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Full text of "Wunderbuch"

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Heraudgegeben 


von 


4* 
— 25 
A Apel und F. Laun. 


Erſtes Baͤndchen. 
mi J 5 — 
Stuttgart, 
bei A. F. Macklot. 1816. 


GR 
SE . 
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German 
Feldnıun 
7.30 Sy 
38,71 | 


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Der Hedethaler., R a... 
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En Er Er 77 
... . 


* 





Var mebrern hundert Jahren, ald ‚den einmal. 
ein vorher, herrlicher Sonnenuntergang hie Ginfüre, 
migkeit des Waldes mit mannichfachen Kichtern und 
Schatten beliebte, kam ein. junger -efgll .ded We⸗ 
geb, nahm grade. de, wo dis. Straße: aufeinander, 
ging, fein ſcaweres Bündel vom Rüden, und fehle 


fih unter einem alten. Zannenbaumg, zieber... Sein 


ne fchwarze: Trauerkleidung ſtand ſeltſam genug 
zu dem muntern, judendfrohen Geſichte, das Def, 
heiße Tag zwar tuͤchtig in Schweiß a⸗ebxaght den⸗ 
noch aber durchaus. mis keinem unfreundlichen ‚Ing 
ge belaͤſtiget hatte. Wehlgemush Rrigh ‚Des, junge 
Mann das heiiglängende Haar aus dem-großen. 
biauen-Auge, fah auf dad Bündel neben fi, und 
dann nach dem Himmel hinauf, gleichſam als ob 
er diefem nicht genug Dank dafür fagen Fonne. 
So faß er denn bis der rothe Spnnenglanz 
vallig verichwunden- war, und das bläuliche Mond⸗ 
licht ihm eine leichtere Wanderung verhieß. Nur 
hätte er zuvor noch gern einen Menichen geichen, 
theils um ihm feine innige Freude an Erbe und 
Sefpenfterbudh, 5. Theil, 4 


- - . ‚ara... - 


at 


Simmel mitzutheilen, theild um zu hören, welches 
der rechte, und wo moͤglich naͤchſte, Weg nach 
Augsburg fey. Denn obgleich er dort fchon ges 
wefen war, fo hatte er doch von diefer Seite die 
Meife noch niemals gerhachr. 

Wirklich bewegte ſich jetzt durch das Didicht 
etwas heran. Auch entdecte fein gutes Auge 
bald; das Ein menſchliches Weſen war., was 
- fpärergin: Ar. Geftalt eines‘ Kdblers an ihm vors 
überging. 

Gutẽr Fteand, fo tief der Reiſefertige ihn an, 
Pe ſeyd For unter diefen Bäumen zu ‚Daun 

tape’ miie daher doch, wie ich am ſchwuſte⸗ 
Augsburg kommen mag. 

Da’ 'Fhnhe‘ Ihr mich auf diefem gußfirige ben 
gleiten. Bei ganz gemächlichen Schritte müßt 
Ä Zr banet’nach Tagedandrunh vor der Stadtmauer 
ſeyn. 
Das war unſerm Wanderer eine gar angehche 
me Poft, Denn fo gern er auch das ſchwere 
Bündel anf feinem Rüden trug, fo fehlte äͤhm 
doch lange ſchon jemand, der ihm die Kaft- feines 
Gluͤckes tragen hälfe. Die-theilnehmendfte Mies 
ne hatte der Köhler freilicy nicht. - Sein Yuge 
ſah aus den Büfchen der Augenbraunen fo flarr 
und lieblos über die Habichtsnaſe in die Welt 
hinein, als ob fein Herz laͤngſt mit zu Kohle vers 
braun ſeyn muͤſſe. Dazu Hang feine Stimme fo 








F 


rauh umd amerfreulich, daß. ed dem Meifenden 
auffiel. Doc ſchalt er fich felbft.wegen ſeines 
anfänglichen, Mißtrquens gegen den Alten, Iſt 
er ja doch em Menſch, dachte er. Was ann er 
dafür, da ihm Gott Fein eimehmender Geſicht 
derlieten und viellaicht ber Kohlenſtaub feine Stims 
me derdorben «hat?.- Zudem fähe .er ‚auch woht 
einnehmender aus, wenn die ſchwarzen Spuren 
eined traurigen Gewerbes ‚feine Zuͤge weniger ente 
fielten! — Dabei ging.ded Juͤnglings Blick zum 
Himmel hinguf, dankend für Geſfalt und: Gewers 
be, womit-er fich. Dagegen fo wohl verfehen fühlte, 
Fuͤhren Euch — 5** — nach Augsburg ?, fo 
fragte der Köhler, als fie den Weg ſchon ange⸗ 
treten hatten, und eine | ſolche Frage war es eben, 
was der Exrzaͤhlenoluſtige ſchon eine Meile, erwar⸗ 
tete, weil er fo unter dem Vorwande einer exp 
ſchopfenden Antwort: fein Herz heſſey, als ohne 
aͤußere, Anregung, entſchuͤtten zu koͤnnen glaubte, 
Ja wohl, Geſchaͤfte, verſetzte er, und recht 
füße und liebe obendrein | 
Hm, fagte der Andre, in biefer ſchlechien, nahr⸗ 


loſen Zeit wird es nicht jedem fo gut. Laßt mich 


drum doch etwas von biefen Dingen: und Eurem 
ganzen Treiben vernehmen. 

5% bin, fo fing hierauf der Ranglng an, ich 
bin von Schwabmuͤnchen, und meines Zeichens 
ein Schieferbeder, wie mein Vater feliger auch 

12 


4 


geweſen iſt, heiße auch Franz Pilsner, wie er; 
Es gab große Noth in meiner lieben Eltern Haus 
fe, als ich das Handwerk ergreifen wollte. Die 
Mutter naͤmlich hatte viel dagegen. Mein Schatz / 
fo jagte fie einsmals beim Fruͤhſtuͤck zum Barer) 
ald wieder die Rede darauf kam, ich habe ja To⸗ 
dedangft genug, wenn ich did) oben in den Läftert 
berumtlimmen fehe, ſoll ich denn nun auch nody 
den einzigen Sohn deiner fährlichen, wenig loh⸗ 
nenden Handthierung abgeben? 

Bei dieſer Rede wurde mir fo Adel zu Muthe, 
daß ich den Loͤffel kaum zum Munde bringen 
konnte. Denn ich hatte ein gar zu großes Wohls 
gefallen an der Schieferdeckerkunſt und wußte 
recht gut, daß ber Vater der Mutter Bitten und 
Wünfchen immer gern zu Gefallen lebte. Died 
mal aber war es nicht fo; vielmehr fagte er: das 
heißt nicht wie eine gute Chriſtin ſprechen, mein 


Schatz. Habe ich dir doch tauſend⸗ und aber. 


taufenbmal gefagt, daß ohne ded Herrn Willen 
Bein Sperling vom Dache fällt. Wie magſt dü 
denn noch immerfort glauben, daß ein Mann, 
den fein Beruf hinauf in die Yuft führt, der dort 
bie heiligen: Häufer des Allerhbchften vollenden 
maß, daß ein folcher Mann weniger unter feiner 
Obhut ſtehe, als ein geringer Vogel? Und was 
den ſchlechten Lohn anlangt, fo frage ich dich, 
wann find wir, ich, du und unfer Kranz, hun⸗ 





5 

grig zu Bette.gegangen? — Daß wir nicht Mams 
mon zurädlegen koͤnnen, ift wahrlich Fein Uns 
gluͤck. Wenn uur unfer Kind in der Zucht und 
Bermahnung zum Herrn aufwaͤchſt, dann wird 
der, der bie Lilien auf dem Zelde Heiber, ihm feis 
ne Nahrung auch zukommen laffen, Hiermit hob 
er die Haͤnde auf und betete: Wer Gott vertraut, 
bat wohl gebaut, im Hinimel und auf Erden, wer 
fi) verläßt auf Jeſum Chriſt, dem wird der Sims 
mel werben. — 

Aber, was ift.Euch? ſo unterbrach der junge 
Schieferdecker hier feine Erzählung felbft, als fein 
Blick auf den Begleiter fiel, deſſen Geſicht fich 
secht wibermärtig verzogen hatte. 

Krämpfe, weiter nichts! antwortete der Alte, 
und Stanz fuhr alfo fort: Schon glaubte ich, daß 
Ihr Anſtoß nähmer an dem Berfe, ber freilich 
von einem Intherifchen Probfte, mit dem mein fes 
iger Vater, wegen eines Kirchenbaues viel zu 
thun hatte, an ihn gekommen iſt. Er hatte übers 
haupt manches son dem Probſte angenommen, 
auch einige fchöne Lieder bei Seite gelegt, und 
pliegte zu fprechen: DE. , ichon bei. meinem 
wahren Glauben bi an’s Ende verkorren ;will, 
fo fcheint mir dach manches, suad Luthers Aubaͤn⸗ 
ger fagen, wecht gut und troͤſtlich. Auch wärbe 
ifuen ja die Obrigkeit ſonſt keine Kirchen zugeſte⸗ 
hen! — Doch auf meire Geſchine zurdgulome 


6 


men: Als der Bater denn fo betete, da faltete 
auch die Mutter ihre Hände andächtig mit. Dann 
aber weinte fie fehr und nahm mich beim ‚Kopfe 
and berzte und kuͤßte mid). 

In Gottes Namen denn! fprach dierauf der 
Bater und fie machte keine Einwendung weiter. 
Doch war fie nicht immer fo gefaßt, und in ber 
Folge brannten mic) ihre rothen Augen manch⸗ 
mal tief im Herzen, wenn ich Abends mit dem 
Vater feliger nach Haufe kam. Ich hätte aber 
die Handthierung nicht aufgeben mögen, um aller 
Welt Wunder nicht. Denn Ihr könnt gar nicht 
glauben, wie töftlich es if, da droben von ber 
Spige eines heiligen Gotteshaufed herunter zuſe⸗ 
ben, auf die Meinen Städte und Dörfer und Mens 
ſchen, denen ſchwindelt, wenn fie von ber Erbe, 
an der fie kleben, binaufbliden und dort einen 
gewahr werden, ber dem Himmel fo nahe lebt. 
Richt glauben koͤnnt Ihr's, wie das Herz fo weit 
und groß wird in den blauen Luͤften, dicht unter 
dem Auge des Herrn, an defien irdifcher Woh⸗ 
nnug man arbeiter! — 

Die Krämpfe des Köhlers fchienen zuzunch⸗ 
men; denn fein Geficht warf immer bäßlichere 
Falten. Daher fragte der Schieferdecker wohls 
wollend, ob vieleicht das Sitzen ihm beffer thun 
würbe, Aber der Alte fchättelte den Kopf. Laßt 
Euch davon nicht irren, fagte er, vnd gebt mir 








j . 
7 
mar mehr won Eures Qiforie Mo möglich, {o 
behaltet den Ueberfluß an Bemerkungen und Nes ' 
benbingen im Sinne, weil Mandyed davon wie 
gute Lehren audfieht, wogegen das Alter nicht 
ſehr empfaͤuglich if. 

Nach Euerm Gefallen! verſetzte Franz weis 
ter er zaͤhlend: Da ich ſonach mein Werk mit Kies 
be trieb, fo verging mir die Lehrzeit, ich wußte 
Taum, wie. uch. hatte ich die Freude, meine 
Mutter mit mir und meinem Stande zufrieden 
zu fehen, als fie. von meiner Züchtigkeit hörte, 
und am Tage, we ich Ioögefprochen warb, die 
Meifter meinen Kentuiffen das befte Zeugniß er⸗ 
teilten. . 

Während meiner Gefellen s, und Wanderjahre 
hatte ich Gelegenheit, manche ſchoͤne Arbeit zu 
fertigen, und wie ich zuruͤck in des Aeltern Haus 
kam, war mein Vater ſchon fo ſchwach geworden, 
daß er wenig mehr verrichten fonnte., Iſh, warb 
daher Meifter, und erhielt durch ihn gheich Ans 
fangs eine ſchoͤne Kundichaft, fo daß ohne mich 
in der Gegend fü leicht Feine Kirche gebedt oder 
erneuert wurde, . 

Eine gar ſchlimme Zeit fand ich. während ſei⸗ 
mer letzten Tage aus. Auch fie ging jedoch vor⸗ 
über, und es gewährt mir noch ‚immer Berupis 
gung, wenn ich feiner Todeöftugbe gedenke. Ach, 
er ſtarb gar fo.{hön! In der Entzädung fah 


Ö: 
er ings um fich einen Kreis frommer Heiligen 
und Wunderthaͤter, von deren Abglanz fein eige⸗ 
ned Geficht fchon wie im Sonnenliehte der Vers 
klaͤrung uns anlädhelte. — 

Weiter, nur weiter! rief der Koͤhler ungebuls 
big, und laßt den Alten in der Grube feyn. Weiß 
man doch ſchon, was ed bei Begräbniflen für 
Umftände opngefähr geben kann. Kommt zu dem, 
was nan mit Euch wurde, und ob ihr ledig biiebt, 
ober heicathetet. — 

Wenn's meiner Mutter nachgegangen wäre, 
fuhr Meifter Pilsner fort, fo hätte ich fogleich nad) 
der Trauerzeit dazu gethan. Aber ich hatte das 
mals die Rechte noch nicht kennen gelernt und 
eine Andere fland mir nicht at. Und da ich in 
ber Gefellene und Wanderzeit mich immer geh» 
tet hatte, ein vorfchneiles Buͤndniß einzugehen, 
wie nahe mir's auch einigemal gelegt worden, fo 
wollte ich als Meifter nicht unbehutfamer verfaße 
ren. Ich Hatte darüber faft tagtäglich meinen 
Streit mit ber Mutter, bis ic) eines Tages nad) 
Augsburg wandern mußte, um einen dortigen fehr 
ſchadhaft gewordenen Kirchenthurm zu erneuen, 
Da lernte ich denn einen Steinmetz, den Meifter 
Haus Holding, Eennen, einen wadern, gottesfuͤrch⸗ 
tigen Mann, der fein Handwerk aus dem Gruns 
de verſtand, und auch Gefallen daran hatte, wenn 
ich Ihm von dem meinigen erzählte, Der Mann 














beiaß eine Tochter, Aennchen mit Namen, eine 
Zungfrau von ſechzehn Jahren, wie ich noch Feine 


geliehen hatte. Da war es dad erſte Mal, daß 


sh mit Ernft an's Heirathen dachte, und ber Ges 
danke ward immer feſter und lebendiger in mir, 
denn eine froͤmmere Hausfrau und beflere Wirs 
thin war wohl weit und breit: nicht aufzufinden, 
Hätte ich nur gewußt, ob fie mich Leiden ‚möchte, 
dann wäre mein Erſtes gemein, bei Meifter Hans 
fen um ihre Hand anzubalten, Aber das. fittias 
me Kind war hierin durchaus nicht gu ergründen, 
Sie fchlug bei meiner, wie bei jeder männlichen 
Anrede, die Augen nieber, und antwortete kurz⸗ 
weg. Daß fie Dazu.biömeilen roth wurde, das 
glaubte ich gar nicht mir zu Gunſten auslegen 
zu bürfen, 
- "Em Umfand, der mich jet einige Tage, von 
dem Beſuche des Steinmeien abhielt, war mein 
Berdruß über einen Mann. meines Handwerks, 
den ib, um den Thurm deſto früher zu vollen⸗ 
Den, mir weither uesicheieben hatte, Sch war dem 
Rufe, beffen er in .unferm Fache genoß, ganz als 
lein nachgegangen, und fand nun, als er kam, 
einen verwilberten, von ‚aller chriftlichen Demuth 
weit mifernten Gefellen, der, wo ſich's thun ließ, 
das Heilige und Ehrwürbige mit feinem Spotte 
zu beiudeln fuchte, 

Sp follte denn an dem Werke, das ich mis 


48 


DOd fie ſchon merkte, daß ihre Angſt unb bie 
darauf folgende plögliche Freude fie verrathen 
hatten und fich daher fogleich zuruͤckzichen wollte, 
ſo wußte ich doch nun, wie ich mit ihr dran: war 
and rief: Uenuchen, liebfted Aennchen, der Au⸗ 
genblid will mir wohl,- drum frage ich ſogleich, 
darf ich bei Euerm Vater um Euch werben ? 

Da kehrte fich: zwar ihr Auge zur Erde, aber 
ihr Herz, fo fühlte ich, blieb Doch bei mir. Das 
‚zu fagte mir, wie fie mich nun verließ, der halbe 
Anfchiedsblid, daß mein Wunſch auch gewiß der 
übrige war. * 

Je freundlicher mich das Gläd anſah, deſto 
eifriger mar nun mein Gebet fuͤr den Verun⸗ 
gluͤckten und daß fein zeitlicher Tod ihn von ber 
ewigen Strafe erldfen möchte. Zugleich beftärkte 
wich fein und mein Schickſal darin, daß alles 
wit Gott anzufangen fei, und ich arbeitete noch 
ben ganzen Tag freudig und unverzagt an dem 
Kirchenbaue, 

‚Abends machte ich mich bei Zeiten auf dem 
eg zu Meifter Holdingen , den ich allein fand, 
und brachte, da ich fein Wohlwollen gegen mich 
kannte, mein Wort fogleich ohne Scheu und Nüds 
Yalt an. Aber zu ‚meinem großen Erſchrecken 
(chättelte der Mann den Kopf. 

Ihr ſeid mir lieb und werth, Meiſter Pils» 
ner, fagte er, doch weiß ich and Eurem Munde, 


x 

















13 


daß Ir bis jeht nichts habt eräbrigen Können, 
Mir ift es nicht beffer gegarngen: daher darf meine 
Tochten weder auf Pitgift noch auf Erbe rech⸗ 
nen. Was aber foll aus ihr werden, wenn 'ich 
todt bin, und Ihr vielleicht zu gleicher Zeit aus 
der Welt geben ſolltet. Alle Ehre Euerm Hands 
werte, es iſt' ſchoͤn und zwiefach ſchoͤn, wenn man 
Euch davon reden hoͤrt. Aber ed iſt auch hoͤchſt 
gefährlich, wie der heutige Tag erft bewieſen hat. — 

Hier unterbrach ich ihn und fuchte ihm den 
Grund zu dem Unfalle in meines Mitmeiſters 
Frevel zu zeigen. Doch er fehüttelte abermals 
den Kopf und ſtellte Beiipiele von — wie et 
fagte — ſehr frommen Schieferdeckern auf, die 
ihren Tod alfo gefunden hatten. Vergebens waffe 
nete ich mich mit den Gruͤnden, die mein feliger 
Bater fonft immer gegen die Mutter zu Erhebung 
unſerer Handthierung gebtaucht hatte. Er Fönne, 
fagte er, mit feine Tochter iur dann geben, "went 
ich etwas zuräcgelegt haben würde, wodon ſte 
ihr Witthum in Ehren dinzubringen vermdge. 

Da nun ſobald an ein ſolches Gluͤck nicht zu Härte 
ken war, ſo machte mich ſein Statrſinn ſehr traurig. 
Denn ich hatte zwar in meiner Heimath einen 
reichen Rechtsgelehrten zum Wetter. Der aber 
wollte mir übel wegen meined Gewerbes, das 
feinem hochmuͤthigen Sinne zu gering dunkte; 
weshalb er auch in fräherer Zeit alled anwende⸗ 


| 
1 
{ 


14 


te, mich davon ‚abzuziehen, und mir, als nichts 
feuchten wollte, fein Haus gänzlich verbet. - 

Späterhin, hatte ich mehrmals verfucht, ihn 
mir wieder zu gewinnen. Doch alles umſonſt. 
Er erklaͤrte, daß er nichts von mir wiſſen, und 
daß ich, obſchon ſein naͤchſter maͤnnlicher Perwand⸗ 
ter, auf keinen Pfennig „Erbe von ihm rechnen 
moͤchte. 

Aennchen, als fie von thres Vaters Gefinmug 
hoͤrte, ward uͤber alle Maßen betruͤbt, und da 
auch ihre Vorſtellungen nicht anſchlugen bei ihm, 
fo entbedte fie mir eines Tages, daß fie nach 
vielem Weberlegen gefunden habe, ein Sprung iu 


Fluß wuͤrde ihr am beſten von ihrem Unglüde 


helfen. Daruͤber entſetzte ich mich denn auferers 
bentlich.. ftellte ihr ‚vor, dag. nur der ‚böfe Fejnd 
ihr, diefen Gedanken. eingegeben ‚habe, von dem fie 
agte, Daß er. gar. nieht, aus, ihrer Seele weisen 
wolle, Meine Bitten und ihr Geber brachten. 66 
aber endlich fo weit, daB davon nicht mehr bie 
ede war. Ach, ich durfte ihr gar nicht fagen, 
daß mir ſelber oben auf dem Thurme die Ver⸗ 
zweiflung manchmal eingab, meinem Leiden durch 
einen Sturz hinunter ein Ende zu machen! Aber 
bad Gebet, das ich nie unterließ, ftärkte auch 
mich gegen dem boͤſen Satansrath, fo daß ich 
ben Kirchthurm glüdlicy zu Stande brachte. 
‚Beim Abſchlede, ber, wie Ihr leicht denken 





a5 
bunt; gar bitter und fchmerzhaft war, verficherte 
mir.-Yenuchen von freien Stüden, fie werde mir 
treu : bleiben, ‚und nie einem Andern angehören, 
Ye Baterı machte zwar eine finfire Miene, Doch 
fagte ex weiter nichts Dazu, drüdte mir auch bene 
lich die Hand. =... .: 

Iht werdet begreifen; daß Ich allen Sinn und 
Ditz auſtrengte, um zu fparen und die Wedins 
gung zum Glüde meines Lebens zu erfüllen... Als 
lein meinem heißen Verlangen nad) der Vereini⸗ 
gung mit Aennchen förderte es bennoch- nur. 
ſchlecht. Defto frober mußte mich. die Nachricht 
machen, daß mein reicher Better „-voy der letzten 
Krankheit plötlich ‚Aberfallen,, auf feinem Tod⸗ 
bette eudlidy doch in ſich gegangen mar; und mich 
zum Erben eingeſetzt hatte. "Da. bin, ich deun 
nup,. trage das Erbtheil in ſchoͤnen Gold ſtuͤcken 
bei mir, und freue.mich, fuͤr's Erſte auf nichts fo 
fehr;,. ald auf den Auzenblick, wo ich: Dad. blaue 
GSels vor Meilter : Holdingen : hinfehütten.. werde. 
So serläßt doch Gott Teinen, der ihm vertraut, 
uud wer weiß, ob er nicht ſchon früher auch hier⸗ 
in auf irgend. eine Weiſe an, mich gebacht:, hätte ich 
weinen Kleinmuth immer beſſer bezwingeu wollen. — 

Meiſter, fo. ſagte der Koͤhler, ale. Franz nme 
dielt, Ihr habt noch ein gutes Zutranen zum Le⸗ 
ben und deſſen zufälligen Geſchenken. Im nej⸗ 
nen Jahren weiß man .beffer, wie viel harasıl: am 


16 


bauen iſt. Warum ſeht Ihr mich fo mißtrauiſch 
an? Doch wohl, weil meine Rede Eudy nicht 
wohlgefaͤllt. Aber die Wabrheit ift ſtets cin bite 
teres Kraut geweſen. — Um um: bei Euch und 
Eueem Gelde hier ſtehen zu bleiben, gefegt nun 
alles gelänge, und Ihr bekaͤmt Aeunchen wirklich; 
meint Ihr, daß Euch damit ein ewig heiteres 
Paradies aufgefchloffen ſey - Wenn auch — was 
faft die Unmoͤglichkeit fetten hieße — alled mit ber 
Grau nad) Wunfcye ginge, fo werden andere Dins 

„9%, zum Beiipiel das Seld, Cuch nun zu fchaffen 
machen. Zeither habs Ihr bloß von Euerm Bers 
dienſte gelebt, und wißt noch gar nicht, was Gold 
and Stber für gefäprliche Metalle find, und wie 
fie ven Eigenthuͤmer treiben. und drängen, . auf 
ihre Vermehrung auszugehen. Erſt werdet Ihr 
zu thun haben, Euer Geld ſicher unterzubringen 
Es wird Euch, wenn: eb nicht ſogleich mabglich 
iſt, Euern ruhigen Schlaf koſten, und, wenn xa 
in frande Hände übergeht; immer ber Gedanke 
quälen, ob an der Sicherheit nicht noch etwas er⸗ 
mangele. Mit Einem Worte, wenn Ihr vorher , 
durch das Entbehren der Braut ungluͤcklich mas 
vet, fo werdet Ihr End bald darch Eures Gel⸗ 
des Beſitz noch unglüclicher fühlen. Es Fommt 
dazu, daß Ihr mit Gelde uͤberhaupt nicht umzu⸗ 
gehen wiſſet und viel zu offenen Herzeno ſeyd, 
für einen beguͤterten Mann, 


17 

So imeint Ihr wohl, verſetzte Meifter Yilss' 
her, ich möchte meinen freien, frohen Sin um 
fo ſchlechten Metalles willen verläugnen ober aufs 
geben ? | 

Eines oder dad andere! antwortete der Köhler, 
Zu fremden Herzen ift Geld oft der Schlüffel, 
aber das eigne Herz des Geldbeſitzers muß ewig 
verfchloflen ſeyn, will er nicht ficts im Gefahr 
kommen, jenes Hauptſchluͤſfels verluſtig zu gehen. 
So entdecket Ihr mir, einem Unbefännteh, bei 
Nacht, im Walde, den Schatz, den Ihr mit Euch 
fuͤhrt; wie unklug! Wenn ich nun ietzt weg⸗ 
ginge, um mir Gchülfen zuruͤckzukehren, "und Euch 
des Schatzes, ja wohl gar des Lebens zu bes 
rauben ? — 

Der Zell, den der Köhler Hier ſetzte, hatte 
Franzen wirklich fügen gemacht. Er warb aufs 
merkſam auf das Unbeſonnene feiner Mittheilung 
und dankte dem Warner. 


Seht mich an, fuhr dieſer laͤchelnd fort. Un⸗ 
ſtreitig meint Ihr, daß unter fo altem, abgenutz⸗ 
rem Kittel ſchwerlich etwas von Geld und But: 
verborgen ſeyn koͤnne. Gleichwohl würde ich ſehr 
anſtehen, mit Euch zu tauſchen, was auch Euer 
Schatz betragen mag. Much koͤnnte ich es niche 
wohl, wenigftend nicht ohne Euch = mad ferne: 

von mir fey ! — ſchaͤndlich zu harten, ‚weil das 
Geſpenſterbuch. 5. Theil, 


18 


Geldſtuͤck, das ich befige, nur in meiner Hanb wie 
&erliche, aber fehr wucherliche Zinfen, trägt. 

Dabei zog er einen harten Thaler hervor und 
fagte: Betrachtet dieje Münze und Ihr werdet 
nichts Auffallendes daran entdeden. Dennoch 
bat fie vor vielen ähnlichen des voraus, daß fie 
dem rechtmäßigen Beſitzer in jeder Nacht ein 
gleichgroßes Geldſtuͤck zubringt. 

Wohl alſo gar ein ſegenannter Hedethaler ? 
fragte Franz dad Stüd mit Verwunderung ans 
fehend. Ich habe immer keinen rechten Glauben 
‚gehabt an die Wahrheit der Sache. 

Bon der koͤnnt Ihr Euch bald überzeugen. 
Leert einmal eine meiner Tafchen, und legt, Das 
mit keine Täufchung möglich ſey, den Thaler mit 
eigener Hand hinein. Mit Anbruch des Morgens, 
dem wir entgegenfcehen, unterfucht dann die Ta⸗ 
ſche wieder , und wenn hernach nicht Zwei, ftatt 
Eined Geldſtuͤcks, darinnen liegen, fo, mögt Ihr 
mich kurzweg einen Lügner fchelten. 


Auf des Kdhlers nochmaliges Verlangen leerte 


Franz hierauf wirklich eine der Taſchen deſſelben 
und that dad Geldſtuͤck hinein. Darauf fprachen 


fie noch viel und mancherlei über den Gegenftaud, 
Bis endlich der Alte fagte: Wahrlich, Meifter, 


ſolch ein Thaler wäre, fo viel ich Euch kenne, 
für Euch beffer, als jeder andere Schatz, weil der 
Stamm Eures Vermoͤgens ſich dann doch leicht 





19 


verbergen ‚ließe, uͤberdies dadurch die fremde Habe 
acht nicht fonderlich gereizt werden kann, weil er 
in keines als des rechtmäßigen Erwerbers Hand 
folde Wunder verrichtet. 

Hm, erwiederte der Gchieferbedier, wo kann 
man zu biefer Art Geld gelangen? 

Davon hernach, wenn Ihr die Wahrheit ber 
Sache gepräft haben werdet, Doch da zeigt ſich 
ja wohl der Morgen fchon. Sehet zu in meiner. . 
Tafche und bad Kunſiſtuͤck wird fertig ſeyn. 

Erſtaunt zog Franz hierauf wirklich zwei Tha⸗ 
ler heraus, wovon der neue ſich durch ſein, wie 
eben erſt aus der Münze kommendes Gepräge 
audzeichnete. 

Ei, fo fagt mir doch, Lieber, wie ſolche Gelbe 
Rüde erworben werden! fprach ber junge Mann 
Yaftig. 

Durch eine nicht allzufchwere Eeremonie, ante 
wortete der Alte. Doch gehört eine andere Jah, 
reszeit dazu. Habe Ihr auf künftigen Winter 
noch Luft, einen folchen Thaler zu befigen, fo 
Iommt — aber kurz vor Weihnachten — dort is 
meine Hätte, da ſollt SShr” durch mich die nöthige 
Anweiſung erhalten, 

Als nun jetzt die Leichtfchimmernden Vorboten 
der Sonne an dem Himmel beraufflogen, fo ver⸗ 
lor Franz mit Einem Male jeden Gedanken au 
Geld und Gut und fagte: Da hat mich mein ſe⸗ 

2 


20 
liger Bater noch ein ſchoͤnes Lied gelehrt, das ſich 
diesmal recht gewaltig nach meinen Lippen het⸗ 
anfbrängt: Und er fing mit reiner Stimme ans 
Wach auf mein Herz und finge den Schöpfer ale. 
ler Dinge. 

Halt, fprach der Köhler finfter, den- Singſang 
Tann ich unmoͤglich abwarten. Lebt wohl und 
vergeßt meine Härte nicht; Zugleich eilte er, was 
er konnte, auf dieje zu. 

Das nahm Franzen Wunder. Daß eine Stim⸗ 
me jemanden fo recht im Grunde des Herzen zus 
wider feyn koͤnne, das hatte er felbft an dem 
Köhler erfahren, bei deffen Lone ihm allezeit dad 
Herz wehe that. Aber fein Gelang war doch ein- 
ganz anderes Ding und in der Vaterſtadt fo bes 
shhömt, daß man, wie er noch zn Haufe lebte, 
ihn überall zum Singen veranlaßte,, ja der Bis 
[hof ihn gern unter feinen Ehorfängern gehabt 
haͤtte. 


Inbeſſen vollendete er ſein Lied, und meinte, 
Daß deſſen lutheriſcher Urſprung das Ohr des alt» 
glaͤubigen Mannes verletzt habe. 

Jetzt traten ſchon die Kirchthuͤrme zu Augs⸗ 
burg hervor und ihte Glockentoͤne gingen ihm 
beſonders fteundlich zu Herzen. 

Im Holdingſchen Hauſe gab es viel Jubel 
über Pilsners Gluͤck. Der Alte, außer ſich für 
Frenden, herzte und kuͤßte ben künftigen Schwie⸗ 








8 


zerſohn ohne Aufhören, ‚und Aennchen fah errd⸗ 
thend in dieien Umarnıungen ein holdes Bild ihr 
ser eigenen Zufunft. Franz mußte indeffen bis 
zur Heirath die Zrauerzeit abwarten und am fols 
genden Tage wieder zuruͤck, weil er in der Hei⸗ 
math zu thun hatte. 

Nun, fagt mir. nur, Meifter Pilsner, ſprach 
der Steinmetz, warum Ihr Euer Gold mit hier⸗ 
per gebracht? Meint hr, ich hätte, wehn Ihr 
wir von dem Beſitze deffelben bloß gefagt, Euerm 
ehrlichen Worte mißtreuen mögen ? 

Das nicht, antwortete der Bräutigam, aber 
eines Theil wollte ich Euch doc, mit dem blane 
ken Haufen ergößen, andern Theils ihn hier ger⸗ 
ne zuruͤcklaſſen bis zur Hochzeit. 

Nein, Meiſter, verſetzte der Steinmeg + nur 
das nicht, Mein: Haus iſt zu ungewohnt, Gold 
zu beherbergen. , Wie ‚leicht koͤnnte etwas damit 
vorgeben. Tag und, Nacht fehlte mir die Ruhe, 
wenn es in meinen vier Pfählen bliebe. 

Franz laͤchelte über dan Scherz, wohin er's 
Anfangs hielt. Allein bald merkte er, daß es 
des Mannes vdlliger Ernft wor. und da ſich auch 


niemand Bekanntes fouft. in ber Stadt fand, we. 


er bad Selb hätte unterbringen Tonnen, fo fah er 
ſich gerdthigt, es am andern Morgen wieder, nit 
zuruͤckzunehmen. 

Dieſer Uwſtand wies ihn auf das Unhequewe 


22 


bed Befitzes von Schaͤtzen und die Warnung DM, 
die ihm ber Köhler neulich gegeben hatte. Daher 
fah er fich auf feiner Ruͤckreiſe Häufig und ſchuͤch⸗ 
tern um, und fie war im Ganzen bei weiten 
nicht fo forgenfrei, ald der Hinweg geweien war, 
Wie, wenn der Köhler bloß, um mich vor ihm 
ficher zu machen, bie Warnung gegeben hätte, dachte 
er, ald er bei feiner Hütte voräberlam, wie wenn ee 
wirklich Anftalt träfe, einen Raub an mir zu ver 
üben! Bein abfchrediendes Geſicht, die widers 
wärtige Stimme, die Schen vor frommmen Ges 
fängen, das alles beftärkte ihn nur mehr in dien 
fer Vermuthung. Daher befchloß er denn auch 
die Nacht nicht unterweges, fonbern in einem 
BWirthöhanfe zuzubringen. 
Aber fein Schlaf wär "nicht der beſte. Bei 
jedem Beräufch im Hauſe und Hofe wachte er 
auf, einen Ciubruch färchtend, der feinem Eigene 
thume gälte. Dazwiſchen träumte er viel, unter _ 
‚andern auch vom Köhler und deſſen Heckethaler, 
und die Vorzüge des letztern vor ſonſtigem Bere 
mögen traten ihm immer mehr ins ih. 
3u Haufe, wo er am folgenden Tage glüds | 
lich dhlangte, beruhigte er ſich nach und nach, 
wegen ber mit feinem Befige verbundenen Gefahr. 
Auch verftärkten ſich, je mehr der Eindiud von 
dem fchlimmen Anfehen und der rauhen Stimme 
des Köhlers aus feinem Gedaͤchtniſſe derſchwand, 











ı 


25 


bie ſchon fräßer von Zeit zu Zeit eingetretenen 
Borwürfe Üiber den Verdacht gegen den Dann, 
der ihm doch felbft feine Unterftäßung zum Er⸗ 
werb eined Heckethalers zugefagt hatte, 

Der Todesfall feiner geliebten Mutter verſetzte 
Stangen, ald er bie ZrauerHeider wegen ded Vets 
terd fchon abzulegen gedachte, in eine zweite, 
ſchmerzlichere Trauer, und fchob den Hochzeitter⸗ 
win bis in dad neue Jahr hinaus, 

Dit der Mutter Tode fing überdies Franzend 
Noth, wegen der Sicherheit feined Geldes von 
neuem an. Denn ein Grundftäd, wie er zu ers 
Zaufen wünfchte, fand fich Damals grade nicht, 
eden fo wenig wollte fich ein Dann finden, dem 
er fein Geld gern anvertrauet hätte. Da nun 
feine Geichäfte in der Gegend nicht abriffen, fo 
wußte er dad ganze Kapital auf Gerathewohl in der 
einfamen Wohnung zurüdlaflen, und die Sorgen 
Deshalb begleiteten ihn überall, Kr verfiel dar⸗ 
um auch häufiger ald zuvor auf den Gedanken 
an bad große Gluͤck eines Heckethalers. 

Eines Tage, ſchon tief im Herbfte, wo Mels 
ſter Pilsner zu Deckung eines benachbarten Schlofs 


ſes berufen war, fand er beim Mittageflen im 


Birrhöhaufe einen Mann auf der Ofenbank figen, 
deſſen Geficht ihm ſehr bekannt vorkam. Als jes 
ner zu ſprechen anfing, erinnerte ihn die wider⸗ 
waͤrtige Stimme auch ſogleich an den KAbhler, dem 


' 24 

die Züge bed Fremden außerordentlich aͤhnelten. 
Nur fchign dieſer jünger, als jener, auch trug das 
Geſicht Feine Spur von Kohlenftaube, 

Franz founte fich nicht enthalten, feiner aufs 
fallenden Achnlichfeit mit dem Waldbewohner ges 
geu ihn zu gedenfen. Da hörte. er denn, daß 
diefer fein Bruder fey, und bald kam die Rede 
auf beffen erftaunliche Kenntniffe der Naturkräfte 
und hoͤhern Miffenfchaften überhaupt. 

Beim Glaſe traulicyer mit dem Fremden gen 
worden, erwähnte Franz endlich in Bezug auf 
dieſe Wiſſenſchalten den Hegethaler, den der Koͤh⸗ 
ler befaß. . 

a, fagte der Andere, das ift grade der Punkt, 
um deswillgu.ich mit ihm zerfallen bin. Während 
er nämlich) , wie ich recht gut weiß, manchem 
Frewmden das Geheimniß, dazu zu gelangen, ohne 
Miuflände mitgetheilt hat, will er gegen mich, ſei 
ven leiblichen Bruder, nicht damit heraus, und, 
bloß darum, nicht, weil ich, feiner Meinung nad), 
fein rechter Hauswirth bin, und dergleichen Din⸗ 
ge mar ‚der Ordnung zu gut kommen follten. — 
Judeſſen weiß ich jeßt auch ohne ihn zu ſolch eig 
nem Kleinod zu gelangen, und beufe es naͤchſte 
Weihnachtsnacht in’d Werk zu ſetzen. Zwar vers. 
flieht wein Bruder. die Sache unfehlbar leichter. 
abzuthun, dena meine Urt, den Hedethaler zu er⸗ 
werhen, hat allerbings ihre Schwierigkeiten, Aber, 





beffer doch hie größere Mühe nicht geachtet, ala 
die Sache ganz aufgegeben. Und, wie gejagt, ig 
kurzen fech& Wochen , denke ich, den Hedethaler 
in der Taſche, meinen werthen Herrn Bruder mit 
feinem großen Geheimniffe weidlich auszulachen, 
Mit einiger Schuͤchternhejt Außerte Franz den 
Vunſch auch etwas von der Sache zu erfahren, 
Herzlich gern will ich Euch entdecken, was 
id) weiß, fagte der Andere, denn nichts iR mir 
verhaßter, ald der leidige Geheimnißkram. Und 
yrobat, darauf. verlaßt Euch, iſt mein Mittel, — 
In der Chriſtnacht nämlich findet man fi) auf 
dem erfien, beſten einfamen Kreuzwege ein. Sor 
bald die Glocke eilf auögeichlagen hat, fängt man 
bier an, einen Kreis von Thalern um fich herum 
zu legen. In dieſen Kreis feßt man fich hinein. 
Dann zählt man des Geld, erft vorwärts, dars 
anf wieder zuruͤck, und fährt damit eine ganze 
Stuade ft. Mit dem Schlage zwölf erhaltet 
Ihr hierauf den Heckethaler. — 
Das alles? rief Pilöner erkaunt und zweifelnd. 
Nichts weiter! 


Wahrlich eine finderleichte Kunſt! J 
Bro For vorkin von Schwierigkeiten! — 

Nun, ift denn die Herbeiſchaffung der Zhaler, 

Vie zum Kreiſe gehören, nicht ſchon eine daslioe | 

Schwierigleit ? 





2⸗ 


Franz freute ſich daruͤber, daß dieſe bei ihm 
ſo gut wie uͤberwunden war. 

Und dann — fuhr der Andere fort — gehoͤrt 
auch Muth und Hoffnung dazu. Denn waͤhrend 
des Geldzaͤhlens iſt es keineswegs ſo einſam und 
ruhig, wie jetzt hier im Wirthöhanfe, wo weder Wirth 
noch Wirthin, noch fonft jemand zu erbliden iſt. 
Bielmehr word es gar mannichfach um Euch herum 
faufen und fchwirren und ſtoͤhnen und heulen und 
saffeln, Alle gräßliche Töne und alle ſcheußliche Ge⸗ 
flalten werben auf Euern Kreis von allen Seiten 
eindringen. Beſonders arg toben wirb es Euch 
im Rüden, und immer feyn, als vb Euch jemand 
allaugenblikli nad) dem Naden führe. Da 
muͤßt Ihr denn ſtandhaft ausharren und ja- nicht 
Euch danach umfehen wollen, auch beileibe nicht, 
im Zählen : eins, zwei, drei und fo weiter, für Angft 
und Schreden etwan eine Zahl Äbergeben. Denn 
fonft ift ed um Euer Leben gefchehen und Euch das 
Geſicht im Nu auf den Nüden gedreht! — 

Und wer, fo fragte Franz mit leifer, bebender 
Stimme, wer ift es, der fo viel Schrednifle ers 
vegt; wer verfchafft mir den Hedethaler, wenn 
ich mich nicht irren Jaffe ? 

Ein Weſen Höherer Art, einer, den fe im gen 
meinen Leben den Boͤſen nennen, 

Da fprang der junge Meifter tief erſchuͤttert 
von der Bank auf und ſprach: Gerne ſey von mir 





ſolch Tine Gemeinſchaft. — Nein, nein, nein? 
Wenn € kein beſſeres Mittel giebt, den Hecke⸗ 
thaler zu erlangen, fo foll er Zeitlebens nicht mein 
werdet. 

Hm, verſetzte der Andere, Ihr ſeid auch gar 
zu bedenklich, Freund. Im Grunde ift es ja 
weiter nichts, als dem fogenannten Bdſen eine 
wögliche Sache abtrotzen; ihn zwingen, Euch 
glädlich zu machen ! 

Nein, ſchon die bloße Bemeinfchaft ift Zrevel 
und Suͤnde! fo ſprach Franz, ein Kreuz fchlagend 
und verließ den Mann, der ihm noch hoͤhniſch 
nachrief: So wendet Euch denn an meinen ſau⸗ 
bern Bruder, der auch vom Teufel nichts wiſſen 
wat — 

Pilsner fühlte ſich herzlich froh, als die Thuͤre 
zwilchen ihm und dem Manne war, deſſen Züge 

wit jedem Worte thdifcher zu werden fchienen. 
Wie erſchrack er aber, als er am folgenden 
Hbende, bei der Ruͤckkehr in die Heimath, die 
Schiöffer ſeiner Wohnung aufgebrochen und feine 
ganze Baarſchaft nicht wieder fand. So erloſch 
dem auf Einmal der Gluͤcksſtern wieder, deſſen 
er ſich zu freuen kaum angefangen hatte! Alle 
Nadforihungen von feiner und der Obrigkeit 
Seite blieben vergebens, und fein Zuftand war 
uoch niemals: ſchlimmer geweſen. Der Beruf 
ward ihm laͤſtig, der Schlaf floh ihn, und nichts 


nn 


- 


ſchien ihm ein beſſeres Loos wieber zu verſprechen. 
als die Erlangung eined Geldſtuͤckes, das ſich in 
jeder Nacht vermehrte, Zwar würde fein Fünfs 
tiger Schwiegervater den fortdauernden Beſitz des 
Geldes bei ihm vorausgeſetzt haben, wenn er ihm 
den Diebftahl nicht felbft entdeckte. Allein ein 
Verbeimlihen der Sache dünkte ihm immer ein 


heinzlicher Betrug, der Betrug um ein koͤſtliches 


Kleinod ‚ wie feine Tochter war, wie ber Many 
aun einmal dem unbemittelten. Werber nicht ges 
ben wollte. Und Betrug — im ganzen Lebey 
hatte er fi) deſſen noch nicht fchuldig gemacht ; 
daher ſcheute er ſelbſt fein Gluͤck damit zu erfaufen, 
.Das beſte Auskunftsmittel ſchien ihm noch. der 
Gang zu dem bewußten Kdhler, da, wie deffey 
Bruder doch felbft geaͤußert hatte, diefer eine befs 
fere Urt, den Hcdethaler zu, erwerben kannte, auch 
vom Teufel nichts wiffen wolle, 

Zwei Tage vor dem heiligen Weihnachisfeſte 
machte er ſich daher auf den Weg. Ach, wie ganız 
anderd war dieſer in. ber kurzen Zeit gerworben | 
Die Hoffaung , deren erfreuliche Zarbe ihn und 
den ganzen Wald bekleidet hatte, war völlig aus 


"feiner Bruſt verfhwunden Dazu lag in bem 


Schnee ringsum ein einziges, großes Leichentuch 
quögebreitet, das feinen heißen Gefuͤhlen ſchmerz⸗ 
liches Weh bereitete. Denn, wie fehr er auf die 
Huͤlfe des Kdhlers rechnete, fo Iguerte doch has 





29 
hinter imiher auch eine Zurcht, bie ihn des Ge⸗ 
auſſes feiner Erwartung hicht froh werben lic; 
Der Köhler und deſſen Bruder, wie -äßnlicy jas 
den fie einander. Wenn num der Unterfchied zwi— 





(hen ihren Mitteln, zum Hederhaler zu gelangen, - . 


audy nicht weicntlicher war, als ber zwilchen ihrer 
Yerfon? Wenn der Bruder des andern Äbnei— 
gung vor dem Teufel ihm nur angedichtet hätte? 
Wenn beide vereint arbeiteren, ihn in ein trauris " 
sed Labprinth zu verwideln? — 

Inzwiſchen langte er vor ber verfchneiten Hütte. 
des Waldbewohnerd gegen Abend an. Auf ded 
Wanderers Pochen dffnete der Schwarze: ' 

Franzen fchauerte bei dem Willkommen. Ent⸗ 
weder war des Koͤhlers Stimme noch kraͤchzen⸗ 
der, deffen Züge noch wibriger geworben, als im 
Sommer, oder des jungen Meifters damaliger 
Frohſinn hatte die haͤßliche Erfcheinung ein we⸗ 
nig überglaͤnzt; indeflen brachte der Wanderer 
feine Worte an; 

Habe ich's doch gedacht, erwieberte der Koͤh⸗ 
ler, daß Euer Gluͤck nicht lange Euer bleiben 
würde Nun, wie ich verſprochen, fo fiehe ich 
jest mir Freuden zu Dienfte, um Euch etwas - 
Danernderes zu vwerfchaffen; 

Seufzeud fragte Franz gradezu, ob auch die 
Erwerbung des Heckethalers ſeiner Seele keinen 
Nachtheil vringen koͤnne? 


30 


Ir ſeid ein Kind, antwortete ber Kbhler Ide 
chelnd. Zwar giebt es Mittel und Bege dazu, 
die etwas bedenklich find. So macht man Kreife 
mit Geld auf Krenzwegen um ſich her, die beſſer 
unterbleiben würden. Meine Urt aber iſt böchft 
einfady, beruft auch auf eitel Eeremonien, ohne 
welche die Geiſter nun einmal ihre Dienfte ver⸗ 
weigern. Ihr Tauft naͤmlich — aber noch in dies 
fer Nacht, zwiſchen eilf und zwmdlf muß es ge 
ſchehen — mit einem Sade, worin eine ſchwarze 
Katze ſteckt, dreimal um bie nächte Kirche herum. 
It diefed geſchehen, fo werdet Ihr einen Man 
an der Hauptkirchenthuͤre wahrnehmen, auf den 
geht Ihr zu und gebt ihm das Thier mit ber line 
Yen Hand, wofhr Ihr in die rechte den Hecke⸗ 
thaler erhalten werdet. Der Mann wird Hierauf 
bie Kate in taufend Städten zerreißen. Während 
dies geſchieht, müßt Ihr jedoch eilen, um unter 
Dady zu gelangen. Denn wird er fräßer mit 
ber Kate fertig, fo Fommt er Euch nach und es 
iſt um Euren Hals getan, — 

Branz ſchauderte zurück. Und wer ift der Mann? 
fragte er, mit kaum vernehmbarer Stimme. . 

Ein Wefen höherer Natur, das verſteht ſich, 
antwortete der Köpler unwillig. Wer mag die 
Namen der Geifter wiſſen! 

Uber doc) ein feindfeliges Weſen, wen es fo 
fein Abſeben auf mein Leben richtet? verſetzte der 





31 


Echieferdecker. Wie möchte ich aus ſolcher Hand 
mein Heil erwarten! 

Ei fiel der Alte mörrifch ein, Grübler, wie 
“br, taugen wenig zum Verkehr mir Geiftern. 
Wo es auf Unbegreifliches anlommt, muß man 
den Vorwig bei Seite ftellen. Da legt Euch nies 
der; denn Eure Faſſungskraft wird allzuſchwach. 
Nach zehn Uhr will ich Euch wecken. Mögt Ihr 
dann nah der Stadt gehen und thun, wie ich 
gerathen habe, oder bie Zeit verfäumen, mir kann 
das gleich gelten. Auf Dank 'leifte ich gerne 
Berzicht, nur muß niemand thun, al& ob der 
Dienft, den ich ihm erweifen will, mir Vortheil 
brachte! 

Stanz wollte fich entfchuldigen; allein ein 
Schlaf, wie durch Zauberkraft, bemädhtigte fich 


feiner fogleich mit ganz unwiderftehlicher Gewalt. 


Ihm tränmte von Aennchen. Gie flanden 
beide auf der Spitze eines Selfen, deffen eine Seite 
allmählig in das lieblichite Blumenthal, die ans 
dre hingegen ſchnurgrade hinab an furchtbar hers 
vorſtehenden Gteinfpigen in einen Fluß führte, 
Aennchen beſchwor Sranzen bei Liebe und Leben⸗ 
Die Nacht nicht ungenutzt verſtreichen zu laſſen⸗ 
da er ihres Vaters Grundſatz kenne. Aber Frauz 
war auch durch ihre Bitten und Thraͤnen nicht 
zu bewegen. Und ſiehe, Aennchen, durch die 
Berzweiflung bis zu des Abgrunds außerſtem 


— — 


— — 


ze 


Kande hingezogen. Franz, von allen Furien bers 
folgt, ihr nach! Zu ſpaͤt. Schon hängen zer⸗ 
riſſene Rleibungsitüde an dem Felſen. Und druns 
ten im Fluffe erbebt fi)” die biutende, halbzer⸗ 
ſchmetterte Geftalt noch einmal, um dann nicht 
wieder gefehen zu werden. Franzens Entfegen 
will fich in einem Schrei Luft wachen. Es fehlt 
ihm die Stimme. Er will ihr nachflärgen: Da 
fühle er fich zuruͤckgehalten und erwacht In ben 
Armen — des Kdhlers, der ihm andeutet, daß 
es nun Zeit fey, dem Werke nachzugehen, oder” 
ſolches aufzugeben. 

Trotz dem ichredlichen Gefichte; das der Era 
wachte jet an dem Alten wahrnimmt, glaubt er 
doch in ihm feinen Rertungsengel zu erbliden; 

Mo ift die Kage? ruft Franz: 

Dort ſchlaͤft eine im Winkel. 

Im Nu ift das Rhier genommen und ein 
Sad dazu. 

Gelt, der Schlaf iſt der Vernunft ein guter 
geprmeifter? fragt der Kohler lachend, und Franz 
eilt, den feht widerfpenftigen Sad auf der Schuls 
ter, zur Hhtte hinmus: 

Trotz der außerorbentlichen Nachilälte trieb" 
ihm der Traum doch noch immer den Schweiß‘ 
Über dad Geficht. Aennchens letztes Aechzen beim 
Hinabfallen ſchien vor ihm herzugehen, und der 
Mond, -die ganze weiße Schneefläche beleuchtend⸗ 


4 
— — — — — 





35 | 
in jedem Schatten feiner Schöpfung ihr Haͤuder 
tmgen nachzubilden. | 

Da flieg der nächte, Franzen wohlbefannte 
Kirchthurm, zu Augsburg vor ihm auf. Als ob 
die Katze deſſen Nähe merke und fi) davor ent⸗ 
feße, jo ſtrengte fie jetzt plöglicy wieder alle Kräfte 
md Krallen an, um dem prinlichen Gefängniffe 
zu eutlonmen, 

Franzen felbft hatte der Thurm diesmal et⸗ 
was Kiefenhaftes und Schreckliches, wie fein Vors 
Imben, deſſen ganzen, unermeßlichen Umfang ee. 
jeßt zum erſtenmale uͤberſah. Er Tome ſich 
wicht mehr verheimlichen, daß der Geifl, mit dem 
er ein Geihäft ahzuthun dachte, ein böfer ſeyn 
muͤſſe. Und ein Geſchaͤft mit dieſem in der naͤm⸗ 
lien Nacht, in welcher der Heiland der Welt 
geboren war! Bein Schweiß gerann zu Eife 
bei diefem Gedanken. Schon in Begriff Sad 
und Kage von fih zu thun, tönnte Aennchens 
Aechzen Härter als jemals um ihn ber, und es 
war ihm, als höre er eben die Wogen des Fluſ⸗ 
ſes über ihr zuſaumenſchlagen. Da tagte ihn die 
Verzweiflung plötzlich gleich einer reißenben Winds⸗ 
braut in das Stadithor hinein. 

Zitternd blieb er wieder auf dem Plate vor 
der Kirche ſtehen, welcher das Zauberlicht des 
Mondes einen Heiligenſchein umgegeben hatte; 
Die frommen Gefühle, mit denen er an dieſem 

Geſpenſterbuch. 5. Theil; € 


54 


Gotteshauſe gearbeitet, der Schieferbedier, der hier. 
feinen Srevel gebuͤßt hatte, alles drang zerſtd⸗ 
rend auf ihn ein. Uber dicht bei dem verungluͤck⸗ 
ten Schieferdecker ftand auch fein Gluͤck, in Aenn⸗ 
chens Entzäden über fein Keben vor ihm! Sollte 
er darum uicht alles thun, das ihrige zu erhals 
ten? Augenblidlic begann er feinen Lauf um 
die Kirche. Er ſah, wie ein paar ungeheure Eus 
Ien, die ihn begleitet haben mochten, jetzt, als er 
dem Hauptthore der Kirche gegenüber ſtehen blich, 
ebenfalls fiill über ihm hielten. Da wollte ex 
auf die Knie fallen und beten. Uber fein Herz 
Batte Beine Gefähle, fein Mund Feine Worte für 
Gebet und Andacht. Er hatte ſchon wirklich mit 
dem Boͤſen zu unterhandeln angefangen und dem 
Troft der Unterhaltung mit dem Himmel dadurch) 
verfcherzt. ' 

Aennchens Verzweiflung ertönte von Neuem. 
Zugleich. glaubte er ihr Haͤnderingen auf einem 
benachbarten Berge zu erbliden. Und faft bes 
mwußtlos war das zweite Drittheil feines Laufes 
bald ebenfalls vollendet. 

Noch ließ fich Fein Weien in der Hauptthüre 
wahrnehmen. Da erwachte fein Gewiſſen abers 
mals und rierh ihm zum Fliehen. Schon hatte die 
Katze ſich los gemacht von feinem Arme und fuchte 
auf ber Erde bes Sackes Ausgang. Da erfcholl ein 
Heohnlachen, das ibm durch Mark und Gebein 








hs 


itterte. Der Satan ſchien ſich zu freuen, daß 
Franz den Himmel und Aennchen zugleich ver⸗ 
lieren ſolle, und raſch ergriff er die Katze wieder 
und raunte, von dem Geſchrei ſeiner Eulen be⸗ 
gleitet, auch das dritte Mal um die Kirche. Jetzt 
fand er bie Thuͤre beſetzt und eilte darauf zu; 

Es ſchien der Köhler ſelbſt, der ihn Hier era 
wattete, nur waren feine Augen zu Flammen ges 
Worden; wie der Hauch, der bläulicht aud feinen 
Wunde quoll. | 

Der Händel war geſchehen. Franz hielt ben 
Thaler in feiner Hand und fah wie ber Geiſt 
Sack und Rabe zugleich zerriß. 

Auf ſeiner Flutht nach der benachbarten Mobs 
nung b88 Meifters Holdings blickte er faft uns 
verruͤckt hinter fi auf die Kirchthuͤre. Schon 
war er dem Daufe nahe und der Boͤſe noch im⸗ 
mer bort mit der Katze befchäftigt, als biefer 
furchtbar auflachte, dabei ploͤtzlich groß wie bie 
Kirche wurde und von ihr mit zwei ungeheuren 
Schritten ſo nahe hinter Franzen ftänd, daß ber 


ur durch eine gluͤcliche Wendung in die Thuͤre 


dem Griffe entging, det nach ihm geſchah. — 
Meifter Holving hatte Franzen erft am fols 
genden Tage erwartet ünd wunderte fich nicht 
wenig Über feine plögliche Ankunft in einer fo 
frengen Winternacht, dabei Auch hber das Tode 
tenäpirliche ſeines ganzen, fohft gewobnlich ſo mun⸗ 
68 


-— r_ 


Ag 


56 
teru Weſens. Yennchen erſchrack faſt vor dem 
längit Erichnten. Denn was auch feine Worte 
fagen mochten, fo ſchien ihm doch die Liebe vbl⸗ 
bg. aus, din Zügen verichivunden. 

Ihr muͤßt fehr Trank ſeyn, Franz, Hagte fie 
daher, und er ichob allcd auf die Eil, mit der er 
feine Reiie. betrieben babe. 

So ruht Eud) aus, Meifter, (prach der Va⸗ 
tet. Sch. denke mir Aennchen die Shriftmetten zu 
befuchen, wozu es bald Zeit wird, 

Da laßt mich Euern Begleiter ſeyn! lagte 
Kranz, von der Kirche und ben andaͤchtigen Td⸗ 
nen darin die Heiligung wieder erwartend, deren 
Abgang ihn eben ſo niederdruͤckte. 
Wenn Ihr fo wollt, in Gottes Namen! rief 
Meiſter Holding, und nicht lange darauf ſchickte 
man ſich zum Kirchgange an. 

Aber Stanz fand beim Wiedererblicken der 
Kirche wie vernichter. Was konnte fie, was konn⸗ 
ten die erfreuliche Glockenklaͤnge einem fuͤr Troſt 


geben, der ſich zu ſo gottioſem Gaukelſpiele her⸗ 


abgelaſſen batte? 

Zum noch groͤßern Ungläd ging es grade in 
die Hauprthüre, wo er erit fur; zuvor den Hecke⸗ 
thaler eintauſchte. Er ſchwankte die Stufen bes 
bend hinan, die er während der Thurmerneuung 
ſo oft frohen Muthes betreten hatte. Die from⸗ 
men Gefänge famisten, ftatt zu heilen, tiefer nur 








2 


in fein blutendes Herz. Die reingeftiinmte Orgel 
beleidigie jein unreines Dhr, und der Segen, der 
Run ausgeſprochen ward, fehüttelte die Glleder 
des Sünders wie ein Fieberfroft zufamnıen. Es 
ward ihm auch nicht cher etwas beſſer, als bie 
er bad Haus Gottes wicder in Ruͤcken hatte. 


Eine Krankheit, bie noch an demſelben Tage 
Meiſter Holdingen befiel, zog Aennchens Yufs 
merkſamkeit und Sorge von Franzen ab und 
gaͤnzlich nach jhrem Vater hinüber. Noch vor 
Sonnenuntergang eniſchlumnierte dieſer, um auf 
der ErdE nicht wieder zu erwachen. 


Aennchen bielt es für gerechten Schmerz. als 
Sranz, die Hände vor die Augen gehalten, au 
dem Sterbebette zu Boden flürzte. Uber Die fros 
ben Hoffnungen auf dem Gefichte des Sterber⸗ 
den waren ed, die ihn. niederwarfen, der Glauz 
der Augen ſchon trunken von dem kuͤnftigen Giuͤcke, 
den er um fo weniger ertragen konnte, je. lebhaf⸗ 
ter er ihn an den nicht minder ſchouen a fen, 
nes Vaters erinnere. 


Bis zur Beerdigung des Sreinmehen Hatte 
Bennchen durchaus keinen Sinn, als für ihrem ei⸗ 
gem Schmerz. Ach, wie viel Liebe ging ihr 
mit den Gebeinen des braven Mannes zu Grabe, 
und fo gut und folgiam fie auch jeberzeit. gewe⸗ 
fon war, fo machte fie ſich doch tauſenn Vore 








sd 7 


do 


‚ vohrfe, daß fie für ſeme große Waterforge bhm 
nicht Dankes genug abgetragen haben möchte, 

Der Todesfall harte Franzen von felbft nad 
dem Wirthshauſe verwiehen, doch brachte er den 
größten Theil feiner Zeit bei ber Merlobren gu, 
Schon darum gefchah dieſes, weil er fonft fait 
überafl auf dem ihm fo. verhaßten Köhler oder befs 
fen Bruder ftieß, die, wie ihm jetzt vorfam, nux 
in Einer Derfon beitanden, 

Nur zu bald, ward Aennchen die große Bern 
anderung inne, die mit ihrem Bräutigam vorges 
gangen war. Sie drang in ihn fich ihr zu ent⸗ 
deden, und. kam durch die Gewährung dieſes Wun⸗ 
ſches faſt von ihrem Bewußtſeyn. 

Eie beſtand vor allem darauf, daß Franz den 
gefaͤhrlichen Thaler von fich thue. Nur dadurch, 
meinte ſie, werde er Gemeinſchaft und Umgang 
bes Bdſen adwerfen kͤnnen, und Franz. lieferte 
ihr ſogleich nicht nur den Heckethaler, ſondern auch 
das Geld aus, das durch ihn gewonnen wor⸗ 
den war. 

Man überlegte, ob letzteres wohl den Armen 
zu geben ſey. Milein Mennchen hielt den Urfprung 
für allzufchlimm , als daß heilfame Folgen dar⸗ 
aus zu hoffen flünden; daher ward es in dem 
Buß geworfen. Fuͤr den Heckethaler fchien dieſe 
Maapregel beiden nicht genug. Zwar hatte Meis 
ſter Pilſner gehbrt, daß ex in anderer Hand, al& 


9 
ver, für weldye er urfpränglidy beftimmt war, oh⸗ 
se alle Wirkung fey. Doc) fragte fich died um 
fo mehr, da feine Quelle allen Verdacht der Lüge 
gegen fich hatte. Man legte daher eines Abends 
den Thaler auf einen Ambos, und Stanz hieb fo 
lange mit allen- Kräften darauf los, bis die Muͤn⸗ 
ze in unzählige Stüde gegangen war; wobei «8 
ihm und Aennchen ſchien, als ob fidy, außer dem 
bierdurd) erzeugten Schalle, aud) noch ein Aech⸗ 
zen and Wimmern hören laffe. — 


Bein Nachhaufegehen fuhr Franz heftig zus 


fammen , als ihm auf der Straße ein lautes Hohn⸗ 


gelächter ins Ohr Hang und bald nachher des 


Kdhlers Geficht, vom Monde beleuchtet, ihn über 
die Schulter heruͤher, mit feiner ganzen Hasuich⸗ 
keit angrinzte. 

Das heißt, ſich dem Teufel umſonſt erge⸗ 
ben! ſprach der Köhler boshaft. Oder meineſt 
Du Thor, mich koͤnneſt Du auch fo hald los were 
den, wie meinen Thaler? 

Franz, außer ſich für Schmen. beſchloß waͤh⸗ 
rend der völlig ſchlafloſen Nacht, den andern 
Morgen mit dem Fruͤheſten Abfchied von der Braut 


3u nehmen, and bei feinem Gewerbe, das ihn an’ 


eine ziemlich entfernte Kirche rief, Zuflucht gegen 

Die Geſellſchaft des Verderbers zu fuchen. — 
Aennchen beichwor ihn um Nachrichten, haupt⸗ 

fäcplich swegen feines unglüdlichen Verhaͤltniſſes 





44 


mit dem Boͤſen. Er verfprach ihr ſolche und hielt 
auch Wort damit. Aber die Nachrichten hatten, 
nichts tröflliched. Wenn er, wie vormals, fein 
Tagewerk mit Gebet anfing, da hörte er gemei⸗ 
niglich des Köhlers tuͤckiſches Lachen aus einem 
Winkel feiner Klaufe fallen, und da ward er 
irre in feiner Andacht und wagte nicht weiter 
fortzubeten. Daher ging er dans immer ohne 
allen Muth an die Arbeit. Saß er nun droben 
auf Dächern und Thürmen, fo fiel ihm gewoͤhn⸗ 
Udy der Meifter ein, der ein fo boſes Ende ge⸗ 
nommen, und da faßte ihn oft ein Schwindel 
dergeftalt, daB er fein Werk mußte liegen laſſen; 
zumal wenn — wie nicht felten geſchah — des 
Köplers Geſicht aus einem benachbarten Dachfen⸗ 
ſter ihn anlachte. 

Aennchens Kummer: daruͤber war fo groß, daß 
Be es ichs Kinger in der Heimath ertragen konnte. 

Eines Morgens, ald Meifter Pilsner eben wie» 
der im Gebete geftdet worden war, fagte ihm 
der Hausknecht des nahen Gaſthofes, Bag ihn Je⸗ 
mand zu ſprechen verlange. Schnell machte er 
Ach auf den Weg und fand — Aennchen. 

Branz, ſprach fie, Euer Zufland nagt mir alle 
zuſehr am Herzen. Da nun mein Geber zu Haufe 
nicht Träftig genug if, ihn zu lindern, fo will ich 
«8 auf andere Weiſe verfuchen. Auf meine ins 
Fändigen Bitten hat mich meine Baſe ber Nebtife 





4 


(in eines fehr ſtrengen Alofierd empfohlen. Dort 
bin gebe ich eben, um durch lebenslängliche Ans 
dacht und Bußuͤbung Euch, wie ich gewiß hoffe, 
ein befleres Schickfal zu bereiten. 

Liebſtes Aennchen! rief Franz im boͤchſten 
Schmerze, denn bis dahin hatte er den Gedan⸗ 
ten, fie zu heirashen, noch nicht aufgeben Tönnen; 
fo wäre denn auch dieſe eine, einzige Hoffnung, 
der einzige Zweck jenes uuſeligen Frevels in Der 
Chriſtnacht, mir gaͤnzlich verloren ? 

Wie anderd ? erwiederte Aennchen. Unſere 
Berbindung könnte und beiden doch nur neuen 
Unfegen bringen! 

Leider, ſprichſt Du wahr, gutes Nennchen, 
Sollteſt Du denn aber darum das Dpfer feyn ? 
Rein, ich, ic) felbft will den Weg in’s Kiofter 
einfchlagen, und Das noch heutigen Tages } 

Mit nichten, werther Franz. Laß mir doch 
immer dad Heine Verdienſt, Deine Vergehung, 
wo möglich, abzubäßen. Wenn ich: nun einmal 
Dich entbehren foll, fo ınag ich einen Undern auch 
wicht: Und wozu Tonne denn ich, im ledigen 
Stande, der Welt fonderlich nuͤtzen? Mit Dir 
aber ift c8 ein Anderes. Der Männer, geſchickt 
wie Du, follen, fo fagte mein feliger Vater oft, 
sicht viele fen. Drum bleibe Du bei Deinem 
Gewerbe, und bilf ferner die Ehre Gottes durch 
den Bau an feinen Heiligthümern befbrdern, Bin 





u 


@ 


ich doch ohnebin, Teider! bie erfte Veraulaſſung 
gu Deinem Vergehen. Denn unfehlbar hat nur mein 
früherer, bier Gedanke den boͤſen Traum in Dir 
erzeugt, der die unfelige That zur Beife brachte! 

Umfonft verfuchte Pilsner mehrere Gegenvors 
ſtellungen ; Aennchen beharrte bei dem Eurichkuffe, 
ja fein vielfältiges Bitten konnte fie nicht einmal 
gu Nennung des Kloſters bewegen. Doch vers 
ſprach fie, ihm dann und wann Nachricht von 
ſich geben zu laffen, 
Der Abſchied war fo beträbt, daß Franz ihn 
wicht zu überleben glaubte. Da er dies gegen 
Aennchen Auperte, ſagte fie: Denke wenigftens, 
in weldyed Unpeil und mein ſtrafbares Vorhaben 
ſchon gebracht Hat und vereitele mein Beftreben 
für Deine zeitliche und ewige Ruhe nicht dadurch, 
daß Du frevelhaft felbft Hand au Dein Leben 
legeſt. 

Sranz gab ihr Hierauf feine Zuſage, dies ges 
wiß nicht zu thun, und ſchlich traurig hinweg. 

Aber er Tam nicht weit. Wiglmehr wartete er 
Ürer auf der Straße, ergriff, als fie fam, mit 
beiden Händen Aeunchens Rechte, und rief ihr, 
die ſolche, unwillig über ein fo auffallended Bes 
zehmen, zuruͤckzog, noch ehe er ſich ſchuell ent⸗ 
ferate, ein Lebewohl zu, wovon, fo leiſe er's auch 
ausſprach, doch die geeimften Tiefen ihrer Seele 
wieberpallten, — 


’ 


⸗ 


6 


Wirklich nahen Han nach einiger Zeit die 


Pirtung von Aennchens Bußübungen an fich 
wahr. Die Geſtalten, die ihn zu erfchredten pflege 
ten, fo wie dad zumeilen auch ohne fiatbare Urs 
jache ihn anfchmetternde Hohngelaͤchter, quälten 
(a immer ſeltener und ſeltener. Schon fing er 
on, auf Fünftige vollfommene Befreiung yon dem 
böfen Dingen zu hoffen, und betrieb fein Hand⸗ 
toert zwar nicht mit dem Muthe und Frohſinne 
der frühern Zeit, aber doch wieder ziemlich ges 


troſt und ſicher. Nur fehlte ihm lange alle Nach⸗ 


richt von der Bäßenden, bis endlich eines Abends 
ein Bettelmönd) ihm Grüße brachte, und fich nach 
feinem geifligen und leiblichen Befinden in ihrem 
Namen erfundigte, u 

Die freundlidye Miene de& Moͤnchs bei dem 
guten Ausfalle der Erkundigung gab Sranzen 
Ruth, ihn um Entdedlung von Nennchens Kilos 
Rer zu befchwören. Allein der Mönch verwei⸗ 
gerte ibm dieſe durchand. i 


Nach einiger Zeit kam er wieder mit Nachrich⸗ | 


ten un Grüßen, verwies aber Meifter Pilsnere 
eruftlich die fortdauernden Forſchungen nach Aenn⸗ 
bend Aufen thalte. — 

AS jedoch der Monch zam deitten Male iha 
auffuchte, fprach er alſo zu ihm: Lieder, ich habe 
dem hochwuͤrdigen Biſchofe, der außer ber Aeb⸗ 
Affin ebenfalls allezeit um meine Botſchaft wußte, 


Pr 
.,. 


. 
re 
u cd DEE 


4 


Euer: Verlangen nad) —XR von bem Klo⸗ 
ſter mitgethellt, und auf meine Bitten hat er end⸗ 
ulich geſtattet, Euch fogar mit dahin zu nehmen 
und Eure vormalige Liebſte an ihrem geifllichen 
Ehrentage, der Einkleidung als wirkliche Braut 
des Heilandes, in feinem Gefolge zum letzten 
Male zu jehen. 

Franzens Freude würde fich noch mehr geaͤu⸗ 
Bert haben, wenn nicht mit dem Hobnlachen, das 
in dem nämlichen Augenblidde erfcholl, die noch 
immer nicht ganz bezwungene Macht des Böfen 
über :ihn, fich zu erkennen gegeben hätte. Der 
Moͤnch ertheilte ihm indeffen den Troſt, daß diefe 
Macht nach der Ablegung des Gelübdes der beis 
ſpiellos frommen Jungfrau wahricheinlic) ganz 
aufpöreh werde. — 

Sie treten hierauf ihren Weg gemeinfchaftlich 

en, und kamen grade am Ubende vor Ber 
Einkleidung in die Gegend des Klofterd. .. Des 
Moͤnch verlich Franzen im Wirthöhaufe, mit dem 
VBirſprechen, ihn am folgenden Morgen zum Bis 
fibofe, der: da erwarter wurbe, abzuholen. 
:: Kaum aber hatte Der mühe Wanderer ſich fein 
ner Schlafftelle genähert, fo trat auch ber Köhler 
zut. Ehre herein mad fpeadh: Bergebens wähnft 
Du meiner 108. zn werben, Du Thor. Aber aus 
freiem Willen werde ich yon Dir laſſen, wens Du 
verſohnlichen Gemuͤthes biſt. 





* 


Ws Hierauf Franz beide Hände vorhielt, um. 
fine Nähe abzuwehren, auch jedes Wort mit ihm 
sermeiben zu wollen ichten, da fuhr der Ulte fort z 
Wer ift denn Schuld an dem üben Vernehmen 
zwiſchen und, als Du ſelber? Nachdem ich Dir 
zu einem ungewöhnlichen Gluͤcke verholfen hatte, 
warfeſt Du's auf die beleidigendfte Weiſe von 
Dir und thatefl, mad nur. der gröbfte Undant zu 
than fähig if. Du und Deine Braut, Ihr fuche 
tet alles hervor, mich zu reizen, und fchreibt nun. 
mein feltenereö Erfcheinen Euern lächerlichen Bußs 
übungen und Gebeten gu! Gtatt der Vernunft 
Gehoͤr zu geben, und eined erworbenen Gluͤckes 
rubig zu genießen, laßt Ihr Euch von lofer Pfafe 
fenmeinung bethören und ein Band trennen, uns 
beöwillen Du einzig meinen. Beiftand benutzteſt! 
Schäme Did fo toller Miderfpräche in Deinem 
Handeln. Schaͤme Dich zwiefach des Weges, 
hierher! So willſt Du denn fo niederträchtig. 
ſeyn, morgen dem feierlichen Raube Deiner Braut 
felber beizumohnen, zu dem Dich die tuͤckiſche 
Hohubegier der Pfaffen berbefchieden hat? -Eo 
willft Du ihnen das Entzüden an der Qual Deia, 
ned blutenden Herzens vergbnnen ? — 

Pilöner trat einen Schritt zurkd, Denn 


wirklich fühlte er ſchon im Voraus die Pein des. 


morgenden Feſtes an feinem Herzen wüthen. 


Stanz, ſprach hierauf der Köhler freunblichen, 





fr ı 
als jemald, vertraue mir, und hoch in biefet Nacht 
ſchaffe id Dich mit Deiner Braut weit von hier, 
auch fol Euch nicht dad mindeſte Leid wider⸗ 
fahren. . 

Aber Franz, fo fehr er auch erfchättert war 
bon dem feiner Sehnſucht fo mwohlgefälligen Era 
bieten, raffte ſich dennoch auf und ſprach: Hebe 
Dich weg don mir! — Und fogleich eilte der 
Köhler davon, erbot ſich jedoch noch immer anf 
den erften Ruf in der Nacht wieder zu kommen 
umd ihm zu feiner Braut zu verhelfen. J 

Die boſe Nacht wollte für unfern Meiſter kein 
Ende nehmen, auch ſtand er in der That mehrere 
Mal auf dem Punkte, den Kdhler herbeizurufen, 
fo groß war fein Verlangen nach Aennchen und 
feine Furcht vor dem morgendeh Geluͤbde. Gleich⸗ 
wohl Aberwand er den böfen Drang und freute 
ſich recht fehr, daß es geichehen war, als mit 
dem freundlichen Moörgenlichte auch in feiner Seele 
ein Kicht Aufging, wobei ihm klar wurde, was zu 
feinem Heile diente, 

Zwar erflang dad bekannte Hohnlachen dies⸗ 
mal fo ſtark, daß ihm die Wände davon zu drößs 
ten fchienen, wie jet ber Biſchof angefahren kam. 
Aber in der Nähe dieſes frommen Mannes irrte 
ed ihn gar nicht; 

Bald darauf erſchien der Moͤnch ihn abzuho⸗ 
len. Sie gingen, wurden jedoch im Klofter beibe zum 


49 
Barten befchieben. Denn fo eben war die Aeb⸗ 
tiſſin mit der Einzulleidenden bei dem Bifchofe, 
Diefer- fegnete fie und redete fie alfo an: Anna, 
au Deinem treftlich frommen Wandel hat ſich 
das ganze Klofter erbaut ımd erfreut, Jetzt aber 
ſprich, ob es Dein feſter, unwiderruflicher Wille 
iſt, nie in die Welt zuruͤckzukehren, und einzig 


dem hohen Braͤutigam zu leben, dem Du Dich 


aus eigenem Triebe gewidmet haft ? 

Aennchen drädte ihr Verlangen datnach zwar 
ſtumm uud demuͤthig, aber kraͤftig und unzwei⸗ 
dentig genug aus. | 


Gage zuvor, fprady hierauf der Biſchof ſtren⸗ 


ge, ſage, ob auch die reine Liebe zu Gott, niche 
Nebenabfichten, Dein Ergreifen des heiligen Schlei⸗ 
erö veranlaflen; fage, ob, wenn Dein vormalf, 
ger, irbiicher Bräurigam fchon befreit wäre von 
dem Bbien, Du eben fo frohen Herzens, wie jet, 
die Braut Deines Erldſers werben wuͤrdeſt? 

Da erbleichte die Bäßenbe und die Thräsen, 
die aus ihren Augen ftürzten, bezeugten ihre Scheu 
vor der Beantwortung diefer Frage, 

Anna, ſprach nun der Bifchof, ich Iefe in Dei⸗ 
ner Seele. So fromm Du audy bift, fo wenig 
bift Du doch des hohen Bräutigams würdig, In 
femem Namen verwerfe ih Di! — 

Da ſank die Tiefgebeugte mit lauten Schrei 
in des Biſchofs Fuͤßen und umfaßte dann ſtumm 


⸗ 


43 


und zitternd die Knike des heiligen Mannes, and 
er neigte fich zu ihr und fuhr mit milder Stinnre 
alfo fort: Aber, ich erhebe Dich auch. ' Denn ift 
auch nicht allen gegeben, {chen bier einzig des 
Herrn zu ſeyn, ſo bit Du doch vor vielen vohre 
dig, jolched dereinft, nebft Deinem Bräutigam, 
zu werden. 

Und.nun bob er ſi e empor, druͤckte ſeinen Mund 
auf ihre Stirne, und winkte nach der Thuͤre. Da 
brachte man Franzen herein, und nachbem der 
Bifchof ihn eine Weile freundlich betrachtet, nahm 
er mit feinem heiligen Segen alles von ihm hine 
weg, was ben Armen zeither gepreßt und geängs 
figet hatte. — 

Bon Sruude an hatte der Boͤſe Beinen. Theil 
mehr an dem Neubeſecelten, der feine geliebte: Ana 
na bald nachher chelichte, "and mit ihr ein langes 
gottſeliges Leben führte, das in dem froͤhlichen 
Kinderkeeife, der am fie heranwuchs, immer teus 
bofinungsreiche Bluͤthen trieb, -, 


a  } .. 

















Der giebesfhwun 





1. 
Die Aanehmlichkeiten einer großen, genußvollen 
Reſidenz reichten nicht kin, den Baron Heins⸗ 
berg in ihr feſtzuhalten. Alles erinnerte ihn au 
den Berluft der lichemswärbign Gemahlin, mit 
der er hier zwei glüdliche Jahre veriebt hatte. 


Kein Geräufch vermochte. feinen Sinn’ zu betaͤn⸗ 


ben, der fortdauernd auf die durch den Todesfall 
entſtandene, unheimliche Leere in feiner Bruſt ges 
richtet war. Die Natur -und eine hoͤchſt aumu⸗ 
tige Gegend blieben ihm noch die einzige Hoffe 
aung, als jet, nach einem düflern, neblichten 
Winter, der Fruͤhling mir feinen taufendfachen 
Sarden und Klängen fich ringsumher lagerte. 
Aber die allgegenwärtige Stimme bee Liebe vera 
wundete ihn nur tiefer, und, außer dem melan⸗ 
choliſchen Einerlei. des benachbarten Gehblged, 
hatte er bald Teinen Ort mehr, in dem fich feine 
Wunden ertragen ließen. Das Dunkel und die 
Stile der grünen Eindde ſchien waren auf daB 
eſpenſterbuch. 3, Theil. 





a 
- 1 * Na_» 4 


tiefere Dunkel und bie ganz lautloſe Gtiffe zu 
deuten, von der allein er feine Heilung erwartete. | 
Güntherdau, ein entfernter Freund, ber dieſen 
feinen Zuftand aus Briefen Tannte, hielt es für 
Pflicht, den jungen, wohlhabenden und talentvoßlen 
Mann einer langen Einſamkeit zu entreißen, in 
der er feinem Untergange mit ſchnellem Schritte 
entgegen wankte. 
Er überrafchte ihn eines Abends und verweilte 
wmehrete Tage bei ihm. Gefliſſentlich führte er 
feine Gedaufen in die · gemeinſchaftlich verlebte 
Vergangenheit zuräd. Der Zauber der heitern, 
alabemifchen Jahre wurde noch einmal, nur rus 
biger, in der Erinnerung genoffen. Ihr Leichtſinn 
Bonnte zwar den Handlungen des Mannes nicht 
zur Grundlage dienen, eben fo wenig aber eine 
zweckloſe Trauer ihn zur Unthätigfeit verdammen 
"follen. Guͤnthersau wußte dem Freunde dieſes 
an's Herz zu legen und ihn zu einer Reiſe zu 
überseven, 

—W 2. 

Dhne großen Erfolg ‚waren fie ſchon mehrere 
VBrunnenorte durchftricyen, bis fie endlich in Pyr⸗ 
mout den Grafen von Ambach, .einen bei fünf 
md vierzig Jahren noch fehr wohlerhaltenen, le⸗ 
bensluftigen Mann, antrafen, deffen geiftreiche 
Miene und Zovialität Heinsbergen mehr als als 
les Webrige anfprach, 


51 

Graf Ambach erwartete feine Familie, Die 
Nngeduld, mit der es geſchah, erweckte den Freun⸗ 
den die Hoffnung auf neue, intereffante Bekannte 
ſchaften, von der fie fich auch nachher keineswe⸗ 
ge& betrogen fahen. Schon dad Aeußere der drei 
Damen, die, begleitet von dem verilingten: Ebens 
bilde des Grafen, bald erfchienen, weiffagte ihnen _ 
ein. ganz neues, erhöhetes Leben. Kein Menicy 
hätte der Bräfin das Alter von einigen und-breis 
Big Fahren angefehen, Fein Menfch geglaubr, daß 
fie von drei -fo erwachfenen Kindern die Mutter 
ſeyn koͤnne. Noch war an ihrem hohen, Bräftis 
den Bau duch) nicht Eine Zerflörung zu entdels 
ten. Ihre fchönen Glieder ſprachen die Külle 
des herrlichfien Lebens aus; und aus dem dun⸗ 
keln Auge blitzte der innere Reichthum, von dem 
die voſllkommernſten Lippen fortdauernd ein noch 
unverdaͤchtigeres Zeugniß ablegten. Jede. Bewe⸗ 
gung, ihres fchbuien Körpers war bewußtlos bey. 
Sragien entiehnt und ed war dabei ‚kein Wunder, 
wenn in Guͤnthersau (dom am erften Abende Ges 
fühle für die Dame erwachten, die auf die Länge 
den Mechten ihre Gemahls mit Beeinträchtigung 
drohten. 

ar aber die Graͤfin der vollendeten Roſe 
gut zu vergleichen, fo mußte man bei den frifchen 
Reizen ihrer Töchter nothwendig an die Knoſpen 
denken ; deren hoͤchſte Swonhen noch erſt durch 

2 





52 


den Bli der Sonne entfaltet werden fol, Koͤſt⸗ 
liche Kinder der unverfälichten Natur! Dazu fo 
verfchieden,, daß fie den Charakter der Schönheit 
jede auf ihre Weile darſtellten. Jukunde, die 
ältere, mit braunen Augen, war, bis auf unbe» 
deutende Abweichungen, der Mutter an Fülle und 
Teuer ganz nachgerarhen. Dagegen firahlie aus 
dem großen, blauen Auge Mariend ein Licht, wie 
Die Sterne ed geben, fo füß und tief eindringend; 
and) war cd, ald ob ihre ganze, lilienweiße, übers 
aus Schlanke Geſtalt der Schimmer einer höheren 
Abkunft umflöffee Selbſt ihre wenigen, immer 
anfpruchlofen, Worte, und die Bewegung des 
Mundes dabei, hatten etwas Bezauberndes. Auch 
achtete man auf die geringften Laute von ihr, wie 
auf etwas von tiefer Bedeutung. - 


Ob fie fon im Geſange ſich durchaus nicht 
meffen konnte mit der reihen ausgebildeten Stim⸗ 
me ihrer Schweiter,, {6 zog doch ihr weit ſchwaͤ⸗ 
cherer Ton die Zuhbrer mächtig an. Ein Geis 
ſterklang fchien es zu fenn; ein Wunder, aus dem 
heiligen Grunde des fchönften Gemuͤthes herauf⸗ 
geftiegen, 


. Keinsberg hing mit inniger Sehnſucht an ih⸗ 
rem Geſange. Er fcholl wie. die Stimme feiner 
Verlorenen aus den Räumen der Seligen zu ihm 
heruͤber. 


e 3. ’ WBG FL 

Eines Abende, ald Marie das Lieblingsſtück 
der Verftorbenen, den König von Thule, fang, 
da hielt er ſich nicht länger. Er filirzte ihr zu 
Süßen, die Hand ſtuͤrmiſch an feinen Mund. prefs 
ſend. Diefe Romanze fchien es geweien zu fen, 
was ihm fo lange gefehle harte. Sein Benchs 
men fiel Abrigens den Andern nicht. fehr auf, 
da Marie den ſchoͤnen Geſang wirklich ganz herzs 
ergreifend vortrug, und jedermann im Haufe, 
gleichianı, ald ob man den hoͤhern Urſprung ſtill⸗ 
fihweigend anerkenne, ohnehin gewohnt war, fie 
bei aller Gelegenheit beſonders undzuzeichnen, 

Ein Rittergut, in der Nähe des Ambachſchen, 
das zu verkaufen war und fehr gerühmt wurde, 
fand an Heinsbergen einen um fo eifrigern Lieb⸗ 
haber, da jene. Gegend durch ihre: Naturmunder' 
in großem Rufe fand, auch, nach der Erzählung 
der Nachbarn, in einem weiten Umfreife überaus: 
gebildete und gejellige Bewohner batte. 

Heinsberg war nämlidy durch die Einfamleit 
ſelbſt von diejer ganz zurüc'gefommen ımd glaubte 
jeht im freundlichen Beiſammenſeyn mit andern 
"oildeten auf dem Lande ,. das. Leben noch am: 
leichteften ertragen zu können. Daher begleitete 
er auch nebft Guͤnthersau die Ambachſche Fami⸗ 
lie in ihre Heimath, um das verkaͤufliche Gut in 
Bugenfchein zu nehmen, und da er die Bedingun⸗ 


N % 
— FE 
— — — — — — .. — 


54 


u gen annehmlich fand, fo war wirklich der Kauf 


in Kutzem abgefcyloffen. 
4. 

Das Verhaͤltniß zwiſchen dem Ambachſchen 
Hauſe und Heinsberg zog ſich immer dichter und 
dichter. Graf Ambach und die Seinigen vermiße 
ten ihn ſehr, wenn er auch nur einen Tag ausge⸗ 
blieben war. Heinsberg ſelbſt ſchien das Höchite 
Gluͤck ſeines jetzigen Daſeyns in dieſen Kreis zu 


ſetzen, deſſen Haupt fuͤr ihn Marie war, Guͤn⸗ 


thersau blieb ebenfalls einige Zeit hier und trug 
feine Neigung, die bei der Gräfin keine Erwiede⸗ 


rung fand, auf deren ältere Tochter über, fo dag. 


zu Unfange des Herbſtes deſſen Verlohung mit 
ihr gefeiert wurde. 

Dhfchon etwas Aehnliches zwiſchen Heinsberg 
und Marie nicht, eingetroffen war, fo ſchien doch 
ihre wechfelftitige -Art und Weile barauf hinzum 
deuten. Die Mutter freute fich übrigend dars 
über, daß noch nichts davon zur Sprache kam. 
weil Marie erft im fechgehnten Jahre fland, und 
fie dem ohnehin allyuzarten Weſen die mit jedem 


gutgeführten Hausftande verbundenen Sorgen gern 


noch einige Zeit erfpart hätte, 

Guͤnthersau's Hochzeit war, fehr wider deſſen 
Willen, immer weiter binansgefchoben worden, 
weil man das fröhliche Pärchen außerdem zu früß 
gu verlieren fürchtete, auch vielleicht die Gräfin 





aM _ 


55 
Iinbach damit zugleich Mariend Werlobung- weis 
ter zu entfernen dachte, die ſich — wenn nicht 
ales täufchte — an jenes Hochzeitfeft knuͤpfen zu 
wollen ſchien. | 

5. 

Als endlich das erſte Schneegeſtoͤber die raube 
Zeit ankuͤndigte, da. gab ſich Guͤnthersau nicht 
laͤnger ruhig darein, auch fehlte Ambachs der 
Borwand ihn noch zuruckzuhalten; daher beſchloß 
man der Sache den Lauf gu laſſen. 

Den ganzen Sommer hatte man durch Zelte 
verfchömert, die mit der Jahreszeit in Verbindung: 
fanden. Beſonders luſtig war noch zuletzt die 
Weinlefe ausgefallen. Drum glaubte man jetzt 
etwas diefer Art auch für die bewußte Hochzeit 
thun zu. muͤſſen. Die Kirmes bei einem seichen 
Hachter in der Nachbarichaft, weicher ein großer. 
Theil der ummohnenden Gutsbeſitzer nebft meh⸗ 
rern Bekannten aus nahen Städten beigewohnt 
hatte, gab Veraulaſſung zu dem Winterfeſte, das 
man für Guͤnthersau's Hochzeit erſann. In Mas⸗ 
Yen follte die Nachahmung der Kirmes gefcheben, 
and Graf Ambady übernahm es, eine Menge Bes 
Janste zum Abende des Tages einzuladen. 

Um den Scherz zu erhöhen, verrieth er niee 
mand, auf wen feine Wahl gefallen ſey, daher 
jeder der Gaͤſte den freieften Spielraum zu Be⸗ 
beuptung feines Inkognito bis zus Tafel erbielt, 








[\ 


56 
and der Wis ſich unter allerlei abentheuerithen 
Berfleidungen defto ungeftdrter behaupten kounke. 
Die Hochzeit felbft war bloß mit den genauern 
Sreunden gefeiert worden, Die dabei immer aus 
klingende Trennung des folgenden Tages erzeugte 
aber eine fo däftere Stimmung, daß man nur 
ſchwer fidy entfchloß, die bereits fertig liegenden 
Masten anzulegen. - 
6. 
Schon prophezeihte man dem Kefte des Abends 


nicht viel Gutes, als die nach und nad) erfolgen 


de Anknunft mehrerer auffallend Verkleideter der 

Phan taſie eine gefälligere Nichtung gab. - - 
Jeder der Säfte hatte dem zum tieffien Still⸗ 

fihweigen verurtheilten Hausbofmeifter feinen Na⸗ 


men anzugeben, und Graf Ambach war, ald- er 


Die Lifte von ihm erbielt,, fehr erfrent, daß der 


groͤßte Theil der Geladenen ſich eingeftelit hatte. 


Man erfchöpfte ſich wechlelöweife in Rathen 
md Nachforfchen, bis am Ende der Scharffinn, 
bauptfächlich der Damen, bie meiften Anweſenden 
heransbrachte. 

Unter den wenigen, die ein Rathfel blieben, 

zeichnete ſich deſonders ein Equilibrift aud, durchs 
ans nicht: mit denen gu vergleichen, bie Durch 
Heramfireifen auf Kirmſen ımd Jahrmaͤrkten von 


einem geringen Talente Nutzen zu ziehen. wiſſen. 


Nathrlih war es zwar, baß ſchon fein Aeuheres 





— in P 


87 

an Glanz und Anftand tin hoch Aber den Kreis 
eines gemeinen Gauklers fetzte. Allein, daß auch 
die Klınfte, mit denen er die Anweſenden ergdtzte, 
emen Grad der Bollenbung hatten, der dad Nich⸗ 
tige ihres Weſens adelte, das fette die Geſell⸗ 
ſchaft, und vor ‚allen. den Hauswirth, in Verwun⸗ 
derung , weil er in der Lifte der Gebetenen auch 


sicht einen Einzigen fand, von bem foldy ein-Ges 


{hi zu vermuthen gemwefen wäre Selbſt die 
Geftelt wußte er feinem davon zuzutheilen. Denn 
wenn auch die Inapp anliegende, ideale Tracht 
den ſchoͤnen Körper ungewöhnlich heraushob, fo 
sierh er doch vergebens her und hin nach dem, 
dem fo viel Ebenmaß eigem war. 

Der Wunſch, des Närbielhaften Geſicht zu ſe⸗ 
hen, war allgemein, daher freute man ſich, daß 
die Tafelzeit immer nuͤher ruͤckte. 

Beſonders lag hieran auch unter andern dem 
Baron Heinsberg, dem darum gar nicht wohl zu 
Muthe war, weil alle Aufmerkſamkeit des Kuͤnſt⸗ 
lers ſich groͤßtentheils auf Marien aichtete und 
dieſe mit ihrem Wohlgefallen an des Unbekannten 
Fertigkeiten keinesweges zuräcdhielt, - Ihre Sorge 
bei jeder gefaͤhrlichen Stellung um denſelben, die 


driugende Art, mit ber fie ihn einigemal ſogar 


davon zuruͤckhielt, brachte den Baron auf den 
Argwohn, daß ihr Beifall weniger den Kinfen 
«is dem Künfller gelte, 


J 





60 


7. 

Wirklich war Heinsberg Willens geweſen, noch 
an dieſem Abende, wenn nicht Öffentlich, doch. im 
Stillen, die Ehnftige Vereinigung mit Marien 
förmlicy einzuleiten, daher hätte ihn fo Leicht nichts 
empfindlicher treffen Tonnen, als der Geliebten 
beſonderes Wohlwollen für einen Andern. Die 
Abendrafel, meinte er, werde mehr Aufllärung 
darüber geben, 

Kurz vor derfelben ging Marie am Arme des 
Künftlers auf und nieder. Heinsberg verwendete 
Tein Auge von ifmen, um zu entdecken, ob viels 
leicht ihre Pantomime, der Regel des Tages zus 
wider, in muͤndliches Gefpräch übergegangen ſey. 

So fehien es jedoch nicht, Als er aber jet, 
wie der Unbelannte mit Marien aus dem gis 
meinſchaftlichen Saale in ein Mebenzimmer trat, 
eben im Begriff war , nachzufcpleien, da nahm 
ihn die Frau vom Haufe auf die Seite, um ihm 
weges des Platzes. bei Tiſch etwad zugufläftern, 
€r fand auf glühenden Kohlen, 

Es ging auch wirklich im dritten Seitenzim⸗ 
mer etwas vor, nicht gemacht ſeine Ruhe zu 
deſdrdern. Der Equilibriſt naͤmlich zog hier, de 
er ſich mit Marien allein ſah, die Maske ab, 
Das Sräulein ftaunte hber bie Gchönpeit eines 
ihr vdllig Unbefannten, 

Marie, ſagte er, Sie ſind mein Wunſch und 


99 

mein Sterben, Aber Zeit und Umſtaͤnde binden 
wir Die Zunge, Denken fie meiner, dann werben 
wir und — ich hoffe gluͤcklich — wiederiehen ! 

Marie hielt ſich ängftlid an dem nebenſtehen⸗ 
den Armfiuhle an; das Geſtaͤndniß hatte fic alle 
zufehr Äbderrafcht, Sie ſah fo ploͤtzlich in eine 
Eonne des Gluͤckes, daß ihr bie Augen vergingen, 

Ein Geſpraͤch, das fich jetzt näherte, bewog 
den Unbelannten, die Maske eiligft vorzunehmen, 
und noch ein Zimmer weiter zu gehen. Die Oräs 
fin Ambady und Heinsberg waren ed, die unmit⸗ 
telbar darauf zu Marien traten, Sie ſchien noch 
ganz außer fih und erſchrak ſichtbar, ald der 
Baron fie fragte, was ſie in ſo lieſes Sinnen 
verſenke? 

Der Equillbriſt, antwortete ſie, nachdem ſie 
wieder zu ſich gekommen war, ganz unverholen. 


Ein Zug um Heinshergs Mund würde ihr 


befien Empfindlichkeit darüber verrathen haben, 
wenn fie ihn bemerkt hätte; ſo aber fuhr fie fort: 
Ich wenigſtens habe dieſes Geſicht in meinem 
Leben nicht geiehen! 
Schen demaslist alfo ? fragte der Baron, 
Jetzt erft fiel ed ihr ein, daß fie zu viel gee 
fagt haben moͤchte. Er verlor die Made, ante 
wortete fie, und der zagenbe Ton, dad Befange⸗ 
ne ihres ganzen Weſens gaben ziemlich klar zu 











- @- 
verſtehen, daß fie das voreilige Geſtaͤnduiß darch 
eine Unwahrheit wieder gut machen weilte, 

Ich geſtehe, ſagte die Gräfin Mutter, mit | 
‚Rüdficht auf Mariens Verlegenheit, daß es mir | 
gerade fo geht, wie ihr. Auch mich verlangt zw 
wiſſen, wer der Tauſendkuͤnſtler feyn mag. Die 
Zafel, bie eben und ruft, wird am beften dahin 

führen. Kommen Sie, Baron. — 

Auf den Trompetenftoß, der jegt ertönte, fams 
melten fi) alle Anwelcnde im Speiſeſaal nnd bes 
‚größten einander fröhlich nach abgenommener 
Maste, 

Der Equilibrift wer nicht darunter. Auch 
bei der Tafel ſelbſt ward keiner verwißt, als er, 
deſſen Stuhl leer ſtehen blieb. 


8. 

Graf Ambach verwunderte ſich nicht wenig. 
Er zog die Liſte der Geladenen hervor, um des 
Adweſenden Namen zu finden, Affeflor Rubland, 
ſonſt fehlte keiner. 

Der alfo, der Equilibrift ? riefen mehrere in 
des Hauswirths Nähe Sitzznde verwundert aus, 
Eigige zweifelten gradezu, daß’ der Affeffor ders 
gleichen Kuͤnſte verſtehe. Andere ſpotteten aͤber 
dieſen Unglauben, da Graf Amberg doch wiſſen 
miͤſſe, wen er eingeladen habe. u 

Unfefbar, fagte die-Gräftn, hat ihn die Klei⸗ 
ang zu fehr beemgt, und er wird jetzt beſchaͤftigt 


m, 4 





64 


im, eine bequemere anzulegen, Allein ihr Ge⸗ 
mahl, der im ganzen Haufe nach ihm gefucht hatte, 
brachte jet die Nachricht zuruͤck, daß Aſſeſſor 
Ruhland, zu Pferde angekommen, letzteres vor. 
Kurzem begehtt habe, und fortgeritten fey. 

Marie ſaß in fichtbarer Miedergefchlagenheit 
da. . Sie hatte alle Vermuthungen über den nun 
Abweſenden mit angehört,. aber flillgefchwiegen, 
um den fräßern Vorfall nicht nen aufzurägen. 

Kind, Hüfterte Die Mutter ihr zu, bu gefällt: 
wir heute gar nicht. 

Marie kuͤßte ihre" Hand, um deshalb Ders 
zeifung zu erhalten, Aber die Gräfin fuhr mit 
ſtrafendem Unge fort: Du behaupteteft vorhin, 
den jet fehlenden Gaſt nicht zu kennen, gleiche 
wohl ift ed der, Dir, wie und allen, mohlbelannte 
Rubland geweien ! 

Nein, theure Muster, nein, nein! Kein Zug 
in ihm von Rupland, darauf ſchwoͤre ich den beis 
ligfien Eid. — 

Die Gräfin druͤckte ihre Verwunderung and. 
Er war wohl jung und. fybn ? fragte fi. Mas 





vie Aberjah ihren forfchenden Blick und fprad) bes ° ' 


geiſtert: O befte Mutter, die Jugend, die Schoͤn⸗ 
beit, die Liebe, alle 8 vereinte ſich in ihm. 
Wenn Heinsberg, ihr Nachbar , diefe Worte 
nicht verſtand, fo errierh er wenigftend den we⸗ 
ſentlichen Inhalt derfelben, Seine unsuhige Wene 


[77 

Statt meiner jprechen, theure Mutter! 
Sonſt brachte ein heiteres Geficht mir Deinen 
Wunſch. 

Kann ic) dafür, daß mir jet alles zu Thraͤ⸗ 
nen werden will? 

Allerdings kannſt Du dafür, ſprach die Mut⸗ 
ter ernft und ſtreuge. Gefliſſen vermeideſt Du 
bie freumdlichen Gaben des Lebens, um an Luft⸗ 

* gebilde Seufzer und Wäniche wegzuwerfen. Das. 
lange verhaltene Wort reißt ſich los von meinem. 
gepreßten Herzen. Setze endlich der Sache eim. 
Ziel. Mag auch der Fremde fegn, wer er wolle, 
nur Unfegen und Entzweiung hat er bis jegt in 
unjere Familie gebracht. Du bift Deinen Ael⸗ 
tern und Dir ſelbſt die Ruͤckkehr aus den Mole 
ten in die Wirklichkeit ſchuldig! . 

Der Vater kam dazu und unterſtuͤtzte ihren 
Rath mit der ganzen Wärme feines Herzens, fo 
daß Marie bald das Berfprechen gab, zum Bes 
weife ihres veränderten Sinned, Heinsbergd Hand 
nicht zurlickzuweiſen, wenn er fie ihr bieten follte, 

Das Entzuͤcken der Aeltern über diefe Zufage 
beranfchte das reine Weſen. SHeinsbergd mans 
nichfache Aufmerkſamkeiten für fie fanden in dies 
ſem Raufche eine fehr günftige Aufnahme, bis 
faft ganz unvermerkt alles in das frühere Gleis 
gekommen fdien, ja jet fogar des Barous Were 
lobung mis Marien fort fand, 





10, 

Schon war bie Hochzeit feſtgeſeht, als Heinb⸗ 
derg eines Tages mit feinen Nachbar Eine Jagd⸗ 
parthie unternahm und den Mittag auf des letz⸗ 
rn Gute zubrachte, wo eine liebe, heitere Wir: 
Hin des Gaftes Sehnſucht nach der Zukunft wohl 
derſtaͤrken mußte, Unter allerlei traulichen Scher⸗ 
gen, die zum Theil auf Heinsbergs Fänftige Ehe 
Bezug Jatten, war. die Tifchzeit fehr angenehm 
verftriden, ald ein Bedienter die Nachricht brachte, 
daß eben eine trauernde Dame abgeflitgen fe, 
die, fi eine genaue Belannte vom Haufe nen⸗ 
amd, ihm auf dem Fuße folste, 

Die m dichtes Schwarz Verhällte trat herein. 
Nach zurückgefchlagenem Schleier ftand fie, das 
Ehepaar eine Weile ſtumm betrachtend, Das, wis 
es ſchien, bang und vergebend auf dem fehönen, 
über alle Spuren des Leidens tragenden Gefichte, 
kach dekaunten Zügen fuchte, 

So kennt Ihr beide Eure Betwandte, Autos 
win von Schilden, nicht mehr ? 

Untonie! rief die Fran vom Haufe erſchrocken 
und entzuͤckt zugleich, und ihre Arme breiteren fich 
nad) der Trauernden aus. 

Fa, rief diefe, an der Freundin Bruſt finkend, 
bei allen Veraͤnderangen des Aeußern iſt mein 
Herz noch das alte geblieben! Es hat auch auf 
das Deine getedynet, Kunigunde } 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, & 


4 











66 


Das konnte es! rief diefe und Thränen von 
beiden Seiten befräftigten die Worte, 

Ihr feld gluͤcklich! ſprach die Neuangekom⸗ 
mene, hierauf dem Hausherrn die Hand reichend. 
Es iſt unverkennbar und ich freue mich deſſen 
von ganzer Seele. Erlaubt mir die naͤchſten 
Tage meined Lebens in dem Sonnenfcheine der 
Eurigen zuzubringen. Zürchter nicht eine Vers 
gifterin Eurer Freude an_mir zu finden. Bloß 
unſere Vergangenheit laßt uns zurädtufen, Das 
mit mein jetziges Seyn ſich an ihrer tröftenden 
Geſtalt aufrichte . und mit den Nachllängen des 
verfhwundenen Lebens die ſtumme, troftlofe Dede 
der Gegenwart befeele. Laßt mich hauptfächlich 
auch einer Derftorbenen mit Euch gedenken, des 
ren blüthenreihe Jugend uns vormals gemeine 
ſchaftlich entzuͤckte. Laßt und Alwinens, meiner 
Schweſter, Grab mit Vergißmeinnicht umflechs 
ten. Der Gedanke au das füße Leben dieſer Ents 
fchlofenen fol Eure Luft nicht trüben, nur ers 


ben, 

Alwine alfo ? rief Kunigunde. 

Sa, fie ging ans der Welt. Das Schwarz 
das ich trage, ihrem Andenken ift ed gewibmer. 
Bon morgen an gebe ich jedoch dieſes äußere 
Zeichen deflelben auf, da es zu Eurer Umgebung 
nicht paßt, uud uns bie Züge aus ihrem kurzen 
Dafeyn Ichendigere Erinnerungen darbieten. Nicht 





1 —— —— re —— 





7 


nauern wollen wir über ihre Vollendung, nur 
rer Liebe und erfrenen. Doc zuvor vergoͤnnt 
zir, Euch mit meinem duͤſtern Geſchicke bekannt 
zn machen. Denn da dies boch nicht zu umge⸗ 
hen iſt, fo duͤnkt es mich beffer, dad Bittere, auf 
Einmal in den Schooß der .Theilnehmenden auss 
zaſchuͤtten, als ed ihnen nad) und nach in eine 
einen Tropfen einzuflößen. — 

In dieſem Augenblicke erft fchien das Fraͤu⸗ 
lein den Baron zu bemerken, und. durch, die 
fremde Erſcheinung fich gedruͤckt zn fühlen, Schon 
war er im Begriff fih zuruͤckzuziehen. Allein 
man machte ihm ihr als einen Freund vom Haufe 
befannt, berüßrte fein Verhaͤltniß mit der Am⸗ 
badyichen Familie, und Antonie erfuchte ihn fehr 
u bleiben, da ihre Geſchichtcerzaͤtlung durchaus 

Ar. 

em Derfolg bed Geſpraͤchs "han man aber 
aber Doch wieder auf die Geſchichte zuruͤck, und 
da fie gelegentliy geäußert hatte, daß fie nie⸗ 
mand daraus ein Geheimniß zu machen brauche, 
bat Heinsberg felbft, ihn als Zuhdrer daran Theil 
nehmen zu laſſen. 

Eie begann in folgender. Yet: 

Du erinnerft Di, Kunigunde, wie unfers 
Vaters Tod die Mutter veraulaßte, die Stadt, 
in der wir wohnten, zu flichen, und fo weit ald 

" € 








68 

rhdglich don ihrem zeitherigen Gluͤcke ein einias 
mes Plaͤtzchen aufzuſuchen. &fe fand em foldye® 
und kaufte fi) da an. Alwinte und ich bemuͤh⸗ 
ten und ihr den Wermuthöbecher des Lebens mit- 
Roſen zu Defrdnzen und harten die Sreude, daß 
ihr Auge wohgefällig an bein Kranze hing, wenn 
auch der Trank felbft dadurch nicht verſuͤßt wers 
den Fonnte, 

Unfere Xcbensart war aͤußerſt einfach, und die 
Famille des Pfarrers unier eingiger Umgang: 
gute Menſchen, die Gemuͤth und Liebe genug bes 
füßen, um’ zum Troſt der Mutter in deren Ideen 
Bon kuͤnftigen Wiederverein gern eingugchen, und 
durch anftändige Dienftlelitungen ihre Unterfiägung 
zu erwiedern wußte. | 
Um bieſe Zeit unterbrad) der Krieg bie Ruhe 
der Gegend; zwar nicht unmittelbar, aber doch 
mit Durchmärfchen und -Einquartierung , bie gar 
fehr auf den Einwohnern lafteren, | 

Unter andern wohnte dei uns ein Hauptmann, 
Woldemar von Thalen mit Namen, der an frs 
her erhaltenen Wunden erkrankte, ſechs Wochen 
lang nicht von der Stelle Tonnte Meine Schwe⸗ 
fter und ich hatten die Beruhigung, dag fein Arzt, 
ald der Genefene den Marſch fortſetzte, uns vie 
Verſicherung gab, einzig unferer Pflege und Auf⸗ 
merkſamkeit Habe cr das Leben zu verdanken, Mir 
waren beide um ſo ftolzer auf dieſes Zeugniß, da 





69 


wir mannigfache Gelegenheit. hatten, das fcphne 
Gemärh des jungen Mannes, Fonnen, zu. lernen. 
Saft. alle Geipräche, wenn wir allein, waren, hats 
ten ihn und die Sorge um.fein Wohl zum Ges 
genflande. Daß wir ihm beide viel galten, wußs 
ten wir, doch beiaß Feine ‚non. umd eine. befondere 
Zuficherung feiner Liebe. Woldemars Briefe par 
sen gewöhnlich an bie Mutter gerichtet. und uns 
jecer beider. darin ‚immer, mit Theilnahme. gedacht. 

Niemaid zuvor hatten wir den Meiz der Zei⸗ 
tungen gekannt. Seht-abes, weit. welcher Unges 
duld, mit welchem Zittern griffen wir mach ih⸗ 
nen, ob wir ſchon voraus. ſahen baf-irde noch 
fo gluͤcklich ausgefallene Schlacht und : in- bie 
deinlichſten Sorgen flürzen müffe; daß die ganze 
Zeitung, wenn fie nicht Friedensperkuͤndigerin ward, 
Jeinen Troſt für ans haben konnte, außer feinem 
Namen. Und dog, neuen dic Zeitungen deu Nas 
men eines Subalternofficiers in ‚der Regel nur 
dann, wenn er durch Wunden ober. hen Tod fich 
diefen leidigen Ruhm zu erwerben im. Stande ges 
weien. 

Friede, Friebe! hieß daher daB Bart, das’ 
(rip und ſpaͤt von unfern anpen zum Himmel 
hinaufbebte. 

Leider umſonſt. — Welch ein Zodesſchreck, 
als eines Abends ein Wagen langſam in unſern 
Hof fuhr, aus dem ein Officier getragen wurde, 


70 


deffen bleiche Geſichtszuͤge keinen Zweifel ließen, 
welch einen ſchweren Kranken wir vor uns hatten. 

Nachdem er auf ein Sopha gelegt worden 
war, fagte er fehr leife abgebrochen und, wie es 
fchien, nicht ohne großen, Eörperlichen Schmerz: 
onen fo zur Laft zu fallen, wie undantbar! 
Gleichwohl aus der Welt zu geben, ohne der 
theuerften Freundſchaft das letzte Wort zuruͤckge⸗ 
laſſen zu haben, wie hart! So Lob, daß «6 
moͤglich geweſen iſt! 

Hier vergaßen meine und iwinens Thraͤnen 
alles Maß, fe duß auch die ſelbſt weinende Mut⸗ 
ter mißbilligend fagte. 

Nicht fo, Kinder. Sehet vielmehr darauf als 
les zu des Kranken Eleichtermug Romige unver⸗ 
uglich hetbeiuſchaffen. 

Schluchzend eilten wir, den Befehl auszu⸗ 
richten. Zum Gluͤck harten’ wir es mit verſtaͤn⸗ 
digen Dienſtboten zu thun. Denn unſere Anord⸗ 
nungen trugen ſo ſehr das Gepraͤge von Bewußt⸗ 
loſigkeit und Verzweiflung, daß damit ſchwerich 
viel ausgerichtet geweſen wäre, 

Untere einzige Hoffnung ging noch auf den Arzt 
und deffen alte Vorliebe für diefen Kranken. Aber 
nach genauer Unterjuchung von Woldemard Zus 
flande fAyhttelte er den Kopf, und fagte unvers 
holen, daß er nicht begreife, wie er bei feinen 
Wunden eine ſolche Reife babe aushalten Können, 





71 


wenn nicht durch den Wunſch, und noch einmal 
zu feben, feine Kräfte fo wunderbar geftärkt wor⸗ 
den waͤren. 

I beſtaͤti gte ſich nur allzubald. Es trat 
plöglich die Ruͤckwirkung von dieſer Anſtrengung 
in der aͤußerſten Ermattung bei dem Kranken 
ein und wenig Augenblicke ſpaͤter ‚hatte ſein Herz 

zu ſchlagen vodllig — 


uebermannt von ven Schrecken der Erinne⸗ 
rung mußte Antonite eine- Zeitlang inne balten, 
ehe ſie folgenderinaßen fortfuhr: 

Es war, ald ob der vor und liegende ſtarre 
keichnam auch das Blur in meiner Schweſter 
md meinen Adern erflarıt habe. Seht erſt bes 
griffen wir den innigen Werein zwifchen den Ents 
kelten und uns in feinem ganzen fchauerlichen 
Imfange, Nein fremdes, unſer eigenes Leben 
fhien getödtet und das, deffen Laft wir umbers 
Kugen, gewann «in unftenndliches, geſpenſtiſches, 
gegen uns felbft und unſer innerſtes Welen ge⸗ 
ihtetes Streben. - . 

Unfere Mutter war in- biefen Momenten des 
Unhrils und der Verzweiflung das einzige Hin⸗ 
deraiß gegen bie Vernichtung, auf deren oͤdem 
Bege allein wir zum Wiederfehen des Eutſeelten 
gelangen zu Ednnen wähnten. Nur ihrer treuen 
Hu verdankten wis unſre Erhaltung, Ohne 











‘72 


Diele Hätten bie mätterlichen Eunahmmgen ſchwer⸗ 
lid) hingereicht. Denn wenn aud) ihre verſtaͤndige 
Rede nicht ganz an uns verloren ging, fe war 
Dod) deren Eindrud nur felten von Dauer. Ges 
woͤhnlich glitt fie leide an der Oberfläche unferer 
Seele hin, gm der in ihren Tiefen berrfchenden 
Melancholie und Berworrenheit unumfchränftere 
Mechte Über unfere Vorſtellaugen und Entiplüfle 
einzuräumen. 

Vielleicht treten bie Geſtaͤndniſſe einer -Bche, 
wie meine Schweftes und ich: fie für den Verſtor⸗ 
benen fühlten, in gewöhnlichen Verbältniffen benz 
Schicklichen zu nahe, allein meine guse Abwine 
bat ja bie Welt bereits nerlaſſen, und. ein Schein⸗ 
ichen, wie dad meinige, achtet fich für Indgeipras 
chen von dergleicdyen Ruͤckſichten gegen die Welt. — 

Woldemars Beerbigungstag war der beißsfie 
für und. Die Mutter fam. dazu, ald Alwine in 
heſter Umarmung mit mir bei feinem Leichnam 
ausrtef: Emig fo vereint! Unſere beiderfeitige 
Liebe ging nach ihm, er verdient, daß wir. fie ihm 
aufbewahren. Keinen Gatten, als ihn! Zheuter 
Vollendeter, wir jihwören Dir — 

Halt! Kind, rief die uns bis dahin anbemerkt 
Gebliebene, und ihr Geſicht und Ton verkuͤndete 
Furcht und Schrecken — Keinen Schwur dem 
Todten! 

Barum. wicht, theuerſte Mutter ? fragte ich 








BEI 


3 


befremdet. Du weißt ja, was dieſer Todte uns 
geweſen if! Laß uns doch das unfichtbare ewir 
ge Band an ihn, jetzt Hier vor feinen irdifchen 
Keften, recht feierlich befeftigen ! 


Micht das, Lieben! Keine Leidenfchaft, die Vers . 


aunft allein fol Schwuͤre einleiten. Ueberhaupt 
aber Teinen Schwur irgend einem Todten! Was 
der Todte felbft nicht thun würde, gefchieht durch 
den Tod, diefeu dem Menſchen fo feindlichen Zus 
ſtaud. Wie wenn die Argliſt dieſes Feindes Ver⸗ 
haͤltniſſe berbeifährte, die Euch durch Meineid in 
feine Gewalt bräspten ? 

D Mutter, Mutter, fo rief Alwine bier ung 
willig aus, wen koͤnnen Verhaͤltniſſe zum Meine 
eide bewegen ? . 

Euch vielleicht nicht. Doch laßt ab. von dem 
Vorſatze, lieben Kinder. Ob ich ſchon die Bei⸗ 
fpiele von dem Nachtheile ſolcher Schwuͤre nicht 
immer verbärgen möchte, fo ift doch in unferer 
Samilie eins fo befannt und mit fo vielen ſeltſa⸗ 
men Umſtaͤnden umgeben, daß mich allezeit Schauer 
anwandeln, wenn ich von Berpflichiuugen aͤhn⸗ 
licher Art hören muß. — 


Diedmal aber verfehlte die Rede der Mutter 


elle Wirkung auf unfere bethörten Herzen. Das 
Beifpiel, von dem fie fprach, paßte, meinten wir, 
wicht einmal weder auf und, noch auf das, was 
fie damit beweiſen wollte. Es befland in einem 


7& 


von unferer Großmutter Bruder, feiner Gattie 
bei Lebzeiten befchworenem Berfprechen, im Fall 
ihres Ablebens nie wieder zu heirathen, und fors 
derte ihren Zorn auf, wenn ed geſchehen follte. 
Sie ftarb nachher wirklich. Der Mann war im⸗ 
mer der unbeicholtenfte weit und breit und feines 
Worted auch hierin eingedent gewefen. Gleiche 
wohl fanden ſich nach ihrem Tode eine Menge 
verwidelter Umftände, die ihm eine zweite Ehe 
zur - Pflicht machten. Wie er nun am Verlo⸗ 
bungstage mit einer trefflichen. Perfon den Sing 
an den Singer ftedt, fo ift es ihm grade, als 
wolle der Ring immer enger und enger werben. 
Zugleich fleige der Gedanke des gebrochenen Eis 
des mit aller Macht in ihm auf. Seht ihr wohl, 
suft er Ubend&, nachdem er Urbelbefindens we⸗ 
gen das Mahl hat verlaffen müffen, feht ihr meine 
Selige dort zürnend fiehen! Ein ſtarker Angſt⸗ 
fhweiß quillt aus feiner Stine. Er theilt den 
Verwandten reuig die begangene Schuld mit, 
wender jein Geficht voll Widerwillend von ber 
Braut, und iſt in der folgenden Nacht, allen Arge 
neimisteln zum Trotz, unter fchredflichen Zuckun⸗ 
gen verftorben. — 

Mit Einem Worte, weit entfernt und bieran 
zu Tchren, riefen meine Schwefter und ich, fobald 
wir wieder allein waren, Woldemars Schatten 
an, und fühlten eine große Beruhigung, «ld wir 


uns ihm unter den fchauerlichften Schwuͤren zur 
Eheloſigkeit verpflichtet hatten. 

Nur allzubald aber rächte ſich die verſchmaͤhtt 
Stimme der Erfahrung und Vernunft an dem fie⸗ 
genden Ungeſtuͤm der Leidenſchaft. Unſere Mut⸗ 
ter ſtarb ploͤtzlich und faſt zugleich mit ihr eine 
ſchon fruͤher verwitwete Schweſter, welche drei 
noch unerzogene Kinder hinterließ. Die faft ſtete 
Mweſenheit und Sorglofigkeit ihred Vormunds 
legte uns, den naͤchſten Verwandten, die Pflicht 
auf, fie vor Verwahrloſung moͤglichſt zu hüten, 


Unſtreitig hätten wir fie zu und genommen, als 


len der Umſtand, daB es Söhne waren, fprach 
in mehr als einer Hinficht dagegen, und obnges 
achtet der Sorgfalt, die wir ihnen wibmeten, 
mußten wir hören, daß fie Wege einfchlugen, bie 
ihnen verberblich zu werden drohten. | 


Zwar wendeten wir alles fortdauernd zu ihrer. 


Befferung an, doch fehlte uns Glüd in der Wahl 
der Menſchen, durch die wir auf ſie zu wirken 
fachten. 

Die jet immer häufiger werdenden Truppens 
Anguartierungeri vermehrten das Unannehmliche 
unferer Verhaͤltniſſe. Ein: unglüdlicher Proceß, 
worein unfer ganzes Vermoͤgen vermwidelt wurde, 
kam dazu, und nun fühlten wir nur allzutief das 
Unglädt, fich in den eigenen Angelegenheiten frems 
der Einficht allein anvertrauen zu muͤſſen. 





16 


Um biefe Zeit machten wir in ber benachbar⸗ 
ten Stadt die Belanntfchaft des geheimen Raths 
yon Elbing, eines Mannes, dem Herkunft, Eine 
fichten und Rechtlichkeit zu Empfehlungen ger 
reichten, und Der auch von unferer Sage, weiner 
up Alwinq's Meinung va, die hellſten Anfiche 
gen befaß, 

Bald kam er in ben Fall, und einige angerſt 
wichtige Dienſte leiſten zu kͤunen. Er that eb 
mir Aufopferung und glaubte um fa cher auf 
Ahvinens Hand Hoffnung zu haben, da fie und 
ich ihm unfere befondere Achtung uicht verbargem, 
"itwine konnte keinen Grund finden, den Mann 
"anözufchlagen, ald das dem. Todien von und..gen 
meinfchaftlid) gegebene Wort. Daher hielt fie es 
für's. Rathfomfte, ihn mir dem Umſtande belaunt 
zu machen. In meiner Gegenwart gefchah es. 
Allein er nahm die Groͤffnung ganz auders auf, 
als fie ſich ſolches vorgeſtellt haste. Nichts ſchien 
ihm non fo. geringer Erhablichkeit, als dab Ver⸗ 
ſprechen wegen einer, wie er ſich ausodruͤckte, dem 
Todten ganz gleichguͤltigen Sache; ein Werſpre⸗ 
chen, wozu uͤberdies ein Grad von Bewußtloßg⸗ 
keit gehoͤrt habe, der es von ſelbſt null und nich⸗ 
tig mache. Wenn, fogte er, feinem Gluͤcke nichts 
old eine fo unbedeutende Iufage im Wege fiche, 
dann dürfe er fich nur an Alwinens geſundes 
Urtheil wenden, um das Hinderniß gehoben zu fehen. 


„ 


Meine Schweſter und ich behaupteten zwar 
beide , daß und die Leichtigkeit fehle, mit der er 
über die Sache binfchläpfe Wir Beriefen und 
änter andern auch auf den, leiber, verworfenen 
mutterlichen Rath gegen jenes Berfprechen. 

Über diefer Rath bewied ihm durchaus nichts, 
Allerdings meinte er, habe die Mutter Hecht ges 
habt, und don einer fo zweckloſen Zuſage abzus 
heiten, und nur in ihrem Glauben an des Todten 
Mache gefehlt. Das erwaͤhnte Beilpiel von der 
Naͤckkehr einer: Werftorbenen dünfte ihm vollends 
nichts, als eine der mancherlei lächerlichen Aus⸗ 
artungen menſchlicher Einbildungstraft. Er ſelbſt 
führte eine Menge Exempel diefer Art an und 
forach überhaupt mit fo viel Verſtand und Ges 


wandrheit, daß wir bei Widerlegung feiner Ans 


fihten durchaus’ nicht fortlamen, 

Dies, und hauptſaͤchlich die Nothwendigkeit 
den zu Führung unferer Angelegenheiten fo nöthie 
gen Mann nicht zu entfernen, veranlaßte Alwi⸗ 
nen allein ihm ihre Hand wirklich gu geben. ' 

Unfer Stonomifcher Zuftand gewann durch den 
Eifer, mit dem der geheime Rath fi) deffelben 
annahm , in Kurzem ein weit befferes Anſehen, 
auch Härten wir für die Erziehung der Kinder 
anſerer verftorbenen Tante keinen eifrigern Vers 
forger finden koͤnnen. 


Allein in anderer Hinſicht verfolgte und das 





J u nn 2— 


60 


in Deinen Armen lag, bie Leiche neben nus 7 
Weißt Du nicht mehr, was wir uns da, was 
wir Ihm gelobten ? 

So heftig ich auch felbft angegriffen war, fo 
ſuchte ich mich doch zu faſſen und ihre Troft zu 
geben, Ohne Erfolg, 

Merkſt Du nichts von dem Keichengeruche 
tige umher ? fragte fie. | 

Liebſte, defte Seele! rief ich, fie auf die Ges 
ſchichten, die Efbing neulich von den Giunentäus 
ſchungen mittheilte, zuruͤckverweiſend. 

Allein ſie zuckte die Achſeln und blieb dabel. 
daß der Geruch immer zunehme. 

Von nun an verließ ſie dieſer Gedanke nicht 
mehr. Ihr Gatte, der nach vieler vergeblichen 
Mühe: enidlicdy die Urfache der nur felten mit Gluͤck 
von ihm befämpften Schwermuth entdeckte, fuchte 
alled hervor, fie von dem Ungrunde ihrer Vors 
ſtellungen zu überführen, Berlorne Muͤde. Spaͤ⸗ 
terdin fragte fie mich mehrere Mal, ob ich keinen 
Hufarenfäbel klirtren höre und fah nach der Ges 
gend bin, woher fie ihn vermuthete. Die Angſt, 
welche Begleiterin dieſer, ich weiß nicht, ob Ers 
fiheinungen oder Ideen, war, mattete fie nach 
und mich voͤllig ab. 

Endlich einmal, ſpaͤt am Abende, rief fie, mid) 
bei der Hand faſſend: Um Gotteswillen, Schwer 
fer, rette mich, rette Du mich! Hoͤrſt Du nicht 











04 
die Verwuͤnſchungen, die er gegen die Meineidige 
ausitößr ? 

Ich beichwor fie, ein befferes Zutrauen zu 
dem Mollendeten zu haben, den ihre Beweggrüns 
de zu der Deirath gewiß mit hoher Achtung für 
fie erfüllten. 

Alles vergebens. Sie wimmerte herzzerreißend 


an meinem Halſe und fiel mir dann erfchöpft in 


die Arme, 


Mehrere Stunden lag. fie alio. Sie nicht zu. 


ſtoͤren, bewegte ich mich ſo wenig ald möglich. 
Welch ein Entieen aber, wie ich fand, daß e& 
kein Schlummer, fondern der Tod felbft war, der 
ſich der lieben Unglüclichen bemächtigt harte! 
Hier laßt mid fchließen, Wozu auch noch 
eine umſtaͤndliche Erwähnung der Vorwürfe, wo⸗ 
mit der tiefberrübte Gatte fich ſechs Monate lang 
ehne Aufhören peinigte? Genug, fie und daß, 
bei der eigenen tiefen Verzweiflung, fo dringende 
Beduͤrfniß nad Vertrauten meines frühern Gluͤk⸗ 
3 und meiner Sefinnung, trieben mich zu Euch 
ber, da ich ja ohnehin keinen Troft für den Ges 
beugen hatte. Er felbft bar mir dazu gerathen. 
Sein Vorſatz it einzig unfern Rath und Erzies 
bung bedürfenden Verwandten zu Ichen, und fo 
das Unrecht gegen die Entichlafene, deffen er ſich 
beihuldigt, thunlichit wieder gut zu machen. 


Geſpenſterbuch. 5. Theil, > 


82 


13. 

Es lag in der Natur ber Sache, daB Heins⸗ 
berg, um die erfte Zeit des Wiederſehens der drei 
Freunde nicht zu ſtoͤren, fich fobald als moͤglich 
entfernte. Er haste aber auch noch einen wichtia 
gern Grund dazu in ‚feinen innern Schmerzen. 
Ohne daß die Erzäblerin es hatte ahnden können, 
war mit ihrer Geſchichte eine either tief im Hin⸗ 
tergrunde feiner Seele fchlafende Erinnerung ihn 
erweckt worden, die ihm Mark und Loben grim⸗ 
mig Anzunagen drohte. Schon während der ers 
ſten Ehetage Hatte er und feine verftorbene Gate 
tin einft in einem Momente des böchften Enthu⸗ 
fiasmus ſich wechfelfeitig ewigen, ausfchließenden 
Beſitz aufs feierlichfte angelobt. Welcher Theil 
früher al& der andere ftarb, wollte, im Hall das 
Gelübde gebrochen würde, den Überlebenden, wo 
möglich , deshalb zur Rede fetten. Seit dieſem 
Tage war jedoch um fo weniger wieder daran 
gedacht worden, da ein ieltener Grad von Kiebe 
beiden dad ehelicye Verhältniß fo leicht und ſchoͤn 
machte, baß die Furcht vor Untreue gar nicht 
auftommen konnte, und der Tod der MWöchnerin 
zu ſchnell erfolgte, als daß die in jenem Mo⸗ 
mente dem Weberlebenden aufgebürdete Eheloſig⸗ 
keit jet noch einmal hätte zur Sprache kommen 
Tonnen. 

Es iſt erwähnt worden, wie tief der Verluſt 





| 3 
biefer Battin das Gebäude von Heinsbergs Süd 


erfcyätterte, und auf welchem langfamen Wege er 
endlich bis zu dem Gedanken an einen Erſatz des 


Verlorenen gekommen war. 

14. 
Im Ambachſchen Haufe begriff man die aufs 
fallende Veränderung im ganzen Weſen des, bals 
digen nahen Verwandten durchaus nicht. Mani 
Fürmte von allen Seiten mit Fragen auf ihn los 
und ein koͤrperliches Mißbehagen, das er vorgab, 
reichte niemand hin, ſeinen Verluſt aller Laune 
und den melancholiſchen Anſtrich zu entſchuldigen, 
den jedes Wort, jede Miene angenommen hatte, 

Mit Zagen nur ſah unter fo veränderten Unis 

‚ftänden Marie die Trauung immer näher ruͤcken, 
welcher ihr Werlobter ohne Verlegung des An⸗ 
ftandes nicht mehr ausweichen konnte. Auch ihre 
Aeltern ſchienen nun mehr Zweifel in das Gluͤck 
einer Verbindung zu feen, von ber fie fich noch 
kurz zuvor das Beſte verfprochen hatten. 

Die Vorbereitungen dazu gingen indeſſen ih⸗ 
ren Gang. Die Säfte wurden geladen und ber 
Hochzeitmorgen brach an, . 

Bei den in Heinsbergs Bruft immer maͤch⸗ 
tiger werdenden Ungluͤcksahndungen war es Fein 
Wunder, wenn ein Schwarm von Krähen, ber, 
wie er eben aus dem Bette zum Fenſter trat, 
dor ihm aufflog und einen Morgengruß heruͤber⸗ 

52 








83 


kraͤchzte, ihn in dic unbebaglichſte Stimmung vers 
fetten konnte. . Um ſtaͤrkſten hallte dad Krähen« 
ed wieder in ihm, als die Braut im väterlichen 
Haufe ihre‘ Unruhe bei seiner Unnaberung unter 
fügen, freundlichen Worten und Mienen fo we⸗ 
sig, al& die rothgeweinten Augen verbergen konnte. 

Da flieg in Heinsbergs Gemüth zuerft die 
Frage auf, ob ed nicht. befler fey, das mit ges 
waltigen Schritten berbeieilende Ungluͤck durd) 
ein, wenn fchon auffallende&, doch wobhlthaͤtiges 
Wort gu beſchwoͤren, ob es nicht befler ſey, noch 
jetzt nach einer offenen Erklaͤrung bed ganzen 
Zuſamnienhanges der Sache zuriihzutreten, als 
das zarte Leben eines fo herrlichen Geſchoͤpfs, 
wie Marie, in den Zluch, dem er entgegenging, 
mit zu verflechten. O, wenn er bebachte, wel⸗ 
cher Glanz des Frobſinns vor der Bekanniſchaft 
mit ibm jeden Punkt dieſes Hauſes beleuchter, 
wie der gute Humor des Grafen ihn gemwiffermas 
Ben zuerft wieder mit dem Leben befreundet harte, 
und er nun, gum Danke, darauf ausging, dieſen 
faft allein in feinen Kindern lebenden Mann, 
durch Mariend Zugrunderichtung, gleichfam ganz 
zu wernichten ! 

