscheinung sind synongnie Begriffe" (W. a. W. u. V. I. Bd,
§ 22). „Erscheinung heißt Vorstellung und upeiter nichts: alle Vorstellung,
welcher Art sie auch sei, aUss Object ist Erscheinung^^ (1. c. § 2), ein subjectiver
„Spiegel" des „An -sich" (1. c. § 29). Der „Wille^^ als Ding an sich „ist «w
seiner Erscheinung gänxlich verschieden wid v'öUig frei von allen Formen derselben,
in welche er erst eingeht, indem er erscheint*^ (L c. § 23). Der Leib (s. d.) ist
unmittelbare Erscheinung des Ding an sich. Auch J. H. Fichte, Fechksr und
Paülsen betrachten die Außenwelt als (unmittelbare oder mittelbare) Erschei-
nung (y, Selbsterscheinung" = Ich, s. d.) einer geistigen Wirklichkeit, esB»
„Innenseins". Erscheinung ist nach Fechner nicht bloßer Schein, sondern
objectiv durch die Welt ausgebreitet und schließt sich in einem einheiUicheD
Bewußtsein zusammen (Tagesans. S. 13). In der Erscheinung gibt sich das
Ding selbst kund (vgl. Zend-Av.). A. Lange bemerkt: ,yJe mehr sieh das Ding
an sich xu einer bloßen Vorstellung verflüclUigt, desto mehr gewinnt die WeU
der Erscheinungen an Realität. Sie umfaßt überhaupt alles, was wir wirklieh
nennen köfmen^^ (Gesch. d. Mat. II', 49). Nach Lotze, auch nach Renouvieb
spiegelt die Außenwelt bestinmite Verhältnisse im An-sich der Dinge subjectiv
ab. Ähnlich (aber subjectiver) A. Lange (Gesch. d. Material. II*, 49), Hslv-
HOLTZ (Tatsach. in d. Wahm. S. 39), H. Spencer, der im Materiellen ein
„Symbol" des Absoluten erblickt. Riehl erklärt: „Die mechanische Natur ist
nicht die Natur an sieh, sondern die Ersclieinung der Natur für die äußeren
Sitme^^ (Phil. Krit. II 2, 194). Die Erscheinungen sind abhängig von Wirklich-
keiten, denen alle ihre Bestandteile der Empfindung wie die besonderen Formen
der „Existenx und Succession entsprechen*^ (1. c. II 1, 22). „Das Subject und
das Object in der Wahmelimung ist Erscheinung, nicht bloße Vorstellung, und
xwar Erscheinung in dem einzig verständliehen Sinne des Wortes, tDonaeh das-
selbe die Beziehung auf das, was erseheint, in seiner Bedeutung einschließL Ick
erkenne mich selbst, tcie ich im Gegenverhältnis xu den Objecten meines Bewußt-
seins erschei'fie" (L c. S. 152). Die Erscheinung bedeutet für uns mehr als das
unbekannte Ding an sich, das ein bloßer „Orenxbegriff*' ist (1. c. S. 29). Nach
WuNDT sind die Objecte der Außenwelt, da sie nur „mittelbare Realität' haben,
in begrifflichen Symbolen erkannt werden, Erscheinungen, das denkende Sub-
ject aber ist nicht Erscheinung (Log. I', S. 549, 552, 555; Syst. d. Philos.*,
S. 143 ff.). Baum und Zeit haben ein Correlat im Ding an sich, das geistiger
Art, WiUe (s. d.) ist. Im Gegensatz ziun Materialismus (s. d.) betont Berg-
mann, das Bewußtsein könne nicht Erscheinung sein, ,/ienn wenn es nicht
wirklich da wäre, so könnte ihm atieh nicht ein Bewußtseitisvorgang als Ton
Brscheiniing — Srwartmig. 309
oder cUs Farbe oder eUs Wärme oder als Bewußtsein erscheinen*^ (Unters, üb.
Hauptp. d. PhiloB. S. 336). 80 auch L. Busse (Geist u. Körp. S. 28 ff.).
Nach OzoLBE erkennen wir die Dinge an sich durch hypothetische Schlüsse
auB ihren Wahrnehmungen als „vielfuch bewegte Atomcomplexe** (Gr. u. Urspr.
d. m. £rk. S. 107). Ulbici bestimmt „Erscheinung** als das „immittelbare Für-
anderes'sein, welches xugleieh das eigene Äußere, die eigene Form und Teüheit
des Dinges ist, in welchem es aber xugleieh unmittelbar auf anderes eimeirkt und
damit sein Dasein kundgibt** (Log. S. 333). Überweg erklart: „Unsere Vor-
stellung von räumliehen Dingen und ihren Bewegungen ist das Resultat einer
solchen Organisation unserer Empfindungsaniagen, welche die Harmonie, nicht
Diseordanx xwisehen detn An-sich und der Erscheinung in mathematisch-physi-
kalischem Betracht ergibt** (Log.*, S. 87). E. v. Hartmann unterscheidet die
jyEaeistenxformen** der Wirklichkeit von deren „Subsisienxform** (Kiit Gmndleg.
S. 159). Von den subjectiven sind die „objectiv-realen Erscheinungen** zu unter-
scheiden, in denen sich das Wesen der Dinge durch eine bestimmte Tätigkeit
oder Kraftaußerung unmittelbar manifestiert (Mod. Psychol. S. 332, s. Bealis-
mius). R. Steiner nennt Erscheinung „die Weise, in der uns die Welt ent-
gegentritt, bevor sie durch das Erkennen ihre reeßUe Oestalt gewonnen hat, die
Welt der Empfindung im Gegensatz xu der aus Wahrnehmung und Begriff ein-
keiilieh xusammengesetxten Wesenheit* (Philos. d. Freih. S. 108). Brentano,
Upuueb, H. Schwarz u. a. halten die Dinge der Außenwelt für objectiv
fundierte Erscheinungen, so auch W. Jerusalem. Hubserl macht auf die
Terschiedene Bedeutung von „Erscheinung** aufmerksam (Log. Unt. II, 706 ff.,
vgl. 705, 328 f.). Vgl. Object, Realität, Phänomenalismus , Ding an sich,
Tagesansicht, Wirklichkeit.
Krsclilelcliiiiiff s. Subreption.
Erste Pliilosopliie s. Metaphysik.
6. Überlegung.
smd nach Chr. Wolf Satze, welche aussagen, „daß
etneni Dinge etwas xukomme oder nicht**, im Unterschiede von den „Ubungs-
säixen** (s. d.) (Vem. Ged. von der Kr. d. m. Verst.*, S. 77).
Er^irartniiff ist ein (durch Spannungsempfindungen und Gefühle charak-
terisierter) Act der Aufmerksamkeit, der auf einen nicht actuell präsenten, in
Aussicht gestellten Inhalt gerichtet ist. Im Zustande der Erwartimg ist das Be-
wußtsein für einen (mehr oder weniger bestinmiten) Reiz gleichsam eingestellt,
disponiert, parat, indem die Vorstellung des Erwarteten den Aufmerksamkeits-
wiUen beständig zur Intention motiviert. Ein Factor der Erwartung ist die
(rewohnheit (s. d.).
Nach Leibniz ist die Erwartung ein Erkenn tnisfactor, bei den Tieren ver-
tritt er die Vernunft (Erdm. p. 296). Hume führt auf die Erwartung des
Gleichen den Begriff der Causalität (s. d.) zurück. Volkmann erklärt die
Erwartung als „den Zustand des Emporgetriebenwerdens einer als künftig ge-
dachten Vorstellung gegen die sie abweisende Gegenwart** (Lehrb. d. Psychol. II*,
21). Nach Nahlowsky ist die Erwartung ein „formelles Gefühl'* (Das Ge-
fölüsleb. S. 95). Sie ist „die Vorwegnahme (Anticipation) eines xtikiinftigen
Erfolges durch die demselben voraneilenden Beproductionen** (1. c. S. 96). Man
konnte sie auch als „einen dunklen, soxusagen instinctiven Analogieschluß
310 Srwartung — Sselabrücke.
erklären; denn es findet sich immer dabei eine gewisse, wenn auch nur htUb-
beumßte Fo Igerung^' (ib.). Die Hauptstadien der Erwartung sind die „Spannung"
und die yyÄuflösung" (1. c. S. 97 ff.). Nach Lazabus ist Erwarten y,Bereit-
sehaft %ur Äppereeption" (Leb. d. Seele II*, 51). Wundt zahlt das Greföhl der
Erwartung zur Bichtung der spannenden, meist auch zu der der erregenden
Gefühle, es pflegt mit ziemlich intensiven Spannungsempfindungen verbunden
zu sein. Im Moment des Eintritts wird das E^rwartungsgefühl durch das meist
nur sehr kurzdauernde „Oefüfd der ErfuUtmg^^, das den Charakter eines lösenden
Gefühls hat, abgelöst (Gr. d. Psychol.^ S. 260). Bei der Bildung der zeitUchen
Vorstellungen (s. d.) spielt das Erwartungsgefühl eine Bolle. KüLPE bestimmt:
yyMnen Reixunterschied oder einen Reix erwarten heifit die innere Wahrnehmung
eines solchen oder das ihr entsprechende Urteil vorbereiten. Diese Vorbereüung
kann in sehr mannigfaltiger Weise gescheheny etwa durch ei/ne günstige Stellung
und Spanfwng des Sinnesapparates . . . oder durch central erregte Empfindungen^
die das Erwartete antieipieren (Vorstellung des Beixes oder ReixuntersMedes)f
oder durch eine besondere Bereitschaft für die Anwendung des entsprechenden
Urteils (inneres Vorsprechen der betreffenden Latäe) u, a. Es ist ktar, dafi die
Erwartung, wenn sie auf die der Aussage des Beobachters unterliegenden Vor-
gänge gerichtet isty die E, (s. d,) und U. E, (s. d.) vergröfiem muß. Denn sie
ist eigentlich nichts anderes y als eine vorbereitende Aufmerksamkeit^^ (Gr. d.
Psychol. S. 41). H. Corneliub erklärt, wir können yykeinen Inhalt ohne jedf
Bexiehung tm folgenden Erlebnissen denken; die Einordnung jedes neuen hihaites
unter den allgemeinsten Begriff eines ErlebnisseSy den wir auf Qrund unserer
bisherigen ErfaJirungen hesitxeny schließt vielmehr stets den Gedanken an noch
nicht gegebene, erst xu erwartende weitere Erlebnisse mit ein" (EinL in d.
Philos. 8. 251 ff. ; Psychol. S. 87 ff.). Nach W. Jerusalem ist Erwartung ein
Urteil. Zugrunde liegt ihr „eine durch die gegenwärtige Constellation reranlaßte
Phantasievorstellung j und diese veranlaßt uns xu dem Urteile: ,Das oder das
ivird jetxt geschehen*". Ein solches Urteil ist ein yyErwartungsurteü^* (ürtefls-
funct. S. 134). Durch dasselbe wird ,ydie durch die gegemvärtigen Wahr-
nehniungen geweckte Phantasievorstellung dahin gedeutet, daß wir dem wahr-
genommenen Objecte eine bestimmte Tendenz, eine Willensrichtung ui-
seltreiben", „Jede Aussage über ein xidcünftiges Geschehen ist ein Urteil über
eine den gegenwärtigen Objecten innewohnende Willensrichtung, Die Zukunft
wird als ein in seiner Richtung erkennbarer, aber noch nicht ausgeführter Willens-
imptds der Gegenwart aufgefaßt" (1. c. S. 136). Später treten an die Stelle von
Willensimpulsen Kraftrichtungen imd Tendenzen (1. c. S. 137). VgL Object,
Causalität.
ErsEftlilende (Idstorlsche) Urteile sind Urteile, deren Prädicat ein
Geschehen oder eine Handlung in bestimmter Zeit (Vergangenheit, Gegenwart,
Zukunft u. 8. w.) bedeutet (z. B. die Sonne schien).
Xiselsbrfieke (jpons asinorum"): Name einer Figur, welche logische
Verhältnisse veranschaulicht. Sie findet sich zuerst bei Petrus Taktaretüb
(ca. 1480). „ Ut ars inreniendi medium cunctis sit facilis, plana atque per-
spicua, ad manifestcUionem ponttur sequens figura, quae communiter propter
eius apparentem difficuUatem pons asinorum dieitur*^ (bei Prantl, G. d. Log.
S, 206).
Eselsbrücke — Ethik. 311
A -^ C = antecedens ad praedicatum
A — B = consequens ad praedicatum
E — F = antecedens ad subiectum
E — D = consequens ad subiectum
C — F = Darapti, Disamis, Datisi (s. d.)
F — G = Felapto, Bocardo, Feriso (s. d.)
G — D = Gelarent, Cesare, Ferio, Festino (s. d.)
F — B = Bamalip (s. d.)
C — D =: Barbara, Darii (s. d.)
H — B = Cesare, Camestres, Baroco (s. d.).
liSOterlscli b. Exotensch.
Hssfter (EcaaJot bei Philo) oder Essener (E<rcrjvoi bei Josephus):
Name einer jüdischen Secte, im 2. Jahrh. y. Chr. schon bekannt Mönchische
Lebensweise, Askese, Sittenreinheit zeichnete sie aus (Zeller, PhiL d. Griech.
in», 2, 278 ff.). Sie hatten eine Geheimlehre über Engel und Schöpfung
(Überweg -Heikze, Gr. d. Gesch. d. Philos. P, 355). Verwandt sind die
Therapeuten in Ägypten.
Bsa^ns (essentia): Wesen (s. d.), Wesenheit.
litliellsiliH8 {i^eho) = Voluntarismus (s. d.)
SStfillL (i7^M(ifi ethica, philosophia moraüs bei Seneca, philoeophia practica,
moral philoeophy, „Sittenlehre" zuerst bei Mosheim) heifit die Wissenschaft
Tom Sittlichen, d. h. vom sittlichen Wollen und Handeln. Sie bestimmt ana-
lytisch den Begriff des Sittlichen (s. d.) als solchen, fragt nach dem Wesen und
dem Werte der Sittlichkeitstatsachen, deren Entwicklung genetisch verfolgt
vird. Aus dem ethischen Befunde gewinnt die Ethik allgemeine Normen (s. d.),
die befolgt werden müssen, soll ein Handeln das Pradicat yjsittlich giä" ver-
dienen; der normative Charakter der Ethik hebt sie über die (Social-)Ps7chologie
des Sittlichen, auf die sie sich gründet, hinaus. Die Ethik fragt 1) nach dem
Ursprung des Sittlichen. Je nach der Antwort unterscheidet man heterono-
mistische (theologische, politische) und autonomistische (s. d.) Moral; ethischen
Apriorismus (Intuitionismus, s. d.), Empirismus, Evolutionismus (s. d.). Die Ethik
fragt 2) nach der Art der Motive des sittlichen Handelns. Danach gibt
«s Beflezions- (Verstandes-, Vernunft-) und Grefühls-Moral. Femer fragt die
Ethik nach dem Object des sittlichen Handelns. Da sind Individuidismus
(E^ismus, Altruismus) und Universalismus zu unterscheiden. Endlich fragt
num nach dem Zwecke des Handelns und unterscheidet Eudämonismus (He-
doiÜBmus, Utihtarismus), Perfectionismus, Evolutionismus, Rigorismus. Nach
der Methode und der Aufgabe der Ethik sind speculative und empirische,
metaphysische und positive, descriptive und explicative, normative und dar-
stellende Ethik zu unterscheiden. Einer Gruppe angehörende Richtungen ver-
binden sich mit solchen anderer Gruppen (vgL Kt^LPE, Einleit in d. Philos.*,
312 Sthik.
S. 227 ff.). Nach dem Object der Beurteilung lassen eich Greeinnungs-
(Absichts-) und Erfolgsmoral unterscheiden. — Die Individualethik ist von
der Social ethik (b. d.) zu unterscheiden.
In den Sprüchen der „sieben Weisen" beschränkt sich das Ethische auf
einfache Lebensregeln, Klugheitsmaximen. Die Pythagoreer wenden den Maß-
und Harmoniebegriff (s. d.) auch auf das Handeln des Menschen an. Hera KT jt
betrachtet als ethisch die Unterordnung der Individuen unter die Gresetze der
Allgemeinheit. Demoekit sieht in der Glückseligkeit (s. d.) das höchste Gut
und legt Wert auf die sittliche Gesinnung {äya&ov ov ro /«ij ddixelv, diJA to
/irj id-^Xeiv, Stob. Floril. IX, 3). Die Sophisten betonen (teilweise) die Re-
lativität des Sittlichen, begründen den ethischen Skepticismus (s. d.); Prota-
00RA8 macht davon eine Ausnahme. Sokrates betont die Allgemeingültigkeit
der Moral, er ist der Begründer der Ethik {2(oxQarrjg 6 r^v ^d'ixijv eicayaywr,
Diog. L. Prooem. 14). Der Mensch und sein Handeln sind ihm wichtiger als
die Natur (Aristoteles, Met I 6, 987 b). Seine Ethik ist int^Uectualistisch —
die Tugend (s. d.) ist ein Wissen — imd eudämonistisch — das Gute (s. d-) ist
das ZweckvoUe. Die Cyniker (s. d.) sind Eudämonisten, so auch die Kyre-
nai'ker (s. d.). Plato überwindet den Eudämonismus durch den Begriff des
„Outen an sich" (s. d.). Aristoteles begründet die Ethik systematisch (Nikom.
Eth.), ist Eudämonist, aber ein solcher, der die Glückseligkeit auf das der Seele
und der Vernunft gemäße Leben bezieht (s. Tugend). Die Ethik ist eine prak-
tische, erziehende Wissenschaft («V ayad-ol yivcif^ed-a, Eth, Nie. II 2, 1103b
26 squ.). Die Stoiker verlegen die Sittlichkeit in das natur- und vernunft-
gemäße Leben, der Begriff der Pflicht (s. d.) wird betont. Die Ethik handelt
vom Begehren, vom Guten imd Bösen, von den Affecten und deren Beherr-
schung, von der Tugend und Pflicht (Diog. L. VII 1, 84; Stob. EcL II, 6).
Eine eudämonistische (zugleich auch social-utilitaristische) Ethik lehren die
Epikureer (s. d.). Das ijd'txov handelt yte^l ai^'vetog xai tpvyfjg rre^i aigexciv
xai fBvxrcjv xai nsQl ßicov xai rs'Xovg (Diog. L. X, 30). Die Neuplatoniker
haben eine mystische Ethik, die zur Reinheit der Gesinnung, zur Vergottung
antreibt.
Die (ur-) ehr istliche Ethik ist theologisch, altruistisch, asketisch veran-
lagte Liebesmoral. Die Kirchenväter und die Scholastiker bilden diese
Ethik, unter dem Einflüsse platonisch-aristotelischer Lehren aus. AbA£LARI>
betont die gute Gesinnung, Thomas die Tugenden (s. d.) imd das Grewissen;
fjScientia ethica" findet sich bei ihm (3 sent. 23, 1, 4, 2 c). DuNS Sooruft
unterscheidet natürliches und göttliches Sittengesetz (In lib. sent. 3, d. 37, qu. 1).
Die Lehre von der y,Synteresis" (s. d.) spielt in der mittelalterlichen Ethik
eine EoUe. Nach Vergottung streben die Mystiker.
In der Benaissanceethik kommen stoische (und epikureische) Elemente
wieder zur Geltung. So auch bei Descartes und Spikoza. Auf den Selbst-
erhaltungstrieb gründen die Moral Telesius, Hobbes, auf den Nutzen F. Baoon^
auf die Demut (humilitas) Geülincx. Die Ethik ist ihm Tugendlehre (Eth.
I, C. 1, § 1; vgl. p. 161). Ethisches Princip ist: ^^Ubi nihil vales, ibi nihil
velis, seu nihil frustra ferenäum est" (1. c. p. 164).
Ethische Intellectualisten und Aprioristen (Intuitionisten) sind R. Clt)-
WORTH, der angeborene sittliche Ideen annimmt (The true int. syst. I, eh. 4),
H. MoRE (Enchir. III), Butler, Reid, Düqald Stewart u. a. Eine em-
piristische Ethik lehrt Locke, der die Ethik für eine demonstrative AVissen-
Ethik. 313
Schaft Mit (Ess. IV, eh. 3, § 16), nämlich für diejenige Wissenschaft, welche
,4^ Regeln ttnd den Anhalt für die mensekltehen Handlungen, die xur Glück-
seligkeü führen, sotvie die Mittel, sie »u erlangen, aufattchf^ (1. c. eh. 21, § 3).
Eine Gefühlsmoral, welche die socialen Neigungen als Quelle des Sittlichen
(8. d.) betrachtet, begründen Shaftesbüry, Cumberland, Hutcheson. Auf
Sympathiegefühle (s. d.) gründen die Ethik Hume und A. Smith. Den em-
pirischen Charakter der Ethik betonen besonders auch Holbach imd Hel-
VETTUS, welcher sagt: ,//'a» eru qu*on devoit traiter la MarcUe comme touies
ka auires sciefices, et faire ime Morale comme une Physique experimentale^* (De
Tespr. I, p. 4).
Den P^ectionismus, die Anpassung des Sittlichen als des der Vervoll-
kommnung des Ich gemäßen Handelns, lehrt Leebniz. So auch Chr. Wolf.
Die Ethik ist „scientia dirigendi aetiones liberas in statu naturali, seu quatenus
nd iuris est homo nulli alterius poiestati subieetus*^ (Phil. rat. § 64). „PhHo-
Sophia moralis sive Ethica est scientia practica, docens modum, quo hofno libere
aetiones suas ad legem naiurae componere potest" (Eth. I, § 4; vgl. § 2; „Ethik
oder Sittenlehre'': Vem. Ged. von d. Kr. d. m. V. 9, S. 8). J. Ebert erklärt:
,fiie Ethik, icelche auch die Moral im engeren Verstände genannt wird, lehrt
die Pflichten, welche der Mensch gegen sieh selbst zu beobachten hat, und die
Miäel xur Tugend'' (Vemunftl. S. 12).
Kant begründet eine aprioris tische, formalistische Ethik, einen „Rigoris-
fMu^' (s. d.), für den das Sittliche Selbtszweck ist; Quelle des Sittlichen ist
nicht die Erfahrung, sondern die praktisch gesetzgebende (autonome) Vernunft.
Die Ethik ist ,,die formale Philosophie, welche sich mit den Oesetxen der Frei-
heü beschäftigt" (Prolegom.). Ihr Endziel ist „die Aufsuchung und Festsetzung
des obersten Prindps der Moralitäi" (Grdl. zur Met. d. Sitt. 8). Formalistisch,
später universalistisch ist die Ethik J. G. Fichtes. „So wie die theoretische
Philosophie das System des notwendigen Denkens, daß unsere Vorstellungen mit
einem Sein übereinstimmen, darzustellen hat; so hat die praktische das System
des nohoendigen Denkens, daß mit unseren Vorstellungen ein Sein übereinstimme
und daraus folge, xu erschöpfen" (Syst. d. Sitt. Einl. S. III). Schelling be-
trachtet das Sittliche als ein Entwicklungsproduct des Absoluten, so auch Hegel,
dff eine universalistische Ethik, die zwischen subjectiver Moral und objectiver
Sittlichkeit unterscheidet, lehrt. Nach Schleiermacher ist die Ethik ein
„Erikennen des Wesens der Vernunft", nicht normativ, sondern „beschauliche
Winenschaft" (Phü. Sitt. § 60 ff.). Sie ist ein „Ausdruck des Handelns der
VemunfV* (L c. § 75). Sie stellt dar „ein potentiiertes Hineinbilden und ein exten"
sives Verbreiten der Einigung der Vernunft mit der Natur" (1, c. | 81). Sie
zerfallt in Güterlehre, Tugendlehre, Pflichtenlehre (1. c. § 110 ff.). Ahnlich in
manchem ist die Ethik von A. Dorner (Das menschl. Handeln 1895). Schopen-
haiter lehrt eine (metaphysisch begründete) Mitleidsmoral, A. Comte den
Altruismus (s. d.). Herbart bestimmt die Ethik (praktische Philosophie, s. d.)
als einen Teil der Ästhetik, als Lehre von den Billigimgen und Mißbilligungen
von „ Willensverhältnissen" (WW. IV, 105, II, 350). Verwandt sind die Lehren
von Steinthal (Allg. Eth.) und Allihn. Nach diesem hat die Ethik „unter
den mannigfachen Urteilen des Lobes oder Tadels, des Vorxiehens und Ver-
werfen», die efiarakteristisc/ie Eigentümlichkeit derer, welche auf absolute Geltung
Anspruch machen, hervorxuheben und die einzelnen Arten derjenigen Verhältnisse,
welehe die obfectiven Gründe des absoluten Beifalls oder Mißfallens bilden, auf-
314 Sthik.
xumehen^^ (Gr. d. allg. Eth. S. 12 ff.). Beneke gründet die Moral auf die
gefiihlflm&ßig zum Ausdruck kommenden Wertverhältnisse des Psychischen.
Nach CzoLBE lassen sich die moralischen Gesetze nur aus der Erfahrung ent-
wickeln (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 14). Fetjebbach lehrt eine eudämonistische
Gefühlsmoral. So auch Feghner.
Den Individualismus (s. d.) betonen in der Ethik M. Stirneb, Nietzsche,
der ,jHerrenmoraV^ und „Skiavenmoral'^ unterscheidet und sich als „AnU-
moralisten*^ bezeichnet, auch R Steiner (Philos. d. Freih. S. 154 ff.).
Den neueren Utilitarismus (s. d.) begründet J. Bentham. Nach ihm ist die
Ethik yyike art of directing nien*s aetions to the produetian of the greatest pw*
nble quantity of happiness, on the part of thase whose intereat in the vieuf^.
jyPritfoie ethtcs^^ = „the art of self-govemment^^ (Introd. II, eh. 17, p. 234).
(Socialer) Utilitarier ist J. St. Mill (für die Entstehung des Sittlichen, s, d-),
femer Sidowick, der zugleich Intuitionist ist; Au%abe der Ethik ist „to render
seientific the apparent cognitions that most men have of the righiness or reaso-
nahleness of conduct** (Meth. of Eth.», 71); femer V. GiZYCKi (MoralphiL 8. 1)
u. a. Biologisch -evolutionistisch ist die Ethik von Gh. Darwin (Abst d.
Mensch. C. 4), H. Spencer. Nach ihm ist Ethik „rf*e Wissenschaft vom guten
Handeln" ^ «itscheidet, „wie und warum gewisse HandUmgen verderblieh und
gewisse andere wohltätig sind". Hauptaufgabe der Moralwissenschaft ist, „oi»
den Gesetzen des Lebens und den Existentialbedingungen (tbxuleiien, iceiehe Arten
des Handelns notwendigerweise Olück und welche Unglück xu erxeugen streben"^
(Princ. d. Eth. I 1, § 21). Femer J. Fiske (The destiny of Man 18W),
S. Alexander (Moral Order and Progress 1889), WiLLiABiS (EvolutioMd
Ethics 1893), Leslie Stephen (The Science of Ethics 1882/1893), Cabnebl
Er versteht unter Ethik „die Zusammenfassung der letzten Resultate der ge-
samten philosophischen Wissenschaften in ihrer Äntcendung aufs praktische Ldfen,
auf die Gesittung überhaupt. Während die Moralphilosophie bestimmte
Sittengesetxe aufstellt tmd %u kalten befiehlt, damit der Mensch sei, was er sein
solly entunckelt die Ethik den Menschen, une er ist, darauf sieh beschränkend,
ihm xu xeigen, was noch aus ihm werden kann" (Sittl. u. Darwin. S. 1). Die
Entwicklungsethik von A. Tn^LE ist ganz biologisch (Von Darwin bis Nietzsche).
Evolutionistisch ist auch die Ethik von H. Höffdino. Die Ethik hat zwei
Angaben : a. die historische oder vergleichende, b. die philosophische der Wert-
schätzung auf Grundlage der biologisch-psychologisch-socialen Natur des Men-
schen (Ethik«, S. 8 ff.). Die „positivisiisefie Ethik^' von E. LaA8 will den
psychologischen und geschichtlichen Ursprung der moralischen Gesetze und die
Bichtung ihrer Fortbildimg zeigen (Ideal, u. Posit. II). Die „positive Etkü^
von G. Ratzenhofer entnimmt das Seinsollende „der Natur des Mensehen und
der Soeialgebilde, fußend auf den NcUurgesetxen" (Posit Eth. S. 22). Sie be-
dient sich der evolutionistischen Methode (1. c. S. 31). Nach Unold hat die
Ethik 1) „eine auf vernünftiger Einsicht beruhende Lebensansehatmng xu be-
gründen, die imstande ist, das sittliche Lehen und Streben eines Volkes xu tragen
und xu fördern", 2) „die Gesichtspunkte, Regeln UTtd MeÜioden für eine richtige^
tüelitige und würdige Lebensführung xu untersuelten und ausxuarbeiten" (Grundleg.
f. e. mod. pr.-eth. Lebensansch. S. 47). Die Ethik hat eine biologische, evo-
lutionistische Basis (1. c. S. 60 ff.). Evolutionisten sind auch G. Simmel (Einl '
in d. Moralwiss. 1892—93), W. Stern (Krit. Grandleg. d. Eth. 1897), Jodl.
Einen evolutionistischen Universalismus (universalen Evolutionismus) lehrt
Ethik. 315
£. Y. Habtmaitn (Phanom. d. sittL Bewußts.; Sociale Kernfr.). In anderer
Weise Wündt. Die Ethik ist nonnativ^ sofern sie ihre Objecte „wwV Rücksicht
Quf beaiimmie Regeln, die an ihnen xum Ausdruck gelangen", betrachtet (Eth.',
EinL). Jedes Einzelwollen muß sich einem Oesamtwillen als realer sittlicher
Macht miterwerfen (L c. S. 432). Das Sittliche entwickelt sich, und die geistige
Höherentwicklung selbst ist der Inhalt des Sittlichen (s. d.).
Perfectionismus (Energismus, s. d.) ist die Ethik PAULSEys: „Es hat die
Ethik auf Örund der Erkenntnis der mensehliehen Natur überhaupt, besonders
auch der geistigen und socialen Seite dieser Natur ^ Anleüung xu geben, die Auf-
gaben des Leben» überhaupt so zu lösen, daß dasselbe die reichste, schönste, voll-
kommenste Entfaltung erreicht^* (Syst. d. Eth. I, S. 3). Die Ethik ist „eine
Wissensehaft von den Sitten*^ sie gehört zu den praktischen Disciplinen (1. c.
I*, 1), ist „Theorie der Lebenskunst^ basierend auf Anthropologie und Psycho-
logie, ist „allgemeine Diätetik^^ (L c. S. 2). Sie zerfällt in Güter- und Pflichten-
lehre (1. c. S. 4 f.). Sie wiU nicht bloß begründen, sondern auch ergänzen und
yerbessem (1. c. S. 10). Ähnlich Lippb (Eth. Grundfrag. 1899). Seine Ethik
ist formal, perfectionistisch, individualistisch, Persönlichkeits- und Gesinnungs-
iDoraL
Auf das Gefühl der Achtung vor der Autorität gründet die Ethik v. Kibch-
MANX (Kat d. Philos.', S. 172). P. Bee leitet das Sittliche (s. d.) aus dem
Autoritativen, Gresetzlichen ab (Entst. d. Gewiss.).
Unbedingt verpflichtende Ideale liegen nach Lotze dem sittlichen Handeln
zugrunde. „PfließUenlehre" ist die Ethik nach C. Staitoe. Sie ist nicht nor-
mativ (Einli in d. Eth. 1, 11), daher kann sie nicht selbst sittliche Normen auf-
stellen (1. c. S. 12), auch nicht deren Inhalt begründen (1. c. S. 39). Sie hat
bloß das Sittliche darzustellen (1. c. S. 40). Sie ist eine „auf empirischer Grund-
lage ruhende speciUative Wissenschaft^^ (1. c. S. 55). Sie sucht den Inhalt des
Sittlichen zu bestimmen, die allgemeinen Merkmale der als sittlich beurteilten
Handlungen, die Factoren des sittlichen Inhalts, die Quelle der sittlichen Urteile,
auch die Entstehungsbedingungen des Sittlichen zu finden (L c. S. 194 ; II, 1 ff.).
Eine „idio -psychologische^^ Gesinnungsmoral mit einer Bangordnung von
Motiven lehrt Martineau. Ähnlich auch H. Schwarz, der einen „Norm-
zwang"' anerkennt (Grdz. d. Eth. 1896; Psychol. d. WilL 1900; Das sittl. Leben
1901). Im Kantschen Sinne lehren H. Green (Prol^om. to Ethics),
J. Mackenzie (Manual of Ethics 1892) u. a. Eine „idealistische^' Ethik lehrt
Westtscher. Die Ethik soll „die möglichen Ziele menschlichen Woüens und
Bemddne^^ zeigen und für deren Wert oder Unwert Maßstäbe an die Hand
geben (£Ül I, 2). Die Ethik ist eine „Ideahcissenschaft", normativ (1. c. S. 3).
Der Grundbegriff der Ethik ist der der Freiheit (1. c. S. 4 ff.).
Eudamonistische Gefühlstheorien stellen auf Schuppe (Grdz. d. Eth. u.
Rcchtsphilos. S. 1, 4 u. ff.), Adickes, Döring (Philos. Güterlehre 1888), Sig-
WART (Vorfr. d. Eth., Festschr. f. E. Zeller, 1886) , welcher die Aufgabe der
Ethik darin setzt, ,^nen allumfassenden, in sich einstimmigen Zweck als Auf-
gabe des menschlichen Handelns so xu eonstruieren, daß seine Erreichung von
den gegebenen Bedingungen aus möglich ist^' (Log. II, 745). Riehl unterscheidet
Ethik und Moralwissenschaft. „Die Ethik gibt der Moral die Ziele, die Moral
ist ein Weg xu diesen Zielen'' (Zur Einf. üi d. Phüos. S. 175).
Einen psychologischen Intuitionismus vertritt F. Brentano, der evidente
eUiische Grefühlsurteile annimmt (Vom Urspr. sittL Erk.) Zur Werttheorie (s. d.)
316 Ethik — Ethnographie.
gestalten die Ethik A. Meinong (Werttheor. 6. 85), Ehbentels, Kkeibig,
O. Kraus. Uphues definiert die Ethik als ,,die Wissenschaft von dar Giäe oder
Schleehtigkeü des Wollens oder von dem Chnmde der Wertuntersekiede zwischen
unseren Handlungen oder Gesinnungen^^ (Psych, d. Erk. I, 10).
Den Bestrebungen nach einer freien, von metaphysischen, religiösen, poli-
tischen Voraussetzungen unabhängigen Ethik dient die „Gesellschaft für ethische
OuUur'' (F. Adler, St. Coit, Jgdl u. a.).
Auf katholischer Grundlage ruht die Ethik von V. Cathrkin (Mondphiloe.*,
1899). — Eine Socialethik gibt R. Ggldscheid (Zur Eth. d. GesamtwilL I).
Die Ethik muß auf dem Gefühl von Lust und Unlust aufgebaut werden (L c.
8. 66, 73), psychologisch fundiert sein (1. c. S. 82), nicht bloß formal sdn (L c.
S. 98), sie muß zugleich rationalistisch sein (1. c. S. 103). Sie ist Werttheorie
und fragt: „Wie schaff eti mr einen Zustand, wo die Vorstellungen vom Bösen
unlustbetont auftreten; resp. welche Vorstellungen sind es, an die wir Lust-
momente knüpfen müssen, und welche Vorstellungen sind es, bei denen wir ein
unlustbetontes Functionieren xu erstreben haben^^ (1. c. S. 103).
Von Historikern der Ethik seien genannt: P. Janet (Histoire de la
philos. morale et polit. 1858), H. Sidgwick (Eth. 1879), Th. Ziegler (GescL
d. Eth. 1881/1886), K. Köstlin (Gesch. d. Eth. I, 1887), F. Jgdl (Gesch. d.
Eth. in d. neueren Philos. 1882/1889) u. a. Vgl. Sittlichkeit.
Etlilkotlieolo^e s. Moralbeweis.
Ethlseli i^&ixof, bei Cicero: moralis): 1) sittlich (s. d.), 2) sittlich gut,
3) zur Ethik (s. d.). gehörig. Aristoteles nennt rf&ix6r alles, was aus der
Sitte {^d'oe) entspringt oder auf (allgemeiner) Gewohnheit (i&og) beruht (i? 8i
fl&iXT] ii i'&ovi Tteoiyiyverai, od'ev xai rovvofta Soxfixtv fiixQOV Tia^sxxXlvov axo
Tov i'^ove, Eth. Nie. II 1, 1103a 17). Kant stellt ethisch imd juridisch in
Gegensatz. Sofern die moralischen Gesetze „auf bloße äußere Handlungen und
deren Gesetxmäßigkeit gehen, heißen sie juridisch. Fordern sie aber auch,
daß sie (die Gesetxe) selbst die Bestimmungsgründe der Handlungen sein sollen^
so sind sie ethisch'' (WW. VII, 11). H. Schwarz nennt ethisch die „in das
Gebiet der Ethik schlagenden sittlichen und wider sittlichen Verhaltungsweisen^'^
(Grdz. d. Eth. S. 45).
BOiiselie Cansalit&t: das Wirken sittlicher Factoren (vgl. R Gouk
SCHEID, Zur Eth. d. Gesamtwill. I, 93).
Etbiselie Tagenden s. Tugend.
Etlilscber Aprlorlsmns: die Lehre, daß es ursprüngliche, apriorische
(s. d.), in der Vemimft als solcher wurzelnde ethische Forderungen, Gnmdsätze
gibt (Kant u. a.). Vgl. Ethik.
Etliiselier Brnplrlsmilfii: die Ansicht^ daß das Sittliche ein Produci
der (Gattungs-) Erfahrung sei. Vgl. Ethik.
EUtlselier Idealismus s. Idealismus.
Btlilsclier Monlsnins s. Monismus.
EUtlsclier Skeptieismns s. Skepticismus.
ütbisclier Theisrnns s. Theismus.
S<tlino|p*apliie: Völkerkunde, eine wichtige Grundlage für Psychologie
und Philosophie. Vgl. Völkerpsychologie, Sociologie.
Ethologie — Enhemerlsinua. 317
Etholof^ (J. St. Mill): Wissenschaft von der socialen Bedingtheit des
Ethos (Charakter) = Charakterologie (s. d.). Ribot unterscheidet ^yEthologie
des indittdus^^ und „Ethologie des raees^* (Psjchol. Angl.*, p. 42). Jetzt auch
Wissenschaft vom Ursprung der sittlichen Begriffe.
JEStlloa iv^og): Temperament, Gesinnung, Gemütsart, dann (sittl.) Charakter.
Heraklit: rjd'og av&Qcirco^ Baifuov (Fragm. 121), des Menschen Sinnesart,
Charakter bedingt das Geschick des Menschen. Die Stoiker erklären: fi^og
lert Ttriyri ßiov, ay>' r^e al naxa fidQog TtQa^ets Qtovci (Stob. £cl. II 6, 36).
JESiwas (aliquid) = unbestimmtes Object, unbestimmter Inhalt eines Den-
kens, eines Bewußtseins. Nach Chr. Wolf ist „cUiquid" das, jfCui notio cUiqua
respondet' (OntoL § 59). Nach Baumoartek ist es „possibüe^ re^" (Met § 8).
Hegel definiert: yjDas Dasein als in dieser seiner Besiimmtfieit in sich re-
ftecHartj ist Daseiendes j etwas" (Encykl. §90). „Was in der Tat vorhanden
ist, istf daß etwas xu anderetn, und das andere überhaupt xu einem andern tvird.
Etwas ist im Verhältnis xu einem andern selbst schon ein anderes gegen das-
selbe" (1. c. § 95). Gegensatz: Nichts (s. d.).
Knbnlle {svßovXia) : richtiges Überlegen, Klugheit, Einsicht (Aristoteles,
Eth. Nie. VI 10, 1142a 32 squ.). Thomas: „Eubulia" = Jtabitus, quo bene
wnsüiamur*' (Sum. th. L II, 57, 6 ob. 1).
Elid&lliOllle (svdatfiovla): Glückseligkeit (s. d.).
JBadAmonIsmnB (evSatfiovicfiog, Aristoteles, Eth. Nie IV 13, 1127 b
18) ist jede ethische Anschauung, nach welcher Motiv und Zweck des sittlichen
Handelns die Gewinnung oder Fördermig eigenen oder fremden Glückes (d. h.
andauernder, wahrer Glückseligkeit) ist. Der Eudämonismus im weiteren Sinne
um&Lfit den Hedomsmus (s. d.) und den Utilitarismus (s. d.), im engeren Sinne
ist er vom UtiMtarismus verschieden.
Eudämonisten sind Demokrit, Sokrates, die Cyniker, Kyrenaiker,
teilweise Plato, Aristoteles, Epikur, Spinoza, Chr. Wolf, die meisten
englischen Moralistendes 18. Jahrhunderts, die Aufklärungsphilosophie
(besondere die deutsche), Condillac, La Mettrie, Helvetius, Holbach,
Bentham, J. St. Mill, Comte, Feuerbach, Feghner, Schuppe, Adickes,
DÖRIKO, SiGWART u. a., teilweise auch H. Cornelius. Ein schroffer Gegner
des Eudämonismus ist Kant. „Eudämonisf^ ist ihm jeder Egoist, der „bloß
im Nutzen und in der eigenen Glückseligkeit, nicht in der Pflichtvorstellung, den
obersten Bestimmungsgrund seines Willens setzt". „Alle Eudämonisten sind . . .
praktische Egoisten" (Anthr. I, § 2). Gegner des Eudämonismus sind auch
Kirchner, Wündt, Nietzsche, C. Stange, Unold u. a. Wentscher er-
klärt: „Nicht die selbstverständlich mit jedem Willen verbundene, in seinem Be-
griff /malytisch^ schon eingeschlossene Lust, sondern nur eine ,syrUhetisch^
Ui ihm hinzutretende , als Endwirkung erhoffte Lust" stempelt eine ethische
Theorie zur eudämonistischen (Eth. I, 146; vgl. S. 148). Vgl. E. Pfleiderer,
Eudämon. u. Egoism. 1880. Vgl. Glückseligkeit.
JBvlieilierteniass die Lehre des Kyrenaikers Euhemerus, welcher den
(TÖtterglaaben aus der Verherrlichung menschlicher Heroen ableitet (Cicero,
De nat. deor. I, 42). „Ob merita virtutis aiU muneris deos habHos Euhemerus
exsequitur** (MiN. Felix, Octav. 21, 1). Eine partidle Wahrheit enthält der
noch heute von einigen vertretene Euhemerismus sicher. Vgl. Eeligion.
318 Etikolie — Eridens.
£ak olles Heiterkeit, FrohBinn. Gegensatz: Dyskolie (Stoiker).
CSukrasIe {eix^aata) : gute, normale Mischung der Säfte im Organismus.
Gegensatz: Dyskrasie (Galen, Opp. II, 609, IX, 331). Vgl. Temperament
CSapraxie (evnQaiia): Bechttun, richtiges Handebi. Es ist ein ethisches
Princip des Sokrates (Xen. Memor. III, 9, 14). Aristoteles stellt die
Eupraxie der SvcTtqa^ia gegenüber (Eth. Nie. I 11, 1101b 7; VI 5, 1140b 7).
Albertus Magnus erklart: ,,Eupraxia est eorum gut prosperantttr in boni
eleetione^' (Sum. th. I, 68, 4).
üaseble (evceßeta): Gottesfurcht
CSutiiyjDDile (sv&vfiia): Wohlgemutheit, Seelenruhe, Frohsinn, Seelen-
harmonie: nach Demokrtt das Endziel des Handelns, die wahre Glücksdigkeit
(reXos S'elvai tiJv ev&vfUaVy ov Ttjv avxrjv ovaav TJ7 ij8ov^ . . . aXXd xa& ?r
yakrjvwe xai evara&cjs rj ywx^ Sidyei vno fit^dsvos Ta^arrofitvTj tpoßov 1} Batci-
Satfiovias $ aXXov rivog Ttd&ovs' xaXel S'avr^v xai eveürto xal TtoXXole aXloa
OPOfiaai^ I^iog. L. IX 7, 45; t^v ^eif&vfiiav xai sveimo xai a^fioviav cvfif
fiex^iav te xai dxaqa^iav xaXeX, Stob. Ecl. II, 6, 76). Seneca nennt die
iv&vfiia „stabtletn animi sedem, tranquillitaiem" (De tranqu. 2, 3).
üutoiiles Spannkraft der Seele (Stoiker; vgl. L. Stein, PsychoL d.
Stoa II, 128).
BTldenx (evidentia): Augenscheinlichkeit, Einsicht, intuitiv fundierte
Gewißheit, unmittelbare Gewißheit des anschaulich Eingesehenen oder des not-
wendig zu Denkenden.
Epikur setzt alle Evidenz (ivd^yeut) in die Sinneswahmehmung (Diog. L
X, 52), die als solche immer wahr sei (l. c. 32; Sext Empir. adv. Math. WI,
203, VIII, 63 squ.). Descartes verlegt die Evidenz in die ,yKiarkeü mä
Deutlichkeit^^ (s. d.) des Denkens. Auch Malebranche erklart: „Eindenee ne
eonaiste que dans la vue elaire et distincte de toutes les parties et de totis les
rapports de Vobjet, qui sont necessaires pour porter un jvgement assure^^ (Bech.
I, 2). Leibniz erklärt die Evidenz als lichtvolle Gewißheit, die aus der Ver-
bindung von Vorstellimgen resultiert (Nouv. Ess. IV, eh. 11, § 10). Nach
Locke beruht alle Evidenz auf der Anschauung: „It is in tkis intuition thai
dependa all the certainly and evidence of all ottr knoicledg&*^ (Ess. IV, eh. 2,
§ 1). Collier (Clav. univ. p. 12) und die schottische Schule sprechen von
apriorischen (s. d.) „self-evident iruiha", von in sich evidenten Wahrheiten.
Nach Beid ist Evidenz alles, was einen Grund des Glaubens bildet (Ess. on
the int. pow. of man I, p. 323). d*Alembert bemerkt: ,jL'evtdence appartient
proprement aux idees doni Vesprii aper^oit la Haison totä d*un coup^'^ (Diso, prfl-
p. 51). J. Ebert: „Man pflegt diesige Deiälickkeit eines Satzes j die hinlänglich
isty die Wahrheit desselben einzusehen, Evidenx xu nennen" (Vemunftl. S. 127).
Bei Kant führt die Evidenz auf ein Apriori (s. d.) des EIrkennens zurück.
Vgl. Mendelssohn, Üb. d. Evidenz in metaph. Wiss., Ges. Schrift II.
Von einem „Evidenx- oder Überxeugtmgsgefühl" spricht Schleiermachek
(Dial., zu § 88). A. Lange beschränkt die immittelbare Evidenz auf die Banm-
anschauung (Log. Stud. S. 9 f.). Ulrici versteht unter Evidenz „die obfeetive
Denlmottcendigkeit" (Log- S. 32). Nach Siqwart bekundet sich im Bewußtsein
der Evidenz „die Fähigkeit, objectiv notwendiges Denken von nickt noUcendigem
XU unterscheiden"^ (Log. I*, 94). Wundt betont, daß „wie den einxelnen Bt-
EvideaB — Evolution. 319
standieilen des Denkens, den Begriffen, für sieh Evidenx xukommt, sondern daß
die ktxtere immer erst <ms der Verknüpfung der Begriffe hervorgehen kann"
(Log. I, 74). jfDie unmittelbare Evidenx unseres Denkens hat . . . ihre Quelle
stets in der unmittelbaren Anschauung** (1. c. S. 75). Doch ruht die
Evidenz, d. h. die logische Gewißheit, auf der Sicherheit der Denkergebnisse.
Das Denken muß „xwischen den Oliedem der Vorstellung hin und her gehen
und sie messend miteinander vergleichen, damit aus der Anschauung die Evidenx
hervorgehet*. „So ist überhaupt die Anschauung nur die Öelegenheitsursachs der
unmittelbaren Evidenx , der eigentliche Grund derselbeti liegt aber in dem ver^
knüpfenden und vergleichenden Denken** (1. c. 8. 77). Während sich die un-
mittellMire Evidenz auf das urspriingliche Denkmaterial bezieht, geht die mittel-
bare auf den bereits verarbeiteten Stoff (ib.). Schuppe setzt Evidenz und
Anschaulichkeit einander gleich (Log. S. 89). Bsbntano nimmt (wie schon
Herbabt, Allihn, Gr. d. allg. Eth. S. 38, u. a.) eine Evidenz der sittlichen
(b. d.) Urteile an (Intuitionismus, s. d.). Nach Husserl ist überall da von
Evidenzen im laxen Sinne die Bede, „tro immer eine setxende Intention (xumal
eine behauptende) ihre Bestätigung durch eine eorrespondierende und voll angepaßte
Wahrnehmung, sei es auch eine pausende SyrUhesis xusammenhängender Einxel-
Wahrnehmungen, findet** (Log. Unt. II, 593). Im engeren Sinne ist Evidenz
der Act der vollkonunensten „Erfüllungssynthesis** zur Intention (s. d.) (ib.).
Ihr objectives Correlat ist das Sein im Sinne der Wahrheit (ib.). Vgl. Gre-
wißheit.
CSvolutioiis Entwicklung von niederen, einfacheren zu höheren, com-
plicierteren, vollkommener angepaßten Seins- und Lebensformen.. Es gibt eine
physische und eine psychische (geistige), femer eine ethische, sociale,
sprachliche, philosophische, religiöse Entwicklung. Die biologische Entwicklung
beruht auf inneren und äußeren Factoren; zu den ersteren gehören: Organ-
betätigung, Übung, Willensintentionen aller Art, Vererbung allmählich er-
worbener und eingewurzelter Eigenschaften, zu den äußeren: Wechsel der
Lebensbedingungen, Kampf ums Dasein und Auslese. Die Auffassung der
Dinge unter dem Gesichtspunkte der Entwicklimg heißt Evolutionismus.
Die biologische Entwicklungstheorie überhaupt heißt Descendenztheorie
(Transmutationshypothese), die in verschiedenen Formen (Lamarekismus, Dar-
winismus u. a.) auftritt. — „Evolutio** kommt bei Nicolaus Cusanus vor, im
mathematischen Sinne („Linea est puncti evolutio**), „Auswickelung** findet sich
bei J. Böhme, „evolutum** und „involution** (im psychischen Sinne) bei
Leibniz.
Der Entwicklungsgedanke, dem in letzter Linie das Postulat der Con-
tinuität des Greschehens zugrunde liegt, ist sehr alt, wenn es auch zu einer
Entwicklungstheorie erst spät konmit. Im „ewigen Werden** des Heraklit ist
der Entwicklungsgedanke schon enthalten. Aus Feuer wird Wasser, aus diesem
Erde, dann wird alles wieder Feuer u. s. w. in infinitum (Diog. L. IX, 9).
Der Kampf ist der treibende Factor der Entwicklung (noXe/uoe nax^^ Trdvrwvj
Fragm. Mull. I, 44, 62). Nach Empedokles traten durch Urzeugung erst die
Pflanzen, dann die Tiere auf, und zwar so, daß sie stückweise entstanden (Tiere
mit Augen allein, Armen allein u. dgl.). Viele Mißbildungen entstanden durch
zufällige Vereinigungen; diese gingen zu Grunde, während die lebensfähigen
Fonnen sich erhielten und fortpflanzten (Plut, Plac. V, 19, 26; Aristot., De coel.
320 Evolutdon.
III 2, 300b 28; Simplic. Comm. zu De coeL 587 Heib.). Nach Demokrit und
Anaxaoorab entstanden die Organismen aus Schlamm (Diog. L. II, 9); so
auch nach Abistoteles. Nach Anaximakder ist der Mensch aus einer Tier-
art entstanden (^$ aXXoeidtSv ^oicav 6 av&^tonos iyeytn^S'rj, Plut., Vgl. Euseb.,
Praep. ev. I, 8, 2). Landtiere und Menschen gingen aus dem Wasser hervor
(wo sie fischartig lebten), indem sie sich den neuen Lebensbedingungen an-
paßten (iv i^d^otv iyyept'a^'ai ro nQwrov avd'^wnovg — xal x^fpivras — *al
yerofuvovs ucavovg eavrois ßoij&eiv ixßkti&fjvai Tijvixavra xal yrjg Xafiür^Mj
Phit, Quaest. symp. VIII, 1, 4; Plac. V, 19, 4). Speusipp betrachtet das Gute,
Vollkommene als Höhepunkt der Entwicklung (to xdlXiarov xai a^iarov foi h
a^XV «^^<<^ ^^^^^ ^^^ ^I 7, 1072 b 32). Eine bestandige Weltentwicklung
Idiren die Stoiker. Von den Neupiaton ikern und den von ihnen beein-
flußten Philosophen (Plottk, Dionybiüs Areopagita, Sootüs Eriuoena,
Eckhabt, Nioolaus Cusanus, G. Bruno, J. Böhme u. a.) wird eine Ema-
nation (s. d.) gelehrt — Betreffe Lucrez' s. Selection.
SwAMMERDAM,LEEUyENHOBK,MALPlGHi stellen eine yyPräformaiionstheoru^'
(s. d.) für die individuelle Entwicklung auf (Ovulisten, Animalculisten). Da-
gegen lehrt C. F. Woi^F die „Epigenese^^ (s. Präform.). Er erklart: „Evolutio
phaenomenofi est, quod, st essentiam eins et attribtUa species, omni quidem tem-
pore, cU inconspieuum, exiMü, denique vero, speciem prae se ferens, si nune
demum oriatur, quomodoeuTique eonspieuum redditur^* (Theor. gener. § 50).
Den Begriff der psychischen Entwicklung (von inneren Zuständen der Mo-
naden (s. d.) führt Leibniz ein (MonadoL 11, 22). Überall gibt es Entwicklung
und Einwicklung. „// semble qu'tl n'y a ni generation ni mort ä la rigueur^
mais seulement des depeloppements, augmentations ou diminuations des animaux
d4fä f armes'' (Gerh. IV, 474; Monad. 73; Theod. § 30; Princ. de la nat. § 6).
Eine stufenmäßige Entwicklung nimmt Robiket an ; auch Lessiko und Herder
machen sich den Entwicklungsgedanken zu eigen als historische, culturUche
Evolution.
Kakt ninunt eine Entwicklung der Erde imd des Sonnensystems aus einem
Gasballe an (Allg. Naturgesch. u. Theor. d. Himm. 1755; ähnlich Laplace,
Exposition du Systeme du monde 1796). Kant erklärt femer, die Analogie der
Lebensformen verstärke „die Vermutung einer wirklichen Veitoandtscluift der-
selben in der Erzeugung von einer gemeinschaftlichen Urmutter, durch die sttifen-
artige Annäherung einer Tiergattung xnr andern, von derjenigen an, in welcher
das Princip der ZwecJce am meisten bewährt xu sein scheint, nämlich dem
Menschen, bis xum Polyp, von diesem sogar xu Moosen und Flechten, und endlich
XU der niedrigsten uns merklichen Stufe der Natur, xur rohen Materie: aus
welcher und ihren Kräften nach mechanischen Oesetxen , . , die ganze Jkehnik
der Natur, die uns in organisierten Wesen so unbegreiflich ist, daß wir uns
dazu ein anderes Princip xu denken genötigt glauben, abzustammen scheint^
(Krit. d. Urt § 80). Man kann hypoüietisch „den Mutterschoß der Erde, die
eben aus ihrem chaotischen Zustande herausging (gleichsam als ein großes Tier)^
anfänglich OesehÖpfe von minder xweehnäßiger Form, diese wiederum andere^
welche angemessener ihrem Zeugungsplatxe und ihrem Verhältnisse untereinander
sieh ausbildeten, gebären lassen'' (ib.). Goethe lehrt eine „Metanwrphostf', be-
dingt durch den „Bildungstrieb" und äußere Einflüsse (WW. Hempel II, 230).
,j Alles, was entsteht, sucht sich Raum und wUl Dauer; desu>egen verdräng es
anderes von seinem Platz und verkürzt seine Dauer'* (WW. XIX, 212;
Evolution. 321
XXXIII, 121). Den höheren Typen liegt ein „Urbiid*' zugrunde (1. c. XXX,
261). Erasmus Dabwin erklärt: „Wenn ttnr die große Ähnliehkeit des Baues
bedenkefi, welche bei allen warmblütigen Tieren schon in die Augen falU . . ., so
kann man sieh des Schlttsses nicht enthaltefij daß sie alle auf ähnliche Art aus
einem einzigen lebenden Filamente entstanden sind." „ Von diesem ersten Rudi-
mente bis xum Ende ihres Lebefis erleiden alle Tiere eine beständige Umbildung,"
^Sollte es wM xu kühn sein^ sieh da vorzustellen, daß alle warmblütigen Tiere
mis einem einxigen Filamente entstanden sindj welches die erste große Ursache
mit Animalüät begabte^ mit der Kraft, neue Teile xu erlangen, begleitet mit neuen
Neigungen, geleitet durch Reizungen, Empfindung, Willen und Associationen,
und welches so die Macht besaß, durch seine ihm eingepflanxte Tätigkeit sich xu
tervoükommnen, diese Vervollkommnung durch Zeugung der Nachwelt xu über-
liefern" (Zoonom. sct. XXXIX, 4, 8). Die veränderten Lebensbedingungen
wkten anpassend auf die Lebewesen (Tempi, of nat). Infolge der „Über-
produetiofi" an Lebewesen herrscht ein Kampf um die Existenz (Zoonom.
XXXIX, 4 u. Tempi, of nat.). Lamabck ninmit an, dafi die höheren aus
niederen Arten abstammen. Die Ursachen der Transformation sind: directe
Wirkung der äußeren Lebensbedingungen, Kreuzung, besonders aber Gebrauch
and Nichtgebrauch der Organe, welche durch Übung verändert werden (Philos.
zooL 1809). G. St.-Hilaire erklärt die Umwandlung der Arten aus dem
Einflüsse der Umgebung, dem „monde ambiant".
Eine Entwicklung der Lebewesen lehrt in speculativer Weise die Natur-
philosophie der ScuELLiNoschen Schule, besonders L. Oken und Steffens.
SCHELLINO selbst erklärt: „Der gemeine Weltproceß beruht auf einem fort-
schreitenden . . . Sieg des Subfectiven über das Objective^* (WW. I 10, 231).
Eine dialektische (s. d.), logische „Entwicklung*^ lehrt Hegel. Alles Endliche
ist nur ein Moment (s. d.) im dialektischen Processe der Begriffsevolution des
Absoluten. Vom „An-sich" durch das „Anderssein" zum „Für-sich" und
^Anr-und-für-sieh" entwickelt sich der Geist (Encykl. § 442). Das Treibende
in allem ist der „Widerspruch" (s. d.), von einer Entstehung einer Form aus
einer andern ist nicht die Bede, das wäre eine „neindose Vorstelltmg" (Encykl.
^ 249). „Die Natur ist als ein System von Stufen xu betrachten, deren eine
aus der andern notwendig hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist,
aus welcher sie resultiert: aber nicht so, daß die eine aus der andern natürlich
erzeugt würde, sondern in der innem, den Örund der Natur ausmachenden Idee,
Die Metamorphose kommt nur dem Begriff als solchem xu, da dessen Ver-
änderung allein Entunckhmg ist" (NaturphlL S. 32 f.). „Die Entwicklung des
Begriffs . . , ist xu fassen als ein Setxen dessen, was er an sich ist," als
Äußerung, Heraustreten, Außer-sich-kommen, zugleich aber als jjn-sich-gehen ins
Genirwfn" (1. c. S. 39). Auch Schopenhauer sieht im Absoluten (Willen,
s. d«) den Quell aller Entwicklung. Auf das Konmien imd Gehen der Vor-
fitellnngen im Bewußtsein wendet Herbart den Begriff der Evolution und
Involution (s. d.) an (Psychol. II, § 136; vgl. Volkmann, Lehrb. d. Psychol.
I*, 460).
CuYiER (später Agassiz) nimmt Schöpfungskreise, niedere und höhere
Typen der Organismen an; er vertritt geologisch die „Ka^astrophentheorie^'.
Diese ersetzt Ch. Lyell durch die Ck)ntinuitätetheorie, durch die Annahme
einer ruhigen, stetigen Entwicklung der Erde. Heute macht man der Eiita-
Strophen theorie wieder einige Zugeständnisse.
PhilosophltchM WOrterbaob. 8. Aufl. 21
322 Evolatton.
Die Selectionstheorie (s. d.) begründet Cilarles Darwin (gleichzeitig
mit ihm Wallace). An Stelle der (biblischen) Lehre von der j,C(msianx der
Arten^^ setzt er die Anschauung, dafi Arten durch Stabilisierung von Varietäten
entstehen und neue Arten aus sich heraus erzeugen. Als Vorläufer seiner
Theorie nennt er Buffon, Laharck, G. St. Hilaire, £ra8Mü8 Darwin,
Goethe, W. C. Wells, W. Herbert, Grant, Matther, Buch, Rafinesqüe,
HALDEMAim, Owen, Freke, H. Spencer (s. unten), Naudin, Keyserling,
ScHAAFHAUSEN, K. E. V. Baer, Huxley, Hooker u. a. Für die Idee de*
Kampfes ums Dasein ist vorbildlich gewesen Malthüs (Essay on Population
1798), welcher lehrt, die natürliche Neigung der Menschen gehe dahin, sich im
geometrischen Verhältnis zu vermehren, während die Erhaltungsmittel nur im
arithmetischen Verhältnisse anwachsen. Darwin bekämpft die Ansicht, als
ob die Zweckmäßigkeit der Lebewesen durch Planmäßigkeit, Zweckursachen
entstanden sei. Sie ist vielmehr Resultat einer Entwicklung, die aUerdings
großer Zeiträume bedarf. Auch variieren nicht alle Arten einer Gattung, andere
erlöschen gänzlich. Die Zweckmäßigkeit der Lebewesen ist die Folge der
„Anhäufung unxäkliger geringer Veränderungen^^ im nützlichen Sinne (On the
orig. of spec. 1859, dtsch. von Haeck, Beclam, S. 621). In der Natur wirken
die Principien der künstlichen Domestication (1. c. 8. ()31). Es finden Variationen
von Lebewesen statt Unter ihnen sind solche, die für die Erhaltung der In-
dividuen nützlich sind. Im Wettbewerbe um die Existenz und die Lebens-
bedingungen fjfStruggle for lifsf*) erfolgt eine natürliche Auslese („natural
selection^^J, d. h. die lebensfähigen, gut ausgestatteten, bevorzugten Rassen er-
halten sich und pflanzen sich fort, vererben ihre Eigenschaften, und nach
wiederholter Wirkung der Auslese erfolgt eine Anpassimg der Lebewesen an
ihre (relativ) bleibenden Lebensbedingungen. „In dem Überleben der begünstigten
Individuen tmd Rassen im stets wiederkehrenden Kampf ums Dasein sehtn trir
eine mächtig und immer wirkende Farm der natürlichen Zuchtwahl. Der Kmnpf
ums Dasein erfolgt unvermeidlich aus der allen organischen Wesen getneinsamen
hohen Vermehrung im geometrischen Verhältnisse. . . , Es tcerden mehr Einxel-
wesen geboren, als möglicherweise fortwähren können ... Da die Einxelwesen
einer und derselben Art in jeder Beziehung in engsten Mitbetcerb xueinander
treten, so wird getvöhnlich der Kampf xicischeti ihnen am heftigsten sein.^* „Bei
Tieren mit gesofukrten Oeschlechtem ttird in den tneisten Fällen ein Kampf der
Männchen um den Besitx der Weibchen stattfinden" (1. c. S. 632 = sexuelle
Auslese, „selectioti in relaiion to sea^% Die Tendenz der natürlichen Auslese
ist, die am meisten divergierenden Nachkommen einer jeden Art zu erhalten
(1. c. S. 635). Große oder plötzliche Modificationen kann sie nicht hervor-
bringen (1. c. ö. 636; dagegen die „Mutationstheorie" von DE Vries). Jede
einmal erworbene Eigentümlichkeit ist lange erblich, (ib.). Die Zuchtwahl der
Natur paßt inmier nur relativ, den jeweiligen Lebensbedingimgen, an (1. c.
8. 637 f.). Die Production von Varietäten (und Arten) scheint bedingt zu sein
durch: physikalische Bedingungen (directe Anpassimg), femer: Gebrauch imd
Nichtgebrauch der Organe , wobei die „correlative Veränderung^ eine Rolle
spielt, auch Migration (1. c. S. 638 ff.). Die Auslese ist das Haupt-, aber nicht
das einzige Mittel der Variation (1. c. Ö. 647). Alle höheren Tierformen stammen
schließlich von vier bis fünf Vorfahren ab, vielleicht haben sich Pflanzen und
Tiere aus einer Urform entwickelt (1. c. S. a52). Die Gesetze der Variation
sind also: „Wachstum nebst Fortpflanzung, ErblicMeit, die fast in der Fort-
Evolution. 323
pfUmxung enthalten ist; Variabilität xu folge indireeter und direeter Wirkungen
der Lebensbedingungen, und Gebrauch und Niehtgebraueh; ein so hohes Ver-
mekrungsmaßy daß es xum Kampf ums Dasein fuhrt, und infolgedessen xur
natürlichen Zuehttcahl die Divergenx des Charakters und Erlöschen der minder
verbesserten Formen enthält* (1. c. S. 659; vgl. C. 2, 3, 4, 5). Zu den Anhängern
Darwins gehören viele Naturforscher und Philosophen, besonders in England
{vgL Überweq-Heikze, Gr. d. Gesch. d. Philos. IV», 439); in Deutschland
besonders £. Haeckel (s. Biogenet. Grundges.), Cabus Sterne (E. Kkause),
0, Caspabi u. a. „NeO'Darwinismus** heißt die Lehre A, Weismanns, nach
der es keine Vererbung erworbener Eigenschaften gibt; das ,yKeimplasma^^
yariiert infolge der natürlichen Auslese (Das Keimpl. 1892; später Concessionen
an die Lehre von der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften, wie diese von
Haeckel, Eimer, Hertwig, Bomanes, Eibot u. a. vertreten wird). — Mit
der Constanztheorie (bezy^ dem Piatonismus, s. d.) verbinden den Ent-
wicklungsgedanken in verschiedener Weise Teichmüller (Darwin, u. Philos.)
und O. LiEBMANK (Anal. d. Wirkl., und Piaton. u. Darwin., Philos. Monats-
hefte IX, 1873. S. 441),
Gegen die „Aümttcht^* der Belectionstheorie erklaren sich verschiedene
Forscher, die im übrigen dem Evolutionismus huldigen, aber auch innere Fac-
toren der Entwicklung und eine directe Anpassung (s. d.) annehmen, teilweise
sieh den Ansichten Lamarcks nahem (^yNeu-Lamarekismu^^), Nach H. Spencer
ist das „Überleben des Passendsten^* eine mitwirkende, aber nicht die Haupt-
UFBache der Entwicklung, die vor allem auf der directen Wirkung der Lebens-
bedingungen beruht (Psychol. I, § 189). Entwicklung überhaupt ist die Gesetz-
mäßigkeit des Seienden. In der Evolution zeigt sich eine Ansammlung
(Integration) der Materie und eine Ausbreitung (Dissipation) der Bewegung; in
der Difisolution tritt eine Absorption von Bewegung und eine Zerstreuung von
Materie ein: „Evolution under its simplest and most general aspect is the inte-
gration of matter and eoncomitant dissipation of motion; white dissolution
is the absarption of motion and eoncomitant disintegration of matter^*
(First Princ. § 97). Es gibt eine „simple** and „composed evolution** (L c. § 98).
Von unzusammenhangender Gleichartigkeit geht die Entwicklung zu zusammen-
hängender Mannigfaltigkeit über, das Homogene differenziert sich, und die
Mannigfaltigkeit integriert sich zu einer höheren Einheit u. s. w. Das gilt für
das Anorganische, Organische, Psychische und Sociale (Psychol. I, § 75 u.
Princ. of Sociology I). Mit der Psychologie (s. d.) und Metaphysik verbinden den
E?olutionismus Sully, Komakes, J. Groll, J. C. S. Schiller u. a,, mit der
Ästhetik Graiit Allen, mit der Ethik (s. d.) Leslie Stephen, S. Alexander
u. a., mit der Sociologie (s. d.) B. Eidd, Lubbock, Tylob, mit der Keligions-
phüosophie (s. d.) E. Caird, M. Mü^ller u. a. Auf die Sprachwissenschaft
wenden den Evolutionsbegriff an Schleicher u. a. Einen geistigen Evo-
Intionismus (vermittelt durch „id^e-forees**, s. d.) Idirt A. Fouillee (ähnlich
DüRAHD DE Gros, Guyau). Simmel: „Es ist aUenthalben das Schema höherer
Entteieklungsstufen, daß das ursprüngliche Aneinander und die unmittelbare
Einheit der Elemente aufgelöst wird, damit sie, verselbständigt und voneinander
abgerückt, nun in eine neue, geistigere, umfassendere Sy^nihese vereinheitlicht
werden** (Philos. d. Geld. S. 517),
Eine Entwicklung der Welt in zweckmäßiger Weise nimmt Czolbe an
(Gr. u. ürspr. d. m. Erk. S. 176), so auch L. Geiger, L. Noire, Carnert
21*
324 Evolution.
(Sittl. u. Darwin. S. 17 ff.). Nach E. v. Hartmann ist die natürliche Aus-
lese „geeignet^ das mit der Umgebmig nichi Harmonierende xu beseüigen tmd
nur das mit der Umgebung Harmonierende beateften xu lassen^^. Sie wirkt aber
nur negativ, setzt die Existenz des Zweckmäßigen schon voraus (KategonenL
S. 460 ff.). In der organischen Natur ist es „offenbar, daß das Zweckmäßige,
was in der Auslese sieh bloß bestandfahig erweist, aus einer unbewußten Ab-
änderutigstefidenx stammt^ die nach Richtung und Intensität beschränkt ist wtä
final bestimmt sein muß, um xu einer Steigerung der Orgofiisaiianshöhe xu
fiUvren'^ Der Kampf ums Dasein ist nur ein „Handlanger der Idee'^ (L c
S. 461 ; Philos. d. Unbew. III", 331 ff.). Ähnlich lehrt ItoNKE (EinL in d
theoret. Biol.). Wundt betont, die „Auslese^^ setzt schon Zweckmäßigkeit vor-
aus, um ansetzen zu können, sie ist nur ein ,,Hüfsprineip^^ , Die organische
Entwicklung ist das Erzeugnis äußerer und innerer Factoren, die Selbsttätigkeit
der Organe spielt hierbei eine wichtige EoUe. D|p Anpassung erfolgt durch
wiederholte, sich vererbende functionelle Übung von Generationen. Allmählich
erworbene, beharrlich gewordene Abänderungen müssen vererbt werden. Ver-
möge der „Heterogofiie der Zwecke" häuft sich die Zweckmäßigkeit, ohne dafi
ein Vorauswissen, Vorauswollen des Endstadiums nötig ist (Syst d. Philos.*,
S. 315 fL, 542 ff.; Log. 1«, Ö, 659, II«, 1, S. 551 ff.; Grdz. d. phys. Psycho!
II^ 642 f. ; Eth.^ S. 206). Die physische Entwicklung ist die Wirkung einer
psychischen, durch Trieb und Willen bedingten allgemeinen Evolution. Der
Wüle (s. d.) ist der Erzeuger objectiver Naturzwecke. Die Willensimpulse sind
das primum movens, sie modificieren die Lebensweise, diese Modificationen be-
festigen, mechanisieren, vererben sich (Syst d. Phil.*, S. 322 ff., 329 ff.). Die
organische ist die Vorstufe der geistigen Entwicklung des Menschen (Gr. d.
Psychol.*, S. 335 ff.). Die geistigen Entwicklungsgesetze sind: das Gesetz des
geistigen Wachstums, der Heterogonie der Zwecke (s. d.), der Entwicklung in
Gegensätzen (s. d.). B. Hameklino betrachtet als Principien und Hebel der
Entwicklung den Lebenswillen als Gestaltungstrieb, das Bestreben der Wesen,
ihren Ziu^tand im Sinne der möglichst geringen Unlust und der möglichst
größten Lust zu verbessern, die Anstrengung der Organe (Übung), den Kampf
ums Dasein, das M. WAONERsche Migrationsprincip (Atomist d. WilL 11, 1^).
Jgdl erklärt: „Der bewußte, denkende Wille des Menschen ist nicht bloß Produd
der Welt, sondern auch Faetor, eine Kraft unter andern Kräften, Die Epoiutüm
des Menscheti ist nicht . . . das Werk blinder Naturkräfte . . ., sondern das Er-
gebnis stetigen Zusammenwirkens der blinden Naturkräfte mit den sehend ge-
wordenen Naturkräften, d, h, menschlichen Zweckgedanken" (Lehrb. d. PöychoL
S. 160). L. Stein überträgt den Evolutionsgedanken auf die geistigen Vor-
gänge (An d. Wende d. Jahrh. S. 21). Über sociale Auslese handeln
GiZYCKi (Moralphilos. S. 516), O. Ammon, A. Tille, K. Jbntsch (Social-
auslese) u. a.
Gegen die Allgemeinheit des Kampfes ums Dasein erklärt sich E. Dühbeng.
„Äußerstenfalls findet eine Art gegenseitiger Abgrenxwng statt, indem eigene Be-
reiche gegen fremde Äusnüixung verteidigt loerden" (Wirklichkeitsphüos. 8. 98 1).
BoLPH setzt statt des Kampfes ums Dasein aU Entwicklungsprincip den ,yKampj
um Mehrerwerb", Kampf um Lebensmehrung (Biol. ProbL*, 1884, S. 97). In
der Ethik wird er zum Kampf um Bevorzugung, Macht u. dgl. Das „Straten
nach stetiger Verbesserung der Lebenslage ist der eharakteristiscfie Trieb ton
Ti(r und Mensch" (1. c. S. 222 f.). Nietzsche betrachtet als Lebensziel dai
Evolution — Ewigkeit. 325
Willen zur Macht. Die OrganismeD kämpfen um Macht, Vorrang, Ausbeutung.
Die von innen her gestaltende Grewalt, welche die äußeren Umstände ausnützt,
ist der treibende Factor der Entwicklung. Selection ist nicht von tiefer und
dauernder Wirkung; jeder Typus hat seine Grenze, über die er nicht hinaus
kann. Zufällige Variationen können nicht von Vorteil sein. Der Kampf ums
Dasein ist „nur eine Ausnahme ^ eine xeii weilige Restrietion des Lebensudllens ;
der große und der kleine Kampf dreht sich dllerv^alben mns Übergetvichty um
Wachstum und Ausbreitung, um Macht, gemäß dem Willen xur Macht, der eben
der Wille des Lebens ist'' (WW. V, S. 285, XV, 296, 303, 314 ff., 317, 319,
322 f., VII, 2, S. 370 ff.). — Xach Stumpf ist „einer im ganzen stetig fort-
sehreitenden Entwicklung auf physischem Gebiet eine unstetige auf psychischem
zugeordnet^' (Der Entwicklungsged. S. 58). E^ gibt einen „Entwicklungsplan"
(Kölliker), „ein solches mechanisches Verhältnis gegebener Elemente, dem-
zufolge sie sich xu xtceckmäßigen Endgebilden weiter entunckeln können bex,
müssen" (1. c. S. 63). L. Busse betont die Bolle, die Wille und Gefühl im
Kampf ums Dasein imd für die Anpassung spielen (Geist u. Körp. 8. 244 f.).
Wir haben „eine unstetige — deshalb doch nicht planlose und ungeordnete —
Entwicklung auf der psychischen Seite, verknüpft mit einer stetigen und cdl-
mähliehen Entwicklung auf der physischen Seit&^ (1. c. S. 476 f.). „Nicht aus
primitiven psychischen Atomen gehen die höheren geistigen Wesen hervor, sondern
mit bestimmten Stufen, welche die Entwicklung in ihrem fortechreitenden Gange
erreicht, ist das Auftreten neuer, aus den bereits vorhandenen Formen nicht
folgender Formen geistigen Lebens verknüpft", die nun die physische Entwicklung
beeinflussen (I.e. S.477). Vgl. Erkenntnis, Ethik, Psychologie, Sociologie, Selection.
ISTolationisma» s. Evolution, Ethik.
CSwl^lKelts unbegrenzte Dauer, zeitloses Sein. Im Begriff des (absoluten)
Sems Uegt schon das Nicht-entstanden-sein und Nicht-zunichte-werden, die Be-
harrung, das Währen durch alle Zeit hindurch. Die Zeit betrifft nur das
Geschehen, nicht das Seiende, den Gnmd (die Substanz) des Geschehens. Der
Begriff der Ewigkeit beruht auf einem logisch-ontologischen Postulat.
Die Eleaten Idiren die Ewigkeit des Seins (s. d.). Nach Xenophakes
ist nur das einzelne Ding vergänglich (Ttdv ro ytvo/usvov f&a^ov ian, Diog.
L IX, 19). Herakltt lehrt ein ewiges Werden (s. d.). Die Welt war immer,
immer wird sie sein (Mull. Fragm. I, 20), ewig ist das Gesetz des Werdens
(1. c. 8). Ewig ist das Apeiron (s. d.) des Anaxim ander, ewig sind die Atome
(s. d.) des Demokrit, die Ideen (s. d.) Platos (Phaedo 211 A, B; dei öv,
ntHttov, aitav: Lach. 198. D, Men. 86 A, Tim. 29 A). Aristoteles versteht
TmtCT Ewigkeit (aicav) das unvergängliche, die Zeit einschließende Sein (t6 ydo
xiXoi t6 Tfe^it'xor tov xfjs ixdarov ^ca^e X9^^^^* ^^ firi^ev i%(o natd tffvüiv, aitav
Inder ov xäx?,ijTai, De coel. I 9, 279 a 24). Das Ewige wird von der Zeit nicht
berührt (xa dei ovra, f] dei ovra, ovx iariv iv x^ovtp, ov yd^ Ttegie'xerat vno
XQOvoVf ov8e fier^eiTa$ ro elvai alrtav vtto rov XQOvov, Phys. IV 12, 221b 4).
Das Weltall ist ewig {pvre yiyovev 6 Ttde ov^avos ovT ivSexerat f&a^f/Vai, dXX*
£üriv eh 9cai dtSioe, d^x^"^ f^^ ^^^ relevrrjv ovx k'x<ov rov tiuptos aitSvos, ^x^"^
Si xai Txe^tixotv iv avri^ rov dnet^ov ;f(>oVav, De coel. II 1, 283 b 28). Ewig
ist Gott (s. d.), der unbewegte Weltbeweger {rov &e6v elvai J^Jov dtSio^' d^tarov,
Met. XII 7, 1072 b 29). Ewig ist die kreisförmige Himmelsbewegung (De gener.
et eorr. II 11, 338 a 18). Die Stoiker lehren die Ewigkeit des nvevfia (s. d.),
326 Ewigkeit.
der Weltflubetanz (äfd'agTog itm xai ayet^roe, Diog. L. VII, 137); ewig ist
auch die Wiederkehr des Gleichen, die Apokatastasis (s. d.). Nach Plotin
ist die Welt ewig, denn die Zeit (s. d.) entstand erst in und mit der Welt
Ewigkeit ist „Leben, das identisch bleibt y welches das Oanze stets gegenwärtig
hat", ewig ist, „icas tceder war noch sein tcird, sondern fmr ist, also das Sein
in völliger Ruhe ohne bevorstehenden oder dagewesenen Übergang in der Zukunft
hat^^ (Enn. II, 7, 3). BofiTHius definiert Ewigkeit als „nunc stans^y yyinter-
minabilis vitae tota simtd et perfecta possessio^^, „Sempiteniittis et aetermtas
differunt. Nunc enim stans et permanens aetemitatem faeü; nunc currens in
tempore sernpiternitatem," Grott ist ewig, die Welt nur unbegrenzt dauernd
(Ck>nsoL philos. V).
Origenes lehrt eine „creatio eontinua" (s. Schöpfung) d^ Welt Nach
Augustinus ist die Welt in Gott ewig gewesen, da die Zeit erst mit ihr ent-
stand. jjSi rede discemuntur aetemitas et tempus, quod tempus sine aliqua
mobili mutabilitate non est, 4f% aetemitaie autem nulla tnutaiio est, quis wm
videatf quod tempora non fuissent, nisi creatura fieret, quae aliquid aliqua
ttnotione mutaret^^ (De civ. Dei XI, 4, 6; Confess. XI, 11). Die Ewigkeit da*
Welt behaupten Nemebius, Avigenka, AvebroSs u. a. Gilbertus Porbb-
TAirus erklart: f, Aetemitas est mora indeßciens et immutabilis," Nach Bichabd
VON St. Victor ist Ewigkeit ,4^uiwmilas sine initio, carens omni nnUabilitate"
Albebtus Magnus bestimmt das „aevum" als y,niensura eorunty quae facta
S'unt, sed finem non habent** (Sum. th. I, qu. 23). Ewig ist nur Gott, der durch
und in sich ist (1. c. II, 1, 3). Wäre die Welt ewig, so würde sie Gott gleichen.
Dagegen ist Thomas, doch ist es Glaubenssache, die Erschaffung der Welt (mit
der Zeit zugleich) anzunehmen. „Detts est omnino extra ordinem temporis^' (in
I. perih. 1, 14 f.). Das „aerum" ist die Dauer der unvergänglichen Dinge,
nicht Zeitlosigkeit. So auch Suabez (Met. disp. 50, sct. 5, 1). „Aetermtas
essentialiter est durativ Uüis esse, quod essentialiter includit omnem perfeetionem
essendi et cmisequenter omnem actum seu intemam opercUionem talis entis^
(1. c. 50, sct. 3).
Nach G. Bbuno ist das All ewig, nur dessen Gestaltungen sind vo'gäng-
lieh (De la causa V). Hobbes definiert Ewigkeit als „non temporis sine fkte
successio, sed nunc stans'^ (Leviath. 46). Descartes läßt die Frage nach der
Ewigkeit der Welt unentschieden. Spinoza betrachtet die Substanz (s. d.) als
ewig, als in und durch sich seiend. „Per aetemitatem intelligo ipsam existentiam,
quaienus ex sola rei aetemae definitione necessario sequi coneipitur^^ (EtL I,
def. VIII). „Ad naturam substantiae pertinet existere^^ (1. c. prop. VII), denn
sie ist „causa sui" (s. d.). „Substantia fwn polest produci ab alio; erü itaque
causa sui, id est ipius essentia inrolrit necessario existentiam, sive ad eius
naturam pertinet existere^* (1. c. dem., vgl. Ep. 29). Auch die Attribute (s. d.)
der göttlichen Substanz sind ewig. „Deus sive otnnia Dei cUtribttta sunt aetema''
(1. c. prop. XIX). „Dei omnipotentia actu ab aeterno fuit et in aetemum in
eadem actualitate 7nanebif' (L c. prop. XVII). „Atqui ad naturam »ubstantiae
pertinet aetemitas; ergo mntmquodque attribtäorum aetemitatem inrolvere debet,
adeoque omnia sunt aetema^' (1. c. prop. XIX, dem.); „sequitur Deum sire
omnia Dei attrü>uia esse immutabilia*^ (1. c. prop. XX, corolL II). Die Ver-
nunft (s. d.) betrachtet alles, die Dinge in ihrer ewigen Notwendigkeit, ,^
quadam aetemitatis speeie*^, so, wie sie dem gottlichen Urgründe folgen (1. c,
II, prop. XLIV), d. h. zeitlos (De emend. int.), so wie sie in Gott ideell sind.
Ewigkeit. 327
^fRes duobua tnodis a nobis vi actucdes eancipiunturf vel quatenus eadem cum
reiatiane ad eerium tempua ei locum existere, vel quatenus ipsas in Deo eontmeri
€t ex nahirae divinae necessttaie eofisequi condpimus. Quae autem hoc secundo
modo ut verae seu reales condpiuntur, eas aub aeternüatis speeie eonctpimua,
et earum ideae aetemam et infinitam Dei essentiam involtnmt" (Eth. V, prop.
XXIX, BchoL). Ewigkeit ist nicht mit Dauer (s. d.) zu verwechseln. „Talis
enim existentia, ut aeiema veritasy sicut rei essentia condpüur, proptereaque per
duroHonem aut tempus explicari non potesi, tametsi duratio principio et fine
earere eoncipiatur*'^ (1. c. I, def. VIII, explic).
Nach Locke gelangt man zur Idee der Ewigkeit durch das Vermögen,
Vorstellungen von Zeitlangen, so oft man will, in Gredanken zu wiederholen,
ohne hierbei zu einem Ende zu kommen (Ess. II, eh. 14, § 31). Nach Ck)X-
DiLLAC entsteht die Idee der Ewigkeit, indem wir eine Dauer als unbestimmt,
ohne Anfang und Ende auffassen (Tnut. d. sensat. I, eh. 4, § 14). Nach
Leibniz entspringt der Ewigkeitsbegriff nicht aus den Sinnen (Nouv. Ess. II,
ch- 14, § 27). Evrig ist Grott, ewig werden die Monaden von Oott geschaffen
{MonadoL 6, 47), ewig bleiben sie, im Wandel ihrer Complexionen , bestehen
<1. c. 76 f.). — Kant sieht in der 25eit (s. d.) eine subjective Anschauung , daher
muß er das Sein als ewig (zeitlos) setzen (s. Antinomien). Schelunq bestinmit
Ewigkeit als „Sein in keiner Zeit" (Vom Ich S. 105 f.), Hegel als „absolute
2jeitlostgkeit^ des Begriffes, Geistes (Naturphil. S. 55). Der dialektische Proceß
des Absoluten ist ewig, setzt erst die Zeit (s. d.). Das Endliche ist vergänglich,
zeitlich. yjDer Begriff aber, in seiner frei für sieh existierenden Identität mit
sieh. Ich = Ich, ist an und für sich die absolute Negativität und Freiheit, die
Zeit dcJier nicht seine Macht, noch ist er in der Zeit und ein Zeitliches, sondern
er ist vielmehr die Macht der Zeit, als welche nur diese Negativität als Äußer-
lichkeit ist. Nur das Natürliche ist darum der Zeit Untertan, insofern es endlich
ist; das Wahre dagegen, die Idee, der Oeist, ist ewig,^^ „Der Begriff der Ewig-
keit muß aber nicht negativ so gefaßt werden, als die Äbsiraction von der Zeit,
daß sie außerhalb derselben gleichsam existiere" (Encykl. § 258). K. Rosen-
KRANZ erklärt : „Die Zeit als absolute Jbtalität gedacht, wie sie ohne Anfang utui
Ende mit dem absoluten Continuum des Raumes identisch ist, also das Ab-
stractum ihres Begriffs, das weiter keine Bestimmung zuläßt, nennen toir Ewigkeit**
(Syst. d. Wies. S. 192). Wer ein Absolutes annimmt, bestimmt dieses als ewig
(Schopenhauer, Fechner, E. v. Hartmann, H. Spencer, E. Haeckel,
WüNDT u. a.). Nach Lotze hat nur das Wertvolle Ewigkeit (Psychol. § 81).
Ähnlich wie Herbart (Psych, als Wiss. II, § 148) erklärt Volkmann: „Die . . .
nach beiden Seiten hin über jede Grenxe hinaus construierte leere Zeitreihe nennen
uir die Ewigkeit, Sie ist . . , das Vorstdlcfi eines Vorstellens, d. h. ein Oefühl.
Die Ewigkeit ist ein, ja das dem reineti Begriff der Zeit gemäß construierte
ikhema: der Begriff der Zeit ist der Begriff des Naclieinander , und die Vor-
stellung der Ewigkeit ist der Versuc/i, dies Nacheinander in eitler Anschauung
darzustellen** (Lehrb. d. Psychol. II*, 29). G. Spicker betont: „Der Begriff
jEwigkeit* schließt . . . die Zeitlichkeit aus; man kann sich darunter nichts anderes
Torstellefi, cds ein Sein mit dem Attribut der Aseität, d. h. eine absolute Realität,
die sich aus keiner höheren Ursache ableiten läßt, sondern die Kraft xu existieren
in sieh selbst trägt** (Vers. e. n. Gottesbegr. S. 106 f.). Nach O. Caspari ist
Ewigkeit nicht Zeitlosigkeit, sondern „die real fortschreitende eicige Zeit** (Zu-
sammenh. d. Diage S. 170). Eenouyier (wie Dühring) nimmt nur eine
328 Ewigkeit — Exolusi tertii (medii) principium.
- - - - ■ ■* - -
Ewigkeit a parte poet, nicht a parte ant€ an; es gibt einen Anfang der
Phänomene (Nouv. Monadol. p. 16). Vgl. Zeit, Unendlich, Schöpfong, Materie.
£xaets vollendet, genau. £xacte Wissenschaften im engeren Sinne
sind nur diejenigen, die auf Mathematik (und Logik) direct beruhen, im weiteren
alle Disciplinen, in welchen Gesetze (s. d.) sich aufstellen lassen.
Leibniz spricht von „idees exactes^^, „gut consistefit dans les de^iüion^
(Nouv. ess. II, eh. 9). Berkeley halt es ,junter der Würde des Oeisies", „fdi-
xusehr nach Exactheit in der ZurüekfÜkrung jeder einxelnen Erscheinung auf
aUgetnetne Oesetx£ oder in dem Nachteeise , wie sie aus denselben folge, nt
streben^^ (Princip. CIX). E. DtJHRiNG bemerkt: „Dte tcaJire Exactheit, also
Genauigkeit in emefii allgemeineren Sinne des Wortes, 7nuß sich überall schaffen
lassen, wo man sich nur entschließen will, redlich das, was man weiß, ton dem
XU unterscheiden, was man nicht weiß, und die Art, wie und woher man etwas
weiß, genau festxusteUen und amugeben" (Log. S. 24; vgl. Biehl, Phil- Krit.
II, 2, S. 23; LiEBÄLA.NN, Anal. d. Wirkl.«, S. 282).
SSxaltaUons Aufgeregtheit, Übererregimg, Vorwalten der errufenden,
sthenischen Affecte (Wündt, Gr. d. Psychol.*, S. 327). Mit den Depression?-
(s. d.) bilden Exaltationszustande charakteristische Symtome allgemeiner psychi-
scher Störungen (vgl. Keaepelin, Psychiatrie I*).
CSxc^iitriflelieii Empllndang^, Oeaetz der, s. Projection.
üxclusl tertii (imedii) principiom: Satz vom ausgeschlossenen
Dritten (Mittleren) : A ist B oder Nicht-B, ein Drittes ist unmöglich. Von zwei
Urteilen, die einander contradictorisch entgegengesetzt sind, muß eines wahr
sein; es können nicht beide Urteile zugleich und in derselben Beziehung wahr
oder falsch sein. Der Satz folgt unmittelbar aus dem Satze des Wider-
spruches (s. d.).
Schon Aristoteles spricht das Princip aus : tcSv S* dmxsmt'viov dvTitfdcton
fjLtr oix iari fiera^v (Met X 7, 1057 a 33). Bei den Scholastikern findet es
sich wiederholt (vgl. Prantl, G. d. Log. IV). Nach G. E. Schulze drückt der
Satz „diejenige Einrichtung des Verstandes aus, vermöge icelcher der einander
unmittelbar entgegengesetxten Begriffe immer nur xicei (nicht drei, non daittr
tertium, oder noch mehrere) möglich sind^' (Grunds, d. allg. Log.», S. 34). Nach
Fries lautet der Satz: „Jedem Gegenstand kommt entweder ein Begriff oder
dessen Gegenteil xu*' (Syst. d. Log. S. 176). Nach Hegel : „ Von zwei enigegen-
geseixten Prädicaten kommt dem Etwas nur das eine xu, utid es gibt kein Drittes''
(Encykl. § 119). „Der Satx des ausgeschlossenen Dritten ist der Safx des be-
stimmten Verstandes, der den Widerspruch voti sich abhalten will und, indem er
dies tut, denselben begeht A soll entweder -\- A oder — A sein; damit ist schon
das Dritte, das A ausgesprochen, welches weder + fioch — ist, und das eben^
sowohl auch als + -^ wwrf als — A gesetxt ist" (ib.). Herbart erörtert den
Satz ausführlich (De princ. leg. excL med. 1833). ScHOPEiOfAUER formuliot:
„Jedem Subject ist jegliches Prädicat entweder beixulegen oder abxuspreehen.'"
„Hier liegt im Etäweder-Oder schon, daß nicht beides zugleich geschehen darf
folglich eben das, was die Gesetxe der Idetitität und des Widerspruches besagen:
Diese würden also als Cor ollarien jenes Saixes hinxukommen, welcher eigentlich
besagt, daß jegliche xwei Begriffssphären entweder als vereint oder als getrennt
XU denken sind, nie aber als beides zugleich^* (W. a. W. u. V. II. Bd., C 9).
Nach SiGWART besagt der Satz, „daß von xwei contradictorisch etitgegengesefxien
Xixoltisi tertii (medii) prindpiuni — Experiment. 329
Urteüen das eine notwendig wahr ist" (Log. I, 196); Dach B. Ebdmann: j,Wenn
eifi bejcLhendea Urteil als wahr gegeben ist, so ist das underspreckende verneinende
falseh und umgekehrt" (Log. I, 366). Wundt beßtimmt den Satz als „Qrund-
geseix der di^unetiven Urteile". ,jln der Formel ,A ist entweder B oder non~B^
ist das Ideal einer logischen Disfunction aufgestellt^ insofern die Begriffe B tmd
fum-B einerseits sehleehthin voneinander verschieden sind, anderseits aber
ein dritter Begriff xtviscketi ihnen nicht existiert** (Log. I, 509). Schuppe meint,
es lasse sich ,,hei der Unbestimmtheit der Begriffe und der Mehrdeutigkeit der
Worte nur behaupteti, daß jeder in einem Oanxen ins Auge gefaßte Einxdx/ug
mit jeder Prädieaisvorstellung entweder identisch ist oder nicht" (Log. S. 43).
Nach ScifDBERT-SOLDERN spricht der Satz nur aus, daß ,^wei Inhalte oder die
Beziehungen zweier Inhalte entweder vereinbar oder unvereinbar, trennbar
oder untrennbar, unterscheidbar oder ununterscheidbar seien" (Gr. e. Erk. S. 175).
VgL HAOEMAifN, Log. u. Noet.*, S. 23).
ExdoslTe Urteile („propositiones exclusivae") heißen Urteile, die einem
Subject mit Ausschluß aller andern ein Prädicat zuschreiben („nur S ist P*^J,
Exemplarii»clis urbildlich, vorbildlich (so bei Kant, Krit. d. Urt. § 17).
Exercitatlon s. Übung.
Exlstentlal s. Sein.
BxlBteiitialg^effilil s. Sein.
ExlsientialltJlt: Wirklichkeitscharakter.
CSxiBieiitlalarteile sind Urteile, welche die Existenz, das Sein (s. d.)
eines Objects aussagen, behaupten: A ist, existiert, es gibt ein A, d. h. A gehört
zur Klasse der vorfindbaren, physischen oder psychischen Wesenheiten, nicht
zu bloßen Wörtern oder Phantasieproducten. Vgl. Sein.
ISx mere neg^atlTls et particalaribas niliil Sequilar: Aus
lauter particular verneinenden Prämissen ist kein richtiger Schluß zu ziehen.
ESxoteriseli (iiatxi^ixoi, nach außen hin; Abi8TOTELE8, Top. VIII 1,
151 b 9): „für die Außenstehenden, Xicht-Eingeweihten, Laien*^, „populär", Ari-
stoteles versteht imter dScme^txoi Xoyoi „außerphilosophische, d, h. nicht streng
philosophische, wenigstens nickt streng methodische Erörterungen, ohne Rücksicht
darauf, ob sie von ihm oder anderen angestellt waren" (Übebweg-Heinze, Gr.
d. Gesch. d. Philos. P, 228). „Exoterisch" heißen die dialogisch verfaßten
Schriften des Abistoteles im Unterschiede von den „esoterischen". Das Wort
y^oterisch" bedeutet jetzt so viel wie fachlich, in die Tiefe gehend.
Experientias Erfahrung (s. d.), Kunde, Forschung.
EIlEperiment (experimentum, Erfahrung, Versuch): willkürliehe, plan-
inaßige Beobachtung imter künstlich hergestellten Bedingungen; Herstellung
Ton „Wirkungen", um daraus die bestimmten Ursachen, von „Ursachen," um die
Wirkungen kennen zu lernen. Das Experiment wird in den Naturwissenschaften
und in der Psychologie verwandt.
Experimente werden schon im Altertum angestellt, auch im Mittelalter
(.\lchymie), systematisch erst seit dem 17. Jahrhimdert. Auf die Notwendig-
keit des Experimentieren s weisen philosophischersei ts im Mittelalter ALBEBTrs
Magnus, Rogeb Bacon, J. Bubidan, später Pabacelsus, L. Vives, Galilei
330 Experiment — Ex praecognltis et praeconeesais.
u. a. hin, dann Descartes, besonders aber F. Bacon. Nur der methodische
Versuch hat Wert (Nov. Organ. I, 70, 82, 100). Eine Vergleichung der Fälle
nach gradweisen jjnsianzen^^ (s. d.), endlich die Bestätigung diut^h das ,^Jcp(ri-
tnenlum crueis" ist notwendig. Chr. Wolf definiert: „Experimentum Gi
experientia, quae verscUur circa fcuita naturaey qtioe nonnisi interreniente opara
nostra continguni" (Psychol. empir. § 456). Wundt versteht unter ExperimeAt
jyeine Beobachtung, die von willkürlichen Eintvirkungen des Beobachters auf die
Erscheinungen begleitet tcird^^ (Log- II| 277). Durch das (directe oder indirecte)
Experiment erfolgt ein „Isolieren und Variieren^^ der Umstände (1. c. 8. 278).
Jevons erklart: „Experimetit is . , . Observation plus alteration of condüiofis^
(Princ. of science', p. 400). Vgl. Psychologie.
üxperlmeiitell (experimentalis : erfahrungsmäßig) : auf dem Wege des
Experimentes. Experimentelle Psychologie s. Psychologie.
üxperlmentam cmcis: entscheidendes Experiment (s. d.).
CSxplIcatlons 1) Erklärung (s. d.), 2) Entfaltung, Auseinanderl<^ung der
Einheit in die Vielheit, Gottes in die Welt. So bei Plotin, der die Dinge die
jyentfaltete ZaJil" nennt (Enn. VI, 6, 9). Dann bei Nicolaus Cusa^-us. Die
Zahl ist nach ihm „explicatio unitatis^^ die Bewegung „explictUio quieiis'' (Doct
ignor. I, 3). In Grott (s. d.) ist alles zur Einheit „compliciert" (s. Compheatio),
die Dinge sind die Entfaltung (j,explicatio, evoluiio*^) Gottes (1. c. II, 2, 3;
De poss. f. 175). Hegel lehrt eine dialektische, logische Selbstentfaltung
der Wirklichkeit (des „Begriffes j" s. d.) in eine Mannigfaltigkeit von Bestim-
mungen. yyDas Sein ist der Begriff nur an sich, die Bestimmungen desMeiben
sind seiende, in iJireni üfiterschiede andre gegeneinander, und ihre ueäere
Bestimmung (die Form des Dialektischen) ist ein Übergehen in anderes.
Diese Formbestimmung ist in einem ein Heraussetzen und damit EntfaÜen dei
an sich seienden Begriffs, und zugleich das In-sieh-gehen des SeinSy ein Ver-
tiefen desselben in sich selbst. Die Explicaiion des Begriffs in der SpMre da
Seins wird ebensosehr die Totalität des Seifis, als damit die UnmiUelbarkeit
des Seins oder die Form des Seitis als sohlten aufgehoben wird" (EncykL § 84).
Explieltes entfaltet, ausdrücklich^ in einem besonderen Urteile gesetzt.
Implicite: mit eingeschlossen, mit gesagt, ohne besonderen Bewußtseinsact
EKponlbilias erklärungsbedürftige Wörter (Scholastik).
üxponlble Sfttze („propositiofies expmvihiles, explieabiles") : Satze, die
erklärungsbedürftig sind. Kant: „Urfeile, in denen eine Bejahung uf»d Ver-
neinung zugleich, aber versteckterweise, enthalten ist, so daß die Bejahung zwar
deutlich, die Verneinung aber versteckt geschieht, sind exponible Sätze^^ (Log*
S. 711). „Eine Vorstellung der Einbildungskraft auf Begriffe bringen" heißt sie
„exponieren". Die ästhetische Idee (s. d.) ist eine „inexponible VorsteUtmg
der Einbildungskraft", sie kann „keine Erkenntnis werden, weil sie eine An-
schauung (der Einbildungskraft) ist, der niemals ein Begriff adäquat gefunden
werden kann" (Krit. d. Urt. § 57, Anm. I).
Expositioii (logische): Erörterung (s. d.).
£x praecos^itls et praeconeessis sc. argumentatio: Schluß oder
Beweis aus allgemein Anerkanntem, Zugegebenem (vgL Locke, Ess. IV, eh. 2,
§ 8; Leibniz, Nouv. Ess. IV, eh. 2, § 8).
£z pure negativiB et particularibiu nihil seqidtur — Fatum. 331
WäJL pure ne|^atl¥l8 et partlcolaribiis nlbU seqvltor: Aus
rein negativen oder particulären Obersätzen folgt nichts.
CSxt^ialon: Ausdehnung (s. d.).
SSxtenslült: Ausgedehntsein, Flächenhaftigkeit. Vgl. Baum.
ExtenslT: ausgedehnt. Extensive Schwelle, s. Schwelle.
KxtenslTltJlt: der Charakter der Ausdehnung, des Auseinander-seins.
Exterlorltllt: Äußerlichkeit, Aufier-uns (s. d.). Nach Bexouvieb ist
die j/üient^% .^exteriorite^^ der Monaden (s. d.) unmittelbar im Bewußtsein ge-
geben (Nouv. Monadol. p. 7 ff.).
Eximtalisattoii s. Localisation.
Externe, das. B. Wähle nennt so „aÜe Farben, Oestalten der an si^
bestehenden Dinge, attch die Töne^^ Unser Leib, unsere Empfindungen auf dem-
selben, unser Wahrnehmen des Externen sind das jySub;ecttve^^ (Das Ganze d.
Philos- S. 169).
Extramentals außer dem Geiste, außerhalb des BewuJßtselDs, nicht im
Bewußtsein gegeben (Clifpoed, Hodgson u. a.). Vgl. Object.
F.
Factum: Geschehnis, Tatsache (s. d.).
Fftlii^kelt (,/aeulta8*^J, s. Vermögen, Kraft, Disposition, Anlage.
Fallaelens Trugschlüsse (s. d.).
Fftlle, rleliticr^ und falselie, s. Methode.
Falseli ist jedes Urteil, das : 1) einem als wahr anerkannten UrteU wider-
spricht, 2) etwas aussagt, was a. den Denk- oder Anschauungsgesetzen (Axiomen),
b. der methodisch verarbeiteten Erfahrung (direct oder indirect) widerspricht.
Vgl Wahrheit, Irrtum.
Farbenbllndlielt (Daltonismus): 1) totale, besteht darin, daß jeder
lichtreiz farblos, als reüie Helligkeit empfunden wird, 2) partielle („Dichro-
masie^^J, besteht in der Unempfindlichkeit für bestimmte Farben (Bot-, Grün-,
Molettblindheit). Vgl. Wündt, Gr. d. PsychoL», S. 88 f., Külpe, Gr. d. Psychol.
S. 138; HOLMGREN, Die Farbenblindh. 1878; Zeitschr. f. Psych, u. Phys. d.
Sinnesoig. Bd. 3, 4, 5, 13, 19, 20.
Fatallsmas : Lehre von der unbedingten Herrschaft des Schicksals (s. d.),
des Fatums, von der absoluten Vorherbestimmung (Prädestination, s. d.) alles
Geschehens, derart, daß es gleichgültig ist, wie man handelt, da ein bestunmter
Effect auf jeden Fall — infolge des Willens Gottes, des Schicksals, des Causal-
nexns — eintreten muß. Vom Determinismus (s. d.) unterscheidet sich der
Fatalismus darin, daß er die causale, active Bolle des Willens verkennt, der
doch auch ein nicht zu übergehmider Factor des Geschehens ist. Dem Fatalis-
mm huldigen in verschiedener Weise emige Stoiker (Diog. L. VII, 149;
Cicero, De nat deor. I, 25, 70) und der Islam. Gegen den Fatalismus er-
klärt sich u. a. GiZYCKi (Moralphilos. S. 313 ff.). Vgl. Willensfreiheit.
Fatnn: Schicksal (s. d.).
332 Faule Vernunft — Fesapo.
Faule Venmnfl {a^6s Xoyog, ignava, pigi^ ratio): die fatalistifiche
Meinung, daß das Handeln des Menschen keinen EinfluiS auf sein Schicksal
habe, weil alles vorherbestimmt sei (vgl. Ciceko, De fato 12, 28). Ka^tt ver-
steht unter der ,/atden Vernunft** „jedeti Orundsatx, welcher machte daß man
seine Naiurunter suchung y wo es auch sei, für schlechthin vollendet ansieht ^ und
die Vernunft sieh also xur Ruhe begibt^ als ob sie ihr Geschäft völlig aus-
gerichtet habe** (Krit. d. r. Vem. S. 534).
Feelinerselies Oesetz s. Webersches Gesetz.
Feeling^ bedeutet in der englischen Psychologie bald ein zwischen Em-
pfindung und. Gefühl schwankendes, bald ein Empfindung und Gefühl
(Sensation and emotion) einschließendes Bewußteeinselement {„Gefühl** im all-
gemeinen Sinne, s. d.), bald ein Gefühl selbst. (Vgl. A. Bain, Sens. and Int*,
p. 3; Spencer, Psychol. I, § 48).
Fetaler s. Methode.
Fehlsetailiß s. Paralogismen, Sophismen.
Feinheit der Empfindlichkeit und der Unterschiedsempfindlichkeit steht
im reciproken Verhältnis zur „mittleren Variation** (m V) der Aussageil über
Reize und Reizdifferenzen (Külpe, Gr. d. Psychol. S. 52).
Felapton ist der zweite Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
allgemein verneinend (e), Untersatz besonders bejahend (i), Folgerung besondere
verneinend (o).
Feld der Aufmerksamkeit, s. Aufmerksamkeit, Blickfeld.
Ferio ist der vierte Modus der ersten Schlußfigur (s. d.): Obersatz all-
gemein verneinend (e), Untersatz besonders bejahend (i), Folgerung besondo«
verneinend (o).
Ferlson ist der sechste Modus der dritten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
allgemein verneinend (e), Untersatz besonders bejahend (i), Folgerung besondere
verneinend (o).
FerjDDient nennt J. B. van Helmont die „causa exeitans**, welche die
in der Materie schlummernden Anlagen entwickelt.
FernwIrlKling;, psychische, s. Telepathie.
Fertig^keit (^f«s, habitus) heißt jede durch Übung (s. d.) erworbene
günstige Disposition (s. d.) zu Handlungen bestimmter Art Aäistotklbs
sieht m den Tugenden (s. d.) i?«« xpvxrji (Eth. Nie. I 13, 1103 a 9; 112,
1104 b 19). Von der Ttoujnxrj iiis ist die nQaxrtxrj i'^ie zu imterechöden
(1. c. VI 4, 1140a 4; VI 13, 1144b 8). Schleiermachkr betrachtet die
Tilgend (s. d.) auch als Fertigkeit. „Wenn die Gesinmmg diejenige Qualitäi
istj wodurch überhaupt die Einigung der Natur mit der Vernunft producieri
wird: so ist die sittliche Fertigkeit diefenige Qualität, wodurch diese Emi-
gung in einem Mensehen in einem bestimmten Grads besteht, und von diesem
aus sich in allen wesentlicficn Riehtungen weiter entwickelte* (Philos. SitteoL
§ 310). Die Fertigkeit besteht aus einem „eombinatorischen** und einem „rf*s-
junctiven** Factor (1. c. § 311). Nach W. Jerusalem sind Fertigkeiten ,^0-
malisch gewordene Bewegungsreihen** (Lehrb. d. Psychol.», S. 187). Vgl. Vermögen.
Fesapo ist der vierte Modus der vierten Schlußfigur (s. d.): Obersat«
Fesapo — Form. 333
allgemein verneinend (e)^ Untersatz allgemein bejahend (a), Folgerung besonders
verneinend (o).
Festino ist der dritte Modus der zweiten Schlußfigur (s. d.): Obersatz
illgemein verneinend (e), Untersatz besonders bejahend (i), Folgerung besonders
verneinend (o).
Fetlseliisniliss Verehrung von irgendwie auffallenden Gegenständen,
bezw. der Greister, die in diesen hausen (vgl. Fe. Schültze, Der Fetisch. 1871).
— J. St. MilL; E. Mach, Nietzsche sehen im Kraft- bezw. Causalbegriff einen
Best von Fetischismus. Vgl. Causalitat.
Fiat s. WiUe.
Fietionen (wissenschaftliche) heißen Annahmen, die wir nur zu heu-
listischem (s. d.) Zwecke machen. Vgl. HuME, Treat. II, sct. 4; Lotzb, Gr. d.
Log. S. 87.
Fidential heißt bei R. Avenarius der „GharaJcter" (s. d.) der „Heim-
kaftigkeif', das Bekanntheitsgefühl (Krit. d. rein. Erf. II, 31).
Flf^liren s. Schlußfigur.
Finalitftt: die Kategorie des Zweckes (s. d.), die teleologische (s. d.)
Wirksamkeit; jyfina^^ ist, was auf Zwecke sich bezieht, zielstrebig iBt.
Flnis: Zweck (s. d.), Endzweck.
Fixe Idee s. Zwangsvorstellung.
FUeften der Zeit s. Zeit. Fließender Baum s. Eaum.
Flneiiten: Baum xmd Zeit als ^fiteßende^^ Größen. Die Momente der
Fluenten sind ,yFliixmnen^^ (Newton, Meth. flux. Opusc. I, p. 54).
Flaidom: Flüssigkeit Bei Patritiub eines der Elemente (s. d.). Im
18. Jahrhundert glaubt man an Nervenfluida.
Fol^e (axoXov&fjatg, consecutio) s. Grund.
Fol^eran^ s. Conclusion, Schluß.
Form {elSoi, fio^^j forma) und Stoff (s. d.) sind Correlata, Beflexions-
begriffe (s. d.). Die Form eines Objects ist allgemein das j^Wie^^ desselben im
Unterschiede vom „ Wltw", vom Inhalte. jjForm^^ heißt jede (äußere oder innere,
niaterieile oder geistige) Ordnungseinheit in einer Mannigfaltigkeit von Be-
standteilen einer Sache, eines Geschehens, eines Gedankens, eines Kimstwerkes.
Die Art und Weise des Zusammenhanges, der Verknüpfung von Teilen in
einem Ganzen bildet die Form eines Objects. Die Form gilt jetzt als etwas
Passives, als bloßes Product oder höchstens als Vorbild, früher (besonders im
Büttelalter) hatte der Formbegriff einen höheren Wert, die Form war etwas
Actives, Gestaltendes, Innerliches, Substantielles, Dynamisches.
Demokuit nennt die Atome (s. d.) „Formen" (iSeai), Plato die Ideen (s. d.)
ak Musterbilder der Dinge. Aristoteles prägt den Formbegriff neu. Die
Form (el8oSf H^9fv) ^^ eines der Principien (s. d.), d. h. ein Seinsfactor, und
war das Allgemeine, Typische, das Wesen (to ii ijv elvai, s. d.), der Begriff
(loyoi, De an. I, 1), die erste Wesenheit von allem (Met VII 7, 1032 b). Die
Form ist das, was dem Dinge seine Eigentümlichkeit verleiht, was den Stoff
(s. d.) zum ToBa t« (concreten Etwas), die Svrafiis (Potenz) zur M^ata (Wirk-
334 Form.
lichkeit) gestaltet (1. c. VII, 7). Sie ist das begriffliche Sein der Dinge (^
xara rov Xoyov ovaia, Met. VII 10, 1035 b 15), die Entelechie (s. d.), die actaelle
Verwirklichung (De an. II 1, 412 a 10). Sie ist den Dingen immanent (Met
VII 8, 1038 b 6). Die Formen sind ewig, rnivergänglich, nur der irvvoSos von
Form und Stoff entsteht und vergeht (Met. VII 8, 1033b 16 squ.). Der Stoff,
in seiner Abstractheit genonmien, ist das Formlose, in Wirklichkeit gibt es nur
Geformtes, und jedes Greformte ist Stoff im Verhältnis zu einer höheren Form;
die höchste, reine (stofflose) Form ist Gott (s. d.). Die Seele (s. d.) ist eine
Form, Denken und Wahrnehmen sind Formen (De an. III 7, 432 a 2). Beim
Erkennen (s. d.) wird der Geist von den Objecten geformt, d. h. zur Production
einer geistigen Form veranlaßt. Bei den Stoikern wird die „Form" zum
„Tätigen** (noiovv), das mit aller Materie zur Einheit verbunden ist (Dipg.
L. VII, 134). Als innere, gestaltende Kraft fafit die Form Plotin auf (Eon.
II, 6). Von ^vXa sXBri spricht Jamblicu. BofiTHius bemerkt: „A formisj
qtuie sunt sine maieria, reniunt formae, quae stmt in fnateria** (De trin. 1).
Die Dinge bestehen „ex materia et fortna** (Porph. Isag. p. 37).
Bei AuGüßTlNUß kommt „fortna** im Sinne von „spedeg** (s. d.) vor (De
trin. XI, 12, 4; so schon bei Cicero). Joh. Scotus Ekiuoena nennt die Ideen
(s. d.) yyspeeies vel formae" (Div. nat. II, 2). „Forma substantitUis** ist jene
Form, „cuius participatiotie onmis iftdividua. species formaiur et est una m
Omnibus et onmis in una** (1. c. III, 27). Bei den Scholastikern ist y/armar
das Princip, das den Dingen ihre Eigentümlichkeit verleiht, das Wesenhafte,
die Wirklichkeit, Actualitat, das Ziel der Dinge. Nach Gilbertus Porret anus
ist die Form „essentia simplex imnmtahüis**. „Forma prima** ist Gottes Wesen-
heit, „formae secundae** sind die Ideen (vgl. Haurrau I, p. 459 u. Prastl,
G. d. Log. II, 217). Nach AVERROfis ist die Form „actus ei quidditas rev'
(Ep. met 2, p. 58). Albertus Magnus unterscheidet drei Grattungen von
Formen: „Ununi (sc. genus) quidem ante rem existens, quod est causa forma-
tiva . . ., aliud autetn est ipsum getius forfnarum, quae fluetuant in materia . . •
Tertium aviem est genus formarum^ quod abstrahente intellectu separatur a
rebus** (De nat. et orig. an. I, 2; vgl. Sum. th. I, qu. 50). „Format primae
separatae (Ideen) verae formae sunt farmantes alias, sietä dicit Boethius, et fori«
tnanentesj ui dicit Plato, et sunt form^ze, quae sunt ante rem: formae auiem
impresso^ in materiam non verae formae sunt, sed inmgiftes fortnaruni**^ (Sum.
th. I, qu. 6). Die ,forma substaniialis** ist die „essentia, cuius actus est esst*,
die Wesenheit (1. c. I, qu. 15, 2). Die Formen sind nicht „aetu**, sondern ,j»-
tentia** im Stoffe (1. c. II, 4, 2). Die Form hat dreifache Wirksamkeit:
1) „Totam extefisionem pof^ntiae terminal ad actum**, 2) „discemit rtfn**,
3) „finis est et inelinat in propriam et eonnaturalem finetn** (1. c. I, qu. 62).
Nach Thomas ist die Form „actus, per quam res aetu existuni** (Cont. gent.
II, 30; Sum. th. I, 105, Ic), „acutus primus** (2 cael. 4 c), „principium, agendi
in unoquoque** (Sum. th. III, 13, Ic; Cont gent. II, 47), „finis materia^'
(1 phys. 15 e). „Forma dat materiae esse simplieiter** (De an. qu. 1, 9). Die
„forma substaniicUis** (el8oe ovfficiSrjg) ist der Wesensgrund, die ,/orfna aeci-
dentalis** bestimmt das y,qu€Ue vel quantum'*. „Formae separatae^* sind die
reinen Intelligenzen, „formae adhaerentes** die mit einem Stoffe verbundenen
Formen. Die Seele (s. d.) ist „forma corporeitatis** als Lebensprincip. Petrüs
AuREOLUS versteht unter „forma specfäaris** die „speeies intelligibilis** {&. d.)
(in 1. sent 2, 12, qu. 1, 2). „Formae intentionales** kommt bei JoH. Gersok
Form. 335
vor (vgL Pkantl, G. d. Log. IV, 145). Buar£Z unterscheidet von der
Jorma pkysica^^ die y^forma metaphysieu", welche ist „tota rei stibatanticUis
essentia*^ (Met. disp. 15). „F(ntnae substantüUes^^ sind die die Dinge con-
BÜtoierenden Kräfte und „qualitates oceiUtas^' (1. c. 15, sct. 1, 6). Der Satz
yfForfna dai esse rei" auch bei NlCOLAUS Cusanus (De dat. patr. lum. 2).
GocLEN erklärt: ,yFor^na proprie dioüur, quod formet et poliat ruditatem et
informitateni tnateriae" (Lex. phiL p. 588). Es gibt: „fartnae reales (assi-
sienies y secretae seu separatae — informantes, stibstantuiles), mentales (matke-
waticae, absiractae, logicaejy immersae materiae, per se suhsistentes" (1. c. p. 589).
Nach MiCRAELiüS ist y/orma" yyintemum prineipium eonstitutwnis aetivum"
(Lex. phil. p. 442).
Nach G. Bbuno wechsehi nur die äußeren Formen der Dinge, die inneren
Formen oder Kräfte beharren (De la causa II). Die „forma prima" gestaltet
in räumlicher Ausdehnung, die Seelenform breitet sich nicht in der Materie
aas, der Intellect ist eine vom Stoffe unabhängige Form. Wo Form, da Leben,
Beele, Geist (ib.). Durch „Eduction"y d. h. Formenentlassung, entfaltet sich die
Materie «u concreten Gebilden (1. c. Dial. IV). Bei F. Bacon nähert sich der
Formbegriff schon der modernen Auffassung, ohne den scholastischen Charakter
ganz zu verlieren. „Qui formas novit, is naivrae unitatem in materiis dissi-
miüimis eofnpleetitur^^ (Nov. Organ. II, 3). „Forma naturae alicuius tcUis est,
ut ea posita natura data infallibiliter seqttatur*' (1. c. II, 4). Die Form ist die
gesetzliche Anordnung in einem Dinge. „Nos enitn, quum de fortnis loquimur,
nü aliud intelligimus, quam leges illas et determinationes actus puri, quae na-
titram aliquam simplicem ordinant et constituunf* (1. c. II, 17). HoBBES ver-
steht unter Form die Wesenheit eines Körpers, nach der er seinen Namen hat
(De corp. 8, 23). Die „sttbstantialen Formen" kommen bei den englischen
Piatonikern (Cüdwobth, H. Mobe), auch bei Leibkiz (s. Monaden) wieder
zu £hren, während Hume sie für philosophische Wahngebilde erklärt (Treat.
IV, sct. 3). Chb. Wolf versteht unter ,yformae" die „determifuüiones essen-
iiales'' (OntoL § 944).
Die Unterscheidung von Form und Stoff der Erkenntnis beginnt bei
Tbtens: „EmpfindungsvorsteUungen sind . . . der letxte Stoff aller Gedanken".
„Die Form der Gedanken und der Kenntnisse ist ein Werk der denkenden Kraft"
(PluL Vers. I, 336). Lambebt unterscheidet Form und Inhalt der Erkenntnis
(X. Organ.). In neuer Weise auch Kant. Form der Erkenntnis ist ihm alles,
was nicht durch Empfindung gegeben ist, was nicht aus der Einwirkung der
Dinge auf uns, sondern aus der Tätigkeit des Subjects selbst stanunt: die Ge-
setzmäßigkeit, das Allgemeine, Einheit- und Ordnung-Setzende in der Erkennt-
nis. Die Form ist ein geistiges Gestaltungsprincip, zugleich ein Formendes,
durch das der Stoff (s. d.) der Erfahrung erst zu Erkenntnissen, zu wirklicher
Erfahrung (s. d.) verarbeitet wird. Die Anschauungsformen (s. d.) und Denk-
fonnen (Kategorien, s. d.) sind a priori (s. d.) und subjectiv, gelten nicht für
die Dinge an sich (s. d.). Die Formen unseres Wollens bestimmt das Sittliche
(8. d.). „Form der Erscheinung" ist ,^dasfcnigey welches tnaefä, daß das Mannig-
f<ätige der'' Erscheinung in gewissen VerMltnissen geordnet angeschauet tcird"
(Krit. d. r. Vem. S. 49). Diese Form liegt im Bewußtsein a priori, muß daher
ißbgesondert von aller Empfindung können betrachtet werdeti" (ib.). Der Baum
(a. d.) ist die Form des äußeren, die Zeit (s. d.) die Form des inneren Sinnes
(ß. d.). Die „reine Form der Sinnlichkeit" ist „reine Anschauung" (1. c. S. 49).
336 Form.
Die jyFomi der Sinnliehkeif^ geht „allen wirklichen MndrüeJcen" vorher (Pro-
legom. § 9). Sie ist es, wodurch wir a priori Dinge anschauen können, und
was das Dasein von synthetischen Urteilen (s. d.) a priori möglich macht (L c
§ 10). Baum imd Zeit sind „formale Bedingungen unserer Sinnliekkeif* (L c.
§ 11). Die Formen unseres Bewußtseins sind Arten und Weisen, wie wir an-
schauen und denken müssen, um Erfahrung gewinnen zu können. Ebug be-
tont, die Erkenntnisformen seien kein „leeres Fackwerk im Oemiite", „Da die
Art und Weise, wie das Ich durch sein Vermögen tätig ist, eigentlich durch die
Oeseixe dieses Vermögens bestimmt ist, so bedeutet die Handlungsiveise oder Form
des Ichs eigentlich die Gesetzmäßigkeit desselben in Ansehung seiner Tätigkeü^^
(Fundam. S. 151). Nach Bouterwek ist Form eines Dinges „die Summe der
Verhältnisse, die das bestimmte Vorhandensein eines Dinges in sieh sehließt'*
(Asth. I, 88). Fries erklärt: „Form und formell nennen wir immer , was xver
Einheit gehört, Oehalt oder materiell, was xum Mannigfaltigen gehört*' (Syst d.
Log. S. 99 f.). Nach S. Maimon haben die sinnlichen Formen ihren Grund
in den allgemeinen Formen unseres Denkens (Vers. üb. d. Transcend. S. 16).
J. G. Fichte leitet Form imd Stoff der Erkenntnis aus den Functionen des
Ich (s. d.) ab. Nach Hegel ist die Form das „Setxende und Bestimmende'',
das „Tätige gegenüber der Materie" (Log. II, 80). Innere und äußere Form ist
zu unterscheiden. „Da^ Außereinander der Welt der Erscheinung ist Totaliiäi
und ist ganx in ihrer Beziehung - auf -sich enthalten. Die Bexiehtmg der
Erscheinung auf sich ist so vollständig bestimmt, hat die Form in ihr sdbst
und, weil in dieser Identität, als wesentliches Bestehen. So ist die Form Inhalt,
und nach ihrer entwickelten Bestimmlheit das Gesetz der Erscheinung. In die
Form als in-sich-niehi-refleetiert fallt das Negative der Erscheinung, das
Unselbständige und Veränderliche, — sie ist die gleichgültige, äußerliehe
Form^' (EncykL § 133). K. Bosenkraitz: „In seiner Erscheinung setzt sieh
das Wesen als ein durch den unterschied der Erscheinung von der Erscheinung
beschränktes. Diese Beschränkung ist seine Form" (Syst. d. Wiss. S. 66). Die
Form wird selbst der Inhalt, insofern ohne sie das Wesen sich nicht als RTJgtpTtg
setzen kann (1. c. S. 69). Inhalt und Form sind an imd für sich untrennbar
voneinander, gehen ineinander über (ib.). Nach Hillebrand ist die Form das
continuierliche Übergehen der Quantität in die Qualität (PhiL d. Geist II, 49).
Nach Heinroth ist die Form „eine bleibende, unveränderliche Begrenzung'
(Psychol. S. 165 f.). Trendelenburg bemerkt: „Das Verfahren oder die Hand-
lungsweise der Erzeugung ergibt das, was im weitesten Sinne die Kategorie der
Form heißt" (Gesch. d. Kat^or. S. 366). Nach Herbart werden uns die
Empfindungen schon mit und in ihren Formen (Ordnungen, Beihen) gegeben
(Met II, S. 411). In der Ästhetik (s. d.) und Ethik (s. d.) ist die Form die
Hauptsache. Waitz betont: „Die Form muß . . . in und mit dem Stoffe selbst
gegeben werden" (Lehrb. d. PsychoL S. 161). Drobisch definiert: „Das Viele
und Mannigfaltige, u?elches das Denken in eine Einheit zusammenfaßt, heißt die
Materie des Denkens, die Art und Weise der Zusammenfassung seine Form"
(N. Darst d. Log.*, S. 6). Nach Carriere ist Form „das durch das Innert
bestimmte Äußere der Dinge" (Ästh. I, 100). Nach ViscuER ist die ästhetische
Form die „Anordnung des Stoffes zur Einheit in der Vielheit, also Harmonie^
(Das Schöne u. d. Kunst*, S. 48). Sie ist „Gesamtwirkung cUler Teile des
Stoffes", „Schein" (1. c. S. 52). „Im Schönen müssen wir immer von der Form
ausgehen, doch wir empfinden an ihr ein Inneres" (1. c. S. 77). Nach KlRCB>
Form — Formal 337
MANX igt die Form von Wissen und Sein verschieden, der Inhalt der gleiche
{Kat. d. Phüos.', S. 53). Cohen betont, die ^yFormen^^ der Anschauung seien
nicht „et» paar unendliche leere Qefäß&\ sondern bereit liegende Potenzen, die
sich erst mit der Erfahnmg, wenn auch nicht durch sie, verwirklichen (Kants
Theor. d. Erf. S. 39 ff.). G. Spicker bestreitet die Möglichkeit, daß die Er-
fahrungsobjecte ohne Formen an sich existieren (Kant, H. u. B. S. 24). O. Lieb-
MAi^ faßt die Form naturphilosophisch im Aristotelischen Sinne auf als En-
telechie, Bildungsgesetz (Anal. d. Wirkl.*, S. 328 ff.). Nach Höffding gibt
«s im Bewußtsein keinen Stoff ohne Form; der Unterschied beider ist nur
graduell (Psychol. S. 149 ff., 383 ff.). Ähnlich Sülly (The hum. Mind I,
175), James (Princ. of Psychol. I, 224 ff., 449 ff., 483 ff.(, Ladd (Psychol.
p. 659): „rfiffcriwiwia/io«" (Analyse) und ,^c<mceptio7i^'^ (Synthese) gehören zu-
sammen. So auch WüNDT. Raum und Zeit sind nicht ursprünglich gesonderte
Formen, sondern stehen in Beziehung zu den Empfindungen (EinL in d. Philos.
S. 345). Erst die Abstraction scheidet die Form des Bewußtseins von dessen
Inhalte: Form und Inhalt sind Reflexionsbegriffe (Syst. d. Phil.», S. 106, 111 ff.,
208 ff.; PhiL Stud. VII, 14 ff., XII, 355), sind „ahatracte CorrelatbegHffe''
<Phil. Stud. II, 161 ff., VII, 27 ff.). Die „reinen Formbe^riffe'' (Einheit, Mannig-
faltigkeit; Qualität, Quantität; Einfaches, Zusammengesetztes; Einzelnes, Viel-
heit; Zahl, Function) gehören zu den „reinen Verstandesbegriffen^^ (Syst. d.
Philos.«, S. 236 f., 238, 241 ff. ; Log. I>, S. 521 ff.). Riehl versteht unter
Form das „Oeordneisein^^ der Wahmehmungselemente, dasjenige, „wodurch der
bloße Stoff xur Vorstellung wird" (Phil. Krit. II 1, 104 f., 235, 238). M. Kaufe-
ULSjx bestinmit die Form als y^ie aneehatUiche Einheit des Mannigfaltigen" (Fun-
dam. d. Erk. S. 13). Das Subject ist die „höchste Forrn^ die anscliauliehe Einheit
der räumlichen und xeitliefien WeW^ (1. c. S. 14). Der Atomismus (s. d.)
rersteht unter Form nur die Anordnimg von Körperelementen. Vgl. Parallelis-
mus (logischer).
Formal (formell): förmlich, zur Form gehörig, auf die Form bezüglich,
in der Form begründet.
Bei den Scholastikern bedeutet „formalis, formalit^r^^ das wirkliche
Sein (8. d.) im Unterschiede vom inten tional-objectiven (vorgestellten, gemeinten).
Bei Thomas kommt das Wort „fonnalis" auch im Sinne des Logischen gegen-
über dem Realen vor. DUNS ScotüS unterscheidet „formaliter" von „materia-
liter*' und y,realiter** (s. ünterscheidimg). „Formaler^^ Begriff („conceptus forma-
lis^) heißt bei Suarez das Denken, wirkliches Vorstellen als Act (Disp. met.
II, 1, 1). GrOCLEN bemerkt: „Formale modo est habens forfnanif modo con-
Muens seu praestans rei esseniiam, tnodo forma ipsa, modo pertuiens ad for-
mam, tnodo rite cofistitutum" (Lex. phil. p. 594). Im scholastischen Sinne
gebraucht .formaliter'' Descaktes; so auch Spinoza (Eth. II, prop. VII,
coroll.). Gott ist als „res cogitans" „e-ssc formale idcariim" (1. c. prop. V, dem.).
Mendelssohn erklart: ,jWir können . . . die Erkenntnis der Seele in ver-
schiedener Rücksicht betrachteHf entweder insoweit sie wahr oder falscli ist, und
dieses ?ienne ich das Materiale der Erkenntnis; oder insoweit sie Lust oder
Unlust erregt, Billigung oder Mißbilligung der Seele xur Folge hat, und dieses
kann das Formale der Erkenntnis genannt werden" (Morgenst I, 7).
Nach Kant ist ,/ormal" alles zur Form (s. d.) des Erkennens Gehörende,
das Vereinheitlichende, Synthetische des Anschauens und Denkens gegenüber
Philotophitohei WOrterbaoh. S. Aufl. 22
338 Formal — Formbegriffe.
dem yyMatericilen" der Erfahrung. „Das Formale der Natur . . . ist . . . (He
Oesetxnuißigkeit aller Gegenstände der Erfahrung," die „notwendige Geseit-
mäßigkeit", sofern sie a priori (s. d.) erkannt wird (Prolegom. § 17). Da»
fyFormale in der Vorstellung eines Dinges" ist „die Zusammenstimnnmg des
Mannigfaltigen xu Einem", gibt die „suhjeetive Zweckmäßigkeit" des Ästhe-
tischen (s. d.) (Krit. d. Urt. § 15). „Formale Zweckmäßigkeit" ist yyZweekmäßig-
keit ohne Zweckf\ d. h. ohne Zweckbegriff im Bewußtsein des ästhetisch An*
schauenden (ib.). Praktische Principien sind rein yjformaJ^\ wenn sie nur auf
die Form des (sittlichen) Willens, nicht auf Zwecke des Handehis, zielen (WW' .
IV, 275). ScHOPENHAUEB setzt „formal" und „im Melket^* gleich (W. a. W.
u, V. Tl. Bd., C. 24). Hegel versteht unter „formalem" ein subjectives Denken
(Encykl. § 466).
Formalbegn>*tff*^ ^' Form, Kategorien.
Formale Ästlietik s. Ästhetik.
Formale Elnlielt s. Einheit
Formale Etlilk s. Ethik.
Formale Ixigik s. Logik.
Formale IJntersclieidmifi^ s. Unterscheidung.
Formale l¥alirlieit s. Wahrheit.
Formaler Idealismus s. Idealismus.
Formalismus: Betonen der Form (s. d.) als Erkenntnis- oder Seins-
princip, Wertung der Form des Seins, des Denkens, des Handelns, der An-
schauungsinhalte in der Weise, daß der Inhalt (Gehalt) als unwesentlich
betrachtet oder sonstwie zurückgesetzt wird (ontologischer, logischer,
ethischer, ästhetischer Formalismus). G.E. Schulze halt „Formalisnmt''
für einen passenden Ausdruck für die Kantsche Erkenntnislehre (Aenesid.
S. 387). Vgl. Ästhetik, Ethik, Logik.
Formalismus, soliolastlsclier: Ansicht der Scotisten (s. d.), daft
zwischen dem allgemeinen Wesen und der Individualitat der Dinge nur eine
„distinctio formalis" (s. Unterscheidung) bestehe. Die Anhanger dieser Meinung
heißen „Fonnnlisten" („formalixafUes") (vgl. DuNS SCOTUS, In 1. sent. 1, d. 2,.
qu. 7; 2, d. 3, qu. 6, 15; Pbantl, G. d. Log. III, 220 ff., IV, 146; Stocks
II, 959; Ritter VIII, e^6).
Formalitas: der Begriff des Formalen, der Fomicharakter ((yOCLEN,.
Lex. phil. p. 593; MiCRAEUUß, Lex. phil. p. 445).
Formalprineip: das die Form (s. d.) Bestimmende, Begründende.
„Fortnalia prindpia" bei Albertus >1agnu8 (Siun. th. II, 4, 2).
Formations Fonnierung, Gestaltung. Nach Aristoteles (s. Wahr-
nehmung) imd den Scholastikern wird der Intellect durch die Objecte for-
miert, so daß er Vorstellimgen entwickebi kann. Thomas: „Intelleetus . . ,
informaiur specie intelligibili" (Sum. th. I, 85, 2). „Formatio" ist auch die
Tätigkeit, mittelst welcher die „vis imaginatira'* „formai sibi aliquod rei alh-
sentis" (ib.).
Formbeg^lFe sind Reflexionsbegriffe; sie entstehen durch Reflexion
Formbegriff — Freiheit. 339
auf die Ordnungen, in die das Denken seine Inhalte bringt. Vgl. Form,
Kategorien.
Form des Bewußteelns, des Erkennens: die Art und Weise,
wie wir uns der Dinge bewußt werden, wie wir sie appercipieren, erkennen, die
Oidnung der Bewußtseins- oder Erkenntnisinhalte, die ebenso durch die Dinge
sdfost als auch durch das Subject bestimmt ist. Vgl. Form.
Formenenern^le: die von der Form eines Körpers abhängige Energie
(OßTWALD, Vorles. üb. NaturphiL«, S. 168). y^Der unge^örie feste Körper behält
mne Form, iceü jede Änderung derselben mit ettier Aufnahme von Energie ver-
bunden isi^* (ib.).
Formc^müe sind die räumlich -extensiven Gefühle, besonders die
optischen. Sie bekunden sich „in der Bevorzugung regelmäßiger vor unregel-
mäßigen Formen, und dann bei der Wahl xwiseJien veraehiedenen regelmäßigen
Formen in der Bevorzugung der nach gewissen einfachen Regeln gegliederten'^
iWTTSjyr, Gr. d. PsychoL», S. 198). Vgl. Symmetrie, Goldener Schnitt — Über
Formgefühle im weiteren Sinn s. Gefühl.
Fortsehritt s. Sociologie. Der Begriff des sittlichen Fortschrittes
{TiQOKOTtiq) schon bei den Stoikern (Stob. Ecl. II 6, 146).
Fortune morale s. Glück.
Fra^^ ist eine Rede, die das Verlangen nach einer bestimmten Urteils-
bUdung ausdrückt. Nach Fortlage heißt fragen ,^weifeln xivischen ver-
schiedenen möglichen xukünftigen Vorstellungen mit Beziehung auf die, welche
sieh wirklieh eitistellen tcird^' (Psychol. I, S. 76). Die Frage besteht „aus eifier
Disfunction, verbunden mit dem Bestreben,, ihr ein Ende xu machen'* (1. c. S. 87).
Nach LiPPß ist Frage „der Wunsch, %u einem Urteil xu kommen'' (Gr. d. Log.
B. 24). Nach W. Jerusalem ist sie „ein formuliertes Staunen", „das in Saix-
form ausgedrückte Verlangen, ein Urteil xu bilden oder xu vervollständigen"
(UrtelLsfunct. S. 172). Jodl sieht in der Frage ein urteil. „Wir seixen . . .
hypothetisch xwei Vorstellungen in Function, um durch die Mitteilung dieser
Ftmetion an ein anderes Bewußtsein . , . xu ermitteln, ob diese Vorstdlungs-
verknüpfung in seinen Wahrnehmungen oder Erinnerungen sich vorfinde" (Lehrb.
d. Pfiychol. S. 632). Nach Kirchner ist die Frage „die Äußerung eines
Sprechenden mit der Aufforderung an den Hörenden, Auskunft xu erteilen"
iWörterb. d. phUos. Grundbegr.*, S. 173). Vgl. R Wähle, Psychol. d. Frage.
Freldenlser (freethinker, zuerst bei Molyneüx) heißen alle, die sich
von der positiven Religion imabhängig machen, insbesondere aber die Deisten
(9. d.) des 18. Jahrhunderts, die eine natürliche, d. h. eine Vemunftreligion
zum Ideal haben. Zu ihnen gehören A. Collins (A disc^ourse of freethinking
1713), TOLAND, BOLIKGBROKE, ShAFTESBURY, VoLTAIRE U. a.
Freigeister nennen sich die deutschen Aufklärer des 18. Jahrhunderts
die nur dem eigenen Denken, nicht dem Dogma vertrauen wollen.
Freilieit ist das G^enteil von Zwang, bedeutet Unabhängigkeit ver-
schiedener Art. Die politische Freiheit bedeutet Autonomie (s. d.), Selb-
ständigkeit des Tuns und Lassens des Bürgers im Rahmen der socialen und
staatlichen Gesetzlichkeit Physische PYeiheit bedeutet Unabhängigkeit des
Handelns von äußeren Kräften, die es verhindern könnten. Psychologische
22*
a40 Freiheit — Für-Bioh-eein
Freiheit bedeutet SelbstentBcheidimg des Ich, d. h. Unabhängigkeit des Hmn-
dehi8 und WoUens von momentanen Reizen, Fähigkeit der Uberl^;ung und
Wahl, Sich-bestimmen-lassen durch die eigene PerHÖnlichkeit, durch den eigeneu
Charakter. Metaphysische Freiheit bedeutet Unabhängigkeit eines Wesais,
eines Willens von irgend welchen Ursachen, As^tät (s. d.). Die beiden letzten
Arten der Freiheit fallen imter den Begriff der Willensfreiheit (s. d.).
Frellieltoc^llilil s. Willensfreiheit.
Frelsteif^end nennt Hebbart eine Vorstellung, die ohne Association
(s. d.) reproduciert wird, d. h. einfach durch Wegfall des Hindernisses, der
Hemmung seitens einer andern Vorstellung, rein durch ihr eigenes Streben
(Lehrb. zur PsychoL*, 8. 15). Frei steigt die Vorstellung, y^wenn eine beengende
Umgebung oder ein aügemeiner Druck auf einmed versckuifidet^' (L c. S. 21;
vgL Volkmann, Lehrb. d. Psychol. I^, 407). G^en die Annahme freisteigender
Vorstellungen sind WtTa)T, Jodl (Lehrb. d. PsychoL S. 497 f.) u. a. VgL
Reproduction.
Freindsiii;icestlon s. Suggestion.
Freslson ist der fünfte Modus der vierten Schlußfigur (s. d.): Oberaatz
allgemein verneinend (e), Untersatz besonders bejahend (i), Folgerung besonderR
verneinend (o).
F>eode (Vergnügen) ist ein Affect, der durch die Vorstellung eines
Gutes erweckt wird. — Descabtes: yy Consideratio praesenHs boni exeiiai in
nobis gaudium'' (Pass, an. II, 61; vgl. 91, 99, 104, 109, 115). Spinoza: „Ööm-
dium . . . est laetitia orta ex imagine rei praeterOae, de euiua eventu duhi-
tavimus'' (Eth. III, prop. XVIII, schol. II). Locke (Ess. II, eh. 20, § 7^,
Chb. Wolf (Vem. Ged. I, § 446; Psychol. empir. § 614 ff.), G. R Schulze
(Psych. Anthrop. Ö. 377), Volkmann (I^ehrb. d. Psychol. II*, 335), Ribot,
(Psychol. des sentim.) u. a. Vgl. GefühL
Ffiblen: 1) Tastempfindungen haben, 2) Lust- oder Unlustgefühle erleben,
3) ein unbestimmtes Bewußtsein haben. Nach Chb. Wolf heißt yföhlefi"
yydaejenige sich 'vorstellen , was Veränderungen in unserem Leibe veranlassety
icenn ihn körperliche Dinge, oder er sie berühret^^ (Vem. Ged. I, § 221). VgL
Gefühl-
Ffille s. Pleroma.
FÜnkleln s. Synteresis.
Ffir-sleli-selii (jyper se esse"y Scholastik) : das Sein eines Dinges, eines
Wesens für sich, mit Beziehimg auf sich selbst, das yyEigensein^^ im Unter-
schiede vom Sein für andere (in Bezug auf andere Dinge oder Subjecte).
Nach Hegel ist das ,yFür'sich-sein^^ eine Stufe in der dialektischen (s. d.)
Selbstentwicklung des ^yBegriffs^^ (s. d.), es ist Beziehung auf sich selbst, Eigoi-
bestimmtheit (Encykl. § 91, 95, 96). K. Rosenkranz: yyDtis Dasein als das
von anderem Dasein durch seine Bestim7tUheit sieh unterscheidende, sich ron
seilten eigenen Unterschieden unterscheidende und sie als ihre sie setzende Etn-
hcit sich unteruerfnide Etwas ist für sich, icas es ist. Das Dasein hat, logisch
genommen y die Bedeutuiig des allgemeinen Seins; das Für-sieh-sein hat die Be-
deutung der Vereinzelung desselben als Selbstbexiehung des Daseins auf sieh'^
(Syst. d. Wiss. S. 24 f.). Vgl. Unendlichkeit
Fürwahrhalten — Funotionelle Dispositionen. S41
Flirwalirliaitens 1) im Urteil implicite = Wahrheits- oder Greltungs-
bewußtsein, gehört primär zu jedem Urteile; 2) explicite = ein Urteil über
die Wahrheit eines Urteils, also eine Art der BeurteUmig. Nach Kant ist das
Fürwahrhalten ,^ne Begebenheit in unserem Verstände, die auf obfectiren
Gründen beruken mag ^ aber auch stibjective Ursachen im Oemiäe dessen,
der da urteilt, erfordert' (Krit. d. r. Vem. S. 620). „Das FürvoahrhaUm oder
die sul^tire OüUigkeit des Urteils in Bexiekung mif die Überzeugung (tcekhe
zugleich objeetiv gilt) hat folgende drei Stufen: Meinen, Glauben, Wissen"
(1. e. 8. 621 f.). G. E. Schulze erklärt: „Wird von einer Erkenntnis^ wenn
sie aus Wahmehmungen besteht, geurteilt, sie mache kein Erzeugnis der Ein-
bildungskraft ans und sei auch kein Sinjienschein, sondern eine Wirkung der
Sinnlichkeit j wenn dieselbe aber aus Vorstellungen xtesa?nmengesetxt ist, sie
stimme mit dem Gegenstande, worauf sie sieh bezieht, iiberein, so ist dieses
Urteilen das Fürwahrhalten der Erkenntnis^* (Allg. Log.«, S. 158). Wundt:
,,Aües FürwahrhaUeti stützt sich auf Zeugnisse, d. h. auf Tatsachen der inneren
oder äußeren Erfahrung, und diese Zeugnisse können wieder doppelter, nämlich
entweder subjectiver oder objectiver Art sein. Das subjectite FürtoahrhaUen
nennen wir Glauben, das objective ist zunächst die Meinung, und diese wird,
sobald sieh mit ihr die Überzeugung ihrer tatsächlichen Wahrheit verbindet, zum
Wissen" (Log. I, 370). Vgl. UrteU, Glauben, Gewißheit.
Pnnctioii bedeutet: 1) physiologisch eine Betätigungsweise, Ausübung
▼on Organen (z. B. Nerven-, Gehimfunctionen), 2) das Abhängigkeitsverhältnis
mathematischer Art, wonach zwei „Variable" sich in Correlation miteinander
verändern, ohne daß ein Causalverhältnis zwischen ihnen vorliegt: y = f (x).
Von ,/unetiones animae^* ist bei Campanella (Univ. phil. I, 6, 3), L. Vives
n. a. die Bede. Von „corporis funetiones" sprechen u. a. Desgartes (Pass. an.
I, 17), Spinoza (Eth. III, prop. II, schoL). Den mathematischen Functionen-
begriff bilden Newton imd Leibniz aus. Kant schreibt dem Begriffe (s. d.)
eine „Function" zu, d. h. eine vereinheitlichende, ordnende Wirkung (Krit. d.
r. Vem. S. 88). Der Materialismus (s. d.) betrachtet das Psychische ids (physio-
logische) Function des Gehirns. Verschiedene Psychologen setzen das Psychische
in ein dem mathematischen analoges Functionsverhältnis ziun Physischen, an
Btelle der Annahme einer Wechselwirkung (s. d.). So nennt Fechner „Functions-
prindp" die Darlegung der den psychischen Vorgängen parallel gehenden phy-
Bischen Phänomene (Elem. d. Psychophys. II, 380). Wündt anerkennt ein
,yFwnciumsv€rhältni^* nur zwischen Ebnpfindimg und Reiz (Phil. Stud. XII, 33).
Die Function gehört zu den Formbegriffen (s. Form). Einige Forscher (Mach,
AVENABiüS u. a.) wollen den Causalitätsbegriff (s. d.) durch den Begriff der (logi-
schen) Function (wenn a sich verändert, so auch b; die Veränderung von b
ist eine Function der Veränderung von a) ersetzen. R. Avenartcs nimmt
zwischen dem Psychischen (s. d.), den Aussagen eines Individuums und dessen
Gehimveränderungen ein Functionsverhältnis an in dem Sinne: „Wenti sich
das erste Glied ändert, so ändert sich auch das zweite^* (Bemerk, üb. d. Gegenst.
d. Psychol. III; dagegen Wundt, PhiL Stud. XIII, 359; XV, 404). Vgl.
Parallelismus (psychophysischer), Seelenvermögen.
Fnnctlonelle Bedürfkiisse s. Bedürfnis.
Fnnctlonelle dispositionell s. Dispositionen.
342 Fundament — Qanaes und Teile.
Fandament (fundamentum): Grundlage in den Objecten, in den Er-
fahrungsinhalten, d. h. dasjenige in dem Angegebenen, worauf das Denken sich
stützt, wenn es seine Begriffe bildet, also das, was dem Begrifflichen, Ab-
stracten, Allgemeinen (s. d.) objeetiv oder anschaulich entspricht Der Auf-
druck ,/undamentum^*' in diesem Sinne bei den Scholastikern (besonders
^Jundamenhim relatumis*')^ so auch in der Schule Brentanos. Fundamentum
divisionis ist der Einteilungsgrund (s. d.). Vgl Fundiert
Fandamentaleliilieiteii, Fnndameiitalfonnel s. Webersches
Gesetz.
Fundamentalpht loBOpMe z philosophische Principienlehre (vgLEBüG,
Fundam. S. 229; J. Balmes, FundamentalphUosophie*, 1861).
Fundiert s begründet, ein Fundament (s. d.) in der Erfahrung, in der
Vorstellung, im Object habend.
Fundierte Inlialte s. Inhalt, GestaltquaUtaten.
Fnrclit als Affect, der durch die Vorstellung drohender Gefährdung des
Ich entsteht (und physiologische Folgeerscheinungen aufweist) : Vgl. Aristoteles
(Rhetor. II, 5, 1), Cicero, Augustinus (De civ. Dei), Hobbes (Leviath. I, 6],
L. ViVES (De an. III, p. 243), Descabtes (Pass. an. II, 58), Spinoza (Eth.
III, def. äff. XIII, def. XXXIX), Locke (Ess. II, eh. 20, § 10), Chr. Wolf
(Psychol. empir. § 882), G. E. Schulze (Psych. Anthrop. S. 382), Volkmann
(Lehrb. d. Psychol. II*, 336), Mosso (Über die Furcht 1894) u. a. Vgl
Katharsis, Affect.
Furtoso eroteo (heroischer Enthusiast) ist nach G. Bruno der von
Sehnsucht und Liebe zum göttlichen All getriebene, nach Intuition der Einheit
der Dinge begeistert verlangende Mensch (vgl. Degli eroici furori, 1585).
Oalenlsclie SeUiißfl^^r heißt die (wohl von Galenus aufgestellte)
vierte der Schlußfiguren (s. d.); sie ist nur die Umkehrung der ersten. Schema:
P— M, M— S; S — P. Sie hat fünf Modi (s. d.). Der erste Bericht darüber
findet sich bei den arabischen Philosophen (AvERROfis, Prior. resoL I, 8,
Prantl, G. d. Log. I, 571). Verschiedene Logiker halten diese Figur für eine
Spielerei, für unnütz und unnatürlich.
Gallselie Theorie s. Localisation, Phrenologie.
Qanses and TeUe sind Correlatbegriffe, Producte der zerlegenden,
unterscheidenden Denkfunction. Das ,,Ganxe^^ ist die Gresamtheit aller Teile,
in welche die Apperception (s. d.) eine Einheit zerlegt. Plato (Theaet 201 E)
Aristoteles (nach welchem das Ganze den Teilen logisch vorausgeht) (Met
V 26, 1023b 26) sprechen vom oXov im unterschied vom Ttäv^ beides wird auch
von den Stoikern unterschieden (vgl. L. Stein, Psych, d. Stoa I, 17; II. 222;
s. Welt). Den Begriff des Ganzen („totum^^) definiert Hobbes (De corp. 7, 7),
auch Chr. Wolf: „Unum, quod idern est cum mtdttSj dieitur totum^*^ (OntoL
§ 341). HussERL versteht unter einem Ganzen einen „Inbegriff ron Inhalten^
welche durch eine einheitliche Fundierung, wid %war ohne Surcur»
weiterer Inhalte, umspannt uerden^^ (Log- ünt. II, 268). Vgl. Teil.
Gattung. 343
Oattsn^^ (Grattungsbegriff) ist ein CoUectivb^riff, der eine Beihe unter-
geordneter (Art-) B^riffe umfaßt, deren gemeinsame Merkmale er zum Inhalte
hat Der Gattungsbegriff ist von Bedeutung bei der Einteilung (Classification)
eines Wissensgebietes. In der Definition (s. d.) wird gewöhnlich die nächste
Gattung (,^em*8 prooDimum^^) angegeben*. Die höchsten (allgemeinsten) Gattungen
sind die Kategorien (s. d.). Um die Bealität der Gattung dreht sich der
Universalienstreit (s. d.). Die Gattung ist kein Ding, sondern ist in der Reihe
gleichartiger Dinge vertreten, es entspricht also dem Gattungsbegriff etwas an
den Dingen, eine Gruppe von Merkmalen oder Kräften.
Plato hypostasiert die Gattungen der Dinge zu „Ideen^^ (s. d.). Ari-
8T0TSLES sieht in der Gattung eine den Dingen immanente Wesenheit. Gattung
{Geschlecht, yivos) ist das Allgemeine, Wesentliche einer Gruppe ähnlicher
Dinge, das ihnen zugrunde liegende gleiche Sein; z. B. heißt die Flache die
Gattung der ebenen Figuren (Met. V 28, 1024 a 29 squ.; X 3, 1054 b 30; X 8,
1057 b 38). Die Gattung ist nur Bevrd^a avciay kein Eanzelding (1. c. VIII 1,
1042a 22). Zu unterscheiden sind yevt] n^iora und ysvri ^üxaTa (L c. III 4, 999a 31).
Die Stoiker sehen in der Gattung nur ein CoUectivum: ^«Voc 9i ioti nleiovcar
xai avayai^sTOfv iwoijfidrafr trvkXt^yfis, olov ^cfov rovro yaQ ne^ieikri^e ta xara
M*9os Ztßa (Diog. L. VII 1, 60). Nach Alexandeb von Aphrodisias ist die
Crattung ein bloßer Name oder Begriff: t6 re ysrog ms yA^os Xafißavouevov ov
^odyfid r£ iariv vnoxsifMvav, aXkd fiovov ovo/ia, xai iv rcf voelcd'ai t6 xotvov
^Ivat ixov avx Sr vnooTaaBi riri (Quaest. nat II, 28). Als eine Ck)llection über-
einstimmender Dinge bestimmt die Gattung Pobphyb ; sie ist ro xaja nleiavcov
xai Bia^B^ovxofv t(} sidei iv T(f sXSet iv rqf ti eari xarrjyo^ovfAevov (Isag. 2),
oder J7 TivtSv exovriav mos Tt^os IV t« xal n^os aXXrjXovg a&^oiaie (L C. 1 a, 17 ff.).
Nach BofiTHiU8: ,j0efitt8 est quod praedieatur de plttribus speeie differentibus
in eo quod est, species vero est quam sub genere collocamus*' (De div. p. 640).
yßemss enim dieitur et cUiquoruni quodammodo se hahentium ad unum aliquid
et ad se invieem eoUeetio^' (Porph. Isag. p. 26).
Johannes Scotus Eriügena definiert: „Genus est muUarum formarum
siibstantialis unitas^' (bei Haureau I, 303). Martianus Capella: yjOentis
est mtUtarum formarwn per unum nomen complexio^^ (ib.). Die Scholastiker
unterscheiden „genus naturale" („quod est commune multis, quae conveniunt in
nuUeria*') und „genus logieum" („quod habet unum modum praedicandi eommufiem
univoeum de mtdtis speciebus" (bei Prantl, G. d. Log. III, 274). Nach
Heducius von Auxerre ist die Gattimg „oogitatio eollecta ex singtUaruin
similitvdine speeierum" (Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. II, 142),
nach Bemioius von Auxebbe „eomplexio, id est adiectio et comprehensio
multarum formarum, i. e. specierum" (Havbeau I, 145). Gilbebtus Pobbe-
TANTJS definiert: „Öenus est subsistentiarum seeundurn totam earuni proprie-
toiem, ex rebus seeundurn species suas differentibus simüitudine comparata
eolUctio" (Stöckl I, 276). Nach Abaelabd sind die Gattungen „sermones^*.
jfGtnur^ ist „id quod natum est praedieari," nur in den Individuen hat es
ßubsistenz (Dial. 204). Wilhelm von Occam betont: „Genus non est aliqua
Tes extra aniniam existens de essentia illorum, de quibus praedieatur,^^ sondern
l)loß „inientio animae praedicabitis de mtdtis" C^g- I? ^O)*
Nach Petbüs Ramus ist die Gattung „totu7n partibus essentiale^^ (Dial.
inst. I, 27). Nach Nicolaus Cüsanub existieren die Gattungen „contraete in
^peeiebus" (Doct. ignor. III, 1). Die Logik von Pobt-Royal erklärt: „Genus
344 Oattimg — Oebot.
idea didtur, cum ita communis est, ut ad aiica ideas etiam univertaies te
exiendaf' ([, 6). Nach Locke ist die Gattung ein blofier CoUectivbegriff, die
Zusammenfasgung des Ähnlichen vieler Dinge unter einem Namen (Ebb. Uh
eh. 3, § 13). Chk. Wolf erklart: „Genus est simüitudo specierum^^ (OntoL
§ 234; Phil. rat. § 234). Platner: ,, Diejenigen beständigen Merkmale ader
sogenannten Eigenschaften eines allgemeinen Dinges od^r Begriffs^ u^lche zugleich
auch zukommen deti ihm entgegengesetzten einxdnefi Dingen, nennt man . . .
die Gattung'' (Phil. Aphor. I, § 510). Kaijt bestimmt: ,J)er höhere Begriff
fteißt in Rücksicht seines niederen Gattung (genus)y der niedere Begriff in An-
sehung seines höheren Art*' (Log. 8. 150). Nach Hegel existiert die (orga-
nische) Gattung „nicht an und für sich, sondern nur in einer Reihe «m ein-
zelnen Lebendigen''. Die Gattung ist erst im Geiste an und für sich in setner
Ewigkeit (Naturphil. S. 648 f.). Nach Caeriebe ist die Gattung nicht vor den
Individuen selbständig da, aber auch kein bloßes Wort; sie ist die „tcesengleiehc
Natur" j das ^^leiche BUdungsgesetx" der Dinge (Ästh. I, 21 f.; vgl. Dühkikg,
Log. S. 196 f.). Nach Schuppe ist das „Gattungsmäßige" (Allgemeine) mit dem
Speciellen, Individuellen untrennbar verbunden, in ihm enthalten und mit wahr-
nehmbar (Log. 8. 90 f.). Nach Schubert-Soldern ist Gattung „das Merkmal
welches ein Datum oder viele von anderen bekannten unterscheidet" (Gr. e. Erk.
S. 139). Vgl. Erkenntnis, Wahrheit, Apriori (Spencer, Nietzsche u. a.).
Qattmifinsg^edftclitiilfii s. Gedächtnis.
Oattnnsslrieb s. Trieb.
Oattniiipsvenilinft heißt bei Kantianern u. a. das allgemeine er-
kennende Bewußtsein (s. d.), das „Beicußtsein überhaupt", das die apriorischen
(s. d.) Formen der Erkenntnis erzeugt.
Qebftrden s. Sprache.
OebUde, psychische, heißen bei Beneke die Entwicklungsproducte
seelischer Tätigkeit (Lehrb. d. Psychol. § 19). Wundt versteht unter einem
,j)syehischen Gebilde" „jeden xusamtnengesetzteti Bestandteil unserer unmittel-
baren Erfahrung, der durch bestimmte Merkmale von dem übrigen Inhalte der-
selben derart sich abgrenzt, daß er als eine relativ selbständige Einheit aufgefaßt
wird und, wo das prdktische Bedürfnis es fordert, mit eitlem besonderen Xamen
bezeichnet worden ist" (Gr. d. Psychol.*, S. 109). Diese Gebilde sind nur relativ
selbständige Einheiten, die in durchgängigem Zusammenhang miteinander stehen;
femer sind sie „niemals Objecte, sondern Vorgänge, die sich von einem Moment
zum andern veränderfi" (1. c. S. 110). „Alle psychischen Gebilde sind in
psychische Elemente, also in reine Empfindungen und in einfache Gefühle^ zer-
legbar" (ib.). Aber die Eigenschaften der Gebilde werden niemals durch die
Eigenschaften der psychischen Elemente erschöpft, die in sie eingehen. „Viel-
mehr entstehen infolge der Verbindung der Elemente immer neue Eigenschaften,
die den Gebilden als solchen eigentümlich sind" (z. B. die räumliche Ordnung,
1. c. S. 111). Es bilden sich so einerseits „Formeti der Ordntmg der Empfin-
dungen", anderseits neue einfache Gefühle (ib.). Die Einteilung der Gebilde
richtet sich nach ihren Elementen, sie ergibt: Vorstellungen (s. d.) und Gemüts-
bewegungen (8. d.).
Gebot 8. Imperativ.
GtodachtniB. 345
Gedftclitiils ißt die Fähigkeit zu gedenken, d. h. psychische Erlebnisse
KU erneuern, zu reprodueieren (s. d.). Ein besonderes Gedächtnis- Vermögen
gibt es nicht, sondern nur specielle Erinnerungsmöglichkeiten, Dispositionen
(s. d.) von Erlebnissen aller Art. Das (genügend intensiv oder wiederholt) Er-
lebte hinterläßt in der Psyche „Spuren^^, d. h. bei gegebenem Anlaß ist die
Psyche mm befähigt, ein dem vergangenen mehr oder weniger ähnliches Er-
lebnis zu producieren. Gedächtnis und Phantasie (s. d.) sind nur graduell ver-
schieden, da es keine unveränderte Beproduction (s. d.) gibt. Physiologisch
betrachtet erscheinen die Dispositionen zur Beproduction als moleculare Ver-
änderungen im Nervensystem. Das Gedächtnis tritt in verschiedenen Quali-
täten (Sach-, Namen-, Zahlen-, visuelles, auditives u. a. Gedächtnis) imd
Wertigkeiten auf (Stärke, Umfang, Treue, Sicherheit des Gedächtnisses ; mecha-
nisches, judiciöses Gedächtnis). Gedächtnisbilder sind die anschaulichen
Erinnerongsvorstellungen. Unter Erinnerung versteht man die actuelle Be-
production eines Erlebnisses mit dem Bewußtsein des Beproducierten. Er-
innerungsbilder sind reproducierte Vorstellungen.
In der Geschichte des Gedächtnisbegriffes treten drei Haupttheorien auf:
die psychologische, die physiologische und die psycho-physiologische, alle in
verschiedenen Modificationen.
Plato unterscheidet schon Gedächtnis (fiv^urj) und Erinnerung {avafivrjait).
Die Seele gleicht einer wächsernen Tafel (xiJQtvov ixuayslov)^ welche die Ein-
drücke behält (Theaet 191 0). Das Gedächtnis ist eine Aufbewahrungsstätte
der Wahrnehmungen (aanri^ia aiad^rjcecasy Phileb. 34 B). Die Erinnerung ist
ein seelischer Act {oxav a fitja rov awfiaros iTtaa^B nod' 17 tpvxrjy tovt avev
tov CiOfiarog avr^ iv iavrfj o t« fidhoTa avaXafißdvri ^ roxs dvafiifinjoxea&al
710V Xs'youev; ib.). Die dvd/urrjaie (s. d.) hat erkenntnistheoretische Bedeuttmg.
AKI8TOTELE8 erblickt in der favraaia eine Nach\i'irkung der aiffd'rjaie in der
Seele (De an. III, 3), ein Nachbild derselben (Bhetor. I 11, 1370a 28). Die
ftvTjfiri beruht auf dem Beharren C/iovri) des Eindrucks (De memor. 1; Anal,
post. II, 19; De an. I 4, 408b 17), Die dvdfivrjcie ist ein Willensact (De
memor. 2). Nach Straton beruht die Erinnerung auf der Bewegimg, physi-
schen Spur {vnouorrj) der Empfindung (Plut, Plac. IV, 23); nach Ansicht der
Stoiker auf einem Abdrucke {rvTttoan) in der (materiell gedachten) Seele (1. c.
IV, 11; Cicero, Acad. II, 10, 30; Epiktet, Diss. I, 14, 9). Plotin hingegen
faßt die Erinnerung als einen geistigen Act auf (Enn. IV, 6, 3). Gott hat kein
Erinnern (1. c. IV, 3, 25).
AuGUSTENüß verlegt das Gedächtnis in den Geist. Er nimmt auch ein
Gefühlsgedächtnis an (Confess. VIII, 14), unterscheidet sinnliches und intellec-
tuelles C^edächtnis (1. c. X, 7 f.; De quant. an. 33; De trin. IX, 3; XI, 2;
XV, 23; De lib. arb. II, 3). So auch die Scholastiker. Das Gedächtnis ist
ihnen ein Behalten der „s/>cete»" (s. d.) seitens der Seele. Avicenna definiert
die „virius conservativa et meniorialis" als „ihesaums eins, quod perrenit ad
existimativam de inietitionibus in perceptis setisu eoctra formas eonnn sensu per^
eepta^^ (bei StöCKL II, 38). Die Erinnerung ist .jacttis reflexus in id, quod
prius per sensum aeceptum esV^ (bei Albertus Magnus, Sum. th. I, 15, 2).
Albertus Magnus versteht unter yf7H€ffioria sensibilis^^ die „recordatio prius
aecepti^^ (1. c. I, 15, 2). „Memoria quae mentis est, actum paternum habet ex
se formandi intelligentiam, quae est actus reductionis in prototypum*^ (ib.).
„Memoria duplex: una est hahiius mentis ^ alia est coacercaiio formarum sensi-
346 Gtedaohtnis.
bilium prius aeceptarunt^ (1. c. I, 09, 1). Nach Thomas hat die „metnorie^^
die Function, „conservare species rerumj quae actu non appreftenduntta^' (Sum.
th. I, 79, 6 c), das Gedächtnis ist „thesaurus vel locus conservatiotiis specierum^
(l. c. I, 79, 7 a). Es gibt yjinetnaria sensitwa'^ und „ifUelleetiva^^ (1. c. I, 77, 8
ob. 4; I, 79, 6). „Reminiscefitia^^ ist „inquisitio alicuius, qtiod a memoria
exctdii^^ (Memor. 5 b).
Campanella sieht in den Gedächtnisbildem abgeblaßte Wahrnehmungen.
jjPasaio autem remanet, abeunfe activo, sed languida, Haec autem reniafisio eä
memoria" (Univ. phil. I, 6, 4). Nach L. ViVES ist das Gedächtnis ein ,/e-
eeptaeulum" (De an. II. p. 50), „facultas animi, qua quasi ea^ quae sensu 00-
quOy externo atä iniemOj cogfwvüf in mente continet" (1. c. p. 54). Zu unter-
Hcheiden sind: „memoria'^ „recordatio" ^ „reminiscentia" (L c. p. 55). Functionen
des Gedächtnisses sind das „apprehendere^^ und das „retinere^'' (ib.). Es gibt
verschiedene Arten des GMächtnisses (für „res^% y^rerba" u. s. w.) (1. c. p. 56).
Die Aufmerksamkeit festigt das Gedächtnis {„mem&riam confirmat*^, L c, p. 56).
HoBBES definiert die Erinnerung als Bewußtsein des Wahrgenommenh&bens:
y,Senttre se sensisse est meminisse" (De corp. 25, 1). Spinoza erklärt ,ymemoria"
als y^uaedam^ coneatenatio idearum, naturam rerum, quae extra corpus kumanum
sunty inpolventiumy quae in mente fit secundum ardinetn et eoncatenationem
affectionum corporis kunumi'^ (Eth. II, prop. XVIII, schoL). Wie schon Des-
OARTES (De hom. p. 132; Princ. phil. IV, 196), nehmen Malebbanch£ u. a.
yyideae materiales" (s. Ideen) als Vermittler der Erinnerung an. Leibniz nimmt
bloß psychische Dispositionen (s. d.) an. Nach Locke ist das Gedächtnis eine
Behaltungsfähigkeit (y,retentiveness"). Das yyBehalten" der Vorstellungen be-
deutet nur die Fähigkeit der Keproduction früherer Vorst^llimgen, wobei die
Seele sich bewußt ist, sie gehabt zu haben (Ess. II, eh. 10, § 2 ; I, eh. 4, § 20).
HuME versteht imter Gedächtnis die Fähigkeit der Beproduction von Ein-
drücken (Treat. I, sct. 3, S. 18). Die Hauptfunction der Erinnerung bestdit
im Festhalten der Ordnung imd wechselseitigen Stellung der VorsteUungoi
(L c. S. 19). Nach Hartley, Bonnet u. a. beruht das Gedächtnis auf Dit^-
positionen (s. d.) im Gehirn (s. Association), so auch nach Holbach: yyLa
memoire est la factdtS que Vorgane interieur a de renouveüer en lui-metne les
viodificatimis qu'il a re^ie" (Syst. de la nat. I, eh. 8, p. 113). Condillac be-
merkt: yyQua)id une idee se retraee ä la staiue (s. d.), ce n'est donc pas quelle
se sott conservee dafis le corps ou dans Väme: e*est que le mcuvement, qui en
est la cause physique et occasionelle, se reproduit dans le cerveau" (Tr. d. sens.
I, eh. 2, § 38; Log. I, eh. 9). Von den Wahmehmimgen bleibt „une impression
plus ou moins fortCy suivant que V attention a ete elle-metne pltis ou moins wpp**
(l. c. § 6). yyLa memoire est le conmieneement d*une imagination qui n*a eneore
que peu de force; V imagination est la memoire meme, parvenue ä taute ia nra-
cite dont eile est susceptible" (1. c. § 29). Destütt de Tracy erklärt: „La
7nhnoire consiste ä sentir les Souvenirs des sensafions passees" (Elem. d'id^oL
I, eh. 3, p. 41).
Nach Chr. Wolf ist yyOedäcJänis" yydas Vermögen, Oeda^iken, die wir vorhin
gehabt luiben, iHeder xu erkennen, daß loir sie schon gduibt haben, wenn sie uns
ic^ieder vorkommen" (Vem. Ged. I, § 249). yyMemoria in faetdtate ideas repro-
duetas . . , et res per eas repraesentatas recognoscendi consistit" (Psychol. rat
§ 278; Psychol. empir. § 175). Erinnerung ist „facultas perceptiones praeieriias
7/iediate reproducendi et recognoscendi" (Psychol. empir. § 230). Es gibt „ideae
Oedachtnis. 347
materiales" (ä. d.). Baitugartex definiert: „Memoria est facultas reproduetas
pereepHoftes recogftoscendi*^ (]VIet. § 579). Ploucqüet: ,f Memoria est ea vis
repraesentandiy qua nexus posieriorum cum prioribus perceptioniöus exeiUUur"
(Princ. de subst p. 75). Nach Cbusius ist das Gedächtnis das „ Vermögen, die
einmal gehabten Begriffe fortzusetzen und bei gewissen Umständen triederum
lebhaft xu denken^^ (Yemunftwahrh. § 426). Platner definiert das GedächtDis
als „Vermögen^ mittelst dessen udr vormalige Ideen aufbehalten'^ (Phil. Aphor.
I, § 285). Erinnerung ist das ,, VermögeUj mit Ideen der Phantasie xu verbinden
das Batußtsein ihrer vamialigen Darstellung" (1. c. § 422). Sich erinnern heißt :
yjdeen des Oedäehtnisses vergleichen mit ähnliehen Ideen entweder der Sinnen
oda- des Gedächtnisses*^ (1. c. § 78). Auf Association (s. d.) führt James Hill
die Erinnerung zurück. — Kaxt erklart: „Das Gedächtnis ist von der bloß
reprodudiven Einbildungskraft darin unterschieden, daß es die vormalige Vor-
stellung teillkürlich xu reproduderen vermögend, das Gemüt also nicht ein
bloßes Spiel von jener ist** (Anthrop. I, § 32). Es gibt ein mechanisches,
ingeniöses, judiciöses Gedächtnis (ib.). Das erstere beruht bloß auf Wieder-
holung; das ingeniöse Memorieren ist „eine Metliode, gewisse Vorstellungen, die
an »ich {für den Verstand) gar keine Verwandtschaft miteinander habefi . . .,
dem Gedächtnis einxuprägen" ; das judiciöse Memorieren ist ,^n afideres als
das eifier Tafel der Einteilung eines Systems in Gedanken** (ib.).
Fries nennt Gedächtnis das Vermögen der Fortdauer unserer Vorstellungen
(Syst. d. Log. S. 51 f.). Die Erinnerung besteht darin, daß uns „Erkentitnisse,
die wir friUter hatten, tcieder xum Beitußtsein kommen** (1. c. 8. 63). Heoel
eiklärt: „Der Name als Verknüpfung der von der Intelligenz producierten An-
»ehauung und seiner Bedeiäung ist zunächst eine einxelne vorübergehende l^O'
duetion, und die Verknüpfung der Vorstellung als eines Innern mit der An-
ffchauung als einetn Äußerlichen ist selbst äußerlich. Die Erinnerung dieser
Äußerlichkeit ist das Gedächtnis** (Encykl. § 460). Es gibt ein „behaltendes**
und j^-eproducierendes** Gedächtnis (1. c. § 462). Erinnerung ist „die Beziehung
des Bildes auf eine Anschauung, und zwar als Subsumtion in der umnittel-
baren einzelnen Anschauung unter das der Form nach Allgcfneine, unier die
Vorstellung, die derselbe Inhalt ist; so daß die Inteüigenx in der bestimmten
Empfindung und deren Anschauung sich innerlich ist und sie als bereits
ihrige erkennt, wobei sie zugleich ihr zunächst nur inneres Bild nun auch
als unmittelbares der Anschauung, und an solcher als bewährt weiß** (1. c. § 454).
IL Rosenkranz versteht unter „Erinnerung*' (im Unterschiede von der
^Wiedererinnerung**) das Innerlichmachen der Anschauung als actives Er-
innern, Verinnern, wodurch die Anschauung zum „Bude** wird (Psychol.*
S. 338 ff.). Das „Gedächtnis** entsteht mit der Sprache als „dc^s Erfassen der
Sache in der Äußerlichkeit ihrer Bezeichnung, Es rerknüpft mit einem
Samen eine Sache** (L c. 8. 398 ff.). Die Erinnerung im gewöhnlichen Sinne
ist das Werk der „reprodudiven Einbildungskraft**, „welche die Vorstellung ohne
den äußeren Anreiz einer eorrespondierenden Anschauung durch die freie Macht
der mbjeciiren Intelligenz plötzlich und unwillkürlich wieder hervorrup* (1. c.
S. 347 ff.; Syst. d. Wiss. § 638 f.). Nach Uillebrand ist das G^ächtnis
yjiae Streben der Seele, sich in dem zeitlich-bestimmten Dcfiken als einfacfie freie
Sdbstheit in continuier lieber Identität mit sich . . . xu behaupten'* (PhiL d.
Geist 1,232). Es bezeichnet „die Gedanken- Continuität in einem psy-
chischen Individuum** (ib.). Erinnerung ist „die Reproduetion eines psychischen
348 Oedächtnis.
Selbstbe8timmun{/sa4!tes mit der Bestimmtheit des ahsiracten Unter-
schiedes X wischen dem suhjectiven Selbst und dem hexüglichen Ob-
jecte^'- (1. c. I, 229). Schopenhauer erklärt: „Z>tc Eigentümlichkeit des er-
kennenden SubfeetSj daß es in Vergegenwärtigung von Vorstellungen dem Wükn
desto leichter gehorcht, je öfter solche Vorstellungen ihm schon gegenwärtig ge-
wesen sind, d, h. reine Übung sfähi gkeit , ist das Oedächtnis". ijWtU man
von dieser Eigentümlichkeit unseres Vorstellungsvermögens ein Bild , . ., so
scheint mir das richtigste das eines Titehs, tcelches die Falten, in die es oft
gelegt ist, nachher gleichsam von selbst wieder sehlägt." „Keineswegs ist . . .
eine Erinnerung im7ner dieselbe Vorstellung, die gleiehsam aus ihrem Behältnis
uneder hervorgeholt wird, sondern jedesmal entsteht wirklich eine neue, nur mit
besonderer Leichtigkeit durch die Übung" (Vierf. Würz. C. 7, § 45).
Hebbart erklärt das Gredächtnis als „unverändertes Wiedergeben früher
gebildeter Vorstellungsreihen" (Umr. päd. Vorles. I, C. 2, § 21). Es gibt kein
allgemeines Gedächtnis, sondern jede Vorstellung (s. d.) hat das Streben, nach
ihrer Hemmung (s. d.) wieder bewußt zu werden (Lehrb. zur PsychoL*, S. 16;
s. Eeproduction). Nach Volkmann kommt jeder Vorstellung ihr GMächtniä
zu. Man kann „rf<M Streben der Vorstellung nach unmittelbarer Reproduction
deren Oedächtnis im engeren Sinne, jenes, andere zur mittelbaren Re-
production XU bringen, deren Erinnerungskraft nennen und beide unter das
Oedächtnis im weiteren Sinne zusammenfassen" (Lehrb. d. PsychoL I*,
490). Die Erinnerung besteht in der „Reproduction der Reihen von einem ge-
meinschaftliehen Endgliede a/us" (1. c. S. 457). Nach Beneke ist das Ge-
dächtnis jeder Vorstellung die Kraft, mit welcher sie imbewußt (als „An-
gelegtheit", „Sptir", s. d.) fortexistiert, die „Kraft ihres psychischen Seinsr*
(Pragm. Psychol. I, 190; Lehrb. d. Psychol. § 101 f.). Die Erinnerung ist
„fortgesetzte Reproduction" (Lehrb. d. PsychoL § 104). Nach H. Ritter ist
Erinnerung „das Bewußtsein einer vergangenen Erscheinung in der Oegemvarf
(Syst. d. Log. S. 202). Kein psychologisch erklärt auch Georgs das Ge-
dächtnis (Lehrb. d. Psychol.), so auch J. H. Fichte (Psychol. I, 437 ff.) und
Ulrici, nach welchen Erinnerung eine Eigenschaft der Seele ist (Leib u. Seek
S. 477 ff., 497). Die Reproduction ist vom Grefühl abhängig (1. c. S. 491 1);
so auch HoRWicz (Psychol. Anal. I, 318). Renoüvier erklärt Gedächtnis und
Phantasie für nicht principieU verschieden (Nouv. MonadoL p. 116). Die Er-
innerung („rememoraiion aetive") ist ein Suchen nach der Vorstellung, sie ist
„une fonction hegemonique de Vesprit" (1. c. p. 120). L. NoiRE betont, wir
können uns nur dessen erinnern, was wir wollen (Einl. u. Begr. e. mon. Erk.
S. 204). Nach Witte besteht das Gedächtnis „in der Kraft des Ichs, alle Bc-
icußtseinsinhalte und Vorgänge auf seine eigene schlechthin constante vor-
empirische Lebenseinheit zu beziehen" (Wes. d. Seele S. 182). Rehhke be-
stimmt das Erinnern als „m der Vorstellung etwas als Bekanntes wiederholend'
(Allg. Psychol. S. 532). Gedächtnis ist „das Vorstellenkönnen von früher Ge-
habtem als früher Oehabtes" (1. c. S. 496). M. Müller sieht im „Oedächtnis^'
einen Namen für die Erhaltung geistiger Kraft; zu erklären ist nur das Ver-
gessen (Das Denken im Lichte d. Sprache S. 63 f.). H. Cornelius bestimmt
die „Oedächtnisbilder" als Nachwirkungen früherer Erlebnisse. Das „Oe-
dächtnisbild" hat „stets eine von ihm selbst zu unterscheidende Bedeutung",
es gibt sich uns unmittelbar als „Nachwirkung" zu erkennen, enthält den
„Himceis auf ein Nichtgegenwärtiges" (, symbolische Function" der Gedächtnis-
Oedächtnis. 349
bilder: EinL in d. Philos. S. 210 ff.). Das Gredächtnis besteht in einer „Fort-
Wirkung der vergangenen Inhalte^', Empfindung und E^rinnerungsbild sind
inhaltlich verschieden (Psychol. S. 20 ff.). Nach Dessoik bedeutet ,jOedäcktnis''
im allgemeinen Sinne ,,die Taisache, daß Empfvndungen, Vorstellungen^ Oefühle,
Triebe ohne bedeutende Andenmg ihres Inhaltes unter gewissen Bedingungen
wieder auftauchend^ (Doppel -Ich S. 65). Es gibt im Ich zwei „Oedächtnis-
ketten*^, eine ober- und unterbewußte (L c. S. 67).
Nach E. V. Hartmann beruht die Erinnerung auf unbewußten psychischen
Functionen und physischen Dispositionen (Mod. Psychol. S. 134). Nach
HsKiNa kommt aller organisierten Materie ein Gedächtnis zu (Üb. d. Gedächtn.
1870); er spricht von Gattungserinnerung durch Vererbung. So auch Preyer
(persdnliches — phyletisches Gedächtnis) (Seele d. Kind. S. 230). Haegkel
schreibt der Plastidule (s. d.) ein unbewußtes Gedächtnis zu (Perigenes. d.
Plastid. 1876, S. 38 f.). Ostwald betrachtet das Gedächtnis als Eigenschaft
der lebenden Substanz (Vorles. üb. Naturphilos.* , S. 367 ff.). A. Lasson
unterscheidet drei Arten des Gedächtnisses: materielles, seelisches, geistiges
Gedächtnis (PhiL Vorträge III. Folge, 2. H. 1894, S. 67). Das leibliche Ge-
dächtnis kommt aller Materie zu (1. c. S. 67, 69 f.). Die Seele hat ein Ver-
mdgen der Beproduction (1. c. S. 70). Der Geist reproduciert bewußt-activ
(1. c. S. 71). Immer ist das Gredächtnis die Identität mit sich (1. c. S. 66, 72).
Nach H. Spencer ist das Gedächtnis „eine Art von beginnendem Instinct^'
(Psychol. I, § 199), es beruht auf Bewußtseinszusammenhängen (1. c. § 201);
die Erinnerung beruht auf „Assimilierung*^ (1. c. § 120). Sully erklärt das
Gedächtnis als „Function des Behaltens^^ („retenttveness^^J ; Erinnerung ist die
y^tive Seite der Beproduction^^ (Handb. d. Psychol. 8. 180, 183 ff.; Hmn. Mind
C. 9; vgl. James, Psychol. C. 16, 18; Titchener, Ontlin. of Psychol. C. 8, 11;
Stout, Anal. Psychol. II). Nach Höfler ist das Gedächtnis ein Fall der
Übung, nämlich Vorstellungsübung (Psychol. S. 165). Jgdl erklärt das Ge-
dächtnis als Tendenz des Fortbestehens jeder psychischen Erregung (Lehrb. d.
Psycho! S. 460). Das „'primär&^ Gedächtnis besteht darin, daß alle Wahr-
nehmungen „mit abgeschwächter Intensität noch in eitler gewissen I^ähe der
Schwelle verharren^^ (1. c. S. 113). W. Jerusalem nennt Erinnerungen yjVor-
steiiufigen von Ereignissen, die wir wis bewußt sind selbst erlebt xm haben**
(Lehrb. d. PsychoL», S. 91). Das Gedächtnis ist j,die psychische Disposition,
Erinnerufigsrorsteüungen xu erleben** (1. c. S. 92). „Die Zahl der Vorstellungen
oder die Länge der Reihen, die immer zur Verfügung stefien, bestimmt den
Umfang des Qedächtnisses oder seine Stärke. Die Oüte des Öedächtnisses
ist bestimmt durch die ZaJd der Wiederholungen, die nötig sind, um eine Vor-
steUungsreihe xu behalten . . . Die Treue oder Verläßlichkeit des Oedäehtnisses
wird bestimmt durch den Orad der Oenauigkeit, mit dem wir reproducieren**
(L c. S. 92). Das Interesse kräftigt das Gedächtnis (ib.). Die „Special-
gedäcktnisse*' beruhen auf bestimmten Richtimgen des Interesses (ib.). Ex-
perimentelle Untersuchungen über die Treue des Gedächtnisses gibt es von
Fjbbtnghaüs („die Quotienten aus Befialtenem und Vergessenem verhalten sich
etwa umgekehrt ivie die Logarithmen der verstriclienen Zeit**, Üb. d. Ged. 1885,
S. 107), MÜLLER und Schumann (Exper. Beitr. zur Unt. d. Ged., Zeitschr. f.
Pöychol. d. Sinn. Bd. VI, 1894), W. Lewy (Exper. Unt. üb. das Gedächtn.,
1. c. VIII, 231), Kennedy (Experimental Investigat. of Memory, Psychol.
Beyiew V). Über Specialgedächtnisse vgl. Phü. Stud. I, II, III, IV, VIII— XII,
350 Oedächtnis — Gedanke.
XV, ViERORDT, Der Zeitsinn 1868, femer Ann^ peychol. I, 1894, J. CoH5
(Z. f. PsychoL XV). Ober Gedächtnißstörungen : Forel (Dbs Gedächtn. d-
seine Abnorm.), Ribot (Mal. de la memoire 1881). Nach ihm ist das Ge-
dächtnis eine biologische Erscheinung, es beruht auf dynamischen AssodationeD
der Nervenelemente. Es gibt kein Gedächtnis im allgemeinen (ib.). Physio-
logisch bestimmt das Gedächtnis Meyitejelt („Erinfierttngsxellen^^J, fema- Stehen.
In Ganglienzellen - Gruppen werden „Erinnerungsbilder** niedergelegt, d. L
jyResidtien früherer sensibler Erregungen*'^ (Leitfad. d. phys. Psycho!.*, S. 14),
Die Erinnerung beruht auf Association (1. c. S. 174 f.). So auch nach Wuxdt.
Er betrachtet die yyErinnerungsvorgäng&* als einen Specialfall der j^sueeessian
Associatum** (s. d.). Erinnerung erfolgt, wenn die Hindemisse sofortiger Assi-
milation (s. d.), die den Übergang der simultanen in eine successive Association
veranlassen, „«o groß sind, daß die der neuen Wahrnehmung understreüenden
Vorstellungselemente . . , xu einem besonderen Vorstellungsgebilde sich veremigmy
das direct auf einen früher staitgefundenen Eindruck bezogen wire^*. Die so
zur Apperception gelangende Vorstellung heißt „Erinnerungsvorst^lung** (n^'
innonrngsbild'^) (Gr. d. PsychoL*, S. 289). Die „reproduetiv entstandene^ Vor-
steUung ist eine neue VorsteUung (1. c. S. 290). Jeder Erinnerungsvorgang
setzt sich aus einer Menge elementarer Processe zusammen (1. c. S. 293). Die
Kückbeziehung der Erinnerungsvorstellung auf ein vorangegangenes Erlebnis
gibt sich im „ErinnerungsgefüJti** zu erkennen (ib.). Die Wirkungen der Er-
innerungsassociationen werden unter dem Namen y^Gedächtnis^' zusammen-
gefaßt (1. c. S. 296). ErinnerungsvorsteUungen und Wahrnehmungen „u^eichen
nicht nur qualitaiiv und intetisiv, sondern auch in ihrer elementaren Zuaanunenr
setxung durchaus voneinander ab" (1. c. S. 298). Bei dem „AUerssekurnnd des
Gedächtnisses" ist besonders symptomatisch die Abnahme des Wortgedachtnisses,
so daß yyam frühesten die Eigennamen, dann die Namen cmicreter Gegenstände
der täglichen Umgebung, dann erst die ihrer Natur fuich abstracteren Verba und
xuletxi die ganx abstracten Partikeln vergessen werden" (1. c. S. 300; Völkcr-
psychol. I, 1, C. 5; vgl. dazu Ribot, Mal. de la memoire: das Neuere wird vor
dem Alteren vergessen, „Regressumsgesetx"), KÜLPE erklärt: „Die Begriffe des
Gedächtnisses und der Reproduetion, x, T, auch der Erinnerung ent-
halten den einfachen Hintceie darauf, daß ein Eindruck, der einmal infolge be-
stimmter Reixe stattgefunden hat, nicht schlechthin nach dem Aufhörren der
letxteren verschwindet, sondern irgendivie aufbetraJirt wird und unier gewissen
Bedingungen ohne eine Erneuerung des ursprünglichen äußeren Reizes wieder
ein merklicher Inhalt des Bettußtseifis xu tcerden vermag*^ (Gr. d. PsychoL
S. 175). Es handelt sich hier um „centrcd erregte Empfindungen" (L c.
S. 176 ff.). Ohne nachahmende, deutende Bew^ungen findet keine willkürliehe
Erinnerung statt (1. c. S. 189). An sich ist nichts eine Erinnemng, es wird es erst
„durch ein Urteil, dae sich mit ihm verbindet" (1. c. S. 190). Vgl. Disposition.
Phantasie, Beproduction, Association.
Gedftcbtnte, falscbes („iUusory memory^^, vgl. Uodgson, Phil, of
Reflect. I, 276 f.): eine Art der Illusion (s. d.), wobei eine Situation u. dgL für
schon einmal erlebt gehalten wird.
Gedftclitntebllder s. Gedächtnis.
Ged&cbtnisknnst s. Mnemotechnik.
Gedanke: einzelner Denkact, Denkinhalt, Denkproduct, Begriff (s.d.). ->
Gedanke — Gefallen. 351
Nach den Stoikern wird das fdvraaua zum ivvotjfiay dneiSav Xoyixf, ngoa-
;iwrTJ? xpvxi (Galen., Hist. phil. 92, 305; Dox. 636). Descartes versteht unter
,/:ogitafione9" alle VorsteUungearten (s. Denken). Chb. Wolf nennt „Gc-
dcmken" die ,, Veränderungen der Seele, deren sie sieh bewußt ist" (Vem. Ged. I,
§ 194), Platnek „die bewußten Ideen der Phantasie — imciefern sie verbunden
sind mit dem Anerkenntnis der MerhncUe der Sache^*^ (Phil. Aphor. II, § 33).
Fries unterscheidet den y,gedäehtnismäßigen Gedankenlauf, der nach
tmicülkürlichen innem Gesetzen erfolgt", und den „logischen Gedankenlauf,
den lüir tcülkürlich lernen" (Gr. d. Log. S. 13; Syst. d. Log. S. 53; N. Krit.
I, 51). Nach Hegel ist die Intelligenz „für sich an ihr selbst erkennend;
— an ihr selbst das Allgemeine, ihr Product, der Gedanke ist die Sache;
einfache Identität des Subjectiven und Objectiven, Sie weiß, daß, was gedacht
ist, ist; und daß, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist", „Das Denken
der Intelligenx ist Gedanken haben; sie sind als ilir Inhalt und Gegenstand"
(EncykL § 465). „Objeetiver Gedanke" ist das Vernünftige in der Welt (1. c.
§ 24). Nach WuNiyr entsteht durch die Zerlegung von Gesamtvorstellungen
(g. d.) em^ „Gedankenverlauf" von discursivem Charakter (Log. I*, S. 33 ff.;
Vorles. üb. d. Mensch.*, S. 340 ff.). „Gedanke" ist die Gesamtvorstellung, die
einer beziehenden Analyse unterworfen wird (Gr. d. Psychol.*, S. 321). Nach
i^EROi ist der Gedanke die „sensibÜite transformee" (Psychol. S. 155). AvE-
NASIV8 sieht im Gredanken ein „Naeh-Nachbild" der Wahrnehmung (Kr. d. r.
Erf. II, 77). „Nachgedanke^*^ ist der „unanschatdiehe Rest des verflüchtigten Ge-
dankens** (ib.). Nach Nietzsche sind Gedanken nichts als die „Schatten unserer
Empfindungen — immer dunkler, leerer, einfacher als dies&% sie sind nur Zeichen,
Symbole, Wirkungen von Triebbewegungen (WW. XI, 6, 250, 2.54 ff., 258; X,
S. 194 f.). Vgl. Denken.
Oed»iikendlii{s; („ens rationis") s. Ding, Wesen.
einfallen ist der Ausdruck dafür, daß etwas Lust erweckt, daß ein
Vorstellimgsinhalt vom Ich gewollt, als für das Ich passend unmittelbar be-
fanden wird. Mißfallen bezeichnet die Ablehnung eines Etwas durch das
Ich. Auf dem Grebiele des Ästhetischen (s. d.), auch der Ethik (s. d.) ist das
Gefallen bezw. das Mißfallen von Bedeutung.
Herbabt leitet das Sittliche (s. d.) aus ursprünglichen Acten des Gefallens
und Mißfallens ab. Feghner erklart: „Wir sagen . . ., daß uns etwas gefällt
oder mißfällt, je nachdem es, unserer Betrachtung oder Vorstellung dargeboten,
derselben einen lustvollen oder unlustvollen Charakter erteilt" (Vorsch. d. Ästhet.
I, 7). Tönnies erklärt „Gefallen" als „angeborene Lust an gewissen Gegeti-
ständen und zu getcissen Tätigkeiten" (Crem. u. Gesellsch. S. 106). Nach Wündt
sind Gefallen und Mißfallen Gefühlsgegensätze, die „nicht das eigene Wohl-
oder Übelbefinden, sondern das Verhältnis der Gegenstände num vorstellenden
Subjeet" zum Ausdruck bringen (Gr. d. Psychol.*, S. 195 f.). Es sind nicht
Einzelgefühle, sondern allgemeine Gefühlsrichtungen (1. c. S. 196). H. Schwarz
onterscheidet (Mallen und Mißfallen vom Gefühl, es sind die ersten luid ur-
sprünglichen Willensregungen (Psychol. d. Will. S. 92). „Gefallen ist die Re-
action der wollenden Seele, wenn die Gegenstände, von denen sie betregt wird,
genossen, besessen, vertcirklicht sitid" (1. c. S. 94). Gefallen imd Mißfallen
lassen Unterschiede der „Sättigung" zu (1. c. S. 95). Das „Centrierungsgesetx"
lautet: „Alle Regungen des ungesättigten Gefallens und des Mißfallens ivirken
352 OefaUen — Oefühl.
centrierend auf das Vorstellen, d. h. die Regungen ungesättigten Gefallens
haben die TendenXj solche Vorstellungen um sich xu scharen^ durch deren InhaU
das Gefallen mehr und mehr gesättigt wird. Alle Regungen des Mi ßf allem
anderseits haben die Tendenz, einen Kreis solcher Vorstellungen um sieh xu ver-
sammeln, die das Mißfallen imfner ungesättigter machen^^ (1. c. S. 121).
Oefftbl ist der subjective Zustand, in welchem das Ich Stellung nimmt
zu den Modificationen, die es erfährt, zu seinen Erlebnissen. Lust und Unlust
sind Collectivausdrücke für die mannigfachen Zustande, die objectiv eine För-
derung oder Uenunimg (Herabsetzung) des Organismus bedeuten. Jedes Gefühl
enthält ein Streben oder Widerstreben, das unter Umständen kaum noch zum
Bewußtsein gelangt. Grefühle sind daher schon Momente, Bestandteile, Symptome
von Willenshandlungen, die sie einleiten und beendigen. Unterscheiden lassen
sich sinnliche, intellectuelle (logische), ästhetische, ethische, sociale, religiöse
Gefühle. Das Gefühl ist ein selbständiger, ursprünglicher Bewußtseinsbestand-
teil, nicht eine Modification oder Begleiterscheinung des Vorstellens.
Früher und noch jetzt bei Physiologen werden Gefühl und Empfindung (s. d.)
nicht scharf unterschieden. Tastempfindungen werden nicht selten noch als
„Qefühle^^ bezeichnet Ferner hat man nicht immer Gefühl und Affect (s. d.)
getrermt.
Nach einer Ansicht gilt das Grefühl als eine eigentümliche Erkenntnis
einer VoUkonmienheit oder Unvollkommenheit der Seele, des Organismus. So
definiert Plotin die Unlust als yvoicis aTtayeoyijs cdfiaTO^ ivSaluaros yv/ijs
cTB^iaxoftifov, die Lust in analoger Weise. Die Affection ist nur im Leibe,
das Bewußtsein derselben in der Seele (Enn. IV, 4, 19). Als unklare Erkennt-
nisse werden die Gefühle von den Stoikern bestimmt; Soxal S'avrols ra nd&v,
xQiCBis slvai (Diog. L. VII, 111). Tr;v fikv kvnrjv tlvai ci^aroX^v akoyov —
TiBovTj de ioTiv äloyoe ina^ais (VII, 114); riSot'ijv S'eJvai ijtaqciv y^vxijs aneid'T^
Xoytpj oiTiOv S^avTfjg to Soid^eiv TtQoafarov naxov na^elrai, i^ tf »ad'tjxei
inaiqec&ai, (Stob. Ecl. II 6, 174). Leibniz (wie schon Dkscartes, Epist. 6, 1)
erklärt die Lust als Empfindung der VoUkonmienheit an uns oder an anderem
(Nouv. Ess. II, eh. 21, § 42). Activität der Substanz befördert deren Lust,
Passivität deren Schmerz (§ 72). Nach Chr. Wolf ist Lust ein „Anschauen der
Vollkoynmenheit*^ , Unlust „anschauende Erkenntnis der Unvollkommenheit*^ (Venu.
Ged. von Gott ... I, § 494, 517; Vem. Ged. von d. Kr. d. m. V.*, 0. 9, § 5).
„Voluptas est intuitus seu cognitio intuitiva perfectionis cuiuscumque sire rerae
sive apparentis** (Psych, emp. § 511). Baumgarten nennt die Lust ,^taius
animae ex intuitu perfectionis" (Met. § 655).
Als Zustand und Wirkung von Vorstellungsbeziehungen faßt
das Gefühl Herbart auf (Psych, a. Wiss. I, 68 f., 81 f.). „Die Gefühle und
Begierden sind . . . veränderliche Zustände derjenigen Vorstellungen, in derun
sie ihren Sitx haben" (Lehrb. z. E. in d. Ph. § 159). Nach Nahlowsky be-
zeichnen Gefühl imd Streben „7iur besondere Modificationen, die sich mit
den Vorstellungen, bei Hirem Zusammentreffen im Bewußtsein, ereignen". Sie
resultieren aus den Vorstellungen (Das Gefühlsleb. S. 42). Das Gefühl ist „un-
mittelbares Innewerden der Hemmung oder Förderung unter den eben im
Beicußtsein vorhatidenen Vorstellungen" (1. c. S. 48), oder „das unmittelbare Ä-
umßtsein der momentanen Steigerung oder Herdbstimmung der eigetten pgjf-
chiscJien Lebenstätigkeit** (ib.). Vom Gefühl ist der „Ton" der Empfindung
Gefühl. 353
(s. d.) zu unterecheiden. Die yygemüehten" Gefühle sind „Oefühlsoscüla-
iumen" (1. c. S. 58). Die Einteilung der Gefühle ergibt sich nach dem
Tone und .nach den Ursprungsbedingungen des Grefühk (L c. 8. 49 fL):
Lust — - Unlust; formelle, qualitative Gefühle. Nach Lazarus bezieht sich
das Grefühl immer auf eine Beihe von Vorstellungen, es ist der Zustand
der Seele während des Vorstellens (Leb. d. Seele I*, 285' ff.). So sagt
auch VoLKMANN: „Das Bewußtwerden des Spannimgsgrades des VarsteUens"
ist das, was wir Gefühl nennen (Lehrb. d. Ps. 11^, 302). Eine Begleiterscheinung
des Erkennens (und Wollens) ist das Gefühl nach J. H. Fichte (Psych. I,
227; n, 136). Nach Lipps entstehen Gefühle in uns, „trenn Vorstellungen sich
unfersHUxen, im Oleiehgewicht halten, hemmen*^ (Grundt. d. SeeL S. 19 f.). Nach
Kroell ist das (jrefühl eine secundare Form der psychisch^ Erscheinungen, eine
Folge der Vorstellungen (Die Seele i. Lichte d. Mon. S. 27, 29). Nach MEoroiro
ist die Vorstellung für das Gefühl eine psychologische, das Urteil nicht selten
eme Mit-Voraussetzung (Wertth. S. 34 f.). Es gibt Vorstellungs- und Urteils-
gefühle („Oefiihley denen . . . auch ein Urteil wesenüieh ist% S. 35). Femer
^bt €8 Wissens-, Wert-, Gefühls- und B^ehrungsgefühle (8. 35, 38, 63).
Ahnlich lehrt über das Wesen des (Gefühls Höfler (PsychoL 8. 19, 389 f.,
387, 401).
Andere führen die (jrefühle auf (organische und Spannungs-) Empfin-
dungen zurück, so E. Mach (AnaL d. Empfd.«, S. 17), Münsterberg (Beitr.
2. exp. PsychoL H. 4), der Lust und Unlust mit Streck- und Beugungs-
bewegungen in Zusammenhang bringt Nach R. Wähle sind Gefühle „nur
Eärpererregungen mit doxa gehörigen Pha/ntasien und Ideen^^ (D. Ganze d. Ph.
S. 378). „Die durch gewisse Empfindungen und Vorstellungen angeregten Be-
wegungen, Bewegungstendenxen und Empfindungen, welche in ihrer eompleten
Ausgestaltung die Äffeete ergeben, bilden als Rudimente und in Verkünüungen
die Oefühle*^ (8. 339). Lust ist Elevation, Unlust ist Depression oder Unruhe
(a 369 f.). VgL Affect
Das Gefühl wird toner als eigenartiger, subjectiver Zustand, in
welchem das Ich seiner selbst unmittelbar bewußt wird, bestimmt.
Tbtbns imterscheidet das (jrefühl von der Sinnesempfindung. „Dcts Vermögen
XU fühlen'' r» „Gefühl'' (PhiL Vers. I, 169). Gefühl ist etwas, „wovon ich
weiter nichts weiß, als daß es eine Veränderung in mir selbst sei, und es nicht
. . . atrf äußere Gegenstände bexiehe^' (S. 215). Das Gefühl gehört zu den ein-
fachen Zustanden der Seele (L c. 8. 166). Auch Mendelssohn (Briefe üb. d.
Empfind.) und Sulzer (Verm. ph. Seh. I, 227) trennen Gefühls- (Empfindungs-)
und Vorsteilungsvermögen. Platker definiert Grefühl als „Bewußtwerden des
eigenen gegenwärtigen Zustandes'' (N. Anthr. S. 245). Kant betont ausdrücklich,
das Gefühl sei ein vom Erkennen verschiedener eigener Bewußtseinszustand.
„Da^fenige Objeetive aber an jeder Vorstellung, was gar keine Erkenntnis
ufcrden kann, ist die mit ihr verbundene Lust oder Unlust; denn durch sie
erkenne ich nichts an dem Gegenstande der Vorstellung, obgleich sie wohl die
Wirkung einer Erkenntnis sein kann'' (Kr. d. Urt Einl. VII). Gefühl ist „«to,
was jederzeit bloß &ubjectic bleiben muß" (I, § 3). Das Gefühl geht auf die
^Beförderung oder Hemmung der Lebenskräfte" (S. 137). „Vergnügen ist das
Gefühl der Beförderung; Schmerz das eines Hindernis des Ijebene^' (Anthr. II,
§ 58). Nach Chr. E. ScHiao kann das Gefühl, „ohne für sich selbst eine Vor-
stellung zu sein, doch ein Merkmal einer Vorstellung von seinem eigenen Zustande
PhiloM>phiMli«t WOrttrbaoh. 2. Aofl. 23
354 Gefühl.
abgeben*' (Emp. Ps. S. 263). Nach G. E. Schulze wird das Fühlen ,/ih un-
mittelbare Erkenntnis des Daseins getcisser Dinge*' dem Vorstellen entgegen-
gesetzt (Ps. Anthr.*, § 171). „Jl//e Gefühle sind insofern Selbstgefühle, als
sie sieh immer bloß auf das fühlende Subject und dessen eigenen Lebensxustaftd
bexiehen*' (§ 172). Zu unterscheiden sind Lust, Unlust, gemischte, dunkle Ge-
fühle (§ 177). Nach Bouterwek ist das Gefühl der ,jZiistand unsrer selbsty
der aller Wahrnehmung . . . xum Grunde liegf* (Asth. I, 27). Es gibt jj^hy-
sisehe" und y^geistige^* Gefühle (1. c. S. 30). Über sinnliche Gefühle handelt
BiüNDE (Empir. PsychoL II, § 200 ff.). Nach J. H. Abicht ist das Gefühl
eine j^eigene Gattung der Modifieation des Bewußtseins** (Met d. Vergn, S. 50).
Fichte definiert das Gefühl als die „bloß unmittelbare Beziehung des Obfcttiten
itn Ich auf das Subjective desselben^ des Seins desselben auf sein Befrußtscin**
(Syst. d. Sitt. S. 44). „Dcw Gefühl ist lediglieh subjectitf** (Gr. d. g. W.
8. 280). Destutt de Tracy: „Dans nos sensaiions internes il faul comprendre
ioutes les impretsions ou mani^e d*etre que Von appelle cotnmunement senümens
ou affeetions de Vätne** (EL d'id^l. III, eh. 3, p. 204). Schleiermachjbr be-
stimmt das Gefühl als das ^^unmittelbare Seibstbeivußtsein*' (D. christl. Glauben
I, § 8), als die „relative Identität des Denkens u^id Wollens** (Dial. S. 151).
Nach Fries ist Gefühl „die unmittelbare Tätigkeit der Urteilskraft** (X. Krit.
I, 407 ; Syst. d. Log. S. 353). Nach Hegel ist das Gefühl das „dumpfe Weben^'
des Geistes, „in sich, worin er sieh stoffartig ist und den ganxen Stoff seines
Wissens hat** (Encykl. § 446; Phan. S. 308), es ist die „Diretntion des Leben-
digen in sich** (Log. III, 2, 57). Nach K. Bosekkranz ist das Fühlen „der
unmittelbare Geist** (PsychoL' , S. 331). Lust und Unlust gehören zum „prak-
tischen** Gefühl (1. c. S. 418). Lust ist das Selbstgefühl, das durch Befriedigung
des Bedürfnisses entsteht (1. c. S. 421). Hillebrakd erklart das Gefühl ab
„die betcußte Unmittelbarkeit des subjectiv-individuellen Bestimnifseins**. Es be-
zeichnet den „psychischen Selbst xustand** (Phil. d. Geist. I, 188 ff.). Es gibt
Erkenntnis-, Willens-, Bildungsgefühle (1. c. S. 190), leiblich und geistig be-
stimmte Gefühle, Actual- und Existentialgefühle, Personalgefühle (L c. S. 191 f.).
Chr. Krause erklärt: „Gefühl ist Innesein der Weehselunrkungen des Wesent-
lichen mit dem Ich, und xicar in Beziehung xu dem Ich** (Log. S. 50). Beneke
sieht im Gefühl eine besondere Form des Bewußtseins, keinen selbständigen
Act (Pragm. Ps. I, S. 70). Es ist „das unmittelbare Beteußtsein, leelehes uns in
jedem Äugenblicke unseres waehen Ijcbens pon der Beschaffenheit unserer Itit^-
keiten und Zustäfide innewohnt** (Lehrb. d. Psych. § 235; Log. I, 290 f.). Nach
Kirchmann sind die Grefühle „Zustände der Seele, welche den Gegenstand der
Selbstwahmehmung bilden**, sie bilden die „seienden Zust&nde der Seele*% sie
„spiegeln kein anderes, sie tcoUen nur sie selbst sein** (Kat d. Ph. S. 23 f.).
K. Lasswitz bestimmt das Gefühl als „die Eigentümlichkeit am Bewt^ßtseins-
ifihalt, wodurch er als einem bestimmten Individuum zugehörig, als ein Zustand
des Ich erlebt irird** (Wirkl. S. 140), RiTSCHL bemerkt: „Das Gefühl ist nun
einmal die geistige Function, in welclwr das Ich bei sieh selbst ist** (Christ L
Lehre III, 142). Nach Riehl ist das Gefühl „die Rüchcirkung der TUtigkeii
des Bewußtseins auf dieses selbst** (Ph. Krit. II, 1, S. 39). Külpe erblickt im
Gefühl einen selbständigen Bewußtseinsvorgang, die „Beaetiansweise der Apper-
crption auf die Empfindungen** (Gr. d. Ps. S. 230, 282). Nach Rehmke ist
das Gefühl ein ursprünglicher Zustand des Bewußtseins (Allg. Psych. S. 149,
295 ff., 305, 314). Das Gefi'ihl ist etwas Allgemeines, Abstractes, nur „als
Gefühl. 355
Bestimmtheit eines Individuums öegebenes^\ ein Zustand von Lust oder Unlust
(Zur Lehre v. (Tem. 8. 5 ff.). Es* gibt keinen an ein Besonderes gebundenen
y,Gefühlston" (L c. S. 21; das Gefühl ist vom (Tesamtinhalt des gegenständ-
lichen Bewußtsems bestinunt, Allg. PsychoL S. 301 ; auch G. Villa, Einl. in d.
Psychol. 8. 275), keine y^gemischten" Gefühle (Lehi'e vom Gem. S. 28 f.), nur
einen raschen Wechsel von Lust und Unlust (8. 36). Gefühlswert ist der
j^nteil, taeleheft jedes Gegenständliehe des Bewußtseinsaugenblirks an dieser ,6e-
sondern* Bedingung des einen OefüJUs hai^^ (8. 40). Nach ü. 8ghwabz erleben
wir in den Gefühlen nur sie, nichts außerdem, das Gefühl ist ein reines Zu-
Btandsbewußtsein (Psychol. d. Will. 8. 36). Es gibt viele Qualitäten des Gre-
fuhls (1. c. 8. 134). Nach Hussbrl gibt es intentionale (s. d.) und nicht-
intentionale Gefühle (Log. Unters. II, 369 ff.). Nach H. Cornelius sind die
Gefühle ,,QestaUquaUtäten^*^ (s. d.), abhängig vom jeweiligen Gtesamtbewußt-
seinsinhalt (PsychoL 8. 74 ff.). Lust und Unlust sind Eigenschaften imserer
Erlebnisse, nicht Teilinhalte des Bewußtseins (1. c. 8. 362 f.). Teilinhalte als
Bedingungen einer bestimmten Gefühlsbetonung sind „Oefählsmotnente** (1. c.
8. 366 ff.).
Nach HoBWicz ist das Gefühl die psychische Elementarfunction, aus deren
Complicationen und Steigerung das übrige Bewußtsein hervorgeht (Ps. Anal.
III 2, 1, 3, 25, 28, 59). Auch Th. Ziegler betrachtet das Gefühl als einen
primären, allem Bewußtsein zugrundeliegenden Zustand. Lust ist die psychische
8eite j/ies Lebens j d. h. der Betätigung des Vermögens, jede^n als neu, als Con-
trast auftretettden Reix gegenüber durch Gewöhnung und Assimilation sich selbst
XU behaupten^, Unlust entspricht dem Mangel an' solcher Betätigung (8. 106).
Gefühl ist also das psychische Zeichen für den 8elbstbehauptungsact des Men-
schen (ib.). Auch Baratt (Physical Ethics 1869) sieht im Gefühl die primäre
psychische Tätigkeit. 8ohubert-8olde£n unterscheidet Schmerz- und Lust-
empfindungen und -Gefühle; erstere gehören zum Leibe, letztere zur Seele (Gr.
e. Erk. S. 341).
Nach einer Auffassung gilt das Gefühl als Bewußtsein oder Wirkung
der Förderung oder Hemmung der Seelenkräfte. Schon bei Plato
findet sich diese Auffassung {ro jtXrjQovcd'ai, rdtv tpxaei Tt^oarjxovronf r^Sv imty
Rep. IX, 585 D). Eine gewisse Stärke der Eindrücke ist nötig, um Lust oder
l^nlust hervorzurufen, je nachdem die naturgemäße Beschaffenheit des Organs
wiederhergesteUt oder verändert wird (Tim. (H E squ., 65 A, 66 C, 67 A;
PhUeb. 31 D squ., 32 A u. B). Es gibt gemischte Gefühle (Gorg. 496 D u. E;
Phileb. 36, 46 C). Zu unterscheiden sind wahre und falsche Lust oder Unlust
(Phil. 38, 52 A). Ferner bei Aristoteles, der die Lust als ävä^yetav rrje 9cara
fvcw ß«w (Eth. Nie. VII 13, 1153 a 14) bestimmt und auf die Förderung
oder Hemmung der naturgemäßen Beschaffenheit des Organs hinweist (De an.
426a 30 f.). Die Lust ist xinjaig r^s y^vxve xai xardaraüis a&^oa xai ai-
adifirnsfi mIq t^v vnaQxovüav fvcw (Rhet. 111, 1369 b 33). Jede Empfindung
ist mit Gefühlen verbunden. So auch bei den Peripatetikern, die von der
Staxvcte luid der avcroX^ der Lebenstätigkeit sprechen (Alex. Aphr., Qnaest
IV, 5, 241, 11); sie nehmen auch gemischte Gefühle (I, 12) uad einen In-
differenzzustaud an (IV, 14). — Xach Augustinus beruhen Lust und Unlust
auf dem Grade der Anstrengung, welchen die Seele in dem Acte der Erhaltung
ihrer Selbständigkeit gegenüber der Störung seitens des Leibes nötig hat, um
den Eindruck mit ihrer Tätigkeit in Übereinstimmung zu bringen (Siebeck,
23*
356 Gefühl
Gesch. cL Ps. I 2, 394). Thomas Aqüikas faßt unter „paasio"^ Gefühl nnd
Affect (s. d.) zuBammen und führt die Unlust auf eine Störung der organischen
Einheit und Harmonie zurück (Sum. th. I, 36, 3). Melanchthon: ^yLaetitia
est motuSj quo cor praesenti bono suamter fndtur^ (De an. p. 181). Debcastes:
jfLaetttta itteunda commotio animaey in qua consistü possessio boni, quod im-
pressiones eerebri ei repraesentant ut suum^^ (Pass. an. 11, 91). Die Gefühle
sind auf die Bewegungen der Lebensgeister (s. d.) zu beziehen, sind ab^ sub-
jeetive Zustände, sie sind ,^eferri ad animam^^ (Pass. I, 29). Spinoza betrachtet
die G^efühle als Zustände der Förderung oder Herabsetzung der seelischen Kraft,
des Ich. „Laetitia est hominis transitio a minore ad maiorem perfectionem^
(Eth. III, äff. def. II). „Per laetitiam . . . irUeUigam passionem, qua mem
ad maiorem perfectionem transit: per tristitiam autem passionem^ qua ipsa ad
minorem transit perfectionem'' (III, prop. XI, schoL, s. Affect). L. Vivbb:
,yDeleciatio sita est in congrventia, quam invemre non est sine proportionis
ratione cUiqua inter facultatem et obieetumy ut quaedam sit quasi simüiiudo
inier illa'' (De an. HI). Ähnlich Leibniz (Nouv. Ess. II, eh. 21, § 42), Cha&-
RON (De la sag. III, 38), Bossuet, Batteux, Vauvenabgubb, Sulzeb, Mek-
PELseoHN, HuNOAK, Wetzel, Villaume, Jerusalem, Oochiüs, Hoffbausb
(Dessoir, Gesch. d. n. Ps.*, 435 f.), auch Herder, Chr. Schmid: „Wetm die
Oegenstände . . . unseres Vorstellungsvermögens so beschaffen sind und in
solchen Verhältnisse xu uns stehen^ daß sie der Empfänglichkeit desselben
solchen und so vielen Stoff darbieten^ als dem Zwecke der fortschreitenden
Wirksamkeit seines tätigen Vermögens an denselben angemessen ist: so ent-
steht das Qefühl der Lust*^ (Emp. Ps. S. 273, wie Reinhold, Vers. e. Theor.
S. 143). BenekE: j,Oefühle ... sind nichts anderes ais das unmittelbare Bt-
teußtsein, welches unr in jedem Atigenblicke von den Bildungsperschiedenkeiien
oder den Abständen zwischen den Entunckelungen unseres Seins haben^^ (D. n.
Ps. S. 186; Skizz. z. Naturl. d. Gef. S. 19 ff.). Nach Schaller erklären sidi
Lust und Unlust aus der Übereinstimmung und dem Widerstreit, in welchem
der empfundene Lebensproceß mit der Natur der Seele oder des „Selbstgefühls^
steht (Psych. I, 210). Auch die Herbartianer sind hier zu nennen (s. oben),
femer Jotjtfro'K, W. Habolton (Lect. on Met C. 41 ff.) sieht in der Lust
einen Reflex der ungehinderten Ausübung eines Vermögens der Vermehrung der
Energie. Nach Bain beruht das Gefühl auf Harmonie oder Ck>nflict zwischen
unseren Empfindungen (Emot. and Will*, C. 1 ff., p. 16 f.). Nach Sully ist
Gefühl der Ton der Erfahrung (Handb. d. Psychol. S. 310). Es ist das dyna-
mische Element des Willens (1. c. S. 312). Lust beruht auf Erhöhung der
psychischen Function durch eine normale, angemessene Übung (1. c. S. 315).
Gefühle assocüeren sich, können auch reproduciert werden (1. c. S. 321). E^
gibt auch Gefühlsdispositionen (1. c. S. 322 f. ; vgl. Himi. Mind II, C. 13 u. 14 ;
Stout, Anal. Psychol. II, C. 12; Tttchener, Outlin. of Psychol. C. 9; Bald-
WIN, Ladd, Höffding). Nach Ulrici stehen die (^refühle im Zusanunenhang
mit der Förderung und Hemmung, der Harmonie und Disharmonie des psy-
chischen Lebens (L. u. S. S. 447). LiPPS meint das gleiche (Grundt d. SeeL
ö. 60, 63 f.). „Das Gefülil , . . ist der unmittelbare Bewußtseinsrefiex der Weise^
wie ein seelischer Vorgang ins Oanxe der Seele . . . sich einfügt" (Eth. Gnindfr.
S. 34). „Das Gefühl der Befriedigung oder Lust ist die Art, wie die Ein-
stimmigkeit eines psychischen Vorganges mit dem, was er in der Seele rar-
findet, sich dem Bewußtsein unmittelbar kundgibt^' (ib.; vgL Viertelj. f. w. Ph.
Gefühl. 357
Xm, 160). Auf innerer Znsammenstimmung oder Harmonie von Bewußtseins-
inhalten berolit die Lust nach (Fechneb und) Caspari (Zusammenh. d. Dinge
8. 470 f.). Nach Wündt ist das Grefühl ein centraler psychischer Vorgang, die
Reaction des Bewußtseins auf die in dasselbe eintretenden Vorstellungen, eine
Reactionsweise der Apperception (s. d.), die Art und Weise, wie die Vorstellung
Tom Ich au^nommen wird (Vorles.*, S. 225; Grdz. d. ph. Ps. I*, 588 f., II*, 564;
Essays 8, 212; 11, 294). Vgl. weiter unten. Nach Zieoler zeigt uns das Ge-
fühl yfien Wert an^ den em Reix für mich hat, und es erxwingt demselben dureh
diese Wertung und Wertsehätxung den Eintritt in mein Bewußtsein" (D. Gef.*,
a 99, vgl S. 106).
Das Gefühl wird auch als Symptom für die Erhöhung oder Er-
niedrigung derLebenstätigkeit, der organischen, physischen Kräfte
betrachtet. Anfange der biologisch-physiologischen Gefühlsbestinmiung zeigen
sich bei Diooenes von Apollonia, der aus dem Maße der Mischung des
Blutes mit Luft die Gefühle erklärt (Theophr., De sens. 43). Akistipp setzt
die Lust in eine sanfte (Xeüz xivrjcie), Unlust in eine heftige Bewegung (r^axst'a
xivfjctQ, Diog. L. II, 86). Die Lust ist das uara ro oixelov, das dem Ich
Naturgemäße (Plut Qu. symp. V, 1, 2). Hobbes erklärt die Ekitstehung des
Gefühls aus einer von den Sinneswerkzeugen zum Herzen dringenden Erregung
(De corp. C. 25, 12), Descabtes aus den Bewegungen der Lebensgeister (s. d.).
Nach Zöllner bewirkt der Übergang von potentidler in actueUe Energie Lust,
das Umgekehrte Unlust, und zwar gut das auch für das Anorganische, für die
Atome (Üb. d. Nat d. Kometen 1872). Nach Lotze mißt das Gefühl die
augenblickliche Übereinstimmung zwischen Beiz und Nervenfunction (Med. Ps.
§ 20, S. 239; vgl S. 246, 253 ff., 564; Mikr. in, 525, I, 204; Gesch. d. Asth.
8. 214 f.). Es ist ,/ias Maß der Übereinstimmung oder des Widerstreites zwischen
der Wirkung eines JReixes und den Bedingungen der von ihm angeregten TUtig^
Mf' (Med. Psychol. 8. 263). Es gibt auch gemischte Gefühle (Med. Ps. S. 262).
Ähnliches lehrt Sebgi (Psych. S. 304 f.; Dolore e piacere 1894), während
Meykert Lust und Unlust auf Emährungsverhältmsse der Großhirnrinde zu-
rückführt A. Bain bemerkt (ähnlich wie Hodosok): „States of pleasure are
coneomitant with an increase, and staies of pain toith an abatement of some or
aU of (he vital functions^^ (Mental and mond science 1875, p. 75; vgl. Emot
and Wal C. 1—3, 4 — 13). L. Dumokt betrachtet als Ursache der Unlust ein
starkes Abweichen von der molecularen Gleichgewichtslage der Nervensubstanz
(Vergnüg, u. Schmerz 1876, S. 78 ff.). Lust entsteht, „wenn an letzter Stelle. . .
eine Vermehrung der Kraft in der Sphäre des Beumßtseins xutage tritt" (1. c. S. 97).
Das Grefühl ist keine Empfindung besonderer Art, sondern nur ein Reflex von
Empfindungen (1. c. S. 100). Nach A. Lehmann ist Lust die Folge davon,
t4^ß ein Organ ufährend seiner Arbeit keine größere Energiemenge verbraucht,
als die Emährungstätigkeit ersetzen kann" (Hauptges. d. m. Gefühlsleb. S. 148 ff.,
15 E; ähnlich G. Allen, Phys. Asth. p. 21). Nach Spencer sind Lust und
Unlust Oorrelaterscheinungen von Vorgängen, die für den Organismus nützlich
bezw. schädlich sind (Psych. I, § 124). Als Ausdruck organischer Zustände
b^nu^ten das Gefühl bezw. den Affect Jähes (PsychoL I, p. 143) und C. Lange
(Ob. Gemütsbeweg. 1887). Nach Bibot ist das Gefühl („sentiment") eine „tew-
danee organiqu^% ein Zeichen (j^signe, marque^^) für „certains appetits, pen-
ehanis, tendanees", die befriedigt oder unbefriedigt sind (Psychol. de Pattent.
p. 168 ff.; Ps. d. sentim. p. VIII; 32, 381, 434). Z. Oppenheimeb: J.ust
358 Gefühl.
und' Unlust entspricht dem sinnlichen Wohl- oder Ubelbefinden des Subjeds^
der Förderung oder Hemmung des Jjebens" (Phys. d. Gref. S. 72). J. DüBW
meint, ,jdaß das^ tcas in detn Lustgefühl . . . eigentlich vor »ich geht, eine Er-
höhung der Lebe7isenergie vorstellt^' (D. Lust S. 5). Jodl erklärt das Cre-
fühl als jfCine psychische Erregung, in welcher der Wert einer im Zustande des
lebenden Organismus oder itn Zustande des Bewußtseins eingetretenen Änderung ßr
das Wohl oder Wehe des Subjects unmittelbar als IaasI oder Sckmerx wahrgenommen
wird" (Lehrb. d. Ps. 8. 374). Er unterscheidet die geißtigen Gefühle in Formal- mid
Persongefühle (1. c. II*, 310 ff., 325 ff.), v. Ehbenfels erklärt Lust und Unlust aas
der Annäherung bezw. Entfernung von Assimilations- und Dissimilationpxocessen
im Nervensystem an ein bezw. von einem Mittelmaß (Syst. d. Werttheor. I, 199).
Ebbinohaus sieht in den Gefühlen „Nebenwirkungen derselben Ursachen^ die
den begleitenden Empfindungen und Vorstellungen zugrunde liegen^^ (Gr. d.
Psychol. I, 542). Sie haben Beziehungen zur Förderung und Schädigung des
Organismus, eine teleologische Grundlage (1. c. S. 543 fi.\ ohne unmittelbares
Bewußtsein davon (1. c. S. 545). Die Arten der Gefühle ergeben sich ans den
Unterschieden der Empfindungen und Vorstellungen (1. c. S. 553). Es gibt
sinnliche und Vorstellungsgefühle (1. c. S. 554), Inhalts- und Beziehungsgefühle
(1. e. S. 555). Nach W. Jebusalem ist das Fühlen eine „besondere Orund-
function des Bewußtseif is" , der An&mg und die Grundlage des Seelenlebens
(Lehrb. d. Ps.", S. 148). Immer bleiben Lust und Unlust „Symptome und Anreger,
immer bleiben sie xur Erhaltung des Lebens in enger Beziehung" (S. 149). Wie
Wundt (s. unten) unterscheidet Jerusalem drei Grundrichtungen des Gefühls
(S. 149). Allgemeine Eigenschaften des Gefühls sind: 1) j,Älle Gefühle bewegen
sieh in Oegefisätxen, xtdschen denen sich eine größere oder geringere Indifferenx-
xone befindet." Beide Gregensätze sind positiv. 2) „Alle Gefühle xeigeti starke
Abstufungen der Intensität." 3) „Alle GefüfUe äußern sieh in Bewegungen."^
4) Durch Wiederholung stumpfen sich die Gefühle ab. 5) Alle Gefühle stehen
mit der Erhaltung des Lebens in engem Zusammenhang (S. 150 f.). Biologisch
erfolgt die Classification der Grefühle in: Individualgefühle, Familien-,
patriotische Gefühle, Gefühle der Sympathie (Mitgefühl); sittUche, religiöse,
ästhetische, intellectuelle Gefühle (S. 155 f.). Nach Ostwald wird jede För-
derung des Energiestroms im Organismus als angenehm, jede Störung als un-
angenehm empfunden. Nicht der Besitz, sondern der Verbrauch überschüssiger
EInergievorräte ist von Lust begleitet (Vorles. üb. Naturphilos.^ S. 388). Vgl.
Beaunis, Sensat. Internes, ch 17 ff.; Kröneb, Das körperl. Crefühl.
Zum Streben und Wollen wird das Gefühl in verschiedener Weise in
Beziehung gebracht. So von den Scholastikern (im Anschlüsse an Abi-
8TOTELES, De an. I, 7) zu den B^ehrungen des Guten und Verabecheuungen
des Schlechten (Thomas Aquikas, Suabez, De pass. I, 2). — Nach Bbenta50
sind Gefühl und Wille stets vereinigt als ,J*hä7wmene der Liebe und des Basset
(Psych. I, 307 f.). Die Grefühle sind intentionale (s. d.) Acte, haben eine Rich-
tung auf etwas (1. c. I, 116 ff.). Fechner: „Wir finden, daß in uns sdhst
alles, was den Charakter der Unlust trägt oder uns aus dem Gesichtspunkt de^
Übels erscheint, grundgesetxlich eine psychische Tendetix mitfülirty diese UfUust.
dies Übelscheinefide xu beseitigen, indes das lAistvolle, das, was ufis als gtä er-
scheint, das Streben xu seiner Erhaltung oder Steigerufig in mis enpeekt'^ (Zendav.
I, 287). Nach Windelband sind die Gefühle „nichts anderes als das Mittel-
glied, vermöge dessen wir von unserem eigenen an sich unbewußten Willen über-
Oef&bL 359
Juutpt etwas erfahren^^. Sie bedeuten eine ,yReaction auf die Bedürfnisse und
Triebe des Willens"' (Prälud. S. 194 f.). E. V. Haetmann bestimmt (wie schon
ik^HOFENHAUER) Lust Und Unlust als „Willertsbefriedigun^" und y^Repressian
des Willens"' (Kateg. S. 66). Sie sind „bloße Äffectianen oder Modi des Willens"
<S. W), „Formen der Bewußtwerdung des Willens in seiner Gollision mit ander?n
Wollen'" (S. 63). Das bewußte GefiUil ist ^^Reaetion des Wollens auf ehie ihm
viderfakrene Hemmung; bexiehungeweise auf die Überwindung dieser Hemmung"
(Mod. Pb. S. 199; Ph. d. Unb." 34 ff., 41 ff.; Neukant. 296 f., 359 ff.). „Das
Bewußtsein der Unlust ist die Stupefaction des Willens über die seitiem eigensten
Streben zuwiderlaufende Hemmung und Stauung seiner Kraft" (Mod. Ps. S. 200).
Der Obergang von Spannkraft in lebendige Kraft erregt Lust, die Stauung von
lebendiger Kraft in Spannkraft Unlust (S. 199; Kat. S. 59; Ph. d. Unb.", II,
37 f., 113 f., III, 116 f.). Das Gefühl ist „Product des Wollens" (Mod. Ps.
8. 199). Schon den Uratomen kommt ein Gefühl zu, aus solchen Gefühlen
setzen sich die Elmpfindungen (s. d.) zusammen (Kat. S. 59; Mod. Ps. S. 195 f.).
Nach Hameblino ist das Gefühl „c^ Bexug, welchen die Walimehmung oder
Vorutellung xu unserem Willen hat" (Atom. d. Will. I, 270). „Lust ist be-
friedigter, Unlust getiemmter Willef" (ib.). Nietzsche erklärt (wie E. v. Haet-
MANN), das Gefühl sei kein Motiv, sondern „Begleiterscheinung", „Symptom",
nämlich der erreichten Macht, eine „Differenx-Bewußtheit". Lust imd Unlust
sind nur Folgen des ,, Willens xur Macht"" (s. d.). Lust ist ein „Plus-Öefühl
nm MaeOd,"" Unlust „Hemmung eines Willens xur MaefU." Gefühle sind also
Willensreactionen, die zugleich in der Centralsphäre des Intellects wurzeln, ein
Urteilen, ein Messen nach der Gesamtnützlichkeit oder Gesamtschädlichkeit
(als Niederschlag langer Erfahrung — etwas Ahnliches bei Spencer) enthalten
(WW. XV, 262, 302 ff., 307, 312). Auch Ribot (s. oben) ist hier anzuführen.
Paulben erklärt: „Z>«€ Urform des Willens ist blifuier Trieb; er erscheint im
Bewußtsein als gefühlter Drang. Setxi der Drang sieh durch, so wird die ge-
lingende Lebensbeiätigung mit lusthetonlen Gefühlen begleitet; Hemmung der
Lebensbetäiigutig wird mit Unlustgefühlen empfunden" (Syst. d. Eth. I^, 208).
rJede Willensregufig ist ursprünglicli xugleich Gefühlserregung und umgekehrt,
jede Qefühlserregung ist xugleich positive oder ^negative Willensregung"" (1. c.
S. 209).
WuNDT sieht in den „Gefühlselementen" oder „einfachen" Gefühlen die
^^jectiven" Elemente des Bewußtseins (Gr. d. Ps.*, S. 36). „Minimal-" und
Jllaximalgefühl" bezeichnen die Endpimkte der Intensitätsgrade des Gefühls
(S. 38). Die Gefühlsqualitäten sind durch ,^r'ößte Gegensätxe"" ausgezeichnet,
zwischen denen eine „Indifferenxxone" liegt (S. 41). Der Ursprung der Gefühle
ist ein einheitlicher (S. 44). Sie sind ebenso real wie die Empfindungen (S. 45).
Sinnliches Gefühl (Gefühlston) ist „rfew ynit eifier einfachen Empfindung ver-
bundene Gefühl" (S. 93). Drei Hauptrichtungen des Gefühls lassen sich unter-
scheiden: Lust und Unlust (Qualitätsrichtungen), Erregung und Beruhigung
(Intensitätsrichtungen), Spannimg und Lösung (Zeitrichtungen), abhängig vom
Verlauf der psychischen Vorgänge (S. 101, Vorlas, üb. d. Mensch.", 238 ff.).
Ans den Verbindungen einfacher gehen ,yXusaynmengesetxie^" Gefühle hervor, in
welchen das „Totalgefühl" gegenüber den „PartialgefiÜilen" etwas Neues dar-
stellt (Grdz. d. ph. Ps. II*, 498; Gr. d. Ps.», S. 189 ff.). Die Gefühle sind
als Momente von Willenshandlungen aufzufassen. „Alle, selbst die Verhältnis-
fnäßig indifferenten Gefühle enthalten in irgend eiyiem Grade ein Streben oder
360 GefaM — Oeffihlston.
Widerstreben . . .** (Gr. d. Ps. S. 220 f.). Im einzelnen gibt es zwar Gefniile,
die nicht in Affecten und Willenshundlungen endigen, im ganzen ZasammeD-
hange aber yjcann das Oefiihl ebenso gut als der Anfang einer WiÜenshandkmf
tvie umgekehrt das Wollen als ein zusammengesetzter Oefühlsproeeß und der
Affeet als ein Übergang zwischen beiden betrachtet u^erden^' (8. 221). Qefühl
und Wille sind „Teilerscheinungen eines und desselben Vorgangs", Gefühle sind
teils Anfangs-, teils Begleitzustände des Wollens, Willensrichtongen. Die
Gefühle sind Elemente des Wollens. Die ,,Einheit der Oefuhlslage^^ in jedem
Moment beruht auf der Einheit des WoUens (Grdz. d. ph. Ps. 11^, 498; Vorles.'
245, 252; Ess. 8, 213 ff., 220; Eth.», 436; PhiL Stud. XV, 149 ff. gegen Trr-
GHENER in Zeitschr. f. Psychol. XIX, 321 ff.). VgL Cesca, Die Lehre v<»i der
Natur der Gefühle (Yierteljahrsschr. f. wiss. Philos. X, 1886).
Nach F. y. Feldegg (Das Gefühl als Fundam. d. Weltordnung 1890; Bei-
trage zur Philos. d. Gefühls 1900) ist das Gtefuhl metaphysisches Princip.
Vgl. Affeet, Empfindung, Lust
Oefülile« einfache, s. Gefühl.
Oeflillle« extensive und intensive. Nach ihren Entstehungsbe-
dingungen unterscheidet Wundt zwei Klassen von Wahmehmungsgefühlen.
Unter den „intensiven" Gefühlen versteht er ,/iiefenigen, die aus dem Verhäli'
nis der qualitativen Eigenschaften der Empfindungselemente einer Vorstellung^f
unter den ,^ensiven" solche, „(/ie aus der räumliehen oder zeitliehen Ordnung
der Elemente entspringen" (Gr. d. Ps.*, S. 196).
Oefttllle« moralische, s. Sittlichkeit
Gefftlile« sinnliche, s. Gefühl. Die sinnlichen Gefühle werden auch
zuweilen als körperliche den geistigen Gefühlen gegenübergestellt
GelVlilsftiiß^'liiii^n s. Ausdrucksbew^ungen.
Geflililfseoinponeiiten und Gefühlsresultante bilden nach Wukdt
zusammen das zusammengesetzte Gefühl (Gr. d. Psych.*, S. 190).
Gefllitemoral s. Ethik.
C^efUiteton der Empfindung ist das jeweilige mit ihr verknüpfte sinn-
liche Gefühl. B. Zimmermann versteht unter „Ton der Empfindungt*^ die „e^-
fachste Form der Gefühlt' (Philos. Propädeut«, 8. 324 f.). Nahlowbky namt
„Tbn der Empfindung" den ^^ Störungswert" der Reizung einer centripetal-
leitenden Nervenfaser, d. h. „das besondere Verhältnis y in welches sieh dieser
Reiz teils zu der im Moment vorhandenen Stimmung des Nerven und der
Centralorgane, teils mitunter selbst zu den Processen des vegetativen Lebens
setzt" (Das Gefühlsleb. S. 13). Die Art der Alteration des organischen Lebens
bestinmit den Ton der Empfindung als angenehm, unangenehm oder gleich-
gültig (1. c. S. 14). Das Gefühl (s. d.) hat seinen eigenen Ton (1. c. S. 17, 49).
Vom Empfindungston wird das sinnliche Gefühl unterschieden (8. 131). Volk-
mann: „Unter der Betonung der Empfindung verstehen wir die Taisachet daß
wenn nicht alle, so doch die meisten Empfindungen mit dem Bewußtwerden einer
Hemmung oder Förderung behaftet auftreten, das . . . zu dem Inhalte nicht von
außen her hinzuiritt . . ., sondern in ihm und mit ihm gegeben erseheint*'
(Lehrb. d. Psych. I*, 237). Nach Ziehen dagegen gibt es nur einen „OefiMs-
ton", nämlich ,ydas Lust- oder UnlustgefUhl, welches in wechselndem Orade
Gegenflats. 361
unsere Empfindungen begleitet* (Leitf.*, S. 95). Von einem Qefühlston (,ytanalite"J
spricht auch Seboi (Psych. 8. 143). Wundt: „Do« mit einer einfachen Em-
pfindung verbundene Gefühl pflegt man nU sinnliches Gefühl oder auch als
Qefühlston der Empfindung xu bezeichnen.'* Dieser Begriff ist das Pro-
dnet einer Analyse und Abstraction (S. 93 f.). Eine unveränderliche Qualität
der Empfindung ist der Gefühlston nicht ^gegen Nahlowsky u. a. 8. 93). Die
Empfindung ist „nur einer unter vielen Factoren , . ,, die ein in einem ge-
gebenen Augenblick vorhandenes Gefühl bestimmen . . .** (ib.) Aber auch die
Ansicht, daß ein reiner Gefühlston nicht existiere, daß jede Empfindung be-
gleitende Vorstellungen erwecke, durch die erst die Grefühlswirkung zustande
komme, ist abzulehnen (8. 94). VgL GreföhL
C^efUiteTeniiSsens Fähigkeit, Lust und Uplust zu empfinden, nach
Heinroth das Grundvermögen der Seele (Psychol. ö. 43).
GelliliteTorBtellUiffS Reproductionsbild eines Gefühls (Behmke,
K. Lange u. a.). Vgl. Beproduction.
Gegeben heißt ein Bewußtseinsinhalt, der ohne Zutun der Willkür er-
lebt, vorgefunden wird. Daa „Gegebene** sind die Empfindungen als Elemente
des Objectsbewußtseins, der Erfahrung (s. d.). Der Begriff des „Gegebenen**
schon bei Plato (to iv rjfilv, Phaedo 102 D, 103 B). Nach Kant werden uns
die Gregenstände der Erkenntnis vermittelst der Sinnlichkeit y^egeben** (Krit. d.
r. Vem. 8. 48). „Einen Gegenstand geben . . . ist nichts anderes als dessen
Vorstellung auf Erfahrung (es sei wirkliche oder dock mögliche) beziehen** (1. c.
8. 154). Nach J. G. Fichte ist nichts „gegeben/* alles muß erst durch das Ich
(8, d.) „gesetzt* werden. Ulrict erklärt: Gegeben wird uns ein Sein, „das ohne
unser Zutun, ohne unser Denken und Wollen , vorhanden ist*' (Leib u. Seele
8. 15). Nach Lipps sind uns die Vorstellungsinhalte ohne objecterzeugende
Tätigkeit gegeben (Gr. d. Seelenleb. S. 23). Nach Schuppe sind das Gegebene
„rfie Empfindungsinhalte, die im Bewtißtsein sich nicht mehr in Bestandteile
zerlegen*' (Log. 8. 35).
Oes^nsats: 1) logischer (Opposition) = das Verhältnis, in welchem
zwei Begriffe oder zwei Urteile zueinander stehen, die einander ausschließen.
Es gibt einen contradictorischen (s. d.) und einen conträren (subconträren)
Gegensatz. AbiSTOTELES erklärt: avrtxeifiBva h'yeiai avrifacis xai tavnvxia
xttA TO nQog T* xai üxi^rjae xai ßig xal i| tav xai eU a laxara al yeviaeie
uai fd-o^i (Met. V 10, 1018a 20). Er unterscheidet: avri^azixm (contradicto-
risch), ivavriüK (conträr), xtna ttjij JU'lir fiovov amxeifisva (subconträr) (De
inteipret. 6, 17a 26; 7, 17b 16; Categ. 10, ISb 27; Anal, prior. II 15, 63b 23).
So auch Cicero (Top. 11). Die Scholastiker unterscheiden „oppositio termi-
norum** und „oppos. enunciationum^*. Nach Überweg ist Opposition „der
Gegensatz, der zunsehen zicei Urteilen von verschiedener Qualität und ver-
schiedenem Sinne bei gktchetn Inhalt besteht** (Log. § 97).
Schema der Opposition:
a e
.^'^;
8L
1 cT V S
P
^4 S
362 Gtegensats.
„Öegematx^^ ist 2) ontologischer (realer) Gegaisatz (y^Bepugnafix^^), Wider-
streit zweier Dinge, zweier Qualitäten, zweier Tätigkeiten, dynamische Entgegen-
setzung, Willens -Gegensatz, Gegensatz der Gefühle (physischer - psychischer
Gegensatz, ethischer, socialer Gegensatz).
Die Pythagoreer stellen eine Tafel von zehn Gregensatz-Paaren als Prin-
cipien der Dinge auf {ntQas xai aTtei^or, TteqiXTOv xai ä^Ttor, ip xai nl^d'Oi,
Se^tov xai a^iaxeoov, dÖQSv xai d'TJkv, rj^fiovy xai xivov/usrov, evdif xai xafi-
Ttvkov, y>d}S xai axoroSj ayad'ov xai xaxov, rerpäyofvov xai tre^/UrffKeg, Ari-
RTOTELES, Met. I 5, 986 a 22 squ.). Hkraklit macht den G^ensatz zum
Princip der Entwicklmig. Im ,jOegmlauf^ (ivavrtoS^o^ia, Btob. Ecl. I, 60) des
Geschehens ist in allem das Entgegengesetzte vereinigt, schlägt eines in das
Gegenteil um (ravr elvai ^(ov xai zsd'VTixog, xai to fyor^yo^og xai t6 xad'svSoty
xai viov xai ytj^atov (Fragm. 78). AUes erfolgt xar ivavTiOTfßa^ nach der
ivavria QOij, naltvTQOTtia (Plat., Cratyl. 413 E, 420 A; navxa t« yiread'at xa9^
eifiapjue'vTjv xai Sia Trjg ivavxiOT^OTtfjs r^^fioad'at ra ovra, Diog. L. IX 1, < ;
yivscd'ai re Ttavra xax ivavxiOTfjTa, 1. c. 8; ndvra . . . fieraßdXXet tU ivavxiovy
olov ix d-sQfiov eii rpvxQovj Arist. Phys. III 5, 205a 6; vgl. Sext. Empir. Pyrrh.
hypot. III, 230). Die Gegensätze gehen in einer Einheit zusammen wie Bogen
und Leier (naUvT^onos d^/novifj xoa/iov oxworso Xv^ijs xai to|ov, Plut, Is. et
Osir. 5). Nach Plotin sind Gegensätze Dinge, die nichts Identisches an sich
haben (Enn. VI, 3, 20). — Chr. Wolf definiert: „Oppoaita sunt, qttorum unum
invohä negationem alterttis^* (Ontol. § 272). K[ant betont den Unterschied
zwischen logischer und realer Opposition. „Einander entgegengeseixt ist, wovon
eines dasjenige aufhebt, was durch das atidere ge^etxt ist. Diese Entgegensetzung
ist xiveifach; entweder logisch durch den Widerspruch, oder real d. i. ohne
Widerspruch'' (WW. II, 75 ff.). Die „dialektische^' Opposition ist von der auf
dem Satze des Widerspruches fußenden „analytiscJien" zu unterscheiden (Krit
d. r. Vem. S. 410). Nach J. G. Fichte, besonders aber nach Hegel schlägt
jeder Begriff (im logischen Denken) in seinen Gregensatz um, um sich mit ihm
in einem höheren Begriffe zu vereinigen (Dialektik, s. d. u. Widerspruch). Nach
HiLLEBRAXD kann es keinen metaphysischen, realen Gegensatz geben, d. h. einen
solchen, welcher im Sein unausgleichbar wäre (Phil. d. Geist. I, 23). Nach
Herbart ist der „Gegensatz xweier Vorstellungen'* ein voller, „wenn eine ton
beiden ganx gehemmt werden muß, damit die andere ungehemmt bleibe" (Psychol.
als Wiss. I, § 41). Vorstellungen, die einander entgegengesetzt sind und zu-
sammentreffen, werden zu Kräften, die einander widerstehen, hemmen (Lehrb.
zur Psychol.", S. 15). Der Grund des Widerstehens ist die Einheit der Seele
(1. c. S. 21). Entgegengesetzte Vorstellungen verschmelzen (s. d.) miteinander,
soweit sie nicht gehemmt werden (1. c. S. 21 f.). Nach Münsterberg ist ent-
gegengesetzt in der Vorstellungswelt das, „was antagonistische Handlufigen o»-
regt" (Grdz. d. Psychol. I, 550). Wundt sieht in dem psychologischen „Otsetx
der EntudcJdung in Oegensätxen" eine Anwendung des Gesetzes der Contrast-
verstärkung (s. d.) auf umfassendere Zusammenhänge. „Diese besitzen nämlich . . .
die Eigenschaft, daß Gefühle und Triebe, die xunächst von geringer Intensität
sifid, durch den Contrast xu den während einer gewissen Zeit iibenviegenden Oe-
füfilen von entgegengesetzter Qimlität allmäßUich stärker werden, um endlich die
bisher vorherrschenden Motive zu überwältigeti und nun selbst während einer
kürxeren oder längeren Zeit die Herrseliaft zu gewinnen." Mehr als im indivi-
duellen tritt das Gesetz im geschichtlichen Leben, im Wechsel geistiger Strö-
OegensatB — Geist. 363
mungen henror (Gr. d. Psychol.», S. 401 f.; Syst. d. Phil.«, 8. 598; Log. II*, 2,
8. 282 ff.; PhiL Stud. X, 75 ff.). Vgl. Widerstreit, Widerspruch, Element.
Gei^enstand s. Object.
Geg^nstandsbes^rlfr s. Kategorien.
Geg^nstandsbewnßteelii s. Object.
Oegenwart s. Zeit.
Oebalt, ästhetischer, ist der Inhalt des Ästhetischen, das, was es bedeutet,
im Unterschiede von der ästhetischen Form (s. d.). Die Gehaltsästhetik
(ü. Ästhetik) betont den Gehalt als Hauptquelle des ästhetischen Genusses. Vgl.
Logik.
Oeltlmfüiictlonen s. Localisation, Seelensitz.
Oebdmte s. Comutus.
Oebdrslnn ist die Fähigkeit, Gehörsempfindungen zu haben, Geräusche,
Töne, Klänge zu percipieren. Das Gehörsorgan ist die Ohrschnecke, in der die
Gmndmembran sich befindet, deren Fasern auf die verschiedenen Tonhöhen ab-
gestimmt sind {„Sckneckenclariatur'*, Besonanzhypothese — Helmholtz). Der
Reiz für die Gehörsempfindungen besteht in longitudinalen Luftschwingungen,
die durch schallerr^ende Körper hervorgerufen werden. Periodischen Schwin-
gungen entspricht ein Klang, nicht periodischen ein Geräusch; einer einfachen
„Sinusschwittgung" entspricht eine einfache Tonempfindung. Von der Ampli-
tude der Schwingungen ist die Intensität der G^hörsempfindung, von der
Schwingimgszahl (oder -Dauer) die Tonhöhe, von der Schwingungsform die
Klangfarbe abhängig. Einzel- und Zusammenklänge gehören zu den y, intensiven
Vorstellungen" (Wündt, Gr. d. PsychoL*, S. 114). „Der Einxelklang ist eine
intensive Vorstellungy die aus einer Reihe regelmäßig in ihrer QucUität abgestufter
Tonempfindungen besteht. Diese Elemente ^ die Teil töne des Klangs, bilden eine
Tolüoommene Verschmelzung, aus welcher die Empfindung des tiefsten TeiUanes
als das herrsehende Element hervortritt. Nach ihm, dem Hauptton, wird der
Klang seilest in Bezug auf seine Tonhöhe bestimmt. Die ütnigen Elemente
werden als höhere Töne die Obertöne genannt," Sie werden alle zusammen
als „Klangfarbe^* aufgefaßt, welche nach der Anzahl, Lage imd relativen Stärke
der Obertöne variiert (L c. S. 115). Alle Teiltöne befinden sich in bestimmten
regelmäßigen Abständen vom Haupt- oder Grund ton. Der „Zusammenklang"
ist eine „itiiensive Verbindung von EinxeUdängen" (L c. S. 117), eine „unvoll-
kommene Verschmelzung, in der mehrere herrschende Eleineyvte enthalten sind"
(ib.). Aus der „Superposiiion der Schwingungen inpierhalb des Oehörapparates"
entstehen die „Differenxtöju^'^ (1., 2., 3., 4. . . Ordnung). Daneben können auch
„ikimnmtionstötie^* entstehen; mit den Differenztönen zusammen heißen sie
„Combinaiianstäne^' (1. c. S. 118 f., Grdz. d. phys. Psychol. II*, C. 10, 12).
Vgl Helmholtz, Lehre von den Tonempfind.*; Stumpf, Tonpsychol.; Lipps,
Gr. d. Seelenleb. C. 21 ; Ebbinohaus, Gr. d. Psychol. I, 263 ff., 308 ff., 323 ff. ;
KüLPE, Gr. d. Psychol. S. 36, 99, 105 ff., 112 ff., 161 ff., 289 ff., 327 f., 388 ff.,
398 f.; Paeyer, Seele d. Kind. S. 49 ff. Vgl. Schwebungen, Harmonie.