Fein, der Schritt, der harte, befremdende, 
jeder lieblofen Mißdeutung bloßgeftellte Schritt, 
follte wirklich von ihm geſchehen, als, wie von 
einem Zauber berbeigehoit, auf Einmal ſolch eine 


— — — — — En — 


8 


Menge geladener Hochzeitgäfte eintraf, daß Haus⸗ 
berrfyaft und Braut mit deren Empfange vollauf 
za thun harten. 

Heinsbergs Vorſatz fand fid) gelähmt. Dank 
forderten die Gluͤckwuͤnſche der Ankommenden, 
nicht Widerſpruch, der jetzt, da es ſo weit ge⸗ 
kommen war, die Gaͤſte leicht in ihrein Glauben 
an feine Vernunft irre machen" fonnte. ' " 


Maſchinenartig ſchritt nun der Berlobte "in 


den Schranken des Schicklichen weiter. Die Trau⸗ 
ung erfolgie ohne irgend ein ungewöhnliches- Ers 
eigniß. Mariens gütiges Zuneigen Tonnte feine. 


Wirkung auf den Braͤutigam nicht verfehlun 
Ueber Ziiche aber riß ein ‚zufglliged Wort das 
Gebäude ihres vielleicht beiderſeits auf Anſtren⸗ 


gung beruhsuden Frohſiuns völlig nieder. Einer 


der Gäfte gedachte naͤmlich Jukundens Hochs 
zeitabends und fagte: Upropos, Graf Ambach, 
wiffen Sie nun wohl, wer dex maslirte Taufend» 


kuͤnſtler war, über den wir und damals den Kopf- 


zerbradyen? 

Kaum war dad Wort von ben Rippen, «is 
auch die Gräfin Mutter ſchon nad) Marien blickte, 
welcher ſogleich ein paar große Thränen aus den 
Hagen quollen, die ſich mit Ungeduld nach dem 
Frager richteten. 


Run, wer ift er denn ? rief ber Graf ihm zu, 





06 


aus der Stellung der Frage auf dad Wiffen des 
Saſtes darum fchließend. 

Jedoch ketzterer barte felbft Belehrung dare 
über gemünfcht, und es entfpann fich zu de& 
Hausherren und defien Gemahlin großem Vers 
druß ein Gerpräd über den Raͤthſelhaften, deſſen 
Mefultat, nad) einer Menge fich durchkreuzender 
Hypotbeſen, die Sache um Beinen Schritt weiter 
brachte. 

Der unangerrehme Eindruck dieſes Geſpraͤchs 
euf die Hauptperfonen des Feſtes wirkte bald in 
die Stimmung fämmtlidyer Anweſenden ein, fo 
daß Heinsberg endlich der Langenweile, die für ihn 
diesmal eine weit tiefere Bedeutung hatte, von 
Herzen mübe, zuerft von ber Tafel auffprang 
und durch diefe an ſich befremdende Unſchicklich⸗ 
keit den Andern ein fehr tillfommenes Zeichen 
zum Aufbruche gab. 

15. 

Der Braͤutigam trug allzuſchwer an der Buͤrde 
keines Mißgeſchicks, um nicht ein einſames Zim⸗ 
mer im obern Stocke der Geſellſchaft vorzuzie⸗ 
hen, die dadurch, daß ſie jetzt in eingelne Grup⸗ 
pen zuſammentrat, wieder Leben und Regſamkeit 
erhielt. 

Erſt die Waldhoͤrner, weldye die Säfte ſpaͤ⸗ 
terhin in den Garten riefen, fchredten den Bas 
ron aus dumpfem Halbſchlafe auf, Ihr Ton, 





\ 87 | \ 
ver das Zeit, dem er Entflohen war, nen dere 
kaͤndigte, wollte fein Herz auf Einmal zerſchmet⸗ 
tern. Mitten hindurch glaubte er die drohende 
Stimme der verftorbenen Sattin immer deutlicher 
zu vernehmen, fo daß es Ihm auch bald in dieſer 
Einſamkeit um fo unerträglicher wurde, da die 
Dämmerung , die ein trüber Himmel ſehr plöglih 
herbei führte, auch fein Auge anzufeinden kam, 
daB ſchon bei jedem Aniftern aͤngſtlich nach dem 
fouft ſo fehr herbei gefchnten Schatten herum fuchte, 
Schon ftand er im Begriff fich auf's Neue 
in's Hochzeitgeruͤmmel hineinzuſtuͤrzen, als leiſe 
Tritte yon der Treppe über den Saal ihn zus 
rud an das Kenfter drüdten, Vergebens riß er 
die Fluͤgel auf. um nur Luft zu haben, in ber 
wirklich Ichende Menfchen athmeten; kein Lauf 
von außen trdftete fein Ohr. Bloß der immer 
näher kommende leife Tritt auf dem Saale flug 
daran, und von der Todesangſt, die ihm das Haar 
hoch in die Höhe trieb, zeugte auch fein Laut, ald 
jest die Thuͤre wirklich ſich dffnete. 

Gott Lob! feufste er, denn es war feine Schwice 
germutter, 

Mein Himmel, rief diefe. bier fo allein, waͤhe 
rend alles um Sie heſorgt iſt? Iſt Ihrer Ge⸗ 
ſundheit etwas begegnet ? 

Das nidit eben. 

Nun, fuhr fie hoͤchſt unmwillig fort, warum 





66 


entziehen Sie Sich fo, an einem Tage, der un® 
und hauptſaͤchlich and) den Gäften die gegründete 
ſten Anfprücde auf Sshre Gegenwart giebt? — 
Ihr frühes Aufftehen von der Tafel war ſchon 
fonderbar genug. Das Heißt aber doch wirklich 
in der Seltfamkeit Wunder thun, daß Sie, die 
Hauptperfon des Tages, Sich überall vermiffen 
laffen ! " 

Heinsderg ſuchte die Erzürnte zu bejänftigen 
und folgte ihr nach dem Gartenhaufe zu den Ue⸗ 
drigen. Hier entftand aber bald eine neue Sorge, 
Seit länger als einer halben Stunde fehlte die 
Braut, die nach dem Ufer gegangen war, dem 
Vermißten aufzujuchen. Auf alle Seiten eilte 
man ihretwegen. Nirgend eine Spur. Umfonft 
wurde in jeden Behältniffe des Haufes und Gars 
tens nad) ihr gefucht, Die Lage der Verwandten 
und des Bräutigam war ſchrecklich. Un einen 
bloßen Spaziergang war ſchon darum nicht mehr 
zu deuten, da Marie allein über die Gränzen der 
älterlicyen Beftzungen nicht zu gehen pflegte, auch 
die Nacht in der ſchwaͤrzeſten Geftalt fi) auf die 
ganze Gegend geworfen hatte; dazu bei ihrem 
Einmitt ein Aberaus heftiger Sturm mit Unges 
witter entitanden' war, 

Beil den Verwandten die Verſtimmung der Braut. 
über der Tafel nur allzulebhaft noch vorſchwebte, und 
des Bräutigam fpäteres Benehmen niet fehr geeig⸗ 


N 


89 


mt war, diefe zu mildern, fo fing man an dab 
Wersfte zu befürchten, und die Seufjer, vom 
Winde den Wellen am Ufer abgepreßt, Tamen 
ihnen vor, wie die Klagen der nächiten Augens 
zeugen über den freiwilligen Tod eines füßen, 
jugendlichen Lebens. Be 

Ein großer Theil ihrer Bormürfe, Defonders 
der weiblichen, fiel auf Heinsbergs letztes raͤthſels 
bafıed Benehmen. Man lich ed ihm andy fo 
{ehr werten, daß er feine Beweggründe, wenn 
nicht zum Troſte der Anklaͤger, doch zu einiger 
Entfhuldigang für fich, in wenigen Worten ent⸗ 
deden zu müflen glaubte, und dieſerhald Schwie⸗ 
germutter und Schwägerin in ein Ncbenzimmer 
führte, 

Unfeliges Verhaͤngniß, rief, aͤls er fertig war, 
die troſtloſe Mutter aus, was verbrachen denn 
wir Anden, um fo tief mid ſchmerzlich darein 
verwickelt zu werden ? 

Die Umftände waren fo, daß, fobald das Ge— 
witter ein wenig nachließ, die Gaͤſte fich allmaͤh⸗ 
lig verloren. Der Baron kehrte endlidy auch auf 
fein Gut zuruͤck, von feinen innern Qualen bes 
gleitet, 

16. | 

Am folgenden Morgen fand er die gräflicye- 
Familie noch fo ziemlich in den geftrigen Kleidern. 
Nichts als das Hervorſtechend⸗Hochzeitliche hatte 


* 


man davon gethan, da allen Mitgliedern des Haus 
ſes fo wenig wie Heinsbergen der Gedanke an 
Bert und Schlaf aud nur eingefallen war. 

Die während der Nacht ausgeſchickten Boten 
waren bereit bis auf einen zuruͤck. Keine Spur 
von der Verſchwundenen batten fie finden können, 

Noch in den Vormittagsftunden jedoch lan⸗ 
dete ein Schiffer vom jenfeitigen Ufer, der mit 
dem Grafen zu fprechen verlangte, Er hatte vom 
dem bäuslichen Ungluͤcke gehört, und da er mit 
der Frage, ob er feine Vermuthungen über die 
Sache enıdeden dürfe, (ehr willlommen war, fo 
erzählte er Folgendes: Es fey ſchon ſeit einigem 
Abenden eine Geſtalt auf den Felſen am Ufer, 
bei dem ſehr ſtarken Wetterleuchten ſichthar ge⸗ 
worden, wie mehrere Fiſcher bezeugen wollten, 
Sie indgefamt Härten dem Dinge fogleich nichts 
Buted zugetraut, da es fehr gefpenfterhaft aus⸗ 
geichen, auch über die fteilen Zelfen fo leicht hin⸗ 


gegleitet fen, wie «8 wohl keinem Sterblichen 
gluͤcken werde. Im Schloßgarten babe es ſich 


gewoͤhnlich verloren. doch verſicherten einige fein 
ner Handwerksgenoſſen, ed pflege den Felſenweg 
wieder zurüd zu kommen. Geflern, wie das 
Geſpenſt früher als gewöhnlich eingetroffen, wäre 
er und feine Frau auf die Ruͤckkehr neugierig ges 
weien, und da hätten fie denn nicht nur das Ding, 
fondern, vom Blitzſtrahl erleuchtet, auch eine 


R 


Weibsperſon bazu geſehen, die von ihm Aber die 
Steine weggetragen worden, Schon fey er, der 
Schiffer, nach dem Kahne gegangen, um Nach⸗ 
richt heräber zu bringen. Allein, der immer zus 
nehmende Sturm habe es unmöglich gemacht, 

Ambach fah ben Fiſcher Jange forfchend an. 
Er fürdjtete eine abfcheuliche Unternehmung ges 
gen Marien, bie fich hinter albernen Mährchen 
yor der Strafe verſtecken wolle, und hielt deu 
Erzähler für einen der Mitfchuldigen. Allein die 
herbeigerufenen übrigen Fiſcher beftätigten die Aus⸗ 
fage des Verdächtigen fo allgemein, daß eine naͤ⸗ 
here Unterfschung ganz überfläffig ſchien. 

Uebrigens verficherten ſaͤmmtliche Fiſcher acht 
Tage ſpaͤter einſtimmig, daß, fo aufmerkfiam fie 
anch geweſen wären, fie feit jenem Maube die 
Geſtalt nicht wieder entdeckt hätten, 

17. 

Es lag in den Verhaͤltniſſen, daß der Baron 
feine Beſuche bei Ambachs jetzt ſeltener und kuͤr⸗ 
zer machte. Warum nur ſie, die Schuldloſe, der 
Zornigen Rache treffen mußte! rief er, oft wenn 
er allein war, und hatter mehr Furcht vor feinem 
eigenen Daſeyn, ald vor dem Wiederkommen ber 
verftorbenen Gattin, die ja doch, im ſchlimmſten 
Galle, weiter nichtö konnte, als ihn befreien von 
tinem uͤberlaͤſtigen Leben. 

Was ihn Wunder nahm, war die unverſtellte 





. Ki} 


Güte, womit die Ambachſche Familie fi) gegen 
ihn äußerte, und die Faſſung, die überhaupt in 
dem Haufe ſtatt fand. Ein jehr großer Troſt für 
ihn, der nimmermebr geglaubt hätte, daß fi) die 
aufs innigfte an Marien hängenden Menfchen 
fobald in diefes finftere Geſchick würden ergeben 
Tonnen. 

Es ging fo weit, daß Heinsberg ſogar eins 
mal über Tafel die Gräfin von der Begebenpeit, 
zwar mit Achſelzucken, aber doch mie von einer 
der Familie ziemlih gleihgältigen Sache ipres 
chen hörte, 

Dei diefer Gelegenheit brachte auch wieder jes 
mand die.Mede auf Jukundens Hochzeitabend⸗ 
und bie an des verſchiedenen Affefford Ruhland 
Stelle erichienene unerflärbare Perfon, behaups 
tend, daß diefer doch ganz der Unftrich des Geis 
ſterhaften eigen fen. 

Allerdings, antwortete Graf Ambach laͤchelnd. 

. Ich felbft wurde daran irre, und hätte jede Ges 
ſpenſtergeſchichte cher bezweifeln mögen, als gras 
de Biefe. Alles ſprach dafür, daß es nicht mit 
rechten Dingen zugehe; daß tiefe Schweigen, das 
ich gegen jedermann uͤber die eingelabenen Gäfe 
beobachtet hatte, der unerdffnete Brief und bie 
Übrigen Umftände. Dennoch aber ift die Geſchichte 
einer natuͤrlichen Aufldfang fähig. 

Man zeigte ſich fehr begierig mehr davon zu 





. 95 


vernehmen, und der Graf fagte: Sie erinnern 
Sich, daß die politifchen Verhältniffe zur damas 
ligen Zeit mandyen Zwang, manchen gewaltiamen 
Eingriff in die theuerſten und unbeftreitbarften 
Rechte des Einzelnen, der Regierung an die Hand 
gaben. Unter andern pflegte man auf der Poſt 
in das Geheimniß der Briefe einzubringen, bes 
trieb Died aber mit fo vicler Kunft, daß der Ems 
pfänger den Brief mit dem Siegel des Abſen⸗ 
ders befam, ohne daß von det frühern Eröffnung 
eine Epur daran zu bemerken war. Denken Sie 
Eid) nun, irgend jemand fey grade bei dem Pos 
lizeidirektor gewefen, als diejer eine Menge erdffe 
neter Briefe vor fich liegen hatte. Darauf wers 
de der Direktor abgerufen, und es führe wäyrend 
diefer Zcit der Zufall den Blick des Anweſenden 
auf einen Brief mit meiner Namensunterfchrift. 
Laffen Sie Sich ihn, ded Namens erinnern, Schen 
Sie den Fall, daß er ein Mädchen diefes Namens, 
von Intereſſe für ihn, auf dem Maskenballe im 
Bade zu Pyrmont am Abend vor unferer Abreije 
geſehen hat, und ihm einfällt, daß das Marie, 
meine Tochter, geweien iſt. Unfehlbar wird er 
dann den Brief überlefen und die Adreſſe anſe⸗ 
ben. Der Aſſeſſor Ruhland, an den fie gerichtet 
war, konnte wohl einer von feinen Bekannten 
ſeyn, er koͤnnte von Ruhlands Tode bereitd Kennts 
niß gehabt haben und von feiner Leidenſchaft zu 








54 

Marien zu dem abenteuerlichen Gedanken ge⸗ 
bracht werden, bed Verflorbenen lecre Stelle bei 
unferm Kirmsfefte ausfüllen zu wollen ! 

Die ganze Micne bed Grafeh gab zu erken⸗ 
nen, daß die Fälle, bie er geſeizt, ſich wirklich er 
eignet hatten, baher baten inehrere um den Nas 
men bon Ruhlands Stellvertreter. Doch er 
ſchluͤpfte mit einem ausweichenden Scherze fd 
ſchnell darüber hin, daß man leicht merken konnte, 
er habe keine Luſt ſich Weiter herauszulaſſen. 





18. 

Eined Morgens erhielt der Baron wicder ein 
Einladungsbillet vom Grafen auf den Mittag, 
fagte jedoch erft dann zu, als ein zweites erfchies 
hen war, das ihn, wichtige Aufichlüffe verfprechend; 
bei feiner Freundſchaft dazu aufforderte, 

Kieber Heinsberg, fo redete Amdach den EFitts 
tretenden an, der erfte Augenblick unfers Allein⸗ 
feyns ſey Bekenntniſſen gewidmet, deren mein 
Herz ſich ſo gern laͤngſt ſchon entlediget haͤtte. 
Die Braut, welche Sie fuͤr ein Opfer Ihres Ent⸗ 
ſchluſſes zur zweiten Ehe hielten, iſt noch am 
Reben. Schon am Tage nach ihrem Verſchwin⸗ 
den befanien wir Nachricht bon ihr, und daß fid 
bis zur Entſcheidung ihres Schickſals auf dent 
Gute meiner Schwefter fich aufhalten werde; 
doch alles unter dem Siegel bes heiligften Ver⸗ 
ſchwiegenheit. 


DE 





\ 


55 

Und dieſes Verſchwinden und Verheimlichen! 
tief der Baron, der bon der Seligkeit der Nach⸗ 
richt nur allzubald zu dem tiefiten Gefühle für 
die dadurch erlittete Beleidigung gelangte, die 
des Grafen Mitwiffen ind Schweigen unterſtuͤtzt 
hatte. 

Ich kanu mir den Sinn Ihrer finſtern Miene 

denken, lieber Heinsberg, verſetzte der Hausherr, 
doch erlauben Sie, daß ich ausrede. Sie erin⸗ 
nern Sich der Fiſcherſage von einem Geſpenſt, 
das mehrere Abende vor Mariens Verſchwinden | 
ih auf dem Felſen am Ufer fehen ließ? Ich | 
felbft begriff nicht wohl, wie ein Menfch von dies 
fer Seite uniern Garten betreten koͤnne. Aber 
der Unbekannte von der Kirms her hatte es doch 
möglich gemacht. Die Nähe der Hochzeit war 
m zu Ohren gekommen, und weil Marie ſeht 
oft Abends den Garten allein befüchte , fo hatte 
ee ſchon viele Abende zuvor Hier auf der Lauer 
geſtanden. Vergebens. Denn die mancherlei Vor⸗ 
Dereitungen zu dem Feſte Überhäuften fie allzu⸗ 
fehr mit Geſchaͤften. Am Keftabende felbft aber 
gelang ihm der kecke Streich um fd eher. da Ma⸗ 
tie, Sie zu füchen, fi) bid an das Ende unferd 
weitläuftigen Gartens entfernt hätte. Gewalt 
bon feiner Seite, Liebe von Mariens, dazu uns 
feblbar Ihre unverkennbare Unzufriedenheit mit 
der geicploffenen Werbindung, die ihr feine glüde — 





en en — Du u 


96 


liche Zukunft weiffagte, mit Einem Worte, alles 
begünftigte dad Wageſtuͤck. Uebriges hatte der 
Entführer feine Maßregeln fo gut genommen, 
daß meine ausgeſchickten Boten faͤmmilich nichts 
entdeckten, einen einzigen ausgenommen, der mir 
am Abende des zweiten Tages einen Brief von 
dem Paare überbrachte. 

Heinsberg ſah ſchweigend vor fib hin. und 
der Graf ergriff feine Hand. Sch verftche Ihre 
Mipbilligung, fagte er, aber ob ic) fie auch vers 
diene? Nach den Entdeckungen, die Sie meiner 
Frau und Jukunden gemacht hatten, war doch 
wohl ohnehin auf fein GliE für Sie durch Mas 
rien zu rechnen. Nebenbei dürfte ed wohl mehr 
ald unklug geweſen feyn, einer vielen nadıtbeiligen 
Deutungen audgefeten Geſchichte die Hülle: zu 
entreißen, die ihr fo glüclidy zu behaupten geluns 
gen war! — 

Sie haben Recht, voͤllig Recht, lieber Graf. 
rief. Heinsberg feine Hand ſchuͤttelnd. Nur dad 
Ueberrajchende konnte mich Anfangs etwas irre 
an Ihrem Benehmen machen. Warum aber ges 
ſchah nicht ſchon der einzige Schritt, der bier zu 
thun war, warum entfagten Eie io lange dem 
Vergnügen, das gluͤckliche Paar in Ihrer Mitte 
zu ſehen? 

Samilienrädfichten, lieber Baron. Der Onkel 
bed jungen Mannes hatte andere Plane mit dies 








fem , von denen er nicht abzubringen war, und 
der Kiebende durfte feinem eifernen Willen nicht 
entgegen handeln, ohne fich die ſchoͤnſten Lebens⸗ 


hoffnungen zu gefährden. Jetzt ift der Alte mit 


Tode abgegangen. Doc ſchon höre ich meine 
Frau mit Marien und dem Fünglinge auf dem 
Saale, der fuͤr's Erſte fommt, Ihnen die ſchwere 
Beleidigung abzubitten. 

Mein Gott, der Prinz von **? rief Heinds 
berg, vor dem die Zuruͤckgekehrte mit tiefgefenks 
tem Haupte fland. . 


Mariens kuͤnftiger Gemahl, wenn Sie verzeihen 


und unfer Gluͤck wollen! ſprach der Prinz. 


Der Entjagende brüdte fie beide vereint an, 


fine Bruſt. Ehegericht und Kirche thaten das 
Uebrige. 
Marie folgte der Beſtimmung ihres nunmeh⸗ 


rigen Gemahls in die Reſidenz. Heinsberg hin⸗ 


gegen leiſtete mehr als je zuvor ihren Aeltern auf 


dem Gute Geſellſchaft, und pflegte zu ſagen, daß 
die raſche That des Juͤnglings ihn durch das 


tiefte Unglück zu dem einzigen wirklichen Gluͤcke 
gefaͤhrt habe, deſſen er nach dem Ableben ſeiner 
Gattin fähig geweſen ſey. 





Geſpenſterbuch. 5. Theil, ® 





4 Pa 
- — mn — — — — — — 


98 


Die Ruine von Paulinzelt. 





1. 

Gert bier der rechte Weg? — rief mir eine 
(dynarrende Stimme durch das Gebüfch zu, und 
der Wagenlenker, dem fie angehörte, arbeitcre 
muͤhſam mit feinen vier Pferden den ſchwerbe⸗ 
packten Meifemagen über umherliegende Felſen⸗ 
ſtuͤcke den Berg herauf. 

Er meint naͤmlich nach Langenwieſen — 


ergaͤnzte eine Floͤtenſtimme die Frage, und zwei 


Srauengeftalten traren hinter dem’ Wagen hervor, 

Unire zerfchlagenen Glieder — fuhr die Spre⸗ 
cherin fort — rechtfertigen wohl einige deſcheidne 
Zweifel‘, ob wir uns bisher auf einem wirklichen 
Wege befunden haben. 

Die ſchoͤnſten Feueraugen blidten mir aus eis 
nem dunkeln Lodengewähl entgegen, und. wieders 
bolten ‚freundlicy die Frage. 

Diefer Weg — erwidert! ih — wenn Sie mir 
erlauben, diefen langen, ſchmalen, fteinigen Pla 
fo zu nennen, führt allerdings Ihren Wagen nach 


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4 


89 
Langenwieſen, wenn indeffen eine Viertelſtunde 
Fußweg Sie nicht zu. ſehr ermuͤdet ... 


O, im Geringſten nicht — unterbrach ſie mich 


— lieber eine Stunde zu Fuß, als länger fo uns 
fanft gefchaufelt. 

Ich erbot mich zum Begleiter durch den Wald, 
bis an das naͤchſte Gaſthaus, wo die beiden Reis 
fenden ihren Wagen erwarten wollten , und mein 
Erbieten ward freuhdlih angenommen, Unter⸗ 
weges erfuhr ich, daß Ilmenau das Ziel ihe 
er Reiſe war, wo die zweite Dame durch bie 
färkende Waldluft und den Gebrauch der Schlak⸗ 
kenbaͤder ihre Geſundheit herzuitellen hoffte. Ihre 
Gefaͤhrtin forgte mit der zarteften Äufmerkſamkeit 
für fie, die, gehüllt in einen weiten "Staubmäns 
tel, und» dicht verſchleiert, langlam 'weben: ihr 


ging,. ohne jemals einigen Antpeil an unſerm Ges 


iprach zu nebmen. 

Mir hatten uniern angenehmen Welbwep. wicht 
ellzueilig zurüdgelegt, und fauden vor dem Wirths⸗ 
haus den Wagen fchon angelangt: Die Ders 


ſchleierte verneinte die Frage ihrer Reifegefährtin. 


ob fie gefonnen ſey im Gafthofe abzurteten, zu⸗ 

gleich) wandte fie fih nach mir, und dankte: mir 

mit wenig Harmonikatonen, den eriten, die id, 

von ihr hörte, für meine Begleitung. Bei der. 

Bewegung gegen mich theilte ſich ihr Staub⸗ 

mantel, der Schleier wich zurüd und cin biender 
62 


RER, ©, 


100 


Mabonnentopf wendete ein Paar blaue Augens , 
himmel mir zu, die zugleich alles She der Liebe 
und jede Bitterkeit des Schmerzes ausfpradyen. 

Die Antwort auf ihren Dank ſtockte mir auf 
der Kippe. Ihr Auge ruhte einige Augenblice 
forfhend und mit feltfamen Ausdrud auf mir, 
dann, indem fie das ſchoͤne Geficht tiefer in den 
Schleier hälfte, fagte fie leiſe zu ihrer Freundin : 
Ich bin doch durch den kurzen Weg etwas ers 
mattet: Laß uns einige Minuten ausruhen. 

Ich folgte ihr maſchinenmaͤßig in das Wirths⸗ 
baus. Man trug Erfriſchungen auf. Die Freundin, 
wie ed mir vorlam, auf einen leifen Wink der 
Verfchleierten lud mich ein Theil zu nehmen. 

Ich bin nicht immer fo ſchwach — fagte die 
Verbuͤllte — halten Sie es meiner Ermübung zu 
gut. Es geht auch fchnell vorüber. 

Sie. fiigte den Arm auf das Sophakiſſen, 
und legte den Kopf in die Hand, wie es fchien, 
um audzurufen. Wir zwei andern fprachen ins 
deſſen mancherlei über die benachbarten Gegenden, 
ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten. 

- Eahen Sie die Gegend bei Saalfeld? lispelte 
einmal die Verfchleierte mit faft accentloſer Frage 
dazwiſchen. 

Mehrere Male — erwidert' ich — noch vor 
wenig Tagen ſtand ich dort am Denkmal des 





101 


erften theuren Heldenopfers, das in jenen blutigen 
Schlachten fiel. 

Bezeichnet das Denkmal die Sielle, wo der 
Prinz fiel? — fragte fie weiter, und ihre Stim⸗ 
me ſchien zu zittern. 

Nicht ganz genau — antwortet' ich — das 
Deutmal iſt zur Seite der Landſtraße errichtet; 
etwas weiter abwärts, nahe bei einem Bufch... 

Fochten Sie felbft in jener unglüdlichen Schlacht ? 
— ſprach fie jeßt mit fefterer Stimme, und ers 
505 ſich langfam aus der liegenden Stellung, ins 
dem fie den Schleier etwas zurüdichlug. Die 
blaffen Rofen ihrer Wangen glühten fchnell zu ho⸗ 
hem Purpur auf, indem die Augen mich groß 
und flammend anbligten. 

Ich felbft nicht — gab ich zur Antwort — aber 
ein ſehr lieber Freund von mir kaͤmpfte an derfels 
ben Stelle, leider fruchtloß.. . 

Und blieb — ergänzte fie ſeufzend, als Mläng 
auch in ihrer Erinnerung eine Zrauerglode über 
dem Grab eines geliebten Helden. Ich wollte 
ihre Meinung berichtigen, aber fie winfte mir 
fchmerzhaft mit der Hand zu ſchweigen. 

Raffen Sie und nicht diefe wehmuͤthigen Erins 
Aerungen jetzt aufwecken — ſetzte fie leiſe, kaum 
dorbar, Hinzu, und neigte ſich leicht wie zum Abs 
fehied gegen mich. Ihre Freundin verftand fie, 
auf ihren Wink eilten die Diener herbei, der 





u 


10% 


Schlag dffaete ich, und in menig Augenblicken 
war mir der Wagen mit den fchönen Fremden 
aus dem Geſicht. | 
| 2. 
Ich war Willens den ſchoͤnen Unbekannten zu 
folgen, aber der Mittag war voruͤber, und mein 
Verſprechen rief mich nach Paulinzell, wo ich eine 
Geſellſchaft von Freunden und Freundinnen an⸗ 
zutreffen hoffte, um mit ihnen die cehrwuͤrdige 
romantifhe Rume der alten Klofterlirche zu bes 
trachten. Ich wollte fchon um das Wirthshaus 
herum nach) dem Amthofe den Weg nehmen, denn 
ich hatte mich verfpätet, und glaubte meine Freun⸗ 
de ſchon unter den Reſten der Vorwelt in Ben 
wundrung umherwandelnd gu finden, da hört’ ich 
bekannte Stimmen meinen Namen rufen, und 
man winfce mich hinauf, auf den Fleinen Hügel, 
wo die Geiellihaft unter einer Linde verfammelt 
war und auf mid) wartete, 

Amin dem günftigften Lichte ben Anblick der prädye 
tigen Ruine zu genießen, die nad) allen Zerftörungen 
des Fanatismus, der Zeit, und, was am meiften fchas 
dete, des Finquzgeiſtes, doch groß und herrlich, 
wie wenig andre, von alter Art und Kunſt zeugt, 
batte man befchloffen, erfi am Abend, in ber Ber 
leuchtung ded Mondes, den Weg dahin anzutres 
ten, Mic) Hatte man zum Fuͤhrer auserſehn, weil 
ich mehrmals fchon die Gegend bereiſet hatte, und 


‘ 





108 


die Ruine aud Zeichnimgen, Modellen und noch 
mehr aus eigner Beſchauung kannte. Der heitere 
Simmel ließ eine belle Mondnacht hoffen, und 
felbft die kleinen Wöllchen, die einzeln in ber 
blauen Luft ſchwammen, fonnten die Magie. der 
Mondbeleuchtung nur durch Abwechſelung des 
Hellen und Dunkeln erhößn, 

Der Anblik der Ruine, wenn man fidh ihr 
durch den Amthof von der Abendfeite nähert, hat 
allerdings viel Meberraichendbed und Imponiren⸗ 
bes. Der noch im Verfall ziemlich hohe Thurm 
zur Rechten zieht zuerft dad Auge an. Sogleich 
aber wendet ſich ber Blick zu dem achtfänligen 
Portale, das aud der geräumigen Halle zum Schiffe 
der Kirche führt. Durch dieſes ſleht man in die Saͤu⸗ 
lenreihe der Kirche felbft, und über ihm, aufbem Bor 
fprunge, den feine Säulen tragen, hohe, und doch 
feit dem Verfall dieſes uralten Baues mehre Male 
abgeftorbene und jung herdorgewachſene Fichten: 
Allein für die Beichauung heim Mondlicht fchien mir 
dieſe Anfiht, wenigftend für den erften Anblick, 
nicht: Die günftigfte , weil fie, den Mond verdek⸗ 
kend, Die Ruine unter den andern Wirthſchaftge⸗ 
bäuden nur als eine dunkle, beichattete Maffe 
zeigt. Ich beichloß daher, den Weg von der 
Morgenfeite zu nehmen; und weil bie Sonne ſich 
eben dem Untergang zuneigte, fchlug ich einen 
Spaziergang in den Wald por, ans dem wir 





108 
zu rechter Zeit hervortreten wollten, um bie Rui⸗ 
"ne ‘von dieſer fehr romantifch gelegenen Seite erſt 
aus der Ferne in ber Mondbeleuchtung zu bes 
trachten. 


8. 


So lange der Tag und noch umdaͤmmerte, 
ſchwaͤrmte die Geſellſchaft froͤhlich im Walde ums 
her. Einige ſuchten ſich heimliche Plaͤtzchen zu 
vertrauten Geſpraͤchen, andre pfluͤckten ſich Wald⸗ 
beeren und ſchmuͤckten Kleider und Huͤthe mit 
rothlich aufbluͤhender Haide. Mich, den die ſchoͤne 
Fremde zuweilen noch ſtill und nachdenkend machte, 
neckte man mit dem kleinen Abenteuer, das ich 
gutmuͤthig erzählt hatte, und behauptete, die raͤth⸗ 
felhaft Verfcyleierte, die ſich fo angelentlidy nach 
dem Monumente bei Saalfeld erkundigt hatte, 
Bonne niemand anderd geweſen feyn, als die Prina 
zeflin, die man im Babe erwarte. Als es aber 
unter den hoben fchwarzen Fichten und Tannen 
anfing zu dunkeln, fanden ſich die Einjamen bei 
der Gefellfchaft ein, man ſchloß ſich näher an 
einander, und felbft der Muthwille, den einige 
mit den. Geiftern treiben wollten, die nad) der 
Erzählung des Wirthes in der Ruine ſich neuer« 
lich wieder gezeigt hatten,. warb immer Eleinlaue 
ter, je mehr Die Dämmerung fich ausbreitete, amd 
verftummte endlich ganz in der weiten, dden Stille, 








205 


die und zwilchen den Bergen in dem dichten 
Walde umgab. 

Schauerlich und büfter genug — fagte Ju⸗ 
lius — hat die heilige Pauline den Ort für 
ihr Klofter auögefucht.. War ed Vorliebe für tiefe 
Ubgefchiedenheit, oder wollte fie in biefer vormals 
gewiß fehr rauhen Gegend fchwere Vergeben abs 
bügen ? Er wär’ intereflant, die Gefchichtbächer 
ihrer Zeit Darüber zu befragen. 

Da ift wenig Ausbeute zu finden — erwiderte 
Theodor — und das Wenige, was man aufges 
zeichnet findet, ift Taum des Suchens werth. 


D theilt und mit, wad Ihr davon wißt, Ihr 


Herren — rief eine von den Frauen — if es 
auch wenig, fo muß es uns doch bier, fo nah an 
Yaulina’s Rupeftelle, fehr intereffant ſeyn. 
Sie werden ſich getäufcht finden — entgegnete 
Theodor — Soldye unvollftänbige Notizen ſtoͤ⸗ 
ren die Phantaſie mehr, ald daß fie. dadurch follte 
aufgeregt werden. Seht denken Sie Sid) viel 
liche Paulinen als fchöne Unglüdliche,- als 
heilige Jungfrau , die in der geweihten Zelle die 
Leiden unbefriedigter Sehnſucht vergeflen und vers 
trauern will, ats eine Art von fchönerer Meloife, 
die das kalte Schidfal von dem Geliebten ges 
trennt bat, und die vjelfeidht nur fremde Merges 
Hungen abbüßt, in die .ein dunkles Geſchick die 
Unſchuldige verflocht, Wenn Gie aber in den 


106 


Shroniten Iefen: St, YBanlina war die Ger 
mahlin, ober nad) andern die Tochter des thaͤrin⸗ 
giihen Markgrafen Morichon, zur Zeit Kaifer 
Heinrichs des Vierten. Sie baute dad Klo⸗ 


fer Paulinzell, zwiſchen Königfee und 


Elm, Als fie nun mit ihrem Sohn Werner 
den srften Abt Gerung dafelbft einführen wollte, 
und deshalb zu feinem Klofter ritt, ihn abzuho⸗ 
Ien, fiel fie vom Pferde und brad) den Urm, au 
welcher Verletzung ſie auch bald darauf geſtor⸗ 
ben iſt — was haben Sie durch dieſe proſaiſche 
Relation gewonnen? Die junge Schoͤne hat ſich 
in eine betagte Matrone verwandelt, die Jung» 
frau in die Mutter eines großen ritterlichen Soh⸗ 
nes, und die Wirklichkeit hat wieder einmal den 
fhönen Zauber der Phantaſie zerftört, 

Doch nicht fo ganz — fagte Mathilde — 
Muß denn der Sohn eben ein großer ſchlagferti⸗ 
ger Ritter ſeyn und die Mutter eine alte Matron 
ne? Den haͤßlichen Armbruch abgerechnet, kann 
ich mir den Zug nad dem Klofter des Abtes 
Gerung recht wohl unter dem Bild einer Flucht 
nach Aegypten denken. 

Und welchen romantifchen Stoff — fiel Otto, 
Mathildens Bewunderer, ein, bringt allein dieſes 
Dild in Paulina’s ganze Geichichte! Welche 
Bebeutung Tann der Abt dadurch bekommen! 

Was — fette Julius hinzu — was dffnet 





L 


107 


tie Ungewißheit ber Ehroniften, ob Paulina Mo⸗ 
richon's Gemahlin oder Tochter gewefen , für ein 
weite® Feld! Mir ahndet fo etwas von einer 
deutichen frübern Genci. Dann wäre das düfters 
ſchoͤne Romantiſche dieſer Kloſters wohl ein treues 
Abbild eines tief gebeugten, verduͤſterten, aber 
ſchoͤnen, trefflichen Gemuͤthes. 

Werner — fragte Amalie — war biefeh 
picht der Mame des: Abtes ? 

Gerung vielmehr — erwiderte Theodor 
— Werner hieß Paulina’s Sohn, 

Noch ionderbarer! . — fuhr Anıalia fort — 
Wir durchblärterten vorhin das Fremdenbuch; was 
ren es nicht die Namen, Werner und Paulis 
ne, die wir mir Bleiſtift gefchrieben und mir eis 
nem dornigen Roſenkranz umfchlungen fanden ?. 

Richtig , dieſelben! — rief Otto — Werden 
Gie nun bald Geipenfter glauben, da Pauline 
md Werner ald Mevenanıs kommen und jıch 
fogar unser die Beichauer ihrer Muine einichreis 
ben ?_ NBer weiß, ift der Mönch, den Die Wnuſths⸗ 
Iente bei der‘ Ruine’ gefehen haben, nicht vieier 
Werner, und uns begegwet vieleicht heute Pa us 
line felbft in der Ruine. 

Spotten Sie jegt nit — fagte Amalie — 
Etand nicht neben dieſen Namen: Karlos und 
Elifaberh mit leichten Zügen bingefchrieben ? 
und laͤßt fich nicht hierans auf ein werborgene® 





108 


Verhaͤltniß Panlina’s fchliegen, das irgend eis 
wem Beſucher biefer Ruine befannt geworden 
feyn muß, weil er durch dieſen Zuſatz darauf 
deutete ? 

Sie haben Recht — antwortete gulius _ 
Hat deun jener etwas magre Epronift alle Urs 
kunden des Paulinzeller Archives gelefen, die viele 
Leicht feit vielen Jahrhunderten verbrannt, vermodert 
oder zerftreut find? Wie viel Ehnnte man noch 
jet finden, wüßte man nur, wo man fuchen ſollte. 

Theodor erinnerte mich jet, daß ich eine 
Geſchichte Paulina’s und ihres Kloſters hier 
an Ort und Stelle mitzutheilen verfprocyen hatte. 
Ich führte die Blätter bei mir und erneuerte das 
Verfprechen. Der Verfafler, fette ich hinzu, ei⸗ 
ner von meinen liebften Freunden, intereffirte ſich 
auf daB lebhafteſte für diefe Ruine und für alles, 
was gefchichtlich oder arıiftiih darauf Bezug hat. 
Er forfchte in alten Urkunden und hörte gern jede 
muͤndliche Meberlieferung. So trug er fafl ein 
Heined Paulinzeller Archiv in fih, von: welchem 
diefe Erzählung die Reſultate erhält. Er kleidete 
fie nach feiner Art nowellenmäßig ee, und · ſon⸗ 
derbar, daß feine Erzäplung ein Apnliches Vers 
baͤltniß, wie Sie vermuthen — Doc) id wu dem 
Erzähler nicht vorgreiſen. 

Wohl moͤglich — ſagte Julius — doch 
mocht' ih die Namen Karlos und Elifabeth 


109 - g 


Im Srembenbüche weniger auf die heilige Pau⸗. 
lina, als vielleicht auf Beſucher diefer Nuine 
deuten. 8 Hang mir fchon vorhin wie eine duns 
He Erinnerung davon an. 

Man drang in Julius, fi) näher au er⸗ 
Hären, 


Die Sache Hegt * nahe — ſagte er — da 
fie Perſonen aus einer mir bekannten Familie bes 
trifft. Vielleicht hörten mehre von Ihnen fchon 
früßer davon , indeffen werden Sie mir es nicht 
serhbeln, wenn ich Ihnen bloß das gebt, was 
eigentlich das Intereſſante ift, naͤmlich die Erzaͤh⸗ 
lung ohne die Namen ſelbſt. 

Die junge Gräfin Pauline war nach ihrer 
Mutter Tode außer dem väterlichen Haufe erzos 
gen worden. Go fireng auch die Aufficht war, 
weldyer ihr Bater fie anvertraut hatte, fo konnte 
fie doch nicht Kindern, daß Pauline bei Spas 
jiergängen und an bffentlichen Orten zuweilen 
einen jungen Mann ſah, deſſen Augen fie über: 
au firchten, und dem die ihrigen eben fo gern 
begegueten. Es war ein gefangener Officer, ber 
fi von Werner nannte, und dem-ed endlich‘ 
nach viel vergeblichen Verfuchen gelang, fich als 
Miniatsrmaler, bei der Auffeherin des Inſtitutes, 
in weldyem Pauline erzogen ward, einzuführen. 

Die Liebenden Hatten fich indeffen kaum wit 


8 y - Fin u >» 


x 4140 


den erſten ſchuͤchternen Worten der Liebe heiwlich 
begrüßt, als Nachrichten von ſchneller Annaͤhe⸗ 
rung der Armee, die ſchleunige Entfernung der 
ſchwachen Beſatzung mit allen Gefangenen ndihig 
machte. Werner hatte kaum ſo viel Zeit in 
die Wohnung feiner Geliebten zum kurzen Ab⸗ 
ſchied zu eilen, aber eben fein eilfertiges Drängen 
machte ihn der Vorfieherin verdächtig, und wes 
der Bitten noch Verſprechungen konnte fie bewe⸗ 
gen, ihm eine Untertebung, ober audy nur det 
letzten Anblick der Geliebten zu geftatten, 

Die feindlichen Truppen bauten kaum die Stade 
geräumt, als deutiche Truppen fie wieder beſetzten. 
Der Kommiffarius, welcher Stadt und 
Gegend im Namen des rechtmaͤßigen Regenten 
förmlıh in Befig nehmen folte, war Paulis 
nens Vater. Man wollte ihn mit Zeisrlichkeis 
ten überall begrüßen und Pauline,. bie bei 
einer ſolchen Feſtlichkeit ihm einen Kranz übers 
teichte, feffelte durch ihre Schönpeit, und bie Ans 
mutb, die.jede ihrer Bewegungen begleitete, alle 
Augen, und befonders „die, Yufmerkiamkeit des 
tommanbdisenden Generals, eines ſchoͤnen, und 
in feinem mittlern Alter. noch faft jugendlich lebe 
haften und feurigen Mannes. - Er gab mehrere 
Feſte, deren Seele und Königin die ſchͤne Paus 
line war, und nach wenig Wochen erflärte er 
gegen Paulinens Water ‚feine Liebe, Die Zus 


1i1. 

friedenheit des Baterd mit dent allgemein bewun⸗ 
derten Kriegshelden, der an Gluͤcksguͤtern nicht 
weniger reich war, als au Ruhm, litt feinen Zweis 
fel, und ſelbſt Paulinens Zuftinmung bichen 
Vater und Bewerber für fo gut ald gewiß, da 
ſie den General überall fehr bemerkbar den 
andern Männern vorzog, und ed nicht verbarg, 
daß fie ſich durch feine geiſtvolle Unterhaltung, 
durd) fein Betragen, und felbft durch manche ihr 
ſehr woßlgefällige Züge feines Gefichtes zu ihm 
gezogen fühle, 

Dennoch erblaßte fie, ald ihr Vater ihr von 
den Bewerbungen des Generals um ihre Hand 
fagte. Sie fuchte vergebens Ausflüchte, endlich, 
ergriffen non den freundlichen Ermahnungen des 
Vaters, entdeckte fie ihm fogar ihre frühere Nei⸗ 
gung zu Werner. Unbekannt mit den Unfichs 
ten dee Welt, ahndete fie nicht, Daß gerade diefe 
Entdeckung ihr jede Hoffnung benehmen mußte, 
denn num erichien dem Vater jede Weigerung 
bloß als eine neue, veränderte Maske diefer feis 
nen Wuͤnſchen entgegenftehenden Liebe, und die 
Wahl zwifchen dem Klofter, und dem Gchorfant 
gegen den Willen des Vaters, war bie Folge je⸗ 
ner Eutdedung. Vielleicht hätte die ſchwaͤrmeri⸗ 
ſche Pauline, jelbft durch ihre Wahl noch die 
Wuͤnſche ihres Waters vereitelt, aber der Tod eis 
ned Rittmeiſters Vernier, der damals bekaunt 


- 112 . 


gemacht und ihr mit einer verftellten feinen Scho⸗ 
nung binterbracht wurde, fo wie die fcheinbare 
Theilnahme des Baterd an ihrer Trauer, bewirkte 
nad) einigen Monaten doch die Erfüllung der 
väterlichen Wünfche, 

- Die Bemühungen des Generals, feine junge 
"Gemahlin jede Freude der Jugend und Schönheit 
in glänzenden gefellfchaftlichen Verhaͤltniſſen ges 
nießen zu laffen, verbunfelte allerdings Wer⸗ 
ner's Bild etwas. Sie fühlte ſich gluͤcklich und 
dachte immer feltener an bad Glück, das fie einft 
mit fo viel Thränen dem Wunſch ihres Vaters 
geopfert hatte Werner lebte als ein abge» 
fhiedener Freund mehr in ihrer Erinnerung, als 
in ihrem Herzen. Jndeſſen gab «8 doc) Stun 
den, wo die ganze magifche Gewalt der erſten 
Kiebe diefe Erinnerungen umleuchtete, und die 
glängende Pracht ihres Lebens erſchien ihr dann 
bloß wie ein vorüberraufchendes Seft, in deſſen 
Sreuden man nicht heimiſch werben kann, weil. 
feine Beziehung verloren ging. 

Einft, ald eben eine frohe Siegeſnachricht ges 
feiert wurde, und Pauline, umſtrahlt von lenche 
tenden Kerzen, und gefeiert von dem glänzenden 
Kreis der Gäfte ihres Gemahls die Huldigungen 
ihrer Reize annahm, ward der General plöße 
lich aus dem Gefchichaftöfnale gerufen. Pau⸗ 
line blidte ihm, von unerflärbares Angſt getrit⸗ 





115 


ben, nach, fie bemerkte, dad er frendig in die. 
Arme eined jungen Officiers eilte, Ahndungvoll 
und bebend ſieht ſie nach dem Geſicht des Frem⸗ 
den. Mein Sobn! ‚mein vom Tod' eniſtandner 
Sohn! ruft der General, und führt den Dfe 
ficiee Am Rauſche. der Freude feiner Gemahlin ent⸗ 
gegen. Pauline ſank bei feinem Ankh leblos 
u Doden, a 
Pa 

In dieſem Yugenblid traten wir aus ben 
Wald und der uͤberraſchend ſchoͤne Anblick unters. 
brach die Erzählung, -Uns gegenüber —— 
der Mond die hohen Mauern der großen,. weit 
ausgedehnten Ruine, Zur Linken traf bie fange, 
Sänlenreihe, des Schiffes, entbloßt von ber Ders 
fallenen äußern Mauer, im hellen, weißen Mond⸗ 
licht hervor, die rechte Seite lag im Schalien. 
Born, wo ehemals der hohe Chor mit ſeinen Al⸗ 
tären ſtand, drang der volle Schimmer. des Won⸗ 
des ein. Er fiel durch das praͤchtige hobe Yorral . 
in die Kirche felbit, ynd mablte dje Scharen der 
Säufen, wie wandelnde, dunkle Geſtalten an die 
innere Mauer der noͤrdlichen Abſeite. Die Kruͤm⸗ 
mungen unſeres Weges zeigten uns bald die frel⸗ 
ftebende Seite mit ihren Saͤulen deutlicher, bald 
öffneten fie uns dje tiefe Einſicht in die ganze 
Ränge bed Schiffes durch das borbere Portal, 
wo fich die Pfeiler ber Vorpalle nur wenfg. und 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, 9 


. - 


414: 


ſeltſam beleuchtet im unermeplicher Perſpeltive zu 
verlieren (chienen. | 

Mancher Ausruf der Bewunderung untrBra 
die Betrachtung, bis wir endlich auf der Stelle 
ankamen, wo vormals der Hochaltar fland. Ein 
Baum bezeichnet fie, vieleicht nur zufälig. Wir 
bewunderten die fchönen Verhälmiffe des Innern 
Portales, deffen ungewöhnliche Höhe durch die 
Täufchung der Mondbeleuchtung noch mehr in 
das riefenhafte gehoben ward. Die Nifche, weldye 
der Sagt nad) Paulina’s Grabftätte enthält, 
lag im Dunkel, das der Taͤuſchung Raum gab; 
als decke die halbverfunkene moosbewachſene Stefn⸗ 
Hlatte die Nefte der Heiligen. Wir betrachteten 
ernft die ruhige einfame Stelle, und nur der 
Abendwind, der in den Zweigen des Holunders 
buſches an bem Grabe flüfterte, untefbrad) die 
Stile. 

Wir durchwandelten num einigemal Schiff und 
Abſeite der Kirche nebft der Borhalle, weniger um 
dad Einzelne zu betrachten, ald um den Ge⸗ 
ſamteindruck diefer feierlich ernſten Umgebungen 
aufzunehmen. Die Beichauung der Theile ſparten 
wir bid auf den folgenden Tag. Ermuͤdet begas 
ben wir uns endlich in das an der Mittagsfeite 
Der Kirche gelegene, zu dem Amthaufe gehörige 
Gaͤrtchen, wo wir gelagert auf die weiche grüne 
Moodbant unter einem fchönbelsubten Birnbaum 








115 


den herrlichen Aublick der mondbeſtrahlten Ruine 
genofien. 

Hier, wo und. jebt Blumen umblähten und 
der alte Birnbaum feine mächtigen Aeſte weit über 
unfre Haͤupter hinſtreckte, waren ehedem Plaͤtze 
fuͤr fromme Beter und kirchliche Proceſſionen der 
vormaligen Kloſterbruͤder, denn das Gaͤrtchen ˖liegt 
ganz in der ehemaligen ſuͤdlichen Abſeite der Kir⸗ 
che, und zu dem Eingange ſelbſt gelangt man 
von außen nur auf dem Wege durch den hohen 
Chor Ber Kirche, Paulina's Grabſtelle ſuͤdlich 
gegenäber. Die eine Seite des Gartens wird 
‚von den Säulen des Schiffes felbft begrängt, und 
von unfrer Moosbank fah man burch ‚die hoben 
Bogen diefer Säulen. in die gegenäberfichende 
Saͤnlenreihe, durch diefe wieder das. Portal, wel⸗ 
bed aus der Abſeite zum hohen Chore führt, 
und nochmals durch. biefed den Bogen von Paus 
lina’& Grabniihe. Go fahen wir "Durch, eine 
Inge Weripektive von vier hohen Bogen, bid an 
den Punkt, der jetzt nach Zerftdrung ber Altaͤre, 
das einzige Heiligrhum diefer Kirche, bie Gebeine 
der Stifterin felbft, wenigftend in der frommen 
Gage des Volles, aufbewahrt. 

Der Mond zauberte mit den Scatten der 
Bäume, die der Wind leicht bewegte, ein fauta⸗ 
ſtiſches Scheinleben in diefe jet verbbete Räume, 
wo das file Keben andächtiger Zuruͤckgezogenheit 

22 





116 


an das nord flillere der Pflanzenwelt Übergegams 
gen war, und die MWipfel der Bäume lifpelten 
mit ihren Nadeln und Blättern den leiſen Rach⸗ 
hall ehemaliger Horen und Vigilien. 

Man mahnte mich von allen Seiten an die 
verſprochene Mittheilung von Paulina's Ges 
ſchichte. Ich zog die Blätter hervor, erinnerte 
aber, während ein Windlicht zu dem Leſen beforge 
wurde, Julius an die Kortfegung feiner vorhin 
unterbrochenen Erzaͤhlung. 

6. 

Sulins begann: 

Als Paulina von ihrer Ohnmacht erwachte, 
fand fie fid) allein mit Natalien, der ebema⸗ 
ligen Vertrauten ihrer Liebe. So ſchwach fie 
noch ſich fühlte, fo war es dennoch nothwendig, 
ide die erforderlichen Aufſchluͤſſe über den Vorfall 
und feine Folgen zu geben. Der General, 
ganz überwältigt von der Freude, den todtge⸗ 
glaubten Sohn wieder zum ſehen, hatte nür bie 
ſchnelle Ohnmacht feiner Gemahlin bemerkt, nicht 
aber die Veranlaffung dazu. Er fchrieb den Zus 
fall auf Rechnung der heftigen Ueberraichung, 
deren Wirkung er an ſich ſelbſt fuͤhlte, und das 

Erſchrecken ſeines Sohnes ſchien bei dem Anblick 
eines fo unerwarteten Zufalls ebenfalls auf nichts 
Verborgenes zu deuten. Der junge Officier aber 
war. in ‘der That Bein anderer, als jener Wer⸗ 








47 


ner, ber in feiner Gefangenfchaft, um unerkannt 
zu bleiben, feinen Bornamen flatt des Familien⸗ 
namens geführt hatte. Jetzt war die Bedeckung 
einer Anzahl Gefangenen angegriffen worden, und 
Berner, der mit feinen Kameraden den güns 
fligen Zeitpunkt zu benutzen wußte, harte füch nebft 
den Andern befreit, und nach ehrenvoller Theils 
nahme an einem glänzenden Siege, war er zu 
feinem Bater geeilt, um von neuem unter feinem 
Dberbefefl zu fechten, und feine Zuftimmung zu 
der Berbindung mit der Geliebten zu erhalten. 
Unbenachrichtiget von den Veränderungen in dem 
väterlichen Haufe fand er nun die Geliebte als 
feine Mutter, unwiederbringlich und hoffnungslos 
für ihn verloren, wieder. 

Natalie führte fogleich dem jungen Grafen 
Berner zu Paulinen, um die esfle, doch 
einmal unvermeidliche Zufammenkunft, nur den 
vertrauten Augen der Freundin auszuftellen. Sie 
gönnte ihnen ungeftört Die erfte, thraͤnenvolle Um⸗ 
ermung des fchmerzlidyen Wiederſehns, um bie 
Augen ausweinen und die Herzen ihren Schmerz 
ergießen gu laſſen. In der erften Erhebung des 
Geiſtes befchloffen beide ewige Trennung ; wie es 
lichenden Herzen und. edlen Gemuͤthern eigen iſt. 
ber bas Geſchick, als wär’ ed dem Guten felbft 
feindlich, fcheint oft den Eutſchluß bes reinften 
Willens nicht zu begimfligen, Der Water wollte 





118 


den nur wiedergefundenen Sohn nicht fo ſchnell 
entlaffen, und bald vereitelte audy der wider Er⸗ 
warten ſchnell geichloffene Friede jede Hoffnung 

des unglädlid Liebenden, im Schlachfgewühl, 
unter feindlichen Sthaaren die Ruhe zu finden, 
die fo nahe an Allem, was .die Welt von Gluͤck 
für ihn hatte, ewig von ihm zurüdflob. 

Wer ſich flärker fühlt, vielleicht auch nur we⸗ 
niger tief von Empfindung bewegt wird, mag bie 
Liebenden tadeln, die bei'der Vertraulichkeit, und 
der Nähe, welche ihr Familienverhaͤltniß nicht als 
lein geftattete, fondern forderte, fich endlich. mehr 
an bie füßen Namen ihres fräßern, kurzen Zus 
ſammenledens gewoͤhnten, ald an die ehrfurdhts 
vollern Beziehungen des gegenwärtigen. -- Eine 
Meile, welche der General mit feiner Kamilie 
Mn ein Bad machte, brachte die Liebenden fid) im⸗ 
mer näher. . Hier in der Ruine von Pauline 
zell .erneueten fie die. frühern Schwäre ewiger 
Liebe, und damals wurden wahricheinlic) die dop⸗ 
peldeutigen Namen, Werner und Paulimee in 
Dad Frembeubuc) eingetragen und mit dem deu⸗ 
tnugsvollen Krauz von Dornen und ofen ums 
, wunden. Bu 

Einft, an einem der fchönen warmen Abende 
jenes für das nördliche Deutſchland verhänguie 
vollen Herdſtes, fuchte ber General feine Ge 
mahlin in den weitläuftigen Gärten feines Schloſ⸗ 


119 


(e6. Die Gewitterwolken, die der heiße Tag ges 
fammelt hatte, zogen herauf und fingen ſchon an, 
ſich in fernen Bligen zu entladen. Beſorgt um 
feine Gemahlin, deren Gewitterfurdht. er tannte, 
durchfucht er jede Laube, und endlich findet er 
fie, in einem entfernten Pavillon, hingelehnt auf 
ein Sopha und die Arme. liebfofend um einen 
Zungen Officier geſchlungen, der vor ihr kniet. 
in Ausbruch des Schreckens und Unwillens vers 
rieth ihm den Liebenden, der Dfficier wendet 
ſich nach dem Eintretenden, and der General 
erblickt mit Entſetzen feinen eignen Sohn von den 
Armen der Mutter liebend umfangen. Alle Zus 
sien getäufchter Liebe und beleidigter Ehre reizen. 
den Zurhdichaudernden zur wildeften Wuth, die 
bisher reine Unbefcholtenheit der fchönen Verbre⸗ 
cherin, die fo oft ihn auf fein feltenes Gluͤck ſtolz 
machte, ſteht auf einmal als ſchauderhaftes Ers 
zeugniß der ungeheuerſten Schuld vor ihm. Nie 
geſprocheue Worte des Abſcheues draͤngen ſich 
Aber feine Lippen. Bittend naht fich der Sohn, 
entehrende Beleidigung treibt ihn zuruͤck; flehend 
erhebt die Schuldige die Hände; unwärdige Miß⸗ 
Handlung de& Zürnenden ſidßt fie hinwes Des 
fchügend ftellt fich ‚der Sohn vor die Weinende 
und betheuert die Meinigkeit ihrer Liebe, der Er⸗ 
grimmte hört ihn nicht, ſchmaͤhend faßt er ihn 
an der Bruft und tritt bad entriffene Ordenskreuz 





u r 


120 


we Füßen. Da Hält fich die deleidigte Ehra,des 


Kriegerd nicht mehr. Sein Säbel ziſcht aus der 
Scheide, und im Augenblick flammt der Degen 
des Vaters aber bern Haupt des Sopned. Schlag 
fullt auf Schlag, die Blige ſpiegeln ſich in ben, 
glänzenden Ahngen, und beleuchten allein den 
unnarhrlihen Kampf. Vergebene tingt Paul i⸗ 
na flehend die Hände, der Donner Äberbrauft Ihre 
Stimme, ſie reißt fich empor" die Kämpfenden zu 
trennens im wilder, felbfivergeffener Wuth führt 
der General'nac) ihr einen fruchrlofen Hieb, und 
im Augenblid rdthet fich die Klinge des Sohnes 
mit dern Blute aus der bloßgegebenen Seite des 
Vaters. Flach! ſchreit der General dus dee 
verwundeten Bruſt, uud ſinkt mir dem letzten 
kraftloſen Hieb, der Strönie Blutes aus der 
weitgefchlagenen Winde preßt,' entfeelt zu Boden. 

Vatermoͤrder! rief Donmer: und Sturm dem: 
Hingeſunkenen bei der blutigen Leiche zu, und: 
Vatermoͤrder! hallte ein unendliches Echo in ſei⸗ 
nem Herzen, In Verzweiflung wendet” er bie 
blutige Klinge gegen die eigne Bruſt, und er waͤr 
als Suͤhnopfer der entfelichen That von eignet 


- Hand: gefallen, hätte miche ein Dfficier „ der den 


Generat fuchte, und auf den Laͤrm des Gefech⸗ 
108 herbeicitte, die That verhindert. Der Offd 
cier, em Fremd des Ungluͤcklichen, errieth die 
gräßliche Begebenheit, und trich den Grafen zur 


421 

eiligften Flucht. Den General, fo meinte er, 
lönne: man vielleicht noch in das Leben zuruͤck 
rufen, nur dürfte er dann den Sohn nicht fehn, 
den er ja felbft der Strafe übergeben müßte, 
wollt” er auch alles Vergangene vergeflen. Nur 
diefe Borftellung konnte Graf Wernern zur 
Flucht bewegen. Er warf ſich fcheidend neben 
Waulinen nieder, aber mit Abſcheu wies ihn 
Diefe von ſich. Flieh, Ungluͤcklicher! — rief fie 
ihm zu — flleh, und niemald, niemals, ſeh' ich 
Dich wieder. Der fchmelifte Tod faſſe mich, eh’ 
id jemals Dir wieder nahe. Ein furchtbarer 
Domnerihlag fchien ihren Worten das Ya des 
Schickſals zuzurufen. Der Graf verhülte fein ' 
Geht, und in der furchtbaren Gewitternacht, 
die Stile gegen die Stürme in feinem Innern 
war, verließ er bie Beliebte und das vaͤterliche 
Schloß. 

Er wählte nit lange, ‚wohin er feinen Weg 
sichten follte. Der Krieg Preußens gegen Trans 
reich war eben ausgebrochen, und voll Begier 
nad) Kampf und Sieg zogen die preußifchen Kries 
ger den franzdfiichen Heeren entgegen. - Graf 
Werner eilte dahin, wo er am erften die Schlacht, 
und in ihr den willlommnen Tod zu finden hoffte; 
Er focht am zehnten Oktober jenes Jahres mi. 
bei Saalfeld, feine Ungeduld firebte felbft dem 
zu raſchen Wordringen der sapfern Krieger zus 
N 





122 


vor, der heldenmuͤthige Prinz war bas Opfer 
des muthigen Angriffe, Werner kaͤmpfte mit 
Löowenkraft. Er focht an der Geite des Prin⸗ 
zen, und war ſchon nahe daran ihn aus ber 
Mitte der Zeinde glüdlich zu.befreien, ald er und 
‚bald nad) ihm der Prinz verwundet zu Boden 
ſanken. 

Doch ſollte der ungluͤckliche Werner den 
Tod nicht finden, den er fo ſehnſuchtvoll geſucht 
hatte. Er warb von ben Siegern ‚unter ben 
Verwundeten aufgehoben, und da man ihn, als 
den fchon "früher Gefangenen erkannte, forgfäls 
tig bewacht und nad) Frankreich abgeführt. Hier 
beilte zwar die Kunft ber Merzte feine Wunden, 
aber fein krankes Gemüth vermochte Feine Kunft 
zu heilen. Seine Schwermuth ging nach und 
nad) in Melancholie, und endlich. in ſtillen Wahn⸗ 
finn über, Er lebt in Frankreich in einer ans 
flindigen Verforgung, und fein einziger Wunſch, 
deffen gewiffe Erfüllung ihm zur feſten Vor⸗ 
ftellung in feinem Wahnfinn geworben iſt, bes 
fieht in einem großen Sieg feines Vaterlandes, 
den er erfechten helfen werde. Wan laͤßt ihm 
ben unfchädlichen Wahn, der allein fein freubens 
leeres Dafeyn mit einem leichten Schimmer von 
Frohſinn Aberglängt, 

Armer Unglädlicher ! — feufzten mehre Stims 
men in ber Geſellſchaft. Ich fenfzte leiſe mir 





25 


denn nun warb es mir klar, baß biefr Graf 
Berner, und jner Graf D.., deflen Bes 
kanniſchaft ich in Frankreich gemacht hatte, Dies 
ſelbe Perſon war. So innig vertraut wir auch 
in kurzer Zeit zuſammen wurden, jo hatte er mir 
Doch niemals das Geheimmiß feiner tiefen Schwere 
muth entdedt, die ibn Allen fo ungennin ans 
ziebend machte. Nur aus feinem SSniereile für 
Danlinzell, aus dem Feuer, mit welchem 
er von ber heiligen Pauline, ald von feiner 
Schußheiligen fprady, und aus der Urt, wie er 
die verihiedenen Weberlieferungen von ihr zu die 
mm Ganzen verarbeitet hatte, konnte ich auf 
ähnliche Begebenheiten in der Geſchichte feines 
Lebens und feiner Liebe ſchließen. Ich. verfchwieg 
indeffen meine Vermuthung, und bereitere mich, 
bie Blätter meines unglüdlichen Freundes, die 
nun felbft ein neues Intereſſe für mich erhalten - 
hatten, vorzulefen. 
. 1 ’ 
Umfanget nich, einfame Kloſterhallen, 
Ihr Heiligen Reſte altchrinurb’ger Pracht! 
Euch baute Liebe, Haß ließ euch verfallen; 
Stets unterliegt ia Schönes dunkler Macht! 
Kein Gluͤck erblüht;- fie fordert fireng von Allen 
Ein bint’ges Chränenopfen fih gebracht: 
Derbundne Herzen miſſen quetvoll fcheiden, 
Grauſam getvenut, und nur vereint durch Leiden. 


+ 


124 | 


O fteigt herauf, Thr mitternaͤcht'gen Schatten, 
Verlaßt der Grabeszellen finftre Räume, 
Erhebt von eurer Gruft die ſchweren Platten, 
Umfchwebt mein Ang, glei Bildern Iuft’ger Träume, 
est, wo die dunklen Stunden es geitatten, 
Sprecht mit dem Nachtgeftüfter dieſer Aäume, 
Die aus der Gräber heil’gem Beben fproßen, 
Sprecht mir vom Leid und Gluck, das ihr genoſſen. 


Sprecht: bat wol unter biefen Falten Steinen 
Die heiße Menfchenbruft einft ausgeglüht ? 
Vergißt dad müde Auge dort zu weinen ? 

Keimf unten Troſt verzweifeindem Gemiüth ? 
Saht ihr das Land, wo modernden Gebeinen 
Der ſchoͤne Lenz des Glaubens jung entbiiht? 
Wo nichts der Liebe fergen Frieden ftöret, 
Und fich verbindet, was ſich angehoͤret? 


Was deutet mir das büftere Geſlimmer, 

Das fern im Chor dem Grabesftein entitralt ? 
Es naht fih durch ded Doms bemoofte Trümmer, 
Vom Grab her ſchwebt Die blaſſe Nachtgeſtalt, 
Gleich Mondesſtralen, wenn der matte Schimmer 
In Saͤnlenreih'n bewegte Bilder malt: 

Du biſt's! am wehmuthvollen Ernſt der Miene, 
Erkennt mein Aug' dich, heilige Pauline! 


Du kommſt mit Troſt aus lichterfuͤllten Fernen 
Des Himmels Frieden ſtralt dein Angeſicht: 
Nicht wie bei Menſchen, — ſoll ich von dir lernen, 
Haͤlt dort Gewalt und irrer Wahn Gericht; 
Ein heil ger Recht gilt droben über Sternen: 





‚423 


But tft, was reines Herzens Stimme fpriät! 
Und Mofen blähn aus rauher Dornenfrone 
Dort ın des Himmels ew’ger Fruͤhlingszone. 


Während dem Leſen des lehren Verſes bes 
merkte ich eine faft flörende Unruhe unter meinen 
Zuhbrern. Was ift das? — fihrie jeht Mas - 
thilde laut auf, und ein heftiger Schauder zits 
terte darch ihre Glieder, 


Schen Sie ed auch? — fragte Theodor — 
ich glanbte, ich täufchte mich. 
Was denn? Was? — fragten Mehre — und 


blickten ſtarr nach dem Orte, dem Theodor die 
Augen zumwenbete, 


Ein blaffer Schein bewegte fich in der Ferne. 


am Schluß der Ausfi ht durch die verfchiedenen 
Säulenbogen, 


Es ift dort — fagte A malie mit etwas ers 
zwungener Faſſung — dicht vor der Niſche im 
Chor. 

Die rauen ſchauderten zufammen, Dort fas 
ben fie Paulina’s Grab. 


Es iſt nichts — fagte- Theodor verweifend 
— gar nichts. Wer wirb fid) denn vor Schatten 
fürdten! Sie feben och, daß, feit wir hier ges 
feffen haben, der Mond Höher geftiegen iſt. Er 
beleuchtet jet bie Stelle, bie vorhin — — 


- \ 


116 


an das noch flillere der Pflanzenwelt Übergegans 
gen war, und die MWipfel ber Bäume lifpelten 
mit ihren Nadeln und Blättern ven leifen Nach⸗ 
ball ehemaliger Horen und Vigilien. 

Man mahnte mich von allen Seiten. an die 
verfprochene Wittheilung von Paulina's Ge⸗ 
ſchichie. Ih zog die Blätter hervor, erinnerte 
«ber, während ein Windlicht zu dem Lefen beforgt 
wurde, Julius an die Kortfegung feiner vorhin 
unterbrochenen Erzählung. 

6. 

Sulius begann: 

A Paulina von ihrer Ohnmacht erwachte, 
fand fie fich allein mit Natalien, der chemas 
Ugen Vertrauten ihrer Liebe. So ſchwach fie 
noch fich fühlte, fo war es dennoch nothwenbig, 
ihr die erforderlichen Aufichläffe über den Vorfall 
und feine Folgen zu geben. Der General, 
gan; überwältigt von ber Freude, ben todtge⸗ 
glaubten Sohn wieder zu chen, hatte nür bie 
ſchnelle Ohnmacht feiner Gemahlin bemerkt, wicht 
aber die Beranlaffung dazu. Er fchrieb den Zus 
fall auf Rechnung der Heftigen Ueberraſchung, 
deren Wirkung er an ſich felbft fühlte, und das 
Erſchrecken feined Sohnes ſchien bei dem Anblid 
eines fo unerwarteten Zufall ebenfalls auf nichts 
Verborgenes zu deuten. Der junge Officier abır 
war. in ‘der That kein anderer, als jener Wer⸗ 





417 


wer, ber in feiner Gefangenfchaft, um unerkannt 
zu bleiben, feinen Bornamen ftatt des Familien⸗ 
uamend geführt hatte. Jetzt war die Bedeckung 
einer Anzahl Gefangenen angegriffen worden, und 
Werner, der mit feinen Kameraden den glins 
fligen Zeitpunkt zu benngen wußte, hatte fich nebſt 
den Undern befreit, und nach ehrenvoller Theils 
nahme an einem glänzenden Siege, war er zu 
feinem Bater geeilt, um von neuem unter feinem 
Dberbefedl zu ‘fechten, und feine Zuftimmung zu 
der Berbindung mit der Geliebten zu erhalten. 
Unbenachrichtiget von den Veränderungen in dem 
väterlichen Haufe fand er nun die Geliebte als 
feine Mutter, unmwieberbringlich und hoffnungslos 
für ihn verloren, wieder, 

Natalie führte fogleich den jungen Grafen 
Berner zu Paulinen, um. die erſte, body 
einmal unvermeidliche Zufammenktunft, nur den 
vertrauten Yugen der Sreundin auszuftellen. Sie 
gönnte ihnen ungefldrt Die erfte, thränenvolle Um⸗ 
armung des fdymerzlidyen Wiederſehns, um die 
Augen ausweinen und die Herzen ihren Schmerz 
ergießen gu laflen. In der erftien Erhebung des 
Geiftes befchloffen beide ewige Trennung ; wie es 
liebenden Herzen und. edlen Gemuͤthern eigen ift. 
Uber Sad Geſchick, als waͤr' es dem Busen felbft 
feindlich, fcheint oft den Entſchluß des reinſten 
Willens nicht zu begimfligen, Der Bater wollte 





128. 


der Geiſterfurcht der Geſellſchaft, und biele mit 
ber, durch Geſpraͤch, Xehrüre und bad Ungewohnte 
von Zeit und Drt erhöhten Stimmung, Man 
kam ſich gegenfeitig zu Huͤlfe, und die beiden 
Fremden mifchten fih bald gejellfchaftlich in uns 
fer Geſpraͤch. 

Ich erkannte an den melodiſch ſanften Tönen 
ſogleich meine ſchoͤne Unbekannte von dieſem Mit⸗ 
tag. Ihr Schleier hatte im Mondlichte die Taͤu⸗ 
ſchung mit einer Geiſtererſcheinung erhöht: Sie 
war geſpraͤchiger und überhaupt lebhafter, als bet 
unferm frühern Zuiammenireffen. Es fchien, als 
wär’ ein großer Schmerz von ihr genommen, und 
ihr Geift bewege ſich nun freier in der Aus ſicht 
auf eine neue, ungetruͤbte Zukunft. Dagegen 
ſchien ihre Begleiterin ernſter geworden, und we⸗ 
gen der frohen, beinah exaltirten Stimmung ihrer 
‚Kreundin erwad beiorgt. 

Nach einigen Gelprächen bat Hauline, die 
Erzählungen von dem Leben ihrer heiligen Na⸗ 
mensichweiter, die fie unterbrochen hatte, ‚forigus 
ſetzen. Ich ergriff die Blätter, fie ſetzte ſich in 
meine Naͤhe, fo, daß der Mond ihr [göneß, blaſ⸗ 
ſes Geſicht wie das einer wiedergekehrten Heili⸗ 
gen verklaͤrte. Mir, war es ſchauerlich zu Muth 
bei ihrem Anblick, und eine aͤhnliche Stimmung 
ſchien ſich uͤber die ganze Geſellſchaft zu verbrei⸗ 
ten. Man ſehnte ſich ihr naͤher zu ſeyn, und doch 








129 


war es ald lagere ſich etwas Frembattiged um 
fie der, was Jeder zu berühren ſcheute. Oft 
während dem Lefen von Panlinens Geſchichte 
bemerkte ich Tränen in ihren Augen und faft 
immer gläuzte ihr. tiefblaued Auge von einem 
ſchwaͤrmeriſchen edel burch feuchte Wolken. 
9, 

Ich fuhr fort m ‚kefen: j 

Bor dem Altare ded heiligen Kreuzes fand: 
die Privrin Klara mit. dem jungen Ritter Wexs 
ner, befien Blicke wohlgefällig an den Sänlens. 
veipen der Kirche hinglitten, und hier und da ‘an 
Bildern vder Verzierungen: bald lächend; bald. 
ern hafteten. Zuweilcn Bligte fein Auge von: 
hellerem Feuer, ein fluͤchtiges Roth überflog feine“. 
Wange, ald gebe dad: Licht. eines großen Gedaus 
ken in ihm auf, and werflärte noch mehr fanc dur | 
gendliche Schönheit: rl 

Ihr feid fo jung noch, Herr Riner. — — kam 
de. Priorin, ‚elö: ſie Tinige Zeit ihm verwun⸗ 
dert, und mit Beifall betruchtet hatte — : und 
dennacy. fpricht aus Euren Worten, und nach 
mehr ſaſt aus Euren Dliden der Ernft und dit 
Erfahrenheit eines geuͤhten Meiftera Ihr habt 
auf Euren Reifen durch Italien und: im Heiligen 
Laude Hicherlich viel ſchoͤnt Kirchen. und: Mäntet 
geichen. Unſer armes Kirchlein kann ſich freiliſh 
wit jenen Prachtgebaͤuden. nicht meſſen, aber halb 

Geſpenſterbuch. 5. Theil. J 





130 
tip {ch es gern, wenn Ihr unverholen fagtet; 


was Euch hier mißfaͤllig, und guten Rath baͤdet, 


wie es zu beſſern. 


She inet, fromme Fran Priorin — .ente. 


gegnete der Ritter — wenn Ihr meint, Ich 
werfe hier meine Augen umher, um an dem Bau 
und Bildwerk Eurer Kirche zu mäleln und zu 
meiftern. Ich mag ſolches Kritteln bei Niemand 
wol leiden, denn ed nutzt felten, und verdirbt dem 
Menſchen nur fein Wohlgefallen und feine Freude 
au dem, was ihm lieb it, wie ſollt' ich alſo felbft 
ſolch tHörichtes Ding beginnen. Vielmehr lob' ich 


den Meifter, der Eure Kirche gebaut bat. Gr 


bat Alles verftändig überlegt, und recht nach Der 
Kunft ausgeführt, daß er Bor italifchen und gries 
chiſchen Meiftern beftchen kann. Weberbies hat 
er in Dielen Bau noch einen verborgenen Funken 


gelegt, der beraußfpringt und jandet, wenn ihn 


Dad rechte Auge trifft. 
Wie meint Ihr das ?— frägte di Priorin. 


Ich meine — fuhr der Ritter fort — fein 


Wert ift gleihfam wie ein Samenkorn, defgleis 
den manches wol auch dußerlicy von ammmithiger 
Geſtalt iſt, aber neben-der Geſtalt hat es innres 
Leben, daB ſich regt, und, wenn es den techten 
Grund finder, ſich außdehnt zu noch viel herr 
lichern Seftaleungen, Was Ihr mir vorhin am 
ſahet, atd ich das. Gebäude Eurer Kirche betrach⸗ 





151 
tele,. war bieleicht fo ein Keimen jene® Samen⸗ 
Korued. Das ift denn wol auch ein Zeichen eines 


recht trefflichen Geiſtes, wenn fein Merk ın eis 
nem ändern Geifte zündet, und Keime neuer 


Merle wet. Der Meifter har, was ich’ ſchon 
vorhin fagte, alles verftändig gerrbner und ger 
meffen, aber denkt Eüch mun das Feine Kirchlein 
auf einen größern Raum, Säulen und Pfeiler 
fireben, gleich‘ wach enden Erden; ' zu großeret 
Höhe, fie vermehren ſich in Sal und Halle, 
und mit Ihnen fleigen diefe ſchoͤn emdldren Por⸗ 
tale hoch und immer höher hinauf, baß'der Glanz 
der Richter am Hochaltar kaum ihre Wölbung era 
seicht — wie Würber Ihr dann diefe großen edlen 
Maften anſtaunen'i Solch eif‘ Werk daͤmmette 
dor meinem Geiſt vorhin, aber — — 


Ich verftch’ Euch — fagte die. Priori n,— 
bad wär kein Werk für biefen P äh, ünd vH. 
weniger für unfer Klofter; FR 


Allerdings — erwiderte der Mitt er — eine 


ſolche Kirche würde Euer Kloſteigut erfchöpfen. 


and überbied zu Eurem Münfter paffen, wie eine 


Mieſenſaͤule in diefe Kirchenhallen. Ueberall iſt 


nichts nachtheiliger, ald nach Dingen ftreben, oder 


gar fie ergreifen, die zu groß und zu hoch find 


für den Menfchen und feinen Kreis: 


Ihr fprecht ein wahres Mort.— fagte bie 


32 


152 


Priorin fenfzend — Möchten doch mandye Große 
es beherzigen! Doch, vergebt mir... . 


Sprecht ohne Schen — fuhr der Ritter fort 
— wer bat ed nicht gefchen, daß die herrliche 
deutſche Kaiſerkrone, dieſe glänze Sonne von Eus 
zgpa, nicht in der Srafenburg Raum fand? Welch 
ein Mann war Rudolph, eh’ er nach der 
Krone die Hand firedie! Welch ein edler, trefis 
Hcher Held der Baierherzog Otto! Er nahın 
Die Krone und ihre Laſt zerbrach ihm Herzogthum 
und Leben. Der rechtlich baͤusliche Hermann 
ließ fich vom ‚Glanz verloden und zerriffen wer 
das ſchoͤne Gewebe ſeines Lebens, verſtoͤrt jede 
Freude aus ſeiner Burg, bis er ſelbſt das gefaͤhr⸗ 
liche Herrſcherkleinod in die Haͤnde des Maͤchti⸗ 
gen zuruͤckgab, dem es gebuͤhrt, Und wie man⸗ 
cher ... 


Ihr brecht ab — ſprach die Priorin — ſo 
iſt es denn gegruͤndet, daß auch ber Wartgraf. 
von Thüringen ... 

Deffen verläumden ihn, ich hoff’ e8, nur feine 
Seinde oder Neider — erwiberte ‚der Ritter et⸗ 
was heftig, 

Gewiß nur diefe — tbnte eine fanfte Stimme 
im der Nähe — und eine junge Nonne trat aud 
einer Seitenhalle — Sollten denn diefe unjeligen 
Unruhen, die Deutfchland verwuͤſten, ewig dauern ? 





133 

Der Ritter vergaß über ber ſchoͤnen Ers 
ſcheinung feine zürnende Rede fortzufeßen. 

Eine meiner Koftgängerinnen — fagte bie 
Priorin, auf die Herzugelommene beutend — 
Wie kommſt Du hieher, Pauline? 

Vergebt, ehrwürdige Frau — antwortete dieſe 
— Ich betete bier in der Halle vor dem Muttere 
gottesbilde, aber Euer Geipräch, dem ich zubdrte, 
309 mir die Gedanken vom Geber ab. Als Ihr 
von dem Bau der Kirche redeter, war ed mir, 
als fprächt Ihr ein heimliches Wort aus meiner 
Seele. So erhöht und erweitert, ganz anders 
und Doch ganz diefelbe, fah’ ich diefe Kirche im 
Traum, als ich zum erftenmal hier gebetet hatte, 
ih fland am Altare des heiligen Kreuzes, als 
Braut herrlich geſchmuͤckt, und freute mich des 
fhönen Kirchenbaues. Den Traum hatte ich 
lingft vergeffen, aber Eure Rede rief ihn wieder 
vor mein Gedaͤchtniß. 

Iſt es nicht ſeltſam — fprach die Priorin 
— einen jungen Nitter, gleicy einem baufundigen 
Meiſter fprechen zu hören ? 

Ei — entgegnete diefer — meinet Ihr. denn, 
ein Ritter folle bloß mit dem Schwerte drein 
Schlagen? Iſt es doch nicht weniger zur Ehre 
Gottes, die dem Ritter das Hoͤchſte iſt, wenn er 
die Steine und Balken ordnet, daß fie, zum ſchoͤ⸗ 
sen Dom zufammengefügt, die Gemuͤther zur An⸗ 





434 


Yacht wecken, und das Kyrie und Gloria freudig 
wiederballen, gleichwie die Steine um jenen froms 
men Heiligen dad Amen. Mein Schwert ift das 
zum nicht müßig gewefen, aber, wie ich den 
Mittern die Streiche abzulerneit ſuchte, fo hatte 
ib auch Acht, was meine Andacht erweckte und 
lernte gern von den Meiftern in der Kunft, und, 
Kon ihren wundervollen Werten, 

Während des Geſpraͤches führte die Priorin 

hen Ritter weiter durch die Kirche und Hallen, 
und fragte ihn manches über Malerei und Bilde 
werke. Auch Pauline fragte ihn viel und hörte 
mit Wohlgefallen feine Antworten, Als fie nun 
in eine Halle traten, blieb der Mitter mit fehr 
ernften Micnen vor einem Muttergottesbilde ſte⸗ 
hen, und feine Blicke ruhten darauf wie anges 
heftet. 
Mit dieſem Bilde muͤßt Ihr Nachſi cht haben, 
Herr Ritter, ſagte die Priorin laͤchelnd — Es 
iſt bloß ein Wert anbächtiger Liebe zur heiligen 
Mutter. 

Ich ſag Euch — erwiderte Werner — daß 
dieſes Bild eine der erſten Zierden Eures Kloſters 
iſt. Ihr dabt keines, das ihm gleiche. Es iſt 
noch neu, und ich bitt' Euch, nennt mir den Meie 
fer, der dieſes Wundeibild malte, daß ich zu ihm 
ele... 


Ihr fpottet wol — unterbrach die Priorim 











165 

— dieſes Bild bat meine liebe Tochter Pauline 
gemalt. Du braucht Dich Deiner Andacht nicht 
zu ſchaͤmen, mein Kind, Es war ein wälfcher 
Meiſter Hier, der ein Bild unfrer Heiligen malen 
ſollte, und weil Pauline zugegen war, als er mir 
Proben feiner Kunft zeigte, fo beftand er darauf, 
ihr Angefiht für dad Muttergottesbild abzuma⸗ 
len, aber meine fromme Tochter verweigerte ihm 
ihr Autlig ſtandhaft, weil fie ed für Frevel hielt, 
ihr Bild im Klofter zur Anbetung aufftellen zn 
laſſen, und weil der Maler nicht anberd malen 
wollte, ald nach ihrem Angeſicht, fo malte fie 
ſelbſt unter heißen brünftigen Gebeten das Bilb, 
welches Ihr feht. Wenn Ihr nun meinet, ed ſey 
gelungen, fo müflen wir bie Heilige preifen, wel⸗ 
che dad Ziehen ihrer Magd erböret hat. 


Der Ritter Tonnte nicht aufpdren, das Bild 
zu betrachten und zu preifen; als ifn.aber Pau⸗ 
Jine noc manches fragte, worüber fie feinen 
Kath begehrte, und deswegen ihren Schleier zus 
südwerf , da konnte er die Augen nicht von dem 
himmliſchen Angeficht wenden ,„ das ihn aud dem 
Schleier, wie ein Eugelskopf aus einer lichten 
Wolle eutgegenblidte. Pauline bemerkte, in 
Zragen vertieft, fein Erſtaunen nicht; aber zu der 
Priorin ſprach der Ritter heimlich: der wälfche 
Maler hatte Hecht: das heiligſte Muttergottese 

\ 





13586 


entzönbet,, bie er gleichwol tief in feinem Innen 
verbergen zu möffen glaubte, nicht allein, weil 
der Unterfchied der Jahre ihm mehr die Gefin 
mung einer Tochter, ald einer Braut bei Paus 
Linen erwarten ließ, fondern vorzuͤglich, weil er 
eine Entdedung fürchtete, die feine Leidenſcheft 
aus verzeiplicher Thorheit in ein furchtbar ent 
ſetzliches Verbrechen ummandelte. 

Markgraf Egbert hatte in fruͤhern Zr 
ten diefem Klofter ein theures Pfand anvertrat, 
die Fracht einer Liebe, die, fo mächtig die Lie 
beuden auch waren, doch vor ber noch mächtiger 
Kirche ewig verborgen bleiben mußte. Barer und | 
Mutter durften weder dem Kinde noch feine | 
Pflegern befaunt werden, und nur felten wagte | 
feldft der Markgraf auf feinen Zügen wie von ı 
ungefähr bei dem Kloſter zu verweilen, und um 
ter deſſen Zöglingen ſich das fdönfte Kind zum 
Liebling auszuwäßlen. Dann fchmeichelte er fd 
gern mit der Möglichkeit, daß bie Vorgezogene 
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefalk 
Ien angehdre. Seit dem letzten Beſuch aber fürd« 
tete er dad, was er fonft fo gern zu hören wänfchte, 
and er beflritt mit SHeftigkeit die Behauptung fo 
nes alten Dienerb, des einzigen Mitwiffers um 
jene Liebe, daß Pauline das Kind dieſes Go 
beimniſſes fey. Die Erage nach dem Name, ! 
unter welchemm dab Kind aufgenommen ward, | 





137 


Fhr, an wen Ihr mit Eurer Liebeswerbung Euch 
ga wenden habt. Indeſſen will ich Euch nicht 
verbergen , daß der Markgraf, Euer Bater, vor 
nicht langer Zeit unfer Klofter befucht, und reich“ 
lidy befchenkt hat. Damals hat er befonderes 
Wohlgefallen an Paulmen gefunden, und ihr fat 
värerlich zugefprochen , fie auch gegen jedermann 
{ehr gelobt, fo daB von ihm wol Fein Hinderniß 
zu fürchten ſeyn möchte. 

Dem Ritter war der Name Moriho fo 
unbekannt, als der Priorin. Er beſchloß, am 
Hofe des Kaiſers nad) ihm zu fragen, und 
die Priorin, welder der Sohn bed maͤchtigen 
thäringifchen Markgrafen ein willlommener ‘Bes 
werber um ihren Liebling war, geftattete ihm gern 
noch einige Zufammenktänfte unter ihren Augen 
mit Paulinen, und feguete ihre junge, fchöns 
aufblähende Liebe beim Abſchiede des Mitters 
mit den beften Eegenswünfchen und Gebeten, 

Während Ritter Werner am Hofe Kaifer 
Heinrichs Nachfrage nad dem Ritter Mo⸗ 
rich o hielt, fand ih Markgraf Egbert wies 
der in der Nähe des Klofters ein. Das MWohls 
gefallen an der jungen faft noch. Eindlichen Paus 
Lina, das die Yiorin für värerliche Zuneigung 
des bejahrten Mannes hielt, war von ganz ans 
derer Urt, Paulina's ſeltne Schönheit hatte 
das Herz des Markgrafen, zu der heißeften Liebe 





458 


entzänbet , bie er gleichwol tief in feinem Innern 
verbergen zu muͤſſen glaubte, nicht allein, weil 
der Unterfchied der Jahre ihn mehr die Geſin⸗ 
nung einer Tochter, ald einer Braut bei Pau⸗ 
linen erwarten ließ, fondern vorzüglich, weil er 
eine Entdedung fuͤrchtete, die feine Leidenſchaft 
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente 
ſetzliches Verbrechen ummanbdelte. 

Markgraf Egbert hatte in fruͤhern Zei⸗ 
gen dieſem Kloſter ein theures Pfand anvertraut, 
die Frucht einer Liebe, die, fo mächtig die Lie⸗ 
benden auch waren, boch vor der noch mächtigeren 
Kirche ewig verborgen bleiben mußte, Vater und 
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen 
spflegern bekannt werben, und nur felten wagte 
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie von 
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und uns 
ter deffen Zöglingen ſich das fchönfte Kind zum 
Liebling auszuwählen. Dann fchmeichelte er ſich 
gern mit der Möglichkeit, daß. die Worgezogene 
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefal⸗ 
len angehoͤre. Seit dem lebten Beſuch aber fürdhs 
tete er dad, was er fonft fo gern zu hören wuͤnſchte, 
und er beftritt mit Heftigkeit die Behauptung feis 
ned alten Dienerö, bed eitzigen Mitwiffers. um 
jene Xiebe, daß Panline das Kind diefed Ges 
heimniſſes ſey. Die Trage nach dem Namen, 
guter welchem das Kind aufgenommen ward, 


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— nd “.-_ - 





423 


fennte freffih ben Schleier. Heben; allein eben 
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens 
unter dieſem Schleier zu erblicken fuͤrchtete, ſcheute 
er die Beruͤhrung. Ungewißheit, Taͤuſchung lıber 
das Mögliche, war fein einziger Troft, denn Paus 
lina’s Bild war nun einmal jo tief in fein gan⸗ 
sed Leben verwebt, daß er es nicht ertragen . 
Tonnte, fie auderd, denn als feine Geliebte zu 
deuten, 
Lange fucht er vergebens diefe Neigung zu - 
verbergen, die ihm oft ald eine Räcyerin der früs 
hern verbosenen Liebe erſchien. Zuweilen aber 
gab eben dieſe Vorftellung feiner Leidenſchaft neue 
Nahrung, Er glaubte dem Geſchick nicht ents 
geben zu koͤnnen, und fo. wie er auf einer andern 
Seite von einem angefangenen Werke gewaltſam 
fortgeriflen wurde, fü fchien auch bier eine höhere 
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen ſein 
Widerfireben zu ihrem eigenen Ziele zu. leiten... 
Was dreimal, durch Rudolph, Drto und 
Hermann, den fdchfiichen und thüringifchen 
Fuͤrſten mißglücte, follte Markgraf Egbert 
ihnen erringen : Sreiheit von der verhaßten Ren 
gierung Kaifer Heinrichs. Die größre Zahl 
ber Zürften und Biſchoͤſe hatten dem Markg ra⸗ 
fen die deutſche Koͤnigskrone beftimmt, von Ron 
aus brachten Kardindle und Legaten dem beguͤn⸗ 
ſtigten kuͤnftigen Reichsoberhaupt, mit dem, apo⸗ 





140 


floliichen Segen, Verficherungen des Gelingens 
zu dem kuͤhnen Unternehmen, und Ablaß für jede 
vergangene oder zukünftige That, welche das Ges 
lingen fördern, oder um es gu fördern unternome 
men werde. Jedes Kleinod der Firchlichen Loͤſe⸗ 
und Bındegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl 
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur 
rafchen That anzufeuern, denn, daß eine verzeh⸗ 
rende Leidenfchaft, fein eigned Sehnen und Ente 
ſetzen, ihm unthärig um das Klofter treibe, muthe 
maßte Niemand. Sein Zögern galt für Unents 
fchloffenheit, gegen die man gern alle Verheie 
Bungen aufbot. 

Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm⸗ 
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn eine 
‚mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer 
Herzleid,, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗ 
bergen meint. Ihr liebt die fchöne Panline 
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, fore 
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt, 
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig. Wer weiß denn, 
ob gerade diefe Eure Tochter ift! 

Beftandeft Du nicht chedem ſelbſt darauf? 
fragte der Markgraf. 

Dad wol — entgegnete Benno — bin id 
aber doch kein Papſt, der nicht irren kann! Was 
man wuͤnſcht, fieht man leicht, und damals wuͤnſcht 
ich Euch das ſchoͤne Zränlein zur Tochter, 





14% 


Egbert ließ fich gern überreden. Er ber 
gab ſich des folgenden Tages zur Priorin, 
und erklärte ihr feine Ubficht mit Paulinen. 

Die Priorin, die ein naͤheres Verhaͤltniß 
ded Markgrafen zu Paulinen nicht ahn⸗ 
dete, entietzte fi) bloß vor dem Gedanken, Bas 
ter und Sohn als Nebenbupler zu ſehn, doch hielt 
fie es fuͤr rathſam, dem Markgrafen bie 


frühere Liebe feined Sohnes. zu verbergen. Sie, 
glaubte ihre gelichte Pflegetochter-wenigftens bis 


zu Werners Ruͤckkehr geſichert, wenn fie ſich 


auf die Entſcheidung des Ritters Moricho, als. 


Panlina’s Vater, berief ‚ ohne deffen Vorwiſ⸗ 
fen fie äber 'Paulina nichts verfügen duͤrfe. 
Egbert boͤrte mit Entfegen den Namen Mo 


ich o. Unter diefem Namen, den er feit feinen. 
Liebe zu hören und. zu nennen ſcheute, hatte er 


vormals Paulinen dem, Klofter anvertraut. 


Die -langgefürchtete Gewißheit ſtand nun auf eins. 


mal mit allen Schrecken vor ihm. Kaum vers 
mochr' e fo viel Befonnenpeit. zu fammeln, daß 
er gegen die Priorin feine heftige Bewegung 
wicht verrieth. Ich kenne den, Nitter Morich.o 
— erwiperte er mit erzwungenem Stolz — und 
werde ſehn, ob er dem, Markgrafen feine 
Tochter verfagt. 
. Werner, hatte inbefen vergebend am Hofe 
des Kaifers nach dem Ritter Moricho ges 


' 


—R 


152 


Priorin fenfzend — Möchten body mandye Große 
ed beberzigen! Doch, vergebt mir . . . 


Sprecht ohne Scheu — fuhr der Ritter fort 
— wer bat es nicht gefchen, daß bie herrliche 
deutſche Kaiferfrone, diefe glänze Sonne von Eus 
sopa, nicht in der Grafenburg Raum fand? Welch 
ein Mann war Rudolph, ch’ er nad) des 
Krone die Hand firedre! Welch ein edler, treffe 
licher Held. der Baierherzog Otto! Er nahm 
die Krone und ihre Laſt zerbrach ihm Herzogthum 
amd Leben. Der rechtlich baͤusliche Hermann 
leß fich vom Glanz verloden und zerriffen war 
das ſchoͤne Gewebe feines Lebens, verflört jebe 
Sreude aus feiner Burg, bis er ſelbſt das gefaͤhr⸗ 
liche Herrſcherkleinod in die Hände des Mächtis 
gen zuruͤckgab, bem es gebößrt, Und wie mans . 
Her ar 

Ihr brecht ab — ſprach die Priorin — ſo 
iſt es denn gegruͤndet, daß auch ber Markgraf 
von Thuͤringen ... 

Deſſen verlaͤumden ihn, ich hoff es, nur feine 
Seinde oder Neider — erwiderte ‚der Ritter ete 
was beitig. 

Gewiß nur diefe — toͤnte eine fanfte Stimme 
in der Nähe — und eine junge Nonne trat aus 
einer Seitenhalle — Sollten denn diefe unſeligen 
Unruben, die Deutfchland verwüften, ewig dauern ? 





133 
Der Ritter vergaß über der ſchoͤnen Er⸗ 
ſcheinung ſeine zuͤrnende Rede fortzuſetzen. 
Eine meiner Koſtgaͤngerinnen — ſagte die 


Priorin, auf die Herzugekommene deutend — 
Wie kommſt Du hieher, Pauline? 


Vergebt, ehrwuͤrdige Frau — antwortete dieſe 


— Ich detete hier in der Halle vor dem Mutter⸗ 
gottesbilde, aber Euer Geſpraͤch, dem ich zuhoͤrte, 


zog mir die Gedanken vom Gebet ab. Als Ihr 


von dem Bau der Kirche redetet, war es mir, 


als ſpraͤcht Ihr ein heimliches Wort aus meiner 


Seele. So erhoͤht und erweitert, ganz anders 
und doch ganz dieſelbe, ſah' ich dieſe Kirche im 
Traum, als ich zum erſtenmal hier gebetet hatte, 
ich ſtand am Altare des heiligen Kreuzes, als 
Braut herrlich geſchmuͤckt, und freute mich des 
ſchoͤnen Kirchenbanes. Den Traum hatte ich 
längft vergeflen, aber Eure Rebe rief ihn wieder 
vor mein Gedaͤchtniß. 

Iſt es nicht feltfiam — ſprach bie Prioriu 


— einen jungen Ritter, glei) einem baufundigen ' 


Meifter fprecyen zu hören ? 
Ei — entgegnete diefer — meinet Ihr, denn, 


ein Nitter folle bloß mit dem Schwerte drein 


ſchlagen? Iſt es doch nicht weniger zur Ehre 
Gottes, die dem Ritter das Hoͤchſte ift, wenn er 
Die Steine und Balken ordnet, daß fie, zum ſchoͤ⸗ 
nen Dom zufammengefügt, die Gemuͤther zur An⸗ 





134 


dacht wecken, und dad Kyrie und Gloria freubig 
wiederbalten, gleichwie die Steine um jenen from⸗ 
men Heiligen dad Amen. Mein Schwert ift da⸗ 
rum nicht müßig gewefen, aber, wie ich den 
Mittern die Streiche abzulernen ſuchte, fo harte 
ib auch Acht, was meine Andacht erwedte und 
lernte gern von den Meiftern in der Kunft, und, 
gon ihren wundervollen Werken. 

Während des Geſpraͤches führte die Priorin 

den Ritter weiter durch die Kirche und Hallen, 
und fragte ihn manches Über Malerei und Bilde 
werke. Auch Pauline fragte ihn viel und hörte 
nit Wohlgefallen feine Antworten, Als fie nun 
in eine Halle traten, blieb der Ritter mit fehr 
ernften Micnen vor einem Muttergotteöbilde ſte⸗ 
ben, und Teine Blide ruhten darauf wie anges 
beftet. 
Mit dieſem Bilde muͤßt Ihr Nachſicht haben, 
Herr Ritter, ſagte die Priorin laͤchelnd — Es 
iſt bloß ein Werk andaͤchtiger Liebe zur heiligen 
Mutter. 

Ich lag! Euch — erwiderte Werner — daß 
dieſes Bild eine der erſten Zierden Eures Kloſters 
iſt. Ihr dabt keines, das ihm gleiche. Es iſt 
noch neu, und ich bitt' Euch, nennt mir den Mei⸗ 
Ber, ber dieſes Wundeibild malte, daß ich zu ihm 


v⁊ . . 


Ihr fpottet wol — unterbrach bie Priorin 








155 

— dieſes Bild hat meine liebe Tochter Pauline 
gemalt. Du brauchft Dich Deiner Undacht nicht 
zu ſchaͤmen, mein Kind. Es war ein wälfcher 
Meiſter Hier, der ein Bild unirer Heiligen malen 
foüte, und weil Pauline zugegen war, ald er mir 
Droben feiner Kunft zeigte, fo beftand er darauf, 
ühr Angefiht für das Muttergottesbild abzumas 
Jen, aber meine fromme Tochter verweigerte ihm 
üpr Autlitz ſtandhaft, weil fie es für Frevel hielt, 
ihr Bild im Klofter zur Anbetung aufftellen zu 
offen, und weil der Maler nicht anders malen 
wollte, als nach ihrem Angeſicht, fo malte fie 
ſelbſt unter heißen bruͤnſtigen Gebeten dad Bild, 
welches Ihr ſeht. Wenn Ihr nun meinet, ed ſey 
gelungen, fo muͤſſen wir die Heilige preifen, wel⸗ 
che das Ziehen ihrer Magd erhöret hat, 


Der Ritter Tonnte nicht aufpdren, das Bild 
zu betrachten und zu preifen; als ihn aber Paus 
Jine noch manches fragte, worüber fie feinen 
Bath; begehrte, und deswegen ihren Schleier zu» 
shdtwerf, da konnte er die Augen nicht yon dem 
Binmlifchen AUngeficht wenden ,„ das ihn aus dem 
Schleier, wie ein Eugelötopf aus einer lichten 
Wolle entgegenblidte. Pauline bemerkte, in 
Fragen vertieft, fein Erſtaunen nicht; aber zu ber 
Priorin fprach der Ritter heimlich : der wälfche 
Maler hatte Hecht: das heiligfie Muttergottede 

\ 





436 


bild dat Pauline gebildet, aber als ſchonſte bifdete 
die Natur in Paulinen, 

Nach wenig Tagen fprad) : Ver Kite er. it 
dem Klofter wieder zu. Er entdedie der Brio 
rin bald, daß feit Paulinend Anblick eine unbe⸗ 
zwingliche Sehnfucht fein Herz erfülle; er fey der 
Sohn des thäringiihen Markgrafen Egbert, 

. und wenn Pauline fi) nicht unwiderruflich dem 
Klofter verlobt habe, fo fey er Willens, fie zu 
ſeiner Hausfrau zu erwaͤblen. 

Kür mich ſelbſt, Herr Ritter — erwiderte die 
Priorin — würde ih Euch jede Hoffnung gern 
zuſagen, denn Pauline, wie Ihr ſchon vernom⸗ 
men habt, iſt weder Nonne, noch Novize, ſon⸗ 
dern meinem Klofter nur zur Pflege und Erzie⸗ 
bung anvertraut. Wer aber ihre Veltern feyen, 
und ob fie von ihnen dem geiftlichen Stande bes 
flimmt fey, das ift mir felbft ein Geheimniß. Der 
Mann, von dem ich fie erhielt, fagte mir kloß, 
fie fey die Tochter eines fehr vornehmen und reie 
en Ritters, mit Namen Mor icho. Die Sum⸗ 
men, welche mir jährlich für biefed Kind ausgee 
zahlt werden, bezeigen allerdings den Reichtum 
des Waters. Wer aber diefer Moricyo fep, und 
warum er. fein Kind, dad ihm ſo lieb ſcheint, fo 
fern von ſich erziehn läßt, das bat mir noch Nies 
mand Fund gemacht. Kennt hr man vieleicht 
water ben Rittern einen dieſes Namens, ſo wißt 


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137 


She, an wen Ahr mit Eurer Liebeswerbung Euch 
gu wenden habt. Indeſſen will idy Euch nicht 
verbergen , daß der Markgraf, Euer Vater, vor 
nicht langer Zeit unfer Klofter beſucht, und reiche 
lich befchentt hat. Damals bat er befonderes 
Wohlgefallen an Paulmen gefunden, und ihr faſt 
väterlich zugefprochen , fie auch gegen jedermann 
fehr gelobt, fo daß von ihm wol kein Hinderniß 
zu fürchten ſeyn möchte, 

Dem Ritter war 'der Name Moriho fo 
unbelannt, ald der Priorin. Er befhloß, am 
Hofe des Kaiſers nad) ihm zu fragen, und 
die Priorin, welcher der Sohn des mächtigen 
thäringifchen Markgrafen ein willlommener Bes 
werber um ihren Liebling war, geftattete ihm gern - 
noch einige Zufammenkänfte unter ihren Augen 
mit Panlinen, und fegnete ihre junge, ſchoͤn⸗ 
aufblähende Liebe beim Ubfchiede des Ritters 
mit den beften Segenswuͤnſchen und Gebeten. 

Mäprend Mitter Werner am Hofe Kaifer 
Heinrichs Nachfrage nach dem Ritter Mo⸗ 
sido hie, fand fh Markgraf Egbert wies 
der in der Nähe ded Klofters ein. Das Wohls 
gefallen an der jungen faft noch Eindlichen Paus 
Line, das die Piorin für vaͤterliche Zuneigung 
des bejahrten Mannes hielt, war von ganz ans 
derer Art, Panlina’s felme Schönheit hatte 
das Herz des Markgrafen zu der heißeſten Liebe 


438 


entzündet, die er gleichwol tief in feinem Innern 
verbergen zu muͤſſen glaubte, nicht aflein, weil 
der Unterfchied der Jahre ihn mehr die Gefine 
mung einer Tochter, ald einer Braut bei Paus 
linen erwarten ließ, fondern vorzüglich. weil er 
eine Entdeckung fürchtete, die feine Leidenfchaft 
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente 
fegliches Verbrechen ummanbdelte. 

Markgraf &gbert hatte in frähern Zei⸗ 
ten dieſem Klofter ein theures Pfand anvertraut, 
die Fracht einer Xiebe, die, fo mächtig die Lie⸗ 
beuden auch waren, doch vor ber noch mächtigeren 
Kirche ewig verborgen bleiben mußte. Vater und 
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen 
Pflegern befanut werden, und nur felten wagte 
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie vom 
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und uns 
ter deffen Zöglingen ſich das ſchoͤnſte Kind zum 
Liebling auszuwaͤhlen. Dann ſchmeichelte er ſich 
gern mit der Möglichkeit, daß die Worgezogene 
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefals 
len angehdre. Seit dem letzten Beſuch aber furch⸗ 
tete er bad, was er ſonſt fo gern zu hoͤren wänfchte, 
and er beftritt mit Heftigkeit die Behauptung feis 
nes alten Dieners, des einzigen Mitwiffers um 
jene Liebe, Daß Panline das Kind dieſes Ges 
heimniſſes ſey. Die Frage nach dem Namen, 
unter welchem das Kind, aufgenommen ward, 


439 


donnte freilich ben Schleier. heben; allein eben 
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens 
unter dieſem Schleier zu erblicken fuͤrchtete, ſcheute 
er die Berührung. Ungewißheit, Taͤuſchung uͤber 
das Moͤgliche, war ſein einziger Troſt, denn Pau⸗ 
lina's Bild war nun einmal io tief in fein gan⸗ 
zes Leben verwebt, daB er es nicht ertragen . 
Tonnte, fie gnders, denn als feine Geliebte zu 
denken. 
Lange ſucht' er vergehens dieſe Neigung zu 
verbergen, die ihm oft als eine Raͤcherin der fruͤ⸗ 
hern verbotenen Liebe erſchien. Zuweilen aber 
gab eben dieſe Vorſtellung feiner Leidenſchaft neue 
Nahrung. Er glaubte dem Geſchick nicht ent⸗ 
gehen zu koͤnnen, und ſo wie er auf einer andern 
Seite von einem angefangenen Werke gewaltſam 
fortgeriſſen wurde, fo ſchien auch hier eine höhere 
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen. ſein 
Widerſtreben zu ihrem eigenen Ziele zu leiten. - 
Was dreimal, durch Rudolph, Dito und 
Hermann, den ſaͤchſiſchen und thüringifchen 
Fürften mißglüdte, follte Markgraf Egbert 
ihnen erringen : Freiheit von der verhaßten Re⸗ 
gierung Kaiſer Heinrichs. Die arößre Zahl 
der Zürften und’ Biſchoͤfe hatten dem Markg ra⸗ 
fen die deutſche Koͤnigskrone beftimmt, von Kom 
aus brachten Kardindle und Legaten dem beguͤn⸗ 
ſtigten kuͤnftigen Reichsoberhaupt, mit dem apos 





140 


ſtoliſchen Segen, Berficherungen bes Gelingens 


zu dem kuͤhnen Unternehmen, und Ablaß für jede 
vergangene oder zufünftige That, welche das Ger 


lingen fördern, oder um es gu fördern unternoms | 


men werde. Jedes Kleinod der kirchlichen Loſe⸗ 
und Bindegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl 
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur 
rafchen That anzufeuern,, denn, daß eine verzche 
rende Leidenfchaft, fein eigned Sehnen und Ente 
ſetzen, ihn unthätig um das Klofter treibe, muth⸗ 
maßte Niemand. Sein Zögern galt für Unents 
fchloffenheit, gegen die man gern alle Verheis 
Bungen aufbot. 

Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm 
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn eins 
‚mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer 
Syerzleid,, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗ 
bergen meint. Ihr liebt die ſchͤne Panline 
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, fore 
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt, 
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig Wer weiß denn, 
ob gerade diefe Eure Tochter ift! 

Beftandeft Du nicht chedem felbft darauf? 
fragte der Markgraf. 

Dad wol — entgegnete Benno — bin id) 
aber doch ein Papſt, der nicht irren fann! Was 
man wuͤnſcht, fiebt man leicht, und damals wuͤnſcht 
ich Euch das fchöne Fräulein zur Tochter, 





144 


Egbert ließ fi) gern überreden. Er bes 
gab fich des folgenden Tages zur Priorin, 
und erklärte ihr feine Abficht mir Paulinen. 

Die Priorin, die ein näheres Verhaͤltniß 
des Martgrafen zu Paulinen nicht ahn⸗ 
dete, entletzie fih bloß vor dem Gedanken, Va⸗ 
ter und Sohn als Nebenbuhler zu fehn, doch hielt 
fie es für-ratbfam, dem Markgrafen bie 
frühere Liebe jeined Sohnes zu verbergen. Sie, 
glaubte ihre geliebre Pflegetochter -wenigftens bis 
zu Werners Ruͤckkehr geſichert, wenn fie ſich 
auf die Entſcheidung des Ritters Morich o, als 
Paullina's Vater berief, ohne deſſen Vorwiſ⸗ 
fen fie über Paulina nichts verfügen duͤrfe. 
Egbert hörte mit Entſetzen den Namen Mor 
sicho,, ‚Unter dieſem Namen, den er feit feinen. 
Liebe zu hören und zu nennen fcheute, hatte ey 
vormals Paulinen dem Klofter anvertraut, 


Die langgefuͤrchtete Gewißheit ſtand nun auf eins. 


mal mit allen Schrecken vor jhm. Kaum vers 
woche" er ſo viel Belonnenheit zu ſammeln, daß 
er gegen die Priorim ſeine heftige Bewegung 
nicht verrieth. Ich kenne den Ritter Moricho 
— erwiderte er mit erzwungenem Stolz — und 
werde ſehn, ob er dem, Markgrafen feine 
Tochter verfagt. 

Werner, hatte indeffen vergebend am Hofe 


des Raifırs nach dem Mitter Moricho ges 


[4 


fragt. Niema 
. geringem Gluͤ 
‚ beru Fürften. 
Suchens z0g 
überzeugt, t 
Aufzufinden 
die Tochter 
Er faı 
Merniß, d 
kung ihre 
was beı 
ſcheinlid 
richo 
vielleic 
benn 
ſo w 
Pa: 
war 
rett 
ed 
. 8 
& 
% 








u 


143 


Auf Markgraf Egbert war inbeffen dee 
längft ihm drohende Streich gefallen. Befangen 
in feiner wilden Leidenſchaft, vergaß er die Bes 
fonnendeit und Thaͤtigkeit, welche auf feinem Weg 
zum deutſchen Kaiferthron nöthig war. Mangel 
on Infammenhang war ‚jest in feinen Plänen, 
Säumniß oder Mebereilung flörten ihre Ausfühs 
rung. Die Verbündeten verloren das Vertrauen, 
mehre verließen ihn. ’ Fetzt in dem entfcheidenften 
Augenblick ſprach auch der Kaifer Die Acht über 
den Empoͤrer. Unficher, oft nur von ıpenig-NMeis 
figen begleitet, zog der Markgraf jest von 
Burg zu Burg umher, und fuchte mit den we⸗ 
nigen ihm noch treuen WVerbündeten mehr dent 
Untergange zu entgehen, als das flolze Ziel feis 
ned Strebens zu erreichen, Werner fuchte dent 
Geaͤchteten, Klüchtigen vergebens, Nach langent 
Umberziehen befchloß er endlich zu dem Aufent⸗ 
halt feiner geliebten Pauline zuruͤckzukehren, ents 
ichloffen, fie zu befigen, fen e8 durch Beiſtimmung 


. der Priorin, oder durch Gewalt. Briefe Paus 


linens machten ihm zu dem erſtern Hoffnung, 
denn die gebrochene Macht des Geächteten hob 
die Surcht vor dem vormald gewaltigen Marks 
grafen, und die Priorin zeigte jetzt Pau⸗ 
linen felbft frohere Ausfichten in die Zukunft. ' 

Voll der fchönften Hoffnungen zog nun Wer: 
ner nach dem Klofter, aber weinend und trofts 


14 


los dam fm die Priorim entgegen. Bitter 
Moricho hatte einen Boten gefendet, der Paus 
linen ihrem Water zuführen follte. Vergebens 
hatte die Priorim jedes Mittel verfuchr, der 
Auslieferung ihred Lieblings auszuweichen, der 
Vote war mit zu glaubwürdigen und unzweifel⸗ 
baften Zeugnifjen verfehen, daß berfelbe Bitter 
ihn fende, der einft, Paulinen dem Klofter übers 
geben hatte, fie mußte endltch nachgeben. Ihren 
Kummer erhöhte noch bie Urigewißpeit aͤber Paus 
lina's Zukunft, denn ber Bote verſchwieg als 
ein tiefes Wepeimniß den Ort, . nach weichem er 
feine Reife richtete. 

Werner wuͤtete, als er biefe Radhrichten ver⸗ 
nahm. Er forſchte bei allen Umwohnern des Klo⸗ 
ſters nach dem Wege, den Paulina's Entführer 
genommen habe; vergebens: Niemand wußte et⸗ 
was Beſtimmtes nachzumeifen, Auf eine ſchwache 
MWahrfcheinlicpkeit bauend, daß der Weg nad 
Braunſchweig zu gewählt worden fey, fammelte 
er feine Leute, dieſe Spur zu. verfolgen, aber 
kaum traute er feinen Augen, ald cr jegt Pa us 
Unen felbft, begleitet von einigen Landleuten, 
dem Kloſter zueilen ſah. 

Meberrafcht und entzuͤckt ffog er der Gelichten 
entgegen, aber abgewendet und mit allen Zeichen 
des Grauens wies ihn Pauline zuruͤck. Zlieh, 
Ungluͤclicher! — rief ſie ihm zu — flich weit 


⸗ 


143 


son wir! und fühneller Tod faffe mich, ed ich 
jemals Dich wiederſehe. 

Starr vor Schrecken ſtand der Betroffene; und 
Pau line floh abgewendet vor ihm vorüber in die’ 
Arme ihrer mütterlichen Zreundin Klara, -- - 

. 10, a 

Die Fremde wurde Bier von einer ſchmerzli⸗ 
Ken Bewegung ergriffen. Ihr Befireben, fie. zw. 
unterbräden, verrietb noch mehr den Eindruck, 
den die Ergählung auf fie zu machen ſchien. Sch 
hielt deswegen mit Leſen ein, und ihre Begleite⸗ 
rin näßerte ſich ihr mit Zeichen der Beſorgniß. 
Allein fie wies diefe mit dankbarem Lächeln zus 
rüd, dann bat fie mich fortzulefen. Men -follte 
— feste fie hinzu — mit dergleichen raſchen Vor⸗ 
ſaͤtzen nicht freveln, und Srevel bleibt. immer je⸗ 
bed Geluͤbd, auch das Hriligſte. Ich ahnde, auch 
Pauline wird dieſen Frevel büßen, und gluͤck⸗ 
ih genug, büßer fie ihn nur durch Tod, und 
nicht durch herbere Schmerzen. 

Sie ſprach diefe Worte mit erhöhter Anfrens 
gung und legte am Schluß, wie ermattet, Dem 
Arm um den Hals ihrer Freundin, 

Sie find zu fireng — fagte Amalie, ım 
den Ernſt des Augenblided etwas zu mildern — 
Sie vergeflen daß es Augenblide giebt, wo dem 
geängfieten, verftörten Gemuͤth Fein Troſt bleibt, 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, K 


— —— — — 


438 


entzändet, die er gleichwol tief in feinem Inuern 
verbergen zu möffen glaubte, nicht allein, weil 
der Unterfehied der Jahre ihn mehr bie Gefine 
nung einer Tochter, ald einer Braut bei Pau⸗ 
Linen erwarten ließ, fondern vorzüglich, weil er 
eine Entdedung fuͤrchtete, die feine Leidenſchaft 
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente 
fegliches Verbrechen umwanbelte. 

Markgraf Egbert hatte in frähern Zei⸗ 
ten diefem Klofter ein theures Pfand anvertraut, 
die Fracht einer Xiebe, die, fo mächtig die Lie⸗ 
benden aud) waren, doch vor ber noch mächtigeren 
Kirche ewig verborgen bleiben mußte, Vater und, 
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen 
Pflegern bekannt werben, und nur felten magte 
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie vom 
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und una 
ter deffen Zöglingen ſich das ſchoͤnſte Kind zum 
Liebling auszuwählen. Dann ſchmeichelte er ſich 
gern mit der Möglichkeit, daß die Worgezogene 
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefals 
len angehdre, Seit dem legten Beſuch aber fuͤrch⸗ 
tete er das, was er fonft fo gern zu hören wünfchte, 
amd er beflritt mit Heftigkeit die Behauptung feis 
nes alten Dienerd, de einzigen Mitwiflers um 
jene Liebe, daß Panline das Kind dieſes Ges 
heimniſſes ſey. Die Trage nach dem Namen, 
unter welchem das Kind aufgenommen ward, 


429 


Ionnte freilih den Schleier. Heben; allein eben 
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens 
uuter diefem Schleier zu erbliden fuͤrchtete, ſcheute 
er die Berührung. Ungewißbeit, Täufchung tiber 
das Mögliche, war fein einziger Troft, denn Pau⸗ 
lina’s Bild war nun einmal io tief in fein gan⸗ 
zes Leben vermwebt, daß er es nicht ertragen . 
Tonnıe, fie guderd, denn als feine Gelichte zu 
denken. 
Lange ſucht' er vergebens dieſe Neigung zu 
verbergen, die ihm oft als eine Raͤcherin der früs 
ern verbotenen Liebe erichien. Zuweilen aber 
gab eben dieſe Vorſtellung feiner Leidenſchaft neue 
Nahrung, Er glaubte dem Geſchick nicht ente 
geben zu können, und fo wie er auf einer andern 
Seite von eınem angefangenen Werke gewaltſam 
fortgeriffen wurde, fa fchien auch hier eine höhere 
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen ſein 
Widerſtreben zu ihrem eigenen Ziele zu leiten. 
Was dreimal, buch Rudolph, Drto und 
Hermann, den fähfiichen und thüringifchen 
Fuͤrſten mißglüdte, follte Martgraf Egbert 
ihnen erringen : Freiheit von der verhaßten Res 
gierung Kaiſer Heinrichs. Die größre Zahl 
Der Kürften und Biſchoͤfe hatten dem Markg ra⸗ 
fen die deutſche Konigskrone beftimmt, von Rom 
ans brachten Kardindle und Legaten dem begüns 
figten Lönftigen Reichéoherhaupt, mit dem apo⸗ 


140 


ſtoliſchen Segen, Verfiherungen des Gelingens 
zu den fühnen Unternehmen, und Ablaß für jede 
vergangene oder zufünftige That, welche dad Ger 
lingen fördern, oder um es gu frdern unternoms 
men werde. Jedes Kleinod der kirchlichen Loſe⸗ 
und Bındegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl 
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur 
rafchen That anzufeuern, denn, daß eine verzeh⸗ 
rende Leidenſchaft, fein eigned Sehnen und Ente 
fegen, ihm unthärig um das Klofter treibe, muthe 
marfte Niemand, Sein Zögern galt fhr Unent⸗ 
ſchloſſenheit, gegen die man gern alle Verheie 
Bungen aufbot. 

Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm⸗ 
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn ein⸗ 
mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer 
Herzleid, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗ 
bergen meint. Ihr liebt die fhöne Panline 
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, for⸗ 
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt, 
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig Wer weiß denn, 
ob gerade diefe Eure Tochter ift! 

Beftandeft Du nicht ehedem ſelbſt darauf? 
fragte der Markgraf. 

Das wol — entgegnete Benno — bin id 
aber doch kein Papft, der nicht irren ann! Was 
man wänfcht, fieht man leicht, und Damals wünfcht” 
ich Euch das ſchone Fraͤulein zur Tochter, 


Eurer seen 


144 


Egbert ließ fi) gern überreden. Er bes 
gab fi) des folgenden Tages zur Priorin, 
‚ und erlärte ihr feine Ubficht mit Paulinen. 

Die Priorin, bie ein näheres Verhaͤltniß 
bed Markgrafen zu Paulinen nidt ahn⸗ 
dete, entiggie fi) bloß nor dem Gedanken, Va⸗ 
ter und Sohn als Nebenbuhler zu ſehn, doch hielt 
fie es für rathſam, dem Markgrafen bie 
frühere Liebe ſeines Sohnes zu verbergen. Sie, 
glaubte ihre gelichte Pflegerochter wenigſtens bis: 
zu Werners Ruͤckkehr gefichert,, wenn fie fich 
ouf die Enticheidung des Ritters Moridyo, als 
Paulina’s Vater, berief, ohne deſſen Vorwiſ⸗ 
fen fie uͤber Paulina nichts verfuͤgen duͤrfe. 
Egbert, boͤrte mit Entſetzen den Namen Moe 
rich o. Unter dieſem Namen, den er feit feiner. 
Liebe zu bören und. zu nennen fcheute, hatte er 
vormals Paulinen dem Klofter anvertraut, 
Die langgefuͤrchtete Gewißheit fand nun auf eins. 
mal mit allen Schrecken vor jhm. Kaum vers 
mocht' er: ſo viel Belgnnenpeit, zu ſammeln, daß 
er gegen die Priorim ſeine hefiige Bewegung 
nicht verriet. Ych'.kenne den Ritter Moricho 
— erwiperte er —F erzwungenem Stolz — und 
werde ſehn, ob er dem Markgrafen ſeine 
Tochter verſagt. 

Werner hatte indeſſen vergebens am Hofe 
des Kaiſers nach dem Ritter Moricho ge⸗ 





122 


fragt. Niemand gab ihm Auskunft. Mit gleich 
geringem Gluͤck forſchte eı an bem Hodfen der ans 

‚ deru Fuͤrſten. Weberbrüffig des längen vergeblichen 
Suchens zög er nad) Panlinens Kloſter zurick, 
überzeugt, daß der Moricho, der fhr ihn nicht 
aufzufinden war, eben fo wenig erfcheinen werde⸗ 
die Tochter zuruͤckzufordern. 

Er fand die Priorin in bhchſter Belkniz 
wmerniß, doch fuchte er vergebens, fie zur Entdek⸗ 
kung ihres Kummers zu bewegen. Sie ſchien et⸗ 
was berubigt, als er alle Gründe der Wahr⸗ 
ſcheinlichteit aufbot, ihr zu beweilen, Ritter Mo⸗ 
richo muͤſſe verſchollen, ober in fremdem Lande, 
vielleicht gegen die Unglaͤubigen, geblieben ſeyn; 
denn fo konnte fie boffen, daß der Markgraf 
ſo wenig als fein Sohn bie Zuſtimmung bot 
Paulina’d Vater erbalten werbe, und dann 
war wenigſtens die Hoffnung, ihren Liebling zw 
reiten, nicht auf einmal vernichtet. Doch hielt ſie 
es nicht für gur, bem Sohne die Neigung ! feines 
Vaters zu Paulinen’zu entbeden. "Um ihn zu 
entfernen, beichwor fie Ihn nochmalsden Mitten 
Moricho aufzufuchen, aber Werner; "unges 
duldig über die Hinderniffe; die feiner Liebe fich 
Entgegen ſtellten, und felßft unzufriedeit mit det 
Bedenklichkeiten der Priorin, eilte, feinen Va⸗ 
ter aufzuſuchen, imd von ihm Rath und Beiſtand 
iu begehren, 


145 


Huf Markgraf Egbert war indeffen der 
längft ihm drohende Streich gefallen. Befangen 
in feiner wilden Leidenſchaft, vergaß er die Ben 
fonnendeit und Thätigfeit, welche auf feinem Weg 
zum bdeutfchen Kaiferthron nöthig war, Mangel 
an Znfammenkang war ‚jet in feinen Plänen, 
Saͤumniß oder Uebereilung flörten ihre Ausfühs 
rung. Die Verbündeten verloren das Vertrauen, 
mehre verließen ihn.' Fetzt in dem entfcheidcnften 
Augenblick ſprach auch der Kaifer die Acht über 
den Empoͤrer. Unficher, oft nur von wenig Rei⸗ 
figen begleitet, zog der Markgraf jeut von 
Burg zu Burg umher, und fuchte mit den we⸗ 
nigen ihm noch treuen Verbündeten mehr dem 
Untergange zu entgehen, als das ftölze Ziel feis 
ned Strebens zu erreichen, Werner fuchte dei 
Geaͤchteten, Fluͤchtigen vergebend, Nach langent 
Umherziehen beichloß er endlich zu dem Aufent⸗ 
halt feiner geliebten Pauline zuruͤckzukehren, ents 
ichloffen, fie zu befigen, fen e8 durch Beiftimmung 
. der Priorin, oder durch Gewalt. Briefe Paus 
linens machten ihm zu dem erſtern Hoffnung, 
denn die gebrochene Macht des Geaͤchteten hob 
die Zurcht vor dem vormals gewaltigen Mark⸗ 
grafen, md die Priorin zeigte jet Pau⸗ 
linen felbft frohere Ausſichten in die Zukunft. ' 

Bol der ſchoͤnſten Hoffnungen zog nun Wer: 
ner nach dem Kloſter, aber weinend und trofts 


148 


los kam ihm die Priorin entgegen. Mitter 
Moricho hatte einen Boten gefendet, der Pau⸗ 
linen ihrem Water zuführen ſollte. Vergebens 

" hatte die Priorim jedes Mittel verfucht, der 
Auslieferung ihred Lieblings auszuweichen, der 
Bote war mit zu glaubwürdigen und ungweifels 
bafıen Zeugniffen verfehen, daß derfelbe Mister 
ihn fende, der einft, Paulinen dem Klofter über» 
geben hatte, fie mußte enditch nachgeben. Ihren 
Kummer erhöhte noch die Ungewißheit äber Pau⸗ 
lina's Zukunft, denn der Bote verichwieg als 
ein tiefed Beheimniß den Ort, nad. welchem er 
feine Reiſe richtete. 

Werner wuͤtete, als er diel⸗ Nachrichten ver⸗ 

nahm. Er forſchte vei allen Umwohnern des Klo⸗ 
Berd nach dem Wege, den Pauline ‘8 Entführer 
genommen habe; vergebens: Niemand wußte et⸗ 
was Beſtimmtes nachzuweiſen. Auf eine ſchwache 
MWahrfcheinlichleit bauend, daB der Weg nach 
Braunfchweig zu gewählt worden fey, fammelte 
er feine Xente, diefe Spur zu. verfolgen, aber 
kaum traute er feinen Augen, als cr jetzt Pa us 
Linen felbft, begleitet von einigen Landleuten, 
dem Kloſter zueilen ſah. 

Mcherrafcht und entzüdt flog er der Geliebten 
entgegen, aber abgewendet und mit allen Zeichen 
des Grauens wies ihn Pauline zuruͤck. Flieh, 
Ungluͤcklicher! — rief ſie ihm u — flieh weit 





4‘ 


143 


von mir! und fchneller Tod fafe mich, % ich 
jemals Dich wiederſehe. 

Starr vor Schrecken ſtand der Betroffene; und 
Yankine floh abgewendet vor ihm vorüber in die’ 
Arme: ihrer möütterlichen Freundin Klara, : 


8 10. t 

Die Fremde wurde Bier vom einer fchmerzlis: 
hen Bewegung ergriffen, Ihr Beſtreben, fie. zu. 
unterdruͤcken, verrietb noch mehr den Eindruck, 
den bie Ergäplung auf fie zu machen ſchien. Sch 
hielt deswegen mit Leſen ein, und ihre Begleite⸗ 
rin naͤherte fich ihr mit Zeichen der Beſorgniß. 
Allein fie wies diefe mit dankbarem Lächeln zu. 
rad, dann bat fie mich fortzuleſen. Man -follte 
— fette fie Hinzu — mit dergleichen rafchen Vor⸗ 
fügen nicht freveln, und Srevel bleibt. immer je⸗ 
des Geluͤbd, auch das Hriligſte. Ich ahnde, auch 
Pauline wird dieſen Frevel buͤßen, und glück⸗ 
lich genug, buͤßet fie ihn nur durch Tod, und 
nicht durch herbere Schmerzen. 

Ste ſprach diefe Worte mit erhöhter Anſtren⸗ 
gung und legte am Schluß, wie ermattet, den 
Arm um den Hals ihrer Freundin. 

Sie find zu ſtreng — fagte Amalie, um 
den Ernft des Nugenblides etwas zu mildern — 
Sie vergeflen Daß es Augenblide giebt, wo dem 
geängfteten, verfidrten Gemüth kein Troſt bleibt, 

Sefpenfterbun. 5. Theil. K 


— 


146 


als ſich mit unzerreißlichen Bandes des Geläbhene 
feft und immer fefter um das Heilige zu ſchlingen. 

O, ich kenne dad Lockende diefer heiligen Ver⸗ 

y fuhung — erwiderte die Fremde — ber dad Ge⸗ 
muͤth nur zu leicht erliegt! Da vergißt ed, daß 
es frevelhafte Anmaßung ift, die truͤgeriſche Eins 
ficht des Augenblides, durch unverlegliche Heilige 
keit des Geluͤbdes zu ewiger Wahrheit zu ſtem⸗ 
peln, und gewiß, niemals bleibt folcher zrevei 
ungeſtraft! 

Sie ſind doch zu ſtreng — wiederholte Am a⸗ 
Lie‘ — Tann wol ein Geluͤbd das Rechte und Gute 
zu thun, jemals auf träglicher Einficyt berußn ? 

Gewiß niemald — antwortete Jene mit weis 
chem umb dennoch überzeugend feftem Ton — Das 
Gute bleibt ewig gut, aber nicht immer derſelbe 
Weg zu dem guten Ziele, 

Sie neigte fich bei dieſen Worten mit einem 
Ieffen Kuß zu Amalien, dann, gegen mich 
gewendet, winkte fie mir weiter zu leſen. 

Ich fuhr in der Erzählung fort: 

- - Un einem ftörmifchen Abend faß Markgraf 
Es bert, flächtend vor feinen Verfolgern, voll 
büfterer Verzweiflung in der Mühle zu Eifenbüts 
sel, Benno und ein Mönch faßen neben ihm, 
und der Müller fpähte Draußen und von dem Dad) 
ber Mühle, ob die Straße ruhig, und fein erlaudye 
ter Saft bei ihm ſicher fey. Zuweilen famen einz ' 





seine Wanderer und begehrten Einlaß, die erzäpls ' 
ten dann, unlundig, vor wem fie fprachen, dem 
forſchenden Mönch von der Acht gegen den Marks 
grafen, und wie einer der Fürften nach dem 
andern von ibm abfalle, weil fie die Reichsacht 
(deuten, und der Markgraf in feiger Unents 
ſchloſſenheit die Zeit zum Handeln verfäune, Er 
joll, ſetzte mancher hinzu, am Gemuͤth leiden, und 
feiner Sinne nicht ganz mächtig ſeyn. Sa wol, 
ja wol! hörte man dann den Markgrafen tief 
und kummervoll fenfgen, denn. ihm war zuweilen, 
ls durchſchaure jhn eine Ahndung von nahem 
Wahnfinn, und ald mäfle er-fich abmühen, zu 
unterfcheiden, ob der Wahn noch Zünftig fen, ober 
vielleicht gar ſchon angefange feine ‚Mebanten zu 
umipinnen. Den Wanbrern warb dann unbeims 
lich bei feingm bangen Seufzen und.fie gingen 
lieber in die ſtuͤrmiſche Nacht hinaus, ala daß fie 
mit dem trüben Gaft -in derſelben Herberge ver⸗ 
weilten. 


Spät in ber Nacht kam noch ein Reifiger, 
und erzaͤhlte neue Ungluͤckbotſchaft. Die Marks 
graͤflichen waren von neuem theils geſchlagen wor⸗ 
den, theils zu dem Kaiſer uͤbergegangen. Wer 
kaun's ihnen verargen — ſetzte der Erzaͤhler hin⸗ 
zu — Markgraf Egbert kann Kaiſer 
Heinrichen nichts nbaben, 1 werig wie 

2 





148 


Otto, und Rudolph und Hermann es 
konnten. Das hätten die Fürften vorherfehen können, 

Der Moͤnch forderte Erläuterung. 