Oetet heißt im Gegensatz zum Stoffe, zur Materie, zum Körper das
Seelische, Psychische (s. d.); im Unterschiede vom Seelischen (Psychischen) die
Denkkraft, Vernunft (s. d.), der Inbegriff des höheren seelischen Lebens, die
Vemünftigkeit, auch die Verstandesschärfe („Geistreichtum"). Vom Geiste des
364 Geist.
Menschen ist der Weltgeist (Universalgeist), der göttliche Geist, vom E^inzelgdst
der Gesamtgeist (s. d.), vom subjectiven der objective Geist, d. h. der Inbegriff
geistiger Schöpfungen einer Gesamtheit zu unterscheiden. Der ^^Zeügeist^ Ist
die Denkweise eines Zeitalters. „Oeüi^^ heißt auch die immaterielle Substanz, die
von vielen als Träger der psychischen Vorgänge angenonunen wird. An „Ödster*^
als Seelen Verstorbener glaubt der Naturmensch, auch der Spiritismus (s. dX
Als eigenes Princip des Seienden bestimmt den Geist zum erstenmal Ana-
XAOORA8. Freilich ist der „Oeisf' (rovs) hier noch ein feinster Stoff, nicht
absolut immateriell: iart yaQ XeTtroxarov re navxiov /^^aTa>r xai Ha&a^wTOTor
xai Yvaifiriv ye ne^l navroe näaav iO/t'fi. Kai icxvei fiiyurxav' vooe ifi sra»
ofiioioe iüTi xai o fiei(ov xai 6 ildaator (Simpl. ad Arist. Phys. 33). Unbegroizb
für sich seiend, rein und unvermischt mit den übrigen Dingen ist dar N&s
{voos 9e ioTiv anei^v xai avrox^rie xai fufuxrat oxSevi /(»ifuaT«, aJU«t furvvoi
nlroe iff eavTov iartr, ib.; Aristot, Phys. VIII 5, 256b 24 squ.). Der Geist
ist das Princip der Weltordnung, der zweckvolle Gestalter des Stoffes: mmca
X^futra rjv ofiov' el^a 6 vovs ik&<av avrd BiacScfujae (Diog. L. II, 3, 6). Der
Geist ist der Grund der Bewegung (Veränderung), der Scheider der Materie
{xinjciv iftstoi^üat rov vovv xai Siaxfivat, Aristot, Phys. VIII 1, 250 b 24).
Allwissend und allmächtig ist der (reist {navra fyv(o rooc, ndvrafv vooe k^t«,
Titivra BiBxoüfirice vooe, Simpl. ad Arist. Phys. 33); inei Ttdvra voel, a/uy^
etvai, tuCTtep ^jciv ^Avaiayogag, Xva XQarfj, tovto ^iariv iva yvio^lif} (Arist., De
an. III 4, 429 a 18). Der vove xocftonoioe ist die Gottheit (Stob. Ecl. I 2, 56).
Als etwas Stoffliches feinster Art fassen den vove auf: Bbücker, Tiedemank,
Fr. Kern, G. Grote, D. Peipers, Dilthey, Gomperz, Windelbajjd (als
„Kraftelement', „Bewegungsstoff''), Zeller, Uphues, Kt^HKEiiAKN; als im-
materiell: Freüdentbal, Heinze, £. Ableth (vgl. dessen Lehre d. Anax.
vom Greist, Arch. f. Gesch. d. Philos. VlII, 205). Der Hylozoismus (s. d.)
betrachtet den Geist als Eigenschaft des Stoffes. Nach Herasxit durchdringt
der Geist (loyoe, s. d.) das All. Nach Demokrit ist der Geist das Plnoduct der
Atome (s. d.) imd ihrer Bewegungen. Eine Weltvemunft anerkennt Pljlto.
Der vernünftige, geistige Teil der Seele {yove^ Xoyuntxov) ist das Oberste in
ihr (Rep. IV, 435). Nach Aristoteles ist der vove die höchste Energie
(ive^yeia) der Seele, die nur dem Menschen, nicht den Tieren zukommt (De an
III 3, 429 a 6). Der vove ist das Denkprincip (liyai 8i vovv ^ Sinvoäira* mil
vnola/ißavei rj ywxi], De an. III 4, 429 a 23). Nicht mit dem Leibe vermengt
ist der Greist (De an. III 4, 429 a 24), einfach und stetig ist er (o 8i voik de
xai avvextjs cacntQ xai 17 vorlüde, De an. I 3, 407 a 8). Er ist vom Leibe tr»m-
bar, leidlos, rein {xai ovxoe 6 vove ;ifa;^i<rroff xai dnad'^e xai dfuy^e^ De an.
III 5, 430 a 17), unvergänglich und göttlich (o ^£ voZe <'<ra>ff &eidre^v n xai
dna&de icTiv, De an. I 4, 408b 29; De an. II 2, 413b 26; III 4, 429a 15 squ.).
Der Geist ist in der Seele {iv xfwxfi vove, Eth. Nie. I 4, 1096b 29), er stammt
aber „von außen'' (d'v^ad'ev), von Gott, dem reinen Greiste (voriüie vwi^swe). Er
ist die Form der Formen {aldoe eiSSv, De an. III 8, 432 a 2), das Wertvollste
(Met XII 9, 1074 b 26). Der Potenz nach ist der Geist eins mit seinen In-
halten (oT* dwdfisi ntae iüxi xd voijxd 6 vove. De an. III 4, 429 b 30). Thbo-
PHRAST (bei SimpL, Phys. 225a) und Strato (Cic. ad Acad. II, 38, 121) betrachten
den Gfeist als ein der Seele Immanentes, als deren Entwicklungsprodnct Die
Stoiker lehren die Existenz eines Weltgeistes {nvsvfia, s. d.), dessen Ausflufi
(dnoanaofia) der menschliche Geist ist (M. AuREL, In se ips. XII, 26), Bei
Geist. 365
den NeupythagoreerD ist der vavs die Einheit der Ideen (s. d.) (NiooifAOHUS,
Aiithm. intr. I, 6). Philo bestimmt den vavs als ynjxv V^^t ^ Organ über-
sinnlicher Erkenntnis (Opp. I, 42, II, 408). Plütabgh von Chaeronea er-
blickt im Geiste eine selbständige Wesenheit So auch Plotik. Nach ihm ist
der Geist einfach, die Seele (s. d.) hingegen gegliedert (Enn. lY, 1). Der vote
ist eine Emanation (s. d.) des Urseins; er denkt das Seiende und ist es insofern
(Enn. lY, 5), er ist die Totalitat der Ideen (1. c. IV, 8). Zum Unterschiede
vom jy^ünen^* (ßp) hat der Geist schon die Andersheit (ire^onjß) an sich, den
Gegensatz des Denkens und Gedachten. In den Dingen wirken geistige Kräfte
{roi, vo9(^i 3wdft8is). In der Seele (s. d.) ist der vovs die oberste Straft (L c.
II, 9, 2).
Als Emanationsproduct bestimmen den Geist die Gnostiker. Sie und die
Kirchenväter sind zugleich von dem evangelischen Glauben an den ,,heüigen
Geiste (8. Pneuma) beeinflußt Von der Seele unterscheiden den Geist (nvevfut)
Tatiak, Obigenes (De prtnc. VIII, 1), auch die Kabbalft. Als feinen Stoff
bestimmt den „spirittts^^ (s. d.) Testulllan: ^^sjnritus enim corpus aui generis in
sua effigief* (Adv. Prax. C. 7). Den ,^ritu8^* erklärt Augustinus als yjqitaedam
vis animae mente inferior j in qua imagines verum imprirmmtur^^ (Super (j^es.
ad litter. XII, 9). David von Dinakt nennt den (j^ist (Noym) das ^^prvmum
dinsibiley ex quo eonstitmmiur amrnae^^ (bei Haureau II 1, p. 76). Als Ein-
heit der Ideen (s. d.) betrachtet den Gfeist Bernhard von Chartrbs. Die
Einheit von Greist und Seele betont Bob. von St. Victor: „Neque enim in
homine uno (üia essentia est eius Spiritus atque alia eius amma, sed prorsus
una eademque simplicisque nahtrae substantia*^ (De extern. maL tr. 3, C. 18).
Thomas v«!Bteht imter Geist als Vermögen die Denkkraft; der G^euBt ist „ipse
inteUecttss examinans res, seeundum quod mens dicitur a metior, metiria^^ (1 sent
3, 5, 6); „mens in anima nostra dieit illud^ quod est aüissimum in virtute ipsitis**
(De verit 10, 1 C). Gott (s. d.) ist nach den Scholastikern reiner G^ist
Von da* Seele unterscheidet den (jfeist auch Eckhart.
Einen ,^riius mundi'^ nimmt Agrippa von Nettesheim an. Nioolaub
GvBAKUS trennt den Geist nicht von der Seele. „Mens est viva substantia,
quam in nobis interne loqui et ivdicare expervmur . . ,, est vis in se omnia stto
modo eomplieans" (Idiot III, 5). Paraoelsus betrachtet den Greist als den in-
nonsten Teil der Seele, als göttliches Bildnis oder „Fünklein^^ (Phil. sag. p.
433 f.). Campanella unterscheidet von der empfindenden Seele den aus Gott
,per ineffabilem emanoHonem^^ stammenden Geist, mens (Univ. phil. I, 5, 2).
Den absoluten Gregensatz zwischen Greist (res cogitans, mens) und Stoff
lehrt Descartes. Gteist imd Körper sind Substanzen (s. d.). Der Geist ist
einfach, unausgedehnt, unzerstörbar, er erfaßt sich selbst als Denkendes (Princ.
phiL I, 11). Geist und Körper stehen in Wechselwirkung (s. d.) miteinander.
Im Sinne des Cartesianismus definiert Spinoza : „stihstantia, cui inest immediate
eogitaiio, voeatur mens^'^ (Gart pr. phiL I, def. VI). Er selbst sieht im Greist
keine Substanz, sondern ein Attribut (s. d.) der einen Substanz (s. d.). Diese
(= Gk>tt) ist sowohl Geist („res cogitans*^) als Materie (Eth. II, prop. I, II), er
ist unendlicher Geist („intellectus inßnitus", 1. c. prop. IV), den Einzeldingen
immanent Nach Leibniz ist alles an sich geistiger Art, indem den Körpern
Monaden (s. d.) zugrunde liegen, geistige Substanzen. Jede Monade ist eine
Welt für sich, „comme un 7nonde ä pari, süffisant ä lui-meme^^ (Gerh, IV,
4^ 1). Gk)tt (s. d.) ist reiner, activer Geist Nach Berkeley gibt es nur
366 Geist.
eine Art von Substanzen (Princ. CXXXV): Geister, d. h. active, percipierende
Wesen, deren objective Vorstellungen Körper (s. d.) heißen. Ein Geist ist ob
einfaches, unteilbares, actives Wesen, das in Einem Verstand und Wille ist and
nur in seinen Wirkungen zu percipieren ist (Princ. XXVII). Wir haben von
Geiste nur eine „no^ion", keine „icfec" (ib.). Der höchste Geist ist Grott (L c.
CXLVI; ähnlich schon Malebranche, der iyott [s. d.] den „O^ der Geister
nennt). Nach Chr. Wolf ist Geist „ein Weserij das Verstand tmd einen freim
Willen hai'^ (Vem. Ged. I, § 896); nach Platner das, „teas mit Bewußimn
und Absieht wirkf^ (Phil. Aphor. I, § 1063); nach Kant „rfcw dwreh Ideen bt-
l^)€nde Princip des Oemüies" (Anthrop. I, § 69 B). — Swedenborg glaubt an
einen Verkehr der Menschenseelen mit der Geisterwelt (vgl. Kant, Tranine
ein. Geistersehers, II. T., 2. Hptst).
Die Auflösung der geistigen Substanz in ein „Bündel" von Erlebnissen er-
folgt bei Hume. Nach ihm ist der Geist ein gesetzmäßig verknüpftes Zu-
sammen von Perceptionen, ein „Aeop or collection" von solchen (Treat. IV,
sct. 2; IV, sct. 6). Helvetius sieht im Geist (esprit) „un asseniblage ä'ideei
neuves queleofiqties" (De Pespr. .1, disc. II, eh. 1, p. 73). Holbach und La
Mettrie betrachten den Geist als Naturproduct
J. G. Fichte bestinmit die Wirklichkeit als Geist, als Ich (s. d.). Schel-
LING betrachtet Geeist und Natur (s. d.) als die beiden Seiten oder Pole des
Absoluten, der jflndifferenx" (s. Grott). In den verschiedenen Dingen überwies
bald dfus eine, bald das andere Moment. „Ein Geist ist, tcas aus dem ur-
spriinglichen Streite seines Selbstbetrußtseins eine objective Welt xu schaffen und
dem Produet in diesem Streite selbst Fortdauer xu geben f?cr?/?/wjr* (Naturphilos.
S. 312). Nach Suabedissen ist der Geist des Menschen „die Eifiheit, das einf
Princip des ursprünglichen Denkens und Erkennens und des ursprünglichen
Lebens und Handelns", „rftc Vernunft, die xugleich tJieoretiseh und praktisch ist"
(Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 160). Hegel setzt den Greist (die Vernunft,
Idee, s. d.) als Weltprincip, das in dialektischer (s. d.) Bew^ung die Stufen
des An-sich, Außer-sich, An-und-für-sich durchläuft und als „absoluter Geist^
zum Wissen seiner selbst kommt. Geist ist „das Bei-sick-selbst-sein" (Philos. i
d. Gresch. S. 21), die „unendliche Subjectiritäi der Ide&^ (Asth. I, 103), das „an i
und für sich seiende Wesen . . ., welches sich xugleicJi als Bewußtsein u^lditk
und sieh seihst vorstellt" (Phanom. S. 328), „das sich selbst tragende absolute
reale Wesen" (1. c. S. 329), das ,y Wirkliche^' oder „Wesen" der Dinge (1. c.
B. 19). Er ist die „Wahrheit" der Natur, „die xti ihrem Für-sieh-sein gelangte
Idee" (Encykl.«§ 381). Er geht aus dem „Tode des Natürliehen" hervor (L c. '.
§ 376), als ein „Offenbaren" seiner selbst (1. c. § 383 f.), als die „tcissendc
Wahrheit^' (1. c. § 439). Er entwickelt sich durch die Phasen des subjectiven
und objectiven zum absoluten Geist (1. e. § 385), der der göttliche Geist ist
(1. c. § 386), die „absolute Tätigkeit . . ., sich in sich selbst xu unterscheiden**-
(Asth. I, 120). Der subjective Geist ist theoretischer und praktischer Greist
(Encykl. § 445). Der „obje/'tive Geist" ist „die absolute Idee^ aber nur an sieh
seiefid" (1. c. § 483), d. h. der Geist in den socialen Gebilden, das ,^ütliehe
Ijeben eines Volkes" (Phänom. S. 330). Der absolute Geist ist die sich wissende
Idee oder Weltvemunft (Encykl. § 554 ff., § 574, 577), die vorian ^ x«^* «vrijV
des Aristoteles (Met. XI, 7). In der Kunst, der Religion und endlich in der
Philosophie manifestiert er sich (Encykl, § 554 ff.). Der Weltgeist ist^ in-
tellectualistisch, als Denkkraft gedacht. Bei Schopenhauer hingegen ist er
Geist. 367
Wille (s. d.). Nach Grillpaezer ist der Geist „nicht ein RvJiendes, sondern
vidmeitr daa absolut Unruhige, die reine THtigkeii, das Negieren oder die Idealität
aller festen Verstandesbedingungen^^ (WAV. XV, 7). Im Sinne Hegels lehrt
K. Rosenkranz. Der Geist ist „rfos Für'Sich-seifi der Idee als Idee, die sich
trissende und tcolUnde Ide&^, das „Prius der Natur wie der Vernunft*^ (Syst. d.
Wißs. § 564 ff.). Der Geist „ist nur, was er tut^ (1. c. S. 367). Er ist frei
(ib.), hat Bewußtsein und Vernunft (1. c. S. 368). Der subjective Geist ist „cfer
naiürlieh'individueUey der in seiner Tätigkeit hei sieh, in seinem Begriffe, bleibt'^;
der objective Geist ist der Geist, „der seine Freiheit als eine objective Welt
hervorbringende^^ Geist; der absolute Geist ist „der Geist, der sich selbst als den
absoluten Inhalt in der diesem Inhalt congruenten absoluten Form weiß" (1. c.
S. 366). So auch J. £. Erdmann, der das Wesen des Geistes in das jjn-sich-
sein** setzt (Gr. d. Psychol. § 7). Nach Hillebrand ist Geist „das sub-
jective Sein, d. h. das Sein, insofern es sich selbst als Obfectivität Jiat und
seine eigenen Bestimmufigen an sich setxt^* (Phil. d. Geist. I, 65). „Nur in und
mit der lebendigen IndividucUisierung kann . . . der Geist zur eoncret er-
scheinenden Wirklichkeit gelangen'* (1. c. S. 65 f.). Das Wesen der Geistig-
keit besteht in der „Selbsterfa^sung und Selbstsetxung des Seins" (1. c. S. 66).
Der Geist ist substantiell (1. c. S. 68), hat die Freiheit zu seinem Wesen (1. c.
S. 71). E. V. Hartmann bestimmt den Weltgeist als das „Unbeioußte" (s. d.).
G. Class sieht im absoluten Greist die Einheit von absolutem Denken imd ab-
solutem Ich. R, EucKEN versteht unter Geist „den bei »ich selbst befindiicheti
Ijebensproeeß" (Grundbegr. S. 47). Er „erzeugt aus seinem Schaffen eine neue
WirkliMceit und wUl die vorgefundene Lage damit timwandeln" (1. c. S. 58).
Das „schaffende Geistesleben" ist vom „empirischen Seelenleben" deutlich zu
onterscheiden ; in jenem „erfolgt ein Aufsteigen der Wirklichkeit zu einer innern
Einheit und zu voller Selbständigkeit" (Gesamm. Aufs. S. 166). Der Geist
entfaltet sich in der Geschichte (Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 19 ff.).
Das Geistesleben ist die Erschließimg der eigenen Substanz des Wirklichen,
es ist xmiversal (1. c. S. 30). Die geistige Welt muß durch Selbsttätigkeit,
Kampf erzeugt werden (1. c. S. 30, 42 ff.j. Fechner versteht luit^r Geistigem
die „SäbsterScheinung** (Zend-Avesta II, 164 f.). Geist ist das „dem Körper
oder Leibe überhaupt gegenüber gedoAshte, sich selbst erscheinende Ganze, weMiem
Empfinden, Anschauen, Fühlen, Denken, Wollen u» s. w. als Eigenschaften,
Vermögen oder JUtigkeiten beigelegt werden" (1. c. I, S. XIX). „Ein Geist er-
scheint und erfaßt sich unmittelbar selbst** (1. c. I, 252). Das Geistige ist das
Innensein dessen, was von außen als Körperliches erscheint. E^^ibt eine Beihe
von Geistern verschiedener Ordnungen, niedere und höhere, umfassendere
(z. B. Planetengeister), sie alle werden vom göttlichen Allgeiste umfaßt* (Elem.
cL Psychophys. II, 455). Einen „Allgeist" nimmt M. Venetianer an. Harms
bestimmt den Geist als den Grund der inneren Erscheinung, als Für-sich-sein
der Dinge. — Herbart nennt Geist die Seele, „sofern sie vorstellt** (Lehrb. zur
Psychol.*, S. 29). Nach Lotze ist der Geist nur eine höhere Entwicklungsstufe
der Seele, die Vernunft (Kl. Schrift. II, 498). Alles Wirkliche ist innerlich
geistiger Art (s. Monaden), hat ein Für-sich-sein. Lazarus versteht unter
Qeist j^ie tnenschiiehe Seele, welche ihrer selbst, uftd zwar in ihrer Ttttigkeit als
Tätigkeit, si4fh bewußt wird" (Leb. d. Seele II*, 74). Nach Steinthal ist Geist
derjenige Kreis von seelischen Erzeugnissen, welcher die Denktätigkeit, die In-
telligenz umfaßt (Urspr. d. Sprache S. 119 f.). J. H. Fichte nimmt „Geistes-
368 Geist — GelateswisBenschaften.
manaden^^ als reale Wesen, Trager des Bewußtseins an (Psjchol. I, 74). Da
Geist hat nicht bloß apriorische Bestandteile, er ist selbst ein ,yvarempiiriseha
Wesen" (L c. I, S. YIII). Der Menschengeist ist ein y,raumxeiUiche8 Rud-
wesen" (L c. S. VII). Der G^t ist nicht das Bewußtsein, sondern das Be-
wußtseinerzeugende (L c. I, 71 iL), Nach Wundt heißt Geist ,^da8 ümere
Sein, wenn dabei kemertei Zusarmnenhang mit einem äußeren Sein in Riieksieht
ßUt* (Grdz. d. phys. Psychol. I*, 9 ; vgL S. 12). Das Geistige ist das Innenseiii
der Dinge, die unmittelbare BeaÜtat, die sich von den elementarsten bis zu deo
höchsten Formen entwickelt Alles Geistige ist aber bewußte Wirksamkeit; ein
„tmbewußter Geisf* ist ein Widerspruch (Syst. d. Philoe.*, S. 553 ff.). Die
Natur ist, als Vorstufe des Geistes, selbst schon geistiger Art (L c. S. 568 iL,
619 f.). Ebenso ursprünglich imd real, ja realer als die Einzelgeister ist der
Gksamtgeist (s. d.), der aber keine besondere Substanz ist, sondern in den
Einzelgeistem existiert, wenn er auch mehr als deren Summe ist (L c. S. 611 fi;
Gr. d. I^sychoL S. 361; Log. IP, 2, S. 40; Völkerpsychol. I, 1, S. 10 1; Eth.*,
S. 459). Der göttliche Weltgnmd ist Gseist imd zugleich übergeistig (Syst d.
Philos.*, S. 392 ff.). Münsterbeeg unterscheidet das Geistige vom Psychischen
(s. d.); letzteres ist schon eine absiractive Bearbeitung des ersteren, der in
„Selbststellun^^, im concret- lebendigen Wirken besteht (Grdz. d. PsyohoL I).
A. DoBNEB versteht unter dem Geist die selbstbewußte Seele (Gr. d. BeligioDS-
philoe. S. 40 ff.). Unter „objecHvem Geist" verstehen Biehl, Jgdl, jEBUSALKif
die Gesamtheit der geistigen Producte innerhalb einer Gesellschaft. Der Ma-
terialismus (s. d.) betrachtet den Gfeist als Stoff oder materielle Function
oder Epiphanomen (s. d.) der Materie oder Energie. Vgl. Spiritualismus, Seele,
Idealismus, Panpsychismus, Natur, Psychisch, Gesamtgeist
C^Iftteskranklielteii s. Psychosen.
C^IfttesplilloeM^pliie ist jener Teil der Metaphysik (s. d.), der die gei-
stigen Vorgänge und Grebilde, das Wesen des Geistes überhaupt einer letzten,
abschließenden begrifflichen Verarbeitung unterwirft Man kann sie einteilen
in: 1) Allgemeine Geistesphilosophie, 2) Philosophie des Individualgeisies,
3) Philosophie des Gesamtgeistes.
C^lftteswlsaenselialteii heißen jene Disciplinen, die zum Gregenstand
geistige Processe, Gebilde und G^esetzmäßigkeiten haben, also Psychologie, Ge-
schichte, Philologie, Sociologie, Ästhetik, Ethik, Philosophie überhaupt u. s. w.
Bei HUME u. a. tritt die „Geistestpissensehaft" als „moral phüosopk^^ auf.
Benthah teilt die Wissenschaften in „SamtUologie^^ und „Pneumaiologie^ ein
(Oeuvres de J. Bentham 1829, III, p. 311). Ampere unterscheidet ^^Kosmo-
logie" und „Naologi*^^ (Essai sur la philos. des sciences 1834). Heqel q>richt
von „Geisteslekre^^ (Encykl. § 386). Hillebbakd u. a. geben eine ,yPküa8opkie
des Geistes", J. St. Mill rechnet zu den Greisteswissenschaften Psychologie,
Ethologie, Sociologie. Dilthey bezeichnet als Geisteswissenschaften ^/ias
Ganxe der Wissenschaften, taelche die geschiehilieh-geseüaehaftliche Wirkliehkeii
XU ihrem Gegenstande haben" (EinL in d. Geisteswiss. I, 5). Nach Wundt be-
ginnen die Aufgaben der Geisteswissenschaften überall da, „wo der Mensch als
waltendes und denkendes Subjeet ein wesentlicher Factor der Erscheinungen Mf '
(Log. II' 2, 18). Alle Geisteswissenschaften „haben xu ihrem Inkalt die im-
mittelbare Erfahrung , une sie durch die Wechselwirkung der Ot^jeete mit er-
kennenden und handelnden Subfeeten bestimmt wird*\ Sie „bedienen sich daher
OeisteswisaexiBohaften — Oemelnempfindang. 369
stickt der Ahstraetianen und der hypothetischen Hilfsbegrijfe der Nahtncissen-
Schaft, sondern die Vorstellungsobjeete und die sie hegleitenden subfeotiven
Regungen gelten ihnen als unmittelbare Wirklichkeit, und sie suchen die einxelnen
Bestandteile dieser Wirkiiehkeit aus ihrem wechselseitigen Zusammenhang %u er-
klären. Dies Verfahren der psycJiologischen Merpretation in den einxelnen
Geisteswissenschaften muß demna^ auch das Verfahren der Psychologie selbst
sein** (Gr. d. Paychol.^ S. 3 f.). Grundlage der GeiBteewissenBchaften ist die
Fbychologie (s. d.). ,fienn der Inhalt der Geistesunssenschaften besteht überall
in den aus unmitteUxvren mensehliehen Erlebnissen hervorgehenden Handlungen
und ihren Wirkungen*^ (1. c. S. 19). Das geistige Tatsacheogebiet hat als
Eigeoart die Wertbestimmung, die Zwecksetzung und die Willensbetatigung —
Momente, von denen die Naturwissenschaft (s. d.) abstrahiert. Die drei heu-
ristischen Principien der Geisteswissenschaften sind: das „Prindp der sub-
jeetiven Beurteilung^^ das „Prinoip der Abhängigkeit von der geistigen Um-
gebung*^, das ,yPrineip der Naturbedingtheit der geistigen Vorgänge^* (Log- H* 2,
S. 47, 27 ff.). Den Unterschied zwischen Natur- und Geistes ( — historischen — )
Wissenschaften betonen Windelbajo) und H. Kickekt (Grenz, d. naturwiss.
Begrifüsbild. 1896), auch G. Bt^MEUN. . Münstebbero erkennt die Basierung
der Greisteswissenschaften auf Psychologie (den „Psyehologismus") nicht an.
YgL Gesetz, Naturwissenschaft, Psychologie.
Cl^Ifttlf^ s. Psychisch, Pneuma.
Cl^Ifttsimi (Gemeinsinn des Geistes) gliedert sich (nach Chr. Ebaube)
in Denk-, Erkenntnis-, Gefühls- und Willensvermögen (vgL Ahbens, Natur-
recht I, 237).
Geleg^enlieltBmnBaclie s. Causa, Gccasionalismus.
d^lenkseinpllndniig^en sind I^pfindimgen, die ihren Sitz in den
«ensorischen Nerven der Gelenke haben; sie sind ein Bestandteil des Bewegungs-
bewußtseins (vgL KÜLPE, Gr. d. Psychol. S. 147 ff.).
Oeltmig; s. Gültigkeit. Geltungsbewußtsein s. Gültigkeit.
Gemetneiiipllndiiiiif oder C^m^nH^ellllil (coenaesthesis) nennt
man das unbestimmte, aus der Mannigfaltigkeit von Organempfindungen re-
sultierende Bewußtsein. Die „Gemeinempfindungen^^ bezeichnet man jetzt auch
als Organempfindungen, weil sie ihre Quelle in Zustandsveranderungen von
Organen haben.
Fbies versteht unter Gemeinempfindung die Summe der betonten Em-
pfindungen (Anthrop. § 27). Hegel spricht vom j,8elbstgefühl" (s. d.). Dieses
ist nach K. Bosenkranz y,die Redtsction aller leibliehen Functionen xur Ein-
heit der organischen Vitalität, sowie die in sich ungehemmte Flüssigkeit €Uler
Ade der IrUeÜigenx^^ (PsychoL*, S. 213 ff.). BüRDACH bestimmt die Gemein-
empfindung als das j^sieh selbst offenbar werdende leibliche Leben** (Blicke ins
Leb. I, 85, 143). Nach Suabedissek ist das Gemeingefühl y/2a« allgemeine
Selbstgefühl des leiblichen Lebens** (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 75). Nach
Hanusch ist es ,4i^ Empfindung des Lebensprocesses** (Handb. d. Erfahrungs-
Seelenl. ß. 46). E. H. Weber versteht unter Gemeingefühl ,/ias Vermögen,
unsere eigenen Empfindungsxustände, x, B. Schnierx, wahrxunehmen** (Tastsinn
u. Gemeingef. S. 109). Herbart spricht von „Gesamtempfindung** (Lehrb. zur
PöychoL«, S. 53). Ähnlich wie Waitz (Lehrb. d. Psychol. § 9), Lotze (Med.
PUlosophitohet Wörterbuoh. S. Aufl. 24
370 Gemeinempflndaag — Qemeinsinn.
Psychol. § 23) u. a; lehrt Volkmann : „ Unter der Gemeinempfindung . . . «r-
stehen tcir den Gesamteindruck aller gleichzeitigen Empfindungen : das sonuUiscke
Bewußtsein oder^ tcie man sie auch genannt hat: das vitale Getcissen^ das phff-
siologisehe Klima** (Lehrb. d. Paychol. I^, 314). Lipps bestimmt die Gemein-
empfindungen als ,yEmp findungen , in denen sich der Ablauf unseres eigenen
körperlichen Lebens in engerem oder weiterefn Umfange verrät^*. Gremeingefühle
sind „die allgemeineren, auf keinen bestimmt umgrenzten objectiven Inhalt be-
zogenen Empfindungen der Lust und Unlust** (Grundtats. d. Seelenleb. S. 298).
WuNDT stellt den Tastempfindungen die Gemeinempfindungen (Wärme-, Kälte-
und Schmerz-, nebst inneren Druckempfindungen) gegenüber (Gr. d. PsychoLS
S. 57). Das Gkmeingefühl ist der ^^unmittelbare Ausdruck unseres sinnlichen
Wohl- oder Übelbefmdens**. Es ist ein „Totalgefühl** (1. c. S. 192). Külpe
spricht nicht von Gemein-, sondern von Organempfindungen (Gr. d. PsycfaoL
S. 145 ff.). Vgl. LOTZE, Medicin. Psychol. S. 278 ff. VgL Gemeinsinn.
C^melnsclialU: sociales Zusammenleben, organisch-sociale Verbindung.
TÖNNIES unterscheidet sie von der „willkürlichen** Gesellschaft (Gem. u. (Je-
sellsch. S. 27 ff.). Über die Entificklung „geistiger Qemeinschaften** vgl.
WuNDT, Gr. d. Psychol.», S. 359 ff. Vgl. Sociologie.
€femetiiscliafta§^ef&lile s. sociale Gefühle.
Oemelnsiiiii (xo««^ aicd'rjaigy sensus communis, common sense) bedeutet
bald die Wahrnehmung des den verschiedenen Sinnen Gemeinsamen, bald den
„inneren Sinn** (s. d.), bald den gesunden Menschenverstand, bald den socialen
Sinn.
Nach Akistoteles werden Bewegung, Buhe, Gestalt, Größe, Zahl, Einheit
von den Sinnen gemeinsam empfunden (De an. III 1, 425 a 15). Tmv Si ttaveir
rjSri i'xofiep atcd'r^aiv xoivtjv, ov xara avfißeßr^xoe' ovx d^* ioTiv t8*a . . . ra
S^dlXijXcDv iS^a xard avfitßsßiixoe aiad'dvorrat ai aia^r^asiSf ovx ii aviai, aJü'
fj fiiuy oxav afia yet^ai tj tnad'rjvts inl rov airov (1. c. 425 a 27 squ.). Zugleich
nahmen w^ir auch wahr, daß wir wahrnehmen (aiad-avofied'a on o^ftev xal
dxovofievy 1. c. III 2, 425 b 12; De memor. 1; De somn. 2). Ein Bewußtsan
unserer selbst schreiben dem Gemeinsinn auch die Stoiker zu {oi 2rvH%Qi
T^8a Trjv xoivriv atad'Tjatv irrog d^v Tt^ocayo^tvovat, xad^ ^V xai ^fiwv avrwr
dt^iXaftßavo/ied-a, Stob. EcL I, 50; Floril. IV, 237). — Avicenna rechnet den
Gremeinsinn zu den inneren Sinnen (s. d.) als die Fähigkeit, ,yqitae omnia sens»
percepta reeipit** (bei Stöckl II, 37). Ähnlich Suarbz (De an. III, 30) u. a.
Descartes erklärt: „Sensus communis, id est potentia imaginatriee cognoseere^
(Med. II). Die schottische Schule bezeichnet als „comfnon sense^ den ge-
sunden Menschenverstand, die Quelle apriorischer Wahrheit, des Sittlichen^
der Religion (Beattie u. a.). Der Gemeinsinn ist die Grundlage der Philo-
sophie (Beid, Inquir. I, 4). Kant nennt Gemeinsinn das allgemein-subjectiTe
Princip der Geschmacksurteile (Krit. d. Urt § 20 ff.), bezw. deren subjectiTcn
Notwendigkeit (1. c. § 22). Der (jremeinsinn sagt, daß jedermann mit unserm
ästhetischen Urteil zusanunenstimmen solle (ib.). Nach Ebcubnmayer siod
alle specii^chen Sinnesarten „gleichsam nur verschiedene Eefraetionen eines
Getneinsinns**. Der Gremeinsinn ist „«fa« Identische** aller Differenzen der
Einzelsinne: „Empfinden heißt, die einxelne Fraction eines Sinnes in die Ideth
tität des Gemeinsinfis aufnehmen** (Psychol. S. 38). Vgl. innerer Sinn, Gr«nein-
empfindungen.
GemeinvonteUnng — Qemüt. 371
GemeiliTOrstellniig; s. AUgemeinvorstellung. Unter Oremeinvorstelliuigen
versteht Hillebeand „Vorstdlutigen von Vorstellungwerh^tnissen" (Philos. d.
Geist. I, 177). Nach Suabedissen sind „Öemeinbilder^^ sinnliche Vorstellungen
von Gattungen einzelner Dinge. y^Sie entstehen dadurch, daß die ßinxelbilder
ähfdieher Diftge xutn Teil in eins treten, indem dann difjenigtn Bestandteile der-
gelben, in trelehen sie gleich- sind, in der innem Anschauung immer stärker
vorschlagen,^* Die Gemeinbilder sind „rfi« Grundlagen der ersten Urteilet* (Grdz.
d. Lehre von d. Mensch. S. 105).
Oemlselite C^f&lile s. Gefühl.
G^mllt ist der Inb^;riff, die Einheit von Gefühlsdispositionen, die Fähig-
keit, gefiihlfiinafiig erregt zu werden. Das Gemüt ist die fühlende Seele im
Unterschied von der Intelligenz, dem denkenden Bewußtsein.
Ursprünglich hat Gemüt die Bedeutung der Innerlichkeit der Seele, die
mit dem Fühlen zusanmienhängt. Eckhabt: „Ein Kraft ist in der Seele, die
heißet das Oetnuete, die hat Qot geschaffen mit der Seele Wesen, die ist ein
Ufenhalt geistlicher Forme und vernünftiger Bilde" (bei EucKEN, Terminol.
S. 211). J. BÖHME sagt: „Er (der Geist) hüllet und schauet den Glanz im Ge-
mätey welcher ist der Seele Wagen, darauf sie fährt in dem ersten Principio^*
(Von den drei Princip. IV, 17). Kant nennt das Bewußtsein (Bewußtseins-
vennögen) auch „Gemüt". „Im Gemüt a priori liegefi** (Kr. d. r. Vem. S. 49);
,4ie Art, une das Gemüt durch eigene Tätigkeit affieiert wird" u. s. w. Krug
bemerkt schon: „Intelligenz (mens, vovs) bexieht sieh eigentlich mehr auf das
Theoretische, Gemüt (animus, &vfi6s) mehr auf das Praktische im Menschen**
(Fondam. S. 145). Bouterwek versteht unter Gemüt den „innerstefi Sinn"
(Apodikt. I, 274). Esghenmayeb erklart: „Das Gemüt ist das Vermögen der
Neigungen und Eigenschaften. Was wir Dankbarkeit, Achtung, Liebe, Wohl-
tcoUen, Großmut u. s. w. fiennen, das erxeugt und bildet sich nur im Gemüte."
Dieses gehört zur „ Willensseite" der Seele und ist eines der wichtigsten Ver-
mögen im Menschen (Psychol. S. 88). J. E. Ebdmann nennt Gemüt die Re-
sultante der verschiedenen Neigungen (Psychol. Briefe S. 359). Teoxleb:
„Die Einheit von Geist und Herx bezeichnen wir mit dem Namen Gemüt"
(Xaturlehre d. menschL Erk. 1828, S. 277). Hillebeand nennt Gemüt „die
innerste Sammlung aller individuellen Bexiehungen in dem unmittelbaren Be-
wußtsein der Selbstindividualität" (Philos. d. Geist. 1, 192). Nach E. Reinhold
bedeutet „Getnüi^* ,/iie Sphäre oder Fähigkeit der intellectuellen, der den Cha-
rakter der menschlichen Intelligenz kundgebenden Empfindungen oder Gefühle"
(Lefarb. d. philos. propäd. Psychol. S. 222 ff.). Nach J. H. Fichte ist das
(temfit das „stete, bleibende ,Sich-fUhlen^ des Subjects in der Gesamtheit seiner
besonderen Gefühle und Stimmungen" (Psychol. II, 149). Heebart versteht
unter Gemüt die Seele, „sofern sie fühlt und begehrt" (I^ehrb. z. Psychol.»,
S. 29). Es hat seinen Sitz im Geiste, d. h. Fühlen und Begehren sind zunächst
„Zustände der Vorstellungen" (ib.). Waitz versteht unter Gemüt den „Inbegriff
derjenigen psychischen Vorgänge, die dem Innem des Subfeetes als solchetn an-
gehören und nicht über dasselbe hinausreichen" (Lehrb. d. Psychol. S. 273).
Tönnies bestimmt das Gemüt als „Mut, als Wille zur freundlichen oder feind-
seligen Betätigung" von Gesinnung (Gem. u. Gesellsch. S. 119). Rehmke nennt
G^nüt „die teils im Bewußtseinsindividuum, teils in dessen Leibe gegebene be-
sondere Bedingung für das Auftreten bestimmter Gemütszustände des Beivußtsnns-
24*
372 Gemüt — Genie.
indifnduuma, d. i. bestimmter jGefühle^ und Stimmungen'* (Zur Lehre vom Ge-
müt S. 121). Gemütszustand ist ,fdie augenbliekUdie Beschaffenheit, die sieh
als das einheitliche Zusammen von einem besondem Gefühl und rersckiedenem
besonderen Gegenständliehen darstellt^' (1. c. S. 113). Nach Jodl ist das G^emüt
„die Gesamtheit des von dem Vorstellen und Denken abhängigen Fühlens*' (Ldirb.
d. PsychoL S. 641). Vgl. Herz.
€feiiifitsbeiregli]i|g^eii (Emotionen) sind Verbindungen und Verände-
rungen von Gefühlen, Erregungen des Gemütes in Form von Affecten (s. d.)
und Leidenschaften. — Nach Platkeb sind sie „BeweguTtgen, d. h. starke Ver-
änderungen der SeeUy welche teils aus einem tcirJdichen Antriebe des Willens,
teils aus einer lebhaften Rührung des Gefühls entstehen", „Im höheren Grade
werden die Gemütsbewegungen Affecte, im niederen Grade Empfindnisse
genannt" (Phil. Aphor. II, § 471 f.; vgl. G. F. Meyer, Theoret. Ldire von den
Gemütsbeweg. 1744). Wundt nennt Gemütsbewegungen die „psychischen Ge-
bilde", die „torxugsweise aus Gefühlselementen bestehen" (Gr. d. PöychoL*, S. 111).
Beine Gemütsbewegungen (ohne Vorstellungsgrundlage) gibt es nicht (1. c
S. 112). Drei Formen von Gemütsbewegungen sind zu unterscheiden: 1) inten-
sive Gefühlsverbindungen, 2) Affecte, 3) Willensvorgänge (ib.). Nach 8üllt
enthalten die Emotionen ein Willenselement (Handb. d. Psychol. 8. 319). Vgl
Affect, Leidenschaft, Gefühl.
Aemlltolase s. Stinmiung.
Oemfitomlie s. Apathie, Ataraxie.
Gemfitestlminniig; s. Stimmung.
Oenan s. Exact.
OeneraliBatlon: logische Verallgemeinerung. Vgl. Induction.
Oeneratlanlsmiui = Traducianismus (s. d.).
€toneratlo aeqniTtica Cprimarla, spontanem) : Urzeugung (s. d).
Oenerlseli: zur Gattung gehörig. OenerUleatlon: Zurückführung
auf die Gattung.
Oenetlscli: auf die Entstehung, Entwicklung bezüglich. Genetische
Definition s. Definition. Genetische Psychologie s. Psychologie. Von
der nativistischen unterscheidet Wündt die genetischen Baumtheorien (s. d.).
Oenie (genius, Ingenium): schöpferische Begabung des Geistes, außer-
ordentliche Kraft der Intuition, Phantasie, Gestaltung, S3rnthese, Erfindung.
Die geniale Denk- und Handlungsweise ist Genialität. Das Genie ist die
höchste Potenz des Geistes, gleichsam der „Übergeist",
Abistoteles (Problem. 30, 1) sagt, nach Cicebo, „omnes ingeniöses mekm-
cholicos esse" (Tusc. disp. I, 33). Chr. Wolf erklärt: „Faeilitatem observanäi
rerum similitudines ingenium appellamus" (Psychol. empir. § 476). Ähnlich
Holbach (Syst. de la nat. I, p. 127). Nach Gabye macht die harmonische
Vereinigung aller Geistesfähigkeiten das Genie aus (SammL ein. AbhandL I^ 77).
Nach SuLZEB ist Genie eine „vorxügliche Leichtigkeit oder Fähigkeit der Äcfc,
ihre jedesmaligen Ideen ausschließungsweise auf geunsse Gegenstände xu eon-
centrieren". Nach Fedeb ist Genie „ein vorzügliches Vermögen, aus sieh
selbst Geda^iken xu schöpfen" (Log. u. Met. S. 45). Kakt nennt (beemüufit
Oexüe. 373
u. B. von Gerabd, Essay on Gknius 1774) Genie y^die meisterhafte Originalität
der Naturgabe eines Subfeets im freien Gebrauehe seiner Erkenntnisvermögen^'
(Krit. d. Urt. § 49)^ die angeborene Gkmütsanlage, durch welche die Natur der
Kunst die Kegel gibt (L c. § 46; vgl. O. Schlapp, Kants Lehre vom Gtenie u.
d. Entsteh, d. Krit d. Urteilskr. 1901). Fbies: y,Ein guier Kopf mit Originalität
der Selbsttätigkeit heißt Genie in weiterer Bedeutung*' (Syst d. Log. S. 345).
Es gibt ästhetische und logische Genialität (L c. 8. 347). Schiller betrachtet
als oonstitutives Merkmal des Genies die Naivität Das Gknie erweitert die
Natur, ohne über sie hinaus zu gehen (Üb. naive u. sentim. Dicht Philos. Sehr.
S. 222). J. Paul setzt das Wesen des Genies in die yyBesonnenheit*' (Vorsch.
d. Ästhet § 12). Kbuo: „Ein durch eigentümliehe Productivität von Natur
ausgezeichnetes Vermögen heißt genial oder schleeJäweg Genie*' (Handb. d.
PhfloB. I, 54 f.). Nach Grillpabzer ist Genialität yyEigentümliehkeit der Auf-
fassung**, Talent „Fähigkeit des Wiedergebens**. „Wenn ein Taient und ein
Charakter xusammenhommen, so entsteht das Genie" „Das Genie unterscheidet
sidi von dem Talente tceniger durch die Menge neuer Gedanken, als dadurch,
daß es dieselben fruchtbringend macht und sie immer a/uf der rechten Stelle hat;
mit einem Wort, daß bei ihm alles xum Ganzen wird^ indes das Talent Umter,
wenn auch schöne^ Teile hervorbringt** (WW. XV, 151 ff.). — Nach HiLLEBRA2n>
stellt das Genie die Vemunftmacht der Seele in einer freien Objectiv-Production
dar (Philos. d. Geist I, 350). Nach Schopenhauer ist Genialität „voll-
kommenste Objectivität, d, h. obfeetive Richtung des Geistes**, die zur Con-
templation der Ideen (s. d.) notwendig ist GeniaHtät ist „die Fähigheit, sich
rein anschauend xu verhalten, sieh in die Anschauung xu verlieren und die Er-
kenntnis, welche ursprünglich nur xum Dienste des Willens da ist, diesem Dienste
*u entxiehen, d, h, sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke ganx aus den Augen
zu Uusen, sonach seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeil völlig xu entäußern,
um als rein erkennendes Subject, klares WeUauge, übrigxitbleiben: und
dieses nicht auf Augenblicke, sondern so anhaltend und mit so viel Besonnenheit,
als nötig ist, um das Aufgefaßte durch überlegte Kunst xu wiederholen** (W. a.
W. u. V. I. Bd., § 36). Das Wesen des Genies liegt in der „Vollkommenheit
und Fatergie der anschauenden Erkenntnis'*, Es ist eine ,yAbnormität**,
Denn es besteht darin, „daß die erkennende Fähigkeit bedeutend stärkere Eni-
uicklung erhalten hat, eUs der Dienst des Willens, xu welchem allein sie
ursprünglich entstanden ist, erfordert**, „Im Einzelnen stets das Allgemeine xu
sehen, ist gerade der Grundxug des Genies,** Auf das erhöhte „Nerven- und
Cerebraüeben** u. s. w. des Genies macht Schopenhauer aufmerksam (W. a. W.
u. V. Bd. II, C. 31). Volkmann erklärt: „Auf besonders erhöhter Klarheit,
Schnelligkeit und leichter Beweglichkeit der freisteigenden Vorstellungen beruht,
was man Genialität nennt** (Lehrb. d. Psychol. I^ 416). Simmel nennt ein
Genie einen Menschen, dessen Anlagen so günstig sind, daß die Eeproduction
leicht, auf minimale Anregungen hin, stattfindet (Probl. d. Geschichtsphilos.
8. 25). TÖNNIBB erklärt das Genie als den „mentalen ,Schaffensdrang* oder die
Lust, das in Gedächtnis oder Phantasie Lebendige xu ordnen, xu gestalten, 7nit-
xuteilen** (Gem. u. Ges. S. 118 f.). Nach K. Lange ist Genie „die Fähigkeit,
bei allem, was fnan ttä, sagt, fühlt und denkt, aus sich selbst herausxtUreten, die
Orenxen seiner beschränkten Persönlichkeit xu überspringen, in anderen, in der
yatur, in der Gesamtheit aufxugehen** (Wes. d. Kunst I, 380). Hellpach hebt
als die drei Hauptzüge des Genies das Intuitive, das Explosive, das Suggestive
374 Genie — Oerechtigkeit.
hervor (GrenzwiBs. d. Psvchol. ß. 498). Als Entartungszustand (Psychose), der
mit dem Wahnsmn Ähnlichkeiten aufweist, faßt das-Crenie Lombroso (Genie
u. Im.) anf. Dagegen u. a. die Ansichten von Baldwin (Social and ethical
interpretat in mental developm. B. I), Tabde (Les lois de Timitat), F. Bren-
tano (Das Genie 1892), W. Hirsch (Genie u. Entartung). H. Türck be-
trachtet als Wesen des Genies den selbstlosen Idealismus (Der geniale Mensch
1897). Nach Gbrhardi ist Genie ytschöpferüeher Geisf^ Vereinigung höchst
ausgebildeter Leidenschaft, Phantasie und Urteilskraft (Das Wesen d. CTenie»
S. 6 ff.). Vgl. Talent.
Aeniifii proxlmam s. Definition.
GeoeentriHcli heißt der kosmologische (von Ptolemaeus u. a. Ter-
tretene) Standpunkt, welcher die Erde zum Mittelpunkt des Universimis macht
C^rftnseli s. GehÖrsempfindimgen.
Gereehtlgkett (als Gerechtsein) bedeutet den Willen zu dem jedem
Wesen Gebührenden, nach der Bechtsvemunft Zukommenden, das rechtmäßige
Verhalten selbst (juridische und ethische Gerechtigkeit). Die Gerechtigkeit be-
kundet sich darin, daß der Handelnde Lohn und Strafe (im engeren und im
weiteren Sinne) so handhabt, wie es die Leistungen und die Würde (der Wert;
einer Person an sich und in ihrem Verhältnis zur Gesamtheit nach vernünftigem
Ermessen fordert. Absolute Gerechtigkeit ist ein Ideal, das sich empirisch-
praktisch nur unvoUkonmien realisiert. Die sociale Gerechtigkeit besteht in
der wahrhaft menschlichen Behandlung des Menschen, in der Anerkennung des
Wertes jedes Menschen als Geselischaftsglied imd in der höheren Bewertung
des Besseren.
Die Pythagoreer bestimmen die Gerechtigkeit als „QuadratxaM** {a^&ptoi
iadxie taoif Aristot, Eth. Nie. V, 8), „taodurch die Carrespandenx xwisehen Tat
wdd Ijeiden (ro dvrinenovd'oiy d, h. ä Tis inoirjüBf tovt avTina&eTvJf also die
Vergeltung, ausgedrückt werden sollte* (Uberweg-Heikzb, Gr. d. Gesch. d.
Philos. I*, 70). NacJi Plato ist die Gerechtigkeit {Sixaiocvvfi) die allgemeine
Tugend; sie liegt in der naturgemäßen Betätigung jedes Seelenteiles (Bep. IL
367 squ.). Aristoteles definiert die Gerechtigkeit als t^s 0/17« nQsxrjs /^«>>
nQog aHov (Eth. Nie. V 5, 1130b 20). Sie ist der vollkommene Gebrauch der
Tugend (on r^e reXetag agcT^e XQV^^^ ^<"'* reieia), die vollkommenste Tugend
{aQSTTJ fiev reXeia, aX). ovx anXcae aXXa Tt^oi Krepovj 1. c. V 3, 1129 b 26). Si^
ist das Ganze der Tugend (0A17 dgerijy 1. c. V 3, 1130a 9), des Einhalten« der
rechten Mitte. Im engeren Sinne geht sie auf das icov und avicov. Sie zer-
fällt in die austeilende {iv raU Stavo/ualg) und die ausgleichende (ir roU
avraXXayfinaiv) Gerechtigkeit; erstere waltet nach geometrischem, letztere nach
arithmetischem Verhältnisse 0- c. V 5, 1130 b 31, V 7, 1131b 25, V 7, 1132»
1). — Thomas erklärt: „Ratio iustitt<ie eonsisttt in hoc, quod cUteri reddahtr.
quod ei debetur seeundum oegtiaHtaieni^* (Sum. th. II, II, 80, 1 C). Geulehcx
erklärt „iustifia** als j^praecisio eins, quod nimis et eius quod minus est^ (Eth.
I, C. 2, § 3). H0BBE8 faßt die Gerechtigkeit rein politisch -juridisch auf.
Leibkiz basiert sie auf die Vernunft und Güte des Menschen und der Gott-
heit. Sie beruht auf der Angemessenheit, die eine gewisse Genugtuung al? |
Sühne für eine böse Tat fordert (Theod. I, § 73). Chr. Wolf: „lustitia -
virtus est, qua ins suum euique trihuitur*^ (Eth. II, § 576). Nach Platnbb ift
Gerechtigkeit ^.Rechtschaffenheit in der Beurteilung des Wertes und Unu^rtes.
Gerechtigkeit — Oesamtbewußteein. 375
{ies Verdienstes und der Schuld und der Ansprüche anderer Menschen" (Philos.
Aphor. II, § 976). Nach Hillebrand besteht die Gerechtigkeit darin, yydaß
die einxelnen oder individuellen Zwecke der Dinge aus dem Gesichtspunkte
ihrer individuellen Notwendigkeit und ihres gegenseitigen Bestehens für
die Älöglichkeit des icahren freien Seins überhaupt afßrmiert werden" (Philos. d.
Geist. II, 112 f.). Nach Spenceb besagt das y^Oe^etz der vormenschliehen Ge-
reditigkeii^'y y,daß jedes Einxeltvesen die Vorzüge und die Nachteile seiner eigenen
Natur und des daraus entspringenden Handelns auf sieh zu nehmen haf^ (Princ.
d. Eth. II, § 5, S. 10). Der Gerechtigkeitsbegriff hat zwei Bestandteile: yyAuf
der einen Seite jenes positive Element y welches darin besteht y daß jeder ^ einzelne
sein Anrecht auf ungehinderte TUtigkeit und auf die dadurch errungenen Vor-
teile erkennt und behauptet. Auf der andern Seite jenes negative Elementy das
in dem Bewußtsein von den Grenzen besteht, welche durch die Gegenwart anderer
Menschen mit gleichen Rechten bedingt werden" (1. c. § 22, S. 40). Die Ge-
rechtigkeitsformel lautet: ,yEs steht jedermann frei, zu tun, w€ts er willy soweit
er nicht die gleiche Freiheit jedes andern beeinträchtigt^* (1. c. § 27, S. 51). Nach
WüNDT ist der eigentliche Trager der Gerechtigkeit der Gesamtwille, daher der
unpersönliche Charakter der Gerechtigkeit (Eth.*, 8. 582 f.). Die Billigkeit
hingegen ist eine Privattugend, sie weist dem einzelnen zu, was er nach Lage
der besonderen Umstände wünschen darf (ib.). Paülsen definiert Grerechtig-
keit (subjectiv) als „die WiUensrichtung und VerhaltungsweisCy die vor störenden
Übergriffen in das Leben und die Interessenkreise anderer selber sich hütet und
auch ihre Verübung durch andere nach Möglichkeit hinderf* (Syst. d. Eth IP,
128). Über Gerechtigkeit im religionsphilosophischen Sinne vgl. A. Dobner,
Or. d. Rehgionsphüos. S. 73, 93, 97, 104 f., 107, 152, 154 f., 238. Vgl. Rechts-
philosophie.
OerneliBeiiipllndnng^en entstehen durch Reizung der Riechnerven
in den Riechzellen seitens kleiner Teilchen der riechenden Substanzen; diese
wirken wohl nur im gasförmigen Zustande. Man unterscheidet die Greruchs-
empfindungen (Grerüche) nach den Riechstoffen in ätherische, aromatische, bal-
samische, Moschus-, lauchartige, brenzlichs u. a. Gerüche. Eine Mischung von
Gerüchen untereinander sowie mit Geschmacks- imd Hautempfindungen besteht.
Zur Messung der Riech-Reizschwelle dient der Olfactometer. Vgl. Wündt,
Gr. d. PsychoL*, S. 64 ff.; Ebbinghaus, Gr. d. Psychol. I, 388 ff.; Zwaabde-
HAK£B, Physiol. d. Geruchs, 1895.
Gesamtbewvßteeln ist der Zusammenhang, die Gleichartigkeit, Ein-
heit der geistigen Inhalte in einer Gemeinschaft von Individuen. Es ist das
Product der Wechselwirkungen zwischen diesen, zugleich eine jedem Einzel-
geiste übergeordnete, objective Macht. Der Gesamtgeist ist die Totalität der
Vorstellungen und Grefühle, der Gesamtwille die Willensresultante der Ge-
meinschaft. Als höchster Gesamtgeist und Gesamtwille kann Gott (s. d.) an-
gesehen werden.
Vom yfibjectiren Geist" (s. d.) sowie von yy Volksgeistem" spricht Heqel.
8o auch die organische Staatslehre (s. d.). Femer Steinthal (Zeitschr. f.
Völkerspych. I, 1860) und Lazarus. Nach ihm ist der Greist y.das gemein-
schaftliche Erzeugnis der menschlichen Gesellschaft^' (Leb. d. Seele I*, 333). Der
„Geist der Gesamtheit" ist die Einheit der Einzelgeister, die von ihnen ver-
schieden ist und sie alle beherrscht (1. c. S. 335). Der Volksgeist ist der Inhalt
376 GtosamtbewiiAtMin — Gesamtvorstellung.
des Gleichen im Volke (1. c. 8. 373). Nach SchItfle ist der Volksgeist „em
durch die ganze geschieküiche Oetsteaarbett angehäuftes, fortgesetzt überliefertes,
in jeder Generaiion modifidertes, vielseitig gegliedertes System geistiger Energien
und Spannkräfte, welche, über alle aetiven Elemente des Volkskörpers veremigty
die einzelnen zu einer geistigen Colleetivkraft vereinigen*' (Bau u. Leb. d. soc.
Körp. 2. A. 1896). ScHlP]|[iE, H. Spenceb, P. v. Lilienfeld, R. Wobits
u. a. betrachten die Gesellschaft nach Analogie eines Organismus. . Vodql „social
medium'' spricht Lewes. Nach einigen Sociologen gibt es ein „Oesamt-bii^^
P. Babth erklart: „Zeitweilig, in den Momenten gemeinsamen Denkens, Fühlens,
WoUens und Handelns hat eine Gesellschaft ein Bewußtsein" (Philos. d. G€sch.
I, 154; vgl. 8. 10). Batzenhofeb betrachtet den „Sodalwülen" als zusammen-
fassende Kraft, als Resultierende aller Triebe in der G^seUschaft (Sociolog. Erk.
8. 285 ff.). Wuia)T erblickt in der Volksseele ein Erzeugnis der Wechsd-
wirkung der Individuen, das ebenso real ist wie diese selbst (VölkerpsvchoL
I 1, 9 ff.). Aber sie existiert nur in und mit den Individuen (ib.). Als
selbstbewußter Willenseinheit kommt der Gemeinschaft eine GresamtpersÖnlich-
keit zu (Gesch. d. Philos.', 8. 625 f.). Der einzelne differenziert sich erst aus
einem Zustand socialer Indifferenz heraus ; von Anfang an besteht eine Gleich-
artigkeit der Kichtung der Willenseinheiten (Eth.«, 8. 449, 453, 458). Der In-
dividualwille geht schließlich „in den Ällgemeimoillen auf, um aus diesem aber-
mals individuelle Geister von schöpferischer Kraft zu erzeugen" (1. c. S. 458 ff.).
„In den geistigen Gemeinschaften und in den in ihnen hervortretenden Eni-
Wicklungen von Sprache, Mythus und Sitte treten uns . . . geistige Zusomtmen-
hänge und Wechselwirkungen entgegen, die sich zwar in sehr wesefUliekeH
Beziehungen von dem Zusammenhang der Gebilde im individuellen Bewußtsein
unterscheiden, denen aber darum doch nicM weniger wie diesem Wirklichkeit
zuzuschreiben ist. In diesem Sinne kann man den Zusamme:nhang der Vor-
stellungen und Gefühle innerhalb einer Volksgemeinschaft als ein Gesamt-
bewußtsein und die gemeinsamen Willensrichtungen als einen Gesamt-
willen bezeichnen. Dabei ist freilich nicht zu vergessen, daß diese Begriffe
ebensowenig etwas bedeuten, was außerhalb der individuellen Bewußtseins^ und
Willensvorgänge existiert, wie die Gemeinschaft selbst etwas anderes ist als die
Verbindung der einzelnen. Indem aber diese Verbindung geistige Erzeugnisse
hervorbringt, zu denen in dem einzelnen nur spurweise Anlagen vorhanden sind,
und indem sie für die Entwicklung des einzelnen von früh an bestimmend
loird, ist sie gerade so gut wie das individuelle Bewußtsein ein Object der Psy-
chologie" (Gr. d. Psychol.», 8. 378 f.). — Nach Lotze (Mikrok. III, 425) und
Teichmülleb gibt es keinen objectiven Gresamtgeist, nur Individuen (Neue
Grundleg. 8. 226, 228). Vgl. Unold, Gr. d. Eth. 8. 175 f. Vgl. 8ociologie
Volksgeist.
Oesamt^elftt, Oesamt-Icli, Oesamtori^aiilsiiiiis s. Gesamt-
bewußtsein, Sociologie.
OesamtTorBteUlin^ ist das Product apperceptiver 8ynthese, der con-
crete Gedanke. „Gesamtvorstellung" bedeutete früher so viel wie G^meinvorstellang
(SuABEDißSEN, Grzd. d. Lehre von d. Mensch. 8. 114). Nach Volkmaiw ist
sie „ein Gesamtvorstellen verschiedenartiger Vorstellungen" (Lehrb. d. Psychol.
I*, 360). WuNDT versteht unter Gesamtvorstellung ein Product apperceptivör
Synthese, „ein zusammengesetztes Ganzes, dessen Bestandteile sämtlich von
Oesamtvorstellung — Gesohmack. 377
frisieren Sinnestoahmehmungen und deren Associationen herstammen, in toelckem
sich aber die Verbindung dieser Bestandteile mehr oder minder weit von den
ursprünglichen Verbindungen der Eindrücke entfernen kann". „Insofern die
Vorstellungsbestandteile eines durch appereeptive Synthese entstandenen Gebildes
als die Träger des übrigen Inhaltes betrachtet werden können, bezeichnen mr ein
solches Oebilde allgemein ais Oesamtvor Stellung" (Gr. d. Psychol.', S. 316).
In der Zerlegung und Gliederung der Gesamtvorstellungen besteht die Phan-
tasie- und Denktatigkeit (i, c. S. 316 ff.; Log. I*, 33 ff.; II«, 2, 288 f.; Vorl.
üb. d. MenscjL«, S. 340 ff.; Gnk. d. phys. Psychol. II*, 476 ff.; Syst d.
Philos.', S. 583 ff.). Das Wesen der Gesamtvorstellung besteht darin, dafi sie
tjOus einer Mehrheit bexiehungs fähiger Teile xusammengesetxt ist" (Völker-
psychoL I 2, 245).
deaamiwUle s. GesamtbewuJßtsein.
Gescli^ieii: der Wechsel der Inhalte in der Zeit, nach Lotze „das
Zeütieh-erscheinen der inneren Bedingungsordnung des Wirklichen" (Mikrok. III*,
599). An sich ist Vergangenes, Gegenwärtiges, Künftiges gleichzeitig (ib.). Vgl.
Werden, Verändenuig.
Geseliielite: l)objectiy: der Zusammenhang der Geschehnisse, Ereignisse
in einem Individuum oder in einer Gesamtheit; 2) subjectiv: die Darstellung dieser
Ereignisse. Die Menschheitsgeschichte kann als Fortsetzung der Naturentwick-
hmg betrachtet werden. Geistige Gesetze liegen ihr zugrunde. Vgl. Sociologie,
Gesetz.
Ciescliiclite der PliiloeM^pliie s. Philosophiegeschichte.
CtesdilelitepliilaBOpllie (Philosophie der Geschichte) s. Sociologie.
OeM^ek 8. Schicksal.
Gesclilosseiie Naturcaiisalitllt s. Causalität, Naturcausalitat.
Ges^hmaelL (ästhetischer) ist die Disposition, Fähigkeit zu ästhetischen
Urteilen; der gute Geschmack ist die Fähig'keit, Schönes schön zu werten.
Häßliches als häßlich zu werten. — Nach Kant ist Geschmack „das Betirteilungs-
vermögen eines Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen
oder Mißfallen, ohne alles Interesse^^ (Kr. d. Urt. I, § 5). Bezüglich des.
Geschmacks findet eine comparative Allgemeinheit statt (1. c. § 7). Der Ge-
schmack ist „sensus communis aestheticus" (1. c. § 40), als Vermögen, die Mit-
teilbarkeit der Gefühle, die mit einer Vorstellung verbunden sind, a priori zu
beurteilen (ib.). Geschmack ist bloß ein Beurteilimgs-, nicht ein productives
Vermögen (1. c. §48; Anthropol. II, § 69 B). Die „Antinomie des Geschmacks"
löst sich durch die Erwägung, daß das Geschmacksurteil durch einen im-
bestimmbaren Begriff allgemeingültig wird, nämlich durch einen Vemunftbegriff
Tom Übersinnlichen des Gegenstandes imd des urteilenden Subjects (Krit. d.
Urt § 57). Objective Geschmacksregeln gibt es nicht (1. c. § 17). Nach Schiller
öitt der Geschmack, als „Beurteilungsvermögen des Schönen"^ zwischen Geist
nnd Sinnlichkeit in die Mitte (Üb. Anm. u. Würde, Phüos. Sehr. S. 105). Nach
Vauvenargues ist Geschmack (goüt) „une aptilude ä bien/tiger des objets de
sentimenf^ (Introduct k la connaiss. de Fespr. hum. p. 181). G. E. Schulze
erklärt: ,yAlle schönen Gegenstände besitzen vermöge des Wohlgefallens an dem
Anblicke derselben einen Wert besonderer Art für den Menschen, Die Fähigkeit,
378 (Geschmack — Oesets.
diesen Wert %u erkennen und das Sehäfie von dem Häßlichen zu unterscheiden,
heißt Geschmack" (Psychol. Anthropol. S. 361). Suabedissen: „TFer jnm
sinnige Empfänglichkeit für das Schöne hat und es aho leicht und siclter er-
kennet, hat Geschmack," Im weiteren Sinne ist er „rfa« Vermögen der Unter-
scheidung des Schönen und des Häßlichen" (Grdz. d. Lehre von d. M^iscL
S. 263). — Kkug definiert: „2><m Vermögen, die Gegenstätide in Ansehung des
Mndrucks, welchen sie durch ihre Gestalt oder Größe auf unser Gefühl der Lust
und Unlust machen, xu beurteilen, heißt der Geschmack in geistiger Bedeutung,"^
Er ist nichts anderes als die ästhetische Urteilskraft (Handb. d. Philos. ü,
55). Der Greschmack ist ein „transcendentaler^^ (1. c. II, 56) oder ein „empiri-
scher'^ (1. c. II, 57 ff.). Nach Kreibig ist Greschmack „eine ästhetische Wert-
urteils-Disposäion vofi deutlieh bestimmter Richtung^' (Werttheor. S. 1.59). —
Vgl. MoiTTESQUiEU, Oeuvres 1759, lY, p. 223 ff. D'Alembert, M^lang^ <L
lit., dabist, et de philos. 1760, IV. A. Gerard, Essay on taste 1759 (dtsch.
1766). Meiners, Verm. philos. Schrift. I, 133 ff. M. Herz, Vers. üb. d.
Geschmack 1776. Vgl. Ästhetik.
Oesdunacksempfindniig^ii smd die Empfindungen, die durch
Heizung der Greschmacksorgane (Schmeckbecher, Geschmacksknospen) in dai
Schleimhautfalten („papillae drcumvalkUae, fungiformes, foliatae") der Mundhöhle
seitens flüssiger Substanzen ausgelöst werden. Grundgeschmäcke sind: süfi,
sauer, salzig, bitter; sie lassen sich mischen, compensieren einander, verstiirken
einander durch Contrast. Vgl. Wundt, Gr. d. Psychol.*, S. 66 f . ; Ebbixghaus,
Gr. d. Psychol. I, 398 ff.; Kiesow, Philos. Stud. IX— XII u. a.
Oesdunacksnrtell = ästhetisches Urteil. VgL Ästhetik, Sittlichkeit.
Oesellscliaftspliilosoplile s. Sociologie.
Gesetz ist der Inhalt eines Imperativs, einer Willensforderung bezw. was
analog einem solchen Inhalte (ursprünglich) betrachtet wird. Gesetz ist der
Ausdruck für ein Sein-sollendes, Gewolltes, notwendig zu Geschehendes. Bei
juridischen Gesetzen ist die Notwendigkeit eme teleologische („man muß, soll
— wenn man nicht Strafe JiaJben tcül'^), beim ethischen, logischen, geistigen
Gesetze ebenfalls („man muß, soll — wenn man vernünftig leben, vemunft^
denken unll"), beim Naturgesetz eine psychologische (triebartige) oder mecha-
nische Notwendigkeit. Naturgesetee sind begrifflich formulierte Notwendigkeit»-
Belationen, mit denen die Constanz, Regelmäßigkeit von selbst gesetzt ist
„Es ist ein Naiurgesetx" heißt: das Wesen, die Natur, die Constitution d»
Dinge, des AUs fordert, bedingt den Zusammenhang, die Art, das Quäle und
das Quantum von Geschehnissen. Unter gleichen Bedingungen verhält sich
Gleiches stets (zu allen Zeiten, in allen Räumen) gleich — das ist die logische
Grundlage (das Identitätsprincip) aller Gesetzlichkeit. Gesetzmäßig (gesetz-
lich) ist, was in eine Gesetzesformel zu bringen ist. Die „Gesetxe^^ sind sub-
jectiv) Satzungen des (die Erfahrungsinhalte logisch verarbeitenden) Denkens,
haben aber (objectiv) ein „FundamefU" in der Erfahrung, in den Objecten selbst
Diesocial-historischen Gesetze sind Modificationen psychologischer Gesetze.
Die Geschichte des Gesetzes-Begriffes läßt bald eine mehr rationaÜstisehe,
bald eine mehr empiristische, bald eine objectivistische, bald eine subjectivistische
Bestimmung dieses Begriffes erkennen. Der objective Idealismus (s. d.) führt
die Naturgesetze auf eine Weltvemunf t zurück; der Theismus (und Pantheismus)
auf den göttlichen Willen (die göttliche Substanz).
Qeseta. 379
Hebaelit erblickt in der Weltvemunft (dem loyoi) das Weltgesetz (vofiog,
Sixiq), dem sich alles fügen muß und soll (Sext. Empir. adv. Math. VII, 133).
Die Gesetzlichkeit des Naturgeschehens betont Plato, der von natürlichen Ge-
setzen {^a^a rovs rrje ipvifeofi vouovs, Tim. 83 E) spricht. So auch Aristoteles
(De coeL 268a 10 squ.). Die Stoiker und Epikureer lehren die Gesetzmäßig-
keit der NatUTprocesse ; bei Lugbez tritt der Begriff der „lex naturae^'^ auf.
Im Anschlüsse an das Alte Testament, das Gott als den Gesetzgeber
der Natur betrachtet, bezieht die christliche Philosophie die Naturgesetze auf
den gpttlichen Willen, die göttliche Vernunft. Thomas erklart die ,,naturales
leges**^ als „ipsae naturales inelinatiofies rerum in proprios fines^^ (Nom. 10, 1).
yjjex naturae nihil cUiud est, nisi lumen inteüectus insiium nobis a Deo, per
quod eognoscimus, quid agendum et quid vitandum** (Sum. th. I, 60, 5 a).
Kepler, Kopebnikus, Galilei bestimmen die Naturgesetze unpersönlich
(mathematisch) als Abhängigkeiten ; so auch F. Bagon, der sie „SchemcUisnien^*
(s. d.) nennt. Descabtes ist geneigt, die Naturgesetze auf Gott zurückzuführen.
Spinoza gründet sie auf die ewige Wesenheit der Substanz (s. d.). Nach
Leibniz handelt Gott gesetzmäßig (Theod. I, § 28). Berkeley betrachtet die
Naturgesetze als Zeichen der ewig gleichen Betätigung des göttlichen Geistes
(Princ. LXII). Newton erklärt, er wolle „missis formis substantialilms et
quaUiatibus oecuUia phaenomena naturae ad leges matßtematieas renavare" (Phil,
nat. princ. math. Auf.). Hume meint, die Vorstellung einer Änderung des
Naturlaufes sei möglich (Treat. III, sct. 6). G^etzmäßigkeit ist Regelmäßigkeit
des Geschehens (s. Causalität). Nach Ferguson ist Gesetz yjede allgemeine
Regel, die aus der Vergleickung mehrerer Factorum abgexogen isf^ (Grunds, d.
Moralphilos. S. 2). Es gibt physische und moralische (geistige) Naturgesetze.
.,Ein physisches Oesetx ist jeder allgemeine Ausdruck einer in mefireren ein-
xelnen Fällen vorkommenden Veränderung.^^ „Ein moralisches Oesetx ist jeder
allgemeine Ausdruck von dem, was gut und also geschickt ist^ die Wahl ver-
ständiger Wesen xu bestimmen" (1. c. S. 4). „Oesetx" bedeutet zuweilen das
Factum selbst (L c. S. 71). Auch die Geisterwelt hat Gesetze, yjdefm es gibt
unter den Veränderungen und Operationen der Seele gewisse beständige ufid.
unveränderliche Facta" (L c. S. 72). Mendelssohn versteht unter Gesetzen „oZ/-
gemeine Sätxe, in ufelehe wir die besonders beobachteten oder geschlossenen Com-
saliiätsverbindungen gebracht haben^ durch deren Anwendung wir in jedem vor-
kommenden Fall auf den Erfolg rechnen** (Morgenst. I, 2).
Kant sieht in der „Oeseixgebung^^ eine apriorische Function des Verstandes,
durch welche die Mannigfaltigkeit der Erfahrungsinhalte geordnet wird. Die
empirischen Gesetze sind aber schon Anwendimgen der gesetzgebenden Function
des Denkens auf den Erfahrungsinhalt. Rein a priori ist nur das causal-gesetz-
mäßige Verknüpfen überhaupt. Gesetze sind „Regeln, sofern sie objectiv sind
(mithin der Erkenntnis des Gegenstandes notwendig anJiängen)" (Krit. d. r. Vem.
S. 134). Es heißt aber ,ßie Vorstelluftg einer allgemeinen Bedingwig, nach
vdeher ein gewisses Mannigfaltige (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann,
eine Regel, und wenn es so gesetxt werdeti muß, ein Oesetx" (1. c. S. 125).
Die einzelnen Gesetze sind Bestimmungen höchster Verstandesgesetze, die „nicht
von der Erfahrung entWint sind, sojidem vielmehr den Ersc/ieinungen ihre Oe-
setxmäßigkeü verschaffen^ und eben dadurch Erfa/trung möglieh machen müssen".
„Es ist also der Verstand nicht bloß ein Vermögen, durch Vergleichufig der Er-
scheinungen sich Regeln xu machen ; er ist selbst die Oesetxgebung für die Natur,
380 GkesetB.
d. t. ohne Verstand tcürde es überall nicht Naiur, d, h. synthetische Einheit det
Mannigfaltigen dpr Ersefieinungen nach Regeln geben^^ (L c. S. 135). Der Ver-
stand ist selbst „der Qtiell der Oesetxe der Nattof*^, ,yZwar können empirigcke
QesetxCy als solche, ihren Ursprung keineswegs vom reinen Verstand herleiten . . .
Aber alle empirischen Oesetxe sind nur besondere Bestimmungen der reinen Ge-
setze des VersUmdeSy unter welchen und nach deren Norm jene allererst tnögUek
sind, und die Erscheinungen eine gesetxliehe Form annehmen^* (1. c. S. 135 !)•
Praktische Gesetze sind Grundsätze, die als für den Willen jedes vemünftigeii
Wesens gültig erkannt werden (Krit. d. prakt Vem. I. B., 1. HptBt., § U
Beine Vernunft gibt das Sittengesetz (1. c. § 7). Die Achtung vor dem Ver-
nunftgesetz begründet die Sittlichkeit (s. d.).
Nach Fbies bestimmt das Gresetz „die notu>€ndige Verbindung mehrerer all-
gemeiner BestimmungeUj so daß, was unter der einen steht, aiteh unter der andern
stehen muß, dde notwendige Verbindung von Begriff en^^ (Syst. d. Log. S. 165^).
J. G. Fichte und Hegel betrachten die Naturgesetze als Setzungen d^ Ich-
heit (s. d.) bezw. der Weltvemunft Nach Esghenmayeb sind alle ,^äuflerm
Naturgesetze" aus „inneren Grumigesetxen" des Geistes reflectiert (PöychoL S. 310).
Das Naturgesetz ist „nichts als der besondere Reflex einer allgemeinen Oldchung,
die ursprünglich in uns selbst liegt" (1. c. S. 435 f.). Nach Chk. K&ause ißt
Gesetz „das gemeinsam Bleibende in der Reihe des Mannigfaltigen, sowohl an
ewigen als an zeitlichen Dingen" (Abr. d. Eechtsphilos. S. 4). Ähnlich definiert
Ahrens (Naturrecht I, 226). Nach Beneke ist das Gesetz „allgemeiner Aus-
druck oder Zusammenfassung mehrerer einstimmiger Processe*^ (Lehrb. d. PsychoL
§ 19; Syst d. Log. II, S. 4, 48 ff.). Schopenhauer erklart das Natoigesea
als die Einheit des Wesens einer Kraft in allen ihren Erscheinungen, als „^
unwandelbare Consta/nx des Eintrittes derselben, sobald, am Leitfaden der Cau-
salität, die Bedingungen daxu vorhanden sind" (W. a. W. u. V. I. Bd., § 26).
Trendelenburo bestimmt das Gesetz als das Allgemeine, das vor der Er-
scheinung die Erscheinung bestinmit (Log. Unt. II*, 190). K. Fischer erklärt:
„ Gesetze des Vorstellens beherrschen die Erscheinungstcelt, ufeü sie dieselbe madien.
Daher sind sie, soweit sieh das Reich der Erscheinungen erstreckt, Wellbedingungen
oder Wdtprincipien, deren Bedeutung völlig verkannt wird, ic&in man ihnen
nur anthropologische oder psychologische Geltung zuschreiben will: sie können
nicht durch Psychologie begründet werden, tceü sie diese selbst erst begründen'^
(Krit. d. Kantschen Philos. S. 12). Ähnlich lehren H. Cohen, Natorp u. a.
O. Liebmann versteht imter Naturgesetz „eine allgemeine Regel, naek welcher
an das 2ki8ammentreffen bestimmter Realbedingungen in der Natur jederzeit und
allerorten das nämliche Ereignis als Realeffect geknüpft erseheint" (AnaL d.
Wirkl.*, S. 280). „Die allgemeine Gesetzlichkeit des natürlichen Geschehens ist
das objective Correlatum desjenigen in uns, was unr Vernunft, Ao/oe, nennen ; sie ist
die Logik der Tatsachen, ist die Vernunft im Universum" (1. c. S. 281), D«s
ist eine apriorische Überzeugung (ib.). Die Zeitlosigkeit der Gesetze, ihre ewige
Geltung betont (ähnlich wie Lotze) Teichmüller (Darwin, u. Philos. S. 9 ftl
Nach Ulrici ist ein Gesetz „der allgemeine Ausdruck (die Formel) der bestimmten
Art und Weise, in der eine Kraft notwendig und allgemein sich äußert, eine
Tätigkeit notwendig und allgemein tätig ist" (Log. S. 93; vgl. Gott u. Nat
S. 48 f.). Nach Rümelin ist das Gesetz der Ausdruck für die „elemenUut
eonstanie, in allen einxelnen Fällen als Grundform erkennbare Wirkungsweisi
von Kräften" (Red. u. Aufs. I, S. 5). Die Ausnahmslosigkeit gehört zum Be-
G^eeetB. 381
griff des Gesetzeb (1. c. S. 16). Die socialen yj Gesetze" sind hypothetischer Art,
sind nur eine Art der psychischen Gesetze (1. c. I, 9 f., 28; II, 118 ff.). Nach
M. Cabriere drücken die Gresetze der Natur „die Beziehungen und Verhält-
nisse der Wesen xueinander aus, welche der eine Unendliche alle in sich hegt
und durch seine Gegenwart verbindet" (Ästh. I, 29). Nach £. Y. Kaktmaks
bezeichnet das Gesetz „die bestimmte Wirkungsweise unter bestimmten Verhält-
nissen" (Kategorienlehre 8. 422). Es hat y,vm Geschehen eine implicite Existenz"
(L c. S. 423), ist etwas Bestandiges, schließt aber variable und constante Fac-
toren in sich (ib.). ;>i)a« Gesetz zeigt die ideelle Bestimmtheit an, zu welcher
die Naher den Inhalt ihrer dt/namisehen Functionen von Fall zu Faü deter-
miniert." ,fiie Gesamtheit der WeÜgesetze erschöpft die ,Welt als Idee'" (Welt-
ansch. der mod. Phys. S. 209). G. Spickeb erklärt „Gesetz" als die „tmveränder-
lid^en, allgemeinen Normen, nach welchen sieh alle Processe in den äußeren
Erscheinungen vollziehen" (Vers. e. n. Gottesbegr. 8. 77). Die Gesetze sind
„teleologiseher Natur*' (1. c. 8. 81). Vor der Entstehung des Endlichen sind sie
nur potentiell (L c. 8. 120).
A. CoMTE lehrt einen Positivismus (s. d.), der anstatt aus abstracten, un-
bekannten Kräften die Tatsachen aus ihren concreten G^etzen erklärt Nach
J. St. Mill ist „jede vollbegründete inductive Generalisation" ein Naturgesetz
(Log. I, 375). Die Naturgesetze bestehen in „beobachteten Übereinstimmungen
sei es des Nacheinander oder des Nebeneinander gewisser Erscheinungen" (Üb.
Bdig. 8. 12). GiZYGKl erklärt: „Ein ,Naiurgesetz' ist . ,', nur der Ausdruck
ßr eine allgemeine Tatsache, und nicht ist es etwas außer und über den Tat-
tael^: die Dinge richten sich nicht nach den Gesetzen, sondern die Gesetze
nach den Dingen. Die Dinge tun das, was in ihrer eigenen Natur liegt" (Moral-
philos. S. 209). Nach Nietzsche gibt es an sich keine „Gesetze^*, diese sind
sabjective Fictionen (WW. V, 1, 2). Wir legen in die Natur, in den continuier-
liehen Fluß des CJeschehens, Gesetze hinein (WW. III, 1, 8. 40 f.). L. Busse
betont, Naturgesetze seien nicht „logisch notwendige Gebote, denen die Dinge ent-
sprechen, weil ein abweichendes Verhalten unmöglich, logisch undenkbar ist",
sondern „Formulierungen des tatsächlichen Verhaltens der Dinge" (Philos. u.
firkenntnistheor. I 1, 194).
Nach Helmholtz ist ein Gresetz ,^as gleichbleibende VerJiäUnis zwischen
teränderliehen Größen" (Vortr. u. Red. I, 240), „cfer allgemeine Begriff,
unter den sich eine Reihe von gleichartig ablaufenden Naturvorgängen zusammen-
fassen läßt" (1. c. I, 375). Die Greltung eines vollständig bekannten Natur-
gesetzes ist eine ausnahmslose (ib., vgl. 8. 169 f.). Nach 8t£I13THAl ist ein
Naturgesetz ein „bestimmtes und festes Verhältnis der Bewegufigen" (Einl. in d.
P&ychol. 8. 114). Als Abstraction von regulativer Bedeutung faßt das Natur-
gesetz O. Caspari auf (Zusammenh. d. Dinge 8. 160 ff.). Die Unveränderlich-
keit der Naturgesetze betont A. Comte. Nach Renoüvier ist ein Gesetz „une
relaiion d* ordre gen^ral, ou une propriete (une qualite specifique) servant ä Iter
et ä separer, ä distribuer d'apres leurs caracteres, des classes plus ou moins
iiendues de phenomenes" (Nouv. Monadol. p. 7). Meinung versteht unter Ge-
setz „die für alle Glieder einer Reihe gleichbleibende Beziehung, durch welche je
ein Glied dieser Reihe zu einem Gliede einer oder mehrerer anderer Reihen zu-
geordnet ist" (GrundL d. Log.*, 8. 162). Nach Simmel bedeutet ein Gesetz,
,fiaß die gleiche entweder natürliche oder ethische Notwendigkeit da eintritt, t^o
382 G«8et8.
die gleichen Vorbedingungen gegeben sind** (Einl. in d. Moralwiss. II, 21).
Gesetz eines Geschehens ist ein „Satx . . ., dem gemäß der Eintritt gewi$eer
Tatsachen unbedingt — d. h. jederzeit und überall — den Eintritt geuisser andertr
zur Folge hat" (Probl. d. Geschichtsphüos. S. 34). Nach L. Stein sind Natur-
gesetze „Begriffscopien von Rechtsgeaetxen" (An d. Wende d. Jahrhund. 8. 262),
„Einheitsformeln'^f „Oattungsbegriffe" (1. c. S. 264 ff.). Das Naturgesetz ist
„nichts anderes als psychischer Zwang, eine Oedanhennötigung, die Mannigfaltig^
keit des Erseheinenden unter eine bestimmte Gedanhenreihe bexw. Interpretatiom-
form XU subsumieren** (L c. S. 31). Sigwart bemerkt: „Die Voraussetxung
aller Forschung, daß Qesetxe in der Welt herrsehen, sagt nur in atidem Worten,
daß die Natur Gedanken realisiere, daß Naturnotwendigkeit und logische Not-
wendigkeit dasselbe sei** (KL Schrift II*, 64). Nach Hagebcann ist Gesetz
„der bestimmte Ausdruck für die sieh gleichbleibende Wirkungsweise gewisser
Kräfte^*, „Je nachdem diese Wirkurtgsweise durch die Natur der Gräfte mit
Notwendigkeit bedingt ist oder aus der freien Betätigung der Kräfte hervorgeht,
unterscheiden wir Natur- und Freiheits- Gese txe** (Log. u. Noet. S. 20). Bibhl
betont, Gesetze und Wirken der Dinge seien nicht verschieden. Gesetze sind „die
Beziehungen der Dinge, die Formen der Vorgänge, unter verallgemeinerten oder aer-
einfaehten Umständen gedacht** (Phil. Krit II 2, 248). Die Gesetzmäßigkeit der
Natur ist ein logisches Postulat (ib.). „Kein Gesetz kann in einer Tatsache rein auf-
gehen,** „Jedes Gesetz ist ein Satz mit einem Wenn: zwei Maesenpunkte würden
sich genau nach dem Gesetze der Gravitation annähern, wenn sie allein in der
Welt untren** (Einf. in d. Philos. S. 245). Obgleich nicht aus der Geschichte
allgemeine Gesetze abzuleiten sind, so ist sie doch solchen imterworfen Q. c.
8. 170 f.). Nach Simmel (Probl. d. Geschichtsphilos. S. 54) und nach Rickebt
(Grenz, d. naturwiss. Begriffsbild. S. 256) gibt es keine historischen Cxesetze;
vgl. hingegen G. Mayr, Die Gesetzmäß. im Gesellschaftsleb. 1877. Nach
WUNDT sind Gesetze allgemeine Hegeln, die eine Gruppe von Gleichförmig-
keiten des Seins oder Geschehens zusammenfassen. Die wesentlichen Merk-
male eines Gesetzes sind : 1) die Verknüpfung selbständig zu denkender TataachcPy
2) das directe oder indirecte causale Verhältnis, 3) der heuristische Wert und
die generelle Bedeutung. Die Naturgesetze sind nicht ausnahmslos, noch
weniger die geistigen Gesetze, die aber (gegen Rümelik u. a.) anzuerkennäi
sind (Log. II* 2, 132 ff.; PhU. Stud. III, 195; XIII, 404). Schuppe versteht
imter Gesetz die Notwendigkeit oder regelmäßige Verknüpfung der Ereignisse
(Log. S. 59). Die „feste Ordnung des Seienden** gehört zu seiner Denkbarkeit
(1. c. S. 65). Nach Uphtjes sind Gesetze Begriffe, in welche wir „die alle
gleichen Dinge charakterisierenden Merkmale zusammenfassen** (PsychoL d.
Erk. I, 73). Wie E. Mach betrachtet H. Cornelius die physikalischen Ge-
setze als „vereinfachende, zusammenfassende Beschreibungen unserer Erfahrungen"
(Einl. in d. Philos. S. 267). Sobald ein Erfahrungsb^riff seine Bedeutung hat,
„kann verinöge des Identitätsprincips kein anderer Zusammenhang mehr
durch diesen Begriff bezeichnet werden als derjenige, der einmal unter diesen
Begriff befaßt wordeti ist** (1. c. S. 291). Die Außenwelt besteht in den j^e-
setzmäßigen Zusammenhängen . . ,, in tcelehe tcir unsere Wahmeh^ntmgen
gemäß dem allgemeinen Mechanismus der Bildung d^ Erfahrungsbegriffe ewi-
ordnen** (1. c. S. 271; ähnlich manche Kantianer). Im letzten Grunde ist es
„•nur unser begreifendes Denken . . . welches Ordnung und Gesetz in das Chaos
der Erscheinungen bringt** (1. c. S. 298). Vgl. H. Cohen, für den der B^riff
GesetB — GfrestaltquaUtaten. 383
des Gesetzes eine Kategorie (s. d.) ist (Log. S. 222). Vgl Induction, Sociologie,
Statistik.
Oeeetx der bestiiiiiiiteii Ansalil s. Anzahl.
Geheim d«r Contraste s. Beziehungsgesetze.
Geeiets der drei Stadien (Comte) s. Wissenschaft, Sociologie.
Ctesetse, psyclilselie« s. Entwicklung, Gregensatz, Heterogonie, Re-
sultanten.
Qesetunäßiskelt s. Gesetz.
Gesiclits 1) Gesichtssinn, 2) Vision (s. d.).
Oeelclitsfiiliiiis die Fähigkeit, Licht- (Farben-)Empfindungen und Ge-
stalt-Wahrnehmungen durch das Auge zu erlangen. Der Gesichtssinn gehört
zn den chemischen Sinnen (s. d.). Vgl. Lichtempfindimgen.
Oeslnniuif; : Sinnesweise, Willenshabitus, dauernde Willensrichtung,
die Motivation des Handelns in ethischer Hinsicht, die gefühlsbetonten Vor-
stellungen, aus denen der Wille entspringt. Die Gesinnimg ist ein Kriterium
des Sittlichen (s. d.). — Den ethischen Wert der guten G^iunung betonen
Demokiut, Plato, Aristoteles, die Stoiker, die christliche, die scho-
lastische Ethik. „IfäerUto suffieit ad meritum*^ bemerkt Bernhabd von
Clairvaux. Der Mensch heißt gut „ex bona voluntate^' (bei Albertus Magnus,
Som. th. I, 48, 6). So auch Abaelard. Femer Leibniz, Kant, Schleier-
ifACHER, LiPFS, C. Stange u. a. Nach Hegel ist die Gesinnung der Indi-
viduen „das Wissen der Substanx und der Identität aller ihrer Interessen mit
dem Oanxen** (Encykl. § 515). Nach Lotze sind Gesinnungen yjbeständige
Verfassungen des QemiÜes, die daraus hervorgehen, daß auf geieisse VorsteUungs-
Inhalte ein für aUemal ein bestimmter Wert gelegt ist; sie sind daher, x. B.
Frömmigkeit oder Vaterlandsliebe, nicht selbst einfache bestimmte Gefühle, sondern
Ursachen, aus denen nach Lage der Umstände die verschiedenartigsten Gefühle
entspringen können" (Gr. d. Psychol. S. 51). Nach Kreibig ist Gesinnimg „die
dauernde, feste Willensrichtung, iceldie durch die individuelle Wertdisposition
im ganzen bestimmt tcird^' (Werttheor. S. 107). Sie ist das letzte imd wahre
Object des ethischen Wertens (1. c. S. 108).
Oefttalt s. Baum.
GestaUiiaalitftteii nennt Chr. von Ehrenfels „positive Vorstdlungs-
inhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstell imgscomplexen im Betcußtsein
gebunden sind, die ihrerseits aus voneinander trennbaren (d, h. ohne einander
torstellbaren) Elementen bestehen*' (Üb. Gestaltqual. Viertelj. f. wiss. Philos. 1890
S. 262 f.). A. Meinong nennt sie „fundierte Inhalte'* (Zeitschr. f. Psychol. II,
245 ff.). Nach Kreibig heißt „Gestaltqualität'* die Tatsache, daß das zwischen
den Gliedern oder unterschiedenen Teilen eines anschaulichen Ganzen bestehende
Band innerer Relationen diesem Ganzen eine Gestalt aufdrückt, welche
als neues Gesamtmerkmal zur bloßen Summe der Merkmale aller Glieder oder
Teile hinzutritt (Werttheor. S. 62). Nach H. Cornelius sind Gestaltqualitaten
die „Merkmaie der Compkxe, durch welche die Chmplexe sich von der Summe
der Merkmale ihrer Bestandteile unterscheiden** (£inf. in d. Philos. S. 24). „Die
sämtliehefi verschiedetien Arten der Anordnung, in welchen die Inhalte
unserer Wahrnehmung auftreten können, die gleiche Form, die ujir an ver-
384 Oestaltqualitaten — Oewisaen.
sehiedenen Teilen unseres Gesichtsfeldes y die gleiche Melodie, die teir oa
Tonfolge verschiedener HÖhe.y die gleiche Färbung j die teir an versehiedenen,
Zusammenklängen bemerken — aU dies sind Qualitäten der dfen bezeiehnetm
Art. Ebenso gehören xu diesen Qualitäten die räumlichen Distamen^
welche teir verschiedenen Punkten in unserem Gesichtsfelde, die ,qu alitat iren'
Distanxen, die wir verschiedenen Tönen oder verschiedenen Farbgualitäten xu-
schreiben — kurx alles, was wir an bestimmten Begriffen von Bexiehungen
oder Relationen unserer BewußtseinsinhcUte besitxen; so auch die abstraetfn
Begriffe der yBexiehung^, der ,AJmlteßikeitsbexiehung^y der ,Ähnlichkeit in dieser
oder jener Hinsieht^, der ^Verschiedenheit^ u. s. ir." (L c. 8. 240 f.). Vgl
WiTASEK, Zeitschr. f. Pöychol. XII, 189; Höflee, PöychoL S. 152 f.; Stout.
Analyt. PsychoL Gegen die Lehre von den GrestaltquaLit&ten : Lipfs.
€lefltlnifi^lster (Astralgeister) gibt es nach den Aristo telikern des
Mittelalters, auch nach Fechker, welcher in den Grestimen beseelte Weseo
(gleich den „Engeln*') erblickt (Zend-Av. I, 1 ff.).
Gesunder Verstand s. Verstand.
Oeirlss^ (avvaldrjffis, conscientia) ist das Bewußtsein des PfUchtgemüfleii,
des Sein-sollenden bezw. von dessen Gegenteil. Es tritt als Gewissoisurteil oder
auch vorwiegend in Form gefühlsbetonter Vorstellungen ohne klaren Begriff
auf, als Reaction gegen eine der sittlichen Persönlichkeit nicht angemesseoe,
ihr widerstreitende Handlungsweise (Gewissen nach der Tat) oder als mahnendes,
warnendes Gewissen vor der Tat auf. Das klare Grewissen besteht in Be-
urteilungen, Werturteilen, Billigungen und Mißbilligungen. Das Gewissen ist ön
Gefühls-, Willens- und Vemunftphanomen in einem. Das Grewissen ist da
Niederschlag socialer Wertungen und Imperative, die (durch Vererbung, Er-
ziehung u. 8. w.) das individuelle Fühlen und Denken im Sinne socialer Zweck-
mäßigkeit formen, wobei aber die Einsicht und Wertung der Persönlichkeit
selbst ein activer Factor des Grewissens ist. Eine Unfehlbarkeit des Gkwiaaens
a priori besteht nicht. Die Unlust bereitende Reaction des (schlechten) Ge-
wissens heißt Gewissensbiß. Gewissenhaftigkeit ist der Habitus, das
Grewissen vor der Handlung sprechen zu lassen. Es gibt neben dem praktiBchen
ein theoretisches (logisches) Gewissen, gleichsam das Ethos im Denken.
Das Gewissen wird bald auf die göttliche Stimme in uns, bald auf die
Stinmie der Vernunft, bald auf das Gefühl und den Willen zurückgeführt; die
Einwirkung der Gesellschaft auf das Individuum im Grewissen wird neuerdings
betont.
Des SOKBATES yfiaimonion" (s. d.) hangt mit dem Gewissensphänomeo
zusanmien. Als awstdijaie (bei Philo, Opp. ed. Mangey I, 196; II, 195 ff)
wird in der antiken Philosophie überhaupt der Begriff des Grewissens mit dem
des Bewußtseins (s. d.) imter einen Ausdruck gebracht Vom Gewissen ist die
Bede: Buch der Weisheit XVII, 11; im Neuen Testament wiederholt
(vgl. Paulus, Ad Rom. II, 14 f.). Die Scholastik bestimmt das Gewissen
als (von Gott eingepflanztes) VemunfturteiL Nach Obigenes ist das Gewisses
fySpiriius correetor et paedagogus animae sociatus, quo separcUur a malit d
adhaeret bonis*' (bei THOMAS, Smn. th. I, 79, 13). Abaelaed erklart: ,fNoneit
peccatum nisi contra conscientiafn^^ (Eth. C. 13). Nach Thomas sagt das Ge-
wissen, „an actus sit rectus vel non'* (Sum. th. I, 79, 13 c; Verit. 17, IcK
^yConscientia est actus, quo scientiam nostram ad ea quae agitnus applicaimi»'*
Oewiasen. 385
(Sum. th. I, 79, 13). Die „Synteresis^* (s. d.) ist ,^eintüla eonseientiae^^, das
„Fünkiein^^ des Gewissens bei Egkhabt u. a.
UoBBES versteht unter Grewissen die Meinung von der Evidenz einer Sache
<HunL Nat eh. VI, 8). Den Grewissensbiß erklart Descaktes, ivie folgt:
„Morsus eonseteniiae est speeies triatitiae ortae ex dubiiatione sive acrupulo,
qui imidtur, num id quod fit vel factuim est bonum sit neone . . . Ustts mUem
kuiiis affectus est, quod efficiatj iä expendatur, num res, de qua dubitatur, sit
bona necfie, et impediat ne ficU alia vice, quamdiu tum constat boncmi esse: sed
qtna tnalum praesupponit, praestaret numquam eins sentiendi ea/usam dari: ac
praa^eniri poiest iisdem mediis, quibus flucHtatio potest excuti*^ (Pass. an. IJI,
177). Spinoza erklärt: „Conseientiae morsus est tristitia coneomitante
idea rei praeteritae, quae praeter spem evenit" (Eth. III, def. äff. XVII).
Ferguson bestimmt die Sanction des Gewissens als „das Vergnügen, welches
der Mensch empfindet, wenn er reckt tut^', und die „Scham und Reue, die bei
•ihm entstehen, wenn er unrecht tut^*. „Der Mensch, da er persönliche VoUkommenr-
heit begehrt und persönliche Mängel verabscfieut, hat Vergnügen an Handlungen,
die ein Beweis und ein Beförderungsmittel seiner Vollkommenheit sind^^ (Grunds,
d. Moralphilos. S. 208 f.). Chr. Wolf definiert das Gewissen als moralische
Urteilskraft „Facultas iudicandi de moralittUe actionum nostrartdm, uirum
seilieet sint bonae an malae, utrum cmnmittendae an omittendae, dicitur con-
seientia'^ (Philos. praet. I, § 417). Nach Cbusiub ist das Gewissen („der Qe-
fcissenstrieb'*) eine angeborene Neigung, über die Sittlichkeit unseres Handelns
zu urteilen (Moral § 132 ff.). Es ist ein Willensphanomen. Nach Kant ist
das Gewissen „die sich selbst richtende Urteilskraft^^, ein „Bewußtsein, das für
steh selbst Pflicht ist^' (Belig. IV, 2, § 4). Das Gewissen ist dem Menschen
ursprünglich eigen (WW. VII, 204, 403 ff.), es liegt in seiner praktischen Ver-
nunft begründet, tritt als „kategorischer Imperatip^^ (s. d.) auf, schreibt dem
Menschen seine Pflicht vor, entstammt dem Übersinnlichen in uns (WW. VI,
486; vgL IX, 247 ff.). Nach Krvq ist das Gewissen „das sittlicfte Bewußtsein
/eonscieniia moralis) oder das Bewußtsein des Outen und Bösen (eonseienüa
recti et pravi), d. h. das Bewußtsein einer Handlungsweise, tcelche die Vernunft
für alle freien Willensäußerungen fordert und nach welcher auch beurteilt unrd,
ob eine gegebene Handlung gut oder bös sei**. Dieses Bewußtsein ist ursprünglich
nicht entstanden, bedarf aber der Entwicklimg (Handb. d. Philos. II, 269).
J. G. Fichte sieht im Gewissen ^/ias unmittelbare Bewußtsein unserer bestimm-
ten Pflicht^' (Syst. d. Sitten! S. 225). Es irrt nie, denn es ist „cfaw unmittelbare
Bewußtsein unseres reinen ursprünglichen Ich, über welches kein anderes Bewußt-
sein hinausgeht*' (1. c. S. 226). Sittlichkeit (s. d.) ist gewissenhaftes Handeln.
Nach Hegel ist das Gewissen ,/las wissende und wollencle Selbst**, der seiner
unmittelbar bewußte Geist (PhanomenoL S. 493; Rechtsphilos. S. 179 f.). Nach
K Bosenkbanz ist es ,,das Urteil des SuJtjectes selbst über den moralischen
Wert seines empirischen Handelns gegenüber der Idee des Öulen, tvie es selbst
dieselbe begreift und sich actu auf sie bexießU" (Syst d. Wiss. S. 467 f.). Es
gibt ein vorauf gehendes , b^leitendes, nachfolgendes Gewissen (1. c. S. 468).
Nach HiLLEBBAND ist das Gewissen „der sich in seiner eigenen Freiheit zu-
gleich als die Notwendigkeit setzende Willem* (Philos. d. Geist. S. 323). Das
Gewissen ist unfehlbar (ib.). Schopenhauer erklärt das Gewissen als „das
Wissen des Menschen um das, was er getan hat" (Grundl. d. Moral § 9), als
Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit uns selbst. Nach Beneke äußert sich
FhUotophiBOhAt Wörterbaoh. 2. Aufl. 25
386 Gewissen.
im Gewissen die sittlich normale Strebimg imd Auffassung: es ist nicht an-
geboren (Sittenl. I, 379, 471 ff., 475). „TFen«, in Beziehung auf unser eigena
Handeln, neben eine irgefidicie abicetchende Schätzung oder Strebung die Vor-
stellung oder das Oefühl der für cUle Mensehen giUtigen wahren Schätxung triii,
so bezeichnen tovr diese mit dem Namen ,Gewissen*^* (Lehrb. d. PsychoL*, § 267;
Pragmat. Psychol. II, 217). Nach Ulmci ist das Gewissen das bewußte Gefühl
des Sollens.
Nach Volkmann ist das Gewissen ein Analogon der Vernunft. Während
diese aber allgemeingültig und objectiv spricht, wendet sich jenes nur g^en
das eigene Ich (Lehrb. d. Psychol. II*, 494). O. Liebmann versteht unter
Grewissen „das Bewußtsein der Normalgesetze oder doch dessen, was ihnen gemäß
sein soll und wertvoll isf^ (Anal. d. Wirkl.*, S. 566). Lipps erklärt das Ge-
wissen ab „die Stimme unserer strebenden und wertschätzenden Natur, oder das
System unserer Strebungen und Wertschätzungen, cUis als Ganzes gekört xi*
werden verlangt und gegen die Schädigung durch die einzelne Strebung sich auf-
lehnte^ (Grundt. d. Seelraleb. S. 617). Es ist „die Fähigkeit, die Tatsaehen ihrem
ganzen Wesen nach uns zu tergegenwärtigen und ihres obfeetitfen Wertes inme
zu werden, dabei von den die Wirkung dieser Werte verschiebenden subfeettpefi
Bedingungen unseres Wollens abzusehen , die reinen ohjectiven Werte aneinander
zu messen und gegeneinander auszugleichen, kurz, sittliches Überlegen anzttstellerr\
In diesem Sinne ist das Gewissen unser ursprüngliches Eigentum, es liegt in
imserer Natur, ist in allen gleichartig (Eth. Grundfr. S. 161). Zu unterscheiden
sind: Gew^issen als Anlage, als Verwirklichung dieser Anlage, als absolutes
Gewissen (1. c. S. 162). Nach Paulsen ist das Gewissen „die ganze Seite
unseres Wissens, wodurch wir uns urteilend zu utis selbst als wollenden oder
handelnden Wesen verhulten^^ (Einl. in d. Philos. S. 432). Das Gewissen isi
,ydas Organ, wodurch die Flickt erkannt wird und sieh in unserem Innern ver-
nehmlich macht" (Syst. d. Eth. I*, 320). In seinem Ursprünge ist es „das Be-
wußtsein von der Sitte oder dtis Dasein der Sitte im Bewußtsein des
Individuums" (1. c. S. 341). Nach Höffding ist das Gewissen die Reaction
des „Centralen" in uns gegen das „Peripherische", ein „Bexdekungsgefühl" (Eth.*,
S. 69). Es äußert sich (auch nach F. C. Sibbern) als geistiger Erhaltungstrieb
(ib.). Es gibt ein instinctives und ein freies Gewissen (1. c. S. 75). Die „pfr-
sönliche Gleichung^^ in der Ethik bedeutet die individuelle Art des Gewissens
(1. c. S. 78; vgl. F. Ch. Sharp, The personal equation in Ethics 1894). Nach
TÖNNIE8 ist das Gewissen „der einem Individuum eigene Genius, als Gedächtnis
und Gedankenwille in Erwägung und Beurteilung eigener und fremder, frettnd--
licher oder feindlicher Verhaltungsweisen und Eigenschaften, daher als der Begriffe
welcher die moralischen Tendenzen und Meinungen ( Velleitäten) auedrückt" (G«n.
u. Gösellsch. S. 119). Unold erklärt die Anlage zum Gewissen für angeboren^
Inhalt und Ausgestaltung desselben seien aber durch Erfahrung und Erziehung
bedingt (Gr. d. Eth. S. 275). Das Gewissen ist ,,actuelles, d. h. fortwährend in
das Entschließen tind Handeln eingreifendes, Motive lieferndes, Impulse gebende^r
urteilendes und reagiei'endes bezw. strafendes sittliches Bewußtsein" (L c.
S. 276). EHRENFEL6 betrachtet die Phänomene des Gewissens als Folgeerschei-
nimgen moralischer bezw. unmoralischer Veranlagimg (Syst. d. Wertth. II,
163 ff.). Nach Kreibig ist das Gewissen „eine Urteilsdisposition, d. Ä. eiste
psychische Anlage, in bestimmter Weise über gewisse Inhalte zu urteilen", yjDas
Gewissensurteil sprirfit ans, daß eine beabsichtigte oder vollzogene eigene Hand^
Gewissen — Gewißheit. a87
lung mit der eigenen moralischen Gesinnung in Widerstreit stehe oder harmonieret^
(Werttheor. S. 129).
Den socialen Ursprung des Gewissens (schon bei Tieren, durch natürliche
Auslese) betont Ch. Dabwin (Desc. of Man p. 199). So auch H. Spexceb,
femer Leslie Stephen, der vom „public spirit of the raee^* in uns spricht.
P. Ree leitet das Gewissen aus der Autorität socialer und religiöser Mächte ab
(Entsteh, d. Gewiss. 1885; Phüos. S. 63). Nach E. Laab ist das GcNvissen ein
erworbenes Gesetz (Ideal, u. Posit. II, 159). Auch Ihebing erklärt das Gewissen
aociologisch (Zweck im Recht I, 243 ff.). Simmel hält es fiur wahrscheinlich,
daß der Gewissensschmerz „rfic Vererbungsfolge derjenigen Schmerxefi ist, die
Me Qeneraiiotien hindurch dem Täter ah Strafe für die tmsittlicJiß Tat auf-
erlegt ttmrde'* (Einl. in d. Moral. I, 407). Das Gewissen ist gleichsam „ein rück-
wärts gewafidter histinetf^ (1. c. S. 408). Es ist „die Lust oder Unlust der
Gattung Ober die Tat, die in uns xu Worte kommt^^ (1. c. S. 409). Nach
Ratzenhofer ist es „ein Produet der Entwicklung des angeborenen Interesses
und tritt in dem Augenblicke hervor, wo sich dem Öattungsinteresse Spuren des
Socialinteresses entwinden'' (Posit. Eth. S. 123). Nach Wündt äußert sich das
Gewissen in der Herrschaft imperativer Motive, zu deren Ausbildung äußerer
und innerer Zwang beigetragen hat. Die einfache und normale Function des
Gewissens besteht „dam?, daß es den Kampf der imperativen und impulsiven
Motive verstärkt und daher sehr ßiäufig einen Sieg der letxteren auch in solchen
Fallefi herbeiführt, wo der OefülUswert der Motive selbst hierzu nicht ausreichefi
würde'' (Eth.», 8. 485). Es gibt ein gesetzgebendes, ein antreibendes und ein
richtendes Gewissen (ib.). „Der einzelne Oewissensact kann Oefühl, Affeet,
Trieb, Urteil sein; ein Gewissen aber, das außerhalb dieser einxeinen Acte der
menschlichen Seele als ein Separatvermögen zukäme, gibt es nicht" (1. c. S. 481).
Es kann das (Gewissen nur auf dem „Verhältnis verschiedener Motive xu ein-
ander beruhen" (1. c. S. 484). Das Gewissen ist historisch wandelbar (1. c. S. 483).
Xach GiZYCKi ist der Gewissensschmerz „ein Gefühl der Unzufriedenheit mit
«IM selbst^ wdclies entsteht, wenn die Erirmerung ein Verhalten uns vor die
Seele führt, das unserm gegenwärtig vorwaltenden Pfliehtgefühl widerstreitet"
(Mondphilos. S. 282 f.).' Nach Te. Zieoler ist das Gewissen ein „Ausdruck
für die Gesamtsumme der Gefühle und der darauf sich bauenden Urteile des
titilichen Menschen über sich selbst^' (Das Gefühl«, S. 174). „Das Gute in mir,
mner Herkunft nach der Stellvertreter der menschlichen Gesellschaft und alles
des Guten, das in ihr lebt und tdrksam ist, sitzt über meine böse Handlung zu
Gericht" (1. c. S. 175). Nach W. Jerusalem ist das Gewissen „eine Gefühls-
disposiOon, die zur Folge hat, daß wir es voraus fühlen , ob eine Handlung, die
Wr zu tun im Begriffe sind, Billigung oder Mißbilligung fvndefi wird" (Lehrb.
d. Psychol.», S. 169). Vgl. Elsenhans, Wes. u. Entsteh, d. Gewissens 1894;
StIüdlen, Gesch. d. Lehre vom Gewissen 1824; Gass, Die Lehre vom Ge-
wissen. Vgl. Moral insanity, Moralischer Sinn, Sittlichkeit, Synteresis, Tugend.
GewiOlielt (certitudo) ist das „sichere", feste Wissen, das überzeugte
Fürwahrhalten, die Sicherheit, völlige Abgeschlossenheit des Urteilens, die aus
der Denknotwendigkeit empirisch oder a priori entspringt und in einem Gefühle
sich bekundet, die Bestinmitheit des Denkwillens, der sich als logisch deter-
miniert erweist und nicht schwankt. Zu imterscheiden ist die subjective
Gewißheit des Glaubens (s. d.) von der objectiven des Wissens (s. d.), die
25*
388 Gtewifihelt.
absolute Gewißheit von der Wahrscheinlichkeit (s. d.), die unmittelbare
Gewißheit (Evidenz, s. d.) von der mittelbaren (abgeleiteten). Alle GrewiÄ-
heit wurzelt schließlich in der (äußeren oder inneren) Anschauung und in den
Denkgesetzen. Absolut gewiß ist das, dessen Gegenteil oder Nichtsein als un-
möglich (widerspruchsvoU) festgestellt ist. Der Bationalismus (s. d.) sieht m
der Vernunft eine Quelle der Gewißheit. Der ISkepticismus (s. d.) leugnet
jegliche objective Gewißheit. Die Gewißheit des Erkennens ist ein Funda-
mentalproblem der Philosophie.
Thomas bestimmt die ,fCertttudo" als „proprietas eognitivae virtutis^* (dum.
th. I, II, 40, 2 ob. 3). Sie ist ,^determin€Uio intellecttis ad unum^ (3 sent 23,
2, 2), jßrmitas adkaesionis virtiUis eogniiivae in suum eognascibile^^ (3 aent
26, 2, 4c). Die Gewißheit entspringt dem „lumen naturaie^^ (s. d.), dem natür-
lichen Erkenntnisvermögen („quod altquid per certitudinmi sdahir, est ex lumine
rationis divinitus irUerms indito, quo in nobis hquitur Deu8*\ Verit. 11, 1 ad
13). — Nicolaus Cusanus erklärt: „Nihil certi habemus nisi naatram matke-
inaticam,^^ Descartes bestimmt als Kriterium der Gewißheit die j^Klarheit
und Deutlichkeit^^ (s. d.). Spinoza versteht unter Gewißheit die Art, wie wir
das wirkliche Sein aulfassen (Em. intell.). Locke unterscheidet die j,Oeudßhtü
der Wahrheit"y die darin besteht, wenn in einem Satze die Obereinstiinmuiig
zwischen den von den Worten bezeichneten Vorstellungen genau so ausgedrückt
wird, wie sie wirklich statthat, imd y^Oewißheit des Wissens**, als Erkenntni»
dieser Übereinstimmung (Ess. IV, eh. 6, § 3). Leibniz erkennt nur letztere,
als vollständige Erkenntnis der Wahrheit; die erstere Art der Gewißheit ist die
Wahrheit selbst (Nouv. Ess. IV, eh. 6, § 3). Es gibt moralische, physische,
metaphysische Gewißheit (l. c. § 13). Nach Chr. Wolf ist Gewißheit unserer
Erkenntnis jMer Begriff von der Möglichkeit oder auch Wirklichkeit eines Urieikr'
(Vem. Ged. I, § 389). Sie entstammt der Vernunft oder der Erfahrung (L c, § 390?).
y,Si cognosdmuSy proposiiionem esse veram rel falsaniy propositio nobis dieitur
esse certa** (Log- § 564). Crusiüs stellt als oberste Regel der Gewißheit den Satz
auf: Was ich nicht anders als wahr denken kann, ist wahr (Weg zur
Gewißh. 1747). J. Ebert: „Diejenige Beschaffenheit unserer Erkenntnis, termcge
welcher man die Wahrheit des Gegenteils nicht befürchten darf, nennt man Ge-
wißheit** (Vemmdilehie S. 136). D'Alembert erklärt: „L'evidenee appartient
proprement aux idees dont Vesprit aperpoit la liaison iout d'un eoup; la eerti-
tude ä Celles dont la liaison ne peut etre comme que par le secours d'un certw»
nombre d*idies intermediaires** (Disc. pr^lim. p. 51). Feder: „Wenn man etwas
für wahr oder falsch hält, so ist man entweder durch völlige und deutliche Er-
kenntnis gezwungen, so xu urteilen, oder nicht. Nur in dem ersten FaÜe kann
man sagen, daß man Überxeugung (eonvietio) hohe und gewiß sei, cUis heißt,
außer der Gefalir sich xu irren** (Log. u. Met. S. 119 ff.).
Nach KA17T ist man gewiß, „insofern man erkennt, daß es tmmöglieh sei,
daß eine Erkentitnis falsch sei*' (WW. II, 298). „Das gewisse FürwahrhaUen
oder die Gewißheit ist mit dem Beuntßtsein der Notwendigkeit verbunden-*
(Log. S. 98). Es gibt empirische und rationale (mathematisch-intuitive und
philosophisch-discursive) Gewißheit (1. c. S. 107). ,fiie empirische Gewißheit ist
eine ursprüngliche (originarie empirica), sofern ich von etwas aus eigener
Erfahrung, und eine abgeleitete (derivative empirica), sofern ich durch fremde
Erfahrung wovon gewiß werde. Diese letztere pflegt auch die historische
Gewißheit genannt xu werden** (l. c. S. 108 f.). „Die rationale Gewißheit unter-
(Gewißheit. 389
sehmdet sich von der empirischen durch das Betmißtsein der Notwendigkeit,
das mit ihr verbunden ist; — sie ist also eine apodiktische ^ die empirische
dagegen nur eine assertorische Gewißheit, — Baiional gewiß ist man von
dem, was man auch ohne Erfahrung a priori würde eingesehen haben^^ (1. c.
6. 108). ,,Äüe QewißheU ist entweder eine unvermittelte oder eine ver-
mittelte^ d, h, sie bedarf entweder eines Beweises, oder ist keines Beweises fähig
und bedürftig*^ (ib.). Die Grundsätze unseres Denkens und Erkennens sind
a priori (s. d.), allgemein-subjectiv gewiß und daher objectiv gültig. Nach
£buo ist Gewißheit ,^n Fürtcahrhcdten, welches in der Erkenntnis des Objeets
hinlänglich gegründet ist oder auf objectiv^xur eichenden Gründen beruht^
(Fundam. S. 237). Nach Maas ist ein Urteil gewiß, sofern man sich der Wahr-
heit desselben be^nißt ist (Log. § 328). Mit Reinhold und J. G. Fichte
beginnt für einige Zeit die Tendenz, einen absolut gewissen Satz an die Spitze
des philosophischen Systems zu setzen. Das Gefühl der Gewißheit ist nach
Fichte y^ne unmittelbare Übereinstimmung unseres Bewußtseins mit unserem
ursprünglichen Ich^^. j,Nur intciefem ich ein moralisches Wesen bin, ist Ge-
wißheit für mich möglich; denn das Kriterium aller theoretischen Wahrheit ist
nicht selbst wieder ein theoretisches^^ (Syst. d. Sittenlehre S. 220 f.). Nach
Fries hat ein Urteil Gewißheit, wenn es zureichende Gründe hat (Syst. d. Log.
8. 409). Nach Ulrici ist die Gewißheit j,die subjective Denknotwendigkeif^
(Log. S. 32). Gewißheit und Evidenz sind nur „das mittet- oder umnittelbare
Bewußtsein (Gefühl) von der Denknotwendigkeit einer Vorstellung und ihres In-
halts (Objeets) — ein Bewußtsein, das wir Gewißheit nennen, wo die Denknot-
wendigkeit nur das Dasein eines der Vorstellung zugrunde liegenden Objeets
betrifft, Evidenx, wo sie die Bestimmtheit und Beschaffenheit des Objeets
umfaßt'' (Gott u. d. Nat. S. 11). Harms bestimmt „Gewißheit' ab „Glauben,
der sieh der Gründe seines FürwahrlwUtens des Geda^shten bevmßt isf' (Log.
8. 111 f.). Witte unterscheidet tatsächliche (individuell-subjective imd objective)
imd erkenntnistheoretische Gewißheit (Wesen der Seele S. 59). Nach Pesch
ist Grewißheit ,Jener Zustand des Verstandes, in welchem letzterer der erkanTvten
Wahrheit fest zustimmt, unter Ausschluß aller vernünftigen Besorgnis vor Irrtum^'
(Die groß. Weltrats. S. 596). Nach Hagemakn ist Gewißheit „die feste, jeden
Zweifel sowie jede Furcht des Irrtums ausschließende Zustimmung des Denk-
geistes xu einer tcirklichen oder scheinbaren Wahrheit' (Log. u. Noet*, S. 176).
Es gibt unwillkürliche und reflexive, wissenschaftliche (1. c. S. 177), subjective
und objective Gewißheit, je nach dem Grewißheitsgrund (1. c. S. 178). Der
Grund der Gewißheit ist „die einleuchtende Wahrheit der erkannten Sache oder
die objective Evidenx'' (1. c. S. 180). „Metaphysische Geteißheit ist bei allen
analytischen Urteilen vorhanden, deren Wahrheit aus der bloßen Betrachtung des
Subjeetes und Prädicates entweder unmittelbar oder mittelbar einleuchtet, und
zwar so einleuchtet, daß das Gegenteil in sich urimöglich erscheint.^' „Physische
Gewißheit eignet den synthetischen (Erfahrungs-) Urteilen, welche über Tatsachen
der inneren und äußeren Erfahrung gefällt werden," „Moralische Gewißheit
kommt denjenigen Wahrheiten xu, welche auf Grund eines fremden Zeugnisses,
also wegen der äußern Evidenx, für gewiß gehalten werden^' (1. c. S. 182 f.).
Nach WtrsTDT ist gewiß, „was in eine der durchgängigen Übereinstimmung der
reinen Anschauung gleichende tviderspnichslose Verbindung gebracht ist" (Log. I,
387). Die objective Gewißheit ist „ein Resultat der Bearbeitung unmittelbar
gegebener Tatsachen des Betcußtseins durch das Denken" (1. c. S. 379). Als gewiß
390 Gewißheit — Gewohnheit.
gilt uns ein Satz, wenn seine Verneinung als unmöglich angesehen wird (1. c.
S. 384). Objectiv gewiß sind die Tatsachen, die auf dem Wege fortschreitender
Berichtigung der Wahrnehmungen nicht mehr beseitigt werden können (1 c.
S. 385; vgl. S. 389). B. Erdmann bestimmt: „Oewiß ist die Wirklichkeit einet
Gegenstapides, wenn sie si^h in iciederholter Erkefititriis oder Appereeptiofi als die
gleiche, gewiß ist der Inhalt eines Gegenstandes y wenn er sich in tciederhdier
Erkenntnis als der gleiche herausstellt^^ (Log- I, 272). „Die wiederholte, über-
einstimmende Erkenntnis ist , . , das logische Kriterium für die Gewißheit der
Gegenstände^^ (1. c. S. 273). R. Avenarius rechnet die Grewißheit zu den
„Charakteren** (s. d.) der Erkenntnis (Krit. d. r. Erf. II, 135). Vgl. Evidenz.
Wissen, Wahrheit, metaphysisch.
Oeirolmlielt ist die durch öftere Wiederholimg (Übung, s. d.) ent-
standene Bereitschaft zu Handlungen, die Tendenz zum Gleichen, Bekannten,
Geübten, infolge der Leichtigkeit und Sichei'heit der gewohnten Tätigkeit. Die
Gewöhnung besteht in einer Anpassung des Organs an die Function, der
Function an den auslösenden Reiz, auf einer „Mechanisierung^^ (s. d.) von
Willenshandluugen zu triebartigen oder auch unterbewußten, reflexmäßigen Vor-
gängen. Auf Gewohnheit beruhen Association (s. d.), Reproduction, Fertigkeiten,
Sitten u. s. w.
Eine erkenntnistheoretische Bedeutung hat der Begriff der Gewohnheit bei
den Empiristen (s. d.), besonders bei Hume. Sie ist nach ihm das Princip,
„which renders mir experience v^eful to us** (Inquir. sct. V, p. 39). Gewohnheit
(custom) ist alles, „was aus einer früher stattgefundenen Wiederholung ahm neue
Überlegung oder ScJdußfolgening entsteht. Auf ihr beruht aller Glaube (s. d-i.
Sind wir gewohnt, zwei Eindrücke miteinander verbunden zu sehen, so leitet uns
das erneute Auftreten (die Vorstellung) des einen unmittelbar auf die Vor-
stellung des andern hin (Treat. III, sct. 8). Das Wort ruft eine Vorstellung
hen'or und mit ihr eine gewohnheitsmäßige Tendenz des Vorstellens. Di®e
weckt eine andere Vorstellung (1. c. I, sct. 7).
Unter dem Namen „Äa6tViAs" (ß<c) kommt der Gewohnheitsbegriff bei
Aristoteles und den Scholastikern zur Sprache. So auch bei L. Vites
(De an. II, p. 110 ff.) u. a. Auch von den Association spsychologen des
18. Jahrhunderts wird er berücksichtigt. — Nach Fries ist Gewohnheit der
„Einfluß, welchen die 'öftere Wiederkehr derselben Ursache, weiche eine bleibetide
Wirkung hinterläßt^ auf lebende Wesen hat^ (Syst. d. Log. S. 70). Hegel er-
klärt: „Daß die Seele sich . . . xum abstracten allgemeinen Sein maclä, und
das Besondere der Gefühle (auch des Bewußtseins) xu eifier nur seienden Be-
stimmwig an ihr rediiciert, ist die Gewohrüteit" (Encykl. § 410). Nach Süa-
BEDISSEN ist Gewohnheit „die durch Wiederholung natürlich gewordene Wieder-
kehr derselben Bestrebungeti und Hatidlwigen unter denselben Umständen**. „Ge-
wöhnung ist die Wiederholung ^ wodurch ein Sireben oder Tun zur Gewohiheil
wird** (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 149). Nach J. E. Erdmanx ist Gewohn-
heit „e/er aus vieleii Empfipidungen und Verleiblickungen ßierrorgegangefte und
darum durch Wiederholung rertnittelte Zustand des Individuums, in welchem
es alle jene besonderen Empfttulungen ufid Verleiblichtingen als deren einfache
Allgemeinheit in sich aufgeJwben hat und darum bereits in sich enthält, was der
Lebensproceß ihm geben sollte** (Gr. d. Psychol. § 60). Nach Volkmai^^n beruht
die Gewohnheit auf einander mittelbar reproducierenden Vorstellimgen (Lehrb.
Gewohnheit — Glaube. 391
d. PsychoL I^, 446). Tönnies faßt die Gewohnheit als einen erfahrungBmaßig
•entstandenen Willen, als Neigung auf (Gem. u. Gesellsch. S. 108 ff.). Nach
WüNi>T beruht die Grewohnheit auf eigenartigen Wirkungen der Übung (s. d.).
Daß Gewohnheit die Gefühle (s. d.) abstumpft und daß sie Bedürfnisse schafft,
daß sie in der Keproduction waltet, betont u. a. Ehrenfels (Syst. d. Wert-
theor. I, 186). W. James sieht in der Gewohnheit (habit) eine Grundeigenschaft
der Materie. Auf Gewohnheit beruhen die Naturgesetze (Princ. of Psychol. 1,
104 ff.). Die biologische Gewohnheit ist in der Plasticität der organischen
Substanz begründet (1. c. p. 105). Nach Baldwin ist Gewohnheit y,die Ihidenx
eines Organismus y Processe, die vital tcoltätig sind, immer Isichter und leichter
fortdauern xu lassen^^ (EntwickL d. Geist. S. 445). Sülly erklärt die Gewohn-
heit als yjdie stetige Neigung, etwas xu tun^ und xwar mit Leichtigkeüy welclie
das Resultat einer bestimmten und methodischen Wiederholung der Handlung ist^^
<Handb. d. Psychol. S. 120, vgl. Stoüt, Anal. Psychol. I, 258 ff.). Verschiedene
Sociologen betonen die Bedeutung der Gew^ohnheit als sociale Erhaltungs-
tendenz. Renouyier nennt die Gewohnheit ,,la eonservatrice des sociites^^
<Nouv. Monadol. p. 298).
»r
Olanbe (Glauben) ist eine Art des Fürwahrhaltens, der Überzeugung,
und zwar 1) = Meinimg (s. d.), 2) das starke, gefühlsmäßige Zutrauen zur
Wahrheit eines Urteils, die auf subjectiven Gründen beruhende Gewißheit, das
Vertrauen zu fremder Urteilsfähigkeit. Der Glaube enthält ein Gefühlselement
{Zutrauen, Er\Tartimg8gefühl) und ein Willensmoment (^Ville zum Glauben:
der Wille, der allen Zweifel hemmt, alles dem Glauben Widerstreitende zurück-
drängt). Der Glaube anticipiert oder ersetzt das Wissen; er ist ein Product
der personlichen geistigen Verarbeitung des Erfahrungsinhaltes. Vom Autoritäts-
ist der Vemunftglaube zu imterscheiden. Der religiöse Glaube ist festes
inniges Vertrauen zu dem von einer religiösen Autorität Grelehrten oder zur
Forderung eines Göttlichen seitens unseres eigenen Gemütes und Intellectes.
Glaube bedeutet im Unterschied vom Glauben als Act auch den Glaubensinhalt.
Die antike Skepsis, die ein Wissen für unmöglich hält, erklärt für das
praktische Leben den Glauben {nioTio) für zureichend (Sext. Empir. adv. Math.
VII, 158). Das Christentum wertet den (religiösen) Glauben aufs höchste,
niacht ihn sogar zu einer Cardinaltugend (s. d.). Der Glaube steht höher als
Erkenntnis, bildet den Weg zu ihr. Nach dem Neuen Testament ist der
Glaube (niane) kknt^ofitviov vTioczaatSj n^ayuärafp ikeyxoi ov ßkenofidvcov (Hebr.
11, 1). Nach Clemens Alexandrinus ist der Glaube Ti^oXijxpis Stavoias (Strom.
IV, 4, 17), Tt^oXrixpis ixovcios, d'souBßeiai avyxardd'ßffts (1. c. II, 2, 8). Er ist
xi^iOTe^v Tjfff ijttCTi^uijej x«i Ä7T«y avr^i xoittiqiov (1. c. II, 4, 15). Eine
Willenszustinmiimg enthält der Glaube auch nach Augustinus. Glauben ist
yjmm assensione cogitare'^ (De praed. sanct. 5). Der Glaube ist der Weg zur
Erkenntnis (De trin. XV, 2). Er besteht in einer übernatürlichen Erleuchtung
(De pecc. merit. I, 9). Die Außen welts-Existenz wird geglaubt (Confess. VI, 7 ;
De civ. Dei XIX, 18). Hugo von St. Victok erklärt den Glauben als „cer-
titudinem quandam animi de rebus ahsentihus, supra opinuniem et infra seien-
tiam eonstitutam^* (De sacr. I, 10, 2). Der Glaube enthält die „cognitio^^, das,
uquod ftde ereditur*^ („materia fidei^^J und das „credere*^ (1. c. II, 10). Nach
Hildebebt von Lavardin ist der Glaube „vohoitaria certitudo absentium
supra opinionem et infra scientiayn cotistituta^^ (Tract. theol. C. 1 ff.). Abaelard
392 Glaube.
bemerkt: „Fides dtcitur exisiimaiio non apparentium** (Theol. Christ. U, 3).
Thomas erklärt den Glanben als „actus inielleetus, secundum quod movetur a
voluntate ad asseniiendum*^ (Bum. th. II. II, 4, 2 e). Auch DüNS SooTü8 be-
tont den Willenscharakter des Glaubens ; er unterscheidet jßdes aequisiia^* und
„fides infusa". Rayhukdus Lttllub erklärt: ,yFides est habitus a Deo daha
per qttem inielleetus intelligit super vires suas ea, quae per suam naturam at-
tingere non potesf* (Phil, princ. C. 3). — Nach L. ViVES ist der Glaube „«-
sensus quidam firmus^' (De an. II, p. 76).
AIb Zustimmung zu nicht bewiesenen Sätzen aus subjectiven Gründen U&i
den Glauben Locke auf (Ess. IV, eh. 18, § 2; § 7). Chr. Wolf erklärt:
„Fides dtcitur assensus, quem praebemus propositioni propter auetoritatem dieen-
tis" (Log. § 611). jyDurck den Gla-idfen verstehe ich. den Beifall, den man einem
Satxe gibt um des Zeugnisses willen eines andern** (Vem. Ged. von d. Kr. d.
m. Verst.*, S. 145). Baümgarten imterscheidet „fides sacra ohiective** (Glau-
bensinhalt) und „fides sacra stäneetive** (Glaubensact) (Met § 758).
Glaube als natürliche Überzeugiuig von der Realität eines Objects, als
„belief* (im Unterschiede von ,/aith*') spielt in der englischen Philosophie eine
nicht unbedeutende Bolle. 8chon Collier bemerkt: ,,/ believe, and am
very sure, thcU this seeming quasi extemity of visible objects is not Ofüy the
effect of the will of god . . ., btä also that it is a natural and necessary eon-
dition of their visibility** (Clav. univ. p. 6 f.). HüME bezeichnet als Glauben
(belief) ein gefühlsbetontes, lebhaftes Vorstellen, das Existentialbewußtsein. „Be-
lief is nothing but a more vivid lively, forcible, firm, steady conception of an
ob/eetj than ickat the imagination alone is ever able to attain. — Belief eonsiH
in the manner of their (ideasj conception^ and in their feeling to the minä""
(Inquir. sct. V, p. 42). Der Glaube besteht in „a feeling or sentimenf*, in einer
bestimmten Art, wie uns Vorstellungen berühren (Treat. Anh. S. 354). „Belief*
ist „an idea related to or assodated trith a present impression" (Treat. III, sct
7, p. 394). Er verleiht den Vorstellungen größere Energie und Lebhaftigkeit
(1. c. III, sct. 7). Er ist eine Vorstellungsweise (1. c. S. 131 ; vgl. S. 133). Dem
Glauben liegt Gewohnheit (s. d.) zugrunde. Nach Reid ist der Glaube ein
unbeschreibbarer einfacher geistiger Act (Inquir. C. 2, sct. 5). Mit jeder Wahr-
nehmung ist ein Glaube (als „natürliches und primitives Urteil") an eine Existenz
verknüpft (1. c. C. 2, sct 3).
Kant will durch den Nachweis der Unzulänglichkeit des Erkennens für
transcendente (s. d.) Objecte dem Glauben an diese (an Gott u. s. w.) Platz
machen (Kr. d. r. Vem. S. 26). Glauben ist subjectiv zureichendes Fürwahr-
halten (Krit d. r. Vem. S. 622), ein praktisches Fürwahrhalten (1. c. S. 623),
ein „Fürwahrhalten aus einem Grunde^ der xwar objectiv unzureichend^ aber
subjectiv xureichend ist" (Log. S. 101; vgl. S. 102), „die moralische Denkungs-
art der Vernunft im Fürwahrfialten desjenigen^ was für die theoretische Erkenntnis
unzulänglich ist" (Krit. d. Urt. § 91). „Aller Glaube ist . . . ein sttbjeeii9
zureichendes, objectiv aber mit Bewußtsein unzureichendes FürtcahrhaUen"\
(Was heißt: sich im Denken orientieren? S. 132). Glauben ist eine „Ännehmung^
Voraussetzung", „die nur darum fiotwe7idig ist, weil eine objectire praktische
Regel des Verhaltens als notwendig zum Grunde liegt, bei der wir die Möglich-
keit der ÄusfiUtrung und des daraus hervorgehenden Objectes an sieh zwar nicht |
theoretisch einsehen, aber doch die einzige Art der Zusammenstimmttng derselben
zum Endzweck subjectiv erkennen*^ (Üb. d. Fortschr. d. Met S. 142). Die prak-
Glaube. 393
tische Uberzeagung oder der „moraliseke Vemunftglatibe'^ ist oft fester als
Wissen (Log. 8. 110). Die Glaubensgewißheit ist moralisch, nicht logisch, „und
da sie auf subfeetiven Gründen (der morcUischen Gesinnung) beruht, so muß ich
nicht einmal sagen: es ist moralisch getciß, daß ein Gott sei etc., sondern ich
bin moraliseh gewiß etc. Das heißt: der Glaube an einen Gott und eine andere
Welt ist mit fneiner moralischen Gesinnung so verwebt, daß, so wenig ich Ge-
fahr laufe, die erstere einxubüßen, ich ebensowenig besorge, daß mir der xweite
jemals entrissen werden könne'* (Kr. d. r. Vem. S. 626). Der „pragmatische^^
Glaube ist ein „bloß xufHlliger^' (1. c. S. 623); von ihm sind der „notwendige
Glattbe^* (1. c. S. 623) und der „doctrinale Glaube** (1. c. 8. 624) zu unterscheiden,
zu dem auch der Glaube an Gott (s. d.) gehört „Vernünftig** ist ein Glaube,
insofern „der letxte Probierstein der Wahrheit immer die Vernunft ist** (WW.
IV, .^7). „Vernunfiglaube** hingegen ist ein der Vernunft entspringender
Glaube, ein „Postulats* (s. d.). Glauben ist ein „beharrlicher Grundsatz des Gemüts**,
ein „Vertrauen** (Kr. d. Urt § 91 ff.). Der „Kirehenglaube^* ist Offenbarungs-
oder ,/iistorischer** oder „statutarischer** Glaube (Rel. innerh. d. Gr. d. bl. Vem.).
„Glaubenssachen** werden a priori für praktisch-ethische Zwecke gedacht, sind
aber für das Erkennen nicht zureichend (Kr. d. ürt. § 91 ff.). Vgl. E. SXnger,
Kants Lehre vom Glauben 1903.
Jacobi sieht im „Glauben^* eine Quelle übersinnlicher Erkenntnis. Der
Glaube ist die immittelbare, gefühlsmäßig-vernünftige Erfassung der Wirklich-
keit (WW. II, 109 ff.). Er lehrt eine „Glaubensphilosophie**,
Kküg bemerkt: „Das Fürwahrhalten aus subjectiven Gründen heißt Glau-
ben (credere) und der ih?n entsprechende Überxeugungsgrad Glaube (fuies)**
(Pundam. 8. 235). „Wenn die subjectiven Gründe der Überxeugung für alle
überxeugungsfahigen Subjecte xur eichen, so ist der Glaube allgemeingültig ,
d. h. er kann von jedermann vernünftigerweise angenommen werden** (1. c. 8. 246;
vgL Handb. d. Philos. I, 80 ff.). Nach J. G. FtCHTE findet an Realität über-
haupt, sowohl die des Ich, als des Nicht-Ich, lediglich ein Glaube statt (Gr.
d. g. Wiss. 8. 298). Glaube ist das „freiwillige Beruhen bei der sich uns natür-
lich darbietenden Ansicht**, ein „Entschluß des Willens, das Wissen geltend xu
machen** (Bestimm, d. Mensch. 8. 92). Logischer Glaube ist nach Fries „die
Änruihme einer Meinung, nur weü mich ein Interesse treibt, in Rücksicht über
mein Urteil xu bestimmen** (8yst d. Log. 8. 421). Metaphysisch ist der Glaube
eine „ Überxeugung ohne Beihülfe der Anschauung*'^ (1. c. 8. 423). Nach E. Rein-
hold ist der Glaube (als Meinen) „ein mehr oder weniger xweifelndes Fürtvahr-
halten, welches durch u?iser Interesse für den hihalt der Behauptung Unterst ütxung
erhält** (Theor. d. menschl. Erkenntnisverm. II, 124). Nach 8chelling heißt
Glauben „dasjenige mit Zuversicht für möglich halten, was unmittelbar unmöglich,
was nur vermöge einer Folge und Verkettung von Umständen und Handlungen,
kurx, was nur durch mehr oder weniger zahlreiche Vermittlungen möglich ist**
(WW. I 10, 183). „Glaube ist , . , nicht , wo nicht zugleich Wollen und Tun
ist** (ib.). Der Glaube ist „ein wesentliches Element der wahren Philosophie,
Alle Wissenschaft entsteht nur im Glauben** (ib.). Nach Eschenmayer ist der
Glaube „eine der Seele eingeborene Function**, „eine Gewißheit aus Offenbarung**,
„unmittelbar ge^ciß"* (Psychol. 8. 118 f.). Nach 8t. Martin ist der Glaube ein
VerlaDgen, nach F. Baader „die Zuversicht in das Gelingen meines Tuns**
(W W. I, 239), nach Schleiermacher ein „ Überxeugungsgefühl** (Dialekt. 8. 95).
394 Glaube.
GÜNTHER versteht unter Glauben das Erkennen des Wesens als Grundes der
Erscheinungen«
Nach Feghner ist alles Allgemeinste, Höchste, Letzte, Tiefste Glauba$-
sache (Tagesans. S. 17). Lotze erklärt: „Alle unsere Beurteilung der Wirüi^^-
keit beruht auf dem unmittelbaren Zutrauen oder auf dem Glaubeti, fnii df»
toir der Forderung des DenkenSj die das eigene Gebiet desselben übersehreitet, aÜ-
gemeine Gültigkeit xuerkennen^^ (Log* S. 569). Volkelt sieht im yfOiaubeH"*
eine Seite des Denkens, die „mystische^^ Grundlage desselben (Erfahr, u. DenL
S. 184). Nach G. Gerber ist der Glaube „eine rerirauensrolle Überieugws,
an welche wir durch wiser Gefühl uns gebunden finden^^ (Das Ich S. 335^.
414). RiEHL versteht unter jyGlauben" (belief) „rföw GefüJU, das die SetiUßS
der Empfifidung bewirkt ufid begleite f^ (Philos. Kritic. II 1, 44). Physiok)gi».'h
entsteht er aus dem Zusanunenwirken von Empfindung und Innervationsgeföhl
(1. c. S. 45). Nach Drobisch ist der Glaube „em FürgewißJuüten des an sirk
Ungeumssen und nur höchstens Wahrscheinlichen^^ (N. Darst. d. Log.*, § 156i.
Hagemann versteht imter Glauben „das Fürwahrhalten auf Grund eines
fremden Zeugnisses^^ (Log- u. Noet.*, S. 161). Zu unterscheiden sind natürlicher ,
und übernatürlicher Glaube (1. c. S. 165). Nach Wundt ist Glaube „das sub- \
jective Fürwahrhalten*' (Log. I, 370). Die niederen Formen des Gbiubätf
haben ihren Grund in unseren Affecten der Neigung und Abneigung (L c.
S. 372). Die höhere Form des Glaubens entspringt aus sittlichen Forderungen
(ib.; vgl. S. 377). J. Payot sieht den Grund des Glaubens im Wollen. „Croin
c'est se retenir d'agir/^ Der Glaube ist die Affirmation der Wahrheit oder
Falschheit (De la croyance 1896, p. 173 u. a.). Nach Höffding ist der (reli-
giöse) Glaube „eine subjective Continuität der Gesimmng und des Willens, dif
darauf ausgeht, eine objeetire CotUinuität des Daseifis festzuhalten** (Religion»- ,
philos. S. 105). R. AvENARirs rechnet den Glauben zu den „Ejricharakteretr-.
durch die ein E-Wert (s. d.) modificiert, bestimmt wird (Kr. d. r. Erf. II.
142 f.). Nach Schuppe enthält jedes Urteil ein Glauben an dessen Wahrheit
(Log. S. 175). Jgdl betrachtet den Glauben als Ergebnis complexer psychischer
Vorgänge (Lehrb. d. Psychol. S. GßO). W. Jerusalem versteht imter Glauben
ein „bewußtes, gefühltes FürwaJirhaltepi" (Urteilsf unct. S. 199), ein Gefühl, d**
„Bewußtsein der Übereinstimmung eines Urteils mit unseren bisherigen Er-
faJirungen, mit unserer ganxen Weltafischauung" (Lehrb. d. PsychoL*, S. 124;
Urteilsfunct. S. 200). Der Glaube bildet ein Element des ürteilens.
Einen intuitiven Glauben (belief = Uberzeugungsgefühl) an die Existeni
der Objecte (s. d.) gibt es nach J. St. Mill (Log. I, 64; Examinat p. 403 ff.)-
Das Urteil (s. d.) ist ein „Glaube** (so auch Brentano). Hierher gehört auch
der „logische Beifall** Herbarts, welcher in einem „Anerketinen** besteht, niit
dem ein Gefühl eigener Art verbunden ist, „worin der Zttang der Epidenx und
die Befriedigung eines Anspruches sich vermiscJu^n** (Lehrb. zur PsychoL*, S. ÖT^'.
Nach W. James ist „belief** „the setise of reality**, „a sort offeeling nu>reallied
to the emotions than to anythijig eise** (Princ. of Psychol. II, 282). Der GUube
beruht auf einem inneren Bedürfnisse (Wille zum Glaub. S. 60 ff.). „WV
fordern eine Beschaffenheit des Universums, xu der unsere Geftihlserregitfigf^
und Betätigungstriebe passen** (1. c. S. 91). „Glauben heißt etwas für richtig
halten, hinsichtlich dessen in iheoretiselier Hinsicht fweh Ztceifeln möglich tf^*'
Der Glaube besteht in der „Bereitwilligkeit, für eine Sache xu hofideln, derf^
glücklicher Ausgang uns sticht im voraus garantiert wird** (1. c. S. 98). Vg^
Glaube — Glück. 395
Stoüt, AnaL PsychoL I, 234 ff., 2(50 ff.; der Glaube ist gehemmte Activitat
des Geistes. Über den religiösen Glauben handelt u. a. A. Dorner, Gr. d.
Religionsphilos. S. 249 ff. Vgl. Gott, Object, Eealität, Religion, Wissen.
Gleiche« dureli Gleiehes wird erkannt nach Empedokles: 17
P'dtats rov ofioiov r^ ouoiof (Aristot., De anim. I, 2; Met. III 4, 1000 b 6;
ßext. Empir. adv. Math. VII, 121), nämlich jedes Element eines Dinges durch
das gleiche Element in mis. Nach Anaxagoras erkennen wir Gleiches durch
Ungleiches, z. B. Wärme durch Kälte (vgl. Wahrnehmung). Goethe: „War'
nicht das Ättge sonnenJtaft, die Sonne könnV es nicht erkennenJ^ Erkenntnis des
Gleichen durch das Gleiche nimmt in gewissem Sinne Schleiermacher an
(Philos. Sittenl. § 50). Vgl. Erkenntnis.
GleieliiK^ultig^keit s. Indifferenz.
Crieielilielt ist ein Begriff, der aus dem beziehend-vergleichenden Denken
entspringt und die identische Beaction des Ich auf zwei numerisch verschiedene
Inhalte des Bewußtseins bezeichnet. Gleichheit ist absolute Ähnlichkeit, Un-
unterschiedenheit bezüglich der Qualität oder Quantität. — Leibniz: „Ead^m
suntf quoruvi unum potest stdistitui altert salva veritate^^ (Gerh. VII, 228).
Chr. Wolf bestimmt: „Äequalia sunt, quae salva quantitate substitui sibi
fftuHu) possunt*' (Ontolog. § 439). Nach Ulrici ist Gleichheit „relative Iden-
titäf' (Log. S. 137), nach Steinthal ebenfalls (Einl. in d. PsychoL S. 125),
nach LiPPS „partielle Identität' (Gr. d. Log. S. 103). B. Erdmann: „Der
Inhalt xweier Gegenstände . . . ist der gleiclie, sofern Bestimmungen^ die in dem
einen vorgestellt werden, auch in dem andern gesetxi sind" (Log. I, 265). Der
.firufhdsatx der logischen Gleichheit" ist: „Ein Gegenstand kann von einem
andern nur ausgesagt werden, sofern sein Inhalt dem Inlialt des ersteren einr
geordnet werden kann" (1. c. S. 266). Nach OsTWAi^D setzen wir zwei Dinge
gleich, „wenn das eine bei irgend einer bestimmten Operation für das a?idere
gesäxt werden kann, ohne daß etwas anderes entsteht" (Vorles. üb. Naturphilos.',
S. 114). Es kann keine absolute Gleichheit geben (1. c. S. 115; vgl. Identi-
tatis indiscemibilium principium). Vgl. Identität.
CrleielilieiteTerbiiidung^en s. Association.
CrleleliKeitl^keit s. Association. .
Ollick (Glückseligkeit) ist (subjectiv) der Zustand der Willens-
befriedigung, der dem Grundwillen der Persönlichkeit angemessene Lebens-
zustand. Objectiv bedeutet „Glüct^ so viel wie Geschick, gutes Schicksal,
günstige Außenbedingungen des Handelns. Je nach der Art des GnmdwUlens
der Menschen ist deren Begriff von Glück ein verschiedener. Bald wird das
Glück in den Besitz und Genuß von äußeren Glücksgütem (Reichtum u. s. w.),
bald in die geistige VervoUkonmmung, bald in die Maximisation der Lust, bald
in die Minimisation der Unlust, in die Bedürfnislosigkeit, bald in die Sittlich-
keit (Tugend), bald sogar in das Leiden für das Ideal, in das Martyriimi, in
die Askese u. dgL gesetzt. Die Erhebung der Glückseligkeit zmu ethischen
Haaptpnncip heißt Eudämonismus (s. d.).
Nach Thales ist glücklich der leiblich imd geistig Tüchtige (o t6 ftiv acHfia
lyujff, T-^v da t-vx^v evjtogoi, Tr,v de y^vxrjv evnaiSevTos (Diog. L. I 1, 37).
Bemoerit setzt die Glückseligkeit in den Seelenfrieden, in die ruhige Heiter-
keit des Gemütes (evd'vfila, evsarcj). 'EvSaifiovlr] ovx iv ßoaxrifiaGiv oixeeij ovdi
396 Glück.
iv XQ'*^^V' y^XV oixrjrijgiov Saifiovo^ r^v S*€v8aifiOviav xai evd^^fiiav xni evtGXA
xal aQfiovCav cvfifteT^av re xai ara^a^iav xakel' cwiaraa&ai S*avrijv in t«v
BiOQiüfiov xal rrjg 8tttx^ice<0€ ttüv ly^oro;^ (Stob. EiCL II 6, 76) ; a^ierov at'&ptisa
Tov ßiov Stdyeiv ofg TiXelaxa evd'vur^d'ivTi xal ikaj^tCTa dvit^&e'vri (Stob., FloriL
V, 24). Nach Xallikles besteht das Glück in der Befriedigung der Begierden
(Plat., Gorg. 483 E, 491 E). Noch mehr als Sokilates (Xenoph., Memorab. I,
6, 10) legen die Cyniker Wert auf die Bedürfnislosigkeit (s. d.). Die Kyre-
naiker setzen die Glückseligkeit in die Lust. Aristepp erklart die Glück-
seligkeit als Summe von Lustzuständen {svdaiuoviav 8i rd ix xwv fu^utmr
i^8ovc9v avarrifia, als awaQtd'fiovvTa^ xal ai Tta^x^xvXai xal ai fuXXovcatj Diof.
L. II 8, 87). Theodobus setzt das Glück in die Freude (xa^, L c. 11 8, ^i.
Heqesias leugnet die Möglichkeit des Glückes, ist Pessimist (t^v elSttiaoriaf
okiog aSvvarov ilvat' ro ftev yd^ cäifia noXkc5v dvaTtsTiXijad'at TtaS'r^ßidTcfr, nfr
Se yjvxrjv av/iTtad'eXv rep umfiaxi xal rapdrrsffd'ai, rijv 8i Tvxfi*^ noiJLa xiäv xax
iXTitSa xofkvetv, Diog. L., II 8, 94). Höchstes Gut ist daher nur to ^^ da»-
7t6v(os ^Tiv fir,8e itmepcaSf das leidlose Leben. Nach Plato besteht die Glück-
seligkeit im Besitz des Guten, Schönen (evSaiftovae — rove rdyad'd xtU x/oja
xsxrrjfuvovs, Sympos. 202 C ; vgl. 240 E; Gorg. 508 B, 470 D). Der Staat fördert
die Glückseligkeit aller (Republ. IV, 420 B). Höchste Glückseligkeit liegt in
der Verähnlichung mit Gott. Speusippus bestimmt die Glückseligkeit ab
ß*e releia iy toU xard tpvaiv k'xovaiv (Clem. Alex., Strom. II, 418d). Nach
Xenokrates besteht die Glückseligkeit im Besitze der uns gemäß^i Tugend
(olxeias dgerrje, Clem. Alex., Strom. II, 419 a). Aristoteles erklärt, das Zid
alles Handelns sei die evSaiuovin, Diese liegt im vernünftigen Verhalten, im
vernunftgemäßen, tugendhaften Leben (t] svBaifiovia rfwxrjs ive^eid ng juct
d^eTTjv teleiav, Eth. Nie. I 13, 1102 a 5). Im reinen Erkennen besteht die
höchste Glückseligkeit (1. c. X, 7); daher ist Gott der Seligste (L c. X 8,
1178b 21). Lust ist der Glückseligkeit beigemischt (Sei rjBovriv na^afufux^at
T^ evdoifiovia^ 1. c. X 7, 1177 a 23), sie vollendet die naturgemäße Seekn-
tatigkeit (reXeiol 8e rijv ive'pyeiav ^ xiBovrj ovx ws rj i^is iwjtaQXOvaa^ dk£ tag
imyiyvofAevov t« rikoi, 1. c. X, 4). An die höchste Tugend knüpft sich di^
höchste Glückseligkeit (1. c. X 7, 1177a 12 squ.). Äußere Güter sind Mittel
zur Ausübung der Tugend, daher dienen sie auch der Glückseligkeit (L c, VII
14, 1153b 17; X 8, 1178a 24). Nach der Lehre der Stoiker ist die Glück-
seligkeit eine Folge des naturgemäßen, tugendhaften Lebens; sie besteht in der
geistigen Freiheit und Kühe (riXos 8b tpaatv slvai ro ex'8aifiorBiv^ ov Stf&a
ndvra nparmai^ avxo 8h Tt^aTTerat uiv ov8evds 8i i'vexa' rovro 8* vTiti^j^tv
iv T<3J7 xax d^€Tf]v t,rjv, iv xtf otioXoyovfiivcag Sifr, fri, xavxov SvToe, iv, xt^ »axd
fvciv £^v (Stob. Ecl. II 6, 138). Cicero erklärt: „Cofigrt4ere natttraej eumque «a
eonvenienter vivere — ita fit seinper vita beata sapi^nti** (Tusc. disp. V, 28, 82). Die
Epikureer setzen die Glückseligkeit in die Lust (s. d.), besonders in die geistigf.
Nach Plotin" besteht die wahre Glückseligkeit im vollkommenen Leben (Eon.
I, 4, 3), in der Selbstgenügsamkeit des Geistes (1. c. 4, 4), in der Richtung der
Seele zum Göttlichen (1. c. I, 4, 8). Bofirmus definiert: „Beatitudo est siatto
mnnium bonorum aggregatione perfectus.^*
Die Scholastik setzt die Glückseligkeit in das tugendhafte Leben, in die
geistige Betätigimg. Nach Johann von Salisbury ist die Glückseligkeit
„virtutis praemium'' (Polycr. VII, 8). Albertus Magnus erklärt: ,yIHieiUu
est actus vel opercUio seenndum propriam et connaturalem virttäem non impedUa
aiück. 397
4n eo, euius est talis virius" (Sum. th. I, 69, 1). Nach Thomas wird das End-
ziel des Handelns j/elicitas sive beatitudo^^ genannt (Contr. gent. III, 25).
jyEssefUia beattiudinis in ctctu inteÜectus cansistit^ (Sum. th. II, 3, 4; III, 50,
4). Die Glückseligkeit ist ^fionuin perfeotum intellectualis ncUurae^^,
Auch Spn^ozA setzt die Glückseligkeit in das vernünftige, tugendhafte
Leben, in die intellectueUe Betätigung, „hi vüa . . . tUiU est, intellectuan seu
raüonem, qtuifUum possumus perfieere, et in hoc uno summa hominis felicitas
seu beatüudo eonsisUi; quippe beatittido nihil aliud est, quam ipsa animi ae*
quiescentia, quae ex Dei intuitiva cogmtione oritur^' (Eth. IV, append. lY). „Cläre
intelligimus, qua in re salus nostra seu beaiitudo seu libertas consistit, nempe in
eonstanti et aeterno erga Deum amore, sive in amore Dei erga homines" (1. c. V,
prop. XXXYI, schol.). „Beaiitudo non est virtuiis praemium, sed ipsa virtus ; nee
eadem gaudemus, quia libidines eoereemus, sed contra quia eadem gaudevius, ideo
libidines eoercere possumus" (1. c. prop. XLII; vgl. deDeo II, 9). Nach Leibniz
besteht die Glückseligkeit im tugendhaften Leben und in der Liebe zu Gott
(Theod. Pr^. § 5). Glück ist bestandige Freude (Gerh. VII, 86; vgl. Nouv.
El». II, eh. 21, § 42). Nach Locke ist Glück das äußerste Maß der Lust
(Ess. II, eh. 21, § 42). Ferousok bemerkt: „Wenn eine Seele, die wohlwollend,
weise und beherxt ist, die höchsten Vergnügungen und das wenigste Leiden hat,
so ist diese cUlein für glücklich xu halten" (Grunds, d. Moralphilos. S. 138 ff.).
Nach HoLBAOH ist das Glück „une fagon d'etre dont nous souhaitons la durie, ou
dans laquelle nous voulons perseverer^^ (Syst. de la nat. I, eh. 9, § 135). Che. Wolf
erklart: „Qui summum bonum eonsequitur, felix est" (Philos. pract. I, § 395).
„Sine virtute nemo felix esse potest nee felicitas a virttäe seiungi" (1. c. § 400).
Platneb definiert die Glückseligkeit als „Zustand angenehmer Empfindungen",
als ,^ie Mehrheit angenehmer Zustände in der Totalität des Lebens" (Phil. Aphor.
II, § 28). Nach Eberhard versteht jedermann unter Glückseligkeit „einen
Zustand^ worin er wahres Vergnügen ununterbrochen genießt" (Sittenlehre d.
Vem. 1786, S. 3). Laplace und Bernoulli unterscheiden „fortune morale"
(inneres, subjectiv gefühltes) und „fortune physique" (objectives Glück); ersteres
wächst nach Art des Weberschen Gesetzes (s. d.).
Gegen das im 18. Jahrhimdert florierende Streben nach Glückseligkeit
wendet sich der „Rigorismus" (s. d.) von Kakt. „Glückseligkeit ist das Losungs^
wort aller Welt, Aber sie findet sich nirgends in der Natur, die der Ölück-
Seligkeit und der Zufriedenheit mit dem vorhandenen Zustaiide nie empfänglich
ist. Kur die Würdigkeit, glücklieh xu sein, ist das, was der Mensch erreichen
kann" (WW. VIII, 643). Glückseligkeit darf kein Motiv des Handebs sem,
soll dieses als sittlich (s. d.) gewertet werden. Doch ist Glückseligkeit ein Be-
standteil des höchsten Gutes (s. d.), die notwendige Folge der Sittlichkeit, wenn
nicht in der Erscheinungswelt, so doch im Transcendenten (Kr. d. prakt. Vem.
I. T., 2. B., 2. Hptst.). Glückseligkeit ist „der Zustand eines vernünftigen
Wesens in der Welt, dem es, im Ganzen seiner Existenx, alles nach Wunsch
und W%llen geht, und beruhet also auf der Übereinstimmung der Natur xu
seinem ganzen Zwecke, imgleichen zum wesentlichen Bestiynmungsgrunde seines
Willens" (ib.). „Glückseligkeit ist die Befriedigung aller unserer Neigungen
(sowohl extensive, der Mannigfaltigkeit derselben, als intensive, dem Grade,
als auch protensive, der Dauer nach)" (Krit. d. r. Vem. S. 611). Glückselig-
keit ist nicht der Naturzweck an einem vernünftigen Wesen (Grundl. zur Met
d. Sitt 1. Abschn.; vgl. Kr. d. ürt § 87). Nach J. G. Fichte macht das
398 Olück — Onosis.
glückselig, was gut ist. ,jOhne Sittlichkeit ist keine Olüekseligkeit möglich'
(Bestimm, d. Gelehrt. 1. Vorles.). Nach K, Eosenkranz resultiert die Glück-
seligkeit aus der Selbstbeschränkung des Ich, aus der Zusammenfassung der
Strebungen zur Einheit (Syst. d. Wiss. S. 433). Nach Hillebrakd besteht
Glückseligkeit da, wo die Persönlichkeit in Übereinstinmiung mit sich sdbsi
lebt (Philos. d. Geist. II, 110). Schopenhauer bemerkt pessimistisch: jyAlk
Befriedigung, oder was man gemeinhin Olück nennt j ist eigentlich und tcesentlith
immer nur negativ und durchaus nie positiv" (W. a. W. u. V. I. Bd., § 58).
Lust ist nur Freisein von Unlust (Parerg. II, § 150). Nach Czolbe ist da*
Glück jedes Wesens durch dessen möglichste Vollkommenheit bedingt. Das
Glück ist der Endzweck der Welt (Gr. u. Urspr. d. menschL Erk. S. VI,
S. 3, 12). Nach .E. Zeller ist Glückseligkeit der „Zustand eines empfmdenden
Wesens . . ., in dem alle seine Interessen, jedes nach dem Verhältnis seines
Wertes, ihre dauernde Befriedigung finden" (Begr. u. Begründ. d. sitÜ. GesetsBe !
S. 23). Auch E. DÜHRINQ erblickt in der Glückseligkeit den Weltzweck, so |
auch (teilweise) Fechner. Nach Wundt ist die Glückseligkeit ein subjectiver
Nebenerfolg der Sittlichkeit, ein Mittel, aber nicht das Ziel des ethischen
Handelns (Eth.*, S. 503). Nach Unold ist Glück „etn Optativ, kein Imperatir^,
es kann nicht der Zweck des sittlichen Handelns sein (Gr. d. Eth. S. 289 ff.).
Ehrexfels stellt ein y^Oesetx von der relaiiven Olüeksforderung'^ auf. y^Die
angenehmeren Vorstellungen erhalten einen Kraftxuschuß im Kampf um die
Enge des Beimißiseins," Die Höhe dieses Zuschusses ist nicht proportional der
Höhe des Glückszustandes, sondern „dem Unterschiede im QUicksxtistand, welcher
sich an die betreffenden Vorstellungen knüpfen würdet'' (Syst. d. Werttheor. I.
190 ff.). Alle Acte des Begehrens sind in ihren Zielen imd in ihrer Starke
„von der relativen Qlücksförderung bedingt, welche sie gemäß den QefÜhls-
dispositionen des betreffenden Individuums bei ihrem Eintritte ins BetcußUein
und während ihrer Dauer in demselben mit sieh bringen" (1. c, I, 41). Nach
H. Schwarz besteht das Glück in der „möglichsten Sättigung aller Wert-
haltungen, xumal der höheren" (Psychol. d. WiU. S. 157). Vgl. Optimismus,
Tugend, Eudämonismus.
Gnome (yvio/it]): Einsicht, Vernünftigkeit. Heraklit nennt yrcatoj den
Logos (s. d.). Vgl. Aristoteles, Eth. VI 11, 1143 a 19 squ. und, betreffe der
Stoiker, Stob. Ecl. II 6, 170.
Gnomlker: die Namen der „siebefi Weisen" als Sentenzethiker. Thales:
yvcSd'i aavTov (Diog. L. I 1, 40). SOLON: fi^ rpBvdov T« anovdaia fie'Uxa'
fifjSiv ayav (1. C. I 2, 60). ChILON: ^771;«, nd^a S^axa (1. C. I 3, 7.3). PlT-
TACUS: aaiQov yvcad'i (1. c. I 4, 79). BIA8: oi nXsiaroi xaxoi (1. e. I 5, 88);
OLQXV «»'^^ö Beißet (Arist., Eth. Nie. V, 3). Kleobulos: ^»7 fidrcuos «/"(**» y""
vead'o?' fitXQOv ä^iarov (Diog. L. I 6, 91, 93). PERIANDER: fieXerr] to näv
(1. C. I 7, 99). AnachARSIS: yXojaarjg, yaar^osi, aiSoiow x^arelv (1. C. I 8, 104).
Gnoseologie: Erkenntnislehre, „scientia cogitaiionis" (A. Baumgahten).
Gnosis (yve^tg): Erkenntnis, Wissen, auch die Gnostik, die Lehre der
Gnostiker. Als religiöse Erkenntnis findet sich yvMfns schon im Neuen
Testament (Matth. XIII; Paul., Cor. 1, VIII, 1). Dann bei Cleicens
Alexandrintjs. Nach ihm ist das „yvtovai" Ttliov rov Ttunevtrai (Strom. VI,
14, 109). Die yvd^ais ist anoSeiSis rtov Sui Ttiarsme ^aQeiXr,ufuva>v rf, Tti^rn
iTtüixoSofiov/iettj (L c. VII, 10, 57). Er, wie Oriqenes, wollen den Glanb<Hi
Gnosis — Gott. 399
durch Gnosis stützen, bewahrheiten. Die ^^retisehen^^ Gnostiker geben eine
Metaphysik der Religion, sie sind Theosophen (s. d.), Mystiker, welche psychisch-
religiöse Processe, Zustände, Begriffe und Entwicklungsphasen hypostasieren.
Sie sind Anhänger einer Emanationslehre (s. d.), die wesentlich von der der
Neuplatoniker beeinflußt ist. Sie rühmen sich der absoluten Erkenntnis von
Gott, der Natur und der Geschichte (Harnack, Dogmengesch. !•, 220; vgl.
S. 215). Zu den Gnostikem gehören: BASiiiiDEß, Valentinus, Saturninus,
Cerdon, Marcion, Apelles, Karpokrates, Bardesakes. Der Gnosticismus
ist ein System, wonach y^aus dem Urvater die göttlichen, ÜberweÜlichen Äonen,
d. h, ttypostasierte Kräfte, die an der Gottheit und ihrer Etpigkeit teÜhahen,
emaniert sind, die dcts Pleroma ausmachen, die Sophia aber, der letzte der
Äoneny durch ungeregelte Sehnsucht nach dem Urvater dem Streben und Leiden
verfiel, aus dem eine niedere, außerhalb des Pleroma weilende Weisheit, die
Aehamoth, femer das Psychische und die KörpenceU samt dem Demiurgen
hervorgifigen, und wonach eine dreifache Erlösung stattgefunden hat: innerhalb
der Aonenwelt durch Christus, bei der Aehamoth durch Jesus, das Erxeugnis
der Äonen, und auf Erden durch Jesus, den Sohn der Maria, in dem der heilige
Geist oder die göttliche Weisheit wohnte^^ (Überweq-Heinze, Gr. d. Gesch. d.
Philos. II», 29 f.). Vgl. C. F. Baur, Die christl. Gnosis 1835; E. H. Schmitt,
Die Gnosis I, 1903. Vgl. Äon, Pleroma, Gott, Wissen.
Ctoelenlas s. Sorites.
Goldener Selmitt („sectio dimfui^^J heißt die Teilung einer Strecke in
der Weise, daß der kleinere Abschnitt sich zum größeren, wie der größere zur
Summe der beiden verhält. In der Ästhetik ist der „goldene Sehnitt^^ von
Bedeutung. Er gefällt nach manchen (z. B. O. Liebmann, Anal. d. Wirkl.*,
S. 587), weil wir selbst ihn in unserem Xörperbaue haben (vgl. Zeising, Ästhet
Forschungen 1855; Neue Lehre von den Proportionen d. menschl. Körp. 1854).
Gott (d'eds, deus) ist ein Name für das höchste Wesen, das Absolute, für
die ewige Einheit aller Dinge, die von der Summe derselben wohl zu unter-
scheiden ist, für den Urgrund alles Geschehens; für die höchste, geistige,
woUend-vemünftige Kraft, die im All sich offenbart, kein Einzelding unter
Einzeldingen ist. Die Dinge und deren Siunme, die Welt, sind in Gott, Gott
wirkt in der Welt. Diese Auffassung des Verhältnisses von Gott und Welt
heißt Panentheismus (s. d.). Der Pantheismus (s. d.) setzt Gott und All
als eines, der Theismus setzt Gott außer der Welt als ein Wesen für sich,
das er als persönlich auffaßt. Der Atheismus leugnet die Existenz einer Gott-
heit überhaupt. Der Begriff Gottes entspringt einem Postulate des den Er-
fahrungsinhalt verarbeitenden, begründenden Denkens, sowie Forderungen des
Gemütes und dem Dichten der Phantasie. Mythus (s. d.), Religion (s. d.) und
Philosophie bestinmien mit verschiedenen Erkenntnismitteln die Gk)ttesidee.
Aus dem Polytheismus, der dem Animismus (s. d.) und Fetischismus
entspringt, geht einerseits der religiöse Theismus, erst als Henotheismus (s. d.),
dann als Monotheismus hervor (Hebräer, esoterische Eeligion der Ägypter,
Griechen), anderseits der Pantheismus als Beligion (Inder) imd als Philo-
sophie (Griechen), indem die verschiedenen Götter zu Dienern, bezw. Modi-
ficationen einer Urgottheit werden, die schließlich als das einzige Göttliche
bleibt.
Das Altertum weist, ohne allzu scharfe Abgrenzung der Begriffe, einen
400 Gott.
Wechsel von PantheismuB und Theismus, inb^riffen der Emanationsldui
(s. d.), auf.
Die Inder (Vedas, Upanishads) bestimmen die Grottheit als das Bnium
oder Atman (s. d.), die in allen Dingen identische, ewige Urkraft, die aus m
heraus Welten schafft und wieder in sich zurücknimmt und die allein mhre
Bealitat hat, an sich als ffprajapäti", als „Hßrr der Oeachöpfe^^ als Vater der
Götter und Menschen (vgl. Deussen, AUg. Gesch. d. Philos. I 1, 8. 261 u. a.
I 2, 36 ff.). Bei den Chinesen sieht Lao-tzb im Tao (s. d.) das (göttliclte<
Ursein.
Nach HoMEB ist Zeus naxriQ dvB^wv ve d^emv ze (Odyss. c 135). Er niib
in den Geistern der Menschen (Iliad. v 242). Hesiod gibt eine Theogoik
(s. d.). Die ffOrpkiker^^ sehen in ,yZeu8" den Weltgrund: Zevs «e^jl^, Ztv»
fAicaa, Jio^ 8* ix ndvra zirvxrai (Stob. EcL I 2, 40). ANAXDCAKDER bezeicbut
Gott als das dneiQov (s. d.), Anaxagoras als den ^fOeist^* (s. d.), den vti*
xoüfiOTioiov (Stob. EcL I 2, 56). Die Pythagoreer sehen in der „Einkat
(fAovdg) die Gottheit (Stob. EcL I 2, 58). Gott wird als der ewige, unbewegt
Weltgrund bestimmt nach Philolaus: 6 ijyBfiwv xal d^x**^ dndmor d'sis dt,
dsl €OVy fiovtfiog, dxitnjToSf avroe avr(f ofioioij frs^os xdfv dlXnfv (bei PHILO.
De mundi opif. 23 A). Nach Hebaklit ist Gk>tt das vernünftige, ewige, ns^
lose Weltfeuer (nvQ dWiov), der Xoyog (s. d.), der in den Welten sich «itfaltet
(Stob. Ecl. I 2, 60). Die Einheit Gottes spricht energisch aus Xenophakes:
tlg d'eog ^v Tfi d'eolm xai dvd'Qfunoici ftiyiatoSf ovre Bifiag &%fijTolci ojnoiioi oiu
fdrjfta (Mull., Fragm. I, p. 101). Das göttliche Eine ist das All, das All &
göttliche Einheit: aV to ov xal ndv (Simplic. ad Phys. Aristot. fol. 5b; Stob.
Ecl. I 2, 60). Sevo<pdvfji Si TtgdtTOS rovrojv ivürae . , . sig Tov oXav ov^itriit
nnoßXaipag lo iv sUai tfrjat tov &b6v (Aristot, Met. I 5, 986b 24). Gott )A
das Beste von allem (Simplic. a. a. O.), die Einheit des Welt^^anzen (Seit.
Empir. Pyrrh. hypot I, 224). Er ist imbegrenzt, aber materiell, von „runder
Gestalt (atpai^oBtSrj dvra, Sezt. Empir. Pyrrh. hypot. I, 224), zugleich all-
wissend: ganz Auge, ganz Ohr, ganz Denken (ovXog 6^, avlog 3i voü, c^i^
ßi rdxovBif Sext. Empir. adv. Math. IX, 144; Diog. L. IX, 19); dndvtv^t
novoio roov f^evl ndvra x^aSaivet (Simpl. ad. Arist. Phys. foL 6 A). n^^**^
£886 omnia tieqtie id e88e miUabile ei id esee deu?n neque natum tmquam ^
8empitemum, conglobata figura^^ (CiGEBO, Acad. II, 118; vgl. Simplic. ad Aristot
Phys. 22 Diels). Die Menschen stellen sich ihren Gott anthropomorph vor,
wie die Tiere sich ihn tierähnlich vorstellen würden (Clem. Alex., Strom. V.
601c, VII, 711b; Euseb., Praepar. evang. XIII, 13); sie schreiben ihm mensch-
liche Leidenschaften zu (Sext. Empir. adv. Math. IX, 193, 289 ; AristoL, Bhetor.
II 23, 1399 b 6; 1400 b 5). Nach Paemenides ist Gott das eine, ewige, un-
bewegte, leidlose Sein (s. d.). Empedos:le8 soU die Menschenähnlichkeit der
Götter negiert haben (Clem. Alex., Strom. V, 644). Einige Sophisten be
zweifeln die Existenz der Götter. Nach Kkitias ist der Götierglaube eine
Erfindung kluger Staatsmänner (Sext Empir. adv. Math. IX, 54); ähnlicb
Pbodikos. Skeptisch scheint sich gegenüber dem Götterglauben PBOTAGOSiB
verhalten zu haben (ns^l tcSv &£wv oix i'^to eiSivai^ ovd^ dtg eiaiVf ov9^ ok ^*
Mioiv TtoXXd yd^ rd xtakiovxa siBivai, rj 8* dSijXoztjg xai ß^axvg wv 6 ßiog rot
dv&^wnov (Diog. L. IX, 51).
SoKBATES glaubt an eine göttliche, allwissende, zweckmäßig wirkende Ver-
nunft und Vorsehung (fffovtjcig) im All {6 tov okov xocfiov avtTdtnoy xt mI
Gott 401
^tvt'i'XOfr; — Tfdvra fikv ^yeXro &aovi; eiSivatj Xenoph., Memorab. I, 1, 19; IV,
3, 13). Plato bestimmt die (unpersönliche) GotÜieit als höchste der Ideen
<B. d.), als die ,Jdee des OtUen", das „Gute an sich'^, also ethisch. Sie ist ewig-
einzig, erhaben über alle Dinge (airto xad^ ainro fjtsd^ avrov ftovoeidsg dsi 6v,
8ympo8. 211 B), jenseits alles Seienden {inixBiva rr,s ovoiagy Bepubl. VI, 209 B),
also YöUig transcendent. Sie ordnet alles aufe beste {dtaxofffuZv ndvra xai
inifteAovftevog, Phaedr. 246 E), als der gute Demiurg, Weltbildner (Tim. 28 ff.,
29 £; BepnbL X, 597; Phileb. 22 C). Gottes Güte ist der Dasemsgrund der
Dinge. Xekokbates betrachtet die Movde (Einheit) als höchsten Gott und
«teilt ihm die Jvde als weibliche Gottheit zur Seite^ wie er auch eine Vielheit
göttlicher Kräfte anninmit (Plut., Plac. I, 7, 30; Dox. 304). Als von der Welt
geschieden {%BX€OQtcfiivfi rcav aic^rixcSv), also als übersinnlich, faßt Abistoteles
die Gottheit auf. Sie ist einfach, leidlose, unstoffliche, reine ,yForm^^ (s. d.),
Intellect, selbstbewußtes Denken {rj vSijcts 17 xad^ iavTrjv xov xad^ savro dqiarovy
Met XII 7, 1072 b 19; afu^rm xai dSiai^eros, Met. XII 7, 1072 b 6), sie denkt
sich selbst, ist vof^iteag vor^ctg (Met. XII 9, 1074 b 34), ist das ewig Unbewegte
iitpov dtSiov a^icrovy Met. XII 7, 1072 b 29; ovaia ng dt^tog xal dxitnjrog xal
xBxof^urfinnj rtSv aUf&tjTcövj Met. XII 7, 1073 a 4), der „erste Beweger^' der Welt
{x6 n^drtov xivovv, Met. XII 7, 1073 a 27); sein Wirken besteht im Streben
nach ihm, das die Dinge empfinden {xiväi Sa tbg i^tofiavov, xtvovfitvtp Se ralXa
xtvsX, Met XII 7, 1072 b 3).
Strato gestaltet den Aristotelischen Gottesbegriff zu einem naturalistischen :
^Omnem vim divinam in natura sitam esse censet, quae causas giffnenddj augendiy
'mmuendi habeat, sed eareat omni sensu et ftgura^*^ (Cicero, De nat deor. I,
12, 35). Panthelstisch wird der Gtottesbegnff bei den Stoikern. Nach ihnen
ist €rott das nrev/ut (s. d.), die Kraft des Alls, die zugleich feinster Stoff und
Vernunft {Uyog) ist und sich in der Welt (s. d.) entfaltet und entwickelt^ die
Weltseele. Gott ist das All (xocfiog) in dessen Einheit, die Welt ist der diffe-
Tenzierte Gott (Diog. L. VII, 139, 148; Plut, De Stoic. rep. 41; Cicer., De nat
deor. I, 14). Alles ist beseelt, göttlicher Herkunft; Gott wirkt in der Welt
Stov 3'slvtu ^^ov d&dvarav, Xoyix6v, reXeiov fj vobqov iv svSaifioviq, xaxov
xavTog dveTfiSexrov, Tt^ovorjrtxov xoauov ts xai xdiv ir xofffitp' firj slvai fu'vroi
^v^^tan6fiog^ov' aJvai Se rov fuv Srifuov^yov nSv oXiov xal ScnsQ narspa
xdvxcov xoivcSg ve xai ro fu^og ainov to Sirjxov 8td ndvrafv, o noXlaig n^oarj^
yoqlaiQ Tt^oaayofid^ea&cu xard rag dwaßiaig (Diog. L. VII 1, 147). Qott ist das
gestaltende, ätherische Feuer, tcv^ rexvixov, das vernünftig (durch die tme^
jiarixoi Xoyoi) und zugleich notwendig-causal, gesetzmäßig (xa^ aifta^/udvipf)
TOkt, alles durchdringend (Stob. Ecl. I 2, 66). Gestaltlos ist die Gotdieit, aber
zahllose Gestalten nimmt sie an (Ttvevfia vobqov xai ytv^wSsg ovx k'xov fiav
JtoqfTiVj fiaraßdllov 8a aig o ßovXtxni, xai awa^ofioiovfiavov näaiv (Plut, Epit.
1,6, Dox. 292a). Gott (Zeus) ruft Kleanthes so an: Kvdtar d&avdxfov
^olwawfta nayx^arag aUi, Zav ^uetog d^xvy^t ^ofiov fiixa ndvra xvßa^tSv
(Stob. Ecl. I 2, 30; Cicer., De natur. deor. I, 14, 37). Nach Seneca ist Gott
jiprima onrnium causa, ea qua eeterae pendenf^ (De benefic. IV, 7). „Quid est
Dens? Quod vides totum, et quod non vides totum. Sic demum magnitudo sua
iÜi reddituTy qua nihü maius exeogitari potest; si soltAS est oninia, opus suum
et extra et inira ienet^^ (Quaest nat. I, praef. 12; vgl. Marc Aurel, In se ips.).
IHe Epikureer halten die Götter für ätherische Wesen (aus den feinsten
Atomen bestehend) ; sie wohnen in den ,jlntermundien" (s. d.), fähren ein seliges
PUloaophUehe« WOrterbuob. 2. Aufl. 26
402 Gott.
Leben, kümmern sich nicht um die Schicksale der Sterblichen, erscheinen aber
zuweilen den Menschen (Diog. L. X, 123). Die Skeptiker halten die Existenz
Gottes für unbeweisbar (Sext. Empir. Pyrrh. hypot III, 1, 9).
Eine Vereinigung griechischer mit orientalischen (jüdischen) Anschauungen
findet sich schon bei ARiSTOBUiiUS. Nach ihm ist Gott eine das All he-
herrschende, unsichtbare, außerweltliche Kraft {Siax^axBUf&ai &eiq ^tW/cct xa
Tidvra xai ystnjrd vnd^x*^^ ^^^ ^^ ndvxatv elrat rov &e6r; — ca^me ot/uu
Sedelx^^h ort 8id ndvrtav iativ tj dvvaftie tov d'eov, Euseb., Praep. XII, 12).
PsEUDO-AsiSTEAS Unterscheidet den höchsten Gtott {6 xvQgevatv aytarrotv ^eoV
dn^aderjg) und dessen Macht {8vvafus\ die überall wirkt (Sul narrtov ivriv,
Ttdvxa Tonov nXtjQeX). Ähnlich das zweite Buch der Makkabäer (2, 39),
während das Buch der Weisheit die Weisheit als Ausfluß der Gottheit, als
dyiov TTvBv/ia, bestimmt (vgl. Übebweo-Heikze, Gr. d. Gesch. d. Philos. 1\
354). Philo bestimmt Qott als das (persönlich) Seiende (t6 Sv\ als die ewige
einzig-einfache Einheit (o Q'eoQ fiovog icri xal Sv^ ov cvyx^iftra, ^pvirie a^xlq
(Leg. all^. II, 1; XdyeaS'ai yd^ ov nt^pvtcev dXXd fiovov alvai io 6v^ De 8<H1U1.
I, 39). Er ist noch über y,d<u Otäe^* erhaben (De mundi opil I, 2); rö yd^
ov fj ov icrtVf ovx^ '^föv n^os rt, avro yaQ iavrov nXr^^s xai avTO eavrtf lunv^r
(De nom. mutat I, 582). Er ist allaeiend, überall (De linguar. conf. I, 425),
er ist der Ort der Dinge (De somn. 1). Selig ist er (De Cherub. I, 154) und
allwissend {d'si^ Si ovUev dSrjkoVj ovBev dfi^iüßfjvovfuvov , os xai aXXo^e ia
yvto^üfMLja rrje dXijd'eiae iva^yeae dmSe'Saix'j De sacrif. 28).
Neupythagoreer und pythagoreisierende Platoniker betonen die Trans-
cendenz, Überweltlichkeit Gottes. Apollonius ton Tyana unterscheidet den
einen, jenseitigen Gott von den Göttern (Euseb., Praep. ev. lY, 13). NiKO-
MAGHUS bestimmt die Gtottheit als fiovdg (Theol. Arithm. p. 44). Nach
Plutarch von Chaeronea ist Gottes innerstes Wesen uns unbekannt (De
Pyth. orac. 20; De Is. et Osir. 75). Grott ist Einheit ohne Anderheit, das
Seiende (De Is. et Osir. 78). Der Gottheit steht das Böse als Wellprincip
gegenüber (Piaton. quaest II, 1, 2). NuMEiaus unterscheidet vom höchsten
Gk)tt den Demiurg als den zweiten Gott (6 Sevrepos &86s), der an dem ersten
teilhat {/itrovoia) und die Welt bildet als yevicean d^xv» ^^ Welt ist der
y^riMe Gott**, — Der höchste Gott ist Geist (vovs), Seinaprincip {ovcias a^^
Euseb., Praep. ev. XI, 22 ; 6 &8ds 6 ftiv Tz^dnoe ip eavnf tov icxtv^ djtXovs Std.
To iavxef avyytyvofievoe 9Mov /iiJTtore elvai Stat^erdg, 1. c. XI, 18, 3).
Die Neuplatoniker bemühen sich, die Gottheit über alles endli<^e Sein
hinauszuheben, anderseits aber die Welt, durch Mittelwesen, aus ihr (ema-
natistisch) abzuleiten. Nach Plotin ist Gott das Überseiende, Eine (s. d.),.
Bestimmungslose, Ewige (Enn. V, 5, 3 ff.), absolut Größte (L c. VI, 7, 32),
Übergeistige, ÜberweltHche (L c. III, 8, 8; VI, 7, 32; V, 4, 2). Die Dinge
stammen aus ihm (1. c. VI, 7, 32), so aber, daß Gtott unverändert bleibt (1. e.
III, 8, 9; V, 1, 9). Jamblichus nennt Gk>tt den unnennbaren Urgrund {xdtrn*
d^^rjros dQxv)f der noch über das iv erhaben ist (Damasc, De princ. 43). Nach
Proklus ist Gott die Ureinheit, das Urprincip (Instit 4 ff.), tt3fa*rl<os aXnor
(Plat. theol. III, p. 101 ff.), ndarig aiy^s d^^rjroTSQOv xai ndctjs vstdp^ecfs
ayvcaazdre^ov (1. c. II, 11). Bo£thiu8 bestimmt Gott als das Eine, Gute, al»
Vorsehung (Cons. phü. III).
Das Christentum faßt Gott als den liebenden Vater auf, der durch den
Xoyoe (s. d.), seinen „eingeborenen Sohn*\ in der Welt wirkt; er ist die ewige.
Gott. 403
absolut seiende, geistige, überwelüiche Persönlichkeit (vgl. Paul., 1. Ck>r. 12, 6;
ctvevfia 6 d'eos^ Joh. 4, 24; vgl. 5, 26; vgL Harnagk, Dogmengesch. !•, 485 f.).
Das Dogma von der Dreieinigkeit Gk)ttes (eine Substanz in drei Personen) wird
von den Kirchenvätern ausgebildet Die (häretischen) Gnostiker (s. d.) unter-
scheiden einen höchsten Gott (die Gottheit) und den Demiurgen (Weltbildner,
manchmal mit dem Judengott identificiert und sogar als böses Princip auf-
gefaßt, als Lucifer: Apelles). Basilides nennt Gott den Nichtseienden (6 ovx
Äv &e6s), d. h. Überseienden, VALBNTiNTJß die /lovds dyivtnfToe, df&aqrtos,
aKaraXijmog (HippoL VI, 29), die ürtiefe (ßv&og), den Urvater {ngondito^), den
xiXtiog aUov, — AsNOBiCJS bestiumit Gott als ewig, unendlich, als den „Ort"
aller Dinge (Adv. gent I, 31); ähnlich Tertüllian (Adv. Marc. I, 23 ff.; II,
6 ff.). Nach JusTiNUB ist Gott imnennbar {dvatvofiaütog, Apoll. I, 63),
dyiwTjfiog (1. c. II, 6), überweltlich {iv %oig vTtepavpavioig del fuvovrog, Dial. c.
IVyphL 56). Ähnlich lehrt Clemknb Alexandkinus (Strom. V, 11 f.) und
Origenbb (De princ. II, 184; I, 96 ff.; I, 1). Die Transcendenz Gottes schil-
dert MlNUcruB Feux: „Parentem omniu/m deunn nee principium habere nee
terminum . . ., sibi ipse pro mundo: qui universa, quaeeunque sunt, verbo iubet,
nMÜothe dispenstU, mrtute eonsummat. Hie non videri potest: visu elarior est;
nee eoniprehendi: taetu purior est; nee aesHnuxri: sensibus maior est, infinituSy
immensus et sali sibi Umtus, quantus est, notus" (Octav. 18, 7 ff.). Nach
Augustdotb ist der dreieinige €k)tt (De civ. Dei XI, 24) das höchste Sein
(j^eits realissimum"), die Wahrheit (De ver. relig. 57; De trin. VIII, 3), das
höchste Gut (,ysummum honum", De trin. VIII, 4), die höchste Wesenheit
(j^summa essentia**), die höchste Schönheit und Weisheit, der Seinsgrund (De
ver. relig. 21 ; De lib. arbltr. II, 9 ff. ; De trin. XIV, 21). Er schuf, um Gutes
zu wirken, die Welt aus nichts (De civ. Dei XI, 21 ff.; XIV, 11; Confess.
XII, 7).
Pantheistisch gefärbt oder paneniheistisch ist die (an Dionybius Aebo-
PAGITA, der Gott ,,esse omnium*^ nennt, sich anlehnende) Lehre d^ Johann.
SooTüB Ebiuoeka. Gott ist nach ihm die Einheit des Alls, die „uni-
versitcu*^ (De divis. natur. II, 2), ro näv (L c. I, 24), „totum mnnium"
(L c. I, 74), ^jOmnium essentia" (L c. I, 3), „ornnia in omnibus" (1. c. I, 10).
Qott ist in allem, alles ist in Gott „iVam et creeUura in Deo est subsistens, et
Deu9 in ereatura mirabüi et ineffabili modo creatur, se ipsum manifestans"
(L c. III, 17). Gott ist die Substanz der Dinge („essentiam omnium subsistere^^
L c. I, 72). „in Deo immutabüiter et essentiaiiter sunt omnia, et ipse est
divisio et eoUectio universalis ereatura^' (1. c. III, 1). „Deus in se ipso ultra
omnem ereaturam nullo intelleetu comprehenditw*^ (1. c. I, 3). €rott ist der
Urgrund der Dinge, ^^prindpalis causa omnium, quae ex ipso et per ipstim
facta sunt^*^ (L c. I, 11), er ist „principium , medium et finis^^. „Prineipium,
qma ex se sunt omnia, quae essentiam partidpant, medium atäem, quia in
se ipso et per se ipsum subsisiunt omnia, finis vero, quia ad ipsum moventur
quietem motus sui, suaeque perfectionis stabüitaieni quaerentia" (1. c. I, 12).
Gott ist „informe principium" (L c. II, 1). Er ist „super ipsum ess^* (1. c.
I, 39), ein „nihil" (1. c. II, 28), er manifestiert sich in den Dingen (1. c. III,
19 f.), so daß alles Sein eine Theophanie (s. d.) ist (1. c. III, 4). Durch seinen
Willen geschieht alles (L c. I, 12). „Deus non erat prius, quam omnia faceret^*
(L c. I, 12, 68, 74). Gott ist die „bonitas" (1. c. I, 24). „Unuan dieitur, quia
omnia universaliter est" (1. c. III, 8). Crott ist dreieinig (1. c. II, 31 ff.). Er
26*
404 Qott.
weiß sich nichtwisseDcL: ^^Nescü igitur, quid ipse est^ h. e. nesdt se quid
„intdligit se super omnia esae^'^ (i. c. II, 28 f., III, 1). Amalbich von Beke
nennt Gott die „essenttam omnium creaturarum et esse omnium*^» „Assentä
Ämalricus, ideas, quae sunt in tnente divina^ et ereare et ereari . . . DirU
etiamj quod Dens ideo didtur finis omnium, quia omnia reoersura sunt w
ipsum^ tä in Deo incornmutabüHer conquieseantj et ttnum individuum aique in-
commutabile in eo permanebunt^^ (bei Stöckl I, 290). David von Dinast
erklärt: ^yManifestum est unam solam substantiam esse, non tantum onumtm
corporumj sed etiam omnium animanmi, et hane nihil aliud esse quam ipmm
Deum, quia substantia, de qua sunt eorpora, dieitur kyle, substantia verOf de
qua omnes sunt animae, dieitur ratio vel mens. Manifestum est igOur Deum
esse substantiam omnium eorporum et omnium animarum. Patet igitur, quod
Dens et hyle et mens una sola substantia est^^ (bei Alb. Magn., Sum. th. II, ?2,
4, 2; vgl. Haubeatt II, 1, p. 78, 80}. Emanatistisch ist die Lehre der K ab-
halft, sowie die verschiedener arabischer und jüdischer Philoeopha:
Bazi, Al-Kindi, Al-Farabi, Ihn Sina (Avicenna). Nach Al-Oazaij hat
Gott einen ewigen, freioi Willen. Nach Ibn Eoschd (Avenoes) ist Gott das
Weltprincip, die Urform, die Urvemunft, der Endzweck aller Dinge (vgl
5. MuNK, M^langes de philos. juive et arabe 1859; de Boeb, G^esch. d. ^^liks.
im Islam 1901). Die Motakallimün schreiben Gott alle Causalitat (s. d.) in
der Welt zu (Maimon., Doctor. perplexor. I, 73). — Nach Ibn Gebibol wirkt
und ist Gott in allem; nach Ibn Esba ist er das absolut Eine, das be-
stimmungslose Subject; nach Maihonides ebenfaUs (vgl. Mui9K, M^lang., n.
M. Eisleb, Yorles. üb. d. jüd. Philos. d. Mitteialt. I u. II; Spiegusb, Qescfa.
d. jüd. Philos.).
Die christliche Scholastik verbindet den evangelischen Grottesbegriff mit
Platonisch- Aristotelischen Elementen. Anselm bestimmt Gk>tt als das Abfidute,
als das y^per se ipsum" Seiende (Monol. 1 ff.), y,fins per «e", als das denkbar
Höchste f,jsummum omnium^ quae sunt*^^ yjid quo maius eogitari nequä^,
,jSummum efis", 1. c. 1, 4, 6, 16, 26; Proelog. 2). Nach Bebnhabd von Culib-
VAUX ist Qott yfisse omnium non materiale, sed eausak^* (bei Alb. Magn., Sum.
th. II, 3, 3). Albebtüs Magnus bestunmt Gott als yyCausa efficiens, ftnalis
et form€Uis" (Sum. th. II, 2), ,yprineipium omnium'^ (L c. II, 72, 4), das in
allem ist („tn omnibus est^% 1. c. II, 98). Nach Thomas ist Gk>tt das AbaoLute,
weil er das Höchste ist, in sich besteht (Sum. th. I, 2, 1 ob. 2; I, 85, 3). Er
hat Aseitat (s. d.), seine Natur ist ,jw?r se necesse esse^^ (Ckmtr. gent. I, 80X
denn er ist die „prima causa essendi non habens ab alio esse^^ (Pot. 10, Tob. 6u
Er ist zeitlos (,yextra ordinem temporis^^ 1 -p&nh. 14 f.), wirkt in allem UyDeus
est in omnibus rebus, sicut agens adest ei^ in quo agit intim^\ Sum. th. I, 8, 1).
Grott ist die y,causa universalis essendi^^ (Coatr. gent. II, 16). Er ist „aelw
purus" (1. c. II, 8, 1). Nach DuNS Scx)tu8 wird Qott aus seinen Wirkungien
erkannt (Op. Ox. I, d. 42). R. Lullüs erklärt: „Deus est ens, quod est summe
et infinite bonum et b&nitas, magnum et magtiitudo, aetemum et aetemOas,
rirtuosum et virtuSj verum et veritas, gloriosum et gloria: Habens in se omnem
perfeetionem infinitam in summo absque aliqua imperfectione^^ (bei StÖckl
II, 940).
Zum Pantheismus neigt wieder Egkhabt. Nach ihm ist Gott das „Sfin
der Dinge^'y zugleich yylehts^^ und „Ntckts^^y kein Individuum; er ist allen Dingfn
immanent, „weselich^ unirkelich**, an sich aber eine „gruntlose substanUit^
Gott. 405
,^urffrtmiliehe Wesenheit**, ein „insüxen in sieh selber'*, ein „gewfütig instan**,
Gtottes Wesen ist die „Gottheit**, der „Queü", aus dem alles Sein fließet. Nach
PATRinus ist Gott „unomnia**. Nach Campanella ist er das Unbegreifliche,
Überseiende (Univ. philos. VII, 6; VIII, 1; VII, 6, 1). Nioolaus Cusanus
nennt Gott das Absolute {„absolutum** , Doct ignor. II, 9). Gk>tt ist in allem,
aUes ist in ihm (^^nt ab absohUo. Otmna sunt in eo et eum in omnihu8*\
1. c. I, 2). Gott ist alles in allem („qtwdlibet in quolibei^*, 1. c. II, 5), ,yaetus
ofnniwm** (1. c. II, 9), j^essentia omnium essentiarwn**, die Complication (s. d.)
aller Dinge und die „eoincidentia (s. d.) oppositorum** , das „maximum** und
„fninitnum**, das „possest^* (Können-Sein), die ,/orma essendi**, „ratio totius
univer^i** (Weltgrund), das „eentrum mundi** und die yyinfinita eireumferentia*^
(L c. I, 4; I, 8; I, 22 f.; III, 1). „Iblle deum a creatura: et remanet nihil**
(L c. II, 3). Die Welt ist eine Entfaltung Gottes. Wir wissen Grott nur durch
jdoda ignorantia'* (s. d.). Nach Andreas Caesalpinus ist Gott die Welt-
seele („anima universalis**). Giobdano Bruno identificiert Gott mit der AU-
Natur. Gott ist die Einheit aller Dinge, deren Substanz, Princip, Ursache, er
ifit die Urmonade („monas ?nonadum**, De min. I, 4). Gott lebt und wirkt in
der Welt, er ist die Einheit aller G^ensätze (De la causa . . ., Dial. III).
Er ist yjüberall und in allem ganx** (1. c. II). Gott ist einheitlich-ganz in allen
Dingen, diese sind nur vergängliche Erscheinungsweisen des Einen. „Geradezu
nichts ist cUles, was außer diesem Einen ist.** „Das eine höchste Wesen, in
welchem VennÖgen und Wirklichkeit ungeschieden sind, welches auf absolute
Weise aUes sein kann und alles das ist, was es sein kann, ist in unenifalteter
Weise ein Einiges, Unermeßliches, Unendliches, das alles Sein umfaßt; in ent-
falteter Weise dagegen ist es in den sinnlieh wahrnehmbaren Körpern** (1. c. V).
Gott ist die Natur (s. d.) der Dinge.
Einen strengen, logisch bestimmten Pantheismus lehrt Spinoza. Grott ist
i}un das All, die ewige, unendliche Einheit, das absolute Sein, die Substanz
(s. d.), die schaffende Natur („natura naMirans**, s. d.); die Einzeldinge, deren
Summe die Weit (die „natura naturata**) bildet, sind nur „modi** (s. d.) der
göttlichen Substanz, die sowohl Geist (Denken) als Materie (Ausdehnung) ist.
Gott ist das Absolute, „cattsa sui"* (s. d.), alles Geschehen folgt mit logischer
Notwendigkeit aus Gk>tte8 Wesen. Gott ist „ens absolute infinitum, hoc est
substantiam canstantem infmitis attributis, qtiorum unumquodque aetemam et
mfinitam essentiam exprimit^* (Eth. I, def. VI). Er hat ein notwendiges Sein
(,^neeessario extetit**, 1. c. I, prop. XI), ist einzige Wesenheit (1. c. I, prop. XIV),
enthalt alles: „Quiequid est in Deo est, et nihil sine Deo esse neque coneipi
potest** (1. c. I, prop. XV). Er ist der Welt immanent: ,J)eus est omniuin
rerum. causa immanens, non vero transiens** (1. c. I, prop. XVIII). „Res par-
tieulares nihil sunt nisi Dei attributorum affeetiones, sive modi, quibus Dei
aitrünUa certo et determinato modo exprimunlur** (1. c. I, prop. XXV, coroU.)-
Gott ist die wirkende Ursache alles Geschehens (L c. I, prop. XVI, cor.). In
Gtott sind Wesen und Dasein eins („Dei existentia unum et idem sunt**, 1. c. I,
prop. XX). Gott handelt frei imd zugleich notwendig, d. h. seiner Natur
gemafi (,yDeue ex solis suae naiurae legibus et a nemine coactus agitf*, 1. c. I,
prop. XVIII). „Eis Dei naturam eitisque proprietates explietii, ut quod neces-
sario existat; quod sit unicus; quod ex sola suae naiurae necessitate sit et agat;
quod sit omnium rerum causa lihera et quo modo; quod omnia in Deo sint et
ab ipso pendeant, ut sine ipso nee esse nee coneipi possint; et denique quod
406 Gott
omnia a Deo fuerint praedetermincUa" (L c. I, append. ; vgl. De Deo 1, 1 ff.). Panen-
theistisch ist der Grottesbegriff bei Malebranghe. Ck>tt ist J'itre uniperse^\ dw
All-Umfassende, der „Ort der Oeister^' und der Ideen (s. d.). Das UniTersum ist
in Grott. „Dteu voit ... au dedans de lui-meme tous les etreSj en constdemni sei
propres perfectiona qui les lux representent** (Rech. II, 5). „Dieu est totä eirt,
pareequ'il est infini et qu*Ü comprend totä, mais ü n'est aucun itre en par-
tiddier, celui qui renferme ioutes ks ehoses dans la simplicite de son Str^
(1. c. II, 6). fßieu est tres^etroüement uni ä nos ämes par sa presence, de sorie
qu'oti peut dire qu'il est U lieu des esprüa, de meme que les espaees sont en tw
sens le lieu des eorps^^ (1. c. II, 6). Fenelon erklart: „Dieu , . . est en bti-
vieme tout ce qu'il y a de riel et de positif dans les esprits ... 11 n'est pas
plus esprit que corpe^^ (De Pexist. de Dieu p. 155). Geuijkcx betont:
„Sumus . . . modi inentis, si auferas moduni, remanet Deus^* (Met. p. 56). —
Nach J. BÖHME ist Gott ,tHerx oder Quellbrunn der Natur"; aus ihm röhrt
alles her (Aurora C. 1, S. 22). Die Natur ist Gottes Leib; Gott hat sich in
ihr creatürlich gemacht (1. c. 0. 2, S. 31). Gott ist „em Geist, in dem aüe
Kräfte sind". In Gott ist auch das Böse (s. d.), als ,fiittere Qual", die aber
,ißi4ng währende Kraft, Freudenquell" ist (1. c. S. 31). Gott ist alles in Ewig-
keit, ,fiußer ihm ist nichts^* (L c. S. 34 f.). Das „Zomfeuer** in Grott, der
Wille, ist der Grund alles Geschehens. Der Sohn ist ,/ia8 Herx in dem Vater^,
von Ewigkeit immer geboren (1. c. S. 37). Von ihm und vom Vater geht der
heilige Geist aus (L c. S. 39). Ein Gleichnis der Dreifaltigkeit ist der Maisch
(1. c. S. 40). R. Fludd unterscheidet in Gott die Macht („Finsternis") und
die Weisheit (,jAeJd**). Gott ist der Seinsgrund (Thilos, mos. I, 3, 6). Angelüs
SüiESlUB sagt: „Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nun kann leben:
Werd' ich xu nicht, er muß vor Not den Geist aufgeben" (Cherub. WandersoL
I, 8). Gott kommt im Menschen zimi Wissen seiner selbst (1. c. I, 105). Zum
Emanatismus neigen die englischen Platoniker (H. MoRE, B. Cudwobth).
Theistisch faßt Gott Descabtes auf. Gott ist nur durch die Vernunft er-
faßbar (Epist. I, 67), er ist eine geistige, allgegenwärtige Substanz (L c. I, 69.
72). Der Gottesbegriff ist uns angeboren (s. d.), er enthalt als göttliche Eigen-
schaften: Ewigkeit, Allwissenheit, Allmacht, Vollkommenheit Güte und Wahr-
heit (Princ. philoe. I, 22). Gott ist der Schöpfer aller Dinge, der Erhalter des
Seins. Luther: „Ein Gott heißet dasj woxu mmi sieh versehen soll alles Guten
und 2k4flucht haben in allen Nöten, also daß einen Gott Iiaben nichts anderes
istj als ihm vom Herxen trauen und glauben, wie ich oft gesagt habe, daß allein
das Trauen und Glauben des Herzens machet beide^ Gott tmd Abgott'^ (C^Ueeh.
maior, Erklär, d. erst Gebot.). Hobbeb sieht in Gott die letzte Ursache aller
Dinge (Leviath. XXI). Nach Locke ist Gott unendlicher Geist (Ess. II,
eh. 23, § 21). Leibniz nennt Gott das Absolute (Opp. Erdm. p. 138 ff.). Goct
ist der Seinsgrund, unendlich, allmächtig, allweise, allgütig, leidloee»
Wirken („actus purus^% der „Ort der Ideen" („regio idearum") (L c. p. 506^
678, 725), „to demihre raison des ehoses" (Princ. de la nat. et de la gr&oe
§ 7 f.). Er ist die höchste Monade (s. d.), die n^it klarstem Bewußtsein das
All erkennt, das sie in sich einschließt: jj)ieu conOent Vunivers eminefnent^
(Gerh. III, 72). Gott ist eine ,fSubstance necessaire'* (MonadoL 38, Qerh. VI,
613). Er ist „principe, cause des substances", Schöpfer und Herrscher, ,fehef de
toutes les personnes ou substances intelleetuelles , comtne le monarque abaolu d^
la plus parfaite cite ou republique" (Gerh. IV, 460). Gott ist „le plus juste.
Gott. 407
<ieb(nmaire des mcnarques^^ (L c. p. 461 f.). Er ist die Ursubstanz, aus der die
Monaden, die Einzelwesen, emanieren: „Ainsi Dieu aetU est runtie primitive
<m la substanee simpU ariginaire, dont toutes les monades creees ou derivatives
Mont des prodnetions et naissent . . . par des fulguratUms eontinuelles de la
diviniti^^ (MonadoL 47, Qerh. VI, 614). Nach Berkeley ist Oott der ewige,
unendliche, vollkommene Qeist, der alles in allem wirkt, durch den alles besteht
<Princ. CXLVI), er ist der Träger und das Band aller Dinge und Geister
{L c. GXLVII). Er offenbart sich uns in seinen Werken, indem er in uns die
Nator ab gesetzmäßigen Zusammenhang von Vorstellungen produciert; in Qott
leben, weben imd sind wir (1. c. CXLIX). Nach G. Vioo ist Gott das unend-
liche fjMXM, nasse, veUe'*. Nach Che. Wolf ist Gott „0tn selbständiges Wesen,
darinnen der örund von der Wirkliehkeit der Welt und der Seelen xu finden:
und ist Gott sowohl von den Seelen der Menschen, cUs von. der Welt unterschieden"
<Vem. Ged. I, § 945). Gott ist das Absolute (L c. I, § 929, § 938; vgl. Theolog.
naturaL). Nach Crusius ist Gott ,^eine verständige und notwendige d. i, ewige
Substanx, welche von der Welt unterschieden wird und die wirkliehe Ursache
der Welt isf* (Vemunftwahrh. § 205). Nach Fedee ist Grott „dasjenige Wesen,
velehes den Örund von dem Dasein in dieser Welt in sich enthält^^ (Log- u.
Met. S. 393 ff.), er ist der vollkommenste Geist (1. c. ä. 404 ff.). — Holbach
-erklärt, Gott sei nur „la nature agissante, ou la somme des forces inconnues
<9M» animent V univers" (Syst. de la nat. II, 6). Eine pantheistische Gottes-
auffiisBung hat Goethe. Ihm ist Grott das Ewige im Wechsel der Dinge
<^VW. XXXIV, 207), die der Natur immanente schöpferische Kraft; die Natur
ist „der Gottheit lebendiges Kleid^*. Gott ist impersönliche Weltseele (1. c. II,
224; III, 268). — Vgl. H. 8. Reimaetjs, Abhandl. von d. vem. Wahrh. d.
natürl. Belig.^, 1781. Mendelssohn, Morgenst.', 1786. Hume, Dial. concem.
natural religion.
Kant versteht unter €k>tt ein Wesen, das durch Verstand imd Wüle die
Trsache der Natur ist (Kr. d. pr. Vem. I. TL, II. B., 2. Hptst. V). Der Gottes-
begriff ist kein theoretischer, sondern gehört zur Moral, d. h. er wird durch die
Mond gefordert (s. Gottesbeweis). Gott wird als vollkommenstes Wesen gedacht,
indem wir den Gottesbegriff „aus der Idee" haben, „die die Vernunft a priori
von sittlieher Vollkommenheit entwirft und mit dem Begriffe eines freien Willens
unxertrennlieh verknüpft" (WW. IV, 257). Zwar ist Gottes Wesen an sich un-
bekannt, aber wir müssen ihn uns als unendlichen Geist und Willen denken
{WW. VI, 476). Dem „moralischen Theismus" zufolge, welcher „kritisch" ist,
steht Gottes Existenz zweifellos fest; Grott muß allwissend, allmächtig, heilig
und gerecht sein (Vorles. üb. d. philos. Beligionslehre, hrsg. von Pölitz, 2. A.
1830, S. 31 ff.). Rein theoretisch genommen ist das ,Jdeal des höchsten Wesens"
jMchts anderes als ein regulatives Princip der Vernunft, aUe Verbindungen
in der Welt so an^tsehen, als ob sie aus einer aügenugsamen notwendigen Ur^
Sache entspränge" (Kr. d. r. Vem. S. 486). Jacobi glaubt an einen persön-
lichen, von der Welt verschiedenen Gott (Von den göttL Dingen 1811).
Krfo meint: „Das höchste Wesen heißt die Gottheit oder Gott, weil es das
Gute in höchster Potenx und gleichsam personifieiert ist^^ (Handb. d. Philos. I,
74). Gott ist das „allervoUkommenste Urwesen", der Schöpfer der Welt (1. c.
n, 362 ff.).
Von J. G. Fichte an beginnt eine (qualitativ verschiedene) pantheistische
Anffassungsweise PUtz zu greifen. Fichte selbst betrachtet Gott als die (active
406 Gott.
f^ittliehe Weltordnunff** („ordo ordinans^^), als absolutes, unendliches Ich (s. d.),
als absolute, freie, vernünftig-sittliche Tätigkeit (WW. V, 182 ff., 210 ff.V
später als ein Sein (s. d.). Schelung bestimmt als das Princip das ^beohUe\
die „Indifferenz" aller Dinge, die yyldentität* von Subject und Objecto von
Natur und Geist; es ist ein ewiges Producieren (Id. zu e. Philos. d. Nat. I*,
S. 71 ff.). Das Absolute ist Gott als „etn solches, welches sich selbst absolut
affinniert und also von sich sdbsi das Affirmierte ist' und das „unmittelbar
durch seine Idee auch ist'* (WW. I 6, 148 f.). Durch intellectuale Anschaaung
wird Gott unmittelbar erkannt (1. c. S. 150 f., 153 f.). y,OoU und Unirertum
sind eins oder nur verschiedene Ansichten eines und desselben. Oott ist das
Universum, von der Seite der Identität betrachtet, er ist alles, weil er das allein
Reale, außer ihm also nichts ist** (WW. I 4, 128). In der Natur und in der
Geschichte offenbart sich Gott (Syst d. tr. Ideal. S. 439). Als Vorsehung wird
Grott erst ganz sein (1. c. S. 441). Später wird Schellings Gottesbegriff ein
mehr theistischer. Gott ist nun „lebendige Einheit von Kräften'% ^yPersönlieh-
keit'% „Oeist im eminenten und absoluten Verstände" (WW. I 7, 395 ff.). Gott
ist „die Ursache, die allgemein und im ganxen Weltproceß xunäehst dem Sub-
jeetiven über das Objeetive, entfernter also dem Idealen über das Reale den Sieg
verleiht" (WW. 1 10, 255). Gott hat „drei Angesichte^', in ihm sind drei Momente,
Formen, deren Einheit er ist (1. c. S. 245 ff.). Gott ist aber nicht nur im Welt-
proceß, sondern er ist die Potenz vor und zu aller Tätigkeit (L c. S. 252 f.l.
In Gott ist ein „Urgrund". Nach Hegel ist das Absolute die Weltvemunft,
der ewige dialektische (s. d.) Proceß, der zum Selbstbewußtsein des Absoluten
führt (£ncykl. § 87; Log. III, 327; Phänom. S. 16). Gott ist „der lebendige
Proceß, sein Anderes, die Welt, xu setxen" (Naturphilos. S. 22). In der „absoluten
Religion" manifestiert sich Gott als absoluter Geist (EncykL § 564). „GoU ist
nur Oott, insofern er sich selber weiß; sein Sich-wissen ist femer sein Selbst-
heumßtsein im Menschen , und das Wissen des Menschen von Gott, das fortgeht
zum Sich'unssen des Menschen in Oott' (1. c. S. § 564). „Daß der Mensch von
Oott UfHß, ist nach der wesentlichen Gemeinschaft ein getfieinschafüiches Wissen^
d. i. der Mensch weiß nur von Gott, insofern Gott im Menschen von sich selbst
weiß" (WW. XII, 496). Das göttliche Wesen stellt sich dar: „a) als in seiner
Manifestation^ hei sieh selbst bleibender, ewiger Inhalt; ß) als Unterscheidung des
ewigen Wesens von seiner Manifestation, welche durch diesen Unterschied die
Erscheinungswelt wird, in die der Inhalt tritt; y) als unendliche Rückkehr und
Versöhnung der entäußerten Welt mit dem ewigen Wesen, das Zurückgehen des-
selben aus der Erscheinung in die Einheit seiner Fiale" (Encykl. § 566). Von
den Hegelianern nünmt die sog. „Rechtet' einen theistischen oder vennitt^-
den Standpunkt ein (Gabler, Hinrichs, Göbchel, K. Bosenkbanz, Vatke,
Schaller u. a.). — Nach Schleeermacher ist Gott die „volle Einheit" der
Welt, Gott und Welt sind Correlate (Dial. S. 162, 165, 167, 432 ff., 476). Da*
Absolute ist die „reine Identität' von Sein und Denken (1. c. S. 326), ist ewiges
Leben (1. c. S. 531), aber unpersönlich (1. c. S. 525 f., 529). ,fJedes einzelne Sein
ist als solches eine bestimmte Form des Seins der absoluten Identität, nicht aber
ihr Sein selbst, welches nur in der Totalität ist" (WW. I 4, 131). SCHOPENHAUER
bestimmt das (ungöttliche) Absolute als (alogischen) Willen (s. d.). Nach £. v. ELart-
MA107 ist Gk)tt unbewußter Geist, unpersönlich (Relig. d. Geist. S. 161), die
Substanz der Dinge, welche zwei Attribute hat: Idee und Willen, Logisches
und Alogisches (Kategorienlehre S. 538 ff.). Gott ist Einheit in der Vielheit,
Gott. 409
Vieleinheit („conereter Manurmis"^ s. Mon.). So auch A. Drews. Nach
R. Hame&lxnq ist Gott das allgemeine Sein (Atomist. d. Will. I, 126). Schell-
wien betont : y,Der wahre Pantheismtis ist die Einheity die in der Vielheit nicht
ttußörtf die Einheit xu sein'* (Wille u. Erk. S. 94). H. Spencer bezeichnet
das gottliche Absolute als yjUnknowahle*\ als absolut transcendent, wenn auch
in der Welt sich manifestierend. Nach D. F. Straubs ist Gott nicht Person,
sondern das Unendliche, das in den Individuen sich personificiert (Der alte u.
d. neue Glaube). M. Messer faßt Gott als ,yAÜ8eeUf* auf (Mod. Seele S. 41).
Bald theistisch, bald vermittelnd, panentheistisch, stellt sich der Gk>tte8-
bcignff bei folgenden Denkern dar. Zunächst bei der HegelBchen yyRechten'^
(b. oben). Femer in der französischen „theologischen Schulet' (de Bonald,
J. De Maistre, Lammenais). Dann bei Beneee, dem Gott unendliche Person
ist, femer bei Herbart, Steffens, Troxler, Chr. Weisse, dem Gott selbst-
bewußte Urpersönlichkeit ist (Phil. Dogm. I, 336 ff.), Chalybaeus (Syst d.
Wiss. S. 285), Braniss (Syst. d. Met S. 170 ff.), Michelet (Vorles. üb. d.
Pers. Gott S. 160 f.), Wirth, Trendelenbitrg, Drobisch (Eeligionsphilos.
1878), W. BosENKRANTZ u. a. Nach Hillebrand ist Gott absoluter Geist,
der allen Substanzen übergeordnet ist (Philos. d. Geist I, 69). Gott ist eine
Substanz, welche alle endlichen Substanzen in der Einheit ihres Systems auf
sich bezieht (1. c. II, 321), er ist absolute Subjectivitat (ib.), den einzelnen
Dingen gegenüber transcendent, aber inmianent dem System des Seins (1. c.
S. 322). Gott hat Bewußtsein, Selbstbewußtsein, Persönlichkeit (L c. S. 325 f.).
Er ist nicht ohne die Welt, sondern in ewiger Selbstbeziehung auf sie (L c.
S. 327). Nach Heinroth ist Gott die „Urkraft'', er ist Einheit von Wille und
Gedanken, der Schöpfer der Welt aus nichts (Psychol. S. 194 ff., 203). Eüie
„Aüeinkeitslehre'* begründet Chr. Krause. Ihm ist Gott („Wesen*'} eine die
Welt einschließende Einheit, ein ,yVereintcesen von Selbheit und Oanxheit'', un-
endliche, absolute, selbstbewußte Persönlichkeit (Vorles. üb. d. Syst. d. Philos.
II, 46; Bechtephilos. S. 14 ff., 16, 22; vgl. Beligionsphilos.). So auch Ahrens
(Naturrecht I, 316). F. Baader bestimmt Gott als formende, „aetuose''
Einheit, lebendige Tätigkeit (WW. I, 195 ff.). Gott, Sohn, Heiliger Geist
büdai einen „Temar^'; der Sohn entfaltet sich aus der Selbstanschauung des
Vaters zum Geist In Gott ist eine ewige Natur (W^W. I, 226). Nach Günther
denkt sich Gott selbst und setzt sich damit selbst, unterscheidet sich von sich
und verbindet in sich die drei Personen zu einem Selbstbewußtsein. Die Welt
ist eine Entg^ensetzung, die Grott sich erschaffen. Einen „conereten Theismus'*
lehrt J. H. Fichte. Gott ist eine transcendente, die Welt in sich einschließende
Einheit, schöpferisches Denken, er hat Selbstbewußtsein und Persönlichkeit
(SpecuL Theol. S. 77 ff., 160; Psychol. II, 28 f., 82). Ähnlich Ulrict, dem
Gott die geistige, unterscheidende, schöpferische, bewußte, freie Urkraft ist
(Gott u. d. Nat S. 554 ff. ; vgl. Log. S. 56), das „Prius alles andern Seins'*
(ib.). Nach Lotze ist Gott ein unendlich Tätiges, das allen Dingen zugrunde
liegt, aber bewußter absoluter Geist ist, Persönlichkeit, die alles in sich ein-
schließt, lebendiger Gott ist (Mikrok. III», 545 ff., 559 ff., 571 ff.; vgl. Gr. d.
Beligionsphilos.). Einen „transeendenten Pantheismus" vertritt Fortlaoe.
Panentheistisch ist die Lehre Fechners. Gott ist ein unendlicher Geist, der
alle Veränderungen in sich einschließt (Üb. d. Seelenfr. S. 117). Sein Leib ist
die Welt (1. c. S. 118). Gott ist der „ÄUgeisf^ der alle anderen Geister ein-
schließt, umfaßt (Zend-Avesta I, 202), er ist „ein einiges, höchst bewußtes, wahr-
410 Gott.
haft cUltcisaendeSj d, i. aües Betcußtsein der Welt in sieh tragendes und hiermit
aueh das Bewußtsein aller JEinxelgeschöpfe in höheren Bexügen und höchster
Bewußtseinseinheü verknüpfendes Wesen*^ (1. c. II, 181 ; I, 258 f.). ,, Es ist ein
Oottt dessen unendliches und ewiges Dasein das gesamte endliche und xeitlidie
Dasein nicht sich äußerlich gegenüber noch äußerlieh unter sieh, sondern in sieh
aufgehoben und untergeordnet hat'* (Tagesans. S. 65). Er „sieht mit dem Liekk
und hört mit dem Schalle seiner Welt aües^ was in der Welt ist und gesehidU^
(ib.). Ähnlich K. Lasswitz, Br. Wille u. a. Nach Paülsek ist Grott ^k
Einheit alles Geistigen*', „Der unendliche Inhalt des göttlichen Wesens ist für
unser Erkennen transcendent** (Syst. d. Eth. I', 207). M. Cariuere betrachtet
Gott als „Einheit in der Allheit"^ ab „Ich des Universums", als freien Gdst,
Persönlichkeit; er waltet in allen Greistem, diese sind „seine einzelnen Willens-
acte, die sieh in ihm xur Selbständigkeit erheben, uml er nach seiner Freiheä
nur in freien Wesen offenbar werden kann" (Asth. I, 46; Die sittl. Welt<min.).
Einen christlichen Theismus lehrt Thranborff. Nach O. Pfleiderer ist Gott
absoluter Qeist, Persönlichkeit, das absolute Ich, welches die Welt einschheßt
und in ihr vernünftig wirkt (KeHgionsphilos.). Ahnlich R. Seydel (Die Belig.
1872), Kirchner (Metaph. 1880), G. Tiehle. Nach Sigwart ist Gott d«
Weltgrund, die „reale Macht eines xweeksetxsnden Wollene" (Log. II, 758).
Nach Kaptan ist Gott ,/iie höchste Energie des persönlichen Willens** (Chrtstent
u. Philos. 8. 12). — - Volkelt sieht in Gott das unendliche All-Eine. Die Welt
weist darauf hin, daß im Absoluten ein „Prinoip der Negation und Verkehnmg
innewohnet' (Ästh. d. Trag. S. 430). „Einerseits ist die Welt in der Vernunft,
im Sein-sollenden, im Positiven gegründet. Aber zugleich hat das ewig Ver-
nünftige, Sein-soüende, Positive es ebenso ewig mit seinem Gegenteil %u schaffen^
es leidet am, Irrationellen, Nicht-sein-sollenden, Negativen, und es trägt das Gepräge
dieses Leidens" (1. c. S. 432). Das Absolute gleicht dem tragischen Helden, der
es „in seinem eigenen Innern mit einer herabxerrendbn Gegenmacht xu tun hat^
(1. c. 434). Nach G. Spicker ist Qott Grund und Zweck der Welt (Vers. e.
n. Grottesbegr. S. 150), er hat Wissen, Vernunft, Bewußtsein (1. c. S. 150 f.), fet
nicht einfach, aber die Einheit von Geist und Materie (1. c. S. 153), hat Per-
sönlichkeit (L c. S. 263). Die Natur ist nicht Grott, aber göttlicher Art (L c.
8. 155). GrOtt ist „causa eminens" (1. c. 8. 125). In Bezug auf sich hat er
keinen Willen (1. c. 8. 150 f.). Wündt bestimmt Gott als „schöpferischen
Willen", höchsten Gesamtwillen (Eth.^ 8. 4^), den absolut transoendentesi
Weltgrund (8.y8t. d. Philos.*, 8. 668 ff.), als den dem Weltinhalt adäquaten Qrund,
der als übergeistig, übersittlich, als die transcendente Einheit von Natur und
Geist gedacht wird (1. c. 8. 392 ff.). Zu Gk)tt führen die kosmologischen und
ontologischen Ideen (s. d.). Gott wird durch die letzteren als „Weltwüle^, die
Weltentwicklung als Entfaltung des göttlichen Willens und Wirkens in der
Welt bestimmt; die Welt ist, (wie bei Lessing), in (]k>tt, nimmt an ihm teÜ,
ohne daß die Einzelwillen ihre 8elb8tandigkeit einbüßen (1. c. 8. 433 f.). Als
Weltwillen faßt Gott W. Jerusalem auf (Urteilsfunct.). Nach Reikke ist
Gott „ein Symbol für die Summe jener intelligenten und gestaltenden Kräfte^ die
transcendent tmd immanent zugleich sind, aus der Transeendenz die Immanenx
erzeugend** (Welt als Tat, 8. 464). Einen Panentheismus vertritt W. v. Walt-
hoffen (Die Grottesidee). Höffding erklärt: „Von einem rein theoretischen
(erkenntnistheoretiseft-metaphysischen) Standpunkt aus kann der Gottesbegriff nur
das Princip der Continuität, mithin der Verständlichkeit des Daseins bedeutok
Oott — Oottesbeweise. 411
Von einem religiösen Standpunkt aus bedeutet Oott — aU Object des Glaubens
— das Prineip der ErhaUimg des Wertes durch alle Schwankungen und alle
Kämpfe hindurch, — wenn man so wül, das Prineip der Treue im Dasein*'
(Beligionsphiloeopli. S. 120). Gott ist ein EÜnheitsprincip, das allem Zusammen-
hange der Dinge zugrunde liegt (1. c. S. 51). A. Dobker faßt Gott als (Substanz,
absoluten, selbstbewußten Geist, der über die Welt erhaben und zugleich ihr
immanent, Einheit von Vernunft imd Wille ist (Gr. d. Beligionsphilos. S. 27 ff.).
— MoKBAD betrachtet Gk)tt als sich selbst denkenden Gedanken (Arch. f.
svstem. Philos. 11, 205), Boström als absolute Persönlichkeit. RenOitvier er-
klärt: yyDieu est la eonscience morale parfaite, c'est-ä-^ire la soureraine justice,
et la souveraine bonU qui veut la justice et qui la fait^^ (Nouv. Monadol. p. 460).
Gott ist ,fa personne parfaitef'' (1- c- P» ^öl). Nach Emebsok ist Gott die
Naturalistisch oder atheistisch sind die religionsphilosophischen Auf-
fassungen verschiedener Denker. Nach L. Feuerbach ist Grott das mensch-
liche Wesen, das der Mensch aus sich heraus projiciert, das offenbare Innere
des Menschen, ein „Wunsekwesen"^ (WW. VII, 39 ff.). Die Götter sind „die
fencirklieht gedachten Wünsche der Menschen'' (WW. VIII, 257; IX, 56 ff.).
Das Absolute ist die Natur. A. Comte will als Gottheit (,^and etre^') die
Menschheit verehrt wissen. M. 8tirner ist absoluter Atheist. Atheistisch
doiken auch Bahnsen, Mainlander, E. Dühbing, L. Büchneb, £. Haeckel,
der unter Gott nur „die unendliche Summe alier Naturkräfte^' versteht (Der
Mooism. S. 33 ; Die Welträtsel), Nietzsche, dem die Existenz eines Grottes ein
unerträglicher Gedanke ist (WW. XV, 315). Unter „Oott'' kann man nur die
Cubnination des „Willen xur Macht" verstehen (L c. XV, 318 f.). — VgL
Vatke, Beligionsphilos. 1888; Teighmülleb, Beligionsphilos. 1886; Glooau,
Vorles. üb. Beligionsphilos.; Seydel, Beligionsphilos.; Bükge, Katech. d.
Beligionsphilos.; Flott, Theism. 1879; Schriften von Coldebwood, Martineau,
Caird, J. Lindsat, Abbot u. a. Vgl. Äther, Dualismus, Beligion, Deismus,
Theologie, Willensfreiheit, Manichäismus.
Gottesbeweises Beweise, logische Argumente für das Dasein Gottes.
Es gibt ihrer verschiedene: 1) ontologischer (s. d.); 2) kosmologischer (s. d.);
3) teleologischer (s. d.) oder physiko- theologischer; 4) moralischer (s. d.)
oder ethiko- theologischer Beweis; 5) Beweis „e consensu gentium", d. h. aus
der gleichen Anlage bei allen Menschen für die Entwicklung eines Gottes-
b^jiffs (Aristoteles, De coel. I, 3; Cicero, Tusc. disp. I, 13, De nat.
deor. I, 17; Clemens Alexandrinus, Strom. V, 14 u. a); 6) der Beweis aus
dem angeborenen Gottesbewußtsein (Jüstinüs, Apol. II, 6; Johannes Damas-
CENTS, De fide orth. I, 1, Tertullian, De testimon. an. 5, De came Chr. 12 ;
Scholastiker, Descartes u. a.); 7) Beweis aus der mystisch-intuitiven, ek-
statischen Erfassung Gottes (Philo, Plotin, Eckhart, Campanella: durch
einen „tactus intrinsecus", u. a.); 8) aus der Idee Gottes im Ich mit Hinweis
daianfy daß das (endliche) Ich nicht die positive Unendlichkeits-Idee einer
Gottheit selbsttätig erzeugt haben könne (Campanella, Descartes: „Idea
quae in nobis est requirit Deum pro causa Deusque proinde existit," Medit. III ;
^Ialebranche, nach welchem die Idee des Unendlichen (s. d.) der Erkenntnis
des Endlichen vorangeht, Bech. II, 6) ; 9) Beweis aus der Existenz des Ich, die
eine abgeleitete, auf Gott zurückführende sein muß (Descartes, Baader : „Jeder
endliche Oeist, wissend, daß er nicht sich selber hervorbringt, weiß hiermit sein
1
412 Oottesbeweise — Orenxbegriffe.
Oewußisein von dem ihn hervorbringenden absoluten Geis1^\ WW. 1, 193 ; GlogaU);
10) Beweis aus a. übernatürlicher, b. natürlicher Offenbarung in der Aufloi- und
Innenwelt (Berkeley, nach welchem Gott ebenso gewiß und unmittelbar erkannt
wird wie ein anderes geistiges W^sen, Princ. CXLVII f.; Sghelxikg: yßit
Geschichte als Ganzes ist eine fortgehenäcy aümäMich sich enihiUlende Offen-
barung des Absoluten. Aber man kann in der Geschichte nie die einzelne Stelle
bezeichnen, wo die Spur der Vorsehung oder Gott selbst gleiehscun siehtbar ist.
Denn Gott ist nie, wenn Sein das ist^ was in der obfeetieen Welt sieh darsteüt;
wäre er, so wären wir nicht; aber er off enbart sieh fortwährend. Der Mensck
führt durch seine Geschichte einen fortwährenden B&ceis von dem Dasein Goiteif
einen Beweis, der aber nur durch die ganze Geschichte vollendet sein kantr
Syst. d. tr. Ideal. 8. 438; Hegel, nach dem sich Qott als absoluter Geist in
Religion und Philosophie offenbart, Encykl. § 564 ff.). Vgl. Ulrici, Gott u.
d. Nat. S. 1 ff.; A. Dornee, Gr. d. Beligionsphilos. S. 200 ff. u. a. — Gegner
der Gottesbeweise sind die antiken Skeptiker (Sext. Empir. adv. Math. IX,
137 ff., Pyrrh. hypot. III, 2 ff.), Hume (Dial. concem. natural rdigion) und
besonders Kant, der die sub 1 — i angeführten Argumente als nicht stiingent
darlegt (Kr. d. r. Vern. S. 468 ff.), selbst aber einen ethiko-theologischen Ge-
dankengang einschlagt. Vgl. auch Krüg, Handb. d. Philos. I, 318 ff. — Zu-
sammenstellimgen von Gottesbeweisen bei Maimonides, Doct. perplex, n, 1:
Thomas, Sum. th. I, 2, 3; Contr. gent. 1, 13 f., IV, 28, IV, 42; Melakchthox
u. a. — Vgl. Grott.
Ckittesstaat oder Gottesreich („civitas Dei, regmon gratiae^): dtf
Keich der göttlichen, sittlichen Ordnung im Gegensatze zum irdischen Staals-
verbande: Augustinus (De civ. Dei XII, 27). Leibniz spricht von der ,/f-
publiqtde de Vunivers ou la cite de Dieu" (Gerh. IV, 475). Den GrottesstiAt
bildet die Gesamtheit aller geistigen Monaden (MoQadol. 85). „H est aise de
condure qtic l'assemblage de tous les esprits doit composer la cite de Dieu, e'esi-
ä'dire le phis parfait etat qui sott possible," eine moralische Welt („monde
moral**) in der Natur (1. c. 86). Im Gottesstaat herrscht die Tugend mit dem
Glück (Theod. I, § 123). Nach Paulsen ist das Gottesreich die Entfnltong
Gottes in einer Welt geistig-geschichtlichen Lebens, das doch in der Einheit
seines geistigen Wesens beschlossen bleibt (Syst. d. Eth. I*, 265). Vgl. So-
ciologie.
Gottlieit: 1) das Wesen Gottes, das Göttlichsein, 2) Gott (s. d.).
Orad: Stufe, Größe, der Qualität oder Intensität, intensive Gröfie. -
Nach Chr. Wolf sind Grade „quantitates qualitatum'* (Ontol. § 747); so auch
Baumgarten (Met § 246). Nach Kant hat „jede Empfindung einen Orod
oder eine Größe, wodurch sie dieselbe Zeit d. i. den innem Sinn m Ansehwig
derselbefi Vorstellung eines Gegenstandes mehr oder weniger erfüllen kann, bU
sie in nichts (= 0 = negatio) aufhört*^ (Kr. d. r. Vern. S. 146). Nach HeqB'
ist „Grad'' die „intensive Größe*' (Encykl. § 103), „die Größe als gleichgültig
für sich und einfach" (1. c. § 104; vgl. K. Bosenkranz, Syst d. Wiss. § 64 üi
WuNDT unterscheidet innerhalb jedes Systems psychischer Elemente Intensität«-,
Qualitäts- imd Klarheitsgrade (Gr. d. Psycho!*, S. 305).
Greatest happiness — Prlnciple s. Utilitarismus.
Orensbecnrtffe sind Begriffe, die als Inhalt die Existenz eines Tno^
Grenxbegriffe — Grund. 413
cendenten (s. d.) enthalten, ohne dessen Qualitäten (adäquat) mitzuenthalten,
eder Begriffe, die bis zur Grenze unseres Erkennens führen, deren Inhalt zugleich
für die subjective wie für die objective Wirklichkeit gilt. — Kant versteht
unter einem Grenzbegriff einen B^riff, der die Ansprüche der Sinnlichkeit be-
grenzt, einschrankt und der zugleich bis zur Grenze unseres Erkennens führt,
mdem er etwas denkend setzt, ohne es qualitativ, positiv bestimmen zu können.
Dieses Etwas ist das yyNoufnenon" (s. d.), das als übersinnlich, rein rational ge-
dacht« Ding. jyÄm Ende aber ist doch die MögUchkeit aoleher Naumenorum gar
nMi eimusekeHy und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen ist (für
uns) leeTj d. i. wir haben einen Verstand^ der sich problematisch tceiter er*
streckt als jene, aber keine Anschauung, ja aueh nicht einmal den Begriff von
einer möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem Felde der SimUichkeit
Oegensiände gegeben, und der Verstand über dieselbe hinaus assertorisch ge-
braucht werden könne. Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Orenx»
begriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einxtisckränken, und also nur von
negativem Gebrauehe. Er ist aber gleichwohl nicht willkürlieh erdichtet, sondern
hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas
Ihsitives außer dem Umfange derselben setzen xu können" (Kr. d. r. Vem. S. 235).
„Unser Verstand bekommt nun auf diese Weise eine negative Erujeüerung, d. i,
er wird nicht durch die Sinnlichkeit eingeschränkt, sondern schränkt vielmehr
dieselbe ein, dadurch daß er Dinge an sich selbst (nic/U als Erscheinungen be-
iraektet) Noumena nennt. Aber er setzt sieh auch sofort selbst Grenzen, sie durch
seine Kategorien zu erkennen, mithin sie nur unter dem Namen eines un-
bekannten Etwas XU denken" (1. c. S. 236). Nach A. Lange ist das Ding an
sich (s. d.) ein bloßer Grenzbegriff. Nach Ulrici ist ein Grenzbegriff „ein
solches Wissen, das von der einen Seite als Wissen, von der andern als Nicht-
wissen sich attsweisP* (Gott u. d. Nat. S. 617). Rdshl nennt Baum imd
Zeit ,^empirische Orenxbegriffe, deren Inhalt in gleichem Grade für das Bewußt-
sein wie fi^ die Wirklichkeit selber gültig ist" (PhUos. Krit II, 1, 73). Nur
die „Grenzen", nicht das An-sich, der Dinge sind erkennbar.
GrSffe 8. Quantität.
OrSße^ psy^llisclie^ ist , jedes psychische Element und jedes psy-
dhsehe Gebilde . . ., insofern es in ein irgendwie gradweise abgestuftes System
tvngetyrdnet werden kann" (Wundt, Gr. d. PsychoL*, S. 306). Die Größen-
eigenschaft als solche (als Intensität, Qualität, extensiver Wert, ev. als Klar-
heitsgrad) kommt jedem psychischen Element nnd Gebilde zu, aber eine
Größenbestimmung ist nur mittelst der apperceptiven Function der Ver-
gleichung möglich (ib.). Die psychische Messung hat es mit „Wertgrößen",
nicht mit Größenwerten zu tun. Absolute Maße gibt es hier nicht. Vgl.
Psychophysik.
6rll0eiinaie8Siiiii^9 psychische, s. Größe, Psychophysik.
OmDfl {loyos, ratio) ist ein Gedanke, insofern er uns zur Anerkennung,
Setzung eines anderen, von ihm abhängigen, aus ihm folgenden Gtedankens
inFolge", consecutio) nötigt, logisch determiniert. Der „Salz vom Grunde^*
(b. unten) besagt, daß wir zusanmienhängend, folgerichtig denken müssen, d. h.
daß jedes Urteil, um als gültig anerkannt zu werden, ein gültiges Urteil vor-
auflsetzt AUe Erkenntnisgründe führen schließlich auf logische Denkgesetze
414 Grund.
(s. d.) und auf die Anschauung zurück. Erkenntnisgrund ist der Gedanke,
die Erkenntnis, ans der ein anderer Gedanke, eine andere Erkenntnis abgleitet
wird. Seinsgrund ist jedes Princip, aus dem die Existenz eines Dinges oder
Geschehens ableitbar ist. Jeder Grund beantwortet die (dem Denkoi und
Denken -wollen ursprünglich eigene) Frage nach dem ^^WarMm^\ nach der
Motivation und Determination eines Geschehens. Eine logische Regel ist:
Mit dem Grunde ist die Folge gesetzt, mit der Folge der Grund aufgehoben
(jjPosiia raiione ponüur r€Uianatum"),
Bis auf Leibniz werden Erkenntnis- und Seinsgrund meist nicht recht aus-
einander gehalten. So bei AbistOTELES: ijticraad'at 8i oiofud'a ixamov nxlu^
Srav Ttjv aixiav oiofud'a yivcScxaiv, ^«' rl^f ro nQdyiid icrw^ ort ixsivov arrm
imi xai /u; irSdxßffd'ai tovxo akXms slvai (AnaL poat I, 2). Die Skeptiker
sprechen von der icocd'ivsuL rtSv loytov, von der Gleichwertigkeit der oitgegen-
gesetzten (Beweis-) Gründe, so dafi es keinen wahren Widerspruch gebe (ovk
BCTiv dvriXoyia), da kein Grund mehr gelte (ot /uäXXor) als ein anderer (Sbxtcs
Empiricus Pyrrhon. hypot I, 12, 202 squ.). — Nach Wilhelm von Coscbb^
ist „Qrund" (ratio) „eertum et ßrmusn tudieium de re eorporta^^ (bei Haureau
I, p. 445). Descabtes (jfiausa iive ratio**) und Spinoza unterscheiden Eeal-
und Seinsgrund nicht genügend. Den Begriff einer ,^Mreidienden UrBoeke*
kennt Hobbes: „/ hold to be a suffident eause, to which notking is w(miist§
that is needfuU to the producing of (he effeet, The same is also a neeessanf
eause^* (Quaest de libert 1750, p. 483). Leibniz unterscheidet schon zwischen
j^raisofi" und „eaust^*; der ^yGrufid^* ist Ursache des Urteils, der Wahrheit» ihm
entspricht in den Ding^i die Ursache (Xouv. Ess. lY, eh. XVII, § 1). Alle»
muß seinen zureichenden Grund (s. unten) haben. Nach Chr. W^olf ist Grand
„dasfenige, wodurch nian verstehen ^mi, warum etwas ist** (Vem. Ged. I, § 29>
„Wo etwas vorhanden ist, woraus man begreifen itotm, tcarwn es ist, dieg hat
einen xureiehenden Orund** (1. c. § 30). ,yPer rationem suffieientmn intelligo H
unde inteüigOurj cur aliquid fit* (OntoL § 56). Zu unterscheiden sind y^prin-
cipium fiendi (ratio aetualitatis aUerius)**, „prineipium essendi (ratio possibüi'
tatis aüerius/* und „principium eognoscendi** (Gntol. § 876, 881 ff.). Baum*
garten erklart: y,Raiio est, ex quo cognoseibile esty cur aliquid sit*^ (Met. § 14|.
Reim A BUB unterscheidet innem und äußern Grund (Vemunftlehre § 81).
Cbusius bemerkt: „Alles doitjenige, was etwas anderes ganz oder zum Tkü
hervorbringt, . . . heißt Orund oder Ursache im weiteren Verstandet* (Vernunft-
wahrh. § 34J. Erkenntnis- und Bealgrund sind zu unterscheiden (ib.; Dissertatao
philos. de usu et limitib. princip. orat determin. 1743). Menoelbsohn Tenteht
unter Grund ,/kts Merkmal in der Ursache, aus welchem sieh die Wiriamg
folgern läßt* (Morgenst I, 2). Nach Feder ist „Grund** Jkrfenige Umetand,
diefefiige Bestimmung, tcovon das andere, das Oegründete herboimnt** (Log. n.
Met S. 255), Dar „vollständig^* Grund ist die „Sammlung alles dessen, was einen
Einfluß gehabt, zu dem Effect etwas beigetragen hat** (I c. S. 257). Zu unter-
scheiden sind „Bealgrtmd* und „Erkenntnisgrund^* („Idealgrund** ,Jlogiseker^
Grund), endlich „Bewegungsgnmd* (1. c. S. 259). Nach Platneb ist ein Ghrund
das, „woraus erkannt wird, daß ettcas ist, so und nicht anders ist* (Fhilos.
Aphor. I, § 826). „Xun erkennt man aus den Bestandteilen eines Dinges^ als
aus seinen Merkmaleny was es ist, wtd zugleich auch warum es ist und warum
es das ist, was es ist: folglieh sind die Bestandideen eines Begriffes oder Dinges
seine Bestimmungen %md zugleich sein Orund; in der Verbindung untereinander
Grund — Qrunde, Sata vom (sureichenden). 415
der xureiehende, bestimmende Orund" (1. c. § 827). Mit dem Grunde
wird die Folge gesetzt bezw. aufgehoben (1. c. § 829).
Entschieden trennt den ,jtogi8ehen^^ Grund vom „Realffrund^*, der Ur-
sache, Kaitf (WW. II, 104 f.). Der Bealgrund ist niemals ein logischer Grund
(ib.). ,yRaiio^* ist, ,^ptod detenninat subiectum respeetu praediccUi emusdam*^
(Pr. prim. cogn. met sct. IT, prop. IV). Der Grund der Wahrheit ist nicht
der Grund der Wirklichkeit (1. c. sct. II, prop. VIII). Nach S. Madion wird
„Qrund*^ „bloß von der Erkenntnis ^ nicht cAer vom Dasein eines Dinges ge-
braucht; es bedeutet . . . e/ine vorher erlangte Erkenntnis, als Bedingung einer
neuen Erkenntnis betrachtest^^ (Vers. üb. d. Tr. S. 107). Ähnlich Eiesewetteb
(Log. I, 16) und G. £. Schulze (Allg. Log. § 19). Nach Fries ist Grund
,yem Urteil, unter dessen Bedingung ein anderes behauptet tüird** (Syst d. Log.
8. 136).
J. G. Fichte bemerkt: j^Tedes Entgegengesetzte ist seinem Entgegengeseixten
in einem Merkmale = z gleich; und: jedes Gleiche ist seinem Gleichen in einem
Merkmal = x entgegengesetzt. Ein solches Merkmal = x heißt der Grund, im
ersten Fall der Beziehungs-, im zweiten der Unter seheidungs-Grund^^
(Gr. d. g. Wiss. 6. 29). Heqel fafit den yjGrund** als Moment der dialektischen
(8. d.) Bewegung des ^^Begriffs" (s. d.) auf. Der „Grum^* ist „die reale Fer-
mitthing des Wesens mit sieh" (Log. II, 75), „die Einheit der Identität und des
Unterschieds; die Wahrheit dessen, als was sich der Unterschied und die Iden"
iität ergeben hat — die Refleodon-in-sich, die ebensosehr Refeodon-^n-anderes
und umgekehrt ist. Er ist das Wesen als Totalität gesetzt*^ (Encykl. § 121).
Nach K. BoBEKKRANZ ist das Wesen der Grund „als die negative Identität
des Entgegengesetzten" (Syst d. Wiss. S. 56). Vom ,/ormellen" und „reellen"
ist der „vollständig^* Grund zu imterscheiden, der das Wesen selber ist (L c.
8. 56 f.). Bachmann: „Der Grund ist das, dessen Gesetztsein ein anderes
untciderstehlich nachxieht; Folge aber, das nur gesetzt ist, weil jenes gesetzt ist"
(Syst d. Ix^. S. 131 ff.). Ähnlich andere Logiker.
Volkelt nennt Erkenntnisgrund „dü^enige Ursache, die das Bewußtsein
der sachlichen Notwendigkeit entspringen läßt^' (Erfahr, u. Denk. S. 215). Nach
810WABT ist Grund „dasfenige, was ein Urteil notwendig macht" (Log. I', 246);
nach B. Ebdmann der „Inbegriff der Urteile, aus denen der zu beweisende Satz,
die Folge, denknotwendig ableitbar ist" (Log. I, 296) ; nach Biehl der „Inbegriff
aller eoeoeistierenden B&lingungen" (Phil. Krit II, 1, 267), als „elasfenige an der
Ursache, woraus die Wirkung begreiflich wird^* (1. c. II, 2, 307). Den logischen
Charakter der Begriffe Grund und Folge betont Wundt (Log. I*, S. 561 ff.).
Onmile^ Sats Tom (snreielienden) („prineipium rationis suffi-
dentis") ist ein Denkgesetz (s. d.), eine Denknorm, welche für jeden Gedanken,
jedes Urteil einen Grund, d. h. einen gültigen Satz fordert, durch den die
Notwendigkeit des fraglichen Urteils sich rechtfertigt. Das (logische) Denken
geht auf Zusammenhang und Folgerichtigkeit (Ck)nBequenz) der Denkacte
aus, der Satz vom Grunde gibt der Forderung des logischen Zusammen-
hanges, der CJonsequenz (die schließlich auf der Einheit des Ich beruht) Ausdruck.
Unbegründet darf nichts behauptet werden, soll dem Wahrheitswillen Genüge
geschehen.
Der Satz vom G^^de wird bald logisch und ontologisch, bald rein logisch
formuliert, in ontologischer Form (zugleich als Causalgesetz) .besonders in
416 Grunde, Bäte vom (mureichenden).
früheren Zeiten. So bei PlATO: avayMoioVf ndvta ra ytyvofteva Sui Tifo. airiar
yiyvead'ai fPhileb.); näv 8b to yiyvofuvov vy^ airiav riros i^ avdyxtfs yiy^vK^&ar
navxl yitQ aBvvarov X^9^^ airiov ydvBüiv axelv (Tim. 28 A). Femer bei ;
AsiSTOTELES : nacojv fuev ottv hoivov ttov d^öiv, t6 ngwTOV eUnu^ S&er ^ '
iarir rj yiverau tj ytyvt&üxexai (Met I, 1). So auch bei den Stoikern: /caJUtfra
fiev xal n^öirov alvai do^eUf t6 firfiiv dvairiw^ yiyvea&ai, dXXd tcard 7t^4n;y9t-
furae akiag (Flut., De fato).
Dbbcartes erklärt : ,J^ulla res existü, de qua non possü quaeri, quaertam
Sit oausa^ cur eanstat* (Besp. ad II. obiect, ax. I). Und Spinoza: „Natandmm.
dari neeessario uniuacuiuaque rei existentis certam aliquant causam^ propter
quam existif^ (Eth. I, prop. VIII). Die Bedeutmig des Satzes vom Grunde
betont aber erst Leibniz. Der Satz bedarf keines Beweises (5. Brief an Oaike
125). Er bezieht sich auf empirische Wahrheiten, dient zur Ic^ischen Ver-
arbeitung von Erfahrungsinhalten (3. Brief an Olarke, Erdm. p. 751). Dazu ist
nötig eine ^^raison suffisantSy pour qu'une ehose exiate, qu'wi evenement arrive^
qu'une verite aü lieu" (Gerh. VII, 419), j^aison süffisante, en vertu duquel nout
eonsiderons qu'aucun fait ne sauraii se troucer vrai ou exisiant, aueune hum-
ciation vSrüable, sans qu'il y aü une raison süffisante, pourquoi U en sok
ainsi et non pas autrement^^ (MonadoL 32; vgl. Theod. I, § 44). Nach Csa. ,
Wolf ist der Satz vom Grunde „menti nostrae naturale^* (Ontol. § 74). Er J
lautet: „Nihil est sine ratione sufficiente, cur potius sit, quam non sit^' (L c
§ 70). „Alles, was ist, hat seinen xureichenden Qrund, wcarum es vielmehr ist,
als nicht ist^^ (Vem. Ged. I, § 928). „Da nun unmöglich ist, daß aus mekU
etwas werden kann, so muß auch alles, was ist, seinen T^ireichenden Onmi
hohen, warum es ist, das ist, es muß allezeit etwas sein, daraus man verstehen
kann, warum es wirklich werden kann** (L c. I, § 30). G^egen Wolf polemisiert ,
Crusius, Diss. philos. de usu et limit princip. raüon. detennin. 1743. Fedeb I
unterscheidet vom metaphysischen Satze des Grundes (Ix^. u. Met. S. 265 iL) \
den ,jlogisehen Grundsatx vom zureichenden Örund^% ,/iaß wir ohne Ortmd
nichts für wahr halten können und sollen^^ (1. c. S. 269). Das „Princip der
Folge^* stellt Baumgabten auf: Nichts ist ohne ein B^röndetes, alles hat seine
Folge.
Kant formuliert: „Nihil est verum sine ratione determinante" (Princ. pr.
cogn. sct. II, prop. V). Der Satz: „alle Dinge haben ihren Orund*^, d. h. „oÄ*
existiert nur als Folge, d. i. abhängig, seiner Bestimmung nach, von e^tvas an-
derem** gilt ausnahmslos nur von den Dingen als Erscheinimgen (Üb. e. Entdeck.
S. 33). Es ist eine apriorische Kegel, „daß in dem, was vorhergeht, die Be-
dingung anxuireffen sei, unter welcher die Begebenheit jederzeit (d, «. not- \
lücndigerweise) folgt', „Also ist der Satz vom zureichenden Grunde der Orund ■
möglicher Erfahrung, nämlich der ohjectiven Erkenntnis der Erscheinungen^ tu
Ansehung des Verhältnisses derselben in der Reihenfolge der Zeit**^ (Kr. d. r. Vem.