Denkt Ihr denn nicht mehr an die Prophes 
zeifung — fagte Jener — Ich hab's bi Rus 
dolph zuborgeiagt und bei Dtto, und nun’ 
auch bei dem Markgraf, das iſt alles puͤnkt⸗ 
lich zugetroffaae. 

Was meint Ihr denn? — Masten Bean o 
und der Mönch. 

Nun, was alle Welt wei ,. wenigſtens in 
Waͤlſchland — erwiderte der Reiſtige — Da bat 

ein prophetiſch Weib Kaiſer Heinrichen ges 
6 daß kein Feind ihn beſiegen koͤnne, der 
nicht zugleich die Natur in ungeheurem ‚Srevel 
erzümt, Warum vermochte denn Hildebrand 
allein über Heinrihen? Weil der einen Bund | 
mit dem Boͤſen Hatte. Das war der. Frevel wis 
der die Natur: Menn der Markgraf nicht 
auch foldye Zeufelei treibt, oder ähnliche Dinge, 
fo paßt auf ihn die Weiffagung nicht. Er richtet 
nichts aus gegen Heinrichen. | 

Der Markgraf hatte den Sprecher waͤh⸗ 
vend feiner legten Diede ſtarr angefehen: Jene 
MWeiffagung war ihm früher bekaunt geweſen, als 

lein er hatte ihrer nicht geachtet. Fett im Aus 
genblide der Entfdyeidung Hang‘ fie voll tiefer, 
furchtbarer Bedeutung ihm entgegen, Mit einem 


De 





| 





149 


ungeheuern Gelächter, als habe ein wilder Geiſt 
fein Innres verkehrt, und auf einmal jede from⸗ 
me RMegung in ihm zu einer fratgenhaften Larve 
auni geſtaltet, fprang er auf — Ei Burfh! — rief 
er, und feine Stimme kreiſchte widerlidd — vers 
ſtebſt Du Di auf Zeufelcien? Fort, hinaus! 
hier iſt Dein Platz nicht, ich bin Dein Meifter ! 

Der Reifige ladhte fo wild wie der Marks 
graf, ſchuͤttelte diefem die Hand, pfiff ih dann 
ein Schelmenlied und ging hinaus, 

Antworte mir — fprach jet der Markgraf: 
zum Moͤnche — Giebt's größere Sünde,. als 
Die der ſchlechte Geſell nannte ? 

Hilf Here! — erwiderte der Moͤnch — von 

"allen Sünden iſt dieje die entſetzlichſte. 

Giebt's Ablaß für fie? fragte der Markgraf 
weiter, und zitteste in der. Frage, als verließ ihm 
bie letzte Kraft, Er hielt fi) an des Mönches 
Schulter, | 

Dieſe Macht hat kein Prieſter in der Welt — 
antwortete der Mönch. 

‚Der Markgraf fchauderte zufammen. Mühs 
ſam erhielt er fich aufrecht. Er ftarıte den Möndy 
mit wilden Bliden an. Auch der heilige Vater 
nicht? fragte er, und der grelle Ton der Ver⸗ 
" zweiflung hallte fchwirrend von ben Wänden des 
Zimmers zuruͤck. 


Der Mönch faltete die Hände, — Der per 


w 


130 


Nge Vater — ſprach er — idſet von jeder Suͤnde, 
fo glauben mir. . 

Alfo noch ficherer don den geringern, — rief 
der Markgraf mit graͤßlichem Frohlocken, und 
feine Augen flammten wie Blide umher — Hab’ 
ich doc) Ablaß Für Alles, was das Werk fördert, 
für Alles, Alles ! 

Er ging bie Nacht durch in der heftigften Be⸗ 
wegung umher, und die einzelnen Worte, die er 
dann und want, unterbrochen von wildem Ges 
lachter ausftieß, beftätigten die Bermuthüng Bens 
no's, daß Leidenſchaft und Unglüd feines Herrn 
Gemüth zerrätter habe. Mit der Morgendäms 
merung Tamen indeſſen günftigere Nachrichten. 
Die zerfireuten Truppen hatten fi) gefammelt, 
tin fremder Reifiger hatte die Tapferkeit und 
Entſchloſſeuheit des Markgrafen gerähmt, und 
mit wunderbarer Beredſamkeit dad Vertrauen 30 
diefem Heerfuͤhrer und zu feinem Gluͤck, herge⸗ 
ſtellt. Jetzt kamen Boten von dem gefammelten 
Heere und begehrten Befehle von dem Marks 
der afen mit erneuter Verfiherung unwandelba⸗ 
ver Treue. \ 

Den Markgrafen ſchauderte etwas be 
diefer frohen Botſchaft, doch ſcheuchte er bald 
mit nenem wilden Gelächter dad Grauen, das 
ihn einigemal wie däftere Wollen umfing, als die 
Hläklichen Begebenheiten ſich beftätigten, Er 


m 


wrdnete mit Befonnenheit cine Schlacht. man ve⸗ 
zum Angriff bereit, aber ein dicker Nebel brachte 
Unordnung in die Unsführung feiner Pläne, und 
Die wantelmürpigen Fuͤrſten drohten von neuem 
ihn zu verlaffen. 

Harret noch bis Morgen: — rief der Mark⸗ 
graf — Morgen müffen wir ſiegen! 

Seine Stimme hatte etwas furchtbar gebies 
xendes und zuverfichtliches. Die Fuͤrſten und Rit⸗ 
ter verfprachen den Morgen abzwwarten, 

Da winkte der Markgraf einen vertrauten 
Reifigen zu fih. Nimm Dir — ſprach er — eine 
Schaar Knechte und zieh nach dem Kioſter, das 
unfern der naͤchſten Stadt liegt. Dort fordre im 
Namen des Ritters Moricho von der Prios 
zin das Fräulein Pauline, und führe fie nach 
Der Mühle von Eifenbüttel. Dort foll fie 
‚ber Müller wohl pflegen, bis ich felbft komme. 
Wenn die Priorin dad Fräulein Dir weigert, 
do zeig” ihr biefed Pergament: daraus wird fie 
erfehn, daß Mitter Moricho Dich ſendet. 

Mit einer wilden Zuverfiht ging nun ber 
Martgraf unter feinem Tleinen Heer umher. 
Berwundert fah er, daß der anhaltende dichte 
Mebel nicht ihm ſelbſt, fordern den feindlichen 
Truppen verderblich gewefen war, Er bemußte 
ſchneli ihre Unordnung, hinderte durch feine Stel⸗ 
ung die Bereinigung ihrer Schaaren, und ale 





450 


Kae Vater — ſprach er — loͤſet von jeder Binde, 
fo glauben wir. 

Alſo noch ficherer don den geringern, — rief 
der Markgraf mit graßlihem Frohlocken, und 
feine Augen flammten wie Bliße umher — Hab’ 
ich doch Ablaß für Alles, was das Werk fördert, 
für Altes, Alles ! 

Cr ging bie Nacht durdy in der heftigften Be⸗ 
Wwegung umher, und die einzelnen Worte, die er 
dann und wann, unterbrochen von wilden Ges 
laͤchter ausſtieß, beftätigten die Bermuthäng Benz 
no's, daß Leidenichaft und Unglüc feines Herrn 
Gemuͤth zerrütter habe. Mit der Morgendäms 
merung kamen indeffen günftigere Nachrichten, 
Die zerftreuten Truppen hatten fich geſammelt, 
ein fremder Reifiger hatte die Tapferkeit und 
ntichloffenheit des Markgrafen gerühmt, und 
mit wunderbarer Beredſamkeit dad Vertrauen 30 
diefem SHeerführer und zu feinem Gluͤck, herge⸗ 
ftellt. Jetzt Tamen Boten von dem gefämmelten 
Heere und begehrten Befehle von dem Marks 
dr afen mit erneuter DVerficherung unwanbelbas 
ver ‘Treue, 

Den Markgrafen fchauderte etwas bei 
biefer frohen Borfchaft, doch fcheuchte er bald 
mit nenem wilden Gelächter das Grauen, bad 
ihn einigemal wie düftere Wolken umfing, ald die 
glädlichen Begebenheiten ſich beftätigten, Er 





1 
Sr Duete mit Befonnenpeit eine Schlacht, man we 
Zum Angriff bereit, aber ein dicker Nebel brachte 
AUnordnung in die Ausführung feiner Pläne, und 
Die wontelmürhigen Zürften drohten von neuem 
ihn zu derlaſſen. 

Harret noch bis Morgen! — ref der Marks 
s raf — Morgen müffen wir ſiegen! 

Seine Stimme hatte etwas furchtbar gebie⸗ 
tendes und zuverſichtliches. Die Fuͤrſten und Rit⸗ 
zer verſprachen den Morgen abzuwarten. 

Da winkte der Markgraf einen vertrauten 
Dteiſigen zu ſich. Nimm Dir — ſprach er — eine 
Schaar Kuechte und zieh nad) dem Klofter, das 
aunfern der naͤchſten Stadt liegt. Dort fordre im 
Namen des Ritters Moricho von der Prios 
zin das Fräulein Pauline, und führe fie nach 
Der Mühle von Eifenbüttel Dort foll fie 

‚ber Müller wohl pflegen, bis ich ſelbſt komme. 
Wenn die Priorin das Fräulein Dir weigert, 
do zeig ihr dieſes Pergament: daraus wird fie 
erfehn, daß Mitter Moricho Dich ſendet. 

Mit einer wilden Zuverfiht ging nun ber 
Martgraf unter feinem Zleinen Heer umher. 
Berwundert fah er, daß der anhaltende dichte 
Nebel nicht ihm ſelbſt, ſondern den feindlichen 
Truppen verberblidy gewefen war. Er benußte 
ſchneli ihre Unordnung, pinderte durch feine Stel⸗ 
ung die Vereinigung ihrer Schaaren, und alle 


182 


Kürten fahen die unvermeidliche Niederlage "des 
Keindes, die nur durch die eben einbrechende Nacht 
bis zum Morgen aufgeichoben ward. 

=. Sroßer Jubel fhalite durch das Heer, Alles 
röftete fih, mit dem erften Stral des Morgens 
Die Schlacht zu beginnen. Da zog Markgraf 
Egbert von einem einzigen Anappen begleitet, 
fi aus dem Lager nad) der Mühle von Eifens 
vuñttel. | 

Die Mühle raufchte mit allen ihren Gängen 
und der Sturmmwind firente den Schaum, ben 
die Räder in fchnellem Umtrieb emporrifien, weit 
umher. Egbert fchauderte faft zufammen, als 
"er dem Kılappen fein Roß gab, und nun mit dem 
Müller durch den fprudelnden Schaum, der ihn 
naß darchkaͤltete, zwiſchen dem finftern Gewuͤl 
und Gebraus von Rädern, Stampfen und ſchar⸗ 
fen: Sägen hindurchſchritt. 

For findet alle& bereit — fagte der Müls 
ter — auch der Möndy harret Eurer, aber die 
Braut fißt drinn und weint, Sie fragt nad). ihe 
rem Vater, and ruft alle Heiligen zn ihrer Huͤlfe. 
-— Egbert ſchritt ſtumm neben dem Müller 
Yer,-der jetzt eine Thür öffnete. Pauline trat 
in aller Glorie der leidenden Schönheit ihm ent» 
gegen. D Herr Markgraf — Hagte fie — 
Euch führt mein Engel her. Nehmt Euch einer 
Ungluͤcklichen an, die ſchaͤndlich aus ihrer Frei⸗ 





258 


fatt, vom heiligen Altar weggeraubt wurde! 
Schuͤtzt mich, fährt mich zu meiner Mutter Klara 
zuruͤck. 


Ihr ſeyd im Irrthum, ſhdne Pauline— en 
widerte der Markgraf — wenn’ Ihr Euch 
entführt glaubt. Ihr ſeyd Inter dem Geleit mei⸗ 
ner Reiſigen hieher gekommen, ich ſelbſt bin es, 
der um Eure Hand wirbt, ich hoffe, Ihr werdet 
mir Euer Jawort nicht verfagen. 

Starr von Entjetzen hörte Pauline diefe 
Rede an, 


Ich liebte Euch vom erften Anblid — fuhe 
der Martgraf fort. — Sollte Euch die Prios 
rin nicht von meiner Werbung um Euch gejagt 
baden? Diefe Nacht ift unfre Verbindung, Die 
naͤchſte Morgenfonne begrüßt Euch ald Marks 
sräfin, bie Abendfonne vielleicht ſchon als ... 

Als Leiche! — fiel Pauline nol Verzwei⸗ 
Hung ein — Hofft nit, mich zu befigen! Ihr 
ſeyd ein Raͤuber; wie koͤnnt Ihr mich wegfuͤh⸗ 
ren, und mir von Verbindung ſprechen, ohne Ge⸗ 
genwart und Einwilligung meines Vaters? Ich 
fordre, daß Ihr mich augenblicklich in mein Klo⸗ 
ſter zurüdgekiten laſſet. J 

Euer Vater, ſchoͤne Pauline — entgegnete 
der Markgraf — kenm und billiger meine 
Wahl. Uecherzeugt Euch ſelbſt. Würde er mir 


160 


feelt auf. Ihre Glieder waren zerſchmettert, aber 
unentſtellt, und vom Frieden des Himmels vers 
Hirt, Tächelte ihr Angeficht im Tode, . 

Sie farb den leiblichen Tod ihres Vaters — 
fogte die leiſe Stimme der Priorin Klara — 
aber wie eine Heilige. " 

Abt Hieronymus, auch Jerung genannt, 
führte num den Leichnam der Entfchlafenen in das 
von ihr geftiftete Muͤnſter, und begrub ihn vor 
dern Altar des heiligen Kreuzes, und nad) Zah: 
sen voll flillem Schmerz fand: er an mihrer Seite 
die Ruhe des Srabes. Zu 

Dort hat nun, unter Falten Grabesſteinen 

Die heiße Bruft vol Liebe ansgegiäht, 

Vergeſſen hat das Auge dort zu weinen, 

Dort findet Troft das duldende Gemäth. 

Zu jenem, Land, wo fhlummernden Gebeinen, 

.. in fhäner Lenz des Glaubens neu entbläht, 
. Dort, wandeln fie, mo nichts die Liebe ftöret, 
und ſich verbindet was ſich angehöret, 


114. J 
Die Gefetichaft fprach manches Wort der Zeile 
nahme an Paulina's Schickſal. Die Fremde, 
welche ſich ebenfalls Pauline nannte, war vor⸗ 
zoͤglich bewegt. 
Paulina’s Gedichte — fagte fie, zu mir 
gervendet — intereffirt mich ungemein. Gruͤndet 


ſich Ihre Er zaͤhlung auf gefspiehtliche Nachrichten? 





1618 


So tiel mir befannt ift — erwibert’ ih — 
widerfpricht wenigſtens bie Geſchichte ihr nicht. 
Mein Freund, dem ich fie danke, fchrieb fie auch, 
nicht ohne fleißige Forſchung der Geſchichte jener 
Zeit. 

Wo lebt der Berfafler ? — fragte fie mit ges 
ſenktem Blick, als fuͤrchtete fie die Antwort. 

Zuletzt in Frankreich — antwortet' ich ihr — 
er ward als toͤdtlich verwundet gefangen. 

Beſitzt er nicht ein Portraͤt von Ihnen? — 
fragte fie ſchnell und heftig. 

Es war allerdings fo, er hatte es felbft ge⸗ 
malt und ich mußte ihre Frage bejahen. 

O, dann beſchwor ich Sie, — fuhr ſie fort — 
ſagen Sie alles, was Sie von ihm wiſſen. Sie 
waren ihm der liebſte ſeiner Freunde. Ihr Bild 
war oft ſein Troſt und er ſehnte ſich nach Ihrer 
Beruhigung, bie ihm fruͤher oft feine Leiden er⸗ 
leichtert hatte. An den Zuͤgen dieſes Bildes er⸗ 
tannt' id) Sie ſogleich. Sprechen Sie, wo iſt 
Straf Werner? | 

Die Heftigkeit ihrer Frage erſchreckte mich, doch 
fuchte ich mich zu faſſen. 

Die letzten Nachrichten — antwortet” ic) ihr 
— von meinem Freund — erhielt id) auß Bes 
fangon. Freilich waren fie traurig. Ohne Zwei⸗ 
fel wiſſen Sie, daß er dort unter Aufficht in ei⸗ 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, 


166 


der Greuel, um ſie brauſten die Raͤder der Muͤhle 
und mengten Dunkel und ſpritzenden Schaum im 
Mondſchein zu abentenerlich wilden Geſtalten, die 
ihr in den Weg traten und den Lauf hemmten. 
Verfolgend eilte der Markgraf ihr nach und 
rufte mit wilder Stimme die Braut. Schon faßte 
er auf der ſchmalen Brüde das Kleid der Flies 
henden. Schuͤtzt mich, ihr Heiligen! rief bie 
Verzweifelnde ; mit Loͤwenkraft rang fie mit dem 
Verfolger. Sie riß ſich aus feiner Umfledhtung 
und ein gewaltiger Stoß ftürgse den Taumelnden 
hinab, wo Flut und Raͤderwerk ſich in den Raub 
feines Lebens theilten. 


Der herzueilende Müller trug die bewußtloſe 
Pauline aus dem Orte des Schredens in din 
entferntered Gchäude, Auf feinen Ruf hemmten 
bie Knechte dad Raͤderwerk der Mühle, doch zu 
ſpaͤt für die Rettung zog man den zerſchmetterten 

Leichnam hervor. 


Seht ward ed and) von außen lebendig. Eine 
Schaar Reifige, die zu Heinrichs Heer floßen 
sollte, zog bei der Mühle vorüber. Einige von 
ihnen begehrten Einlaß und Lebensmittel. Da’ 
fanden fie den Leichnam des feindlichen Heerfuͤh⸗ 
zerd. Jauchzend zogen fie mit diefer Nachricht, 
die mehr ihnen galt, als ein Sieg, zu des Kai⸗ 
fer 8 Heer, und der Lohn, der ihnen dafür ward, 





137 


Heß zweifefhaft., ob er der That, oder ber Bots 
(haft davon gelten follte, u 

Dauline mußte nm auf bie ſchleunigſte 
Flucht denken. Der zerſchmetterte Leichnam lag 
noch blutig auf ihrem Wege. Mit heißen Thraͤ⸗ 


nen des Schmerzes und der Verſoͤhnung ſank ſie 


neben ihm nieder und gelobte ein Kloſter zu flife 
ten zu Büßung ber ſchweren "Schulden biefer. 
greuelvollen Nacht, Der Müller mit feiner 
Knechten geleitete fie nady dem Klofler zu ber. 
frommen Priorin Klara, 

Vergebens bot Werner alles auf, die —* 
liebte noch einmal zu ſehen. Durch die Prios 
sin erfuhr er alle Schreden jener Nacht, die nun. 
unwiderruflich ihn von der Geliebtin, Gchmefter 


md Mutter trennten. Verloren für jede Freunde . 


des Lebens, fuchte er "die Ruhe im Klofter zu 
Hirſchau, wo er als Bruder Hieronymus 
ein Beiliged Leben führte. - Paulina aber bes 
ſchloß ih: dem gelobten Münfter zugleich "ein 
Denkmal ihrer unglädlichen Liebe zu errichten, 
Sie (endete Boten in das Kloſter Hirſchau 
und ließ um den Tunftreichen Bruder Hieronys 
mus bitten, der das Kloſter nad) feiner Einficht 
bauen follte. Hieronymus gedachte ſogleich 
jener Klofterlirche, wo er die Geliebte zuerft ges 
fehen: hatte, und befchloß, den großen Kirchenbau 
auszuführen, ben er. damals im Geift ſah, und 


Pr u ur 
.R 





158 


den Pauline nad dem Bilde ihres Trauwes 
fo eifrig berzuftellen wünfchte. 

Allwoͤchentlich kam ˖ nun ber fromme Baumeis 
ſter, und ordnete und trieb die Arbeiter, das Werk 
zu foͤrdern. Aber wenn er zuruͤckreiſete in ſein 
Kloſter, kam die liebende Pauline und freute 
ſich der Werke des brüderlichen Gelichten, be⸗ 
trachtete jedes und legte die Hände gleichſam 
fegnend auf bie Steine und Säulen, Das ſahen 
die Arbeiter, und falteten andächtig die Hände, 
wenn die fromme Pauline mit den Steinen 
und Werkſtuͤcken heimlich ſprach und fie berüßrte, 
Kam dann der Baumeifter zuroͤck, nach der Ara 
beit zu fehn, fo zeigten. die Werkleute ihm -die 
Stelle, wd die-fromme Stifterin wie eine Heilige 
geftanden, und die Steine fegnend beruͤhrt hatte, 
Da Eniete Dieronymus nieder, wo fie mit 
ihren Süßen geſtanden war, nnd Füßte . lange 
und oft die Steine, worauf ihre Hände gerußt 
hatten, und die Arbeiter knieten mit ihm uieder, 
und beteten um Segen und um Gelingen. zu ide 
sen Werk, Uber feben: wollten fi) Hierony⸗ 
mus und Paulina niemals, denn fie gedach⸗ 
ten beide des fchweren Wortes, das Pauline 
zwilchen fie und ihr Widerfehn geftellt hatte. 

Als nun das große Münfter vollendet man, 
und weit umher geiftliche und weltliche Herren 
herbei kamen, es zu betrachten, fehlte nur noch 











159 


der Abt, der den Klofterbrübern vorſtehen ſollte. 
Paulinen kam es zu, das Oberhaupt zu bes 
sufen, und fie wählte dazu den frommen Baus 
meifter des Klofiers, den Bruder Hieronymus 
in Hirſchau. Der Sitte gemäß und auf Zus 
seven bed Biſchofes, zog fie, zu Erhöhung der 
Feierlichkeit, felbft dem Abt” entgegen, um ihn eins 
zabolen und im fein Klofter einzuführen, Zwar 
fhenete fie feinen Anblick, aber die Heiligkeit und 
Würde der Handlung fchien ihr diefes Wiederſehn 
zu rechtfertigen. Sie ritt auf einem einfach ges 
ſchmuͤckten Zelter, die erfte und demuͤthigſte ihres 
Gefolges. Schon hörte man aus der Ferne den 
Chorgefang der Klofterbrüder, die ben Abt geleis 
teten, ſchon flimmte Paulina’s Gefolge dem 
Kommenden das Benediktus an, und das Volk, 
dad von allen Orten berbeigeftrömt war, ſank auf 
die Knie, den Gegen des Nerannahenden zu ee .. 
pfangen. Schon hob der Abt fegnend die Haͤn⸗ 
de, da erblaßten Paulina's Wangen, ihre 
Augen ftarrten in einen tiefen Abhang ded Felde 
weges hinab, Jetzt fchwebte ein himmliſches Laͤ⸗ 
cheln um ihren Mund. Vater — rief ſie — Va⸗ 
ter, verſoͤhnt! Ein Engel hebt den Schleier der 
Schuld von und, Ich komme, ich eile in die 
Arme des Vaters! 

For Roß fcheuete,-und bie Seherin Pauli⸗ 
ne ſauk in den Felſengrund. Man hob fie ent⸗ 





160 


feelt auf. Ihre Glieder waren zerſchmeitert, aber 
unentftellt, und voni Frieden des Himmels vers 
Märt, lächelte ihr Angeficht im Tode. : 

Sie ftarb den leiblichen Tod ihres Baterd — 
fagte die leiſe Stimme der Priorin Klara — 
aber wie eine Heilige. 

Abt Hieronymus, auch Ferung genannt, 
führte nun den Leichnam der Entichlafenen in das 
von ihr geftiftere Münfter, und begrub ihn vor 
dem Altar des heiligen Kreuzes, und nad) Jah⸗ 
ren voll flillem Schmerz fand- er an ihrer Seite 
die Ruhe des Srabed. 

Dort hat nun, unter Falten Grabesfteinen 

Die Heiße Bruft vol Liebe ansgegiäht, 

Vergeſſen hat das Auge dort zu weinen, 

Dort findet Troft das duldende Gemiith. 

ua jenem, Land, wo fhlummernden Gebeinen, 

‚. Ein fhöner Lenz des Glaubens neu entbluͤht, 
Dort wandeln fie, wo nichts die Liebe ftöret, 
Und ſich verbindet was ſich angehoͤret. 


A, 

Die Geſellſchaft ſprach manches Wort der Theile 
“nahme an Paulina's Schickſal. Die Fremde, 
welche fid) ebenfalls Pauline ‚nannte, war vor⸗ 

züglidy bewegt. 
Panlina’s Geſchichte — ſagte ſi fie, zu mir 
gewendet — intereffirt mich ungemein. Grändet 
ſich Ihre Erzählung auf geſchichtliche Nachrichten 3 





1618 

So viel mir bekannt ift — erwidert' ih — 
widerfpricht wenigſtens die Geſchichte ihr nicht, 
Mein Freund, dem ich fie danke, fchrieb fie auch, 
nicht ohne fleißige Forſchung der Gefchichte jener 
Zeit, 

Wo lebt der Verfaſſer? — fragte fie mit ges 
ſenktem Blick, als fürchtete fie die Antwort. 

Zuleßt in Frankreich — antworter ich ihr — 
er warb als toͤdtlich verwundet gefangen. 

Beſitzt er nicht ein Porträt von Ihnen? — 
fragte fie fchnell und heftig. 

Es war allerdings fo, er hatte es felbft ges 
malt und ich mußte ihre Trage bejahen. 

9, dann befchwör ic) Sie, — fuhr fie fort — 
fagen Sie alles, was Sie von ihm wiffen. Sie 
waren ihm der liebfte feiner Sreunde Ihr Bild 
war oft fein Troſt und er fehnte ſich nach Ihrer 
Beruhigung, die ihm früher oft feine Leiden er 
leichtert harte. An den Zügen diefes Bildes er» 
kannt' ich Sie ſogleich. Sprechen Sie, wo iſt 
Graf Werner? 

Die Heftigkeit ihrer Frage erſchreckte mich, doch 
ſuchte ich mich zu faſſen. 

Die legten Nachrichten — antwortet‘ ich ihr 
— von meinem Freund? — erhielt ich aus Bes 
fangon. Freilich waren fie traurig. Ohne Zweis 
fel wiſſen Sie, daß er dort unter Aufficht in eis 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, 


162 


nem ftillen Wahnfinne lebt, der vielleicht wur mit 
feinem Leben endiget. 

D, wollte Gott — rief fie ſchmerzlich — es 
wär’ fo! Ich komme von Befancon. Dort wird 
er vermißt, und nach aller Wahrfcheinlichkeit fand 
er feinen Tod in dem nahen Fluß. Ich hörte, 
als ich ihn ſchon lange ald einen Todten beweint 
datte, von feinem Zuſtande. Mehre Umftände 
ließen mich hoffen, daß mein. Erfcheinen guͤnſtig 
auf ihn wirken werde. Ich eile hin. Ach, zu 
fp&t! Wenig Tage vor meiner Ankunft war er 
feinen Aufſehern entſchluͤpft — ein Tuch, nah’ am 
Waſſer gefunden, beſtaͤtigt die ſchreckliche Ver⸗ 
muthung. 

Uns Allen blieb kaum ein Zweifel, daß die 
Sremde, und jene Pauline, von welcher Theos 
dor erzähle hatte, eine und diefelbe Perfon war, 
Man berührte mit aller Vorficht die Gefchichte 
ihrer Liebe, und fuchte ihr glaublicy zu machen, 
daß Werner vielleicht noch im jener Gegend 
umber irre, allein ihre Nachforichungen waren zu 
fehr mit aller Beforgtheit der Kiebe unternommen, 
als daß man ernftlicy eine folche Hoffnung hätte 
begen können. Julius erinnerte fie hierbei ber 
hutſam an jenes übereilte Wort bei der Trennung, 
und wie auch bier der Bruch jenes Wortes in 
wunderbaren Iufammenhang mit dem Tode hätte 
kommen Fönnen, wenn nicht burch eine andre 





165 


Wendung bes Schickſals er felbft dem gefaͤhrlichen 


Wiederſehn entgangen wäre, 

O, mich hätt! es treffen follen, nicht ihn! — 
vief Pauline — Ich ſprach ja felbft jenes uns 
befonnene, frevelfafte Wort, 

Man fuhte Paulinen, die von neuem in 
düfteres Nachdenken verfiel, von den träben Er⸗ 
innerungen zu entfernen, und endete das Ges 


fpräch auf die Ruine, die jet von dem immer- 


höher geftiegenen Monde auf. das prächtigfte bes 
leuchtet war. Die Kühle der Mitternacht erins 
nerte und aufzubrechen, und als uns der Weg 
durch den Garten Iängft der Säulenreihe diefer 
tirchlichen Rine hinführte, und unfre Schatten 


en den Säulen wechſelnd erfchienen und vers 


ſchwanden, fcherzten einige in der Gefellfchaft ' 


über die vorige geſpenſüiſche Erſcheinung Pau⸗ 
lina's. 

Kaum aber traten die Erſten von der. Gefells 
(haft durch die Sartenthüre in den ehemaligen 
hohen Chor der Kirche, als fie erichroden und 
zweifelhaft zuruͤcktraten. Kine Mönchgeftalt in 
ſchwarzer Benediktinertracht kniete unbeweglich in 
betender Stelläng an Paulina’s Grabe 

Bir find doch heute faft auserfchn, auf Phan⸗ 
tome zu treffen — ſagte Theodor — wäß mag 
Diefes wieder fenn ? 

Er ging nach der Gegend zu, aber nad) wes 

22 


Pr Eu ‘ 





EN 


166 


nig Schritten erhob. fich die Erſcheinung und ein 
blaſſes Geſicht fah und aus der Verhüllung au. 

Das Mönchgeipenfii — riefen Mehre, denen 
Die frühern Erzählungen einſielen, und felbfk 
Theodor ſchauderte zuſemmen und trat muthe 
los zurüd. 

Was geht denn vor? — rief Pauline, die 
fich in dem Garten vermeilt hatte, heraustretend 
Ach, das find unzeitige Scherze ! 

Sie ging umwillig auf die Geftalt los, ihr die 
Verhuͤllung abzunehmen, aber faum hatte fie im 
der Nähe das blafle Todtengeſicht erblidt, als 
fie laut vor Schred .aufichrie und zu Boden ſank. 
Die Moͤnchgeſtalt ſtand ſtarr und regungslos 
neben ihr. 

Der Trieb zu helfen uͤberwand hier die Furcht. 
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten, 
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ge⸗ 
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Pauline! 
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline! 
wiederholte des ſchwarzen Moͤnches dumpfe Stine 


me. Vorgedeugt und die Xeblofe anftarrend, rief 


die Erfcheinung nochmals mit entſetzlicher Mi⸗ 


ſchung von- Freude und Graufen ben Namen der 


Ohnmaͤchtigen, und ſank dann neben ihr zu Boden. 

Der Schred feflelte und nur auf Augenblide 
die Sinne. Mir bemühten uns die furchtbare 
Mönchgefialt von Paulinen zu entfernen, Sein 


165 


Geſicht war durch die Anſtrengung des Falles 
mehr enthüllt. Wo bin ih? fragte er, wie auß 
einem Traum erwachend, und Theodor und 
ich erfannten Stimme und d Züge unfers Sreundes 
Werner 

41% 

Während der Bemühungen Yanlinen in 
das Leben zurücdzurufen, enthuͤllte fi) auch das 
Mätbfel von der unerwarteten Erſcheinung des 
Grafen Werner. Seine Schwermurh war 
immer mehr in flillen Wahnfinn übergegangen 
und die Nachrichten von diem fehlgeſchlagenen Ver⸗ 
fühen der Deutſchen fich von der franzöfifchen 
Herrſchaft zu befreien, hatten in Berbindung mit 
feiner unglüdlichen Liebe, Gemuͤth und: Beſin⸗ 
aung ihm faft völlig zerruͤttet. Doch hatte fich 
die Vorſtellung, Daß er'einen Sieg zu Befreiung 
feines Vaterlandes erfechten werde, immer in 
ihm lebendig erhalten. Jetzt waren ihm wie er 
erzählte, in feinem traumähnlichen Zuſtande, Bil⸗ 
der von fliegenden deutfchen Heeren erfchienen, die 
ftetö ihn aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne 
deutlich zu wiſſen, wie? war er’ ibmen gefolgt, 
Wie er zu feiner Möuchötracht gekommen, wie 
er felt ſeiner Entweichung aus Befancon fein Le⸗ 
ben erhalten, war ihm felbft ein Raͤthſel. Die 
Vergangenheit lag wie. ein verworrner" Ziebers. 
waum hinter ihm, ex konnte nicht guterisheiben, 


166 


. was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres 
Bild des Wahnſinns war. An die Ruine von 
Paulinzell hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich 
ſeliges Gefichl gebunden, er kaunte fie nicht waͤhs 
rend ſeines Wahnſinnes, und nur jetzt bemerkte 
er das ſonderbare Zuſammentreffen, daß eben 
dieſe Ruine, die ſelbſt feinen Wahnfınn mit Erins 
nerungen aus gluͤcklichern Zeiten durchglaͤnzte, 

nuunn auch die Entwickelung feines Schickſales here 
beifuͤhrte. | 

Pauline athmete noch einige Tage in bee 
wußtlofer. Betäubung, aber feine Kuuſt der Aerzte 
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gewalt der 
Ueberraſchung Hatte fie getoͤdtet, und ihr eignes, 
früher gefprocyenes Wort gegenrdad Wiederſehn 
bewaͤhrt. Diefelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte 
Ihrem Gelichten.die Beſinnung zurädigegeben, aber, . 
graufam genug, zeigte ihm das Schidfal die Ges 
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer ibm 
entriffen ward , und gab ihm mit der ruͤckkehren⸗ 
den Befinnung nur die Empfänglichkeit für den 
Schmerz. ded Verluſtes. 
Wir ſehn uns bald wieber — [prach er, wenn 
, feine Sreunde wit ihm Magten — und dann bring⸗ 
ich ihr, flatt Des Myrtenkranzes, den deutſchen 
Siegeskranz von Eichenland. . 
So eilte er gu den preußiſchen Fahnen. Die 
Verlängerung des Waffenſtillſtandes, die fo mans 


N 





467 

chem Gemuͤth den letzten Hoffnungfunfen vers 
Töfchte, ſchlug ihm nicht nieder, eben fo wenig 
founten die ungluͤcklichen Tage bei Dresden ihm 
den Muth erfchüttern. Die fiegfrohen Bilder, die 
vormals jeinen zerrütteten Geift erhellten, gingen 
wieder durch feine Träume, und oft hörte ſelbſt 
der Wachende, wie aus weiter Kerne, Siegesge⸗ 
laͤut und Triumphlieder gegen fich herantdnen. 

Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ok⸗ 
tobers flürmte er mit ber tapfern Schaar Büs 
Jow’s über Mödern her gegen Leipzig. Er fah 
ven Sieg für die Sache fich entfcheiden, an der 
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗ 
ſucht bing. immer feuriger riß fein Muth ihr 
vorwärts, Er fahdie Feinde weichen. Die Triumph⸗ 
lieder feiner Träume klangen um ihn, uud Glok⸗ 
kengetoͤn, wie von den Thuͤrmen der nah vor ihm 
liegenden Stadt, halte zu ihm der. 

Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer 
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche 
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden tru⸗ 
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ges 
zücht von dem Giege des Feindes -zu dem Sterd 
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der 
Stadt feiern mußten, fchallten dumpf wie Tod⸗ 
sengloden zu ihm heran. Seinen Freunden ſchien 
anf Augenblide der Muth zu finfen, aber ber 
Sierbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem 


168 
Bertrauen an. Verzagt nicht — ſprach er — 
Euer Siegruf wird bald Eräftiger fchallen. Fort 
in den Kampf! Mich laßt hier. Diefe Glocken⸗ 
töne follen mein Grabgeläut ſeyn. 

Als mit dem Abend das Feld erlämpft war, 
traf man ihn entfeelt, Paulina’s Bild an feis 
nen Mund gebrüdt. In feinem Taſchenbuche 
fand man diefe Zeilen. 


. „Hört ihr ben bangen Angftzuf jener Gloden? 
Sie hallen mahnend durch der Schlaht Gedroͤhne: 
Bu eud, ihr Krigger, fprechen diefe Töne! 
Zu ſchueller Rettung wollen fie euch locken. 


Auf Brüder, kaͤmpft vol Muth, ſtuͤrmt unerſchrocken, 
Daß kein Tirann mehr Gott und Recht verhöhne ; 
Kaͤmpft, daß ben Sieg Lorbeer und Palme kröne, 
Und Zubel half in des Triumphs Frohlocken. 


2 Tann ben mächt’gen Schwerdtkampf nicht mehr fchlagen, 
Des Lebens Blutſtrom quillt aus tiefer Wunde, 
Doch freudig wird mein Geift emporgetragen. 


Entgegen tönt Gruß vom geliebten Munde, 
Mein goldued Morgenvoth beginnt zu tagen, 
Sieg, Freiheit, Liebe glänzt in heil gem Bunde 








19 


4‘ x: * 


Die Hausehre. 





In der biſchdflichen Stadt Baſel lebte um das 
Jahr funfzehnhundert und zwanzig ein junger 
Buͤrger, Namens Johann Wipper, ſeines Hand⸗ 
werks ein Schneider. Der fand viel Unluft an 
feinem Gewerbe und wäre wohl mit in den Krieg 
"gezogen, wenn es darinnen mehr. Sicherheit für 
Kopf und Leben gegeben hätte. Am liebften wäre 
er ein reicher und vornehmer Herr gewefen, um die 
Hände in den Schooß legen und eines fröhlichen 
Zreibend ohne Mühe und Urbeit genießen zu 
koͤnnen. 

Eines Tages, als eben ein feſtlicher Zug des 
Seren Biſchofs mit Pauken und Zimbeln durch 
die Straßen ging, da überfiel den Meifter Wip⸗ 
per der Unmuth dergeftalt, daß er flugs Nadel 
nnd Scheere von fi) that, und dabei alſo aus⸗ 
sief: Welch ein elender Menſch ich bin! Indeß 
die Thiere im Walde und Lie Vögel in der Luft 
fich gemächlich an dem ſchoͤnen Himmelsblau da 





870 


braußen ergbigen und bie Erzbiſchofe mit ifres 
Gleichen gar darinnen herumkutſchen und fich auf 
taufendfältige Weife erluftiren, muß ich im folcher 
räuchrigen Klaufe figen und fchwißen und am 
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗ 
geitlleid, das hier fertig werben fol, mahnet mic 
an die gluͤcklichen Tage der-Andern und an mein 
erbärmliches Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, id 
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben. 

Hiermit legte er denn die Arbeit voͤllig bi 
Seite und gerieth obendrein auf den Gedanken 
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf 
- ebenfalld warm machte. Denn er war noch ein 
Junggeſelle, der aber viel Neigung zum beiligen 
Eheftande in fich verfpärte, . Er war fogar eins 
mal recht nahe daran geweſen. Wie er nämlich 
noch als Geſelle lebte, verplemperte er ſich mit 
Hedchen, der Tochter des Meifters, bei dem er 
arbeitete, Hedchen war auch wirklich ein bübs 
ſches, ruͤhriges Kind, dazu nicht ganz bloß; dem 
ihre Ueltern hatten ein Häuschen mit einem Gars 
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldlas 
ſten liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu 
Zeiten feinen Müfliggang und Hang zur Unorde 
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahn 
lich, die Dirne zur Frau zu nehmen, das bie 
ſich eine Ruthe für Zeitlebens aufbinben I Und 
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand 


171 


wit dem armen Hedchen, das ſich die Sache ven 
zu Gemüthe zog. Ä 

Dho, dachte er jest, es giebt noch andere and | 
reichere Mädchen in Bafel, ald Hedwig iſt, ich 
darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗ 
gehen. Er ſchalt fih num felber „ daB er’s micht 
früher gethan hatte, da ihm wohl befanut war, 
wie ſchon mancher faule Zeifig durch eine reiche Hei⸗ 
rath zu Ruhe und Wohlſtand gekommen, Er 
putzte ſich auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗ 
lich heraus, und ging in der Stadt umher, was 
ihm ſchon allein viel beſſer, als das anhaltende 
Sitzen behagen wollte. 

Meiſter Johann klopfte bei mehrern ehrſamen 
Buͤrgern an, deren Toͤchter gute Mitgiften zu 
hoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon 
mit Liebſten verſehen; andere. hatten nen feiner 
Geſchichte mit Hedchen gehoͤrt; andere wollten 
wit ihren Gedanken höher, als bis zur Schneiders 
werkſtatt hinauf und noch) andern war etwas von 
dem unfleißigen Temperamente des Freiers zu 
Ohren gekommen. Denn wenn auch Die jungen 
Tochter dad über dem. ſchmucken Anſehen des 
Meiſters vergaßen , fo. wußren doch gemeiniglich 
Die alten Väter ihrem. Gedächtuiffe darinnen nache ' 
zubelfen, und fo. ging es zu, daB Johann Mips 
per überall mit einer langen -Nafe abziehen mußte: 

Ei, dachte er da, maß es denn gabe cine 


472 


Stadtdirne ſeyn? Das Land hat wohl Ternhafs 
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wem der 
Spiegel fo freundlidy thut, ald mir, der braucht 
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's 
Waſſer zu fpringen! — | 

Aber ' gar bald mar er ih den benachbarten 
Dörfern auch fo weit gekommen, wie in der Stadt. 
Ueberall hatte cr angefragt, wo Mädchen mit 
Barten Thalern wohnten. Die Urfachen, bie ihm 
In der Stadt die Körbe zugezogen hatten, galten 
auch auf dem Lande, und überdied mochten die 
hieſigen rothen und ſtammhaftigen Dirmen den 
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu 
Blaß und zerbredjlich finden. 

Er kam daher einmal des Abends gar wild 
und Abel aufgeräumt in fein Dachſtuͤbchen zuruͤck. 
Die leute Zeit über Hatte er, im DBertrauen auf 
eine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Us 
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Rund 
ſchaft eingebüßt. - Da fand der Schneidertiſch, 
ber ihm fonft wenigſtens die Nothdurft geliefert 
hatte, und nichts darauf, als papierene Maaße, 
die ihn hoͤhniſch zu fragen fehienen, was er nun 
snit ihnen und mit fich felber anzufangen- Dente ? 

Doch wohl endlich wieder eine Beltellung ! 
brummte er, als er anjetzt einen Brief auf dem 
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem 
Spaudyirthe, der ihn darinnen [ehr unfeln ums ben 








478 

ſchuldigen Miethzins mahnte, und den folgendeg 
Morgen mit dem Früheften da ſeyn und das Geld 
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumfeligen 
Zahler aus dem Haufe werfen, und das fchlechte 
Geraͤth nebft Werktiſch zurückbehalten wollte. Auch 
hatte er hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nadhficht 
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ge⸗ 
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre 
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein 
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe 
eingezogen wird ?_ Denn ein Handwerk hat gols 
denen Boden, aber Muſſ iggang iſt aller Laſter 
Anfang! 

Meiſter Wipper war daruͤber ſo aufgebracht, 
daß er den Brief ſogleich mit den Zaͤhnen zerriß, 
und ſchon ſeine Scheere zur Hand nahm, um zu 
ſehen, ob es wohlgethan ſey, an ihr zu ſterben, 
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, als 
von ihr zu leben, da er ſchon kein fremdes Blut 
ſehen konnte, geſchweige fein eigenes. Ein Seil, 
das aus einem Winkel hervorlugte, wuͤrde ihm 
ſolchen Anblick erſpart haben. Doch dachte er 
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurſachen 
möchte und verwarf auch dieſen Ausweg. 

Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, es 
war die auf Entdeckung eines Schatzes. Der 
ernfte Wille, fagte man, foll fo aigl, ja alles koͤn⸗ 
nen, rief er aus, und ich babe wahrlich den allers 





e. 


166 


nig Schritten erhob: fich die Erfcheinung und ein 
blaſſes Geſicht fah und aus der Verhüllung au, 

Das Mönchgefpenft I! — riefen Mehre, denen 
Die fruͤhern Erzählungen einfielen ; und felbft 
Theodor ſchauderte aufarmmen und trat murfs 
los zurüd. 

Was geht denn vor? — rief Pauline, bie 

fich in dem Garten vermeilt hatte, heraustretend 
— Ach, das find unzeitige Scherze ! 
- Ste ging unwillig auf die Geftalt los, ihr ve 
Verhuͤllung abzunehmen, aber kaum hatte fie in 
der Nähe das blaſſe Todtengeſicht erblidt, als 
fie laut vor Schreck aufichrie und zu Boden ſank. 
Die Moͤnchgeſtalt ftand flarr und “rn 
neben ihr. 

Der Trieb zu helfen überwand hier die Furcht. 
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten, 
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ge⸗ 
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Pauline! 
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline! 
wiederholte des ſchwarzen Mönches dumpfe Stims 


me. Vorgebeugt und die Lebloſe anftarrend, rief 


die Erfheinung nochmals mit entfegliher Mir 
{hung von Freude und Graufen den Namen de 
Dhnmächtigen, und ſank dann neben ihr gu Boden. 

Der Schred feflelte und nur quf Augenblid 
die Sinne. Mir bemübten uns die furchtber 
Moͤrchseſiak von Paulinen zu entfernen. Sei 








165 


Geſicht war durch Die Anſtrengung des Falles 
mehr enthüllt. Wo bin ih? fragte er, wie auß 
einem Traum erwachend, und Theodor und 
ich erfannten Stimme und Züge unfere dreundes 
Werner. 

1m. 

Waͤhrend der Bemuͤhungen Yanlinen in 
das Leben zuruͤckzurufen, enthuͤllte ih auch das 
Kaͤthſel von der unerwarteten Erſcheinung des 
Grafen Werner. Seine Schwermuth war 
immer mehr in ſtillen Wahnſinn übergegangen 
and die Nachrichten von dem fehlgefchlagenen Ver⸗ 
fühen der Deutfchen fich von der franzöfifchen 
Herrſchaft zu befreien, hatten in Berbindung mit 
feiner unglüdlichen Liche, Gemuͤth und Beſin⸗ 
nung ihm faft völlig zerrättet. Doch hatte fich 
die Worftellung,. daß er'einen Sieg zu Befreiung 
feined Waterlandes erfechten werde, immer in 
ihm lebendig erhalten. Yet waren ihm wie er 
erzählte, in feinem traumätmlichen Zuſtande, Bil⸗ 
der von fliegenden deutfchen Heeren erſchienen, die 
ſtets ihm aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne 
deutlich zu wiflen, wie? war er ihnen gefolgt, 
Wie er zu feiner Moͤnchstracht gelommen, wie 
er feit ſener Entweichung aus Belancon fein Les 
ben erhalten, war im felbft ein Raͤthſel. Die 
Vergangenheit lag. wie. ein verworrner Fieber⸗ 
waum hinter ihm, er Fonnte nicht guterisheiben, 


166 


. was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres 
Bild ded Wahnfinnd war. Un die Ruine von 
Paulinzell Hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich 
feliges Gefuͤhl ‚gebunden, er kaunte fie nicht wäh 
rend feines Wahnfinnes, und nur jetzt bemerik 
er das fonderbare Zufammentreffen, daß eben 
dieſe Nuine, die felbft feinen Wahnſinn mit Erin 
nerungen. aus glädlichern Zeiten burchglänite, 

nun auch die Entwicelung feines Schickſales ra 
beiführte. | 

Pauline athmete noch einige Tage in bes 
wußtlofer. Betäubung, aber Feine Kunſt der Aerzte 
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gemalt der 
Ueberraſchung Hatte fie getoͤdtet, und ihr eigned, 
früher geſprochenes Wort gegenrdasd Wiederſehn 
bewährt. Dieſelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte 
Ihrem Geliebten die Beſinnung zuruͤckgegeben, abet, 
grauſam genug, zeigte ihm das Schickſal die Ge 
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer im 
entriffen ward , und gab ihm mit der ruͤckkehre⸗ 
den Befinnung nur die Empfänglichkeit für de 
Schmerz de& Verluſtes. 

Wir fehn uns bald wieber — Tprach er, wen 

, feine Freunde wit ihm klagten — und dann brisg 
ih ihr, ſtatt des Myrtenkranzes, deu deutſche 
Siegeskranz von Eichenlaub. 

So eilte er zu den preußiſchen Fahnen. De 
Verlängerung des Waffenſtillſtandes die fo man 








467 


. dem Gemäth den letzten Hoffnuugfunken ver⸗ 
Dichte, ſchlug ihm nicht nieder, eben fo wenig 
. Founten die unglüdlihen ‘Tage bei Dresden ihm 
den Muth erichättern. Die fiegfroben Bilder, die 
vormals jeinen zerrürteten Geiſt erhellten, gingen 
wieder durch feine Traume, und oft hörte felbfk 


der Wachende, wie aud weiter Ferne, Siegesgee 


laͤut und Triumpblieder gegen ſich herantdnen. 

Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ok⸗ 
tobers flürmte er mit der tapfern Schaar Büs 
low's über Mödern der gegen Leipzig. Er fah 
den Sieg für die Sache fich entjcheiden, an der 
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗ 
ſucht hing. Immer feuriger riß fein Muth ihn 
vorwärts, Er fahdie Feinde weichen, Die Triumph⸗ 
lieder feiner Träume Fangen um ihn, und Glofs 
Bengetdn, wie von den Thürmen der nah vor ihm 
liegenden Stadt, halte zu ihm der, 

Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer 
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche 
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden trus 
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ges 
sücht von dem Siege des Feindes zu dem Sterd 
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der 
Stadt feiern mußten, fchallten bumpf wie Tode 
tengloden zu ihm heran. Seinen Freunden ſchien 
auf Augenblide der Muth zu finten, aber ber 
Sterbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem 





168 


Wertrauen an, Verjzagt nicht — ſprach er — 
Euer Siegruf wird bald kraͤftiger ſchallen. Fort 
in den Kampf! Mich laßt hier. Diefe Glodens 
tdne follen mein Grabgeläut ſeyn. 

AIG mit dem Abend das Feld erfämpft mar, 
traf man ihn entſeelt, Paulina’s Bild an fds 
nen Mund gebrüdt. Ja feinem Tafchenbude 
fand man diefe Zeilen. 


Hört ihr den bangen Angftzuf jener Gloden? 

Sie pallen mahnend dur der Schlaht Gedröpuze 2 
Ku euch, ihr Kripger, fprechen diefe Töne! 

Hu ſchneller Rettung wollen fie euch locken. 


uf Brüder, kaͤmpft vol Muth, ſtuͤrmt merfchroden, 
Daß kein Tirann mehr Gott und Recht verhöhne ; 
Kämpft, daß den Steg Lorbeer und Palme kroͤne, 
Und Jubel fHalP in des Triumphs Frodioden. 


"a Tann den mächt’gen Schwerdtkampf nicht wehr fchlagen, 
Des Lebens Blutſtrom quillt aus tiefer Wunde, 
Doc freudig wird mein Geift emporgetragen. 


Entgegen tönt Gruß vom geliebten Munde, 
Mein goldnes Morgenroth beginnt zn tagen, 
Sieg, Greipeit, Liebe glänzt in heilgem Bunde, 











169 


D \ . 


Die Hausehre. 





In der biſchdflichen Stadt Baſel Ichte um das 
Fahr funfzehnhundert und zwanzig ein junger 
Bürger, Namens Johann Wipper, feines Hand⸗ 


wert ein Schneider. Der fand viel Unluft an 


feinem Gewerbe und wäre wohl mit in den Krieg 

gezogen, wenn ed darinnen mehr. Sicherheit für 
Kopf und Leben gegeben hätte. Am Tiebften wäre 
er einreicher und vornehmer Herr gemefen, um die 
Hände in den Schooß legen und eines fröhlichen 
Zreibend ohne Mühe und Arbeit genießen zu 
koͤnnen. 

Eines Tages, als eben ein feſtlicher Zug des 
Herrn Biſchofs mit Pauken und Zimbeln durch 
die Straßen ging, da -Überfiel den Meifter Wip⸗ 
per der Unmuth dergeſtalt, daß er flugs Nadel 
and Scheere von fi) that, und dabei alfo aus⸗ 
sief: Welch ein elender Menfch ic) bin! Indeß 
die Thiere im Walde und die Vögel in der Luft 


fich gemaͤchlich an dem ſchoͤnen Himmelsblau da 











178 


Stadtdirne fenn? Das Land hat wohl Ternbafs 
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wen der 
Spiegel fo freundlich thut, als mir, der braucht 
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's 
Waſſer zu fpringen! — 

Aber ' gar bald war er in den benachbarten 
Dörfern auch fo weit gekommen, wie in der Stadt. 
Ueberall hatte er angefragt, wo Maͤdchen mit 
harten Thalern wohnten, Die Urfachen, bie im 
In der Stadt die Koͤrbe zugezogen hatten, galten 
auch auf dem Lande, und überdies mochten Die 
- Yiefigen rothen und ſtammhaftigen Dirnen den 
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu 
Blaß und zerbrechlich finden. 

Er kam daher einmal ded Abends gar wild 
und Abel aufgeräumt in fein Dachftübchen zurüd, 
Die leute Zeit über hatte er, im Bertrauen auf 
zine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Ue⸗ 
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Aunds 
fehaft eingebüßt. - Da Fand der Schneibertiich, 
ber ihm fonft wenigftens die Nothdurft geliefert 
hatte, und nichts darauf, ald papierene Maaße, 
bie: ihn höhnifch zu fragen fehienen, was er nun 
wit ifnen und mit fich felber anzufangen denke? 
- Doc wohl enblidh wieder eine Beftellung ! 
brummmte er, als er anjetzt einen Brief auf dem 
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem 
Sauswirthe, der ihn darinnen ſehr unfeln uns ben 





UT — 


473 


ſchuldigen Miethzins mahnte,- und den folgenden 
Morgen mit dem Fruͤheſten da’ ſeyn und das Geld 
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumftligen 
Bahler aus dem Haufe werfen, und das fchlechte 
Gerät nebft Werktifch zutuͤckbehalten wollte. Auch 
batte er hinzugefügt: Mas pälfe mir alle Nachſicht 
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ge⸗ 
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre 
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein 
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe 
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols 
denen Boden, aber Müfliggang ift aller Laſter 
Anfang ! . 

Meifter Wipper war darüber fo aufgebracht, 
daß er den. Brief ſogleich mit den Zähnen zerriß, 
und ſchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu 
ſehen, ob es wohlgethan fey, am ihr zu fierben, 
Allein, das Fam ihm faft noch ſchwerer vor, ald 
von ihr zu leben, da er fchon kein fremdes Blut 
fehen. konnte, geſchweige fein eigenes. Ein Seil, 
das and einem Winkel. hervorlugte, wärde ihm 
ſolchen Anblick erfpart- haben. Doch dachte er 
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurſachen 
möchte und verwarf auch diefen Ausweg. 

Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, es 
war die auf Entdedung eines Schatzes. Der 
ernfte Wille, fagte man, foll fo vigl, ja alles köns 
ven, rief er aus, und ich habe wahrlich den aller⸗ 


Im 


x 
V 


174 


ernſteſten Willen, einen Schatz baldmoͤglichſt auf⸗ 
zufinden | — Zwar wendete ihm fein Gedächtnis 
ein, daß er die reiche Heirath gleichfalls fche 
ernſtlich gewollt habe, - Indeſſen wo nichts zu 
verlieren ift, da ift auch nichts zu wägen, und 
weil feine beträbte Lage und der Gedanke an den 

Saft, der fih fo ungeſtuͤm für den folgenden 

Morgen anfündigte, Ihm nicht einmal auf einen 

leidlichen Schlaf Ausficht gaben, fo nahm er feis 

men Wanderſtab wieder zur Hand und verlich 

abermals Haus und Stadt. 

Im freien Felde fiel ihm zuerft ein, daß er 
auch gar Feine Muthmaßung habe, wo eigentlich 
der Schatz, auf den er fo blindlings Todgehe, zu 
finden ſey. Zwar hatte er gehdrt, daß dergleis 
hen gemeiniglich unter ſolcher Erde liege, die 
weber Thau noch Regen treffen tonne, Doch 
geſetzt, daß er nun’ and) ein ſolches Stuͤck Boden 
fand, nad dem er überall vergebens umherfah, 
woomit: den Schatz heben, da er nicht einmal ein 
Grabſcheit bei fich hatte, -hberbied, wie ifm nun 
-erf-in die Gedanken kam, dazu gewiffe, beſon⸗ 
dere Gebräuche gehdrten, die ihm gänzlich unde⸗ 
Tannt waren? J 

Jetzt fiel es ihm wie ein Muͤhlſtein aufs Herz 
daß er wieder einmal etwas ohne Ueberlegung ans 
gefangen habe, und da er eben den Mheinftrom 
dic) neben ſich ſah, fo würde er. ohnfehlbar hin 


me 


498; 


tingelprungen feyn , wenn er nicht gedacht Hätte; 
daß ed ein erflaunlicher Unterfchied wäre, Rheins 
lachſe zu eflen, oder ſich von ihnen wohl gar eſſen 
zu laſſen. 

Die Furcht vor letzterm Ereigniſſe kam ihm 
aber grade zur rechten Zeit. Denn wie er jetzt 
in die Hoͤhe blickte, ſo ſtand ploͤtzlich ein Berg 
neben ihm. Der Berg hatte auch einen Eingang, 
doch war dieſer mit einer großen eiſernen Thuͤre 
wohlverwahrt. 

Meiſter Wipper erſtaunte immer mehr, je 
laͤnger er alles das betrachtete. Er kannte naͤm⸗ 
lich die Gegend, fo zu fagen, auswendig, aber 
den Berg mit der eifernen Thüre gewahrte er 
heute zum erfien Male. Das, meinte er, gehe 
nicht mit rechten Dingen zu, glaubte auch bereits, 
daß der Berg vielleicht bloß feinethalben hinges 
ſtellt ſey. Er verzweifelte indeffen fchon, daß fein 
Scharffinn den Weg hinein finden werde, ald auf 
Einmal die eiferne Thuͤr fich von felber aufthat. 

War aber guter Rath fchon zuvor theuer ges 
weien, fo war er's nun erft recht. Wenigſtens 
Hab es taufend und mehr Fragen, worauf Meis . 
fter Wipper vor dem Hineingehen gern Antwort 
gehabt hätte, 3. DB. wer wohl den Berg hinges 
ftellt babe, wie die Gäfte darin behandelt wärs 
den und fo weiter. Doch die mit unzähligen Kers 
zen erhellten Gewoͤlbe, bie er jet entdeckte, was 


nei SEE — 


176 


ren fo ſchoͤn und fauber, baß er ausrief? Nein, 
ein häßlicher, unfauberer Geift kann hier unmoͤg⸗ 
lid hanfen, und daß er meine Wenigkeit nicht 
verfhmäht, Davon zeugt wohl das Auffpringen 
der Thuͤre, weil ich ja, fo hell der Vollmond and) 
ſcheint, in der ganzen Gegend keinen Menſchen 
weiter erblide, In des Himmel Namen denn! 
Gleichwohl ſah er ſich bei jedem Schritte weis 
"ter in die Höhle hinein auf allen Seiten um, od 
vielleicht irgendwo etwas Unheimliches im Anzug 
ſey. Auch wäre das bange Klopfen feines He 
zend gewiß weit hinaus in die Nacht erllungen, 
wenn dad Schlottern feiner Knie ſolches nicht 
überboten hätte, 
Wohl ſechs Gewölbe mochte er bereitö im 
. Rüden haben, als er in einen von Tünitlichen 
Sonnenftrahlen beleuchteten Garten gelangte, ben 
fein Maler fo ſchoͤn zu malen vermocht hätte 
Da gab ed Blumen und Krüchte aller Jahreszei⸗ 
sen und aller Welteheile, und ſchon hatte er, fall 
ohne zu wiffen, daß es gefchah, feine Taſchen mit 
Aprikofen, Kokusnüffen, Ananas und andern füfls 
lihen Eßwaaren ziemlich vollgefüllt, als er erſt 
daran dachte, daß ihm Niemand Erlaubniß dazı 
gegeben, indem er aber noch in Zweifel ſtand. 
ob das Beſte ſey, dad Haſenpanier zu ergreifen 
oder nicht, da fiel ihm ein großer Marmorpallck 
in’ Auge, und and dieſem heraus trat eine Jung⸗ 


> 





177 


frau, fo wundetſchon/⸗ daß er wie besaubert Tas 
ftand, und ſchwerlich von der Stelle gekonnt hätte, 
wenn auch die unbeichreibliche Milde ihres Ange⸗ 
ficht8 nicht gewefen wäre. Die Jungfrau” trug 
sine goldene: Krone auf ihrem Haupte,“ deren 
Glanz von dem helgelben "Haare ringöherum 
noch weit übertroffen wurde. 

Meifter Winper war ſchon im Begriff, ihr zu 
Fuͤßen zu follen, ald er mit tauſend Schrecken 
bemerkte, daß fich dergleichen nicht thun ließ, 
maßen die Jungfrau keine Füße harte, fondern. 
hr Leib, was ihm zeither vor ber, „gewaltigen 
Schönheit des Antlitzes entgangen wär. in. eine 
yigliche Schlange auöging, und fi in michtere 
Mingel. aufrollte. 

Sein Schrecken verſchwand jedoch, als ſetz 
hre Stimme, lieblich wie der Klang einer ‚Harfe, 
pn alfo anredete: Gott zum Gruß, Fremdling! 
Ullem Anſehen nach biſt Du wenig bemittelt. D& 
nir's nun an Guͤtern nicht ermangelt, ſo nimm 
in kleines Willkommen von mir an. Dazu faßte 

ie ihn bei der Hand und führte ihn vor eine große 
Truhe. 

Fuͤrchte nichts ! fägte fie, als Bei dem Laͤrm, 
en ein Paat daneben liegende‘ ſchwarze Unge⸗ 
euer erhoben, der Schneider ſich mit aller Ge⸗ 
oalt- loszureißen verſuchte. 

Still! rief ſie den Ungeheuern zu und im li 

Seſpenſterbuch. Theil. M 


170 


draußen ergben und die Exgbifchöfe mit ibres 
Bleichen gar darinnen herumlutfchen und ſich auf 
taufendfältige Weiſe erluſtiren, muß ich in folcher 
säuchrigen Klaufe figen und fchwigen und am 
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗ 
zeitkleid, das bier fertig werden fol, mahnet mich 
an die glädlichen Tage der Anden und an mein 
erbärmlihes Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, ich 
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben. 

Hiermit legte er denn die Arbeit völlig bei 
Seite und gerieth obendrein auf den Gedanken 
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf 
ebenfalld warm machte. Denn er war noch ein 
Ssunggefelle, der aber viel Neigung zum heiligen 
Eheftande in ſich verfpärte. Kr war fogar eins 
mal recht nahe daran gewefen, Wie er nämlidy 
noch als Gefelle lebte, verplemperte er ſich mit 
Hedchen, der Tochter des Meifters, bei dem ex 
arbeitete, Hedchen war auch wirklich ein huͤb⸗ 
ſches, rühriges Kind, dogn nicht ganz bloß; demm 
ihre Aeltern hatten ein Häuschen mit einem Gars 
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldka⸗ 
flen liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu 
Zeiten feinen Mäfliggang und Hang zur Unorde 
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahrs 
lich, die Dirne zur Frau zu nehmen, das hieße 
fi) eine Ruthe für Zeitlebens aufbinden! « Und 
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand 


78 


wit dem arınm Hedchen, dad ſich die Sache 8 
zu Gemuͤthe zog. 
Dbo, dachte er jetzt, es giebt noch andere und 


veichere Mädchen in Baſel, ald Hedwig iſt, ich 


darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗ 
geben, Er ichalt fich nun ſelber, daß er's wicht 


früher gethan Hatte, da ihm wohl bekannt war, 


wie ſchon mancher faule Zeifig Durch eine reiche Hei⸗ 
rath zu Muhe und Wohlſtand gelommen, Er 
putzte fi) auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗ 
lich heraus, und ging in der Stadt umher, was 
ibm ſchon allein viel heſſer, als das anbaltenbe 
Eigen behagen wollte. 

Meifter Johann Flopfte bei mehrern ehrfamen 
Buͤrgern an, deren Töchter gute Mitgiften zu 
hoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon 
it Liebſten verſehen; andere, hatten von feiner 
Geſchichte mit Hedchen gehört; andere wollten 
mit ihren Gedanken höher, ald bis zur Schneiders 
wertftatt hinauf und nod) andern war etwas von 


dem unflißigen Temperamente bed Freiers zu 


Shren gekommen. Denn wenn auch Die jungen 
Töchter das Über dem ſchmucken Unfehen bes 
Meiſters vergaßen , ſo mwußren doch gemeiniglich 


die alten Väter ihrem. Gedaͤchtniſſe darinnen nach⸗ 


zubelfen,, und fo, ging. ed zu, daß Johann: Mips 
per überall mit einer langen Dafe abziehen mußte: 


Ei, dachte er da, muß es benn grade eine 





472 


Stadtdirne ſeyn? Das Land hat wohl kernhaf⸗ 
tere Hauswirthinnen, als jene find, und wen der 
Spiegel fo freundlidy thut, als mir, der Braucht 
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht ins 
Waſſer zu ſpringen! — 

.Aber gar bald war er in den benachbarten 
Dörfern auch fo weit gefonmen, wie in der Stadt. 
Ueberall hatte er angefragt, wo Mädchen mit 
harten Thalern wohnten. Die Urfachen, bie ihm 
In der Stadt die Körbe zugezogen hatten, galten 
auch auf dem Lande, und überdies mochten die 
hieſigen rothen und ſtammhaftigen Dirnen den 
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umſtaͤnde zu 
Blaß und zerbredjlich finden. 

Er kam daher einmal des Abends gar wild 
und Abel aufgeräumt in fein Dachftübchen zurück, 
Die letzte Zeit über hatte a, im Bertrauen auf 
wine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Ue⸗ 
berfiuß gehalten und deshalb feine ganze Kund⸗ 
ſchaft eingebüßt. - Da Hand der Schneidertifch, 
ber ihm fonft menigftens bie-Nothdurft geliefert 
hatte, und nichts darauf, ald papierene Maaße, 
bie: ihn hoͤhniſch zu fragen fehienen, was er nun 
mit ihnen und mit fich felber anzufangen- dene ? 
- Doc wohl enblidy wieder eine Beſtellung! 
brummte er, als er anjet einen Brief auf dem 
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem 
Hauswirthe, der ihn darinnen ſehr unfeln um ben 





473 

Ichuldigen Miethzins mahnte,- und ben folgende 
Morgen mit dem Fruͤheſten da’ ſeyn und das Geld 
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumfeligen 
Zahler aus dem Daufe werfen, und das ſchlechte 
Geräth nebft Werktiſch zuruͤckbehalten wollte. Auch 
batte er Hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nachficht 
bei einem liederlichen Wirche, der ftatt feinem Ges 
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre 
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein 
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe 
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols 
denen Boden, aber Maſſi iggang iſt aller Laſter 
Anfang ! 

Meiſter Wipper war daräber fo aufgebracht, 
daß er den Brief fogleich mit den Zähnen zerriß, 
und fchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu 
fehben , ob ed wohlgethan fey, an ihr zu fterben, 
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, ald 
von ihr zu leben, da cr fchon Fein fremdes Blut 
ſehen konnte, gefchweige fein eigenes. Ein Geil, 
Das aus einem Mintel. hervorlugte, würde ihm 
folcyen Unblid erſpart Haben. Doch dachte er 
Dabei an die Halsichmerzen, welche es verurfachen 
möchte uud verwarf auch diefen Ausweg. 

Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, «8 
war die auf Entdedung eines Schatzes. Der 
ernſte Wille, fagte man, foll jo aid, ja alles koͤn⸗ 
ven, rief er ans, und ich habe wahrlich den aller⸗ 


TE 48 


e 


166 


nig Schritten erhob ſich die Erfcheinung und ein 
blaſſes Geſicht ſah und aus der Verhuͤllung au. 

Das Mönchgeipenfi I — riefen Mehre, denen 
die frübern Erzählungen einfielen, und felbft 
Theodor [chauderte zuſemmen und trat mul 
los zurüd. 

Was geht denn vor ? — rief Paulin e, die 
fich in dem Garten vermeilt hätte, heraustretend 
— Ach, das find unzeitige Scherze! 

. Ste ging umwillig auf die Geſtalt los, ihr die 
DBerbüllung abzunchmen, aber Taum hatte fie in 
der Nähe das blaſſe Todtengeficht erblidt, als 
fie laut vor Schreck auffchrie und zu Boden fan, 
Die Moͤnchgeſtalt ſtand ſtarr und regungslos 
neben ihr. 

Der Trieb zu helfen uͤberwand hier die Furcht. 
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten, 
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ges 
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Panline! 
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline! 
wiederholte des ſchwarzen Moͤnches dumpfe Stim⸗ 
me. Vorgebengt und bie Lebloſe anſtarrend, rief 
die Erſcheinung nochmals mit entſetzlicher Mi— 
[Yung von Freude und Graufen den Namen der 
Dhnmächtigen, und ſank dann neben ihr gu Boden, 

Der Schred feſſelte und nur auf Yugenblide 
die Sinne. Mir bemühten uns bie furchtbare 
Mönchgeftalt von Paulinen zu entfernen, Sein 








165 


Geſicht war durch Die Anftrengung des Falles 
mehr enthüllt. Wo bin ich? fragte er, wie aus 
einem Traum erwacend, und Theodor und 
ich erkannten Stimme und Züge unfers Sreundes 
Werner, 
m 

Während der Bemuͤhungen Paulinen in 
das Leben zurüczurufen, enthällte ih auch Bas 
Märhfel von der unerwarteten Ericheinung be& 
Grafen Werner. Seine Schwermuth war 
immer mehr in ftillen Wahnfim übergegangen 
und die Nachrichten von den fehlgeſchlagenen Ver⸗ 
fuhen der Deutſchen fich von der franzöfifchen 
Herrſchaft zu befreien, hatten in Verbindung mit 
feiner unglücdtichen Liebe, Gemürh und: Beſin⸗ 
nung ihm faft völlig zerruͤttet. Doch hatte fich 
die Vorftellung,. daß er'einen Sieg zu Befreiung 
feines Vaterlandes erfechten werde, immer in 
ihm lebendig erhalten. jet waxen ihm wie er 
erzählte, in feinem traumäßmlichen Zuſtande, Bil⸗ 
der von fiegenden deutfchen Heeren erfchienen, bie 
ſtets ihn aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne 
Deutlich zu wiſſen, wie? war er ibmen gefolgt. 
Wie er zu feiner Möuchötracht gekommen, wie 
er felt feiner Entweichung aud Beſancon fein Les 
ben erhalten, war ihm’ felbft ein Närbiel, Die 
Dergangenpeit lag. wie. ein verworrner" Fieber⸗ 
waum Hinter ihm, ex Tonnte nicht guterſcheiden, 


E. 


166 


» was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres 


Bild des Wahnfinns war. An die Ruine vom 
Paulinzell Hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich 
feliges Gefuͤhl ‚gebunden, er Taunte fie nicht wähe 
rend feines Wahnfinnes, und nur jetzt bemerfte 
er dab fonberbare Zufammentreffen, daß eben 
dieſe Ruine, die felbft feinen. Wahnfınn mit Erins 
nerungen. aus gluͤcklichern Zeiten durchglaͤnzte, 


nun auch die Entwidelung feines Schidfaled here 


beiführte. 

Pauline athmete noch einige Tage in bee 
wußtlofer Betäubung, aber feine Kunſt der Aerzte 
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gewalt der 
Meberrafchung datte fie getoͤdtet, und ihr eignes, 
früher geſprochenes Wort gegenrdand Wiederfehn 
bewährt. Diefelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte 
Ihrem Gelichten.die Beſinnung zurüctgegeben, aber, . 
graufam genng, zeigte ihm das Schidfal die- Ges 
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer ihm 
entriffen ward , und gab ihm -mit ber ruͤckkehren⸗ 
den Beſinnung nur die Empfaͤnglichkeit für den 
Schmerz des Verluſtes. 

Wir ſehn uns bald wieder — ſprach er, wenn 
‚ feine Freunde wit ihm klagten — und dann bring» 
ich ihr, ſtatt des Myrtenkranzes, den deutſchen 
Siegeskranz von Eichenlanb. 

© eilte er zu den preußiſchen Fabnen. Die 
Verlängerung des Waffenkilftandeh, die fo maus 





467 

chem Gemuͤth den legten Hoffnungfunfen vers 
Loͤſchte, ſchlug ihn nicht nieder, eben fo wenig 
Founten die unglüdlihden Tage bei Dresden ibm 
Den Muth erichüttern. Die fiegfroben Bilder, die 
vormals jeinen zerrütteten Geift erhellten, gingen 
wieder durch feine Träume, und oft hörte ſelbſt 
der Wachende, wie aus weiter Ferne, Siegesge⸗ 
laͤut und Triumphlieder gegen fich herantdnen. 

Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ofs 
tobers flürmte er mit der tapfern Schaar Büs 
low's Über Mödern der gegen Leipzig. Er fah 
den Sieg für die Sache ſich enticheiden, an der 
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗ 
ſucht ding. Immer feuriger riß fein Muth ihn 
vorwärtd, Er fahdie geinde weichen, Die Triumph⸗ 
lieder feiner Träume klangen um ihn, und Glofs 
Bengerön, wie von den Thürmen der nah vor ihm 
liegenden Stadt, halte zu ihm her. 

Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer 
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche 
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden trus 
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ge⸗ 
ruͤcht von dem Giege des Feindes zu dem Sterd 
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der 
Stadt feiern mußten, ſchallten bumpf wie Tod⸗ 
senglodten zu ihm heran. Seinen Freunden fehien 
anf Augenblide der Muth zu finten, aber ber 
GSterbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem 


176 


genblicke wurden Laͤmmer aus ihnen, und ſchwaͤn⸗ 
gelten um den Meiſter herum, der ſich jedoch, 
tra dem guten Anſcheine, den Rüden frei zu 
halten ſuchie. 

Als nun die Jungfrau den Deckel der Truhe 
aufpob und ein unüiberfehlicher Vorrath don fun 
Telnagelneuen harten Silberthalern vor dem Schneis 
der lag, da dachte der in ſeinen Gedauken: Wollte 
doch der Himmel, daß ic mir davon nach Se⸗ 
fallen einraffen dörfte! Und faum gedacht, ve 
Bam er auch ſchon Erlaubniß hierzm 

Da war denn der Meifter nicht faul und 
fopfte alle feine Tafchen voll’; mobei er ſich nicht 
wenig ärgerte, daß die Fruͤchte, mit denen er fih 
beladen hatte, ſchon den größten ‘Theil des Raw 
mes einnahmen, den er, weit vortheilhafter, mi 
Silder hätte anfuͤllen konnen. Gleichwohl feheote 
er ſich, dieſelben von ſich zu thun und fo zu ji 
gen,’ was er ungebüprlicher Weife abgebrochen 
datte. 

As nun feine Taſchen ſchon uͤbervoll waren, 
und er immer noch ſich bemühte, Thaler hinein 
u pfropfen, da fagte die Fungfräu: Mir Maik 
mein Freund, damit wenigfiens noch ein Pl 
chen überbleibe. 

Allein Meifter Wipper verfegte mit Lacha. 
Wenn hr weiter feine Sorge habt, fo laßt and 


179 
ie. Bern wit ich allen Raum in meinen Taſches 
Euern Edfilichen Silbermänzen: abtreten ! 

Nach Gefallen! fprach die Jungfrau, nur huͤtée 
Did etwas von dem aus meinem Haufe und 
Barten genommenen ˖wieder mit Vorſatz wegzu⸗ 
hun, oder zit vetlieren. Denn die Erbgeifter, 
sie in dieſen Raͤumen ärger als fonft wo ſchalten, 
legen dergleichen für Verachtung oder⸗Vernach⸗ 
äffigung aus und konnten Dir leicht alles wieder 
nehmen, ehe Du mein Gebiet verlaffen bafl. — 
“ Hierauf führte fie ifn zu einer andern Truhe, 
dor der abermals fchwarze, ſchnaubende Unthiere 
lagen, die jedoch, wie die erften, fing6 durch Re 
zahm und: Demäthig’gemacht waren. 

Über wie erſchrack Meiſter Wipper, als der 
Deckel aufging und eitel Goldmuͤnzen ihm ente 
gegen glaͤnzten, auch. die Jungfrau ihm diefelbe 
Erlaubniß, wie bei den ſilbernen, ertheilte. Der 
arnie Schneider! Sein Lebelang hatte er. das 
Gold nur dem Namen und Anfehnnach gekannt, 
und vorhin gar nicht daran gedacht, am allerwes 
nigften aber, daß es fuͤr ihn gewachſen feyn koͤnne: 
Nun hatte er doch die Warnung, ſich mit Silber 
nicht allzufehr gun uͤbernehmen, im ben Wind ges 
ſchlagen. Seine Taſchen faßten durchaus nichts 
mehr ; daher er dem, was er konnte, in die Vaͤuſta 
nahm. 

Graͤme * nicht, ſagte hierauf: die Jungfrau, 
M 2 





— no 2 — —— Gt —- nd mm. LE Dur Er GER DD 9 ————55 ——vv9 
⸗ 





180 


die feine Gedanken aus der Miene erraten möchte. 
Vielleicht können noch alle diefe Schäge naͤchſten⸗ 
Dein werben. on | 

Mein? rief dei Schneider aus, und Die Freude 


brachte ihn fo zur Wergeffenheit feiner ſelbſt, daß 


er feinen Arm um den Leib der Gönnerim legte. 
Aber ein Hieb mit dem Schlangenichwanze und 
er fchrie:fogleich ‚vor Schmerz laut auf, ließ auch 
die Goldſtuͤcke dazu aus der Hand fallen, 

Da kribbelte und wibbelte auf Einmal ringbe 
um alles von Leinen Erdgeiftern, die mit den 
grimmigften Geberden auf Ihn zurannien, dech 
durch einen gebieteriſchen Wink der Jungfrau aw 
genblicklich wieder davon gejagt wurden. 

Sie gebot ihm hierauf die verlorenen Golb⸗ 
Rüde ſorgfaͤltig zu ſammeln, damit nicht in ihre 
Abweſenheit die Kleinen. ihre Gewalt doch noch 
an ihm auslaſſen moͤchten. Uebrigens fügte fie, 
indeß er den Befehl ausrichtete, hinzu, giebt es 
vielleicht ein Mittel fuͤr Dich, auch, gleich mit 
dieſes Gefindelg Meifter zu werden, Du mußt 
wiffen, daß ich die Tochter eines gewaltigen Ki 
nigd bin, Ein fremder Prinz warb um mei 
Hand, allein ich erfuhr, daB er andere Liebesb⸗⸗ 
del hatte, und mit Trug und Liſt gegen die Bo 
ber umging, daher ſchlug ich ihm alles rund d. 
Zum Ungläd aber iſt er ein Zauberer, um 
bat er mich Hierher entführt una durch feine Be 





46% 


mönfehung die untere Hälfte meines Leibes in ein 
ibſcheuliches Unthier umgewandelt. Su, diefer 
Seftale fo ich Elende fo. lange verweilen, big. ich, 
nich entfchließe, ihm ‚die Hand zu geben ... pdey- 
is em reiner. Junggeſelle mich dreimal geluͤßt 
at, Die Nacht vach dem Vollmonde ſtellt fich, 
zu diefem Ende gewöhnlich ein Berg hinqus, deſa 
en eiſerne Tor in men Haus führt und. jedes⸗ 


nal aufgebt, ſobald ein Unverheiratheter ſich ihr. 


zahet. Ach, ſchon find der jungen Leute viel bier: 
jewejen! Aber theiuls machten fie den Verſuch, 
pe dazu berechtigt zu ‚feyn; theild haben ſie 
ich davor margen laſſen. Denn.follteft Du, cheus 
falls Nut zur Loͤſung meines Zaubers bezeigen,., 
g muß. ih Die, wie jedem, vorausſagen, daß 
nenn: Du Die Reinheit und Ehrlichkeit Deines 


Junggeſelleuſtandes nicht gehbrig in Obacht ger. 


nommen haft, Du befler ale Verfuche vermeiden 
magſt, weil fie Die dann nur, große ‚Ungelegenn. 
beit zuziehen koͤnnten. — Dagegen verfpreche ich. 
Dir Hand. und Herz, falls damit alles feine Rich⸗ 
tigleit haben, follte. Don welch einem Stande. 
Du fenn moͤgeſt, mein Purpur deckt alles Nies.- 
dere quf immer zu, da ich die. Erbin. gings. ungen, 
heuern Reiches bin, und. fogleich nach erfolgter: 
Sntzauberyng Dich zu meinem, Gemahl ‚ergeben. 
werde. 

Der Schnelber war. qußer fich fuͤr Breite: 





402 


Jenn ſchon war es ihm, als ob bie Prinzeffin mr 
allen ihren Kiften und Kaften und Kronen un 
Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich 
die erforderliche Reinheit zu befisen, machte auch 
fogleih Anftalt zum erſten Kuſſe. Doch vers 
bat er fi) zuvor alle Cinmiſchungen des Schlans 
genſchweifes. 

Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was 
vorhin geſchab, war Beſtrafung des Vorwitz es. 
Jetzt aber‘, wo es ernſte Dinge gilt, jetzt magſt 
Du ganz getroſt zum Werke ſchreiten und Dich 
nicht abſchrecken laſſen, wie viel Widriges Du 
auch während des Kuſſes an mir wahrnehmen 
ſetnun 

-- Hiereuf neigte denn Meiſter Wipper in aller 
Demuth und Beſcheidenheit feine Lippen nad) ib⸗ 
zerd Munde hinuͤber. Aber als ob die ganze 
Natur des untern, thieriſchen Theils ihred Leibes, 
piöglich auch in den mienfchlichen obern Theil 
übergebe, fo verzog fi) dei dem Kuffe das Ge⸗ 
fit ber Prinzeſſin. Ihr Mund ging fo weit 
auf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und 
die Uugen fchoffen Tigerblide ; dabei ſchlugen ſich 
‚de Hände gleich Krallen in. die Schultern dd 
Küffenden,, fo daß diefer ſeine Zuflucht zw einen 
anbädhtigen Water unfer nahm, damit er weis 
ſtens die Seele ſichere, wenn es aud) um feinn 


Seid geſchehen ſeyn ſollte. 





183 


Mad) vollbracdhtem Kuffe war jedoch die Das 
me ganz dad vorige liebenswärdige Weſen wies 
der. Sie freute ſich eine Staiten bis zu ihrer 
Erldſung zrrüdgelegt zu haben, und äußerte nur 
noch mit Seufzen den Wunfch, daß bie andern 
beiden ebenfalld bald und gluͤcklich uͤberſtanden 
ſeyn moͤchten. 

Meiſter Wipper, indem er jetzt die ſanften, 
Holden Züge ihres Geſichtes betrachtete, ſchalt ſich 
nicht wenig wegen feiner - Furchtſamkeit und 
machte bierauf zum zweiten Kufle alle Vorbe⸗ 
zeirungen. 

Hatte fi) aber ſchon das erſte Mal der Geift 
des Ungeheuers auch über die mienfchliche Hälfte 
der Dame verbreitet, fo war dies jetzt noch viel 
mehr der Fall. Die zwei Perlenreihen in ihrem 
Munde fihienen Dreimal 'fo lang geworden zu 
feyn und fletichten äber dad ganze Geſicht her⸗ 
der. Dazu riffen ihre Hände den armen, toba 
senbleichen Schneider dergeſtalt hin und ber, als 
wäre er ein Pflaumenbaun gewefen, den ei Nieſe 
ſchuͤtteln wollte, fo daß er daſsmal auch gar nicht 

wußte, ob der Kuß vorüber fey und er. das Zeits 
liche bereits mit dem Emwigen verwechfelt habe, 
denn er fiel in eine tiefe Ohnmacht. 

Als er darauf wieder zu ſich kam, ergößte 
ihn zwar der Anblick des lieblichen Angefichted 
aufs: Neue. Aber der kaum überftandene Schreck 


“ 
. 


«70 


draußen ergoͤtzen und die Erzbifchoͤfe mit ihres 
Gleichen gar darinnen herumkutſchen und ſich auf 
tauſendfaͤltige Weiſe erluſtiren, muß ich in ſolcher 
raͤuchrigen Klauſe ſitzen und ſchwitzen und am 
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗ 
zeitkleid, das hier fertig werden fol, mahnet mich 
an bie glüglichen Tage der. Andern und an mein 
erbaͤrmliches Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, ich 
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben. 

- Hiermit legte er denn die Arbeit vdllig bei 
Seite und geriethb obendrein auf den Gedanken 
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf 


ebenfalls warm machte. Denn er war noch ein 


SSunggelelle, der aber viel Neigung zum beiligen 
Eheftande in ſich verſpuͤrte. Er war fogar eins 
mal recht nahe daran geweſen. Wie er naͤmlich 
noch als Gefelle lebte, verplemperte er fidy mit 
Hedchen, der Tochter des Meifterö, bei dem er 
arbeitete, Hedchen war auch wirklich «in buͤb⸗ 


ſches, ruͤhriges Kind, dozu nicht ganz bloß; dem 


ihre eltern hatten ein Häuschen mit einem Gar⸗ 
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldka⸗ 


ſten liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu 


Zeiten feinen Müfliggang und Hang zur Unorde 
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahrs 
lich, die Dirne zur rau zu nehmen, das hieße 
ſich eine Ruthe für Zeitlebens aufbinden! « Und 
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand 





478 


wait dem armen Hedchen, das ſich die. Sache X 
zu Gemuͤthe zog. 
Dbo, ‚Dachte er jetzt, es giebt noch andere un 


reichere Mädchen in Baſel, als Hedwig iſt, ich 


darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗ 
gehen. Er fchalt fich nun felber „ daß ers wicht 
früher gethan Hatte, da ihm wohl bekannt war, 
wie ſchon mancher faule Zeifig Durch eine reiche Hei⸗ 
rath zu Mube and Wohlſtand gekommen. Er 
pußste ſich auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗ 
Kid) heraus, und ging in der Stadt umher, was 
ihm ſchon allein viel beffer, als das anhaltende 
Eigen behagen wollte. 

Meifter Johann Flopfte bei mehrern ehrfamen 
Bürgern an, deren Töchter gute Mitgiften zu 
Yoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon 
mit Liebſten verſehen; andere, hatten von feiner 
Geſchichte mit Hedchen gehoͤrt; andere wollten 
wit ihren Gedanken höher, als bis zur Schneiders 
werkſtatt hinauf und noch andern war etwas von 
dem unfleißigen Temperamente bed Freiers zu 
Ohren gekommen. Denn wenn auch die jungen 
Töchter had über Dem. ſchmucken Anſehen bes 
Meifters vergaßen ‚fo. wußten doch gemeiniglich 


Die alten Väter ihrem Gedaͤchtriſſe darinnen nach⸗ 


zubelfen, und fo ging. es zu, daß Johann Mips 
per überall mit einer langen -Mafe abziehen mußte, ' 


Ei, dachte er da, muß es denn grade eine 





178 


Stadtbirne ſeyn ? Das Land hat wohl Yernhafe 
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wen der 
Gpiegel fo freundlich thut, als mir, der braucht 
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's 
Waſſer zu fpringen! — ö 
Aber gar bald war er ih ben benachbarten 
Ddrfern auch fo weit gefommen, wie in der Stadt. 
Meberall hatte er angefragt, wo Mädıhen mit 
harten Thalern wohnten. Die Urſachen, bie ihm 
In der Stadt die Kbrbe zugezogen hatten, galten 
auch auf dem Lande, und uͤberdies mochten die 
biefigen rothen und ftammpaftigen Ditmen den 
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu. 
Blaß und zerbrechlich finden. 

Er kam daher einmal des Abends gar wilb 
und Adel aufgeräumt in fein Dachftühdhen zurück, 
Die legte Zeit Aber hatte er, im Vertrauen auf 
wine baldige, reiche Heirath, dad Arbeiten für Ue⸗ 
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Kund⸗ 
febaft eingebüßt. - Da Hand der Schneidertifch, 
ber ihm fonft wenigſtens die Nothdurft geliefert 
hatte, umd nichts darauf, als papierene- Maaße, 
die ihm hoͤhniſch zu fragen feinen, was er num 
wit ihnen und mit ſich felber anzufangen denke ? 

Doc wohl endlich wieder eine Beſtellung! 
brummte er, als er anjetzt einen Brief auf dem 
Tiſche entdeckte. Aber ber Brief war von feinem 
Hauswirthe, der ihn Dartınan [ehr unfein um ben 


473 


Ihuldigen Miethzins mahnte, und den folgenden 
Morgen mit dem Früheften da’ ſeyn und das Gelb 
in Empfang nebmen, wo nicht, den faumfeligen 
Zahler au dem Daufe werfen, und das ſchlechte 
Geraͤth nebft Werktiſch zurückbehalten wollte. Auch 
batte er hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nachficht 
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ges 
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre 
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein 
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe 
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols 
denen Boden, aber mög iggang ift aller Laſter 
Anfang ! 

Meifter Wipper war darüber fo aufgebracht, 
daß er den Brief fogleicy mit den Zähnen zerriß, 
und fchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu 
ſehen, ob ed wohlgethan fey, an ihr zu fterben, 
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, ald 
von ihr zu leben, da er fchon Fein fremdes, Blut 
fehen konnte, gefchweige fein eigenes, Ein Seil, 
Das aus einem Winkel hervorlugte, würde ihm 
foldyen Anblick erfpart haben. Doch dachte er 
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurfachen 
möchte und verwarf auch diefen Ausweg. 

Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, «8 
war bie auf Entdedung eines Schatzes. Der 
ernſte Wille, ſagte man, ſoll ſo viel⸗ ja alles koͤn⸗ 
nen, rief er aus, und ich habe wahrlich den aller⸗ 


176 


ren fo ſchoͤn und fauber, daß er ausrief: Nein, 
ein häßlicyer, unfauberer Geiſt kann hier unmdg⸗ 
lich hanfen, und daB er meine Wenigkeit nicht 
verfhmäpt, davon zeugt wohl bas Auffpringen 
ber Thuͤre, weil ich ja, fo hell der Vollmond auch 
ſcheint, in der ganzen Gegend keinen Menfchen 
weiter erblicke. In des Himmels Namen dem! 
Gleichwohl fah er ſich bei jedem Schritte weis 


“ter in bie Höhle hinein auf allen Seiten um vob 


vielleicht irgendwo etwas Unheimliches im Anzuge 
ſey. Auch waͤre das bange Klopfen ſeines Her⸗ 
zens gewiß weit hinaus in die Nacht erklungen, 
wenn das Schlottern ſeiner Knie ſolches nicht 
uͤberboten haͤtte. 

Wohl ſechs Gewoͤlbe mochte er bereits im 


Ruͤcken haben, als er in einen von kuͤnſtlichen 


Sonnenſtrahlen beleuchteten Garten gelangte, den 
kein Maler ſo ſchoͤn zu malen vermocht haͤtte. 
Da gab es Blumen und Fruͤchte aller Jahreszei⸗ 
sen und aller Welttheile, und ſchon hatte er, faſt 
ohne zu willen, daß es gefchah, feine Tafchen mit 
Aprikoſen, Kokusnuͤſſen, Ananas und andern Eöfte 
lihen Eßwaaren ziemlich vollgefült, als er erft 


daran dachte, daß ihm Niemand Erlaubniß dazu 


gegeben. Indem er aber noch in Zweifel fand, 
ob das Beſte ſey, das Haſenpanier zu ergreifen, 
oder nicht, da fiel ihm ein großer Marmorpallait 
in's Auge, und aus diefem heraus trat eine Jungs 





477 


frau, fo wunderſchoͤn, daß er wie bezaubert. das 


ſtand, und ſchwerlich von der Stelle gekonnt hätte, 
mwenh Auch die unbeichreibliche Mitve ihres Ange⸗ 
fichts nicht gewefen wäre. Die Jungfrau trug 
eine goldene: Krone auf ihrem Haupte,“ deren 
Glanz von dem hellgelben "Haare ringöherum 
noch voeit übertroffen wurde. 


Meifter Wipper war ſchon im Begriff, ihr zu | 


Güßen zu fallen, ald er mit faufend Schrecken 
bemerkte , daß fith dergleichen nicht thun ließ, 


maßen die Jungfrau keine Fuͤße hatte, fondern. 


ihr Leib, was ihm..zeither dor der, ‚gewaltigen 
Schönheit des Ynrliged, entgangen wär. in ein⸗ 
higliche Schlange ausging, und ſich in miehtere 
Ringel aufrollte. 

Sein Schrecken verſchwanb ledoch, N Jetz 
ihre Stiaume, lieblich wie der Klang einer Harfe, 
ihn alfo anredete: Gott zum Gruß, Fremdling! 
Allem Anſeben nach bit Du wenig bemitteft. DE 
mir's hun an Gütern nicht ermangelt, fo nimm 
ein Meines Willtommen von mir an. Dazu faßte 
fie ihn bei der Hand und führte ihn vor eine große 
eiſerne Truhe. 

Forchte nichts fagte fie, als bei dem Lärm; 
ben ein Paar daneben liegende‘ ſchwarze Unges 
heuer erhoben, der Schneider ſich mit aller Ge⸗ 
walt loszureißen verſuchte. 

Still! rief ſie den Ungeheuern zu und im Au⸗ 

Geſpenſterbuch. 3. Theil: mM 


J 





.' 
> 


176 


geublicke wurden Laͤmmer aus ihnen, und ſchwaͤn⸗ 
gelten um den Meifter herum, ber ſich jedoch, 
rot dem guten Anſcheine, den Müden frei u 
halten. fuchte. 

As nun die Jungfrau den Dedel der Truhe 
aufhob und ein unüberfeblicher Vorrath don funs 
Belnagelneuen harten Silberthalern vor den Schnei⸗ 
der lag, ba dachte der in feinen Gedanken: Wollte " 
doch der Himmel, daß ich mir davon nad Ge⸗ 
fallen einraffen dürfte! Und faum gedacht, bes 
Bam er auch ſchon Erlaubniß hierzm. 

Da war denn der Meifter nicht faul und 
ſtopite alle feine Taſchen voll; wobei er ficy nicht 
wenig ärgerte, daß bie Früchte, mit denen er ſich 
beladen hatte, ſchon den größten Theil des Raus 
mes eifinahmen , den er, weit vorteilhafter, mit 
Silder hätte anfuͤllen kdnnen. Gleichwohl fepkare 
er ſich, dieſelben von ſich zu thun und fo zu zei⸗ 
gen, was er ungebuͤhrlicher Weiſe abgebrochen 
datte. 

Ws nun feine Taſchen ſchon uͤbervoll waren, 
und er immer noch fich bemühte, Thaler hinein 
dm pfropfen, da fagte die Jungfräu: Mit Maße, 
mein Freund, damit wenigfiens noch ein vur 
chen überbleibe. 

Mlein Meiſter Wipper verſetzte mit gadın: 
Menn For weiter Peine Sorge habt, fo laßt auch 


179 
bie. Gern. will ich allen Raum in meinen Zafıhak 
Euern koͤſtlichen Silbermuͤnzen abtreten! 


Nach Gefallen ! fprach die Jungfrau, mur bäre 
Did etwas von dem aus meinem Haufe und 


Garten genommenen - wieder mit Vorſatz wegzu⸗ 


thun, oder zu vetlieren. Denn‘ die Erbgeifter; 
die in dieſen Raͤumen ärger als fonft wo fchalteit, 
legen dergleichen für Verachtung ober Werwacke 
laͤſſigung aus und Tönnten Dir leicht alles wieder 
abnehmen, che Du mein Gebiet 'verlaffen. bafl. — 
Hierauf führte fie ihn zu einer andern Truhe, 
vor der abermald:fchwarze, fihnaubende Unthiere 
lagen, die jedoch, wie die erfien, flugs durch fie 
zahm und demüthig gemacht waren. 

Aber wie erſchtack Meifter Winper , als der 
Deckel aufging und -eitel Goldmuͤnzen ihm ˖ ent⸗ 


gegen glänzten, auch. die Jungfrau ihm dieſelbe 


Erlanbniß, wie bei den ſilbernen, eriheilte. Der 
arme Schneider! Sein Lebelang hatte er. das 
Gold nur dem Namen und Anfehnnach gelannt, 
und vorhin gar nicht daran gedacht, am allerıwes 
nigften aber, daß es flr-ihn gemachfen feyn koͤnne: 
Yun hatte er-doch die Warnung, fich mit Silber 
nicht allzuſehr zu Übernehmen, im ben Wind ges 
(lagen. Seine Taſchen faßten durchaus nichts 


mehr; daher er denn, was er konnte, in die ‚Buße‘ 


nahm. 


Gräne Dich nicht, ſagte hierauf die Jungfrau, 
M 2 





8 L 


100 


die feine Gedanken aus der Miene errathen möchte, 
Vieleicht koͤnnen noch alle dieſe Schaͤtze naͤchſtens 
Dein werden. 

Mein? rief dei Schneiber sub, und Die Freude 


‚ beachte ihn fo zur Vergeffenheit feiner ſelbſt, daß 


er feinen Arm um den Leib der Goͤnnerin legte. 
Aber ein Hieb mit dem Schlangenichwanze und 
er ſchrie ſogleich vor Schmerz laut auf,. ließ auch 
sie Goldſtucke dazu aus der Hand fallen, 

Da kribbelte und wibbelte auf Einmal ringde 
um alles von kleinen Erdgeiftern, die mit den 
grimmigften Geberden auf ihn zuxannten, dach 
durch einen gebieterifchen Wink der Zungfrau au⸗ 
genbliclich wieder Davon gejagt wurden. | 

Sie gebot ihm Hierauf die verlorenen Golde 
Rüde ſorgfaͤltig zu ſammeln, damit ‚nicht in ihrer 
Abweſenheit die Kleinen: ihre Gewalt doch noch 
an ihm auslaſſen moͤchten. Uebrigens fügte fie, 
indeß er den Befehl ausrichtete, Hinzu, giebt es 
vielleicht ein Mittel fuͤr Dich, auch, gleich mir 
dieſes Geſindelq Meiſter zu werden. Du mußt 
wiſſen, Daß ich die Tochter eines gewaltigen Koͤ⸗ 
nigs bin. Ein fremder Prinz warb um meine 
and, allein ich erfuhr, daß er andere Licheshäns 
bei hatte, und mit Irug und Liſt gegen die Wei⸗ 
ber umging, daher ſchlug ich ihm .alled runb ab. 
Zum Unglüd aber ift er ein Zauberer, und da 
bat es mich Hierher entführt una durch feine Ver⸗ 





484 


wnfehung die untere Hälfte meines Leibes in..ci; 
abſcheuliches Unthier umgewandelt. Sa, diefer 
"Weftals ſoll ich Elende fo. lange verweilen, big ich 
mich entichließe, ihm ‚die Hand zu geben ,.- gdex 
bis em reiner Junggeſelle mich dreimal geluͤßt 
hat. Die Nacht vach dem Vollmoude ſtellt ſich 
zu dieſem Ende gewoͤhnlich ein Berg hinqus, beie 
fen eiſerne Thür ig men Haus führt und jedes⸗ 


mal aufgeht, ſobald ein Unverheirathgter ſich ihr. 


naher. Ach, ſchon find der jungen Leute viel hier 
geweien! Aber theils machten fie den Verfuch,. 
ohne dazu berechtigt zu ſeyn; theils haben. ſie 
ſich davor warnen laſſen. Denn ſollteſt Du, ehtu⸗ 


falls Lunt zur Loͤſung meines Zaubers bezeigen,, 


fa muß. ih Dis, wie jedem, vorausſagen, daß 
weun Du die Reinpeit und Ehrlichkeit Deinek 
Junggeſellenſtandes uicht gehbrig in Obacht ger- 
nommen haft, Du befler ale Verſuche vermeiden 
magſt, meil fie Die dann nur große Ungelegenn 
beit zuzichen könnten. — Dagegen verſpreche ich 
Dir Hand und Herz, falls damit alles feine, Nice. 
tigkeit haben. ſollte. Von welch einem Stande 

Da ſeyn mögeft, mein, Purpur deckt alles Nie⸗ 

dere auf immer zu, da ich bie. Erbin. ging&. ungen, 
heuern Reiches bin, und. ſogleich nach, erfalgser: 

Entzauberung Dich zw meinem, Gemahl ‚erheben. 

werde, 

Der Schneider war. außer ſich fr Breite, 





182 


Jenn ſchon war es ihm, als oh bie Prinzeſſin wit 
allen ihren Kiften und Kaften und Kronen und. 
Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich, 
die" erforderliche Reinheit zu befisen, machte auch 
—8 Anſtalt zum erſten Kuſſe. Doch ver⸗ 

bat er ſich zuvor alle Einmiſchungen des Schlane 
genſchweifes 

Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was 
vorhin geſchah, war Beſtrafung bed Vorwitzes. 


Jetzt aber, wo es ernſte Dinge gift, jetzt magſt 


Du ganz yetroft zum Werke ſchreiten und Dich 
nicht abſchrecken laſſen, wie viel Widriges Du 
auch "während des Kuſſes an mir wahrnehmen 
TeRi;- J 

 Hieräuf neigte dent Meiſter Wipper in aller 
Demuih and Beſcheidenheit feine Lippen nad) ih⸗ 
red Munde hindber, Aber ald ob die ganze 
Natur des untern, thieriſchen Theils ihres Leibes, 
piöglidh auch in den mienfchlichen obern Theil 
— fo verzog fi dei dem Kuſſe das Ge⸗ 
ſicht der Prinzeſſin. Ihr Mund ging ſo weit 
auf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und 
die Augen fchoffen Tigerblide ; dabei ſchlugen ſich 
‚de Hände gleich Krallen in die Schultern des 
Käffenden ‚- fo daß dieſer feine Zuflucht zu einem 
anbächtigen Vater unfer nahm, damit er weuigs 
ſtens die Seele fichere , wenn «8 and um feinen 
Zub geſchehen jeyn follte, 





9 


Mochte auch Meter Wipper Tchätteln fo viel er 
wollte, dad Kerlchen war ſattelfeſt wie Fein Ans 
derer und ſchien Zeit feines Lebens. dieſe Art zu 
reiten betrieben zu haben. " 

Der Schneider , der feiner Angſt kein Ziel mehr 
wußte, warf endlich in der hoͤchſten Verzweiflung 
fämmtliche Goldſtuͤcke aus den Händen, Iserte 
auch feine Taſchen völlig. 

Da ließen benn auf Einmal die Heinen Leute 
pon ihm ab, machten grode Krakfäße, wuͤnſchten 
wohl zu deben und ſchlugen dazu cin fo durch⸗ 
dringended Gelächter auf, daß Meifter Wipper 
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erfchöpft 
in die gewoͤhnliche Welt zurüdgelangt mar, wo 
der Mond der Sonne bereits Platz gemacht hatte, 

Zu Hauſe bekam ber Schneider einen harten 
Kampf mit dem Wirthe, der fich jedoch am Eude 
auf einige Wochen vertröften ließ, weil er wohl 
einſah, daß aus dem Geraͤthe des Schuidners 
nur wenig oder nichts zu ldſen ſeyn würde.‘ Wo⸗ 
son aber die Zahlung dann machen, wovon bis 
dahin leben ? In‘ der Verzweiflung uͤber!die 
Pein durch Die klẽinen Leute, hatte er, nebft dem 
geſchenlten Gelde, auch zugleich fein ganzes Bis⸗ 
chen noch uͤbriger⸗ eigener Baarſchaft weggewor⸗ 
fen. Dieſer Verluſt, verbunden mit den Merk—⸗ 
malen der ausgeſtandenen Marter an feinem gan⸗ 
son Körper und befonders an den von ben Spo⸗ 


184 


gackte noch allzu heftig durch feine Glieder und 
es fiel ihm die Ungelegenheit ein, mit der ihm 
die Dame gebroht hatte, weun er ein Unmürdiger 
ſeyn follte. Da dachte denn unfer Schue.der alfo : 
Beim erften Kufle war ed ſchon ſchlimm genug, 
beim zweiten. kam ich durch den färchterlichen 
Anblick ihres Rachens und der YBush, mit ber 
fie mic) zufammenrüttelte, in Gedanken bereits 
um's Leben, Wenn nun ihre Wuth das brüte 
Mal wiederum ſteigt, was bleibt ihr dann noch 
äbrig, als mich wirklich zu zerreißen? Da hätte 
fie denn wegen der Ungelegenheit wirklich recht 
gehabt; "denn ungelegener könnte. mir. ſchwerlich 
etwas fommen, als ein. fo bdier ſchneller Tod! 
Zugleich, aberfann er fein zeitheriges. Leben 
noch einmal: und jetzt fand er, daB das Erfore 
derniß, ein reiner, ehrlicher Junggeſelle zu ſercn 
verſchiedene Auslegungen erleiden koͤnne. Im 
| Sail man nämlid) die Neinheit der Gefinnungen 
in Anſchlag brachte, ſo war ’ed mit ihm. nichk 
ganz richtig: Deun Hedchen haste er das gegen 
‚bene Wort wirklich nicht, gehalten. Freilich bloß 
ans Furcht vor der Didnungsliebe. und den gen 
woͤbulich fehr gerechten Borwürfen des Maͤdchens. 
Die Sache blieb indeſſen immer, mochte der Grund, 
auch ſeyn, weicher ex wollte. | 
Zwar kraͤnkte es ihn tief in ber. Seele, deß 
ex. das große. Gihck von der. Hand laſſen follte, 





169 

die leibbafte Pringeffin ſelbſt an bie Stelle des 
Bildes treten follte. Be 

Um ja nicht noch einmal unverrichteter Sache 
ebguzichen, predigte er ſeinem ftarkllopfenden. Hera 
zen ohne Aufboͤren ‚von der Tugend bes Muthes 
mb dem Laſter dei Feigheit vor. Trotz dem aber 
rieſelte ihm, zald ur auſsging, um die Höhle aufs 
zuſuchen, ein ziemlich ftarker Schauer durch alle 
GSlicder, Von den Leinen Leuten beſorgte er 
zwar nichts, weil fie auch neulich, ſogleich nach 
Enpfahge der unterirdifchen Güter, ihret Wege 
gegangen ‘waren, deſto fuͤrchterlicher aber ſtellte 
er ſich die Geberde der Prinzeſſin beim dritten 
Kufſe ver; Er uͤberwand jedoch alle Schen und 
Bing auf die ihm mohlbelannte Gegend grade zu; 
... Mber. wer nicht da war, das war: der Berg 
mit der eiſernen Thuͤre. Nirgends entdeckte er 
ihn, fo DaB er glauben mußte, die Prinzeſſin ſey 
ihm vdilig verloren und habe in der Verzweif⸗ 
lung über ihre troflofe, hülfsbedürftige Lage doc) 
noch Dett Zauberer geheisathet,.der ihr Die Schlan⸗ 
genhälfte angehert hatte, - 
Meiſter Wipper fland jetst wiederum auf dem 
Flecke, worauf er feit Kurzem fchon verichiedente 
lich ficy befunden, Eine benachbarte Buche ſtreckte 
ihren ſtaͤrkſten Nebenaſt fo tief zur Erde herab, 
als ob fie ihm. zu einem beffern Xeben den Arm 
reſchen wolle, Wirklich hatte er auch bereits fein 


186 


(in der Verachtung der unterirbifiken Schaͤtze 

gieb und deshalb zur Rede fette, | 
Dagegen wollte denn Meifter Wipper freilich | 

vernünftige Worftellungen machen. Allein Diefe | 

Hingen den Buͤrſchchen zu einem Ohre hinein, zu 

dem andern wieder heraus. Sie beftauden bars 

auf, daß er Baarfchaft und alled aus dem Gars 

ten Genommene zurüdlaffe, und weil er fi) hier⸗ 

zu nicht gutwillig verfteben wollte, fo arbeiteten 

ſie fi) von allen Seiten an ibm hinauf, als ob 

er eine Kletterfiange geweſen wäre. Einige Inipe 

pen ihn in die Waden, ındep andere nad) Taſchen 

and Schultern krochen und fragten und fließen. 

Und wenn er einige abgeſchuͤttelt hatte, fo ſaßen 

gar bald noch einmal fo viele an ifm und dräd 

gen und zwidten und Prallten und haͤmmerten 

dermaßen auf den armen Krenzträger: los, daß 

er vor Schmerz laut auffchreien mußte, Und je 

mebr er ſchrie, deſto mehr von dem Beinen Ge⸗ 

ſchmeiß rannte. herbei, um an dem Spaße Theil 

zu uchmen. Sie waren: von allen Ständen und 

Altera und ganz wie die Menſchen auf der Obers 

welt beichaffen, nur daß fie eine überaus Heine, , 

zum Theil winzige, Statur harten. Beſonders 

peinigte ihn einer: in, vitzexlicher Tracht, der auf 

feiner Nafe ritt und dazu won beiden Seiten wit 

den Sporen einhieb, als ob er in Einem Tage 

De and Ende der Welt gu reiſen gedaͤchte. 





38 


Mochte auch Meifter Wipper ſchuͤtteln fo viel er 
wollte, dad Kerlchen war .fattelfeft wie Fein Ans 
derer und ſchien Zeit feines Lebens. diefe Urt zu 
zeiten betrieben zu baben. 

Der Schneider , der feiner Angſt Fein Ziel mehr 
wußte, w warf endlich in der höchften Verzweiflung 
ſaͤmmtliche Goloftüde aus den Händen, Ierte 
auch feine Taichen völlig. 

Da ließen denn auf Einmal die Tleinen Leute 
von ihm ab, madıten grode Kratzfuͤpe, wänjchten 
wohl zu leben ‚und fchlugen dazu cin fo durchs 
dringended Gelächter auf, daß Meifter Wipper 
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erſchoͤpft 
in die gewoͤhnliche Welt zuruͤckgelangt war, wo 
der Mond der Sonne hereits Platz gemacht hatte, 

Zu Haufe bekam der Schneider einen harten 
Kampf mit dent Wirthe, der fich jedoch am Eude 
auf einige Mochen verträften ließ, weil er wohl 
einiah, daß aus dem Geräte des Schuldners 
nar wenig oder nichts Zwlßfen ſeyn wuͤrde. Mos 
von aber die Zahlung dann machen, wovon bis 
dahin ileben ?_ In der Verzweiſſung über !bie 
Pein. durch die klrinen⸗Leute, hatte er, nebft dem 
geſchenkten Gelde, aid) -zugleic) fein ganzes Bis⸗ 
chen noch Äbtiger; "eigener Baarſchaft weggewor⸗ 
fen. - Dieſer Verluſt, verbunden mit den Merk⸗ 
malen ber ausgeftandenen Marter an feinem gan⸗ 
zon Koͤrper und befonderd an den von ben Spo⸗ 





182 


Yen ſchon war es ihm, ald oh bie Pringeffin vie 


allen ihren Kiften und Kaften und Kronen und 


Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich, 
die erforderliche Reinheit zu befitsen, machte auch 
ſogleich Anftalt zum erften Kuſſe. Doc vere 
bat er fi) zuvor alle Cinmiſchungen des Schlane 
genſchweifes. 

Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was 
vorhin geſchab, war Beſtrafung des Vorwitzes. 


Jetzt aber‘, wo es ernſte Dinge gilt, jetzt magſt 


Du ganz getroſt zum Werte fhreiten und Dich 
nicht abſchrecken laffen, wie viel Widriges Du 
audy :während des Kuſſes an mir wahrnehmen 
yomi;- " 

Hiertiuf neigte denn Meifter Wipper in aller 
Demürh und Beicheidenheit feine Lippen nad) ih⸗ 
ve Munde binhber, Aber ald ob die ganze 
Natur des untern, thieriſchen Theils ihres Leibes, 
ꝓId tzuch auch in den menſchlichen obern Theil 
uͤbergehe, fo verzog fi) dei dem Kuſſe das Ges 

fiht ber Prinzeſſin. Ihr Mund ging fo weit 
anf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und 
die Augen fchoffen Tigerblide ; dabei fchlugen ſich 
‚Ye Hände gleich Krallen in die Schultern des 
Kuffenden, fo daß diefer felne Zuflucht zu einem 
andichtigen Bater unfer nahm, Damit er weunig⸗ 
ſtens die Seele ſichere, wenn es auch um feinen 


Lab geichehen jeyn ſollte. 





198° 


waͤrts herum gefragt haft und Übera mit lan⸗ 
ger Nafe abgezogen bift, nun foll Hedchen doch 
wieder gut genug Teyn ? Nein, mein Schöner, 
daraus kann ninnmermehr etwas werden, 

Ei, dachte Meifter WBipper, die ſplelt ja Hed⸗ 
chen fo ohne Anftoß, daß, Pennte ich ihr Geſicht 
nicht allzugut, ich felber irre Daran werben würdet 
Je fefter er aber überzeugt war, bie Prinzeffin 
vor fi) zu haben, befto leichter wurden ihm die 
füßen Worte, fo daß auch das Mädchen, trog 
der gegebenen abicplägigen Antwort, gar bald 
ondered Sinned ward, ihn felbft bei den Alten 
einführte,, und dieſen vorſchlug, der frühern Uns 
bilden feine Erwähnung zu thun. — 

Lange war Meijter Wipper nicht fo wohlge⸗ 
muth zu Haufe angefommen, ald dasmal. Ade, 
du Dachſtuͤbchen, ade, du trauriger Schreider⸗ 
tiſch! rief er aus. Endlich fehe ich mich doch 
am Ziel meiner Wuͤnſche; endlich werben meine 
Hände einmal die verhaßten Nadeln und Schee⸗ 
ten entrathen Tonnen — 

Um diejed Ziel noch mehr zu befchleunigen, 
lieg er auch gar nicht eher nach, als bis das 
Aufgebot in der Kirche geſchah und alle andere 
Vorbereitungen getröffen wurden, , 

Hedwigs Aeltern fdyienen übrigens wirklich, 
ſo wenig als ihre Verwandten und Bekannten, 
iu wiſſen, daß fie ein ganz anderes Mädchen, 

Veſpenſterbuch. 5. Tpeil, n 


Lo. J — 


184 


noch allzu heftig durch feine lieber ur 
es fiel ihm die Ungelegenheit ein, mit ber ihm 
die Dame gedroht hatte, wenn er ein Unwuͤrdig er 
feyn follte. Da dachte denn unfer Schue.der alfo = 
Beim erften Kuffe war ed ſchon ſchlium genug, 
beim zweiten. kam ich durch den fürchterlicheag_ 
Aublick ihres Rachens und der Wurb, mit der 
fe mich zufammenrüttelte, in Gedanken bereits 
um's Leben. Wenn nun ihre Wuth das britte 
Mal wiederum :fleigt, was bleibt ihr dann noch 
Abrig, als. mich wirklich zu zerreißen? Da hätte 
fie denn wegen der Ungelegenheit wirklich reche 
gehabt; denn ungelegener koͤnnte mir ſchwerlich 
etwas. kommen, als ein. fo böfer fehneller Tod! 
Zugleich äberfann er fein zeitheriges. Leben 
noch einmal: und jetzt fand er, daB das Erſor⸗ 
derniß, ein reiner, ehrlicher Junggeſelle zu ſeym 
erichiedene. Auslegungen erleiden koͤnne. Im 
| man naͤmlich die Meinheir der Gefinnungen 
in Anfchlag brachte, ſo war red mit ihn. nichk 
ganz richtig· Deun Hedchen haste er DaB. gegen 
‚bene Wort wirklich nicht. gehalten. Freilich bloß 
and Furcht vor der Ordnungsliebe und Den gee 
woͤbulich fehr gerechten Vorwürfen ded Maͤdchens. 
Die Sache blieb indeſſen immer, mochte der Grunh 
auch ſeyn, welcher er wollte. 
Zwar kraͤnkte es ihn tief in der Seele, daß 
ex. das große. Gihck von der. Haud laſſen follte, 








385 


Siher beſſer iſt doch beſſer! dachte er, ſab De 
Prinzeſſin wehmäthig an und tagte: Ude, Allere 
ſchoͤuſte! Mit Eurer Ungelegenheit habt Ihr mir 
einen allzuargen Floh in's Ohr geſetzt. 

Als er nun wirklich davon ging, fo begany 
die Prinzeffin, zu weinen und zu wehllagen und 
rad): Warum, Du loſer Knecht, haft Du meis 
ne fürflichen Kippen zwei Mal entweiht, wenn 
Du, Did zu ſchlecht fühltek, das große Werl 
auszuführen? Warum haft Du mich, die Dich 
ſo buch zu erheben dachte, alſo tief eruicbriger 2 
Barum — — . 

Doch der Schneider aus Aurcht, bie Thraͤnen 
und Vorwuͤrfe der Schoͤnen koͤnnten ihn, mohl 
noch zum dritten Kuſſe verleiten, eilte fo ſchnell 
hinweg ,. daß ihre letzte Frage gar nicht, bis zu 
feinem Dhre, drang. . 

Will froh, ſeyn, fagte er, daß ich Tafchen und 
Haͤnde voll habe ; will damit eine huͤbſche Einrich⸗ 
tung anfangen und Geſellen halten, die ſtatt mei⸗ 
ner arbeiten, und mir's auf. ber Welt recht wohl 
ſeyn laſſen. 

Kaum aber hatte er's ausgeredet, als auch 
ſchon um. ihn. herum ein. erſchrecliches Getuͤmmel 
non Heinen; hoͤchſtens einer Spanne langen, Leute, 
den eutfiand, ‚deren einer. ihm ein Goldſtuͤck, das 
Der Meifter. vorhin beim, Wiederaufſammeln des, 
Verlor enen äberichen haste, vor. Augen hielt, und, 





486 


(in der Verachtung der unterirdiſchen Schaͤtze 
zieh und deshalb zur Rede ſetzte. 

Dagegen wollte denn Meifter Wipper freilich 
vernünftige WVorftellungen machen. Allein viele 
Hingen den Buͤrſchchen zu einem Ohre hinein, zu 
dem andern wieder heraus. Sie beftauden bare 
auf, dad er Baarſchaft und alled aus dem Bars 
ten Genommene zurüclaffe, und weil er ſich hier⸗ 
zu nicht gutwillig verſteben wollte, fo arbeiteten 
fie fi) von allen Seiten an ibm hinauf, als vb 
er eine Kletterflange gewefen wäre. Einige knip⸗ 
pen ihn in die Waden, indeß andere nad) Taſchen 
and Schultern krochen und kratzten und fließen. 
Und wenn er einige abgeſchuͤttelt hatte, fo ſaßen 
gar bald noch einmal fo :viele an ihm und. drädh 
sen und zwidten und. trallten und Sämmerten 
bermaßen auf den armen Kreuzträger- 106, daß 
er vor Schmerz laut auffchreien mußte. Und je 
mebr er fchrie, defto mehr von dem- Beinen Ge⸗ 
ſchmeiß rannte. herbei, um an dem Spaße Theil 
zu nehmen. Sie waren von allen Stäuden und 
Altera und ganz wie die Menſchen auf der Obers 
welt beichaffen, nur daß fie eine überaus Heine, , 
zum Theil winzige, Statur harten. Beſonders 
peinigte ihn einer: in vittenlicher Tracht, der auf 
feiner Nafe ritt und dazu won beiden Seiten wit 
den Sporen einbieb, als ob er in Einem Tage 
dis ans Ende der Welt gu reifen gedaͤchte. 





—* 


Mochte auch Meiſter Wipper ſchuͤtteln fo viel er 
wollte, das Kerlchen war ſattelfeſt wie kein An⸗ 
derer und ſchien Zeit feines Lebens dieſe Art zu 
geiten betrieben zu haben. j 
. Der Schneider , der jeiner Ungft fein Ziel mehr 
wußte, warf endlich in der hoͤchſten Verzweiflung 
ſaͤmmtliche Goldſtuͤcke aus den Hauden, Iserte 
auch feine Taſchen völlig. 

Da ließen denn auf Einmal dfe Heinen Leute 
von ihm ab, machten grode Krabfäße, wünjchten 
wohl zu deben .und fchlugen dazu cin fo durch⸗ 
dringendes Gelächter auf, daß Meifter Wipper 
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erfchdpft 
in bie gewähnlicye Welt zurügfgelangt war, wo 
der Diond her Sonne bereite Platz gemacht hatte, 

Zu Hauſe bekam der Schneider einen harten 
Kampf mit dem Wirthe, der fich jedoch am Ende 
auf einige Wochen vertrhften ließ, weil er wohl 
einſab, daß aus dem Geraͤthe des Schuldners 
nur wenig oder nichts zwlbien ſeyn würde.‘ Wo⸗ 
von aber die Zahlung dann machen, wovon bis 
dahin "tehen ? In der Verzweiflung über 'bie 
Pein. durch die Heinen-Leute, hatte er, nebft dem 
geſchenkten Gelde, auch zugleich fein ganzes Bis⸗ 
chen noch Äbriger; eigener Baarſchaft weggewor⸗ 
fen. - Diefer Verluſt, verbunden mit den Merk⸗ 
malen der audgeftandenen Marter an feinem gan⸗ 
zen Körper und befonberd an den von ben Spo⸗ 


so 
ren aufgeriffenen Baden überzeugte ihn auch, 


daß die Begebenheit kein bloßer Traum geweien 
war, wefhe. ex fie fon wohl gehalten haste. . 


Ach, wenn er feinen troſtloſen Zuftand be— 
Dachte, fo verwänfchte er’8 taufendmal, dem brite 
ten Kuß wicht gewagt zu haben. Traun, fo ie 
er aus, jetzt moͤchte ich mich ſelber zerreißen von 
wegen des Haſenherzens, das mir zugefallen iſt. 
Wollte doch Gott, daß ich niemals auf dein Ge⸗ 
danken gerathen wäre, das träbfelige Schneiders 
handweri au erlernen ! Denn zwiſchen Nadel, 
Scheere und Buͤgeleiſen ſcheint der Kind) groß, 
gewachfen zu feyn, der mir den Weg zu meinem‘ 
She vertreten hat. Ich Tmare der Mann’ el⸗ 
ner wunderfchbnen Zürftin werden! Und da ſteht 
der feige Schelm an, ein Leben daran zu wagen, 
das er entweder gar nicht mehr „ ober doch nur 
in Sgande, Elend und ‚Kater behaupten Kann?" 


¶ Der Gcdonke maghen den Meiften, gayz, Ale 
Fanig.ı uud, der naͤchſte Vollmond war ‚ach feine, 
ensigr.Sip ang, wo er [73 ein Herz fatſn, den. 
Berg wicher. aufiudyen und. ben, dritten Kol au 





Stande bringen wollte, Inzwiſchen (ah. em .wie- 
feinen Mund theils mit Borgen, tHeifd. bei Bea. 
kennten durchbrachte. „Das Bild der ſchoͤnen 
Prinzeffin Rand wit ihm. auf und ging wit. ihm.. 
gu Bette, bis endlich die Racht anhrach, in der 








169 

die leibbafte Prinzeffin felbft un bie Stelle des 
Bibes :treten follte: :: u 

Um ja nicht noch einmal unverrichteter Sache 
abgnziehen, predigte er ſeinem flarlllopfenden. Her⸗ 
gen obne Auiboren: von der Tugend des Muthes 
und dem Lafter der Feigheit vor. Trotz dem aber; 
rieſelte ihm, als er audging., um bie Höhle aufs 
zufuchen, ein ziemlich ſtarker Schauer dur alle 
Slider. Bon den Aleinen Leuten beforgte et 
gwar nichts ,. weil fie auch neulich, ſogleich nach 
Empfahge der unteritdiſchen Güter ‚ ihrer Wege 
gegangen ‘waren; deſto fuͤrchterlicher aber Kclite 
er ſich die. Gederde der Pringeffin beim dritter 
Rufle vn: Er uͤberwaund jedoch alle Echen und 
Bing auf bie ihm wohlbekannte Gegend grade zu; 
... Aber: wer nicht da war, das war. der Berg 
mit :der eiſernen Thure. Nirgends entdedte ee 
ihn u fo daß er glauben mußte, die Prinzeſſin (ey 
ihm vällig verloren und habe in der Verzweif⸗ 
lung über ihre troftiofe, huͤlfs deduͤrftige Lage doch 
noch dett Zauberer geheisathet,. der ihr die Schlans 
genhälfte angehert hatte.V 
.Meiſter Wipper ſtand jetzt wiederum auf dem 
Flecke, worauf er ſeit Kurzem ſchon verſchiedent⸗ 
lich ſich befunden: Eine benachbarte Buche ſtreckte 
ihren ſtaͤrkſten Nebenaft fo tief zur Erde herab, 
als ob fie ihm. zu einem beſſern Leben den Arm 
seichen wolle, Wirklich harte er auch bereite fein 





98 


ren aufgeriffenen Baden übergengte ihn auch, 
Daß die Begebenheit fein bloßer Traum gewefen 
war, wefür ex fie fonft wohl gehaltei hätte, . 


Ach, wenn er feinen trofflofen Zuftand be⸗ 
dachte, fo verwuͤnſchte er's taufendmal, den brite 
ten Kuß nicht gewagt zu haben. Traun, fo riet 
er aus, jetzt moͤchte ich mich ſelber zerreißen von 
wegen ded Haſenherzens, das mir zugefallen ik 
Wollte doch Gott, daß’ ich niemals auf den Ges 
danken gerathen wäre, dad träbfelige Schneiders 
handwerk zu erlernen! Dem zwifchen Made: 
Scheere und Bügeleijen ſcheint der Fluch groß 
gewachfen zu feyn, der mir den Weg zu meinem 
Glicke vertreten hat. Ich konnte der Mann ’els 
ner wunderfchdnen Fürftin werden! Und da ſteht 
der feige Schelm an, ein Leben daran zu wagen, 
Dad er entweder gar nicht mehr, oder doch nur 
in Schände, Elend und Kater behaupten tann? ” 


Der Gcdanke maghſe den Meiften, gap5,: tiefe 
finnig, uud. der nächfte Vollmond way nad feine, 
einzige Hoffnuug⸗ wo er fi; ein Herz faffen, den 
Berg wicher. aufſuchen und ben ‚dritten — 
Stande bringen. wollte. Inzwiſchen fake wie: 
es feinen Mund theils mit Borgen, theis bei Yen 
kannten durchbrachte. Das Bild der ſchoͤnen. 
Prin zeſſm fand mit ibm. auf und ging mit ihm. 
ax Bette, bis endlich, die Nacht anhtach, in ber. 








189 
bie leibbafte Prinzeffin ſelbſt un bie Stelle des 
Bildes treten follte: -: 

Um ja micht nod) einmal unverrichteter Sache 
abguziehen, predigte er ſeinem ſtarkllopfenden Her⸗ 
zen ohne Aufhoͤren von der Tugend des Muthes 
und dem Laſter det Feigheit vor. Trotz dem aber 
rieſelte ihm, als er addging., um bie Höhle auf⸗ 
aufuchen, ein ziemlich ſtarker Schauer dureh allg 
Bde ' Bon des kleinen Leuten beſorgte er 
zwar nichts, weil fie auch neulich, ſogleich nach 
Empfange der unterirdiſchen Guͤter, ihrer Wege 
gegangen waren, deſto fuͤrchterlicher aber ſtellte 
er ſich die Geberde der Prinzeſſin beim dritten 
Kuſſe vor; Er uͤberwaund jedoch alle Schen und 
ging auf die ihm wohlbekannte Gegend grade zu; 
.Aber. wer nicht da war, das war der Berg 
mit der eiſernen Thire. Nirgends entdedte er 
ihn » fo daß er glauben mußte, die Prinzeſſin ſey 
ihm vdllig verloren und habe in der Verzweif⸗ 
lung über ihre troftlofe, huͤlfs deduͤrftige Lage doch 
noch. dett Zauberer geheisathst,. der Ihr Die Schlans 
senhälfee angebert hatte, - 

2. Meiſter Wipper fand jet wiederum auf dem 
Fleche, worauf er feit Kurzem ſchon verichiedente 
lich ſich befunden: Eine benachbarte Buche ſtreckte 
ihren ſtaͤrkſten Nebenaft fo tief zur Erde herab, 
als ob fie ihm: zu einem beflern Xeben den Arm 
seichen wolle, Wirklich hatte er auch bereite fein 


190 


Schnupftuch zur Hand genomnten und es mie 
den Hals geſchlungen, als ſein banges Herg den 
Entſchluß wie gewoͤhnlich entzweiſchlug. 
Wielleicht war ihm dasmal unter ander and) 
der. Umitand binderlih, Daß er in einiger. Entfer⸗ 
nung bad Lachen der kleinen Leute ju vernehmen 
dlaubte, worin er fie burch feinen Tod nicht. be⸗ 
ſtaͤrken wollte. . Yu 
Ohne zu bedenken, daß dergleichen leichtferti⸗ 
ges Gefindel im Schlafe. der Menſchen oftmals 
den ſtaͤrkſten Einfluß auf dieſe aͤußert, legte er 
ſich daher in's Gras nieder und gerieth gar bald 
dor Ermuͤdung in ziemlich tiefen Schlummer, 
Da träumte-ihm denn, daß die unterirdiſche Prin⸗ 
zeſſin, wer weiß durch welchen Zufalf, ſtatt des 
Schlangenſchwanzes, vor der Hand vermathlich 
nur erſt zum Scheine, wieder Beine bekommen 
und aus Liebe zu ihm ihre. Häple verlaſſen habe, 
und fidy in Hebchend Urgnge zeige, um ihm den 
dritten, gefürchteten Ruß zu erleichtern. ° _ 
Obſchon die Sache im Garten von. Hedchens⸗ 
Aeltern vorfiel, auch das Mäddyen ber. Prinzeſſin 
Zuge wicht verläugnen Ionnte, bezeigte fie Doch 
großen Unmillen, ald ber Meifter fie.bei ihrem ' 
vornehmen Namen nanıite, und fagte: Ah Bin 
nichts mehr, ald wofür ich mid) ausgeba, und 
wer etwas anders in mir. Keht, der mag mich mit 
feiner Anrede ungehubelt laſſen. nn | 


| | 








191 
‚ha, dachte da der Schneider, vermuthlich will 


fe dich prüfen, ob du auch fie ſelber und nicht 


ren hohen Stand allein liebeſt, nad that Daher 
von nun an ganz, als ſey es Hedwig, voflbrachte 
den Kuß gluͤcklich, und drang dann auf recht bal⸗ 
dige Trauung. 

Das gidßte Raͤthſel fand er darin, wie ſie 
grade an Hedchens Aeltern gekommen war, und 
daß diefe ſich die Sache ſo gutmüthig gefallen 
ließen und die Komoͤdie fo ohne Anſtoß mitipiels 
ten, als ob die Prinzeffin wirklich kein Menſch 
anders, als ihre Hedwig ſey. | 

Das Hochzeitfeſt „ging auch vor fi ch und Dei 
ſtex Wipper führte bie, Braut am Abend in feine 
geringe Wohnung. Am folgenden Morgen aber, 
als er erwächte, da. fab..er plöglich alles verwans 
beit und die Prinzeffin in Zürftenpracht neben fich, 
ab dem ebenfalls ein reicher Anzug einen ganz 
andern Dienfchen ‚gemacht harte. Die hoben, 
weithinlaufenden Wände glänzten von Gold und 
Gifenbein, und das: erfie Wort der Prinzeſſin 
wer: Nun, Händchen, bift Du mit mir zufrieden ? 

Die. Antwort. ward, ihm jedoch durch Das in 
demſelben Augendlice erjolgende Aufwachen er⸗ 


ſpert. 

Nach fo, kdoſtlicher Ausſicht fand er ſich unter 
der Buche, deren Leitung in ein beſſeres Leben 
oe vorhin beinahe angenommen hatte, noch immer 





193 
flegen, und ſeinen Zuſtand nur in fo fern wein 
dert, ald immittelft der Morgen angebrochen war: 

Der Traum war indefien dem Meifter viek 
zu bedeutſam, um ſich fetter ſofort ya kiitſchlagen 
Wie manchem, fo tröftete ei ſich, hat bas Glaͤck 
nicht ſchon im Traume den Weg gezeigt, worauf 
es ihn zu finden denkt; und einen- Verſach iſt der 
Wint fchon werth. 

it Hedchens Aeltern war er Freilich —* 
len, ſo daß ſie ſicher große Augen machtem, wenn 
er ihre Schwelle wicder betrat, 

‚Meinetwegen ! Hat. der Traum wicht gets 
gen, fo fiid fie auf alles: vorbereitet, ſagte er, 
und ging graden Weges auf den. (om gar wohl 
befannten Garten zu. . ..nd 

Durch ein Aſtloch in der Brenwamd er 
fofort, daß fich alles nach Wunfche verhielt; Es 
{ad die leibhafte Prinzeffin in Hedwigs Unzuge 
vor einer Laube ſitzen und ftriden. Da ihm noch 
in frfichem’ Andenken war, "Wie abe es ihm Die 
hohe Perſon im Traume genommen hatte, ale & 
fie nicht fogleich für- Hedchen ſelbſt hatte halten 
wollen, ſo nahm er ſich vor, Ihr dieſen Verdruß 
im Wachen zu erſparen, ging hinein und-fagret 
Buten Morgen, ſchoͤnes Hedchen! Alte Aebe 
roſtet doch nicht‘, und ich komme jetzt, Dich, we⸗ 
gen des Bergangenen um Vergebung zu bitten: 

So, verſetzte das‘ Mädchen, nun Du aller⸗ 





Le on einen He een. SEE RR Fr Trn Bine et - | 
- * — * —A— 


195 


wärtd herum gefragt haft und überall mit lan⸗ 
ger Nafe abgezogen bift, nun foll Hedchen doch 
wieder gut genug Teyn? Mein, mein Schöner, 
daraus kann ninnmermehr etwas werden, 

. Ei, dachte Meifter Wipper, die fpielt ja Hed⸗ 
‚chen fo ohne Anftoß, daß, Tennte ich ihr Geficht 
nicht allzugut, ich felber irre Daran werben würde ! 
Je fetter er aber überzeugt war, bie Prinzeflin 
vor fich zu haben, befto leichter wurden ihm die 
füßen Worte, fo daß auch das Mädchen, troß 
der gegebenen abfchlägigen Antwort, gar bald 
anderes Sinnes ward, ihn felbft bei den Alten 
einführte, und diefen vorjchlug, der frühern Uns 
büben feine Erwähnung zu thun. — 

Lange war Meifter Wipper nicht fo wohlge⸗ 
muth zu Haufe angefommen, ald dasmal. Ade, 
‚du Dachftübehen, ade, du trauriger Schneiders 
tiſch! rief er aus. Endlich fehe ich mich doch 
am Ziel meiner Wuͤnſche; endlich werden meine 
Hände einmal die verhaßten Nadeln und Schee⸗ 
ten entratben koͤnnen — 

Um diejes Ziel noch mehr zu befchleunigen, 
ließ er auch gar nicht cher nach, als bis das 
Aufgebot in der Kirche geſchah und alle andere 
Worbereitungen getröffen wurden, | 

Hedwigs eltern ſchienen übrigend wirklich, 
fo wenig ald ihre Verwandten und Bekannten, 
‚zu wiffen, baß fie ein ganz "anderes Mädcheiy 

Geſpenſterbuch. 5. Theil, N 


m. 


198 


als ihre Tochter vor ſich Hatten, bie nach des 
Braͤutigams Vermuthung unfehlbar durch Zaus 
berkünfte einftweilen aus dem Haufe geführt wors 
den war. MWebrigend nahm ed Meifter Wippern 
um fo mehr Wunder, da die Prinzeffin doch ganz 
anders als die Abweſende ausſah. Im Betragen 
wußte fie fich übrigens der Schneiderstochter vol⸗ 
lig gleich zu zeigen und hielt dern Bräutigam gar 
oft feinen Unfleiß vor, behauptend, daß er als ihre 
Ehemann ein ganz anderer Menich werden müffe, 
Freilich ein ganz anderer Menſch! pflegte er Da 
laͤchelnd zu fagen , und Tonnte die Zeit kaum ers 
warten, wo er bis dahin gelommen feyn würde. — 
Bei der Hochzeit ging es für die Kräfte der 
Schneiderfamilie gar hoch her, und ald Wipper 
Abends mit der Braut in feiner Behaufung ans 
langte, da freute er fich fchon kindiſch auf das 
Erwachen und die Verwandlung am folgenden 
Morgen. —' - 
Defto größer war fein Erftaunen, als er, wie 
es fchien, von einem Gelächter aus dem Schlafe 
aufgefchredt wurde, und zwar die Morgendänts 
merung aber auch Dachfenfter und Schneidertiich, 
mit einem Worte: das ganze alte Elend um ſich 
ber erblickte. 
Das Gelächter ſchien fogar zuzunehmen und 
Draußen vom Dache hereinzufommen. Sogleich 
Iprang er and dem Bette und nach dem Fenſter. 





Y 
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‘ 195 


Allein ob er ſchon in ben Worten: Profit, Em. 
fhrftlihe Gnaden! die ihm von draußen entgegens 
{chollen, die Stimme des nämlicyen Fleinen Mans 
nes, deffen Ritt auf feiner Nafe ihm ewig in Ans 
denken blieb, deutlich von den Uebrigen unterfcheis 
Den konnte, fo gewahrte er doch nicht das Min⸗ 
deſte. Ohnſtreitig waren bie kleinen Leute In- Nies 
beltappen, worin fein ſterbliches Auge fie ents 
decken konnte, auf das Dach geklettert. 

So lacht und ſchwatzt Euch meinetmegen fatt! - 
rief Meifter Wipper, warf das Fenfter zu und 
legte ſich wieder gu Bette, in der Meinung, daß 
das nedifche Gefindel ihn zu früh aufgewedt has 
be, und dad glüdlichere Erwachen jchon noch 
folgen werde. 

Allein Faum mochte er wieder eingefchlafen 
feyn, als ein heftiges Mätteln ihm durch ben 
ganzen. Körper fuhr. Nun, Siebenfchläfer, fo 
rief ferne Frau ifm zu, der Feſttag iſt vorüber, 
jet wird es endlich Zeit zum Arbeiten ! 

Da raffte fi) Meifter Wipper jähnend auf 
und rieb fich die Augen immer mehr und mehr, 
und der Mund blieb ihm offen flehen und bie 
Schlafmäge fiel ihm vor Schreden aus der Hand, 
als aller Zweifel verſchwunden war, daß er, flatt 
der Prinzeffin, Hedchen felbft zur Frau bekom⸗ 
men batte. 

Jetzt begriff er dad Lachen.der Kobolde, das 

N 2 | 


196 


fi aufs Neue draußen vernehmen Heß, vdllig. 
Erft Hatten fie ihm den Traum zugefchidt, und 
dann auch im Wachen fein Auge fo in der Ber 
thörung gehalten, daß ihm Hedchen, die alle ans 
dere in ihrer wahren Geſtalt fahen, fälfchlich wie 
die verwünfchte Prinzeflin vorgekommen war. 
Nun mußte er fich wohl in Alles ergeben, fo 
faner es ihm auch wurde. Für Arbeit harte Heds 
chens Vater fchon geforgt und bie Neuverehelichte 
ruhte und raftete nicht, bis er fid) darüber here 
machte und bid er nach und nach überhaupt bie 
‘alte Arbeitfchen ganz aufgegeben hatte, 
Ein firenged Hausregiment führte fie freilich, 
as Meifter Wipper aber in der Folge einfah, 
daß er ſich weit befier, als zuvor dabei befand, 
und daß er ohne einen foldyen Arzt fchwerlich 
zur Ordnung hätte gebracht werden konnen, da 
vergab er's den Fleinen Leuten recht gern, daß 
fie ihm mit der Prinzeffin fo zum Beften gehabt 
hatten, pflegte auch feine Frau am liebften feine 
Dausehre zu nennen, weil durch fie wirklich 
ganz allein die Ehre feines Hauſes und ſeines 
Lebens gerettet worden war, 








197 


Die Schuhe aufden Stangen, 
Ein Schwant nah D. Martin £utber, 





Als in der HM ein Satanas 
Gaͤhnend auf feinen Lehnſtuhl faß, 
Meint’ er, es brächt: ihm wol Gewinn, 
Thaͤt' er einmal die Welt durchziehn; 


Könnt’ Einem den Weg zum Himmel verhegen, 


Den Andern ein Ei in die Wirthfchaft lagen, 

So fuhr er durch das Höllenthor 

Zum ſchoͤnen Sonnenlicht empor. 

Und wie er aus der Erd”. gefliegen, 

Sah' er eine Stadt groß vor fich liegen, 

Da ging viel’ Volks Thor aus Thor ein, 

Satanas denkt: ich muß auch hinein! 

Streicht füch fein Horn dicht an den Schepf; 

Lockt ſich Darüber den Tiruskopf; - 

Dehnt feine Hofen weit und lang, | 

Daß niemand den Teufel merkt’ am.@ang. 

Und weil ihn die Hoͤllenglut fchwärzlich gemacht, 

©ilt er für fremd und wird hoch geacht't. 
Am Thor war eine Kirch) zu ſchaun, 

Darein ſich drangen Männer und Fraun, 


TR 
\ 


206 
Satanas ärgert fich ſchwarz darum, ° 
Läuft wie befeffen im Selb herum, En 
Endlich ein altes Weib er fand, 
Scheußlich von G'ſicht, ganz grau von Owen 
Und wie er fommt zu ihr beran, ’ 
Fragt fie, womit fie dienen Tann ? 
Weil fie nun. wieder und wieder fragt, 
Satanas feine Noth ihr klagt. 
Die Alte fpricht : Iſt's das allein, 
Da mußt du Bein rechter Teufel ſeyn; 
Zwei Liebesleute zufammen zu hetzen, 
Braucht man fich nicht außer Athen zu feen, 
Heut herzt noch jedes feinen Schatz, 
Morgen find beide wie Hund und Katz. 
Satanas freus fich, wie. fie das fpricht, 
Streichelt ˖ der Alten das Herengeficht, 
Kuͤßt Stirn und Backen ihr roth mie Mennig, 
Verheißt ihr dazu einen goldiien' Pfennig, 
Brächt fie das Kiebespaar in Haß. 
Die ſchimpft: du filziger Satanas, 
Um fo einen DBettel und Kleinigkeit 
Iſt dir keine Frau zu dienen bereit, 
Zwa⸗ ihu ich's nur mich zu amaͤſiren, 
Doch du ſollſt nichts dabei profitisen, 
Verſprich mir ein paar rothe Schuh! 
— Satanas lacht, und fagt ihr den Handel zu, 
Die Alte nun zum MWeiblein geht, - ö 
Fragt, wies um Haus. und Wirthſchaft ſteht, 











7 


N 


201: 


Under Aberall, was nichts taugt, 

Bermißt viel, was man nothwendig braucht, 

Obn' was zu Rom und zu Pareis 

Keine Frau von Welt zu leben weiß. 

Die Männer, fpricht fie, find zu genau, 

Denken nicht an die Luft der Frau, 

Der Eine-lebe felbft gen in Saus und Braus 

Und die Frau ſitzt einfam und. hätet das Haus, 

Ein Andrer denkt nur, wid er fpare, : 

Und die Frau verliert die beiten Jahre. 

Wie die Alte dem Weiblein den Kopf erhitzt, 

Geht fie zum Mann, der in der Arbeit fikt. - -. 

Sprit: ach, ihr armer -geplagter Mann, 

Wie firengt ihr Boch Kopf und Hände an! 

Kafteiet fogar den eignen Keib, 

Spare eud) alles ab für das liche Weib. 

Nun, wenn's die Fran nur recht erkennt, - 

Zufrieden iſt, und nichts verſchwendt, 

Wie die Weiber es jetzt gar dfters machen, - 

‚Brauchen immer die theuerſten Sachen, “ 

Putzen ſich fhönftens fhr den Salan 

Und die Mechnung' bezahlt der liebe Man, - 

Ich fage das nicht von euch; bewahrt! 

Eine gute Frau iſt aber eine Rare, Ä 
Der Mann mit halbent Ohr erſt horcht, 

Endlich mache ihn doch ‚die Rede beſorgt, 

Denkt, er will auf ſein Liebchen achten, 

Ob fie nach kitlem Prauk wird trachten, 


4 


202 


Arbeitet dann noch bis Abends fpät, 
Und mm vergnuͤgt zur Liebſten geht. 
Wie er fie da zum Gruß- will herzen, 
Mag fie nicht freundlicy, mit ihm fcherzen, 
Hängt den Kopf nieder, wie ein Uglei, 
Erzählt, daß fie unmwohl geworden ſey. 
Die Luft wär’ jet gar-Lühl und feucht, 
Der Anzug. zum Fruͤhjahr etwas zu leicht, 
Man trage wol Tücher, groß, wie ein Mantel,. 
Doc fo etwas wär’ ein theurer Handel, 
Der Mann zu ſolchen Worren nichts fagt, 
Der Abend beiden nicht wohl hebagt. 
Am andern Morgen denkt der Mann: 
Sch hab' meinem Lieb zu viel gethan, 
Ein Weib, das alfo jung und ſchoͤn, 
Mag ſich gern gepußt und bewundert ſehn. 
So geht er hin, kauft ihr ein Tuch, 
Wie man's damals nach der Mode trug , . 
Heißt 's den Burfchen tragen zu dem Schneider, 
Der foll es paden bei- andre Kleider, 
Daß fein Lieb den Anzug fäud’ bereit, 
Sich um fo mehr darüber freut. 
Die Ulte nun fchnell gu dem MWeiblein lauft, 
Erzäplt, wie der Mann ein Tuch gekauft, 
Es hernach der Schneiderstechter geſchenkt, 
An die er fein Herz in Bahlſchaft gehenkt. 
Das arme tolle Närrchen glaubt, 
Was der alte fcheußliche Sud da ſchnaubt 








203 


Befolgt den Rath, will auf ver Gaſſen 
Bon cinem Gecken ſich führen laſſen, 
Daß der Mann felbft vor Aerger ſchan, 
Wie Gleiches mit Gleichem vergilt die Frau. 
Wie der Dann das ficht, wird er ergrimmt, 
Bon feinem Lieb zornig Abfchied nimmt, 
Können fi) Beide forthin nicht leiden, 
In bittrem Haß von einander fcheiden, 
Das alte Weib komme nun herbei, 
Kordert ihre Schuß mit lautem Geſchrei, 
Da firedt Satan durch das Höllenthor 
Zwei meilenlange Stangen hervor, 
Auf jeder ein Schub ganz feuerroth, 
Und dazu der Alten dies entbot: 
Nimm deinen Lohn von den Stangen ba, 
Doch meiner Hölle komm nicht zu nah ! 
Du ,triebft wol felber den Teufel fort, 
Derweil’ er mit dir an Einem Ort, 
Dean was bem Satanas nicht gelingt, 
Kedlidy ein ſcheußliches Weib vellbringt. 
Der ausgedacht hat diefen Schwank, 
Dem wiflend die guten Frauen Danf, 
Denn, wie die Männer hier auf Erden, : 
Nicht fo gut,noch fo fchlimm als die Geiſter werden, 
So iſt's auch eben in der Welt, 
Nur umgelehrt, mit den Fraun beftellt: 
Die Guten viel befier ald Engelein, 
Die Bdfen Ärger ald Teufel fun. ' 








Legende 


Dar große Karl, der faß einmal, 

Zu Worms in feines Thrones Saal 
Und zwifchen Grafen und Herren fland, 
Dicht vor dem Throne, Herr Taland. 


„Herr Zaland, lieber Bruder mein, 


Ich muß in’d Sachfenreich hinein, 


„Muß dort, das heilige Kreuz zu rächen, 
„Der falihen Götter Altar zerbrechen, 


„Und bis ich) folches Merk beenbr, 
„Führt ihr allhie das Regiment, 
„Damit — Gott gebe. dad. in Gnade! — 


„Kein Unheil meinen Landen ſchade. 


n 


„Daneben ſeyd mit guter Macht 
„Auf mein Gemahl und Kind bedacht, 
„Denn diefe Xieden find mir eben 
„Das befte Theil von meinem Leben. 


Als Hildegarbis nun von fern 

Fortziehn fah den Gemahl und Herrn, 
Und faft ihr Hug’ in Thränen brad), 
Trat zu ihr Here Taland und fprech: - 





205 
„O Dame, wie ich keine fah, 
„a8 geht mir dein Gefchid fo nad! 
„Drum fage, was zu dieſer Hrift 
„Sin Troſt in deinen Noͤthen iſt? 


„Ich ſwWaffr ihn bir, auch noch fo fern, 
„Und wärs vom Firmament ein Gtern, 
„Und waͤr's mein armed Leben gar, 
„Ob deiner Ruh gaͤb' ich's fuͤrwahr.“ 


„„Was haͤtte mit dem Leben dein, 

„„Herr Taland, wohl mein Troſt gemein ?. 

„„Mein einziger Troſt, mein einziger Stern 

„„Zog fort mit dem Gemahl und Hertn.““ 
‘ 


Als fie nun nimmer nicht vergißt, 
Daß der Gemahl beim Feinde if, 
Und Herr Taland mit Liſt und Mühen 
Sie firebet von ihm abzuziehen ; 


Als hun, die Fran fo tugenblich, 
Herr Taland uͤberall beſhlich, 
Und ihres Herzens fromme. Yuld 
Verkehren wollt’ in arge Schuld $ 


Da Ind die Treue ihn zum Schein 

In ein geheim Klofet hinein, 
Entfchläpfte drauf und hielt den Baugen 
&n dieſem dunkeln Ort gefangen, 


206 


Dody Kaum erfchaft der Kunde Ton, 

Der Sieger kehrt nach feinem Thron, ° 
So läßt, vor Freude mild und groß, «+ 
Die Königin den Argen los. 


Und als er fo der Haft entrann, 

Und drauf das freie Feld gewann, 

Eilt er unter wilden Herzensſchlaͤgen 
Aldbald dem verrarhenen Bruder entgegen, 


„Mein Herr und König, ach verzeiht, 
„Wenn ich flatt Wonn’ euch bringe Leid, 
„Wenn jet dad Unheil aus meinem Munde 
Bergiftet des Sieges füße Kunde,“ 


nn&o ſprecht, Herr Taland, doch fogleich, 
„„Welch Unfall traf mein armes Meich, 
„„Oder wohl gar mein liebes Gemapl, 
„„Oder mein Kind, oder alle zumal 74 


„Nicht Reich, noch Kind! Zu biefer Stund 
„Iſt beides, Herr, ſtark und gefund, 

über, o dürft” ich doch nimmer fprechen, 
„Von dem verruchten, ſchwarzen Verbrechen ! 


Schon wacht des Königs ganzer Grimm: 
„„Sprich, Ungluͤcksbote!““ zürnt er ihm, 
And was auch Talands Gewiffen fagt, 
Die ſchuldloſe Gattin wird angellagt z 





207 


„Bie habe verleßt der Treue Band, 

„BSefündigt frech an König und Land, 

„Und daß Eein Hüter ihr Aug dewache, 
„Verſchloſſen Herrn Zaland im finftern Gemache.“ 


Und Karl befiehle in Zorn entbrannt; . 

„„Die Buhlerin, fie ſey verbannt, 

„„Und daß ihr Blick ferner dem Frevel nicht tauge, 
„„So raubt auf immer das Licht ihrem Auge!““ 


Wie dyauf Herr Karl auf feinem Schloß 
Erfcyeint, da ift die Luft nicht groß, 
Denn Hildegardis Mißgeſchick \ 
Betrübet jeden guten Blick. | 


Noch fühlen al? ihre herbes Leiden 

Als fie vom Kinde mußte fcheiden, ' 
Und durch den Spruch, den Karl gefällt, 
Syinausziehn in die fremde Welt. — 


Inzwiſchen want in düfterm Einn 

Die tiefgebengte Königin, 

Das Herz beim Kind und dem Gemahl, 
Der Gränze zu und neuer Qual, 


Die niedern Knechte, ihr Geleit, 
Gedenken jebt in Traurigkeit, 

Zum erftien Mal, daß um zu enden, 
Sie ihr die Augen follen blenden, 





208 


„O &ott, ruft ihre Dienerin, 

„So richteft du die Tugend hin!” 

Doch jene zuͤrnt: „„Mit Gott kein Rechten, “ 
Und wendet mild fich zu den Knechten: 


„So nehmt denn dieſes Auges Licht, 
„„Seitdem das Liebſte mir gebricht, 
„Erregt die Erde mir nur Schmerzen, 
„„Den Himmel fchaw ich mit dem Herzen |tn 


Allein das Auge, wie verflärt, 

Das nach ben Anechten hin fich Eehrt, 
Macht, daß das Herz der Karten zagt, 
Und Feiner fie zu blenden wagt, 


„Lebt wohl, Fran Königin, wir gehn, 
„Mag auch, was will, mit und gefchehn } 
„Das hohe Nicht des Himmels ſpricht 
„Aus Euerm Blick, die Erbe nicht,” 


„„Sieh Gottes wundervolle Hand!" 
Sagt fie, zur Dienerin gewandt, 

Und nimmt vereint mit ihr den Pfab 
Gen Rom nun hin, der heiligen Stadt 


Doch Karln, dem König, fehlt die Ruß 
Und Herrn Talando auch dazu, 

Ja, biefer Arge buͤßt den Schein” 

Der Augen nun von ſelber ein. 





209. 
Umfonft ift aller Aerzte Fleiß. 
Da zieht er, wie auf Gott's Geheiß. 
Zu baden in ded Segens Strom 
Mir feinem Bruder Karl gen Rom, 


Und fiehe da, kaum find fie hier, 
So tritt die hohe Frau herfür, 
Beruͤhrt den Blinden und fogleich' 
Umfängt ihn neu des Lichtes Reich. 


Unb vor ihr nieder ſinkt Taland, 

Und ſpricht: „So hat's der Herr gewandt!“ 
Bekennt freiwillig feine Schuld 

Und fleht um NHildegardis Huld, 

„„Das gilt beim Xeben, arger Stneche te « 
Nuft Karl; doch Gnad’ ergeht für Recht, 
Auf Hildegardis frommes Flehn 

Darf er nur aus dem Meiche gehn. 

Drauf durch des heil’gen Waters Mund 


Fleußt neuer Segen auf den Bund 
Des hohen Paare, zu Gottes Ehr, 


REP, ae .. 


v - 


Den ſcheidet forthin Feiner mehr ! - , F | 
Und zu Gedaͤchtniß der Geſchicht J 
Hat Hildegardis aufgericht't id 
Ein Klofter, welches hoch erhöht *), | 

Bu Kempten diefen Tag noch ſteht. 2 


*) Campidona sola judicat ense, stola, 





Geſpenſterduch. 3. Theil, Ö 


210_ 


INININITN INS — — 





Das filberne Fräulein. 


Dei, 

da kommen fie! 
— rief der Sberforftmeifter Huwald zu 
Thür herein — Ruͤſtig! Brüderchen, mach’ dich 
auf, das foll ein Feſt werden! 

Haft Du Briefe? — fuhr der Landrat 

Thalheim von feinem Armfeflel auf — iſi's 
gewiß ? 

Briefe? — fiel Jener mit lautem Lachen ein 
— das muß man Dir laſſen, Du alter Diplo⸗ 
matiker baͤltſt auf Ordnung. Der Sohn ſoll Dir 
wenigſtens alle Woche einmal aus dem Felde 
ſchreiben, und auch die Schnepfen notificiren Dir 
ſchriftlich ihre Ankunft. Weißt Du nicht, daß 
heut’ Okuli iſt? Okuli, da. 

Mit Deinen dummen Schnepfen! — unter⸗ 
brach der Laudrath verdrießlich. 

Dumm ? meine Schnepfen? — ſchalt der 
Dberforftmeifter — das follft Du mir abs 
bitten, Herr Bruder. Setzt nach’ fort! komm) 
fie ziehen, Du ſollſt Deine Luft ſehen. 














211 


Mir iſi's nicht wie Schnepfen und Jagd — 
fagte der Landrath — ba, fieh die Jammer⸗ 
geiihier um mic) ber. Drei Wochen. fi nd es, 
daß uns alle Nachrichten fehlen. 

Und doc) Hört man ven fo bedentenden Schlach⸗ 
ten — feßte die Landräthin hinzu — Kann | 
man da fo ruhig bleiben ? 

Als od ein Officier nichts mehr zu thun hätte — 
entgegnete der Dberforfimeifter— als fi 
binzufeßen, und an Vater und Mutter ‚oder an 
Braut und Schwefter zu fchreiben! Als ob Briefe, 
die durdy Armeen gehen, nicht verloren werben 
tönnten, oder aufgefangen! " 

Ach, das find ſchwache Zröftungen — Hagte 
Julie — Sollte denn nicht fo viel Zeit bleiben, 
auf ein armes Blaͤttchen Papier die zwei Worte 
zu ſchreiben: ich lebe noch und denke Eurer ? — 
Nein ! ein Mann liebe nicht, wie.... 

Wie eine junge Braut! — fiel der Ober» 
forftmeifter ein — Nicht wahr, Töchterchen ? 
Nun, mein Frig ſoll ſich Hoffentlicdy bei Dir rechte 
fertigen, oder ich vergeffe, daß ich ſein Vater bin, 
umd liebe Dich ſelbſt. 

Wie Du nur fo fherzen Tannft — fagte ber 
LZandrath halb unmillig — Du haft felbit den 
einzigen Sohn im Felde, und bleibft ruhig, went. 
alle Umftände fich vereinigen, und mit ben traus 

rigſten Ahndungen gu erfüllen. 
O 2 


210. 


— — 





Das ſilberne Fraͤulein. 


Dali, 

da kommen fie! 
— rief der Dberforftmeifter Onwald zur 
Thür herein — Ruͤſtig! Brüberchen, mach’ dich 
auf, das ſoll ein Feſt werben! 

Haft Du Briefe? — fuhr der Landratd 
Thalpeim vom feinem Armſeſſel auf — ifs 
gewiß? 

Briefe? — fiel Jener mit lautem Lachen ein 
— dad muß man Dir laflen, ‚Du alter Diplos 
matiker hältft auf Ordnung. Der Sohn fol Dir 
wenigftens alle Woche einmal aus dem Felde 
ſchreiben, und auch die Schnepfen notificiren Die 
ſchriftlich ihre Ankunft. Weißt Du nicht, daß 
heut Okuli it? Okuli, da... 

Mit Deinen dummen Schnepfen! — unters 
brach der Landrat verdrießlich. 

Dumm ? meine Schnepfen? — ſchalt der 
Dberforftmeifter — das folk Du mir abs 
bitten, Here Bruder. Jetzt mach' fort! komm) 
fie ziehen, Du ſollſt Deine Luft fehen. 





211 


Mir iſt's nicht wie Schnepfen und Jagd — 
fagte der Landrat — da, fieh die Jammer⸗ 
geiihier um mich ber. Drei Wochen- find es, 
daB uud alle Nachrichten fehlen. 

Und doch hört man ven fo bedentenden Schlach⸗ 
ten — feßte die Landräthin hinzu — Kann | 
man da fo ruhig bleiben ? 

Als ob ein Officier nichts mehr zu thun "hätte — 
entgegnete der Dberforftmeifter — als fi 
hinzujeßen, und an Vater und Mutter ‚oder an 
Braut und Schwefter zu fchreiben! Als ob Briefe, 
die durdy Armeen geben, nicht verloren werden 
Eöinnten, ober aufgefangen! | 

Ach, das find ſchwache Troftungen — Hagte 
Julie — Sollte denn nicht fo viel Zeit bleiben, 
auf ein armes Blaͤttchen Papier die zwei Norte 
zu ſchreiben: ich lebe noc) und denke Eurer ? — 
Mein ! ein Mann liebt nicht, wie. . + » 

Wie eine junge Braut! — fiel der Ober» 
forfimeifter ein — Nicht wahr, Töchterchen ? 
Nun, mein Sri ſoll fich hoffentlich bei Dir rechts 
fertigen, oder ich vergeffe, daß ich fein Vater bin, 
amd liebe Dich felbft. 

Wie Du nur fo.fchergen kannſt — fagte der 
Landrath halb unwillig — Du haft felbft den 
einzigen Sohn im Felde, und bleibft ruhig, wenn 
alle Umſtaͤnde fich vereinigen, und mit den traus 
rigfien Ahndungen ju erfüllen, 

D 2 


212 


Ahndungen ? — wiederholte der Oberforfis 
meifter etwad ernft — was für Ahndungen ? 
” ‚Thalheim bezog fich wieder auf die auage⸗ 
bliebenen Nachrichten, allein der Oberforfts 

„ meifter merkte wol, daß nicht dieſe allein die 
ungewöhnlie Unruhe in ber Familie hervor⸗ 
brachten. . 

MNach einigem Hins und Herreden erzählte der 
Zandrath folgendes: 

Du weißt — ſarach er — daß Dein Fritz 
beim Abſchiede meiner Tochter feinen Lieblinge 
hund zurüdlies, die Bianka. Das niebliche Thier⸗ 
hen war ſonſt ſchon manche Nacht bei und ge⸗ 
blieben, und Julie hatte oft ihre Freude, wenn 
er wol Stundenlang zuvor, eh’ Dein Sohn kam, 
feine Näpe merkte, er wurde dann unruhig, kratzte 
an ben Thlren, und wollte ſeinem Herrn entges 
gen. Gie ‚wartete und pflegte ihn dann, auch 
aufs Beſte und das Thier gewöhnte fich an fie, 
wie früher an feinen Herrn. Seit einigen Tagen 
aber. wird der Hund ganz tieffinnig, geht mit eine 
gezogenem Schwanze herum, hat nirgends Ruhe, 
ſeufzt, ftöns und fängt endlich am ganz klaͤglich / zu 
Jeulen, fo, daß wis ihm in ein Behaͤltniß auf dem 
Hofe einfperren mußten. , Heut' Morgen, wie der 
Zaͤger nachſehn will, hat das Thiet ganz wuͤthend 
alles zerbifien und fi) unter der Thuͤr durch ges 
arbeitet, Ex mußte ſich ſelbſt bei dem heftigen 

° 


— — 


213 

Scharren verwundet haben, denn der Boden war 
aͤderall voll Blutflecke. Ich babe gleich Leute 
nach ihm ausgeſchickt, damit er keinen Schaden 
thun kann; aber meine Tochter findet nun darin 
ein Unzeichen, und glaubt, dem Herrn bes Thiers 
möffe ein Ungläd begegnet feyn, was der Hund 
durch jein Geheul angezeigt habe. | 

Warum nicht gar! — fuhr der Oberforft» 
meifter etwas heftig auf — das treue Thier 
bat fi) nach feinem Herrn gefehnt, Aber fo macht 
Ihr's mit Menfchen und Vieh. Wird einer von 
eineni ſtarken Gefühl ergriffen, das Ihr nicht 
begreift, glei foll es bei ihm rappeln. Sm. 
Freien wird's der Bianka ſchon beffer werden, 
glaub' meinem Wort, und laß mir fie nicht etwa 
erſchießen! 

Ach, das iſt auch nicht Alles — ſagte Ju⸗ 
tie — Alle Nächte quälen mich die aͤngſtlichſten 
Traͤume. sch fehe meinen Sris immer mit meis 
nen Bruder zufammen, und Beide niemals in ih⸗ 
rer Uniform, ſondern als Jaͤger gekleidet, und 
frifch geichoffenes Wild in ihren Händen. Das 
bedentet Blut und gefährliche Verwundung. 

Der Oberforftmeifter wollte über die -- 
Traumdeutungen lachen, aber die Stimmung ber 
Zamilie war zu ernft und trübe, und Juliens 
glänzende Augen drängten jeden Scherz zurüd., 

Liebes Kind — fagte er freundlich ernſt zu 


214 


dem weinenden Mädchen — ich habe gewiß am 
wenigften Urfache dad Bedeutſame der Träume 
zu läugneh, oder gar zu verlachen. Ein Traun 
iſt es geweſen, der meinem ganzen Leben Rich⸗ 
tung und Gehalt gegeben hat. Gott weiß, was 
ich ohne diefen Traum wär‘. Deine Träume 
Tonnen eben fo wol ihre Bedeutung haben, aber 
muß denn grade ein gewöhnliche Traumbuch 
Ausleger Deiner Träume feyn? Ich fprede im 
Ernſt, mein Kind. Du bift Braut, bift von Deis 
nem Geliebten entfernt, zugleich voll Sehnſucht 
und Bekuͤmmernig um ihn. Dies Alles find 
Dinge, die Deinen Geift aufregen, und ‚auch 
Deine Phantafie anders ald gewoͤhnlich bewegen. 
Kannſi Du denn jetzt erwarten, daß Dein Traum 
die gewöhnliche Sprache ruhiger Zeiten mit Dir 
fprechen werde, wenu Du auch wirklich an eine 
ſolche Traumfprache glaubt? Jetzt verletzet 
Dich ein gutgemeinter Scherz von Deinen Freun⸗ 
den, meinſt Du denn, daß zur Zeit ſolcher Ges 
fühle Dein Traum mit den gewöhnlichen iromis 
fhen Späßen der Zraunfprge Dich verlegen 
werbe ? 

Sie tröften mich recht gätig — fagte Fulie 
— Waͤr' doch nur fo viel Ernft und Ueberzen⸗ 
"gung, ald Güte in Ihrem Troft 

Ih fage Dir ja — fuhr der Oberforfs 
meifter fort — daß ich durch mein eignes 


215 


Schickſal mehr als Manche, und wol viel Andre 
berechtigt bin, über Traum und Traumdentung 
und überhaupt über die geheimnißvolle Einwirs 
fung der fogenannten Geifterwelt zu fprechen, 
Vielleicht wär’ ich auch felbft jet weniger unbes 
kuͤmmert um unfere Abwefende, wär’ ich nicht 
durch einen Traum über ihr Schidfal beruhigt. 

Alſo duch bloß durch einen Traum! — wies 
derholte Julie. 

Wunderliches Mädchen — entgegnete Jener 
— Beunruhigende Kraft willſt Du Deinen Träus 
men einräumen, aber in ihnen: Beruhigung zu 
finden, ſcheint Dir nicht ſchicklich! Nun ich fehe 
wol, wir fchießen heute Teine Schnepfen, und 
zu Haus mag ich auch nicht wieder reiten. 
Wolle ihr mir heut’ ein Abendbrot vorfegen ‚' fo 
erzähl? ich Euch zu Eurer Beruhigung meine Le⸗ 
bendgefchichte, die mit einem fehr angenehm ers 
füllten Traum anfängt. 

Das Erbieten des alten Freundes, von beffen 
Leben und Schikfalen manched Wunderbare und 
Seltfame verlauter hatte, war Allen höchft wills 
Tommen. Man machte es ihm und ſich felbft 
möglichft bequem, er fchidte feinen "Jäger mit 
Aufträgen zuruͤck und der Theetiſch vereinigte 
nun Erzähler und Zuhdrer in einen freundlichen, 
vertraulichen Kreis, 

Mein Vater — begann der Oberforſt⸗ 





| A - [1 ui — Ds 


‘216 


meifter — beſaß Feine Reichthuͤmer, aber doch 
fo viel Vermögen, daß ihm und mir, feinem eine 
sigen Sohne, ein, forgenfreied Leben gefichert war. 
Dabei hütete er fi) vor jeder Verfchwentung, 
und wenn feine Sparſamkeit meinen jugendlichen 
Meinungen nicht recht einleuchten wollte, fagte 
er ganz troden: „Mir ift Unabhängigkeit lieber, 
ald jedes andre Gut, und um unabhängig zu 
bleiben, muß man dad Seinige zufammenpalten, 
Ein altes Sprichwort fagt: Beller Neider, als 
Mitleider. “ Wir blieben hierüber bid an feinen 
Tod verſchiedener Meinung. Sich bielt mich au 
das bffentlihe Urtheil, das meinen Vater zu eis 
nem Kıöfus machte, und in diefer Vorausſetzung 
fanden fi) Freunde in Menge, die mir gern mit 
dem ihrigen .beiftanden, wenn die Zahlungen nıcis 
nes Vaters meinen Wünjchen fo wenig genügten, 
ald den ihrigen. Ich Hätte den Aufenthalt auf 
der Univerfität, wo ich ganz überglädlich lebte, 
gern verlängert „. aber die Nachricht von meines 
Vaters ploͤtzlichem Ableben rief mich nach Haus. 

Ich hatte meinen Vater bei aller feiner Ge⸗ 
nanigleit body herzlich gelicht, und fein Tod 
ſchmerzte mic) innig und weit tiefer, ald die Aus⸗ 
fiht auf die nun mein gewordenen Reichthuͤmer 
mich erfreuen konnte, Ich verſchob ed von einem 
Tage zum andern, feine Papiere durchzuſehen 
und mic vom der Größe der Verlaflenfchaft zu 


217 


unterrichten. Endlich mußt’ ich doch an das 
Wert geben, das für mich einen fehr unerwars 
teten Ausgang nahm. Die Durchſicht der Pas 
piere war bald geendet, und ich fand, daß die in 
der Einbildungskraft fo reiche Verlaſſenſchaft in 
der Wirklichkeit kaum binreichte, meine Gläubiger 
zufrieden zu ſtellen. Ich hatte oft gehört. daß 
die guten Freunde in dergleichen Fällen gewoͤhn⸗ 
lich zu boͤſen Feinden werden , aber fo ein‘ allge 
meiner Sat hat eine ganz andre Geſtalt, weun 
man ihn hört oder Liefet, ald wenn man ihn ſelbſt 
erfährt und erlebt. Diefed legte war jegt bei 


mir der Sal, Meine guten Freunde zudten bie 


Achſeln, meinten, das hätte man body nicht ers 
warten folen, man babe ſich doch wol in pelüs 
niärer Hinſicht über den Seligen getäufcht, ich 


hätte vorfichtiger feyn, und nicht anf bloße Ders - 


muthungen meine Erwartungen gründen follen, 


und mad dergleichen Weisheitlehren mehs waren, | 


die man wmohlfeil von der Melt belommt, wenn 
man die Biranlaffung dazu erſt theuer genug ber 
zahlt hat. Wie oft fiel mir da meines, Vaters 


wahres Wort ein: Beſſer Neiper, als Mitlgider! 
Indeſſen, es war nicht zu aͤndern. Meige, feige 


Erbſchaft wanderte in die Hände meiner Glaͤubi⸗ 
ger, die mir bewiefen, wenn ich etwas bebielt, 
fo verlören fie, was ich ihnen doch nicht zus 
‚ mauthen koͤnne. Mein erfter Entichluß war, ir⸗ 





215 


gend eine Anftellung zu ſuchen, aber bie Unabs 
baͤngigkeitſucht meines Vaters hatte ihm Feinde, 
und meine Verſchwendung mir keine wohlwollen⸗ 
den Greupde gemacht. Man wies mid) ab, oder 
gab mir leere Verfprechungen. So war ich auf 
dem Wege ruſſiſche Kriegsdienfte zu fuchen, um 
weit von meinem Vaterlande meine Beſchaͤmung 
zu verbergen. 

In meinem erfien Nachtquartier hatte ich eis 
nen Traum, der, wie ic) ſchon erwähnte. ente 
ſcheidend für mein Schickſal warb. 

Ich fah mich in den blühenden Anlagen eines 
fehr fchönen Parks, den ich niemals im Wachen, 
fehr oft aber in Träumen gefehen zu haben, mich 
erinnerte. Damald waren überhaupt die foges 
nannten englifchen Gartenanlagen in Deutſchland 
noch etwas fehr feltened. Hinter den herrlichften 
. Blumen und Blätenbhfcyen ſah man das niedrige 

WMoosdach einer Heinen Einfiedelei, von den ros 
then Stralen der untergehenden Sonne durch die 
ſchwankenden Zweige beleuchtet. Indem id) die 
Blumen betrachte, und mic) befonder8 an einer 
biendend weißen, fehr gefüllten Rofe, wie ich noch 
niemals eine zuvor fah, erfreue, dffnete fich die 
höre der Einfiedelei, und ein Mädchen tritt her⸗ 
aus — nun, von mir alten Siebenziger muͤßt 
Idr Feine Befchreibung von einem ſchoͤnen Mäds 
hen erwarten, Kurz, ich fand im Traume wie 


219° u 


angezaubert, und mußte richt, war bie Einfiebelei 
ein Gartenhaus oder eine Vorhalle bed Himmels, 
wo eben ein Engel heraustrat. Zum Glück faßte 
fie eine Gießlanne, die am Wege fland, und ging, 
ihre Blumen zu begießen, woraus ich denn fchloß, 
daß ich eine Erdentochter vor mir fah, aber aud) 
die fchdnfte, die jemals uuter Blumen gewandelt 
bat. Sie trug ein ſchweeweißes Gewand, das 
aber ganz feltiam mit fildernen Sternen durchs 
webt war, ald wollt’ es damit auf eine andre, 
ald die Wohnung auf Erden hindenten. Fett 
ging fie bei mir vorüber, und nichte mir freunds 
lid) zu , aber in der Freude über den lieben Ens 
gelögruß erwacht" id). 

Ich hatte niemals auf Träume etwaß gehals 
ten; diefer Traum aber war gar fo ſchoͤn und‘ 
dad himmliſche Bild wich lange nach dem Erwa⸗ 
chen nicht vom meinen Augen. Indeſſen mußte 
id) an die Fortſetzung meiner Meife denlen. Wie 
ih nun in ber Gaftftube nody mein Fruͤhſt uͤch 
verzehre, hör? ich ein paar Fremde ganz entzuͤckt 
von der berrlichen Rofa unila ſprechen, welche 
in den Bentheimifchen Marten bluͤhen fol. Sch 
war von jeher ein Blumenfreund geweſen, und 
jet um fo neugieriger, die mir noch unbelaunte 
Wunderroſe zu fehen, da mir bei ihrer Beſchrei⸗ 
bung die weiße Blume meines Traumes einfiel, 
Man wies mich auf ein nicht allzuweit entlege⸗ 








220 


ned Dorf. Hier fand ich eimen prächtigen Sar⸗ 
ten, und was mich überrafchte, einen großen Theil 
in dem, bamald neuen, fogenannt engliſchen Ges 
ſchmack angelegt. Ich war entzädt von den 
berrlichen Wechſel der Naturfchbnpeiten,, die ſich 
bald in wilden Selienmaflen des Gebirges, bald 
in den annauthigften Blumeuſtuͤcken und Waffen 
auſichten des reizend gelegenen Thales barftellten, 
and ich hatte über bie Menge feltener Blumen 
und Gewädje, die der Gärtner gern dem Bes 
wundernden zeigte, faft meine Mofa unika vers 
geſſen, als diefer in einen Seitengang einlenfte. 
Hier muß ih — ſprach er — Ihnen noch vor 
Sonnenuntergang die fchöne Unika zeigen, die 
zum erjienmal bei und bläßt. Sch folgte ihm, 
und .auf einmal ſah ich mich in der wohlbekann⸗ 
ten Gartenanlage meiner Träume. Die weiße 
Roſe bluͤht vor mir. Seitwaͤrts hinter blähenden 
Büfchen hebt ſich im rothen Abendlicht das Moose 
dad) der Einficdelei, und jetzt — dia Thhr dffnet 
fich, die himmliſche GeRakt tritt heraus, ſchoͤn 
und ſchoͤner noch als in meinem Traume, ſchnee⸗ 
weiß gelleider, nichtd fehlte, ald die ſilberuen 
Sterne am Gewande meines Traumbilded, Sie 
ergreift die Gießkanne und tränkt die Blumen 
‚auf ihrem Wege. Da raunt mir der Gärtner zu: 
das Fräulein! Mir wollen fie nichte ſtbren, fie 
iſt Ahends gern allein bier. Indem ich mit meis 


221 


nem Fuͤhrer mich umwende, wird fie mic) ges 
wahr ,. eine Purpurroͤthe überfliegt ihr Geficht und 
mit demfelben himmliſch freundlichen Gruß, der 
im Traume mich entzuͤckt hatte, verfchwinder fie 
aus meinen Augen. . j 
Mer auch Träume für nichts hält, als für 


leere Bilder, wird Doch zagefiehn: müffen, dag ein _ 


fo puͤnktliches Wiederholen des Traumes durch 
die Wirklichkeit hoͤchſt felten war, und meine Yufe 
merkſamkeit erregen mußte. Wir fchien ein nähen 
sed WVerhältniß zwilchen mir und dem ſchoͤnen 
Träulein durch den Traum angedeutet, und nrein 
Wunſch fchweifte (yon aus dem dunklen Gchier 
der Sehnſucht in das Helle Land der Hoffnung 
über . 


Bon meinem Begleiter hörte ich wun, bas 
ſchoͤne Fräulein hieße Adelheid und fey bie 
Tochter des Baron Bentheim, dem das 
Schloß nebft der ganzen weitläuftigen Herrſchaft 
gehöre. Der Gasen in feinen ſchoͤnſten Anlagen 
fey fall ganz ein Werk des Fraͤuleins, und ihr 
Bruder, welcher Major in preußischen Dienften 
und jet im Selbe.tep., »-tchide ihr von Zeit zu 
Zeit die ſchoͤnſten und feltenſten Gewaͤchſe. Ueber⸗ 
haupt war der Gaͤrtner unerſchoͤpflich in ihrem 
Lobe. So ſchoͤn ſie auch ſey, ſagte er, ſo ver⸗ 
geſſe man .doch ſelbſt ihre Schönheit uͤber der 
dimmliſchen Guͤte ihres Herzens, Vor kurzem 





222 


habe ſich ein fehr vornehmer General um ihre 
‚Hand beworben und das Fräulein habe auch ih⸗ 
tem Vater zu Liebe ihr Jawort gegeben, allein 
gleich nach der Verlobung fen alles durch einen 
ſeltſamen Zufall wieder zerfibst worden, Der 
Bräutigam habe fein Wort zurückgenommen, dar⸗ 
über fi) mit dem Vater feiner Braut verumeis 
nigt und ihn zum Zweilampf gefordert, ſey aber 
kurz vor dem angeſetzten Tage plößlich geftorben. 

Ich war nengierig den Grund diefes ſeltſa⸗ 
men Ereigniffes zu hören, und der Gärtnfr ers 
zählte mir nad) einigen geheimnißvollen Weige⸗ 
rangen folgendes: 

An einem Abend, wo das Schloß. eben mit 
einer Menge von Gäften, und außerdem noch 
mit zahlreicher Einguartierung überfüllt "war, 
fand ſich auch der General ein, und hatte die 
Grille, dad Zimmer, das man ihm in einem 
Nebengebäude für die Nacht anbor, auszuſchla⸗ 
gen, und auf dem einzigen noch unbefebten im 
Schlofle zu beftchn, das man das Fraͤuleinzim⸗ 
mer nannte, und feit langer Zeit nicht bewohnte, 
weil es wegen Beunruhigungen, die darin ſich ers 
eignen follten, in üblem Rufe ſtand. Alle Er⸗ 
zählungen und Warnungen bewegten ihn num zum 
Lachen und änderten feinen Vorſatz nicht. End⸗ 
li) gab der Baron, der die Bade felbfi nicht 
für fo ernfihaft Halten mochte, nach, und ließ 














223 
ſeinem Gaſt fuͤr die Nacht das verlangte Zimmer 


einräumen. Was nun dem General in jenem . 


Zimmer begegnet ſey, wußte mir der Gärtner 
nicht anzugeben, er wiederholte mir nur die bes 
reits erzählten Folgen biefed Vorwitzes, die allers 
dings die Vermuthung eines feltfamen Geheim⸗ 
niffed und die Neugierde, es zu ergründen, rechts 
fertigen, Ich befam Luft, mic) bei dem -Bas 
ron anmelden zu laffen, allein diefer war eben 
in der Refidenz, und nach einigem Beſinnen fand 
ih, daß meine bedrängte Lage mir Feine fehr 
günflige Aufnahme bei dem Pater meiner Ges 
liebten verfprechen inne und befchlog meine 
Reiſe fortzufegen. "So ging ich nach ber. Stadt 
surüd. . 


Ich legte mich mit dem Wunfch nieder , we⸗ 
nigftend im Traum noch einmal die ſchoͤne Er⸗ 
feheinung zu fehn, aber meine Unruhe verfcheuchte 
die Träume und den Schlaf. Pläne aller Art 
frenzten fi) in meinem Kopf, der Traum und 
feine ſeltſame Erfuͤllung ſchien mich aufzufordern, 
ſelbſt einen Schritt nach dem fchönen Ziele zu 
thun, fo unerreichbar ed mir auch vorkommen 
mußte. ch beichloß ‚endlich nach mehren vers 
worfenes abenteuerlichen Plänen mich dein Bas 
ron vorzuftellen, und ihm unter einem angenoms 
nıenen Namen meine Dienfte anzubieteit. 

Mit dieſem Vorſatz machte ich mic) früh auf 


me af 





w. 


224 
den Weg nach dem Ventheimiſchen Gatten. Mad | 


+ einigem KHerumirren traf ich den Gärtner, 


Recht gut — rief er mir zu — daß Sie noch 
bier find! Der Herr Baron ift zuruͤckgekommen, 
und Sie konnen ſoglelch angemeldet werden, 

Das Unerbieten überrafchte mich, und ih 
wollte es anfangs ablehnen, aber der Gärtner 
fagtemir, wie der Baron fchon geftern Abend 
nad) dem Fremden, der fich in dem Garten um 
gefchn, gefragt, und fem Wedanern über den ent⸗ 
behrten Befuch geäußert habe. Er winkte dabei 
einem Gartendurſchen, der bald mir der Nach⸗ 
richt zuruͤckkam, daß der Herr mic) erwarte, 

Da Baron empfing 'micy-fehr artig. Er 
ſprach mancherlei über den neuen Geichmad in 
der Gartenkunſt und hörte aufmerkfam an, was | 
ich ihm dafür und dawider fagter Erſt nad) ein | 
aigen Gefprächen fragte er mid), wie durch eine 
leichte Wendung veraulaßt, nach. meinem Namen, 
Es ward mir, bei aller Vorbereitung dach glͤ⸗ 
bend heiß, als ich meinen veränderten Namen 
Ewald herausjagte und erzählte, wie ich mich 
auf Kamerahviffenfchaften gelegt habe, und nun 
irgend eine Anftellung ſuche. Er fehlen darüber 
erfreuf, und gab mir auf fehr atige Weiſe zu ven 
ftehen, daß er einen Gefchäftführer zu feinm 
ſaͤmmtlichen Angelegenheiten brauche, und daß «6 
bloß auf meinem Eutſchluſſe beruße, diefe Stelle, 


- 225 

wenn Auch nur in Erwartung einer angemeffes 
nern, anzunehmen. Wir wurden bald einig, fd 
ſchwer es mir auch ankam, befonderd den anges 
botenen Gehalt anzunehmen. Mer weiß, hätte 
nicht meine "Weigerung über dieſen Punkt mich 
verrathen, wär” nicht zum Gluͤck chen Adel: 
heid eingerteten. Ich fah fie wieder und ſchlug ein; 

So war ich denn aufgenommen, und jah taͤg⸗ 
Hh den Abgott meined Herzens. Jeden Tag 
erichien fie mir liebenswuͤrdiger. Ihr Mint res 
gierte das ganze Haus, gleichwol mißbraudhre 
fie diefe uneingefchränfte Gewalt, welche ihr Vater 
ihr einräumte, nicmald, und wenn fie ja einmal 
ihren Willen gegen die Meinung Andrer mit Fe⸗ 
ſtigkeit geltend machte, fo zeugte gewiß’ der Erfolg 
von der Richtigkeit ihrer Anficht. 

Ich hatte mid) mit den Gefchäften des Bas 


rons und mit der Dertlichfeit meines Aufentz 


haltes bald ziemlich genau bekannt gemacht, und 
verwaltete die mir übertragene Aufſicht zur Zu⸗ 
friedenheit des Beſitzers. Adelheid half mit 
treulich mit ihrem Rath aus, wo meine Kenntniß 
nicht hinreichte. Nur viel Neuerungen in dem 
alten Schloſſe durft? ich nicht vorſchlagen; int ſol⸗ 
chen Fällen bray der Baron kurz mit einen: 
Es mag vorjetzt noch bleiben, ab, und lich ſich 
durch die beſten Gruͤnde nicht widerlegen. 

Bei ſolchen Gelegenheiten fiel mir oft das 

Geſpenſterbuch. 5. Theil: P 


2 , — — 4c - 





4: 


226 


Zimmer ein, wo, nad) der Erzählung des Gaͤrt⸗ 
ners, Adelheid's Bräutigam von einer ges 
- heimen Macht follte geängftgt worden feyn. Nies 
mand hatte mir etwas Beftimmteres, als ich ſchon 


wußte, davon erzählen können. Ein günfliges 


Ungefähr brachte mich endlich der Sache näher. 


Der fiebenjährige Krieg führte uns damals 
dfters Einquartierung zu. Dad Schloß hatte | 


Raum genug und diefe Kriegögäfte waren zwar 
damals wie jeßt ungeladene aber in der Regel 
eben nicht unartige Säfte. Einmal quartierten 





ſich zwei junge Officiers bei und ein, die um fo | 


willlommner waren, da fie fi) als Bekannte des 
Sohnes vom Haufe einführten, und ermänfchte 
Nachrichten von ihm zu erzählen wußten: die 
Rede kam, ich weiß nicht wie, auf Gefpenfter, 
man bejahete. und läugnete, wie e& bei ſolchen 
Geiprächen gebt; niemand hatte noch felbft etwas 
geichn, und jeder mochte fi) doch gern durch Aus 
genfchein überzeugen, ob es foldye Weſen gebe, 
von denen unire Philoſophie fich nichts träumen 
lit. Endlich fallt einem von den beiden Offis 
cierd ein, von einem filbernen Sräulein ges 
bört zu haben, daß in dem Schloſſe umgehen 
folle. Der Baron weiler die ganze Sache le⸗ 
hend zurüd und erzählt felbft einige Anekdoten 
von Erſcheinungen in dem Schloſſe, die fich inds 
geſammt in eine Taͤuſchung durch Zufall o er 


| 
| 








Furcht aufgeldfet hatten. Allen der Officier, 
der vom Wein etwas erhitzt war, fährt mit der 
Frage heraus, ob denn jener. Vorfall mit dem 
General auch Täuschung geweien fey? Bents 
beim gerierh bier in fihtbare Verlegenheit. Er 
konnte nicht laͤugnen, daß diefe Begebenheir ihm 
unerklaͤrlich ſey. Doc, fuhr er fort, kann hier 
nicht einmal von Erflärung die Rede feyn: mir 
wenigftend bat der General niemald die Beges 
benheiten jener Nacht entdeckt, und. ich ſehe doch 
hicht die Nothwendigkeit, warum man eben auf 
eine Geiftererfcheinung fehliegen muß. 

Die beiden Dfficiers beftanden nun dar⸗ 
auf, dieſes Abenteuer felbft Zu unterfuchen. Der 


Widerſpruch des Barons und die Aengftlichkeit 


Adelheid's machten fie nur nöch neugieriger. 
Denn — fläfterte einer dem andern zu — am 
Ende ift e8 ein fehönes nächtliche Abenteuer, 
was uns bevorfteht,, wie man in Kombdien und 
Romanen mehr dergleichen zu lefen findet. Ich 
erbot mich die Nachtwache. mit ihnen zu theilen, 
und gab vor, gehört zu haben, dergleichen Aben⸗ 
teuer koͤnnten nur von drei Perionen zugleich glüklih 
beftanden werden. Jene waren es zufrieden, und 
Bensheim gab endlich ebenfals nach. Er jagre 


feiner Tochter ein paar Worte in dad Ohr, und _ 


erinnerte fie nach einiger Zeit, das verlangte Zim⸗ 
mer für die Gäfte in Stand ſetzen zu laſſen. 
P2 


N IE 


223 


Bald nach. aufgehobener Abendtafel entfernte 
ich mich mit den ‚beiden Dffiriers, voll Ers 
wartung wie dad geheimnißvolle Abenteuer ſich 
geigen würde. . Die Gäfe fanden in: dem ziemlich 
geräumigen Zimmer alles ſo, wie fie es ſich er» 
beten hatten, ‚Auf einem Tiſche lagen ihre mite 
gebrachten Waffen, mehre Lichter erhellten jeden 
Winkel, ein Sopba und einige sufammengerhdte 
Stühle waren. auf den Fall der Ermuͤdung mit 
Matraten unb.teichten Deden. belegt, und in ei⸗ 
ner Mantuifhe;and ein fertiges Bett. In der 
Mitte war auf.einem runden Ziiche Bein, Punfch 
und alles Zubehör aufgeitellt, ein Sprachrohr 
Ichnte in dem Fenſter, und. eine große Klingel 
ließ auch aus dem Haufe felbft im Nothfall Bei⸗ 
Rand berbeirufen. . 

Wir befahen und die ganze Einrichtung ges 
nau „ beleuchteten icden Winkel und unterfuchren 
Fenſter und Zhüren auf das forgfältigft. Dann 
‚feßten. wir und an den runden Tifch, und indem 
meine beiden Gefährten ihren Muth aus vollen 
Glaͤſern fleißig anfeuerten, vertheilten fie unter 
fi) die Mollen des bevorſtehenden nächtlichen 
Drama. | 

Mitternacht war nah, und alles blieb noch 
todtenftil. Man hatte fid) ausgeſprochen. Einer 
von der Sefellichaft nach dem Andern ließ bie 
Augeulieder finten, man ermahnte fi) vergebens 








229 


gegenfeitig zur Wachfamkeit. Umfonft, der. Sala 
behauptete fein naͤchtliches Recht. 


Jetzt erwedte und ploͤtzlich aus den ſchinſten 
Traͤumen ein ſtarkes wiederholtes Pochen. . Wir 
fuhren auf, die Lichter brannten duͤſter. Es war 
taghell um und. Ein Bedienter drut Herein, und 
fragte, ob die Herren allein oders in: Gefellichaft 
der Familie zu ftühftäten wänfgeg®- - .:.... 

Etwas verdrießlic) Aber die gefäufchte Ere 
martung und ungewißß, oh wit das Abenteger, 
oder ob das Abenteuer us verfehlt Hätte, ethos 
ben wir uns.“ Mir’ erwarteten mit pörtifcyeng 
Lächeln und mancher ſatiriſchen Bemerkung von 
der Familie enpfarigen zu werden, allein der Bas 
ron fragte dloß, ob wir in der Nacht beunruhigt 
worden wären‘, ünd auf unſere Erzählung , "wie 
wir das garize Abenteuer verſchlafen, folgte“ nichts, 
ald die trockne Bemerlung, daß es beffer' geweſen 
ſeyn würde, weny wit ben ganzen Vorwitz unter⸗ 
laſſen haͤtten. | 


Die beiden Fremden wollten, nun- mancherjei 
Aber Geifter und. Geiſterſeher wigeln,. dy Bas 
ron hörte es einige Zeit, ruhig qu, endlich warf 
er, wie zufällig „ bie Frage hin: oh ſie w 0l.,n0ch 
eine Macht der Se eines ſolchen Übenteuerä 
ſich ausfegen möchten. Die Fremden, waren (hell 
mit dem Se heraug und wolllen faß De Finge 


7 * 


——— ——— 


— ⸗—⸗ 


230 


Abel aufnehmen, aber Bentheim blieb gelafs 

ſen. Ich habe Fhr Wort — fagte er — und nun 
bin ich fchuldig, Sie vor allen Dingen mit einer 
Heinen Täufchung bekannt zu machen. Ald Eie 
geftern Abend den Wunſch dußerten, in dem vers 
bächtigen Zimmer meines Schloffes die Nacht 
hinzubringen, hielt ich Ihr Vorhaben für cine 
Anwandlung jugendlichen Leichtfinnes. Es wär’ 
vergebens geweſen, Ihnen noch mehr Gruͤnde ent⸗ 
gegenzuſetzen, ich bediente mich daher einer, wie 
mich duͤnkte, unſchuldigen Liſt. Waͤhrend Sie 
glaubten, das Geiſterzimmer ſey fuͤr Sie beſtimmt, 
ließ ich ein andres Zimmer fuͤr Sie bereit machen, 
worin Fein befremdender Vorfall zu erwarten war. 
Sie blieben deswegen auch ungefldrt. Seit ges 
ſtern Habe ich Ihren Much näher Fennen gelernt, 
und ich ‚glaube Fhnen dieſes Bekenntniß ſchuldig 
au ſeyn, fo wie bie Verficherung , daß Sie die 
Fünftige Nacht, wenn Ihr Muth nicht durch den 
erften Verſuch erfaltet ift, in dem unbeimlichen 
Zimmer felbft zubringen follen. Prüfen Sie nun 
Ihre Unerfchrocenheit, und machen Sie mich mit 
rem Entichluß bekannt. Diefes muß ich noch 
hinzuſetzen: was Ihnen auch immer begegnen 
kdnnte, glauben Sie nicht, daß irgend ein Scherz 
von mir oder den Meinigen mit Yhrer Herz haf⸗ 
tigkeit getrieben werde. Mein Ehrenwort bürgt 
Shuen, daß Niemand, wer es auch ſey, ſich ger 








231 


Ratten foll, Sie burdy eine Zäufung zu ſchrecken 
oder zu beunrubigen. 

Diefe Erklärung machte einen fonderbaren Eins 
druck auf die beiden Abenteurer. Hier — das 
fahen fie au6 dem ganzen Ernft des Barons 
— wer wirklih etwas Unheimliches im Hintere 
grund, und ihre Phantafie hatte freien Lauf, ſich 
in den furchibarften Regionen der Geifterwelt 
Schreckphantome zu bilden. Sie geftanden ſich, 
daß ihnen die Herzen bänger ſchlugen, als felbft 
in der geftrigen Nacht, indeflen wollten fie ihren 
fräger bezeigten Murh nicht für Poltronnerie er⸗ 
klaͤren, fo mußten fie des Baron Anerbieten 
annehmen. 

Ich erwartete biefed von Ihnen — fagte Bents 
beim — Sehen Sie indeffen Ihr Wagftid nicht 
für unbedeutend an! Ich zweifle nicht, daß Sie 
in dieier Nacht von dem Dajeyn geiftiger Wefen 
Ucberzeugung erbalren werden. Bereiten Sie 
Sich vor, mit voller Befonnenheir Ullem zu be⸗ 
gegnen, was ſich Ihnen zeigen möchte. Näheres 
von den Erſcheinungen in jenem Zimmer ift mir 
felbR nicht bewußt, der General, wie Öie 
wiffen , bat Nicmand offenbart, was ihm begeg⸗ 
net fey, und mir, wie meinen Vorfahren, war 
"son unfern eltern zur. heiligen Pflicht gemacht 
worden, niemals jenes Zimmer zu betreten. 

Wad man noch ferner Über die unbelannten 


2352 


Erfcheinungen ſprach, Tonnte kein belleres Licht 
über die Sache verbreiten. Der Wirth ſpendete 
beim Ubendeffen den Mein mit ungewohnter Spar⸗ 
ſamkeit, und entichuldigte ſich, daß er auch für 
die Macht nur dürftig geforgt babe. Man fand 
feine Vorſicht den Umftänden angemeflen und veir 
entfernten und nad) Dem verrufenen Zimmer. 

Hier zeigten fich nun die Spuren langer Bere 
ddung: unverkennbar, und ber Unterfchied zwijchen 
diefem und unferm gefirigen Schlafzimmer war 
auffallend. Der Tiſch mit drei Stühlen für die 
drei Gäfte, mitten unter dem wenigen vermorſch⸗ 
sen ‚alten Geruͤll, bildete ‚einen unangcuchmen 
Kontraft, der das Unheimliche- der ganzen Algen 
dung nur ‚uoch ſtaͤrker hervorhod. In der Niſche 
eines vermauerten gothiſchen Fenſters ſtand ein 
ziemlich verwitterter Haudaltar, aus der aͤlteſten 
Zeit, mit geſchnitzten Heiligenbildern. Das rins 
zige Fenſter bot die Ausſicht in einen engen Ne⸗ 
benhof, .in deſſen Gebäuden Fein einziges Licht 
die Naͤhe eines Lebenden ankuͤndigte. 

Wir richteten und indeſſen fo gut als möglich 
ein. Die Flaſche Wein, die den Muth anfachen 
follte, mar baid ausgeleert. Mir dachten. uns 
nun die furchtbarſten Möglichkeiten aus, um die 
Wirklichkeit zu überbieten, und dann, auf das ' 
Schlimmſte gefaßt, dem Phantom ruhiger entge⸗ 
‚gen treten zu-Fönnen. Sp kaw. die Geifterfiunde 














233 
nperan. Ich rieth, alle Winkel nochmals genau 


zu unterſuchen, aber meine Gefaͤhrten waren nicht 


von ihren Sitzen zu bewegen. Ich ſchalt ihre 
Gleichguͤltigkeit gegen Dinge, welchen fie: vor eis 
ner Stunde noch, mit Uygeduld entgegen ſahen, 
aber fie kümpften, vergebens mit der Gemalt des 
Schlafes, der fie endlich gegen alle meine Bemüs 
hungen übermannte , und in unberoinglicher Des 
mubung hielt. 

Mau war, id) fo aut ale einfası in. dielem 
verrufenen Geiſterzimmer. Der tiefe Schlaf mei⸗ 
ner Gefährten ſchien: mir nicht natuͤrlich und .ere 
hoͤhte mir nur dad Grauen, dad in jochen Lagen 
wol den. ‚Beheratsiten..ergreift. Ich verſchte 
vergebeng, gleich den. Andern,.den Schlaf herbeie 
zurufen. Meine aufgeregte Phantafıe ſcheuchte 
wich „vom Sige auf, und ‚tsieb mich unſtet im, 
dem oͤden Zimmer umher, Off verwuͤnſcht' id) jetzt 
die, unnuͤtze Neugierde, welche mich angetzsiehen, 
harte, die Geheimniffe diefes Zimmers zu- erfor 
ſchen. Daß geringite, Kniſtern in. Den, morſchen, 
wurmftichigen Geräthichaften.., peinigte- miſh Hl 


Ankündigung nahender unhgimlicher Schrecken, 


und kaum konnt ish, mich.in ylchen Angeublicken 
enthalten, das immer, uz verlaſſen, und bie 
Naͤhe eines lebenden, wasbenden Weſens aufzua 
ſachen. Etwas beruhigend, wurde mir ein matter 


Sichefchein, den ich-jeht Durgd daB Genfigr ii dem. 


2 


254 


vorher ganz finftern Theile des Schloſſes bes 
merkte, und der mir durch feine Bewegung zu 
verrathen (chien, daß außer mir noch ein Wachens 
der in der Nähe dieſes furchtbaren Zimmers ſich 
aufpalte, vieleicht vom Schloßherrn felbft aus 
Beſorgniß für und Abenteurer dahin beſtellt. 
Indem ich meined wieder belebten Muthes 
mich freute, hoͤrte ich ein leife& aber vernehmliches 
Klopfen. Ein Meiner Schauder, den ich aber 
ſchnell befämpfte , hinderte mich, den nächtlichen 
Beſucher fogleich zum Eintritt aufzufordern, und 
das Pocyen ward etwas lauter wiederholt. Ich 
nahm ein Piftol unter den Arm und das Licht 
in die Sand, fo ging ich’ nach der feftverriegelten 
Xhhre, um fie zu Öffnen. Indem hör’ ich hinter 
mir einen leifen Zuruf, und beim Umfehn erblid” 
ich eine weiblicye werfchleierte Geftalt, die fo eben 
aus einer verborgenen Tapetenthhr in dad Zim⸗ 
mer trirt. An dem Sternſchleier erfannte ich 
ſchon die Geftalt aus meinem Tranme; jegt ſchlug 
fie den Schleier zuräd, und Adelheid fieht vor 
mir, ‚indem fie, mit auf dem Mund gelegten 
Finger, mir Stillſchweigen gebietet. 
“ Das Geheimnig des Zimmers fah ich nun 
enthuͤllt. Die Bangigkeit vor dem Schrecken der 
Geifterwelt war aber bei mir einer andern nicht 
geringern, gewichen, die mic die Freude, die Ges 
liebte in meiner Nie zu fehen, jehr mächtig ſtdtte. 





236 \ 


Wie leicht konnten meine Gefährten von ihrem 
Schlaf erwachen, und welche Kette von Berlen 
genheit mußte dann durch biefed feltfame Zufame 
mentreffen für fie und für uns Alle entſtehn. Ich 
äußerte ihr dieſes, aber fie lächelte ımd fagte: 
Sei ruhig, lieber Huwald, diefe Schläfer fids 
sen und nicht. Ich erfiaunte, daß fie mich mit 
meinem wahren Namen nannte, fie bemerkte es 
and fafır fort: Ferdinand, mir brauchſt Du Deis 
nen Namen nicht zu verbeelen, ich will Dein 
Gluͤck, es ift dad meine. 

Ich war entzädt über dieſe Worte und den 
vertraulichen Ton, in welchem ſie mit mir ſprach, 
und ich mußte mich ſehr vorſehn, daß ich nicht 
in der Erwiderung der Vertraulichkeit ihren Mas 
men mannte, wovon Nachtmandler, wie man fagt, 
erwadjen jollen.' :Wie lange wir zuſammen fpras 
hen, ‚weiß ich nicht, denn. bie Minuten fingen mir 
pfeilgeichwind voruͤber. Beim Ubfchiede fragte 
fie mich, ob ich ihr eine Bitte gewähren wollte? 
Sch verſprach ihr jeden Wunſch zu erfüllen, wenn 
ed möglich waͤr', noch eh’ fie ihn nennen würde, 
Sie bat nun um meinen Ring zum Erinnerungs 
zeichen an diefe Etunde. Der Ring war ein als 
sed Familienerbſtuͤck und ich trennte mich ungern 
von ibm, wer kann aber der Geliebten die erfte 
Bitte verfagen? Ich zog Ihn ſchnell vom Kiuger 
und fuͤgte ihn fehbft: an die fehöne weiße Hand. 


256 


Wenn Du den Ring an meiner Hand fichft — 
ſprach fie — fo dent an Dein Wort. Erfälle 
meinen Wunſch, wenn “ ihn auch nicht aus⸗ 
ſpreche. 

Wir ſtanden eben vor der Miſche mit dem 
Altar. Ferdinand — fagte fie faſt wehmüs 
thig — wirft Du Deiner Liebe treu bleiben? Ich 
Bejahte mit taufend Eiden, ed. war dad erſte Wort 
son Liebe, das fie zu mir ſprach. Dent qu Dei⸗ 
wen Eid vor dieſem Altar — rief fie jetzt — ich. 
müßte Di graufam verfolgen, weun Du ibn 
ihn braͤcheſt. Mit biefen Morten ging ſie nach 
ver Thür. Ich bet. fie. nun ebenfalls mn -ein 
Zeichen von diefer Stunde, und :beutete auf eine, 
ihrer ſchoͤnen goldenen: Locken, dabei ward: fie aber 
fonberbar wehmüthig: :.. Korbre ed nicht: -fagte 
fie .bittend — ed wär’ Dir vicht gut, Du wuͤr⸗ 
deſt meine Liebe verkennen⸗ und Dich ſehr una 
gluͤcklich fuͤhlen, glaube meinem Wort. Damit 
verſchwand fie durch dieſelbe Tapetenthür , burch, 
welche fie eingetreten war. Als ich gber vers 
ſuchte die. Thür zu oͤffnen, um ihr wenigfiend, 
nachzublicken, widerſtand das Schloß allen: mein 
zen Bemuͤhungen. 

Erfreut uͤber die ſchone Zukunft, die fi ch jetzt 
meinen Blicken fnete, nahm ‚ich meinen Platz 
bei meinen erwachenden ‚Gefährten ein, und wies 
ihre ragen. mit verßellter Schlaͤfrigkeit zrüsk 








257 


bis endlich die Träume wirklich meine Phanta⸗ 
fteen aufnahmen, und zu bunten Luft» und san 
Ienbildern weiter verarbeiteten. 

Der Morgen war kaum angebrochen, als 
Bentheim ſchon nach feinen Gaͤſten fragen 
ließ. Wan war befchämt zum zweitenmale das 
Abenteuer verichlafen zu haben, und die beiden 
Dfficiers wollten, um fich der Merlegenpeit 
zu entziehn, die Beleidigten ipielen, indem fie bes 
baupteten, der Hausherr habe fie mit einer eit⸗ 
Ien Zurcht nur necken wollen. Indeſſen mußten 
fie geftehen, daß, während ihres Schlafes mans 
ches Ungewöhnliche,, von ihnen unbemerkt vorges 
ben konnte, und fo wurde das Unbehagliche dieſes 
Verhaͤltniſſes groͤßtentheils auögeglichen, 

Als ſich die Familie zum Fruͤhſtuͤck verſam⸗ 
melte, blieb Adelheid fuͤr meine Ungeduld 
viel zu lang aus, und als ſie erſchien, glaubte 
ich an ihr eine ungewoͤhnliche Blaͤſſe zu bemerken. 
Ich fragte, ob dies vielleicht Folge einer unrupi 
gen Nacht fen? 

Im Gegentheil — eriwiderte fie laͤchelnd — 
ich habe dieſe Nacht einen ſo ungewoͤhnlich feſten 
Schlaf gehabt, daß ich von dem ganzen furcht⸗ 
baren Sturm auch nicht einen Laut gewahr wor⸗ 
den bin. | 

Hat ed denn dieſe Rah fo heftig geftürmt ? 
— fragte id). 


256 


Nun wahrbaftig — fagte der Baron lachend 
— wer in Erwartung eines unheimlichen Aben⸗ 
teuers einen ſolchen Sturm verfchlafen kann , an 
deffen Unerfchrocenheit darf niemand zweifeln ! 
Hat: denn dad Praffeln der Steine in Ihrer 
Naͤhe Sie nicht aufgewedt. Det Sturm hat ja 
den alten Thurm faft eingeftörzt. Ich war hs 
retwegen in nicht geringer Sorge, und ſchon eins 
mal auf dem Wege zu Ihrem Zimmer, 

Mir fiel hierbei das Licht ein, das. ich dieſe 
Nacht in einen Fenfter mir gegenüber gefehn 
hatte, und ich erzählte, wie willlommen diefer 
gefellige Schein mir geweien fg. Der Baron 
ſchien befremdet, und dußerte, daß auf jener Seite 
kein Weg zu jenem Zimmer führe, ich fürchtete, 
mein Geßeimniß zu verrathen und erklärte num 
felbft jenes Licht für mögliche Taͤnſchung durch 
Widerſchein. 

Waͤhrend des Geſpruͤchs gingen noch mehr 
Berichte ein von den Zerſtoͤrungen des naͤchtlichen 
Sturmes. Ein alter Hausoffitiant, Namens 
Hartmann, erinnerte beſonders angelegentlich 
an die Nothwendigkeit, den alten Thurm, der 
vorzüglich gelitten hatte, berftellen zu laflen, und 
der Hausherr gab mit einem bedeutend-n Lächeln 
feine Zuftimmung , worauf der Alte ſogleich eilte, 
die erforderlichen Anſtalten zu treffen. 

Ueber uns koͤnnte die Dede den Einflurz dros 














239 


ben — fagte dr Baron, ald wir den Eifer 
des Alten bemerkten — und man würde mit der 
Herftellung nicht fo eilen, als mir jenem alten 
Thurm. So mächtig ift der Volksglaube. An 
die Erhaltung jenes Thurms fol, Gott weiß, was 
Alled gebunden ſeyn, zum wenigſten, wie man 
glaubt, die Dauer meines Hauſes. Was dieſe 
Verbindung geknuͤpft babe, weiß Niemand zu ſa⸗ 
gen, und was man davon erzählt, klingt oft ges 
hörten Kabeln aͤbnlich. Sonderbar indeflen ift 
ed, daß den alten Thurm jeßt eine Schwachheit 
über die andere anmwandelt, bald ſenkt er ſich freis 
willig, bald fchärtelt ihn der Sturm zujamnıen, 
fo, daß mich feine Öftern NHerftellungen ſchon ans 
ſehnliche Summen koſten. Doch würd’ ich hoͤch⸗ 
lich bei allen meinen Leuten verſtoßen, wollt' ich 
jemals die Koſten ſolcher Reparaturen ſcheuen. 
So groß iſt das Anſehen jenes alten baufälligen 
Gemäuerd. 

Die beiden Dfficiers hatten indeflen Bes 
fehl zum Aufbruch bekommen, und verließen uns 
zu meiner und Bentheims Freude, denn Dies 
fem war das Forfchen nach den Geheimniffen feis 
ned Schloſſes fo unangenehm, ald mir, wiewol 
er damals keinen Grund haben fonnte, die Euts 
deckung eines Geheimniffes zu fürchten. 

Als wir allein waren, fragte mich Adelheid 
von neuem, ob mir denn wirklich gar nichtd Uns 


⸗ 


240 
heimliches in dem furchtbaren Zimmer begegnet 
ſey ? und fie ſchauderte ſelbſt bei der Frage nach 
jenen unbekannten Schreckniſſen. 

Ich verſicherte, daß ich durchaus nichts Un⸗ 
natürliches und Unangenehmes erfahren habe, daß 
mich im Gegentheil die ſchoͤnſten Bilder und Traͤu⸗ 
me umſchwebt haͤtten, fo daß ich unbedenklich 
dieſes verrufene Zimmer zu meinem befländigen 
Schlafgemach annehmen würde. 

# Adelheid bat mic, vor diefem abentenere 
lichen Einfall abzulaffen, ed fey an dem erſten 
Verſuche genug. Der Bater flimmte der Toch⸗ 


. ter bei, und ich durfre auf meinem Wunſche nicht 


beftehen, ohne eine Entdedung dadurch einzus 
keiten. 

Indeſſen neckt' ic) doch Adelheid mit bieier 
Furcht und fragte, ob ihr vielleicht jemals bort 
etwas Unheimliches begegnet fey. Sie verneinte 
die Frage mit der Verſicherung, daß ſie von Kind⸗ 
heit an dieſe ganze Gegend des Schloſſes ges 
heut, und niemald dorthin ſich gewagt habe. 
Ich weiß nicht einmal den Weg zu jenem Zim⸗ 
mer — fuhr fie fort — und möchte ihn aud 
nicht wiffen. 

Bei diefer Scheu, Fräulein — fagte Id — 
follten Sie Sic) genau mit diefem Wege befannt 
machen, um nicht von ungefähr einmal dahin zu 
gerathen und vieleicht fehr zu erſchrecken. 





241 


D, — erwlderte fie — baflır ik geforgt ! Wenn 
nicht gewiſſe Waghälfe eine Aenderung machen, 
find alle Thuͤren noch weit vor jenem Zimmer 
feſt verichloffen. 

Vielleicht aber — wendete ich ein — führen 
mehrere Wege dahin. Sie koͤnnen vielleicht in eis 
nem entfernten Theil des Schloſſes zu ſeyn glaus 
ben, fie bemerken einen verborgenen Drüäder in 
einer Wand, verfuchen ihn, eine geheime Thuͤn 
dfiner fich, und auf. ‚einmal, find ſie in dem ges 
fürchteten Zimmer. -- : 9 

Machen Sie mich nicht bange «= fagte. Adel 
hbeid — Aber das ift unmöglich. Die Zimmer, 
in welchen ich. Geichäfte habe, ſind mir zu genam 
befaunt, und koͤnnen Zu Seinem verborgenen aim 
mer führen. 

Bentheim beftätigte diefed. Jener Theii 
des Schloſſes, ſetzte er hinzu, iſt ganz von dem 
abgeſondert, welchen wir bewohnen, und ſogar 
der Weg, der vorzeiten unmittelbar aus dem 
Schloſſe in die Kirche führte, iſt ſchon laͤngſt, uns 
gaugbar und verichloffen, wahrfcheinlich eben Dies 
fer lang bergebrachten Furcht wegen. 

Ich Hatte zu fichere Beweiſe einer Verbindung 
jenes Zimmers mit dem bewohnten Theile des 
Schloſſes, ald daß ich mich hätte vom Gegentheil 
überzeugen follen, indeffen fragte ich bloß, .ob 
nicht Adelheid vielleicht in früher Kindheit 

Geſpenſterbuch, 5. Theil. Q 


242 


dort geweſen ſey, und ob fie nicht irgend ein 
Bild von dem gefürchteten Zimmer ſich mache ? 

Man macht fi) wohl von allem Unbelannten 
unvoillführlich ein Bild — antwortete fie — und 
fo gebt ed mir auch. Ich denke mir dad Zimmer 
ziemlich weit, aber öde, was denn wohl nicht 
anders feyn kann, Zugleich denke ich mir, ich 
weiß nicht warum, ein Fenſter vermauert und eie 
nen alten Altar darin. - 

Da irrt mun- Dane Phantafie wol etwas — 
fiel der Baron hier ein — Bon fo einer Deko⸗ 
ratiow hab’ ich nie etwas gehört, auch nichts da⸗ 
von bemerlt, als ich das einzigemal in meinem 
Leben mich jenem Zimmer näherte, um mir des 
Generals. fchmelle Entfernung begreiflich zu 
machen, 

Dennoch — erwidert' ich — ift ed ganz, wie 
das Fräulein fagt. Ich fand wirklich diefe Nacht 
hinter einem ſchweren Schirm, den ich wegrüdkte, 
um jeder Taͤuſchung vorzubeugen, einen Altar in 
einer Kenfternifche, 


Sonderbar! ſehr ſonderbar! — riefen beide. | 


Man erfhöpfte fich in Vermuthungen, ohne eine 
Ninreichende Erkiärung zu finden. Die angemefs 
fenfte wollt” ich aus guten Gründen nicht vers 
muthen laffen, und brach für diefesmal das Ge 
ſpraͤch ab, 

US ich mich entfernte, traf ich Hartmann, 





— — —— = 


245 


der mit dem größten Eifer an ber Herflellung 
des Thurmes arbeiten ließ. Ic war neugierig, 
von den Geheimniffen dieſes alten Baues etwas 
zu erfahren, und ließ mich mit ihm in das Ges 
fpräch ein. Anfangs fertigte er mich mit der 
belammten Erzäßlung ab, von dem Geſcheuk eis 
ned uuterirdiichen Gnomenvdlikchens, das in den 
Thurm eingemanuert feyn, und. altes Ungluͤck von 
der Familie abwenben folle, aber ich merkte bald, 
daß er felbft dieſes Märchen, das von einer Menge 
Schloͤſſern erzäplt wird, nicht glaubte. Endlich, 
ald ex vertraulicher - geworben war, geſtand er, 
bag ex den rechten Grund ded Geheimuiffes felbft 
nicht wie, daß aber ohne Zweifel zwifchen dies 
fem Thurme und. den. Erfoheinungen des filbernen 
Fraͤuleins ein: Zuſammenhang ſeyn muͤſſe. Mir 
ſchien nun allerdings eine ſolche Verbindung nach 
meinen Erfahrungen uͤber die Erſcheinungen im 
Schloſſe nicht wol denkbar, indeſſen ließ ich den 
Alten erzaͤhlen, und ſo erfuhr ich folgendes: 
Vor uralter. Beit, als dieſe Beſitzung von dem 
Bentheims erkauft worden war, lebte ein 
Fraͤulein aus dee Familie ber vorigen Beſitzer. 
Sie foll von bezaubernder Schönheit gewefen . 
feyn , aber dabei auch eine arge Zauberin. Durch 
ihre Zaubereien hatte fie den neuen Befiger fo 
geichredt, daß er dem Wahnfinne nahe geweien. 
Da hat man denn das Zauberfräulein in den als 
Q2 


244 


ten Thurm erſt zur Verwahrung gebracht, und 
dann, weil ſie von den Zauberwerken nicht abge⸗ 
laſſen, ſie der Hexerei angeklagt, und es dahin 
gebracht, daß ſie mit der Waſſerprobe ſich reini⸗ 
gen ſollen. Man hatte ſie nun, der Gewohnheit 
nach, mit gebundenen Haͤnden und Fuͤßen auf 
das Waſſer des Schloßteiches gelegt; wuͤrde ſie 
oben ſchwimmen, ſo mußte diefes als Beweis ih⸗ 
red Bundes mit der Hölle gelten. Sie ſank nun 
zwar, unter Betheurung ihrer Unfchuld, zu Bor 
den, und fo war: fie von dem Verdacht gereinigt. 
Weil man fie aber leblos hervorzog, fo hielt man 
ihre Unſchuid doch nicht für hinlaͤnglich erwielen. 
Man verfagte ihr deshalb dad Begräbmiß in der 
Gruft ihrer Familie und beftattete fie in einen 
Gange, welcher zur Kirche führte, Nun beißt 
ed, finde fie im Grabe keine Ruhe, und verfolge 
noch) immer die Bewohner des Schioffes, auch 
fuche fie noch im Tode den Thurm durch ihre 
Zaubereien zu ftürzen, weil fie während ihres Ges 
fängniffes ihn verwänfdht Habe, daß mit ihm auch 
die neue Herrfchaft fallen werbe, 

Der Hexenprozeß machte mir die Erzählung 
etwas verdächtig und ich fand das Märchen von 
den Unterirdifchen faft paffender. Uebrigens war 
ich wegen der Seftigkeit bes Thurnies ruhig, denn 
Hartmann ließ arbeiten, als baue er ein Werk, 
dad Belagerungen aushalten folle, 


245 


Mehr Sorge machte mir Adelheid, an.ber 
ih eine ganz ungewöhnliche Unruhe bemerkte, 
Auch ihrem Vater fchien diefes aufzufallen, er 
fragte fie wiederholt nad) dem Grund biefer Uns 
ruhe, doch ohne eine hinkängliche Antwort zu era 
halten, Es kam mir vor, ald werde er felbft 
Darüber beftürzt, und ſehe in jener ‚Unruhe Die 
Aeußerung einer früher ſchon an feiner Tochter 
bemerkten ahndenden Kraft. Auch Mehrere aus 
der Dienerfchaft , beſonders die ältern, wurden 
aufmerkiam und ſahen ſich bedenklich an. Enbs 
lich beftätigte der. Erfolg die trüben Ahndungen, 
Es kamen Nachrichten von: der Armee: der juna 
ge Bentheim war in .ber Schlacht geblieben, 
die Beſtuͤrzung und der Schmerz ded Vaters 
war über alle Beichreibung. . Mit dem einigen 
Sohne ging ihm zuglid) das Mecht: verloren, 
über ben beträchtlichiten . Theil feiner Güter zu 
verfügen, und alle Ausfichten , feiner Tochter 
auch) in Nädficht auf Äußeres Gluͤck die glaͤn⸗ 
zendſte Zukunft zu ‚bereiten, waren vereitelt, 

Mein wahrer berzlicher Antfeil, den ich an 
diefem Trauerereignifle der Familie nahm, brachte 
mich befonbers der ſchoͤnen Adelheid näher, 
©ie geftand ein, daß fie ein großes Unglüd m 
der Familie geahndet habe, allein Bilder und Ges 
füple hätten ſich vor ihrem Geiſte verwirrt, daß 
fie nur die allgemeine Vorſtellung des Unglüds 


J 





246 


habe ſaſſen können. Erſt in ber Nacht, ehe bie 
Srauerbotfchaft angelommen, babe dad Bild ih⸗ 
red Bruders fich mit jenen Borftellungen "vers 
miſcht. Ich fragte, ob fie öfters dergleichen Vor⸗ 
ahndungen habe, und nun entbedte fie mir, baß 
Fein frohes oder betrübtes Ereigniß in ihrem Hauſe 
ſich begebe‘, was ihr wicht -mehre Tage. zuvor in 
Bildern und Ahndungen vorſchwebe, die zugleich 
eine dunkle und verworrne Beziehung auf jenes 
geheimnifivelle Zimmer haben; and) meine An’ 
Zunft babe fie fchon einige Tage zuvor gewußt. 
Diefe Eigenbeit, fo ſchauervoll fie mir auch bes 
fonders in Verbindung mit dem früher bemerkten 
Nachtwandeln war, zog mich. dennoch nur maͤch⸗ 
aiger an die ſchͤne Adelheid. Mir hatte eben⸗ 
falls ein Traum das erſte Zuſammentreffen mit 
ihr vorgeſpiegelt, und ſo ſchien eine geheime Sym⸗ 
pathie zwiſchen uns und unſern Schickſalen her⸗ 
vorzugehen, die ich gern als Unterpfand einer 
glucklichen Zukunft anerfannte. Ich glaubte auch 
bald an Adelheid eine Erwicherung meiner. Reis 
gung zu bemerken, doch war ber Eindrud jener 
Zrauerborichaft noch zu nen, ald daß ohne Un⸗ 
zartheit über eine Liebe gefprochen werben Tonnte, 
die fo viel Auseinanderfeßungen und Berichtiguns 
‚gen udthig machte, um günftige Aufnahme ba 
allen intsreflirten Perfonen erwarten zu können. 
Die Erſchuͤtterung jenes Thurmes fchien num 





247 


auch einige prophetiſche Bedeutung zu befommen, 
uud Bentheim felbft, wiewol mit feinem 
Sohne dad Glüd abgeftorben war, dad von ber 
Erhaltung ded Thurmes abhängen follte, drang 
auf möglichite Befeftigung jener alten Mauern. 
Sonberbar fchien ed dabei, daß Adelheid dies 
fen Bau ungern ſah und einigemal dußerte: es 
wäre vielleicht beffer, der alte Thurm ſtirze ganz 
ein, da er doch feine Bedeutung verloren habe, 
De alte Hartmann erfaltete auch wirklid) 
in feinem Eifer, und fagte bedenklich: dad Fraͤn⸗ 
lein weiß vielleicht ſelbſt nicht, was fie fpricht, 
allein ed hat gewiß Bebentung. So feft glaubte 
auch ‘er an ein dunkles Ahndungvermoͤgen Adel⸗ 
heids. 

Indeſſen wuchs meine Liebe zu Adelheid 
taͤglich, ohne daß ich wagen durfte, ihr und ih⸗ 
sem Bater fie zu geftchn. Es wär’ Thorheit von 
mir, dem Unbemittelten und Ausfichtlofen gewe⸗ 
fen, die Verbindung mit einem Fraͤulein zu ſu⸗ 
den, die an jeden Glanz und jebe Bequemliche 
Jeit des Lebens gemdhnt, doch durch einen Uns 
gluͤcksfall aller Mittel beraubt war, die gewohnte 


Art zu leben fortzufegen. Die Ruͤckſichten war 


sen weder zu verfennen , noch zu tadeln, welche 
ihren Bater und fie felbft bei der Wahl des 
Hhnftigen Gemahls leiten mußten, und ihre Schoͤn⸗ 
beit und Kiebenswärbigkeit, verbunden mis der 


RL | ni 


me» 


N 


240 


feinſten Weltbildung, uͤbertrugen reichlich den 
Mangel eines bedeutenden Vermögens. Ich war 
ſchon oft entfchloffen, den Baron um meine Ents 
laſſung anzugehu. Durdy eine Heine Reife wollte 
ih mid) an die Entfernung von ber Geliebten 
gewöhnen, ald ein Vorfall ſich ereignete, der als 
les Ändere. ' . 
Am Morgen ‚vor ‚meiner Abreife übergab ich 
eben dem. Baron ein Band georbneter Papiere 
und Rechnungen, als Lärm im Haufe entfland, 
und die Dienftboten mit der Nachricht herbeiliefen, 
der Thurm ſey — man wifle nicht durch welchen 
Zufall — eingeſtuͤrzt. Wir eilten nach dem Plage, 
"und hier kam und ſchon der .alte Hartmann 
entgegen, mit einem Käftchen, das, feinem Bes 
sicht: nach, ıin den zerfprungenen Mauern des 
Thurwms verwahrt gewefen feyn ſollte. Wir ahn⸗ 
deten Alle ſogleich den Schlüffel zum Geheimnig 
des Thurmes in biefem Behaͤltniß. Der Baron 
verfchloß fick in fein Kabinet, aber bald ließ er 
mic rufen, um die alten Schriften, welche fich 
vorfanden , mit mir durchzugehen. 
Diefe Papiere enthielten die Gefchichte jenes 
Fraͤuleins, wovon der alte Hartmann ‚mir 
die Sage erzählt hatte. Ihr Water war Beſitzer 
des Schloffes und der dazu gehdrigen Herrſchaft. 
Sein Wunſch, einen männlicyen Erben zu hintere 
laffen, verleitere ihn ‚zum Geluͤbd' eined Zuges 








249 


in dad heilige Land, Um während der Löfung 
dieſes Geluͤbdes feine Herrſchaft zu fichern, übers 
ließ er fie einem Freunde, auf deflen Redlichkeit 
er feſt baute, gegen das Verſprechen, ihm felbft 
bei jeiner Ruͤckkehr, oter, im alle dieſe ihm 
verfagr ſeyn follte, feinem unmündigen Sopne alle 
anvertrauten Güter zurüdzugeben. Die Urkun⸗ 
den wurden nat aller Körmlichkeit, für die ent» 
fernteften Erben noch gültig, aufgefegt und volle 
jogen. Um ganz filher zu gehn,'-verbarg des 
Fraͤuleins Water feine Urkunden in den Anopf 
des Thurmes, der bamals gebaut ward, ohne das 
Geheimniß jemand zu entbeden. Nur feine Toch⸗ 


ter bemerkte: zufaͤllig diefe Arbeit, doch abndete ' 


fe die Wichtigkeit jener Schriften nicht. 

Der Mütter blieb - auf feinem Zuge in einem 
Gefecht gegen die Ungläubigen, und fein Sreund 
batte nichts Ungelegentlicheres , als fidy felbft in 
den eigenithümlichen Befig der anvertrauten Guͤ⸗ 
ter zu fegen. Die Tochter des vorigen Beſitzers 
forderte nun ihres unmuͤndigen Bruders erbliches 
Eigenthum von dem Aumaßer, allein dieſer ſchuͤtzte 
fi) durch die Urkunden, welche ihm ben Beſitz 
uͤberließen, und laͤugnete das Verſprechen ber 
Zuruͤckgabe. Nach langem Streiten beſann ſich 
das Fraͤulein auf die Schriften, welche ihr Va⸗ 
ter einſt in dem Thurmknopfe verborgen hatte, 
allein, zu vorſichtig dieſes Geheimniß ihren maͤch⸗ 





.nn 


— —— 


2330 


tigen Zeinden prels zu geben, verſchwieg fie es, 
um es einft ihrem Bruder zu entdecken. Doch 
war der Verdacht, daß- fie ein gefährliches Ges 
heimniß bewahre, hinlaͤnglich, um fie zu verſol⸗ 
gen. Man verfüchte anfangs Verfprecyen und 
Drohungen, um fie zu der, Entdeckung zu bewe⸗ 


- gan. Endlich beiduldigte man fie der. Zauberei 


und ſetzte fie in denfelben Thurm gefangen, der 
ihr Geheimniß bewahrte, Hier fand fir Gelegens 
heit, diefe Nachrichten aufzufäpreiben , und an dis 
wem, verborgenen Ort in der Mauer der Nach⸗ 
wel aufzubewahren. 

Bentheim dankte dem Simmel, der ihm 
dieſe Entdeckung zu, einer Zeit machen ließ, wo 
es ihm fo wenig Ueberwindung toftete, das une 
recht befeffene Gut. dem rechten. Eigenthuͤmer zus 
rüdzugeben. Gr ließ ben Thurmänapf dffnen, 
die Papiere fanden.fich; — aber denkt mein Er⸗ 
ſtaunen, ald der Name des frühern Befigerd: zum 
Vorſchein fan! Es war mein Ahnherr: Wolf 
son Yuwald, Ich erinnerte mich aus alten 
Nachrichten, daß er feine Herrſchaſt verkauft hats 
te, und daun gegen die Uuglänbigen ‚geblieben 
war. Es fand Hein Zweifel flatt, ich war ber 
Abldwmling und der einzige noch übrige Nach⸗ 
Tomme jenes Wolf. 

Dentheim erflaunte nicht weniger als is 
ſelbſt über diefe Eutdeckung, die ich fogleich mit 


251 


ben erforderlichen Papieren aus nteinem Taſchen⸗ 
buch bewies. Seinen Gluͤckwunſch verbat ich, 
fo lang ich nicht wiſſe, ob ich, bei allen Reiche 
thümer der Welt, wirklich gluͤcklich feyn Fönne, 
nämlic dur Adelheid. Der Tochter Eirds 
then befannte mir ein liebeö, gern verrathenes 
Geheimniß. Bentheim hatte auch Feine Eins 
wendung und fo fchloffen wir den begluͤckten Bund 
unferer Kiebe, " 

Indem ich beichäftigt war, dem Baron ime 
mer mehr Zeugniffe über meine Abkunft vorzus 
legen, dachte ich an ben Ring, den ich Adelheid 
bei ihrem nächtlichen VBefuche-gegeben hatte. Eis 
ven recht Sichern Beweis meiner Abkunft — 
fagte ich dem Baron — kann Ihnen fogar meine 
Braut felbft geben, in deren Hände ich ihn eins 
mal in einer merkwürdigen Stunde gelegt habe, 

Man verlangte Erflärung, und id) fimgte 
Adelheid, ob fie nicht einmal einen ihr früher 
unbelannten Ring an ihrer Hand bemerkt habe? 
Sie wußte nichts davon, Ich beichtieb ihr den 
Ring genau, allein fie kounte fich nicht befinnen, 
fie fand auch beim Nachfuchen keinen ähnlichen 
Ming unter den ihrigen, und ich mußte glauben, 
was freilich unangenehm war, der Ring fey der 
nächtlichen Wandlerin bamald auf dem Wege 
entfallen. Ich follte nun dad Nähere von dieſem 
Geſchenk erzäpln. Des Baron ward bei der 


a. mluh, a u ey #0 27 


u. 


ec 


Bam 


252 


Nachricht von dem nächtlichen Erſcheinen feiner 
Tochter in jenem Zimmer verlegen, und Adels 
heid verficperte, fie habe niemals, fo viel ihr 
wiſſend fei, einen Anfall von Nachtwandeln ges 
habt, und felbft, wenn dieſes ohne ihr. Wiſſen 
möglich fey, fo gehe doch aus ihrem, Schlafzim⸗ 
mer Bein Weg zu jenem Gemach, der Befuch 
fey alfo wenigſtens unmöglich, Indeſſen war ich 
‚meiner Sache zu gewiß. Ich erinnerte fie on 
den möglichen Zufammenhang des Nachtwandelns 
mit ihrem oft erprobten Ahndungsnermögen, und 
bat fie, den Weg nach dem Fräuleingimmer ‚ges 
nau zu unterfuchen, vielleicht finde ſich ein unbes 
kaunter Zufammenhahg , vielleicht auch felbft. der 
Ring, der dort verloren ſeyn mußte. 

Adelheid gab endlich, wiewol ungern meis 
nem Zureden nad), und fo gingen wir, nebfl dem 
Baron, der und führte, durch einen wüften, 
lang veriploffen geroefenen Gang. Eine ſchmale 
Treppe führte aufwärts, Mir ſtießen an eine 
Zapetentphr, und meine-Bebauptung beflätigte 


-fih. Dieſe Thäre führte in das berlichtigte Zims 


mer, wo, fatt eined gefürchteten Gefpenftes, die 
bolde Adelh eid mir erſchienen war. Unbegreifs 
lic) blieb nur, wie die verſchloſſene und faft eins 
geroftete Thuͤre ſich hatte von der Nachtwandleris 
erbffnen laſſen. 

Die Trümmer des eingeſtuͤrzten Thurmes machs 





. 253 

tm den vorbern Ausweg aus dem Zimmer un⸗ 
gangbar,, wir waren alfo gendthigt denfelben düs . 
fern, unheimlihen Weg wieder zurüdzumandeln, 
Als wir die Treppe herabgeftiegen waren, und 
uns in dem langen, verfallenen,, dunklen Gange 
umfaben, fdj.ecte auf einmal Adelheid zuſam⸗ 
men, und zeigte nad) einer Wand, wo wir Ans 
dern Nichts gewahr wurden Sie behauptete: 
fie babe einen weißen Schatten dort gefeben, und . 
ir Gefühl fage ihr, daß ein Grab in der Nähe 
ſeyn muͤſſe. Der Baron wollte ed ihr audres 
den, aber fie blieb dabei. Mir fiel das Grab 
des Fraͤuleins ein, von welchem Hartmann 
erzählt hatte, und ich beichloß, mit Zuftimmung 
des Bardns, nachſuchen zu laflın. Harte - 
mann, mit einigen Urbeitern begleiteten nid), 
Wir fanden bald in der Mauer Zeichen, die uns 
fre Vermuthung beftätigten, und hinter einigen 
weggenommenen Steinen kam ein Sarg zum 
Vorſchein. 


Ich ließ die Dede von dem Sarge abhebeii, 
und das Bild meines Traumes, Adelheid’s 
Ebenbild, aber in das mir wohl befanute Ges 
wand mit filbernen Sternen gekleidet, lag vor 
mir im Sarge, kenntlich, wie vom Tode nod) gar 
nicht beräßrt, das Geſicht in lieblicher bezau⸗ 
beruder Schoͤnheit noch laͤchelnd. So ſtand Adel⸗ 

Geſpenſterbuch. 5. Theil. R 








254 


Heid in jener Nacht vor mir, und in jenem Traume; 
der mich zuerft der Geliebten entgegen führte. 

Das ift das filberne Fräulein! — riefen die 
Arbeiter zugleih mit Hartmann, und Diefer 
Ausruf, und’ das Gewand mit filbernen Sternen, 
dad ich nie an meiner Geliebten gehen hatte, 
weckte mir jegt eine dunkle graufende Ungewiße 
beit, ob wol jene nächtliche Wandlerin wirklich 
. Adelheid war? Da fiel mein Bli auf die 
gefalteten Hände der Todten, und ich erblidte 
‚ meinen Ring, mit welchem ich mich — fo fah ich 
nun ſchaudernd — der Braut im Earge verlobt 
batte. 

Ich mochte eine Zeitlang in flarrem Schred 
ſtumm geftauden haben, ald Hartmann mid 
fragte, was mit dieſem Todten werben follte? 
Mir war indeffen jene ganze Nachtfcene lebendig 
geworden. Die Weigerung jener Erſcheinung, 
mir ein Pfand der Treue zurädzulaften, ſchien 
auf fein dunkles Band zwifchen der Todten und 
dem Lebenden hinzudeuten, Ihr Verlangen, bei 
dem Erbliden des Ringes einen unauägefpreches 
nen Wunſch zu errathen, befam jeßt einen unvers 
kennbaren Sinn, da ich. die, erft Verfolgte, und 
dann lange verkannte Todte, deren Sorgfalt ic) 
mein ganzes Glüd dankte, im einjamen Giabe, 
fern von den Särgen ihrer Ungehdrigen erblickte, 
Eie erſchien mir als der Schußgeift meiner Liebe 














255 


und meines Glüded., Sch befahl den Sarg in 
das Schloß zu tragen und dort Anftalten zu ih⸗ 
rem feierlichen Begraͤbniß in der ſamiliengruft 
zu treffen. 


Der Baron billigte mein Vorhaben, denn 
er und Adelheid erkännten in der Sargbewoh⸗ 
nerin ebenfalld die noch im Tode wohlthätige 
Urahnin meines Hauſes. Nach dem Begräbniß 
blieb ich in der Gruft, um nod) einmal den Ring 
zu betrachten, der mich doch zumwellen mit uns 
heimlichen Gefühlen erfüllte. Allein, ald ich die 
Sargdede abheben ließ, war der vor kurzem noch 
fo fchöne Leichnam in Aſche zerfallen, ein Zeichen, 
wie ed mir fchien, daß er feine Ruhe gefunden habe. 


Nach einigen Wochen war mein feicrliches, 
Verlobungsfeſt mit Adelheid angeicht. Ich 
hatte einen Ring fertigen laſſen, und wollte eben 
im Scherz ihn an dem Finger meiner Braut prüs 
fen, da entzog fie wir fchnell ihre Hand, O, bitte 
— rief fie — einen Augendlid Geduld! Sie 
ſchloß ihre Schatulle auf und nahm. daraus cinen 
ing. Ich habe Ihnen ein verlornes Eigenthum, 
zuruͤckzugeben — fuhr fie fort — und zugleich 
eine Bitte, diefe aber müffen Sie errathen, aus⸗ 
fprechen Tann ich fie nicht, Zugleich zeigte fie, 
wir ihre Hand, und an. diefer jenen nächtlichen, 
Verlobungring, Nun, was moͤcht' ich? fragte fie 

| N 2 


— V -- —— 


S 


256 


noch einmal, Mit diefem Ringe mir verlobt wer⸗ 
den, erwidert! ich; fie nidte bejahend. 
Sonderbare Verfettung! — rief ih — denn 
gun, wo mir wieder eine unausgeiprochene Bitte 
entgegenlam, warb ed mir von neuem zweifel⸗ 
haft, ob Adelheid, oder ihr nachtwandelndes 
Ehenbild den Ring empfangen hatte. Meine 
. Braut deutete den Ausruf anders, und erzählte 
mir, der Ring fen wirklich, meiner Vermuthung 
gemäß. in jenein Gange gefunden worden. 
Bon dieiem Tage an konnte das furchtbare 
Eräuleinzimmer ohne Gefahr und ohne Störung 
bewohnt werden, auch die Bauern fürdyteten das 
filberne Fräulein nicht mehr, das fie in ihrem 
ſilbergeſtickten Sternſchleier hatten begraben fehn, 
in welchem es ſonſt ald gefpenftifche Erfcheinung 
umbergemandelt feyn follte., Der Baron felbft 
erzählte mir jet, wie er in jener Nacht, wo er 
und mit einem falichen Zimmer getäufcht hatte, 
eine Geſtalt in filberglänzendem Schleier in dros 
bender Stellung vor feinem Bette gejchen, und 
deswegen und zu einer zweiten Nacht in dem 
wahren Fräuleinzimmer veranlaßt habe, weil ihm 
die drohenden Miene der Erfcheinung jene Taͤu⸗ 
(hung zu mißbilligen ſchien. Ich ließ alle weis 
tern Unterfuchungen über dergleichen Dinge rus 
ben, das liebfle war mir, daß meine Adelheid 
von ihrer Verlobung an jened Ahndungvermdgen 


257 


verlor, was ihr, wie file mir oft geſtand, mehr 
trübe als frohe Augenblicke gegeben hatte, Auch zu 
mir kamen Feine bedeutenden Träume mehr, und 
nur, feitden meine Adelheid wieder von mir 
genommen iſt, ſeh' ich zuweilen Bilder der Zu⸗ 
Bunft, doch, was ich gern der frommen Liebe 
meiner Abgefchiedenen dante, nur einer frohen 
heitern Zukunft. 

Und ſo, Kinder — deswegen hab ich Euch 
meine Wundergeſchichte erzaͤhlt — ſo hab' ich auch 
in Traume von unſern lieben Kriegshelden nur 
frohe Bilder geſehn. Trauer alfo meinen Erfahe 
rungen, die mwenigftend nahe genug an die Gränze 
des Geifterreiches anftreifen, uud feyd guter Dinge! 
Über hört doch, was kratzt denn an der Thüre ? 
Kommen etwa Deine Jaͤger ? Ich höre Hunde, 

Bater — rief Julie — Water, das iſt Bian⸗ 

ka's Stimme, 
Sie dffnete die Thuͤr, und das trene Thier 
fam mit freudigene Springen und Schreien in 
bad Zimmer geftürmt, begrüßte Alle, und forderte 
fie durch Umfehren und Wiederkommen auf, ihm 
zu folgen, 


Daß der wol feinen Herrn gefunden hat! _ 


fagte der Dberforftmeifter lachend. 
Bruder Huwald — rief Thalheim — dab 


iſt ein Streich von Dir! Geſteh's, unſre Söhne 


find zurüd? 


— 


— 


258 


Nun, wärft Du denn boͤs — erwiberte Je⸗ 
ner — wenn es auf eine Weberrafchung angeſehn 
wäre? Du folltek fie auf der Schnepfenjagd 

+ finden, im Walde; fo hat fie nun mein Jäger 
berbeigerufen. . . 

Hörner klangen jegt unten, und bie beiden 
Erwarteten, ald Jäger gekleidet, mit reicher Beute 
von der Jagd, trasen herein. 

Der Traum geht aus, Julie! — rief der 
Dberforftmeifter in die frofen Umarmungen, 
— Da find ja die Zäger mit dem MWildpret t 
Hab’ ich's nicht gefagt: . 

Okuli, 
da kommen fie! 


Inhalt. 


am 3 


Der Hedetdaler. Von 2, , . N 
Der Liebesſchwur. Mon. F. 2, . 
Die Ruine von Yaulinzell, Von 4. 
Die Hausehre. Bong. , , . 
Die Schuhe auf den Stangen. Ein Schwanf 
nah D. Martin Luther. Von A.. 
Legende. Von F. 2, EEE 
Das filberne Fraͤulein. Von A. 


% 





— — ⸗— Ba 


Wunderbunqh. 


— 


Herausgegeben 


A. Apel und F. Laun. 


Zweites Baͤnbchen. 


ee — — 
Stuttgart, | 
bei A. 5 Macklot. 1818. 


un 


8 





4 
. 
u.a 











nn " 


Durch Abhaltungen ſehr verſchiedner Art 
ward ich gehindert, zu dem zweiten Bands 
chen des Wunderbuches die Beiträge in 
demfelben Verhaͤltniſſe zu Tiefern, wie zu 
den früheren Bänden des Sefpenfterbuches. 
Mein Freund Friedrich Laun bat dagegen 
Diefes zweite Bändchen fo vorzüglich und 
fo reich ausgeftattet, dag ich meinen Dank 
dafuͤr geen mit dem Dank der Leſer vers 
einigen möchte, wenn unfer Freund nicht 
aus einer befondern Vorliebe für Erhal⸗ 
tung und Herftellung des Gleichgewichtes, 
wenigftens in der Wunderwelt, darauf 
beftände, eine Ausgleichung auszuüben, 
und feine Beiträge für das dritte Band» 
chen zum Theil dutch Anweifungen auf 
geleiftete Borfchüffe im zweiten Band» 








vn 


en zu liefern. Hoffentlich erfährt er 
bafd die Unzufriedenheit der Sefer mit feis 
nem Vorfag; follte er aber dadurch fich 
nicht zu einem andern Entfchluß bewegen 
laſſen, fo wird es allerdings unerlaͤßliche 
Pflicht Für mich, im dritten Bändchen 
nachzuholey , was ich im zweiten vers 
ſaumt habe, und Freund Laun wird danız 
im vierten die" Mängel des Dritten teiche 
lich auszugleichen haben, 
Leipzig in der Oftermeffe 1816, 


% Apel 





, | 
Inhalt. 
Ewanehild. Bon $.L, . Seite 4 
Des Schutzgeiſt. Eine Anekdöte Von A. A. — 71 
Die Wachsfisur. Don $.L, - — 103 
Blendwerke. Bon F. 2. 165 
Das Merrfräulein, Bon F. f. — 206 
De Mind. Bon F. 2, — 139 
Der rothe Faden. Don F. 2, — 260 
Der Lügenkein, Bon E. 2. 0 m 268 
4 — 


vi 

chen zu liefern. Hoffentlich erfährt er 
bald die Unzufriedenheit der Leſer mit ſei⸗ 
nem Vorſatz; follte er aber dadurch fich 
nicht zu einem andern Entfchlug bewegen 
faffen , fo wird es allerdings unerlaͤßliche 
Pflicht für mich, im dritten Bändchen 
nachzuholey , was ich im zweiten vers 
fäumt babe, und Freund Laun wird dann 
im vierten die Mängel des dritten reich» 
lich auszugleichen haben. 


$eipjig in ber Oſtermeſſe 1816, 


4, Apel, 














ß Inhalt. 

Ewanthild. Von F... Seite 1 
Der Schutzgeiſt. Eine Anekdoͤte. Von U. — 71 
Die Wachsſigur. Bon F. f. - — 103 
Blendwerke. Bon F. 2. " oo 165 
Das Merrfräulein, Bon Fk. — 206 
Der Mind. Bon F. ?. — 19 
Der rothe Faden. Bon F. 2, — 260 
Der Luͤgenſtein. Bon FJ. 2, . — 268 
4 ‘ 


En 


x 


Swanehitld. 

Me . 
Minernacht war ſchon vorüber, als gedrängt 
von allen Seiten durch die fiegeötrunfenen Frans 
Ir, der Sachſen Heerführer Wittefind , den 
diefe damals ihren König nannten, nach einer 
harten Winterreife, zu Fuße anfam auf der Burg 
feines Namens. Seine Gemahlin, Geva, Herr 
308 Alf von Holftein und wenige Nitter und 
Knechte waren mit ihm; fänsmelich in in der Tracht 
gemeiner Bauerslente. 

Traun, ein koͤſtlich Stuͤck von einer Veſte! 
rief Wittekind mit bitterm Spotte aus, als er 
nebſt dem Herzog Alf bei Fackelſcheine die Burg 
beſah. Denn die Thuͤrme fehlten ihr, die Gra⸗ 
ben waren ausgefuͤllt und der Wind ſtrich ſchauer⸗ 
lich durch die meiſten Gemaͤcher. Um ſo ˖weni⸗ 
ger aber, fuhr er fort, duͤrften unſere Verfolger 
und hier aufſuchen. Daher werden wir unge⸗ 
fort Kräfte fammeln zu dem einzigen, großen 

Geſpenſterbuch 6. Theil, a 


) 


2 


Zwecke, der Rettung des Vaterlandes vom Webers 
muthe der Fremden: 

Seufzend blickte Frau Geva, die ſich auch 
dazu gefunden, zu ihm hinauf, und Alf ſagte 
kopfſchuͤttelnd: So hegſt Du, nach ſo mannich⸗ 
fachen, unerhoͤrten Drangſalen und Noͤthen, noch 
immer Hoffnungen in dem großen Herzen ? 

Ei, was ſollte mir wohl ein Herz ohne Hoff ⸗ 
nung? Und fie will ich: fefthalten, auch denk 
ich, daß meine Kieben mich eher darin unters 
ftügen, als mir ſolches erſchweren werden. 

Ein ernſter Blick, der dabei über Alf und 
feine Gemahlin binftreifte, benahm allen Seufs 
zern und Einmwürfen, auf einmal die Sprache; 
worauf König Wittefind fie und den Freund 
herzlich bei der Hand faßte und austief! Nach 
fo langwieriger Wanderung wird uns der Schlaf 
am beften hun. Morgen, Bei neuer Kraft, won 
der Hauptfache! 


% 


Als aber Wittekind mit dem erſten Strahle 


des neuen Tages an das Fenſter trat und alles 
in einem weiten Kreiſe To zerflört und verddet 
ſah, wie die Gegenden, aud denen fit geflüchtet 


"waren, als bie, dur) länge Gewohnbeit feinem 


Herzen am wertheſten gewordene, Umgebung, 
gleichſam vernichtet vor ihm dalag, da mußte 





8 


er ſich zur Seite wenden, um der Gattin, welche 
zu ihm trat, das naffe Yuge zu verheimlichen, 

O ihr Goͤtter Rtief Frau Geva, ihm an die 
Bruſt finfend, wad mag aus fo vielen Uugluͤck⸗ 
fichen geworden feyn, die vor Kurzem noch hier 
Heerb und Wohnungen hatten ? 

Zu Rachegeiſtern haben fie fich erhoben, ſprach 
der Held, im Augenblicke gefaßt und begeiftert. 
Ihre Herzen werben im. Biutse ber gefallenen 
Brüder zu chernen Mauern werben, an denen 
der Stolz diefer Franken zerſchellen muß. Auf 
den abgebrochenen Wänden ihrer Wohnungen wer⸗ 
ben fie ihre Schwerter vorgen und den Kampf 
für Freiheit und Recht Eräftiger und beffer ber 
ſtehen als zeither! — 

Hierauf begab fih ‚der König in Alf's Ge 
mach und ging mit diefem hinunter in die win? 
terliche Einoͤde, zu fehen, ob nody irgendwo eine. 
Spur ded Lebend anzutreffen ſei. Aber nicht 
einmal Zodte waren zu finden. Die ihrer 
Beſchuͤtzer ensblößten Unbewehrten, ſchienen noch 
zu rechter Zeit dem auslaͤndiſchen Heufchreden». 
ſchwarme entronnen. | 

Der Troſt, daß fo vieleicht eine Menge 
Schuldloſer ihr Leben erhalten hätten, erleichterte 
die beffommenen Herzen der Helden in etwas. 
Saft aber hätte ſich die Zwietracht zwiſchen fie 
eingedrängt, ald dem nach Rache and Sreiei 

2 


4 
duͤrſtenden Könige Herzog Alf abermals Zweifel 
am Gelingen des za erneuernden Kampfes ents 
gegenſetzte. 

Haben wir, fragte naͤmlich Alf, nicht ſchon 
either. und werth gezeigt unſerer Abkunft, und 
wohin find wir dadurch gekommen? — Meinſt 
Du, daß das Sachſenvolk nun, nachdem ihm 
alle Nerven zerfchnitten worden, ſeine Rechte beſ⸗ 
fer behaupten werde, als vormals, wie ed noch 
in Fäle der Kraft: und des Muthes anfämpfte 
gegen die fraͤnkiſche Uebermacht ? Und ift es das 
dns allen Weltenden aufgeraffte, immer neuere 
fegte, „feile Gefindel dieſes Karls wohl werth, 
daß auch nur Ein edler Sachſe ſein Blut da⸗ 
gegen verſpruͤtze? — Was von und geſchehen, 
iſt hauptſaͤchlich für unfere Götter geſchehen; was 
aber haben diefe für und gethan? Unfere Opfer 
haben fie hingenommen und freuen ſich, allem 
Anſehen nach, unſeres Untergangs. Laß uns 
ihnen vergelten. Wozu Goͤtter, die keinen Schutz 
gewaͤhren koͤnnen oder wollen? Laß es uns mit 
den Goͤttern verſuchen, die jenem Karl fo güns 

ſlig find. Denn auf diefem Wege it wohl noch 
eher Freiheit und Gluͤck zu gemärtigen für dad 
ſachſiſche Volt. — 

Da brach Wittefind in feinem Eifer hier⸗ 

"über alfo aus: So follten wir denn als Feige 
linge befchließen die Sad, die wir zeither ohne 


4 


Gluͤck, aber nicht ohne Ruhm, gefuͤhrt haben? 
So ſollten wir auf die Goͤtter es waͤlzen, wa⸗e 
einzig der Ueberzahl des Feindes und der oft 
allzugeringen Ausdauer der Unſrigen zuzuſchreiben 
iſt ? Ja, auch dieſer mit, und zum Theil der 
Tollkuͤhnheit, die da Angriffe wagte, wo an kei⸗ 
nen Erfolg zu denken. mar, Der Beſitz, bey 
dieſe Franken undrauben wollten, der iſt oft unfer 
Verderb geweſen. Dieſe Hütten, eine falfche, 
vergängliche Heimath darbietend, drohten und. um 
die unvergaͤngliche, dad ‚Vaterland, zu betrügen, 
Wenn diefed von fremden. Zeufeln . befeffen iſt, 
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerieben 
wird, was follen und dba noch Güter und Mobs 


nung und Bereinzelung der Stämme? Nein, 


übergll wie hier, Feine Hütten mehr! Mit ihnen 
zerfallen die Scheidewände hie und trennten, und 
Maͤnner, Weißer und Kinder werden vereint 
flürgen auf den Frankenſchwarm und Verzweif⸗ 
lung Trotz bieten feiner . eberzahl. Nur Vers 


zweiflung Fonnte und helfen, fie iſt da und wir 


werden gerettet feyn! — 
3. 

Bei diefen Worten waren fieim Weitergehen 
auf eine Anhöhe gelangt, und erblidten endlich 
in der Gerne ein Häuflein. Menfchen um einen 
brennenden Holzhaufen verfammelt. 

Dank den Böttern! rief der König aud. Zu 


en I — ge - 
‘ 9 


. 


A⸗ 2 


2 
Zwecke, der Nettung ded Baterlanded vom Ueber⸗ 
muthe der Sremden: 

Seufzend blidte Frau Geva, die fih auch 
dazu gefunden, zu ihm hinauf, und Alf fagte 
kopfſchuͤttelnd : So hegſt Du, nah ſo mannich⸗ 
fachen, unerhoͤrten Drangſalen und Noͤthen, noch 
immer Hoffnungen in dem großen Herzen? 

Ei, was ſollte mir wohl ein Herz ohne Hoff⸗ 
nung ? Und fie will ich: feſthalten, auch denke 
ih, daß meine. Lieben mich eher darin unters 
ſtuͤtzen, ald mir ſolches erſchweren erden. 

Fin ernſter Blick, der dabei über Alf und 
feine Gemahlin binftreifte, benahm allen Seufr 
zern und Einwuͤrfen auf einmal die Sprache ; 
worauf König Wittefind fie und den Fteund 
heizlich bei der Hand faßte und ausrief! Nach 
ſo langwieriger Wanderung wird und ber Schlaf 
am beften thun. Morgen, bei neuer Kraft, von 
der Hauptfache ! 


2% 


As aber Wittefind mit dem erſten Strafe 
deö neuen Tages an das Senfter trat und alles 
in einem weiten Kreiſe To zerflört und verdbet 
fah , wie die Gegenden, aud denen fit geflüchtet 
“ waren, ald die, durch lange Gewohnbeit feinem 
Herzen am wertheſten gewordene, Umgebung, 
gleichſam vernichtet: vor ihm dalag ‚da mußte 








Inhalt 


Der Heeethaler. Bon 5%. , 
Der Liebesfhwur. Von. F. 2, 


Die Ruine von Paulinzel, Bon A. 


Die Hausehre. Bon. » 
Die Schuhe auf den Stangen. 


Legende. Bon F. 2. oo. 
Das filberne Fräulein. Von A. 


| Ein Schwan 
nah D. Martin Luther, Bon A. 


B 


—* 


4 
duͤrſtenden Könige Herzog Ulf abermals Zweifel 
am Gelingen des zu ernenernden Kampfes ent⸗ 
gegenſetzte. 

Haben wir, fragte naͤmlich Alf, nicht ſchon 
zeither und werth -gegeigt unſerer Abkunft, und 
wohin find wir dadurth gekommen? — Meinſt 
Du, daß dad Sachſenvolk nun, nachdem ihm 
alfe Nerden zerfchnitten worden, feine- Rechte befs 
fer behaupten werde, als vormals, wie ed noch 
in Fülle der Kraft und des Muthes anfämpfte 
gegen die fraͤnkiſche Uebermacht? Und ift es das 
and allen Weltenden aufgeraffte, immer neuers 
feßte, „feile Geſindel diefed Karid wohl wert, 
daß auch nur Ein edler Sachſe ſein Blut da⸗ 
gegen verſpruͤtze? — Was von uns geſchehen, 
iſt hauptſaͤchlich fuͤr unſere Goͤtter geſchehen; was 
aber haben dieſe für und gethan? Unſere Opfer 
haben fie hingenommen und freuen ſich, allem 
Anſehen nach, unſeres Untergangs. Laß uns 
ihnen vergelten. Wozu Goͤtter, die feinen Schutz 
gewähren koͤnnen oder wollen? Laß ed uns mie 
den Goͤttern verfuchen, die jenem Karl fo guͤn⸗ 


fig find. Denn auf diefem Wege iſt wohl noch 


eher Sreiheit und Gluͤck zu gemärtigen für dad 
fächfifche Boll. — 
Da brach Wittelind in feinem Eifer Biere 


über alfo aus: Go follten wir denn ald Feig⸗ 


linge befchließen die Sache, die wir zeither ohne 





* 


Gluͤck, aber nicht ohne Ruhm, gefuͤhrt baden? 
So folten wir auf die Götter es wälzen, mad 
einzig der Ueberzahl de Feindes und. der. oft 
allzugeringen Ausdauer der Unſrigen zugufchreibep 
ft? Ja, auch diefer mit, und zum Theil der 
Tollkuͤhnheit, die da Angriffe wagte, wo, an Feis 
nen Erfolg zu denken. war, Der Beſitz, dep 
dieſe Franken und rauben wollten, der iſt oft unfer 
Verderb geweſen. Dieſe Hätten, eine falfche, 
vergängliche Heimath darbietend, drohten uns um 
die unvergaͤngliche, das Vaterland, zu betruͤgen. 
Wenn dieſes von fremden Teufeln beſeſſen iſt, 
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerieben 
wird, was follen und da noch Güter und Woh⸗ 


nung und Pereinzelung der Stämme? Nein, 


übergl wie hier, Feine Hätten mehr! Mit ihnen 
zerfallen die Scheidewände die und trennten, ‚und 
Männer, Weiber und Kinder werden vereint 
ſtuͤrzen auf den Frankenſchwarm und Verzweifs 
lung Trotz bieten feiner Ueberzahl. Nur Ber 


zweiflung konnte und helfen, fie IE da und wir 


werben gerettet feyn! — 
3. 

Bei diefen Worten waren fieim Weitergehen 
auf eine Anhöhe gelangt, und erblickten endlich 
in der Ferne ein Häuflein Menfchen um einen 
brennenden Holzhaufen verfammelt. 

Dank den Göttern! rief der Königaud. Zu 


. —* 


& 
ihnen ! Sie follen, wenn fie brave Sachſen ſind, 
als Mitwerber dienen im der großen Sache! 

Über Herzog Ar fehlen bereitö im Herzen 
feine Götter. zugfeich-mit der geitherigen Hoffnung 
gänzlich aufgegeben zu haben. Darum ging er, 
während Wittekind fich weiter über fein Borhaben 
perbreitete, ganz ſtill ‚und sraurig neben dem 
Soffenden her. 

Dad Häuflein fand, wie fich bei ihrem Ders 
annahen ergab, vor einem Priefter,, ber. ſchon 
in ded Königs Sinne befdyäftigt war, indem er 
feine Zuhörer "zur Bertkeibigung der alten Götter 
aufforderte. Und ald Wittefind freudig außrief : 
Das ift der Unſere! da gewahrte der auf der 
Wand eined zerflörten Hauſes, erhöht vor den 
Andern flehende Priefler die Ankommenden. Er 
erfannte fie auch, troß ihrer geringen Kleidung 
ſogleich, ging ihnen frohlockend entgegen, unb 
zeigte den Männern, bie Ihn umgaben, Wodans 
wunderbare Schickung In diefem Creidniffe. 

Wittekind ſelbſt erinnerte ſich ebenfalls des 
filberhaarigen Prieſters, Namens Ufo , den er 
vor Kurzem erfi am Marz bei feinem Schwager, 
dem Herzog Ehrenbrecht von Ballenftddt-, geſehen 
hatte. Er war ein Eiferer für die alten Götter 
wie Feiner mehr, und taugte barum nur bdeflo 
beffer zu dem Borhaben, da6 Volk für die alls 
gemeine Sache zu entzänden. 








Vorrede. 


ibn " 


Durch Abhaltungen fehr verfchiedner Art 
ward ich gehindert, zu dem zweiten Bands 
chen des Wunderbuches die Beiträge in 
Demfelben Verhaͤltniſſe zu liefern, wie zu 
Den früheren Dänden des Gefpenfterbuches. 
Mein Freund Friedrich Laun bat dagegen 
Diefes zweite Bändchen fo vorzliglich und 
fo reich ausgeftattet, dag ich meinen Dank 
dafür gern mit dem Dank ber tefer vers 
einigen möchte, wenn unfer Freund nicht 
aus einer beſondern Vorliebe für Erhal⸗ 
tung und Herftellung des Gleichgewichtes, 
wenigftens in der Wunderwelt, darauf 
beitände, eine Ausgfeichung auszuüben, 
und feine Beitrdge für das Dritte Bands 
hen zum Theil. durch Anweifungen auf 
geleiftete Vorſchuͤſſe im zweiten Bands 








& 


geht dem Vaterlande ohnfehlbar gäng verloren, 
wenn — — 

Nun, ſo vollende doch! verſetzte Wittekind, 
als Uffo hier innehielt. 

Wenn — Du ihm ungänflig feyn | ſollteſt ⸗ 
fuͤgte der Prieſter hinzu. 

Warum denn ih? 

Weil feine vermeflenen Wuͤnſche ⸗ ia bis zu 
Deinem Stamme hinauf verſteigen. — 

Sprich wenigſtens deutlich aus, was Du 
davon weißt, 

Nun denn, verſetzte Ufo, er liebt Fräulein 
Swanehilden, die Tochter des verſtorbenen Gras 
fen von Ningelöheim. Er lebt nur noch im 
Gedanken an fie, Seine Befanntfchaft mit ihre 
roͤhrt ber von Deinem legten Befuche des Here 
3098 Ehrenbrecht, wo Frau Geva, Dein Gemabl, 
fie mit fich hatte, - Aber er geht lieber in feinem 
Grame unter, als daß er eine verwegene Ans 
ſprache bei Dir um fie thun ſollte. — 

Nah Furzem Innehalten fuhr der Priefler 
alfo fort: Leider, fehe ich num wohl, daß das 
Schweigen des jungen Unglüdlicdyen beffer war, 
als die Mede, mit der ich einen. wadern Kämpfer 
für die gute Sache zu erwecken hoffte. Ich fehe 
dad an meined Königs Yuge, welches finfler wird 
bei meiner Entdeckung und ſich von mir abs 
wendet, 





” 9 

Ehrwuͤrdiger Uffo, ſprach hierauf Wittefind, 
Du irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein 
Neffe iſt mir nicht unbekannt und mir Freuden 
wollte ich ihm Swanehilden von Ringelsheim zum 
Gemahl geben. Leider aber weiß Frau Geva fo 
wenig von ihr alt ich ſelbſt. Ohnfehlbar muß 
ſie bei unſerer vorletzten Flucht in der Feinde 
Haͤnde gerathen ſeyn, fie und mein Soͤhnlein mit 
ihr. Vieleicht gehoͤren ſie beide zu den Fuͤnfte⸗ 
halbtauſenden, welche der Wuͤtherich an dr Aller 
ermorden ließ} — 5 


Wittefind ftand Tange in feinen Schmerz ders 
funfen. Dann fuhr er fort: O «6 war ein 
gutes, herrliched Wefen, diefe Swanehild, und 
Dein Heinrich iſt mir um fo lieber geworden, nun 
ich weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte. 


Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Meine ° 


Geva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar 
manches erzählen, and den Juͤngling dadurd 
anflammen zu raͤchen die Verlorene an ihren 
Mördern, 


Schon am folgenden Morgen traf Heinrich 
von Efchen auf der Wittefindeburg ein, um mit 
dem Könige und deſſen Gemahlin Swanehildene 
Schickſal zu beflagen, Wittefind hätte die Haupts 
mannßflelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗ 
glühendern anvertrauen koͤnnen. - 


— ar Zee FE 


— 


& 


geht dem Waterlande ohnfehlbar gang verloren, 
wein — — 

Nun, fo vollende doch! verſetzte Wittekind, 
als Uffo hier innehielt. 

Wenn — Du ihm unguͤnſtig ſeyn Fa! 
fügte der Priefter hinzu, 

Warum denn ih? 

Weil feine vermeffenen Wanſche · ſich bis zu 
Deinem Stamme hinauf verfleigen. — 

Sprich wenigftens deutlich aus, was Du 
davon weißt, 

Nun denn, verfegte Uffo, er liebt Fraͤulein 
Swanehilden, die Torhter des verftorbenen Gras 
fen von Ningelöheim. Cr lebt nur noch im 
Gedanken an fier Seine Bekanntſchaft mit ihr 
röprt ber von Deinem legten Befuche bed Her⸗ 
3096 Ehrenbrecht, wo Frau Geva, Dein Gemabl, 
fie mit ſich hatte, - Aber er geht lieber in feinem 
Grame unter, ald daß er eine verwegene Ans 
ſptache bei Dir um fie thun follte. — 

Nah kurzem Innehalten fuhr der Priefler 
alfo fort: Keider, fehe ich num wohl, daß das 
Schweigen bed jungen Ungluͤcklichen beffer war, 
als die Mede, mit der ich einen wadern Kämpfer 
für die ‚gute Sache zu erwecken hoffte. Ich fehe 
dad an meined Kbnige Yuge, welches finfler wird 
bei meiner Entde@ung und fih von mir abı 
wendet, 





” 9 

Ehrwuͤrdiger Ufo, ſprach hierauf Wittefind, 
Du irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein 
Neffe iſt mir nicht unbekannt und mit Freuden 
wollte ich ihm Swanehilden von Ringelsheim zum 
Gemahl geben. Leider aber weiß Frau Geva ſo 
wenig von ihr als ich ſelbſt. Ohnfehlbar muß 
fie bei unſerer vorletzten Flucht in der Feinde 
Hände gerathen ſeyn, fie und mein Soͤhnlein mit 
ihr. Vieleicht gehoͤren fie beide zu den Fuͤnfte⸗ 
balbtaufenden, ka der Wuͤtherich an der Aller 
ermorden ließ! 


Wittelind ſtand lange in feinen Schmerz ders 
ſunken. Dann fuhr er fort: 'D «6 war ein 
gutes, herrliched Wefen, diefe. Swanehild, und 
Dein Heinrich ift mir um fo lieber geworden, nun 
ich weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte. 


Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Meine ' 


Geva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar 
manches erzählen, amd den Süngling dadurch 
anflammen zu raͤchen die Verlorene an ihren 
Mörbdern. 


Schon am folgenden Morgen traf Heinrich 
von Efchen auf der Wittefindöburg ein, um mit 
dem Könige und beffen Gemahlin Swanehilden« 
Schickſal zu beflagen, Wittekind hätte die Haupt⸗ 
manngflelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗ 
glühendern anvertrauen fonnen. 