8. 189). Dieser Satz hat folgenden Beweisgrund: „Zu aller empirischen Er-
kenntnis gehört die Synthesis des Mannigfaltigen durdi die Einbildungskrafi,
die jederzeit successiv ist, d. t. die Vorstellungen folgen in ihr jederzeit auf-
einander. Die Folge aber ist in der Einbildungskraft der Ordnung nach (w»
vorgehen und was folgen müsse) gar nicht bestimmt, und die Reihe der einen der
folgenden Vorstellungen kann ebenso rückwärts als vortcärts genommen werden.
Ist aber diese Synthesis eine Synthesis der Apprehensioji (des MannigfaUigen
einer gegebenen Erscheinung), so ist die Ordnung im Object bestimmt, oder.
Qrtinde, Ssta vom (anreiohenden). 4J7
genauer xu reden, es ist darin eine Ordnung der sttecessiven SynihesiSj die ein
Obfect bestimmt, nctch welcher etwas noticendig vorausgehen und, wenn dieses
geseixt ist, das andere notwendig folgen müsse" (1. c. S. 189 f.). Nach G. E.
SCHUI4ZE lautet der Satz vom Gründe: „Jedes wahre Urteil, es sei bejahend oder
verneinend, muß einen Orund haben; oder die Wahrheit eines Urteils ist immer
die Folge einer andern Erkenntnis, wodurch der Verstand genötigt wird, das im
Urteile zwischen dem Grund» und Bexiehungsbegriffe gedachte Verhältnis davon
für wahr anzunehmen'^ (Allg. Log. § 19). Fbies: ,fTede Behauptung in evnetn
Satxe muß einen anderweiten xureiehenden Grund haben, warum sie ausgesagt
wird^^ (Syst d. Log. S. 177). „Der Satx des Grundes hat es nur mit dem sid}-
jecHven Verhältnisse der Urteile xur unmittelbaren Erkenntnis xu tun und gibt
also gar kein philosophisches Grundgesetx" (L c. S. 178). J. G. Fichte leitet
den Satz vom Grunde aus der Tätigkeit des Ich (s. d.) ab. „Wir haben die
entffegengesetxten Ich und Nicht-Ich vereinigt durch den Begriff der Teilbarkeit.
Wird von dem bestimmten Gehalte, detn Ich und Nicht-Ich, abstrahiert, und die
bloße Form der Vereinigung entgegengesetxter durch den Begriff
der Teilbarkeit iibriggeHassen, so haben wir den logischen Satx, den man bisher
den des Grundes nannte: A xum Teil = — A und umgekehrt*' (Gr. d. g. Wiss.
8. 28). Hegel betrachtet den Satz vom Grunde als die Bedingtheit der Begriffe
durch andere. „Was ist, ist nicht als Seiendes unmittelbar, sondern als Ge-
setxtes xu betrachten" (Log. II, 76). „Alles hat seinen xureiehenden Grund,
d, k. nicht die Bestimmung von etwas als Identisches mit sich, noch als Ver-
sehiedenes, noch als bloß Positives oder als bloß Negatives, ist die wahre Wesen-
heil von etjcas, sondern daß es sein Sein in einem andern hat, das als dessen
Identisehes-mitsieh sein Wesen ist'' (EncykL § 121).
Nach Waitz sagt der Satz des Grundes psychologisch: „Alle psychischen
Phänomene, mit Ausnahme der sinnlich gegebenen oder der einfachen Vorstellungen,
eind ableitbar aus anderen" (Lehrb. d. Psychol. S. 561). Ulbici spricht vom
yjGeseix der Causalität" an Stelle des Satzes vom Grunde. „Alles Gedachte hat
notwendig an der Denktätigkeit seine Ursache." „Alles Unterschiedene (Mannig-
faltige, Einzelne) muß als gesetxt durch eine unterscheidende Tätigkeit gedacht werden"
(Log. S. 115). Hamilton stützt den Satz vom Grunde auf den Identitatssatz.
Auch Heymanb und Riehl: „Aus detn Gedanken der ursprünglichen Einheit und
Sichselbst- Gleichheit ergibt sich . . ..* daß die Veränderung einen Grund haben
müsse*' (Philos. Krit. II 1, 246). „Aus der Idee des logischen Ganxen, der syn-
ihetiaehen Einheit der Begriffe, entspringt . . . die Forderung des Grundes, toelche
eine Aufgabe stellt" (L c. S. 238). „ Wir fordern . . . für jede begriffliche Be-
sonderung den Nachweis ihres Zusammenhangs mit dem Ganxen und ihres Her-
vorgangs aus demselben" (ib.). Nach B. Ebdmann besteht beim Beweis der
zureichende Grund ,/ius dem Inbegriff der Urteile, aus denen der xu beweisende
SatXy die Folge, denknotwendig ableitbar ist" (Log. I, 296).
Als Grundgesetz denkender Verarbeitung von Erfahrungen betrachtet den
Satz vom Grunde Schopenhauer. Der Satz ist der allgemeinste Ausdruck
für Verbindung imd gegenseitige Abhängigkeit von Bewußtseinsinhalten aller
Art. „Alle unsere Vorstellungen sind Objecte des Subjeets, und alle Objecte des
Subfeets sind unsere Vorstellungen. Nun aber findet sich, daß alle unsere Vor-
stellungen untereinander in einer gesetxmäßigen und der Form nach a priori
bestimmbaren Verbindung stehen, vermöge welcher nichts für sich Bestehendes
und Unabhängiges, auch nichts Einxelnes und Abgerissenes, Object für uns
Philoiophiflcli«t Wört«rbaob. S. Aufl. 27
418 Grunde, Sats vom (Bureioh«ndaxi) — Onrndbegriffe.
tcerden kann. Diese Verbindung ist es, icelehe der Satx vom xureiekenden Grunde
in seiner AUgemeinkeü ausdrüekt^^ (Vierf. Wurz. d. Säte, vom zur. Gr. C. 3,
§ 16). Je nach, der Art der Objecte nimmt der Säte verBchiedene Gestalten an,
die in Tier Klaasen zu bringen sind: 1) Säte vom Grunde des Werdens:
„AUe in der Gesamtvorstellung, welche den Complex der erfakrmngsfmifiige^
Realität ausmaekl, sich darstellenden Obfeete sind hinsichtlich des ßm- und
Austrittes ihrer Zustände, mithin in der Richtung des Laufes der Zeity durch
ihn miteinander verknüpft." „Wenn ein neuer Zustand eines oder mehrerer
realer Obfeete eintritt, so muß ihm ein anderer vorhergegangen sein, aufweichen
der neue regelmäßig, d. h, allemal, so oft der erstere da ist, folgt. Ein sokhts
Folgen heißt ein Erfolgen und der erstere Zustand die Ursache, der xweiie die
Wirkung'* (L e. § 20). Die Causalität stellt sich als physikalische, organi&che
(Heiz) und psychologische dar. 2) Säte vom Grunde des Erkennens; diespr
besagt, „daß, wenn ein Urteil eine Erkenntnis ausdriieken soll, es einen %»-
reichenden Orund haben fnuß*' (1. c. § 29). 3) Säte vom Grunde des Seins:
„Raum und Zeit haben die Beschaffenheit, daß aUe ihre Teile in einem Ver-
hältnis xueinander stehen, in Hinsieht auf welches Jeder dsrsdbsn durch einen
andern bestimmt und bedingt ist. Im Raum heißt dieses Verhältnis Lage, m
der Zeit Folget' (L c. § 36). 4) Säte vom Grande des Handelns (Gesetz der
Motivation): „Bei jedem wahrgenommenen Entschluß, sowohl anderer als unser,
halten wir uns berechtigt, xu fragen , Warum?* , d. h. wir setzen als notwendig
voraus, es sei ihm etwas vorhergegangen^ daraus er erfolgt ist und welches wir
den Orund, genauer das Motiv der jetzt erfolgenden Handlung nennen^^ (1. c. $ 43).
Der Säte vom Grunde ist a priori, hat blofi empirische (Geltung. „Der all-
gemeine Sinn des Salzes vom Orunde überhaupt läuft darauf zurück, daß immer
und überall jegliches nur vermöge eines anderen ist. Nun ist aber der Satx
vom Orund in allen seinen Oestalten a priori, wurzelt also in uneerem Intetleet:
Daher darf er nicht auf das Ganze aller daseienden Dinge, die Welt, ntü Ein-
schluß dieses Intellects, in ictlchem sie dasteht, angewandt werden" (L c, § 52).
Nach WüNDT ist der Säte vom Grunde das „Grundgesetz der Abhängigkeit
unserer Denkacte voneinander** oder das „allgemeine Gesetz der Abhängigkeit der
Begriffet*. Er bedarf der Anschauung (Erfahrung) zu seinen Anwendunga,
und alles Anschauliche fügt sieh seinem Gebraudie. Aber er ist kein Prodoct
der Erfahrung, da er erst Erfahrungszusammenhang erzeugt; in der Erfahrung
hat er nur die Bedingungen seiner Anwendung (Syst d. Fhilos.*, S. 77 ff., 167).
Er ist ein „Princip der allgemeinen Verbindung unserer Denkacte^*, das Princip
des begründenden Denkens, ein Erkenntnisgesete (1. c. S. 80 ff., 167 f.). Er
wird zu einem „Princip der Verbindung aller Teile des gesamten Erkenntnis''
inhalts**, zu einem „Princip der widerspruchslosen Verknüpfung des Gegebenen*"^
Er liegt der Vemunfterkenntnis (s. d.), dem Fortschritte zur Transcendenz (s. d.)t
zu den Ideen (s. d.) zugrunde (1. c. 8. 168 ff.; Log. I«, 557 ff., 606 fL). Nach
H. COHEK muß das Denkgesete des Grundes das Idealgesete des Denkens
werden, es ist das „Gesetz des reinen Denkens, der reinen Erkenntnis^ (Lq^-
S. 262, 266), entspringt dem Trieb des Denkens nach rastlosem Bedingen (1. o
S. 262). Der Grund besteht nur im Legen des Grundes, im Bedingen (ib.).
Gnmdanseliaiiitiif^ (Wesenschaumig): bei Chr. Krause =s intdlec-
tuale Anschauung (Abr. d. Bechtsphilos. S. 19 f.).
GnmdbegrilTe = 1) Kategorien (s. d.), 2) die constituierenden, fundamen-
talen Begriffe einer Wissenschaft.
GrundgeMte ^ Gut. 419
OnmdipeBete« biogenetisches, s. Biogenetisch.
OnrndgesetS) praktisches (ethisches), s. Imperativ.
Gnindproeesse (seelische) (bei Ben£KE) s. Proceß, Seele.
Orandsfttsef logische, s. Denkgesetze.
QnmdBfttJBe (theoretische) sind: 1) die Principien (s. d.) einer Wissen-
scbüf t, 2) die Axiome (s. d.). Praktische Qrundsätze sind Principien des Handelns ,
Maximen (s. d.). — Nach Kakt liegen aller Erfahrong a priori (s. d.) Grundsätze
zugrunde, die, den Inhalt jeder möglichen Erfahrung formal bestimmend, Ob-
jectivitat der Erkenntnis ermöglichen. Vgl. Axiom, Imperativ, Sittlichkeit.
Crrondton s. Gehörsempfindungen.
dranilwerfe^ pnyeliologtoclie, nennt B. Avekabtös die .^Elemente"
(8. d.), f,Oharaktere" (s. d.) u. s. w., welche die Erfahrung constituieren (Ej-it.
d- r. Erf. II, 2 ff.; Cabstanjen, Yierteljahrsschr. f. wiss. Philos. Bd. 22,
S. 193 f.).
Oril]ldwlB«eiiscliaft heißt bei Chk. Wolf die Ontologie (s. d.). Kruo
nennt sie „Fundamentalj^ilosopkte" (s. d.).
OlUti^keit (Geltung) ist der Erkenntniswert eines Urteils, die An-
erkennung desselben als wahr, als zu Recht bestehend. Die „objective Gültigkeit^
ist Allgemeingültigkeit (s. d.), Geltung für alle normal Denkenden und für
alle mögliche Erfahrung; sie ist von der „absoluten Realität" zu unterscheiden,
was zuerst Kakt betont. Nach ihm sind z. B. Zeit und Raum j,von ohjeetiver
Gültigkeit in Ansehung der Erscheinung^^ sie gelten für alle Objecte als Er-
scheinungen (s. d.), aber sie haben keine „absolute Realität" j gelten nicht für
die Dinge an sich (Kr. d. r. Vem. S. 61 f.). Die ästhetischen (s. d.) Urteile
haben subjective Allgemeingültigkeit. Lotze unterscheidet von der räumlich-
zeitlichen Existenz das Gelten idealer Werte. Teichmüller versteht imter
dem Gelten den „Inhalt der Meinung" (N. Grundleg. S. 117). Nach B. Erd-
'iiAsrs ist ein Urteil gültig, „trenn sein Gegenstand gewiß und die Aussage über
diesefi Gegenstand denknotwendig ist^* (Log- ^y 212). Allgemeingültigkeit ist
^pbfeetive Gewißheit und Denknotwendigkeit", objective Wahrheit (1. c. I, 275).
„ Öettungsbewußtsein" ist „das Bewußtsein der Zustimmung, Anerkennung, Billi-
gung*^ (1. c. I, 281). Es ist untrennbar von den gültigen Urteilen. Der Regel
nach ist es ,jdie Denknotwendigkeit des seiner logischen Immanenx nach gewissen
Vorgestellten" (ib.). Es gibt ein subjectives und ein objectives GeltungsbewuJßt-
sein (ib.). Lipps erklärt: „Alles Erkennen hat objective Geltung j insofern es mit
Notwendigkeit aus der allgemeinen menschlichen Natur und ihren Gesetxen des
FüricahrhaUens herfließt" (Grundtats. d. Seelenleb. S. 403). Nach H. Cornelius
heißt die reale Gültigkeit von Begriffen, daß sie tatsächliche Erfahrungen in
der Welt der Dinge bezeichnen (Einl. in d. Philos. S. 290). Vgl. Object,
Wahrheit, Realität.
dwnas Qualität (s. d.).
C^ltt ist alles, was (inwiefern es) wegen seiner Eignung, einen Willen (ein
Begehrai) zu befriedigen, als «weckvoll beurteilt wird. Das „gut-Sein" ist, be-
grifflich, ein Product unseres Urteils über die Bedeutung eines Objeots für unser
oder für ein Ich (für ein Ding) überhaupt (subjectiv gut, objectiv gut). Das
objectiv Gute ist das (empirisch oder ideal) allgemein Bewertete, zu Bewertende,
27*
420 Gut.
weil die Allgemeinheit Fördernde, es ist das überindividuelle Gute. Das An-sich
(Fundament) des Guten besteht in den Eigenschaften, um derentwillen etwas
als gut gewertet wird. Zu unterscheiden sind das physisch, biologisch, geistig,
social, ethisch, ästhetisch, logisch, religiös Gute. Schlecht ist etwas, sofern
es ein Bedürfnis nicht befriedigt, zu einem (bestimmten) Zwecke untauglich ist
Gut und schlecht mit allen ihren Modificationen sind praktische oder Wertungs-
Kategorien, Beurteilungsb^riffe; sie enthalten (bewußt oder stillschweigend) die
Beziehung auf ein Subject überhaupt. Vgl. Sittlichkeit.
Güter sind Gegenstande von (subjectivem oder objectivem. individuellem
oder allgemeinem) Wert. Zu imterscheiden sind physische und geistige (mon-
iische, ethische) Güter. Alles, was die Erhaltung und Entwicklung der Ge-
samtkräfte eines Individuums, einer Gemeinschaft fördert, was die individudl-
sociale echte Cultur hebt, was die Potenzen zur Höherentwicklung zu verwirk-
lichen geeignet ist, ist ein (wahres) Gut imd erregt daher, wenn bewußt, Lust
Höchstes Gut ist das zuhöchst Gewertete, der Inbegriff aller Güter, in dner
Einheit gedacht, oft mit Gott identificiert.
In der Geschichte der Philosophie wird das Gute bald in die Lust (das
Lusterr^ende), bald in die Energieentfaltung, bald in das (individueU-sodal)
Nützliche, bald in das Sittliche verlegt. Manchmal wird das Gute ontologisch
(metaphysisch) als Princip der Dinge aufgefaßt.
SOKRATES set^t das dya&ovy das Gute, gleich dem xalov (Schönen) und
iofdhfiov, ;f(>i}<w/4ov (Nützlichen) (Xenophon, Memor. IV, 6, 8 f.). Die Kyre-
naiker werten die Lust als gut, die Cyniker die Bedürfnislosigkeit, Leid-
losigkeit und (zur Erreichung dieser) das xax a^exr,v g^y, die Tugend (Diog. L
VI 9, 104). Euklid von Megara erklärt: das Eine, Seiende ist das Gute,
dieses ist unwandelbar. Das Gute ist also Weltprincip: ovtos iv ro a/a&or
aTiBffaiviTo TzoXXole xaXov/tieroVj bri fiiv yaQ fp^ofriatVf ori Si &€6v xai aXlere
vovv xai rd loiTrn, to Sa dvrixeiueva rcp ayad'tf dvff^eif fir, tlvni ffdcxanf (Diog.
L. II, 106). Das Gute sei nur das, „gwod esset unum et simüe et idem semper^
(Cicero, Acad. II, 42). Plato betrachtet die Idee des Guten als fuyioror
fidd^rifia, als höchsten Erkenntnisgegenstand (Rep. VI, 505 A ff.). Die Idee de«
Guten ist der Grund, das Princip alles Schönen und Wahren, d. h. die Norm,
das Ethische gleichsam liegt schon dem Ästhetischen und Logischen zugrunde
(tovto roivw ro rrv dhfid'etav naQtxov role ytyrmaxofiivois itai rtf ytyvtoCKOVXi
rtjv Bvrafiiv oTtoSidor rrjv dyad'ov i8iav yd&i tlvai^ aiziav iTtiffn^ftrjt ov^ar
xai n}.Tj&eia6 (Eep. 508 E). Ja, das Gute ist der Grund des Seins, ind^n das
Sein besser ist als das Nichts (Phäd. 97 C). So überragt denn die Idee des
Guten (das Gute an sich) die Seinsidee: xai toTs yiyt'oHrxofiivois roivxtv /ai
ftovov TO yiyvcSaxea&ai ydrni vtco rov dyad'ov Ttagetvat, dXXd xai rd elrai «
xai xrjv ovaiav vn ixeivov avrols Ttooesivai^ ovx ovGiag ovrae tov dya&ovy dJJ
^'ri int'xetra rijs ovaias TZQeaßeiq xai dvrduei vTie^exovrog (Rep. 509 B). Die
Idee des Guten ist eins mit der göttlichen Vemimft (Phileb. 22), sie ist der
Demiurg (Tim. 28 ff.). Anfangs identificiert Plato das Gute mit dem Nüt«-
lichen (Protag. 333 D, 353 C), später gibt er eine Gütertafel, auf welcher Harmonie,
Schönheit, Vernunft (Wahrheit), reine Lustgefühle als Wertobjecte erscheinen
(Phileb. 65 f.). Aristoteles gründet die Ethik auf den Begriff des höchsten
Gutes (to TzdvroH' dxporarov rmv nQaxxtav dyad'dfv, Eth. Nie. I, 2). Gut ist
ov ndini* itpisrai (Eth. Nie. I 1, 1094a 3). Es gibt ein dyad'ov dnh»s (yybomim
simplieiter, per se" der Scholastiker), dya&ov nvi, hiQov ivsxa, Si' dUo
Out. 421
(yjbcnwfi eui, secundutn quid, per aecidens^^J (L c. I 1, 1094 a 18; 14, 1096 b 13;
Top. im, 116b 8), fcuvofuvov aya&ov und xar' dlijd'eiap aya&ov (scheinbares
und wahres Gut), Hvgim dya&6v (1. c. III 6, 1113 a 16; III 7, llUb 7; VI
13, 1144 b 7). Das Oute besteht beim Menschen in der Eudämonie, und diese
wiederum beruht auf der naturgemäßen {oUeiov) Tätigkeit, in der vernünftig-
sittlichen Energieentfaltung der Seele {kv rep i^t^ 8oxsl rdya&dv elvai xai to
iVy EiÜL Nie. I 6, 1097 b 27; to dv&^t&mvov dyad'ov rpvxfjs M^ysia yivsrai
KOT aQeurjv, ei 8i TtXeiovs ai d^erai, xard Ttjv d^icrr^ xai TeXeiordxr}v' kxi
^iv ßiip releitpf 1. c. I 6, 1098 a 16 squ.). Die Güte kommt primär den Ein-
zeidingen zu; sie besteht allgemein in der Verwirklichung des Naturzwecks (des
Gattungsbegriffes) derselben. Alles Wirkliche ist gut an sich (vgl. E. Ableth,
Die metaphys. Grundlag. d. AristoteL Eth. S. 39, 51). — Äußerer Güter bedarf
man, um an der Ausübung der Tugend nicht gehindert zu werden {Si6 jr^oe-
SeJtrai 6 svBaCfiofv xwv iv atofiaxi dyad'av xni xdfv ixxog xai xijs xvxfjs, oncos
fiij ifijiodi^rjxai xavxa, 1. c. VII 14, 1153b 17 squ.). Aber sie sind nur Mittel,
nicht Zweck (1. c. I 9, 1099 a 34). Aristoteles unterscheidet: Güter der Seele,
des Leibes, äußere Güter; ferner: unmittelbare und mittelbare Güter (Eth. Nie.
I 8, 1098b 12; Polit. VII 1, 1323a 24; Eth. Nie. I 4, 1096b 13 squ.; VII 10,
1151a 35 squ.; Bhetor. I 6, 1362a 17 squ.). Ein Gut ist um so wertvoller^ je
bestandiger es ist und je mehreren es zuteil wird. Seelische Güter sind denen
des Körpers vorzuziehen (Top. III 1, 116a 13; Eth. Nie. I 1, 1094b 7; I 8,
1098b 12 squ.; Poüt. VII 1, 1323b 16; De partib. animal. I 5, 645b 19; vgl.
Arlhth 1. c. S. 65 ff.). Die Stoiker werten als gut das Nützliche im Sinne
des Natur- und Vernunftgemäßen (dya&ov 8i xowios /tiv x6 ov xi otpeXos . . .
dlXdfg 8* ovxüfs idiofg o^i^ovxai x6 dyad'ov, x6 xiksiov xaxd (pvüiv Xoytxov iü£
loyueovj Diog. L. VII 1, 94). Es gibt geistige (innere) und äußere Güter; wahre
Güter sind nur die Tugenden, das übrige ist ddid^oQa (s. d.): xc5v dya&dfv xa
fuv tlvai Tte^i y^vxrjv , xd S*ixxdSf xd S*ovxe TiB^i V^jfijr ovt* ixxoi' xd uev
n$^i yrvxriv dgsxdi xai xds xaxd xavxae n^d^sis' xd S* ixxbg x6 xb anovdaiav
ejif««/ ^ax^ida xai anovBaXov tpikov xai x^v xovxaw BvSai/ioviav (Diog. L. VII
1, 95); ^Ti xcSv dya&mv xd fiiv elvai xekixd^ xd Si sroiijxixdf xd 8i xeXtxd
xai noiTiXtxd (1. c. VII 1, 96); dyad'd fiiv ovv xde x d^sxdg, y^ovrjair,
Sixaioavrr^v f dvS^eiaVy atof^atüvvrjv xai xd loiTtd (1. e. VII 1, 102; Stob«
EIcl, II 6, 202); läyavai 8i fjtovov x6 xaXov dyad'ov elvai . . , elvai 8i
xovxo e^exijv xai xd ftexixov d^sx^e, <j> ^axir laov x6 ndv dyad'ov xakov elvai
xai TO icoBwafieiv x<p xaXiTi x6 dyad'ov^ oTte^ laov iaxi xovx<^ . . . 8oxei 8e ndvxa
xd dya&d laa elvai (Diog. L. VII 1, 101); dyad'd fiev xd xoiavxa^ ^^ovrjaiVj
8ixaio^FWTjVy aof^QoavvriVt dv8geiap xai ndv o icxiv d^sx^ rj fiexexov d^exrji
(Stob. Ecl. II 6, 90). Nach Marc Aurel ist das für jeden Teil der Natur
gut, was mit dem großen Ganzen übereinstimmt, was zur Erhaltimg des Welt-
planes dient (In se ips. II, 3). Höchstes Gut des Menschen ist die avxdpxeuxy
die Selbstgenügsamkeit (1. c. III, 6). Epikur betrachtet die Lust als solche
als ein Gut (Diog. L. X, 129, 141). Die Lust ist dyad'ov Tt^cSxov xai avyyevixov
(L c. X, 129). Der Akademiker Krantor nennt als Güter: Tugend, Gesund-
heit, Reichtum, Lust (Sext. E^mpir. adv. Math. XI, 51 squ.). Plotin bestimmt
das „Gute an skk*^ als Überseiendes, Göttliches, als Gnmd aUer Tätigkeit, als
Ziel alles Strebens, als Asei'tät (s. d.) und Quelle alles Lebens (Enn. I, 7, 1;
I, 8, 2). Durch Teilhaben an dem Urguten sind die Dinge gut (1. c. I, 7, 2).
422 ^ Out.
Die Seele gelangt durch Tugend (s. d.) zum Guten (1. c. I, 7, 3). Naturg^Bifie
Tätigkeit ist fOr die Seele das Oute (1. c. I, 7, 1).
Xaob AuGUSTDOJg ist alles Sein an sich gut (Conf. VII, 12): „Quidqmd
est, bonum est^^ (De ver. relig. 21; y,Omne ena inquantwn en» estj est bonunt,
Thomas, Sum. th. I, 5, 3). Unter dem höchsten Gut (j^mimtm bonum^ bonwn
per ipsum^^j AirsELM, MonoL 1) verstehen die Scholastiker Gott (s. d.t.
Nach AiiBEBTUiä Maokus ist das Gute das, ,^9uod tätimam sui perfettionem
adempium esf (Ad Eth. Nie. I, 2, 1). Nach Thokaa ist gut (subjectiv), ,^jtMl
omnia appettmi^^ (Sum. th. I, 5, 1 c). Gut ist etwas, „inquanium est appMfiU
et tenndnus motus appetitus" (1. c. I, 5, 6 c); „tmüsseuiusque rei est btmum^ quoi
eonvenit ei secundum suam formam" (1. c. II, 18, 5 c). In das „i^cUurgemäßr
setzt auch Dunrs Scotus das Gute: ,f Actus tune bonus est naturaliier, quando
habet omnia eonvenientia, quantum ad ista, quae nata sunt wnvenire sün natun-
liteTj et eoneurrere ad esse etus naturale^* (In L sent 2, d. 40). Suarez eridärt:
jyBonttas dicü perfectionem rei connotando convenientiam seu denominaHonem
consurgenteni ex coejcisteniia plurium" (Met. disp. 10, 1). — L. VlVEB : „Bomm
est simpliciter, quod prodest simplieiter; bonwn cuique, quod eiprodest^ (De an.
III, p. 145 f.). Vgl. Campanella, Dial. I, 4.
Auf das Streben als dessen Object bezieht das Gute Hobbes: „Quiequid . . .
appetitus in homine quoeunque obieetwn est, eidem illud est, quod ah ipso
appellatur banum*^ (Leviath. I, 6). Gut ist das Lusterregende. Es gibt kein
absolutes Gut (Hum. Nature eh. VII, 3). Das erste Gut ist für jeden die
Selbsterhaltung: „Bonorum auteln primum est sua cuique eonaerpaiio'* (De hom.
C. 11, 5 f.). Auch Spinoza bestimmt das Gute subjectivistisch als StrebeDS-
object: „Constat . . ., nihil, nos eonari, velle, appetere neque eupere, quia id
bonum esse iudicamus; sed contra nos propterea aliquid bonum esse iudieare,
quia id conamur^ volumus, appetimus aique cupimtis" (Eth. III, prop. IX, schoLl
Die Bdativität und Subjectivität des Gut-Sein ist zu betonen: ^ßonum ei
mal um quod attinet, nihil etiam positirum in rebus, in s$ seilioet oonsideratis,
iudieant, nee aliud sunt praeter cogitandi modos seu notiones, quas formomm
ex eo, quod res ad invicem comparanms, Nam una eademque res polest eodm»
tempore bona et mala et etiam ifidifferens esse^^ (1. c. IV, praef.). Das Gute ist
das wahrhaft Nützliche, das menschlich-vernünftige Sein Erhaltende und För-
dernde. „Per bonum . . . intelligam id, quod certo seimus medium esse, ut
ad exemplar humanae naturae, quod nobis proponimus, magis jnagieque acte-
domus" (Eth. IV, praef.). „Per bonum id intelligam, quod certo seimus nobi*
esse uiil&^ (L c. IV, def. I). „Id bonum aut malum voeamus, quod nostro esse
eonservando prodest rei obest, hoc est, quod nostram agendi potentiam äuget rd
minuit, iuvat vel coercet** (L c. IV, prop. VIII). „Nihil eerto seimus bonum
aut malum, nisi id, quod ad intdligendum re vera eondueit, rei quod wtpedire
potest, quo minus intelligamus" (1. c. IV, prop. XXVII). „Summum tnentü
bonum est Dei cognitio" (1. c. IV, prop. XXVIII), „Quatenus res aliqua cum
nostra natura eonvenit, actus necessario bona est*^ (L c. IV, prop. XXXI).
Das Gute wünscht der Tugendhafte auch seinen Nebenmenschen: ^yBonum,
quod unusquisque, qui seetatur virtutetn, sibi appetit, reliquis hominibus etiam
eupiet, et eo magis, quo maiorem Dei habuerit cognitiofiem" (L c. IV, prop.
XXXVII). Geulincx bestimmt: ,^Bonum est, quod amamus; malum, quod
arersamus; utile est medium boni^^ (Eth. III, § 5 f.). Nach Locke heißt äa
Gut, was die Lust in uns zu wecken oder zu steigern oder die Unlust zn
' Out. 423
mindern vennag (Esg. II, eh. 20, § 2). Cumberland erklärt: „Bonum est,
^uod rei cuiuslibet, vd plurium famUaies conservaty vd ifisuper adauget et
perficü^^ (De 1^. nat. C. 3, p. 161). Leibkiz unteracheidet das Gute in das
Angenehme und Nützliche (Nout. £00. II, eh. 20, § 2). Der freie Wille geht
jiuf das Gute (Theod. I, § 147, so schon die Scholastiker). Das „meta'
jilnfsisehe^* Grat best^t in der Vollkommenheit der Dinge, das „physüeh^^ im
Wohle der Geister, das „müralüche" im Sittlichen (L c. II, Anh. IV, § 29 ff.).
yjPßifystsehe" Güter sind alle Lustgefühle, alle Eraftbetätigungen, die uns nicht
lastig werden (L c. II B, § 251). Nach Che. Wolf ist gut, „uas una und
^unseren Zustand vollkommener machef^ (Vem. Ged. I, § 422). yyBonum est,
quidquid noa statumque nostrum perficü^* (PsjchoL empir. § 554). „Beaiitudo
phüoaophioa seu summum bonum hominis est non impedütta progressus ad
ntaiores continuo perfeetiones" (Philos. pract. I, § 374). Wie Wolf definiert
auch BiLFiNGEB (DUuc. § 289). Nach Febousok ist ein Gut ,/zlles, was die
Wohlfahrt der Oesellschaft oder irgend eines geliebten Gegenstandes befördert"
(Grunds, d. Moralphilos. S. 63). „Alles, wovon wvr glauben, daß es in sich
selbst eifie Vollkommenheit ausmache oder uns einen Vorxvg gewähre, hauen
wir für guf^ (ib.; vgl. S. 122 f£). Nach Rousseau wird das „Chute^' durch
das Gefühl bestinmit (Emil IV, B. 156). Volney nennt ein Gut alles, was
2ur Erhaltung und Vervollkommnung des Menschen geeignet ist (Buinen, nat.
Ges. C. 4, S. 232). Nach J. Bentham ist gut die Lust oder die Ursache von
Lust.
Nach Kant ist praktisch (sittlich) gut das, ,^as aus Qründen, die für
jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt"
(Grundleg. zur Met. d. Sitt. 2. Abschn.; WW. IV, 261), was dem Vemunft-
gesetze gemäß ist (Kr. d. prakt. Vem. 1. Tl., 1. B., 2. Hptst.). Gut ist, „was
rermitielst der Vernunft durch den bloßen Begriff geßUf^, Was zu etwas, als
Mittel, gut ist, ist das Nützliche; an sich gut ist, was für sich gefallt (Krit.
d. Urt. I, § 4). Das Gute führt ein reines (unsinnliches) Wohlgefallen mit sich
(L G. § 5). „Out*' heißt das, was geschätzt, gebilligt wird, was Achtung er-
weckt (ib.). Höchstes Gut heißt die unbedingte Totalität des Gegenstandes der
reinen praktischen Vernunft (Kr. d. prakt. Vem. 1. T,, 2. B., 1. Hptst). Tugend
(s. d.) ist das oberste Gut, -das vollendete Gut aber schließt auch Glückseligkeit
ein (L c. 2. Hptst.). Glückseligkeit in genauer Proportion mit der Sittlichkeit
macht das höchste Gut aus (WW. III, 537). Dieses ist ohne Freiheit, Uu-
«terblichkeit, Gott nicht möglich (WW. V, 140; vgl III, 535), Das einzige
wahrhafte Gute ist der sittliche Wille: „Es ist überaU nichts in der Welt, ja
überhaupt auch außer derselben xu denken möglich, was ohne Einschränkung
könnte für gut gehalten werden, als allein ein guter Wille^^ (WW. IV, 241).
G. £. Schulze definiert: „Der Gegenstand des Begehrens heißt ein Out**
(Psych. AnthropoL ß. 406). Nach J. G. Fichte ist das höchste Gut „die voll-
kommene Übereifistimmung eines vernünftigen Wesens mit sieh selbst*^ (Bestimm.
d. Gelehrt 1. Vorles.). Nach Hegel ist das Gute „der Inhalt des allgemeinen,
an und für sieh seienden Willens** (Encykl. § 507), das „an ihm selbst be-
stimmte Ällgetneine des Willens^^ (1. c. § 508), die „realisierte Freiheit, der ab-
solute Endxweck der Welt** (Eechtsphilos. S. 171 f.; vgl Log. III, 320).
K. Bobenkbanz bestimmt das Gute als den allgemeinen Begriff des freien
Willens (Syst. d. Wiss. S. 437 ff.). Nach Eschenmayek hat das Gute „immer
einen Zweck, der auf die Gemeinschaft vernünftiger Wesen hinausgeht** (Psychol.
424 öut. ^
S. 380). „Wir kalten etwas nur darum für gtä, weil es dem Standpunkt des
Ich übergeordnet ist.^* Das Gute kann nicht durch Begriffe oder Gefühle ge-
messen, sondern nur durch den Willen erstrebt werden (1. c. S. 419). Nach
Chr. Krause ist das Gute „das Wesentliche des Lebens^^, das, „wcu im L^en
unrJdich gem€teht (dargelebt) werden soll" (Abr. d. Bechtsphüos. S. 5). Nach
Schopenhauer bezeichnet „guf^ „die Angemessenheit eines Ohjects xu irgend
einer bestimmten Bestrebung des WoUens'\ Alles Gute ist relativ, es gibt kein
„höchstes Gut'' (W. a. W. u. V. I. Bd., § 65). Beneke nennt gut alles die
eigene und fremde geistige Entwicklung Fördernde. Güter und Übel sind „ii?i>
geistigen Förderungen und Herabstimmungen nicht iceniger als die sinnliehefv*
(Sittenlehre II, 26). Nach Schleiermacher ist gut jedes Einssein bestimmter
Seiten von Vernunft und Natur, Harmonie der Gegensätze (Philos. SittenL
§ 91 ff., § 135). »Out ist jedes bestimmte Sein, insofern es Welt für sieh, Ab-
bild des Seifis schlechthin ist" (1. c. § 91). Das höchste Gut ist der Inbegriff
aüer einzelnen Güter (1. c. § 141). Das Böse ist an sich nichts und kommt
nur mit dem Guten zum Vorschein, es ist nur der negative Factor im Proceft
der werdenden Einigung, es ist „das ursprüngliche Nicht-vemunft-sein der Xaiur^
(1. c. § 91). Sociale Güter sind Staat, bürgerliche Gemeinschaft, Schule, Kirche.
LoTZE sieht im Guten Grund und Zweck des Seienden (Mikrok.). Gut sind
die Formen des WoUens und d^ Gesinnung, die unser Gewissen billigt und
gebietet (Mikrok. III*, 605). Güter sind förderliche Eindrücke, wenn sie einem
beständigen Bedürfnisse unserer Natiur entgegenkommen (1. c. S. 606). Das
Dasein des Bösen ist nicht voll zu begreifen (1. c. S. 605).
Auf das Gefühl bezieht das Gute Fechner. Gut ist die Lust schlechthin
(Üb. d. höchste Gut S. 6 ff.). Gut ist, was geeignet ist, den Glückseligkeits-
zustand der Welt zu fördern (Tagesans. 131; vgl. Zend-Avesta I, 232, 243).
Nach Schuppe bedeutet „gut" : ,^s gewährt mir Lust*', „ich will" (Grdz. d. Eth.
S. 19). An sich gut ist „die Lust an der betcußten Eodstenx oder am Be-
wußtsein" (L c. S. 108). Nach Gizycki ist alles gut, was unmittelbar oder
mittelbar Ursache angenehmer Bewußtseinszustände ist oder was unangenehme
Bewußtseinszustände hintanhält (Moralphilos. S. 10). Gut ist der Name für
„Freude erzeugen oder Leid verhindern" (1. c. S. 12). Individuell und social
Gutes sind zu unterscheiden (1. c. S. 18). Sittlich gut ist, was die allgemeine
Wohlfahrt oder Glückseligkeit befördert (1. c. S. 4). Kreibig definiert „gut'
als Lust erregend (Wertth. S. 18). „Autopathisch" gut heißt „rfew Wertenden
eigene Lust bringend", „heteropathisch" so viel wie „fremden Subjeeten Lust
bringend", „ergopathiseh" so viel wie „lustauslösend bei obfectivetn Genießend*
(1. c. S. 21). Höchstes Gut ist „die möglichst reiche Entfaltung und Betätigung
der geistigen und leiblichen Kräfte des Menschen^' (1. c. S. 18).
Auf das Wollen, Begehren bezieht das Gute Volkmann : „Nicht weil ettcas
,sub specie boni vel mali* erscheint, tcird es begehrt oder verabscheut, sondern teas
wir begehren oder verabscheuen, erscheifU als ,bonum* oder ,malum', weil und so-
lange wir es begehren oder verabscheuen" (Lehrb. d. Psychol. II*, 423). Harms
erklärt ähnlich: „Xichi weil wir etwas als gut erkannt haben, wollen wir es,
sofukrn unr erkennen es als gut, weil wir es wollen. Erst durch den Act des
Wollefis ist das Gedachte ein Gut" (Abhandl. zur syst^m. Philos. S. 71 fX
Ähnlich Witte (W^es. d. Seele S. 168). J. H. Fichte: ,fTeder dauernd be-
friedigte Trieb erxeugt einen Zustand im Subjecte, der als ein eigefiiümlieh Be-
gehrefiswerteSf als ein ,Gut^ efrtpfunden icird" (Psychol. II, 152). Gut ist
Gut. 425
nach ÜLBici, Tpas einen Wert (s. d.) für uns hat (Gott ii. d. Natur S. 604).
Nach AHSEN8 ist gut alles, „iro« der vernünftigen Natur des Menschen und
den darin begründeten ioahren Bedürfnissen attgernessen , also üherhanpt er-
sirdienstcert ist** (Naturrecht I, 226, 251). Das höchste Gut liegt „tn der Er-
strelmng und der praktischen Darbildung der Ebenbildliehkeit des Menschen mit
Ooii" (1. c. I, 251). E. Laas bestimmt: „Ein Out ist jedem in jedem Momente
dasjenige, d, h. es erscheint ihm momentan als ein solches, was ihm Lust be^
reitet y ein Bedürfnis befriedigt und von Schmerzen befreit^ (Ideal, u. Positiv,
ir, 219). Höchstes Gut ist „die möglichste Schtnerxlosigkeit und der höchste
Überschuß voti Lust und Unlust für alle fühlenden Wesen^^ (1. c. II, 293).
Nach W. James besteht das Wesen des Guten dann, daß es eine Forderung
befriedigt (Wille z. Glaub. S. 182). Nach Sidowigk ist gut, was ein Mensch
vernünftigerweise wünschen müßte („what a man may reasmiahly desiref^,
Meth. of Eth.', p. 401). F. Brentano erklärt: „Das mit richtiger Liebe xu
Liebende, das Liebwerte ist das Gute im weitesten Sinne des Wortes^' (Vom
ürepr. sittl. Erk. S. 17). Das Liebens- und Hassenswerte bemerken wir mit
ursprünglicher Evidenz (1. c. S. 21). Nach Nietzsche bedeutet „gttt" vom
Standpunkte der „Herrenmoral^\ was die Macht, den Willen zur Macht erhöht,
befriedigt, zugleich das Vornehme, Edle; vom Standpunkt der „Sklavenmoral'^
ist „<7«#/** das Nützliche, Friedliche, Duldsame, Gehorsame etc. (Jens, von Gut
u. Böse*, S. 228 ff. ; vgl. Sittlichkeit). Die Begriffe „gut'' und „schlecht" will
Nietzsche im Sinne der Herrenmoral, der Übermenschen-Idee (s. d.) imiwerten.
Als das Zweckvolle, den einzelnen wie die Gesamtheit Fördernde gilt das
Gute bei vielen Ethikem und Sociologen. Nach Lipps ist gut, „was unserer
seelischen Natur gemäß ist und sie befriedigt^' (Grundt. d. Seelenl. S. 617).
Nach Paulsen ist „gut", worauf der WiUe „mit seiner ganxen Natur
gerichtet ist, nämlich auf Erhaltung und Entfaltung des Eigenlebens und der
Gattung" (Syst. d. Eth. I*^, 320). „Gewisse Verhaltungsweisen sind gut, sofern
sie die Tendenx haben, menschliche Lebensgüter xu erhalten und xu. mehren"
(Einl. in d. Philos.*, S. 437). Höchstes Gut ist für den einzelnen ein „voll-
kommenes Menschenleben, d. h. ein Leben, in deftn es xu voller Entfaltung und
Betätigung aller leiblich-geistigen Kräfte des Menschen kommt" (1. c, I, 17).
Nach WüNBT ist das Gute j^ein Glücksgut, sofidem ein objectives geistiges Er-
zeugnis" (Eth.^, S. 503). Nach H. Spencer ist gut, was einem Zwecke an-
gemessen ist (Princip. d. Eth. I, § 8). „Stets und überall . . . werden Hand-
lungen gut oder böse genannt, je nachdem sie ihren Zwecken gut oder schlecht
angepaßt sifid" (1. c. S. 26). Das beste Handeln ist das am meisten Leben und
Glück fördernde (1. c. S. 27, § 16, S. 49). Höffding nennt eine Handlung
gut, „wenn sie die Wohlfahrt beicußter Wesen beicahrt und enttcickdt" (Eth.
ß. 43). „Gut" und „böse" enthalten ein Zweckurteil nach Iheeing (Zweck im
Becht II, 214). ADes Gute ist relativ (1. c. S. 215). Nach Ratzenhofer ist
gut die artgemäße Entwicklung (Posit. Eth. S. 39 ff.). Nach P, Bee ist „gut^^,
social geurteilt, das Löbliche, Belohnenswerte, schlecht das Verwerfliche,
Sonst sind gut und allgemein-nützlich identisch (Philos. S. 25, 51). — Nach
SnofEL ist das Gute so viel wie „dasjenige, was eben vertvirklicht werden soll"
(Einl. in d. Moralwiss. I, 47).
Als Wertpradicate bestinmit gut und böse A. Döring, und zwar als Wert-
pradicate für Handlungen imd Gresinnungen, d. h. Willensrichtungeu (Philos.
Güterlehre S. 224). „Ein Gut ist etwas, das Wert hat" (1. c. S. 2), „ein Object
426 Out — Habitus.
oder Verhältnis^ das dadurch für uns Wert hat, daß es Lust erregt, indem et
ein Bedürfnis befriedigte^ (]. c. S. 76). Höchstes Gut ist ,^das Bewußtsein ob-
jeotiven Wertes" oder „die begründete Selbstsehäixung" (L c. S. 323). Nach
Ebrenfels ist ein Gut „das Object einer positiven Wertrelatian" (Werttheor.
I, 71). C. Stakoe: „Das in sittlicher Bexiehung Wertvolle bezeichnen teir alt
gut; das in sittlicher Bexiehung Unwerte bezeichnen tcir als böse" (EinL in d.
Eth. II, 11). Es sind elementare ethische Wertprädicate (ib.). „Im ethiseheH
Sinne gut ist das, was der Flicht gemäß ist, böse, was der Pflicht zuwider m^'
(L c. S. 19). Sittliche Güter sind „solche Produete^ resp. Mittel des mensehliehen
Handdns, bei denen das menseMiche Handeln, durch welches jene Güter pro-
duciert werden oder dem jene Güter als Pörderungsmittel dienen, als süÜieke»
Handeln in Betracht kommt'* (1. c. II, 16 f.). Vgl. Sittlichkeit, Tugend, Übd
Optimismus.
Ofiterielire (Agathologie) heißt der Teil der Ethik (s. d.), der dis
Wesen und die Arten der geistig-sittlichen Güter oder Werte behandelt Ak
Güterlehre erscheint die Ethik besonders bei Schleiermacher , ferner bei
A. DÖRING, dem sie die philosophische „Centralwissenschaft*^ ist (Philos. Guter-
lehre S. 21; vgl. üb. den Begr. d. Philos. 1878). Die Gfiterlehre ist ,/fi>
Wissenschaft rofi den Werten*^ von den allgemeingültigen Werten und vom
Gesamtwert (Güterlehre S. 6 ff.). Eine Gütertafel findet man u. a. bei
Kirchner (Eth. S. 142 ff.).
lOim
Haben drückt das Besitzverhältnis, die (ruhende) Macht des Ich über
eine Sache aus, es bezeichnet allgemein das Verhältnis des Ich zu seinen
Modificationen imd wird auf die Objecte der Außenwelt übertragen. — Aw-
STOTELES rechnet das Haben (i'x^tv) zu den Kategorien (s. d.) (Met. V 23,
1023 a 8 squ.). Nach Trexdelenburg leihen wir die Kategorie „haben'' an
die Sinnendinge (Neue Grundleg. S. 175). Das Ich als Substanz ,^at*' als
Accidentien seine Tätigkeiten (1. c. S. 176). Das Wissen des Ich, daß es selbst
die Substanz sei seiner Tätigkeiten, wird durch das Wort ,Ji€d)en" ausgedrückt
(ib.). Schuppe erklärt: „Die Aussage des Teiles vom Ganzen bedarf gewöhnliek
des Verbu?ns fiabeii^* Sein Sinn ist der der auseinandergesetxten Zusammeth
gehörigkeit. Object des Verburns Jiahen' ist nur etwas, was in diesem Sinne ab
Teil eines Ganzen gilt, und Subjeet desselbe?i ist das Ganze** (Log- S. 120).
„Das Verbum ,haben* hat ohne Object Überhaupt gar keinen Sinn; seine Be-
deutung geht darin auf, daß etwas, eben da>s Object, xu dem Ganzen, welches da*
Subjeet ist, als Teil oder Bestandteil oder Eigefischaft, Elemcfit, Moment, vor-
übergeliende Affection gehört, irgendwie mit ihm dauernd oder vorübergehend,
äußerlich oder innerlich zusammengehört" (1. c. S. 146).
Habitas: Gewohnheit (8. d.), Eigenschaft, Fertigkeit, Ereeheinung»-
weise. — Nach Aristoteles bedeutet Habitus (J§i«) eine Fertigkeit, &n^
(dauernde) Verhaltungsweise (Met. V 20, 1022b 4; V 19, 1022b 4 squ.; Categor.
8, 8 b 27; Eth. Nie. II 4, 1105 b 25). Die Tugenden sind ßw yt^ff (Eth. Nie
I 13, 1103a 9; II 2, 1104b 19). Sie sind von den fveixai gSat^ zu untencheiden
(1. c. VI 13, 1144 b 8). Die Troaxnxrj Ij«^ wird von der Ttotf^rtK^ Ij« unter-
Habitus — Hallucinittion. 427
-fichieden (L c. VI 4, 1140a 4 squ.). Nach Thomas ist habitus f^quaedam dis'
poaitio cUieuius mbieeti exütentü in potentia vel ad formam, vel ad operationtm^*
(Bum. th. II, 50, 1). Nicouiüs Taurellus definiert: ,fHabitu8 nU aliud sunt,
nisi aequisita quaedam vd ifUeüigendi, vd alieuiua expetendi pramptitudo, non
nmmae sed corpori adseribenda" (Philos. triumph. tr. 1, p. 63). Nach
Oh£. Wolf ist habitus eine ,/Jtgendi promptitudo** (Psychol. empir. § 428).
Kreibio Toisteht unter Habitus eines Subjects den „Inbegriff der seelischen
und körperliehen Beschaffenheiten und der Belatiatien xwiseken diesen Beschaffen-'
heiten" (Werttheor. S. 192).
Haeceeltas: Diesheit, Dieses-Sein, die individuelle Wesenheit („e7iittas
positiva*^ toSb t$ des Aristoteles). Der Ausdruck bei den Scotisten
üblich. tJIaeeceifas est singularitas'* (bei PRANTL, G. d. L. III, 280 ; vgl. 219).
^Haeeceitas nihil aliud est, nisi quidam modus intrinsecusj qui inmiediate
conirahii et primo quidditateni ad esse , , , et nominatur differentia indivi-
dualis'* (1. c. III, 290). Goclen: yßaeceeitas — ab Haec pro differentia indi-
Hduante^'f so viel wie „ipseitas" (Lex. philos. p. 626). Nach Chr. Wolf ist die
„Diesheit' der „Grund der einxelnen Dinget* (Vem. Ged. I, § 180).
HalltteilUltloii ist eine „Sinnestäuschung**, nämlich eine Erinnerungs-
vorstellung, die durch ihre Ähnlichkeit mit einer Binneswahmehmimg als solche
beurteilt wird, als ein wirkliches Object gilt. Der Beiz (s, d.) zur Hallucination
li^ aUein im Organismus, in verschiedenen (momentanen, vergänglichen oder
dauernden) Störungen desselben. Central errate Empfindungen sind an der
Hallucination beteiligt, sie besteht nicht aus bloßen Erinnerungsbildern. Von
der Illusion (s. d.) ist sie zu unterscheiden.
EsQUiROL nennt den einen Hallucinanten, „qui ait la cofwiction intime
d'une Sensation aetuellement per^ue lorsque ntd objet exterieur propre ä exeiter
eette Sensation n'est ä poriee des sens" (Des maladies mentales 1838, I, p. 80).
Nach Gbiesinoer liegen in den Hallucinationen vor „subjeetire SinnesbUder^
tcelche nach außen prqfieiert tcerden und scheinbare Objectirität und Realität
beklommen" (Pathol. u. Therap. d. psych. Krankh.*, S. 85). Volkmann erklärt:
„Die Hallucination nimmt eine bloß reprodueierie Vorstellung für eine Em-
pfindung, erhebt sieh aber dadurch Ober eine bloße Täuschung der innem Wahr-
nehmung, daß sie die Empfindung veräußerlicht, d, h., wenn diese betont ist,
loealisiert, wenn sie unbetont ist, prqjieiert'^ (Lehrb. d. Psychol. II*, 146).
Fechner erklart die Hallucinationen für „Täuschungen, die ganx oder beinahe
den Charakter von außen erweckter Sinneswahmehmungen für den Getäuschten
annehmen, ohne daß in der äußern Wirklichkeit etwas xu ihrer Anregung vor-
handen ist* (Elem. d. Psychophys. II, 505). Ziehen betrachtet die Hallucination
als einen „Faü krankhaften Empfindens**. „Hier fehlt die Primärempfindmig
ganx, ebenso jeder äußere Reix** (Leitfad. d. physiol. Psychol.*, S. 178). ,y^or-
malerweise tverden die Empfmdungsxellen 7iur von der Peripfierie aus erregt . , .
Anders bei den Hallueinationen. Hier sind es die Erinnerufigsbilder, welche
ohne äußeren Reix sinnlieh lebhafte Empfindungen hervorrufen** (1. c. S. 180).
Wxjndt erklärt: „Unter den Veränderungen der Vorstellungsgehilde besitzen
die auf peripherer oder centraler Afiästhesie beruhenden Vorstellungsdefeete im
allgemeinen eine beschränkte Bedeutung; sie Oben auf den Zusammenhang der
psychischen Vorgänge keine tieferen Wirkungen aus. Wesentlich anders ver-
hält sieh dies mit der durch centrale Hyperästhesie hervorgerufenen relativen
428 Hallucination — Handlung.
Steigerung der Empfindung. Ihre Wirkufig ut numentlich deshalb eine sehr
eingreifende, weil durch sie reproduetive Empfindungselemenie die Stärke äufierrr
Sinneseindrücke erreichen könnefi. Infolgedessen kann es geschehen, daß ent-
weder reine Erinnerungsbilder als Wahrnehmungen obfectiviert werden: Hallu-
einationen; oder daß, wenn direct erregte und reproduetive Elemente sieh
verbinden, durch die Intensität der letzteren der Sinneseindruck wesentiieh «r-
ä/ndert erscheint: phantastische Illusionen, Praktisch sind beide nur tw-
sofern xu unterscheiden, als sich in sehr vielen Fällen bestimmte Vorstellungen
als phantastische Illusionen nachweisen lassen, tcährend das Vorlmndensein einer
reinen Hallueinatioti fast immer xireifelhaft bleibt, da irgend welche direeie Em-
pfindungselemente sehr leicht übersehen werden können. In der Tat ist es nieki
unwahrscheinlich, daß weitaus die meisten sogenannten Haüueinalianen Illusionen
sind", d. h. „Assimilatiofien mit starkem Übergewicht der reproduetiven Elemente
(Gr. d. Psychol.», S. 325 f.; Grdz. d. physiol. Psycho! II, 430 ff.). N«*
EÜLPE sind Hallucinationen central erregte Empfindungen von sinnlicber
Lebhaftigkeit (Gr. d. Psychol. S. 187). SxÖRRmö charakterisiert die Hallu-
cination durch die Überzeugung des Hallucinierenden, eine wirkliche Wahr-
nehmiuig zu haben (Psychopathol. S. 31 f.), bestimmt sie als Sinnes-, nicht als
Urteilstauschung (gegen Gbabhey, Über Hallucinationen, München. Medicin.
Wochenschr. 1893, u. a.), erörtert den Unterschied elementarer und complexer
Hallucinationen, untersucht die verschiedenen Ai-ten der Hallucinationen (Ge-
sichts-, Bew^mgs-, Geschmacks-, Tast-Hallucinationen). Bei den „Plseudo-
Hallucinationen" fehlt der Charakter der Objectivität (1. c. S. 69). Die Theorien
der Hallucination zerfallen in die „centralen" („rein psychischen") und die
„psychosensoriellen" ; letztere treten als „cerUripetaM^ oder „ce«/rt/t^a/e" Theorie
auf (1. c. S. 72). Nach Störring wird bei der Hallucination durch »nen
Sinneseindruck eine intensive Vorstellung ausgelöst, welche auf Grund einer
gesteigerten Anspruchsfähigkeit der Hirnrinde mit jenem eine Verschmekong
eingeht (l. c. S. 88 ff.). — Taine bezeichnet die objectiven Vorstellungen ak
„Hallueinationen" (s. Object). Vgl. Binet, L'hallucinat. ; Parish, Ob. d.
Trug^'ahmehm. 1894; Sully, Die lUusionen 1883; Hellpach, Grenzwisa.
S. 309 u. a.
Handlung^ (Action) ist eine zweckvolle Betätigung, die Ausführung einer
Willensintention, auch der Erfolg einer solchen ; sie besteht in einer Beihe von
Momenten, die psychologisch als Gefühle, Vorstellungen, Spannungsempfin-
dungen sich darstellen. Zu unterscheiden sind äußere Handlung, die eine
Veränderung in der Außenwelt durch Bewegung erzeugt, und innere Hand-
lung, die nur das geistige Leben des Ich modificiert. In der Impulsivität
oder Motivation (s. d.) der Handlungen bekundet sich deren Willenscharakter.
Nach AmsTOTELES ist die Handlung eine in sich vollendete Tätigkeit
Sie ist TtQä^is, praktisches Tim, oder nolijais, technbch-künstlerisches Schaffen
(Eth. Nie. VI 4, 1104a 4; VI 4, 1140b 4 squ.; IX 7, 1168a 7).
HuME sieht in den Gefühlen der Lust imd Unlust die Haupttriebfedem
unserer Handlungen (Treat. III, sct. 10). Nach Platner ist eine Handlung
„eine Reihe von Tätigkeiten, mittelbar gerichtet auf einen entfernteren Endxweet^
(Philos. Aphor. II, § 485). Nach G. E. Schulze ist eine Handlimg jede freie
Wirksamkeit unserer Kräfte (Anthropol. S. 425). Krug: „Handeln im weite-
ren Sinne heißt oft auch so viel als tätig sein oder icirken überhaupt ^ im
Handlung — Haploae. 429
engeren Sinne aber bedeutet es das Venoirkliekefi eines bestimmten 2kveckes"
(Handb. d. Philos. I, 56). — Aus praeempirischen Handlungen des Ich (s. d.)
leitet J. G. Fichte die Außenwelt ab. Öchelung betont: „TFcm uns als ein
Handeln auf die Außenwelt erscJieint, ist idealistisch angesehen nichts anderes
als ein faiigesetctes Anscltauen^^ (Syst d. transc. Ideal. 8. 380). Den scho-
lastischen ßatz: y,Operari s^qtnitur esse*^, das Handeln wird durch das Sein
bestimmtj macht sich Schopenhauer zu eigen (s. Charakter). Nach Süabe-
BISSEN ist jede Willenstätigkeit eine „EancUung^^. Im engeren Sinne ist Hand-
lang „etne wiek außen vortretende Willensenceisung" (Grdz. d. Lehre von d.
Mensch. S. 140). Beneke leitet das Handeln aus „unerfüllten" Urvermögen,
„Streifungen" ab. Indem diese „fiooh beweglich sind, so können sie von den
Begekrungen und Wallungen her auf anderes, mit diesen in Verbindung Stehendes,
übertragen werden; und vermöge dieser Übertragung mrd das Handeln gewirkt.
Durch ihr Hinüberkommen werden gewisse Angelegtheiten . . . in eigen-
tümlicher Weise ausgebildet oder zur Erregtheit gebracht" (Neue Psychol.
S. 213 ff.). Es gibt „inneres" und ,ßußeres Handeln" (Lehrb. d. Psychol.*,
§ 205 ff., 210; Psychol. Skizz. I, 410 ff.).
VoLKMAKK versteht unter Handlung das ,jrealisierte Wollen". „Die Hand-
lung ist . . , eine äußere oder innere (actio transiens vel immanens), je nach'
dem die Veränderung, in der das Wollen sich realisiert, in die Außen- oder in
die Innenwelt fällt" (Lehrb. d. Psychol. II*, 460). Nach Höffding ist die
Handlung die Ausstrahlung des inneren Wesens des Ich (Psychol. S. 451).
Nach WcNDT besteht die äußere Handlung in der „Apperception einer Be-
wegungsvorstellung", Die äußeren Handlimgen sind Folgezustände von Apper-
ceptionen, von inneren Willenshandlimgen (s. d.), Endmomente von Affecten
(8. d.) (Eth.», S. 443; Gr. d. Psychol. S. 215 ff.). Ziehen definiert: „Actionen
oder Handlungen (bewußte, unllkürliehe oder Wiüenshandhmgen) : auf einen
oder mehrere Reixe erfolgt eine meist zweckmäßige, durch intercurrierende Reize
und durch Erinnerungsvorstellungen in ihrem Ablauf modifizierte Be-
wegung mit psychischem Paraüelvorgang"^ (Leitfad. d. physiol. Psychol.*, S. 22),
Zu unterscheiden sind Trieb-, intellectuelle und Affecthandlungen (1. c. S. 199).
Ahnlich Münbtebberg (Die Willenshandl. 1888) u. a. Nach Kreibio ist
„Handlung^* „die in die Außenwelt tretende Wirkung des Willens, welche als
Betcegung oder Bewegungshemmung gegeben ist^ (Werttheor. S. 73). H. Gor-
HELlus Yersteht unter Handlung y^eine Änderung, soweit sie durch eine Mit-
wirkung unserer Persönlichkeit bedingt ist^^ (Psycholog. S. 387). Nach Ehben-
FELB ist die Handlung „ein Act des Strebens oder Wollene, durch toelchen
beabsichtigte Wirkungen hervorgerufen werden". Als Absicht kann , Jedes ein-
zelne Olied aus der ganxen vorgestellten Causalkette von dem Strebens- oder
WiUeneact bis inclusive zum begehrten Zweck herausgehoben werden" (Syst d.
Werttheor. II, 16). Vgl. Willenshandlung, Action, Tätigkeit.
Hans s. Neigung.
Haplie (a^: Berührung (s. d.). Plotik spricht von emer unmittel-
baren „Berührung" des Guten (r/ rov ayad'ov sXtb yvtocte eire inafpri, Enn. VI,
:, 25 f.).
Haplose (anXcoan^ Vereinfachung): Lostrennung der Seele vom Leibe
und Vereinigung derselben mit Gott im Zustande der Ekstase (s. d.), Einkehr
der Seele bei sich selbst, zu ihrem wahren, reinen Wesen: Marc Aurel, In
430 Haplose — Harmonie.
se ips. IV, 26, besonders aber bei Plottn, Enn. VI, 9, 11; Päoklus, Thed.
Pkt. I, 24 f.; Jahblich, bei ProcI. in Tim. 64 C. Vgl. Berührung.
Haptteeli: dem Tastsinne angehörend.
Hannonl^ (a^fioria): Zusammenfügung einer Vielheit sur Einheit, Zo-
sammenstimmung, Übereinstimmung, Anpassung der Teüe eines GanzcD an-
einander zu einer Ordnung, Verbindung der Gregensätee in und zu einer Einheit
Die musikalische Harmonie beruht auf dem Fehlen von Bchwebungen (s-d.)
und Klang-Bauhigkeiten in einer Tonverbindung (Helmholtz, Lehre von d.
Tonempfind.«, S. 297 ff. ; Vortr. u. Red. I^, 121 ff. ; vgl. WtJNDT, Grdx. d.
phys. Psychol. II, 65; Stumpf, Conson. u. Disson. Beitr. zur Akust. u. Musik-
wiss. 1. H. 1898). In der Ästhetik (s. d.) und in der Ethik (Hamumie der
Charaktereigenschaften, der Interessen, der individueUen und socialen Triebe
u. s. w.) ist der Begriff der Harmonie von Bedeutung. Die Harmonie der
Welt, d. h. die gesetzmäßige, causal- teleologische Zusammenfügung der Dinge
und Kräfte zu einer Weltordnung, ist von philosophischer Wichtigkeit.
Die Pythagoreer übertragen den musikalischen Hannoniebegriff auf da»
All« In diesem sind alle Gegensätze zur Einheit vereinigt. Alles in der Welt
ist nach harmonischen Verhaltnissen geordnet, ist selbst Harmonie und Mafi:
rov olov ov^aror ä^/tovlav elvni nai aQ^d^fiov (Aristot., Met. I 5, 986a 3); xtna
8i Tovg r^t i^fwvias X6yov9 (Diog. L. VIII 1, 29). Die Seele (s. d.) ist eine
Harmonie (so auch nach AmsTOXEiros , Dikaeabch, Galen). Auch die
Tugend (s. d.) ist eine Harmonie (ri^y S" A^er^v ÄQftovlav elvat . . . xa%f^ ^^F^
vlav avvBmavai xa okn, Diog. L. VIII 1, 33). Die Sphärenharmonie ent-
steht aus dem Zusammenklang der um das Centralfeuer {imiu) sich bewegen-
den Planeten zu einem Heptachord (vgl. Goethe, Faust I : „Dte Sonne tönt nach
alter Weise in Bruderspßiären Wetigesang^^). Die Harmonie der widerstreitenden
Gegensätze im All betont Heraklit, damit die Gesetzmäßigkeit und Ordnung
der Welt zum Ausdruck bringend: 'H^nXetroe rd dvriiow irvfif>t^o^ xai ix
T(OP Siafegovriav xaXXiffxtjv aQfiot'iav xal ftdvttt xar* i^tv yIvMd'ai (Arist., EÜL
Nie. VIII 2, 1155 b 4); ov avviaciv oxate Sta^s^ofjtevov ecDVttf oflUfXoyäi* xalii^
TQonog a^ftoviri oxmcnag t6Sov xal Iv^g (die in sich zurückkehrende Harmonie,
wie die des Bogens und der Leier, Fragm. 45) ; icn yd^^ fiiaivy d^fioviti dfopi*
fave^rje xQt'aacav (Fragm. 47). Die Harmonie des Weltganzen preisen Ploti5,
dann wieder (in pythagoreisch klingender Weise) NicoLAüß CusANUß, ICeplsb,
G. Bruno. Die Harmonie als ethisches Princip betont Shaftebbury (Inqnir.
conc. virt. I, 2; The moral. II, 4; III, 1).
Nach LEiBiaz ist Harmonie „tmitas in mtätitudine", E2r steUt den Begriff
der prästabilierten (vorherbestimmten) Harmonie auf, um die Ordnung des
Alls ohne directe Wechselwirkung (Influxus, s. d.) zu erklären, da ihm die An-
erkennung der letzteren durch seinen Begriff der einfachen Monade (s. d.) ver-
wehrt ist. Die Theorie der prästabilierten Harmonie („karnumia praestabilita,
karmofiie preetahlie, hurfnonie universelle, aceord, copicomitanee, liaison^ aceom-
modementy rapport mtUuel regle par avanee^* u. dgl.) besagt, daß Gott alk
Beziehungen sowohl zwischen den einzelnen Dingen (Monaden) als auch zwischen
Seele und Leib von Anfang an so geordnet hat, daß alles Geschehen gesetz-
mäßig imd zweckmäßig verlaufen muß, obgleich statt wirklicher Einzelcaasalitit
nur ein Parallelismus, eine Coordination der Geschehnisse besteht« Jeder
Monade hat Qott ein festes Gesetz eingepflanzt, welchem gemäß ihre (rein
Harmonie. 431
iimnanente) Tätigkeit sich abspielt, so aber, daß alle Monaden einander ange-
paßt sind, daß auf alle Rücksicht genommen ist, daß die Vorgange einander
angemessen^ angepaßt sind (MonadoL 51« 52, 60). Den Namen ,jprästabüierte Har-
numü^ gebraucht Leibniz zuerst 1696, in einem Briefe an Basnage de Beauval
(Gerh. III, 121 f.; TgL III, 67, Brief an Bayle). Die Monaden sind rein geistig,
punktuell, „ohne Fenster**, bilden jede j^un monde ä pari**, können daher nicht
gegenseitig aufeinander einwirken. Daher muß Gk)tt der Vermittler der Gau-
salitat sein, abßr nicht bloß gel^entlich, wie der Occasionalismus (s. d.) meint,
sondern ein für allemal von Anfang an. AUe Monaden sehen das eine Uni-
versum in verschiedenem Klarheitsgrade, jede hat Beziehungen, welche aUe
anderen ausdrücken, so daß sie ein lebendiger Spiegel des Alls ist (MonadoL
56, 57). „Cor ehaeune de ees dmeä exprimant ä sa ma/nüre ce qui se passe au
dehors et ne pouvant amnr aueune infiuence des etres partieuliers ou plutdt devant
tirer eette expresston du propre fond de sa naiurej il faut nSeessairement, que
ehaeune ait re^ue eette naiure d'une cause universelle , doni ees etres dipendent
tous et qui fasse, que Vun soü parfaitement (Taecard et eorrespondant avee
toiäre, ce qui ne se peut sans une eonnaissanee et puissance infinie** (Nouv.
£68. rV, § 11). Insbesondere besteht eine Harmonie zwischen Leib und Seele.
Psychische imd physische Processe gehen einander parallel, sind einander ge-
setzmäßig zugeordnet, ohne psychophysische Wechselwirkung, ohne Durch-
brechung jeder Beihe von Vorgangen. Seele und Leib gleichen zwei Uhren,
die so eingerichtet sind, daß ihr Gang für alle Zelten ein übereinstimmender
ist (Gterh. IV, 498). ,Jj'äme suit ses propres lots, et le corps aussi les sietmes,
et üs se rencontrent en vertu de Vharmonie preetahlie entre toutes les substances,
puisqu'elles sont toutes les represeniations d^un meme univers^* (MonadoL 78).
,yLes Qmes agissent selon les lots de eauses finales par appetitions, ftns et moyens,
Les eorps agissent selon ks Uns de eauses effizientes ou des mauvements. Et les
deux regnes . . . sont harmoniques mtre eux** (MonadoL 79). „Ce systhne fait,
que les corps agissent eomme si (par impossible) Ü n'y avait point d*ämes, et
que les' ämes agissent eomme s'il n'y avait point de eorps, et que tous deux
agissent eomme si Vun influait sur Vautref* (MonadoL 81). „Dieu a cree d^abord
Vdme de teile sorte, que pour Vordinaire ü n*a besoin de ees changements, et ce
qui arrive ä Väme, hn natt de son propre fonds, sans qu'elle se doive aecom-
moder au eorps dans la suitcj non plus que le corps ä Vdme, Chacun suivant
WS loiSy et Vun agissant librement, Vautre sans choix, se reneontre Vun avee
Vordre dans les mhnes phenomhtes** (Gerh. II, 58). Der Seele und dem Leibe
hat Qott eine Natur verliehen, „dont les lois memes portent ees changements,
de Sorte que sdon moi les actions des ämes n'augtnentent n'y diminuent point
la quantite de la foree mouvante, qui est dans la mati^e, et n'en changent pas
meme la directum** (Gerh. III, 121 f.). Endlich besteht auch eine Harmonie
zwischen dem „Reiefte der Natur** und dem ^,Reiehe der Onade**, d. h. zwischen
dem Handeln imd dessen Folgen. Die Dinge führen auf natürliche Weise
zur Gnade, zum verdienten Zustand, zum Glücke, die Sünden, das Schlechte
zur Strafe, so daß alles aufs schönste, beste, gerechteste geordnet ist (MonadoL
W, 88, 89). Die Gegenwart geht mit der Zukunft schwanger, in jeder Seele
könnte man die Schönheit des Alls lesen (Prrnc. de la nat 13). Mechanisches
und zweckvolles Geschehen sind miteinander in Harmonie. ,fJe me flutte d'avoir
penetre Vharmonie des diff^ents regnes et ^avoir vu, que les deux partis ont
raison, potir rien qu'ils ne se ehoquent point; que tout ce fait mecaniquertieni
432 Harmonie — Hedonismus.
et metaphysiquement en meme temps dans les phenomenes de la ncUure^* (GeA.
III, 607). — Mit Modificationen wird die prästabilierte Harmonie geehrt tcb
Chr. Wolf, Baumoarten (Met § 462 ff.), Bilfh^ger (De harmon. pnesL
p. 73 ff.) u. a. Gegner dieser Lehre ist u. a. Rüdiger, der an der Influxoft-
tlieorie (s. d.) festhalt. Von einer „constabilierten Hamionte^^ spricht Swedes-
BORO. In seiner vorkritischen Periode ninmit Kant eine (aber nicht vorlKstmunte}
„Harmome der Dinge^^ mit wirklicher Wechselwirkung an (Princ. prim. sct. III)l
Bei verschiedenen neueren Philosophen kommt der (bedanke der WdtlianDaDie
zur Geltung, so bei Schellentg (Syst. d. transc. IdeaL S. 65; Vom Ich S. 201 f.\
Herbart, Hillebrand (nach welchem Denken und Sein in prästabilieita
Harmonie miteinander sind (Phüos. d. Geist. I, 5), Lotze, J. H. Fichte, der
von einem allgemeinen „Harmanismiis*^ der Dinge spricht (Psychol. II, 21) ood
Feghner (Zend-Avesta II, 152); auch bei M. Wartenbero (ProbL d. Wiiti.
1900, S. 136). Vgl. Identitätsphilosophie, Parallelismus, Seele, Wechsdvir-
kimg. Trieb.
HftOlicli ist das um irgend welcher Eigenschaften anschaulich Mißfallende.
Abstoßende, das ästhetische Bedürfnis Verletzende. Vgl. Ästhetik.
Haiiptton s. G^Örsempfindimg.
Haiiteiiiii: Er umfaßt den Tastsinn (s. d.) und Temperaturainn (s. d.).
Heaiitognosle (eavrov, ypc5<ns): Selbsterkenntnis (s. d.).
Heaatonomie: Selbstgesetzgebung. Neben der Autonomie (s. du) des
Verstandes und der Vernunft lehrt Kant eine „HecMtonomie^^ der Urteilskraft,
durch welche diese sich selbst ein Gksetz gibt (Üb. Philos. überh. S. 160).
Hedonlftiniis heißt die Lebensanschauung, nach welcher die (körper-
liche und geistige) Lust, das Vergnügen (tiSovii) Motw und Zweck des (sittlichen)
Handelns ist. Die Lust ist das höchste Gut (s. d.). Für den Hedoniker l^t
die Lust das Höchstgewertete, das an sich Wertvolle, Selbstzweck, Strebungsr
ziel. Der Hedonismus ist eine Form des Eudämonismus (s. d.).
Nach Demokrit ist die Freude, (jremütsheiterkeit {evd'vfiir}^ svscri») dss
höchste Gut: aQiarov dvd'^cSTitp rov ßiov Sidysiv me nleiara evd'v/irj9'cvr& nai
dXaxicra artrjd'evTi (Stob. Floril. V, 24). Als Hedonlker treten entschieden auf
die Kyrenaiker. Nach Aristipp hat die Lust einen absoluten Wert, sie ist
Selbstzweck (17 r,8ovri BC air^v ai^erri xai ayad'dvf Diog. L. II, 88), sie ist
Strebungsziel (räloe S' alvat rrjv rjBovriv t6 dn^oai^era>g r^jtiäs ix nai$atv »*U'
coad'ai n^os avTr^v, xai Tv^orras avrijg firjd'av änt^r^rsiv ftrjd'ev re avrttt ^pevym'
du xTiv ivavriav avrf, dXyriSova^ 1. c. II, 88). Die Lust ist ein unbedingtes Gut
(elvai, Si %ijv fjdovrjv dyad'ov xav dno rcuv a^/j^iUOTÄT«»' yertirat, ib.). Zu er-
streben ist die einzelne Lust (1. c. 86, 88, 90). An Stelle der Lust bestimmt
Hegesias als Strebensziel die Schmerzlosigkeit, da mehr nicht erreichbar sei
(L c. II, 94). Annikeris erkennt neben der Lust auch Freundschaft, Eltern-,
Vaterlandsliebe als Strebensziele, Güter an, um derentwillen man auch Schmorz
hinnehmen muß (1. c. II, 97). Theodorus betrachtet die Freude (xa^) ab
das Erstrebenswerte (L c. II, 98). — Nach Epikür ist die Lust das Princip des
glücklichen Lebens {'^ifo^rjr d^rjv xai reXos Xfyo/uev eJvai rov fiaxa^ia/e S^,
Diog. L. X, 128), sie (und die Leidlosigkeit) ist das Motiv alles Handelns
{rovTov ydp X^^^^ anatTa Ti^drrofteVf orcats firj^ dXycäftev /cifrc ra^ßmftsv^ ib.).
Die Lust ist das erste imd das naturgemäße Gut {rairfjv yd^ dyad-ov n^ehov
Hedoniamufl — Hemmniis. 433
acflti avyysvixor i'yvafjueVf xai ano ravrrjs xara^x^f*^^^ Ttaatjs ai^Bcecas xal ^fwyijSt
jrcci iTti ravrryv xaiavrtofiev tog xavovt rt^ nd^ei näv ayad'or x^ivovres, L C.
Xy 129). Aber nur jene Lust ist ein Gut, der keine Schmerzen folgen, denn es ist
cUlS Erstrebte, ro /«jtt' dXyeTv xard acäfia firiTe Ta^drread'at xard yvxV^ G* ^'
X, 131). Eine richtige Abmessung (av/auBT^ijaig) der Lust und ihrer Folgen
zeugt erst von der Tugend, der y^njcts (1. c. X, 132). Ohne Einsicht, Gerechtig-
Iceit, Maßhalten kann man nicht glücklich leben (ib.), und umgekehrt ist mit
<ler Tugend Lust notwendig verknüpft (avffjre^xaatv ai d^araX tqf ^^ ^datagy
ib.). Die höchste Lust ist die geistige {ovnos ow xai fiei^ovae rjdovdg dvai tag
Tijs y^x^i^ (^ ^- ^7 ^37)} wiewohl an sich keine Lust schlecht ist (ov9afiia xad^
JavTTJv ^Sovfj xaxovj 1. c. X, 141). — Der Hedonismus wird auch betont von
Helvbtius, Holbach, La Mettiue, Volney u. a., auch von Neueren wie
J. DUBOC (Die Lust als socialeth. Entwicklungsprinc. 1900) und (in seiner
relativ-natürlichen Bedeutung) von E. Goldsgheid: „2>ßr Mensch ist ein hedo-
nistisches Wesen^^ (Eth. d. GesamtwilL I, 65). Aber die Ethik darf nicht
hedonistisch sein, sondern vermag nur ,,e»7i« Verteütmg von Lust und Unlust
ausMtbUden, die xu einem Verhalten gemäß obfectiver MorcUprindpien antreibt"
(L c. S. 74). Paülsek bestreitet die hedonistische Anlage des Menschen. „D^
Trieb und das Verlangen der Betätigung ist vor cUler Vorstellung von Lusf*
(Syst d. Eth. I*, 238). Lust ist schon der Ausdruck dafür, dafi der Wille er-
leicht hat, was er will (1. c. S. 241 f.; ähnlich schon Schopenhauer, E. v.
Habtmann, Nietzsche). Vgl. Glückseligkeit, Tugend.
Hei^ellanteinas: 1) die Philosophie Hegels (= eine Art des Panlogis-
mus, s. d.), 2) die Schule Hegels. Sie zerfällt in eine rechte (theistische)
Seite: Gabler, Göschel, Hinrichs u. a., und eine linke Seite: Rüge, Bruno
Bauer, Feuerbach, Strauss u. a. Vermittelnd: Conradi, K. Boben-
KRANz, J. E. Erdmann, Schaller, Vatke, C. L. Michelet, Schasler.
Von Hegel beeinflußt: Daub, Marheineke, K. Fischer, G. Biederbiann,
K. KÖSTLIN, Chr. Planck, Ad. Lasson, K. Marx, F. Lassalle, femer aus-
ländische Philosophen (Neohegelianismus besonders in Amerika und England).
Hei^monllKon (tjysfiovixov) : das Herrschende, Leitende. So heißt
bei den Stoikern sowohl die Weltseele als auch insbesondere der oberste
Seelenteil, der die verschiedenen psychischen Functionen einheitlich reguliert
imd zugleich die Denk- und Willenskraft ist (Diog, L. VII 110, 157 ff.; Sext.
Empir. adv. Math. EK, 102). Der Sitz des f)y8fiovix6v ist im Herzen. — Von
der „Fonction hegemoniqtde" des Intellects spricht Renouveer (Nouv. Monadol.
p. 138). Vgl. Seele, Willensfreiheit.
Hetmamiene {eifia^furrf}: Schicksal (s. d.).
Helmliafltlffkelt heißt nach B. Avenariüs der „Charakter'^ (s. d.) der
Bekanntheit, Vertrautheit, Gewißheit, der von der „Schwankungsgeubtheii" des
Systems C (s. d.) abhängig ist. Arten der „Heimh^iftigkeit" sind das „Existenz
iial'*, das .^Sotal" und das „Sehural'' (Kr. d. r. Erf. II, 483 ff.).
Helligkeit s. Lichtempfindung.
Hellselien (clairvoyance) s. Somnambulismus.
Helnüioltssclie IIypoUie»e s. Lichtempfindung.
Hemmiiiiss Aufhebung oder Erschwerung einer Tätigkeit durch eine Wider-
Phllotophitob«! Wörterbuch. 2. Anfl. 28
434 Henmitixig.
etandskraft: a. physikalisch, b. physiologisch, durch Hemmungsnerven, dnrcli
Großhimerregungen, c. psychologisch, durch Gefühle, Affecte, Strebungen, Über-
legung, kurz durch die Willenstätigkeit des Ich, insbesondere durch den be
sonnenen Willen (die active Apperception, s. d.)i welcher den Zudning Ton
Vorstellungen, den Associationsverlauf u. s. w. zu hemmen, aufzuhalten vermag.
Die Wirkung der Hemmung besteht in einer Verdunkelung des Gehemmten
im Bewußtsein. Fixierung imd Hemmung von psychischen Inhalten sind Coire-
late, beide ergeben sich aus einem Acte.
Den B^nff der psychischen Hemmung kennt bereits Aristoteles (De
sens. 7; Eth. X 4, 1174b 17 squ.). Auch bei Leibniz (Erdm. p. 740b) and
KjkiJT (WW. I, 142) ist er angedeutet. Chb. Wolf betont: jjsensatto fortm
obscurtU debiliorem^* (PsychoL empir. § 76).
Herbart nimmt an, daß gleichzeitig auftretende, partiell oder total ent-
gegengesetzte Vorstellungen einander ,yßiemmen", d. h. ihre Intensität verringenir
sich gegenseitig verdunkeln, aus dem Bewußtsein verdrangen (PsychoL a. Wiss.
I, § 36 ff.). „Vorstellungen tcerden Kräfte, indefn sie einander widerstehen.
Dieses geschieht, wenn ihrer mehrere entgegengesetzte xusanimefitreffitn^* (Lehrb.
zur PsychoL', S. 15). Dabei verwandelt sich das wirkliche Vorstellen in ein
Streben, vorzustellen (1. c. 8. 16). Die Vorstellungen hemmen einander; die
„Beste flach der Hemmung^^ sind die Teile einer Vorstellung, die unverdunkdt
bleiben (ib.). Die „Statik und Mechanik des Geistes" beschäftigt sieh mit der
Berechnung des „GleiehgewicJUs" und der „Beivegung" der Vorstellungen.
„ Vorstellungen sind im Oleichgewichte, wenn den notwendigen Hemmungen unter
ihnen gerade Genüge geschehen ist. Nur allmählich kommen sie dahin; die fort-
gehende Veränderung ihres Grades von Verdunkelung nenne man ihre Bacegungr'^
(L c. S. 17). Wichtig ist die Bestimmung der „Eemmungssumme^^ und de*
„Hemmurigsverhältnisses", Erstere ist „gleichsam die xu verteilende Last, welehe
aus den Gegensätxen der Vorstellmigen entsprifigt" (1. c. S. 17), sie ist ,/ias
Quantum des Vorstellene, welches von den einander entgegenwirkenden Vor-
stellungen xusammengefwmmen muß gehanrnt werden" (Psych, a. Wiss. I, § 42).
Hemmungs Verhältnis ist f, dasjenige Verhältnis, in welchem sich die Hemnwngs-
summe auf die verschiedenen, icidereinander icirkenden Vorstellungen verteilt*
(1. c. § 43). Durch eine Proportionsrechnimg findet man den „statiechen Punit^
einer jeden Vorstellung, d. h. den „Grad ihrer Verdunkelung im Gleieh^etcichtr^
(Lehrb. z. PsychoL*, S. 17). „Die Summe sowohl als das Verhältnis der Hem-
mung hängt ab von der Stärke jeder einzelnen Vorstellung, — sie leidet
die Henmtung im umgekehrten Verhältnis ihrer Stärke, und von dem> Grade
des Gegensatzes unter je zweien Vorstellungen, denn mit ihm steht ihre
Wirkung aufeinander im geradefi Verhältnis" (ib.). Die Hemmungssumme muß
als möglichst klein betrachtet werden, „weil alle Vorstellungen der Hemmtmg
entgegenstreben, und gewiß nicht mehr als nötig davon übernehmen" (ib.). Unter
den Bewegungsgesetzen der Vorstellungen ist das einfachste folgendes : „ IVähreiHl
die Hemmungssumme sinkt, ist detn noch ungehemmten Qtuintum derselben in
jedem Augenblick das Sinkende proportional" (1. c. S. 19 ff.; Psych, a. Wiss.
§ 43, § 75; vgl Hauptpunkte der Metaphys. § 13). Der metaphysische Grund,
weswegen entgegengesetzte Vorstellimgen einander widerstehen, ist die Einheit
der Seele, deren Selbsterhaltimgen sie sind. „Aüe Vorstellungen, würden nur
einen Act der einen Seele ausmachen, wenn sie sich nicht ihrer Gegensätze wegen
hemmten, und sie machen wirklich nur einen Act aus, inwiefern sie
Hemmung — HenadexL 435
nickt durch irgendwelche Hemmungen in ein Vieles gespalten sind*'
^Lehrb. z. Psychol.« S. 21). Nach Volkmann ist Hemmung „die ganxe oder
ieihceise Äußer- Wirksamkeit- Setzung des Vorstellens einer Vorstellung" , ,,die Auf-
hebttng oder Verminderung des Bewußtwerdens einer Vorstellung". Die Hemmmig
trifft eigentüch nicht die Vorstellung, sondern das Vorstellen, sie bedeutet ,Jceine
Verfiiehtung, sondern nur ein Latentwerden des VorsteUens, ein Unbewußtwerden
der Vorstellung" (Lehrb. d. Psychol. I*, 341). Hemmung ist „Herahsetxung der
Klarheit'^ (1. c. S. 342). „Oleiehxeitige entgegengesetzte Vorstellungen hemmen
einander und verschmelzen sodann, d. h. sie setzen so viel ihres Vorstellens außer
Wirksamkeit j als der Vereinigung widerstrebt, und vereinigen den Rest in einetn
Gesamttiet*^ (1. c. S. 437). „Die Hemmungssumme ist als ein Druck zu betrachten,
der auf den zu hem^nenden Vorstellungen gemeinsam ruht. Diesem Drucke jedoch
setzt jede der Vorstellungen einen andern Widerstand entgegen, und der Druck
selbst fällt auf jede der Vorstellungen in anderer Intensität" (1. c. S. 349; vgl.
Drobisch, Mathem. Psychol. § 37 ff.). G. A. Lindneb erklärt: ,/<? schwächer
eine Vorstellung ist, desto größer ist der Anteil, den sie von der Hemmung s-
sumtne auf sich nelimen muß. Wird dieser Anteil größer als ihre ursprün^iehe
Stärke, so wird die Größe ihres unrklichen Vorstellens unter Null herabgesetzt, d. h,
die Vorstellung sinkt unter die Schwelle des Bewußtseins . . . Die
Erfahrung lehrt, daß die Vorstellungen, von der Hemmung getroffen, beständig
unter die Schwelle des Bewußtseitis sinken, um andern Vorstellungen Platz zu
meKhen" (Lehrb. d. empir. Psychol.*, S. 68 ff.). — Nach Fortlage ist die
Hemmung ein Nebenerfolg der Verschmelzimg des Ungleichartigen zweier Vor-
stellungen (Syst. d. Psychol. I, 176). Nach J. H. Fichte smd nicht die Vor-
stellungen hemmende Kräfte, das Hemmende ist allem der Geist als Ganzes
(Psychol. II, 172 f.). Die Hemmungstheorie Herbarts mit ihrer Mathematik ist
auch von den meisten neueren Psychologen als willkürliche Construction er-
kannt worden. Gegen die Theorie u. a. Wundt (Grdz. d. phys. Psych. II*,
3d2 f.). Nach ihm geht die psychische (Klarheits-)Hemmung nicht von den
Vorstellungen, sondern von der Apperception (s. d.). aus (ib.), welche, indem sie
bestimmte Inhalte fixiert, klar macht, andere zum Sinken unter die Klarheits-
schwelle bringt. G. Heymans versteht unter psychischer Hemmung „die all-
gemeine Tatsache, daß ein Bewußtseinsinhalt durch das gleichzeitige
Gegebensein eines andern Bewußtseinsinhaltes einen Intensitäts-
verlust erleidet, also entweder geschwächt oder vollständig aus dem Beicußt-
sdn verdrängt wird" (Unters, üb. psych. Hemm., Zeitschr. f. Psychol. 21. Bd.,
S. 321 ff.). In seiner „Actionstheorie^^ (s. d.) berücksichtigt Münstekberg die
hemmende Wirkung motorischer Gehirnfunctionen (Grdz. d. Psychol. I, 527 ff.).
Vgl. Complication, Reproduction, Verschmelzung, Bewußtsein (Noire).
Heiliili1lii||^Bcentreil9 Setschenowsche: Partien des Gehirnes (der
Vierhügel, des verlängerten Markes), von welchen eine Hemmung von Keflexen
ausgeht.
Hemnmiiij^saiiiiiie, HenuiiiingsTerliEltiils s. Hemmung.
Henaden (evtiSes): Einheiten, zu selbständigen Wesen hypostasiert, so
bei Plato (s. Ideen), Pkoklus, der so die aus der Ureinheit emanierenden
geistigen Kräfte nennt. Den Neupytha goreern gilt die ivag als Princip
der Dinge. VgL Einheit.
28*
436 Henadologie — Heterogonie.
HenadolOfj^e: Lehre von den Einheiten, sc. Willenseinheiten (BAmfSESl
Vgl. Monadologie.
Henotlieisiiftlis {ehi &e6s): die Verehrung einer Stammesgotäneit
Nationalgottheit, die als einzige Gottheit gilt; Vorstufe des universeDen M«»-
theismus. Name und Begriff des Henotheismus bei Max Müller (Voiies. ot
d. ürspr. u. d. Entwickl. d. Relig. S. 158 f., 291 f.).
Heraklitlsmas: der (von Ueraelit zuerst eingenommene) ßtandponH
von dem aus alles Sein verflüssigt, in ein ewiges Werden, in beständige
Entwicklimg au^elöst wird, sowohl das Natursein als auch das psvcfaiäcbp
Geschehen (J. G. Fichte, Hegel, Wündt, Nietzsche, Huxley u. a.). Vgi
Actualitätstheorie, Werden.
Hermeneatlk {d^^rjreien') oder Exegetik: Auslegekunst, Kunst der
wissenschaftlichen Interpretation.
HeroenTerehrim^: eine Stufe der Keligionsentwicklung, die Heroesi
sind teils vermenschlichte Gottheiten, teils vergöttlichte Menschen und Ideak
{vgl. Euhemerismus). Vgl. Individuum (Carlyle).
Herx (im übertragenen Sinne): Gemüt (s. d.), Mut. Suaredissen: J^
SeelCj tciefem sie die Gefühle und die Neigungen als unfreiwillige Zuständ/R w
sieh trägt, mrd das Herx genannt; auch toohl daru^Uf iceil sich in dem fcÄ-
Heften Herzen . . . die meistert Gefühle durch Wallungen, Beklenimungm. Sr-
leichierungen im leiblichen GeineingefUMe vernehmlich machen. In einem engtrw
iSinn des Wortes mrd der natürliche Mut, die Zuoersiciä nämlich, die aus eine»
starken Lebensgefühle quillet, Herx genannt^ (Grdz. d. Lehre von d. MenscL
S. 229). — Nach Galen ist das Herz der Sitz der Affecte (Siereck, G. d.
Psych. I 2, 269 ff.). Auf Bewegungen des Herzens führt in letzter Linie di^
Gefühle Horhes zurück (Hum. Nat. eh. VII, 1, 2).
Heterc^en {irs^os, ysvos) : einer andern Gattung angehörig, ungleichartig,
grund wesentlich verschieden. Gegensatz: homogSn, gleichartig.
Heterogenetlsclis fremden Ursprungs; autogenetisch s. Wille.
Aeterof^onle (^e^oe, yiyi'ouai): Erzeugung aus anderem. Hetero-
gonie der Zw^ ecke nennt Wündt die Entstehung von Zwecken (ZweckmotiTcn'
aus Neben- und Folgewirkungen von Handlungen, ohne daß von Anfang aa
der betreffende Zweck schon gewollt war. Die Summation von Zwecken und
Zweckmäßigkeiten im geistigen , ja schon im organischen Leben wird so be-
greiflich. Das „Gesetz der Heterog<mie der 2!9cecke" bezeichnet die allgemeine
Erfahrung, daß „in dem gesamten Umfang freier tnenschlielier Willenshandlw^
die Betätigungen des Wittens immer in der Weise erfolgen, daß die EffecU der
Handlungen mehr oder weniger weit über die ursprünglichen WiÜenstnt^
hinausreiehen, und daß hierdurch für künftige Handlungen neue Motive ^'
stehen, die ahermals fieiie Effecte hervorbringen^^ (Eth.*, S. 266). „Der Zusammen-
hang einer Zweckreihe besteht demnach nicht darin, dnß der xuletxf errtif^
Zweck schon in den ursprüngliclien Motiven der Handlungen, die schließlick ut
ihm geführt Jutben, als Vorstellung entkalten sein muß, ja nicht eiwtud dariny
daß die zuerst vorhandenen Motive die zuletzt unrksamen selbständig herw-
bringen, sondern er urird wesentlich dadurcfi vermittelt, daß der Effed jf^
Wahlha/ndlung infolge nie fehleruier Nebeneinflüsse mit der im Motiv gelegen»
Heterogonia — HeterosetesiB. 437
^weckvorstellung im aügetneinen steh nicht deckt. Gerade solche außerhalb des
ttrsprüngliehen Motivs gelegenen Bestandteile des Effects können aber xu neuen
Motiven oder Motivelementen tcerden, aus denen neue Zwecke oder Veränderungen
des ursprünglichen Zweckes entspringen^^ (ib.). j,Das Oesetx der Heterogonie der
Ziceche ist es, welches hauptsächlich Über den wachsenden Reichtum sittlicher
Lebensanschauungen Rechenschaft gibt, in deren Erzeugung sieh die sittliche
.Enttdcklung betätigt*^ (ib.). Das Gesetz der Heterogonie der Zwecke ist ein
Elntwicklungsprincip, das in Verbindung mit dem ^^Qesetx, der Relaiionen^' (s. d.)
steht. Es stellt sich „das Verhältnis der Wirkungen xu den vorgestellten
Zwecken so dar, daß in den ersteren stets noch Nebeneffecte gegeben sind, die in
den vorausgehenden Zweckvorstellungen nicht mitgedacht waren, die aber gleich-
wohl in neue Motivreihen eingeheti und auf diese Weise entweder die bisherigen
2k€eeke utnändem oder neue xu ihnen hinzufügen" (Gr. d. Psycho!.', S. 400).
I>er schöpferische Charakter der psychischen Synthese (s. d.) bewirkt, „daß die
Effecte bestimmter psychischer Ursachen stets über den U?nkreis der in den
Motiven vorausgenommenen Zwecke hinausreicheny und daß aus den gewonnenen
Effecten neue Motive entstehen, die eine abermalige schöpferische Wirksamkeit
entfalten können'' (Log. II* 2, 281 ; Syst d. Phüos.«, S. 329).
Schon ScHELLiNO sagt von den menschlichen Taten, daß ihre „eigent-
liche Wichtigkeit, d. h, daß ihre wahren Wirkungen meist andere sind, ais
die beabsichtigt worden'' (W\V. 1 10, S. 73). F. Engels bemerkt: „Die Ztcecke der
Handlungen sind gewollt, aber die Resultate, die unrklich aus den Hafuüungen
folgen, sifid nicht gewollt, oder, soweit sie dem getvählten Zweck zunächst doch zu
entsprechen seheinen, haben sie doch schließlich ganz, andere als die gewollten
Folgen" (L. Feuerbach u. d. Ausg. d. class. Philoß. 1888, S. 57 f.). Nach
Nietzsche wird ein irgendwie Entstandenes „imtner wieder von einer ihm über-
legenen Macht auf neue Absichten ausgelegt, neu in Bescfdag genommen, zu einem
neuen Nutzen umgebildet und umgerichtet" (AVW. VII 2, S. 369). M. BuKCK-
HARD betont: „Das ist der Gang der ganzefi etäwicklungsgesehiclUlichen Betcegung,
daß das eine Bedürfnis, indem es der Befriedigung dienetule Anlagen schafft,
xugleieh tcieder neue Bedürfnisse hervorruft, welche weit über die ursprünglichen
Bedürfnisse hinausgelien, ja, welche schließlich in ganz anderen Richtungen sich
bewegen, welche selbst wieder neue Anlagen entstehen lassen, die wieder zu neuen
Bedürfnissen führen" (Ästhet, u. Socialwiss. S. 71). Flügel spricht von „Selb-
ständigwerden der Mittel" diurch Gewohnheit (Ideal, u. Material. S. 182 ff.),
HöFFDiNQ vom Gesetz der „Motivverschiebimg" (Eth. S. 262; Psychol. VI B).
Heteroliypnoae s. Hypnose.
Heteronomle s. Autonomie.
IIet/n*opatlllk i^Ts^og, nad-oe) nennt Kbelbig die „Lehre von der Wer-
tung aller gegebenen Inhalte nach den polaren Gegensätxen ,gut im Sinne von
lustauslösend, bezogen auf ein fremdes Subject' wui schlecht im Sinne von unlust-
auslösend, bezogen auf ein fremdes Subject'" (Werttheor. S. 107). Die Ethik
ist ein Teil der Heteropathik, nämlich „die Lehre von der Bewertufig mensch-
licher Gesinnungen nach den Gegetisätzen gtU und böse" (1. c. S. 107). Vgl. Wert.
Heterote {(ksQog) nennt R. Avenamüs den von der „positiven Schwan-
kungsexercition" abhangigen „Charakter" der „Verschiedenheit" (s. d.) (Kr. d. r.
Erf. II, 28).
HeierOBeteeis (ire^osy Zii^rjcig) : Fangfrage, Frage mit der Möglichkeit
438 Heterosetesis — Holomerianer.
verschiedener Antworten; Beweisfehler durch Abschweifen auf ein ander»
Gebiet.
HeiiristAk (sv^iaxto, finde, heuristica): Erfindungskunst, Kunst der Ent-
deckung von Wahrheiten durch Methodik des Denkens und Erkennens. V^
Ars, Topik.
Heartetlscliefl Princip: Princip, Grundsatz, Begriff zur Auffindung
(ev^iaxetv) von Wahrheiten. Hypothesen (s. d.) z. B. haben heuristischen Wert
Heuristisches Verfahren: Darstellung einer Wissenschaft im Fortschritte
ihrer Forschungen und Entdeckungen.
Hexts (iSis von ^a>): Haben, dauernder Zustand. VgL Habitus.
Hie et nuiic (hier und jetzt): die räumlich-zeitliche Bestimmtheit des
Einzelnen, der Individualitat des Dinges (Scholastiker; vgL Prantl, G. d.
L. III, 115, 262).
HUfe s. Hülfe.
Hlstorliisoplile: Geschichtsphilosophie (s. d.) Vgl. Cdsszowskt, Pn>-
legomen. zur Historiosophie 1838.
Illstorlsiiilis heißt die Betrachtung der Natur- und Geisteswelt, inbegriffeD
des Sittlichen, vom Gesichtspunkte des Geschehnisses, der (geschichtlichen) Ent-
wicklung, des (historischen) Processes (Hegel u. a.).
HSelisteB Gut s. Gut.
Hodei^tlk {oSoQf riyovuai): Einführung.
Hof, ps jeldselfter ftthalo") heißt nach W. James das Feld der psv-
chischen Inhalte, das den von der Aufmerksamkeit erfaßten Eindruck umgibt
(Princ. of Psychol.).
Hoffiilllii^ ist der Affect, der mit der als zulassig erscheinenden Er-
wartung eines lustbetonten Bewußtseinsinhaltes verknüpft ist — Nach Hobbeb
ist die Hoffnung ein „appetüus^f verbimden „cum opiniane obtinendi^^ (Lev. I, 6).
Nach Descartes ist „apes^^ eine „dispoHtio animae ad sibt perauadeftdum id
eventurum quod cupit, quae prodaeüur motu apeciali spirituum, conflato er moi»
laetitiae et desiderii inter se permixtis" (Pass. an. III, 165). Spinoza definiert:
„Spes est ineonstans laetitia orta ex idea rei futurae vel prfieieritae, de cuius
eventu aliquatentis dubitamt^^^ (Eth. III, äff. def. XII). Nach Chk. WoiiF ißt
Hoffnung „voluptas ex hono obtinendi pereepta" (Psychol. empir. § 796). Platnbb:
yyHoffnung ist Vergnügefi in der vorhersehenden Erwartung eines GtUes'^ (Philos.
Aphor. II, § 882). Suabedissen definiert: „Hoffnung ,, .ist der Oemütsxustand,
toelcher aus der Vorstellung entsteht, daß die Zukunft . . . gut sein, also so be-
schaffen sein werde, daß sie uns, wenn sie Gegenwart wäre, Freude maeheit
würde. Insofern ist die Hoffnung eine Vorfreude^^ (Grdz. d. Lehre von A
Mensch. S. 275). Volkmann erklärt: ,,Enoartung künftiger Lust ist Hoffnm^
(Lehrb. d. PsychoL II*, 336). — Mit der Furcht zusammen gilt die Hoffnung
als subjective Ursprungsquelle der Eeligion (vgl. Sabatier, Beligionsphilofl.
S. 9).
Holomerianer {olos, fii^a) heißen die Vertreter der Ansicht, nach
welcher die (immaterielle) Seele ganz in allen Teilen des Leibes, des Baumes
ihren Sitz hat. — Descabtes meint: „Oportet scire, animam esse re rera iunetam
Holomezianer — Humanität. 439
toti corporis nee posse proprie dici eam esse in quadam parte eitts^ exclusive ad
alias^^ (Pass. an. I, 30). Gleichwohl ist nach Descartes die directe Wirkungs-
stätte der Seele in der Zirbeldrüse zu suchen (s. Seelensitz). — Den absoluten
Gegensatz zu den Holomerianem bilden die Null i bristen, welche betonen,
die Seele habe keinen Sitz im Baume, sei absolut raumlos, nehme keinen Ort
ein. Der Ausdruck bei H. Mobe (Enchir. met. 27, 1). VgL Seelensitz.
Homöomerleii (oftoioue^rj, ofio^ofu^eiai, homoeomeria) heißen die qua-
litativen Elemente {aTtiQfiaxa ndvxiov jf^iy^aTow) der Körper, die von Anaxa-
<}ORAS angenommen werden (über den Terminus vgl. Aristot, Met. I, 3, 984 a
14; De gener. II, 7; De coel. III, 3; Diog. L. II, 8; Lucret., De rer. nat. I,
830; I, 384 ff.; Sext. Empir. adv. Math. X, 25). Es gibt unendlich viele Ele-
mente. Die gleichartigen Teilchen sondern sich (durch die Einwirkung des
^Geistes" ^ s. d.) aus der UnniBchung und vereinigen sich (vermischt mit anderen
Elementen) zu den Dingen, welche homogener Natur sind (Fleisch, Blut,
Knochen, Gk>ld U. s. W.). ^A^x^^ ^^ '^^^ ottotOfAß^eiag' xa&aTtso yd^ ix reSv wrjyfid'
vafv Xeyo/uva>r rov x^^ov aweardvai, avnos ix rtuv ofioiofu^mv /ux^tav üotfidro^v
t6 ndv avyxex^iad'ai (Diog. L. II, 8). ' O fiav yd^ rd OfiOiOfieQrj ocafiara zl&ijffiv^
4*lov ocTOvv xni trd^xa xai fivaXov^ xai rdhf aXXcov Sv exdartp avvcavvfAOV ro
^igos iariv (Arist., De gen. et corr. I 1, 314a 19; vgl. Stob. Ecl. I 10, 296 f.;
Plut., Perikl. C. 4).
Homoi^eii: gleichartig, von einer (Gattung.
Homologie (ofioloyid): Übereinstimmung (z. B. der Organe; Homologie
des Handelns mit der Natur bei den Stoikern: s. Tugend). „Hotnologie^* im
stoischen Sinne bei CiCEEO als „carwenientia** (De fin. III, 621), bei Senbca
als „aequalitas ac ienor vitae per omnta eonsonans sibi^^ (Ep. ^31).
Homo-meiisiira-Satfls : der Satz des Pbotagoras, der Mensch sei
das Maß aller Dinge. VgL Belativismus, Erkennen.
HonoTer s. Logos.
HUmerDrafi^ s. Comutus.
Moropter ist, nach Wündt, der „Inbegriff derjenigen Raumpunkte, deren
Bild in beiden Augen auf correspondierende Stellen fUUt*^ (Grdz, d. physiol.
PsychoL II', 164 f.). Nach Hellpach ist er der „Ifibegriff aller der Punkte,
die unr gewohnheitsmäßig einfach auffassen" (Grenzwiss. S. 151).
Htttfes ein von Herbabt gebrauchter Ausdruck für die Unterstützung
«iner Vorstellung durch andere gegenüber der „Hemmung" (s. d.) (PsychoL a.
Wiss. I, § 42 ff.). Volkmann erklart: „Teilvorstellungen derselben Gesamt-
tar^teüung sind einander Hülfen, d, h, unterstiüxen einander im Tragen der
Hemmung" (Lehrb. d. PsychoL I*, 362; vgl. G. A. Lindneb, Lehrb. d. empir.
PsychoL», S. 68). Vgl. Beproduction.
HnmanitEt (humanitas): Menschlichkeit, menschliche Wesenheit, be-
stehend in Bildimg, Sittlichkeit, Cultur; Menschheitsganzes, Menschheitseinheit.
Die Idee der Humanität, d. h. der höchsten Entfaltung menschlicher Cultur
^d Gesittung als Endziel des Handelns, als Sittlichkeitsinhalt und als (idealer)
Zielpunkt der Geschichte wird (in verschiedener Weise) betont von den
Stoikern, vom Christentum, von den Humanisten, von Winckelmann,
l'EssiNG, GrOETHE, Kant, Fichte, Schilleb, W. V. HuMBOLDT u. a., besonders
440 Hmnaxiitat — Hylosoiaxnus.
von Hebdeb (Ideen z. e. Ph. d. Gesch. d. Menschh. ; Briefe zur Beförder. d. HuiiiaiL)^
in der modernen Ethik besondere von Wukdt (Eth.*, S. 227 ff,, 493 ff.). Die Idee
der Humanität wird eret instinctiv geübt, um später im Oesamtbewußtsein der
Menschheit klar erfaßt zu werden (1. c. S. 684). Die Idee der Menschheit ist
eine aUmählich entstandene, immer noch werdende (1. c. 6. 679). VgL Sitt-
lichkeit.
Mamor s. Komisch.
Hybride Bei^lTe: leere, imfruchtbare Begriffe, Scheinbegriffe.
Hyle (vXfj): Stoff, Materie (s. d.).
Hyleale: das materielle Princip der Geister (Liber de causis).
Hytoi^^ne Momeiite (vli]) nennt Helmholtz diejenigen Ursachen im
Gebiete des Bealen, welche bewirken, daß wir zu verechiedener Zeit am gleichen
Orte verschieden große Dinge von verechiedenen Eigenschaften wahrnehmen
(Vortr. u. Red. II, 403). Vgl. Topogen.
HylosoUnniiB {vXrjj Stoff, ^wt] Leben) : Theorie der Stoffbeseelung ; An-
sicht, nach welcher die Materie als solche schon ursprünglich belebt, beseelt
ist; Empfindung, Trieb, ev. auch das Bewußtsein gelten als Eigenschaften der
Materie (der Atome, s. d.). Der Ausdruck y,Hylox(Hsmus^^ schon bei R. Cri>-
WORTH. Femer bei Kant: „Der Becdisnms der Zweckmäßigkeit der Natur ist
auch entweder physisch oder hyperphysisch. Der erste gründet die Ztceeke f«
der Natur auf dem Anahgan eines n<ich Absicht hatidelnden Vermögens^ dem
Leben der Materie (in ihr, oder aitch durch ein belebendem inneres Principe
eine Weltseele) ^ und heißt der Hyloxoismus" (Kr. d. Urt II, § 72). Der
Hylozoismus ist nach Kant der yy Tod aller Naturphilosophie^^.
Hylozoisten sind: Thales, nach welchem der Magnet beseelt ist, weil er
das Eisen anzieht (Aristot., De an. I, 2), und der von der Bewegung auf Leben
schließt (1. C. I, 5; vTtsan^aaio xal rov xocuov iuxjrvxov xai Saiuovmv ^i^ot;^
Diog. L. I, 27) ; Anaximenes, nach welchem die Luft das beseelte Weltprincip
ist (Plut., Plac. I, 3, 6), so auch Diogenes von Apollonia : Hrraklit, dem
das Weltfeuer zugleich die Weltvemunft ist; die Stoiker, welche im Pnemna
(s. d.) die Weltseele erblicken. Erneuert wird der Hylozoismus in der Re-
naissance-Philosophie bei Paracelsüs« Cardanus, van Helmont, später bei
G. Bruno, Gassendi, Spinoza, bei R. Cudworth, F. Glisson (Tractat de
nat. subst. energ. 1672, p. 90 ff.), H. MoRE, der ein yybeharrliches Princip" an-
nimmt (Enchir. met. C. 28, § 3), Leibniz (s. Monaden), bei Maupektüis^
Diderot, Robinet, Buffon, Goethe (WW. XXV, 132 f.), in der Schule
ScHELLiNGs, bei Schopenhauer, Czolbe, L. Noire, Clxfford, Romanes,
Zöllner, Naegeu (Mechan.-physiol. Theor. d. Abst. S. 597), Lotze, Fbchner^
E. V. Hartmann, B. Wille, W. Bölsche u. a. E. Haeckei. erklärt:
yfJedes Atom besitzt eine inhärente Swnme von Kraft und ist in diesem
Sinne jbeseelt^ . . . Lust und Unlusty Begierde und Abneigung^ Anxiekung and
Abstoßu/ng müssen allen Massen-Atomen gemeinsam sein" (Die Perigenes. d.
Plastid. S. 38 f.). Die yjPlastidulen" (belebte Atomcomplexe) haben ein un-
bewußtes Gedächtnis (ib.). Masse und Äther besitzen Empfindung und Willea,
sie j,empßndefi Lust bei Verdichtung y Unlust bei Spannung; sie streben nack der
ersteren und kämpfen gegen letztere" (Welträtsel S. 254 f.; so auch J. G. VoGT).
HyioBoismus — Hypnose. 441
Hylozoist ist auch Le Dantec (TMot. nouvelle de la vie 1896; Le d^termin.
biolog. 1897). VgL Panpsychismus.
Hjrpftslliesle, Hyperftslliesle s. Anästhesie.
Hyperal^esle: Überempfiiidlichkeit für Schmerz.
HyperpliysUicli: übernatürlich. Vgl. Supranaturalismus.
Hjrpnose (vTtvog, Schlaf) heißt der künstliche Schlafzustand; in welchem
eine Person ein besonders geeignetes Object für Suggestionen (s. d.) bildet, indem
die Eigen tätigkeit (Spontaneität) des Denkens und WoUens, die active Apper-
ception (s. d.) durch eine Einengung des Bewußtseins gehemmt und damit der
Vorstellungs- und Gefühlsverlauf triebartig unter dem Drucke der ,yBefehle"
ausgelöst wird. Alles, was eine geistige Ermüdung zu bewirken vermag, kann
als Auslöser der Hypnose dienen. Zu unterscheiden sind Hetero- und Auto-
hypnose. Die Befehle und Suggestionen des Hypnotisators können noch nach
der Hypnose wirken („posthypnotiscke'^ Wirkungen). Die Lehre von der Hyp-
nose, auch der Inbegriff der hypnotischen Erscheinungen heißt Hypnotismus
(der Terminus schon bei Braid, 1841).
Die Hypnose war schon den alten Ägyptern u. a. bekannt. Als y^teriseher
(anitnalüeherj Magnetismus** (Mesmerismus) tritt der Hypnotismus bei Mesmer
auf, verteidigt von Puysegür, Reil, Hufeland, Schubert, Ennemoser,
KuEDH, Eschenmayer, Schopenhauer u. a. Begründer des wissenschaftlichen
Hypnotismus ist Braid. Die Schule von Paris (Charcot, Eichet, Fere u. a.)
betrachtet die Hypnose als einen pathologischen, durch physische Reizimg her-
vorgerufenen Zustand, während die Schule von Nancy (Liebault, Beaunis,
LiEOEOis, Bernheim, Die Suggest. 1888) die Hypnose auf Suggestion zurück-
führt Über Hypnotismus handeln Weinhold (Hypn. Vers. 1880), G. H. Schnei-
der (Die psychol. Ursache d. hypnot. Ersch. 1880), Preyer (Die Entdeck, d.
Hypnotism. 1881), A. Lehmann (Die Hypnose 1890), Dessoir (Doppel-Ich
S, 23), 0. Vogt (Zeitschr. f. Hypnot. III— VI), Lipps (1. c. VI), Forel per
Hypnot.*, 1891), A. Moll, Hellpach (Grenzwiss. S. 337 ff.) u. a. Nach
Heidenhain beruht die Hypnose auf einer Hemmung der Functionen der
Großhimganglien (Der sog. tier. Magnet. 1880, S. 29 ff.). Wündt führt die
Hypnose (und Suggestion) auf eine Hemmung der Apperception bei gesteigerter
Erregbarkeit der Sinnescentren zurück (Grdz. d. physiol. Psychol. II', 452 ff.;
Philos. Stud. VIII). Die hauptsächlichste Entstehungsursache der Hypnose ist
die Suggestion, d. h. „rff« Mitteilung einer gefühlsstarken Vorstellung, tcelehe in
der Regel von einer fremden Persönlichkeit in Form eines Befehles mitgeteilt
wird (Fremdsuggestion), xutceüen aber auch von dem Hypnotisierten selbst her-
vorgebracht tcerden kann (Autosuggestion). Der Befehl oder Vorsatx xu schlafen,
bestimmte Bewegungen auszuführen, nicht vorhandene Gegenstäftde wahrxunehmen
oder vorhafulene nicht tcahrxunehmen t*. dgl. sind die häufigsten derartigen Sug-
gestionen. Gleichförmige Sinnesreixe, namentlich Tastreixe, wirken untersttäxend.
Außerdem ist der Eintritt der Hypnose an eine bestimmte, in ihrer Natur noch
unbekannte Disposition des Nervensystems gebundefi, die durch wiederholtes Hyp-
notisieren bedeutend gesteigert wird^^ (Gr. d. Psychol.*, S. 331). „Das nächste
Symptom der Hypnose besteht in einer mehr oder minder vollständigen Hemmung
von äußeren Wülenshandhmgen, welche zugleich mit einer einsei tigeti Richtung
der Aufmerksamkeit, meist auf die vom Hypnotisator gegebenen Befehle verbunden
442 Hypnose — Hypothese.
ist (Befehlsautmnaiie). Der Hypnotisierte schläft nicht nur auf Befehl, sondern
behau aiich in diesem Zustande jede noch so gextpungene Stellung bei, die man
ihm gibt (hypnotische Katalepsie). Steigert sieh der Zustand^ so fährt der J^p-
notische ihm aufgetragene Betcegungen anscheinend automaiisch aus und gibt xu
erkennen, daß er VorsteHlwugen, die ihm suggeriert werden, hedlucinatoriseh für
toirldiehe Gegenstände halt (Somnambulismus).^^ Schlaf und Hypnose sind ver-
wandte Zustände. „Oemeinsam sind beiden geicisse //emmungserseheifmngen
im Gebiet der Willens- und Aufmerksa^nkeitsvorgänge, soun€ eine Disposition %u
gesteigerter Erregbarkeit der Sinnescentren, die eine haüueinatorisehe Assimilation
der Shmeseindrüeke bewirkt. ^^ In der Hypnose ist aber die Richtung der
Apperception eine einseitige (1. c. S. 331 f.). Innerhalb des Apperceptioiß-
ceDtrums selbst kommen compensatorische Erregbarkeitssteigerungen gegenüber
vorhandenen partiellen Hemmungen vor (1. c. S. 333). Vgl. Suggestion.
HypnotiBiniis s. Hypnose.
Hypostase (vnoaraaig, Grundlegung, Grundlage): Einzelsubetanz, Person
(bei den Scholastikern, vgl. THOfifAS, Sum. th. I, 29, Ic; I, 29. 2 ad 1;
Albertus Magnus: „Hypostasis est substantia cum proprietate," Siuu. th. I,
43, 2). Hypostase bedeutet auch die Substantialisierung, Verwirklichung eines
Abstractums, eines Begriffs, einer Eigenschaft (vgL Fechneb, Atomenlehre*,
S. 162).
Hypostaslereii : vergegenständlichen, zu einem selbständigen, sub-
stantiellen Wesen machen. Besondere Hypostasierungen finden sich bei Plato,
bei den Gnostikern (s. d.), bei Hegel u. a.
Hypottaiese {vno&süis) : Voraussetzung, Annahme, vorläufige Auistellmig
eines Itincipes zur Erklärung von Tatsachen, aber auf Grund der Erfahrung
und von Wahrscheinlichkeitsschlüssen, im Unterschiede von der blofien Fiction
(s. d.). Durch Verification kann die Hypothese in eine Theorie (s. d.) über-
gehen. Ohne Hypothesen kann die Forschung und kann das Erkennen über-
haupt nicht auskommen, doch ist zu fordern, daß mit einem Minimum von
Hypothesen gearbeitet werde („prineipia praeter necessitatem non Stent multi-
plicanda^') und daß die Hypothesen gut fundiert seien.
Als Hypothesis wird zuerst der Satz bezeichnet, der an seinen Consequenzai
geprüft werden soU, ein Verfahren, das schon Zeno von Elea befolgt. Plato
versteht unter Hypothesis die Festlegung eines allgemeinen Satzes als Voraus-
setzung und Begründung von anderen als dessen Folgen: vno&euevos ixdeTon
Xdyov, ov av x^ivto i^^caueviüxatov elvai, a fiiv av fiot Soxfj rovrra ivu^fonw^
Tid-tjfu m alri^r, orra (Phaed. 100 A); vno&BHiv vno&efievoe (L c. 101 Di;
vnod'ioBiQ ras ngeirai (1. c. 107 B); i^ vTto&iuBoK (Rep. VI, 510 B; VII, 533 C).
Der logische Zusammenhang von Voraussetzung und Folge macht eine Meinung
erst zur Erkenntnis (vgl. Meno 98 A: utxiaQ loyicfitp; vgL Qoboias 475 E,
482 C u. ff.). Die „Methode der hypothetischen BegriffserÖrtenmg^* läuft darauf
hinaus, „die Brauchbarkeit und Sicherheit eines im Denken gewonnenen Begriffs
an der Rüstigkeit der aus ihm abzuleitenden Folgerungen xu prüfen^^ (Wiitdel-
BAND, Plato S. 70). Nach Abistoteles ist Hypothesis eine Annahme, m
nicht evidenter Satz (Anal. post. I, 2; Anal, prior. 1, 44, 50a 16); iS vnod'ict^s
(Anal, prior. I, 10, 30b 32; Met. IV, 2, 1005 a 13). — M. Psellus definiert:
vnod'saig yd^ iaxi 7tQ6<r?.7]tpts o^ov ovateodovg dvxl rivog (Pbantl, G. d. L. II,
Hypothese. 443
280). — Bei Kepler bedeutet yfhypothesis" die Voraussetzung, Grundlage einer
Induetion.
Vor dem Grebrauche willkürlicher, voreiliger Hypothesen warnt Locke
(Ess- IV, eh. 12, § 12). Gute Hypothesen aber unterstützen das Gedächtnis
und sind von heuristischem Werte (1. c. § 13). Newton gebraucht die Hypo-
these methodisch, ohne in willkürliche Hypothes^ibildnerei verfallen zu wollen
(„kypotkesea non fingo"). Nach Lambebt ist eine Hypothese j,ein willkürlich
angenommener Begriff von einer Sache, (ms welchem man dieselbe erklären wiU^^
(N. Organ. § 567). Nach J. Ebebt ist sie „ein angenommener möglicher Satz,
dessen Wahrseheinlichkeii man aus der Übereinstimmtmg mit den bekannten
Umständen xu xeigen suchl*^ (VemunftL S. 143). Kant definiert: „Mne Hypo-
these ist ein Fürt^ahrheUten des Urteils von der Wahrheit eines Onmdes um-
der Zulänglichkeit der Folgen willen; oder kürxer: das FürwahrhaÜen einer
Vorausselxung als O^rundes" (Log. S. 132). Hypothesen bleiben immer „Vor-
aussetxungen j xu deren völliger Getciflheit wir nie gelangen könfien" (ib.).
jyDemokngeaehtet kann die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese doch wachsen und
XU einem Analogon der Gewißheit sich erheben^ tcenn nämlich alle Folgen, die
uns bis jetzt vorgekommen sind, aus dem vorausgesetzten Grunde sich er-
Idären lassen" (ib.). Mathematik und Metaphysik erlauben keiue Hypothesen,
aber in der Naturlehre sind sie nützlich und unentbehrlich (1. c. S. 134).
yjWas ich auch nur als Hypothese annehme, davon muß ich wenigstens seilten
Eigenschaften nach so viel kennen, daß ich nicht seinen Begriff, sondern nur sein
Dasein erdichten darf (WW. III, 545; vgl Kr. d. Urt. § 90). Fries versteht
unter Hypothesen Voraussetzimgen , welche hintennach durch hypothetische
Inductionen bewiesen werden (Syst. d. Log. S. 294, 434). Nach G. E. Schulze
sind Hypothesen („ Wageerklärungen") „ Voraussetzungen einer noch unbekannten
Ursache des nacfi der Erfahrung Vorhandenen oder einer noch nicht bekannten
Art und Weise, wie gewisse Kräfte in der Natur etwas bewirken" (Allg. Log.',
S. 183). Bachmann bestimmt: „Mne Hypothese ist eine Voraussetzung,
velehe man in der Absicht aufstellt, um daraus gewisse Facta, Erscheinungen
natürlich erklären zu können" (Syst. d. Log. S. 344). Regeln der Hypothesen-
büdung: 1) „Es muß ein obfectiver Grund vorhanden sein, wodurch die Annahme
derselben notwendig und gerechtfertigt urird. Die Tatsachen müssen gewiß, aber
der Grund verborgen sein." 2) „Sie sei so einfach als möglich." 3) „Sie muß
nicht bloß in sich frei von Widersprüchen sein, sondern auch mit den übrigen
bekannten Naturgesetzen und überhaupt mit allen anderen Wahrlieiten zusammen-
stimmen." 4) „Sie muß mit den Phänomenen, um derentwillen sie angenommen
teurde, in Harmonie stehen, d, h. es müssen sich diese mit allen ihren Eigen-
tümlichkeiten aus ihr leicht und ungexumngen erklären lassen" (1. c. S. 345).
8chopenhauer erklart: „Eine richtige Hypothese ist nichts weiter als der
teahre und vollständige Ausdruck der vorliegenden Tatsache, welche der Urheber
derselb^i in ihrem eigentlichen Wesefi und innerem Zusammenhang intuitiv
imfgefaßt haue. Denn sie sagt uns nur, was hier eigentlich vorgeht" (W. a. W.
n. V. IL Bd., C. 12), Gegner aller metaphysischen Hypothesen ist Cobttk,
welcher betont: „Les hypothhes vraiment philosophiques doivent constamment
fresenter le carctctkre de simples anticipations sur ce que Vexperience et le
raisonnement a/uraient pu devoiler immediatetnent, si les circonstances du probleme
eussent ete plus favorables" (Cours de philos. posit. I, le9. 28). Den Wert der
Hypothesen erörtert J. St. Mill (Log. II, 17). Nach Lotze sind Hypothesen
444 Hypothese — Hypothetische Schlüsse*
„Vernuäungen, durch welche tvir einen in der Wahrnehmung nicht g^ätenm
Tatbestand xu erraten atichen, von dem wir meinen, daß er in Wirklichkeit ew-
handen sein müsse , damit das in der Wahrnehmung Gegebene mögliekj d. k
aus den anerkannt höchsten Oesetxen des Zusammenhatigs der Dinge begreiflv^
isi^^ (Gr. d. Log. S. 84). Überweg nennt Hypothese „die vorläufige Annahmt
einer Ungewissen Prämisse, die auf eine dafür gehaltene Ursache geht, xwm
Zweck ihrer Prüfung an ihren Conseguenxen" (Log.*, § 134). Nach v. Kibcb-
MANN ist eine Hypothese „ein versuchsweise aufgestelltes Gesetx, bei trelckem et
dann darauf ankommt, seine Wahrheit xu beweisen*' (Kat. d. Philos. 8. 67t.
W. Jameb nennt Hypothese „alles, was mit defn Anspruch, geglaubt xu werden,
an uns herantritt'^ (Wille z. Glaub. S. 2). Die Entscheidung zwischen zwei
Hypothesen ist eine Option (1. c. S. 3). Nach Wtjndt sind Hypothesen Vor-
aussetzungen, welche notwendig zur Erklärung der Tatsachen gemacht werdeo.
(Log. I, 404; vgl. II*, 1). P. Volkmann definiert: „Hypotfiesen sind Vor-
stellungen und Anschauungen, mit denen wir uns über die Ungenauigkeit unserer
sinnlichen Anschauung erheben, es sind also übersinnliche Vorstellunffen und
Anscliauungen'' (Erk. Gr. d. Naturw. S. 61, vgl. S. 63). — E. Mach ist An-
hänger einer „hypothesenfreien'' Wissenschaft So auch W. Ostwaij>. Nach
ihm ist es Aufgabe der Wissenschaft, „die in ihr auftretenden Mannigfaltig-
keiten in solcher Weise darxustellen . , ., daß nur die tatsächlich in de»
darxustellenden Erscheinungen angetroffenen und nachgewiesenen
Elemente in die Darstellung aufgenommen werden, alle anderen un-
geprüften Elemente aber femxuhalten. Dadurch sind alle sogenannten on-
sehaulichen Hypothesen oder physikalischen Bilder ausgeschlossen" (Vorles. üb.
Naturphilos.^, S. 213 f.). Erlaubt sind höchstens vorläufige Annahmen, „[\ot/h
thesen", ohne der Sache fremde Voraussetzungen (L c. S. 399 f.j. Dag<^eii
bemerkt E. v. Habtmann: „Die Hypotheseoplwbie ist eine ebensolche Kmder-
krankheit der Physik, wie der Glaube an absolute Gewißheit ihrer Lehren^
(Weltansch. d. modern. Physik S. 226). Nach H. Cornelius ist der Ur^iorung
aller Hypothesenbildimg „die Erkenntnis von Analogien zwischen verschiedenen
Erscheinungsgebieten", Solange die Hypothese nur zur Fixierung des rein tat-
sächlichen Ahnlichkeitsverhältnisses gebraucht wird, bleibt sie auf empirischem
Boden. „Sie leistet aber damit xugleich alles, was für den Erklärungsmecha$nsmui
erfordert icird, indem sie eben den umfassenden Gesichtspunkt aufzeigt,
unter welchem die neuen, xu erklärenden Erscfieintmgen sich mit bereits bekannten
Tatsaclien verhiüpft xeigen" (Einl. in d. Philos. S. 42). „Dogmatische Annakme
von Hypothesen ist eitles der hartnäckigsten Hindemisse des Fortschritts wissen-
schaftlicher Erkenntnis" (L c. S. 43). Vgl. Materie, Metaphysik.
Hypotliesls s Voraussetzimg, Bedingung (im hypothetischen Urteik),
Hypothese (s. d.).
Hypollietlscll (^1 v7io9'iaeo}e): unter oder aus einer Voraussetzung, be-
dingungsweise, fraglich.
Hypotlietteebe S>lclilÜ89e (Bedingungsschlüsse) sind Schlösse mit:
a. hypothetischem Obersatz (gemischt-hy}X)thetische Schlüsse), b. zwei hypo-
thetischen Prämissen (rein-hyix)theti8che Schlüsse). Alle hypothetischoi Schlüsee
stützen sich auf die Begel: Mit dem Grund ist die Folge gesetzt, nüt der
Folge der Grund aufgehoben. Von den gemischt-hypothetischen Schlüssen gibt
es vier Hauptformen. 1) Modus ponendo ponens: Wenn S gilt, gilt P |
Hypothetische Schlüsse — Hypothetische Urteile. 445
S gilt I also gilt P. — 2) Modus ponendo toUens: a. Wenn 8 gilt, gilt P
Bicht I S gilt I also gilt P nicht, b. Wenn S gilt, gilt P nicht | P gilt | also
gilt 8 (möglicherweise) nicht. — 3) Modus tollen do tollens: Wenn 8 gilt,
gilt P I P gilt nicht | also gilt 8 nicht — 4) Modus tollende ponens:
Wenn 8 gilt, gilt P nicht | 8 gilt nicht | also gilt P vielleicht. — Der rein-
hypothetische 8chluß hat folgendes Schema: Wenn 8 gilt, gilt M | Wenn M
gilt, gilt P I Wenn 8 gilt, gilt P. — Die hypothetischen Schlüsse werden schon
von den Peripatetikern Theophrast und Eudemts erörtert. Der Stoiker
Chbysippus stellt fünf avlXoytafioi avanoSnxroi auf (Sext. Empir. adv. Math.
VIII, 223). n^cäroe 3e ioriv dvoTtoSstxrogj iv qf itäs Xoyoi avprdcaerai^ ix
owTjftfUvoVf d^ ov a^;|f£Ta^ r« axtvrififiivov xai ro Xrjyov tTti^s^ei, olav Ei t6
n^dhovj To devTe^ov dXXd firiv ro Ti^crroi*' ro d^a SsvxeQOv (Diog. L. VII 1,
80; vgl. Prantl, G. d. L. I, 467 ff.).
Hypollietlsclie UrteUe (avvrififjLivay hypothetica, conditionalia, Be-
dingungsurteile) sind Aussagen über das Statthaben einer Bedingtheit, einer
Abhängigkeit: Wenn 8 ist, ist P, oder Wenn M ist, so ist 8 = P. Das hypo-
thetische Urteil besteht aus einem Vordersatze (r^yovfievovy hypothesis, antecedens)
und einem Nachsatze (inofievov, Xrjyov, thesis, consequens).
Die hypothetischen Urteile werden zuerst behandelt von Teophrast, Eu-
DEMUß und den Stoikern (Diog. L. VII 1, 73; Pkantl, G. d. L. I, 522, 552,
561, 580). Das hypothetische Urteil definiert BofiTHius: ,yHypot}ietiea (propositio)
autem est, quae cum quadam conditione denuntiat esse cUiquid, si fuerit cUiud,*^
„id tantum dtcttur, esse alterum, si alterum fuerit^^ (De syllog. hypoth. Opp. I,
606 f.). Nach Chr. Wolf ist der Unterschied zwischen hypothetischen und
kategorischen Urteilen nur ein sprachlicher. „Proposüiones ecUegoricae aequi-
valent hypoiheticis et ad eas reduei possunt." „Propositio eategorica est, in qita
praedicatum absolute, seu nulla adiecta conditione . . . hypothetica est, in qua
praedieatum iribuitur subiecto sitb adiecta conditione" (Philos. rat. § 216, 218,
224, 226). Kant scheidet die hypothetischen Urteile (Log. § 25) von den
kategorischen (s. d.). „Die Materie der hypothetischen Urteile besteht aus xwei
Urteilen, die miteinander als Orund und Folge verknüpft sind" (Log. 8. 163).
Fries bemerkt : „In dem hypothetiscfien Urteil für sich werden nicht der Vorder-
satz oder Xachsatx, sofidem nur die Conseque7ix, die Abfolge des Nachsatzes aus
dem Vordersatx. behauptet" (Syst. d. Log. 8. 139). Herbart, Beneke, Tren-
DELENBXTRG, ÜBERWEG, Steinthal, Heymans (Ges. u. Elem. d. wiss. Denk.
S. 51 f.) erklaren den Unterschied des hypothetischen vom kategorischen Urteil
für einen bloß sprachlichen. Wundt rechnet die hypothetischen Urteile zu den
Abhangigkeits- oder Bedingungsurteilen, die sich in Urteile der Kaum- und
Zeitbeziehung und der Bedingung gliedern (Log. I, 182). Nach Hagemann
besteht das hypothetische Urteü „in einer kafegorisclieti Behauptung, aber infolge
einer vorausgesetxten Bedüi^ifig" (Log. u. Noet.*, S. 39). Schuppe erklärt:
„Die Darstellufig durch das kategorisclie Urteil ist abstracter, die durch das
hypothetische anschaulicher, indetn der Nebensatz an die Verwirklichung in Raum-
Uiid Zeit denken läßt" (Log. 8. 95). Nach Sigwart ist das Prädicat des hypo-
thetischen Urteils die „notwendige Folg&^ (Log. I«, 284, 286; vgl. Beiträge zur
Lehre vom hypothet. Urt. 1871). B. Erdmann betont: „Das hypothetische Urteil
ist . . , vom kategorischen logisch, mui xwar dadurch Ufiterschieden, daß seine
Behauptung, das, wofür es Geltung fordert, in der Consequenx der Folge aus dem
Grunde besteht" (Log. I, 416; über das hypothet. Urteilsgefüge vgl. I, 405 ff.).
446 Hyi>otypo8e — Ich.
Hypotypose {vnoTvnovv): Entwurf, Darstellung. — Kaxt ventclit
unter Hypotypose die Vereinnlichung eines Begriffe. y,ÄUe Hypotypose (Dar-
stellung^ suhiectio sub adspeetumj als Versinnlichung ist xwiefw^h: entwreder
sehematisch, da einem Begriffe, den der Verstand faßty die eorrespoftdieremäe
Anschmmtig a priori gegeben wird, oder symbolisch, da einem Begriffe, den
nur die Vernunft denken, aber dem keine sinnliche Anschauung angemessen «m
kann, eine solche untergelegt wird'^ (Krit. d. Urt. I, § 59). Frees erkläit dk
Hypotypose als ,yAnschaulichmachung des Gedachten, Unierlegung eines ansdum-
liehen Typus'' (Syst. d. Log. S. 363).
Hysteron Proteron {votbqov TiQoteQov) heißt der logische Fehler der
Vorwegnahme dessen, was nachfolgen soUte, des Beweises eines Satzes duidi
das, was erst durch jenen zu beweisen wäre.
I, J.
I: logisches Zeichen für das besonders bejahende Urteil („(userit i, sed
particulariter^'),
lell ist der Ausdruck der Selbstunterscheidung eines lebenden Subjects
von anderen Subjecten und den Objecten (Nicht-Ichs), also der Beziehung von
Erlebnissen auf das Subject als deren Eigner, Träger, constanten Factor. Das
Ich ist das Identische, Pennanierende, die Einheit eines lebenden, bewußten
Wesens. Es erfaßt sich selbst, „sefzf' (s. d.) sich selbst zuerst in einer Summe
von Trieben, dann im (beseelten) Leibe, dann in einem Zusammenhange vqd
Vorstellimgen, Urteilen imd Gefühlen, zuletzt im Willen und in der kmftvolkii,
synthetischen Einheit des Bewußtseins überhaupt, die sich von allen ihren Teil-
gliedem und Inhalten unterscheidet. Das Wesen des Ich liegt in der unt»-
scheidenden, (rück-) beziehenden und synthetischen Tätigkeit selbst. Das Ich
ist kein Schein, keine Erscheinung, es ist als (activer) Bewußtseinsfactor ideal-
real zugleich wie alles Geistige, es ist kein Summationsphänomen, sondern ist
schon ein Factor des primitiven Bewußtseins (als „Ichgefüht*, concrete Ichheit,
Für-sich-sein). Aber es ist keine Wesenheit außerhalb des Bewußtseins, keine
starre Substanz, sondern substantiell nur in und mit dem Complex individueller
Erlebnisse gegeben, als Ich-Moment. Das „reine" Ich ist ein begriffliches Ge-
bilde, es ist das Ich, losgelöst gedacht von seinem Inhalte imd in seinem
Ichcharakter, der „Iclüieit", fixiert. Die verschiedenen Arten der Setzung des
Ich, des Ich-Erlebens, Ich-Wissens kommen in der Entwicklung d« Selbst-
bewußtseins (s. d.) zum Ausdruck. Die Unterscheidung eines ,j?r»»tärc«f
vom „seeundären" (entwickelten, entfalteten, Reflexions-) Ich ist berechtigt.
Dem individuellen Ich wird zuweilen ein Gesamt-Ich, ein universales Ich gegen-
übergestellt. — Die Ichheit ist die Urkategorie, die subjective QueUe der
Kategorien (s. d.).
Die Geschichte des Ich - Begriff es zeigt, daß das Ich bald ab Seele, Sub-
stanz, bald als Action, Synthesis, Einheit, bald als Complex, Associationsproduct,
bald also als etwas Ursprüngliches, Beales, Wesenhaftes, bald als etwas Ab>
geleitetes, als Product, als Erscheinung oder Schein aufgefaßt ward.
Als geistige Wesenheit, als Träger des Denkens besonders erscheint das
Ich bei Plato, Aristoteles, Plotin, bei denen wir Ansätze zu einer Lehn^
vom Selbstbewußtsein (s. d.) finden. Die Stoiker beziehen das „Ich" auf das
Ich. 447
tiysfKn'ixov (s. d.): ovTta Si xai t6 iyto Xiyofuv xaza tovto {rjysfi.) Seixvvovreg
(Galen., De plac. Hipp, et Plut. V, 215 k). Cicero betont: jyNeqtie nos eorpara
sumtis", „ab animo tuo quidquid agitur^ id agitur a tef* (TuscuL disput. I, 22,
§ 52). — Nach Augustinus ist das Ich die Seele selbst (De trin. X, 10). So
auch die Scholastiker.
Descabtes betont die Immaterialität des Ich, es ist das Subject des
Denkens, die „res eogitans**, die sich aus dem „cogiio, ergo sutn" ergibt (Medit.
II u. III). Das j,ego" ist „mens", denn nur das Denken kann vom Ich nicht
abstrahiert werden. „Examinantes enim, quinam simus nos, qui omnia, quae
a nobis diversa sunt, supponttnus falsa esse, perspieue videmus, mUlam exten-
sianem, nee figuram, nee motum loealem, nee quid simüe, quod corpori tribuendum,
ad natttram nostram pertinere, sed cogüationetn solam" (Princ. philos. I, 7).
Geuuncx erklärt: „Corpus meum pars kuius mundi, Ego vero minime pars
kuius mundi sum, tUpote qui sensum omnem fugiam, qui nee tnderi ipse, nee
audirij nee manu tentari possim, Haee omnia in corpore meo sistunt, nihil
horum ad me neque permeat; ego speeiem otnnem excedo, Ego sola cognitione
voliticmeque definior" (£th. annot. p. 204). „£iio non faeio id, quod, quomodo
ßat, nescio'^ (1. c. p. 205). Spinoza identificiert das Ich mit dem Intellecte
(„mens^^J, betrachtet es aber nicht als Einzelsubstanz, sondern als modus (s. d.)
der Grott-Natur (vgl. Selbstbewußtsein). Locke versteht unter dem Ich ein
denkendes, vernünftiges Wesen, das sich als sich selbst und als dasselbe Wesen
auffassen kann (Ess. II, eh. 27, § 9 f.). Das Ich besteht in dem stetigen, mit
sich identischen Bewußtsein selbst (L c. § 25), so daß es für dieses gleichgültig
ist, ob ihm eine oder mehrere Substanzen zugrundeliegen (1. c. § 16 f.). Leibniz
unterscheidet die reale, physische von der persönlichen, bewußten Identität des
Ich (Nouv. Ess. II, eh. 27, § 19). Die Ichheit als Für-sich-sein, Innerlichkeit
kommt allen Wesen (Monaden, s. d.) zu. Berkeley faßt das Ich als rein
geistige, active Substanz auf (Princ. XXVII). Nach Bonnet ist das Ich eine
„modifieatiwi de Väme, et eette modifieation n'est que Päfne elle-ntenie existafU
dans un eertain etai" (Ess. C. 38). — Nach Condillac ist das Ich (der fin-
gierten „Statue^^ „totä ä la fois la conscienee de ce qu'elle est et le souvenir
de ee qu'elle a ete" (Trait. d. sensat. I, eh. 6, § 3). Das Ich eignet nur einem
Wesen, ,^i remarque que dans le moment present il n'est plus ce qu'il a etL
Tont qu^ü ne ehange point, il existe sams aueun retour sur lui-meme: mais
(uwntot qu'il ehange, il juge qu'il est le meme qui a ete auparavant de teile
tnanih-e, et il dit moi" (1. c. § 2). Das Ich des Wahrnehmenden ist nur eine
„eoUeetian" von Empfindungen und Erinnerungsvorstellungen (1. c. I, eh. 6, § 3).
HuxE setzt Ich und Seele gleich (Treat. IV, sct. 6) und hebt die Substantialität
desselben ganz auf. Das Ich trifft sich niemals ohne Perception an und findet
sieh stets nur in Perceptionen. Es ist nur ein „bündle or collection" „ver-
ifhiedener Perceptionen, die einander mit unbegreiflicher Schnelligkeit folgen und
hestätidig in Fluß und Beilegung sind" (1. c. S. 327).
Die actuale Auffassung des Ich tritt bei Kant wieder auf, aber in einer
andern Form, die der Activität und synthetischen Einheit des Ichbewußtseins
mehr Bechnung trägt. Die metaphysische Einfachheit und Substantialität des
Ich wird bestritten, die Einheit des Subjects aber betont Das „Ich bin ein-
fach" ist nur „e»w unmittelbarer Ausdruck der Äpperceptüm", der Bewußtseins-
tätigkeit selbst (Krit. d. r. Vem. S. 302). Es bedeutet, daß die Vorstellung
yjlch^* „nicht die mindeste Mannigfaltigkeit in sieh fasse und daß sie absolute
448 loh.
(obxwar bloß logische) Einheit sei^^ (l. c. S. 303). „So vi^l ist gewiß: daß id
mir durch das Ich jederzeit eine absolute y aber logische Einheit des Sub^
{Einfachheit) gedenke, aber nieJä, daß ich dadurch die leirkliche Einfachheit meimt
Subjects erkenne** (ib.). Das Ich ist nicht das „Ding an sich^' (s. d.), es ist Er-
scheinung, weil es der Form des inneren Sinnes (s. d.) unterliegt, jeden&Us
aber ist es nicht körperlich (1. c. 8. 304). Das durch den innem Sinn erfaßte
(VorsteUungs-) Ich ist das „empirische** Ich, von dem das „reiwf*, ^^trwfiaom-
dentaie^* Ich der reinen Apperception (s. d.), das „7cA denke**, das alle Vor-
stellungen als Einheitspunkt begleiten muß können, die Ichheit, die reiße
Synthesis (s. d.) zu unterscheiden ist (1. c. S. 675). Das reine Ich ist ein Begriff,
ein Abstractum, es bezeichnet das Subject der Gedanken, das Correlat der
Apperception (WW. IV, 438). „Ich bin mir meiner selbst bewußt, ist ein Ge-
danke, der scJwn ein zwiefaches Ich enthält, das Ich als Subject u/nd das Ich aU
Ob/ect.** „ Von dem Ich in der erstem Bedetdung (dem Subject der Apperception),
dem logischen Ich, als Vorstellung a priori, ist schlechterdings nich/s u?eiter xu
erkemien möglich, was es für ein Wesen, und von welcher Naturbescßtaffenheit et
sei; es ist gleichsam, wie das Sulfstantiale, was übrigbleibt, wenn ich alle
Aeeidenxen, die ihm inhärieren, weggelassen habe, das aber schlechterdings gar
nicht weiter erkannt ujerden kann, weü die Accidenxen gerade das waren^ ironm
ich seine Natur erkennen konnte,** „Das Ich aber in der zweiten Bedeutung (aU
Subject der Perception), das psychologische Ich, als empirisches Bewußtsein, üi
mannigfacher Erkenntnis fähig.** Das empirische Ich ist Erscheinung; das
logische Ich zeigt das Subject an, yrie es an sich ist, im reinen BewufitBon,
als reine Spontaneität, ist aber keiner Erkenntnis fähig (Üb. d. Fortschr. d.
Metaph. S. 109 f.). — Reinhoij> versteht unter dem (empirischen) Ich ,/fa*
vorstellende Subject, inwiefern es Object des Bewußtseins ist** (Vers. e. neuen
Theor. II, 336). Nach S. Maimon ist das Ich die „Einheit des Bewußtseins'^
das im Verhältnis zu den wechselnden Vorstellungen Beharrliche (Vers. üb. d.
Transc. S. 157). Nach Krug kann man nur vom empirischen Ich die Existenz
aussagen. „Dem reinen Ich hingegen kann das Prädicat des realen Seins nickt
beigelegt werden^ weü es kein reales Ding, sondern ein bloßer Begriff, ein
0 edankending ist. Denn man denkt es nur dadurch, daß man von seinen
empirischen Bestimmungen abstrahiert und bloß auf die ursprünglichen refieetierL
Das reine Ich ist also nichts anderes als der Inbegriff des ursprünglichen oder
Transcendentalen in mir, was ich als den Orund aUes Empirischen in mir denke^
(Fundam. S. 143). Später jedoch erklärt er: „Die ürbestimmungen des Ich sind
die wesentlichen, allgemeinen und notwendigen Eletnente der menschlichen Xatnr:
sie machen unser Wesen aus . . . und müssen daher bei allen Menschen auf
gleicJie Weise angetroffen u^erden. In ihnen muß unsere ursprüngliche Ein-
richtung oder Anlage . . . bestehen, Ihr Inbegriff heißt auch das reine oder
absolute Ich.** Dieses ist nichts anderes als die reine Menschheit selbst im
Individuum, etwas Reales, das sich unter der Hülle des Empirischen offaibart
(Handb. d. Philos. I, 53). Als Setzung des reinen, schöpferischen, logiflcheo,
des absoluten Ich bestimmt das empirische, das Einzel-Ich J. G. Fichte, der
die Ichheit zum Seinsgrunde macht. Das absolute, unbegrenzte, schlechthinig^
Ich setzt in einer Reihe intellectueller Acte sich und sich gegenüber das Nicht-
Ich. Das Ich ist wesentlich setzende, d. h. fixierende, objectivierende Tätigkeit
„Dasjenige, dessen Sein (Weseti) bloß darin besteht, daß es sieh selbst als seiend
setxt, ist das Ich, als absolutes Subject, So, wie es sich setxt, ist es; und «o»
Ich. 449
irte es ist, setzt es sich^ und das Ich ist demnach für das Ich schlechthin und
rwiwendig. Was für sieh selbst nicht ist, ist kein Ich.*^ jj^^ Ich ist nur in-
sofern^ inwiefern es sich seiner betcußt ist" (Gr. d. g. Wißs. S. 9). Das Ich ist
schlechthin durch sein Sein (1. c. 10 f.), es „setzt ursprünglich sein eigenes Sein"
{L c. S. 11). Das „Ich = /cä" ist die ursprünglichste Erkenntnis, die Urquelle
jdles Denkens (ib.), es bedeutet „erstens die rein logische Identität van Subfeet
t4nd Ohfeet im Acte des reinen SdbstbeumßtseinSj zweitens die reale metaphysisefie
Identität des setzenden absoluten Ich und des gesetzten begrenzten Ich, tmd drittens
die xeUliehe Identität des Ich in zwei rasch aufeinander folgenden Zeitpunkten'*
(E. V. Habtmann, Gresch. d. Metaphys. II, 71). Ich und Nicht-Ich sind beide
,yProduete ursprünglicher Handlungen des Ich" (Gr. d. g. Wiss. 8. 23). „Ich
setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen" (1. c. S. 28).
D. h. das absolute Ich setzt in sich Innenwelt und Außenwelt in einem Acte.
Das Ich als Intelligenz, als Vernunft ist ein Product der Setzung, eine zu
realisierende Idee, ein Strebensziel (1. c. S. 224; WW. I, 463 f., 515 f.; II, 382).
Einerseits setzt das Ich das Nicht-Ich als beschränkt durch das Ich, ander-
seits setzt es sich selbst als beschränkt durch das Nicht-Ich; so sich praktisch
und theoretisch verhaltend (Gr. d. g. Wiss. S. 49 f.). Als „den ganzen schlecht-
hin bestimmten Umkreis aller BecUitäien umfassend^ ist das Ich Substanz (1. c.
8. 73), aber nur im Sinne reiner ActuAlität, als beharrendes Tun („Tathandlung'*),
das durch inteUectueUe Anschauung sich selbst erfaßt (Syst. d. SittenL S. 110 f.).
Das Ich ist ,^as erste Prindp aller Bewegung, alles Lebens, aller Tat und Be-
gebenheif^ Das Wirken des Nicht-Ich gegenüber dem empirischen Ich ist
selbst schon eine Tat des (absoluten) Ich (1. c. S. 213 u. ff.). Das Ich findet
Bich (praktisch) wesentlich als wollend (1. c. S. 8). Schelling bestimmt (in
seiner ersten Periode) das absolute Ich als das, „was schlechterdings niemals
Object werden kann" (Vom Ich S. 12). Das Ich bringt sich durch absolute
Causalität denkend hervor (ib.). Es ist Anfang und Ende aller Philosophie,
indem es die Freiheit ist, (1. c. S. 38 ff.). Das bewußte Ich ist nicht das reine,
absolute Ich; dieses wird nur in intellectueller Anschauung bestimmt (1. c.
S. 44, 49). Das Ich enthält alles Sein, alle Bealität (1. c. S. 61), ist unendlich
(L c. S. 74), wie auch seine Attribute (1. c. S. 77). Es ist die einzige Substanz,
alles andere ist Accidenz des Ich (1. c. S. 79). Eß ist das Ich die „immanente
Ursache alles dessen, was ist' (1. c. S. 84). „Der Inbegriff alles Subjectiven . . .
heiße das Ich" (Syst. d. tr. Ideal. S. 1). Der Begriff des Ich ist nur „der Be-
griff des Selbst'Obfeet-werdens" (1. c. S. 45). Das Ich ist nur und kann nur
vorgestellt werden als Act (ib.), ist „nichts außer dem Denken" (L c. S. 46),
,Juin Ding, keine Sache, sondern das ins Unendliche fort nicht Objective"
(L c. 8. 47 f.), es ist „reiner Act, reines Tun" (1. c. S. 49), em „Wissen, das
zugleich sich selbst (als Object) produeiert", ein „beständiges intellectueUes An-
schauen" (1. c. S. 51). Das Ich als solches ist überindividuell, überempirisch
(1. c. 8. 59), es ist das Subject alles Seins. ,J)er ewige, in keiner Zeit begriffene
Act des Selbstbeumfitseins, den wir Ich nennen, ist das, was allen Dingen das
Dasein gibt, was also selbst keines andern Seins bedarf, sondern sieh selbst
tragend und unterstützend, objeetiv als das ewige Werden, subjectiv als das
unendliche Producieren erscheint" (1. c. S. 61). Das Ich liegt der In-
telligenz zugrunde (1. c. S. 147). „Ni4r an der ursprünglichen Kraft meines Ich
bricht sieh die IG-aft der Außenwelt. Aber umgekehrt auch die ursprüngliche
Tätigkeit in mir erst am Objecte »um Denken, zum selbstbewußten Vorstellen"
PhilOBophiioh«! Wört«rbaoh. %, Aufl. 29
450 Ich.
(Naturphilos. S. 305). Das Ich wird bei Schelling spater zu einem Ent-
wicklungsproducte des Absoluten. Nach Chr. Krause ist das Ich ein „Tml-
toesen" der allgemeinen Yemimft. Hegel bestimmt das Ich als j,da8 Aügememe^
da8 hei sich ist* (Sechtsphilos. S. 43 f.). „Das Denken als Subjeet rorgesidli
ist Denkendes, und der einfache Ausdruck des existierenden Std^eets aU
Denkenden ist leh'^ (Encykl. § 20). „Ich aber ctbstract als solches ist die reine
Bexiekung auf sieh selbstf in der vom Vorstellen^ Empfinden, von jedem Zusiamd^
wie von jeder Particularität der Natur, des Talents, der Erfahrung u. s. f. ab-
strahiert ist. Ich ist insofern die Existenx der ganz abstraeten Ällgemeinheil,
das abstretet Freie^^ (ib.). Das Ich (die Seele) ist „der Begriff sdbst in seiner
freien Existenx*^ (Ästhet. I, 141), es ist eine ideelle Einheit (ib.). K. Rosen-
kranz erklart: „hidem das Selbst aus dem Objectiven in sich xarückgekt, findet
es sich selbst als mit ihm, dem Subfect, identisch" „Das Ich setxt steh selbst,
seixt sich ihm selbst entgegen und setxt sich auch als die Einheit des settenden
und gesetxten Ich" (Syst. d. Wiss. S. 411). „Das Ich kann nicht Ich sein, ohne
seiner selbst gewiß, d. h, ohne sich selbst als Subjeet Object xu sein" (PsychoL»,
S. 288). Das Selbst ist „die sich unaufhörlich erneuernde Tat des Geistes^
(1. c. S. 289). Nach Hein^roth ist das Ich das Beharrliche an der Seele (P&ychoL
S. 150), es wird als Einheit immer schon vorausgesetzt (L c. S. 155). "Die Ich-
heit ist „der Focus aller Functionen oder aller Radien des geistigen Mensehen'*^
(Psychol. S. 8). Ichheit ist „persönliclie Einheit*^ vermöge des SelbstbewußtseiDS
(1. c. S. 29). Die Ichheit, das Ich ist ein unmittelbar-gewisses, unbestreitbares
Grundfactum (1. c. S. 283). „Sentio, ergo sum", „volo, ergo sum" (L c. S. 284).
Das Ich ist das sich selbst Gleiche in allen seinen Act^, „die allgemeine
Gleichung für eine unendliche Reihe von Functionen" (1. c. S. 2^). Das Ich
ist das Band von Wissen und Sein (1. c. S. 287), die Quelle der Kategoriai (s. d.).
Carriere betont: „Wir sind nur ein Ich, insofern unr uns als solches setxen*^
(Ästh. I, 42; Weltordn. S. 158). — Nach Günther wird das Ich nicht erlebt^
sondern erschlossen. Garnier bemerkt: „Ijc nwi est Väme se pereevant ou se
connaissant^ (Trait I, p. 373). Nach Guteerlet u. a. ist das pejchologiscfae
Ich die Seelensubstanz (Kampf um d, Seele S. 105). „Bei dem Wechsel der
inneren Zustände bleibt imfner ein Element, nämlich der mir xugehörende Umstand,
daß es immer meine Zuständliehkeit ist. Dieses constante Element, welches sieh
mit allen wechselnden Zuständen verbindet, ist das, was tcir xunächst als Ich
ausscheiden und auffassen" {ib.). Es ist femer auch „das Subjeet, teelches
jene Zustände an sich und in sieh erfährt^ (ib.).
Nach Schopenhauer ist das Ich „das pro tempore identische Subjeet des
Erkennens und Wollene" (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 19). Es ist der ,^-
differenxpunkt^ von Willen und Intellect, deren Wurzelstock, gemeinschaftlicher
Endpunkt, ,^der xeiiliche Anfangs- und Anknüpfungspunkt der gesamten Er^
scheinung, d. h, der Objectivation des Willens" (L c. II. Bd., C. 19). Das
„tßieoretische" Ich ist der „Einheitspunkt des Bewußtseins", es ist eine Erkenntnis-
function des „wollenden" Ich (L c C. 20). Kern und Trager des Ich ist der
Wille (s. d.). Nach J. H. Fichte ist das Ich ein Product des Geistes (Psy-
chol. I, 167 f.). Das Ich ist „weder ein Reales, noch viel weniger Prinrij^
eines Reeden, sondern lediglich das Product einer psychologischen Ab-
straction'*; es ist „die leere Form des Selbstbetvußtseins, in welcher der Geist
seine reale^i^ aber ihm bereits bewußt gewordenen Unterschiede vorstellend xu-
sammenfaßt: Zeichen eines Realen" (Psychol. I, S. XVIII f.). Das Ich ist
Ich. 451
nichts Substantielles, sondern Prädicat und Merkmal des Geistes (1. c. I, 167).
E. V. Hartmank sieht im Ich keine Substanz, keine Wesenheit, sondern die
Erscheinung des unbewußten Subjeets (Philos. d. Unbew.', S. 535). Das Ich
ist y/iie Abstrciction des SdbstbewußtseinSy die leere Farm des Selbstbeumßtwerdens
unter Äbsehung van edlem eoncreten Bewußtseinsinhalt ^ in welcher die Refleodan
auf die in allen meinen Beunißtseinsaeten identische Farm meines Betcußtsevns
selbst xum Inhalt eines bestimmten Bewußtseinsaetes icird^^ (Kategorienl. S. 501).
Es darf nicht hypostasiert werden (1. c. S. 502). Das „reale Subject der psychi-
schen Tätigkeiten" ,Jcann nicht ein Ich, ein schon an und für sich selbstbewußtes,
sein, tceil das Bewußtwerden selbst erst eine der psychischen Tätigkeiten ist, alsa
ein Posterius des Subfects sein muß, ein Mi ihm erst nachträglich Hinxuhatnmen-
det^*" (L c. S. 507). Das Ich ist „eifie subjectiv ideale Erscheinung der SeeU^'-
(L c. S. 511). So auch A. Dkews (Das Ich S. 132). Das Ich ist „Subjecf',
j/iber dies bedeutet nicht das reale denkende Subject, sondern nur den subjectiven
Pol des Bewußtseins, dem das Obfect als sein notwendiges Carrelat gegen-
übersteht*' (L c. S. 138). Das Ich ist die Form des Bewußtseins (1. c. S. 144),
setzt das Bewußtsein schon voraus (ib.). Jedes Ich ist ein empirisches Ich
(L c. B. 228). Die Ichheit ist der einheitliche Act des Zusammenfassens, der
bei allen Wesen identisch ist (ib.). Das Selbigkeitsbewußtsein bezieht sich „tmr
auf die unbewußten Faktoren des Bewußtseinsinhalts" (Arch. f. system. Philos.
Vni, S. 207). Die WirkUchkeit des Ich ist bloß eine ideeUe (1. c. 8. 208).
Jeder Versuch, das Beale unmittelbar vom Ich aus zu bestimmen, hebt sich
schließlich in seinen Ck>n8equenzen selber auf (Das Ich S. 130). — Nietzsche
erklart das „Subfeet" des Bewußtseins für eine Fiction (WW. XV, 282). Das
Ich darf nicht^substantialisiert werden (WW. XV, 354j. Es ist eine Mehrheit
von E^raften, von denen bald diese, bald jene im Vordergrunde steht; der
„Subfeetpunkt" springt herum (WW. XI 6, 157). Das Ich als primäre Ursache,
als Täter ist eine Fabel (WW. VIII 2, S. 94 f.). Ich und „organisches Ein-
heüsgefühl" sind zu unterscheiden. Das Ichbewußtsein ist das letzte, was hin-
zukommt, wenn ein Organismus fertig functioniert (WW. XII 1, 32). Das
Selbstbewußtsein ist ein sociales Product (WW. V, S. 293).
Als Bewußtsein, Bewußtseinsform, Bewußtseinsmoment, psychische Wesen-
heit wird das Ich verschiedenerseits bestimmt. J. Bergmann erklart: „Gewiß
ist , , .j daß wir nichts als daseiend denken können, ahne unser denkendes Ich
selbst ctls daseiend mi denken" (Begr. d. Das. S. 294). „Dies aber, sich selbst
XU denken und xwar als daseiend, cUsa als identisch mit sich, ist das Wesen
des Ich. Ich bin das, was ich mit detn Worte ,Ieh^ meine, nur, inwiefern ich tnich
denket* (1. c. Ö. 296). Das Ich ist „nichts anderes als das icahmehmende Be-
tcußtsein, inwiefern dasselbe sich selbst xum Inhalte hat und, indem es sich xum
Inhalte hat, hervorbringf^ (Sein u. Erk. S. 97). „Ich habe nicht, sondern ich
bin Bewußtsein" (L c. S. 155). ,J>er reine Inhalt meines Bewußtseins ist , . .
mein allgemeines oder reines leh, der empirische Inhalt mein besonderes oder
empirisches Ich und weiter nichts" (ib.). Das Ichbewußtsein steckt schon „iti
der schwächsten sinnliehen Bhnpfindung, in dem dvmpfesten Gefühle" (1. c.
S. 156). Nach^O. Schneider ist das Ichbewußtsein nur ,^raus erklärlich,
daß in detn Wechsel ein unbedingt Gleiches, Beliarrliches mit festen Stamm-
begriffen bleibt, welches das Bewußtsein der Dasselbigkeit (Identität) erxeugi"
(Transcendentalpsychol. S. 122). „Es ist immer dasselbe einheitlich geschlossene,
als Ganzes tätige Ich, welches Ordnung und Einheit in den Varstellungen stiftet
29*
452 loh.
ttnd sich seine Bewußtseinsxustände auf Veranlassimg der Erfahrung WMek
Maßgabe seiner apriorischen Kraft macht. Die kritische Philosophie erkennt in
diesem tätigen Ich ein transcendentales , übersinnliches, hei allen verständigen
und remünftigen Menschen gleiches Beioußtsein*^ (1. c. S. 447). Ein abflolntes,
zeitloeee Ich als Seinspriiicip nimmt u. a. Gbeen an (Proleg. to Ethics § 11).
Nach G. Thikle gibt es ein „iiberxeitliehes Ich", dessen Äußerungen die ein-
zelnen Ich-Acte sind (Philos. d. Belbstbew. B. 311). Das Ich ist „Selbstgefühl,
,,das reine Sichselbst-fühlen der Seele", „Idetvtität von Wissen und realem Sdn^,
,,Sich-selbst'Wollen" (1. c. S. 303 ff., 327, 311). K. Lasswitz erklart: J)as
naturbedingte Ich ist unsere individuelle Existenz in Raum und Zeit . . . Das
Ich als Selbstgefühl aber ist gerade das allgemeine, das allen individuellen lek,
die sich durch ihren Inhalt unterscheiden, in gleicher Weise xukomnU, Nur
jener besondere empirische Inhalt ist naturgesetxiich bestimmt, das Ich-sein als
solches aber ist eine autonome Bestimmung im Bewußtsein, ivodureh die Be^
Stimmung von Inhalt, d. h. Einheit von Mannigfaltigefn^ somit Nahtr, erst mög-
lich wird" (Wirklichk. S. 151). — Nach B. Erdmank ist das Ich ein bei allem
Wechsel des Bewußtseins beharrendes selbständiges Wirkliches (Log. I, 75 L).
Indem wir von den Objecten leiden und uns in diesem Leiden selbst erhalten,
werden wir uns unserer eigenen Wirklichkeit bewußt (1. c. I, 83). A. Wernicke
betont: „Unser Ich ist die Formaleinheit seiner Vorstellungen"» „Da unser leh
es an sich selbst erfährt, daß ein Etwae trotx der Verschiedenheit seiner Ä-
stände sich stets als dasselbe erseheinen kann, so überträgt es diese Erfahrwig
unmittelbar auf das Mannigfaltige, welches ihm gegenubertritt, und erfaßt das-
selbe flach dem Muster (Analogie) der Identität Ich = Ich, so daß es im Oegebenen
schließlich ein Reich von Dingen sieht, welche Formaleinheiten ,ßefner Zustände
sind" (Die Grundlag. d. Euklid. Geometr. 1887, S. 6). Nach Behhke ist das
Ich „das unmittelbar gegebene conerete Betcußtsein". „Das in Wechselwirkung
Zusammen von Seele und Leib . , , ist der Anlaß, daß dasselbe Wort ,ieh^ , . .
auch für jenes Zusammen gebraucht wird" (Lehrb. d. allg. Psycho!. S. 126).
SCHUPPE erklärt: „Bewußtsein und Ich können promiscue gebraucht werden. In
dem Sich'Seiner-beicußt'Sein besteht das Ich." „Das Ich erweist sieh im unntiitel-
baren Bewußtsein als etwas, was nur SuJbject sein, nur Eigenschaften haben^
Tätigkeiten ausüben kann . . , Es bedarf nicht nur keines Substrates^
sondern kann keines haben" (Log. S. 16). Ich-Subject und Ich-Object weisen
gegenseitig aufeinander hin. „So weit ist das Ich absolut einfaehj ein absoluter
Einheitsptinkf* (1. c. 8. 19). „Bewußtsein oder Ich" abstract genommen ist nur
ein „begriffliches Moment in dem Oanxen des concreten oder individuellen Bc'
wußtseins^^ (1. c. S. 20). Als „Subject des Bewußtseins" ist das Ich uni¨idi
(1. c. iS. 24), räumlich wird es erst, indem es sich als Object unter Objecten
findet (1. c. S. 25). Die Individualität des Ich hängt allein vom Bewußteeu»-
Inhalt ab, welcher das empirische Ich darstellt (1. c. 8. 21). „Das einxelne
individuelle Ich ist dieses Ich nur dadurch, daß es diesen räumlieh und xeiiUek
bestimmten Inhalt haP*^ (1. c. 8. 27). „Die psychischen Vorgänge eoineidieren
in dem einen unteilbaren Einheitspunkt des Ich, vjelches sieh in ihnen fi9$det^
als handelnd oder leidend, bestimmt oder bestifnmend^^ (1. c. 8. 76). „Das leh
findet und hat sich in diesen psychischen Elementen so etwa, wie die einfachste
Erscheinung aus den Erscheinungselementen besteht" (1. c. 8. 140). Durch seine
ihm eigene Einheit ist das Ich ein „Ich-Ding" (ib.). 8ghubebt-Solj>rbk be-
stimmt: „Die continuierliche, zeitlich einheitliche Entwicklung von VorsteüungsHy
loh. 453
OefühleHy Begehrungen u, 8. tc, gebunden an einen Leib mit der Seinsari der
Wahrnehmung und den Mittelpunki der unmittelbar gegebenen Raumwelt bildend,
ist das Ich.*^ ,yZu ihm steht alles in Beziehung*^ (Gr. e. Erk. S. 8). Zu unter-
Bcheiden ist zwischen concretem und abstractem Ich (1. c. S. 11). Auf der
Ck>ntinuitat der Erneuerung des ,Jch denke"' beruht die Identität des Ich (L c.
S. 75). yjkh bin mir eines Inhaltes bewußt, heißt; es ist im Zusammenhange
meines Ich gegeben^^ (L c. S. 76). Das Ich ist „die stetige Verknüpfung der
Gegenwart mit der Vergangenheit** (ib.). Das empirische (concrete) Ich ist die
Grundlage des abstracten Ich - Zusammenhanges (1. c. S. 77; vgl. S. 82 ff.).
RlEHii erblickt im Ich ,ykeine absolut fixe Idee^ sondern eine Vorstellung, die
sieh beständig erneut, die fortwährend aus ähnlichem, aber nietnals vollkommen
identischem Material erzeugt wird". Es ist keine Seins-, sondern eine Tätig-
keitsform (PhUos. Krit. II 1, 66). „Nur der bloße Gedanke ,Ich*, der Begriff des
Subjeetseins, ist immer und überall derselbe Gedanke, die nämliche Form des
Bescußtseins überhaupt; das etnpirische Selbstbewußtsein aber, das conerete Ich,
ist so reich und mannigfaltig, so verschieden an Ausdehnung und Gehalt, wie es
die individuellen Unterschiede der Begabung und der Erlebnisse mit sich bringen"
(Zur Einleit in d. Philos. 8. 167). Nach G. Gekber ist die Ichheit das „Sein
des Universums" (Das Ich S. 425). Die Gottheit ist Ichheit (1. c. S. 415).
Ohne Ichheit keine Welt (1. c. S. 41). Das Ich hat ein ,/ormendes Wirken",
eine „BUdekraft* , es gestaltet erkennend-handelnd die Welt in den Formen
seines Bewußtseins, indem es sich ihr einbildet (1. c. S. 222, 345). Nach
HuBSSBL ist das Ich nichts, was über den Erlebnissen schwebt, sondern iden-
tisch mit ihrer eigenen Yerknüpfimgseinheit (Log. Unters. II, 331), eine „ein-
heiiliehe Inhaltsgesamtheit" (ib.), welche in causaler Gesetzlichkeit liegt (1. c.
S. 332). Ein eigenes ,;reines" Ich, wie es u. a. Natorp annimmt, gibt es nicht.
Nach MÜKBTERBERG wird die „Ichfunetion" nicht vorgefunden, sondern erlebt,
behauptet, gewollt. Sie ist nicht beschreibbar, nicht erklärbar, aber die ge-
wisseste Realität, die nur nicht objectivierbar ist (Grdz. d. Psychol. S. 93).
Aus der Summation oder der Wechselwirkung von Vorstellimgen, Em-
. pfindungen (und Gefühlen) entspringt das Ich nach verschiedenen Philosophen.
Herbart findet im Begriff des einfachen, reinen Ich als Subject-Object einen
„Widerspruch", indem das Ich als vorstellend sein Vorstellen u. s. w. „unend-
liche Reihen" mit sich führt (Psychol. als Wiss. I, § 27; Lehrb. zur Psychol.»,
S. 142). Das Ich als einfacher „Träger** einer Vielheit von Zuständen ist ein
„Unwesen" (Hauptpunkte d. Metaphys. S. 74). Das Ich setzt sich nur im
jJStssammen" mit anderen Wesen (1. c, S. 76). Es ist „ein Mittelpunkt wechseln-
der Vorstellungen" (Met. II, 403), eine „Complexion" (Lehrb. zur Psychol.*,
S. 140). „Bei jedem. Menschen erzeugt sich das Ich vielfach in verschiedenen Vor-
stellungsmassen" (L c. 8. 141). Das Ich liegt in den jeweilig appercipieren-
den VoTstellungsmassen. Es ist „ein Punkt, der nur insofern vorgestellt wird
und werden kann, als unzählige Reihen a/uf ihn, als ihr gemeinsames Voraus-
gesetztes, xurücktceisen" (Psychol. als Wiss. II, § 132). Im Sinne Herbarts be-
stimmt G. A. Lindner das reine Ich als den idealen Vereinigungspunkt aller
nicht nach außen projicierten Vorstellungen, durch den eine allgemeine Be-
zogenheit aller Vorstellungen aufeinander hergestellt wird (Lehrb. d. empir.
PsychoL*, S. 141). „Das von allen einzelnen Bestimmungen des Seelenlebens
abhängige und mit ihnen sich bestäfidig verändernde Ich heißt das historische
oder empirische Ich des Mensehen." Es ist streng genonmien „eine stetige
454 Ich.
Aufeinanderfolge ineinander übergehender lehf^'- (L c. S. 143). Bekeke be-
trachtet das Ich als Besultat einer Verschmelzung von VonBtellang^i (Pragmat
PsychoL II, § 37; Lehrb. d. PsychoL», § 151). — Nach J. St. IMell ist das
Ich nur die Summe succedierender Elrlebnisse, es besteht in der y^permaner^
possibiliiy of feeling*' (Examin.). Nach H. Spekceb resultiert das Ich ans der
Wechselwirkung gleichzeitiger Vorstellungsgruppen (PsychoL § 219). Xadi
CzoLBE ist das Ich ein Summationsproduct von Vorstellungen (Entst^i. d.
Selbstbew. 8. 11). — Dbobisch bemerkt: ,J)ie ContimtHät der Reihe der «wi-
xelnen zeitlich untersehiedenen empirischen lehe ist das, was in der pgyekiseken
Erfahrung dem treibenden reinen Ich der SpeeukUion entspricht* (Empir. Psyche^
S. 146). VOLKMANN betont: „Das Ich ist nichts als ein psychisches
Phänomen y d. h. die Vorstellung des Ich ist nicht die Vorstellung eines Wesens
— denn dieses ist die Seele — oder einer Zusammensetxung von Wesen, sonder»
lediglieh das Bewußtsein einer Wechselwirkung innerhalb eines unübersehbaren
Vorstellungscampleoces^* (Lehrb. d. PsychoL II*, 170). Zunächst ist das Ich
„flfer empfindende und begehrende Leib", dann „da* Bewußtsein des ror-
stellenden und begehrenden Innern", endlich die „Vorstellung des den-
kenden und wollenden Subjectes" (L c. S. 162, 164, 167). — Nach Lipfs
,^cheiden icir mit xunehmender Erfahrung, was ursprünglich eifie ungetrennte
Einheit bildet, den Inhalt der Welt und den Inhalt unser&r Persönliehkeii, oder
kürxer die Welt und das Ich" (Grundt. d. Seelenleb. S. 408). „Wir können die
Inhalte unseres freien Vorstellens als die erste Zone um den eigentlichen Kern
des Ich, das wollende und vorstellende Ich als das Ich der ersten Zone bexeieh$9en.
Unser Körper bildet dann die zweite Zone. Als dritte Zone können wir damn
die Welt der Dinge außer uns bezeichnen" (1. c. S. 443). Nach Ribot ist das
Ich ein Complex coordinierter Bewußtseinselemente, in deren jeweiligem Zu-
sammenhange die Einheit des Ichbewußtseins besteht (MaL de la PersonnaL*,
p. 169; MaL de la Volonte p. 87, 120, 169, 176; PsychoL d. Sentim. II, C. 5V.
Nach J. DuBOC ist das Ich „das Bewußtseinseentrum des jeweiligen inneren
Mischungsverliältnisses des Individuums" (Die Lust S. 2). Nach Ebbdtghaits
ist das Ich ein reichhaltiger Complex, die reiche Gesamtheit aller Empfindungen,
Gedanken, Wünsche etc. eines Individuums, ein „System", keine Substanz (Gr.
d. PsychoL I, S. 11, 15 ff.). Nach E. Mach besteht die scheinbare Beständig-
keit des Ich ,inur in der Continuität, in der langsamen Änderung^^ (AnaL
d. Empfind.*, 8. 3). „Das Ich ist nicht scharf abgegrenzt, die Grenze ist ziem-
lich unbestimmt und willkürlich verschiebbar** (1. c. S. 10). Zwischen Ich und
Welt besteht kein absoluter Gegensatz (1. c. S. 11). Das Ich ist nur eine
ideelle, denkökonomische Einheit von praktischer Bedeutung (1. c. S. 18). „Nidä
das Ich ist das Primäre, sondern die Elemente (Empfindungen). Die Eletnente bilden
das Ich. Ich empfinde Orün, will sagen, daß das Elemeni ,0ri4n* in einem gewissen
Complex ton anderen Elementen (Empfindungen, Erinfierungen) vorkommt** (1. c.
S. 19). „Aus den Empfindungen baut sieh das Subfeet auf, weMies dann aller-
dings wieder auf die Empfindungen reagiert" (L c. S. 21). Das Ich ist „mtr eine
praktische Einheit^* (1. c. 8.23), „eine stärker zusammenhängende Gruppe van Ele-
menten, welcfie mit anderen Gruppen dieser Art schwächer zusammenhängt** (ib.).
Nach Ostwald besteht die Einheit des Ich nur in der Stetigkeit seiner Än-
derungen (Vorles. üb. Naturphilos. S. 411). Das Ich besteht in unseren „Er-
innerungen und in dem Apparat, sie zu benutzen** (1. c. 8. 410). Cleffosd
bemerkt: „Das Gefühl der Persönlichkeit ist , . . ein gewisses Gefühl des
Ich. 455
Zusammenkanges xwiseJten verblaßten Bildern vergangener Empfindungen: die Per-
sönlichheii selbst besteht in der TcUsaehey daß derartige Verbindungen vorhanden
9ind, in der dem Flttsse der Empfindungen xvkommenden Eigentümliehkeit, daß
Teile derselben aus Banden bestehen, die schwache Reprodaetionen vorhergegangener
Teile miteinander verbinden. Sie ist somit ettoas BekUives, eine Art von Ver^
knüpftkeit gewisser Elemente und eine Eigenschaft des so erzeugten Complexes,
IHeser CompUx ist das Bewußtsein^^ (Von d. Nat. d. Ding, an eich S. 39). Nach
H. Cornelius gehören alle Inhalte, die wir unserer Persönlichkeit oder unserem
Ich zurechnen, dem jJSusammenhang unseres Bewußtseins^^ an. Die Identität
des Ich ist nicht Schein, weil es immer denselben Zusammenhang bedeutet,
der durch ein eigenes Grefühl charakterisiert ist. Durch psychische Processe
bilden sich Begriffe „eonetanter Fa>ctoren unserer Persönlichkeit'' , dauernder
Dispositionen (Einleit in d. Philos. S. 300; vgl. S. 326). Nach Strindberg
ist das Ich „eine Mannigfaltigkeit von Reflexen, ein Complex von Trieben (Be-
gierden/* (Vergang. e. Toren I, S. 235). R. Wähle erklärt: „Unter ,/eÄ* rer-
steßtt man Fühlen, Urteilen, Willenskraft etc. So oft nun solche Gattungen
von Vorkommnissen in verschiedenartigster Weise auftreten, hat 7nan ein Jch* ".
Dieses Ich ist nichts Substantielles, Selbständiges (Das Ganze d. Philos. S. 72 ff.).
— Preyer betont, das Ich sei nicht einheitlich, nicht unteilbar, nicht ununter-
brochen. „Im Wachsein ist es stets nur da, wo die centro - sensorischen Er-
regungen gerade am stärksten hervortreten, das heißt, wo die Aufmerksamkeit
angespannt ist .^^ Das Ich ist nicht Summe, sondern Vereinigung (Seele d.
Kind. S. 392). Das „Rinden-Ich** ist ein anderes als das „Riiekenmark-Icii"
(1. c. S. 390). Nach Kroell ist das Ich „nicht eine ureigne Kraft, sondern
immer nur, wie das Bewußtsein überhaupt, ein vorübergehender und wahrend des
ganxen Lehens sich stets erneuernder Inhalt der fiahnen mit bevrußten Ehr-
seficinungs formen* '^* , Der Mensch wird erst zum Subject diurch seine geistige
Entwicklung (Die Seele S. 56).
Auf den Leib bezieht das Ich L. Feuerbagh. Im psychologischen Or-
ganismus erblickt das Ich Bain (Ment. Scienc. p. 402), in gewisser Beziehung
auch im Willen (Sens. and Int.',' p. 342). Nach C. Göreng ist das „Ich** nichts
als das „persönliche Fürwort, tcelches in Rücksieht auf seinen Inhalt durchaus
bestimmt wird von der Auffassung des Namens, welcher es vertritt* (Syst. d.
krit. Philos. I, 162). Für den natürlichen Menschen ist das Ich der Leib (L c.
8. 169). Das Ich als solches ist eine Abstraction, es besteht in Wirklichkeit
nur mit und in Bewußtseinsinhalten (ib.). Nach B. Avenariüs ist das Ich
eins mit dem Individuum. Das „/(^"-Bezeichnete ist mit der „Umgebung** als
ursprünghcher „Befum^* gegeben, es bUdet das „Centralglied** einer „Prineipial-
coordinaHon** , deren „Qegenglied** die Umgebung ist (Der menschl. Weltbegr.
8. 82 ff.; Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 18. Bd., S. 405). Wissenschaftlich
tritt an die Stelle des Gresamtindividuums das „System G** als dessen Bepräsen-
tant („empiru^eritische Substitution**, Weltbegr. S. 87).
Als Kraft, lebendige Wirksamkeit, Willenstatigkeit im Zusammenhang eines
Bewnfitseins tritt das Ich bei einer Reihe von Philosophen auf. Platner er-
klart: ,J)as SelbstgefüM von meinem Ich ist nicht ein Haufen von Ideen, sondern
das Oefühl einer Kraft, welche Ideen behandelt, selbst nicht wechselt, jedoch sieh
verändert, d, Ä. übergehet von einer Art des Seifis auf die andere, tmd ihre eigene
Beharrlichkeit von dem Wechsel ihrer 2^tstände klar unterscheidet* (Philos. Aphor.
I, § 866). Maine de Biran unterscheidet „moi phenomenal** imd „moi
456 Ich.
, _ im,
noumenal". Das Ich ißt Wille. Es ist ,yUnefarce hyperorganique ncUurellemefU m-
rapport Ckvec une resistance vivante" (Ess. I, sct. II, eh. 1). „Je suis wie foroe
agissante" (Oeuvr. III, p. 18). Es gibt eine jyappereepiion interne immedifAe
ou conseience d*une force, qui est moi" (L c. III, 5). „Le moi s'aperpoii . . -
primitivementf et il s'entend ä la foi au titre ^etre reellement exisiant dans nm
temps par son Opposition ä tout ce qui est appelle ehose ou objet^* (L c. III, 13 II
Das Ichbewußtsein ist die Quelle der metaphysischen Begriffe. Auch Destttt
DE Tracy bestimmt das Ich als Wille (El. d'id^l. IV, p. 72; vgl IV, 67, 69).
Nach J. G. Fichte findet sich das Ich wesentlich als wollend (Syst d. ÖittenL
S. 8). Nach FOKTLAGE besteht das Ich in einem „Systetn von TH^fen" (Tsychd.
II, § 73). Naich LoTZE ist die Ichheit etwas Ursprüngliches. ,fTedes Gefiikl
der Lust oder Unlust, jede Art des Selbstgemisses, enthält für uns deti Urgnmd
der Persönlichkeit, jenes unmittelbare Für-sich-sein . . ." (Mikrokosm. III*, 567 ^
Denkbar ist das Ich nur in Beziehung auf das Nicht<Ich, aber erlebbar ist es
schon vorher auiSer jeder solchen Beziehung (1. c. S. 568). Nach Teichmüllek
ist das Ich Substanz (N. Grundleg. S. 156). Es ist „der gemeinsame Bexiekungs^
punkt für alles im Bewußtsein gegebene reale und ideelle Sein^* (1. c. S. 167).
Die Ichheit ist in allen qualitativ identisch (ib.), aber die vielen Iche sind
numerisch verschieden (ib.). Das Ich ist zeitlos (1. c. S. 170). Es ist Bedinguni^
und Prototyp des Substanzbegriffes (1. c. S. 171 ff.). Nach R. Hamsrlixo
ist das Ich nichts außer imd neben seinen Bestimmungen, aber fss ist doch
real (Atomist. d. Will. I, 220). Die Setzung der eigenen Existenz ist eine ab-
solut gültige (1. c. S. 223). Das Ich ist ein Actives, es ist ein Geschehen, ein
Lebensproceß (1. c. S. 232). „Das Ich als Subject ist das allgemeifie, unend-
liche, absolute, das Ich als Object das endliche, individuelle Ichj mit dem be-
sondern Inhalt seiner Vorstellungen und Willensacte^^ (1. c. B. 233). Es gibt
einen „Ichsinn^^ (1. c. II, S. 154 ff.). HoRWicz erblickt im Ich das allenrealste
Wesen, die Ichheit ist der Quell des Dingbegriffes (s. d.) (PsychoL Analys. II,
127, 150). Nach Th. Ziegleb ist das Ich „nichts neben seinem Fühlen, Vor-
stellen oder Wollen^^ (Das Gel*, S. 70); dem Ichbewußtsein liegt das Geföhl
zugrunde (1. c. S. 68). Höffdinq bestinmit xias Ich im engeren Sinne als
Träger der Willenshandlungen (PsychoL*, S. 123). Nach Wundt ist das Ich
keine Substanz, sondern ein Gefühl des Zusammenhanges der Willensvorgange,
die bei aller Verschiedenheit ihrer Inhalte doch als gleichartig aufgefaßt werden.
Das Ich ist Tätigkeit, Einheit des Wollens, im Bewußtsein wirksam. ,yDieses lehy
isoliert gedacht von den Objecten, die seine Tätigkeit hemmen, ist unser Wollen,
Es gibt schlechterdings nichts außer dem Menschen noch in ihm^
was er voll und ganx sein eigen nennen könnte, ausgenommen seinen
Willen'' (Vorles. üb. d. Mensch.*, S. 250, 270; Log. II*, 2, S. 246 f.; Syst d.
Philos.*, S. 377). Ein leeres, reines Ich gibt es nicht, da das „/eA" nur die
Form des Zusammenhanges von Erlebnissen in einem Individuum, zugleich die
Gesamtwirkung der früheren Erlebnisse auf die momentanen Zustände bedeutet
(Vorles.*, S. 269 ff.; Grdz. d. phys. PsychoL II*, 302 ff.; Log. II*, 2, 246 f.;
Syst. d. Phüos.*, S. 40; Eth.«, S. 448). Die Identität des Ich mit sich selber
ist bedingt durch die Stetigkeit der Willensvorgänge und durch die Einheit
und Gleichartigkeit der Apperception (s. d.), ohne daß die Annahme einer ab-
soluten Beharrlichkeit des Ich notwendig ist. In der „reinen Apperctptioft\
„d, h, in der dem übrigen BewtißtseinsinhaUe gegenübergestellten inneren WUl&w
tcUigkeit", erkennt das Individuum sein eigenstes Wesen (Eth.*, S. 448). „Das
loh — Ideal. 457
Ich empfindet sieh xu jeder Zeit seines Lebens als dasselbe, weil es die Tätigkeit
der Äpperception als voilkommen stetige, in sieh gleichartige und zeitlich xu-
sammenhängende auffaßt^^ (ib.). „Indem . . . die Wülensvorgänge als in sich
xusammenhängende und bei aller Verschiedenheit ihrer Inhalte gleichartige Vor^
gänge aufgefaßt werden, entsteht ein unmittelbares Gefühl dieses Zusammenhanges,
das xunäehst an das alles Wollen begleitende Oefühl der Tätigkeit geknüpft ist,
dann aber . . . über die Gesamtheit der Bewußtseinsinhalte sich ausdehnt. Dieses
Gefühl des Zusammenhangs aller individuellen psychischen Erlebnisse bezeichnen
wir als das ,Ich\ Es ist ein Gefühl, nicht eine Vorstellung . . . Es ist jedoch,
wie alle Gefühle, an gewisse Empfindungen und Vorstellungen gebunden^^ (Gr.
d. PsychoL^ S. 264). Durch die Sonderung des SelbetbewußtseiiiB (s. d.) ergeben
sich drei Bedeutungen des Begriffes „Subject'* (s. d.). Metaphysisch ist das Ich
„relativer Individualwill^^ (Syst. d. Philos.*, S. 413 ff.), „vorstellender IVille^^ (ib.).
KÜLPE betont: „Die Erfahrung, daß man nicht widerstandslos den Einflüssen und
Eindrücken von außen her preisgegeben ist, sondern sieh wählend und handelnd
ihnen gegenüber verhalten kann, also die Tatsactie der Äpperception oder des Willens,
ist eines der ioichtigsten Motive für die Sonderung de^s Ich und Nicht-Ich" (Gr. d.
Psydiol. S. 465; vgL Ich u. Außenw.). Nach W. Jerusalem gilt als Ich
erst der Leib, dann das Denken, endlich das Wollen. „So schränkt sich denn das
Ich hnmer mehr auf ein einziges Gebiet psychischer Phänomene ein, nämlich auf
die Willensimpulse . . . Das Ich ist nunmehr der aktive Träger der Willens-
hafidlungen und kehrt damit zu jetiem Punkte zurück, von dem es ursprünglich
ausgegangen'' (Urteilsfunct. S. 168; Lehrb. d. Psychol.», S. 196 ff.). Schon
Meynert unterscheidet ein primitives, „primäres'' und ein entwickeltes, „secun^
däres" Ich (Gehirn u. Gesitt. S. 32 ff.). Diese Unterscheidung u. a. auch bei
Jerusalem (Lehrb. d. PsychoL», S. 196 ff.) und Jgdl (Lehrb. d. Psychol.). Nach
ihm Lst das primäre Ich schon die Voraussetzung der Bewußtseinsentwicklung,
jedem Bewußtseinszustande notwendig inhärent (Lehrb. d. Psychol. S. 92). Das
secundäre Ich hingegen ist das Product psychologischer Entwicklung; es besteht
aus Vorstellimgen und Gefühlen (L c. S. 5.59). L. Chevalier erklärt: „Das
Ich, das sich seiner Vorstellungen, Gefühle und Begehrungen beicußt ist, ist nicht
in Vorstellungen gegeben. Wir sind unser selbst als tätig und leidend unmittel-
bar bewußt, und daher kennen tcir uns als wirkliches Ding" (Entsteh, u. Werd.
d. Selbstbew. S. 26). W. James bemerkt: „In its widest possible sense , . . a
man's Seif is the sum total of all tßiat he can call hi^" (Princ. of Psychol. I,
p. 291 ff.). Das „Spiritual Selp' ist „a ttian's inner or subjective being, his psy-
chical factUties or dispositions" (1. c. p. 296). „Ressemblance among the parts
of a continuum of feelings . . . thus constitutes the real and rerifiable ,personal
identity' which we feel" (1. c. p. 336; vgl. Ladd, Phüos. of Mind 1895,
p. 147 ff.). VgL Selbstbewußtsein, Subject, Seele, Doppel -Ich, Identität,
Person.
99leli demke^^ s. Äpperception (transcendentale).
leli, doppeltes, s. Doppel-Ich.
IcMielt: der Charakter des Ich-Seins, das Für-sich-sein (vgl. J. G. Fichte,
WW. I 2, 19 f.). Vgl. Ich, Kategorien.
lelisiiin 8. Ich (Hamebling).
Mlleal (idealis) bedeutet: 1) vorbildlich, dem Charakter der Idee (s. d.),
458 Ideal — Ideale.
des Ideals (s. d.) angemessen; 2) (= ideell) nicht wirklich, nicht real (& i;'
nur als (oder in der) Idee f\^orstellung, Phantasie, im Bewußtsein) bestdiend;'
3) nicht empirisch vorkommbar, sondern als Idee, Geistiges, Seinsollenda.
Gültiges bestehend. Das ideale wird vom realen Sein unterschieden.
Zuerst bedeutet „idealüy id^üer^^ so viel wie: in der (Platonischen) Idee,
vorbildlich, als Musterbild im göttlichen Geiste seiend, „e»«e exempiarüer
(Albertus Magnus, Sum. th. I, 55, 2). Von Wilhelm voht Oocam an hat
„idealiter'^ schon den Sinn des „e««€ in inteüeeiu^^ des geistigen Seins. Xack
GoCLEN bedeutet y^esse ideale^* das „esse alieuius in rnenie seeunditm spedem,
in quay ut obiectwo prineipio, res cognoseitur'* (Lex. philos. p. 209). Jjbsssu
stellt das yjidetU" dem Materialen gegenüber (Erdm. p. 186 a). Neben der
älteren Bedeutung erhält „idecd^* (besonders durch die neue Bedeutung vce
„tV/ea" als Vorstellung, Gedanke seit Descabtes) die des bloß Vorstellang«-
mäßigen, Subjectiven. Mendelssohn erklart: yyDas erste, ran dessen Wirk-
lichkeit ich überfuhrt hin, sind meine Gedanken and Vorstellungen. Ich sekreSfi
ihnen eine ideale Wirklichkeit xu, insoweit sie meinem Itmem heitcoknen UHd
als Abändenmgen meines Denkvermögens von mir tcahrgenommen teerdat
(Morgenst. I, 1). Platneb bemerkt: yyldecUische Dinge haben ihrett Grund m
der Vernunft*' (Philos. Aphor. I, § 518). Kant bringt die transceodentale
Idealität (s. d.) mit der empirischen Bealität zusanmien. Nach Kbuo legen wir
dem Wissen ,Jdealitäi^* bei, sofern wir es auf das Reale beziehen, ,4cnn du
Wissen oder die Vorstellung von detn, was ist, heißt eben das Ideale^ (Handh.
d. Philos. I, 45). J. G. Fichte versteht unter der „Reute des Idealen^ Jke
Reihe desseny tcas sein soll, und was durch das bloße Ich gegeben ist" (Gr. d.
g. Wiss. S. 2(>4). ScHELLiNG bestimmt: „Ideell, abhängig rom Ich** (Syst d.
tr. Ideal. S. 76). Das yyobsohä Ideale^* ist „absolutes Wissen" (Xaturphilos.
I, 71). Ideales und Reales sind im Absoluten identisch. Das wahre Ideale ist
„allein und ohne weitere Vermittlung auch das wahre Rcale^' (Vorles. üb. d.
Meth. d. akad. Stud.*, S. 12). Nach Hillebrand ist das Ideale ,^ mit der
Objectivität identische Gedanke oder der in seiner Realität sich gegenwärtige
Begriff'' (Philos. d. Geist. II, 235). Das Ideale ist auch das Reale (ib.). Nach
Schopenhauer ist das Ideale ,fdas, was unserer Erkenntnis allein tmd alt
solcher angehört" (Parerg. I, 1). Nach Schaller u. a. ist ideell alles Alwtxacte,
Allgemeine, Gesetzliche (Briefe S. 37). Teichmuller nennt ideeUes Sein
„jedes yWas', Quid, d. h, im attgemeitien alles, was ein Gegenstand oder bh
halt des Denkens und Erkennens geworden ist" (N. Grundleg. S. 99). Idedl ist
aller von der Erkenntnis erfaßte Inhalt des Bewußtseins (1. c. S. 101), allsi
„Gemeinte" (1. c. S. 118). Husserl unterscheidet das ideale Sein der Wahr-
heit (d. h. deren überzeitliches Gelten) vom bloß psychischen Sein in unserem
Geiste (Log. Unters. II, 95). Bei R Avenarius bedeutet „ideell** so viel wie
„gedankenJiaft" gegenüber dem „Sachhaften" (s. d.). VgL Wahrheit, Sein.
Ideale (iSia, idea, ideale) sind Musterbilder, VoUkommenheitsb^riffe, die
als Ziele eines Wollens fungieren. Ein in seiner Vollkonunenheit, d. h. dem
Zweckwillen absolut angemessener Seinsweise vorgestelltes, gedachtes, erhofftes,
erstrebtes Object (Person, Ding, Eigenschaft, Zustand, Verhältnis, Bezi^uDg)
ist ein Ideal, ein höchstes, letztes Willensziel. Logisches Ideal ist die ab-
solute Wahrheit, ethisches Ideal die vollkommene Sittlichkeit, ästhetische
Ideale gibt es in der Vielzahl, u. s. w. Etwas im Sinne einer Idee, eines Ideals
darstellen, gestalten heißt es idealisieren.
Ideale — Idealismus. 450
Zur Zeit ICants versteht man unter einem Ideal („ideale^^) ein yjViaximwn
perfeeHonis" (De mund. sens. sct II, § 9). Ideal ist nach Kant „die Idee nicht
bloß in concreto, sondern in individuo, rf. ♦. als ein einxelneSj durch die Idee
allein bestimmbares oder gar bestimmtes Dittg" (Xrit. d. r. Vem. S. 452).
j,Was uns ein Ideal ist, tror dem Plato eifie Idee des göttlichen Verstandes, ein
einzelner Gegenstand in der reinen Anschauung desselben, das Vollkommensie
einer jeden Art möglicher Wesen und der Urgrund edler Nachbilder in der Er^
sckemung*^ (ib.). „Diese Ideale, ob man ihnen gleich nicht objective Realität
(Existenz) zugestehen niöehte, sind doch um deswillen nicht für Hirngespinste
anzusehen, sondern geben ein unentbehrliches Richtmaß der Vernunft ab, die des
Begriffs von dem, was in seiner Art ganx vollständig ist , bedarf, um danach
den Orad und die Mängel des Unvollständigen xu schätzen und abzumessen'*
(I. c. S. 453). Ideal bedeutet „die Vorstellung eines einzelnen als einer Idee
adäquaten Wesens*'^ (Krit. d. Urt. I, § 17). Da% Urbild des Geschmacks ist ein
Ideal der Einbildungskraft, welches von der „Normalidee** des Schönen (dem
GattungsbUde) zu unterscheiden ist. Das Ideal an der menschlichen Gestalt
besteht im Ausdruck der Vemunftidee, des Sittlichen (ib.). Das höchste Wesen,
(5ott (s. d.), bleibt in rein theoretischer, speculativer Hinsicht „ein bloßes, aber
doch fehlerfreies Ideal, ein Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntnis
sehließt und kröfiet, dessen objective Realität auf diesem Wege zwar nicht bc"
niesen, aber auch nicht loiderlegt werden kann** (Krit. d. r. Vem. S. 501).
F&iBB versteht unter logischem Ideal die Übereinstimmung der Erkenntnis mit
dan Sein (Syst. d. Log. S. 483). Nach Hegel ist das Ideal „die Idee als ihrem
Begriff gemäß gestaltete Wirklichkeit** (Ästhet. I, 96). Nach O. Liebmann ist
ein Ideal „der Gedanke dessen, was sein soü, was nach bekannten oder unbekannten
Kormalgesetzen als wertvoll erkannt und daher vom OeiHssen postuliert icifd*^
(Analys. d- Wirkl.*, S. 567). Die Ideale des Menschen „entspringen aus der
gdieimnisvoll'unerforschten Tiefe seines geistigen Naturells, unter Anregung der
gegebenen Außenwelt" (ib.). Die sittlichen Ideale haben absoluten Wert, sind
ßdbstzweck (1. c. S. 568, 571). Biehl bestimmt: „Sofern die Zwecke unserem
Handeln als Musterbegriffe vorschweben, nennen irir sie Ideale^* (Philos. Kriticism.
II 2, 21). Als sittliches Ideal betrachtet Wundt die Idee der Humanität
(8. d.), schließlich die Idee Gottes (s. d.). Nach H. Schwakz sind Ideale
„Geiankenbilder eines Besten, das das bezügliche Gefallen am sattesten macht**
(PsychoL d. Will. S. 122). Nach R. Steine» sind Ideale „Ideen, die äugen»
hlieldich unwirksam sind, deren Verwirklichung aber gefordert wird** (Philos.
d. JYeih. S. 157). Vgl. Begriff.
IdeaUsmns heißt allgemein die Lehre von der Idealität (s. d.) des
Beins. Sie tritt in zwei (theoretischen) Hauptformen auf: als metaphysischer
md als erkenntnistheoretischer Idealismus. Der erstere behauptet:
wahres Sein, absolute Wirklichkeit hat nur die Idee (s. d.), der Geist, das
Geistige (als Vernunft, Wille u. dgl.). Das Geistige ist der Urgrund alles Ge-
schehens, der Urquell aller Dinge, die treibende, zwecksetzende Kraft in der
Welt („obfeciiver Idealistnus**), Ideen beherrschen den Weltlauf, realisieren sich
in ihm. Der erkenn tnis theoretische Idealismus behauptet: Die Außenwelt
(«. d.) ist nichts dem Subjecte fertig Gegebenes, nichts Selbständiges, vom er-
kemienden Subjecte Unabhängiges, sondern sie ist bloß ideal (ideell), d. h. sie
besteht bloß im Bewußtsein, als Bewußtseinsinhalt, als Be^vnßtseinsimmanentes,
öe ist vom Subjecte abhängig, ist im imd durch das (allgemeine) Subject des
460 IdealismuB.
Erkennens anschaulich-denkend gesetzt, construiert, hat das Subjeet zu ihrem
untrennbaren Correlate (^jiiein Ohjeet ohne Subjeet^). Sie ist nichts als ein geaetz-
mafiig verknüpfter Zusammenhang von (wirklichen und möglichen) Bewußtseins-
inhalten, ihr Sein ist Bewußt-sein („esse = percipi''), für ein Subjeet Sein,
während der metaphysische Idealismus den Dingen ein Für-sich-Sein zuerkennt,
ja gerade in diesem die wahre Wirklichkeit erblickt. — Der ethische Idealismus
erkennt die absolute Gültigkeit sittlicher Ideen (Ideale) an. Der ästhetische
Idealismus betrachtet als die Aufgabe der Kunst die Darstellung des Idealoi,
der Idee (s. d.) im Bealen.
Zunächst einige Definitionen des Ausdruckes „Idecdismus^', Unter f,ideal
System" (Locke, Berkeley) versteht Reid die (von ihm bekämpfte) Ansicht, dafi
uns unmittelbar nur Ideen, Vorstellungen als Objecte gegeben sind. ,yldeaiistw''
heißen dann die Anhänger der Lehre, daß den Körpern nur eine ideelle ETJstfflz
zukommt. So bemerkt Chb. Wolf: „Idealistae dicwüur, qui nonnisi uiealem cor-
porum in anhnis nostris existentiam concedunt: adeoque realem mundi et eorporwn
existentiam negant*^ (Psychol. rationaL § 36). Nach Baumgarten ist ein „ideaUsta"
y^olos in hoc mundos spirüus admitiens'^ (also ein Spiritualist, s. d., Met § 402).
Nach BiLFiNQER ist die Meinung der Idealisten, „exisiere spirüum infinihtmy
et finiios quoque ab ülo dependentes, sed nihil existere praeterea" (Düucidat
§ 115). Feder: j^Diejenigen, welche iiberhuttpi leugnen^ daß die DiftgCj die außer
uns vorhanden xu sein scheinen^ tcirklich vorhanden ^ oder doch daran xweifetn^
oder wenigstens glaubeti^ daß man wohl daran zweifeln könne, werden ipisgemein
Idealisten genennet. Wenn sie nur gar ihre eigene Existenx für gewiß kalten,
heißen sie Egoisten" (Log. u. Met. S. 134 ff.). Mendelssohn erklärt: ^Jkr
Anhänger des Idealis^mus hält alle Phänomene unserer Sinne für Äccidenxen des
menschlichen Ödstes, und glaubet nicht, daß außerhalb desselben ein materielles
Urbild anzutreffen sei, dem sie ah Beschaffenheiten zukommen" (Morgenst I, 7).
Nach Platner ist der Grundbegriff des Idealismus dies, „d^ß es keine materieüe
Welt gebe und daß unsere Ideen davon nichts anderes seien als Vorspiegelsmgen,
durch die Gottheit in unseren Seelen erweckt" (Philos. Aphor. II, § 922). Kant
sagt: „Der Idealismus besteht in der Behauptung, daß es keine anderen alt
denkende Wesen gebe; die übrigen Dinge, die wir in der Anschauung wahr-
zunehmen glauben, wären nur Vorstellungen in den denkenden Wesen, denen in
der Tat kein außerhalb dieser befindlicher Gegenstand eorrespondiertef' (Ptcdegom.
S. 67). „Unier einean Idealisten muß man . . . nicht denjenigen verstehen,
der das Dasein äußerer Oegetistände der Sinne leugnet, sondern der nur nickt
einräumt, daß es durch unmittelbare Wahrnehmung erkannt werde, daratts aber
scldießt, daß wir ihrer Wirklichkeit durch alle mögliche Erfahrung niemals
völlig gewiß werden köntieti" (Krit. d. r. Vem. S. 312). „Der dogmatiscks
Idealist icürde derjenige sein, der das Dasein der Materie leugnet, der
skeptische, der es bezweifelt" (L c. S. 319). Diesen beiden Fonn^i des
Idealismus stellt Kant seinen „transeendentalen" Idealismus (s. unten) gegen-
über. Eine b^riffliche Bestimmung des (erkenntnistheoretischen) Idealismus
gibt L. Busse: „Für den Idealismus ist die körperliche Außenwelt lediglich Er-
scheinung, Vorstellungsinhalt eines Betcußtseins, und geht darin voüstemdig auf
Sie ist also nicht Erscheinung von etwas . . . Der Idealismus kann nun wieder
ein subjeetiver oder ein objectiver sein. Der erstere maeht das körperliehe
Universum zu einem Phänomen für das Bemißisein des individueilen endliehen
Subjecis, Das Phänomen der körperlichen Welt ist detnnaeh so oft rorA/mden»
IdesUsmuB. 461
als es individuelle Bewußtsehissubjecte gibt . . . Die Körperwelt als Oanxes, das
physische Weltall ist auf diesem Standpunkte nur eine ideale Constnteti(yn^ eine
Fietion . . . Der objeetive Idealismus läßt dagegen die Korpenvelt nicht in
den VbrstellungsinhaUen der einxelnen endlichen Beicußtseine aufgehen^ sondern
macht sie xu einer ccnstanten Vorstellung des absoluten unendlichen Sutjeets^
in welchem die endlichen Subfecte sämtlich als seine Einschränkungen enthalten
sind. Die physischen Weltbildery welche in diesen endlichen Beivußtseinen ent'
hallen »ind, sind Besonderheiten des allgemeinen physischen Weltbildes, das sie
veder dem Umfang noch auch dem Inhalt nach erschöpfend^ (Geist u. Körp.
ß. 4 f.). O. Willmann versteht unter jjdealismus^^ diejenige y,Denkrichtung,
bei welcher mittelst der idealen Prineipien der Idee, des Maßes, der Form, des
Zicedees, des Oesetxes das Verhältnis des ööitlichen xiim Endlichen, des Seins
%um Erkennen, der natürlichen xur sittliclien Welt bestimmt wird^' (Gesch. d.
Idealism. III, 206). — Eine extreme Form des erkenntnistheoretischen Idealismus
ist der „Solipsismus^^ (s. d.).
Der metaphysische Idealismus tritt (noch in unreiner Form) auf bei
Kekakltf (s. Logos). Dann als Lehre von den wahrhaft seienden Ideen (s. d.)
bei Plato, für den die Dinge nur „Nachahmungen" und Schattenbilder geistiger
(aber nicht individueller) Wesenheiten sind. Zugleich begründet Plato den
ethischen Idealismus, da er die Idee des Guten (s. d.) als das Höchste, das
Uberseiende bestimmt. Idealistische Elemente finden sich auch in den Lehren
des Aristoteles (s. Form) und der Htoiker (s. Pneuma). Ausgesprochen ist
der Idealismus bei Plotin, für welchen die Körperwelt eine (Emanation und)
Erscheinung der inteUigiblen Welt (xoafios vorjrog), der Welt der Ideen (s. d.)
bedeutet. In der Scholastik macht sich ein Idealismus geltend, für welchen
im göttlichen Geiste Ideen (s. d.) als Urbilder alles Seins bestehen. In dem
jjinteUeetus inßnitus" des Spinoza, von dem alle Dinge modi sind, haben wir
ein idealistisches Element. Bei Malebranche, Brooks (vgl. Freudenthal
im Areh. f. Gesch. d. Philos. VI, 191 ff., 380 ff.), englischen Piatonikern
(H. MoRE, CuDWORTH), Leibniz, Berkeley findet sich ein spiritualistischer
Idealismus, der die wahre Realität in eine Welt von Geistern setzt.
Bei J. G. Fichte verquickt sich der metaphysische mit dem erkenntnis-
theoretischen Idealismus, indem Fichte alle Realität in das Ich (s. d.) verlegt.
Einen objectiven Idealismus, nach welchem Innen- und Außenwelt die beiden
Pole einer (über-) geistigen Einheit, des Absoluten, sind, begründet Schellino.
Den ,/xb8okäen" Idealismus vertritt Heoel, d. h. die Ansicht, daß die endlichen
Einzeldinge nur Momente, Erscheinungen des allgemein-concreten, absoluten
Seins, der Weltvemunft sind („Panlogismtis"). Dieser Idealismus besteht also
»,tn der Bestimmung, daß die Wahrheit der Ditige ist, daß sie als solche un-
mittelbar einxelne, d. i. sinnliche, nur Schein, Erscheinung sind" (Naturphilos.
8. 16). Einen voluntaiistischen (s. d.) Idealismus begründet Schopenhauer ; die
absolute Realität liegt allein im Willen (s. d.). E. v. Martmann verlegt sie ins
y,Unbe$eußte^' (s. d.). Geistige Kräfte als wahre Seinsfactoren nehmen in ver-
Bchiedener Weise an: Schleeermacher, Beneke, Chr. Krause, J. H. Fichte,
ÜLRici, Fechner, Paulsen, K. Lasswitz, Lotze (j,teleologischer" Idealismus),
M. Cabriere, R. Bjlmerling, Bahnsen, Kirchner, L. Busse, R Eucken
(Kampf um einen geist. Lebensinh. S. IV, 31 ff.), Wundt, femer Renouvier,
Rayaisson, Carl-xle (Sartor Resart.), Collyns, Green, Ferrier (Works
1875), nach welchem wahrhaft nur „Geister xugleich mit den Inhalten ihrer
462 Idealismus.
Vorstellungen existieren'', Clifford, Romanfs, Bobtböm („rationeller Idealig'
mW) Emebsok u. a.
Der erkenntnistheoretische Idealismus tritt schon in den Upanishads
auf (Deusbek, Allg. Gesch. d. Philos. I 2, 147). Es wird hior gdehrt^ ,/to^
diese ganze räumliche^ folglieh vieleinheitliehe, folglich egoistische Weliordntnig
nur beruht auf einer uns durch die Beschaffenheit unseres Intdlectee eingeborenm
Illusion (nidydjy daß es in Wahrheit ntir ein ewiges, über Baum und Zeit,
Vielheit und Werden erhabenes Wesen gibt, welches in allen Gestalten der Natur
xur Erscheinung kommt, und welches ich, ganz und ungeteilt, in meinem hmem
als mein eigenüiches Selbst, als den Atman fühle und ßnde^' (Deussen, Sechzijr
Upanish. des Veda, Yorr. S. X). IdeaUstisch-subjectivistische Elemente finden
sich bei Herakiit, den Eleaten, bei Demokrit, den Sophisten (Pboti-
OOBAB, H1PPIA8), bei den Cynikern, bei Plato, bei den Skeptikern, bei
Plotdt, S(X>tu8 Ebiüoena, unter den Scholastikern bei Wü^helm
VON OccAM (s. Qualitäten).
Die Möglichkeit der bloß ideellen Existenz der Außenwelt spricht (aber
nur in methodischer Hinsicht) Desgartes aus (Medit. I u. II). So meint auck
Malebeanche^ die Sensationen ,ypourraient subsister, sans qu'il y eut auetm
objet hors de nous'^ (Rech. I, 1). Wir erkennen die Dinge durch ihre Ideen
(s. d.) in Gott Nach Leibniz ist die Körperwelt nur eine „verworrene^* Vor-
stellung einer an sich geistigen Welt (s. Monaden). Idealistische EHemente bei
Galilei, Hobbes, Locke (s. Qualität). Die bloß vorstellungsmaßige Existenz
der Objeete (s. d.) behauptet A. Collieb. So auch Berkeley. Allee Sein ist
Percipiertsein (j,esse = pereipi", Princ. II, IX). Nach Uume lehrt die Philo-
sophie, daß alles, was sich dem Geiste darstellt, „lediglieh eine PercepHon, also
in seinem Dasein unterbrochen und vom Oeist abhängig ist^ (Treat IV, sct 6).
Lehrt der empiristische Idealismus, die Außenwelt sei nichts als eine Summe
von Vorstellungen, so betont der kritische oder transcendentale Idealismus
Ka2?T8 die gesetzmäßige, denkend gesetzte Verknüpfung der Objeete als In-
halte des (allgemeinen, constanten, überindividuellen) wiflsenschaftllch erkennen-
den Be\i'ußt8eins, die „empirische Realität* (s. d.) der Objeete und die T^^^yg
eines (qualitativ völlig unbekannten, unerkennbaren) „Ding an sich^^ (s. d.k
In Baum und Zeit ist das „Qegebene^^ wirklich, aber Kaum und Zeit (und didt
Kategorien) sind nur Formen unserer Anschauung und unseres Denkens, di9
Objeete als solche (nichts als) gesetzmäßige Zusammenhange von Erkenntnis
Inhalten. Die Existenz der Dinge an sich wird nicht geleugnet, wohl aber ihre
Erkennbarkeit (Prolegom. S. 68). Unter dem „transcendentcUen Idealismus aÜtt
Erscheinungefi'^ versteht Kant „den Lehrbegriff, nach welchem wir sie t*
als bloße Vorstellungen und nicht als Dinge an sich selbst ansehen, und d*
gemäß Zeit und Raum nur sinnliche Formen unserer Änschaumtg, nicht
für sich gegebene Bestimmungen oder Bedingtmgen der Ol^fecte, als Ding^ an
selbst siful" (Krit. d. r. Vem. S. 313). „Wir haben . . . bewiesen: daß
was im Räume oder in der Zeit angescJiauet wird, mithin alle Gegenstände
uns möglichcfi ErfaJirung, nichts als Erscheinungen, d. t. bloße Vor
sind, die so, trie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder
Veränderungen, außer unsercfi Gedanken keine an sich gegründete
liaben. Diesen Lehrbegriff nenne ich den transcendentalen Idealism:
„Ich habe ihn atich bisweilen den formalen Idealism genannt, um ihn ton
materialen, d, i, dem gemeinen, der die Existenz äußerer Dinge selbst
zweifelt oder leugnet, xu unterscheiden'' (1. c. S. 401). „Raum und Zeit
IdeaUamus. 463
nur unsere Ansckauufigsfortnen, in ihnen aber stellen sich icirklick Dinge dar^*
(L c. S. 402). Der Zweifel, „ob das O^ect, welches mir außer uns scHen, nicht
vielleicht immer in uns sein könnef^, ist für die Metaphysik belanglos (Üb. d.
Fortechr. d. Metaphys. S. 117). Der transcendentale Idealismus ist zugleich
„empirischer Realismus^\ insofern er der Materie als Erscheinung Wirklichkeit
zugesteht (Krit. d. r. Vem. S. 314). Die Objecte sowohl des äußeren als auch
des inneren Sinnes (s. d.) sind als solche ideell (L c. 8. 71). — Der ästhetische
Idealismus beruht darauf, „daß wir in der Beurteilung der Schönheit überhaupt
das Richtmaß derselben a priori in uns selbst suchen, und die ästhetische Urteils-
kraft in Ansehung des Urteils, ob etwas schön sei oder nicht, selbst gesetzgebend
ist'' (Krit d. Urt I, § 58). Der ,Jdealismus der Zweckmäßigkeit'' besteht in
der Behauptung, daß alle Zweckmäßigkeit der Natur unabsichtlich sei'^ (1. c.
I, § 58, II, § 72), in der Leugnimg der Intentionalität des Naturwirkens, sei
es als System der „Causalität^' oder als System des „Favismus" (1. c. II, 72,
73). — Im Sinne Kants lehren ältere und neuere Kantianer (s. d.). Auch
Lichtenberg. Er behauptet, wir müßten Idealisten sein. „Denn alles kann
uns ja nur bloß durch unsere Vorsteüu^ig gegeben werden. Zu glauben, daß
diese Vorstellungen und Empfindungen durch äußere Gegenstände veranlaßt
werden, ist ja wieder eine Vorstellung, Der Idealismus ist ganx unmöglich xu
widerlegen, weil wir immer Idealisten sein würden, selbst icenn es Gegenstände
außer uns gäbe, weil wir von diesen Gegenständen unmöglich etwas wissen
können. So wie wir glauben, daß Dinge ohne unser Zutun in uns vorgehen, so
können auch die Vorstellungen davon ohne unser Zviun in uns vorgehen." „Man
muß erst eins werden über das, was man unter Vorstellung versteht. Sie sind
sicherlich von verschiedener Art, aber keine enthält irgend ein deutliches Zeichen,
daß sie von außen komme. Ja, was ist außen? Was sind Gegenstände praeter
nas? Was will die Präposition ,praeter' sagen? Es ist eine bloß menschliche
Erfindung; ein Name, einen Unterschied von andern Dingen atixudetäen, die
wir nicht praeter nas nennen. Alles sind Gefühle^' (Bemerk. S. 117).
J. G. Fichte begründet einen subjectiven oder ,^ischen" Idealismus, dem
ziijEolge die Außenwelt nur ein im imd durch das Ich Gesetztes, ein Product
geistiger Tätigkeit ist Zugleich ist die Welt das „versinnlichte Material unserer
Pflicht", das Object des sittlichen Handelns. Kein Object ohne Subject. Es
gibt kein Ding an sich (Gr. d. g. Wiss. S. 131). Sein ist Vom-Ich-gesetzt-sein
(L c. S. 137). Nur eines „Anstoßes" bedarf das Subject zu seiner (sonst rein
immaDenten, Form und Stoff der Erfahrung producierenden) Erzeugung imd
Gestaltung der Außenwelt (1. c. S. 266). Die Idealität von Zeit und Baum
wird aus der Idealität der Objecte erwiesen, nicht mngekehrt wie bei Kant
(L c. S. 135). Aber der Idealismus ,^nn nie Denkart sein, sondern er ist nur
Speeulation. Wenn es xum Handeln hotnmt, drängt sich der Realismus uns
allen und selbst dem entschiedensten Idealisten auf (Philos. Joum. 5. Bd., H. 4,
S. 322). Nach Schelling gibt es keine andere Eealität als die des Ich (Syst.
d. tr. Ideal. S. 63). Der transcendentale Idealist behauptet, das Ich empfinde
^^unmittelbar nur sich seihst, seine eigene aufgehobene Tcüigkeit. Er unterläßt
nicht xu erklären, tvarum es dessenwierachtet notwendig sei, daß wir jene nur
durch die ideeUe Tätigkeit gesetxte Beschränktheit als ettvas dem Ich völlig Fremdes
anechauen" (1. c. S. 115). Die Außenwelt ist das Product unbewußter Pro-
dactionen des Ich. Später wandelt Schelling seine Anschauung in die des
objectiven Idealismus um. Einen Ideal-Beaiismus, nach welchem die Außen-
464 IdecülBmuB — Idealität.
dinge Erscheinungen von ^yRealen" (b. d.) sind, lehrt Herbart, in
Form tritt der gemäßigte IdealismuB auf bei Schleiermacher, J. H. Ficbts,
UiiRia, A. Lange, Lotze, Fechner, Wundt, Biehl u. a. Den Vorstellimg»-
oharakter und die subjective Bedingtheit der Außenwelt als Bolchen betont
Schopenhauer. Die Welt ist unsere Vorstellung, ist nur als VorsteUung da,
d. h. yjdurckweg nur in Bexiehung auf ein anderes ^ dcu Vorstellende" (W. a. W.
Tl. V. I. Bd., § 1). „Ein Obfeet an sich — ist ein erträunUes ündtm^*^ (ib.1.
,^Kßm Ohject ohne Subfect (1. c. § 7). „Die ganxe Welt der Objeete ist und bleibt
VorsteUung, und eben deswegen durchaus und in alle Welt durch das Subfeet
bedingt: d. h. sie hat transcendentale IdealitlW^ (1. c. § 5). „Demnach drängt
von selbst die Annahme auf, daß die Welt, so une unr sie erkennen^ auch
fiU' unsere Erkenntnis da ist, mühin in der Vorstellung allein, und nicht
noch einmal außer derselben^* (1. c. II. Bd., C. 1). Die Maya unserer Ek-kenntnis-
functionen verbirgt uns das wahre Sein, welches Wille (s. d.) ist Aber Jbei
aller transcendentalen Idealität behält die ob/ective Welt empirische Realität:
das Obfect ist xwar nicht Ding an sich, aber es ist als empirisches Obfeet real.
Zwar ist der Raum nur in meineni Kopf; aber empiriseh ist mein Kopf im
Raum" (1. c. II. Bd., C. 2). O. Liebmann erklart: wir können nicht wiaBciL
ob das percipi die einzig mögliche Art der Existenz überhaupt sei (AnalysL d.
Wirkl.', S. 29). Einen dem Fichteschen verwandten Idealismus lehren, in Ter-
schiedener Weise, Bergmann und Eucken. H. Cohen faßt den IdealiamiB
kriticistisch auf, aber nicht im Sinne des Bewußtseinsmonismus, sondern im
„geschichtlichen" Sinne (Log. S. 507). Während der Psycholc^ismiis (a. dl
-vom Bewußtsein ausgeht, geht der Idealismus „von den sachlichen Werten der
Wissenschaft, den reinen Erkenntnissen aus" (1. c. S. 510). So ist er der ^^tnakr-
hafte Realismus" (1. c. S. 511). Solch einen „methodischen" Idealismus vertretes
auch Natorp (Piatos Ideenlehre S. 150, 158 f.), K. Vorlander u. a. — Nach
HussERL ist der Idealismus „die Fortn der Erkemitmstheorie, welche das Ideale
als Bedingung der Möglichkeit objectiver Erkenntnis überhaupt anerkennt umi
nickt psychologistisch wegdeutet^' (Lo?- Unt. II, 106). Eine idealislasche Er-
kenntnistheorie lehren Hamilton, A. Bain, Hodgson, Ferrier, Maitsbl.
Bradley u. a. So auch die „Immanenxphilosophen" (s. d.) : Schuppe (Ideali^
mus = „naiver Realismus", s. d.), Behmke, Leclair, Kauffmann, Schuhebt-
Soldern u. a., für die alles Sein im Bewußt-Sein besteht, wobei meist eis
allgemeines, überindividuelles „Bewußtsein iüferhaupt* als Subjeet der Außen-
welt angenommen wird. Empiristisch ist der Idealismus bei J. St. Mili^
Taine, E. Laas (s. Positivismus), Nietzsche, auch (als erkenntnistheoi
Monismus, der keine Dualität von Innen- und Außenwelt kennt) bei R. A
NARius, E. Mach, H. Cornelius (mehr Kant sich annähernd). VgL W;
MANN, Gresch. d. Idealism. I— III. — Vgl. Realismus, Ideal-Eeaüsmus, Monism
Object, Subjeet, Sein, Raum, Zeit, Qualität, Solipsismus, Sittlichkeit
Idealist ist I) ein Anhänger des Idealismus (s. d.), 2) ein Mensch,
alles im Lichte des Idealen sieht und behandelt, der das Geistige über
setzt (Schiller, Über naive u. sentimental. Dicht WW. XII, 175 ff.).
Idealtftttecli s im Sinne des Idealismus (s. d.).
IdealiUlt: das Ideal(ideeU-)8ein , das Sein als bloße Idee, Vo]
Bewußtseinsinhalt; das ideale Sein. Vgl. Heobl (Encykl. § 403). — VgL I
mus, Ideal, Object, Raum, Zeit
Ideal-Bealisniua — Idee. 465
Ideal-RealUiinilis („Real-TdeaHsrntis") heißt 1) die Ansicht, daß das
Ideale (s. d.) zugleich das Beale ist, oder 2) daß das Ideale auf einem Realen
beruht, in einem solchen begründet ist, so wie das Reale sich im Idealen kund-
gibt, oder 3) daß aus dem Idealen, dem Erkenntnisinhalte, das Reale, das
Objective, gewonnen, erschlossen, construiert wird.
Ad 1): J. G. Fichte bezeichnet seine Lehre als „RecU^Idealismus" oder
^yldeeU'RecUisfnus" (Gr. d. g. Wiss. S. 269). „Alles ist seiner Idealität nach ab-
hängig vom Ich, in Ansehung der Realität aber ist das Ich selbst abhängig; aber
€S ist nichts real für das Ich, ohne auch ideal xu seini* (1. c. S. .268). „Keine
Idealität, keine Realität, tmd umgekehrt*' (\. c. S. 270). ScHELUNG erklart: „Das
absolut Ideale ist das absolut Reale** (Naturphilos. S. 67). „Reflectiere ich bloß
auf die ideelle Tätigkeit, so entsteht mir Idealismus oder die BeJiauptung, daß
die Schranke bloß durch das Ich gesetzt ist, Reflectiere ich bloß auf die reelle
Tätigkeit, so entsteht mir Realismus oder die Behauptung, daß die Schranke
unabhängig vom Ich ist, Reflectiere ich auf beide xugleieh, so entsteht mir
ein drittes aus beiden, was man Ideal-Realismus nennen kami** (Syst. d. tr.
Ideal. S. 79).
Ad 2): ßcHLEiERKACHER, RiTTER, Bexeke, Trendelenbitbg , daun
Hebbaet (s. Realismus), Lotze, Ulrici (,fier Realismus Träger und Organ
"des Idealismus^ wie der Leib Träger und Organ der Seele**, Leib u. Seele, Von*.
S. VIII), H. Struve, E. V. Hartmautn, Carriere {„Die objective Realität
ist Boden, Träger, Organ des Idealen**, Ästhet. I, 40), Überweg (Üb. Ideal.,
ReaL u. Ideal-Real., Zeitschr. f. Philos. u. philos. Krit Bd. 34, 1859) u. a.
Ad 2) u. 3): Wundt betont, es sei die Überzeugung ein Resultat des
Denkens, „daß die idealen Principien in der objecHven Realität sich uneder finden**.
Die Denkfunctionen sind die Hülfemittel, mit denen wir die realen Beziehungen
der Objecte auffinden, wobei die Dinge selbst den Stoff dazu liefern. Der
Ideal-Realismus hat nicht „aus idealen Principien die Realität speculativ ab-
xuleüen, sondern, gestützt auf die berichtigten Begriffe der Wissenschaft, das
Verhältnis der idealen Principien xu der objectiven Realität nachxuvmsen** (Log.
I«, 86 f., 90 ff., 6 f.; Grdz. d. physioL PsychoL II*, S. 479 f.). Vgl. Realismus.
Ideal-System s. Idealismus.
Idealartelle s. Urteil.
Ideatton (idea): Vorstellungsbildung (James Mill; vgl. Sergi, Psychol.
p. 143).
Ideatnm (idea): das Vorgestellte, das Vorstellungsobject, der Vorstel-
lungsinhalt. Nach G. Biel ist das „ideatum** „vi ideae productum, seu est
ideae effectum** (vgL Goclen, Lex. philos. p. 211).
Idee (t^£a, dho^, idea, id^) bedeutet 1) ursprünglich: Gestalt, Form, Bild;
2) Urbild, Musterbild, Typus, als reale Wesenheit; 3) schöpferischer Gedanke,
Begriff, Gedanke, Grundgedanke, begriffliche Einheit, Leitmotiv, Endpunkt des
begründenden Denkens; 4) Vorstellung, Bewußtseinsinhalt, Erinnerungsbild,
Phantasiegebilde, Einfall. — Man unterscheidet logische, ästhetische, ethische
Ideen, ontologische (metaphysische) Ideen ^ geschichtliche Ideen. In der Welt
walten Ideen bedeutet: es gibt eine (immanente) Weltvemimft, einen zweck-
mafiig-logischen Procefi, der sich in der Natur, im Menschen, in der Geschichte
Ibekundet, realisiert Die „Zrfee" ist dann der Ausdruck für den Sinn, die Be-
PhiloBopblsoh«! Wörterbaoh. 2. Aufl. 30
466 Idee.
deutung, die Bealisationstendenz eines Seinstypus. Ideen können nur i
Willensinhalte, Willensziele als wirksam gedacht werden, als (bewußte oA&
nicht bewußte) Motive, Antriebe des Strebens, Wollens, Handelns. Die Idem
sind das ,Constante, 2ieitlose, Feste im Flusse des Geschehens, insofern dies»
teleologisch (s. d.) betrachtet wird.
Als Form, Gestalt kommt iSda vor bei Anaxagobas, Demokrit, der die
Atome (s. d.) als iSsai = axijftara bezeichnet, auch bei den Pythagoreern
(Sext Empir. Pyrrh. hypot. III, 18). Den Megarikern (?) wird die Anseht
zugeschrieben, das wahre Sein bestehe in unkörperlichen ,jßiirf^ {yofjra ärr«
xal dae&ftara etSrj ßia^ofisvot vrjv dXrj^tvrjv ovffiav ßlvai (Plat., Sophist. 246 B).
— Schon SOKRATES betont die Allgemeinheit und objective Wesenheit de&
Begriffes. Plato nimmt diesen (und den Eleatischen Gedanken des zeLtkscn
Seins) auf, um das bestandige Werden der Dinge (im Sinne des Hkrakijt
und des Pkotaoobas) auf feste Seinseinheiten zu gründen (vgL ARisroTELe?»
Met. I 6, 987 a 29 squ.; XIII 4, 1078 b 30). So entsteht der Begriff der „iifcr',
welcher das als selbständige, reale Wesenheit geschaute und gedachte Einheit*
lich-Typische einer Gattung von Dingen bezeichnet. Nur das Seiende kann
erkannt werden, was also wahrhaft als Erkenntnis sich gibt, das ist in einem
Sein gegründet Kein echter Begriff ohne Seinsgrundlage (ji^ 6vti> (iriv ayvwr
il avdyKfii dnidofiiv, ovri Si yrcjaiv, Rep. V, 478 C). Das Concret-AIlgöneine,
Anschaulich- Abstracte, das ewig Gleiche an einer Klasse von Objecten, die Nono,
an der sie gleichsam gemessen werden, das Apriorische (s. d.) in unseren Wert-
urteilen ist die jjdee^^ (vgl. Phaedo 102), aber zugleich ist diese eine unabhängig
vom Erkennen bestehende, wirksame, unkörperliche, räum- und zeitlose Wesen-
heit. Die „/rfee" ist der (hypostasierte) Inhalt des Gattungsb^riffes, sie beruht
auf einer Vermengung ästhetischer und erkenntnistheoretischer mit mythiadun
und metaphysischen Bestimmungen. Die Idee soll jedenfalls nicht bloß eLa
subjectiver Begriff (Xoyos) sein, sondern an und für sich und wesenhaft («tit»
xa&^ avxo fud^ avrov) sein (Sympos. 211 B). Die Ideen sind „ge^^emUr
(X^^^e) von den sinnlichen Dingen, sie sind in einer übersinnlichen Sphäre
(iv ov^avitp ront^), Sie sind die Ur- und Musterbilder aUer Dinge, na^^uy
fiarat die Dinge nur ihre Schattenbilder, Erscheinungen, ^yXoekahmungen'*
(fiifiijasK), indem sie an ihnen, den Ideen, „teilhaben** (/led'Bitg). Die Ideen sind
den Dingen ^^gegenwärtig** {7ta^ovaia\ die Dinge sind in „Oemeinsehafl"*^ {xo*-
vtavicC) mit ihnen (Phaedo 100 D): Td fikv eWtj ravta atcne^ na^aSaiyfutre
eardvai iv ifi fvcei, rd 8i dXXa rovroiv ioixivai xal elvat Oftoicifiara ' xai ^
fiäd'e^te avrrj ToXi dXXois yiyvead'atf tcSv siScav ovx dXXr] rt^ ij Bixac&^va^ avxoli
(Pannen. 132 D); r^r Si fud'e^w ravvofia fiovov ftsxißalev oi uiv yd^ JJt^&a'
yo^eioi fitfjLiQCei jd ovra y>aaiv elvai tcüp d^id^fnov^ JlXdrcav Si fisd'tt^t (Arist.,
Met I 6, 987b 9 squ.). Die Ideen sind ewig seiend, unveränderlich, unver-
gänglich, sinnlich unwahmehmbar, nur intelligibel (sie sind voovfisva; rde S*av
iSi'ag vosia&ai fuVj o^nad'ai S'ov, BepubL VI, 507 B; Ttavrdnaciv elvat xa9^
»ird tatra drniad'rija ty tjfitop eXSr,, voovfieva fiovov ^ Tim. 51 D; xaxd Tovxa
tlSoe i'x^y, dyiwrjrov xtti dvciXed'^ov . . . do^arov Si xal d)Ji.oH dvaiad'fjTov^
rovTO o S^ vdijatg sü.ijx^v iniaxoneij 1. c. 52 A; ri ydg dx^^ufiaTOi re 9uu dcx^
fiaTtaxog xal dva^p^s ovoia ovrcos ovtra y^vxrjs xvße^i^rri fidvt^ d'eaz^ v<^, Phacdr.
247 C). Von allem, was begrifflich bestimmt werden kann, gibt es Ideen, von
Natur- und Kunstobjecten, von guten und schlechten, schönen und häßlichen
Dingen: elSog yd^ nov n iv Uxaatov eiiod'ttfuv xi&sod'at ne^i ixaora rd xoHd^
Ide«. 467
olß TovTov ovoua inupiQOfAEv (Bep. 596 A; vgl. Farmen. 130, Theaet. 186 A;
«dagegen Ideen nur von Naturobjecten nach Aristot., Met I 6, 987 b 9 squ.).
I>en Ideen ivird auch Wirksamkeit, Leben, Vernunft zugeschrieben (Theaet
248, Phaed., Phüeb.; vgl. Aristot, Met I 9, 991b 3). Untereinander stehen die
Ideen im Verhältnis der Subordination u. s. w., also in einem den logischen
Verhältnissen der Begriffe analogen Zusammenhange. Alle sind sie der
höchsten Idee, der Idee des Guten (s. d.), unterworfen, welche die Zweck-
ursache {ol ivsna^ Phileb. 54 C), der letzte Seins- und Erkenntnisgrund
ist (SepubL VI, 506 £), als Gottheit (s. d.) alles leitet und regelt Später
bestimmt Plato die Ideen als (Ideal-) Zahlen (s. d.), die aus dem hf als
sfipac und dem anti^ov (s. d.) entstanden sind. Das Pythagoreische Ele-
ment, das der Ideenlehre schon von Anfang an immanent ist, kommt so für
sich zur Geltung. — Bezüglich der Ideenlehre bestehen verschiedene Auf-
übssungen : 1) Die Platonischen Ideen sind selbständige Wesenheiten außer den
Dingen (Aristoteles u. a.). So sind nach Bender die Ideen „ideale Wesenr
ketten, welche hinter, über und außer den Dingen ein selbständiges Leben führen''^
(Metuph. und Myth. S. 154), schöpferische Mächte, die an und für sich esdstieren
(ib.). Uberweo-Heinze erklärt: „Die Platonische Idee . . ., ursprünglich logisch
gedacht, ist das reine urbildliche Wesen, an u>elchem die miteinander unter den
nämlichen Begriff fallenden oder einander gleichartigen Dinge teilhaben, Sie
ist in ästhetischein und ethtsehem Betracht d€ts in seiner Art VoÜkommcfie,
hinler welchem die gegebene Wirklichkeit stets xtiriiclddeibt. In logischem und
ontologisehem Betracht aber ist die Idee das reale Obfect des Begriffs . . . Die
Idee geht auf da^ Allgemeine; aber sie wird von Plato tcie ein räum" und zeit-
loses ürbüd der Individuen vorgestellt.^^ „Die Verselbständigung der Ideen scheint
bei Plato allmählich eine immer vollere gewordeti xu sein'^ (Gr. d. Gesch. d. Philos. I*,
183 f.). — 2) Die Ideen sind in den Dingen, diesen immanent, aber Wesenheiten:
Teichmüller (Stud. S. 137). Nach J. E. Erdmann ist die Idee „das gemein'
sehafUiehe Wesen und wahre Sein der unter ihr befaßten Einxelwesen" (Grundr.
I, d9). — 3) Die Ideen sind grundlegende, normative Gedanken, allgemeingültige
Betzungen in der Form von Begriffen oder Urteilen, apriorische Erkenntnis-
factoren. Schon LoTZE bemerkt: „Nichts sonst u?ollte Plato lehren ale , . ,
die Geltung von Wahrheiten, abgesehen davon, ob sie an irgend einem Gegen-
stände der Außenwelt, als dessen Art xu sein, sieh bestätigen; die ewig sieh
selbst gleich bleibende Bedeutung der Ideen'* (Log.*, S. 513). Nach H. Cohen
sind die Platonischen Ideen nicht metaphysische Wesenheiten, sondern „Grund-
legtmgen*' (vno&iüBitt) zum Aufbau der Objectenwelt (Log. S. 268; vgl. Zeitschr.
f. Völkeipsychol. IV, 403 ff.). So auch P. Natorp: Methoden und nicht
Dinge sind die Ideen, „Denkeinheiten, reine Setxungen des Denkens und nicht
äußere, wenn auch übersinnliche ,Gegensiände' '* (Platos Ideenlehre S. 73, 215),
sie sind „Grundlagen xur Erforschung der Phänomene, Diese ^ben teil' an
ihnen, d, h. sie sind, wenn nicht darxustdlen, doch xu denken als stufenmäßige
Entwicklungen der Verfahrungsweisen', welclie die Ideen bedeuten. Die Idee sagt
das Ziel, den unendlich fernen Punkt, der die Richtung des Weges der Erfahrung
bestimmt; denn sie sagt das Gesetx ihres Verfahrens" (L c. S. 215 f.). VgL
Willmann, Gesch. d. Idealism. III, 209), Auffarth, Die piaton. Ideenlehre
1883, Lutostawski, The Origin and Growth of Piatons Logic.
Nach XeNOKRATES ist die Idee airla naqaSetyftaitxri twv xata fveiv ael
swtciokiav (vgl. Prokl. in Plat Pannen. 136 C). Die Ideenlehre bekämpft
30*
468 Idee.
Abistoteles. Die Ideen seien bloß unnütze Verdoppehingen der Sinnaidinge,
femer sei das ,yTeilkaöen^* der Dinge an den Ideen nur ein Bild ohne onto-
logischen Wert, endlich bestehe kein verstandlicher Causalzusammenhang
zwischen Ideen und Dingen. Die gesonderte Existenz des Allgemeinen folgt
nicht aus der Tatsache der Erkenntnis. Das Wesen und dasjenige, dessen
Wesen es ist, können nicht voneinander getrennt existieren (SoSaisr av div-
rarovf elvai ;^ai(>ic Tfjv ovaiav xcU ov rj ovaia, Met. I 9, 991a 11 squ., XIII
bis XIV). Die Idee, als Einzelwesen gedacht, müßte mit den ihr unterstellten
Einzeldingen ein gemeinsames Urbild haben, z. B. die einzelnen Menschen uml
die Idee des Menschen {avrodvd'^amoQ) einen ,jdrUien Menschen^^ (r^xos a*^^^ceKi»^
Met. 19, 990 b 15; YII, 13; De soph. elench. 22). Das Allgemeine ist, ak
jjForm** (s. d.) den Dingen immanent. — Cicero übersetzt iSsa durch
„wfea" (Acad. I, 8). ,jNec vero ille artifex (Phidias) cwn faeeret Joris fc
eorUemplabatur aliqueni, e quo similitudinem dueeret, sed ipsitu in menie inaidebai
speeies pulehrüudinis exitnia quaedam, quam intuens, in eaque defixtts, ad
illitta aimiliivdi'nem artem et manum dirigebai. üt igitur in formis et figuris
est aliquid perfectum et exeellensj cuius ad eogitatam speciem itnüando rt-
feruniur ea, quae sub octdos ipsa cadunt: sie perfeetae eloquenüae speciem
ammo videmusj effigiem auribus quaerimus. Hos rerum formtu appeUai
ideas Plato, easque gigni negat, et ait semper esse ae ratione et ifUelligeniia ecm-
tineri^^ (Orat. C. 3). Bei den Stoikern werden die Ideen zu subjectiven Ge-
danken ohne eigene objective Existenz, zu ivroi^/iata, ftarrncftara yn/x^js (Stoh
EcL I 12, 332; Plut, Plac. I, 10, Dox. D. 309). Einige Verwandtschaft nüt den
Ideen und Eutelechien (s. d.) haben die loyoi cne^fiartxoi (s. d,).
Unkörperliehe, geistige Kräfte als active selbständige Wesen sind die
Ideen bei Philo. Gott bedient sich ihrer zur Gestaltung der Materie {rak
datüfitiroie Swafieaiv, o)v ^xvfiov orofia ai iSiai, De sacrif. II, 126; vgl. Zigr.T.Rit,
Phüos. d. Griech. III 2», 362 f.). Die höchste Kraft ist der koyoe (s. d.), der Ort der
Ideenwelt (o ix rSv iSsmv x6<rfiog, De mundi opiücio I, 4). Nach Nikomachts
sind die Idealzahlen Urbilder im göttlichen Geiste, Gedanken Gottes (Arithm.
intr. I, 6). Nach Plutakch von Chaeronea gibt es Ideen als Urbilder der
Dinge (Quaest. conv. VIII, 2, 4). Longinus ninmit die vom rovs getrennte
Existenz der Ideen an. Nach Plotin enthält der (objective) Greist (»mjv«) die
Ideenwelt (Eim. III, 9; V, 5), welche das Beich des intelligiblen, wahren Sdns
ist. Die Ideen sind dem vovs immanent {ori ovx iia» tov vnv ra vorjxd (JEjul
III, 9; V, 1, 1). Als Teilinhalte des vovs sind die Ideen selbst vol^ voe^l Swi-
/i8tg, geistige Potenzen in den Dingen (Enn. IV, 8, 3). Das Seiende liegt im
Denken, das Denken ist Denken des Seienden: oXog /uv 6 vove tol Ttdvra mQt,,
ixaaiog sJSos vovg ixaarog (Enn. V, 9, 8). Ideen gibt es auch von Einzel-
dingen als solchen (Enn. V, 9, 12).
Dem Mittelalter gelten die Ideen meist als die dem göttlichen Geiste wesen-
haften Urbilder der Dinge (j/orrnae exemplares''), nach welchen Gott alles ge-
schaffen hat. Bo£thiü8 ruft aus : „ Tu cuncta supemo ducisab exeniplo, pulchrum
ptächerrimus ipae yyiundtmi mente gerens simüique ah itnagine formufis^^ (ConsoL
philos. III, metr. 9). Während Tertullian als Gegner der Ideenlehre auf-
tritt (De an. 23), nennt Origenes den Logos (s. d.) die iSäa ideiov, awnr^ftn
d-eoJ^rifUtTütv iv avrco (vgL LOMMATßCH I, 127). Bei AUGUSTINUS kommt
yyldee*^ als ,ff(n-ma^', ^^ßpecies^^ „arehetypon^^ vor. Die Ideen sind schöpferische
Gedanken Grottes. ,yldeae principales fortnae quaedam vel rationes rerum stabiles,
atque incommuiabilesy qitae ipsae fonnaiae fion sunt , . ., quae in dirina
Idee. 469
inieUigentia continerUur^* (De divin. qu. 46). DionysiüS bestimmt: „Prineipiaf
quas öraed ideas pocantj hoc estj speeies vd formas aetemas et incommiäabiies
rationes . . . , seenndum quas et in quibus visibilis mundus formatur et regiiur^^
(De div. nom. c. 5). ScoTUß Eriügena bestimmt die Ideen („ideae, pritnorduües
e€MUsaßy prototypa, eocempla") als y,3peeies vel formae, in quitma verum omnitmi
faeitndarum, priusquam essent, immutabiles rationes cotiditae sunt*^ (De divis.
natur. II, 2). Amalbich von Beke erklärt, yyideas, quae sunt in mente divina,
et ereare et ereari" (Stöckl I, 290). Alexander von Hales bemerkt:
yyldea in Deo idem est quod dimna esseniia** (Sum. th. I, qu. 1, 4). Anselm
betrachtet die Umyersalien (s. d.) als ewige göttliche Gredanken. Abaelard
erklart: j^Ad hune tnodwn Plaio formas eocemplares in mente divifia eonsiderat,
qtuu ideas appeüat et ad quas postmadum quasi ad exemplar quoddam summi
cartißcis Providentia operata esV^ (TheoL Christ. IV, p. 1336). „Hane autem
proeessianetHy qua seiiieet coneeptus ynentis in effectum operando prodity dieens
generales et speciales fomuis rerum intelligibiliter in mente divina constitissey
antequam in corpora prodirent" (1. c. II, p. 1095 f.). Bernhard von Chartres
sagt: ,yNoys summi et exsuperantissimi Dei est intellectus et ex eius divinitate
naia naiuray in qua vitae vivetites imagines^ notiones aeternaey mundus intelli-
gibüiSy rerum cognitio praefinita^^ (Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos.
II', 176). Nach Albertus Magnus sind die Ideen „tw 7fiente divina secundum
quod ars est omnium ereatorum^' (Sum. th. I, 55, 2). ,yPorismaia vocantury id
est, praedestinatianes" (ib.). Nach Thomas sind die Ideen yyformae exemplares^^
(Sum. th. I, 44, 3 c), „rationes . . . rerum, secundum quod sunt in Deo eogno-
seente^' (1. c. I, 14 pr.). Die „idea" ist „quaedam forma intdlecta ab agente, ad
cuius simüäudinem eoUerius opus proditeere intendit" (Quodl. 4, 1, Ic). Sie
ist yyforma in mente divina, ad simtlitudinem euius mundus est factus*' (Sum. th.
I, 15, 1). „In quantum Deus cognoscit suam essentiamy ut sie imHabilem a
Uüi creaiura, cognoscit eam ut propriam ratioyiem et ideam huius ereaiurae"
(L c. I, 15, 1 ad 3). Bonaventura bestinunt: „Idea, cum sit similitudo rei
eogniiae tnediumque inter eognoscens et cognitum, plurificaiur in Deo secundum
rationem^^ (In L sent. 1, d. 42, qu. 3, 1). „Ideae rerum ante mmidi consti-
tutionem in mente ereatoris erant*^ (Comp, theol. I, 25). Franciscus Mayronis
bezeichnet die Ideen als „rationes incommutabiles et aetemae" (Prantl, G. d.
Log. III, 284). Nach Bichard von Middleton sind die Ideen dasjenige,
wodurch Crott die Dinge denkt (In 1. sent. 1, d. 36, 2, 2). Durand von St.
PoüR^AlN versteht unter den Ideen die Dinge, wie sie im Geiste (jrottes
yfibiective^*^ (s. d.) enthalten sind (In 1. sent. 1, d. 36, qu. 3, 11). „/n Deo est
solum una idea, plures tarnen rationes ideales" (1. c. qu. 4, 5). DUNS ScoTUS
bemerkt-, die Idee sei „ipsum obieetum tU eognitum ... in mente divina"
(Report. 1, d. 36, qu. 2, 31). Pierre d'Ailly: „Idea est aliquid eognitum a
principio productivo intelleetuaii, ad quod ipsum aspiciens potest aliquid in esse
reali produeere" (Stöckl II, 1030). Wilhelm von Occam betont die rein
intentionale Existenz der Ideen in Gott, in dem sie als Gedankeninhalte
(yyobieetim"), nicht als selbständige Wesenheiten (,ysubi€ctive") bestehen. „Ideae
non sunt in Deo sulnective et realiter, sed tantum sunt in ipso obiective, tan-
quam qtuxedatn eognita ab ipso : quin ipsae ideae sunt ipsaemet res a Deo produ-
cibiles^' (In 1. sent. 1, d. 35, qu. 5). Da das Allgemeine (s. d.) nichts Beales
ist, so gibt es nur Ideen „singularium" (ib.). Als subjectiver Gedanke kommt
Idee schon im Boman de la Rose des Jean de Meuny (Ende des 13. Jahrh.)
470 Idee.
vor (EüCKEN, Grundbegr. S. 231). — Suakez gebraucht „irfea" noch im Sil
von ,^eacemplaf** (Met. disp. 25, »ct. 1). G. Biel erklärt: „/rfeo in tnente dirina
ipsamet cogtiita creatura^* . . . „/n Deo sunt ideae obieetire ei inteüectualiter^
(Collect. I, 2, 4). GocLEK: „Idea significat speciem seu fonnam seu rcttianem
rei extemam; generatim idea est forma seu exemplar rei, ad quod respici^m
opifex effictt id quod anivw destinarat^* (Lex. philos. p. 206).
Nach NiGOLAüS CusiLKUS enthält der göttliche Geist die Ideen der Dinge
(De coniect. II, 14). Marsilius Ficikus nennt die Ideen ,fanquain obieeta et
speeies viresque naturales, intelleeius primi essentiam eofnitantes, drea quaa
inteüeetus iUius verseiur, inteUigeniia, sequens quidem iUas quodammodo sed
mirabüis ipsa uniia** (In Plat. Pannen. 0. 23). F. Bacon erklärt, die ,/iiHmK
mentis ideas^^ seien „veras signaturas atque impressiones faetas in creaturis,
prout inveniuntur" (Nov. Organ. I, 23). Marcus Mabci schreibt den Ideeo
bildnerische Kräfte zu (Idear. operatr. idea 1634). Nach MALEBRAircnc sind
mit den Dingen auch ihre Ideen in Gott enthalten, wir erkennen jene mittdst
dieser (vgl. Ritter, Gesch. d. Philos. XI, 382). Nach Fexelon sind in Gott
die y^modkles fixes de taut ee qu'il peut faire de lui, les vrais unwersaujc'* (De
l'exist. de Dieu p. 146). Von Ideen als Wesenheiten der Dinge spricht
N. Treschow. Als wirkende Factoren betrachtet die Ideen Herder (Id. rur
Philos. d. Gesch. II, 7, 4). Nach Goethe liegt dem Naturschaffen Gottes
eine Idee zugrunde, deren Manifestationen wir wahrnehmen in Form eine»
Symbols (WW. XIX, S. 63, 158).