EEE Do ne 


near 


40 


5 

Inzwiſchen verlautete die Rückkehr ded Kbnigs 
Immer mehr und mehr in der Gegend. Alt 
beeiferte ſich, fein Haus mit dem. Nbthigen zu 
verſorgen. Auch nahm tagtäglich die Zahl ber 
alten ; erprobten Freunde aufder Burg zu, tag 
täglich trafen-fowohl ganze Schaaren ald klei⸗ 
nere Haufen in der Gegend ein, um der allge 
Meinen Sache beizutreten. B 

Um thärigften arbeiteten. ber Greis Uffo und 
fein Neffe Heinrich an der geheimen Zufammens 
berufung ber durch daß erlistene Kriegsungluͤck 
überall Hin verfireueten Volkshaͤupter. 

Aber die Bollmondnacht , in welcher der ger 
woͤhnliche Waldyplag die Verfammelten umgab, 
zeigte dem Könige und Alf, die yol Vertrauen 
dahin eilten, welch ein neues Unglüd über dad 
Wolf der Sachfen hereingebrochen war. Viele der 
angefehenften, erleuchtetfien und tapferfien Gau 
grafen, auf welche man vorzüglich gerechnet hatte, 
waren wenige Tage zuvor, in Folge von Karld 
Befehlen, nebft andern ausgezeichneten Perfonen 
ergriffen und mit MWeibern und Kindern weit 
hinweg geführt worden; zehntaufend Stämme 
an der Zahl. 

Die Luͤcke, welche hierdurch entftand, war 
allzugroß, ald daß ſogleich zur Ausführung ded 
teuen Planes Hätte gefchritten werden Können. 


.. 


11 


Dog die allgemein aufbraufende Enbitterung über 
Diefen abermaligen graufamen Berfuch, dad Sach⸗ 
ſenvolk an feiner Wurzel zu zerſtoͤren, ſchien den» 
nod für den Gewinn einer beſſern Zufunft zu 
bürgen. : 

So ſchwoͤret denn! rief der König, im Gefuͤhl 
der Wonne dber ihren Ingrimm fein Schwert 
ausziehen, und alled drängte ſich verlangend um 
ibn ber. Allein mit finfender Stimme -fuhr er 
fort: Doch nein, ſchwoͤtret nicht. "Auch Huffipon 
und Bruno”) ſchwuren einft bei dieſem Schwerte, 
zu fiegen ober zu flerben, und Bald darauf kro⸗ 
chen fie zu den Füßen unfered Feindes um Ver⸗ 
zelfung und Gnade. Denket an Freiheit und 
Götter, fo wird es des entweihten Schwures 
nimmer bedürfen! 


. Und als man auseinander giug, da dammerte 
mit dem anbrechenden Fruͤhrothe in Wittefinds, 
durch dad Andenken an die freulofen Heerführet 
wieder trübe gewordenem Herzen auch die Hoff—⸗ 
nung von neuem auf, und er fchlug dem Herzog 
Alf, der tief in fich gekehrt nehenihm ging, auf 
die Schulter und fagte: Fieber, ermanne Did, 
Giche, wie nach der Nacht der Morgen daher 
fommt. Auch unferm hart gemißhandelten, zer⸗ 
trennten Volke wird fein Morgen nicht qusblei⸗ 


”) Heerfuͤhrer von Sachfen. 


42. 


ben. Leuchter doch immer noch diefelbe Sonne, 
die und zum Siege bei Suͤntal leuchtete! — 
\ et 6, . 

Eines Nachmittags , als Wittefind eben mit 
feiner Gemahlin und dem treuen Alf auf der 
Burg bei der waͤrmenden Flamme von der Zus 
Funft redete, und bed Herzogs Kummer über bie 
durch Abfall von den Gdttern der Vaͤter mit 
jedem Tage .erfolgende Verminderung des ſtreit⸗ 
baren. Häufleind zu Iindern fuchte, da meldete 
plögli ein Nitter drei vornehme Sranfen, welche 
ben König. zu, fprechen wuͤnſchten. 

. Und die Königin fland erfhroden auf und 
rang die Hände und rief: Sa haben denn auch 
Biefe unwirthbaren Trümmer der vormals fo ans 


fehnlichen Burg uns nicht verbergen Fhnnen vor 


unfern Keinden ! Aber Wittefind gab ihr einen 
Wink zum Abtreten und fagte, baß er die Ans 
koͤmmlinge erwarte. 5 

Alsbald traten die Franken in das Gemach, 
an ihrer Spitze Herr Amalwein, der geheime 
Rath des Koniged Karl, der mir Wittekind ſchon 
fruͤher, aber fruchtlos, Unterhandlung anzuknuͤ⸗ 
pfen verſucht hatte. | 

Karl, der König der Sranfen, fo begann er, 
entbietet Euch, Herr Wittelind und Herr Alf, 
feinen Gruß! Euern flandhaften Sinn und mann» 
Iced Gewahren achtend, wünfcht er aufzurichten 





13 


mit Euch ein Zriedends und Freundſchaftsbuͤnd⸗ 
ni, dad Eurem fireitbaren Volke und Euch ſelbſt 
zu Segen und Ruhme gedeihen fol. - _ 

Herr Amalmein, fo verfegte hierauf der Sachs 
fenfürft, unfehlbar Hat Euch auf der Neife nach 
Kundfchaft in der Gegend ein Zufall unfern Auf⸗ 
enthalt entdedt, und Ihr blähet Euch nur mit 
bem Borgeben eined Befehls von Euerm Herrn 
darum, weil Euch ein fichered Geleite durch die 
Meinigen ndthig duͤnkt, Die Ihr hier nicht vers 
muthend waret. Woher wüßte denn. König Karl 
von unferm hiefigen Aufenthalte? — | 

Meinet hr, entgegnete der Franke, daß hr 
darum hier verborgen hauſet, weil Ihr Eure 
Burg in ber Zerflörding und jedermann zugaͤng⸗ 
(id) gelaffen ? So follte mein König wohl gar 
glauben, daß Ihr, wie überall verbreitet worden, 
in Juͤtland wäre, um bort gemäcdhlich auszu⸗ 
ruhen von den erlittenen Unfällen? Nein, Herr 
MWittefind, er weiß alle. Kr weiß, mie feit 
Eurer Ruͤckkehr die hiefige Gegend fich wunder 
barlich belebt hat, wie die zahllofen Wachtfeuer, 
ſo alle Naͤchte aufſteigen, ihn mit baldigem Wie⸗ 
derausbruche der Feindſeligkeiten bedrohen. Ja, 
er weiß ſogar, mit welchen Beſchluͤſſen die Ver⸗ 
ſammlung im letzten Vollmonde auseinander ging. 
— Aber er will nicht wiſſen, nicht hoͤren, nicht 
ſehen; nur Euer Freund will er werden! — 


14 


Und hierzu, rief Wittefind fpottend aus, ja 
ſolchem Zwecke find von ihm wohl auch eben 
zehntauſend der erflen meines Volkes ihrer lieben 
Heimath entriffen und getrieben worden in ein 
Reich, das wegen feine Herrſchers Raubgier 
jeder Sachſe verabſcheuen muß. — 

Ja, ſprecht, Herr Amalwein, fo fügte Herzog 
Af hinzu, that Euer König dieß auch, um dar 
durch feinen Freundſchaftsbund⸗mit uns einzu⸗ 
leiten ? ⸗ 

Und, verfetzte der Franke, rechtfertigen die 
Vorgänge in hieſiger Gegend ſolche Maßregel nicht 
volig? Bei meinem Worte, nur an Euch is, 
die Entfernren wieder zuruͤckzufuͤhren. Folget 
mir. Sobald Yhr den fchredlichen Glauben aufs 
gebt, der Eier Volk zu Grunde richtet, wird 
der aroße Karl Euch ald Freunde und. Bundes 
genoſſen umarmen, welche Ihm um fo lieber feyn 
werden, je fehrerer ihm der Verein geworden, 
der beiden Völkern nur Heil verfpricht. Er wird 
jeden Verwieſenen in die Heimath zuruͤcklaſſen, 
jeden, für deffen Treue Ihr Euch zu Buͤrgen 
fie.  - 
An glatten Worten fehlt's Euch nie, Ihr 
Sranfen! ſprach Herzog Alf. Wie würdet Ihr 
unfer fpotten, wenn wir barauf hin Euch trauen, 
Euch folgen wollten in ber Feinde Gewalt! 

Herr Alf, entgegnete der Granfe, verfennet 


15 


richt meinen und meines Gebieter6 argloſen Sinn. 
Eure Zweifel alle zu zerftören, fol ich diefe Beis 
den Stügen feined Throned, Herrn Stephan von 
Montfort und den Grafen Heinrich von Hennens 
berg, als Geifeln zuruͤcklaſſen auf diefer Eurer 
Burma — - r » 

Hm, rief Wittekind, zu dem’ Grafen Heim 
sich gewendet, Ihr, mit dem rähmlichen, deut, 
fhen Namen, ein Bürge für dad Wort dieſes 
Chriſtenkoͤnigs? Auch geltet Yhr viel Bei ihm, 
wie ich höre, Ihr, deſſen Schweſter Hadmurh 
mein Vetter, Beringer von Ballenflädt , zum Ges 
mahl begehret hat? Aus meinem Angeficht, Graf 
von Hennenberg! In der Schlacht nur verlange 


ich dad Eure zu fehen, nicht bier. Denn mir 


biutet dad Herz neben einem Berräther zu flchen 
ohne mein Schwert zuͤcken zu dürfen gegen ihn. — 
Und Ihr, Herr Amalwein, gehabt Euch wohl, 
und faget Eurem Könige — — fagt ihm meinets 
wegen was ‘hr wollt; nur nichtd von meiner 
Steundfchaft für ihn. und feine Götter. — 

Herr Wittefind, erwiederte Amalwein, Eure 
bittere Neue wird diefe günftige Stunde gewiß 
nur alzubald, aber vergebens zurüud verlangen !— 

Ich habe Keine Reue, als über die Langmuth, 
mit ber ich Euch anhörte! eiferte der König, ihm 
den Rüden kehrend. 

Here UF! — Hiermit ging der Abgefandte 








E 


u 





16. 


barauf fchmeichlerifch diefen an. Doch derfagte, 
auf Wittefind deutend: Was er ſprach, hätte 
auch ich gefprochen ; denn wir theilen, wie unfer 
Scidfal, fo auch die Geſinnung! — 

7. 

Die beiden Helden rathſchlagten noch, ob fie 
unter ſolchen Umfländen bie Burg mit einem ges 
meinen, heimlichern Aufenthalte vertaufchen folften, 
ald die Königin wieder hereintrat. Der fehmere 
Kummer in ihrer Miene fchien eines fhleunigen 
Troſtes zu bedürfen. Daher vielleicht ſprach ber 
theilnehmende Gatte jetzt auf einmal entſcheidend: 
Wir bleiben! Obfchon verrathen und ohne Wälle 
und Thürme, bleiben wir in ber Iuftigen Befte ! 
Mir fenden Boten an dielinfern, um ihnenvon 


dem Ereigniffe Kunde zu geben. Ihre Wachſam⸗ 


keit und Zreue iſt und ein befferer Schuß als der 
feftefte , ftofzefte Wohnort. — 

So geſchah es auch. Uebrigens unternahm 
man fraͤnkiſcher Seits nicht einmal einen Verſuch, 
den Sitz der Sachſenheerfuͤhrer zu beunruhigen: 

Allein grade diefed erregte dem Könige Ges 
forgniffee Je ruhiger die Arglift ausfieht, fprach 
er einsmals zu Alf, deflo eifriger fei man auf 
der Hut! — 

Leider Tonnten die Hoffnungen, die allgemein 
auf die Befchlüffe der naͤchſten Bollmondnacht 
gefegt wurden, nicht gehbrig in Erfüllung geben. 


17 


Die Zeit zwiſchen Winter und Trähfing war 


Schuld daran. Bei dem Austreten einer Menge 
von Strömen und Flüffen konnte aus den meiften 
Gauen niemand fi einftellen, fo daß die Vers 
fammlung nod minder zahlreich und vollſtaͤndig 
feyn mußte, als das erfte Mal. "Auch warfen 
ſich, felbft wenn die Anmwefenden im Geifle ber 
' Uebrigen, den fie Fannten, hätten einen fchleus 
nigen Krieg befchlieffen wollen , der nöthigen Kraft 
des letztern, eben die ausgetretenen Gewaͤſſer ber 
hindernd in den Weg: 

Wittekind fagte daher! Still und defonnen, 
meine Freunde! Ein rohes Aufbraufen gegen Zeif 
und Umſtaͤnde hat und zeither das größte Verderben 
bereitet. Die Beinde wiffen ed, und fcheinen abers 
mals darauf zu lauern. Wir müffen erſt beiſam⸗ 
men, ober gewärtig feyit , und buch bie bluti gſten 
Anftrengungen bad Joch ber Knechtſchaft ſelbſt auf 
den Naden für ewig zu heften. Der zweite Boll» 
mond nad) dem heutigen wird vielleicht unferm 
Bereine gänftiger ausfallen. 


Da erhob ſich hier und da ein Mütten untet 


ben fchlagfertigen,, rachedurfligen Helden. Doch 


Wittefind ſprach: Wohl dem Volle, deffen Vor⸗ 


fieher von ſo edler Ungeduld brennen, aber wehe 

ihnen, wenn fie dad Feuer nicht zu bewahren 
wiffen bis zur rechten Zeit und Stunde! 

Hierauf Fein Laut weiter. Uffo opferte den Goͤt⸗ 
Geſpenſterbuch 6. Theil, B 


— — —— 








16 


tern, und die Berfammelten fehieben in -tiefer Ehr⸗ 
fürdyt von dem Könige, welcher mit dem Herzog 
Alf nach der Burg zuruͤckehrte. 

8. 

Ein ſchoͤner Fruͤhlingstag gieng eben zu Ende. 
Auf fein Schwert geſtuͤtzt ſtand König Wittekind 
am Fenſter. Komm, rief er ſeiner Gemahlin, 
welche fpinnend beim Noden faß, komm und laß 
ab von Deinem traurigen Dändewerf und erquide 
Did mit mir an dem rothen Slanze, worin Die 
ganze Gegend aufzulodern ſcheint. Sieh den Hells 
gruͤnen Anflug der lange genug traurig geweſenen 
Bäume und gebenke babei anferer füßen Hoffnuns 
‚gen auf eine gleiche Erneuung. | 

Ä Wohl dachte ich ſchon daran, verfegte die 
Königin. Auch würde ich ficher laͤngſt die Spins 
del verlaffen haben, um an Deiner Seite hier 
zu flehen, hätte ich Dein Sinnen nicht zu flören 
geſcheut. Iſt es doch heute ohnehin weit fliller 
und freundlicher in meiner Bruftald zeither.. Als 
folle eine gute Borfchaft oder ſonſt ein erfrenlis 
ches Zeichen vor außen fommen, fo treibt es 
mic) den ganzen. Tag von Zeit gu Zeit nach den 
ben Fenſtern. — 

Nur wenn ich da bin, tab fie mit finfender 
Stimme fort, Fehrt, leider! die alte Pein zus 
ruͤck. Denn ich fehe nichts als die. zerſtorten 
Huͤtten! jo 





19 


Michts, ſagſt Du, mein Herz?‘ entgegnete 
ter König. Biſt Du mit ſehenden Augen fd 
blind, daß Dir über dem Zerbrechlichen , dad wir 
vergeffen follten, det Strom des Lebens under 
merkt entrinnet, der allenthäfben flarf-und ans 
muthig hervorquillt, der Dich eben, wie mid, 
an das Fenfter Tot? 


Erfpare mir nur heute Deinen Zorn, mein - 


Herr und Gemahl. Bin ich doch eben heute die 
Bekuͤmmerte gar nicht, welche Di feit dem letz⸗ 
sen, umerfeglichen Berlüfte immer vergebens zu 
tröften ſuchteſt. Du bift nie hart gegen mich, 
theuret Wittelind. Uber heute fei zwiefach mild, 
weil ic) fo weich Bin und empfaͤnglich für jedes 
Reid und jede Freude! — 

Wittekind Tiebfofete ihr, und als fie wieder 
zum Fenſter blickte, da'rief fie aus: Sieh eins 
mal den Staub bort auf dem Wege. Das iſt 
von Roſſes Hufen. Sollten wir noch Beſuch 
erhalten ? 

Wer muß das ſeyn ? ſprach der König Sieh, 
den herrlichen Braunen, der die Uebrigen weit 
hinter fich (At. Ein Srauenbild darauf; nicht? 

Ja wohl, antwortete fie, and hinter der erften 
noch einige Frauen, dann Nitter, die ihnen zus 
Begleitung dienen mögen. — - 

Frankiſche Frauen und Ritter! ſprach der 
Kbnig. Was fol dad? Duntt. Karl vieleicht, 

32 


m. 


20 


weil die Schlauhert feine® geheimen Rathes nicht 
ſchlau genug war, nun meinen geraden Sinn mic 
fhönen Frauen zu überliften? — 

Die erfte Dame war indeß auf ihrem Roſſe, 
gleich einem leichten Vogel ‚'in bad offene Burgthor 
geflogen, und als die Uebrigen dieſes noch lan⸗ 
ge nicht erreicht hatten, ſchon oben In des Fürs 
fien Gemache. 

9. 

Im Schimmer der Abendſonne glich dab hell⸗ 
Blonde Haar der Hohen Frauengeflalt einem Heilis 
genſcheine, und fo wenig auch dad Fürflenpaar 
auf das Chriftenthum und deſſen Heilige hielt, 
fo war es doch beiden, dem Könige und feiner 
Gemahlin im Auge zu leſen, daß eine Aberirdis 
ſche Macht fich ihrer bemaͤchtige. 

7 Wer feib Ihr, hohe Frau ? fragte nach einem 
langen ‚ ſtillen Zwifchenraume der Betrachtung und 
des Nachdenkens, Wittefind, der Fremden fich 
nähernd, bie erwartungsvoll an ber Thüre ger 
blieben war. Mit ihm trat auch feine Gemahlin 
der Dame näher. 

So kennt Ihr, mein theurer Ohm, und Ihr, 
geliebte Bafe, Eure Swanchild gar nicht mehr ? 
Hat denn die kurze Zeit von wenig Monden mich 
Euerm Auge fo ganz fremd werden laſſen ? 

Da flatrte das Ehepaar fih an. 

-- Ja, fie iſl's! rief Frau Geva, und ſchlotj 





luͤck, aber nicht ohne Ruhm, geführt haben? 
o follten wir auf bie Götter ed wälzen, wag 
nzig der Ueberzahl des Feindes und ber, oft 
Uzugeringen Ausdauer der Unſrigen zuzuſchreiben 
12 Ja, auch diefer mit, und zum Theil der 
‚olfühnpeit,, die da Angriffe wagte, wo an kei⸗ 
en. Erfolg zu denken. war, Der Beſitz, den 
ieſe Sranfen undrauben wollten, der ift oft unfer 
Berderb geweſen. Diefe Hätten, eine falſche, 
bergängliche Heimath darbietend, drohten und. um 
die unyergängliche, das Vaterland, zu betrügen, 
Wenn dieſes von fremben- Zeufeln . befeffen if}, 
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerichen 
wird, was follen und dba noch Güter und Woh⸗ 
nung und Bereinzelung der Stämme? Nein, 
übergll wie hier, Feine Hütten mehr! Mit ihnen 
zerfallen die Scheidewaͤnde hie und trennten, und 
Männer, Weider und Kinder werden vereint 
flürgen auf den Frankenſchwarm und Verzweif⸗ 
lung Zroß bieten feiner. Heberzahl. Nur Vers 


zweiflung konnte und helfen, fie iſt da und wir 


werden gerettet ſeyn! — 
3. 

Bei dieſen Worten waren ſie im Weitergehen 
auf eine Anhoͤhe gelangt, und erblickten endlich 
in der Ferne ein Haͤuflein Menſchen um einen 
brennenden Holzhaufen verſammelt. 

Dank den Göttern! rief des König aus. Zu 


.- 


x 


3 22 - 
denthraͤnen dem Himmel ſtill zufehrte, ſieh, die 
Goͤtter haben uns nicht verlaſſen. Sie werden 
euch unſerm Bolfe gnaͤdig ſeyn! — 


Drauf rief er hinaus, damit ein Mahl bes 


reitet werde für Smanchild und deren Begleitung. 


Allein was letztere betraf, fo Börte er, fie habe, 


fo bald fie vernommen, daß daß Zräulein dab 


Sürftenpaar angetroffen, ihren Ruͤckweg auf der 
Gtelle wieder angetreten, 


Seltfam , höchft feltfam ! ſprach der König,. 


Die Ungefommene mit dem Auge um die Urfadhe 
fragend. Uber Swanchild bat ihn, dieß nor der 


Hand auf fid beruhen zu Jaffen, indem fie ihm ein 


ander Mal guügende Aufklärung barüber zu geben 
denke. 


Der Koͤnig Bigigre diefen Aufſchub und fagte : 
Net, mein Kind. Die erfien, herrlichen Aus 


‚genblide nicht. an ſo gleichguͤltige Dinge ver⸗ 


ſchwendet. 
Dringe aber Du ebenfane. nicht jetzt mie 


Tragen in fie, mein Gemahl, fagte hierauf Frau 


Geva, die hinaus ging, um auf die: Mahlzeit 
ihr Auge zu richten. Denn wie. wenig auch 
ſonſt der Neid mich gufechten mag, fo Beneibe 
ich Dir doch ſelbſt die geringfte Kunde von Swane 


-Bildend zeitherigem Lehen, wenn ich ſie nicht mit 


Dir cheilen ſol. 


\ .ı 






7 
Wittekind theilte ihm feinen Anſchlag mit, 
D der prieſterliche Greis ſagte: Das dachten 
‚cr alle, daß der Koͤnig fein Volk und feine 
Dtter Dem Berderben entseißen merde. Und frin 
Zeg dazu ift der rechte, fa muß ber Sieg unfer 
pn. Ya, Fein Eigentum mehr, ald Schwert, 
anze und Schild. Kein‘ Eigenthum, bis dieſe 
sranfen vertrieben. und nichts. von ‚ihnen Abrig 
ft im Exchfenlande, denn todtes Gebein! Mogen 
Hütten und Wälder zum: Beuerfirome "werden! 
In diefem wird unfer Muth fi härter und 
träftigen zu Erfämpfung anderer, fchönerer Hüte = 
sen , welche. die Weichlichleit der Feinde für ſich | 
zu erbauen glaubte: Und noch glücklichen der, 
der in dem großen Kampfe untergeht. Denn ihm 
wird Wodan entgegenziehen auf dem glänzenden 
Steipner 7), um ihn ned Walhalla zu führen 
an die Lafel der ewigen Goͤtter! 
4. 
2116 Uffo bierauf ben Köniz und Alf zuruͤck⸗ 
begleitete nach ber Wittekindsburg, da gedachte 
der Priefler unter mehreren jungen Helden, bie eu 
zu Anführern vorfchlug, auch eines Heinrich von 
Eſchen, feined Brudersſohns. Keider, fprach er, 
iſt der tapfere Gefell, in Folge einer ungluͤckli⸗ 
hen Leidenfhaft zum Zräumer geworden, und 


*) Ein Pferd des Kriegegoties Wodan, welches acht 
Beine hatte. 


2 


wie Im Zuſammenhange Deiner Gerichte blels 
ben und Fein wichtiger Umfland fi und ent 
sichen möge: 

" Barum bift Du "aber fo bang und bewegt, 
Swanehild 3 fragte jetzt Wittekind, als diefe, nach 
langer, nachdenklicher Stille, in einen lauten 
Seufger ausbrach. 

Weil, antwortete dad Maͤghlein, weil mir 
vorhin nicht entgangen ift, wie Dein Auge, mein 
Ohm, vol trüben Ernſtes an meiner fremden 
Kleidung haftete, Meine Begebenheiten muͤſſen 
mich nothwendig auf’ Dinge und Perfonen zus 
ruͤckfuͤhten, welche Urſache zu biefem Anzuge find 
und darum Dein Mißfallen erregen dürften. 

Sorge nicht, gellebtes Kind ! ſprach der Kbnig. 
Laß es, wenn mein Ernft fich vergangen hat 
gegen Deine Kleidung ; Kleider und Herzen find 
gang verſchiedene Sachen, Sei Dein Kleid und 
die nun verſchwundene Umgebung fo fränfifch als 
fie feyn wolle, und wird es nicht irren, leuchtet 
doch das alte, treue Sachſenberz noch Immer 
aus Deinem Auge. 

Das, rief Swanehild mit hoher Freude aus, 
ja, das ift mein Stolz, daß ich dieſes noch rein 
im Buſen trage. 

Nun denn, fprach der König, ihre Hand faſ⸗ 
ſend, fo 'erzäple ohne Zögern und Ruͤckſichten, 


Ehrwuͤrdiger Uffo, ſprach hierauf Wittefind, 
irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein 
Fe iſt mir nicht unbekannt und mir Freuden 
Uteich ihm Smwanehilden von Ringeldheim zum 
:mahl geben. Leider aber weiß Frau Geva fo 
nig von ‘ihr. al6 ich felbft. Ohnfehlbar mug 
bei unferer vorlegten Flucht in der Feinde 
ande gerathen ſeyn, fie und mein Shhnlein mit 
r. Vieleicht gehören fie beide zu den Fünfter 
ilbtauſenden, welche der Wuͤtherich an u Aller 
morden ey — 


Wittefind ftand lange in feinen Schrirerz vers 
anfen. Dann fuhr er fort; O es war, ein 
uted, herrliche Wefen, diefe. Swanehild, und 
Nein Heinrich iſt mir um fo lieber geworden, nun 
ch weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte. 


Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Deine 


eva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar 
manches erzählen, amd den Juͤngling dadurch 
anflammen zu raͤchen die Verlorene an’ ihren 
Mördern, 


Schon am folgenden Morgen traf Heinrich 
von Eſchen auf der Wittefindsburg ein, um mit 
dem Könige und deffen Gemahlin Swanehildens 
Schickſal zu beklagen⸗ Wittefind hätte die Haupt⸗ 
mannsſtelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗ 
glühendern anvertsauen Tonnen. 


man 


- Pr 


26 


rauhe Frage: Was giebt’ bei fo ſpaͤter Tages⸗ 
zeit ? nur noch tiefer bie Hermathlofen verwun⸗ 
ben. — Und wie Du nun, theure Pflegemutter, 
mit Deiner aus Liebe für und zitternden Stimme 
fo ſuͤß um Obdach bateſt, und dennoch der harte 
Fiſcher Fein Ohr hatte, fondern die Thäre fcyeh 
tend zuwarf, und ber Heine Wiprecht Dein Weis 
nen durch feine Liebfofungen zum Schweigen Brins 
gen wollte! Ach, wer wäre de wicht gerne in 
ſolcher Angft vergangen? — — 

JIch wohl nicht? fragte hier der —RX 
laͤchelnd. 

Nein, Vaͤterchen, verſttzt⸗ Swanehild 
nicht. Ich ſehe Dich noch, wie Du, 3 
des Vorgangs ſchweigend auf Dein Schwert ge⸗ 
lehnt, daſtandeſt, und no fo daftandeft, ale 
aus dem: Zenfter der Hütte die Frage erſcholl, 
ob wir und und unſer Winſeln endlich in Güte 
foriſchleppen wollten ? — Die gute Mutter wars 
ſuchte mun.die Worfiellung, welch ein boͤſer, ges 
fa hrvoller Weg ed fei, da man vor Nebel den 
Schritt nicht ſehen koͤnne. Uber zwei ſtarke 
Maͤnnerſtimmen draͤueten zugleich, uns mit Ge⸗ 
walt fortzutreiben, wenn wir nicht ohne Verzug 
Anſtalt zum Gehen machten. — Und als nun 
Mutter Wiprechten und mid) bei der Hand faßte, 
um fi wirklich mit und hinweg zu begeben, da 
fagteft Du zu ihr: Halt, und riefft hinein in’ 





- 








27 


Senfter: Wollt Ihr Öffnen ? — Wie num flat 
deffen ein fpottended Lachen herausſcholl, da zogſt 
Du Dein Schwert und Biebeft auf die Thäre 
gu, bis fie aus «inander fprang. Dann fahen 
wir noch bei dem ſchwachen Lampenſchein Inder 
Hütte, wie dort alles ſich zur Wehr feßte, Maͤn⸗ 
ner und Weiber. Wirhörten, wie Dein Schwert 
mit ihren Waffen zufamnsenflang, — Und bei 
Deinem Händeringen, beſte Baſe, wurde dem 
einen Wiprecht foangfi, daß er Taut aufweinte 
und Did) und mich immer weiter hinwegzuzle⸗ 
ben fuchte. : 3a, fagteft Du darauf Teife zu mir, 
nur fort, immer fort von diefer Stätte dei‘ 
Todes und der Verzweiflung: : Water wird ſich 
fhon behaupten ; nur. Ihr koͤnntet allzuleicht zu 
Schaden Tommen. Ich muß feiner hier harren 
Ihr aber’ geht, und haltet Euch nur immer 
links, vom Sluffe abwärts; Bald komme ich, 
meine lieben . Rinder zuruͤckzuholen. — Dazu 
gabſt Du noch dem Fleinen Wipreche, der ſehr 
über Kälte klagte, den eigemen Mantel. — Ich 
ging nun mit ihm, wie Du und gefagt hattefle 
Leider aber warteten mir vergebens auf die theus 
re Mutter. J na 
Nicht ihre Schuld war es, gutes Kind! 
forah der König. Höre, wie ed und ferner 
erging. Er waͤhrte eine ziemliche Zeit, che ich 
| wich in der Hüͤtte behaupten konnte: bean ich 


| 


an \ 


28 


batte ed mit wadern Gegnern zu thun. Yo, 
vielleicht wäre ich niemald zu Stande gefommen, 
wenn nicht einer von ihnen meinen Delm ent 
zwei und berabgefchlagen hätte Der erfannte 
mich nun, und fOgleich Beugte er fein Knie und 
wehrte ben Uebrigen. — Auf meine jetzt herause 
firdmenden Vorwuͤrfe wegen ihrer Unmenſchlich⸗ 
Feit gegen arme Flüchtlinge, fagten fie jedoch, 
daß eben ihr Mitleid mit legteten fie dahin ger 
bracht habe, Die Franken nämlich, wohl wiß 
fend , daß fehon mancher verfolgte Sachſe inder 
Hätte Zuflucht und Rettung gefunden, hätten 
geſchworen, fie bei ber naͤchſten Entdeckung dies 
fer Art mit der ganzen Hütte und Weibern und 
Kindern gu verbrennen. Da ſchmerzte mich mein 
Berfahren gegen die armen Leute garfehr, und 
ed war mir ein großer Zroft, Daß. bei‘ Unters 
ſuchung der Wunden, bie ich geſchlagen hatte, 
euch feine einzige gefährliche ſich entdeckte. — 
Deko ſchauriger überfiel ed mich, ald auf mein 
Dreimaliged Rufen nah Euch, Ihr Lieben, Leine 


Antwort erfolgte, und nach vielem frucdhtlofen 


Umherleuchten vor der Hütte, endlich meine gute 
Geva allein, und ganz Ieblod am Boden vorge 
funden wurde. Bon Euch andern beiden Feine 
Spur, bis nad) langer forgfältiger Behandlung 
in der Hütte, meine liebe Frau, vor Kälte nur 
erftarrt geweſen, wieder die Auge aufſchlug. — 


. 29 
Mir heftig bie Hand preffend, erwähnte fie (0 
gleich den Rath, den fie Euch gegeben hatte. 

Ach, fiel hier die Königin ein, ein Rath, 
den ich oft ſo gern mit meinem armen Leben 
zurüderkauft hätte! — Denke Dir, liebe Swanes 
bild, den Todesſchreck, ald meine Verzweiflung 
allenthalben vergebens nach Euch gerufen hatte, 
als wir, verachtend die Gefahr, von den grau⸗ 
ſamen Franken gefangen zu werden, noch am 
lichten Tage ben ganzen benachbarten Wald ver⸗ 
geben nach Euch durchſuchten! 

Wo kamt Ihr denn bin, gutes Kind? — 

Wir waren; erwiederte Swanehild, ein ziem⸗ 
liches Stuͤck in den Wald hinein. Ich waͤre 
auch noch weiter gegangen, Aber dem kleinen 
Biiprecht ward fo bange nach Eudy, daB er 
durchaus nicht mit wollte Wir warteten daher 
eine gute Zeit. Raum Tann ich Euch erzählen, 
wie mir das Herz zitterte, ald dad Anfangs 


fehr entfernte Gecheul eines Wolfes uns näher . 


ruͤckte: und fonft auch Fein Laut im ganzen Ger 
hoͤlze! — Doch endlich Flang es in der Weite 
wie Huftritte. Bald drauf waren fogar Diens 
ſchenſtimmen zu vernehmen, und ein Fadelfchein 
drängte ſich muͤhſam durch den diden Schwefel⸗ 
dampf ded fortbauenden Nebeld. Vergebens 
firebte ich jegt, mich mit Wiprechten zu entfers 
nen. Er wollte durchaus dem Lichte zu, und 


” IV 
ſchrie laut auf, als ich ihn davon gu Fragen vers 
fuchte. Hierdurch entdeckt, rief eine‘ Manns⸗ 
ſtimme und ein: Wer da? gu Wach Fam ein 
Knecht mit der Tadel fchnellen Schritteß zu und 
heran. — Wer feid Ihr, fragte ir. — Arme 
Bertriebene, die der graufame Krieg des Obdachs 
und der Eltern beraubie! war mtine Antwort: — 
Dieß, und wahrfcheinlich noch meht dad fort; 
dauernde Verlangen des weinenden Kleinen nach 
feiner Muttet, lenkte zwei Damen, die nebit 
einigen Nitterömännern zu Pferde waren, nad) 
und zu. Sogleich nahm Die eine, welche auf 
einem fchneeweißen Zelter faß, den Heinen Wipreiht 
gu fi, den das Licht und die Liebfofung der 
vornehmen Tremden zum Schweigen brachte. — 
Sadıfen feid Ihr? fragte fie mich, Ich Fonnte 
nicht ander ald ja antworten Nun, fuhr fie 
fore, bier im Walde duͤrft Ihr.nicht Bleiben, 
Kommt mit und auf eine Burg in ber Nach⸗ 
barſchaft. Erſt wenn es Tag geworden, kann 
von Euerm weitern Fortkommen bie Rede ſeyn. — 
Meine Seufzer und Weigerungen befremde⸗ 
ten die Dame wie bie Uebrigen. Dahinter ſteckt 
wohl mehr! fagte einer ihrer Begleiter. Gewiß⸗ 
lich find dad Kinder vornehmer Slüchtlinge, welche 
diefe hier erharren follen, und fo wäre vielleicht 
ganz von ohngefähr ein guter Gang zu thun. 
.Dieſe Rede erfchredite mich nicht wenig, da 





31 


ich Euch fo nahe wußte, auch die andern Herren 
feiner Vermuth ung beitraten. Aber die Dame, 
weit entfernt das Zutrauen zu täufchen, mit dem 
ber kleine Wiprecht nad) ihrem bligenden,, buns 
keln Auge hinaufſchaute, fagte: Wahrlich, unfere 
Sache ift es nicht, foldhen Gang zu verfuchen, 
und dem, Ungluͤcke feine legt Zuflucht, die freie 
Luft, zu rauben. Mag «6 feyn, wie ed wolle, 
dad Mägdlein .nebft dem Kleinen, fie follen mit 
und, weil fie fonft hier gar leicht eine Beute 
der Wölfe werden koͤnnten. — Dazu hieß fie 
einen Ritter vom Pferde fleigen und mir ed eins 
raͤumen. Morgen , fügte fie freundlich Hinzu, 
dann helfe ich Euch felbft die verlorenen Ders 
wandten wieder aufjuchen. 
Hier ſchien mir, Eurer Gicherheit halber? 
tbeurer Ohm, nichts weiter zu thun, ald mich 
darein geduldig Zu ergeben. — 

Es beliebte der Dame, die von allen Uebri⸗ 
gen hochverehrt vourde, mich ihr zur Seite reiten 
zu laſſen; auch zeigte fie fih dermaßen gut und 


leutſelig gegen dad unbefannte Mägdlein ,, daß, 


als fie merkte, ihre Sragen nach meinen Vers 
haͤltnißen fänden nur ſchwere und erfünftelte 
Antworten, fie ganz davon abließ, verfichernd, 
mein Zutrauen zu ihr werde bei näherer Befannts 
ſchaft ſich ungefucht finden. — 

O, fie war ſo mild und lieh, daß ich bereitö 


3 

R 
die defte Höffnung faßte, durch ihre Beihürfe | 
Euch, werthe Pflegeältern, am folgenden Mors 

- gen zuruͤckzuerhalten. Uber mein Hoffen vers 
ſchwand doch wieder, ald ich beim Anfommen 
auf einer Burg vernahm, daß fie Bertha, die 
Tochter ded Königs Karl, Eures Feindes, und 
daß des Iegtern Kanzler, Herr Eginhard, in ihrem 
Gefolge ſei. Da konnte ich wohl unmöglich von 
meiner und Wiprechts Abkunft und von Eurer 
Nahe reden wollen! 

1% 

Zum Gluͤck, fo fuhr Swanehild fort, begehrte 
die Prinzeffin auch am andern Morgen mein 
Geheimniß nicht. Ich ſelbſt aber, um von Euch, 
theure Verwandte, auf anderm Wege vielleicht 
Runde zu vernehmen, erzählte ben Umfland von 
der Sifcherhütte, wo ich Euch verließ, fo, ald 
ob mich am Abende, wie ich mit dem Kleinen 
darauf zugegangen, um Schutz zu fuchen, ein 
großer Lärm, der dort vorgewefen, in den Wald 
verſcheucht habe. 

Allein durch die Befchreibung ded Larmé und 
der Gewalt, die der ziemlich nahe bei ber Burg | 
gelegenen Fiſcherhuͤtte von bewaffneter Hand wir 
derfahren fei, erreichte ich zwar die Abficht, daß 
man darnach Erfundigung eingichen wolle, Doch 
mein Bedauern mit den angegriffenen Fiſchers⸗ 
lenten theilten zwei Ritter, welche dabeiflanden, 


35 
keinesweges. Sie fagten vielmehr, dieſes Fiſcher⸗ 
haus habe zeither immer ihren Feinden eine heim⸗ 
liche Zuflucht abgegeben und die ihm deshalb fchon - 
laͤngſt angebroßete Rache werde, meiner Erzählung, 
nach , endfich wohl darüber herein gebrochen ſeyn. 
Sie entſchloſſen ſich auch fekbft hinzugehen,. un 
Erfundigung einzuziehen.  . 

Ach, was erfchütterten mich die Nachrichten, 
welche ‚fie bald zufückbrachten:] Zufrieden mit dem 
diedmaligen Benehmen. der Fiſchersleute, erzaͤhl⸗ 
ten fie, nach der letztern Aubſage, daß fluͤchtige 
Sachſen es gemefen, die mit ſtuͤrmiſcher Hand 
in die Huͤtte gedrungen waͤren, deren Eingang 
man ihnen verweigert, Doch ſei der Lohn: da⸗ 
für den Angreifenden bald gefommen, indem no 
gu rechter Zeit ein voräberziehendes srontenhaun 
lein ſie gefangen weggefuͤhrt habe! — 

Armes Kind! rief hier der Koͤnig, 9 Swane⸗ 
hild bei dem Andenken an die fo unfelige Nach⸗ 
richt ihr Auge bang zum Himmel erhob. Hein, 
Liebe, gefangen wurden, wir nicht, wie Du nun 
weißt, Auch geleitete und in der folgenden Nacht 
der ded Weges ſehr kundige Fiſcher ſelbſt, bis 
wir aus aller Gefahr waren. 

Das Fräulein ‚verfehter Das erfuhr ich fpds 
ter ebenfalld dur die Frau Eures Begleiters, 
als fie Zifche zum Verkauf auf die Burg gebracht 


hatte. Das Weib war jedoch in ihrer Sreude Aber 
Geſpenſterbuch 6. Theil . & 


54 


das ſaͤchſiſche Maͤgdlein fo laut und geſchwaͤtzig, 
daß ich wohl anſtehen mußte, mich ihr, als die 





im Walde vergebens Geſuchte, zu erkennen zu 


geben. — Denkt Euch aber die troſtloſe Zwiſchen⸗ 
zeit von mehrern Tagen bi zu dieſer Kunde! 
Ach, kaum wußte ich meinem tiefen Schmerze 
Graͤnzen zu ſetzen: es waren bie ſchrecklichſten 
Tage meines ‚Lebens. 

Deſto mehr kann ich die Prinzeſſin Bertha 
ruͤhmen, die, das Fabelhafte der Geſchichte, welche 
ich ihr für die meinige gegeben, ſchon damals 
afennend, mich dennoch mit der größten Güte 
behandelte: Desgleichen muß ich der bejahrten 
MWittwe eined Grafen Kunz von Hennenberg ges 
denden. Sie hatte ihre einzige Freude an dem 
Heinen. Wiprecht, und trug, gleich der zärtlich, 
fen Mutter, für dad Kind Sorge 

. Hätte ich, da ich Euch, iheure Pflegeaͤltern, 
nirgends aufzuſuchen, auch von keinem andern 
Unterkommen fuͤr mich ſelber wußte, einen beſſern 
Schutz für den Kleinen finden mögen, als auf ber 
Burg biefer Allgemein verehrten Dame, die fich 
erbot, ihm dort aufzuerziehen ? 

Auf einer Burg den Hennenbergen zugehörig ? 
fragte Wittefind mit finfterer Stirne. Undwif 
fen fie von ded Knaben Abkunft? — 

Noch immer nichts ! antwortete Swanehild. — 
Ad, beim Abſchiede von dem Heinen Wiprecht 


35 


hätte ber Schmerz mid; Beinahe zum Widerrufe 
des Berfprechend bewogen, ihn ber Gräfin anzus 
vertrauen ! Allein fie beharrte auf der Erfüllung 
meined Worted ; auch ftand ich an, Euern Sohn, 
deffen Urfprung doch wohl einmat der Zufall offens 
baren konnte, nach Paderborn zum Hoflager des 
Königs Karl mitzunehmen , wohin die Prinzeffin 
Bertha mich überredete , fie zu begleiten. 

Wie, rief bier der Oheim aus, Du wag⸗ 
uf — — 

Ei, verſetzte Swanehild, unter dem Schutze 
der trefflichen Bertha haͤtte ich alles leicht wagen 
koͤnnen. Auch will ich Euch geſtehen, daß ihr 
ſo engelgleiches Wohlwollen meinem Herzen ſchon 
auf der Reife nach dem Hoflager keinen laͤngern 
Ruͤckhalt verſtattete. Nothwendig mußte ich zei⸗ 
gen, daß ich ihre Liebe nicht verkannte; ich mußte 
mich ihr als die Verwandte des großen Wittekind, 
ald deſſen Pflegetochter zu erkennen geben, 

O Mißgriff der arglofen Unſchuld! rief der 
König hier aus. Dich der Tochter des Wuͤthe⸗ 
richs zu entdecken, dem. das Lehen jede redli⸗ 


chen Sadıfen ein Gräuel iſt, der, gleich jene 


römifchen Buben, der fich Kaiſer nannte ‚- dem 

Sachſenvolke einen einzigen Hals wünfchte, um 

das ganze den an der Aller durch ihn ermordeten 

Zaufenden mit einem Male nachzuſenden! — 

Danf den _ Göttern, daß ich Did wit babe, 
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56 


Swanehild. Ewigen Dank den Lenkern der Den, 
ſchenſchickſale, daß dem unglaͤubigen Frevler Deine 
Abkunft, trotz diefem gefaͤhrlichen Zutrauen zu 

feiner Tochter, verborgen geblieben iſt! — 
Dazu ſchlang er feinen Arm fo feſt um fie, 
als ob er ſich ihres Wiederdeſ itzes noch nicht recht 
ſicher fuͤhle. 

Wie aber, Vaͤterchen, ſprach das Sräulein, 
freundlich. zu ihm hinaufblickend, wie, wenn König | 
Rarl doch nicht nur meinen fächfifchen Urfprung, 
fondern ſogar bie nahe Berwandtſchaft mir r Dir | 
esfahren bätte,? 

. Dann — rief Wittefind aus — dann muͤß⸗ 
ten alle feine Therme ſchon mit gefangenen 
Schlachtopfern uͤberfuͤllt und alle feine Henkerbeile 
bei Verden drauf gegangen feyn , ehe Du frei in | 
unfere Arme haͤtteſt kehren kͤnnen! — 

Und doch — verfeßte fie — bin ich ba, mich 
Eurer Liebe zu erfreuen! — Ein Ritter, der mid 
"einmal hier auf der Burg gefthen, erkannte mich 
in Paderborn wieder, and entdeckte dem Könige, 
was die Tochter ihm ſorgfaͤltig verheimlicht 
hate. — 

‚Dann biſt Du duch ein Wunder ber Argi 
Por Btraufamen-entronnen! fprach die Koͤnigin. 
Nein, theure.Bafe, antwortete Smanehild. 
König Karl kam auf diefe Nachricht felber gu mir 
in feiner Tochter Gemach und nannte mich for 








21 
:> für werloren geachtete, theure Kleinod feit in 
2 Arme, und der König fland daneben und 
nte nicht fatt. werden des Anfchauend einer 
ftalt, im derer, wie er fpäterhin ſelbſt geftand, 
’r freundliche Gdttin Hlyna geſehen, welche — 
sch der Meinung feined Glaubend — von ber 
ıswaltigen Frigga ihren Geliebten, den Menfchen 

weiten als Schuggeift gefendet wird. — — 

Sieh meine Uhndung! ſprach Geva zu ihm, 

Swanehilden feinem Wohlgefallen überlaffend, 
Mit ihr iſt bie freudige Unruhe, welche mich erfülls 
=, zur veinen, koͤſtlichen Freude geworden. Swas 
ehild fei geſegnet! 

Das fei fie! fagte der König, faßte ded zars 
‚ten Fraͤwleins beide Hände, und tranf auß ihren = 
biauen Augen ein Entzüden, das er feit langer 
‚ Zeit nit "mehr gekannt hatte. ° 
Ä Nun aber Mägdlen, ſprach jetzt Frau Geva, 

zoͤgernd, weil fie fürchtete,; daß die Antwort ihre 
früheren Beſorgniſſe in traurige Gewißheit ver⸗ 
wandeln koͤnne, nun ſage mir, weißt Du viel⸗ 
leicht auch unſern Sohn Wiprecht, den wir ww 
gleich wit: Dir einbüßten? 

Er lebt, theure Baſe; er ift gefund und 
wohlbehalten auf einer Burg, mo freundlidh ger - 
finnte Menfehen ihn Euch bewahren. 

Sieh, Gera, fagte hierauf der König zu 
diefer, die, auf einen Seffel gefunten, ihre Freu⸗ 


— X 
Seine Sicherheit, entgegnete Wiettekind, bie 
wird auch erft mit dem Untergange unſeres gane 
zen Volkes anheben koͤnnen. Denn, das ſchwoͤre 
ich —— 

O nicht doch, beſter Vater, fiel Swanehild 
mit fo bittender Stimme und heftig abwehrender 
Geberde ein, daß der König mitten in feinem 
Zorne wie von himmlifcher Gewalt gebunden, inne 
bielt und den Schwur unvollendet ließ, 

Mein theurer, mein gütigfier Ohm, fahr 
Swanehild fort, der Himmel bewahre Dein ehrı 
würdiged Haupt vor dem Fluche des Meineids. 
Denke drum, ftatt aller Schwuͤre, aufein guͤt⸗ 
liches Bernehnien mit dem Könige der Franken. 
Seit ich an feinem Hofe Iehte in Paderborn — 

Genug für heute von ihm und yon Pader⸗ 
born! rief Wittefind aus. Daß der chriftfiche 
Wuͤtherich inmitten des fonft fo ehrwuͤrdigen 
Gdoͤtterwaldes von Teutoburg, an derfelben Stelle, 
wo unter Hermann, unferm Ahnberrn, das deut: 
ſche Bolt vom Joche der Römer ſich loßriß, fein 
Hoflager halten darf, das ifteine ewige Schand⸗ 
fäule für die Nachfommen bed Helden, ' Nur 
durdy Ströme yon Blut und Feuer mag fie ver: 
tilgt werden, 

Theuerſter Ohm, Ptach Swanehild, und druͤck⸗ 
ſe flehend ſeine Hand an die Lippen, ſagteſt Du doch 
telber, daß es für heute genug ſei davon! — 


” 


10. 

Miete rind mußte ſich, je laͤnger er dad Mi: 
«in betrachtete, immer mehr Gewalt antban, "um 
ihr 205 gzuruͤckzuhalten, das ihm auf der Zunge 
ſchwebte, Aus dem fühen, kindlichen Waſen, das 
RT. vor Des Trennung In; Bwanehilden‘ gelicht, 
war eine fo feine, herrliche Jungfrau geworden, 

DaB er zuweilen in Perſuch gerieth, fie unter bie 
Hoben Afen *) zu rechnen. Auch ihre Stimm 
(dien ganz andere ald vormals, So war noch 
kein Wort, kein Ton ihm zu Ohr und Derzen 
gedrungen, als der ihrige. Aur. die Kleidung 
wollte ihm, weil fie die fraͤnkiſche Meife hatse, 
wenig zuſagen. Gleichwohl fand er fie an ihy 
wicht fo widrig, ald an. anderm fränfifchen Frauen⸗ 
zimmer, auch heſtand fi e in ben. feinſten, koſt⸗ 
barfign Stoffen, und er hätte überaus gern fps 
aleich gewußt, wie fie in dieſe Kracht und zu fg 
* sornehmen Geleit gekommen fei, ſcheute jedoch 
die Frage, des von ſeiner Gewahlin ausgeſpro⸗ 
chenen Wunſches halber. 

Ais Frau Geva zuruͤck und das Mahi unter 
munteim, froͤhlichen Weſen vollendet war, ſo 
fagte die erhabene Hausmutter: Nun, Kind, bes 
richte und auch recht getreu wie ed Dir ergan⸗ 
gen iſt, und zwar von dem Augenblicke an, wo 
Du mit Wiprechten Dich entfernteft, auf daß 

*j Götter, 


v 


J 


ı E Pan 
m duͤſteres Sinnen verloren, vernahm indeft 

fen Wittefind von den Reben der beiden rauen 
pur dann und wann ein. einzelned Wort ohne 
Bedeutung, Noch immer wußze er nicht wie 
ibm vorhin bei dem unterbröchenen Schwure ger 
fhehen warn Endlih aber flieg plöglih mit 
dem Gedanken an Heinrich von Efchen der Wunfh 
auf in ihm, Swanehilden wegen deſſelben behuts 
fam augzuforfchen,, und er riß fich mit Gewalt von 
feinen Betrachtungen los und redete dad Sräulein 
alfoan ; Entſinneſt Du Dich noch unſers Aufentz 
halts bei Vetter Ehrenbrecht am Harze ? 


. Sar oft, befter Ohm, iſt mit diefe Reife in 
Gedanken gewefen, antıvortete Swanchild. Wir 
verlebsen dort fo mandjen Tieben ,. freundlichen 
Zag. Aber, fügte fietiefer feufzend hinzu, daner 
ben auch einen, der. fie faft alle verdunkeln koͤnnte. 
Denn noch flodt mir-dad Blut im Herzen, wenn 
ic: des Opferfeſtes gedenke, welches dort gehalten 
. ward. Die armen Gefangenen, die, von bluts 
bürfligen Prieftern verhöhnt , einem Kloße, Krodo 
genannt, bingefhlachtet wurden! — 


Zu Ehren. bed. racheheifchenden Wodan! — 
fiel Wittefind zornig ein. Uber fein Zorn vers 
ſchwand, ald er in die Ihräne des Maͤgdleins 
blickte. Indeſſen war ey doch dadurch von dem 





4 
Zwecke felner Anrede abgefommen uud ſank in 
fein voriges Nachfinnen zurüd. 

Auch Frau Geva blieb nun, überwältigt von 
Diefes neuen Unterflüßung ihred Argwohnd gegen 
Swankhildens Glauben, faft den ganzen Abend 
flumm und in ſich gekehrt. 

14, 

Herzog Ulf, der ent ſpaͤt In der Nacht von 
einer Neife zuruͤckkam, war ganz trunfen vor 
Sreude, ald er am folgenden Morgen die lange 
Vermißte wiederfah. Er feßte ſich zu ihr, ſehr 
. vergnägt fihtinend mit ihren Antworten auf feine 
Sragen nach Karl und deſſen Umgebung und Ges 


dräuchen,, während Wittelind und Geva, jedes 


einzeln und weit entfernt von ihnen, in dem ſchon 
am Abende begonnenen , nachdenFlichen Schweigen 
verharrten, 

Da duͤnkte ed dem Fraͤulein Zeit, dem Herzöge 


von einem Vorhaben Mitthilung zu thun, dad zu 


ihren erleſenſſen Hoffnungen gehört hatte, aber an 
Wittekinds Abneigung gegen die Franken fcheitern 
zu wollen fhien. Sie war nämlich von Karl, dem 
fie Bid Wolmerflädr gefolgt gewesen, mit der Zuſa⸗ 
ge gefibieden , ihrem Oheim und Ulf, die in der ler 
ten an fieergangenen Gefandfihaft zuruͤckgewieſene 
Bitte um eine mündlidje Unterrefung nochmal 
an's Herz zu legen, und machte jeßt Wirtefindt 
würdigen Freund damit befannt. 





3 


die def Höffnung faßte, durch ipre Beih uͤlfe 


Euch, werthe Pflegeaͤltern, am folgenden Mor 
gen zuruͤckzuerhalten. Aber mein Hoffen ver⸗ 
ſchwand doch wieder, als ich beim Ankommen 
auf einer Burg vernahm, daß ſie Bertha, die 
Tochter des Koͤnigs Karl, Eures Feindes, und 
daß des letztern Kanzler, Herr Eginhard, in ihrem 
Gefolge ſei. Da konnte ih wohl unmoͤglich von 
meiner und Wiprechtd Abkunft und von Eurer 
Nahe reden wollen! 
412 

Zum Glüd, fo fuhr Swanehild fort, begehrte 
die Prinzeffin auch am andern Morgen mein 
Geheimniß nicht. Ich felbft aber, um von Euch, 
theure Verwandte, auf andern Wege vielleicht 
Runde zu vernehmen, erzäpfte ben Umſtand von 
der Sifcherhütte, wo ich Euch verließ, fo, als 


ob mich am Abende, wie ich mit dem Kleinen | 


darauf zugegangen, um Schuß zu ſuchen, ein 
großer Laͤrm, ber dort vorgemefen, in den Wald 
verſcheucht habe. 

Allein durch die Befchreibung ded Larms und 
der Gewalt, die der ziemlich nahe bei ber Burg 
gelegenen Fiſcherhuͤtte von bewaffneter Hand wis 
derfahren fei, erreichte ich zwar die Abficht, daß 
man darnach Erkundigung eingiehen wolle. Doch 
mein Bedauern mit den angegriffenen Fiſchers ⸗ 
keuten sheilten zwei Ritter, welche dabeiflanden, 








* 


35 


keinesweges. Sie fagten vielmehr, dieſes Sifchers 


haus habe zeither immer ihren Feinden eine heim» 


kiche Zuflucht abgegeben und die ihm deshalb fchon - 


längft angedroßete Rache werde, meiner Erzählung 
nach , endlich mohl darüber herein gebrochen ſeyn. 
Sie entfhloffen ſich auch fekbft hinzugeben, um 
Erfundigung einzuziehen. 

Ach, was erſchuͤtterten mich die Nachrichten, 
weldye ‚fie bald zutuͤckbrachten! Zufrieden mit dem 
diedmaligen Benehmen det Kifchersleute,,. erzähle 
ten fir, nach ber letztern Ausſage, daß fluͤchtige 
Sachſen ed geweſen, die mit ſtuͤrmiſcher Hanb 
in die Huͤtte gedrungen waͤren, deren Eingang 
man ihnen verweigert. Doch ſei der Lohn da⸗ 
fuͤr den Angreifenden bald gekommen, indem od 
gu rechter Zeit ein voraͤberziehendes Srantenhin 
lein fie gefangen weggeführt habe! ...  * .. 

Armes Kind ! riefhier der König, als Swanr⸗ 
hild bei dem Andenken an die ſo unſelige Nach⸗ 
richt ihr Auge bang zum Himmel erhob. Nein, 
Liebe, gefangen wurden wir nicht, wie Du nun 
weißt, And) geleitete und in der folgenden Nacht 
der ded Weges ſehr kundige Zifcher ſelbſt, bis 
wir aus aller Gefahr waren. 

Das Fräulein ‚verfehter Das erfuhr ich fpds 
ter ebenfalld durch die Grau Eures Begleiters, 
ald fie Fifche zum Berfaufauf die Burg gebracht 


hatte. Das Weib war jedoch in ihrer Freude Aber 
Geſpenſterbuch 6. Theil, . GC 


54 


das ſaͤchſiſche Mägdfein fo laut und geſchwaͤtzig, 
daß ich wohl anſtehen mußte, mich ihr, als die 
im Walde vergebens Geſuchte, zu erkennen zu 


geben. — Denkt Euch aber die troftlofe Zwiſchen⸗ | 


zeit von mehrern Zagen 5i6 zu diefer Runde! 
Ach, kaum wußte ich meinem tiefen Schmerze 
Grängen zu feßen: ed waren die fchrediichfien 
Tage meined ‚Lebens. 

Defto mehr Tanit: ich die Pringeffin Bertha 
rühmen,. die, dad Fabelhafte der Gefchichte, welche 
ich ihr für die meinige gegeben, ſchon damals 
afennend, mich dennoch mit der größten Guͤte 
behandelte: Dedgleichen muß ich der bejahrten 
Mittwe eined Grafen Kunz von Hennenberg ges 
denden. Sie hatte ihre einzige Freude an dem 
Heinen Wiprecht, und trug, gleich der zärtlich 
fien Mutter, für dad Kind Sötge 


Hätte ich, da ich Euch, theure Pflegeaͤltern, | 


nirgends aufzufuchen, auch von feinem andern 


Unterkommen fit mich felber voußte, einen beffern . 


Schug für ben Kleinen finden mögen, als auf der 
Burg biefer allgemein verehrten Dame, die fi 
erbot, ihn dort aufzuerziehen ? 

Auf einer Burg den Dennenbergen zugehörig? 
fragte Wittefind mis finflerer Stirne. Und wiſ⸗ 
fen fie von ded Knaben Abkunft? — 

Noch immer nichts ! antwortete Swanehild. — 
Ah, beim Abſchiede von dem Heinen Wiprecht 


t 


35 


hätte ber Schmerz mich beinahe zum Widerrufe 
des Berfprechend bewogen, ihn ber Gräfin anzu⸗ 
vertrauen ! Allein fie beharrte auf der Erfüllung 
meined Worted ; auch ſtand ich an, Euern Sohn, 
deſſen Urſprung boch wohl einmal der Zufall offens 
baren fonnte, nad) Paderborn zum Hoflager des 
Königs Karl mitzunehmen , wohin die Prinzeffin 
Bertha mich überredete,, fie zu begleiten, 

Wie, rief bier der Oheim aus, Du wag—⸗ 
teſt — — 

Ei, verſetzte Swanehild, unter dem Schutze 
der trefflichen Bertha haͤtte ich alles leicht wagen 
koͤnnen. Auch will ich Euch geſtehen, daß ihr 
ſo engelgleiches Wohlwollen meinem Herzen ſchon 
auf der Reife nach dem Hoflager feinen länger 
Ruͤckhalt verſtattete. Nothwendig mußte ich zei⸗ 
gen, daß ich ihre Liebe nicht verkannte; ich mußte 
mich ihr als die Verwandte des großen Wittekind, 
als deſſen Pflegetochter zu erkennen geben. 

O Mißsgriff der argloſen Unſchuld! rief der 
König hier aus. Dich der Tochter des Wuͤthe⸗ 
richs zu entdecken, dem. dad Leben jedes redli⸗ 


—8 


chen Sachſen ein Graͤuel iſt, der, gleich jenem - 


römifchen Buben, der ſich Kaiſer nannte , dem 

Sachſenvolke einen einzigen Hals vorinfehte, un 

dad ganze den an der Aller burch ihn ermordeten 

Zaufenden mit einem Male nachzuſenden! — 

Danf den Bdttern, daß ih Dich wie babe, 
— 2 


— —. — —“⸗⸗ 


56 


Swanehild. Ewigen Dank ben Renfern der Diens 

ſchenſchickſale, daß dem ungläubigen Frevler Deine 

Abkunft., trog diefem gefährlichen Zutrauen zu 
ſeiner Tochter, verborgen geblieben iſt! — 

Dazu ſchlang er feinen Arm fo feſt um fie, 

alö ob er fich ihre Wiederden itzes noch nicht recht 
ſicher fühle 

Wie aber, Vaͤterchen, ſprach dad Sräaulein, 
freundlich zu ihm binaufblidend.wie, wenn König 
Karl doch nicht nur meinen fächfifchen Urſprung, 
fondern ſogar bie nahe Verwandeſchaſt mir r Dit | 
esfahren haͤtte,? 

Dann — rief Wittefinb aus — — dan muͤß⸗ 
ten alle feine Thuͤrme ſchon mit gefangenen 
Schiachtopfern uͤberfuͤllt und: alle feine Henkerbeile 
bei Verden drauf gegangen feyn , che Du frei in 
unfere Arme haͤtteſt kehren kͤnnen! — 

Und doch — verſetzte ſie — bin ich da, mich 
Eurer Liebe zu erfreuen! — Ein Ritter, der mich 

rinmal hier auf der Burg gefehen, erfannte mich 
in Paderborn wieder, and entdeckte dem Könige, 
was die Tochter ihm ſorgfaͤltig verheimlicht | 
hasse. — . | 
:Dann biſt Du buch ein Wunder der Arglit 
For Sraufamen.entronnen ! fprach die Königin. 
:, Nein, theure.Bafe, antwortete Swanehild. 
König Karl kam auf diefe Nachricht felbergu mir 
in feiner Tochter Gemach und nannte mich for 











87 


gleich bei meinem Namen. Da ich nun dar⸗ 
über gar fehr erſchrocken und befümmert ausſehen 
mochte, ſo fagte er Gei getroſt und gutes 
Muthes, mein Kind. Wollte Gott, - daß der 
tapfere Witftkind , gleich Dir, eine Zeitlang an 
meinem Hoflager zubraͤchte. Unſere nähere Bar 
Sanntfchaft würde mir und ihm, fo wie dem 
ganzen Sachſenvolke, frommen und wohlthun. — 


Hm! das fagte er ? rief MWittefind mit bite 


term Spotte. Vieleicht gar noch mehr? — 

Ya, antwortete Swanehild. Er rühmte Dich 
und Deine Thaten dergeflalt, daß mir. vor Freude 
die Augen übergingen. Dann aber fügte er noch 
hinzu; Dein Ohm wi fein Volk gluͤcklich wiſſen. 
Über der Weg, den er. dazu wählt, iſt ſchwerlich 
der rechte. Ein Wort der Berfländigung hiers 
über mit wir, würde binreichen, mich und ihn, 
auch die beiden Völker, gu Brüdern zu machen, 

O des Heuchlers! rief Wittefind and. Ein 
Wort ber Berfiändigung,. nach dem, was erſt an 
der Aller, und dann noch gang neuerlich durch 
Hinwegfuͤhrung der Bluͤthe des Volkes geſchehen 
iſt! — 


Theurer Ohm! ſprach hierauf dus Syäufein, 


der Borgang an der Aller wird von Karl felbft eine 
Uebereifung genannt, dieser feinem Zorne nicht ver⸗ 
geben ann. Die letzte Maßregel aber glaubt es 
der eigegen Sicherheit ſchuldig geweſen zu ſeyn. 


+ 
‘ 


- eine Sicherheit , entgegnete Wittefind, die 


wird auch erfi mit dem Untergange unferes gan⸗ 
gen Volkes anheben Fnnen, Denn, das (diwöre 
ich — — 

O nicht doch, dbeſter Vater, fiel Swanehild 
mit ſo bittender Stimme und heftig abwehrender 
Geberde ein, daß der Koͤnig mitten in ſeinem 
Zorne wie von himmliſcher Gewalt gebunden, inne 
hielt und den Schwur unvollendet ließ. 

Mein theurer, mein guͤtigſter Ohm, fuhr 
Swanehild fort, der Himmel bewahre Dein ehr« 
würdiged Haupt vor dem Sluche des Meineids. 
Denke drum, ſtatt aller- Schwuͤre, aufein güte 
liches Vernehmen mit dem Koͤnige der Franken. 
Seit ich an feinem Hofe lebte in Paderborn — 

Genug fuͤr heute von ihm und von Pader⸗ 


born! rief Wittekind aus. Dafi der chriſtliche 


MWürherih inmitten des fonft fo ehrwuͤrdigen 
Goͤtterwaldes von Zeutoburg, an derfelben Stelle, 
wo unter Hermann, unferm Ahnberrn, dad deuts 


ſche Bolt vom Joche der Römer ſich loßriß, fein 
Hoflager halten darf, das ifteine ewige Schande 
fäule für die Nachkommen des Helden, ' Nur 


durch Ströme yon Blut und Feuer mag fie vers 
tilgt werden, 


Theuerfier Ohm, ſptach Swanehild, und druͤck⸗ 


ſe flehend ſeine Hand an die Lippen, ſagteſt Du doch 
telber, daß es fuͤr heute genug ſei davon! — 


' 


39 


Haft Recht! mein Kind, ſprach ber König, 
die Rede fogleih auf andere Dinge ühberführ 
rend. . 


Uber es Tag in den Umfländen, daß fie 
immer wieder auf Swanehildens Verkältniffe am 
fränfifhen Hofe zurüdfam und davon getrübt 
wurde. So hörte bie Königin nicht ohne Uns 
ruhe, daß dad Fräulein felbft bei Frau Faſtrad, 
der harten Gemahlin ded Königd Karl, in bes 
fonterer Gunft ſtehe, und von ihr an den letzten 
Weihnachten bie ſchoͤne Kleidung, welche fie trug, 
zum Gefchenfe erhalten habe. Frau Geva wußte 
von biefem Fefte ber Geinde ihres Glaubens und 
dem Gebrauche, einander dabei zu befchenfen. 
Auch das ſchoͤne Roß, worauf Swanehild ange 
fommen ruͤhrte von ber Sranfenfönigin her, der 
man dod ein. bis zur Grauſamkeit gehended, u 
verſoͤhnliches Gemuͤth gegen alled beilegte, mad 
nicht an Chriſtum glaubte. Sollte Smanchild 
vielleicht — —! Tray Geva wagte den ihr fo 
furchtbaren Gedanken der Möglichkeit, daß fie 
‚ getauft fei, nicht einmal in geheim audzuſprechen, 
auch enthielt fie-fid der Erfundigung barnadı, 
weil fie die Gewißheit der Sache ärger ald ben 
Tod fcheuend, mit der Unwiffenheit ihre, im fer 
nern Geſpraͤch immer fieigende, Beforgniß, zum 
Sciweigen zu bringen fuchte. 





Yo 13. . | 

em duͤſteres Sinnen verloren, vernahm indef 
fen Wittefind von den Reden der beiden Grauen 
nur dann und wann ein. einzelned Wort ohne 
Bedeutung, Noch immer wußze er nicht wie 
ihm vorhin bei dem unterbrochenen Schroure ger 
fehehen war. Endlich aber flieg plöglih mit 
dem Gedanken an Heinrich von Eichen der Wunfd 
auf in ihm, Swanehilden wegen deffelben behuts 
fam augzuforfchen,, und er riß fich mit Gewalt von 
feinen Betrachtungen los und redete dad Sräulein 
alfo an : Entfinneft Du Dich noch unſers Aufentz 
halts bei Vetter Ehrenbrecht am Harze? 


. Gar oft, befter Ohm, iſt mir diefe Reife in 
Gedanken geweſen, antwortete Swanehild. Wir 
verlebten dort fo mandıen lieben, freundlichen 
Tag. Mber, fügte fietiefer feufzend hinzu, daner 
ben auch einen , der. fie faft alle verdunkeln koͤnnte. 
Denn noch flodt mir das Blut im Herzen, wenn 
ic des Opferfeſtes gedenke, welches bort gehalten 
. warb. Die armen Gefangenen, die, von blut 
dürftigen Prieftern verhöhnt , einem Kloße, Krodo 
genannt, hingefhlachter wurden! — 


Zu Ehren bed. racheheifchenden Wodan! — 
fiel Wittefind zornig eih.. Aber fein Zorn ver 
ſchwand, ald er in die Thräne des Maͤgdleins 
blickte. Indeſſen war er doch dadurch von dem 


87 


ich bei meinem Namen. "Da ih nun dar⸗ 
er gar fehr erfchroden und befümmert ausſeben 
ochte, fo fagte erz. Sei geiroft und gutes 
duthes, mein Kind, Wollte Gott, daß der 
ıpfere Witttfind , gleich Dir, eine Zeitlang an 
reinem Moflager zubrächte. Unfere nähere Se 
ınnttfchaft würde mir und ihm, fo wie dem 
anzen Sadıfenvolke, frommen und wohlthun. — 
Hm! das fagte er ? rief Wittekind mit bit 
erm Spotte. Vielleicht gar noch mehr? — 
Ya, antwortete Swanehild. Er ruͤhmte Dich 
und Deine Thaten bergeflalt, daß mir. vor Freude 
Die Augen Übergingen. Dann aber fügte er noch 
hinzu; Dein Ohm will fein Volk gluͤcklich wiſſen. 
Uber der Weg, ben er. dazu wählt, ift ſchwerlich 
der rechte. Ein Wort der Berftändigung hier⸗ 
über mit wir, würde hinreichen, mich und ihn, 
auch die beiden Volker, gu Brüdern zu machen. 
O des Heuchlerd ! rief Wittefind aus. in 
Wort der Berftändigung,. nach dem, was erſt an 
der Ufer, und dann noch ganz neuerlich, durch 
Hinwegfuͤhrung ber Bluͤthe des Volkes gefchehen 
iſt! — 


Theurer Ohm! ſprach hierauf das Frarlein, 


der Vorgang an der Aller wird von Karl ſelbſt eine 
Uebereilung genannt, die er ſeinem Zorne nicht ver⸗ 
geben kann. Die letzte Mabregel aber glaubt ex 
der eigegen Sicherheit ſchuldig geweſen zu ſeyn. 





J 
a 


42 


Die Yufmerffamkeit, womit Herzog Alf ihr 
zubörte, beiebte ihre Nede mit einem wunderfas 
men Teuer. Gie erzählte zugleich von der ehrens 
vollen Begleitung auf die Wittefindeburg ; daß 
naͤmlich Koͤnig Karl, außer emigen Srauen ferner 
Gemahlin, unter anderen auch ben mit ber Pringeflin 
Bertha heimlich vermählten Grafen Engelbredyt 
dazu erwählt, und um allem Berbachte des Aus⸗ 
Funbfchaftend zu entgehen, ihnen verboten habe, 
den Burghof zu befchreiten, 

Noch fügte fie im Allgemeinen binzu, daß der 
große Karl nichts fo fehr wuͤnſche, ald aus feinen 
wadern Feinden feine Freunde zu machen, und 
daß eine Zufammenkunft mit ihm obnfehlbar zu 
diefer dem Sacıfenlande fo heilfamen und wohl« 
shätigen Verwandlung führen werde. 

- Bon der Macht ihrer Rede bezwungen , näherte 
fih Herzog Alf ſchon dem fortbauernd finnenden 
Wittelind, ald die AUngen aller, bie gegenwärtig 
waren, auf «einen Hereintretenden fielen, 

Heinrich von Efchen, indem er mit Ehrfurdt 
feinen Schritt zum Kbnige Ienfte, ward durch 
Swanchilds Erfcheinung plöglich unterbrochen, 
und beugte, feiner ſelbſt unberpußt geworden, vor 
Diefer fein Knie zuerſt. 

Sein Entzüden und feine Hingebung, dazu 
des Frqaͤuleins ſichtbare Unruhe, ergriff aller Dere 

jen. Die Natur verkündigte das den beiden noch 


- 43 


ſelbſt nicht ganz Mare Geheimniß, welches zwischen 
ihnen Statt fand, in einem einzigen Augenblicke 
ſo Fräftig und unzweidentig, daß Wittefind fos 


Gleich zu ihnen trat, und zu Swanehild fagte: 


Er wollte ber Rächer Deined Todes feyn, mag 
er nun bafür der Genoſſe Deined Lebens wers 
ben! — 

Als aber hierauf beide danfend vor bem Könige 
niederfnieten,, und der alte Priefter Uffo jetzt hers 
ein trat, da entdeckte Swanehild in ihm den graus 

ſamen DOpferpriefter yom Harze, und fie entfegte 
fi) vor dem Greife, Und als er den Sinn der 
Handlung, die hier vorging, erfannte, und feine 
Weihe über dad Paar ausfprechen wollte, da 
erhob fich Die Braut plöglich, ihn mir zuͤrnendem 
Auge zuruͤckweiſend und wie auf höheres Eingeben 
audrufend ; ws 

Wiſſe, Blutiger, daß ich Deinen Segen verabs 
ſcheue, weil ich ihn für Fluch achte. Wiſſe, daß 
hr feinen Theil weiter habt an mir, Du und 
deine falſchen Götter, ſeitdem bie heilige Taufe 
mein Herz für immer von bed Heidenthums Ser 
en rein gewaſchen hat. — 

Und der König und die Königin flanden tief 
Im Gemüth erfchüttertund verhällten ihr Angeficht, 
Draufhob der Alte vor Wuth ſchaͤumend alfo an; 
So kann auch diefer mein Neffe feinen Theil haben 


x 


an Dir, Verfluchte! Hinweg, Heinrich, auf daß 


4 


das Gift des Athems, welchen Lofe*) ihr ein 
gehaucht, nicht zerftöre Deined Lebens Bluͤthe, 
und Dich verweiſe auf ewig in daß eifige angſi⸗ 
volle Land der Nebel, wo bie feſtverwahrte Woh⸗ 
nung Elend, die Tafel’ Hunger, der Knecht Träg 
und die Maad Langſam heißt, mo Du keinen 
Schritt thun wuͤrdeſt, ohne von giftigem Gewuͤrm 
umwunden und gepeiniget zu werden. — Hin⸗ 
weg, fage ich, fo fügte ber Priefter noch beftie 


ger binzu, als Heinrich ſich von Swanehildens 


Blicke gefeffelt und zurüdgehalten ſah, hinweg 
von der Abgefallenen, Yusfägigen , von dem ver⸗ 
dorrten Reife des erhabenften Stammes. Denn 
es zieht alled hinab in fein Berderben, was von 
ihm irgend berühret wird! — 

Als nun Heinrich hinaus war, fo unterbrach 
der Priefter die fortdauernde Todtenſtille folgens 
dermaßen: Und verflucht wie fie ſelbſt, fei &in 
jeglicher, der fortan. mit der Abtruͤnnigen, Goͤt ⸗ 
terfäffernden , Verfluchten, Gemeinſchaft halten 
wird. Keln Skalde **) foU feine Thaten in der 
Afenfprache verberrlichen. Auf dem Meere fol 
rei ihm den Himmel mit Wolten verhüllen, 
und Niord feiner Fahrt unguͤnſtige Winde fenden. 
Er fol Schiff bruch erleiden und Beine der fchönen 
weißen Jungfrauen da feyn, ihn in den Schooß 

*) Der böfe Weiß. . 

“*) Dichter. 


as 


ihrer Mutter Ran zu bringen, Die gaſtfreten 
Zwerge der oͤden Felſen ſollen dem lechzenden 
Wanderer ihre ſteinerne Wohnung verſchließen, 
und die ſonſt ſo mildthaͤtigen Waldmaͤgdlein ihr 
hinausjagen aus ihrer. gruͤnen Heimath. %a, 
ſelbſt im edelſten Kampfe fol Ullers Zauber ihn 
nicht beſchuͤtzen, und wenn er dann faͤllt, Heints 
dal”) ihn zuruͤcktrelben, auf daß er nie ein 
Zehe über die ſieben Strahlen der Afenbruͤcke **, 


nad) dem prächtigen Schildgewoͤlbe Walhalla’d, . 


Nimmer ſoll fein Auge dit Götter erblicken, herrs 
lich wie fie dort fißen im Harniſch und Panzer; 
ninmer er aud der Walkyren fihdnen Händen 


die golbbefäumten Hörner sum Fhfkfichen Lade ' 


srunfe empfangen! = | 

Nachdem nun Ufo diefen Fluch ausgeſpro⸗ 
then, entfernte er ſich, und die Zuruͤckbleibenden, 
zermalmt von feinen Worten, blickten nach Swane⸗ 


bild, und wären außer ſich vor Berwunderung, ı 


daß des Priefterd Zorn ihrer Miene das‘ gewoͤhn⸗ 
liche, füße Lächeln nicht hatte ſidten Fönrten. ° 
Staunet nicht, meine Lieben, rief fie be 
geiftert aus, daß ein folder Fluch einen fü 
ſchwachen Weſen auch Yar nichts anhaben möchte, 

*) Der Waͤchter von Walhalla. 

**x) Der Regenbogen, uͤber den die zefallenen Hel⸗ 
den nach Walhalla einzogen, ' 


“ 


| u 


[73 


Betet den Iedendigen Gott an, ber dad vorhin 
ſelbſt aus mir ſprach, was ich geftern Abend mit 
Mühe Euch verbarg. Die fleten Niederlagen 


ber tapfern Sachfen verkünden ja mehr als alles | 


die Ohnmacht der Bögen, für deren Namen fie 
kaͤmpfen! Und, wie. Ihr's auch anfangen, wie 
Ihr auch die Franken befriegen möchtet, immer 
wird Unheil und Verzweiflung die Frucht Eurer 
Anſtrengungen ſeyn, weil jenen der einzige, wahre 
Gott zur Seite ſteht! — 

15. 

Lange dauerte die Stille nach dieſen Worten, 
deren Geift auf den bangen Zubbrern ſchwer zu 
Tiegen fehien. Endlich erhob Wittekind feine Auge 
und ſprach: Was nun than, Ungluͤckliche, mit 
fo ſchrecklichem Fluche beladen ? 

Zu deinen. Füßen, Vater, will ich Tiegen 
und fliehen, bid Du Deinem Heile gefolgt feyn 

‚wirft. Eile, mein Herr und Ohm, nah Wol⸗ 
merftädt, dem dermaligen Hoflager des Könige 
Karl, und ferne Eennen den Helden, den Du 


falſchlich beurtheileſt nad) den Augenblicken feined- 


gereigten Zorned. Nicht der Tyrann, nur ‘der 
Befreier unfered Volkes von ben ohnmaͤchtigen 
Gögen, will er ſeyn. O mein König, noch eins 
mal befchwöre ih Dich, Karla anzufchauen in 
der Nähe, zu fehen die Andacht und Froͤmmig⸗ 
keit, mit denen er, feiner Hoheit entfagend, ſich 


1) 


47 


vor dem einzigen Gotte niederwirft. Keine Zeit 
ift geſchickter ihn zu beobachten, als die jekige. 
Das Heilige DOfterfeft naht heran. Stelle Dich 
im Haufe Botted ihm gegenüber, wenn er mit 
den Seinigen und allem Volle zum Zifche des 
Herrn gebet, und dir Geiſt der Demuth und’ 
Liebe, welcher webet in ihn, der wird auch Dich 
erfaffen,, Du wirft ihm die Hand darbieten und 
fagen : Laß und "Brüder feyn! — 

Mein liebes, mein guted Kind! riefder König, 
bezwungen von ber Kraft ihres Tones und der 
Slide, die wie Himmeldglanz auf ihn fielen; 
dazu nahm er fie in feine Arme, 

Du vergiffeft, mein theurer Ohm, fagte Swane⸗ 
bild, daß Du ſchon hiemit theilhaftig wirft meis . 
ned Fluches. 

Da ſchauerte den Koͤnig. Doch ein einziger 
Blick in des Fraͤuleins reines Auge ſicherte ihm 
den fuͤr verloren geachteten Segen von neuem zu. 

Kind, ſprach er, geliebtes Kind, wie tief 
ſchmerzt mich Dein Ungluͤck! Ufo iſt unverföhns 
lich und ſein Neffe fuͤr immer Dir verloren, der 
Dir ſehr viel zu gelten ſchien! — 

So hat mich meine Freude verrathen! rief 
Swanehild. Ich will. daher nicht bergen, daß 
feit dem erflen Bekanntwerden mit Heinrich von 
Eſchen — fein Bild in einer Geeler lebendig 
zurüchgeblichen ift, und daß dad Gluͤck, ihn ſo 


44 
ylöglich ſelbſt wiebergufinden und fogladı. fein zu 
werden, mir. dad Theuerſte auf der Erde war; 
Aber, mein Herr und König, fogar dem Theuers 
fien foll man, um Bottts willen, entfagen koͤn⸗ 


nen. Dad gebietet mein neuer Glaube und er 


* 


iſt es auch, der mich mit Kraft dazu ausruͤ⸗ 
ft! — 

Ein lang der Verflärung ſchien ed, iu dem 
ſie daſtand, und Wittefind erhob ſich und fagte 
zum Herzog von Holfiein: Lieber, laß uns denn 
gen Molmerftädt ziehen! — 

And fie, fragte Frau Geva, als Herzog Alf 
darein gewilligt hatte, ſoll fie Euch geleiten? — 

Nein, geliebte Baſe, fiel hier dad Fraͤulein 
ein „ bevor dad Werk nicht vollendet iſt, müflen 
fie vermeiden alle Gemeinfdjaft mit mir. Auch 
Du, theure Frau, mußt Did) bis dahin meines 
Umgangs enthalten Laßt mich nur immer in 
einen Kerfer werfen und mich der unwuͤrdigſten 
Sefangenen gleich halten, die Hoffnung auf Euer 


kuͤnftiges Heil wird mich gegen alled. Ungemad 


kraͤfti iqen. 

So flehend aber auch Swanehild um bad fehle 
vefte der Befängniffe bat, fo konnte doch dad Koͤ⸗ 
nigspaar fh zu ſolchem Verfahren durchaus nicht 
entfchließen. Ein abgefonderted. Gemach für fie im 
obern Theile der Burg war alled, wozu fie ſich am 
Ende noch verftanden. 





49 


16. j 

Als nad) den mancherlei Sorgen eined lan⸗ 
gen , trüben Tages die Nacht endlich bereinbrach, 
da fliegen die beiben Fürften gu Roſſe, und rite 
ten, von niemand geleitet, aus dem Burgthore, 
Je weiter fie fih von. der Heimath entfernten, 
defto ſchwaͤcher ward andy ihre in Swanehildens 
Anfchauen fo lebendig geweſene Hoffnung auf 
dad Heil, welches ihrer Harte am Hofe des 
Frankenkoͤnigs. Hätte nicht Alf fchon früher 
geſchwankt im Glauben an ihre Bögen, fo wuͤrde 
ed daher am folgenden Zage dem Könige fehr. 
leicht geworden feyn, ihn gradezu zur Ruͤckkehr 
gu bewegen. Denn Wittefind fagte, als ber 
Morgen anbrach: Zraun, wirhaben nicht übers 
legt, wel ein mißlich Wageſtuͤck wir beſtehen! 
Schwer werden wir biefe Neife fo geheim voll⸗ 
bringen, al& wir fie abfichrtlich angefangen. Zwar 
find wir während ber Nacht ein gutes Theil 
Weged weggefommen von Haufe Was aber 
wird, auch noch fo entfernt, unfenntlid machen 
Die Fuͤrſten, die das Bolt fo oft an feiner Spike 
ſah? Und welche Deutung Fann eine Reife nach 
Wolmerſtaͤdt finden, wenn wir beobadptet wer, 
den? No, treuer Kampfgeſell, ift ed Zeit, ben 
Ruͤckweg zu fuchen und durdy reichliche Opfer 
gabe zu verfühnen die Götter, bie wir fo boͤslich 
zu verrathen gedachten ! | 

Gefpenfierbuch 6. Theil. D 


50 


Da ereiferte ſich Jedoch Herzog Ulf gegen ihn 
und fagte: Was unfere Götter anlangt, fo ift 
es Dir nichts Neues, daß ich ihnen nur noch 
mit Widerwillen diene. Dir aber duͤnkt es ein 
fo neues als unerfreuliched Bezeigen ded Königs 
Wittekind, daß er feine Dannhaftigfeit, wie fonft 
nie, verläugnend,, von dem gefaßten Entfchluffe 
obne Noth wieder abſtehen will. — 

Und diefe Rede traf fo maͤchtig durch Mark 
und Leben ded Helden, daß er, unbefümmert, 
was auch nun erfolgen mochte, flatt ber Ant⸗ 
wort , feinem Roſſe die Sporen gab, und binnen 
der ganzen Reiſe keinen Laut wieder bagegen von 
ſich vernehmen ließ. Daß uͤbrigens feine Ber 
muthung wegen des Erfanntwerbend nicht grund» 
106 geweſen, davon fprach die tiefe Verehrung, 
die gar mancher Wanderer auf ihrem Wege ben 
Reiſenden bezeigte. \ 

17: 

Eindmald, grade am letzten Morgen, als fie 

vor der Hütte eined Köhlerd, bei dem fie übers 


nachtet,, auf ihre Roffe geftiegen waren, da redete 


MWittefind im Fortreiten alfo gu feinem Sreunde : 
Lieber, mir ift heute gar feltfam und ungewoͤhn⸗ 
ih zu Muthe. Das rührt von einem Traume 
in diefer Nacht ber, deſſen Auslegung ich wohl 
wiffen möchte. Mir träuimte nämlich von mei 
ner Nichte, der Swanehild. Tief unter ber Erde 





51>- 


faß fie in einem abfcheulichen Kerker voller Schlans 
gen und anderm ‚großen Gewürm. Uber als, 
Tonne die Hülfe ihren Bitten nicht entfiehen, fo 
faltete fie ihre Hände und hob fie nach ber Höhe 
muthig empor. Giche, da that fih auch wirk⸗ 
lidy grade an der Sielle, wohin fie ihre Augen 
und Hände richtete, des Gewoͤlbe des Gefaͤng⸗ 
niſſes auf, und in dem milden Lichtſcheine, wel⸗ 
cher hereindrang, ſchwebte ein Knabe hernieder 
zu ihr, wunderſchoͤn von Geſtalt und Weiſe, der 
ein hoͤlzernes Kreuz auf feiner Schulter trug. 
Da entſtand plöglich ein allgemeines, ſchreckliches 
Regen unter all dem Gewärm, ein Geziſch und 
Geſchrei, vor dem meinem Ohre graute und das 
Herz im Leibe mir zufammenftor. Und die gife 
tigen Zungen aller ber böfen Thiere ſtreckten ſich 
weit aus nach der Gefangenen, fo daß ich mit 
gezogenem Schwerte auf das Gewärm losgehen 
wollte. Doch mein Arm erflarste in dieſem Au⸗ 
genblide und ohnmaͤchtig fanf dad Schwert aus 
meiner Hand. Deß erſchrak ich gar fehr. Da 
verfuchte ih Swanehilden zuzurufen, daß fie 
vorwärts fich wenden möchte, weil hinter ihr ein 
Drache den ungeheuern Rachen (don an ihrem 
Naden hatte. . Uber die Stimme verfagte mir, 
und Swanehild ſtand mildlaͤchelnd und unbeforgt, 
wie neulich nach Uffo’d Fluche, und ſank, alle 
Schredniffe ringenm,. als täufchende Larven ver, 
D 2 


52 


achtend, vor dem glanzvollen ginde auf ihre 
Kniee. Drauf nahin dieſes ſein Kreuz von ber 
Schulter, und wie es ſolches hierhin und dahin 
neigte, fo zerbarſten ſogleich die giftigen Unge⸗ 
heuer zu allen Seiten. Die Gefangene aber 
umklammerte mit tiefer Ergebung dad Kreuz und 
warb daran bald und ohne Befchwer hinaufgezo⸗ 
een von dem Kinde, mit bem.fie fobann ver 
ſchwand. Drauf erwachte ide — Was duͤnkt 
Dich wohl von dieſem Traume, Alf? 

Hm, ſprach der Herzog mit bedenklicher Miene, 
davon dänft mich wenig Gutes. Wenn Unfere 
Mriefter recht haben, fo ift der Traum gemeinig⸗ 
Th das Begentheil von dem, was er bedeutet. — 
Das Krenz mag wohl für ein Zeichen des Epriften, 
ihums gelten. Wie wenn Swanehildend Erren 
tung im Traume ihren wirflichen Untergang vor 
ausſagte? Zum erfien Dale fällt mir jegt ein, 
daß wir fie nicht hätten zuruͤcklaſſen füllen! — 

Dho, rief Wittefind, wo Pbnnte fie ficherer 
feyn, ald auf ded Königs Burg? 

Ei, verfegte Herzog Alf, ich kenne diefen 
Uffo und feine Rachgier. Laß nur etwa feinen 
Neffen nicht abſtehen wollen von Schwanehilden. 
Wer weiß, wozu dann der Alte fähig wäre 
Der Tod einer Chriſtin duͤnkt ihm ſchon an fid 
ein hohes Berbienft. 

Gpriftin, oder nicht! tief der König beruhigt 


29 

| 16. 

SITES nad) den mancherlei Sorgen eined lan⸗ 
x „ trüben Tages die Nacht endlich hereinbrach, 

ftiegen die beiden Sürften zu Noffe, und rits 
2, 9on niemand geleitet, aud dem Burgthore, 
woeiter fie fi) von. der Heimath entfernten, 
fto ſchwaͤcher ward auch ihre in Swanehildens 
nfchauen fo lebendig gemwelene Hoffnung auf 
38 Heil, welches ihrer harre am Hofe des 
rankenkoͤnigs. Hätte nicht Alf fchon fruͤher 
eſchwankt im Glauben an ihre Gößen, fo würde 
8 Daher am folgenden Lage dem Könige fehr. 
eicht geworden feyn, ihn gradezu zur Ruͤckkehr 
‚u bewegen. Denn Wittefind fagte, ald ber 
Morgen anbrach: Traun, wirhaben nicht übers 
egt, wel ein mißlih Wageſtuͤck wir beftehen! 
Schwer werden wir diefe Neife fo geheim voll 
Bringen, ald wir fie abfichtlich angefangen. Zwar 
find wir während der Nacht ein gutes Theil 
Weges weggefommen von Haufe Was aber 
woird, auch noch fo entfernt, unfenntlich machen 
Die Fürften , die das Volk fo oft an feiner Spige 
ſah? Und welche Deutung Tann eine Neife nach 
Wolmerſtaͤdt finden, wenn wir beobachtet wers 
Den? Noch, treuer Kampfgeſell, ift ed Zeit, den 
Muͤckweg zu fuchen und durch reichlidhe Opfer 
gabe zu verföhnen die Götter, die wir fo boͤslich 
zu verrathen gebachten ! | 

Geſpenſter buch 6. Theil. D 


54 
Hier aber legten fie ihrem Verlangen Zügel an, 
weil der 'ftarfe Schritt nicht paſſen wollte zu 
den gebrechlichen Perfonen, die fie nun vor 
ſtellten. 

Es war noch früh am Lage. Nur einzeln 
erfi "gingen die frommen Gläubigen zur Kirche, 
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte 
zu finden , wo fie die Ankunft des Könige Karl 
und feines hohen Haufe und die heilige Hands 
lung überhaupt wohl beobachten mochten. Weit 
fie jedoch ſchon: fo vielen im Treffen, wie zur 
‚suhögen Zeit, ald ungertrennlich erſchienen waren, 
and mancher, wenn er bier ihre Gefichter beis 
ſannnen erblickte, ſie, feibfl.in der falſchen Klei- 
bung, keicht erkennen ikonnte, ſo eatfernten ſie 
ſi ſehr weit von mann rn 

. Das Gottetbausrflttn Ab immer uhr und 
* Ein Geraͤuſch, das ſich jetzt unter der 
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die 
Ankunft der Erften im Volle. Wittekind er 
ſtaunte, ald er den Abnig Karl an der Eintre 
senden Spiße erblickte. Iſt das derfelbe, fragte 
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft 
gu Pferde Hierhin und dorthin fliegen.fah, deſſen 
einzıged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein maͤch⸗ 
tiger Sturmwind in bie Meinigen ti, daß diefe 





517 


fie in einem abfcheulichen Kerfer voller Schlan⸗ 
und anderm großen Gewuͤrm. Uber ald, 
ne die Hülfe ihren Bitten nicht entfiehen, fo 


tete fie ihre Hände und hob fie nad) ber Höhe 
ıthig empor. Siehe, da that ſich auch wirk⸗ 
, grade an der Sielle, wohin fie ihre Augen 
d Hände richtete, ded Gewölbe bed Gefaͤng⸗ 


ſſes auf, und in dem milden Tichtfcheine, weils 


er bereindrang, ſchwebte ein Knabe bernicber 
iühr, wunderfchön von Geſtalt und Weife, der 
n hoͤlzernes Kreug auf feiner Schulter trug. 
‚a entfiand plöglich ein allgemeines, ſchreckliches 
tegen unter all dem Gewärm, ein Geziſch und 
jefchrei, vor dem meinem Ohre graute und das 
verz im Leibe mir zufammenfror. Und die gif⸗ 
‚gen Zungen aller der böfen Thiere ſtreckten fich 
veit aus nach der Gefangenen, fo daß ich mit 
izogenem Schwerte auf dad Gewuͤrm losgehen 
vollte. Doch mein Arm erflarste in dieſem Au⸗ 
zenblicke und ohnmaͤchtig ſank dad Schwert aus 
meiner Hand. Deß erfchraf ich gar fehr. Da 
verfuchte ih Swanehilden zuzurufen, daß fie 


vorwärts fich wenden möchte, weil hinter ihr. ein. 


Drache den ungeheuern Rachen ſchon an ihrem 

Nacken hatte. Aber die Stimme verfagte mir, 

und Smwanehild ſtand mildlaͤchelnd und unbeforgt, 

wie neulih nach Uffo's Fluche, und fanf, alle 

Schreckniſſe ringsum, als täufchende Larven ver, 
D 2 





5 
Hier aber Yegten fie ihrem Verlangen Zügel an, 
weil der 'flarfe Schritt nicht paſſen wollte zu 
ben gebrechlichen Perfonen, die fie nun vor 
fieliten. 

Es war noch frub am Tage. Nur einzeln 
erſi "gingen die frommen Oläubigen zur Kirche, 
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte 
zu finden , wo fie ‚die: Ankunft des Könige Karl 
und feines hohen Hauſes und die heilige Hands 
Iung überhaupt wohl beobachten mochten. Weit 
fie jedoch fchon: fo vielen im Treffen, wie zur 
‚suhtgen Zeit, ald ungertrennlich erfehlenen waren, 
and mancher, wenn er hier ihre Gefichter beis 
ſannnen erblickte, ſie, feibfit.in der falſchen Klei⸗ 
bung, keicht erfeunen ‚onnte , ſo entfernten fit 
1% fehr weit von einander. ; 

u, 

.- Dat Gotteshaus rfäßte Hb immer wir un 
* Ein Geraͤuſch, das ſich jetzt unter der 
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die 
Ankunft der Erfien im Volke. Wittelind ers 
ſtaunte, ald er den Kbnig Karl an der Einerer 
senden Spiße erblidhte. Iſt das derfelbe, fragte 
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft 
gu Pferde hierhin und borthin fliegen.fah, deſſen 
einziged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein mädı 
tiger Sturmwind in die Meinigen tig, daß diefe 





, 53 


gerfioßen und ihre Heil in der Flucht ſuchen 
mußten ? ft das jener Stolze, der fo gern bie 
ganze Welt zum Schemel feiner Füße machte? 
fo fragte ſich Wittefind. Denn der Franken⸗ 
Fönig kam, wunderfhon zwar von Geftalt wie 
fonft, doch in geringer einfacher Kleidung , den 
Blick zur Erde gefenft, Tangfam und demuͤthig 
daher. Als er aber jegt, nad) dem Hochaltar 
ſchauend, mit einer tiefen Kniebengung an feine 
Bruſt ſchlug, da ergriff Wittekind das himm⸗ 
liſche Entzuͤcken in feinem Auge dergeſtalt, daß 
er faft verfucht wurde, fein Knie gleichfald zu 
beugen. 

Hierauf fegte fih König Karl mit feinem 
Hofe in des Volfed Mitte und der Blick des 
Sachſenherrſchers Fonnte nicht von ihm weichen. 
Des Betenden Andacht hielt ihn wie ein heilis 
ges Liebesband feft an feinem Zeinde, und ſchien 
die Feindſchaft felbft mit der Wurzel aus des 
Bewundernden Herzen reißen zu wollen. Und 
wie nun fpäterhin die .chriftliche Gemeinde dem 
Altare nahete, der König Korl voran, und dies 
fer aus des Prieſters Hand den Leib ded Herrn 
eben enzpfangen follte, da faßte den Sachſen⸗ 
fürften. plöglich «in freubiged Erfchreden. Denn 
daſſelbe Kind mit dem Kreuze auf der Schalter, 
dad er im Traume geſehen, fab er hier bei hel⸗ 
lem Sonnenlichte, zwifchen dem Prieſter und dem 


56 


Könige. Nur ſchien es ihm noch um vieles herr⸗ 
licher als im Traume. Und die Strahlen um das 
Peine, liebliche Haupt des Kindes ergoſſen ſich über 
den Koͤnig Karl und floſſen immer weiter und wei⸗ 
ter umher, fo daß auch Wittekind davon berührt 
wurde. Und fie drangen bis in das Herz bed 
Sachſen fo tief, daß dieſer anbetend auf feine 
Kniee ſank und ber ganzen irdifchen Umgebung 
ſich enträdt fühlte. — 

Erſt mit dem allgemeinen Aufbruch der Anı 
baͤchtigen aud der Kirche erlangte der Held fein 
Bewußtfeyn wieder. Da beeilte er fi, die 


Pforte zu erreichen, wo er dem König Karl, dem 
auch in feinen Augen nunentfchiedenen Liebling 


ded Himmeld , indem er fich den gemeinen Bett 
lern zugefellte, und um eine Gabe flehte,, recht 
in's AUngeficht zu ſehen, und bevor er in flatts 
‚ Hier Kleidung am Hofe erfchiene, aus feiner 
Miene noch einmal von der Wahrhaftigkeit bed 
erlebten Wunders fich zu Aberzeugen hoffte. 
Ya, ed ift alles, alled wahr! dachte er dann, 
auf einer Stufe vor der Pforte figend , ald erben 
großen König von weitem erblidte; denn feine 
Züge fhienen noch immer von dem Abglanze bed 
himmliſchen Kindes belebt und verberrliht. Wie 
nun, bei feinem Heraustreten aus ber Pforte, 
Mittefind die Hand nach einem Allmofen aus; 
ſtreckte, da blieb Karl eine Weile vor ihm fichen 














Bilickte ihn, freundlich zwar, aber bergeftaft 
Daß der Sadıfenfürft des freiwillig übernoms 
sen, unmiürbdigen Berhältniffes ſich fchämend, 
Auge tief zur Erde niederfchlug. . 


FSolge mir, Lieber! fagtenun der König Karl | 


ibm , ich habe bier Feine Gabe für Di bei 
: Dand. Da folgte ihm Wittefind, und alled 
rwounderte fich über ded Königs Verlangen, und 
ch mehr, als er in ber Burg den Bettler zu 
nem Geſpraͤche mit ibm allein vor fi lommen 
eg. 
20. 

Wilfommen, Herr Wittelind, fo redete König 
sarl den DBerwunderten fogleih an. Meintet 
sHr die Seflalt des Helden, ber mir oft fo fuschts 
ar gewefen, durch Eure Berlarvung meinem Auge 
u verfteden? Bor Kurzem exit habt Ihr meine 
Hrenvolle Einladung von Euch gewieſen, um 
bald darauf in diefem Anzuge gen Wolmerſtaͤdt 
su kommen! Nach Euerm Gefallen. Jh will 
deßhalb nicht mit Euch rechten ; begehre auch nicht 
zu wiffen, warum hr einem fo feltfamen Eins 


fallenachgegeben habt. Nur das bitte ich, mir _ 


zu erläutern, aus was Urſache ber abgefagtefle 
Zeind des Ghriftenglaubens ſich entſchloß, ber hei⸗ 
ligſten Handlung deſſelben beizuwohnen. Denn 
wiſſet, ſchon in der Kirche iſt Imir Euere Geſtalt 
nicht entgangen, auch das nicht, daß Ihr, eben 











u 


58 


als ich am Altare ftand, Euer Knie und Euer 
Antlitz zur Erde neigtet. Sollte vielleicht der 
Geiſt ded Herrn Euch plöglich erleuchtet haben ?— 

Da bekannte Wittefind alles, was ihm begeg | 
net war, und daß er nun gewiß naͤchſtens die 
heilige Taufe nehmen werde. 

Und Karl ſchloß ihn in feine Arme und fagtes 
Die Erfcheinung, fo Ihr vor und allen voraus 
habt, beweift mir, wie body der Gott des Him ⸗ 
meld und der Erde Eure Belehrung achtet, daß 
er fo viel für Euch gethan hat. Ihr werdet fürs 
der in Gemeinſchaft mit mir nun auch da6 Eurige 
für Ihn thun, Ihr und Eure Sachfen. Denn 
nicht zur Unterjochung dieſes Volkes, fondern 
nur zur Vertilgung feiner fo ohnmächtigen, als 
graufamen Rachegotter, führte ich gegen fie daß 
Schwert. Es kehrt in die Scheide zuruͤck, for 
bald der Gott, der aus Menſchenliebe am Kreuze 
ſtarb, ihre Herzen erleuchtet. Auf Euer Wort 
trauend, nehme ich Euch hiemit zu' meinem 
Baffenbrubder auf und beflätige Eure Würde unter 
‘dem Namen eines Herzogs der Sadıfen. 
Nach kurzem Geſpraͤch fand es ſich, daß die 
beiden großen Fuͤrſten faſt in allem uͤbereinſtimm⸗ 
ten, und fie berenten gar ſehr, es fo ſpaͤt erſt 
erkannt zu haben. 

Herzog Alf, welcher Wittekinds Ruf nach 
Hofe von weiten beobachtet hatte, und jetzt bange 





feinen $reund an ber Burgmauer herums 
ich, ward bald entdeckt und gleichfalld heraufr 
ufen. Er nahm feinen Anftand dem Bunde 
zutreten.: Schon am Ubende erfchienen beide 
ihrer bei dem Schäfer zuruͤckgebliebenen Ritter 
icht am Hofe. Yuch feierten fie dad Dfterfeft 

allgemeiner Erbauung recht andaͤchtig mit. 

21. 

Die naͤchſten Zage nach dem Zefle verfloffen 
nter allerlei. ritterfihen Uebungen zu Ehren ber 
euen , bochgeachteten Freunde. Befonderd feiers 
ich war die Art, mit weldher ber nunmehrige 
yerz0g des Sachſen dem Grafen Heinrich von 
dennenberg wegen ber. letzten Beleidigung auf 
er Wittekindsburg Abbiite hat. Schon damals, 
agte Graf Henrich; hoffte ich, daß Eure Ders 
blendung bald ein Ende nehmen: müfle, und 
bloß darum enthielt ich. mich aller Antwort ; ein 
Umftand, der. meine: beutige kuſt um Vieles 
vergroͤßert. 

Wittekind entdeckte ihm nun, beß der Kleine 
auf feiner Mutter Burg fein Sohn ſei, und 
hörte von dem Darüber Dacherfreuten‘, daß man 
Stau von Hennenberg in den naͤchſten Tagen 
bei Hofe erwarte, wohin fie den Heinen Wiprecht 
mitbringen werde. — 

Herzog Wittefind, ber nun ohne Berzug zus 
rüdgewollt Hatte, befehloß eine fo große Freude 


60 


noch zu erwarten, und den Sohn der von Schus 
fucht nach ihm ganz durchdrungenen Mutter in 
die Arme zu führen. 

Während dieſer Zeit 309 ſich dad Freund⸗ 
ſchaftsband zwiſchen dem Könige Karl und Wits 
teind immer feſter. Smwanchildend wurde oft 
von HR großem Lobe gedacht; auch konn⸗ 
ten beſonders Bertha und Frau Faſtrad nicht 
aufhoͤren, das Fräulein zu ruͤhmen und ihr bal⸗ 
diges Wiederſehen zu wuͤnſchen.‘ Den Fluch bed 
Prieſters verachtete man, da er, wie man glaubte, 
in ihren Verhaͤltniſſen ihr ganz unſchaͤdlich ſei. 
Man verwieß auch deßhalb dem Herzoge von 
Holſtein, wenn er an dieſer Unſchaͤdlichkeit Zwei⸗ 
fel Außerte, und darum ſchleuniger zurüchegehrtn 
feine Meinung zu verſchiedenen Dlalen. 

Alein nur zu bald, faft zugleich mit dar 
Ankunft des Pleinen Wiprechts, Beftätigten ſich 
fs Beſorgniſſe. Es kam naͤmlich als Eilbote 
ein Ritter, von Frau Geva an ihren Gemahl 
gefendet, mit folgender Kunde: Wittefinds bald 
in der dortigen Gegend verlautete Abweſenheit 
hatte bei Uffo und einigen Gaugrafen Unruhe 
erregt, welche durch die Ausſage mehrerer Un 
Yhmmlinge, die ihn und den Herzog Ulf unweit 
Molmerftädt getroffen, noch verftärkt wworden war. · 
@päter hatte man fogar von dem eingetretenen, 
vertrauten Berbältniffe der beiden Helden mit 


x 





6 


näg Katl und ben Feſten an deffen Hofe , ihm 
Shren angeſtellt, Mirtheilung erhalten. Sor 
ich ahndete dem finftern Sinne Uffo's die Urs 
pe und der nahe Fall der Götter, deren Pries 
e er fi nannte — Eined Tages erfcheine 
:änrich von Efchen vor Wittekinds Gemahlin, 
ıd erdffnet ihr dieſe Vorgänge ſowohl, als daß 
deren Werfolg Smanehild auf der Burg felber 
icht mehr vor den Angriffen. ſeines Oheims 
‚cher fei, ja daß mit Einbruch der Nacht die 
Chriſtin, welche dad Saamenkorn des Böfen in 
sie Herzen ber Erften des Volkes geworfen, ald 
ine Berrätherin abgeholt und verurtheilt werden 
ſolle. Uffo's Wuth kenne feine Grängen, und 
es fei alles für feine Verlobte zu fürchten. Dar⸗ 
ander entfegte ſich Frau Geva gar fehr und Fam 
mit dem von Efchen überein, dad Fräulein ihm 
anzuvertrauen, der ihr einen ſichern Aufenthalt 
zu verſchaffen gefobte. Schon war er auch am 
Abende mit ihr auf dem Wehe aus der Burg. 
Allein der mißtrauiſche uffo hatte eine ganze 
Schaar von Lauerern in des Thores Nähe. Man 
erfannte die Fluͤchtenden und bemaͤchtigte ſich 
ihrer. Seitdem wußte niemand was aus ihnen 
geworden war. . 
Um Auskunft darüber zu erlangen, hatte 
Frau Geva den Uffo vergeben zu ſich befcheiden 
laſſen und ihm endlich hei dem Zorne ihres bafd 


— — 


[22 
Hier aber Tegten fie ihrem Verlangen Zügel an, 
weil der flarfe Schritt nicht paſſen wollte zu 
den gebrechlicyen Perfonen, die fie nun von 
ftellten. 

Es war noch fruh am Tage. Nur einefn 
drfi "gingen die frommen Gläubigen zur Kirche, 
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte 
30 Anden , wo fie die. Ankunft ded Könige Karl 
und feines hohen Hauſes und die heilige Hands 
Tung überhaupt wohl beobadjren mochten. Weit 
Me :jedody fhan: fo vieken im Treffen, wie zur 
‚ruhigen Zeit, als unzertrennlic) erſchlenen waren, 
and mancher, wenn er ‚hier ihre Gefichter beis 
fartnen erblickte, ſie, felßfi.in der falſchen Klei⸗ 
bung, keicht erkeunen fonnte ,..fo eurfernten fe 
” fehr weit von einanden Im 

- 1 
1% 


: Des Gottetham faune aa immer wir und 


mai. Ein: Geraͤuſch, das ſich jet unter der 
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die 
Ankunft der Erften im Volle. Wittekind er 
flaunte, als er deu. Abnig Karl an der Eintrer 
senden Spitze erblidse. Iſt dad derfelbe, fragte 
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft 
au Pferde hierhin und dorthin fliegen.fah, deffen 
einziged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein maͤch⸗ 
tiger Sturmwind in die Meinigen tig, daß diefe 





65 


ıtt fand, noch zur rechten Zeit eintreffen 
unten. . 

Deideß die gemeine Reiterruͤſtung, welche 
in Wolmerſtaͤdt angelegt hatten, und das 
rgezogene Bifir, waren nicht geeignet, ihnen 
trauen au gewinnen. Doch galt diefed den⸗ 
ben für’® erfle auch weniger, als die Unfennts 
bieit. 

Se näher fie dem Walde kamen, wo die 
zolksberathungen gehalten zu werden pflegten, 
efto mehr Bewegung nahmen fie auch unter ben 
vehrhaften Männern wahr, bis ihnen endlich 
je Antworten auf ihre behutfamen Erfundiguns 
sen über die Zufammenberufung felbft Feinen 
Iweifel weiter ließen. 

Herr Uffo wird flaunen bei unferer Anrede P 
fagte der Sacjfenfürft zu feinem Waffenbruder, 
als fie am Abende vor der Bollmondnadht fchon 
fehr frühgeitig an dem wohlbefannten Orte eins 
trafen, und hier, nachdem fie die Rofle anger 
bunden, zum erften Diale auf biefer Reife in’s 
Grad gelagert der Ruhe pflegten, und dazu etwas 
Speife und Tranf, daß fie hatten, zu ſich nah⸗ 
men. Beſo nders freute ſich der Held feines klei⸗ 
nen Sohnes, der ohngeachtet der Befchwerben 
einer fo übereiften Reife von dem Schlafe, defr 
fen man ihn bedürftig glaubte, durchaus nichts 

hören wollte! — 


56 


Könige. Nur ſchien es ihm noch um vieles herr 
licher ald im Traume. Und die Strablen um das 
Feine, liebliche Haupt bed Kindes ergoffen fich über 
den König Karl und floffen immer weiter und wei⸗ 
ter umber, fo daß auch Wittefind davon berührt 
wurde. Und fie drangen bis in das Gerz bei 
Sachſen fo tief, daß biefer anbetend auf feine 
Kniee ſank und ber ganzen irdifchen Umgebung 
ſich enträdt fühlte — | 

Erſt mit dem allgemeinen Aufbruch der Anı 
Bächtigen aud der Kirche erlangte der Held fein 
Bewußtſeyn wieder. Da beeilte er ſich, die 


Pforte zu erreichen, wo er bem König Karl, bem ° 
auch in feinen Augen nunentfdiebenen Liebling 


ded Himmels, indem er fich den gemeinen Bett 
lern zugefellte, und um eine Gabe flehte, recht 
in's Ungeficht zu fehen, und bevor er in ſtatt⸗ 
licher Kleidung am Hofe erfchiene, aus feiner 
Miene noch einmal von der Wahrhaftigkeit des 
erlebten Wunders fich zu uͤberzeugen hoffte. 
Sa, es ift alled, alled wahr! bachteer dann, 
auf einer Stufe vor ber Pforte figend , ald erben 
großen König von weitem erblidte; benn feine 
Züge fchienen noch immer von dem Abglanze bed 
bimmlifchen Kindes belebt und verherrlicht. Wie 
nun, bei feinem Deraußtreten aus ber Pforte, 
Mittefind die Hand nach einem Allmoſen aus; 
firedite, da blieb Karl eine Weile vor ihm fichen 











65 

Such; reitet Eured Weges zurüd. Iſt Euer 
rr unter ben Gutgefinnten, fo findet Shr ihn 
viß nicht mehr, und iſt er bei den Andern zus 
geblieben, fo verdient er ſchwerlich, daß Ihr 
n auffischtet und ihm ferner Folge Teiftet. — Das 
terfiwürdigftie, als ich hinwegritt, war ein 

»pfer. 

Ein Opfer? rief Wittekind ahndungsvoll. 

Sin ſchoͤnes, herrliches Fräulein, welches den 
dnig zu dem Glauben der Chriften verführt 
aben fol. -Der Priefter redete lange davon, 
vie ihr Blut ganz allein den Wodan verfühnen 
ınd die Schande von der Sacıfen Waffen abs 
vafchen Tonne. Und als er fo redete und in 
zraufe Flüche und Verwuͤnſchungen gegen bie Ges 
bundene ausbtach, da fland der von Efchen, des 
Prieſters Neffe, an einen Baum daneben eben» 
falld angefeffelt. Indem num ber Priefter des 
Maͤgdleins Bande loͤſete, fo fagte dr zu dieſem: 
Unwuͤrdiger, Du follft Zeuge werden von dem 
Dpfer und der Verzweiflung ber Berfluchten ! 
Da erhob dad Fräulein ihre Stimme und fagte 
ruhig laͤchelnd zu dem Gebundenen: Sieh auf 
mich, Du Guter, und Du wirſt keine Spur der 
Verzweiflung gewahren an ber unſchuldig Sterben⸗ 
den. Aber meine Ergebung in den unerforſchlichen 
Willen des Allerhoͤchſten, und mein Glaube an ſeine 


Weisheit und den himmliſchen Lohn der hen, 
Geſpenſterbuch 6. Theil, 


ald ich am Altare ftand, Euer Knie und Euer 
Untlig zur Erde neigtet. Sollte vielleicht der 
Geiſt des Herrn Euch ploͤtzlich erleuchtet haben ?— 

Da befannte Wittefind alles, was ihm begeg ⸗ 
net war, und daß er nun gewiß naͤchſtens die 
heilige Taufe nehmen werde. 

Und Karl ſchloß ihn in feine Arme und: fagte: 
Die Erfcheinung, fo Ihr vor und allen voraus 
habt, bemweift mir, wie body der Gott des Him ⸗ 
‘meld und ber Erbe Eure Belehrung achtet, daß 
er fo viel für Euch gethan hat. Ihr werdet fürs 
der in Gemeinſchaft mit-mir nun aud) das Eurige 
für ihn thun, Ihr und Eure Sachen. Denn 
nicht zur Unterjochung dieſes Volkes, fondern 
nur zur Bertilgung feiner fo ohnmädhtigen, al 
graufamen Rachegotter, führte ich gegen fie dad 
Schwert. Es Fahrt in die Scheide zuruͤck, für 
bald der Gott, der aus Menſchenliebe am Kreuze 
farb, ihre Herzen erleuchtet. Auf Euer Wort 
trauend, nehme ich Euch hiemit gu’ meinem 
Waffenbruder auf und beflätige Eure Würde unter 
‘dem Namen eined: Herzogs der Sadıfen. 

Nach kurzem Geſpraͤch fand es ſich, daß bie 
beiden großen Fürften faft in allem übereinftimms 
ten, und fie beremten gar fehr, es fo fpät erſt 
erkannt zu haben. 

Herzog Alf, welcher Wittefinde Ruf nah 
Hofe von weiten beobachtet hatte, und jegt bange 


67 
Der Wald ward jetzt immer dichter und dich⸗ 
er, auch ließen ſich ſchon menſchliche Laute ver⸗ 
nehmen. Da fuhr Herzog Wittekinds Hand 
unwillkuͤhrlich nad) dem Schwerte, und er gog es 
Heraus und übergab Alf feinen Wiprecht und 
witte, fo viel der enge Weg es zuließ, weit vor 
aus, feinem blutenden Herzen nad. — 
Obſchon das Häuflein, weiches er.anf einem 
geräumigen Rafenplage Horfand, nicht unbebeu⸗ 
tend war, fo ritt ek doc guten Muthes darauf. 
zu: Wer feid Ihr? ſprach er zornig. Mir hat 
Such berufen ? Was habt Ihr beſchloſſen? Ich Win 
tefind, Euer Bürft und Heerführer, frage Euch das l 
Und das: Ja, er IE! das jetzt hier und 
da aus dem Dunde der Verſammelten bebte, zeugte 
genugſam von ihrem Erſchrecken und ihrer Neue. 
Darauf aber richtete ſich ein Mann, der in 
einiger Gerne am Boden lag, -Tangfam empor 
und rief: Opeifet und toͤdtet den Abtrännigen! 
Und diefer Mann war Ufo, der racheburflige 
Eiferer für feine Götter. 
af den ſprengte Wirtefind an, ühd ſchwang 
fein Schwert Aber das Haupt des Priefterd, und 
ſprach: Wo haſt Du Swanehilden, Du bbfer 
Räuber und Mörder? 
Da erſcholl plöglich ded Fraͤuleins Stimme, 
und entzuͤckt über bad geliebte Reben, das er vers 
E 2 


60 


noch zu erwarten, und den Sohn der von Sehn⸗ 
ſucht nach ihm ganz durchdrungenen Mutter in 
die Arme zu fuͤhren. 

Waͤhrend dieſer Zeit zog ſich das Freund⸗ 
ſchaftsband zwiſchen dem Koͤnige Karl und Wit⸗ 
tekind immer feſter. Swanehildens wurde oft 
von — großem Lobe gedacht; auch konn⸗ 
ten beſonders Bertha und Frau Faſtrad nicht 
. aufhören, das Fraͤulein zu ruͤhmen und ihr bal⸗ 
diges Wieberfehen zu wünfdhen. :- Den Fluch bed 
Prieſters verachtete man, da er, wie man glaubte, 
in ihren VBerhältniffen ihr gang unfchädlich ſei. 
Man verwieß auch beßhalb dem Herzoge von 
Dolftein, wenn er an diefer Unſchaͤdlichkeit Zwei⸗ 
fel äußerte, und barum fehleuniger gurüdbegehrte, 
feine Meinung zu verſchiebenen Dlalen. 

Alein nur zu bald, faft zugleich mit be: 
Ankunft bed Fleinen Wiprechts, Beftätigten fi 
MfS Beforgniffe. Es Fam nämlich als Eilbote 
ein Ritter, von Srau Geva an ihren Gemahl 
gefendet, mit "folgender Kunde: Wittekinds bald 
in der dortigen Gegend verlautete Abweſenheit 
hatte bei Ufo und einigen Gaugrafen Unruhe 
erregt, welche durch die Ausſage mehrerer Uns 
Yommlinge, die ihn und den Herzog Alf unweit 
Molmerfädt getroffen, noch verftäckt worden war. 
@päter hatte man fogar von dem eingelretenen, 
vertrauten Berbältniffe der beiden Helden mit 


\ 








* 


61 


König Kat! und den Feften an deffen Hofe, ihm 
Zu Ehren angeftellt, Mittheilung erhalten. So⸗ 
gleich ahndete dem finflern Sinne Uffo's die Urs 
fache und der nahe Fall der Börter, deren Pries 
fter er fi nannte. — Eined Tages erfcheint 
Heinrich von Efchen vor Wittekinds Gemahlin, 
und. eröffnet ihr diefe Vorgänge fomohl, als daß 
in deren Berfolg Smanehild huf der Burg felber 
nicht mehr vor den Ungriffen ſeines Oheims 
ficher fei, ja daß mit Einbruch der Nacht bie 
Chriſtin, welche dad Saamenkorn bed Böfen in 
Die Herzen ber Erften des Volkes geworfen, als 
eine Berrätherin abgeholt und verurtheilt werden 
ſolle. Uffo's Wuth kenne Feine Gränzen, und 
ed ſei alles für feine Verlobte zu fürchten. Dar⸗ 
über entſetzte ſich Frau Geva gar fehr und Fam 
mit dem von Eſchen überein, das Fräulein ihm 
anzudertrauen, ber ihr einen fichern Aufenthalt 
zu verfchaffen gelobte. Schon war er auch am 
Abende mit ihr auf dem Wehe aus der Burg. 
Allein der mißtrauifche Uffo hatte eine ganze 
Schaar von Fauerern in ded Thores Nähe: Man 
erkannte die Zlüchtenden und bemächtigte fich 
ihrer. Seitdem wußte niemand was aus ihnen 
geworden war. 

Um Auskunft darhber zu erlangen, hatte 
Stau eva den Uffo vergebens zu fich befcheiden 
laſſen und ihm endlich bei dem Zorne ihres bafd 


62 


zuruͤckkehrenden Gemahld zu kommen Befohlen. 
Allein aus feiner Antwort erfah man, daß er 
ſelbſt dem Fuͤrſten den Gehorfam zu werweigern 
wage. R 

Der Bote fügte noch hinzu, daß er unter 
wegs von einer durch Uffo zufammengerufenen 
Volksverſammlung gehoͤrt habe, bei der man auf 
die Wahl eined neuen Heerführers Bedacht neh⸗ 
men wolle \ 

Und die Herzoge von Sachſen und Holflein, 
bochergluͤhend in ihrem gerechten Zorn, thaten 
dieß, und daß fie ohne Verzug die Ruͤckreiſe ans 
treten wollten, fogieich dem Könige Fund. Do 
verweigerten fie die Annahme der Ritter und 
Mannen, welche ihnen dieſer zu Zuͤchtigung der 
Aufrührer anbot. ” ‚ 

Ich kenne, fagte Wittefind, die Meinen zu 
gut, um nicht zu wiffen, daß ich ed hoͤchſtens 
mit einem ‚od er einigen Uebelgefinnten zu thun 
babe. Die Uebrigen find Berbiendete, welche 
mein Erfcheinen ſchon allein gu ihrer Pflicht zur 
ruͤckfuͤhren wird. 

Bald darauf fliegen fie zu Roſſe, wo Bitr 
tekind feinen Heinen Sohn vor fi) figen hatte 


22. 


Die Reife ging Tag und Nacht, fo daß fir, 
wenn im Vollmonde eine Volksverſammlung 


63 


Statt fand, noch zur rechten Zeit eintreffen 
fonnten, 

Beides, Die gemeine Neiterrüftung , welche 
fie in Wolmerftädt angelegt hatten, und das 
vorgezogene Bifir, waren nicht geeignet, ihnen 
Dutrauen zu gewinnen. Doc galt dieſes dens 
felben fuͤr's erfle auch weniger, ald die Unkennt⸗ 
lichkeit. 

Fe näher fie’ dem Walde Famen, wo bie 
Volksberathungen gehalten zu werben pflegten, 
defto mehr Bewegung nahmen fie auch unter den 
voehrbaften Männern wahr, bie ihnen endlich 
die Antworten auf ihre behutfamen Erkundiguns 
gen über die Zufammenberufung felbft Feinen 
Zweifel weiter ließen. 

Herr Uffo wird ftaunen Bei unferer Anrede f 
fagte der Sachfenfürft zu feinem Waffenbruber, 
als fie am Abende vor der Bollmondnadht ſchon 
ſehr fruͤhzeitig an dem wohlbekannten Orte ein⸗ 
trafen, und hier, nachdem ſie die Roſſe ange⸗ 
bunden, zum erſten Male auf dieſer Reiſe in's 
Gras gelagert der Ruhe pflegten, und dazu etwas 
Speife und Zranf, dad fie hatten, zu ſich nahe 
men. Beſonders freute fich der Held feines klei⸗ 
nen Sohnes, der ohngeachtet ber Befchwerben 
einer fo übereilten Reife von dem Schlafe, defr 
fen man ihn bebärftig glaubte, durchaus nichts 
hören wollte! — 


u 


64 


Schon war die Nacht vollig hereingebrochen, 

und noch immer Feiner von allen Gaugrafen 
vorhanden. 
- Geltfam genug! rief Ulf aus. Gollten die 
vielen Nachrichten ber den Volksverein ſaͤmtlich 
feinen Grund haben? Jetzt müßten doch die 
Berathungen begonnen feyn. — 

Allerdings! verfegte Wittefind. Wie aber, 
fo eben gerathe ich auf ben Gedanken, wie wen 
man, dem zeitherigen Gebrauche zumider, da? 
Volk an einen andern Ort berufen hätte? 
„Mit der ganzen Schwere eines finftern Bor 

aefühls überrafchte diefer Argwohn jegt die Für 
ſten, und fogleich feßten fie fich zu Pferde, ohne 
jedoch zu wiffen, wohin fie ihre Schritte zuafl 
lenken ſollten. Und als ſie ſchon ziemlich lange 
bang und duͤſter hin⸗ und hergeritten waren, da 
gewahrten ſie einen Ritter mit mehrern Reiſigen, 
welcher fuͤrbaß zog. Den redete Herzog Witte 
find alfo an: Gemach, Herr Ritter, und ſaget 
und, wenn hr ed wiſſet, wo die Volksver⸗ 
fammlung abgehalten wird, au der unfer Het 
und aufgeböten. 

Da babt Ihr Euch zu ſpaͤt auf dat Bleib 
gemacht, antwortete der Ritter. Denn die mi 
fin Grafen find im Zorn davon gegangen, mit 
ich, weil es darauf anfam, dem Könige Witte 
Find die Treue aufzufündigen. — Daher rathe 


67 





65° 


ich Euch; reitet Eures Weges zurüd. Iſt Euer 
Herr unter den Gutgefinnten,, fo findet Shr ihn 
gewiß nicht mehr, und iſt er bei den Andern zus 
ruͤckgeblieben, fo verdient er ſchwerlich, daß Ihr 
ibn auffuchtet und ihm ferner Folge leiſtet. — Das 
Merkwuͤrdigſte, als ich hinwegritt, war ein 
Opfer. 

Ein Opfer? rief Wittekind ahndungsvoll. 

Ein ſchoͤnes, herrliche Fräulein, welches Den 
König zu dem Glauben ber Chriften verführt 
haben fol. *-Der Priefter rebete lange davon, 
wie idr Blut ganz allein den Wodan verfühnen 
und die Schande von der Sacıfen Waffen abs 
wafchen koͤnne. Und als er fo redete und in 
graufe Flüche und Verwuͤnſchungen gegen bie Ges 
bundene ausbrach, da fland der von Efchen, des 
Prieſters Neffe, an einen Baum daneben eben» 
falls angefeffelt. Indem num ber Priefter des 
Mägdleind Bande Idfete,, fo fagte tr zu diefem: 
Unwuͤrdiger, Du folft Zeuge werden von dem 
Dpfer und der Verzweiflung der Berfluchten ! 
Da erhob dad Fräulein ihre Stimme und fagte 
ruhig TAchelnd zu dem Gebundenen: Sieh auf 
mich, Du Guter, und Du wirft Feine Spur ber 
Berzweiflung gemahren an der unfchuldig Sterben» 
den. Aber meine Ergebung in den unerforfchlichen 
Willen bed Allerhöchften, und mein Glaube an feine 


Meisheit und den himmlifchen Lohn der outer, 
Geſpenſterbuch 6. Theil, 


66 


diefer Haube wird gewiß auch der Deinige wer⸗ 
den! 

Sr if es (hen! rief der von Efchen von 

ihtem Geifte durchdrungen aus. Da griff der | 
Prieſter ſchnell und ſchaͤumend vor Wuth zudem 
Opfermeſſer. — Jetzt war kein Bleiben mehr fuͤr 
mich; erſchuͤttert und empoͤrt von allem, deſſen 
Zeuge ich geweſen, beſtieg ich das Roß und ritt 
mit den Meinigen davon. — O waͤre doch Wit⸗ 
tekind hier, um den treuvergeſſenen Uffo zu zuͤch⸗ 
tigen! 
Er iſt es! rief der Herzog, das Viſir dffnend 
und dem Ritter die Hand reichend. Schrecklich 
ſoll die Nache hereinbrechen über die Stifter des 
heilloſeſten Mordes! — 

und der treue Sachfe frohlockte, dem Helden 
ſein Geleit nach dem Haag bietend, wo die Ver⸗ 
ſammlung gehalten wurde. — 

25. 

Nachdem fie nun, intiefe, ſtumme Gedanken 
verloren, ſchon eine weite Strecke, von keinem 
Laut, als ber Pferde Hufen unterbrochen, zuruͤck⸗ 
‚gelegt hatten, da Töfete ich der Schmerz des Sach⸗ 
fenfürften endlich in Töne auf. Meine liebe, liebe 
Swanehild! riefer. Wollte der Himmel, Bruder 
Alf, daß ich beffer beachtet hätte Deine Bor 
Torge und Dein Warnen! Und den Traum bajı. 
Wie ſchrecklich iſt er doch in Erfüllung gegangen! 





67 


Der Wald ward jet immer dichter und dich) 
ir, auch ließen ſich ſchon menſchliche Laute vers 
nehmen. Da fuhr Herzog Wittelindd Hand 
unwillkuͤhrlich nach dem Schwerte, und er zog es 
heraus "und übergab Alf ſeinen Wiprecht und 
eilte, fo viel der enge Weg es zuließ, weit vor 
aus, feinem bintenden Herzen nad. — 


Dbfchon das Häuflein, welches er.anf einem 
geräumigen Rafenplage vorfand, nicht unbebeus 


tend war, fo ritt es doch guten Muthes darauf 


zu: Wer feib Ihr? fprach er zurmig. Wir hat 
Such berufen ? Was Habt Ihr defchloffen ? Ich, Win 
sefind, Euer Fuͤrſt und Heerführer, frage Euch daß | 


Und das: Ja, er iſt's! das jetzt hier und 


da aus dem Munde der Berfammelten bebte, zeugte 
genugſam von ihrem Erfchredden und ihrer Neue. 

Darauf aber richtete fich ein Mann, ber in 
einiger Gerne am Boden lag, -Tangfam empor 
und rief * Gpeifet und toͤbtet den Abtrünnigen! 
Und diefer Mann war Uffo, der vacheburftigk 
Gtferer für feine Götter. 

Auf den fprengre Wittefind an, ünd ſchwang 
fein Schwert über das Haupt bed Priefterd, und 
ſprach: Wo haft Du Swanehilden, Du böfer 
Mäuber und Mörder ? 

Da erſcholl ploͤtzlich des Fraͤuleins Stimme, 
und entzuͤckt uͤber das geliebte Leben, das er ver⸗ 

E 3 


— — 


— 


66 


diefer Haube wird gewiß aud) der Deinige wer, 
den! 

Cr iſt es (hen! tief der von Eſchen von 

ihrem Geifte durchdrungen aus. Da griff der 
Priefter ſchnell und ſchaͤumend vor Muth zu bem 
Dpfermeffer. — Zegt war Fein Bleiben mehr für 
mich; erfchüttert und empdrt von allem, deſſen 
Zeuge ich geweſen, beflieg ich dad Roß und ritt 
mit den Meinigen davon. — D wäre doch Bits 
tekind hier, um den treuvergeſſenen Uffo zu zuͤch⸗ 
tigen! 
Er iſt es! rief der Herzog das Viſir dffnend 
und dem Ritter die Hand reichend. Schrecklich 
ſoll die Rache hereinbrechen über die Stifter des 
heillofeften Mordes! — 

- Und ber treie Sacıfe frohlockte, dem Helden 
fein Geleit nach dem Haag bietend, wo die Ber 
farnmlung gehalten wurde, — 

235. 

Nachdem fie nun, intiefe, ſtumme Gedanken 
derloren, ſchon eine weite Strecke, von keinem 
Laut, als ber Pferde Hufen unterbrochen, zuruͤck⸗ 
gelegt hatten, da loͤſete ſich der Schmerz des Sach⸗ 
‚fenfärften endlich in Töne auf. Meine liebe, liebe 
Swanehild! tiefer. Wollte ber Himmel, Bruber 
Alf, daß ich beffer beachtet hätte Deine Bor 
Torge und Dein Warnen! Und den Traum dazu. 
Wie ſchrecklich iſt er doch in Erfüllung gegangen! 