Im Sinne von „VorsMvng** gebraucht „/cfec" J. B. van Helmoitt. Von
Descartes an wird die Bedeutung von „idea" als Bewußtseinsinhalt, Vor-
stellung, Begriff u. dgl. üblich. Descartes bemerkt: „Ostendo me ft&men ideaf
sumere pro omni eo, quod immediaie a mente pereipitur, adeo cum tolo et Hmeo,
quia simtä peroipio me velle et timere^ ipsa volitio et iimor inter a me fgume-
rentur*^ (Resp. III, 15). Malebranche erklärt, Idee sei, „ce qui est Fobjet
immediat ou le plus proehe flte l'esprit, quand il aper^it quelque objet^ (Rech.
II, 1). Fenelon bemerkt: y,Tout ce qui est r6rite universeüe et abstraite est
un£ idee" (De Texist. de Dieu p. 143 f.). Die Logik von Port Royal erkläre:
,Jdea nomen est ex eorum numero, quae adeo clara sunt, üt ulteritss expUean
per alia non possint" (I, 1). „Lorsque nous parlons des id^es, nous n^appeJians
point de ee nom les images qui soni peintes dans la faniaisie; mais taut ee
qui est dans notre esprit, lorsque nous pouvons dire avec veriiS que nous ron-
cevons une ehose" (ib.). Spinoza : ,Jdeae nomifie intelligo cuiuslihet eogitationi*
formam iilam, per cuius immediatam perceptionem ipsius eiusdem eogitationis
conseius sum'^ (Ren. Cartes. princ. philos. I, def. II). — Idee ist ein Gedanke,
Begriff, kein sinnliches Vorstellungsbild („imago^^). „Per ideam inteUigo mentis
eonceptufn, quem mens format, propterea quod res est cogitans. Dieo potius
eonceptum quam perceptionem, qtda perceptiofiis nomen indicare videtur, mentem
ab obiecto pati. At coticeptus actiottem mentis exprimere videtur'* (£th. IL
def. III). Spinoza ermahnt die Leser, „ui accurate distinguant ifUer ideetm sine
mentis eonceptum, et inter imagines reriim, quas imaginamur". Die Idee
involviert schon „affirtnationem aiä negationem" (1. c. II, prop. XLIX, 8chol.l
„iVon enim per ideas imagines, quales in fu7ido oetäi et, si plaeet, in medio
cerebro formantur, sed eogitationis coficeptus intelligo^* (1. c. IL prop. XLVIIL
schol.). „Adäquate" (s. d.) Idee ist jene, welche „omnes rerae ideae proprietaies
stire defiominationes intrinsecas habet^ (1. c. II, def. IV). In Gott ist eine Idee
Idee. 471
^jtam, ekis esserUiae, quam omnium, qttae ex ipsius essentia neeessario sequüur"
<1. c. II, prop. VII). Auch vom menschlichen Geist gibt es eine Idee in Gott
•(I. c. II, prop. XX, dem.). „Ordo et eonnexio idearum idem est cte ordo et con-
nerio rerum** (L c. II, prop. VII). Von der einen göttlichen Idee sind alle
anderen abzuleiten (De emend. intell.). Leibniz definiert die Idee als „pro-
pinquam quandam eogitandi de re faciUtatem sive feunlitatein" (Grerh. VII, 263 f.).
— ]\IlcitA£LiU8 erklart: „Idea . . . tria requirit: 1) tU sit forma inteÜeetui
olneetOj ad euius »imilüudinem producaiur res ad extra; 2) ut ista stmUitudo
rei ad extra sit ex inientione ipsius operantis; 3) ut effeetua produetus sit in-
ienius a partieuiari agente^* (Lex. philos. p. 509). Nach CHAUViNr ist eine Idee
yjprima mentis humanae cogitatio" (Lex. philos. 1692). Hollmann: „Idea nihil
xUiud, quam vel exemplar rei in eogitante vel rei in menie repraesentaiio^ imago et
qt*asi pictura est** (Log* § 23). Chr. Wolf: „Bepro/esentaiio rei dieüur idea,
■quatenus rem quandam refert, seu quatenus obieetive eansideratur** (Psychol.
•empir. § 48). J. Ebert: „Begriffe oder Ideen heißen die bloßen Vorstellungen
der Dinge in unserer SeeU^* (Vemunftl. S. 22). Tetens : „Aus den Vorstellungen
icerden Ideen und Oedanken . . . Die Idee enthält außer der Vorstellung ein
Öewahrwerden und Unterscheiden" (Philos. Vers. I, 26). Sie ist eine bewußte
Vorstellung (1. c. 8. 96). In diesem Sinne wird „Idee^* auch Ton Mendelssohn
gebraucht (Morgenst I, 2). Nach Platner ist Idee „alles, was die Seele wirkt"
(Philos. Aphor. I, § 31), „eine geistige Tätigkeit der Seele", Es schwebt der
Seele dabei j/ier Gegenstand der Idee, das Ideenbild" vor (1. c. § 288). Nach
LossiUB hat jedes Individuum eine „gewisse lierrschende Idee" (Unterr. d. gesund.
Vem. 1777, I, 707, 91). Wyttenbach: j^deam . . . distinguimus a notione^
quae ipsa mentis cogitantis est actio, cum idea illud sit, quod ea actione effi-
4^tur** (Praecepta philos. logic. 1794).
Als Vorstellungen, Vorstellungsinhalte, Erinnerungsbilder treten die „Ideen"
bei HOBBES auf. Er bestimmt die „ideas" als „memoriam imaginationemque
mctgnitudinum, moiuum, sonorum, colorum etc. atque etiam eorum ordinis et
partium: quae omnia etsi ideae tanium et phantasmata sunt, ipsi imaginanti
interne accidentia, nihilominus tanquam externa et a virtute animi minime de-
pendentia apparitura ess&^ (De corp. C. 7, 2). Locke nennt Idee („idea") jeden
Inhalt des Bewußtseins, Empfindungen, Vorstellungen, Begriffe, „whatsoever is
ihe object of the undersianding, wheti a man thinks" (Ess. I, eh. I, § 8). Die
„simple ideaS** bilden den Stoff zu aller Erkenntnis, die „mixed ideas" ent-
springen der Tätigkeit des Intellectes. „Real ideas" sind jene, w^elche eine
„fondation in nature", „a conformity with the real being and existence ofthings"
haben (Ess. II. eh. 30, § 1). Adäquat sind sie, wenn sie „perfeetly represeni
ihose arehetgpes whieh the mind supposes them taken from" (ib.). Berkeley
versteht unter Ideen Vorstellungen (Princ. I), insbesondere auch Einbildungs-, Er-
innemngsvorstellungen (1. c. XXXIII). Die „ideas" sind passiv, unwirksam,
bloße Bewußtseinsinhalte (1. c. XXXIX). Nach Huhe sind die Ideen Er-
innerungsbilder, „faint images" der Impressionen (s. d.), „Copien" dieser (Treat I,
sct 1). Alle einfachen Ideen stammen aus einfachen Impressionen (ib.). In
der englischen Philosophie und Psychologie überhaupt bedeuten die „ideas"
Vorstellungen (s. d.).
GoNDiLLAC unterscheidet die „tdec" von der „Sensation" als „sentiment"
in der Seele. „Si feprouve actudlement de la douleur, je ne dirai pas, que fai
lidee de la dotdeur, je dirai, que je la sens, — Mais si je nte rappeüe une dou-
472 Idee.
leur, que fai eue, le swwenir et Videe soni alors une meme chose; et si je dv^
que je me fais Vidie d'une douleur dont <m me parle et que je n'aijamais retseniky
c'esi que fen juge d'aprts une dotdeur, que fai eprouvee, ou d'apres une dmäatr
que je iouffre aetuellement." j^Dans Je second (cas)j Videe est le sentiment d'urte
douleur actuelle, modifie par les jugenients, que je parte pour me represenier la
douletir d'un autre , , , Si ces sefäifnents n^exietetü que dans In metnoirey qui
les rappelle, ils deviennent des idees^^ (Trait. des sent., Extr. rais. p. 49). „La
Sensation actuelle comme passee (de soliditS) est seule tout ä la fois sentimeni H
idee. Elle est sefUiment par le rapport, qu'elle a ä l'ätne qu'elie modifie: dk
est idee par le rapport qti'elle a ä quelque chose d*exterieur . . . Toutes nos sm^
sations nous paraissent les qualites des objets qui fious environnefU: eüe» les
representent dofic, dies sont des idies^^ (ib.). Es gibt ^^idees simplesr\ ^^idees eom-
plexes" (1. c. p. 50). Nach Bonnet sind die Ideen „setisations cornpare^^.
Es gibt jyidees des sens^*, .^idees de la reflexion*' (Ess. C. 19, 21). Holbach nennt
die Veränderungen im Gehirn Ideen, wenn dieses seine Veränderungen auf das
sie bewirkende Object bezieht (Syst. de la nature I, eh. 8, p. 108). — Laso-
MIOUIERE: „L'idee . . . consiste dono dans la distinction que nous faisons, <n*
que nous sommes en etat de faire de tout ee qui s'offre ä notre esprit . . . Elle
est un rapport de distinction, unjugement" (Le^ons de philos. II, 4. ley., p. 1341).
Galüppi: „L'idea e un elemento del giudixio" (Eiern, di philos. II, 9). Nach
Seroi ist die Idee „une pure image mentale*^ (Psychol. p. 144 ff.).
Einen neuen Sinn erhält „Idee^^ bei Kant. Sie ist hier ein letzter, ab-
schließender, auf dem Schließen beruhender, ein Vemunftbegriff, dem kein
Gegenstand in der (wirklichen oder möglichen) Erfahrung jemals entsprechen
kann, der aber doch mehr ist als eine Fiction, indem er, als Unendlichkeits*
begriff, dazu dient, die Gesamtheit der (kategorial verarbeiteten) Erfahrungen
abzuschließen, auf eine höchste, ideale Einheit zu beziehen. Ideen sind Begriffe
von Unbedingtem, das zu allem Bedingten als letzte Bedingung gedacht wird,
haben keinen „eonstitutiven^* (s. d.), sondern nur „regulatir-en" (s. d.) Wert für
die Erkenntnis. „Ideefi sind Vemunftbegriffe, denen kein Gegenstand in der
Erfahrung gegeben werden kann, Sie sind weder Anscliauungen . . . iwch Ge-
fühle . . .; sondern Begriffe ran einer Vollkommenheit, der man sich zwar immer
nähern, sie aber nie vollständig erreichen kann^^ (Anthropol. I, § 41). ,yEine
Idee ist nichts anderes als der Begriff van einer VoUkomtnenfteit, die sich in der
Erfahrung noch nicht vorfindet^' (WW. VIII, 460). y,Ideen in der aUgetfieifUten
Bedeutung sind nach einem gewissen (sidjectiven oder objectiven) Pripicip anf
einefi Gegenstand bexogene Var Stellungen, insofern sie doch nie Erkenntnis des-
selben werden können" (Krit. d. Urt. § 56). Die Vemunftidee ist ein „in-
demanstrabler" Begriff (ib.). „Die Idee ist ein Vemunftbegriff, desseti Gegenstand
gar nicht in der Erfahrung kann angetroffen werden" (Log- S. 140), sie ist ein
transcendenter (s. d.) Begriff. Sie „enthält das Urbild des Gebrauchs des Ver-
standes . . .als regulatives Princip zum Behuf des durchgängigeft Zusammen-
hanges unseres empirischen Verstafidesgebrauchs" (1. c. S. 141 f.). Ideen sind
notwendige (Vernunft-) Begriffe, deren Gegenstand in keiner Erfahrung gegeben
werden kann (Prolegom. § 40). Ihren Ursprung haben sie „in den drei Func*
tiancn der Vernunftschlüsse". „Der formale Unterschied der VerminftMchküfise
macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und disfuneiiit
notwendig. Die darauf gegründeten Vemunftbegriffe enthalten also ersÜich die
Idee des selbständigen Subjects (Std)stantiale), xweitens die Idee der tollständigen
Idee. 473
J?eiAe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines
vollständigen Begriffs des Möglichen" (1. c. § 43). „Z>te Farm der Urteile . . .
brachte Kategorien (s, d,) hervor, welche allen Verstandesgebraueh in der Er-
fahrung leiten. Ebenso können tcir erwarten, daß die Form der Vernunft'
Schlüsse, wenn man sie auf die synthetische Einheit der Anschauungen nach
Maßgebung der Kategorien atiwendet, den Ursprung besonderer Begriffe a priori
enthalten tcerde, welche wir reine Vemunftbegriffe oder transcendentale Ideen
nennen können" (Krit. d. r. VenL S. 279). „So viele Arten des Verhältnisses
es nun gibt, die der Verstand vermittelst der Kategorien sich vorstellt, so vielerlei
reine Vemunftbegriffe wird es auch geben, und es tcird also erstlieh ein Un-
bedingtes der kategorischen Synthesis in einem Subject, xweitens der hypo-
thetischen Synthesis der Glieder einer Reihe, drittens der dis^netiven Synthesis
in einem System xu sudten sein" (1. c. S. 280). „Ich verstehe unter der Idee
einen notwendigen Vermmftbegriff, dem kein congruierender Gegenstand in den
Sinnen gegeben werden kann," Die „transcendentalen Ideen" „betrachten alle
Erfahrungserkenntnis als bestimmt durch eitie absolute Totalität der Bedingungen.
Sie sind nicht willkürlich erdichtet, sondern durch die Natur der Vernunft selbst
aufgegeben und beliehen sich daher notwendigerweise auf den ganxen Verstandes-
gebrauch, Sie sind endlieh transcendent und übersteigen die Grenze aller Er-
fahrung . . ," (L c. S. 283). Unter den Ideen besteht ein Zusammenhang und
eine Einheit, so daß vermittelst ihrer die Vernunft alle ihre Erkenntnisse in
«n System bringt (1. c. S. 290). Die drei Ideen der Metaphysik sind: Gott,
Freiheit, Unsterblichkeit. In allen diesen Ideen wird die „absolute Totalität"
gefordert (1. e. S. 342). Die vier kosmologischen Ideen sind: „1) die a6-
solute Vollständigkeit der Zusammenselxung des gegebenen Ganxen aller Er-
scheinungen; 2) die absolute Vollständigkeit der Teilung eines gegebenen Ganxen
in der Erscheinung; 3) die absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Er-
scheinung überhaupt; 4) die absolute Vollständigkeit der Abhängigkeit des Daseins
des Veränderlichen in der Erscheinung" (1. c. S. 346). — Die ästhetische
Idee ißt eine „inexponible" (s. d.) Vorstellung der Einbildungskraft (Kjit. d.
Ürt § 56). Denn sie ist „eine einem gegebenen Begriffe beigesellte Vorstellung
der Einbildungskraft, welche mit einer solchen Mannigfaltigkeit der Teüvorstellun-
gen in dem freien Gebrauche derselben verbunden ist, daß für sie kein Ausdruck,
der einen bestimmten Begriff bexeicfmet, gefunden werden kann" (1. c. § 49).
Sie ist „duslige Vorstellung der Einbildungskraft, die viel xu denken veranlaßt,
ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d, i, Begriff adäquat sein
kann" (ib.). Ästhetische „Normalidee^^ ist „das xwischen allen einxelnen, auf
mancherlei Weise verschiedenen Anschauungen der Individuen schwebende Bild
für die ganxe Gattung, welche die Natur xum Urbild ihren Erxeugungen in der-
selben Species unierlegte, aber in keinem einxelnen völlig erreicht xu haben
seheint" (1. c. § 17). Das Erhabene (s. d.) bestimmt das Gemüt, sich die Un-
erreichbarkeit der Natur als Darstellung von Ideen zu denken (1. c. § 29). Den
Begriff der Idee teilweise im Kantischen Sinne hat Schiller. Nach S. Mai-
MON iat die Vemunftidee „die formelle Vollständigkeit eines Begriffs" (Vers. üb.
d. Transcend. 8. 157). Krug nennt Ideen die Vorstellungen der Vernunft
(Handb. d. Philos. I, 3(X) ff.). Reinhold bestimmt die Idee als „die Vor-
stellung, welche durch das Verbinden des gedachten (durch Begriffe vorgestellten)
Mannigfaltigen entsteht" (V'^ers. e. n. Theor. II, 498). Nach Jacobi sind Ideen
„Vorstellungen des im Gefühle allein Gegebenen" (WW. II, 62). G. E. Schulze
474 Idee.
erklärt: ,yBeireffen die einzelnen Varsteliungen etwas, dcLS entweder kein Oegm-
stand der Wahrnehmung sein kann, oder dessen Dasein in der Sinnenwdt dod
noch ungewiß ist, so nennt man sie Ideen" (Allg. Log.*, S. 3). „Die Er-
zeugnisse der Vernunft v>erden Ideen genannt, wenn sie so weä ausgebildet worden
sind, daß ihr Inhalt eine die Beschaffenheiten sinnlicher Dinge übertreffend
Vollkommenheit ausdrückt^ (Psych. Anthropol. S. 120 f.). E. Kecnhold ver-
steht unter den Ideen „CauscUbegriffe der reinen Vemunfttätigkeit, in dentn
wir uns das Verhältnis des Ewigen, Beharrlichen, absolut Notwendigen^ All-
gemeinen und Einzelnen im Causatxusammenhange der IVirkliehkeit xum ErU
standenen, Vergänglichen, bedingt Notwendigen, Besondem und Individudlen per-
gegenwärtigen" (Theor. d. menschl. Erk. II, 244). Bekeke versteht unter dfifi
Ideen oder „reinen Formenbegriffen" „Vorstellungen, in denen Gegenstände vo»
einer Vollkommenheit , welche über alle Erfahrung hinausgeht, gt-
dacht werden" (Lehrb. d. Psycho!.», § 297; PsychoL Skizz. II, 329 fL). Nidi
TEiCHMtJLLEB sind die Ideen Schlüsse, logische Coordinatensysteme (N. Grdleg.
S. 270). — Nach O. Schneider sind die Ideen „a priori, durch Anwendungen
der apriorischen Stammbegriffe auf die apriorischen Eigenschaften unseres ntensek-
lischen Bewußtseins und Ödstes , . . entstandene Begriffe^' (TranscendentalpeychoL
S. 139). Nach K. Lasswitz ist Idee ein „Oesetx, welches die Riehtt*ng anweist
in der unsere Erfahrung sich entwickeln soll" (Wirklichkeit S. 152), Sie ist
die „sicherste und höchste Realität" (1. c. S. 154). Nach H. CJohkn ist die Idee
„dae Selbstbewußtsein des Begriffs, Sie ist der Logos des Begriffs; denn sii
gibt Rechenschaft vom Begrifft* (Log. S. 14). Die Ideen sind „Orundlegungeait
des Seins (1. c. S. 18). Nach Natorp sind sie „reifte Setxungen des Denkent^,
„Methoden", „Grwndlageti xur Erforschung der Plwinomene'^ (Platos Ideenlefare
S. 215 u. ff.). A. ElEHL betont: „Ideen sind Aufgaben, Willensaufgaben, und
allein als Ziele des Schaffens und Handelns müssen sie verstanden werden. Sie
gelten, aber sie sind nicht" (Zur Einf. in d. Philoe. S. 19). „Ideen sind
Willensbegriffe, nicht Sachbegriffe^^ (1. c. S. 192). „Ideen sind nicht Erkenntnis'
begriffe, sie fallen nicht in das Oebiet der theoretischen, sie gehören xum Bereich
der praktischen Vernunft. Dort, wo die Erforschung von Ob/eeteti, die in der
Erfahrung gegeben sind, unser Zweck ist, kann ihre Bedeutung nur eine ,regu-
lativef sein, sofern sie die Bedingungen oder Regeln angeben, unter denen Einheit
oder systematische Vollständigkeit des Wissens xu erxielen ist. Für die praktische
Vernunft dagegen sind sie ,constitutiv' ; sie selbst constituieren die praktische
Vernunft, sie selbst sind die Vernunft, die xugleich Wille ist^^ (1. c. S. 193).
Herbart unterscheidet fünf „ästhetische" (s. d.) und praktische Ideen, die
aus ,/isthetischen" oder Geschmacksurteilen über „WiUensperhäUniss&^ ent^
springen (WW. Kehrb. II, 352): 1) Idee der inneren Freiheit (1. c, IV, 118 1);
2) Idee der VoUkommenheit (1. c. IV, 119; II, 358 f.); 3) Idee des WohlwoUei»
(1. c. II, 362 f.); 4) Idee des Eechts (1. c. IV, 120); 5) Idee der Billigkeit
(Encyclop. d. Philos. S. 47: abgeleitete Ideen: beseelte Gesellschaft, Ciütur-
System, Verwaltungssystem , Bechtsgesellschaft, Lohnsystem). Nach Aixxas
sind die sittlichen Ideen „die einfachsten Musterbilder des sittlichen WoUens,
nach dem jedes wirkliehe Wollen seine Beurteilung nacfi absolutem Wert oder
Unwert findet" (Gr. d. allgem. Eth. S. 211 ff.; vgl. Hartenstein, EÜl Gnmd-
begr. S. 234 ff.). Nach Waitz sind Ideen „Vorstellungsweisen, welche äaxM
dienen, größeren Gedankenkreisen xu der Einheit, xu detn Abschluß tptd Zu-
sammenhang XU verhelfen, die ihnen noch abgelten" (Lehrb. d. PsychoL S. 609)«
Idee. 475
Die Ideen sind Objecte des Glaubens, bestimmt zur Versöhnung unseres innren
Lebens mit der "Wirklichkeit (1. c. S. 617). — Als „fundamental ideas** bezeichnet
Whewell die logischen Grundanschauungen. Nach Lotze sind die Ideen
j,ohfeet%ve Oedanken^^, yjOUgemeine Begriffe von objectiver QüUigkeW (Log. S. 562 ;
8. imten). Ukold betrachtet die sittlichen Ideen als Producte der praktischen
Vernunft, indem diese ,^ie sittlichen OefUhle und Triebe in die Sphäre des
Denkens erhebt tmd dadurch umfassende praktische Begriffe bildet,* die wegen des
sttMrken Gefühlstones und der engen Bexiehung xu den Bedürfnissen des mensch-
listen Lebens bald unbewußt^ keim" und triebartig, bald bewußt, als ImpercUive,
%ur Verunrklickung und xum Handeln drWngen^^ (Gr. d. Eth. S. 224). Nach
C. Stange entstehen die Ideen des Sittlichen als unwillkürliche Producte der
Vernunft, unabhanpg vom Subjeet, als transsubjective Factoren (Einl. in d.
Eth. II, 140 ff.). Über die ästhetische Idee bemerkt Wundt: „Wo der Gegen-
sUMd xusammengeseixter ist, da gibt derselbe xu einer Reihe miteinander ver-
bundener Vorstellungen Anlaß, die sieh in der Form eines xusam?nenhängendefi
Gedankens aussprechen lassen. Dies ist es, was man in der geläufigen Regel
auexudrücken pflegt, daß der ästhetische Gegenstand Träger einer Idee sein
müsse" (Grdz. d. physiol. Psychol. II*, 250). Der ästhetische Gegenstand ist
Wirklichkeit und Idee zugleich; die Idee liegt latent im Object und erhält im
Kunstschaffenden und Genießenden lebendige Wirklichkeit. Die Ideen werden
in der Form des phantasiemäßigen Denkens nachgedacht (Syst. d. Philos.',
S. 683 ff.).
Als Gedanke des Grundes, des Wesenhaften, Übersinnlichen, als Vemunft-
begriff gilt die Idee bei Hermes (Phil. EinL § 28 f.), auch bei Günther
(Vorsch. I, 236; II, 541). Süabedisben versteht imter der Idee den „Wesepis-
gedanken^^, „Grundbegriff^^ eines Dinges, einer Gattung (Grdzg. d. Lehre von d.
Mensch. S. 126). Die Ideen sind zugleich die Begriffe des „ursprünglichen
Strebens und Zweckes^ der Dinge, die „ursprünglichen Daseinskräfle und Da-
seinsicillen" (1. c. S. 162). Hillebrand versteht unter Idee das reine Denken
des Seins (Philoe. d. Greist. I, 40), mit welchem die Objectivität des Seins zu-
gleich mitgesetzt ist (ib.). Idee ist „rfer Begriff, in dem cancreten Bewußtsein
seiner absoluten Positiviiät" (1. c. I, 207). Die Ideen vergegenwärtigen „die
ewige und höhere Wesenheit der natürlichen Dinge^^, „In der Idee wird . . . die
absolute Identität des Allgemeinen und seiner unendlichen concreten Bestimmt-
heit . . . gewissermaßen individualisiert'^ (ib.).
Eine weitere Eeihe von Philosophen (und Historikern) erblickt in den Ideen
hauptsächlich objective Wesenheiten, geistig wirksame Kräfte, wesenhafte, pro-
ductive Gedanken der göttlichen Vernunft, die in der Welt zur Wirkung, in
der Geschichte, im Menschen zum Bewußtsein gelangen. In den Ideen liegt
der vernünftige Sinn, die logisch-teleologische Gesetzmäßigkeit des Alls.
Nach J. G. Fichte tritt die eine Idee in verschiedenen Formen auf (Gr.
d. gegenwärt. Zeitalt. 1806, S. 122 f.). Das apriorische, schöpferische Beich
der Ideen bekundet sich besonders in der Geschichte (1. c. S. 267). Idee ist
die Weise, wie das Leben der Gattung in das Bewußtsein eintritt (1. c. S. 141).
8ie ist ein „selbständiger, in sich lebendiger und die Materie belebender Gedanke"
(1. c. S. 11). „Alles Leben in der Materie ist Ausdruck der Idee" (1. c. S. 116).
Nach SCHELLING ist die Idee der Begriff als die unendliche Bejahung von
Sein. Sie ist nicht außer dem Besonderen. „In jeder Creatur und Bildung ist
das eigentlich Lebende eine ewig geborene Idee, von der Anfang und Ende eines
476 Idee.
jeden Dinges selbst die bloß scheinbar getrennten Momente sind'* (Jahrb. d
Medic. I, H. 1, S. 34; H. 2, S. 31; II, H. 2, S. 142). Die Ideen sind „S^
thesen der absoluten Identität des Allgemeinen und Besonderen*^ (NaturphDoc
S. 75). Durch die Ideen sind die Dinge „wahrhaft und innerlieh ein Wesett
(1. c. 6. 76). Später betrachtet Schelling die Ideen als zwischen Grott und den
Einzeldingen vermittelnde Einheiten (Yorles. üb. d. Method. d. «.kadem. Ötud.*,
S. 98). Die Ideen sind „die einzigen Mittler, wodurch die besonderen Dinge «
Oott sein können^^. Gleich Gott sind sie „produetiv und wirken nach demselben
Oesetxe und auf die gleiche KVtsc, indem sie ihre Wesenheit in das Besanden
bilden . . . Die Ideen verhalten sich als die Seelen der Dinge^' (1. e, 11,
S. 240 f.). Die Ideen sind „rf«c Wesenheiten der Dinge cUs gegründet in der
Etdgkeit Gottes'^ (WW. I 6, 183). Oeested erklärt: „Das, was einem Dingt
seine beständige Eigentum lichkeitj sein Wesen gibt, ist nur . . . die Gesamt-
heit der Naturgesetxe, wodurch es hervorgebracht ist und sieh erhält; aber die
Naturgesetze sind Naturgedanken; der Dinge Wesen beruht also auf deti
h aturgedanken, welche sich darin ausdrücken. Insoweit etwas ein in sirk
zusammenhaltendes Wesen sein soll, müssen alle Naturgedanken, welche darin
ausgedrückt sind, in einem Wesensgedanken sieh vereinigen, welchen wir dessen
Idee nennen. Das Wesen eines Dinges ist also dessen lebende Idee^ (D«
Geistige in dem Körperlichen 8. 37). Nach Eschekmater sind die Ideen
f^eine Verstandesdinge, die wir in den einzelnen Dingen wahrnehmen und ab-
sondern, wie AUgemeinbegriffe^\ sondern „Urtypen, die vor allem Einzelnen und
Wirklichen bestanden haben und die das Einzelne, Wirkliche beseelen und ihm
ihr H'esen leihen*'. „Das Urbild def Kugel hat von jeher bestanden . . .**
(Psychol. S. 15). In den Dingen spiegelt sich die Idee «ab, sie ist ,/ia» be-
ständige Integral, was die Erscheinufigen xu einem Ganzen xusammenhäU; sie
ist das Gesetz, dem alle tceltlichen Kräfte in ihren Richtungen folgen^' (L c«
S. 400). Die Natur ist ein Reflex der Idee (1. c. S. 394). Wichtig ist die
„Triplicitäf' der Ideen: Wahrheit, Schönheit, Tugend (1. c. S. 394). Indem
die Ideen „eine verschiedene Dignität gegeneinander^' behaupten, erhalten vir,
da jede fiur sich unendlich ist, verschiedene Ordnungen des Unendlichen (L c.
S. 401 ff.). Nach Waoner setzt die Vernunft (mit der Phantasie) Ideen da,
wo sie „Totalität in einer Einzelheit'' setzt (Syst. d. Idealphilos. 1804, S. 46K
„Aller Zwecke Fealität ist in defi Ideen" (1. c. S. 109). Die Ideen sind real,
treibende Kräfte (1. c. S. 48). Die „Idee der Ideen" ist Gott (1. c. S. S^).
Chb. Krause versteht unter Idee: 1) einen Musterbegriff, 2) die „Grundidee^
im objectiven Sinne (Vorles. S. 143 ff.). Über Suabedissen s. obai.
Schopenhauer nennt Idee jede „bestimnUe Stufe der Objeciivaiion des
Willens" (W. a. W. u. V. I. Bd., § 26). Die Ideen sind „Stufen der Ob-
jectivation des Willens", die „Musterbilder" der Individuen, die „etcigefi Formenr
der Dinge, „nicht selbst in Zeit und Raurn^ das Medium der Individuen^ ein-
tretend, sondern feststehend, keinem Wechsel unterworfen, immer seiend und ge-
worden" (1. c. § 25). Die Ideen liegen außer der Zeit (1. c. § 28), werden vom
Satze des Grundes (s. d.) nicht berührt (1. c. § 30). Die Dinge sind nur ge-
trübte Erscheinungen der Ideen. Reine Erkenntnis würde nur Idee ertesen
(1. c. § 32). Ziur Idee wird das Object erhoben, indem wir zum interesselofien,
überindividuellen ,^reinefi Stibject des Erkennefis" werden (1. c. § 34). Die Kunst
„unederholt die durch reine Contemplation aufgefaßten etcigen Ideen, das Wesent-
liche und Bleibende aller Erscheinungen der Welt", denn ,ysie reißt das Ob^t
Idee. 477
ihrer Contemplation heraus attö dem Strome des Weltlaufs und hat es isoliert
ror sieh: und dieses Einxelne, was in jenem Strom ein verschwindend kleiner
fti/ war, wird ihr ein Repräsentant des Oa/nxen, ein Äquivalent des in Rau?n
und Z^t unendlich Vielen" (1. c. § 36). Die Kunst ist daher „die Betrachtungsari
der Dinge, unabhängig vom Satxe des Grundes" (ib.).
Hegel geht in der Hypostasienmg des Begriffs (s. d.) so weit, daß ihm
„die /ifce" zum allein wahren, realen Sein, zum Weltproceß wird. Die „Idee"
ist objectiver Begriff, objectiv seiende Vernunft, Logos, im Weltprocesse sich
entfaltend und ihre eigenen Bestimmungen (dialektisch) setzend. Die Idee ist
„der Begriff, die Realität des Begriffs und die Eifiheit Äcider", „der in seiner
Realität gegenwärtige und mit derselben in Einheit gesetxte Begriff" (Ästhet. I,
138). Sie ist der „adäquate Begriff", das „ohjeciiv Wahre^% das „wahrhafte
Sein", die „Einheit von Begriff und Realität" (Log. III, 236, 240). Sie ist
logischer „Proeeß" (der Diremtion und Synthese), „ewiges Erzeugen", Leben,
Erkennen, Wollen und Wissen (1. c. S. 242 f.). Natur und Oeist sind nur ver-
Bcbiedene Weisen, das Dasein der „absoluten Idee", der „sich loissenden Wahr-
heit", darzustellen (1. c. S. 328). Die Idee existiert „an sich", in ihrem „Anders-
sein" (als Natur), „für sich" (als Geist). Die ,^ein&^ Idee ist „die Idee im
abstraeten Elemente des Denkens" als Gegenstand der Logik (Encykl. § 19).
Die Idee ist aber „das Denken nicht als formales, sondern als die sich ent-
viekelnde Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze, die es sich
selbst gibt, nicht schon hat und in sieh vorfindet" (ib.). „Die Idee ist das Wahre
an und für sich, die absolute Einheit des Begriffs, und der Ob-
jectiv i tat, Ihr ideeller Inhalt ist kein anderer als der Begriff in seinen Ben
Stimmungen; ihr reeller Inhalt ist nur seine Darstellung, die er sich in der
Form äußerlichen Daseins gibt, und diese Gestalt, in seine Idealität eingeschlossen,
in seine Macht, so sich in ihr erhält'' (1. c. § 213). Alles Wirkliche ist die
Idee, sie ist wahr nur durch sie und kraft ihrer. „Die Idee selbst ist nicht vu
nehmen als eine Idee von irgend etwas . . . Das Absolute ist die allgmneine
und eine Idee, welche als urteile 7id sich xum System der bestimmten Ideen
besondert, die aber nur dies sind, in die eine Idee, in ihre Wahrheit xurück-
xugehen. Aus diesem Urteil ist es, daß die Idee zunächst nur die eine, all-
gemeine Substanz ist, aber ihre enturickelte wahrhafte IVirklicfikeit ist, daß sie
als Subject und so als Geist ist" (ib.). Die Idee ist die Vernunft, das Subject-
Object, die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen,
der Seele und des Leibes u. dgl. (1. c. § 214). Sie ist „die Dialektik, welche
ewig das mit sich Identische von dem Differenten, das Subjective von dem Ob-
jeetiven, das Endliche von dem Unendlichen, die Seele von dem Leibe ab- und
unterscheidet, und nur insofern ewige Schöpfung, ewige Lebendigkeit und ewiger
Geist ist" (ib.). Die N^itur (s. d.) ist die „Idee in der Form des Anders-
seins", der Geist (s. d.) die „xu ihrem Für-sicfi-sein gelangte Ideef^ (1. c. § 247,
381). — Nach Gabler ist die (reine) Idee „da« absoltäe, sich als alle Realität
wissende Wissen der an und für sich seienden Wahrfieit*^ (Syst d. theoret.
Philos. I, 429). Nach K. Bosenkranz ist die Idee „das absolute Prineip,
welches sieh die ihm immanente Form als Methode zur Einheit aller seiner not-
wendigen Bestimmungen entivickelt, ein Systetn" (Wissensch. d. log. Idee II,
S, 336). Die Idee ist „die Einheit ihres Begriffs und seiner Realität^ (1. c.
8. 436; Syst. d. Wiss. S. 117). Sie ist sich selber Zweck, gestaltet sich als
organische Totalitat (Syst. d. Wiss. S. 117). „Die Idee ist selber das absolute^
478 Idee.
von nichts anderem abßiängigey in sich unbedingte Sein, welches, als hwohAim,
alle seine besondern Bestimmungen xvr Evolution in sich schließt* (L c. S. 118). \
Nach M. J. MoNBAD ist die Idee das Wirkliche, das eich in Natur und Gdst
offenbart. V. Cousin erklärt: „Les idees sont la pense sous la forme naturdit
(Cours, le^. 1, p. 20). „Les idees , . . tie representenl rien, absolument rim
qu'elles'memes^* (1. c. p. 22). Fundamental sind für den Mensehen die Ideen
des Nützlichen, Gerechten, Schönen, Göttlichen, Wahren (L c. ley. 2, p. 29).
Caabibbe erklärt: „Die Idee macht . . . das eigene Wesen der Dinge aus. Sk
ist der Inbegriff und Einheitspunkt alles Lebendigen, aus welchem das aanrnff-
faltige entspringt und abgeleitet wird; sie ist das Allgemeine, tcelches das Be-
sondere nicht ausschließt, sondern in sieh und unter sieh befaßt . . . Die Mm
drückt das Wesen und die Bestimmung des Einzelnen aus, tvie es in semer
Vollendufig zugleich das Allgemeine abspiegelt und verwirklieht; so vereinigt skk
in ihr das Anschauliche mit dem Begrifflichen^ (Ästhet I, 18). Nach GiOBEKn
sind die Ideen der Dinge ewig in Gott vereinigt (vgl. Ontologismus).
Nach Bacuhann ist die Idee „die nur durch die Vernunft %u erfassende
Urgestalt, als Musterform und belebende Kraft für eine Reihe von Bestrebungen
und individuellen Gestalten*^ (Syst. d. Log. S. 283). Sie kommt nur in da
einzelnen Individuen zum Bewußtsein (1. c. S. 288). Nach Trekdeubnbubg
ist die Idee das „erfüllte Allgemeine, das sich selbst in der MannigfaiiigkeU
seiner Bestimmungen darstellt und umfaßt*-, das „Wesen unter der Kategorie
des selbstschöpferisehen Orutides'^ (Log. Unters. II», 494 ff.), der „Begriff der
Sache, in der organischen Bestimmung eines bedingenden Qanxen erbarmt^ (L c.
S. 507). Nach Fkohschammer sind die Ideen ewig, sie bilden ,ßie he-
»timmende Norm** für das Weltprincip, die Phantasie (s. d.), werden darch
„plastische Kräfte^* zu realisieren gesucht und wirken im Menscheugeiste ak
Triebkräfte (Monad. u. Weltphantas. S. 17). Sie sind zielgebende Normen, das
treibende Moment im Weltprocesse, die „unbewußte Vemunff* in der Natur
(1. c. S. 18, 74 f., 77). J. H. Fichte erklärt, dem Schönen liege stets ein«
der ,^ewigen Oemeinbilder oder Urgestalten'^ zugrunde (Psychol. I, 701). ,fhdem
Unsinnliehen, Gedankenmäßigen ist gleich ursprünglich in der göHliehen Seköpfer"
imagination . . . sein Sinnbild, seine imaginative Leibesgestalt an-
geheftet* (1. c. S. 710). AUe Ideen sind jedem Menschengeiste immanent (L c
ß. 112, vgl. S. 135). Nach Lotze bezieht sich der Gedanke „Ide^ auf eine
ursprüngliche Einheit in dem Dinge, er bedeutet das Wesen des Dinges, dai
Grund des Daseins einer Art, den beständigen Sinn veränderlicher Crestalten
(Mikrokosm. II", 165 ff., vgl. S. 570). Lotze t«ilt die Voraussetzung des Idea-
lismus, „daß nur so viel und nur solches in der Welt existiert, als zugleich in
dem Sinne einer wertvollen Idee, die ihr Wesen bildet, seine netwendige Sldk
hc^* (Medicin. Psychol. S. 159). E. v. Habtmann sieht in der „/dee" das
logische Attribut des „Unbewußten** (s. d.). Die Ideen sind „unbewußte In-
tellectiuUfunctionen** (Zum Begr. d. unbew. Vorstell., Philos. Monatsh. 28, 1892,
S. 23 f.). G. Biedermann versteht unter Idee den „im FortsekriU seiner
unendlichen Entwicklung xu verwirklichenden Begriff** (Philos. d. Gesch.
S. XXXIV, 385). Czolbe: „Die Welt besteht aus xahUosm Gruppen teils sieh
xeitlieh folgender, teüs räumlieh nebeneinander bestehender ähnlieher Dinge^
nämlich solcher, die in wesentlichen . . . IkHen gleich sind oder iiberein^
stimmen . . . Dieses Gemeinsame . . . kann man objeetiven Begriff oder Idee
nennen und als Abbild dieser ewigen, in sich gegliederten obfectiven Welt der
i
Idee. 479
Meen das System der subjeetiven Begriffe betrachten, welche den Inhalt der
Wissenschaft oder der Erkenntnis des Ewigen^ Unveränderlichen und Unver-
gänglichen bilden" (Gr. u. ürspr. d. m. Erk. S. 169). O. Liebmann versteht
unter den unveränderlichen Ideen „ÖesetxeseomplieaUonen" (Analys. d. Wirkl.
8. 393). Die Idee ist ,/ii^'enige Complieation von Nttiurgesetxen, welcher ent-
sprechend bei einem bestimmten Zustand der Materie ein Mensch oder ein In-
dividuum . . . entspringen muß*' (L e. S. 404). Im Universum besteht eine
Ideenordnung (1. c. S. 407). Nach B. Carneri ist die Idee der ,/ioncrete Be-
griff*^. Sie entspricht einer bestimmten Art und ist ,4^ Wirkliche an jedem
einzelnen Exemplare^^ (Sittlichk. u. Darwinism. S. 78). „Keine bestimmte Idee
verwirklieht sich . . . auf einem gegebenen Punkte des Raumes und der Zeit,
sondern nur in der Gesamtheit und unendlichen Bewegung aüer unter sie be-
griffenen Einxeldinge^' (1. c. S. 78). Die Idee ist ,/ias innerlich der ganxen
Gattung Gemeinsamem^, eine Macht (1. c. S. 137, 194). Nach Lazarus sind die
Ideen productive Kräfte, die aus der Veredlung der Ichheit entspringen (Ob.
d. ürspr. d. Sitt, Zeitschr. f. Völkerpsychol. I, 462 f., 477). Die Idee ist die
höchste und reinste Form der Erkenntnis alles Bealen, in ihr wird das wirk-
liche und wirksame, volle und lebendige Wesen alles Seienden erfaßt. „Dte
Mee eines Dinges umfaßt sein reales Wesen in dem ganxen Wandel und als
Grund seiner Erscheinung*' (Zeitschr. f. Völkerpsychol. III, 452, 456). Nach
Steenthal ist Idee alles, was das Wesen idealer Formung an sich tragt
(Allgem. Eth. S. 78). Die Ideen sind sowohl objectiv als subjectiv (1. c. S. 79).
Ideen sind auch „die subjeetiven Kräfte des Bewußtseins^ welches die geschieht-
liehen Taten, Gebilde und Gedanken erxeugt, insofern sie dabei von den Ideen
geleitet wurden'^ zu nennen (L c. S. 78). Der „ob/eetive Geisf' ist der
„Ort der Ideen" (1. c. S. 420, 424, 426). Nach Glooau üben die (aus Gott
abgeleiteten) Ideen „SoUicüationen" aus, wodurch die endlichen Greister zu
geistigen Bildungen veranlaßt werden. Nach Siowart sind die „Ideen" der
Geschichte die Richtungen der Gesamttatigkeit eines Volkes in einer bestimmten
Zeit (liOg. II^ 632). Nach O. Willmann bilden die Ideen „ein Mittelglied
xfHsehen dem Einen und dem Vielen", Sie stellen femer das richtige Ver-
hältnis zwischen Erkennen und Sein her. Endlich verknüpfen sie die natür-
liche und sitüiche Welt (Gesch. d. Idealism. III, 215, 218, 221, 223).
W. V. Humboldt versteht unter den Ideen „Formen" von relativer Imma-
terialilat, welchen lebendige Wirksamkeit in der Geschichte zukommt (WW.
VII, 12 ff.). Sie wirken in den Individuen. Nach L. v. Ranke ist die Idee
r^ötüiehen Ursprungs" (Histor.-polit. Zeitschr. II, 794). Die Idee wirkt als
Kraft, Trieb (L c. S. 805). Nach Wachsmuth sind die Ideen außer Raum
und Zeit, die constanten Formen, Principien, Gresetze der Ereignisse (Entwurf
e. Theorie d. Gesch. 1820, S. 49 ff., 56). Ahsenb bemerkt: „Alle die Mensch-
keit in ihrem lAhen und in ihrer Entwicklung bestimmenden Ideen, tcelche als
höhere Lebenskräfte auf eine höchste und unbedingte Macht hinweisen, beherrschen
lange Zeit die Mensclien und Völker mehr unbewußt als instinetive Triebe und
treten erst später immer klarer ins Bewußtsein" (Naturrecht I, 15). Lamprecht
definiert die Ideen als „die Richtungen des psychischen Gesamtorganismus einer
ZeU und eines geschichtlich abgegrenxten Teiles der Menschheit^' (Was ist Cuitur-
gesch.? Dtsch. Zeitschr. f. Geschichtswiss. N. F. 1, 1896/97, S. 109). Die Ideen
sind immanente Factoren, entstehend durch „Application des menschlichen
Denkens und Handelns auf die bestehenden Möglichkeiten des Handelns^' (Alte u.
480 Idee.
neue Richtungen 1896, Ö. 55 f.). Ideen sind Agentien nur als p9ychol(^;i9ch« '
Factoren (1. c. S. 40). „Z>te geschichtliche EnttviMung roUxiekt sich unter der
forttmJirenden Einwirkung des menschlichen Triebes, aUe Ereignisse und Vor-
gänge nach Oesichtsptmkten höherer Einheit xu ordnen: so erwachsen aut
den Dingen die Ideeriy und sie beherrschen als Forderungen und Ziele det
Handelns einen Teil der Zukunft'' (Dtsch. Gesch. II«, 355). Nach O. Flügel
bedeuten die Ideen „natürlich entstandene Gedanken und Entschlüsse^' , ^yZweeke
und Motive" der Individuen (Ideal, u. Material. S. 180, 90 ff.). Th. Ldtbkes
nennt Ideen „Gedanken, welche auf Erreichung eines bestimmten Zieles geriehitt
sind". „Sie sind der Ausfluß jeweiliger Verhältnisse, der Ausdruck rorhandmer
Bestrebungen." „Wenn das Gefühl des Bedürfnisses ins Bewußtsein tritt und
auf Befriedigung drängt, wird es xwr Idee" (Greschichtsphilos. S. 25 f.). Alk
Ideen sind vergänglich, stehen im gegenseitigen Kampfe (1. c. S. 28 ff.)- Sie
entstehen „individtuü, verbreiten sieh coüectiv und werden wieder durch hh
dividuen ausgeführt" (1. c. 8. 61). „Indem die Ideen %ur Befriediffting tuta
Bedürfnisses antreiben, werden sie Ursachen der geschichtlichen Entwiddun^
(L c. ß. 88). Nach P. Babth haben Gedanken einen directen oder indirBctffl
Einfluß auf das Leben (Philos. d. Gesch. I, S. 349). Es besteht eine Fort-
pflanzung der Ideen von (Geschlecht zu Geschlecht (L c. S. 557). Nadi
FouiLLEE sind die Ideen treibende Kräfte des Geschehens, „idees^force^
(L'^voL des id^es-forces). Nach Lilienfeld wirken in der Welt Ideen auf
psychophysische Weise als leitende, herrschende, bestimmende Factoren. Sie
sind psychophysische Producte und wirken auf das Ganze des socialen Orga-
nismus zurück, ja über dieses hinaus (Gedank. üb. d. Socialwiss. III, 183; IL
403 f.; I, 56, 272). Schäffle sieht in den Ideen (des Bechts, der Moral u. g, w.)
nicht primäre Kräfte, sondern socialgenetische Producte (Bau u. Leb. I, 569 1;
II, 103 f.), die aber großen socialen Einfluß haben (1. c. II, 398). Nacik
Batzenhofeb entspringen die Ideen aus den Bedürfnissen. Sie haben einen
„intellectuellen Eraftwert" (Polit I, 27; Sociol. Erk. S. 316). Es gibt ein ,,Ge-
setx der Erhaltung der Energie der Ideen" (Sociol. Erk. S. 357). Nach Gold-
friedrich wachsen die Ideen „mü unwillkürlicher und ungesuchler Ikd-
wendigkeit aus den sie veranlassenden VerhäMnissen hervor, Sie entstehen noA
dem Princip der Heterogonie der Zwecke", Sie wirken „propellierend, organi-
sierend und veredelnd", sind „Principien der Fort- und Höherbewegung, der
Refomiaiion und Reorganisation, wirken „organisierend, vereinheitliehendy
festigend", Sie „behaupten und breiten sieh aus durch eine sociale Loffik, d, h
dadurch, daß sie xiUetxt der Masse conform sind; durch Propagandoy Ver-
folgung und Nachahmung und die Verbindung mit den tigennütxigen TWe&eK*
(Die histor. Ideenlehre in Deutschi. S. 521 ff.; daselbst Litteratur).
Nach H. Schwarz sind praktische Ideen „Gedankenbilder eines Besseren
(Psychol. d. Will. S. 122). Die objective Gültigkeit der metaphysischen Idcca
betont A. Dorner (Gr. d. Beligionsphilos. S. 14 f.). Die Empirie seihet weist
uns über sich auf eine überempirische Welt hinaus (1. c. S. 15; vgl. Das menscfaL
Erk. S. 39 f., 150 f., 296 f., 3171). — Nach Wundt sind Ideen „Vorsteüungm
idealer ZwecJce" (Eth.*, S. 510). Wundt prägt einen neuen Ideen-B^riff. Ideen
sind Producte des vernünftigen, begründenden Denkens, „ergänzende Oesiekts-
punktet' zu den Tatsachen der Erfahrung, die über diese hinausführen, mit
einem Fortschritt ins Transcendente (s. d.), der die Bichtimg der ErfahroDg
emhält (Philos. Stud. VII, 13; Syst. d. Philos.», S. 174 ff.). Die Vernunft
a I
Idee — Idential. 481
«rzeugt (als letzte Stufen der Bearbeitung des Erfahrungsmaterials) drei Arten
Ideen: kosmologische, psychologische , ontologische Ideen (s. d.). Bei jeder
dieser Ideen gibt es einen zweifachen Fortschritt (Begreß): der eine führt zur
Idee einer unendlichen Totalität, der andere zur Idee einer absolut unteilbaren
Einheit. Die kosmologischen Ideen haben eine j^reale^^ und ^^irncLginäre^^ Trans-
zendenz, die psychologischen und ontologischen nur „imaginäre^* Transcendenz
(Syst d. Phüos.«, S. 198 ff., 200 ff.). VgL Ästhetik, Vorstellung, Begriff,
Materialismus, Sociologie.
Ideenassoelatlon s. Association.
Ideen, fixe, s. Zwangsvorstellung, Monomanie.
Ideenflneiit, pathologische: rascher Wechsel von Vorstellungen, ohne
inneren Zusammenhang und ohne Kraft der activen, auswählenden und fixieren-
den Apperception (vgl. Kbaepelin, Psychiatrie*).
Ideen 9 materielle („ideae mcUeriales") oder Ideenbilder: (früher
4uigenonmiene) Bilder der Objecte im Grehim als Dispositionen zu Vor-
stellungen. — Figürlich spricht Aribtoteles von Bildern {^aty^afi^fiara^ jvnoi),
die der 8eele gleichsam eingedrückt werden (De memor. 1). — Desgartes
nennt „ideae rerum materialium*^ die Gehimeindrücke, die durch Bewegungen
im Körper bewirkt werden und denen die Seele beim Vorstellen zugewendet
hl („ad quam speciem corpoream mens se applicet, sed non qttae in mente
reeipicUur*^, De hom. p. 132 ; Princ. philos. IV, 196 f.). Durch Malebranghe
wird diese Lehre weiter verbreitet. Abbildungen der „materiellen lieen^^ bei
Th. von CRAAiTEN (Tract. de hom. 1689, C. 93 f.). Von materiellen Ideen
spricht Che. Wolf (Psychol. rational. § 118, 374). Baumgaeten versteht
darunter „motus cerebrij coexisientes animae repraesentcUionibus auceesaivis"
(Met. § 560). Ähnlich Bonnet (Ess. analyt. § 55), Tetens (Philos. Vers. I,
Vorr. 8. VII), Fedee (Log. u. Met, S. 34). Platner spricht von „Ideen^
bildem^'f auch von „Spuren*^, „Eifidrüeken^^ im Gehirn (N. Anthropol. § 334 ff.).
Das ,fldeenbild'' ist nichts Materielles, sondern der Gegenstand der Idee (Philos.
Aphor. I, § 288). Ideenbilder können nicht in der Seele, aber im Gehirn auf-
bewahrt werden (1. c. I, § 290). In der Seele bleiben als „Spuren*^ der Ideen
innere Veränderungen (L c. I, § 292). Die Ideenbilder sind „Bewegfertigkeiten
der Qehirfifibeni'' (1. c. I, § 296), „innere Eindrücke'' im Gehirn (1. c. I, § 299).
Die Ideenbilder sind in beständiger (schwacher) Tätigkeit (1. c. I, § 302). Durch
die Aufmerksamkeit wird jede zu dem Ideenbilde erforderliche Bewegung belebt
und unterstützt (L c. I, § 314 ff.). „Die Ideenbilder werden uneder erweckty heißt
nichts anderes, als jene Bewegungen der Gehimfibern erlangen den zur bewußt'
mäßigen Vorstellung erforderlichen Orad der Stärke*' (1. c. I, § 335 ff.).
G. E. Schulze bemerkt: „Wenn unter den sogenannten materiellen Ideen
nichts weiter verstanden wird, als eine durch die organische Lebenstätigkeit des
Gehirns besonders bestimmte Bewegung in gewissen Teilen desselben, welche xum
Entstehen einer Empfindufig ufid Vorstellung nötig sein soll, so kann deren An-
nahme vollkommen gerechtfertigt werden" (Anthropol. S. 53).
Idies-förees (Fouillee): Kraftideen, real wirksame Ideen, objective
psychische Kräfte (L'^volut. des id^es-forces ; PsychoL des id^-forces). Vgl.
Voluntarismus.
Idential s Aussage des jfiasselbe" („Tatäote'') und des „Anders" („Bete-
rM'): B. AvENAKiüS (Krit. d. r. Erfahr. II, S. 28 ff.).
Phlloaophisehes WOrterbaoh. %. Aal). 31
482 Identification -> Identität.
Identiflcatloii b. Identitätsurteil.
Identlseii s. Identität
Idenütilt (identitas, ravTorrjs): Dieeelbigkeit, Einerleiheit , 8ieh-selbgt>
gleich-bleiben. Der Begriff der Identität entsteht durch Vergleichung eines
Bewußtseinsinhalts mit diesem selbst in verschiedenen Zeiten und Räumen, ans
der gleichen Beaction des Ich auf einen Bewußtseinsinhalt, dessen stetige Ver-
änderung bei Erhaltung des Wesenszusammenhanges das Denken nötigt, ihn,
oder besser das durch ihn repräsentierte Object, Ding für ,fdas^lbe^y für
identisch mit dem früher wahrgenommenen zu halten. Das Ich beurteilt etwa.s
als yfidentisch^* heißt: es supponiert einem Bewußtseinsinhalt das gleiche Object,
es verlegt damit seine eigene Identität in das Wahrgenommene. Die Identität
der Objecte ist ein Reflex, eine (empirisch fundierte) Projection der (unmittelbar
erlebten, nicht beschreibbaren) Identität des Ich. Zu imterscheiden sind:
„WMWcrwcÄe** (individuelle) und „gerieriscfie^^ Identität.
Stilpo imd ANTiSTHEJnES erkennen logisch nur Identitätsurteile (s. d.) an.
Als Gnmdbegriffe kommen das talrov und ireQov bei Plato vor (Theaei.
185 A, 186 A; Farmen. 139 D). Den Begriff der Identität bestimmt Abi-
STOTELE8: ^ ravTorrje tvorrji rii icnv rj 7t)^i6vcov rov dvai, ^ orav X9^^*
(Oi n?.ßi6aiv, olov orav le'yrj avro avTfo ravrov (Met. V 9, 1018 a 7). Es gibt
numerische {xar agiS'fiov) imd generische (rtf eidei) sowie accidentielle ixarn
cvußeßny.69) Identität (Met. X 3, 1054 a 32; X 8, 1058 a 18; VII 11, 1037 b 7).
„Ideiititas^' im Sinne von ravTorr^^ schon bei Petrus Hispanus (Prantl,
G. d. L. III, 53). Thomas bemerkt: „Ibi possumtia idetüüiUem dicere, ubi
differmiia nofi intenitur'^ (4 phys. 230). Zu unterscheiden ist „identitas alh
soluta^^y „id. naturae, realis*^. DuNS ScoTüS: „Voeo . . . identitateni formalem,
tibi illudj qtiod sie dicitiir idem, inchvdit iUud, cui sie est idem, in ratione sua
formali^' (In 1. sent. I, d. 2, qu. 7). Nach Goclen ist Identität „convenietitia
itnius erUis cum alio orta ex unüate alicuius tertii^\ Es gibt „identitas realis^y
„id. rationis^^ (Lex. philos. p. 212). Micraelius bemerkt: „Identitas est eoth-
venientia in aliquo, quando nempe res vel ad se ipsam refertitTj vel ad aliam,^
Es gibt: „identitas rationis — realis — primaria — secundaria — ordinaria —
extraordinariu — intrinseca — extrinseea — numeriea — speeifiea — eau-
salis — subiecHva — generica^* (Lex. philos. p. 510 f.). Nicola ü8 CrsAxrn
spricht von der „identitas absohäa^* des „maximum** und „minimum** in Gott
(De vis. Dei 13).
Locke betont : „If is the first aet of the miml, when it has any sentiment
or idrns at all, to perceive its ideas, and so far as it pereeives them, to knotr
each tchat it is^^ (Ess. IV, eh. 7, § 2). „Wird ein Ding als daseiend xh einer
bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort aufgefaßt, so vergleicht man es
mit sich seihst xu einer andern Zeit und an einem anderen Ort und bildet danach
die Vorstellungen der Dieselbigkeit toui Ver schied e^iheit.*' „Es besteht
also die Dieselbigkeit dann, wenn die als dieselbcfi erklärteti Vorstellungen sieh
durchaus nicht von dem unter scheidet!, icas sie in dem Augenblick tcaren, tco
man ihr früheres Sein befrachtet und womit man ihr gegemcäriiges rergUiekt,
ffenn man bemerkt niemals und kann es sich nicht ah möglich rorstellcny daß
xnei Dinge derselben Art an demseWen Orte xu derselben Zeit bestehen soüem^
(1. c. II, eh. 27, § 1). Die Identität des Menschen besteht in der Teilnahme
an demselben fortgesetzten Leben (L c. § 6). Im Selbstbewußtsein (s. d.) selbst
Identität. 483
besteht die persönliche Identität (1. c. § 9, 16). Nach Leibniz bekundet sich
im Selbstbewußtsein eine reale und zugleich eine moralische persönliche Iden-
tität (Nouv. Ess. II, eh. 27, § 9). HUME erklärt: „W^ir kömien uns eine deiä-
liehe Vorstellung davon machen^ daß ein Oegenstand^ während die Zeit sich
ättderty unverändert und ununterbrochen derselbe bleibt. Diese Vorsielhmg 6e-
xeiehnen icir als Vorstellung der Identität oder Selbigkeit (sameness)^^ (Treat.
IV, sct. 6, S. 328). Sie ist eine Art der Relation (1. c. I, sct. 6, S. 26). ,,Qenau
genommen ist nicM ein Gegenstand mit sieh selbst identisch . . ,, es sei denn^
daß u^ir damit sagen wolleny der Gegenstand, als in einem ^Zeitpunkt existierender,
sei identisch mit sich selber , als in einem andern Zeitpunkt existierender^^ (1. c.
IV, sct 2, S. 268). Es besteht aber ein „ Widerstreit xwischen dem Gedanken
der Identität ähnlicher Wahrnehmungen und der tatsächlichen Unterbrechung in
ihrem Auftreten" (1. c. S. 273). „/)a . . . die Einbildungskraft leicht eine Vor-
Stellung für eine andere nimmt, wenn die Wirkung beider auf den Geist eine
ähnliehe ist, so ergibt sieh, daß jede derartige Aufeinanderfolge miteinander in
assodativer Beziehung stehender Eigenschaften leicht aHi ein dauernder Gegen-
stand angesehen werden mrd, der unverändert derselbe bleibt" (1. c. *ct. 3, S. 289).
Wir schreiben dem Gegenstand wegen der Continuität der Perception dauernde
Existenz und Identität zu (1. c. sct. 6, S. 332). Kurz, die Identität ist nichts
Objectives, sondern psychologisch bedingt, „lediglich eine Bestimmung, die tair
ihnen [den Perceptionen] zuschreiben auf Grund der Verbindung, iti die die
Vorstellungen derselben in unserer Einbildungskraft geraten, dann, wenn tair
über sie refleetieren" (1. c. S. 336). Die Vorstellung der persönlichen Identität
folgt „aue dem ungehemmten und ununterbrochenen Fortgang des Vorstellens beim
VoUxug einer Folge miteinander verknüpfter Vorstellungen^^ (1. c. S. 336). Nach
Th. Brown beruht die „mental identity^^ auf einer Überzeugung („belief'J.
Chr. Wolf bestimmt: „Eadem dicuntur, quae sibi invicem substitui possunt salvo
quoeunque praedicato" (Ontol. § 181).
Nach KAJsrr ist die Identität des reinen Selbstbewußtseins eine Bedingung
und die Quelle der Identität der Objecte. „Alle möglichen Erscheinungen ge-
hören, als Vorstellungen, m$ dem ganzen möglichen Selbstbewußtsein, Von diesem
aber, aXs einer transcendentdlen Vorstellung, .ist die numerische Identität gewiß,
tceil nichts in die Erkenntnis kommen kann, ohne vermittelst dieser ursprüng-
lichen Apperception. Da nun diese Identität notwendig in der Synihesis alles
Mannigfaltigen der Erscheinungen, sofern sie empirische Erkenntnis werden soll,
liegt, so sind die Erscheinungen Bedingungen a priori unterworfen" (Knt d. r.
Venu S. 125). Die „Identität des Beicußtseins meiner selbst in verschiedenen
Zeiten" beweist nicht die numerische Identität meines Subjects, ist nur „eine
formale Bedingung meiner Gedanken und ihres Zusaminenlianges" (Krit. d. r.
Vem. S. 308). „Wenn ich die numerische Identität eines äußeren Gegenstandes
durch Erfahrung erkennen will, so werde ich auf das Beharrliehe derjenigen Er-
scheinung, worauf, als Subjeet, sieh alles übrige cUs Bestimmung bezieht, acht-
haben und die Identität von jenem in der 2!eit, da dieses wechselt, bemerken.
Sun aber bin ich ein Gegenstand des inneren iSinnes, und alle Zeit ist bloß die
Form des innem Sinnes. Folglieh beziehe ich alle und jede meiner suecessiven
Bestimmungen auf das numerisch Identische selbst, in aller Zeit, d. i. in der
Form der innem Anschauung meiner selbst" „In der ganzen Zeit, darin ich
mir meiner beicußt bin, bin ich mir dieser Zeit, als zur Einheit meines Selbst
gehörig, beicußt" (ib.).
31*
4^ Identität.
Nach J. G. Fichte ist der höchste Trieb im Menschen „cfer Trieb noA
Identität y nach vollkommener Übereinstimmung mit sieh selbst y und damä er
stets mit sieh übereifistimynen könney nach Übereifistimmung alles dessen, vst
außer ihm isty mit seinen nottcendigen Begriffen dawm*^ (Bestimm, d. GelehrL
2. Vorles.)- Schelliko bestinmit die Identität als die Form des absoluten Ich
(Vom Ich 8. 39). „Nur das Ich ist eSy das aUem, was ist, Einheit und Beharr-
lichkeit verleiht; alle Identität kommt nur dem im Ich Gesetzten . . . xt^ (L c.
S. 41). Der Satz A = A (s. d.) wird erst durch das absolute Ich b^röndet
(ib.). Im Ich sind Handebi und Sein ursprünglich identisch (Syst d. ix. Ideal
S. 317). Die y/tbsohUe Identität^ des Oeistigen und Körperlichen, SubjectiTeo
•und Objectiven ist der Quell alles Seins (Naturphilos. S. 276; s. Identität»-
philosophie). Hegel bestinunt: yy Das Wesen seheint in sieh oder ist reme
Beflexioti; so ist es nur Beziehung auf sich, nicht als unmittelbare ^ sondern ai$
refleetierte, — Identität mit sieh," Das ist die ,, formelle oder Verstanden-
Identität" (Encykl. § 115). K. Bosenkranz: jjkts Wesen ist unmitteShar
das Sein, tcie es sieh auf sich selbst bexde^U, So ist es notwendig sich gleiek.
Es ist als Beziehung auf sich dasselbe, was es an sich ist. Die Oleiehheit iii
daher auch die dureftgäfigige^* (Syst. d. Wiss. S. 50). Bolzano sieht in der
Einerleiheit einen Begriff, ,/ier aus der Vergleichung eines Dinges fledigliek)
mit sieh selbst entspringt*' (Betrachtungen üb. ein. Gegenstande d. Elementar-
geom. 1804, S. 44). Nach Volkmann geht der Identitatsbegriff aus dem Be-
wußtwerden der Notwendigkeit des analytischen Urteils hervor (Lehrb. d.
PsychoL II*, 277). „Der Identität und Dependenx werden wir bewußt, indem mit
dem Bewußtsein bestimmter Vorstellungen das Bewußtsein jener Forderungen
zusammenfällt, das den Vorstellufigen innerhalb des Urteils aus ihrer Zusammen-
gehörigkeit erwächst" (1. c. S. 338). Destutt de Tbacy: ,J[dentite reut dire
similitude parfaite et complete^* (Elem. d'id^L III, eh. 1, p. 160).
Nach Meinono ist die Identität an den Umstand geknüpft, daß ein Ding
an mehreren Belationen participiert (Hume-Stud. II, 137 ff., 140 f.). Uphueb:
„Wir nennen das identisch oder dasselbe, v>as als gemeinschaftliches Belatüms-
glied mehrerer Relatiofien auftritt^* (Psychol. d. Erk. I, 125). Nach Mabty
heißt identisch das, „tcovofi das eine mit Hecht dem andern xuerkamü irerdrn
kann", ,/ia^'enigey wovon in Wahrfteit das eine das andere ist" (Viertel), f. wi».
Philos. 19. Bd., S. 76 f.). Nach B. Erdmann ist Identität ,^n Merkmal, das
jedem Gegenstände eigen" ist (Log. I, 168). Identität ist „kein allgetneines Merk-
mal des Bewußten als solchen . . ., sondern des vorgestellten Bewußten*^ (L c.
S. 170). „Das Merkmal der Identität mit sich selbst ist ein ursprünglickes.
kein abgeleitetes" (ib.). Nach Schuppe bedeutet „Identität" entweder, ,^aß inei
Eindrucke, wenn wir vofi dem unterscheidenden Wann abselieti, dasselbe «nrf".
oder daß ein Bestinuntes, zweimal wahrgenommen oder zweimal gedacht, db
dasselbe bewußt ist (Log. S. 39). Es kann „bei allen Fragen, ob noch dasseli^
oder etwas anderes (Neues), nur auf die mitgebrachten Gesichtspunkte y auf welche
das Interesse sich richtet, ankamfnen" (1. c. S. 122, vgl. S. 45). Nach Schubebt-
SOLDEBN beruht die Identität des Dinges „auf der Beständigkeit seiner inhalt-
lich hestiminten Causalrerhältnisse" (Gr. e. Erk. S. 19). Nach H. Corxelits
beruht sie auf denselben Wahmehmungsmöglichkeiten (PsychoL Ö. 98 t-
„Identität ist keine Bexiehung zwischen hüialten als solchen — z^ei Inhalte
kitunen niemals identisch sein, da sie danfi eben nicht zwei Inhalte wäre»*
somlent nur einer, Identität kann vielmehr nur zwischen den Bedeutungen
Identität — Identität (Satz der). 485
verschiedener Symbole bestehen, insofern diese tatsächlich dieselbe Bedeutung
be8itx4-n*' (Einl. in d, Phü. 8. 247). Nach Wundt beruht die Relation der
Identität in ihrer Anwendung stets „auf einem Denkproceß . . ., der nicht bloß
das Oleiehe gleieheetxi, sondern auch, w<is xur Identität unbrauchbar ist, da/von
(Mbsondert** (Log. I, 114). Riehl sieht in der Identität das Grundprincip alles
Crkennens. Das Identitätsbewußtsein ist die „Quelle aller apriorischen Begriffe^^
(Philos. Krit. II, 1, 78). Es ist „dae allgemeine logische Prineip der Erfahrung'^
(ib.). „Einerseits ist diese Einheit und Steh-selbst-Oleiehheit aller bewußten Tätig-
keit das Ergebnis beharrlicher Erfahrungsgrundlagen, anderseits ist sie das
Prineip mid die erste Bedingung ihrer Erkenntnis*' (1. c. II 1, 234). „Damit
im Wechsel der Eindriieke eine beharrliehe Ich- Vorstellung entspringen kann,
muß der Inhalt der Erfahrung außer der Verschiedenheit und Veränderung eine
durchgreifende Gleichförmigkeit zeigen. Um aber dae Gleiche als Gleiches xu
erkennen, ist erforderlich, daß vor allem die Erkenntnistätigkeit selber gleich-
förmig istf daß das Bewußtsein sieh als dasselbe weiß und erhält** (ib.). „Nichts
kann erfahren werden, was nicht xu einem Bewußtsein vereinigt gedo/cht werden
kann** (1. c. S. 235). H. Cohen betont: „Die Selbigkeit des Seins ist ein Eeflex
der Identität des Denkens** (Log. S. 78). Die Identität scheidet das Urteil von
der Vorstellung. „Die Veränderungen, denen die Vorstellung unterliegen wag,
tangieren das Urteil nicht. Die Werte, die dem Urteil entspringen, sind un-
veränderlich** (L c. S. 79). Die Identität macht das Urteil zum Urteil (ib.).
Ahnlich M. Palagyi: jJHeselbe Wahrheit ist es . . ., die sieh in unendlich
vielefi gleichlautenden Urteüsaeten darstellen kann** (Die Log. auf d. Scheide-
wege S. 167). „Erst indem der urteilende Geist des Menschen in dem vergäng-
lichen Eindruck etwas Unvergängliches findet, erhält der Eindruck eine Dieselbig-
keit, eine Identität, d. h. er ist konstatiert oder identifteiert** (1. c. S. 217). Vgl.
Identität, Satz der; Identitätsphilosophie, Selbstbe^nißtsein, Ich.
IdentltHt (8 a t z d e r) oder Identitätsprincip („principium identitatis**).
A ist (=) A (s. d.), d. h. jeder Begriff soll im Denkverlaufe als der gleiche und
in gleichem Sinne gesetzt und behandelt w^erden. Der Satz ist die Grundnorm
unseres Denkens, zugleich ein Ausdruck der Identität (s. d.) unseres Ich,
welches, um seine Einheit zu behaupten, sich in seinem Wollen und Denken
gleichbleiben und, wenn es Wahrheit haben will, die Constanz der Begriffe
bewahren muß. Unter allen Umständen und in allen Verwicklungen und
Umhüllungen muß der Begriff als eben der gleiche Begriff fixiert werden
können.
Angedeutet ist das Identitätsprincip schon bei Parmenides: xev '^^ Uyeiv
TB voeiv xiov iuuevai' i'ari yaQ eU'ai, fitjSiv S*ovx elvai (Mull. V. 43). Femer
bei PlaTO: Ovxovv imarrifir} utv yi tiov iTti xef ovri {7iifvxe\ ro ov yvfih'ai
toi fyu (Eep. 478 A; vgl. Phaedo 101 ff.). Aristoteles: bei ya^ ndv t6
aXri&ig avro iavnp ofioXoyovfisvov elvai TtavTTj (Anal. pr. I 32, 47 a 8; Met. IX
10, 1051b 3).
Antonius Andreas: „Ens est ens** (Quaest. super XII libr. metaphys.
1495, IV, 3, 5). J. Buridan: „QuodUbet est rel non est. Nihil idem est et
non est** {Prantl, G. d. L. IV, 19).
Auf negative Weise auch Descartes: yjmpossibile est idem simtd esse et
non esse^* (Princ. philos. I, 49). Positiv Locke: „Whaterer is, w", „the same is
ihe same** Dieser Satz ist zweifellos sicher, aber er ist „a trifling proposition**,
486 Identität (Satz der).
ist wertlos (Ess. IV, eh. 7, § 1 ff.; eh. 8, § 2 f.). Leibjoz: „Chaqite cAoä eif
ce qu'elle est' (Xouv. Ess. IV, eh. 2, § 1). Identische Satze haben Wert, indem
man auf Grund von Folgerungen und Definitionen zeigt, daß andere Wahr-
heiten sich darauf zurückführen lassen (1. c. eh. 8, § 3 f.). Chr. Wolf:
„Quodlibet, dum est, est, Jioc est, si Ä est, utique verum est, A esse. — Idem ^*
est illud ipstwi ens, quod ens, seu mnne Ä est A" (Ontolog. § 55, 288). „ Wem
ich evtl Dvng B für das Ding A setxen kann, und es bleibet alles wie ror/rm, *v
ist A und B einerlei" (Vem. CTed. I, § 17). Baumgarten: ,,Omne possibile A
est A, seil quiequid est, illitd est, seu omne subiectum est praedieatttm sm** (Met.
§ 11). H. S. Keimarus: „Ein jedes Ding ist das, was es isf^ ffyRegel der Ein-
Stimmung", Vernunftiehre*, 1782, § 12 f., § 115, 117).
Nach Kant ist die Identität einer Erkenntnis nut sich selber das formale
Kriterium der Wahrheit (Krit. d. r. Vem. S. 82 ; Log. 8. 73 ff.). „ Was nieki
ist, ist nicht^' (Princip. prim. sct. I, prop. II). Das Identitätsprincip bt dcf
oberste Grundsatz für die Ableitung der Wahrheiten (1. c. prop. III). „Einem
jeden Sitbjeete kommt ein Prädicat xti, teelches ihm identisch ist" (Unters, üb.
d. Deutl. d. Grunds, d. nat. Theol. u. d. Mor. 3, § 3). Bardili nennt das-
Identitätsprincip „die Fegel aller Regeln des JJenkePis" (Gr. d. erst. Log. S. 334v
Denken ist Rechnen, Setzen eines Einen und Selben im Vielen (L c. S. 3i.
Das Eine ist das Unwandelbare, das A, welches nie sich selbst ungleich, nie
Non-A werden kann (1. c. S. 5). Den „Öruiidsatx der Eifierleiheit*' bezidit
G. E. Schulze auf „das Verhältnis der vollkommensten Gleichheit, worin ein
Begriff mit seinen sämtlichen Merkmalen steht"; er sagt aus, „dem Verstandf
sei es mvtnöglieh, einen Begriff und dessen Merkmale als einander ungleich u»
setxen" (Gr. d. allg. Log.«, S. 32 f.). Krug erklärt: „Der Begriff ist für den
Verstand das Ding selbst, welches gedacht toird, und die Merkmale des Dinget
sifid auch die Merkmale des Begriffes, Ztvischen detn Begriffe (A) uftd seinen
sämtlichen Merkmalen (b, c, d . . .) findet daher ein solches Verhältnis statt,
daß, wenn ich das eine setxe, ich auch das ajidere setzen, und wenn ich beides
einander entgegensetze, ich es als röllig gleich oder einerlei setzen muß" (Handb.
d. Philos- I, 126). Fries: „Halte ich . , , im Subfect und Prädicat eines Urteih
dieselbe Vorstellung fest, so liegt darin die bloße Wiederholung meines eigenen
Gedankens, Daraus entspringt erstens der Satx der Identität: Einen Begriffe
den ich im Subject ei?ies befallenden Urteils denke, kann ich auch in das Prädieai
desselben setzen" (Syst. d. Log. S. 176). „Jedes Ding ist das, was es ist' (L c.
S. 177). J. G. Fichte leitet den Satz der Identität, „A = A", aus em&r „ur-
sprüngliclien Tathandlung" des Ich ab. Der Satz „Ich = Ich" („Ich bin**)
begründet den Satz „A = A" (Gr. d. g. Wiss. S. 1 1). „ Wird im Satxe ,Ich bin^
von dem bestimmten Gehalte, dem Ich, abstrahiert, tmd die bloße Form, nrelehe
mit jenem Gelialt gegeben ist, die Form der Folgerung vom Gesetxtsein auf das
Sein, übrig gelassen . . ., so erhält man als GrundseUx der Logik den Stäx:
,A = A^." Erwiesen wird er dadurch, daß „das Ich, welches A gesetzt hat,
gleich ist demjenigen, in welchem es gesetzt ist^^ (1. c. S. 11 f.). Schelling er-
klärt: „Das liöchste Gesetx für das Sein de?' J'hmunft und, da außer der Ver-
nunft nichts ist, für alles Sein . . ., ist das Gesetz der Identität (WW I 4, 116l
„Der oberste formale Grundsatz ,A = A^ ist . . . nur möglich durch den Act,
der im Satx ,Ich = Ich^ ausgedrückt ist — durch den Act des sieh selbst Object
werdenden, mit sich identischen Detikefis" (Syst. d. tr. Ideal. S. 57). Der Säte
,,.4 = A" ist „das einx ige Princip unbedingter und absoliäer Erkettfitnis" (WV^.
Identität (Satz der). 487
I 6, 147). In ihm spricht sich aus „die eicige tmd notwendige Gleichheit des
Afftrmierenden und des Äffirmiertenj des Subjects wid des Objects ; in ihm spricht
sich also auch allein jenes Selbsterkennen der eidgen Gleichheit und demnach
die höcJiste Erkenntnis der Vernunft aus" (ib.). Eschenmayeb: „Nach dem
iSatx: ,Das Ich ist sich selbst gleich^ entsteht die logiseJie Formel jA = A\
Das Ich ist das Identische im Wissen und im /Sei», es ist in allen Functionen . . .
das GleicJie^ und diese ursprüngliche Identität ist es, was sieh im formalen
Denken wieder abspiegelt" (Psycho!. S. 296). — Nach Hegel lautet der Satz
der Identität: A = A, negativ: A kann nicht zugleich A uiid nicht A sein.
Es ist kein wahres Denkgesetz, nur „da« Gesetz des abstraeten Verstandes",
jyDie Form des Satxes underspriefU ihm schon selbst, da ein Satx auch einen
Unterschied xwischen Subjeet und Prädieat verspricht, dieser aber das nicht
leistet, was seine Form fordert" „Das Sprechen nach diesem sdn-soüenden Ge-
setze der Wahrheit . . . gilt mit vollem Recht für albern" (Encykl. § 115).
Gering gewertet wird der Satz der Identität von Beneke (Syst. d. Log. I, 105),
Drobisch (Log.», § 58), Überweg (Log. § 71), Lotze (Gr. d. Log. S. 25),
nach welchem das Identitätsprincip die einfache Wahrheit ausdrückt, „daß
jeder denkbare Inhalt sich selbst gleich und verschieden von jedem andern sei"
(ib.). Nach ÜLRfci ist der Satz der Identität {^^Jedes Ding . . . ist sich selber
gleich xu denketi**) „yiur die Formel, der allgemeine Ausdruck . . . für die be-
stimmte Art und Weise, in welcJier die unterscheidende Tätigkeit sich vollxielU"
(Log. S. 94). Nach J. H. Fichte ist der Sinn des Identitätsprincips der, „daß
das Denken das sich gleich bleibende, mit sich ,identische^ Wesen der Dinge ans
der u^chselvollen , nicht identisclten Beschaffenheit derselben in bloßer Wa/ir-
nehmung hervorxuarbeiten habe^^ (Psychol. II, 108). CzoLBE hält die Annahme
eines notwendig-allgemeinen Gesetzes der Identität für „durchaus Überflüssig^^,
Es ißt eine „selbstverständliche ursprüngliche Tatsache", daß , Jeder gedachte ein-
fache Inhalt sich selbst gleich (Blau stets oder nie etwas anderes als Blau ist)"
(Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 221). Nach Sigwart ist das Identitätsprincip die
,fForderufig alles wahren Urteilens" (Log. I*, 107). Die „Constanx unserer ein-
xelnen Vorstellungsinhalte" ist eine Bedingung alles Denkens (1. c. S. 106; vgl.
S. 103 f., 383; II, 37). Nach Schuppe besteht das Identitätsprincip nur darin,
daß jjeglicher Eindruck mit jedem xweiten enttceder iniialtlich als derselbe xu-
sammenfaÜen oder sich von ihm unterscheiden muß" (Log. S. 40; Erk.u. Log. S.
142 f.). Nach Schubert-Soldern sind der Satz der Identität und der Satz
des Widerspruches nur ,^wei Seiten des Satxes, daß alles in einer ursprüfig'
liehen ünterschiedenheit gegeben ist, soweit man von einer Vielheit ausgeht, und
daß diese Vielheit nicht statthat, wo keine üniers^iedenheit statthat" (Gr. e.
Erk. S. 172). Nach E. v. Hartmann ist die logische Bedeutung des Satzes
der Identität „nur von dem Satxe vom Widerspruch abgeleitet". „Der Satx der
Identität negiert nur diejenige Nichtidefitität, die nach dem Satx vom Widerspruch
logisch wnsiatthaft wäre^^ (Kategorienl. S. 310).
Auf das Identitätsprincip legen Wert Twesten (Die Log. 1825), W. Hamil-
ton (Lect. on Log. I», 5, 79 f.), Jevons (Princ. of Science», § 5). Waitz
leitet es aus der Einheit der Seele ab. Es hat den Sinn: ,flede Vorstellung
oder besser jede psychische Action als solche ist einfach und darum im strengen
Sinne sich selbst gleich" (Lehrb. d. Psychol. S. 546). Nach J. Bergmann ist
das Identitätsprincip ein „Prineip der nottcendigen Verknüpfung" (Sein u. Erk.
S. 58). ,fledes Gesetzte (AtiribiU oder Acddens, SubstaJix oder Determination
488 Identität (Satz der) — IdentitatiB indiscernibilium.
einer Substanxjy welches ist, ist xur Identität dessen^ in Bexiehung auf wdehes
es gesetzt ist, erfarderlieh'' (ib.). Nach L. Busse ist der Satz der Identität da»
einzige Grundprincip der metaphysischen Urteile (Erk. u. Met. I, 148). Nach
B. Erdmaitn ist das Identitätsprincip das Grundgesetz des Vorstellens (Log.
1, 172). Das Urteil „Jeder Gegenstand ist mit sich selbst idenfiseh^^ bringt da»
Wesen unseres Vorstellens zum Ausdruck (ib.). Das Identitätsprincip ,,steüt
lediglich die Setxung eines Gegenstandes dar^^ (L c. S. 175). Der ,,Grundsati
der Niehtidentität oder der unbestimmten Verschiedenheit*' lautet: ,fleder Gegen-
stand istj sofern er nur mit sich seihst identisch ist, von jedem andern rtr-
schieden'^ (ib.). Nach Hagemaitn gebietet das G^esetz der Einerleiheit (Identität),
yycin Denkobfect als dieses und kein anderes xu denken und in ihm alle digenigen
Bestimmungen xusammenxufassen, die ihm zukommen" (Log. u. Noet*, S. 22).
Nach dem „Gesetx der Übereinstimmung (principium eonvenientiae)" sind „PV-
stellungen, tcelcßie als Teilvorstellungen des Denkob/ectes erkannt tcerden, mit diesem
XU verbinden'^ (1. c. S. 23). WuNDT erklart: „Die Function der Cbereinstitn'
mung stellt an unser Denken die Forderung, überaü das übereinstimmende
gleichzusetzen. Daß dies geschehen solle, drückt der Satz der Identität aus^
(Syst. d. Philos.*, S. 70). Der Satz bringt vor aUem ,jdie in jedem Urteil vor-
handene Begriffseinheit^^ zum Ausdruck. „Er sagt, daß im Prädieat der nämliche
Begriff festgehalten wird wie im Subfect des Urteils, somit vollkommen xttsammen
bestehen kann, daß das Prädieat eine andere Seite als das Subject an diesem
Begriff hervorhebt . . . Der Satz der Identität bezeichnet demnaeh lediglieh die
Stetigkeit unseres logischen Denkens". Es ist das „funda?nentalste Gesell
der Erkenntnis". Er bezeichnet zimächst ein „ Verhalten unseres Denkens gegen-
über den Objecten," zugleich aber wird vorausgesetzt, daß sich die Gegenstände
des Denkens seiner Anwendung fügen (Log. I*, 558 ff.). H. Cohen : „A ist i,
und bleibt A, so oft es auch gedacht wird" (Log. S. 79). Die Identität bedeutet
die „Affirmation des Urteils" (1. c. S. 81). Nach H. Cornelius ist die Forde-
nmg des Identitätsprincips „die Forderung der feststehenden Bedeutung
der im Urteil gebrauchten begrifflichen Symbole". Der Satz A = A ist
erst „eiTie Folge der Erfüllung des Identitätsprincips" (Einl. in d. Philo^
S. 287). Das Identitätsprincip ist der Ausdnick der Forderung des constanten
Gebrauchs der Symbole (Psychol. S. 338). Nach Palagyi identificiert man etwas
nur dadurch, daß man in demselben ein „Unvergängliches", „Etdges^^ findet.
Das tut man aber, „indem man einen Prädicatsbegriff auf einen Sul^'ectsbegrif
bezieht" (Die Logik a. d. Scheidewege S. 214). Das Identitätsprincip lautet:
„Um bloß eine Tatsache xu idefitificieren, müssen wir ein Doppelerlebnis habcA^
bexw. xwei Begriffe aufeinander beliehen, und zwar beziehen wir das stellrfr-
tretende Erlebnis auf das ursprüngliche, bezw. das Prädieat auf das Subjett*^
(1. c. S. 215). Die Formel „A ist A" ist widersinnig (L c. S. 217). Der Satz <ler
Identität ist „die bedeutsamste von aüeti Wahrheiten, die der Mensch besitzt^
(1. c. S. 223), eine „Selbstoffenbarung unserer Vemunft^^, unserer Kraft, zu identi-
ficieren (1. c. S. 224), das Vergängliche auf ein Ewiges zu beziehen (ib.). „Die
Identität eines Inhaltes geht uns erst auf wenn wir die Niehtidentität JetHT
gleichlautenden Sprechhandlungen erfaßt haben, in denen wir einen und den--
selben Inhalt darstelle^i" (1. c. S. 227). ,Jn allen Urteilen, die wahr sind, herrsrl^i
du Identität" (1. c. S. 229).
Identitatls iiidisf^mlbillam, principium: Satz der Identität de»'
Unimterscheidbaren, womit gesagt ist, daß alles Nicht-Identische, individueli'
Identitatis iAdiscemibilium — IdentitätsphiloBophie. 489
Unterechiedene auch verschieden sei, so daß es nicht zwei (absolut) gleiche
Dinge (Blatter u. s. w.) in der Welt gebe.
Das Princip ist schon bei den Stoikern bekannt (vgl. Cicero, Acad. III,
17, 18, 26). Nach Senega gehörte zur Weltordnung die Forderung, „«<, qiiae
aha erantj et dissimüia essent et tmpanW^ (Epist. 113, 13; vgl. Cicero, Acad. II,
26, 85). Ferner bei Nicolaus CusANUß (De docta ignor. II, 11), Pico von
MiRANDOLA (vgl. Ritter IX, 307), G. Bruno, Malebranche (Rech. III, 2,
10), insbesondere bei Leibniz. Nach ihm kann es niemals zwei vollkommen
gleiche Dinge geben, weil sonst hier keine Individuen unterschieden würden
(Nouv. Eßs. II, eh. 27, § 1, 3). Die Monaden (s. d.) müssen aUe qualitativ
(innerlich) voneinander verschieden sem (Monadol. 9). Das Princip findet sich
auch erörtert bei Chr. Wolf (Cosmol. § 195 f.), Bilfinger (Diluc. I, 4, § 94),
Baumgarten (Met. I, c. 3, sct. 1), Hollmann (Met. § 242), Mendelssohn,
Platner (Philos. Aphor. I, § 1031 ff.). Gegen das Princip in dessen meta-
physischen Folgerungen Clarke, Feder (Syst. d. Log. u. Met. S. 283 ff.), auch
Kant. Wenn mehrere Dinge innerlich noch so sehr übereinstimmen, dem
Orte nach aber unterschieden sind, so sind sie nicht identisch (Prmcip. prim.
sct II, prop. XI). ,jDer Satx des Nicht xuunter scheidenden gründete sich eigent-
lich auf die Voraussetzung: daß, wenn in dem Begriffe von einem Dinge über-
haupt eine gewisse Unterscheidung nicht angetroffen wird, so sei sie anch nicht
in den Dingen selbst anxuireffen; folglich seien alle Dinge völlig einerlei (numero
eadem}y die sich nieht schon ihrem Begriffe (der Qualität oder Quantität nach)
voneituinder unterscheiden^'^ (Krit. d. r. Vem. S. 253). Richtig wäre das aber
nur, wenn nicht die „Dinge^' bloße Erscheinungen wären (1. c. S.255). „Imieres^*
und jyÄußeres'^ femer sind nur „Refiexionshegriffe^'^ (s. d.). Die Vielheit und
numerische Verschiedenheit der Dinge wird auch ohne Monadologie „schon
durch den Raum selbst, als die Bedingung der äußern Erscheinung, angegeben,
denn ein Teil des Raums, ob er xwar einem anderen völlig ähnlich und gleich
idn mag, ist doch außer ihm und eben dadurch ein vom ersteren verschiedener
Teil'' (1. c. S. 242). Vgl. Hegel, Encykl. § 117. Ritter, Abr. d. ph. Log.«, 146.
IdentltJItelelire s. Identitätsphilosophie.
IdentlUitepllilosopllie (Identitätslehre, Identitätstheorie) ist jene
Lösungsart des ontologischen Problems (s. d.), nach welchem das Wirkliche
(Absolute) weder Materie (Natur) noch Geist, weder Ich noch Nicht-Ich, weder
Bubjeet noch Object, weder Denken noch Sein allein, sondern die Einheit, das
Identische, der gemeinsame Urgrund aller der Gegensätze ist. Ein und das-
selbe Wesen (eine identische Wesenheit) tritt auf, bekimdet sich, stellt sich dar,
erscheint in zwei Attributen (s. d.), hat zwei Daseinsweisen (ein Innen- und
iu^en-, Für-sich- und Für-andere-sein) , läßt zwei Betrachtungsweisen, z^vei
Standpunkte der W^ahmehmung imd denkenden Verarbeitung zu u. dgl. Von
äner dem Dualismus (s. d.) noch nahen (realistischen) bis zu einer rein mo-
listischen (idealistisch-spiritualistischen) Form, wonach das Eigensein des
iVirklichen geistig (psychisch), das Sein in der Relation und Er-
icheinung materiell (physisch, leiblich) ist, gibt es verschiedene Arten
ler Identitätsphllosophie. Dieselbe wird allgemein-ontologisch und psychologisch
betreffs des Verhältnisses von Leib und Seele) gelehrt. Die Identitätsphilo-
ophie tritt hier mit der Theorie des psychophysischen Parallelismus (s. d.) ver-
ant auf und negiert eine W^echselwirkung (s. d.) zwischen Leib und Seele
490 IdentitätaphUosophie.
deshalb, weil beide nur zwei Seiten einer Wesenheit, nicht selbständige, von-
einander getrennt bestehende Substanzen sind.
Eine Identität von Denken (Gedachtsein) und Sein lehren die Eleaten.
Von PaiiM£1?ID£S wird sie behauptet: tb ya^ airo voaXv äariv re xai elvm
(dasselbe ist Denken und Sein) im Sinne von : towtov S'iari voeiv re xai
ovvBxiv icTi roTjua' Ol yäq arev tov iovroij iv q> nefatiOftirov iüxip, Ev^;a£ti
to roelv* ov8iv ya^ iariv rj i'ffjui 'Akko Ttagi^ rov iovjos (das Denken ist nur
als Sein-Denken, als Denken eines Seienden, möglich; Plot^, Enn. V, 1, 8;
Clem. Alex. Strom. VI, G27b; Simplic. in Arist. Phys. 25 E, 146 D). Von
einer potentiellen Identität des Geistes, Denkens und Denkinhaltes spricht
Aristoteles, welcher meint, oV« Öwaftn Tiaii lan rd vorjTa 6 ravi, aU^ iy^lt-
Xeiq ovSivy tiqIv av vor, (De an. III 4, 429 a 30); to S'avro ianv r^ ydp ivi^
yetav intarrifiri r^ TiQayfian (De an. III 5, 430a 20). Das nvevua der Stoiker
ist der gemeinsame Träger physischer und psychischer Vorgänge. Xach Plotd?
ist der Geist {vovs) identisch mit den seienden Denkinhalten: vov^ St) xeu 6r
ravrot^' atroe votg rd nonyfiara' ^an Sa i^eSrji to op xai vovs (Enn. V, 4, 2:
I, 10). Das Seiende ist der Geist, indem er es denkt, setzt Das Denken ist
das Gesetz, die Einheit des Seienden (Enn. V, 9, 5 f.). Eine Xatur ist das
Seiende und der Geist, die Gedanken sind die Form und Gestalt des Seienden
(1. c, V, 9, 8). Denken und Sein haben eine gemeinsame Ursache. Beide
constituieren in ihrer Zweiheit das Eine, welches zugleich Intellect und seiend
imd denkend und gedacht ist (Enn. V, 1, 4).
Eine realistische Identitätsphilosophie findet sich bei G. Bruxo, besondere
aber bei Spinoza. Die eine Substanz (s. d.) hat (unter vielen auch die) zwei
Attribute (s. d.): Denken umd Ausdehnung, sie stellt sich als Geist und als
Materie dar. „Quod substantia eogita}is et substantia extensa una eademque est
substantiQy qt^ae tarn sub hoc, mm sub illo attribuio eomprehenditur. Sic etüim
modus ejctctisionis et idea illius modi eademque est res: sed duobus modis ex-
pressa" (Eth. II, prop. VII, schol.). Leib und Seele (s. d.) sind zwei Sein&-
weisen der einen Substanz, die allen Individuen immanent ist. Eine Ordnung
und Gesetzmäßigkeit liegt dem geistigen wie dem physischen Greschehen zu-
grunde: „Ordo et connejcio idearuvi idefn estj ac ordo et eontiejrio rerum^* (Eth.
II, prop. VII). y.Quiequid ejc infinita Dei fiatura sequitur formaliter, id omne
ex Dei idea eodem ordine eademque connexiotie sequitur in Deo obiective** (L c.
coroll.). Mit der Identitätsphilosophie hat der LEiBXizsche Spiritualismus (s. d.)
imd Idealismus eine gewisse Ven^-andtschaft. Hypothetisch formuliert den
Identitätsgedanken Kant: ,,06 wwn . . . gleich die Äusdekftung, die Undureh-
dringliehkeit . . ., kurx alles, tcas uns äußere Sinne nur liefern können, nicht
Oedanken, Oefühl, Neigung oder Entschließung sein oder solche enthalten trerden.
als die überall keine Gegenstände äußerer Anschauung sindj so könnte doch trohi
dasjenige Etwas, welches den äußeren Erscheinungen xugnoide liegt, was mtserett
Sinn so afftciert, daß er die Vorstellungen ron Raum, Materie, Gestalt etc. be-
kommt, dieses Etwas, als Noumenon (oder besser als transcendentaler Gegenstand!
betrachtet, könnte doch auch zugleich das Sutject der Gedanken sein.^^ ,,jIii/
solche Weise wilrde ebendasselbe, was in einer Bexiehung körperlich heißt, »«
einer andern zugleich ein denkend Wesen sein, dessen Gedanken wir xwar nichts
aber doch die ZeicJien derselben i?i der Erscheinung afischaueti können, Dadurrk
würde der Ausdruck wegfallen, daß nur Seelen (als besofidere Arten ton Sub-
stanten) denken ; es würde i^ielmehr wie gewöhnlich heißen, daß Menschen denken.
IdentitätsphUosophie. 491
d. i. ebendasselbe j uas, als äußere Erscheinung^ ausgedehnt istj innerlich {an
sieh selbst) ein Subject sei, tras nicfä xusammengesetxt, sondern einfach ist und
denkt'' (Krit. d. r. Vera. S. 305 f.).
In dieser (idealißtischen) Form kommt, die Identitätsphilosophie von nun
an zur Geltung. Schon J. G. Fichte bemerkt: f,Wie ich mich . . ., wie ich
muß, wirkend denke auf ihn (den Stoff) ^ werde ich mir selbst ^u Stoff; und in-
trief em ich so mich erblicke, tienne ich mich einen inateriellen Leib'' (Syst. d.
SittenL S. XV). Ich erscheine, ,,ron xwei Seiten angeselien, als Wille wid als
Ijcih" (1. c. S. XVII). Die Außenwelt ist die Erscheinung der ,jSelb8ttätigkeit"
des Ich (1. c. S. XVIII). Fkies nennt Geist und Körper ,^iceierlei Ansichten
dersdbeti Welt' (X. Krit. II, 113). „Wir behaupten, daß uns in den Geistes-
täiigkeiten und im körperlichen Leben dasselbe Wesen erscheine, aber 7iach ganx
rerschiedenen Erscheinungsweisen" (Anthrop. § 2).
Ein System der Identitätslehre begründet Schellixg, ausgehend von der
Überzeugung, ,//ay?, was in uns erkennt, dasselbe ist mit dem, was erkannt
wird" (WW. I 10, 121). „Was außer dem Beicußtsein gesetzt ist, ist dem
Wesen n4jtch ebendasselbe, was auch im Beuntßtsein gesetxt ist. Die ganxe
Natur bildet daher eine xusammenhängende Linie, welche nach der einen Seite
in entschiedener Übermacht des Subjectiven über das Objective ausläuft . . ."
(L c. S. 229). Das Absolute (s. Gott) ist die „Indifferenz" (Gleichmöglichkeit)
von Subject und Object, die „lebendige, ewig bewegliche, in nichts aufzuhebende
Identität des Subjectiten und Objectiven" (1. c. S. 145). Object — Subject, Natur —
Geist sind die „Pole", in die das Eine, Absolute, Identische (in verschiedenen
,,Potenxen", s. d.) sich entfaltet. Die Natur (s. d.) ist der „sichtbare Geist",
der Geist die „unsichtbare Natur" (Naturphilos. S. 64). „Der erste Schritt xur
Philosophie und die Bedingung, ohne welche man auch nicht einmcd in sie
hineinkommefi kann, ist die Einsicht: daß das absolut Ideale auch das absolut
Reale sei" (1. c. S. 67). Das Absolute ist „reine Identität", „das gleiche Wesen
des Sutgectiven und Objectiven'* (1. c. S. 72). Es hat ,^wei Seiten", eine ideale
und eine reale (1. c. S. 78). Der Name „Identitätsphilosophie" soll ausdrücken,
,4aß in jenem Ganxen Sidject wnd Object mit gleicher Selbständigkeit einander
gegenüberstehen, das eine nur das ins Object hinübergetretene . . ., das aiukre
nur das als solches gesetzte Subject sei" (WW. II 1, 371 f.). Eschenmayer
erklart: „Die WcdirJieit bildet im Idealen unsere ganxe Erkenntnisreihe, im
Realen die ganxe physische Welt, und diese beiden harmonierefi so miteinander,
daß das, was im Idealen als Proportion, Gesetx und lYineip ganx geistiger Art
ist, im liealen in den Erscheinungen sich abspiegelt" (Psychol. S. 496). Nach
Cakcs sind Geistiges und Körperliches nur verschiedene Daseinsarten eines
und desselben Wesens (Psychol. I, 12). Heinroth: „Der äußere Mensch und
der innere sind beide dasselbe, nur nach xicei Seiteji geicendet" (Psychol. S. 193).
Hu^LEBRAND spricht You der Identität des reinen Denkens und des Realen
(Phüos. d. Geist. I, 4). „Was notwendig im Gedanken ist, muß es auch in
der Wirklichkeit sein" (ib.). Hegel bestimmt das Sein selbst als Denken,
das (absolute) Denken (der Begriff, s. d.) ist Sein. Seele imd Leib sind „eine
und dieselbe Totalität derselben Bestimmungen", die Se^4e erscheint im Leibe,
dieser ist die Äußerlichkeit jener (Ästh. I, 154 ff.). Nach Schleiermacher
ist „das Sein auf ideale Weise ebenso gesetxt wie das Reale" (Dialekt. S. 75).
Die Form des Denkens und Seins ist dieselbe. H. Ritter erklärt: „Wir
haben von jedem erscheinenden Dinge xu setxen, daß es sich in reflexiven Tätige
492 Identitatsphilosophie.
ketten als Oeistf jedem andern Dinge in äußeren Zuständen als Körper ersfkeii^
(Syst. d. Log. 1, S. 305). Beneke erblickt im Physischen die Erscheiiimig da
Psychischen (s. d.). Nach Trendelenbukg ist die ..Bewegung' (s. d.) (k
Identische im Sein imd Denken (Log. Unters. 1*, 144). Schopbnhafes be
tont: j^Der Grundfehler aller Systeme üt das Verkennen dieser Wahrheit, 4sß
der Intellect und die Materie Correlaia shid^ d, h, eines für das andere da t^,
beide miteinander stellen und fallen^ ja, daß sie eigentlich eines und dassdk
sind, von xicei entgegengesetxten Seiten betrachtet*^ (W. a. W. ii. V. IL BfL
C. 1). Der Leib ist die „Obfectität**, die Sichtbarwerdung der Psyche, de
Willens (s. d.). Willensact und physische Handlung sind y,eins und dassdht,
auf doppelte Wei^e wahrgenommen: was nämlich der innerti Wahrfiehnna§
(dem Selbstbewußtsein) sich als wirklicher Willensact kundgibt, dasselbe äelS
sich in der äußeren Anschauung, in welcher der Leib ol^ectiv dasteht, sofort th
Äction desselben dar** (1. c. C. 4). Ebendasselbe, was als Materie, Kraft. Be
•wegung erscheint, ist an sieh Wille. Die Identität von (Jeist imd Natur betoB
Carneri (Sittl. u. Darwin. S. 10). J. H. Fichte meint, „daß dasj&iige, wa
wir ,Letb* und ,Seele* nennen, an sich selbst nur die Form einer doppelte»
Erscheinungsweise eines und desselben Qrundwesens sei: ,Leib\
wie es als ühbeicußtes, xugleich aber auch als Sinnenfalliges, ,Seele^, wie a
als Betcußtsein Erzeugendes sich kundgibt** (PsychoL II, 196). E. V. Haktma5X
erblickt im „Unbetc^ußten** (s. d.) das Identische von Natur imd GeisU
Durch Fechner erhalt die Identitätfitheorie Eingang in die neuere Psychokgit
Materie (s. d.) und Geist (s. d.) sind ,^wei Erscheinungsweisen desselben Wesenr
(Tagesans. S. 243 ff.). „In der Tat, ein gemeitischaftlich Wesen liegt der geistigm
Selbsterscheinung und der leiblichen Erscheinung für anderes, als das Selbst *rf,
unter. Innerlich erscheint' s sich selbst so, anderetn äußerlieh so; was aber er-
scheint, ist eines** (Zend-Av. I, 252 f.). Es gibt einen „itmerti** und nde
„äußere^* „Standpunkte** der Betrachtung des einen Wesens (1. c. S. 2531
Dieses hat zwei „Seiten**, „Erscheinungsweisen** (1. c. S. 254; II, 135 f.^
Geistiges und Materielles selbst darf man nicht identificieren (1. c. II, 149).
Außen- und Innensein verhalt-en sich zueinander wie die convexe und eonca^e
Seite eines Ringes. Das Gemeinsame beider Erscheinungsweisen liegt „in niekti
als der untrennbaren Wechselbedingtheit** beider (Üb. d. Seelenfr. S. 220 i-U
„ Was dir auf innerem Standpufikt als dein Geist erscheint, der du selbst Gtü
bist, erscheint auf äußerem Standpunkt dagegen als dieses Geistes körperliek
Unterlage** (Elem. d. Psychophys. I, 4). Paulsen erklärt: „Die WirkUekkeü
wendet uns xwei Seiten xu; von außen, mit den Sinnen gesehen, stellt sie sieh
als Körperwelt dar, im Selbstbeicußtsein, von innen gesehen, offenbart sie sieh
als seelisch-geistiges Leben** (Syst. d. Eth. I*, 207). Beide Seiten sind glaA
ausgedehnt; jeder psychische Vorgang hat eiu Äquivalent in der physischen
Welt, und umgekehrt (ib.). „Das Körperliche ist Erscheinung und Symbol d^
seelisch-geistigen Lebens, dieses ist das eigentlich oder an sich Wirkliehe* (ib-.*
vgl. Einl. in d. Philos.*, S. 115). Ähnlich schon F. A. Lange, femor Hoff-
DING (Psychol. S. 90 ff.), G. E. MtJLLER, Hering, E. König, K. LAsewro
(Wirklichk. S. 114; Fechner S. 154 ff.), E. Adickes (Kant contra Haeckd
S. 65), Taine, Ravaisson, Paulhan, Hodgson, A. Bain (Mind and Body, n.
Mind VIII, 402 ff.), Grot (Arch. f. System. Phüos. IV, 1898), Lewes (Probl. of life
and mind II, 457 ff.), P. Carus, nach welchem Körper und Geist „two aspeäs af
one reality'* sind (Fundamental Problems«, 1894, p. 183), FouiLLEE, H. SpekceB,
Identdtätsphilosophie. 493
nach welchem die Bewußtsetnsvorgänge die „p»ychi3che Seite^* dessen bilden,
„tcas von der physischen Seite als vermickelte Gruppe von durch eifie kunstvoll
organisierte Reihe von Nervenplexussen fortgepflanzten Moleeularveräfiderungen
erseheint*' (PsychoL § 469), G. Heymans, welcher die ,, abgeleitete, secundäre
Reihe der Naturerscheinungen^' von der primären Beihe der wirklichen Processe
unterscheidet (Zeitschr. f. PsychoL XVII, 62 ff., 70). Die „realen, nicht wahr-
genommenen, sondern vorausgesetüen , ihrem eigenefi Wesen nach völlig un-
bestimmt gelassenen Vorgänge, welche unter günstigen Adaptionsverhältnissen
Himproceßwahmehmungen erzeugen^', sind mit den entsprechenden Bewußtseins-
processen identisch (1. c. S. 72 ff.). Ebbinghau8 betont: „Seele und Nerven^
System sind nichts real Getrenntes und einander Gegenüberstehendes, sondern sie
sind ein utid derselbe reale Verband, nur dieser in verschiedenen und aus'
einander fallenden Manifestationsweisen. Seele ist dieser reichhaltige Verband, so
wie er sich gibt und sich darstellt für seine eigenen Glieder^ für die ihm an-
gehörigen Teilrealitäteti. Gehirn ist derselbe Verband, so wie er sich anderen
analog gebauten Verbänden darstellt, wenn er von diesen — menschlich aus-
gedrückt — gesellen und getastet wird'' ((ir. d. Psychol. I, 42). Beide Mani-
festationsweisen des Realen sind gleich echt und wahr (1. c. S. 43). Die eine
Beihe ist identisch mit der anderen (ib.). Biehl erklart: ,ßer Gegensatz von
Körper und Geist hat für uns nur noch die Bedeutung entgegengesetzter Rieh-
tungen der Betrachtung" (Philos. Krit. II 1, 63). „Dasselbe, was vom Stand-
punkte des Ich ein Empfindungsproceß ist, ist von dem des Nicht-Ich ein cere-
braler Vorgang" (L c. S. 270). „Unser empiriscJtes Ich ist der summarische
Ausdruck der Einheit des indipiduellen Lebens, es ist dieselbe Einheit innerlich
erfaßt, die sich den äußeren Sinnen als Organismus mit der Wechselwirkung
seiner Teile und seiner Functionen darstellt" (1. c. II, 2, 198). In Wirklichkeit
sind t,nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen eines einzigen Vorganges" ge-
geben, welche „jederzeit auf zwei verschiedene Subjecte verteilt sind". „Wir
schließen auf die Identität des realen Vorganges, der dieser doppelseitigen Er-
scheinung zugrunde liegt. Die Welt ist nur einmal da; aber sie ist dem ob-
jeetiven, auf die äußeren Dinge bezogenen Bewußtsein als Zusamtnenhang quan-
titativer physischer Vorgänge wui Dinge gegeben, während ein Teil derselben
Welt einem bestimmten organischen Individuum als seine bewußten Functionen
und deren Zusammenhang gegeben ist" („philosophisctier Monismus") (Zur Einf.
in d. Philos. S. 164). Ahnlich Jgdl (Lehrb. d. Psychol. S. 57). C. Petekb:
„Was seelisch, von innen angesehen, auf der einen Seite ist, stellt sich, von
außen betrachtet, als mechanisch dar" (Sonne u. Seele 8. 39 f.). Nach Wündt
wird die eine Wirklichkeit auf zwei Weisen erfahren: unmittelbar-anschaulich,
als Geist, Seele, und mittelbar-begrifflich, als Natur, Körper (Syst. d. Philos.*,
S. 147, 277, 374; s. Erfahrung). Es ist anzunehmen, daß „was wir Seele nennen,
das innere Sein der nämlichen Einheit ist, die tcir äußerlich als den xu ihr
gehörigen Leib erkenneti" (Grdz. d. physiol. Psychol. II*, 648: Philos. Stud. X,
41 f.). Die Seele (s. d.) ist das Innensehi des Organismus (Syst. d.
Philos.*, S. 379 f.; Log. I*, 551). Das geistige Sein ist „die Wirklichkeit der
Dinget' (Gnk. d. phys. Psychol. II*, 648). Identitätsphilosoph ist auch M. Palagyi
(Die Log. auf d. Scheidewege S. 253 f.), — Bedenken gegen die Identitätstheorie
erheben Lotze (Med. Psychol. S. 14: Mikrok. I», 169), Behmke (Allg. Psychol.
S. 101 f., 38), Ladd (Philos. of Mind, p. 347, 350), Ziehen (Leitfad. d. physiol.
Psychol. S. 210), L. Busse (Geist u. Körp. S. 130 ff.) u. a.
494 Identitätsphiloaophie — Ideologie.
Nach E. DÜHRING entsprechen sieh Denken und Sein völlig (Log. S. 3j7«;
„die Xahincirklichkeit muß genau dem Gedanken entsprechen*^ (1. c. S. 209 w
H. Cohen faßt die Identität von Denken und Sein so auf, ,^^ dürfe im Sein
kein Problem stecken^ für dessen Lösimg 7iicht im Defiketi die Anlage xu ent-
werfen ieär&* (Log. S. 501 f.). Vgl. Seele, Leib, Parallelismus, Psychisch, Mo-
nismus.
Identltfttoarteil (Identisches Urteil) ist ein Urteil, welches ein Objerr
identificiert, d. h. ein A als A bestimmt, anerkennt, also den Inhalt von Snb-
ject und Pradicat als identisch setzt. Es gibt „formal*^ und „real" identiäch<*
Urteile.
Stilpo imd Antisthenes anerkennen nur Identitatsurteile: avrö ya^ xad^ ';
nvTo ixaarov ovofidaai fiovov sXrj, Tt^oaeiTtelv 8e ov^ev aX)uf 8wax6t', oxSi^ wi
iarip, ovd^ dg ovx ^axiv (Plat., Theaet. 201). Antisthenes meint: Das Eine
kann nicht vieles sein, es kann von ihm nur wieder' das Eine ausgesa^
werden: aSvvaxov rd tb noXkd h* xai ro iy noXXd elvai, xai SrjTtov /Ä<^at<r«r ;
ovx ioJVTBs dya&ov Xiyeiv nvd'pcoTtov, dXXa t6 fiiv dya&ov dyad'ov, Tor Si
ftvd'^amov drd'Qfonov (Plat., Sophist. 251 B). ^y^vTiaO'et'rje ^ero Bvi^S'tffi pK^'*
a^icjv Äe'yBod'ai TrXrjv ri^ oixaitij Xoycp iv i<p ivos (Aristot., Met. V 29, l<^4b
squ.). — Nach GocxEN ist ein Identitätsurteil („idenitca^*) „praedicatio eitufärta
de eodem" (Lex. philos. p. 212). Den Nutzen identischer Urteile betont (gegen-
über Locke) Leibniz mit dem Hinweis darauf, daß „les propositions identiquc^
les plus pures et qui paraisscnt les plus inutiles^ soni d*un usage considfrable
dans Vabstrait et general'' (Gerh. V, 344 ff.; III, 224 ff.). — Nach B. Ekd-
MANN ist ein identificierendes Urteil „ein SatXy desseti Pradicat ledigli/^ dat
Subject in anderer Bexiehung iriederhoU" (Log. I, 172, 302 f.). WU2n>T erklärt:
„Bei dem formal identischen Urteil besitzen Subjekt und Pradicat eine idenii*tkf
Fot^nty bei dem real identischen ist der Ausdruck beider Begriffe ein rersehiedenfr^
aber diese werden wegen ihres übereinstimmendeti Inhaltes identisch gesetzt'
(Log. I, 170 ff.). „^»V bexeicfmen einen jeden Schluß^ der aus xwei Identitäten
eine dritte folgert ^ als einen Identitätsschluß. Die beiden Zwecke, detien der
Identitätsschluß dienen kann^ sind: 1) Ableitung einer netten Definition aus zwei
gegebenen Definitionen und 2) Ableitung einer neuen Gleichung cuis xwei ge-
gebenen Oleichmigen" (1. c. I, 291). Vgl. Identität.
Ideograplile s Bilderschrift.
IdeolO|[^e: Ideen-Wissenschaft, Lehre von den Gedanken, Vorstellung«m.
von den Bewußtseinsinhalten (Psychologie, Erkenntnislehre, Geistesphilosophie).
In Frankreich bedeutet (seit Condillac) „Ideologie^* „eine Art PhüowpHit.
welche durch eine gena^ue und systematische Kenntnis der physiologischefi «urf
psychiscJien Organismen wid der physischen Welt' praktische Regeln für Er-
xiehungj Ethik und Politik festzustellen versucht" (Überweo-Heinze, Gr. d
Gesch. d. Philos. IV*, 353). Destutt de Tracy: „Uideologie est la seiene^
des idees" (El. d^d^l. I, p. 5). Franck: „Ideologie est la seienee des idees
considerees en elles-meme^j c'est-ä-dvre conimc sifnples phenomhies de Vesprii
humain'' (Dictionn. p. 7(58). Galuppi: „L'Ideologia i . , . la scienxa delTori-
gine e deUa generaximw delle idee" (Elem. di philos. II, 2). Nach K. Rosen-
kranz versteht die „franxösische Schtde^^ unter Ideologie „die Lehre ron dem
Gange des subjectiven Erlcennefis" (Syst. d. Wiss. S. 119). Er selbst bezeichnet
80 yjdie Einheit der Metaphysik und Logit^, den „Begriff der Idee als solcher'
Ideologie — Idol. 495
(ib.). — Im Sinne des ,iSckicärmerUehen (politischen) Idealisten'^ gebraucht das
Wort „Ideologe^' Napoleon. Der Marxismus (s. d.) betrachtet die „ideologischen^'^
(geistigen) Gebilde als bloße Keflexe, Wirkungen wirtschaftlicher Factoren.
„Die Ideeti sittd Prodiicte des gesellschaftlichen Productionsprocesses" (Mehring,
Lessing-Legende 1893, S. 451).
Ideomotoriscli bedeutet seit Chabpentier (1883) die Bewegungskraft
von Vorstellungen u. s. w. ohne Vermittlung des Willens. Ideomotorische
Tendenz hat nach Ribot u. a. jeder Bewußtseinszustand (Mal. de la Volonte
p. 3 ff.).
IdlOf^enetlscbe Urtellstlieoile heißt die Lehre, daß die Urteils-
fonction ein ursprünglicher, selbständiger, einfacher Bewußtseinsact sei (J. St.
MiLL, Brentano, ^Mabty, Hillebrand, Höfler, Meinong u. a.). Vgl.
Urteil.
Idiopatlllsclie = egoistische (s. d.), das eigene Ich ziuu Objecte
habende Gefühle und Neigungen. Vgl. Wert.
Idiopsycbologlseli nemit Martineau seine auf dem individuellen
Sittlichkeitsbewußtsein basierende Ethik (Essays III).
Idiosynkrasie {tSios, avyxoaaiSy Eigenmischung) : eigenartige, individuelle
Reactionsweise auf Reize, die normal, durchschnittlich anders (entgegengesetzt)
wirken. Die Sonderart von Neigimgen und Abneigungen bestimmten Objecten
gegenüber ist Idiosynkrasie. Vgl. Hillebrand, Philos. d. Geist. I, 357 ff.
Idiotismas (Idiotie): Blödsinn, fast gänzlicher Mangel an geistiger Auf-
fassung imd Verarbeitung, im Unterschied von Schwachsinn (Imbecillität),
bei welchem die geistigen Kräfte nur herabgesetzt sind.
Idol (etSaXav, Bild): Götzenbild, Trugbild. — F. Baoon nennt Idole
(„idola^') die Vorurteile des Menschen, die vom Wege zur Erkenntnis abbringen
und daher eliminiert werden müssen. Die „Idole des Stammes'' sind die in der
menschlichen Natur als solcher liegenden Vorurteile, die „Idole der Höhlet' sind
die individuellen, die „Idole des Marktes" die socialen, die „Mole des Theaters"
beruhen auf der Macht der Autorität. „Mola . . ., a quibus oecupatur mens,
vel adscitüia sunt, vel innata, Adscttttia vero immigrarunt in mentes hominuni
vel ex p/iilosopßwrum placitis et sectis, vel ex perversis legibus detnotistratimitmi.
At innata ifihaerent naturae ipsius intellecttis, qui ad erroreyn lange proelivior
esse deprehendiiur, quam sensus" (Nov. Organ., dist. op. p. 6). „Idola et notiones
falsae, quae intellecium humanum iam oceuparunt atque in eo alte haerent^ non
soluTn mentes hominum ita obsident, ut veritati aditus diffieilis pateat, seil etiam
dato et c&ncesso aditu, illa rursus in ipsa instauratione scientiarum occurrent et
molesta erunt; nisi hmnines praemoniti adversus ea sc, quantum fieri polest,
mimiarä" (1. c. I, 38). „Idola tribiis sunt fundaia in ipsa natura humanay
atque in ipsa tribu seu gente hominum. Falsa enim asser itur, sensum human um
esse mensuram rerum; quin contra ornties perceptiones, tarn sensus quam mentis
sunt ex anaiogia hominis, non ex analogia universi, Estque intellectus humanus
instar speeuli inaequalis ad radios rerum, qui suq^m naturam naturale rerum
immiscet eamque distorqttet et infieit" (1. c. 41, Anfang des neuen Subjecti-
vismns, s. d.). „Idola speeus sunt idola hominis indinidui. Habet enim
unusquisque (praeter aberrationes naturae humanae in generej specttm sive
Cüüemam qtuindam individuam, quae lumen naturae frangit et corrumpit"
496 Idol — musion.
(1. c. 42). „Sunt etiafn idola tanqua/tn ex contractu et societate kumani
ad invicem, quae idola fori^ propter kominum commercium et const
appellamus.^' „Sufü denique idola, quae immigrarunt in anintos hominum er
diver sis dog^natibus philosophiarum ae etiam experversis legibus demonslrationwn:
quae idola theo tri nominamus, quia, quot philosopkiae reeeptae aut inivnUF
sunt, tot fabiäas produetas et actas censemus, quae mutuios effecerunt fietitioi
et scenieos^^ (1. c. 44; vgl. 60). Die Idolenlehre ist eine erste Bekämpfung des
Dogmatismus (s. d.).
Jesirali: Körperwelt (Kabbala).
Ig^ava ratio s. Faule Vernunft
Iipriorabiiiilis (9}Unr werden es nicht wissen^^): ein Schlagwort bei
DU Bois-Reymond, darauf hinzielend, dafi gewisse Probleme (Wesen der Ma-
terie und der Kraft, Ursprung der Bewegung, Ekitstehung der Empfindung, die
Willensfreiheit) für unser Denken unlösbar sind und bleiben werden (Grenz, d.
Naturerk. 1872). Vgl. WelträtseL
Ignoratio elenclii s. Elenchus.
If^noti nuUa eapido: Unbekanntes wird nicht begehrt, das Begehreo
(s. d.) hat ein bestinmites Object.
Ikonismas: Versinnlichung einer Sache durch ein Bild, Bilderschrift
(Ideographie).
lUatlon (illatio): Schlußfolge.
Illamlnations (geistige) Erleuchtung. Illuminismus: Glaube an
geistige, mystische Erleuchtung im Zustande der Ekstase (s. d.).
Illaslon (psychologische^ phantastische) ist eine Vorstellung, die durdi
Assimilation (s. d.) unter solchen Bedingungen entsteht, daß sie nicht im Sinne
des wirklich Wahrgenommenen, sondern im Sinne des dadurch Beproducierten.
in das Wahrgenommene Hineinassociierten gedeutet und zugleich als wirkhch.
objectiv aufgefaßt wird. Auch die ganze Erscheinung der Selbsttäuschung heiät
Illusion. Die ästhetische Illusion ist von großer Bedeutung für den ästhe-
tischen Genuß (s. Ästhetik). Praktische Illusionen sind Selbsttäuschungen
über den Wert von Gütern aller Art.
Physiologisch erklärt die „Illusionen^^ schon Descabtes ; „Inter pereqptvmn,
quae corj}oris opera producuntur, maxima pars earum pendet a nerpis; sei
quaedam etiam sunt, quae ab Ulis non pendent, et qtdoe nofninantur tmagi'
nationes . . ., a quibus tamen differun^ in eo, quod rolutUas nostra in iUu
formandis non oceupeiur; unde non possunt reponi in numero actionum animae:
Nee aiiunde procedunt quam ex eo quod spiritus diversimode agitcUi, et reperientm
restigia dirersarum iinpressionum, quae praecesserunt in eerebro, ctirsum ^
dirigunt fortuito per quosdam porös potius quam per cUios. Tales sunt t"//«-
siones nostrorum somniorum et phantasiae, quae nobis vigüantibus aceiäwäf
cum cogitatio nostra negligefiter vagatur, nulli rei sese addieens^*^ (Paus. an. I,
21). — Volkmann erklärt: „Die Illusion geht von einer wirklich gegebeme»
Empfindung aus und nimmt insofern ihren Ursprung aus einer an sich rtehtige»
WaJimehmung, versetxt sodann die Empfindung als Äußeres aus der Seele heravs
und involviert insofern eine Täuschung der inneren Wahrnehmung, wird abff.
schließlich xur Sinnestäuschung dadurcli, daß sie entweder Loealisation
niQsion — lUnsioxiiamus. 497
Prcjeeiion witereinanderj oder innerhalb jeder von beiden eine falsche mit der
richtigen Anwendung verwechselt^^ (Lehrb. d. Psychol. II*, 146). Nach Fechner
sind die Illusionen „lUusehungen . . ., woxu aUerdings ursächliche Objeete vor-
handen sind, welche aber falsch aufgefaßt werden, indes es bei den Hallueinationen
an äußeren ursächlichen Objecten fehlt^ (Elem. d. Psychophys. II, 505). Ziehen
versteht unter. Illusionen ,,solche Sinnesempfindungen, für welche Mear ein äußerer
Reix existiert, welche aber qualitativ diesem äußeren Rdx gar nicht entsprechen^'^
(Leitfad. d. physiol. PBychol.*, S. 182). 1£& handelt sich hier um eine „rück-
läufige Erregung und Beeinflusstmg der Empfindtmgsxeüen von den Erinnerungs-
xellen atis" (1. c. S. 183). Wukdt führt die Illusion auf eine Form der Assi-
milation zurück. „Bei den gewöhnlichen Sinneswahmehmungen übenoiegen die
direeten Factoren so sehr, daß die reproductiven meist ganx übersehen werden,
obgleich sie in Wirklichkeit nie fehlen . . . Beträchtlich mehr drängen sich die
reproductiven Bestandteile unserer Beobachtung auf, wenn die assimilierende
Wirkung der direeten Erregungen durch äußere oder innere Einflüsse, wie Un-
deutliehkeit des Eindrucks, Erregung von Oefuhlen und Affecten, gehemmt ist.
In allen den Fällen, wo auf diese Weise der Unterschied xwisohen dem Eindruck
und der wirklichen Vorstellung so groß wird, daß er sich sofort unserer näheren
Prüfung verrät, bexeichnen toir das AssimilaUonsproduct als eine Illusion^*
(Gr. d. Psychol.*, S. 281). Von den bei normalem Bewußtseinszustand vor-
kommenden Sinnestäuschungen sind zu unterscheiden die „phantastischen Ilhi-
sionen*^ (L c. S. 326, s. Hallucination). Nach Külpe sind Illusionen „subjective
Veränderungen an dem obfectiv Wahmefimbaren^' (Gr. d. Psychol. S. 184 ff.,
217). Nach Störring besteht eine Illusion da, „wo in einefn Assimilations-
proceß der subjeetive Factor eine abnorm starke Rolle spielt'^ (Psychopathol.
S. 93). Wie SuLLY (Die lUus.) unterscheidet er passive imd active, wie
Eraefelik (Üb. Trugwahm., Viertelj. f. wiss. Philos. V) Perceptions- und
Apperceptionsillusionen. Nach Uphues ist eine Illusion ,fiine Wahrnehmung,
deren Gegenstand nicht so beschaffen ist, wie wir ihn wahrnehmen" (Psychol. d.
Erk. I, 184). Nach K. Lange ist Illusion ein seelischer Zustand, in dem man
etwas glaubt, was nicht Wirklichkeit ist (Wes. d. Kunst I, 207). Vgl. James,
Princ. of Psycho! II, 85 ff.
Von der „iüusion volontairef^ spricht SOURIAU. Eine „Illusionstheorie^^
stellt für die Ästhetik (s. d.) K. Lange auf, deren Kern die ,jbewußte Selbst-
täusehung"' ist (Wes. d. Kunst I, 18 ff., 207 ff., 372 ff.). Nach K. Groos be-
steht die „spielende Illusion" 1) in der Verwirklichung innerer Bilder, 2) darin,
„daß das Oedächtnismaterial mit realen äußeren Erscheinungen verschmilzt und
an deren Realität teihunehmen seheint'* (Spiele d. Mensch. S. 164 ff.). Die
Illusion beruht auf Assimilation (1. c. S. 171). Vgl Illusionismus.
ninslonlBllillS : Ansicht, daß alles Illusion, Täuschung, Schein (s. d.)
sei (theoretischer Illusionismus) und daß alle Werte nur Scheinwerte seien,
daß das Leben, das Dasein keinen wahrhaften Wert habe (praktischer
lUusionismus), endlich daß die sittlichen Wertungen nur Scheinwertungen,
nicht objectiv geforderte Wertungen seien (ethischer Illusionismus).
Der theoretische Illusionismus ist eine extreme Form des erkenntnistheo-
retiBchen Idealismus (s. d.) und des Skepticismus (s. d.) und Subjectivis-
mus (s. d.). Bein hypothetisch -methodologisch spricht ihn Fenelon aus:
„Tous ees etres . . . peuvent avoir rien de red et n'etre qu'une pure
illusion qui se passe toute entih^ en dedans de moi seul" (De l'ez. de
Philoiopliiaoh«! Wörterbuob. 2. Aufl. 32
498 niUBlonimniis — Tminanent.
Dieu p. 120). Illusionistisch ist die Lehre der Veda-Philosophie und des."
Buddhismus sowie die Metaphysik Schopenhavebs^ nach welcher die
raum-zeitliche Außenwelt nur ,,Schleier der Maya^^, „Pkantasmagan^*, „Oehim-
Phänomen" ist Nach Nietzsche steckt die menschliche Erkenntnis (s. d.)
voll Illusionen. — Dem praktischen Illusionismus huldigen Schopenhauer
und (weniger scharf) £. v. Hartmann. Den ethischen Illusionismus Tertretcfi
einige Sophisten, Stirner u. a.
Illusory memory s. Gedächtnis.
Imai^atloii : Einbildung, bildhaftes, concretes Vorstellen und Denken,
Erzeugung von Bildern der Objecte nach der Wahrnehmung dieser. VgL
Phantasie.
ImbecilllUlts Schwachsinn, eine Form der Psychose (s. d.). VgL
Idiotismus.
Immaneiit (immanens, darin bleibend) ist ein Ausdruck für das Ein-
geschlossensein, Innenwirken einer Sache, Kraft, eines Ereignisses, einer Er-
kenntnis. Immanent ist, was in der Sache, im Begriff selbst steckt, nicht
darüber hinausgeht (nicht ,Jtranscendent*^ , s. d.) ist Bewußtseins-imma-
nent heißt alles, was (nur) im Bewußtsein, als Bewußtseinsinhalt Elxistenz hat.
Erfahrungs -immanent ist, was innerhalb der Erfahrung bleibt, die Erfah-
rung nicht überschreitet. Erkenntnis-immanent ist, was in den Bereich
des Erkennens fallt, ohne deswegen gerade Erfahnmgsobject sein zu müsKO.
Welt-immanent ist, nach dem Pantheismus (s. d.), Gott; nach dem Pbnen-
theismus (s. d.) ist die Welt Gott immanent.
yjmmanent** sein kommt als irvitd^x^iv schon bei Aristoteles vor {ir-
vTtaQXBiv iv r(y ri iartv, iv tqJ I6y(p; begriffliche Immanenz, AnaL post. I 4,
73 a 35 squ.; vgl. De coel. II 9, 291a 11: iv fe^ofiivtp . . . ivvnd^M; Phys.
II 3, 194 b 24; Met. IX 8, 105 a 24 squ. ist vom iwndgxBiv der ivdffyeia die
Rede).
Die Scholastiker unterscheiden die „oc^ta immanens" ^ welche über da^
Subject der Tätigkeit nicht hinausgreift, von der „oc^to traneient^^, ,,lmntanenifs
(actiones) suni^ per quaa . . . subiectum non transmiUatur. Hae tnanent sftbiectkr
in agente. Tales suni operationes potentiarum anitnae cognitivarum ei appe-
titimrum" (Goclen, Lex. philos. p. 1125). Nach Batjhoarten ist „irnmatuttr
jede „actio f quae nan est infltiosus" (Met. § 211). Nach Leibniz sind die Hand-
lungen der Monaden (s. d.) diesen immanent (vgL Harmonie).
Die Unterscheidung von ^jCausa immanen^^ und „catisa transientt'* hat
Bedeutung bei Spinoza. Nach ihm ist Gott (s. d.) die immanente Ursache, der
permanente Grund alles Geschehens, insofern er (als yynatura fuUurans^y e. d.>
nur in den Dingen (den „niodi^^) wirkt. ,yDeus est omnium rentm eausa
immanens, non vero transiens, — Omnia, quae sunt, in Deo sunt et per Deum
coneipi debent, adeoque Dens rerum, quae in ipso sunt, est causa . . . Deinde
extra Deum nulla potest dari substantia, hoc est reSy quae exira Deum in s€ *i^*
(Eth. I, prop. XVIII; vgl. Ursache).
Den Begriff der Erfahrung8-(Erkenntni8-)Immanenz prägt Kant. Immanait
ist alle innerhalb der Erfahrungsmöglichkeit bleibende, auf ein Erfahrbares sich
beziehende Erkenntnis (Krit. d. r. Vem. S. 271). Die Anschauungsformen («. d.>
Immanent — Impalpabel. 499
und die Kategorien (s. d.) lassen nur eine immanente Anwendung zu, dienen
nnr zur Verarbeitung der Erfahrung (Prolegom. § 40).
Die Bewußtseinsimmanenz, d. h. die Immanenz der Außendinge im erkennen-
den Bewußtsein, im Ich, betont J. G. Fichte. „D^ Kriticismus ist darum
immanent, weil er alles in das Ich setxt^^ (Gr. d. g. Wise. S. 41). Schelling
spricht schon von einer „immanenten Philosophie" (Vom Ich 8. 113). Nach
E. V. Hartmann ist inmianent „aües, was von der Form des Beicußtseins als vor-
gestellter Inhalt umfaßt wird, innerhalb dieser Sphäre des unmittelbar Gegebenen
bleibf^ (Grundl. d. transcendental. Bealism. S. XIII). Uphues unterscheidet
zweierlei Lnmanenz, „das unmittelbar Immanente, welches die gegenwärtigen Be-
wußtseinsvorgänge des eigenen Bewußtseins umfaßt und den Oegenstand der Re-
flexion bildet, und das mittelbar Immanente, die vergangenen Bewußtseinsvorgänge
des eigenen Bewußtseins" (Psychol. d. Erk. I, 7).
Logische Inmianenz nennt B. Erdmann die eigenartige Beziehung der
Merkmale des Gegenstandes zu diesem, des Prädicats zum Subject im Urteil (s. d.).
VgL Object
ImmaiiCTite liOglk heißt die in einem Geschehen objectiv sich be-
kundende Vemünftigkeit.
Immanente Hetaplijsik s. Metaphysik.
Immanente Teleolog^e s. Teleologie. Immanente Philosophie s.
Immanenzphilosophie. Immanente Ursache s. Immanent.
Immanenz: das Immanentsein. Vgl. Immanent
ImmanenspliilOBOpliie (inunanente Philosophie) bedeutet 1) eine auf
das Erfahrbare, Gegebene sich beschrankende Philosophie. So bemerkt Main-
lInder: „Die wahre Philosophie muß rein immanent sein, d. h, ihr Stoff
sowohl als ihre Grenze muß die Welt sein" (Philos. d. Erlös. S. 3); 2) die
Philosophie des unmittelbar Gegebenen, nach welcher alles Bein ein dem Ich,
dem Bewußtsein inmianentes Sein, Bewußtseinsinhalt ist Transcendente (s. d.)
Dinge gibt es nicht Alles Wirkliche ist Inhalt eines „Beunißtseins überhaupt^*.
— Eine solche idealistische Philosophie vertreten schon Berkeley und Hxtme.
In anderer Weise J. G. Fichte, A. Lange, E. Laab u. a. (s. Idealismus).
Besonders W. Schuppe, A. v. Leclair, J. Rehmke, R. v. Schubert-Soldern,
M- Kaltfmann, O. Stock, auch F. J. Schmidt, der einen „immanenten Er-
fahrungsmonismus" lehrt. Vgl. Zeitschr. f. immanente Philos. I. — Ahnlich in
manchem ist die Philosophie der „reinen Erfahrung" (s. d.). Vgl. Object, Sein,
Ding, Ich, Bewußtsein.
Immateriallsmiui : Lehre von der Unkörperlichkeit der Seele (s. d.),
auch der Dinge an sich, Ansicht, daß die Materie (s. d.) nicht existiert (Berke-
ley) oder daß sie an sich geistig sei (^ Spiritualismus, s. d.).
Immaterialltftt: Stofflosigkeit, Unkörperlichkeit. Vgl. Seele.
Immateriell s stofflos, unkörperlich. Vgl. Seele.
Immorallsmas : Morallosigkeit, moralischer Indifferentismus (s. d.),
moralischer Skepticismus (s. d.), Bekämpfung der (überkommenen) Moral, Stand-
punkt des jflenseits von Gut und Böse" (Nietz8CHE). „Immoralismus" schon
bei Krug, Handb. d. Philos. II, 271) als Gegensatz zum „Moralismus".
Imiialpabels unfühlbar, un tastbar.
32*
500 Impenetrabilität — Imperativ.
Impenetrablllt&t s. Undurchdringilchkeit
ImperatiT ist die Formel, der AuBdruck eines Oebotes, eines SoUeos.
Sittliche (ethische) Imperative sind die Gebote der Sittlichkeit (s. d.), der
sittlichen Vernunft, des Gewissens. Sie verlangen imbedingte Geltung, weil es
keinen Fall geben kann, wo sittliche Widervernünftigkeit statthaben darf. Will
der Mensch vernünftig sein — und er will es im Grunde, der Idee nach — , ao
muß er dementsprechend handeln, theoretisch wie praktisch -ethisch. Der
„kategorische^^ Imperativ ist die Formel des Sittengebotes, d^ Ausdruck der
Norm des sittlichen Willens.
Der Begriff des „keüegorischen hiipercUiva** stammt von Kant. ,yDie Vor-
stellung eines objectiven Prindps, so wie es für einen Willen nötigend ist, heiß
ein Gebot (der Vernunft), und die Formel des Gebotes heißt Imperatit^' (Gnindl^.
zur Met. d. Sitt. WW. IV, 261). Ist die Handlung zu etwas anderem gut, so
ist der Imperativ hypothetisch, w^ird sie als an sich gut vorgeBtellt, ist er
kategorisch. Letzterer erklart die Handlimg für unbedingt notweDdig, ist
ein apodiktisches Princip, als Imperativ der Sittlichkeit (L c. IV, 262 ff.). Der
kategorische Imperativ ist das formale Princip der Sittlichkeit (s. d.), er ent-
springt der „Würde^^ des Menschen, der praktischen Vernunft (s. d.) in ihm,
bestimmt die Fonn der Willenshandlungen a priori (s. d.) ; er deutet darauf hin,
daß der Mensch an sich das Glied einer intelligiblen Welt (s. d.) ist, ist der Aus-
druck des „m«ew" Willens dieser (1. c. S. 270 ff.). „DiV? praktische Regei ist
jederzeit ein Product der Vernunft, weil sie Handlung, als Mittel xur Wirkung,
als Absicht vorschreibt. Diese Regel ist aber für ein Wesen, bei dem Vernunft
fiiclU ganx allein Bestimmungsgrund des Willens ist, ein Imperativ, d. i.
eine Regel, die durch ein Sollen, welches die objective Nötigung der Handlung
ausdrückt, bezeichnet unrdt und bedeutet, daß, wenn die Vernunft den WiUen
gänxlich bestimmte, die Handlung unausbleiblich nach dieser Regel geschehen
mirde^^ (Krit. d. prakt. Vem. S. 22).* Der kategorische Imperativ ist „derjenige,
welcher nicht etwa mittelbar durch die Vorstellung eines Ziceekes, der durch die
Handlung erreicht werden könne, sondern der sie durch die bloße Vorsteihmg
dieser Handlung selbst (ihrer Form), also unmittelbar als objectiv notwendig denkt
und notwendig machf^ (WW, VII, 19). Der sittliche Imperativ gebietet kate-
gorisch, unbedingt, ohne Rücksicht auf „maieriale" Motive (auf Nutzen, Lust
u. s. w.). Er lautet : „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit xugieiek
als Priticip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne" (Krit. d. prakt. Vem.
S. 36). „Handle nach derjenigen Maxime, durch die du xugleich wollen kannst,
daß sie eiri allgemeines Gesetz werde" (WW. IV, 269). Ein praktischer Im-
perativ ist: „Handle so, daß du die Menschheit soioohl in deiner Person als im
der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zioeck, niemals bloß als
Mittel brauchst" (WW. .IV, 277). — Der Inhalt des kategorischen Inq)eratiTB
findet sich schon bei Paley: „The general consequence of any action may be
estimated by anytßiing, w?Mt wotdd be the consequence, if the sanie sort of acHons
were generally permitted^^ (The princ. of moral and political philos.*, 17S6,
p. 62 ff., 68).
Eine Kritik des „kategorischen Imperativ" gibt Simmel (Einl. in d, Mofnd-
wiss. II, 1 ff.). Während sich einige Ethiker diesem ,Jmperatir^' bezw. sein«-
Formuliermig gegenüber ablehnend verhalten, acceptieren ihn andere in modi-
ficierter W^eise. H. Cornelius z. B. so: „Handle so, daß du nach dem Stande
Imperativ — Impresaion. 501
deiner bisherigen Erfahrungen die Maxime deines Wollens als Princip einer
aügemeinen Gesetzgebung anerkennen ivürdest,*' oder: „Handle so, daß dein Ziel
nach dem Stande deiner Erfahrungen als das positiv Wertvollste unter allen
mögliehen Zielen erscheint*^ (Einl. in d. Philos. S. 349 f.). Unold: „L^ und
handle so, daß du dich und das Oanxe (Volk und Menschheit) erhältsf^ (Gr. d.
Eth. S. 331, vgL 8. 335). R. Goldscheld erweitert den kategor. Imperativ im
Sinne des Evolutiomsmus : „Handle so, daß du das Offenbanoerden deiner Motive
wr niemandem, nicht einmal vor dir selbst xu scheuen brauchst, das hei fit aber :
handle so, daß du nach allen dir bekannten Ergebnissen der Wissenschaft, taie
nach den Indiden deines gesamten eigenen Oefühlsldfens fest überzeugt sein kannst,
deine Handlung sei in gleicher Weise geeignet, lebendigem Sehmerx praktisch
wirksam entgegenxtäreten, wie sie, zur allgemeinen Mamme erhoben, einen Höher-
enttcicklungsfaetor der menschliehen Gattung in physischer und intelleciueller
Hinsieht darstellt*^ (Zur Eth. d. GesamtwiU. I, 85 f.). Ehrenfels erklärt: „Ein
Imperativ oder Befehl liegt überall dort vor, u)o einem auf das Eintreten oder
Ausbleiben einer Handlung gerichteten Begehren in der mehr oder minder sicheren
Erwartung Ausdruck gegeben tcird, daß hierdurch das Eintreten oder Ausbleiben
der betreffenden Handlung tatsächlich auch beicirkt u}erd&^ (Syst. d. Werttheor.
n, 195). Vgl. SittHchkeit, SoUen.
ImperatlTe 3IotlTe s. Motiv.
Impersonalleii 8. Subjectlose Sätze.
Impetus 8 Andrang, ein Moment der Kraft (Hobbes ii. a.).
Implleatloii s. Explication. — Die grammatisch- logische Impli-
cation {„implicatio, restrictio per itnplicationem", durch einen Relativsatz) schon
bei Petrus Ramus (Prantl, G. d. L. III, 58).
ImpoaelblllUlt: Unmöglichkeit. „Per impossibile ductio'^: die Um-
kehrung eines Satzes in sein contradictorisches Gegenteil; symbolisiert durch
„(?' (s. d.).
Impression: Eindruck, Sinneseindruck, Empfindung; unmittelbar er-
lebter, primärer Bewußtseinsinhalt im Unterschied vom secundären Erinnerungs-
bilde. Impression bedeutet auch den unmittelbaren Gefühlseindruck.
Die psychologische Bedeutimg von „Eindruck*^ ist alt. Plato und Ari-
stoteles vergleichen das Beharren der Vorstellungen im Gedächtnis mit dem
Bleiben eines Siegelabdruckes im Wachse. Die Stoiker sehen in der Vor-
stellimg (s. d.) geradezu einen „Eindriickf^ (rvTreoatg) in der Seele (Diog. L. VII,
170). nylmprimi^* kommt im psychologischen Sinne bei Cicero vor (Tusc. disput.
I, 25, § 61). — Augustinus spricht von den „impressiones imagimim^^ (De
trin. XI, 4; XII, 9). Die Scholastiker lehren eine „impressio^^ der „/species'^
(s. d.), sprechen von j,species impressae'^ als Bedingungen der Wahrnehmung
(B. d.). Goclen bemerkt: „Impressio speciei, seu iynaginis, sive in sensu, sive
in intellectu, per metapharam convenienter dieitur inhibitio, hoe est ifUima unio
cum sensu vel intellectu*' (Lex. philos. p. 223; vgl. Zabarella, De specieb. intell.
C. 5). Von den Impressionen der Objecte auf das Gehirn sprechen Hobbes
(Leviath. I, 3) und Descartes. Spinoza bemerkt: „Corpus humanum multas
pati potest mutationes, et nihilo minus retinere obieetorum impressiones seu
testigia et eonsequenter easdem rerum imagines" (Eth. III, postul. II).
HVME nennt „impression*^ jedes primäre psychische Erlebnis, jede unmittelbare
502 Impression — Inbegriff.
Bewußtseinserregung: Empfindung, Gefühl, Streben. Impressionen sind ,jallM
sensaiums, passions and emoiions, as they inake their first appearenee in tA
«om/" (Treat. I, sct. 1). Die Perceptionen selbst sind Impressionen (L c. S. 10.
Es gibt einfache und zusammengesetzte Impressionen (L c. S. II). Ferotr
ursprüngliche („original^^J und „refleetire" Eindrücke; letztere entstehen durcii
Vorstellungen (y,ideas^^) als Gefühle und Neigungen (1. c I, sct. 2, S. 17 l
„Original ' impreastons or impressions of Sensation are such (u iciikoyt an^
anteeedent pereeption arise in the sota, front the constitutum of tke bodyy frtm
the änimal spiritst or from tke applieation of objeets to the extenud orgam.
Seeondary or refleetive impressions are such as proeeed from some of tkeu
original ones, either immediately or by the interposition of its idea^* (Of the
pass. I, sct. I, p. 75). y,Of the first kind are all the impressions of the setaa,
and all bodily plains and pleasures: of the second are the passions and cther
emotions resembling them" (ib.). Der Ursprung der 8inneseindrücke ist p^)W^
matisch, nie kann man feststellen, ob sie unmittelbar durch den Gegenstand
oder durch den Geist selbst oder durch Gott erzeugt werden (Treat. III, scL 5.
8. 112 f.). Alle Impressionen sind vorübergehende Existenzen, stellen nur sich
selbst dar (1. c. IV, sct. 6, S. 258; sct. 2, 8. 254). Alle Vorstellungen (y,idtari
stammen aus y^impressians*'. Begriffe ohne Impressionen, die sich zu ihneo
nachweisen lassen, sind Pseudobegriffe (1. c. III, sct 14, p.210 f.; I, sct. 1, S. 13»
Jede einfache Idee muß Abbild einer entsprechenden Impression sein (Empinsmuei.
Impression und Idee sind nur durch den Grad der Lebhaftigkeit unterschieden
(1. c. I, sct. I, 8. 12). — Gab ANIS unterscheidet ,yimpressions internes'^ and
yyeactenies^^ (Rapp. I, p. 155 f.). Nach Chr. E. 8chmid ist ein ^^Eitidrud^ ,^i>
Wirkung eines Gegenstandes (durch das sinnliehe Werkxeug) auf das Gtmiii
wodurch dasselbe verändert wird** (Empir. PsychoL 8. 187). Nach Krug ist
„Eindruck*' die Erregung, vermöge welcher der 8inn (s. d.) tatig ist (Handb. d.
Philos. 1, 58 f.). — Nach Palaoyi besteht jeder Eindruck aus y,grenxenlos rieten zeit-
lichen Abschnitten" (Log. auf d. 8cheidewege 8. 175). Die Empfindungen sind
zusammengesetzt (1. c. 8. 178 ff.). Jeder Eindruck ist, als grenzenlos Zusammen-
gesetztes, für unsere Erkenntnis unerschöpflich. y,Was wir aus dem JSimdrud
schöpfen, ist immer nwr eine Erinnerung an den Eindruckt* (L c. 8. 185).
ImpresBionlsinas kann (nach Eiehl, Zur Einf. in d. Philos. S. 243'
diejenige erkenntnistheoretische Ansicht genannt werden, welche nur die Sinnes-
eindrücke (Impressionen), die Empfindungen (s. d.) für real halt, keine tnm-
cendenten Dinge (s. d.) annimmt (Hume, J. 8t. Mill, E. Mach, B. Ave-
NARius u. a.). Es gibt auch einen künstlerischen Impressionismus, der in
der Wiedergabe der reinen 8inneseindrücke die Aufgabe der Kunst erblickt
Palagyi nennt die Psychologisten (s. d.) „Impressionisten** (Die Log. auf d.
8cheidewege 8. 72). Die „impressionistische Logik** verwechselt Impressionen
({Empfindungen) mit Erkenntnissen (L c. 8. 86).
Impuls: Antrieb, Anstoß (physisch und psychisch). Impulsiv: durch
1 mpuke bes tinmi t (impulsiver Charakter, impulsives Denken). Impulsivität;
die Eigenschaft des Impulsiven.
Impatablllt&ts Zurechnungsfähigkeit (s. d.).
Imputation: Zurechnung (s. d.).
Inad&quat (unangemessen), s. Adäquat.
Inbegrlir heißt ein in einem einheitlichen Denkacte, in einer logischen
Inbegxiff — Indifferenapunkt. 503
Synthese Zusammengefaßtes, Ganzes (vgl. Bolzano, Wissenscbaftslehre I, 393 f.).
B. EsD^iAKif bezeichnet die yjhbegriff^^ als ^^Gegenstände xweiter Ordnung"
<Ix)g. I, 101 ff.).
IneUnatlons Neigung (s. d.).
IndemoiiBtrabel: un veranschaulichbar. Demonstrabel ist ein
Segriff, dessen Gegenstand in der Anschauung gegeben werden kann. Nach
Xant sind die Vemunftbegriffe (Ideen, s. d.) indemonstrable Begriffe (Krit.
d. Urt. § 57).
Indeterminiert: nicht bestimmt, nicht genötigt.
Indetermlnisnins (absoluter) heißt die Lehre von der (absoluten)
Willensfreiheit Der Wille sei nicht determiniert, ursachlos, unabhängig von
allen äußeren und inneren Ursat^hen, Bestimmungsgründen, mit der Fähigkeit
begabt, sich selbst ganz willkürlich zu bestinmien, das Entgegengesetzte mit
gleicher Freiheit wählen zu können („liberum arhürium tndifferetUtae"). Der
gemäßigte Indeterminisi^us behauptet nur die Wahlfreiheit (s. d.), die Freiheit
des Handelns, die Unabhängigkeit des Willens von momentanen Beizen, die
Bestimmtheit der (spontanen) Willenshandlungen durch die Persönlichkeit. Diese
Ansicht fällt mit dem psychologischen Determinismus (s. d.) zusammen. Vgl.
TVillensfreiheit.
Indlelenbeirels: Beweis auf Grundlage von äußerUchen Anzeichen
für die Tat
Indllferent: gleichgültig.
IndiCerentlsnins : Standpunkt der Gleichgültigkeit bezüglich der
Wertung von Objecten, Erkenntnissen, Handlungen u. s. w. (ethischer, philo-
sophischer Indifferentismus).
IndiCerenss Gleichgültigkeit, Unterschiedslosigkeit Schellinq nennt
das Absolute die jjindifferenx" von Subject und Object, das, was zu beidem die
MögHehkeit hat (WW I 10, 130, 145; vgl. Identitätsphdosophie, Gott). —
y,Indifferemlage" des Grefülüs heißt das Durchgangsmoment im Wechsel
des Gefühls von Lust zu Unlust oder umgekehrt, der Zustand der Gleich-
gültigkeit. Eine Indifferenzlage (Indifferenzpunkt) nehmen schon die Peripa-
tetiker (Alex. Aphrodis. Quaest IV, 14) an, femer Wundt (Grdz. d. phys.
PsychoL II*, 508), Ribot (PsychoL d. Sentim. I, C. 5), Külpe (Gr. d. Psychol.
8. 243 ff.) u. a. Einen Indifferenzpunkt der Wärme- und Kälteempfindungen
gibt es gleichfalls. Vgl. Gefühl.
Indllferena-Iielire heißt die scholastische, von Adelard von Bath
und Walther von Mortaione aufgestellte Lehre, wonach ein und dasselbe
je nach der Betrachtungsweise als Individuum oder als Gattung (Allgemeines)
erscheint, indem im letzten Falle von den individuellen Unterschieden abgesehen
wird. „De eodem Socrate qucmdoque habetur intelleetus non concipienSy
quidquid notat haec vax Socrates; sed Soeratitatis ohlitua, id tayitum peretpit
de Soerate, quod notat idem homOf id est animal rationale mortcdSy et secundum
hoe speeies est . . . respeetu diverso" (Haureau I, p. 346 ff.; Prantl, G.
d. L II, 138 ff.).
IndlCerenapnnkt s. Indifferenz.
504 Individualbegriifb — Individualpftychologie.
IndlTldualbesrilfe siod Begriffe ^ die das Constante, Wesenüiche,
CharakteristiBche eines Individuums, eines einzelnen Gegenstandes, von dem e»
eine Mehrheit von Vorstellungen gibt, fixieren (z. B. der Begriff Napoleons, der
Erde u. dgl.).
IndlTldualf^ffillle sind ,yQefükle, die eine Bexiehung zur SdhsUr-
haUtmg xum Beicußtsein bringen" (W. Jerusalem, Lehrb. d. PsychoL', S. 155,
vgl. S. 156 ff.).
IndlTlduallsleraiiig^ (ontologisohe) s. Individuation. — Eine Indivi-
dualisierung, Herausbildung immer zahlreicherer, bewußterer Individualitäten ist
die Tendenz der geschichtlich-socialen, der Naturentwicklimg (vgl. Euckex»
^Ges. Aufs. S. 19 ff.; L. Stein, Die sociale Frage).
IndlTlduallsiiiOB: Wertung der Individualitat. Der (ontologi^he*
metaphysische Individualismus behauptet die reale Existenz einer Vielheit
von Individuen (=. Pluralismus, s. d.). Der logische Individualismus
meint, es gebe nur Individuelles, nichts Universales, Allgemeines (-= Xomi-
nalismus, s. d.). Der praktisch -ethische Individualismus betont den
Wert des Individuimis als Subject imd Object des Handelns. Die Fördening
der Individualität, der Persönlichkeit, des eigenen und fremden Ich (Egoismus.
Altruismus, s. d.j sei Zweck des sittlichen Handelns. Der Individualismus
tritt in einer eudämonistischen (s. d.) und in einer energistischen (s. d.) Form .
auf. Ethische Individualisten sind: die älteren griechischen Ethiker, be-
sonders die Sophisten, Sokrates, Cyniker, Kyrenaiker, Epikureer^
Stoiker, Plotin, teilweise das Christentum, die Scholastiker, Spinozi,
Leibniz, Chr. Wolf, Holbach u. a. Femer besonders Fr. Schlegel, Stirner
(beide machen das Ich zu einem Absoluten, Selbstherrlichen), Nietzsche,
Mackay, Tolstoi, R. Steiner (Philos. d. Freih. S. 1.54 ff.), S. ScHüLraE
(Alex. S. 12 ff.) u. a. Den Gegensatz zum ethischen Individualismus bOdei
der Universalismus (s. d.). Der historische Individualismus betrachtet
das Wirken großer Individuen („B}minenxen*^) als Hauptfactor, eigentliches
Agens der Geschichte, im G^ensatze zum Collectivismus; es gibt auch
vermittelnde Kichtimgen. Vgl. Individuum.
IndiTldnalltat {iSioTtje: Stoiker) heißt die Eigenheit, Eigenart, Sonder-
art, die Einheit der Merkmale und Eigenschaften eines Einzelwesens, eise»
Menschen, der Individualcharakter. Es kann eine physische und eine psychische,
auch eine ethische Individualität unterschieden werden. Im engeren Sinne ist
eine yJndividtMlität" ein aus der Menge hervorragendes Individuum. Solche
Individualität ist nur innerhalb der Gesellschaft und durch social-histonsche
Entwicklung möglich (vgl. Lazarus, Zeitschr. f. Völkerpsychol. II, 279 ff.».
Nach SULLY ist Individualität „die besondere Anhäufuftg geistiger Merkmale,
welche einer Person ihr eigentümliches Gepräge gibt" (Handb. d. Psychol. S. 442,1.
Vgl. Individualpsychologie, Individuum.
IndlTldualpsjellolOgie bedeutet: 1) die allgemeine Psychologie des
Individuums, die Psychologie des Allgemeinen an jedem Individmun, des Typi-
schen in jedem Individuum, also die gewöhnliche Psychologie im Unterschit»de
von der Völkerpsychologie (s. d.). So bei Wundt, der unter Individualpsycho-
logie die Untersuchungen versteht, „deren Gegenstand die psychischen Vorgänge
des individuellen menschlichen Bewußtseins sind, insofern diese eine typische^
Individualpsychologie — Individuation. 505
fiir das normale Bewußtsein allgemetngiätige Bedeutung besitzen^* (Log. II 2*,
168); 2) die Charakterologie (s. d.; bei J. St. Mill, Ribot, Bahnsen u. a.), die
Psychologie der Individualitat (des Individuellen) als solcher. So bei Galton
(Inquir. into hum. faciüt), E. Kraepelin (Psychol. Arbeit. I, 1895), Dilthey,
BiNST und Henri. y^DifferenticUpsyehologie^^, „Psychologie der individuellen
Differenxen^^ nennt sie L. W. Stern. yyDifferenticU-psychologisch" ist j^diefenige
Betrachtungsu>eise, welche nicht die in aÜen Individuen ghiehen Qesetxmäßigkeiten
des seelischen Geschehens, sondern gerade die Variations formen, in denen seelische
Functionen bei verschiedenen Individuen auftreten können, xum Gegenstände hat*'
(Zeitschr. f. PsychoL 22. Bd., S. 13; vgl. Üb. Psychol. d. indiv. Differenz. 1900
u. Beiträge zur Psychol. d. Aussage 1903). Vgl. Psychologie.
IndiTldaalarteil (Einzelurteil) ist ein Urteil, dessen Subject ein Indi-
viduum, ein Einzelding ist (dieses S ist P).
IndlTiduatlon: Sonderung des Allgemeinen in Individuen, Besonderung
in Einzelwesen. Principium individuationis: das Princip, der Entstehungs-
grund der Existenz von Einzelwesen, von Besonderheiten. Diesen Grund ver-
legt man bald in die Form, bald in den Stoff, bald in deren Vereinigung; bald
in unsem Int«llect (in die Anschauungsformen), bald in den Willen, die
Willenskräfte (Triebe) der Dinge selbst, die sich als Einzelwesen behaupten und
erhalten (idealistische, realistische Auffassung der Individuation). Die In-
dividuation gilt bald als ursprünglich, bald als aus einem ursprünglich All-
gemeinen, Einheitlichen (durch Emanation, Evolution, Differenzierung, y^AbfalV*
ü. 8. w.) entstanden. Vgl. Werden.
Nach Aeistoteles beruht die Individuation auf der Verbindung der
„Form'* (s. d.) mit dem „Stoff e'* (s. d.) zu einem uvvoXov, einem Bestimmten
(t69e T«), wobei aber der Vielheitsgrund im Stoffe liegt {oaa dpid'fi(^ nokXd,
vh^v k'x^r sh yap Xoyoe ^ni 6 avroe nokkatv^ Met. XII 8, 1074 a 33). So auch
Avicenna: „Individtiorum muUiiudo fit amnis per divtsionem materiae^^ (In
Met. XI, 1). „Cmn enim niateria sola principium sit individuationis et niJiil
sit singulare nisi maieria vel per materiam . . ., o?nn€s formas potentia esse in
materia et per motum educi de ipsa** (Prantl, G. d. L. III, 97). So auch
Albertus Magnus. Thomas bezeichnet die „materia signata vel indimdualis*^,
den bestimmten (concreten) Stoff (z. B. haec cames) als ^.principium individua-
tionis* (Sum. th. III, qu. 77, 2). Die „materia sensibus signata"* ist „in-
dividuationis et singularitatis principium** (1 cael. 19 b; Sum. th. I, 3, 2:
„Format, quac sunt receptibiles, in maieria individuaräur per materiam^ qiuie
non polest esse in alio**), „Materia non quotnodolibet accepta est principium
individuationis, sed solum materia signata" (De ente et ess. 2). Nach Bona-
VKNTUEA gibt die Form das „aliquid esse**, der Stoff das „fioe esse** (In 1. sent.
III, 1, 1, 3). „Individitatio est ex communicatione materiae cum forma** (1. c.
III, 10, 1, 3). In die Form setzt die Individuation DuNS ScoTUS. Die Form
macht die „quidditas** zur ,Jtaeccettas** (s. d.) (In 1. sent. 2, dist. 3, qu. 6, 11).
„ünitas individui consequitur aiiqiiam eniitatem aliam deierminantem istam, et
Ula faciet unum per se cum entitate naturae" (1. c. 2, d. 1, 3, qu. 6, 9). Der
Nominalismus (s. d.) setzt die Individuation in das Dasein des Wesens selbst,
nicht in ein Universales, das zum Individuum erst determiniert. Wilhelm
VON OCCAM betont: „Qiutelibet res singularis se ipsa est singularis^ unum per
s&* (vgl Prantl, G. d. L. III, 359 f.). Es gibt in Wirklichkeit nur IndividueUes:
506 Individuation — Individuum.
yjQmnis res poMtiiva extra animani eo ipso est singularis^^ (In l. sent. 1, d. 2,
qu. 7). Wie G. BiEL (In 1. sent 2, d. 3, qu. 1) erklärt Buabez: ^jOnrnü n^
stantia singularis se ipsa seu per entxtaiem suam est sitigularis neque aUo im-
diget individueUtonis principio per suam entitaiem^^ (Met. disp. 5, sct. 6, \\.
Ähnlich Petrus Aukeolus, F. Herveüs (In quodL 3, qu. 9), Grexk>b
VON RiMiNi, Durand von St. P0UR9AIN, Nioolaus Cusanus ^„trf quodlibd
per se sit unum^\ Doct ignor. III, 4), P. Stahl (Oomp. met C. 35), Leibbiz
(De princ. indiv. § 4). Spinoza hingegen betrachtet die Determination (a. d.).
die individuelle Bestimmtheit als „Negatum^^, Einschränkung des Allgemeinen
ft,omnis determincUio est negatio^*). Die Betrachtung des Alls als Summe nw
Individuen ist die Erkenntnisart der y,imaginati&\ nicht d^ speculativen Ver-
nunft. Chr. Wolf: „Per principium individuattonis itUeUtgitur ratio suffi-
cientis intrinseca individui . . . cur ens cUiquod fit s%tigular&' (OntoL § 228 L\.
Nach Eckhart liegt das Individuationsprincip in der raum-zeitlichen Be-
stinuntheit^ im ^^hie et nun&^. Nach Locke ist das Individuationsprincip ,4iat
Dasein seihst^ tceleJies einem Dinge für eine besondere Zeit und Raumstelle be-
stimmt lüird, indem diese xwei Dingen derselbefi Art nicht zugeteilt werden
können** (Ess. II, eh. 27, § 3; vgL Identitatis indiscemib. princ: Kant). Nach
HuMB ist das Princip der Individuation y,nickts als die Unreränderlichkeit
und Ununterbroehenheit eines Gegenstandes tcährend des vofi u$is an-
geno^nmenen Wechsels in der Zeit, vermöge welcher der Oeist dem Objeet in deu
verschiedenen Momenten seiner Existenz nachgehen kann, ohne die Betraehtum^
XU unterbrechen und gexirungen xu sein, die Vorstellung der Mehrheit oder An-
zahl XU bilden" (Treat. IV, sct. 2, S. 268).
Schopenhauer betrachtet (wie der idealistische Pantheismus, s. d.) die
Individuation nicht als metaphysische, sondern nur als empirisch-phänomenale
Tatsache, als Product unserer subjectiven Auffassung des Seins. Raum und
Zeit, die Anschauungsformen, sind „prineipia individuaiionis** (W. a. W. n.
V. I. Bd., § 63). „Wir wissen, daß die Vielheit überhaupt notwendig durch
Zeit und Raum bedingt und Jiur in ihnen denkbar ist, welche wir in dieser
Hinsicht das principium individtuUionis nennen" (L c. § 25). „Die Individuatum
ist bloße Erscheinung, entstehend mittelst Raum und Zeit, welche nichts tteitfr
als die durch mein cerebrales Erkenntnisvermögen bedingten Formen aller seiner
Objede sind; daher auch die VieUieii und Verschiedenheit der Indiridtten bloße
Erscheinung, d. h. nur ifi meiner Vorstellung vorhanden ist*' (Üb. d. GnmdL
d. Mor. § 22). Der „Wille ^um Leben" (s. d.) ist Einheit.
J. H. Fichte verlegt den Individuationsgrund in den Willen. „Das Denkern
ist das Allgemeine, xugleich gemeinsam Machende (der xoivoq Xoyoi) in den
Geistern; der Wille das Individualisierende in ihnen, xugleich der Orund
ihrer iftdividuellen Sonderung^^ (Psychol. II, 79). VgL Vielheit
IndlTldamn (das Unteilbare, gr. azofiov): Einzelwesen, Elinzelnes. Meta-
physische Individuen sind Wesen, die an sich eine von anderen Wesen unter-
schiedene, gesonderte Existenzweise haben. Empirisches Individuum ist jed^
durch das Denken als relativ selbständige, raumliche, zeitliche, causale (£[rafi-)
Einheit Bestimmte. — Die menschlichen Individuen sind in steter Wechsel-
wirkung mit der Gesamtheit, aus der sie sich ursprünglich herausdifferenzieren«
um dann, besonders in den großen Individualitäten („Emineftxen", ,fökrendem
Geistern" f „Heroen") auf die sociale Gemeinschaft zurückzuwirken. Das In-
Individuum. 507
dividuum ist nicht älter als die Gesellschaft, bildet sich nur in ihr aus, wenn-
gleich es einen ursprünglichen Kern hat^ der nicht social, sondern psychologisch-
metaphysisch bedingt ist.
Der Begrüf des Individuums wird schon von Seneca formuliert: y,Quaed4im
separari a quibusdam non possurU, eohaerent, individtta sunt** (De provid. 5).
Porphyr sagt (in der IsagOg.): aio/ia Xiyerai xa roiavra, Sri iS idiOTtjrcar
cwt<rcTiicev ixaarovt (^ t6 a&potGua ovx av in aX).ov rivos noie ro avro
yivono r4»r xara fid^os. BofiTHlus: ^^Dtcüttr individumn, quod omnino secari
ncfi polest j tä umtos vd mens; dicüur indwiduMm, quod ob solidüatem dividi
nequü, ut adamas; dieitar individuum, euitts praediecUto in rdiqua simUia non
eonvenäf ut Soorates** (Comm. zur Isagog. 1570, p. 65). Die Scholastiker
verstehen unter dem Individuum das „ens omnimodo determifiatum^K Thomas:
,^Individuum . . . est, qtiod est in se indistifietum, ab cUiis vero distinetum^^
(Sum. th. I, 29, 4 c). Nach DuNS ScoTUS ist die Individualitat (^jkaeceeäas**)
die y^entitas positiva*^,
Thomasius bestimmt: „hidividimm estj quod constat ex proprietatibuSy
quanttn coüeetio fiumquam in alio eadetn esse potest*' (Eucken, Grundbegr.
S. 187). Chr. Wolf: „Individuum est, quod omnino determinatum est^^ (OntoL
§ 227). jfQuicquid sensu percipimus, sive extemo, sive intemo aut imitgitiamur,
id singulare quid est soletqtte individuum appellari" (Philos. rat. § 43). Nach
J. £b£RT ist Individuum „ein wirkliches oder einzelnes Ding*^ (Vemunftl. § 8).
Plati^er erklart: „Ein Individuum im eng er n Verstände ist ein Korper,
tceleker sich unsem Sinnen darstellt als ein besonderes, meistens auch durch
Gestalt, Größe und Farbe bestimmtes Ganzes" (Philos. Aphor. I, § 215). „Ein
Individuum, im weiteren Verstände ist . , . ein Teil eines gewissen allgemeinen
materiellen Ganzen^* (1. c. § 216). J. E. Erdmaitn nennt Individuum „ein
geistiges Wesen, welches das natürliche Dasein hat, das man Leben nennt** (Gr.
d. PsychoL § 13). C. H. Weisse zahlt das „Individuum^* zu den Kategorien
des Mafies. Es ist ein „Unteilbares, aber nicht Teilloses", „bedingt durch sein
Bestehen das Bestehen der Teile und wird umgekehrt durch die Teile bedingt".
Es ist „ein dialektisch aufgehobenes Quantum" (Grdz. d. Met. S. 216 ff.).
Ulrigi betont, „daß den Exemplaren, wenigstens der höheren Tierarten und
namentlich des Menschengeschlechts, ein ursprünglicher Keim der Individualität
einwohnt, der zwar unter der Gesetzeskraft des Gattungsbegriffs steht und daher
gemäß dem normativen Typus desselben sich entwickelt, aber ihn in und mit
seiner Entwicklung zugleich modificiert" (Qott u. d. Natur S. 597). Nägeli:
„In physiologischer Hinsieht ist da^^enige als iftdividuell zu betracfäen, was
selbständig für sieh leben kann" (Die Individual. in d. Nat 1856). Schuppe
erklart: „Das concret Wirkliche ist das Individuelle . . . Individuum ist
etwas, was nicht etwa tatsächlich, sondern nach seinem Begriffe einzig ist, nur
einmal da sein kann" (Log. S. 79 f.). „Coneretum oder Individuum ist . . .
zunächst nur der von einer Qualität erfüllte Baum- und Zeitteil" (1. c. S. 80;
vgL S. 115).
Nach dem Pluralismus (s. d.) gibt es absolute Individuen. Der Pan-
theismus (s. d.) betont die Relativität, bezw. die Phanomenalität der Individuen
als solcher. Nach Schopenhauer ist jedes Individuum und dessen Lebens-
lauf „nur ein kurzer Traum" des unendlichen Willens zum Leben (W. a. W.
u. V. I. Bd., § 58). Nach Lotze sind alle Seelen individuell verschieden (Kl.
Sehr. I, 242; Met. S. 379). Nach J. H. Fichte wird der Geist Individuum
508 Individuum — Induction.
j,di4rck eigene Tat, durch den ihn individuaiisierenden Trieb (Wtüen/* (PsychoL
I, 140). Nach E. v. Hartmann sind die Individuen yyobfeetiv gesetxie Er-
8cheinungen'\ „gewollte Gedanken des Unbeunißten oder bestimmte WillengatU
desselben'' (Philos. d. Unbew.», S. 599). Nach A. Drews ist die Realität d«
Individuums keine Substantialitat. „/>ßr Kern des Indiridtmms ist der IFÄfe,
aber dieser ist ebensogut zugleich auch Wille eines absoluten Wesens. £ku In-
dividuum ist Erscheinung, aber das Wesen dieser Erscheinung ist in ailen In-
dividuen identisch'' (Das Ich S. 316). Die Individuen sind „dienenek OHedar
xur Vencirkliehung des absoluten Zweckes" (1. c. 8. 320). '— Die relative
Selbständigkeit der Individuen betont O. Caspari. Sie haben etwas rektiv
Undurchdringliches an sich, sind relativ autonom, bilden aber zusammen cid
Weltsystem („ConstitutioncUismus", Zusammenh. d. Dinge S. 431 f.). L. W.
Stern : „Jedes Individuum ist etwas SinguläreSy ein einzig dastehendes, nirgends
und niemals sonst vorhandenes Oebilde. An ihm betätigen sich wohl aetriste
Oesefxmäßigkeiten, in ihm verkörpern sich wohl gewisse Typen, aber es geht
nicht restlos auf in diesen Oeseixmäßigkeiien und. Typen; stets bleibt noch
ein Plus, durch welches es sich von anderen Individuen unterscheidet^ die den
gleichen Gesetzen und Typen unterliegen. Und dieser letzte Wesenskem^ der da
bewirkt, daß das Individuum ein Dieses wid ein Solches, allen anderen <iurckaui
Heterogenes vorstellt; er ist in fachteissenschaftlichen Begriffen wutusdrückbar^
unekusifieierbar, ineommensurabel. In diesem Sinne ist das Individuum ein
Orenzbegriff, dem die theoretische Forschung zwar zustreben, den sie aber nie
erreichen kann; es ist, so kö^nnte man sagen, die Asymptote der Wissenschaft'
(Üb. PsychoL d. individ. Differ. 1900, u. Beitr. zur Psychol. d. Aussage, I. H.,
S. 17).
Der historische Individualismus (s. d.) sieht in den großen Persönlidikeiteii
die eigentlichen Factoren der Geschichte. So z. B." Carlyle, der die „Äsitwi"
aufs höchste vrertet (Heros and Hero Worship 1841). Der extreme Colkcti-
vismus wiederum betrachtet das Individuimi als passives Glied der Gesellschaft,
als Product der f, Umwelt", des „Milieu". So besonders L. Gümplovicz (Gr.
d. Sociol. 1885; Der Bassenkampf 1883). Eine vermittelnde Richtung betoit
die Notwendigkeit des Zusammenwirkens der Individuen, der großen Persönlich-
keiten und der Masses des Milieu (z. B. Eucken, Kampf u. ein. geist LebensinL
S. 278 f.). So bemerkt Wundt : „ Überall wird der einzelne getragen ron dem
QesamtgeistCy an dem er mit alt seinem Vorstellen, Fühlen und WoUen ieä^
nimmt. In den führenden Geistern aber . . . verdichtet sich der gesamte IVoeeß
der zurückgelegten Enitvieklung, um Wirkungen zu erzeugen^ die nun dem Gt-
samtgeist neue Bahnen aniceisen" (Eth.>, S. 491, 458 ff.). Das isolierte Individuum
hat nie existiert (1. c. S. 453). — Am Milieu (s. d.) schafft das große Individuum
selbst (Lindner, Geschichtsphilos. S. 55). Die große Persönlichkeit sieht mehr,
urteilt richtiger, fühlt tiefer, will kräftiger, ist origineller, idealistischer als die
Masse (P. Barth, Philos. d. Gesch. I, 222; Goldfriedrich, Ideenlehre
S. 523 ff.). Vgl. Ding, Gesamtgeist, Individuation, Vielheit, Persönlichkeit
Induction (inaycDyri, inductio) heißt die Methode der Gewinnung all-
gemeiner Sätze durch (Inductions-) Schluß vom Besondern, Particularen aufs
Generelle. Die Induction {„inductive" oder y,analytische" Methode) dient xur
Aufstellung von Gesetzen (s. d.) auf Grundlage der (exacten) Vergleichung einer
Beihe von Fällen, mit Berücksichtigung der „negativen Instanzen" (s. d.), unter
Induction. 509
Anwendung des „Äussehlußrerfahrens^^ (3. d.) und ev. des Experiments, und
mit Heraushebung des für eine Belhe von Erscheinungen Typischen, Begei-
mäßigen, Constanten. Voraussetssung jeder Induction ist die (durch Erfahrung
erhärtete) Denkfordenmg, daß Gleiches (Identisches) sich unter gleichen Be-
dingungen gleich verhalte, d. h. daß die Dinge ihre Natur, ihre substantiale
Wesenheit zu allen Zeiten und in allen Bäumen bewahren, und damit auch
ihre Wirkungsweise. Die Voraussetzung (Forderung) einer Gesetzmäßigkeit
überhaupt liegt aller Induction zugrunde. Die Induction setzt sich zusammen
aus vergleichender Beobachtung, Greneralisation und Verification des Gefundenen.
Da die Inductionen immer nur auf einer b^renzten Zahl von beobachteten
Fällen beruhen, da femer in die Beobachtung Fehler sich einschleichen, Fac-
toren eines Geschehens übersehen werden können u. dgl., so kommt ihnen nur
Wahrscheinlichkeit, niemals absolute, apodiktische Gewißheit zu. — Es gibt
eine „voÜständige^* und eine „unvollständige** Induction („indueiio eompleta, in-
eompleta**, erstere besonders in der Mathematik), eine naive, vage („induetio
per enumerationem simplicem") imd eine kritische, die negativen Instanzen be-
rücksichtigende Induction.
Alß Fortgang vom Einzelnen, Concreten zum Allgemeinen, Begrifflichen
übt das inductive Verfahren bewußt schon Sokbates: Er sucht rovs riTtax-
Tixove Xoyovg xai to oQit^sa&ai %a»6Xov (Aristot., Met. XIII 4, 1078 b 28); isti
TJjy vTiod'eaiv iTtavrJYBV av Ttdvra rov Xoyov . . . ovrot de rcav koyeav inava-
yofjiivonf xal rote dvrtl^yovüiv avrois tfavsQov iyiyvezo rdXrjd'ie (Xenoph., Memor.
IV, 6, 13 ff.; vgl. III, 3, 9). Plato bedient sich desselben Verfahrens, mit
Hinzunahme der V7i69'£ctg (s. d.). Akistoteles definiert die Induction (ina-
yi»yfi) als ^ dno tcSv xad** ixaarov ini rd xa&okov itpoSoi (Top. I 12, 105 a 13).
Der Inductionsschluß (s. d.) wird formuliert. Wissenschaftlich ist nur die voll-
ständige Induction (inayioyrj Sid ndvjtov^ Anal. pr. II 23, 68 b 15). Den Wert
der Induction kennen die Epikureer (vgl. Gompebz. Herculan. Stud. H. 1).
Den Begriff der „induction*^ formuliert Cicero: „Sunt . . . similitudineSy quae
ex pluribus coUatumUms perveniunt, quo volunt^ hoc modo: Si ttäor fidem prae-
Stare debet^ si socius, si cui mandariSf si qui fidueiam aceeperitj debet etiam
proeurcUcr. Haee ex pluribus perveniens quo vult appeUatur induetio^ quae
graece inaytoyri nomincUur^ qua plurimum est usus in sermonibus Soerates*'
(De invent I, 61). „Induetio est oratio, quae rebus non dubiis captat assen-
sianes eius, quoeum instiiuta esty quibus assensianibus faeit, ut illi dubia quae-
dam res propter similitudinem earum rerum, quibus assensit, probetut** (1. c.
I, 31, 51). Geg^ die Berechtigung des inductiven Verfahrens treten die
Skeptiker auf. Die Induction kann nicht alle Fälle berücksichtigen; berück-
sichtigt sie aber nur einige Fälle, so ist möglich, daß der Verallgemeinerung
einige nicht berücksichtigte Fälle entgegentreten (Sbxtus Ebcpibicüs, Pyrrh.
hypot II, 15).
Eine Definition der „induetio*' gibt Bo^mus: yjnduetio est oratio, per
quam fit a partieularibus ad universcUia progressio** (De differ. topic. II, 418).
Nach Thomas (und den Scholastikern überhaupt) wird in der „induetio**
geschlossen das „universale ex sitigularibus, quae sunt manifesta ad sensum**
(1 anal. 1 c). Unterschieden werden „induetio eampleta** imd „incompleta**
(1 anal. 1 d). Nach W. von Occam ist die „induetio** eine „a singularibus ad
unicersaie progressio**, deren Begel lautet: ,ySi omnes singtäae alicuius pro-
posiiionis sint verae, universalis est vera** (Pkantl, G. d. L. III, 418 f.).
510 Induotion.
Erst in der neueren Zeit kommt das eigentliche (nicht bloß begrifflidi-)
inductive Verfahren zur Geltung. Eine Theorie der naturwissensehaftüclien
Induction gibt (der auf Plato sich beziehende) F. Bacok, welcher das sjUo-
gistische (s. d.) Verfahren bekämpft, zugleich aber die echte, wissenschaftliche
Yon der vag-empirischen Induction imterscheidet und auf eine wohlgeoidiiete
„Tafel der hutanxen*^ hohen Wert l^t. y,In logica . . . vtdgari opera fere tuti-
versa circa syllogistnum eonsumitur. De inductione vero diaJectiei rix seri»
eogitasse videniur, levi mentione eatn trantmittentes et ad dispuiandi fonmdos
praperantes, At nos demanstrationem per syllogistnum reieimus . . . hidueUtm^
per omnia et tarn ad minores propositiones, quam ad maioreSf utimur, IndMe-
tianem enim censemus eatn esse demonstrandi formam, quae sensum tuetur ft
naiuram premit et operibus imminet ac fere immiseetur** (Nov. Organ, distr.
op. p. 4). „Seeundum tws axiofnata continenter et gradatim exeOaniur^ ut
nonnisi pastremo loco €ui generaiissima veniatur ... Ät in forma ipsa quoqm
induetionis et iudieio, quod per eam fit, opus longe maadmum fnot?emus, Ea
enim^ de qua dialeetiei loquuntur^ quae proeedit per enufneraOonem siffiplieent^
puerile quiddam est et praecario concludit et pericula ab instantia conin-
dictoria eocponitur et consueta tatitum intuetur; nee exitum reperif* (ib.), ^i-
qui opus est ad seientias induetionis forma tali, quae eaperientiam sohat H
separet et per eocclusiones ae reiectiones debitas neeessario eoneludat^ {ihX
„Spes est una in induetione vera^* (L c. I, 14). „Fiat instruetio et coordifiatie
per tabulas inteniendi idoneas et bene disposiias^* (1. c. 102). „De seientiis
tum demum sperandum est, quando per scaiam teram et per gradus C€mtiHUos
et non intermissos aut hiulcos a particularibus aseendetttr ad axiomata minore
et deinde ad media, alia aliis superiora, et postremo demum- ad generalissimtt
(1. c. 104). „Inductio, quae ad inventionetn et demonstrationem scienJtieu^tm ff
artium erit utilis, naturam separare dettet per reiectiones et exetusiones dfintas:
ac deinde post negativas tot, quot sufficiunt, stiper affirmatiras eoneludere; quod
adhuc factum non est, nee tentatum certe, nisi tantummodo a PiatonCy qui ad
exeutiendas deßnitiones et ideas hac certe forma induetionis aliquatenus utitut*
(1. c. 105).
Eine Definition der Induction gibt die Logik von Port-Koyal: „Indudio
fit, cum ex rerum particularium- nofitia dedueimur in eognitionem reritatif
generica^* (1. c. III, 19). Hume führt die Induction auf Gewohnheit zurück
(Enquir. sct. IV, V). Nach Beid fußt alle Induction auf dem Satze, daß
gleiche Wirkungen gleiche Ursachen haben müssen (Inquir. II, sct. 241
Princip der Induction ist, „tkat, in ihe pkenofnena of nature, what is to be^ tciil
probably be like to uhat Jias been in simHar circufnstanees". Das ist ein Princip
des „comtnon sens^^ (s. d.) (Ess. on the Intell. Pow. of Man VI, eh. 4 i.\
Kant schreibt dem durch Induction Gefundenen nur „comparaitive Allgemein-
keif* zu (s. a priori, Erfahrung) (so auch O. Lebbmann, AnaL d. WiIkL^
B. 235 u. a.). Auf die Voraussetzung der Gesetzmäßigkeit der Natur gründet
die Induction G. E. Schulze: „Haben urir . . . beobachtet, daß ein bejahendes
oder verneinendes Merkmal rieten Einxeldingen einer Art zukomme, so sind irir
in Rücksicht auf das vorausgesetxte gesetzmäßige Verfahren der NatMtr in der
Verbindung getvisser Beschaffenheiten der wirklichen Dinge geneigt anzunehmen,
dasselbe Merkmal werde auch in allen übrigen Einxeldingen der Art torhandm
sein, ob es gleich darin fweh nicht wahrgenommen worden isf^ (Gr. d. allg. LogA
S. 180). Bachmann betont: „Die allgemeine Gesetzmäßigkeit des idealen und
I
]
Indnction. 511
recUen Seins ist , . . ein notwendiges PostuleU unserer Vernunft^ ohne welches
unser ivissensehaftliches Streben sich selbst vernichten trürde^* (Syst. d. Log.
B- 326 ff.). Nach Apelt ist die Induction formell ein disjimctiver Vernimft-
ecUuß. Sie gründet sieh auf einen angeborenen Hang der Vernunft nach
E^iolieit luid Zusammenhang ihrer Erkenntnisse. Die Allgemeingültigkeit der
induedonsmäßig gewonnenen Gesetze beruht auf apriorischen Principien (Theor.
d. Induct. S. 17 ff.). Ahnlich Whewell^ der die Induction auf ,Jundament(d
ideat^^ fundiert, welche das Denken in die Erfahrungen legt (Histor. of the
Ind. Science 1840). Auf die Deduction führen die Induction zurück W. Ha-
lai^TOK (Lect. on Log. I«, 319 f.), Trendelenburg (Log. Unters. II«, 363,
370 f.), LoTZE (Log. § 101 f.). — J. St. Mill erblickt in der Induction das
methodische Fundament alles Wissens (Log. I, 169). Sie ist ,^i^enige Ver*
siandesopercUion, durch welche tcir sehließen, daß dtufenige, tcas für einen be-
sonderen Fcdl (oder Fälle) wahr ist, auch in allen Fällen wahr sein tcird, welche
jefMefn in irgend einer nachweisbaren Bexiehung ähnlich sind^^ (1. c. III, C. 2,
§ 1). Jede Induction laßt sich in der Form eines Syllogismus darstellen, dessen
Obersatz unterdrückt ist und selbst eine Induction ist (1. c. III, S. 364). Die
Induction beruht auf der „natürlichen Neigung des Geistes, seine Erfahrungen
ma ffeneralisieren^*^ (L c. S. 367). Die Voraussetzung, ,,daß der Gang der Natur
gleichförmig ist*', ist das Axiom der Induction, beruht selbst auf einer aU-
gemeinsten Induction (1. c. S. 363 ff.). Nach Jeyons kommt den Inductions-
uiteilen nur Wahrscheinlichkeit zu, indem das inductive Denken nur ein
8peeialfall des Wahrscheinlichkeitsschlusses ist. Die „imperfeet induction^*
„tnerely unfolds the information contained in past Observation or events; it
merely renders eacplieü what tc€u implicit in previous experienee, It transtnutes
knowledge, but certainly does not create knowledge^ (Princ. of Science I, 168 f.);
„tft inductive just as in deductive reasoning, the conclusion never passes beyond
the premisses** (1. c. I, 251). „Naiure is to us like an infinite baüot-box, the
eonietU of whieh are being continuaUy drawnj ball afler bau, and exhibited to
US. Science is but the careful Observation of the succession in which baUs of
various charaeter usually present themselves; we register the combinations, notice
those whieh seem to be excluded from oeeurrence, and from the proportional fre-
quency of those whieh usually appear we infer the probable charaeter of future
drawing"' (1. c. I, 169; vgl. I, 292 ff.). Dagegen erklart G. Heymans: „Die
Wahrscheinlichkeitstheorie ist ein für allemal außerstande, inductives Denken xu
erklären, weil das nämliche Problem, welches dieses in sich birgt,
auch in der . . . empirischen Anwendung jener enthalten ist. Denn
hier, genau so wie dort, geht die Schlußfolgerung über das in den Prämissen
Gegebene hinaus'^ (Ges. u. Eiern, d. wiss. Denk. S. 290 ff.). Die Voraussetzung
von der Unveränderlichkeit des Bestehenden liegt aller Induction zugrunde
(L c. S. 402 f.). Nach B. Erdmann setzt die Induction voraus, daß gleiche
Ursachen gleiche Wirkungen hervorbringen, und daß gleiche Ursachen gegeben
sind (Log. I, 580 ff.). Der Grundsatz der Induction ist ein „Posttdai des
Vorherunssens*' (1. c. S. 586), das sich in der Erfahrung bewährt hat (1. c.
8. 587 ; vgl. S. 569 ff.). Nach E. v. Hartmann hangt der Wert der Induction
davon ab, ,^aß wir eindeutig determinierende causale Bexiehungen xu con-
statieren vermögen" (Kategorienl. S. 298). Induction und Deduction reconstruieren
reale Verhaltnisse ideell, indem sie dieselben aus ihrer ideellen Implication re-
explicieren (1. c. S. 307). Ihre eigenartige Bedeutung für das Erkennen liegt
512 Induccion — Inductives Verfahren.
„in dem leitenden Gesichtspunkt der Ausschließung des Widerspruchs^' (L c
ß. 308). Hagemann betont: ,fDie Orundvoraussetxung für jede ratianeiie In-
duetion ist die Gewißheit, daß in der l^atur, detn eigentlichen Berddu dir
Induetum, Oesetxmäßigkeit herrscht, und daß dieselben Gründe die-
selben Folgen bewirken^^ (Log. u. Noet.«, S. 103 f.). Nach Sigwaät ist
die Induction eine Umkehrung des Syllogismus (Log. II, 402 ff.). Nach
WüNDT ist die elementare logische Form der Induction der „ Verbindunffssekiuf'
(Schluß der dritten Aristotel. Figur). Die inductive Methode sucht erstex
jjiurch eine mannigfach wechselnde Benutzung d&r analytischen und syniheHseken
Methode die DetUungen der Tatsachen xu beschränken^^, yyZweitens nimmt sie
eine einzelne Deutung, die sich ihr als möglich darbietet, hypothetisdi als wirkUck
an, um die daraus sieh ergebenden Folgerungen xu entwickeln und em der &-
fahrung xu prüfen." „Als das Resultat einer Induction ergibt sieh stets ein
allgemeiner Satx, tpelcher die einxelnen Tatsachen der Erfahrung, die xu
seiner Ableitung gedient haben, als specieUe Fälle in sich enthalt. Einen sokkm
Satx nennen wir ein Gesetx. Wie die Constanx der Obfecte unserer Bf-
obachtung die Bedingimg ist für die Abstraction von Gattirngsbegriffen, so üi
die Regelmäßigkeit des Geschehens die Bedingung für die Induction von Qt-
setxen" (Log. II» 22). Nach dem Grade der Allgemeinheit sind drei Stnfen
der Induction zu unterscheiden : „1) Die Auffindung empirischer Gesetx^Cj 2) dv
Verbindung einxelner empirischer Gesetxe xu allgemeineren I^fahrungsges^ien,
und 3) die Ableitung von Causalgesetxen und die logische Begründung der 2U-
sachefi^^ (L c. S. 23). Die allgemeine logische R^el der physikalischen In-
duction lautet: „Unter den eine Erscheinung begleitenden Umständen sind die-
jenigen als wesentliche Bedingungen derselben anxusehen, deren Beseitiffung die
Erscheinung selber beseitigt, und deren quantitative Veränderung eine quem-
titative Veränderung der Erscheinung herbeiführt^^ (1. c. S. 301). Nach SCHCFK
ist die Induction formal ein „Syllogismus mit disjunctivem Obersatx". „Vor-
ausgesetxt ist dabei der Begriff der CatsscUität oder des Zusammengekärens, daß
eine Erscheinung der nottoendige Vorgänger oder Nachfolger oder Begleiter einer
andern ist" (Log. S. 53). H. Cohen bestimmt die Induction im Sinne der
Hinführung auf die allgemeinen Gesetze der Causalitat und des Systesis |
(Log. S. 322). Vgl. C. Gk)ERiNG, Krit. I, 391; E. Dühking, Log. S. 88;
Volkmann, Lehrb. d. Psychol. I*, 5; Lipps, Gr. d. Sedenl. S. 452, Vgl
Methode, Axiom, Causalitat, Gleichförmigkeit. i
Indaetloii8SClilllß (inductiver Schluß) ist der Schluß vom Be^ I
sondern aufs Allgemeine, vom IndlTiduellen, SpecieUen aufs Generelle, Typischf, i
Gesetzmäßige. Was von einer Reihe von Fällen gilt, gilt von der gsozea |
Gattung dieser Fälle: M„ M^, M^ . . . = P | M», M„ M, . . . = S || . Jedes
S = P („Unvollständige" Induction). M„ M„ M, = P | S = M^, M,, M,
S = P („Vollständige^'^ Induction). — Der Inductionsschluß als o ^ äna/eajrfs ;
avXkoyiafiog schon bei Aristoteles (Anal. pr. II, 23). Von den Epikureers I
wird er gewürdigt (s. Induction). Vgl. B. £rdi£ANN, Log. I, 5&4 ff. Un- !
bewußte (s. d.) Inductionsschlüsse gibt es nach Helmholtz (Phys. Opt, S. 602;
Vortr. u. Red. I*, 358 ff.; II*, 233). Vgl. Induction, Object.
IndoctlT (änaxTixws, ARISTOTELES, Phys. IV 3, 210 b 8): durch Id-
duction (8. d.). Inductiver Schluß s. Inductionsschluß.
InductlTes Verfalireii s. Induction.
Ineinander — Inhärena. 513
Ineinander: innerlich notwendig Verbundensein. NachBENEKE
sind uns das Ineinander und Durch-etwas, d. h. das Zusammensein in einem Dinge
und das ursächliche Verhältnis nur gegeben in unserem eigenen Seelensein;
-wir übertragen es dann aui,die Objectvorstellungen (Lehrb. d. PsychoL*, § 149;
Syst d. Met. ß. 165 ff.).
Inesse: Darinsein, Enthaltensein (Bo£thiu8, Comm. zur Isagog. p. 35,
44). „/?ie8«c** = „tn tempore^ in loco csae** bei Abaelard (vgL PRAirrL, G. d.
L. II, 189). jjinesse naiuralüer^^, „tTiease per aeddens^ per se, primo^^ bei
Thomas (Contr. gent. 11, 6).
Inexistens s. Intentional, Object.
Inexponlbel s. Exponibel.
Infinit und indefinit s. Unendlich.
Inflaxns physicns: EinfluJß eines Tätigen auf ein des Erleidens
Fähiges, Übertragung der Tätigkeit von der Ursache auf die Wirkung. Thomas:
fjd quod est in adu, agit in id, quod est in potentia, et kuiusmodi actio dieOur
influxus'* (QuodL 3, 3, 7c). Das ,jSystem des tnfltuous physteut^* behauptet eine
directe Wechselwirkung (s. d.) zwischen Leib und Seele. So die Scholastiker.
Femer Desgartes, der aber die y.assistentia Dei*' (s. d.) zur Ergänzung seiner
Theorie heranzieht Am Influxus halten fest Büdigeb, Eitdtzen, Baümgarten,
Cbusiüs, Günther, in modificierter Weise auch J. H. Fichte u. a. —
Gegner des Influxus sind die Occasionalisten (s. d.), Spotoza, Leibniz,
der yoD der Influxustheorie bemerkt: j^Cest eacher le miracle sous des paroles,
<iui ne signifient, rien** (Gerh. III, 354). Auch Kant ist Gegner der Theorie
vom übergehen des Zustandes der tätigen auf das leidende Ding. ,^ in hoc
^uidem consistit influxus physiei tt^cotov \pevSos, secundum tftägarem ipsitts
■sensum : quod commereium substantiarum et vires transeunies per solam ipsarum
existertiiam affaiim eognosdbües temere sumai, adeoque non tarn sit systema
'Oliqtiod, quam potius omnis systemcUis phüosophicij tanquam in hoc argumento
-super fluij negleetus** (De mundi sens. sct. IV, § 17). Nach Lotze gibt es kein
Übergehen eines Einflusses von emem Dinge zum andern (Mikrok. IIP, 480).
VgL Dualismus, Wechselwirkung, Harmonie, Causalität.
Informatio: Beformimg, Stoffgestaltung durch die f,Form** (s. d.)
welche den Stoff zu einem besonderen Dinge macht: Scholastik (Wilhelm
TON Champeaüx u. a.; vgl. Prantl, G. d. L. II, 130).
InlillrenK (inhaerere, anhaften) heißt das Verhältnis der Accidentien
(s. d.) zur Substanz (s. d.), der Eigenschaften zum Dinge. Die Accidentien
„inhärieren** der Substanz, yjtafien^^ ihr an, sind von ihr ,^etragen". Das In-
härenzverhältnis hat sein anschauliches Urbild im Verhältnisse der Erlebnisse,
Zustande eines Ich zu diesem selbst. „Inhaerere est existere in aliquo, ut in
stibiecto, a quo habet aettuUem dependentiam inhaesivam; aceidens esse in sub-
ieeto per intimam praesentiam" (Goclen, Lex. philos. p. 242 f.). Nach HüME
^bt es keine Inhärenz; die Perceptionen bedürfen keines Trägers (Treat. sct 5).
Kant erklärt: j^Wenn man . . . diesem Realen an der Substanz ein besonderes
Dasein beilegt (x, B, der Bewegung^ als einem Aeddenx der Materie)^ so nennt
man dieses Dasein die Inhärenx, zum Unterschiede vom Dasein der Substanz^
4as man Subsistenx nennte* (Er. d. r. Vern. S. 178). Hebbart sieht im In-
Philotophischet Wörterbuch. S. Aufl. 33
514 InharenB — Innen^Brelt.
harenzverhältnis einen WiderBpruch (s. Ding). Nach Schuppe ist die Substanz
(s. d.) das Inharenzverhältnis selbst (Log. S. 33). Vgl. Ineinander.
Inlialt des Begriffs (B^rif&inhalt, s. d.) ist der Complex der dnrrii
den Begriff umspannten, fixierten Merkmale {y,eomplexu8 notarum^*). Xach dem
Inhalt unterscheidet man einfache und zusammengesetzte Begriffe. —
AkistoteLES spricht vom iwTta^stv iv rip koyip t^ ti icxi Ifyom (AnaL
post 14, 73a 35; Met. VII 10, 1034b 20 squ.). Kant erklärt: „iXn jeder
Begriff, als Teilhegriff, ist in der Vorstellung der Dinge enthalten" und hat
insofern einen Inhalt (Log. S. 147). Fries: „Die Teiivar Stellungen, wdeke w
einen Begriff gehören, machen seinen Inhalt oder seine intensive Größe aux*'
(Syst. d. Log. S. 103). Herbabt: „fla^ ei/n Begriff mehrere Merkmale, so Imßei^
diese xusammengenommen sein Inhalt" (Hauptp. d. Log. S. 106). Nach Dso-
BISCH ist der Inhalt „(fte Gesamtheit der in bestimmter Ordnung durch Däer-
mination miteinander verbundenen Merkmale" (N. Darst. d. Log.*, § 25).
B. Erdmann versteht unter dem ,Jnhalt eines Gegenstandes^^ „die ihm eigene
Gesamtheit der Merkmale" (Log. I, 129), im weiteren Sinne den „Ltbegri/f aller
seiner mögliehen Prädicate" (ib.). Die Beziehung der Merkmale zum Gegeo-
Stande heißt „logische Immanenx" (ib.). Im Inhalt liegt das Wesen des Gr^en-
Standes (1. c. S. 130). Vgl. Umfang.
Inlialt der Elnipiliidiiiis {idiov bei Aristoteles, De an. II 6, 418 a
11) s. Empfindung, Qualität.
Inhalt der VorateUnn^ ist der Inbegriff des wirklich Yoi^esteUtou
Bewußten. Es ist, nach Meinong, nicht der Gegenstand, sondern das, „worin
Vorstellungen verschiedener Gegenstände unbeschadet ihrer Übereinstimmung im
Acte voneinander verschieden sind" (Üb. Gregenst. höher. Ordn., ZeitBchr. L
Psychol. 21. Bd., S. 188). Der Inhalt existiert, ist real, auch wenn der durch
ihn vorgestellte Gegenstand nicht real ist (ib.). Vgl Object, Transeeodecx
(TWARDOWSKY, ÜPHUES).
Inhalt des BewoOteelns (Bewußtseinsinhalt) s. Bewußtsein.
Inhalte, ftuidierte = Gestaltqualitäten (s. d.).
InhaltsgefRlile: vgl. Lehmann, Hauptges. d. menschL CreföhlslebL
S. 342 ff.
Inhaltelogik s. Logik.
Inhaltstheorien des Urteils s. Urteil.
Innen imd außen (s. d.): zwei auch erkenntnistheoretisch-metaphysisch
verwendete Begriffe, „hmen" = im Bewußtsein, „außen" = unabhängig vom
Bewußtsein. „Innen" bezieht sich auch auf das Innere, das Eigensem eine»
Wesens.
Innenselns das innere, eigene oder An-sich-Sein eines Wesens. VgL
An-sich. — „Inneres Seelensein" nennt Beneke den Inbegriff psychischer An-
lagen, Dispositionen u. dgl. (Lehrb. d. Psychol.', § 150).
Innenwelt (intramentale Welt) wird von der Außenwelt (s. d.) unter-
schieden und bedeutet: l)'den Inbegriff aller Bewußtseinsgebilde im G^geo-
satze zum Extramentalen (s. d.), 2) den Zusammenhang von subjectiv-psychischen
Erlebnissen (Gefühle, Erinnerungs- und Fhantasiebilder u. dgL). VgL Object»
Introjection.
Innere Beobachtung — Instinct. 515
Innere Beobaclitans 8. Beobachtung.
Innere Drfalimng, fFalimehninnff s. Erfahrung, Wahrnehmung.
Innerer Sinn s. Sinn.
Inneres s. Äußeres. Nach (jOETHE gestaltet sich das Innere an dem
Aufieren. y^Nickis ist drinnen, nichts ist draußen. Denn tcas innen, das ist
außen.*^ G^en A. V. Hallebs : „Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener
Oeüt. Glüekselig, toem sie nur die äußere Schale weist^^ betont Goethe, Natur
sei „aües mit einem Male^\ Kern und Schale, „ht nicht der Kern der Natur
Mensehen im Herxen?" (WW. II, 237; vgl. Euckebt, Ges. Aufs. S. 73 ff.).
Hegel: ,Jndem das Innere der Natur nichts anderes als das Allgemeine ist:
so sind toir, wenn wir Gedanken haben, in diesem Innern der Natur bei uns
selbst*' (Naturphilos. S. 22).
Innere Spraebform s. Sprache.
Innere 'Wabmelunnng^ s. Wahrnehmung.
Innervation s Nervenerre^ung, Erregung eines Organs durch Nerven.
Innerratfonsempflndung^ (nerve-sensation): die Empfindung der
Innervation (s. d.), die eine C!omponente der Bewegnngsempfindungen (s. d.)
bilden soll. So Bain, Helmholtz, Wundt, Mach. Dagegen Volkmann
(Lehrb. d. PsychoL I*, 291), Ziehen (Leitfad. d. physioL Psychol.*, S. 51),
W. James (Princ. of PsychoL II, 493 ff.) u. a,
In-Bieli*sein („in se esse"): das Sein der Substanz (s. d.).
Inspiration s geistige Eingebung, innere Offenbarung, Begeisterung.
Instanz {(fvaraais, instans, instantia): Einwand gegen ein Urteil, gegen einen
(Inductions-) Schluß, Ausnahme von einem inductiv gewonnenen Gesetze (vgl.
Bachmann, Syst. d. Log. S. 337), Fall. — Aristoteles: ivüiaais ^iarl ur^o-
ractg n^oxaesi ivatTla (Anal, prior. II, 28; II 26, 69 a 37). Nach Goclen ist
„instans'' „propositio contraria propositioni propositaef' (Lex. philos. p. 245). —
F. Bacon unterscheidet dreierlei Instanzen bei der Induction (s. d.): „instantiae
positivae, negativae (exclusivae), praerogtUivaef' (die „instantia crueis" ist von
besonderer Wichtigkeit) (Nov. Organ. II, 12 ff., 31 ff.). Eine ganze Beihe
specieller Instanzen zahlt Bacon auf. VgL J. St. Mill, Log. I*^ p. 451 ff.,
508 ff. Vgl. Methode, Praerogativ.
Instinct (instinctus, Antrieb) ist (subjectiv) eine Art des Triebes (s. d.),
eine Eegsamkeit des psychophysischen Organismus, die, ohne Bewußtsein
(Wissen) des Endzieles, eine zweckmäßige Handlung (Bewegung) einleitet. Der
Instinct beruht auf einer Anlage (s. d.) des Organismus, die als Product von
Willens- und Triebbetatigungen früherer Generationen und der Vererbung jener
aufzufassen ist Die Instincthandlungen sind mehr als mechanisch, sie
sind zwar nicht Object des Bewußtseins, aber doch Bewußtseinsfunctionen von
geringer Klarheit, (generell) mechanisierte (s. d.) Willensvorgänge. Sie gehen
von inneren Beizen, Impulsen aus, welche teilweise von außen ausgelöst werden.
Die individuelle Erfahrung ist nicht ohne Einfluß auf die Modification der
Instincte, die sich oft mit eigentlichen Trieb- oder Willenshandlungen ver-
binden. Neben den individuellen, selbstischen gibt es sociale Instincte.
Die Instincte gelten bald als unbewußte Intellect- und Wlllenshandlungen,
bald als bloße Reflexbewegungen, sie werden bald einer universalen Vernunft
33*
516 Instinot.
zugeschrieben, bald als Producte individueller Erfahrung und Gewohnheit, bald
endlich als vererbte mechanisierte Triebe und Dispositionen betrachtet — Im
weitesten Sinne heilet yjnsiinct^^ die „Spürkrafl^^ des Geistes.
Über die Instincte der Tiere handelt schon Seneca (Epist. 121). Vom ,,tii-
sitnctus naturae^^ (Naturtrieb) sprechen die Scholastiker (vgl. Tbobcas, Coatt.
gent III, 75). Hekbebt yok Chekbuby betrachtet den „instinctiia naturalis
als subjective Quelle teleologischer oder Wertbegriffe. „Instindua fuUurales
sunt actus faeuUaium ülarum in omni hamine sano et vnJUgfro exisientium, a
qutbus eommunes iüae notitiae circa analogiam rerum intemam, cuiusmcdi sunt,
quae circa causam, 7nedium et finem rerum bonorum, malum, pulchrum, graUm
etc. . . . per se etiam sine discursu conformaniur'* (bei Ritter, Gesch. d. PhiloB.
X, 406). Shaptesbubt bemerkt: „The u^orld iwnate let us change üj ifyou
will for instinct, and call instind, (hat naiure ieaches, exclusive of ort, eulture
or diseiplinef^ (The Moral. III, 2). Reid erklart: ,fiy instinct, I mean a na-
tural impulse to certain actions, tcithout having any end in view, withmU ddi-
heration, and very withoui any conception of what we do" (On the act. pow.
III, 2) Nach BiLFiNGEB ist der „instincius naturalis^^ „speeies appetitus sen-
sitivi et aversaiionis ea, quam sine eonsdentia sui eoncipimus*' (Diluc. § 292).
Kant versteht unter Instinct „ein gefühltes Bedürfnis^ ettcas xu tun oder km
genießen, wovon man noch keinen Begriff hat^^ (Belig. S.28), „die innere Nötigung
des Begehrungsvermögens xur Besitznehmung dieses OegenstandeSy ehe nutn ihn
noch kennt^' (Anthropol. I, § 78). Nach C^R. E. Sohmid ist der Instinct un-
erklärbar (Empir. Psychol. S. 387; vgl. S. 351). Jacob erklart den Instinct
als ^^Erregbarkeit des Begehrungsvermögens durch das bloße OefuM^^ (Gr. d.
empir. Psychol. § 223). Nach George ist der Instinct die „Gesamtheit der
Bewegungen, insofern sie durch den Affeci bestimmt und geregelt iverden^^ (Lehrb.
S. 171)
G. E. Schulze definiert: „Ist mit dem Naturtriebe eine Vorstdlung oder
Ahnung dessen, was dem gefühlten Bedürfnisse abhilft, schon auf angebor&te Aft
verbunden, so wird er Instinct genannte* (Psych. AnthropoL S. 411). Nach
Eschenmayer ist Instinct oder Trieb (s. d.) „olles, was als innere Nötigung
und Aufforderung in uns vorkommt** (Psychol. S. 44). *Nach Bürdach ist der
Instinct unbewußte Äußerung der Lebenskraft, „organische SelbsterhaUung im
psychischer Form'' (Blick ins Leb. I, 206 f.). Nach Schopenhauer ist der
Instinct eine unbewußt-zweckmäßige Tätigkeit des Naturwillens (W. a. W. o.
V. II. Bd., C. 27). Die Instincthandlungen gehen aus einem inneren Trid)
hervor, welcher aber „seine notiere Bestimmung, im Detail der einxelnen
mm ——^
Handlungen und für jeden Augenblick, durch Motive erhält^* (Üb. d. Freili. d.
Will. III). K. G. Carus definiert den Instinct als die „sieh unbewußt em-
bilflende oder abbildende Ide^* (Vergleich. Tierpsychol 1866, S. 59 f.). Nach
Han^usch ist der Instinct „das der unangenehmen Empfindung entsprechetuk
Streben, sie selbst aufzuheben (xu negieren/' (Handb. d. Erfahrungs-Sedenl S. 49)b
Jede Art des Instincts ist eine besondere Weise des Strebens nach Lebens-
erhaltung (1. c. S. 50). Nach J. H. Fichte ist der Instinct „ein durch aprith
risches und eben darum bewußtlos bleibendes Vorstellen geleiteter Trieb'* (Zui
Seelenfr. S. 29), ,,vemunflvolles, aber vorbewußtes Wollen** (PsychoL II, 41 ; vgi
II, 22, 80 ff., 128 ff.). Ein System von Instincten liegt im Menschen schoa
vor dem Bewußtsein, als Quelle des Apriorischen, als das Apriorische selfaei
bereit (1. c. II, 155; vgl. Anthropol. S. 471, 473). E. v. Haätmakn sieht in
Instinct. 517
Instincte ein bewußtes Wollen des Mittels zu einem unbewußt gewußten Zweck
(Philos. d. Unbew. I^'', 76). Nach Carxeri ist der Instinct „ein Denken auf
dem Standpunkt der bloßen Empfindung^^ unbewußtes Denken (Sittl. u. Darwin.
S. 47). Er ist „das Bewußtsein an sich in unterschiedsloser Objecitvität"
(L c. S. 51). Es gibt eine Anpassung, Selection, Vererbung der Instincte (L c.
S. 49). — Volkmann versteht unter dem Instinct ,Jene organische Präfor-
mation, infolgederen ein bestimmter Trieb sich in eine bestimmte Leibesbewegung
ohne Vermittlung einer klar vortretenden Vorstelltmg in constanter Weise um-
setxt^* (Lehrb. d. Psychol. II*, 438). Nach Frohschammeb ist der Instinct
jfiie von Natur (Oeburt) aus innewohnende Befähigung der lebendigen Wesen,
ohne vorangehende Erfahrung und ohne Unterweisung das xu tun, was der Trieb
. . . erfordert. Instinct ist lebendig gewordene und über das Individuum dem
Baum und der Zeit nach hinausreichende teleologische Einrichtung des Tieres",
j^noch unfreier Verstand" (Monad. u. Weltphantas. S. 30). Nach A. DÖRING
ist der Instinct „der in der unbewußten Taxierung seines VermJögens, in der
unbewußten Wahl der Mittel und der unbewußten Umgehung der Hindernisse
unfehlbare und daher stets erfolgreiche Trieb" (Philos. Güterlehre 8. 190).
0. Schneider: „Instinct ist das psychische Streben nach ArterhaÜung ohne
Bewußtsein des Zweckes von diesem Streben" (Der menschl. Wille S. 109).
EREiBia definiert die Instinct« als „das Willenscorrelat von Bewegungen, bei deren
Zustandekommen der biologisch niitxlicfie Zweck unbetcußt bleibt, aber die Ver-
anstaltung der Beioegungen und xum Teil auch die Wahl der Mittel mit Bewußt-
sein erfolgte* (Werttheor. S. 76). Es gibt Instincte der Belbsterhaltung und
solche der Arterhaltung (1. c. 8. 77). Vgl. Lotze, Medicin. PsychoL 8. 534 ff.
Auf Grewohnheit und Erfahrung führt den Instinct Hüme zurück (Treat.
in, sct. 16). Die Vernunft (s. d.) ist ein wunderbarer „Instinct" unserer Seele,
der uns von Vorstellung zu Vorstellung leitet (ib.). Condillac bestimmt den
Instinct als „moi d'habittM^ (Trait. des anim. 5). Auf die Gewohnheit bezieht
den Instinct Rknotjvier (Nouv. Monadol. p. 83). — Zur Erfahrung und Asso-
ciation bringt Er. Darwin den Instinct in Beziehung (Zoonom.), zur Gewohn-
heit CuviER. Auf vererbte Gewohnheiten führt die Instincte Ch. Darwin
zurück (Entsteh, der Art. S. 217). Diese Gewohnheiten entstehen durch natür-
'liche Zuchtwahl (ib.). H. Spencer bezeichnet die Instincte als „zusammen-
gesetzte Beflexiätigkeiten" (Psychol. I, § 194, 8. 451), CJombinationen von Ein-
drücken, auf welche Combinationen von Zusammenziehungen folgen (1. c. 8.453).
In den höheren Formen des Instincts besteht wahrscheinlich ein rudimentäres
'Bewußtsein (ib.). Die Instincte sind Producte wiederholter Associationstendenzen
in den Generationen (1. c. § 196, 8. 458 f.). Der Instinct ist „eine Art von or-
ganisiertem Oedächtnis" (1. c. § 199, 8. 465). Nach Preyer ist der Instinct
'ein „vererbtes Gedächtnis" (Seel. d. Kind.», 8. 186), nach Eimer eine „vererbte
^Oewohnheitstätigkeit^' (Entsteh, d. Art. I, 240); vgl. G. H. Schneider (Der
tier. WiUe 8. 146; Der menschl. Wille 8. 68 f.). W. James nennt den Instinct
„a mere eocdtomotor imptdse, due to the preeadstence of a certain ,reftex ar&
f» the nerve-centres of the ereature^'^ (Princ. of Psychol. II, 391). Der Instinct
Ist „tßie faeulty of aeting in such a way as to produce certain ends, without
foresighi of the ends, and unthout previous education in the Performance^^ (1. c.
n, 383; vgl. p. 385, 389: Variabilität des Instinctes). Nach Ziehen sind die
Instincte „sehr complicierte, aber . . . außerhalb des Vorstellungslebens sich voll-
518 Instdnot — Intellect.
Mehende Refleoce" (Leitfad. d. physioL Psycliol.*, 8. 12). Viele Instincte and
aber „automaiische Aetef^ (1. c. 8. 13).
Nach Fechneb ist es walirscheinlich, ^^daß auch die Natur die insiincHven
Fähigkeüen und Fertigkeiten ihrer Tiere erst erlernen mußte y mit Bewtifitseitt
erlernen mußte, um sie naehher mit halbem ünbetcußtsein anzuwenden*' (Zend.Av.
I, 280). Auf Einübung, Vererbung und Mechanisierung des Eingeübten beruht
der Instinct nach L. Wilseb (Die Vererb, d. geist. Eigensch. 8. 9), Lbwibs
(yylapsing, of intelligenee^') Bomanes ((jeist. Entwickl. 8. 24), Ribot („eonseienee
Steinte", L'h^r^d. peychol.', p. 19), 8. Exneb (Entwurf ein. physioL EbrkL d.
psych. Erschein. I), besonders nach Wxtndt. Nach ihm sind die Instincl-
handlungen „Bewegungen, die ursprünglich aus einfachen oder xusammengesetzien
WHiensaeten hervorgegangen, dann aber toährend des individuellen Lebens oder
im Laufe einer generellen Entwicklung vollständig oder teilweise mechaniaiai
toorden sind", 8ie sind automatisch gewordene psychische Leistungen, die aba
teilweiBe unter dem Einflüsse von Motiven stehen. 8ie sind das Besultat der
Arbeit zahlloser Generationen. Der Vervollkommnung sind sie fähig. Durch
Empfindungen und G^efühle werden sie ausgelöst; im Nervensystem sind fertige
Dispositionen zu zweckmäßigen Bewegungen vorhanden (Grdz. d. physioL PsycboL
II*, 510 ff., 591, 594; Essays 8, 8. 217; Vorles.«, 8. 422, 429, 437; Syst d.
Philos.^ 8. 590). Die Instincte sind „Triebhandlungen", ,J)ie pJtysiologiadten
Ausgangspunkte der für die Instincte vornehmlich maßgebenden Empfin-
dungen sind . . . die Nahrungs- und die Fortpflan»ungsorgane. Demnach laswen
sich wohl alle tierischen Instincte schließlich auf die beiden Klassen der Nah-
rungs- und der Fortpflanxungsinstincte xurückführen" (Gr. d. PsychoL*.
8. 338). jyBei allen Ihstincten gehen die individuellen IHebhandltmgen von
äußeren oder inneren Empfindungsreixen aus. Die Handlungen selbst sind
aber den Trieb- oder einfachen Willenshandlungen xuxurechnen, weü besinnmte
Vorstellungen und QefüMe als einfache Motive ihnen vorausgehen und sie be-
gleUen, Die xusammengesetxte, auf angeborener Anlage beruhende Beschaffenheit
der Handlungen läßt sich hierbei nur aus generell erworbenen Eigenschaften des
Nervensystems erklären, infolgederen auf gewisse Reixe sofort und ohne in-
dividuelle Einübung angeborene Reflexmechanismen ausgelöst werden" (L c.
8. 339). Es gibt individuelle imd sociale Instincte (Eth.*, 8. 109). Ähnlich
KüLPE (Gr. d. Psychol. 8. 340), W. Jebüsalem (Lehrb. d. PsychoL«, S. 187 f.)
u. a. Vgl. A. J. Hamlin, An Attempt at a PsychoL of Instinct, Mind VI, 1897,
p. 59 ff.; Fouillee, L'Origine deP Instinct; Jgdl, PsychoL 8ully, Mind VI.
Die ürsprünglichkeit socialer Instincte (Triebe, Neigungen) betonen GBonrs,
BoDiN, Shaftesbuby, Hutcheson, Clabke, Wollaston, Hume, A. Smtth
u. a. (vgl. 8ocial). VgL Trieb.
IntegTAtion s. Evolution (H. 8pexceb; vgl. PsychoL § 36 f.).
InteUect (intellectus): Verstand (s. d.), Vernunft (s. d.), Geist (s. d.),
Denkkraft, Denkprincip, subjectiver Logos, vernünftiges Bewußtsein. Der In-
tellect ist nicht etwa ein besonderes Vermögen neben dem Willen (s. d. u.
Voluntarismus), sondern dieser betätigt sich schon in ihm (als active Apper-
ception, s. d.). Das Verhältnis des Intellects zur 8innlichkeit, ErMoting be^
treffend, vgl. 8ensualismus, Empirismus, Bationalismus.
Die Lehre vom zweifachen Intellect {yovg) begründet Aristoteleb. Es
fußt diese auf der Unterscheidung von Stoff und Form, Svvafiis (Potenz) and
InteUeot. 519
ivä^eia (Wirklichkeit). Der ^jmssive^' Intellect (vovg nad'r^'tiKos) ist die Ein-
heit der Vemunftanlagen, der ^^tivef^ Intellect aber die actuelle Verwirklichung
<lieser, zugleich die geistige Yerwirklichungskraft (Wirklichkeit und Wirksam-
keit). Der active Intellect ist bewußtmachende, formale Denkkraft, er gleicht
^em Lichte, welches die potentiell yorhandeoen Farben zu wirklichen Farben
macht (De an. III, 5). ^Ensl S*SansQ iv aTrdar} zfj fvae^ ioti ri ro fiiv vXrj
i%a<rr<p yevs& . . ., Srs^ov 3i ro atnov xai Ttoirfrueov, zif nouiv ndvra, olov rj
Ttxvri n^og rijv vXtjv ninov&av^ dvdyxri xal iv t^ V^^XV vff«f/€*«' ravras ras
dta^o^s* leal iar&v 6 fiev roiovzog vave z(f ndvxa yivaad'aL, 6 de T<p ndvxa
noUl, m Sitg TK, olov ro fwg (De an. III 5, 430a 10 squ.). Der erleidende
Intellect ist vergänglich, der active aber unsterblich, ^frenrnbrn^^ y^n^^ {xal
-ovros b vovg ;|fa»(»«(rT08 nal aTta&^g xai dfuyi^g, r^ ovaiq dfv ivi^eia . . . ttal
ravro fiovov d&dvarov xal dtStov . . , 6 Si na&ririxbg vovg tp&agrog, ib.). Be>
züglich der Natur des activen Intellects sowie seiner Stellung zum Individuum
(ob individueller, ob universaler Geist) bestehen verschiedene Deutungen. Theo-
PHRA8T rechnet ihn dem Menschen selbst zu, Eudemus leitet ihn aus Gk>tt
ab (Hinweis auf das vovv /i6vov d'vQa&av iTtetgtävat xal d'sXov atvai fiovov,
Aristot., De gen. et corr. II, 3) (Themist., Paraphr. de an. f. 91 ; Eth. Eudem.
VII 14, 1248a 25; vgl. Beentano, Psychol. d. Aristot. S. 5 f.). — Beentaiio
deutet den activen Intellect als bewuJßtlos wirkende Denkkraft (1. c. S. 73).
Siebeck erklart: ,,Wie das Lieht das Sehen bedingt^ so macht der tätige oder
leidenslose vovg das bewußte Denken, Wie ein und dasselbe abwechselnd DunkeU
heit und Licht ist, so ist der vovg bald bloße Möglichkeit des bewußten begriff-
lichen Denkens j bald tätige Wirklichkeit und Bewußtheit seiner Inhalte" (Gesch.
d. PsychoL I 2, 67 f.). Er ist mit einer Tafel zu vergleichen, die sich selbst
beschreibt (1. c. S. 68, Hinweis auf das y^aufiarelov. De an. III, 4). Der
passive Geist ,jbesteht in nichts anderem als darin, daß die Begriffe, die beim
wirklichen Denken dem Bewußtsein aufleuchten, auch außerhalb dieses acOven
Verhaltens (als unbewußte Inhalte) in der Seele vorhanden sind, um je nach
Umständen auf Anregung durch die äußern Eindrücke unter der Wirkung des
./xetiven* Geistes beim Denken in Action xu treten" (Aristot. S. 82). Nach
Bender verhalt sich die passive Vemimft nicht passiv gegenüber der activen,
die ihr nichts mitteilen kann als die formale Tätigkeit, sondern „gegenüber der
Mannigfaltigkeit der Bilder, welche die körperliche Welt in sie hineinwirft und
die sie eben mit Hülfe der activen ordnen soll" (M. u. M. S. 179). Nach Übeb-
weg-Helnze wirkt der active vovg, direct oder vermöge des von ihm stammen-
den und den Dingen immanenten votjrov, „auf die Vemunftanlage in uns oder
passive Vernunft ein und erhebt die potentiell in ihr liegenden Gedanken xu
aetuellen'* (Gr. d. Gesch. d. Philos. I', 261). Weitere Deutungen bei Zellee,
Tbendelekbubg, Benan, Bavaisson u. a.
Alexander von Aphrodibias sieht im vovg noitjrtHog (der Terminus stammt
von ihm) den göttlichen Geist, der den potentiellen Intellect des Menschen
actnalisiert (De an. I, f. 139b; vgL 144). Im Menschen wird unterschieden:
der vovg iXtxug (tfvaMog), der vovg iTtixrfjrog (nad^ Siiv), d. h. der auf Grund der
Yemunftanlagen erworbene Intellect: 6 9e Bwdfisi vovg S ix^vreg yivofud'a . . .
vlixog vovg xaXairai re xal i'artv xai 6 fiev tpvaixog ra xai vlixog iv ndai rolg
jifj nenfiQOiftdvoig r^v 8iafo^dv ^on^, xa&oaov ol fidv tlatv ev^v^are^ot rcjv
dv^^cintov ol Bi dqwiare^ot , , . 6 3s inlxrr^rog re xal vars^ov iyyiyvofuvog
xal elBog xal (^ig wv xal rskeiorijg rov ywaixov ovxir iv näaiv, aXX iv rolg
520 Intdlleot.
acxfjaaci TS xai fiad'ovmv (De an. I, f. 138a; ygL 144b). Ähnlich lehrt
Thebostius. Bei den Scholastikern finden sich die Ausdrucke: f^inteUeduB
agens (aettvus), separatusy pcUiens, passibilis, adepius, reeeptus, aequUüuSy infusH»,
appetitwus (= vovs o^exriMog, Aristot, Eth. Nie. VI 2, 1139b 4; Thomas,
Sum. th. I, 83, 3 c), ^flnaierialisy habitualisy acHiolts^' (vgl. Siebeck, Gresch. d.
PsYchol. I 2, 438). Alfababi spricht vom „irUellecius agens^*, „iUam fanimamß
in actum perducens^* (Font, quaest. 41). ^ylüe inteUectus, a materia separatuSf
post corporis mortem permanet" (1. c. 8. 21). Auch vom „intellecius adepbts
seu rec^ttts'* ist die Bede (vgl. De intell. p. 52). Avicenna unterBchddet
„intetteetus infusus^* und „(tdeptus*', „Advenitmt formae vel speeieä mieUigibiies
in intdlectu possibüi dtu>bu8 modis adventus: quorufm unua est infusio rd
manatio divina absqtte dodrina et ahsque aequisiiione et sensibus, sieut in-
tellectiones primorum prindpiorum, sicut inteÜigere vel assentire, quod totum est
maitis parte etc. (= angeborene, apriorische ürteüskrafty Evidenz der DenkgeseixeK
— Et secundtts modus est cum aequisiiione mediante rationali discarsu out
cognitione demonstrativa^^ (De an. 8). Nach AyerboSs gibt es in allen Wesen
nur einen (göttlichen) activen Intellect (y^umim in omnibus hofninibus^*}.
jyBkoistimandum est in anima tres partes irUeUectus. Prima est ipse intdledus
redpiens, secunda vero ipse agens, tertia vero est inteüectus adeptus. Et horum
duo quidem stmt aetemi, nempe agens et redpiens, tertius vero est partim, gene-
rabüis et corruptibilis, partim vero aetemus . . . Ex hoc dieto nos possumus
opinari intellectum maierialem esse unicum in cunetis ittdividuis" (De an.
f. 165 a). Der potentielle Intellect ist „une chose composie de la dispoaition^
qui eooiste en nous, et d'un inteUect, qui se Joint ä eette disposition, et qui, en
tant qu'il y est Joint, est un intellect, predispose (en puissance) et non pas tm
intellect en acte en tant qu*il n'est plus jdnt ä la disposition^^ (MüXK, M^
p. 447). Der active Intellect formt den potentiellen zum erworbenen. Vgl.
Unsterblichkeit, Averroismus.
Nach Albertus Magnus ist der active Intellect keine „drtus eorporea'*,
sondern eine „drtus separata^* (De an. I, 2, 8). Der Intellect ist „abstrakens*^
und yjConstituens^^ (Sum. th. I, 60, 3). Durch eine „illustratio" werden die
„poientia intellectualia*^ „aetu intelleeta" (1. c. I, 15, 3). jjÄnima rationalis dno
in se habet: intellectum possibüem, quo homo coniungitur continuo et tempori^
quod est sub se: et intellectum agentem, quo se habet ad illuminationes superto-
rum*^ (1. c. II, 5). „Intellecius possibilis in anima est, quo est omnia fieri^
(1. c. II, 77, 1). „Intellectus adeptus est, qua/ndo anima adipisdtur inieUedas
renmi intdligibilium per prindpia prima scibilia" (1. c. II, 93, 2). „Inteüectus
agentis duplex est actus: unus in abstrahendo tntelligibüia et dando eis esse
intelligibilium secundum spedem intelligentis : alter est illustraiio inteüectus
possibilis, ut resplendeant in ipso spedes intelligibüium" (L c. II, 14, 3).
Thomas versteht unter dem Intellect {„inieiligere quod intus legere*^ Verit, 1,
12 c; Sum. th. II, 8, 1) das (sinnliche imd besonders das übersinnliche) Er-
kenntnisvermögen. Der Intellect ist Erfassung „universalium et non singidorum^
(Contr. gent. I, 44). Der active Intellect ist „operativus" oder ,jtraeticus**,
„contemplaiivus" oder y^speculativus** oder „theoreticus*^ (Sum. th. I, 14). „Quoniam
nihil, quod est in potentia, redudtur ad actum nisi per aliquod ens aetu, neeesse
est in anima praeter intellectum possibilem, quo anima omne fieri potest,
eonstituere intellectum agentem, quo omnia potest facere et inteUigibüia potentia
ad actum deducere^' (Sum. th. I, 79, 3). Der „intellectus agens" ist ^^s^taratus
InteUeot. 521
a corpore'* (De an. III). Er ist y^jprincipaie agens, quod agit verum sirnüüudines
in irUeUeetu possibüi . . . Intellecius enim possibilis comparaiur ad res, qiutntm
rwiitiam reoipü, sietä patiens, quod eooperatur agenit** (Quodl. 8, 2, 3 c).
„Pkantasmaia — illuminantur ab ifiteUectu agenti" (Sum. th. I, 85, 1). ^yPhantas-
mata per lumen intelleetus agentis fiunt actu inteUigibiliaf tä prosunt movere
ifUeUeetum possibilem" (Contr. gent. II, 59). „Cum intelleetuB agena sit virtu&
ammctey necesse est non unum in omnibus esse, sed mtdtiplicari ad mtUtvpli-
eoHonem animarum*' (Contr. gent., ib., gegen den Averroismus). Der „m-
tdlectus adepius** („in aciu") ist die actuelle Denkkraft (Sum. th. I, 79, 10 c;
Contr. gent III, 42 f.). DuNS ScoTüS bestimmt: „Modus inteüigendi activus
est ratio eoneipiendi, qua mediante inteUeetus rei proprieiates significat, concipit
vel apprehendit; modus autem inteüigendi passivus est proprietas ret, prout ab
intelteeiu apprehensa" (bei Prantl, G. d. L. III, 216). Wilhelm von Occam
erklärt: ,Jnteilectus procedit de potentia ad actum" (In 1. sent. I, d. 3, qu. 5).
„Inieüedus agens et possibilis sunt omnino idem re ae ratione. Tarnen ista
nomina vel conceptus bene connotant diversa: quia intellecius agens significat
animam, connotando intelleetionem procedentem ab anima aciive; possibilis autem
significat eandem animam connotando intelleetionem receptam in anima" (1. c.
2, qu. 25; vgl Stöckl II, 993).
GrOCLEN bemerkt: „Intdledus . . . possibilis et agens non sunt partes atit
speeies animae intellectivae, sed modi et gradus eius seeundum rationem diffe-
rentes. Anima enim inieüediva, ut caret inteüigibilibus et potentia est ad Uta,
dicitur possibilis: ut habet se vi maieria. Cum vero singtda facta est, habet
alium modum seu gradum perfeetiorem, et dicitur in actu primo seu habitu . . .
Ac ut lumen faeit potentia colores actu colores : ita iniellectus agens facit potentia
intelligibile actu intelleetum" (Lex. philos. p. 249). Nach M. FiCiNUS ist das
„inielligere" ein ,/ib intdligentia divina formari" (Theol. Plat. XII, 2). Nach
Melaxchthok ist der Intellect „potentia mentis cognoscens, recordans, iudicans
et ratioeinans singularia et universalia, habens insitas qtuisdam notitias, seu
prineipia magnamm artium, Habens item actum reflexum, quo suas actiones
eemit et iudicat" (De an. p. 205b). Der Intellect hat drei „actiones": „appre-
kensio'^y „compositio et divisio", „discursus" (ib.). Der Satz: „nihil est in in-
telketUf quod non prius fuerit in sensu" ist falsch (1. c. p. 207 b). Hobbes bringt
den Intellect zur Sprache in Beziehung (De hom. 2). Nach Spinoza ist der
Intellect ein „modus eogitandi" (Eth. I, prop. XXXI, dem.). Gott (s. d.) ist
„iniellectus infinitus", der menschliche Geist ein Teil desselben („Tneniefn huma-
nam partem esse infiniti intellecius Dei", Eth. II, prop. XL, coroll.). „Intel-
lecius inßnitus nihil praeter Dei attributa eiusque affeetiofies compreliendit"
(Eth. II, prop. IV). Gegen Lockes „Nihil est in iniellectu, quod non prius
fuerit in sensu" (Ess. II, eh. 1, § 5) erklärt Leibniz: „excipe: nisi intellecius"
(Nouv. Eßs. II, eh. 1, § 2). „On peut dire, que rien n'est dans Veniendement,
qui ne soit venu des sens, excepte Veniendement meme" (Gerh. VI, 488).
Chb. Wolf versteht unter „intellecius" die „facultas res disiincte repraesentandi"
(Pgychol. empir. § 275); ähnlich Bilfinger (Dilucid. § 272). „Purus est in-
iellectus, euius definiiio competit simpliciier, hoc est, qui ideas habet non nisi
distinctas" (1. c. § 274).
Kant unterscheidet einen „intellecius archetypus" (schöpferischen, göttlichen
Intellect) und ,^typus". Die Idee einer höchsten Intelligenz, von welcher die
Dinge ihr Dasein haben, ist für uns notwendig, „und so ist sehr natürlich, eine
522 Intelleot — Intellectnel}.
ihr correapondierende gesetzgebende Vernunft (intelleetus archetypus) aiviundtmen,
van der aUe systemaiiache Einheit der Natur, als dem Gegenstände unserer Ver-
nunft, abzuleiten sei" (Krit. d. r. Vera. S 521, 537). Nach Krug Btammt
Intellect von „inier legere^^ „quoniam fit eleetio inter varias noias^', oder
yjquaniam plures inter se diversae notae eoUiguntur" (Fundam. S. 178 li.
A. Bain versteht unter dem Intellect „the thinking fundion of ike minc^^ (Seoe.
find Int*, p. 321). Gabriere erklärt: „Unsere Vemunftanlage entunekeU ncft
durch unsere Arbeit, das Denkvermögen vertvirklieht sich, andern es denkt*' (Ästhet
I, 36). Als Product phylogenetisch erworbener und vererbter Erfahrungen fafit
den Intellect H. Spencer auf (vgl. auch Ratzenhofer, Poeit Eth. S- 41, 47).
Der Intellect besteht, nach Spencer, in der „Herstellung von Zusaimmenhämg»
xwisehen Beziehungen im Organismus und Beziehungen in der Außenvdt'
(Psychol. I, § 173). Jeder Verstandsact ist „eine Änp<tsstmg von inneren m
äußere Beziehungen" (1. c. § 174).
Eine voluntaristische (s. d.) Auffassung des Intellects hat Schopenhaüesl
Nach ihm ist der Intellect nur „Aecidenz des Willens" (W. a. W. u. V. IL Bd..
C. 30); der Wille ist „Ursprung und Beherrschet* des Intellects (L c. C. 15|.
,,Der Intellect ist das secundäre Phänomen, der Organismus das Primärey näm-
lich die unmittelbare Erscheinung des Willens; der Wille ist metaphysisch: der
Intellect ist, une seine Objecte, bloße Erscheinung" (1. c. C. ^19). Er ist Willa»-
product, „Qehimphänomen", Nach Nietzsche u. a. dient d^ Intellect nur der
Lebenserhaltung. Vgl. Species (Collier), Vernunft, Verstand, Denken.
InteUeetaale Anscbaumiff s. Anschauimg.
InteUeetualismus ist: 1) so viel wie Rationalismus (s. d.); 2) die be-
sondere Wertung des Intellects (s. d.), des Erkennens, der Theorie vor dem
Fühlen, Wollen und Handeln. Der ethische Intellectualismus leitet das Sin-
liche (s. d.) aus der Vernunft ab (IKant u. a,), hält (Sokrates) die Tugend
für ein Wissen. — Eine „intellectualistische Ethik auf Örund voluntaristiscker
Psychologie" lehrt R. GoLDSCHEiD (Zur Eth. d. GesamtwilL I, 77 ff.). Das
Denken ist vom Wollen bedingt, „aber darauf, daß unser im Unbewußten trur-
xelnder Wille imfner mehr im Geiste unserer Oefühis- und Vorstellungselementf
functioniert, darauf allein läuft all unsere ethische Arbeit aus" (1. c. S. 79l
Der metaphysische Intellectualismus hält das Logische, die Vernunft^ Idee
(s. d.), für das Wesen der Dinge. So Heraklit, Plato, Plotin, Spinoza.
teilweise Leibniz und J. G. Fichte, Hegel u. a. — Der psychologische
Intellectualismus (= die intellectualistische Psychologie) betrachtet das Denken,
Vorstellen als Grundkraft, Grundproceß der Seele, leitet alles Bewußtseins-
geschehen aus logischen oder Vorstellungs-(Empfindungs-)Vorgangen ab. So
sagt z. B. Thomas: „intelleetus altior et nobilior voluntate" (Sum. th. I, 82, 3k
Spinoza erklärt: „Idea primum est, quod humanae mentis esse constituii" (Exh.
II, prop. XL, dem.). Intellectualisten sind u. a. Kant, Hegel (das Denkes
macht „die innerste wesentlicJie Natur des Geistes aus", Ästhet 1, 18), Herbart.
die Associationspsychologen (s. d.). Unter „wülenspsychologisehem In-
tellectualismus** verstdit H. Schwarz die Ansicht, alles Vorziehen und Vcr-
werfen sei ein Urteilsact (Psychol. d. Will. S. 283). VgL Psychologie.
InteUectnalität: intellectueUer Charakter. Schopenhauer belcot
(gegenüber Kant) die Intellectualität der Anschauung (s. d.).
Intelleetuell {voe^ov, intellectualis) : von der Natur des IntellectB (s. d.»,
InteUeotueU — Intelligil>eL 523
geistig. Intellectuelle Gefühle: höftsre, geistige Gefühle; logische oder
Verstandes-Gefühle (Ziehen, Grdz. d. phys. Psychol.*, S. 125; Wundt, Grdz.
d. physiol. Psychol. II*, 521 ff. u. a.). Es gehören dazu (im engeren Sinne)
das Grefühl der Wahrheit, des Zweifels, der Gewißheit u. s. w.
InteUectneUe "Welts xoufioe voe^og, geht nach Jamblighus aus der
inteUigiblen (s. d.) Welt hervor, als Inbegriff der geistigen Kräfte. Nach
Fboklüs gliedert sich die intellectuelle Welt nach der Siebenzahl (in sieben
Hebdomaden; Theol. Plat. IV).
Kant definiert: j,Intellectuell sind die Erkenntnisse durch den Verstand,
und dergleichen gehen <mch auf unsere Sinnenwelt** (Prolegom. § 34). Schon
früher: ,yCognitio, quatenus subieeta est legibus intelligentiaef est intelleetualis**
(De mimdi sensib. sct II, § 3). Vgl. intelligibel.
InteUeetnleren: vergeistigen, auf Begriffe erheben (vgL Kant, Üb. d.
Fortschr. d. Met S. 123).
Intelli^^ns (intelligentia) : Einsicht, Erkenntniskraft, Vemünftigkeit,
auch intelligentes Wesen („Geist").
Thomas versteht* unter f,intelligentia" geistige, auch geistig -vernünftige
Tätigkeit (Sum. th. I, 84, 4c; I, 10, 5c; „intelligentia prima, seeunda": I, 47, Ic;
„aelualis": I, 93, 7 ad 3). „jEToc nomen intelligentia proprie significat ipsum
actum intellectus, gm est intelligere.** Intelligenzen („intelligentiae^*) werden die
jfSttbstantiae separatae", welche Engel sind, genannt (Smn. th. I, 79, 10).
Spinoza erklärt: ,yNulla . . . via raiionalis est sine inteUigentiay et res eatenus
tantwn bonae sunt, quaienus hominem itwant, ut mentis vita fruaiur, quae
intelligentia definitur** (Eth. IV, app. V). Kant definiert: „Intelligentia (ratio-
wüitas) est facultas subieeti, per quam, quae in sensus ipsius per quaiitaiem
suerni incurrere non possunt, sibi repraesentare valet" (De mundi sensib. sct. II,
§ 3). Als intelligibler Charakter (s. d.) ist der Mensch reine Intelligenz. Nach
HiLLEBBANi) ist die Intelligenz „die Seele in ihrem reinen Selbststreben nach
der Wahrheit an und für sich** (Philos. d. Geist. I, 268 f.). Es gibt eine
intuitive, apprehensive, comprehensive Intelligenz (1. c. S. 271). Nach Wundt
ist die Intelligenz „die Gesamtsumme der bewußten und im logischen Denken
ihren Abschluß findenden Oeistestätigkeiten** (Essays 4, S. 98), die „einheitliche
Verbindung von Wollen und Vorstellen** (Log. II« 2, 17 f.).
Intelllg^liel (vorwog, intelligibilis) : verständlich, denkbar; femer: nur
durch den Verstand, das Denken erfaßbar, übersinnlich, ideal.
Plato hypostasiert die varjrd zu Ideen (s. d.). Nach Aristoteles ist
alles Seiende wahrnehmbar {ala&rrra) oder intelligibel (voiprn, De an. III 8,
431b 22). Die mathematischen Objecte z. B. sind vorjrd (Met. VII 10, 1036 a 3;
VgL I 8, 990a 31); iv rolg si'dsüi, rolg atad'riroXg rd vorird iaiiv (De an. III 8,
432a 5). Philo, Plotin, Jamblighus, Proklus sprechen von einer „inteUi-
giblen Welt* (s. d.).
Nach BofiTHiUS ist „intellectibile** „quod tmum atque idenh per se tn propria
äivinitate eonsistens nullis unquam sensibus, sed sola tantum mente inteüectuque
eapitur**, Augustinus definiert: „Omnia, quae percipimus, aut sensu corporis
ttut mente pereipimus. lÜa sensibilia, kaec intdligibilia . . . nominamus**
(De magistro 39). Nach Hugo von St. Victoe ist (üe Seele intelligibel, „quod
solo percipiiur intellectu** (Erud. didasc. II, 3, 4). Nach Thomas ist „proprium
524 Intelligibel ~ Intelligibler Charakter.
obieetum inteüeetus ens mtdligibüe^^ (Contr. gent II, 98); ^^per hoc auUm
aliquid ftt intelligibüe in adu, quod aUqudliter abstrahitur a mcUeria^^ (1 phjs. U).
Noch 2iABARELixA. wird yyintelligibüis^* gebraucht „pro eo, quod est, quod ^sum
iräelligi potest^^ und ^^pro eo, quod inteüigendi vim ßiahet^ ut inteUeetus agem
agit, non quod ipse intelligatur y sed quod per ipsutn cUia intelligantur^* (De
mente ag*. C. 4; vgl. Goclen, Lex. philos. p. 251). G. Bruno erklärt: „Quid-
quid cognosdtur i?itelligibil€j per ideas cognoscitur" (De umbr. idear. p. 37l.
Leibniz: jyCe qui rCest qu* intelligibler comme etant Vobjet du aeul eniendemeiü,
et tel est Vohjet de ma pensee, quand je pense ä moi menu^^ (Gerb. W, oOIl
Bebkeley setzt intelligibel gleich dem „im Oeist&* (Princ. LXXXVI). Kaitt
bestimmt: „Quod . . . nHiil continety nisi per intelligentiam cognoscendum , e*i
ifitelligibile" (De mundi sens. sct II, § 3). „Intelligibel . . . heißen Oegenstände^
sofern sie bloß durch den Verstand vorgestellt werden können , und euif die
keine unserer sinnlichen Anschauungen gehen kann" (Prolegom. § 34). „Bfeyi
intdligibely d, i, dem Verstände allein und gar nicht den Sinnen gegebeaf^
Gegenstand einer intellectuellen Anschauung (s. d.) sein (Krit. d. r. Venu
8. 236 f.). Intelligibel ist an einem Sinnesobjecte das, yyicas selbst nicht Er-
scheinung ist^ (1. c. S. 432). Die ,yintelligibilia" sind y,Noumena^^ (s. d.). Ton
dem Begriff intelligibler Gegenstände kann man keine Anwendung machen,
yytceil man keine Art erkennen kanUy wie sie gegeben werden sollten*', „und der
problematische Oedanke, der doch einen Platx für sie offen läßt, dient nur, wie
ein leerer Raum, die empirischen Örundsätxe einzuschränken y ohne doch irgend
ein anderes Object der Erkenntnis, außer der Sphäre der letzteren, in sich tu
enthalten und aufzuweisen** (1. c. S. 238 f.). Als freie Wesen versetzen wir uns
in eine intelligible Welt (Grundleg. zur Met d. Sitt. 3. Abschn.). VgL In-
teUigible Welt.
Intelli^ble Welt (xocfios vorjjSsy mundus intelligibilis) : die nur durch
den Intellect erfaßbare Welt, die geistig-übersinnliche Welt, Idealwelt, Ver-
nunftwelt. Philo bezeichnet so die Welt der Ideen (De mundi opif. 4). 8o
auch Plotin, der ihre Einheit im Geiste {vovs) betont Sie ist die Welt der
Urbilder der Dinge, ist voll Leben (Enn. V, 9, 9), raumlos, allg^;enwärtig (L c.
V, 9, 13), aber nicht außerhalb des Geistes, sondern in ihm ak ein ypiv^ter
Gott" (1. c. V, 2, 3). Die Sinnen weit ist ein Abglanz der Idealwelt; was in
jener vielfältig ist, das ist hier zur Einheit verbunden (1. c. TV, 1). Das In-
telligible ist der Geist in Buhe, Einheit, Beharrlichkeit {rjovxia evorrfS^ ardci^
1. c. III, 9, 1). Nach Plutarch ist die intelligible Welt die Emanation (s. A)
des iv, der (zweiten) Einheit (s. d.). Proklus leitet aus den Henaden (s. d.)
die Trias der intelligiblen (vorjrov), intelligibel-intcllectuellen {rorjror aua »«*
vocQov) und intellectuellen Welt (voe^ov) ab (Theol. Plat. III, 24). Das In-
telligible (die ovala) gliedert sich in drei Triaden: niqae, anet^ov fuKxov (^«wf^
(In jeder Triade: Ttar^^, 8v%afiisy vovg,) Das Intelligibel-Intellectuelle gliedert
sich gleichfalls triadisch (1. c. IV, 37; In Tim. 94). JoH. Scotlts Eritgena
unterscheidet von der vergänglichen Sinnes weit („mundus sensibüis") die ewige,
unvergängliche intelligible Welt („mundus intelligibilis". De divis. nat V, ib;
V, 24). Vgl. InteUectueU, Intelligibel, Welt
Intelligibler Gliarakter s. Charakter. Intelligibler Raum
8. Baum.
Intension — Intensität. 525
Intenslon: Spannungsgrad. Gegensatz: Extension (Ausdehnung).
VgL Intensität
IntensitEt: Spannungsgrad, Starke, Xraftgröße. Die psychische Inten-
sität ist die Stärke von Empfindungen, Gefühlen und Strebungen, die Kraft,
mit welcher sie sich einstellen und behaupten, verglichen mit der Kraft anderer
psychischer Inhalte und in steter Beziehung zum Ich. Die Intensität des
Reizes steht zu der des Beizes (s. d.) in bestinmiter Beziehung (s. Webersches
Gesetz).
Nach Chr. Wolf ist „iniensitas sive intemio^^ j,quasi graduum miUtihido*^
(Ontolpg. § 759). yylntensive Qröße** nennt Kant „diejenige ÖrÖße, die nwr als
Einheit apprehendiert wird, und in wekher die Vielheit nur durch Annäherung
xur Negaiion = 0 vorgestellt werden kann". Jede Bealität in der Erscheinung
hat intensive Größe, d. i. einen Grad (Krit d. r. Vem. S. 164 f.). E. v. Habt-
MANN erblickt in der Intensität eine metaphysische Kat^orie (s. d.), sie ist
,/2a« Princip des Unlogischen selbst, das sich objediv als Wollen oder^aft-
äußentng, subjectiv als Empfindung darstdlf^ (Kategorienlehre S. 68). Nach
Teighmüller sind die Intensitätsunterschiede überall an die Zahl der quali-
tativen Elemente gebunden (N. Grundleg. S. 43).
Daß allzugroße Intensität der Empfindung den Organismus schädigt, betont
BChon ABIBTOTELES: ^ 8a rcSv amtSv vTtß^ßoXrj, olov &e^/i40V xal \froXQ^ ^nl
oxhj^iSf, dva&^eX to ^^ov navrds fikv yd^ tme^ßoXri aia&rjjov avai^si to aia&rj'
r^^iov (De an. III 13, 435b 13 squ.). — Volkmann definiert; „Die Stärke
der Empfindung ist die Quantität des Empfmdens, d. h, die Energie, mit welcher
der Inhalt der Empfindung xur Geltung gebracht wird: der Qrad seines Bewußt-
werdens*^ (Lehrb. d. Psychol. I*, 228). Ebbinghaus: „Intensitäten nennt man
di^snigen Eigenschaften der Empfindungen, die von quantitativen Veränderungen
der oljfeetiven Beixe abhängen, Qualitäten die übrigen Eigenschaften'^ (Gr. d.
PByehoL I, 422). Nach Wundt ist die Qualität (s. d.) eines psychischen Ele-
ments (s. d.) inmier in irgend einer Stärke gegeben. Jedes psychische Element
besitzt ,^nen bestimmten Intensitätsgrad, den man sich in einen beliebigen
andern büensitätsgrad des nämlichen qualitaliven Elements durch stetige Ab'
stufung übergeführt denken kann. Hierbei ist aber eine solche Abstufung immer
nur nach xwei Riehtungen möglich, deren eine wir als Zunahme, und deren
andere wir als Abnahme an Intensität bezeichnen,** „Die Intens itäts grade
jedes psychischen Elementes bilden ein geradliniges Gontinuum.