77 


zibung, ernf und düfter von Anfehen, tritt 
sein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spar 
ze nimmt aber feine Notiz von ihm und feis 
m Nuf; er tritt an dad Buͤcherbret, greife 
ich einigen Bänden von Pope's Schriften, blaͤt⸗ 
rt etwas darin, und feßt fie fogleich mit einem 
rgerlichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle, 
ber, wie der Autor im Bett mit nicht geringem 
3erdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Titeln 
ad) unten. Pope ruft nöchmald., Der Spas 
ster [Aßt fich in feiner ſtummen Kritit nicht flören, 
ind ald er endlich mit feiner Muflerung zum « 
Schluß kommẽ, geht er nach Popels Schreibtifch, 
aimmt ein Manuffript, an welchem der Beſitzer 
aoch am Abend geſchrieben hat, Tief, blättert, 
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blättert 
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor 
zu bunt, Mein Herr, ruft er den Spanier an, 
wenn Sie Jemand mit Ihrem Befudy beehren 
wollen ‚ fo wählen Sie künftig eine bequemere Zeit. 
Der Spanier würdigt ihn feined Blicks. Und 
wo fie einen Beſuch machen, fährt Pope fort, 
da beobachten Sie gefälligft Die Befege des Anſtan⸗ 
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere. 
‚De Spanier Dlättert ruhig fort mit feinem fata⸗ 
“Ten ironifen Lächeln. Sonſt — poltert nun 
"der enträftete Dichter — fonft wird man gegen 
Sie fein Hawdredhe zu brauchen wiffen, und mit 





68 


nichtet geglaubt, eilte Wirtefind nad) dem Baume, 
. woran man fie wieder gebunden hatte. Alsbald 
löfete fein Schwert die Feſſeln und die noch Uns 
verlegte ſah danfınd zum Dimmel und ihrem 
Oheim aufı 

Noch ſprachlos durch die feltfame Folge der 
Ereigniffe, deutete fie auf den gefeffelren von Efchen. 
Gogleich ‚befreite ber Fuͤrſt auch diefen, in dem 
ibm Swanehild ihren Retter vorflellte. — Als 
nämlich der Priefter das bereits entbloͤßte Opfers 
meſſer zu. weihen, ‚feine Götter angerufen hatte, 
und ſodann eben damit auf das fdımeigende 
Opfer losbrechen wollte, da machte die Verzweif⸗ 
lung Heinrichs Arm riefenflart ; er jerriß feine 
Sande, flürzte mit Wuth auf den Oheim ein, wand 
ihm das Meſſer aus der Hand, und brachte ihm 
ſelbſt eine ſolche Wunde bei, daß er zu Boden 
ſank. 


Doch im Davoneifen mit ‚der fo Gereiteten 
war er fchon wieder ergriffen worden. Sein 
Schidfal, dad ber, nur leicht verwundete, Prie⸗ 
fter felbft ausſprach, follte nun feyn, Swanehil⸗ 
dens Zod zu ſterben; nach ihr. Uffo behielt fich 
vor, zum Danke für feine Rettung beide Opfer 

felbft zu verrichten, fobald er ficy wieder geſam⸗ 
melt haben würde. — 


Der gluͤcliche Ausgang mag den Frevel ver⸗ 





77 


dung, ernſt und düfter von Unfehen, tritt 
ein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spas 
r nimmt aber feine Notiz von ihm und feis 
n Nuf; er tritt an dad Buͤcherbret, greift 
ch einigen Bänden von Pope's Schriften, blaͤt⸗ 
:t etwas darin, und ſetzt fie fogleich mit einem 
gerlichen fatirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle, 
er, wie der Autor im Bett mit nicht geringem 
erdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Ziteln 
xch unten. Pope ruft nochmald. Der Spas 
ter läßt ſich in feiner ſtummen Kritik nicht flören, 
nd ald er endlich mit ſeiner Muflerung zum 
zchluß kommt, geht er nach Pope’s Schreibtiſch, 
immt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer 
och am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert, 
Huͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert 
deitet. Das wird endlich dem zuſehenden Autor 
uw bunt. Mein Herr, ruft ed den Spanier an, 
venn Sie ‘Jemand mit Ihrem Beſuch beehren 
vollen , fo wählen Sie Fünftig eine bequemere Zeit.‘ 
Der Spanier würdigt ihn Peined Blicks. Und 
v0 fie einen Befuch machen, fährt Pope fort, 
da beobachten Sie gefaͤlligſt Die Geſetze des Anſtan⸗ 
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere. 
Der Spanier blaͤttert ruhig fort mit feinem fata⸗ 
fen ironifhen Lächeln. Sonſt — poltert nun 
der entrüftete Dichter — fonft wird man gegen 
Sie fein Hausrecht zu brauchen wiffen, und mit 


% 








68 


nichtet geglaubt, eilte Wittekind nad ben Bäume, 
. woran- man fie wieder gebunden hatte. Alsbald 
löfete fein Schwert die Feſſeln und die noch Uns 
verlegte ſah dankend zum Himmel und ihrem 
Oheim auf. 

Noch ſprachlos durch die ſeltſame Folge ber 
Ereigniſſe, deutete ſie auf den gefeſſelten von Eſchen. 
Sogleich befreite der Fuͤrſt auch dieſen, in dem 
ihm Swanehild ihren Retter vorſtellte. — Als 
naͤmlich der Prieſter das bereits entbloͤßte Opfer⸗ 
meſſer zu weihen, feine Götter angerufen hatte; 
und ſodann eben damit auf das fchiveigende 
Opfer losbrechen wollte, da machte die Verzweif⸗ 
lung Heinrichs Arm rieſenſtark; er zerriß ſeine 
Bande, ſtuͤrzte mit Wuth auf den Oheim ein, wand 
ihm das Meſſer aus der Hand, und brachte ihm 
ſelbſt eine ſolche Wunde bei, daß er u Boden 
ſank. 


Doch im Davoneilen init ‚der fo Gereiteten 
war er fdyon wieder ergriffen worden. Sein 
Schidfal, dad ber, nur leicht vermundete, Prie 
fter ſelbſt ausſprach, follte nun ſeyn, Swanehil⸗ 
dens Tod zu ſterben; nach ihr. Uffo behielt ſich 
vor, zum Danke für feine Rettung beide Opfer 
ſelbſt zu verrichten, fobald er ſich wieder gefam 
melt haben würde. — 


Der gluͤctiche Ausgang mag den Frevel ver⸗ 





79 

ennt er, ber Spanier fer ihm begegnet, und 
ehe auch eine alte Sage in. dem Haufe, daß 

vor Tanger Zeit ermördeter Spanier fich zu 
icen fehen laffe, allein Niemand habe ſich ges 
wet Davon zu fprechen , weil ja der Herr jeden 
‚Stdem Dienft jage, der von Erſcheinungen fi 
v as verlauten laffe Pope will nichts mehr 
‚ven, er verbietet dem Diener, weiter davon zu 
‚reden, indeffen befiehlt er ihm doch, den Neft 
er Naht bei ihm auf dem Sofa zuzubringen: 
50 fchläft er auch felbfi wieberein. Ald er am 
Morgen erwacht , ruft er feinen Diener. Nies 
nandantwortet. Er fiebt nachdem Sofa. Kein 
Diener fehläft darauf. Scheltend, daß ber Bur⸗ 
che gegen feinen Befehl das Zimmer verlaffen ’ 
yabe, zieht er die Klingel, da Fommt es die * 
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre, 
aber fie ift feſt verfchloffen und verriegelt. Pope . 
muß auffiehn undöffnen. Warum bift Du gegen 
meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt | 
der Herr den eintretenden Diener an. Sie Flins 
gelten ja, entfehuldigt dieſer. Aus die ſem 
Zimmer, meine ich, fegte Pope hinzu. Ich foname 
3a nur eben herein, erwiederte der Diener befremdet. 
Warſt Da nicht diefe Nacht hier, ald Dir der 
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener 
fchüttelt bedenflich ben Kopf? der Spanier ? wie 
derholter. Ya, der Spanier, ermwibert ber Ders, 


r [Wu 


Saiten, und nachher Swanehild mit ihrem Neitee 
von Prieflerhand verbunden worden war. — 


In Kurzem verfpärte alled Gachfenvelf den 
Gegen der neuen Lehre, fo baß jedermann nach 
‘der Taufe begierig wurde, 

Wittekind blieb bis an fein feliged Enke der 
frommfte Chrift und treuefle Freund bed nachheri⸗ 
gen Kaiferd Karl, ift auch ald beided noch in ben 
fpäteften Zeiten anerfannt, und von Pabſt Urban 
dem achten, mit Karl zugleich, unter die Zobl 
der Heiligen anfgenpanmen worden, 





Der Shusgeif. 





Anekdote, 


an wollen wir Nummer zwei vornehmen — 
fagte ber Profeffor — indem er Die Schleifen 
feiner Kupferſtichvappen zuſammenſchlang, uno 
nach ber zweiten Abtheilung blidte, die ſchon an 
dem Tiſche lehnte — die, hoffeich, wird Ihnen 
noch beffer zufagen. Uber Sie fehen fo oft nach 
ber Uhr, Brau@ceheimräthin, fait ſollt' ich 
fürchten ... 

Ich felbft fürchte nur — unterbradh bie 
Polizeidirektorin — es wird zu fpät, um 
«ine neue Abtheilung anzufangen, und «ed wär 
wirklich Schade, dieſe ſchoͤnen, ausgeſuchten Blaͤt⸗ 
ter bloß fluͤchtig zu durchlaufen. Wenn Ihre 
Zeit es «in andermal geſtattet... 

Es iſt ja noch gar nicht ſo ſpaͤt — entgeg⸗ 
nete ber Polizeibirekt or ſelbſt, der ſchon 


72 


befchäftigt war, bie fehmeren Pappen auf den 
Tiſch zu heben — Wir bringen noch recht bequem 
die ganze folgende Abtheilung durch, Wie kommt 
es, daß Du heut foeilig bit? 

Man ift doch jegt am liebſten Abende zu 
Haus — erwiberte die Geheimräthin — es 
iſt doch immer ficherer, “ 

Sicherer ? — fragte der Poligeidireftor 
lachend — Du machſt meiner Amtöführung ein 
gutes Kompliment! Wo fol denn jegt Unfichers 
beit entfliehen, befonderd da wir unfre militäris 
{hen Sicherheitsſtbrer los find? 

Eben darum — fagte Jens — Sie wuͤr⸗ 
den und nicht verlaffen haben, wenn fie nicht 
ſelbſt an ihrer Sicherheit gegweifelt hätten, Wahrs 
ſcheinlich find die Feinde fehr in unferer Nähe, 
und wie leicht entfichen da nicht Unruhen, wo 
man «6 am wenigflen ermartet, 

R D, wenn Sie weitet nichts fürchten liachte 
der Profeffor — da laſſen Sie und ganz 
ruhig unfere Bilder vollends durchgehen. Bis 
zu Ankunft der Feinde fliege voch manch Tröpf- 
ben Zeit vorüber, und ich denke, wir. werben 
früher unfre fogenannten Veſchuͤtzer wiederſehn, ehe 
wir unfre Feinde, oder vielmehr Vefreier, denn 
Feinde giebt es nicht mehr, zu fehen bekommen. 
Indeffen ift ihre Ahndung body nicht ganz ohne 
, Grund, denn gleich in den. srflen Hlättern hier - 


23 


werde ich Ihnen einige der Nord s Drientalen, 
wenigftend im Bilde vorzeigen können. 

Ein andermal, bit id) — ermiberte die 
Aengſtliche — Wenn Gie meine Unruhe 
fühlten, Sie würden mich Selbſt gern in mei⸗ 
ner Wohnung wiffen, 

Aber wirflid — fagte ber Geheimrath 
beruhigend — Du bift ganz ohne Grund in 
Eorgen. Rad) den heutigen Nachrichten fünnen 
und wohl die nächfien Tage manche Friegerifche 
Ereigniſſe, oder doch wenigften® fremde Gaͤſte mit, 
Bringen, aber für Morgen wolle’ ich faft noch 
ſiehn, und für .diefen Abend iſt auch nicht der 
entferntefte Grund, etwad zu erwarten. 

Man fuchte vergebens von allen Seiten Gründe 
auf, bie Geheimraͤthin von dem Ungrund ihrer 
Furchtſamkeit zu überzeugen ; fie warb immer aufs 
fallender aͤngſtlich, und endlih um bie Gefells 
(daft und dad Vergnügen des Abende nicht zu 
flören,, ſchlug fie vor, der Proferffor möchte 
fie begleiten, und bei ihrem Mann einige Ge 
mählde und Kupferſtiche betrachten, über melche 
man vorhin gefprochen und geflritten hatte. Der 
Vorſchlag ward gern angenommen, der Profefr 
for verſchloß lachend, aufder Geheimraͤthin 
ernſtes Erinnern, feine Thüren doppelt, und nun 
zog man veranägt unter mancherlei Scherzen aus 
dem Haufe bed Profefford in die Wohnung 


714 


bed Poligeibir — wo das Geſpraͤch vor 
den neuen Sehenswuͤr 
wieder in den vorigen lebendigen Gang gerieth. 

Sollte man nicht glauben — ſagte der Gw 
heimrath, ald feine Gemahlin ſich eben ent⸗ 
fernt hatte — meine Frau wär eine Geifterfehe 
sin? Ihre fonderbare Unruhe macht mir fafl 
felbft bang. Ich bin dergleichen gar nicht vor 
ihr gewohnt. | 

Die Folge von den Geſpraͤchen, die jegt an 
der Zagedorbnung find — entgegnete der Pro 
feffor — Glauben Sie doch nicht an bergleis 
hen Dinge. Wir werden fo volltommen ruhig 
und ungeflört Ihre fchönen Kunſtſchaͤtze betrachten 
Tonnen, ald ob wir die Koſaken und Baſchkiren 
nur noch aus Neifebefchreibungen Tennten. 

Der Polizeidirektor fchien nicht dieſer 
Meinung. Er warb etwas zerfirent, und kaum 
fonnte des Profeſſors Erzählung von den 
deutſchen Alterthuͤmern, die er in einer Berfteis 
gerung erhalten, und zur Borzeigung für Diefen 
Abend beftimmt hatte, ihm einige Aufmerkſam⸗ 
Zeit abgewinnen, Der Profsffor lächelte einige 


Mal über den Glauben an Vorahndungen, den 
jener durch feine Bangigfeit verrieth, und nahm 


aus Seelenlehre und Naturwiffenfhaft alle Bes 
weismittel zufammen, um den Ungrund eines fol 
eben Glaubens darzuthun. 


igfeiten der Kunft bald ! 








75 


Y Tann gegen alle Ihre Gründe nichts eins 


wenden — fagte endlich der Geheimrath — 
ald fo manche Erfahrungen, die dab Gegentheil 
Ihrer Meinung beflätigen, und und wenigften® 
auf Augenblicke die Ausſicht in Gegenden gewähr 
zen, weldhe von der Wilfenfchaft noch nicht aufs 
gehellt find. Was glaubwärbige Männer erzaͤh⸗ 
len, bei weldyen ber Verdacht eined Beſtrebens, 
Andre taͤuſchen zu wollen, unmoͤglich ift, kann 
man, wenn auch in einigen Fällen, doch nicht 
durchaus und ohne alle Ausnahme verwerfen. 

Marum nit? — erwiderte der Brofef 
for — wenn die Sache an fich felbft gegen alle 
Gefege der Möglichkeit ſtreitet? Die rechtlichſten 
und glaubwuͤrdigſten Männer Können felbft ges 
täufcht werden, Uebrigens ift ed mit den Ahns 
dungen , wie mit den Irrlichtern. Jedermann 
hat nur davon gehört; Fein Einziger, ben ich 
darüber geſprochen habe, hatte die Erfahrung 
ſelbſt gemacht. Che ich nicht ſelbſt einen Geiſter⸗ 
feber zu feben bekomme, der mich ernfihaft und 
ald rechtlicher Dann verfichert, er habe wachend 
und bei vollem, unbezweifeltem Beroußtfeyn ſelbſt 
etwas dergleichen erlebt, eher glaub’ id) von dem 
Allen fo viel ald nichts. 

Wenn aber ein folcher Seiſterſeher fich fände 
— fagte der Geheimrath — dann würden 
Sie glauben? 


76 


"Hm — verfehte Jener mit zweifelnden |' 
Achzelzuden — immer noch erfi nur nad ger } 
nauer Prüfung. Taͤuſchung iſt gar zu Teiche 1 
möglih. Pope's Beiſpiel ift mir ſtets eine große 
Warnung gewefen. 

Der Geheimrathmolte das Nähere wiffen, 

Iſt Ihnen die Anekdote unbefannt? — fragte 
der Profeffor— Pope war ein entfchiedener 
Gefpenfterläugner, und hatte die eigne Fatalität 
ſtets Bedienten zu befommen, Die in dem Grade 
Teihtglaubig waren, wie er felbft ſchwerglaͤubig. 
Um ihre Gefpenfterfurcht zu verſcheuchen, verbot 
er ernftlih in feinem Haufe von Erſcheinungen 
oder aͤhnlichen Dingen auch nur zu ſprechen, und 
drohte Jedem, ber ein Wort davon erwaͤhnte, 
oder überhaupt Geſpenſterfurcht verrieth, mit aus 
genblicklicher Entlaffung aus feinem Dienft. Pope 
hatte nun eben eine neue Wohnung bezogen, fi 
bequem und nett darin nach feinen Wünfchen 
eingerichtet, und wollte die erfie Nacht in den 
fertig gewordenen Zimmern ſchlafen. Aus Bor 
ficht verriegelt er der unbefannten Umgebungen 
wegen vor bem Schlafengehn die Thür, und 
verſucht nun, feiner Gewohnheit nach, fich in 
den Schlaf zu leſen. Nach einiger Zeit bemerkt 
er eine Bewegung an der Thür feined Zimmers. 
Sie Öffnet ſich, indem er nach dem Geräufh 
umblit, und eine Geftalt in alter ſpaniſcher 


77 


Fleidung, ernft und duͤſter von Anfehen, tritt 


Berein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spas 
nier nimmt aber Feine Notiz von ihm und feis 
nem Ruf; er tritt an dad Buͤcherbret, greift 
nach einigen Bänden von Pope's Schriften, bläte 
tert etwas darin, und ſetzt fie fogleich mit einem 
ärgerfichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle, 
aber , wie der Autor im Bett mit nicht geringem 
Verdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Titeln 
nach unten. Pope ruft nochmals. Der Spas 
nier laͤßt ſich in ſeiner ſtummen Kritik nicht ſtoͤren, 
und als er endlich mit ſeiner Muflerung zum 
Schluß fommt, geht er nach Popes Schreibtiſch, 
nimmt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer 
noch am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert, 
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert 
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor 
zu bunt. Mein Herr, ruft er den Spanier an, 
wenn Sie Jemand mit Ihrem Beſuch beehren 
woillen, fo wählen Sie kuͤnftig eine bequemere Zeit. 
Der Spanier würdigt ihn Peined Blicks. Und 
wo fie einen Beſuch machen, fährt Pope fort, 
da beobachten Sie gefälliaft die Geſetze des Anftans 
des, und durchmuftern Sie nicht fremde Papiere 
Der Spanier Diättert ruhig fort mir feinem fatas 
fen ironifchen Lächeln. Sonſt — poltert nun 
der enträftete Dichter — fonit wird man gegen 
Sie fein Hausrecht zu brauchen wiffen, und mit 


P 








78 


den Worten fährt er aus dem Bett, reißt feinen 
Degen au6 ber Scheide, und flürmt damit auf 
den Spanier ein. Der fenft gelaffen die Hand, 
womit er die Papierbfätter hält, nnd indem er 
Pope'n mit bemfelben Falten Spottlaͤcheln in dad 
Geſicht ſieht, Öffnet er mit der andern Hand feine 
Bruſibekleidung . Hier erblidt Pope mit Schau 
dern eine blusende Wunde, größer und tödslicher, 
als er felbft fie dem nächtlichen Störer beizubrin ⸗ 
gen gefonnen war. Erſchuͤttert tritt er zurüd 
und Hingelt feinem Diener. Vergebens. Er 
wiederholt den Muf, niemand erſcheint, nur der 
Spanier ſteht noch gelaffen am Schreibtiſch, und 
fegt ruhig die Durchficht der Papiere fort. Mein 
Herr, fagt endlich Pope, wer Sie auch feyn 
mögen, Sie erzeigen mir eine Gefälligfeit,, wenn 
Sie mid) jeßt verlaffen. Der Spaniet nidt be 
willigend, legt bie Blätter ans der Hand, und 
entfernt fich langſam und ernſthaft. Faſt betaͤubt 
Yon dem ſeltſamen Abenteuer wankt Pope auf 
fein Lager zuruͤck, da kommt fein Bedienter, und 
fragt, was der Herr Beficht ? Iſt Dir Niemand 
begegnet? redet Pope ihn anı Ja, auf der Treppe / 
antwortet der Diener. Wer ware, wie fahr 
aus? fragt Pope weiter. Der Diener zoͤgert mit 
der Antwort. Der Herr dringt in ihn, jener 
entſchuldigt ſich mit dem Verbote des Hetrn über 
gewiſſe ihm mißfaͤllige Dinge zu fprechen, endlich 


79 
Bekennt et, der Spanier fer ihm begegnet, und 
ws gehe auch eine alte Sage in. dem Haufe, daß 
ein vor langer Zeit ermördeter Spanier fich zu 
Zeiten fehen laffe, allein Niemand habe fich ges 
trauet davon zu fprechen , weil ja der Herr jeden 
aus dem Dienft jage, der vdn Erfcheinungen ſich 
etwas verlauten laſſe. Pope will nichtd mehr 
hören, er verbietet dem Diener, weiter davon zu 
fprechen, indeſſen beficehlt er ihm doch, den Neft 
der Nacht bei ihm auf dem Sofa zugubringen: 
So ſchlaͤft er auch felbft wieder ein. Als er am 
Morgen erwacht , ruft er feinen Diener. Nie 
mand antwortet. Er ſieht nach dem Sofa. Kein 
Diener ſchlaͤft darauf. Scheltend, daß der Bur⸗ 
ſche gegen feinen Befehl dab Zimmer verlaffen 
habe, zieht er die Klingel, da kommt es bie 
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre, 
aber fie ift feſt verfchloffen und versiegeln Pope 
muß aufftchn undöffnen. Warum bift Du gegen 


meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt 


der Herr den eintretenden Diener an. Sie Hins 
gelten ja, entſchuldigt dieſer. Aus -diefem 
Zimmer, meine ich, ſetzte Pope hinzu. Ich fomme 
ja nur eben herein, ermwiederte ber Diener befremdet. 
Warſt Du nicht diefe Nacht hier, ald Dir ber 
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener 
ſchuͤttelt bedenklich den Kopf? der Spanier ? wie 
derholter. Ja, der Spanier, erwidert ber Herr, 


80 


ber bier bei mir war, und den Du wahrfcheinfich 
bereingelaffen haft. Der Dieneer ſieht feinen Herrn 
zweifelhaft an, und erinnert ihn, daß die Thüre 
ja von innen verriegelt geweſen. Haben Sie 
vielleicht lebhaft geträumt ? fragt er zuletzt bes 


fänftigend. Getraͤumt ? wiederholt Pope ärger | 


ich , ſtehn dort nicht die Bücher noch verkehrt, 
Die ber ungebetene Beſuch mir umgedreht hat ? 
Beide blicken nach dem Buͤcherſchrank, aber alle 
Baͤcher fiehen noch aufrecht, und in ber Ordnung, 
wie fie Pope am vorigen Zage felbft aufgefiellt 
hatte. Geh nur, fagt er jeft lachend zum Dies 
ner, ich wollte Deine Herzhaftigkeit prüfen, Du 
bift werth in meinem Dienfte zu bfeiben. — Es 
war alfo ein Traum, was Popen fo fehr geängs 
ftet hatte, daß er beinah zum Sefpenfterglauben 
ſich bekehrt hätte, und fo ift ed ın allen Fällen 
nur mehr oder weniger fcheinbäare Täufchung, was 
einen folchen Glauben an Unmdglichkeiten erregt 
ober begünftiget. 

In allen Zällen ?— wieberholteder Geheim 
rath — das moͤcht' ich nicht mie Ihnen behaupten. 
Mir ſelbſt iſt einmal ein ſonderbarer Zufall be 
gegnet, an den ich viel Jahre lang nicht gebadit 
Babe, der mir aber eben jeßt fehr lebhaft in dab 
Gedaͤchtniß zuruͤckkehrt, und nicht wie Poypes 
Spanier ein Traumbild war. Ich will Ihnen 





den Vorfall erzählen. Daß ih Gie nicht mit 


Bi 


einer Erdichtung taͤuſchen will, werden Sie mel⸗ 
ner ernſien Verſicherung glauben. Urtheifen Gig, 
wenn Sie Allee gehört haben, ob ich wohl felbſt 
unter den Umſtaͤnden, welche Rt.) Ihnen gang, 
ereu angeben will, getäufcht. werden konnte. J 


Es wird etwas uͤber zehn Jahre her ſeyn, 
als ich in der Kammer zu M.als Rath 
angeſtellt war. Ich lebte noch aunverheirathet 
uͤnd war ziemlich beweglich, meine Kollegen im 
Gegentheil liebten mehr die bebaglicht Huhe, und 
fo nahm ich gewöhnlich ihnen die Geſchaͤfte ab, 
die Reiſen in etwas entfeknie Gegenden nötig‘ 
machten. Cnft‘, "als ich mich. eben, zu eine 
ſolchen Reiftanfehtikte, bie mich bei Kloſier Wall 
bach vorbeiführte, dat mich ‘einer der ältern Kam 
merräthe da diefer ‚Gelegenheit‘ alt Feiner bie 
Gebäude dieſes Kinfler® in Augenſchein zu veh⸗ 
mem Es war ſeit Yähger Zeit id’ cn Amt vor 
mwanbelt worden, und bie Amleute harten vols 
mald ſchon öft \im’ "Werbefferuße "DIR" alten" Ge⸗ 
Bäube-argefucht. Als wir fie rl her Kam⸗ 
mer endlich ‚Suiltahanh, , fand der neue Amt⸗ 
mann den Bad umdthig, And. wolie ſich mit 
bein bewohnbaren Thelie dei‘ Klofterß begnügen, 
wenn Man ihm dagegen einige andere Wequen⸗ 
ſichkeiten geſtatieni wuͤtde. Kurz, ich ſolite mein 
Gutachten über ber Zuſtand der Ahibo daude 


Beſpenſtethuch 6. Theil. 5 


82 
deben, und über die Nothwendigkeit einer Aus⸗ 
beſſerung ober eines neuen Baues. 

Auf der „Hinreife: zu meinem eigentlichen Ger 
ſthaͤft, begnugte ich mich, das Kofler im Vor⸗ 
überfahren zu betrachten, und es geflel mir von 
bem Amtmann, daß er die alten gothiſchen For⸗ 
tijen, die von ihren Bergen recht duͤſter und 
pemärig, in die Ebene herunterfahen, nicht einer 

equemern Wohnlichkeit wegen, in ein modernes 
Gebäude wollte umfchaffen laſſen. Ich freute 
mie auf die. näßere Bekanntſchaft mit ihm und 
ai ‚feinen ‚altertpämlichen Umgebungen. 

"Huf, ı meiner Ruͤcreiſe kam ich niemlich ſpaͤt 
FR ‚dem, pker. an, . Der wntergehenbe Mond 
Beleuchtete durch, ‚finftre Sturmmolfen. fparfam die 
alten. ‚Fhürıge und dunfeln grauen Mauern, die 
mir. ‚Indeffen ei ibrem Alter noch ziemlich wohl 
erhalten ſchienen Die Amtmannin, tine etwas 
ältliche, A aber och ziemlich raſche Stau, bewill⸗ 
iüonmnche mich und entfehuldjgre die Abweſenheit 
ihres Manned, mit einer, amtlichen Reife, von 
welchen, er erft om folgenden Lage zuruͤckkommen 
werde, ‚Sie ſchien darüber, ‚fehr. ig Berlegenheit, 
und. ich haite Hft zu verſichern, daß mir bei 
meiner unangeineideten Ankunft die Geſchaͤftab⸗ 
weſenheii des Beamten gar nicht defrembend feyn 
Tonne ‚und daB morgen binlaͤngliche Zeit ſei, 
meinen Auftrag au vollziehen. Indeſſen fand ich, 


85 


daß ich bie Ruhe ded Haufed geftort haben 
mochte, ich ließ mir mein Schlafzimmer zeigen, 
und ein Toͤlpel von Knecht. führte mich durch 
dunkle Kreuz » und Quergänge zu einer alten 
finftern Zelle mit gothiſchen Fenſtern und Schnoͤr⸗ 
fein, und winfchte mir eine unterthänig gehors 
famfte Nacht. Ermüdung von der Reife und 
etwas Langweile brachten mich zeitig auf daß 
Bert, und ich fchlief bald ein. Ich weiß nicht, 
wovon ich nach einigen Stunden erwachte, aber 
indem ich wieder einzufchlummern fuchte, hörte 
ich ſonderbare Toͤne wie non ſchweren, Iangfamen, 
ungeheuern Fußtritten. Je Iänger ich hotchte, 
um fo unheimlicher ward mir bei dieſem Geräufch. . 
Die Schritte fihienen einem ganz fremdartigen 
Weſen anzugehören, und zumwellen war ed mir, 
als zitterte von ihnen der Grund, wiewohl der 
Schall ſelbſt nicht fehr laut, und nur, wie aus 
einer tiefen Ferne toͤnte. Sch fchauderte mehr⸗ 
mal zuſammen', wiewohl ich mir felbft meine 
Surchtfamfeit verwies, und ich bemühte mid 
vergebens unter diefen Toͤnen ben Schlaf herbeis 
zueufen. Endlich zu meiner Freude “ward es 
ſtille, aber nicht lange, da rafchelte ed an meis 
nee Thür, und ich glaubte ein leifed Klopfen 
zu vernehmen. 3ch richtete mich im Bett auf 
und flarrte nach der Thür hin, ed blieb aber ruhig. 
Kaum hatte ich mich wieder gelegt ald von neuem 


U A 


0 un En En ee A — —5— 57—775 — 7577⏑⏑⏑. — 


44, 
das Nafcheln und Klopfen toͤnte, und als ich hin⸗ 


blickte, ſah ich ſogar deutlich die Thuͤre ſich bewegen. 


Einbildung! — tief ber Pro feſſor dazwi⸗ 
ſchen — nichts als Einbildung! Taͤuſchung durch 
die aufgeregte Fantaſie! 

Nichts weniger — fuhr der Geheimrath 


fort — Sie werden mehr hoͤren. Ich ſah deut⸗ 


lich die Thuͤr ſich bewegen und rief laut: Wer 
da! Da ward es von neuem fill, aber nich 


lange, fo klopfte es wieder und färfer, und die 


Thür ward gebffnet. 
Nein, forschen Sie im, Ef - — unter⸗ 
brach der Profeffor. 





Im vollen Ernſte — erroiderte der Geheim⸗ 


| rath — Das ging mir nun zu weit. Ich 


ſprang vom Bett. ‚auf, gegen die Thuͤre zu, und 
bier fah ich deutlich eine ſchlauke, weiße, weib⸗ 
liche Geſtalt, in einem Tchwachen Lichtſchimme 
bon der Thür hinwegſchweben. Sie ſchien mis 
zu winfen. Ich ergriff ein Licht, meine Furcht 
wich einer faſt wilden Herzhaftigkeit. Die Ge 
ftalt glitt durch einige dunkle Gänge, ich eilte 
ihr na, ohne ſie zu erreichen Auf einmal 


verfhwand fie, aber wie ich an den Dre kam, 


wo ich fie zuletzt gefehn hatte, entdecke ich eim 
Treppe. Ih glaubte noch in der Tiefe etwas 
von dem biaffen Schimmer zu bemerken, ich eile 
hinab, aber nichts war rings um mich zu [chen 


83 


Eine offene Thür fland mir entgegen, ich trete 
Binein ‚und frifche Luft weht mich an ‚ ich finde 
mich unger freiem Himmel Cine Menge Erzaͤh⸗ 
lungen von ähnlichen Ubentheuern kreuzen fih in 
meinem Kopfe. Ich fehe mich überall nach meis 
nem geifligen Sührer um, indem ſchreckt mich 
ein fürdhterliched Gekrach aus meinen Rachfor⸗ 
(dungen, die Erbe zittert unter mir, eine Staubs 
wolke verhüllt mir alle GSegenflände, ich unters 
[Heide nur ein lautes verwirrted Geſchrei, Leute 
laufen von allen Orten herbei, und es zeigt fich, 
daß ber ganze Theil des Amtsgebaͤudes, in wels 
dem ich geſchlafen hatte, eingeflürzt war; eine 
Diertelftunde früher, und ich war unter Sen 
Truͤmmern begraben; rief mich nicht jene ſelt⸗ 
fame Erſcheinung aus meinem Zimmer, fo theilte 
ih das Loos meined Bettes, das zerfchmettert 
unter dem Schutte gefunden ward. ch eilte 
nun, aus diefem unhelmlichen Orte gu Fommen, 
500 der amtliche Zweck meiner Gegenwart ohnes 
hin nicht mehr Statt finden’ konnte. Deßwegen 
fand ich nicht einmal nöthig die Ruͤckkehr des 
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter der 
Hand Erfundigungen ein, ob vielleicht ſchon frür 
ber in den alten Kloftergebäuden etwas unheim⸗ 
Kiched bemerkt worden fei, aber Niemand wollte 
das Mindefle vernommen haben, ich erzählte dar 
Her auch Niemand von meinem Abentheuer, und 


76 


"Hm — verfehte Jener mit zweifelndem 
Achzelzuden — immer noch erfi nur nach ges 
nauer Prüfung. Taͤuſchung iſt gar. zu leicht 
möglich. Pope's Beiſpiel ift mir fletd eine große 
Warnung gewefen. 

Der Geheimra th wollte dad Nähere voiffen, 

Iſt Ihnen die Anekdote unbekannt? — fragte 
der Profeffor — Pope war ein entfchrebener 
Gefpenfterläugner , und hatte die eigne Fatalität 
fletd Bedienten zu befommen, Die in dem Grade 
leichtglaubig waren, wie er felbft ſchwerglaͤubig. 
Um ihre Geſpenſterfurcht zu verſcheuchen, verbot 
er ernfllich in feinem Haufe von Erfcheinungen 
oter ähnlichen Dingen auch nur zu fprechen, und 
drohte Jedem, der ein Wort davon erwähnte, 
oder überhaupt Geſpenſterfurcht verrieth, mit aus 
genblicklicher Entlaffung aus feinem Dienft. Pope 
hatte nun eben. eine neue Wohnung bezogen , fi 
bequem und nett darin nach feinen Wänfchen 
eingerichtet, und wollte die erfle Nacht in ben 
fertig gewordenen Zimmern fihlafen. Aus Bor 
ficht verriegelt er der unbelannten Umgebungen 
wegen vor dem Schlafengehn .die Thür, und 
verfucht nun, feiner Gewohnheit nach, ſich in 
den Schlaf zu leſen. Nach einiger Zeit bemerkt 
er eine Bewegung an der Thür feines Zimmers. 
Sie Öffnet fi, indem er nah dem Geräufd 
umblidt, und eine Seftalt in alter fpanifcher 


‘ 


77 


Kleidung, ernft und düfter von Unfehen, tritt 


herein. Pope ruft die Erfcheinung an, der Spas 
nier nimmt aber Feine Notiz von ihm und feis 
nem Ruf; er tritt an bad Buͤcherbret, greift 
nach einigen Bänden von Pope's Schriften blaͤt⸗ 
tert etwas darin, und feßt fie fogleich mit einem 
ärgerlichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle, 
aber , wie der Autor im Bett mit nicht geringem 
Berdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Ziteln 
nad) unten. Pope ruft nodhmald. Der Spas 
nier laͤßt fich in feiner ſtummen Kritif nicht flören, 
und ald er endlich mit feiner Muſterung zum 
Schluß kommẽ, geht er nach Popes Schreibtiſch, 
nimmt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer 
noch am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert, 
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert 
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor 


zu bunt. Mein Herr, ruft er den Spanier an, 


wenn Sie Jemand mit Ihrem Beſuch beehren 
wollen, ſo waͤhlen Sie kuͤnftig eine bequemere Zeit. 
Der Spanier wuͤrdigt ihn keines Blicks. Und 
wo ſie einen Beſuch machen, faͤhrt Pope fort, 
da beobachten Sie gefaͤlligſt die Geſetze des Anſtan⸗ 
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere. 
Der Spanier blaͤttert ruhig fort mit feinem fata⸗ 
fen ironifhen Lächeln. Sonſt — yoltert nun 
Der enträftete Dichter — fonft wird man gegen 
Sie fein Haudrecht zu brauchen wiffen, und mis 


78 


den Worten fährt er aus dem Bett, reißt feinen 
Degen aus der Scheide, und flürmt damit auf 
den Spanier ein, Der fenkt gelaffen die Hand, 
womit er die Papierblätter hält, nnd indem er 
Pope'n mit demfelben Falten Spottlaͤcheln in das 
Geſicht ſieht, Öffnet er mit der andern Hand feine 
Bruſtbekleidung . Hier erblickt Pope mit Schau 
dern eine biutende Wunde, größer und toͤdtlicher, 
als er felbft fie dem nächtlichen Störer beizubrin / 
gen gefonnen war. Erſchuͤttert tritt er zurüd 
und Mingelt feinem Diener. Vergebend. Cr 
wiederholt den Ruf, niemand erſcheint, nur ber 
Spanier ſteht noch gelaffen am Schreibtifch, und 
fegt ruhig die Durchficht der Papiere fort. Mein 
Herr, fagt endlich Pope, wer Sie auch ſeyn 
mögen, Sie erzeigen mir eine Gefälligkeit, wenn 
Sie mich jegt verlaffen. Der Spaniet nickt ber 
willigend, Tegt die Blätter aus der Hand, und 
entfernt fich langſam und ernſthaft. Faſt betaͤubt 
von dem ſeltſamen Abenteuer wankt Pope auf 
ſein Lager zuruͤck, da kommt ſein Bedienter, und 
fragt, was der Herr befiehlt ? Iſt Dir Niemand 
‚begegnet? redet Pope ihn an Ja, auf der Treppe, 
antwortet der Diener. Wer war es, wie fah er 
aus? fragt Popeweiter. Der Diener zoͤgert mit 
der Antwort. Der Herr dringt in ih, jener 
entſchuldigt fich mit dem Verbote des Herten über 
gewiſſe ihm mißfäßige Dinge zu ſprechen, endlich 


Bu __.. 


79 


dekennt et, der Spanier fer ihm begegnet, und 
es gehe auch eine alte Sage in dem Haufe, daß 
ein vor langer Zeit ermördeter Spanier ſich zu 
Zeiten fehen laffe, allein Niemand habe ſich ges 
trauet Davon zu fprechen,, weil ja der Herr jeden 
aus dem Dienft jage, ber von Erfcheinungen ſich 
etwas verlauten laffe. Pope will Nichts mehr 
hören, er verbietet dem Diener, weiter davon zu 
ſprechen, indeffen befichlt er ihm doch, den Neft 
der Nacht bei ihm auf dem Sofa zuzubringen. 
So ſchlaͤft er auch ſelbſt wieder ein. Als er am 
Morgen erwacht, ruft er ſeinen Diener. Nie⸗ 
mand antwortet. Er ſieht nach dem Sofa. Kein 
Diener ſchlaͤft darauf. Scheltend, daß der Bur⸗ 
ſche gegen feinen Befehl das Zimmer verlaſſen 
habe, zieht er die Klingel, da kommt «8 bie 
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre, 
aber fie ift feſt verfchloffen und verriegelt. Pope 
muß auffiehn und öffnen. Warum bift Du gegen 
meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt 
der Herr den eintretenden Diener an. Sie klin⸗ 
gelten ja, entfchuldige dieſer. Aus dieſem 
Zimmer, meine ich, feßte Pope hinzu. Ich komme 
ja nur eben herein, erwieberte der Diener befremdet. 
Warſt Du nicht Diefe Nacht hier, ald Dir der 
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener 
ſchuͤttelt bedenklich den Kopf? der Spanier ? wies 
derholter. Ya, der Spanier, erwibert des Herr, 





80 


ber Bier bei mir war, und den Du wahrſcheinlich 
hereingelaffen haft. Der Dieneer ficht feinen Herrn 
zweifelhaft an, und erinnert ihn, daß die Thüre 
ja von innen verriegelt geweſen. Haben Gie 
vielleicht lebhaft getraͤumt ? fragt er zulegt bes 
fänftigend. Getraͤumt ? wiederholt Pope ärgers 
lid) , ſtehn dort nicht die Buͤcher noch verkehrt, 
die ber ungedetene Beſuch hir umgedreht har 2 
Beide blicken nach dem Bücherfchranf,, aber alle 
Bücher fiehen noch aufrecht, und in der Ordnung, 
wie fie Pope am vorigen Zage felbft aufgeftelle 
hatte. Geh nur, fagt er jeßt lachend zum Dies 
ner, ich wollte Deine Herzhaftigkeit prüfen, Du 
bift werth in meinem Dienfte zu bfeiben. — Es 
war alfo ein Traum, was open fo fehr geängs 
ftet hatte, daß er beinah zum Sefpenfterglauben 
ſich bekehrt hätte, und fo iſt es in allen Faͤllen 
nur mehr oder weniger ſcheinbaͤre Taͤuſchung, was 
einen ſolchen Glauben an Unmoͤglichkeiten erregt 
oder beguͤnſtiget. 

Sn allen Faͤllen ? — wiederholte der Geheims 
rath — das moͤcht' ich nicht mit Ihnen behaupten. 
Mir ſelbſt ift einmal ein ſonderbarer Zufall bes 
gegnet , an ben ich viel Jahre Tang nicht gebacht 
Babe, der mir aber eben jetzt fehr lebhaft in das 
Gedaͤchtniß zuruͤckkehrt, und nicht wie Pope's 
Spanier ein Traumbild war. Ych will Ihnen 
den Borfall erzählen, Daß ich Gie nicht mit 


64 - 


einer Erdichtung täufchen will, wwerbin Sie mel⸗ 
ner ernſien Verſi cherung glauben. Urtheilen Sie, 
wenn Sie Alles gehoͤri haben, ob ich wohl felbft 
unter den Umfländen,, welche ich Ihnen gang 
treu angeben will, getaͤuſcht werden konnte. F 


Es wird etwas über zehn Jahre her ſeyn, 
als ich in der Kammer zu M. ale Rath 
angefielt war. Ach lebte noch ünderheirathet, 
und wär ziemlich beweglich, meine Kollegen im 
Gegentheil liebten mehr die behagliche Ruhe, und 
fo nahm ich gewdhnlich ihnen’ die Geſchaͤfte ab 
die Reiſen in etiwas entfernie Gegeüden nötig 
machten. Einſt, "als ich mich eben zu eine 
ſolchen Reiſe anſchickle, die mich bei Kiöfter Balls 
bach vorbeiführte,, bat mich einer der aͤltern Kam⸗ 
merräthe da dieſer ‚Gelegenheit‘ Tat einer" die 
Gebäude dieſes Klvflers in Augenſchein zu neh? 
men. Es war feit Yäliger Zeit id’ ein Amt vorn 
wandelt worden; "und di? Anreise hatten vote 
mald (den oft im Berbefferuiig Bir alten‘ & 
mer 44 nit t haſten, fand der neue Amt⸗ 
mann den Bau um th, und wolie ſich mit! 
dem bewohnbaren Theiie des Klofters begnügen, 
wenn man ihm dagegen einige andere Bequeine 
ſichkeiten geſtatien würde: Kurz, ich ſollte mein 
Gutachten über dert Zuſtand der’ Unitbgedäube! 


Belpenſterbuch 6, Zei, " 7 5 


82 
geben , und über die Nothwendigkeit einer Aus⸗ 
befferung ober etnes neuen Baues. | 

Auf der „Hinreife zu meinem eigentlichen Ger 
ſthaͤft, 'Heandgte ich mich , das Kofler im Vor⸗ 
überfahren zu betrachten, und es gehel mir von 
dem Amtmann, baß er die alten gothifchen For⸗ 
men, bie von ‚ihren Bergen recht büfler und 
proärig in die Ebene herunterfahen, nicht einer 

equemern Wohnlichkeit wegen, in ein modernes 
Get wollte umfcheffen laſſen. Ich freute 
‚auf die näßere Vekannıfcaft mit ihm und 

ai ‚feinen altertpämlichen Umgebungen. 

Auf meiner Ruͤckreiſe kam ich nriſmlich fpät 
bei dem, Kpker. an, . Der wntergehende Mond 
Beleuchtete durch, finftre Sturmmolten fparfam die 
alten. Thrm⸗ and bunfeln grauen Mauern, die 
mir ‚Indeffen kei Abrem Alter noch ziemlich wohl 
erhalten fehienen, Die Umtmannin, tineerwas 
alttiche,, aber oh ziemlich raſche Srau, bewill⸗ 
ommncſe ui und entſchuldjgte d die Abweſenheit 
ihres Manned, mit einer, amtlichen Reife, von 
welcher er et am folgenden Tage zurucktommen 
werde, Sie dien darüber ſehr ig Berlegenheit, 
und ich ‚hatte Hft. zu verſi chetn, daß mir bei 
meiner unangemelbeten Ankunft. die Geſchaͤftab⸗ 
efenbeit des Beamten gar- nicht hefremdend feyn 
Tonne, und daB morgen binlängliche Zeit fe, 
meinen Auftrag zu vollziehen. Indeſſen fand ich, 





85 


daß ich Die Ruhe des Haufed geftört haben. 


mochte, ich Tieß mir mein Schlafzimmer zeigen, 
und ein Zölpel von Knecht. führte mich durch 
bunffe Kreuz s und Quergänge zu einer alten 
finftern Zelle mit gothifchen Senftern und Schnoͤr⸗ 
fein, und woͤnſchte mir eine unterthänig gehors 
famfte Nacht. Ermüdung von der Reife und 
etwas Langweile brachten mich zeitig auf daB 
Bert, und ich ſchlief bald ein. Ich weiß nicht, 
wovon ich nad) einigen Stunden erwachte, aber 
indem ich wieder einzufchlammern fuchte, hörte 
ich fonderbate Töne wie von fchweren, Iangfamen, 
ungeheuern Fußtritten. Je länger ich hotchte, 


, 


um fo unheimlicher ward mir bei diefem Geraͤuſch. 


Die Schritte ſchienen einem ganz fremdartigen 
Weſen anzugehören, und zuweilen war ed mir, 
als zitterte von ihnen der Grund, wiewohl ber 
Schall ſelbſt nicht fehr Taut, und nur, wie aus 
einer tiefen Gerne toͤnte. Sch fchauderte mehr, 
mal zufammen‘, wiewohl ich mir felbft meine 
Surchtfamfeit verwied,, und ich bemühte mid 
vergebens unter diefen Tönen den Schlaf herbeis 
zucufen. Endlich) zu meiner Freude warb es 
ſtille, aber nicht lange, da rafchelte es an meis 


nee Thür, und ‘ich glaubte ein leifed Klopfen 


zu vernehmen. Ich richtete mich im Bett auf 
und flarrte nach der Thür hin, ed blieb aber ruhig: 
Kaum hatte ich mich wieder gelegt ald von neuem 

- 5 2 ” 


{ 84 
dad Naſcheln und Klopfen tonte, und als ich hin⸗ 


blickte, ſah ich ſogar deutlich die Thuͤre ſich bewegen. 


Einbildung! — rief der Profeſſor dazwi⸗ 
fhen — nichts als Einbildung! Taͤuſchung dardy 
die aufgeregte Fantaſie! 

Nichts weniger — fuhr der Geheimrath 
fort — Sie werden mehr hören. Ich ſah beuts 
die Thuͤr ſich bewegen und rief laut: Wer 


! Da ward ed von neuem fill, aber nicht 
* fo klopfte ed. wieder und ſtaͤrker, und die 


Thür ward gedffnet.. 
Nein, ſprechen Sie im, Ernfi? — unters 
brach der Profeffor. 


Im vollen Ernſte — erwiderte ber, BGehtim 


| rath — Das ging mir nun zu weit. Ich 
ſprang vom Bett. ‚auf, gegen die Thuͤre zu, und 
bier fah ich deutlich . eine ſchlanke, weiße, weib⸗ 
liche Geflalt, in einem Tchwachen Lichtſchimmer 
bon der Thür hinwegſchweben. Sie ſchien mir 


zu winfen. Ich ergriff ein Licht, meine Furcht 


wich einer faft wilden Herzhaftigkeit. Die Ger 


ſtalt glitt durch einige dunkle Gänge, ich eilte 
ihr nach, ohne ſie zu erreichen. Auf einmal 
verſchwand ſie, aber wie ich an den Ort kam, 
wo ich ſie zuletzt geſehn hatte, entdecke ich eine 


Treppe. Ich glaubte noch in ber Tiefe etwas 


von dem biaffen Schimmer gu bemerken, ich eile 


hinab, aber nichts war rings um mid zu ſehen. 


8 
Eine offene Thür ſtand mir entgegen, ich trete 
Binein ‚und frifche Euft weht mid an, ich finde 
mich unter freiem Himmel Eine Menge Erzaͤh⸗ 
lungen von aͤhnlichen Abentheuern kreuzen ſich in 
meinem Kopfe. Ich ſehe mich überall nach mei⸗ 
nem geiſtigen Fuͤhrer um, indem ſchreckt mich 
ein fuͤrchterliches Gekrach aus meinen Nachfor⸗ 
ſchungen, die Erde zittert unter mir, eine Staub⸗ 
wolke verhuͤllt mir alle Gegenſtaͤnde, ich unter⸗ 
ſcheide nur ein lautes verwirrtes Geſchrei, Leute 
laufen von allen Orten herbei, und es zeigt ſich, 
daß der ganze Theil des Amtsgebaͤudes, in wel⸗ 
chem ich geſchlafen hatte, eingeſtuͤrzt war; eine 
Viertelſtunde fruͤher, und ich war unter Sen 
zrümmern begraben; rief mich nicht jene felts 
fame Erfcheinung aus meinem Zimmer , fo theilte 
ich dad Loos meined Bettes, das zerfchmettert 
unter dem Schutte gefunden ward. dh eilte 
nun, aud diefem unhelmlichen Orte zu fommen, 
wo der amtliche Zweck meiner Gegenwart ofnes 
Hin nicht mehr Statt finden’ konnte. Deßwegen 
fand ich nicht einmal nöthig bie Ruͤckkehr des 
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter der 
Hand Erkundigungen ein, ob vielleicht ſchon fruͤ⸗ 
her in den alten Kloſtergebaͤuden etwas unheim⸗ 
liches bemerkt worden ſei, aber Niemand wollte 
das Mindeſte vernommen haben, ich erzaͤhlte da⸗ 
her auch Niemand von meinem Abentheuer, und 


\ 86° 
hatte es felbft faſt vergeffen , bis heut die Aengſt⸗ 
Sichkeit meiner Grau, und vorhin, als fie zur 
Thür Binausging, eine auffallende Achnlichkeit 
ihrer Geftalt mit jener Erfcheinung mic) daran 
erinnerte. Ä 

Dann glaub’ ich wohl — lachte der Pros 
feffor — baß Sie der Erſcheinung im Klofter 
herzhaft gefolgt find. Sie verſprachen fich viel 
leicht ein romantifchered Abentheuer, ald den Ein⸗ 
flurg eines alten Gebäudes. 

Scherz beifeite — erwibderte der Geheimes 
rath — dad Gefpenflifche abgerechnet, wär die 
Geſtalt vielleicht intereffant genug gewefen. Allein 
auf die Hauptſache zu kommen, laſſen Sie auch 
Die Erſcheinung nichts Wirkliches, fondern ein 
bloßes Gefpenft meiner Einbildung gewefen feyn, 
wie erflären Sie ihren fonderbaren Zufammenhang 
mit der Rettung meined Lebens aus der augen 
blicklichen unvermeidlichen Todesgefahr ? Entwe⸗ 
ber ein Schutzgeiſt außer mir, ober eine ahn⸗ 
dende Kraft in mir. Nennen Sie, wenn Sie 
Sonnen, ein Drittes. 

Der Profefforfuchte vergebens dieſes Drits 
te, und wand fih in manchen mehr oder wenis 
ger gezwungenen Erflärungen, die der Gehe im⸗ 
rath Teicht widerlegt. Man firitt ſich noch, 
als ein entfernter Lärm aufder Straße die Aufı 
merkſamkeit des Polizeidirektors anf ſich 


87 ‘ 

zog. Der Lärın warb Tauter, zog näher, man 
trat an daß Senfter, die Straßengänger flugten, 
flanden, liefen, die Hausthuͤren füllen fih mit 
Neugierigen, im Augenbli traten Polizeioffis 
cianten atbemlos herein. Die Koſaken, berichtete 
einer, find nah. Kofafen, Kofaten! ſchallte es 
von der Straße herauf und Hurrah, Hurrah! hallte 
ein wildes Geſchrei lange und wiederholt nach. 

Der Profef f or durchlief in wenig Augen⸗ 
blicken alle Statiönen vom Unglauben bis zur 
finnlichften Ueberzeugung. Er fuchte nad) feinem 
Hut, und wär gern in feiner Wohnung gewe⸗ 
fen, aber das Gebräng des Volkes, dad zahllos 
durch die Straßen wogte, machte jeden Verſuch 
unaußführbar. 

Die fremden Gaſte hatten indeffen ſchnell 
den Zweck ihres nnerwarteten Befuches erreicht. 
Nach einigen Nachforſchungen zogen fie fehr bald 
in völliger Ruhe zu der Stadt hinaus. Nur 
Die Volksmenge wogte nody lärmend auf den 
Straßen umher, und bee Polizeidirektor, 
nach dem während ded ganzen Vorfalls von meh⸗ 
zen Seiten oft gefragt wurde, war fehr zufries 
den, zu rechter Zeit in feiner Wohnung gegens 
wärtig gewefen zu feyn. 

Da hätten wir alfo einen neuen Beweis von 
Yhndungvermögen — fagte der Polizeibireh 
sor, ald man den Borgang befprochen hatte — 


68 
und zwar einen felbik erfebten, nicht dloß durch 
Erzählung überlieferten. Wie ſteht es nun mit 
Ihrem Unglauben? 

Ich bin geſchlagen, total aus dem Felde ger 
ſchlagen — rief der Profeſſor mit komiſchem 
Händeringen — Die Frau Geheimräthin hat 
mic) ganz befehrt. Bon heut‘ un alaube ich feft 
‚ an Ahndungen, SefpenftersErfheinungen, Schutz⸗ 
geifter, Unzelchen, und was Sie fonft noch wollen! 

Nicht wahr — lachte die Gcheimrdrhin— 
Sie werden wenigftend für meine geheimen Seelens 
kraͤfte einigen Reſpekt befommen ? Und wenn Sie 
dieſen nicht durch neue Zweifel aud den Yugen 
fegen wollen, fo erfüllen Sie meine Ahndung, 
daß Sie heut Abend unfer Gaſt find. . 

DerProfeffor fagte zu, und bat ſich das 
gegen aus, dad Käfichen mir deutfchen Alterthuͤ⸗ 
mern bringen zu duͤrfen, welche er eigentlich feiner 
Sefellfchaft Hatte vorzeigen wollen, wenn die Ahn⸗ 
bung dee Geheimraͤthin ihm nicht die Geſell⸗ 
ſchaft ſelbſt entfuͤhrt hatte. Man ſchickte in 
ſeine Wohnung und in kurzem kamen die Se 
henswuͤrdigkeiten an. 

Sehn Sie hier — fagte endlich der Bros 
feffor, nachdem er mehre Alterthuͤmer yorge 
zeigt hatte — fehn Bie hier dad merkwürdigfle 
und Foflbarfte Stück meiner neuen Afguifition. 
Diefed fchöne alte Gefäß, das, wie ich Ihnen 








89 ' 

nachher beweiſen will, hoͤchſtwahrfcheinlich ein urafs 
ted Heiligthum eined Klofter& geweſen feyn mag, 
ift gewiß von unfihägbarem Werthe, Die Form 
iſt faſt griechiſch; man kann nichts gefaͤlligeres 
ſehen bei der hoͤchſten Einfachheit. Schade, daß 
die Handhabe auf der einen Seite etwas verletzt 
iſt, indeſſen hat mir dieſe kleine, unweſentliche 
Beſchaͤdigung einen wichtigen Aufſchluß über dies 
fed Gefäß gegeben, das vielleicht das einzige in 
feiner Art if. Unter ver abgebracdhenen Hands 
habe wird nämlich eine Schrift ſichtbar, welche 
mit dem Ort, wo biefed Gefäß gefunden ward, 
hoͤchſt auffallend Üübereinfimmt. Es war in einem 
alten Kloſter forafältig vermauert: gewefen, und 
erſt bei dem Abbrechen ber Mauern hat man es 
vor einigen Jahren gefunden.- Das Klofter bes 
wahrte ehedem viel Reliquien, welche yon ben 
Mönchen bei der Säfularifirung entfernt worden 
find. "Unter diefen Reliquien war ohne Zweifel dies 
fes Gefäß eine ber heiligſten und fein Dafeyn 
vielleicht nicht einmal den Mönchen mehr befannt, 
weil ed Hang verborgen in einer Höhlung ber 
Mauer verwahrt wurde, Es iſt nämlich diefed 
Gefäß, wie die erwähnte Inſchrift deutlich bes 
zeichnet, nichtd anders, ald eine alte Nachbildung‘ 
des berühmten heiligen Graals. Schn Sie hier 
die ganz Ieferlichen Worte Ad. St. Graal. Dom, 
Mod. auf deutſch ungefähr:. Nach dem Modell 





90 


des heiligen Graal unſers Herrn. Deßwegen 
verwahrte man es auch ohne Zweifel ſo ſorgfaͤl⸗ 
tig. Die unverkennbare Vaſengeſtalt widerlegt 
übrigend die Meinung einiger Schriftfteler, als 
fei der Graal eine flache Schaale gewefen; er 
war vielmehr kelchfoͤrmig, wie dieſes Gefäß uns 
verkennbar zeigt. 

Die Geheimräthin hatte während der 
Erklärung des Profeffordmehrmald das Tuch 
vor den Mund gehalten. Jetzt brach ſie in ein 
lautes Lachen aus. 

Schelten Sie mir Niemand mehr leichtglaͤu⸗ 
big — ſprach fie endlich — wer an politiſche 
oder geiftige Wundergefchichten glaubt, wenn Sie 
ſelbſt in Apnlichen Dingen fo freigebig mit Ihrer 
Ucberzeugung find, und fo ein Töpfergefäß für 
ein altes Heiligthum anfehn! 

Aber ich Bitte Sie — fagteder Profeffor 
etwas beleidigt — betrachten Sie diefe Arbeit, 
und nehmen Sie alle Umftände zufammen, wie 
Tonnen Sie ander Aechtheit diefed Gefäßes nur 
einen Augenblick zweifeln? Die Konkurrenz bei 
der Berfleigerung war auch ungemein ſtark, und 
ich bin bis auf fünf und zwanzig Louiöd'or ‚se 
trieben worden. 

Die hätı? ich Ihnen erfpart — rief die Ge 
beimräthin — wenn Sie mir ein gutes 
Wort gegeben hätten. Ich glaube der Meifter 


91 
lebt noch, ber mir dieſes unſchaͤtzbare Kunſtwerk 
einmal um einen baaren Gulden verfertiget hat. 


Sie ſcherzen! — rief der Profeſſor halb 
unwillig. Der Polizeidirektor lachte etwas 


ſchadenfroh, und bas um bie nähere Auskunft - 


über diefed Gefäß. 


Ah, das ift eine lange Gefchichte — erwiderte . 
bie Geheimraͤthin — und überdieß hängt fie 
mit einer Pleinen Schelmerei zufammen , die ich 
noch ald Mädchen mit einer Freundin ausführen - 
balfe Ich Habe lange nicht mehr daran gedacht, 
aber durch Ihren Graal wird mir der ganze 
Vorgang wieder Iebendig. 


Man drang von neuem in die Sprecherin, _ 
daß fie ihre Geſchichte mittheilen möge. Sie 
begann ; 

Eine Freundin meiner Mutter, die viel Theil 
an meiner Erziehung hatte, lebte mit ihrem 

. Manne, der Rentbeamter war, auf einem Anite, 
zu deffen Wohnung und Wirthfchaft man bie 
Gebäude eined eingezogenen Klofterd ſchon laͤngſt 
eingerichtet hatte. Die Gegend war fehr ange, 
nehm, nnd ich brachte oft einige Tage recht 
vergnügt bei ihr zu. Das einzige Unangenehme, 
worüber wir beide uns oft beflagten, war der 
aͤußerſt fparfam vorhandene wohnliche Plag im 
dem übrigend fehr weitläuftigen Gebäude. Der 


N 


92 
Mann meiner Freundin war nämlich ein eben 
fo eifriger Liebhaber deutſcher Altertgümer, als 
manche Profefforen und Polizeidireftoren, und 
fand nun in dem alten Gebäude unerfepbpflichen 
Stoff für feine Liebhaberei. Deßwegen drängte 
er fein Hauswefen lieber in den engſten Raum 
gufammen, und half dem einfallenden Gemäuer 
durch Stögen an allen Orten und Enden nach, 
ehe er fich entfchloffen hätte etwas von dem alten 
Gebäude anders einrichten oder neu herfiellen zu 
Taffen. Da half auch Fein Zureden, und endlich 
war es wirklich fo weit gefommen, daß fein 
Gefinde mehr in dem verfallenen Haufe bleiben 
wollte, aus Furcht, daß ed über ihnen einbrechen 
und fie alle indgefamt begraben möchte, Zu 
unſerer großen Freude hörten wir endlich, daß 
eine Kommiffion anfommen und die Gebäude 
befichtigen werde, Aber der Amtmann fah wohl, 
daß es nad) einer Beſichtigung ohne einen Bau 
nicht abgehen fünne, der dann feine ganze Lieb 
haberei flörte; er machte fich alfo felbft auf den 
Weg in die Reſidenz, um bei der Rammer münds 
ſiche Vorftellungengegen den Bau und gegen die 
Kommifiion zu machen, und meine Freundin, 
bei welcher ich eben einige Tage zubrachte, war 
von neuem troſtlos über bie pereitelte Hoffnung. 
Da hatte ein Schreiber, der ein aufgeiwedter 
Kopf war, einen Einfall, vielleicht Anfangs nur 


85 


Sine offene Thür ſtand mir entgegen, ich trete 
Binein, und friſche Luft weht mich an, ich finde 
mich unter freiem Himmel, Cine Menge Erzaͤh⸗ 
Iungen- von Ahnlichen Abentheuern Freuzen ſich in 
meinem Kopfe. Ach fehe mich überall nach meis 
nem geiftigen Führer um, indem ſchreckt mich 
ein fürdhterliched Gekrach aus meinen Rachfor⸗ 
ſchungen, bie Erde zittert unter mir, eine Staubs 
wolke verhuͤllt mir alle Gegenflände, ich unters 
Scheide nur ein lautes verwirrted Geſchrei, Reute 
Yaufen von allen Orten herbei, und e& zeigt fich, 
Daß der ganze Theil DES Amtsgebaͤudes, in wel⸗ 
chem ich gefchlafen hatte, eingeflürzt war; eine 
Viertelſtunde früher, und ich war unter den 
zrümmern begraben; rief mich nicht jene felt 
fame Erfcheinung aus meinem Zimmer, fo theilte 
ich dad Loos meined Bettes, das zerfchmettert 
unter dem Schutte gefunden ward. ch eifte 
nun, aus diefem unhelmlichen Orte zu fommen, 
wo der amtliche Zweck meiner Gegenwart ofnes 
bin nicht mehr Statt finden fonnte. Deßwegen 
fand ich nicht einmal nöthig die Ruͤckkehr des 
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter ber 
Hand Erfundigungen ein, ob vielleicht ſchon früs 
ber in den alten Kloſtergebaͤuden etwas unheim⸗ 
liches bemerkt worden fel, aber Niemand wollte 
dad Mindefte vernommen haben, ich erzählte das 
ber andy Niemand von meinem Abentheuer, und 


9% 


wohnten entweder gluͤcklicherweiſe in einem andern 
Theil des Hauſes, oder fie wurden auf eine 
ſcheinbare Weife entfernt. So war denn Alles 
vorbereitet, die Stügen waren mit ſtarken Seilen 
ummunden, die von den Pferden angezogen wers 
den follten, um fie ſchnell'unter ben Dächern und 
Wänden wegzuziehen; wir, warteten nur auf die 
Mitternacht. / Indem wir aber noch bin und her 
räumen, fährt ein Wagen vor, und der angefüns 
digte Kommiffarius kommt ſchon an. —Ich glaube 
ber wahrhaftig, ihr unartigen Herren lacht mich 
mit meiner treußerzigen Erzaͤhlung aus! Nun, 
ich kann ſie auch zuruͤcbehalten. 

Im Gegentheil — erwiderte der Profeſſor 
Ihre Geſchichte iſt hoͤchſt intereſſant für und, 
und ich Bitte Sie Inftändigit fortzufahren. Unfer 
Lachen bezog ſich auf eine aͤhnliche Geſchichte, die 
ich vor nicht gar langer Beit gehört Habe. 

"9; bie muͤſſen Sie und mittheilen! — rief 
die Geheimraͤthin. 

Mit Vergnügen nachher — antwortete der 
Profefſſor — Zueiſt krfauben Sie, daß wir 

. Ihre‘ angefangene Erjähhung zu Ende hören. 

Du bliebſt bei dert Kommiffar — fagte der 
Geheimr ath elnhelfenb. 

Ei bewahre!-lachte die® eheimtäthin— 
da hatte ich mehr Gefihäfte an jenem Abend. 
Es war zwar’ ein ſehr huͤbſcher junger Mann, 


F 95 
— wie hieß er doch leid ? — Lammerrath 
Ettmuͤller. 

Ettmuͤller? — rief der Geheimrath 
lachend — Ettmuͤller ein huͤbſcher innger Mann? 
Das war ja ein alter ausgetrockneter Greis, der 
vor ungefähr fünf Jahren im ſechs urd achtzigſten 
Jahre ſeines Lebens entſchlafen iſt. 

Warum nicht gar — widerſprach die Bes 
hHeimräthin — dad muß ein Anderer feyn. 
Gener Kommiffar war ein ſtattlicher Munn in 
Deiner@rdße,überhaupt Dir techt aͤhnlich, ſogar ir 
der Sprache, ſo viel ich mich erinnere. Du rannſt 
alſo wohl glauben, daß er mir nicht wenig ge⸗ 
fiel. Aber Profeffo'r; ‚Sie machen mich Höfe 
mit Ihrem Lachen, und: Du fängft auch wieder 
an. Ach geht, Ihr habt mid; zum Beſlen! 

Der Proferfor behkeäirte, ber Geheim 
rath fehmeichelte, und Beide baten um die 
Fortſetzung ber Geſchichte. 

Daß mir aber keiner ehr lacht =" troßte 
die Erzäpferin—fonn hör ich auf.“ Mſo der 
huͤbſche ariige Kommiſſart kam an. Er war abet 
nur gar zu arlig, deiner ſchwatzte der Amt⸗ 
mannin ſo viel Schönes über ihren romantifchen 
Aufenthalt in dem alten Ktofter vor,‘ ünd über 
feine Liebhaberei an den fatalen Alterthuͤmern, 
daß ihr alle Hoffnung’ erging ‚ber Antiquitaͤ⸗ 
tenfreund werde ihrem Manne widerſprechen und 


9% 


wohnten entweder gluͤcklicherweiſe in einem andern 
Theil des Haufe, oder: fie wurden auf eine 
ſcheinbare Weife entfernt. So war denn Alles 
vorbereitet, die Stügen waren mit flarfen Seien 
aummunden, die von ben Pferden angezogen wers 
ben follten, um fie ſchnell'unter den Dächern und 
Wänden wegzuziehen; wir warteten nur auf die 
Mitternacht. - Indem wir abernoch hin und her 
räumen, fährt ein Wagen vor, und der angekuͤn⸗ 
digte Komtniſſarius kommt ſchon an. —Ich glaube 
aber wahrhaftig, ihr nnartigen Herren lacht mich 
mit meiner treuberzigen Erzählung aus! Nun, 
ich Kann fe auch zuruͤckbehalten. 

Im Gegentheil — erwiderte der Pro feffor 
Ihre Geſchichte iſt Höchft intereſſant für und, 
und ich Bitte Sie inſtaͤndigſt fortzufahren. Unſer 
Lachen bezog ſich auf eine aͤhnliche Gedichte, bie 
ich vor nicht gar langer Beit gehört Habe. 

“97 bie muͤſſen Sie uns mittheilen! — rief 
die Geheimräthin. 

Mit Vergnügen nachher — antwortete der 
Brofeffor — Zueifl erlauben Sie, daß wir 

. Ihre angefangene Erjähfung zu Ende hören. 

Du bliebft bei dem Kommiffer - — ſagte der 
Geheimrath einhelfenb. 

Ei bewahre!lachte die G 6 
da hatte ich mehr Geſchaͤfte an jenem Abend. 
Es war gwar’ein fehr huͤbſcher junger Mann, 


95 
— mie hieß er doch gleich? — Kammerrath 
Ettmuͤller. 

Ettmuͤller? — rief der Geheimrath 
lachend — Ettmuͤller ein huͤbſcher innger Mann? 
Das war ja ein alter ausgetrockneter Greis, ber 
vor ungefähr fünf Jahren im ſechs urd achtzigſten 
Jahre ſeines Lebens entſchiafen iſt. 

Warum nicht gar — widerſprach die Ges 
beimräshin — dad muß ein Anderer ſeyn. 
Jener Kommiffar war ein ſtattlicher Mann in 
DeinerGröße,überhaupt Dit recht aͤhnl ich, ſogar in 
der Sprache, ſo viel ich mich erinnere. Du kaunſt 
alſo wohl glauben, daß er mir nicht wenig ge⸗ 
fiel. Aber Profeffor; &ie machen mich boͤſe 
mit Ihrem Lachen, und’ Du fängft auch wieder 
an. Ach geht, Ihr habt miqh zum Beſten! 

Der Profeſſor bepeeirte, der Geheim' 
rath ſchmeichelte, und Beide baten um "die 
Fortſetzung der Gefchichte. 

Daß mir aber Feiner hr lacht — ⸗itotzte 
die @rzäpferin—fonf hoͤr ich auf." Mſo det 
hübſche artige Kommiſſat Pant an. Er wdr’aber 
mannin fo viel Schönes über ihren romamtifchen 
Aufenthalt in dem alten Kloſter vor, ünd über 
feine Liebhaberei an den fatalen Alterthuͤmern, 
daB ihr alle Hoffnung‘ erging , der Antiquitaͤ⸗ 


tenfreund werde ihren Manne widerſprechen und 


96 

einen neuen Bau anordnen. Gie trag mit alſo 
die Beforgung der noch’ nöthigen Anſtalien auf, 
um ihren Gaft. unterhalten zu koͤnnen. ndeflen 
muß fie wenig (Unterhaltung bei dem antiquaris 
ſchen Kammerrath gefunden haben,, denn fie ließ 
ihn bald in dad Gaſtzimmer bringen, und half 

mir unfer Wert für die Nacht anordnen. _ 
Nun hatten wir aber keinen Meinen Schred. 
Wie wir über, den Hof: gähen, um, nach, den 
Arbeitern zu ſehn, die ſchon die Stuͤtzen anhie⸗ 
den. damit fie leichter einhrechen follten, da ſeha 
wir In demſelben Theile des Haufes, ber fo eben 
eigfallen fol, Licht durch die Fenſter ſchimmern, 
nud in dem Augenblicke wird es uns Har, daß 
cher. upgeſchickte Petex, das war ein Knecht, dei 


von; unſerm Vorhaben vichts wußte, den Frem⸗ 
den, zu dem vormaligen Gaflzimmer geführt hatte 
das . jest feinen Einſturz erwartete. Wir riefen 
den Arbeitern fogleich Malt entgegen, ‚nnd Hefen 
die Hferde. von den Seifen: Ipöfpannga, aber mi 
ſollte mat nun ben Fremden aus dem ſchon war! 
Senden Gebäude entfernen... ohne, Allles zu verru⸗ 
then? Die Amtmannin mar ſo er(chroden, da) 
ihr die Süße den Dienſt verfagten, ich weiß fell 
nicht, mie ich. den herzhaften Entfchtuß faßte, iht 
TOR gu rufen. Et wag »epmuten was er mil 
dach ich, wenn er nur erſi heraus und gertifl 
He go Tief ich hach ſainem Zimmet uph pochla, 








97 

aber wie ih hörte, daß er ſich beinegte, zog ich 
mich geſchwind zuruͤck; doch ſah ich nicht kom⸗ 
wen, sch mußte noch einmalypochen. Das: Here 
ein! dad er recht herzhaft herausrief, verfcheuchte 
mich wieder, aber jegt ſchien der Soden ſchon 
unter mir zu ſchwanken. In ber Angſt riß ich 
fine Thür auf und wollte eben Hereintreten, da 
fam er mir mit bem Kicht entgegen. Ermochte 
mid) wohl. in meinem weißen Anzuge für einem 
Nachtgeiſt oder eime wieberfehrende Nonne bals 
ten ; Indeffen war ich froh, daß er auf den Fuͤßen 
war, und mirnadhfchritt, als ich zuruͤckeilte. So 
verfolgte er mich bis in einen kleinen entfernten 
Hof. Ich kam auf kuͤrzerem Wege zu den 
Arbeitern zuruͤck, und auf mein Zeichen, daß 
der Srembe- in Sicherheit fei, praffelte mit einem 
Ruck das alte Kloftergemäuer zuſammen. Ich 
ließ mich nun nicht weiterfehn, denn der Fremde 
hätte mich vielleicht doch wieder erfannt, und 
dann wär lunfre Schelmeres verrathen gewefen. 
Aber die Angſt von jenen Abend mag ich nicht 
noch einmal erfahren. 


Nein, wär es denn wirklich moͤglich — rief 
der®eheimrath, indem er feine Gemahlin an 
fin Herz drüdte — Du haͤtteſt Dich in dab 
wanfende, dem Einſturz fo nahe Gebäude gewagt, 
um der Schugengel jenes Fremden zu werden ? 

BGeſpenſterbuch 6. Tdeil. ® 


98 


Nun, da war doch nichts zu überlegen — 

anmdortete die Geheimraͤthin = die Gefahr 
tiberwand alle Ruͤckſicht. Aber, wahrhaftig, ich 
weiß nicht, bin ich verrathen oder verfauft; Du 
fiebft mich mit einer fü befondern Herzlichkeit an, 
und der Pröfeffor lacht wieder wie ein Kobold: 
Was habt Ihr nun zufammen ? 
Was Du reiht gern erfahren folft — erwi⸗ 
derte der Geheimrarh — Ich ergählte dem 
Sröfeffor, um feinen Unglauben etwas zu beus 
gen, wie mich einft ein Schutzgeiſt aud einem 
Kaufe geführt hatte, das im Augenblick, als ich 
es verließ, zuſammenſtuͤtzte; und nun höre ich; 
baß diefer mein Schutzgeiſt ſchon damals Fein 
andrer war, als der gate Geiſt, bet. mich bald 
nachher fihtbar durch mein Leben zu’ begleiten 
anfing , meine: Antonie! 

Was — rief die Geheimraäthin — Du 
felbft wärft jener Kommiſſar gemwefen ? 

Niemand anders — fagte er — Kammer 
racth Ettmuͤller, dir ſich kraͤnklich fühlte, übers 
trug mir dieſes Geſchaͤft. 

O, das iſt ja doppelt herrlich — rief die 
Sehẽimſraͤt hin — und umarmte ihten Go 
mahl. 

Aber der Ptofeſſor tohrde nun triumphiren — 
fagte Diefer — führten nicht die braven Koſaken 
von heute Deine Sache gegen feinen Unglauben. 


“ 


99 | 
Diefe Sache gieb nur Auf — lachte die Ge⸗ 
beimrächin — Ich hatte zu meiner Ahndung 
gute Quellen. Mein Bruder, weißt Du, fteht 
mit den Preußen bier in der Nähe. Er ſchickte 


mit heut Morgen tinen Briefan feine Srau, mit 


der geheimen Anweifung, ihn einem Kofafen, der 
heut Abend danach fragen würde, Mitzugeben, 
finden ſich aber heut Abend Feine Kofaten ein, 
den Brief Togleich zu verbrennen. Die Addreſſe 
der unfihuldigen Frau fland nun wahrfcheinlich 
bloß als Maske darauf, indeffen hat der Koſak 


sihtig nachgefragt, And den Brief nebft einem 


guten Trunk erhalten. Das Geheimniß gegen 
Dich will mein Brudet in den naͤchſten Tagen 
ſelbſt rechtfertigen. 

Das ift ſchoͤn, das iſt herrlich! — jubelte 
nun der Proffeſfor— fo ſollten alle Viſionen, 
Wundergeſchichten umd andre Träumereien aufs 
geklaͤrt werden! 

Ich flimme von Herzen ein — erwiderte bie 
Beheimräthin — und erfülle fogar Ihren 
frommen Wunſch auf der Stelle, in Beziehung 
anf Ihren heiligen Graal. Gie willen doch 
noch, daß diefer der Punkt war, von welchem 
meine Erzählung ausging, und zu dem fie alfo 
billig jetztzutuͤckkehrt? — Nun vernehmen Gie 
weiter. Der Mann meiner Freundin war ganz 
antroͤſtlich uͤber den Verluſt feiner‘ Kunſtſchaͤtze, 

G2 4 


100 
die wir zwar größtentheild in Sicherheit gebracht 
Hatten, aber doch nicht alle, denn manchen ber 
‚alten Scherben fahen wir Laien den unfchägharen 
Kunftwerth nicht an, der drin verborgen ſeyn 
follte. Beſonders beflagte er ein altes thoͤnernes 
Gefaͤß von unglaublicher Seltenheit, und meine 
Freundin, die des ewigen Jammers ſatt wurde, 
bat mich einmal ſchriftlich, ob ich ihr nicht irgend 
ein altes Stuͤck der Art verſchaffen koͤnne, um den 
Gedanken an das verlorne damit zu verdrängen 
Ich wußte nirgends eine folche Seltenheit aufzu⸗ 
treiben; um indeffen doch dad Meinige zu thun, 
ging ich zu unferm Töpfer, oder wie er ſich lieber 
nennen ließ, zu bem Herrn Dom Modellirer, und 
beftellte nach meiner Angabe ein Gefäß, wie ed unge’ 
faͤhr im Alterthum möchte ausgefehn haben. Der 
Meiſter fand ſich durch den Antrag fehr geſchmei⸗ 
chelt, und unterließ nicht feinen ganzen Namen 
nebft Zitulatur auf die Vaſe zu feen, wodurch 
es natuͤrlich für meinen Zweck unbrauchbar ward· 
Er mußte alſo noch einmal das Werk vornehmen, 
und ich ermangelte nicht ihm ernſtlich einzuſchaͤt⸗ 
fen, daß er feinen Namen nicht anbringen folt 
da die Vaſe für ein Werk eines feit mehr alt 
taufend Jahr begrabenen Meiſters gelten fol 
Indeſſen, wie ich ſehe, muß er fich doch einen 
großen Nachruhm von feinem Kunſtwerk verſoro⸗ 
chen haben, ba ex es nicht hat unterlaſſen kom 





101 


nen, feine Zeichen wenigflend unter ber Hand⸗ 
babe in die Nachwelt einzupafchen. 


Mad Tauſend! rief ber Profeffor mit 


etwas Fraufer Stirn. 


Nicht anders — fuhr die Seheimräthin 


fort — Bemerken Sie hier Wohl: Adam Stephan 
Graal, Dom Mobellirer, 

Der Geheimrath lachte laut auf, aber 
dee Profeffor wollte noch nicht feinen Graal 
aufgeben. ad, Sie ſcherzen — rief er — Nein, 
nein, das iſt eine Erfindung von Ihnen, die zwar 
recht artig iſt ... 

Aber nicht weniger wahr — erwiderte Jene — 
Ueberzeugen Sie Sich hier durch das erfie Probe⸗ 
füd des Meiſters, das ich zufälligermwelfe aufge 
hoben habe, wo dieſekbe Auffchrift vonftändig, ohne 
alle Abkuͤrzung zu ieſen iſt. Ich verehre Ihnen 
die Seltenheit fuͤr Ihr Mufſfeunmn. 

Ein unausſoſchliches Lachen von allen Seiten 
ſchloß das Geſpraͤch. Man vereinigte fi indem 
Borfak, wedet ſelbſt leichtglaͤubig zu ſeyn, noch 
Andre wegen Leichtgiaͤubigkeit vorſchnell zu tadeln, 
und dabet immer dad goldenen Spruchs einge 
denk zu bleiben: Wer ſtehet, der ſehe zu, daß 
er vi fall. u 


Y 





Die Wachsfigur. 


’ . 
’ 


Gr einer. Stunde war. bad Kraͤnzchen ziem lich 
beifammen. ”) Aber ber Frohſinn ſchien für 
ſchon einige laut gemadht. 

De habt Ihr's, rief Hilarie daß der hagere 
melancholiſche Mann, der heute fehlt, Bei unſern 
Werſammlungen Baum zu eutbehren iſt. Nur 
denken darf ich mir ihn, und fein oft fü bitter⸗ 
füßed Geht, fein vornehmed Zurägmeifen eines 
muthwilligen Scherzes, feine varkenfchen Wider» 
fegungen miginez Einfälle, nımdenten, und meine 
Laune werbeffert fich ſogleich. 

Sollte die frifche Farbe feiner wohlgebildeten 
Zuͤge nicht auch etwas. dabei thunꝰ drohte Theo⸗ 


do re, 


Vielleicht gäbe ich das abenfal⸗ au, koͤnnte 
ich nicht dadurch meinem Ludwig unnoͤthige 
*) Im Voraus ik dielleicht bier anzubeuten, daf 


Die Beit diefer Gefchichte mit der franzöfifcehen Revo- 
Iution sufammenfält. 





103 
Griffen in den Kopf fegen! erwiberie Be miit Ans 
muth. Uebrigend babe ich nichts „gewollt mit 
diefer Bemerkung , ald Euch aufmerffam machen 
auf die unerfannte Wohlthat, welche unferm 
Kränzchen der Himmel durch dieſen melancholi⸗ 
ſchen Herrn erwieſen bat, 


er nit von Guido hörte, als das, fü 
fiel bier Konflantin, der Wirthin Bruder f ein, 
ber koͤnnte ihn wahrlich für eine bloß lächerliche 
Derfon halten. Das aber iſt er keinesweges. 
Vielmehr ift er ein Mann yon Verſtand und. 
Herz. Nur hätte er hei einem entfchiebenen 
Hange zur Einfeitigfeit daß Mannichfarhe der 
banten — iwenigfiend der europäifchen — Welt 
ſehen muͤſſen, um nicht bisweilen an einer Mode⸗ 
ehorheit zu ſcheitern. So ſpukt denn auch jetzt 
in ihm der von manchem falſchiich ſogenannte 
Geiſt des achtzehnten Jahrhunderts, ein Ding, 
bad alles laͤugnet, was ed nicht durchſchauen 
kann, das alles beffer wiffen will, ald die Stimme 
bed Gemüthe und der Erfahrung, und das mit 
den Gräneln ber jegigen Mevolutipn in Frank⸗ 
reich, welche hauptſaͤchlich von feinem Ungeſchick 
herruͤhren, untergehen dürfte, wie es ſolches auch 
gewiß verdient. — Er wird davon zuruͤckkom⸗ 
men, feine Jugend nnd innere Gediegenheit vers 
bürgen dab, 


» 
. ‘> 


\ 
\ - 


08 


Wie gerufen! rief Hilarie, als Guido Bier | 
noch eintrat. ' Beide Oberen muͤſſen Ihnen lark 
geklungen haben. 

Daß ich nicht wuͤßte! erwiderte er laͤchelnd. 

D, Sie laͤugnen ed nur, wie Sie alles 
Yäugnen. Geſtehen Sie's licher, daß hr linkes 
Dhr Ihnen feine Ruhe gelaffen hat, bis Sie 
bieher eilten, um dadurch) bem Gefpräde über 
Sie ein Ende zu machen. 

E 3ch bin alfo fo gluͤcklich geweſen ? fragte Guido. 

Gluͤcklich und unglüdlih, wie Sie's neh 
men. Ein Gluͤck iſn's zum Beiſpiel allemal, 
wenn Theodore und ich von Ihnen ſprechen. 
Allein Geſpraͤche, die im linken Ohre des abs 
weſenden Gegenſtandes wiederklingen, ſind wenig⸗ 
ſtens von ſehr zweideutiger Art. Mit Einem 
Worte, wir haben und über Gig aufgehalten, 
aber doch fo, „daß wir Ihre Perſon ſehr zu ver⸗ 
miſſen vorgaben. 

Guido fand ſich mit einer Artigkeit ab. Doch, 
der ſonſt immer ſo reiche Fluß der Unterhaltung 
wollte, noch nicht in Gang kommen. Die mans 
nichfahften Gegenftände ‚wurden vergebens her⸗ 
beigezogen ; an feinem haftete die feltfame Sprös 
Digfeit der Worte ded Abends. 

Endlich fing noch Julie, die Wirthin, zu 
Konftantin alfo an: Ach, Tieber Bruder, gut, 
daß mir's einfällt, wer bewohnt denn jetzt den 








99 


Diefe Sache gieb nur Auf — lachte die Ga 
Heimrärhin — Ich hatte zu meiner Ahndung 
Aute Quellen. Mein Bruder, weißt Du, ſteht 
mit den Preußen hier in der Nähe. Er ſchickte 
mir heut Morgen tinen Briefan feine Grau, mit 
der geheimen Unweifung, ihn einem Kofafen, der 
heut Abend danach fragen würde, Mitzugeben, 
fänden ſich aber heut Abend Feine Koſaken tin, 
‚den Brief fogleich zu verbrennen. Die Abddreſſe 
der unfchuldigen Frau fland nun wahrfcheinlich 
bloß ald Maske darauf, indeſſen hat der Koſak 
sichtig nachgefragt, und den Brief nebft einem 
guten Trunk trhalten. Dad Geheimniß gegen 
Dih will mein Bruder in den nähhfien Tagen 
ſelbſt rechtfertigen. 

Das ift ſchoͤn, das ift herrlich! — jubelte 
nun der Profeffor— fo follten alle Bifionen, 
Mundergefhichten und andre Traͤumereien aufs 
geffärt werden! 

Ich flimme von Herzen ein — ermiderte bie 
Geheimraͤthin — und erfülle fogar Ihren 


frommen Wunfih auf der Stelle, in Beziehung | 


auf Ihren heiligen Graal. Gie willen doch 
noch, daß diefer der Punkt war, von welchem 
meine Erzählung ausging, und zu dem fie alfo 
billig jeßt”zurädtcehre ? — Nun vernehmen Sie 

weiter. Der Mann meiner Freundin war ganz 

antroͤſtlich über den Verluſt feiner" Kunftfchäge, 

62 4 


106 
Nein, entgegnete Julie ernft genug, mir war 
8, ich verſichre Dich, gar nicht laͤcherlich! 

Das wird’ aber werden, wenn id) fage, 
baß der goldbefäumte Thürfteher wirklich niche 
aus Fleifh und Blut, wie feine Kameraden und 
wir feiber, fondern aus bloße, todtem Wachſe 
heſteht, und daß er, mir Einem Worre, als das 
Proͤbchen yon einer Sammfung Figuren, welche 
den erſten Stod einnehmen, die Voruͤbergehen⸗ 
ben anloden fol. Daß Du flatt deffen abges 
ſchreckt worden bift, liebe Schweſter, dad rührt 
eines Tbeils don allzu flüchtiger Betrachtung, 
andern Zheild aber von ber in der That recht 
vorzäglichen Nachahmung der Menſchengeſtalt ber, 
welche diefer Figur, ſo wie den meiften der Sayms 
Iung nicht abzufprechen ift. 

Warum laͤffeſt Du mich denn aber auch kein 
Sterbenswoͤrtchen von den Herrlichkeiten in Deis 
nem Hauſe hoͤren? 

Entweber , weil ich's vergeften Babe, ober 
auch vielleicht, weil ich in Berdacht fommen 
Fönnte, ald wollte ich mir bie Zweifel wegen 
Berichtigung des Miethzinſes durch Dich und 
meine ührigen Freunde auf eine beruhigende Art 
loͤſen laſſen. Und fie find wirflich nicht aus 
bei Luft gegriffen, während ber drei Tage, dag 
die wächfernen Potertaten in Gefellfchaft vers 
ſchiedener Mordbrenner und Gelehrten in mein 





107 


Hand gezogen find, Has noch faſt Feine Sec 
nach ihnen gefragt, und. mancher. Umſtand fagt 
wir, daß der Befiger der. Figuren darüber. in 
nicht geringer Verlegenheit feyn mag. - 
Et, ſprach Bier. Karl, liegt doch die Unter“ 
Haltung heute ohnehin wie an Ketten, wer weiß, 
od nicht die Wachöfiguren und mit Stoff für 
den Neft des Abends vnerforgen Fönnten? Wie 
wäre ed, wenn wir fogleidh dem armen Herrn 


fo vieler hohen Haͤupter et cAtera einen kleinen u 


Zroft hinüber brachten? 

Der Vorſchlag fand Beifalf bei der. Miechrs 
heit der Anweſenden, Da erhob. auf inmat 
Hilarie ihre Stimme. Gert bewahra mich, rief 
fie, vor dem widerwaͤrtigen Anblicke einer ſolchen 
Geſellſchaft Erſt var merigen Monaten habe ich 


eine Ähnliche in Wien geſehen, und bin froh ges . 


wefen , die Erinnerung daran allmaͤblig los gewor⸗ 
den au feyo. Mehrere Zimmer voll ſtummer gen 
ſchminkter Reichen find. Mr mid «in wahrhaft, 
graufender. Unblid, — 

„- Zquesften Moment vieleicht — . qrfeßke Saic 
O9: munmanadesumäst—— 

»@i. was oswÄgen, We: Hilarie ein, Bay 
kommt unfer eins ger mnicht wenn «einem ba& 
Hy opft. — Ich: verbitte mir alled Spots 
ten. — Und geſetzt, "ich bedaͤchte hundertmal, 
hedaͤchte, mad für einen Schlag yon Menfchen 





108 


ich ba vor mir Hätte, mein Auge würbe ſich doch 
Deleidigt finden von der Zufammenftellung fo 
himmelweit auseinander flehender Perfonen und 
Stände. 

Das aber, Belle, .forach Guido, das zieht 
"Ja eben‘ die Sache in's Komifche, woran Ihre 
Grillen am leichteften ſcheitern werden. 

In's Komiſche? Nichts weniger! Grabe durch 
dieſes Yneinanderwerfen ‚der Stände, Alter und 
Charaktere mußte. mir: ja wohl zunaͤchſt der Tod 
einfallen, der hierin aufdie nämliche Weiſe ders 
fährt. Ich muß unter Leichen zu feyn glauben, 
weil im Leben folche Dinge gar nicht vorkom⸗ 
wien koͤnnen. Und jebeffer die-menfchlige Form 
dem Nachbildner gelungen iſt, defto ſchlimmer 
aur für mich. Kommt boch fogar der Geruch) 
des Wachſes hinzu, mich in meinem ſehr unbe 
quemen Glauben zu:beflärten. 
v5 laͤugne nicht, ſagte Ludwig, daß mir in 
einem aͤhnlichen Kubinette meine Phantaſie Streiche 
geſpielt hat, bie mich hinterher zum Errbthen 
brachten. Beim Beobachten · der dem Leben mehr 
nachgeäfften, als nachgebilbeten Fotimen, ſtel mir 
der: Bedanke ein, wie, sinn es ſchadenftohe⸗ 
Genien gaͤbe, die dann iund wann FIR eine 
dieſer Wachsfiguren mit einem auffallenden Scheine 
bes Lebens verfähen, 'Deflände er auch nur in 
einen. Blicke ober Late ‚oder der geringfien Ber 


. 109 


änderung der Stellung. Ich verfickere Sie, Guido, 
daß mir bei biefer Vorſtellung eiskalt wurde , 
und ich ein Paar noch uͤbrige Zimmer lieber 
unbefehen Tief, um nur,. wie unfere reigende 
Wirthin, and der geſpenſtiſchen Sphäre zu 
kommen. 

Über, Sie hätten, fiel Guido ein, Ihrer 
Phantaſie durchaus den Weg vertreten müffen! — 
Darüber, glaube ih, find wir indgefamt eine 
verftanden, daß «ed Feine Gefpenfter giebt. 

Wenigſtens, verfehte Konflantin, laͤchelnd, 
zweifeln wär gewiß alle eher an ihtem Dafeyn, 
ald daß wir darauf ſchwoͤren möchten. 

But, fuhr Guido fort, Doch auch ſchon 
bei aufrichtigem Zweifeln daran, hätte Sreund 
Endwig feine Phantafie durch ein laͤngeres Aus⸗ 
barren am leichteften und beften widerlegen koͤn⸗ 
nen und follen. 

Ad ob es nicht Zuftände gebe, in denen bie 
Phantaſie ſich zur Oberherrin aller andern Kräfte 
aufwirft, vorübergehende, vieleicht krankhafte 
Baftände, die aber darum doch felbft bei dem 
Gefundeften zuweilen eintreten koͤnnen! rief Kons 
Rantın aus. 


Ja, wenn Gie eine Föryerliche Krankheit zur u 


Urfache annehmen ! fprach Guido. 


. €i, verfegte der Undere, alle Schwaͤche iſt 


Krankheit, und ob fie vom Körper oder der Seele 





08 


ie gerufen! rief Hilarie, ald Guido Bier 
noch eintrat. * Beide Ohren müflen Ihnen ſtark 
geflungen haben. 

: Daß ich nicht wäßte! ermwiberte er laͤchelnd. 

D‘, Sie lAugnen es nur, wie Sie alles 
laͤugnen. Geſtehen Sie's lieber, Daß Ihr linkes 
Dhr Ihnen feine Ruhe gelaflen bat, bis Sie 
bieher eilten, um dadurch dem Geſpraͤche uͤber 
Sie ein Ende zu machen. 

E 3 bin alfo fo gluͤcklich geweſen ? fragte Guido. 

Gluͤcklich und unglüdlih, wie Sie's neh⸗ 
men. Ein Gluͤck ie zum Beifpiel allemaf, 
wenn .Theodore und ich von Ihnen fprechen. 
Allein Geſpraͤche, die im länken Ohre des ad» 
weſenden Gegenſtandes wiederklingen, ſind wenig⸗ 
ſtens von ſehr zweideutiger Art. Mit Einem 
Worte, wir haben und über Sie aufgehalten, 
aber doch fo, „daß wir Ihre Perſon ſehr zu ver⸗ 
miſſen vorgaben. 

Guido fand ſich mit einer Artigkeit ab. Doch, 
der ſonſt immer ſo reiche Fluß der Unterhaltung 
wollte noch nicht in Gang kommen. Die man⸗ 
nichfachſten Gegenſtaͤnde wurden vergebens her⸗ 
beigezogen; an keinem haftete die ſeltſame Sproͤ⸗ 
digkeit der Worte des Abends. 

Endlich fing noch Julie, die Wirthin, zu 
Konſtantin alſo an: Ach, lieber Bruder, gut, 
daß mir's einfaͤllt, wer bewohnt denn jetzt den 


105 


erfien Stod Deines Haufe? Das muß ein gar 
vornehmer Herr ſeyn! Wenigſtens ift der Thuͤr⸗ 
ſteher überaus reich mit Golde berändert, 


Allerdings, antwortete der Gefragte, widers 
fährt meinem armen Haufe fall zu viel Ehre 
Mehr als Ein vornehmer Herr wohnt darin, 
Wenn nur auch der Zind gehörig abgerragen 
wird! — Er nannte hierauf einige der groͤßten 
Sürften, fo daß man ſich wundern wußte, wie 
er an der Berichtigung der Mierhe auch nur im 
mindeften zweifeln konnte. 


Daß, fuhr Julie fort, der Stolz ba Dei⸗ 
nen Herren Abmiethern zu Hauſe ift, das darf 
man fihbon aus dem Thürhüter fohließen. Denn 
diefe fteife Haltung, dieß wahrhaft fleinerne Ges 
fit, hat für mid) etwas überaus Schauerliches, 
Sogar den Stock mit großem, filbernem Knopfe 
haͤlt Ser Menfch immer auf dieſelbe Weife, fo 
daß es Fein Wunder ift, wenn, wie ed gefchieht, 
die Straßenkinder bei ihm ſich ſammeln und ihn 
angaffen. Geſtern in der Abenddaͤmmerung ging 
ich auch wieder vorbei, und als mein Blick auf 
die lange regungsloſe Geſtalt fiel, da ſchuͤttelte 
mich die Furcht ſo zuſammen, daß ich meine 
Schritte mehr ald verdoppelte, um nur aud ber 
gefpenftifchen Sphäre zu fommen. 


Konftantin lachte, 


106 
Nein, entgegnete Julie ernft genug, mir war 


, ich verfichre Dich, gar nicht laͤcherlich! 


Das wird's aber werden, wenn ic) fage, 
daß der goldbefäumte Thürfteher wirklich nicht 
aus Fleiſch und Blut, wie feine Kameraden und 
wir feier, fondern aus bloßem, todtem Wachſe 
beſteht, und daß er, mir Einem Worre, al da6 
Proͤbchen yon einer Sammlung Figuren, welche 
den erſten Stoß einnehmen, die Borübergehen: 
ben anloden fol. Daß Du flatt deffen abge⸗ 
ſchreckt worden bift, liebe Schweſter, das rührt 
eined Theils von allzu flüdhtiger Betrachtung, 
andern Zheild aber von der in ber That recht 
vorgäglichen Nachahmung ber Menſchengeſtalt ber, 
welche diefer Figur, ſo wie den meiften der Samm 
lung nicht abzufprechen iſt. 

Warum läffeft Du mich denn aber aud fein 
Ster benswoͤrtchen don den Herrlichkeiten in Dei⸗ 
nem Hauſe hören ? 

Entweder, weil ich’ vergeffen habe, ober 
auch vielleicht, weil ich in Verdacht kommen 
koͤnnte, ald wollte ich mir bie Zweifel wegen 
Berichtigung des Miethzinſes durch Dich und 
meine uͤbrigen Freunde auf eine beruhigende Art 
föfen laffen. Und fie find wirflih nicht aus 
der Luft gegriffen, waͤhrend der drei Tage, daß 
die waͤchſernen Potentaten in Geſellſchaft ver⸗ 
ſchiedener Mordbrenner und Gelehrten in mein 


107 


Hand gezogen find, Bas noch faft Feine Seele 
nad ihnen gefragt, und mancher Umſtand ſagt 
mir, daß der Beſitzer der Figuren daruͤber in 
“nicht geringer Berlegenheit feyn mag. - 

Et, ſprach hier Karl, ‚liegt doch die Unter⸗ 
haltung heute ohnehin wie an Ketten, wer weiß, 
od nicht die Wachdfiguren und mit Stoff für 
den Reſt des Abends verforgen könnten? ‚Wie 
wäre es, wenn win fogleidh dem armen Herrn 


fo vieler hohen Häupter et caͤtera einen kleinen 


Troſt hinuͤber brachten ?. 

Der: Borfchlag fand Beifall bei der. Mehra 
heit der Anweſenden. Da erhob. auf Einmat 
Hilarie- ihre Stimme. Gent bewahra mich, riek 
fie, vor dem widermärtigen Anblicke einer ſolchen 
Geſellſchaft Erſt var werigen Monaten habe ich 


eine aͤhnliche in Mien geſehen, und bin froh gen . 


weſen, die Erinnerung baran:allmählig los gewor⸗ 
den au ſeyn· Diehrere Zimmer voll ſtummer ge⸗ 
ſchminkter Beichen find. Ar mid «in wahrhaft, 
grauſender Anblid, — 

.AIm exſten Dromenta bielleiche — wrſetue Suic 
er. men manaberawäst —— | 

Ki. was eswägen, "Bel: Nilarie ein, Bag 
fommt unfer ein& gar. nicht; wenn einem ba, 
Hexz Hopf, — Ich: verbitte mir alles Spot, 
sen. — Und geſetzt, "ich bedaͤchte hundertmal, 
hedaͤchte, mad für einen, Schlag yon Menfchen 





108 


ich ba vormir hätte, mein Auge würde ſich doch 
beleidigt finden von der Zufammenftellung fo 
Bimmelmweis auseinander fiehender Perfonen und 
Stände. 

Das aber, Befle, ſprach Guido, das zieht 
"Ja eben‘ die Sache in's Komiſche, woran Ihre 
Brillen am leichteften ſcheitern werden. 

In's Komiſche? Nichts weniger! Gradedurdh 
dieſes Ineinanderwerfen der Stände, Alter und 
Gharaftere mußte mir ja wohl zunaͤchſt der Tod 
einfallen, der hierin auf die naͤmliche Weiſe ver⸗ 
faͤhrt. Ich muß unter Leichen zu ſeyn glauben, 
weil im Leben ſolche Dinge gar nicht vorkom⸗ 
men konnen. Und jebeffer die-menfchlige Form 
dem Nachbildner gelungen iſt, deſto fehfimmer 

nur füs mich. Kommt boch fogar der Gerud) 
des Wachſes hinzu, mich in meinem.fehr unbe 
auemen Glauben zu:beflärken. 

Ich Täugne nicht, ſagte Ludwig, daß mir im 
Anm ähnlichen Kuͤbinette meine Phantaſie Strriche 
geſpielt hat, die mich hinterher zum Errdthen 
brachten. ‚Beim Beobachten · der dem Leben mehr 
nachgeäfften, als nachgebildeten Fotinen / ſtel mir 
der: Wedanke ein, wie, wienn es fchadenftoh⸗ 
Benin. gäbe, die dann iund warn plotzlich eine 
biefer Wachsfiguren mit einem auffallenden Scheine 
bes Lebens verſahen, Veſtaͤnde er auch Nur in 
einem Blicke oder Laufe,: vder der geringſten Ber 





. 109 


änderung der Stellung. Ich verſichere Sie, Buibo, 
daß mir bei diefer Vorſtellung eiskalt wurde , 
und ich ein Paar noch Abrige Zimmer lieber 
unbefehen ließ, um nur, wie unfere reigende 
Wirthin, aus der gefpenflifden Sphäre zu 
fommen. " 


Aber, Sie hätten, fiel Guido ein, Ihrer 


Phantafie durchaus den Weg vertreten müffen! — 
Darüber, glaube ih, find wir indgefamt eins 
verftanden, daß es Feine Gefpenfter giebt. 

Wenigſtens, verfehte Konflantin, laͤchelnd, 
zweifeln wir gewiß alle eher an ihtem Dafeyn, 
ald daß wir darauf ſchwoͤren möchten. 

Gut, fuhr Guido fort, Doch auch ſchon 
bei aufrichtigem Zweifeln daran, hätte Sreund 
Ludwig feine Phantafie durch ein laͤngeres Aus⸗ 
barren am leichteften und beften widerlegen koͤn⸗ 
nen und follen. 

Als ob ed nicht Zuftände gebe, in denen bie 
Phantaſie fih zur Oberherrin aller andern Kräfte 
aufwirft, voruͤbergehende, vielleicht krankhafte 
Raftände, die aber darum body felbft bei dem 
Gefundeften zuweilen eintreten koͤnnen! rief Kons 
ſtantin aus. 

Ja, wenn Sie eine koͤrperliche Krankheit zur 
Urſache annehmen! ſprach Guido. 


. ©i, verſetzte der Andere, alle Schwaͤche iſt 


Krankheit, und ob ſie vom Koͤrper oder der Seele 


un 





118 


herruͤhre, daruber find oft die geſchickteſten Aerzte 
ungewiß. So will ich Ihnen jetzt eine Geſchichte 
erzählen, die ganz hierher paßt, eine Geſchichte, 
deren Held ein Mann ift, der im Ganzen feiner 

Einbildungskraft Meifter zu ſeyn verfteht. — Aber 
wo lebt der Starke , der nicht zumeilen durch ſonder⸗ 
bares , ihm oft ſelbſt unbewußtes Zuſammentref⸗ 
fen einzelner Dinge, in eine höchft reigbare, und 
ihm ganz ungewoͤhnliche Stimmung verfegt wer⸗ 
den Fönnte? — 

Mihrere von Ihnen, meine Breunde, erinnern 
Sich wahrſcheinlich meines Iegten Ausfluges nach 
dem Süden von Deutſchland und der Schweiz. 
Es war ein großer Genuß für mich, einen Ges 
ſellſchafter dabei zu haben, wie Bertram, und 
ich bin mit ben mancherlei fröhlichen Begegniffen, 
bie wir auf dieſer Reiſe erlebten, nicht zuräds 
haltend geweſen. Ein einziged nur theilte ich 
Bi6 jegt niemand mit, das durchaus nicht zu den 
fröhlichen gehört. Bergebens frage ich mich ſelbſt 
um die Urſache diefed oft nur durch abfichtliche 
Sprünge in meinem Erzählen erreichbaren Stil» 
ſchweigens. Wer weißdaher, ob nicht ein ſolches 
Verheimlichen ebenfalls Beſtimmung war! — Las 
cheln Sie, lieber Guido, es irrt mich keinesweges. 
So viel iſt gewiß, ein ſchicklicherer Platz für jenes 
Ereigniß hätte ſich ſchwerlich denken laſſen, als der 
ihm heute werden kann. — 


“ 105 
Grillen in den Kopf fegen! ermiberie Be mit An⸗ 
muth. Uebrigend babe ich nichts gewollt mit 
Diefer Bemerkung, ald Euch aufmerffam machen 
auf die unerfannte Wohlthat, welche unferm 
Kraͤnzchen der Himmel durch dieſen melapcholi⸗ 
ſchen Herrn erwieſen hat, 


Wer nichts von Guido hörte, als das, fü 
fiel hier Konflantin, ber Wirthin Bruder ein, 
ber Tönnte ihn wahrlich für eine bloß laͤcherliche 
Perſon halten. Das aber iſt er keinesweges. 


Vielmehr iſt ex ein Mann yon Verſtand und 


Herz. Nur haͤtte er bei einem entſchiedenen 
Hange zur Einſeitigkeit daß Maunichfache der 
bunten — wenigſtens ber europäifchen — Welt 
fehen mäffen, um nicht bisweilen an einer Mode⸗ 


ehorheit zu fcheitern, So fpuft denn auch jetzt 


in ihm der von mandem falſchlich fogenannte 
Geift des arditzehnten Jahrhunderte, ein Ding, 
das alles laͤugnet, was es nicht durchſchauen 
kann, das alles beſſer wiſſen will, als die Stimme 
des Gemuͤths und der Eifahrung, und das mit 
den Graͤneln der jetzigen Revolution in Frank⸗ 
reich, welche hauptſaͤchlich von ſeinem Ungeſchick 
herruͤhren, untergehen dürfte, wie es ſolches auch 
gewiß verdient. — Er wird davon zuruͤckkom⸗ 
men, ſeine Jugend und innere Gediegenheit ver⸗ 
buͤrgen das. 


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112 


Zeitafter den Großen betitelte, aufgeflellt, und 
fo vielleicht des Tegtern unfehlbare Vernichtung 
ſinnreich ausſprechen wollen. Vielleicht war es 
auch nur das Werk des Ohngefaͤhrs, denn wenn 
man manche andere Gruppe anfah, fo wurde 
man fehr zweifelhaft, ob Zufall oder Albernheit 
fie geordnet hatte. 

Tach vielen. der ſchreiendſten Konttaſte zog 
ein Engeldgelicht unfere ganze Seele dergeſtalt an, 
dag wir zum Beobachten feiner ſchlechten Nach⸗ 
barfchafı gar nicht fommien konnten. Es war bie 
Genci, die tugendhafte, und doch des Batermors 
des überführte und hingerichtete Beatrice Cenci; 
ganz ähnlich dem Gemählde, dad wir früher in 
der Billa Albobrandini zu Rom von ihr gefehen 
hatten. Die Gerechtigkeit hatte, aus biefen Zügen 
zu ſchließen, nie einen fo heillofen Frevel began⸗ 
gen als ihre Hinrichtung. 

Bertram gerieth außer fich beim Nachdenken 
darüber, Welch ein Mann wären Sie, fagte er 
zu dem Befiger ded Kabinetd, wenn Sie in bie 
fed Bild der Tauterfien Unfchuld die entflohene 
Seele zuruͤckzaubern Fönnten ! 

Diefer Wunfch ift (don von manchem gefcher 
ben! antwortete der Mann lächelnd. Bor wenig 
Tagen war fogar einer hier, der, nachdem er ihn 
ebenfalls gethan, fich ernftlich zu fürdhten anfing, 
und Außerse, daß die Bilder frühzeitig verſtorbe⸗ 





443 


ner, hauptfächlich hingerichteter Prrfonen zuwei⸗ 


len von ihren Seelen umfchmebt und bei dem 


außgefprochenen Wunfche ihrer Rüdfehr auf Aus 


genblide mit Leben durchfirömt würden. Hier 
wurde des Befiger der Figuren zur andern Seite 
gerufen. 

Seltfame Behauptung t rief Bertram. Yndef 
fen, fo fagte ich mit fcheinbarem Ernfte, ift doch 
vielleicht etwad Wahred daran. Denn je länger 


ich dieſes Fleiſch betrachte, defto wärmer fchmeichelt 


fih) mein Auge es zu finden. Und meinft Du 


nicht, daß troß dem aufrichtigen Wunfche, dab ‘ 
Bild befebt zu Sehen, und, wenn es gefchähe, 


dennoch ein heftiged Grauen anwandeln koͤnnte7 

Wohl möglich! verfekte er. — 

Sieh, fuhr ich fort, fieh, wie die Lippen 
eben beweglich werden. 

Nun nein, antwortete er, fo gefpenftergfäus 
big bin ich darum noch nicht. Ya, auf diefe 
Gefahr koͤnnte ich dad fromme Bild ſogleich bei 
ter Hand fallen. 

Berfuche ed nicht, Lieber! Ein Drud von 
diefen wächfernen Fingern müßte — ich geſtehe 
ed — bis tief in's innerfte Leben ſchauern. — 

Und doch nicht, verfeßte er, wenn man das 
liebe Geficht betrachtet, dad nur gegen dad Böfe 
feindfelig feyn Kann! 


Ein Augenblick war es, wo ich mich unwill⸗ 


Seſpenſterbuch 6. Theil, d 


118 


Yührlich nad) einem Klange aud der Nachbarfchaft 
umfah, und ein zweiter, wo ber Sall meines 
Freundes auf den Fußboden mich gewaltfam nad 
ihin zuruͤcktiß. Der Gall hatte allgemeine6 Aufı 
fehen gemacht 5 was in ben Zimmern mar, firömte 
herzu. Bertram war um fein Bewußtſeyn ger 
fommen. Ich fand ſchon darum große Todes⸗ 
angft aus, weil ich meinen unzeitigen Scherz ald 


eine Miturfadhe anfoh. Denn die unten neben 
ibm liegende abgebrochene Hand ber Cenci deutete 


im Boraud_auf die.Urfache hin. — 


Als er die Augen wieder gedffnet hatte, ſchloß 
er ſie auch ſogleich von neuem, verlangte hin⸗ 


weg, und that ſie auch nicht eher auf, als bis 


ich, fein Führer, die Thuͤre des Wachskabineto 
hinter und zuklappte. — | 

Den ganzen Abend wieß er alleb Geſpraͤch 
über den Vorfall von ſich, und trug mir auf, mit 
dem Inhaber der Figuren den Schadenerfag a 


zuthun, bamit ihm der Mann nur nicht wieder 
zu Geſichte kaͤme. 
Erſt am folgenden Morgen erzaͤhlte er mir, 


wie er die Hand der Cenci ergriffen, und wirb 


lich einen Drud von dem falten Wachs zu 
empfinden geglaubt habe. Sein Glaube daran 


fügte er hinzu, fei nun zwar wiebtr verſchwun⸗ 
den, aber feine übetreigte Phantafie habe der 
Borfpiegelung doch einen ſolchen Schein bet 


\ 








115 


Wahrheit gegeben, daß er gewiß Zeitlebens da⸗ 
ran gedenfen werde. — 

Hu! rief Hilarie, als Konflantin hiermit 
ſchloß num daͤchte ich, müßten wir für alle Wachs⸗ 
figuren gehorfamft danken. Perfonen weniäftend, 
die ſo weit von den Ihrigen entfernt ſchlafen, 
wie ich, die koͤnnen mit biefer Menge Stoff zu 
ſchaurigen Bildern und Träumen voͤllig zufrie⸗ 
den ſeyn. 

Behuͤte, ſchͤne Freundin! ſprach Guido laͤ⸗ 
chelnd. Da waͤren wir rechte Helden und Helbins 
nen, wenn wir und durch eine foldhe Erzählung 
irre machen ließen, die Wachsfiguren felbft gu 
fehen. Denn fo überreigt ift wohl heute untek 
und Feine einzige Phantafie, um ein ähnliches 
Begegniß befürchten zu dürfen. 

Sein Blick fagte deutlich geaug, daß det 
Spott, zu dem fich dabei die Lippe verzog, auf 
Konflantin gemuͤnzt war. Hilarie kaͤmpfte zwar 
noch mächtig an gegen den Beſuch der Wachs⸗ 
figuren , ald aber alled nichts Half, fo entſdioß 
ſie ſich ſelber mitzugehen. 

Sulie holte erſt wieder friſch Athem, wie fie 
nebſt den Uebrigen vor ihres Bruders Haufe ſtand, 
und dem von Lampen ringsumgebenen Thuͤrſte⸗ 
ber, der ihr das Voruͤbergehen ſchon ein paar 
Mal recht unbehaglich gemacht hatte, In dad 
wächferne Angeſicht ſehen konnte. Ihr Lächeln 


92 


Sn ⏑— ————⏑⏑ ⏑ SS De — — — 


116 


aber- über bie Sache wurde nur allzubald durch 
einen mächtigen Schreck verbrängt. Denn oben 
beim Eingange Fam sine Geſtalt grade auf die 
Geſellſchaft zu, dem Thuͤrſteher bis auf den feh⸗ 


- Inden Stod in allem fo aleih, daß fie auf den 
Gedanken gerieth, der Wachsmann fei lebendig 


geworben, und zum. Fenſter bereingefliegen, um 
fie nun auch oben zu empfangen: 

Hilarie fließ einen lauten Schrei aus. Der 
Beſitzer der Figuren, wofür fich dieſe Doublette 
vom Portier bald: zu erfennen gab, aͤußerte, daß 
ihm dad Staunen und zum Theil Erfchreden 
der Gefellfehaft ſchmeicheln müffe, weil er fein 
Antenſtehendes Ebendild, fo wie alle übrige Wachs⸗ 
figuren,: felbft, verfertiget habe. Aber Konftantin 
meinte, bieß heiße den Scherz zu weit treiben, 
und vietb ihm an, weniäftend dad Treſſenkleid 
Fünftig abzulegen, weil fein Triumph ber geſchickten 
Nachbildung: mit dem Erſchrecken der Zufchauer 
allzutheuer erkauft fe. - 

Guĩdo Fonnte fich des heftigften Lachens über 
diefe Bermahnung nicht enthalten, und zog, da 
Die ganze übrige Geſellſchaft legtere billigte, hier⸗ 
mit für die naͤchſte Zeit gleichlam «eine Scheider 
wand zwifchen ſich und die Undern. 

Statt, gleich diefen, dem Beliker des Kabi⸗ 
netd zu folgen, und beffen zuweilen fehr merk: 
würdig unrichtige Erklärungen biflorifcher Pers 





217 


fonen mit anzuhdren,- eifte «neorand, divenigen 
Siguren vorzugsweiſe hetrachtend, deren Phyfingnor, 
mie am meiften auffiel,. fg daß er allen Uebrigen 
bald vhllig aus dem Sehhtn Fam. — ı.:. 
Hilarlens Aengſtlichteit und Beſorgaiſſe, wann 
hinter ihr etwas ſich regte, gaban viel Staff zur, 
kuft, an der fie eudlich ſelbſt mit. Theil nahm. 
Nur hielt ſie ſich gemeiniglich in der Uebrigen 
Mitte, um nicht etwa, abgefondert von ühnen,: 
ein fchlimmered Loos als dieſe gu erfahren: 
Endlich redete ke Konſtantinen alſo an: Nichn 
wahr, das ſind-ganz andere, als jene bo s.h.afe 
ten Wachſfiguren in Münden? — Freilichtu 
fügte fie ſogleich ſelbſt hinzu Schon die proͤchen 
tige Kleidung zeigt: dag, nicht wahr tr Sprechen 
Sie doch ia, au non tm rn. Tr 
Sie antworten je uf Ihre. Sragen ſelbit fps 
tihrig, daß, xs meintt: dabei ges. nicht Mash, 
fagte er aͤchelnd. —WW 
Nun, danm möchte iq wohl zoiffen, Aber 
fie heimlicher als zuvor, ob. man bien eine 
Hand anfaffen:fönne, hm sind beforchten gu; 


dürfen ? 5 tn 
Ich ehe für nl. mas Senf: ums 
beuunißvoll, I rel 
Ufo doch mögih tt —8 


Er. zudte die. Ychfeln. . oo 
D das if mir hoͤchſt fatal, .. Bean Sir lau 


v 








gg wy— BE —ö 


418 


Yan gur nicht, "we eb mich dazu treibt und 
Angſtigt, wie. «6 mich in⸗allen Singern nad fo 
denen Wachshand zudt I 

Denken Sie doch nur an den Wpfel, den die 
ol Schlange ver-Cha’relhte! rief er pidelich in 
. ein Tantes Lachen andtechend. — 

- Sie Haͤßlicher! fügte Hilarie anetdig; als er 
Heraufdee ganze Sache der Geſellſchaft mittheilte, 
die daruͤber in eine überaus luſtige Laune gerieth. 

Abrr obſchon der Boſitzer des Kabineis dem 
furchtſamen Fraulein verſicherte, daß fie jede der 
Flauren ganz getroft. bei der Hand nehmen koͤnne, 
und ihr auch mes gutem Beiſpiel voranging, ſo 
wägte fie doch nicht ’ihter Neigung nachzugeben. 
Heͤchſtens falf.- Man: fir dann nad’ wenn mit 
großer Behutfamkeit und Zurcht, als ob: «8 einer. 
Elrfeitfirinafdpind geile ,''wadh dent Aleide einer 
Siaur' greifen, welches ifnmier iſehre voſſirlich her⸗ 
auskam, und den Beobachtern vielleicht "ehr 
Vorgitägen"ald die Zaubtſache gewahrte. — 

:Gutdo war ihnen inzwiſchen fo ganz in Ber 
geffeuheit: rather, daß fie ordentlich ſtaunten, 
wie ſie ihn im letzten Zimmer ſtehen ſahen. Er 
beatertoe ir Eiattecen Jar nicht, fo tief verloren 
war er in das Anſchauen einer weiblichen Figur, 
einer, der Haltung und Ordnung des Anzugs 
nach, vornehmen Dame, einem Sehr voller 
Seele und Anmuch-- a 








443 


ner, hauptfächlich hingerichteter Prrfonen zuwei⸗ 
len von ihren Seelen umfchmebt und bei dem 
audgefprocenen Wunfche ihrer Ruͤckkehr auf Aus 
genblicde mit Leben durchſtroͤmt würden. Hier 
wurde der Beſitzer der Figuren zur andern Seite 
gerufen. 

Seltfame Behauptung ! rief Bertram. Indeſ⸗ 
fen , fo fagte ich mit ſcheinbarem Ernfte, ift doch 
vielleicht etwad Wahred daran. Denn je länger 
ich dieſes Fleiſch betrachte, defto wärmer fchmeichelt 
ſich mein“ Auge es zu finden. Und meinft Du 
nicht, daß trog dem aufrichtigen Wunfche, das 
Bild belebt zu Sehen, und, wenn es gefchähe, . 
dennoch ein heftiged Grauen anwandeln koͤnnte? 

Wohl möglich! verfegte er. — 

Sich, fuhr ich fort, fieh, wie die Lippen 
eben beweglich werden. 

Nun nein, antwortete er, ſo gefpenftergläus 
big bin ich darum noch nicht. Ya, auf diefe 
Gefahr koͤnnte ich dad fromme Bild, fogleich bei 
der Dand faffen. 

Verſuche ed nicht, Fieber! Ein Druck von 
diefen wächfernen Fingern müßte — ich geftehe 
es — bis tief in's innerfte Leben ſchauern. — 

Und doch nicht, verfegte er, wenn man das 
Tiebe Geſicht betrachtet, das nur gegen dad Boͤſe 
feindfelig feyn Tann! 

Fin Augenblick war ed, wo ich mich unwill⸗ 

Geſpenſterbuch 6. Theil. 0 | 





420 

um dann deſto ſchadenfroher über ihn herzu⸗ 
* fallen, \ 
Endlich aber, ald man ſchon wieder In Juliens 
Behauſung ſaß und die allaemeine Spannung fich 
in einem anhaltenden, unerfreulichen Stillſchwei⸗ 
gen deutlich genug ausgeſprochen hatte, da konute 
Hilarie doch Ihre Neugier ‚nicht mehr. im Zaume 
halten. Erzaͤhlen Sie, . Guido, fagte fie, auf der 
Stelle und ohne alle Umſchweife, was hatte e# 
mie Ihnen und jener Figur für Bewandtniß ? 
Sie müffen fprechen ! Rüge oder Wahrheit, wa$ 
Sie wollen, nur ſprechen Sie, damit. wir Undera 
auch einmal wieder zur Sprache fommen. Denn 
nichts iſt doch häßlicher und unerträglicher, al$ 
wenn eine Geſellſchaft bloß darum, weil fie ſtille 
Wachsfiguren gefehen hat, nun felber zu einem 
ſtummen und ſchauerlichen Wachsfigurenkabinette 
werden will. — 

Ja, ich will reden, fagte hierauf Guido, und 
das mit fo bangem, wunderlichem Zone, daß die 
Anweſenden den Gedanken .an Verftellung ſogleich 
‘aufgaben. Ich muß fogar reden ; hauptfächlich 
unſers Ronftantind halber. — Unfehlbar hat mar 
mir vorhin angemerkt, daß ich feines Freundes 
BSegebenheit in München, trog des fo wahrhafr 
ten Yugenzeugen, din Zweifel 309. Jetzt denke 
ich gang ander&darüber, nachdem mir felbft etwas 
siemlich Gleiches begegnet ift. — Die hoͤchſtre itzen⸗ 





115 


Wahrheit gegeben, daß er gewẽ Zeitlebens · bar 
ran gedenken werde. — 

Hu! rief Hilarie, aAis Konſlantin hiermit 
ſchloß, nun daͤchte ich, muͤßten wir für alle Wachs⸗ 
figuren gehorfamft danken. Perſonen wenigſtens, 
die ſo weit von den Ihrigen entfernt ſchlafen, 
wie ich, die koͤnnen mit dieſer Menge Stoff zu 
ſchaurigen Bilden und Traͤumen voͤllig zufrie⸗ 
Den fen. 

Behuͤte, ſchoͤne Freundin! ſprach Guido Tär 
end. Da wären wir rechte Helden und Helbins 
nıen, wenn wir und durch eine foldhe Erzählung 
irre machen ließen, die Wachöfiguren ſelbſt zu 
fehen. Denn fo überreige ift wohl heute untek 
uns Feine einzige Phantafie, um ein ähnliches 
Begegniß befürchten zu dürfen. 

Sen Blick fagte deutlich genug, daß der 
Spott, zw dem ſich dabei die Lippe verzog, auf 
Konftantin gemünzt war. Hilarie Fämpfte zwar 
noch mädıtig an gegen den Befuch der Wachs⸗ 
figuren, als aber alles nichts half, ſo eiſwiot 
ſie ſich ſelber mitzugehen. 

Julie holte erſt wieder friſch Athem, wie ſie 
nebſt den Uebrigen vor ihtes Bruders Hauſe ſtand, 
> und dem von Lampen ringsumgebenen Thuͤrſte⸗ 
ber, der ihr das Voruͤbergehen ſchon tin Paar 
Mal recht unbehaglich gemacht Hatte, in dad 
wächferne Angeſicht ſehen konnte. hr Lächeln 


92 





420 
um dann beflo fdhadenfroher über ihn herzu⸗ 
“ fallen, \ . 
Endlich aber, ald man ſchon wieder In. Juliens 
Behauſung ſaß und die allaemeine Spannung fich 
in einem anhaltenden, unerfreulichen Stiufchweis 
gen deutlich genug ausgeſprochen hatte, da konutt 
Hilarie doch Ihre Neugier ‚nicht mehr. im Zaume 
halten. Grzähfen Sie, Guido, fagte fie, auf der 
Stelle und ohne alle Umſchweife, was hatte «6 
mit Ihnen und jener Figur für Bewandtniß ? 
Sie müffen fprechen ! Lüge oder Wahrheit, was 
Sie wollen, nur fprechen Sie, damit wir Undern 
auch einmal wieder zur Sprache kommen. Denn 
nichts iſt doch häßlicher und unerträglicher, ald 
‘wenn eine Gefellfhaft bloß darum, weil fie ftille 
Wachs figuren geſehen bat, aun ſelber zu einem 
flummen und fchauerlichen Wachsfigurenfabinerte 
werden will. — 

Ja, ih will reden, fagte hierauf Guido, und 
das mit fo bangem, wunderlichem Zone, daß die 
Anweſenden den Gedanfen .an Verftelung fogleich 
"aufgaben. Ich muß fogar reden ; hauptſaͤchlich 
unſers Ronftantins halber. — Unfehlbar hat man 
mir vorhin angemerkt, daß ich ſeines Freundes 
Begebenheit in München, troß des fo wahrhafs 
ten Yugenzeugen, in Zweifel zog. Jetzt denke 
ich gang anders darüber, nachdem mir felbft etwas 
gziemlich Gleiches begegnet iſt. — Die höchflrejgen, 


124 


" den Züge ber Geſtalt, bei der Sie mich wieder⸗ 
fanden, erregten mein Intereſſe dermaßen, daß 
ich von ihrem Anfchauen gar nicht ablaffen fonnte, 
Und — ſollte man's denken! — je Tänger ich fie 
por mir hatte, defto fefler ward der Glaube in 
mir, es fige feine Wachsfigur, fondern ein wirk⸗ 
liches Wefen da. Dein Auge fah deutlich bie 
Megungen des fchönen Lebens. Gleichwohl befiel 
wid eine Scheu, die Geſtalt näher zu betrachs 
ten, oder anzufaflen. Da rief ich denn Konſtan⸗ 
tin zu. mir, welcher laͤchelnd das Geſicht unters 
fuchte -und mich darauf felber dazu veranlaßte. 
3a, in dein Yugenhlide, als ich ed nun anfühlte, 
war es unflreitig yon Wache. Aber nach immer. . 
frage ich mich, ob es eine Minute fruͤher nicht 
anders damit geweſen ſei? Nimmermehr haͤtte 
ih meiner Phantafie ſolch eine ungewoͤhnliche 
Ausſchweifung zugetraut! — 

Da haben wir's! rief Hilarie ‚gifchend. Nun 
find wir hierin ganz gleich geworden.  Yergerlich 
iſt's indeffen Doch. Denn wenn felbft fo ruchlofe 

Zroeifler zur (Erfenntniß kommen , dann hat man 
ja gar feinen Schuß mehr gegen- feinen eigenen 
Geſpenſterglanben. — — 

Sagen Sie mir, Konftantin, fa fprach Guido, 
ihn beim Fortgehen am Arme faſſend, Tonnte ſich 
denn Bertram fpäterhin überzeugen , daß bad Bild 
der Cenci in jenem Augenblicke nicht wirklich lebens 


1m 


"dig geworden war, Tonnte er ſich überzeugen, baf 


er's dabei bloß mit feiner Phantafie zu thun 
uehabt habe? 

Allerdings! war die Antwort. Wie oft has 
er nicht in der Folge Darüber vecht herzlich lachen 
Tonnen! 

Wollte Gott, rief Guido, ich wäre ſchon 
auch fo weit. J 

Sie glauben alfo noch immer an etwas Ueber⸗ 
natürliches? 

Leider, ja. — So feltfam und widerfinnig 
und gegm ale meine Grundfäge es if, ih muß 
daran glauben, wenigſtens in manchem Momente, 
— Als ich das liebliche Geſicht anflaunte, fo 
überrafchte mich ganz plöglich der Gebanfe an 
Pyamation und fein Glü@ bei Erfüllung des 
Tange genährten Wunfched. Und drauf fing auch 
die Figur vor mir ſich allmählig zu beleben an, 

Aber), ‘lieber Guido; da haben:Sie ja mit 
einem Male den ganzen Gang einer gereigten Eins 
Bildungstraft. Morgen werden Sie Sich gewiß 
die Sache grade fo denken, wie ich. 

Ich zweifle noch. Uebrigend, Konflantin, 
Habe ich eine große Bitte an Sie. Begleiten Sis 
mich body zu dem Befiger der Wachsfiguren. Die 
bewußte gehärte zu denen, welche darin eine Aus ⸗ 
nahme von ben meiften übrigen machten, daß Fein 
Zettel mit der Auskunft über das Urbild davor lag. 


119 


Hilarie näherte ſich ihm leiſe und fiah Aber j 


feine Schulter herein, Hoͤchſt erfchroden fuhr er 
sufarmen, 

Nun, nun, rief fie, ich bin ed ja: Aber 
mein Gott, was fiht Sie denn an; Sie find ja 
xben bleich wie der Tod geworden F— 

Statt aller. Antwort aber eilte ervon ihr hin⸗ 
weg gu Konftantin, und ſprach feife mit diefen, 
ihn vor dad Frauenbild führend. 

Ohnfehlbar wollt Ihr mich zu fürchten mas 
hen! rief Hilarie, ald Beide die Figur hoͤchſt 
aufmerkſam betrachteten. 

Dieſer Vorſatz wuͤrde gewiß ſchon gelungen 


ſeyn, wenn er da geweſen wäre. Denn fo, ſchnell 


als moglich eilte fie zu den Uebrigen zuruͤck. 

Konſtantin theilte noch lange Guido's aus⸗ 
ſchließende Aufmerkſamkeit auf jene Geſtalt, doch 
zeigte ſein Kopfſchuͤtteln, als er das Geſicht be⸗ 
taſtet hatte, daß er in Beurtheilung derfetben 
mit Guido nicht einderflanden war. — 

Nur mit Mühe hätte die Neugier der Ans 
bern ſich der Nachfrage nach Guido's Seltfamfeit 
enthalten. Bieleicht trug hierzu der Umftand 
bei, daB man fürchtete, der allgeitfertige Zweifler 
wolle, fo wenig er auch im Allgemeinen zum 
Scherz aufgelegt war, dem Glauben an irgend 

“ ein uͤbernatuͤrliches Einwirken durch falfche Bors 
foiegelung von dergleichen nur eine Falle legen, 
’ 


us 


124 


einem natürlichen Tode entfernt zu feyu. An 
einen unngrürlichen aber, eine — Hinrichtung, 
mir grauf ſchon vor dem Worte in diem Zus 
foarmenhange! ift bei fo reinen Jugendlichen Zügen 
gar nicht zu denken. — 

Ei, fel Hier Konſtantin ihm in die Rede, 
ſo denken Sie dody nur an dad Bild der Senci, 
dad Sie gewiß, wenigfiend in Kopie, geſehen 
baben. 

Guido ſchien son der Semrrtung esfäättert, 
doch nicht fo fehr, um dadurch zu Aufgebung 
feines Vorhabens bervogen zu werden. — 

Ich myBwilfen ; wer fie iR! fagteer, und 
Konſtantin begleitete ihn zu den Warbsfiauren. 

Der Befiger, bei ihrer Ankunft eben in Bes 
griff ſtehend, die Ausſtellung zu ſchließen, ging 
mit den Schauluſligen noch einmal zuruͤck. So⸗ 
Hfeich ſoll die Erleuchtung beſorgt ſeyn! ſagte er. 
Doch Guido verhinderte ihn am Anzuͤnden der 
ausgeldſchien Lichter mit der Verſicherung, daß 
es ‚ihnen bloß. auf das letzte Zimmer ankomme. 

Als fie. hierher gelangt waren, ‚fragte ber 

Wißbegierige: Wer iſt diefe Dame? — 

Alle die, antwortete her Mann, vor denen 
fein Zettel Tiegt,. find bloße Ideale. - 

- Die andern; ja! verfegte der Fragende erhigt. 

— Bon biefer- Figur aber machen Sie mir dab 
nice weiß. Hier iſt Eberalieꝛr und Leben und 


| 123 
Individuelles, was ich in ber Flachheit'aller der 
fogenannten Ideale dabei vermiffe, 

Der Herr find Kenner! ſprach der Befiger: 
Doc kann ich nicht dienen mit dem Namen der 
Perſon. 

Verkaufen Sie welche von Ihren Figuren? 

O ja. 

Guido erkundigte ſich nach dem Preiſe, be⸗ 
friedigte, ohne alles Abdingen, ſogleich die For⸗ 
derung und machte nur dad unverzügliche Fort⸗ 
ſchaffen ded Bildes in feine Wohnung noch aus, 

Du fiehft mir mit Deinem Leben für aılen 
Schaden daran! faate er zu dem. Bedienten, dem 
der Transport anvertraut wurde, 

Sorgen Sie nicht, antwortete fein Herr, der 
weiß damit umzugehen. Zugleich fragte er ihn, 
fihtbar erfreut über den großmüthigen Käufer, 
ob er nicht noch etwas. aus der Sammlung fich 
ausſuchen wolle _. | 

Nein! war die Antwort. Doc bot Guido ein 
Goldſtuͤck für die Achte Nachricht von dein Dris 
ginal der gekauften Figur.. 