Die Endpunkte dieses Ckmtinuums nennen wir bei den Empfindungen Minimal-
und Maximalempfindung , bei den Gefühlen Minimal^ und Maximal-
gefühl" (Gr. d. Psychol.», S. 37 f.; vgl. S. 305 ff.; Grdz. d. physiol. PsychoL
I', 340 ff.). Nach Külpe ist Intensität „diejenige Eigenschaft der Empfindung,
vermöge deren wir sie in bexug auf den Qrad ihrer Lebhaftigkeit mit anderen
XU vergleichen imstande sind'* (Gr. d. PsychoL S. 31). Nach B. Avenabius ist
die Intensität eines Aussageinhalts (E, s. d.) abhängig von der Größe der
yySchwankung** (s. d.) im „System C" (Krit. d. r. Erfahr. II, 19). Eine neue
Theorie der Intensität stellt F. Bbentano auf. Unter Intensität versteht er
das jyMaß von Dichtigkeit** in der scheinbar continuierlichen Erfüllung eines
Sinnesraums. Eine maximal-intensive Empfindung ist eine Empfindung, welche
ihren ,ßinniesraum** in der Ausdehnung, in welcher sie als ausgedehnt erscheint,
lückenlos erfüllt. Bei sinnlichen Inhalten ist die Intensität des Empfindens
526 Intensität — Intention.
und Vorstellens nichts als die Intensität des Empfundenen und Vor^gestefitcit
bei nicht sinnlichen Inhalten hat das Vorstellen, Urteilen, die GemütBtätigbst
(Fühlen und Wollen) keine Intensität (Zur Lehre von d. Empfind., Bericht üb.
d. III. IntemationaL Congr. f. PsychoL 1897, S. A., S. 9 ff.). Teilweiße Ein-
wände gegen diese Theorie bei Chr. Eeirenfels (Die Intensit. d. Geföhk;
Zeitschr. f. PsychoL XVI, 1898, S. 49 ff.). Nach R. Wähle hat die Empfia-
düng keine Intensität als Eigenschaft (Das Gunze d. Philos. S. 186 ff.). MeA-
bar ist nur ^Jene physiologische Erregung, welche tcir haben^ wenn etwas Neuet
überhaupt eitUritt^^ (1. c. S. 193). Was man Intensität nennt, ist in Wafaiheii
ein Mehr oder Minder in einem Aggregate von einfachen Qualitäten (ibi).
Über die Intensität des Willens äußert sich Ehrenfels : j,Die Stikrke da
Willens ist ein dispositioneller oder potentieller, kein psychologisch aetuetkr
Begriff, Ein stärkerer Wille ist derjenige, weicher sehtoerer xum Wanken gebratü
und besiegt werden kann^^ (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. 23. Bd., S- 2751.
Ähnlich H. Schwarz (PsychoL d. Will S. 43 f.). Vgl. Bradley, Mind X. S. IV.
IntensiT: Gegensatz zu „extensiv^* (s. d.); von einer (großen) Intensitix
(s. d.). Intensive Größe s. Quantität. Intensive Zustände = die pej-
chischen (s. d.) Zustände. Intensivität: der Charakter der Intensität, des
Intensiven.
Intentlons 1) Abzielen, Absicht (s. d.). Intentionalismiis:
theorie (s. d.). Intentionalität: Absichtlichkeit (vgl. EL^irr, Krit. d. Urt
II, § 73). Bei Bektham u. a. bedeutet „inteniiotuü*' = „voluniary' (Introdocc
eh. 8, p. 137). Intentio bedeutet 2) nach scholastischer Weise die Be-
Präsentation eines Objectes im Bewußtsein, das G^erichtetsein des Bewußtseins
(der Vorstellung) auf das Object (s. d.), auch das Vorstellungsobject, das in dff
Vorstellung repräsentierte, vertretene Object, das (sinnliche oder begrifflicbe)
,,Äbbild^^ desselben. Intentional heißt die Beziehung jedes Vorsteliungsacte»
auf sein Object, vermöge deren dieses durch jenen vergegenwärtigt wird, ohne
selbst im Bewußtsein gegeben zu sein. Intentionales Object ist der Gegen*
stand, sofern er durch die Vorstellung repräsentiert wird, der Gegenstand, der
von der Vorstellung (dem Urteil) gemeint ist. Das „ens (esse) intentionaUr^ 'i^
das begriffliche, gedachte im Gegensätze zum realen Bein.
Cicero sagt von Abistoxents, er betrachte die Seele als y,corporis quam*
dam intentionem" (Tusc. disp. I, 10, 20). Mit „ini^ttio'^ wird das „tp»w*"
(s. Tonus) der Stoiker übersetzt, die Spannung, Erregung der Seele: „Quid
est aliud, quo animus noster agitetur? Quis est Uli motus nisi intentitr
(Sekega, Natur, quaest. II, 4 u. 6). AüGUSTiNtrs bemerkt: „Quod in ea rty
quamdiu videtur, sensum detinet oetdorum, id est animi intentio^ (De trinit
XI, 2).
Thomas setzt die „intentio" mitunter der ,^imilitudo"y ,ySpeoies" (s. d.)
gleich (4 sent. 44, 2, 1, 3 c). „Intentio animae": 4 phys. 17 a. ,JntenHo t#i-
telleeta" (intellectus, intelligibilis) ist „id, quod intelleetus in se ipso eoneipit de
re intellecta" (Ck)ntr. gent. IV, 11). „Intellectus, per speeiem rei formatuSj «»-
telligendo format in se ipso quandam intentionem rei inieUectcu^^ (Ck)ntr. gent
I, 53; vgl. Sum. th. I, 85, 1 ad 4). „Intentio prima" ist der directe, „^mienüo
secunda" der reflective Begriff, die reflective Erkenntnis (1 sent. 23, 1, 3cV
„Intentionalis" wird im Gegensatz zu „realis" gebraucht. Nach Hervets
Natalis ist „intentio" 1) „omne illud, quod per modum cdieuius repraessn-
\
Intention — Interesse. 527
'ationis dueit tntellectum in cognitionem alicuiua rei, sive sü speeies inteüi-
fibilis sive ctchAs intelleettis sive conceptus mentis^^, 2) „quod se tenet ex parte
Ti inielleetae^ et hoc modo dicüur intentio res ipsuj quae ivUeUigitur, in quantum
in tpscum tenditur simU in quoddam cognitum per actum intelleetus." „Prima
wäentio concretive et materialiter dieit illudf quod intelliffitur. Quae eonveniunt
rebus seeundum quod sunt obieetive in intellectu, sicut est ,absiractum' et ,tmi'
verstüe' et similia ista pertinent ad seeundam intentionem** (Prantl, G. d.
L. III, 265 f.)- B. LuLLUB: ,jInt€ntio est similitudo in andma alicuius vel ali-
ptorum naturaliter repraeseniativa; est autem duplex, sc. prima et sectmda,
Prima est similitudo partieiäaris vel singularis in anima eorrespondens ter-
mino primae impositionis . . . Seeunda est similitudo in anima corre^
ipondens termino seeundae impositionis vel primae in commtmi sumpiae**^
(Dial. introd., vgl. Pbantl III, 149). Duiulnd von St. PouRgAiN bestimmt:
„Esse intentionale .potest duplidter aecipi, Uno modo prout distvnguitur contra
esse reale, et sie dieuntur habere esse intentionale üla, quae non sunt nisi
per operationem intelleetus, siout genus et speeies et logicae intentiones"
(Prantl, G. d. L. III, 293; vgl. III, 308). Nach Goclen ist „intentio*'
1) yfCmtus mentis, quo tendit in obiectum*' („intentio formalis*% 2) „obieetum in
quod^* („intentio obieetiva") (Lex. philos. p. 253). ^^Prima intentio forma lis
est acHis inteHectus directus, id est, quo obieetum suum perdpit directe, Seeunda
intentio formcUis est actus intelleetus reflexus, id est quo aliquid per reflexionemr
eognoseitnus" „Prima tntentio obiectiva est omne id, quod per actum directum
eognosdtur, Seeunda intentio obiectiva est omne id, quod per actum refkocum,
intelleetus cognoseitur** (ib.). „Scholastici ens intentionale appellant ens,
quod sola intelleetus eonceptione et consideraHone inest, seu ens, quod est intra
animafn per notiones — cui opponitur reale," „IntentioncUes dieuntur speeies
sensiles, quia obiecta materialia sensui repraesentant" (1. c. p. 256; vgl. Suarez^
De an. UI, 1, 4). Es werden „voces" (Namen, s. d.) „primae et seeundae inten-
tümis" unterschieden. — Nach F. Brentano ist es das Charakteristische der
psychischen (s. d.) Acte, ein intentionales Object (s. d.) zu haben. Den Intentions-
begriff (als „Meinen" u. dgl.) verwerten besonders Uphues, H. Schwarz,
HtT68ERL („intentionale Einheit' = der identische Inhalt der Bedeutung gegen-
über der Mannigfaltigkeit der Erlebnisse, Log. Unters. II, 97). Vgl. Objecto
Speeies, Wahrnehmung.
Intentional s. Intention. Intentionalität s. Intention.
Interesse (interesse, dabei sein): Teilnahme der Seele, des Ich, an etwas^
willige Hingabe der Aufmerksamkeit an die Betrachtung eines Etwas, an die
Beschaftigong damit Subjectiv ist das Interesse ein gefühlsbetonter Wille zum
Aufmerken, zimi Bemerken, Wissen eines Etwas. Was in Beziehung zu diesem
Willen, zu den Zwecken des Ich überhaupt steht, bildet den Gegenstand eines
(actuellen oder potentiellen) Interesses, „interessiert uns. Das Gefühl ist ein
Moment des Interesses, sowohl Motiv als auch schon Anzeichen eines solchen,
Interesse und Aufmerksamkeit (s. d.) stehen in Wechselbeziehung zueinander.
Bas Interesse weckt und fixiert die Aufmerksamkeit, es bedingt eine genauere
Perception und Appercepüon und ein treueres, festeres Gredächtnis. Daher die
AVichtigkeit des Interesses für die Pädagogik. Das praktische Interesse
^eht sich auf den Nutzen eines Etwas für die Lebenserhaltung, Lebens-
528 Interesse.
förderung des Ich („interessiert sein"). Der ästhetische Zustand (s. Ästhetik
ist ein „uninteressierter^^ (ohne praktisches Interesse), aber nicht interessdoeer:
das Interesse haftet hier am Schauen allein, ohne Beziehung auf praktisciie
Zwecke. Auch für die. Socio logie (s. d.) hat der Begriff des Interesses (in-
dividuelle Interessen, Interessengemeinschaft) Wichtigkeit.
Die Bedeutung des Interesses für das Erkennen und Lernen betont scboo
OoNDiLLAG (Log. p. 8 ff.). Die Triebfeder aller socialen Handlungen erblicb
im Interesse Helvetius: „Si Vunivers pkysiqite et saumis au loix du tnowxuiaL
Vunivers moral ne Vest pas moins ä Celles de VintSret," £r stellt den Begriff
des „woßUverstcmdenen" Interesses („interei bien eniendu") auf (De l'espr. 1,
p. 87 ff.). Gabve definiert: „Alles das interessiert uns, was uns durch den
Eindruck des WohlgefallenSy den es auf uns macht, ohne unsem Vorsatz auf-
merksam und nach der Fortsetzung und der Folge begierig erßUUt^' (Samml. einig.
Abhandl. I, 215). „Alles Wohlgefallen entspringt entweder aus dem, uhms unsere
Kraft XU denken beschäftiget, oder aus dem, was unsere Empfindungefi erweckt^
(ib.). Interessant sind „alle die Gegenständ^ oder die Arten, sie varxusteUen,
welche, ohne unsere freitrillige Anstrengung, vermöge des WohlgefaUefis, das sie
in uns erregen, sich unserer Aufmerksamkeit bemächtigen und dieselbe stetig
machen", die Dinge also, welche uns „nach ihren Vorstellungen begierig tnaehat
(L c. S. 211 f.). E^AKT bestimmt: „Interesse wird das Wohlgefaüen genanmi,
was toir mit der Vorstellung der Existenz eines Gegenstandes verbinden. Ein
solches hat daher immer zugleich Bexiekung auf das BegehrungsvermögeK^
(Krit d. Urt. I, § 2). „Ein Urteil über einen Gegenstand des Wohlgefalkm
kann ganx uninteressiert, aber doch sehr interessant sein, d. i. es grwM
sich auf kein Interesse, aber es bringt ein Interesse hervor^* (ib.). Das Schöoe
gefällt uninteressiert (s. Ästhetik). ,fiie Abhängigkeit eines xufaUig bestimm-
baren Willens . . . von Principien der Vernunft heißt ein Int er es se^^ (Gmndkg.
zur Met. d. Sitt S. 35). „Interesse ist das, icodurch Vernunft praktisch, d. i.
eine den Willen bestimmende Ursache wird" (L c. S. 90). Das Interesse der
Neigungen darf den sittlichen (s. d.) Willen nicht bestimmen. Nach Hegel
ist Interesse, „daß, insofern der Inhalt des Triebes als Sache von dieser seiMr
Tätigkeit unterschieden tcird, die Sache, welche zustande gekommen ist, da$
Moment der subfectiven Einzelheit und deren Tätigkeit enthält*' (EncykL § 4751
Herbart betont im Interesse das Moment der „Selbsttätigkeit^' und dessen
pädagogische Bedeutung (Umr. pädagog. Vorles. I, C. 4, § 71; vgL C. 5, § 83l
Nach Volkmann ist Interesse „die Beziehung einer Vorstellung zu den herr-
schenden Vorstellungsmassen des Ich" (Lehrb. d. Psychol. II*, 206). Stectthil
-versteht unter Interesse die „BereUtoüligkeit einer Vorstellungsgruppe zu apper-
cipierender Tätigkeit" (Einleit in d. Psychol. S. 330; vgl. G. A. Lendkel
Lehrb. d. empir. Psychol.*, S. 111). Vischer versteht unter Interesse die .^
einen Zweck gespannte Stimmung" (Das Schöne u. d. Kunst*, 8. 38). Nacli
J. H. Fichte ist Interesse die „Richtung des schon bewußten Willens . . .
auf irgend einen Vorstellungsinhalt" (PsychoL I, 2(X)). Nach Ebbinghaxts ist
Interesse die Lust, „die hervorgebracht wird durch das htirmonische Zusammen-
gehen eines gegenwärtig der Seele nahegelegten Eindrucks mit früher erworbeneA,
jetzt durch ihn geweckten Vorstellungen, durch das Entgegenkommen, das jener
bei diesen findet" (Gr. d. Psychol. I, 577). Stumpf definiert das Interesse als
Lust an den Acten des Bemerkens selbst (TonpsychoL II, 280). Nach H. Schwass
ist es „ein Gefallen an bemerkten Gegenständen, das an sieh stets von Lust bt-
Interesse — Introjeotion. 529
'' '*" " "' ' ■■■—■■ ■ 1 ■' I I I ■ ,■ I ■ ■■ I I IMMM^ I ■ ■ ■■■! ^m^m^^ t ■ 11 II ■■■■■ ^— ^^^—
^ieüei wird, die aber durch entgegenstehende Unlust aufgehoben werden kann''
(PBjchoL d. Will. 8. 85). Nach Th. Kerrl ist Interesse y,Lu8t am Bemerken
und Bemerkenwoüen" (Die Aufmerks. S. 64). E. Zeller betont : „Das Interesse
4si das einzige naturgemäße Motiv des Handelns" (Begr. u. Begründ. d. sitÜ.
G^etze 1883, S. 23). Nach Bibot ist das Interesse das, „ee qui tient l'esprit
€n eveil'^ (PsYchoL de Fattent. p. 49). Nach W. Jebüsalebc ist das Interesse
die yyLust aus der Betätigung unseres irUelleetuellen Ikmctionsbedürfnisses^^
{Lehrb. d. PsychoL*, 8. 161). Batzeüthofeb spricht von einem angeborenen,
inhärenten Interesse, das die Zwecke aller Lebensfunctionen, auch der socialen
und sittlichen Handlungen bestimmt fPosit Eth. 8. 64 ff.). YgL James, Princ.
of PsychoL I, 284 ff.; II, 312 ff.
Intermundlen (Metakosmien; fiaraxoaßiioy, intermundium) : Zwischen-
-welten, Raum zwischen den Welten, in welchem nach Epkub die Qötter ein
seliges Leben führen, unbeeinflußt vom irdischen IVeiben. Hie wohnen iv
xocfup xal fisratcocfitqfj o Xsyoftav fiexaiv xoa/iaw diaarrjfia (Diog. L. X, 89;
vgL CiCEBO, De divin. II, 17, 40; Lucbetius Cabus, De rer. nat. II, 23, V,
146 squ.).
Intmpolatlon nennt O. Liebmank das Verfahren, durch Denkzutaten
den lückenhaften Wahmehmungszusammenhang der Natur zu einem einheit-
lichen Zusammenhang zu machen (Die Klimax d. Theorien 1884).
Interpretation s Auslegung, Deuttmg von Tatsachen. „Naturae inter-
pres**, „ars inlerpretandi^', „interpretatio natt^raef* bei F. Bacok (Nov. Organ.
I, 1; I, 28, 130). — Eine Deutung liegt schon in den Wahrnehmungen (s. d.).
IntersubJecttT ist das von den verschiedenen Subjecten gemeinsam
£rlebte, Vorgefundene, Vorgestellte. Intrasubjectiv: im Subject, bewußtseins-
immanent. VgL Transcendenz.
Introjections Hineinlegung, Übertragung („Prqfeetion") des eigenen Ich,
Subjectiven, der eigenen Lebendigkeit, Beseeltheit, des eigenen Fühlens und
WoUens, des Innenseins auf Objecte der Außenwelt (s. Object) in und mit der
Wahrnehmung derselben und in und mit dem Denken derselben nach Kate-
^rien (s. d.). Die Introjection beruht psychologisch auf einem Proceß der
Assimilation (s. d.), indem die Wahrnehmung des dem eigenen psychophysischen
Ich Analogen die (nicht objectiv wahrgenommene, aber instinctiv reproducierte)
„Innerlichkeit^^ des Ich (Vorstellung von dessen Fühlen und Streben) mit der
Objectwahmehmung zur Einheit verschmelzen laßt, so daß dieses nun unmittelbar
{ohne Schluß) als ein ichartiges Wesen, Gegen-Ich, später als Kraftcentrum
(s. d.) erscheint. Die Dinge (s. d.) sind hiemach jjQualitÖteneomplexe", Intro-
jeetümsqualitäten".
Schon HüME erklärt: „Man beobachtet oft, daß der Geist große Neigung
besitzt, sich selbst in die Gegenstände der Außenwelt xu prqjicieren" (Treat. III,
sct. 14, S. 226). Die Introjection berücksichtigen in verschiedenem Umfange
SCHOPENHAUEB, SCHLEIEBMAGHEB, BeNEKE, RtTTEB, ÜbEBWEQ (Syst. d. Log.,
§ 39), LoTZE (Mikrok. III«, 539), HoBWicz (PsychoL Analys. II 1, 145 ff.),
Nietzsche, Noibe (Einl. u. Begr. e. mon. Erk. S. 31 f., 169, 176), L. Busse,
J. WoLFP, W. Jebüsalem, H. Cobnelius (Einl. in d. Philos. S. 22), A. Biese,
A- H. Lloyd (Dynamic Idealism 1898), Teichmülleb u. a. VgL Object,
Kategorien, Kraft, Causalität, Urteil, Apperception (fundamentale).
PhlloiophlMhdi WOrterbuoh. 2. Aufl. 34
530 . Intarojectlon — Intuitiv.
Der Terminuß ,Jntrqfection*^ (y,Einlegung^') stammt von R. Avenajuts
(Menschl. Weltbegr. S. 25 ff., 27). Er yereteht darunter die Tatsache, dafi der
Mensch in seine Mitmenschen ,, Vorstellungen" von Umgebimgsbestandteüen ak
„irniere^^ Zustande hineinlegt, wodurch eine Spaltung der natiirlichen Einheit
der empirischen Welt in „Innen- tmd Äußemcelt", „Object und Subjeei^', eine
„ Verdoppelung'* der Welt erfolgt (1. c. S. 28 ff.). So wird die Wirklichkat
„verfälscht'^ Aufgabe der Wissenschaft ist es, diese Verfälschung durch die
Introjection zu beseitigen, die Introjection zu eliminieren, zuräckzanehmea
(1. c. S. 77 ff.; vgl. S. 83 ff.). Durch „Ausschaltung" der Introjection und
durch Ersetzung derselben durch die „empiriokrütsehe Principiaieoordinatiar
(8. d.) wird der „ncUürliehe Weltbegriff'' restituiert (1. c. S. 93). Ein „Lmm-
sein" neben einem „Äußeren" gibt es hiernach nicht, ebenso keinen Gegensalz
zwischen „psychisch" (s. d.) und ^^physiseh", nur einen Erfahrungsinhalt, bald
„ahsolut"y bald „relativ" (s. d.) betrachtet. Die ursprüngliche, „nati^liehe" An-
nahme ist: yfier Mitmensch ist Ceniralglied einer Prineipialeoordination^ derm
Gegenglied x, B. ein Bmrni, aber auch ylch' sein kann" (Vierteljahrsschr. f.
wiss. Philos. 18. Bd., S. 147). Durch Introjection wird diese Annahme dahin
verfälscht: „Aüe wahrgenommenen ümgebungsbestandieile — o/« , Wakr-
nehmungen' — sind nichts als ,Vorstelltmgen in uns'" (1. c. S. 153). Das
Wahmehmungsobject wird in den aussagenden Menschen (bezw. in dessen Ge-
hirn) hinelnverlegt (ib.). „Diese Introjection ist es, loelche allgemein aus dm
jVor mir' ein Jn mir' macht, aus dem , Vorgefundenen' ein , Vorgestelltes^, ow
dem fBestandteil der (realen) Umgebung* einen yBestandteil des (ideellen) Denbent,
aus dem ,Baum* mit seinen mechanischen Energien eine ,Erscheinung* von jenem
Stoff, aus welchem die Träume geicebt sind" (1. c. S. 154). Diese IntrojeetioQ
beruht auf einem Fehlschluß (1. c. S. 157 ff.). So auch F. Cähsttasiks,
K. Willy, J. Pbtzoldt, J. Kodis, W. Heinkich u. a. Dagegen erklärt
W. Jerusalem, die (wohlverstandene) Introjection gehöre zum natürlichen
Weltbegriff, indem jede Auffassung mitmenschlicher als mehr als mechanisehfr
Bewegungen, als Äußerungen von Gedanken, Gefühlen, Willensimpulsen, schoa
eine Introjection voraussetzt. „Ich muß mir im Innern des Menschen ein Krafi-
centrum vorstellen, toenn ich seine Rede verstehen soll" (ürteilsfunct S. 244 1].
Seine eigene Theorie des Urteils (s. d.) bezeichnet Jerusalem als „Introfeetions-
theorie" (1. c. S. 244; Vierteljahrsschr. f. wiss. Phüos. 18. Bd., S. 170). VgL
Psychisch.
Introspectlon: innere Beobachtung (s. d.), Beobachtung (Wahrnehmung^
der eigenen psychischen Erlebnisse („inirospective observatiofi" bei James«
Princ. d. Psychol. I, 185 ff.).
Intuition: Anschauung (s. d.). Schauen, besonders geistiges, denkende
Schauen. — Nach Plato werden die Ideen (s. d.) in einem präexistentiakü
Leben geschaut (vgl. Anamnese). Nach Aristoteles besteht die Erkenntnis
der letzten Principien, des Unvermittelten (der oifisaa) in einem 8ichei*en Schauen.
Vgl. Intellectuale Anschauung, Mystik, (Kontemplation.
Intnition, intellectuale, s. Anschauimg (intellectuale).
Intaitionisnins s. Ethik.
IntoitlT s anschaulich, durch Anschauung (s. d.). — Wilhelm von Oocam
definiert: „Notitia intuitiva rei est talis notitia, virtute cuitis polest sdri, ufntm
Intuitiv — Ironie. 531
res *Ä vd non sü'' (In 1. sent., prooem., qu. 1). „Virtute euius potest evidenter
eogno8ei aliqua veritas contingens, mtixi'me de praesenti, est natitia intuitiva"
(bei Prantl, G. d. L. III, 347). Nach Albert von Sachsen ist intuitiv jene
Erkenntnis, „qua cUiquia apprehendit rem praesentem" (1. c. IV, 61). — In-
tuitive Erkenntnis: die durch Anschauung gewonnene Erkenntnis, das an-
schauliche Wissen, auch die unmittelbare Erfassung des Wesens der Dinge, des
Allgemeinen im Einzelnen, das speculative (s. d.) Wissen. So bei Spinoza,
nach welchem die ^fScientia intuitiva*' die höchste Art der Erkenntnis (s. d.)
ist. „Hoe eognoseendi genus procedit ab adaequata idea esseniiae formalis quo-
rundam Dei attribtäorwn ad adaeqiuxtam cagnitionem essenUae rerum** (Eth. II,
prop. XL, schoL II). Die Intuition trifft inmier das Wahre (1. c. prop. XLI),
,idoeet no8 verum a falso diisHnguere^^ (1. c. prop. XLII). Locke schreibt dem
intuitiven Wissen höchste Evidenz zu; er meint das Wissen des unterscheidenden,
vergleichenden Erkennens (Ess. IV, eh. 2, § 1). Leibniz nennt eine Erkenntnis
eine intuitive, wenn man die in einem Begriffe enthaltenen Teilbegriffe gleich-
zeitig denken kann (Erdm. p. 79 f.). Alle adäquaten Definitionen enthalten
intuitive Vemunf twahrheiten (Nouv. Ess. IV, eh. 2, § 2). Chr. Wolf definiert :
„Cogniiio, quae ipso idearum intuitu absolvittir, dicitur mtuitiva" (Psychol.
empir. § 286). Hume versteht unter Intuition das „Mit-etnem-BUek-erfassen*^
von Inhalten (Treat. III, sct. 1).
Insolation: Einwicklung, Gegensatz zur Evolution (s. d.). Nach
NicoLAxrs CüaANüS ist „involutio** so viel wie y^eoniplieatio** (s. d.). Leibniz
betrachtet den Tod (s. d.) nur als eine Involution, eine Vereinfachung des Or-
ganismus (Monadol. 73). Chr. Wolf spricht von einer „involtUio praeierüi et
futuri omniumque praesentium in idea senstMli** (PsychoL rational. § 188).
Hesbart versteht unter Involution einer Vorstellungsreihe (s. d.) die Ee-
production (s. d.) durch die letzte Vorstellung. So auch Volkmann (Lehrb.
d. Psychol. I*, 460).
InTOlTieren (involvere) : einhüllen, einschließen, z. B. der Folge in dem
Grunde: Der (jledanke, Begriff des Grundes involviert den der Folge, die
Setzung einer Wesenheit involviert die Setzung der Oonsequenzen aus dieser.
tfEssentia invatvii existentiam" (bei der „ocaisa sui**, s. d.) (Spinoza, Eth. I,
def. I).
Joga 8. Yoga.
loniselie Plillosoplien („Physiker^^ , ,^hysiologen") haben das Ge-
meinsame, daß sie nach dem materialen Principe (s. d.) der Dinge forschen,
und daß sie Hylozoisten (s. d.) sind. Zu ihnen gehören Thales, Anaximander,
Anaximenes, Hippon, Diogenes von Apollonia, Idaeus von Himera,
Herakltt.
Iraseibilitlit und Concupiscibilität {d'vftoeidü , dmd'v/iTjrixov bei
Plato, Republ. IV, 441 B; Tim. 77 B): Ausdrücke für die activ-wollende
und die passiv - begehrliche Seelenfunction (Alcijin, Albertus Magnus,
Thomas u. a.).
Ironie (ei^afp^ Spötter; siQtovsia, Aristoteles, Eth. Nie. II 7, 1108a 22):
Verstellung, spöttische Behauptung eines Etwas, dessen Gegenteil als wahr
gemeint ist. Zum Zwecke der Aufzeigung der Unsinnigkeit von gegnerischen
Behauptungen stellt sich Sokrates in der Unterredung mit anderen als un-
34*
532 Ironie — Irrtum«
wissend, aber als yom Wissen des andern überzeugt (Sokra tische Irome,
vgl. Xenoph.y Memorab. I, 3, 8). „Socratee auiem de se ipso deirahens «n di$-
putatione plus iribnebai iiSj quos volebat refeüere. Ita cum aliud dieeret atqme
sentiret, libenier uii solitus est ea dissimilatione^ quam Qraeei ei^awelav voeaMf
(Cicero, Acad. II, 15). Nach Thomas ist „ironia** das Benehmen, ,jMr quam
aliquis de se fingit minora** (8um. th. II. II, 113, 1 ob. 1). Nach Paulbest
ist Ironie „der innere Habitus des Denkens und der Rede^ der da entstM, ws
ein in Wahrkeit Überlegener sieh vor der scheinbaren und angenommenen Über-
legenheit der Umgebung die Stellung des minderen Mannes gibt oder vieimdir
diese ihm von der Umgebung xugeunesene Stellung annimmt und nun aus ihr
heraus redet und handelt^* (H., Seh., M. S. 237). — Romantische Ironie ist
das freie Schweben über allem, das sich Hinw^-setzen-können über alles soost
Qewertete, auch über das eigene Ich, die Stimmung, „tpelehe alles ubersükt^
sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigene Kunst, Tugend oder
Oenialiiät** (Fb. Schlegel in Beichardts „Lyceum d. freien Künste**, ygL
Haym, Die romant. Schule 1870, S. 758 ff.). Die Schrankenloeigkeit des Ich,
das geniale Spielen mit allem kommt so zum Ausdruck. Der Ironiebegnff.
metaphysisch gefaßt, auch bei Solgeb. Nach HiLLEBRAin> stellt die Ironie
„den Ernst der unendlichen Beziehung des Endliehen in der Nichtigkeit des ab-
solut Endliehen, also im Seheintoirklichen*^ dar (Philos. d. Geist I, 347). Vgl
ViscHEB, Ästhet. § 202; Schasleb, Das Reich der Ironie 1879.
Irradiation: Einstrahlung, Ausstrahlung, Fortpflanzung einer Reizimg,
Erregung auf die Umgebung der gereizten Stelle. Es gibt auch eine Irradiation
der Gefühle.
IrritabillUlts Reizbarkeit, Erregbarkeit, ist eine allgemeine Eigenschaft
alles Organischen, des Protoplasmas überhaupt, dann besonders der Nenren.
A. y. Halleb nennt die Fähigkeit des Muskels, durch Reize selbständig erregt
zu werden, seine Irritabilität (vgl. Hellpach, Grenzwiss. d. Psycho! S. 185).
Irrtam (tpevSoe, error) ist die Verwechselung des Falschen mit dem
Wahren, irriges, unrichtiges, falsches Denken, das (und insofern es) als wahr
gilt. Irrtümer beruhen auf Vorurteilen, Unvollkommenheiten der Sinne and
des Gedächtnisses, Mangel an Urteilskraft und Schlußvermögen, Ungenauigkat
der Beobachtung und Reflexion, allgemein auf Übereilimg, auf der Schwäche
der Aufmerksamkeit und der zu geringen Energie des Denkwillens im Ein-
zelfalle.
Psychologisch erklärt den Irrtum Epikub: to 8i rf/£v8og xai t6 dtr^fta-^TTr
fit'vov dv T(^ TiQoaBo^aCtOfiivqf dei iari xara t^v xivqaiv iv rifiiv avrots, trvwn^m-
fiivTjv rff ^avraarixf, inißoXfi, 9tdXrjy.uv J*^ovO"rtv, xad^ tjv ro ^svdos yivtrai
(Diog. L. X, 50). — Die Scholastiker führen den Irrtum zum Teil auf die
Freiheit (Übereilung) des Willens zurück, so DuNS ScoTUS, Süabez (Met. disp.
IX, 2, 6). Descabtes leitet den Irrtum aus der Willensfreiheit in Verbindung
mit der Beschränktheit des Endlichen ab. Soweit der Mensch von Crott ge-
schaffen ist, gibt es in ihm keinen Grund zu Irrtümern, ,^ed quaterms etiam
quodammodo de nihilo sive de non ente participo . . . non adeo mirum esse^
qmd fallar*^. Der Irrtum ist nicht „quid reale quod a Deo dependeaf% sondon
ein „defectus". Ich irre, „ex eo quod factätas verum iudicandi, quam ab ilh
habeOy non sit in me infinita^^. Der Irrtum ist nicht ,^pura negatio, sed priratio,
Site carentia cuiusdam cognitionis, qtme in me quodammodo esse debercf*. Die
Irrtum. 533
Irrtümer hangen ab „a duabus causis simul eoneurrenübtis", „nempe a facuUate
eognoseendi quae in me est, et a fctctdtcUe digendi sive ab arbitrii libertate, hoc
est ab inteüedu et simtd a voluntcUe". Der Irrtum entspringt ,,ex hoc tmo quod
cum IcUius pateat voluntas quam inteÜeetiu, iUani non inira eosdem limites
eontineo, eed etiam ad üla quae tum intdltgo extendo" (Medit. IV). Wir irren
t^ßum, etsi aliquid non recte perdpiamuSf de eo nihilomintis itidicamus** (Princ.
philofi. I, 33). „Certum autem est, nihil nos unquam falsum pro vero ad-
missuros, ei tantum vis aasensum praebeamus, quae elare et disiincte percipiemus^^
(L c. 1, 43; vgl. I, 6, 29, 31, 35, 36, 38, 42). Hobbes erklärt: „Sensu et cogitatione
erraiur, quando ex praesenti imagiruUione aliud imaginetur" (De corp. C. 5, 1).
Die Negatiyitat des Irrtums betont Spinoza. Der Irrtum liegt nicht in der
VorBtellung, sondern im Mangel des richtigen Urteils. „Atque hie, ut quid sit
error, indicare indpiam, notetis velim, tnentis imaginationes m se speetatas
nihil erroria eontinere, sive mentem ex eo, quod imaginatur, non errare: sed
tantum, quatenus consieleratur, carere idea, quae existentiam iüarum rerum,
quas sibi praesentes imagincUur, seeludat^^ (Eth. II, prop. XVII, schoL). „Nihil
in ideis positivum est, propter quod fcUsae dicuntur^* (Eth. II, prop. XXXIII).
jj^alsitas consistit in cognitionis privatione, quam ideae inadaequatae sive mu-
tilatae et eonfusae involvunt" (L c. II, prop. XXXV). Pascal betont die Irr-
tomsnotwendigkeit des Menschen: „L'homme n'est . . . qu'un sujet plein d'erreurs;
rien ne lui montre la vSrite; toui Vabuse. Les deux prineipes de vSrite, la
raison et le sens, outre qu'üs manquent souvent de sincerite, s'abusent reoipro-
quement Vun l'autre, Les sens abusent la raison par de fausses apparenees . . .
Les passians de Väme troublent les sens et leur fönt des impressions fdoheuses.
Us mentent, se trompent ä l'envie" (Pens. IV, 8). Nach Locke liegt aller Irrtum
nur im Urteil (Ess. II, eh. 32, § 1; ygl. eh. 33, § 9). Der Irrtum entsteht,
indem unser Urteil dem zustimmt, was nicht wahr ist. Gründe dazu sind:
Mangel an Beweisen; Mangel an Greschick, Beweise zu benutzen; Mangel an
Willen dazu; falsches Abmessen der Wahrscheinlichkeit (L c. IV, eh. 20, § 1).
Leibniz sieht im Irrtum eine Art „Beraubung" (pnv&tio) (ygL Theodic. I. B.,
§ 32). Nach Chr. Wolf ist Irrtum „ein falscher Wahn von der Wahrheit und
Falschheit eines Urteils" (Vem. Ged. I, § 396). „Error est assensus propositioni
falsae datus" (Philos. rational. § 623). Mendelssohn erklärt: „Wenn Unver-
mögen der oberen Seelenkräfte, Mangel des Verstandes oder der Vernunft, an der
Unwahrheit schuld ist, nennen wir das Falsche in der Erkenntnis Irrtum"
(Morgenst. I, 3). Nach J. Ebert besteht der Irrtum in dem „Mangel der
Übereinstimmung unserer Gedanken 9nit den Dingen, die dadurch abgebildet
Verden" (Vemunftlehre S. 129 f.). Feder erklärt: „Wir irren uns, wenn wir
uns eine Sache anders vorstellen, als sie ist" ,Jkr Irrtum besteht also in der
Verbindung dessen, was nach der Wahrheit nicht miteinander verbunden werden
soü, oder in der Trennung dessen, u?as der Wahrheit nach beisammen ist, kurx
in einem falschen Urteile" (Log. u. Met. Ö. 158 f.). Es gibt „unmittelbare"
und „gefolgerte" Irrtümer (1. c. S. 159; Ursachen der Irrtümer: S. 160 ff.),
Htjme leitet den Irrtum aus der Verwechselung ähnlicher Vorstellungen unter-
einander ab, aus leichten Associationsbeziehungen (Treat. IV, sct. 2; II, sct. 5).
Kant definiert: „Das Gegenteil von der Wahrheit ist die Falschheit, u>elche,
sofern sie für Wahrheit gehalten wird, Irrtum heißt. Ein irriges Urteil — denn
Irrtum sowohl als Wahrheit ist nur im Urteile — ist also ein solches, welches den
Schein der Wahrheit mit der Wahrheit selbst verwechselt^' (Log. S. 76). „Der Ent-
534 Irrtum.
stehungsgrund alles Irrtums wird . . . einxig und aUein in dem unrermerkiea
Einflüsse der Sinnliehkeü auf den Verstand oder, genauer zu reden^ auf dat
Urteil gesucht werden mOssen. Dieser Einfluß nämlich macht y d4iß tcir im
Urteilen bloß subjective Qrü/nde für objeetive halten und folglich den bloße»
Sehein der Wahrheit mit der Wahrheit selbst verwechseln'' (1. c. S. 77). Zum
Irrtum y,verleitet uns unser eigener Hang, xu urteilen und xu entscheiden, wo
tvir wegen unserer Begrenztheit xu urteilen tmd xu entscheiden nicht vermögend
sind" (L c. S. 78). In jedem irrigen Urteile muß etwas Wahres liegen (ib.).
Man irrt, „weil man dasfenige Merkmal, was man in einem Dinge nicht wahmimmi,
auch von ihm vemeini tmd urteilt, daß dasjenige nicht sei, wessen man std$ itt
einem Dinge nicht bewußt ist", ,firtümer entspringen nicht aüein daher jweü
man gewisse Dinge nicht weiß, sondern weil man sieh xu urteilen untertiimmty ob «mm
gleich noch nicht alles weiß, was daxu erfordert wnxl" (Unters, üb. d. DeutL d. Grunds.
3, § 1 — 2). Nach Fbies ist Irrtum „Gesetzwidrigkeit im Fürwahrhalten". „Aller
Lrrtum gehört also der unederbeobachtenden Reflexion und nicht der unmiM-
baren Erkenntnis, er liegt im Urteilen." Jeder Irrtum beruht auf den Piä^
missen eines Wahrscheinlichkeitsschlusses (Syst d. Log. S. 448 ff.). G. K Schuue
bemerkt: „Daß . . . der menschliche Verstand Irrtümer für Wahrheiten ttimmt^
rührt daraus her, daß er sich . . . durch Scheingründe, d. i. solche, wdtki
nicht aus einer Erkenntnis der Sache, worüber von ihm geurteilt wird, sondern
bloß aus den besonderen Zuständen der urteilenden Person herrühren, hintergehe»
läßt" (Gr. d. aUg. Log. S. 198). Destutt de Tracy betrachtet als eine Irrtnms-
quelle „l'imperfection de nos Souvenirs" (£1. d'id^ol. III, eh. 3). „ThtUeg nos
perceptions sont originairement justes et vraies; et Verreur s'y introduit seulement
ä Vinstant, oti nous y admettons un HSment, qui y est oppose, c'est^ä^ire qm
les denaiure et les change, sans que mnis nous en apercevions" (L c. IV, p. 17).
Vgl. Krug, Handb. d. Phiios. I, 215 ff.
Nach Hagemann ist der Irrtum „ein falsches Urteil, welches für wahr,
oder ein wahres Urteil, welches für falsch gehalten wird". Der formelle
Irrtum besteht „in einem Urteil, welches durch bloß logisch unrichtiges Denken
xustande gekommen isi^^ Der materielle Irrtum besteht in dem Wider-
spruche des Urteilsinhaltes mit dem Gegenstande (Log. u. Noet.*, S. 170 L).
Am Zustandekommen des Irrtums hat der Wille seinen Anteil. Der Wiüe
bestimmt den Denkgeist zur Setzung eines falschen Urteils aus einem doppdlteD
Grunde: „Entweder liegt der Qrund in der Beschränktheit des Erkennens un-
m,ittelbar, sofern der durch die Schwäche der Erkenntniskräfle ermögUehU
Schein des Wahren xu einem falschen Urteile verleitet, oder mittelbar, sofern
xunächst der Wille von Stimmungen, Neigungen, Leidenschaften beeinflußt und
dadurch das Denken xum unrichtigen Urteilen bestimmt toird" (1. c, S. 172 ff).
WUNDT erklärt die Irrtumsmöglichkeit aus der Freiheit der logischen Causalitit
(s. d.), welche darin besteht, ,4aß bei ihr aus gegebenen Bedinguftgen eine Ff>igs
nicht notwendig gexogen werden muß, sondern daß es Ufiserm Denken freisteht,
ob es tätig sein will oder nichts*. Der Irrtum geht so aus einer „unvoUsiändigen
Anwendung unserer Denkkraft" hervor (Log. I*, S. 625 ff.). Nach Sghubest-
Soldern ist der Irrtum „entweder eine in Zeichen ausgedrückte Forderung für
das Denken, die unvollxiehbar ist, oder eine der Vergangenheit scheinbar ganx
analoge Erwartung für die Zukunft, welche diese selbst nicht bestätigt" (Gr. ein.
Erk. S. 156). Schuppe betont: „Die Definition des Irrtums katm . - . mehi
die sein, daß er Niehtwirkliches für Wirkliches und umgekehrt ausgebe, sondern
Irrtum — Stampf. 535
:nur die, daß er in Wahmehtnungen und urteilen besiehe, tceiche den individuellen
Unterschieden der einzelnen Beumfltseine . . ., nicht dem gattungsmäßigen Wesen
^ngehihren" (Log. S. 171).
Nach Nietzsche sind unsere „Wahrheiten*^ (s. d.) nichts als eingewurzelte
Irrtümer, die sich als nützlich, als arterhaltend erwiesen haben (WW. V, 110;
XV, 268, 272 ff.). Die „falschesten Urteile^\ z. B. die synthetischen Urteile a priori,
Bind uns die unentbehrlichsten. „Die Falschheit eines Urteils ist uns noch kein
Einwand gegen ein Urteil^* (WW. VII, 1, 4). Insofern der Irrtum lebenerhal-
tend, den Willen zur Macht fördernd ist, ist er ebenso wertvoll, ja wertvoller
als die „Wahrheit' (WW. VII, 1, 1 ff.). Vgl. Wahrheit.
Isolatton ist ein Verfahren, das darin besteht, jeden Teü eines zusammen-
gesetzten Vorganges für sich rein in seiner Bedeutung zu bestimmen (vgl.
P. Volkmann, Erk. Gr. d. Naturwiss. S. 70 ff.). Die isolierende Abstraction
hebt bestinmite Teilinhalte von Vorstellungen gesondert heraus.
IndlcattTa (pars logicae): Urteilslehre, Analytik (s. d.) (vgL Thomas,
Sum th. II. II, 53, 4 c).
K (s. auch C).
Kabbalft (eig. „Überlieferung''') heißt die vom Neuplatonlsmus (s. d.)
"beeinflußte, vom 9. bis 13. Jahrhundert ausgebUdete jüdische Mystik (vgl.
J*BANCK, La cab. p. 353 ff.; Jellinek, Beiträge zur Gesch. d. Kabbala, 185i).
Die kabbalistischen Lehren befinden sich in den Büchern ,flexird'' und „S6har^\
15s wird eine Emanation (s. d.) der geistigen (intelligiblen) und materiellen
Welten d^Axiluth, Beriä, Jexirä, Asid'') aus den zehn „Sephiroth'* (s. d.) (deren
Einheit der „Adam Kadmon", s. d., ist) und mit diesen aus dem Absoluten,
<lem „Ensoph'' (s. d.), gelehrt. Mit der Kabbal& beschäftigen sich auch
Heuchmn (De art. Cabb.), Pico von Mieandola, Agrippa, H. Moee u. a.
Kablkopf (yala^oe, calvus) ist der Name eines Trugschlusses, ähnlich
dem „acervus" (s. d.).
Kalolia^^atlile (Haloxayad-in): Schön-Güte, das schön-und-gut-Sein, die
schöne, edle Sittlichkeit — das Ideal der Hellenen.
Kalpa heißt in der indischen Philosophie der zwischen einer Welt-
entstehung und einem Weltuntergang verstreichende Zeitraum.
ILftltepmilLte sind Hautstellen, die für Kälte besonders empfindlich
sind (nach Goldscheidee, Arch. f. Physiol. 1885—87; Ges. Abhandl. 1898, I).
Kampf (Streit) ist nach Hebakut der Vater aller einzelnen Dinge
{noXefiOQ naitiQ 7tavTa>v, Plut, Is. et Osir. 48). Der Kampf läßt aus der Ein-
heit die Vielheit, Verschiedenheit hervorgehen; die Bückkehr zu jener, zum
göttlichen Urfeuer, ist der Friede (ofioXoyia xal sl^vrj, Diog. L. IX, 8). — Nach
Cakfanella stehen alle Dinge im Kampfe miteinander (De sensu rer. I, 5).
Hobbes spricht vom „bellum omnium contra omnes" (s. Sociologie). Den
(directen imd indirecten) ,yKampf ums Dasein*' („siruggle for lif&') aller Lebe-
wesen lehrt Gh. Daewin (s. Evolution). Nach Du Peel besteht auch ein
^,Daseinskampf" zwischen den Himmelskörpem. Eolph setzt an die Stelle
des Kampfes ums Dasein den „Kampf um Mehrenoerb" (Biolog. Probleme 1884).
536 Kampf — KantUnismus.
Ähnlich Nietzsche. Nach F. Sghultze ist der Kampf ums Dasein
besonderer Ausdruck der allgemeinen Causcdüät*, ,^€der suefU sich so soeü *¥
erhaUenj als seine ursächliehe Kraft reicht, und wird so weit überwäUigty als die
Kraft des Oegenstrebenden die des Strebenden überragt^ (Philos. der Naturwiss.
11, 344). Vgl. Evolution, Selection, Dualismus.
Kanon (navciv): Richtmaß, Kegel. Kavtoveg sind logische S^ein
(PsELLüs, bei Pbantl, G. d. Log. II, 268). Kjlnt versteht unter ,^anosr
der reinen Vernunft den ,ylnbegr%ff der Orundsätxe a priori des richtigen Gt-
brau4!hs gewisser Erkenntnisvermögen überhaupt". „jSo ist die allgemeine
in ihrem analytischen Ibüe ein Kanon für Verstand wnd Vernunft
aber nur der Form nach, denn sie abstrahiert von allem InhaUef^ (Knu d. r.
Vern. S. 604 f.). Fries versteht unter Kanon „einen JMegriff von Regelte, nach
denen ein Erkenntnisvermögen . . . wirkt^. Die reine Logik ist „etn Kanon
des Verstandesgebrauehs" (Syst. d. Log. S. 12 f.).
KanonÜL (xavorwov) nennt Epikub seine Logik (s. d.), die er der
Dialektik gegenüberstellt und welche eine Lehre von den Normen (canones) der
Erkenntnis und der Wahrheit (s. d.) sein solL Das xavovtxov ist der erste
Teü der Phüosophie (Diog. L. X, 29; Qcero, Acad. II, 30; De finib. L 7:
Senec., Epist. 89). Tfjv dialexTutijv eog Tin^iXicovcnv anodoHifid^ovcrtt^' a^auir
ya^ rove (pvinxovs x^Q"^^ xara rovg rdfv n^ayfiariov fpd'oyyovQ (Diog. L. X, 90k
ro fiev ovv xavovtxov itfoBovg inl rijv ngayfiarslav fyst (1. c. X, 30).
ILanttanlsmas: die Philosophie Kants. Sie besteht im Kriticismus
(s. d.), in der Negierung apodiktischer, transcendenter Metaphysik (s. d.), in
der Unterscheidung von Stoff und Form (s. d.) der Erkenntnis, in der G^en-
überstellung des a posteriori und a priori (s. d.), in der Betonung der 8p(Hi-
taneität (s. d.) des Denkens und des Zusammenwirkens von Begriff und An-
schauung (s. d.), in der Behauptung der Aprioritat und Subjectivität (s. d.)* der
Anschauungsformen (s. d.) und Kategorien (s. d.), der transcendentalen Idealität
(nebst empirischer KeaUtät, Objectivität) der Erkenntnisinhalte, des phäno-
menalen (s. d.) Charakters der Dinge, der Unmöglichkeit der Erkenntnis dfö
fyDing an sich** (s. d.); femer im ethischen FormaUsmus (s. d.) und Rigorismiis
(s. d.), in der Unterscheidung des empirischen und intelligiblen Charakt^B (s. d.t;
ferner in der Unterscheidung zwischen Wissen (s. d.) und Glauben, in der
Anerkennung der Berechtigung von Postulaten (s. d.) der Vernunft, da, wo dne
Erkenntnis nicht mehr möglich ist; femer in der eigenartigen (formaliKtischeD)
Auffassung des Zweckes (s. d.) und des Ästhetischen (s. d.). Kantianer und
Halb -Kantianer sind: J. Schultz, L. H. Jacob, Chk. K BciaaD,
G. B. JlscHE, K. L. Reinhold, Schiller, J. S. Beck, Maimon, Krug,
Fries, Maass, Kiesewetter, Hoffbaüer u. a. Von Kant beeinflußt sind
sehr viele Philosophen. Der Neukantianismus lehnt sich teils ziemlich «n
KsntB Lehren an, teils nähert er sich dem FiCHTEschen Idealismus od^ den
HuMEschen Lehren (s. Neuhumismus). Zu den neueren Kantianern und Xen-
kantianem gehören: J. B. Meyer, F. A. Lange, Helmholtz, E. Arnoldt^
H. Cohen, P. Natorp, K. Vorländer, F. Staudinger, L. GoLDscHimyT.
H. LoRM, H. Vaihinoer, R. Stammler, W. Tobias, A. Krause, A. Stadler.
O. Liebmann, Renoüvier, K. Lasswitz, J. Volkelt, W. Windelband,
Fr. Schültze, Rokitansky, A. Classen, H. Hertz, C.F. Zöllner, die Tlieo-
logen A. RnscHL, A. Lipsius (vgl Überweo-Heinze. Gr. d. G^sch. d. Fhih».
i
Kantiaxiiamua — Kategorialfanotioii. 537
IV*, 215 ff.; vgl. auch ^^ntstudien^' ^ hrsgegeb. von H. Vaihinger. Vgl.
Idealismus, Kriticismufi.
Karma (eig. Tun, Werk): die sich verkörpernden, objectivierenden Wir-
kungen eines Wesens, die schicksalsgestaltende Kraft des Wesens (Verschulden
und Verdienst). Das Karma bestimmt Örtlichkeit, Natur und Zukunft des
neuen Wesens, das nach dem Tode eines andern entsteht (Buddhismus; vgl.
T. W. Rhys Davids, Der Buddhism., dtsch. S. 106).
Katalepsie (hypnotische) s. Hypnose.
Kataleptifiielie VorsteUung^ {favraaia xaraXrptTixrj) ist, nach den
Stoikern, das Kriterium der Wahrheit (s. d.). Unter der favraaia Hara-
XriitTtxri (von xatdkriyjii j Erfassung) verstehen die Stoiker die den Beifall
(avyxarad'eatgf s. d.) erzwingende, uns zur Anerkennung, zur Fürwahrhaltung
durch ihre Evidenz nötigende und so zugleich das Object erfassende, auf ein
solches hinweisende Vorstellung. Während Zelleb (Philos. d. Griech. III', 85)
und Heinze (Zur Erk. d. St. S. 27 ff.) die fnpr. xaraX, als eine den Er-
kemienden „packende^* Vorstellung auffassen, meint B. Hibzel (Untersuch, zu
Cic. philos. Schrift II), der Verstand sei es, der die Vorstelli^ng „ergreife",
Ubebweg-Heinze bestimmt die ^avr. xaraX, als y,die den Beifall erzwingende
(oder die mit sinnlicher Klarheit das Object ergreifende) Vorstellung" (Gr. d.
Gesch. d. Philos. I', S. 291). L. Stein meint: ,yMit Zeller muß man annehmen,
daß das xaralijTtTixov ursprünglich einen activen Sinn hatte, daß der Tonus
desselben xweifehohne auf die Suivoia einwirkt. Anderseits muß man Hirxel
wieder darin recht geben, daß die Sidvota sich unmöglich rein leidend verhalten
kann" (Psychol. d. Stoa II, 174). — T^e Si tpavTaitias riyv ftev xaTaXijTtrtxi}»',
rr^v $6 dxardXrjTrrov xataXrjTtTixrjv fidv, rjv x^irtj^tov elvai rmv Ttgay/idttov tpaai,
t^v ywofiivriv dno vffa^/o»^Off xai ivanofASfiaYfitvriv' dxaTaXipiTOv Si r^v iatj
ano vnd^ovTog, ij dno vnd^ovTog fiiv, fii) xar* avro 8i ro vnd^x^p, r^v fiij
T^avfj ßAtjSi ixTvnop (Diog. L. VII, 1, 46). Die favr. xaraX, erzwingt unsere
avyxardd'eins (L c. 51), sie entspringt aus der Wahrnehmung und dem Schließen
(1. c. 52), sie ist klar (ira^yr^g ovoa xai 7tXi]XTixfj) und xaraancäaa rifids eig
avyxaTdd-eoiv (Sext. Empir. adv. Math. VII, 257). Sie hat objectiven Charakter
{indgxov kariv, o xtval xaTaXfjTtrixr^p favxaaiav, 1. C. VII, 426). CiCERO be-
merkt : ,yZeno cum, extensis digitis adversam manum ostenderat, visum inquiebat,
huius modi est. Dein cum pauhrni digitos contraxerat, adsensus huius modi.
Tum cum plane compresserat pugnumque fecerat, comprehensionem illam
esse dicebat" (Acad. II, 145).
Philo von Larissa glaubt, dxaTaXrjnTa (imbegreiflich, nicht mit Sicher-
heit erkennbar) elvai. rd n^dyfiara (Sext. Empir. Pyrrh. hypot. I, 235). Nach
Arkeselaos (1. c. I, 233 squ.) und Karneades (Sext. Empir. adv. Math. VII,
416 squ.) kann die ^avxaala xaraXi^Ttrix^ nicht das Kriterium der Wahrheit
sein. Vgl. Synkatathesis.
KateclietiBeli (xaTtjxeiPj unterrichten) heißt die Unterrichtsmethode
durch Frage und Antwort (= „erotematisch"). Das Sokratische Verfahren
ist katechetisch.
Kateg^orematlscli s. Synkategorematisch.
Kateg^orlal s. Kategonen.
Katefj^orlalfanctlon s. Kategorien.
538 Kategorien«
Kateg^orlen {xarrjyo^iat von xarrjyo^eiVj aussagen, yypraedieameiUir):
Aussagen, allgemeinste oder Grundaussagen über das Seiende, Grundbegii^
Stammbegriffe, oberste Begriffe als Niederschlag von allgemeinsten Urteflei
über das Seiende, Fundamen talbeurteilungen, Denkformen, DenkBetzongeB,
Seinsarten. Die logischen Kategorien sind die allgemeinsten B^riffe, wddie
aus der denkenden Verarbeitung der Erfahrungsinhalte entspringen. Sie sind
nicht direct aus der Erfahrung (den Empfindungen, Vorstellungen) abstrahiot
sondern haben in dieser nur ein „Fmidament"y d. h. die Erfahrung (das (ge-
gebene) enthalt Momente, die zur Setzung der Kategorien veranlassen, nötiges.
Formal sind die Kategorien ein Product von Setzungen, Urteilen, ein Werk
des beziehend-synthetischen Denkens. Aber sie sind nicht bloße FoTnIbegTifi^
sondern haben auch einen der (inneren) Anschauung entnommenen Inhalt,
nämlich ein Verhalten des Ich, welches in und mit der Kategorie auf die Ib-
halte der äußeren Erfahrung übertragen, projiciert wird. Einheit, Identität,
Beharrlichkeit (Substantialität) , Wirken (Causalität) sind Bestimmungen, die
nicht objectiv erlebt (empfunden), auch nicht aus „angeborenen" Begriffies
stanunen, auch nicht bloß formale Beziehungen des Denkens sind, sondern Be>
Stimmungen, die das Ich ursprünglich nur bei und in sich selbst vorfindet und
nach deren Analogie es die Wahmehmungsobjecte beurteilt, dies aber nid«
willkürlich, sondern psychologisch und logisch motiviert durch dem äußere (er-
fahrbare) Verhalten der Objecte, das dem äußeren (sinnlich-physischen) Ver-
halten des Ich gleichartig ist. Die subjective Quelle der Kategorien ist ako,
in formaler und materialer Beziehung, das denkend-wollende Ich. Indem dt»
Subject die Kategorien (primär nicht begrifflich, sondern in concreter, nn-
reflectierter Weise) auf den Inhalt seiner Erlebnisse, auf das Immanente (s. d.i.
anwendet, meint es (implicite, in der Wissenschaft und im philoeophlschai
Bealismus explicite) die transcendente Gültigkeit der Grundbegriffe, d. h.
es setzt, postuliert mit ihnen transcendente, nicht objectiv erlebbare Factorefi
der Objecte, es bereichert das Für-ein-Subject dieser um ein Eigen- und Für-
sich-sein. Die Function der Kategorien (Kategorialfunctionen) sind also Her-
stellung von Einheit, Zusammenhang, Ordnung, Objectivität {„ObfectirieruH^f
in den Erlebnissen und zugleich Setzung eines Transcendenten im Erkenntnis-
immanenten („Sub/eettrierung"j „Hypostasterunff^^). Insofern die Kategorien
für jede mögliche Erfahrung notwendig Gültigkeit beanspruchen und insoweit
sie nicht den Erfahrungsinhalten, sondern der Ichheit und dem Denken ent-
springen imd in die Erlebnisse erst hineingelegt (introjiciert) werden, haben sie
apriorischen (s. d.) Charakter. Insofern aber die Erfahrungsinhalte selbst den
Anlaß zur Anw^idung der Kategorien bieten und insoweit die Anwendbarkeil
derselben beständig durch die Erfahrung erhärtet, erprobt wird, sind sie em-
pirisch fundiert. — Die Urkategorie ist die ,Jch?i€it*, Ihr objectiver Reflex
ist die „Dinglieit* (s. d.). Sie enthält schon das „PTtrÄ:«»". Aus ,,Din^*^ uni
„Wirken^^ (Tun) gehen die Kategorien (und „Pontprädicamerdt^^ s. d.) „Äi^
«ton*" (Sein) mit „Accidetixen" (Eigenschaften, Zuständen), „Causalität^, „Ära/^",
,fZwect^ u. s. w. hervor. „/cMciY" und „Ditigheii" explicieren sich in ^^itthedt^
(Identität), „Anderkeit** (Verschiedenheit), „Vielheit*. Psychologische £[ate-
gorien sind Begriffe von allgemeinen psychischen Tätigkeiten und Zustandeo.
Ästhetische und ethische Kategorien sind Arten der Wertbegriffe (s. d.).
Die Kategorien werden betrachtet: 1) als Denkbestimmungen, die für das
Seiende zugleich gelten ; 2) als apriorisch-subjective, phänomenale Bestinunungen ;
Kategorien. 539
3) als empirisch-objective; 4) als enipirisch-subjective Bestimmungen; 5) als bloß
biologisch- wertvolle Begriffe. Also : rationaler, aprioriacher Ursprung der Kate-
gorien, Ursprung aus der äußeren, aus der inneren Erfahrung; aus dem Zu-
sammenwirken von Denken und Erfahrung; subjective, objective (transcendente)
Gültigkeit der Kategorien ; Elimination derselben.
Das System des Kanada unterscheidet sechs Kategorien (pad&rthras) :
Substanz (dravja), Qualität (guna). Wirken (karma), Gemeinschaft (sämanja),
Unterschied (viceschna), „Zueinandersein^^ (samanäja). Die vorsokratischen
Philofiophen verwenden die Kategorien im objectiv-metaphysischen Sinne. Eine
gewisse Verwandtschaft mit einer Kategorien tafel weist die Pythagoreische
Tafel der Gegensätze (s. d.) auf. Der erste, der die Begriffe auf Grundbegriffe
zurückführt, ist Plato. Er nennt sie ttoiva ns^i navrtov (Theaet. 185 E),
Ittyiaxa yivr} (höchste Gattungen, Soph. 254 C, D). Es sind dies Sein (Seiendes,
&v), Identität (tävtoV), Anderheit (fts^ov)^ Veränderung {xivrjirie), Beharrung
{rzacts) (Soph. 254 C, D). KarijyoptjTs'ov (jyÄusgesagtes^'J kommt Theaet. 167 A
vor. — Der eigentliche Begründer der Kategorienlehre ist Aristoteles. Von
grammatikalischen Gesichtspunkten (vgl. Trendelenburg, Gesch. d. Kate-
gorienL S. 209) geleitet, nennt er xaTi?yo(>/ai, yi'vrj tööv Harrjyo^täßv^ ff/if/iÄT« i^g
xarr^yo^iag rdiv ovrtov die (objectiven) Grundaussagen über das Seiende, die
allgemeinen Seinsweisen selbst, die obersten Gattungsbegriffe, denen alles Seiende
sich unterordnen läßt. Er nimmt zunächst zehn Kategorien an: Substanz
(ovcia)y Quantität {noaov), Qualität {noiov)^ Belation (tt^os t«), Ort (ttoi;), Zeit
(nora), Lage (xeiad^ai), Haben oder Verhalten (^x^i^)* Tun (nouilv), Leiden
(naax^tv) (Top. I 9, 103 b 20 squ. ; Categor. 4, 1 b 25). Auch eiue Achtzahl von
Kat^orien (ohne xalad-ai und i^x^iv) kommt vor (Analyt. post. I 22, 83 a 21;
B3b 16; Phys. V 1, 225b 6). Drei Kategorien (ovaiat, ndd^, tiqos ti) werden
aufgezahlt Met. XIV 2, 1089 b 23. Auch steUt Aristoteles der oifala die übrigen
Kat^orien als avfißeßtjxora gegenüber (Analyt. post. I, 22). Die Kategorien
haben ihr Correlat im Sein: oaaxcSg yaq Xäyeratf TocavraxöJs to eJvai ar,uaivsi
(Met V, 7). — Strato betrachtet als oberste Kategorie die ovaia (ProkL in
Tim. 242 E). Die Stoiker stellen vier Kategorien (n^wra yivrj^ yevixcjTara)
auf: Substrat oder Substanz {v7ioxBifuvov)y Qualität {noiov)^ Verhalten [nrng
i/av), Belation {n^og xi Ttcag ^x^v) (Simplic. in Cat. f. 16). Das vnoxsi/uevov ist
die oberste Kategorie. Plotin unterscheidet sinnliche und intelligible Kate-
gorien, d. h. Kategorien, die für die sinnliche, und solche, die für die Ideal-
welt gelten; die intelligiblen Kategorien gelten für die sinnliche Welt nur
avaXoyiq xal Ofiofw/iiq (Enn. VI, 1 ff.). Die Ti^wra yevt] töw votjxojv sind:
övf axdatSf xinjcigf ravroTTjg, arepari^g (Enn. VI,- 1, 25; VI, 2, 7 ff.). In der
Sinnenwelt gibt es ovaia, n^og ri, noaov, noiov, xivr^an.
Die Aristotelischen Kategorien (,,8umma verum genera^^) werden bei Bofi-
THius, Claudius Mamertinus (De statu anim. 1, 19), Johannes Damascenus,
Alcuin, Gerbert, Anselh u. a. aufgezählt: „substanüa, qttantitas, qualitasy
rdaiioy actio, pcusio, ubi, quando, sittts, habiius*^. Augustinus nennt drei psycho-
logische Kategorien: j^memoria, iniellecius, volunttis", denen er „esse, nosse, velle**
als Seinskategorien gegenüberstellt. Die sinnlichen Kategorien sind auf (3k)tt nicht
anwendbar. Gott (s. d.) ist „sine qualitate honwn^\ „sine quantitaie^'^ u. s. w.
(De trinit. V, 2). Auch JoH. Scotus Eriugena behauptet: „NiUla categaria
proprie Deum significare potesP^ (De div. nat. I, 15). Alle Kategorien stehen
zueinander in Beziehung. Die ovaia ist die Grundlage aller anderen; einige
540 Kategorien.
Kategorien sind zu jener ne^ioxaij circnmstantes, andere dagegen Accidema
der ovaia (L c. I, 24; I, 27; I, 51; I, 54). Die Kationen constituieren da
Körper (s. d.), welcher demnach aus Unkörperlichem (durch den Logos) gebOdei
wird. „Omnes . . . eategorio/e incorporales sunt per se intelleetcte. Earwn tamm
quaectam inier se mirahüi qttodam coitu — materiam visibilem efficiunt^ (L c. 1, 36i.
Nach Abaelard kann Gott nicht kategorial bestimmt werden (Introd. ad tbeoL
II, p. 1073). Thomas erklärt: y^Modi . . . essendi proportionales sunt modis
praedicandi^' (3 phys. 5i). Nach Wiilhelm von Occam sind die PrSdicamcnte
yytermim primae intentionis". Es gibt ihrer drei : yysubstantia, qualitas, n-
speetus^^ (In L sent. I, d. 8). Eine Menge Pradicamente gibt es nach IL Lüixrs.
Laubentius Valla zählt drei Kategorien auf: y^sttbstantia, qwüitas, attvt
(Dial. disp. I, 17). Zehn Kategorien kennt Campanella: ^^substantioy ^w»-
tita^y forma seu figura, vis vel facultas, operatio seu actuSy aetioy passioy simäi-
tudoy dissimilitudo, circfumstantia" (vgl. Trendelenbueg, Gresch. d. Kat^oricnL
8. 256). Melanchthon definiert : yyPraedieanienta sunt certi quidam ordines weim
inter se cognatarum," yyPraedicamentum est ordo generum, et speeierum sub tm»
genere generalissimo" (Trendel., Gesch. d. Kategor. S. 253). Gegen die Ari-
stotelische Kategorientafel erklären sich L. Viyes, Peteüs Kamüb, Gasseso»
(De logicae origine, 8 f., opp. I).
F. Bacon zählt als „transeendentia** (s. d.) auf: ,ynmiuSy minusy muUusu
patuium; iderriy diversum; poteniidy actus; habituSy privatio; totum, partes; agew^
paiiens; motus, quies; ens, noti ens^*^ (De augm. seien t. V, 4). Wie Spinoia
kennt Locke drei Kategorien : Substanz, modi, Relationen. Es sind zusammen-
gesetzte Ideen, Producte der verbindenden Fiuiction des Denkens, deren Iiüiilt
aus der Erfahrung stammt (Ess. II, eh. 12, § 3). Leibniz zählt als „eth^ iüni
generaua:'* auf: „suhstanceSy qtiantitesy qualitis, aetions ou passions, relatumr
(Nouv. Ess. III, eh. 10, § 14). Crusius nennt als die y,einfachsten Betrifft:
Subsistenz, Irgendwo und Außereinander, Succession, Causalität, unramnhcbes
Auseinander, Einheit, Vemeinimg, Darinnensein (\^emunftwahrh. § 102). Mcitt
werden von den Philosophen des 17. und 18. Jahrhunderts nur Substanz, Eigen-
schaft, Zustand, Verhältnis (Relation) aufgezählt (vgl. Platner, Philos. Aphor.
I, § 515). — Hume betrachtet die Kategorien der Substanz (s. d.) und dff
Causalität (s. d.) als bloß subjective, pseudoempirische Begriffe, als Associatioi«-
und Phantasieproducte, beruhend auf Gewohnheit (s. d.) und Glauben (s. d.).
Dagegen betont die schottische Schule den rationalen Ursprung und Wen
der Grundbegriffe des Erkennens. Als Denkgebilde, die ungeachtet ihres sob-
jectiven Ursprungs Objectivität setzen, betrachtet die Kategorien Tetens (dff
so schon E[ant nahe kommt). „ Wenn tcir zwei Dinge für einerlei haUen, ««w
tcir sie in ursächlicher Verbindung denken . . ., «o gibt es einen getffissen Ääy»
des Denkens; und die gedachte Beziehung oder Verhältnis in uns ist etwas Sii-
jeetiveSy das tcir den Ob/ecten als etwas Obfectives xusckreiben und das am dir
Denkung entspringt." „Diese Actus des Denkens sind die ersten ursprüngliche*
Verhältnisbegriffe'' (Philos. Vers. I, 303; vgl. Lambert, Neues Organ.).
Eine ganz neue Kategorienlehre begründet Kant. Er leitet sie aus äff
Gesetzmäßigkeit des Denkens, aus der „reinefi Vernunft" (s. d.), aus dar Denk-
tätigkeit, als Formen (s. d.) dieser, ab; nicht sind sie Abstractionen aus den
Erfahrungsinhalt, sondern sie sind etwas die Erfahrung Formendes, G^taiteudeß»
Constituierendes, Bedingendes, sie sind a priori (s. d.), transcendental (s. d.1
nicht als Begriffe angeboren (s. d.)} gehen aber aller möglichoi Er&faniBS
Kategorien. 541
logisch voran, d. h. sie gelten notwendig und allgemein -gewiß im vorhinein
für jede Erfahrung, weil sie eben die Formen unseres Denkens und damit auch
alles Gedachten, Erkannten sind. Sie machen (actuale, geordnete) Erfahrung
erst möglich, setzen erst Einheit und gesetzmäßigen Zusammenhang in den Er-
fahrungsinhalten. Das ist ihre Function; sie dienen nur der Anwendung auf
Erfahrungsinhalte, nicht auf Dinge an sich, sind also nur „suhfeetüf^* (d. h. nicht-
tnnscendent). Schon in seiner vorkritischen Periode bestimmt Kant die Kate-
gorien als „mne Verstandesbegriffe/^ „ Oiim . . . in metaphysiea non reperiantur
principia empiricoy conceptus in ipsa obvii non qttaerendi sunt in sensibus,
ud in ipaa natura intellectus puri, non tanquam conceptus eonnati, sed e
kgibw menti insitts (attendendo ad eius actiones occasione eooperientiae) ab-
s^raeiiy adeogue aequisiti. Huitis generis sunt posstbilüas ^ existentia,
neeessitaSj suhstantia, causa etc. cum suis oppositis aui correlaiis; quas cum
mtmquam seu partes repraesentationem uliam sensualem ingrediantur, inde ab-
ttrahi nullo modo potuerunt"^ (De mund. sensib. sct. II, § 8). — Zur Verbindung
des Mannigfaltigen der Anschauung bedarf es einer einheitsetzenden Synthese.
jfDiese Synthesis auf Begriffe %u bringen, das ist eine Function, die dem
Verstände zukommt, und wodurch er uns aitererst die Erkenntnis in eigentlicher
Bedeutung verschaffet," „Die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt
nun den reinen Verstandesbegriff," die Kategorie (Krit d. r. Vem. 8. 95). Sie
ist also der Begriff eines Denkactes bezw. dessen Productes, der Synthese, der
Einheitsform. Nun ist aber nach Kant die Einheitsfunction im Anschauen
dieselbe Function, „welche den verschiedenen Vorstellungen in einem, urteile
Einheit gibt" (ib.). „Auf diese Weise entspringen gercuie so viel reine Verstandes-
begriffe, welche a priori auf Gegenstände der Änschattung überhaupt gehen, als
es , , . logische Functionen in etilen möglichen Urteilen gab: denn der Verstand
ist durch gedaMe Functionen völlig erschöpft und sein Vermögen dadurch gänx^
lieh ausgentessen. Wir wollen diese Begriffe, nach dem Aristoteles, Kategorien
flennen'* (L c. S. 96). Es gibt zwölf Kategorien, die in vier Klassen zu bringen
sind:
Kategorientofel (Kr. d. r. Vem. S. 96):
Es gibt Kategorien
1) der Quantität:
Einheit
Vielheit
Allheit
2) der Qualität:
Realität
Negation
Limitation
3) der Belation:
Inhärenz und Subsistenz (Substanz und Accidens)
Causalität und Dependenz (Ursache und Wirkung)
Gemeinschaft (Wechselwirkung)
4) der Modalität:
Möglichkeit — Unmöglichkeit
Dasein — Nichtsein
Notwendigkeit — Zufälligkeit.
Das sind die „ursprünglich reinen BegHffe, die der Verstand a priori in sich
542 Kategorien.
enthält j und um derentwillen er auch nur ein reiner Verstand ist; indm e
durch sie allein etwas bei detn Mannigfaltigen der Anschauung verstehen^ d.i
ein Object denken kann*^. Die Einteilung ist ffSystematiseh aus einem gemem-
schaftlichen Prindp, nämlich dem Vermögen xu urteilen" (1. c. S. 97). De
Kategorien sind y/iie wahren Siammhegriffe des reinen Verstandest^ (ib.). &
ihnen kommen noch die „Prädicabilien" (s. d.), „reine, aber abgeleitä^^ Ve-
Btandesbegriffe (Kraft, Handlung, Leiden, Widerstand, Verändening u. s. wj
(1. c. S. 98). Die Kategorientafel zerfällt in zwei Abteilungen, „deren enim
auf Gegenstände der Anschauung (der reinen sowohl als der etnpiris^un), ^
Mceiie aber auf die Existenx der Gegenstände (entweder in Beziehung aufewandr
oder auf den Verstand) gerichtet ist^^. Die erste Klasse ist die der „«taUe-
rnatischen", die zweite die der „dynamischen" Kategorien (1. c. 8,99). Bit
„artige^* Betrachtung ist es, „daß allerwärts eine gleiche Zahl der Kategorien jeir
ElassCy nämlich drei, sind . . . Daxu kommt aber noch, daß die dritle Kalegcne
allenthalben aus der Verbindung der xweiteti mit der ersten ihrer Klasse enispriagt
(ib.). Die Kategorien (Prädicamente) sind „Denkformen" für den Begriff tob
einem Gegenstande der Anschauung überhaupt, sie sind für sich von den
Formen der Sinnlichkeit (s. d.) nicht abhängig (Üb. d. Fortschr. d. Met, S. 11^»-
Sie sind synthetische „Functionen" (1. c. S. 116), „Gedankenformen" (Krit Ar.
Vem. S. 671), „reine Erkenntnisse a priori, welche die notwendige Einheit der
reinen Synthesis der Einbildungskraft, in Ansehung aller mögliehen Erstkä'
nungen, enthalten" (1. c. S. 129). Sie gelten a priori, notwendig, für alle Er-
fahrung, bestimmen diese a priori gesetzmäßig. Die Berechtigung („M'ögli^
keil") dazu und die Möglichkeit der Beziehung dieser subjectiv-formalen Begriffe
auf Objecte zeigt die „transcendentale DeducHon" (s. d.) der Kategorien (l c
S. 107 ff.). Die objective Gültigkeit der Kategorien beruht eben darauf, ^
durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens na>chj möglieh sei". Sie sind
Bedingungen der Erfahrung. Ohne sie kann nichts Object der Erfahrung san^
nur vermittelst ihrer kann ein Gegenstand der Erfahrung gedacht werden (l c.
S. 109 f.). Zuletzt liegt die Notwendigkeit der Kategorien in der „J95p5tV*i«?.
welche die gesamte Sinnlichkeit, und mit ihr auch alle möglichen Ersekeinwi^
auf die ursprüngliche Appercepiion (s. d.) hohen, in u?elcher alles notwendig den
Bedingungen der durchgängigen Ein^teit des Selbstbewußtseins gemäß sein, d. i
unter allgemeinen Functionen der Synthesis stehen muß, nämlich der Synthesit
tiach Begriffen, als worin die Appercepiion allein ihre durchgängige und noi-
wendige Identität a priori beweisen kann". Diese Identität (s. d.) muÜ in die
Synthesis der Erscheinungen hineinkommen, und deshalb sind „die Erschei-
nungen Bedingungen a priori unterworfen, welchen ihre Synthesis (der Appre-
hension) durchgängig gemäß sein muß, d. h. die Erscheinungen stehen unter
notwendigen Gesetzen" (1. c. S. 124 f.) Der reine Verstand ist in den Kategoriea
„das Gesetz der synthetischen Einheit aller Erschemungen", Der Verstand tagt
in seinen Synthesen seine „Spontaneität* (s. d.) (1. c. S. 662 ff.). Warum die»
gerade zwölf Kategorien hervorbringt, können wir nicht wissen (L c. S, 668). —
Die Kategorien verschaffen nur Erkenntnis, wenn sie auf (mögliche) AnschaauO'
gen angewandt werden; sie haben keinen Gebrauch als nur für. „O^enstäf^
möglicher Erfahrung" (1. c. S. 668 f.). Sie haben „keine Bedeutung, wenn sif
von Gegenstäfideti der Erfahrung abgehen und auf Dinge an sieh selbst (Koumensi
bexogen werden sollen. Sie dienen gleichsam^ nur, Erscheinungen xu buehstabierai^
um sie als Erfahrung lesen xu können" (Prolegom. § 30). Dir Gebrauch ist
J
Kategorien. '^--.\ .. /-''^ 5^
ein ImmaDenter (s. d.) (WW, IV, 76). „Unsere sitmltcke und etnpirische An-
Behauung kann ihnen allein Sinn und Bedeutung verschaffen^^ (1. c. S. 670).
Was der Verstand ,/m8 sich selbst schöpft, ohne es von der Erfahrung xu borgen'%
das hat er yydennoch xu keinem andern Behuf, als lediglieh xum Erfahrungs-
^febrauch^^. Abgesehen von der Anschauung, sind die Kategorien ,,ßin bloßes
Spiel, es sei der Einbildungskraft oder des Verstandes" (1. c. S. 224). ,fier
Begriff bleibt immer a priori erxeugt, samt den synlhetisehen Grundsätxen oder
Formeln aus solchen Begriffen; aber der Qebrauch derselben und Bexiehung auf
angebliche Gegenstände kann am Ende doch nirgends als in der Erfahrung gesucht
werden, deren Möglichkeit (der Form nach) jene a priori enthalten.**' „Daher können
wir auch keine der Kategorien definieren, ohne uns sofort xu Bedifigungen der
Sinnlichkeit, mithin der Form der Erscheinungen herabxtdassen, als auf welche,
als ihre einxigen Gegenstände, sie folglich eingeschränkt sein müssen" (L c.
S. 142 ff.). Die Kategorien bedürfen „Bestimmungen ihrer Anwendung auf Sinn-
lichkeit überhaupt", des transcendentalen „Schemas" (s. d.). Die Schemata
j^reeUisieren" die Kategorien und „restringieren" sie auf die Sinnlichkeit (1. c.
ß. 142 ff.). Die Kategorien haben transcendentale Bedeutung, aber nur empi-
rischen Grebrauch, sie gelten nur für Phänomene (s. d.), setzen ein empirisch
Gegebenes zur Anwendung voraus (L c. S. 229 ff., 234). Durch die Kat^oiien
lassen sich nur Erfahrungsobj^te erkennen, zu praktischen Zwecken aber
können sie auch auf das Übersinnliche bezogen werden (Krit. d. prakt. Vem.
I. T., 1. Bd., 1. Hptst.). Die Apriorität der Kategorien erklärt die Möglichkeit
83^ihetischer Urteile (s. d.) a priori. — Es gibt auch ,yKategorien der Freiheit^*,
die auf die Bestimmung eines freien Willens gehen und die Form des reinen
Willens zur Grundlage haben. Sie sind „praktische Elementarbegriffe^* (Krit. d.
prakt Vem. S. 79). Die Tafel derselben ist folgende (1- c. S. 81):
Kategorien der
1) Quantität:
Subjectiv, nach Maximen: Willensmeinungen des Individuums
Objectiv, nach Principien: Vorschriften
A priori sowohl als subjective Principien der Freiheit: Gresetze.
2) Qualität:
Praktische Kegeln des Begehens (praeceptivae)
Praktische Begeln des Unterlassens (prohibitivae)
Praktische Begeln der Ausnahmen (exceptivae).
3) Belation:
Auf die Persönlichkeit
Auf den Zustand der Person
Wechselseitig einer Person auf den Zustand der andern.
4) Modalität:
Das Erlaubte imd Unerlaubte
Die Pflicht und das Pflichtwidrige
Vollkommene und imvollkommene Pflicht.
Die Apriorität (s. d.) der Kategorien wird von Kantianern und Halb-
^tianem teils in streng logischem (rationalem), teils in mehr psychologischem
Binne genommen. Nach Beinhold sind die Kategorien „bestimmte Formen der
Zusammenfassung in objectiver Einheü", „Handlungsweisen des Verstandes"
(Vers. ein. neuen Theor. II, 458). Beck setzt das Wesen der ICategorien in die
Erzeugung objectiver Einheit des Bewußtseins (Erl. Ausz. III, 155). Nach
544 Kategorien.
S. Maimok sind sie Beziehungsformen des Denkens (Vers. üb. d. Transoesd.
8. 44). Platneb sieht in den Kategorien „Orundanlagen des Vergtandar,
subjectiv und zugleich objectiv, durch die Dinge selbst bedingt (Log. u. MeL
S. 83 ff.). Krug bestimmt die Kategorien als gesetzmäßige HandlungBweiM&
des Verstandes (Fundamentaiphilos. 8. 151, 168). ,jK(äefforten der SinnUe^xit
sind Räumlichkeit, Zeitlichkeit, räumliche ZeiÜichkeit (Handb. d. Fhilos. I.
261). „Die Kategorien des Verstandes" sind „transcendentcUe Begriffe^', ^juMn
nichts anderes ausdrücken^ als die ursprüngliche Denkform selbst t abffesomieri
ifon dem Stoffe, mit welchem sie im gemeinen Bewußtsein zu empirischen Bf-
griffen von wirkliehen Gegenständen verschmolzen isf* (L c. I, 266). Zu unter-
scheiden sind „reine^^ und „versinnlichtef* (,jsekematisierte^^) Prädicamente (L e.
I, 273). Die ,, ürkategorie" ist die Bealität (das 8ein). Die Verstandeskategonen
sind: Einheit, Vielheit, Allheit; Positivität (Oesetztsein), N^:ativität, Lamita-
tivität (Beschränktsein); Beständigkeit, Ursächlichkeit, Gemeinschaftlichkeil:
Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit (1. c. I, 272 f.). Nach Fbie» sind die
Kategorien ursprüngliche Tätigkeitsformen des Denkens, welche Einheit in die
Erfahrung bringen (N. Krit. II*, 27). Es sind dies: Ding, Beschaffenhät
(Größe, Eigenschaft), Verhältnis, Art und Weise, Ort, Zeit (Syst. d. Log. S. 387).
— Nach Jacobi sind die Kategorien notwendig imd allgemeingültig, nicht wdl
fiie apriori sind, sondern weil die durch sie ausgedrückten Beziehungen
mittelbar und in allen Dingen vollkommen tmd auf gleiche H'eise gegeben
(WW. II, 261).
Schopenhauer erklärt, die Kantische Kategorientafel verdanke ihren Ur-
sprung einem Hange zur architektonischen Sjrmmetrie (W. a. W. u. V. L BA.
8. 447). Von den Kategorien sind elf als grundlos zu entfernen. Nur die
Causalität (s. d.) ist zu behalten, deren Tätigkeit aber schon ,yBedingung der
empirischen ÄnschauuTig*' ist (1. c. 8. 446 f.). Für die Begriffe dürfen wir
„keine andere a priori bestimmte Form annehmen, als die Fähigkeit X4tr Reflexifm
überhaupt^^ (ib.). Nur die Causalitätskategorie ist a priori vorhanden und die
tjForm und Function des reinen Verstandes'* (1. c. S. 449). Nach F. A. La17GE
gehen die Kategorien aus bestinmiten Einrichtungen unseres Denkens hervor,
durch welche „die Einvnrkungen der Außenwelt sofort nach der Regel jener
Begriffe verbunden und geordnet werden" (Gesch. d. MateriaL II*, 44). Helm-
HOLTZ erklärt Causalität, Kraft, Substanz für apriorische Grundbegriffe (Täte,
in d. Wahm. 8. 42). Nach O. Schi^eideb ist die Kategorie (kat^oriak
Function) eine „Qeistestätigkeit, welche den Bewußtseinsxustand klaren und detä-
liehen Auffassens des Seienden und des Zusammenfassens des Vielen im Oemetm-
samen und damit jede Erkenntnis . . . überhaupt erst ermöglicht^ dann aber
auch dem kritischen Geiste xu jenem Bewußiseinsxnstande verhüft, in welchem er
sich von dem Vorhandensein solcher Tätigkeit Rechenschaft gibt'*. Die Kate-
gorien sind a priori, formen die Erfahrungsinhalte (TranscendentalpsychoL S. 9li.
Es gibt: 1) subjective Stancunbegriffe, welche bewirken, daß ein bestimmtes
Etwas in meinem Bewußtsein und für dasselbe als Gegenstand da ist: Ding
und Eigenschaft, Einheit, Vielheit und Allheit, Identität und Verschiedenheit:
2) objective, Wirkhchkeits- oder Seinsbegriffe: Ursache und Wirkung, Wirklich-
keit und NichtWirklichkeit (1. c. 8. 129). Fr. Schültzb nimmt vier KatcgorieD
an: Zeit, Kaum, Causalität, Empfindung. Die drei ersten sind subjectiv, imma-
nent, apriorisch (Philos. d. Naturwiss. II, 325). Nach H. Ck>H£N sind die
Kategorien ursprüngliche Verknüpfungsarten des Mannigfaltigen, notwaidige.
Kategorien. 545
logische Bedingungen der Erfahrung (Kants Theor. d. Erfahr.*, S. 248, 255).
jflXe Kategorien sind nicht angeborene Begriffe, sondern vielmehr die Grund-
formen, die Grundrichtungen, die Orundxiige . , ,, in denen das Urteil sich
t^Uiehi," „Betätigungsweisen des Urteils'' (Log. S. 43 ff.). Eine Urteilsart kann
eine Mehrheit von Kategorien enthalten, und eine Kategorie kann zugleich in
mehreren Urteilen enthidten sein (1. c. S. 47 ff.). Die Kategorie bedeutet f,die
reine Erkenntnis, welche die Voraussetxung der Wissenschaft ist" (1. c. 8. 222);
ähnlich Natobp, K. Vorlandeb u. a. Nach Hcbserl sind die Kategorien
a priori, sie gehören zur Natiu: des Verstandes (Log. Unters. II, 672), sie sind
die ergänzenden Formen, welche unmittelbar kein Correlat in der Wahrnehmung
haben (L c. II, 606). Durch Idealgesetze wird die Anwendung der Kategorien
geregelt, begrenzt (1. c. II, 660 ff., I, 243 ff.). — Vgl. Windelband, Vom
System der Kategorien IdOO.
In anderer Weise werden die Kategorien aus der Gesetzmafiigkeit des
Denkens abgeleitet, wobei zum Teil die objective (Geltung jener betont wird,
sei es für die immanenten, sei es für transcendente Dinge.
Nach J. G. Fichte sind die Kategorien Setzungen des Ich (s. d.), sie ent-
stehen „mtlf den Objecten xugleich*' „auf dem Boden der Einbildungskraft", um
die Objecte zu constituieren (Gr. d. g. Wiss. S. 415). Dinge an sich (s. d.)
gibt es nicht, also gelten die Kategorien nur fiu- die Dinge als Inhalte des
(überempirischen) Ich. Schelling erklart: „Alle Kategorien sind Handlungs-
weisen, durch welche uns erst die Objecte selbst entstehen" (Syst. d. transc. Ideal.
S. 223). Ursprünglich sind nur die Kategorien der Belation (1. c. S. 232, 292).
Hegel betrachtet die Kategorien ebensowohl als subjective als auch als ob-
jective Bestimmungen, sie sind Denk- und Seinsformen zugleich (vgL Encykl.
§ 20, 43 ff.). Die Kategorien sind: Sein: Qualität, Quantität, Maß; Wesen:
Grund,. Erscheinung, Wirklichkeit; Begriff: subjectiver Begriff, Object, Idee.
Nach K. Rosenkranz sind die metaphysischen Kategorien „Momente der Idee
als logischer", homogen mit den logischen Kategorien. Sie haben abstract nur
^yideelie Existenz", sind nicht „kosmogonische Mächie^*^ (Syst. d. Wiss. S. 9).
Aus Denken und Erfahrung (Wahrnehmung) leitet die Kategorien G. W. Ger-
lach ab (Hauptmomente d. Philos. S. 124 ff.). Nach Schleiermacher smd
die (subjectiv-objectiv gültigen) Kategorien als Anlagen dem Verstände an-
geboren, sie entstehen aus ihrem „Schematismus", aus der Vernunft, dem
^Ortef^ der Kategorien (Dialekt. S. 104 f., 315). Chr. Krause sieht in den
Kategorien den „Gliedbau der Grundwesenheiten'', die Grundgedanken der
Erkenntnis des Seins: Wesenheit, Formheit, Seinheit, Selbheit, Ganzheit,
Vereinheit u. s. w. (Vorles. üb. Philos. 173 ff.). C. H. Weisse versteht unter
den „abstreiten Allgemeinbegriffen" oder Kategorien „die sehlec^Uhin not"
loendige, nicht nicht sein und nicht anders sein könnende Form und Gesetx-
fnäßigkeit edles Daseienden, Wesenhaften und Wirklicheyi" (Grdz. d. Met.
8. 37). Die Vernunft besitzt diese Begriffe „durch sich selbst", schon bevor
sie sich ihres Besitztums bewußt ist (1. c. S. 47). Das natürliche Bewußtsein
trägt diese Begriffe unbewußt und unwillkürlich in den Weltinhalt hinein (1. c.
ß. 56 f.). Sie haben „eine von aller subjectiven menschlichen Auffassung unab-
hängige Geltung" (1. c. S. 57). Insofern in den Kategorien die Totalitat des
Seienden enthalten ist, heißen sie Ideen (1. c. S. 65). Ideen sind „die Kate-
$orien, so wie sie in einer Reihe geschichtlicher Gestalten der Philosophie, jede
^ Ausdruck für das Game auftreten". Metaphysische Idee ist ,4^ echt
Pfailoiophisob«« WOTUrbach. S. Aail. 35
546 Kategorien.
wissenschaftlich, mit dem ausdrüeklichen Bewußtsein ihrer Bedeutung für tffli{
positiven ItihcUt aufgefaßte Totalität der Kategorien" (1. c. S. 66 f.). Au%»W
der Metaphysik (s. d.) ist es, y^die Gesamtheit der Kategorien in einen diabkr
tischen Oyclus xu verarbeiten" (1. c. 8. 75). Die Kategorien sind: Sein: Kate-
gorien der Qualität: Sein, Dasein, Unendlichkeit; der Quantität: Zahl, Grafie^
Verhältnis; des Maßes: Individuum — Art — Gattung, specifische Gröfle —
Kegel — Gesetz, Form und Inhalt. Wesen: Identität — Einheit, Zweiheit —
Gegensatz, specifische Dreiheit; Ausdehnung, Ort, Raum; Schwere, Pokriltt
und Cohäsion, Chemismus. Wirklichkeit: Kategorien der Reflexion: Sob-
Btantialität — Möglichkeit, Causalität — Wirklichkeit, Wechselwirkung —
Notwendigkeit; des Zeitbegriffs: Bewegung, Dauer, 2Seit; der Lebendigkeit:
Teleologie und Organismus, Leben, Freiheit (1. c. S. 99 ff.). Eschenhayei
versteht unter den ICategorien „allgemeine Formen, die der ganzen BegriffsmR
xukommen". Nicht die Logik, sondern die rationale Psychologie kann ai
deducieren, nämlich aus der Ichheit. Das formale Denken ist nicht das HöchEte
Das Selbstbewußtsein ist das Ursprüngliche in uns, in welchem Form und Gfjuli
zugleich gegeben ist. „/n dem Grundgesetz desselben, welches das Centrum da
ganzen geistigen Organismue einnimmt, ist die Form schon mit dem GeM
gegeben, und erst von ihm aus erhält der logische Verstand seine Formen^ «ftm
Kategorien, seine Fundamentalsätze, die er dann auf die ihm anderwärts ha
dargebotene Materie des Denkens anwendef^ (Psychol. S. 299 ff., 309). Nad
Fbohschammeb wohnen die Kategorien des Seins, der Causalität, der Not«
wendigkeit „dem Geiste insofeme inne, als er selbst in seiner Bealität um
Wirksamkeit deren Realisierung ist". In diesen Kategorien ist die objectiTi
Phantasie tatig. Im Geiste sind die Kategorien „gleichsam die Organe, wodunA
das Material der Sinneswahmehmung in die Einheit des psychischen Orgemism»
aufgenommen werden kann" (Monad. u. Weltphantas. S. 64 f.). — Nach J. Berg
MANN sind die Kategorien „Momente der allgemeinen Form der Gegensfä^idliek
keit", sie sind ,,Prq;ectionen" von Momenten des Ich (Sein u. Erk. S. 172). -
Aus der innern Erfahrung von Bestimmtheiten des Ich leitet die Kat«goria
(„Urbegriffe") J. Wolff ab. £s sind: Identität, Einheit, Vielheit, Subetantiali
tat, Causalität u. s. w. Nach Analogie unseres Innern w^en die Objecti
kategorisiert (Das Bewußts. u. sein Object S. 593 ff.). Aus der innem Er
fahrung leitet die Kategorien schon M. de Birak ab (vgl. Causalität, Kraft]
Vgl. unten. — Aus der Idee des Seins (s. d.) stammen die Kategorien nad
Rosmiki-Serbati.
Trendelenburg sieht in den Kat^orien Begriffe, die aus der Reflexici
über die Formen der Denkbewegung entspringen (Log. Unt I*, 330). Inden
die „Bewegung" (s. d.), die Quelle der Kategorien, in der Anschauung schoi
mitenthalten ist, werden sie aus ihr abstrahiert (1. c. S. 358). Sie sind aba
yjceine imaginären Größen, keine erfundenen Hülfslinien, sondern ebenso otgeeti»
als subjective Grundbegriffe" (Gesch. d. Kategorienl. S. 368). Reale Kategoriei
sind die Formen, durch welche das Denken das Wesen der Sachen ausdrücke!
will (Log. Unt. I*, 329), die „Grundbegriffe, unter welche wir die Dinge fassen
weil sie ihr Wesen sind" (Kategorienl. S. 364). Modale Kat^orien suid ,/i«
Grufidbegriffe, welche erst im Act unseres Erkennens entstehen, indem sie dessn
Beziehungen und Stufen bezeichnen" (ib.; Log. Unt. II, 97 ff.). Es gibt soirt
Kategorien aus der Bewegung und Kategorien aus dem Zweck (Log. Unt I
278 ff. II, 72 ff.). Nach J. H. Fichte sind die Kat^orien a priori und zugleid
objectiv (Psychol. I, 185 f.). Nach M. Cakbiere sind die Verstandcskat^goriei
Kategorien. 547
j^nugleieh die Oeadxe der Dinge und die Normen, nach denen die Welt unier-
aekieden und geordnet ist^^ (Sittl. Wdtordn. S. 92). Doch Btammen sie nicht
ans der Erfahrung, sondern sind Normen unseres Denkens (L c. S. 94). Lotz£
bestimmt die Denkformen als subjectiv-objective Formen, sie sind zur Behand-
lung der Naturobjecte bestinmit, beziehen sich notwendig auf diese (Mikrok.
III", 204). Sie sind „loeder bloße Folgen der Organisation unseres subfectiven
Geistes, ohne Rüeksieht auf die Natur der %u erkennenden Objecte, noch sind sie
unmittelbare Abbilder der Natur und der gegenseitigen Beziehungen dieser Ol^'ecte.
Sie sind vielmehr /ormcU^ und ,reat zugleich. Nämlich sie sind di^enigen
subjeetiven Verknüpfungsiveisen unserer Gedanken, die uns notu?endig sind, wenn
wir durch Denken die objective Wahrheit erkennen tcollen" (Gr. d. Log. S. 8).
£b gibt vier logische Kategorien: Ding, Eigenschaft, Tätigkeit, Belation (1. c.
8. 17). Ulrici leitet die Kategorien aus der unterscheidenden Denktatigkeit
ab.* Sie sind ,^ie an sich rein logischen, schlechthin allgemeinen, ideellen, for-
mellen Begriffe . . ,, welche die allgemeinen Beziehungen der Unterschiedenheit
und resp. Gleichheit der (seienden wie gedachten) Objecte ausdrücken*^ (Log-
8. 142, 215 ff., 285 ff.). Sie sind an sich nicht Begriffe, sondern Normen der
Denktatigkeit, leitende Gesichtspunkte für dieselbe (Gk>tt u. d. Nat. S. 563).
ßie haben metaphysische Gültigkeit (1. c. S. 561). Die höchste Kategorie ist
das „Denkbare^* (Log- B. 53). Die ethischen ICategorien sind ursprünglich
i(Gott u. d. Nat. S. 680). Fobtlage betrachtet die Kategorien als Producte
unbewußter Geistesfunctionen, die auf Veranlassung des Bewußtseins entstehen
:(8yst d. Psychol. I, 165 ff.). Sie entspringen dem Triebleben des Geistes
ifl. c. I, 464). „ Trieb-Kategorien" sind Bejahung und Verneinung (1. c. I, 92).
INach E. V. Habtmank sind die Kategorien nur als „Kategorialftinctionen",
inicht als Begriffe a priori (Krit. Grundleg. S. 125 f.). Sie sind Denkformen,
welche sich „aus Keimen und Anlagen des Verstandes entuncheln, in denen sie
vorbereitet liegen** (L c. S. 11). Die Kategorie ist „eine unbewußte IntellectucU-
fimetion von bestimmter Art und Weise, oder eine unbewußte logische Deter^
mnatiün, die eine bestimmte Beziehung setzt** (Kategorienl., Vorw. S. VII). Die
Kategorien sind „supraindividuelte^* „Betätigungsweisen der unpersönlichen Ver-
mmfl in den Individuen** (1. c. S. VIII). Sie sind Formen der Beziehung, der
Synthese, der logischen Determination (1. c. S. 334). Ein Teil der Kategorien
^t für die subjective, objective, metaphysische Sphäre zugleich, ein anderer
inur für die subjectiv-objective, wieder ein anderer nur für die objective und
metaphysische (vgl. Causalität, Quantität u.8. w.). Die Kategorientafel ist folgende:
A. Kategorien der Slnnliehkeit:
' I. Kategorien des Empfindens:
Qualität
^ Quantität (intensive, extensive = Zeitlichkeit)
^ II. Kategorien des Anschauens:
! Bäundichkeit
^ B* Kategorien des Denkens:
I. Urkategorie der Belation
i IL Kategorie des reflectierenden Denkens (5 Arten)
* III. Kategorie des speculativen Denkens:
\ Causalität (Ätiologie)
i FinaUtät (Teleologie)
I Substantialität (Ontologie).
\ 35*
548 Slategorien.
Das Wahrgenommene ist y^dureh und durch ein Kategorienffespinsf, 6
weist auf eine transcendente Wirklichkeit hin (L c. S. 339). Ohne Kat^ODOi
ist die Welt nicht zu verstehen (Gesch. d. Met. I, 562). An Hartmann schlieft
sich eng A. Drews an (Das Ich S. 178). Die transsubjective Geltung der
Kategorien betont Volkelt (Erfahr, u. Denk. S. 89, 95 u. ff.). Nach G. Spicxxe
beruht alles Denken auf einem sinnlichen Substrat, geht aber über diesem
hinaus (K., H. u. B. S. 165). Die Kat^orien bringen erst geordnete Erfahnu^
hervor (1. c. S. 174). Aller „Oewohnkeü^* hegt schon die Denknotwendig^eü
zugrunde (1. c. S. 178 f.). Die Kategorien haben metaphysische Geltung, füduen
zum Ding an sich (1. c. S. 180; 42, 47). Die Function der Kat^orioi fingt
erst recht da an, wo die Sinnlichkeit aufhört (1. c. S. 180). Einen erweitertes
Gebrauch der Kategorien im Übersinnlichen, in der Richtung auf das Ganxe
der Erfahrung, hält Witte für zulässig (Wes. d. Seele S. 336). Nach G- Thiei£
ist den Kategorien das „Nach-außen-sich-bextehen" wesentlich. Sie „meitiknf^
etwas außer sich, beziehen sich auf ein anderes, sei es was immer (Philos. d.
Selbstbewufits. S. 74 f., 183, 411). Ähnlich Uphues und H. Schwarz. Nach
A. Dorner haben die Kategorien keinen Sinn, wenn ihnen nicht eine Realität
entspricht. Unser Denkorgan zwingt uns, in das Gebiet der Metaphysik vlber-
zugehen. ^T^aß unser Denken gextmmgen ist, Kategorien xu büden^ die über das
bloße Denken hinausgreifen j beweist uns . . ., daß es intelligible RealiUUen gibt,
die die Vernunft beeinflussen^ Kategorien xu bilden y mü denen sie sich diese
Realitäten vergegenwärtigt*' (Gr. d. Beligionsphilos. S. 18 ff., 24; Das mensdiL
Erkenn. 314 f.). „Z>»e realen Kategorien sind nicht bloß logischer NcUur^ sie
besagen mehr; sie sind nicht bloß Produete der Phantasie, vielmehr werden durch
sie, die wir anwenden müssen, immer die Dinge als beharrend und wirkend,
nicht als bloß logisch xusammenhängend gedacht, wie ein Begriffssystem^' (Gr.
d. Beligionsphilos. S. X). Die Kationen sind nicht zu eliminieren, wohl aber
müssen sie richtig angewendet werden (ib.). Die transcendente Gültigkeit der
Grundbegriffe (Causalität, Substanz, s. d.) behauptet W. Jerusalebc. — Nach
L. Babus sind die logischen ICategorien die ,,Acte des Begreifens^' , dL h. d&
Denkens, welches „die gegenständliche Mannigfaltigkeit auf die ihr zugrunde
liegende Einheit xurückführt und umgekehrt auf Orund solcher Einheit die Man-
nigfaltigkeit sich xurechtlegt** (Log- S. 234). Urkategorie ist der Gedaoke der
Einheit (ib.). Idee ist das „durch die Kategorie in seiner universellen Bedeutung
begriffene Bild'^ (1. c. S. 236). Gegen die subjective ICategorienlehre eridirt
sich Haoemann (Log. u. Noet.'^, S. 146). So auch die katholisch-tho-
mistische Logik und Metaphysik (Pesch, Commer, Gutberlet, Log. u.
Erk.«, S. 13, 209 ff.).
Nach Eenouvier sind die Kategorien „des notions abstraites exprimant
des relations d'ordre general, auxquelles les perceptions sensibles empruntent des
formes et sönt assujetties comme ä leurs conditions de reprisentaiion, ainsi qm
pour les jugements qui leur sont applicables*^ (Nouv. Monadol. p. 95). Die Ee-
lation ist die Kategorie der Kategorien. Sie sind nichts als ,/iifferepits modes
de relation". „Chacun de ees modes exprime une certaine identite et une eer-
taine difference, dont il est la synthes&* (1. c. p. 98). „Categories stattques"
sind die Kategorien, „qui par elles-memes , dans leur forme, n'impliquent pas
le temps, le devenir et le mouvement" (1. c. p. 99). Die „calegories dynamiquesl*
sind alle in der Succession eingeschlossen (1. c. p. 103). Folgende Kategorien-
tafel stellt Benouvier auf (1. c. p. 163):
Kategorien.
549
Belation
Distinction
Difförence
Unit^
Ldmite (espace)
Identification
Genre
PluraUt^
Espace
Determination
Espace
Totalite
Etendue
T> 1 .. iSucceesion
Belations 1 ^
j . I Devenir
dynami- }^^^
"^""^ ICausalite
Limite (temps)
Rapport (ni^)
Etat
Acte
Temps
Rapport (affirm^)
Tendance
Puissance
Dur^
Changement
Passion
Force
In den „Essais de critique gSnSrale** stellt Renouvier neun Haupt-Kategorien
auf: Relation, Zahl, Lage, Succession, Qualität, Werden, Causalitat, Zweck,
Persönlichkeit
Nach £. DÜHKING sind die ontologischen Grundbegriffe Schemata oder
Gestalten, ^/leren gegenständlicke und an sieh- selbst vorhandene Seite das Ortmd-
geriisi des Seins und der SeinsverhäUnisse , also die Orundgesetxe der Seins-
Verfassung selbst vorstellt** (Log. S. 206). — Sigwakt nimmt vier logische Kate-
gorien an (Log. I, 28 f.). So auch B. Ebdmaitn^: Dinge (mit) Eigenschaften,.
Vorgange (Veränderungen), Beziehungen. Nach A. Riehl sind die Kategorien
f^ie allgemeinen appereipierenden Vorstellungen*' (Philos. Kritic. I, 11). Die
formalen Erkenntnisbegriffe (Gleichheit, Größe, Ursächlichkeit u. s. w.) sind
iJF^ormen des Äpperdpierens**, y^Begriffe^ tvelehe ausschließlieh war Verbindung
eines Vorstellungsinhaltes mit einem xieeiten dienen** (L c. II 1, S. 2). j^Kate-
gorien entstehen, indem Gegenstände der Anschauung durch eine oder die andere
logische Function bestimmt gedacht werden. Kategorien sind logische Functionen
in deren bestinmUer Anwendung, in Anwendung auf Anschauungen** (1. c. I, 358).
Die Kategorien sind „(£ie durch Refleocion bewußt gewordene OesetxlicMeit des
Denkens** (1. c. I, 276). Sie entspringen aus der Identität (s. d.), der ,, formalen
Einheit des Bewußtseins**, aber so, daß ihre Verwirklichung nur an dem Ge-
gebenen stattfinden kann (1. c. I, 384). „Die Kategorien stammen aus einem
einxigen obersten Principe her, dem Principe der Einheit und Erhaltung des
Bewußtseins überhaupt** (1. c. II 1, 68). Nach Schuppe werden die „Bestimmt-
heiten** des Seienden durch das Denken aufgefunden. Identität und CausaUtät
sind Kategorien, Denkprincipien, Gesetze (Log. S. 36). Ohne Gegebenes können sie
nicht gedacht werden, nicht existieren, sie bestehen „von vornherein in unserem
Bewußtsein nur als Bestimmungen von Gegebenem, von etwas, tcas da identisch
oder verschieden ist und mit anderem etwas causal verknüpft ist** (L c. S. 37).
nSehon daher haben sie dieselbe Objectivitäi wie das Gegebene; ein subjectives
TSm findet bei diesem Denken nicht statt.** „Sie gehören . . . xum Bewußtsein
überhaupt, d. h. dem gattungsmäßigen Wesen der individuellen Bewußtseine, und
dcuin liegt ihre obfective Geltung — ohne sie gibt es kein Wirkliches, dessen wir
Wis bewußt werden konnten; sie constituieren also erst die toirkliche Welt, als
den notwendig gemeinsamen Teil der Bewußtseinsinhalte^' (ib.). — Wundt be-
tont, nicht in fertigen Begriffen, nur in ^der allgemeinen Gesetzmäßigkeit des
lo^schen Denkens liege das Apriori des Erkennens. Die Form des Denkens
kommt erst in und mit der Erfahrung zur Geltimg. In den Erfahrungsbegriffen
stecken nicht schon von vornherein apriorische Kategorien (Syst. d. PhiloB.*,
S. 210 ff.; Log. I*, 95 ff., 104). Indem das Denken die Wahrnehmungen ver-
550 Kategorien.
arbeitet, erzeugt es erst logische Kategorien, ^^allgemeinste Begriff skktssen^ : die
Gegenstands-, Eigenschafts- und Zustandsbegriffe. In diese Ehussen müsgeo
"wdr alle Begriffe ordnen, sie sind daher die ^^allgemeinsten Erfahrung^begriff^.
yyDieser Ätcsdruck sagt xunächst, daß sie sich auf die Erfahrung bexdehen, und
daß es keine Erfahrung gibt^ die nicht ihrer bedürfte; er deutet aber xugl^ek
an, daß auch sie ohne die Erfahrung nicht existieren unirden" (Log. I*, 103 ff.;
Syst. d. Philos.", S. 214 ff.). In den Beziehungsformen der Begriffe findet der
Zusammenhang der Dinge seinen allgemeinsten Ausdruck. Von den „PV-
bindungsformen" sind diese ^yBexiehungsformen" zu unterscheiden. In allen
yjBexiehungsbegriffen^* ist eine Anwendung des Satzes vom Grunde (s. d.) vor-
ausgesetzt. Sie zerfallen in „abstracte Begriffet* und „abstracte Bexiekungs-
begriffe"; letztere stellen selbst Beziehungen her. Die j^reinen Bex^iektings^ oder
Verstandesbegriff^^ haben Beziehungen des logischen Denkens selbst zum Inhalt
Sie sind nicht Gattungsbegriffe von Erfahrungen, es machen sich bei ihncD
l(^iBche Forderungen geltend, die in keiner Erfahrung verwirklicht sind. Sie
entspringen „aus der gesonderten Auffassung gewisser Bexiehungen, die tmser
Denken zwischen seinen Vorstellungen auffindet*. Sie sind nicht aprioriBchY
sondern sie bedeuten y,die letzten Stuf en jener logischen Verarbeütmg des WaJw-
nehmungsinhaäeSy die mit den empirischen Einxelbegriffen begonnen hat'. Sie
erheben relative Bestimmungen der Objecte zu absoluten (Log. P, 103, 121,
461; Syst. d. Phüos.«, S. 219, 225 ff., 228; vgl. PhUos. Stud. II, 161 ff.; VII,
27 ff.). Die reinen Verstandesbegriffe zerfallen in: 1) reine Formbegriffe
(Einheit und Mannigfaltigkeit, Qualität und Quantität, Einfaches und Zu-
sammengesetztes, Einzelheit und Vielheit, Zahl und Function); 2) reine Wirk-
lichkeitsbegriffe (Sein und Werden, Substanz [Accidenz] und Causalitat
[Ursache, Wirkung], Kraft, Zweck) (Syst. d. Philos.«, S. 228 ff., 236 ff., 241 ff.,
347 ff.; Log. P, 521 ff.; IP 1, 131 ff., 199 ff., 201; Phüos. Stud. II, 167 ff.).
Als Product der Erfahrung (imd psychologischer Processe), Ab6tractkin&-
gebilde, Erzeugnisse der Induction (s. d.) werden die Grundb^riffe von deo
Empiristen (s. d.) betrachtet. — Nach Hebbart sind die Kategorien Producte
des Vorstellungsmechanismus, Modificationen psychischer „Reihenformen" (Met
I, 209), die „allgemeinsten Begriffe, die xur Äpperception dienen" (PsychoL als
Wiss. II, § 124 ff.). Sie sind nicht apriorische Stammbegriffe (Lehrb. zur
Psychol.', S. 133). Die Hauptkategorien sind: Ding, Eigenschaft, VerhaltoiE,
Verneintes. Die Kategorien der ,yinneren Äpperception" sind: Empfinden,
Wissen, Wollen, Handehi (1. c. S. 134; PsychoL als Wiss. § 131 f.). Die ding-
lichen Kategorien sind Formen der gemeinen Erfahrung, die noch mit allen
„Widersprüchen" (s. d.) behaftet sind und einer philosophischen Bearbeitung
bedürfen (vgl. Met. II, 351 ff.). ÄhnUch Schilling (PsychoL 8. 147 ff.) und
Volkmann (Lehrb. d. PsychoL II*, 282). Beneke leitet die Kationen ans
der Gesetzmäßigkeit des Bewußtseins ab, sie sind das Entwicklungsprodoct
psychischer Processe (Log. II, 35 f.). Vor ihrer Entwicklung in imd mit der
Erfahrung sind die Kategorien nur ^^prädestinierte Anlagen" in der Seele (L c
II« 271, 283). Übebweo bestreitet (wie Czolbe) die Aprioritat und Subjectivitit
der Kategorien. Er betont, das Wesentliche der Dinge könne nur mittelst der
Erkenntnis des Wesentlichen in uns erkannt werden (Log.*, S. 129). Nach
E. Laas sind „retti«" Verstandesbegriffe Undinge. Es ist undenkbar, daß €iii
Inhalt in eine ihm absolut fremde Form eingehen soll. In den Empfindung^
daten müssen zwingende Motive zur Bildung der Kategorien liegen (IdeaL u.
Kategorien — Kategorisches Urteil. 551
poeit. Erkenntnistheor. S. 374). Nach Steinthal sind die Kategorien „Formen
des IVocesseSy in welchem sich die Begriffe bilden'^ (Einleit. in d. Psychol. S. 105).
!Xach IL Hamerling abstrahiert der Verstand die Kategorien durch das be-
ziehend-vergleichende Denken aus dem Material der Sinnesanschauung. Sie
^reiten für die Dinge an sich (Atomist. d. WilL I, 38, 49). Nach F. Erhardt
stammen die Kategorien aus der Erfahrung (teilweise aus der innern) und sind
von objectiver Gültigkeit (Met I, 443 ff., 513 f., 574 ff., 600). Nach Lipps
sind yjStibfective Kategorien" : Einheit, Einzelheit, Identität, Gleichheit, Ähnlich-
keit und die Gegensatze davon. Sie besagen alle, ,ydaß wir etuHis tun, oder
uns in unserem Tun etwas begegnet** (Gr. d. Log. S. 105). Oberste Kategorie
ist die des Bewußtseinsobjectes überhaupt (1. c. S. 136 f.). — J. St. Mill leitet
die Grundbegriffe aus der Erfahrung und Association ab (vgl. Substanz). Nach
H. 8p£NC£R sind die Grundbegriffe phylogenetisch (s. d.) empirisch erworben,
ontogenetisch, beim Individuum der Anlage nach a priori (s. d.). Die Grund-
begriffe, Stoff, Baum, Bewegung, Kraft u. s. w. entstehen als solche aus der
Oenendisation und Abstraction von Erfahrungen des Widerstandes (PsychoL
II, § 348, S. 236). H. CoRNEurs sieht in den Grundbegriffen nur Formen
des Zusanunenhanges actualer imd möglicher Erfahrungen. Die y^naturalisti-
scken^* B^riffe (s. d.) sind ihren dogmatischen Elementen nach zu eliminieren.
eine „Elimination" der Kategorien Causalitat, Substanz u. dgl. als bloß sub-
jectiver Zutaten des Denkens zur Erfahrung (s. d.) fordert E. Mach. An
deren Stelle hat das Princip der „Ökonofnie" (s. d.) des Denkens zu treten.
Den Kategorien kommt bloß „praktische*' (biologische) Bedeutung zu. — So
auch Ni£TZSCH£, der die rein biologische Bedeutung der Kategorien
betont (WW. X, 183). Sie haben sich durch ihre Nützlichkeit bewährt, sind
iebenserhaltend. Aber diese ihre biologische Zweckmäßigkeit ist ihre einzige
^Wahrheit" (WW. XV, 268). Sie sind Producte der Phantasie, des An-
thropomorphismus (s. d.)t mit der (metaphorischen) Sprache (s. d.) werden
sie in die Objecte introjiciert. Erst fingieren wir ein ,Jch" (s. d.), dann pro-
jicieren wir es auf die Außenwelt, imd nun erscheint uns diese als eine Summe
von Substanzen, Tätern, Kräften u. s. w. (WW. VIII, 2, S. 80; XV, 273).
Eine solche Welt entspricht unserem Verlangen nach einer Welt des Bleibenden,
der unser WiUe zur Macht mehr gewachsen ist als dem ständigen Flusse
des Geschehens (1. c. XV, 268 f., 285). Eine biologisch-projectionistische Auf-
fassung der Kategorien findet sich bei Simmel (Philos. d. Geld. S. 484, 507).
L«. Stein erklärt: „Zeit, Zahl, Raum, CauscUität, wie die Verstandeskategorien
überhaupt, sind nichts anderes, als das Alphabet, welches sieh die Menschen im
Kampfe ums Dasein als Schutxmaßregeln gebildet haben, um erfolgreich im
Buche der Natur lesen xu können" (An d. Wende des Jahrh. S. 6). Vgl. In-
trojection, A priori, Causalitat, Ding, Substanz, Kraft, Identität, Einheit, In-
dividuum.
Kate^ortocli (xarrjyo^eXv): aussagend, behauptend, bestimmt, unbedingt.
KateKorlseber ImperatlT s. Imperativ.
Kateg^oiiselier Sclüaß s. Schluß.
Kaies^oriselies Urteil ist ein schlechthin bejahendes oder verneinendes
Urteil (8 ist P, S ist nicht P). So bei Kant (Log. S. 162), Fries (Syst d.
Log. S. 137) u. anderen Logikern. Vgl. Hypothetisch.
552 KaiharsiB.
Katliarsis {xad'aQaig) : Eeinigimg, Läuterung (besond. in der Mystik). Nach
den Pythagoreern ist die Seele (s. d.) im Leben an einen Körper gefesselt, der
Tod bedeutet eine Befreiung von demselben. Li diesem Sinne fafit Plato den
Tod als Läuterung, xdd'a^cie, der Seele, als Tr^mung vom Leibe (xo>e*X^*^), '^
Befreiung von dessen Fesseln (Phaed. 67 C, D, 114 C; Kep. 10, 613 A). Plito
spricht auch von einer Befreiung der Seele von sinnlichen Leidenschaften (Phaed.
67 A; Sophist. 130 C), von einer xdS'a^cis toSv ri8oraiv (L c. 69 C); r^S^rr
xad'a^di Phaedr. 268 C). Nach Plottk ist die Loslösung des Mensch^i vom
Sinnlichen, die Emporhebung des Geistes zum Wissen und zur Tugend eine
xdd'a^fftg (Enn. I, 2, 3). Vom fwrad'ijvai ttjv rpvxfjv spricht Greqor tos
Nyssa (De an. et resurr. p. 202).
Den Begriff der ästhetischen Katharsis begründet Abistotelbb, wohl in
Anlehnung an ältere medicinische Lehren (Hifpokrates). Er verstdit unter
xd&aQciQ die yfReintgung*' von Affecten durch die Kunst Es ist nicht sicher,
ob er meint: entweder die Beinigung, Läuterung der Aifecte selbst, d. h. deren
Herabstünmung auf das rechte Maß, Befreiimg vom Überwältigenden und ^-
ieressiert^* des praktischen Lebens ( — was jedenfalls bei den ästhedschen
Affecten Tatsache ist — ), oder aber die Beinigung der Seele von den Affecten
durch deren Ablauf, die (momentane) Befreiimg des Gemütes von zu starken
Affectdispositionen, von bestimmten (schädlichen und starken) Affecten seUst
Nach Lessing besteht die tragische Katharsis in einer Umwandlung der Affecte
in „tugendhafte Fertigkeiten" (Hamburg. Dramat 74 ff.). Goethe verlegt die
Katharsis in den Helden,, nicht in den Zuschauer (WW. XXIX, 490). Maabs
bemerkt: jyDas Drama, und das Trauerspiel insbesondere, soll . . . die Leiden-
scfiaften reinigen, d. t. sie auf eine der Vernunft angemessene Art üben. Es
soll einige erwecken, andere unterdrücken, einige vermindern, andere vermekretir
(Vers. üb. d. Einbild. S. 249). Nach J. Bernays besteht die xd&a^tg in einer
„erleichternden Entladung^* von Gefühlsdispositionen (Zwei AbhandL üb. d.
Aristotel. Theor. d. Drama 1880). Überweg betrachtet die Function der Ka-
tharsis als zeitweilige Ausscheidung, Wegschaffung von Affecten (Furcht, Mit-
leid) (Zeitschr. f. Philos. Bd. 36 u. 50; vgl. A. Döring, Kunstlehre d. Aiistot.
1876, S. 263 ff.); „durch den Verlauf der an die tragischen Ereignisse geknüpften
Affecte leben diese sich selbst aus, und udrd xugleich der Drang, solche Affette
, . , xu liegen, befriedigt und gestillt" (Übermteq-Heikze, Gr. d. Gesch. d. FhiloB^
I», 276). Ähnüch Paulsen (Syst d. Eth. P, 247). — H. Siebeck betont:
„Das Wesen der tragischen Katharsis liegt für Aristoteles nicht in der Aw-
scheidung (Kenosis) jener beiden Affecte [Furcht und Mitleid], sondern in ikrer
durch die ästhetische Wirkung des Oeschauten bedingten Ermäßigung" (Aristot
S. 88). Die Affecte verwandeln sich in Lustgefühle, werden in einen ,^tffohl-
tuenden Einfluß"^ aufgelöst, werden frei vom Drückenden des Affects (L c.
S. 89, 112; vgl. Jahrb. f. Phüol. 1882, S. 225 ff.). H. Lehr erklärt: ,J)as
rechte Verhältnis im Oemüt, die rechte Gemütsart in ihrer Reinheit trieder-
herstellen, den Einfluß der Sinne und des Verstandes auf das rechte Maß sei a
herabdrücken, sei es steigern, so daß das lAcht der Vernunft hell strahlen und das
Ziel des Schönen klar erleuchten kann, das soll die Tragödie, das soll die en-
thusiastische Musik leisten, und diese Leistung heißt Reinigung'^ (Die Wirk, d.
Tragöd. nach Aristot. 8. 77). Nach Jgdl besteht die Katharsis in der Ab-
lösung der ästhetisch erregten Gefühle von Affect und Begehren (Lehrb. d.
Psychol. S. 710). Ähnlich Herzog (Was ist ästhet.?). K. Lange meint:
Katharsis — - Klarheit. 553
„Oer Aristotelischen Theorie liegt . . . nur eine richtige Ahnung Mtgrunde^ näm-
lich die, daß die van der Tragödie erzeugten Gefühle gar keine wirHieken, son-
dern gereinigte^ abgeblaßte, ihres emotionellen Elements entkleidete QefüMe sind^*^
(Wes. d. Kunst II, 129). — Aristoteles erklärt, die Musik habe zum Zweck
nicht nur nni8aia^ dtayatyrjj areoie, ar^vrovin^ sondern auch xtitfapoig (Polit.
VIII 7, 1341b 36). Er sagt femer über die kathartische Wirkung der Kunst
(Ifusik): dx 8i rtSv Uqcjv fiehov o^toftev rtnirova, orav ;|f(»ifao«^0r» roTg dSo^
/ia^ovat triv ^f'X'J^ /neXsai^ xad'iarapivovs, &a7teQ taxQtlag iv^oiTag xai xatf'n^'
4reojgj talro Bfj rovro dvnyxaXov nna^siv xnl rove iXer^/utovae y-ni rovi? ^oßrjTixovg
xai rove o^ov nad'tirixove^ rove Si tiXXox'g xad"^ oaov inißdXksi rtov toiovrojv
ixdcxq^ xai ndat yhead'ni riva xdd'nQOiv xai xov^i^ead'ai Mtd"' r^doviji' o/ioieos
Si xai rd fukri rd xa&a^ixd nngixei /«^a#' dßAaßrj toIs nvd'Qconoig (Polit.
Vin 7, 1342a 8; vgl. VIII 6, 1341a 21). Die Tragödie (s. d.) bewirkt 8i'
dXdov xai tfoßov . . . riiv roiovzfov natfriuattov xdd'nQOiv (Poet. 1449b 23 squ.).
— Über religiöse'' Läuterung vgl. E. Rohde, Psych. II«, 1898, S. 48.
KathoUsclie Plillosoplile s. Thomismus, Scholastik.
Kennen s. Wiedererkennen.
Renoma s. Pleroma.
Kettenscliloß s. Sorites.
Kinderpsyclioloitle ist jener Teil der Psychologie, der die psychische
Entwicklung in den ersten Lebensjahren untersucht. Vgl. darüber KussmauIv,
Untersuch, üb. d. Seelenleb. d. neugeb. Menschen 1859. Eggeb, D^veloppement
de rintellig. et du lang, chez les enfants 1879. Pbeyeb, Die Seele des Kindes
1882, 3. A. 1890. Sully, Untersuch, üb. d. Kindheit 1892. Ament, Entwickl.
von Sprech, u. Denken beim Kinde 1899. Compayre, Die Entwickl. d. Kinder-
seele 1900. WüNDT, Gr. d. Psychol.», S. 343 tf. u a.
KltJsel^efQlil ist ein Gemeingefühl (s. d.), das auf intermittierenden
schwachen Tastreizen auf leicht erregbaren Stellen der Haut beruht. E^ setzt
sich zusammen „aus einem sehwache äußere Tastempfindungen begleitenden
Lustgefühl und aus den an die Muskelempfindungen gebundenen Oefühlen . . .,
wdehe durch die von den Tastrdxen ausgelösten Reflexkrämpfe entsielien^^ (WüNDT,
Gr. d. Psycho].*, S. 193 f.).
Klang^tarbe (timbre) heißt die Nuance des Klanges, welche von der
Beschaffenheit der ErregungsqueUe, des Instruments abhängig ist. Klang-
farbe des Gefühls („timbre affectip*) richtet sich bei gemischten Gefühlen
nach dem überwiegenden Elemente (Paulhan, Les ph^nom. affectifs p. 124).
KlangpTorstelliing^ s. Gehörsinn.
Klarbelt (Lucidität) im psychologischen Sinne bedeutet die Eigenschaft
einer VorsteUung, mit ihrem ganzen Inhalte in bestimmtem Bewuiitseinsgrade
percipiert zu werden. Die Klarheit ist eine Wirkung der Aufmerksamkeit
(s. d.); der Proceß der Klarwerdung, Klarmachung heißt Apperception (s. d.).
Eine Vorstellung ist um so klarer, mit um so größerer psychischer Energie sie
auftritt, sich zu behaupten vermag; klar ist die vom Willen festgehaltene, aus-
gewählte Vorstellung. Die Deutlichkeit einer Vorstellung besteht in ihrer
rechten Unterschiedenheit, Gesondertheit von anderen Vorstellungen. Gegen-
sätze: Dunkelheit und Verworrenheit. Logisch besteht die Klarheit eines
Urteils in der Verständlichkeit (s. d.) imd (ev. in der) Evidenz (s. d.) desselben
554 Klarheit.
Ein klarer Gedanke ist ein solcher, dessen Inhalt sich in bestimmter, eindeatiger
Weise mit allen seinen Teilen dem Bewußtsein darstellt
Die Stoiker erblicken in der sinnlichen Klarheit (iva^eia) der Vor-
stellungen ein Merkmal ihrer Objectivität (vgl. Kataleptische Vorstellung). Den
Wert der ird^eia der Wahrnehmung für die Erkenntnis betonen die Epiku-
reer (vgL Sext. Empir. adv. Math. VII, 216).
In logischem Sinne kommt „<?o»/msc" — „disttncte" bei Scholastikern
vor, so bei Wilhelm von Occam (vgl. Prantl, G. d. L. III, 357 ; „dar^
und „düttncte'' bei Suabez (Met. disp. 8, 3). Nach Goclen ist jene Erkenntnis
deutlich, „qua cognoscitur etiam quid sit res*' (Lex. philos. p. 382).
Bei Descabtes wird das y^elare et distincie" von Bedeutung, weil er in der
iQarheit und Deutlichkeit, in der subjectiven aber logischen Gewißheit und
Bestimmtheit der Erkenntnis das Kriterium der Wahrheit (s. d.) erblickt. Ekr
ist, was dem aufmerksamen Geiste gegenwärtig und offen ist; deutlich, wts
zugleich von allem anderen im Bewußtsein geschieden vorgestellt wird, „da-
ram voco illam (perceptionem), quae menti attendenti praesens et aperta est;
dtstinciam autem illarrij quae cum clara sit, ab omnibus aliis ita seiuneta es^
et praeeisa, ut nihil plane aliud quam quod darum est in se contineat'* (Princ.
philos. I, 45). Aber nur das wirldich klar und deutlich Gedachte hat Ansprach
auf Wahrheit (Medit. III). Höchste Klarheit und Gewißheit hat das, was dem
„lumen naturale^* (s. d.) entspringt Nach der Logik von Pobt-Eoyal ist eine
Idee klar, wenn sie ims lebhaft ergreift (I, 8 f.). Locke bestimmt: „As a
clear idea is that tchereof the mind hos such a füll and evident pereepticn, as
it does receive from an outward ohjeet operaiing dtUy in a wdl dispased organ:
so a distinct idea is that wherein the mind perceives a difference from aÜ otker^
(Ess. II, eh. 29, § 4). Leibniz definiert: „Clara cognitio est^ cum habeo unde
rem repraesentatam agnoscere possim. — Distincta notio est qualem de auro
habeni decimastae per notas seilicet et ex anima sufficientia ad rem €Mb alOs
omnibvs corporibus similibus discemendam" (Erdm. p. 79). Das Cr^enteil der
deutlichen sind die verworrenen (s. d.) Vorstellungen. Es gibt dunkle, unter-
bewußte (s. d.) Vorstellimgen. Chb. Wolf definiert: „Si quod pereipmus
agnoscere vd a perceptibilibus ceteris distinguere valemus, perceptionem habemus.
clara est** „St in re percepta plura sigülatim enuneiabilia distfnguitnus, per-
cepiio clara dicitur distincta** (Psychol. empir. § 37 f.). „Also entsteht die Klar-
heit aus der Bemerkung des Unterschiedes im Mannigfaltigen; die Dunkdkeit
aber aus dem Mangd dieser Bemerkung** (Vem. Ged. I, § 201 ; § 732). Nach
BiLFiNOEB ist das Denken klar, „si sufficiat ad rem denuo undeeumque oblatam
agnoseendum**, deutlich „si et partes rei sive notas eius seorsim discemere pos-
smmis** (Dilucid. § 240). Cbusiüs bestimmt die Deuthchkeit als ,/ii^emge
Vollkommenheit der Gedanken, da sich dieselben von allen anderen unterscheiden
lassen** (Vemunftwahrh. § 8). Nach Lambebt ist ein Begriff klar, wenn wir
durch ihn eine Sache wiedererkennen können; er ist deutlich, wenn alle seine
Merkmale klar sind (N. Organ. I, § 9). — Gabve erklärt: j.Die Einriehhmg
der Natur hält xwischen dem dunklen und dem hdlen Teile unserer VorsteUungen
ein beständiges Qleichgeuncht. Sobald die einen an Klarheit steigen^ so sinken
die andern in eine tiefe Finsternis, und jede Annäherung der Seele auf einen
Gegenstand ist xugleich eine Entfernung von den übrigen** (SammL einig. Ab-
handL I, 31).
Klarheit. 555
Kant definiert: ,J)as Betcußtsein seiner Vorstellungen, welchem xur Unter-
scheidung eines Gegenstandes von anderen Mtreichty ist Klarheit, Dasjenige
aber, icodureh auch die Zusammensetzung - der Vorstellungen klar toird, heißt
Deutlichkeit*' (AnthropoL I, § 6). Ein Begriff, der durch ein Urteü klar ist,
ißt deutlich (WW. I, 71). Die ,/iiscursive Deutlichkeif * durch Begriffe ist von
der fjintuitiven*' Deutlichkeit zu unterscheiden (Krit. d. r. Vem. S. 9). „Dunkle
Vorstellungen sind diejenigen, deren man sich nicht bewußt /«/" (Unters, üb. d.
Deuüichk. d. Grunds, d. nat. Theol. u. d. Mor. II, 8. 82). G. E. Schulze:
„TTtVrf der Gegenstand, worauf sicJi ein Begriff bezieht, von dem durch andere
Begriffe Vorgestellten unterschieden, so heißt der Begriff ein klarer, im Gegen-
teile aber ein dunkler,** „Wird das Mannigfaltige an dem durch einen Begriff
Vorgestellten unterschieden oder abgesondert voneinander geda^sht, so ist er
deutlich** (Allg. Log.», 8. 217 ff.). Die Klarheit und DeutUchkeit des Wahr-
nehmens hängt „von unserer Selbstmacht und von der dadurch bestimmten
Richtung der Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Wahrnehmung** ab (Psych.
Anthrop.», 8. 140). Nach Kiesewetter ist Deutlichkeit „möglichste Eifihdt
des Mannigfaltigen in einer Vorstellung** (Gr. d. Log. § 62). Krug erklärt:
y,Ungeachtet das Bewußtsein beim Denken der Begriffe unendlicher Abstufungen
fähig ist, so lassen sich doch xtoei Hauptgrade unterscheiden , . . Entweder
tritt die Einheit oder die Mannigfaltigkeit des durch den Begriff Verknüpften
stärker ins Bewußtsein, Im ersten Falle findet Klarheit (claritas), im zweiten
Deutlichkeit (perspicuitas) des Begriffes staU** (Handb. d. Philos. I, 8. 136).
Klar ist ein Begriff, wenn wir imstande sind, „das durch ihn im ganzen Vor-
gestellte von dem durch andere Begriffe Vorgestellten , , , zu unterscheiden**.
Deutlich ist er zugleich, wenn wir auch das durch ihn verknüpfte Mannig-
faltige zu imterscheiden vermögen (1. c. I, 8. 138 f.). „Wiefeme man sich des
in einem Begriffe enthaltenen Mannigfaltigen, also seines Inhaltes, mit Klarheit
bewußt, hat der Begriff innere Deutlichheit fperspicintas intensiva), Wie-
feme man sich aber des unter einem Begriffe befaßten Mannigfaltigen, also
seines Umfanges, mit Klarheit bewußt, hat der Begriff äußere Deutlichkeit
(perspicuitas extensiva)** (1. c. I, 138 f.). Fries bestimmt: „Klar ist ein Be-
griff, wenn ich ihn im ganzen abgesondert für sieh als Schema der Einbildungs-
kraft vorstelle^ und deutlich ist er endlich, wenn ich ihn bestimmt nach detn
Verhältnis von Inhalt und Sphäre denke, also noch Merkmale in ihm unter-
scheidet* (Syst. d. Log. S. 111). Kiax sind jene Vorstellungen, „die wir in uns
haben und auch gleich in uns gewahr werden** (1. c. 8. 47). Nach Bolzano ist
eine Vorstellung klar, ,^wenn wir sie uns selbst wieder vorstellen, und zwar da-
durch, daß wir sie anschauen** (Wissenschaftslehre III, 29). Beneke betrachtet
die psychische Klarheit als Product einer vielfachen gleichartigen Verschmelzimg
von seelischen Gebilden (Lehrb. d. PsychoL*, 8. 44). Calker erklärt: „Klar
ist der Begriff, wenn derselbe von andern Vorstellungen unterschieden und für
sieh aUein gedacht wird,** „Deutlich ist der Begriff, wenn derselbe durch die
Unterscheidung und Zusammenfassung aller Teilvorstellungen seines Inhalts und
Umfangs gedacht wird^* (Denklehre 8. 299 f.). Im 8inne Herbarts (s. Hemmung)
sagt Volkmann: „Am Klarheitsgrade der Vorstellung tcerden icir indirect der
Größe des Vorstellens bewußt** (Lehrb. d. Psychol. I*, 342). Nach Drobisch
ist ein Begriff deutlich, wenn sein Inhalt vollständig bekannt ist (N. Darst d.
Log. § 116). B. Erdmann erklärt: „Vorstellungen werden klar genannt, sofern
ihre Gegenstände von anderen unterschieden werden können; anderenfalls sind
556 Klarheit >- KonÜBch.
sie dunkel. Sie sind deutlich ^ sofern die Merknuüe ihrer QegensiäMäie
einander klar sind; anderenfalls undeutlich oder venoorren" (Log. I, ln6l —
B. Ayenariüs nennt die E^larheit eines Aussageinhaltes „Abhdmn^'. ISsBis-
FELS versteht unter ^jAundität die größere Klarheit oder Heüigkeüy durch wdek
sieh die Vorstellungen ausxeiehneny auf tcelehe die Aufmerksamkeit gericktet v^
(Syst. d. Werttheor, I, 253).
WuKDT betont die Tatsache, daß das Bewußtsein (s. d.) in verschiedeDCfi
Elarheitsgraden auftritt Ihr Maß hat die Klarheit in der verschiedenen Nadi-
dauer psychischer Vorgänge, in der Continuität der geistigen Zustände (By»t.
d. Philos.*, S. 565 ff.). Die E[larheit einer Vorstellung wird y^gleiekzeUig durek
die Stärke ihrer Empfindungselemente und durch die Schärfe ihrer Appereqdüm
bedingt^'. Deutlich ist eine Vorstellung, „frenn sie von andern im Bewußtsein
aniaesenden scharf unterschieden wird*' (Grdz. d. physiol. PsychoL 11*, 27G>
£s gibt eine „Klarhettsschweüef* (1. c. 11^, 272). Die Klarheit im engeren Siiifie
ist eine Wirkung der Aufmerksamkeit (s. d.), der Apperception (s. d.)- Um
den jjBlickpunkt" der Aufmerksamkeit sind die Vorstellungen „m einer Stufen-
folge abnehmender Klarheit geordnet" (Gr. d. PsychoL*, Ö. 185). Aus der BeQie
aufeinander folgender Vorstellungen in jedem Momente ist „die unmittdbar
gegenwärtige in unserer Auffassung bevorzugt*. jyÄhnlich sind nMin, atseh w
dem simultanen Zusammenhang des Bewußtseins ... einzelne Inhalte be-
vorzugt. In beiden Fällen bezeichnen wir diese Unterschiede der Auffassung eit
solche der Klarheit und Deutlichkeit, wobei unr unter der ersten die rdatir
günstigere Auffassung des Inhalts seihst, unter der zweiten die in der Regd damit
verbundene bestimmtere Abgrenzung gegenüber andern psychischen Inhaiien 9er-
stehen" (1. c. S. 249 ff.). Vgl. Unbewußt.
Komiscli (von xoHfios) ist etwas, insofern es uns durch seinen Wider-
spruch zum Logischen, Vernünftigen, zur Idee, zum Gewohnten, Natürlichen,
Zweckmäßigen überrascht, so aber, daß wir uns durch das Object selbst nisdi
besinnen und die Verkehrtheit, den Widersinn der Sache, der Situation ein-
sehend, uns wieder erleichtert, einheitlich und als Überlegene fühlen. Das Ge-
fühl des Komischen, Lächerlichen beruht stets auf einem (Kontrast, einem
Widerspruch ziun Gewohnten, Natürlichen, Vernünftigen, auf einer Überraschung
(Depression) und darauf folgender erhebender Einsicht, b^leitet von physio-
logischen Processen (Lachen); doch müssen wir von ernsten praktischea Folgen
der betr. Handlung u. s. w. absehen können, es darf sich (bewußt) nicht um
wichtige Dinge handeln, eine gewisse „Harmlosigkeit** ist Bedingung. Eine Art
des Komischen ist das Humoristische. Humor im engeren Sinne bedeutet die
heitere Betrachtung eines Ernsten, die Fähigkeit, das Heitere im Ernsten zu
erblicken und so den Ernst zu mildem, zu verklären.
Aristoteles erklärt : ^B xcofupdia iativ fu/irjaiQ favXordQfov (uVf ov furrm
xara naaav xaxiav, dXXd rov aiaxQOv iari t6 yekoiov fto^iov t6 yd^ ythnor
iaxiv dftd^T]f/d ri xai alax^s dvcidwov xai ov ^p&a^ixov, olar ^v&v^ ro
ys}^iov TtQocojnov alax^o^' t* x«* Siecr^afifidvov oBvprjg (Poet. 5). Aristoteles
definiert also das Komische als etwas Ungereimtes, das unschädlich ist. Cicekq
erblickt das Lächerliche in einer „turpitudine et deformitate quadam*% die
ohne Schlechtigkeit ist (De oratore II, 58 ff.). Nach Hobbes liegt das
Komische im Unerwarteten, verbunden mit dem Bewußtsein eigene Fähig-
keit Überlegenheit (,^Budden glory**) (Hum. nat. IX, 13). Nach Mendklsbohx
J
Komiflch. 557
bernlit das Lachen auf einem „Contrast xtvischen einer Vollkommenheit und
Unvollkomvienheit. Nur daß dieser Contrast von keiner Wichtigkeit sein und
uns nickt sehr nahe angehen muß, wenn er lächerlieh sein solV^ (WW. I 2, 41).
Nach Kant ist das Lachen ein Affect aus der ,fplötxlichen Verwandlung einer
gespannten Erutartung in nichts^* (Krit d. Urt. § 54). Im Lachen Erregenden
ist etwas Widersinniges (ib.). Nach Jean Paul besteht das Komische im
„unendlichen Contrast zwischen der Vernunft und der ganzen Endlichkeit^^
(Vorsch. d. Ästhet. § 31). Der Humor ist das „romantisch Komische^* (ib.).
Nach BoüTERWEK ist das Lacherliche „eine besondere Erscheinung des Wider-
sinnigen, das sich seihst oder wenigstens seine beabsichtigte Wirkung xerst&rt^^
(Ästhet. I, 178). Es überrascht uns, ist gleichsam ein Nervenkitzel (L c. I,
179 f.). Das Komische ist eine Modiücation des Witzigen (1. c. I, 181 f.).
* SUABEDISSEN erklärt: „Das Wohlgefallen an dem Lächerlichen überhaupt . . .
entstehet durch alles Uneinßtimmige im Menschenleben, wiefern es die Seele auf-
merksam macht, auch wohl spannet, sich aber auch bald als bedeutungslos dar-
stellt und so die Spannung vneder aufhebt*' (Grdz. d. Lehre von d. Mensch.
8. 267). Nach Reikhold ist das Lächerliche die ästhetische Darstellung einer
Ungereimtheit, eines logischen Widerspruches. Nach Bendayid entsteht es
aus der Wahrnehmung eines Mißverhältnisses zwischen Wirkung und Ursache
(Geschmackslehre S. 117 ff.). Wie Heydenbeich (Grundsätze d. Krit. d.
Lächerl. 1797) erklärt Pölitz: „Das Lächerliche entspringt aus sinnlieh er-
seheinender, aus anschaulicher Ungereimtheit und wird durch die Ver-
sinnliehung von etwas Widersinnigem, Zweck- und Verhältnis-
widrigem bewirkt, welches wir an einer menschliehen Individualität
bemerken** (Ästhet. I, 242). Nach C. H. Weisse ist die Komik ein „Lügen-
strafen einer angemaßten Hoheit und AbsokUheif* (Ästhet. I, 212). Nach
A. RcGE ist das Komische das Sich -wiedergewinnen der Idee aus der Ver-
sunkenheit (Neue Vorsch. d. Ästhet 8. 58 ff.). K. Eosenkranz definiert:
jjlkts Komisehe ist die Auflösung des Häßlichen, indem es sieh selbst ver-
nichtet.** Die gespannte Erwartung löst sich in nichts auf (Syst. d. Wiss.
S. 564). Indem das Komische „die Nullität des Scheines der Idee aufdeckt,
der sich an Stelle ihrer positiven Erscheinung aufspreixt**, wird sie satirisch,
ironisch, humoristisch. Der Humor ist „die vollkommene Wiederherstellung
der Idee des Schönen in ihrer EinJieit mit der Idee des Wahren und Otäen, und
%war so, daß er die ganxe Tiefe der Entzweiung der empirischen Existenx mit
dem Wesen des Geistes in sich aufnimmt, den Optimismus der absoluten Frei-
heit affirmiert und die Versöhnung des Geistes mit sich selbst, auch im
Leiden, im Unglück, im Mangelhaften, im Endlichen überhaupt, als das Werk
der in sich unendlichen Subjectivität darstellt** (1. c. S. 565). Nach Th. Vischer ist
das Komische ein „Schxmes im Widerstreit seiner Momente^* (Ästhet.). Er
betont, bei allem Komischen leihe der Zuschauer dem Gegenstand sein „Besser-
wissen'* (Das Schöne u. d. Kunst«, S. 185; vgl. Üb. d. Erhab. u. Kom. 1837).
M. Carriere erklärt: „Im Komischen ist immer etwas, das uns verblüfft oder
ekokiert, und wenn es bestehen bliebe, so würde es uns verwirren und ärgern; aber
indem es xugleich an seinem eigenen Widerspruch xugrunde geht, löst sich die
Dissonanx, und dies anzuschauen erheitert wieder und gibt uns die Gewißheit,
daß nur das Gute, ScJume, Wahre auch das Wirkliche und Dauernde ist**
(Ästhet. I, 197). Nach Beneke werden die „Gefühle des Lächerlichen** be-
gründet, „wenn zwei Seelentätigkeiten, den Erweckung sverhältnissen nach,
558 Komisch.
völlig aufeinander fallen oder eins werden sollten, dieses Einsicerden aber dtvtk
den Gegensatz derselben unmöglich gemacht und infolgedessen das Bewußt-
sein von der einen zur andern hinüber- und herübergeworfen wird,
ohne daß sie weder sich verbinden, noch xu einem reinen Nebeneinander geiangoi
können'^ (Lehrb. d. Psycho!.», S. 200). Nach K. Lange beruht das (Katar-)
Komische auf dem gleichzeitigen Entstehen zweier einander inhaltlich eigentlidi
ausschließender Vorstellungsreihen (Wes. d. Kunst I, 342). — Nach Scbofks-
HAUEB entsteht das Lachen „aus der plötzlich wahrgenommefien Buxmgmenz
zwischen einem Begriff und den realen Objeeten, die durch ihn, in irgend einer
Beziehung, gedacht werden, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser h-
cohgruenx**. „Jedes Lachen also entsteht auf Anlaß einer paradoxen und daher
unerwarteten Subsumtion" (W. a. W. u. V. I. Bd., § 13; Bd. II, C. 8). Humor
ist „der hinter dem Seherz versteckte Ernst" (ib.). Nach K. Fischkr wefden
wir im Komischen frei von dem Drucke der Welt, von der Macht der Dinge,
wir sehen herab auf das Object, wir verhalten uns wie das Unendlich|irrofie zum
Unendlichkleinen (Üb. d. Witz S. 76 f.). Aus dem ungedrückteo Selbstgefohl
entspringt die Heiterkeit (L c. S. 85). Nach Th. Zieoler wird im Komischen
ein Unlogisches, ein Widerspruch gegen die Vernunft ad absurdum gefühn
(Das Gef.«, S. 142 ff.). Ähnlich Renouvier (Nouv. MonadoL p. 214). F^cho-
logische Erklärungen des Lacherlichen und Komischen geben L. Ouicoirr
(Vergnüg, u. Schmerz S. 244 ff.; vgl. Les causes du rire 1862) und A. Lbb-
MANN (Menschl. Gefühlsleb. S. 350). Nach H. Höffding ist allem Lacher-
lichen gemein, ,fdaß etwas Ohnmächtiges wegen des Gegensatzes xu
überlegenen Macht plötzlich in seiner Nichtigkeit erscheint. Das
setzt voraus, daß wir uns einen Augenblick haben düpieren, verblüffen, von
Illusion befangen oder durch eine Erwartung spannen lassen, und daß das
Ganze sich nun auf einmal in nichts auflöst:* (PsychoL*, S- 408 tu
Die Contrastwirkung des Lacherlichen ,,entsteht dadurch, daß zwei Oedankei»
oder zwei Eindrücke, die jeder für sich ein Gefühl erregen und deren letzterer
niederreißt, was ersterer aufbaut, plötzlich aufeinander stoßen" (1. c. S. 409 ti
Humor ist „das Gefühl des Lächerlichen auf Grundlage der Sympathie^ (L c.
ß. 407). Nach K. Groos besteht die positive Grundlage des Komischen immer
in einer „Verkehrtheit", „die uns mit einem angenehmen Gefühl unserer eigenen
Überlegenheit erfüllt". Die Verkehrtheit „v&'blüffl" (erster „Cho&% diese
Verblüffung ist eine Spannung, die bis zur Erkenntnis der Verkehrtheit dauert,
dann tritt der Genuß der Überlegenheit auf (E^inL in d. Ästhet S. 378 ff.,
463 ff.). Nach Lipps beruht das Gefühl des Komischen darauf, daß „/einem
Bedeutungslosen und zur Inanspruchnahme seelischer Kraft aus eigener Energie
relativ Unfähigen in hohem Maße seelische Kraft zur Verfügung steht^. Die
leichte, ungehemmte Ausbreitung des Wahmehmungsinhalts bewirkt Lust
(Philos. Monatsh. 24. Bd., S. 142 f.; vgl. Bd. 25 u. Kom. und Hum.). Ähnlich
G. Heymans (Zeitschr. f. Psychol. XI, 31 ff., 333 ff.). Überhorst erklärt :
„Komisch erscheint uns ein Zeichen einer schlechten Eigenschaft einer andern
Person, wenn uns an uns selbst keines ebenderselben schlechten Eigenschaft zum
Bewußtsein kommt, und das keine heftigen unangenehmen Gefühle in uns hervor-
ruft" (Das Kom. I, 2 f.). Die Lust am Komischen ist die Lust daran, daß
wir die guten Eigenschaften uns selbst beilegen, uns über den Besitz derselben
freuen (1. c. S. 524 ff.). Metaphysisch faßt den Humor Backhaus auf. ,Jkr
Humor ist es, welcher mit seinem Weltblick die Einxeldinge umfaßt und «•
Komisch — Korper 559
ihnen das Oanxe der Dinge schaut: die unxerstörbare Einheit von Idee und
Erscheinung^ von Kraft und Maierie, von Wille und Vorstellung, Sein ganxes
Streben ist darauf gerichtet, %u vereinigen, was feindlich sieh flieht^^ (Wes. d.
Humors S. 205). „Der Humor ist das künstlerische, in der Natur gegründete
Lebensprineip aller einxelnen Erscheinungsformen im Kosmos" (1. c. S. 79). —
Nach Zeising ist das Komische „das Schöne in der Form desjenigen Wider-
spruchs, durch den das anschauende Subfect aus der Empfindung einer objectiven
UnvoUhommenheit, oder richtiger Vollkommenheitswidrigkeit, unmittelbar in die
Empfindung der subfectiven Vollkommenheit hinübergerissen unr<t*^ (Ästhet.
Forsch. 8. 282 ff.). Vgl. Sulzer, Theor. d. schön. Künste; Flöqel, Gesch.
d. kom. Literat.; Eberhard, Ästhet. II, 211 ff.; H. Spencer, Physiol. of
Laughter, £s8. voL I; E. Hecker, Die Physiol. u. Psychol. d. Lachens u.
d. Kom. 1873; J. Cohk, AUgem. Ästhet. S. 206 ff.; Soloer, Ästhet.
Koros (%6^oi): Sättigung, Fülle. Bei Heraklit bedeutet der Ausdruck
die wiederhergestellte Welteinheit, Einheit des Urfeuers (Diog. L. IX, 8).
Plotin nennt xoQoi die Ideenwelt in ihrer Einheit (Enn. V, 9, 8).
KSrper bedeutet 1) geometrisch: das dreidimensionale Eaumgebilde;
2) physikalisch: ein begrenztes Stück Materie (s. d.), einen einheitlichen Gom-
plez von raumlich geordneten Qualitäten (naiver Körperbegriff), von Wider-
standen, Energien, Kräften (naturwissenschaftlicher Körperbegriff). Ein Wesen
ist ein Körper, ist körperlich, hat Körperlichkeit (nur und erst), insofern es
durch seine (Widerstands-) Ejräfte (s. d.) einen Baumteil erfüllt, setzt Körperlich-
keit bedeutet schon die (dynamische) Beziehung eines Wesens (einer Wesens-
Vielheit) auf andere, zuletzt auch auf das erkennende Subject, auf dessen Em-
pfindungen und Anschauungsformen. Die Körperlichkeit ist die Objectität
(s. d.), die (objective) Erscheinung „transcendenter Factoren" (s. d.), die Seins-
weise der Dinge vom Standpunkte der äußeren Erfahrung (s. d.), der begrifflichen
Betrachtungsweise der Naturwissenschaft. Die Undurchdringlichkeit (s. d.) ist
das Constituens der Körper als Körper. Die letzten Teile, in die sich die
Körper denkend zerfallen lassen, heißen Atome (s. d.). Der Körper wird dem
Geiste (s. d.) gegenübergestellt, von der Seele wird er als Leib (s. d.) unter-
schieden.
Der Körperbegriff ist, historisch, teils ein mechanistischer, teils ein>
dynamischer oder ein energetischer. Dem BeaUsmus (s. d.) gelten die
Körper als Dinge an sich oder als Erscheinungen von solchen, dem Idealismus
als bloße Vorstellungs- (Empfindungs-) Complexe, gesetzmäßige Zusammen-
hänge (vgl. Ding, Object). Der Materialismus (s. d.) hält alles Wirkliche für
körperlich.
Über die Elemente (s. d.) und Qualitäten (s. d.) der Körper bei den älteren
griechischen Philosophen u. s. w. vgL die betreffenden Termini. — Aristoteles
definiert: eoSfia fiev yd^ icn ro Tidvxri ^;fov Staat amv (Phys. III 5, 204b 20);
cmftn Bi ro ndvrrj diai^erov (De coel. I 1, 268 a 7). Die Körper (ijmaixd
otCfiara) sind Substanzen (Met. VII 2, 1028 b 10). Alle Naturwesen sind
Körper, haben solche oder sind d^x"^ ^^^ solchen, die Körper haben (De coel.
I, 1). Nach den Stoikern ist alles Wirkende körperlich {näv ydg x6 noiovv
fttifid den, Diog. L. VII 1, 56). Körper ist das Dreidimensionale (to t^^xv
BtaaraTov, 1. c. 135). Es gibt nur Körper und das Leere (so schon Demokrit):
nZeno — nvüo modo arbitrabatur quidquam effici posse ab ea (natura), quae
560 Körper.
expers esset corporis" (Cicero, Acad. I, 39). Auch die Seele (s. d.) ist ein
Körper (vgl. Seneca, Ep. 106, 3). Nach EpiküR ist der Körper rö r^xft ^*"'
atarov ftera dmTvnin^ (Widerstandskraft) (Sext. Empir. adv. Math. I, 21).
Alles ist körperlich: t6 nav ian utüfin', die Körper bestehen aus Atomen, ak
cxiyxQiaete solcher (Diog. L. X, 39 f.). Die Existenz der Körper wird uns dunji
die Wahrnehmung gewährleistet (1. c. X, 39). Nach Ploten* sind die Körper
Erscheinungen, Emanationen (s. d.) intelligibler, nicht sinnlicher WeseoheitaL
Nach Gregor von Nyssa bestehen die Körper aus Nicht-Sinnlicbeni:
ovbiv i<^ iavTOv rtov ne^i t6 ctofia d'eat^ov/u'rtov acSfia iativ^ ov ox^f^t w
XQfofia , ov ßdgost ov Sidarrjfia , ov nriXtxori^i , ovx äXXo ti rahf Sv notm^i
&s(o^ovnivcJv oifdiv, aXXd rovrof^' Sxaarov Xoyo^ iotiv (De an. et reSQiT. p. 240).
Nach JoH. ScoTüS Eriügena sind die Körper aus y,Fonn" und ^yMaierie^,
aus Unkörperlichem, Intelligiblem zusammengesetzt (De divis. nat. I, 44 ; I, 50;
I, 54; I, 59; I, 62). Der Körper besteht im Zusammensein seiner Accidenzen
(1. c. I, 62; vgL I, 60, 61). yyEx . . . qucUitatibus eopulaiis corpora sensibäia
confieiuntur^^ (1. c. III, 32). — Die Scholastiker erblicken das Wesen des
Körpers, die Körperlichkeit („corporeitas") in der ,/orma »ubsiafüicdis corporiir
und in der ,yforma (leeiderUalis", d. h. der Dreidimensionalitat (Thomas, Contr.
gent. IV, 81). — Nach Goclen ist der Körper „suhiectum tripUcis dimen-
sionia". Es gibt: „corpus sensibile" (physicum, artificiosum) und „corpus tR-
ieütgibile^^ (mathematicum, metaphysicum). „In polüieis corpus inlerdum pro
persona accipitur" (Lex. philos. p. 481).
HoBBES unterscheidet natürliche und künstliche Körper; zu den letzteren
gehört der Staat („corpus politicufn"). Ein natürlicher Körper ist „qweguid
non dependens a nostra cogitatione cum spaiii parte e&tneidü vel eoexienditm^
(De corp. C. 8, 1). Zwei Accidentien eignen den Körpern, „magnUudo, mohu^
{Leviath. I, 9). Descartes definiert den Körper mathematisch-quantitatiT als
erfüllten Kaum (Princ. philos. I, 11). „Quoä agenteSj percipiemus naturam
fnateriae sive corporis in Universum spectati, non consistere in eo, qtuxi sit rti
duraj vel ponderosaj vel colorata, vel aliquo modo sensus effietens; sed tantmn
in eo, quod sit res extensa in longum, latum et profundum" (1. c. I, 4). „Sub-
stantia, quae est suhiectum immediaium eactensionis localis et accideniiunty quae
extensionem praesupponunt . . ., vocatur corpus" (Append. ad Medit rationeSf
def. VII). Der Körper ist eine Art der Substanzen (s. d.). Nicht die Sinne
erkennen den Körper als solchen, sondern das Denken, das Urteil („sola fnent&'t
„sola iudicandi faeultate", „solo intellectu") (Medit II). Die Quantität ist das-
jenige, was der Geist klar und deutlich an den Körpern erkennt; daher mufi
sie das den Körper Constituierende sein (Medit. Y). Die Körper sind vom Geist
klar und deutlich unterschieden; Gott kann nicht tauschen (s. Wahrhaftigkeit);
wir haben den Hang (propensionem) ziun Glauben an die Existenz von Körpern;
also muß es welche geben (Medit. VI). Aber sie existieren an sich nur so, wie
jsie das mathematische Erkennen bestimmt (ib.). Körper und Geist sind funda-
mental verschieden, vor allem in Bezug auf die Teilbarkeit (ib.). Die Körper
haben keine inneren Kräfte (s. d.), sie werden von außen bewegt. Spikoza
definiert: „Per corpus intelligimus quamcumque quantitatem, kmgam, käam d
profundamy certa aliqua figura terminatam" (Eth. I, prop. XV, schol.). „^"or*
pora res singtUares sunt, quae ratione motus et quietis ab inmeem disti$tguunhar^
(l. c. II, lem. III, dem.). Die Körper sind „modi extensioms^\ ModificatioDec
der unendlichen Ausdehnung, die eines der Attribute (s. d.) der gotüicfafin
Körper.. 561
Substanz ist: ^^Per corpus inidligo modum, qui Dei essentiam, quaienus ut res
-extensa eonsideratur, certo et determinaio modo exprimit^* (L c. II, def. I; vgl.
III, prop. II» schoL). Nach Locke ist ein Körper eine dichte (solide), aus-
jgedehnte, gestaltete Substanz (Ess. III, eh. 10, § 15).
Einen dynamischen und zugleich phänomenalistischen Körperbegriff hat
IfBiBNlz. Die Körper sind Aggregate von einfachen Substanzen, Monaden
^8. d.)- Der Körper selbst ist keine Substanz, sondern ein j^ttbstantiatttm", ein
^fSemiens^^ ^^haenomenon bene fundatum'^ (objectives Phänomen) (Erdm. p. 269,
440, 445, 693, 719). Die Sinnesqualitäten sind nur Erscheinungen, das Wirkliche
.an den Körpern ist die Kraft (s. d.) zu wirken und zu leiden (1. c. p. 445).
Die yjOntiiypia** (s. d.) constituiert die Körper. Chr. Wolf erklart: „Corpora
-8unt stthstaniiarum simplieium aggregaia" (Cosmol. § 176). Nach CbüSIUB ist
«in Körper „eine ausgedehnte SubstanXj welche aus trennbaren materialen Teilen
xtisamfnengesetxt isf' (Vemunftwahrh. § 368). Nach Feder sind die Körper
^,Pkaenomena", ,;xwar außer unserem Kopf vorhanden, aber uns nur nach einem
sehr vermengten Seheine bekannt, der uns die Grundbeschaffenheiten verbirgt
/phaennmena subsiantiata)'^ (Log. u. Met. S. 309). Die Bewegung der Körper
ist gleichfalls ein Phänomen (L c. S. 309 f.).
Einen idealistisch - positivistischen Körperbegriff prägt Berkeley. Wir
brauchen keine Körper außer unserem Geiste anzimehmen^ weil wir auch ohne
«olche unsere Object Vorstellungen haben können (Princ. XVIII). Körper außer
uns wären durchaus nutzlos (1. c. XIX). Es kann nichts sein, was nicht per-
-cipiert wird. Die „Körper^* sind in Wahrheit nichts als associativ verknüpfte,
gesetzmäßig (durch Gott) verbimdene Vorstellungen (vgL Object). Nach Hume
ist der Körperbegriff nichts als eine vom Geiste geschaffene Verbindung
/,,colfection formed by the mind^^) von Vorstellungen sinnlicher QuaUtäten, die
in constanter Weise ein Object zusammensetzen (Treat. IV, sct. 3). Nach
CoHDiLLAG ist ein Körper für ims „une collection de qualites que vous touchex,
Tcyez etc., quand Vobjet est present; quand Vobjet est absent, c'est le souvenir des
•qualitSs que vous avex touchees, vttes etc." (Trait. d. sens., Extr. rais. p. 50).
Kant verbindet den dynamischen mit dem phänomenalistischen Körper-
begriff. Ein Körper ist, physisch, „eine Materie xwisrfien bestimmten Orenxen"
(Met. Anf. d. Naturwiss. S. 85). Zweifellos existieren Körper „cUs Erscheinungen
des äußeren Sinnes außer meinen Gedanken" (Prolegom. § 49). D. h. em-
pirisch, im Baum (s. d.) haben die Körper objective Eealität. Aber sie sind,
als Körper, nicht Dinge an sich (s. d.), sondern nur „Erscheinungen äußerer
Sinne" (Met. Anf. d. Natui-wiss. S. 9), kategorial verarbeitete Erfahrungsinhalte.
Als solche lassen sie sich auf Kräfte (s. d.) zurückführen.
Nach Destutt de Tracy sind die Körper „ces etres atixquels nous attri-
buons d'etre la cause de nos sensations" (Elem. d'id^log. I, eh. 7, p. 115). Nach
Bosmini-Serbati ist ein Körper „una sostanxa fomita di estensione, cfie produce
in noi un sentimento piacevole o doloroso" "(Nuovo saggio II, p. 366). Czolbe
betont: „Die aus Atomen xusammengefügten Körper sifvd allerdings obfectiv nicht,
une sie uns stdrjectiv als Sinneswahmehmungen, d. h. als aus Empfindungen
xusammengesetxte Bilder erscheinen; aber wir erkennen ihre wirkliche Beschaffen-
heit durch hypothetische Schlüsse aus diesen Wahrnehmungen, wir erkennen sie
als vielfach bewegte Atomeomplexe" (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 107). Nach
R. Hamerlino bestehen die Körper aus verschieden verdichtetem Äther
<Atomist d. Will. II, 86).
Philosophisch«« Wörterbaoh. S. Aufl. 36
562 Körper — Koamogoxiie.
AIb Erscheinung faßt die Körper Schopenhauer auf. Körper ist eine
,^eformte tmd specifisch bestimmte Materie" (Parerg. II, § 75). Die raum-aeit-
lichen Bestinunungen der Körper sind rein subjectiv, betreffen nicht das Ding
an sich, welches Wille (s. d.) ist. Kraft und Materie machen den empirisck
realen Körper aus (ib.). Nach Hsrbabt ist jeder Körper an sich ein ^^ggngat
einfacher Wesen", ein Zusammen von „Realen" (s. d.) (Psychol. als Wiss. II,
§ 153 ; Met). Nach Lotze liegen den Körpern einfache geistige Wesen zugrunde.
Die Körper als solche sind „Complexe von sinnlichen Eigenschaften^ die sieh
in bestimmien Raumvolumen xetgen und ihren Ort im Räume wechseln" (Gr. d.
Met. S. 69). Als objective Erscheinungen von an sich geistigen Kräften be>
trachten die Körper Fechner, E. y. Hartmann, Wündt, L. Busse, Benou-
VIER u. a. — Nach Ostwald sind die Körper Energiencompleze.
Idealistisch erklart K. Lasswitz, ein Körper sei „nichts anderes als eine
gesetzliche Bestimmung, daß sich gewisse Veränderungen im Räume voüxieken
müssen, die wir als Wechselwirkung mit andern Körpern bezeichnen" (Wirklichk.
B. 95). Nach Schuppe sind die Körper „Objecte des Denkens wid sind sonsi
nichts", Complexe von Bewußtseinsinhalten (Log. S. 139). Nach P. Reb sind
die Körper „draußen localisierte Tast- und Farbenempfindungen" (Philoe. S. 106W
Nach Clifford sind die Körper Complexe von Empfindungen (s. d.) besv.
von „mind stuff^^ (s. d.). Nach £. Mach sind die Körper „Complexe von Em-
pfindungen", „ Oedankensymbole für Eleiuentencomplexe (Empfindungsetmtj^exe^^
Nicht die Körper erzeugen Empfindungen , sondern Empfindungscomplexe büdm
die Körper (Analys. d. Empfind.*, ß. 2 ff., S. 23). Der Körper „besteht in der
Erfüllung gewisser Oleic?mngen, welche zwischen den sinnltehen Elementen statte
fiaben" (Princ. d. Wärmel. S, 423). Ahnlich H. Corneuub (Einleite in d.
Philos. S. 259 ff.). Auch R. Avenariüs ist hier anzuführen. Nach M. Vkr-
WORK zeigen die Tatsachen, ,/iaß das, was uns als Körpencdt erscheint, in
Wirklichkeit unsere eigene Empfindung oder Vorstellung, unsere eigene Psyche
ist" (Allgem. Physiol.*, S. 37). Vgl. Ding, Object, Materie, Idealismus, Quali-
täten, Seele.
K9rperbeweg;ang;en : die Bewegungen des tierischen, menschlichen
Körpers. Sie zerfallen in Reflex-, automatische, Instinct-, Trieb-, willkürliche
Bewegimgen (s. d. a.).
KÖrpercben s. Corpuskel.
KÖrperllcli (corporell) s. Körper, physisch. Körperlichkeit (corpo-
reitas) s. Körper.
Körperliclie Oef&lile = sinnliche Gefühle (s. d.).
KSrperrorsAelliliig; s. Tiefenvorstellung.
KosmlBcli: auf die Welt, den Kosmos, bezüglich. Kosmisches Ge-
fühl: Gefühl für das ^Ul, das Weltganze, die Weltordnung. Kosmisches
Lebensgefühl ist das religiöse Gefühl, z. B. nach HöFFDING (Psychd.*,
S. 365; Eth, S. 459).
Kofitmocentrlscli: vom Standpunkt des Weltalls.
Ko8nDMȣ^oiiie (xoa/jioyovia): Weltentstehung, Mythus oder Lehre vcm
der Weltentetehung. Vgl. Welt.
Kosmologie ~ Kosmologiaoher Beweis. 563
Kosmoloi^e {»eSafiost Xoyog) : Welt-Lehre, ein Teil der Naturphilosophie
(8. d.). Sie stellt den Begriff der ,, WM' im allgemeinen auf, forscht nach dem
Daseinsgrande der Welt, nach den Bestandteilen, Kräften, Gesetzen, nach der
Entwicklung derselben. — Chr. Wolf definiert: t,Co8mologia generalis est
scieniia mundi seu universi in ge»iere, quatenus seüieet ena idqtte campositum
atque modifieabile est.^* Sie ist y,scientifiea^^ oder f,expertmentalis" (Cosmolog.
§ 1, 4). Baumoabten erklart: „Cosmoiogia generalis est scieniia praediecUorum
mundi generalium, eaque vel ex experientia proprius, empirica, vel ex notione
mundi rationalis^* (Met. § 351). BiLFiXGER: „Cosmologiam generalem s. trans-
eendentalem definio scientiam de mundo et affectionibus etus generalibus" (Di-
lucid. § 136). Vgl. Welt, Atom, Mechanismus, Teleologie u. s. w.
Kosmolo^lselie Antltbetlk s. Antinomien, Unendlichkeit, Teil-
barkeit
Kosmolog^lselie Ideen (Ausdruck von ELa^nt) : Zu diesen zählt Wundt
die vier Ideen des unendlichen Raumes, der unendlichen Zeit, der unbegrenzten
Materie, der unaufhörlichen Causalität. Vgl. Unendlichkeit, Antinomien.
KoBinolai^lAelier Beweis für das Dasein Gottes ist der Schluß
von der Endlichkeit, ,JZufäHigkeit^^ (Contingenz), Bedingtheit der Welt (der
Dinge) auf die Existenz eines unbedingten, absoluten Wesens als Urgrund der
Welt Gott wird hier als die höchste, letzte Ursache bestimmt, postuliert, welche
die Reihe der endlichen Ursachen in der Idee abschließt, als die Ursache, die
nicht mehr als Wirkung eines andern betrachtet zu werden braucht. Aber
nicht um einen „Beweis*^ sondern nur um ein logisches, metaphysisches Argu-
ment handelt es sich hier, wie bei allen „Oottesbeweisen** (s. d.).
Des AxAXAGOBAS Lehre vom „Oeiste^^ (s. d.), vove, ist kosmologisch
fundiert. Die erste Formulienmg des kosmologischen Argumentes findet sich
bei Abistoteljss. Alles Werden beruht auf der Realisierung eines Potentiellen
durch ein Actuelles als Ursache. Schließlich muß es eine letzte Ursache, die
nur actuell, nur „Form*^ (s. d.) ist, geben, ein „ Unbewegtes'^ (axivr^tov), von dem
alle Bewegung (Veränderung) herrührt, ein n^ahov xtvavv, einen „Urbetceger'^f
der reine drs^yeta (ohne Svvafit^) ist (Met XII 6, 1071b 4; XII 8, 1073 a 23;
1073 a 27). Er wirkt -nur durch das Streben der Dinge zu ihm hin {oae iQ<o-
furovj Met. XII 7, 1072 b 3), als höchste Einheit und Denken seiner selbst
(vgl. Grott). Cicero fragt: Wenn wir den Weltlauf betrachten, „possumusne
dubiiare, quin his praesit aliquis vel effector . . ., moderator tanti operis ei
muneris? Sic mentem hominisy quamvis eam non videas, tU dcum non videsy
tarnen^ ut deum agnoscis ex apen'btis eins, sie ex memoria rerumj et inveniione
et eeieritate motits omnique ptüchritudine virtutis vim divinam mentis agnoscito"
(Tusc. disp. I, 28, 60).
Ähnlich argumentieren Augustinus (Confe8s.*X, 6) imd Johannes Damas-
CBNU8 (De fide orth. I, 3). Die Notwendigkeit Gottes als der Weltursache
betonen Alfarabi (Font quaest C. 2, 3, 13), AvERBOfis (Epit met IV),
Maimonides u. a. Nach Hugo von St. Victor geht der menschliche Geist
von der Erkenntnis seiner Existenz zu der Gottes als der Ursache der ersteren
(De sacr. I, 3, 6). „Äuctorem stia natura clamat'^ (1. c. I, 3, 10). Richard
VON St. Victor erklart: „Ex illo esse, quod non est ab aeterno fiec a semet ipso,
raüoeinando coUigitur, et iUud esse, quod est a semet ipso" (De trin. I, 8). Der
kosmologiflche Beweis findet sich bei verschiedenen Scholastikern, so bei Thomas
36*
564 KoamologiBoher Be^p^eis.
(Contr. gent. I, 13). Er gibt den kosmologischen Beweis ,,«7 rcUione caum»
efficienii8^\ ex possibtH et necessario^^ , „ex gradibus^^ ex gubematicne
(Sum. th. I, qu. 2, 3). Süarez bestimmt: „Omne est aut est f<iöiumy aut
factum seu increatum; sed non possunt omnia entia, quae sunt in untrerso, esar
facta: ergo necessarium est esse aliquod ens non factum seu increatum** (Met
dißp. 29, Bct 1, 21).
Descaktes schließt aus dem VorhaDdensein der Idee des Un^idliclieii in
miB auf die Existenz des unendlichen Gottes; aus dem endlichen Ich kann
diese Idee nicht stammen, denn in der Wirkung kann nicht mehr Realital; (s. d.«
enthalten sein als in der Ursache (Medit. III). Femer daraus, dafi das Ich
nicht durch sich selbst existieren kann, weil es sonst unendlich, Gott sdbst
wäre (ib.); „dum in me ipsum mentis adem oanverto, non modo inieliigo me
esse rem incompletam et ah alio dependentem, remque ad maiora et niaiara nte
mdiora indefinite aspirantem, sed simul etiam inteüigo illum, a quo pendei^
maiora ista omnia non indefinite et potentia tantum^ sed re ipsa infinite m se
habere, atque ita Deum esse; totaque vis argumenii in eo est, quod agnoseam
fieri non posse ut existam talis naturae qualis sum, nempe ideam Dei in mf
habens, nisi revera Dens etiam eonsteret^' (ib.; vgL Princ. philos. I, 14, 18, 2(.K
21). Das kosmologische Argument hält Locke für unangreifbar (Esa. IV, eh.
10, § 4 ff.). Es findet sich auch bei Clarke und Wollaston (Eelig. of nat
p. 67). Nach Leibioz fordert die prastabilierte Harmonie (s. d.) einen Gott.
der alles miteinander in Übereinstimmung bringt (Nouv. Ess. IV, eh. 10, § 91
Die Dinge sind „xußUig*', haben kein notwendiges Dasein, daher mufi man
den Grund der Welt in einem Wesen suchen, das den Grund seines Daseins
in sich trägt, notwendig imd ewig ist (Theodic. I. B., § 7). Das ist der Beireis
„e eorüigenlia mundi". Auf den kosmologischen Beweis legen Chr. Wolf und
H. 8. Reimarüs Wert. Feder erklärt: „Eine Reihe von Folgen ohne Anfang
xur Ursache angeben, ist eben so viel als keine Ursache angeben, ist eine Bede
voller Widerspruch** (Log- u. Met S. 398). Wir müssen einen vemünfdgefi
Weltgrund annehmen (1. c. 8. 404). Voltaire betont: „Tout ouvrage
un ouvrier^* (Philos. ignor. XV, p. 74).
Kakt erklärt den kosmologischen Beweis in der Form: „Wenn
existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun
existiere %um mindesten ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Weaen*^
(Krit. d. r. Vem. 8. 476) fiir unzulässig, weil er sich auf den (als falsch er-
wiesenen) ontologischen (s. d.) Beweis stützt (L c. 8. 478). Positive Eanwände
gegen das kosmologische Argument sind: 1) Der Schluß vom Zufälligen auf
eine außerhalb der Welt stehende Ursache ist sinnlos. 2) Der Schluß von der
Unmöglichkeit einer unendlichen Beihe von Ursachen auf eine erste Uraacbe
ist unberechtigt. 3) Die Veniunft, welche die Bedingung wegschafft, um das
Notwendige zu denken, täuscht sich selbst. 4) Die logische Möglichkeit wird
dabei mit der transcendentalen verwechselt (1. c. 8. 480). Wir sind nicht mr
Überschreitung aller Erfahrung berechtigt. — Das kosmologische Argument
acceptieren in verschiedener Form 8chi£I£RMacher, C. H. Weisse, Drobibgr
(Grundl. d. Reiigionsphüos. 8. 120 ff.), Lotze u. a. A. Dorker acceptiert es
in dreifacher Form: 1) „Au^ der Beschaffenheit der Welt, die in den
von Subject und ob/ectiver Realität zerspalten ist und doch diesen Oegensatx
gleichen will, wird . . . auf eine letzte Einheit geschlossen, welche die Mogliekkeil
der Ausgleichung dieses Gegensatzes garantiert.** (Ähnlich bei Schleiermacbebi.
J
Koemologlsoher Beweis. — Kraft. 565
2) Alle Dinge stehen in bestimmter Wechselwirkung miteinander. Woher der
mechanische Naturzusammenhang? y^Auch hier schließt man mit Notwendigkeit
fKuf eine letxte einheitliche ürsaehey welche diesen ganzen Zusammenhang geordnet,
weiche die Wdtpotenxen so xusammengeordnet hat, daß sie in dieser Weise auf'
einander wirken,^' (Schleiermacher, Lotze.) 3) Die ganze Kette der Ent-
^cklung setzt, weil zugleich auf Wechselwirkung beruhend, „eine einheitliche
ürscu^ voraus, die in jedem Stadium dieser Entwicklung stets das Aufeinander-
wirken ermöglicht und am Ende auch die Ursache dafür ist, daß aus früheren
Entwicklungsstadien spätere sich haben entfalten können*^ (gegen Ka.kt) (Gr. d.
Beligionsphüos. S. 206 ff.).
KosmopolltlBinafii (xoo/ioc, TtoXirrjg): Weltbürgertum, der Standpunkt,
Ton dem aus die ganze bewohnte Erde als Heimat, alle Menschen als Mitbürger,
Brüder betrachtet werden, im Gregensatze oder auch als Ergänzung zum Natio-
nalismus. Den kosmopolitischen Standpunkt vertreten im Altertum zuerst die
Cyoiker. Antibthenes erklart, t6v ao<p6v ov xaxa roie xet/iavovs rouovs
noXirevea^ai, aXXa xara rov a^trrjs (Diog. L. VT, 11); Tfp» aofp^ ^ivov ovBev
9vd* ano^ov (L C. VI, 12) ; (Jioyeviji) iqtozri^eU nod'ev etrj, xocfionoXizriSy itpri
(L c. VI, 63). Die Notwendigkeit des Zusammenhaltens aller Menschen, die
aOgemeine Menschenliebe betonen die Stoiker (vgl. Seneca, Ep. 95). So auch
das Christentum. — Kaxt schätzt die Idee des Kosmopolitismus als „regu-
hüiws Princip"y dessen Vollendung „nur durch fortschreitende Organisation der
Erdbürger in und xu der Gattung als einem System, das kosmopolitisch ver-
bunden ist, erwartet u?erden kann" (Anthropol. II E).
Koemiori^anlsclie Hypotbese s. Organismus.
Kosmos: Welt (s. d.).
Kosmosoisclie Hypotliese s. Urzeugung.
Kraft ist ein Begriff, der ursprünglich aus der innem Erfahrung der
n^uskeücraft" und der Fähigkeit des Ich überhaupt, durch seinen Willen etwas
«tt realisieren, einen Widerstand zu überwältigen, entstammt, und der dann auch
auf die Objecte der Außenwelt übertragen wird. Das Ich selbst ist und weiß
sich unmittelbar in seinem Tun, W^irken als eine „Kraft", d. h. als ein des
Wirkens Fähiges, Mächtiges, Könnendes. Indem das Tun des Ich an der Außen-
welt seine Schranke findet, sich durch die Objecte gehemmt fühlt, kann es
nicht umhin, den erlittenen Widerstand als Ausfluß, Betätigung einer ihm
(dem Ich) analogen, einer Willenskraft zu deuten, die das Ding ihm, dem Ich,
gegenüber gebraucht und vermöge deren es auch andere Dinge in ihrem Sein
^«einflußt oder beeinflussen kann. ,,Eine Kraft haben" heißt so beschaffen sein,
^ man, wenn man etwas erstrebt, und wenn kein unüberwindliches Hindernis
besteht, das Erstrebte realisieren wird. Wir schreiben den Dingen Kräfte zu,
das bedeutet, wir erwarten, auf Grund der obenerwähnten Introjection (s. d.)
^d von Erfahrungen imter gewissen Bedingungen eine bestinmite Wirkungs-
weise des Dmges, das wir als Eigner der Kraft, als ,^aftcentrum^' auffassen.
I^e yyKraft^' ist kein Ding, sondern das Attribut eines Dinges, nämlich dessen
^irkungsfähigkeit, insofern sie in der Wesenheit des Dinges selbst gegründet
"«t Ursprünglich sind die Kräfte, die der Mensch (der Mythus) den Außen-
düigen zuschreibt, Willenskräfte, Strebungen, also qualitativ bestinunt. Das
566 Kraft
' naturwissenschaftliclie Denken abstrahiert von dieser Qualität, berücksichtigt
nur das Quantitative im Wirken und erhebt den Begriff der Kraft za
reinen Beziehungsbegriff. Die Metaphysik wiederum kann nicht umhin,
Kraftbegriff seine qualitative Bestimmtheit, mm aber in geläuterter, vcm roll
Anthropomorphistischen befreiten Form, zurückzugeben. — Die physischen
Kräfte sind mechanische (Bewegungs-) oder chemische Kräfte, die psychischen
(geistigen) sind Denk- und Willensfähigkeiten, Fähigkeiten der Bewufitseiii^
Veränderung. „Lebendige Kraft** ist Energie (s. d.). Dir Maß hat die media-
nische Kraft an ihren Wirkungen, an der Beschleunigung, die sie an ein» be-
stimmten Masse hervorbringt.
Den Ursprung des Kraftbegriffes anlangend, wird dieser von den Batk)-
nalisten (s. d.) als angeborener, denknotwendiger Begriff angesehen (AristoteleSw
Scholastiker u. a.). Nach Hume ist der Kraftbegriff ein subjeetiv-psvcho-
logisches Gebüde (s. unten), nach Kaistt ist er eine der yJPrädieabHien** (s. dL»
ein abgeleiteter, aber apriorischer Verstandesbegriff von bloß phänomenaler
(s. d.) Geltung. Nach andern ist er aus der Erfahrung abstrahiert. Insbesondenr
wird der Ursprung oder wenigstens das Prototyp des Kraftb^riffis in das Be-
wußtsein von der eigenen (physischen oder psychischen) Wirkungsfähigkeit 6ea -
Ich gesetzt.
Galilei erblickt den Ursprung der Kraft im Bewußtsein imserer Moskd- !
kraft (Dial. delle nuove science III). Nach Locke entspringt die Vorstdhing !
der Kraft (power) der Erfahrung, daß Wir Körper bew^en , daß wir uDseren ;
Vorstellungslauf verändern können, zugleich auch aus der Wahrnehmung der i
Wirkungen der Körper aufeinander (Ess. II, eh. 7, § 8; eh. 21, § 1). E»
gibt eine tätige imd eine leidende Kraft (1. c. II, eh. 21, § 2). Die Kraft
schließt eine Eelation ein (1. c. § 3). Die Binnesqualitäten sind Wirkungen der
Körperkräfte auf uns (ib.). Die klarste Idee der tätigen Kraft entlehnen wir
von imserem Geiste (L c. § 4). Leibniz sieht das Urbild aller Kraft in dem
Streben des Ich (s. Monade). Condillag erklärt: ,,Il y a en twus un principe
de no8 actions, que nous sentons, mais que noua ne pouvons dSfinir: on Vappdk
force, Nous sommes egalement actifs par rapport ä totä ce que eette forct prodaii
en nous ou au dehors. Nous le sommes, par exemple, lorsqtte notts refleeh\
ou lorsque nous faisons mouvoir un corps, Par atialogie nous supposons
tous les objets qui produisent quelque ckangement une foree que nou3 eonnaissons
encore moitis^ et nous sommes passifs par rapport aux impressions qu'iis fkmt
sur nous" (Trait de sens. I, eh. 2, § 11). J. J. Engel leitet den Krafthegiiff
aus dem „sens musculaire" ab (Memoire sur Porig, de Pidde de la foree 18021.
Nach Feder ist Ejraft das „Ktwasj worin dasjenige enthalten ist, womit das
Sein eines andern Dinges verknüpft ist**. „ Wir empfinden etwas in im», iceiekei
sich äußern muß, wenn gewisse Dinge, wie wir begehren, geschehen sollen. Dies
ist unsere Kraft. Wir empfinden vieles, was wir nicht unserem Wirkern ä«-
sehreiben können, was wir leiden müssen, und wodurch tcir die Kräfte emderer
Dinge kennen lernen** (Log. u. Met. S. 246 f.). G. E. Schulze betont: ,J>as
Bewußtsein der Selbsttätigkeit unseres Geistes hat . . . auf die ßestimnnmg der
Natur der den Dingen beigelegten Kräfte großen Einfluß gehabt. Es wird nämiteh
unter der Kraft etwas Inneres, ühkörperliches, den Hindernissen . . . Überlegenes
und in dieser Hinsicht der Macht des menschlichen WoUens Ähnliehes gedaetht^
(Üb. d. menschl. Erk. S. 138 f.). Der Kraftbegriff hat objective Gültigk^
(1. c. S. 140). Nach Bouterwek ist die Quelle des Kraftbegriffe die Kraft des
Kraft. 567
Ich, die Individualitat (Apodikt II, 53 f.). Eine „Naturkraft" ist eine ,^edachte
Ur9ach^* (1. c. II, 57). Maike de Biean leitet den K[raftbegriff ab aus der
yjapperception interne immSdiate ou conscience <fime force qui est moi et qm
sert de type exemplaire ä toutes les notiona gSnerales et universelles de cauaeSf
de forces^^ (Oeuvr. III, 5). Die Vorstellung der Kraft gewinnen wir aus dem
^jeffort voulu" des Ich (1. c. II, 117).
Auf die innere Erfahrung weist auch E. H. Weber hin (Tastsinn u. Ge-
meingef. S. 85). Wie J. St. Mill und A. Bain sieht H. Spencer die Quelle
•dee Xraftb^riffes in der durch die Muskelspannung bestimmten Widerstands-
empftndung. Unserer B^riff von Kraft ist eine Verallgemeinerung jener
Moskelempfindungen (PsychoL II, § 348, § 350). Nach du Bois-Reymond hat
der Ejraftbegriff im Bewußtsein des Willens als Ursache seine Quelle (Beden I,
S. 243). Nach Überweg fassen wir die Naturkraft nach Analogie unserer
eigenen Willenskraft auf (Log. S. 84). 0. Schneider leitet den Kraftbegriff
aus dem Bewußtsein der gewollten Bewegung, dem Gefühl der Anstrengung bei
Überwindung eines Widerstandes ab (Transcendentalpsy6hol. S. 148 f.). Nach
liiPPS entstammt er unserem Kraftgefühl oder Grcfühl der nicht vergeblichen An-
strengung (Gr. d. Log. S. 81). Ähnlich Dilthey (Einl. 467), Erhardt u. a. Riehl
erklart: „ Wir hohen die Begriffe von Kraft und Arbeit, aus der gewollten Muskel-
Bewegung abstrahiert und auf die äußeren Bewegungserseheinungen übertragen*'
<Philo8. Kritic. II 1, 243). Kraft ist die Substanz nach ihrem Wirken, nach
ihrem Dasein ist sie Materie (1. c. S. 271). Hagemaitk erklart: ,,PF«r über-
tragen . . . den an uns gewonnenen Begriff der Kraft und Wirksamkeit auf die
Außendinge, und wir hohen allen Qrund daxu" (Met.*, S. 55). Siqwart bemerkt:
,,Wir sind uns bewußt, daß unr eine Handlung vollziehen können, sobald wir
^nur wollen . . . dies ist der Ursprung des Begriffs eines Vermögens, einer Kraft"
<Log. II*, 144 f.;. Dieser Begriff wird später zum abstracten Belationsbegriff.
Kraft ist die ,jSubstanx als etwas Unveränderliches gedacht" (1. c. S. 156).
Wu3n)T betont: „Unsere Muskelempfindungen sind der Ursprung der Kraftvor-
Mellung*^ (Beitr. zur Theor. d. Sinneswahm. S. 429). Allmählich wird der anthro-
pomorphe Charakter des Kraftbegriffs abgestreift. Kraft ist dann nichts als
die an die Substanz gebundene Causalität (Syst. d.,Philoe.*, S. 279 ff.; Log. I*,
S. 583 f., 614 ff., 625; II* 1, 327 ff.; s. unten). Th. Ziegler: „Der Begriff der
Kraft ist . . . nichts anderes als die Übertragung unserer eigenen, in allerlei
Gefühlen sich uns offenbarenden- und uns xum Bewußtsein kommenden Activität
'Und Causalität auf das Wirken der Dinge in der Außentcelt und auf die Art,
^cie wir uns dasselbe vorstellen" (Das Gef.*, S. 72). Auf die Introjection des
subjectiven Kraftgefühls in die Dinge führt den Kraftbegriff P. Bee zurück
(PhUos. S. 171 ff.). ÄhnHch Nietzsche (WW. VIII 2, S. 93; XV, S. 298;
«. unten). Simmel erklärt: „Die Oefühle der physisch-psychischen Spannung,
des Imptäses, der Willenshandlung prqficieren wir in die Dinge hinein, und
toenn wir hinter ihre unmittelbare Wahmehmbarkeit jene deutenden Kategorien
setxen, so orientieren wir uns eben in ihnen nach den Oefühlserfahrungen unserer
Innerliehkeä" (Phiios. d. Geld. S. 507). Nach W. Jerusalem wird im primi-
tiven Urteilsacte jeder Vorgang in der Umgebung nach Analogie imserer selbst
sxd einen Willen als Ursache zurückgeführt. Indem dann das Subjectswort
zum „Träger von Fähigkeiten" schlechthin wird, verliert das Urteil seinen grob
anthropomorphischen Charakter. „Der WUle, der im Subjecte die durch das
Prädieat bezeichnete Tätigkeit hervorgebracht, wird xur Kraft, die ebenso im.
568 Kraft.
Dinge tooknt und nur des persöhHehen Chctrakters entbehr f (Urteilsfimct. S. 140 iV
„Was einmal die Subfectsfunctian übernimmt, ist Kraftcentrumj und xmcqt o6-
jeetiv vorhandenes Kraftcentrum, und als dessen potentielle oder acttteüe Wir-
kungen werden die Vorgänge, die Thtsachen, die Oesetxe des Oesehehens gefaßt^
(L c. S. 156).
Nach HuME entspringt der Begriff der Kraft (power, force, enei^, efficacv^
agency; Treat. III, sct. 14) weder aus der Vernunft (1. c. ß. 213), noch aus der
Sinneswahmehmung (1. c. S. 216), noch kann uns die innere Erfahrung von
der Wirksamkeit unseres eigenen Willens die Kraft begreiflich machen (L c
S. 218). Die Notwendigkeit (s. d.), die wir der Kraft zuschreiben, ist nichts
als die subjective Nötigung, von der „ürsachef^ zur „Wirkufig" überzugehen
(1. c. S. 225; vgl. Inquir. VII; s. unten). —
Der animistische (s. d.) Ursprung des Kraftbegriffes zeigt sich noch bei
Thales (s. Hylozoismus). Anaxagoras bestimmt als Urkraft den „Oeist^
(s. d.). Empedokles betrachtet als Naturkräfte Liebe {tpiUa) und Streit (veJxoq)^
welche die Dinge (Elemente, s. d.) bald zusammen-, bald auseinanderbringen
(Aristot, Met. II 4, lOOOa 27; Sext. Empir. adv. Math. VII, 115). Herakut
betrachtet den y^ampf^ (s. d.) als die Kraft, der alle Veränderung entspringt.
Plato schreibt zuweilen den Ideen (s. d.) Kräfte zu. Abistoteles erblickt in
den' „Formen^^ (s. d.) die von innen gestaltenden Naturkräfte. Die Si^'aius ist
Princip der Bewegung (a^x^ xiv^aecog, Met. V 12, 1019 a 15). Eß gibt SvvoMt^
rov TToietv und rov Ttdaxeiv (L c. IX 1, 1046 a 20), aXoyot und fi^d. Xojtov
Svvdfuis (1. c. IX 1, 1046b 3). Die Stoiker betrachten die Kraft (rd nowir}
als das Wesentliche des Ttvevfta (s. d.), das aber zugleich Stoff ist. In d&i
Dingen sind die Xoyoi ans^fiazacoi (s. d.) als Ausflüsse der göttlichen Urkraft
(Diog. L. VII, 134). Plotin bestimmt die Ideen (s. d.) als vosQnl Strva^ti.
Geistige Kräfte sind femer die evaSee (s. d.) bei Froklus, die Äonen (s. d.>
der Gnostiker (s. d.). (Nach Babilides emaniert die Bvvafti^ mit der «ofv'ii
aus der y^ovriais, Iren. I, 24.) Die Ato misten kennen nur äußere, nur Be-
wegungskräfte (vgl. Atom).
Die Scholastiker betrachten als Ejräfte die „fomuxe substantiades^' (s. d.)
und „qualitates oceultae" (s. d.). Ejraft- und Vermögensbegriff (s. d.) werden nicht
scharf voneinander geschieden. Die „poientia*^ ist nach Thomas ,^principium
operationis^' (Sum. th. I, 25, 1 ob. 3). Es gibt „potentia activa*^ und „pasmo''
(1. c. I, 77, 3 c), „potentia cum ratione^* und „irrationalis" (1. c. I, 79, 12a).
Innere Kräfte nehmen Paeacelsüs, J. B. van Helmont u. a. an. Nach
Telesius sind Wärme und Kälte die elementaren Naturkräfte (s. Princip). Nach
Campanella ist die „factdtas'^ „potestativae essentialis virtus ad actum, et aettonem
energens*^ (Dial. I, 6). G. Bruno erblickt in der göttlichen Natur (s. d.) die
Urkraft (De la causa III).
Galilei. bestinmit die Kraft (impetus) als stetige Folge momentaner Im-
pulse (Dial. delle nuove science III, 2). Den mechanischen Kraftb^riff hat
DE6CABTE8. „Hic vero diligenter advertendum est, in quo eonsistat vis euiusque
corporis ad agendum in aliud , vel ad actioni alterius resistendum: nempe in
hoc uno, quod unaquaeque res tendat, quantum in se est, ad permanefuhun in
eodem statte in quo est, iuxta legem . . . Eine enim id, quod alteri eoniun^tum
est, vim habet nonntälam, ad impediendum ne disiungatur; id, quod disiunctum
est, ad manendum disiunctum; id, quod quiescii, ad perseverandum in suo mäht,
/ioc esty in motu eiusdem celeritatis, et versus eandem partem. Visque iÜa debet
Kraft. 569
aesttmari tum a magnüudine carporiSy in quo est, et auperfietei, secundum quam
istud corpus ab alio disiungitur; tum a celerüate motus, ac natura, et con-
trartetate m4>di, quo diversa corpora sibi miäuo occurrunt" (Princ. philos. II, 43)»
Spinoza schreibt jedem Wesen einen „eonaius", „in suo esse perseverare** zu (vgL
Erhaltung). Newton definiert die Kraft als ,^ne auf dm Korper geübte Tätig-
keiij um seinen Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung in gerader
Richtung xu cmdem^^ (Nat. philos. princ. niath. II, def. 4).
Leibniz sieht in der Kraft (force, effort, acte, entelechie) das Wesen der
Substanz (s. d.), „le constitutif de la substanee*^, „le principe d'aetion^*, sie „rend
la mcUikre capable d^agir et de resister" (Gerh. IV, 472). Sie ist kein leeres
Vermögen, sondern ein Mittleres zwischen dem Vermögen zu wirken und dem
Wirken selbst Sie enthalt eine ^vzeXt'x^ia (s. d.), ein Streben, eine Actualitat,
die nur der Beseitigung des Hindernisses bedarf (wie bei dem gespannten Bogen),
um von selbst zu wirken (£rdm, p. 121). Die klarste Vorstellung yon Kraft
haben wir durch innere Erfahrung (Nouv. Ees. II, eh. 21, § 4). Der Kraft-
begriff selbst wird nicht durch „imaginaiio^^, sondern durch den „intellectus**
gebildet (Erdm. p. 124). Ihrer inneren Natur nach ist die Kraft etwas Psy-
chisches, ein Streben von einem Vorstellungizustand zum andern (Monadol. 15).
Es gibt ,tprimitive'^ und „abgeleitete^^ Kräfte (Gerh. VI, 236). Die passive
Kraft ist der Widerstand (die nfTirtmin, s. d.), durch den ein Körper sowohl
der Durchdringung als auch der Bewegung widersteht (Math. Schrift, ed. Pertz
III, 100). Die active ICraft schließt die Tendenz zur Handlimg ein (1. c.
S. 101). Die derivative Kraft ist der Impetus, die Tendenz zu einer bestimmten
Bewegung (1. c. S. 102). „Lebendige^^ Kraft ist die in der actuellen Bewegung
sich äußernde Kraft (L c. S. 235). Die Kraftsumme im All ist constant (Erdm.
p. 775). — (Hhb. Wolf definiert: „Die Quelle der Veränderungen nennt man
eine Kraft^^ (Vem. Ged. I, § 115). Kraft ist „dasjenige, wonnnen der Grund von
der Bewegung xu finden** (1. c. § 623). „Alle Kräfte bestehen in einer festen
Bemühung, etwas xu tun oder den Zustand eines Dinges xu ändern** (1. c. § 624).
,yQuod in se continet rationem sufficientem actualitatis actionis, vim appellamus**
(Ontolog. § 722). „Posita vi ponitur actio** (1. c. § 723). Die Kraft besteht
„in coniinuo agendi conatu** (1. c. § 724). „Vis continuo tendit ad muiatümetn
Status subiecti** (1. c. § 725). CBU8HJS bestimmt: „Die Möglichkeit eines Dinges
B, welche an ein anderes Ding A verknüpft ist, heißt in dem Dinge A in dem
weitesten Verstände eine Kraft** (Vernunftwahrh. § 29). In den Substanzen sind
mehrere Grundkräfte (Met. § 73). Nach Mendelssohn ist die „Kraft** so viel
wie ,^ie beständigen Eigenschaften des A, oder das Fortdauernde in demselben**
(Morgenst. I, 2). Platner sieht in der Kraft das Constituens der Substanz
(ß. d.). In einer Substanz gibt es eine „Orundkrafi**, von welcher die übrigen
Kräfte abhängen (Philos. Aphor. I, § 930 ff., 932). Kraft oder Vermögen im
weiteren Sinne ist ein Name für die „bleibenden Bestimmungen, Eigenschaften**,
in welchen die Möglichkeit aller Eichtungen der substantiellen Kraft gegründet
ist (L c. § 934). — Bonnet bemerkt : „Lcs parties de la matihre sont liees entr'
tlles, et cette liaison svppose necessairement une force qui l'oph-e; car les parties
de la matiere sont indifferentes par elles-memes ä toute liaison ou ä toute Situation
partieuli^e. De plus, la matihre resiste, et cetie resistance suppixose encore un
force qui Vopere^* (Ess. analyt. VI, 46). Nach Hüme ist „Kraft** für uns nichts
ak der unbekannte Umstand, wodurch das Maß oder die Größe der Wirkung
eines Gegenstandes bestinunt wird (Inquir. VII, 1 ; Treat III, sct. 14). Laplace
570
erklärt: „La force n*etant connue que par Fespace qu'elle faü dierire dam «
temps determine, il est naturel de prendre cet espaee powr sa mesure** (M^ean.
Celeste I, 1, C. 2).
Kant erklart, die Kraft sei nur die Beziehung der Subßtanz A zu etws
anderem B. Man darf keine ursprüngliche Kraft als möglich annehmen, wenn
sie nicht von der Erfahrung g^eben ist (De mund. sens. scL V, § 2Sl
Die „wahrhaft lebendige Kraft*' wird nicht von draußen im Körper erzeugt,
sondern ist „der Erfolg der bei der äußerliehen Sollieüation in dem Körper am
der irmem Naiurkraft entstehenden Bestrebung** (WW. I, 168), Spater be-
stimmt Kant die Kraft als eine „Prädieabilie** (s. d.) des reinen Verstände»,
als (apriorischen) Yerstandesbegriff, der nur für Erscheinungen (s. d.) Geltong
hat „Bewegende Kräfte* ist ^^ie Ursache einer Beweguntf'^, Durch eine solche
Kraft erfüllt die Materie (s. d.) den Raum (Met. Anf. d. Naturwisa. 8. 33i.
Anziehende, abstoßende (Zurückstoßungs-)Kraft, Flächenkraft, durchdringend«
Kraft werden definiert (1. c. S. 34 f., 67). Doch ist es „Über dem 0eaicht8km$
unserer Vernunft gelegen, ursprüngliche Kräfte a priori ihrer Mögliehkeii noek
einxusehen, vielmehr besteht alle Naturphilosophie in der Zurüekfükrung gegebeim.
dem Anseheine nach verschiedener fiuf eine geringere Zahl Kräfte und Vermögen*'
(1. c. 8. 104). (Natur-) „Kraft** ist etwas den Phänomenen AngehöreDdes, eia
notwendiger Begriff unseres Denkens, um die Objecte der Er&üirun^ logisch-
physikalisch miteinander zu verknüpfen. — Nach Kbug kommt der Materie
(s. d.) eine ursprünglich .jbewegende^* Kraft zu (Handb. d. Philos. I, 336). Nach
SCHELLINO ist , Jeder immanente Orund von Realität aus dem Begriff** Knft:
die „absolute Identität** ist Kraft (WW. I 4, 145). Kraft ist „Extensität, be-
stimmt durch Intensität**, Die Intensität einer Kraft „kann nur gemessen werden
durch den Raum, in dem sie sich ausbreiten kann, ohne =: 0 xu werden^ (§7^
d. transcend. Ideal. 8. 217). Die Dinge sind Producte von Kräften. Denn
„Kraft allein ist das Nichtsinnliche an den Ohjeeten** (Naturphiloa. S. 308x
Kraft ist ein Verstandesbegriff, kann nicht unmittelbar G^^enstand der An-
schauung sein. Die Grundkräfte der Materie (s. d.) sind verstandsmaßige Aik-
deutungen des An -sich der Dinge (1. c. 8. 322). Die Materie als solche ist
selbst Kraft (1. c. 8. 327). Nach Steffens ist die Kraft „rfie Identität der In-
tensität und Extensität** (Grdz. d. philos. Naturwissensch. 8. 23). Im Sinne
Hegels (vgl. Log. II, 170) erklärt K. Rosenkranz: ,^edes Wesen faßt ah
Oanxes seine Ihile in sich xusammen und ist die Möglichkeit ihrer Vermehrung
oder Verminderung. Als das In-sich-sein des Wesens j tcelehes seine Untergekiede
einfach in sich geschlossen hält, ist es die Kraft. Die Kraft ist nicht eine neue
Qualität des Daseifis oder ein apartes Wesen, sondern das Wesen selber, weis et
sieh als Erscheinung aus sich als dem Orund setzt und in seinem Erscheinen
als Qesetx und Inhalt und Totalität derselben tätig ist** (Syst d. Wisaenschaftsl
8. 71). C. H. Weisse betrachtet die Kraft (die dvrafue) als das Substantiilf
des Körpers (Grdz. d. Met. 8. 420 f.).
Nach Schopenhauer ist die Kraft von der Ursache (s. d.) völlig vo--
schieden, sie ist „das, was jeder Ursache ihre CatMalität, d. h. die Mdgliehkeii
XU wirken, erteilt* (W. a. W. u. V. II. Bd., C. 4; Vierf. Würz. C. 4, § ÄU
Die Naturkräfte sind von allem Wechsel ausgenommen, aulkr aller Zeit^ stete
und überall vorhanden (Vierf. Wurzel C. 4, § 20). Jede echte, ursprünglichf
Naturkraft ist qualitas occulta, physikalisch unerkl&rbar (ib.). Die Mateiie
(8. d.) manifestiert sich nur durch Kräfte, jede Kraft inhariert einer Materie
Kraft. 57 1
(Parerga II, § 75). Kraft ist ^Jede Ursache, die man toillkürlich oder gexwungen
als eine letzte betrachtet'* (Anmerk. S. 20). „Wir sindgenöOgi, hei Kräften x/u-
letzt stehen xu bleiben, weil die Kategorie der ChuscUität in aufsteigender Linie
Befriedigung sucht, d, h. von der Wirkung xur Ursache fortschreitet; wo sie die
Ursache nicht mehr findet, setzen wir eine Kraft . . . gleichsam ein Merkzeichen,
das wir anheften, um cmxudeuten, wie weä wir im Regreß gekommen'^ (1. c.
S. 144). Die Naturkräfte sind ErsdiemuDgen des Willens (s. d.). „Die einzelne
Veränderung hat immer wieder eine ebenso einzelne Veränderung, nicht aber die
Kraft zur Ursache, deren Wirkung sie ist. Denn das eben, was einer Ursache
immer die Wirksamkeit verleiht, ist als solche grundlos, d. h. liegt ganz außer'
halb der Kette der Ursachen und überhaupt des Gebietes des Satzes vom Gründe
und wird philosophisch erkannt als unmittelbare Objectität des Willens,
der das An-sich.der gesamten Natur ist*^ (W. a. W. u. V. I. Bd., § 26; Parerga
II, § 75). „Daß das Wesen der Kräfte in der unorganischen Natur identisch
mit dem Willen in uns ist, stellt sieh jedem,, der ernstlich nachdenkt, mit völliger
Gewißheit und als erwiesene Wahrheit dar** (Neue Paralipom. § 163). — Zu
metaphysischen Processen setzen den Kraftbegriff direct oder indirect auch
folgende Philosophen in Beziehung. Herbart erklärt: „Vermittelst des Zu-
sammen eines Wesens mit einem andern wird . . . auf jedes Aecidenx das Sein
bezogen, welches außerdem unmöglich wäre. Aber das Zusammen verdankt jedes
Wesen dem andern, mit ihm darin begriffenen. Insofern sind die Acddenxen
des einen zuzuschreiben dem andern, als einer Kraft*^ (Hauptp. d. Met. S. 38).
Ursprünglich, für sich, ist kein Wesen Kraft, es ist es erst im „Zusammen**
(s. d.) mit andern, in welchem die Wesen einander „stören** und sich selbst
„erhalten**, was in imserer ,^ufalligen Ansicht" (s. d.) als Wirksamkeit sich dar-
stellt. Ein Wesen kann auf unendlich vielerlei Art sich als Kraft äußern, „es
hat aber gar keine Kraft, am wenigsten eine Mehrheit von Kräften** (1. c.
S. 43; Allgem. Met. II). Beneke versteht unter Kraft „das Wirkende in dem
Gesehehen**. Eb gibt in der Seele ursprüngliche „Urkräfle**, auf deren Grund-
lage alle übrigen Kräfte erzeugt werden (Lehrb. d. Psychol.', § 19). In den
Dingen sind die Kräfte das Ursprüngliche, für die Erkenntnis ist es umgekehrt,
denn wir müssen von der Erfahrung erst auf Kräfte schließen (1. c. § 20). In
' der Seele gibt es eine Vielheit von Urkräften, die aber in inniger Verbindung
miteinander stehen (ib.), sie sind, vor ihrer „Erfüllung**, Strebungen (1. c. § 25;
vgL Seelenvermögen). Eine Eigenschaft der „sinnlichen Urvermögen** ist die
Kräftigkeit, d. h. die Vollkommenheit, mit der die Beize angeeignet worden
sind (1. c. § 33; vgl. Syst. d. Met. S. 311 ff.). J. H. Fichte erklärt: „Das
reale Wesen tcird zur ,Kraft* und xu ,Kräften* erst durch die Verbindung mit
anderen realen Wesen und die dabei eintretende Behauptung seiner QucUität
der unterschiedenen Qualitäten des andern gegenüber" (Psychol. I, 6 f.). „Poten-
tielle^* Kraft ist das Maß von Intensität, welches jedem Bealwesen eignet.
,Jjebendige^* Elraft ist „die, welche an der einzelnen Gegenwirkung in bestimmter,
aber nicht veränderlicher Stärke hervortritt**. Die potentielle Kraft ist „das
Gesamtkraftmaß eines realen Wesens, welcfies in einem gegebenen Zustande des-
selben unveränderlich und unüberschreitbar dasselbe bleibte* (1. c. I, 7).
Nach Ulsigi ist die „ Widerstandskraft** die „erste fundamentale Bestimmung des
Seienden als Seienden**. Das Seiende als solches ist die „Kraft des Bestehens**,
an welche alle andern Kräfte gebunden sind (Leib u. Seele S. 37). „Kein
Körper, keine Substanz, also auch kein Atom wirkt für sich allein, selbsttätig,
572 Kraft.
unabhängig; keinem Stoffe kommt an und für sich eine Kraft oder HUigheü xu,
die er unmittelbar und unbedingt ausübte** (Gott u. d. Nat. S. 59). Nadi
M. Cabkiere ist die Kraft y,die Substanz der Dinget*, Das All ist ein „.S^jfem
von Kräften**, Es gibt „selbstlose** und „selbstseiende^' Kräfte (8ittL Weltordn.
8. 32, 69). In der Kraft gibt es „e^o« Vermögenj dcts ihr für sieh zukommt^,
und die „Energie, die sie übt, sobald die Bedingung daxu eintritt** (L c S. 1331
Nach 0. Caspabi sind die ICräfte das Dauernde, das Wesen der Dinge. Die
Kraft ist etwas Relatives, bedingt einen Widerstand (Zusammenh. d. Dinge
S. 5, 10, 14 ff., 17, 21). Caspari lehrt einen ,yKraft'Gonstitutionalismuar* (L c.
S. 22). E. V. Hahtmakn nennt die Ejaft ein ,yspiritualistisehes PHneifh
(Philos. d. Unbew.', S. 464). Sie ist Streben (actus) und zugleich 2i^ de»
Strebens (1. c. S. 484). Ihrem inneren Wesen nach ist sie Wille (L c. S- 485).
Die Atomkräfte sind ^^individuelle IVillensaete** (1. c. S. 486). „&> tcenig der
sub/eetic ideale Stoff einen Widerstand leisten kann, ebensowenig kann das Ick
als subfectiv ideale Erscheinung eine Kraft entfalten oder auf den Stoff ein-
wirken. Wenn das Bewußtsein die Willensintensität selbst «u erfassen meint,
so erfaßt es in Wahrheit doch nur die OefUhlsintensität der durch das
bewußte, bewußtseinstranscendente Wollen ausgelösten Spannungsgefühle, also
subj'eetip idealen Widerschein der dynamisch-thelistisehen Äetivität** (Kat^oi
lehre S. 346). Nach H. Sfekceb ist die unerkennbare Urkraft das Absolute,
Gott (s. d.). Spencer spricht von der „inscnäable 'power manifesied io us
through all phenomena** (First princ. § 31). Mainlakdeb bemerkt: „i>ie Wät,
die Oesamtheit der Dinge an sieh, ist ein Oanxes von reinen Kralen, welche
dem Subject xu Ob^eeten werden** (Philos. d. Erlös. S. 23). Alle Kräfte ab
solche sind entstanden (1. c. S. 44). Im Selbstbewußtsein erfassen wir die £[rafi
als „ Willen xum Leben** (1. c. S. 44). Es gibt ein Gesetz der „Schwächung der Kräfte
im Universum, Wille (s. d.) ist die Kraft an sich nach Bahnsen, C. Petebs
u. a. Nach Wallace sind alle Kräfte wahrscheinlich Willenskräfte (Beitr.
zur Theor. d. nat. Zuchtwahl 1870). Nach B. HAKERUiro ist der Wille die
allem Sein innewohnende Triebkraft (Atomist. d. WilL I, 263; II, 50). L. NoiBS
erklärt: „Mies, was uns von außen als Kraft erscheint, ist innerlieh WiUe^
(Einl. u. Begr. ein. monist. Erk. S. 193). Auch nach Wukdt liegen den Kräften
Willenseinheiten (s. d.) zugrunde (s. unten). Nietzsche sieht das innere Wesen der
Kraft als „ Wülen xur Macht** (s. d.) an (W W. XV, 280, 296). Die Dinge sind
„dynamische Quanta, in einem Spannungsverhältnis xu allen anderen dyna-
mischen Quanten**^ sie bestehen aus Kraftcentren, „Herrschaftsgebilden**, „ Wiüens-
Punctationen, die beständig ihre Ma^ht mehren oder verlieren** (WW. XV, 297,
299 f.). Nach Laghelieb ist Kraft Tendenz nach einem Ziele, nach Bealisation;
die Welt besteht aus einfachen geistigen Kräften. Ahnlich nach Renouvie&
(s. Monaden). Nach Foüillee wirken in der Welt „idees-forces^* (s. d.). Nach
Dbossbagh ist £[raft ,4as auf Realisierung des Ideals, auf Voükommenheii der
Verhältnisse, mithin auf ein Ziel gerichtete Streben** (Üb. d. Obj. d. sinnL Wahr-
nehm. S. 141).! Nach F. Ebhabdt ist die Kraft (Das Bewegliche im
Baume, Wechselwirk. zwisch. Leib u. Seele S. 101 ff.) das Ding an sich der
Materie (Met I, 575, 577). Sie ist selbst die Substanz, bedarf keines Trägers
(1. c. S. 580 f.). Nach L. Dumont ist die Kraft die Menge der Causalität,
durch« welche das Sein sich offenbart; von „innen'* ist sie bewußt (Vöqgn. iL
Schm. S. 163 f.). R. Wähle schreibt die wahre Kraft den „Urfaetoren^ so.
Die phänomenale Welt ist unkräftig (Erkl. d. Eth. Spinoz. a 193)- — Nach
Kraft. 573
< ■ ■
Überweg smd Kraft und Materie zweifache Auffassungen einer ,;untrennbaren
Einheit^ (Log* B. 84). Nach E. Haeckel sind sie ,ynur verschiedene unoer-
äußerliche Erscheinungen eines einzigen Wdttcesens^ der Substanz*^ (Der Monism.
8. 14; Weltrats.). Nach L. Büchner bilden Kraft und Stoff eine Einheit. Die
Sjräfte sind Eigenschaften der Stoffe (Kr. u. St^^ S. 31). Die Kraft muß man
betrachten „cUs einen Tätigkeitsxustand oder als Bewegung des Stoffes oder der
kleinsten Stoffteilchen oder auch als eine Fähigkeit hierzu, oder noch genauer
als einen Ausdruck für die Ursache einer möglichen oder wirklichen Bewegung^*
(L c. S. 10). — Nach Hagemann sind Kraft und Stoff für sich genommen
nur Abstracta. „Betrachten wir nämlich die Korper in ihrem wirkungslosen
Dasein als das RattmerfUUendey Beharrliehey toas aus sich nicht zur Bewegung
oder xur Ruhe kommt, so nennen wir dieses Stoff oder Materie. Dasjenige
hingegen, was den verschiedenen Eigenschaften und Wirkungsioeisen der Körper
zugrunde liegt, nennen wir die Kräfte derselben" (Met. S. 65).
Als (objectiver oder subjectiver) causaler Beziehungsbegriff wird die Kraft
verschiedentlich formuliert. B. Mayer faßt die Kraft im Sinne der Energie
(s. d.), als Arbeitsleistung, auf und spricht den Gedanken der „Erhaltung der
Kraft^* aus (vgL Energie, dort auch Helmholtz). Es gibt nur eine einzige
Kraft. „In ewigem Wechsel kreist dieselbe in der toten wie in der lebenden
NaUir; dort und hier kein Vorgang ohne Formänderung der Kraft." Formen
der Kraft sind Fallkraft, Bewegung, Wärme u. s. w. Das Hypothetische im
Kraftbegriffe wird eliminiert (Bemerk, üb. d. Kräfte d. unbelebt Nat. 1842;
Die organ. Beweg. 1845). Nach E. H. Weber ist die £[raf t „die unbekannte Ursache
derjenigen Wechselwirkung der Körper, die sich durch Bewegung oder durch Druck
äußert, die aber für uns kein Phänomen ist", „Der einzige Fall, uh> wir von dieser
unbekannten Ursache etwas mehr toissen, ist eben der, wo unser Wille die Ursache
oder ein Teil der Ursache des Denkens ist, den unr fühlen" (Tastsinn u. Gemein-
gef. S. 85). Nach Bedtenbacheb besteht die Kraft „in der Fähigkeit der
Körper, wechselseitig anziehend oder abstoßend einxuunrken und dadurch die Zu-
stände ihres Seins verändern' zu können" (Das Dynamidensyst. 1857, S. 11 ff.).
Nach LoTZE bezeichnet die Kraft „nichts weiter als die Fähigkeit und die
Nötigung zu einer nach Art und Größe bestimmten zukünftigen Leistung, die
allemal eintreten tcird, sobald eine bestimmte Bedingung realisiert sein wird,
und die solange nicht eintritt, als diese Bedingung nicht realisiert isf* (Gr. d.
Met. § 61). Nur in Beziehung zueinander haben die Körper Kräfte (ib.).
Fechker bemerkt : „ Was man jedetn Körper an Kraft besonders beilegt, ist
nur der Anteil, mit dem er je nach seiner Individualität und Stellung zu andern
Körpern zur Erfüllung des Gesetzes beiträgt" (Üb. d. physikal. u. philosoph.
Atomenlehre*, S. 121). Nach O. Liebmann ist die Kraft „der in rerum natura
liegende objective Reedgrund, daß das Gesetz giW\ Die Kraft ist ein „Grenz-
begrifp^ (Anal. d. Wirkl.*, S. 285); sie ist das „Realprineip" des Geschehens
(ib.). Nach Volkmann ist die Kraft „eine unbekannte Eigenschaft der Ursache"
(Lehrb. d. Psychol. II*, 279). Nach Volkelt ist sie „Betätigung der Ursache
nach der Richtung hin" (Erfahr, u. Denk. S. 234). Nach Wündt ist Kraft „die
an die Substanz gebundene Causalität". Physikalisch ist sie „die Beschleunigung,
die an einer Masse von bestimmter Größe hervorgebracht wird" (Log. I*, S. 583 f.,
614 ff., 625; II» 1, 327 ff.; Syst. d. Philos.«, S. 279 ff.). Die Materie (s. d.)
ist das System der Ausgangs- und Angriffspunkte der Ejräfte (1. c. Log. II*,
1, S. 327 ff.; Syst. d. Phüos.*, S. 284 ff.; Phüos. Stud. X, 11 ff.; XII, 3. Ar-
574 Kraft.
tikel). Die Kraft einer Substanz ist die Eigenschafty yermöge deren sie ihre
Wirkung ausübt Alle Ejräfte in der Natur sind fjbewegende Kräfte und fririm
xwisehen räumlich getrennten Teilen der Maierie^^ Sie sind alle „Centralkräft^,
d. h. yysie gehen von bestimmten Punkten des Raumes aus, an denen sieh sub-
stantielle Träger der Kräfte (Kraftpunkte oder Kraftatome) befinden'^. Die Tier
allgemeinsten „dynamischen Principien^' sind: 1) das Trägheitsprincip, das
den Charakter einer „permanenten Hypothese^' hat; 2) das „Prineip der Centrol-
kräfte" : ^flede Kraft wirkt in der geraden Verbindungslinie ihres Ausgangs- und
Angriffspunktes^ und ihre Wirkung besteht in einer Qesehwindigkeitsänderung,
die der Größe der Kraft direct und der Masse, auf die sie wirkt, umgeMri
proportional ist"; 3) das „Princip der Oegenv^irkung** ; 4) das „/Vtnctp der
Kräfteperbindung'' (Syst d. Phüos.«, S. 476 ff.; Log. I«, S. 614 ff.; II« 1, K7 fU
Die fyKraftgleiehungen" ,,enihalten als Wirkungen die Beschleunigungen irgeaid
welcher Massen, als Ursachen die Componenten samt den mit ihn^i verbundenem
speciellen Bedingungen, unter denen die Componenten stehen" (Log. II« 1, 327 fLl
Die psychische Kraft besteht in der „Wirksamkeit des wollenden Ick c»
Bexug auf die ihm gegebenen Vorstellungen", sie ist rein actuell (s. d.), be^
deutet im engeren Sinne „die WirkungsfHhigkeit in Besuug auf die adive Apper-
ception der Vorstellungen" (Log. I*, S. 625 ff.). Nach R. Wahlb ist Kräh
empirisch „passive und aetive Beeinflussungsfähigkeit". Die Kraft selbst
ist ein völliges x, ein Postulat, daß Veränderung nicht durch Bleiben erfaßt
werde (Das Ganze d. Philos. S. 113 ff.).
Den idealistischen Kraftbegriff, nach welchem Kraft nichts ist als Gesetz-
mäßigkeit (s. d.), Notwendigkeit empirischer Verknüpfungen, haben die Kan-
tianer (s. d.) und Immanenzphilosophen (s. d.). Nach Schuppe bedeuten
die Begriffe: Kraft, Vermögen, Fähigkeit, Anlage nur „Causalbexiekungen**,
nicht Wahmehmungsinhalte (Log. S. 72). Sie bedeuten nur die direct zum
Sein der Dinge gerechnete Notwendigkeit, nach welcher dem a ein b folgt
„ Um ujessenunllen ein Ereignis möglich genannt wird, um deswillen wird eiium
Dinge die Kraft, es xu bewirken, xugesprochen^'^ (1. c. S. 73). Die psychischen
Kräfte (Vermögen, Anlagen) sind „da;s direct xum psychischen Sein gehongf^
es ausmachende Oesetx, daß unter bestimmten Umständen die und die Regungen
oder Bestimmtheiten bewußt werden oder im Bewußtsein auftreten" (1. c S. 73).
ScHiJBERT-SoLDERN versteht unter Kraft die gesetzmäßige Notwendigkeit de»
Eintretens bestimmter Veränderungen unter bestimmten Bedingungen (Gr. ein.
Erk. S. 62), die Erwartung einer bestinmiten Veränderung (1. c. S. 144).
Den (metaphysischen) Kraftbegriff will aus der Physik d'AxEMBEBT di-
minieren (Trait. de dynam., pr^f.). So auch Cobttes Positivismus (s. d.). Fernff
KiBGHHoFF (Vorle«. üb. mathem. Phys. I, S. 5 ff). Czolbe betont: „Das Ver-
langen, für die Bewegung als Ursachen nicht nur unbekannte, sondern auth
undenkbare Kräfte xu finden, beruht . . . nur auf der theologischen Neigung naek
einer Welt des Unbegreiflichen, die hier ausgeschlossen ist. Der Begriff yKraftt
kann wohl aus Bequemlichkeitsrilcksiehten für die unsichtbaren, etementtaren Be-
wegungen der Atome gebraucht werden, ihn aber für die tiefere Ursache der-
selben anzusehen, ist durchaus falsch und venHrrend, Derartige Kräfte gibt ei
nicht^' (Gr. u. Ursp. d. m. Erk. S. 82). Kraft ist nichts als der im Räume be-
findliche anschauliche Gegensatz (Neue Darstell, d. Sensual. S. 110). Kacb
Dübois-Reyhond sind Kraft und Materie Abstractionen der Dinge, die ver-
einzelt keinen Bestand haben. Die Kraft ist nur „eine versteckte Ausgeburt
Kraft — Kriterium. 575
unseres Hanges zur Personification*^, In Wahrheit ist sie nichts als „das Maß,
nickt die Ursache der Bewegung*^ (Untersuch, üb. tier. Elektricit. I, Vorw.
8. XLI, XLII). £. Mach hält die Anwendung des Kraftbegriffs für „Fetischis-
mus^' (Populärwiss. Vorles. 8. 259). Es gibt nur „Abhängigkeiten^* (s. d.). Ähn-
lich R. AvENARius, auch Stallo, Hebtz. Nach Ostwald ist der physi-
kalische Gnindbegriff nicht die Kraft oder Materie (s. d.), sondern die Energie
(s. d.). Kraft ist „cfcw, u>as sich der Bewegung der Körper uidersetxt^* (Vorles.
üb. Naturphüos.*, 8.157). Masse ist nur ,/ite besondere Eigenschaft , von der die
Energie eines bewegten Körpers außer seiner Geschwindigkeit abhängt**^ (1. c. 6. 185),
„Capaeüät für Bewegungsenergie (1. c. 8. 283 f.), ,^ie Eigenschaft eines gegebenen Ob-
jedes unter dem Einfluß von Bewegungsursa>chen eine bestimmte Qesekmndigkeit an-
zunehrnen" (Energet 6.61, 13). Nach H. Cornelius bezeichnen „Massen" und
„Kräfte^* nichts anderes als y^esetxmäßige Zusammenhänge von Wahrnehmungen",
Der Wert dieser Begriff e yjberuhi nur darin^ daß durch ihre Einführung die Be-
schreibung unserer Erfahrungen eine Vereinfachung erfährt** (wie bei Mach ; Einl. in
d.Philos. 8. 327). Ähnlich H. Kleinpeter. Clifford erklärt: „Eine gewisse ver-
änderlicßie Eigenschaft des Stoffes (der Grad der Veränderung seiner Bewegung) hat
sieh als beständig an seine relative Lage xu anderem Stoffe gebunden heraus-
gestellt; betrachtet man sie beschrieben durch Ausdrücke^ die sich auf diese Lage
beziehen, so heißt sie Kraft, ^aff ist somit eine Äbstraction, die sich auf
objeetive Tatsachen bezieht; sie ist eine der Arten der Ordnung meiner Em-
pfindungen" (Von d. Nat. d. Dinge an sich 8. 34). Vgl. 8ecchi, Die Einheit
der Naturkräfte 1876. — VgL Causalität, Gesetz, Vermögen, Substanz, Object,
Wirken, Energie, Ich, Seele, Seelenvermögen.
Kraftcentram s. Kraft
Krafterbaltang s. Energie, Apokatastasis (Nietzsche).
KraftK^effiM ist das Bewußtsein der eigenen physischen und psychischen
Kraft, der Activität, des ungehemmten Betätigens. Vgl. Schilling, Psychol.
S. 86f.; Nahlowsky, Das Gefühlsleb. 8. 90 ff.; Lipps, Gr. d. Seelenleb.
S. 56 f.; Th. Zieqler, Das Gef.*, 8. 278. Vgl. Muskelsinn.
Krftltle^kelt s. Kraft (Beneke).
Kraftmaß, kleinstes, s. Princip des kleinsten Kraftmaßes.
B^raftslnn s. Muskelsinn.
üjraniolog^e (Schädellehre) s. Phrenologie.
Kreiaerklllrang s. Circulus, Zirkelbeweis.
Kreusung (logische) ist das Verhältnis zweier Begriffe zueinander,
welche einen Teil des Umfanges (s. d.) miteinander gemein haben (z. B. Mensch
- alt).
Kriterinm (xQnriQiov, von x^ireiv, unterscheiden, urteilen, beurteilen):
Kennzeichen, Merkzeichen, Prüfungsmittel, Prüfstein. Insbesondere spricht
man philosophisch vom Kriterium der Wahrheit (s. Wahrheit). So zuerst
bei den Stoikern: x^in^Qtov ioTt n^ayfiaros dtayvwOTixrj KaTavorjuis (Galeni
histor. philos. 12, 293; Dox. 606). Die Skeptiker bestreiten die Existenz eines
solchen Kriteriums (ovöiv ä^iaav xQixriQiov, Sext. Empir. adv. Math. VII,
150 ff.). — Nach Clemens Alexandren us ist xQ^rii^iov t^s inieTjjfijjs 17 nlans
(Strom. II, 4). — Chr. Wolf definiert: „Oriterium veritaiis est propositioni
576 Kriterium — Kritdciamus.
intrinseeumy unde agnaseitur, eam esse veram" (Philoe. rational. § 523). FUES
erklart: y,Em Grundsatx wird ein Kriterium, ein ünterseheidungsgrund der
Wahrkeit für gegebene Erkenntnisse^ toenn ich aus ihm die Wahrheit dieser Er-
kenntnisse beurteilen kann** (Syst. d. Log. S. 182).
KrItIcIsmaA: der Standpunkt der Kritik (s. d.), des kritisch-philo-
sophischen, transcendentalen (s. d.), erkenntniskritischen (s. d.) Verfahrens, die
Methode, vor aller positiven Philosophie (Metaphysik) die Möglichkeit, Gesetz-
mäßigkeit und die Grenzen der menschlichen Erkenntnis, die Erkenntniskraft
des Bewußtseins einer systematischen Prüfung zu unterziehen, nichts dogmatisch
(s. d.) hinzunehmen, sondern überall die Begriffe zu analysieren, auf ihr Fun-
dament (s. d.) zurückzuführen und in ihrer logischen Berechtigung und Gültig-
keit zu werten („kritische Methode**),
Ansätze zum Kriticismus finden sich bei Plato, Descabtes, Lockb, Leib-
Niz, HuME. Durch letzteren wurde Kant, der Begründer des Kriticismus ab
System, aus seinem „dogmatischen Schlummer'* geweckt (Prol^jomena, Einleit.).
Schon in der Schrift „De mundi sens et intell, forma et prificipiis^^ ist der
kriticistische Standpimkt in manchem annähernd erreicht (vgl. Raum, Zeit). In
der „Kritik der reinen Vernunft** (1781; ursprünglicher Titel: „Die Grenzen der
Sinnlichkeit und der Vernunft**, vgl WW. VIII, 686) stellt Kant allem Dogma-
tismus (s. d.) und Skepticismus (s. d.) die „Kritik^* gegenüber, die Prüfung des
Intellectes auf seine Fähigkeit hin, apriorische (s. d.) Sätze, synthetische Urteile
(s. d.) a priori aufstellen zu können, zu dürfen, sowie die Art und den Umfang
der Gültigkeit der allgemeinen Urteile und Begriffe, der Anschauung»- und
Denkformen (s. d.). Die Gewißheit, Gültigkeit des Erkennens, nicht der psycho-
logische Ursprung desselben, steht im Vordergrunde der Untersuchung, die formal,
analysierend, deducierend, normierend-wertend ist; sie stützt sich auf die Re-
flexion (s. d.) über die Tatsachen des Erkennens imd sucht die formalen Prin-
cipien (s. d.) der Erkenntnis auf, um aus diesen die Möglichkeit des Ej-kennens,
besonders des apriorischen, zu begreifen. Als System lehrt der Kriticismus
Kante die Apriorität (s. d.) der reinen mathematisch-physikalischen Grundsätze
(s. Axiome) der Anschauungs- und Denkformen (s. Kategorien), der Unendlich-
keitebegriffe (s. d.), ferner die transcendentale Idealität (s. d») unserer Erkennt-
nisse, die Phänomenalität (s. d.) der Erkenntnisinhalte, die Existenz eines un-
erkennbaren „Ding an sich** (s. d.) u. s. w. — Die „Kritik der reinen Vernunft
ist eine Kritik „des Vemunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse^
XU denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag, mithin die
Entscheidung der Möglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung
sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus
Principien** (Krit. d. r. Vem. S. 5 f.). Auf das Stadiimi des Dogmatismus
und Skepticismus folgt die Kritik, die „nur der gereiften und männlichen Ur-
teilskraft xukomnU, welche feste und ihrer Allgemeinheit nach bewährte Maximen
xum Grunde hat, nämlich nicht die Facta der Vernunft, sondern die Vemunß
selbst, ruieh ihrem ganxen Vermögen und Tauglichkeit xu reinen Erkenntnissen
a priori, der Schätzung xu unterwerfen** (1. c. S. 581). „Bisher nahm man an,
aUe unsere Erkenntnis müsse sieh nach den Gegenständen rieklen; aber alU
Versuche, über sie a priori etivas durch Begriffe ausxumachen, wodurch unsert
Erkenntnis erweitert würde, gingen unier dieser Voraussetxwng xunickte. Maä
versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damÜ
hesser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sieh nach unserer
Erltioinniui. 577
Erkenntnis richten^ weiches so s6hon hesser mit der verlangten Möglichkeit einer
Erksenntnis derselben a priori xusammenstimmtj die über Öegenstände, ehe sie
^ns gegeben werden^ etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso^ als mit den
ersten Gedanken des Köpern ikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung
der Himmelsbewegungen nickt gut fort wollte, wenn er annahm' das ganze
Stemenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen
fnlkkie, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe
ließ*^ (L c. 8. 18). Der Qnmdsatz ist eben zu beachten, „daß teir nämlich von
den Dingen nur das a priori erkennen, was wir selbst in sie legen" (1. c. S. 18).
Im Versuche, ,^das bisherige Verfahren der Metaphysik umzuändern, und dadurch,
daß wir nach dem Beispiel der Oeometer und Naturforseher eine gänzliche Re-
vobäion mit derselben vornehmen, besteht nun das Geschäft dieser Kritik der
reinen speoulativen Vernunft. Sie ist ein Tractat von der Methode, niM ein
System der Wissenschaft selbst'' (1. c. S. 21). Die Kritik wendet sich einerseits
gegen die dogmatische Speculation (s. d.) der rationalistischen Metaphysik,
anderseits gegen den Skepticismus , der die Qewißheit der wissenschaftlichen
Grundsätze und religiösen Glaubensmeinungen bezweifelt: „Die Kritik beschneidet
dem Dogmatismus gänuUieh die Flügel in Ansehung der Erkenntnis übersinnlieher
Gegenstände" und sie geht darauf aus, „etwas Gewisses und Bestimmtes in Än^
tehmg des ümfanges unserer Erkenntnis a priori festzusetzen". Femer will sie
,4^ unvermeidliche Dialektik (s, d), womit die allerwärts dogmatisch geführte
reine Vernunft sieh selbst verfängt und verwickelt^*, auflösen (W. h. sich im
Denk. Orient. S. 135). „Ich mußte . . . das Wissen aufheben, um zum Glauben
Platz zu bekommen" (Krit. d. r. Vem. S. 26). — Schon in den ,yTräumen eines
Geistersehers" äußert Kant den Gedanken, „daß die verschiedenen Erscheinungen
des Lebens in der Natur und deren Gesetze alles seien, was uns zu erkennen
vergönnt ist, das Principium dieses Lebens aber . . . niemals positiv könne ge-
dacht werden, weil keine Data hierzu in unseren gesamten Empfindungen anzu-
treffen sind" (1. T., 4. Hptst.; vgl. 2. u. 3. Hptst).
Kbug bemerkt: y,Wer . . . richtig philosophieren will, darf weder alles
hexweifeln, noch alles für wahr und gewiß hallen, was den Schein der Wahrheit
und Gewißheit an sich trägt. Er muß eben darum, mit steter Hinsieht auf die
unmittelbaren Tatsachen seines Bewußtseins, die ursprünglichen Gesetze seiner
gesamten Tätigkeit zu erforselten suchen, um so xu allgemeingültigen Principien
XU gelangen, mittelst welcher allein wahre und gewisse Lehrsätze nicht nur ge-
funden, sondern auch der Idee eines wissensehafüiehen Ganzen gctnäß verbunden
werden können. Dieses Verfahren kann man daher mit Recht synthetisch oder
kritisch nennen," Der „Kanticis^nus" ist nur eine Art des Kriticismus (Handb.
d. Philos. I, 99). Nach Tenkemakn geht das kritische Philosophieren „von
^ner vollständigen und gründlichen Erforschung des Erkenntnisvermögens zur
Erkemünis der Objecte" (Gr. d. Gesch. d. Philos.», S. 32). Fries erklärt: „Das
Eigentümliche der Kritik der Vernunft ist das phüosophische Aufschieben des
Urteils bis nach Beendigung der Untersuchung'* (Gr. d. Log. S. 132). J. G. Fichte
betont: „Darin besteht mm das Wesen der kritischen [idealistischen] Philo-
sophie, daß ein absolutes Ich als schlechthin unbedingt und durch fiichts Roheres
^timmbar aufgestellt werde." „Im kritisclien Systeme ist das Ding das im Ich
Gesetzte . . .; der Kriticis?nus ist darum immanent ^ weil er alles in das Ich
setzt" (Gr. d. g. Wiss. S. 41). Der Kriticismus muß allen allgemeinen Er-
nenn tnisinhalt aus der Tätigkeit des Ich (s. d.) ableiten, er darf nichts als
PMlotophlMbaa Wörterbuoo. 2. Aufl. 37
578 KriUolsmuB — Kritik.
jjgegeben*^ voraussetzen (s. Wissenschaftslehre). Die kritische Methode hat einoi
teleologischen Charakter. Das betont auch Windelband (Prälud. S. 275i
jfiie Voratissetxung der kritischen Methode ist , . . der Glaube an die allgemein-
gültigen Zwecke und an ihre Fälligkeit, im empirischen Bewußtsein erkannt xu
uerchn" (1. c. S. 271). „Von ihrer einzigen Voraussetzung her, daß es Vor-
stellungen, Willensentscheidungen und Gefühle geben soll, welche allgemein ge-
billigt werden dürfen, hat die kritische Methode alle diefenigen Betcegungsforfnen
des psychischen Lebens sich xum Betcußtsein xu bringen, todche als unerläßliche
Bedingungen für die Realisierung jener Aufgabe nachgewiesen werden können . . .
Das allein kann gemeint sein, wenn nian verlangt, daß der Nachweis der a priori
geltenden Ämome und Normen selbst nicht empirischen Charakters sein dürft^
(1. c. S. 273; vgl. Psychologismus). Den Kriticismus vertritt in bezug auf da»
a priori des Erkennens Fr. Sghultze (Philos. d. Naturwissensch. II, 21 ffj.
BiEHL setzt die kritische Methode in die principielle Trennung des ideeUen
Erkenntnisfactors vom empirischen und die factische Vereinigung beider (Philos.
Kritic. I, 221). Nach C. GK)RING ist es die Aufgabe der philosophischen Kritik,
„den festen Punkt aufxuxeigen, von welchem alles Erkennen und Wissen ausgeht-
(Syst. d. krit. Philos., Vorw. S. VII). Nach H. CkJHEN ist der Kriticismui»
,,Kritik der Erfahruftg^*, Wissenschaft von der Methode (Kants Theor. d. Erfahr.*;
Logik). Ahnlich Natorp. Nach ihm betont der Kriticismus, daß der „Gegen-
stand der Erkenntnis'^ „nur ein x, daß der Gegenstand stets Problem, nie
Datum ist; ein Problem, dessen ganxer Sinn allein bestimmt sei in Beziehung
auf die bekannten Gi'ößen der Gleichung, nämlich unsere fundamefitalen Begriffe^
die nur die Grund functionen der Erkenntnis selbst, die Gesetze des Ver-
fahrens, in dem Erkenntnis besteht, xum Inhalt haben". „Der Gegenstand . . .
ist nicht gegeben, sondern vielmehr aufgegeben; aller Begriff von Gege$istand, der
unserer Erkenntnis gelten soll, muß erst sich aufbauen aus den Grundfaetoren
der Erkenntnis selbst, bis zurück xu den schlechthin fundamentalen. Also decki
sich die kritische Ansicht mit der genetischen" (Plat Ideenl. S. 367). —
WüNDT betrachtet als Kriticismus das Verfahren des Nachweises der logischeji
Motive der wissenschaftlichen Erkenntnis in ihrer reinlichen SScheidung von
den anderen Motiven (Philos. Stud. VII, 15). Kritisch ist die Philosophie,
welche von vornherein Rechenschaft über ihre Voraussetzungen und Verfahrungs-
weisen gibt (Log. II« 2, 631; vgl. Phüos. Stud. IV, 19; X, 82 f.; XIII, 321;
Ess. 14 ; vgl. Erkenntnistheorie). — Kriticisten sind u. a, auch Renouvier und i
Lachelieb (Du fondement de Tinduct.«, 1896).
Vom Kantischen und rationalistischen läßt sich ein empiristischer oder
besser der Kriticismus schlechthin unterscheiden. Der „Empiriokritieismua^
(s. d.) will die „reine Erfahrung*^ (s. d.) von den subjectiven „Zutaten" reinigeiu
Vgl. Erkenntnistheorie, Erfahrung, A priori, Transcendental, Wissenschaftslehi^
Philosophie, Psychologismus, Empirismus, Rationalismus, Idealismus, Kantia-*
nismus, Criticism.
Kritik (x^tTtxij, critica): Scheide-, Beurteilungskunst, Prüfung eines.
Werkes, einer Sache, einer Lehre auf Güte, Schönheit, Richtigkeit, Wahrheit
hin. Die Kritik forscht nach, ob das Object den (logischen, ästhetischen, tech-
nischen etc.) Forderungen entspricht. — „Oritica" bedeutete früher „pars
dialecticae de iudicio, quasi itidiciaria" (GOCLEN, Lex. philos. p. 492), Vgl
Kriticismus, Criticism.
Kritik der reinen Vemnnft — Kyrieuon. 579
Kritik der reln^i Vemiinlt s. Kriticismus.
HrlUscbe Hletapbysik s. Metaphysik.
Krltlscber ESinplrteiiiiui s. Empirismus. Kritischer Empirist ist auch
Fr. Schitltze, welcher behauptet, ,ydaß das Zeülich-y RäumUeh- und Cavscd'
torsiellen ein Subjectives in uns sei, eine Function unseres QeisteSy insofern weder
ein ÄngeboreneSy noch ein bloß Formales ^ nicht em Inhaltliches^ welches ist vor^
also nicht aus, jedoch in aller Erfahrung y in Actualität tretend durch y also
nicht ohne Erfakrung^^ (Philos. d. Naturwissensch. II, 34).
Krltis€ber Idealismus s. Idealismus.
Krltlsclier Realismus s. Bealismus.
Krokodilscliluß {x^oxoSedhije, crocodilus, crocodiUna) ist der Name
eines Trugschlusses oder trügerischen Dilemmas (s. d.) folgenden Inhalts: Ein
Krokodil hat ein Kind geraubt. Es verspricht der Mutter des Kindes, ihr dieses
wiederzugeben, wenn sie ihm darüber die Wahrheit sagte. Sie erklärt nun:
Du gibst mir das Kind nicht wieder. Das Krokodil erwidert: Nun erhältst du
das Kind keinesfalls; wenn du die Wahrheit sagtest, auf Grund deines Aus-
spruches, sprichst du aber nicht wahr, unserem Vertrage gemäß. Die Frau aber
sagt: Ich muß mein Kind unbedingt erhalten; entweder, weil ich die Wahrheit
sprach, also auf Grund unseres Vertrages, oder, wenn ich unwahr sprach,
gemäß meiner Aussage (vgl. Prantl, G. d. L. I, 493). Dazu bemerkt Schuppe:
yylHe Unklarkeit des verwendeten Begriffs yWakrheUf' verschuldet den Unsinn.*^
Es wird ,ydie Wahrheit , d, i. die Übereinstimmung der Vorhersage mit der nach-
folgenden Handlung, abhängig gemacht von der an sie geknüpften Folge, und die
Felge wird abhängig gemacht von der Übereinstimmung^^ (Log- S- 180 f.).
Kunst 5. Ästhetik.
Kunst, gproße (LuLLsche) s. Ars.
Kyniker s. Cyniker.
Kyrenaiker (Hedoniker) sind die Anhänger des Aristippus (von
Kyrene), eines Schülers des Sokrates. Zu ihnen gehören: Akete, Akistippus
DER JÜNGERE, AnTIPATER, ThEODORUS (ä&eog), HeGESIAS {nsiat&dvaros)y
Annikeris der Jüngere, Eühemerus. Die Basis der kyrenaischen Philo-
sophie ist der Hedonismus (s. d.) und Subjectivismus (s. d.).
Kyrieuon (xv^tevotv, der „Geioaltige^^ heißt ein Beweis des Megarikers
DiODOR, daß nichts möglich (s. d.) ist, als das Wirkliche, denn aus einem
MögHchen könne nichts Unmögliches folgen. ,y[st von xwei sich aufschließen-
den Fällen der eine wirklich geworden, so ist der andere unmöglich; tväre er
möglich gewesen, so wäre aus einem Möglichen ein Unmögliches geworden^^
(Überweg -Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. I', 138; vgl. Zeller, Üb. d.
xv^tevaw d. Megar. Diod., Sitzungsber. d. kgl. Akadem. d. Wiss. zu Berlin
1882, S. 151 ff.; Prantl, G. d. L. I, 40; vgl. Cicero, De fato 6 f.;.EpiKTET,
Dissert. II, 18 f.).
37'
580 Lachen — Ijeb«ii.
1j.
liaclien bt eine (in der B^el unwillkürliche) AuBdrucksbewegong nr*
mittelst der Atmungsorgane, eine stoßweise Ausatmung, die an einen Affoct
oder körperlichen Beiz sich knüpft VgL Ch. Darwik, Der Ausdruck d. Ge-
mütsbewegungen; Heckes, PhysioL u. Psychol. d. Lachens u. d. Konüsdun.
Vgl. Komisch.
liftcberlicli s. Komisch.
Ijag^eempllndiui^feii sind Empfindungen, welche ein unmittdbm
Bewußtsein der Lage eines Gliedes enthalten. Vgl. Külpe, Gr. d. PsychoL
S. 353.
Ijaster s. Tugend.
liatltndlnarler s. Bigorismus.
LAUtere Brüder („icktcän es aaß*^): Name einer arabischen Secte,
welche ein mystiBches Emanationssystem (s. d.) lehrte.
LiaatK^eb&rden, Ltantopraclie s. Sprache.
Law of redlntegratlon (W. Hamilton) : Grundgesetz der Associatkn
(s. d.), wonach Vorstellungen, die Teile eines Vorstellungszusammenhangs
waren, einander hervorzurufen, die Totali tat wiederherzustellen die Tendenz haben.
lieben (^v^ vita) heißt, mit irgend einem Grade von Bewußtsdn, psy-
chischer Activitat, Innerlichkeit, Erregbarkeit, triebhafter Beactionsfihigkeit sich
in seinem Dasein einheitlich-dynamisch und teleologisch (s. d.) erhalten, (sloff-)
aneignende Functionen ausüben, Fremdes dem eigenen Verbände einTerkibeD
(assimilieren), sich selbst individuell und generell vermehren (Wacfastani,
Zeugung), sich differenzieren und wieder integrieren, sich von „twwn" ins
(„eentrifugcU"), zielstrebig entwickeln. Das Lebendige im engeren Sinn ist dtß
Organische (s. d.); absolut Lebloses dürfte es nicht geben (s. PanpsychismiB.
Hylozoismus). Das Lebendige, Organische bewahrt im Wechsel seines Stoffes
(im labilen Gleichgewichte) die (innere) Form, die specifische Einheit des Wirkoks.
Der Lebensproceß läßt sich, abstract, physikalisch-chemisch betrachten und
darstellen; zugleich ist er aber schon ein psychischer Proceß, dem Triebe,
Strebungen, Willens tendenzen zugrunde liegen. So ist er causal-mechanisdi
und teleologisch zugleich. Die Lehre vom Leben, die Biologie (s. d.) muß die
verschiedenen Betrachtungsweisen des Lebens» und des Lebendigen reinlich von-
einander sondern (Biomechanik, Biochemie, Biopsychik). Die universale Auf-
fassung des Lebens begründet die organische Naturphilosophie (s, d.). Die
Ewigkeit des (potentiellen) Lebens ist anzunehmen (s. Urzeugung).
Mit der vitalistischen (s. d.) und psychistischen Auffassung des Lebens
streitet die rein mechanistische Lebenstheorie, nicht ohne daß Vermittlungen
stattfinden. Vgl. Lebenskraft.
Die ioi^isohen Naturphilosophen (s. d.) betrachten das Leben als eine dem
Stoffe immanente Zustandlichkeit (s. Hylozoismus). Nach Ajobtoteleb ist
Leben: spontane Ernährung, Wachstum und Abnahme: S<t^^ ^* Uyofuv h
avTov rgotfrjv re xal av^rjaiv xai tpd'iüiv (De an. II 1, 412 a 14). Das Lebcfl
begründet den Unterschied des Beseelten vom Unbeseelten, denn das Leben is*
i
lieben. 581
seelische Betätigung {ßitoQiad'ai ro fyy^vxov rov axpvxov rtf iijvt De an. II 2
413 a 21). LebenspTOcesse sind vovsj aiad^uigt Mivrjats xal <ndats tj xard ronov,
^i KivT^cts i} Hord tQoip^v xai ftd'iine tb xal avStjate. Auch die Pflanzen haben
Leben (De an. II 2, 413 a 22 squ.). Nach Plotin ist das Leben eine Energie
(it^ä^/8ia), die um so geistiger ist, je vollkommener sie ist (Enn. lU, 6, 6).
Alles Leben ist em geistiger Prooeß (1. c. III, 8, 8). — Nach VALENTiNTrs
emaniert die ^an} (mit dem Xoyog) aus dem vavs (bei Iren. I, 1, 1).
Thomas erklart: „lUttd proprie vitere dieimusy quod in ae ipso habet motus
vel cfpertUionea quoBcumque^^ (De verit. 4, 8): „namen vitae ex hoc sumptum
Ttdetur^ quod aliquid a seipao potest moveri** (3 sent 35, 1, Ic; vgl. Sum. th. I,
18, 1; I, 18, 3),
Die mechanistische Auffassung des Lebens vertreten Descartes (De hom.)
und HoBBES. Nach letzteren ist das Leben y,nihil aliud . . . qtuim artuum
nwtus, cuius prineipium est intemum in parte aliqua corporis prinoipali'^
(Leviath., introd.). — Spinoza erklärt das Leben als „vinif per quam res in
8UO esse persetferani** (Ck)git. met II, 6). Leibniz bestimmt es als ^.prindpium
pereepHvum^^ (Erdm. p. 466). AUes lebt (s. Monaden). Nach Ceusitts ist das
Leben ,/lieienige Fähigkeit einer SubstanZy vermöge eieren sie aus einem innern
Örunde auf mannigfcdiige Art tätig sein kann" (Vemunftwahrh. § 458). Febgubon
erklärt: jyLeben, im weitesten Verstände, ist das Dasein cUler vegetabilischen,
Herischen oder denkenden Naturen" (Grds. d. Moralphilos. S. 127).
Kaitt erklärt: „Leben heißt das Vermögen einer Substanx, sieh aus einem
innern Princip xum Bandeln, einer endlichen Substanx sich xur Bewegung oder
Ruhe als Veränderung ihres Zustandes xu bestimmen" (WW. IV, 439). „Alles
Lfcben beruht auf dem innern Vermögen^ sieh selbst nach Willkür xu bestimmen"
(WW. VII, 45). „Ltben ist das Vermögen eines Wesens, nach Qesetxen des
Begehrungsvermögens xu handeln" (Krit d. prakt Yem., Vorr. S. 8). Nach
ScHELLiKG besteht das Wesen des Lebens ,^in einetn freien Spiel von
Kräften, das durch irgend einen äußeren Einfluß eofUinuierlieh unterhalten
wird" (WW. I 2, 566). „Die Lebendigkeü besteht . , . in der Freiheit, sein
eigenes Sein als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetxtes aufheben
und es in ein selbst-gesetxtes vertoandeln xu können" (WW. I 10, 22). Steffens
bemerkt: „Ein nie ruhender Assimilationsproceß setxt alles erscheinende Leben
dem Leben der Erde gleich; ein Versehlingungsproceß, der nur das allgemeine
Leben duklet, dessen Centralpunkt in der Unendlichkeit des Universums liegt^
(AnÜiropoL I, 126). Eschenmayeb: „Das Leben ist der mittlere Eocponent von
Tod und Unsterblichkeit" (Psycho! S. 21). Nach Hillebrand besteht die
Lebendigkeit im „substantiellen Selbstbestimmen" (Philos. d. Qeist. I, 56 f.).
Das Leben ist ewig (1. c. I, 48). Nicht alles ist lebendig, aber alles ist für
das Leben da (L c. I, 47). F. Baader spricht von einem „Bildungstrieb des
Lebens^* (WW. II, 99). W. Kosenkeantz bemerkt: „Alles dasjenige, was ist
ohne das Vermögen, etwas Weiteres xu werden, ist tot; nur das, was das Ver^
mögen hat, mehr tsu sein, als es noch in Wirklichkeit ist, kann sich entwickeln,
und die Entwicklung ist sein Leben" (Wissensch. d. Wiss. I, 8). — Nach
Hegel stellt das Leben die Selbsterhaltung eines Allgemeinen in seinen Teilen
dar (Naturphilos. S. 465 ff.). Nach Hanusch ist das Leben ein „Selbstäußem
seines Innern", ein „Entunckdn des seienden Unentwickelten aus sich selbst^'
(Handb. d. Erfahrungs-Seelenl. S. 1 ff.). K. Bosenkeanz betont: „Man darf. . .
die mechanische und dynamische (oder physikalische) Natur als tote oder
582 lieben.
unorganische der lebendigen als der organischen nicht ahstrad entgegensetzen,
sondern hat beide als ein Oanxes aufzufassen, das erst im Leben die Form woB'
kommener Subjectivität erreicht, die sieh selbst in ihre Unterschiede auseinander
legt, um sie wieder ^üut Einheit in sich xurückxunehmen und stets von neuem
XU erzeugen. Der qualitative Unterschied aber des Lebendigen vom sogenannten
Unorganischen ist die sich durch immanente Virtualität artieulierende Äuio-
morphie. Nicht in unbestimmt begrenzten Massen, nicht in unbestimmt aus-
gedehnten Processen eansiiert das Leben, sondern nur in Inditnduen, tc^ehe sieh
selbst in sieh gliedern und mit solch innerer Gliederung zugleich na^ außen al$
erscheinende QestaU sieh abschließen^' (Syst d. Wissensch. S. 277). Chb. KRArSE
bemerkt: „Alles Leben ist ein Leben, das Leben des einen Gottes, als des ganzen
Urwesens; das ist, das Ganzleben Gottes steht dem Leben aller einzelnen yand
vereinten Weiten in ihm entgegen und vereint sieh, wesenUieh vollständig und
etcig gleich, mit dem Leben aller Welten" (Urb. d. Menschb.', S. 274). AJle
Wesen beginnen und vollenden ibr Leben in Gott (1. c. 8. 275). Nach
M. Cabkiere ist das Leben „der etcige Selbstverwirklichzmgsproceß der Wese^
(Ästbet. I, 36). Nacb Boström ist alles Leben Selbstbewußtsein. Fechnes
betracbtet das Einzelleben als einen „Wellenschlag im ewigen Leben** (Üb. d.
Seelenfr. S. 115). — Nacb Schopenhauer liegt den Lebensprocessen der
metapbysiscbe „ Wille %um Leben^ (s. d.) zugrunde. Nietzsche betrachtet als
Urgrund alles Lebens den ,, Willen zur Machf* (s. d.). Das Leben ist „ WiUe
zur ÄceumulcUion der Kraft^\ es „strebt nach einem Maximalge fü hl von
Macht^*. Auf Überwältigung, Einverleibung, Aneignung gebt jede L^msis-
function aus (WW. XV, 296, 303, 314 ff., 317, 319). Das Leben ist um jeden
Preis zu bejaben, zu verberrlicben (s. Optimismus). Nacb E. Y. Hartmans
liegt den Lebensfunctionen das „ Unbewußte" (s. d.) zugrunde. Nacb B. Hameb-
LIKO ist das Lebendige ein „Triebwesen", „verkörperter Lebenswille** (Atomist
d. Will. I, 131). Das Sein ist Leben. „Leben ist clas unendliche Sein in der
Form der Endlichkeit" (1. c. I, 138). Alles Leben ist Bew^ung (L c II, 58j.
Spontaneität (L c. I, 278). Nacb Kenouvier ist das Leben für eine Monade
(s. d.) „la suite et Vensemble des actions et des reactions qu'eUe exerce ou qu'dk
subit dans un organisme dont eile fait partie" (Nouv. Monadol. p. 47). Für
den Organismus ist das Leben „l'evolution des organes liSs, la suite et rensemble
des fonctions qu'ils remplissent conformement ä la loi eonsiitutire de cei orga-
nisme" (ib.). Nacb Wundt ist die Anlage zum Leben scbon dem Anor-
ganiscben eigen (Syst. d. Philos.«, S. 503 ff.; Log. II« 1, 576 ff.). Jede Lebens^
erscbeinung läßt sieb als cbemiscber, als pbysikaliscb'pbysiologiscber und als
psycbologiscber Proceß zugleicb interpretieren (Syst. d. Pbilos.«, S. 513 ff., 517;
Log. II» 1, 569 ff.; Phüos. Siud. V, 327 ff.). Trieb und WiUe liegt dem Leben
zugrunde; Leben und Beseeltbeit bangen innig zusammen. Nacb H. Spsngkr
ist Leben „correspondence of inner and outer relations", beständige Anpassung
innerer an äußere Beziebungen (Princ. d. Biolog. IV, § 30; PsycboL I, § 131).
Nacb HÖFFDU^G besteht das Leben in einem Wechsel von Stoffaufnahme
(Assimilation) imd Stoffverbraucb (Desassimilation), von Vegetieren und Fungier
ren (Psycbol.*, S. 162). Nacb E. Df^HRiNG ist das Leben „das Ergebnis einer
Arbeit der Naturkräfte, und seine Hervorbringung wird in der Richtung auf
Steigerung und reicheren Gehalt fortgesetzt" (Wert d. Leb», S. 65). Das Leben
ist der Zweck der Natur (ib.). Mit ViRCHOW u. a. nennt Czolbe „Leben** „ä
Störung der Reizbarkeit oder des stabilen Gleichgewichts der Organismen^ nebst
Leben — LebensgelBter. 583
^MÜen daraus folgenden Bewegungen oder Tätigkeiten" (Gr. u. Urspr. d. m. Erk.
S. 114). Moleschott betrachtet das Leben als einen rein causalen, physikalisch-
•chemischen Proceß (Kreislauf d. Leb.', 1886); so überhaupt der Materialis-
mus (s. d.). Kassowitz stellt eine „metabolüehe Theorie*' des Lebens auf,
nach welcher alle Lebensprocesse in einem Abbau und Wiederaufbau lebender
Substanz bestehen (Allgem. Biolog. 1892). Ostwald erklärt: „Für alle Lebe-
wesen ist ein nie fehlendes Kennzeichen der Energie ström''* (Yorles. üb.
Naturphilos.*, 8. 813). Der Stoffwechsel ist nur die Begleiterscheinung des
Energiestromes (1. c. S. 314). Die Lebensvorgange sind nur Energievorgange
<ib.). Die Lebewesen haben ^^die Fähigkeit, einen gewissen Zustand xu be^
haupien, auch wenn die Einflüsse der Umgebung sieh ändern** (ib.). Eine
«elbsttatige Aneignung der Energievorräte ist dem Leben wesentlich (1. c. S. 316).
VgL LoTZE, Mikrokosm. I*, 57 ff., 84 ff., Claude Bebnabd, Legons sur les
ph^om^es de la vie; Bouillier, Du principe vital; Paküm, Einleit zur
PhysioL 2. A., 1883. Vgl. Lebenskraft, Psychologie, Vitalismus, Organismus.
l^ebendi^kelt ist nach Beneke neben der Kräftigkeit (s. d.) eine ur-
;sprüngliche Eigenschaft der seelischen „ Urvermögen'* (s. d.) und Processe (Lehrb.
<i. Psycjiol.», § 37 ff.).
liebensanscbaniuii; ist die (individuell und ethnisch verschiedene)
Deutung und Wertung des individuellen und socialen Lebens. „Die Probleme
<ier Lebensanschautmg sind Wertprobleme** (Biehl, Einf. in d. Philos. S. 173).
Es gibt eine realistische imd idealistische (s. d.), eine egoistische, altruistische,
eudämonistische, hedonistische, künstlerische, ethische, optimistische, pessi-
mistische Lebensanschauung, je nach den Zwecken, die man sich im Leben
setzt und für die man das Leben als Mittel betrachtet Vgl. Optimismus,
Pessimismus, Pflicht, Sittlichkeit.
liebensgefillil ist das unbestimmte Gefühlsganze, das mit den Gtemein-
empfindungen (s. d.) verbunden ist. Es ist, nach Höffding, die Grundstim-
mung, die durch den „gesamten Zustand des Organismus j durch den normalen
oder abnormen Gang der Lebensbewegungen^ besonders der vegetativen Fuficiionen^'
bedingt ist (Psychol.«, S. 126). Vgl. Kosmisch.
lieb^iSf^elsCer („spiritus animales**, f,esprits animaux**^ „Nervengeister**)
sind gedacht als feine, gasartige Teilchen in den Nerven, welche durch diese
vom Blute ( — aus dem sie ausgeschieden werden — ) mit großer Schnelligkeit
nach dem (Miim geleitet werden und die Seele zur Tätigkeit veranlassen, auch
wieder vom Gehirn zu den Muskeln gesandt werden. Diese Lehre geht zurück
Auf das Pneuma (s. d.), die nvtvftara der Stoiker, ausgebildet bei Galen
(vgL Siebeck, Gesch. d. Psychol. I 2, 269 ff.). Sie (bezw. die Lehre vom
yjspiritus**) findet sich bei Nemesius, Origenes, Augustinus, Thomas („Spiri-
tus, qui est qtioddam corpus subtile, medium est in unione corporis et animae",
8um. th. I, 76, 7 ob. 2), Scaliger, Telesius (De rer. nat V, 5), Nicolaus
CusANus, Caesalpinus, Paracelsus, Melakchthon (De an. p. 135), F. Baoon
<Nov. Organ. II, 7), Hobbes („spirits", vgl. De corp. C. 25), besonders bei
Descartes. „Notutn est, omnes hos motus musetdarum, ut omnes sensus, pendere
a nervis, qui sunt instar tenuium filamentorum aut instar parvorum tuborum,
qui ex cerebro oriimtur; et coniinent, ut et ipsum cerebrum, cerium quendam
aerem aut ventum subtilissimum, qui spirituum anhnalium nomine exprimitur"
5^ Iiebenagsistor — Iiebenokraft.
(Pass. an. I, 7). Hae autem partes sanguinis subiilissimas componuni Spiritus
animales; nee cum in finem alia üUa egent muiaiione in eerebro, nisi qtsod ibi
separeniur ab aiiis sanguinis parHbus minus subtüius. Nam quos kic iwiiw
Spiritus, nil nisi eorpora sunt et aliam nuHam proprietatem habeniy nisi fuoi
sint eorpora tenuissima et quae moventur eelerrime, instar partium flamunat er
face exeuniis; ita ut nusque eonsistant^ et quamdiu ingrediuninr quaedam er
Ulis in eerebri eavitaies, similiter etiam egrediuntur alia per porosy qm w
illius sunt substantia; qui pari ea deducunt in nervös et inde in mu^emlos:
haeque ratione corpus movent tot et tarn dioersis modis, quot mow i potest"
(L c. I, 10). „Denique spiritus animaks, qui cum ferantur per kos i^p0o» tubss
a eerebro usque ad museulos, efßciunty ut haec filamenta plane libera
et tali modo eoctensa^ ut vd minima res, quae movet partem eam eorporisj
extremitati aliquod eorum inneetitur, movere faciat simul partem eertbri^ ex fw
venu; ut eum extrema funieuli parte tracta^ simul alia ei opposita motHm*
(L c. I, 12). Nach Malebranche sind die Lebensgeister ,Je8 parties les plus
subtiles et les plus agitees du sang, qui se subtilise et s'agite prineipalentent par
la fermentation et par le mouvement violent des museles dont le coeur est eonspose —
eonduits par les arth'es jusqu* au cerveau" (Beeh. 11, 2). Habyey nennt die
Lebensgeister einen &e6v ano fifix***^iei er habe sie nicht finden könAen (De
motu cordis 1661, p. 226). — Nach Platnee wirken die Nerven ,^nitielst eines
sie durchdringenden, feinen, ätherischen Wesens^* (Philos. Aphor. I, § 151).
Dagegen betont Q. £. Schulze, die Verschiedenheit der Empfindungen
sich „nicht aus einer einfachen, bloß mit quantitativer Verschieden!^
Bewegung eines feinen körperliehen Stoffes ableiten" (Psych. Anthiop.* 8. 51 i).
Erneuert wird die Lehre von den Lebensgeistern von Beeger und Tboxlek
(EL S. 147 ff.). Dann macht sie gänzlich der physikalisch -chemischen, bexw.
elektrischen (du Bois-Ketmokd) Nerventheorie Platz.
Iieb^i»iiilialt: Gregenstand, Sinn, Zweck, Idee des Lebens. VgLE^CKEX,.
Kampf um ein. geist. Lebensinhalt.
liebenskraft (Lebensprincip, „vis vücdis^*) heißt die von einigen Philo-
sophen angenommene specifische, innere Ursache der Lebensfunctioneai, eine
unbewußt wirkende organisierende und regulierende Kraft Setzt man sie dem
physikalisch-chemischen Lebensproceß dualistisch entgegen und sondert man
sie von der Seele (s. d.), vom Psychischen, so vertritt man eine veraltete An-
sicht. Die Lebenskraft als Inbegriff der biotischen Functionen der Seele, de»
Psychischen, des ,Jnnenseins*^ des Organismus selbst und seiner physikalisch-
chemischen „Außenseite** hat immer noch ihren guten Simi, ohne dafi man
darum einem „VitcUismtis** (s. d.), der die mechanistische Biologie schroff be-
kämpft, zu huldigen braucht. Der „Xeo- Vitalismus** allerdings ist zum Tdl
von der „mechanischen Biologie'* nur graduell unterschieden.
In die vegetative Seele (s. d.), d'^enriHijf verl^ die Lebenskraft Aristoteles.
Als Lebenskraft faßt die Seele Dikaearch auf (Cicer., Tusc. disp. I, 10, 21; 31;
77). — JoH. ScoTUS Eriugena setzt die Lebenskraft in die Seele nur in deren
Beziehung auf den Körper (De div. nat. IV, 5; IV, 11; I. 6; III, 38). Ähnlich
die Scholastiker. — Die Natuiphilosophen der Renaissance nehmen zweck-
voll wirksame Lebenskräfte an. Nach Campaxella ist die „anima sensitivet*
als warmer, zarter, beweglicher Geist (spiritus) die organisierende Kraft, welche
mittelst einer „idea** des Körpers wirkt (De sensu rer. II, 3 ff.). PARACKLsr»
Iiebenskraft. 585
nennt die Lebenskraft yyOrcheus^^ (s. d.), y^spirittis vtiae^\ sie ist ein Wesen,
das den Körper plastisch beeinflußt, ein Ausfluß des „spirttua mundi^^. Die
körperliche Lebenskraft ist die „Mumie", das „arcanum" des Menschen. Eine
Lebenskraft nehmen auch F. M. und J. B. tan Helmont, Mabcus Mabci
IL a. an. So auch die englischen Piaton iker: B. Cübworth (s. Plastische
Natur), H. Mobe, femer Glisson. Leibniz leitet das Leben aus den psy-
chischen Tätigkeiten der Monaden (s. d.) ab (Erdm. p. 429 f.).
Im 18. Jahrhundert nimmt die medicinische Schule von Montpellier
eine ,/oree hypermieanique^^ A. v. Haller eine Lebenskraft, Blumenbach
einen yJBüdungatrieb** (s. d.) an. G. £. Stahl begründet einen Vitalismus (s. d.),
der in der j^nima inscia" die Baumeisterin des Organismus erblickt (Theoria
medica 1706). „Corpus hoe verum et immedicUum animae organon" (Disqu*
de mech. p. 44; De scopo p. 238 f.). Krug halt „organische Kraft* imd
tjj^ienskraff^* für eins (Handb. d. Philos. I, 357). — Eine specifische Lebens-
kraft nehmen Tbevibanus (Biologie 1802—1805), L. Oken, Tboxleb, Eschen-
MAYER ( — nach ihm baut die Seele ihren Körper — , PsychoL S. 157 ff.;
Lebensprincip nennt er das zwischen Natur und Geist allgemein Vermittelnde,
die Entelechie, Gr. d. Naturphilos. S. 3), Autenbieth, J. J. Wagneb, H.
Steffens, Schubebt u. a. an. Schopenhaueb führt die Lebenskraft auf den
Willen zurück. „Allerdings unrken im tierischen Organismus physikalische und
chemische Kräfte: aber was diese xusammenhält und lenkt, so daß ein xtceek-
mäßiger Organismus daraus wird und besteht — das ist die Lebenskraft:
sie beherrscht detnnach jene Kräfte und modifietert ihre Wirkung, die also hier
nur eine untergeordnete ist. Hingegen xu glauben, daß sie für sieh allein einen
Organismus xustande brächten, ist nicht bloß falsch, sondern . . . dumm, — An
sieh ist jene Lebenskraft Wille** (Parerg. II, § 96). Hebbabt betont : „Lebens-
kräfte . . . sind nichts Ursprüngliches, und es gibt nichts ihnen Ähnliches in dem
Was der Wesen,** „Nur ein Systetn von Selbsterhaltungen in einem und dem-
selben Wesen vermag sie xu erxeugen, und sie sind anxusehen als die innere
Bildung der einfachen Wesen*^ „Einmal erworben, bleibt einem jeden Elemente
seine Lebenskraft,** Die Lebenskräfte sind in ihren Bewegungen nicht durch
ehemische oder mechanische Gesetze zu verstehen. Die Lebenskräfte können
qualitativ und graduell sehr verschieden sein (Lehrb. zur PsychoL*, S. 111 ff.)-
Für die Lebenskraft sind (in verschiedener Weise) Joh. Mülleb (Handb.
d. Physiol.*, 1854, S. 4 ff., 17 f.), RuD. Wagneb (Lehrb. d. specieU. Physiol.
1842, 8. 307 ; Kampf um d. Seele 1857, S. 209 f.), Bischoff (Wissensch. Vor-
trage 1858, 8. 318), Floubens (De la vie et de l'inteUig. 1858, 1, pr6f., II, 98).
M. Cabbiebb erklärt, in der Vielgliedrigkeit des Organismus verwirkliche sich
die Lebenskraft, organisierend, belebend, die Seele selbst (Sittl. Weltordn.
S. 63, G9). Ulbici versteht unter Lebenskraft das „tätige, dem lebenden Orga^
nismus Eigentümliche**, den letzten Grund der Lebenserscheinungen (Gott u. d.
Nat S. 229). Im lebenden Körper konmit zum Physikalisch-Chemischen eine
Ursache hinzu, „durch welche die Cohäsionskräfte beherrscht werden, durch welche
die Elemente xu neuen Formen xusammengefügt werden, durch die sie neue
Eigenschaften erlangen'* (Leib u. Seele S. 43). Das Leben ist eine Betätigung
der Seele (L c. S. 364). Ähnlich Hobwicz (Psychol. Anal. I, 19 f.). — Ver-
schiedene Forscher äußern sich im vermittelnden Sinne, indem sie zwar keine
I^benskraft als „qualHas oeeulta**, wohl aber ein im Oi^anismus begründetes
Lebensprincip festhalten. So Liebig. Eh: erkennt ein ,/ormbHdendes Prindp
586 Iiobenakraffc.
4n und mit den chemischen und physikalischen Kräften^* für das orgamsehe
Leben an. Im Organismus ,,wirken die chemischen Kräfte unter einer nidä
chemischen Ursache' (Chem. Briefe», S. 18 ff.). Claude Beenard spricht vod
einer „influenee vitale^^, die im Organismus wirkt neben der „eaiuse exeeutit^
{Revue des deux Mondes 1865, LVIII, p. 645 f.). R. Vibchow versteht unter
der Lebenskraft eine den Elementarstoffen mitgeteilte Bewegungsrichtong, die
nur in den jMtalen Einheiten^^ vorkommt und Ergebnis besonderer Bedingungen
ist (Ges. AbhondL zur wissensch. Med. 1856, I, 252 ff.). Lotze bekämpft die
specifische Lebenskraft (R. Wagners Handwörterb. d. PhysioL 1842), betont
aber doch die auf der besondem Art der Verknüpfung der Teile im Organtsmos
zu einem einheitlichen System beruhenden ,jL&bendigen Kräfte^* (Allgem. PhysioL
1851, S. 96 f.; Mikrok. I, 54). Organische Kräfte besonderer Art ndmies
Bergmank (Unters, üb. Hauptp. d. Philos. S. 354 ff.), Adickes (Kant contn
Haeckel S. 78 ff.) u. a. an. Nach O. Liebmann gibt es em „rätselhaftes Plus^,
-welches zum Mechanismus und Chemismus hinzutritt Das organische Leben
ist mehr als ein ungebundenes Spiel physikalischer und chemischer ProoeaR
(Anal. d. Wirkl.^, S. 337). Ein Lebenspnncip ninmit Hagemann an (Met
8. 85 f.). Übebweo hegt die Vorstellung einer „organisierten Potenx als eines
Systems wissenschaftlich erforschbarer Kräfte, die von den meehanisehen spedfisck
verschieden sind und eine mittlere Stellung zwischen diesen und den psychischen
Kräften des animalischen Betoußtseins einnehmen^^ (Welt* imd LebensansclL
S. 50). DuBOC lehrt das Wirken eines im und am Stotfe bestehenden organi-
satorischen Lebensprincips als realen Trägers der Lebenserscheinung (Der Optim.
S. 125). Czolbe betrachtet als organisches Princip ,^«e wahrnehmbare und
atomistische Structtir, sowie die dadurch bedingte Form der innem Betcegung
des Organismus, welches beides den chemischen Processen eine eigentünüieke
Richtung gibt*^ (Gr. u. Urspr. d. m. Erk. S. 119). Nach E. Düheino ist ts
naheliegend, daß im Organismus „außer einer bloßen Anordnung noch
eigentümliche Tätigkeit, die nicht in den Elementen selber liegt, nötig seiy
das Leben xu begründen" (AVirklichkeitsphilos. S. 257 ff.). Die „Neoritalisierf
(BüNGE, O. Hamann, Bindfleisch, G. Wolff, Dbiesch u. a.) begnügen sidi
nicht mit der rein mechanistischen Lebenserklärung (s. Vitalismus). Nach
J. Beinee gibt es einen „vit<üet%" Best innerhalb der Lebensvorgänge, der
nicht energetisch erklärt ^'erden kann (Einleit. in d. theoret Biolog. S. 53il
Keine Lebenskraft, aber ein Lebensprincip ist anzunehmen (1. c. B. 54). „Das
Lebensprincip ist keine Kraft, sondern der symbolische Ausdruck für ein ver-
wickeltes Getriebe zahlreicher Einxelwirkungen" (1. c. S. 55). Die „besondere
Form und Structur der organisierten Wesen" bildet die Grundlage des Lebe»
(1. c. S. 57). Das Ergebnis der Organisation sind „Dominanten" (s. d.). Di»
sind Kräfte, durch welche die Umwandlung der Energieformen ineinander
sowie die Veränderung der Bichtung ihrer Tätigkeit bestimmt werden (L c
S. 168 f.). Eine ähnliche Anschauung vom Lebensprincip (als unbewußt
wirkende Gestaltimgskraft) hat E. v. Hartmann. Er sieht den „völligen Sieg
des Vitalismus" voraus (Mech. u. Vital., Aroh. f. system. Philos. IX, 8. 377;
vgL Phüos. d. Unbew. I«", 36 ff., 377 ff., 430 ff., II«°, 65 ff., 202 fL, 448 ff.
III »% 33 ff., 74 ff., 238 ff.; Mod. Psychol. S. 397 ff.). Ähnlich L. Bübsk (Gast
u. Körp. S. 238 ff.).
Gegner der „Lebenskraft", des Lebensprincipes sind K. E. v. Baeb,
C. Ludwig, A. Fick, Hyrtl (Anatom, d. Mensch 1881, S. 6), Moleschott,
Lebenskraft — Iieib. 587
IL Vogt, D. Fb. Stkauss, du Bois-Eeymond (Untere, üb. d. tier. Elektricit.
I, S. 32 f.), G. A. Spiess (PhysioL d. Nervensyst. 1844, S. 486 ff.), M. J. Schleiden
(Grundz. d. wissensch. Botan.*, 1845, I, 55 f.), E. Haeckel (Gener. Moiphol.
1, 120 ft), WUNDT, HöPFDiNG (Psycho!.«, S. 13, 44 f.), W. Haacke (Die Schöpf,
d. Mensch. 1895), Weismakn, Bütschli (Mechan. u. Yitalism. 1901), Th. Eimer
(Entfalt d Arten 1888), H. E. Ziegler (Üb. d. derzeit Stand d. Descendenz-
theor. 1902), Preyer (Naturwissensch. Tats. u. ProbL 1880), F. Mach (Religions-
u. Weltprobl. II, 1196 ff.), M. Verworn (AUgem. PhysioL«, S. 48), Ostwald
(Vorles. üb. Naturphiloe.«, S. 317, 319: „Der Organismus ist wesentlich ein
Complex ehemiseker Energien") u. a. Vgl. Vitalismus, Seele.
JLebensprIiicIp s. Lebenskraft, Seele. ,
liebensstoff: Als einen solchen denken sich einige ältere Vitalisten
(s. d.) die Lebenskraft (s. d.).
liebenssy stein („Syniagma") nennt B. Eucken einen einheitlichen
Zusammenhang von Lebensanschauungen, Lebenstendenzen (z. B. der Natura-
lismus, der Intellectualismus) (vgl. Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 108 ff. ;
Die Einheit d. Gteistesleb.).
liebllAfligkelt ist ein Merkmal der primär erregten Bewußtseins-
Vorgänge, besonders der Wahrnehmung, wodurch sie sich von den reproducierten
Vorstellungen unterscheiden. — Nach Leibniz ist die Lebhaftigkeit eines
Phänomens eines der Kennzeichen seiner Beahtät (Erdm. p. 442 f.). Nach
HüME ist der Grad der Lebhaftigkeit („force, vivcunty, vigour, liveliness") der
einzige Ünterechied zwischen den ,fimpressions" (s. d.) und „ideas'^ (s. d.) (Treat.
I, 9ct 1; III. sct. 7). Lebhaftigkeit eignet auch dem „Olatiben'* (s. Behef.).
Volkmann erklärt: ,yNennen wir die der Vorsieüungsgimlität aus ihrer Be-
iormng in der Empfindung . . . entspringende Eigentümlichkeit deren Leb-
haftigkeit ^ so können wir kurx den Mangel oder die Herabsetx/ung der Leb-
haftigkeit als das Kriterium der Reproduetion der Empfindung gegenüber
bexeiehnen*^ (Lehrb. d. Psychol. II*, 475). Vgl. Keproduction.
I^eer: ohne Inhalt. Ein Begriff (s. d.) ist „le^^j wenn er auf keine An-
schauung Bezug hat (Kant).
lieerer Raam s. Baum.
]>£^alltftt (Gesetzlichkeit) der Handlungen unterscheidet Kant von der
Monüität (s. d.). Erstere ist i^die bloße Übereinstimmung oder Nichtüberein-
stimmung einer Handlung mit dem Oeseixe ohne Rüeksicfit auf die Triebfeder
derselben*' (WW. VII, 16; vgl Krit. d. prakt. Vem. I. T., 1. B., 3. Hptst.). —
t^hon die Stoiker machen einen solchen Unterschied, nämlich zwischen dem
ica&fJMov und dem xar6od'a>fia (Diog. L. VII, 107 f.; Stob. EcL II, 158). Vgl
Moralität.
lielmsats s. Lemma.
lielirsatx s. Theorem.
Iieib heißt der Körper in seiner Zugehörigkeit zur Seele (s. d.), der orga-
nisierte, beseelte Körper, der zwar vom Geiste (s. d.), von den höheren Denk-
^d Willensfunctionen als untergeordnetes System von Kräften verechiedeh ist,
^^her doch selbst, an sich, seelischer Art ist und der physikalisch-chemisch als
Objectivation (s. d.), Äußerung, Ausdrucksform der Seele, des Psychischen be-
588 Iielb.
trachtet werden kann. Das Ich (s. d.) erfaßt sich zunächst in seinein Leibe,
d. h. hier in dem (Komplex von Gemein- und anderen Empfindungen, den »
(wegen der Eigenart desselben: doppelte Tastempfindung, Schmerz u. s. w.) vtm
anderen Complexen unterscheidet. Seele imd Leib sind zwei Daseins- und
Betrachtungsweisen eines einheitlichen Wesens, eines Lebenssystems. Kne
Wechselwirkung (s. d.) zwischen Leib und Seele besteht nur insofern, als der
Leib schon als Seele auf die Seele (den j^Oeist*^, die höher^i Functionen) ein-
wirkt. Der Leib als „Körper** geht in seinen, Processen der „Äßcfe" „paraüit
(s. Parallelismus).
Der Leib wird der Seele schroff gegenübergestellt oder er wird als Produ«
oder Erscheinung der Seele selbst angesehen.
Die Vedanta-Philosophie lehrt die Existenz eines Astralleibes, eines
feinen Seelenleibes („a^aya, sukskniam ^riam"). Auch der Zend-ATcsta
(„ferner**). Die Pythagoreer nennen den Leib ein ^jZeiehen** der Seele (<nj^
rrjg yn^x^g) (Plat., Cratvl. 400 B). Plato und die Neupia toniker sehen im
Leibe einen „Kerker** der Seele (s. d.). Cicero bemerkt: „Corpus quidem quagi
vas est aut aliquod animi receptactdum** (Tusc. disput. I, 12, 52). PoKPHTE
(Sent 32), Jamblich (De myst. Aegypt. I, 8; V, 10), Hierokleb {cwfBA
aid-i^tov), Syrianüs, Priscian (Solut. p. 255 b) nehmen einen ,jLtkerleih" (s. i>
an. — Im Neuen Testamente unterscheidet Paulus oa^S und atSfut, Das
awfut Ttvevfiaxixov, der pneumatische, geistige Leib, wird dereinst auferst^ien
(2. Kor. 5, 1 ff.; 1. Kor. 15, 44; Rom. 8, 21, 29). Nach Valentdtus, Basi-
LIDES, Origenes (De princip. II, 8, 4; 10, 7) ist die Verleiblichung der Seele
eme Folge des Sündenfalles (vgl. Siebeck, Gesch. d. Psycho!. I 2, 362). Die
Auferstehung mit einem ätherischen Leibe lehren Origenes (De princ.),
Tertullian (De carne Chr. 6), Augustinus (De div. et daem. 3, 5) u. «.
Nach Gregor von Nyssa ist der Leib an sich geistiger Natur (SiEBECCf
Gesch. d. Psychol. I 2, 377). Nach JoH. ScoTUS Eriuoena schafft sich die
Seele einen intelligiblen Körper geistiger Art (De divis. natur. IV, 9; IV, 12V
Der sinnliche Leib ist ein Product der Seele nach dem Sündenfalle (L c II,
25; IV, 13j. Einen ,^iderisehen** Leib (Astralleib) nimmt die Kabbal& an,
ferner Paracelsus („corpus spiritus**^ „unsichtiger Leib**, „corpus spirituait",
„syderischer Leib**, Phil. sag. I, 1; I, 3; I, 6; I, 9; De limatic. II, 1; De virt
imag. WW. I, 274; II, 406, 550). Ähnüch Aqrippa, der den Sedcnlcib
„Wagen der Seelen* nennt (Occ. Philos. III, 36 f.).
Descartes stellt Seele (s. d.) und Leib einander dualistisch (s. d.) gegen-
über. Seele und Leib sind durch Gott miteinander geeint Nach Snxozx
sind Seele und Leib zwei Daseinsweisen eines Wesens. „Mens kumana t^
est ad plurima perdpietidumf et eo aptior, quo eivs corpus pluribus madis di»-
poni potest** (Eth. IV, prop. XIV). „Omntay quae in corpore kumano ccnUingtitU,
mens percipere debet^ (1. c. dem.). Einen geistigen Leib nimmt J. Böhms an.
Nach Leibniz besteht der Leib an sich aus einer Vielheit geistiger Monaden
(s. d.). Die Constanz unseres Leibes als Unterscheidungsgrund gegenüber
anderen Körpern betont Chr. Wolf: „Unter diesen K&rpem halfen ttir einen
für unsem Leib, toeil sich die Gedanken von den übrigen nach ihm riehien w»d
er uns ailexeit gegenwärtig bleibet, wenn sieh alle übrigen ändern** (Vem. Ged.
I, §218). G. E. Stahl erklärt: „Corpus hoc verum et i$nmediaium ammtt
organon" (Disquis. de mech. et org. divers, p. 44; Opp. 1831; De scopo et
corp. p. 238 ff.).
Leib. 589
J. G. FrCHTB erklärt: ,^cä, als Prindp einer Wirksamkeit in der Korper*
itelt angesekaut, bin ein articuiierter Leib^* (Syst. d. Sitteolehre S. XV). Der
Leib ist ein Triebcomplex (L c. 8. 138). Nach Scheluno, Suabedissen
(Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 190 f.), Bteffeits, Mehrivg, Eschenmayeb,
€. G. CABÜ8 (Symb. d. Leib. 8. 3; Vorles. 8. 272), Schubert (Gesch. d. Seele
8. 423), Burdach (Anthropol. § 201, 208 ff., 391 ff.), Hkinroth (Psychol.
8. 197 f.) ist der Leib die Manifestation der Seele, eine Gestaltung, ein Symbol
derselben. Nach Heoel ist der Leib „die Existenz der sysiematiaehen Olie-
derung des Begriffs selbsiy der in den Oliedem des lebendigen Organismus seinen
Bestimmtheiten ein äußeres Naturdasein güft^* (Ästhet. I, 154). Seele und Leib
sind ^n und dieselbe Totalität derselben Bestimmungen^^ (1. c. S. 155).
Schopenhauer nennt den Leib die y,Siehtbarkeit*' („Obfeetitäf') des Willens.
Der Leib ist .,/ia« unmittelbare Objeet^ des WiUens. Dem Subject des Er-
kennens ist der Leib „auf xwei ganz verschiedene Weisen gegeben: einmal als
Verstellung in verständiger Anschauung^ als Object unter Objeeten^ und den Qe^
setxen dieser unterworfen; sodann aber auch zugleich auf eine ganz andere
Weise, nämlieh als jenes jedem unmittelbar Bekan?ite, welches das Wort ,Wille*
bezeichnet". Willaisact und Leibesbewegung sind zwei Betrachtungsweisen
einer Wesenheit. „Die Äetion des Leibes ist nichts anderes als der obfeetiviertSf
d, h. in die Anschauung getretene Act des WiUens," j^Mein Leib und mein
Wille sind eines" (W. a. W. u. V. I. Bd., § 18 f.). Jede Leibesaction ist Er-
scheinung eines Willensactes. Der ganze Leib ist der ,^htbar gewordene
Wiüef'. „Die Teile des Leibes mOssen deshalb den Hauptbegehrungen, durch
welche der Wille sieh manifestiert, vollkommen entsprechen, müssen der sichtbare
Ausdruck derselben sein: Zähne, Schlund und Darmcanal sind der objeetimerte
Hunger; die Oenitalien der objectivierte Öeschleehtstrieb; die greifenden Bände,
die raschen Füße entsprechen dem schon mehr mittelbaren Streben des Willens,
welches sie darstellend^ (1. c. § 20). Bekeke erklärt: „ Was wir votn mensch-
Hehen Leibe durch die Sinne auffassen, oder was man gewöhnlich 4cn Leib*
nennt, haben wir nur als äußere Zeichen oder Repräsentanten von dem
innem (An-sich^) Sein des Leibes anzusehen, welches, ebenso wie die Seele,
aus gewissen Kräften und deren Entwicklungen besteht, die zwar von
denen der Seele verschieden, aber doch denselben im wesentlichen gleich-
artig sind" (Lehrb. d. PsychoL«, S. 35; Syst d. Met. S. 91 ff., 194 ff.; Ver-
Mltn. von Leib u. Seele S. 239 ff.).
Nach LoTZE besteht der Leib aus Monaden (s. d.). Nach Ulbici ist der
Leib ein Inbegriff von Atomen, bei welchen die einigende Kraft in der Wider-
standskraft liegt (Leib u. Seele S. 131). Fortlagb nimmt einen „Empfmdungs-"
oder „Seelenleib" an (Blätfc. f. liter. Unterhalt. 1861, Nr. 46). Nach J. H. Fichte
ist der Leib der reale „Ausdruck der Individualität der Seele" (Anthropol.
S. 257), die „ Vollgebärde^' der Seele (Psychol. II, 81), das „Raum- und Zeitbild"
der Seele (1. c. I, 13). Es gibt einen „innem I^eib", „pneumatischen Orga-
nismus", „Oeisileib^^ , der „von der Seele selbst durch vorbewußte raum-
eonstruierende Phantasietätigkeit produciert" wird (1. c. I, 13, 66; Anthropol.
S. 269, 283). So auch nach Oetinger, Perty, Aksakow, Du Prel (Mon.
Seelenl. S. 131 ff.) u. a. Nach Teichmüller ist der Leib „das Coordinaten-
system der lebendigen Kräfte der bewegenden Function des Ich — sofern dieses
System durch die Functionen beherrschter anderer Wesen sieh in Wirklichkeit
erhält" (Neue Grundleg. S. 209). Das Wesen des Leibes gehört dem Ich (der
590 Leib — lieiden.
Seele) selbst an (1. c. S. 213). Nach A. Lasson ist der Leib an sich (im
Unterschiede vom Körper) kein Ding, sondern ein Proeeß, die ^jidea corporif,
die „Entekekie" des Körpers, die Seele selbst, ein Inbegriff von Beflexoi, In.
stincten u. s. w. (Der Leib; Philos. Vorträge III, 6. H., 18Ö8, 8. 54, 71 t
78 ff., 84 f.). — Nach Fechner ist der Leib die Außenseite desselben Wesens,
das sich unmittelbar als Seele (s. d.) erscheint (Üb. d. Seelenfr. S. 9 fLV
Nach WüXDT sind Leib und Seele (s. d.) nur Inhalte zweier Betrachtungg- ,
weisen eines und desselben Seins. Nach Du Pkel ist der Leib Producta Ge-
staltung der Seele, Sichtbarkeit dieser (Mon. SeelenL S. 128 ff.)- Nadi
Renouyier, £. Y. Hartmaxn, L. Busse u. a. besteht der Leib ans Monaden
(s. d.). — Schuppe erklärt: „Der eigene Leib gekört xum InkaU des Bevußi-
seinSf d. h. ist etwCLS und besteht aus latäer etwctSf dessen oder deren da» Itk
sich bewußt ist. Grundlage edles dessen, was diesen BewußiseinsinhaÜ atU"
macht, ist, daß das Ich unmittelbar sieh mit der Bestimmtheit seiner eompaden
Ausgedehntheit empfindet oder sich dieser bewußt ist" (Log. S. 26 f.). Vgl
Seele, Körper, Physisch, Parallelismus, Identität^hilosophie, Wechselwirkmig.
Selbstbewußtsein, Ich.
lielbiiizlaiilsmiis: die monadologische (s. d.), spiritualistJfiche (s. du
optimistische (s. d.) Weltanschauung von Leibniz. Vgl. Monaden, Harmonie,
Seele, Apperception, Substanz, Theodicee, Teleologie. Der Ausdruck „Leibniz-
Wolfsche Philosophie" stammt von BiLFiNGER. Von Leibniz beeinflußt
sind Chr. Wolf, Kant, Platner, J. G. Fichte, Sghelung, He&babt,
LoTZE, WuNDT, L. Busse, Kenouvier u. a.
Lielden (Erleiden, passio) ist der Gegensatz, das Correlat zur Tätigkeit
(s. d.); es bedeutet ein Geschehen in einem Wesen, welches demselben toh
außen aufgenötigt wird, einen Zustand, dessen Träger zwar das leidende Wesen
selbgt ist, der aber seinen Gnmd in einem anderen Wesen hat Das Leiden
ist nicht absolut tätigkeitslos, es kann als gehemmte, aufgehobene, gezwungene
Tätigkeit (vgl. das juridische „eoaetus volui'*) aufgefaßt werden. Das seelische
Leiden im engeren Simie ist schmerzhaftes, unlustvolles Erregtsein.
Aristoteles zählt das Leiden (ndax^iv) zu den £jitegorien (s. d.). Es gibsr
ein Leiden, bei dem etwas genommen, und ein Leiden, bei dem etwas ereeiigt
wird: ovx ian S*anXovv olSe to nacxBtv, akXa t6 fuv yd'o^d rte V7t6 rav
ivavtiov, to 8e ffwirj^ia fiäkkov rov dxyydfist ovxog vno rov ivrsXax^l^ ovxoi xmi
bfioiov, ovrcos (oe dvvofiig i'xei ngog ivrsXt'xeta*' (De an. II, 5). Das Leiden läßt
das Leidende dem Tätigen gleich werden: ndax^* (^ y«^ to dvofioiav, 7t£Sf09^
d'os ^ofjLOiov ioTiv (De an. II, 5, 417 a squ.). Die Belativitat der 'Begriüe
Leiden und Tun betont Plotin (Enn. VI, 1, 19; l, 22).
Nach Albertus Magnus ist „passio" ,fiffectus illatioque actionis'^ rjdis-
positio imperfecti" (Sum. th. I, 7, 1). „Passio fluit ex essentialibus stMedi^
(1. c. I, 9). Thomas unterscheidet drei Arten des „pati". „Uno modo
priissime, scüicet quando aliquid removetur ab eo quod convemt sibi
naturain aut secundum propriam inclinationem, sieut cum aqua firigidiiatem
amittit per calefactionem et cum homo aegrotat aut tristatur, Se^cundo modo
minus proprie dieitur aliquis pati ex eo quod aliquid ab ipso abficitur, siwe sä
ei eonveniens sive non conveniens . . . Tertio modo dicüur aliquis pati com--
muniter ex hoc solo, quod est in potentia ad aliquid, recipit illud ad quod erat
in potentia absque hoc quod aliquid abjiciatur. Secundum quem modum
Leiden. 591
quod exit de poientia in actum potest diei pati: etiam cum perfidtur. Et sie
intelligere nastrum est pati" (Sum. th. I, 79, 2).
Nach GocLEN wird „passio'* ^Jlgemein gebraucht „jwo acquisitione vel
deperditione alieuius formae, atä inceptione vel desitiane alicuius rei" (Lex,
philos. p. W2). Campanella bestimmt: „Passio est actus impotentias deper-
ditivus propriae entiiatis, sive essentialis sive aceidentaliSy sive ex toio sive ex
parte, et reeeptio alienae" (DiaL I, 6).
Debcabtes nennt ^animae passianes" „omnes species perceptionum sive
eoffnitionumj quae in nobis reperiuntur; quia saepe aeddit, ut anima nostra
eas tales non faeiat, quales sunt, et semper eas recipiat ex rebus per Utas
repraeseniatis" (Pass. an. I, 17). Nach Spinoza leiden wir, insofern wir nicht
aus unserer Naturgesetzlichkeit heraus handeln. „Nos tum pati dicimur, quum
aliquid in nobis oritur, euius non nisi partialis sumus causa, hoc est aliquid,
quod ex solis legibus nosirae naturae deduci nequit. Patimur igitur, qucUenus
naiurae sumus pars, quae per se absque aliis nequit concipi" (£th. IV, prop.
II, dem.). Wir leiden, insofern wir im Affecte (s. d.) sind, als wir unklare,
inadäquate Vorstellungen von den Dingen haben, als wir nicht mit klarem
Bewußtsein erkennen und handeln. Die „passiones" sind dem Geiste (mens)
nur eigen „quatenus res inadaequate concipit" (1. c. app. II). „Äffectus, qui
passio est, desinit esse passio, simulatque eius claram et distinctam formamus
ideam^* (1. c. V, prop. III). „Äffectus, qui passio est, idea est confusa, Si
itaque ipsius aff^tus claram et distinctam fomiemus ideam, kaec idea ab ipso
affeelu, quatenus ad solam mentefn refertur, non nisi ratione distinguetur ;
adeoque äffectus desinet esse passio,^* ,yAffectus igitur eo magis in nostra pote-
State est ei mens ab eo minus patitur, quo nobis sit notior" (1. c. dem. u. coroll.).
„Quatenus mens res omnes ut necessarias inteUigit, eatenus maiorem in äffectus
potetttiafn habet, seu minus ab iisdem patitur"^ (1. c. prop. VI). „Deus expcrs
est passionum" (1. c. prop. XVII). „Mentis potentia sola cognitione definitur;
impoteniia autem seu passio a sola cognitionis privatione, hoc est, ab eo, per
quod ideae dicuntur inadaequatae, aesti?natur^^ (1. c. prop. XX, schol.). Leibniz
setzt das Leiden in die verworrene (s. d.) Erkenntnis. „On attribue l'action ä
la monade en tant qu'elle a des perceptions distinctes, et la passion en tant
qu'eUe a de confuses" (Monadol. 49). Etwas ist leidend, insoweit der Grund
von dem, was in ihm vorgeht, in einem andern enthalten ist (L c. 52). So auch
nach Chr. Wolf (Vem. Ged. I, § 620). „Passio est mutatio staitis, cuius ratio
eontvnetur extra subiectum, quod statum suum mutat" (Ontolog. § 714). Ceu-
8IIJS definiert: „Leiden ist derjenige Zustand eitles Dinges, da ein anderes ver-
mütelst seiner Kraft in dasselbe urirket" (Vemunftwahrh. § 66). Nach CoN-
OILLAC leidet die Seele „au moment qu'elle eprouve une Sensation, parceque la
cause qui la produit est hors d'elle" (Trait. d. sens. I, eh. 2, § 11).
J. G. Fichte betrachtet das „Leiden" des Ich (s. d.) als bloße Beschrän-
kung der (ins Unendliche strebenden) Tätigkeit des Ich. „ Wenn das Ich einen
kleinem Grad der Tätigkeit in sich setxt, so setzt es dadurch . . . ein Leiden in
fich" (Gr. d. g. Wiss. S. 78). „Es ist in das Ich ein Leiden gesetzt, d, i. ein
Quantum seiner Tätigkeit ist aufgehoben^^ (1. c. S. 89). Leiden ist ,positive",
„quantitative*^ Negation (1. c. S. 62). „Alles im Ich, was nicht umnittdbar im
Jeh bin* liegt, ist für dasselbe Leiden (Affection überhaupt)**' (1. c. S. 63). Auch
nach Schellinq ist Leiden beschränktes Tun (Naturphilos. S. 311). — Nach
WuNDT leidet unser Wille, insofern er Wirkungen erfährt, und er bezieht sein
592 Leiden — lieidensohaft
Leiden auf eine Tätigkeit außer sich, auf ein fremdes Wollen (Syst d. Philos.*,
S. 403 ff.; Philos. Stud. XII, 61 f).
Nach ScHOPENHAUEB entspringt das allseitige Leiden der Welt dem blin-
den ,, Willen xum Leben^* (s. Pessimismus). Nietzsche yerherrlicht das Leiden
als Mittel zur Höherentwicklung, zur Seelengröße. Von der y, Wonne da
Leids^* spricht u. a. R. Haherling (Atomist. d. Will. II, 243). — VgL AffectM»,
Beceptivitat, Empfindimg, Object, Tätigkeit.
Lieidenscliaft {nad'o^j passio) ist ein dauerndes und heftiges (habitiieUes)
Begehren, die starke Disposition, Bereitschaft zu Begierden, Trieben bestimmter
Art, die auf Befriedigung warten und das Vorstellungsleben einseitig beherrschen,
lenken. Lisofem die Leidenschaften unbekümmert um schädliche Folgen,
wider die Vernunft den Willen determinieren können, sind sie ,jbltnd^.
In der älteren Philosophie wird die Leidenschaft nicht genauer yom Affect
(s. d.) unterschieden. Die Stoiker fordern vom Weisen Freisein von Leiden-
schaften (s. Apathie). Augustinub verlangt nur Beherrschung der Leiden-
schaften (De genes. 20; De civ. Dei XIV, 6). So auch Spinoza (s. Affect).
Nach Leibniz sind die „passiona" „tendanees au plutot modificeäüms de k
tendanre qui vienneni de l'optnion ou du sentiment et qui »ont aeeompagnee dt
plaisir ou de deplaisir'' (Nouv. Ess. II, eh. 20). Nach Chb. Wolf ist „Leidett-
Schaft" „eine Veränderung^ davon der Orund in einer andern Sache, als die wer-
ändert loird, anxtäreffen" (Vem. Oed. I, § 104). Nach Ck)in>iLLAC ist ,,paM*ofi^
„t«n desir qui ne permet pas d'en awir d'auires, ou qui du moins est le pUu
dominani^^ (Trait. d. sens. I, eh. 3, § 3). Uelvetius erklärt: „Les paseiom
sont dans le moral ce que dans le physique est le mouvemeni^^ (De Tespiit III, 4).
Erst Kant scheidet Leidenschaft und Affect Leidenschaft ist zur bleTben-
den Neigung gewordene Begierde (WW. IX, 257), eine y^Neiffung, die die Herr-
schaft über eich selbst ausschließt'^ (Belig* S. 28). Leidenschaften sind y^ei-
gungen, welche alle Bestimmbarkeit der Willkür durch OrundsäUe erschweren
oder unmöglich machen" (Krit. d. Urt. I, § 29). ,yDie Neigungj durch weleht
die Vernunft gehindert wird, sie, in Ansehung einer gewissen Wahl, nnt der
Summe aller Neigmigen xu vergleichen, ist die Leidenschaft*^ (AnthropoL L
§ 78). Die Leidenschaften zerfallen in solche „der natürlichen (angeborenen)
und die der aus der Cultur des Menschen hervorgehenden (encorbenen) Neigung
(ib.). Leidenschaft ist „die durch die Vernunft, des Subjects schwer oder gar
nicht bexwingliche Neigung" (1. c. § 71). „Wo viel Affect ist, da ist gemeinig-
lich wenig LeidenscJioff (1. c. § 72). G. E. Schulze erklärt: „Die aus Öfterer
Befriedigung oder Gewohnlieit etiispringende große Stärke der Begierden teiri
Leidenschaft genannt" (Psych. AnthropoL*, S. 426 f.; vgl. 374). Nach Platveb
ist die Leidenschaft „die durch öftere Wiederholungen der Sehnsucht xur leident-
liehen Fertigkeit gewordene Belebung der Idee" (Philos. Aphor. II, § 458; Anthro-
poL § 1414). Ähnlich Fries (AnthropoL I. § 64, 69), F. A. Cabus (PsychoL
I, 306), E. E.E1NH0LD (Lehrb. d. philos. propäd. PsychoL S. 269 f.), Feü<
leben (Lehrb. d. ärztL Seelenkunde 1845, § 47), Nt^ssLEiN (Grundr. d. ailgem.
PsychoL § 476 ff.), Lindemann (Lehre vom Mensch. § 434) u. a. Narib
Süabedissen ist die Leidenschaft eine Neigung, wenn diese ,ySo mächtig
Menschen ist, daß er sich in ihrer Befriedigung nur mit Mühe mäßigen
-wenn sie den Menschen „vor allen atidem Neigungen beherrsdit" (Grdz. d. Ldbiv
von d. Mensch. S. 225). Der Affect ist ein Gefühl, welches die Seele so
J
Leidenaohaft. 593
nimmt, dafi der Mensch die ßelbetmacht ganz oder beinahe verliert (1. c. 8. 224).
^Jkr Affeet ist sehneil vorübergehend, die Leidensehaft ist dauernd; jefier setxt
den Menstken außer sieh, diese beschränkt seine Selbstmaeht in der Richtung mi
ihrem Ziele" (L c. 8. 227). Nach C. G. Caeus ist die Leidenschaft ein „hef-
tiges und anhaltendes Begehren , den Zustand eines gewissen Affeetes immer
wieder herbeizuführen" (Yorles. 8. 379). Nach Maass ist die Leidenschaft eine
starke sinnliche Begierde (Üb. d. Leidensch.); es gibt objective und subjective
Leidenschaften (1. c. II, 20). Ähnliche Definitionen der Leidenschaft bei
floFFBATTEB (PsychoL«, 8. 353), Haoemann (Psychol. 8. 94) u. a.
Nach Hegel ist die Leidenschaft ,/iie subjective, insofern formelle Seite der
Energie, des Willens und der Tätigkeit' (Phüos. d. Qesch. 8. 28). Leidenschaft
ist der Wille, „insofern die IbtalOät des praktischen Geistes sich in eine etn-
%elne der mit dem Oegensatxe überhaupt gesetxten vielen beschränkten Be-
Stimmungen legt** (EncyL § 473). „Die Leidenschaft enthält in ihrer Bestimmung,
daß sie auf eine Besonderheit der Willensbestimmung beschränkt ist, in welche
sieh die ganze Subjeetivität des Individuums versenkt, der QeheUt jener Be-
stimmung mag sonst sein, welcher er will. Um dieses Formellen willen aber ist
die Leidensehaft weder gut noch böse; diese Form drückt nur dies aus, daß ein
Subfeet das ganxe lebendige Interesse seines Geistes, Talents, Charakters, Genusses
in einen InhaU gelegt habe. Es ist nichts Großes ohne Leidensehaft vollbracht
worden, noch kann es ohne solche voübraeht werden" (L c. § 474). Ähnlich
HiCHELET (AnthropoL 8. 488), Daub (Yorles. üb. phüos. AnthropoL § 61 ff.),
K. RosEKKBANZ: „Dos Versehwinden des Subfeetes in den Abgrund einer einzigen
Bestimmung ist die Größe der Leidenschaft* (PsychoL*, 8. 437). In der Leiden-
schaft ist das 8ubject dem Inhalt des Gefühls ganz unterworfen (1. c. 8. 434).
— Nach 80HOPENHAI7EE sind die Leidenschaften „das heftige Verfolgen ein-
gebildeter Genüsse" (Neue Paralipom. § 129).
Nach Hebbart sind Leidenschaften ^Dispositionen xu Begierden, icelche
in der ganxen Verwebimg der Vorstellungen ihren Sitz haben" (Psychol. als
Wiss. II, § 107). Jede Begierde kann Leidenschaft werden. „Sie wird es,
indem sie zu einer Herrschaft gelangt, wodurch die praktische Überlegung aus
ihrer Richtung kommt. Das Vernünfteln ist das eigentliche Kennzeichen der
Ijeidensehaften" (Lehrb. zur Psychol.», 8. 81). Ähnlich definia*t G. 8cHiLLn7a
(Lehrb. d. PsychoL § 62): Leidenschaften sind ,ßauemde Dispositionen zu be-
stimmten Begehrungen, die bei vorkommender Gelegenheit unausbleiblich hervor-
brechen und mit überwiegender Gewalt zu Handlungen führen, wie sehr auch die
Umstände und ruhige Überlegung gegen ein solches Begehren und Handeln
sprechen mögen". Nach Nahlowsky ist die Leidenschaft „eine fixierte und
vorwiegende Disposition zu einer bestimmten Art von Begehren, welches der Lei-
tung durch die Vernunft widerstrebt, vielmehr selber den Gedankenlauf und die
Gefühlsrichtung des Individuums beherrscht" (Das Gefühlsieb. 8. 263). Nach
6. A. LmBNEB ist die Leidenschaft „eine Begierde, die so stark geworden ist,
daß sie sich nicht mehr appercipieren läßt, sondern selbst als oberste apper-
eipierende Vorstellungsmaese das Bewußtsein beherrscht", „die herrschend ge-
uordene Begierde* (Lehrb. d. empir. Psychol.', 8. 204 ff.). — Nach Waitz
unterscheidet sich die Leidenschaft vom Affeet besonders durch ihre Dauer
(Leihrb. d. Psychol. 8. 486). Volkmann erklart: „Positive Unfreiheit ais
bleibende Eigentümlichkeit des Subjectes ist Leidenschaft" „Das Wesen der
Leidenschaft besteht darin, daß bezüglich einer Klasse von Vorstellungen die
PhilotophlMhat WOrt«rbnoh. t. Aufl. 38
594 IieidenBehaft — Lemma.
McKcime xwar vernommen^ das Wollen aber gegen die Maxime entschieden
(Lehrb. d. Psychol. 11^, 509). — Nach Benbke ist die Leidenschaft ein „Qf-
aamtgebüde (Aggregat) von Ängelegtheiten für Lustempfindungen (Sehäixun-
gen) und für Begehrungen" mit großer Vielfachheit der „Spuren'* (s. d.),
infolge deren „sie sieh stets in einer Art von Balbbewußtsein behauptet, stets
gleichsam auf dem Sprunge steßU, vur vollständigen Erregtheit xu gelangen, stk-
bald nur die Seele frei ist von anderen Entwiddungen"' (Lehrb. d. PsychoL',
§ 175, vgl § 187, 188). Nach J. H. Fichte ist die Leidenschaft an ,^tarker
und dauernder Affect, begleitet von ebenso starker und dauernder WiUens-
erregung" (Psychol. II, 139). Kirchmakk erklart: „Die Affeete entspringen
OMS sehr starken äußern Ursachen der Oefühle; die Leidenschaft beruht auf
der dauernden Empfänglichkeit für gewisse Arten der Lust*' (Grundbegr. <L
Rechts u. d. Mar. S. 42). — Den Wert der Leidenschaften für das Leben be-
tont E. DÜHKING (Wert d. Leb.», 8. 68 ff.).
Nach Th. Zibgler ist das Wesentliche der Leidenschaft „die dauernde
Vorherrschaft einer einzelnen Neigung und die Beherrschung des ganxen öe-
dankenganges und Vorstellungsverlaufes durch ein Begehren in einseitiger Rieh"
tunf'' (Das Gref.', 8. 302). Nach Wundt sind die Leidenschaften psychc^ogiach
nicht von den Aifecten (s. d.) zu trennen (Gr. d. Psychol.*, 8. 209). Nach
H. HÖFFDINQ ist der Affect „ein plötzliches Aufbrausen des Gefühls . . .,
welches das Oemüt eine Weile iibenoättigt und die freie und natürliche Ver-
bindung der Erkenntniselemente hemmt^^. Die Leidenschaft ist hingegen ^ie
xur Natur gewordene, durch Gewohnheit eingewurzelte Bewegtmg des OefühU.
Was der Affect im einzelnen Moment ist, mit gewaltiger, expansiver Bewegung^
das ist die Leidenschaft in der Tiefe des Gemüts als eine ersparte Sumnte von
Kraft, die zur Verwendung bereit liegt^^ (PsychoL*, 8. 392). Nach Jgdl ist die
Leidenschaft eine WiUensgewohnheit, eine Disposition, deren Gefühle sich im
Falle der Befriedigimg zimi Affect steigern (Lehrb. d. PsychoL 8. 700). Nach
Xbeibig sind die Leidenschaften „dispositionelle Seelenxustände, bei welcken
eine relativ eng umschriebene Gruppe von Vorstellungen vermöge ihres stoHten
Gefühlswertes eine herrschende Bolle einnimmt und auf das Handeln eine em-
seUig übermächtige Wirkung ausübf^ (Werttheor. 8. 42). Affeete dageg^
sind „actuelle, an assodativ concentrierie Bewußtseinsinhalte anknüpfende
Gefühlszustände, tvelche in einer ungewöhnlichen Erregung oder Lähmung louere«
ganzen Selenlebens und regelmäßig auch in äußerlich tcahmehmbaren Begtek-
erscheinungen Ausdruck finden^^ (1. c. 8. 41); sie sind 8teigenmgaforniai der
Gefühle (ib.). Nach F. Mach entsteht die Leidenschaft „dadurcli, daß esn
bestimrnter WoUenskreis, indem er sich von den übrigen absondert, zur Neigung
urird und sich schließlieh zu einem Wollen auswächst, das sich dem Verbote
der sittlichen Maacime gegenüber tnit Hartnäckigkeit behauptet*^ (Religions- und
Weltprobl. II, 1308). Vgl. Affect.
Liekton {hxrovj Gesagtes) nennen die Stoiker einen sprachlich ge-
formten Gedankeninhalt, eine sprachlich ausgedrückte Abstraction. Das Xextir
ist „non corpus . . ., seä enuntiatimim quoddam" (Seneca, Ep. 117, 13); ra ^i
i.By6fi6va Hai Xexrd rd vorj/uard iariv (Simplic. in Aristot Categor. 3 a). Von
den ^£XTa handelt die Logik (vgl. Sext. Empir. Pyrrh. hypot III, 52; Praxtl,
G. d. L. I, 416; L. Stein, Psycho!, d. Stoa III, 219).
liemma (A^^^a, lemma; sumptio bei Cicero, De divin. 11, 53, 106):
liemm» — Ubenun arbitritixii indifferentiae. 595
Lehnsatz, d. h. ein Lehrsalz, dessen Begründung in eine andere Wissenschaft
fallt, den man aus ihr entlehnt hat und als bewiesen voraussetzt. Bei Aristo-
teIjBS ist ^^/t»a so viel wie Prämisse (s. d.) (ra Xtjfiftara tov avXioytafiov, Top.
VIII 1, 156b* 21). Vgl. G. E. Schulze (Gr. d. allg. Log. S. 210), Fribb (Syst.
d. Log. S. 294), Bachmakn (Syst d. Log. S. 485, 184).
liemeii ist nach Plato eine Anamnese (s. d.) (^ futd-f^cts — dvtifivrjiftg^
Meno SlDsqu.). So auch M.Ficintts, Nicolaus Taubellub (Philos. triumph. 1),
nach Val. Weigsl (Studium universale 1700, O. 3) u. a — Frieb erklärt:
„IVtr soffen, daß wir eine Kunst können oder gelemt haben, tcenn sie durch
unsere bloße Association der Vorstellungen ausgeübt mtd, sobald wir vpoUen, ohne
daß die Reflexion im einzelnen immer darauf xu achten bratuckt^^ (Syst d.
Log. S. 71). Nach Fobtlaoe ist Lernen j,Äuf fassen einer Veränderung in
einer Vorstellungsverbindung ^ ohne aufmerksame Unterscheidung^^ (Psychol. 1,
§ 11).
liex: Gesetz (s. d.). Lex continuationis s. Monade. Lex naturae
8. Gesetz. Lex parsimoniae: Gesetz der Sparsamkeit im Haushalte der
Natur (besonders die Wolfianer): Die Natur strebt, die größten Wirkungen
mit den geringsten Mitteln zu erzeugen.
Libemin arbltrlniii indlffereiitlae („libertas aequilibrii**) : ab-
solute Wahlfreiheit und Willkür (s. d.), Vermögen, in einem gegebenen Momente
sich für das eine wie für das entgegengesetzte Motiv frei, grundlos, undeter-
miniert entscheiden zu können. Die Annahme einer solchen bei älteren Philo-
sophen ist nur eine Übertreibung der psychologischen Willensfreiheit (s. d.);
zuweilen bedeutet sie nicht mehr als diese.
Nach Clemens Alexandrinüs ist „liberum arbitrium" die „virtus" der
8eele, „qtM se possit ad quos actus velit inclinar&^. Augustinus definiert:
„Liberum arbürium est facultas rationis et voluntatis, qua bonum eligitur graiia
assistentCf et malum ea desistente^^ (De lib. arb. 1). Anselm erklärt das liberum
arbitrium als „potestas servandi rectitudinem voluntatis propter ipsam reetitudi-
nem^* (De lib. arb. 3). Eiohard von St. Victor bemerkt: „AW autem ar-
bitrium hominis idcirco liberum dicimus, non quia promptum habet bonum et
malum facercy sed quia liberum habet bono vel malo non eonsentire** (De statu
int homin. tr. 1, C. 3, 13). Bernhard von Clairvaux sagt: „Ubi voluntas,
ibi libertas. Et hoc est, quod dici puto liberum arbitrium" (De grat. C. 1, 2).
Abaelard: tyLibertmi arbitrium definientes philosophi dixerunt liberum de
voluniate iudieium. Arbitrium quippe est ipsa deliberatio sive diiudicatio
animi, qua se aliquid faeere vel dimittere quilibet proponit^*^ (Intr. ad iheol.
m, 7). „Liberum arbitrium est ipsa facultas deliberandi et diiudicandi
id, quod velit faeere ^ an seilicet sit faeiendum, an non, quod elegerit sequen-
dum** (vgl. Stöckl I, 261). Petrus Lombardus erklärt: „Arbitrium —
quia sine eoactione et necessitate vaiet appetere vel eligere, quod ex ratione
deereverit" (Lib. sent. II, 25, 5). Albertus Magnus bestimmt: „Liberum ar-
bitrium est de hisj quae in nobis sunt, et qucrum nos ipsi causa sumus agendi
vel non agendi" (Sum. th. II, qu. 58). „Propter hoc dicitur liberum arbitrium,
quia in arbitrando non habet limites sibi praefixos, quantum debeat moderari
pro ratione et pro voluniate" (Sum. de creat. II, 68, 2). Thomas betont: „Vo-
luntas et liberum arbitrium non duae, sed una tantum potentia sunt" (Sum. th.
I, 83, 4). „Liberum arbitrium est ipsa voluntas" (De verit. qu. 24, 6). „Actus
Hberi arbitrii est electio" (Sum th. II, 83, 3). Durand von St. PoURgAiN
38*
596 Liberum arbitritmi tndiflbrentiae — lilohtempflndnngen.
erklärt: „Ldbertiis arbiirii est, qua quis potest in (üiquem actum vd eiu$ oppo-
sttum contrarie vel contradictorie," DüKS ScoTüB meint: „Volwüas . . . /«-
bera est ad opposüos aeius^' (Lib. sent. 1, d. 39^ qu. 5, 15).
Nach GoCLEN ist liberum arbitrium „volimtas tU fertw sine eoactione in
aliqua re. Nam vohmtas potest velle, vel non veüe^* (Lex. philoB. p. 643). Nach
Malebbanche ist liberum arbitrium „la puissanee de vauioir ou de ne pa$
votäoiTj ou bien de vouhir le contraire^^ (Bech. I, 1). Gr^en das liberum ar-
bitrium erklärt sich Leebniz (Theodic. I. B., § 46). Vgl Willensfreiheit,
Willkür.
Ldclit und Plnstemls: Zwei Urprincipien, die der theologische Dua-
lismus (s. d.) amiimmt. So der Zenb-Atesta, die Manichäer (s. d.), Ba-
siUDES (vgl. Ritter V, 135), J. Böhme, E. Fludd. — Als Potenz (s. d.) beew.
Moment im absoluten Sein betrachten das Licht die Schellingianer und
Hegel.
IJ€litempfindiiii§^eii sind die Empfindungen des Gesichtssinnes (s. d.),
die zum äußeren Beize transversale Schwingungen des Lichtäthers (450 — 800
Billionen), zum inneren Beize chemische Processe in der Netzhaut haben. Sie
zerfallen in Helligkeits- und Farbenempfindungen. Von der Elnergie, der
Wellenlänge und der Zusammensetzung der Atherschwingungen hangen
Helligkeit, Farben ton und Sättigung der Lichtempfindungen ab. Organ der
Lichtempfindung sind die „Stäbe ftefi^^ und ,jZapfen" der Netzhaut Der ^Jdinde
Fleck** (Eintrittsstelle des Sehnerven) ist für Licht nicht empfänglich (weil ohne
Stäbchen- und Zapfenschicht; der „gelbe Fleek^^ ist die Stelle des deutlichsten
Sehens (wegen der dichten Zapfenanordnimg). Es gibt eine Beihe von „Grund-
färben*^ die sich in einem j^Farbensysiem*^ anordnen lassen (Farbenkreis, Farfoen-
pyramide), und die „ Weiß-Sehtcarx-Beihe" („reine Belligkeitsempfindungen%
An jeder Farbe ist zu unterscheiden: „Farbentofi" (die FarbenquaUtät : roc
u. 8. w.), „Sättigungsgrad** (Sättigung, abhängig von der geringen Blässe, Weib-
lichkeit), „Helligkeit** (Lichtstärke). Farben, die in qualitativem GegensatEe
zueinander stehen und sich zu Weiß verbinden lassen, heißen „Gegenfarben*^,
„Ergänxungs- (Complementär-) Farben**, Licht- und Farbencontrast besteht
darin, daß in der Umgebung eines Lichteindrucks eine E^mpfindung von ent-
gegengesetzter Helligkeit oder Farbe entsteht („Randcontrast**). Es gibt ver-
schiedene Farbentheorien (s. unten).
Empedokles ninmit als Grundfarben (wie die Pythagoreer) an: Weiß,
Schwarz, Gelb, Bot (Theophr., De sens. 59). Demokbit ersetzt das Gelb durch
Grün (L c. 73 squ.). Nach Aristoteles ist die Farbenempfindung die ivaf-
yeainTij aiad^aie (Probl. VII, 5). Die objective Farbe entsteht aus der Afischung
des „Durchsichtigen** mit dem Undurchsichtigen. Die Farbenempfindung ent-
steht durch Umwandlung des Bwrifiei, Durchsichtigen im Auge in actuell Durch-
sichtiges (De an. II, 7). Alle Farben gehen aus der Verbindung von Wdß
und Schwarz hervor (ib.; vgl. De sens. 2). Ahnliche Anschauungen im Mittel-
alter, wo zugleich die Lehre von den j,speeies** (s. d.) herrscht.
Gegen die NEWTONsche Farbentheorie kämpft Goethe, indem er die physio-
logische Function des Sehens in den Vordergrund rückt „Die Netzhaut befindet
sich bei dem, was wir sehen heißen^ xu gleicher Zeit in verschiedenen^ ja in
enigegengeseixten Zuständen** (WW. XXXV, 92). Aus Hell und Dunkel gehen
die Farben hervor. „Ein Weißes, das sieh verdunkelt, das sieh trübt, wird gelb.
Idohtempfindungen. 597
das SekuHxrxey das sieh erhellt, wird blau" (L c. S. 219). Gelb entsteht durch
erhellteB Trübes bei lichtem Grunde, Blau bei dunklem Grunde. Bot ist die
gesteigerte Einheit, Grün die Indifferenz der beiden Gegensätze (L c. S. 262 ff.).
Almlich lehrt Hegel. Schopenbaueb betont, y,daß Belle, Finsternis und
Farbe . . . Zustände, Modifieaiionen des Auges sind, welche unmiäelbar bloß
empfunden tperden". „Das die volle Einwirkung des Lichts empfangende Äuge
äußert , . . die volle Tätigkeit der Retina. Mit Abwesenheit des Lichtes
oder Finsternif tritt Untätigkeit der Retina ein'' (Ob. d. Seh. u. d. Färb.
§ 2). Auf der „intensiven Teilbarkeit" der Eetinatatigkeit beruht die Hellig-
kätsreihe, auf der „qualitativ geteilten Tätigkeit^' der Betina die Farbenreihe.
Jeder Farbe ist ein Grad von Helle oder Dunkelheit wesentlich (ib.). „Die
Farbe ist die qualitativ geteilte Tätigkeit der Retina. Die Verschieden-
heit der Farben ist das Resultat der Verschiedenheit der qualitativen Bälften, in
welche diese lUtigkeit auseinandergehen kann, und ihres Verhältnisses xuein-
ander" (1. c. § 5 ff.; vgL Parerg. II).
Es gibt drei Haupt-Farbentheorien. Nach der YouNG-HELMHOLTZschen
Hypothese ist jedes Netzhautelement dreier elementarer Erregungen fähig, die
einzeln die Empfindungen des Roten, Grünen, Violetten auslösen und durch
deren Verbindung alle übrigen Farben entstehen (vgl. Helmholtz, Physiol.
Opt § 19 ff.; Vortr. u. Red. I*, 312 f.). Nach Heking gibt es drei Seh-
snbstanzen, von welchen jede zwei gegensätzliche Processe durchmacht: eine
weiß-schwarz, rot-grün, gelb-blau auslösende Substanz, deren Dissimilation Weiß,
Bot, Gelb, deren Assimilation Schwarz, Grün, Blau erregt (Zur Lehre vom
Lichtsinn 1 ff.). Nach Wunpt besteht ,Jede einfache Lichtempfindung wahr-
scheinlich aus der Verbindung zweier photochemischer Processe . . ., ei^ies
achromatisch en , der sichwieder aus einer bei größerer Lichtstärke überwiegenden
Zersetzung und aus einer bei schwächerem Lieht voncaltenden Restitution zusammen-
setzt, und eines chromatischen, welcher sich derart stufenweise verändert, daß
die ganxe Folge der photochemischen Farbenxersetzungen einen Kreisproceß bil-
det, in dem sich die Zersetzungsproducteje zweier relativ entferntester Stufen tceehsel-
seilig aufheben" (Gr. d. Psychol.*, S. 90; Philos. Stud. IV; Grdz. d. physiol. Psy-
choL IP, C. 10; vgl. über Farbentheorien: Chr. L. Franklin, Zeitschr. f.
ftychoL IV, 211 ; Ebbinghaus, Zeitschr. f. Psychol. V, 145 ff. u. Gr. d. Psychol.
I, 180 ff., 245 ff.; J. VON Kries, Zeitschr. f. PsychoL IX, 81; G. E. Müller,
Zeitschr. f. Psychol. X, 1 u. 321). — Nach Wündt besteht das System der Licht-
empfindungen „flus zwei Partialsgstemen, den farblosen Empfindungen und
den Farbenempfindungen , zioischen deren QtMlitäten aber allle möglichen
stetigen Übergänge stattfinden können" (Gr. d. Psychol.*, S. 67). „Die farb-
losen Empfindungen bilden, für sich allein betrachtet, ein System von einer
Dimension" Es „hat die Eigenschaft, daß es, abweichend von der Tonlinie,
gleichzeitig ein Qualitäts- und ein Intensitätssystem ist, indem jede
Qualitätsänderung in der Richtung von Schwarz nach Weiß zugleich als In-
tensitätszunahme, und jede Qualüätsäfiderung in der Richtung von Weiß nach
Schwarz als Intensitätsabnahme empfunden wird. Jede auf solche Weise quali-
tativ und intensiv bestimmte Stufe des Systems nennt man die Helligkeit der
farblosen Empfindung** (System der „reinen Helligkeitsempfindungen") (1. c.
8. 68). Das System der Farbenempfindungen ist auch eindimensional,
aber in sich zurücklaufend (1. c. S. 70). „Die durch die Einordnung in das
Farbensystem bestimmte Qualität der Empfindung nennt man . . . den Farben-
598 Ijichtempfindtmgen — lAebe.
tonJ^ „Unter Farbengrad oder Sättigung versteht man die Eigenschaff der
Farbenempfindungen, in beliebigen Übergängen tu farblosen Empfindungen vor-
xukommen" (L c. S. 71). Femer kommt der Farbenempfindmig Helligkdt zu.
jjÖeht man nämlich von einer bestimmten Helligkeitsstufe aus, so nähert sieh
jede Farbenempfindung, wenn man ihre Helligkeit zunehmen laßt, in ihrer
Qualität dem Weiß, während gleichzeitig die Intensität der Empfindung wäeksL**
Für jede Farbe gibt es eine gewisse mittlere Helligkdt, bei der ihre Sattignng
am größten ist; für Bot ist dieser Helligkeitswert am höcluften, für Blan am
niedrigsten (PuREiNJEsches Phänomen, s. d.) (1. c. S. 73 f.). Das gesamte
System der Lichtempfindungen ist ein dreidimensionales und in sich geschloisenes
Continuum (1. c. S. 75 f.). Grundfarben sind Bot, Gelb, Grün, Blau (so zu&st
L. DA Vma). Vgl. VON Kbies, Die Gesichtsempfind. 1882. Grakt Aiajss,
Der Farbensinn 1880. — Vgl Nachbild, Contrast.
Liebe {ftXia, ^^io9i aydiiTi^ amor) ist die innige Sympathie (s. d.) mit
einer Person, die Freude an der Gegenwart, Existenz, den Eigenschaften, dem
Glücke dieser. Liebe ist dauerndes Wohlgefallen an etwas, es enthalt Vor-
stellung, Lustgefühl, Wille, ist eine Neigung (s. d.), ein Sich-hingezogen-fühlen
zum geliebten Gegenstande, ein freudiges Gedenken an denselben („Minne^J. Es
gibt verschiedene Arten der Liebe. Die sexuelle Liebe wurzelt im Geschlechts-
triebe, entwickelt sich aber beim Culturmenschen zu einer geistigeren Form.
Die sociale Liebe wurzelt in Gefühlen der Sympathie (s. d.) für die Mitglieder
der Gemeinschaft. Die religiöse Liebe ist freudige Hingebung an Gott. Mit
ihr verwandt ist der „amor intelleetualis Dei^^ (s. unten) der Philosophie; die
philosophische Liebe ist femer Liebe zum Forschen, zum Erkennen. Als
metaphysisches Princip ist die Liebe die das AU durchwaltende, alle Gegen-
sätze immer wieder vereinigende synthetische Tendenz, als deren Ideal die Gott-
heit zu betrachten ist.
Die Veda-Philosophie sieht in der Liebe (käma), dem Verlangen, das
erste aus dem Urwesen geborene Princip (Deussen, Allg. Gesch. d. Fhilos.
I, 1). Ähnlich Hesiod (Theogon. v. 120). Von Empedokles werden Liebe
((fiXta, fdoTijs, aroQYv) ^^^ ^^ {veiKo^) als Principien des Geschehens be-
stimmt. Die Liebe halt, bringt alles zusammen, der Haß trennt das Einheit-
liche in die Vielheit der Gegensätze: alkore (tev fikotrjxi awex^ofuv sie £9
aTtnvra — akXors S* av Si'x ^xaora (fo^evfieva rslxeog ^^^«i (De nat. 68 f.,
Mull., Fragm. I). Liebe und Haß prävalieren abwechselnd. Im Zustande der
Trennung ist der Haß allein w^irksam, im Zustande der Liebe gibt es keine
Einzelheit (vgl. Fiat., Soph. 242; Aristot., Phys. VIII, 1). Pabmenii>£8 soll
gesagt haben: Tt^orrtarov fiev 'Eqcjxa &€cjv fir^rlaaro Ttdvrav (Stob. EksL I, 274;
Aristot, Met. 1 4, 984 b 25). — Plato begründet den Begriff der rein theoretischen,
geistigen („Platonischen^^) Liebe {k'QCjq), der Begeisterung für das Erkennen als
solches, des Strebens nach der Erkenntnis, Schauung des Seienden, der Ideen
(s. d.), insbesondere des Guten, Göttlichen. Der i^(oe treibt zum Forschen und
Erkennen, er läßt ims erst in der Schauung des Wahren ruhen, er ist geistiger
Zeugungstrieb, er strebt, uns dem Göttlichen anzimähem (Sympos. 178 ff., 2Cö E:
Phileb. 30 B; Kep. V, 479 f., 505 A). ,ßie im tiefsten Qrund der SeeU schium-
memde Erinnerung an das vorxeitliche Schauen der Idee erwacht, und sie ver-
wandelt sich in den Eros, den heißen Trieb, die Ideen wieder zu schauen, wie
sie an sich sitid** (BENDER, M. u. M. S. 137). Nach Aristoteles wirkt Gi>tt
(s. d.) in der Welt, durch Liebe zu ihm (i^tofiepoi). Von der Liebe sagen die
Liebe. 599
Stoiker, bJvui da tdv ^^arta imßokqv ^tXo7Zoi6v Sni nriXkog i^yaivo/isvov (Diog.
L. VII 1, 130). Plotin erblickt das höchste Glück des Menschen in der sehn-
suchtsvollen Liebe zum Göttlichen, Guten (£nn. VI, 7, 22). Der Erkennende
wird zum liebenden Geist, der mit dem „EHnen" (s. d.) eins zu werden sucht
<L c. VI, 7, 35).
Das Christentum wertet den Begriff der allgemeinen Menschenliebe
{Caritas) und der Gottesliebe aufs höchste. Gott ist die Liebe, die Liebe ist
götüich. Nach Grboor von Nyssa ist die Erkenntnis Gottes eins mit der Liebe
zu ihm: 17 Sa /vcSiru dydnij ylvexai, (Dean. etre8un.p.225). Nach AüGüsrnnTS
ist die Liebe ,,vita quaedcwn eopuUms vel copulare (xppeUnS^* (De trin. VIII, 10).
„Ämorem seu dilectionem^ quae wUeniior est voluntas" (1. c. XV, 41). Von der
mystischen Liebe zu Gott spricht Dionysiub Areopagita: ^oti de xal ixcra'
^txoi' i &810S i^OQ ovx iSv aJrat joif9 igaardgy akla rcSv igm/iivmv (De dir.
nom. 4, 13). Nach JoH. Scotitb Ebiuobna zieht Gott durch Liebe alles zu
sich, zur Einigung der Geschöpfe mit sich. Gott liebt sich selbst und wird
Ton sich in uns geliebt (De divis nat. I, 76). „Amor est cofmeocio (tut wMulum,
quo omnium renxm tmipersitatis ineffabüi amicitia insolubiltgue unitate eopu^
lahtrJ* „Amor est naturalis motus ofrmium rerumy quae in motu sunt, finisy
quieta statio ultra quam nullius ereaturae progredittsr motus,'* „Merito ergo
amor Deus dieitur, quia amoris eausa est, et per omnia diffunditur et in unum
coüigü amor et ad ipsum ineffabilem regressum repolviiur; totiusque creati4rae
unuUorios malus in se ipso terminat" (ib.). Amalbich von Bens meint»
^^Bpiritum ratumcUem, dum perfeeto amore fertur in Deum, deficere peniius a se
ae reverti in ideam, quam habuit immtUabiliter ac aetemaliter in Deo'* (bei
Stögkl I, 290). Bebnhabd yok Claibyaux erklart: „Oausa düigendi Detim
Deus est" (De dil. Dei 1, 1). Die beiden St. Victor erheben die Gottesliebe
zum Princip des Erkennens. Thomas rechnet Liebe und Haß zu den „eon*
eupiseiblen'* Affecten. Die Liebe (amor) ist „aliquid ad appetitum pertinens^,
,,tnelinatio rei ad aliquid", „complacentia appetibilis seu boni" (Sum. th. I,
26 2; I. II, 25, 2). Er unterscheidet „amor sensitivus'* (sinnliche Liebe) und
j,/amar intellectivus" (geistige Liebe) (1. c. II, 26, 1). Von der geistigen Liebe
(Caritas) spricht Duȧ Scotus (Op. Ox. I, 17, 3, 16).
Ähnlich wie Baymund yon Babxtnde lehrt Campaneliji: „Res eunctas
magis amare primum ens infinitum quam se ipsas" Alle Dinge lieben Gott
mehr als sich selbst (TJniv. philo«. II, 5, 3; VI, 10). Der Mensch liebt Gott,
Gott liebt seine Geschöpfe (1. c. VIII, 6, 2; XVI, 2, 1). Nach Eckhart
mümet Gott alle Oreaturen, in denen er selbst ist, er minnet sich in ihnen.
Die geistige Gottesliebe betont Leo Hebbaeus (Dialogi di amore 1535).
G. Bbuno preist die heroische, feurige liebe zur göttlichen Natur. — Nach
X«. V1YE8 ist die Liebe „allubeseentia eonfirmata" (De an. III, 153).
Nach Descartbs ist die Liebe eine „commotio anim/ie, producta a motu
^pirituum (Lebensgeister, s. d.), qui eam incitat ad se voluntate iungendum
oMeetis, quae ipsi convenientia videntur. Et odium est eommotio producta a
spiritibus, quae animam ad id incitat ut velit separari ah ohiectis quae Uli
offeruntur ut noxia" (Pass. anim. II, 79; vgl II, 82, 84, 97, 98, 102, 103, 107,
106, 120). Nach Spinoza ist die Liebe „laetitia eoncomitante idea causae ex-
terna^' (Eth. III, prop. XIII, schoL). Aus der adäquaten Erkenntnis (s. d.)
Oottes entspringt die intellectuelle Liebe zu Gott („amor inteUectualis Dei",
der Begriff geht bis auf Plato zurück). Diese ist ein Teil der Liebe, mit der
600 Iiiebe.
Grott sich (in seinen Modificationen) selbst liebt. Diese Qottesliebe ist de
höchste Gut, das größte Glück, die Seligkeit jfQui se stdosque affechu dort
ei distinete mteUigity Deum amcU, et eo magis^ quo se stwsqtie affeetu» magU
intelligit'^ (Eth. V, prop. XV). „Hie erga Deum amar tnmtem maacime oeeu-
pare debe^' (Eth. V, prop. XVI). y^Nemo polest Deum odio habere," „Amor
erga Deum m odium verti nequit^ (1. c. prop. XVIII). „Qut Deum amai,
conari non potest, ui Deus ipsum eontra amet^ (1. c. prop. XIX). ^yHie erga
Deum amor neque itwidiae neque xelotypiae affeetu imaginari polest; sed eo
magis fovetur, quo plures homines eodem amoris vineulo Deo ümetos imagina-
mur," „Hte erga Deum otmor summum bonum est, quod ex dictamme rtUümu
appetere possumus" (1. c. prop. XX). Die Gtottesliebe entspringt aus der Be-
trachtung der Dinge y,sub spede aetemital%8^\ vom Ewigkeitsstandpunkte (s. d.)
aus. yyNam ex hoc cognitionis genere oritur laetitia eoneomüanie idea Dei Um-
quam eausay hoe est amor Dei, non quatenus ipsum ui praesentem wutginamur,
sed quatenus Deum aetemum esse inieüigimusj et hoe est, quod amorem De% «n-
telleetucUem voeo^' (1. c. prop. XXXII, corolL). „Amor Dei intelleetualis . . .
est aetemz$s" (L c. prop. XXXIII). y^Deus se ipsum amore inteUectuali tnfmüo
amat^* (L c. prop. XXXV). „Mentis amor intelleetualis est ipse Dei amor, quo
Deus se ipsum amat non quatenus infmitus est, sed quatenus per essentumi
humanae mentis sub specie aetemitatis consideratam explicari polest, hoc tat,
mentis erga Deum amor intelleetualis pars est infiniti amoris, quo Deus se
ipsum amcU" (1. c. prop. XXXVI). y^Hine sequitur, quod Deus, quatenus se
ipsum amat, homines amat, et consequenter quod amor Dei erga homines et
mentis erga Deum, amor intelleetualis unum et idem sit" (1. c. coroll.). „Er
his clare intelligimus, qua in re salus nostra seu beatitudo seu libertas
consistit, nempe in constanti et aeterno erga Deum amore, sive in amore Dei
erga homines" (L c. schol.). „Nihil in natura datur, quod huie amori intelke-
tuali Sit contrarium, sive quod ipsum possil toüere^ (L c. prop. XXXVII; De
Deo II, 3; II, 5). — Geulincx unterscheidet: „amor affectionis, amor bene-
volentiae, amor eoneupiscentiae, amor oboedientiae" (Eth. I, 1, p. 13). Mensch
und Gottheit lieben sich wechselseitig (1. c. V, § 1 ff., p. 121 ff.). Nach
Leibihz ist Lieben „ein Sich-erfreuen an des andern Qlück oder . . . das Olikk
a/nderer xu dem eigenen mit zu rechnen" (Erdm. p. 118). Liebe ist ein Ge-
triebenwerden, an dem Wohle des geliebten Gegenstandes Lust zu haben (Noot.
Ess. II, eh. 20, § 4). Da Gott die voUkonunenste und liebenswürdigste Sub-
stanz ist, so ist die Gottesliebe die reinste und beseligendste (Princ de la
nat 16). Locke definiert: „Wenn . . . jemand auf die Gedanken achtet, die
er von dem Vergnügen hat, welche ein gegenwärtiges oder abwesendes Ding ik»
verursachen kann, so hat er die Vorstellung der Liebe" (Ess. II, eh. 20, § 4).
Chb. Wolf bestimmt: „Jimor est dispositio animas ad percipiendam voluptatem
ex alterius felicitaie^* (Psychol. empir. § 633). „Die Bereitschaft aus eines andern
Olück ein merklushes Vergnügen xu schöpfen, ist die lAebef^ (Vern. Ged. I.
§ 449). Mendelssohn bestimmt: „Die Liebe ist eine Bereitwilligkeit, sieh a»
einer andern Olückseligkeit xu vergnügen" (WW. I 2, 48). Vauvenargu»
bemerkt: „Uamour est une complaisance dans l'obfet aime" (Introd. ä la ood-
naiss. de l'espr. hum. p. 194).
Kant unterscheidet die „praktische Ijieb&* (Nächsten- und Gottesli^»
von der ,,pathologischen" (sinnlichen Neigung) (Krit d. prakt. Vern. 1. T., 1. Bs
2. Hptst.). yfien Nächsten lieben heißt alle Pfiichi gegen ihn gern ausubtn*"
Uebe. 601
(WW. V, 87). — Einen ,,Trieb nach Liebet' nimmt Heinboth an (Psychol.
8. ö8). E. Reinhold definiert: ,yDie immer mit WerUckMxung verbundene
anhaUende Richtung des Wohlgefallens auf einen Öegenstand ist die Zuneigung,
die Liehe. Die anhaUende Richtung des Mißfallens . , . ist die Abneigung, der
Haß" (Lehrb. S. 246). Nach Schleebbmacher ist die Liebe ,/ias Seekn-werden-
wollen der Vernunft, das Hineingehen derselben in den organischen Proeeß^^
(Philoe. SittenL § .^3). Es gibt freie und gebundene, gleiche und ungleiche
Liebe (L c. § 304). „Die gebundene Liebe im Charakter der Oleiehheit ist Qe^
reehttgheit^* (1. c. § 305). G. SCHiLiJNa: „Die Liebe ist Neigung; also entweder
schon angehende Begehrung oder die nächste Disposition daxu" (Lehrb. d. PsychoL
8. 115). Nach Nahlowsky ist liebe das „an einer Person, Sache oder Be-^
UUigungsform . . . sieh ooneentrierende Wohlgefallen, welches sich bald auf ob-
jective, bald bloß auf subjective Vorzüge stützt, eUlemtü aber den betreffenden
Gegenstand zum Mittelpunkt eines größeren Oedankenkreises und zum Ausgangs-
punkt eines mannigfachen Begehrens macht^^ (Gefühlsl. 8. 225). Nach 8chopen-
HAUEB wurzelt alle „ Verliebtheit^, „wie ätherisch sie sieh auch gebärden mag**,
im Geschlechtstriebe. Bei aller Geschlechtsliebe führt der Gattungsinstinct
die Zügel und schafft Illusionen, „weil der Natur das Interesse der Gattung
allem andern vorgeht". „Was . . . zwei Individuen verschiedenen Geschlechts mit
solcher Gewalt ausschließlich zueinander zieht, ist der in der ganzen Gattung
sieh darstellende Wille zum Leben, der hier eine seinen Zwecken entsprechende
Olffeetivation seines Wesens antizipiert in dem Individuo, welches jene beiden
zeugen können*' (W. a. W. u. V, II. Bd., C. 44). — Nach Fechneb geht Gottes
Liebe über alles, er Uebt alle wie sich selbst, weil er eben Teilwesen seines
eigenen Wesens darin liebt (Tagesans. 8. 24). Nach B. Hameblikg ist die
Liebe „flfei« lebhafte Sich-selbst-befahen des Seins** (Atom. d. Will. II, 164). —
Nah Chb. Kbause ist die Liebe Gottes „cUis Urleben des Gemütes" (Urb. d.
Menschh. 8. 3). „Liebe, ein mächtiger unvertilgbarer Trieb, läßt alle Wesen dem
Weltgesetze der Geselligkeit folgen, Sie ist die lebendige Form der imvem orga-
nischen Einung alles Lebens in Gott; sie ist der ewige Wille Gottes, in allen
Wesen lebendig gegenwärtig zu sein, und das Leben aller seiner Glieder in sich
selbst, als in das ganze Leben, zurückzunehmen** (1. c. 8. 67). „Jedes Wesen ist
seiner Natur nach gottliebend und gottinnig** (ib.). „Die Liebe encaeht im Än-
sehatten der Vortrefflichkeit, der innem Gesundheit und Schönheit des geliebten
Wesens, als das Sehnen, mit ihm ein höheres Leben zu sein** (1. c. 8. 68).
V. CouBn« erklart: „(7 est . . . l'infini que nous aimons en croyant aimer les
choses finies** (Du vrai p. 107). Die pantheistische All-Liebe, die alles ver-
einigt, feiert R Wagneb im „Tristan**. Auch M. Messeb. „Wie sich die
NaiuT durch das Gehirn des Mensdien ihres Seins und itires Seins Grund be-
wußt werden will, so versucht sie durch die Liebe die Zwiespältigkeit ihres Seins
XU tiberwinden, die Einheit wieder zu gewinnen, mit der sie in der Seele Gottes
lag vor der Schöpfung** (Mod. 8eele 8. 33 f.). „Der Liebende erweitert sich
durch seine Liebe zu Gott, die liebende Seele wird Gottesseele** (L c. 8. 38).
„Liebe heißt die Sehnsucht nach dem Unsterblichen noch im Diesseits des Lebens**
(L c. 8. 40). „Äües Von-sich-selbst-weggehen, Ergänzung - suchen in einem
andern . . , ist Liebe, ist der Trieb, seine im irdischen Sein gefangene und ver-
kürxte Seele z/ur Allseele zu verschwistem** (1. c. 8. 43). „Das Mittel jeder Ent-
uneklung ist Liebe** (1. c. 8. 133).
Nach Renan läßt sich die (geschlechtliche) Liebe durch das Vorhanden-
602 Liebe — Limitative („unendliche") Urteile.
sein des Bewußtseins der Keime erklären. ^^Das numnbare Indivtätium. trS^
Millionen von dunklen Bewußtseinen in sich^ welche im Besitxe eines undeuiUekm
Gefühles ihrer Enttoieklungsbedingungen xu sein verlanffen, nadi einem Sein
streben und ihm ihr Sehnen laie ihren Sehmerx mitteilen** (Philos. DiaL n.
Fragm. S. 68). Naeh Volkmann ist Liebe ^.eine Neigung, die ihre Befriedigung
an der Oegenwart des geliebten Gegenstandes findet* (Lehrb. d. PsychoL 11^, 490).
H. HÖFFDINO erklärt: „Die Vorstellung von dem, was mit dem iMstgefäkl «i
wesentlicher Verbindung steht, versehmUxt mit diesem und bestimmt es in ei$ter
gewissen Richtung, Es entsteht ein unwillkürlicher Drang zum Festhalten und
Beschütxen dessen, was Lust erregt. Die Freude ist dieser Drang von der pas-
siven (diffttsiven), eontemplativen Seite gesellen, ist die Lust am Verweilen beim
Objeet; die Liebe bezeichnet die actitfe Seite, den Trieb xu einer Handlung, die
das Objeet sichern oder aUen falls uns dasselbe sichern kann Auf höheren
Stufen der Entwicklung entsteht die Sympathie der Liebe, Lust an der Lust
anderer sowohl als Unlust an der Unlust anderer (Mitleid/' (Psychol.*, 8. 324).
„Das Liebesgefühl in seiner rein primitiven Form ist . , , ein Movnent des
Lebensgefühls** (1. c. S. 349). Nach Döring ist Liebe „ein Lustgefühl aus der
Vorstellung eines Wesens, dessen Existenz für das eigene Wohlsein in irgend
einer Beziehung eine hervorragende Bedeutung hat*' (Philos. Güterlehre S. 114).
Nach R. Wähle heißt Lieben ,festhaltend, angespannt um etwas bemußtt seit^
(Das Ganze der Philos. 8. 378). Brentano versteht unter „PhUnomenen der
Liebe und des Hasses** die Gefühle und Begehrungen; er spricht von „riektig
charakterisierter Liebe** (s. Sittlichkeit). Vgl. Teichmüller, Üb. d. Wesen d.
Liebe; Darwin, Abstamm. d. Mensch.; Michelet, Die Liebe; Mantbgazza.
Physiol. d. Liebe; J. DuBOC, Psychol. d. Liebe, 2. A. 1880; Bölschb, Liebedeb.
in d. Natur; L. Büchner, Liebe u. Liebesieb, in d. Tierwelt VgL 8electioo,
Ästhetik.
Liefen (xeXcd^ai) ist eine der Kategorien (s. d.) des Aristoteles. Es be-
zeichnet, nach H. Cohen, die Trägheit oder die Beharrung (Log. S. 206).
IJinbas infeml: Vorhölle (Thomas, Som. th. IL II, 2, 7 ad 2i
Paracelsüs nennt „Limbus** die Urmaterie (s. Materie).
Limitation: Beschränkung. Bei Kant eine der Kategorien (s. d-u
J. G. Fichte leitet sie aus der präempirischen Tätigkeit des Ich (s. d.) ab. Sie
entsteht begrifflich durch Beflexion auf den Act des Setzens und Gegenaetiais,
des sich selbst Begrenzens des Ich (Gr. d. g. Wiss. S. 45). — Geülincx nennt
die Einzeldinge Limitationen Gottes (Met. p. 56).
Liimitative (99nnendliclie*^) UrteUe sind Urteile, welche ein nega-
tives Prädicat enthalten, aber der Form nach bejahend sind: S ist noo-P,
d. h. es ist alles mögliche (Unendliches), nur nicht positives P (dieses wird
ausgeschlossen aus der Sphäre des Gültigen). Als eine besondere Klasse von
Urteilen hat die limitativen Urteile Kant aufgestellt. „Ebenso müssen in
transcendentalen Logik unendliche Urteile von bejahenden noch
schieden werden, wenn sie gleich in der allgemeinen Logik jenen mit Recht bei-
gexählt sind und kein besonderes Olied der Einteilung (msmachen. Diese nämUtk
abstrahiert von allem Inhalt des Prädicats (ob es gleich verneinend ist) und sieht
nur darauf, ob dasselbe dem Subject beigelegt oder ihm entgegengesetzt werde.
Jene aber betrachtet das Urteil aiieh nach dem Werte oder Inhalt dieser Itfgisehem
Blähung vermittelst eines bloß verneinenden Prädicats, und was diese in Än^
Iiimitative (Mimendllohe*«) Urteile ~ Localiaatioii. 603
Hhung des gesamten Erkenntnisses für einen Gewinn tferschafft." Durch das
Urteil: „Die Seele ist unsterblich^^ „toird nur die unendliche Sphäre alles Möglichen
insoweit beschränkt, daß das Sterbliche davon abgetrennt und in den übrigen
Raum ihres ümfanges die Sede gesetzt wird . . . Diese unendlichen Urteile
also in Ansehung des logischen Ümfanges sind wirklich bloß beschränkend^^
(Erit. d. r. Vem. S. 90 f.)* j^Das unendliche Urteil zeigt nicht bloß an, daß ein
Sutjeet unter der Sphäre eines Prädieats nicht enthalten sei, sondern daß es
außer der Sphäre desselben in der unendlichen Sphäre irgendwo liege; folglich
stau dieses Urteil die Sphäre des Prädieats als beschränkt vor"' (Log. 8. 161).
,Jk verneinenden Urteilen affidert die Negation immer die Copula; in unend~
liehen wird nicht die Copula, sondern das Prädicai durch die Negation affidert''
(L c. 6. 162). Das „unendliche Urteil* acceptiert u. a. Fries (Syst d. Log.
8. 133). Trendelenbubg nennt es eine „künstliche FoTm^\ ,Jediglieh aus
einem Experiment der Logiker entstandene^ (Gesch. d. KategorienL S. 290; Log.
Unters. II*, 256 f.). Ähnlich denken W. Rosenkrantz (Wissensch. d. Wiss. II,
154), WuNDT u. a.
IJnie, starre: ein Begriff, 'durch den Heebart die Anordnung der
einfachen, unraumlichen „Realen^^ (s. d.) erklären wilL „Setxe man der Ein-
fachheit wegen nur zwei Wesen, so hat man auch nur zwei Orte. Diese sind
völlig außer einander, aber ohne alle Distanz. Sie sind aneinander, — Behalte
man das Aneinander, setze aber, da der Ort den Wesen zufällig ist, eins in
den Ort des andern, so entsteht dem zweiten Wesen ein dritter Punkt (ein-
facher Ort des einfachen Wesens). Der zweite Punkt liegt nun gerade zwischen
dem ersten und dritten, weil für die letzten noch kein anderer Übergang vor-
handen ist als ganz und gar durch den zweiten. — Dasselbe aus demselben
Grunde fortgesetzt, ergibt eine unendliche, starre, gerade Linie^' (Hauptp. d.
Met S. 47 f.). ,tDas einfache und starre Aneinander (nicht In- noch Von-
einander) erwächst, fortgetragen, zu einer Linien* (1. c. S. 52). Der Übergang
der Punkte ineinander erzeugt die stetige Linie (Allg. Metaphys. I).
liOeallsatloii (von locus, Ort) ist die Verlegung von Empfindungen an
eine mehr oder weniger bestimmte 8teUe im Leibe oder dessen Umgebung, die
Beziehung einer Empfindung auf einen Ort als Ausgangspunkt derselben, als
Statte der Err^ung. Die Localisation beruht auf einer (eingeübten) Association
der Empfindung mit einer Baumvorstellung, mit Bewegungs- und Lageempfin-
düngen. Sie ist von der Protection (s. d.) zu unterscheiden. — Die Localisation
wird bald als unmittelbare Function der Empfindung, bald als Associations-
product betrachtet
Die Localisation erörtert Desgartes: „Quamvis . . . haec [titillatio ao
dolor] extra nos eise non putentur, non tarnen ut in sola mente sive in per-
eeptione nostra solent spectari, sed ut in manu, aut in pede, aut quavis
alia parte nostri corporis. Nee sane magis certum est, cum exempli causa,
dolorem sentimus tanquam in pede, illud quid esse extra nostram mentem,
in pede exisiens, quam cum videmus lumen tanquam in sole illud lumen
extra nos in sole existere; sed täraque isla praeiitdicia sunt primae nostri
aetatisi" (Princ. philos. I, 67). „Probatur autem evidenter, animam non
quatenus est in singtdis membris, sed tantum quatenus est in cerebro, ea
quae corpori accidunt,' in singulis membris nervorum ope senlire^^ (1. c.
IV, 196). -^ Nach J. G. Fichte versetzt die Seele alles in ein bestinmites
604 Iiocalisatioii — Looalisatioii, physiologische.
Baumverhältnis £u dem ihr a priori imiewohnenden Ausdehnangsgebilde ihres
Leibes (PsychoL I, 3^). A. Bain* führt die Localisation auf Association jqbl
Gesichts- und Tastempfindungen zurück (Sens. and Int p. 3d4 ff.; Ment and
Mor. ßcienc. p. 101). Nach Volkmank ist Localisation der ,^oeeß der Um-
gestaltung der Empfindimg aus der bloßen Vorstellung xu einem Vorgang an
einer mehr oder weniger bestimmten Stelle des Ijeibes" (Lehrb. d. PsjchoL ll\
117). Sie ist ein zur Empfindung neu hinzukommender Prooeß (L c S. HS).
„Was der an sich ortlosen Empfindung ihre örüiehe Beziehung verleiüdy das id
ihre reproducierende TUtigkeit, die sie mit einer Vorstellung in VerbinduHg
bringt, welche bereits ihre Stellung in einem Raumsehema, und xwar m (te
Raumschema des Leibes , gefunden hat" (1. c. S. 119). Nach Lotze u. a. gibt
es „Localxeichen" (s. d.). Nach G. Hetmans kommt den Gehörs-, Gemcfas-
und Hautempfindungen eine ursprüngliche (nicht erst aus der Verbindung mit
Gesichtseindrücken abgeleitete) ' Localisation zu (Ges. u. £rk. d. wiss. Denk.
S. 218). Sebgi erklärt die Localisation als ^tendance de la pereeption ä revemr
vers la cause qui a exdte le fait psychique, pareeque ce fait est en rMUem
avee eile"» „La perceptivite se developpe par une refleocion de Vonde exeiia4rief^
et cette onde ne peut itre reflechie sur un autre point que sur le point mimt
d'excitation" (Psychol. p. 189). Nach Biehl ist „Localisation" der Ausdruck
dafür, daß ,Jede Empfindimg begrenzt und bestimmt ist durch etwas, wtu niekt
selbst empfunden wird" (Philos. Kritic. II 1, 42). G. Villa erklärt: ,yDie Locali-
sation ist nie mit einer einzigen Vorstellung gegeben, sondern das Ergebnis einer
Bexiehung xunschen der 'fast- und der Oesiohtsvorstellung ; denn auch die erdt
erweckt immer eine wenn auch sehr dunkle Vorstellung von dem Thile des be-
riUtrten Körpers" (Einleit. in d. Psychol. S. 276). So auch schon Wuitdt (Gr.
d. Psychol.^, S. 126). Die Localisation des Tastsinnes ist beim sehoiden Mes-
schen keine unmittelbare (ib.). Die Erweckung einer Gresichtsvorstellung duidi
den Tasteindruck wird durch Localzeichen (s. d.) ermöglicht (ib.). Nach Jgdl
ist Localisation der Proceß, „durch welchen ein Empfindungsphänomen an eine
bestimmie, ento- oder epiperipherische Stelle des Leibes perlegt wird" (Lehrb. d.
Psychol. S. 551). Externalisation ist , Jener Vorgang, durch weichen ein
Empfindungspfiänomen an irgend einen Punkt des den Leib umgebenden
verlegt wird" (1. c. S. 553). Nach Faüth ist die Localisation y,die
Tätigkeit der Äppereeption, welche den Teilen ihre Stelle im Oanxen
(Das Gedächtnis S. 44). Külpe betont: „Loccdisieren im eigenüiehen Sinns
lassen sieh nur diefenigen Empfindungen, denen wir eine ursprunglich räumUeks
Eigenschaft beilegen, also die Tost- und Qesiehtsempfindungen" Bei den Ge-
ruchs- und Gehörseindrücken ist die Localisation eine Association (Gr. d. PsychoL
S. 388 ff.). Vgl. £. Hering, Der Baumsinn u. d. Beweg, d. Auges, in
Hermanns Handb. d. Phys. III, 1, S. 343 ff.; H. Münsterberg, Beitr. zur
exper. Psychol. H. 2, 1889. — Vgl. Baum.
liOcallsatloii 9 physiologische (Gehimlocalisation) heißt die Ver-
teilung von Gehimfunctionen (nebst deren psychischer Innenseite) an verschiedeiie
Gehimpartien oder, besser, an bestimmte Coordinationen von Gehimstelkn.
Über die Berechtigung der Annahme einer GehimlocaUsation bezw. des Um-
fanges und der Art derselben besteht noch Streit
Gall begründet durch seine Phrenologie (s. d.) die Lehre von der Gehim-
localisation, er spricht schon von einem Sprachcentrum (s. d.), wie apator
Localisatlony physiologische — Iiooalseicheii. 605
Bboca (1861). Flourenb dagegen meint, alle Himpartien seien gleichwertig,
das ganze Gehirn sei an jeder Seelenfunction beteiligt. Fbitsgh und Hitzig
zeigen (1870), daß die Reizung bestimmter Punkte an der Oberflache des
Giofihims bestimmte Bewegungen nach sich ziehe. Nach H. Munk ist jedes
Sinnesorgan in einem Teile der Hirnrinde vertreten (Seh- und Hörsphare etc.) ;
die Intelligenz aber hat „überall in der öroßhimrinde ihren Sitx^' (Üb. d.
Fanctianen der Großhirnrinde 1881, S. 73). Dagegen Gk>LTZ (Pflügers Arch.
f. Physiol. XX, XXVI, XLII), auch Wundt: „Berechtigt ist man nur xu
sehliefienf daß die LoealieaJtion keine absolut unveränderliche sei, sondern
daß «m Laufe der Zeü andere Teile des Gehirns die Fähigkeit gewinnen können^
für die Leistungen der hinweggefallenen eimuUreten*^ („Oesetx der SteUoertretun^^),
Dies beweist, „daß nicht 9Msammengesetxte Fähigkeiten, wie das fSprachver-
mcgen^, als solche loealisiert sein werden, sondern daß derartige Tätigkeiten
immer aus einem verwickelten Zusammenwirken einfeusher Vorgänge entspringen,
die ntm erst an bestimmte centrale Elemente gebunden werden** (Essays 4, S. 109 ;
Philos. Stud. VI; Grdz. d. physiol. Psychol. I, C. 5; Vorles.», 30. VorL; Gr. d.
PsychoL*, S. 244 ff.). Höffdikg glaubt nur an die Localisation von ele-
mentaren Processen (Psychol.*, S. 55). Einen vermittehiden Standpunkt nimmt
auch HelIjPACH ein (Grenzwissensch. d. Psychol. S. 70 ff.). FLECHSia hin-
g^en nimmt viele Gehimprovinzen und drei Associationscentren (s. d.) an
(Gehirn u. Seele^ 1896). Vgl. Leiden und Jastrowitz, Beitrage zur Lehre
van d. Localisat im Gehirn 1888; B. HoLLi^XDER, Die Localisation d. psych.
Tätigkeiten im Gehirn 1900; J. Souey, Les fonctions du cerveau 1890.
IjoealBeielieii heißen (seit Lotze) die mit den Empfindungen des Tast-
und Gesichtssinnes verknüpften, von der Stelle der Err^ung abhangigen raum-
setzenden Bestimmtheiten.
In Weiterführung der Lehre E. H. Webess von den Empfindungskreisen
(s. d.) versteht Lotze unter Localzeichen „charakteristische Nebenbestimmungen
neben dem InhaUe der Empfindung, dem Punkte ausschließlieh etttspreehend, in
welchem der Reix die empfängliehe FUü^ des Organismus trifft, und welche
eine andere sein würde, wenn der gleiche Eeix eine andere Stelle des Organis7nus
berührt häit&' (Mikrok. I, 332 ff.; Medic. Psychol. S. 296, 310, 324). ,/afer
Farbeneindruck r, x. B, Rot, bringt auf allen Stellen der Netxhaut, die er trifft,
dieselbe Empfindung der Röte hervor. Nebenbei aber bringt er an jeder dieser ver-
schiedenen Stellen a, b, e einen gewissen Nebeneindruck a, ß, y hervor, welcher
unabhängig ist von der Natur der gesehenen Farbe und bloß abhängig von der
Natur der gereixten Stelle.*' ,fiies ist die Theorie von den Loealxeiehen.
Ihr Grundgedanke besteht darin, daß alle räumlichen Verschiedenheiten und Be-
xiekungen xwisehen den Eindrücken auf der Netxhaut ersetzt u^erden müssen
durch entsprechende unräumliche und bloß intensive Verhältnisse xunschen den
in der Seele raumlos xusammenseienden BHndriicken, und daß hieraus rückwärts
nicht eine neue wirkliche Äuseinanderbreitung , sondern nur die Vorstellung
einer solchen in uns entstehen muß" (Gr. d. Psychol. § 32 f.). Die Localzeichen
der Netzhaut knüpfen sich an Beflexbewegungen (ib.). Helmholtz bestimmt
die Localzeichen als „Momente in der Empfindung, durch welche wir die Rei-
xung einer Stelle von der aller übrigen unterscheiden, unabhängig von der Quan-
tität und Qualität der Empfindung, über deren nähere Beschaffenheit wir jedoch
nichts wissen" (Physiol. Opt. S. 539, 797 ; Vortr. u. Red. I*, 332, 394). Th. Zieg-
USB. betrachtet die Localzeichen als ,^efühlsmäßige Nuancierungen" (Das Gef.*,
606 IiOcalaeiohexL — Logik.
S. 148). Eine Ergänzung der Lotzeschen Theorie findet sich ba
R Geijer (PMos. Monatsh. 1885), auch bei Höffding (Psycho!.«, 8. 275 f,
vgl. Baum). Die Locakeichentheorie erneuert Wundt. Jedem Funkte des
Tastorgans kommt ,,eine eigeniümlieke qualüative Färbung der Tasiempfmdtmg
%u . , ., die unabhängig von der Qualität des äußeren Eindrucke ist und itakr-
sckeinlieh von den von Punkt xu Punkt teeekselnden und an iuoei entfenüm
Stellen niemals völlig übereinstimmenden StmetureigentünUiehheüen der HatA
herrührt'^ (Gr. d. Psychol.^ S. 127). Es gibt qualitative und intensive Loeil-
zeichen,' deren Verschmdzung miteinander und den G^ichtsempfindungea die
Baumvorsteilung (s. d.) ergibt (Grdz. d. phys. Fsychol. U*, 32, 222 fL; Gr. d.
Psychol. S. 154 ff., 161 ff.). G«gen die Locakeichentheorie erklärt sich o. a.
VOLKMANK (Lehrb. d. PsychoL 11^, 46). Lipps ersetzt die Lotzeschen Local-
zeichen (Bewegungsempfindungen) durch andere. Gegen die Lotzesche Fonn
derselben ist Külpe (Gr. d. PsychoL S. 384 ff.). Den einzehien Netxfaant-
dementen kommen Localzeichen zu, y^gewisse Eigentümliehkeiten, vermöge deren
sie bestimmte räumliehe Angaben an sieh heften^\ Sie sind „nießU iüs beteufis
Merkmale der einzelnen Gesiehtseindrücke aufxufassen", sondern es ist ihnen eine
physiologische Bedeutung zuzuschreiben (1. c. S. 386). Vgl. Baumvorstelliii^.
liOel {roTioi, örter): logische örter, Gemeinörter (,Joei eommunee"), all-
gemeine Begriffe, als Fixation und Ck>ncentration specieller Begriffe; aus
jenen sollen sich diese durch Analyse u. s. w. finden lassen. Die Lehre von
den „Öriem** begründet Aristoteles (Topik u. Rhetor. I 2, 1358a 10 squ-l
Theophrast definiert: ^an ya^ 6 roTtog . . . d^xv ''"'ff •? CTotx^lov «y «r
Xafißdvofiev rag ne^l ^caarov d^x^e iniffrijaavTsg ti^v Stdvoiav t^ Tte^ty^oft^
ftiv (hQia/uvm (bei Prantl, G. d. L. I, 394). Nach Cicero sind die „foci"
„sedeSj e quibus argumenta promuntur^ i. e rationeSy quae rei dtdnete fadami
fidem" (Top. 2). — Die „foct topici*^ spielen in der Bhetorik eine Bolle (bis ii»
18. Jahrb.). „Loci topici seu dialeetiei sunt sedes argumentorum^ unde depro-
muntury quae ad aliquid probandum condueunt, unde etiam voeantur loci
eommunes*^ (Micraelius, Lex. philos. p. 601). Die Logik von Port- Royal
definiert: ,yLoci argumentorum quaedam generalia sunt, ad quae reduei possumt
illae eommunes probationeSf quibus res varias traetantes utimur^* (HI» 1<^)* Ee
gibt „loci grammatiei, logiei, metaphysici^* (1. c. III, 18). Vgl. Topik.
liOeomotlTa faenltas: Bewegimgs vermögen, von Aristoteles und
den Scholastikern der Seele zugeschrieben.
liOi^ea communis, generalis, universalis, docens, utens, vetus, nova, for-
malis u. s. w. s. Logik.
liOi^eltftt: der logische Charakter, die Vemünftigkeit.
liOg^lk {Xoyixrjj logica): Lehre vom loyog, vom Denken, die Wissenschaft
von den logischen (s. d.) Gesetzen und Principien des Denkens, von den Denk*
gesetzen und Denkfunctionen, die bei der Erforschung der Wahrheit wirksam
sind, angewendet werden müssen. Die Logik analysiert, auf Grundlage der
Psychologie (deren sie sich ab Hülfsmittel bedient, ohne mit ihr zuRammen-
zufallen), den Denkproceß, untersucht die Denkformen, Denkfunctionen (Urteil.
Schluß, Begriff) — formale Logik — , prüft die Gültigkeit der allgemeineil Er>
kenntnisprincipien — Erkenntnistheorie (s.d.) — und untersucht kritiach die
Methoden der Wissenschaften — Methodenlehre (Methodologie). Die Logik
Logik. 607
ist, indem sie das Denken audf seine Taugliclikeit zur Wahrheit hin prüft und
indem sie Begebi, Nonnen (s. d.) für das richtige (s. d.) Denken aufstellt, eine
normative Wissenschaft, sie ist Kritik des Denkens und Erkennens, nicht
bloß beschreibend-genetische Psychologie, wie der extreme Psychologismus (s. d.)
glaubt Die ,formale^ Logik hat ihren Namen davon, daß sie die Form des
Denkens, die Denkfunction, zum eigentlichen Object der Beflexion macht, ohne
deshalb von allem Denkinhalt abstrahieren zu können, wie die (extrem) „for-
malistische^^ Logik es vermeint. Die Grundvoraussetzung der Logik ist der
Wille^zur Wahrheit (s. d.), die Forderung des denkenden Ich nach Einheit
and Übereinstimmung mit sich selbst in allen Tätigkeiten, das Postulat der
Zweckmäßigkeit der Denkacte, also ein teleologisches (s. d.) Princip. Die
Logik kann als eine ,yEkkik^* des Denkens bezeichnet werden. — Die „Logil^*
im weiteren Sinne umfaßt formale Logik und Erkenntnistheorie, im engeren
Sinne wird sie von letzterer unterschieden.
Der Name jyLogik*^ als Xunstlehre des Denkens geht auf die Stoiker
zorück. Das Xoyixov zerfallt in Bhetorik und Dialektik (s. d.) (Diog. L. VII,
41). CiCBRO bemerkt: ,jJam in aUera pkiiosopkiae parte quae est quaerendi ac
disserendiy quae Xoytxij dieitur*' (De fin. I, 7, 22; vgl. Prantl, G. d. Log. I,
514, 535).
Eine gewisse Ausbildung erfährt die Logik schon in der indischen Nyaya-
Lehre. Schluß und Beweisführung werden bewußt gebraucht von denEleaten,.
Sophisten, Megarikern. Sokrates legt Wert auf Definition (s. d.) und
Induction (s. d.). Plato begründet eine „DialekÜk^^ (s. d.). Begründer der
Logik, die zwar formal, aber nicht formalistisch ist (weil sie die Denk- ab
Seinsformen auffaßt), ist Aristoteles. Es finden sich bei ihm analytische
mid dialektische Untersuchungen, später im y,Organon** (s. d.) vereinigt (vgL
Analytik). Die Aristotelische Logik ist eine Begriffe-Logik und eng mit dem
Sprachlichen, der Grammatik, verknüpft (vgl. Trendelenburo, Elementa logices
Aristotelicae 1836, ed. IX, 1892). Die Peripatetiker EuDEBfus und Theophrast
bilden diese Logik teilweise weiter aus, formulieren die hypothetischen und
disjunctiven Schlüsse, so auch die Stoiker, deren Logik grammatisch-forma-
hstiseh ist; sie bauen auch die Erkenntnistheorie (s. d.) aus. Die Epikureer
ersetzen die Logik durch die Kanon ik (s. d.), beschäftigen sich mit der Lehre
von der Induction (s. d.) und Analogie (s. d.). Von den Skeptikern stellt
besonders Karneadbs eine Theorie der Wahrscheinlichkeit (s. d.) auf. Den
Universalienstreit (s. d.) inauguriert Porphyr durch seine Lehre von den
t^qudnque voees*^ (Isagoge in Aristotel. organ.). Von Bedeutung für die Logik
ist auch APUiiEiUB (De interpretat. = 3. Buch der Abb. d. Deo Piatonis).
BofiTHlus übersetzt und erläutert Teile des Organon und die „Isagoge** des
Porphyr, schreibt auch über Schlüsse und über Topik (s. d.). „Est . . . finis
hgieae inventio itidiciumque rationum** (Prantl, G, d. Log. I, 681). Nach
Augustinus ist die Logik die Wissenschaft, „in qua quaeritur, quonam modo
teritas pereipi possif* (De civ. Dei VIII, 10). Die Logik der Scholastik
wird immer mehr formaler Art, Begriffs- und Subsumtions-Logik (s. d.), der
Universalienstreit (s. d.) hingegen ist erkenntnistheoretisch -material. y,Logica
tetus** ist die durch Boethius überlieferte, yjtogica modemorum** fyyfiova**) die um
die Analytik und Topik bereicherte (also das ganze Organon enthaltende) Logik (seit
JOH. VON Salisbüry, Metalog. 1160). Die Araber geben den Anstoß zur
Unterscheidung einer theoretischen, reinen Logik („logica doeens**) und einer
606 liogik.
praktischen, angewandten IiOgik („logiea täens"). Ein vielbenutztes Coinpaidiux&
der Logik ist im Mittelalter die ^vvoyfts eU r^v ^AQtaxorihn>s Xayix^v inurrrifo^
von Michael Psellus (11. Jahrb.), übersetzt von Petbüb Hispanub, desees
yjSummtUae logiccUes^' lange in Gebrauch stehen. — Nach Abaeljlrd ist die
Logik „diligens ratio düferendi i. e, diaeretio argumentorum^ per quae disserü»
4, e, diaputatur*^. — „Hoc atäem logicae diseipltnae proprium rdinquitwr^ tä
seüicet voeum imposiiiones pensando, quantum unaquaque proponaiur oraÜom
siffe dictione, diaeuticU; pkyaicae verum proprium est, inquirere, tUrum m
natura eofuentiat enuniiatum^^ (DiaL p. 351). JoH. von Balibbubt bemerkt:
„Loguia est ratio disserendi, per quam totius prudentiae agitatio solidatur**^ (ba
Pbantl, G. d. L. II, 237). Nach Albebtüs Magnttb ist die Logik ^^sapieiUia
eontempkUiva docens, qualiter et per quae deoenitur per nohtm ad ignoti noH-
iiam", Sie ist „ratio disserendi . . . quae in duas distribuiiur partes: sden-
tiam inveniendi . . , et sdentiam itidieandi** (vgl. Pbantl, G. d. Log. III, 92;
Überweg-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. IP, 267). Gegenstand der Logik
ist die „argumentatio**, die Logik ist ein „insirumentwn philosophiae^'. Naeh
Thomas ist die Logik „ars quaedam neeessaria . . .. quae sit direetiva ipeiua
actus raUoniSy per quam seüicet homo in ipso aetu raiionis ordivaie, faeüiter
et sine errore procedat" (1 anaL 1 a). Die Lc^ik ,,est de intentionüms raiioms,
quae ad omnes res se habeivt'^ (1 anaL 20 d). Sie handelt von den ^^entia
rationis", lehrt den „modum procedendi in omnibus seientiis^j betrachtet (wie
die Mathematik) „tantum res seeundum prindpia formalia", Sie hat zwei
Teile: „inventivam" et „iudieativam" (Log. IV, 1), zerfällt in „logiea docens^ nod
„logica utens'' (Trin. 2, 2, Ic; vgL in IV met. 4). Bogeb Baoon erUiit:
f,Finis logicae est eompositio argumeniorum, quae moveni intellectum praetieum
ad finem et amorem virtutis et feliritatis fuiurae" (Op. maj. p. 59). R. Lüllus,
der eine j/xts magna" (s. d.) begründet, bestimmt: „Logica est (ors et seieniia.
qua verum et falsum ratioeinando cognoscuntur et unum ab altera diseemäur
verum eligendo et falsum dimittendo" (bei Pbantl, G. d. L. III, 150). Nach
DuNS ScoTDS ist die Logik ein ^^modus sdendi". y^Subiectum logicae est
ceptus form4itus ab actu raiionis" (vgl. Pbantl, G. d. L. III, 150).
WiLHELM VON OccAM hat CS die Logik zu tun „intentionibus, quae vere
nostra sunt*', y^Logiea, rhetoriea et grammatiea sunt vere notitiae practieae et
non speculativaey quia vere dirigunt intelleetwn in operationibus suis, quae
mediante voluntate in sua potentia" (vgl. Pbantl, G. d. L. III, 331).
Der Peripatetiker Zababella bestinmit: „Logica est habüus
seu disciplina insfrunientalis a philosophis ex philosophiae habitu genita^
secundas notiones in eonteptionibus rerum fingit et fabriciU, ut sint instrumeKie.
quibus in omni re verum cognoseatur et a falso diseemcttur** (De nat. log. I, lOt
Aristoteliker ist auch Melanchthon (Dialekt.), ferner L. Valla, L«. Vms
u. a. Gegner der überkommenen (als annatürlich betonten) Logik ist teilweise
Petbus Kamus (Dialect. partit 1543; Institut dialect 1543). Er teilt die
Logik (die „ars bene disserendi") ein in: 1) die Lehre von der Erfindung
(yyinventio argumentorum"), d. h. von den Begriffen, und 2) die Lehre von der
y^ispositio" und dem „iadicium" (Urteil, Schluß, Methode). Zwischen seiDcn
Anhängern, den Ramisten (s. d.), und den Aristotelikem vermitteln die 8emi-
Itamisten, so Goclen, nach welchem eine Art des Sorites (s. d.) benannt irt.
Den extremen Formalismus bekämpfen Nicolaub Cubanxjs, Telbsius, Campa-
2?ELLA (Philos. rational.), Vanini, G. Bbui^o (De progressu et lampade
lK>glk. 609
toria Logicorum 1587). Nach Micraelius ist die Logik tjora, qua intdleetum
nogtrum m suis tribuß operatianibus informamus, ut verum a falso sciat reete
diseemen^^ (Lex. philos. p. 602).
F. Bagon flteUt der syllogistischeii seine Logik der Induction, seine Me-
ihodenlehre entg^en. ,yLogieq, quae nunc habetur, tnuHlis est ad invenitanem
seientiarum** (Nov. Organ. I, 11). „Logiea, quae in usu est, od errores . . .
Mtabüiendos et figendos vaiet, potius quam ad inquisiiionem veritatis; ut magis
damnasa sit, quam utilis** (1. c. I, 12). „In notionibus nil sani est, nee in
logieis^' (L c. 1, 15). Die Logik ist „doetrina de inteUeetu et raUone^* (De augm.
scient). Dbsgabtes wendet sich gegen die Dialektik (s. d.), „quae modum
doeet ea, quae iam seimus, aliis expanendi, vd etiam de iis, quae nescimus,
muUum sine iudicio loquendit quo pacta banam meniem magis eorrumpit quam
^ntffet^' (Princ. philos., praef.). Er gibt methodische (s. d.) Begehi der Forschung
und stellt ein festes Princip des Erkennens audf (s. Cogito). Von den Car-
tesianern sind als Logiker zu nennen A. Geulincx (Logica 1662), Claü-
BERO: „Logiea est ars ratiane utendi'* (Logica, Opp. p. 913), Arnauld und
Nicole, die Verfasser der „Logik von Pört-Royal*^ (La logique ou Tart de
penser 1644): „Logiea est ars bene utendi raiione in rerum eognüione acqui-
renda, tarn ad sui ipsius, quam aliorum instiHäionem" (L c. p. 1). Nach
OA88ENDI ist die Logik die Lehre vom richtigen Denken. Sie ist „abiuncta a
rebua^* (reine Logik) und „eoniuneta cum rebus" (angewandte Logik) (Opp.
IV, 1658).
Nach Locke beschäftigt sich die Logik oder Semiotik (s. d.) mit der
Untersuchung der Zeichen (s. d.) für das Verständnis der Dinge und für die
Mitteilung des Wissens an andere (Ess. IV, eh. 21, § 4). Er begründet eine
neue Erkenntnislehre (s. d.). So auch Leibniz, der die Schullogik nicht unter-
schätzen will (Theodic. I A, § 27). Die Logik, „seientia generalis^*, ist die
Wissenschaft, „quae modum doeet, omnes alias seientias ex datis sufficientibus
4npeniendi et demonstrandi^' (Erdm. p. 86 a). Alle logischen Hegeln sollen „per
^numeros'* demonstriert werden (L c. p. 164 b; vgL p. 85 a, 86 a). Che. Wolf
bestimmt die Logik als den Teil der Philosophie, „quae usum facuUatis co-
gnosdüvae in cognoseenda veritate ae vitando errore trcutit** (Thilos, rational.
§ 61). „Definitur logiea naturalis docens per notitiam eonfusam dirigendi
faeultaiem eogtwscitivam in veritate cognoseenda,^^ „Logiea naturalis utens est
Habitus sive ars dirigendi facuüatefn eognoseitiva/m in eognüione veritatis solo
ttsu aequisitus" (1. c. § 8, 9). Die Logik hilft uns dazu, ,/iafl unr die Kräfte
des menschlichen Verstandes und ihren rechten Gebrauch *tn Erkenntnis der
Wahrheit erkennen lernen" (Vem. Ged. von d. Kr. d. m. V. S. 6). Es gibt
«ine yjkhrende^^ und eine ^/msübende^"^ Logik (1. c. S. 227). Nach Fedeb soll
die Logik „reckt denken lehren" (Log. u. Met. S. 17). Die Logik muß ein
^,Organon für die übrige Philosophie sein" (1. c. S. 18). Ähnlich Baumgarten,
Daries, G. F. Meier, J. Ebert, H. S. Beimarus, Ulrich (Lastit. logic.
1785), Reüsch: „Logica est scientia perfectionum facuUatis cognosciüvae
mediis convenieniibus obtinendarum" (Log. 1760, § 99), Haksch (Ars inveniendi
1727 ; 'O^ttvov 1743). Versuche zur Beform der Logik machen Tbchirnhausen
(Medic. ment), Crusiub (Weg zur Gewißheit 1747), Plouoqubt, Lambert
<N. Organ.), Condillac (Logique 1792), de Crousaz (Logique 1725), Feder
<Log. u. Met. 8. 17 ff.). d'Argenb erklart: „La logique consiste dans les re-
flexions que nous faisons sur les principales Operations de notre esprit^* (Philos.
Philoiopliltoli«! WOrtarbuoh. %, Aufl. 39
610 IiogUc.
du Bon-sens I, p. 197). Nach Hume ist die Aufgabe der Logik „die Darietfwt^
der Princtpien und Operationen unseres Denkvermögens und der Beschaffenkeit
unserer Vorstellungen" (Treat., Einl. S. 3). Platner erklärt: „Die höhere Logik
ist eine Untersuchung des menschliehen Erkenntnisvermögens^ angestellt in der
Absieht, genauer xu bestimmen, ob der Mensch Jahig sei, die Wahrheit zu er-
kennen und wu beweisen, d. i. ob das menschliche Erkenninisrermägen gdte»
könne als Maßstab der Wahrheit" (Philos. Aphor. I, § 10). Die Logik ist j,eim
pragmatische, mit Bemerkungen, Orundsätxen und Regeln von Wahrheit tmd
Irrtum begleitete Oesehiehte des menscJdichen Erkenntnisvermögens" (L c. § 13).
„Wiefern die Logik hinzielt auf Berichtigung und Beweis der großen Wahr-
heiten der hohem Philosophie, sofern ist sie höhere Logik. Wiefern sie Ab-
sichten hat für Berichtigung und Beweis solcher Begriffe und Urteile, tcelche er-
scheinen in den niedem Kenntnissen und Wissenschaften des gegentcärtigm
Lebens, sofern ist sie niedere Logik" {1. c. § 14). „Wiefern die Logik all-
gemein untersucht die Beschaffenheit, Wirkungsart und den Orund der menseh-
liehen Erkenntniskräfte, sofern ist sie theoretisch. Wiefern sie mitteilt Be-
merkungen von dem Ursprung und Regeln von der Verhütung des Irrtums, sowit
auch von Erfindung und Behandlung der Wahrheit, sofern ist sie praktiseh^
(l. c. § 15). Später versteht er unter Logik eine „kritische Unterstichung de»
Erkenntnisvermögens" (Log. u. Met S. 3).
Kants formale Logik ist (im Gegensatze zur „transcendentaien Logiir\
formalistisch und antipsychologisch (WW. VIII. 14). Die Logik ist die
„Wissenschaft von den notwendigen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft
überhaupt oder — welches einerlei ist — von der bloßen Form des Denkens über-
haupt" (Log. S. 4). Sie abstrahiert von allen Objecten (ib.), ist kein OrgancHi
(s. d.), sondern ein Kanon (s. d.) des Verstandes und enthält „lauter Oesetxe
a priori", ohne auf psychologischen Principien zu fußen (1. c. S. 6). Sie fragt
wie wir denken sollen (ib.). Die Logik ist eine „Selbsterkenntnis des Verstandet
und der Vernunft . . . lediglich der For?n nach" (1. c. S. 7). Sie ist die
„ Wissenschaft der Verstandesregeln überhaupt", während die Ästhetik (s. d.)
die ,1 Wissenschaft der Regeln der Sinnlichkeit" ist (Krit. d. r. Vem. S. 77).
„Als allgemeine Logik abstrahiert sie von allem Inlialt der VerstandeserkemUnis
und der Verschiedenheit ihrer Gegenstände, und hat mit nichts als der bloßen
Form des Denkens xu tun" „Als reine Logik hat sie keine empirischen IVin-
cipien . . . aus der Psychologie" (1. c. S. 78 f.). Die angewandte Logik ist
„eine Vorstellung des Verstandes und der Regeln seines notwendigen Gebrauchs
in concreto" (1. c. S. 79). Die allgemeine Logik betrachtet „nur die logische
Form im Verhaltnisse der Erkenntnisse aufeinander*^ (ib.). Die transcendentale
(s. d.) Logik hingegen ist material, ist Erkenntnistheorie (s. d.). ,yLn der Er*
Wartung . . •., daß es vielleicht Begriffe geben könne, die sieh a priori auf Gegen-
stände beliehen mögen, nicht als reine oder sinnliche Anschauungen, sondern
bloß als Handlungen des reinen Denkens, die tnithin Begriffe, aber weder em-
pirischen noch ästhetischen Ursprungs sind, so machen wir uns zum vorttus die
Idee von einer Wissenscfuift des reinen Verstandes und Vemunfterkenntnisses,
dadurch icir Gegenstände völlig a priori denken. Eine solche Wissensehafl.
welche den Ursprung, den Umfang und die objective Gültigkeit solcher Erkennt-
nisse bestimmte, würde transcendentale Logik heißen müssen, weil sie es bloß
mit den Gesetxen des Verstandes und der Vernunft xu tun hat, aber ledigliehy
Iiogik. 611
Bofem sie auf Gegenstände a priori bexogen tüird" (1. c. S. 80 f.). Sie zerfällt
in die transcendentale Analytik (s. d.) und Dialektik (s. d.) (1. c. S. 80 f.).
Im Sinne der Eantschen formalen Logik lehren: Hoffbauer: Die reine
Logik ist die „Wissenschaft von den Formen des Denkens" (Anfangsgründe d.
Log. S. 137). Ejebewetteb: Die Logik ist ,jdie Wissenschaft von den all-
gemeinen und notwendigen Regeln des Denkens" (Gr. d. Log. § 1), Schmid (Gr.
d. Log. 1797), Maass (Gr. d. Log. 1793), Tiepteunk (Gr. d. Log. 1801),
Abicht (Verbess. Logik 1802), G. E. Schulze: Zweck der Logik ist die „An-
gabe der Gesetzmäßigkeit des Verfahrens bei allen Arten der Einheit, welche
ihireh den Verstand an Vorstellungen jeder Art hervorgebracht werden kann"
(Gr. d. allgem. Log. S. 9). Fries: Die Logik ist die „Wissenschaft von den
Regeln des Denkens^* (Gr. d. Log. S. 3). Die philosophische (demonstrative)
Logik ist die „Wissenschaft der analytischen Erkenntnis oder von den Gesetzen
der Denkbarkeit eines Dinges", die „anthropologiscßi&^ Logik „die Wissenschaft
von der Natur und dem Wesen unseres Verstandes" (1. c. S. 4; Syst. d. Log.
S. 3 ff.), Gbrlach (Gr. d. Log. 1817), Fischhaber (Lehrb. d. Log. 1818),
EIeug (Denklehre 1806, 2. A. 1819): „Die Wissenschaft van der ursprünglichen
Gesetzmäßigkeit unseres Geistes in Ansehung des bloßen Denkens . . . heißt eine
Denklehre" Sie ist „eine Wissenschaft vom gesetzmäßigen (analytischen)
Verstandes- oder Vemunftgebrauch" (Handb. d. Philos. I, § 112), L. H. Jacob
(Gr. d. allg. Log. 4. A. 1800), Koppen (Leitfad. für Log. u. Met. 1809),
Twesten: Die Logik ist die „Theorie von der Anwendung der beiden Grund-
sätze der Identität und des Widerspruchs" (Log. 1825, Anf.), £. Eehhiold:
„Die formale Logik, als die Lehre von den sub/ectiven Formen unseres Denkens,
schöpft ihren Inhalt . . . aus dem Vereine rationaler Betrachtung und em-
pirischer Beobachtungen" (Lehrb. d. philos. propädeut. Psychol. u. d. formal.
Log.», S. 30, vgL S. 313 ff.), Bachmann (Syst. d. Log. 1828), Calker (Denk-
lehre 1822). Nach ihm ist die Logik (Dialektik) „</tß Lehre von der Ent-
stehung, Gesetzgebung und Ausbildung des höheren (intellectuellen) Bewußtseins
im Mensehen" (Denklehre S. 3, 7, 9 f.) u. a.
Selbständiger sind S. Maimon, der die Logik auf Erkenntnislehre (Trans-
cendentalphilosophie), im Gegensatze zu Kant, stützen will (Vers. ein. neuen Log.
1794, Vorr. u. S. 407 ff.), C. L. Reinhold (Theor. d, menschl. VorsteUungs-
vermögens 1789; Vers. ein. Krit. d. Log. 1806), Bardiu, der das Denken (s, d.)
als Rechnen auffaßt (Gr. d. erst. Log. 1800). Debtutt de Tracy bestinmit:
„La sdence logique ne consiste que dans Vetude de nos operalions intellectuelles
et de leurs effets." ,fja theorie de la logique n'est donc autre chose que la
sdence de la formation de nos idees, de leur expression, de leur combinaison et
de leur deduetion; en un mot ne consiste que dans Vetude de nos moyens de
connaUr&' (EL d'idöol. III, eh. 1, p. 143).
Als Reaction gegen den logischen Formalismus tritt eine metaphysische,
ontologische (s. d.) Gehaltslogik auf, welche Denk- und Seinsformen identificiert«
das Sein aus dem Denken, aus logischen Processen ableiten will. Die Logik
wird zugleich Erkenntnistheorie und Metaphysik. So schon bei J. G. Fichte,
in dessen „Wissenschaftslehre" (s. d.). Die „gemeine Logik^^ ist keine wahre
Wissenschaft (Nachgelass. WW. I). Die allgemeine Logik muß aus der
Wissenschaftslehre deduciert werden, setzt das Erkennen voraus (Üb. d. Begr.
d. Wissenschaftsl. 1794, S. 45 ff.; Gr. d. g. Wissensch. S. 2 ff., 208, 282).
Ähnlich Schelling (Syst. d. tr. Ideal. S. 35 ff.; Vorles. üb. d. Meth. d. akad.
39*
612 Logik.
Stud. 8. 122 ff.). Ferner Mehmel (Vers. ein. analyt. Denklehre 1803), Eleik
(Verstandeslehre 1810, 8. 20), Thanneb (Lehrb. d. Log. 1807), Troxuer: Die
Logik ist eine yjsdbständige Wissenschaft, durch die der menschliche Oeisi und
die Denkkraft xttr Selbsterkenntnis ihrer ursprünglichen Vermögen und ihrer
naturgemäßen Wirksamkeit geführt wird" (Log. 1829, I, 13), Che. Kbaube,
welcher ,jhistarisehe" (empirische), kritische und transcendentale (philosophische)
Logik unterscheidet (Gr. d histor. Log. 1803, § 11 ff.). Logik ist „das arganisehe
Qanxe der Erkenntnis von dem Erkennen — Erkenntnistvissenschaft^^ (Log. S. 1),
LiNDEMAim (Die Denkkunde 1846), Tibebghien (Logique 1865). F. Baader
unterscheidet y^theosophisehe^* und „anthroposophische^* Logik, Wissenschaft des
unendlichen und des endlichen Denkens. Die Logik ist fjSprach- und Denk-
lehre", f/iie Formierungslehre oder die Lehre vom Logos ais Formator dur^
seinen Geist" (WW. I, 315). Ähnlich Fb. Hoffmann (Qt. d. aUg. rein. Log.
2. A., 1855), Schaden (8yst. d. posit Log. 1841). — Heqel betrachtet die
Logik als Grundwissenschaft, als System des reinen Gedankens, der Wahrheit
an sich, der £inheit von Subjectivem und Objectivem, Denken und Sein; das
Sein selbst ist „Begriff" (s. d.). Sie zerfällt in die objective (Logik des Seins)
und subjectiye (Logik des Begriffs). Sie ist, als Dialektik (s. d.), MetaphysiL
Sie enth< den „Gedanken, insofern er ebenso sehr die Sache an sich seihst itt^
(Log. I, 35 f.). Sie ist insofern die „Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen
Wesen, vor der Erschaffung der Natur und eines endliehen Geistes ist** (L c.
S. 36), die „Wissenschaft der absoluten Form", die „reine Idee der Wahrheit
sdbsf (L c. III, 27), die „Wissenschaft der reinen Idee, das ist die Idee im
abstracten Elemente des Denkens" (Encykl. § 19). Sie ist eins mit der Meta-
physik, „der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür gaUen,
die Wesenheiten der Dinge auszudrücken" (L c. § 24). Die Logik zerfillt
in die „Lehre vom Sein", „Lehre vom Wesen", „Lehre von dem Begriffe und
der Idee" (L c. § 83). Die gemeine „Verstandes-Logikf^ ist nur „eine Hisicrie
von mancherlei zusammengestellten Gedankenbestimmungen, die in ihrer Bnd'
lichkeit als etwas Unendliches gelten" (1. c. § 82). Hierher gehören audi
HiNBiCH (Grundlin. der Philoe. d. Log. 1826), Gableb, Ebdhann (Gr. d. Log.
u. Met. 1841), Weibsenbobn (Log. u. Met. 1850), K. Bobenkbanz (Wissenach.
d. log. Idee 1858), welcher die subjective Logik von der (objectiven) Ideologie
(s. d.) unterscheidet, K. Fisgheb (Syst. d. Log. u. Met 1852—65) u. a.
Die formalistische Logik erneuert Hebbabt. Sie dient der VerdeuÜichimg
der Begriffe (Hauptpunkte d. Log. 1808), ist eine normative Wissenschaft, hat
es nur „mit Verhältnissen des Gedachten, des Inhaltes unserer VorsteÜut^/et^
zu tun (PsychoL als Wissensch. II, § 119). Sie beschäftigt sich „nicht mit dem
Actus des Vorsteüens . . ., somlem bloß mit dem, was vorgestellt wird" (Haaptp.
d. Log. 8. 103). „In der Logik ist es notwendig, alles Psychohgisehe xu ^no-
rieren, weil hier lediglich diejenigen Formen der mögliehen Verknüpftmg des
Gedachten sollen nachgewiesen werden, welche das Gedachte selbst nach Meiner
Beschaffenheit zuläßt" (Lehrb. zur Einl. in d. Philos. § 35; vgL EncykL d.
Philos. 8. 1, 241 ff.). Nach Dbobisch ist Aufgabe der Logik die Fesistellang
der „Normalgesetze^^ unseres Denkens (N. DarstelL d. Log. S. XVII). Hierher
gehören femer Waitz, Stbümpell, Allihn (Antibarbarus logicus 1850\
B. Zihmebmann (Gr. d. Log. 1860), Lindneb (Lehrb. d. formal Log. 1861),
Dbbal, Volkmann: „Die Aufgabe der Logik besteht in der Darstellung jener
Gesetze, denen das Denken seine Richtigkeit in formaler Beziehung verdantiU
Logik. 613
(Lebih, d. PäychoL 1*, 52). — Nach Whatelt ist die Logik eine Wissenschaft
vom Schließen (Elem. of Log., Introd.), nach W. Hamilton „the seience of the
lam of ihought as thoughf* (Lect. on Met and Log. III, p. 4). — Dag^en hat
die Logik von J. St. Mill einen erkenntnistheoretischen Charakter. Sie ist ^/iie
Wüsensehaft von den Versta/ndesoperaUoneny welche mit Sekätximg der Evidenx
dimenf* (Syst. d. Log. I, 12). Sie muß die psychologischen Bedingungen des
Denkens berücksichtigen (Ezam.^, p. 461). Zum Teile ist sie (inductive) Me-
thodenlehre (s. d.). So auch die Logik von Jevoks (Princ. of Science*, 1877).
Er behandelt auch den logischen „Algoriikmus^^f die mathematisch formulierte
Logik (Pure Logic 1864). So auch Boole, Peirce, Mg Coll, Sghbödeb,
Delboeuf (Log. algorim.), Wündt (s. unten) u. a.
Zwischen formalistischer und (ontologischer, speculativer) G^ehalts-Logik
wird in verschiedener Weise yermittelt Anstatt der Identität (s. d.) von Denken
und Sein wird nur ein Farallelismus (s. d.) oder eine Gorrelation zwischen
beiden statuiert So bei Sghleiermacheb, nach welchem Logik und Meta-
physik zur Dialektik (s. d.) vereinigt werden müssen (DiaL § 16). Vermittelnd
lehren femer H. Bitter (Syst. d. Log. u. Met. 1856), Braiboss, Chaxybaeus,
Brneke (Syst. d. Log. I, 5, 26 ff.), nach welchem die Logik auf der Psy-
chologie fußt (Neue Psychol. S. 94; Pragmat. Psycho! II, 184 f ; Lehrb. d.
FfychoL*, § 125), Trekdelenburo (Log. Untersuch.), Hillebrand, nach
welchem die Logik „Theorie der Wüsensehaft^*, Wissenschaft des Begriffes
schlechthin ist (Philos. d. Geist. II, 7 ff.), Bolzano, der die Unabhängigkeit
der Logik von der Psychologie, die Notwendigkeit der Abstraction von den
subjectiven Denkfunctionen betont (Wissenschaftslehre), W. Bosenkraktz
(Wissensch. d. Wiss. I, 123 f., 129; II, 73 f.), Ulrict (Syst. d. Log.), Hxrms,
der die Logik als Wissenschaft vom (formalen) Wissen bestimmt (Log. S. 38).
Nach Y. CoüBiN ist die Logik „Vexamen de la wdeur et de la Ugüimüe de
nos dipers moyens de connäUre^^ (Du vrai p. 34). Nach Hagemann ist die
Logik ,/iie Wissenschaft von den Gesetzen des Denkens und der dadurch be-
dingten Richtigkeit der Qedahhenfon/^ien^^. Sie ist formal, aber nicht formalistisch
(Log. u. Noet.*, S. 12), bedarf nicht der Psychologie (1. c. S. 14), ist auch nicht
mit der Grammatik zu identificieren (l. c. S. 14). Scholasticierend sind die
logischen Lehrbücher von Rothenflue, Liberatore, Tongiorqi, Sanbe-
VERiNo, Stöckl, Combier, Baxmes, Gratry u. al
Nach Überweg ist die Logik ,^die Wissenschaft von den normaiiven Ge-
setxen der menschlichen Erkenntnis^^ (Lc^- § !)• Er betont die objective Gültig-
keit des richtigen Denkens und den Gedanken, ,^ß die wissenschaftliche Er-
kenntnis nicht mittelst apriorischer Formen von rein subfeciivem Ursprünge
gewonnen wird, noch, wie Hegel u» a. meinen^ durch apriorische und zugleich
otjeetiv gültige Formen, sondern durch die Oomhination der Erfahrungstatsachen
nach logischen, durch die objective Ordnung der Dinge selbst mitbedingten Normen^
deren Befolgung unserer Erkenntnis eine objeeiive Oültigkeä sichert*' (1. c. VI).
Die Logik ist als „Theorie^* „der Inbegriff der Normen und als Kunst die rich-
tige Anwendung der Normen, denen die subjedive Erkenntnistätigkeit sich unter-
werfen muß, um ihr Ziel xu erreichen, tcdches in der Erhebung des Seins xum
Bewußtsein, in der Übereinstimmung unserer subjectiven Gedanken mit der ob-
jeetiven Realität liegt" (Welt- u. Lebensansch. S. 18). Lotze erklärt: „Die
Logik soll bloß lehren, in welchen Formen wir unsere Einxelvorstelltmgen ver-
binden, wie unr eine Vielheit solcher verbundenen Ganzen aufeinander beziehen
614 Iiogik.
und sowohl jene Form als diese Beziehung abändern müssen, damit unser Ge-
safntgedanke dem xu erkennenden Tatbestande und dessen Änderungen immer so
entspricht, daß unr durch die Verbindung unserer Gedanken imstande sind, aus
gegebenen Jhtsachen der Wahrnehmung andere nicht wahrgenommene oder xu-
künftige xu berechnen" (Gr, d. Log. S. J02). Die Logik ist unabhängig von der
Psychologie (Log. S. 53). Nach E. Dühbing ist die Logik ,/iie Lehre von den
Bestandteilen und den Verbindungsarten eines tüissensehaftlichen Zusammen-
hanges" (Log. S. 1). Nach Biehl ist sie die „Theorie der allgemeinen, wider-
spruehslosen Relationen xicischen Objecten überhaupt* (Philos. Erit. II 1, 226).
Nach J. Bergmann hat die Logik ziim Gegenstand „das Denken hinsiehüich
seiner Angemessenheit xu dem im Erkennen und Wissen bestehenden Zwecket
(Die Grandprobl. d. Log.", S. 2). Nach Volkelt ist die Logik ein Teil der
Erkenntnistheorie (Erfahr, u. Denk. S. 46 f.). Nach Sigwart ist sie dne
„Kunstlehre des Denkens'^ (Log- 1» l)j welche die „Kriterien des wahren Denkens^
feststellen soll (l. c. S. 10). B. Erdmann sieht als die Hauptaufgabe der Logik
die Untersuchung über das Wesen des Urteils an (Log. I, Vorw.). Sie ist ru
definieren als „die Wissenschaft von den formalen Vorausseixungen des wissen-
schaftlichen Denkens, d, i. als die Wissenschaft von den formalen Voraus-
setximgen gültiger Urteile über die Gegenstände der Sinnestcahmehmung und des
Selbstbewußtseins" (1. c. S. 15). Aber sie abstrahiert nur von den besonderen
Inhalten des Erkennens, nicht von allem Denkinhalt. Sie ist nicht ein Teil
der Psychologie, diese setzt die Gültigkeit des logischen Verfahrens voraus
(1. c. S. 18 f.). — Erkenntnisiheoretisch ist die Logik von Schuppe. Wichtig
ist, „die reinen Gedankenelemente von der sprachlichen Einkleidung genau xu
unterscheiden" (Log. S. 1). Das Denken muß in seiner Arbeit gleichsam be-
lauscht vrerden. „Vor allem müssen auf diesem Wege die verschiedenen Arten
von Einheit, d, i, die obersten Begriffe selbst, vor unseren Augen entstehen; das
ist Erkenntnis der Grundxüge des Wirklichen; von dieser Seite ist die Logik
materiale Logik^ xugleich Ontotogie" „Die Logik lehrt also nicht eine subjeetire
Verfdhrungsweise des bloßen Denkens (ohne Otjecte) — die ist gar nicht denk-
bar — , sondern gibt inhaltliche Erkenntnisse, natürlich allgemeinster Art, vom
Seienden überhaupt und seinen obersten Arten. Dies die Normen des Denkend
(1. c. S. 4). Die Logik ist „die Wissenschaft von dem ohjeetiv gültigen, «f. t.
dem aus dem Wesen des Beumßtseins überhaupt notwendigen Denken, €L «'. von
dem ins Bewußtsein aufgenommenen oder bewußt gewordenen ufirklichen Sein"*
(L c. S. 99). Nach Schubert-Soldern hat die formelle Logik nur den Wert
einer „Ijogik der Sprachformen" (Gr. ein. Erk. S. 169). — Nach Külpe ist die
Logik die „Wissenschaft von den formalen Principien der Erkenntni^^ (EinL
in d. Philos.*, S. 46). Sie ist eine „Kunstlehre des Denkens^* (L c. S. 47), isi
unabhängig von aller Psychologie (1. c. S. 48). Das betont auch Husserl (Log.
Unters. I, 59), der sprachliche Erörterungen in den Vordergrund rückt (L c.
II, 3 ff.). Die Erkenntnistheorie ist „descriptive Phänomenologie^^ der Dioik-
und Erkenntniserlebnisse zum Zwecke erkenntniskritischer Untersuchongen
(1. c. S. 4). Aufgabe der Phänomenologie ist, „die logischen Ideen, die Begriffe
Und Gesetxe, xu erkenninistheoretischer Klarheit und Deutlichkeit xu bringef^
(1. c. II, 7). Erkenntnistheoretisch, antipsychologisch ist die Logik von
H. Cohen. Sie ist „Logik des Urteils", ist formal und sachlich zugleich (Log.
S. 501). „Die Logik des Urteils erxeugt formal aus dem Urteil die Kategorien,
als die reinen Erkenntnisse. Diese aber sind die Sachen, welche den hthaii und
Logik. 615
OehaÜ vomehrdieh der maihematisehen Naturtcissensekaft ausmachen. Das
formaie Urteil erzeugt diese sachlichen Grundlagen, als die Voraussetzungen der
Wissenschaft^ (ib.). Aufgabe der Logik ist, die Wissenschaft ihres W^es be-
wußt zu machen (L c. S. 502), sie ist Lehre von der Methode, ist „Logik des
Ursprungs'^ (1. c. S. 33). Es ist eine y^Logik des Idealtsmus" (1. c. S. 507); die
Principien des Seins werden aus Denksetzungen abgeleitet. Die Logik ist die
jyLehre vom Denken, welche an sieh Lehre von der Erkenntnis ist" (1. c. S. 12).
jjDas reine Denken in sich selbst und ausschließlieh muß die reinen Erkennt-
nt89e zur Erzeugung bringen" (ib.). Das Denken der Logik ist das Denken
der Wissenschaft (L c. S. 17). Die Logik ist zugleich die Metaphysik (L c.
a 516). Ähnlich Natokp (Phüos. Monatsh. XXIII, 264 ff.).
Psychologistisch ist die Logik der englischen Associationspsychologen
(Bain, Log.), von Lipps: Die Logik ist eine „psychologische Diseiplin" (Gr. d. Log.
5. 1), von F. B&ENTANOs Schule, von G. Heymans (Phüos. Monatsh. XXV). Die
formale (analytische) Logik gehört teils zur Erkenntnistheorie, teils ziur Metho-
dologie (Ges. u. El. d. wiss. Denk. S. 38). Sie fragt, „une es Mtgehe, daß im
Beufußtsein aus gegebenen einfacheren neue zusammengesetzte Urteile entstehen;
sie versucht diesen Proeeß auf allgemeine und allgemeinste Gesetze zuriick-
suifUkren und unsere Überzeugung, daß die Ergebnisse derselben a/ueh für die
IVirklichkeit gelten müssen, zu erklären". Sie imtersucht ferner die ver-
schiedenen Formen, in welchen die Denkgesetze zur Anwendung gelangen
(1. c. S. 38). Aufgabe der Erkenntnistheorie ist ,jdie exacte, durch em-
pirische Untersuchung des gegebenen Denkens zu ermittelnde Feststellung utid
Erklärung der causalen Beziehungen, toelche das Auftreten von Überzeugungen
int Bewußtsein bedingen" (L c. S. 3). Sie ist „Psychologie des Denkens" (1. c.
6. 10). Die fintscheidung über den Erkenntniswert des Wissens kann nur auf
psychologischem Wege gesucht werden (1. c. S. 17). ,J)ie Erkenntnistheorie hat
zuerst zu fragen: Was tvissen wirf — Sodann: Über welche Daten müssen wir
demnach verfügen?" Hier gilt die „regressiv-analytische Methode" (1. c. S. 478).
Nach IJpHUES ist die Logik „die Wissenschaft von der Art und Weise, wie wir
zu richtigen Urteilen gelangen, oder von der Methode des Erkennens" (Psychol.
d. Erk. I, 9). Nach H. Schwakz ist die Logik „die Lehre von den Be-
dingungen, unter denen unr unsere Denkinhalte für wahr oder falsch halten, so-
wie von den Mitteln, zu wahren Denkinhalten %u gelangen" (Psychol. d. Will.
S. 11).
Zwischen antipsychologistischer und psychologistischer Logik vermittelt jene
Logik, welche bei aller Selbständigkeit des logischen Grebietes und der logischen
Methode doch die Psychologie als eine Basis bezw. als ein Hülfsmittel der
logischen Untersuchung berücksichtigt. So Wundt. Ihm ist die Psychologie
ein Hülfsmittel der logischen Forschimg, welche den Tatbestand der Logik auf-
zeigt Aber die Fragen nach den Gründen des Erkenntniswertes und nach der
^Entwicklung des logischen Denkens führen weit über das Grebiet der Psy-
chologie hinaus. Alles, was Ergebnis planmäßiger Reflexion ist, gehört schon
der logischen, d. h. zimi Behufe zusanunenhängender Erkenntniszwecke ge-
schehenden Denkbetätigung an (Phüos. Stud. IV, 9; X, 82 f.; XIII, 321;
V, 51). Die Logik, eine normative Wissenschaft, „hat Rechenschaft zm geben
von denjenigen Gesetzen des Denkens, welche bei der Erforschung der Wahrheit
wirksam sind . . . Während die Psychologie uns lehrt, tcie sich der Verlauf
der Gedanken wirklich vollzieht, will die Logik feststellen, wie sich derselbe roll-
616 Iiogik.
xdehen soll, damü er ui richtigen Erkenntnissen führe. Während die
xelnen Wissenschaften die tatsäehliehe Wahrheit, jede auf dem ihr xugeuriesenen
Gebiete, wu ermitteln bestrebt sind, sucht die Logik für die Methoden des Denkens,
die bei diesen Forschungen xur Anwendung kommen, die cUlgemeingiUtigen Regein
festxusteüen. Hiernach ist sie eine normative Wissenschaft, ähnlich der EthiL
Wie diese die Gefühle und Willensbestimmungen, deren Verhalten die F^g-
chologie schildert, nach ihrem sittlichen Werte prüft, um Normen xu gewinnen
für das praktische Handeln, so scheidet die Logik aus den mannigfachen Vor-
Stellungsverbindungen unseres Bewußtseins di^enigen aus, die für die Eniwiek-
lung unseres Wissens einen gesetxgd)enden Charakter besitzen" (Log. I*, 1).
Die Logik hat auch zu liefern „eine psychologische Entwicklungsgeschiehie des
Detikens, eine Untersuchung der Grundlagen und Bedingungen der Erkenntnis
und eine Berücksichtigung der logischen Methoden der wissenschaftlichen For-
schung^, „Die Logik bedarf der Erkenntnistheorie xu ihrer Begründung und
der Methodenlehre xu ihrer Vollendung" (1. c. S. 2). Sie hat „das werdende
Wissen darzustellen, die Wege, die xu ihm führen, und die Hülfsmittel, über die
das menschliche Denken verfügt^*, „Aus den tatsächlich geübten Verfahrungs-
weisen des Denkens und der Forschung abstrahiert sie ihre allgemeinen Re-
sultate; diese aber überliefert sie den Einxehvissenschaften als bindende I^ormen^
denen sie zugleich feste Bestimmungen Über die Sicherheit und die Grenzen des
Erkennens hinzufügt." Die „Erkennlnislehre" gliedert sich in: 1) f annale
Logik, 2) reale Erkenntnislehre (Erkenntnistheorie, Erkenntnisgeschichte) (L c.
S. 1 ff.; Syst. d. Philos.», S. 31; Phüos. Stud. V, 48 ff.). — W. Jebubaijqi
erblickt die Aufgabe der Logik in der ,^Erforschung der allgemeinen Be-
diftgungen obfectiver Gewißheit und Wahrscheinlichkeit" (Urteilsfunct. S. 22).
Nach HÖFFDING ist die Psychologie die Grundlage der Logik, aber diese ist
nicht selbst Psychologie (Psychol.*, S. 36). „Die Psychologie ist eine spedeUe
Diseiplin, die die allgemeinen Prineipien unserer Erkenntnis voraussetzt, deren
Gültigkeit aber nicht zu erklären vermag*' (1. c. S. 487). „Es ist Sache der
Logik, nicht der Psychologie, einen Maßstab für die Vorstellungsverbindungen
aufzustellen und die Regeln nachzuweisen, die sich aus einem solchen Maßstabe
für die mit der Erfahrung stimmende Vorstellungsassoeiation ergeben. Die
Logik ist eine Kunstlehre, die Psychologie eine Naturlehre. Die Kunst uächst
aber aus der Natur hervor und ist eine Fortsetzung der Natur** (1. c & 239).
„Die Logik mißt . . . jede Vorstellungsassoeiation nach dem Grade, in tcelekem
diese das Identitätsprincip befriedigt, d. h. die Forderung erfüllt, daß jede
Vorstellung, wo und wann ich sie anwende, denselben Inhalt habef^ (ib.). G. Vilxjl
erklärt: „Es ist wissenschaftlich unmöglich, eine richtige Definition der logischen
Processe im allgemeinen, der Begriffe, der Urteile und des Schlusses zu geben
außer durch Aufzeigung eines Zusammenhanges zwischen ihnen und andern
psychischen Processen, deren entwickelte und bewußte Form sie darstellen. Eine
Logik, welche nicht die direete Fortsetxung der wissenschaftlichen Psyehologis
wäre, hätte heute keinen Wert.'^ „Jene GedankenassocicUionen, U!elehe der Aus-
gangspunkt der Logik sind, bilden auch einen Jkü des psychologischen Stoffes,
sind auch psychische Processe und lassen sich mithin in ihrem innersten Wesen
nicht ohne eine tiefe Kenntnis der psychologischen Gesetze erklären** (EinL in d.
Psychol. S. 103). — Nach M. Palagti hat die Logik die Aufgabe, ,^durch die
Untersuchung der Erkenntnistätigkeit selbst unser Wissen von der WcUnrheit zu
befördern" (Streit S. 65). Die Logik stellt sich in den „Dienst des allget
lK>gik — Iiogisch. 617
ErkmrUniMeaU'' (L c. S. 69). Sie suclit die eine Wahrheit (ib., wie Uphues,
Grds. d. Erk. S. 24). Sie untersucht ,^ie {Mgemeine oder abstraete psyehüehe
Function des Wissens resp. M-kennens^* (1. c. S. 73). Logik und Psychologie
bedingen sich wechselseitig (ib.). PaUgyi bekämpft jede f^^kuäistiscßü^* (Form
und Inhalt des Erkennens sondernde) Erkenntnislehre, lehrt eine y^monistisehe^^
Logik, die ,/iynamisehe Urteilslogik^* ist (Die Log. auf d. Scheidewege S. 12).
Die specielle Logik zerfallt in yyMeUigeometri&\ „Metadynamik^' ^ ^yMetabiologie*'
(ib.). Zwischen „impressionistischer*' (s. d.) und einseitig ,f8ymboliseher*' (s. d.)
Logik ist 2u vermittehi (1. c. S. 72 ff.). „Unsere Erkenntnis hat es immer mit
dem Unvergänglichen in dem Wechsel aüer Erscheinungen'^ der Lnpressionen^
zu tun, sie ist ,yErfas8en des Ewigen im Vergänglichen*^ (1. c. S. 87). Haupt-
problem dar Logik ist die Frage nach dem Wesen des Urteils (s. d.; vgl.
„Kant u. Bol%ano"), — Vgl. Bossuet, Logique 1828; Opzoomeb, Logik; Chb.
Plaitck, Gnmdr. d. Log. 1873; Hoppe, Die gesamte Logik; Mabgi, Logica;
BoBAKQVET, Logic 1888; G. Ratzenhofer, Die Krit d. IntelL 1903; A. Bastian,
Die Lehre vom Denken 1903; Fowlee, Log. 1869; Venn, Log. 1889; Shute,
Dific. on Truth 1877.
Über Geschichte der Logik vgL Prantl, Gesch. d. Logik im Abend-
lande ia55— 1870; Haemb, Gesch. d. Log. 1881. — VgL Erkenntnistheorie,
WiBsenschaftslehre, Methode, Denken, Begriff, Urteil, Schluß, Definition, Be-
weis, Abstraction, Denkgesetze, Psychologismus, Vemunftlehre u. s. w.
liOitik dcp Tatsarlieii (immanente Logik): die den Dingen inuna-
nente vernünftige Gesetzmäßigkeit, das Logische, Vernünftige außerhalb des
Denkens (vgl. O. Liebmakk, Anal. d. WirkL*, S. 187 ff.), das Denken an der
Hand der Tatsachen (vgl. Übebweg, Welt- u. Lebensansch. S. 18 f.).
liOi^« naÜirllclie („logica naturalis*' , „logique naturelle^*) : die Logik,
Gesetzmäßigkeit des natürlichen, allgemeinen Denkens.
IjO^ky qualitative (Inhaltslogik) und quantitative (Umfangslogik)
8. Urteil.
liOgtlK« sociale, s. Sociologie (Tarde).
I«oglscll {Xoymoe): zur Logik (s. d.) gehörig, den Denkgesetzen gemäß,
richtig gedacht, vernünftig, aus dem Denken stanmiend. Gegensatz: unlogisch,
alogisch (8.d.), antilogisch (widervemünftig), sinnlich. Der logische Begriff
(b. d.) ist der präcise, wissenschaftliche Begriff. Das logische Denken ist
das den Denknormen gemäße Denken (s. d.). Von den psychologischen sind
die logischen Denkgesetze (s. d.) zu unterscheiden.
Bei Abistoteles bedeutet Xoyixov^ loyixme das Begriffliche im Gegensatze
zu fvcixdk (Met. XII 1, 10e9a 28; XIV 1, 1087b 21). Auch im Sinne von
dialektisch (s. d.) wird es gebraucht (Top. VIII 12, 162 b 27; Anal. post. 118,
93 a 15); X^yof di loyut^v ri^v anoSatiiv 8td tovto, on oat^ xad'oXov fiäkXov,
vo^f&TBQto Tcjv oixeiofv iajlv a^x^*' (P^ g^* oniia. II 8, 747 b 28). — Vom
Jogisehen Denken** spricht schon S. Maimon, Vers. e. neuen Log. 1794, S. 5 ff.,
235. Nach Babdiu ist logisch „das Formelle des Denkens selbst** (Gr. d. erst.
Log. S. 6). Nach G. E. Schulze ist logisch y^nicht aUes, was in den Erkennt'
niesen aus dem Verstände herrührt . . ., sondern es hat Beziehung auf di^'enige
Einheit, welche an den Stoffen des Denkens durch die Verknüpfung derselben
vermittelst des Verstandes hervorgebracht wird** (Gr. d. allg. Log. S. 10). Hegel
macht das Logische zum Weltprincip (s. Begriff), es ist das „Übernatürliche^*
618 liOgisoh — I<ogo8.
(Log. I, 11), die Idee (s. d.), die Geistiges und Körperliches aus sich heraus em-
wickelt. Alles ist an sich logisch (Panlogismus, s. d.). Schelltng erklärt
dagegen, das Logische sei das ,jbloß Negative der Existenx'^^ „daSj ohne tcdekei
nichts existieren könnte^ woraius ctber noch lange nicht folgt, daß alles auch nur
durch dieses existierf*, „Es kann alles in der logischen Idee sem^ ohne daß
damit irgend etwas erklärt wäre . . . Die ganze Welt liegt gldchsam in den
Neixen des Verstandes oder der Vernunft^ aber die Frage ist eben, fcie sie in
diese Netxe gekommen sei, da in der Welt offenbar noch etwas anderes und
ettoas mehr als bloße Vernunft istj ja, sogar etwas über diese Schranken Hinaui'
strebendes'^ (WW, I 10, 143 f.). E. V. Hartmann sieht im Logischen, der
Idee (s. d.), ein Attribut des ,fUnbeicußten*' (s. d.). Nach L. Feuekbach sind
die logischen Formen „nur die abstracten, elementarischen Sprach-
formen". Sie gehören nicht in die „Optih\ sondern in die „Dioplril^ des
dreistes (WW. II, 199). Nach Yolkelt ist logisch „alles speci fisch durch das
Denken Geleistete" (Erf. u. Denk. S. 165). Nach L. Rabü8 ist das Ic^ische
Denken yjdas Denken als Urteilen'^ mit Bezug auf die „Betätigung einer dem
Denkorganismus innewohnenden normativen und richterlichen Instanz,^ (Log.
8. 105). H. Schwarz betont den „logischen Zwang", der aus der Gresetzlich-
keit der inneren Normen des Denkens resultiert (PsychoL d. WilL S. 11). In-
nere Evidenz kommt dem logisch Oedachten zu (1. c. 8. 15). — Nach Nietzsghe
ist die Logik, das Logische aus der „Unlogikf'f aus befestigten Irrtümem oit-
standen (WW. V, 110). Die Logik hat erst rein biologische Bedeutung, spater
wirkt sie als „Wahrheit" (s. d.) (WW. XV, 274 f., 271). Die Logik gut nur
von fingierten Wesenheiten (WW. XV, 271). Wir erst logisieren das Chaos
unserer Eindrücke (WW. XV, 275, 279). Vgl. Logik.
LiO§^elier Materlalisiniis s. Materialismus.
LiOg^mns ßoyiafios): Schluß (s. d.).
liOi^macliie (loyo/iaxlo): Wortstreit, Streit um Worte, um Bezeich*
nungen.
LiOg^s ßoyog): Wort, (ausgesprochener) Gedanke, Begriff, Definition.
Vernunft, göttlicher, schöpferischer Gedanke, Weltgedanke, Weltvemunft
Die Lehre vom Logos als dem die Welt durchdringenden, alles beherr-
schenden Gedanken Gottes, als der von Gott ausgehenden Vernunft, als dem
schöpferischen Wort ist alt. Im Big-Veda ist der Logos (yyvat' = lateinisch
vox) die von der Gottheit ausgehende Weisheit (vgl. Willmann, Gescfa« d.
Ideal. I, 89). Im Zendavesta geht aus dem Urwesen (^^laruana akmranec^}
das Schöpferwort („ahuna-vairfa, honover*^) hervor, durch welches die Welt er-
schaffen wird. Nach der biblischen Genesis ist die „Spraehe^^ Qottes bei
der Schöpfung wirksam (Gen. I, 3, 6, 9 ff.). — AnaxagorAs lehrt einen alle»
beherrschenden „Geisf* (s. d.). Heraelit bezeichnet zuerst die W^eltvemonft
als Xoyog. Er ist das ewige Weltgesetz, dem zufolge alles geschieht (rov Äay0t
TovS^i iorrog aiei — yiyvofiivotv yaq navxcav maTo. tov loyovy Fragm. 2:
Sext. Empir. adv. Math. VII, 132). Der Xoyos ist zugleich die elfuzQfidvr^^ da»
Schicksal (Stob. Ecl. I 2, 60), die eherne Gesetzmäßigkeit des Alls. Der loyi
(oder die yvtofirjy 8lxr}) ist den Dingen immanent, aber ohne Bewußtsein seiner
selbst {},6yov rov8* iovroQ ael a^veroi yiyvovxai dv^^tonoi xai fr^aa9'e%' ^
axovaai xal dxowravrae to n^tSrov), Jeder soll dem allgemdnen loytK üft
Logos. 619
Denken und Handeln gehorchen (Sic Sei insad'ai rtv iwt^ Tovrtcri ti^ xoip^'
%ov loyov 9s iovTog Swov t,taovaiv oi noXXoi ebg iBiav exottes f^a%njCiv (Sext.
Empir. ady. Math. VII, 133). Aristoteles versteht unter Xoyog Begriff (s. d.)
und Vernunft (s. d.). Er unterscheidet den iSw k6yoe (Wort) vom icaf koyo^
(GManke in der Seele) (Anal, post I 10, 76 b 24). Der 6^d'o9 Xoyos ist die
richtige Vernunft, der sittliche Tact (Eth. Nie. VI 13, 1144 b 23). Das gött-
liche ßich-selbst-denken {yorja^G votjaatos) ist das höchste Princip der Welt (vgl.
Met. I, 3). Die Stoiker nennen das Schicksal (s. d.) auch Xoyot, es ist das
alles durchdringende sittlich-vernünftige nvsvfia (s. d.). Es ist die el/uz^fUnj
miria rmv ovrofv ai^ofiinj ^ loyos, xad^ ov 6 noofio^ dieSaynai (Diog. L.'VII 1,
149); das Schicksal ist loyos tc5v dv np xoe/up Tt^ovoiq Sioixovfiavav — xad^
Sr rd /iir ytyovora yt'yova (Stob. Ek;l. I 5, 180). Die Xoyoi cne^/iarixoif die
Vemunftkeime, vemiinftigen Potenzen, sind Kräfte, die in allem wirken (Diog.
L. VII 1, 157), sie treiben zur vernünftigen Entwicklung an (vgl. L. Stein,
FlsychoL d. Stoa I, 49). Vom loyog ivSidd'erog, der innem Bede, d. h. dem
Gedanken, wird der loyog n^ofOQixSg^ das Wort, die äußere Bede unterschieden.
Ersterer besteht r^ a&niati xwv oixBifov xal ^vy^ xtav alXortqiotv^ t^ yvcioai
tüiv eU TOVTo avvratPovciSv xaxvöivt r^ avriXrppat rtSv xard Trjv oixaiar ifniaiv
o^exA^ rtSv na^ Tri nd^. Der Xoyog n^ofogixog ist tptovfi 8id yXcarrtje arjftav-
TXX17 Twv ^tfSov xal xard yntx^v nad'eor, er ist i^of ^t^oXt&v (Sext. Empir. Pyrrh.
hyp. I, 65; Porphyr., De abstin. III, 3). Der Xoyog h^td&arog ist to xivrifia
rijg y^jf^ff TO iv T(f diaXoyiartxtß yivousvov (Nemes., De nat. hom. C. 14).
ABiSTOBUiiOS spricht von der göttlichen Kraft, welche alles beherrscht
(oTi Bid nnvrafv iorlv 17 3vva/iig rov &80v, Euseb., Praep. ev. XII, 12). AsiSTEAS
onterscheidet von Gott selbst die dvvafitg Gottes, welche Sid ndvrwv ist: Das
yjBueh der Weisheif* lehrt, die y,Weükeif* Grottes (aofla) sei ein die Welt
durchdringender Greist (Ttvavfin). Philo bezeichnet als Xoyog die höchste der
göttlichen Kräfte, in welcher die Ideenwelt (s. d.) ihren Ort hat (De mimdi
<^if. I, 4). Der Xoyog ist Vermittler zwischen Gott und Welt, durch ihn hat
Gott die Welt geschaffen. Der Xoyog ist npanSyorog, der Sohn Gottes (De
agric. 12), sein „Sch€Uten" (axtd &eov 3i 6 Xoyog avrov iartv, <} xad'dnsQ 6^
ydvi^ n^ocx^od/itvog ixocfionolat, Leg. alleg. III, 31). Er ist der j^Moeite OoW*
(Sevre^og &e6e, Euseb., Praep. ev. VII, 13, 1). 'O X6yog Sa rov d-aov vTta^nvat
navToe iOTi rov xoa/iov xal n^ecßvrarog xal yevtxiöraTog rdiv oaa yayope (Leg.
alleg. in, 61). Im Menschen und im All gibt es einen Xoyog ivBidd'axog und
einen Xoyog n^ofo^ixog (De vita Mos. III). In Gott' ist eine ipvoia, die aofia ;
diese wird auch als Mutter des Xoyog bezeichnet (De profugis 562 ; vgl. Heinze,
Lehre vom Logos 1872; Überweq-Heinze, Gr. d. Gesch. d. Philos. !•, 357).
Plotik sieht im vovg, dem Geiste (s. d.) eine Emanation (s. d.), ein Erzeugnis,
ein Abbild {aixciv) des göttlichen Einen (s. d.), er ist die Einheit der Ideen
(b. d.).
Das Christentum faßt den Xoyog persönlich auf, als Sohn Gottes^ der von
Ewigkeit her bei Gott ist, die Welt erschafft und (in Christus) Fleisch wird:
iv aQxi V^ ^ Xoyog' Ttdvra Bi avrov iydvero' 6 Xoyog od^ Ayevaxo (Evang. Joh.
I, 1), — Athen AGORAB erklärt: Xdyog rov nar^og iv i8dq xal iva^yaiq' TtQog
airov yd^ xal 8i avrov ndvra iydvaro (bei Ubebweg-Heinze, Gr. d. Gesch.
d- Philos. IP, 50). TheOPHILUS sagt: Xoyog ivSidd'avog ivroXg iSiotg anXdyxvoigj
irStad-erog iv xa^iq d'eov (vgl. Iren. I, 24; Harnack, Dogmengesch. I*, 491).
Lactantius: „melius Oraeci Xoyov dicunt quam nos verbum sive aermonem:
620 Logos — Lügner.
Xoyos enifn et sermonem signifieat et rationem: qu/ia iUe est pox et sapieiitk
Dei*' (Divinar. institut. lY, 9). Nacli Babilideb ist der Logos der EntgewngK
des ewigen Vaters (bei Iren. U, 24, 3). Nach Valenttnus emanierai li/H
und ^afij aus dem v&ve und der Wahrheit (bei Iren. I, 1, 1). Nach Clevisi
Alexakdbinus durchdringt der Xoyos das All (StronL V, 3); er ist die Qodk
der Erleuchtung bei den alten, guten Philosophen (1. c. I, 5 ; Ckthort. VI, 58^
Während nach Abiüs der Logos ein (vor der Zeit) durch Gott Geschafienei
ist („Subordinationstkeorie^^Jy betont Athanabiub die ewige Einheit des Logv
mit Gott-Vater, aus dessen Natur er gezeugt ist (Oontr. Arian. III, €2). Dff
Logos • ist Tiyefuov^ Sij/uov^^og rov navroQ (Contr. gent. 29 ; 38) ; b yap xsT^
Tov jLoyov kv Ttvevfiaxi ayiqf ra ndvra noul (Oontr. Arian. 1, 28). Nach JUSTHTS
hat Gott Svvafäv Tiva Xoyixrjv, den Logos, seinen Sohn, erzeugt, der selbst Gott
ist (Apol. I u. II, 6). Am loyog hat jeder teil B^a ro ifi/fvxov navxi /c*«
nvd'^toncar ffTtt^ua tov Xoyov (L c. II, 8). Nach Tatian ist der loyos %w
Tt^toTOTOxov TOV TtaT^os. ObioeNES sieht im loyoe die iSea idetSv^ eletr^
&eo>^fiaTofv iv avTtf (vgL LoMMATSCH I, 127). Der Logos ist Demiuig (s. <L)
(Contr. Gels. VI, 62). In den Dingen ist ein Xoyo'S ans^ftnn^og (L c V, 22; De
princ. II, 10, 3). Nach Gregob von Nyssa durchdringt (Jott alles vennitteto
der aofoi ts xai Texrtnol loyot (De an. et resurr. p. 188). Die Apologeten
(s. d.) überhaupt verstehen unter dem Logos „die Hypostase der wirktamm
Vermmfikraft, die einerseits die Einheitlichkeit und ünveränderliMeit Octkt
trotx der Verwirkliehung der in ihm rtihenden Kräfte sehütxt, anderseits dm
diese Vermrktickung ermöglichte^ (Habkack, Dogmengesdi. I*, 488). — AJ-
SELM nennt die Form der Dinge eine „i?Uima loeuti&^ in der g5ttlidieD
Vernunft, eine innere Sprache, deren Worte die Dinge selbst sind (Mond
C. 10, 12). Thomas unterscheidet das yyverbum interius eoneeptwn^^ (t^porbm
mentis", s. d.) vom „verbum exterius vocale quod est eins sigw^m" (De diätt-
div. verbi et hum.). Die Mutaziliten bestinmien eines der Attribute Gott«
als Wort oder Bede. Nach Eckhabt spricht Gott das „TForf' aus, böh«
Sohn. — Vgl. DüNCKEB, Zur Gesch. d. christl. Logoslehre 1848; Heinze, D«
Lehre vom Logos in d. griech. Philos. 1872 ; A. Aall, G^sch. d. Logosidee io
d. griech. Philos. 1896; Daub, Üb. d. Logos; Stud. u. Krit 1833, EL IL
Hegel versteht imter dem Logos den objecüven Begriff (s. d.), ,4^ ^^
nunft dessen, was ist^' (Log. I, 21), die Weltvemunft Vgl. Orthos Logoß»
Verstand.
Liog^os spermatlk'os s. Logos.
JLol de la molndre aetlon (Maupebtuib) s. Princip des klanstei
Kraftmaßes.
I^ncldltilt nennt Ehbenfels die größere Klarheit oder Helligkeit der
aufmerksam erlebten Vorstellungen (Syst. d. Werttheor. I, 253).
lifig^e des Bewußteelns nennt H. Schwabz „jene Erscheinung, dsf
wir unser eigentliches Dickten und Trachten vor uns seilest verdeekenj indem W
uns einbilden y andere Willensregungen bewegten uns xu den Gedanken, die um
vorsehweben" (PsychoL d. Will. S. 179, 183 ff., 193).
Lifii^er (tff€v86ftevos) heißt ein Fangschluß des Eueuubeb. Ist met cä
Lügner und sagt es, so lügt er und spricht zugleich die Wahrheit ^
Kretenser sagt: Alle Elretenser sind Lügner. Also ist diese Aussage seDbst eoe
liügner — Iiumen. 621
Lüge. Also sind nicht alle Kretenser Lügner (Aristoteles, De soph. elench.
25, 180a 35; Diog. L. VII, 119; Cicero, De div. II, 4; Quaest. acad. IV, 30).
Lallselte Kunst s. Ars magna. Vgl. G. Bruno, De compendioea
architectnra et complemento artis Baim. Lulli 1582.
Lmnen: Licht, Klarheit, geistiges Licht, geistige Klarheit, Einsicht,
Evidenz, Ebrkenntnis, (angeborene) Erkenntniskraft. Die Scholastiker unter-
scheiden das „lumen naturale^^ („natttrae"), das natürliche Erkenntnisvermögen,
rom „lumen ffratiae*', der Erleuchtung durch göttliche Offenbarung.
Psalm 35, 10 enthalt: ,Jn lumine Hto videbirrms lumen." Plato bezeich-
net zuweilen die Ideen (s. d.) als das licht, welches die Vernunft schaut (vgl.
Praittl, Q. d. L. I, 75). Aristoteles vergleicht den activen Intellect (s. d.)
dem Lichte. Die Stoiker erklaren: rije fvastoe oloval fpiyyoq ii/iiv Tt^os ini"
yvtMiv rijg aXtj^eias rrjv aiadtjjixrjv Svvaftiv nva8ovai]g xal xtjv Bi avTtje yivo'
fiivris tpavraalav (Sext. Empir. adv. MaÜL VII, 259). Cicero spricht vom
f^urae lumen" mit Bezug auf angeborene Anlagen („semina innata virhUum")
(Tusc. disp. III, 1, 2), Plotin vom Lichte, durch welches der Geist erleuchtet
wird (£nn. VI, 7, 24). Porphyr: ytjgf»!*' ^oyixi^v ...?•' r^ifti 6 vove ras dv
atT{7 iwoias ag hfrrvntoüs xal ivBX^Q^i^^ ^^ '^s rov d'eiov vofiov dlij&Blag sie
ivayva^iatr aytov 8ia rov noL^ avrcp yanos (Ad Marc. 26).
Nach NuKENius ist alle flrkenntnis ein Anzünden des kleinen Lichtes an
dem großen, die Welt erleuchtenden (Euseb. Praep. evang. XI, 18, 8). Orioenes
spricht vom „lumen Dei . . ., in quo quia videt lumen" (De princ. I, 1), vom
f^mtelleetualts lux^^ (L c. IV, 36). Augustinus bemerkt: „Ratio ineita sive
mseminaia lumen animae dieitur** (De bapt. parv. I, 25). „Lumen autem
merUium esse dixerunt [StoiciJ ad diseenda omniaj eundem ipsttm deum^ a quo
facta sunt omnia" (De civ. Dei VIII, 7). „Oredibüius est . . , vera respondere
de quibusdam disdplinis etiam imperitos earum, quando hene interrogantur^
^ifta praesens est eiSy quanium id eapere possunt, lumen rationis aetemae, ubi
haec immutahüia vera eonspieiunf^ (Betract I, 4, 4). Im „publicum lumen"
der Vemiinft erkennen wir die ewigen Wahrheiten (De lib. arb. II, 33).
V^ilhelm yok Auvergne sagt: „Dixit Aristoteles de ea [inteÜigentia agentej,
^uod ipsa est velut sol inteUigibüis animarum nostrarum et lux inteüectus
wstri, faciens rehteere in effectu formas inteUigibües in eodem, quas Aristoteles
^uit potentia esse apud ipsam, eamque reducere eas de potentia in actum**
[De univ. II, 14). Bonaventura bezeichnet als Erkenntnisquelle das
Jumen inferius^* im Unterschiede vom ,jUimen superius" der Offenbarung.
Das yjkimen inferius" ist „lumen, cognitionis philosophicae", das „lumen
mperius" ist Jumen gratiae et sacrae scripturae^* (Sentent. III, d. 14). Al-
bertus Magnus erklart: f^Noster intellectus perficitur luminibus et ele-
fotur: ed ex lumine quidem connaturali non elevaiur ad scientiam trinitatis
Ex lumine autem fluente a superiori natura ad supermundana elevatur**
ßum. th. I, 1, 6). „Concedendum enim est, quod sine lumine iüustrante intel-
^ectum nullius cogniti intellectus noster possibilis perceptivus est. Per hoc enim
^umen efficitur intellectus noster possibilis oculus ad videndum: et hoc lumen
ul naturalia reeipienda naturale esf* (1. c. qu. 15, 3). Thomas stellt das
Junten naturale", („connaturale", „naturae^^, „naturalis rationis") dem „lumen
mpematuralef^ gegenüber. Das „lumen intellectuale" ist „quaedam participata
fimilitudo luminis increcUij in quo continentur rationes aetemae^* (Sum. th. I,
^f ^c)) „quaedam impressio veriiaiis prima&^ (L c. I, 88, 3 ad 1). Thomas
622 Ijiiinen.
spricht vom „rationis lumen, quo prtncipia . . . sunt nobü nota^ est nobU «
Deo inditum, quasi quaedam similüudo increatae veritaMs in nobis resultatäir
(De verit 11, 11); ,jquod (Uiquid per certitudinem scicUur, est ex kumine ratiem
divinüus interius indiio, quo in nobis loquitur Deus^* (L c. 11, 1 ad 13). Jju
influaca divinitus in mentem est lux naturalis, per quam eonstituitur vist^
f^llectiva** (Opußc. 70). „Nihil est aliud ratio naturalis hominis, nist refidgenÜA
divinae dariiatis in nobis'^ (zu Psalm 36). „Requiritur . . . lumen inteÜeeba
agentis, per quod immutahiliter veritatem in rebus mutabiiibus cognoseamut
(Sum. th. I, 84, 6). „Principia indemonstrabilia eognoscuntur per Iwnen «■
tellecius agentis" (Contr. gent. III, 46). „Lumen naturale rationis partieipoHo
quaedam est divini luminis" (Sum. th. I, 12, 11 ad 3). „Änima hutnana waüm
rei aeeipit sdentiam, nisi illius cuius prineipia prima habet aptsd 9e ipsam"^
(Sum. th. I. III, 13, 3). DuNS ScoTiis erklärt: „Lux increata est prümm
principium entium speetdabüium" (Sent. I, 3, 5). JoH. Gebsok bemoit:
„Intelligentia Simplex est vis anim^ae eognitiva, susdpiens immediate a Da
naturalem quandam lueem, in qu>a et per quam prineipia prima eogfioseuniiir
esse Vera et certissima" (De myst. theol. 10).
NIOOLAUS CüSANUS Spricht vom „lumen intellectuale*'. „In lumine Dei ed
omnis cognitio nostra. Intellectus hoc lumine ducitur." Goclen bemerkt:
„Pater ille luminum Deus, qui luce sua humanem mentes collustraf' (Lex. phiki&
p. 250). Nach Melanchthok ist uds von Gott ein „lumen natural^ rar
Richtschnur gegeben, aus welchem alle Principien des Denkens und Handetes
fließen. Die Evidenz durch das „lumen naturale^^ betont Savonarola. Natör*
liches und göttliches „Licht" imterscheidet Paracelsüb (De morb. caduc I, 4).
F. Baoon sagt: „Tu, pater, qui lucem visibi-lem primitias ereaturae dedisti, H
lueem inteÜeetualem ad fastigium operum tuortim in fadem hotninis inspira^"
(Nov. Organ., Distr. oper. p. 13). Der Mensch hat „cavemam qwmdam t»A-
viduam^j „quae lumen naturae frangit et corrumpit" (1. c. I, 42). Descasts
versteht unter dem „lumen naturale" die angeborene Fähigkeit des Geistes»
aus eigener Kraft und Einsicht die Principien des Erkennens in ihrer doI-
wendigen Gültigkeit zu erfassen, die logische Erkenntnisfähigkeit, auch un-
abhängig von Erfahrungen. „Ratio formalis, propter quam rebus fidis assenti-
mur . . . , consistit in lumine quodam intemo" (Besp. ad II. obieet). „S
quaecunque lumine naturali mihi ostenduntur ...» nullo modo dubia
possunt, quia nulla alia facultas esse polest, eui aeque fidam ac lumini ish,
quaeque illa non vera esse possit docer&* (Medit. III). „Sequitur, lumen naiwr»^
sive cognoscendi facultcUem a Deo nobis datam^ nullum unquain obieeiwn pag^
attingere, quod non sit verum., quatentts ab ipsa aUingitur, hoc est, quakmmi
elare et distincte percipitur*^ (Princ. philos. I, 30). Es gibt etwas, was, ohiw
bewiesen zu werden, „animis a natura impressum est", so daß es als sicfcff
betrachtet werden muß, z. B. daß das Klare und Deutliche wahr (s. d.) «?«
(1. c. 43). Charron versteht unter „lumiere naturelle" das dem Menschd
eingepflanzte Naturgesetz (Ritter X, 218). Fenelon erklart: ,nCest . . . d fe
lumiere de Dieu que je vois taut ce qui peut etre vu" (De Fexist. de Dieu p. 152l
„Cette lumine fait, que les objets sont vrais." „II ne faut poifit la a
cette lumih^e, au de/iors de soi; chacun la trouve en soi-menve; eile est la
pour tous . . ., eile funts fait juger"* (1. c. p. 153). Pascal spricht von
„lumüres naturelles j raisons naturelles"; durch diese ist Gottes Existenz niciit
beweisbar (Pens. V, 3). — Locke spricht vom ,frue light in (he mind" ab tm
Lumen — Macht. 623
der Gewißheit eines Satzes (Ebb. IY, eh. 19, § 13; vgl. § 14). Vom Lichte der
Natur ist bei Newton die Bede (Opt. p. 330), bei Berkeley vom Lichte der
Vernunft (Princ. LXXII). — Leibxiz erklärt: „Mais ce qu'on appelle la lumüre
wUureüe suppose um eonnatssanee distincte, et bien souvent la eansideratian des
choses n'est autre ekose qus la eonnoissanee de la nature de nostre esprit et de ces
idees innees qu'on n'a point besoin de eher eher au dehors" (Nouv. Ess. I, eh. 1,
§ 21). ,yOn y trouve la force des cotisequences du raisonnement gut sont de ce
qu'on appelle la lumüre naturelle" (Gerh. VI, 489). „G'est par eette lumüre
naturelle que Von reeonnatt aussi les axiomes de mathemattque^* (1. c. p. 503).
„Pour revenir aux verites necessaires, il est generalement vrai que nous ne les
eonnoissons que par eette lumih'e naturelle ei naturellement par les experienees
des sens^* (1. c. p. 504). Chr. Wolf versteht unter „lumen animae" die „clarttas
pereeptionum" (PsychoL empir. § 35). Ein „Licht" in unserer Seele ist, „welches
machet, daß unsere Oedanken klar sind und mr durch ihren Unterschied einen
vor dem andern erkennen kömien, das ist, welches uns des Unterschiedes ver-
geunsseri" (Vem. Gred. I, § 203). — Das „lumen naturale" ist in manchem ein
Vorlaufer des „a priori" (s. d.).
Last {f)Sovrj, voluptas) ist eine der Gefühlsqualitäten (s. Gefühl). Es gibt
eine „Lust an etwas" (Wohlgefallen) und eine „Lust zu etwas" (Begierde, Nei-
gung). Die Lust ist ein positiver Zustand, nicht bloße Abwesenheit von Unlust.
Der Hedonismus (s. d.) erhebt die Lust zum Lebens- und Sittlichkeitspnncip.
— Nach Plato ist die Lust ro nXrj^ovad'ai rmv fvati Tt^oatjxovTtov (ßep. IX,
583 ff.; vgl. Phüeb. 53 C, 54 C; Tim. 64 A ff.). — Nach Hobbes ist Lust
Bewiißtsein einer Machterhöhung, Unlust das einer Machtverringerung (Hum.
Nat VIII, 4; vgl. VII, 4 ff.). Nach Schopenhauer ist die Lust ein N^atives,
f/ias bloße Aufheben des Wunsches und Endigen einer Pein" (Parerga II, § 150).
Dagegen betont u. a. E. v. Hartmann die Positivität der Lust (Philos. d.
Unbew.'y S. 544 ff.). Nach Beneke entsteht Unlust, wenn ein Heiz zu
gering für das ihn aufnehmende „Urvermögen" (s. d.) ist, Lust, wenn der
Beiz in großer Fülle gegeben ist, ohne übermäßig zu sein (Lehrb. d.
pByehoL*, § 58). „Lustaffecte" sind die „Affecte der freudigen Rührung" (1. c.
§ 284). Vgl. Ferguson, Grds. d. Moralphilos. S. 128; Mendelssohn, WW. I
1, 71 f., 83; Platner, Anthropol. § 612 ff.; Lotze, Mikrok. I, 261 ff.; Kirch-
mann, Grundbegr. d. Rechts u. d. Moral S. 23 ff.; Chr. Krause, Urb. d.
Menschh.', S. 49 f.; J. DuBOC, Die Lust als socialeth. Entwicklungsprincip
1900. — Vgl. Glück, Hedonismus, Eudämonismus, Gefühl.
M.
m ist 1) das Zeichen für den Mittelbegriff (s. d.) eines Schlusses ; 2) das
Zeichen für die „Metathesis praemissorum," (s. d.) bei der logischen Conversion
(8. d.). „U puU transponi" (vgl. Prantl, G. d. L. II, 274 ff., III, 48 f.).
Maellt ist Gewalt über etwas, Kraft, Vermögen (s. d.), Einfluß, Be-
herrschung. Das Selbstgefühl (s. d.) ist im wesentlichen Machtgefühi (vgl.
HöFFDiNG, Psychol.*, S. 337). — Hobbes versteht unter Macht („power") die
geistig-körperüchen Kräfte, Vermögen (Hum. Nat II, 4; VIII, 3). Die Gefühle
und Affecte werden (wie von Spinoza) auf das Bewußtsein erhöhter oder ver-
624 Macht — ICafi.
minderter Macht zurückgeführt (1. c. VIII, 3 ff.). Es gibt ein allgemeiiia
Streben nach Macht (Leviath. C. 11). Nietzsche bestimmt als Princip da
Natur und des Menschen den „Wülen xur Maehi"* (s. d.). VgL GrefuhL
MEentlk (fiauvtixr,^ Hebanmienkunst) nennt Sokbates (der Sohn eins
Hebanmie) sein Verfahren, durch Fragen, durch y,Prüfung^' (iSeraais) richtige
Begriffe im Gespräche mit andern zu entwickeln, aus der blofioi Anlage zor
Wirklichkeit zu erheben (vgl. Plato, Theaet. 210 B).
Ma^e (von den medischen j,Magiem'^ heißt die vermeintliche Kunst, dk
geheimnisvollen Kräfte der Natur sowie Geister, Dämonen etc. zu beherrBeha
und zu verwenden („sckwarxe^*, y,weiß^* Magie). An eine Magie gianba
Agrifpa (De occ. philos. I, 1), Pico, Marstlius Figdtus, Pa&ag£I£;ub il a.
F. Baook rechnet die y,natürliche Magien* (f,fnagica naturalia^^) zur praktäachm,
„operatitfen** Physik (De dignit. et augm. scient. UI, 5). Goclen definiert:
yjMagioa naturalis est seereHor phüosophia et diaboliea, doeens faeere open
admirabüia iniervementibus virttäibus naturalibtut per applioationem earum ad
se irmcem et paiientia ruUurcUia*' (Lex. philosoph. p. 657). Vgl. Sghindleb,
Das magische Geistesleben 1855.
Mai^ettBinitB, tierischer, s. Hypnotismus.
Malor (sc. terminus) s. Terminus, Schluß. VgL a maiorL
Makroblotlk: Kunst des langen Lebens, Diätetik. VgL Hufelasd.
Makrobiot 1796.
Makrokosmos s. Mikrokosmos.
Maltlinslsclies Oesets s. Evolution.
Manleliaelsinits ist die von dem Perser Mani {Mdvfjgj Manes) be-
griindete religionsphilosophische (dualistische) Lehre von dem Kampfe zweiff
Principien: des Lichtes (des Guten) imd der Finsternis (des Boeeo). tJh»
prinoipia canfitemury sed tmum ex his Deum vocamtUf tdtemm l^len** {bä
Augustinus, C. Faust XXI, 1). VgL Panpsychismus, ÜbeL
Manie (jiavia) ist ein durch Exaltation, Bewegungsdrang, Ideenflodit
charakterisierter krankhafter Seelenzustand. Manien sind mit Zwangsvor-
stellungen (s. d.) verbimdene Triebe (Pyromanie, Erotomanie u. dgL).
Manifestation s Sichtbarmachung, Offenbarung, Kundgebung, Erschs-
nung (Gottes in der Natur, im menschlichen Geiste; der „Dinge an aiek* ia
den Phänomenen; des Charakters in den Handlungen; der Seele im Leibe).
Mannigfaltigkeit ist die Einheit, der Inbegriff einer Reihe v(» Ob-
jecten. Der Baum (s. d.) ist eine „Mannigfaltigkeit^^. Nach Ostwald ist
Mannigfaltigkeit „die Oesamtkeit irgend toeleher geordneter oder miteinander w
Beziehung gebrachter Dinget* (Vorles. üb. Naturphilos.*, S. 79). Es gibt stetig«
tind unstetige Mannigfaltigkeiten (1. c. S. 137).
Harxlsmns: die von K. Marx aufgestellte „maierialistiseh^ (s. di
Geschichtsphilosophie u. Wirtschaftstheorie.
Maß ist jede bestimmte Größe, durch die eine andere gemessen wird; dv
Zahl des Enthaltenseins des Maßes in der zu messenden Größe (die MtflrsMt
wird durch das Messen bestimmt. — Nach Hegel ist das Maß (abstract) ,y^
qttalitative Quantum, zunächst als unmittelbares ^ ein Quantumy an wdeka
i
i
Kafi — JCaterialiamuB. 625
ein Dasein oder eine Qualität gebunden iet^ (Encykl. § 1Q7). Nach Hillebbakd
ist das Maß die BestiininuDg des QuantuntB durch Beschränkung (Philos. d.
Geist. II, 49). — Über psychologische Messung und Maßformel vgL Psycho-
physik, Webersches Gesetz.
Ulaßfomiel s. Webersches Gesetz.
Ulasse 6. Kraft.
niftßlffkelt (Maßhalten) s. Tugend (Asibtoteles u. a.). Vgl. Be-
sonnenheit.
Material bedeutet das Gegenteil von formal (s. d.), also inhaltlich, sach-
lich, stofflich (z. B. matenale Principien, s. d.). Materiale Wahrheit s.
Wahrheit Vgl. MaterieU.
materiaUsmiis ist (theoretisch) die Lehre, daß das wahrhaft Beale in
der Natur (kosmologischer Materialismus) wie im Geistigen, Seelischen
(psychologischer Materialismus) die Materie (s. d.) oder das Körperliche,
Physische (s. d.) sei. Nach dem kosmologischen Materialismus ist alles Wirk-
liche körperlich, alles Geschehen im Grunde mechanischer Art, Bewegung der
Körper und Atome (s. d.). Der psychologische Materialismus tritt in ver-
schiedenen Formen auf: 1) Der Geist ist selbst eine bestimmte Materie (Atom,
Gehirn); 2) das Greistige ist Product, Ausscheidung der Materie, des Körpers;
3) das Geistige ist Function (s. d.) der Materie; des Grehims; 4) das Psychische
ist ein (der Bewegung coordinierter, aber von ihr causal abhängiger) Zustand
der Materie („psyeßiopkysiecher Materialismus^^), Der ethische Materialismus
setzt den Lebenszweck in Genuß, Sinnlichkeit, Nutzen, kennt keine eigent-
lichen Ideale. Der geschichtliche (sociologische) Materialismus betrachtet
alle geistigen Culturprocesse als Beflexe, Wirkimgen von wirtschaftlichen Ver-
änderungen (s. Sociologie). — Von dem dogmatischen, metaphysischen
Materialismus ist der kritische, empirische, phänomenologische Mate-
rialismus zu unterscheiden, der zwar wissenschaftlich alles Natur-G^chehen auf
materielle Processe bezieht, im Materiellen selbst aber nur eine Erscheinung er-
blickt. Der heuristische Materialismus endlich ist nichts als die consequente
Durchführung der mechanistisch-energetischen Naturbetrachtung.
„MatericUist'^ kommt schon bei B. Boyle vor. Berkeley versteht imter
einem Materialisten jeden, der überhaupt die Existenz einer Materie (s. d.) an-
nimmt (Princ. LXXIV). Chr. Wolf bestimmt: ^yMaterialistae dieuniur philo-
sophi, qui iantummodo entia malerialia sive corpora existere affvrmanV^
(Psychol. rational § 33). Baumgartex erklärt: ,^Quinegat existentiam monor
dum, est materialista universalis, Qui negat existentiam monadum universi,
e. g, huiuSf partium est matericUista eosmologicus" (Met. § 395).
Der griechische Hylozoismus (s. d.) ist organischer, den Stoff als beseelt
betrachtender Materialismus. Die Atomistik (s. d.) bestimmt alles Greschehen
als Bewegung (s. d.) von Atomen (s. d.); die Seele (s. d.) besteht aus feinsten
Atomen. Von den Peripatetikem (s. d.) nähert sich Strato dem Materialis-
mus (s. Seele). Die Stoiker lehren einen organischen Materialismus, indem
ihnen der Weltstoff, das Pneuma (s. d.) zugleich als vernünftiger Urkraft gilt.
Alles Wirkliche ist körperlich: näv yag ro noiovv aojfia dort (Diog. L. VII 1,
56); ovra yaQ fiova rd aejfima xa?,oCaiv (Plut., De comm. not. 30; vgl. Plac. I,
11, 4; Cic, Acad. I, 11, 39). Einen mechanischen, atomistischen Materialismus
Fhllosophisebea Wörterbnoh. 2. Aufl. 40
626 JCaterialismus.
lehren die Epikureer (Diog. L. X, 39). Ka9^ iavrov Bi ovx Um ^o^cai to
aatA/*arov Ttlfjp inl rov usvov (1. c. X, 67).
Von den Patristikem (s. d.) halten Abnobius und Tertuluan die Sede
(s. d.) für materiell. Letzterer erklärt von ihr: „Nihil emm, 9% non eorpwt^
(De an. 7; Adv. Prax. 7). „Omne quod est, corpus est sui generis; nihil ett
incorparaley nxsi quod non est^^ (De carne Chr. 11). Von den Materialisten
bemerkt Augustinus: ,,Qm» opinantur [mentem] esse corpoream, non ob koe
errare [videntur], quod mens desit eorum notüiae, sed quod adiungant eOj sifte
quibus ntdlam possunt eogüare naturam. Sine phantasiis enim corponrnL,
quidquid iussi fuerint cogitare, nihil omnino esse arbitrantur*' (De trinit. X.
7, 10).
Das epikureische System erneuert Gassendi, der aber doch die Ursprüng-
Uchkeit der Empfindung zugibt. Hobbes betrachtet als- Grundlage aller Ge-
schehnisse; auch der psychischen , die Bewegung. Die meehanistisehe (s. d.)
Naturauffassung hat auch Descartes, Priestley identificiert die Empfindung
mit dem Nervenproceß (Disquis. I, sct. VII, p. 81 ff.), während Hartlsy gie
nur als von der Gehimbewegung abhängig betrachtet. Im 18. Jahrhundert
überhaupt blüht der Materialismus (und Hylozoismus: Diderot, Robinet u. a.l
Zum System wird er bei Holbach, für den die Welt nichts als ein grofi«*
Mechanismus ist; alles Geschehen ist das Spiel von Anziehung und Abetoßun^
der Atome, im Menschen als Liebe und Haß auftretend und in der Gieschichte
wirksam. „Uhomme est tin etre purement physiqu^^ (Syst. de la nat. I, eh. 1^
p. 2). Lamettrie betont die Gebundenheit des geistigeu Lebens an die leib-
lichen Zustande (L'homme mach. S. 23 ff.). Der Mensch ist nur eine „Maschine,
welche selbst ihr Triebwerk cmfziehf' (1. c. S. 25). Die Seele ist nur ein Teil des
Gehirns (1. c. S. 66). Das Denken ist eine Eigenschaft der Materie (1. c. S. 74),
deren Wesen allerdings unbekannt ist. — Während Locke hypothetisch be-
merkt, die Materie könne vielleicht die Eigenschaft des Denkens besitzen^
betont HuME die Ünvergleichbarkeit von Gedanken und Ausdehnung (TreaL
IV, sct. 5). Gegen den Materialismus richtet sich der kritische Idealismus (s, d.)
Kants. Dieser bemerkt: „ Wir hohen . . . bewiesen, daß Körper bloße Ersfhei-
nungen unseres äußeren Sinnes und nicht Dinge an sich selbst sind. Diesem
gemäß können tcir mit Recht sagen: daß unser dankendes Subjeet niehi körper-
lich sei, das heißt: daß, da es als Gegenstand des innem Sinnes von uns vor-
gestellt toird, es, insofern als es denkt, kein Gegenwand äußerer Sinne, d, *.
keine Erscheinung im Räume sein könne^* (Krit. d. r. Vem. S. 304).
Nach Cabanis ist das Denken eine physiologische Function des G^uins,
etwa wie die Absonderung der Galle von der Leber (Bapp. du phys.*, lS05i
Schopenhauer nähert sich zuweilen dem (phänomenologischen) Materialismus^
indem er den Intellect als „Gehimphäno^nen" bestimmt. „Es ist ebenso wahr,
daß da^ Erkennende ein Product der Materie sei, als daß die Materie eine bloße
Vorstellung des Erkennenden sei: aber es ist ebenso einseitig. Denn der Maie-
rialismus ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden
Subjects'' (W. a. W. u. V. IL Bd., C. IV; vgl. Parerga II, § 7.5). Nach L. Feteb-
BACH ist alles Wirkliche körperlich (WW. II, 321). Als Reaction gegen die
St»helling8chen und Hegeischen Begriffsc^nstructionen und gegen die einseitige
Betonung des „Geistes^^ tritt um 1850 ein neuer Materialismus auf. Der
„Materialismusstreit" kommt 1854 zum Ausbruch, aus Anlaß eines Vortrages
von RcDOLP Wagner, „ Über Mensehenschöpfung und Seelensubstanx", der sicli
. Materialismus — MateriaUamna, logischer. 627
zum Teil gegen C. Vogt wendet. Darauf und auf die Schrift: „Üiber Wissen
fjmd Glauben" (1854) erwidert C. Vogt in: „Köhlerglaube und Wissensckaß'
(1854), wo er erklart, „daß die Gedanken etwa in demselben Verhältnis xum
Gehirn stehen, wie die Galle xu der Leber oder der Urin xu den Nieren" (vgL
PhysioL Briefe 1847, S. 206). Weitere Ausbildung erfährt der Materialismus
durch L. Kkapp (Syst d. Bechtsphilos.), in anderer Weise durch Moleschott
(Kreislauf d. Leb.», 1876/85), L. Büchxer (Kraft und Stoff 1855, 19. A. 1898;
Natur u. Geist 1857 u. a.), dessen Begriff des Psychischen (s. d.) ein schwan-
kender ist, D. Fr. Stbacss (Der alte u. d. neue Glaube), Mobitz Berger
(Der Material, im Kampfe mit d. Spiritual, u. Ideal. 1883), J. C. Fischer
(Die Freih. d. menschL Willens 1871; Das Bewußtsein 1874), F. Wollny
(Der Materiaüsm. 1888), W. Strecker (Welt u. Menschh. vom Standp. d.
^laterial. 1891), B. Ck>NTA (Philos. mat^rialiste I, 1880). Materialist ist eine
Zeitlang Czolbe (Neue Darst. d. Sensual. 1855; Entsteh, d. Belbstbewußts.
1856). E. DÜHRTNG lehrt eine „Wirklichkeitsphilosophie" (s. d.). Es gibt
keinen andern Träger für j^liches Wirkliche als die Materie (Körperlichkeit)
(Wert d. Leb.*, S. 52). Als methodisch - heuristisches Princip schätzt den
Materialismus F. A. Lange (Geschichte des Material."). Über imd besonders
gegen den Materialismus vgl. u. a. Ulricis Schriften, femer J. B. Meyer,
Zum Streit üb. Leib und Seele 1856, Schellwien, Krit d. Material. 1858,
K. Snell, Die Streitfrage d. Material. 1858, M. J. Scjhleiden, Üb. d. Mater.
in der neueren Naturwiss. 1863, O. Flügel, Der Material. 1865, Fr. ScHifi-.TZE,
Die Grundged. d. Material. 1881 ; vgl. Philos. d. Naturwiss. I, 5 ff., E. Dreher,
Der Material. 1892, J. Bergmann, Material, u. Monism. 1882, Schüler, Der
Material 1891, Kramar, Das Problem d. Materie, Lelut, Physiol. de la pens^
1862, P. Janet, Le mat^rial. contemp. en AUem. 1864, Ladd, Philos. of Mind
1895, p. 293 ff. u. a. Vgl. Ostwald, Überwind. d. wissensch. Material. 1895;
L. Busse, Geist u. Körp. S. 12 ff.
Den psychophysischen Materialismus vertreten KCflpe (in der Psy-
chologie, s. Dualismus), Ziehen (psychologisch), H. MI^nsterberg, R Ave-
NARnis, E. Mach, W. Heinrich, Despine, Eichet, Huxley, Sergi, Eibot
VL a. Der psychophysische Materialismus betrachtet als Substrat der psychischen
Vorgange das körperliche Individuum; das Psychische ist etwas Eigenartiges,
aber es besteht aus Elementen (Empfindungen), die durch Gehimprocesse zu
o-ldaren sind, als „Abhängige" dieser. Dagegen besonders Wundt. „Der
Masterialismus beseitigt die Psychologie überhaupt^ um an ihre Stelle eine imagi-
näre Gehimphysiologie der Zfikunft , , , xu setxen,^* Der Materialismus ver-
kennt, dafi „der inneren Erfahrung vor der äußern die Priorität xukommt, daß
die Objeete der Außenwelt Vorstellungen sind, die sich nach psychischen Gesetxen
in uns entwickelt haben, und daß vor allem der Begriff der Materie ein gänxlieh
hypothetischer Begriff ist" (Grdz. d. physiol. Psychol. II*, 629). Das Psychische
(8. d.) laßt sich nicht als Function des Physischen ansehen (Philos. Stud. XII,
14 f., 17, 20, 30 ff.). Vgl. Psychisch, Seele, mechanistische Weltanschauung,
Materie, Hedonismus.
3Iateriali8mn8, geschichtlicher, s. Sociologie.
iHateriallsmits, logischer, ist nach M. Palagyi ^Jene Verirrung des
Denkens, die den Gedanken mit seinem 2^eichen verwec/iselt" (K. u. B. S. 92).
Logischer Materialismus findet sich bei den Scholastikern, Bolzano u. a.
40*
628 MateriaUtat — ICaterie.
MaterialiUlt: Stofflichkeit, Körperlichkeit, materieller Charakter. Y^
Materialismus, Seele.
Materie (materia, vXtj) oder Stoff bedeutet zuDächst, allgemein, d»
Correlat zur Fonn (s. d.), den Inhalt derselben, das Geformte, Gestaltete,
Formungsfähige in Abetraction von seiner Form, also alles, sofern es Object
einer Formung ist oder werden kann, allen Gehalt einer Sache, eines Begriffe,
eines Urteils (s. d.), einer Erkenntnis, eines Kunstwerkes. Der absolut ungefonnie
Stoff ist nur eine Idee, ein abstracter Begriff; alle concrete Materie ist aar
relativ „Stofp*^ von oder zu etwas, im Verhältnis zu einer höheren, activereB
Form, einer Formung. Seit Kant unterscheidet man Form (s. d.) und Stofi
des Erkennens (s. d.), der Erfahrung (s. d.). Stoff der Erfahrung ist das noeb
ungeordnete Chaos der Empfindungen (vgl. Kaitt, Krit d. r. Vem., Transeend.
Ästhet). W. RoSENKRANTZ betrachtet („Materie und Form^^ als Nebenkategoria
der Hauptkategorie „Ursache und Wirkung^' (Wissensch. d. Wiss. II, 201).
„Soll überhaupt etwas werden, so muß immer schon etwas vorhanden sein, da»
entweder seihst etwas anderes wird, oder woran etwas anderes tetrd. — Da
femer die Ursache der Wirkung entgegengesetzt ist, so kann jede Ursache das,
was sie wirkt, nur an einem andern wirken, toas sie nicht selbst ist. — Dat-
jenige endlich, was dadurch an diesem andern entsteht, erscheint nur der Ursatke
gegenüber als Wirkung, Im Vergleiche mit dem, woraus es entsteht, erscheint
es als etwas, was dieses nicht ursprünglich war, sondern wozu es van außea
bestimmt wurde, sohin als Form, xu welcher das hierzu Bestimmte tn seinetn
ursprünglichen Zustande die Materie bildete^' Q., c. S. 201 f.). Nach Cabnebi
ist der Stoff die Identität von Geist und Materie, vod Inhalt und Form (Sitd
u. Darw. S. 95).
Metaphysisch bedeutet die Materie den beharrenden Trager der sinnUdi
wahrnehmbaren Erscheinungen, die Substanz (s. d.) der Körper, insofern gie
räumlich-mechanisch und dynamisch begrifflich bestimmt wird. Die Materie
ist nicht ein Ding unter Dingen, sondern das allen gemeinsame Subetantielk
im Baume und in der Bewegung. Ein Ding ist materiell, insofern es raumlidi
ausgedehnt, bewegt imd widerstandskräftig ist. Die Materie als solche, der
Stoff, ist weder ein Ding an sich noch Schein, sondern eine b^;riffliche Hypo-
stase (s. d.) der Körperlichkeit der Dinge, welche dynamische und energetisdie
(s. d.) Belationen der Dinge untereinander und auf das erkennende Subjeet
darstellt. Qualitativ läßt sich die Materie in (active und passive, actuelle und
potentielle) Kräfte (s. d.) auflösen, im engeren Sinne ist sie der Inbegriff ?qd
Widerständen in räumlicher Form, insofern diese Sitz, Ausgangs- und Angriffe-
pnnkte von Bewegungskräften bilden. Die Constanz der Materie bedealet
die Unzerstörbarkeit derselben, das Postulat des (naturwissensehaftlichea)
Denkens, die einmal gesetzte materielle Substanz für alle Veränderung fest-
zuhalten, ein Postulat, das durch die Erfahrung beständig ab berechtigt er-
härtet wird. Der Materialismus (s. d.) erblickt in der Materie die einzige oder
doch eine absolute Bealität ersten Ranges. In der modernen Physik bestellt
teilweise die Tendenz, den Begriff der Materie zu „eliminieren^*, ihn durch den
Begriff der Energie (s. d.) zu ersetzen. Als Gegensatz der Materie wird <rft
der Geist (s. d. betrachtet.
Die Materie wird bald als das Seelische einschließend, als belebt (HylocoE-
mus, s. d.), bald als vom Geiste schroff unterschieden betrachtet, es werdoi ihr
Materie. 629
bald innere Kräfte zogesehrieben, bald gilt sie ak träge Masse („ntdü indi-
gestaque moles"), sie wird geometrisch -mechanisch und auch dynamisch be-
itimmt.
Von den ionischen Naturphilosophen (Thaleb, Anaximandbr, Herakltt)
vird die Materie als bestimmter Stoff (Wasser, Luft, Feuer) bestimmt, von
Anaxihandeb als unbegrenzter Kraftstoff (s. Apeiron). Bei den Eleaten tritt
die Materie im Begriffe des starren Seins (s. d.) auf. Nicht ganz sicher ist es,
was die PLATOirische Materie eigentlich bedeutet, ob einen Stoff oder eher den
leeren Banm (so nach Abistoteleb, Phys. IV, 2, 209 b 11 squ.; £. Zelleb,
Gesch. d. Philos. d. Griech. II*, 1, 727 ff.; Siebeck, Piatons Lehre von d.
Mat; Unters, zur Philos. d. Gesch.«, S. 49 ff.; Windelband, Plato«, S. 108 ff.;
BlUHKEB, Probl. d. Mat. S. 177 ff.). Plato vergleicht die Materie mit der vhj
der Handwerker. Sie ist das r^irav yivos neben den Ideen und den Sinnen-
dingen, ein fi^ ov, relativ Nichtseiendes (Tim. 48 £). Sie ist gestaltlos, un-
begrenzt, qualit&tolos, unwahmehmbar, nur durch einen unechten Schluß
{loytfffitß Tivi vod'tp) erfaßbar, sie ist der Schoß des Werdens, die deSa/uvrj, ein
iKftayeiot; ein alles Aufnehmendes (napSex^g), sie ist yet'os r^g xt^^^^s (Tim. 52 A);
die Dinge entstehen in ihr {iv ^ yiyvea&ai, Tim. 50 C), Ildcrjg elvai yspicemg
vnoioxv^ avTOy olov ri^^vrjv (Tim. 49 A). Js'xaTai ra yaQ atl in ndvra xai
fiO(ff7fv ovBafiiav nori avBsvl reSv aiatovrcav bftoiav eiXrjfsv ovSaju^ ovSafitSg:
ixftayaXov ya^ fvüai navri Meiraij xivovfitvdv ra nal 9iaaxfll*^f'^t^f*f^vov vn6 rc5v
attiWTtav . , , iv i^ovr rtp naqovri x^i y^^ Siavofj&^vai T^rra^ ro fuv yvyvo-
fuvovy t6 ^ iv (f yiyverat, ro ^ od'av a^ofioiovftavov ^pvarai t6 yiyvouevav* xal
A7 xal n^o9aixn<fai n^inei t6 fikv Bexofiarov fifjftqi (Tim. 50 C, D); xai rf ra
jtSv navTOfv aal ra ovratv xara ndv iavrov TtoXXdxig d^ofioicS/iara xahog
ftiiXorri S^'xao&at ndvrofv ixrog avx^ n^oarjxsi nafvxdvai tc5v eiScSfv, 816 Sfj
T^ rov yeyovoxogy o^aTOv xal ndvrcug aUs^rixov firj^d^a xai vnodoxrv fnira yfjv
fofta di^a fifjra nv^ f^V^' vBa^ Xt'yofuv, fujra oca ix TovTtov fti^xB ki tov ravja
yiy^vav' dX£ dvo^aror aUfSe rt xal dfioQtpov, navSex^g (Tim. 51 A). T(}iTOv Sa
ov yivog ov ro i^g x^Q^^ <^^A y&o^dv ov n^oaSexo/uvov, iS^ar 8a nagaxov oaa
fyti yivactv nnctv, avro Ba fiax dvaia&rjaiag aTirar XoyiGfuf rivl vo&qf, fioyig
xunov (Tim. 52 A, B).
Den Begriff der Materie im Gegensätze zum Formbegriffe prägt Ari-
stoteles. Die Materie (vXfj) ist eines der Principicm (agx^^* Sie ist die
8wafug, das Swdfiat ov, die Möglichkeit (Potenz) zu allem, das Unbestimmte
(i6^ieror)y das der Form zur concreten Existenz bedarf, die Grundlage aller
Gestaltung, das „weibltche" Princip (ro &^Xv, De gener. anim. II, 1). y^ayto
yag vXfjv TO TfQcuTOv vTtoxeifiBvov ixdaripf iS ov yiyveral ri ivvTrd^x^^^^^ (Phys.
I 9, 192 a 31); ov ydg 17 8iafo^d xai rj noiorijg icttj rovx ioti ro vnoxeifuvovj
0 ^-iyofiav vXtfv. — Aayto 9%Xf\v ^ xad"^ avrijv f*T,Ta ti fiiqra noaov fuJTB dXXo
foffihf Idyazai olg ea^tarai t6 ov ian ydg ri xad^ ov xarrjyogeXrai rovTtav
ixaaxov, t^ to elvai fra^v xal rcav xanjyo^itSv axdcrrj (Met. VII 3, 1029 a
20 squ.); 8vvax6v ydg xal alvai xal fitj aXvai fxamov avTcav, rovro 8*ioriv t>
buLQXf^ vXrj (Met. VII 7, 103 a 21); vXrjv 8e Xe'ytü, ^ /irj T68a n ovca ive^yaiq
iwufui iurl r68a rt (Met VIII 1, 1042 a 27). Die Materie ist trage, formlos
{«t*8eg xal dfio^ov\ unbegrenzt {do^iarov, Met. VII 11, 1037 a 27), allein für
sich unerkennbar (dyvoHfrog xad^ avrijv, Met VII 10, 1036a 8). Zu unter-
Mheiden sind vXrj aie&rjrij und foijnj (sinnlicher und geistiger Stoff, Met VII
10, 1036a 9 squ.). Die vXrj ist 8wdfiat, oxi ^X&oi av eig ro alBog' orav 8i
630 ICaterie.
yivt^Blq 17, Torc iv t^ ei8et iarlv (Met. VIII 8, 1050 a 15). Die Matoie ist
den Dingen immanent: ^ fdv yaQ vitj ov x^*^"^^ ^<^*' Ttgayfiarafp (Met. lY 7,
214a 13). Allen Dingen liegt die gleiche Materie zugrunde: iarlv vhq fdn rmw
ivavj{a>v . . . T(^ S*e2vai ite^ov, xai /lia rif a^id'fi^ . . . oxar yap iS viatoi
ariQ yivrjraif rj avrrj vXtj av n^ocXaßovca rt aXlo iyirsro^ alX o rv St^raßu,
ive^iiq fydvtro (Met. IV 9, 217 a 22 squ.). Das Substrat (vnoxtiftsvati) aller
Dinge ist die Urmaterie, vXij ngurtri („materia prima^^), die aber für sich aUeiD
nur in der Abetraction, begrifflich Existenz hat (Met V 4, 1015 a 7). IHe rhi
icx^rtj (iSieCf oixßia, „nuUeria secunda") ist die specifische und schon roh ge-
formte Materie, die noch weiter zu formen ist (z. B. Erz) (Met VTII 6, 1045 b
18). Die vXi] Tt^totfi ist oiaia 7r<os, insofern sie sich mit der Form zn einer
ovaia verbindet (Fhys. I, 9). Jedes Ding ist Materie im Verhältnis m onem
höheren Dinge: atl ya^ ro arwregov n^oe to v^ avxv, iog atSog noog vJapr,
ovTfos fyu npog aXXrjXa (De coeL IV 3, 310b 15). Nur Gott (s. d.) ist ohne
Materie, reine Form („actus puru8"y s. d.). Die Materie ist der Grund des Zo-
fälligen (cvf/ßißijxog), Accidentiellen, des Mechanischen, Alogischen: eSaxt Arra
^ vXrj i; ivdexofievrj na^a to (as htl ro noXv aXXwe rav cvftßeßrpcorag airim
(Met. VT 2, 1027 a 13). *Ep r^ ya^ vXrj ro avayxatoVf ro 9* ov ivexa iv np Xayif
(Phys. II 9, 200 a 14). Nach Eubemos ist die Materie ein CrestalÜoses , kein
atofittj sondern cofftaroeidtjg; die Formen sind in ihr (SimpL ad Arist Phys. I
u. IV; von ^wXot Xoyot ist die Bede bei Aristoteles, De an. I, 403 a 25;
SwXa eiÜri: ALEXikKDEB APHRODis., De an. 89). Die Stoiker idendficicRo
die Urmaterie (n^cjrrj vXri) mit dem „Leidenden" (Tracx^v), welches mit dem
Ttoiovv zur Einheit verbunden ist. Das nticxov bestinmien sie als n^^^ äsrotov
ovaCav rrjv vXriv (Diog. L. VII, 134). Die Materie ist als solche trage und ge-
staltlos, ihre Größe ist constant „Materia iaeet iners, r&t ad amnia pantta
creaturOy ei nemo moveat*' (Sbneca, Ep. 65, 2). ''TXrj 3i iunv i( ^g ort df^aw-
ovv yiverat, KaXsirni 8i SixtSg, ovaia re xai vAi;, ^ ra reSv ndvropv uclI 17 T»tr
inl /ii'^ovs' 97 fiiv ow rav oXeov ovrs nXeiofv o\S* SXarrofv yivtrai, 17 9i rvr
inl fii^ovg xal TtXeiofv xal iXdrrtov (Diog. L. VII, 150); litSt^ov xai avxe ^Itim
yiyvofitvTjv ovre iXdrraf ovrt av^rjaiv ovrs fieiioaiv vnofiivovüav; ano^ov ami
cifiogtpov (Stob. Ecl. I 11, 322, 324). Die Ck)nstanz der Matme spricht der
Epikureer LüCREZ aus: „Nee stipata magis fuit unquam tnateriae copia
porro tnaioribus intervallis : nam neque adaugescii quicquam neque deperit
(De rer. nat. II, 294—96). Nach Philo ist die Materie quahtatslos, tot {mx^\
passiv (dnoios), gestaltlos (duo^og)^ unrein, bÖs (s. d.) (Zelusb, Philos. d.
Griech. III 2*, 386 f.). Plotin unterscheidet von der intelligiblen Materie in
den Ideen, welche Formen annimmt (Enn. IV, 4, 4) die sinnliche Materie^ das
Abbild {uifirjua) jener. Die Materie iyXfj) ist ro ßd&og ixdarov, das Substimt
von allem, sie ist dunkel, unbestimmt {anetQov\ ein Böses {xnxdv), eine ar^
^ais (Beraubung) des iv, ein ftrj ov (Nicht-Seiendes), eine Anovaia dya9^&Vy
cxid Xoyov xal ixTtrtoaiSy darußiarovy ihr Begriff ist ein „tnteehter*^,
(Enn. I, 8, 7 ; II, 4, 3 squ. ; III, 6, 6 squ.). Das gegenseitige In-einander-nber«
gehen der Elemente bezeugt, daß für die Körper ein Substrat als ein andere»
neben ihnen bestehen muß (1. c. II, 4, 6). Die Materie ist die letzte, schwaeks^i»
Emanation (s. d.) des „Einen" (1. c. I, 8, 7). Eine intelligible Matme ninubt
auch Jamblich an: vXriv nva xa&aQnv xal d'aiav Blvat Xiyoffiev (De mvsfeer.
Aegypt V, 23). — Nach Alexander von Aphrodisias hat die Materie
Vermögen zu den entgegengesetztesten Qualitäten (Quaest nat I, 15);
Materie. 631
bedarf der Form, um Bestimmtheit {toBb rt) zu erlangen (1. c. de an. II,
p. 120).
Nach den Yalentinianern ist die Materie eine olaia äfio^oQ (Iren. I, 4;
II, 29, 3), ein Nichtiges, sie hat eine fvcixtj i^fii, ein Streben (l- c« h 2» ^i
von einem Streben nach Dasein in der Materie spricht schon Flotin, £nn.
III, 6, 7). Das Materielle entstand durch den Fall der co^ia, au« deren ntid^
die Elemente wurden (Iren. II, 10, 3). Die Quaüt&tslosigkeit der Materie be-
hauptet H£RMOQEK£8 (Tertull., Adv. Herm. 35, 37). Die Mat^ie ist weder gut
noch böse (L c. 37), ist ursprünglich in ungeordneter („incondite^^) Bewegung
<L c. 42). Ihre Teile haben alle von allem etwas (L c. 39). Obioknes lehrt
die Schöpfung (s. d.) der Materie durch Gott (De princ. II, 164). Sie ist
qualitätslos, aber fähig, qualitativ bestimmt zu werden (Ck)ntr. Gels. III, 41),
existiert nur mit den Qualitäten : „JSaae tarnen fnaieria qiuitniois secimdum suam
propriam raüonem sine qualitoHlma sit, numquam tarnen subsistere exira qua-
litatem invenüur** (De princ. II, 1). Augustinus definiert: ^yHykn dieo quati'
dam peniitu informem et sine qwditate meUeriam, unde tstae, quae serUitnus
qtiolittUeSf formantwr^^ (De trin. VIII, 35Sc). Sie enthält die Pot^iz zu allen
Dingen, ist niemals zeitlich ohne Form, wenn sie auch logisch der Form (als
deren Grund) vorhergeht (Conf. XII, 8; 40; De civ. Dei XXII, 2). An sich
ist sie y,quaedam informUae sine uUa epeeie!^* (Conf. XII, 3). Nach JoH. Philo»
POifüB ist die Materie von Gott aus dem Nichts geschaffen; sie kann nicht
ohne Form sein (De aetem. mund. XI, 1; XII, 1).
Nach Greqob von Ntssa besteht die Materie aus immateriellen Quali-
täten (s. d.) (De hom. opif. 24). So auch nach JoH. Scotüs Eriifoena: „Ipsa
etiam materies, si quis intenttts aspexerit, ex inoorporeis qualitatibus eoptt^
lahif*^ (De div. nat. I, 42; vgL I, 61 f.). Die Materie ist j,invi8%bÜiSf in-
^orporea" (1. c. III, 14), eine yyprivatio" (1. c. I, 56), keine Substanz.
David von Dinant nennt Gk>tt die „materia omnium" (Alb. Magn., Sum.
th. I, 20, 2). Die Materie ist y^primum indivisibiley ex quo eonstituuniur cor-
p€»ra" (Thom., In sent 2, d. 17, qu. 1, 1). Nach Avicenna ist die Materie
ewig, das Princip der Individuation (Met VI, 2). Nach Averbo^ hat die
Materie die Formen der Dinge potentiell in sich. Nach Ibn Gebirol ist eine
(von Gott emanierende) Materie auch in der Geisterwelt, allem liegt eine „f9ia-
ia^ univer8€Ui^* zugrunde, nur der Gottheit nicht (Stöckl II, 62; M. Eisler,
Jüd. Philos. I, 62 ff.). — Ähnlich Bonaventura. Die geistigen Wesen haben,
weil aus Potentialität und Actualität zusammengesetzt, eine „materia spiri"
ttialis^^ (In sent 2, d. 3, 17). — Nach Maimonides ist die Materie von Gott
geschaffen.
Albertus Magnus erklärt: „Materia est primum subiecium eius quod esf'
{Sum. th. II, 4, 1). „Materia appetit formam^^ (1. c. I, 26, 1). Die Urmaterie
(„materia prima^^) S&i „potentia inchoationis farmae^* (L c. II, 4, 4). yyMateria
TUitnquam separcUa est a formis omnibtis propter sui imperfedionenty quae adesse
^non suffieit sine forma, et haec imperfectio numquam relinquit materiam; et
4deo cum forma semper erit secundum actum" (In phys. I, 2, 4). Es gibt
^,maieria incorruptünlium et corruptibilium" (Sum. th. II, 47). Die schon von
einer bestimmten Form gestaltete Materie ist ,ymaJteria sigfuUa" (Met. VII, 3, 2).
Nach Thomas ist die Materie das, „ex quo est genercUio" (De princ. nat.,
Op. 31), sie ist yy potentia pura" (Opusc. 15, 7), „idy quod est in potentia"
<Sum. th. I, 3, 2 c), „ex qua aliquid fit" (1. c. I, 92, 2 ad 2), „primum sub-
632 Materie.
ieetumy ex quo aliquid fU per s&^ (1 phys. 15; Sum. th. III, 72, 2). Due
„prima dtsposüio" ist „qttanttkis dimensiffa*' (Sum. th. HI, 72, 2). Sie wird
„substantia*^ geaannt, „non quasi ens aliquid aetu eanstens in ge eonsideratOj
sed quasi in poteniia, ut sit aliquid aeh^' (8 met 1 1). „Materia primn^ ist
dasjenige, y,quod est in genere substantiae ut poientia quaedam intelleeta prader
omnem speciem et farmam et etiam praeter priwUionein^ quae tarnen est suseep-
titfa et formarum ei privationum*^ (Spir. 1 c). Es gibt eine j,materia sennbäir^
und yyintelligibüi^' (Sum. th. I, 85, Ic; C. gent. II, 75, III, 105). Zu unter.
scheiden sind femer: „maieria eamposita" und „simplex^* (C. gent. III, 97|,
„materia eorparalis** und ,^spiritualis*' (Siun. th. .1, 12, 11c), „maieria de-
mentaris^'^ (L c. I, 71, 1 ad 1), ,ymateria communis" und „particularis^ (Sum.
th. I, 3, 3c; C. gent II, 30, HI, 41), y,materia prima (pura/' und „uUima^
(Sum. th. I, 3, 8c; O. gent. I, 17), „materia demonstrata'* desiffnata, Signatar^
(Sum. th. I, 75, 4e; 0. gent. I, 21, 65; De ente et ess. 2; De yerit. II, 6 ad It
„Materia signata (individualis)^* ist die schon von einer Form gestaltete Materie
(z. B. ein Knochen, ein Stück Fleisch, Sum. th. I, 85, 1). „Signatio maieriae
est esse sub certis dimensionilms, quae faciunt esse hoc et nunc ad sensum
demonstrabile^' (Sum. th. III, 77, 2). Sie ist „principium individuaUoms^
(s. d.) (1 anal. 38c; 1 caeL 19b). Es gibt endlich eine „materia enunciatiom^
und „syüogismi". DüNS ScoTUS schreibt allen endlichen Dingen eine (anch
ohne Form wirkliche) Materie, als „subieetum omnis receptianis'^ (De rer. prine.
qu. 8, 4, 26) zu. Die formlose Urmaterie (yfietus entitatimts") ist ,jmat€ria
prima prima" (1. c. qu. 8, 3, 19). „M€Ueria seeundo prima^^ ist „subieetum
generationis et earruptionisl" (L c. qu. 8, 3, 20). „Materia tertio prima" ist die
Matme „cuiuslibet artis et materia euiuslibet agentis naturalis partieulari^
(ib.). Nach Suarez ist die Materie y^subiectum primum" der Verandenmg
(Met. disp. 13, sct. 1, 8), die bleibende Potentialität der Körper (1. c 3, sei. 4,
5). — GOGLEN erklärt: „Materia est causa interna, ex qua ens produeitur.^
„Materia propria est materia disposita, id est, prajeparata et adepta^ (Lex.
philos. p. 669). MiCBAELiüs bestimmt: ,yMateria est altera causa naturalis in-
terna et essentialisy ex qua corpora fiunt et consiant," yyMateria suntitur rel
obieetive pro materia circa quaniy quae dieitur obieetum; vel subiedive^ pro ma-
teria in qua et dieitur subieetum inhaerentiae; vel constitutive pro materia ex
qua, ita ut insit composito materiaio; vel logiee pro genere^^ (Lex. philos. pu 622i.
Als Gründe für die Annahme der Materie bei den Scholastikem wird an>
gegeben: 1) ,/a/ nuUua elementorum iransmuiationef*, 2) „ex generatione rerumr^
3) ,/a/ puro aeti^, 4) „ev contrarietate privationis et formae^* (L c. p. 624).
NicoLAus CüSANüs bezeichnet die Materie als das (aus dem Nicfats ge-
schaffene) yyWerden-können", als „passe fieri"; die intelligible Materie ist eins
mit dem schöpferischen Vermögen Gottes (De venat. siq>. 39). PAKACELfiTB
bestimmt die Urmaterie als ,jlimbus mundi" (yylimbus maiar**)y ,;gliaster^ (viir^
astrum), yykyaster**, in welchem die Keime zu allen Dingen lagen; sie ist „mif
sterium magnum" (Paramir. I, 1). Die materiellen Elemente sind die „üäffar'
aller Dinge, sind beseelt. Nach Cabdaktjs ist die Materie das in allen Dingfo
Gemeinsame, das Gonstante im Entstehen und Vergehen (De subtiL p. 358 ff.).
Als trage, tote Masse, „ccrparea moles", bestimmt die Materie Tblebixts, der
ihr eine Widerstandskraft gegen alle Veränderung zuschreibt, der zufolge ihre
Menge stets constant bleibt (De rer. nat I, 4 ff.). Von ein»* „restsfenha^
Materie. 633
y,antiiypia^^ (b. d., wie die Stoiker) der Materie spricht Patritiüs, der die
Materie als yjluor seu humor Primogenitur* bestimmt (Panaug. 6^ p. 78).
Campanella bestimmt die Materie als (von Gott geschaffene) y^seeunda
substantW^, y^basia formarum, pHneipmm paasivum composttionis rerwn^*j als
„iner^% „inviaihüü^*, „niffra** (Real, philoe. p. 6). „Materiam universale^M,
loeum omnium formarum, sicuti spatium est locus omnium matertarumj moiem
esse eorpoream wUeUigimus^^ (De sensu rer. II, 1; PhysioL I, 3). Die feinste
Materie ist der Äther (L c. I, 4). J. B. van Helmont bestimmt die Materie
als fftuorem genericum sive generatwum". Sie ist die Substanz jedes Dinges
(Causae et init. rer. nat. p. 35 f.). Eine tmbestimmte Materie gibt es nicht
(1. c. p. 33). G. Bruno faßt die Materie als Gestaltungsstoff auf. „Es gibt . . .
eine Art Suttstrat, aus welehem, mit und in welefiem die Natur ihre Wirksam-
heii, ihre Arbeiten voUxieht und welches durch diese in so viele Formen gebracht
wird, als sieh in der großen Verschiedenheit der Arten den Blicken des Be-
trachters darbieten** (De la causa III). Die Materie, das Formlose, die Potenz
der Formen, ist das Bleibende in den Dingen, das nur b^^fflich erkannt zu
werden vermag. y,Wie auch die Formen sich ins Unendliche vermannigfaltigen
und eine auf die andere folgt, es bleibt doch immer eine und dieselbe Materie
rorhanden." „Es muß also immer eins und dasselbe sein, was an sich nicid
Stein, nickt Erde, Leichnam, Mensch, Embryo, Blut oder etwets anderes ist, was
(MbeTy nachdem es BltU war, Embryo teird, indem es das Embryo-Sein annimmt.
Nur die Formen wechseln, die Materie aber ist unvergänglich, fest, euig, die
wcJtrhaft seiende Substanx," „Sie ist nickt eigentlich körperlich, denn sie hat
alle Arten von Gestaltungen und körperlichen Richtungen, und weil sie cUle hat,
so hat sie keine von allen" (1. c. IV). Die Materie ist als Wirksamkeit gött-
licher Natur (ib.). Das ist die Beaction gegen die häufige Verachtung, Gering-
wertung der Materie bei den christlichen Philosophen des Mittelalters. B. Fludd
nimmt einen Urstoff, „universa massa", welcher die Finsternis ist, an. Die
Materie ist formlos, qualitatlos, hat die Möglichkeit zu allen Körpern in sich
(Historia utriusque cosmi, C. 4, 6). Ähnhch Getinger.
Nach Galilei ist die Materie stets imverändert und dieselbe (Discorei,
Opp. III, p. 4). Sie besteht aus unausgedehnten Atomen (II Saggiatore,
Opp. II| p. 342). Die Constanz der Materie behauptet auch F. Bagon: „Om-
nia tnutari et nil vere interire, ac summam materiae prorsus eandem manere
satis eonstat** (Gpuscul. philos., Works V, p. 82). Nach Hobbes ist die Materie
nichts als ,yCorpus generaliter sumptum" (De corp. 0. 8, 24), d. h. der Körper
bloß hinsichtlich seiner Größe und Ausdehnung und der Fähigkeit, Form und
Accidentien anzunehmen, betrachtet (ib.). Descartes scheidet schroff die Ma-
terie als besondere Substanz (s. d.) vom Geiste. Sie hat keine inneren Kräfte,
ist nichts als „reff extensa", mit der Eigenschaft der Bewegung (s. d.), rein
passiv, sie ist erfüllter Baum. Die Ausdehnung constituiert die Natur der
^^ntbstantia corporea** (Princ. philos. I, 63). „Quod agentes, percipiemus naturam
materiae, sive corporis in Universum spectaii, non eonsistere in eo quod sit res
dura, vel ponderosa, vel colorata, vel alio aliquo modo seneus afficiens; sed tan-
twrn in eo, quod sit extensa in langum, latum et profundum** (1. c. II, 4). Eine
und dieselbe Materie liegt dem Himmel und der Erde zugrunde (1. c. II, 22).
„Materia itaque in tote universo una et eadem existii; utpote quae omnis per
hoc unum tantum agnosdtur, quod sit extensa. Omnesque proprietates, quas in
ea clare percipimus, ad hoc unum reducuntur quod sit partibilis et mobilis
634 Materie.
aecundum partes; et proinde capax iUarum omniwn affectioruanj quas er em
partium motu sequi posse pereipimtis, Partiüo enim^ quae sü sola cogüaHom,
nihil mutat; sed omnis materiae variatio, sive amnium eius formarum diiDersiiat,
pendet a motu'* (1. c. II, 23). Auch Spinoza bestimmt die Materie durch ds»
Prädicat der AusdehnuDg. sie ist nicht Substanz, sondern Attribut (s. d.> der
einen Substanz (s. d.). Malebkanche setzt „matier&* und „VUendMut*- gleich.
Die Materie hat zwei Eigenschaften: ^^cüle de reeevoir differentea fiffttres'* und
^yla capaeite d'etre mue^'^ (Bech. I, 1). jJm ^naiih-e est toute sans actione (ib.L
Gassendi erklärt: t,Quia imprimis sensu manifestum est, in rerum naiurs
muUa fieri et muUa quoque interire: ideo mente tenendum est, opus ad hoc esse
maiena, ex qua res gignantur, in quam resolvantur^* (Philos. Epic. srnt. IL
sct. I, 4). Die Materie besteht aus Atomen (1/c. II, set. I, 5 squ.)- Nadi
Newton besteht die Materie aus harten, undurchdringlichen, beweig^choi
Teilchen (Opt. qu. 31, p. 325). Nach J. Bobooyigh sind die y^primae materiae
elementa*' j,puncta peniius inextensa et indivisUnlia, a se invieem aliquo inkr-
vaüo disiuncta'' (Theor. philos. 1763, p. 41). Vgl. Atomistik.
Nach H. More besteht die Urmaterie aus gleichartigen Monaden (Eoehir.
met.). Bildende (plastische) Kräfte („vires plastieae*') schreibt B. Cudwobth
der Materie zu (Syst intelL). Nach GussoN kommt ihr ein Streben zu (Traet
de natur. subst. energ. p. 90 f.). Dynamisch bestimmt die Materie Leibniz.
yjMateria prima" ist die Widerstandskraft (,fintitypia^*)y die Becepiiviüt, die
Kraft der Undurchdringlichkeit, eine rein passive Kraft (Erdm. p. 157, 4fö,
466, 691). Die „materia seeunda" ist eine Erscheinung, aber ein y^phaenomenoM
bene fundatum" (1. c. p. 725), die „veruwrene" Vorstellang von geistigeo Mo-
naden (s. d.), deren Aggregat sich uns als Körper, als y^substantiatum*^, darstellt
(vgl. Gerh. IV, 18; Nouv. Ess. IV, eh. 3). — Nach Chb. Wolf ist Malaie
yyillud, quod determinatur in ente eomposito" (Ontolog. § 948). Sie ist .yextfefwvM
vi inertiae praeditum" (Cosmolog. § 141). ,yDa^enige nun, was einem Körper
die Ausdehnung gibt mit seiner widerstehenden Kraft, wird die Materie genamet
(Vem. Ged. I, § 607). Sie besteht aus Natur-Monaden (s. d.). Büdig£R unter-
scheidet die Materie, deren Wesen die Ausdehnung bildet, von der Körperiicfakeit,
die in der Elasticität besteht. Die Seele (s. d.) ist materiell, aber nicht körper-
lich. Nach L. EuLBR besteht das Wesen der Materie im Tragheitswiderstand.
Locke definiert die Materie („matter*^) als „an extended solid suhstana"
(Elem. of nat philos. eh. 1). Die jyMaterie^* ist ein unklarer, problematiscfaff
Begriff, sie ist nur eine Abstraction vom Körper, bezeichnet die überall gldcbe
und einförmige Dichtigkeit der Körper (Ess. III, eh. 10, § 15). Für sidi alloB
ist die Materie passiv, unbewegt (1. c. IV, eh. 10, § 10). Als bloße Vontdlunf:
faßt die Materie A. Collier auf: „AU mattersy which exisi, eooist m ar depett-
dantly on mind" (Clav. univ. p. 10). Berkeley bestreitet die Existenz einer
Materie. Sie ist nichts als der abstracte Begriff eines Wesens (yjbei»%g^^) über-
haupt (Princ. XVII), existiert weder außer noch in dem Bewußtsein (L c.
LXVII). Die Annahme einer Materie (yyMcUerialismus", s. d.) nützt nkkts.
die Erscheinungen der Natur sind direct durch das Wirken Gottes zu erklarai
(1. c. LXXII). Da alle Qualitäten (s. d.) samt Ausdehnung und Bewegung
nur Vorstellungen sind, so hat die Materie keinen realen Sinn (L c. LXXIIL
LXXX). Auch HuME hält den Begriff der Materie für eine blofie F^cti»
(Treat. IV, sct. 3; vgl. Substanz). — Boyle definiert die „universal tnatta*'
als „a» extended, divisible and inpenetrabU substanee^' (Works 1738, p- 197).