Aber ganz unter und, fagte nach einigem 
Zögern der Mann, es ift eine Dame aus Frank⸗ 
reich. 

. Und ihr Name? warum ein ſolches Zaubern 
damit? fiel Guido mißvergnügt ein. 

Weil man in jegigen, ſchlimmen Zeiten jebed 


124 


einem natürlichen Tode entfernt zu feyn. Un 
einen unngtürlichen aber, eine — Hinrichtung, 
mir graut ſchon vor dem Worte in dieiem Zus 
ſaumenhange! ift bei fo reinen jugendlichen Zügen 
gar nicht zu denken. — , 

Ei, fel Hier Konftantin ihm in die Rede, 
fo.denten Sie doch nur an dad Bild der Genci, 
das Sie gewiß, wenigſiens in Kopie, geſehen 
baden. I . 

Guido ſchien von der Bemerkung erſchuͤttert, 
doch nicht fo fepr, um ‚dadurch zu Aufgebung 
feines Vorhabens bewogen zu werden; — 

Ich my wiſſen; wer fie iR! fagteer, und 

Konftantin ‚begleitete ihn zu den Waröfiauren. 

Der Befiger, bei. ihrer Ankunft eben in. Bes 
ariff ſtehend, die Ausſtellung zu,fchließen, ging 
wit ben Schaulufligen noch einmal zuruͤck. So⸗ 
oleich foll die Erleuchtung heforgt ſeyn! fagte er. 

Doch Guido verhinderte ihn am Anzuͤnden der 
anßgelbfchren Lichtes mit der Berficherung, daß 
es ‚ihnen bloß;auf dad feßte Zimmer anfomme. 

Als fie. Hierber. gelangt waren, ‚fragte der 

Wiß begierige: Wer iſt diefe Dame? — 

Alle die, antwortete der Mann, vor denen 
fein Zettel Tiegt,. find bloße Ideale. ! 

- Die andern; ja! verfegte der Fragende erhigt. 

— Bon biefer- Figur aber machen Sie mir dad 
nice weiß. Hier iſt ‚Sbarakter und Leben und, 


125 
Individuelles, was ich in ber Flachheit aller det 
fogenannten Ideale dabei vermiffe, 

Der Herr find Kenner! fprach ber Befiger. 
Doch kann ich nicht dienen mit dem Namen der 
Perſon. 

Verkaufen Sie welche von Ihren Figuren? 

D ja. | 

Guido erfundigte ſich nady dem Preife, ber 
friedigte, ohne alles Abdingen, fogleich die For⸗ 
derung und machte nur dad unverzügliche Fort⸗ 
fhaffen ded Bildes in feine Wohnung: noch auß, 

Du fiehft mir mit Deinem Leben für allen 
Schaden daran! faate er zu dem. Bedienten, denz 
der Transport anvertraut wurde. 

Sorgen Sie nicht, antwortete fein Herr, der 
weiß damit umzugehen. ' Zugleich fragte er ihn, - 
ſichtbar erfreut über den großmüthigen Käufer, 
ob er nicht noch etwas. aus der Sammlung fich 
außfuchen wolle. 

Nein! war die Antwort. Doc bot Guido ein 
Goldſtuͤck für die Achte Nachricht von dem Ori⸗ 
ginal der gekauften. Figur.. 

Aber ganz unter und, fagte nach einigem 
Zögern der Mann, ed ift eine Dame aud Frank⸗ 
reich. 

Und ihr Name? warum ein ſolches Zaudern 
damit? fiel Guido mißvergnuͤgt ein. 

Weil man in jetzigen, ſchlimmen Zeiten jedes 


— — 


126 


Wort abzumägen hat. Indeſſen — dabei näherte 


ſich feine Hand dem Goldſtuͤcke; Guido bemerkte 
es, und es fiel hinein — indeß bei Ihnen, meine 
Herren, verläßt mich alle Beforgnig. Sie hieß 
Marie von Münzerberg. 

Die? fragte Guido erbfeicht zurüdtweichend. 
Lebt fie erwa nicht mehr ? Der Verkäufer zuckte 
die Achſeln. Ohngefaͤhr eine Woche, nachdem 
ich mir ihrem Abbilde fertig war, das ihr Bräur 
tigam bei mir beftelt hatte, iſt fie, leider! auf 
Einmal verſchwunden, und man fagt fich eine 
Gefchichte in’6 Ohr, eine Gefchichte, bei der gewiß 
jedem ein Schauer anmwandeit, ber die Dame 
jemals gefehen hat. 

Welche Geſchichte? 

Man fagt, fie fei hingerichtet worden: — 


Uber, mein Herr, was widerfährt Ihnen? Sollte 


fie vielleicht eine Verwandte von Ihnen geweſen 
feon? 

Mein! ſprach der Erſchuͤtterte ſich Faffend. 
Der unfelige Sinn ihres Geweſen hat mid 
nur fo ergriffen. Und Schuld wäre es, was 
dieſer Engelögeftalt dad Leben raubte ? 

Schuld und Unſchuld, wer will dad in jenem 
Lande jet unterfcheiden? Die Heimlichkeit 
ber Hinrihtung ſpricht für dad Fraͤulein von 
Münzerberg. Unfehlbar wäre fie unter dem allge 
meinen Mordeifen gefallen. Allein fie-hatte viele 


127 


Freunde, und fo foll einmal bei Nacht in einem 
fhwarz außgefchlagenen Zimmer, von. lauter 
ſchwarz gefleideten Männern mit umflorten Ges 
fihtern, Gericht über fie gehalten, und fie bann 
zu der einen, ein Scharfrichter zu einer andern 
Thüre tingelaffen worden feyn, Dian fol jie auf 
einen Schemel in der Mitte niedergeſetzt und der 

Scharfrichter ihr auf Befehl der ſchwarzen Maͤn⸗ 
ner, nach einigen Weigerungen, den Kopf abge⸗ 
ſchlagen haben. — 

Das klingt gar maͤhrchenhaft! rief Konſtau⸗ 

tin aus. Auch erinnere sch mich einmal etwas 
Aehnliches, ich glaube vom Scharfrichter zu Lan⸗ 
dau , gelefen zu haben, den man bei Nacht abger 
holt, in einen Wagen zu fleigen. gezwungen und 
mit verbundenen Augen fortgefahren, dann Treppe 
auf, Treppe nieder, bis in ein Zimmer geführt - 
bat, wo es gerade ſo ausſah und zuging, wie 
Sie fagten: 
- Eben aus eined Scharfridhterd Munde, erwi⸗ 
derte der Beſitzer des Kabinets, kommt dieſe 
Erzaͤhlung des Vorfalls her. BVermuthlich iſt es 
die naͤmliche Geſchichte. 

Schwerlich! verſetzte Konſtantin. Ich müßte 
mich ſehr irren, oder die, von der ich geleſen, 
hat ſich ſchon weit früher ereignet — 

Auf dem Heimwege ſorach man mehr über 
die Geſchichte. Konſtantin zog fie ſchon darum 


128 


in Zweifel, weil ber heimliche Morb viel ſicherer 
ohne alle Umflände, als mit fo laͤcherlichen, gras 
vitärifchen Formen vorzunehpnen geweſen fei. 

Es ift ein Mährchen, ein bloßed Maͤhrchen, 
faate Guido, wieberauflebend, das mit einem 
Louisd'or zur Gnüge bezahlt und die Unrahe 
nicht werth ift, die ed mir verurfachte, 


— 


Guido's Freunde zeigten ein großes Befrems 
den, ald von ihm, der den ganzen Winter mit 
ihnen zugubringen gedacht hatte, am folgenden 
Morgen auf einmal Abſchiedskarten einliefen. 
Beſonders fiel die Sache Konflantin auf, der 
auch ſogleich in feined Freundes Wohnung eilte. 
Allein diefer war ſchon mit dem Zrüheflen abge, 
reiſet. — 

Konſtantin enthielt ſich zwar der Erzählung 
vom Kaufe ded Wachsbildes und den Mittheis 
Tungen über deffen Original ; doch machte er einft, 
als wieder im Kraͤnzchen die Rede auf den Ahwer 
fenden und deffen fo plöglich mitten im Zweifel 
an allem Unbegreiflichen entſtandene Geiflerfeherei 
gerierh, daruͤber folgende Bemerkung : Wie wide 
sig oft die gerinaflen Kleinigkeiten werden! An 
fich war unfer Beſuch der Wachskzauren etwas 
boͤchſt gleichguͤltiges. Und doch bin idyüherzeugt, 
daß die dort erlebte Begebenheit in Guido's gans 


t 
J 


129 


zem Fünftigem Reben und Wirken anfiingen und 
ſich geltend machen wir! — 

Einen Monat fpäter kam folgender Brief an 
Konſtantine 

„Ihnen, mein Freund; haͤtte ich vor allen 
eine Erklaͤrung meine plöglichen Verſchwindens 
surädlaffen follen. Ich made mit Vorwuͤrfe, 
daß es nicht geſchehen iſt. Ach, wie diele, wie 
bittere Vorwuͤrfe mache ich mir nicht. überr 
haupt !? — 

„Sie werden Sich erinnern, wie wir an 
jenem Abende audeinander gingen. Sie werden 
Sich denken, daß damald zuerft die Stage in mit 
entſtehen mußte: Iſt fie aber auch wirklich dir 
Maͤhrchen die Geſchichte, womit man mich. ads 
fand, und daß meine Bejahüng diefer oft wie⸗ 
derholten Frage zuweilen wie eine halbe Vernei⸗ 
hung aasſehen mochte? Das aber werden Sie 
nicht denken, daß bir gekaufte Figur bei mir 
nicht angelangt war, daß ich, anruhig darüber, 
zuruͤckeile, und den Verkaͤufer aus dem Belle 
klopfe, daß der mit der Ehrlichkeit feined noch 
abmwefenden Bedienten meine Behauptung wider⸗ 
Segen will, und daß, wie fid) bald darauf findet, 
Diefer ehrliche Mann wirklich über alle Berge iſt. — 
Zrog meinem unabldffigen und wegen der dadurch 
verurfachten Storung manches fremden Schlafeß, 
bis zur Unverfhämtheit gehenden Suchens Die 

Geſpenſterbuch 6. Theiili. J 


— 


150 


ganze Nacht Hindurch, konnte ich weder von ihm 
noh von dem Wachsbilde die geringfle Spur 
erlangen. — 


net endlich, meinen Sie, ſei die Sache 
aus geweſen, ich haͤtte, wie das im Leben zu gehen 
pfle gt, einen geringen Verluſt gehabt und ſolchen ver⸗ 
ſchmerzen muͤſſen und follen. Aber vom Sollen war 
überhaupt in mit feine Rede mehr. Es flürmte, 
wie nie, in meiner Bruft, und wenn fie Wahn⸗ 
finn ift, die Ahndung, daß ich dad Original der 
Wachsfigur irgendwo antreffen und mir gueignen 
müffe, fo fchreibt ein Wahnfinniger dieſen Brief 
an Sie Denn es blieb mir Baum Zeit bie 
Abſchiedskarten beraudzufuchen, fo drängte mich's 
hinaus in eine fremde Welt. Veraͤnderte Umges 
bungen thaten mir durchaus Noth! das fühlte 
ich, das fühle ich noch jetzt in den verfiändigeren 
Momenten. Nur traurig, daß dieſe Stimmung 
ſich eben bloß auf Augenblicke beſchraͤnkt und 
die ganze übrige Zeit meinem feltfamen Streben 
gewidmet iſt! — 


„Bas doc ein einziger Abend aus dem Mens 
ſchen zu machen vermag! Erflären Sie mir ben 
Umftand. Erflären Sie mir die plögliche Entr 
ſtehung einer innern Gewalt, die mich hier und 
dorthin drängt und treibt, eines mit einem Male 
ausgebrochenen Vulkans, der vielleicht nicht eher 


» 


131 
aufhört, Zlammen zu. werfen, ald Bid mein 
armed Dafeyn in Afche liegt. — 

„Und nun noch eind. Wenn Giemir ur 
zieben haben, fo machen Sie auch, daß unfere. 
Sreunde ed thun. Julien kbnnen Siealled mit 
theifen, was Sie wiffen. Bu feiner Zeit ſollt 
Ihr indgefamt wieber von mir hören. Zu feiner 
Zeit, fage ich und weiß body nicht, ob bie dar⸗ 
unter verflandene jemald fommen werde! 

‚Die Unordnung biefer Zeilm mag Ihnen 
ein ſchwacher Abriß von meinen Zuftande feyn. 
Sie fängt bamit an, daß der Ort fehlt, wo ich. 
fie ſchreide. Das aber geſchah abfichtlich ; ich 
ſcheute mich allzukindiſch Zu erſcheinen. Falſche 
Schaam! Nachdem Sie ſo viel von dem Kinde 
wiſſen, kommt ein Mehr oder Weniger in keine Be⸗ 
trachtung. — Der Zweifel, ob das vorhin erwaͤhnte 
Mahrchen wirklich Maͤhrchen ſei, hat mich bis hier⸗ 
her, nach Landau, getrieben. Sie wollten doch 
etwas Aehnliches, wie jene Hinrichtung, von dem 
hieſigen Scharfrichter geleſen haben; nur ſcheine 
die Geſchichte aus früherer Zeit herzutuüͤhren. Die⸗ 
fer Beiſatz hielt mich indeſſen nidyt zuruͤck, hier» 
her zu reifen und-ben Scharfrichter zu befragen. 
Der Mann wußte fein Wort. Ich war nur’ 
froh, daß er auch nicht wußte; wie weit ich: 
gereifet din, um mir dieſe Auskunft von ihm 
zu erholen. 


32 


152 

„Hier muß gefchloffen werden. Der Poflillon, 
der fchon beim Anfange dieſes Briefed mir Klats 
ſchen und Blaſen mein Einfleigen zu befchleunis 
gen fuchte ,. hat bereits die ganze Nachbarſchaft 
an bie Fenſler geblafen und geklatſcht. Herzli⸗ 
ves Lebewohl! — 

.Julie erſtaunte, als Konſtantin diefe Nach⸗ 
richten uͤberbrachte. Wer haͤtte das von dieſem 
Guido ſich verſehen! rief ſie aus. Ein ſo ploͤtz⸗ 
licher. Uebergang in eine ganz andere Natur hat 
doch in Wahrheit viel Unnatuͤrliches! — 

Wie man’d nimmt, erwiderte Konflantin. 
Guido beſaß immer mehr Tiefe, als die Bil⸗ 
dung, die man ihm aufgedrungen, geſtattete. 
Sein melancholifched Weſen zeugte fietd von 
innerm Unfrieden. Unglüdliche Ereigniffe kannte 
er nitht an ſich, daher ruͤhrte diefer Unfriede 
gewiß von .den engen Anfichten der Welt und 
der. ihm vorgefpiegelten Leere der Denfchennatur 
ber , die feine Lehrer ihm beigebracht hatten. 
Unter dieſen Umſtaͤnden iſt eine plößliheSmpörung 
. feiner innern Kraft, ſelbſt bei einem ganz gerin 
gen Anſtoße von nußen, leicht. denkbar. Die 
Folgen ded Paropismus find freilich noch nicht 
voraustzuſehen. Doch wollen wir.boffen, daß er 
ihn zum Geile, nicht zum Untengange führen 
werde. 





- 


135 


Den ganzen Winter fehnten ſich Konſtantin 
und deffen vertrautere Freunde ‚vergebens nach 
Briefen von Guido. Außer Julien war jeboch 


niemand etwas von den nähern Umfländen und. 
dem letzten Schreiben mitgetheilt worden. Hilarie, 


Die inzwifchen Ludwig geheirathet hatte, fagte 
unter andern einft in der Gefellfchaft bei Julien: 
Sollte id) nur ein einziges Mal dem hagern, 
melandiolifhen Manne den Leviten Iefen fünnen 
über fein dummes Verſchwinden! Für fo eine 
hochaufgeklaͤrte Perſon ſchickte fich fchon die Bes 
hauptung von dem Lebendigwerden der Wachs⸗ 
figur nicht, geſchweige gar dad Berfhwinden. 
St! fiel Ronftantin ein, wiffen Sie wohl, 
daß man von Dingen, vor denen man ſich fuͤrch⸗ 
tet, ſtill ſeyn muß, wenn die Furcht einem nicht. 
zu Kopfe wachen ſoll? — — 

Mitten unter dem Scherzen über biefen Gegen» 
ſtand Iangte ein Brief an Julien an, der große 
Aufmerkſamkeit auf fih 3095 ein Brief von 
Guido. — Er lebte feit einem Monate mit ber 
Stau, die er ingwifchen genommen hatte, auf 
feinen kaum zwei Meilen entfernten Gute, und 
Ind die ganze Sefelfchaft -für einen ber naͤchſten 
Zage dahin. 


Alſo geheirathet ? rief Ronflantin erfreut dar⸗ 
über, und -sä-Tonnte, micht: fehlen, Daß wegen 


454 


Guido's Talentd zur Häublichleit mandherlei 
Urtheile zum Borfcheine kamen. 

Din Einladung war übrigendum fo willfoms 
mener , da der Brief, ohngeachtet feiner Kürze, 
von einer wahrhaft freubetrunfenen Seele zeugte. 

Hilarie betrachtete die Schriftzüge lange, ehe 
fie verwundert außrief: Wahrhaftig, dad hat der 
hagere Melancholiſche geſchrieben. Ich Tenne 
ſeine Lettern aus meines Mannes Stammbuche. 
Dem hat doch wohl die Ehe den Kopf zurecht 
geſetzt! — 

Guidos Wunſche gemäß machte man ſich ſehr 
fruͤh auf den Weg. Die Gegend um ſein Gut 
uͤberraſchte außerordentlich. Bei einem Waͤldchen 
voll ſchlagender Nachtigallen rief Hilarie aus: 
Und hier, wo fogar ich mich zur Wehmuth herab⸗ 
laſſen koͤnnte, hier ift der tieffinnige Menfch Ius 
flig geworden! — 

Am Haufe waren mandherlei Unflalten für 
den Abend zu bemerken: Vorrichtungen zur Ers 
leuchtung auf der einen und zum Feuerwerk auf 
der andern Seite, — 

Buidp’n felbft erfannte man nicht mehr, afd 
er die Gäfte empfing, fo rund und behaglich 
waren Jet feine Züge. 

Er entſchuldigte bie Abweſenheit ber Gattin, 
die erſt gegen Mittag eintteffen wuͤrde, gu beren 











"155 


Heutigem Geburtötäge dad Feſt heimlich von har 
zubereitet war. — 

Das Beſte, lieber, Guido, fo fing Julie an, 
als während bed Fruͤhſtuͤckks im Garten die Erkun⸗ 
digungen ofimald einander gejagt und ſich das 
Geld fireitig gemacht hatten, ohne im Ganzen 
zu einem Maren Refultate zu führen, das Beſte 
wird feyn,; Sie theilen und Selbftandauf Ei n⸗ 
mal fo viel von Ihrem Schidfale mit, ald wir 
Davon wiffen follen. Ohne dad merben wir bei⸗ 
Derfeitd den ganzen Tag nicht fertig mit Fragen 
und Antworten, und der Erfolg unferer Bemuͤ⸗ 
Hungen ift am Ende doch nur hoͤchſt unvolſſtan⸗ 
dig und füdenhaft, — 

Guido zeigte ſich ſogleich Bereit, ihren von 
den Uebrigen lebhaft unterſtuͤtzten Wunſch zu erfuͤl⸗ 
fen. Nachdem er alle die ‚in dem Briefe an 
Konſtantin berührten Umflände in der Kürze mite 
getbeilt Hatte, fuhr er alfo fort; 

Rad werben Sie fagen, meine Freunde, von 
dem VBorgefühle, von ber Thorheit, wie man 
den Ungeſtuͤm, der mich durch ganz Deutfchland 
und einen Theil von Frankreich trieb, nennen 
könnte, wenn Sie den Erfolg damit zuſammen 
halten ? Ein Bierteliehr war ıch überall.meinem 
Zwecke nachgegangen und dad bewußte Mährchen 
von ber Hinrichtäng irrte mich gar nicht mehr 
in der durch Träume und ſinnvolles Wachen oft 


136 


befeſtigten Veberzeugung, daß ich das Wachsbild 
ohnfehlbar im Leben wieder finden würde, ja 
möäfte — 

Bor drei Monaten komme ich endlich Bier 
auf meinem Gute an, um mic, von deflen Zus 
ſtande zu überzeugen. Es war bie hödifke Zeit, 
die Untreue meined Berwalterd Tennen zu fernen 
und ihn auf der Stelle. zu entlaffen. Die Unord⸗ 
nung, in ber ich alles fand, noͤthigte mich zum 
Bleiben, und. die Arbkis dabei that mir wohl, 
jedoch ohne den Hauptgedanken zu unterdrüden 
oder auch nur zu fibren. — 

. Der Brühfing war im Anguge In der 
ganzen Natur regte ſich bad neue Leben und ein 
erfreulicher, grüner Schimmer Iag Aber dad troſt⸗ 
fofe Grau ber fo lange erflarıs gewefenen Erde 
ausgebreitet. Ringsum quollen die Saaten üppig 
hervor. Wie ein frobed Kind wandelte ich 
eined Nachmittags umher, und gedachte unter 
manchen hier im SKreife geliebter Verſtorbener 
genoffenen Sreude der koͤſtlichen Kraft und Züge 
der erften jahre bed Lebend. Bewußtlod war 
ich gar weit vom Haufe weggefommen. (ie 
Heined Guͤtchen in ber Nachbarfchaft, dab ein. 
Birfenwald von der übrigen Gegend abfonberte, 
befand fich im der Nähe, Mannichfadıe, ſchoͤne 
Erinnerungen knuͤpften mein Herz an diefed Guͤt⸗ 
chen. Ich gedachte meines Zrübfinns, als der 





137 


Water daffelbe darum veraͤußerte, weif ich im 
daſigen Gartenteiche einmal ‚beinahe ertrunfen 
wäre; ein Umftand, der mir grade, im Gedanken 
an bie dabei audgeflandene Angſt, recht behaglich 
Fam, und bad Gefühl des geretteten Lebens an 
diefem Orte am füßeften und lebendigfien madıte: 

Es lag. mir daran, ben Garten wiederzus 


ſehen, deffen Auffeher fonft immer auf das früs 


heſte Blumenvolk viel gehalten hatte, und ich 
durchmanderte das fchönduftende Birkendidicht. 

Wie oͤffnete ſich mein Herz fo weitim Ange⸗ 
ſichte ded Gartens, der noch ganz bie alte Phys 
fiognomie hatte und dazu von einer fehr forgs 
fältigen Abwartung zeugte! — Aber die Blumen 
(liefen doch noch. Selbſt der neugierige Krokus 
Hatte feine heitern, lebensluſtigen Augen noch 
nicht aufgethan. — Alles dieß ſah ich durch die 
Lattenthuͤre; ba ich aber dieſe unverſchloſſen fand, 
fo fonnte ich mich nicht enthalten, de& Gartens 
geliebten Boden ſelbſt zu betreten. 

Mein Auge ruht eine Zeitlang ſinnend anf 
tem fpiegelglatten Teiche. Der Kahn, and dem 
ich einft fiel, ſteht noch befefligt am jenfeitigen 


Ufer. Eine tiefe Schmermuth bemeifters ſich mei⸗ 


a5 Weſens. Wie manches, denke ich, wäre Dir 
erfpart worden, wenn Du damals den Schlaf 
in diefem Waſſer gefunden hättefi! Da flaune, 
da erſchrecke ich ; denn die Umriffe jener Wachs⸗ 


Te u 


BEER —_ 


158 


‚figur , Feine andern, ſchwimmen vor mir auf der 
leuchtenden Flaͤche. Und gewaltig, wieeine Furie, 
überfällt mich die Frage vom Hineinftürgen in 
die Arme der Wellengeftalt, und die Furie hätte 
vieleicht ihren Willen durchgefegt, wäre mein 
Bli nicht, gleichſam mechaniſch, zur Geite nach 
der Urfache ded Scheined gegangen, wo ih — 
wer hätte es denfen follen? — dab ſebendige 
Urbild gavahr werde ' 

Gerroffen bis in's tieffte Leben fehle mir 
Sprache und Benehmen. Da grüßt mich der 
Engel freundlich und fagt mir, daß mein aufs 
merkſames Beobachten des Teiches feine Wilder 
gierde nach dem Gegenflande auch erregt habe, 

Der Grgenfland find zum Theil auch Gie, 
hauptfächlich Sie geweſen! ftammelte ich unges 
ſchickt genug. Aber, wer an meiner Stelle hätte 
nach foldy einer Revolution im Innern fogleicy 
die paffende Antwort finden mögen? Ich fühlte 
den Fehler ſobald er heraus war, und bat, daß 
fe mir den Aufſchluß, den fie verlangte, für ein 
ander Mal zu fparen erlauben möchte. Denn 
daß — fo fuhr ich fort — daß ich mit Ihnen 
heute zum erften uud auch zum legten Mate follte 
geſprochen haben, das werden Sie mir wohl nicht 
zumuthen ‚wollen ? — Unfehlbar habe ich die Ehre 
die Beſitzerin dieſes Grundflüde in Ihnen zu 
ſehen ? 


459 

Sle bejahte, 

Dann find mir Nachbarn und müffen noch» 
wendig gute Nachbarfchaft Halten, 

Ich hatte viel Mühe meine Wärme und mein 
Yuge zu mäßigen, dad auf ſo langes, aͤngſtliches 
Suchen feinem Durfle nach dieſer Geſtalt und 
dem milden, herrlichen Geiſte darin nicht ſelbſt 
43 gebieten verſtand. 

Ich erzählte von meiner Vorliebe für dieſes 
Grundſtuͤck und diefen Teich. Der Zufag lent⸗ 
ſchluͤpfte mir, daß der letztere durch ihr Tebendige& 
Bild einen Abglanz des Paradiefed für mich erhals 
sen babe, Mit einem Worte, in ber balben 
Stunde, welche dieſes Geſpraͤch dauerte , blitzte 
die Blut meined Herzens mehrere Dial fo aufs 
fallend hervor, daß ich ſelbſt rathſam fand, mich 
zu entfernen, weil ich nur allgu wohl fühlte, für 
die erſte Zufammfunft ſei zu viel gefchehen. 

Als ich ging, wußte ich, daß fie Marie von 
Malthau hie und In einigen Tagen ihre Mutter 
erwarte, für melche fie dieſe kleine Beſitzung erſt 
ohngefaͤhr vor zwei Monaten erkauft habe, und 
daß ich, wad mir das liebſte war, am folgenden 
Morgen wiederkommen durfte. 

Unterweges ſowohl als nachher uͤberlegte ich 
oft, warum ich nur angeſtanden, ihr uͤber meine 
Freude beim Erblicken ihres Bildes und ihrer 
ſelbſt etwas Näheres mitzutheiler; warum ich fie 


., 


480 

nicht gefragt , ob fie zu jener Wachsſigur wohl 
dad Driginal gewefen feyn möge. Die Aehnlich⸗ 
feit zwifchen ihr und der Figur ging wirklich bis 
an bad Hleinfte Detail. " Allein die Erzaͤhlung von 
der Hinrichtung bed Urbildes jener Wachsſigur, ſo 
wenig. ich auch an diefe Erzählung glaubte, hielt 
mich doch auch in ber Folgeimmer ab, ihr davon 
zu fagen, fo daß ich die erfte, ungeſchickte Aurede, 

uͤber die ich Fünftig Auskunft werfprochen, als fie 
diteſe verlangte, mit meiner damaligen Beſtuͤrzung 
fo viel möglich zu entfchuldigen ſuchte. 

Je dfter ıch fie befuchse,, defto einiger fühlten 
fich mein Geift und mein. Herz mit den ihrigen, 
und der Bund für dad Leben warb gefehloffen. 

Nur ihre Mutter fehlte noch, auf welche 
Marie fehnlicdy wartete. Statt ihrer war jedoch, 
mie fie mir eined Tages fehr traurig erzählte, ein 
Brief angelangt, der Mariend Hoffnung darauf 
vollig vernichtete. Nun hielt ich ſchriftlich bei 
der Abweſenden um die Einwilligung an, nad 
deren Ankunft nichts die Derrliche vor meinem 
Drange fehügen konnte, die Gemeinſchaft unferer 

Zukunft durch Priefterfegen beftätigt zu wiffen. — 
Wer Marien nie ſah, nie hörte, der wird, 
der muß mich hoͤchſt unvorfichtig ſchelten, daß ich, 
ald wir ſchon vom Altare zuruͤckkehrten, noch Feine 
Silbe von dem eigentlichen Herkommen meiner 
aunmehrigen Gattin wußte. Denn meder Ges 


1 





— —— — ——— 


129 
Zem Fünftigem Leben und Wirken anflingen un 
ſich geltend machen wird! — 

Einen Monat ſpaͤter kam folgender Brief au 
Konftantin 

„Ihnen, mein Freund, haͤtte ich vor allen - 
eine Erflärung meines pidglichen Verſchwindens 
zuruͤcklaſſen ſollen. Ich mache mit Vorwuͤrfe, 
daß es nicht geſchehen iſt. Ach, wie viele, wie 
bittere Vorwürfe made ich mir nicht übers 
haupt !? — 

„Sie werben Sich 'erinnern, wie wir an 
jenem Ubende auseinander gingen. Sie werden 
Sich denken, daß damals zuerft die Stage in mit 
entfichen müßte: Iſt fie aber auch wirklich ein 
Maͤhrchen die Geſchichte, womit Man mich, ab» 
fand, aud daß meine Bejahüng bdiefer oft wies 
derholten Frage zuweilen wie eine halbe Vernei⸗ 
hang ansfehen mochte ? Das aber werden Sie 
nicht denken, daß bie gekaufte Figur bei mir. 
nicht angelangt war, daß ich, anruhig daruͤber, 
zuruͤckeile, und den Verkaͤufer aus dem Bette 
klopfe, daß der mit der Ehrlichkeit ſeines noch 
abmefenden Bedienten meine Behauptung wider, 
legen will, und daß, wie ſich bald darauf findet, 
diefer ehrliche Mann wirklich über alle Berge iſt. — 
Trotz meinem unablaffigen und wegen der dadurch 
verurfachten Störung manches fremden Schlafed, 
bis zur Unverfhämtheit gehenden Suchens bie 

Gefpenfterbuch 6. Theii. 3 


136 


‘ Befefligten Ueberzeugung, daß ich das Wachebilb 


obnfehlbar im Leben wieder finden würde, ja 
müßte — ’ 

Bor drei Monaten komme ich endlich Bier 
auf meinem Gute an, um mic) von deſſen Zus 
fignde zu uͤberzeugen. Es war bie höchfle Zeir, 
die Untreue meines Berwalterd Tennen zu fernen 
und ihn auf der Stelle zu entlaffen. Die Unord⸗ 
nung, in ber ich alles fand, nötbigte mich zum 
Bleiben, und die Arbkis dabei that mir wohk 
jedoch ohne den Hauptgedanken zu unterbrüden 
oder auch nur zu fibren. — 

„Der Krühling war im Anzuge. In der 
ganzen Natur regte ſich dad neue Leben und ein 
erfreulicher, grüner Schimmer lag über das troſt⸗ 
fofe Grau ber fo lange erflarrı gewelenen Erde 
ausgebreitet. Ringsum quollen die Saaten üppig 
hervor. Wie ein frobed Kind wandelte ich 
eined Nachmittags umher, und gedachte unter 
manchen bier im Kreiſe geliebter Verſtorbener 
genoflenen Freude der koͤſtlichen Kraft und Füße 
der erften Jahre bed Lebens. Bewußtlod war 
ich gar weit vom Haufe weggefommen. Cie 
kleines Guͤtchen in ber Nachbarfchaft, daB ein 
Birkenwald von ber übrigen Gegend abfonberte, 
befand fich in der Nähe. Mannichfache, ſchoͤne 
Erinnerungen knuͤpften mein Herz an diefed Guͤt⸗ 
den. Ich gedachte meines Truͤbſinns, als der 





137 


Water daſſelbe darum veräußerte, weif ich im 
Dafigen Gartenteiche einmal ‚beinahe ertrunfen 
wäre; ein Umſtand, der mir grade, im Gebanfen 
an die dabei außgeflandene Angſt, recht behaglich 
kam, und dad Gefühl des gereiteten Lebens an 
diefem Orte am füßeften und Iebendigfien madıte: 

Es lag mir daran, den Garten wiederzus 
ſehen, deſſen Auffeher fonft immer auf das früs 
heſte Blumenvolk viel gehalten hatte, und ich 
durchwanderte dad fchönduftende Birkendidicht. 

Wie öffnete fi) mein Herz fo weit im Ange⸗ 
fihte des Gartens, der noch ganz die alte Phys 
fiognomie hatte und dazu von einer fehr ſorg⸗ 
fältigen Abwartung zeugte! — Über die Blumen 
fohliefen doch noch. Selbſt der neugierige Krokus 
hatte feine heitern, Iebenslufligen Augen noch 
nicht aufgethan. — Alles dieß fah ich durch die 
Lattenthuͤre; da ich aber diefe unverfchloffen fand, 
fo konnte ich mich nicht enthalten, ded Garten 
geliebten Boden felbft zu Betreten. 

Mein Auge ruht eine Zeitlang finnend anf 
Lern fpiegelglatten Teiche, Der Kahn, aud dem 
ich einft fiel, ſteht noch befeftigt am jenfeitigen 
Ufer. Eine tiefe Schwermuth bemeiftert fich mei⸗ 
a5 Weſens. Wie manches, denke ich, wäre Dir 
erfpart worden, wenn Du damald den Schlaf 
in dieſem Waſſer gefunden haͤtteſt! Da flaune, 
da erſchrecke ich ; denn die Umriffe jener Wachs⸗ 


138 


‚figur , feine andern, ſchwimmen vor mir auf der 
leuchtenden Fläche. Und gewaltig, wie eine Furie, 
überfällt mich die Frage vom Hineinftürzen in 
die Arne der Wellengeftalt, und die Furie hätte 
vießeicht ihren Willen durchgefegt, wäre mein 
Blick nicht, gleichſam mechanifch, zur Geite nach 
der Urfache des Scheined gegangen, wo ich — 
wer hätte es benfen follen? — dab febendige 
Urbild gewahr werde. 

Getroffen bis in's tiefſte Leben fehlt mir 
Sprache und Benehmen. Da gruͤßt mich der 
Engel freundlich und ſagt mir, daß mein auf⸗ 
merkſames Beobachten bed Teiches feine Wißbe⸗ 
gierde nach dem Gegenflande auch erregt habe, 

Der Gegenftand find yum Theil auch Sie, 
hauptfächlich Sie gewefen ! flammelte ich unges 
ſchickt genug. Aber, wer an meiner Stelle hätte 
nad) ſolch einer Revolution im Innern ſogleich 
die paffende Antwort finden mögen? Ich fühlte 
ben Fehler fobald er Heraus war, und bat, daß 
fe mir den Aufſchluß, den fie verlangte, für ein 
ander Mal zu fparen erlauben möchte Denn 
dag — fo fuhr ich fort — daß ich mit Ihnen 
heute zum erflen uud auch zum letzten Male follte 
geſprochen haben, das werden Sie mir wohl nicht 
zumuthen ‚wollen ? — Unfehlbar habe ich die Ehre 
die Vefigerin dieſes Grundſtuͤckes in Ihnen zu 
feben ? 





159 

Sie bejahte. 

Dann find wir Nachbarn und muͤſſen noth⸗ 
wendig gute Nachbarſchaft Halten, 

Ich hatte viel Mühe meine Wärme und mein 
Auge zu mäßigen, dad auf ſo langes, angſtliches 
Suchen ſeinem Durſte nach dieſer Geſtalt und 
Sem milden, herrlichen Geifle darin nicht ſelbſt 
gu gebieten verſtand. 

Ich erzählte von meinen Vorliebe für biefe& 
Grundftüd und biefen Zei, Der Zuſatz fents 
ſchluͤpfte mir, daß der letztere durch ihr lebendiges 
Bild einen Abglanz des Paradieſes für mich erbale 
sen babe, Mit einem Worte, in ber halben 
Stunde, weldye dieſes Geſpraͤch dauerte, blifte 
die Blut meined Herzens mehrere Mal fo aufs 
fallend hervor, daß ich felbft rathſam fand, mich 
zu entfernen, weil ich nur allzu wohl fühlte, für 
die erfte Zufammfunft fe zu viel gefcheben. 

Als ich ging, wußte ich, daß fie Marie von 
Malthau hieß und In einigen Tagen ihre Mutter 
erwarte, für melche fie dieſe Eleine Beſitzung erſt 
ohngefähr vor zwei Monaten erfauft habe, und 
daß ich, was mir das Tiehfle war, amfolgenden 
Morgen wieberfommen, durfte, 

Unterweges ſowohl als nachher überfegte ich 
oft, warum ich nur angeflanden, ihr über meine 
Freude beim Erbfiden ihres Bildes und ihrer 
ſelbſt etwas Näheres mitzutheiler ; warum ich fie 





Y 


140 


’ 


nicht gefragt, ob fie gu jener Wadhöfigur wohl 


dad Driginal gerwefen feyn möge. Die Aehnlich⸗ 
feit zwifchen ihr und der Figur ging wirklich bis 
in dad Heinfle Detail. * Allein die Erzaͤhlung von 
der Hinrichtung des Urbildes jener. Wachsſigur, fo 
wenig ich auch ap diefe Erzählung glaubte, hielt 
mich doch auch ip der Zolgeimmer ab, ihr davon 
zu fagen, fo daß ich die erſte, ungeſchickte Anrede, 


über die ich Tünftig Auskunft verfprocdhen, als fie 


biefe verlangte, mit meiner damaligen Beflärzung 
fo viel möglich zu entfchuldigen ſuchte. 

Je öfter ich fie beſuchte, deſto einigerfühlten 
ſich mein Geift und mein Herz mit den ibrigen, 
und der Bund für dad Leben ward gefehloffen. 

Nur ihre Mutter fehlte noch, anf welche 
Marie fehnlidy wartete. Statt ihrer war jedoch, 
wie fie mir eines Tages fehr traurig erzählte, ein 
Brief angelangt, der Mariens Hoffnung darauf 
vollig vernichtet. Run hielt ich ſchriftlich bei 
der Abweſenden um die Einwilligung an, nach 
deren Ankunft nichts die Derrliche vor meinem 
Drange ſchuͤtzen konnte, die Gemeinfchaft unferer 


Zukunft durch Prieflerfegen beftätigt zu willen. — 


- Wer Marien nie ſah, nie hörte, ber wird, 
der muß mich hoͤchſt unvorfichtig fihelten, daß ich, 
ald wir ſchon vom Altare zuruͤckkehrten, noch Feine 
Silbe von dem eigentlichen Herlommen meiner 
aunmebrigen Gattin wußte. Denn weder Ges 


1 











1° 


vurtsdrt, noch Land, noch ſonſtige Verbältniffe 
hatte fie_ mir entdeckt. Geufzend war ich bei mei 
nen Fragen danach immer auf eine beffere Zeit 
verwiefen worden ; ja ich fannte nicht einmal den, 
ſich er nidgt unwichtigen, Umſtand, ber ihre Muts 
ter umb fie getrennt, und letztere hoͤchſt wahrſchein⸗ 


lich fehr weit entfernt von ihrer. Geburtögegend in. 
meine Mähe getrieben hatte. "Uber der Einklang ⸗ 


ihred ganzen Weſens, der‘ auch bis in's kleinſte 
und unbedeutendite geht, Disfe — Sabbathöftille 
möchte ich fagen — bie bei einem, wie es ſcheint, 
ihr uffpränglid angehörenden, welancholifchen 
Sinne, die Weiblichkeit, in dem ihr fo eigenen 
Mondesglanze anf dad reinfte und füßefte aus⸗ 
fpricht , erheben fie in meinen .Yugen über jeden 
Berdacht fd weit, daß ich fogar für alleihrefrür 
beren Dandlungen mich freiwillis zum vuͤtgen 
ſtellen wuͤrde. — 


Der Enthuſiasmu, mit dem Guido in bie 


ſem Tone fortfuhr, war nicht gemacht, eine Eins 
wendung 'und noch viel weniger. eine Widerlegung 
zu erlauben, obſchon das Verſtummen der Geſell⸗ 
(haft von keiner abfolten Billigung feiner Aus 
ſichten und feined Verfahrens zu geugen fehien. 
Er möchte bad ſelbſt fühlen, und ba er zu 
mehrerer Beglaubigung, feiged uneingeſchraͤnkten 
kLobes, nichtd weiter vorzubringen wußte, umd 
Mariens . Ankunft von dem Guͤtchen, wo fie. 


——— — | 


* 


- 142 


Geſchaͤfte Hatte, feiner Rechnung na, erſt im 
einer Stunde erfolgen fonnte, fo geigteer wenige 
ftend ein Miniaturbild von Ihr, welches er auf 
ſeiner Bruſt trug. 

Wirklich aͤußerte dieſes eine dedentende Wir⸗ 
kung auf die mehreſten Gaͤſte, ſowohl wegen 
der ganz auffallenden Aehnlichkeit mit jener Wachs⸗ 
figur, als auch wegen bed herrlichen Anges, weß⸗ 
halb das Bild der Figur weit vorzuziehen war. 
Ja, es kam mit dem Bilde eine gewiſſe Beruhi⸗ 
gung über Guido's Zukunft in die Geſellſchaft, fo 
daß auch Julie, dad Porträt noch in der Hand, 
mit vielem Feuer alfo anfing 

Warum aber, mein Freund, haben Sie dies 
ſey Engel ihren- Bekannten ber fo nahen Stadt, 
einen ganzen Monat vorenthalten ? Das Leben 
ift 3a fo kurz, Daß man dergleichen: Befanntfchaft 
nie früh genug machen kann! 

Da haben Sie wohl recht ſprach Buido, ihr 
dankbar die Dand druͤckend. Auch wäre ich gewiß 
viel eher mitmeiner Einladung gefommen, went 
nicht durch meine lange Abweſenheit vom Gute 
alles hier in einem foldyen Zuflande gelegen hätte 
daß ed großer Vorbereitungen bedurfte,um Freunde 
bier fehen Zu koͤnnen. Und was eine Reife nach 
ver Stadt betrifft, fo iſt meine Grau hierzu 
ſchlechterdings nicht zu überreden. Alle Städte 
überhaupt ind ihr. fo zuwider, daß ich es Ihnen 


\ 


— —— ng 





| 143 
nicht befchreiben Fann. Auch meidet fie fremde 
Menſchen außerorbentlih. Bon Shnen allen 
babe ich ihr jeboch fo viel gefagt, daß Sie ſchon 
als ihre Bekannte anzufehen find, und ich ihr 
obnfehlbar große Freude mache, wenn ich fie heute 
mit Ihrer Anmefenheit überrafche. Denn noch 
weiß fie Fein Wort von der GBefelffchaft, die fie 
finden wird. Auf dem benachbarten Guͤtchen ift 
fie ſchon feit geftern mit einigen dkonomiſchen Bers 
richtungen befchäftigt, und fo Fonnte ich mich mit 
den Vorbereitungen zu dem heutigen Tage ohne 
alle Störung und Entdedung abgeben. Bielleicht 
gelingt ed mir, fie allmählig von dem duͤſtern 
Kreife abzulenken, dem fie fich dermalen noch nur 
allgufehr zuneigt. So batfie eine befondere Vor⸗ 
liebe für die Gräber und Tieß neulich bei einer 
ſchoͤnen Mondnacht nicht her nach, bis ich fie 
zum hiefigen Gotteßader begleitete. Hier warf 
fie ſich fogleich mit dem Geſicht auf das erite 
Brab nieder, und ald endlich meine Bitten fie 
bavon trennten, da rannen Ströme von Thraͤnen 
über ihr Geſicht. Ich fragte, warum der Hügel 
fie fo befonders erſchuͤttert babe ? | 

Nicht erfchüttert, mein Herz! war ihre Ant⸗ 
wort ; beruhigt vielmehr! Mit diefen Thränen. ift 
mir gar viele Angft von ber Seele weggefloffen. 
Auch war ed nicht grade dieſer Hügel, der mir fü 
wohl that, *8* die Geſtalt eines Grabes 


144 


überhaupt. — Hiervon Fünftig, vieleicht naͤch⸗ 
ſtens! fo fügte fie, zu Befeitigung der Frage hin⸗ 
zu, welche meine Blicke nicht verheelen fonnten. — 

Hilarie ſchien am wenigfien von diefen Mits 
theilungen bed Neuverheiratbeten ‚erbaut. Daher 
fagte fie, ald jegt ein Billet an ihn abgegeben 
wurde, Julien feife in’6 Ohr: Ich wollte doch, 
daß wir die neue Bekanntſchaft fchon gemacht 
und den ganzen Tag überflanden hätten! Das 
find meine Perfonen gar nicht, bie fich ihre Bea 
tuhigung von Kirchhoͤfen herholen. Am wenige 
ſten aber gefallen fie mir dann, wenn fie eine 
fo erſtaunliche Aehnlichkeit mit Werfiorbenen, 
oder wohl gar Hingerichteten befigen. 

Julie hörte Faum, was fie fagte. Ihre 
und aller Uehrigen Aufmerkſamkeit richtete fich auf 
den plotzlich todtenfahl und regungslos geworde⸗ 
nen Hauswirth und dad Villet, welches feiner 
Hand entfallen war. Er fchien felbft vom Stuple 
herunterfinten zu wollen, fo daß Konftantin, 
fein Nachbar, plöglich zugriff und nach der Ur⸗ 
ſache des ſo raͤthſelhaften Ereigniffes fragte 
Sprachlos deutete Guido auf dad Bidet am 
Boden, mit dem Winfe, daß man es aufheben 
und Iefen Tonne. Es enthielt Folgendes ix 
frangöfifcher Sprache: 

„Lebe wohl, mein Theurer, mein Gelichter! 
Die Umftände drängen mid von Dir! Kein 


145 


Forſchen aber nach meinem Aufenthaltel Darum 
beſchwoͤre ich Dich, bei unferer Eiche, bei mei⸗ 
ner feften Hoffnung, einfl wieder Zu fommen. — ' 

Bon ihr alfo? rief Konflantin, der den 
Zettel gelefen hatte, welcher nun auß einer Hand 
in die andere ging. Guido bejahte. An Troſt⸗ 
gründe war, wie jedem einleuchtete, bei einem 
ſolchen Ereigniffe und einer Liebe zu der Entwis 
dhenen, wie die feinige, nicht gu denken. Gein 
biftenartiged Stummſeyn theilte ſich den Uebri⸗ 
gen mit. Ueber Zifbe, wo alles Effen um 
gerolffermaßen das Leben felbft, nur Schein war, 
gab er daß erfte, bedeutende Wort wieder ‚op 
ſich. Es eftand in der Srllärung, doß er 
ihrem Berlangen gemäß, und noch im vblligen 
Zutrauen auf fie, fich. gewiß alles Forfchens 
nach ihr forgfältig enthalten werbe. — 

Sein Zuftand fehien der Einſamkeit gu bedouͤr⸗ 
fen. Mehr aus diefem Grunde als des herr⸗ 
(henden, Mißbahagens halber; machte man fich 
bei Zeiten auf den Ruͤckweg, bei welchem ‚bie 
Unterhaltung in allen vier Wagen aus Hypothe⸗ 
fen, gm Erklaͤrung des fo ganz ſeltſamen Bose 
falle befand, die aber, bei näheres Beleuchtung, 
ſaͤnmtlich nicht fehr balıbar m warn. . 1 


euheihie  %.) 


Befvenkerbud 6. Theil, .. 8 


- D PT“ 24 


156 


Ein Paar’ Tage drauf fland Julie des Mors 
gend mit ihrem Bruder am Fenſter, als ein 
Neifewagen zum benachbarten Thore hereinroffte. 

Iſt dad nicht Buido’d Equipage? fragte 
fi. u ° 

Allerdings. Und wie flarf aufgepackt. Wil 
dr vielleicht gar wieder in der Stadt: bleiben ?— 

Sp war es auch wirklich, Noch Feine Halbe 
Stunde fpäter fland er vor ihnen, dieſes ſelbſt 
zu erflären, Cr war, man fah und hörte daß, 
in ſeinem Innern zerſtoͤrt und vernichtet. 

Noch immier ohne Nachricht? fragte Julie 
mitleidsvoll, afö er die laͤngſte Weile mit allen 
Zeichen bed bitterſten Lebenduͤberdruſſes ſtumm 
da geſeſſen hatte. 

Nachrichten, o ja, bie habe ich, antwortete 
er mit Heftigkeit, Nachrichten, die mir dad 
Herz zu Stein und Eis madjen. 

Mein: Sort, ef Konftantin aus, böfe | 
Nachrichten von der Entwichenen find: ed, was 
Sie fo in Verzweiflung fegt ? 

Böfe, erwiederte er lachend, böfe nicht eben, 
nber auch warlich feine guien, Ueberhaupt fleht 
«6 ſehr bedenklich mit dem Unterſchlede der 
Wortes boͤſe undigut, wenn ed Adgeſchiedenen 
verſtattet iſt, aus ihren Graͤbern hervorzugehen, 
und der Liebe heilige Geſtalt mit einer ſolchen 
Virtuoſitaͤt nachzuahmen; fie nachzuahmen, um 


% 











147 
allem Glauben an fie und an Bott ſelbt in's 
Laͤcherliche zu ziehen! 

Sie ſtaunen mid an. Hören Sie und 
Ihr Staunen wird fi in Entfegen verwans 
dein. — Geftern Nachmittag — 1% war ein 
Tag an’ Glanze jenem gleich, wo ich Mariens 


Bekanntſchaft machte, ein Umſtand, der (dom - 


allein den demuͤthigendſten, beilloſeſten Spott 
mit meinen damaligen , fo, tiefen und ‚heiligen, 
Gefühlen treibt ! — geſtern alſo, wie ich ohn⸗ 
gefaͤhr in derſelben Laune noch war, in der Sit 
mich neulich verließen, wird mir ein Herr. Delas 
foffe angefagt.. Meine Unentfchfoffenheit, ob ich 
ihn anriehmen folle, oder nicht, ward durch des 
Mannes Ungeduld ſelbſt befeitiget ; ‚er trat be 
ein. Eine lange, blaſſe Geftalt in Fhwarger, 
Kleidung, uͤbrigens bei noch ziemlich “uhgen 
Jahren, und von dar Natur‘ nicht agüngig 
behandelt. 


Mein Herr, ſo fing e, auf den —* 
blickend, mit Zoͤgern, in franzoͤſiſcher Sprache 
an; der Bediente entfernte ſich hierauf und der 
Fremde fuhr fehr bewegt und feierlich ei forte 
Sie haben vor Kurzem geheirathet ? Se} 

Die Zrage  beunrubigte mich, er. —— 
und ſprach: Um allen Mißverſtaͤndniſſen mb 
Verwechſelungen vorzubeugen, ſagen Sr mir, . 

2 


v 


1 J 


ee FE u? — — 
— 


if dieß dad Geſicht dir Dame, mit welder 
Sie getraut worden find ? 

Erfchroden fühfte id) ſogleich nach meinem 
Medaillon auf ber Brufl. Denn daß, welches er 
mir barbot, war das naͤmliche, ſo wie das Bilb 
feibt in, Stelung und allem mit dem. meinigen 
übireinftimmte. Ein und derfelbe Maler mußte 
beide Poͤriraͤts gemalt haben; es ſchien mir ſogar, 
ale ob dad meinige, das ich jetzt ebenfalls her⸗ 
vorzog und neben bas andere hielt, ur bie 
Köbie von dem feinigen fei. 

a viiahie ſeine Frage und er fragte ferner = 
Katın ich Ihre Frau Gemahlin nicht fprechen 2 
Gein Ton dabei war fo leife und bebend, dag 
ich auf ger ‚aue Verhaͤltniſſe zwiſchen ihm und 
ihr sat, die ſich ch duich meine Verbindung mit 
ide 9 gelört fühlten. 

* —8 konnie fur antworten, daß fie feit eini⸗ 
ı gen "Lagen abmwefend fei. 

Meine Reife nach Deutfchland, fuhr er fort, 
Bat’ Soden Zweck fie aufzuſuͤchen, fo ttoſtlos 
and Yeinigend auch das Zufammentreffen n mit ihr 
hit werden moͤchte. in vor Kurzem aus biefen 
Gegenden nach Rranfrlid) züruͤckgekehrter Sreund 
benachrichtigte midy, daß ſich die Dante Bier ande 
Bauft Habe. — Ich vile hierher ‚' überzeuge mid 
auch zweimal von weiten, baß fe es wirklich fei. 
Über der Muth fehlt wir, ſie anzureden. Wie 


PP 7 








Du 
ich nun wieder komme, ift ſie nicht mehr da, und 


meine einzige Hoffnung auf Sie, mein Herr, ge 


fegt. “Sagen Sie, wenn fie zuruͤckkehrt, und 
erlauben Sie mir dann ein Qefpräch mit der, die 
einft unter dem Namen, Marie von Möngerberg, 
meine Braut war, . 

Miünzerberg! rief ich aus, mich des Namend 
wohl entſinnend, den ich im Wachefigurenfadinette 
gehoͤrt hatte. 

Ich weiß, fuhr er fort, daß fie aus urfachen, 
die mir leicht begreiflich ſind, neuerlich den Namen 
Malthau angenommen hat. Das indeſſen if 
etwas Außerwefentlihed, Sagen Gie mir nur, 
wenn fie zuxuͤckkehren wird. 

Der Schauer bei dem Namen, den er zuerſt 
genannt, hatte mir alle Bedenken und Acht 
sein auß der Seele geweht. 

Ich werß es nicht ! ſprach ich, zu mehrerer Verraf⸗ 
tigung den Zettel vorzeigend, den fie mir geſchrio⸗ 
ben hatte. | 

Ya, fagte er, dab ift ihre Hand, und es ſchmerzt 
mich fehr, die Dame verfehlt zu haben. Ihre Auf⸗ 
richtigleit aber, mein Herr, verpflichtet mich zu 
einer Mittheilung, die Ihnen doch vielleicht Fünf 
tig von Nugen feyn fönnte Das Unmahrfcheins 
liche deffen, wad ich Ihnen zu entdecken habe, 
veranlaßt mich jeboch zu einer kurzen Einleitung. 

Bor acht Jahren noch würde mir es felbit 


\ 


13 . - 
— a — - __ 1 _ 30 — af — — — 


‚450 


ganz widerfinntg und- fabelhaft geflungen haben, 
daß «ed. mitten. unter den Dienfchen Perfonen geben 
ſolle, die, ob fie ſchon alle ihre Verhaͤltniſſe und 
Bebürfniffe mit dieſen theilten, dennoch einer ganz 
andern Welt angehören koͤnnten. Selbſt das 
gebilderfte Publikum iſt über diefen Punkt noch 
dei weitem nicht genug ‚unterrichtet. Allein ein 
befondered Vertrauen , deſſen mich während mess 
ned Aufenthalts in Paris der große, nur allzu 
verfannte Caglioſtro würdigte, hat mich mir Kennt⸗ 
nifien und Erfahrungen aus dem Natur s und 
Geiſterreiche verſehen, zu denen ich fonfl nimmer, 
mehr gelangt feyn würde. Seitdem weiß ich, 
daß dergleichen wunderbare, und ben fie treffen, 
oftmals hart beſchaͤdigende Berbindungen gar nichts 
ſeltenes find, wiewohl fie nur felten erfannt wer; 
den. Dieß glaube ich vorausſchicken zu muͤſſen, 
ehe ich Ihnen ſagen konnte, mein Herr, daß Sie 
wirklich mit einer bereits Verſtorbenen verheira⸗ 
thet ſind! — 

Hier hielt er inne, Das Wort ber ſchwarzen, 
blaffen Geſtalt klang felbft wie aus Geiſtermunde, 
es raubte mir erſt die Sprache und dann das 
Bewußtſeyn. - 

Mein Herr — fo begann ich, nachdem dieſes 
zurüdgefehrt war, und mein Auge eine Zeitlang 
auf dem Fremden geruhet hatte — drefe Ichendige 
Geſtalt der Liebe und bed Lebens zugleich, diefe 











15% \ 


follte nur ein wiedergekommener Geiſt geweſen 
ſeyn? 

Er zuckte bie, Achſeln und fagte: Wenn Sie 
gefaßt genug wären, fo wollte ich verſuchen, 
meinem Schmerze über bad Ereigniß, das Marie 
dahin brachte, Töne zu geben. 

Neden Sie, mein Herr, antwortete ih, wer 
einmal fo Piel gehört hat, ber kann wohl auf 
alles gefaßt ſeyn. . | 

Wohlen, fprach ber Fremde. Der Sturm 
ber Revolution, welcher ſo manche aus Frank⸗ 
reich hinausſcheuchte, trieb Andere wunderlicher 
Weiſe in der neuen Republik herum, und ſo 
waren denn auch Marlens Aeltern von Strafe 
burg, ihrem Geburtsorte, tiefer in's Rand zuletzt 
nach ** gelommen, Hier Jernte ich die einzige 
Tochter fennen, verliebte mich heftig in fie und 
verließ dad Haud ihrer Aeltern eined Abende als 
Mariend Verlobter. 

Ich geſtehe, daß ich mit mir ſelbſt daruͤber 
aneind war, ob die truͤbe Stimmung, bie ich 
jest an dem Mädchen enttedte, vieleicht von 
einer geheimen Abneigung gegen meine Perfon her, 
rühre. Aber meine Liebe fcheute bie Unterſuchung 
der Sadıe. Marie konnte ja wohl auch der mans 
cherlei herben Verluſte vorgen, die ihre Aeltern 
durch die Revolution erlitten, bie fehr fihtbare 
Berfiimmung bderfelben teilen. Sie war übers 


4 





„dieß fo gut und freundlich gegen mid, baf die 
eigentliche Liebe ſich noch finden .fonnte, zumal, 
da ich alled anzumenden gedachte, ihr-dad Band 
- der Che annehmlich zu machen. 
» Ingwifchen ward die Revolution immer blu⸗ 
tiger. Aus Straßburg liefen Nachrichten ein, 
welche Mariend Vater fo verdächtig. machten, daß 
ex ficher unter der Buillotine den Geiſt aufgegeben, 
wenn der natürliche Tod fich feiner nicht früher ana 
genommen hätte, _ 

Der Argwohn der Regierung errang allmählig 
die höchfie Stufe. Bel Durchſuchung der Papiere 
des Bürger Drüngerberg war. felbft Mariens 
Eigentbum mit aufgekört worden. Man hatte 
darin ein Paar Briefe gefunden , welche ihre Mut⸗ 
ger einft von der hingerichteten Sharloste Corday 
erhalten. Die Belannefchaft mit ber letztern 
machte Die Mutter, die Aufbewahrung der Briefe 
Marien um fo verbächtiger, da in diefen bev 
beftigfte Daß gegen die jetzt berrfchende Partber 
- Sich außfprach. Kein Beil mehr für beide, als 
die Auswanderung. 

Diefe ward beſchloſſen. Als gemeine Leute 
verkleidet gingen Mutter und Tochter eined Abends 
aus der Stadt. Allein Marie hat in der Ungft 
und Beltürzung ein wichtiges Dokument vergefs 
fen. Sie eilt zurück und im Thore wird fie von 
ihrer eigenen Schonpeis verrathen. Man verhafs 


453 


"et fie. Der maͤnuliche Anzug iſt dad erfle Bers 
brechen, dad man an ihr findet. Die andern 
folgen Bald, Ich felbft, obſchon einer der Anges 
fehenften, und von der herrſchenden Parthei Des 
günfligıften in ber Stade, werde vor Gericht 
gezogen. Man beſchuldigt mich, ihr und der Muts 
ter die falfchen Paͤſſe verſchafft zu haben, Daß 
Marie verforen iſt, leidet Feinen Zweifel, mic 
aber glaube ich durch Laͤugnen retten zu koͤnnen. 

Ich. werde mit ihr zufammengeftellt. Gott 
im Himmel, welch eine Scene! Welch eine ver⸗ 
bammliche Lebensluſt verleitet mich auf dem 
Laͤugnen zu beharren, dem Engel gegenuͤber, der 
zu ſterben beſtimmt jſt? Sie wird gefragt, ob 
der Paß durch meine Hand gegangen ſei? Sie 
weiſt die Frage mit Verachtung zuruͤck. Dev 
Bürger Delafoffe, fpright fie, hat hierauf bereits 
geantwortet! — . 

Aber meine Angſt entgeht den Blutrichtern 
nicht. | 
Da entſteht ploͤtzlich ein Laͤrm vor dem Haufe. 
Ein Haufe Volks, der in Marien feine Wohls 
thäterin verehrt, will wiſſen, was mit ihr gefches 
ben ſoll, will fie gerettet wiffen. 

Sept wäre der’ Augenbli zum Handeln ges 
wefen. Aber meine Seigheit läßt ihn ensfchlüpfen, 
ohngeachtet die Betroffenheit der Richter nur zu 
deutlich wahrzunehmen iſt. Wan befinftigt das 


154 


Immer mehr zunehmende Bolt mit der Zufage, 
daß gegen die Bürgerin Müngerberg fein Blut⸗ 
artheil zu beforgen ftehe, jedoch, wichtiger Urfas 
chen halber, ihre Freiheit noch nichr erfolgen 
koͤnne. 
Hierdurch beſchwichtigt, geht die Menge aus 
einander und Marie wird in ein anſtaͤndigeres 
Gefaͤngniß geführt. Auch dieß aber nur, wm dem 
Volke Dad Auge zu bienden, Denn da man 
eine Öffentliche Hinrichtung für gefährkich erachtet, 
fo wird, nach einem bereits früher gegebenen Bei⸗ 
fpiele, in eine benachbarte Stade nad) einem 
Scharfrichter geſchickt, dermit dem Richtfhwerte 
yormald gut umzugehen verſtand. Bei Nacht iſt 
der Mann feiner Wohnung entriffen und mit 
_ verbundenen Augen fortgefahren worden. Die - 
gräßliche Reierlichkeit, die man vorhatte, mochte 
nicht ſowohl Marien, ald mir gelten follen. Dan 
wünfchte, daß ich mich verrathen möchte, und 
wieß mir daher unter ben fämtlich in Schwarz 
gekleideten Richtern meinen Plag an, Es war 
nur eine leere, gottlofe Zorm, zu meiner Qual 
bereitet, Denn antse berbeigeführte Marie rich, 
tete man nicht einmal eine Frage. Mir aber 
hob mein Nadıbar , eben als fie. yon zwei Pers 
fonen bereingeführt und auf einen Seffel in ber 
Mitte des Saales gebracht worden war, den 
ſchwarzen Slor, ben ich wie afle Uebrigen vor 





6 





N * ade — — ».. ss zip 4 # - 


455 


dem Geſichte hatte, in die Höhe, um mir mit 
feinen teuflifchen Augen den Todesſchweiß auf 
die Stirne zn treiben, | 

Und dennoch that ich nicht, was ich follte! 
Statt Marien zu Füßen zu flürzgen und mich der 


fehon früher gezeigten Seigheit halber durch einen‘ 


ehrenvollen Tod zu entfündigen, wendete id), um 
aur mein fchlechted, gemißbrauchtes Leben ſchmaͤh⸗ 


lich zu erhalten, mein Auge von der Schuldlor 


fen ad, und ertrug lieber den Hohn der um 
mid) her Stehenden. Noch mehr, ſelbſt die Weis 


gerung des Scharfrichterd, fein Schwert bier zu 


gebrauchen, konnte mich nicht andere Sinnes 
madıen. Ja, als einer ihm "ein Piftol auf die 
Bruft feßte, ertrug ich auch das, und hörte, 
wie bald darauf von bed alfo Gegtungenen 
Nichtfchwerte getroffen, dad ſchuldloſe Haupt 
meiner Geliebten Aber den Boden hinrollte. Ein 
entfeglicher,, ungeheueger Klang! — 

Nachdem Dalafoſſe alfo geendet hatte, ftarrte 
fein Uuge dergeflalt auf die Dielen hin, ald ob 
noch immer Mariend Haupt vor ihm ba liege. 
Ich fprang von: meinem Stuble, ging haflig 
auf und nieder, ergriff bewußrlod den Hut und 
fegte ihm wieder ab. Doch fegte ich mich fo 
weit ald möglih von dem Manne, in einen. 
Winkel ded Zimmers. 

Ich fühle, ſprach der Fremde, was Ihr 


156 


Entfernen son mir fagen will. Wollte Gott, 
ich felbft könnte aus mir herausgehen. Zuvor 
aber nur noch Einmal Mariend Geift fchauen 
und um ihre Berzeihung fliehen! Das ift ber 
Hauptzweck meiner Flucht aus dem franzoͤſiſchen 
Meidhe. Denn nach dem, was Sie nun wiſſen, 
Tonnen Sie wohl denten, daß diefe Reife nach 
Deutfchland nichts anders ift, als.eine Flucht, 
welche mir die Ruͤcktehr in mein Baterland für 
immer abſchneidet. Jetzt fagen Sie wir, ob 
Ihnen nice vielleicht zufällig der Aufenthalt 
von Mariend Matter bekannt worden ? 

Ich konnte ihm hierüber Auskunft ertheilen, 
und fo fchauerlich auch feine Gegenwart mich 
anſpricht, fo habe ich ihn doch in meinem Wa⸗ 
gen mit hierher genommen, da ich ja wohl aus 
einem Hauſe mußte, wo auf jedem Schritte 
mir die Spur des Geiſtes entgegentrist, mit 
den ich vermaͤhlt geweſen bin. Alles Angſtet, 
bie auf ihren legten Zettel, in dem dad Wort: 
revenir, mir jest fo grauenhaft außficht, wis 
die ganze ſchreckliche Begebenheit. — 

Ob ſich deun durchaus Feine andere Ertla⸗ 
zung denken laſſe? meinten Julie und Konflane 
tin, denen Die Gefchichte gar zu unglaublich vor⸗ 
fam. 

Durchaus Feine! antwortete Guido. Nur 
allzuviel hat mich disfer Delafoffe unterweges 


— 


ne hl er 


157 


mit-gang aͤhnlichen Geſchichten aus Caglioſiro's 
Munde unterhalten. Dazu hat mein neuer mir 
ſehr furchtbarer Bekannter es ausdruͤcklich beſtaͤ⸗ 
tigt, daß auf feine Beſtellung ih Wachsfiguren⸗ 


Fünfter fie furg vor ihrer Etmordung mit großen. . 


Treue abgebildet habe. Er zeigte mir einen Brief 
Mariend, und dem GBefängniffe sgefchrieben,, der 
fchon von.ihrer Berurtheilung fagt, und überdieß 
das Eigenthuͤmliche ihrer Handſchrift fo fehr an 


fih trägt, daß Fein Mißtrauen in denfelben zu. 


fügen iſt. Außerbem kennt fogar der ganz unvers 


daͤchtige Beſitzer ded Bafthofed, in dem- wir vor⸗ 


Bin abgetreten find, den Franzofen aus früherer 
Zeit, und verfichent: nich , ex; geite In der. ganzen 
Stadt. für ben rechtlichſten, Telibefien Mann, 
Dad wird auch durch die unverkenſchare Wahr, 
heitsliebe beflätiget, die ſehr aft zu feinem gros 
Ben Nachtheile alles charakterifirt, was er wie 
vorgetragen hat. 


x 


Über, ach | jetzt Konſtantin, des Freundes 


Hand ergreifend „ welchen Grund foßte ein ſolcher 
Geiſt gehabt Haben, Sie fo entſetzlich zu beunru⸗ 
higen? — - Und follten Sie nicht, wenn fo etwad 
mit der — freilich noch nicht ergründeten — 
Griſternatur ſich vereinigen ließe, ſollten Sie da 

icht ſchon ‚früher. an ber Perſon, die Ihr Herz 
ganz auszufuͤllen ſchien, gewiſſe Umſtaͤnde wahr⸗ 


158° 


genommen haben, bie Ihnen Zweifel gegen bies 
ſelbe Hätten erregen Tonnen? — 

Allerdings, fagte er. So zum Beifpiel nur, 
der mir fo unerflärliche Hang nach den Gräbern, 
von dem ich ja wohl ſchon erzählt habe. — 

Der — verfegte Julie — der Fonnte wohl 
auch auf den nach des Franzoſen Erzählung durch 
die Bedraͤngniſſe der Revolution frühzeitig getoͤd⸗ 
teten Water ober einen andern geliebten Todten 
ſich bezogen haben! — 

Warum aber. foldyes denn verbeimtichen ? 
fragte Guide. 

Weil fie überhaupt von den Umfländen ihres 
Lebens hat ſchweigen wollen; : und: vielleicht fuͤrch⸗ 
tete die beflimmte Erwähnungätgend einer in ihre 
frühern Verhaͤltniſſe genau verwebten Perfon 
Tonne weiter führen, als ihr Gefeimniß ertragen 
möchte — 

Mit einem Wort, fuhr Guido fort, mein 
Butrauen war damald fo groß, daß es jeden 
Zweifel niederſchlug. Jetzt aber, jet erſcheint mir 
auch die Verheimlichung ihres Urſprungs und der 
ganzen Geſchichte fo fonderbar, daß ich mich 
wegen meiner Beruhigung dabei einen Thoren, 
einen recht gewoͤhnlichen, durch Leidenſchaft ge⸗ 
blendeten Thoren ſchelten muß. — — 

Ein Beſuch, der Die Fortfegung des Geſpraͤcht 
verhinderte, beflimmse den Zieflinnigen, mit ſich 


. 





- 


159 
fetöft und feinem Schickſale Zerfallenen, bad Haus 
Zu verlaffen, wo Nun wieder dig gewöhnliche Kons 
derfation ihre Rechte forderte für die er, wie 
man denfen Fann, jegt keinen Sinn hatt — 





Einige Tage darauf kam Guido zu Konflans 
tin., und rzählte diefem nicht obne Freude, daß 
bie:einft von ihm erkaufte Wachsfigur — Diariend 
fo aͤhnliches Abbild, wieder iin feine Hände gera⸗ 
then. Es Hattenämlich im Borbeigehn am Gens 
fler eined Kaffeehauſes mit großem: Befremden bie 
Berlorene ſebſt zu erblidlen geglaubt, war dank 
hinauf gegangen, wo er fein lebloſes Eigenthum 
vorfand und zuruͤck verlangte. Der Bediente des 
Beſitzers des Wachsfigurenkabinets, der hier ber 
kannt geweſen, hatte das Stuͤck mit dem Ver⸗ 
ſprechen, es am Morgen wieder einzuloͤſen, in 
Verſatz gegeben, Statt. aber dieſes Verſprechen 
zu erfuͤllen, war er, wie ſchon erwaͤhnt worden, 
davon gegangen. Bor einigen Lagen einmal hatte 
ein Gaſt zum Scherz die Figur an’d Fenſter ge⸗ 
ſtellt, uud wie der Wirth, erzählte, ihr ſchoͤnes 
Geſicht eine Menge Neugieriger herauf gelockt. 
Darum mochte man fie auch wohl feitdem hier 
ſtehen gelaffen haben. 

Guido hatte die Aufhebung eined ſolchen Miß⸗ 
brauchs nicht nur fich, fondern auch Marien ſchul⸗ 
dig zu ſeyn geglaubt.” Denn ſeit neulich waren 





144 


überhaupt. — Hiervon Fünftig, vielleicht mAckh⸗ 
ſtens! fo fügtefie, zu Befeitigung ber frage KHiw 
zu, welche meine Blicke nicht verheelen konntem— —; 
Hilarie ſchien am wenigſten von diefen Meit⸗ 
theilungen ded Neuverheiratbeten erbaut. Deabe 
fagte fie, als jegt ein Billet an ihn abgegebe 
wurde, Julien leiſe in’6 Ohr: Ich wollte Doch 
dag wir die neue Bekanntſchaft fchon gemacht 
und den ganzen Tag überftanden hätten! Das | 
find meine Perfonen gar nicht, die fih ihre Bes 
ruhigung von Kirchhöfen herholen. Am wenig» 
ften aber gefallen fie mir dann, wenn fie eine 
fo erftaunfiche Wehnlichkeit mit MWerfiorbexen, 
oder wohl gar Hingerichteten befigen. Ä 
Julie hörte kaum, was fie fagte Ihre 
und alfer Uebrigen Aufmerkſamkeit richtete ſich auf 
den ploͤtzlich todtenfahl und regungslos geworde⸗ 
nen Haudwirth und das Billet, welches feiner 
Hand entfallen war. Er fchien ſelbſt vom Stuhle 
herunterfinfen zu wollen, fo daß Konftantin, | 
fein Nachbar, plöglich zugriff und nach der Urs 
fache des fo räthfelhaften Ereigniſſes fragte 
Sprachlos deutete Guido auf dad Bihler am 
Boden, mit dem Winfe, daß man ed aufheben 
und Iefen könne. Es enthielt Folgendes in 
frangofifcher Sprache: 
„Rebe wohl, mein Theurer, mein Gelichter! 
Die Umftände drängen mid von Dir! Kein 













4öt 


Ars ı im Herbſt deffelben Jahres Guido abers 
mald — abfihtlid an einem ber gewöhnlichen. 
Berfammlungstage — in Juliens Zimmer trat, 
und niemand noch als ihren Bruder bei ihr fand, 
da rief fie ihm fogleich ihren Gluͤckwunſch ent⸗ 
gegen, weil ſein Geſicht ihr fage, daß er nicht, 
mehr krant fi. = 

Auch vormals, verſetzt er, war ich nicht 
gerade koͤrperlich krank, man muͤßte denn anneh⸗ 
men, daß das Leben felbſt zuweilen dem friſche⸗ 
ſten Menſchen. zur bitterſten Krankheit werden 
koͤnne. 

Doch hoͤrt, Ihr Lieben, wie es mir ferner 
ergangen if. Ich reiſete gradezu von hier auf 
mein Gut: - Ganz in mich zuruͤckgezogen, wurde 
der Gedanke an die verſchwundene Gattin immer 
lebendiger In mir. ag" fuͤhlte mich wie von, 
ihr ſelbſt umgeben, und die Plaͤtze, wo fie ſonſt 
am meiften gelebt und gewaltet hatte, waren für 
mich durch ihr Andenken geweiht und geheiligt. 
Zu Zeiten wohnte ich auch in dem benachbarten 
GSuͤtchen, wo ich fie züerſt erblickte. Da begab 
ich mich To gern ah hellen Nachmittagen zu dem 
Teiche, und immer war ed mir, als ob, vol 
damals, did Wellen Mariens herrliche Farbe und 
Geftalt nun Bald. wieder einmal annehmen, 
müßten. - 

Und als ich einft auch fo vor dem Teiche 

Geſbenlterbuch 6. Theil. L 


162 

- fland, da geſchah es wirklich, und als ich mich 
drauf zur Seite wandte wie vormals, da war 
ſie ſelbſt neben mir, die Arme liebend nach mir 
ausgebreitet. Doch nun erfaßte mich, trotz der 
Lieblichkeit des ganzen Weſens, der Schauer, daß 
dieſes einer andern Welt angehoͤre, und ich zögerte 
meine Arme nad ihm audzuftreden: 

So Tiebft Du mich nicht mehr, mein eins 
ziges Leben ! rief Marie, auch wenn ich Dir die 
Gruͤnde meines ach mir felbſt ſo traurigen Ver⸗ 
ſchwindens ſogleich entdecken will? 


Und mochte fie ſeyn, wer fit wollte, Worte, 
Ton und Miene beflärten mich dergeftalt, daß 
ich fie an mein Herz reißen mußte — | 


Ich bin, fo fagte fie bald darauf, in Frank⸗ 
reich geboren und auf bie ſchrecklichſte Weiſe von 
dort hinweg gedrängt worden. Schuldlod dem 
Tode ſchon, einem heimlichen Tode beflimmt, hat, 
der Wärter meined Gefängniffes Mitleid mit mir. 
Eine der vielen Gefangenen in feiner Verwahrung 
ift eben vor Angſt geftorben, ald er mich zur 
Hinrichtung führen fol. Da zieht.er denn dies 
fer Verſtorbenen meine Kleidung an, und flatt 
meiner wird fie mit verbundenen Augen, ald ohns 
mächtig geworden, fortgefchleppt und ihr der Kopf 
abgeichlagen. s. | 

Sp warb ich gerettet, entlam auch eine 


x 














165 


Woche fpÄter der Stadt und dem ganzen un⸗ 
— Lande. — 


mein Himmel, Du biſt es, Du feßt! 
rief 6 aus, und erzählte ihr, was ich gehört 
batte. 


Armer Mann ! ſagte fr Defio frobe aber 
wird unfere Zukunft feyn! 

Sie erzählte mir hierauf, daß bie erda 
nung ihres vormaligen Verlobten in der hieſigen 
Gegend und feine Aufmerkſamkeit auf ſie, fie Das 
von gerrieben habe, weil feine unwuͤrdige Schwaͤche 
fie wohl auch in. Deutſchland haͤtte verrathen und 
ungluͤcklich machen koͤnnen, da: ſie fehr gut wilfe, 
in welchem geheimen Bufammenhange ihre Bew 
folgen mit vorzüglich angeſehenen Perfonun in 
unferm Baterlande ftänden. Allen Argwohn zu 
vermeiden, babe fie ſich deßhalb ſchon früher in 
Deutfchland von ihrer Mutter getrennt, biefek 
auch angelobt, bis zur gaͤnzlichen Veraͤnderung 
der Umſtaͤnde niemand und ſelbſt mich nicht mit 
ihrer Geſchichte bekannt zu machen. — Dieſe 
Veränderung der Umſtaͤnde, fügte fie froͤhlich 
hinzu, iſt mit dem nunmehrigen Sturz der Blut⸗ 
regierung eingetreten, und meine Mutter bereits 
hier, um uns nie wieder zu verlaſſen! — — 

Die Mutter ſelbſt trat nachmals herbei und 
wir genoſſen den ganzen Abend gemeinſchaftlich 

22 


164 


her, uehmüthigften- und zugleich füßeflen Erinne⸗ 
tung unferer audgeftandenen Begegniſſe. — 

F pe Wagen, der jetzt vor Juliens Hauſe hielt, 
brachte beide, Märien und, deren Mutter — zwei 
bin Fahren nach zwar enifernte, aber in Anſe⸗ 
bung der Form einander fehr nahe, wuͤrdige Ges 
Adiken 4 mit. Die übrigen allmaͤhlig erſchej⸗ 
nenden Gaͤſte erfreuten fidy'der von der Wirthin 
ißfmen.mitgetheilten, unerwartet gluͤcklichen Lofung 
aines Raͤthſels,dis gewigermaßen in dieſem 
Haufe begonnen hatte.. 

Hilarie verſicherte noch Sefonbers, daß nädy 
(end ‚the Bismah duf Guido's Gut mit. ihr 
wäre /: ſei es ade. nur; unit in Mariens Gegen’ 
wart dit, Wachsſtgut vor ber. fie num gar keine 
Furcht weiter empfinde, seh aetroß bei der 
Hua au faſſen. | 





Blenbwerke 


um ——n 


Semꝛig oder achtzig Jahre nachdem Pabſi Boni⸗ 


facius der neunte die hohe Schule zu Erfurt mit 
neuen Freiheiten begnadet hatte, gingen eined 
Sonntags allda zwei Studenten’ über die Straße, 
noch unfhläffig , in welcher Kirche fie ihre Veſper 
Halten wollten. Da kam um eine Ecke herum 
eine Jungfrau, deren Schleier wie frifch gefallener 


Schnee dur die allmaͤhlig uͤberhand nehmende - 


Dämmerung leuchtete, und der dabel fo fein und 
gart ſchien, daß den beiden Gefellen weder ihre 
Schönheit, noch ihre gute Abkunft entgehen fonnte, 

Als fie beſcheiden einen, Schritt zurädtraten, 
ging die Jungfrau mit ſitiſam zur Erde geſenk⸗ 
tem Blicke bei ihnen voruͤber, und nun ſahen 
ſie erſt recht den ſchlanken, koͤſtlichen Wuchs ders 
ſelben, fo daß ihr Auge wie angefeſſelt hing an 
ber wundervollen Geftalt. Beſonders warm ward 
dm einen um's Herz, welcher Siegmund Wardı 
berg hieß, und er fagte zu Gotthard Heßler, ſei⸗ 
nem Gefaͤhrten: 





160 


feine Gedanken von ihr ganz anders geworben: Je 
treuer dad Wachsbild ihre Figur ihm zurüd gab, 
deſto weniger Fonnte er ſich ſelbſi dann vor der 
Verſchwundenen ſcheuen, wenn ers wirklich in ihr 
mit einem Geiſte zu thun hatte. Nach allem, 
was auch Delafoſſe ihr nachſagte, war ſie ein 
vottreffliches Weſen. Guido hatte fie ebenfalls 


nur als ein ſolches kennen gelernt, und wenn 


ſchon die Nachricht, daß fie eine aus dem Grabe 


‚Butüdgefehrte ſei, welche ſo kurz, auf ihr felts 
ſames, ihn tief verwundendes Perſchpinden folgte, 


ihn in den verzweifeltſten Zuſtand, @gen- mußte, 
16 fand er doch. mit feiner ruͤckkehrenden Befons 
nenheit gar nichts mehr an ihr, was ihm ein 
Grauen vor ihr haͤtte erregen ſotlen. 


Die Wiederkunft Delafoſſes, ber Mariens 
Mütter an dem bezeichneten Orte nicht meht ger 
funden hatte, und nan hier in def Stadt feinen 
Aufenthalt waͤblte, bewirkte nach dem; was er 
darüber an Konſtantin ſchried, daß er eines Tages, 
sie er gefommen ivar, mit Sal und Pad auß 
der Stadt verſchwand. Die eingeftandene Seigs 
beit des Mannes, ber damald Matlen Hätte 
reiten oder mit {hr teren ſollen, machte deffen 
Geſtalt für Guido Zur widerwaͤrtigſien aüf der 
ganzen Erde — 


4 4 2 r 








4öt 


si im Herbft deſſelben Jahres Guido abers 
mald — abfichtlich an einem der gewöhnlichen 
Berfammlungstage — in Zuliene Zimmer trat, 
und niemand noch als ihren Bruder bei ihr fand, 
da rief fie ihm fogleich ihren Gluͤckwunſch ents 
gegen, weil fein Geſicht ihr ſage, daß er nicht, 
mehr krank fi. — 

Auch vormals, verſetzte er, war ich nicht 
gerade koͤrperlich krank, man muͤßte denn anneh⸗ 
men, daß das eben ſelbſt zuweilen dem friſche⸗ 
ſten Menſchen jur bitterfien Krankheit werden 
koͤnne. 

Doch hoͤrt, Ihr Lieben, wie es mir ferner 
ergangen iſt. Ich reiſete gradezu von hier auf 
mein Gut.- Ganz in mich zuruͤckgezoqgen, wurde 
der Gedanke an bie verſchwundene Gattin immer 
jebendiger In mir. Ich' fühlte mich wie von. 
ihr felbft umgeben, und die Piäge, wo fie ſonſt 
am meiften gelebt und gewaltet hatte, waren für 
mich durch ide Andenken geweiht und geheiligt. 
Zu Zeiten wohnte ich auch in dem benachbarter 
Guͤtchen, wo ich fie züerſt erblickte. Da begab 
ich mich To gern an hellen Nachmittagen zu dem 
Teiche, und immer war ed mir, als ob, wis 
damals, did Wellen Mariens herrliche Sarbe und‘ 
Geftalt nun bald - wieder einmal annehmen, 
müßten.  °” 

Und ald ich einft aͤuch fo vor dem Teiche 

Geſpendterbuch 6. Theil. g 


(4 


162 


- fland, da gefchah es wirklich, und als ich mid 


drauf zur Seite wandte wie vormals, da war 
fie ſelbſt neben mir, die Arme liebend nady mir 
audgebreitet. Doch nun’erfaßte mic, trog der 
Lieblichkeit des ganzen Weſens, der Schauer, daß 


dieſes einer andern Welt angehöre, und ich zbgerte 


meine Arme nach ihm auszuflreden: 

Sp Tiebft Du mid nicht mehr, mein eins 
ziges Leben ! rief Marie, auch wenn ich Dir die 
Gründe meined ach mis felbſt fo traurigen Bers 
ſchwindens fogleich entdedten will ? 


- Und mochte fie feyn, wer fit wollte, Worte, 


Ton und Miene beflärmten mich bergeflalt,, daß 


ich fie an mein Herz reißen mußte — 





Ich bin, fo fagte fie bald darauf, in Frank⸗ 


reich geboren und auf die ſchrecklichſte Weiſe von 
dort hinweg gedrängt worden. Schuldlos dem 


Tode fhon, einem heimlichen Tode beftimmt, bat, 


ber Wärter meined Gefängniffes Mitleid mit mir. 


Eine der vielen Gefangenen in feiner Verwahrung 
ift eben vor Angſt geflorben, als er mich zur 
Hinsihtung führen fol. Da zieht .er denn dies 


fer Berftorbenen meine Kleidung an, und flatt 


meiner wird fie mit verbundenen Augen, ald ohn⸗ 
mächtig geworben, fortgefchleppt und ihr der Kopf 
abgefchlagen. .. 

So mard ich gerettet, entlam auch eine 


N 





165 


Woche fpäter der Stadt und dem ganzen un⸗ 
gluͤcklichen Lande. — 


O mein Himmel, Du biſt es, Du ſelbſt! 
rief ich aus, und erzaͤhlte ihr, was ich gehört 
hatte. 


Arme Mann ! ſagte ſie. Deſto frohet aber 
wird unfere Zufunft feyn! um 

Sie erzählte mir Hierauf, daß die Erſchel⸗ 
nung ihres vormaligen Verlobten in der hieſigen 
Gegend und feine Aufmerkſamkeit auf ſie, fie da⸗ 
von gerrieben habe, weil feine unwuͤrdige Schwaͤche 
fie wohl auch in. Deutſchland Häste verratken und 
ungluͤcklich machen koͤnnen, da: fe fehr gut wiffe, 
in weldyem geheimen Zuſammenhange ihre Ber 
folges mit vorzuͤglich angeſehenen Perfonun in 
unſerm Baterlande fländen. Allen Argwohn zu 
vermeiden, babe fie ſich deßhalb ſchon früher in 
Deutfchland von ihrer Mutter getrennt, biefer 
auch angelobt , bis zur gänzlichen Veränderung 
der Umftände niemand und felbft mid) nicht mit 
ihrer Gefchichte befannt zu machen. — Diefe 
Beränderung der Umftände, fügte fie fröhlich 
hinzu, iftmit dem nunmehrigen Sturz der Blut 
regierung_eingetreten, und meine Mutter bereit® 
bier, um uns nie wieder zu verlaffen! — — 


Die Mutter felbft trat nachmals herbei und 
wir genoffen den ganzen Abend gemeinſchaftlich 
22 


164 


her, wehmuͤthigſten und zugleich füßeflen Erinnes 
rung unferer ausgeftandenen Begegnifle — 

.- Ba Wagen, der jetzt vor, Juliens Hauſe hielt, 
brachte beide, Mätien und, deren Mutter — zwei 
bin Yaßren nach zwar enifeinte,, aber in Anſe— 
hung der Form einander fehr nahe, ‚würdige Ge⸗ 
falten Hrimit,. Die abrigen allmaͤhlig erſchej⸗ 
nenden Gaͤſte erfreuten? ſich der von der Wirthin 
ihnen mitgetheilten, unerwartet gluͤcklichen Loſung 
anes Raͤthſels, dus gewiſſermaßen in dieſem 
Hauſe begonnen hatte. 

Hilarie verſicherte noch Sefonbers, daß naͤch⸗ 
Aendı.ihr: Gemahll duf WBuido’d Gut mit ihre 
äh: frisch auch. nur; ut in Mariend Gegen» 
wart dit; Wachsſigutzvor ber. fie nun gar feine 
Funcht weiter ‚empfinde, sein eroß‘ bei der 
dand an faſſen. 


; 2. .. 
* .. ‘ I H 





Blenbwerke 


© .ania oder achtis Jahre / nachdem Pabſt Boni⸗ 
facius der neunte die hohe Schule zu Erfurt mit 
neuen Freiheiten begnadet hatte, gingen eineb⸗ 
Sonntags allda zwei Studenten’ über die Straße, 
noch unſchluͤſſig, in welcher Kirche ſie ihre Veſper 
halten wollten. Da kam um eine Ecke herum 
eine Jungfrau, deren Schleier wie frifch gefällener 
Schnee durch die allmählig Gberhand nehmende - 
Dämmerung leuchtete, und der dabei fo fein und 
gart ſchien, Daß den beiden Gefellen weder ihre 
Schönheit, noch ihre gute Abkunft entgehen fonnte, 

Als fle beſcheiden einen Schritt zuruͤcktraten, 
ging die Jungfrau mit ſitiſam zur Erde geſenk⸗ 
tem Blicke bei ihnen vorüber ‚ und nun fahen 
fie erft recht den ſchlanken, köfllichen Wuchs ders 
felden, fo daß ihr Auge wie angefeflelt hing an 
ber wundervollen Geſtalt. Beſonders warm ward 
dAm einen um's Herz, welcher Siegmund Wars⸗ 
berg hieß, und er fagte zu Gotthard Heßler, ſei⸗ 
nem Gefaͤhrten: 





» 166 
—  Kieber, wir koͤnnen nicht beffer fhan, denn 
ben Schritten des Fraͤuleins folgen, dad unfehls 
bar auch geht , ihre Andacht in chriſtlicher Gemeinde 
zu verrichten. Denn dad muß wohl das heiligfie 
Gotteshaus ſeyn, wo die Engeli in fihtbarer Go 
flalt einfehren. " 

So fehr aber Gotthard felbft von des Mägde | 
Teind Schönheit eingenommen war, fp mißfiel | 
ihm dennoch biefe Mede über die Maße, and, 
verwieß er Wardberg ſolche mit herben Worten. 
Uebrigend ging er mit ihm nach der Kirche unſe⸗ 
zer lieben Frauen „ gu welcher die Jungfrau eben. 
binanſtieg. 

Neben oder: hinter derfefden aber Fonnten fie 
richt, wie Siegmund. gehofft hatte, Plag in der. 
Kirche erhalten, meildie Schöne an einem abges 
fonderten Orte bei dem Rathömeifter Zeideler faß, 
welcher — fo hörte Warsberg yon einem darum 
Befragten — ihr Baser war, Als nun das 
Maͤgdlein hier an ihrem belerleuchteten Sitze den 

Schleier zurücthat, da ſchien ed Siegmund, als 
wollte mit ihrem frommen, holdſeligen Gefichte 
eine neue Sonne über feinem Leben aufgehen, und 
al fein Sinnen und Denken war dergeflaftt bloß 
auf das liebliche Antlig der Jungfrau gerichtet, 
daß für die Andacht fein Raum darin blieb. 

Aber Gotthard, welcher ihm zur Rechten faß, 
blidte eine Weile bleich und flare nach deffen 


a ge 3 ee 


467 


anderer Seite, und fprach dann mit tiefen Athens 
zügen feife in's Ohr ded Freundes: 

Siegmund, welch ein Schreckensnachbar ift der 
zu Deiner Linfen ? 

Darauf warf Wardberg einen ſcheuen Blick 
dahin und machte dann Heßler, vermeinend, dies 
fer habe ihn nur im Anfchauen der (äönen 
Jungfrau flören wollen, ein gar böfe& finfteres | 
Geſicht, 

Doch Gotthard fuhr fort: Laß uns lieber 
einen andern Sig wählen; denn wahrlich, Dein 
Nachbar fommt mir für in der andbächtigen Ges 
meinde vote der Iſcharioth unter den Apoſteln. 
Es ift ald zerriffe mir fein Anblick jeden froms 
men Seufzer auf der Rippe, ald wollte fein gieris 
ges Auge mein Herz austrocknen und meine Seele 
in ſich ſaugen! 

Nun betrachtete Siegmund ſeinen Freund mit 
bedenklichem Auge und ſagte: Was ſchauet doch 
Dein bethoͤrter Blick, da mir ja zur Linken nie⸗ 
mand ſitzet 7, 

Aber grade um defto ſchauerlicher ward es 
jetzt dem Andern, daher antwortete er: Dann 
laß und im Namen Gotted und aller Heiligen 

von biefer Stelle. Doch fchaue nur, ſchau, wie 
ed jegt mich anflarrt ! Komm, Lieber, komm! — 

Allein Siegmund bemerkte abermals nichts, 
und weil ed keinen beffern Pla mehr gab in 





Ar m RR nn — 


P 


188 


der Kirche zum Betrachten ber Jungfrau, fo bfieß 
er, während Gotthard. auf die entgegengefegte 
Seite ill. — 

. Wirklich, fühlte Warsberg, „wie mit jedem 
Augenblicke die reinen, lieblichen Zuͤge der Raths⸗ 
meiſterstochter tiefer einwurzelten in ſeinem Herzen. 

Als nun die Veſper zu Ende war, ſo dachte 
er nur darauf, der Jungfrau nachzuſchleichen, und 

ihr, ſollte fie auch, wie er fuͤrchtete, mit ibrem 
Vater ſeyn, beguͤnſtigt vonder inzwiſchen einge⸗ 
tretenen Dunkelheit, gelegentlich ein ſuͤßes Wort 
zuzuraunen. Denn die ſinnreiche Liebe weiß, wo 
es nur moͤglich iſt, Mittel und Wege fuͤr ihren 
Zweck auszufinden. 

Aber die Leuchte des Dieners, welcher dem 
Rathsmeiſter vorauüsſchritt, hinderte Warsberg 
fo lange an. Ausführung feined Vorhabens, bis 
jetzt, wunderharer Weiſe, mitten durch die ruhige 
Luft ein heftiger MWindzug ſtrich, Die Leuchte vers 
loͤſchend. Wie nun der Alte ſich mit dem Diener 

‚ darüber verwunderte, ging Siegmund fo nahe bei 
der. Zochter vorbei, daß er an ihren Schleier 
ftreifte , dazu flüfterte er die Worte: 

Den füßeften Schlaf ber füßefien Jungfrau ! 

Als fie wirflid feinen Wunfch pernommen 
zu haben fchien, eilte er, ganz trunfen vor Sreude 

‚  barüder, hinweg, um zu Haufe Gotthard, ber 
bei ihm wohnte, bie Sache mitzutheilen. 


- 2 —— — — we ,- 





169 


Allein Gotthard hatte den Namen mit der 
That, Denn er war gar gottesfuͤrchtig und 
fagte auf Siegmunds Bericht des Vorgefallenen; 

Ungluͤckskind, kehre um von dieſem Pfade! 
das groͤßte Zeichen Deiner Verblendung iſt, daß 
Du nicht ſehen konnteſt die furchtbare Geſtalt 
in der Kirche neben Dir, welche Deinen Sinn 
auf's Boͤſe leitete, und deren Blick mir noch jetzt 
das Haar emporſtraͤubt. Der Windſtoß, welcher 
des Rathsmeiſters Leuchte verlöſchte, war unſtreitig 
nichts weiter als ein Hauch ſeines heilloſen 
Mundes! — 

Wefſen? fragte Siegmund, erfähhtter von 
den kräftigen Tone ded Freundes. 

Seiner — ermiderte Gotthard — den ich 
nicht nennen mag, den Dy aber an feinen Wer⸗ 
fen erkennen follteff! 

Das griff Warsberg vollends an's Herz und 
Heßler fuhr fort: 

Es if Zeit, Hohe Bett, daß Du Did los 
macheſt yon den Eingebungen der bofen Gewalt. 
Denk an Dorchen und die Thränen der. Berführs 
sen durch Dih! Ya, Siegmund, anſtatt Dich 
tiefer in der Hoͤlle Netze zu verſtricken, ‚tritt 
vielmehr Fräftig aus ihnen taub, 

O ſprich, auter Gotthard, was foll ich thun ? 
fragte der Andere, 

Deinen Yeltern den Fehler entdecken und mit 


470 


ihrer Beiſtimmung Dorchen ehelichen, bevor fie 
für immer der Schande anheim fällt. — 

Aber — verfegte Siegmund — die Xeltern 
werden mir darob gewaltig zürnen.: 

Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doc 
giebt ed Feinen andern Ausweg zur Ehrenrettung 
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch 

| Deine Aeltern reiche Leute, welche die Koften des 
neuen Handhalt& nicht zu feheuen brauchen, den 
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch ift 
Dorchen die Tochter eined weitberühmten, kunſt⸗ 
reichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne. 

Siegmund reichte bem Freunde hierauf bie 
Hand und verſprach zu thun, wie er gerathen 
hatte. — 

In der Nacht aber traͤumte ihm von des 
Rathsmeiſters Tochter. Da war es, als trete 
ſie aus ihrem Hauſe und als falle mit ihr ein 

Strahl in ſeine Seele, jede andere Erinnerung 
daraus verdraͤngend. Wie fie ihn num erblickte, 
fo f&ien fie in ihm bdenfelben, den fie Tages 
zuvor auf dem Wege in die Vesper fowol ale 
nachher, wie er ihr dad Wort zuflüfterte, ber 
merkt hatte, wieder zu erkennen. Denn ihr zarı 
tes, weißed Geficht erglängte plöglich, wie der 
Himmel vom Strahle des Morgens; ihr Blick 
ſank zur Erde und der Fuß than einen unſichern 
Tritt zuruͤck. Gleichwol fehlte Siegmund dab 





e ⸗ men ur 


171 


Berz „ fie anzureben. Doch ſchlich er. von weie 
tem nad, abermald nad) der Marienkirche, wo 
fie die Rrühmeffe abzuwarten gedachte. Bevor fie 
aber zur Kirche gelangte, ließ ed ihm doch Feine 
Rube : er mußteihr Rede wögewinnen. Es gins 
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und 
Entfchuldigungen feiner Dreifligfeit fo wunder⸗ 
ſam vom Munde, daß er felbft darüber erflaunte, 
und die Junafrau, Barbara mit Namen, ihm 
nicht zuͤrnen mochte; daher er ſie denn auch zur 
Kirche hinauf geleitete, und ihr dort dat geweihte 
Waſſer reichte, 

Drauf ſetzte fie ſich zwar wieder an den Platz, 
den fie in der Veſper eingenommen ; doch war dieß⸗ 
mal der Bater nicht mit da; audy richtete fich ihre 
Auge zu wiederholten Malen auf den neuen Ber 
fannten, der ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil 
er an Geſtalt und übrigem Weſen wohl gemacht 
war, einer fhönen Jungfrau zu gefallen. 

Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in 
noch portheilhaftern Lichte, weil fie die großen, 
blauen Augen und dad goldene Haar ehr here 
aushob. 


Auf dem Heimwege ſaumte daher Siegmund 
nicht, ſie abermals zu geleiten und dabei ſeine 
Liebesworte ſogleich anzubringen. Doch zu feinem 
größten Erſchrecken ſagte ihm die Jungfrau, daß 


— — an — Rn 


472 4 


ihr Bater fle bereits einem Andern verlobt habe, 
und in wenig Wochen die Zrauung feyn ſolle. 

Ueber diefen Schred wachte Siegmund auf 
und merkte, daß alles nur ein Traum gewefen fei. 
Darauf enrfihlief er:vieder und gerieth abermals 
im Zraum vor ded Rathsmeiſters Zeideler Haus. 
Es war fehon dunkler Abend, aber die Thuͤre noch 
offen. Da ging er hinein und gelangfe in den 
Hof, wo er eine Heine Seitentreppe vorfand. 
Die erflieg er. und traf oben ſogleich Barbara's 
Kämmerlein und Burhara darin. Und er bemädhs 
tigte fich der ſchoͤnen Geſtalt und bat fo rührend, 
daß ihr -davon alle Kraft zum Hülferufen benoms 
Men ward. , Sp trug er fie aud dem Haufe und 
Gotthard felbft ftand hier, fie zu empfangen und 
die Jungfrau mit fchonen Reden zu betäuben. 
Sie führten folche hieranf aus der Stadt, immer 
weiter und weiter. ° Endlich kamen fie mit ihr in 
ein Dorf, nahe hei Eidleben, ba fand fich ein 
Pfaff, der fie trauete, worauf ein großes. Feſt 
erfolgte. — 

Als ob er von den hellen Pfeifen des Zeflet 
felbft erwedt worden, fo fuhr jekt Siegmund 
plöglih aus dem Scylafe empor ynd ſah, daß 
alled wiederum bloßer Zraum gemefen und er, 
ſtatt fein HDochzeitfeft mit der fchönen Raths⸗ 
meiflerStochter zu feiern, einfam in gewohnter 
Zelle zu Erfurt liege, Gleichwohl Fam ihm der 





173 


Zraum gar nicht aus dem Sinne und er fühlte 
einen Drang in fich, fogleich Kleid. und Mantel 
unfzuwerfen und auszugehen: Ä 

Da fagte noch Gotthard, bereitd bei ben 
Büchern figend : 

Zraun, ed muß Dir viel Muße ſeyn, oder 
Unrupe, daß Du ſchon zu To. früher Tageszeit 
Zerfireuung fucheftin ber Stadt! denn der Kirche 
wegen geheſt Du doch wohl fo frühe nicht aus? 

Und Siegmund flug dad Gewiſſen maͤch⸗ 
tig. Denn er gedachte, -wad er dem Sreunde am 


Übende zugefagts Dennoch fonnte er fib nicht - 


Iöfen von dem gemaltigen Untziche bed Traumes 
und er ſprach· 

Bielleicht geht doch man Weg zur girche. — 

Dann — verfegte Gotthard — dann giehe 
in Srieden. Denn ed iſt gut und loͤblich, ale 
Dinge mit Gott- anzufangen ! 

Das Zutrauen aber, womit it fein frommer 
Freund ihm die Hand reichte, verwundete Sieg⸗ 
mund ſtaͤrker denn der fruͤhere Argwohn, und 
ſchon ſtand er im Begriff, ihm den Traum zu 
entdecken, als es ihn wie mit Gewalt zur Thuͤre 
hinaus draͤngte. 

Er ſtuͤrmte die Treppe hinab. über die Straße, 
bis vor ded Rathsmeiſters Zeibeler Haus. Und 
fiche, alled wie in feinem Traume. Barbara trat 
aus der Thuͤre und die Unfchuld ihrer Miene im 


ir 


ia. 


Berein mitdem Worte feines Gewiſſens, feffelte 
ihm Schritt und Zunge, Docd nur auf Augens 
blide. Auch was nunmehr erfolgte, bildete nur 
feinen Traum irh Wachen aus, fo daß in Kurzem 
deſſen erfie Hälfte bis auf die Eltinften Umftände 
vollendet war. — 

Als er nun aus Barbara’d Munde vernommen 
hatte, iht Vater habe fie. bereit6 einem Andern 
zugefprochen, da verfieler in fo große Betruͤbniß, 
daß nur die Hoffnung auf ded Traumes zweiten 

. Kheil ihm einen ſchwachen Troft geben konnte. 

Zu Haufe aber ſuchte er Gotthard auszu⸗ 
weichen, der noch feit über feinen Buͤchern ſaß. 
Es ging indeffen nicht immer, denn fein Freund 
fragte endlich geradehin: 

Biſt Du wirklich in der Kirche geweſen ? 

Siegmund bejahte. 

Nun, dann — verſetzte der Andere — dann 
wundert's mich, daß Du nicht mehr Kraft und 
Freudigkeit daher zuruͤckbringeſt. Biſt Du viel⸗ 
leicht auch bei dem armen Dorchen geweſen, ſo 
daß Dich ihre gerechte Klage ſeitdem wieder nieder⸗ 
beugte? Getroft, Lieber, auch fie wird ed wer⸗ 
den , da Dein guter Wille alles zum Veſten zu 
kehren denkt! 

Solche Troſlesworte konnten natuͤrlich nichts, 
als pur tiefer einfchneiden in Siegmund6 verwans 
beted Herz. Gotthard ſchrieb indeß die Fortdauer 


* 


178 . 


feines Truͤbſinns dem Gedanken an die Trauer 
feiner Aeltern bei der unerwarteten Nachricht zu, 
und Tieß ab, ihn mit weitern Sragen zu beldftis 
gen, da er meinte, daß durch das Worbaben, 
welches er dem Freunde gutraute, alled von felbft 
einen guten Ausgang gewinnen müffe. — Daher 
machte er auch Feine einzige Bemerkung darüber, 
daß Siegmund den ganzen Tag nicht Speife noch 
Trank zu fi nahm. 

Als nun’ die Dämmerung hereinbrach, da 
ließ ed Siegmund Feine Ruhe mehr zu Haufe, 
Er dachte nur darauf, ob ihm ber zweite Traum . 
gleichfalls ausgehen werde, wie der erfte. Es 
war aber noch nicht finfter genug, daher trat er 
einfiweilen in ein Wirthöhaud. Hier ſtanden 
mehrere Buͤrger zuſammen bei der Kanne, und 
er horchte hoch auf, als er vernahm, daß der Ge⸗ 
genſtand ihrer Rede der Rathsmeiſter Zeideler 
war. Einer der Buͤrger, ſeines Gewerbes ein 
Pfeifer, erzaͤhlte von einem andern Kunffpfeifer, 
Namens Henrich zu Eisleben, welcher ſich vor 
Kurzem nach Erfurt wenden und hieſelbſt das 
Buͤrgerrecht gewinnen wollen, von dem Raths⸗ 
meiſter Zeideler aber ſehr hart angelaſſen und hin⸗ 
weggewieſen worden. Es ſei, habe ernannter 
Rathsmeiſter geſagt, des luftigen Geſindels ſchon 
zu viel in der Stadt, als daß man die Mehrung 
deſſelben geſtatten duͤrfte, da das Gewerbe eines 





| 176 
Pfeifers doch nur auf Thorheit und Hoffarth und 
Eitelfeit ausgehe. Solche Rede aber hätte Hen⸗ 
sich von Eidleben fehr erzürnt, da fein Gewerbe 
eine feine Kunſt fei, von Groß und Kieln in Eh⸗ 
ren gehalten überall, Er babe auch im Weggehen 
vom Rarhhaufe laut gefagt, daß er nicht ruhen 
wolle, bis er an dem Rathsmeiſter Zeibeler Rache 
genommen, und gewiß jede Gelegenheit dazu 
ergreifen werde. 

Und er haͤlt Euch Wort — ſo fuͤgte der 
Erzähler hinzu — darauf kenne ich den Hen⸗ 
rich. — 
| Zimmittelft ı wär es fnfterer Übend geworben 
und Siegmund ſetzte feinen Fuß weiter. Aber⸗ 
mals alles, wie in ſeinem Traume: die Haus⸗ 
thür offen, bie Seitentreppe im Hofe zu fehen. 
Nichts hätte bei foichem Anſchein ſeinen wilden 
Muth baͤndigen Yonnen. "Barbara bald in feis 
nen Armen! Diefer‘ Gedanke trieb ihn wie der 
Meerſturm dab ſchwache Fahrzeug. — Auch ſie 
fand er droben und ihr ohnmaͤchtiges Straͤuben. 
Als er nun mit ihr aus dem Haufe trat 
und wirklich Gotthard feiner harten fab, da ver⸗ 
(wand: ihm ſogar das letzte Bedenken. Gott 
hard ſagte, daß er ihm nachgegangen. und felbfl 
zur Ausführung feines Borhabend behütfiich feyn 
wolle, weil er ja doch davon nicht abzubringen 
ſcheine. 


4 v Lv ⁊ 














177 

Die Yungfrau aber, als fie mit ihr Zum 
Thore hinaus waren, erholte fich endlich aus der 
Betäubung, worin dad füße Schmeicheln und 
die zarten Liebesworte Siegmundsé fie gelifpelt 
hatten, und fie rief: 

O ſprecht, Reute; was iſt das, und was 
begehrt Ihr ˖ von mir, die ich doch eines Andern 
werden fol? Laßt mich lieber zuruͤck in dad Haus 
meined Vaters, wohin ich allein gehöre. 

Hierauf erwiderte Waröberg : 

So haſſeſt Du mich, Höldfeligfte, mit fol 
her Graufamkeit, daB Du gar mein Berderben 
verlangeft? 

Nicht Dein Berberben! ſprach fie. Auch 
haſſe ich nicht Dich, fondern nur Deine gottlofe 
Untreu an der Sittfainfeit, und daß Du eine 
unbefcholtene Jungftau alfo entzweien willft mit 
ihren Verwandten und in Schimpf und Schande 
bringen ! 

Und gleichwohl — verfegte Siegmund — 
zwang id Dich nicht, mit hierher zu gehen; 
vielmehr gewann: nur meine Liebe fo viel über 
Dein Herz! 

Darauf ſchalt die Jungfrau : 

Sprich nicht alfo., böfer Gefel, der Du wohl 
mit argen Zauberfünften umgehen magſt. Denn 
anders Tonnte ed Dir fchmwerlich gelingen, mich 
dergeftalt zu verbienden ! 

Geſpenſterbuch 6. Theil. M 


. 478 

Jungfrau — entgegnett Siegmund — Taft 
und beide die Schuld. gemeinfhaftlidh tragen, da 
Ihr doch nun nicht unbemerkt in Euered Baterd 
Haus zuruͤckkehren werdet, dort dber jedermann, 
felbft Euer Bräutigam, die Zauberkünfte, fo Ihr 
mir gern zur Laſt legtet, in Euer Willen zum 
Mitgehen finden wird. | 

Barbara aber, welcher das tinleüchtete, jam⸗ 
merte gar ſehr, und ſie glaubte die Schmach 
nicht erdulben zu koͤnnen, welche ihrer im vaͤter⸗ 
lichen Hauſe wartete, daher wendete ſie ſich an 
Gotthard, der ſeit der erſten Begrüßung wenig 
von fih hören Taffen. Er beantwortete jedoch 
ihre Srage mit bloßem Achſelzucken. Darauf 
beräubte Siegmund fie aufs Neue mit Liebes⸗ 
werten, fo daß bald vom Zuruͤckkehren nicht meht 
die Rede war, | 

Der zu befütdytenden Nachforſchungen halber 
hielt man ſich unterweged nur fo viel auf, um 
dab Norhdärftige an Effen und Trinken einzus 
nehmen und zuweilen im Waldeöfchatten ein 
wenig audzuruhen, Endlich Tagen bie Thürme 
der Stadt Eisleben vor ihnen im grauen Nebel. 
Sogleich fiel Siegmund, da er allda keine Bes 
Sanntfchaft hatte, der Kunftpfeifer Henrich ein, 
welchem, nach dem was er im Wirthshauſe zu 
Erfurt vernommien, die Gelegenheit ſich dadurd, 
daß er Sarbara’d Verbindung mit ihrem Entführ 








179 
ver begänflige, an dem Nathsmeifter Zeideler zu 


rächen, willfommen feyn mußte. Als fie nun 


in Eisleben anfangten, fo fragte er fogfeich nach 
dem Pfeifer und warb auch alsbald su ihm 
gewiefen 

Henrich ſchlug jaudhgenb i in die Hände, al 


Siegmund ihm heimlich fein. Anliegen erdffnete.. 


Bald war auch mit des Pfeiferd Beiftande anf 
einem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden, 


der die Tranung ohne Anſtand beforgte. Der. 


Pfeifer aber, hocherfreut über die Rache ‚welche 
er alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, be 
rief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo 
daß die Hochzeit gar feſtlich gehalten, auch viel 
dabei getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗ 
rich hatte eine ftarte Bekanntſchaft in der Gegend, 
meift junges Bolt, und folded in Siegmunds 
Namen dazu geladen. | 

Doch am Abend, wie ber Laͤrm eben gar 
groß geworden, kam Heßler plöglich zu Wars⸗ 
berg und rief Henrich, den Pfeifer, auch dazu. — 
Ich war — fo fagte er Hier gu ihnen — eben 
drunten im Dorfe, Da hörte ich, leider! daß 
Such ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter 
Zeideler von Erfurt hat und nämlich nachgeſpuͤrt 
und ift ſchon mit Befolge hier, um feine Toch⸗ 
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Daß. 
koͤnnte ein böfed Halsgericht geben; drum laßt 

D 2 


170 


ibrer Veiftimmung Dorchen ehelichen, bevor ſie 
für immer der Schande anheim faͤllt. — 

Aber — verfagte Siegmund — die Yeltern 
werden mir darob gewaltig zürnen. . 

Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doch 
giebt es Feinen andern Ausweg zur Ehrenrettung 
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch 
Deine Yeltern reiche Leute, welche die Koften des 
neuen Hanshalt& nicht zu ſcheuen brauchen, den 
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch iſt 
Dorchen die Lochter eined weirberühmten, kunſt⸗ 
reichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne. 

Siegmund reichte dem Freunde hierauf die 
Hand und derſprach zu thun, wie er gerathen 
hate. — 

In der Nacht aber träumte ihm von des 
Nathömeiflerd Tochter. Da war ed, ald trete 
fie aud ihrem Haufe und ald falle mit ihr ein 
Strahl in feine Seele, jede andere Erinnerung 
daraus verdrängend. Wie fie ihn num erblidte, 
fo f&ien fie in ihm denfelben, ben fie Tages 
zuvor auf dem Wege in die Vesper fomol als 
nachher, wie er ihr dad Wort zufläfterte, bes 
merkt hatte, wieber zu erfennen. Denn ihr zar⸗ 
tes, weißes Geficht erglängte plöglich, wie der 
Simmel vom Strahle des Morgens; ihr Bid 
fan? zur Erbe und der Fuß tha= einen unſichern 
Tritt zuruͤck. Gleichwol fehlte Siegmund dab 


— nd 


171 


Gerz , fie anzureden. Doch fehlich er von weis 
gem nach, abermald nach der Marienfirdhe, wo 
fie die Fruͤhmeſſe abzuwarten gedachte. Bevor ſie 
aber zur Kirche gelangte, ließ es ihm doch keine 
Ruhe: er mußte ihr Rede gewinnen, Ed gin⸗ 
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und 
Entſchuldigungen ſeiner Dreiſtigkeit ſo wunder⸗ 
ſam vom Munde, daß er ſelbſt daruͤber erſtaunte, 
und die Jungfrau, Barbara mit Namen, ihm 
nicht zuͤrnen mochte; daher er fie denn aud) zur 


— 


Waſſer reichte. 


Drauf feßte fie ſich zwar wieder an ben Plaß, 
den fie in der Befper eingenommen ; doch war dieß⸗ 
mal der Bater nidyt mit da; auch richtete fich ihre 
Auge zu wiederholten Malen auf den neuen Bes 
fannten, ber ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil 
er an Geſtalt und übrigem Wefen wohl gemacht 
war, einer fehönen Jungfrau zu gefallen. 

Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in 
noch yortheilhafterm Fichte, weil fie die großen, 
Blauen Augen und dad goldene Haar Mehr here 
aushob. 


Auf dem Heimwege ſaumte daher Siegmund 
nicht, ſie abermals zu geleiten und dabei ſeine 
Liebesworte ſogleich anzubringen. Doch zu ſeinem 
größten Erſchrecken ſagte ihm bie Jungfrau, daß 


4170 
rer Veiftimmung Dorchen ehelichen, bevor fie 
für immer der Schande anheim fält. — 

Aber — verfagte Siegmund — die Yeltern 
werden mir darob gewaltig zürnen. 

Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doch 
giebt ed Feinen andern Yusweg zur Ehrenrettung 
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch 
Deine Aeltern reiche Leute, welche die Koſten des 
neuen Hanshalt& nicht zu feheuen brauchen, den 
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch iſt 
Dorchen die Tochter eineb weitberühmten, kunſt⸗ 
zeichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne. 

Siegmund reichte dem Freunde hierauf die 
Hand und verfpgad zu thun, wie er gerathen 
hatıe. — 

In der Nacht aber träumte ihm von des 
Mathsmeiſters Tochter. Da war ed, als trete 
fie aus ihrem Haufe und als fale mit ihr ein 

. Strahl in feine Seele, jebe andere Erinnerung 
daraus verdrängend. Wie fie ihn nun erblidte, 
fo ſchien fie in ihm denfelben, den fie Tages 
guvor auf dem Wege in die Vesper ſowol als 
nachher, wie er ihr dad Wort zuflüfterte, ber 
merkt hatte, wieder zu erkennen. Denn ihr zar⸗ 
tes, weißed Geficht erglänzte ploͤtzlich, wie der 
Simmel vom Strahle bes Morgens; ihr Blick 
fan? zur Erde und der Fuß thar einen unſichern 
Tritt zuruͤk. Gleichwol fehlte Siegmund dab 


171 


Herz, fie anzureden. Doc ſchlich er von weie 
gem nad, abermald nad) der Marienkirche, wo 
fie die Fruͤhmeſſe abzuwarten gedachte. Bevor ſie 
aber zur Kirche gelangte, ließ es ihm doch keine 
Ruhe: er mußte ihr Rede Igewinnen. Es gin⸗ 
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und 
Entſchuldigungen feiner Dreiſtigkeit fo wunders 
fam vom Munde, daß er ſelbſt darüber erftaunte, 
und die Junafrau, Barbära mit Namen, ihm 
nicht gürnen mochte; daher er fie denn auch zur 
Kirche hinauf geleitete, und ihr bort das geweihte 
Waſſer reichte, 


Drauf ſetzte fie ſich zwar wieder an den Plaß, 
den fie in der Befper eingenommen ; doch war dieß⸗ | 
mal der Bater nidyt mit da; auch richtete fich ihr 
Yuge zu wiederholten Malen auf den neuen des 
kannten, der ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil 
er an Geſtalt und übrigem Wefen wohl gemacht 
war, einer fhönen Jungfrau zu gefallen. 

Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in 
noch yortheilhafterm Lichte, weil fie die großen, 
Blauen Augen und das goldene Haar ehr here 
aushob, \ 


Auf dem Heimmege fäumte daher Siegmund “ 
nicht, fie abermald zu geleiten und babei feine 
Liebesworte fogleich anzubringen. Doch zu feinem 
größten Erſchrecken fagte ihm die Jungfrau, daß . 


172 4 


ihr Vater fle bereits einem Andern verlobt Habe, 
und in wenig Wochen die Trauung feyn Tolle. 

Ueber diefen Schred wachte Siegmund auf 
und merkte, daß alles nur ein Traum gewefen ſei. 
Darauf enrfihlief er wieder und gerieth abermald 
im Traum vor ded Rarhömeifterd Zeideler Haus. 
Es war fihon Dunkler Abend, aber die Thuͤre noch 
offen. :Da- ging er hinein und gelangfe in den 
Hof, wo er eine Meine Seitentreppe vorfand. 
Die erflieg er. und traf oben ſogleich Barbara's 
Kämmerlein und Barbara darin. Und er bemaͤch⸗ 
tigte fich der ſchoͤnen Geſtalt und bat fo rührend, 
daß ihr davon alle Kraft zum Hilferufen benom⸗ 
Men ward. Sp trug er fie aus dem Haufe und 
Gotthard ſelbſt fiand hier, fie zu empfangen und 
die Jungfrau‘ mit ſchönen Reden zu betäuben, 
Sie führten folche hierauf aus Der Stadt, immer 
weiter und weiter. ° Endlich kamen fie mit ihr in 
ein Dosf, nahe hei Eisleben, da fand fich ein 
Pfaff, der fie trauete, worauf ein großes Fefl 
erfolgte. — 

Als od er von den hellen Pfeifen bed Feſteß 
felbft erwedt worden, fo fuhr jekt Siegmund 
plöglich aus dem Schlafe empor ynd ſah, daß 
alled wiederum bloßer Zraum gewefen und er, 
fiatt fein Hochzeitfeft mit der ſchöͤnen Raths⸗ 
meifterdtochter zu feiern, einfam in gewohnter 
Zeile gu Erfurt liege, Gleichwohl Fam ihm der 





173 


Traum gar nicht aud dem Sinne und er fühlte 
einen Drang in fich, fogleich Kleid und Mantel 
umzuwerfen und auszugehen, Ä 

Da fagte noch Goubasd , bereitö bei ben 
Büchern ſitzend: 

Traun, es muf Dir Biel Muße feyn ; oder 
Unruhe, daB Du ſchon zu fo früher Tageszeit 
Zerftreuung ſucheſt in ber Stadt! denn der Kirche: 
wegen geheilt Du dach wohl fo fräheniht aus? 

Und Siegmund ſchlug dad Gewiſſen maͤch⸗ 
tig. : Denn er gedachte, was er dem Sreunde am 
Abende zugeſagt. Dennoch Fonnte er fih nicht 
Iöfen von dem gewaltigen Anttiehe bed Traumes 
und er fpradhs. _ 

Vielleicht geht doch man Wes zur girche. — 

Dann — verſetzte Gotthard — dann ziehe 
in Frieden. Denn es iſt gut und loͤblich, ale 
Dinge mit Gott anzufangen ! — 

Dad Zutrauen: aber, womit fein frommer 
Kreund ihm die Hand reichte, verwundete Sieg⸗ 
mund flärker denn der frühere Urgwohn, und 
ſchon fland er im Begriff, ihm den Traum zu 
entdedlen, ald ed ihn wie mit Gewalt zur Thuͤre 
hinaus drängte, 

Er flürmte die Treppe hinab, über bie Straße, 
His vor ded Rathsmeiſters Zeideler Haus. Und 
fiehe, alles wie in feinem Traume. Barbara trat 
aus der Thuͤre und die Unſchuld ihrer Miene im 








476 


Jungfrau — entgegnete Siegmund — Taßt 
und beide die Schuld gemeinfchaftlich tragen, da 
Ihr doch nun nicht unbemerkt in Eueres Vaters 
Haus zuruͤckkehren werdet, dort aber jedermann, 
felbft Euer Bräutigam, die Zauberfünfte, fo Ihr 
mir gern zur Laſt legtet, in Euerm Willen zum 
Mitgehen finden wird. 

Barbara aber, welcher das einleuchtete, jam⸗ 
merte gar fehr, und fie glaubte die Schmach 
nicht erdulden zu Tonnen, welche ihrer im vater⸗ 
lichen Haufe wartete," daher wendete fie ſich an 
Gotthard, der feit der erflen Begrüßung wenig 
von fih hören laffen. Er beantwortete jedoch 
ihte Frage mit bloßem Achſelzucken. Darauf 
beräubte Siegmund fie auf's Neue mit Liebes⸗ 
werten, fo daß bald vom Zuruͤckehren nicht meht 
die Rede war, 

Der zu befuͤtchtenden Nachforfhungen halber 
hielt man ſich unterweges nur fo viel auf, um 
das Norhdärftige an Effen und Trinken einzus 
nehmen und zumeilen im Waldeöfchatten ein 
wenig auszuruhen. Endlich lagen die Thuͤrme 
der Stadt Eisleben vor ihnen im grauen Nebel. 
Sogleich fiel Siegmund, da er allda Feine Ber 
kanntſchaft hatte, der Kunftpfeifer Hentich ein, 
weldyem , nach dem was er im Wirthöhaufe zu 
Erfurt vernommen, die Gelegenheit ſich dadurch, 
daß er Barbara’s Verbindung mit ihrem Entführ 


179 
rer beguͤnſtige, an dem Rathsmeiſter Zeidelet zu 


raͤchen, willkommen ſeyn mußte. Als ſie nun 


in Eisleben anlangten, ſo fragte er ſogleich nach 
dem Pfeifer und ward auch alsbald zu ihm 
gewieſem 

Henrich ſchlug zauchzend i in die Haͤnde, als 
Siegmund ihm heimlich ſein Anliegen eroͤffnete. 
Bald war auch mit des Pfeifers Beiſtande anf 
einem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden, 


der die Trauung ohne Anſtand beforgte. Der 


Pfeifer aber, hocherfreut über die Nache „welche 
er alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, ber 
rief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo 
daß die Hochzeit gar feftlich gehalten, auch viel 
dabei getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗ 
rich hatte eine ſtarke Befanntfchaftin der Gegend, 
meift junged Volk, und folded in Siegmunds 
Namen dazu geladen. 

Doch am Abend, wie der Lärm eben gar 
groß geworden, Fam Heßler plöglid zu Wars⸗ 
berg und rief Henrich, ben Pfeifer, auch dazu: — 
Ich war — fo fagte er Hier zu ihnen — eben 
drunten im Dorfe. Da hörte ih, leider! daß 
Fach ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter 
Zeideler von Erfurt hat und naͤmlich nachgeſpuͤrt 
und ift (don mit Befolge hier, um feine Toch⸗ 
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Daß. 
Tonnte ein boͤſes Halsgericht geben; drum laßt 
mM 2 


180 


Euch beide rathen und gehet flugd mit mir da} 


von! — 
Siegmund wollte nun zwar durchaus nicht 
fort oßne die Braut; doch da der Pfeifer den 


Kopf fchüttelte und ebenfalld meinte, daß das 


Leben davon zu bringen jeßt die Hauptſache ſei, 
indem alled andere in Zukunft eher wieder zu 
erlangen ſtehe, als dieſes, fo Tieß er ſich's audy 


‚gefallen und entkam mit den beiden Undern durch 


die Sartenthüre, während der Rathsmeiſter und 
die Seinigen ſchon in's Haus brangen. 

‚Aber der Pfeifer konnte nicht zurüd nach 
Eisleben und Siegmund weder nad) Erfurt noch 
in feine Heimath, weil wohl gu fürchten fland, 
daß man auch dorthin nach ihnen fenden werde. 
Sie entfamen jedoch insgeſammt bis nach Franken, 
wo niemand um die Sache Wiſſenſchaft hatte. 

, Siegmund gebrach es indeffen an aller Rufe. 
Dad Leben war ihm eine traurige Laſt, nun er 
die entbehren mußte , die in der legten Zeit fein 
einziges Dichten und Trachten geweſen. Daher 
machte er audy allerlei Unfchläge, wie der gelichs 
ten Barbara beizufommen feyn dürfte ‘Doch 
der Pfeifer ging in fich und es reuete ihm der 
bdfen That, welche er aus Rache, unternommen, 
gar fehr. Das fagte er audy Waröberg. Der 
aber hatte in feiner Befangenheit Teinen Sinn 
mehr für dad Rechte. Darum nahm Henrich 


[2 
Li 


181 


eine Morgens, ald Heßler eben ausgegangen war, 
feinen Wanderſtab und fagte zu Siegmund : 

Gehab Di wohl! Denn feitich mein Ber: 
gehen einfehe, flimmen wir nicht mehr zufammen. 
Ich will zufchauen , wo meine Kunſt andenwärtd 
Unterfommen findet; ift ihr doch allenthalhen 
gededrer Zifch gewiß. — Und noch eins, Gefell! 
Was Du au thun möÖgeft, fo fliche Deinen 
(Sefährten! Dein junges Blut Fönnte in feiner 
Geſellſchaft leicht zu ervigem Schaden kommen. 
Glaube dab meiner Erfahrung. ch babe Acht 
auf ihn gegeben und ift er Fein Zauberer, o fo 
fann er nur der Satan felber feyn. — 

Aber die Nede machte wenig Eindrud auf 
Siegmund, welder Gotthard von Grund aus 
zu kennen glaubte. Als er indeffen nun ſtets 
allein war mit ihm und Zeit genug zum Nach⸗ 
denken behielt, da nahm es Warsberg immer mehe 
Wunder, welch große Veränderung in der That 
mit Heßler vorgegangen. Denn er, ber fonft 
feine geiftlichen Bücher gar nicht miffen Fonnte, 
lebte jegt, ohne auch nur nach ihnen zu fragen. — 
Zudem ſchien er oft in ein duͤſteres Brüten vers 
Ioren, was dem fo heitern Menſchen ſonſt niemals 
begegnete. — 

Als endlich einmal Siegmund beim Aufſte⸗ 
hen vom Lager alſo zu ihm anhob: 


Weißt Du noch, Gotthard, wie Du in der 


"182 


Vefper zu Erfurt mir einreden wollteſt, es file 
ein ſchlimmer Nachbar an meiner Seite, den ich 
vicht gewahrte 2 — 

D ja. antwortete ber. Andere kachend — ich 
habe in meinem Leben. manch Hirngefpinft diefer 
Art erfchaut. 

Jetzt alfo, Gotthard, meinſt Du ſelber, daß 
«6 bloßes Hirngeſpinſt geweſen ? 

Allerdings + Die Einbildung treibt bisweilen 
wunderliche Wirihſchaft im Gehirue junger Ges 
fellen ! l ⸗ 

Und doch — — ſprach Stegmund nach fangen, 
tiefem Athemzuge — doch gemahnt 6 mich bias 
weilen, aldob Du dazumal Recht gehabs haͤtteſt 
und ich Unrecht. — Denn eine‘ böfe, 4ußere Kraft 
mußte wohl dazu gehören, mich von Dorchen, die 
ich verführte, fo ganz mit Seele und Ginnen 
abzuwenden. Ich fühlte dad, wie Du za Haufe 
mir die Sache vorhieltefl. Es gehörte wahrlich 
mehr Rede von Deiner Seite dazu, ald von⸗ 
nöthen gersefen, wenn alle& natürlich bei mir 
gugegangen. Und der Lraum, der doppelte Traum, 
den ih Dir erſt geftern erzählte, der alle meine 
guten Borfäge wieder ummarf, wie ſoll ich mir 
den anders, ald durch fremdes, gewaltiged Eins 
wirten erklären, ba die Wirklichkeit nachher doch 
nichtö chat, ald feine Gerippe mit dem erforderli⸗ 
«en Fleiſch und Blut au überhauen ? 

ER * 





179 


- begünflige, an dem Rathsmeiſter Zeideler zu 
chen, woillfommen feyn mußte. Als fie nun 
Eisteben anlangten, fo fragte er fogleich nach 
m Pfeifer und warb auch aldbald gu ihm 
wiefem 

Henrich ſchlug jauchzenb i in die Hände, ale 
iegmund ihm heimlich fein. Anliegen erbffnete. 
‚ald war auch mit des Pfeiferd Beiftande auf 
nem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden, 
er die Lrauung ohne Anfland beforgte. Der 
Yfeifer aber, Hocherfreut über die Nache ‚welche 
e alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, ber 
ief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo 
raß die Hochzeit gar feftlich gehalten, auch viel 
aber getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗ 
rich hatte eine ſtarke Befanntfchaft in der Gegend, 
meift junges Bolf, und folded in Siegmunds 
Namen dazu geladen, 

Doch am Abend, wie der Lärın eben gar 
groß geworden, Fam Heßler ploͤtzlich zu Wars⸗ 
berg und rief Henrich, den Pfeifer, auch dazu. — 
Ich war — fo fagte er Hier zu ihnen — eben 
drunten im Dorfes Da hörte ih, leider! daß 
Euch ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter 
Heideler von Erfurt hat und nämlich nachgeſpuͤrt 
and ift (don mit Gefolge hier, um feine Toch⸗ 
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Dad 
koͤnnte ein böfed Valsgericht geben; drum laßt 

DM 2 


488. 


Aber Gotthard — rief Siegmund aud m 
denfe Dir, Dorchen, wie fie bie Stunde ihrer und 
meiner Geburt verwünfdgen mag; denke Dir den 
fo hochgeachteten Goldſchmidt, ihren Vater, ihre _ 
Mutter, dad Mufterbild einer fittfamen Haus⸗ 
frau , dieſe Aeltern, die alled getban, um ihr 
Kind der Tugend zuzuführen ; denke Dir fie, wenn 
fie nun die Schmach des Mägdleind inne werden ! 

Sreilich — erwiberte der Andere — dad wird, 
ihnen ungelegen fommen. Aber Du, mußt denn 
Du deßwegen dem rafilofen, weit hinausſtreben⸗ 
den Geifte mit ber Goldſchmidtstochter ein ewiges 
Gewicht an die ſchoͤnen Bittige hängen ? 

Ei — fprahd Siegmund — meine Schuld 
muß ich doch wohl vor allem gut zu machen 
ſuchen. 6 

Ich daͤchte — verſetzte Heßler lachend — jedes 
von Euch koͤnnte die Haͤlfte der Schuld ſo auf 
Ad nehmen, wie Ihr Euch in die Luſt gleich⸗ 
falls getheilt haben möge! — 

Da ſchauerte Waröberg vor dem Freunde. 
Gleichwohl ſchmeichelte ſolche böfe Sinnebart feiner 
Neigung, die fortbauernd von Dorchen völlig 
abgewandt, einzig nach Barbara fich hinkehrte. 
Er glaubte indeffen andere Luft noͤthig zu haben, 
kleidete fi) daher eilendd an und ging hinaus 
in's freie Feld. Uber fein Gewiſſen ging mit 
ihm und drüdte ihn bald auf einen Hügel am 


185 


Mege nieder. Dier verfanf er, ber. Umgebung 
feinen Blick zumendend, in dad Meer büflerer 
Bilder, welches in feinem Innern aufs und abs 
ſtuͤrmte. 