Katerie. 635
Die Materialisten (b. d.) halten die Materie^ das Materielle für absolut reaL
17 ach Pbiebtlby ist die Materie ,,a subgtance possessed of the property of
extenaicn and of potoera of attraetion or reptUsion^* (Disquis. L Introd. p. II).
Hoi4BACH erklärt: j,La matüre en genSral est taut ee qui affecte noa aens d'une
fa^on queleonqtie^* (Syst. de la nat. I, eh. 3, p. 31). y,La maiüre est etemeUe et
^tSeessaire, mais aea eombinaiaana et aea fortnea aont paaaagerea et contingentea^*
(L c. I, eh. 6). — Nach Diderot ist die Materie ewig, in sich selber bestehend,
sie hat (In ihren Atomen) Empfindung (Pens^ sur l'interpr^t. de la nat.
175; Sur la mati^re et sur le mouvement, 1770). Nach d'Alembebt ist das
Wesen der Materie unbekannt (Mä. T. V). BoU88Bi.u nennt Materie alles, was
aaller uns wahrgenommen wird und was auf unsere Sinne wirkt (Emil IV).
BoiETNET betont: „77 n'exiate point de matüre en gSneral; tnaia il eadste une
iftfinüe de eorpa partimdieray dana leaquela noua remarquona dea diterminationa
cofnmunea ei dea dUerminations propres, Noua dSduiaona de ceUea^lä, par la
r^fleacicnj la notion des attributa eaaentiela dea eorpa, et fwua donnons ä la ool^
ieeiion de ees cUtributa le nom de matih-&^ (Ess. analyt, pr^f. p. XXVI f.).
Phinomenalistisch und dynamisch ist der Begriff der Materie bei Kant.
I>a alle Qualitäten (s. d.) sowie Ausdehnung und Bewegung subjectiver Natur,
da femer die Kategorien (s. d.) des Denkens apriorisch-subjectiv sind, ins-
besondere auch der Begriff der Substanz (s. d.), so ist die Materie kein Ding
an sich (s. d.), sondern die Erscheinung eines solchen ganz in der Form unserer
Anschauung und unseres Denkens, als solche aber, empirisch, objectiv reaL
Sie hat eine Wirklichkeit, „dte nicht geschloaaen tcerden darf, aondem unmittelbar
wahrffenommen wird" (Krit d. r. Vem. 8. 314). Die Materie der Erscheinung
(das Physische) bedeutet ein Etwas, das im Baume und in der Zeit angetroffen
wird und der Empfindung correspondiert (L c. 8. 555). Die Materie ist die
Resultierende von Anziehungs- und Abstoßungskräften. Die Abstraction von
der Erfahrung der Undurchdringlichkeit (s. d.) bringt in uns den Begriff der
Materie hervor (Traume ein. Geisterseh. I. T., 1. Hptst). Die Materie hat
f^eine Kraft der Zuriiekatoßung*^ (ib.). Materie ist „daa Bewegliehe im Bäumet*,
„dits Bewegliehe, aofem ea einen Raum erfUUt^^, d. h. allem Bew^lichen wider-
steht (Met. Anf. d. Naturw. S. 1, 31), und zwar durch eine „beaondere be-
treffende Kraft*^ (1. c. 8. 33). „Die Materie erfUUet ihre Räume durch repulaive
Kräfte aUer ihrer Teile, d, i. durch eine ihr eigene Äuadehnungakraft, die einen
bertimmien Orad hat, Über den kleinere oder größere ina Unendliche können ge-
dacht werden*^ (1. c. 6. 36). Alle Materie ist daher ursprünglich elastisch (1. c.
S. 37). „Materielle Substanz ist da^enige im Baume, was für sich, d, i. ab-
geaondert von (ülem anderen, waa außer ihm im Räume exiatierty beweglich iat"
(1. e. S. 42; vgl. 8. 106). Materie ist „dcu Bewegliche, aofem ea, ala ein aolchea,
ein Oegenatand der Erfahrung aein kann" (1. c. 8. 138). Es kann nur „eine
urspriingliche Anziehung im Gonfiict mit der uraprünglichen Zuriickatoßung
einen beatimmten Orad der Erfüllung des Raumes, mtthin Materie möglich
fnaehen** (L c. 8. 70). „Ä» edlen Veränderungen der körperlichen Natur bleibt
die Quantität der Materie im ganzen dieselbe, unvermehrt und unpermindert^*
(L c. 8. 116; vgl. dazu die chemischen Versuche Lavoisisrs).
Bei der Mehrzahl der philosophischen Systematiker nach Kant herrsc^it
ein dynamischer Materie-Begriff, der vielfach zugleich phänomenologisch ist, in-
dem die Materie als objective oder subjective Erscheinung, auch als Product
immaterieller Kräfte oder Tätigkeiten betrachtet wird.
636 Matorie.
Nach LiGHTENBERO ist die Materie ein abetracter Begriff, dem empirisdi
nur Kräfte entsprechen. Phänomenal ist der Begriff der Materie nach BourBB-
WEK (Lehrb. d. philos. Wiss. I, 154). A. Weishattpt betont: ,,Keine MUerie
ah solche wirkt; alte Wirkungen der Materie sind also Wirkungen der imma-
teriellen Eräftey aus welchen sie besteht" (Üb. Material, u. IdeaL*, S. 46). Alle
Materie, alle Ausdehnung, alle Zusammensetzung ist Erscheinung (1. c. B. 183).
Nach £[rug ist die Materie ,,em TStiges oder Wirksames im Baume, so daß
wir von ihr d>en nichts weiter als diese Wirksamkeit erkennen". „Die Materie
ist also als ein ursprünglich dynamisches Etwas xu denken" (Handb. d
Philos. I, 331). Nach J. G. Fichte ist die (nur als Product des ,Jch", s. d^
existierende) Materie yydas, was im Baume ist und denselben ausfiUlt** (Syst. d.
Sittenl. 8. 162). Schelung erklärt: „Aller Stoff ist bloßer Ausdrude eines
Oleichgewichts entgegengesetzter JUtigkeiteny die sich wechselseitig auf ein bloßes
Substrat von Tätigkeiten redueieren" (Syst d. tr. Ideal 8. 101). „Alle Materie
ist innerlich eins, dem Wesen nach reine Identität* (Naturphilos. I, 239).
„Materie ist , . , etwas, was, nach drei Dimensionen ausgedehnt, den Raum er-
fülW* (1. c. 8. 246). 8ie bestdit nur „durch Wirkung und Gegenwirkung an-
xiehender und xurückstoßender Kräfte^* (L c. 8. 247), sie ist nichts ,yaZ« diese
Kräfte im Conflict gedacht^' (1. c. 8. 266). „Materie und Korper also sind
selbst nichts als Producte entgegengesetzter Kräfte, oder vielmehr selbst mekis
anderes als diese Kräfte" (1. c. 8. 270). Die Materie ist das erste „Elwa^eis^
des Welt-8ubject8. Dies ist die nichtkörperliche Urmaterie, die Potenz der
sinnlich wahrnehmbaren Materie (WW. I 10, 104). L. Oken bestimmt: „Mst--
terie ist nur die sichtbar gewordene, begrenxte TStigkeit , . . Es gibt keine tote
Materie, sie ist durch ihr Sein lebendig, durch das Absolute in ihr," Urmaterie
ist der (göttliche) Äther (Natuiphilos. I, 42 ff.). Die Materie ist ewig, grensen-
los (1. c. 8. 41). Nach J. £. y. Beroeb ist die Materie eine Abstraction, ideale
Principien sind das Wirksame in ihr (Zur philos. Naturerk. 1821). Ahnlich
Lammenais. 8TEFFEKS erklärt: „Das AbsohUe, insofern es die Indifferenz aüff"
Dimensionen ist, ist die Materie." „Die Materie ist ewig und das Absolute der
Natur selbst," „Der Baum ist von der Materie nicht verschieden, sondern ist
die Materie selbst, insofern ihm die endliehe Unendlichkeit der Zeit eingepflanxt
ist" (Grdz. d. philos. Natunviss. 8. 23). Nach 8chlei£RMACHE& ist „Materie^
„nicht nur das BaumerfUllende, sondern au4ih das nur ZeiterfiÜlende, das ekaaÜsek
Materielle des Bewußtseins*' (Dial. 8. 140). Nach H. Bitteb gibt es
Materie, der nicht ein inneres oder geistiges Dasein entspräche. „Der
toird ntcht erfüllt durch materielle Substanxen, Atome u. s. tr., sondern durch
Tätigkeiten oder Kräfte . . ., welche, von verschiedenen Subjeeten ausgehend^ siA
in einem Baume sättigen und so die Undurehdringliehkeit der körperlichen £r-
scheinung bilden" (Abr.^d. philos. Log.*, 8. 45). Nach F. Baader ist die
Materie keine 8ubstanz, sondern die Äußerlichkeit der nichtdenkenden Natur.
Die Natur integriert beständig aus „immateriellen differentialen Materiell' Weseni^
(Üb. d. Incompet unserer dermal. Philos. 8. 12 f., 31; vgl. Fenn. Cögnit).
Jeder Körper besteht aus einem Kräfte-Temar (Beitr. zur £lementarph3r9ioL
1796). Nach Heinroth ist die Materie nur Kraft (Psychol. 8. 264), aonst
nichts (1. c. 8. 264). Nach Hillebrakd besteht das Materielle in „icr«|>rifii^
liehen, einfach wirkenden Selbstkräften, gleichsam bloß in einem medumiaekm
Sich^setxen" (Philos. d. Geist. I, 49 ff.). Hegel bestimmt die Materie als
„Identität des Baumes und der Zeit, des unmittelbaren Außereinander und der
Materie. 337
Negaiwitäi oder der ais für sieh seienden Binxelheit^' (Encykl. § 261), als ,,das
Reale an Raum und Zeü'^y die „erste Realität, das daseiende Filr-sieh-sein^^ ,
als „positives Bestehen des Raumes*^, als j/iauemdes Etw€uf" in der Bewegung
(NaturphiloB.*, S. 67). „Die Materie ist die Form, in weleher das Außersich-
sein der Natur xu ihrem ersten In-sieh-sein kommt, dem abstraeUn Für-sich"
sein, das aussehließend und damit eine Vielheit ist, welche ihre Einheit, als
das fur-sieh-^eiende Viele, in ein allgemeines Für-sich-sein xusammenfassend, in
sieh zugleich und noch außer sich hcU — die Schwere** (1. c. S. 41 f.). Eine
Belbständige Substanz ist die Materie nicht, ihr Wesen besteht in Bewegung.
E. RosENKBANZ bemerkt: „insofern . . . das Wesen, indem es sieh als Existenx
setxi, nach verschiedenen Seilen hin seinen unterschied von andern Existenxen
verschieden ttusxudrüeken vermag, kann es gegen diesen mögliehen Wechsel der
Form als die Materie erscheinen, welche gestaltet wird und als passiver Stoff gegen
die acHve Form sieh verhält** (Syst d. Wiss. S. 67). Die Materie ist die Äußer-
lichkeit der Idee (1. c. S. 178). „AUe eonerete Materie ist , , , qualitativ und
quantitativ sieh unaufhörlich verändernd** (L c. 8. 221). — Bbaniss bestimmt
die Materie als das Sein, „welches die entgegengesetxten Kräfte als verschwindende
Momente zum Inhalt, deren Bestimmungen aber, nämlich Repulsion und Ät--
traetion, als ruhendes Außereinander und indifferente Einheit zu seiner Form
hat*' (Syst. d. Met S. 324). Nach Chalybaeus ist die Materie das räumlich-
zeitlich Unendliche {anet^ov), „das reale Moment im Absoluten**, das objective
Sein des Unendlichen, ein der Störungen passiv fähiges, aber nicht activ pro-
ductives Wesen (Wissenschaftslehre S. 105 ff.). Vgl. G. Bibdebmann, Philos.
als Begriffewiss. II, 25 ff. Vgl. Rosmini, Teoeofia, V, p. 449 ff.
ScHOPENHAüEB betrachtet die Materie als Erscheinung, Objectivation (s. d.)
des „allgemeinen Willens zum Leben**, Ihr Sein ist „ Wirken** (W. a. W. u. V.
I. Bd., § 4). Aus der Vereinigung von Baum und Zeit entstehend, ist sie wie
diese nur Vorstellung (L c. § 7). Sie ist durch und durch Causalität, ist nur „die
objeetiv aufgefaßte Verstandes form der Causalität selbst**, die „obfeetivierte, d, h.
nach außen prqjicierte Verstandesfunction der Causalität selbst, also das ob^
jeetivierte hypostasierte Wirken überhaupt , ohne nähere Bestimmung seiner Art
und Weiset*, Die empirisch gegebene Materie manifestiert sich nur durch ihre
Kräfte, jede Kraft inhäriert einer Materie; beide zusammen machen den em-
pirisch realen Körper aus. Die Materie ist „die bloße Sichtbarkeit des
Willens, nicht aber dieser selbst: demnach gehört sie dem bloß Formellen
unserer Vorstellung, nicht aber dem Ding an sich an. Demgemäß eben müssen
wir sie als form- und eigenschaftslos, absolut träge und passiv denken; können
sie jedoch nur in abstraeto also denken: denn empirisch gegd^en ist die bloße
Materie, ohne Form und Qualität, nie. Wie es aber nur eine Materie gibt, die,
unter den mannigfaltigsten Formen und Acddentien oAiflrelend, doch dieselbe
ist, so ist auch der Wille in edlen Erseheinungefi xuletxt einer und derselbe*
(Prol^om. II, § 75). Das, woraus alle Dinge werden und hervorgehen, muß
als Materie erscheinen, „d, h, als das Reale Oberhaupt, das Raum und Zeit
Erfüllende, unter allem Wechsel der Qualitäten und Formen Beharrende, welches
das gemeinsame Substrat aller Anschauungen, jedoch für sieh allein nicht anr
sehaubar ist** (ib.). In der Anschauung kommt sie nur in Verbindung mit der
Form und Qualität vor, als Körper. Sie ist Bedingung, nicht Gregeustand der
Erfahrung, wird nur gedacht als „das durch die Formen unseres Intellects, in
welchem die Welt als Vorstellung sich darstellt, notwendig herbeigeführte, bleibende
638 Materie.
Substrat aller vorübergehenden Ersehemungen", Sie iBt „dasfentge, toodwrk
der IV nie y der das innere Wesen der Dinge ausmaekt^ in die Wahrnehmbar'
keit tritt, anschatäiehy sichtbar wird. In diesem Sinne ist also die Materie
die bloße Sichtbarkeit des Willens oder das Band der WeU als Wille mit
der WeU als Vorstellung, Dieser gehört sie an, sofern sie das Produei der
Functionen des InteUecis ist, jener, sofern das in allen materiellen Wesen, d, t.
Erscheinungen, sich Manifestierende der Wille ist^^ (W. a. W. u. V. II. BcL
0. 24). Die einmal von uns gesetzte Materie „können wir sehlecßäerdinffa nieki
mehr wegdenken, d. h, sie als verschwunden und vernichtet, sondern immer
als in einen andern Raum versetxt uns vorstellen: insofern also ist sie mit
Erkenntnisvermögen eben so unxertrenniieh verknüpft, wie Raum und ZeU sdbsL
Jedoch der Unterschied, daß sie dabei »uerst beliebig als vorhanden geeebU sein
muß, deutet schon an, daß sie nicht so gänxlieh und in jeder Hinsieht dem
formalen Tkile unserer Erkenntnis angehört, wie Raum und Zeit, sondern zu-
gleich ein nur a posteriori gegebenes Element enthält. Sie ist in der Tai der
Anknüpfungspunkt des empirischen Teils unserer Erkenntnis an den reinen und
apriorischen, mithin der dgentiimließie Grundstein der ErfahrungswdJP'^ (W. a.
W. u. Y. II. Bd., C. 24). Aus den innern Eigenschaften der Materie geht alle
bestimmte Wirkungsart der Körper hervor, und doch wird die Materie seibBi
nie wahrgenommen, sondern zu den Wirkungen hinzugedacht (ib.). Jedes Ob>
ject ist als Ding an sich Wille, als Erscheinung Materie; auf dem Willen be-
ruht alles Empirische der Materie. Die niedrigste Stufe der Objectivation des
Willens ist die Schwere. Was objectiv Materie ist, ist subjectiv Wille (ib.).
Kraft und Stoff sind im Grunde eines. Für die physische Forschung ist die
Materie der Ursprung der Dinge, die „maier rerum*^, aber sie ist selbst ein
Mittelbares, Secundäres, was der Materialismus (s. d.) verkennt (ib.). Alle
Materie ist „nur für den Verstand, durch den Verstand, im Verstände*^ (L c.
1. Bd., § 4). Die Beharrlichkeit der Materie ist ein Reflex der Zeitloeigkeit
des Subjectes: „So erscheint die endlose Dauer der Mat&ne als Spiegel der
Ewigkeit (d. t. Zeitlosigkeit) des Subjeets^* (Neue Paralipom. § 12).
Herbart betrachtet die ausgedehnte Materie als „objeetiven Schein**^ ak
Erscheinung. „Ebendieselbe Materie aber ist real, als eine Summe einfaeker
Wesen, und in diesen Wesen geschieht wirklieh etwas, welches die
Erscheinung einer räumlichen Existenx xur Folge hat." Den
Zustanden der „Realen^* (s. d.), den „Selbsterhaltungen*'', gehören ,^ewisse
bestimmungen, als notwendige Äuffassungsweisen für den Zuschauer^* zu, die
„eben weil sie nichts Reales sind, sieh nach jenen innern Zuständen riehiem
müssen**, so daß „ein Schein von Attraktion und Repulsiofi" entspringt, deren
Gleichgewicht den Dichtigkeitsgrad u. s. w. der Materie bestimmt (Lehrb.
Psychol.*, S. 110 f.). „Die Cohäsion und Dichtigkeit jeder Materie hängt ab
einem Oleichgewichte xwischen Attraction und Repulsion, welches beides nieki
von gewissen räumlidien Kräften der einfachen Wesen, sondern von der fcrusalen
Notwendigkeit herrührt, daß der äußere Zustand, d, i. die räumliehe La^, deem
innern Zustande, d. h. den SdbsterhaUungen der Wesen, völlig entsprechet* (PsvclioL
als Wissensch. II, § 153). Die Materie entsteht durch partielle Durchdringoag^
der „Realen**. Je nach der Art und Stärke des G^ensatzes entsteht die feite
oder starre Materie, der Wärmestoff (Caloricum), das Electricum, der Äther.
Die Materie ist ,^ein Continuum, sondern ursprünglich eine starre
(All. Met. II, § 246 ff., 253 ff., 269 ff., 274; Lehrb. zur PsychoL», S. 111).
Materie. 639
Materie besteht aus imraumlichen Elementen, aus Monaden (Encykl. d. PhOoe.
S. 221 ; vgl Lehrb. zur Einl.», S. 178 ff., 314 ff.). Eine innere Biidaainkeit
kommt ihr zu. Als Erscheinung von immateriellen realen Wesen betrachten
die Materie die Herbartianer Volkmann, R. Zimmermann (Anthropos.)^
0. Flügel u. a. — Renan erklärt: ftÄllea geht ton der Materie au$f aber die
Idee ist es, die alles belebt.^^ ,jNiehts besteht ahne Materie, aber die Materie ist
nur die Bedingung des Seins, nicht die Ursache^* (Philos. Dial. u. Fragm.
p. 41 f.). Nach Trendelenbübo verstdit das Denken die Materie nur durch
die Bewegung als deren Wesen. W. Weber hat den Begriff einer „Masse, an
vehher die Vorstellung der räumliehen Ausdehnung gar nicht notwendig hafteP*^
(bei Feghner, Atomenl.', 8. 88 1). Nach Lotze ist die Materie „ein System
unausgedehnter Wesen . . ., die durch ihre Kräfte sich ihre gegenseitige Lage
im Räume vorxeiehnen und, indem sie der Verschiebung untereinander wie dem
Eindringen eines Fremden Widerstand leisten, jene Erscheinungen der Undurch-
dringliehktU und der stetigen Raumerfiülung hervorbringen^^ (Mikrok. I*, 403).
„Es bleibt . . . bloß die eine Ansicht übriff, die einfachen Wesen oder die Atome
der Physik als unausgedehnte Mittelpunkte von Kräften, d. h. von aus- und
eingehenden Wirkungen, jede stetige Materie aber cds eine bloße Erscheinung an^
tuschen, die aus einer Vielheit weehselwirkender discreter Atome besteht*^ (Gr. d.
Met.*, S. 79). Die träge Materie ist kein Wahmehmungsgegenstand, sondern eine
Hypothese (Med. Psychol. S. 58 ff.). Die Eigenschaften der Materie sind nur
„Formen des äußerlichen Verhaltens mehrerer Subjecte gegeneinander^'^ (1. c.
6. 63). Ulrigi faßt alle Materie als „Kraftäußerung^^ auf, als Erscheinung der
,^faehen Central- und Widerstandskräfte'* eines Dinges, nicht als totes Sub-
strat (Leib u. Seele 8. 30 ff.). Der Stoff ist nur die Erscheinung der Eraft^
ist an sich Kraft, Widerstandskraft (Gott u. d. Nat S. 456 ff., 19). Ähnlich
K. Snell (Streitfr. d. Mat. 8. 327). Nach M. Carriere ist die Materie „das
Phänomen, die Erscheinung des Zusammentreffens der Kraft in uns mit Kräften
außer uns; die Kräfte in ihrer Wechselbeziehung bringen den Stoff hervor*'
(Sittl. Weltordn. 8. 32). Die Materie ist Widerstandskraft (1. c. S. 33). Nach
J. H. Fichte ist die ausgedehnte Materie nur ein „Phänomen . . . auf dem
Augenpunkte unseres Beumßtseins", Erscheinung, Bild eines Realen (Psychol. I,
34 f.). E. y. Hartmann bestimmt die Materie (die vom sinnlichen „Stoff"
zu unterscheiden ist) als „System von Atomkräften", „Dynamidensystem" (wie
Rei>tenbacher), „System von Atomkräften mit gewissem Oleichgewichtsxustande"
(Philos. d. Unbew.*, S. 474, 484), objective Erscheinimg unbewußter Willens-
kräfte (s. d.). Der Begriff der Materie ist nicht zu eliminieren (Weltansch. d.
mod. Phys. 8. 206 ff.; ähnlich A. Drews, Das Ich 8. 261 ff.). Nach
R. Hamerlinq ist die Materie, genau besehen, ein Immaterielles (Atomist. d. Will.
II, 47). „Materie ist in alle Ewigkeit nichts anderes als die Combvnation sinn-
ßüiger Wirkungen immaterieller Kräfte^' (1. c. S. 49), nur „Folgeerscheinung
von Kraft", nicht Ursache und Träger derselben (1. c. S. 50 f.; ähnlich Nietzsche,
8. Mechanisch). Nach G. Spicker ist die Materie „nichts anderes als die
mittelst der Empfindung vorgestellte Kraft" (K. H. u. B. S. 195). Dynamisch be-
itimmen die Materie auch Vacherot (La science et la conscience 1865),
Ch. Leveque (La science et Finvisible 1865), Bouillier (Le princ. vitale*,
1874), P. Janet, Wallace, Zöllner, A. Wiesner. Nach Hellenbach ist
iie Materie nur eine Zusammensetzung individueller Kraftwesen (Der Individual.
S. 188). Ein System von Kräften ist sie nach du Prel (Mon. Seelenl. 8. 301).
640 Materie.
0. Caspari führt die Materie auf Kraft zurück (Zuaammenh. d. Dinge S. 5).
Nach F. Erhardt liegt die Bealität der Materie in der Kraft (WechfidiriiL
zw. Leib u. Seele S. 101 ff.). — Nach Renouvier ißt die Materie die Er-
scheinung von Monaden (s. d.). Feghner betrachtet das Materielle ak die
Erscheinung desselben, was an sich geistig ist (Zend-Av. II, 164). GreistigeiD
und Materiellem liegt ein Wesen zugrunde (1. c. II, 149). Die Biaterie ist für
den naiven Verstand das y^Handgreifliehe^^, für den Physiker die y^gemeüuk
Unterlage der Naturerscheinungen" (PhysikaL u. philos. Atom.*, 8. 105 fx
Nach H. iSPENCER ist die Vorstellung der Materie „nur das Symbol irgend einer
Farm jener Macht , , ,, die uns absolut und ßir i/mmer unbekannt bleibt^ (Flsychd.
1, § 63; First, pnnc. § 16). yyDie Darstellung aller obfeetiven latigkeiten tu
Ausdrücken der Bewegung ist nur eine Darstellung und nieht eine BSrhenmtnit
derselben" (Psychol. I, § 63, ß. 166). Die Vorstellung der Materie beruht auf
der Wahrnehmung des Widerstandes. „M follows, that forees are siantUng in
eertain relations from the tohole content of our idea of mattet*^ (First princ I.
§ 3). Lewes erklart: f,Matter is the feit vieioed in iis statieal aspeet^' (ProbL
II, 262). yyForc^' ist „activity of the feU". „Matter is the symbol ofaüthe
known properties" (L c. p. 264). Rishl bestimmt die Materie als die (phäno-
menale) „Substanz im Räume" y yydie von den räumlichen Empfindungen de»
Drucks und des Widerstandes abgeleitete Vorstellung des Realen^ als Substrat der
obfecHven Teilvorstellung" (Philos. Kritic. II 1, 274 f.). Nach B. Wähle ist
die Materie eine bloße subjective Wirkung, eine Vorstellung; ihr entspricht
eine imbekannte Ursache (Kurze ErkL S. 172). Sie ist kein Agens, ist ohne
Kräftigkeit (Das Ganze d. Phüos. S. 107 ff.). Nach Maiklaitdeb ist die
Materie yydie apriorische gemeinsame Form für alle Sinneseindrüeke^^ (Philos.
d. Erlös. S. 7).
Frohbchammer setzt das Wesen der Materie in die Baumlichkeit (Die
Phantas. S. 230), Czolbe in die Ausdehnung (s. d.). Nach £. Dühbikg ist
die Materie der yy Träger alles Wirklichen" (Log. 8. 201), das yyWeUmedimm'^
als yylnhegriff aller Regungen und Kräft^^^ y,ein großer Gesamtkörper, der unter
sich relativ getrennte Gruppen befaßt*^ (ib.). Nach Lord Ejblyik ist die Materie
eine durch Wirbelbewegung entstehende Differenzierung des Äthers, sie besteht
aus Wirbelatomen (yyvortex atoms"). — Moleschott betont : „Kein Stoff ohne
Kraft, Aber auch keine Kraft ohne Stoff' (Kreisl. d. Leb.«, S. 394). So andi
L. BÜCHNER (Kr. u. St S. 2). Nach Du Bois< Retmond sind Kraft mid
Materie nur Abstractionen der Dinge ohne isolierten Bestand (TJntexB. fibi d.
tier. Elektric. I, S. XLI). Das Wesen der Materie ist unerkennbar (L e. L
105 ff.). — Überweg erklärt: ,,Maierie und Kraft — bexeichnen die xuseifaeke
Auffassung einer untrennbaren Einheity einesteils durch die Sinnesi
anderesteils nach der Analogie der inneren Wahrnehmung von unserer
Willenskraft'' (Log. S. 84). Nach Überweg sind Materie und Kraft „nur *i«i
verschiedene Weisen der Auffassung des nämlichen Seins", yyMat&rie ist sinn-
lich angeschaute Kraft.'' „Kraft ist die nach der Analogie der ifmem Wahr-
nehmung, insbesondere der Wahrnehmung von unserem Wollen ^ vorgestellte
Realität der erscheinenden Materie" (Welt- und Lebensansch. S. 52 f.). Nach
Hagemann sind Kraft und Stoff nicht zu trennen, y, Betrachten wir nämUA
die Körper in ihrem vdrkungslosen Dasein als das Raumerfüllende, Bekarriiek^^
was aus sich nicht zur Bewegung oder xur Ruhe kommt, so nennen wir dieses
Stoff oder Materie, Dasjenige hingegen, was den verschiedenen Bigensekaftm
Materie* 641
und Wirkungsweisen der Körper xtigrunde liegt, nennen tcir die Kräfte der^
selben'' (Met.«, S. 65).
BoBiKET, Goethe, L. Noire, L. Geiger, E. Häokel, Bölsche, Clif-
FORD, BoMANES u. a. (s. Hjlozoismufi) schreiben der Materie Leben, Trieb,
Empfindung zn.
Nach Wtrinyr ist der Begriff der Materie der Niederschlag der begrifflichen
Verarbeitung der äußern Erfahrung, für die allein er Gültigkeit hat; sie ist ein
Hülfsbegriff zur Erledigung der naturwissenschafüiehen Aufgaben, der aus dem
„Bedürfnis der GauscUerklänmg stammt. Hypothetisch ist dieser Begriff ifisofemj
als tersehiedene Voraussetzungen über die Eigenschaften der Materie denkbar
sindf tpelche Postulate der Änschatmng sind." Die Materie wird gedacht als
y,d€^ Substrat der in den äußeren Anschauungen gegebenen Erscheinungen", als
,,Siix der Kräfte oder der Energien** , als System der Ausgangs- und Angriffs-
punkte der Kräfte. Die Materie ist die Form, unter der unser Denken die ihm
gegebenen Objecte appercipiert, begreift (Log. I«, 537 ff., 548 ff., 626 ff.; II«,
1, 327 ff.; Syst. d. Phüoe.», S. 284 ff., 438, 461 ff.; Philoe. Stud. II, 187, X,
11 ff., Xni, 80). yjDie Materie ist ein Begriff und keine Anschauung, Die letztere
hat es nur mit zusammengesetzten Körpern zu tun. Die Erscheinungen^ welche
an diesen sich darbieten, nötigen uns erst, jenen hypothetischen Begriff zu bilden,
der den Zusammenhang der Erscheinungen deuüieh machen soll" (Ess.*, 8. 36).
In den ursprünglichen Bedingungen der Naturerkenntnis liegt die Aufgabe, die
Natur als ein System beharrender Subetanzelemente zu begreifen, die nur
^ufiere CausalitätsTerhaltnisse zueinander darbieten (Syst. d. Philos.', 8. 275).
I>aher ist die Materie nicht zu eliminieren (ib.). An sich jedoch gibt es keine
Materie als Wesen, sondern Tätigkeit, Willen (s. d.). Der Satz von der Con-
stanz der Materie ist ursprünglich eine Denkforderung, alle Veränderung in
das Princip der CausaUtät aufzunehmen. „Die materietle Substanz bleibt be-
harrlich, weil ihre Causalität als ein bloßes Princip äußerer Veränderungen
angenommen ist» Diese äußeren Veränderungen bestehen in räumlichen Lage'
Änderungen, also in einem bloßen Wechsel der äußeren Relationen der Substanz-
elemente, wobei die Elemente selbst constant bleiben " Auf die äußeren Belationen
der Dinge muß sich die Naturwissenschaft beschränken (Syst. d. Philos.*, S. 260 ff. ;
PhiloB. Stud. II, 182, 187 f.). Uphües führt die Materie auf Undurchdring-
lichkeit zurück (Psychol. d. Erk. I, 85). Nach Thomson und Tjlit ist die
Materie „that which can be perceived by the senses**, „that which can be acted
-upon by, or can exert force" (Natural Philos. 161). Ejioma.n erklärt: „Die
Materie kann nicht aus nichts entstehen oder sich in nichts verwandeln. Da-
gegen ist die Behauptung von dem constanten Quantum der Materie in der Welt
mit Unrecht ais notwendiges Princip aufgestellt* (Unsere Naturerk. S. 289 ff., 296).
Der erkenntnistheoretische Idealismus (s. d.) erblickt in der Materie nur
•ein^i für die Interpretation der Erfahrungen notwendigen Begriff oder eine
Vorstellung. So Schubebt-Solderk, dem die Materie „ein räumliches Zu-
^satntnen sinnlicher Qualitäten" ist, deren Grundlage der „qualitativ bestimmte,
also anschauliche, conerete Raum" ist (Gr. e. Erk. S. 59, 63). Schuppe definiert
die Materie als einen „mit Sinnesqualitäten erfüllten Raum" (Log. S. 83). Ahn-
lich T. Lbclaib, M. KA.UFFMAKN (vgl. Immanenzphüosophie). Collyns-
&OL01S betont, „that there is no maierial suhstance in the Universe" (Universal
Inunaterial. p. 198 ff.). Eine vom Erkennenden unabhängige Materie gibt es
jdcht nach J. F. Ferrier, Green, Bradley u. a. Nach H. Cohen ist die
Phlloaophi*eli6fl WOrUrbaoh. S^ Aufl. 41
642 Materie.
Materie die „objeetivierte Empfindung^* ^ y^dd^enige Gruppe von Erscheinungen
des BezvußtseinSy an welcher mr die andere Gruppe derselben, die psychischen^
studieren müssen" (Princ. der Infin. S. 153). jyMaterielle Teüehen sind xunächat
geometrische Punktey an welchen dynamische Bexiehungen verrechnet werdem,
und welche, sofern solche dynamischen Bexiehungen der Rechnung gemäß unier
ihnen obwaUen, %u maierieUen Punkten und Teilchen werden*'' (1. c. S. 134).
Stoffliche MaBsenpunkte sind nicht anzunehmen (L c. S. 135). Nach ZnsHKW
ist die Materie nur eine allgemeine Hypothese, sie ist nicht Erlebnis, sondem
zu den Empfindungen und Vorstellungen hinzugedacht als Ursache, als In-
begriff von Eraftcentren (Leitfad. d. physiol. Psychol.*, S. 2.5). Nach Münster-
BEBO ist die Materie nicht in den wirklichen Dingen, sondem nur in den
physikalischen Objecten, den Producten einer Abstraction, wirksam (Grdz. d.
Psychol. I, 390). Sie ist ein „Äbschlußbegriff für die Ausarbeitung der Qhjeßt/t^
(1. c. S. 391). Nach Cufford ist die Materie „^'n Gedankenbild, in dem Seelen--
Stoff (ymind-stufp, s. d.) das vorgestellte Ding ist**, ein Bild des Wirklichen im
Geiste (V. d. Nat d. Dinge an sich S. 47). Nach E. Mach ist die Materie
nur „ein Gedatikensymbol für Empfindungen" (Populärwiss. Vorles. S. 230), „em
gewisser gesetzmäßiger Zusammenhang der Elemente**, wobei das „Verbindungs-
gesetx** daa Bestandige ist (Analys. d. Empfind. S. 222 f.). ,J)as Ding, der
Körper, die Materie ist nichts außer dem Zusammenhang der FcMrben, Töne «. s. it.,
außer den sogenannten Merkmalen** (Analys. d. Empfind.^, S. 5). Die Annahme
eines Stoffes als absoluten Trägers der Kraft ist eine Illusion. So auch nach
Ostwald, der den Begriff der Materie ganz eUminieren und durch den der
Energie (s. d.) ersetzen will (Überwind. d. wissensch. Material.). Materie ist nichts
als „eine räumlich xuswinmengesetxte Gruppe verschiedener Energien*'^ (L c. S. 28),
ein „räumlich xusammengeordneter Complex gewisser Energien** (VorL üb. Natnr-
philoe.^ 8. 245). „Dadurch . . ., daß eine Anxahlvon Eigenschaften, wie Maese^
Gewicht, Volum, Gestait und Farbe, dauernd örtlich beisammen bleibt und sieh
xum Teil gar nicht (wenigstens nicht meßbar), xum Teil nur in* geringem Maße
mit der Zeit und den äußeren Umständen ändert, ist der Begriff eines von aller
Zeit und edlen Umständen unabhiCngigen Trägers entstanden, an dem diese
Eigenschaften haften** (Energet. S. 5). Ähnlich lehrt Tait (Properties of Matter
1886; ygL auch die Arbeiten Stallos). fi. Corneuus betont: „Von einem
Gegensätze xwischen der Welt der Erscheinungen und einer unabhängig von
diesen Erscheinungen bestehenden materiellen Welt im Sinne eines GegensaiJLes
jbloßer Erscheinung* und ,wahren Seins* ist hier nicht mehr die Rede: die
materielle Welt ist ihrer empirischen Bedeutung nach nur ein abgekürzter Aus-
druck für die gesetzmäßigen Zusammenhänge der Erscheinungen** Die „ JHoMen^
und „Kräfte^* sind nichts als solche Zusammenhänge; „der Wert dieser Be-
griffe beruht nur darin, daß durch ihre Einführung die Beschreibimg unserer
Erfahrungen eine Vereinfachung erfahrt^* (Einleit. in d. Philos. S. 327). —
Gegen die „reine Energetik^' sind Wundt, E. v. Hartmaki? u. a. Biehl be-
merkt: „/n den Capacitäten . . . steckt der empirische Begriff der Materie^
statt diesen Begriff wirklich eliminieren zu können, hat die Energetik ihn
anders benannt. Mag die Materie immerhin ein Abstr actum sein, darum ist
noch kein bloßes Gedankending; sie ist überhaupt kein Ding, sondem die Vor-
stellungsart von Dingen durch die äußeren Sinne" In jedem physikaliseiien
Erscheinungsgebiete treffen wir auf besondere Größen, die wir uns natorgemäß
nur unter dem Bilde der Materie vorstellen können. „Wir werden die Materie
Katerle — Mathematik. 643
nieht los, wie tcir den Baum nicht los werden^^ (Zur Einf. in d. PhiloB. S. 148 f.).
Vgl J. C. S. Schiller, Biddles of the BphiIlx^ 1894; Kramab, Das Problem
d. Materie; Siowabt, Log. TP, 244 ff., 705; Maxwell, Matter and Motion,
dtscL 1875; Baeüiikeb, Problem d. Materie; Chevreuil, B^sum^ d'une histoire
de la mati^e 1878. Vgl. Körper, Object, Substanz, Kraft, Unendlichkeit,
Atomy Element, Materiell.
BlatialeU {vXiMoSf materialis): stofflich, körperlich, von der Natur der
Materie (s. d.). Materialität: Stofflichkeit, Körperlichkeit (vgl. Thomas,
Sum. th. I, 14, Ic). Nach Goglen ist y,m€Uerialef* das „constans ex maieria",
r^quod maierias ancUogum est^^ (Lex. philos. p. 670). Nach Fbies ist (wie nach
Kant) materiell, „iceu iwm MomnigfcUHgen gehört^ (Syst d. Log. 8. 99).
ScHOFENHAUEB bestimmt das Materielle als ,/ia» Wirkende überkaupt^^ (W. a.
W. u. V. II. Bd., C. 24). Nach Fechner ist das Materielle, „tro« anderem als
sieh aelbat erseheint' (Zend. II, 164). £. v. Hartmaitn nennt materiell „eine
solche Anordnung bestimmter Kraftäufierungeny dtireh welche die subfectiv ideale
ßraeheinung einer stofflichen RaumerfiUlung im Bewußtsein eines wahrnehmenden
Beobaekiers hervorgerufen wird^^ (Mod. PsychoL S. 366). Vgl. Physisch.
MaterieUe Ideen s. Ideen.
Materllerens Materie setzen, materiell werden. Von den Kräften ist
nach E. v. Hartmann ein Teil y,materiierend**.
Matlieina (/uzd^fAUf z. B. fidytatov fidd^ua: Plato, Kep. VI, 505 A squ.)
ist nach E[ant ein apodiktischer Satz, und zwar ein „direct synthetischer Satx"
durch „Construetion der Begriffe^', während ein Dogma (s. d.) ein solcher Satz
,fim BegHffm'' ist (Krit. d. r. Vem. S. 563 f.).
MatlieniatllL (juid'riiiaTMcri, Wissenschaft) : Wissenschaft von den Größen,
Quantitäten (s. d.). Sie ist eine Anwendimg der logischen Denktätigkeit und
der logischen Gresetze auf allgemeinste Inhalte des Denkens, eine höchst ab-
stracte Wissenschaft. In den logischen Functionen und Gesetzen sowie in der
Eigenart der Anschauungsformen, besonders des Baumes (s. d.), liegt die Quelle
der Sicherheit und Evidenz der mathematischen Axiome (s. d.) und Sätze. Da
die mathematischen Operationen consequente Anwendungen der Denkfunctio-
nen, die in aller Erfahrung die gleichen bleiben müssen, auf die Inhalte der
Erfahrung sind, so gelten die mathematischen Principien für alle mögliche
Erfahrung und alle &fahrung8objecte, auf die sie sich überhaupt beziehen, im
vorhinein, a pnori, mit Notwendigkeit.
Der BationaÜsmus (s. d.) wertet oft das mathematisch-demonstrative Ver-
fahren so hoch, daß er es auf die Philosophie (Metaphysik) zu übertragen sucht.
Dem Empirismus wiederum gilt die Mathematik als formales Hülfsmittel zur
EIrförBchung der erfahrungsmäßig gegebenen Wirklichkeit. Während der
iprioiismus (s. d.) die Axiome der Mathematik als a priori in den Anschauungs-
formen gegründet betrachtet, will sie der Empirismus aus Erfahrung und In-
luction (s. d.) ableiten.
Die Pythagoreer werten die mathematischen Principien (Zahlen, s. d.)
üs Seinsprincipien. Nach Plato stehen die mathematischen Dinge in der Mitte
irischen den immer werdenden, nie seienden Sinnendingen und den ewig
leienden Ideen. Die Mathematik leitet zur Philosophie, zur Dialektik (s. d.) an
vgL Rep. 525 D, 527 A; Phileb. 56, 57, 58 A). Unter allen Wissenschaften
außer der Dialektik) hat die Mathematik die größte Exactheit und Gewißheit.
41*
644 Kathematik.
Gegen die Trennung des Mathematischen vom Sinnlichen polemisiert Asu-
8TOTELE8 (Met. II, 2, 998a 7 squ., XII 2, 1076b 11 squ.).
Erkenntnistheoretische Bedeutmig erhalt die Mathematik wieder durch die
Forschimgen eines Eopebniktjs, Kepler, Gaulel Das Urbild aller Exact-
heit und Sicherheit des Erkennens, der Klarheit und Deutlichkeit, erblickt in der
reinen Mathematik Descarteb (Medit. V). Das mathematische Erkennen at-
hält etwas Überempirisches (E^p. aux cinq obj., Oeuvr. publ. par Coasin II,
p. 290). So auch nach Leibniz (Nouv. Ess. I, eh. 1 ; IV, eh. 17 ; Math. WW.
VII, 17 ff.). — Spikoza stellt sein philosophisches System geradezu y/non
geometrico" dar; y/'ationes, Dei existentiam et animae a corpore disttnetionm
probanies, more geometrieo dispasttae^^ schon bei Descartes ( Append. zu
den Medit.). Das mathematisch-beweisende Verfahren schätzt auch Tbghibf-
HAÜ8EN, und auch Chr. Wolf wendet es philosophisch an. — Büdioeb betoot
hingegen den Unterschied von mathematischer und philosophischer Demonstratioii;
jene geht vom Möglichen, diese vom Bealen aus. Nach Berkeley ist die
Mathematik keineswegs frei von Irrtümern (Princ. CXVIU). Hüme betrachtet
die Mathematik als eine demonstrativ-apriorische, analytische, deductive Wissen-
schaft (s. Demonstration). Nach Mendelssohn gründet die Mathematik Dir
Gewißheit auf das allgemeine Axiom , daß nichts zugleich sein und nicht san
könne (Abh. üb. d. Evid. B. 13), auf den Satz des Widerspruchs (ib.). In der
Mathematik überhaupt werden unsere Begriffe von der Größe, in der Geometrie
die Begriffe von der Ausdehnimg entwickelt und auseinandergesetzt (L c
S. 13 f.). Die Mathematik ist eine analytische Wissenschaft (1. c. B. 14). Die
Gewißheit der geometrischen Wahrheiten stützt sich nur ,yauf die unveräfider-
liehe Identität eines eingetci^elten Begriffs mit den abgeleiteten eniviebelien
Begriffen** (1. c. S. 35 f.). Aber das gilt nur von der „reinen tkeoretist^
Mathematik**. „Sobald wir von einer geometrischen Wahrlieü in der Ausiänrng
Öebraueh machen , . ., so muß ein Erfahrungssat» xum Gründe gelegt uerdm^
welcher aussagt, daß diese oder jene Figur y Zahl u. s. w. wirklich Vorhemden «er*
(1. c. S. 36).
Kant erklart in der Schrift „De mundi sens. et inteUig, forma . . .^
die reine Mathematik als das Muster der höchsten Gewißheit; indem sie die
Form der sinnlichen Erkenntnis behandelt, ist sie das Organon jeder sinn-
lichen und deutlichen Erkenntnis (1. c. sct II, § 12). In der yyKrit. d. rem,
Vem** betont er das Gleiche, lehrt die apriorische (s. d.) Grundlage der matl»-
matischen Axiome (s. d.) und die synthetische (s. d.) Natur der nuithematiscbfli
Grundsätze. Beine Mathematik ist niu: möglich, weil es apriorische, notwend^
Bedingungen aller Erfahrung, Eaum und Zeit (s. d.) gibt Auf die Metaph
kann die „mathematische Methode^* nicht angewandt werden. Novalis sii
im Mathematischen den realisierten Verstand. Nach J. J. Wagnee sind
Verhältnisse mathematische Verhältnisse. Die Mathematik ist das eigentli^
Organ der Erkenntnis (Mathemat. Philos. 1811). — Schopenhauer verlang
(im Gegensatze zur begrifflich-deductiven EuKLiDschen Mathematik) „die Zurikt
führung jeder logischen Begründung auf eine anschatäiche'*). Bei Euklid erfibl
man nicht, warum das Demonstrierte so und nicht anders ist Die mathe«
matische Erklärung und Gewißheit fußt auf dem Satz vom Grunde (s. d.
(Welt a, W. u. V. I. Bd., § 15; II. Bd., C. 13). J. St. Mill betont die in-
ductive Grundlage der Mathematik (s. Axiom). R. Shüte hält die math^
Mathematik. 645
matisclieii Gesetze für bloß relativ, für menBchlich bedingt (Discourse on tnith
p. 264 f., 289).
Nach 0. Cabpabi entwickelt die Mathematik, die sich zum Principe der
Philosophie erhebt, „etVie Metaphysik schlimmster Art^^ (Grund- und Lebensfrag.
5, 38). yyReine Ebene^^^ ^^reiner Baum^^ u. s. w. sind metaphysische Voraus-
setzungen der Mathematik (L c. 8. 39). Die sogen, reine Mathematik ist in
Wahrheit eine „streng aneUytische, somit atich ihrem begrifflichen Wesen nach
eine rein metaphysische Wissenschaft^^, Sie „vollfährt alle ihre Ckm-
siruetianen nur auf Grundlage einer Abstraetionj welche erlaubt, alle ihre
Säixe und Folgerungen mit Hülfe des ScUxes vom Widerspruch xu beweisen'^
(L c. S. 40). Nach Wttndt hat die Mathematik die Aufgabe, „die denkbaren
Q^fUde der reinen Anschauung, sowie die auf Qrund der reinen Anschauung
voUxiehbaren formalen Begriffsconsiructionen in Bexug auf aUe ihre Eigenschaften
und wechselseitigen Relationen einer erschöpfenden Untersuchung zu unter-
werfen^*. Sie ist eine rein logische Wissenschaft (Log. IP 1, S. 88 ff.). Die
mathematischen Axiome sind durch Induction entstanden (1. c. 8. 114 ff.). Nach
F. BCHULTZE hat die Mathematik apriorische Fundamente (Philos. d. Natur-
wiss. II, 118 ff.). yj)ie reinen, mathematischen Anschauungen der geometrischen
Gebilde und ebenso die reinen und abstracten Anschauungen der Zahlen ent- und
bestehen aus dem Empfindungsmaterial des Qemeingefühls ; aus ihm construiert
der causal verknüpfende Geist seine mathematisch reinen Formgebilde oder
Anschauungen** (L c. II, 320). Nach H. Cohen muß auf Mathematik alles
reduciert werden können, was irgend als Naturwirklichkeit soll behauptet werden
können, wenngleich nicht alle Eigentümlichkeiten der letzteren ohne Best in
liathematik ansehen (Princ. d. Infin. 8. 143). Der Begriff des Infinitesimalen
ist der Trager der mathematischen Naturerkenntnis (s. Unendlich). Nach
6. Heyhan sind die arithmetischen Sätze analytisch (Ges. u. Elem. d.
wissensch. Denk. 8. 115 ff., 125 f.). Nach Vacheeot ist die Mathematik „la
seienee des rapports abstraits ou exterieurs des choses, telles que VimaginaHon
nous les represente** (M6t III, p. 211). Nach Krouajs ist in der Matiiematik
die Anschauung das producierende, der Satz der Identität das controllierende
Princip (Unsere Naturerk. S. 151 ff.). Die Mathematik ist eine apriorische
Wissenschaft wie die Logik, d. h. ein „System von allgemeingültigen und
allgemeinen Gewißheiten und Genauigkeiten**, eine Ideal- oder Form-
wifisenschaft wie die Logik (L c. S. 139, 143). M. Palagti nennt die Mathe-
matik die „Wissenschaft von der neutralen Besinnung**, weil in den mathe-
matischen Urteilen kein Unterschied zwischen dem Subjecte und dem Prädicate
gemacht wird und das Identitätsprincip die Gestalt des Principes der Gleichheit
annimmt (Die Log. auf d. Scheidewege S. 270 ff.). Da die Mathematik die
Objecte völlig durch Symbole zu ersetzen vermag, ist sie die symbolische Wissen-
schaft par excellence. „ Trotx ihrer großen Selbstherrlichkeit darf sie jedoch den
lebendigen Contact einerseits mit der Physik, anderseits mit der Logik (Meta-
physik) nicht aufgeben . . . Sie ist ihrem ganzen' Wesen nach die haarscharfe
Orenxe zwischen Physik und Metaphysik* (L c. 8. 273 f.). Sie ist gewisser-
maßen das Surrogat der absoluten (der Zeit nicht bedürftigen) Erkenntnis
(L c. 8. 274), indem sie von allen Attributen des Vergänglichen absieht (1. c.
ß. 275). Vgl. F. Bacon, De dignit III, 6; E. Weigel, Philos. matiiem. 1693;
Chaltbaeus, Wissenschaftslehre 8. 120 f.; J. Duhamel, Des m^thodes dans
les Sciences de raisoonement 1866/72; Eheekfelb, Zur Philos. d. Mathem.,
646 Mathematik — Maya.
VierteljahrsBchr. f. w. Philoe. 15. Bd., S. 285 ff.; G. F. LiPPß, Phüos. Stud.
IX — XII; HUBSERL, Log. d. Mathem.; Cantor, Vorlesung, üb. d. Gesch. d
Mathem. 1894/1900; Bauicank, Lehren von Raum, Zeit und Mathem.; Slow ART,
Log. II', 41 ff. VgL Metamathematik, Zahl, Baum, Psychophysik, Axiome,
Bealismus, NominalismuB, Unendlichkeit.
Matlieiiiatlseli Erliabene s. Erhaben.
Matlieiiiatlaelie OewiOlielt: Bestimmtheit, Notwendigkeit der mathe-
matischen Sätze. VgL A prion.
Matlieiiiatlselie liosik s. Ijogik.
Matlieiiiatlaelie Psyehologie s. Psychophysik.
]IEatliesi8: Wissenschaft (s. d.).
Maxlmallon of liapplneas s. Utilitarismus.
maxlme /"„moa^ma, sc. propoeitio etve regula'^J: höchster Giuadsatz des
Handehis, höchstes Willensprincip, allgemeine Lebensregel, vom Subject des
Handelns, vom Ich selbst gesetzt oder anerkannt, praktisches Princip.
Der Ausdruck „Maaßime^^ hat seine Quelle in des BofiTHiüS „moa^imae et
prmeipales propositiones** („qtiarum mdla probatio eaf^), woraus das SubstantiTom
„maaiima^^ hervorgeht, das erst logische Bedeutung besitzt („Loeorwn alms
dieitur locus mcudma", Albert von Sachsen), und erst im Franzöaischai
(„les mooDtmes") ethisch-praktischen Sinn gewinnt (vgl. Prantl, G. d. L. IV,
19; 78). Die logische Bedeutung noch bei d'AROEKS: ^.Proposüions evidenieg
et gSnercUeSy teües que aont Celles qu'on appelle maximes ou axiomes . . . G«
appelle cea premiers prindpes des maximes ou des axiomeSy pareeque ce $omi
des propositions, dont ü suffit de concevoir le senSf pour itre eonpoincu de lern
eertitude^^ (Philos. du Bons-Sens I, p. 244 1). In der praktischen Bedeatong
schon bei La Boghefoucauld (B^flexions ou sentences et maximes momles 16föL
Nach Kant ist Maxime „dcu subjectwe PHneip des WoUens*^, das ^^nd^fedüt
Princip xu handeln'' (WW. IV, 248, 269), y^das stdffeetive PHneip xu kandeim,
Ufas sich das SuJbject selbst zur Regel machte' (WW. VII, 28). „Ich nenne alle
subfeetiven Orundsäixej die nicht von der Beschaffenheit des Obfects, sondern dem
Interesse der Vernunft^ in Ansehung einer gewissen mögliehen Vollkontmenkeä
der Erkenntnis dieses Objects, hergenommen sind, Maximen der Vernunft'
(Krit. d. r. Vem. S. 518). Nach Fries sind logische Maximen ^fiegeln der
Verfahrtmgsa/rt im Suchen" (Syst. d. Log. S. 439). Waitz erklärt: ,,/Vftnetjptf»
sind Orundurteile, die wir als Normen tmseres Denkensy Maximen OrtmdurteHi.
die wir als Regeln unseres Handelns anerkennen'* (Lehrb. d. Psycho!- S. 646i
Strümpell unterscheidet Maxime und Grundsatz so, daß jene als das Modüicier-
bare erscheint (Vorsch. S. 131). Nach G. A. Lindner ist eine Maxime (ein
yyprttktischer Orundsatx") „eine apperdpierende Vorstellungsmasse für eine be-
stimmte Klasse von Wollen", ein „allgemeines Wollen" (Lehrb. d. empir. PsychoL',
S. 224 f.). Kreibiq versteht unter Maximen ,/<»te selbstgesehaffene Regeln
eines Subfeetes für die Art des Handelns bei Mntritt einer bestimmten Art von
Wertfdüen" (Werttheor. S. 25).
maya: ursprünglich Name einer Göttin, dann die Ursache der Ulasioii,
durch welche das AU-Eine als sinnlich-materielle Vielheit wahrgenommen wird,
durch den Schleier der Sinne und der Imagination fy,SMeier der Maigt^)".
brahmanische, buddhistische Philosophie, Schopenhauer u. a.
Mechanik — Meohftniaienmg des Bewußtseins. 647
Hecliaiilk (^i7;^arixif): WisBenBchaft von der Bewegung (b. d,), zerfällt
in Kinematik und Dynamik. Eine „absolute^* Bewegung leugnen E. Mach,
Streiktz u. a., während z. B. Heymakb eine solche annimmt, als den ,fAnteil
des WirHiekenj auf wüekes vfir eine BewegtmgsBrsekeimmg hexiehen, an dieser
Bewegungserscheinung^*^ (Gfes. u. Elem. d. wissensch. Denk. 8. 425). Unter
Mechanik versteht er „di^fenige Wissenschaft, welche die Bedingungen, der Be-
greifliehkeit gegebener Bewegungserseheinungen uniersuehf* (1. c. 8. 452). — Die
mechanischen Axiome sind, nach Newton, das Qesetz der Trägheit (s. d.),
das Gresetz der Proportion der Bewegung zur Kraft und das G^etz der Gleich-
heit von Wirkung und Gegenwirkung. WuKDT stellt -sechs physikalische
Axiome auf (s. Dynamisch). — Biomechanisch nennt sich eine biologisch-
psychologische Bichtimg (Ayekasius u. a.), welche die Lebens- imd Seden-
iunctionen als Abhängige des physiologischen Systems betrachtet. Nach
M. Benedict ist Biomechanik die „Lehre von den Bau- Anordnungen, todche das
Auftreten von Lebensvorgängen ermögliehenf und von der Art des Betri^fes durch
die in den Organen aufgehäuften Ladungen" (Das biomechan. [neovitalist]
Denken in d. Medic. u. in d. BioL 1903, 8. 3). — Eine psychische Mechanik
sncht Hekbart durch seine Lehre von den „Selbsterhaltungen** (s. d.) und von
dem Gleichgewichte und den Bewegungen der Vorstellungen (s. d.) in der
Seele zu construieren. „Mit der Berechnung des Oleichgewichts und der Be^
wegung der Vorstellungen beschäftigt sich die Statik und Mechanik des
Geistes" (Lehrb. zur PsychoL', 8. 17; vgl. Hemmung, Beproduction, Statik).
— Vgl. Kant, Met. Anf . d. Naturwiss. ; Sghelungs und Hegels Naturphilo-
sophien; WuNDT, Log. II* 1; O. ScmcTTZ-DuMONT, NaturphiloB. 1895; E. Düh-
MNG, Krit Gesch. d. allgem. Princip. d. Mechan.*, 1877; E. Mach, Die
Mechanik in ihrer Entwickl., 4. A. 1901 ; Lange, Die geschichtl. ElntwickL d.
Bew^nngsbegriffes 1886. — Vgl. Teleologie.
Mecliaiilseli (von firjxdvrj): durch Bewegung, durch Druck imd Stoß,
durch eine äußere Ursache blind und notwendig hervorgebracht, im Gegensatz
zum Geistigen, Teleologischen (s. d.), automatisch. — Leibniz stellt dem
y^neeaniquement** das „metaphysiquement** gegenüber und betont: „La source de
la mecanique est dans la meiaphysiqu^* (Gerh. III, 607). Kant erklärt: j^Die
Wirkung bewegter Körper aufeinander dttreh Mitteilung ihrer Bewegung heißt
mechanisch** (Met Anf . d. Naturwiss. 8. 95). Vgl. Mechanistisch.
Mecliaiilslerangr ^^^ Bewnßtoelns (der Willenshandlungen) be-
steht in dem durch Übung (s. d.) und Gewohnheit (s. d.) erfolgenden Auto-
matischwerden der zugleich an Bewußtheit bis zum Nullpunkte herab ein-
Imßenden psychischen Vorgänge (der Willkür — zu Triebhandlungen, dieser
zu automatischen und zu Keflexbewegimgen, der Denkacte zu Associationen).
Auf der Mechanisierung des Bewußtseins (durch die geistige Energie erspart
wird) beruhen alle Fertigkeiten, femer die Instincte (s. d.).
Fechneii erklärt: „Unxähliges in der Natur, ja wohl alles, was wir von
festen an sieh unbewußten Einrichtungen und Werken in der Natur bemerken,
kann aus dem Oesichtspunkte des Residuums eines dereinst bewußten Processes
XU betrachten sein, der sozusagen darin erstarrt, kristallisiert ist** (Zend-Av. I,
282; dieser Gedanke schon in der 8cH£LLiNQ8chen Naturphilosophie). Nach
R. HAMEBLiNa wird der bewußte Wille später unbewußt (Atomist. d. WiU. I,
268). Die Mechanisierung willkürlicher Handlungen zu unbewußten Vorgängen
648 Meohanisiarung des Bewudtaeins — KEeohanistisohe Weltanaioht
lehren Lewes (Probl. of Life and Mind), Eohanes (^jUipsing inteUtffena^},
HöPFDiNG (Psycho!.«, S. 67), Jodl (Lehrb. d. PsychoL S. 427 f., 432) n. a.
Besonders Wuxdt. Die „regressive Entwieldung des Wittens^*, die „.Mccfto-
nisisrteng^* desselben, besteht im wesentlichen „in der MiminaHon aüer xwisdm
dem Anfangs- und Endpunkt gelegenen psychischen Mütelglieder^^, „Sobald sieh
nänUieh xusammengesetsUe Willensvorgänge von übereinsiimmendem Motirinhait
häufiger wiederholen, erleichtert sich der Kampf der Motive : die in den frukenm
Fällen unterlegenen Motive treten bei den neuen Afüässen zunächst sekwäeher
auf und verschwinden xtdetxi völlig. Die xusammengesetxte ist dann in ei»
einfache oder Triebhandlung übergegangen,^^ Setzt sich^die gewohnheitam a ffige
Einübung der Handlungen weiter fort, so schwächt sich auch noch das Tri^
Motiv ab, und es wird a,us der Trieb- eine automatische, schließlich eise
Reflexbewegung (Grundr. d. PsychoL^ S. 229 f.). Die Ausdrucksbew^nngcn
(s. d.) sind so zu erklären (1* c- 3* ^^1 ; Grdz. d. physiol. PsychoL IP, 512 fL,
591, 594; Ess. 8, S. 217; Vorles.», S. 422, 429, 437; Syst d. Phüos.«, S. 571 iL].
VgL Ubxmg, Unbewußt.
nieeliaiilsiiiass Bewegungssystem, mechanisch sich verhaltendes, be-
wegtes Wesen; „Mechanismus^^ ist auch so viel wie mechanistisclie (s. d.) Welt-
anschauung. Man spricht auch vom Mechanismus der Seele, vom psychisches
Mechanismus, mit Bezug auf den gesetzmäßigen (associationsmäßigen) Ablauf
der Vorstellungen. — Einen geistigen Automaten (s. d.) nennen Spinoza und
Leibniz die Seele (s. d.). Vom „Mechanismus der Seele" spricht Maass (Vers,
üb. d. Einbild. S. 235), vom „psychischen Mechanismus*' Eüxlbbrand (s. Vor-
stellung) und Herbabt (s. Mechanik, Statik). — Nach Sigwart ist Mechanis-
mus diejenige ^yBexiehung einer geschlossenen Vielheit unveränderlicher Substanzen
zueinander, daß sie nach unveränderlichen Oesetxen ihre Relationen zueinander
ändern** Log. IT', 633).
mieeliaiilstlsclie 'Weltanslclit ist: 1) metaphysisch der Materialismus
(s. d.), 2) empirisch-methodologisch-heuristisch die (bewußt einseitige, abstract,
aber consequent festzuhaltende und nur metaphysisch-teleologisch zu ergänzende)
Betrachtung der Natur als System von Bewegungen und von meßbaren Großen
(quantitative Naturbetrachtung). Nach der mechanistischen Weltansicht muß
jedes Naturgeschehen mechanisch-causal, aus Bewegungen der Materie (s. d.»
interpretiert werden. In der Biologie bedeutet die mechanistische Ansicht, im
Gegensatze zum Vitalismus (S. d.), die rein mechanische (physikalisch-die-
mische) Erklärung der organischen Processe.
Die mechanistische Weltansicht vertritt (metaphysisch) die antike Atomi-
stik (s. d.): Jfj/iox^iTog Si t6 ov ärexa atpBis kiyetv ndvrtt avayei eis awayKt^
oU /(»^Tac ri fvais (Aristot, De gener. anim. 789 b 2), LUCREZ (De nat rer. I,
1020; IV, 833), der Materialismus (s. d.). — Durch Kopernikus, Ebplbs,
Galilei erhält die mechanistische Naturbetrachtung ihre wissenschaftliehe
Begründimg. Kepler erklärt: „Mundus participai quantitate, et mem kominir
(res supramunda in mundo) mhil rectius intelligii, quam ipsas quantitaie$,
quibus pereipiendis factus tnderi polest** (Epist. de harmon., Op. V, 28). Doch
nimmt Kepler noch Gestimgeister als Agentien an. Zur Verbreitung dieser
Naturbetrachtung tragen F. Bagon (der die Teleologie in der Naturwissenecbaft
selbst ausschließt) und noch mehr Hobbes bei, der sie auch auf das PäyduBche
(s. d.) überträgt. Femer Dbbcartbs, dem die Ausdehnung als einziges Attribiit
KEeohanistiBohe Weltanaloht. 649
der Materie (s. d.) gilt, der in der Phjsik (s. d.) keiae anderen als die mathe-
matischen Principien anerkennt (Princ. philoe. II, 64) und der nur die quanti-
tativen Qualitäten (s. d.) als real betrachtet, wie es auch Locke tut. Im
Gebiete des Körperlichen hält auch Spinoza die mechanistische Naturbetrach-
tung fest; das Teleologische (s. d.) wird von ihm durchgehends ausgeschlossen,
da aus Qott (s. d.) alles mit logisch-mathematischer Notwendigkeit folgt (Eth.
I, prop. XXXVI, app.). Der empirisch-mechanistischen Naturauffassung gibt
Newton neue Stützen.
Zwischen Mechanismus und Teleologie (s. d.) vennittelt Leibniz. Die
Cartesianische Naturphilosophie ist ihm nur ,yVant%ckambre de la verite^*. Alles
geht (als Erscheinung und relativ) mechanisch, zugldch aber (im Innensein)
jffnetapkystseh", d. h. hier geistig-teleologisch zu, ohne Widerspruch. „Tbtä ce
fait mSeantquement et metapkysiquement dans le meme temps.*^ „La souree de
la mieanique est dans la metapkysiqtie" (Gerh. III, 607; IV, 282, 471).
Kant versteht unter ,,meehamscher Naturphilosophie^* „die ErkUmmgsart
der specißsehen Versehiedenheä der Materien durch die Beschaffenheit und
Zusammensetxunff ihrer kleinsten Teile, als Masekinen" (Met. Anf. d. Naturwiss.
S. 100). Diese Auffassung vertritt Kant empirisch-methodologisch, für die
Organismenwelt das teleologische (s. d.) Princip reservierend, die Dinge an sich
aber ganz als unerkennbar bestimmend. Schließlich muQ alles Mechanische
auch teleologisch aufzufassen sein. Der Begriff der organisierten, teleologisch
durchwirkten Materie führt notwendig „auf die Idee der gesamten Natur als
eines Systems nach der Regel der Zwecke, welcher Idee nun aller Mechanismus
der Natur nach Principien der Vernunft (wenigstens um daran die Natur^
erseheinung xu versuchen) untergeordnet werden muß^^ (Krit. d. Urt. II, § 67).
„Hierauf gründet sich nun die Befugnis und . . . auch der Beruf: alle Producte und
Ereignisse der Natur, selbst die xweekmäßigsten, so weit mechanisch xu erklären,
als es immer in unserem Vermögen . . . steht, dabei aber, niemals aus den Äugen
xu verlieren, daß toir die, welche wir allein unter dem Begriffe vom Zwecke der
Vernunft xur Untersuchung selbst auch nur anstellen können, der tcesenüichen Be-
schaffenheit gemäß, jener mechanischen Ursachen ungeachtet, doch xuletxt der Causa-
lität nach Zwecken unterordnen müssen** (1. c. § 78). Der „Netcton des Orashalms" ist
noch nicht gefunden. — Schelling bemerkt: „Fassen icir endlich die Naiur in
ein OanPLCS xusammen, so stehen einander gegenüber Mechanismus — d, h eine
abwärts laufende Reihe von Ursachen und Wirkungen, und Zweckmäßigkeit, d. h,
Unabhängigkeit von Mechanismus, Qleichxeitigkeit von Ursachen und Wirkungen,
Indem wir auch diese beiden Extreme noch vereinigen, entsteht in uns die Idee
von einer Zweckmäßigkeit des Ganxen" (Naturphilos. S. 61). Nach Schopen-
hauer ist der Mechanismus der Naturprocesse eine Objectivation des „Willen
xum Leben" (s. d.). Nach E. v. Haktmann sind Mechanismus und Teleologie
die zwei Seiten des einen Princips der logischen Notwendigkeit, das mit dem
alogischen Willen verbunden ist (Philos. d. Unbew. II", 450). M. Carriere
erklart: „Mechanistische und teleologische Auffassung der Natur tcidersprechen
einander so wenig wie Zweck und Mittel; sie schließen einander nicht aus, viel-
mehr fordern sie einander; die eine xeigt uns die Art und Weise des Geschehens
und der Dinge, die andere erschließt ihren Sinn und ihre Bedeutung für sich
und im ganxen" (SittL Weltordn. S. 63). Lotze betont die universelle Aus-
dehnung und zugleich die Unterordnung des Mechanismus unter die Teleologie
(Mikrok. I«, S. XY): Ahnlich J. Wabd (Naturaüsm and Agnostic. 1899). Nach
650 KEeohanlfltlsohe Weltanoioht.
WUVDT ist der Mechanismus der Natur ,,nwr ein Teil des aJllgememen Zmt
sammenhangs geistiger Causalüät^ (Eth.*, 6. 472). Nach O. Liebmann sind
Mechanismus und Teleologie zu vereinigen (Analys. d. Wirkl.*, S. 389 ff.). So
auch nach Planck (Test. ein. Deutschen. S. 323), Rayaisson u. a. Fouilueb
erblickt im Mechanismus nur die Außenseite und das Resultat geistiger
J&äfte {yyideea-forees^^, s. tSpiritualismus). Nach Nietzsche zeigt uns die mecha-
nistische Weltanschauung nur yfFolgen" und diese noch dazu im Bilde, in der
Sprache unserer Empfindungen. Alle Voraussetzung«! des Mechanismus,
Stoff, Stoß, Druck, Schwere, Atom, sind nicht Tatsachen an sich, sondern
Interpretationen. „Die Mechanik als eine Lehre der Bewegung ist bereOs enu
Übersetzung in die Sinnenspraehe des Mensehen,** „Die meehamsliseihe WeU
ist so imaginiert, wie das Äuge und das Oetast sieh allein eine WeU vorsteUen . . .^
Die ursfichliche Kraft wird dadurch nicht berührt (WW. XV, 296 f.). Die
wahre Kraft ist der „Wille xur Macht** (s..d.). Der Mechanismus ist nur eine
„Zeichensprache für die interne Jhtsachen'Welt kämpfender und aberwindender
WillenS'Quanta** (WW. XV, 297 ff.). Die Ergänzung der mechanistischen durch
die metaphysische, dynamische Weltanschauung fordert Backhaus (Wes. d.
Hum. S. 8 ff.). Vgl. Dilthey, Einl. I, 470.
Nach Helmholtz sind alle Veränderungen in der Welt als Bewegungen
aufzufassen, die Bewegung ist die „ürveränderung , welche allen andern Ver-
änderungen in der Welt zugrunde liegte*. Alle elementaren Kräfte sind Be-
wegungskräfte. Endziel der Naturwissenschaft ist es, alles in Mechanik auf-
zulösen (Vortr. u. Ked. I*, 379). Ähnlich F. A. Lange (Gesch. d. Material).
Auch Dübois-Reymond : „Es gibt für uns kein anderes Erkennen als das
mechanische^ ein toie kümmerliches Surrogat für w€thres Erkennen es auch sei,
und demgemäß nur eine tcahrhaft wissenschaftliche Denkfarm, die phtfsikaliseh"
mathematische^* (1. c. I, 232). ,J)ie theoretische Naturwissenschaft ruht nicht
eher, als bis sie die Erscheinungswelt auf Bewegungen letzter Elemente
fuhrt, welche nach denselben Gesetzen vor sieh gehen, wie die der gröberen,
fUlligen Materie** (Red. I, 434). So auch Wundt (Syst d. PhUos.«, S. 484),
Ebbingeuub (Gr. d. PsychoL 8. 34), E. Haeckel, femer die Physiker Clau-
6IU8, BOLTZMANN, THOMSON, MAXWELL U. a.
Dagegen erklärt £. Mach: „Daß aüe physikalischen Vorgänge meehattiseh
zu erklären seien, halten wir für ein Vorurteil** (Mechan. S. 486; PopulärwisB.
Vorles.«, S. 181), ähnlich P. Volkmann (Erk. Grundz. d. Naturwiss. S. 153 f.).
femer Obtwald, der an Stelle der mechanistischen die energetische (s. d.)
Naturanschauung setzt (Vorles. üb. Naturphilos. S. 165 f., 202 f., 229 f.). Gegen
den Dogmatismus der mechanistischen Weltanschauung sind E. V. Habtmanv
(Mod. PsychoL S. 354), Stallo, Helm u. a. H. Cornelius meint: ^^ keiner
Weise findet sich . . . das Dogma bestätigt, daß aüe Naturerscheinungen fnecha-
nisch erklärt werden müßten; nur insofern die mechanischen Analogien ein «er-
einfachendes Bild für die Darstellung der TcUsaehen anderer Gebiete ergeben^ ist
ihre Anwendung zur Erklärung dieser Tatsfiehen berechtigt** (Einleit. in d. Phik».
S. 327 f).
Nach WüNDT hingegen gibt es zwingende logische Motive, die der med»-
nistischen Naturbetrachtung (empirisch) ihre Gültigkeit bewahren. EIrBieiia gät
es Naturvorgänge, von denen die unmittelbare Erfahrung nichts ofithSlt und
die Mrir dennoch auf Grund exacter Analyse der Erscheinungen als
gegeben annehmen müssen, und die sich dann als Bewegungsvorgänge
Mechanistiache Weltaasioht — ICeinung. 651
(Schall, Licht etc.). Zweitens müssen wir die Empfindungsqualitäten als sub-
jectiy aus den objectiyen Vorgängen eliminieren, sonst kämen wir aof ein Meer
nferloser Hypothesen (Syst. d. Philos.*, S. 463 ff.; Philoe. Stud. XIII, 80). Die
Annahme, daß alle Energieformen Abwandlungen der mechanischen Energie
seien, erklärt die Tatsachen am besten, sie trägt dem yJPostuUä der Änsehau-
HtMeif*f welches den Objecten adäquate symbolische Bilder fordert, Rechnung
(Syst. d. Philos.*, S. 484 ff., 488). — Nach Biehl ist der Mechanismus „nur
das Symbol für die allgemeine Gesetzlichkeit des Oesckehens*', Durch ihn allein
wird nicht bestimmt, was geschieht (Zur Einf. in d. Philos. S. 165). Vgl.
Dynamismus, Teleologie, Pandlelismus (psychophysischer), Notwendigkeit.
miediclna mentte heißt bei Tbchirnhauben die Logik.
Meditations Nachdenken, Nachsinnen, wissenschaftlich-philosophische
Beflexion. Nach Hugo (De an. II, 1, 19) und Bjghard von St. Victor ist
die „mediiatio"f das begriffliche Denken, die Contemplation Gottes, die zweite
Stufe der Erkenntnis (s. d.). „Meditatio" u. a. bei Thomas (Sum. th. II. II,
180, 3 ad 1). „Meditationes" ist der Titel einer Schrift von Debcartes. Nach
£ant ist yyMeditierm'' ein „meihodisehes Denken" (Log. S. 232).
Medllims Mittel (s. d.). Mittelbegriff (s. d.).
Medliim s. Spiritismus.
Medliis termlniis s. Mittelbegriff.
WLegBFÜLer heißen die Anhänger des Sokrates- Schülers Euklid von
Megara, welcher das Seiende (s. d.) als das Gute bestimmt. Wegen ihrer logischen
Streitigkeiten und dialektischen Spitzfindigkeiten (Fangschlüsse) heißen sie auch
Eristiker. Es sind das außer Euklid: Eubulides, Alexinob, Diodobos
KsoNOS, Philon, Stilpon. Vgl Kyrieuon.
mielirlielt s. Vielheit — Nach H. CoR2!rELiUB unterscheiden sich durch
die Selbständigkeit der Teile die „Mehrheiten van Inhalten" wesentlich von der
„Mehrheit der Qualitäten oder Merkmale eines Inhaltes" (Einleit. in d. Philos.
S. 174).
MelBen (im engeren Sinne): eine Meinung haben, d. h. hier etwas im
Sinne haben, sagen-wollen. Die Kategorien (s. d.) des Denkens „meinen" ein
Transcendentes, außer ihnen und dem erkennenden Ich Liegendes, sie beziehen
stell auf ein solches. Nach Husserl kann das Bewußtsein sozusagen „hinaus-
meinen, und die Meinung kann sich erfüllen" (Log. Unters. II, 513; ähnlich
schon Volkelt, Uphues). Jameb spricht von der j/iynamio meaning^* eines
Wortes und von der „statie meaning**, mit Bezug auf die , /ringe" des Bewußt-
seins (s. Strom) (PsychoL I, 265). Vgl. Object, Aussage.
•
Melnuiii^ {SoSa, opinio): eine Art des Fürwahrhaltens, subjectives, nicht
siclieres Urteilen, Glauben (s. d.), nicht streng determiaiertes, der Möglichkeit
des Irrtums bewußtes Urteilen.
Auf bloßen Schein (s. d.) geht die Meinung, ^ofa, im Unterschiede vom
Wissen des Seienden nach Parmeiodes. Auch Plato unterscheidet die 86ia
von der iTucni/ir^; erstere ist nur auf die Sinnendinge, das immer Werdende,
letztere auf das Seiende gerichtet (Bepubl. V, 477 B, 478 A). Die Meinung ist
ein Mittleres zwischen Wissen und Nichtwissen (1. c. V, 477 A). Die 86Sa
dXn^s ^^ ilu^ii Wert (Meno 97 E; Theaet. 210 A). Aribtoteles definiert die
652 KEeinung — Melancholie.
do^a als Tov ävdßxoßidvov aXXoJS ijf»v (Met. VII 15, 1039 b 33). Aiym ane-
SstxTixde Tag xoiväg SoiaSf dS (ov anavree Seixvvovatv (Met. III 2, 996 b 28 sqiL).
Die Stoiker bestimmen die Boia als Tr,v aa&vt'ij ani rp^vdrj ovyxara^ectt^ (Seit
Empir. adv. Math. VII, 151 ; Stob. EcL II, 230). Cickbo nemit die ,fipi»aiw'
yyimbecülam assensionem^^ (Tusc. disp. IV, 7). Nach Epieub entstdit die S^ia
oder vnokrjxpis (Annahme), welche wahr oder falsch sein kann (je nach d^a
Zeugnis der Wahrnehmung), durch die Fortdauer der Eindrücke d^ Objecte
in uns (Diog. L. X, 33 f.; Sext. Empir. adv. Math. VII, 211 squ.).
Nach Thomas ist „optnio'* f,aceeptto id est existimatto qtuudam immediaiae
proposittonis et non necessariaef^ (1 Anal. 44 c). Nach Bokaventuba ist
„opinio^^ yfOssenaio animae generaia ex rationibus probabüibus*^ (In L seilt 3,
d. 24, 2, 2). — Nach Micraeltcts ist ,yOpinio*^ „assensus ex medw seu argu-
mento prohabili in Ulis rebys, quae alüer se habere posaunt et in quibus ad
utramqtie partem indinari polest Est igitur imperfecta intellectus eoffnüi&'
(Lex. philos. p. 756). Spinoza versteht unter „opinio vel iniaginatio** die
,,cognitio ex signis, ex, gr, ex eo, qtwd atiditis aut lectis qtiibusdam verhis rerum
recordemur*^ (Eth. II, prop. XL, schol. II). Chk. Wolf bestimmt: jyProposiHo
insufficienter probata est opinio*' (Philos. rational. § 602). „TTcw* wir ei$9eH
Saix durch solche Vordersätze herausbringen, von deren Richtigheit trKr niekt
vöUig überzeugt sind, so heißet unsere Erkenntnis eine Meinung' (Vem. Ged.
I, § 384).
Kant erklart: „Da« Meinen oder das Fürwahrhalten aus eineni. Erkennini»-
grunde,. der weder sübjectiv noch objectiv hinreichend ist, kann als ein vor-
läufiges Urteilen (sub eonditione suspensiva ad interim) angesehen werdeft^
(Log. S. 100). „Meinen ist ein mit Bewußtsein sowohl sübjectiv als obfeetiv un-
zureichendes Fürwahrhalten'' (Kr. d. r. Vem. S. 622; vgl. WW. IV, 347). In
Urteilen a priori findet kein Meinen statt (Krit. d. Urt. § 90). Meinungssachen
sind immer Objecte möglicher Erfahrung (1. c. § 91). Nach Frdsb ist die
Meinung „ein Fürwahrhalten nur mit Wahrseheinlichkeü^ die Annahme eines
vorläufigen Urteils'* (Syst. d. Log. S. 421). Krug definiert: ,fDas Meinen . . .
beruht auf Gründen, die zwar an sich nickt ungültig, aber doch unzureichend
sind, eine vollständige und gewisse Überzeugung hervorzubringen'' (Handb. d.
Philos. I, 90). „Schwach begründete Meinungen heißen Vermutungen oder
Mutmaßungen (coinecturaej" (ib.). Hillebrand nennt die Meinung die ab-
stracte Subjectivitat, insofern sie sich als die Wahrheit des Begriffs behaupten
will, die „Vorstellung, insofern sie sich als Begriff geltend macht^^ (Philos. d.
Geist. II, 68). Nach E. Reinhold ist das Meinen „ein mehr oder weniger
zweifelndes Fürwahrhalten" (Lehrb. S. 173). Nach Qutberlet ist die Meinung
„das Fürw ahr halten eines Satzes, das die Furcht vor Irrtum, oder die Furekt,
auch das Oegenteü könne wahr sein, nicht ausschließt" (Log. u.* Erk.», S. loOu
Nach WUNDT ist die Meinung ein „objectives Fürwahr halten", bei dem die
„Sicherheit der Überzeugung" fehlt. „Durch irgend welche obfectiten Zeugmese
werden tcir veranlaßt, ein Urteil vorläufig als wahr anztmehmen ; aber weder
setzt das Meinen eifien besondem Grund subjectiver Bevorzugung ftoo4 ein
solches Gewicht objectiver Gründe voraus, daß kein Zweifel zurückbliebe. Der
Meinende fühlt sich stibjectiv frei, objectiv ist er zwar bestimmt, aber in beiner
Weise zwingend bestimmt^' (Log. I, 370). Vgl. Meinen.
melaneliolle (ßiXai, xo^i Schwarzgalligkeit) ist ein D^ressionazustand
KEelanoholie — KEenaoh. 653
(s. d.), mit Vorwiegen trauriger Vorstellungen, Schwäche des Willens, düsterer
Stimmung. Vgl. Temperament
üleiiscli (manisco, das Denkende): der höchstdifferenzierte irdische Or-
ganismus, das sprachbegabte, denkende, reflexionsfähige, selbstbewußte, persön-
liche, actiT wollende, Ideen realisierende, vollbewußte Wesen, der Abschluß der
oi^aniBchen Entwicklung auf Erden, der Idee nach imd potentiell schon in
die „il»/a«^c" zu setzen ; in der Zeit als Entwicklungsproduct eines „ ürmensehen^^
(„komo primigenius cUalus*^ Haeckel) und tieränlicher Vorfahren zu betrachten.
Im Menschen kommt die Natur zur Besinnung ihrer selbst, in ihm tritt sie
sich selbst (als höhere Natur) gegenüber. Der Mensch ist das Culturwesen,
das sociale Wesen par excellence, das Wesen, das eine wahre Geschichte hat.
Abistoteles nennt den Menschen ein ^^ov noXirixov (Polit. I, 2). Die
Stoiker erklären den Menschen als t,^ov XoyixoVj &rrir6v, vov xai intaniurjs
8£XTix6v (Sext. Emph-, Pyrrh. hypot. 11, 26; Stob. Ecl. II, 132). Nach Philo
ist der Mensch Gottes Ebenbild.
Nach dem Alten und Neuen Testament ist der Mensch das Ebenbild
Gottes, das geistbegabte, vernünftige, sittliche Wesen, das zum Herrn der
Erde bestinmit ist. Das Wesentliche im Menschen ist die Seele (wie auch bei
PliATO): „Quid enim magis est homOy quam anima?** (Hugo von St. Victor,
De sacr. II, 1, 11). Einen übersinnlichen Urmenschen (Adam) nehmen die
Gnostiker an, auch die Kabbala („Adam Kadm(m"j s. d.), auch Maki.
Nach JoH. ScoTUS Ebtuoena ist der Mensch als intelligibles Sein Ebenbild
Gottes (De div. nat. FV, 7). Er faßt als Intelligibles alle Creaturen in sich
(L c. II, 4; III, 39). „Homo est notio quaedam inteHectiuüis in mente divina
aetemcUiter facta*^ (1. c. V, 7; vgl. Adam Kadmon). Albertus Magnus betont:
,yHomo inquantum homo solufi est intellecius" (De intell. 11, 8; Sum. th. II, 9).
Nach Thomas u. a. besteht der Mensch „ex spirituali et eorporcUi substantia"
(Sum. th. I, 75, 1). Der Mensch ist „animal rationale" (Contr. gent. III, 39;
De pot. 8, 4 ob. 5). — Nach Paracelsus besteht der Mensch aus Materie,
ätherischem und gottlichem Wesen, er hat an allen drei Welten (s. d.) teil
(Paragr. 2). Nach J. B. van Helmont ist der Mensch ein in einem Körper
wohnender Geist (Venat scient. p. 25 f.).
Nach Leibniz ist der Mensch ein kleiner Grott (Theod. I. B., § 147). Nach
Bonnet ist er ein „etre mixte" aus Leib \md Seele (Ess. analyt. I, 1, 4).
HoiiBACH sagt vom Menschen: „Cest un itre materiell organise ou conforme
de mani^e ä sentir, ä penser , ä etre modifii de certaines fa^ons propres ä lui
setU, ä son Organisation" (Syst. de la nat. I, eh. 6, p. 80). Lamettrie nennt
den Menschen eine „Mascliine" (L'honmie mach.). — Nach Swedenborg ist
der Mensch seinem Innern nach ein Geist (De coelo, § 432 ff.). Nach De Bo-
NALD „une intelligence servie par des organes",
Kant betrachtet den Menschen (der außer dem empirischen einen „intelli-
gtblen*' Charakter, s. d., besitzt) als „Subjeet des moralischen Gesetzes", als
^^Zweck an sieh selbst"; „niemals bloß als Mittel" darf er behandelt werden
(W. W. V, 91 f., 137 f.). Für die reflectierende Urteilskraft ist der Mensch
der letzte Zweck der Natur (Krit. d. Urt § 83). Die Menschheit in ihrer
moralischen Vollkommenheit ist Gottes eingeborener Sohn (WW. VI, 155).
Schiller sagt : „Alle andern Dinge müssen; der Mensch ist das Wesen, welches
wiU" (WW. XII, 192); seine Freiheit betätigt er auch im Spiel (s. d.), in der
Kunst. Der individuelle Mensch hat die Bestinunung, den „reiften idealischeth
654 Mansch — KEerkmaL
Menschen" zu realisieren (Ästhet Erz. 4. Br.). Eine sittliche Bestimmung hat
der Mensch nach J. G. Fichte, Schlei£RMACH£& u. a. ,,Die voükommem
Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst . , . ist das letzte höehsie Zid
des Menschen*' (Fichte, Bestimm, d. Gelehrt 1. Vorl., S. 13). Nach Tboxlbr
besteht der Mensch aus Geist, Seele, Leib, Körper (Blicke in d. Wes. d. MensdL
S. 30 ff.). Chr. Krause setzt die Bestimmung des Menschen darin, ,^dafi er
seine eigene Wesenheit (seinen Begriff) in der Zeit wirklich mache oder geetaUe^
in unendlicher Bestimmtheit, individuell , als ein IndividvunK Oder: daß er ein
ganxer, vollwesentlich und vollständig, gleicharmig ausgebildeter Mensch . . .
werde" (Abr. d. Bechtsphilos. S. 5). Es gibt eine yyAUmensehheit', „Mensekheit
des Weltalls" als Idee (Urb. d. Menschh. S. 147, 164 ff.). Alle Menschen sind
ursprünglich ein Wesen (1. c. S. 7). Die Menschheit ist ein Organismus (L c.
ß. 59), sie soll sich zu einem „Menschheitsbund" vereinigen (L c. S. 287 fL).
„Die Menschheit des Weltalls ist ein organisches Wesen in Oott, als das eine
Vereinwesen der Vernunft und der Natur, von Oott ewig geschaffen" (L c.
S. 287; vgl 8. 18, 25). Nach J. H. Fichte ist der Mensch ein geschieht»-
bildendes Wesen (PsychoL II, S. XX). Au& höchste werten d^i Menschen
L. Fetterbach, Comte (die Menschheit ist das quasigöttliche „gremd Hre^)y
M. Stirner, Nietzsche (s. Übermensch). — Nach verschiedenen Philosophen
ist der Mensch ein „Mikrokosmos" (s. d.). Vgl. Suabedissen, Lehre von d.
Mensch. 1829; B. Vetter, Die mod. Weltansch. u. d. Mensch, 4. A., 1903;
GuTBERLET, Der Mensch*, 1903. VgL Teleologie, Anthropologie, Übermensch.
menselilieitelelire (Chr. Krause): Anthropologie (s. d.).
Menseliliclikeit s. Humanität.
niental (mentalis): im Geiste (mens), geistig, gedankenhaft. Intramen-
tal (s. d.): im Bewußtsein, extramental (s. d.): außerhalb, jenseits des Be-
wußtseins. „Verbum mentale" ist bei den Scholastikern der Begriff, das
innere Urteil, „conceptus mentis formatus" (s. Verbum).
mental teftts heißen die eine psychische Individualität bestimmendai
Prüfungen, Befunde, als eine (in Amerika beliebte) Methode der Individual-
Psychologie.
merkelselies Oesets s. Webersches Gesetz.
merken bedeutet: 1) so viel wie Bemerken, Wahrnehmen, Percipieren;
2) das „Sich -merken", Behalten, Im -Gedächtnis -festhalten, Sich-einprageD.
Nach Ulrici bedeutet Merken „das Erwachen des Bewußtseins durch Empfäng-
nis irgend eines Inhalts" (Leib u. Seele S. 31). VgL Herbart, Umr. pädagog.
Vorles. I, 4, § 73. Merklich ist, was bemerkt, percipiert, empfunden werden
kann (s. Ebenmerklich).
merkmal {rsxfii^^iov, nota, determinatio, praedicatum) ist eine Bestim-
mimg, eine Eigenschaft, an welcher man ein Object erkennt, der Teilinhalt
eines Begriffs. Man unterscheidet wesentliche (essentielle), ursprüngliche (ffiri-
ginariae, primitivae, constituiivae"), abgeleitete („consecutivaef*), unwesentliche
(accidentielle) Merkmale.
Nach Aristoteles ist das Merkmal ein Zeichen {mifislov), welches su
einem Dinge notwendig gehört (Ehetor. I 2, 1357b 14). Die Scholastiker
betonen: „Non entis nulla sunt praedicata" — Nach Platker sind Merkmale
„Teile, Eigenschaften, Wirkungen, VerlUUtnisse, wiefern sie einem Dinge
»[«rlunal. 655
ieines Geaehieektes willen xukommen^^ (Philos. Aphor. I, § 221). Nach Kant (Log.
& 147 ; vgl. FalBche Spitzfind. § 1) und Fries (Syst. d. Log. S. 120) ist ein Merk-
mal ein Begriff als Erkenntnisgnind von anderen Begriffen. Es gibt ,^entüm-
lieke, chardkkrisiische^^, ^fgemeinsame", ^fWesentliche*^ (constitutive oder Attribute),
yfOufierwesentliehe^* (unveränderliche und veränderliche) Merkmale (1. c. S. 122 ff.).
Kbüo erklärt: „Ein logisches Ding wird mittelst gewisser Vorstellungen gedacht,
velche tcir darauf beziehen und wodurch toir es von andern Dingen unterscheiden.
Solche Vorstellungen heißen daher Merkmale oder Kennzeichen^^ (Handb. d.
Philos. I, 125). Jacob definiert: „Merkmale werden . . . solche Teüvorstellungen
genannt^ wodurch die Vorstellungen oder Gegenstände von andern unterschieden
werden können" (Gr. d. Erfahrungsseel. S. 212). Nach H. Ettteb ist Merkmal
des Begriffes das, „woran er von den andern Begriffen unterschieden wird"
(Abr. d. philos. Log.*, S. 57). Nach Trendelenburg ist Merkmal objectiv
das, was den Begriff in der Seele bildet (Log. ünt. II, 255). Nach Überweg
ist Merkmal eines Objects „alles dasjenige an demselben, wodurch es sieh von
andern Objecten unterscheidet" (Log.*, § 49). StöCKL definiert: „Unter Merk-
malen im allgemeinen versteht man alle jene Momente, wodurch ein Gegenstand
als das, was er ist, erkannt und von allen andern Gegenständen unterschieden
wird" (Lehrb. d. Philos. I, § 75). Hagemann erklart: „Die Bestimmtheiten
überhaupt, wodurch sich ein Ding von andern unterscheidet, nennen unr seine
Merkmale (notae/^ (Log. und Noet.*, S. 25). „Diese sind entweder wesent-
liehe (notwendige) oder unwesentliche (zufällige), je nachdem sie mit dem
Denkobjeete unxertrennlieh verbunden gedacht werden müssen, oder ihm auch
fehlen können. Jene nennt man auch Eigenschaften (attribtUa), diese außer-
icesentliche Beschaffenheiten (modij" (1. c. S. 25 f.). Oorrelative Merkmale
sind diejenigen, die sich gegenseitig voraussetzen (z. B. dreiseitig imd drei-
winklig) (1. c. S. 26). B. Erdmann definiert: „Die einzelnen in einer Vor-
Stellung enthaltenen Begriffsbestandteile, ihre Teüvorsteüungen, werden, als Be-
stimmungen des Gegenstandes aufgefaßt, Merkmale genannt" (Log. I, 118).
„Nicht jedes Prädieat eines Gegenstandee ist , . . ein Merkmal" (ib.). Merkmale
sind „die tmterseheidbaren Bestimmungen der Gegenstände des Denkens" (L c.
S. 119). Es gibt einfache und zusammengesetzte, materiale und formale (1. c.
S. 119), constante und veränderliche (1. c. S. 120), ursprüngliche imd abgeleitete
0' c. 8. 121), eigene und gemeinsame (1. c. S. 123 f.), wesentliche und imwesent*
liehe Merkmale (1. c. B. 125 f.). Artbildende Merkmale sind „die Modiflcationen
der Merkmale, welche die Arten aus der Gattung entstehen lassen" (1. c. S. 135).
BoLZANO behauptet, „daß es verschiedene Bestandteile einer Vorstellung
gebe, welche nichts weniger als Beschaffenheiten des ihr entsprechenden Gegen-
standes ausdrücken" (Wissenschaftslehre I, § 64). KsRRf hingegen meint, „daß
ein Begriffsgegenstand in gewisser Weise mindestens alle Merkmale seines Be-
griffes an sich haben müsse, widrigenfalls man nicht sagen könnte, daß er unter
diesen fallet' (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. X, 422). Nach Twardowski
sind als Merkmale „immer nur Teile des Gegenstandes einer Vorstellung, nie-
mals jedoch Tkile des Vorstellungsinhaltes xu bezeichnen" (Zur Lehre vom Inh.
u. Gegenst. d. Vorstell. S. 46). „Es gibt an jedem Gegenstande materiale und
formtde Bestandteile, welche durch die entsprechende Vorstellung nicht vorgestellt
werden, denen also im Inhalte derselben keine Bestandteile entsprechen," z. B.
die Mehrzahl der Belationen eines Gegenstandes zu andern (1. c. 8. 82). Merk-
mal ist ein Name ,für jene Bestandteile eines Vorstellungsgegenstandes . . .,
656 Merkmal — »Eetapliysik«
toelehe durch die entsprechende Vorstellung vorgestellt, in ihrem Mialte durA
ihnen eorrespondierende Bestandtetie derselben vertreten erseheinen" (L c. S. 83).
Vgl. Prantl, G. d. L. I, 424; Hegel, WW. VI, 325; Hinkichb, Gnindlin.
d. Philos. d. Log. S. 25 ff.; Hoppe, Die gesamte Log. 1868, § 104; Siowast,
Log. I^ § 41 f.; Höfleb, Log. § 15; Baumann, Einleit in d. Philos. S. 9 L
— Vgl. Begriff, Definition.
MessianlsimiB: Erwartung eines Messias, Heilandes, E^rlöserB. — yr^Uo*
sianismus*^ nennt H. Wronski seine Lehre von der einstigen Herrschaft der
Vernunft.
Metabasis eis allo genos {/leräßacig ste dXXo ytvos): der logische
Fehler des Sprunges von einem Gebiet auf ein fremdes, nicht zur Sache ge-
höriges Gebiet und der damit verbundenen Begriffsverwechselung (Abistotelbb,
De coel. I 1, 268b 1; vgL Quintil., Instit. or. IX, 5, 23).
nietabiolofl^les Logik und Metaphysik der biologischen Erscheinuiigeo.
nietaf^eoiiietrle s. Metamathematik.
HEetalLOsnilBeli bedeutet nach O. Liebmann das absolut Notwendige,
Allgemeine, Apriorische, Transcendentale, im Unterschiede vom Psychologischen
(Anal. d. Wirkl.», S. 239 ff.).
MetalotieiiB: Titel einer Schrift von JoH. yon Sausbury.
metalojt^scli (/usra Xoyov SC. iniorrififj) ist nach Abibtoteles das be-
griffliche durch Erkenntnistätigkeit erworbene Wissen (AnaL II, 19). Sonst heifit,
seit Schopenhauer, metalogisch so viel wie „^ur Grundlage des Logisehen ge-
hörig^\ y, Endlich können auch die in der Vernunft gelegenen formalen Bedin-
gungen (dies Denkens der Orund eines Urteils sein, dessen Wcdtrheit al^dtnm
eine solche ist, die ich am besten xu bexeichnen glaube, wenn ich sie m et alo-
gische Wahrheit nenne," Die metalogischen Wahrheiten sind die Denkgeseüe
(Vierf. Würz. § 33). Nach E. v. Hartmann ist metalogisch z. B. das Zu-
sammensein mehrerer Attribute in einer Substanz, als von der Logik nicht
a priori gefordert (CJesch. d. Met. II, 318).
metamatlieiiiatiscli (metageometrisch) heißen jene SpeculatioDen,
nach welchen unser dreidimensionaler Baum nur ein Specialfall unter denk-
baren anderen (n-dimensionalen) Bäumen (von anderem Krümmungsmafie), in
welchen die Euklidschen Axiome nicht gelten würden, erscheint Gr^naneres
vgl. imter Baum.
Metamorpliopsien sind Verzerrungen der Gresichtsbild» bei ge-
wissen Erkrankungen der Netzhaut (vgl. Wundt, Gr. d. PsychoL*, S- 144).
metamorpliose: Verwandlung, Entwicklung. VgL Evolution.
melaorg^anisnias nennt Hellenbach die unbekannte innere Organi-
sation der Seele (Der Individual. S. 197).
9Ietaplier (uerafo^d): Übertragimg, Bild. Metaphorisch: bildlich.
im übertragenen Sinn, z. B. anthropomorph erfaßt. Nach Nietzsche denkea
wir die Außenwelt in lauter Metaphern (s. Erkenntnis). Das Metaphorische
unserer Erkenntnis und Sprache betont A. Biese (Die Philos. d. Metaphor.
S. 5 ff.).
Metapliysik {„metaphysica'% fisra ra fvaixd) ist die Wissfaischaft von
Metaithysik. 657
den Grundbegriffen (Frincipien) des Erkennens und der EinzelwisBenschaften
in ihrem letzten für uns erreichbaren Sinne und in ihrem Zusammenhange
untereinander und mit den Forderungen des nach Einheit und Geschlossenheit
{Harmonie) der Weltanschauung strebenden Denkens. Die Metaphysik ist
keine Sonderwissenschaft geheinmisvoller Art, sondern die (relativ) ahschliefiende,
auch nach dem Sinn und der Bedeutung der Welt fragende, in diesem Sinne
speculative Verarbeitung der Voraussetzungen und Ergebnisse der Einzelwissen-
flchaft mit Hilfe der Erkenntniskritik und schließlich auch der kiinsüerisch
gestaltenden Phantasie und der Intuition. Auf Wissenschaft fußend, im Cen*
trum wissenschaftlich verfahrend, mündet die Metaphysik in Kunst und Eeligion,
mit denen sie also letzten Ebudes ebenso verwandt ist wie mit der Einzelwissen-
schaft; im ursprünglichen Mythus (s. d.) waren oder sind Metaphysik, Wissen-
schaft, Religion noch undifferenziert enthalten. Die Metaphysik darf die
Erfahrung nicht überfliegen, nicht aus selbstgemachten Begriffen die Erfahrungs-
tatsachen ableiten, sie muß vielmehr von der Erfahrung ausgeh^i, diese bis
zum jeweiligen Ende begleiten und erst dann, auf dem durch die Erfahrung
angedeuteten Wege die Erfahrung transcendieren. Metaphysik und Empirie
müssen möglichst reinlich auseinandergehalten werden. Der metaphysische
Trieb ist der Trieb nach dem Unbedingten, Absoluten, Einheitlichen, in sich
Geschlossenen der Weltbetrachtung. Die Metaphysik gliedert sich in: 1) all-
^meine Metaphysik (Ontologie, s. d.), 2) specielle Metaphysik: a. Natur-
l^iiloeophie, b. Geistesphilosophie, c. natürliche Theologie nebst Unterabteilungen.
Von den metaphysischen Problemen sind die hauptsächlichsten: 1) das
ontologische Problem. Danach gibt es Materialismus (s. d.), Spiritualismus
(b. d.), Identitatsphilosophie (s. d.); 2) das kosmologische: verschieden be-
jmtwortet von der mechanischen (s. d.) xmd von der teleologischen (s. d.) Welt-
anschauung, vom Monismus (s. d.) und vom Pluralismus (s. d.); 3) das meta-
psychologische: Monismus (s. d.), Dualismus (s. d.), Identitätslehre (s. d.),
ParaUelismus (s. d.); 4) das theologische: Theismus (s. d.), Pantheismus (s. d.),
Panentheismus (s. d)., Atheismus (s. d.); 5) das Freiheitsproblem: Deter-
minismus (s. d.), Indeterminismus (s. d.). Die Principien (s. d.) der Welt
werden verschieden bestimmt VgL Materie, Elraft, Substanz, Seele, Atomistik,
Gott, Monaden, Geist, Natur u. s. w.
XHe ältere Metaphysik ist dogmatisch (s. d.); der Skepticismus (s. d.)i in
neuerer 2^it besonders Hume, und der Kriticismus (s. d.) Ka.nts (s. unten) be-
streiten ihre Ansprüche und Gültigkeit, sie erhebt sich dann (Schelling,
HsGBii u. a.) zu neuem Dogmatismus, um mm zur kritischen, sich ihrer
Oreii2en wohlbewußten, erkenntnistheoretisch fundierten Metaphysik zu werden.
Der Positivismus (s. d.) negiert alle Metaphysik
Das Wort yjMetapkysih' entstand aus der Stellung der ,, ersten Philosophie^^
•des Aristoteles, /ibtu xa ^vaixtij nach der Physik, in der Anordnung der
Schriften des Stagiriten durch Andronicus von Bhodus. Bald erhält der
Terminus die Bedeutung einer Wissenschaft vom Übersinnlichen, Überempiri-
schen, Transcendenten. Herennius bemerkt: fiera ra fvcixa Xhyovrat äne^
^astoß vne^irai xal vnsQ atrlav Mal Xoyov etciv (ECJCKEN, Terminol. S. 183).
Bei Plato ist die Metaphysik, die Lehre vom Seienden, ein Teil der
Dialektik (s. d.) Bei Aristoteles tritt sie als n^cSrrj tpiXoaofia, f^ersU PhHo-
3opkie^j auch als &eoXoy$x4 (weil Gott das höchste Princip ist) auf, als Wissen-
schaft vom Seienden als solchem und dessen letzten Gründen (Principien):
Fhllosophisohes Wörterbaoh. S. Aufl. 42
658 Metaphysik.
Tov OPTOS iarlv ^ 6v (Met. IV 3, 1005 a 24; Bei yaQ ravrijv zcSr n^tanav a^»r
xai atnwv slvai d'eM^rjrix^v (1. c. I 2, d82b 9). Die Metaphysik handelt xe^
Xat^i^rd xai axlvrira (1. c. VI, 1026 a 16). Die allen Dingen gemeinsamen
Prineipien (s. d.) werden hier untersucht.
Die antike und mittelalterliche, audi ein Teil der neueren Metaphysik ist
ontologistisch (s. d.), erhebt Denkgebilde zu realen Wesenheiten oder schließt
aus jenen auf diese. — Von der „metaphysica*^ bemerkt Albertus Magstb:
yylsta sdeniia transphyaiea vocatuf*^ (vgl. Haureau II 1, p. 123). Nach
Thomas handelt die Metaphysik ,jde ente sive de sttbstafUia** (1 AnaL 41b),
,yde ente in eommuni et de ente primo, quod est a nuUeria eeparatitm^* (1 gener.,
prooem.). Die Metaphysik ist yytranephysiea^^ (1 met., pr.). y^Fere totius pküo-
sophiae consideratio ad Dei eognittonem ordinaiur, Propter quod metapkynea,
qwie drca divina versaiur, inter pküasophiae partes ultima remanet acUiiseenda*^
(Contr. gent I; 4). Nach Suarez hat die Metaphysik ihren Namen daher,
„qtwniam de primis rerum eausis et aupremis ae diffieiüimis rebus et quodam-
modo de univerais entibus disputat^' (Met. disp. I, 1). — Micrablics erklart:
„Metaphysica, quasi seientia post vel supra physicafn, ea considerat quae auni
supra Corpora naturalia.^*^ „Metaphysicae obiectum est ens, quatenus ens est,
Unde etiam voeaiur aliquibus ovroXoyla,*^ ^Metaphysica dimditur in generalemj
qua ens in abstractissima ratione et omnimoda indifferentia consideraiur, eum
quoad naturam tum quoad affeetiones tarn eoniunelas quam diasolutas: Ei m
specialem, qua ens eonsideratur in isiis speciebus substantiarum, quae ab
omni materia sunt absolutae^* (Lex. phUos. p. 654). Ziemlich Aristotelisch st
u. a. die y^prima philosopkia** von L. Vn^s (1531). — Nach Campakella
enthalt die Metaphysik die Voraussetzungen der Wissenschaften und deren
Begründung (Univ. philos.).
F. Bacon spricht von der „inquisitio formarumy quae statt (rcUiotie certty
et sua lege) aetemae et immobileSy et oonstituat metaphysieam" (Nov. Organ.
II, 9). Die Metaphysik ist ein Teil der Naturphilosophie und handelt ,yde forma
et fine^^ (De dignit. III, 1 squ., IV, 1 squ.). Bei Descartes ist sie Prineipien-
lehre. Nach Clauberq ist die Metaphysik Ontologie (s. d.). Nach Bayle ^
sie yyla science speeulative de l'etre^^ (Syst. de philos. p. 149). Bei Spinoza
bildet sie einen Teil der jyEthiea", bei Geülincx tritt sie als y,metaph/siea'^
auf. Skeptisch gegenüber der Metaphysik ist schon Locke, während Huxs
sie ganz verwirft. Chr. Wolf teilt die Metaphysik ein in: Ontologie (s, d.i,
Kosmologie (s. d.), rationale Psychologie (s. d.), rationale Theologie (s. d.u
Nach ihm wie nach Baumgartek (Met. § 1) ist sie yyseientia prima eogniHoms
humanae principia eontinens", Crusius definiert die Metaphysik als die
„Wissenschaft der notwendigen Vernunftwahrheiten, inwiefem sie den xufaüigen.
efitgegengesetxt tcerden" (Vemunftwahrh., Vorr. zur 1. Aufl., § 4). Nach Platner
untersucht die Metaphysik „nicht was das Wirkliche sei nach der Erfahrung,
sondern was das einxig Mögliche und Notwendige sei, nach der reinen Vernunft^
(Philos. Aphor. I, § 817). Später: „Die Metaphysik iet, ihrem Zwecke nach, eine
Reifte geordneter Untersuchungen über die wirklichen Oründe unserer Vor'-
Stellungen von der Welt. Ihrem Inhalte nach ist sie der Inbegriff ntensckUeher
Vemunftideeti über diesen Gegenstand^* (Ix)g. u. Met. § 33.5). Nach Feder
stimmen alle Philosophen darin überein, „dafi in der Metaphysik die ali-
gemeitisten Vernunftwahr heilen y die allgemeinsten Gesetze der Natur porgetragm
mtd mittelst derselben die letzten Oründe der Eigenschaften und Veränderungin
I
»Eetaphysik. 659
der Dinge so viel möglieh aufgedeckt werden sollen" (Log. u. Met. p. 219).
Die Metaphysik klärt die Grundbegriffe und allgemeinsten Grundsätze des
menschlichen Denkens auf (1. c. S. 220). Nach M£NDEL880H24r sind die meta-
physischen Wahrheiten y^war derselben Qetcißheit, aber nicht derselben Faßlich"
keit fähig . , ,, als die geometrischen Wahrheiten" (Abh. üb. d. Evid. S. 11). —
CoxBtLiiAC bemerkt: ,,77 faut distingtter deux sortes de metaphysique, L'unSy
ambüieuse, reut percer totis les mysüres — Vautre, pltis retenue, proportionne
sea reeherches ä la faiblesse de l'esprit kumain; et aussi peu inqmet de ce, qui
doü lui eehapper, qu*amde de ee, qu'elle peut saisir, eile fait se conienir dans
les bomes, qui lui sont marquees" (Essai sur l'orig. des connaiss. hum., Introd.
p. V). Nach d'Alembert ist die (echte) Metaphysik besonders eine Theorie
vom Ursprung der Ideen (M^lang. Y).
Gegen die ontologische, aus Begriffen die Bealität der Dinge an sich ver-
meintlich herausanalysierende, hierbei apodiktisch auftretende Metaphysik kämpft
Kakt in seiner Vemunftkritik, deren Ergebnis ist, daß eine transcendente
Metaphysik eine Schein Wissenschaft sei und daß es nur eine kritisch-immanente
Metaphysik, als Wissenschaft von den allgemeinsten, apriorischen (s. d.), der
Erfahrung zugrunde liegenden, transcendentalen (s. d.) Begriffen („ T^anscendental-
Philosophie'^, s. d.) geben könne. Früher definiert er: „Philosophia autem
prima eontinens principia usus intellectus puri est metaphysiea*"
(De mundi sens. sct. II, § 8). Den Übergang zur kritischen Periode bildet
folgende Bemerkung: ,yDie Metaphysik, in todche ich das Schicksal habe ver-
liebt XU sein, . . . leistet zweierlei Vorteile, Der erste ist, den Aufgaben ein
Genüge xu tun, die das forschende Oemüt auficirft, wenn es verborgeneren Eigen-
schaften der Dinge durch Vernunft nachspäht. Aber hier täuscht der Ausgang
nur gar xu oft die Hoffnung . . . Der andere Vorteil ist der Nahir des mensch-
liehen Verstandes mehr angemessen und besieht darin: einzusehen, ob die Auf-
gabe aus demjenigen, was man tcissen kann, auch bestimmt sei, und welches
Verhältnis die Frage xu den Erfahrungsbegriffen habe, darauf sich alle unsere
Urteile jederzeit stützen müssen. Insofern ist die Metaphysik eine Wissenschaß
von den Grenzen der menschlichen Vernunft^ (Träume ein. GeLsterseh.
II. T., II. Hpst., WW. II, 375). In der Vernunftkritik spricht Kant von der
Metaphysik als von einer „ganz isolierten speculaiiven Vemunfterkenntnis, die
eich gänzlich über Erfahrungsbelehrung erhebt, und xwar durch bloße Begriffe"
(Krit. d. r. Vem., Vorr. II, S. 16). Die Metaphysik ist eine „Philosophie über
die ersten Gründe unserer Erkenntnis" (WW. II, 291), „w«n will vermittelst
ihrer über alle Gegenstände möglicher Erfahrung (Irans physicam) hinausgehen,
um tcomöglich das zu erkennen, was schlechterdings kein Gegenstand derselben
sein kann" (WW. VIII, 576). Die Apriorität der Metaphysik steht fest, sie
ist „Erkenntnis a priori, oder aus reinem Verstände und reiner Vernunft'^, sie
muß „lauter Urteile a priori enthalten**, die insgesamt synthetisch (s. d.) sind ;
die metaphysische ist „jenseits der Erfahrung liegende^' Erkenntnis (Prolegom.
g ly 2, 4). „Gott, Freiheit und Seelenunsterblichkeit sind diejenigen Auf-
gaben, xu deren Auflösungen alle Zurüstungen der Metaphysik, als ihrem letzten
und alleinigen Zwecke, abzielen" (Krit d. Urt. II, § 91). Die Frage: ist
Metaphysik als Wissenschaft möglich? wird im transcendenten Sinne verneint
(8. Oialektik), im immanenten, transcendentalen bejaht. Die „Kritik der reinen
Vernunft* ist die „notice^idige vorläufige Veranstaltung zur Beförderung einer
gründlichen Metaphysik als Wissenschaft" (Krit. d. r. Vem., Vorr. II, S. 29).
42*
660 »Eetapbysik.
1
„ÄUe wahre Metaphysik ist aus dem Wesen des Denhungstfermögens selbst ge-
nommen und keineswegs darum erdichtet^ weil sie nicht von der Erfahrung ent-
lehnt ist, sondern enthält die reinen Handlungen des Denkens, mithin Begrife
und Grundsätze a priori, welehe das Mannigfaltige empirischer Vorsteüsmgem
allererst in die gesetx/mäßige Verbindung bringt, dadurch es empirisches Er*
kenntnisy d, h, Erfahrung ^ werden kann^^ (WW. IV, 362; Proleg<HDL § 57).
Metaphysik (im guten Sinne) iBt also ,4as System aller Prineipien der reinen
theoretischen Vemunftbegriffe durch Begriffe; oder kurz gesagt: sie ist das
System der reinen theoretischen Philosophie^* (Üb. d. Fortschr. d. Met. S. 99).
Metaphysik ist eine y,Wissenschafl von den Gesetzen der reinen mensehliehen
Vernunft und also subfeetiv*', „pküosophia pura", „Philosophie über die Form*^
(Reflex. 8. 106, 110). Das Übersinnliche, Jenseitige ist nur G^egenstand des
Glaubens, der praktisch vernünftigen Betrachtung (1. c. 8. 156). Die Meta-
physik, d. h. materiale reine (apriorische) Philosophie, ist Metaphysik der Natur
(Met. Anf. d. Naturwiss., Vorr. 8. VII) und Metaphysik der Sitten (Moni).
Sie soll ,idie Idee und die Prineipien eines mögliehen reinen Willens unter-
suchen'' (WW. IV, 238). — Nach Reixhold ist die Metaphysik ,4ie Theorie
der a priori bestimmten Gegenstände'^ (Theor. d. YorstelL II, 486).
Nach YjlST erhebt sich die Metaphysik häufig wieder zu einer Lehre vom
Transcendenteu (s. d.), das man durch intellectuelie Anschauung oder dmdii
Dialektik (s. d.), teilweise gestützt auf die Annahme der Identität (a. d.) von
Denken und Sein, erfassen zu können glaubt. — Anthropologisch (paychologisdi)
begründet die Metaphysik Fries (Syst. d. Philos. 1804). Calker nennt die
Metaphysik „ ürgesetzlehre'^ des Wahren, Guten , Schönen (Urges. 1820). —
BouTERWEX ist Metaphysik „ Wissenschaft der noticendigen Beziehungen
Gedanken auf das ilbersinnliehe Wesen der Dinge" (Lehrb. d. philos. Wissensch. I.
11). Mit J. G. FiCHTEs „ IVissenschafislehre^' (s. d.) beginnt eine idealistiBche MeC
Hegel identificiert Lqgik (s. d.) und Metaphysik (EncykL § 24). Die Meta-
physik ist reine, abstracte Begriffswissenschaft, speculativ (s. d.). Sie ist der
„Umfang der allgemeinen Denkbestimmungen, gleiehsam das diamantene Nets^
in das wir allen Stoff bringen und dadurch erst verständlich maehen'* (Log. III.
18 f.). Nach E. Bosenkkakz zerfällt die Metaphysik in Ontologie, Ätiologie,
Teleologie (Wissensch. d. log. Idee). Nach C. H. Weisse ist die MetapbyBä
die „ Wissenschaft des reinen Denkens, reine Wissenschaft a priorv* (Metaphjs..
Einleit. C. 3, S. 38). Chr. Krause nennt die Metaphysik „UrwisBenscha/t
(vgl. Vorles. üb. d. Syst d. Philos.,- s. Philosophie). Nach Braniss hat die:|
Metaphysik (Idealphiloeophie) „von der absoluten Idee aus den Wdtbegriff «■
bestimmen und zu entwickeln'' (Syst. d. Met S. 143 ff.). — Nach Heilrast
hingegen ist die Metaphysik „die Lehre von der Begreiflichkeit der Erfakrmif^
(Allg. Met. I, 215), die Wissenschaft von der „Ergänzung der Begriffe, bdinfr
ihrer Denkbarmachung (Lehrb. zur EinL», S. 255). Sie bearbeitet die &-
fahrungsbegriffe, behufs Beseitigung der Widersprüche (s. d.) dersdben, diiRi|
die „Methode der Beziehungen" (s. d.). Sie zerfällt in Methodologie, Ontofegie.
Synechologie, Eidolologie (s. d.) (vgL Encykl. d. Philos. S. 297 ff.). Be2(SO
gründet die Metaphysik auf die innere Wahrnehmung, auf Psychologie, irefl
wir das fremde Sein nach Analogie unseres Innoiseins deuten (I^eloh. <L
Psychol.», § 129, 159). Das gleiche tut die Metaphysik Schopenhauek».
alles Sein als „ Willen" (s. d.) bestimmt Es ist nicht die Aufgabe der
physik, „die Erfahrung, in der die Welt dasteht, zu überfliegen.
Ketaphyaik. 661
Grund aus xu verstehen, indem JErfakrung, äußere und innere, allerdings die
EauplqueUe aller Erkenntnis üf* (W. a. W. u. V. I. Bd., S. 426). Die Meta-
phyBik fadt das Vorhandene „als eine gegebene, aber irgendwie bedingte Erschein
nungj in welcher ein von ihr selbst verschiedenes Wesen, welches demnach das
Ding an sich wäre, sich darstellt. Dieses nun sucht sie näher kennen xu lernen:
dis Mittel hierxu sind teils das Zusammenbringen der äußern mit der innem
Erfahrung, teils die Erlangung eines Verständnisses der gesamten Erscheinung,
mittelst Auffindung ihres Sinnes und Zusammenhanges .... Auf diesem
Wege gelangt sie von der Erscheinung xum Erscheinenden, xu dem, was
hinter jener steckt**, Sie zerfallt in : Metaphysik der Natar, Metaphysik des
Schönen, Metaphysik der Sitten (Parerga 11, § 21). Die größeren Fort-
schritte der Physik machen das Bedürfnis nach Metaphysik immer fühl-
barer (W. a. W. u. y. II. Bd., C. 17). Das eigenste Gehiet der Metaphysik
liegt in der Greistesphiloeophie, weil der Mensch nach seinem Innem (dem
Willen, 8. d.) die Natar begreift (ib.). Aufgabe der Metaphysik ist ,/fte richtige
Erklärung der Erfahrung im ganzen", sie hat ein empirisches FuiHlament (ib.).
Indem sie das Verborgene immer nur als das in der Erscheinung Erscheinende
betrachtet, bleibt sie immanent (ib.). Sie hat aber keine apodiktische Gewißheit
0b.). Das Metaphysische ist das Ding an sich, das Physische die Erscheinung.
Trendelenburo bestimmt die Metaphysik als Wissenschaft des allgemein
Seienden (Log. Unt.). Eine „mitaphysique positive^^ lehrt Vachebot (La m^t
et la science*, I, p. XLVI). Metaphysik ist ,/a science de Vinfini, de Vabsolu,
de Vuniversd, de Cuniti, du tout* (L c. I, p. 211). Nach Lotzb ist Metaphysik
die „Lekrcy welche die für unsere Vernunft unabweislichen Voraussetxungen über
die Natur und den Zusammenhang der Dinge nicht fragmentarisch, wie die
gewohnliehe Bildung, sondern vollständig und geordnet darstellt und die Grenxen
ihrer Öiiltigkeit bestimmt" (Gr. d. Log. S. 99). Sie untersucht „den wahren
Qrund, den genau bestimmten Sinn und die Anwendungsgrenxen" der allge-
meinen Gnmdsatze der Wissenschaften (Gr. d. Met. S. 6). E. v. Hartmann
bestimmt die Metaphysik als inductive, aposteriorische Wissenschaft (Gesch. d.
Met n, 594). So auch Drews, der die Wissenschaft als „Wissenschaft vom
realen Sein** definiert und im Ich (s. d.) das Grundproblem der Metaphysik
erblickt (Das Ich S. 6, 11). Spicker hält die Metaphysik für den „eigentlichen
Kemgehaä aller Philosophie^*. Jeder allgemeine Satz ist metaphysisch, „denn er
reicht über die Erfahrung hinaus und kann nie durch Tatsachen aus der Wirk-
Uekkeit eontrolliert werden** (K, H. u. B. S. 176). Nach Harms ist die Meta-
physik die „Wissenschaft vom Sein, von den Formen und Arten des Seins,
wdehes von allen Wissenschaften als ihr xu erkennendes Obfect gedacht wird^
(Log.- 8. 38). EUqemakx definiert: „Die Wissenschaft, welche sich mit dem
Wesen, dem ursächlichen 2hisammenhange und dem Endxiel der Dinge, also mit
dem, was hinter dem Sinnliehen verborgen liegt, befaßt, ist die Metaphysik**
(Log. u. Noet.», S. 8). Die Metaphysik ist „die Wissenschaft von dem Wesen,
Orund und Ziel alles wirkliehen Seins** (Met.*, S. 3). Sie ist „Fundamental-
wissenschaft** (ib.). Sie zerfällt in: allgemeine Metaphysik (Ontologie) und
specielle Metaphysik (L c. 6. 6). Nach Gutberlet handelt die allgemeine
Metaphysik vom Sein im allgemeinen und den ihm zunächst stehenden Be-
griffen, die specielle Metaphysik von den letzten realen Gründen der besonderen
Weltdinge (Log.«, S. 2; Met«, S. 1 ff.).
Eine kritische, teilweise auch eine immanente, positive (auf die allgemeinsten
662 Metaphysik.
Erfahrungstatsachen, Erfahningsgrundlagen gehende) Metaphysik erkennen ver-
schiedene Philosophen an. So Volkelt, O. Liebmanx, welcher erklart: ,fDie
kritische Metaphysik , , , ist hypothetische Erörterung menschlicher Vorstelhmgem
über Wesen, Grund und Zusammenhang der Ding&^ (Klimax d. Theor. S. 112^
„ Warum hier und jetxt dies oder das ist und geschieht, -^ dies hat dis Physik
aus allgemeinen Naturgesetzen xu deduderen, und xwar womöglich auf mathe-
matischem Wege, Warum aber dies und das überhaupt irgendwo und irgenduann
ist und geschieht f — dies ist Sache der Metaphysik^* (als Transcendentalphilo-
Sophie) (Anal.* S. 351). Femer F. Schüi-tze (Philos. d. Naturwiss.), F. E^hardt
(Met.), Fechner, F. Patjlsen, Witte (Wes. d. Seele S. 58, 336), K. Lass-
witz (G. d. Atom. I, 6), Teichmüller (Neue Gnindl^. S. 16), Nibtzscbe,
Kenouvier, Foüillee, J. C. 8. Schiller, MainlXnder (Philos. d. Erlös.),
J. Bergmann, nach welchem Metaphysik die Wissenschaft von der Bewußthdt
oder Ichheit ist, u. a. Leweb betont: ,yThe scientific canon of exeluding firom
calculation all incaletdahle data places Metaphysies on the same lerel «räA
Physich" (Probl. I, 60). Als auf Erfahrung fußende Wissenschaft faßt dk
Metaphysik E. Zeller auf (Arch. f. syst Philos. I, S. 8 f.). — P. Carus
definiert die Metaphysik als ^.Wissenschaft von den Principien, d h.
dem letzten Grunde des Daseins und des Denkens'* (Met S. 6; vgl. S. 34 ffj.
Das Transcendente ist unerkennbar. — Nach Sigwart ist die Metaphysik
die Wissenschaft, welche „einerseits die letzten Voraussetzungen, van denen
alles planmäßige Denken ausgeht, anderseits die Resultate, zu denen dieses
gelangt, in einer einheitliehen Auffassung von dem letzten Grunde des Verhää- '
nisses der subjectiven Gesetze und Ideale des Denkens und Wollene zu dem ob-
jectiven Inhalte der Erkenntnis zusammenzubringen hat** (Log. II*, 750). Ihr
höchstes und schwierigstes Problem ist die „Bestimmung des VerhäUni^ses, in
welchem die Notwendigkeit als Leitfaden aller Erkenntnis des Seienden xu
der Freiheit steht, welche das subjeetive Postulat des bewußten Wollens tsf** (ib.».
Wundt versteht unter Metaphysik die „Principientehre"*. Sie stellt den Inhalt
des Wissens „in allgemeinen Begriffen über das Seiende und in Gesetzen über
dessen Beziehungen dar . . . Auf diese Weise ist das, freilich oft verfehlte, Ziel
der Metaphysik die Aufrichtung einer widerspruchslosen Wettansehauung, treiehe
cUles einzelne Wissen in eine durchgängige Verbindung bringt**. Ihre Haupt-
aufgabe ist „das Geschäft der Ergänzung der Wirklichkeit . . . durch Aufstehen
von dem in der Erfahrung Gegebenen zu weiteren Gründen, die nicht gegeben simh
(Log. I*, 7, 421). Die Metaphysik ergänzt die Erfahrung so, „daß sie die in
der Erfahrung begonnene Verbindung nach Grund und Folge consequent und in
gleicher Richtung weiter führt, bie die Einheit gewonnen ist, welche ee uns mo^iek
macht, die ganze Reihe samt den Gliedern, welcßie der Erfahrung angehören^ ol*
ein Games zu denken**. Die negative Aufgabe der Metaphysik besteht in der
Kritik der in jeder Wissenschaft steckenden metaphysischen Voraussetzungen,
die positive in der Berichtigung und Ergänzung dieser. Die specielle Meta-
physik gliedert sich in Naturphilosophie (Kosmologie, Biologie, Anthropologie)
und Geistesphüosophie (Ethik, Rechts-, Geschichtsphiloeophie, Ästhetik, Rs
ligionsphilosophie) (Einleit in d. Phüos. S. 85; Syst d. Philos.*, S. 30 ft:
Philos. Stud. V, 48 ff.). Die Metaphysik ist nicht zu beseitigen. „Sobaiä
innerhalb der Einzelforschung ein unchtiges Problem von allgemeiner T^ragweilt
sieh auftut, so wird es von selbst, indem es die Hilfe anderer WissetisgMeie unJ
unter ihnen insbesondere auch diejenige der Psychologie und Erkenntnislekrt !
Metaphysüc. 663
torttusselxty xu einer pküosopkisehen Aufgabe. So erhebt steh atts der Mitte der
Mnxeltaiesensehaften selbst die Forderung nach einer Wissenschaft der
Prineipien, der allgemeinen Grundbegriffe und Grundgesetze, für die der
Name jMeiaphysikf beibeheUten teeret niag*^ (Ebb. I, S. 20; Philo8.Stud. V, 51).
Nicht als „Begriffsdiehtung** (wie bei F. A. Laitge), sondern als Wissenschaft,
deren Methode die der Einzelwissenschaften ist, ist die Metapliysik aufzufassen
(Syst d. Philos.*, 8. Vj. Zu betonen ist: „Wer über die Fragen, auf die allein
die Erfahrung Antwort geben kann, die letzten metaphysischen Ideen xu Rate
zieht, vermag höchstens die empirischen Tatsachen in Verunrrung xu bringen.
Ebensowenig können endlieh die metaphysischen Probleme allein aus der Erfah-
rung entschieden werden. Diese deutet uns aber den Weg an, den wir zu gehen
haben. Denn Voraussetzungen, die über die Tatsachen der Erfahrung hinaus-
reiehen, können ihre logische Berechtigung immer nur dadurch gewinnen, daß sie
sieh als folgerichtige Weiterentwicklungen der auf empirisehem Gebiete notwendig
gewordenen Hypothesenbildungen erweisen" (Log. I*, 630 f.). Die Metaphysik
hat „den gesamten Inhalt der Erfahrungsurissensehaften, insofern er eine prin-
eipielle Bedeutung besitzt und beiträgt xur Gestaltung unserer tcissensehaftlichen
Weltanschauung** zu ihrem Gegenstande (E^s. 1, S. 21). Metaphysik gehört
aber ans Ende, nicht an den An&ng des Erkennens (Philos. Stud. XIII, 428).
Metaphysisch sind alle „Anneüimen, die irgendide hypothetische Ergänzungen
der Wirklichkeit sind"^ (ib.). Metaphysisch ist ,Jede Untersuchung, die sieh auf
die nicht unmittelbar der Erfahrung zugänglichen Voraussetzungen über das
Wesen der Dinge bezieht*^ (Eth.*, S. 14). Metaphysisch wird eine Theorie dadurch,
jjdaß sie irgend ein empirisch gegebenes Verhältnis über alle Gretnen der /•>-
fahrung hinaus erweitert" (Philos. Stud. XIII, 361). Jede definitive Hypothese
ist metaphysisch, jede Metaphysik hypothetisch. Metaphysischer Begriff
ist ein solcher, der direct aus dem Motiv, den Weltzusammenhang zu begreifen,
hervorgeht (Einleit. in d. Philos. S. 351). — iNach Husserl hat die Metaphysik
die Aufgabe, „die ungeprüften . . . Voraussetzungen metaphysische}- Art zu
fixieren und zu prüfen, die mindestens allen Wissenschaften, welche auf die
reale Wirklichkeit gehen, zugrunde liegen" (Log. Unt. I, 11). Nach HÖFFDINO
spricht der Metaphysiker „nur die Gedanken aus, die mehr oder' iceniger tm-
bewußt dem erfahrungs7fiäßigen Forschen zugrunde liegen, und er führt ihre
(hnsequenzen durch" (Psychol.*, S. 18). Nach F. Mach beschäftigt sich die
Metaphysik „nur mit der Erforsclmng des Wesens, des Grundes und Zweckes
des wirklich Seienden" (Religions- u. Weltprobl. I, 57). Uphues erklart:
„Die Philosophie als Metaphysik wUl eine Weltanschauung geben, eine Vorstellung
von der Welt im ganzen" (Psychol. d. Erk. I, 13). KÜLPE versteht unter
Metaphysik den „ Versuch einer mit wissenschaftlichen Mitteln ausgebauten Welt-
anschauung*' (Einl. in d. Philos.*, S. 21), so auch W. Jerusalem (Einl. in d.
Philos.*). — Nach Simmel hat die Metaphysik „den formalen Wert, überhaupt
ein vollendetes Weltbild nach durchgehenden Prindpien anzustreben" (Problem,
d. Geschichtsphilos. 8. 63). Alle Metaphysik besteht in der Zurückführung
der sinnlichen Äußerlichkeit auf geistige Ptincipien (1. c. S. 99). Die meta-
physische Bpeculation entspringt dem Spieltriebe (1. c. S. 105). Nach H. Corne-
lius wäre das Ziel der (immanenten Metaphysik) eine „einheitliche Weltan-
schauung, die von den Erscheinungen der Natur und des geistigen Lebens, von den
Gesetzen der objeetiven Welt und von den Gesetzen der mensehlic/ien Bestrebungen
in gleicher Weise Rechenschaft gäbe" (Einleit. in d. Philos. S. 12). Nach
664 Metaphysik — ITetaphysiBch.
Heymans ist die Metaphysik ,,angewandU Erkenntnütheorie^', sie hat „die fiir
unser Denken notioendigen Qrtmdlinien des Weltbildes xu bestimmen, sofern sitk
dieselben atis den Gesetzen des Denkens entwickeln ktssen^* (Ges. iL Eiern. <L
wiss. Denk. S. 38). Adickes anerkennt fietaphysik nicht als WiBseoschaft des
Transcendenten (Zeitschr. f. Philos. 104. Bd., S. 52j, nur als abschliefiendoi
subjectiven Glauben (Zeitschr. f. Philos. 112. Bd., S. 231). Nach Hodgson iit
die Hauptaufgabe der Metaphysik die Analyse des Erkenneus (The Met of
Experience 1898). Nach Bi^XL ist die Metaphysik nur als kritische Discipün,
als Theorie der Grenzbegriffe der E^rfahrung, als ,ySysiem der Erkenntnisprim-
dpien" berechtigt (Philos. Eritic. II 1, 4). B. Erdmai^n idenüüciert die
Metaphysik mit der Erkenntnistheorie (Log. I, 11). So auch (mit der
„Logik der reinen Erkenntnis'^ H. Cohen (Log. S. 516) und andere Kantianer.
— Nach M. Palaqyi betrachtet die Metaphysik die Tatsachen der Wissen-
schaft unter dem Gesichtspunkte der Ewigkeit (Log. auf dem Schetdevege
S. 243). Die eigentliche Metaphysik besteht aus: Metageometrie, Metadynamik^
Metagenetik (1. c. 8. 310).
Die Berechtigung und Möglichkeit jeder (speculativen) Metaphysik negiert
der Positivismus (s. d.). Nach E. Dühbing hat an die Stelle der Meta-
physik die „nur auf Wirklichkeiten gegründete Weltanschauungslekre" zu treten
(Log. 8. 9). Meti4>hysik ist nur eine phantastisch oder betrügerisch ausgeföhite
Art der Sachlogik (Wirklichkeitephilos. S. 278). L. Stein sieht in aller Meta-
physik y^nur Rauschesäußerungen einer trunken gemachten Logik, im, besten Faüe
Oedankendichtungen großen Stiles — eine Poesie des dialeküach geschulten Ver-
standes" (An d. Wende d. Jahrh. S. 258). E. Mach will alle metaphysischen
Elemente aus den naturwissenschaftlichen Darstellungen eliminieren (Popolir-
wiss. Vories. S. 363). „Die Ansieht, tcelehe sich allmählich Bahn bricht, daß die
Wissenschaft sieh auf die übersichtliche Darstellung des TcUsächliehen xu he^
schränken habe, führt folgerichtig m^ Ausscheidung aller müßigen^ durch die
Erfahrung nicht controUierbaren Annahmen, vor allem der metaphysischen (im.
Kantschen Sinne)'' (AnaL d. Empfind.*, Vorw.S. V). VgLDiLTHBY, EinL 1, 163, 165.
Außer den Systemen der Philosophen und Specialabhandlungen vgl. über
Metaphysik noch: Goclen, Isagoge in metaphysicam; Gengvesi, Elementa
scientiarum metaphysicarum 1743; Fries, Syst. d. Met. 1824; Afelt, Metaphys.
1857; E. Ph. Fischer, Wissenäch. d. Met. 1834; J. E. Erdmanit, Gr. d. Log.
u. Met.*, 1864; K. Fischer, Syst. d. Log. u. Met«, 1865; George, Syst d.
Met. 1844; H. Bitter, Syst. d. Log. u. Met 1856; E. BEUfHOLD, Syst d.
Met*, 1854; Hartenstein, Die Grundprobleme und Grundlehren d. allgeoL
Metaphys. 1836; Fouillee, L'avenir de la m^taphys. fond^ sur Texp^ence
1889; Lachelier, Du fondement de Tinduction*, 1896; P. Janbt, Principes de
metaphys. et de psychol. 1897; W. Hamilton, Lectures on Meti4>hy8. and Log.;
Mansel, Metaphysics 1860; J. F. Ferrier, Institut of Met 1854; K Caisp.
Ess. II u. a Vgl R. Lehmann, Zur Psychol. d. Met Dilles, Weg zur MeL 1903.
Über Geschichte der Metaphysik vgl. E. v. Hartmann, Gesch. d. Meta-
phys. 1899/1900. — Vgl. Philosophie, Wissenschaft, Problem, Principien, Sub-
stanz, Seele, Materie, Kraft, Spiritualismus, Panpsychismus, Gott^ Sein, Objert
Ding an sich, Wirklichkeit, Teleologie, Naturphilosophie.
Metapliysiftch : zur Metaphysik (s. d.) gehörig, überempirisch. So hat
z. B. nach Schopenhauer der Begriff der Causalitat bloß ,jphysiseke"^ mcbi
„metaphysische" Anwendung (W. a W. u. V. II. Bd., C. 17).
MetaphyBische Begriffe (Kategorien) — Methode. 665
BletapliyBiselie Bei^rÜfe (Kateg^orlen) sind jene Grundbegriffe,
welche direct zum Zwecke der HerstelluDg eines allgemeinsten Erfahnmgs-
Zusammenhanges dienen (Sein, Substanz, Ejraft u. s. w.)> Vgl. Kategorien.
BletapliysUielie Probleme s. Problem.
Metaphysisclie Psycliologie s. Psychologie.
nietapliysiselie PanlLte („points metaphysiques^^) nennt Leibkiz
(Gerh. IV, 3d8) die Monaden (s. d.).
Hetaphyidbielier Oarwiiitomiis heifit die Ansicht von du Pael,
wonach das Anpassungsresultat auf das organisierende Princip übergeht und in
einer neuen Incamation wirksam wird (Mon. Seelenlehre 8. 98 f.).
Metapliyftisclier Trieb ist der in dem Einheitsstreben des Geistes
begründete Trieb nach Ergänzung und Deutung der Erfahrung zum Zwecke
einer Weltanschauung. Nach Schopenhauer entsteht mit der Besinnung und
Verminderung (s. d.) über sein Dasein beim Menschen das metaphysische Be-
dürfnis, das ihn zum ,/mimcU nietaphysicum*^ macht (W. a. W. u. V. II. Bd.,
C. 17). Die Religion ist „Volks^metaphysik" (ib.)
BletapliyBisebes Siadlnm (Comte) s. Wissenschaft
Bleiatliesis praemissamm: Umstellung der Prämissen bei der Ck)n-
version (s. d.).
Metempirteeli (ametempiriecU^^) ist nach Lewes vom Empirischen
unterschieden. Es bedeutet das außerhalb der Erfahrung Liegende, Über-
empirische. ,JPhysic8 and Metaphysiea deai with thinga and their relaiians, as
tkese are known to us, and as they are believed to exisi in our umverae^ Met-
empiries toeeps mU of this region in seareh of tke othemess of tkings: seeking
to behoid tkingSj not as they are in our universe — not as they are to us — it
tubstiiutes for the ideal eonstruetions of science the ideal constntetions of imagi-
nattcn'' (ProbL of Life and Mind I, p. 17 f.). y^Metempirical*' bedeutet
„whatever lies beyond the limiis of possible Experienee" (ib.).
Metempsycliose (^«r«, iuxpvxoio) : Seelenwechsel, Seelen Wanderung (s.d.).
mietliexis (^«^«f»^): Teilhaben der Dinge an den Ideen (s. d.) nach
Plato, Rosmini u. a.
Bletliode (usd'odos): logisches, planmäßiges, systematisches Verfahren
wissenschaftlicher Forschimg, Untersuchungsweise, Art der Wahrheitsfindung.
Zu unterscheiden sind besonders naturwissenschaftliche, psychologische, philo-
sophische Methoden. Femer analytische (s. d.), regressive (s. d.), inductive (s. d.)
und synthetische (s. d.), deductive (s. d.), progressive (s. d.) Methode, genetische
(s. d.) und systematische (s. d.), speculative (s. d.), dialektische (s. d.), akroa-
matische (s. d.), erotematische (s. d.), experimentelle (s. d.), darstellende und
entwickelnde Methode.
Bei Aristoteles bedeutet ftäd-oSog Methode (De an. I 1, 402 a 14), auch
Wissenschaft (Phys. I 1, 184a 11). Er bedient sich der Analytik (s. d.) und
Dialektik (s. d.). — Boqeb Bacon stellt die Methode der „eocperieniia*^ der des
,/3trpumentum^^ gegenüber (s. Erfahrung). — Nach Zabarella ist y^mähodui^*
der f/i€tbitus intellectualis instrumentalis nobis inserviens ad rerum eognitionetn
adtpiscendam** (De metL I, 2; Opp. log. p. 135).
666 Methode.
F. Bacon bildet entgegen der begrifflich-speculativen, deducüven, sTllogi-
s tischen Methode der Scholastik die Methode der Induction (s. d.) weiter.
Galilei stellt neben dem Experiment die analytische (resolutive) und syn-
thetische (compositive) Methode auf. Diese beiden Methoden (^meihodm
resolutiva" und ,yCamposütva") und deren Mischung unterscheidet auch HoBB£^
(De corp. C. 6, 1, 2). Es wird nämlich entweder fortgegangen „a generaiumt
ad effectus possibiles" oder ab „effectibtis ffatvofiivon ad posstbiles*' (L c. C 25, 11
Descartes sieht das Muster aller Methoden in der der Mathematik: „solfn
Mathematicos demonstrationes cUiquas, hoc est, certas et evidentes rationes in-
venire potuisse" (De methodo II, p. 12). Vier allgemeine methodische Begidn
haben sich bewährt: ,,Primuin erat, ut nihil unqtiam veltäi rerum admiäerem
nisi quod certo et evidenter verum esse cognoscerem; hoe est, ut aynnem praeei-
pitantiam atqne antidpaiionem in iudicando düigentissime vitarem; nihüque
amplius conclusione complecterer, quam quod tarn clare et distineU rationi meae
pateret, ut nullo modo in dubium possem reroeare," — „AUerum, ut diffieultaie»,
quas essem examinaturus, in tot partes dividerem, quot expediret ad illas commo-
diiis resolvendas/^ — „Tertium, ut cogitationes omnes, quas veritaii qidoerendae
impeTiderem, certo setnper ordine promoverem: prineipiendo scüieet a relna
simplicissimis et cognitu faeillimis, ut paulatim et quasi per gradus ad diffi-
eüiarum et magis compositarum eognitionem asoenderem; in aliquam eiiam
ordinem illas mente disponefido, quae se mutuo ex natura sua non pra/ecakmt.^
— „Ac postremum, ut tum in quaerendis mediis, tum in difßeultaium partHms
pereurrendis, tam perfecte singula enum^rarem et ad omnia cireunupieereaty ut
nihil a me omitti essem certus*^ (1. c. p. 11 f.). Spinoza erklärt die Methode
als reflexive Erkenntnis („cognitio reflexiva^^ oder die Idee der Idee. Sie mufi
die wahre Idee von dem übrigen unterscheiden, femer Regeln geben, durch
welche das Unbekannte begriffen werden kann, und die Ordnung bestimmen,
nach welcher untersucht wird (De emend. intelL). In „Ethü^* wird der „mos
geometrieus*^ (s. d.) angewandt. Die Logik von Port -Royal bestimmt die
Methode als „ars bene disponendi seriem plurimarum eogitationum^^ (1. c. IV, 2l
Pascal erklärt : „ Cette vSritable methode, qui formerait lea demonstraüons dam
la plus haute eoceellence, s'il etait possible d*y arriver, consisteraii en deux ckoses
principales: l'une, de n*employer Jamals aueun terme dont on n'eüt aupar<want
explique nettement le sens; l'autre, de n* avancer jamais aueune proposition qu'an
ne demonträt par des ven'tes dejä eonnues; en un mot, ä deßnir tous les iermn
et ä prouver foutes les proposiiions" (Pens. I, 1). D'Argkns bestimmt: „On
entend par ce mot de methode la demikre des opiratians de notre esprit, qtte
nous avons indiquee . . . par le terme de coneevoir, qui signifie disposer oh
arranger ce que nous avons imagine sur un sujet, de la tnaniere la plus promptt
et la plus claire qu'il nous est possible!^* (Philos. du Bons-Sens I, p. 269). ffi
y a deux sortes de methodes; Vune, qui sert ä decouvrir la veritS, et qu'on appeUe
analyse, ou mitßwde de resohäion, ou mime methode d'ifwention, et Vautre, qu'om
nomme Synthese, ou methode de compositum, qu'on emploie lorsqu'on veat
rendre sensibles aux autres les verites doni on est d^ä convaincu*^ (L c p. 270k.
Von der analytischen Methode sagt Condillac: ,fAn€Uyser n^est tlone auire
ehose qu'observer dans un ordre suecessif les qualitSs dun ohjet, afin de teir
donner dans Vesprit Vordre simultane dans lequel eües existent*' (Log. I, 2).
J. Ebert definiert: „Die Ordnung, welcher man sich bei dem Vortrage seiner
Beweise und seiner Gedanken überhaupt bedienet, heißt die Lehrart oder Metkodi,
Methode. 667
welche man getneiniglich in synthetische, analytisehe und vermischte einxiUeilm
pflegt' (Vemunftlehre S. 121). .
Kaitt versteht unter Methode „die Art und Weise, tcie ein geivisses Object,
XU dessen Bhrkenntnis sie anxuwenden ist, vollständig xu erkennen sei. Sie muß
aus der Natur der Wissenschaft selbst hergenommen werden" (Log. S. 16). „Die
seieniifische oder scholastische Methode unterscheidet sich von der popu-
lären dadurch, daß jene von Orund- und Elementar- Sätxen, diese hingegen vom
Gewöhnliehen und Interessanten ausgeht^ (1. o. S. 228). „Die analytische
Methode ist der synthetischen entgegengesetxt. Jene fangt von dem Bedingten und
Begründeten an und geht xu den Prindpien fort (a prineipiatis ad prinoipia),
diese hingegen geht von den Prindpien xu den Folgen oder vom Einfachen xum
Zusammengesetxten, Die erstere könnte man atich die regressive, sowie die
letztere die progressive nennen" (1. c. 8. 230). „Die syllogisiische Methode
ist di^enige, nach welcher in einer Kette von Schlüssen eine Wissenschaft vor-
getragen wird" (1. c. S. 230 f.). Nach Fries ist die Methode „eine Handels-
weise, die an notwendige Regeln gebunden ist** (Syst. d. Log. ö. 508). Nach
Hegel ist die Methode „der sich selbst udssende, sich als das Absolute . . . xum
Gegenstand habende Begriff^*, „der reine Begriff, der sich nur xu sich selbst
verhält*', der „sieh begreifende Begriff'* (Log. III, 330, 352). Ähiüich K. Rosen-
kranz (Syst. d. Wiss. S. 123 ff.). Nach Hinkighs ist die Methode „das
Wissen, das sich sowohl als Sein als auch als Denken . . . gegenständlich ist".
Sie ist nicht bloß ein Äußerliches. Analysis und Synthesis sind in ihr unzer-
trennlich (Grundlin. der Philos. d. Log. S. 232 ff.). Herbabt bestimmt die
Methode als „die allgemeine Angabe der Art und Weise, aus Prindpien etwas
abxuleiien" (Lehrb. zur Einleit. in d. Philos. § 13). Nach Bachmann ist die
Methode das sichere, kunstgerechte Fortschreiten in der Wissenschaft (Syst. d.
Log. S. 358). „Die wahre Methode der Wissenschaft ist analytisch wnd synthetisch
xugldeh, aber nicht aus ihnen xusammengesetxt, sondern als Indifferenx, so daß
diese beiden nur die besonders hervorspringenden Pole derselben sind. Von
Tatsachen ausgehend, sucht sie die absoluten Prindpien der Erkenntnis, sowohl
der Form als des Oehalts, wnd aus den gefundenen ist sie bemüht, syn-
thetisch die ganze Fülle der Wissenschaft hervortreten xti lassen" (1. c. S. 361).
Das ist die kritische Methode (1. c. S. 362). „Die Methode in ihrer lebendigen
Bewegung sowohl von den Gegebenen xur Idee, als von der Idee xu ihrer Offen-
barung in den dnxelnen Momenten, ist die Dialektik", d. h. „die Wissenschaft
in ihrer organischen Entwicklung** (1. c. S. 371). — Nach W. Hamilton ist die
Methode „tlte regtdaied procedure towards a certain end" (Lect. on Met. and
Log. IV, XXIV ff., p. 3). Nach Teichmülleb ist die Methode „a priori be-
stimmt, weil sie aus der Natur des Denkens und nicht aus der Natur der xufallig
gegebenen Gegenstände des Denkens herstammt" (Neue Grundleg. S. 240). Die
Methode ist „diejenige Ordnung der geistigen Functionen, durch welche die ob-
jeetiven Coordinaten dner gesuchten Erkenntnis xum Bewußtsdn gebracht werden"
(L c. S. 324). Von einer „sachlogischen" Methode spricht E. Dühring. Nach
GUTBERLET bezeichnet „Methode^* „eine solche Zusammenordnung der Mittel,
daß durch dieselbe das Ziel am besten erreicht wird" (Log. S. 136). Nach
Haoemann zeigt die heuristische Methode „den Weg, auf welchem der Stoff
dner Wissenschaft in möglichster Genauigkeit und Vollständigkdt xu finden ist**
(Log. u. Noet*, 8. 106). Nach B. Erdmann ist die Methode „die Art und
Weise dner Wissenschaft, gültige Urtdle über ihren Gegenstand xu gewinnen"
668 Methode — Methoden psychophysische.
(Log. I, 11). Nach M. Palaoyi gibt es nur zwei wissenschaftliche Methoden:
die yjMethode der directen Besinnung^ (physische M., Induction) und die
„Methode der eonirären Besinnung'^ (metaphysische oder logische M., DeductioD)
(Log. auf dem Scheidewege S. 241 f.).
H. OoEnsN (Log.) und Natokp (Plat. IdeenL) fassen die „Methodef' er-
kenntniskritisch als gesetzmäßige Vereinheitlichung der £r&hrang8inhalte durdi
die synthetische Tätigkeit des Denkens auf. — Husserl betont, ,fdaß aik
wissenaehaftlicken Methoden, die nicht selbst den Charakter von fcirldiehen Be-
gründungen . . . haben, entweder denkökonomische Abbreviaturen und
Surrogate von Begründungen sind, die, nachdem sie selbst durch BegrimdungeH
ein für aUemal Sinn und Wert empfangen haben, bei ihrer praktischen Ver-
tcendung xwar die Leistung aber nicht den einsichtigen Oedankengehaii «w
Begründungen in sich schließen; oder daß sie mehr oder weniger eomplieierie
Hilfsverriehtungen darstellen, die %Air Vorbereätmg, ^sur Erleiekierung,
Sicherung oder ErmÖgliehung künftiger Begründungen dienen'* (Log. Unt
I, 23).
J. St. Mill stellt vier Methoden inductiv-wissenschaftlicher Forachung
auf: 1) Methode der Übereinstimmung („Method of agreement'): „Wenn
alle beobachteten Fälle einer zu erforschenden Naturerscheinung nur einen efn-
xigen Umstand gemein haben, so ist dieser Umstand, in welchem allein aüe
Fälle übereinstimmen, der betreffenden Erscheinung wesentlich, entweder Ursache
oder Wirkung derselben,^' 2) Methode der Unterscheidung (Differenz*
methode, „Method of differenc^^}: „Wenn ein Fall, in welchepn die xm er-
forschende Naturerscheinung eintritt, und ein Fall, in welchem sie nickt emtriU,
alle Umstände gemein haben mit Ausnahme eines einzigen, der niur im
Falle vorkommt, so ist dieser Umstand, wodurch allein die beiden Flaue
unterscheiden, der betreffenden Naturerscheinung tcesentlich," 3) Methode der
Beste (Bückstände, „Method of residues"): „Wenn man von einem Ihäe
einer Erscheinung durch schon gemachte Inductton weiß, daß er Wirkung
bestimmten Umstandes ist, so schließt man, daß der übrige Teil (Riiekstand
Rest) der Erscheinung durch die restierenden Ufnstände bedingt ist.** 4) Me-
thode der sich begleitenden Veränderungen („Method of coneomitafd
variations^') : „Wenn eine Erscheinung sieh verändert, so oft eine andere in
einer eigentümlichen Weise sich verändert, so ist sie entweder Ursache oder Wir-
kung der andern ode?- ist durch irgend einen Causahfexus damit verknüpft^
(Log. I, C. 8, S. 453 ff.; vgl. Siowart, Log. II*, 470 ff.). VgL Wuhdt,
Log. II', 1 ; Duhamel, Des m^thodes dans les sciences de raisonnement 1866/72;
A. CoüRNOT, Des m^thodes dans les sciences de raisonnement 1865 ; W. Smith,
Methods of Knowledge 1899; M. F. Scheler, Die transcendentale und die psychoL
Methode 1900. Vgl. Methodenlehre, Methodisch, Analyse, Synthese, Ausschhifl-
verfahren. Beweis, Demonstration, Definition, Psychologie, Psychophysik,
Naturwissenschaft.
Metliode der Bezlelmiif^eii s. Beziehungen.
nietliode« descriptive, s. Descriptiv ; genetische, s. Genetisch, Psychologie^
MeUioden» psychologische, s. Psychologie.
Metlioden, peychophysische, s. Psychophysik.
Methodenlehre — Methodisoh. 669
ületliodeiilehre (Methodologie) ist jener Teil der Logik (s. d.), der die
aUgemeine Methodik des Forschens (Definition, Beweis u. s. w.) und die spe-
ciellen Methoden der Einzelwissenschaften im Hinblick auf den logischen Wert
und die logische Richtigkeit, Zweckmäßigkeit derselben untersucht: Die Me-
thodenlehre ist Analjse und Kritik des wissenschaftlichen Verfahrens.
Methodologische Ansätze finden sich bei Plato, Aristoteles, in der
scholastischen Philosophie (als yylogica utens*\ „ars invemendi"), femer bei
F. Bacx)n, Desgaktes, Spinoza, Locke, Leibniz, Chr. Wölp, Condillac,
d'AxEHBEBT, Kant, J. St. Mill, Whewell, Jevons, Duhamel u. a. Li
der neueren Lc^ik spielt die Methodenlehre eine bedeutende Bolle.
Kant versteht unter der „transeendentiüen MethodenUhre^^ die .^Bestimmung
der formalen Bedingungen eines vollständigen Systems der reinen Vemunff^
(Krit d. r. Vem. S. 544). „Methodenlehre der reinen pmktisehen Vernunft" ist
die Art, yjUne man den Oesetxen der reinen praktischen Vernunft Eingang in
das mensehliehe Oetnüt, Einfluß auf die Maximen desselben verschaffen, d. i.
die obfeeHv-praktische Vernunft auch subjeetiv praktisch manchen könn&^ (Krit.
d. präkt. Vem. IL T., S. 181). Für die Ästhetik gibt es keine Methodenlehre
(Krit. d. ürt. § 60). Wohl aber gibt es eine „Methodenlehre der teleologischen
Urteilskraft" (L c. § 79). — Nach Fries sollte „Methodenlehre" nur „die logische
Technik, als der letzte Teil der angewandten Logikf^ genannt werden (Syst. d.
liOg. 8. 12). Sie hat „die Regeln des Verfahrens naehxutceisen, nach denen diese
Ausbildung unserer Erkenntnis geschehen muß" (L c. S. 506). Nach Bachmann
sucht die Methodenlehre (Systematik, Architektonik) darzutun, wie die logischen
£leinente in ihrer organischen Verbindung als Ideal der Wissenschaft erscheinen,
und welche Cresetze der Geist befolgen muß, um dieses Ideal allmählich zu
verwirklichen (Syst. d. Log. S. 27). Die Methodenlehre strebt, „den richtigen
H'eg %ur Wissenschaft kenntlich xu machen, mit Bezeichnung der Abwege, todehe
dabei xu vermeiden sind" (1. c. S. 267). Bei Herbart ist die „Methodologie^^
der erste Teil der Metaphysik (Aüg. Met. § 182 f.). — W. Hamilton versteht
unter „iogical methodology" das Verfahren, welches darauf ausgeht, „by the
expasüion of the rules and ways by which we attain the formal or logical per-
feeticn of thought^^ (Lect. on Älet. and Log. IV, XXIV, p. 4). Nach Sigwart
hüt die Methodenlehre die Aufgabe, „Anweisung xu dem Verfahren xu geben,
mittelst dessen von einem gegebenen Zustande unseres Vorstellens und Wissens
aus durch Anwendung der uns von Natur xu Gebote stehenden Denktätigkeiten
der Zweck, den das menschliche Denken sieh setxt, in vollkommener Weise, also
durch vollkommen bestimTnte Begriffe und vollkornrnen begründete Urteile erreicht
werden könnet' (Log. II*, 3). Schuppe erklärt: „Der Sinn des Urteils und
seine Arten lassen sieh nur finden, wenn man das Denken in seinen einfachsten
Betätigungen an seinen Objecten kennen gelernt hat, und die ControUe und Be-
riektigung, namentlich die berühmte Analyse der Begriffe, ist nur möglich, wenn
man die Entstehung jedes Begriffs, aus welchen einfachsten Ansätxen, durch
tvelehe Reihe von Urteilen er xustande kommt, erkennen gelernt hat. Das ist
analytische Logik, xugleich Meihodenlehre" (Log. S. 4). Nach Wundt beschäftigt
sich, die Methodenlehre ( — die er sehr ausführlich behandelt — ) mit den be-
8<Mideren Gestaltungen der Erkenntnisprincipien in den Einzelwissenschaften
(Log. I*, 8. 1 ff.; II*, 1 u. 2). Vgl. Methode.
Hethodlseli s mit Methode, auf die Methode bezüglich. Methodischer
Idealismus s. Idealismus.
670 Methodologi* — HikrokosmoB.
MeUiodolait^e: Methodenlehre (s. d.). Methodologisch: anf die Me-
thodenlehre bezüglich.
iUetron Antliropon-SaÜE s. Homo mensura, Erkenntnis, Snbjec-
tivismus.
MetropaOiles das Mafihalten, Einhalten der richtigen Mitte als Tugend
(8. d.) bei Aristoteles und den Peripatetikern.
Aikrokosmoft: die kleine Welt, d. h. der Mensch als Welt im kleinen«
als höchste Potenz aller Naturkrafte und als geistiger „Spiegü^^ des Univenoms.
Makrokosmos: die Natur, das Universum, zuweilen als großer Mensch, al»
Organismus gedacht (s. Welt, Weltseele).
Plato (Phileb. 30), Abistoteleb (De an. III, 8), die Stoiker sehen im
Menschen eine Ck>ncentration des WesenÜichoi des Alls. Bei Ajbibtotelbk
findet sich: iv ftixp^ xocftqr yiverau, xal iv fuyaltp (Phys. \T[II 2, 252b 26).
Die Stoiker nennen den Menschen ßgaxvv Kva/iov, die Welt fuyav at^^€Ki0r
(vgl. L. Stein, PsychoL d. Stoa I, 207, 441; schon Plato nennt die Wdt
einen fiaxQcivd'Qamov). Beneca erklart: „Quem in hoc mundo loeum deus Minety
hunc in komine animm; quod est illie maieria^ id in nobis corpus est^ (£{».
65, 24).
Bo£thiu8 bemerkt: „avS^^amos ian finx^xocftoe, id est, hotno est mmor
ntundttsJ' MtxQoxoofios auch bei G&eqob von Nazianz (Ontt. 34). Semesics
sieht im Menschen, der alles abspi^elt, einen Mikrokosmos {Ile^i ^vaeofSj C. 1;,
80 auch Gregor von Nyssa (De an. et resurr. p. 188). So auch der
Manichäismus (s. d.): ro ya^ atifia tovxo xda/tO£ xakeirai Tr^og xov tiiymr
xSofiov xal oi dvd'Qftmoi ^t^ag i^^vci «atto awSed'giaag rolg avw (ArcheL et
Man. disp. 8; Bitter V, 163). JoH. ScoTüS Eeiuqena bemerkt: yyhomo peUdi
omnium eonclusio . . . quod omnia . . . in ipso tmiversahier comprehenduntutr
(De divLs. nat. IV, 10). Ein Mikrokosmos ist der Mensch nach Bernhard yos
CHARTRE8(Bibliothecaphilosophor. mediae aetat. 1867). So auch nach Eckhabt
(Deutsche Myst II). — Auch nach Nicolaüs Cüsanus ist der Mensch der In-
begriff und das Maß aller Dinge (De doct. ignor. III, 31). Nach Aqrippa ist
der Mensch ein Mikrokosmus, die „xweüe Welt'' (Occ. phOos. III, 36). Nach
Paracelsus ist der Mensch ein Auszug, die Quintessenz aller Wesen und
Kräfte (Philos. sag. p. 345; De nat. rer. VIII, p. 314). „Omnia una ermUa
sunt. Makrokosmus et homo unum sunt,'' Im Menschen sind alle coelestia»
terrestria, imdosa, acria (Paragran. C. 2). Ähnlich lehren Pico, Campaneixa
(De sensu rer. I, 10), G. Bruno, Val. Weigel (Tvca^t, ceavr, I, 4), F. M. VAX
Helmont (Princ. phüos. 5, 6), J. Böhme (Myst magn. 15 ff.J, L. Vivk:
„Homo microcosmus" ; „hominem parvum quendam mundum appeUani, qmd
vim fiaturamque rerum omnium sä eomplexus" (De an. I, 42). Leibkiz erklärt:
„Chaque cfiose est une certaine cxpression de Vunivers . . . oomme un unittrt
eneentre" (Gerh. III, 347). Jede Monade (s. d.) ist eine Welt für sich. Der
Mensch ist ein bewußter Spiegel des Universums, eine Ck>ncentration desselbai.
— Schopenhauer bemerkt: ,/«/er findet sich selbst als diesen Willen, »
welchem das innere Wesen der Welt besteht, so u^ er sieh auch als das v-
kennende Subfect findet, dessen Vorstellung die ganxe Welt ist . , , Jeder i^ also
in di€se7n doppelten Betracht du ganxe Welt selbst, der Mikrokosmos, findet beide
Seiten derselben ganx und vollständig in sich selbst. Und was er so aU sein
eigenes Wesen erkennt, dasselbe erschöpft auch das Wesen der ganxen Welt, des
MikrokoaoDioB — Minderwertigkeiten. 671
Makrobfsmos'' (W. a. W. u. V. I. Bd., § 29). Ein Mikrokosmus ist der Mensch
nach ScHEixiNG, J. J. Wagnee (Syst. d. Idealphüos. S. LIII), Schubert
(Lehrb. d. Menschen- u. Seelenk. S. 2) u. a. J. H. Fichte nennt den mensch-
lichen Greist einen Mikrokosmos (Psychol. I, 93), so auch Lotze (Mikrok.
I — ^III). Nach WüNDT ist die Seele (s. d.) ein Spiegel des Universums. Nach
Emebson gelangt das Weltall auch im kleinsten seiner TeUe zur Darstellung.
fyEin jegliches Ding in der Natur enthält alle Kräfte der Naiur^^ (Essays S. 17).
VgL „ÄUes in Allem". — Vgl. A. Meyer, Wesen u. Gesch. d. Theorie vom
Mikro- u. Makrokosm., Bemer Stud. zur Philos. XXV, 1900.
Hilesiselie Sclmle: Zu ihr gehören Thales, Anaximaxder, Akaxi-
MENES, alle aus Milet.
Milien blolOi^que: die biologische Umschicht (Klima, Boden, Basse),
die auf die Lebewesen modificierend einwirkt (A. Comte). Vom socialen
Milieu sind nach Taixe (Philos. de Tart) u. a. Künstler und Kunstwerke ab-
hängig. Den Einfluß des Milieu auf das Individuum betonen schon Montes-
quieu, DuBos, Rousseau, Sta^l, Villemain, Stendhal, Diderot, Baron
Grimm, Balzac, St. Beuve, Herder, Goethe, Buckle u. a. <vgl. J. Zeitler,
Die Kunstphiloe. von H. A. Taine S. 21 ff.; E. Dutoit, Die Theorie des
Milieu, Bemer Studien zur Philos. XX, 1899; H. Driesmans, Rasse u. Milieu
1902. Vgl. Rasse, Sociologie.
Hlmansaplillosoplile ist eine Art der brahmanischen Philosophie.
Hlnd (engl): Geist (s. d.), Bewußtsein (s. d.), Intellect, Seele (s. d.). Vgl.
Seelenvennögen.
Hlnd-StafT: Seelenstoff, Seelenmaterial, nennt Clifford das psychische
Atom, Element, aus dem die Empfindung (s. d.) zusammengesetzt ist, und das
allen Dingen zukommt. y,Ein bewegtes Teilchen der Materie besitzt weder Seele
noch Bewußtsein; aber es nennt ein kleines Stückchen Seelenstoff sein eigen.
Wenn Molekeln so miteinander verbunden werden^ daß sie die Haut auf der
Unterseite einer Qualle bilden, sind die entsprechenden Elemente des Seelenstoffes
so miteinander verknüpft, daß sie die schwachen Anfänge des Gefühles vorstellen.
Wenn die Molekeln so vereinigt sind, daß sie das Oehim und Nervensystem
eines Wirbeltieres xusammensetzen, so sind die entsprechenden Elemente des
Seelenstoffes so miteinander verknüpft, daß sie eine Art von Bewußtsein bilden . . .
Wenn die Materie die xusammengesetxte Form eines lebenden menschlichen Ge-
hirnes annimmt, hat der entsprechende Seelenstoff die Form eines menschlichen
Bewußtseins, das mit Intelligenx und Willen begabt ist*^ (von d. Nat. d. Ding,
an sich S. 44 f.). Der Complex elementaren Seelenstoffes, der dem materiellen
Object parallel geht, ist das Ding an sich (s. d.). Die Realität, die wir als
Materie vorstellen, ist an sich Seelenstoff. ,ßas Weltall besteht somit xu seiner
Oänxe aus Seelensioff, Kein Teil desselben ist in die cofnplicierte Form mensch-
licher Geister verwoben, die unvollkommene Vorstellungen des Seelenstoffes außer-
halb ihrer selbst besitxen^' (1. c. 8. 47).
lIliid*Stair- Theorie nennt W. James den psychologischen Atomismus,
die von ihm bekämpfte atomistische (s. d.) Psychologie, ,/he theory that our
mental states are Compounds" (Princ. of Psychol. I, 145 ff., 178 ff.).
Blindei^wertlf^keiten, psychopathische, nennt J. L. A. Koch
geringere Grade geistiger Defecte (Die psychopath. Minderwert. 1891/93).
672 Mlxiimalandenmgen — Mitleid.
Mlnimalftnderans^en, Methode der, s. Psychophysik.
Mlnlmiinis EHeinstes, Einfachstes, Atom (s. d.), Monade (s. d). „Minimal
nennt Ltjcbez die Atome (De rer. nat. I, 615 u. ö.). Nach G. Bruno ist das
„mimmutn" ,yquod iia est pars, tä eit*8 nulla sit pars, vel aimplieiter, vel aeetm^
dum ffenus^* (De min. I, 7). Es gibt verschiedene Arten des Miniminn (der
Qualität, Substantialitat, Quantität nach) (1. c. I, 2). — Nach Hodqsok sind
die „minima of cansdousnesa" „the ultimate empirical cbjects of meiaph^9i&*
(Phüos. of Reflect. 1, 269).
Hinor s. Terminus.
Hlsanthrople: Menschenhaß (z. B. bei Timon von Athien). Vgl
SCHOPENHAUER; Neue Paralipom. § 337.
Hlftclmii^ und Entmischung s. Veränderung.
]Ilsolo§^es Haß der Vernunft, der Cultur (vgl. Kant, Gr. d. Met d.
Sitt. 1; Hegel, EncykL § 11).
Mißbillis^nsf s. Billigung.
Mißfallen s. Gefallen, Beifall.
Hltbewesfan^^it sind Bewegungen, welche teils als Nachahmung (s. d),
teils rein reflectorisch, durch Übertragung einer Erregung von sensorischen auf
motorische Bahnen entstehen (vgL Wundt, Grdzg. d. physioL PäychoL I», 106 i).
Mitfirende ist eine Art des Mitgefühls, Freude an der Lust anderer,
„eigene Lust aus der Vorstellung fremder Lust" (Kreibig, W«rtthe(M*. S. 109).
Jean Paul: „Zum Mitleiden genügt ein Mensch; »ur Müfreude gehört ein Enget'
(Hesperus). — Nach W. Stern bedeutet die Mitfreude über eine sittliche
Handlung „die Freude über den Sieg eines beseelten Wesens über die sehädlickeu
Eingriffe der obfectiven Außenwelt ins psychische Leben" (Das Wea. d. Mitleid.
S. 7; Gr. d. Eth.j. Vgl. Platner, Philos. Aphor. II, § 867 ff.). VgL Sym-
pathie.
Mlt^eflilil (Mitfühlen) s. Sympathie.
Mitleid {^osy misericordia, conmiiseratio) ist eine Art des MitgefOhk,
das Mitfühlen des Leides, der Trauer, der Unlust anderer durch lebhafte Vor-
stellung der Lage dieser, unter Voraussetzung des Verständnisses für die
Situation und die Organisation anderer, welche letztere der eigenen nicht xa
unähnlich sein darf. Es knüpft sich dann an die Vorstellung des fremden
Leides eigene Unlust, Betrübtheit, die in der B^el zu altruistischen Hand-
lungen oder doch zimi Streben dazu führt
Das Mitleid ist nach Aristoteles XtTtij nc inl faivofiivqf xaxtp ^S'a^rat^
Httl Xvnr}^<f rov ava^lov Tvy^dreiVy o xqp avrog TtpoaSoxi^aetsv av Tra^'tJr^ f
Tmv avTov tivn • xai tovto, ornv nXijclov falnjrai (Rttetor, II, 8, 2) ; ^JUos und
vsfueie sind nad'ij rj&ovg /^orotT (1. c. II, 9, 1). Mitleid und Furcht werden
durch die Tragödie (s. d.) erweckt. Gegen das weichliche Mitleid sind die
Stoiker (vgl. Stob. Ecl. II 6, 180: ^Ibo£ 8i XvTtrjv hti r<ß Soieowrt a9^ii0s
xaxonad'eir). OiCERO definiert: „Misericordia est aegriiudo ex miseria oKernff,
iniuria laborantis" (Tusc. disp. IV, 8, 17). — Als sittlich wertet das Mitleid
besonders das Christentum, auch schon der Buddhismus.
Nach HoBBES ist das Mitleid „dolor ob calamiitUem iüienam" (Leviath. 1, ^
Mitleid. 673
Descarteb definiert: „CommtseriUio est spedes tristüiae, amori miaiae aut
beneoolentiae erga illoSy quoa cdiquid mali pati videmuSf quo eos indignos iudu
eamus^^ fPass. an. III, 185). Spinoza definiert das Mitleid als „triaiüia oria
ex aUerüis damno^% als „trUtitia coneomiianU idea mali, quod alterif quem
ncbia similem esse imaginamury evenit^ (Eth. III, prop. XXII, schoL; 1. c.
afL def. XVIII). ^^Ex eo, quod rem nobis similem et quam nuUo affectu pro-
seeuii sumus, aliquo affectu affid imaginamury eo ipso simüi affeetu affici-
mur*' (L c. prop. XXVII). „Rem, euit^ nos miseret, a miseria, quawtum pas-
sumus, liberare eonabimur*^ -(l« c** coroll. III). Das (theoretische) Mitleid ist,
als ein die Afacht des Ich yermindemder Aifect (s. d.), schlecht und für den
Temimftig-sittlichen Menschen unnötig: „Gommiseratio in homine, qui ex ductu
rationis vivü, per se mala et inuiilis est" „Oommiseratio enim tristiiia est,
ac proinde per se mala." „Eine sequitur, quod hämo, qui ex dietamine rationis
üivit, eonaiur, quantum potest effieere, ne eommiseraiione tangaiur." „Qui rede
novit, omnia ex naturae divinas necessiiate sequi et secundum aetemas leges et
regulas fieri, is sane nihil reperiet, quod odio, risu aut contemptu dignum sit,
nee euiusquam miserebüur; sed quantum humana fort virtus, eonabüur bene
agere, ut aiunt, et laetari. Hue aecedit, quod is, qui eommiserationis affectu
facile tangitur et alterius miseria vel lacrimis movetur, saepe aliquid agit,
cuius postea ipsum poenitet; tam quia ex affectu nihil agimus, quod certo seimus
bonufn esse, quam quia facile lacrimis deeipimur, Atque hie expresse loquor
de homine, qui ex ductu rationis vioit, Nam qui nee ratione, nee eommiseratione
mopetur, ut aliis attxilio sit, is recte inhumanus appeüatur; nam homini dis-
similis esse videtur*' (1. c. schoL). Chr. Wolf bestimmt: ,J)as Mißvergnügen
und die Traurigkeit über eines andern Unglück heißet Mitleiden** (Vern. Ged.
I, § 461; vgl. Psychol. empir. § 687). Nach Mendelssohn ist das Mitleid
y,eine vermischte Empfindung, die aus der Liebe xu einem Gegenstände und aus
der Unlust über dessen Unglück xusammengesetxt ist" (Br. üb. d. Empfind., WW.
II 2, S. 26). Lessinq erklärt da2ai: „Denn da jede Liebe mit der Bereitwillig-
keit verbunden ist, uns an die Stelle des Gelitten xu versetzen, so müssen icir
alle Arien von Leiden mit der geliebten Person teilen, welches man sehr nach-
drüeklieh Mitleiden nennt* (Hamburg. Dramaturg. 74). Nach Platneb ist
y,Mitleidigkeit^* „tätige Teilnehmung an jedem Schmerxe lebendiger Wesen über-
haupt** (Philos. Aphor. II, § 989). Eousseau erklärt das Mitleid als ein Sich-
Tersetzen in die Lage der leidenden Person, durch Identification unserer selbst
mit dem Leidenden: „En effet, eomtnent nous laissons nous emouvoir ä la pitie,
si ee n*est en nous transporiant hors de nous et nous identifiant avec Vaninuü
souffrant, en quitlant, pour aimi dire, notre etre pour prendre le sien?" (Emile
1788, T. II, 1. rV, p. 141). „La pitie est douce, parcequ'en se tneitant ä la place
de celui qui souffre, on sent pourtant le plaisir de ne pas souffrir eo7nme lui"
(L c. p. 138). Ähnlich bemerkt A, Smith: „Thai this is the souree of our
felUnc-feäing for the misery of oihers, tkat it is by changing places in fancy
ivith sufferer, that we eome either to eonceive or to be affect by what he feels,
mcty be demonsirated by many obvious observaiions, if it should not be thought
sufficiently evident of itselp* (Theory of moral sentim.', 1792, p. 4). Ähnlich
Oassina (Saggio analitico sulla compassione 1788).
Eine geringe Meinung vom sittlichen Werte des Mitleids hat Kant: „Selbst
dies Oefiihl des Mitleids und der weichherxigen Teilnehmung, wenn es vor der
Überlegung, was Pflicht sei, vorhergeht und Bestimmungsgrund wird, ist wohl-
Philotophiiobet Wörterbuch. 2. Anfl. 43
674 Mitleid — MitteL
denkenden Personen selbst lästig, bringt ihre überlegten Maximen in Verwimmf
und bewirkt den Wunsch, ihrer entledigt und allein der gesetxgd)enden Vemtmfl
unterworfen xu sein" (Krit. d. prakt. Vem. I. T., 11. B., 2. Hptst.). G. E.
Sghxjlze bemerkt: j,Das Mitleid äußert sieh der Erfahrung nach weit lekkier
und allgemeiner als die Müfretide. Auch scheint jenes uneigennütziger xu sem.
Inxwischen gewähren doch auch dessen Regungen ein Vergnügen besonderer Ärt."^
„Im Mitleid und in der Mitfreude fühlt aber der Mensch bloß seinen eigenen
innem Zustand, nicht den des andern, womit er sympathisierte* (Psych. As-
thropol.*, S. 352). J. G. Fichte betont: „Wer xu folge der IHebe der Sympathiey
des MiÜeids, der Menschenliebe handelt, handelt xwar legal, aber sehleehthin ni^t
moralisch. Denn es widerspricht der Moral und ist unsittlich, sieh blind treiben
xu lassen*' (Syst d. SittenL 8. 199). Auch Nietzsche verwirft das schwäch-
liche, der „Sklavenmoral" (s. d.) angehörende Mitleid. Schopenhaiter hin*
gegen macht es zum Princip seiner Ethik. Alles Sein, welches an sich Wille
(s. d.) ist, leidet, in allen Wesen ist aber nur ein Sein; im anderen leiden wir
selbst, denn der andere, das sind wir selbst („tat ttcam asi**). Das Mitleid ist
die „echte, d. h, uneigennüixige Tugend*, Liebe ist Mitleid. Es ist die ,yBasis
aller freien Oereehtigkeit und aller eehien Menschenliebe^* (Grundl. d. Moral § 16).
IVIitleid ist die ganz unmittelbare „Teilnahme xunächst am Leiden eines
Andern und dadurch an der Verhinderung oder Aufhebung dieses LddensJ^
„Nur sofern eine Handlung aus ihm entsprungen ist, hat sie moralieehen
Wert . . . und jede aus irgend welchen andern Motiven hervorgehende hat laem.ii'(
(ib.). Im Mitleidsphänomen sehen wir ,4ie Scheidewand, welche . . . Wesen
von Wesen durchaus trennt, aufgehoben und das Nieht-Ich gewissermaßen xmm
Ich gevoorden** (ib.). Wir fühlen das Leiden nicht in unserer, sondern in der
Person des andern. „Wir leiden mit ihm, also in ihm: wir fühlen s^nen
Schmerx als den seinen und haben nicht die Einbildung, daß es der unserige
sei" (ib.). Dieser Vorgang iBt „mysteriös**, er muß metaphysisch erklart werden
(1. c. § 18). Das Mitleid beruht demnach auf der Ej*kenntnis der Einheit und
Identität aller Wesen (1. c. § 22; vgl. Neue Paralipom. S. 171). Nach Waitr
ist das Mitgefühl an und für sich noch nicht ethisch (Lehrb. d. PsychoL
B. 396 ff.). Nach Th. Zieoler ist nur das Mitleid des sittlichen Menschen
sittlich (Das Gef.>, S. 170). Nach P. Bee ist das Mitleid angehöre (Phik».
B. 24). Kbeibig definiert das Mitleid als „eigene Unlust aus fremder Unlust*^
(Werttheor. S. 109). Wundt bemerkt, daß das ursprüngliche Leid und das
Mitleid qualitativ nicht miteinander übereinstimmen (Eth. S. 390 f.). W. Sterk
betont: „Das Mitleid ist , . , weder durch das Sieh-versetxen in die Lage oder
an die SieÜe des Leidenden xu erklären, noch metaphysisch xu begründen. Es
muß vielmehr genetisch begründet werden. Es ist das allmählich im- Ijoufe sehr
vieler Jeüirtausende entstandene verletxte Gefühl der Zusammengehörig-
keit mit allen anderen beseelten Wesen gegenüber den schädlichen Eingriffen
der sowohl unbeseelten als auch beseelten objectiven Außenwelt ins pmfdUseke
Leben** (Das Wesen des Mitleids S. 49; vgl. S. 34 f., 37, 39, 41, 43). VgL
Sympathie.
Mltoeliwiii^iliif^ unbewußter Vorgänge, Dispositionen (Lazarus^
Wündt u. a.) 8. Unbewußt.
Hittel (medium) ist alles, was zur Erreichung eines Zweckes (s. d.)
insbesondere jede Tätigkeit, die durch das Wollen eines Zweckes bedingt, ge>
Mittel — ModaUtat. 675
setzt, motiviert ist. Das Verhältnis von Mittel und Zweck ist ein finales (s. d.),
auf psychischer (Willens-) Causalität beruhendes.
Mittel ist nach Chr. Wolf ,fda8fentge, icodureh wir die AMeht erhalten,
das ist, welches den örund in sieh enthalt, warum die Absieht ihre Wirklichkeit
erreicht** (Vem. G^. I, § 912). „Quicquid ratianem cantinet, cur finis actum
eomequatur, medium vocatur** (Ontolog. § 937). Kant definiert: „Was . . .
bloß den Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung Zweck
ist, heißt das Mittel" (WW. IV, 275). Vgl. Volkmann, Lehrb. d. Psychol.
II*, 450; W. RoSKNKÄANTZ, Wissensch. d. Wiss. II, 234 ff. — VgL Zweck,
MitteluTBache.
Mittelbare ESrnpfindliehkelt s. Empfindlichkeit.
Mittelbares Erkennen s. Erkenntnis. G. E. Schulze yersteht
unter mittelbarer Erkenntnis die Erkenntnis der Dinge durch natürliche Speichen,
durch Vorstellungen (Üb. d. menschl. Erk. S. 22 ff.). VgL Vorstellung.
Mittelbesrtff (o^os fuaog, terminus med ins) s. Schluß.
Mittelbim s. Nervensystem.
Mlttelursaebe (^«* ov) fügt Galen den vier Aristotelischen Pnncipien
(s. d.) hinzu.
Mnemonik oder Mnemotechnik (von ftnjfirj, re'xrfj): Gedachtnis-
kunst, Kunst des richtigen Grebrauchs, der Erleichterung und Übung des Ge-
dächtnisses (durch Training, Association mit concreten Vorstellungen, aufmerk-
sames Aneignen, Interesse u. dgL). In verschiedener Weise wird Mnemonik
gelehrt von Simonides (QuintiL,-Instit or. XI, 2, 11), von Sophisten, Ambto-
TELEB, Cicero (vgl. De oratore II, 86 ff.), Quintiuan, R Lullub, G. Bkuno,
Leibniz, Aretin (Mnemon. 1810), H. Kothe (Lehrb. d. Mnemon.«, 1852). Vgl.
G. E. Schulze, Psych. AnthropoL«, S. 186 ff.; J. H. Fichte, Psychol. I, 453 ff.
JHodalisninB: die Ansicht, daß Logos und Heiliger Geist nur Modi des
einen Gottes sind; also so viel wie Monarchianismus (s. d.).
Modalitftt (von „modus'^i Art und Weise des Seins und Gedacht-
werdens; Art und Weise des Urteils („modale UrteiU^*, „Modalitätsurteil^*), Art
der Gewißheit desselben, wonach es assertorisch, problematisch oder
apodiktisch (s. d.) (Kant) ist — £[elmholtz unterscheidet von der
Qualität (s. d.) die Modalitat der Empfindungen (s. d.) (Vortr. u. Red. IIS
219, 299).
Die Modalitat des Urteils berücksichtigt schon Aristoteles: naaa n^-
lacic iariv rj rov tma^x^iv tJ tov iS avdyxr^g vnaQXstv ij rov irStX'cd'a^ vnaQ-
Xe»v (Anal. pr. 12, 24 b 31; De interpret. 12 squ.). — Die älteren Logiker
unterscheiden von den „ahsohUen" Sätzen die „propositiones modales" (W. Ha-
milton, Lect. on Met. and Log. III, XIV, p. 256 ff.). Kant sieht in den
Modalitätsbegriffen (Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit, s. d.) apriorische
Kategorien (s. d.). Sie haben das Besondere an sich: „daß sie den Begriff, dem
sie als Prädicate beigefügt werden, als Bestimmung des Objects nicht im mindesten
vermehren, sondern nur das Verhältnis xum Erkenntnisvermögen ausdrücken"
(Krit. d. r. Vem. S. 202). D&her sind die „Grundsätze der Modalität" „nichts
weiter als Erklärungen der Begriffe der Möglichkeit, Wirklichkeit und Not-
wendigkeit in ihrem empirischen Gebrauche und hiermit zugleich Restrietionen
43*
676 ModaUtät.
aller Kategorien auf den bloß empirischen Gebrauch, ohne den iranscendentaltn
xuxtdassen und xu erlauben^^ (L c. S. 203). Durch die Modalitat wird y^
Verhältnis des ganxen Urteils xum Erkenntnisvermögen^* bestimmt, sie zeigt nur
,ydie Art und Weise an, wie im Urteile etwas behauptet oder verneinet wirf^
(Log. S. 169). „Die Modalität der Urteile ist eine ganx besondere Function der-
selben, die das Unterseheidende an sich hat, daß sie nichts xum JnhaÜe des Ur-
teils beiträgt . . ,, sondern nur den Wert der Coptda in Bexiekung auf das
Denken überhaupt angeht, Problematisehe Urteile sind solche, wo man das
Bejahen oder Verneinen als bloß möglich (beliebig) annimmt; assertorische,
da es ah wirklich (wahr) betrachtet wird; apodiktische, in denen man es
als notwendig ansieht"' (Krit d. r. Vem. S. 92). Fbies erklart: „Die Modalüat
der Urteile besieht in ihrem Verhältfiis xur erkennenden Tätigkeit des OemiUeg^
(Syst. d. Log. S. 155). Krug bestimmt: „Bt Ansehung der Modalität aU
eines subjectiven Verhältnisses der Begriffe lassen sieh dieselben teils als bloß
mögliche, teils als wirkliche schlechtweg, teils als in ihrer Wirklichkeit notwendige
Denkacte betrachten" (Handb. d. Philos. I, 148). „Die Modalität des Urteilt
(modus cogitandi iudicii) ist ein durchaus suhjectives Verhältnis, in welchem
das ganze Urteil xum Denkvermögen selber steht*' (1. c. S. 160). Nach EsCHSV-
MAYER ist die Kategorie der Modalität nicht eigentliche Kat^orie. „Die
Glieder derselben bringen keine formale Bestimmung in die innere Xatur de»
Denkens, sondern sind lediglich suhjeetive Bexiehungen der Erkenntnis XMnn Er-
kannten" (Psychol. S. 305). Sie hat ihren Ursprung „au^ dem Grundge&ix des
Selbstbewußtseins", „Was xum reinen Wissen, xum Noumenon gehört, liegt im
Gebiet des Notwendigen. Was xum materiellen Sein, xum Phänomen gehört,
liegt im Gebiet des Wirklichen. In der Mitte» xwischen beiden liegt das Beitk
der Möglichkeiten — da, wo das Selbst als eine unbestimmbar peräfulerliehe
Größe = X sich darstellt** (1. c. S. 307). Gegen die Annahme einer Modalitit
, der Begriffe erklärt sich u. a. Bachmann : „ Was gar nicht gedacht wM, ist
auch kein Begriff. Nun soll ein Begriff A möglich sein, wenn er gedacht werde»
kann, d. i. seine Merkmale keinen Widerspruch enthalten. Daß aber die Merk-
male desselben keinen Widerspruch enthalten, kann man nur dadurch wissen,
daß man eben den Begriff denkt; denkt man aber dies, daß die Merkmale in A
sich nicht widersprechen, so denkt man eben A, mithin ist er dann auch ein
wirklicher DenkacV* (Syst. d. Log. S. 115). Chalybaeus bestimmt die „Modal-
kategorien" als formale Begriffe des Verhältnisses der logischen zur ontologi&chcD
Sphäre (Wissenschaftslehre S. 224 f.). — Nach Wundt ist es unzulässig» die
drei Modalitätsformen als Grade einer aufsteigenden Gewißheit anzosdieiL
,yApodikiisches und assertorisches Urteil stehen sich in dieser Beziehung roO-
ständig gleich: beide unterscheiden sich als Ausdrucksformen der Gewißheit w<m
dem problematischen Urteil. Hinunederum steht das assertorische Urteil als der
einxig mögliche Ausdruck tatsächlicher Gewißheit dem problematischen und afo-
diktischen gegenüber, in welche im allgemeinen nur die Resultate von Sehlmf-
folgerungen gekleidet werden können" (Log. I, 199). Nach B. Erdmann sind
die „Geltungsurteile der Modalität" durch „Urteile üb&r Urteile oder Be-
urteilungen gegeben" (Log. I, 370 f.). Nach Heymans ist die Modalität tob
der Quantität und Qualität der Urteile nur sprachlich unterschieden (Cres. a
Elem. d. wiss. Denk. S. 52 f.). Schuppe bemerkt; „Die Urteile der Relation . . .
und die der Modalität . . . unterscheiden sich eigentlich gar nicht. Die apo-
diktischen und problematischen Urteile können nicht auf die (psycholoffisek xm
ModaHtat — Modifioatlon. 677
erklärende) subfeetive Gewißheit oder Ungewißheit des Urteilenden gedeutet werden.
In der Setehe aber ist immer, auch wenn nur Möglichkeit ausgesagt wird, eine
Notwendigkeit vorhanden, ohne welche überhaupt der Sinn der Urteilseinheit
fehlen würde. Diese Urteile unterscheiden sich nicht als Urteile, sondern nur
inhaltlich'' (Log. S. 95). Vgl. Sigwart, Log. I», 44, 125, 129 ff., 282, 439.
M^Mlalltftte-SelilfieMse sind Schlüsse von einer bestimmten Modalität
(s. d.) auf eine andere. Es gelten hier die Kegeln: „Ä posse ad esse non valet
eonsequentia", „a6 esse ad oportere non palet consequentia", „a posse ad oportere
non vcUet eonsequentia", „ab esse ad posse valet consequentia**, „ab oportere ad
esse valet eonsequentia" , „ab oportere ad posse valet consequentia", und negativ.
M^Mle (von modus) ist die von den Zeitverhältnissen abhängige, wechselnde
Form gewisser socialer Gfebilde und allgemein-individueller Eigentümlichkeiten
(Eleider-, Kunst-, Sprach- u. a. Moden). Die Mode nimmt ihren Weg von oben
nach unten. Sie entsteht durch das Bestreben der oberen Klassen, sich von deu
andern zu unterscheiden, und die imteren alunen die Mode nach (vgl. Ihesing^
Zweck im Becht II, 229 ff., 234 ff.). Dies, sowie der Wechsel der Neigungen^
der Trieb nach neuem, der Einfall einzelner und das Vorbild angesehener
Personen bedingen den Wechsel der Mode. Nach Simmel genügt die Mode
j^nerseits dem Bedürfnis nach socialer Anlehnung, insofern sie Nachahmung
ist; sie führt den einzelnen auf der Bahn, die alle gehen; anderseits aber be-
friedigt sie auch das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenx auf Differenzierung,
Abwechselung, Sieh-abheben". Die Mode ist „eine besondere unter jenen Lebens-
formen, durch die man ein Compromiß zwischen der Tendenz nach socialer
Egalisierung und der nach individuellen Unterschiedsreizen herzustellen suchte^',
Sie ist ,/ier eigentliche Tummelplatz für Individuen, welche innerlich und in-
haltlich unselbständig, anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch
einer gewissen Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedaarf, Sie erhebt
eben den Unbedeutenden dadurch, daß sie ihn zum Repräsentanten einer Oe-
samtheit macht; er fühlt sieh von einem Gesamtgeist gelragen^^ (Zur Psychol. d.
Mode, „Die Zeit' V, Nr. 54, S. 23). Vgl. Vischer, Mode und Cynismus 1877 ;
WUNDT, Eth.«, S. 134.
Modems zeitgemäß, dem actuellen Empfinden und Denken gemäß,
modisch. M. Messer bemerkt: „Je mekr sich etwas vom Alten, Gewohnten
unterscheidet, nicht aus Willkür, sondern als Produet einer Entwicklung oder
als Anfang einer Bnttvicklungsmöglichkeit, desto modemer ist es'* (Die mod.
Seele», S. 17).
Modeml s. Logik („logica fnodemorum'*), „Modemi* heißen auch die
Noxninalisten (s. d.) (Prantl, G. d. L. II, 82).
Hodl (syllogismi): Schlußfiguren (s. d.). Vgl. Modus.
Modlfieatlon: Veränderung des Modus, Zustandsänderung, Abänderung,
Abart, Zustand. — Chr. Wolf definiert: „Varialionem modorum, hoc est suc-
cessionem modi unius in locum cUterius a se diversi, appellamus modifieationem
rei** (Ontolog. § 704). Nach K Rosenkranz ist Specification oder Modi-
fication „diejenige Veränderung, welche die Qualität oder Quantität eines Dar
seins oder beide nur in einem Moment, nur relativ, nicht aber in der Hinsicht
ändert, daß dadurch ein schlechthin anderes Dasein entstündet* (Syst. d. Wissensch.
678 ModifLoatton — Modus.
S. 40 f.). Hagemaitn nennt Modificationen (modi) die zufälligen Eigenscbafteo
der Dinge (Met«, 8. 25). Vgl. Modus.
Modas (r^oTiog): Art und Weise (des Seins, des Tuns, des Denkensi,
Seinsart, Seinsweise, Zustand von etwas, concrete Daseinsform eines Seins, einer
Substanz (s. d.), unselbständige, abhängige Daseinsweise.
AhmoniuS HermtAR definiert : r^onos ^iv ovv iart ip<»rri tnjftairovca oJieK
vna^X^t 10 KnrriYOQovfAevor rtp vnoxBifuvif (Ad Arist de interpret f. 171 b;
Peantl, G. d. L. I, 654). — Die Scholastiken unterscheiden „modus essendr",
y,realü*\ „intelligendi", ,y8iffntficandi**, j^subsistend^^y „iniemual^^ (yyintrinseeush),
„extemus", „purua"^ „entitcUitn^^y „modi ab8olut'^\ „relativi" (vgl GoGUQi,
Lex. philos. p. 694 ff.; Micbaelius, Lex. philos. p. 667).* — Nach GrOCifsr ist
ein Modus „rei quaedam ektenninatio" (1. c. p. 694), nach Micraelius „rei
determincUio, qua res aliter aiqne aliier obtinet essentiam^'. y^Modus igitur mm
componit rem, sed distinguü eam et determinai*' „Ideoque modus est entüas
determinans aut eontrahens." yyModum habet omne, quod est^ (1. c. p. 666).
Desgabtes erklärt: y,Et quidem hie per modos plane idem inteUigimMSy
quod alibi per attribiUa, vel qualiiates, Sed cum consideramus substaniiam ab
Ulis affiei, vel variari, vocamus modos" (Princ. philos. I, 56). Zahl und Zeit
z. B. sind ,ymodi eogitandi^* (L c. I, 55 u. ff.). Nach der Logik von Pobt-
BoYAL ist „modus" y,quod naturaliter existere nequit nisi per substaniiam*^
(1. c. I, 6). Che. Wolf definiert: „Quod essentialibus non repugnat, per essentia
tarnen minime determinatur^ modus a nobis dieitur" Nach Bonket sind die
„modes" Determinationen der Substanz, y^qui peuvent itre ou n'Ure pas dans k
st^et, mais qui derivent de ses attributs" (Ess. analyt. XV, 236). Nach Fedes
sind die Modi (wie nach E[ant) „Merkmale, welche innere Bestimmungen eina
Gegenstandes enthalten" (Syst d. Log. S. 124), während andere in den „modi*^
zufällige, accidentielle Merkmale (s. d.) sehen. Nach Bachmakk kann yyvnodusr
nur bedeuten „die Art und Weise, wie die Merkmale in dem Obfeete vorhanden
sind, es %u diesem bestimmten xu manchen, es sei innerlieh oder äußerliek"
(Syst. d. Log. S. 107). — Bei R Avenaeius bedeutet „Modus" die „Schwan-
kungsform" des „System C** (s. d.) (Krit. d. r. Erfahr. II, 18).
Bei SpmozA hat der Begriff des „modus" metaphysische Bedeutung.
„Modi" sind, nach ihm, die Einzeldinge als individuelle Daseinsweisen der einen.
göttlichen Substanz (s. d.). Die Dinge (s. d.) sind nicht selbständige Wesen,
sondern Zustandsweisen, Besonderungen der Alleinheit. „Per modum inteüigo
substaniiae affcctiones, sive id quod in alio est, per quod etiam eoneipitwr
(Eth. I, def. V). Die „modifieaiiones" sind „id quod in alio est et quarum
eonceptus a eonceptu rei, in qua sunt, formatur** (Eth. I, prop. YIII, schoL Ilk
Die Modi sind notwendige „Folgen" der Substanz- Attribute. „Omnis modus,
qui et necessario ei infinitus existit, necessario sequi debuit vel ex absoluta na-
tura alicuius attribuii Dei, vel ex aliquo attributo modifieaio modificatione, quae
et necessario et infinita existit" (L c. prop. XXIII). „Res partieulares nihH
sunt nisi Dei attributorum affeetiones, sive modi, quilms Dei aitributa certo rf
determinato modo eocprimuntur^* (L c. prop. XXV, schoL). Der Intellect ist ein
„modus cogitandi", so auch der Wille (L c. prop. XXXI, XXXII). „Üotfi
eogitandi, ut amor, cupiditas, vel quieumque nomine affectus animi insigntum-
tur, non dantur, nisi in eodem individuo detur idea rei amatae, desideratas
ete," (1. c. II, ax. III). „Singulares cogitationes sive haee §t illa eogOatio modi
Modus — MdsUohkeit. 679
stifäj qui Dei naturatn eerio et determinaio modo exprimunt' (1. c. prop. I, dem.),
ebenso die ^^modi corporis^*. Die Substanz bat das logiacbe Prius vor ibren
modis {„substantia prior est natura suis affectionibus", 1. c. I, prop. I), obne
ibnen aber zeiüicb-causal vorberzugeben (vgl. De Deo I, 9).
Locke nennt „modi" („modes") zusammengesetzte Begriffe, welcbe niebts
selbständig Existierendes, sondern von Substanzen Abb&ngiges entbalten (z. B.
Dreieck, Dankbarkeit). Die ,/iimple modes^* sind jene Modi, deren Elemente
gleicbartig, und die nur Modificationen einer und derselben einfaeben Vor-
stellung sind (z. B. ein Dutzend). Die „mixed modes'^ sind aus Vorstellungen
Terscbiedener Art gebildet (z. B. ScbÖnbeit) (Ess. II, ob. 12, § 4 f.). Baum,
Zeit, Denken u. s. w. geboren zu den reinen Modalbegriffen. Leibniz reebnet
die gemiscbten Modi zu den Belationen (Nouv. Ess. II, cb. 12, § 5).
Hodus ponens (setzender Modus) ist eine Form des gemisebt-bypo-
tbetiscben Scblusses (s. d.), der Scbluß von der Setzung des Subjects im Unter-
satze auf die Setzung des Pradicats in der Conclusion: Wenn A ist, ist B |
A ist I Also ist aucb B. Es gibt j,Modfis ponendo ponens^% ,yModus toüendo
ponens^^.
Alodas tollens (aufbebender Modus) ist eine Form des gemiscbt-bypo-
tbetiscben Scblusses (s. d.), der Scbluß von der Aufbebung (Verneinung) des
Prädicates im Untersatze auf die Aufbebimg des Subjects in der Conclusion:
Wenn A ist, ist B | B ist nicbt | Also ist aucb A nicbt Es gibt: ^^Modus po-
nendo ioUens", „Modus toUendo tollens".
II5|^llelie Wahmehnaiiiiisen s. Object (J. St. Mill).
JII5|^llehkelt {ßvrafiiet possibilitas, potentia) ist: 1) die Denkbarkeit einer
Sacbe, das Gredacbt-werden-kÖnnen den Denkgesetzen gemafi, die Widersprucbs-
losigkeit (formal-logiscbe Möglicbkeit), 2) das Seinkönnen einer Sacbe, eines
Gescbebens, einer Belation, die objective Denkbarkeit, gemäß den Gesetzen der
Erfabrung, der erfabrbaren Wirklicbkeit (materiale oder reale Möglicbkeit),
3) die Potenz, das Vermögen (s. d.). Die logiscbe (und die reale) Möglicbkeit
ist keine Eigenscbaft der Dinge, sondern nur ein Ausdruck für eine Beziebung
2wiscben dem Denken und dessen Objecten, für die Erwartung eines Tat-
bestandes auf Grund der bisberigen E^rkenntnis. Unmöglicb ist, was ent-
weder den Denkgesetzen oder der wissenscbaftlicb verarbeiteten Erfabrung
widerspricbt.
Der Megariker Diodob bebauptet, alles Mögliebe sei aucb wirklieb und
notwendig (s. Kyrieuon). Eial $e nves oi ^a<nv, olov oi Meyagixoi^ orav
iv€^^ fLOvov 8vva<r9'aif orav 8i fttj ive^yj ov 8vvaa9'aiy olov rov fir^ oixodo'
ftovvra ov Bvracd'ai oixoSofieiVf aXXa rov otxoBouovvra^ oTav oixo8o/jifj (Aristot.,
Met IX 3, 1046b 29 squ.). „Plctcet autem Diodoro id solum fieri posse, quod
out verum sit aut verum futurum sit . . . Nihil fieri, quod tum necesse fuerit^^
(Cicer., De fato 17). Den Begriff der real-metapbysiscben Möglicbkeit (Potenz,
8. d.) prägt Aristoteles aus. Das Mögliebe, Bwdfisi ov (die Materie, s. d.),
ist das, was für sieb nocb nicbt ist, wobl aber durcb die Form (s. d.) realisiert
wird, es ist also die Bvvafitg reale Seins-Möglicbkeit, nicbt nur Denkbarkeit
<De Interpret 12). Die Erde z. B. ist Bwafiei Menscb (Met. IX 7, 1049 a 1);
£cri Bs Bwarov roviOy ^ iav vTid^irj t} M^ye^a ov Xtyerai ^x^iv rr^v Bvva/iiv,,
cvBbv iaxtti dBvvarov (Met IX 3, 1047 a 24; V, 12); dBwafiin S^iari aT€Qr,aie
dvvAfuwi xai Tfji roiavtrje d^xns (Met V 12, 1019 b 16). Die Ansiebt des
680 MogUohkeit.
Diodor wird von Chbybipp bestritten. Nach Plotik besteht die Svva/tts in
einer Art vnoxsifist^ov für Affectionen, Gestalten, Formen, die aufzunehmen sind
(Enn. II, 5, 1; vgl. II, 5, 5).
Nach Abaelard ist nur das möglich, was Gott wirklich geschaffen hat.
Nach Thomas sind „possiinlia", ^^quae contingunt esse et tum ess&* (9 met. 3);
,fdieitur possibile, qmd potest esse et non esse^^ (Contr. gent III, 86). Es gibt
„possibüitas otbsoltUa" und „ea; supposittone^* (vgL Vermögen). Dttns Scotts
bestimmt: „Possibüe logt cum est modus compositionis fonnatae ab intdledu,
iUius quidetn ßuites termini non ineludunt contradietionetn, . . . sed pos9ihäe
reale est, quod accipitur ab aligua potentia in re sicut a potentia inhaerenie
alifiui vel terminata ad illud sicut ad terminum** (Sent I, d. 2, qu. 7). —
MiCBAELius definiert: y^Possibile (igitur) est, quod non involvü repugnaniiam^
(Lex. philos. p. 871).
HoBBES erklärt den Unterschied zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit
für einen bloß relativen (De corp. C. 10, 1; 4; 6). Spinoza definiert: y^Res
possibüis itaque dioitur, cum eius causam effidefüem quidem inteiliffimus,
attamenj an causa detenninata sit, ignoramus^^ (Cogit. met I, 3). ,yRe9 sin-
gulares voeo possibiles, queUenus, dum ad eausas^ ex quibus produei dAenty
attendimuSj nesdmus, an ipsae determinatae sint ad easdem producendunt*^
(£th. IV, def. IV). ,yRes aliqua impossihilis dtdtur, nimirum quia vel
ipsius essentia seu definitio contradictionem involvU, vel quia nulla causa ex-
terna datur ad talem rem producendam deierminata** (£th. I, prop. XXXIII,
.schoL). yyQuicquid concipimus in Dei potestate esse, id neeessario est* (Eth. 1,
prop. XXXV). Leibniz hingegen neigt der (scholastischen) Ansicht zu, in der
göttlichen Vernunft seien unendlich viele Möglichkeiten, von denen nur ein
Teil, das miteinander Verträgliche („le compossibl&*) und Beste, verwirklicht
werde (Princ. de la nat. 10; Theod. I B, § 225). — „Tout ce qui n'implique
point de contradiction, est possibW (Theod. I B, § 224). TbchirnhaüSEN be-
stimmt: „Possibile est, quod condpi potest** (Med. ment. I, 1). Chb. Wolf
definiert: ,JPossibile est, quod nullam contradictionem involrit** (Ontolog. § 85).
,Jmpossibile dieiiur, quicquid contradictionem inpolvit" (1. c. § 79). Möglich
ist, „irflw nichts Widersprechendes in sich enthäW* (Vem. Ged. I, § 12). Meta-
physisch möglich ist etwas, „uml es ton dem göttlichen Verstände vorgestellei
icird^* (1. c. § 975). Bestimmungen des Möglichen gibt H. S. Keimabus (Ver-
nunftldire § 98 ff.). Ckusius erklärt als möglich „was gedacht wird, aber
noch nicht eonstieret, oder von dessen Existenx wir noch abstrahieren** (Vemunft-
wahrh. § 56). Nach Platner ist möglich, „was als Begriff frei ist von Wider-
spruch** (Phüos. Aphor. I, § 819; vgl. Log. u. Met S. 89, 92).
Kant rechnet den Begriff der Möglichkeit zu den modalen fi[ategorien
(s. d.). „ IVas mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Änschatamg
und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich** (Krit d. r. Vem. S. 202).
„Daß der Begriff vor der Wahrnehmung vorhergeht, bedeutet dessen bloße Mög-
lichkeit** (1. c. S. 207). „Der Begriff ist allemal möglieh, wenn er sich nicht
ipiderspricht. Das ist das logische Merkmal der Möglichkeit, und dadurch wird
sein Gegenstand vom nihil negativum unterschieden. Allein er bann niekis-
destoweniger ein leerer Begriff sein, wenn die objeetive Realität der Syntkesis,
dadurch der Begriff erxeugt wird, nicht besonders dargetan wird, welches aber
jederzeit, . . . auf Principien möglicher Erfahrung und nicht auf dem Qrmnd-
saixe der Analysis (dem Satxe des Widerspruchs) beruht. Das ist eine Warnung^
MögUohkdlt. 681
von der Möglichkeit der Begriffe (logische) nicht sofort auf die Möglichkeit der
Dinge (reale) xu schließen^' (1. e. S. 471). „Alles y tcas in sieh selbst wider-
sprechend i^t, ist innerlich unmöglich^' (WW. II, 121). Die „Möglichkeit der
Erkenntnis" zu begründen, ist Aufgabe der Vemunftkritik (s. Kritik). Fries
bemerkt: „Wenn wir . , , die Gesetze für eine Begebenheit im allgemeinen (durch
Denken)f nicht aber die näheren Umstände des einxelnen Falles (durch An-
schauung) kennen und nun diesen nicht genau genug bekannten Fall nur mit
der allgemeinen Regel vergleichen, so nennen wir die Bestimmung desselben eine
bloße Möglichkeit" (Syst. d. Log. ß. 160). Nach Bouterwek ist das Mögliche
(logisch) „rf<w vernünftigerweise Denkbare" (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 114).
Die metaphysische Wirklichkeit bezieht sich auf die Causalitat, auf das
„Können" (1. c. S. 115 f.). J. G. Fichte betont: yjch kann etwas Mögliches
setzen, lediglieh im Gegensaixe mit einem mir schon bekannten Wirkliehen,
Alle bloße Möglichkeit gründet sich auf die Abstraction von der bekannten Wirk-'
lichkeit. Alles Beumßtsein geht sonach aus von einem Wirklichen" (Syst. d.
8ittenl. S. 290). J. J. Wagneb erklärt: „Nur das Mögliche kann unrklich
icerden, aber alles Mögliche muß wirklich werden", mit Einschränkung auf die
im Schöße des Möglichen entstandenen Gegensätze und deren gelimgeue Ver-
mittlung (Organ, d. menschl. £rk. S. 102). Hegel bestinmit die Möglichkeit
als „die leere Abstraction der RefUxion'in'-sich" , die „bloße Form der Identität-
mit'sieh" (Encykl. § 143), als ein äußeres „Moment" (s. d.) der Wirklichkeit
(L c. § 145). Es gibt „formelle" und „reale^' MögUchkeit (WW. IV, 203, 208;
vgl SCHELUNG, WW. II 2, 526). Chr. Krause betont: „Im Ewigen . . , ist
kein Gegensatx des Notwendigen, Wirklichen und Möglichen, welcher nur im
Zeitlichen und in seinem Verhältnisse xum Ewigen sich findet. Denn das Zeit-
liche ist wirklich, sofern es überhaupt in bestimmter Zeit; möglich, sofern es in
bestimmter Zeit xufolge bestimmter ursachlicher Bedingungen; notwendig endlich,
sofern diese ursachlichen Bedingungen eins sind mit dem ewigen Urwesentlichen
des lebenden Wesens" (Urb. d. Menschh.', S. 330). Hillebrand erklart: „Vor
der metaphysischen Anschauung der Dinge ist , , , das Mögliche, als solches^
auch das Wirkliche^' und Notwendige. „Insofern jedoch der unendliche Inlialt
des Daseins dem Gedanken nicht unmüielbar und absolut offenbar wird, 'können
diejenigen Momente, u^elche nicht sofort notwendig gedopt werden, sondern, sicli
im allgemeinen erst nur denken lassen, ohne daß ihre concrete Be-
stimmtheit noch xum Betcußtsein gekommen ist, unter die Kategorie der Mög-
lichkeit fallen" (Philos. d. Geist I, 36). Nach Trendelenburg beruht die
Möglichkeit auf einem „Vorgreifen des Gedankens" und auf einer Ergänzung
der vorhandenen Bedingungen durch die gedachten (Log. Unters. 11^ 167).
W. ROSENKRANTZ bestimmt: „Logisch möglich ist alles Denkbare, was sich
nicht widerspricht, physisch möglich dagegen nur dasjenige, xu dessen HVrA-
lichkeit die Bedingungen außer dem Denken gegeben sind^^ (Wissensch. d. Wiss.
I, 134). Möglichkeit ist eine Kategorie (1. c. II, 224 ff.), eine Nebenkategorie
von Grund und Folge (1. c. S. 232), eine Kategorie nur des endlichen Denkens
(1. c. S. 234). Der Unterschied von Möglichkeit und Wirklichkeit besteht nur
in der Beziehung des Denkens auf die äußere Natur, nicht im Denken oder in
der Natur allein (1. c. S. 231). Nach Chalybaeus ist die Möglichkeit weder
nur Bubjectiv, noch ontologisch, sondern ein Verhältnis beider Seinsweisen.
Das Mögliche ist „das Wißbare oder Erkennbare" (Wissenschaftslehre
8. 233, 237; vgl. Branibs, Syst. d. Met. S. 282 f.). Nach Planck sagt
682 MögUchkeit.
„Möglichkeit^^ aus, „daß jedes Objeet bedingt sei durch die ZusafnmenstifMmmg
mit dem Vorausgehenden in ihm, so daß auch das im freien Vorstellen Vor-
ausgesetzte zugelassen sein muß'' (Testam. ein. Deutsch. S. 320). £. Y. Habt-
HANN unterscheidet „logische (passive/^ und „dynamische faetive)" Möglichkeit
„Die erstere bedarf eines Anstoßes^ um sich xu entfalten^ eines Gegenstandes, um
sieh auf ihn anxutoenden, eines Gegensatzes, um mit logischer Betäiigung vn
reagieren; die letztere dagegen reagiert von selbst ohne jeden außer ü^ beiegenen
Anstoßt' (Kategorienlehre ß. 357). G. Spicker defmiert: „Logisch möglieh ist
alles, was sich selbst nicht widerspricht; metaphysisch möglieh, was in dem
letzten Grund potentiell vorhanden isf* (Vers. ein. neuen Oottesbegr. S. 162).
Nach Hagemann ist das Mögliche „dcts Denkbare oder Wider spruehslostf*.
„Die Abwesenheit des Widerspruchs macht die innere oder absolute Möghek-
keit aus," Das Vorhandensein eines Grundes oder einer Ursache, welche das
an sich Mögliche zu verwirklichen vermag, macht die äußere oder relative
Möglichkeit aus. „Das absolut Mögliche oder das Denkbare macht das tneta-
physisch Mögliche aus, und dieses umfaßt den Kreis dessen, was durch Oott,
die unendlielie Ursache, verunrklieht werden kann. Das relativ Möglidke teiU
man ein in cUis physisch und das moralisch Mögliche. Ersteres ist das-
jenige, was durch die Kräfte der Natur venvirklicht u^erden, letzteres da^enige,
was nach dem regelmäßigen Laufe der Weltereignisse geschehen kann" (Met*,
S. 14 f.). Nach G. H. Lewes ist Möglichkeit „the ideal admission as preeent
of absent factors: it states what wotdd be the faet, if the requisite factor wert
preseni*' (Probl. of Life and Mind I, 397). Nach Fb. Schultzb ist für uns
möglich „das Erfahrbare, d. h, alles, was den Bedingungen der menschliehen
ErfaJirungsfahigkeit nicht underspricht" (Philos. d. Naturwissensch II, 345 f.).
Unmöglich für uns ist alles Außerräumliche, Außerzeitliche, AuflerarBächliche,
Außerempfindliche (1. c. Ö. 346). Nach Siqwabt ist l<^iBch mögiich, „was
weder zu bejahen noch Z4i verneinen notujendig^^ (Log. I^ 231 ff., 244, 265 ff.).
Schuppe erklärt: „Möglichkeit (Können) hat nur den Sinn eines bestimmten
Verhältnisses unter genannten Qualitäten als solchen, daß a allerdings weder
gerade e noch d noch e fordert und auch keines durch sieh selbst ausschließty
aber daß es doch um seiner Natur willen durchaus eines von ihnen fordert, daß
sowohl c als auch d als auch e ein a fordern, in seiner Anwesenheit also eine
Bedingung ihres Erscheinens haben" (Log. ß. 67). „Behauptung von Mogliek-
keä meint also ein gesetzliches Verhältnis unter Qualitäten, nicht die Eadetetn
einer Bedingung" (1. c. 8. 68). Das „Mögliehe" bezeichnet nur bestimmte Re-
lationen innerhalb des Notwendigen (1. c. S. 133; vgL Ehrk. Log. X; Grdz. d.
£th. B. 63 ff.). Nach Sghubert-Soldern ist reine Möglichkeit dies, ,/iafi er-
fahrungsgemäß nichts hindert, irgend eine Tatsache oder einen Cdmplex ttm
Daten mit andern Daten verbunden zu erwarten, ohne deswegen aber auch emen
Grund für positive Erwartung dieser Verknüpfung angeben zu können" (Gr. ein.
Erk. 8. 231 f.). Nach J. y. Kries bedeutet in vielen Fällen die Möglichkdt
eines Ereignisses nur dessen Ungewißheit Objectiv möglich aber ist das
treten eines Ereignisses unter gewissen imgenau bestimmten Umständen, „
Bestimmungen dieser Umstände denkbar sind, weiche gemäß den faetiseh getUnden
Gesetzen des Geschehens das Ereignis verwirklichen würden" (VierteLjalmschr.
f. wLbs. Philos. 12. Bd., 8. 180 f.). Nach B. Erdmann ist Möglichkeit Jeiis-
lieh eine Bestimmung des Gedachtwerdens" (Log. I, 382). Nach Höfl£E
negieren wir durch die Behauptung der Möglichkeit ,4as Bestehen
MögUchkelt — Monade. 683
UnverirägliekkeitS'Relation^^ (Gmindl. d. Log. S. 76). E. Ayekakiub er-
l:lart: ,f Verlegt sich das ,Künnen^ auf das ^denkbare Künftige^ selbst, so erscheint
dieses nicht mehr als etwas, das ^edatM tcerden Icanrij sondern als etwas, tcelches sein
kamif und d, h, in der Modification des , Möglichen*" (Erit d. r. Erfahr. II, 121).
Nach G. ßiMMEL ist „Möglichkeit*'^ „die gedankenmäßige Aniieipaiion einer
künftigen Bntwieklung*' (Einl. in d. Mor. II, 220) ; sie drückt ,^ie Unvollständig-
heü der Einsicht in die Qründe der Wirklichkeit** aus, mit der sie sachlich
zusammenfallt (Lei, 38). Vgl. Modalität, Notwendigkeit, Vermögen.
Momeiit (momentum, von moveo): 1) = der Moment, Augenblick, Zeit-
punkt, 2) das dynamische und das statische Moment {=- Product der Kraft in
die Entfernung ihrer Richtungslinie vom Drehungspunkt), 3) psychologisch und
metaphysisch: Durchgangspunkt, Phase, Bestandteil, Stufe eines Processes;
z. B. ist das Gefühl ein Moment der Willenshandlung.
MiCBAELiUB erklärt: „Momenta metaphysieis sunt incomplexa prindpia,
nempe essentia et existentia. Nam esseniia dicitur momefitum primum,
existentia momentum secundum. Unde rede dicitur, quod ens ponaiur in
duobus momentis** (Lex. philos. p. 669). — Galilei versteht unter „nurttienio**
,,/a propensione di andare al basso**, „la propensione al moto**, die Kraft, mit
welcher das Movens bewegt und der bewegte Körper widersteht (Della scienza
mecan. Opp. I, p. 555; Discorsi III, 103; Opp. I, p. 191; vgl. Newton, Opuscul.
I, p. 59 f.). Ein Moment ist nach Locke ein Zeitteil, in dem man keine Folge,
nur eine Vorstellung bemerkt (Ess. II, eh. 14, § 10). — Nach Kant nennt
man ,yden Qrad der Realität als Ursache ein Moment, x. B. das Moment der
Sehteere, und xwar darum, weil der Qrad nur die QrÖße bezeichnet, deren Appre-
hensio^n niclU successiv, sondern Augenblick ist** (Krit. d. r. Vem. S. 165). „Alle
Verändertmg ist , . . nur durch eine continuierliche Handlung der Causalität
moglieh, welche, wenn sie gleichförmig ist, ein Moment heißt** (L c. S. 194 f.).
y,Die Wirkung einer bewegenden Kraft auf einen Körper in einem Augenblicke
ist die SoUicitation desselben, die getvirkte Geschunndigkeit des letzteren durch
die Soüieitation, sofern sie in gleichem Verhältnis mit der Zeit wachsen kann,
ist das Moment der Acceleration** (Met. Anf. d. Natunviss. S. 134). — Heoel
bezeichnet jeden Durchgangspunkt, jede Phase, jede Ck)mponente des dialekti-
schen (s. d.) Entwicklungsprocesses des Alls als Moment (vgl. Encykl. § 145;
Bechtsphilos. S. 66). — Husserl nennt Moment jeden zu einem Ganzen relativ
unselbfitändigen Teil des Ganzen (Log. Unters. II, 260). — Moment des
Willens (Willensmoment) ist das herrschende Motiv (s. d.). Man spricht auch
vom ,/iranuäischen Moment*.
lUonade (ßiovds): Einheit (s. d.), metaphysische Einheit, selbständiges,
individuelles Wirklichkeitselement (im weiteren Sinne auch das Atom, s. d.,
lunfassend), im engeren Sinne seelenartiges, einfaches, substantielles Wesen ; aus
der Zusammensetzung solcher Monaden bestehen nach der Monadologie (s. d.)
die Körper (s. d.) ihrem An-sich>sein nach, auch die Organismen, die aber (nach
einigen) von besonderen Geistesmonaden beherrscht werden.
Der Begriff und Terminus fiovdg als Einheit (s. d.) findet sich bei Pytha-
GOBAB, Ekphantus, Akistoteles, Euklid, Modebatus u. a. — Plato nennt
fiovaSes die Ideen (s. d.). Synesius nennt Gott die „monas monadum**, so
auch Sabelltcs, wie überhaupt Gk)tt öfter als „monas** bezeichnet wird (vgl.
QoCLiES, "Lex,, philos. p. 707).
684 Monade.
NiooLAUS CusAiojs betrachtet die fiinzeldinge als Einheiten , welche die
Welt verkleinert abspiegeln. G. Bruno versteht unter der „ifMWMw" das „wi-
nimum*^, das als „rerum substantia" angenommen werden muß. j^Momu ratio-
ncUiter in numeris, essentialiter in omnibus" (De min. I, 2). Aus unzerstörlnren,
ausgedehnten und zugleich beseelten Monaden bestehen alle Dinge. Die ,;numas
monadum^^ ist Grott (L c. I, 4). Die Monas ist y,8tibstantia rei, indüridua tri
suhstantia" (De monade). F. M. van Helmont erklärt: ^JHpisio rtnm
numqiiam fU in minima mathematica, sed in minima physiea; cumque mattria
canereta eo usque dividiiur, ut in manades abeat physicaa^* (PVinc. philos. 3, 9).
„Ätamus atUem> tarn est exilis, ut nihil in se recipere qtdeal" (1. c. 7, 4). H. Moke
nennt Monaden die homogenen (beseelten) Elemente der Dinge, der Materie,
f,actu soliUae monadeSy quamquam contigtUi&^ (y,8piritus naturae^^) (E^chir. met.
I, 9; I, 28, § 3). F. Glisson nimmt beseelte Substanzen an (Tract. de natura
substantiae energetica 1672). B. Cüdwobth schreibt den Dingen eine „n>
plastica** (s. Plastisch) zu. Gassendi nimmt empfindungsfähige Atome (s. d.)
an (später auch Bobinet, Didebot u. a.).
Der Begründer der Monadenlehre ist aber Leibniz. Er stellt sie auf im
Gegensatz: 1) zu Descartes, welcher die Körperelemente für rein passiv erklärt,
2) zum Atomismus, weil nach Leibniz alles Körperliche ins imendliche teilbar
ist, 3) zum Pantheismus, der nur eine Substanz (s. d.) kennt Dagegen nimmt
Leibniz an, die Welt bestehe (an sich) aus unkörperlichen, unausgedehnten,
punktuellen, einfachen, seelischen, vorstellenden und strebenden Krafteinheiten
(Substanzen, s. d.), die er (seit 1697) Monaden (j,monades**) nennt. Sie sind den
substantialen Formen (s. d.) der Scholastiker, den y,Enteleehien" (s. d.) der
Peripatetiker analog, sind im Grunde nichts als die vielfach gesetzte Icfaheit
Die Monaden sind die Elemente der Dinge, die v^diren Atome in der Natur
(Monadol. 3). y^La monade . . . n*est atäre chose, qu'une substance simple, qui
entre dans les coniposis; simple, c^est-ä-dire, sans parties** (Monadol. 1). Eß
muß Monaden geben, weil es zusammengesetzte Dinge, Aggr^ate, gibt und
weil das Einfache nicht ausgedehnt sein kann (Monadol. 2 — 3). Sie können
sich nicht auflösen, können nur (durch Schöpfung) mit einem Male anfangen
oder enden (Monadol. 6). Sie sind gleichsam metaphysische Punkte (,,pouUs
metaphysiques**), substantielle Punkte („points de substance^') (Gerh. IV, 398;
Erd. p. 126). Sie können innerlich nicht verändert werden, weil nichts in sie
hineinkommen kann; sie haben „keine Fenster** („n*<mt paint de feneire^'), so
daß sie keine directen Einwirkungen von außen erleiden, noch selbst auf andere
Monaden direct einwirken können (Monadol. 7). Kur einer immanenten, rein
Innerlichen Entwicklung sind sie fähig (Monadol. 10 f.). Diese beruht auf
einem inneren Princip, welches seelischer Art ist und eine Mehrheit von Zu-
ständen bedingt, welche in Vorstellungen („pereeptions**, zugleich Empfindungen,
Gefühlen) bestehen und infolge emes Strebens („tendanee**) wechseln (MonadoL
II, 13, 14, 15). Alle Monaden haben „quelque ehose d'analogigue ou seniiment
et ä Vappetü**, sind „Entelechien**, „Seelen** im weitesten Sinne (MonadoL 18—19).
„De la manih-e que je definis perceptions et appStit, il faul que toutes les mo-
nades en soient douees. Cor perception m'est la representaiion de la muÜitude
dans le simple, et Vappetit est la tendanee d^une perception ä une ttuhre; er eet
detix ckoses sont dans toutes les tnonades, cor autrement une monade n'tnanail
aucun rapport au reste de ckoses,** Es gibt „autant de substances veriUMes et
pour ainsi dire de miroirs vivants de l'univers toufours subsistants ou rf'i
Monade. 685
eonetfUres qu'ü y a de monades^' (£rdm. p. 720). Jede Monade folgt dem Ge-
fietze ihrer inneren Entwicklung, der „lex continuationü seriei stiarutn operatio-
fntm'*, confonn den Entwicklungsphasen der anderen Monaden (Erdm. p. 107).
y,Tout prisent etat d'une substance simple est ncUurellement une suite de son
etat preeecUmt, teUement que le present y est gros de Vavenir*'^ (Monadoi. 22).
Alle Monaden sind yerschieden, denn es gibt in der Natur nicht zwei voll-
kommen gleiche Dinge (MonadoL 9, vgL Identitatis indisc.). Eb besteht eine
Stufenfolge höherer und niederer Monaden, deren höchste Grott ist. „Monas seu
substantia simplex in genere continet perceptionem et appetüum, estque vcl
primitiva seu Deus^ in qua est ttUima ratio rerum, vel est derivativa, nempe
numas ereatot eaque est vel raiione praeditaf mens, vel sensu praedita, nempe
anitna, vel inferiore quodam gradu pereeptionis et appetitus praedita, seu
anima analoga, quae nudo monadis nomine contenia est, quum eins varios
gradus non eognoseamus^* (E^dm. p. 678). Die Körpermonadeu („monades
simples", „iotU nues^^) leben in einer Art dumpfen Schlafes dahin (Monadoi. 24),
während die höchste Monade, Gott (s. d.), alles mit höchster Klarheit vorstellt
und die Beziehungen der Monaden untereinander durch die prästabilierte Har-
monie (s. d.) regelt (Monadoi. 51). Die Monaden sind ,/tdgtiraiions continuelles'*
Gk>tte8. Jede Monade spiegelt (stellt vor, stellt dar, „represente^% als „miroir
vivant\ das Universum, als eine Welt für sich („momle ä part^), aber mit ver-
schiedenem Grade der Klarheit, Bewußtheit (Monadoi. 62, 83), jede von ihrem
Standpunkte (,^point de vue"), so daß man in jeder Monade das All erkennen
konnte (Erdm. p. 714 ff.; Principe de la nature 3, 4, 13, 14). Die Monaden
sind auch dadurch voneinander unterschieden, daß sie mehr oder weniger über
andere herrschen (L c. 4), wie etwa die Seele (s. d.) die herrschende Monade des
Organismus ist.
Chr. Wolf schreibt den Körpermonaden keine Perception, nur eine „Kraft"
(s. d.) zu (Psychol. rational. § 644, 712). Nach Baumoarten sind die Monaden
„simpliees vires, rqpraesentativae sui universi, mundi in compendio, suiqtte
mundi coneentrationes^^ (Met. § 400). Nach CRUsnrs sind die Monaden mathe-
matisch ausgedehnt, nehmen einen Raum ein (Met. § 107). So auch nach
Dabjes (Elem. met. 1753). Kant nimmt (in seiner vorkritischen Periode)
„monades physieae^* an, welche undurchdringlich sind und elastische (abstoßende)
sowie anziehende Kräfte haben. „Substantia simplex, monas dieta, est, quae
ntyn eonstat pluralitate partium, quarum una absque aliis separaiim existere
poiest," „Corpora eonstant partibus, quae a se invicem separatae perdurabüem
hctbent existentiam" (Monadoi. phys. I, prop. I — II). Verschiedene Arten von
,Jdonaden" nimmt Goethe an; er nennt sie auch „Enteleehien" (Goethes Ge-
spräche, hrsg. von Biedermann, III, 63 f.). Monaden ohne Vorstellung nimmt
BoscoviCH an (s. Materie).
Ein intelligibles „Monadenreich" als selbstbewußter göttlicher Gedanke in
seinem gegliederten Inhalte nimmt Soloer an (Erwin II, 126). — Herbart
lehrt die Existenz von einfachen „Realen" (s. d.). Lotze lehrt die Existenz
von Substanzen (s. d.) seelischer Art, die in Gott ihren Einheitsgrund haben.
Monaden nehmen femer an: J. H. Fichte (Psychol. I, 4), Ulrici, Kircjhner,
L- Busse, E. v. Hartmann (b. Wille, Seele), H. Wolff („Bionten", Kosm. I)
(als Producte des Unbewußten, s. d.), Bahnsen, M. Wartenberg (Probl. d.
Wirk. S. 134), Peters, Wundt (aber nicht als Substanzen, sondern als Willens-
actionen, s. d.), ferner Gioberti, J. Dtjrdik, M. Petöcz, Ch. B. Upton
686 Monade — Monismus.
Lachelieb (Eev. philoa. XIX, 1885), Delboedp (La mat brate), J. C. S-
ScHH^LEB (Riddles of the Sphinx*, 1894), Astafjew n. a. M. Carrie&e lehrt
die Existenz von „selbstlosen^^ und j^selbstseünden", sich selbst bestimmenden
Monaden, die in Wechselwirkung miteinander stehen. Sie sind nicht abeoint
isoliert, sondern j^anx Fenster, ganx Auge^* (Sittl. Weltordn, S. 137), sind in
einer alldurchwaltenden Einheit enthalten (ib., vgl. S. 146 £L). D^i MiUd-
pimkt selbstseiender Wesen bildet je eine „Oentrtümanade" (L c. S. 72). Eine
Vielheit nicht sinnenfälliger Wesen ninunt Teichmülleb an (Neue Grundleg.
S. 65). £.. Hamebling nennt Monaden Gruppen, Einheiten von (Willens-)
Atomen und auch einzelne Atome (Atom. d. Will. I, 180). G. Sfickbb nimmt
psychische Monaden an, die imtereinander in Wechselwirkung stehen, acüv and
passiv zugleich und auch materiell sind (K., H. u. B. S. 193 ff.). Nach Dbosb-
BACH bestehen die Dinge aus „Kraftwesen" (Geaee, d. Bewußts.), so auch nach
Hellenbach (l>er Lidividual. S. 185). Renouvieb (mit L. Pbat) erklärt:
„I/O trumade est la sttbstanee simple^ d<mt la donnie est impltquSe par Vexisienee
des substanoes eomposSes" (Nouv. Monadol. p. 1). Sie ist f^sans partieaU^ ,,fi'a
ni eiendue ni figttref^ (1. c. p. 2). Die Monaden haben „le sentiment de sai, ie
rapport du süßt ä l'objet, dans le st^ef* (L c. p. 3), „representaiion" (ib.). Jede
Monade ist „une unite dont la repetition forme des nombres^'' (1. c p. 4). Sie
hat „aeiivite tntemef^ „en tant qu'elle est un principe de son propre
hat „une foree suscitative de ses etats" (1. c. p. 5). Es gibt „monades
„centrales" y „dominantes" (1. c. p. 53). Monaden als psychische Kräfte nimmt
DuBAND DE Gboos an; sie constituieren das An-sich der Materie. Monaden
gibt es nach E. BoiBAC (L'id^ de ph^nom^e 1894). Vgl. Atom, HyloEoismoE,
Körper, Kraft, Materie, Ding an sich, Wille, Substanz, Harmonie, Seele, Plnim-
Usmus.
Honaden s. Monade. — Monaden heißen auch die Teile, ans denen
einige sich die Atome (s. d.) bestehend denken.
Honadolos^e : Monadenlehre, Theorie der Monaden (s. d.), Lehre vom
Einfachen, von den einfachen Wesen. Vgl. Leibniz, Monadologie; Bekouvieb
ET L. Pbat, La nouvelle Monadologie; Fbohschamheb, Monaden und Welt-
phantasie 1879 u. a.
Monareliiaiilsiiiiiei: Lehre von der absoluten Einheit Gottes, Lehne
von der Herrschaft von Gott- Vater als der einzigen selbständigen götüichen
Person (vgl. Übebweg-Heinze, Gr. d. Gresch. d. Philos. II«, 77). VgL Mo-
daUsmus.
Honarelftie s. Rechtsphilosophie.
Honarebomaelfteii heißen ältere Anhänger der Lehre von der Volks-
souveränität auch dem (das Recht verletzenden) Herrscher gegenüber (G. Bucha-
NAN, H. Languet, J. Althusiüs.
IHonerg^iiills (fiovoe, iV/o«'), christlicher: Zurückfiihrung alles Gutes
auf das Wirken (jk)tte8 in uns, während der Synergismus die Mitwirkung
des Menschen anerkennt.
MonismiiB (fiovos, eins, einzig) (metaphysisch): 1) Einheitslehre,
d. h. jene metaphysische Ansicht, nach welcher es nur eine Wirküchkeitsait,»
ein Seinsprincip gibt> sei dieses nun Geist (Spiritualismus, Idealismus, a. d.)
Materie (Materialismus, s. d.), oder die Einheit, der gemeinsame Trag^ beider
Monismns. 687
■
(Identitätsphüoeophie, b. d.). Der „phiiosophiseke" MonismuB ist von dem
f^uihtralistisehen*^ sich „Monismus*^ nennenden „Pseudomontsmus^*, der in
Wahrheit verhüllter Dualismus imd Hylozoismus (s. d.) ist, zu unterscheiden.
Der metaphysische Monismus, der nur eine Wirklichkeits weise als absolut real
setzt, ist mit einem „empirischen", „methodischen^* Dualismus (s. d.) vereinbar.
Monismus bedeutet 2) Einzigkeitslehre, d. h. die Ansicht, daß alle Dinge
Modificationen einer Wesenheit (Natur, Materie, Weltseele, Gottheit) sind
(■= metaphysischer „Henismus^y bezw. Pantheismus, s. d.). Der psycho-
logische Monismus lehrt die Einheit von Psychischem und Physischem, sei
es in materialistischer, spiritualistischer oder identitatsphilosophischer Form. Der
erkenntnis theoretische Monismus behauptet, die einzige Wirklichkeit sei
die erfahrungsmafiig gegebene, erlebte, sinnenfällige, bewußtseinsinmianente
Realität. Der ethische Monismus leitet das Sittliche (s. d.) aus einem einzigen
Moralprincip ab. t>er theologische (religiöse) Monismus ist entweder Theismus
(s. d.) oder Pantheismus (s. d.) ; letzterer ist, als Extrem, „AJcostnismus", Gk>tt hat
allein ige wahre Realität. Der logische Monismus erkennt nur ein Erkenn tnis-
princip, keine Dualität von Form und Materie des Erkennens an (M. PalIgti).
Zu ihm gehören auch der (extreme) Rationalismus und Empirismus (s. d.).
Naturwissenschaftlicher (physikalischer) Monismus heißt (auch) die ener-
getische (s. d.), die Materie eliminierende Lehre (Ostwald u. a.).
Den Ausdruck „Monist" anbelangend, so erklärt Chr. Wolf: „Monistae
dieuntur phUosopki, quiunutn tantummodo substantiae genus admitiunt^* (Psychol.
rationaL § 32). Bei J. G. Fichte findet sich „Uniiismus'* (WW. II, 89).
„Monismus des Gedankens" nennt (jÖschbl (Monism. d. (jkdank. 1832) den
Hegeischen Panlc^mus (s. d.). E. y. Hartmann möchte den qualitativen
Monismus lieber als „ühitarismus" bezeichnai (Mod. Psychol. S. 371).
Mehr oder weniger rein wird die Einheitslehre vertreten durch die
ionischen Naturphilosophen (s. d. und „Princip*% die Atomistik (s. d.).
die Stoiker (s. d.), Epikureer (s. d.), femer durch G. Bruno, Spinoza,
Lbibniz, Berkeley, J. G. Fichte, Schellino, Hegel, Schopenhauer,
J. H. Fichte, Carrierb, Wundt, H. Spencer, Clifford, Renouvier,
F. Masci, Nietzsche, Fechner, K. Lasswitz, Paulsen u. a. Einen „Artrt-
schen" (philo«iophischen) Monismus lehrt Riehl (Philos. Kritic. II*, 206; s. Iden-
tit&tslehre). Einen „»wwawcn/e»", „empirischen", „kritischen", „transeendentalen"
Monismus vertritt F. Schultze: Alles ist, als unsere Vorstellung, gleichartig,
unsere Erfahrungswelt ist einheitlich. „Die Vorstellungstcelt ist . . . dualistisch,
insofern sie der Wrseheinungswelt eine hypothetisch notwendig gesetxte Welt der
Dinge an sieh unterstellt' (= ,/eritiseher Dualismus"; Philos. d. Naturwissen-
schaft II, 201 f.). P. Carus versteht imtec Monismus die höhere Einheit von
Idealismus und Realismus. Die Welt ist ,jdas Resultat aus Subject und Object",
Geist und Materie sind durcheinander bedingt; das An-sich beider „congruiert"
im Metaphysischen (Met. S. 33 f. ; Fundam. Probl. 1889). Der kritische Monis-
mus ist Idealrealismus, Realidealismus (1. c. S. 226). Einen „dynamischen" Monis-
mus lehrt L. Ferri, einen Monismus als Glauben Huxley (Sociale Essays
S. XL), einen metaphysischen Monismus M. L. Stern (Philos. u. naturwiss»
Monism. 1885), einen idealistischen, das Mechanische als Äußerung geistiger
Kräfte bestimmenden Monismus A. Fouillee (s. Voluntarismus). Den „posi-
tiven Monismus", der hinter allen Erscheinungen eine Urkraft constatiert, ver-
tritt G. Ratzenhofer (Pos. Eth. S. 33). „Monismus" heißt auch die Ansicht,
688
Monismus — Monolemmatisch.
daß ein Wirkliches mit zwei Eigenschaften (Attributen), Empfindung lud
Bewegung, existiert: B. Ca&neri, E. Haeckel (Die Weltratsel), L. Noire (Der
monist Gedanke 1875), L. Geiger (Urspr. d. Sprache), nach welchen den beidoi
Attributen Bewegung und Empfindung ein „Monon^* zugrunde Hegt (Noire,
Einl. und Begr. e. monist. Erk. B. 183).
Die Einzigkeitslehre finden wir bei Xenophanes, Herakut, den Stoikern,
G. Bruno, Spinoza, J. G. Fichte, Schelling, Hegel, Schopenhaueb,
Nietzsche, H. Spencer u. a. (s. Gott, Pantheismus). Einen Individualismufi
innerhalb des Monismus lehrt J. FrauenbtIdt, M. Carriere (SittL Weltoidn.
S. 3B4), so auch E. y. Hartmann. Dessen „eoncreter Monismus" beschrinkt
die Identität der Dinge mit dem Absoluten, Unbewußten (s. d.) auf „das dem
Eraeheinungsindividuum xugrunde liegende Wesen" (PhanomenoL d. sitiL Be
wußts. S. 860). Der concrete Monismus ist das System, nach welchem ,/to
Eine durcfi die Vielheit seiner dynamischen Functionen und Functionengruppen
im Widerspiel dieser Dynamik xu vielen realen Individuen sieh eoncresciert und
als der denselben invtnanent substantielle Träger ihre reale Existenx in gesetz-
mäßiger, relativer Oonstanx aufrecht erhält" (Philos. Frag. d. Gregenw. S. 69).
O. Cabpari stellt dem „spiritualistischen" den „empirischen" Monismus gegen-
über. „Nach letzterem sind Weltschöpfer und Weltplan ausgeschlossen, der
empirische Monismus ist causaUmeehanische Weltanschauung, Der eausak
Mechanismus besteht aber aus einer Reihe relativ getrennter Einxel-
factoren" (Zusammenh. d. Dinge S. 442). Nach F. Mach existiert yydas eine
und einzige, absolute, eunge Weltwesen — das Universum, das Allleben oder die
Natur — als Complex maierieü-geistiger Kräfte, das sieh nach intmanenten
notwendigen Oesetxen betätigt und in einer Stufenreihe teleologischer Organi'
sationen, deren irdischer Abschluß der Mensch ist, entwickelt*^ (Reiigions- u.
Weltprobl. S. 464). Einen theistischen Monismus vertritt A. L. Kyv. —
E. Haeckel versteht imter Monismus die „einheitliche Auffassung der Gesamt"
natur^* (Der Monism. S. 9), die Ansicht, daß die Welt eine „kosmische Einheit"
bildet (1. c. S. 10), daß Gott und Welt eins sind (1. c. S. 12; ähnliche An-
schauung bei D. F. Strauss, auch bei L. Büchner, C. Vogt, Moi^ebchott,
CZOLBE, NOACK u. a.).
Den erkenntnistheoretischen Monismus lehrt der (erkenntnistheoretische)
Idealismus (s. d.), besonders bei Berkeley, Hume, J. G. Fichte, bei J. St. Mnx,
Eehmke (Welt als Wahm. u. Begriff S. 68), Schupfe, Schubert-Soij>£BN.
M. Kauffmann, Leclair: „Ablehnung eines transcendentalen Factors der Er-
kenntnis" (Beitr. S. 9), Ziehen, M. Verworn (= „Psyehomonismus^*, Allgem.
Physiol.^, S. 39), in anderer Weise (mehr realistisch) auch bei £. Mach.
E. AvENARius. Femer bei Ebbinohaus, E. König, G. Heymans u. a. («l
Parallelismus). — Vgl. die Zeitschrift „The Monist**, herausgegeb. von P. Can»
1890 ff. (auch die ältere Zeitschrift „Kosmos"), — Vgl. Seele, Pantheismus,
Parallelismus (psychophysischer), Wirklichkeit
Moiileitlsclfte Weltanscbaauns s. Monismus.
nionoldeisiiias („monoideisme") : Aufgehen in einer einzigen Yot-
stelliuig, Bindung, Concentration des Bewußtseins nach einer Richtung (RibotI
Gegensatz: Polyid^isme (Charcot). „Monoideismen* zaet^i hei 1^VUJJ}. Vgl
Aufmerksamkeit.
Monolemmatlselft heißt ein verkürzter Schluß, ein Enthymem (s. d).
Monomanie — Moral-Beweis. 689
Monomaiile s. Manie.
Monopltyletteelfte Theorie der Abstammung: die Ansicht, daß alle
Organismen von einer einzigen Art abstammen (Haecgb:el u. a.)> während die
poljphjletische Theorie eine Mehrheit ursprünglicher Arten annimmt. Beide
Ausdrücke werden auch für die Abstanmiung des Menschen (aus einer, bezw.
ans mehreren Menschenarten) gebraucht.
Monopltyslten (j^dfr^, fiais) heißen die Anhanger der Lehre, daß in
Christus menschliche und göttliche Natur in eins vereinigt sind.
HIonopneaiiiatteiiraB (cu^os, nvev/ia): Annahme nur einer Ichheit in
allai empirischen Ichs (J. G. Fichte u. a.).
nionopsyclilenniis (/toros, ^xv)* Lehre, daß alle individuellen Seelen
nur Modificationen einer einzigen, einer Weltseele, sind (Avebro£s u. a.).
VgL Seele.
nionotlielsiiias (fiovos, d-^os): Ein-Oott-Lehre, Glaube an einen ein-
zigen, alles beherrschenden, lenkenden Gott (s. d.). VgL Henotheismus,
Theismus.
Moral (von „mores'* ^ Sitten) bedeutet: 1) Sittlichkeit (s. d.), besonders die
historisch bedingte, sociale Sittlidikeit, 2) Sittenregel, 3) Ethik (s. d.), Sitten-
lehre (s. d.). Unterscheidungen von Moral und Sittlichkeit bei Hegel (s. Mo-
ralitat), Lipps : Die Moral ist hier diese, dort jene, die Sittlichkeit dagegen nur
eine (Eth. Grundfr. S. 1) u. a. Nach M. Cabriere ist Moral „eine bestimmte
Zusammenfassung van SiUenregeln** (SittL u. Darwin. S. 180). Nach Ejieibio
ist Moral „die in der praktischen Betätigung wirksam gewordene sittliche Ge-
sinnung** (Werttheor. S. 107). Die Franzosen stellen den j^denees physiques*^
die y^seienees morcUes^* (Geisteswissenschaften) gegenüber, „^ ont pour objet
des manifesiations de la pensSe et de la volonti humaines** (Bibot, PsychoL
AngL*, p. 15). VgL Moralphilosophie, Moralisch, Moralität
Moral: „HerrenmorcU" und „Sklavenmoral** (Herdenmoral) unterscheidet
Nietzsche. VgL Sittlichkeit
lUoral-BewelB (ethiko-theologischer Beweis), moralisches Argument für
das Dasein Gk)ttes. Aus der Eidstenz des Sittengesetzes wird auf einen Stifter'
der sittlichen Weltordnung, aus dem Verlangen nach Harmonie zwischen Tugend
imd Glückseligkeit auf einen gerechten Weltenlenker geschlossen.
Von der Tatsache des Sittengesetzes schliefen auf einen Urheber desselben,
auf Gott, Calvin, Melanghthon u. a. Den ethiko- theologischen „Beweis**
halt Kant für den einzigen, der uns zwar nicht rein theoretisch, aber gestützt
auf Postulate (s. d.) der praktischen Vernunft das göttliche Sein gewährleistet.
Kant führt zusanmienhangend aus: „Nun gebietet das moralische Gesetz j als
ein Gesetz der Freiheit, durch Bestimnnmgsgründe, die von der Natur und der
Übereinstimmung derselben xu unserem Begehrungsvermögen (als 7}riebfedem)
ganz unabhängig sein sollen; das handelnde vernünftige Wesen in der Welt
aber ist doch nicht zugleich Ursache der Welt und der Natur selbst. Also ist
in dem moralischen Gesetze nicht der mindeste Grund zu einem notwendigen
Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und der ihr proportionierten Glückseligkeit
ein/es zur Welt gehörigen und daher von ihr abhängigen Wesens, welches eben
darum durch seinen Willen nicht Ursache dieser Natur sein, und sie, was seine
Phllosophlaohe« WOrterbnoh. t. Anfl. 44
690 Moral-Beweis.
Glückseligkeit betriffty mit seinen praktischen Orundsätxen nicht durchgängig
einstimmig machen kann. Oleichtoohl vnrd in der praktischen Aufgabe der
reinen Vernunft ^ d. i, der notwendigen Bearbeitung xum höchsten Oute^ et»
solcher Zusammenhang notwendig postuliert : udr sollen das höchste Out (tcelehti
also doch möglieh sein muß) xu befördern suchen. Also icird auch das Dasein
einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesafrUen Natur ^ welche den
Orund dieses Zusammenhangs , nämlich der genauen Übereinstimmung der Glitck-
Seligkeit mit der Sittlichkeit^ enthalte, postuliert." y.Diese oberste Ursache aber
soll den Grund der Übereinstimmung der Natur nicht bloß mit einem Oesetxs
des Wittens der vernünftigen Wesen, sondern mit der Vorstellung dieses Oe-
setxeSj sofern diese es sieh xum obersten Bestimmungsgrund des Willens
setxen, also nicht bloß mit den Sitten der Form nach, sondern auch ihrer Sitt-
lichkeit, als dem Bewegungsgrunde derselben, d. h, mit ihrer moralischen Ge-
sinnung, enthalten. Also ist das höchste Gut in der Welt nur möglich, sofern
eine oberste Ursache der Natur angenommen wird, die eine der morcUiseben
Gesinnung gemäße Causalitäl hat. Nun ist ein Wesen, das der Handlungen
nach der Vorstellung von Gesetzen fähig ist, eine Int ellig enx (verttünftiges
Wesen) und die Oausalität eines solchen Wesens nach dieser Vorstellung der
Gesetxe ein Wille desselben. Also ist die oberste Ursache der Natur, sofern
sie xum höchsten Gut rorausgesetxt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand
und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d. i, Gott.
Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts
(der besten Welt) xugldch das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ür-
sprünglichen Guts, nämlich der Existenx Gottes. Nun war es Pßieht für
uns, das höchste (}ut xu befördern, mithin nicht allein Befugnis, sondern auch
mit der Pflicht als Bedürfnis verbtmdene Notwendigkeit, die Möglichkeit
höchsten Guts vorausxusetxen, welches, da es nur unter der Bedingung des
Gottes stattfindet, die Voraussetxung desselben mit der Pflicht unxertretmliek
verbindet, d. i. es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anxunekmenr
(Krit. d. prakt. Vem. I. T., 2. B., 2. Hptst., S. 149 f.). Gott muß aus mofa-
lischen Gründen all wissend, allmächtig, allgegenwärtig, ewig u. s. w. sein. So
ist der Begriff Gottes „ein ursprünglich nicht xur Physik, d. i. für die epeeu-
lative Vernunft, sondern xur Moral gehöriger Begrifft (1. c. S. 167 f.). Die
„moralische Teleologie^^ ergänzt die physische und hängt mit der ,,Nomotheiik
der Freiheit" zusanmien (Krit d. Urt. § 86 ff.). Indmn das moralische Gesetz
a priori uns einen Endzweck, das höchste Gut, bestimmt, imd dieses nur unter
der Bedingung der Glückseligkeit zu realisieren ist, so „müssen wir eine mora-
lische Weltursache feinen Welturheber) annehmen" (1. c. § 87). Aber zu beton«»
ist: „Die Wirklichkeit eines höchsten moraliseh-gesetxgebenden Urhebers ist , . .
bloß für den praktischen Gebrauch unserer Vernunft hinreichend dargetam^
ohne in Ansehung des Daseins desselben etwas theoretisch xu bestimmend* (ib.).
Die Vernunft bedarf der Annahme eines Gottes „nicht, um davon das rar-
bindende Ansehn der moralischen Gesetxe, oder die Triebfeder xu ihrer Be-
obachtung abxuleiten , . ., sotulern nur, um dem Begriffe vom höchsten Gmt
objective Realität xu geben, d. i. xu verhindern, daß es xusamt der ganxen Sitt-
lichkeit nicht bloß für ein bloßes Ideal gehatten werde, tcenn dasfenige nirgmd
existierte, dessen Idee die Moralität unzertrennlich begleitet" (Was heißt: sicJi
im Denken orientieren«, S. 130 ; vgl. Vorles. üb. d. philoe. Religionslehie 1817,
S. 29 ff.). — Fechner stellt für das Dasein Gottes ein „argumentum a
Mbral-BewelB — Moralisohe Notwendigkeit. 691
bani ei veri^* auf (Zend-Av. II, 90 ff.). A. Dobker formuliert das moralische
Argument so: „Daß die sittliche Forderung einen unbedingten Charakter hat,
wird man anerkennen müssen. Aber sie ist inhaltlich jedesmal durch die gegebenen
Verhältnisse bedingt . . . Diese Forderung gestaltet sich xu einem Ideale j das
unter den gegebenen Verhältnissen mit Hülfe der Natur und des eigenen Natur-
Organismus realisiert werden soll. Da dieses Ideal ein Handeln fordert, das Ober
den Kreis des Ich übergreift und 2koecke setxt, die in der empirischen Welt
realisiert werden sollen, so muß vorausgesetzt werden, daß die Natur außer uns
und unser eigener Organismus so beschaffen sind, daß sie die Realisierung
dieser Zwecke ermöglichen. Die objective Welt, auf die wir handeln, d. h. in der
wir unser Ideal verwirklichen wollen, muß mit dem Ideal, mit den Ztoeekhegriffen,
die wir bilden, xusammenstimmen können. Das ist aber nur dann der Fall, wenn
wir eine höhere Maeht annehmen, welche das Subject mit seiner Ideale bildenden
, lUtigheii und die Natur, mittelst deren wir diese Ideale realisieren wollen, für-
einander bestimmt hat^ (Grundr. d. Beligionsphiloe. S. 219 f.). Der Endzweck
ist die Bealisierung des sittUchen Ideals. „Wenn die Gottheit diesen WeUxweck
gesetxt hat und beständig für diesen Ztoeck die Weltordnung begründet, so ist auf
sie auch die Setxung dieses Zweckes in unserem Bewußtsein xurückxufükren,
und die Erkenntnis des sittlichen Ideals ist durch die Gottheit bedingt, tvie seine
Bealisierung. Die Welt toird dann ein Reich Gottes und Gott ist es, der die
Welt dazu bestimmt hat, sein Reich xu sein*^ (L c. S. 221).
Moral-I^ynamie nennt S. Alexander die Factoren der sittlichen
Evolution (Moral order and Progress*, 1891).
Moral insanlty (Psighard): Moralisches Irresein, Mangel an Gefühl
und Urteil für das SitÜidie.
IHoraliscll (j,moralis*^ zuerst bei Cicero als Übersetzung von ^&tx6e):
sittUch (s. d.), ethisch (s. d.), von guten Sitten, im Französischen = geistig
(s. Moral).
„Moralis'^ im Sinne von „ethicus" bei Thomas (z. B. Sum. th. I, 48, 1
ad 2). „Actus moralis" ist „actus qui est a ratione procedens voluntarius^^ (De
malo, qu. 2, 6). Micraelius bemerkt: „Kt sie morale opponitur naturali: si-
euti contradistinguuntur bona moralia et bona naturalia" (Lex. philos. p. 675).
,yMoralis causa est, quae aliquid praestat suadentio, doeendo, instigando, con-
tradistincia causae physieae" (1. c. p. 676). Es gibt „moraJes actus probi" und
,^urpes** (ib.). „Moralisch^'' ist nach Crusius, „was vermittelst des Willens U7id
vernünftigen und freien Geistes dergestalt bewerkstelliget wird, daß derselbe dabei
nach wissentlichen Bndxu^ecken strebet^^ (Vemunftwahrh. § 13). Von „moralischen
Gesetzen" spricht Ferguson (Grunds, d. Moralphilos. S. 73 f.). Hegel be-
tont: „Das Moralische muß in dem weitem Sinne genommen werden, in
welehem es nicht bloß das Moralisch- Gute bedeutet" (Encykl. § 503). VgL Moral,
Sittengesetz.
Morallsehe Oeffthle s. Moral Sense.
MoraUsclie Oesetze s. Sittengesetz, Imperativ, Sittlichkeit.
Moralisehe Gewißlielt ist die Gewißheit eines Satzes, „dessen Gegen-
teil den allgemeinen Gewohnheiten der sittlichen Wesen undersprieht^^ (Gütberlet,
Log. u. Erk.«, S. 154).
Morallielie Notwendifi^keit s. Notwendigkeit
44*
692 MoraliBohe Ordnung — Moralphiloaophie.
IHorallsclie Ordnung b. Gott (J. G. Fichte).
Moralische Regeln b. Bittlichkdt
Moralisehe Urteile a. Urteil, Ethik.
Morali Helle HVelt ist, nach Kai^t, ,^ie Weit, sofern sie allen sütUdun
Oesetxen gemäß wäre (toie sie es denn nach der Freiheit der vernünftigen
Wesen sein kann und nach den notwendigen Oesetxen der Sittliehkeii seim
so 11/^. fyDiese wird sofern bloß als inielligible Welt gedacht, weil darin von
allen Bedingungen (Zwecken) und selbst von allen Hindernissen der Moralität in
derselben . , . abstrahiert wird. Sofern ist sie also eine bloße, aber dock prak-
tische Idee, die wirklich ihren Einfluß auf die SinnenweU haben kann und soü,
um sie dieser Idee so viel als möglieh gemäß xu machen*^ (Krit. (L r. YeiiL
S. 612).
MorallMelie Wesen sind, nach Lebsing, „ Wesen, welche Vollkommen^
heil halten, sich ihrer Vollkommenheit bewußt sind und das Vermögen besüxen,
ihnen gemäß xu handeln, das ist, welche einem Oesetxe folgen könnend (Ghristent
d. Vem.).
Moraliselier Beweis b. Moral-Beweis.
Morallselies Irreseln b. Moral insanity.
Moralismnss Anerkennung eines (bindenden) Sittengesetzes (ygLKBUO,
Handb. d. Philos. II, 271). Vgl. Inunoralismus.
Moralist: Moralphilosoph, Sittenlehrer, Sittenprediger. YgL Ethik.
Moralltftt („moralitas") : Sittlichkeit (s. d.), sittlicher, sittlich guter
Charakter einer Handlung. „Moralitas^^ schon bei Macbobiub („moralilas
stili**). Bei Ambbosius schon im Sinne von „morttm probiUu^^ (vgL Wusdt,
Eth.«, S. 21).
Zwischen Legalitat (s. d.) und Moralität unterscheidet Kaitt. Moralität
ist „das Verhältnis der Handlungen xur Autonomie des WiUefis, d. i, xur mög-
lichen allgemeinen Oesetxgebung durch die Maximen desselben" (WW. IV, 287).
„Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung emer Hand-
lung mit dem Oesetxe ohne Eiicksichi auf die Triebfeder derselben die Leffoliiät
(Gesetxlichkeit), diesige aber, in u/elcher die Idee der Pflicht xugleich die lVw6-
feder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben'' (WW. VII, 16)i
„Das Wesentliche alles sittlichen Wertes der Handlungen kommt darauf an^ daß
das moralische Qeaetx unmittelbar den Willen bestimmt. Geschieht die Willen»-'
bestimmung xwar gemäß dem moralischen Oesetxe, aber nur vermittelst
Gefühls, welcher Art es auch sei, das vorausgesetxt werden muß, damit jenes
hinreichender Bestimmungsgrund des Willens werde, mithin nicht um des Ge-
setxes willen, so idrd die Handlung xwar Legalität, aber nicht Moralität
enthalten" (Krit. d. prakt Vem. S. 87).
Hegel unterscheidet Sittlichkeit (s. d.) und „Moralitäf', Letztere ist das
(subjective) „moralische Beufußtsein" (Phänomenol. S. 457), es ist ,/las einfache
Wissen und Wollen der reinen Pflicht im Handdn'' (1. c. S. 458). „Der freie
Wille ist — in sich refiectierty so er sein Dasein innerhalb seiner hat und
hierdurch xugleich als particulärer bestimmt ist, das Recht des subjectiven
Willens ~ die Moralität'' (Encykl. § 487; vgl. § 502; Eechtsphiloe. S. 148ff.\.
Moralplillosoplile (j,philosophia moralis*', philosopkia de moribuih;
Möralpbiloflophie — Moral sense. 603
Gassenbi, PhiL Epic. synt. III, p. 427) 8. Etihik. Als „mortü ictence" bei
HuifE: „Moral phihsapky, or the seienee of human ncUure^*, Greisteswissenflchaft
(Treaty Einl. S. 6; Inquir. sct 1, p. 3). Nach Ferguson: ^^die Kenntnis dessen,
was sein soll'* (Grunds, d. Moralphilos. S. 8). Nach Mendelssohn ist die
Moralphilosophie „die Wissenschaft der Beschaffenheiten eines freitoüligen We-
sens, insoujeü es einen freien Witten hat'* (Üb. d. Evid. S. 125). Nach Kakt
kann die Moralphilosophie, soweit sie die ersten Grundsätze zur Beurteilung
bietet, nur durch den reinen Verstand erkannt werden, sie gehört zur reinen
Philosophie (De mundi sensib. sct. II, § 9). Cabnbbi definiert die Ethik als
^^Zusammenfassung der letzten Resultate der gesamten philosophischen Wtssen-
sehaften in ihrer Anwendung aufs praktische Leben, auf die Gesittung Überhaupt^',
„Während die Moralphilosophie bestimmte SiUengesetxe aufstellt und xu
halten befiehlt, damit der Mensch sei, uhis er sein soll, entwickelt die Ethik den
Mensehen, wie er ist, darauf sieh beschränkend, ihm xu zeigen, was noch aus
ihm werden kann** (1. c. S. 1). Nach Giztcei ist die Aufgabe der Moral-
philosophie, ,/2ei» Menschen ein klares Bewußtsein über sein sittliches Leben xu
verschaffen, ihm, ein tieferes, auf die letzten Oründe xuriiekfuhrendes Verständ-
nis dieser für ihn bedeutungsvollen Seite der Wirklichkeit zu gewähren. Ihre
praküsche Aufgabe ist, die eine persönlichste, ernsteste Frage des Menschen zu
beantworten: Was soll ich tun? Wie soÜ ick mein Leben einrichten?^^ (Moral-
philos. 8. 1).
nioralpriiicip: Princip des sittlichen Handelns, Princip der Ethik (s. d.).
Es werden formale (apriorische) und materiale, empirische, rationale,
eudämonistische, hedonistische, aristokratische, sociale, rigo-
ristische, altruistische, individuelle, universelle u. a. Moralprincipien
angestellt. Vgl. Ethik, Sittlichkeit.
Moral flense: moralischer Sinn, Gefühl (der Billigung bezw. Miß-
billigung) für das Gute und Schlechte, angeborenes oder social bedingtes und
als Disposition ererbtes Sittlichkeitsgefühl, Sittlichkeitsbewußtsein, moralisches
Urteilsvermögen.
Die Lehre vom „moral sense^* begründet ShaftbsbüRY. Er versteht unter
ihm „a recU antipathy or aversion to infustiee, a natural prevention or pre-
pqßsession of the mind in favour of the morai disiinction** (Inquir. concem.
virtue I, 2, sct 3). Nach Hutchbson ist der moralische Sinn („deeori et ho-
nesti sensus*^ „laudi et vituperii senstM", Philos. moral. I, 1 — 2) ein Teil des
„internal sens&^, eine Art Instinct der Billigung oder Mißbilligung (Inquir.^,
1753, p. 43 ff., 125 ff., 159). Ein moralisches Billigungsvermögen ninmit Fer-
guson an (Histoiy of civil Society I, sct. 6; Grunds, d. Moralphilos. S. 94 ff.).
Hume spricht vom „moral sentiment** (Inquir. sct. 12; Ess. II, III), so auch
A. Smith (Theor. of moral Sentiment)^ James Mill (y, moral sense, moral
faeuUy, sense of right and un-ong, moral affection**. Anal. II, 18), Merian
(Sur le sens moral 1758), Bobinet, der auch von moralischen Nervenfibem
spricht Nach Chr. Wolf gibt es einen „instinctus moralis" (Philos. pract.
II, § 904). Nach CRrsrus gibt es eine angeborene Neigung, über die Moralität
unserer Handlungen zu urteilen (Moral § 132 ff.). Gegen die Annahme eines
„moral sensef* sind Bere^eley (Alcyphr. 3), R. Price (Review of the prin-
dpal questions and difficult. in monds 1788), W. Paley, Basedow (Philaleth.
I, 43 ff.), Feder (Üb. d. moraL Gef. 1792) u. a. Nach Rousseau gibt es in
694 Moral aense — Mos geometrioiu.
der Seele ein angeborenes Princip der Gerechtigkeit und Tugend, das Gewissen
(Emil TV), Platner erklart: „Von der moralischen Vemunß ist unterschieden
das moralische Gefühl. Jene ist die Erkenntnis von der Notwendigkeit und dem
Werte der Tugend, in Bexiehung auf Eigenschaften und Endzwecke des höehsten
Wesens,' dieses ist die Fähigkeit, xu unterscheiden Outes und Böses, Recht tmd
Unrecht, nach Merkmalen des Wahren und Widersinnigen, NcUürliehen und
UnnaHirliehen, in eigenen und fremden Gesinnungen und Handlungen^ (Phüog.
Aphor. II, § 189). „Das moralische Gefühl bezieht sich mehr auf die Ver-
meidung des Bösen, als auf die Ausübung des Guten" (1. c. § 190). „Die Wirk-
samkeit des moralischen Gefühls bezieht sich teils auf eigene, teils auf fremde
Gesinnungen und Handlungen. Jenes ist d<is Gewissen, dieses ist die mo-
ralische Billigung Oberhaupt" (1. c. § 192). „Das moralische Gefühl hat
nicht xum Gegenstand den Erfolg, sondern die Absicht von Gesinnungen und
Handlungen" (1. c. § 202). „Inteiefem das moralische Gefühl unterscheidet naek
Merkmalen des Wahren und Widersinnigen, insofern ist es eine Äußerung an-
geborener moralischer Begriffe" (L c. § 205) ak angeborener Gesetze der
Vernunft (1. c. § 206; angeborene moralische Begriffe gibt es nach Plato,
CüDWOBTH, H. MoB£; Locke bestreitet sie, s. Ethik). Das moralische Gkföhl
ist „das Werk eines eigenen Sinnes" (L c. § 209), eines „moralischen Sinnet^
(1. c. § 212). Es gibt ein „ursprüngliches" und ein „refleetiertes^^ moralisches
Gefühl (1. c. § 218). Kant betrachtet das moralische Gefühl als Gefühl der
Achtung (s. d.) vor dem Sittengesetz (Krit. d. prakt. Vem. S. 95 ff.), es ent-
springt der praktischen Vernunft (s. d.). Maass erklärt: „So wie ein ürteü
des gemeinen Menschenverstandes auf der Angemessenheit des Objectes xu den
Gesetzen der Erkenntnis beruht, so stiäxt sich ein Urteil des moralischen Gefühls
auf die Angemessenheit des Gegenstandes xu den Sittengesetxen, Diese An-
gemessenheit aber wird wiederum nicht aus einem Begriffe von dem Gegenstande
hergeleitet . . ., sondern aus einem Gefühle des innem Sinnes erkannt" (Vers.
üb. d. Einbild. S. 205). — Herbabts Lehre von den „ästhetischen" (moraUschai)
Urteilen (s. d.) ist durch die englische Theorie der moralischen Gefühle beein-
flußt. Volkmann versteht unter dem moralischen Gefühle ,4as Wohlgefallen
und Mißfallen an den Verhältnissen der Bilder des Wollens^^ (Lehrb. d. PsychoL U*,
365). Die Quelle der moralischen Gefühle ist (wie nach Hebbabt) ,/iie Har-
monie und Disharmonie des VVollens mit seinem ideellen Musterbilder^ (LiKDNSB,
Lehrb. d. empir. PsychoL», S. 175; vgl Nahlowbky, Das G^efühlsleb. S. 197 fL).
Nach E. Laas ist das moralische Gefühl zum Teil ererbt (Ideal, u. Positivism.
II, 146). Nach Th. Zieoler sind die sittlichen Gefühle zimächst KraftgefOhk,
sie enthalten die Freude, causa werden zu können (z. B. im Mitleid). Das
Gef.', S. 165 ff.). Unold unterscheidet individuell- und social-ethische Gefühle
(Gr. d. Eth. S. 196 ff.). — Vgl. Lewes, ProbL III, p. 44 ff. — VgL Sittlich-
keit, Sociale Gefühle.
MoralstatlstilL ist ein Teil der Statistik (s. d).
Moraltlieolog^e („Ethikotheologie^^) ist, nach Kant, „der Versudi, aus
dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt
werden kann) auf jene Ursache [Gott] und ihre Eigenschaften xu schließen" (Krit
d. ürt. II, § 85). VgL Moral-Beweis.
mos seomeUleiui s. Methode (Spinoza).
Motakallimün — Motiv. 695
MotakalUniiui (Mutakallimun, Mutakallim, arafo., Medabderim, hebr.):
Lehrer des „Kalam**, des Wortes, des Dogmas; Dogmatiker; orthodoxe Philo-
sophen, Dialektiker, bei den Arabern, auch bei den Juden des Mittelalters
(Saadja). (Vgl. SxöCKir II, 139; ÜBEBWEa-HEiKZE, Gr. d. Gesch. d. Philoe.
II', 226). VgL Atom, Occa^ionalismus.
MotaBiliten: die arabischen Theologen und Philosophen, die eine freiere
Auffassung gegenüber dem Dogma bezeugen.
MotlT (von moveo): Beweggrund, Bestimmimgsgnmd des Handelns, des
WoUens. Jedes Motiv besteht in einer gefühlsbetonten Vorstellung oder in
einem mit Vorstellung verbundenen Gefühle („ Trieb feder^^J, Die Motive wirken
mit psychischer Causalität (s. d.), nicht mechanisch-zwingend, sie stehen dem
Ich, dem WiUen nicht äußerlich, fremd gegenüber, sondern sind selbst schon
Momente des Wollens. Was Motiv werden kann, hängt ab: 1) von der Um-
gebung des Ich, 2) von der momentanen Constellation des Bewußtseins, 3) von
der Vergangenheit, vom Charakter (s. d.) des Ich, der Persönlichkeit. Bei den
Triebhandlungen ist ein Motiv sofort wirksam, bei den Willkürhandlungen gibt
es einen ,yKampfj Weitstreit der Motive^\ aus welchem, nach „Überlegung" y ein
Motiv (oder ein Motivencomplex) als yfierrschend^'' hervorgeht. Der Wille lolgt
dem stärkeren Motive („Gesetx der MotivcUtan^ aber das ,f8tärkere" Motiv ist
schon durch die Natur des Wollenden bestimmt. — Motivation bedeutet
Motivierung, Causalität des Motivs.
In verschiedener Weise wird die Motivation vom Determinismus (s. d.) und
Indeterminismus (s. d.) aufgefaßt. —
Thomas Aquinas erklärt :„ifope^ iniellectua voluntatetn tum quoad exer^
eitium aeitis, sed quoad 8peeifieati<mefn : voluntcts vero onmes potentias movet
quoad exereitium aeius^^ (Sum. th. II, 9, 1). Nach DuKS ScoTUS detenmnieren,
y,neeessüieren*^ die Motive den Willen nicht, sie „inclinieren" ihn nur für be-
stimmte Entscheidungen (Gp. Gx. I, 17, 2, 3; II, 7, 1; ähnlich später Leibniz).
Nach Locke ist das, was den Willen bestinmit, die 8eele selbst (Ess. II,
eh. 21, § 29). Ein Unbehagen („uneasiness"), Unlust ist es, was den Willen
zur Wirksamkeit veranlaßt (L c. § 31 ff.). Leibniz erörtert den Kampf der
Motive als eiuen Gegensatz verschiedener Strebungen, welche aus verworrenen
und aus deutlichen Gedanken hervorgehen (Nouv. Ess. II, eh. 21, § 35). Als
Motive wirken auch unmerkliche Gefühle imd Begehrimgen nach Befreiung von
Hemmungen (1. c. § 36). Nach Chr. Wolp ist das Motiv „ro^io sufficiens
volUionis ac nolitionis'* (Psychol. empir. § 887) ; es besteht in der Vorstellung
des Gbjects als ,ybonum ad nos" (1. c. § 889 ff., ähnlich die Scholastiker).
Motive sind „die Oründe des Wollens und NichtwoUens" (Vem, Ged. I, § 496).
MENDEI.880HN erklärt: „ Wenn .,,d%e wirksame Erkenntnis [bei einer Handlung]
deutlieh ist, so werden ihre Wirkungen in das Begehrungsvermögen Bewegungsr
gründe genannt. Diese Bewegungsgründe haben in der Ausübung nicht selten
mit entgegengesetzten Betoegwigsgründen, als mit dunklen Neigungen y die wir
Triebfedern der Seele genennet haben, xu kämpfen'* (W W. II 2, 62 f.). G. E. SCMüLZB
definiert: yyErkenntnisse und Vorstellungen aller Art, welche das Handeln be-
wirken, heißen Triebfedern (Beweggründe, Motive)'* (Psych. Anthropol.*, S.425).
— Nach Holbach sind Motive „les objets extSrieurs ou les idees interieures
qui fönt naUre celte disposüion [de rouloirj dans notre eerveau*' (Syst. de la
nat ly eh. 8, p. 115). Nach J. Bentham ist Motiv im weiteren Sinne „a»y
696 MotlT.
ihing that ean eontribtäe to give birth to, ar even to present, any Idnd of actione,
im engeren Sinne „any ihing whatsoever, wkiek, hy inftueneing, tke wül of c
sensitive being, is auppased to aerve cu a mean of determining htm to ad, or
voluntary to forbear to <zet, upan aniy oeeasian^* (Introd. eh. 10, § 1, p. 161 if.}.
Schopenhauer sieht in der Motivation ein Art der Gestaltung des Satzes
vom Grunde (s. d.). Der Wille der Lebewesen wird durch Instinct (s. d.) oder
durch Motivation bewegt, ohne daß ein absoluter Gegensatz zwischen beiden
Bestimmungsgründen besteht. „Das Motiv nämlich wirkt d)enfaüs nur unter
Voraussehung eines inneren Triebes, d. h. einer bestimmten Beschaffenheit des
Willens, welche man den Charakter desselben nennt: diesem gibt das jedes-
malige Motiv nur eine entschiedene Richtung, — individualisiert ihn für dm
conereten FaW* (W. als W. u. V. II. B., C. 27). „Bei jedem wahrgenommenen
Eniseßiluß sowohl anderer, als unser selbst halten wir uns berechtigt, xu fragen:
Warum ? d, h. wir setzen als notwendig voraus, es sei ihm etwas vorhergegangen^
darofus er erfolgt ist, und welches wir den Örund, genauer das Motiv der jetzt
erfolgenden Handking nennen. Ohne ein solches ist dieselbe uns so undenkbar,
wie die Bewegung eines leblosen Körpers ohne Stoß od^ Zug.^^ „Die Einwirkung
des Motivs . . . wird von uns nicht bloß, wie die aller andern Ursachen, ton
außen und daher nur mittelbar, sondern zugleich von innen, ganz unmittelbar
und daher ihrer ganzen Wirkungsart nach erkannt. Hier stehen wir gleichsam
hinter den Coulissen und erfahren das Geheimnis, wie, dem innersten Wesen
nach, die Ursache die Wirkung herbeiführt : denn hier erkennen wir attf einem
ganz andern Wege, daher in ganz anderer Art. Hieraus ergibt sieh der itmA-
tige Satz: die Motivation ist die Causalität von innen gesehen*' (Vier-
fache Wurzel d. Satz, vom zur. Grunde C. 7, § 43).
Nach LoTZE ist das Trachten nach Festhaltung und Wiedergewinn der
Lust und nach Vermeidung der Unlust die „Triebfeder^^ der praktisch-natür-
lichen Begsamkeit (Mikrok. II*, 312). v. Kirchmann erklfirt: ,Jn die Sede
treten viele Vorstellungen ein, welche an sich zum Ziele einer Handlung genommen
werden könnten; dennoch geschieht dies nicht bei allen. Dies zeigt, daß das
bloße Vorstellen und Denken nicht zureicht, das Wollen zu erwecken; sondern
daß noch ein anderes hinzutreten muß. Dies ist der Beweggrund. Der Be-
weggrund kommt nicht aus dem reinen Vorstellen, auch nicht aus dem Begehren,
sondern er entspringt aus den Oefühlen** (Grundbegr. d. Bechts u. d. Moral
S. 4). Die Motivgefühle sind entweder Gefühle der Lust oder Crefühle der
Achtung (1. c. S. 5; vgl. S. 91 ff.). Nach H. Höffddtg ist Motiv ,/Uu durch
die Vorstellung vom Zweck erregte Gefühl" (PsychoL«, S. 444). „Die willens-
erregende Kraft sind in Wirklichkeit immer wir selbst in einer bestimmten
Form oder von einer bestimmten Seite** (1. c. S. 471). „Es beruht auf
der Beschaffenheit unseres Wesens, ob etwas für uns Motiv werden kann" (ib.).
„Die Motive sind nicht nur durch unsere ursprüngliche Natur bestimmt^ sondern
auch durch unser eigenes früheres Wollen und Wirken" (L c. S. 472). Nach
Th. Zieoler ist Motiv das Gefühl (Das Qef.\ S. 277, 320 f.). K GoLDecHEiD
betont: „Nur ein stark gefühlsbetontes Vorstellen vermag den Willen zu beetn-
flussen, denn nicht die Empßndungselemente in den Vorstellungen sind es, welche
den Willen bestimmen, sondern die stets mit den Empfindungsdementen mt-
bundenen Gefühlsbetonungen" (Zur £th. d. Gesamtwill. I, 80 f.). — A. Bdsbl be-
tont: „Ein Motiv wirkt gesetzlich, aber nicht unwiderstehlieh, es kann durch
Gegenmotive aufgehoben werden" (Philos. Kritic. II 2, 232). Seroi ventdit
Motiv.
unter Motiven yjks sUmtdants ä la tolüum, quand üs 8oni passees dans la con-
sdenee de Vagent aous une forme payehiqtte** (PsychoL p. 419). Nach O. Somnsi-
BBR ist das Motiv ,jder erste bewußte Beweggrund oder der unbewußte Anstoß xu
unserem Handeln'^ (Transcendentalpsychol. S. 200). Nach L. Dumont sind
Motive nicht Gefühle, sondern Instincte oder Vorstellungen (Vergnüg, u. Schmerz
8. 307). Nach Rehmke ist Motiv des Willens „</er ihm vorausgehende praktische
Oegensaix^* (Allgem. Psycho!. B. 406), nach Th. Kebbl ,^der praktische Gegen-
saix, der besteht zwischen einer Lustvorstellung und jetxt vorhandener Unlust
bexw. geringerer Lust* (Lehre von d. Aufmerks. 8. 63 f.). Nach R Bteineb
sind die Motive des Sittlichen Vorstellungen und Begriffe (Philos. d. Freih.
8. 144). Nach E. Y. Hartmann ist der Motivationsvorgang und sein Resultat
unbewußt (Philos. d. ünbew. I", 125 ff.; Mod. Psychol. 8. 197). ,,Was als
Motiv wirkt, ist eine Empfindung oder Vorstellung, und xwar ihrem qucUitativen
Inhalt nach, nicht ihrem Oefühiston nach Welche Vorstellung MoHv wird,
welche nickt, hängt vom Charakter des Individuwns ah, der allein ihnen ein be-
stimmtes Maß motivierender Kraft verleiht oder sie erst xu Motiven stempelf*
(Mod. Psychol. 8. 197 f.; Neukant. 8. 196 ff.). „Was durch die motivierende
Vorstellung eigentlich beeinflußt wird, ist nicht das Wollen seiner Form nach,
welches als Form immer sieh selbst gleich ist, sondern sein jeweilig wechselnder
Inhalt einsehließlich des bestimmten, augenblicklieh aufxuwendenden Maßes von
Intensität. Da nun der Willensinhalt Vorstellung ist, so ist letzten Endes der
Motivationsvorgang eine Beeinflussung von Vorstellung durch Vorstellung,
nämlich des jeweiligen Willensxieles durch die jetveilig motivierende Vorstellung^'^
(Mod. PsychoL 8. 198; Arch. f. System. Philos, V, 21 ff.). „Werm Qefühh den
Sehein erwecken, als ob sie den Willen motivieren, so liegt dabei eine Ver-
weekselung vor; nur die Vorstellung eines künftig xu erlangenden oder abzu-
wehrenden ÖefÜhls kann Motiv werden^^ (Mod. PsychoL 8. 198). „Reale Gefiihle
begleiten allerdings häufig den Motivationsvorgang und können dann als Symptom
fUr seine Lebhaftigkeit dienen; aber sie sind dann nicht Ursache des erregten
Willens, sondern Wirkung und Begleiterscheinung desselben, sein Widerschein
im Bewußtsein. Sehr oft aJber fehlt auch jede Vorstellung künftiger Lust oder
Unlust, und es unrken Vorstellungen ganx andern Inhalts als Motive ohne jede
bewußte Rücksichtnahme auf Lust und Unlust lediglich nach Maßgabe des
Charakters'' (ib.; Eth. Stud. 8. 155 ff.; Krit. Wander. 8. 107 ff.). Nach
Nietzsche ist das Gefühl keia Motiv, nur Symptom, Folge des Machtwillens.
Die eudämonistische Motivation wird bestritten (WW. XV, 262, 302, 305, 307,
309). Die „charakterologische Motivation" (s. d.) lehrt auch R Wähle (Das
Ganze der Philos. 8. 338 ff.). — Motiv ist nach Jgdl die Vorstellung mit dem
Gefühle zusammen (Lehrb. d. Psychol. 8. 427). Nach Gizycki gehören Be-
weggrund und Triebfeder zusammen (Moralphilos. 8. 173). Kreibio versteht
unter Motiv „die tust- oder unlustbetonte Vorstellung, die vermöge dieser Wert-
qualität den Beweggrund für die Richtung eines Einxelwollens bildet" (Wert-
theor. 8. 72). Es gibt End- und Zwischenmotive (ib.). Wundt sieht in den
Gefühlen die „unmittelbaren" Motive des Willens (Eth.*, 8. 437). Motive sind
,^ie in unserer subjeetiven Auffassung [des Willensvorganges] die Handlung
unmittelbar vorbereitenden Vorsteüungs- und Gefühlsverbindungen". „Jedes Motiv
läßt sich aber wieder in einen Vorsteüungs- und in einen Qefühlsbestandteü
sondern, von denen wir den ersten den Beweggrund, den zweiten die Trieb-
feder des Willens nennen könnten. Wenn ein Raubtier seine Beute ergreift, so
698 Motiv.
besteht der Beweggrund in dem ArMick der Beute, die Triebfeder kann in dem
Unlustgefühl des Hungers oder des durch den Anblick erregten Gattungsbassa
bestehen" (Gr. d. Psychol.^, S. 221 f.). Eine Vorstellung wird Motiv, sobald sie
durch das sie begleitende Gefühl den Willen sollicitiert; die (jefühlsstärke einer
Vorstellung ist eins mit ihrer Motivationskraft (Grdz. d. physioL PsychoL II*,
576; Vorles. üb. d. Mensch.», S. 247 f.; Ess. 11, S. 299 f.). „TTtr nennen alle
dig'enigen Motive, welche tatsächlich xur Wirksamkeit im Wollen gelangeny die
aetuellen, di^enigen dagegen, die als gefühlsärmere Elemente des Bewußtseins
unwirksayn bleiben, die potentiellen^^ (Eth.*, S. 440). „Insofern ein aetueUes
Motiv mit der Vorstellung des Effectes der entsprechenden Handlung verbunden
ist, heißt es ein Zweckmotiv. Ein solches Zu?eckmotiv endlich^ welches den
Endeffect der Handlung in der Vorstellung arUicipiert, heißt Hauptmotiv,
im UrUerschiede von den Nebenmotiven** (L c. S. 440). Die sittlichen
Motive zerfallen in Wahmehmungs-, Verstandes-, Vemunftmotive (1. c. S. 510).
Die imperativen Motive sind impulsiv wie alle Motive, aber „sie verbinden
sich mit der Vorstellung, daß sie aüen andern bloß impulsiven Motiven vor-
gexogen werden müssen" (1. c. S. 484 f.). Die Quellen dieser Motive sind:
äußerer, innerer Zwang, dauernde Befriedigung, Vorstellung eines sittUchen
Lebens (1. c. S. 486). Es sind Imperative des Zwangs und der Freiheit zu
imterscheiden (1. c. S. 487 ff.). — Nach Llpps ist (ähnlich wie nach Green)
das Motiv „nichts anderes als der Gedanke an den Endxweekf* (Eth. Gnindfr.
B. 8). Nach Unold ist Motiv nicht allein das Gefühl, sondern auch die Vor-
stellung (Gr. d. Eth. S. 186). Nach Wektscher sind Motive frühere, unter
Zuhülfenahme von uns vollzogene Willensentacheidungen, wenn sie im Augen-
blick der Reflexion über das gegenwärtig einzuschlagende Verhalten wieder-
kehren und unsere Entscheidung beeinflussen (Eth. I, 253). Sie sind eigene
Geschöpfe des Willens. Entscheidung ist die active Stellungnahme des
Subjects gegenüber den Motiven, sie gibt ihnen die genügende Motivkraft (L c.
S. 256 f.). Nach H. Sghwabz ist jeder Act des Gefallens und MififaUens
Motiv und hat ein Motiv (Psychol. d. WilL 8. 240). Das Motiv ist 1) Willens-
regung, 2) Wertvorstellung. Kampf der Motive ist „das Verhältnis, in das
xtoei gleichzeitige Willensregungen (Antriebe) eintreten, wenn dtu Hcmddn nach
der eifien das nach der andern ausschließt, Sie eoncurrieren, wenn sie uns
umgekehrt xum gleichen Handeln bewegen" (1. c. S. 240 f.). „Es ist . . . falsch,
daß xwei oder mehr Vorstellungen mechanisch wie Winde die Wetterfahne des
Willens drehen" (1. c. S. 244 f.). Das „Motivgesetz" ist das „erste Naturgeaetx
des Willens", daß nämlich „gewisse Anstöße auf gewisse Seiten des wollenden
Ich ufirken müssen, damit Willensrichttmgen entstehen" (1. c. 8. 78). ,yEs schreibt
uns vor, was wir wert und unwert halten müssen, ufas gefällt und nUßf<i:
daher könnte es auch Wertgesetz heißen" (L c. B. 78). Ein „MoHvwandd^
findet statt, „wenn unr aümöMich anfangen, Handlungen, die wir früher atu
irgend einem älteren Motiv getan hatten, aus einem neuen xu tun, und darüber
das alte hintanxusetxen oder xu vergessen" (L c. S. 203 ff.). Es gibt einen fort-
schreitenden und einen rückschreitenden Motivwandel (egoistisch -altruistisch,
altruistisch-egoistisch) (1. c. 8. 208 ff., 221). Nach Ehaenfels ist der Motiven-
kampf ein specieller Fall der ) gelungenen oder sistierten allmählichen Aus-
bildung des Wunsches zum Streben oder Wollen (Syst. d. Werttheor. I, 232|.
Motivationsgesetz ist das Gesetz der relativen „Qlü6ksförderun^* (s. d.). Vgl
Motiwerschiebung, Heterogonie der Zwecke, Ethik, Willensfreiheit
^
Mothratdön — Muskelempfindungen. 699
IHotlTatiion: Beetimmxmg des Willens durch Motive (s. d.). Nach der
eudämonis tischen (s. d.) Motivation besteht das Motiv in dem Gefühle der
Lust oder Unlust, nach der charakterologischen im Charakter des Han-
delnden selbst. Vgl. Motiv.
lHotiTenkampf s.- Motiv.
MotiiTgesetc s. Motiv.
lHotlTTerschiebiuis nennt H. Höffdiko die psychologische Tat-
sache, dafi das anfangs aus einem Motive Ausgeübte später aus einem ganz
andern Motive ausgeübt wird, indem das ursprüngliche Mittel zum Zweck ge-
worden ist und das Interesse des Handelnden sich verschoben hat (Psychol.
VI B, 2 d; C, 2, 5; E, 4-5; Eth.«, S. 261). Das Gesetz der Motivverschiebung
ist schon Spinoza, Hartley, James Mill u. a. bekannt. Motiv Verschmel-
zung ist die Verbindung mehrerer Motive zu einem neuen Motiv. Vgl. Hetero-
gonie der Zwecke.
niotoriseli: bewegend, auf Bewegung (s. d.) bezüglich. Motorische
Nerven sind Nerven, welche den Beiz auf Bewegungsorgane übertragen. Nach
RlBOT (wie nach M. de BIran) enthalten alle psychischen Zustände „c^ ele-
ments moteura^^ (Les MaL de la Volonte p. 107). So auch Münsterbebg (Beitr.
zur exp. Psychol. III, 27), N. Laitge, Dessoib (Doppel-Ich S. 61) u. a. Vgl.
Nervensystem, Empfindung, WiUe, Ideomotorisch, Actionstheorie.
Mildlg^lKeit: Zustand der Ermüdung (s. d.), Ermattung, des Nachlassens
der Spannkräfte der Muskeln, der Nerven, Zeichen des Stoff Verbrauchs in den
Nervenzellen.
Miiltlponible höchster Ordnung nennt B. Aye^t^abiüs die End-
beschaffenheit des ff System Q^ (s. d.). Die von ihr abhängige Multiponible ist
der yyWeltbegriff^^ (s. d.), der sich auf die ,f Allheit der Umgebungsbestandteüe^*
bezieht und sich allmählich dem „reinen UniverscUbegriff^^ als Lösung des
, ..WdträUeU" nähert (Krit. d. rem. Erfahr. II, 375 ff.; I, 197 ff.).
Miuidiis archetypus: die urbildliche Ideal- Welt, die übersinnliche
Welt der Ideen, die intelligible (s. d.) Welt. Vgl. Welt.
llliskeleilipllndlliiffeii („mtisctdar feeling*\ j^ensatians museiUaires")
sind die mit der Contraction und Expansion der Muskeln verknüpften Em-
pfindungen, die einen Bestandteil der Bewegungsempfindungen (s. d.) ausmachen
und für die Wahrnehmung des Widerstandes (s. d.) der Objecte sowie eigener
Kraft (s. d.) von Bedeutung sind.
In verschiedener Weise erörtern die Muskelempfindungen Beid („effort
emphyetP'j Inquir. p. 336), James Mill, Th. Brown (Lectur. I, 513), J. öt.
MiLL, W. Hamilton (Diss. on Beid p. 864), besonders A. Bain, nach welchem
das „museular feeling^^ ein Bewußtsein des ,yptätmg forth of etiergy" ist (Sens.
and IntelL p. 59, 187, 376; Ment. and mor. sc. p. 13 ff.), G. Payne, H. Spencer,
nach welchem ebenfaUs die Muskelempfindungen zu den frühesten und all-
gemeinsten Erfahrungen gehören (Psychol. I, § 46; II, § 350), Sully (Handb.
d. Psychol. ß. 88 f.), W. James, Baldwin, Stottt, Ladd, Btbot, BiCHBr u. a.,
femer Beneke (Lehrb. d. Psychol.', § 67), Hillebranb (Philos. d. Geist. I,
162 f.), George (Lehrb. d. Psychol. S. 231), Trendelenburo (Log. Unt. I«,
242), Volkmann (Lehrb. d. PsychoL I*, 291), Lotze (Med. PsychoL S. 305 fi),
700 Muflkelempflndimgen — Mystilc.
LiKDEMANN, E. Reikhold, L.KNAPP(S7st.d. Bechtsphiloe., S. 61 f.), Heluholtz
(Phys. Opt S. 599) u. a. £. H. Weber betrachtet die Miuakehonpfindimg ak
„Bewußtsein der Lage unserer Glieder^' (Tests, u. Gemeingef. 8. 83). Dnrdi
den „Drueksinn" der Haut erkemieii wir unmittelbar „unsere eigene bettegende
Kraft und die uns Widerstand leistenden Kräfte der Körper*^ (L e. S. 84).
Wuin>T rechnet die Muskelempfindungen zu den „inneren Thstempfmdunge^
(Gr. d. Psychol.", 8. 57). Vgl. A. Golbscheideb, Üb. d. Muskelsinn, Zeitschr.
f. klin. Med. XV. Vgl. Object, WiUe, Eaum, Zeit, Wideretand.
nHiskelmliiii („museular sense'*) : Fähigkeit der Muskelempfindung (s. d.).
Einen „Muskelsinn" gibt es nach Ch Bell (Phys. u. pathol. Untere, d. Nerren-
syst 1836, 8. 185 ff.), E. H. Weber (= „Kraftsinn'') (Tasts. u. Gemeingef.;
Phys. Handwörterb. S. 582).
Mat s. 8eelenyennögen (Plato).
niiitatio elencbl ist so viel wie Heterozetesis (s. d.).
Blatatlon: Veränderung. De Vries nennt „Mutaiion" die spmn^iafte
Entwicklung der Arten. VgL Selection, Evolution.
MysteriiUDs Cfeheimnis, G^heimlehre. Mysterium magnum nennt
Paracelsus die Urmaterie (Paramir. 1).
MyMticIsinas : mystisches Gebaren, Neigung zur Mystik, zum MystisclieD.
— Mysticismus der praktischen Vernunft nennt Kaitt diejenige Doik-
art, welche „das^ was nur xuni Symbol diente, xum ßekema macht, d, i.
wirkliehe, und doch nicht sinnliehe Anschauungen (eines unsichtbaren Beiekei
Qottes) der Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Übersehweng-
liehe hinaussehtveift" (Krit. d. prakt. Vem. 8. 86). Vgl. Mystik.
Mystik (von fivo), schließen, nämlich die Augen, um in die Inne&wdt
sich zu vereenken) ist die (vermeintliche) Erfassung des ÜberainnlicheEi, GK>tt-
liehen, Transcendenten (nicht durch die Sinne, nicht durch Vernunft, Bonden)
durch eigenartige innere Erfahrung, durch unmittelbare (inteUectueUe) Intoitioii
(s. d.), Contemplation (s. d.), gefühlsmäßiges Erleben, liebendes Erfassen im Zu-
stande der Ekstase (s. d.) ; Streben nach Vereenkung in die Tiefen des dgenen
Gemüts, um so der Vereinigung mit dem göttlichen Sein („unio mysHea^} auf
unbegreifliche, geheimnisvolle Weise teilhaftig zu werden ; die mystische Lehre,
das mystische Verhalten.
Mystische Elemente finden sich bei verechiedenen Metaphysikem, wie Plato;
Cardanus, Pico, Campanella, Agrippa, Paragelbus, Nioolaub Cubanüs:
G. Bruno, Pascal, Malebranche, Spinoza („amor Dei intelleetuaüs*'); F. vok
Schlegel, Novalis, Schelling, Chr. Krause, F. Baader, Schopenhauee,
Fechneb, E. V. Hartmann, Nietzsche, u. a. Mystiker sind insbesoodeR
die indischen Theosophen, die Orphiker, die Neupythagoreer (s. d.),
Neuplatoniker (s. d.); die Gnostiker (s. d.), die Kabbalft, Dioktshts
Areopagita, Bernhard von Clairvaux, Bonaventura, Richard und
Hugo von St. Victor, Eaymund von SABUNDE,die Begharden, derSüfi«-
mus; femer Eckhart, Tauler, Suso, Buysbroek, Gerhart Groot, Thomas
A Kempib, der Verfasser der „deutschen Theologie*' (hrsg. von F. Pfeiffer 1856),
Val. Weigel, Cabp. Schwenkfeld, Sebabt. Frank, J. Böhme, Bob. Fludd,
Angelus Silesius, Swedenborg, St.Martin, Jaoobi, F. J.Moutor, Pkbtt,
Mystik — Msrthoa. 701
Wl. Ssolovjow u. a. Einige Mystiker nähern sich dem Pantheismus (b. d.).
— SCHELUNG erklärt: ,,7^ /ivcnxov heißt alles, was verborgen, geheim ist,"
Das „vorzugsweise Mystisehe ist gerade die Natur**. ,^ Mystiker ist , , , niemand
durch das, was er behauptet, sondern durch die Artf wie er es behauptet, Mystieis-
mus drückt nur den Gegensatz gegen formell toissenschaftliche Erkenntnis aus"
„Mystieismus kann nur jene Oeistesbeschaffenheit genannt werden, welche alle
wissensehaftliehe Begründung oder Auseinandersetzung versehmäht, die edles wahre
H^issen nur von einem sogenannten inneren, auch nicht allgemein leuchtenden, son-
dern im Individuum eing eschlossenen Lieht, aus einer unmittelbaren Offen-
barung,aus bloßer ekstatischer Intuition oder aus bloßem Gefühl herleiten will** (WW.
1 10, 1911). SUABEDISSEN spTiclit von der „Mystik, die uns im Schauen der Seele
aufgeht* (Psychol. S. 117). ,ßem Mystiker gut der Begriff nickt mehr viel, aber sein
Gemüt und seine Phantasie sind vom Überirdischen erfüllt** (L c. B. 11^). Nach
Ulrigi best^t das Mystische darin, „daß wir uns bewußt jsind, einen Gedanken
haben, ein Sein annehmen zu müssen, und doch mit unsem Versuchen, es in
einen Begriff zu fassen, ihn auszudenken, immer wieder scheitern**. Das
Mystische ist ,^n unaustilgbares Moment unseres Denkens, Erkennens und
Wissens** (Gott u. d. Nat. S. 639). V. Gousm bemerkt: „Le mystieisme con»
ttient un seeptieisme pusiÜanime ä Vendroit de la raison, et en mime temps une
foi ttveugle et portSe jttsqu* ä l'oubli de toutes les condüions imposees ä la na^
Iure humain&* (Du vrai p. 105). Qegen die Mystik betont er: „Le sentiment
par lui-mhne est une souree d'hnotion, non de oonnaissanee, La seule faculti
de eonnattre, c'est la raison**" (L c. p. 114). „La vraie union de Väme avec Dieu
se fait par la verite et par la vertu, Totti autre union est une chim^e, un
perü, quelquefois un crime** (1. c. p. 115). „Ueoüase, hin d' elever thomme
jusqu' ä Dieu, Vabaisse au-dessous de r komme; car eUe effaee en hii la pensSe
en ötarU sa eondition, qui est la oonscience^* (1. c. p. 126). Für die Mystik
spricht B. Steeneb. Qott ruht in den Dingen, da er sich all^n hingegeben.
Der Mensch mu£ ihn schaffend erlösen. „Der Mensch blickt nun in sieh. Als
verborgene Schöpferkraft, noch daseinlos, pocht das Göttliche in seiner Seele,
in dieser Seele ist eine Stätte, in der der verzauberte Gott wieder aufleben kann.
Die Seele ist die Mutter, die den Gott aus der Natur empfangen kann. Lasse
die Seele sich von der Natur befruchten, so wird sie ein Göttliches gebären. Aus
der Ehe der Seele mit der Natur wird Gott geboren. Das ist nun kein ,ver-
borgener* Gott mehr, das ist ein offenbarer Gott.** „Die mystische Erkenntnis
ist damit ein wirklicher Vorgang im Weltprocesse. Sie ist eine Gebiert Gottes**
(Das Christent. als myst. Tatsache 8. 23 f.; vgL Die Mystik im Anfange neu-
zeitL Geistesieb.). Auch du Prel schätzt die Mystik hoch (Philos. d. Myst.;
Monist. Seelenldu-e S. 11). Vgl. W. Jerusalem, Einf. in d. Philos.*; Noack,
Die cbiistL Mystik 1853; F. Pfeiffer, Deutsche Mystiker d. 14. Jahrhund.
1845/1857; J. H. Th. Schmid, Gesch. d. Mysticism. im Mittelalter; Godfer-
KAUX, Sur la psychologie du mysticisme, Bev. philos. 53, 1902, p. 158 ff.
— Vgl. Theosophie, Emanation, Gott.
IHystlsclis unbegreiflich-geheimnisvoll, übervemünftig, zur Mystik (s. d.)
gehörig. — E. V. Hartmann erblickt das Wesen des „Mystischen** in der
„Erfüllung des Bewußtseins mit einem Inhalte durch unwillkürliches Auftauchen
desselben aus dem Unbmcußten** (Philos. d. Unbew.', S. 323).
MytliliB {/ivd'oe, Bede, Erzählung) heißt die primitive, die bildlich-phan-
702 Mythus — Nachahmung.
tasievolle Naturauffassung als Bestandteil der Religion (s. d.). Der M3rthiifi vi
ein social-geistiges Gebilde, ein Product des Gesamtgeistes, aber modificiert
durch Persönlichkeit (Dichter, Priester u. s. w.). Im Mythus ist zugleich die
primitive Metaphysik gegeben, aus dem Mythus differenzieren sich später Be-
ligion, Philosophie, Wissenschaft. Der Mythus faßt alles das, was die Philo-
sophie abstract-begrifflich bestimmt, persönlich, anthropomorph, concret-sinnUch
auf. Formal ist der Mythus das Werk der j^mythenbüdenden PkanttiM^. Die
Lehre von den Mythen der Völker heißt (vergleichende) Mythologie (vgl
besonders die Werke von Ad. Bastian, Taylor, Lubbock, H. Sfencsbs
Sociologie u. a.). Das Wesen des Mythus ist Object der Völkerspychologie
(s. d.), Sociologie (s. d.), der Culturgeschichte imd Ethnologie. Mythisdie Ele-
mente finden sich noch bei Philosophen (z. B. Plato, Neupiaton iker,
Gnostiker, Scheluno u. a). — W. Bender versteht unter Mythus ,^t
Lehre von den Göttern als den Begründern^ Leitern und Sehutxherren der Weit.
Mythische Welterklärung ist ,ydie geschichtlieh vorliegende Form der Erkenntnis^
in welcher der Mensch ursprünglich die gesamte ihn umgebende Wiridießtkeit
nach seinem Bild und nach seinen Bedürfnissen und Wünschen sieh xiureeht-
gelegt hai^^ (Mythol. u. Metaphys. I, 20). Wündt betrachtet als GrundfnncCion.
welche den mythischen Vorstellungen zugrunde liegt, die personificierende
Apperception (s. d.). Beim primitiven Culturmenschen führt die Umgebung
dem Einzelbewußtsein eine Fülle mythischer Vorstellungen zu, ,/2fe, auf über-
einstimmende Weise ursprünglich individuell entstanden, allmählieh sich in einer
bestimmten Gemeinschaft befestigt hohen und mittelst der Sprache von Generation
«M Generation übertragen werden, wobei sie sich allmählich mit den Verände-
rungen der Natur- und Gulturbedingungen selber verändern^*. »^'^ ^'^- Richtung,
in der diese Veränderungen erfolgen, ist i?n allgemeinen die Tatsache bestimmend,
daß der jeweilige Gemütszustand die besondere Art der mythologischen Apper-
ception wesentlich beeinflußt** (Gr. d. PsychoL*, S. 367 f.). Die frühesten mythi-
schen Gedankenbildungen beziehen sich auf das eigene Schicksal in der nächsten
Zukunft. Erst später entsteht der Naturmytl^us mit persönlichen Gotter-
vorstellungen (1. c. S. 370). Der Mythus ist das Product des Gesamtgeistes,
der gemeinsamen Vorstellungen der socialen Gruppe (1. c. S. 361; vgL Eth.
I«, C. 2). Vgl. L. George, Mythus u. Sage 1836; Schelung, Philos. d. My-
thologie, WW. II, 1—2; Steinthal, Myth. u. Relig. 1870; Fr. Schultze,
Psychol. d. Naturvolk. 1900. Vgl. Wissenschaft, Keligion.
HS.
y achaliinil ng (jitfirjaiet imitatio): DarstelLung eines Objeetes, einer
Handlung durch ein möglichst ähnliches Eigen-Product. Der Nachahmungs-
trieb ist dem Menschen (auch Tieren) als Disposition angeboren. Die Vor-
Stellung eines Vorganges löst durch das mit ihr verbundene Interesse (Cieföbr^
eine imitative Bew^ung als Nachahmungsvorgang, wenigstens die Tendenz dazu,
aus. Es gibt unwillkürliche und willkürliche Nachahmung. Letztere spielt,
als Natumachahmung, eine Holle in der Kunst, die aber mehr als bloße Wieder-
gabe des Naturobjects ist (Composition, Idealisienmg, Typisierung). Die Nach-
ahmung hat auch hohe pädagogische imd sociale Bedeutimg.
Pythagokas nennt die Dinge /ufujesiG der Zahlen (s. d.). Plato nennt
Nachahmung — Nachbild. 70^
die Dinge fufujcaig der Ideen (s. d.). Bei ihm und bei Asibtoteles hat die
Nachahmong auch ästhetische Bedeutung (s. Tragödie). Aristoteles nennt den
Menschen das ^tpov fttfifjztHeoTarov und sagt, das fufABia&ai sei avfitpvrov rois
avd'^toTioig (Poet. 2). Als ästhetisches ^incip stellt die Nachahmung auf
Ch. Batteux (Les beaux arts r^uit ä un m^me principe 1746). Nach Sülzer
hingegen (Theor. d. Schön.) hat die Kunst nur die schöne Natar nachzuahmen.
EiLASMUS Darwin betont die größere Leichtigkeit, die aus der Nachahmung
von Bewegungen entspringt (Zoonom. XV, sct. 7). Die Nachahmung hat
individuelle und sociale Bedeutung (1. c. XXII, sct. 2). — Einen Nachahmungs-
larieb nimmt auch Fries an (Psychol. Anthropol. I, § 52, 80). Nach Bekeke
beruht der jjNciehakfnungstrieb*^ auf dem ,yÄn^chlteßen der unerfüllten Urver-
mogen an das stärkste gleiekartige Gebilde'^. „Die Nachahmung erfolgt, indem
die freien ürvermögen, von den Vorstellungen (des bei andern Wahrgenommenen)
auSy auf die Angelegenheiten für das entsprechende Tun übertragen werden^^
(Lehrb. d. PsychoL». § 169; vgl Psychol. Skizz. II, 629 ff.). Nach Teich-
müIjLER ist die Nachahmung eine durch das Gefühl vermittelte Beflexbewegung,
y^i^enige Bewegung, welche sich durch ReflexverhUipfung in Gleichung mit einer
von Seiten der äußern Welt in uns ausgelösten Bewegung zu setxen sucht" (Neue
Grundleg. S. 103). Die Kunst ist „diejenige Na^chahmung, welche die Gleichung
mit dem geistigen ürbilde sueht^^ (ib.). Eine gründliche (genetische) Unter-
suchung der Nachahmung beim Individuum und bei der Gresellschaft findet
sich bei Baldwin (Mental Developm.). Die Anpassung der Organismen ist
eine E^rscheinung „organischer ImitcUion", auf welcher die „organische Selec-
tion" (s. d.) beruht. Wukdt führt den Nachahmungstrieb darauf zurück, „daß
eme aus psychischen Motiven hervorgegangene Handlung im allgemeinen in gleich
gearteten Wesen einen ähnlichen Äffect erweckt, une er in dem Handelnden selbst
existiert Damit ist aber auch eine ähnliche Wirkung nach außen bedingt"
(Vorles. üb. d. Mensch.*, S. 434). G. Tarde erblickt in der Nachahmung, die,
voa den „inventeurs" ausgehend, die Massen ergreift und geistig formt, die
sociale Grundtatsache („phenomene social Slementaire"). „La societe c*est Vimi-
taiion et Vimitation c'est une esp^ de somruimbulisme^* (Les lois de Pimitation
1890; La logique sociale 1894). Yierkandt unterscheidet unbewußte, unwill-
kürliche, bewußte, willkürliche Nachahmung (als Mittel, als Selbstzweck) (Zeit-
schr. f. Socialwissensch. II, 1899, S. 575 f.). Nach K. Grogs ist uns die Lust
zum Nachahmen als ein besonderer Trieb eingepflanzt (Spiele d. Mensch. S. 360).
Die Nachahmung hat den Zweck, „andere Instincte, die zugunsten der In-
teUigenxentuncklung abgeschwächt sind oder doch für die Lebensaufga^ben des
Individuums nicht genügen, xu ergänzen" (1. c. S. 368). Das Nachahmen selbst
ist kein Instinct (L c. S. 370). Innere Nachahmung ist der ästhetische Proceß,
„tcobei wir uns in das betrachtete Object hineinversetzen und dadurch in einen
Zustand innerlichen Miterlebens geraten" (1. c. S. 416). Das ist die „ästhe-
tische Einfühlung" (1. c. S. 417; vgl. JouFFROY, Cours d*esth^tique 1845, p. 256).
VgL Ästhetik, Spiel.
K^aelibild ist die Nachdauer einer Gesichtsempfindung, (physiologisch)
beruhend auf der Nachwirkung des chemischen Processes in der Netzhaut. Es
gibt positive und negative Nachbilder. So erklart Wukdt: „Aus der An-
nahme, daß die lAchtreizung auf chemischen Vorgängen in der Netzhaut beruhe^
läßt sich nun auch das relativ langsame Ansteigen der Empfindung und ihre
704 Naohbüd — Naiv.
relativ lange Nachdauer nach vorausgegangener Reisumg erklären." Diese
Nachdauer, indem man sie auf das als Beiz benützte Object bezieht, nennt
man Nachbild des Eindrucks. yJZunächst ergeheinl das Ka^hbüd in einer dem
Reix gleichen HeUigkeits- oder FarbenbeschaffenheU: also weiß bei weißen, sduoan
bei sehwarxen und gleichfarbig bei farbigen Obfeeten (positives oder gleickfarbiga
Nachbild); nach kurzer Zeit geht es dann aber bei farblosen Eindrücken in du
entgegengesetzte Helligkeäy Weiß in Sehwarx, und Sehwarx in Weiß, bei Farben
in die Oegen- oder Complemeniärfarbe über (negatives und eomplemeniäres Nach'
bUd), Bei der Einwirkung kurx dauernder Liehtreixe im Dunkeln kann sieh
dieser Übergang mehrmals unederholen, indem dem negativen abermals ein posi-
tives Nachbild folgt u. s, w., so daß ein Oseillieren der Empfindung xwisehen
beiden Naehbildphasen stattfindet. Das positive Nachbild läßt sich nun emfaek
darauf xurückführen, daß die durch irgend eine Lichtart bewirkte photoehemiseke
Zersetzung nach der Einwirkung des Lichtes noch eine kurze Zeit andauert; das
negative und complementäre kann ma$i dagegen daraus ableiten, daß jede in
einer bestimmten Richtung eingetretene Zersetzung eine teilweise Oonsumti&n der
xunächst an ihr beteiligten lichtempfindlichen Stoffe xuriickläßt^ wodurch sieh
bei der Fortdauer der NetzhoMtreizung die photochemischen Vorgänge in ent-
sprechendem Sinne verändern müssen. Diese Auffassung wird dadurch bestätigt,
daß sieh in einem gegebenen Stadium des Abklingens eines Nachbildes die Netx^
haut irgend einem plätxlich einwirkenden andern Liehtreixe gegenüber genau so
verhält, wie die unermüdete Netzhaut dem um den Betrag der Naehbüdheüigkeü
oder Nachbildfarbe veränderten Reize gegenüber (Fechner-Hümholtzsches Gesetz
der negativen und eomplementären Nachbilder)" (Gr. d. Psychol.*, S. 84 1). „Mü
den positiven und negativen Nachbildern hängen u>ahrscheinlich die Ersckeimmgen
der Licht' und Farbeninduction nahe zusammen, Sie bestehen darin, daß
in der Umgebung irgend welcher Lichteindrücke gleickxeitig Erregungen von
gleicher oder entgegengesetzter Beschaffenheit entstehen**^ (L c S. 85 f.). Vgl
Fechneb, Poggendorf£B Annal. d. Phys. Bd. 44, 50 ; Hebiko, Pflügen ArcL
f. Physiol. Bd. 43; Wibth, Philos. ßtud. XVI— XVIL Vgl Gedanke.
Nadidenken s. Meditation, Reflexion.
Nacitelnander s. Succession.
Nachempflndangen knüpfen sich bei kurzer Berührung an eine
Pruckempfindung (vgl. Külpe, Gr. d. PsychoL S. 93).
Nacbf^edanke heißt bei B. Ayenabius der schwache, ganz unanschau-
liche Best eines Gedankens, im Unterschiede vom anschaulichen ,,Naehbild^
einer Vorstellung.
Nachsäte s. Hypothetisches Urteil.
Nachscliliiß s. Episyllogismus.
Naeittwandeln s. Sonmambulismus.
Nftchstenllebe s. Liebe, Altruismus.
NahruDi^siiistiiict s. Instinct
NaiT {„naif* von nativus, durch Gellebt aus dem Franzöeischeo ins
Deutsche eingeführt) : angeboren — natürlich, harmlos — unbefangen, kindlich
— vertrauensvoll, unbewußt — unschuldsvoll ; \mreflectiert, „naives Bewußtsein^
(„naiver Realismus'*). Nach Kakt ist die Naivität „der Ausbruch der der
NaiT — Name. 705
-Mir - ■ ■■!■-' ■ i. , - IUI I - I ■! I ■ _
Menschheit ursprünglich natürlichen Aufrichtigkeit inder die »ur andern Natur
gewordene Ferstdlungskunst*^ (Krit. d. Urt. I, § 54). Schiller definiert: ,,/)a9
Naive ist eine Kindlichkeit, wo sie nicht mehr erwartet tvird.^' Das „Naive der
Denkart yerbindet ,/iie kindliche Einfalt mit der kindischen". Das „Naive
der Gesinnung*- wird auch poetisch auf die Natur übertragen. Naivität gehört
zu jedem wahren Genie. Es gibt eine naive und eine sentimentalische Dich-
tung; ersfcere ist mehr objectiv, aus der Natur heraus geschaffen, .JdAssiseh^y
letztere mehr subjectiv, „romantisch" (Üb. naive u. sentimental Dicht. WW.
XII, 115 ff., 121 ff.). — Naiv ist nach Külpe, wer „triebartig, d. h. in der
Form des unmittelbaren Erlebens^ handelt, denkt und empfindet^* (Philos. Stud.
VII, 394).
NaiTer Realismas s. Realismus, Object.
Name {övo/m, nomen) ist ein Wort (s. d.), sofern es etwas nennt, benennt,
bezeichnet. Es sagt aus, was das (zur Zeit der Namenbildung oder aber ob-
jeetiv-allgemeine) Kennzeichen einer Gruppe von Objecten, Vorstellungen bildet ;
in diesem „Meinen" seitens des Namens, in dem mit ihm verknüpften Bewußt-
sein liegt die Bedeutung (s. d.) des Namens.
Plato unterscheidet avofia und ^fia (s. Urteil). — Die Scholastiker
unterscheiden „nomina primae et secimdae intentionis, impositionig^', Namen von
Objecten, Nameu von Eedeteüen, „nomina absoluta, substantiva" und „adiectiva,
ccnnotaHva", d. h. Namen, von Selbständigem, von Dingen, Namen z. B.
von Eigenschaften, Beziehungen. Nach AiiBBBTUS Magnus bezeichnet der
Name „sttbstantiam cum qualitate^^ (Sum. th. I, 51). Nach WiLH. VON OccAM
sind „nomina absoluta" „illa, quae non significant aliquid prineipaliter et aliud
Tel idem secundario, sed quiequid significaiur per tale nomen atque primo
significatur'^ (bei Prantl, G. d. L. III, 364). „Connotativum" ist ein Name,
„quod sigmficcU aliquid primario et aliquid secundario" (ib.; vgl Goclen,
Lex. philos. p. 446). — Die scholastische Unterscheidung von „nomina primae et
seeundae intentionis" findet sich auch bei F. Baoon (Nov. Organ. I, 63). Ebenso
unterscheidet die Logik von Port-Eoyal „nomina substantiva seu absoluta"
imd „nomina adiectiva et connotaHva" (1. c. I, 2). Hobbes definiert: „A name
or appellaiion , , . is the voiee of a man arbitrary imposed for a mark to bring
into his mind some conception concerning the thing on which it is imposed"
{Hum. Nat eh. 5, p. 20). „Nomen est vox humana arbitratu hominis adhibita,
ut »it nota, qua cogitationi praeteritae cogitatio similis in animo exdiari possit,
quaeque in oratione disposita et ad alios prolata Signum iis sit, qualis cogitatio
in ipso proferente praecessit vel non praecessit" (Ck)mput p. 9). Chr. Wolf
bestinmit: „Wir haben aber anfangs Wörter, dadurch wir die Arten und Ge-
schlechter sowohl der vor sich als durch andere bestefienden Dinge andeuten, und
diese pflegen wir die Namen der Dinge xu nennen" (Vern. CJed. I, § 300).
James Mill unterscheidet „notation" und „connotation" (Analys. C. 14, 2).
Nach Heoel ist der Name „die Sache, wie sie im Reiche der Vor-
Stellung vorhanden ist und Gültigkeit haf^, die „Existenx des Inhalts in der
Inteüigenx" (Encykl. § 462). Bei dem Namen bedürfen wir keiner Anschauung,
^fSondem der Name, indem vnr ihn verstehen, ist die bildlose einfache Vor-
stellung, Es ist im Namen, daß wir denken" (ib.). J. St. Mill definiert:
„A name is a word taken at pleasure to serve for a mark which may raise in
4nar mind a thought we had before and which being profiouneed to others, fnay be
Philotophiaoh«t WOrterbaoh. S. Aufl. 45
'06 Name — Natur.
to tkem a sign of what thought the Speaker kad before in his mind^^ (Log* h
eh. 20, § 1). Die Namen beziehen sich auf die Objecte, nicht auf Voistellungen
von ihnen (ib.; vgl. Examin. p. 393). Es gibt absolute und connotative, ,;mit-
bexeicknende" Namen. Nach J. H. Fichte ist der Name „der Begriff der
Sache in seiner Unmitielbarkeü" (Psychol. I, 497). Das Benennen ist ein
Act des begriffebildenden Denkens (1. c. S. 499). Nach Höffdiko steht der
Name als „Stelherireter einer ganzen Reihe von Ähnlichkeitsassoeiaiiorien"^
(Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. 14. Bd.). Nach Bomanes bezeichnen die
Namen generische Ideen (Geist EntwickL S. 80). Sully erklart: fJHe Namen
sind ein Kunstgriff, durch tcdehen wir die Restdtate unserer analytischen TtUig-
keü künstlich isolieren und auseinanderhcdten können" (Handb. d. FsychoL
S. 242). E. Mach sieht im Namen eines Begriffs einen „Impuls %u einer
genau bestimmten, oft eomplieierten, prüfenden, vergleichenden oder construieren-
den Tätigkeit, deren meist sinnliches Ergebnis ein Olied des Begriffsanfangs
ist" (Populärwissensch. Vorles. S. 267). Ähnlich wie Brentano (PsyehoL
Bd. II, C. 6, § 3) und A. Marty (Vierteljahrsschr. f. wissensch. Philos. a Bd,
8. 293, 300) erklärt K. Twardowsky: „Unter einem Namen hat man alles,
was die alten Logiker ein kategoremoHsches Zeichen nannten , zu verstehen.
Kategorematische Zeichen sind aber alle sprachlichen Bexeiehnungsmitiel, die
nicht bloß mitbedeutend sind (wie ,des Vaters^, M^^, yniehtsdestoweniger* u. dgl)^
aber auch für sieh nicht den vollständigen Ausdruck eines Urteils . . . oder eina
Gefühls und Willensentschlusses u. dergl .sondern bloß den Ausdruck
einer Vorstellung bilden" (Zur Lehre von Inhalt u. Gegenstand d. VorstelL
S. 11). „Die drei Functionen des Namens sind . . . ; erstens die Kundgabe
eines VorsteÜungsaetes, der sich im Redenden abspielt; xweitens die Erueckung
eines psychischen Inhaltes, der Bedeutung des Namens, im Angesprochenen;
drittens dfie Nennung eines Oegenstandes, der durch die von dem Naaun be-
deutete Vorstellung vorgestellt wird" (L c. S. 12). Wundt erklart: ^Jn ndkent
Zusammenhange mit der Abstraktion steht , . , die Benennung der Erschei-
nungen. Sie ist eine Erzeugung der Isolation. Denn der Name eines Gegen-
standes . . . bexeichnet stets ein einzelnes Merkmal, Hieran schließt sieh
aber sofort eine Gener alisation an, indem der bei einem bestimmten Gegenstande
geschaffene Na/me auf andere ähnliche Gegenstände Übertragen wird, die er in
eine Gattung zusammenfaßt" (Log. II, 14). Vgl Slow ART, Log. I*, 59, 341,
351. — Vgl. Wort, Terminus, Synkategorematisch, Sprache, Begriff, Allgemein-
heit, Nominaüsmus.
NattTlsmus bedeutet, allgemein, die Lehre von den angeborenen (s. d.)
Ideen. Psychologischer Nativismus ist die Ansicht, daß ims gewisse Vor-
stellungen oder Vorstellungsdispositionen bestimmter Art, besonders die Baom-
und Zeitanschauungen (s. d.) angeboren, ursprünglich zu eigen sind. Den
Gegensatz dazu bildet der Empirismus (s. d.), bezw. die genetische Theorie von
Raum und Zeit. Den Ausdruck „Nativismus" (von nativus) hat Helmholts
eingeführt. Vgl. Kaum, Zeit, Rationalismus, Anlagen.
Natur (natura, von nasci, fvcig) bedeutet: 1) im Gegensatz zur Cultur
(s. d.), zum Künstlichen, das durch die fremde Tätigkeit des Maischen Un-
berührte, den „Urständ" der Dinge und deren Ordnung und Wirken; 2) im
Gegensatz zum Geist das sinnlich Wahrnehmbare, Objective, MatmeUe, noch
nicht Vernünftig-Freie, unter dem Zwange der Causalnotwendigkeit Btehende,
Natur. 707
phvgikalisch-gesetzlich Geordnete, Wirksame; 3) das innere Princip, Wesen,
Gonstitttierende, den Seinscharakter eines Dinges (^^cdur der JXnge'^), daj»,
worans seine Tätigkeit entspringt und zunächst zu begreifen ist; 4) die Allheit,
Totalität, das Ganze, den Zusammenhang der Dinge, insbesondere der Körper
(oft als Einheit gedacht, hypostasiert, personificiert, „Mutter Natur^'). Wissen-
schaftlich genommen ist Natur der gesetzmäßig verknüpfte Zusammenhang von
Erscheinimgen , von begrifflich fixierten Bestimmtheiten. Was zur Natur ge-
hört, ans der Natur (direct) entspringt, ist natürlich (s. d.). — Die Natur gilt
bald als Schöpfung (s. d.) Gottes, bald als selbständige, ewige Bealität; bald
als das Reich der Dinge an sich, bald als Inbegriff von Phänomenen oder
geeetzmäßig verknüpft«] Vorstellimgen (vgl. Idealismus, Phänomenalismus,
Realismus, Pantheismus).
Nach der Sankhja-Philosophie ist die Natur („prakriti*^) der Urgnmd
aller Dinge, unerschaff en , ewig, blind wirkend, im Bunde mit der Vernunft.
Pla-To spricht von der ^ais im Sinne der 8vvaßue rov nouiv tj nduxetv (Phaedr.
270 D u. ö.), auch in der Bedeutung von ovaia (Gorg. 465 A u. ö.). Ari-
stoteles versteht unter der ftaie das (innere) Princip der Veränderung (Phys.
in 1, 200b 12), auch den Inb^riff des Seienden, insbesondere aber bald die
vh] (Materie, s. d.), bald die juo^ij (Form, s. d.), so daß es eine zwiefache
Natur (fvaie Strx^ gibt (1. c. II 8, 199 a 30). 0vai6 idysTat Sva fiev r^onov ij
T»r f^ofievtov yh^eatg . . . ipa Se i^ ov ^verai yt^tarov t6 ^vofuvov iwnd^x^^'
TOi' irt od'sv i] Hiv/^an ^ Ti^cSrt] iv ixdarif Tt5v f>va€& ovtcjv iv avrtf 17 avro
vad^et » . . ir« Bs ^aie kiyerai ii ov n^toxov ^ iariv rj yiyvttai r« tmv ftrj
fuifai ovrcov . . . ^« S'nXkov r^onov Xeyarai ^ fvais 17 Ttov qivüei ovratv ovaitt
. . . uaxn^ogq S*^]8i] xnl oXtag ndaa ovüia ^vais kiyerai 8id ravTijVj ort xal rj
fv<H£ Ovüia Ti6 iartv ix 8^ TOfv eigofisvcav ^ Ttguarri tpvGie xnl xv^icae Xsyofiivrj
imiv fi ovcia 17 tcJv i^ovron' dgx^*' xtv^ifecjg iv avrois jj airrd (Met. V 4, 1014 b
16 squ.). — ''Eua ßtiv ovv rgonov ovrofg 17 ffvatg leysraiy ri Ttgturrj ixdare^ vtio-
xttfi9vrj vXij Toiv kxovTtov iv avTCli oqxV'^ xivtjaaioe 9cal jMxaßoX^s, dXXov 8e
T^onov fi fiogiff^ xal ro alBoe t6 xazd top Xoyov (Phys. II 1, 193a 28 squ.); ^
fviftg 8izTijy 4i ftiv dfs vXtj 7} S*cj€ fiog^tj (1. c. II 8, 199 a 30). Als vXij ist die
Xatnr die Quelle der mechanisch-blinden Notwendigkeit {iv ydq vkrj ro dvayxaXov,
L c. II 9, 200 a 14). Die Natur ist auch die Totalität der körperlichen, be-
wegten Objecte (vgl. De cod. I, 1). — Strato erhebt die Natur zum göttlichen
Allwesen: „Strato . . . qui omnem vim divina/m in natura sitam esse censet,
quae causas gignendi, augendi, minuendi habetf sed careai omni sensu et figura"
(Cicero, De nat deor. I, 35). Identisch sind Natur und Gottheit (wie bei Hera-
KLTT) bei den Stoikern. Die Natur ist das Pneuma (s. d.), der causal-zweck-
mäßig wirkende Kraftstoff in allem, als Einheit gedacht. JoxeX S'avToXs ti^v
ftiv f^Giv elvai TCvg T«/yixo«', ö^^ ßa8{^ov eis yivBüiVy otzsq iari nvavfia TivgoetSis
xai Ttxt^oaiSe'g (Diog. L. Vll 1, 156). <Pvaiv Si Tioxe fiiv dnotpaivorrm rrjv awi-
Xovcav Tov xoaiwv, utozi 8e r^ <pvovaav td ini yrjg' iari 8i tpvcig i^ig iS avzrjg
xtvovfi$rrj xard aneQfiatixovg Xdyove dnoreXovüd re xai awixovaa rd iS avrijg äv
oguffUvois X9^^^^ ^^^ Toiavra 8Qwaa dtp oitov dnexQi&ri (1. c. VII 1, 148).
jjZeno igitur naturam ita definit, ut eam dicat ignem esse artißciosum ad gi^
gnendum progrediente via** (Cicero, De nat. deor. II, 57). „Natura est igitur,
quae contineat mundum omnem eumque tueaiur, et ea quidem non sine sensu
atque ratione^* (1. c. II, 29). Seneca sieht in der Natur die wahre Gottheit
CE^. 31). Die Epikureer lösen die Natur in eine Summe von Atomen (s. d.)
45*
706 Natur.
auf (vgl. LüGREZ, De rer. nat.). — Einen geringen Wert hat die Natur jEur dk
Neuplatoniker (s. d.)i sie ist bloß eine Emanation (s. d.) des göttlichea
Einen (s. d.), nur ein ovronov ayalfia^ ein sich selbst sehendes Bild, aber ohne
Wissen {ov8s olSs, fiovov 8i noui: Plotin, Enn. IV, 4, 13). Die Natur ist
nach Plotin das, was von der Weltseele (s. d.) in die Materie einstrahlt, die
f zweite Seele**, yiwri/ia yn'X^s nQoxiQag SwaTtore^ov ^toar^g (Enn. III, 8, 3).
Jambijch nennt Natur ri^v tixctiptarov rov xocfum xai axfo^ioTOK ne^iixovtar
Tag öXas airiag xijg yevsaetog oüa x^^^"^^ ^^ KQeixroveg ovaiai xal duixocfe^^us
awedTJfaciv iv iavraig (Stob. Ecl. I 5, 186). Nach Proklus ist die Natar
alogisch {aloya), Pseudo-Hermes („Tristnegistas**) bestimmt: ^ yd^ fvatg tot
Ttavrog r^ navrl naQdx^*' ^i'^^^fsig, fiiav fiev rrjv xaTot dvvafuv avrfg^ eri^r ii
TTfV xar ivi^Biav ' xai rj ftsv Sttjxet 8m tov av/änavxog xocftov xcU ivrag ffwij^,
rj Sa ntt^xti xai ixrog naQtixei, xai Sia Tzdvrtov yts^oirrjxaai xotv^* xai 17 fv^ti
ndvTcav ifvovca ja yiyvofieva ^pw/v yta^t'xst tolg ^o/ievotg, cmi^ovffa ßiv xm
iavxfig anegfiaraj ysviaatg ^jfovo'ce 8i vXriv xtvrjri^v (Stob. Ecl. I 35, 740 sqo.). —
Nach Philoponits, Simpligius u. a. ist die Natur ein „n^y/ia äXoyo»^, —
Bo£thiu6 definiert: „Natura est eantm rerum quae cum Hnt quoquo modo
iniellectu capi poasunt** (De duab. natur. C. 1).
Augustinus unterscheidet „eattsay quae facti, nee fW^ (Dens) und „eauaa^,
welche ,/aciunt et fiunt" (De civit. Dei V, 9). JoH. SooTUS Ebiugeka nennt
„natura'' sowohl das (Schaff ene, als auch die schöpferische, alleinige Gottheit,
das Urprincip, y^quod est natura non solum ereata universitas, verum etiam
ipsium creatrix solet signifieari'* (De divis. nat. III, 1). Vierfach ist die Natur.
yyPrima — quae ereat et non ereaiur; seeunda — qua^ ereati^ et creai; fertia —
quae ereatur et non ereat; quarta — quae nee creat nee crealur^* (De divis. nat.
1, 1). „Est enim generalissima quaedam et communis amnium natura ab «no
omnium pHnctpio ereata, ex qua vdui amplissimo fonU per porös oeeuUos cor-
porales creaturae velut quidam rivuti dertvantur, et in dioersas formas singu-
larum rerum eruetanf* (1. c. I, 47 ; vgl. IV, 5).
Heibic yok Auxerkb erklart: „Quicquid est, sive visibile sive tnmsibüe,
sensibile seu intelligUnle, creans seu creatum, natura didtuf (bei Haureau I,
p. 189). GiLBERTUS PoRRETAKUS definiert: „Natura est unamquamque rem hh
formans spedfica differeniia** (bei Stöckl I, 279; Prantl, G. d. L. II, 217).
Als y^mma natura*' bezeichnet Anselm Gott.
Die Unterscheidtmg von „natura naturans" (schöpferische, active Natur)
imd „natura naturata" (Inbegriff der Geschöpfe) kommt beiAvERRofis (Gomm.
ad De coelo I, 1) auf und dringt von da in die christliche Scholastik ein.
— Albertus Magnus definiert: „Natura dicitur duplex, sc. ut lex naiurae vd
ut eonsuetus naturae nobis motus, et hie duplex, se. intrinseeus et extrinaseu^
(Sum. th. II, 31, 2). Zu unterscheiden sind: „natura divina, humana, spki'
tualis, corpcralis** . Thomas versteht unter Natur das innere Princip einer Er-
zeugung oder einer Tätigkeit „prindpium intrinsecum motus" (Sum. th. III,
2, Ic), auch die „essentia" eines Dinges, femer das Ding selbst und die Tota-
lität der Dinge, insbesondere der vemirnftloseu. „Natura absoluta*^ ist die reine
Wesenheit des Dinges (1. c. I, 75, 5 c). Es gibt femer „natura eondita, ereata.
inereata, eorporatis, spirituatis" (Sum. th. I, 69, Ic), femer „natura naiuram^%
Gott (Sum. th. II, 85, 6 c); „est autem Deus universalis causa omnium, quor
naturaliter ßunt, unde et quidam ipsum nominant naiurant^n** (De nom. 4, 211
„Natura in sua operatione Dei operaiionem imitatur** (Sum. th. I, 66, 1 oh. 2).
Natur. 709
EcEäAJtT nnterBcheidet „naturierende** (Gott) und ,^€naiurte^* Natur (Deutsche
MyBt II).
Nach G. BiEL ist die Natur y,re8 aliqua pasitiva Habens esse reale^^y und
nach Zabasella: „prindpium motus in eo, quo ipsa est*' (De reb. nat p. 223).
Nach GoGLEN ist die „universalis natura" „prineipium motus et quietis a
Deo naiuralibus eomnmniter inditum", die j^partieidaris natura" ist jene, t^quae
in rebus singularibus . . . inest, seeundum quam seu ex qua naiura namen
eausae vel effectus tribuitur individuo" (Lex. philos. p. 741).
Die Naturphilosophie der Renaissance wertet die Natur höher als die
christliche Philosophie, im Gegensatze zu dieser ist sie teilweise geneigt, in der
Natur selbst das Göttliche, die Gottheit zu erblicken. Nach Patbitiub ist die
Natur eine unköiperliche Kraft, welche ohne Bewußtsein zweckmäßig wirkt
(Panarch. XVIII, p. 39). Nach Cabcpanella wirkt die y,natura communis"
m aUem. „Naiura partieipatio est legis aetemae" (De sensu rer. I, 6). So be-
sonders G. Bruno (s. Gott), der die Allnatur religiös verehrt. Die Natur ist
j^nens insita omnibus" (De tripL min. I, 1). Sie ist „ohieeiwm amabilef' (ib.),
eine ewige Wesenheit, die instinctiv-vemünftig wirkt (Acrotism. contra Peripat.
1586). Laurent. Valla bemerkt: „Mem est natura, quod Deus, aul fere id&m"
(De Yolupt I, 13). Nach VAinia ist die Natur die göttliche Kraft, Gk)tt; sie
ist ein ewiges Grebären (De admir. natur. 1616).
Niooi/AUB CusANUS definiert hing^en: „Natura est quasi complicatio
ornntutn quae per motum ftunt'* (De doct. ignor. U, 10). Ahnlich fassen die
Natur (als Mechanismus) auf Galilei, Descabtes, Gassendi (Natur = „summa
rerum", PhiL Ep. Synt. II, sct. I, 1), Hobbes, R. Boyle, Newton u. a. —
F. Bacx>n spricht von der „natura naturans^* als dem „fons emanationis^^
(Nov. Organ. II, 1). La Fobge erklärt: „Quid enim est natura . . . nisi iste
ordo, seeundum quem deus suas creaturas regit" (Tract. XIII, 10). Und Male-
branche: ,Jl n'y a point d'auire nature, je veux dire d'auires lois naturelles,
que les volontes efficaces du tout-puissant" (Entret. sur la m^taphys. lY, 11).
— MiCRAELius definiert: „Natura est intemum operationum prineipium."
Metaphysisch ist sie „quodvis ens, prout respeetum höhet ad operationes et pro-
prietates**, physisch „essentia composita ex materia et forma seu quidditas spe-
dei" (Lex. philos. p. 7(X)). „NcUura", für (jrott gebraucht, ist „naiura naturans",
für die „universitas creaturarum" aber „natura naiuraJta" (L c. p. 701). „Na-
tura adiva" ist die Form, „natura passiva" die Materie (ib.).
Spinoza unterscheidet zwischen „natura naturans" (Gott als Einheit) und
„natura naturata", dem Inbegriff der Modi (s. d.), der Dinge als Modificationen
der Gottheit. „Deus sive natura" ist Qott als „natura naturang" (Eth. I,
prop. XXI). Durch Gottes „absoluta natura" ist alles notwendig bestimmt (1. c.
{Hop. XXIX). „Per naturam naturantem nobis intelligendum est id, quod
in se est et per se coneipitur, sive talia substantiae attributa, quae aetemam et
infimtam essentiam exprimunt, hoe est Deus, quaienus ut causa libera con-
sideratur. Per naturatam autem inielligo id omne, quod ex necessitaie Dei
naturae sive uniuscuiusque Dei attribuiorum sequitur, hoc est, omnes Dei attri^
hutorum modos, quaienus considerantur ut res, qttae in Deo sunt et quae sine
Deo nee esse nee condpi possunt" (Eth. I, prop. XXIX, schol.). „Ex absoluta
Dei natura sive infinita potentia" (ib. app.). Die geschaffene Natur besteht
aus der allgemeinen und der besondem (De Deo 1, 8 — 9; vgl. II, praef.).
Nach J. Böhme ist die Natur die Emanation eines in Gott (s. d.) seienden
710 Natur.
Gegensatzes. Nach Leibniz ist sie die Erscheinung von Monaden (s. d!), die
von Gott ausstrahlen. Chr. Wolf versteht unter Natur „die wirkende Erofi,
insoweit sie durch das Wesen eines Dinges in ihrer Art determinieret tctrirf"
(Vem. Ged« I, § 628). yyNcUura est prineipium aetionum et passionum eorpori^^
(Cosmol. § 145). BaumGartek erklärt: y, Natura entis est compleocus earum eüu
determinationum intemarum, qtiae mutationem eius, a/ut in genere aeeidentiwn
ipsi inhaerentium sunt principia" (Met. § 430). „Natura eorporum'* ist der
„modus compositionis eorum'' (L c. § 431). Platker versteht (wie CbusiüS)
unter Natur den „Inbegriff der gesamten endliehen Substanzen, ihrer ursprüng-
lichen und erworbenen Eigenschaften, und die ursächliche Verknüpfung, in
welcher sie miteinander stehen" (Philos. Aphor. I, § 1027). — Berkeley siebt
in der Natur die gesetzmäßig verknüpfte Ordnung von Ideen (s. d.), die C^t
in den Erkennenden bewirkt. — Holbach hält die Natur für ewig, in sich
seiend. Die Natur im weitem Sinne ist „le grand tout gm risuüe de Passem-
blage des differentes nuxtieres, de leurs differentes eombinaisons, et des differenti
mouvemeHts que nous voyons dans l'univers'\ Im engem Sinne bedeutet Natur
„le tout qui resulte de l'essenee, c^est-ä-dire des propriites, des combinaisoHS ou
fa^ons d'agir^' (Syst. de la nat. I, eh. 1, p. 10 f.). Nach Diberct ist die
Natiu: „le resultat genSral aetuel ou les rSsultats gSneraux suceessifs de la com-
binaison des Clements" (M^l. philos. 58, p. 64). — Nach (jtOETHE ist die Natur
„der Gottheit lebendiges Kleid" (Faust I). ,yQott in der Natur, die Natur in
Gott" (WW. XXXIV, 99). „Es ist ein ewiges Leben, Werden und Bewege» «
ihr, und doch rückt sie nicht weiter. Sie verwandelt sich ewig, und ist kein
Moment Stillstehen in ihr. Fürs Bleiben hat sie keiften Begriff, und ihren Fbuk
hat sie ans Stillestehen gehängt" (L c. S. 72). „Auch das Unnatürlichste ist
Natur" (ib.). Die Natur ,/reut sieh an der Illusion" (ib.). Sie „scheint aOei
auf Indinidualität angelegt xu haben und macht sich nichts aus den Indiriduert'*
(1. c. S. 71). Nach Schiller ist die Natur „das freiwillige Dasein, das Be-
stehen der Dinge durch sich selbst, die Existenx nach eigenen und unabändeHidten
Gesetzen" (Üb. naive u. sentimental. Dicht. WW. XII, 111).
Eine phänomenalistische Theorie der Natur begründet Kant. Die Nator
ist ihm nichts als die durch das (der Anschauung bedürfende) Denken gesetz-
mäßig verknüpfte Ordnimg von Erscheinungen (s. d.), Vorstellungen, denen
allerdings ein „Ding an sich" (s. d.) zugrunde liegt. Die Natur als solche ist
gleichsam ein geistiges Gewebe, ein durch die apriorischen Formen (s. d.) de?
Intellects bestimmtes Ganzes. Natur im formalen Sinne ist „das erste innert
Princip alles dessen, was xum Dasein eines Dinges gehörf^, im materialen i^nne
der „Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch
der Erfahrung sein können, worunter also das Ganxe edler Erscheimmgen, d. t.
die Sinnenwelt, mit Ausschließung aller nicht sinnliehen Objeete, verstanden
wird" (Met, Anf. d. Naturwiss., Vorr. III). Natur ist die Allgemeinheit des
Gesetzes, wonach Wirkungen geschehen (Grundleg. zur Met. d. Sitt., 2. AbschiLL
,,Naiur ist das Dasein der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gcsetxen be-
stimmt ist" (Prolegom. § 14). Sie ist der „Inbegriff der Erscheinungen, d. i.
der Vorstellungen in uns" (1. c. § 36). „Die Ordnung und Regelmäßigkeit . . .
an den Erscheinungen, die unr Natur nennen, bringen wir selbst hinein, und
unirden sie auch nichl darin finden können, hätten wir sie nicht, oder die Natur
unseres Gemüts, ursprünglich hineingelegt" Der Verstand ist selbst ,/tte Oe-
setxgebung für die Natur, d. i. ohne Verstand umrde es überall nicht Natur,
Natur. 711
d, f. synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Erscheinungen nach Regeln,
j^eifen*^ (Erit. d. rein. Vern. S. 134 f.). yjNaktr, adieciive (formaliter) genommen,
bedeutet den Zusammenhang der Bestimmungen eines Dinges nach einem innem
Prineip der Causalität, Dagegen versteht man unter Natur, suhstaniive (ma-
terialiter), den Inbegriff der Erscheinungen, sofern diese, vermöge eines inneni
FVineips der Gausaliiät, durchgängig zusammenhängen" (L c. S. 348). — Natur
ist ,/iie Eaeistenx der Dinge unter Qesetxen", „Die sinnliche Natur vernünftiger
Weeen überhaupt ist die Eodstenx derselben unter empirisch bedingten Oesetxen,
mithin für die Vernunft Heteronomie. Die übersirmliche Natur ebenderselben
Wesen ist dagegen ihre Eocistenx naeh Oesetxen, die von aller empirischen Be-
dingung unabhängig sind, mithin xur Autonomie der reinen Vernunft gehören.
Und da die Oesetxe, nach welchen das Dasein der Dinge vom Erkenntnis ab-
hängt, praktisch sind, so ist die übersinnliche Natur, soufeit wir uns einen Be-
griff von ihr machen können, nichts anderes als eine Natur unter der Autonomie
der reinen praktischen Vernunft, Das Gesetx dieser Autonomie aber ist das
moralische Gesetz, welches also das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und
einer reinen Verstandeswelt ist, deren Gegenbild in der Sinnlichkeit, aber doch
zugleich ohie Abbruch der Gesetze derselben, existieren soll. Man könnte jene
die urbildliehe (natura archeiypa), die wir bloß in der Vernunft erkennen,
diese aber, weil sie die möglit^e Wirkung der Idee der erstem, als Bestimmungs-
grundee des Willens, enthält, die nachgebildete (natura ectypa) nennen" (1. c.
8. 52 f.). — Nach Kbug ist die Natur „ein Inbegriff von Erscheinungen oder
von Gegenständen möglicher Erfahrung in gesetzlicher Verknüpfung" (Handb.
d. Philoe. 1, 314 f.). Nach Fries ist die Natur der Dinge des Granze der
Sinnenwelt (Syst. d. Met. 1824). Nach Boutebwük ist sie „das atigemeine
Werden der Dinge und die Summe der Kräfte, durch deren Beziehung aufein-
ander eins aus dem andern entsteht und nacfi einer gewissen Dauer vergeht"
(Lehrb. d. philoe. Wissensch. I, 145).
J. G. Fichte betrachtet die Natur (das „Nicht-Ich") als ein durch das Ich
<8. d.) Gesetztes, Unselbständiges, Unreales, Minderwertiges. Schelling huldigt
erst einer ähnlichen Ansicht, später wird ihm aber die Natur zu einer Seins-
weise des Realen, Absoluten selbst Natur ist der „Inbegriff alles Obfectiven in
unserem Wissen" (Syst. d. tr. Ideal.). Die „tote^* Natur ist eine „unreife In»
telligenz" (1. c. S. 4). Sie ist der „sichtbare Geist" (Naturphilos. S. 64). Natur
und Gteist, die beiden „Pole" des Absoluten, Identischen sind, in verschiedenen
„Potenzen" (s. d.), in allem (1. c. S. 78). Natura naturans ist das Absolute als
solches („natura natvrans absoluta"), Sie spaltet sich in die ideale Natur
(System der Ideen) und in die reale Natur (Allorganismus). Die „natura
naturata idealis" ist die geistige Monadenwelt, die „natura naturata realis"
ist die materielle Welt (vgl. v. Hartmann, Gesch. d. Met. II, 118). „Die
Natur an sich oder die ewige Natur ist . , , der in das Objeetive geborene Geist,
das in die Form eingeführte Wesen Gottes, nur daß in ihm diese Einführung
unmittelbar die andere Einheit begreift. Die erscheinende Natur dagegen ist die
als solche oder in der Besonderheit erscheinende Einbildung des Wesens in die
Form, also die ewige Natur, sofern sie sich selbst zum Leib nimmt und so sich
selbst durch sich selbst als besondere Form darstellt. Die Natur, sofern sie als
Natur, das heißt als diese besondere Einheit, erscheint, ist demnach als
solche schon außer dem Absoluten, nicht die Natur als der absohäe Erkenntnis-
aet selbst (,natura naturans*), sondern die Natur als der bloße Leib oder das
712 Natur.
Symbol desselben (^naJtura naturaia*). Im Absoluten ist sie mit der entgegen-
gesetxten Einheit, welche die der ideellen Welt ist, als eine Einheit, aber eben-
destoegen ist in jenem nieder die Naiur als Natur, noch die ideelle Welt als
ideelle Welt, sondern beide sind als eine Welf^ (Natuiphilos. S. 79). „Die Oe-
sa/mtheit der Dinge, intoiefem sie bloß in Oott sind, kein Sein an si^ haben-
und in ihrem Nichtsein nur Widerschein des Alls sind, ist die refleetierte oder
abgebildete Welt (natura naturata), das All aber, als die unendliche Affirmution
Gottes, oder als das, in dem alles ist, was ist, ist absolutes AU oder die schaffende
Natur (natura naturans/* (WW. I 6, 199). „ Wer die Natur als das schlechthin
üngeistige xum voraus wegwirft, beraubt sich dadurch selbst des Stoffes, in und
aus welchem er das Geistige entwickeln könnte" (WW. I 10, 177). Die Natur
ist die unbewußte Form der Yemunft, werdende Intelligenz; das Leben einer
Urkraft (b. Weltseele). Nach Novalis ist die Natur ein „encyklopädiseher^
systematischer Inbegriff oder Plan unseres Geistes*^, eine „versteinerte Zauber-
Stadt", die der Mensch erst erlösen muß. Nach L. Ok£N ist die Natur der
materiell gesetzte Gott (Naturphilos.). Nach J. E. von Beroer ist sie die
Erscheinungssphare der Greister, eine Entfremdung des Greistes von sich (Philos.
DarstelL d. Harmonie d. Weltalls 1806; Allgem. Grundz. zur Wissensch.
1817/27, I: die Natur ist eine Schöpfung des Geistes). Nach J. J. Wagner
ist die Natur die extensiv schaffende Welt (Syst. d. Idealphilos. S. XLIX).
Nach H. Steffens ist sie ,/ler ewige Leib oder das körperliehe Universum" ^
„insofern das Wesen der Form auf ewige Weise eingepflanzt ist" (Grdz. d.
philos. Naturwissensch. 8. 10), sie ist „das Unendlich- Endliche^^ (1. c. S. 13).
,J)ie wahre Natur ist im Einxelnen wie im Ganzen absolut organisiert'' (L c
S. 27). Nach Eschenmayer ist die Natur ein „Abbild eines in uns liegenden
Urbildes" (Psychol. S. 12). Die Natur entspringt dem göttlichen Ursein. Sie
ist bestimmt durch das Gesetz der Notwendigkeit (L c. S. 2 f.). Oebstedt
betrachtet die Natur als ein „unaufhörliches Werk^% als Krafteproduct; Vernunft-
gesetze walten in ihr (Der Geist in d. Natur). Nach C. G. Carus ist Natur
„das Bildende, das aus sich hervor Wachsende, das sich ewig Umgestaltende
oder Umbildende" (Vorles. üb. Psychol. S. 10). Nach F. Baader ist die „Natur
in Gott" die schaffende göttliche Kraft (WW. XIII, 78). Nach Chr. Krause
stellen Natur und Vernunft dasselbe Wesen der Gottheit dar (Urb. d. Mensch-
heit', S. 15). „Die Natur ist die Einheit des Unendlichen und Endlichen itn
vollendet Endlichen" (Vorles. üb. d. Syst. S. 401, 409, 438 ff.). Hilusbrand
erklärt als das Wesen der Natur das Sein in seiner reinen Objectivitat und
Unmittelbarkeit, ,^das Sein mit der Bestimmung, bloß Objeet xu sein" (Philos.
d. Geist. I, 41). Sie ist das ,fitumme Zeugnis" des Göttlichen und des Geeistes.
(1. c. S. 42 ff.).
Nach Hegel ist die Natur die Äußerlichkeit der Idee (s. d.), eine Durch-
gangsstufe in der dialektischen Selbstentwicklung des Geistes, die Vorstufe des
(bewußten) Geistes. Sie ist „die Idee in der Form des Anderssein", die „Äußer^
lichkeit", das „AtM-sich-heraustreten dei* Idee; daher zeigt sie in ihrem Dasein
keine Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zufälligkeit* (Encykl. § 247 f.). „Die
Natur ist der Sohn Gottes, aber nicht als der Sohn, sondern als das Verharren
im Anderssein, — die göttliche Idee als außerhalb der Liebe für einen Atigen-
blick festgehalten. Die Natur ist der sich entfremdete Geist, der ehrin nur
ausgelassen ist, ein bacchantischer Gott, der sich selbst nicht xügelt und faßt;
in der Natur verbirgt sich die Einheit des Begriffs." „ Von der Idee entfremdety
Natur. 713
üt die Natur fnur der Leichnam des Verstandes" (Naturphilos. S. 24). In ihrem
Dasem zeigt die Natur ,Jcetne Freiheit, sondern Notwendigkeit und Zu-
fälligkeit^^. ,yDie Naiur ist an sich, in der Idee göttlich: aber wie sie ist,
entspricht ihr Sein ihrem Begriffe nicht; sie ist vielmehr der unaufgelöste
Widerspruch, Ihre Eigentümlichkeit ist dcu Gesetxtsein, das Negative"
ij^er Abfall der Idee von sieh selbe f* (L c. § 248, S. 28). „Die Natur ist als
ein System von Stufen xu betrachten, deren eine aus der andern notwendig
hervorgeht und die nächste Wahrheit derjenigen ist, aus welcher sie resultiert:
aber nicht so, daß die eine aus der andern natürlich erxeugt tmirde, sondern
in der innem, den Orund der Natur ausmachenden Idee, Die Metamorphose
kommt nur dem Begriff als solchem xu, da dessen Veränderung allein Eni-
Wicklung ist" (L c. § 249, S. 32). „Die ZufiUligkeü und Bestimrntheit von außen
hat in der Sphäre der Natur ihr Recht." „Es ist die Ohnmacht der Naiur,
die Begriffsbestimmungen nur abstract xu erhalten" (L c. § 250, S. 36 f.). „I>ie
Naiur ist an sich ein lebendiges Oanxes: die Bewegung durch ihren Stufengang
ist näher dies, daß die Idee sich als das setxe, was sie an sich ist; oder, Ufas
dasselbe ist, daß sie aus ihrer Unmittelbarkeit utui Äußerlichkeit, welche der Tod
ist, in sieh gehe, um xunächst als Lebendiges xu sein, aber femer auch diese
Bestimmtheit, in welcher sie nur Leben ist, aufhebe, und sich xur Existenx des
Geistes hervorbringe, der die Wahrheit, der Endzweck der Natur und die wahre
Wirklichkeit der Idee ist" (1. e. § 251, S. 38 f.). Die „Natur eines Gegenstandes"
ist sein Begriff (Philos. d. Gresch. I, S. 41). „Was als wirkliche Naiur ist, ist
Bild der göttlichen Vernunft; die Formen der selbstbewußten Vernunft sind auch
Formen der Natut" (Philoe. d. Gesch. III, 684). Nach K. Rosenkeanz ist
die Natur das System, „worin sieh das Denken als Sein setxt" (Syst d. Wissensch.
5 284, S 152). In der Wirküchkeit ist der Geist die „reale Cauealiiät", das
Prius der Natur (1. c. § 285, S. 153). — Nach Schleiermacher ist die Natur
,4as Ineinander alles dinglichen und geistigen Seins als Dingliches, d. h. Ge-
wußtes" (Philofi. Sittenl. § 47). W. Rosenkrantz erklart „Natur" als „aU-
gemeine Productivität samt ihren Producten" (Wissensch. d. Wiss. I, 423).
A. DÖRING betrachtet die Natur als eine „durch mannigfache Stufen sieh
realisierende Einheit der realen und der idealen Potenx unter dem Übergewicht
der realen Potenx" (Grundr. d. Religionsphilos. S. 4.1). Gott schafft die Natur
aus in ihm vorhandenen Potenzen (1. c. 8. 34 ff). — Nach Schopenhauer
ist die Natur „der Wille, sofern er sich seihst außer sich erblickte* (Parerg. II,
C. 6, § 71). Jedes Wesen in der Natur ist j^ugleich Erscheinung und
Ding an sich, oder auch naiura naturaia und natura naturans" (1. c. C. 4,
§ 64). Fechner erblickt in der Natur „die äußere Seite oder äußere Er-
scheinung oder Äußerung Gottes selbst"* (Zend-Av. I, 260). Herbart be-
|trachtet die Natur als System von „Realen" (s. d.). Nach Beneke ist sie
ihrem An-sich-sein, dem Geistigen (s. d.), analog. — Nach H. Spencer ist die
[Katur eine Manifestation des unbekannten Absoluten (First Princ).
Nach Eavaisson ist die Natur gleichsam eine Refraction des Geistes, eine
Abschwächung des göttlichen Denkens. Gott ließ aus dem, was er von der
|imaidlichen Fülle seines Wesens gewissermaßen vernichtete, durch eine Art
Wiedererweckung alles Sein hervorgehen (Die französ. Philos. S. 275). E. v. Hart-
JfANN bestimmt die Natur als „objectiv-reale raumxeitliche Erscheinung"^ als
eine „von jeder bewußten Perception unabhängige Manifestation des Weltwesens",
des Unbewußten (s. d.). Sie ist die „teleologische Vorstufe und der Sockel des
714 Natnr.
Oeistes*^ (Philos. Frag. d. Gegenw. S. 29). Das bewußt Psychißche gehört nicht
zur Natur (Mod. Psychol. S. 441). Nach TEiCHMi^LLEB (Neue Gnmdleg. ö. 65)
ist die Natur die Erscheinung Ton nicht-sinnlichen Wesen in deren Wirkung
auf unsere Sinnlichkeit. — Nach B. Eucken sind Natur und Geist ,/iie Eauft'
stufen einer großen Bewegung des ÄlW. Der Naturproceß y^^eigt die Wirklieh'
keit vereinxeU, %£rsplittertf auseinandergelegt^ in einem Stande gegenseitiger Ent-
fremdung der Dinge; er zeigt sie xugleieh in einem Stande der Verimßerlickun^
(Kampf um ein. geist. Lebensinh. S. 28). Nach Planck ist die Natur ,,%«-
nächst nur das sinnlieh Äußerliche und dem Geiste Entgegengesetxit^
(Testam. ein. Deutsch. 8. 55). Sie entstammt aber einem innerlich universelleD,
lichten, zum Geiste hinführenden Grunde (L c. S. 73). Nach G. Spicker ist
die Natur nicht Gott, aber göttlich, sie hat etwas von seinem Wesen (Vos.
ein. neuen Gottesbegr. S. 155 ff.). Nach Steinthal sind Natur und Creist
doppelte ErscheLnungsweisen und Namen einer Wesenheit, des Realen (Zettsehr.
für Völkerpsychol. IX, 1876). Glogaü nennt das Wesen des Geistes die
natura naturans oder das An-sich-seiende (Abr. d. philos. Grundwiss. II, 26). —
Du Peel betrachtet Natur und Geist als Ausstrahlungen eines Wesens
(Monist Seelenl. S. 77). — Nach Wündt ist die Natur ,, Vorstufe des Geistes,
also" in ihrem eigenen Sein Selhstentuneklung des Geistes*^, Objectivation des
Geistes (Syst. d. Philos.«, S. 568 ff., 619 f.). Natur als solche ist ,//i« Oe^
samtheit der in der Anschauung gegebenen Erscheinungen^^ (Log- H"; 1> 279),
der fjnbegriff reiner Obfecie und ihrer äußeren Relationen" (Philos. Stud. XIII,
406). — Als Gesetzgeber der Natur betrachtet die Grottheit F. Bettex (Nat.
u. Gfesetz 1897). — Der Spiritualismus (s. d.) betrachtet die Natur als Er-
scheinung von geistigen Substanzen oder Kräften.
Nach Ulkici ist die Natur y,eine Mannigfaltigkeit körperlicher, unter-
schiedlich bestimmter Dinge, die im Zusammenudrken mit unserem Denken die
unmittelbar notwendigen Gedanken ihrer selbst und damit die Gewißheit ihrer
Realität in uns hervorrufen" (Log* S. 56). J. St. Hill versteht unter der
Natur eines Dinges den ,Jnhegriff seiner Fähigkeiten, Erscheinungen hervor-
xubringen** (Natur S. 4). Natur ist femer ,4*^ Summe aller Erscheinungen
xusammen mit den Ursachen, welche sie hervorbringen" (1. c. S. 5), femer ^ydas,
was ohne die Mitunrkungy oder ohne die freiwillige und absiehÜiehe MHwirkung
des Menschen geschieht^* (1. c. S. 7). — Nach Lewes ist die Natur j^the swn of
things'' (Probl. II, 124). ,,Nature is only ihat is feU" (ib.). Nach Harms hat
die Natur keinen Willen, „^te begreift in sieh alles Geseheken, sofern es allein
durch betcegende Kräfte bedingt und begrifflich ist^^ (PsychoL S. 78). Unter
„Natur^^ wird nichts weiter gedacht als „die Erhaltung dessen, was durch stets
in gleicher Weise icirkende Kräfte entsteht", während Creschichte „er» stets fort-
schreitendes, neue Gestaltungen der Wirklichkeit erxeugendes Geschehend ist
(1. c. S. 81). Nach Janet ist Natur „rensemble des etres finis qui Unnbent
sous Vexperienoef'^ (Princ. de m^t. II, 321). Nach Hagemank ist die Natur
eines Dinges die Wesenheit als inneres Princip aller Tätigkeit des Dinges
(Met.", S. 37; vgl. Psychol.*, S. 13 f., 15). — Uphues versteht unter Natur
„das Transeendente (d. h, da^, was nicht Bewußtseinsvorgang ist), das uns ur-
sprünglich in Empfindungen xum Bewußtsein kotnmt und von uns in Vor-
Stellungen und Gedanken^ die auf Grund der Empfindungen gebildet McerdetK
vorgestellt und gedacht wird" (Psychol. d. Erk. I, 56).
Der Naturalismus (s. d.) mid der Materialismus (s. d.) sowie der
Natur — Naturalismus. 715
Atheismus (s. d.) sehen in der Natur die absolute Wirklichkeit der Dinge,
die blind-mechanisch in allem wirkt. Nach L. Feukrbach ist die Natur „(2er
Inbegriff der Wirkliehkeif', die „Basis des Oeisies'' (WW. II, 231, 236). Gott
ist urspriinglich nichts anderes als die Natur (WW. I; s. Religion). Ähnlich
D. Fb. 8TRAU88 (Der alte u. d. neue Glaube). Nach E. Dühbing ist die
Natur yjder universeUe Zusammenhang des Materiellen^^ (Curs. d. Philos. S. 62).
Ähnlich MOLESGHOTT, C. VOOT, L. BÜCHNER u. a.
Der Eriticismus (s. d.) sieht in der Natur eine (durch da« Denken) ge-
setzmäßig verknüpfte Ordnung von Erscheinungen oder von Vorstellungen (Be-
griffen). Nach O. Liebmann ist die Natur die „Einheit in der Vielheit^ aü-
lealtende Oesetxliehkeit in der verwirrenden Überfülle der Einzel flüle, ordo
ordinanSf objedive Weltlogit' (Anal. d. Wirkl.*, 8. 267), „Triebkraft, unerschöpf-
liche, ununterbrochene Produetivitäf' (1. c. S. 268), „Fortschritt'* (1. c. S. 260).
Nach K. Lasswitz ist Natur ^/iasjenige, was durch systematisches Denken als
räumlieh^xeitliche Erscheinung objectiviert, d. h, begrifflich fixiert und dadurch
geaetdieh garantiert isf* (Gesch. d. Atomist. I, 80). Kickert bestimmt Natur
als ,4*^ Wirklichkeit mit Rücksicht auf ihren gesetzmäßigen Zusammenhang"
(Grenz, d. naturwiss. Begrif&bild. S. 212). Nach Fb. Sghultze ist die Natur
,ßurch und durch ein Produet unseres Subjeets; sie ist Empfmdungs-
nuUerial, welches durch unsere spontane, apriorische Geistestätigkeit ihre eigent-
liehe Form als räumliche, zeitliche und causale Objeete erst erhäW. Sie ist
durch unsere Causalsynthese produciert (Philos. d. Naturwiss. II, 269). Nach
H. Ck>HEN ist die Natur nichts Fertiges, sondern ein Produet des wissenschaft-
lichen Denkens, welches das Chaos der Empfindungen erst ordnet, gestaltet
(Princ. d. Infinitesimahneth.; vgl. Syst. d. Philos. I). — Nach E. Mach u. a.
ist die Natur nichts als ein Inbegriff von gesetzmäßig verknüpften „Elementen**
oder „Empfindungen** (s. d.). Nach der Immanenzphilosophie (s. d.) ist
sie die Totalitat von Bewujßt-Seiendem. VgL Physis. — Vgl. Naturalismus,
Materie, Welt, Wirklichkeit, Geist, Vernunft
Natur, plastische, s. Plastische Natur.
Natnra arclietypa s. Natur.
Natura natnrans s. Natur.
Natura nilill faclt fk*iuitra: In der Natur geschieht nichts zwecklos.
VgL Teleologie.
Natura non facit fialtom: Die Natur tut keinen Sprung; Grundsatz
der Stetigkeit (s. d.) der Naturentwicklung.
Natural Reallsm s. Realismus.
Natural 8eleetlon s. Evolution, Selection.
Natnralla uon sunt turpia: Nichts Natürliches ist schandlich, zu
verabscheuen; ein Grundsatz des Cynismus (s. d.).
NaturaUsmus: Natur-Standpunkt, Auffassung, Wertung der Natur
als das Ursprüngliche, allein Seiende, als die Mutter, die Urquelle alles Ge-
schehens, auch des geistigen (metaphysischer Naturalismus). Die Natur
(s. d.), hier als Inbegriff der raum-zeitlichen Objeete, gilt als die einzige, als
die wahrhafte Realität, das Geistige als die secundäre, abgeleitete; abhängige
Daseinsweise. Der ethische Naturalismus erklärt das Sittliche (s. d.) aus
716 NaturaliBiiius.
natürlichen Bedingungen, nicht ans (idealen) Normen, und neigt zur ausschliefi-
liehen Wertung des aus den Naturtrieben Entspringenden, des y,AusM)ens^' aller
Naturanlagen ohne Hemmung durch den Socialwillen. Der sociologieche
(geschichtsphüosophische) Naturalismus faßt die Greschichte als Naturprocefi,
als streng causal (nicht teleologisch) bestimmten Ablauf von Ereignissen. Der
ästhetische Naturalismus hält die peinliche Wiedergabe des ,jNatiirlidien*%
immittelbar Vorgefundenen, ohne „Idealisierunff^* für die wahre Kunst Der
religiöse Naturalismus identificiert die Natur (bezw. Naturobjecte) mit der
Grottheit (bezw. mit (röttem).
„Naturalist*^ bedeutet bei J. Bodin einen die natürliche Erkenntnis als
primäre Erkenntnis setzenden Denker (Eugken, TerminoL 8. 172). G. F. Meeer
erklärt : „Mn Naturalist leugnet überhaupt alle iibemaiürliehen Begebenheiten in
der Weif (Met IV, 487). Nach Kant ist Naturalismus die Ableitung alles
Geschehens aus Naturtatsachen (WW. IV, 111). „Naturalist der reinen Ver-
nunft" ist der, „welcher sich xuiraut, ohne aUe Wissenschaft in Sachen dar
Metaphysik xu entscheiden" (Prolegom. § 31). — KÜHNEBfANN stellt Naton-
lismus und Idealismus einander gegenüber. „Der Gegensatz ist schon im
Theoretischen toichtig genug. Hier sieht der Naturalismus im Erkennen ni^ts
eUs die aus der ErfahrtmgssehtUung sich natürlich ergebende Gestaltung unserer
Varstellungen, Der Idealismus aber enreist die — ganx abgesehen von jeder
suhfectiven Enttcicklung — ohjectiv und notwendig oder logisch gültigen Ideen,
In der Lehre vom, sittlichen Leben aber kommt der Gegensatz der Ansichten
eigentlich xum Austrag, Der Naturalismvs sieht auch in den sittlichen Ge-
bilden nur eine irgendwie geartete Gestaltung des natürlichen Geschehens^
(Schill, phüos. Schrift S. 22).
Zum metaphysischen Naturalismus gehören die Lehren der ionischen
Naturphilosophen, des Stsatok aus Lampsacus, der alles aus Nator-
kräften erklärt und betont: „Omnem vim divinam in natura sitam esse eenset^
(Cicer., De nat deor. I, 13, 35). Er leugnet, „opera deorum sc uti ad fabrp-
candvmfi mundumy quaecunque sitj docet omnia esse effecta naturata" (Cic, Acad.
pr. n, 38, 121; s. Seele). Naturalisten sind die Stoiker, Epikureer, LuCBSZ.
Seine Benaissance erfährt der Naturalismus bei G. Bbüno und andern Natur-
phüosophen (s. d.), ferner bei VAinNi (De admir. naturae regia. 1616), teü-
weise bei Hobbes, Spinoza, Gassendi u. a., femer im Materialismus (s. d.),
welcher eine extreme Form des Naturalismus ist Holbach erklärt: „L'homime
est Vouvrage de la natur&^ (Syst de la nat I, eh. 1, p. 1). Einen naturalistischen
Pantheismus lehrt Th. Thorild. Naturalistisch gefärbt ist auch Herders
Beziehimg der Geschichte auf die Naturentwicklung (Ideen zur Philos. d.
Gesch.), ist femer Goethes Weltanschauung. — Oonsequenter Naturalist ist
L. Feüerbach, für den die Natur (s. d.) der „Inbegriff des Wirklichen" ist
„Die Rückkehr xur Natur ist allein die QueUe des Heils" (WW. II, 231). Die
Natur ist die „Basis des Geistes", sie bringt den Menschen hervor (WW, II,
236; VIII, 26 ff.). Übernatürliches gibt es nicht. Zum Naturalismus suid
femer zu rechnen Czolbe, E. Dühring, Nietzsche, E. Haeckel, Büchner,
Loewenthal (Syst. u. Gesch. d. Naturalism.^, 1897) u. a. Einen „natura-
listischen Monismus*^ vertritt F. Mach (Beligions- u. Weltprobl. I, 464).
Den praktischen Naturalismus vertreten die Cyniker, die Stoiker
mit ihrer Maxime: yynaturam sequi" (s. Ethik, Sittlichkeit). Naturalist ist
Eousseau, der den ,yNaturxustand" vor jeder (Pseudo-) Cultur wertet ,J^'homme
17aturaliBmu8 — Natürlioh. 717
qui mSdite est un antmal dSprape^^ (Disc. but Porig, et les fond. de Tm^gal.,
Oeuvr. 1790, p. 63). „Tout est bien soriarU des maina de VatUeur des ehoses,
tout degenhre entre les mains de Vkomnu^* (Emile). Ähnlich lehrt Tolstoi die
Vorzüge des „natiirltehen Lebens** gegenüber den Schaden der Cultur. Ethischer
Naturalist ist Nietzsche, insofern er die natürliche Moral in der „Berren-
morcd** erblickt, welche dem y, Starken" das Ausleben der Persönlichkeit ge-
währt (s. Sittlichkeit).
Den Naturalismus bekämpfen die Kantianer, Idealisten, Spiri-
tualisten (s. d.). Vgl A. J. Balfoue (The Foundations of Belief 1895),
Jos. BoYCE (The Idea of Immortality 1900).
Natliralistlscbe Begriffe nennt H. Coekeliüs, „die in dem naiilr-
liehen Weltbilde, in dem vorwissenschaftlichen Erkenntnisbesitx des eniicickelten
Individuwns jederxeit als scheinbar selbstverständliche Daten enthalten sind^*
(z. B. der Ding-, der Baum-, der Ich-Begriff). Sie sind „dogmatische" Be-
griffe, solange wir nicht über ihren empirischen Urspnmg Bechenschaft zu
geben wissen (Einleit. in d. Philos. S. 46 f.). Jede auf sie gegründete Er-
klärung ist eine naturalistische Erklärung (1. c. S. 47). Vgl. Kategorien, Er-
fahrung.
Natorfsaasalitftty Pnncip der geschlossenen: das Postulat, die Causal-
reihe der physischen Processe nirgends zu durchbrechen, die Ansicht, dafi
physische Proceye wieder nur in physischen Processen ihre Ursachen haben,
ohne Hereinspielen einer fremdartigen, geistigen Causalität. Dieses Princip ist
eng mit der Theorie des psychophysischen Parallelismus (s. d.) verknüpft.
Naturell heißt die besondere, individuelle Disposition, gefühlsmäßig auf
Eindrücke zu reagieren, bestimmte Triebe imd Bedürfnisse zu haben. Nach
J. H. Fichte ist Naturell „die eig entütnliche, aber (noch) unwillkürliche
Weise . . ., mit welcher das Subject die von außen kommenden Anregungen in
Gefühle umsetxt und mit Willensregungen beantwortef* (Psychol. II, 148),
„rfie Oesamtheit der im Bewußtsein wirkenden Triebt* (1. c. II, 161). Vgl.
Temperament.
BTatnrgelster vermitteln nach J. Böhme die Emanation der Welt aus
dem „eentrum ncUurae" und zuletzt aus Oott.
Natnrgesets s. Gesetz.
NaturlBiniiss die Lehre, daß der Urspnmg der Beligion die Natur-
vergötterung ist. Vgl. Beligion.
Natilrlleli (naturalis, fvatnos): zur Natur (s. d.) gehörig, naturgemäß
(Gegensatz: unnatürlich), naturgesetzlich, im Wesen der Dinge begründet (Ge-
gensatz: übernatürlich), ursprünglich, imverarbeitet (Gegensatz: künstlich,
cultiviert).
Bei Plato hat xara tfvaiv die Bedeutung des Normalen (Phileb. 31 D).
Aristoteles stellt das ^aixm teils dem Xoyixoäs (De gener. et corr. I 2,
316 a 11), teils dem xard r^v ze'xvrjv gegenüber (Phys. II 1, 193 a 33 squ.).
Natürlich ist, was den Grund seiner Verändenmg in sich hat (Met. XI 7,
1064a 15). Ähnlich die Scholastiker. Nach Thomas ist ,,naiurale", „quod
habet naturam" (De mal. 5, 5 c), j^quod habet ens fixum in natura" (gegenüber
dem „ens in anima") (2 sent. 2, 2 ad 4), auch „ad quod natura inclinat"
(4 sent. 26, 1, Ic; Sum th. I, 82, Ic). Das Übernatürliche, Supranaturale, auch
718 Natürlich — Naturphilosophie.
das Geistige, Vernünftige wird vom Gebiet des Natürlichen geschieden. —
Leibniz versteht unter „natürlicherweise*^ das „per se" ohne hinderndes Da-
zwischentreten eines Etwas (Theod. II B, § 383j. Mach Chb. Wolf ist natür-
lich, was „in dem Wesen und der Kraft der Körper, das ist in ihrer Natur,
gegrimdet ist oder auch seinen örund in dem Wesen und der Kraft der Wdt,
das ist in der ganzen Natur, hat" (Vem. Ged. I, § 630). KAirr stellt dem
Natürlichen das Sittliche (s. d.) gegenüber. Schopenhauer erklart: ^yDas
Natürliche im Gegensatz des Übernatürlichen bedeutet das dem gese^-
mäßigen Zusammenhange der Erfahrung überhaupt gemäß Eintretende.*^ Das
Übernatürliche, d. h. das den Ei'fahrungsgesetzen zuwider Erfolgende, ist
„Äußerung des Dinges an sich als solchen, welche in den Zusammenhang der
Erfahrung gesetzwidrig einbricht" (Neue Paralipom. § 155). Hagemann bestimmt,
es sei „einem Dinge jede Zuständlichkeit (TUtigkeU und Leiden) natürlich, weldie
in seiner Wesenheit begründet ist oder ihr xusagt; widernatürlich da^jenige^
was seiner Wesenheit nicht nur nicht xusagt, sondern geradezu widerstreüd:
übernatürlich endlich, was mit seiner Wesenheit zwar vereinbar ist, aber
nicht in dieser, sondern nur in einem mit ihr in Verbindung tretenden höheren
Prifunp seinen Orund haben kann" (Met.*, S. 37). Vgl. Supranaturalismus.
Natfirllclie Abstraetlon (Uphtjes) s. Object.
Biatilrllclie Auslese s. Selection, Evolution.
Natilrliclie liOg^ik („logica, dialectica naiuralis")^\si das logisch-
richtige Denken, die normale Denkfähigkeit ohne Bew^ußtsein der logischen
R^eln (vgLH. S. Reimabus, Vemunftlehre*, § 7). Sie ist der „Inbegriff logisdier
Ansichten, xu dessen Besitz jemand ohne ein der Erlernung solcher Wahrheiten
eigens gewidmetes Nachdenken gelangt ist^^ (Bolzano, Wissensch I, § 8, S. 34).
Natfirllehe IHag^e („magia naturalis") s. Magie. VgL J. B. von Porta
(Magiae naturalis sive de miraculis rerum naturalium libri IV, 1561). Cam-
PANELLA (De sensu rer. I, 1 ff.); F. Bacon („7nagia naturalis" =• ,j>kysiea
operaiiva maior**, De dignit. III, 5).
Natfirlielie Religion („religio naturalis") s. Religion.
Natfirllciie Zaclitwalil s. Selection, Evolution.
Natilrliciier WeltbesrilT s. Weltbegriff.
Natfirllclieei Uelit s. Lumen naturale.
Natfirllclies Reelit s. Becht
NatunnytliQB s. Mythus.
Nainmotwendlgkelt ist die naturgesetzliche Bestimmtheit im Unter-
schiede von der Willensfreiheit (vgl. Kant, Gnmdleg. zur Met. d. Sitt III;
Krit. d. prakt. Vem. I. T., 1. B., 3. Hptst.).
Natnrordniuiii^ s. Ordnung.
Natnrpantlielsinas s. Pantheismus.
NatorpblloBopllle („philosophia naturalis" schon bei Seneca, fvcua(,
f,physica", „cosmologia" , „natural phüosophy" = Naturwissenschaft) ist die
Metaphysik (s. d.) der Natur, die letzte, einheitliche, die allgemeinen Ergebniese
der Naturwissenschaft (s. d.) nach allgemeinen, erkenntniskritiBchen Principieii
Naturphilosophie. 719
bearbeitende, deutende, verbindende Theorie des Wesens der Naturobjeete und
Naturprocesse.
Im Altertum ist die Naturphilosophie eins mit der Naturwissenschaft, so
bei den ionischen Naturphilosophen (s. d.), bei den Atomistikern (s. d.),
bei den Eleaten, bei PiiAto, Aristoteles, Theophrabt, Strato, bei den
8toikern (s. d.), £pikureern (s. d.), bei Lucrez (De nat. rer.) u. a. Die
Scholastik pflegt die Naturphilosophie im Sinne des Aristoteles. Zu neuem
Leben erwacht sie Ton der Zeit der Renaissance an, bei Paracelsus, Car-
DAiojs, Teussius (De natur. rer. 1586), Patritius, Campanella (De sens.
rer.), G. Bruno, van Helmont, Simon Porta (De rer. natural, princ. 1698),
als quantitative Naturauffassung bei Nioolaub Cubanus, Kepler, Kopernikus,
Galilei, Leonardo da Vinci (vgl. Edm. Solmi, Studi sulla filosof ia naturale
di L. da Vinci 1898), F. Bacon, Hobbes, Descartes, Gassendi, Leibniz,
Newton, Holbagh, Robinet u. a. Nach F. Bacon zerfällt die Naturphilo-
sophie in ffSpeeulcUivef' (Physik, Metaphysik) und „opercUtPe" Naturphilosophie
(Mechanik, yjnagia naturalis*^) (De dignit. III, 3). Eüdioer stellt der mecha-
nischen eine yjgötiliche" Naturphilosophie gegenüber (Physica divina 1716).
Eine dynamische, phänomenalistische (s. d.) Naturphilosophie lehrt Kant.
Er unterscheidet allgemein Natur- (theoretische) und Moral- (praktische) Philo-
sophie (Krit d. Urt. I, Einleit). Die Naturphilosophie im engem Sinne be-
steht in der j,Zuriiekführung gegebener, dem Anscheine nach verschiedener Kräfte
auf eine geringere Zahl Kräfte und Vermögen, die xur Erklärung der Wirkungen
der ersten xulangen, ufelehe Reduction aber nur bis xu Qrundkräften fortgeht,
über die unsere Vernunft nicht hinaus kann" (Met. Anf. d. Naturwiss. S. 104).
Im Kantschen Sinne lehrt u. a. Bendayid (Vorles. üb. d. met. Anf. d. Natur-
wiss. 1798).
Die Blütezeit der Naturphilosophie, als einer von der empirischen Natur-
wissenschaft unterschiedenen begrifflich -constructiven, aphoristischen, meta-
physischen Speculation über die letzten Principien der Natur, ist das erste
Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, in der ScHELUNOschen Schule. Schel-
LING erklärt: „Mit der Naturphilosophie beginnt, nach der blinden und ideen^
losen Art der Natur for sehung, die seit dem Verderb der Philosophie durch Baco,
der Physik durch Boyle und Newton allgemein sich festgesetzt hat, eine höhere
Erkenntnis der Natur; es bildet sieh ein neues Organ der Anschauung und des
Begreifens der Natur." „Das, wodurch sich die Naturphilosophie von allem, was
man bisher Theorien der Naturerscheinungen genafint hat, unterscheidet, ist, daß
diese von den Phänomenen auf die Gründe schlössen, die Ursachen nach den
Wirkungen einrichteten, um diese nachher aus jenen wieder abzuleiten. Ab-
gerechnet den ewigen Zirkel, in dem sich jene fruchtlosen Bemühungen herum-
drehen, konnten Theorien dieser Art doch, wenn sie das Höchste erreichten, nur
eine Möglichkeit, daß es sich so verhalte, dartun, niemals aber die Notufcndig-
htit . . . In der Naturphilosophie finden Erklärungen so wenig statt als in der
Mathematik: sie geht von den an sich geudssen Principien aus, ohne alle ihr
etwa durch die Erscheinungen vorgeschriebene Richtung, ihre Richtung liegt in
ihr selbst, und je getreuer sie dieser bleibt, desto siclierer treten die Erscheinungen
ton selbst an diejenige Stelle, an welcher sie allein als notwendig eingesehen
fcerden können, und diese Stelle im System ist die einzige Erklärung, die es von
ihnen gibt" (Naturphilos. I, 83 f.). Die Naturphilosophie geht den „Potenzen^*
(s. d.) des Absoluten auf den verschiedenen Stufen der Naturentwicklung nach.
720 Naturphilosophie.
Sie betrachtet die Natur, wie sie in Gott ist (Philos. Schrift. 1809, I, S. 429».
Nach L. Oken ist die Naturphilosophie „die Wissenschaft mm der ewigen Ver-
wandlung Qottes in die WeW* (Lehrb. d. Naturphiloe. I 1, S. VII). In der
Schrift jfübersicht des Grundrisses des Systems der Naturp^iiiosophie^* (ISfB)
wird die Begründung der Naturwissenschaft auf mathematischer Basis gefordert
Steffens bemerkt: „Die Naturphilosophie hat für das ErJcennen die Priorität,
denn sie ist als das Erkennen des Erkennens oder oUs das potenzierte EHeennm
XU betrachten^* (Grdz. d. philos. Naturwiss. S. 16). „Das wissensoh(rfüiehe Be-
streben aller Naturforschung geht dahin, in der Belativität der Form des Em-
xelnen die AbsohUheit des Wesens xu erkennen," „Es ist der Zwe^ aller Natur- -
unssenschaftf den trügerischen Schein der endlichen Anschauung, durch tceUhe»
ein jedes Einzelne von dem Qanxen verschlungen wird . . ., aufzuheben. Das
wahre Sein des Oanxen ist nur dann^ wenn die Ewigkeit des Einzelnen gesickert
ist^* (1. c. S. 57). Zur Schellingschen Richtung gehören auch Nees yox Fbes-
BECK (Naturphilos. 1841), Eschenmayer (Grundr. d. Naturphilos. 1832), Bub-
DACH, Schubert, Carus, Oersted, teilweise auch J. J. Wagner (Von d.
Natur d. Dinge 180)), Troxler (Eiern, d. Biosophie 1807; BUcke in d. Wes.
d. Mensch. 1812). — Aprioristiseh, constructiv (s. d.) ist auch die Naturphilo-
sophie Hegels, nur daß das Phantasiemaßige hinter dem Logischen, BegnÜ-
lichen mehr zurücktritt, da der Panlogismus (s. d.) die Naturprocesse als
Momente (s. d.) der Selbstentwicklung der Idee (s. d.) dartun will. Die Natur-
philosophie betrachtet als „rationelle Physik'* (Naturphilos., EinL S. 5) dis
Allgemeine der Natur „für sich** y,in seiner eigenen immanenten Notwendigkeit
nach der Selbstbestimmung des Begriffes** (1. c. S. 11). „Die Naiurphilosopkie
nimmt den Stoff auf bis wohin ihn die Physik gebracht hat, und bildet ihn
wieder um, ohne die Erfahrung als die letxte Bewährung zugrunde xu legen; die
Physik muß so der Philosophie in die Bände arbeiten, damit diese das ihr
überlieferte verständige Allgemeine in den Begriff iWersetxe, indem sie zeigt, wie
es als ein in sieh selbst notwendiges Ganzes aus dem Begriff hervorgeht* (L c.
S. 18). Die Naturphilosophie gewährt dem Geiste die Erkenntnis seines Wesens
in der Natur (1. c. S. 23). „Die denkende Naturbetraehtung muß betraehten,
wie die Natur an ihr selbst dieser Proceß ist^ zum Geiste xu werden, ilir Anders-
sein aufzuheben, — und une in jeder Stufe der Natur selbst die Idee vorhanden
ist** (1. c. 24; Encykl. § 245 ff.). „Der Geist, der sich erfaßt, wiU sieh auch tfi
der Natur erkennen, den Verlust seiner uneder aufheben. Diese Versöhnung des
Geistes mit der Natur und der Wirklichkeit ist allein seine wahrhafte Be-
freiung, worin er seine besondere Denk" und Anschauungsweise abtut. Diese
Befreiung von der Natur und ihrer Notwendigkeit ist der Begriff der Natur-
philosophie** (Naturphilos. S. 697). Ähnlich K. Rosenkranz, Michelet, G. Bie-
dermann (Philos. als Begriffswiss. II, 1 ff.), u. a.
Eine Zeitlang lehnt die Naturwissenschaft jede Naturphilosophie ab and
stellt höchstens eine materialistische (s. d.) Naturtheorie auf. Dann kommt e»
zu einer neuen Naturphilosophie auf Grundlage der Naturwissenschaften, die.
anfangs noch stark speculativ, immer mehr den Charakter einer abechliefienden
Theorie der allgemeinen Naturwissenschaft annimmt. Der Darwinismus (s. d.) hat
der Naturphilosophie einen neuen Impuls gegeben. — Das Speculati?e über-
wiegt noch bei Herbart (Allg. Metaphys.). Die Naturphilosophie, die in einen
synthetischen und in einen analytischen Teil zerfällt (Lehrb. zur Einl.^, 8. 287),
ist nicht auf idealistische Weise bloß aus den Gesetzen unseres YorsteUens ab-
Naturphilosophie — KaturwiaaeziflohaftexL 721
zuleiten (1. c. 8. 309), sondern beruht auf Bearbeitung der Begriffe der Natur-
wiseenschaft. Schopenhauer, ein Gegner der Schellingschen „Hyperphyaik^*,
meint, die durch Bchelling eingeführte Naturansicht, „dcu Nachspüren des näm-
lichen TifpuB, der darehgängigen Analogie und der inneren Verwandlsehaft aller
Naturer sekeinungen"^ werde ,/iine ganx richtige Philosophie der Natur sdn^ so-
bald sie gereinigt wird von cUler Seheüingschen Hyperphysik^^ „Das einxig
Brauchbare und Bleibende^ tcas aus der Naturphilosophie unserer Tage her-
vorgehen unrd^ wird sein eine Philosophie der Naturwissenschaft : d. h.
eine Anwendung philosophischer Wahrheiten auf Naturwissensehafl^^ (Neue Parap
lipom. § 71). In mehr oder minder starker Anlehnung an die Naturwissenschaften
lehren Naturphilosophie J. H. Fichte, Ulkigi, M. Carrtkiie, £. y. Habt-
HANN, Planck (Testam. ein. Deutsch. 1881), Feghkbb, Wundt, £. Haegkel
(NatürL Schdpfungsgesch., Weltratsel), H. Spencer, Renouvier, Magy,
H. Martin, Pesch (Die groß. Weltratsel), Secchi (Einf. d. Naturkräfte 1876),
O. ScHMiTZ-DtTMONT (NaturphUoB. als ezacte Wissensch. 1895), P. Carus,
N. 8. Shaler (The Interpretat. of Nature 1893) u. a. VgL Huicbolpt, Kos-
mos 1845; Schaller, Gesch. d. Natorphilos. 1831/46; F. A. Lange, Gesch. d.
MaterialisnL 6. A., 1898; Fr. Schultze (Philoe. d. Natur. I u. II), der unter
^.Philosophie der Natur'' die y^Theorie des Wissens von der Natur oder eine
natürliche Erkenntnistheorie* versteht Sie ermöglicht erst eine wahre Natur*
Philosophie (1. c. 1, 12). VgL Natur, Naturwissenschaft, Hylozoismus, Atomistik,
Körper, Materie, Energie, Kraft, Princip, Dynamismus, Quantitativ, Mecha-
nistisch, Leben, Lebenskraft, Organismus, Evolution, Selection, Vitalismus, Welt,
Teleologie u. s. w.
Natairecbt s. Becht.
NataraehOiüielt s. Ästhetik. «
Naturtrieb s. Trieb.
üfatnrwlSBeiisehalteii sind jene Disciplinen, die es mit Naturobjecten,
d. h. mit den Gegenstanden der äußern Erfahrung (s. d.), der mittelbaren
Erkenntnis (s. d.) als solchen zu tun haben. Sie beschreiben die Eigenschaften
der Objecte und erklären sie aus den gesetzmäßigen Verknüpfungen und Be-
ziehungen der Dinge im Baume. Von der äußeren Wahrnehmung (s. d.) aus-
gehend und mit Hülfe der Grundbegriffe (Kategorien) des logischen Denkens
bestimmen die Naturwissenschaften den Inhalt der äußeren Erfahrung in be-
grifflicher, nach Möglichkeit in mathematisch-quantitativer und causal-mecha-
niseher Weise, dem Postulate nach Einheit und Geschlossenheit der Gedanken
Bechnung tragend. Nicht das „An-sich" (s. d.), wohl aber die objectiv-aUge-
meinen, constanten Belationen dei* Dinge fallen in den Bereich der Natur-
wissenschaften. Den Ausdruck dieser Belationen bilden feste, eindeutige
Gesetze (s. d.). Von den Naturwissenschaften sind die Geisteswissenschaften
(s. d.) durch den Standpunkt der Betrachtung des Erfahrungsinhaltes zu unter-
scheiden. Die Naturphilosophie (s. d.) ergänzt die Ergebnisse der Natur-
wissenschaften.
Während die Naturwissenschaft des Altertums, des Mittelalters und eines
Teiles der neueren Zeit, abgesehen von einzelnen empirischen und mathe-
matischen Ergebnissen, vorwiegend speculativ und metaphysisch ist, kommt im
16. Jahrhundert die empirische, experimentelle (s. d.), mathematisch-quantitative
Philo«ophiteh«t Wörterbueh. S. Aufl. 46
722 NatuxwiBflensohaffcen.
(8. d.) Methode auf, um immer mehr Boden zu gewimien. Daß die Xatur-
wissenschaft quantitativ und zugleich empirisch (nicht metaphysisch-tnmscen-
dent) sein mujß, betont energisch Kant, der auch die apriorischen (s. d.) Gnmd-
lagen der Naturwissenschaft (in synthetischen Urteilen a priori, s. d.) aufdeckt
,yleh behaupte aber, daß in jeder besondem Naturlehre nur so viel eigenüieke
Wissenschaft angetroffen werden könne^ ais darin Mathematik ansuäreffen itt^
(Met Anf. d. Naturwiss. S. VIII; vgL Üb. d. Fortschr. d. Metaphys. S. 128).
„Eine rationale Naturlehre verdient . . . den Namen einer NeUurwissensehaft
nur alsdann, toenn die Naturgesetze, die in ihr zum Gründe liegen, a priori
erkannt u>erden und nicht bloße Drfahrungsgesetze sind. Man nennt eine Natur-
erkenntnis von der erster en Art rein; die von der zweiten Art aber wird an-
gewandte Vemunfterkenntnis genannt^^ (Met. Anf. d. Naturwiss. S. VI). „Natur-
Wissenschaft udrd uns niemals das Innere der Dinge, d, i. dasfenige, was niekt
Erscheinung ist . . ,, entdecken; aber sie braucht dieses auch nicht zu ihren
physischen Erklärungen" (Prolegom. § 57). Schellino dag^en weist der
Naturforschung die Aufgabe zu, das Wesen der Dinge an sich selbst zu er-
kennen. „ Wissenschaft der Natur ist an sich selbst schon Erhebung über die
einzelnen Erscheinungen und Products zur Idee dessen, uHtrin sie eins sind und
aus dem sie als gemeinsehaftliehem Quell hervorgehen" (Vorl. üb. d. MetL d.
akad. Stud.*, 11, S. 254; vgL Syst. d. tr. IdeaL S. 3 f.). Eine systematische
Einteilung und Anordnung der Naturwissenschaften findet sich bei A. Comte
(s. Wissenschaft).
Von manchen wird zwischen Natur- und Geisteswissenschaften kein Unter-
schied gemacht, andere hingegen sehen nur in ersteren eigentliche Gesetzeswiseeo-
schaften. Während der Materialismus alle Greisteswissenschaften auf Natur-
wissenschaft zurückführen will, sehen einige Idealisten (s. d.) in den Natur-
wissenschaften nur einen Ausschnitt aus der allgemeinen Lehre vom Sein
(Sein = Bewußt-Sein), oder auch der Psychologie (,yPsychomonismus"). Nach
anderen ist es die eine Gesamterfahnmg, die, je nach dem Standpunkt, Object
der Natur- oder der Geisteswissenschaften wird.
Nach Fechker abstrahiert die naturwissenschaftliche Betrachtung von
aller qualitativen Bestinmitheit der Dinge, sie „obfeciiviert bloß qtuintitativ auf-
faßbare Bestimmungen unserer äußeren Wahrnehmungen als der Natur außer
uns zukommend" (Tagesans. S. 234). Haems unterscheidet scharf zwischen
Natur- und Geschichtswissenschaft. „Natur und Geschichte sind . . . zwei Ge-
biete der Causalität der Dinge, ihrer Wirksamkeiten, Der Unterschied liegt in
der Beurieilungstreise dessen, was geschieht," Die Natur ist das Reich der Be-
wegungsvorgänge, die Greschichte und Ethik das Reich der Willenskräfte
(PsychoL S. 53 ff., 76 ff., 79). Den Unterschied der Natur- von den Geistes-
wissenschaften betont besonders Windelband. Während die Naturwissen-
schaft es mit Abstractionen zu tun hat, hat die Geisteswissenschaft die volle
Wirklichkeit zum Gegenstande, gegeben in einer Fülle von einzelnen, das
nicht auf eine Naturgesetzmäßigkeit zurückzuführen ist (Gesch. u. Naturwiss.
1894, 2. A. 1900). Ähnlich Rigkert. Während die Geisteswissenschaften „Er-
eigniswissenschaften" sind, haben die Naturwissenschaften den Charakter von
„Gesetzesu^'ssenschaften", Die naturwissenschaftliche Betrachtung will die Un-
endlichkeit der Dinge und Ihrer Merkmale überwinden durch allgemeine Be-
griffe und Gesetze, mit Abstraction von allem Individuellen; dieses fiilit
dagegen der geschichtlichen Betrachtung zu (Grenz, d. naturwiss^isch. Begriffe-
NattirwiBsensehaften. 723
bild. 1896). Früher betont schon Dilthey, daß die Geisteswissenschaften
ein j^Bigenes Reich von Erfahrungen^^ haben, welches im innem Erlebnis seinen
sdbetändig^i Ursprung und sein Material hat (Einl. in d. QeistesWiss. I, 10).
Das Material der Oeisteswissenschaften bildet die fjgeaehiehUiek'gesellaehaftliehe
Wiridiehkeit*' (L c. S. 30). Tatsachen, Theoreme, Werturteile constituieren diese
Wissenschaften. „Die Auffassung des Singularen, Individuellen bildet in ihnen
so gut einen letzten Zweck als die Entwicklu/ng absiraeter Gleichförmigkeiten^''
(L c. S. 33). Die 8ubjecte der Naturwissenschaften sind „Elemente, tcelche durch
eine Zerteüung der äußeren Wirldiehkeit, ein Zersehlageny Zersplittern der Dinge
nur hypothetisch gewonnen sind; in den Oeisteswissenschaften sind es reale, in
der innem Erfahrung als Tatsachen gegebene Einheiten*^ (1. c. 8. 36; ähnlich
MÜNBTEBBRBG, s. Geisteswissenschaften). — Wunpt erklärt: „Alle Natur-
forsehung geht aus von der Sinneswcüimehmung." Da aber die Vorstellungen
der einzelnen Sinnesgebiete sich einer durchgängigen Verbindung der Erschei-
nungen widersetzen, so ordnen wir sie unter allgemeine Begriffe (Log. II' 1,
8. 272 ff.). „Die Naiurwissenschaft abstrahiert geflissentlich von allen den Be-
standteilen der Erfahrung, die dem erfahrenden Suhjeet und der Art und Weise
angehören, wie dieses sich xur Außenwelt und xu anderen Subjecten unmittelbar
verhält. Sie betrachtet demnach die Natur als einen Inbegriff reiner Obfecte und
ihrer äußern Relationen** (Philos. 8tud. XIII, 406). Die Naturwissenschaft
jjbetr achtet die Objecte der Erfahrung in ihrer von dem Subject unabhängig ge-
dachten Beschaffenheit*, vom Standpunkt der mittelbaren Erfahrung (Gr. d.
FsychoL^ 8. 3). Sie abstrahiert nicht vom erkennenden Subject überhaupt,
sondern von denjenigen Bestinminngen, die untrennbar vom Subject sind (1. c. 8. 5).
Der Grund für die Scheidung der Naturwissenschaften von den Geisteswissen-
schaften kann nur darin gesucht werden, ,4^ß Jede Erfahrung einen objectiv
gegebenen Erfahrungsinhalt und ein erfahrendes Subject eUs Factoren enthält"
(ib.). Zwei Betrachtungsweisen haben hier statt. Die eine ist die der Psycho-
logie (s. d.), die zweite die der Naturwissenschaft „Indem die Naturwissen-
schaß »u ermitteln sucht, wie die Objecte ohne Rücksicht auf das Sttbfect be-
schaffen sind, ist die Erkenntnis, die sie zustande bringt, eine mittelbare oder
begriff liehe: an Stelle der unmittelbaren Erfahrungsobjecte bleiben ihr die aus
diesen Obfeeten mittelst der Abstraction von den subfeetiven Bestandteilen unserer
Vorstellungen gewonnenen Begriffsinhalte. Diese Abstraction macht aber stets
XMsgleich hypothetische Ergänxumgen der Wirklichkeit erforderlich** (L c. 8. 6)«
Nach G. Glooau gehen Natur- und Geisteswissenschaften einander als ver-
schiedene „Betrachtungsweisen** gleicher Objecte parallel. Die eine Betrachtungs-
weise ,ffaßt den Inhalt der in der sinnliehen Anschauung gegebenen Welt (in
bewußter oder unbewußter Abstraction) als ein äußeres Oeschehen, während die
andere jeden sinnlichen Vorgang als Zeichen und Ausdruck eines an sich ver-
borgenen, inneren Erlebens xu deuten sucht** (Abr. d. philos. Grundwiss. I, 34 ff.).
— Der Positivismus (s. d.), die Philosophie der reinen Erfahrung (s. d.), wiU
nur exacte „Beschreibung** (s. d.), nicht hypothetische Naturbegriffe. So Comte,
£. Mach, Ostwald u. a. — O. Caspari betont: „Die Naturwissenschaft soll
in ihren Specialgebieten descriptiv und nur insoweit erklärend verfahren, als es
das oberste Prindp der jedesnudigen Specialunssensckaft erfordert. Ein Über-
gehen dieser Restriction führt in das Gebiet der Naturphilosophie, von der sich
mUurwissensehaftliche Fachleute als solche fernhalten sollen^* (Grund- u. Lebens-
frag. 8. 13). Du Prel bemerkt ähnlich: „Es ist . . , gar nicht Aufgabe der
46*
724 Naturwiuenschaften — Kogatioii.
•
Naiurufissensehafty das Wesen der NcUurkräfte xu entdecken; ihre Aufgabe iä
erfüllt^ wenn das Oesetx des Einiriäs erkannt ist. Das übrige ist Sache der
Metapkysit^ (Mon. Seelenl. 8. 4). Im gleichen Sinne lehren schon Schofen-
HAtTER, Helmholtz, die Kantianer u. a. Vgl. Psychologie.
NatnrwlssenscliaftUclier MonlsmaB: die Ansicht der energe-
tischen (s. d.); die Materie (s. d.) eliminierenden Naturauffassong.
Natorsfielitiiiis s. Selection, Evolution.
NatarsQstamd heißt: 1) der primitive, unentwickelte, wenig cnltivieite
Zustand der Lebensverhältnisse bei Naturvölkern; 2) der sociale Zustand tot
dem (Gesetzes-) Recht, der Zustand der Gewalt (zwischen Stamm und Stamm),
der bloß durch Brauch und Sitte (s. d.) geregelte Zustand (im Stamme). Vgl
Sociologie, Rechtsphilosophie.
NatarBwang s. Zwang.
Natnrsweck: objectiver, in den Dingen liegender Zweck (s. d.).
Nebeneintellnnii; s. Einteilung.
NebnlarliypotlieBe s. Welt.
Neeessitlereii (necessitas, Notwendigkeit): nötigen, zwingen, deter-
minieren. VgL Willensfreiheit.
Nei^atlon {^^negaüo^^ tbtofacis): Verneinung, Zurückweisung, Ablehnung
einer Behauptung als ungültig, unwahr seitens des Denkwillens, Ausschließung
von Merkmalen aus dem Inhalt eines Begriffs im (negativen) Urteil, entweder
um gerade auf das Fehlen dieser Merkmale aufmerksam zu machen, oder am
einem positiven Urteile entgegenzutreten. — Von der ,^egatio" ist die „frisatio^
(Beraubung, s. d.) zu unterscheiden.
Nach Aristotelbs steht die YemeiDung {anofaa^s) der Bejahung gegen-
über (De interpret. 5 — 6). Nach den Scholastikern bedeutet die ontologiache,
metaphysische Negation die „carerUia rei^*, f,Negaiio** und „privatio" sind ver-
schieden, „quia negaiio dieitur carentiam praeeise sine aptitudine subieeH et
voeaiur Nihil negaiivumj item Negaiio pura: Privatio autem praeter oarenOam
seu essentiam realitatis dieit si/tmd aptitudinem subiecH ad redpiendum habitum"^
(MiCKAELius, Lex. philos. p. 706 f.). „Negationis via in cognoseendo Deo
dicitur, cum removetur a Deo imperfecta amnia" (1. c. p. 707). — Nach J. BÖHMS
ist in Grott (s. d.) als y^Oegenwurf^ zum Ja, zum Positiven ein „iVem", ein
Negatives, das yyZomfeuer*^,
Locke bezweifelt die Existenz negativer Vorstellungen. Das „Niekts" be-
deutet nur den Mangel an Vorstellungen (Ebb, III, eh. 1, § 4). H. S. Rn-
MABUB erklart: y,Die Erkenntnis oder die Einsieht von der NiehteinsHmmtmg
xweier Begriffe kann ein unterscheidendes oder unbestimmt verneinendes
Urteil genannt werden," y^Die Erkenntnis oder die Einsieht von dem Widrnr^
Spruche zwischen zwei Begriffen heißt ein grade verneinendes Urteil**
(Vemunftlehre^, § 115). Nach Kant wird im verneinenden Urteile das Subjed
„außer der Sphäre^^ des Pradicats gesetzt (Log. S. 160). Die Negation afficiert
immer die Copula (1. c. S. 162). So auch nach andern, z. B. nach F&iES (Sjst
d. Log. S. 131); ein Begriff wird als Negation gedacht, wiefern er unter den
Merkmalen einer Vorstellung als aufgehoben gedacht wird (1. c. S. 121; vgL
KiESEWETTEB, Log. § 88; Krug, Log. § 38; Calker, Denklehre § 68). Nach
Negation. 725
Baghmanit wird dnrch das negative Urteil behauptet, daß etwas nicht sei
(Syst. d. Log. 8. 124). — J. G. Fichte leitet die Kategorie der Negation aus
dem Acte des „Qegensetxen" des Ich A\f (Gr. d. g. Wiss. 8. 20 f.). Heoel
setzt die Negation, Negativitat als „Widertpnteh" (s. d.) in das 8ein selbst
Die Natur (s. d.) ist ihm, der Idee (s. d.) gegenüber, ein blofi „Negative^', nicht
an und für sich Seiendes, absolut Wahres, Ewiges. 8chopbnhaüeb lehrt die
Notwendigkeit der „ Verneinung" des „ Wülen xum Leben" (s. Pessimismus).
Nach Chb. Krause setzt der Gedanke der „Neinheit^* die Bejahung voraus
(Vorles. üb. d. 8yst 8. 175, 267). Bolzako spricht von „verneinenden Vor-
Stellungen^' von zweierlei Art: a. „Nicht-Ä" — Verneinung ohne Forderung des
Denkens einer andern Vorstellung („rein oder durchaus verneinend") ; b. A, das
nicht B ist (Wissensch. I, 415 ff., § 89). Nach W. Bo8E2<rKRANTZ besteht die
negative Bestimmung des Seienden „immer in der Ausschließung von bestimmten
PrädiecUeny von welchen ein Seiendes nur durch ein anderes Seiendes ausge-
schlössen wenien kann. Auf einer solchen Ausschließung beruhen alle Ver-
schiedenheiten der endliehen Dinget' (Wissensch. d. Wiss. I, 135; II, 211 f.).
„Die reine Verneinung . . . findet sieh nur im Denken und auch hier nie
selbständig^ sondern immer nur als eontradietorisohes Oegenteil einer B^'ahung^*
(ib.). Letzteres behauptet auch W. Hamiltok (Lect on Met III, 253). Haoe-
MANN erklärt: „Alle Negation ist . . . ursprünglich Affirmation eines Anders-
sein** (Met*, 8. 13). FoRTliAOE bestimmt die Negation, wie die Bejahung (s. d.),
als „Triebkategorie", als einen Begriff, „welcher bexetchnet, daß mit einem ge-
gebenen bestimmten Vorstellungsinhalte irgend ein anderer nicht übereinstimme,
ohne daß damit über die Natur des Widerstreitenden irgend etwas ausgesprochen
würdet' (PsychoL I, § 10, 8. 91). Volkmann leitet das Bewußtsein einer
Vemeinimg aus der Hemmung einer Vorstellung durch andere ab (Lehrb. d.
PsychoL 11^, 338). Tendelenburo betont: „Jkfe Verneinung muß sich . . .
in ihrem Gründe als die ausschließende, xurücktreibende Eraft einer Blähung
darstellen" (Log. Unt II, 147 f.). Nach Siowabt richtet sich die Negation
gegen den Versuch einer Synthese im Urteil (Log. I^ 8. 150); sie ist „ein
Urteil über ein Urteil", das nicht vollzogen werden darf (1. c. S. 123), ist
„unbestimmte Disjunction" (1. c. B. 191). Nach W. Jerusalem ist die Negation
„nichts anderes als der sprachliche Ausdruck für die Zurückweisung eines Urteils**.
,ffede Verneinung setxt ein blähendes Urteil voraus. Nur ein Urteil kann ver-
warfen toerden, nickt aber, wie Brentano will, eine Vorstellung" (Urteilsfunct
8. 183j. Nach H. Cohen ist die Negation nicht ein Urteil über ein Urteil,
sondern „ein Urteil vor dem Urteil" (Log. 8. 88). Die selbständige Leistung
der Verneinung als „abdicatio" ist zu betonen. Das „Nicht* spricht die „ Ver-
niehtungs-Instanx" des Urteils aus. „Sicherung der Identität gegen die Gefahr
des Non- A, das ist der Sinn der Verneinung" (1. c. 8. 89 f.). Nach Wundt
ist die Vemeinimg keine selbständige Urteilsform, sondern „es betätigt sieh in
ihr lediglich die aus der willkürlichen und selbstbewußten Natur des Denkens
entspringende Fähigkeit, irgendtcie äußerlich dargebotene Urteile nicht zu wollen^*
(Syst d. Philos.*, 8. 59). ,J)ie Verneinung ist erst eine seeundäre Function des
Denkens, welche die Fxistenx positiver Urteile voraussetzt** (Log. I, 187). Aber
das negative Urteil hat „nicht die Function, einen Irrtum abzuwehren, sondern
es verfolgt den positiven Zweck, einen Begriff, wenn von ihm ein bestimmtes
Verhältnis xu einem andern Begriff nicht ausgesagt tverden kann, so weit zu
bestimmen, als dies auf dem Wege der Ausschließung möglieh ist" (1. c. I, 190).
726 Negation — NegatiTiBmiu.
yjWohl gibt es auch solche negierende Urteüef bei denen die Verneinung nur dm
Zweck der Abtoehr eines Irrtums hat, aber gereute diese Fäüe der Vemeimmg
sind von untergeordneter Wichtigkeit (1. c. S. 191). Ee gibt ein ,^negativ präd»-
eierendes'^ Urteil und ein ,yVemeinendes Trennungsurteü^^. EiBteres dient der
Unterscheidung und Begrenzung der Begriffe; die Negation haftet hier don
Prädicate an. Das Trennungsurteil will hervorheben, daß die Bcigriffe dispiiiit
sind; die Negation bezieht sich hier auf die Copula (1. c. B. 192 ff.). Nach
B. Ebdmann wird im negativen Urteil „6^ Fehlen der Immanenx des Ver-
neinten^^ ausgesagt, behauptet (Log. I, 3«54). Die Verneinung ist Leistung des
beziehenden Denkens (1. c. 8. 360). Schuppe erklart: „Die Unterscheidung ist
Negation . . . Die Negation ist so undefinierbar wie die Position; sie sind die
Voraussetzung jeder Definition'* (Log. S. 39). „Reine Negation, d, h. solche,
welche nicht Unterscheidung eines Positiven von einem andern wäre, gibt et
nicht" (1. c. S. 41 f.). „Beim negativen Urteil wird ein gemeinter DeHemdrutk
von der Prädicatsvorsteüung unterschieden" (1. c. S. 41). E. v. HABTMAinr
bestimmt: „Das Nicht ist die explicite Beziehung der Verschiedenheit ohne ROek-
sieht auf die positive Bestimmtheit, die dem als verschieden Oonstatierten tu-
kommt" (Kategorienl. S. 211). ,ßie Negation im urteil ist . , . nur ffme
Tätigkeit des discursiven Denkens, die daxu dienen soU, eine etwaige verkehrte
Denktätigkeit xu berichtigen, oder ihr vorzubeugen. Diejenige Negation, welehi
eine Realopposition, einen dynamischen Widerstreit und sein Ergebnis, die
gegenseitige Aufhebung der intendierten Aetion im Bewußtsein widerspiegelt, ist
keine bloße Abwehr eines falschen Denkens, sondern der Vorstdhmgsrepräsenttmt
einer realen GoUision und Paralysierung der Aetion" (L c. S. 212 f.). —
F. Brkntaäo erblickt im Verneinen („Verwerfen") eine „ebenso besondere
Function des UrteUens . . . une das Annehmen oder Zusprechen" (Vom Unpr.
sittL Erk. S. 74). — Vgl J. G. TiTiUS, Ars cogitandi 1702, S. 97, Chaly-
BAEU8 Wissenschaftslehre 8. 1(X) ff., sowie andere Lehrbücher der Logik (s. d.).
Vgl. Negativ, Dialektik, Determination (Spinoza), Limitation, Widersprach,
Gregensatz, Position.
Nei^atlTe (unbewußte) ümpllndiiiii^eii nennt F£Ch:!7EB die
Correlate zu den unterschwelligen Beizen. Der Grad ihrer Unbewufitheit hangt
ab von der Entfernung der ihnen entsprechenden Beize von der Schwelle (Elem.
d. Psychophys. II, 416 f., 439). Gegen die Annahme der negativen Empfin-
dungen erklären sich HoRWicz (Psychol. Analys. II 2, 20 ff.), E. v. Habt-
MANN (Mod. Psychol. S. 75; Philos. d. Unbew. I", 16, 32, 106) u. a. Für die
Annahme ist u. a. Wtjndt (Grdz. d. phys. PsychoL I*, 384).
Negative Gr8ße ist, nach TCant, jede Größe in Ansehung einer andern,
„insofern sie mit ihr nicht anders, als durch die Bnigegenseixung kann tu-
sammengenommen werden, nämlich so, daß eine in der andern, soviel ihr glei^
ist, aufhebt" (Vers., den Begr. d. negat Groß, in d. Weltweish. einzuf., 1. Ahschn.,
S. 28). Hier ist die reale Opposition enthalten (1. c. S. 29).
Nei^ative Merkmales Merkmale die im Mangel von Eigenschaftoi
bestehen. Vgl. Sigwart, Log. I*, 359, 365 ; II», 224.
Negative PiilloBoplile s. Philosophie (Schelling).
NegatlTe Tbeologle s. Theologie.
Nec^allvlsmas: der Zustand des Hypnotisierten, in welchem er jeder
Negativittniu — Ifeigniif . 727
Aufforderung, eine Bewegung auszuführen, zuwider, regungslos bleibt. Be-
wegungsnegativismus besteht in Ausführung der der befohlenen entgegen-
gesetzten Bewegung (vgL Hellpach, Grenzwiss. d. Psych. 8. 337, 340).
Nei^atlvltilts das Moment der Negation (s. d.).
Nelf^nng (inclinatio, impulsus) ist ein bestimmter Grad der Disposition
zu Willenshandlungen, zu Begehrungen; ein noch höherer Grad ist der Hang
(propensio, penchant).
Thomas Aqttinas erklärt: „Omnis inclinoHo est cui simüe et oonveniens"
(Sum. th. II, 8, 1). Chr. Wolf definiert: ^yDeterminatio generalis appeHtus ad
aliquid appetendum dtciiur inelinaiit/* (Philos. pract. II, § 985). Über die
Bildung der Neigungen handelt Ck>CHiüS (Unters, üb. d. Neigungen 1769).
Nach Gabye besteht die Neigung in einer Fähigkeit, Begierden zu bekonunen
(Ob. d. Neigungen S. 98). Die „neUürlicßien" Neigungen haben ihren Grund
in der Beschaffenheit der Seele (1. c. S. 101). Nach Fedek ist Neigung „eine
innere^ Bestirmnung xu einer geunseen Art des WolienS^' (^g* u- ^^^ 3. 324).
Platneb bestimmt die Neigung als ^,Eiehtung des WiUensvermögens auf Gat-
tungen des Vergnügens^^ (Philos. Aphor. II, 461). Kakt definiert: ,fDie dem
Subject Mir Regel (Oewohnheit) dienende sinnliche Begierde heißt Neigung
(Anthropol. § 78). „Z>»e subjeetive Möglichkeü der Entstehung einer gewissen
Begierde^ die vor der Vorstellung ihres Gegenstandes vorhergeht^ ist der Hang"
<ib.). „Hang ist eigentlich nur die Prädisposition xum Begehren eines Ge-
nusses, der, wenn das Subject die Erfahrung davon gemacht haben wird, Neigung
daxu hervorbringt* (Belig. S. 28). Der Mensch hat einen (angeborenen) „Hang
xum Bösen" (L c. S. 27 ff.). Nach E. Schmid ist die Neigung „fias Verhältnis
des Begehrungsvermögens xu einer wirkliehen Begierde" (Empir. PsychoL S. 351).
Nach Krvq ist die Neigung eine Richtung des Triebes. Eine herrschende
Neigung ist ein Hang, eine Sucht (Handb. d. Philos. I, 60). Auf Gewohnheit
führt Neigung* und Hang Frieb zurück (Handb. d. psych. Anthropol. § 64).
Ähnlich J. Salat (Lehrb. d. höh. Seelenk. S. 241). G. E. Schulze bestimmt:
^yDas durch Öftere Befriedigung einer Begierde xur Gewohnfieä gewordene Begehren
macht eine Neigung aus, wovon der Hang ein stärkerer Grad isf^ (Psych.
Anthropol S. 426). Vgl. Bitjnde, Emp. PsychoL II, 340 ff.
Nach der HEOELschen Psychologie ist die Neigung eine auf Erhaltung
des Objectes hingehende, constante „Wiüensrichhmg^* (vgl. Daub, Anthropol.
325 ff., 358; J. E. Erdmank, Grundr. § 141). Nach K. Bosenkrakz ist der
Hang ,^ne bleibende Tendenx des Trieben", Die Neigung ist „die eoncrete
Bestimmtheit des Hanges" (PsychoL*, S. 429 ff.). Herbakt versteht unter
Neigungen „diejenigen dauernden Gemütslagen, weiche der Entstehtmg gewisser
Arten von Begierden günstig sind", Sie sind „großenteils Folgen der Gewohn-
heit, die aus dem Vorstellungsvermögen hierher ins Begehrungsvermögen herüber-
xureichen seheint" (Lehrb. zur PsychoL», S. 81). Nach Volkmann ist die
Neigung eine „ruhende Disposition xu Begehrungen eifier bestimmten Art, soiceit
sie in erworbenen Vorsiellungsverhälinissen begründet ist". Sie wird zum Hang,
„wo sie xu einem besonders hohen Grade angewachsen ist" (Lehrb. d. PsychoL
11^, 415 f.). Nach G. A. Ljndneb ist die Neigung „eine Disposition xu eifiem
bestimmten Begehren oder Verabscheuen und äußert sich deshalb in käufig wieder-
kehrenden Begehrungen derselben Arf*, Die Neigungen haben etwas Wandel-
bares in sich. „ Wenn eine Begierde öfter im Bewußtsein da war, wird sie xur
728 Ifeigong — Neovitoltomna.
Oetcohnheit und erxeugt die Neigung" nWo die Naturanlage einer Neigung
günstig oder wo sie durch lang gepflogene Qewohnheiten mit uns gleieksam auf-
gewachsen ist, da wird sie xum Hange, Dieser ist ein so starker Orad der
Neigung, daß er wie ein Trieb wirkt" (Lehrb. d. empir. Psycho!.*, 8. 203 f.).
Nach G. ßcHiLLiNa liegt, wo uns Tätigkeiten leicht faUen, ein gewisser Anreiz
sich ihnen hinzugeben, den man Neigung^ Hang, Sucht nennt (Lehrb. d. PisychoL
8. 85). — Nach Chb. Krause ist die Neigung eine ,jbestimmte Richtung der TStig-
keü auf das Ersehnte, woxu ich mich getrieben fühUf\ „Neigung des Qemütet*^
ist „ein bestimmtes be/ahiges Gefühl für das, welches der Gegenstand der Be-
trachtung ist" (Vorles. üb. d. Syst d. Phüos. 304).
Beneke erklart die Neigung als „e»n mehr oder weniger vielfaches Aggregat
von Schätxungs-fSteigerungS', Herabstimmungs-J und Begehrungsanlagen" (SitteoL
I, 134}. Es gibt keine angeborenen Neigungen, wohl aber unmittdbare und
mittelbare Neigungen (1. c. S. 140). „Neigungen xu psychischer Erregung^^ sind
besonders wichtig (1. c. 8. 165 ff.). Neigung, Hang ist ein „Oesamigdnkie
(Aggregat) von Angelegtheiten für Lustempfindung en (Schätzungen) und
für Begehrungen" (Lehrb. d. Psycho!.«, § 175 ff; vgl Psychol. Sldzz. II, 213 ff.,
312 ff.; Pragm. PsychoL I, 63 ff., 206 ff.). Nach v. Kibchmann sind die
Neigungen „eine gesteigerte Empßnglichkeit für bestimmte Ursachen der Lust^
(Grundbegr. d. Hechts u. d. Moral 8. 41). Nach Sülly sind Neigungoi
dauernde Gemütsdispoeitionen (Handb. d. PsychoL 8. 323; Hum. Mind II, C.
13—14; vgL Stout, Anal. PsychoL II, C. 12; Jameb, Princ, of PsychoL C. 24;
TiTCHENEB, OutL of PsychoL C. 9). Ldpps nennt Neigung ,/ias subfeetuf fc-
dingte Wollen" (Eth. Grundfr. 8. 129). Nach Hageicakn ist Neigung „dos auf
besondere sinnliche oder geistige Gebiete gerichtete Streben" (Psycho!-*, 8. 114).
Nach P. Janet sind die Neigungen und Hänge („indinations et penehwnit^)
„des tendances qui poussent ä l'action" (Princ. de m^t I, 472 ü., 479). Die
Neigung ist eine Manifestation „de foree et d'activite" (1. c. p. 480). Die Nä-
gungen inhärieren der Seele, „ils soni anterieurs et postSrieurs äu plaisir et a
la douleur" (1. c. p. 479; vgL Ribot, PsychoL des sentim.).
NeofiehteanlsmaB: Erneuerung des J. G. Fichtesch^i (besond^s des
ethischen) Idealismus (J. Bergmann, Schuppe, Eehmke, K Euckek, auch
Windelband, Rigkeet, Münsterberq).
Neoliegeliaiilsmii8: Erneuerung des H^elschen Panlogismus (s. d.)
in modificierter Form: Monbad, J. L. Heibeeg, P. M. Mölleb, K Nielben,
BoBELius, Veba, Spaventa, C. S. Everett (Science of Hiought 1869),
B. Stebrett (The Ethics of Hegel 1893), J. Watson (An Outline of Philoeophy
1898) ; J. Royce (The World and the Individual 1900), Strachow, Gogozeü,
B. CZIGZERIN u. a.
Neobomisnilis: die Erneuerung des empirischen IdeaUsmus und Positi-
vismus (s. d.) Humes. J. St. Mill, E. Laas^ ein Teil der Immanenzphilo-
sophie (s. d.), E. Mach u. a.
Neokantlanlsnias u. Neokriticismus s. Kantianismua, Kriticismos.
Neosebolastlk s. Scholastik.
NeospinoBlBmoB s. Spinozismus.
H'eotlioiiiismiis s. Thomismus.
NeoTitalismiui s. Vitalismus.
lYervengeister -- Nenrodamamisoh. 729
UrerFenceteter s. Lebensgeister, Spiritus.
Nerrensycitein ist die Einheit von Neuronen (s. d.), Nervenzellen, Nerven^
fasern. Das Centralnervensystem ist, empirisch, der „Sitx'% das Correlat
der psychischen Vorgänge. Das Nervensystem dient dem Verkehre des Orga-
nismus mit der Außenwelt; es hat sich in Anpassung an die Beize der Objecte
entwickelt, aus der äußeren Schicht (dem „Ectoderm") des primitiven Metazoon
differenziert. Das Nervengewebe besteht aus den Nervenzellen (Ganglien),
welche Empfangs-, Sammel- und Verarbeitungsstätten für die ankommenden
Beize sind, und aus den Nervenfasern, welche die Beize (isoliert) leiten.
Zum centralen Nervensystem gehört das Gehirn, das verlängerte Mark (medulla
oblongata) und das Bückenmark; zum peripherischen Nervensystem gehören
die Nerven; das „sympctthische^* System hat seinen Sitz im Unterleibe. Es gibt
centripetal und centrifugal leitende, sensorische (Empfindungs-) und motorische
(auch vasomotorische, secretorische) Nerven, die sich nicht qualitativ-anatomisch,
sondern nur functionell, durch die verschiedene Endung (Sinneswerkzeuge,
Muskeln) unterscheiden. Das Gehirn besteht aus dem Großhirn, dem Zwischra-
him, Mittelhim, Hinterhim, Nachhim, dem Kleinhirn, der Brücke, dem Him-
Bchenkel. Das in zwei Hemisphären gegliederte Großhirn besteht aus der
grauen und der weißen Substanz ; erstere, besonders die Großhirnrinde bildend,
besteht aus Ganglien, letztere aus Nervenfasern. Zahlreiche Windungen und
Fm-chen durchziehen die Hirnrinde; ihre Zahl steht zur Höhe der geistigen
Entwicklung in Beziehung. Sensorische und motorische Bindenfelder sind zu
unterscheiden (s. Localisation). Das Kleinhirn scheint vorwiegend ein Lenkungs-
apparat für Bewegungen zu sein. Das Bückenmark besteht aus dem „Käqser"
lind den Nervenwurzeln (s. BELLsches Gesetz). Das Nervengewebe ist der Sitz
complicierter chemischer Processe; die Nerven sind elektrisch durchströmt
(düBois-Reymond; vgL schon Cabanis). Vgl. Localisation, Beiz, Empfindung,
Energie (specifische).
Nerwus probandi: der eigentliche, überzeugendste Beweisgrund.
NenkantlaiilBnias s. Kantianismus.
NenmaterlaUamas heißt der psychophysische Materialismus (s. d.).
Nenplatoniker sind diejenigen Philosophen, welche Lehren Platos
und anderer griechischer Philosophen (Pythagoreer, Stoiker u. a.) mit orienta-
lischen Ideen verbinden. Ihre Lehre ist Mystik (s. d.), Emanationslehre (s. d.),
Theosophie (s. d.). Zu ihnen gehören: Ammonius Sakkas, Plotin, Porphyr,
Jamblich, Proklu8, Synesiub, Nemgsius, Aeneas von Gaza, Joh. Philo-
P0NÜ8, D10NY8IU8 Areopagita. Vom Neuplatonismus beeinflußt sind ver-
schiedene andere Philosophen, wie Joh. Scotus Eriugena, die Mystiker
(8. d.), die Kabbalä, jüdische und arabische Philosophen des Mittelalters
n. a. VgL Einheit, Emanation, Gott, Geist, Intelligibel u. s. w.
Nenpytlias^oreer sind die Erneuerer und (unter dem Einflüsse orienta-
lischer Ideen) Umbilder der pythagoreischen (s. d.) Zahlen-Mystik: Nigidiüs
FIGÜLÜ8, MODERATUS, ApOLLONIüS VON TyANA, NiCOMACHUS, NüMENIü8.
VgL ZahL
Neiirodyiiailiiseli ist die directe Wechselbeziehung verschiedener Ge-
himteile, welche vermutlich darauf beruht, ^fdaß die durch die Functions'
730 Neurodynamlsoh — Nichts.
hemmung angehäufte Energie durch die nervösen Verbindungen nach andern
Centredgebieten abfließt^*, während die vasomotorische, indirecte Wecfasd-
beziebung darauf beruht, ,ydaß eine Functionshemmung von Vererkgerung der
kleinsten Blutgefäße und diese von compensatoriseher Enceüerung der Geßße
anderer OebietSy der erhöhte Bluixufluß aber wieder von Funetionssteigerung be-
gleitet ist*' (WuNDT, Gr. d. Psychol.», S. 333).
Nenronentheorie besteht, nach Hellpagh, in folgendem: y,hde
Nervenzelle entsendet xweierlei Fortsätxs: einmal eine größere oder geringere
Änxahl von kurzen^ dicken Ausläufern y die an ihrem Ende sieh baumartig ver-
ästeln: die Dendriten; cUmn aber einen dünnen Faden von zumeist längerem
Verlaufe, der ebenfalls mit einer Aufsplittervng endet : den Neurit oder Nerven-
fortsatx^^; „niemals kommt es vor, daß der Neurit oder Dendrit einer ZelU
direet mit dem Neuriten oder mit Dendriten einer andern versckmilxt. Jede
Nervenzelle bildet vielmehr mit ihrem Neuriten und ihren Dendriten eine in siek
abgeschlossene Einheit." Diese ist das Neuron. „Unser ganzes Nervensystem
baut sich aus zahlreichen Neuronen auf, die miteinander nur durch Berührung^
durch Contaet, in Verbindung stehen, ohne jemals ineinander überzugehen
(Grenzwiss. d. Psychol. S. 31). Der Neurit heißt, soweit er sich aus „Primitiv-
fibrillen" aufbaut, „Achseneylinder^^ Nach dem Austritt aus der Zelle hat er
meist eine Hülle, die „Markscheide" (ib.).
Nexus s. Verknüpfung.
NJ^ja s. Nyaya.
Nicht-Ichs so nennt J. G. Fichte die Außenwelt VgL Object.
Nichts (nihU, /irj or, non ens) ist das contradictorische Gegenteil des
Etwas, das Nicht-Etwas, der Ausdruck der Verneinung, N^ation (s. d.) aller
Merkmale, event. auch des Merkmals des Seins (absolutes Nichts). „Aus mehU
wird nichts": Grundsatz der Causalität (s. d.). Die „Schöpfung (s, d.) ans
nichts" bedeutet die Unabhängigkeit des göttlichen Schaffens von einer außer
Grott vorhandenen Wesenheit
Der theoretische Nihilismus ^s. d.) des Gorgias erklart: ovx iariv, es ist nichts
(in Wahrheit). Ein relatives Nichts (ji^ 6v) ist nach Plato (und Plotin) die
Materie (s. d.). Das Nichtsein (/irj elvai, fttj 6v) bedeutet das Anderssein als
das Sein (Sophist. 257 B, 258 B). — Das Nichts, aus dem nach der Lehre der
Heiligen Schrift Gott die Welt geschaffen (vgl. Augustinus, De civ. Dci XIL
2), ist nach SooTUS Eriugena das eigene Wesen Gottes (De div. nat III, 19;
21). „Ex igiiur nomine q. e, nihilum, negaiio atque absentia totius essentiae vd
subsiantiae, immo etiam cunetorum, quae in natura ereata sunt, insinutmtuf
(L c. III, 5). Frbdegisus erklart, das „Nichts" sei, da jeder Name etwas be-
zeichne, ein Etwas (Migne, Patrol. T. 105, p. 752). Ähnlich lehnen die Mota-
ziliten. Absolutes und relatives Nichts unterscheidet DüKS Sgotus. Als das
Nichts wird Grott (s. d.) von der Kabbalä bezeichnet (s. Ensoph). Nach
Eckhart war das Nichts eher als das „Ichts", sich selber unbekannt (Deatscfae
Myst II) ; im Verhältnisse zu Gott sind die Einzeldinge nichts. — Nach Civ-
FAN ELLA besteht jedes endliche Wesen aus Sein und Nichtsein ; Gott ist Über-
seiendes, nichts von allem Endlichen. Jedes Ding ist „compositio eniis H
non-entis" (Univ. philos. II, 6). R. Fludd nennt die formlose Materie ein
Nichts (Philos. Mos. I, 3, 2). — Erh. Weigel erklart das Nichts als „id, quod
l^iohts — ITihiUsmiu. 731
^ogitamus, quando plane nan eogttamua" (Philos. math. sct. I, def. 2). Chb.
Wolf definiert: „Was weder ist, noch möglich ist, nennet man niehts^^ (Vem.
€red. I, § 28). „Nihilum dtctmuSy eui nulla respondet notio^* (Philos. rat).
Nach BoüTEBWEK erzeugt das Denken das „reine Niehis^^, wenn es von allen
Gegenständen der Sinne abstrahiert (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 101).
Xach ScHELiii9^G wird das Absolute zuerst als nichts, als ohne gegenständ-
liches Sein, als reine Wesenheit gedacht (WW. I 10, 100). Hegel behauptet die
inhaltliche Einerleiheit des reinen Seins (s. d.) und seines (Gegensatzes, des Nichts;
beide sind „reine ÄbstraeOan, damit das Absolut^Negative^*, Das reine Sein ist
das Nichts wegen seiner „reinen Unbestimmtheit^* (EncykL § 87). Aus diesem
Nichts des reinen Seins geht dialektisch (s. d.) die Welt henror. L. Feuebbach
erklärt: „Das Nichts ist das cibsoltU Gedanken- und VemunfUose. Das Nichts
kann gar nicht gedacht werden** (WW. II, 223). yfier Öegensatx des (allgemeinen)
Seitis . . , ist nicht das Nichts, sondern das sinnliehe, canerete Sein** (L c.
8. 206). Haobmann erklärt: „Der Begriff des Nichts setxt . . . den des Seins
voraus und ist nur als Öegensatx zu diesem denkbar. Beide Begriffe kommen
aber darin überein, daß sie ohne alle Bestimmtheit sind** (Met*, S. 13). „Nicht-
dasein** ist ,^n bestimmtes Sein, welches unabhängig vom Denken nicht wirklich
ist, aber als solches gedacht und erkannt wird, das existieren kann** (L c. S. 14).
Nach TwABDOWSKY ist das „Nichts** ein synkategorematischer (s. d.) Ausdruck,
es bedeutet keine Vorstellung (Inh. u. Gegenst d. VorstelL S. 35). Nach
H. Cohen ist der Begriff des Nichts nicht ein Correlatbegriff zum Sein, sondern
nur ein Durchgang zum Sein (Log. S. 77). VgL Sein.
Nlclit BU nnierselieldendeii« Säte des, s. Identitatis principium.
Nlliil est in InteUeeta s. Sensualismus.
Nihfl ex nlhilo s. Causalität VgL Thomas (Sum. th. I, 45, 2 ad 1;
der Satz gilt nicht für die transcendente Ursache: Contr. gent II, 10; 16; 37). Den
Satz, daß aus nichts nichts wird, bestreitet Hegel (Log. I, 89, 104). Vgl. Nichts.
NihUi nulla sunt praedicata: das Nichts hat keine Merkmale, vom
Nichts kann nichts ausgesagt werden (Chb. Wolf, Ontolog. § 67).
NihUlsinass Vemeinungs-Standpunkt Der theoretische Nihilismus
leugnet jede &kenntnismöglichkeit, jede allgemeine, feste Wahrheit (erkenntnis-
theoretischer Nihil.), jede Realität der Außenwelt ak solcher, der Vielheit der
Dinge (metaphysischer NihiL). Der ethische Nihilismus erkennt keine ab-
soluten Werte und Normen des Handelns an. Das Wort „Nihilismus** kommt
schon bei Jacobi (für Solipsismus, s. d.) vor; im praktischen Sinne „Nihilist**
bei Turgenjew (Väter u. Söhne).
Nach dem Sophisten Gorglas ist nichts {ovx ianv), ist kein Sein. Wäre
aber selbst ein Sein, so wäre es nicht erkennbar {dyvojarov xal dvaniv6r]Tov),
wenn selbst erkennbar, so nicht mitteilbar, wegen der Subjectivität der Sprache
(Sext Empir. adv. Math. VII, 65, 77 squ.). — Einen erkenntnistheoretischen
Nihilismus, fiir den die Welt ein Chaos ohne festes Sein, unsere Erkenntnis
rein subjectiv - anthropomorph ist, lehrt (als Durchgangstheorie) Nietzsche
(8. Erkenntnis, Wahrheit; vgl. WW. XV). Einen „transcenderUen Nihilismus**
lehrt P, MoNORE, der keine „wahref* Welt als Urbild der „scheinbaren'* an-
nimmt (Das Chaos S. 188), das „schrankenlose Chaos** ist die Wirklichkeit
(1. c. S. 188 ff.).
732 Nirvana — Nomologle.
Nirranas nach buddhistischer Ansicht der Zustand der Erlösung
von der Individualitat, vom eigenen Wollen und der Ichheit, vom Leiden des
Lebens, von der Wiedergeburt (^fParinirvana").
NoUma (vort/ia, notio): Gedanke, Begriff.
NoSra (voe^): intelligible (s. d.) Objecte, tibersinnliche Gegenstände d»
Denkens.
NoSto (voTjTd): Gedachtes, Denkobjecte. VgL Object
NoStIk: Begriffslehre (bei K. Bobenk&akz, Syst d. Wiss. & d8 fl);
Denkgesetz-Lehre {^yNoetie", bei W. Hamilton, Lect on Met III, 5, p. 72);
Erkenntnislehre (materiale Logik) (Gutberlet, Log. u. Erk.*, S. 3; B.AQEUAJsns,
Log. u. Noet*, S. 115 ff. u. a.). VgL Erkenntnistheorie.
NoStlseli: zum Denken, Erkennen gehörig, denk-, erkennbar. Vgl
Synthesis (ötout).
Xolitlo: „Niektwollen^y im Gegensatz zur „volüio^^ Das Nicht-Wollen
als nolitio ist nicht das absolute Fehlen des Willens, sondern der positive Act
des Ablehnens seitens des Willens.
Nach Thomas Aquinas ist „nolle fieri" so viel wie y,velle non fieri^
(1 sent 46, 1, 4 ad 2; j^noluntas*' : ßum. th. I. II, 8, 1 ad 1). Micbaelius
bemerkt: „Voluntatis funetiones sunt veüe et nolle. AUqui tarnen distinguunt
inter nolle et non velle: quasi id nolimus, quod impeditnus, id autem non
velinms, quod permittimus cum deiestaiione^' (Lex. philoe. p. 1112). Cha. Wolf
betont gleichfalls : „Nolitio et aversio sensitiva non sunt aetiones privatitae, sei
positivae" (Philos. pract. I, § 38). — Nach Pkeyer ist die Noluntas (Nolentift)
ein eigentümlicher positiver Erregungszustand (6eele d. SJndL 8. 126). BsNor-
VIER erklart, die „no/on^e*' (das „vouloir ne pcts'^ sei „le pouvoir d'opposer lai
Veto ä Vacte suggere, ä l'aete reflexe de Vimagination ou du disir*^ (MonadoL
p. 231). Nach Sigwart heißt „noüe^^ y^einen möglichen Zweckgedanken ver-
neinen" (KL Schrift II«, 125). Vgl. Wille.
Noluntas s. Nolitio, WUle.
Nomlnaldeflnitloii ist die Angabe der Bedeutung eines W*ortes durch
Ausdruck desselben in bekannten Worten, im Unterschiede von der Beal*
definition, welche den Begriff inhaltlich bestimmt (s. Definition). — Nach
Herbart erklären die Nominaldefinitionen den Sinn eines Wortes, „^ lassen
aber zweifelhaft , ob ein solclies Wort mit solchem Sinn überall einen tcissenr
schaftlichen Wert habe". Die Bealdefinitionen „entwickeln die Merkmaie eines
gültigen Begriffs" (Lehrb. zur Einl.», S. 83 f.).
Nomlnallsiniis (nomen, Name) heißt diejenige Bichtung in der Theorie
des Allgemeinen (s. d.), der Universalien (s. d.), nach welcher die Allgemem-
begriffe (die Begriffe überhaupt) keine Existenz außer dem Denken besitzen,
auch Dicht als besondere Inhalte des Denkens bestehen (s. Ck)nceptualismus),
sondern nur Namen, Worte („flatus vocis") sind. — „Täc only generality possessing
separate existence is the Nam^" (Bain, Ment Scienc. p. 179; vgL App. p. 1 ÜX
Vgl. F. Exner, Nominal, u. Bealism. 1842; H. Spitzer, NominaL u. Bealism.;
K. Grube, Üb. d. NominaL in d. neuem engl. u. französ. Philos. 1890. Vgl. Allgemein.
Nomolosle (v6/iog): Geseteeslehre, Lehre von den Gresetzen der Encbei-
nungen, der psychischen Vorgänge (W. Hamilton). Nomologisch nennt
Komologle — 'Novtcl 733
J. y. Kbies „ UrteüsmhdUe, die den gesetzmäßigen Zusammenhang des Oesdiehens
betreffen" (Vierteljahrsschr. f. wiss. Phllos. 12. Bd., 8. 181). Nomologische
Wissenschaften sind die abstracten, theoretischen Wissenschaften (1. c. 16. Bd.,
8. 255), im Unterschiede von den ontologischen (concreten) Disciplinen.
jyArUhmetisehe Nomologuf*^ nennt Hüsserl die allgemeine Mathematik (Log.
ünt I, 172).
Non-A s. Widerspruch (Satz des).
Hon eansa ut causa: Annahme eines falschen Grundes.
Hon-ensx Nichtseiendes. Non entis nulla sunt praedicata: das
Nichtseiende hat keine Merkmale. Non entis nulla est seien tia: das
Nichtseiende ist nicht Gegenstand des Wissens. Vgl. Nichts.
Hooloi^e {voviy Xoyoe) : Geisteslehre (bei Cbusius = Psychologie). Jetzt
wird das Noologische vom Psychologischen unterschieden; jenes bezieht sich auf
den concreten, lebendigen, activ-synthetischen Geist, auf das Geistige als Seins-
princip. Bo scheidet besonders B. Eucken das schaffende Geistesleben vom
empirischen Seelenleben, in jenem ,yerfolgt ein Aufsteigen der Wirklichkeit xu
einer innem Einheit und xu voller Selbständigkeit^^ (Gesanmi. Aufs. 8. 116). Das
„noologische Verfahren" muß in den Geisteswissenschaften angewandt werden,
€8 geht nicht auf die Psyche, sondern auf das Geistesleben als solches (Elinh.
d. Geistesieb. 1888). ^
Noolon^ten (vovs, Xoyos) nennt Kant die rationalistischen Metaphysiker,
iosofem diese aus bloßen Begriffen, durch reines Denken die Wirklichkeit er-
kennen wollen (Krit d. r. Vem. 8. 643).
Norm (norma) ist eine Begel, die für eine Sphfire von Geschehnissen, Hand-
lungen Gültigkeit, Befolgung verlangt, ein Maßstab, den wir an die Beurteilung,
Wertung von G^egebenem heranbringen. Die logischen, ethischen, ästhetischen
Nonnen sind im Wesen, in der Gesetzmäßigkeit imseres Geistes, unseres Denkens,
Wollens, Fühlens gegründet. Die Normen stammen daher nicht aus der Er-
fahrung, sondern sind a priori (s. d.), als subjective Bedingungen von Urteilen,
die auf Allgemeingültigkeit Anspruch machen, für jeden Geist, für jede Ver-
nunft gelten wollen; durch innere Erfahrung werden sie uns bewußt.
MiCKAELiUB definiert: „Norma est regula, ad quam aliquid eonstituitur
seu efficiiur^^ (Lex. philos. p. 716). — Beneke leitet die Allgemeingültigkeit
der praktischen Normen aus den bei allen gleichartigen psychologischen Pro-
cessen ihrer Bildung ab (Lehrb. d. PsychoL', § 257 ff.). Nach W^indelband
ist die Norm ,jeine bestimmte, durch die Naturgesetxe des Seelenlebens herbei-
xuführende Form der psychischen Bewegung", Eigentümlich ist ihr „die Be-
xiekung auf den Zweck der Allgemeingültigkeit^* (Prälud. 8. 224 f.). „Normen
sind du^'enigen Formen der Verwirklichung von Naturgesetzen, welche unter
Voraussetzung des Zwecks der Allgemeingültigkeit gebilligt werden sollen" (L c.
S. 226). Das normative Bewußtsein verhält sich auswählend (ib.). „MV un-
mittelbarer Evidenz knüpft sieh an das Bewußtwerden der Norm eine Art von
psychologischer Nötigung, sie zu befolgen" (L c. 8. 237). Der Ablauf der Vor-
stellungen selbst führt zum Bewußtsein der Normen, und dann „wird die Norm
xu einer ordnenden und bestimmenden Macht in dem mechanischen Ablauf selbst
und führt in vollkommen naturgesetzlicher Weise ihre eigene Realisierung
herbei". Darin' besteht ihre Freiheit Diese ist „Herrschaft des Gewissens",
734 Norm — li'ormalBeit.
y^ie Bestimmung des empirischen Bewußtseins durch das Normalbewußtstin^
(L c. S. 238 f.). Nach Wundt sind Normen „Regeln, welche für bestimmU
Erscheinungen gültig sein sollen, ohne daß diese ihnen in cUlen Fällen vnrUidi
folgen" (Log. II, 513). „Den drei . . . einfachen Willenstätigkeiten, dem logischen
Denkaet, der willkürlichen Phantasievorstellung und der willkürlichen Handbmgt
entsprechen dreierlei Normen, welche das logische, künstlerische und sittUeke
Denken in allen ihren OestaUungen beherrschen" Diese Nonnen machen dch
in Gefühlen geltend, bevor sie begrifflich formuliert werden. Die Einheitlichkeit
des Willens bedingt den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Normen
(1. c. S. 513 f.). In der Forderung 6iner allgemeinen Gesetzmäßigkeit des
Seins übertragt unser logisches Denken seinen eigenen normativen Charakter
auf seine Gegenstände (Eth.*, 8. 8)*. Im weiteren Sinne ist Norm jeder „Satz,
den wir irgend einem Oehiet von Tatsachen als eine Forderung entgegenbringen^^.
Im engeren Sinne ist sie eine „Willensvorsc?iriff*, ,^ bezeichnet unier ver-
schiedenen Arten möglicher Handlungen di^enige, die bevorzugt werden soit^
(Eth.*, S. 539 f.). Es gibt „Grundnormen'* und „abgeleitete Normen", ^
bietende" und „verbietende" Normen (1. c. S. 541). Die sittlichen Normen
zerfallen (nach den Zwecken) in individuale, sociale, humane Nonnen (subjecd?^
und objectiv) (1. c. S. 557). „Sobald Normen verschiedener Gattung in Wider-
streit treten, ist der Vorxug jener xu geben, die dem umfassenderen Zwecke dient:
dem individuellen geht der sociale, dem socialen der humane Zweck vor^* (1. c
S. 548). Nach Simhel sind die (logischen) Normen „Aiehts als die Arten wtd
Formen der Relativitäten selbst, die sieh xwischen den Einzelheiten der Wirk-
lichkeit, sie gestaltend, entwickeln. Eben deshalb können sie als das Absolute
auftreten, da sie freilieh selbst nicht relativ, sondern die Relativität sdbst sind*'
(Philos. d. Geld. S. 77). Nach C. Stange entstehen ethische Normen dadurch,
daß wir „Musterbilder der ethischen Verhältnisse entwerfen" (EinL in d. Eth.
II, 140). H. CoBNELius erklart: „Da die Bestimmung unseres Strdfens durch
höhere Werte ihrerseits als die wertvollere gegenüber jeder Bestimmung durch
minderwertige Ziele charakterisiert ist, so ist die erstere Bestimmung stets
diejenige, nach welcher tcir unser Verhalten richten sollen. Jede aügemeine
Bestimmung eines Rangunterschiedes höherer und geringerer Werte ist daher
zugleich eine normative Bestimmung für unser praktisches Verhalten, d, h. für
unser Streben und Bandeln'' (Einl. in d. Philos. S. 345). Nach Hubserl setzt
jeder normative Satz eine Werthaltung voraus (Log. Unt. I, 43). Jeder Sats
ist normativ, der „irgend tvelche notwendige oder hinreichende, oder notwendige
und hinreichende Bedingungen für den Besitx eines solchen Prädieats ottf-
spricht'^ (1. c. 8. 44). Vgl. Schuppe, Die Normen des Denkens, Vierteljahrs-
sehr. f. wiss. Phüos. 7. Bd., S. 385 ff.; Sigwart, Log. II«, 730. — Vgl Sitt-
lichkeit, Denkgesetze, Imperativ, Idee, Normativ.
Normals der Norm (s. d.) gemäß, regulär (vgL Sigwart, Log. II', 670).
Normalidee« ästhetische, ist nach Kant das zwischen den einzelnen
individuellen Anschauungen schwebende Gattungsbild (Krit d. Urt § 17).
VgL Idee.
Normalrels s. Heiz.
Normalzeit und Schätzungszeit werden bei experimentellen Ver-
suchen über die Zeitvorstellung, das Zeitgedächtnis, den „2jeitsinn" (s. d.)
verglichen.
Normativ — Notwendigkeit. 735
NormatlTS normgebend, auf Normen (s. d.) bezüglich. Normative
Wissenschaften (Normwissenschaften) sind Logik, Ethik, Ästhetik, weil sie
es nicht bloß mit einem (psychischen) Tatbestande, sondern auch mit (natür-
lichen, nicht kiinsüich-willkürlichen) Normen für das Denken, Wollen, Kunst-
schaffen zu tun haben. — Nach Wundt haben die G^enstände der Norm-
wissenschaften den Charakter, ,ydaß bei ihnen gewisse Tatbestände von andern
durch das Moment einer besondem Wertsehätxung unterschieden toerden^^
(Eth.*, H. 3). Logik und Ethik sind die eigentlichen Normwissenschaften (1. c.
S. 6), so aber, dafi die Ethik (s. d.) die ursprüngliche Normwissenschaft ist
(ib.). Nach Bimmel ist die normative Wissenschaft j^nur Wissenschaft vom
Normaitoen, Sie selbst normiert niektSy sondern sie erklärt nur Normen und
ihre Zusammenhänget denn Wissenschaft fragt stets nur causal, nicht ieleo-
logisch" (Einleit. in d. Moralwiss. I, 321). Nach Husserl besteht das Wesen
der normativen Wissenschaft darin, „daß sie allgemeine Sätxe begründet, in
welchen mit Bexug auf ein normierendes Orundmaß — x, B, eine Jäee oder
einen obersten Zweck — bestimmte Merkmale angegeben sind, deren Besitx die
Angemessenheit an das Maß verbürgt oder umgekehrt eine unerläßliche Be-
dingung für diese Angemessenheit beistellt" (Log. Unt I, 27). Vgl. Ethik
Logik.
Normswaiif^ s. Zwang.
Nota: Merkmal (s. d.). Nota notae est etiam nota rei s. Dictum
de omni.
Notal heißt nach B. Avenabiüs der „Charakter" (s. d.) der Bekanntheit
(Krit d. rem. Erfahr. II, 41).
Notlon (notio) : Gkdanke, Begriff (s. d.). Zuerst bei Cicebo (Top. 6, 30)
sls Übersetzung von ifvoia. — Nach Goclen bedeutet „notio" sowohl die
it^peeies apprehensa" als die „apprehensio rei per speciem" seitens des Denkens
(Lex. philos. p. 767). Nach Migraelius ist „notio" so viel wie „coneeptus
animi de re certa" (Lex. philos. p. 713). BoKNET definiert: „Les idies auoc-
(tuelles les abstractions intelleetuelles donnent naissanee, portenl le nom gineral
de notions," „La notion n'est done pas une perception: eile ne rSstäte pas
nmplement de l'action de Vobjet sur les sens; die suppose encore une Operation
de Vesprit sur cette aetion" (Ess. anal. XV, 230). „TotUe notion renferme . . .
tm jugement" (L c. XVI, 284). Als Oedanke, Begriff bezw. als Gesamt-
vorstellung von einer Sache kommt „notion" bei Bekkeley bezw. bei Hume
vor. Kant nennt Notionen alle „a priori gegebenen Begriffe" (Ix)g. S. 143).
Notlones eommanes: Allgemeinbegriffe (s. d.).
Notwendigkeit (necessitas, dvdyxTJ) ist ein modaler (s. d.) Begriff. Er
entspringt ursprünglich aus der Beflexion auf das unter dem Einflüsse be-
stimmter Motive, Gründe, Bedingungen Nicht-anders- wollen- und handeln-
können des Willens (des praktischen und des Denkwillens) ; dieses Bestimmtsein,
Müssen wird in die äußere Erfahrung introjiciert, hineingelegt. Notwendig
ut, was nicht anders, ak es ist, gedacht werden, geschehen, sein kann, was ge-
setzmäßig auftritt, was so ist, weil ein anderes es fordert, es dazu nötigt, be-
stimmt, determiniert, veranlaßt. Es bilden sich verschiedene Notwendigkeits-
begriffe aus: 1) Subjective Notwendigkeit: a. psychologische N., die
Bestimmtheit der Bewußtseinsvorgänge durch andere (Notw^endigkeit der Asso-
736 ITotwendigkeit.
oiation); b. logische N., Bestimmtheit des Denkens (Urteilens, Schlieflcns)
durch logische Motive, durch Gründe, durch bestimmte Denkacte und Denk-
inhalte, durch apriorische Gesetsce (formal- und materiallogische, mathematische,
erkenntnistheoretische Notwendigkeit); c. praktische N., Bestinomtheit der
Handlungen durch den Willen überhaupt, der Willensacte durch die Motire,
durch den Grundwillen; d. moralische N., Bestimmtheit der Handlungen
durch den „ Willen xum Outen*% der Willensintentionen durch den allgemeinen
8ittlichkeitswillen. 2) Objective (Natur-) Notwendigkeit (die den Au£eo-
dingen, Außenvorgang^n auf Grund der Erfahrung zugeschriebene Notwendig-
keit, das Folgen und Erfolgenmüssen): a. physisch-empirische N., Bestimmt'-
hMt eines Vorganges durch andere; b. metaphysische N., Bestimmtheit der
Tätigkeiten durch das Wesen der Dinge, der transcendenten Factoren. — Za
imterscheiden sind femer begrifflich: causale N., die Bestimmtheit der Wir-
kung durch die Ursache; teleologische N., Bestimmtheit, Bedingtheit der
Mittel durch den Zweck. Femer: relative N., die Notwendigkeit als Be-
dingtheit; absolute N., die unbedingte Notwendigkeit im und aus dem Ab-
soluten. — Gegensatz zur Notwendigkeit ist die Zufälligkeit (Contingenz, s. d.),
zum Zwang (s. d.) die Freiheit Notwendigkeit und Freiheit schließ^i einand«
nicht aus (s. Willensfreiheit).
Die alten (Dramatiker und) Naturphilosophen hypostasieren die reale, ob-
jective Notwendigkeit zum Schicksal (s. d.), zur eifta^fuvfj. Sophokles: ir^
T^v avdyxTjv ol8 '-^^6 dvd'taTarat, £UBIPIDE8: noos T^v avdyxr^ ndvrm
xdlX ffoT dad-evr} (vgl. Stob. EcL, I 3, 154, 156). Pythagoras erklärt,
dvdyxtjv Tte^ixalad'ai Ttf x6afi<^ (ib.). Nach Hebakiit ist die slfttz^uirr] der
Logos (8. d.), eine vernünftige Notwendigkeit waltet in den Dingen (Diog. L
IX, 1, 7). Nach Leukipp und Demokbit geschieht alles xar drdymrr (Diog.
L. IX, 7, 45; Stob. Ecl. I, 5, 160), streng causal-mechanisch. Diodob hält
alles Mögliche für wirklich, alles Wirkliche für notwendig (s. Möglichkeit).
„Nihil fierif quod non necesse fuerit" (Cic, Üe fato 17). — Plato bestinunt die
(blind-causale) Notwendigkeit als ein neben der teleologischen (s. d.) Ideen-
Wirksamkeit herrschendes Naturprincip, das sich aber dem Xdyos, der Ver-
nünftigkeit, unterordnen muß: Jel Si xal rd Bi'dvdyxf^g yiyroiiGva t^ if^f^
TtaQad'iif&at* fisfiiYfiiviq yd^ ev »; TOv9e rov xdü/iov yirtüte dS drdyitr^ ta xai
vov avardaeojs iyBwrj&r}' vov 8i dvdyxrjG ä^;|fo«nroe rtp nai^atv atn^ xwt
yiyvu/idv<ov Tce nkeUiTa ini id ße'Xriarov ayaiv, ravTrj xard ravxd ra 8i avdyx^
^TTfOfJhinji iiTio neid'ovg ^/i^poros oinea xar dg^dg ^wiatato roSa x6 naw
(Tim. 47 E, 48 A). Aristoteles definiert das Notwendige als das Nicht-
anders-sein-könnende {x6 fiij t.vBaxofievov dXXfog fyaiv dvayxalov tpaftev^ MeL
y 5, 1015 a 34). Objective und logische Notwendigkeit werden unterschieden
(1. c. V, 5). Das dvayxalov j rd dS dvdyxije steht dem avfifießrjxoe (s. Acciden»)
g^enüber (Met. VI 2, 1026b 28 squ.). Das Notwendige ist das dai im Cregen-
satz zum tni tö noXv (Met XI 8, 1064b 33 squ). Es gibt ein dvayxaUv
dnköji^ dS vnod'iaeeos (bedingte Notwendigkeit), ftiq (Zwang). Was ist, ist, in-
sofern es ist, notwendig : to alvai ro ov otav ^, xai rd fir, ov firj alvai dxar ft^
p, dvdyxrj (De Interpret. 9). Die logbche Notwendigkeit bestimmen die Stoiker
als das widerspruchslos Wahre: dvayxalov Sa dütiv onag d?.ij9'ig ov ovx i^rnr
dntdexTixov rov rpevSos ett'ai (Diog. L. VII, 75). Die physische Notwendigkeit
beherrscht alle Dinge (s. Schicksal). Nach Plotin ist die fvcis »6^^'
Notwendigkeit. TS«
gemischt {/jiafiiy/isvTJ) ifx %• rov nai avdyxrje (Enn. I, 8, 7). — Die streng causale
(s. d.) Notwendigkeit des Alls betont Lügrez im Sinne des Epikureismus.
Verschiedene Arten der Notwendigkeit unterscheidet die Scholastik.
Ajr8£LM bemerkt: „Est . . . necessitas praeeedcns, quae eausa est, tU stf res; et
est neeessitas consequens, quam res fadP^ (Cur Deus homo II, 18). Albertus
Magnus unterscheidet: „necessitas absoluta, eansequens, positione, causcUiter,
rei" (Sum. th. I, 62, 8; II, 3, 2). Thomas definiert: „Necesse est . > ,, quod
non potest tum esse^* (Sum. th. I, 82, 1). Es gibt „necessitas entis, essendi" als
Gegensatz zur „conHngenHa** (Ck)ntr. gent. I, 42), „necessitas naturalis, absoluta,
condieionalis, ftnis, coadionis, eonsequentis, ex alio, formae, materiae" (De veiv
22, 5). „Necessartum vel habet causam suae nee cUiunde, vel non, sed est per
seipsum necessarium" (C!ontr. gent. I, 15). „Necessitas naturalis non repugnat
volunicUi** (Sum. th. I, 82, 1). — Micraelius erklart: „Neeessitas dioitur a
non eessando, aiU quod absque illo res nee est, nee esse potest,^* Es gibt
„neeessitas indigentiae (xQeia), eoaetionis, expedientiae, immutabüitatis**. Letz-
tere ist jene, „qtdae non potest aliter esse** (Lex. philos. p. 703). Es gibt femer
y^neeessitas in praedieando" und „existentiae" , „neeessariutn absolute" und
,/»ypothetice" (L c. p. 704 f.).
Die Notwendigkeit des Schicksals, wonach alles in der Natur geschieht,
betont Campanella. Es gibt „necessitas quidditatis, inevitabilitatis, infalli^
büitaiis", erstere kann nicht einmal von Gk>tt aufgehoben werden, z. B. die
geometrische Notwendigkeit (Univ. philos. IX, 1). Die Existenz notwendiger
Wahrheiten (s. Wahrheiten) lehrt (wie schon die Scholastik) Desgabtes. —
G. Bruno erklart: „Vokmtas divina est non modo neeessaria, sed etiam est
ipsa necessitas . . . Necessitas et libertas sunt unum'* (De immenso I, 11).
Spinoza versteht imter dem (logisch-objectiven) Notwendigen das, dessen Nicht-
sein einen Widerspruch involviert (Emend. int). Notwendig ist, „cuius nulla
ratio nee eausa datur, quae impedit, quominus existat^ (Eth. I, prop. XI, dem.).
Grott ist (als „ca^isa sm", s. d.) notwendig („necessario existit^, Eth. I, prop. XI).
Aus Gottes Wesen (Natur) „folgte*' („sequitur**J alles mit logischer Notwendigkeit,
und doch ist Grott, da nichts außer ihm besteht, frei. „Ex sola divinae naturae
neeessüaie, vel (quod idem est) ex solis eiusdem naturae legibus" (Eth. I, prop.
XVII, dem.). In der Natur ist alles determiniert. „In rerum natura nullum
datur contingens, sed omtiia ex necessitate divinae naturae determinata sunt ad
eerto modo existendum et operandum" (Eth. I, prop. XXIX). „Res nullo alio
modo neque cUio ordine a Deo produei potuenmt, quam productae sunf* (Eth. I,
prop. XXXIII), weil die Dinge Modi der ewigen Wesenheit Gottes sind.
^jQuicquid condpivnus in Dei potestate esse, id necessario est" (Eth. I, prop.
XXXV, s. Ewigkeit). „Res aliqua neeessaria dicitur vel ratione suae essentiae,
vel ratione ca/usae. Rei enim alicuius existentia vel ex ipsius essentia et
definitione, vel ex data causa efficiente necessario sequitur^* (Eth. prop. XXIX,
schoL I). Notwendigkeit im Sinne des Zwangs wird von dem Dinge aus-
gesagt, „quae determinatur ad existendum et operandum certa oc determinata
ratione" (Eth. I, def. VII). Letbniz unterscheidet „geometrische^' (logische),
„physische^*, „moralisch^' Notwendigkeit. Die „geometrische**^ Notwendigkeit
ist jene, deren Gegenteil einen Widerspruch einschließt (Theod. II. B, § 282),
die moralische die, welche der freien Wahl der Weisheit in Bezug auf ihre
Endzwecke entspringt (1. c. § 349); daher ist die Notwendigkeit Consequenz
des Handelns und Wollens, keine Nötigung, kein Zwang (1. c. II, Anl. 1, § 3).
PhlloBOphiioh«! WOrterbnoh. %, Aufl. 47
738 ITotwendigkeit.
Man kann sagen, ^^que la neeessite physique est fondee sur la neeessiU
morale, c'est ä dire sur le ckoix du sage, digne de sa sagesse et que Pune mun
bien que Vautre doit etre disitnguie de la necessite gSomStrique, (küe
necesstte physique est ee qui faü Vordre de la nature et cansisie dans les riglts
du mouvement et dans quelques autres loix g^nSrales; qu'il a plu ä Dien de
dofmer attx choses en leur donnant l'etre^* (Theod. I. A, § 2; vgL § 124, 175:
s: Wahrheit). Chr. Wolf definiert: ,,Guius oppositum impossibUty seu contra^
dictionem involvü^ id neeessarium dieitur*' (Ontolog. § 279). Vom „neeesearium
absolute^* ist das jjiypothetiee neeessarium^* zu unterscheiden (1. c § 317 ij;
eine Abart des letzteren ist das natürliche, physische Kotvendige. yf Spede^
illa neeessitatis hypotheticae, quae a eonsHtutione universi et eausarum serie,
seUy ut alii loquuntuTy a praesente reruan ordine pendet, neeessttas pkysiea je»
naturalis appellatur*' (Cosmolog. § 109). „Moraliier neeessarium est, emus
oppositum moraliter impossibile^* (Philos. pract 1, § 115). ,j^as in dieter
Welt möglieh ist, das muß auch kommen, wenn es nicht schon dagewesen oder
noch da ist, und kann unmöglich außen bleiben" ,,Es ist aber aUerdings ei»
merklicher Unterschied unter demjenigen, was schlechterdings notwendig ist und
was nur unter gewisser Bedingung . . .- notwendig ist," Man nennt ffSMeekter-
dings notu^endig, toas vor sich notwendig ist oder den Grund der Notwendigkeit
in sich hat: hingegen notwendig unter einer Bedingung, was nwr in Ansehutig
eines andern notwendig wird, das ist, den Örund der Notwendigheit außer skh
hat. Und die letztere Art der Notwendigkeit wird insbesondere die Notwendig-
keit d&r Natur genennet, weit sie ihren Orund in dem gegenwärtigen Laufe der
Natur hat, das ist in dem gegenwärtigen Zusammenhange der Dinget, Die
geometrische und metaphysische Notwendigkeit ist in den Dingen befindlich,
welche zur Greometrie und Metaphysik gehören (Vem. Ged. I, § 575). Abscdut
notwendig ist nach Bilfinoer, was „per ipsam rei essentiam adest, sine prae-
supposita aliqua hypothesi et conditione" (Düuc. § 47). C&USIUS bestimmt:
„Notwendig ist, was dergestalt ist oder geschieht, daß es nicht anders sein oder
geschehen kann" (Vemunftwahrh. § 120). Nach Platner ist notwendig ,/illet
das, was gedacht werden muß** (Philos. Aphor. I, § 834), „was nach der Ver-
nunftidee (als logisches Urteil) gedacht loerden muß** (Log. u. Met. S. 90; v^.
Mendelssohn, Morgenst. I, 284 ff.).
Locke erklärt: „ Wo das Denken oder die Macht, nach der Leitung der Ot'
danken xu handeln oder nicht xu handeln, ganx fehU, da tritt die Noiwendigkat
ein** (Ess. II, eh. 21, § 13). Nach Priestley (wie schon nach Hobbes, s. Oan-
salität) herrscht in der ganzen Natur causale Notwendigkeit „/ mainiain, tkere
is some fioced law of nature respeeting the will as well as the other powers of
the mind and every thing eise in the Constitution of nature^* (Of philos. Neceasit
1777, p. 7). — HuME betont, Notwendigkeit sei nichts Gregebenes, nichts Ob-
jectives, sondern rein subjectiv- psychologisch, Product der Association (s. d.).
„Ich finde, daß nach häufiger Wiederholung der Oeist beim Auftreten eines dir
Gegenstände durch die Gewohnheit genötigt wird, den Gegenstand sich xu ver-
gegenwärtigen, der ihn gewöhnlich begleitete, und xwar so, daß er vermöge dieser
Bexiehung xu jenem erstem Gegenstande in helleres Licht gesetzt erscheint. Dieser
Eindruck oder diese Nötigung nun ist dasjenige, was mir die Vorstellung der
Notwendigkeit verschaffte* (Treat. III, sct. 14). „Die Vorstellung der Notwendig-
keit entsteht aus einem Eindruck. Kein Eindruck, der uns durch unsere Sintie
xugeführt wird, kann diese Vorstellung veranlassen. Sie muß also aus
l^otwendiskeit. 739
mnem Eindruck oder einem Eindmek der Reflexion stammen. Es gibt aber
keinen andern innem Eindruck, der irgend eine Beziehung xu dem hier in Rede
stehenden Phänomen hätte^ als jene durch die Gewohnheit hervorgerufene Cteneigt-
keä, von einem Gegenstande auf die Vorstellung desjenigen Gegenstandes Ober-
%ugehenj der ihn gewöhnlich begleitete. Jbi ihr besteht also das Wesen der Not-
wendigkeit. Allgemein gesagt^ ist die Notwendigkeit etwas j das im Geist besteht,
nicht in den Gegenständen; wir vermögen uns niemals eine, sei es auch noch
so annäherungsweise Vorstellung von ihr xu machen, solange wir sie als eine
Bestimmung der Körper betrachten. Entweder also, wir haben überhaupt keine
Vorstellung der Notwendigkeit, oder die Notwendigkeit ist nichts weiter als jene
Nötigung des Vorstellens, von den Ursctehen xu den Wirkungen oder von den
Wirkungen xu den Ursachen, entsprechend der von uns beobachteten Verbindung
derselben, Hberxugehen^^ (1. c. S. 224 f.). „ Wie also die Notwendigkeit, daß xwei-
mal xwei vier ist, oder daß die drei Winkel eines Dreiecks gleich xwei Reckten
sind, nur au dem Acte unseres Verstandes haftet, vermöge dessen wir diese Vor-
stellungen betrachten und vergleichen, so hat auch die Notwendigkeit oder Kraft,
die Ursachen und Wirkungen verbindet, einxig in der Nötigung des Geistes,
ton den einen auf die anderen ilberxugehen, ihr Dasein^^ (1. c. 8. 225). „ Unser
Begriff einer Notwendigkeit und Causalität entspringt also lediglieh aus der
wahrnehmbaren Gleichförmigkeit in der Natur, in welche gleiche Dinge immer
miteinander verknüpft sind und der Verstand durch Gewohnheit bestimmt wird,
von dem einen auf dfis andere xu sehließen" (laquir. VIII, sct. 1).
Sowohl gegen die Übertragung der Notwendigkeit auf die Dinge an sich
sdtens des ontologistischen Bationalismus (s. d.), als auch gegen die
bloß empirisch-inductive Auffassung der logischen Notwendigkeit und
endlich gegen die skeptische (s. d.) Leugnung aller Denknotwendigkeit wen-
det sich Kakts Lehre vom a priori (s. d.) des Erkennens. Strenge, apodik-
tische (s. d.) Notwendigkeit liegt nicht im Gegebenen, in der Erfahrung (s. d.),
auch nicht in der Association, sondern in der Gesetzmäßigkeit, mit der der
Geist wahrnimmt und denkt, in den Formen (s. d.) der Anschauung und des
Denkens und in der allgemeinen Bedingtheit jeder möglichen Erfahrung durch
sie. Die Notwendigkeit der Axiome (s. d.) der Naturwissenschaft und der
Mathematik beruht auf der Apriorität von Baum, Zeit und den Kategorien
(s. d.). Fa ist die Art des Greistes, nicht anders erkennen zu können, als es
die Form seiAer Synthesis (s. d.) fordert. — Als modale (s. d.) Kategorie be-
deutet das Notwendige das, „dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach
allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist^^ (Krit d. r. Vem. S. 202).
Objective Notwendigkeit kann nicht rein begrifflich, sondern nur erfahrungs-
mäßig-gesetzlich constatiert werden und bezieht sich nicht auf das Sein, son-
dern auf Vorgänge, Erscheinungen in ihren Beziehungen zueinander. ,J)a
ist nun kein Dasein^ was unter der Bedingung anderer gegebener Erscheinungen
als notwendig erkannt werden könnte, als das Dasein der Wirkungen aus ge-
gebenen Ursachen nach Geseixen der OauscUität. Also ist es nicht das Dasein
der Dinge (Substanxen), sondern ihres Zustandes, wovon wir allein die Notwendig-
keit erkennen können, und xwar aus andern Zuständen, die in der Wahrnehmung
gegeben sind, nach empirischen Gesetxen der Causalität. Hieraus folgt: daß
das Kriterium der Notwendigkeit lediglich in dem Gesetxe der möglichen Er-
fahrung liege: daß alles, weis geschieht, durch ihre Ursache in der Erscheinung
bestimmt sei. Daher erkennen unr nur die Notwendigkeiten der Wirkungen in
47*
740 Notwendigkeit.
der Natur ^ und das Merkmal der Noiwendigkeü im Dasein reicht nickt weiter,
als das Feld möglicher Erfahnmgj und selbst in diesem ffüt es nickt von der
Existenx der Dinge, als Substanxen, weil diese niemals als empirische WirhmgeHj
oder etwaSf das geschieht und entsteht, können angesehen werden. Die Notwendig-
keit betrifft also nur die Verhältnisse der Erscheinungen wich dem dffnamiseken
Gesetze der Causalität und die darauf sich gründende Möglichkeit, aus irgend
einem gegebenen Dasein (einer Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (der
Wirkung) xu schließen/^ jy^ll^y v?as geschieht, ist hypotheiisch notwendig, das
ist ein (jhrundsaix, welcher die Verändertmg in der Welt einem Öesetxe unter-
tpirft, d. i. einer Regel des notwendigen Daseins, ohne welche gar nickt einmal
Natur stattfinden würde. Daher ist der Satz ,Nichts geschieht durch ein blindes
Ohngefähr (in mundo non datur casus/ ein Naturgesetz a priori; imgldehe»
keine Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin verständ-
liehe Notwendigkeit (non datur fatum). Beide sind solche Gesetze, durch tcekh
das Spiel der Verämderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen)
unterworfen wird, oder, tcelches einerlei ist, der Einheit des Verstandes, in
welchem sie allein xu einer Erfahrung, als der synthetischen Einheit der Er-
scheinungen, gehören können" (1. c. S. 211 f.). Zu betonen ist : „ Die unbedingte Not-
u>endigkeit der Urteile ,..ist nicht eine absolute-Notwendigheit der Sachen, Denn die
absolute Notwendigkeit des Urteils ist nur eine bedingte Notwendigkeit der Sacke
oder des Prädicats im ürteilef^ (1. c. S. 469). Den Geschmacksurteilen (s. Ästhetik)
kommt subjective Notwendigkeit zu (Krit. d. Urt. § 22). Nötigung ist die Be-
stimmung des Willens gegen dessen Gutfinden (Grundleg. z. Met. d.8itt.2. Abschn.).
In der Philosophie nach Kant wird die Notwendigkeit bald als Aprioritat (B.d.),
bald empiiisch-Bubjectiv (psychologisch) oder empirisch-objectiv , bald rationsl
und objectiv (metaphysisch), bald empirisch-rational, subjectiv-objectiv bestimmt.
G. E. Schulze bemerkt, Notwendigkeit sei kein Kriterium des a priori
(s. d.), sondern komme auch den als vorhanden anzuerkennenden Empfindungen
zu (Aenesid. S. 144). Nach Boütebwek ist empirisch notwendig, ^,was nickt
xu ändern is1^\ philosophisch „der feste Punkt, an den die Vermmfl alle Urteile
anxüknüpfen stteht, durch die sich die Wissenschaft unterscheiden soll von der
Meinung" (Lehrb. d. philos. Wissensch. I, 121), Auf die Form des Ganüts
gründet sich die formale Notwendigkeit der Urteile, die sich aus dem Bevufitr
sein der höchsten Gesetze des menschlichen Erkennens entwickeln (L c. 8. 121).
Die metaphysische Notwendigkeit hat Beziehung aufs Dasein. „Im Absoluten
selbst ist das Mögliche mit dem Wirklichen und Notwendigen eins und dasselbe'
(1. c. B. 122 f.). Nach Feies ist die Notwendigkeit in unserer Erkenntnis nur
„durch ursprünglich dauernde, sieh gleich bleibende lUtigkeit der einen Erkennt-
niskraft in unserer Vernunft möglich" (Neue Krit II, 43). „Wenn wir ein-
zelne Begebenheiten, die uns vor der Anschauung erseheinen, außer ihrem Zu-
sammenhang betrachten, so reden vnr vom bloß Wirkliehen; nehmen uir
dagegen mit auf diesen Zusammenhang Rücksicht, so finden wir dann ihre
Notwendigkeit" (Syst. d. Log. S. 159). Nach J. G. Fichte ist die Deiik-
notwendigkeit ,^icht absolute Notwendigkeit, dergleichen es überhaupt nicht geba^
kann, da ja alles Denken von einem freien Denken unser selbst ausgeht, sondern
dadurch, daß überhaupt gedacht werde, bedingt" (Syst. d. SittL 52). SCHEUiKO
bestimmt: ,yNotwendig ist, was in aller Zeit gesetzt is^' (Syst d. tr. Ideal
S. 312 f.) — Nach Che. KbaüSE ist die Notwendigkeit eine „Ihilbexugkeif
der „Seinheit'' (s. d.). Etwas ist für etwas notwendig heißt, es ist „ein-ieutg-
Notwendigkeit. 741
wesenlieh- eUi** hinsichtlich dessen (Vorl. üb. d. Syst 8. 421 ff.). Nach Hille-
BKAND ist Notwendigkeit ,/ia8 Denken des Zweckes der Dinge für das Denken^^,
Das Sein ist seine eigene absolute Notwendigkeit (Philos. d. Greist II, 60 ff.).
— Hegel hypostasiert die Notwendigkeit zu einem Moment des Seins selbst
„Wenn alle Bedingungen vorha/nden sind, muß die Sache wirklich werden,
und die Sache ist selbst eine der Bedingungen, denn sie ist xunächst als Inneres
selbst nur ein Vorausgesetztes. Die entwickelte Wirklichkeit, als der in eins
fallende Wechsel des Innern und Äußern, der Wechsel ihrer entgegengesetxten
Bewegungen, die xu einer Bewegung vereint sind, ist die Notwendigkeit**
(EncykL § 147). „Die Notwendigkeit ist an sieh daher das eine mit sich
identische aber inhaltsvolle Wesen, das so in sich scheint, daß seine Unter-
schiede die Form selbständiger Wirklicher haben, und dies Identische ist
zugleich als absolute Form die Tätigkeit des Aufhebens in Vermitteltsein und
der Vermittlung in Unmittelbarkeit. — Das, was nottcendig ist, ist durch ein
anderes, welches in den vermittelnden Orund (die Sache und die Tätigkeit)
und in eine unmittelbare Wirklichkeit, ein Zufälliges, das zugleich Bedingung
ist, xerfdülen ist. Das Notwendige als durch ein anderes ist nicht an und für
sieh, sondern ein bloß 0 es e Ixt es. Aber diese Vermittlung ist ebenso unmittel-
bar das Aufhdfcn ihrer selbst f der Grund und die zufällige Bedinguttg wird in
ünmiUelbarkeit übergesetzt, wodurch jenes Gesetztsein zur Wirklichkeit auf-
gehoben und die Sache mit sich selbst zusammengegangen ist. In dieser
Büddcehr in sich ist das Notwendige schlechthin, als unbedingte Wirklichkeit.
— Das Notwendige ist so, vermittelt durch einen Kreis von Umständen: es
ist so, weil die Umstände so sind, und in einem is^ es so, unvermittelt, —
es ist so, weil es ist*' (1. c. § 149). „Das Notwendige ist in sich absolutes
Verhältnis, d. i. der entwickelte Proceß, in welchem das Verhältnis sich ebenso
zur absoluten Identität aufhebt** (L c. § 150). Nach K. Bosenkkakz ist der
Grund der realen Möglichkeit „die absolute Notwendigkeit, welche an und für sich
nicht anders sein kann, als sie ist** (Syst d. Wissensch. S. 80). — Chalybaeüs
versteht unter Notwendigkeit „die Wirklichkeit desjenigen, de-ssen Nichtsein un-
denkbar, widersprechend und unmöglich ist** (Wissenschaftslehre S. 237 ff.).
Trendelenbubg betont, „fiaß die Notwendigkeit, eine Tat des Denkens, ihr
strenges Band aus den realen Elementen webt, und daß sie, weit entfernt, nur
subjeetiv zu sein, eine eigentümliche Doppelbildung ist, in unsicher das Denken
mit dem Sein verschmilzt** (Gesch. d. Kategorienl. S. 378). „ Wenn alle Be-
dingungen erkannt sind und demnach die Sache aus dem ganzen Grund ver-
standen wird, so daß das Denken das Sein völlig durchdringt: so gibt das den
Begriff der Notwendigkeit^* (Log. Unt II», 165).
Schopenhauer leitet die Notwendigkeit aus dem Satze vom Grunde (s. d.)
ab. ,Jeh behaupte, daß Notwendigsein und Folge aus einem gegebenen Grunde
sein durchaus Wechselbegriffe und völlig identisch sind. Als notwendig können
wir nimmermehr etwas erkennen, ja nur denken, als sofern wir es als Folge eines
gegebenen Grundes ansehen: und weiter als diese Abhängigkeit, dieses Gesetxtsein
durch ein anderes und dieses unausbleibliche Folgen aus ihm enthält der Begriff
der Notwendigkeit schlechthin nicht. Er entsteht und besteht also einzig und
allein durch Anwendung des Satxes vom Grunde. Daher gibt es, gemäß den ver-
schiedenen Gestaltungen dieses Satzes, ein physisch Notwendiges (der Wirkung
aus der Ursache), ein logisch (durch den Erkenntnisgrund, in analytischen Ur-
teilen, Schlüssen u. s. w.J, ein tnathematisch (nach dem Seinsgrunde in Raum
742 Notwendisk«lt.
und Zeit) und endlich ein praktisch Notwendiges, wodurch wir nicht etwa das
Bestimmtsein durch einen angeblich kategorischen Imperativ, sondern die, bei
gegebenem empirischen Charakter, nach vorliegenden Motiven notwendig eintretende
Handlung bezeichnen wollen, — Mies Kotwendige ist es aber nur relativ, nämliek
unier der Voraussetzung des Grundes, aus dem es folgt: daher ist die absolute
Notwendigkeit ein Widerspruch'' (W. a. W. u. V. I. Bd., Krit d KantBchen
Philos. S. 461 f.). Notwendigkeit ,JuU keinen andern wahren und deutlichen
Sinn als den der ünausbleiblichkeit der Folge, wenn der Qrund gesetzt ist".
Es gibt eine vierfache Notwendigkeit: „1) Die logische, nach dem Satz vom
Erkenntnisgrunde, vermöge welcher, wenn man die Prämissen hat gelten lassm,
die Conelusion unweigerlich zuzugeben ist. 2) Die physische, nach dem Gesetz
der Causalität, vermöge welcher, sobald die Ursache eingetreten ist, die Wirkung
nicht ausbleiben kann. 3) Die mathematische, nach dem Satz vom Grunde des
Seins, vermöge weleher jedes von einem wahren geometrischen Lehrsatze auS'
gesagte Verhältnis so ist, wie er es besagt, und jede richtige Rechnung ununder-
leglich bleibt. 4) Die moralische, vermöge weleher jeder Mensch, auch jedes Tier,
nach eingetretenem Motiv, die Handlung vollziehen muß, welche seinem an-
geborenen und unveränderlichen Charakter allein gemäß ist, und demnach jäxt
so unausbleiblich, vne jede andere Wirkung einer Ursache^ erfolgt^'^ (Vierf. Won.
C. 8, § 49). Nach F. A. Lange besagt die Notwendigkeit des Geschehens
„nichts als seine Allgemeinheit^^ (Lo^- Stnd. S. 41). Die Kantianer (s. <L)
fassen die Notwendigkeit im Erkennen als apriorische Gesetzmäßigkeit aul —
Nach BoLZANo hat Notwendigkeit nur in Beziehung auf den Begriff des Seins
Geltung (Wissensch. II, 2S9, § 182). Jedes Müssen ist ein „Seinmuseen^'^ (L c
S. 230). Notwendig ist das Sein eines Gegenstandes, „wenn es eine reine Be-
griffswahrheü von der Form: A! ist (oder hat Dasein) gibt, in welcher A eim
dejn Gegenstand A umfassende Vorstellung ist^* (I. c S. 230 ff.).
W. BosENKKANTZ definiert das Notwendige als das, ,^was einen zwingen-
den Grund seiner Wirklichkeit hat, zufällig dagegen dasjenige, was keinen
solchen Grund hat, oder wovon uns wenigstens ein solcher Grund nicht be-
kannt ist*^ (Wissensch. d. Wiss. II, 127). „ßine Notwendigkeit erfahren wir
allerdings atich in der äußern Anschauung, sofeme wir tms in dieser der Em-
pfindungen der äußeren Dinge nicht ertoekren können^ und dieselben sieh uns
selbst gegen unsem Willen aufdringen. Diese Notwendigkeit fällt jedoch einzig
und allein auf unsere Seite. Sie besteht lediglieh in dem Gefühle aufgehobener
Freiheit in uns, welche uns über den Grund der At^hebung gar nichts entnehmen
läßt." „Der Zwang der Wirklichkeit, welcher im Begriffe der Notwendigkeit
liegt, kann nur aus dem Verhältnisse zwischen Ursache und Wirkung ent-
springen. Nur eine Ursache, welche eine bestimmte Wirkung unvermeidlieh her-
vorbringt, kann eine Notwendigkeit begründen" L c. S. 128). Die unvermeidliche
Folge aus dem Grunde ergibt die Notwendigkeit. „Alle Notwendigkeä besteht
darin, daß Verschiedenes miteinander zusammentrifft und das Zusammen-
treffen durch einen gemeinschaftlichen Grund bestimmt ist." Im abeoluteo
Geist fällt der Unterschied zwischen Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendi^eit
hinweg (1. c. S. 232, 234). Gizygki erklärt: „Notwendig sein heißt: aus einem
zureichenden Grunde folgen" (Moralphilos. S. 209). Die Notwendigkeit liegt
im Subject (1. c. S. 210). Nach Ulrici ist denknotwendig alles, ohne wdches
tmser Denken in seiner logischen Bestimmtheit unmöglich wäre (Log. 8. 40).
Nach Teichmülles bedeutet Notwendigkeit, „daß die Bewegung des Denkens
Notwttndiskeit 743
immer dieselben Coordinationen trifft^ so weit man auch versucht, andere Wege
*u nehmen*' (Neue Grundl^. 8. 125). Nach Planck knüpft sich die Not-
wendigkeitskategorie an das logische Causalgesetz. Diesem muß sich alles
Wirkliche fügen. ,,D€r Gedanke der Notwendigkeit^ der uberaÜ an das logische
Causalgesetx sich knüpft und sein Wesen ausmacht, ist überall kein empirischer
. . ., sondern ein rein logischer und formaler*^ (TestauL ein. Deutsch. S. 319).
Nach Lewes ist Notwendigkeit f,the intuüion of the actual factors — the per-
eeption of adequate rekUion — the reeognition that, what is, must be what it is'^
(PlobL 1, 397 f. ; vgl HoDOSON, Phüos. of Eefl. 1, 244 ff., 422 ff., 432 ff. ; U, 100 ff.).
Nach Überweg tut die Einsicht not, „daß die Denknotwendigkeit niemals
für sieh allein, sondern immer nur, sofern sie in den logischen Gesetzen sich
offenbart, maßgebend sein darf' (Welt- und Lebensauff. 8. 74). „Wo uns die
logischen Gesetze nötigen anzunehmen, daß etwas an sich so sei, wie wir es
denken, ist jeder Zweifel notwendig ausgeschlossen" (L c. 8. 78). Volkelt
versteht unter sadüich-logischer Notwendigkeit die ,/lirecte, reine Abhängigkeit
meiner Vorstellungsverknüpfungen von der in der Sache liegenden Bedeutung'''
(Erf. u. Denk. 8. 140 f.). B. Ekdmann bemerkt: „Die Denknotwendigkeit . . .
ist eine obfeetive; sie fließt aus den Bedingungen unseres Denkens entsprechend
der Natur seiner Gegenstände^' (Log. I, 6). Die Denknotwendigkeit ist nur eine
hypothetische, keine absolute Notwendigkeit (1. c. I, 372 ff.). Nach G. Glogau
stammt Notwendigkeit aus dem Denken, denn ,ysie besteht in der Einbildung
der logischen Forderungen in das sinn- und xieUose Spiel der niederen Wahr-
nehmung" (Abr. d. philos. Grundwiss. I, 361 f.). — E. Dührikg sieht in der
Notwendigkeit keinen Begriff mit besonderem Inhalte. ,J>ie Notwendigkeiten
sind entweder absolute Tatsachen, wie die aadomaiischen Bestandteile der Natur-
Verfassung und des Denkens, oder sie sind Bexiekungsformen, die wiederum auf
einfache sachliche oder begriffliehe Verbindungsarien zurückzuführen sind^' (Log.
S. 195). „Unmöglichkeit ist der Kern alür Notwendigkeit, die daher sogar
wesentlich einen verneinenden Charakter hat. In aller Notwendigkeit liegt es,
daß etwas nicht anders sein kann. Es ist also etwas Einschränkendes vorhanden,
in Bezug worauf der gedankliche Zwang statthat. Ja es liegt sogar der Gedanke
der Unterordnung und mithin der Passivität in der Notufcndigkeit*' (Wirklich-
keitsphilos. 8. 372). „Insofern das Taisächliehe den Spielraum einschränkt,
macht es irgend etwas notwendig; indem es überhaupt einen Spielraum bietet,
macht es allerlei möglieh" (1. c. 8. 373). — Nach Hagemann ist notwendig
,4as Sein, dessen Nichtdasein unmöglich ist," „Absolut notwendig ist dasjenige,
dessen Gegenteü in sich widersprechend, also absolut unmöglich ist; relativ oder
bedingt notwendig dasjenige, dessen Gegenteil unter gewissen Bedingungen un-
möglich ist" (Met.*, 8. 15). Nach Gutberlet ist „Notwendigheit eines Urteils"
i^twendige Wahrheit eines Urteils", „Absolut notwendig ist, was unter keiner
Bedingung nicht nicht sein kann, oder unter jeder Bedingung ist, dessen Sein also
unabhängig (absolutum) ist von jeder Bedingung, Diese Notwendigkeit kommt
im Gebiete des Existierenden nur Gott, im Gebiete des Mogliehen den idealen
^'esenheiten xu Hypothetisch notwendig ist, was zwar auch nicht sein kann,
aber unter gegebener Bedingung ist." „Für die Existenz der Geschöpfe gibt es
keine ihnen vorausgehende oder in ihnen gelegene Notwendigkeit, ist aber
ihre Existenz Totsage geworden, so ergibt sich aus derselben von selbst eine
tatsächliche, historisdie Notwendigkeit, welche als solche (der Thtsache) nach-
folgende Notwendigkeit heißt" (Log. u. Erk.«, 8. 153).
744 Notwendigkeit.
Nach E. V. Hartmann hat die Notwendigkeit keine Statt« in der sab-
jectiv idealen Sphäre, sofern die unmittelbare Erfahmng in Betracht kommt;
nur der Schein von ihr entsteht hier, wenn der naiv realistische Glanbe an die
Oausalität der mit den Dingen an sich identificierten Wahmehmungsobjecte
unkritisch festgehalten wird (Kategorienlehre S. 340 f.). HÖfler rechnet die
Notwendigkeit (mit der Möglichkeit, Unmöglichkeit) zu den „Verträgliehktü»'
Belationen*' (Grundl. d. Log. S. 37). — Nach öigwart erhalt die Denknot-
wendigkeit j,ihren eigenen Charakter ziäetxt von der Einheä des Selbstbeteußt-
seins*^ (Log. I*, 243). Zu aller logischen Notwendigkeit ist zuletzt f,ein seiendes
denkendes Subfeet, dessen Natur es istj so xu djenki&fi.^'' vorauszusetzen (L c.
S. 262). Etwas als notwendig erkennen heißt ^ßs als Folge von etwas erkenne»,
das sfsiig und allgemein giW^ (1. c. S. 257). In jedem mit yollkommenem Be-
wußtsein ausgesprochenen Urteil wird die Notwendigkeit, es auszusprechen, mit-
behauptet (1. c. S. 230 ff.). Es gibt psychologische, logische, reale, madie*
matische, causale, teleologische, moralische Notwendigkeit (L c. S. 98 ff., 229 fi,
259 f., 261 ff.). „Indem wir den einzelnen Fall auf ein Wirken xurückfiikrmy
erseheint das Verhältnis der Notwendigkeit, in welchem der Orund xu seiner
Folge steht, xunächst in Form des Zwanges, den das Ohject der Wirkung er-
leidet . . . Aber indem die logische Entwicklung des Begriffs fortsekreüel, ver-
tieft sich auch der Sinn der Notwendigkeit; vrtde/in in dem Wesen des Wirkenden
und des Leidenden der Orund ihres Verhaltens gesucht wird, versehwindet die
Vorstellung des äußeren Zwanges, und die Notwendigkeit erseheint als eine
solche, der beide Teile vermöge %hrer Natur gleichmäßig unterworfen sind, ah
ein innerer Zusammenhang ihrer Wesensbestimmtheit*^ (L c. II', 162). Nach
WüNDT ist die Denknotwendigkeit mit der Willensfreiheit (s. d.) wohl ver-
einbar (s. Denkgesetze). Nach H. Bickekt ist „ Urteilsnotwendigkeit" die Not-
wendigkeit des Sollens, die jedem Urteile eigen ist, durch die wir ims gebunden
fühlen (Der Gegenst. d. firk. S. 61 ff.). Schuppe rechnet die Notwendigkeit
zum Sein (s. d.) als dessen „Gesetzlichkeit*^ (Erk. Log. X; Grdz. d. Eih. S.63 fl;
Log. S. 29 f.). Das „Seiende** als solches ist (implicite) notwendig, aber ,4i^
ausdrückliche Behauptung der Notwendigkeit fmdet nur dann statt, wenn Ver-
anlassung da ist, Zufälligkeä auszuschließen** (Log. S. 64). „Eine Qualität ist
als solche der notwendige Vorgänger oder Nachfolger oder Begleiter einer anderen.
Es gehört also xu ihrem Sein (Wesen) nicht nur die nennbare positive Bestimmt-
heit, Farbe etwa und Gestalt und Consistenx, sondern auch dies, daß sie ein
Glied in der und der Reihe ist. Zur Denkbarkeit des Seins gehört sokhe feste
Ordnung des Seienden** (1. c. S. 65). Schubert-Soldern halt Notwendigkeit für
unableitbar; „alles Gegebene erscheint in notufendigen Beziehungen gedacht*^ (Gr.
ein. Erk. S. 230). Notwendigkeit ist eine „Ertvartung, die sieh an Bedingungen
knüpft** (1. c. S. 231). Nach Hubserl ist subjective Notwendigkeit „der stA-
jective Zwang der Überzeugung, welcher jedem Urteil anhaftet**. Apodiktische
Notwendigkeit ist das eigenartige Bewußtsein, „in dem sieh das einsichtige Er-
fassen eines Gesetzes oder des Gesetzmäßigen constituiert^* (Log. Unt. I, 134).
Die unbedingte Geltung der Denkgesetze, der „logisehe Absolutismus**, ist sn
betonen (1. c. I, 141). „Obfeeiive Notwendigkeit überhaupt bedeutet nichts anderes
ah objective Gesetzlichkeit, bexv>. Sein auf Grund objecticer Gesetzlichkeit
(1. c. IL 235; vgl. S. 246). — M. Palagyi bemerkt: „Eine jede Tatsache ist not-
wendig, und es gibt nirgends irgendwelche zufallige Tatsachen. Mit der Sct-
wendigkeit einer jeden Tatsache ist aber nur so viel gemeint, daß, wenn isir
Notwendigkeit — Noumenon. 745
fdkig wäreny den unencUicken Raum tmd die unendliche Zeit mit einem Blick
7M umfassen^ uns solche törichte Oedanken, ob dieses alles auch anders sein
könnie, gar nicht kommen würden,*^ In der Natur herrscht eine unwandelbare
Ordnung^ eine ewige Qeeetzmäßigkeit (Die Log. auf d. Scheidewege S. 152 ff.).
— J. St. Mill (u. a.) kennt nur empirisch fundierte, inductive, psychologisch
begründete Notwendigkeit (s. Axiom). Nach Lipps ist uns Notwendigkeit ur-
sprünglich ,^fmr als Inhalt des Selbstgefühls" gegeben (ähnlich J. Wolff).
jfEine Nötigung, die niemand fühlt, ist wie der Ton, den niemand hört" (Grundt.
d Seelenleb. S. 430). Vgl. A priori, Axiom, Causalität, E\ddenz Determinis-
mus, Willensfreiheit, Prädestination, Fatalismus, Ontologismus.
IToaiitenolog^le heißt bei Ennemoser Lightenfels, Nüsslein die
allgemeine Psychologie.
Nounenoii {voav/nsvov): Gedachtes Verstandesding, intelligibles (s. d.)
Wesen, im Unterschiede vom Sümending oder Phänomenon (s. d.); voovueva
schon bei Plato (s. Ideen).
Kant versteht unter dem Noumenon einen Grenzbegriff (s. d.), nämlich das
als nicht sinnlich zwar nicht erkannte^ aber (negativ) gedachte Ding, das zu-
gleich als positiver Gegenstand einer nichtsinnlichen (göttlichen) Anschauung
gedacht wird. ,, Schon von den ältesten Zeiten der Philosophie her haben sich
Forscher der reinen Vernunft außer den Sinnentcesen (Phänomena), die die
Sinnemodt ausmachen, noch besondere Verstandesvesen (Noumena), welche eine
Verstandesu)eÜ ausmachen sollten, gedacht, und da sie , , . Brscheinimg und
Schein für einerlei hielten, den Verstandeswesen allein Wirklichkeit x/ugestanden"
(Proleg. § 32). In Wahrheit aber haben die Phänomena empirische Wirk-
lichkeit, wenn sie auch nicht Dinge an sich (s. d.) sind. Solche muß es geben,
nur können sie, wegen der Subjectivität der Erkenntnisformen, nicht erkannt
werden. „Erscheinungen, sofern sie als Gegenstände nach der Einheit der Kate-
gorien gedacht werden, heißen Phänomena. Wenn ich aber Dinge annehme, die
bloß Gegenstände des Verstandes sind und gleicJiwohl, als solche, einer Anschauung,
obgleich nicht der sinnlichen (als coram iniuiiu intelleciuali) gegeben werden
kÖ9men, so würden dergleichen Dinge Noumena (intelligibüia) heißen" (Krit d.
r. Vem. S. 231). Der B^riff des Noumenon ist aber nicht positiv, nicht Er-
kenntnis, sondern ein abstracter Gedanke, nicht das Ding an sich selbst (1. c.
S. 233 f.). „Der Begriff eines Noumenon, d. i, eines Dinges, welches gar
nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding an sicJi selbst (lediglich
durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar nicht undersprechend:
denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzig
mögliche Art der Anschctuung sei. Femer ist dieser Begriff notwendig, um die
sinnliche. Anschauung nicht bis über die Dinge an sich selbst auszudeftnen, und
also, um die objective Gültigkeit der sinnlichen Erkenntnis einzuschränken (denn
dus übrige, worauf jene nicht reicht, heißt er eben darum Noumena, damü
man dadurch anzeige, jene Erkenntnisse können ihr Gebiet nicht über alles,
wcu der Verstand denkt, erstrecken). Am Ende aber ist doch die Möglichkeit
solcher Noumenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang außer der Sphäre
der Erscheinungen ist (für uns) leer, d, i, wir haben einen Verstand, der sich
problematisch weiter erstreckt, als jene, aber keine Anschauung, wodurch uns
außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben und der Verstand über
dieselbe hinaus assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff eines Nou-
menon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit
746 Noumenon — Nyaya- Philosophie.
einxusehräfiken, und also nur von negativem Gebrauche, Er ist aber gleiehuokl
nicht willkürlich erdichtet, aondem hängt mit der Mnsekränkung der Sinnlich-
keit x/usammenf ohne doch etwas Positives außer dem Umfange derselben sefoeH
XU kömien^' (1. c. S. 235). yjhr Begriff eines Noumenon ist also meht der J%-
griff von einem Ohject, sondern die unvermeidlich mit der Einschränkung unBerer
Sinnlichkeit xusammenhängende Aufgabe, ob es nicht von jener ihrer Anschauung
ganx entbundene Gegenstände geben möge^' (1. c. S. 257 ; Prolegom. § 32 ff.). Nur
das moralische Gesetz laßt uns die Welt der Noumena, der Freiheit (s. d.)
auch positiv bestimmen, nämlich als Welt autonomer (s. d.) Yemunftwesen
(Krit d. prakt. Vem. I. TL, 1. B., 1. Hptst). Der Mensch^ „als nUt innenr
Freiheit begabtes Wesen (homo noumenon) gedacht, ist ein der Verpfliektuang
fähiges Wesen'^ (Met. Anf. d. Tugendl. S. 65). — Ampebb nennt Noumeoa die
wirklichen Wesen. Lewes versteht unter ihnen nichts als ,jthe unknouxUik
othemess of relational*, „ihings in their relation to other forme of sentienee . . .
than our oum" (Probl. I, 182). Mokrad nennt so die Dinge an sich (Arch. i
System. Philos. III, 129). Nach H. Cornelius ist das Noumenon nur ein
Verstandesbegriff, der sich in den wechselnden Phänomenen manifestiert (Pbt-
Chol, S. 253; Eiiil. in d. Philos. 8. 263). Vgl. G. D. HlCKS, Die Begriffe
Phänomenon u. Noumenon u. ihre Verh. zueinander bei E[ant 1897.
Bfnanc^n (oder „Tönef*) sind Verschiedenheiten derselben Qualität (Höff-
PING, PsychoL ö. 135).
NiilUbiBteit nennt H. More (Enchir. met 27, 1) die Anhänger der Lehre,
daß die öeele keinen Baiun einnehme.
MuUpiiiikt des Eeizes, des Gefühles: Unmerklichkeit dieser.
Hos (vovs) s. Geist.
Nntxen (utilitas) ist die Beziehung emer Sache auf (praktische) Zwecke
eines Wollenden, die Förderung dieser Zwecke. Nützlichkeit ist Tauglich-
keit zur Bealisiermig eines Zweckes, zur Förderung des Ich, zur Vannehraxig
seiner „Vermögen** (im psychischen und realen Sinne). Zu unterscheiden sind:
wahrer, scheinbarer, objectiver, subjectiver, idealer, materialer, biologischer,
wirtschaftlicher Nutzen. Über Grenznutzen s. Wert
Nach Albertus Magnus ist nützlich (utile), „^uod expediens est ad eon-
sequendum id quod iniendiiur** (Sum. th. I, 8, 3). Geulikgx bestimmt: „Utile
est medium boni** (Eth. III, § 6, p. 1(X)). Spinoza versteht unter Nutzen
Förderung der Macht des Ich (s. Utilitarismus). Chr. Wolf definiert den
Nutzen eines Dinges als „Folgerung aus seinem Wesen, die wir vorher nickt
bedacht haben, da wir es hervorxubringen getrachtet** (Vem. Ged. § 1029). Eine
Erkenntnis ist nützlich, „wenn sie die Bequemlichkeit des menschliehen Lebens
befördert^' (Vem. Ged. von d. Kraft, d. menschl. Verst', S. 175). Baumoarten
erkläit: „Utilitas est bonitas respectiva, quae si tribuitur rei, eui alterum pro-
dest, Passiva, si Uli, quod prodest, activa did polest^* (Met § 336). Nach
J. Bentham ist „utüity** „that property in any objeet, whereby it tends to pro-
duce benefit, advantage, pleasure, good, or happines^* (Introd. I, eh. 1, p. 3).
Ihebing erklärt: „Nutxen ist bewirkte Annäherung an das gesteckte Ziel*' (Zweck
im Recht II, 209). Nach A. Meinono heißt Nützen „eine Werttatsache ver-
ursachen** (Werttheor. S. 13). Vgl. Utilitarismus, Selection.
Nyaya-PhiloBophie (indisch) ist wesentlich Logik.
Draok Ton Fr. Aug. Enp«l, Hofbnelidnioker«!, SondeiBhaiiMB. ^ J
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