Da klopft ihm mit einem Male ein Haͤnd⸗ 
chen leiſe auf den Arm, und wie er aufficht, 
fa ift es Dorchen, die vor ihm ſteht. Es iſt 
ihr freundliches Geſicht, obſchon bleich von Harm; 
"ihr ſchoͤnes dunkles Auge iſt es, obſchon halb 
erloſchen in den Thraͤnen, deren Spur ſich rings⸗ 
um eingegraben hatte, ' 

Beim Erblicken des verlorenen: Sichften ‚bras 
hen fie von Nexem firommeis hervor. , 

Siegmund? — fprah fie — Du haft die 
Matbsmeiſters Tochter entführt; Dein Herz ger 
hört mir nicht mehr an. ber der Himmel, 
wenn anderd ber noch von mir weiß, ber Him⸗ 
mel führe Dich felber mir unverhofft zu. Nicht 
ald wollteich Anſpruch machen auf die Hand, fo 
Du mir gufagtefl. Nein, mein Anſpruch mag 
verfallen feyn, wie Dein Verſprechen. Und damit 
feine boͤſe Erinnerung daran Dich quäle, fo gieb 
mir meinen Ring zuräd, wie ich Dir den Deinis 
gen hier wieder gebe. 

Dorchen! rief Siegmunb, ihre Sand heftig 
ergreifend. 

Nein! ſprach fie, indem fie folche von ihm 
los machte, glaube nicht, daß ich Deinetwegen 


184, 


Aber Gotthard. — rief Siegmund aus — 
denke Dir, Dorchen, wie fie die Stunde ihrer und 
meiner Geburt verwünfdgen mag; benfe Dir den 
fo hochgeachteten Goldſchmidt, ihren Vater, ihre 
Mutter, dad Mufterbild einer fittfamen Haus⸗ 
frau , diefe Aeltern, die alle gethban, um ihr 
Kind der Tugend zuzuführen; denke Dir fie, wenn 
fie nun die Schmach des Mägdleind inne werden ! 

Sreilich — erwiberte der Andere — dad wird, 
ihnen ungelegen fommen. Aber Du, mußt denn 
Du defwegen dem rafilofen, weit hinausſtreben⸗ 
den Geiſte mit der Goldſchmidtstochter ein ewiges 
Gewicht an die ſchoͤnen Fittige haͤngen? 

Ei — ſprach Siegmund. — meine Schuld 
muß ich doch wohl vor allem gut au machen 
fuchen. 

Ich daͤchte — verſetzte Heßler lachend — jedes 
von Euch koͤnnte die Haͤlfte der Schuld ſo auf 
ſich nehmen, wie Ahr Euch in die Luſt gleich⸗ 
falls getheilt haben moͤgt! — 
Da ſchauerte Warsberg vor dem Freunde. 
Gleichwohl ſchmeichelte ſolche böfe Sinnebart feiner 
Neigung, die fortbauernd von Dorchen völlig 
, abgewandt, einzig nach Barbara fich hinkehrte. 
Er glaubte indeffen andere Luft noͤthig zu haben, 
Heidete ſich daher eilendd an und ging hinaus 
in's freie Feld. Uber fein Gewiffen ging mit 
ihn und drüdte ihn bald auf einen Hügel am 





185 


Wege nieder. Dier verfanf er, der. Umgebung 
feinen Blick zumendend, in dad Meer büfterer 
Bilder, welches in feinem Innern aufs und abs 
ſtuͤrmte. 

Da klopft ihm mit einem Male ein Haͤnd⸗ 
hen leiſe auf den Arm, und wie er aufſieht, 


fü iſt es Dorchen, die vor ihm ſteht. Es iſt 


ihr freundliches Geſicht, obſchon bleich von Harm; 
- "ihr ſchoͤnes dunkles Auge iſt es, obſchon halb 
erloſchen in den Thraͤnen, deren Spur ſich rings⸗ 
um eingegraben hatte, 

Beim Erblicken des verlorenen Liebſten bhra⸗ 
hen fie von Nezem firommeis hervor. 

Siegmund — ſprach fie — Du haſt die 
Ratbsmeiſters Tochter entführt; Dein Herz ger 
hört mir nicht mehr an. Uber der Himmel, 
wenn anders ber noch von mir weiß, der Him⸗ 
mel führt Dich felber mir unverhofft zu. Nicht 
als wollte ich Anſpruch machen auf die Hand, fo 
Du mir zuſagteſt. Nein, mein Anſpruch mag 
verfallen feyn, wie Dein Berfprehen. Und damit 
Feine bbfe Erinnerung daran Dich quäle, fo gieh 
mir meinen Ring zuräd,. wie ich Dir den Deini⸗ 
gen hier wieder gebe. 

Dorchen! rief Siegmund, ihre Hand heftig 
ergreifend. 

Nein! ſprach fie, indem fie folche von ihm 
los machte, glaube nicht, daß ich Deinetwegen 


Pr — Lu _ — — ...__ >... — — — — — — 


484 


meinen geliebten Geburtsort heimlich verlaffen 
babe. Nur der Ueltern, der frommen Aeltern 
halber, geſchah ed. Denn es iſt ihnen. beffer 
noch, kinderlos ſeyn, ald zu erfahren von mir, 
was Du — — weißt. — 

Gott, Gott! — rief Siegmund, mit der 
Hand ſeine Augen vor der Geſtalt der Armen 
ſchuͤtzend, aber vor dem Lichte des Zaged, deſſen 
er ſich unwerth achtete. — 

Lange blieb er halb bewußtlos, und wie er 
endlich ‚wieder aufblickte, da fragte er fi, was 
mit ihm vorgegangen , 0b Dorchen wirklich bei 
ibm gemwefen fi? Deun nun war er allen. 

Deſto mehr erſchrak er über Heßlers Geſell⸗ 
ſchaft, worein er einen Augenblick ſpaͤter fo ploͤtz⸗ 
lich gerieth, daß es zweifelhaft blieb, ob fein 
Bekannter aus einem Graben "Hinter ibm, Ober 
aus der Erbe heraufgefliegen. 

Nun Haft Du ja dad abgedanfte Liebchen wies 
der bei Dir gehabt, Siegmund ,„ fo begann ber 
Under Doch Siegmund, der jegt durch den 
Ning an feiner Hand ebenfalld davon überzeugs 
wurde, daß Fein bloßes Phantafiefpiel ihn mit 
Dorchens Erfcheinung getäufcht habe, winfte, an 
dig Leidende denkend, die noch immer mit fo viel 
unverdienter Schonung vor den Augen feined Geis 
ſtes da ſtand, finfleren Blickes, Schweigen dem 
rohen Munde. 


vw v⸗ 


4187 

BeimZurädtehren mit demYndern verſchwand 
aber dad durch ihn fb tiefgefränfte Wefen allmaͤh⸗ 
lig aus feinem Auge. Doch ward ihm deßhalb 
nicht froher um's Herz ; vielmehr ſtellte ſich fein 
Drang nad) Barbara immer ftärfer und ſtaͤrker 
ein, fo daß er, als fie in ihrer Wohnung anfar 
nen, endlich ausrief: 

Gotthard, haft Du wirklich etwa gar zaubern 


gelernt, daß Du mir ben Trieb in ber Seele 


felbft gewaltfam umwenden und mein Herz ſtim⸗ 
men magſt, wie ein todted Saitenfpiel ? 

Wer weiß? verfegte der Andere. 

O, dann  fpradı Siegmund — dam vers 
laß mich! Denn fihon friert mein Darf zufams 
men bei der Betrachtung, “Du koͤnnteſt mir wohl 
nad) und nach Gedanken einflößen, wie die, welche, 
böfen Giftqualm aushauchend, mich vohin in's 
Freie hinaus nöthigten. 


But — fpradı der Andere — ich gehe, wenn 


Du mein entbehren kannſt! 

Halt, nody eind! rief Siegmund, dad Herz 
ſchlaͤgt mir die Bruſt entzwei, wenn ich nicht 
weiß, wie ed um Barbara ſtehen mag. Kannfl 
Du mir fagen, ob fie glüdlich ift? 

Gluͤcklich? — lachte jener — Närrifche Frage ! 
Sie wäre vielleicht gluͤcklich geworden, hätte fich 
Die verwuͤnſchte Gerechtigfeit nicht dazwiſchen ges 
ſegt! So viel fannft Du wohl errathen, daß Vater 


x 


- 


486 


meinen geliebten Geburtsort heimlich verlaſſen 
habe. Nur der Aeltern, der frommen eltern 
halber, geſchab ed. Denn es ift ihnen beſſer 
noch, kinderlos ſeyn, ald zu erfahren von mir, 
was Du — — weißt. — 

Gott, Gott! — rief Siegmund, mit ber 

. Hand feine Augen vor der Geflalt der Armen 

ſchuͤtzend, ader vor dem Lichte des Tages, deſſen 
er ſich unwerth achtete. — 

Lange blieb er halb bewußtlos, und wie en 
endlich wieder aufblickte, da fragte er ſich, was 
mit ihm, vorgegangen , 0b Dorchen wirklich bei 
ihm gewefen fei? Denn nun war er allen. 

Deſto mehr, erſchtat er über Heßlers Geſell⸗ 
ſchaft, worein er einen Augenblick ſpaͤter fo plotz⸗ 
lich gerieth, daß es zweifelhaft blieb, ob fein 

- Bekannter aus einem Graben" binter ihm, ober 
aus ber Erde heraufgefliegen. 

Nun haft Du ja dad abgedankte Liebchen wies 
ber bei Dir gehabt, Siegmund, fo begann der 
Under. Doch Siegmund, der jet durch den 
Ning an feiner Hand ebenfalls davon überzeugt 
wurde, daß kein bioded Phantafiefpiel ihn mit 
Dorchens Erſcheinung getäufcht habe, winkte, an 
die Leidende denkend, die noch immer mit fo viel 
unverdienter Schonung vor den Augen feines Geis 
filed. da ftand, finfteren Blickes, Schweigen dem 
vofen Munde. 


. 4... en 





4187 
VeimZuruͤckkehren mit dem Andern verſchwand 
aber das durch ihn ſo tief gekraͤnkte Weſen allmaͤh⸗ 
lig aus ſeinem Auge. Doch ward ihm deßhalb 
nicht froher um's Herz; vielmehr ſtellte ſich ſein 
Drang nach Barbara immer ſtaͤrker und ſtaͤrker 


ein, ſo daß er, als ſie in ihrer Wohnung anka⸗ 


en, endlich ausrief: 
Gotthard, haſt Du wirklich etwa gar zaubern 


gelernt, daB Du mir den Zrieb in ber Seele . 


ſelbſt gewaltfam ummenden und mein Herz ſtim⸗ 
men magft, wie ein todted Saitenfpiel ? 

Wer weiß? verfeßte der Andere, 

D, dann — ſprach Siegmund — dann ver⸗ 
laß mich! Denn fihon friert mein Mark zufams 
men bei der Betrachtung, Du koͤnnteſt mir wohl 
nad) und nach Gedanken einflößen, wie die, welche, 
böfen Giftqualm aushauchend, mich vohin in's 
Sreie hinaus noͤthigten. 

But — ſprach ber Andere — ich gehe, wenn 
Du mein entbehren Kannft ! 


- 


Halt, noch eind! rief Siegmund, bad Herz 


ſchlaͤgt mir die Bruft entzwei, wenn ich nicht 
weiß, wie ed um Barbara fliehen mag. Kannſt 
Du mir fagen, ob fie gluͤcklich ift? 

Gluͤcklich? — lachte jener — Närrifche Frage ! 
Sie wäre vielfeicht gluͤcklich geworden, hätte fich 
Die verwuͤnſchte Gerechtigfeit nicht dazwiſchen ges 
legt! So viel fannft Du wohl errathen, daß Vater 


x 


188 
und Bräutigam der Entlaufenen wenig ShBige 
keiten fagen werden ! — . 
Und id, o wie felig Fönnte ich feyn mit 
ihr! Ob ich wohl nach Erfurt zuͤruͤck dürfte? 
Warum nicht ? Der Magiftrat erwartet Dich 
mit Sehnſucht. Alle fein Marterwerkzeug liegt 


ſchon bereit, Denn dad Hinwegführen ber 


Tochter eines ſtolzen Rathsmeiſters gilt wenige 
ftend fo viel, als die Berführung von gehn ehr⸗ 
lichen Goldſchmidtskindern! — 

Gotthard !— rief Siegmund yerzweifelnd und 
fuhr auf ihn ein, 

Nur gemach — ermwiberte der Andere ganz 
gelaſſen — Wozu wollen Freunde ſich den Hate 
drehen? 

Freunde ? — verfegte Warsberg — wir fmb 
feine Freunde mehr! Und doch, Gotthard, wenn 
Du geheime Künfte verfiehft, und mich mit Bars 
bara. unbemerft von’ den Ihrigen zufammen 
bringen fönnteft, nur um fie noch einmal gu 
fehen, ein einziges Mal! Ja, wenn Du dad 
koͤnnteſt! 

Nun — rief der Andere ſchnell — was 
wäre denn ba? 

Dann würde ich Dich body bei unferer alten 
Freundfchaft darum befchwdren! rief Siegmund, 
und fein Auge und dad ganze Geſicht glüßete wit 
im Anfall des peftigften Fiebers. 


t nn m: 
j . 
‘ 


189 

Meinetwegen — ſprach der Andere — da Du 
fie nnr ſehen willſt. Aber Fein Umarmen, fein 
Anrühren ! — 

Nein — ſprach Warsberg — nichte will ich, 
als fie ſehen. Wie auch mein Herz ſich auf⸗ 
lehnen moͤge, dieſes Anſchauen ſoll das Letzte ſeyn 5 
zwiſchen mir und der Holden. Es ſoll mir Muth 
verleihen zur gaͤnzlichen Entſagung. Ihr mildes 
Auge ſelbſi fol mich ſtaͤrken in dem Vorſatze, 
Dorchen aufzuſuchen und — zu thun, was 
Recht iſt. 

Darüber laͤchelte der Andere fo boshaft, daß 
Siegmund ſich zur Seite wandte, weil erfein Bes 
ficht nicht ertragen fohnte. Darauf fagte Heßler: 

Um Dlitternacht fol Dir die Erfcheinung were _ 
den, in diefem Gemache! 

Als nun die fehleichende Tages⸗ und Abends 
geit endlich der Mitternacht Raum gemacht hatte, 
da fprach Heßler noch einmal zu dem harrenden 
Siegmund mit aufgehobenem Finger: 

Aber Fein Umarmen! Nicht das mindeſte 
Berühren ! 

Siegmund wieberholte die Worte mit Nach⸗ 
druck. 

Einen Augenblick ſpaͤter ging die Thuͤre auf, 
und Barbara trat hold herein, wie die Goͤttin 
der Liebe. Da ſank Siegmund‘, bezwungen von 
der Gewalt ihrer Neige, vor ihr auf die Kniee, | 





— ED u. Un no J 


188 


und Bräutigam der Entlaufenen wenig Shfig«, 
feiten fagen werden ! — 
Und ih, o wie felig rdunte ich ſeyn mit 
ihr! Ob ich wohl nach Erfurt zuͤruͤck dürfte? 
Warum nicht ? Der Magiſtrat erwartet Dich 
mit Sehnſucht. Alle fein Marterwerkzeug liegt 
ſchon bereit, Denn dad Hinmwenführen der 
Tochter eines ſtolzen Rathsmeiſters gilt wenigs 
ſtens ſo viel, als die Verfuͤhrung von zehn ehr⸗ 
lichen Goldſchmidtskindern! — 

Gotthard! — rief Siegmund verzweifelnd und 
fuhr auf ihn ein, 

Nur gemach — ermiberte der Andere ganz 
gelaffen. — Wozu wollen Sreunde ſich den Halg 
brehen ? ? 

Sreunde? — verfegte Marsberg — wir finb 

keine Sreunde mehr! Und doch, Botthard, wenn 
Du geheime Künfte verftehfl, und mich mit Bars 
bara. undemerft von den Ihrigen zufammen 
bringen Fönnteft, nur um fie noch einmal zu 
ſehen, ein einziges Mal! Ya, wenn Du dab 
koͤnnteſt! u 

Nun — rief der Andere ſchnell — was 
wäre denn da? 

Dann würbe ich Dich doch bei unferer alten 

Freundſchaft darum befchwdren: rief Siegmund, 


und fein Auge und dad ganze Geſicht gluͤhete wie | 


im Unfall des heftiaften Fiebers. 





189 

Meinetwegen — ſprach der Andere — da Du 
fie nnr ſehen willſt. Aber Fein Umarmen, Fein 
Anruͤhren! — 

Nein — ſprach Waröberg — nichts will ich, 
als ſie ſehen. Wie auch mein Herz ſich aufe _ 
lehnen möge, dieſes Anſchauen fol dad Letzte feyn 
zwifchen mir und ber Holden. Es fol mir Muth 
verleihen zur gaͤnzlichen Entfagung. Ihr milded 
Auge ſelbſt ſoll mich ftärken in dem Vorſatze, 
Dorchen aufzuſuchen und — zu thun, was 
Recht iſt. 

Darüber lächelte dei Andere fo boshaft, daß 
Siegmund ſich zur Seite wandte, weil erfein Ges 
ficht nicht ertragen Fohnte. Darauf fagte Heßler: 

Um Mitternacht fol Dir die Erfcheinung wers 
den, in diefem Gemache! 

Als nun die fchleichende Tages⸗z und Abend» 
geit endlich der Mitternacht Raum gemacht hatte, 
da ſprach Heßler noch einmal zu dem harrenden 
Siegmund mit aufgehobenem Finger: 

Aber kein Umarmen! Nicht das mindeſte 
Beruͤhren! 

Siegmund wiederholte die Worte mit Nach⸗ 
bruck. 

Einen Augenblick ſpaͤter ging die Thuͤre auf, 
and Barbara trat hold herein, wie die Göttin . 
der Liebe. Da ſank Siegmund, bezwungen von 
der Gewalt ihrer Meige, vor ihr auf die Knie, 





190 


fie beſchwoͤrend, ihm nicht gu zuͤrnen wegen ber 
Bosheit, die er an ihr verübt durch die Ents 
führung. Zugleich verarfachte der Liebes zauber 
in ihrem gangen Wefen, daß er fih und der 
Schwur vergaß und ihre Hand ergriff: 

Und kaum, daß letzteres gefchehen war, fo 
fan? die Geftalt zufammen als ein todter Koͤr⸗ 
per, worin alle Spur des Lebens erfofchen iſt. — 

Ha, Zauberfput, böfer, hoͤlliſcher Zauber 
fouf! fhrieSiegmund, welcher aufgefprängen warn 
wit gezogenem Degen auf den Andern einzudrins 
gen. Doc der war nicht mehr zu ſehen. Nur 
ein entfegliched Lachen verrieth, daß er noch im 
Gemache fer , 

Wer bift Du? rief Wardberg, wie auf eins 
mal von taufend Dolchen durchbohrt. 

Ich bin, wer ich eben bin! lachte der Uns 
ſichtbare. Denke nur darauf, ebenfalls zu bleis 
ben wer Du bift neben dieferh Reihnam! — 

Siegmund gerieth außer ſich bei dem Gedan⸗ 
ten, man koͤnne ihn nun gar fürden vorfäglichen 
"Mörder der ſchoͤnen Liebſten halten, und alle Welt, 
in Berfolg deffen und des früher Borgefallenen, ' 
ähm fluchen beider ſchmachvollen Hinrichtung, die 
feiner wartete. , 

Das war zu viel; daher flehte er den Unfichts 
baren an, wenn er's vermdge, den Leichnam wie⸗ 
der in's Leben zu bringen. 


191 


Darauf Antwörtete jener: Es fol gefchehen, 
dad Du wuͤnſcheſt; Barbara ſoll morgen früh 
im Haufe ihre Vaterd aus ihrem Bette aufs 
ftehen. Nicht Deiner Freundfihaft wegen; denn 
ich haffe die Sreundfchaft, wit ich Dich haffe, und 
alles wad Menfch Heißt. Aus bloßem Daffe floͤßte 
üch Liebe zu Barbara in die Bruft deffen, über 
Den ich durch Dorihend Verführung Macht ger 
wwonnem Aus bloßem Haſſe nahm ich die Geſtalt 
Meines Freundes Heßler an, wie ich auch nun⸗ 
mehr aus bloßem Haffe Dich von einem baldigen 
sLode ertetten will. Denn Dein ganzed noch fort⸗ 
Dauernbed Leben ſoll nur Ein LTod, Eine Ver⸗ 
gweiflung ſeyn. — 

Darauf warf Siegmund ſich zur Erden und 
flehte zu Bott, daß er über ihn verhaͤngen möge, 
was ed fei, wenn er ihn nur aus des Boͤſen 
Gewalt befreien wolle, und da der Tieferfchüts 
terte wieder auffah, war der Leichnam verſchwun⸗ 
den, auch die Stimme des Unfichtbaren nicht mehr 
gu hören. 

Noch in verfelben Nacht verließ Siegmund 
Hand und Stadt. 

Sein Erfied war nunmeht, Dorchen aufzus 
ſuchen und feinen Aeltern Nachricht vonden Ums 
fländen zu geben. So ungehalten fie auch auf 
den Sohn waren, fo Fonnten fie doch feinem ties 

fen Unglüde die Verzeihung nicht verweigern, ries 


' T — " 
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' 92 , 
then ihm indeffen von bem Gebanfen ab, in die 
Heimath zu fommen, da bereit6 bei der dortis 
gen Obrigkeit auf fehne Verhaftung, im Fall er 
erfcheine, angetragen fei. 

’ Nach Dorchen aber fuchte er überall verge⸗ 
bens, fo daß ed wahr wurde, was ber fürdhters 
liche Unſichtbare ihm weiffagte, und fein Leben 
wirklich ein fortbauernder Tod, eine immerwäps 
vende Verzweiflung w i 

Eines Tages in’ einer Heinen Stadt warb 
ihm ein Ring zu Kauf angeboten, den er fogleich 
für denjenigen erfannte, welchen Dördhen ihm 
einft gegeben und zulegt gegen Herausgabe deds 
jenigen, ben fie vom ihm erhalten, wieder an 
ſich genommen. Der Befchreibung nach war fie 
es felbft geweſen, "die den Ming verkauft hatte, 

. Aus Mangel! — 
— Abber dad war nicht bad Bitterfle,; was er 
babei vernahm. Allgemein wurde fie für die 
. Mutrer eined Kinded gehalten, das im Keller 
des Haufes, wo fe gewohnt, ermordet gefunden 
worden. Obſchon wenig Zweifel darüber biieb, 
daß bie That durch fie felbft geſchehen fei, weil 
fie an dem Tage, wo das Kind gefunden wurde, 
\ ſich heimlich entfernt hatte, fo verheelte man es 
doch ber Obrigkeit aus Mitleiden. Schon vor 
der Niederfunft hatte Dorchen nämlich irre Re⸗ 
den auögefioßen und gemeint, daß ein Kind 











195 ° 


lockt worden. Freue Dich aber mit mir, well 
uns beiden heute viel Heil widerfahren iſt! — 

Henrich entbedte ihm nun, daß er. vorhin 
jenen Gefährten auf der Straße angetroffen in 
geiftlicher Kleidung, und .denfelben alsbald als 
den Genoffen feined gottlofen Peinigerö, des 
Gatand , den Gerichten übergeben habe. Cr 
hoffe auf Ruhe, nun diefer Arge ſich in der 
Gerechtigkeit Händen befinde, 

Aber Henrichs Hoffen ward nicht afale. 
Siegmund war noch hei ihm, als das Getdſe, 
welches oft um ihn her erſcholl, von Neuem ihn 
ſchreckte. Bald darauf kam auch der Mam, 
welcher auf Henrichs dringendes Suchen verhaftet, 
jedoch, weil er ſich als voͤllig ſchuldlos ausgewie⸗ 
ſen, wieder entlaſſen worden, ſelbſt, in Beglei⸗ 
tung mehrerer Sottesgelehrten, um der Urſache 
von bed Pfeifer Haſſe gegen Ihn auf die Spur 
zu fommen. 

Ad nun det Fremde Siegmund gewahrte, fo 
ging er zuerft anf diefen zu und reichte ihn die 
Hand-fich zu innig freuend, ihn wiederzuſehen, 
ald daß Siegmund Hätte meinen koͤnnen, er ſei 
nicht der Achte‘ Gotthard Heßler, fein alter 

Freund. Nachdem fie eine Zeitlang fehr herzlich 
mit einander gefprochen, da trat auch der Pfeifer, 
der Anfangs die größte Schen vor dem Manne 
gehabt, dazu, und überzeugte fich, daß er Gott» 

| N 2 , 


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194 


überall fuchte nach ihr, nirgends war fit anzu⸗ 
treffen. 

Endlich nahm er feinen Aufenthalt in Dee 
Stadt Leipzig felbft, um auf der fo eben Hier 
errichteten hohen Schule feine Studien wieders 
um mit Eifer fortzufegen. . 

‚ Bald nad feiner Ankunft bönte er Aamat 
in dem Hauſe, wo er fein Mittagsbrod einzut⸗ 
nehmen pflegte, don einem Kunſtpfeifer ſprechen, 
welchem ber Satan da rum hart zuſetze, daß er 
einſt auf einer Hochzeit muſizirt, ba er doch 
geiwußt, daß die Braut eine für einen Andern 
beflimmte,, ihren Aeltern heimlich Weggefäßrte 
geweſen. Der Pfeifer — hieß es — habe keine 

Ruhe Tag upd Nacht, obfchon er feine dama⸗ 

uͤge That ernſtlich bereue und zu allen geiſtlichen 

Mitteln feine Zuflucht nehme. 

Siegmund erbleichte bei diefer Erzählung; 

denn fogleich fiel ihm der Pfeifer Henrich ein. 
Auch war er’ in ber That. . Da konnte er ſich 

benn nicht enthalten, ihn aufzuſuchen. 

‚ Wider alles Erwarten fand er denſelben 
nicht wild und ſchwermuͤthig, wie man ihm 
ſolchen befchrieben hatte, vielmehr war Henrich 

gar vergnägt. Er erfannte Siegmund fogleid 

and rief ihm zu: Willkommen Du arıner, 
betrogener Geſell, der lediglich durch die Argliſt 
eined böfen Gefährten in jened Berbrechen vers 


497 


unfehlbar nichtd dagu Dienanhgs- Bee lafın 
werde Tri nn 

Aber nun, Lieber hrach ‚der aifo. Serröfket; 
nun Du felbft Feinen Zweifel mehr darein ſetzeſt 
daß die,gorige,, fündjiche Bagier von mir gewichen 
fei,. ſo fage ‚mir auch, daferne, Du «8 .noeißr, 
ob des Rathsmaiſterd Jochter zu Erfurt, zuruͤck⸗ 
gekommen in das Haus, ihres Vaterſ, und, wat 
ſonſt; aus derfeiben. geworden? — . 

Dieſe: Frege. exwegkte ‚eins, große — 
in- Gotthard .- Nund er ſagte 

Was ich Deiner Wißbegier hierauf antwor⸗ 
gen kann, wird ſchwerlich Dir- zum Trofte gerei⸗ 
ent. Ayein da, die Frage nun einmpf an mich 
⸗xgangen ift, ſo darf,die Wahrheit nicht vorent⸗ 
balten werden. — Allerdings ſchien ed.die lebende 
Varbara, ꝛwelche am. Morgen vom Sagen auf⸗ 
ſtand; auch hatte Teineh. im Hauſe ihre naͤchtliche 
Ahweſenheit bemeift,,. Sie that am. Morgen und 
nachher alled ihrer. Bewohnkeit. nach. ‚Nur, wax 
fin ihrer Sprache beraupt; dazu ſchritt ſig ſo beiß 
und langſam einher, und. ſah ſo hleich und todtey⸗ 
artig aus, daß die große Veränderung i inihr dem 
Vater ‚und ſaͤmmtlichen Berwandtfhaft. große 
Anruhe erregte. Befondexs fehlte ihr auch. dad 
ſchone Licht ihres Auges, das zuvor ſy mild, und 
gut umberleuchtete. Statt deſſen gluͤhege darin 
ein dumpfes, duͤlleres Geyer, ſo do. die Men⸗ 


— — — 


196 


hard Unrecht gethan, wenn er ihn mit zenem 
verwechſelt, der vorhin ſeine Seſtalt angenom⸗ 


Men — 8 Due Be 


Gottharb berſprach Beim Weggehen, Henrich 
wieder zu beſuchen und ihn mit Rath und 
Troſt kraftig zu unterſtuͤtzen. Denn ſo jung er 


"war, fo hatte er, doch ſchon durch große Gelehr⸗ 


ſamkeit den Grad eines Doktor der Theologie 
und-den. Ruf, zum, Lehrer an der neuen hohen 
Säule zu Leipzig gewonnen. Darauf geleitete 
er Siegmund. in feine Wohnung, und als ſie hier 
allein. waren, fo offenbarte diefer ſeinem alten 
Freunde Alles, was er erlebt hatte, und Gott⸗ 
hard entſetzte ſich ch uͤber die, ſchrecklichen Dinge, 
auch ſchmerzte ihn, nicht wenig der Mißdrauch 
ſeiner Geſtalt durch den Böfen Geiſt. Denn au 


‚allem , was er hörte, zog er ben Schluß, daß 


fein lebendiges Konterfei fein bloßer Zauberer, 


‚Sondern ber böfe Geiſt ſelbſt geweſen. Doch troͤ⸗ 


ſtete er- Waröberg damit, daß, möge aud fein 
Geſchick das fſinflerſie ſeyn auf dieſer Erde, er 


‚gewiffe Hoffnung habe auf ein beffered in jener 


Welt. Denn der Umſtand, daß er der Gemein 
(haft bed Setans ganz entronnen, zeige ihm von 
feiner aufrichtigen Reue und guten Gefiinung; 
indem der Satan, falls nur einige Ausſicht da 
wäre , den Reuigen wieder auf Ubwege zu locken, 


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BL LI a. _ME:__—. une 





497. ‘ 
unſehlbar nichts dezu vn underfucht Tafın 


werde. : ch in 

Aber num, Bieber ,- r forach. der io. Setröfkere: 
nun Du felbft Feinen Zweifel mehr darein ſetzeſt 
Daß die,norige, fündhiche Bagier von mir gewichen 
fei,; ſo fage mir auch, daferne Du «8 weißt, 
ob des Rathsmeiſtere Tochter zu Erfurt, zuruͤck⸗ 
gekommen in das Haus, ihres Vaters, und wat 
ſonſt; aus derſelben. geworben? — 

-Diefe-, Froge exweckte eine, große Serröni 
in. Gotthard , und, er ſagte . 

Mas sch Deiner ifhegien hierauf antipgre 
gen Tann, wird ſchwerlich Dir. zum Trofte gerei⸗ 
chen? Nein da. die. Grage.nun einmaf an mich 
gsgangen iſt, fo. darf die Wahrheit nicht vorent⸗ 
halten. werden. — Allerdinge ſchien e&.bie Ichende 
Barbazg ‚.welhe am. Morgen vom Sagen aufs 
ſtand; auch hatte Feiyeß. im Haquſe ihre nächtliche 
Abwefenheit bemerkt... Sie.that am Morgen und 
nachher alled. ihrer. Gewohnheit. nach. Nur, wax 
fis ihrer Sprache beraupz; dazu ſchritt fig ſo leiß 
und langſam einher, und: ſah ſo bleich und.todsemg 
artig aus, daß die große Veränderung in ihr Dem 
Bater ‚uud ſaͤmmtlichen PBerwandtfchaft. große 
Inruhe erregte. Befondexs fehlte aͤhr auch. dad 
ſchone Licht ihres Puges, Das zuvor ſo mjild und 
gut umherleuchtete. Statt deſſen glühege- darin 
ein dumpfes, duͤſteres Feger, ſo daß die Men⸗ 





198 


ſchen anfingen Ach zu feheien vor dem Maͤgdlein. 
Schon glaubte der Barer, der fie vor Jammer 
hold gar nicht ineht Betrachten konnte, feine 
wenige Schonung habe aus der Tochter mit einens 
Dale ein fo ſchreckliches Leichenbild gemacht. 
Doc; wie fehr er fie auch mit zärtlichen Worten 
wieder zu gewinnen :tvadftere, immer fab fie ihn | 
aur-flarr und ſchauderhaft au, fo daßer, als dieß. 
drei ganze Tage gedäuert, mehrere Gottesgelehrte 
zu ſich lud, um von diefen zu vernehmen, was 
bie Sache für Bewandtniß babe, und wie feiner 
Neben Zochfer-zu heifen ſei. Als nun in ſeinem 
Beiſeyn die frommen Maͤnner herantraten zu ihr, 
ba ward das Teuer in Barbara's Augen wilder 
als vorhin ſo daß jene eine große Berflodung 
argwohnten im Herzen des Mägdleins, und einer 
derfelben fie im‘ Namen Gottes hart: anredete, 
Und fiche, da wich der Teufel; welcher bis dahin 
varbara's todten Leichnam widerrechtlich inne 
gehabt, alsbald von ihr und-die Leiche fiel zus 
Erde, ohne weiter ſich zu regen; worauf ſie au 
gerbeihter Stätte beerdigt worden! — 

Bott, Gott! rief Siegmund, auf die Kniee 
flürzend und Die Hände hochemporgchoßen, auch 
biefer Mord alfo durch mich, den Zrevier, der 
Bie herrliche Jungfrau wit Satans Hüuͤlfe ihret 
Heimath entreißen ließ! — 

Und Dorchens Aeltern — fügte er dann 





nn u ey „x 


294 


name Barbara'd und feine Ohnmacht verhöhnet 
Hatte, deſto eifriger Dachte er daran, zu ber Magd 
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fis den 
unfichtbaren Gefellen vermögen folle, ſich ihr näher 
fund zu geben und gu’ vorfichtbaren: 

Wie groß aber war Warsbergs Erſtaunen, ale 
er in die Küche hineintrat und die-Magd ohn⸗ 
maͤchtig zu Boden ſank. Obſchon bis zur Jam⸗ 
mergeflalt abgefallen, erfannte er fie doch noch 
Für das von Ihm verfuhrte Dorchen, und «6 
fehmerzte ihm tief in der ‚Seele; baß die wohl⸗ 
erzogene Tochter des Funftreichen Goldſchmidts ſich 


fo geringen. Dienfled untergiehen mußte, Doch 


gedachte er auf der Stelle’ ſich ihrer anzunehmen. 

Dorchens Freude, ald fie nach zuruͤckgekehr⸗ 
tem Bewußtſeyn bie alte Tiebe in Siegmund wie⸗ 
der aufgelebt fah, ſtand augenfcheinlich ein tiefet 
Schmei jur Seite. Doc Siegmunds Berlans 
gen, fie aus der jekigen Erniedrigung zu zichen, 
und die Eif, mit der er zu ihren Herrſchaft ging 
um einen Dergfeich abzuſchließen, kraft deſſen ſie 
ſofort ihrer Dienſte quitt ſeyn ſollte, betaube; 
dieſen Schmerz für den Augtnblick. 

Erſt als fie den verfauften Ring don ihm zus 
ruͤck erhielt, durchzuckte ie aufs Reit Ama 
Ihren Koͤrper. J 

: Woher: kamſt Du zu —* fragte he 
— ** a—. 





geuichen ſollſt im: Ungeficht bed Herrn. Nur 
den Reichnam darf der häßliche Wurm ded Paras 
diefes Die befhädtgent — 

- So Iomme er bean! rief Henrich freubig 
aus, auf daß der Müde in die bimmlifche Hei⸗ 
math eingebe} 


"Darauf reichte Ihm der. Douor ben Leib des 


Herrn und ging ſodann. 


:: Am andern Tage aber, als man den Pfeifer 


allenthalben vergebens geſucht hatte, ward er end⸗ 
lich vhnweit dor Stadt in einer Hafetftande ents 
: PeH aufgefunden. — nie 

Zus damallgen Zeit warde m Leipzig viel 
von einer Magd erzählt, zu welter ein unfichte 
barer Geſell ſichtin die Küche gefunden, der mit 
dh freundlich ſprach ‚und feinen Platz gewöhnlich 
auf der einen Selm: deb Herde hatte, Weil 
et dafür Sorde mug; def‘ biefe Stelle immer 


sfche reinlich blieb ‚for :Bielt :man den Unſichtba⸗ 


sen, welder im Haufe dad. Heinzlein genannt 
wurde, fuͤr elnen guten’ Sell. Er half der 
Magd mandyen Dienſt verrichten, ' Hauptſaͤchlich 
iging er ar ihrer flatt in. den Keller; wenn auß 
dieſem etwas zu holen war. Denn die Magd 
hatte viel Schen: vor tem Keller. — 


Siegmund hörte Abenfalls. won dieſem Hanp 


lein/ und. je furchtbater ihm die Erinnerung an 
hie Seunme warq die feinen Schinerz - beim Leich⸗ 


294 


name Barbara’d und feine Ohnmacht verhoͤhnet 
Hatte, deſto eifriger dachte er daran, zu der Magd 
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fie den 
unfichtbaren Geſellen vermögen ſolle, fich ihr näher 
fund zu geben und gu vetfichtbaren. 

Pie groß aber war Warsbergs Erſtaunen, ai 
er in die Küche Hineintrat und die Magd ohns 
mächtig’ zu Boden ſank. Obſchon bis zur Jam 
mergeſtalt abgefallen, erkannte er ſie doch noch 
für das von ihm verführte Dorchen, und es 
ſchmerzte ihm tief in der Seele; Haß die wohl⸗ 
erzogene Tochter des Funfiteichen Goldſchmidts ſich 


fo geringen Dienfled untergiehen mußte. Doch 


gedachte er auf der Stelle fid} -Ihrer anzunehnien. 
Dorchend Freude, als fie: nach zuruͤckgekehr 
tem Bewußtſeyn bie alte Liebe in Siegmund wie⸗ 
der aufgelebt fah, ſtand augenſcheinlich ein:tibfer 
Schmer jur Seite. Doc Siegmunds Verlan⸗ 
gen, ſie aus der jetzigen Erniedrigung zu ziehefl, 
und die Sit, mit der er zu ihren Herrſchaft ging, 
am eitien Vergteich abzuſchließen, kraft daffen 'fid 
fofort ihrer Dienfle quitt feyn folte, betaube; 
dieſen Schmerz für den Augenblick. i 
KErſt als fie den verfauften Ring Yon ibm zus 
ruͤck erhielt, durchzuckte es aufs Neue Fame 
ihren Körper. : 
: Wolae: kamſt Du zu Don? „frages he 
— *** mtl Ä 





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genießen ſollſt im Ungeficht des Her. Nur 
den Reichnam darf der häßliche Wurm des Paras 
dieſes Dir befhädigent — 
So komme ed denn! rief Henrich freudig 


aus, auf daß der Muͤde in die himmlifche Bew 


math eingebe t 

"Darauf reichte ihm der Douer ben Leib bed 
Herrn und ging fodann. 

.: Yın 'andern Tage aber, als man den Pfeifer 
aflenthalben vergebend gefucht hatte, ward erends 
Hd vhnweit der Stadt in einer Haſelſtaude ent⸗ 


heell aufge funden. — te 


‚Zur Damaltgen Zeit warde m Leipzig viel 


von einer Magd erzählt, zu welcher ein unſicht⸗ 


barer Sefell ſich in die Küche gefunden, der mit 
ihr freundlich ſprach und feinen Platz gewoͤhnlich 
auf der einen Selm: deb Herdeb hatte. Weil 
'w dafür Sorge mug; ‘def’ diefe Stelle immer 
zfehr reinlich "blieb, ſvrhielt man den Unſichtba⸗ 
ren, welcher im Haufe das Heinzlein genannt 
wurde, fuͤr einen guten‘ Sell. Er half der 
Magd mandyen Dienſt verrichten, Hauptſaͤchlich 
zging er an ihrer ſtatt in. den’ Keller; wenn aus 
idieſem etwas zu Holm war. Denn die Magd 
haste viel Schen vor dem Keller. — - ' 
Siegmund: hörte cbmfalld, von dieſem Heinz 
“Tein,. und je: furdätäater ihm die Grinnerung an 
chia Sem Wilrg: die feinen Schinerz. beim Reichs 





291 


name Barbara's und feine Ohnmacht verhöhnet 
Hatte, deſto eifriger dachte er daran, zu der Magd 
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fie den 
unfichtbaten Geſellen vermögen folle, ſich ihr näher 
kund zu geben und zu votfichtbaren. | 
Wie groß aber war Warsbergs Erflaunen, afl 
er in die Küche hineintrat und: die Magd ohn⸗ 
mächtig gu. Boden ſank. Obfchon bis zur Jam⸗ 
mergeſtalt abgefallen, erfannte er fie doch noch 
Fuüͤr das von ihm verfährte Dorchen, und «6 
ſchmerzte ihm tief in der Seele ; Haß die wohl⸗ 
erzogene Tochter des kunſtreichen Goldſchmidts ſich 


fo geringen Dienſtes untergiehen mußte, Doch 


. gedachte er auf der Stelle’ ſich ‚Ihrer anzunehmen. 
Dorchend Freude, als fie nach zuruͤckgekehr⸗ 
tem Bewußtſeyn die alte Liebe in Siegmund wie⸗ 
der aufgelebt fah, flarid augenſcheinlich ein!tiefer 
Schmer jur Seite Doch: Slegmunde Verlan⸗ 
‚gen, ſie aus der jetzigen Erniedrigung zu ziehefl; 
und die Eif, min der er zu ihrer Herrfchaft ging, 
am eiien Dergteich abzufchließen,, kraft daffen 'fd 
fofore ihrer Dirnſte quitt feyn follte,  betäubte 
diefen Schmerz für den Augendlid. z 
Erſt als fie den verfauften Ring von ihm zu: 
ruͤck erhielt, durchzuckte ed aufs Neue ſcmernich 
ihren Körper. - DL Zr 
: Wo: famft Du zu em? fragte“ he 
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198 


ſchen anfingen ich zu feheuien vor dem Maͤgdlein. 
Schon glaubte der Vater, der fie vor Jammer 


bald gar micht mehr betrachten konnte, feine 
wenige Schonung habe aus der Lochter mie einem 


Male ein fo ſchreckliches Leichenbild gemacht. 
Doc; wie fehr er fie auch mit zärtlichen Worten 
wieder zu gewinnen: trachtete, immer ſah ſie ihn 
nur ſtarr und ſchauderhaft ar, ſo daß er, als die 
drei ganze Tage gedauert, mehrere Gottesgelehrte 
zu ſich lud, um von dieſen zu vernehmen, was 
die Sache für Bewandtniß babe, und wie feiner 
leben Tochter zu helfen ſei. Als nun in feinem 
Beifeyn die frorumen Maͤnüer herantraten zu ihr, 
da ward dad Teuer in Barbara's Augen wilder 

als vorhin, fo daß jene eine große Verſtockung 

argwohnten im Herzen des Maͤgdleins, und einer 

derſelben fie im’ Namen Gottes hart: anredete. 

Und fiche, da wich der Teufel; welcher bis dahin 

vBardbara's todten Leichnam widerrechtlich inn« 
gehabt, alsbald von ihr und-die Leiche fiel zus 
Erde, ohne weiter ſich zu-regen; worauf fie au 
geweihter Staͤtte beerdigt worden! — 

Bott, Gott! rief Siegmund, auf die Knie 
flürzend und die Hände hochemporgehoben, aud 
diefer Mord alſo durch mich, ben Frevler, bet 
Bie herrliche Jungfrau mit Satans Huͤlfe ihrer 
Heimath entreißen if! — 

Und Dorchens Altern — fügte er dann 








'20% _ 


nach dem fugenannten Heinzſein. Dorchen ging 
bierauf mit dem Berlobten in die Kuͤche, zeigte 
ihm am Herde die. befonder6 fauber. gehaltene 
Stelle, Hinzufügend, daß der Geiſt freiwillig zus 
acfagt Habe, ihr zu folgen au. in die neue 
Wohnung , und ſie ledenslaag mie su vers 
faffen. 1 
Siegmund Aachi⸗ nunmehr eine Andede a ar 
den Unfichtbaren; erhrelt aber. feine Antwort. 
Dorchen nt rk. reine in des Lienſen Bei⸗ 
ſeyn. 

Das alles derammerte Wartberg. 

Als fie dadauf wieder in ber Senube waren, 
forady er deßhalb ge: Dorchen : 

Liebſter Herzensſchatz, es duͤrfte alberbings die 
Reinlichkeit, deren ſich das Heinzlein befleißer, 
von einem guten, 'reinen Geiſte zeugen. Doch 
derſchmaͤht der Fuͤrſteder Finfterniß.auch nicht, fick 
in Richt zu kleiden, wenn folches ‚feine Bosheit 
fordern kann.“ Ich Habe dab leider! an. mir 
erlebt, und meine Erfahrung Ichrer mich, Die 
Stimmen genau 'zu prüfen, welche eines Koͤr⸗ 
pers ermangeln. Gehe daher zu ihm, mein 
Kind, und heiße ihm feine eigentliche Geſtalt 
annehmen und bedraͤue ihn damit, daß,: falls fol- 
ches nit geſchaͤhe, Du gottfefige Männer herr 
bei rufen werdeft, ibn in Gotied Namen dazu zu 
nörhigen.: Denn if} ervein guter Geiſt, ‚fo darf 


m. 


204 


ur Die:fohdjer Nede halber 'nicht zurnen, iſt er 
aber, ein. boͤſtr, dann beffer,.ieri gerne, als daß 
. 006 Heil Diner Seele in;Gefahr gerathe. 

° Daraaf.ıging Dorchen in Die: Küche, und 
Shat ‚:wie.beni.Linbfle.ihr geheifien hatte, 

Sie kam raher gar. blaß·iund uttaurig gurüd 
in die Stube. Denn Heinzlein hatte zwar vert 


ſprochen, ihr ſuhtbar u werben, Mach möge +4 | 


einzig. in Reller::gefchehen;; vor dem fie guade 

jetzt eine größere: Scheu⸗ hege, als xmals. 
Wohlan — fprah Watsberg — in Gotteh 

Namen geleite ich. Dich hinab, ſa kaun, was auch 


unſerm Seibe roiterfahren Düsfte, der Ente. doqh 


ſicher fein Leid etwas anhaben. 
Darauf gingen ſie. es .., ö 
Es war Dorchen, :ald :..0b; fie ‚mit. Akten 
Stufe des Kellers, in ein iticferes Grauen, ge⸗ 
riethe. Haid ſie Hammerte<firh.: wmer feſter an 
den Geliebten deſſen Herz gleichfalls immer 
banger zu klopfen begans. Und .heider Augen 
blickten 'überall sumber, Ab wehl. in der Dunkel ⸗ 
- heit drunten tine.Geftalt ſich irgendwo erkennen 
laſſe. Midifte, hun die: Hälfte „der Treppe bins 
ter ſich hattenda Wandekta:ein, Heiner, ſchwa⸗ 
cher Schrin heran, der Dirhtek:und sbichter sourde, 
je näher..es Sam, Uhnbangsept kehrten beide 
bie ſtatren Augen unverruͤckt; nach. dem Scheine, 
der ihnen; ols er endljch. auf der antera Stufe 








War, plöglich in der Geftalt eines neugeborenen 


Kindes, am Derzen ' art biutend, entgegen» 
trat. — 


Jeſus Marie! unfer Kind! — rief Dor⸗ 
chen zurüdeilend. — Siegmund ſtuͤrzte todt die 
Treppe hinunter, feine Verlobte aber, um der 
Gemeinfchaft des böfen Gefellen am Herde zu 
enstinnen und menigftend ihre. Seele zu reiten, 

Aoh im die Arme der firafenden Gerechtigkeit. 








"204 


er Dir ſolcher Made halber .'nicht zuͤrnen, iſt er 
aber, ein: boſtr, dann: beffer,.ieriigäurne., ald_daf 
. 006 Heil Deiner Seele in! Gefahr geraihe, 

* Dareif.igiag Dorchen im. Dis: Auche, und 
hat ‚: wie.beni.Linbfteipr geheifitn hatte. 
Sic kum raher gar. blaß.;umd vtraurig gurüd 
in die Stube. Denn Heinzlein hatte zwar dere 
ſprochen, ihr ſichtbar zu werben, Auch möge es 
einzig:in Kelber. geichehen;; ver: dem fie guade 
jetzt eine größere: Scheu ..dege,. ald xmals. 

Wohlan — ſprach Warsberg — in Gptteh 
Namen geldtehk Dich hinab, fa kaun, was auch 


unſerm Zeibe. roitierfahren Düzfir der Ente. doch 


fine kein Leid etwas anhabeng ·. 
Danauf gingen ſie. 
Es mar Dorchen; als eb ie mit jeder 
Stufe des: Kellers, in in tieferes Grauen, ge⸗ 
riethe. Muh: ſie lammerte cſich Immer feſtet an 
den Gelichten deſſen Dora. naleichfalls immer 
bangen ;& klopfen begans. And .heider Augen 
biidtex 'überall umber, 0b weh. in der: Dunkel 
beit drunten dine Geſtalt ſich irgendwo erkennen 
laſſe. Meifie; hun die: Hälfte der Trephe hin 
ser ſich batteny: da. wandektaiein,Kleiner, ſchwa ⸗ 
ar Scheint heran, der dichtetund / dichtat wurde, 
je näher..es Sam. Ahndangsvoll kehren, beide 
bie ſtatren Yugen underrügs; nach dem Scheine, 
der ihnen, ols er endljch. auf Agr.aantern Grufe 











TE. 


20% - 

War, xoglich in der Geſtalt eines neugeborenen 
Kindes, am Herzen ' Hart blutend, entgegen» 
trat. — 

Jeſus Marie! unfer Kind! — rief Don 
chen zuruͤckeilend. — Siegmund flürgte todt die 
Treppe hinunter, feine Verlobte aber, um dee 
Gemeinſchaft des böfen Gefellen am Herde zu 
wnerinnen und wenigftend ihre. Seele zu retten, 
Koh in die Arme der ſtrafenden Gerechtigkeit. 


oe. 








Das Meerfräufeim 


Ungefähr im Anfänge des Hfünfgehnten Jahrhun⸗ 


derts zeichnete fi dad Haus ber Möntano zu 
Palermo durch alle die Neige aus, weldye dee 


Reichthum in den Händen von Geift und Geſchmack 
gewähren fann. Francesko Montano hatte unter 
dem tapfern Bisconti Herzog von Mailand ald 
Dbderfter gedient und zu dem Ruͤckzuge ber Zeinde 
am Gardafee viel beigetragen. Dann war er in fein 


Geburtsland zuruͤckgekehrt, um hier die ihm übrigen 


Tage im Kreife feiner Gemahlin und Kinder zuzu⸗ 
bringen. Keined der leßtern zog er dem andern vor; 
aus Srundfägen. Gleichwohl ſchlug fein Herz ſchon 
darum am flärkften für den Sohn, weil er fein eins 
jigerwar, waͤhrend drei Töchter, an Wohlgeflalt 
und Sitte wetteifernd,, fein haͤusliches Reben heiter 


ausſchmuͤckten. 


Filippo Montano hatte eben das ein und zwan⸗ 
zigfte Jahr zurückgelegt und ſich fo ausgebildet, daß 
er manches bedeutende Staatsamt würde haben 
verwalten koͤnnen. Allein er zog die Stille der 
Wiſſenſchaft dem öffentlichen Reben vor. Sein 








207 


Vater fchien ed zu billigen, und eben dieferhald - 


ergab fich auch die Mutter darein,, die dem Sohnk 
wohl noch licher einen anfehnlichen Rang gegoͤnnet 


hätte. Sein Aeußeres war fo vollfommen, daß man 


ihn allgemein ben zweiten Apollo nannte, und mans 
che Jungfrau fich ftärker in feinem Anfchauen bes 
rauſchte, als es ihrer Ruhe zuträglich feyn mochte ; 
mancher junge Dann im Kreife der Frauen fich 
durch Filippo's Gegenwart gedruͤckt fühlte. Sein 
ewig heiterer Gelft fagte jedoch, daß fein Herz bie 
"dahin, wenn nicht die Liebe felbft, doch gewiß 
ihre Feſſeln, fortdauernd von fich gewieſen habe. 
Ueberhaupt ſchien er, außer in den Wiſſenſchaf⸗ 
ten , alle möglichen Bande zu fliehen, fo daß 
fogar feine Zerfireuungen jeden Zag eine andere 


Sorm annahmen, damit er auch in ihnen nicht 


der Sflaverei der Gewohnheit anheimfalle. 
Nur Eine Luft gab ed, welcher er ſich in 
ber ſchoͤnen Jahreszeit faſt tagtäglich widmete, 
dad Bad im Meere; weil er dieß feinem Körper 
zurräglih glaubte. Er war ein fo fertiger 
Schwimmer, daß man bei feinem Auf s und Uns 


tertauchen auf den Gedanken gerieth, nicht die 


Erde fondern dad Meer müffe fein Element feyn. 
Auch wagte er ſich oft fo weit hinaus in bie 


große Waflerfläche, daß die eltern einigemal 


ihre Bangigkeit darüber äußerten. 
Einsmals, als er eben wieser wie gewoͤhn⸗ 





} J 208 

lich gegen Abend die herrlichen Ufer weit, weit 
hinter ſich gelaffen hatte, da empfand er ein 
Wohlſeyn, wie niemals. Wie Liebeöfeufzer Hahs 
gen ihm die Wellen und ihr Berüpren däuchte 
ihm wie Küffe und füße Umarmung. Und die 
Tauſchung ſchien bald. noch ſtaͤrker werden zu 
wollen. Denn hinter ihm erſcholl ein Ton der 
Ungſt von der lieblichſten Frauenſtimme. Da 
ſah der Schwimmer ſich um und ed war — keine 
Taͤuſchung · 

Gott! — rief er aus — denn der Kopf, 
welcher hier aus dem Waſſer ragte und die Arme, 
bie nad) ihm ſich ausftredten und der Blick der 
blauen, von lichtblondem Haar umfloffenen Yur 

. gen, wenn dad alled feiner Liebesgottin gehdrte, 

’ fo war wohl bie ganze Melt nichts, als cin 
arger, himmelſchreiender Trug. 

Ein Moment und die wunderſchone Jungs 
frau lag in feinen Armen, und der Dank aus 
ihrem Blicke kraͤftigte dieſe ſo, daß er die 
reitzende Laſt gluͤcklich an das weit entfernte Ufer 
brachte. 

Niederaefchlagened Auges trat fe bier, bis 
er feinen Mantel umgeworfen hatte, zuruͤck und 
B fuchte ihrem Gewande in lichtem Weißzeuge 

beſtehend, das, überall von, der Näffe burch⸗ 
fe drungen, bloßem Waſſerſchaume glich, fo gut 
als möglich die Kleiderform zuruͤckzugeben. 





‘209 
ein Fraͤulein — fo rebett Flippo fie an ⸗ 
nun: ſagt mit vor Allem, welchem Ungluͤcke ich 
die Seligkeit verdanke, Euer Retter geworden 
zu ſeyn and wohin id Euch Zu geleiten babe, 
um Eunerm Wunfche Gnuͤge zu Teiften. " 


Da deutete die Schoͤne nlit der eitienhand | 


in dad Meer hinaus. Aber die Worte fehlten 
ihr; doch ſchien fie ICH wobl gu verftehen, waß 
der Juͤngliag ſprach. J 

Das Laudhaus ſeines Vaters war in der 


Naͤhe, Roſaura, die eine ſeiner Schweſtern, 


bielt ſich eben hier auf-und tiug Sorge für die 
Bekleidung der Vereftetin 

Aber, obſchon Filippo fie In mehteren Spra⸗ 
hen antedere, To konnte er boch Feine Antwort 
von ihr erhalten. Ya, es fand ſich endlich, 
daß fie in der That vollig ſtumm war. 

Schade, ewig Schade, tief er aus, daß fü 

wunbervolfen Lippen dgB Wort nicht —* 
wurde! Doch Vollkommenheit iſt nicht dad: Loos 
des Menſchen. Bi ſolcher Anſtrengung im 
Geſtalten mußte daher wohl die Natur dieſem 
Weſen die Sprache verſagen. Und ſpricht denn 
nicht alleb an ihr, Uuge und Mieue and Geberde, 
und zwar fd feelenvolle Sprache, daß dad Wort 
bavor niederfallen und feine Vettelarmuth geſte⸗ 
hen möchte? — 


Roſaura erkannte es allzuſeht, wie bo die 


Ocipenkerbuc 6. Theil, 


J 
— — — —— tt 


— 


Mine _ . 


208 


lich gegen Abend die herrlichen Ufer weit, weit 
hinter ſich gelaffen hatte, da empfand er ein 
Wohiſeyn, wie hiemald. Wie Liebes ſeufzer klan⸗ 
gen ihm die Wellen und ihr Beruͤhren däuchte 
ihm wie Küffe und füße Umarmung. Und die 

Taͤuſchung ſchien bald noch ſtaͤrker werden zu 
wollen. Denn hinter ihm erfhoU ein Ton der 
Ungft von der Tieblichfien Srauenftimme. Da 
ſah der Schwimmer ſich um und es war — keine 
Taͤuſchung · 

Gott! — rief er aus — denn der Kopf, 
welcher hier aus dem Waſſer ragte und die Arme, 
bie nad) ihm fidh ausſtreckten und der Blick der 
blauen, von lihrblondem Haar umfloffenen Aus 

_\gen, wenn dad alle Feiner Liebesgottin gehörte, 
fo war wohl die ganze Welt nichts, als ein 
arger, himmelfchreiender Trug. 

Ein Moment und die wunderſchoͤne Jungs 
frau fag in feinen Armen, und der Dant aus 
ihrem Blicke kraͤftigte diefe fo, daB er tie 
zeigende Laft glücklich an das weit entfernte Ufer 
brachte. 

Niedergefchlagened Auges trat de bier, bie 
er feinen Mantel umgeworfen hatte, zurüd und 
fuchte ihrem Gewande in Ticdhtem . Weißzeuge 
beftehend, das, überall von. der Näffe burch⸗ 
drungen, bloßem. Wafferfchaume glich, fo gut 
als möglich die Kleiderform zuruͤckzugeben. 





i 
211 


tung hin. Das ſchien den Bruder zu verdrießen, 
und er fagte: 

Allerdings rärhfelhaft; auch mir. Aber, Schwe⸗ 
ſter, ift denn die ganz unvergleichbare Schönheit 
der Dame nichtein weit groͤßeres Naͤthſel für jedes 
Auge, dad fehen Tann ? Solch ein Räthfel , wie fie 
iſt, zu löfen, wer moͤchte daran dicht Leib und Les 
ben fegen? — an 

Waͤhrend Nofaura diefe Rede mir ſichtbarem 

Verdruſſe aufnahm und zur Seite ſah, Tenfte ein 
himmlich⸗ ſchoͤner Blick der Andern ſich fo tief, 
in Filippo's Herz, daß dad Schidfal dieſes Her⸗ 
zens für immer entſchieden war. Sie oder Feine! - 
erklang es darin. 

Bald darauf gingen alle drei gemeinſchaftlich 
nad) der Stadt. 

Die Ankunft der Fremden und dad viele ins 
erklaͤrliche an ihr, machte großen Eindrud im 
Haufe. In den beiden andern Schweftern Filip⸗ 
po's wat eben fo wenig Wohlwollen für bie 
neue Bekanntſchaft, als in Rofauren wahrzus 
nehmen, wenn ſchon ber Höflichkeit auch von 
ihnen ihre Nechte nicht vorenthalten wurden. 

Die Mutter trat auf der Töchter Seite, 
Vefonderd als fie die Soralofigkeit (ah, mit 
welcher die Gerettete ſich hier unter Tauter frems 
den Menſchen befand und. ihrer früheren Bers 
haͤltniſſe auch gar nicht zu denken ſchien. Ein 

- 82 


210 


Iremde über fie an Schönheit hervorragte, um 
von ded Bruders Enthuſiasmus erfreut zu wer⸗ 


. den. Dod nahm fie ſich ſo artig gegen die Un⸗ 


befannte, ald die Umftände ed erfordersen und dieß 
vielleicht um fo mehr, dacd bald ganz Has wurde, 
daß die fchöne Gerettete bei ihrer gänzlichen Sprach⸗ 
loſigkeit Doch keinesweges des Gehoͤrs beraubt war, 
ſondern jedes Wort richtig verſtand. 

Filippo wuͤnſchte, als ſich das nicht weiter 
bezweifeln ließ, daruͤber einige Auskunft von 
ihr und ſagte: | . | 
. Mein Sräulein, ‚thur mir, ich bitte Euch, 
ſchriftliſch zu wiſſen, wie es zugeht, daß Ener 
Ohr alles vernimmt ; und Zhr, gleichwohl nicht 
vermoͤget, ähnliche Töne, wie wir andern, bers 
vorzubringen, da doch fonft die Stummheit gemeis 
niglich nur al die Folge eined gänzlishen Gehör, 
mangels betrachtet wird, 

‚Dazu reichte er ihr feine Schreibtafel: Aber 
das Fräulein ſchob fie zuraͤck, und Beutete durch 


Geberden darauf hin, daß fie des Schreibens 


unkundig ſei. 

In allen Sprachen? fragte Filippo ferner. 

In allen! fü gab fie gang unzweideutig zu 
DVernehmn. | 

Wabrlich fehrrächfeihaf rief Rofaura, und ihre 
Ton dabei fireifte an eine beleidigende Verwunde⸗ 





213 


feinen Aeltern mit einem Eifer, vor‘ dem fie 
erfchrafen, daß es ihm nun durchaus nicht laͤn⸗ 
ger möglich fei, zu leben, wenn er fie niche befi igen 
folle. Achſelzuckend willigen fie ein, und die 
Kirche heiligte Filippo's Band mit der flummen 
Schönheit, wie man fie, welcher er den Namen 
Mirabella gegeben 'hatte, in ganz Palermo au 
nennen pflegte. j 

Bom Anfange an äußerte Mirabella eine große 
Scheu vor dem Anblicke des Meeres. Auf ihr 
Bitten hatte man ihr daher fogleich- eine Mobs 
nung eingeräumt, von welcher aus man nice 
dahin ſehen fonnte. Ber ber neuen Einrichtung 
drang fie ebenfalld auf ein ſolches Quartier; ein 
Umſtand, den man allgemein fo. auslegte, als ob 
fie mit allzugroßem Schauder an das Unglddzus 
ru denke, welches fie auf dem Meere betroffen Ä 
Habe, 

Das Paar lebte gluͤcklich. Uber Mirabellend 
Scheu vor dem Anblicke des Meeres dauerte fort. 
Wo fie in Zimmer kam, ‘deren Ausſicht dahin 
ging, wendete fie ihr Auge oft recht auffallend 
davon ab. Schon befaßen fie einen Sohn, der 
feine fihöne Mutter nicht verläugnen fonnte, 
ald eindmald am Abende Nofaura ihren Bruder 
bei Seite nahm, und zu ihm fagte: 

Theurer Filippo, id muß Dir etwas vers 
trauen, das mem Herz nicht: wenig Angfliget, 


De nn 2 . Te An 4 





” 
- Bea u .., 


N. 


212 | 
ungeheuerer Leichtfinn, meinte fie, oder ein gaͤnz⸗ 


licher Mangel an Gefühl gehöre dazu, Hier ſogleich 


wie einheimifch und froh und vergnügt zu feyn. 


Denn auch die fehr fihtbare Neigung zu Filippo 


Tonne dad Mädchen: Feinedweged ensfchuldigen, 
daß fie an die unfehlbare Betruͤbniß der Ihrigen 
uͤber ihren Verluſt nicht im mindeſien zu den⸗ 
ken ſcheine! 
Wer weiß — MD. ſprach hierwider der Gemahl 


der Matrone, gegen. ben fi biefe alſo Außerte — 


wer weiß benn, ob die Ihrigen nicht durch uͤble 
Behandlung des Fraͤuleins Vergeſſen ſelbſt ver⸗ 
ſchuldet haben Wer will überhanpt i im. Augen⸗ 
blicke ſogleich entſcheiden, ob unter den zahlloſen, 
denkbaren Verhaͤltniſſen auch nicht eines zu finden 
ſei, fähig, die Gerettete zu entſchuldigen, ja zu 
rechtfertigen 3 _ 

Mit einem Warte, der alte Montano trat 
ſeinem Sohne ziemlich bei. Er hatte fogar nichts 
gegen deſſen Vorhaben, die Unbefannte zu hei⸗ 
ratben Nur bat er ihn, die Sache nicht zu 
uͤbereilen, ſondern zuvor Erkundigungen einzu⸗ 
ziehen. | 

Silippo’6 Herz war zu fehr dabei intereffirt, 
um nicht hierzu alled Thunliche in Bewegung zu 
fegen. Uber es ließ fich doch weder der. Ungluͤcks⸗ 
fall, noch dad Herkommen des Fräufeind ausmit⸗ 
teln. Da erklärte der junge Mann endlich einmal 


x 


213 


feinen eltern mit einem Eifer, vor‘ dem fie 
erfchrafen, daß ed ihm nun durchaus nicht laͤn⸗ 
ger möglich fei, zu leben, wenn er fie nicht beſitzen 
folle. Uchfelzudend willigten fie ein, und die 
Kirche heiligte Filippo's Band mit der ſtummen 
Schönheit, wie man fie, welcher er ben Namen 
Mirabella gegeben hatte, in ganz Palermo zu 
nennen. pflegte. 

Dom Anfange an aͤußerte Mirabella eine große 
Scheu vor dem Anblide des Meeres. Auf ihr 
Bitten hatte man ihr daher fogleich eine Mohr 
nung eingeräumt, von welcher au man niche 
dabin fehen konnte. Bei der neuen Einrichtung 
drang fie ebenfalld auf ein ſolches Quartier; ein 
Umftand, den man allgemein fo. außlegte, als ob 


fie mit alzugroßem Schauder an dad Ungldczus 


ruͤck denke, weldes fie auf dem Meere betroffen 
habe, 

Dad Paar lebte gluͤcklich. Aber Mirabellend 
Scheu vor dem Anblide des Meeres dauerte fort. 
Mo fie in Zimmer Fam, deren Ausſicht dahin 
sing, wendete fie ihr Auge oft recht auffallend 
davon ab. Schon befaßen fie einen Sohn, der 
feine fihöne Mutter nicht verkäugnen Fonnte, 
als eindmald am Abende Rofaura ihren Bruder 
bei Seite nahm, und zu ihm fagte: 

Theurer Filippo, ih muß Dir etwas vers 
trauen, das men Herz nicht wenig Angfliget. 


/ 


. . 
ae Mn Sm A... a rn, _ 


nn nn 


218 


Vorhin ald Mirabella ſich vermutlich ganz allein 
im Haufe glaubte, ging ich zufällig bei ihrem 
Zimmer vorbei, und hörte, daß mehrere befannte 
Lieder darin gefungen wurden. Das mwunderte 
mich, da außer der Stummen niemand dort feyn 
Tonnte, und. ih ging hinein. Hierüber nun 


erſchrak fie außerordentlich, wollte auch auf all 


mein Bitten ſich nicht zum Fortfahren in ihren 


Geſange bewegen laffen, Bielmebr fpielte fie die 


Stumme auf's Neue, — Das aber betrübt mich 
garfehr, lieber Bruder, um Deinetwillen. Denn 
es muß doch ein wichtiger Grund vorhanden feyn 
zu ihrem fo beharrlichen Schweigen. Auch gehört 
ein Grad von Verftellung dazu, der wenig Gutes 
für Dein Fünftiged Gluͤck verſpricht. Die ganze 
Familie, welcher Rofaura dieſes wichtige Geheim⸗ 
niß fchon früher mitgetheilt hatte, kam jetzt auch 
dazu. Alles zeigte fich höchft empört über Mira⸗ 
bellen& Verſtellung, und Fraucesko legte feinem 
Sohne ernftlichft auf, die Gattin unter diefen 
Umftänden zum Reden zu noͤthigen. — 

Mit ſehr befümmertem Herzen ging Filippo 
zu ihr und hielt ihr die Sache vor. 

Kind, fagte er, als fie alles ſogleich, mit 
Mienen um Vergebung bittend, eingefland, ohn⸗ 
fehlbar giebt ed in Deinem früheren Leben Ticht 
fheue Geheimniffe, welche fich unter der angenome 
menen Stummheit zu verbergen fuchen ? — Bee 


I un Pins —— — u | ge —— ——— — —— \- 


> 217 


Fuͤhlt der hokden Käffe Hauchen, 

Die herauf in Liebe loben; - 

Seht, wie unſre bella Augegeee 
Lieb! um Liche von Euch fd! m 


Filippo, ganz derauſcht von ·den in fein innen 
fie® Leben zitternden Vöneh) ümfaßte Mirabelleü 


und, aufbbrend, ſich durch: Bewegung auf der 


Oberflaͤche des Waſſers zu. bahaupten, ſchien er 
wirklich der geheimen Macht: in ber Tiefe nach⸗ 
geben zu mollen. ‚Da ‚ergreift. ihn die Gattin 
nen Sinnen faft ganz Berlaffenen mundeebater. 
Weiſe zurüd an dad Ufer. — n 
Mad war das? Was if das alles? — So 
ruft hier der voͤllig in's Leben Zuruͤckgebrachte. 
Aber Mirabella nimmt mit. der Rechten .feinen 
Iinfen Arm, und hältnach der Seite. des Megred. 
Hin 'mit der Tinten Hand einen. Theil des Ges 
wanded vor Ohr und Auge, um, wie ed ſchien, 
weder vom Klange, noch nom Unfehen der Wogen, 
zur Rüdfehr in diefelben verlodt zu werden. 
Wer bi Du? ſpricht er zu Haufe, die Gatı 
tin anftarrend. Denn ber fühe Gedanke, fie einſt 
dem Untergange in den Wogen entriſſen zu haben, 
‚fand felne Bernichsung in diefer Naht. Was 
bedurfte die einer Rettung, bie in den Wellen 
wie zu Hauſe mar, und ihn felbft dießmal, ganz 
unläugbar-dem Untergangeentzogen hatte? 


17 


216 


| 


ans und ſchickte die, füßeften Slide nach Dem Ä 


Wogen. Endlich riß der Zauber in ihnen fie 
gar von bem Arme ded Satten. Sie warf fich, 
als fei es Die Bruͤſt eines lang entbehrten Ge⸗ 
liebsten, auf das Meer, und verſchwand darin 
ſo, daß Filiÿpo einen heftigen Schrei ausſtieß. 
Da tauchte fie ſchalkhaft laͤchelnd mpor‘, und 
verſchwand wieder und kam dann von Neuem 


zum Vorſchein. So herxlich hatte Filippo ihren | 


Körper nie geſehen. Er glaͤnzte in den wunder⸗ 
vollſten Biegungen. Ded Gatten Yuge ward 
eiferfüchtig auf den Vollmond, der die leuchtende 
Kraft, welde ex ber Sonne entwendet, deu 
Schwimmenden abtreten zu wollen fchien. 

Aber ſelbſt hei ihrer unglaublichen Gewandt⸗ 
beit werd dem, Filippo bänge, daß fie allzuviel 
wagen moͤchte. Daher begab er fich gleichfalls in's 
Meer, um ihr auf den Nothfall nahe zu ſeyn. 

Kaum ‚aber hatte ex fie endlich ergriffen, fo 
saunten die Wellen , die fchon bei frinem erften 
Zuſammentreffen mit der Schönen ihn ſuͤß und 
geheimniß voll umſchlungen und umliſpelt hatten, 
dem Paare, wie dem Silippp duͤnkte, folgenden 
Geſang zur 

£ieben, kommt, o kommt bernicher! 
- Höret nur „ wie keif und lüfern, 

Aus der Tiefe Liebesliede r 

Eurer Herien Slut umſluͤſtern: 


> 217 


Fuͤhlt ber hokdın Küffe Hauchen, ) 
Die berauf in-Liebe leben: . 

Seht, wie wufre belles Kan... 
Lieb’ um Liche von Euch fobesu! — 


Filippo, ganz derauſcht von den in fein inners 
filed Leben -zitternden "Vöneh, umfaßte Mirabellen 


und, aufhörend, ſich durch: Bewegung auf der 


Oberflaͤche bes. Waſſerd zu, bahaupten, ſchien er 
wirklich der geheimen Macht: in ber Tiefe nach⸗ 
geben zu mollen. Da ergreift ihn die Gattin 
in hoͤchſter Verzweiflung und rudert den von feis 
nen Sinnen faſt gang Berlaffenen wunderbarer 
Weife zurüd an dad Ufer. — ö 

Was war dad? Was ifl das alles? — So 
ruft hier der voͤllig in's Leben Zurüdgebsachte.: 
Aber Mirabella nimmt mit der Rechten ‚feinen 
Iinfen Arm, und hältnach der Seite. des Megred. 
Hin 'mit der linfen Hand einen. Theil des Ges 


wanded vor Ohr und Auge, um, wie ed fchien,. 


weder vom Klange, noch uom Anſehen der Bogen, 
zur Nüdfehr in diefelben verlodt zu werden. 

Wer biſt Du? ſpricht er zu Haufe, bie Gat⸗ 

sin anftarrend. Denn der fühle Gedanke, fie einfl 

dem Untergange in den Wogen entriffen zu haben, 

‚fand feine Vernichgung in diefer Nacht. Was 
bedurfte die einer Rettung, die in ben Wellen 

sole zu Haufe war, und ihn felbft diefmal, ganz 

unlaͤugbar dem Untergangeentzogen hatie ? 


ee et ren. 


i7 


218 


Her bit Du? wiederholte er, als außer 
einem Liebesblicke Feine Antwort erfolgt war. 

Da drüdte ſie ihn an ihre wunderſchoͤne Bruſt. 
Auch ohne Wort fagte ihr ganzes Thun und 
Ben ‚, Blarer als alle Rede: Dein bin ich ja, 
mit all meine: Schönheit und Liche und Güte 
frage nichts weiter! _ 


Auch fehlen ihm das in diefem Moiente zu 
genügen. 

Aber dad Nachdenken ber folgenden Tage 
führte ihn Immer wieder auf‘ den Punkt feiner 
zuruͤckgenommenen Srage bin. Dazu kam, daß 
Apollonia, eine ſeiner Schweſtern, in jener Nacht, 
erweckt durch fein Fortgehen mit Mirabellen, vom 
Fenſter aus Zeugin der Scene im Waſſer gewe⸗ 
ſen war und ſolches ihrer Dienerin vertraut hatte. 
Von dieſer war der Umſtand auf allerlei Umwe⸗ 
gen bis zur Frau vom Haufe gelangt, die, bare 
über höchft unruhig, ihren Sohn eined Tages 


. holen ließ, und alfo zu ihm ſagte : 


Mein theurer Filippo, einziger männlicher 
Zweig eined alten, verehrten Namens, Vergoͤnne 
ber, welche Dich gebar, baß fie die Sorge in 
Deinem Bufen ausfchütte, bie mehr noch Dein 
eigenens Wohl, als dad meinige angeht. 

Wie hätte der Sohn foldye Rede der bekuͤm⸗ 
werten Mutter zuruͤckweiſen mögen ? 


219 


Zuvdrderft — fo fuhr fie fort — fage mir 
doch, ob ed wahr ift, daß vor Kurzem einmaf 
in der, Nacht Deine Gattin fih ald eine voll 
endete Schwimmerin gezeigt, und Dich auf eine 
für die zarte Grau an Wunder grängende Weife 
der Gewalt der Wogen entriffen hat? — 

Das Tonnte Filippo nicht laͤugnen. 

Da erblaßte die erfchrodene Mutter, Lieber 
Sohn — fagte fie — ed thut mir web, fehr 
web, Deinen Srieben zu foren. Aber ‚ed ge 
ſchieht einzig Dis zum Heil. Weißt Du, daf 
Du Leib und Seele zugleich wegen diefer Frau 
verlieren kannſt? Nach dem Ichten Borfafle iſt's 
gewiß , daß fie nur durch Trug Deine Belannts 
(daft gewonnen hat, und follte nicht auch ein 
Zauber noͤthig gewefen ſeyn, um einen fo kunſt⸗ 
reichen und bevunderten Schwimmer, wie Du 
bift, in Todesnoth zu bringen? — D gewiß, 
mein Sohn — ſprach fie, als er bier, des Wel⸗ 
Iengefanges fchmerzlich gehenkend, tief erſeufzte, 
gewiß iſt alled nur gefehehen, damit fie Dich 
durch diefe Rettung deſto feſter umgarne und tie⸗ 
fer in’d Verderben hinabziehe! — Geliebter Sohn, 
frage fie, wer fie fei und wie die Sache zuſam⸗ 
menhänge, und giebt fie Feine Antwort, fo thus 
fie von Dir! — | 

Das Wort ſchnitt in bad Mark feines Le⸗ 
bens ein _ 


* 
220 


Die Mutter erſah das und faßte feine Hand. 
Es gilt das Heil Deiner Seele! ſprach fie, und 
die Thräne Bed geänafligten Mutterherzené fief 
brennend auf die Wange, an diefte ſich lehnte. 
Thue fie von Dir, liebſtes Kind, wenn fie nicht 
reden will. Iſt doch alle Trug an dieſem 
Weſen, böfer Daͤmonentrug! Dan hat fie ja 
fingen hören, deutfiche Worte, als fie ſich allein 
glaubte. Welch eine hoͤlliſche Bosheit, dem Gat⸗ 
ten, den ſie zu lieben heuchelt, durch freiwilliges 
Stummſeyn das Herz zu zerreißen! Welch eine 
unglaubliche Boſheit, bie Stummheit, trotz feiner 


zaͤrtlichſten Bitten, Jahrelang behaupfen gufönnen!!. 


Francesko, ber dazu kam, verwunderte ſich 
nicht wenig über bie große Bewegung, worin er 
Gattin und Sohn fand. Auch er trat, fobald 
er die Umſtaͤnde vernahm, der mütterfichen DReis 
nung bei. Dem nun erfolgenden, vereinten 
Sturme mußte bed Sohneb Herg nachgeben. Er 
fagte zu, was. man von ihm begehrte — 

Als er aber zu Mirabellen kam, da bielt die 
Schöne fein Kind, ihr Ebenbild, fo lieblich in 
den Armen und reichte ed ihm, daß er’d kuͤſſen 
möchte und fihlug das herrliche, bfaue Auge fo 
füß zum Himmel, daß jedes Wort ihres Mun⸗ 
bed nur elender Ueberfluß geweſen wäre. 

Danf ‚_taufend Dank, Dir droben, ber Du 
beide mir gegeben haft, biefen Gemahl und die’ 


AR 


ſes Rind! fo ſprach ihr frommer Blick und Fi⸗ 
lippo druͤckte erſt einen Kuß auf des Kindes 


Stirn, dann auf die Lippen der innig geliebten 
Gattin. Wer diefe auch feyn, was er felbfi 
aud) zugefagt haben mochte, In dieſem Momente 
war er Mirabellend Liebe und Güte viel zu 
gewiß, um in fie gu dringen mit: einer Frage, 
deren, Beantwortung han fo pftfchon von ihrer 
flehenden Geberde abgelehnt worden war: -- - 

Die Berwandten ließen ihm indeffen Teint 
Ruhe. Daye mußte -Mirabelle von. ihnen eine 
ſehr demuͤthigende Behandlung erfahren. Zu 
feinen Gamilientage wurde .fie wiehr: gezogem 
Niemand befuchte fie, alles kehrte ſich von ihr 
ab, wie von einem böfen Geiſte — . 

Silippo litt unbefehreiblich, 

Einft an einem fchbnen Abende, ald fie, ihr 
Kind auf dem Atme, den Barten befuchte, war 
er, von der Thuͤre aus, ‚Beuge, Daß: feine 
Mutter und die Schweftern. ihren. ſchuͤchternen 
gwar, body freundlichen Gruß nicht Animal der 

Fleinflen Erwiederung werth - hielten, "vielmehr 
den Garten auf der Stelle verließen. Da griff 
ihm eine ſolche Erniedrigung ferner: Gattin gewal⸗ 
tiger ald je an’d Herz. Schon war er Wil⸗ 
lens, bie Verwandten ernfihaft zur Rede gu 
fiellen, als er der feinen Aeltern gegebenen Zur 
fage noch zu vechter Zeit gedachte. 


222 

Geht ober nie? fagte er zu ſich und ging has 
fligen Schritted in den Garten. 

Geliebtes Herz — ſo rebete er die Gemahlin 
an — bemerkteſt Du.wohl, wie unwuͤrdig man 
it Dir erfuhr? - | 

Mitabella antwortete durch Achſelzuden. 

Und wien Schuld dieß alles, Liebſte, als 
die Deinige? Ein Wort, ein einziges Wort 
daruͤber wer Du biſt, und die Scheidewand fällt, 
welche Dein Unerflärbared zwiſchen Did und 
die Mengen‘ Bezögen hat! v 

Da gab Mirabella dutch Zeichen gu verfte 
ben, wie kein Uriheil über fie Gewicht Habe, 
als das feinige, wie gar nichtd da fei für fie, 
‚ in-dergangen Welt, ald er und ihr Kind. 

O mein theuerſtes Leben — rief er nun 
aus — wenn ich denn, wie ich's glaube, einen 
weſentlichen Theil Deines Daſeyns und Gluͤckes 
ausmache, fo nimm den Kummer von dieſem 
Herzen, meine Gemahlin fd tief erniedrigt zu 
fehen. Alles fagt mie von Deiner Güte und 
Liebe. Nur der Andern wegen, ſprich es aus, 
wer Du biſt! — 

Hierauf fiel fie Ihm zu Fahen, ſeine Kniee 
umfaſſend, zeigte dann auf ihr Kind und ihn 
und ſich. Ihre übrige Geberdenſprache ſagte 
dentlich den Wunſch aus, daß er mit ihr, fern 
von dieſer Gegend und dem Meere — gegen 





228 
welches fie einen heftigen Wiberwillen ausdruͤckte 
— in’6 Land tiefer hineingiehen ſollte, wo fie, 
ungeflört von fremden Uebelwollen, ‚ihrem ſchuld⸗ 
lofen Vereine allein leben dürften. 

Ah, Mirabella war fo ganz Liebe, dag 
er wohl abermald von ſeiner Bitte abſtehen 
mußte. 

Je düflerer ihn die gegebene Zufage machte, 
deren Erfüllung er ſonach feinem Herzen nicht 
abdringen Fonnte, deflo eifriger dachte er felbfk 
darauf, fi) aus Palermo hinmeg , in einen abr 
gelegenen Ort der fegenreichen Inſel zu begeben. 
Aber aud vielen Urfachen Fonnte ed nicht ohne 
Vorwiſſen feined Vaters geſchehen. Als er dies 
fen nun davon unterrichtete, fo brach Francesko 
in die größte Heftigfeit aus, auf bem Worte 
beftehend , welches fein Sopt ihm und der Mut⸗ 
ter gegeben hatte. — 

Vergebens ſuchte Filippo ihm f eine Anſicht 
von der Schönen beizubringen. Des Vaters 
Born drang alled uͤberhoͤrend auf bie Erfüllung 
ber Zuſage. | 

Erſt, als Filippo am folgenden Tage in 


( 


einem Briefe umftändlih auseinander geſetzt 


hatte, warum er. auf bie Alterfiche Losſprechung 
von diefer Zufage hoffen zu dürfen glaube, erft 
da ſchien Francesko geneigter gu einer Unterhand⸗ 
lung in diefer Angelegenheit... Nur erfuchse er 


224 


feinen Sohn, baß et, möge er in Palerno blei⸗ 


ben oder hinwegziehen, nun endlich einmal fi 
dem Könige falle vorſtellen laſſen, da biefer noch 
wendige Aft nur altzulange verſchoben worden 
fi. 0.4 

‚ Um den: Bater. R gendatn; wußte: Bitiyso 
fi dazu entfchließen. 

Aber‘ der Une war gar argliſtig dabei zu 
Werte gegangen. Er hatte den König von ber 
Rage der Ehe ſeines Sohnes, wie er, der Bater 
foldye betrachtete, ‚unterrichtet ;’ and um Beiltand 
ded Landesfürften gegen Filippo's Neigung ae 
fließt. —: Daher: ließ‘ der König - den jungen 
Mann feh? hart an, und gebot ihm; feine Gat⸗ 
fin zur ‚Rede: über ſich ſelbſt zu nothigen, wenn 
er nicht wolle „daß ihr Geſtaͤndniß auf ſchmach⸗ 
volle Weiſe durch idie peinliche- Frage Hfrausger 
bracht werde. Sr fügte binzu-, daß eb kindiſch 
und der Ahnen ber Montano ganz inwärdig 
fei, ſich auf fo plumpe Art von Deren ober ähns 
lichen Perfontn :am Narrenſeile führen zu Taffen, 
und daß er erſt dann wieder zu, feiner Gnade 
gelaugen ſolle, winn er die’ feinem Vater geger 
bene Zufage: erfuͤlt haben werde, ' 

Die harten , ibeleidigenden Worte des Koͤnigs, 
die diefer in Gegenwart einiger Großen ausſtieß, 
fetzten ben Filippo um fo mehr in Wuth, da 
ba ber That den Label, welcher ihm widerfuhr, 


228 
ein Schein der Wahrheit unterſtuͤtzte. Daher 
eilte er auch nach Hauſe, und in Staatskleidern, 
wie er war, den Degen an der Seite, in's 
Zimmer ſeinet Gemahlin: 

Sprich endlich, Schlange, wer Du biſt, rief 
er athemlos und ſchwang dazu den Degen uͤber 
das Kind in der Wiege neben ihr. 

Da bedeckte fit mit ihrer Bruſt das legtıre 
und fagte gu dem Gemahl: 

Theuied Herz, ja, jetzt muß ed ſeyn, zu 
Nettung des Kinded muß ich Dich brechen !: 
Wiſſe, daß ich, in den Tiefen bed Meered gebo⸗ 
ren, auch bier auf ber Erbe nach den Gefegen, 
die dort unten gelten, leben muß, Badend 
erblickte ich Dich und gewann Dich lieb. Schon 
ald Du ſcheinbar mich retteteſt, Hätte ich bie 
Rede an Dich richten können. Aber fobald «6 
geſchah, war auch Dein Gluͤck den Mächten in 
der Waffertiefe verfallen. Denn fit haſſen ben 
Wandel der Menſchen, unb mögen ed nur angern, 
dag die Unfrigen mit Euch Gemeinfdhaft haften. 
Darum, fobald wir einem von Euch unfer Herz 
zuwenden, müflen wir auch.die Pein der Stumm 
heit Aber und nehmen. Und wahrlih, «6 iſt 
der Liebe fchwerer, flumm zu feyn, als bed Ger 
fiebten Stummſeyn zu ertragen! Denn dad Wort 
draͤngt ihr ſtets gewaltig zum Munde. über bie 
Staͤrke meiner Riebe zu Dir huͤtete ſelbſt des Wort. 

Geſpenſterbuch 6. Theil. P 


N 


226. 


Jetzt, Theurer, weißt Du alles! Meinen 
Ernſt, Dein zu feyn fir immer, verbürgt Dir 
meine Furcht vor.der Heimath, dem Meere, befs 
fen Anblick den in feinen Ziefen Gebornen firts 
unendlihe Erquidung gewährt. — Noch. mehr 
buͤrge Dir’d die "Gewalt, die ich meiner eigenen 
Natur anthat um Deinetwillen, ald die Wellen 
Di mit ihrem falfchen Geſange hinablocken 
wollten. $ilippo, wir mäffen ſcheiden. Bedenke 
jest, welchen Schmerz es mir Foften mußte, Dei⸗ 
nen Ungefiäm mich fprechen zu hören, ſo oft zus 
ruͤckzuweiſen, und daß: ich mein Schweigen nur 
darum aufgab, weil dad Leben meines Kindes 
bedroht war. Lebe wohl, theurer Filippo! Sollte 
auch mein Anſpruch auf Dich dahin ſeyn, ſo werde 
ich doch dem Sohne, den ich gebar, nimmer ent⸗ 
ſagen. 

Und der Tiefetſchuͤtterte warffich, wie vorhin 
Mirabella, über die Wiege, vermeinend, daf wenn 
er fi) ſo des geliebten Kindes verfichere, er die 
Mutter zugleich am ehernen Bande hafke. Bon 
der Gemalt ihrer Worte erdruͤckt, deren Nachklang 

im feinem Gemuͤthe immer fchautrlicher wurde, 
* er eine lange Weile ſo gelegen, als er ſich 
erſt wieder aufrichtete. 

Aber Mirabella war nicht im Zimmer, nicht 
im Haufe, nirgends war fie gu finden. Endlich 
Sam noch. die Nachircht, daß fie zum Erſchrecken 


227 


mehrerer Perfonen nach dem Meere gegangen ſei | 


"und fich Bineingeftürgt habe. . 


Alfo doch ohne dad Kind? rief Fitlippo. Go | 


wollte die zärtlichite der Mütter licher das ihre 


Unentbehrliche hier zuruͤcklaſſen, ald Iänger Ges 


meinſchaft haften mit einem Ungeheuer, einem 
fluchwuͤrdigen Ungeheuer, wie ih bin ? — 

Der junge Mann wuͤthete ſchrecklich und fließ 
die härteften Vorwuͤrfe gegen fich, feine Familie, 
ja ſelbſt gegen den König aus. Niemand wagte 
feiner Verzweiflung in den Weg zu treten. 

So ging es den ganzen Tag und den größten 
Theil der Nacht hindurch. Erſt gegen Morgen 
verfiel er in einen unruhigen Schlaf, und als er 
fpät erwachte, und feinem Schmerze an dem lie⸗ 
den Abbilde ber Verſchwundenen einen neuen 
Stachel geben wollte, da fand er die Wiegeleer, 
welche bicht bei feinem Bette geftanden hatte. 

Mein Kind! fprady er, den einzigen Schatz, 
der mir übrig bleibt, wo habt Ihr ihn? 

Seine Xeltern fanden erflarrt vorihm. Die 
Mutter ſelbſt Hatte die ganze Nacht Wache gehal⸗ 


ten bei Sohn und Kind, Da war — grade als 


Silippo eingefchlafen — Mirabella in einem leich⸗ 

ten, weißen Nebelgewande zur Thuͤre herein und 

vor die Wiege getreten. Die Wächterin hatte 

ihr wehren wollen, nach den Kleinen zu fangen, 

Aber die Wächterin war auch Diutter, und fo hatte 
P 2 


N: 


⸗ 225 
Miradıllend Miene fie wie gelaͤhmt, weil dieſe 
Miene ſchauerlicher als die ſtaͤrkſten Worte aus⸗ 
rief: Wer will ber ungluͤckſeligen Mutter Die 
Frucht vorenthalten, welche fie unter dem Herzen 
getragen ? 

Die Meerbewohntrin nahm dab Kind aufden 
Arm und ging hinweg bamit. - Jetzt endlich 
armannte ſich die Matrone fo weit, um nachzu⸗ 
eilen und der bereits aufgeſtandenen Dienerſchaft 
anzubefehlen, daß ſie die Hinweggehende aufhal⸗ 


tem mbrhren. Aber alle waren gar oft Zeugen 


geweſen von ihrer Mutterliebe; alle ſahen ſich 
durch die Macht: der Natur felbft gejwungen, 
jur Anerkennung ihrer geheiligten Rechte auf das 
Kind: | 

Acka Menfch wagte au nur den Armi nach 
ihr zu erheben, als fie — ein. Bild des tiefften, 
ſchrecklichſten Schmerzen — bie Treppe hinab 
und, aus dem Hauſe ſchlich. 

Man hatte ſie abermals den Weg nach dem 


. Meere nehmen und dann die Wellen über ihr 


und dem Kinde gufammenfchlagen ſehen⸗ 

Als Filippo auf feine vorige heftige Rrage 
Diefe Umftände erfuhr, verſtummte ers Später 
bin ſchien er ruhiger zu werden. Wenlgſtens 
danfte er allen, daß fie der Mutter ſeines Soh⸗ 
nes Fein Hindernif in den Weg gelegt hatten. — 





229 


Bon jetzt nahm er felbft eine Einfifbigkeit 
an, die an gängliche Stummheit gränzte. Sein 
Bater drang fehr in ihn, ſich der bofen Erinne⸗ 


rungen halber aus Palermo Binweg, und, wie 


er früher gewollt hatte, an einen vom Dieere ent» 
fernten Ort gu wenden. Bergebend ; bad Meer 
ſchien jegt auch feine Heimath geworben. Bes 
ſonders gern babdete er in der Gegend, wo feine 
Gattin mit dem Kinde verſchwunden war. 

An demfelben Abende, an dan er ſpaͤterhin 
einmal vom Meere nidyt wieder zuruͤckkam, hats 
ten viele Schiffer ein ungewöhnliche Leuchten 
auf dem Waſſer in jener Gegend wahrgenommen. 
Manche fchloffen hieraus auf Filippo's Wieder 
verein mit feinen Lieben, jenſcics der Wogen 
und Stuͤrme, — | 





Der Mind. 


Eee 


Auf **8 Kaffeehauſe in Dresden wurde eines 
Abende an dem einen Tiſche ein intereſſanter Ger 
genſtand abgehandelt. Es ging über bie ſteinere 
nen Wächter, der vor Kurzem an dem Bruͤhlſchen 
Garten erbaueten, anſehnlichen Treppe, die aͤgypti⸗ 
ſchen Loͤwen, her. Der Eine verſicherte, daß fie 
ihm eher wie große Hunde denn Loͤwen vorkaͤmen. 
Ein Anderer wollte zufrieden feyn, wenn fig nur 
wie natürliche Hunde ausſaͤhen, ſo aber wären 
ed, weiß Gott im Himmel, ganz unnatürliche 
Beſtien. Dagegen wußte ein Dritter, aus der 
-Befchreibung von Bonaparte's Leibmameluden, 
daß fich die Löwen in Aegypten juft fo und nicht 
anders trügen. Aber, mein Gott, fagte ein 
Vierter, welcher dazu eine fehr fremde Ausſprache 
annahm, warum denn nicht lieber deutſche 
Löwen in einer fo deut ſchen Zeit? — 
Einige ſahen den letzten billigend, anbere 
ganz erflaunt, andere gar lachendan. Auch fpra« 
en noch vieleüber die Sache mit. Nur diejenis 


2 


251 


gen fchienen ſchweigend ihren Rauchtabak zu vers 
qualınen, bie wohl etwas Beſſeres darüber Hätten 
fagen koͤnnen. 

Obſchon der mit anwefende Leihbibliothekar aus 
der Neufladt, Herr Schweppermann, nicht zu les 
tern zu rechnen war, fo reihte er fich doch an 
die Schweigenden an, weil Löwen grade nicht 
zu feinem, Fache gehörten. Ya, es begann ber 
reits dann und wann bie Augen zu fehließen und 
mit ben Kopfe zu niden, ald dad Gefpräd 
durch einen eben erſt Dinzutretenden,, den Advo⸗ 
fat Schreck, eine andere Wendung erhielt. 

Apropos, meine Herren — fing Herr Schred 
an — da Sie eben beim Bruͤhlſchen Garten 
find, haben Sie noch nicht von dem Gefpenfte, 
dem Mönche, gehört, das in voriger Natht dort 
gefeßen worden iſt? 

Diefed Wort wirkte ſogleich auf Herrn 
Schweppermann bergeftalt, daß er bie Yugen 
weit, weit öffnete, und fein Ohr dem Erzähler 
quneigte, Denn bie Gefpenfler waren ganz eigent⸗ 
lich fein Fach, als Leihbibliothekar und als 
Menſch. Er hatte naͤmlich von Kindesbeinen 
an bei Nacht immer etwas zu ſehen oder zu 
hoͤren gehabt, und es gab vielleicht kein einziges 
Mitglied ſeiner Familie, das ſich ihm, nach 
oder kurz vor dem Tobe, nicht geſpenſtiſch gezeigt 
hätte. Zu Zeiten, wenn fich ein Todesfall ereigs 


Sn 1} 








232 


nen follte, war ed, als wolle fein ganzed Haus⸗ 
geräth zu Grundegehen. Noch neulidy erft hatte 
er geäußert, daß, weil ihm nun lange nichts 
Unheimliches begegnet fei, nädftend gewiß etwas 
Außerordentliches erfolgen müffe. Darauf koͤnne 
er, zufolge feinen Erfahrung, nach einer fo lan» 
gen Paufe, allegeit ſicher rechnen. Uebrigens — 
fügte er hinzu — laſſe ich mich dab alled nicht 
weiter anfechten, mache, wenn ein Geiſt an mir 
‚oorübergeht, in Gotted Namen mein Kreuz und 
bin geborgen. 

Auf Herrn Schrecks Frage aber verfidgerten 
mehrere, daß fie auch Fein Wort von der Erfdheis 
nung in voriger Nacht gehört hätten. 

Aber — fuhr er fort — Sie wiffen doch von 
bem Mönche, der bereit vor Jahrhunderten auf 
hiefigen Wällen bisweilen umgegangen ſeyn folk ? 

Einige wellten fo etwas einmal vernommen 
haben , Andre ſchuͤttelten den Kopf. 
Ei — fagte nun Herr Schweppermann — 
von der Hiftorie bat mir meine felige Groß 
mutter ſchon erzählt. Nicht wahr, ber Mönd 
erfchien gewöhnlich vor ungluͤcklichen Landesereig⸗ 
niſſen, trug den Kopf unterm Arme und dabei 
eine Yaterne in ber Hand. - 

Richtig! ſprach Herr Shred, Neuerlidy 
hat man zwar daran zweifeln wollen, aber — — 

Aber — unterbrach ibn einer— Sie wären 





255 


wehl im Gtande, ſolchen Unſinn für wahr zu 


halten ? 

Herr Schweppermann warf «inen fehr vers 
drießlichen Bli® auf den Zweifler und der Ads 
vofat fuhr ruhig fort: Ich Tann die. Wahrheit 
der Sache dahingeftellt feyn laſſen. Doch habe 
ich, in der Vorausſetzung, daß man die Sage 
von voriger Nacht wiffen werde, bie Hiftorie dies 
fe Mönche, wie ich fie vor Jahren einmal in 


einem alten Manufcript fand, abgefchrieben mite 


gebracht, um fie zum Bellen zu geben, da fie 
gluͤcklicher Weife nicht allzulang iſt. 

Ei, fprad hier Herr Schmeppermann, ber 
in der Gefpenfterliteratur wohl Bewanderte, bamit 
haben Sie unfern Danf gar fehr verdient. So 
viel auch darüber geſprochen und bin und wies 
der gefihrieben worden, fo gieht es doch noch 
gar nichtd Befriedigended Aber biefe Erfdeinung. 
Wollten Sie mir die Schrift wohl ein wenig 
erlauben ? 

Mit Vergnügen! antwortete des Advokat. 
Doch mehrere der Uebrigen machte ihre gleichen 
Unfprüche darauf geltend, daher Herr Schrei 
ſich bewogen fah, die Sage vorzuleſen. Sie laus 
tete folgendergeflalt : 

In dieſer Ießten Zeit begab eb fich, daß der 
Landéknecht, welcher an der Baftei beim Wils⸗ 
druffer Thore allhit Wache halten follte, in der 





> 2354 


Mitternachtflunde, wie man Fam ihn abzuldfen, 
auf dem Erdboden, gleichfam als feier ploͤtzlich 
verftorben, ausgeſtreckt und fleif liegend befunden 
wurde ; fo daß man denfelber auf einer Trage 
zuruͤck nach der Wacht bringen mußte. Hier 
aber gab er afdbald einige Zeichen des Lebens 
von ſich; worauf er, durch Anwendung allerlei 
zweckdienlicher Mittel, endlich die Augen wieder 
aufthat. Gott Lob} — rief da der Knecht aus 
— daß ich wieder unter Menfchen bin ; denn es 
war doch gar zu grauenhaft, was mir eben 
begegnet iſt. — Nun drang man in ihn, fein 
Begegniß Fund zu thun, und er ſagte: 

Ihr wiffet insgeſammt, liebe Gefellen, wie 
ich mich im Kriege herumgefchlagen und de noch 
Beugniß trage, in dem Kreuzhiebe hier auf der 
Stirne. Als ich aber vorhin auf meinem Poften 
ftand , da gewahrte ich plöglich einen wunderli⸗ 
chen Richtfchein, welcher, wo der Wall in bie 
Kruͤmme geht, herüberfam und immer näher an 
mid) heran. Da entdeckte ich , dafi der Schein 
von einer Laterne ausging. Als ich nun: wer 
Da? rufe und ed nicht antwortet, da trete ich 
Dem Lichtlein näher und fiche einer der Brüder 
Baarfüßer ſteht vormir, etwas unter dem Arme 
tragend, Und weil Feine Antwort erfolgt war 
auf mein Anrufen, fo rufe ich nochmals, und 
zwar ungeduldiger, Denn was hat, meine id, 


256 
um dlefe Zeit ein Ordenébruder auf dem Wale 


zu fchaffen? Da antwortete er denn. — Uber 


fein: gut Freund ! Hang: fo leife und Hohl und 
ſchauerlich, daß es mir zitterte durch Mark und 
Bein. Bald darauf entdecke ich gar, wie dab 
Ding, dad nunmehro dicht vor mis ſteht, fein 
Daupt nicht auf den Schultern, fondern unterm 
Arme trägt, 

Was aber ſeitdem ſich mit mir begeben, iſt 
mir unbefannt. — 

Solcher Mähr erflauneten feine Geſellen und 
harreten ſehr auf die Ruͤckkehr ded Knechtes, 
welcher den Wiederbeleblen abzuloͤſen gegangen 
war. Der zweite aber hatte nichts geſehen, ſo 
wenig zig alle darauf folgenden Landsknechte, 
weiche indgefamt gar ſchweren Herzend nach ber 
Baflei gegangen waren. Denn feiner zweifelte, 
daß dem erften wirklich die Erſcheinung begegnet 
ſei, weil fie nicht glauben mochten, daß eitel 
Furcht ihn genedt habe, maßen er für einen 
ganz unerfchrodenen Degen allgemein geachtet 
wurbe, 

Es kam auch am folgenden Tage die meiſten 
vorder Wacht in der Mitternachtöftunde an jener 
Baftei ein Graufen an. Da trat einer auß 
ibnen, ber ſoſches merkte, hervor und ſprach: Ob⸗ 
wohlen auch ich nicht gelernet mit Seinden umzu⸗ 
fpringen, fo nicht Fleiſch und Bein haben, fü 


236 


denke ich doch den Dienft um Mitternacht an 
bem bepußten Orte zu verfehen, wenn es mir 
anvertrauet werben wollte. Keinesweges aus 
Fuͤrwitz; denn bes fei ferne von mir! 
Da war man frab, daß fich. einer freiwillig 
fand für den bedenklichen Poften, und ſchickte ihn, 
als die Stunde Fam, zu jener Baſtei auf bie 
Wacht. — 
Der Landsknecht hatte vollauf Zeit gehabt, 
ſich Die Sache zu überlegen, und rief, als er fihon 
da ſtand, feine Gedanken noch einmaldaran zurdd. 
Was kann mir, dachte er, Unrechted begegnen, 
ba ich nichts Unrechtes gethan, noch im Ginne 
babe, vielmehr lediglich meiner Pflicht nachlebe. 
Das ftärkte ihn denn gewaltiglich. 
Gleichwohl war& ihm auch wieder gar bang 
und unheimlich, wenn ein Rniftern oder Rafıheln 
ſich vernehmen Tieß, oder er ſich eindildete, nuns 
mehro wirklich einen hellen Schein oder gar das 
Eichtlein ſchon felber um die Krümmung des 
Walles herumkommen zu fehen. Ein eiskalter 

Schauer aber durchzog ploͤtzlich feinen ganzen Reib, 
ald jet, nicht langſam heran, wie bei dem vom 
geftrigem Tage, fondern gang plöglich der Baar⸗ 
füßer, der Feiner? Kopf hatte, mit feiner Laterne 
fo dicht neben ihm aus dem Erdboden heraufftieg, 
daß er den Saum ſeines Waffentocks berührt 
alaubte von dem Geifle. Da pralte er heftig 


237 


surüd, und entfehte fi) vollends beim Anblicke 
Ded Hauptes, welches der Mönch unterm Arme 
trug. Denn ed war, wie eben erſt vom Scharfs 
zichter abgefchlagen , und es ſchien noch Blut 
Daraus zu fließen auf den, der es trug. Auch 
entfann fich der Knecht, daß bie Geſichtszuͤge 
daran einem jungen Manne gehoͤrten, der, wie 
er der Landoknecht vor etwa einem halben Jahre, 
ald gar fchöner Vollmond leuchtete, ebenfalls um 
Mitternacht bei einer Baflei ded Walled, die nad) 
der Elbe hinaus geht, Wache halten mußte, dort 
aud einer Sänfte flieg. O — fo hatte damals 
der junge Dann die Hände ringend immer aus⸗ 
gerufen, wie bin ich fo elend und doch fo unſchul⸗ 
dig. Ya, ja, ich din es, ich fierbe unfchuldig! — 
Deß war jeboch nicht geachtet, Sondern der Juͤng⸗ 
fing nad) dem Innern der Baſtei, dem heimlichen 
Gerichte, die Jungfrau genannt, binabgeführt 
worden, und bald darauf hatte der Landsknecht 
außen die Schwerter der Jungfrau unten im Ges 
richt zufammen Elirren hören ; fodann mehrere 
fhwarze Männer heraus fommen, und nachdem 
der Eingang verfchloffen worden,. hinweggehen 
fehen. Uber der junge Menſch Fam nicht zurüd 
wit ihnen ! 

Schon ba graute ed dem Landsknechte fehr 
vor den ſchwarzen Männern und ihrer heimlichen 
That. Jetzt aber, ald er den Kopf des damald 


240 


allem den Kopf ſchuͤttelte, da erfah ich — dent 
wir fanden in ihred Herrn Arbeitszimmert, im 
deifen Reinigung fie eben begriffen war — duf 
dem Schieibetifche din Bfättlein mit einem Auf 
fake in lateinifher Sprache. Der Inhalt machte 
mich aufmerffani: Ich lab weiter, und «6 wat 
von einem Geheimniſſe die Rede, fo wichtig, daß 
«8 unfehlbar jedem, ber dayum wußte, bas Leben 
koſten konnte. 

Als nun die Zofe das Blaͤttlein gewahrte in 
meiner Hand, da fagte fie zu mit: Lieber Herr, 
mollet dody um meines: guteh Rufes willen alles 
hiet auf dem Tiſche unangetaftet Iaffen, indem 
mein gnaͤdiger Graf unter Bedrohung, mich ſo⸗ 
fort aus dem Dienſte zu jagen, mir verboten 
bat, etwas zu verändert auf dieſem Zifche oder 
gar in die Hand zu nehmen: Auch fol mir ein 
Gleiches widerfabren,, wenn Id) irgend jemand 
über diefe Schwelle laſſe. Denn fo wohl es 
Euch auch fonft wi, dieſes Zimmer würde er 
doch felbit für Euch verfchloffen "halten. 

Darauf nun legte ich zwar dad Blättlein 
wieder an feinen Ort, entfernt mid) auch for 
gleich aus den Haufe, doch nur um einige Stun 
den fpäter; wo dei Hausherr zugegen war, zuruͤck⸗ 
zukehren. Mit wenigen Worten deutete ich da 
ihm an, daß ein gewiſſer junger Dann — hier 
nannte ich Kunigundend Buhlen — in uͤberaus 


241 

firafbaren Verbindungen ſtehe. Ich ließ Worte 
fällen von feinen angeblichen Aeußerungen, welche 
einzig aus jenem Blaͤrtlein geahdpft waren. Da’ 
erbfeichte Kunigundens Bater, banfte mir für den’ 
wichtigen Dienft, fo ich dem Staute geleiſtet, und 
ging dann, wie er fagte, am Maßtegeih zu neb⸗ 
men, den Vertath zu hindern. — 

Erſt in der folgenden Nacht kam ich zum 
Beſinnen wegen meiner gräulichen Handlung. 
Nach einem hoͤchſt unruhigen Schlafe erwachte ich 
auf einmal wie durch Schwertgeklirr. Ich zit 
terte am ganzen Leibe, als es geſchah. Sogleich 
dachte ich an den jungen Mann, und es war,‘ 
ats ob feine. Tobesanaft auf meinen Körper her 
nieder traͤufe und mir eiskalt bis rief die 
Seele gehe v 

Mit dem fruͤheſten Morgen erkundigte ich 
mich‘ nach ihm und er war verſchwunden, kein 
Menſch wußte wohin. 

Leider! vief Hier der Landoknecht and, hider 
habe ich/s geſehen, wo er verſchwand; geſehen und 
gehott. Das Schwertgeklirre war auch dabei! 

Nachdem er dem Geiſle nähern Aufſchluß 
hieraber gegeben, fuhr biefet ſeafzend alſo fort: 

Über der ungeheuere Frevel brachte meiner 


Leidenſchaft auch Fein Gedeifen! War mir Bei 


Leſung jenes Blaͤrtleins vielleicht etwas entſchluͤpft, 
oder ſchoͤpfte die Zofe ſonſt Berdacht, genug, als 
Geſpenſterbuch 6. Tdeil. Q 


242 

niemand wußte wohin der junge Mann gekommen, 
und fi auch fpäterhin Feine Spur wieberfand 
von ihm, da trieb ihr Gewiſſen fie, einen Ber 
dacht über mich gegen ihren Herrn zu Außern 
und zu entdecken, daß ich in feinem Schreibe 
zimmer gewefen und bier einen Zettel vom Tiſche 
in der Hand gehabt. Mein Diöner, im verirau 
lichen Umgange mit der Zofe ſtehend, kam eines 
Abends eiligſt nach Haufe und :fagte mir das, 
hinzufuͤgend: Eilet Herr, daß Ihr fortkommet in 
die Fremde hinaus. Denn ich weiß: gewiß, daß 
Euere Freiheit, ja wohl Euer Leben gefährdet 
iſt im Laufe diefer Nacht. | 

Da 309 ich noch an demfelben Abende fort 
and Dresden und verließ dad Sadıfenland und 
fam gen Boͤheim, wo ich mich in der Haupt - 
fladt Prag eine. Weile unter fremden Namen 
aufhielt. | | 
Aber der arge Geiſt der Hölle hatte mid 
nur einmal ergriffen und sradhtefe, mich immer 
tiefer in fein Verderben zu ziehen. Tag und 
Nacht fpiegelte er mir für, von wie großer Schöne | 
Sunigunde fei, und daß alle Süd fo Tange 
mir fehlen werde, als ich ihres Beſitzes mich nicht 
erfreuen könne. Da faßte ich denn thörichter Weiſe 
den Vorſatz, wieder nach Dredden zu ziehen, und 
diejenige mit Gewalt zu nehmen , welche fonft 
ſchwerlich je bie meinige werben Fonnte, 





283 


- Und für immer, Du beblagenswerther Geifl; 
ft Du "verdammt zu: fo unfeligem Treiben ? . 
Nicht für immer; der Herr. fei gelobt! ſo 
ie die Antwort. Einſt fol auch mein Sean 
in der 'Gnade erfchsinen. -- Aber diefed Einſt, 
er weiß, ob nicht lange, Ewigkeiten lange Yahrı 
underte zwiſchen heute und meiner Erloͤſung 
iegen. Zu Abbuͤßung der. begangenen Srevelthas 
er liegt mir unter andesn auch ob, Diejenigen 
Ueltern zu beffern, welche, verſtockten Herzens, 
hren Kindern flatt folcher ehelichen Buͤndniſſe, 
in denen fie ein gottfefiges Lehen führen würden, 
andere amfdringen wollen, die ihnen ein Graͤuel 
und dem Boͤſen ein Wohlgefallen find. -Leiber 
jedoch iſt mir nicht vergoͤnnet, ihnen wörtliche 
Warnung gu geben. Nur mit aufgehobener 
Hand bedrohen darf ich fie. Verſtehen ſie dieſes 
nicht, fo iſt der Gang mir fowohl ald ihnen 
verloren ! re, 
Hier — fo ſchalltete ber Vorleſer ein: — hier 
fehlt Teides ! eine ziemliche Stelle in dem alten 
von Moder gebraͤunten Manuferipte, welche 
weggebrochen war. . Auß: einigen: flebengebliches 
nen Worten zu Tchließem, enthielt fie etwas Nds 
hered über die Bedingungen, unter denen dei 
Seit von Zeit zu Zeit erfheinen konnte und 
endlich Erlofung zu hoffen hatte Der Auffag 
ift, befage des Schluſſes, wörtlich getreu nach 


\ 


Te ss 2. 


std 


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244 


derfelben Nacht zerſchnitten die naͤmlichen Meſſer 
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den 
Unſchuldigen geliefert, mein eferided Leben. Ach, 
ich wäre allzu giͤcklich geweſen, haͤtten ke mich 
bloß von dieſer Taftenden Puͤrde befreit. Wber 
nein, fie lieferten mich nya-bem unlichtbaren Nich⸗ 
ter aus. Kaum mar mein Leben dahin, fo wurde 
ich von ihm verurtheilt, ſchrecklich verurtheilt. 
Theils in dein leeren Raume zwiſchen Himmel 
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen 
der Unterwelt eingefchloffen, ‚muß ich des durch 
mich Gensorbeten. Haupt immer bei mir tragen, 
und wegen .ded großen Unheil, fo ich verübt, 
mich von Zeit zu Zeit auf bie Erde zuruͤckbe⸗ 
geben, um ein Bote bed Unpeild hier zu feyn, 
vonjedwebem vermieden und verabfcheuet. Denn 
der Born bed Himmels folgt dem Werbrechen 
überall! — Auch Kunigundend Bater bleibt nicht 
ungeſtraft, daß er, nach aiteln Dingen trachtend, 
der Zochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte, 
und der fie begluͤckt Hätte, eigenfinnig verwei⸗ 
gerte. Denn wie Du mich hier ſieheſt, muß ich 
allegeit in Kunigundens Geburtönacht und ber 
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Baterd Bette 


. ireten. — i 


Der Landsknecht tieferſchuͤttett von dem, war 
er dernommen, fragte: 


243 


Und für immer, Du beblagenswerther Geifl; 
bift Du verdammt zu: fo unfefigem reiben ? 

Nicht für immer; der Herr fei gelobt! ſo 
Hic die Antwort. Einſt fol auch mein Stuͤnd⸗ 
lein der ‘Gnade erſcheinen. Aber dieſes Cinft, 
ver weiß, ob nicht lange, Ewigkeiten fange Jahrt 
Hunderte zwiſchen heute und meiner Crlöfung 
liegen. Zu Abbuͤßung ber. begangenen Freveltha⸗ 
sen liegt mir unter andern auch ob, diejenigen 
Yeltern zu beffern, weiche, verſtockten Herzens, 
ihren Kindern flatt ſolcher ehelichen Bänbniffe, 
in denen fie ein gottfeliges Leben führen würden, 
andere aufbringen wollen, bie ihnen ein Graͤuel 
und dem Böfen sin Wohlgtfallen find. Leider 
jedoch iſt mir nicht vergoͤnnet, ihnen wortliche 
Marnung zu geb. Nur mit aufgebobener 
Hand bidrohen darf ich fie. Verſtehen fie dieſes 
nicht, fo iſt ber Gang mir ſowohl ald ihnen 
verloren! —— 

Hier — fo ſchaltete ber Vorleſer ein: — hier 
fehlt Teiber ! eine ziemliche Stelle in dem alten 
von Moder gebraͤunten Manufcripte, welche 
weggebrochen war. Aus einigen flebengebliche 
nen Worten zu Tchließen, enthielt fie etwas Naͤ⸗ 
bered über die Bedingungen, unter denen der 
Geiſt von Zeit zu Zeit erſcheinen konnte und 
endlich Erlofung zu hoffen hatte Der Aufiag 
iſt, befage des Schluſſes, wörtlich getreu nad) 


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« — pn" > -.n 





der Erzählung ded Landsknechts, welcher darin ein 
für feinen geringen Stand. ungemein rebper ”) 
Menfch genannt wird, vom Bruber Anwbroftus, 
Bertholds nahem Verwandten, abgefaßßt und 
‚unterfchrieben, auch auf. weitere durch ihn einge⸗ 
zogene Erfündigung mit ber geſchichtlichen Ein: 
leitung, wie ich folche vorgelefen habe, ergänzt 
worden: — Bor einiger Zeit: gelangte: fie, ſchon 
fo defekt, wie ich fie gefunden , durch Erbfchaft 
in bie Wände eined meiner Bekannten, beffen 
Großvater — weldger viel auf fie gehalten — 
in einem Nebenblatte mehrere Notizen über das 
fpätere Erſcheinen des Geiſtes hinzugefügt Hat. 
Diefen Notizen va fell er neuerlich in einen 
beffern Zuſtand gerathen und feine Wohnung 
nicht mehr in der Nuft, auch nicht in Kammenr 
der Erde, fondern in derjenigen Baſtei bed Wal⸗ 
led haben, welche vorhin zum heimlichen Ger 
richte gedient, dann aber in einen Pavillon ver« 
„wandelt worden if. So lange Iegterer geſtan⸗ 
den hat, fol der fogenannte Moͤnch, als ges 
flört in feiner Ruhe, oft in ber Nähe gefeben, 
auch in gewiflen Nächten bed Jahres ein herz⸗ 
fchneidendes Aechzen und jenes furchtbare Schwer: 
tergeklirr dafelbft gehört worden feyn. Noch gar 
manchem habe- er dba feinen Beſuch im Schlaf 
gemache abgeftattet, dody niemals jemand einis 
49) > peredfamer, ” \ 





2 


mf der mar aubflieh, eine Dienge in ber 
Seburt erflidter Bemerkungen fund zu geben. 
Sndlich, ‚in ber Gegend des Taſchenberges, wen⸗ 
dete er fein Geſicht raſch nach der Straße, 
welche dahin führt, weil dort der Bruder Um⸗ 
broftuß vormals ferne Zelle hatte. Dann fagte 
er: Es iſt doch was ganz Wunderliches um die 
Geiſterwelt! Das aber haͤtte ich nimmermehr 
gemeint, daß jener Moͤnch noch immer auf Er⸗ 
den herumwandeln ſollte! 

Ich, warlich, eben ſo wenig! antwortete der 
Advokat. Er ſoll neuerlich von Neuſtadt heruͤ⸗ 
berkommen und dann feinen Weg über bie große 
Treppe nach der Brühlfchen Terraſfe hinaufneh⸗ 
men. — Uebrigens, Herr Schweppermann, weifl 
man ja, wad die Mienfchen bisweilen ſehen; 
was eine gereißte Einbildungsfraft dabei thun 
kann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Reihe 
bibliotheb gewigermaßen die ſaͤmtlichen Geheim⸗ 
niffe der wirklichen ſowohl als der Titular⸗Gei⸗ 
ſterwelt beiſammen hat, der kann ein Wort davon 
erzählen, was im Sehen ſolcer Dinge oft für 
Mißgriffe geſchehen. 

Während diefer Rede waren fie durch dad 
Sdhloßthor gekommen. Da überfiel Hertn Schreck 

mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein 
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erſticken. 
Mas dann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine 
Seele mehr fehen ließ auf der Straße ald bis 
Schildwache im Innern des Thores, bie von 








250 


ihrem Poften nidyt megdurfte? Solche Borfi 
Tungen machte ſich. naͤmlich Herr Schwepperma: 
der. überhaupt furchtfamer Natur if, und imm 
alle Dinge fogleich von ber ſchwaͤrzeſten Seite! 
trachtet. 

Hier hätte er dergleichen Sorgen gar mi 
nöthig gehabt. Denn der Huften hörte auf ci 
mal wieber völlig auf, wie er auf einmal gefon 
men war, und fie gingen ruhig weiter. 

Auf Herrn Schweppermannd Seite jedet 
bauerte die Ruhe gar nicht lange. Herr Schr! 
ſprach er jegt auf einmal ganz leife, lieber Hm 
Advokat Schreck! Dazu hielt er feinen Beglaie 
am Xermel feſt. 

Nun? fragte der, ganz verwundert. " 

Mein Gott, fehen Sie denn nicht ? De fiedt 
es ja! 

Was fol ich ſehen ? 

Sehen Sie denn nicht, wie es und anſchauet ? 

Phantafleen! rief der Advokat, kommen Sit 
kommen Sie! Am Ende wollen Sie mic wohl 
felber mit dem Möndje zu fürchten machen? 

St! Ich Bitte Sie body um Gottedwilln 
Herr Advofat! 

So kommen Sie do! ſprach Herr Schret 
im Tone des Unmwillens. 

Tie ferſeufzend fagte num der Leihbibliothekar 
Endlich! Endlich, Gott Lob, geht es, und wirt 
lich nach der Treppe, 

Herr Schweppermann — fo fagte nunmer 


2 


auf der Straße außflieh, eine Menge in der 
Geburt exflidter Bemerkungen Fund zu geben. 
Endlich, in ber Gegend des Taſchenberges, wen⸗ 
dete er fein Geſicht raſch nach der. Straße, 
welche dahin führt, meil dort der Bruder Am⸗ 
broſtus vormals ſeine Zeile hatte. Dann fagte 
er: Es iſt doch wad ganz Wunderläche. um die 
Geifterweit Das aber hätte ich nimmermehr 
gemeint, baf jener Moͤnch noch immer auf Er 
den herumwandeln folltel >. 

Ich, warlich, eben fo wenig! antwortete der 
Advokat. Er fol neuerlih von Neuſtadt heruͤ⸗ 
berfommen und dann feinen Weg über bie große 
Treppe nach der Bruͤhlſchen Terraſfe hinaufneh⸗ 
men. — Uebrigens, Herr Schweppermaun, weifl 
Man ja, was die Menſchen bisweilen ſehen; 
was eine gereitzte Einbildungskraft dabei thun 
kann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Leih⸗ 
bihlioehe® gewigermaßen die fämtlichen Geheim⸗ 
niffe der wirklichen fowohl als der Zituler s Geis 
ſterwelt heifammen hat, der Tann ein Wort davon 


erzählen, was im Sehen ſolcher Dinge oft für 


Mißgriffe gefchehen« . 

Während diefer Rede waren fie durch dad 
Sdloßthor gekommen. Da überfiel Heren Schreck 
mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein 
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erftiden“ 
Was dann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine 
Seele mehr fehen ließ auf der Strafe ald bir 
Schildwache im Innern des Thores, bie von 








244 


berfelben, Nacht zerſchnitten die naͤmlichen Meſſer 
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den 
Unſchuldigen gelieferg. mean elendes Lehen. Ach, 
id; waͤre allzu glincklich geweſen, haͤtten fie mich 
bloß von dieſer laſtenden Vuͤrde befreit. LAber 
nein, fie lieferten mich nua-dem unſichtbaren Rich⸗ 
ter aus. Raum war mein Leben dahin, fo wurde 
ich von ihm verurtheilt, fehredlich Serurtheilt. 
Theil in dem leeren Raume zwiſchen Himmel 
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen 
der Unsermwelt eingefchloffen, muß ich des durch 
mich Gewordeten Haupt immer bei-mir fragen, 
und wegen des großen Unheils, fo ich verübt, 
. mich von Zeit zu. Zeit auf bie Erde zuruͤckde⸗ 
geben, um ein Vote bed Unbheils hier zu ſeyn, 
von jedwedem vermieden und verabſcheuet. ‚Denn‘ 
der Zorn bed Himmels folgt dem Verbrechen 
uͤberall! — Auch Kunigundens Vater bleibt nicht 
ungeſtraft, daß er, nach. aiteln Dingen trachtend, 
der Tochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte, 
und der. fie begluͤckt hätte, eigenfinnig verwei⸗ 
gerte. Denn wie Du mich hier ſieheſt, muß ich 
allezeit in Kunigundens Geburtönacht und ber 
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Baterö Bette 
‚ut. — 


Der Landbsknecht tieferſchuͤttert von dem, was 
er dernommen, fragte: 


253 

a8 war.der Mutter vis & vis — die Zeitungen 
lbends vorzuleſen, feitbem nahm er bie Bücher " 
ie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber 
ennoch allemal viel länger ald eine Stunde da, 
yeil er. doch bie Brüchte feines Beitungslefend 
venießen mußte So eben waren dieſe wieder 
eif geworden, oder was eben fo vielfagen will, 
eine beiden Zuhbrer waren fo eben eingefchlafen. 
taum warb er. dieß.änne, ſo Jieß er auch Zeituns 
ven Zeitungen .fenn und forach mit Frizchen über 
yen.Lifch hinuͤber ſehrr aͤmſig. Endlich bog ſich 
der Maler immer weiter uͤber den Tiſch hin⸗ 
uͤber, und aus Hoͤflichkeit bog ſich Frizchen zu 
ym heruͤber, bis fie grade über der" Mitte des 
Lifched mit dem Munde gufammen trafen. . 

Kein Wander , wenn fie unter folchen Um⸗ 
fränden bie Herren Schweppermann und Schreck 
gar nicht Hatten hereintreten hören, welche eben 
dieſes Ichendige Gemälde betrachteten. | 

Nun? rief. der Hauswirth. Da merkten fie 
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer 
waren ,sund Herr Habe fand auf und ſprach: 
Bloß um die Eingeſchlafenen nicht zu flören, wollte . 
ich der Mamfe etwas in’d Ohr fagen. 

"Ei — perfegte hierauf ber Leihbibliothefar — 
‘ein Maler ſollte doch wohl befferwiffen, was ein 
Ohr iſt und was einDRund. — Marſch, Mamſell! — 

Inzwiſchen waren die Schlafenden erwacht 
und Frizchen ſchlich ſich verſchaͤmt hinter dem 
Ruͤcken Ihrer Mutter in's Kaͤmmerchen hinans. 


244 


berfeiben, Nacht zerſchnitten :die naͤmlichen Meſſer 
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den 
Unſchuldigen geliefert, mein eſendes Lehen. Ach, 
ic; waͤre allzu gluͤſcklich geweſen, hätten fie mich 
bloß von dieſer laſtinden Vuͤrde befreit. Aber 
vein, fie lieferten mich nun⸗dem unſichtbaren Rich⸗ 
ter aus. Kaum mar mein leben dahin, ſo wurdt 
ich von ihm verurtheilt, ſchrecklich verurtheilt. 
Theils in dem leeren Raume zwiſchen Himmel 
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen 
der Unsermelt eingefchloffen, ‚muß ich des durch 
mich Gemordeten Hauyt immer bei mit fragen, 
und wegen .ded großen Unheils, fo ich veruͤbt, 
„ mich von Zeit zu Zeit auf bie Erde zuruͤckbe⸗ 
geben, um ein Bote bed Unheils hier zu feyn, 
von jedwedem vermieden und verabfcheuet. Denn 
der. Born bed Himmels folgt dem Verbrechen 
uͤberall! — Auch Kunigundens Vater bleibt nicht 
ungeflraft, daß er, nach. eiteln Dingen trachtend, 
der Tochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte, 
und der fie begluͤckt Hätte, eigenfinnig verwei⸗ 
gerte. Denn wie Du mich bier ſieheſt, muß ich 
allegeit in Kunigundens Geburtönacht und der 
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Vaters Bette 
In. — f 


Der Landsknecht hieferſchütiett von dem, was 
es vernommen, fragte: - 





257 


‚ich gelingen. Und am Abende trat gleichfalls 
"in Augenblidchen ein, die Derzallerliebfte zu 
"hen. Denn dad Kammerfenfter, das fonft ims 
tiger erleuchtet war, fobald Herr Schweppermann 
zen Fuß aus dem Haufe gefegt hatte, das blieb, 
eute finfter und blieb finfter; woraus der arme 
„Berfiebte fchließen konnte, daß fein Widerſacher 
"rar nicht ausgegangen fei. * 

So finſter aber dem Maler durch dieſes finſtre 
Fenſter der Abend ſeibſt wurde, fo heiter lachte 
zihn der folgende Morgen an. Schon mit dem 
‚Srübeften Flingelte bed Leihbibliothekars Dienfi⸗ 
‚mädchen an feiner Thür und brachte ihm, als 
"er gedffnet hatte, ein ſchoͤnes Kompliment vor 
ihrem Herrn, unb der Herr Kunftmaler Heide 
möchten doch ſo gefällig ſeyn, ſich baldmoͤglichſt 
zu dem Herrn Leihbibliothekar Schweppermann 
hinuͤber zu bemuͤhen. 


Herr Heide ließ ſich das gefallen. Im ſchlimm⸗ 
ſten Falle hatte Herr Schweppermann noch ein 
Paar Grobheiten für ihn auf dem Herzen. Das 
mochte feyn, wenn unfer Verliehter nur, wie er 
hoffte, irgend eine Gelegenheit fand, Frizchen ein 
Billet in die Dände zu prafticiren. 

Flugs brachte er auch ein Paar Zeilen, ihre 
nunmehr hoͤchſt nothwendigen, geheimen Zufams 
menfünfte betreffend, gu Papiere, brach letzteres 
wingig Mein: zuſammen, und ftellte fich dann bei 
Herrn Schweppermenn ein. 


Das Billet aber war ganz fruchtloß gefchries 
ben. Herr Schweypermann fagte ihm nämlich 
ſogleich, daß er ſich noch recht gut erinnere, wie 
Herr Heide vor einiger Zeit um die Hand feines 
Mandels, Frizchen Trick, angehalten. : Damals 
waͤren der Sache eintge Bedenken wegen ſeinet 

Geſpenſterbuch 6. Theil. R 


⸗ 


— 


246 


der Erzaͤhlung des Landsknechts, welcher darin eir 
für feinen geringen Stand, ungemein redper *) 
Menſch genannt wird, vom Bruder Ambrofius, 
Bertholds nahem Wermandten:, -abpefaßt und 
unterfchrieben, auch auf weitere durch ihn ringen 
zugene Erfündigung mit ber geſchichtlichen Sin: 
leitung „ wie ich folcye vorgelefen habe, ergänzt 
worden: — Bor einiger Zeit gelangte fie, ſchon 
fo defekt, wie ich fie gefunden, durch Erbfchaft 
in die Hände eines meiner Bekannten, deſſen 
Großvater — welcher viel auf fie gehalten — 
in einem Nebenblatte mehrere Notizen über das 
fpätere Erfcheinen des Geiſtes hinzugefügt hat. 
Diefen Notizen vach fall er neuerlich in einen 
beffern Zuftand gerathen: und feine Wohnung 
nicht mehr in der Luft, auch nicht in flammen⸗ 
der Erde, fondern in derjenigen Baſtei ded Wals 
led haben, welche vorhin zum, heimlichen Ges 
richte gedient, dann aber in einen Pavillon vers 
wandelt worden if. So lange letzterer geſtan⸗ 
den hat, ſoll der ſogenannte Moͤnch, als ge⸗ 
flört in feiner Ruhe, oft in der Nähe geſehen, 
auch in gewiflen Nächten bed Jahres ein herzs 
fchneidendes Aechzen und jenes furchtbare Schwer: 
tergeklirr daſelbſt gehört worden ſeyn. Noch gar 
manchem habe- er da feinen Beſuch im Schlaf⸗ 
gemache abgeflatter, doch niemald jemand einis 
*): beredfame.. ” ' " 


247 


ges Leid außerbem zugefügt. — Späterhin, ak 
nur nod die Ruinen jene Pavillons übrig 
waren, will man von der Erfiheinung nichts mehr 
gehört Haben, Wenn es aber gegründet iſt, daß 
in voriger Nacht wirklich ber Enthauptete aber 
mals gefehen worden — was ich Teimebruegeb 
verbürgen moͤchte! — fo würden gewiß mandıe 
dem neuen , aus feinen Lrämmern wieder erflans 
denen Gebäude, die Beranlaffung dazu beimeſſen \ 
wollen. Uebrigend — fo ſchloß der Borlefer — | 
enthalte ich mich alled eigenen Urtheiles über die ! 





Sadır. — | 

Defto reicher entfolteten ſich die Urtheife der | 
Andern. Hauptfächlich gerieth das Urtheilen wie⸗ 
ber in die Hände der Kritiker der aͤgyptiſchen | 
Löwen. Einige fprachen in zahlloſen Worten ' | 


die dürftige Behauptung aus, daß alled erlogen 
fei. Ulbernheiten! riefen Andere. Noch Andere 
fuchten durch eine höchft pfiffige Miene an den 
Tag zu Iegen, welche Mühe es ihnen koſte, ihr 
Lachen zuruͤckzuhalten. Einer endlich — ber naͤm⸗ 
fiche, welcher der großen Zreppe fogern d eu tfche 
Löwen gegbnnet hätte — wollte doch einigen 
Anfchein der Wahrheit in jener Sage finden. 
Denn — fagte er — die Achten Deutfchen der 
Borzeit haben befanntlich zumeilen Erfeheinungen 
g pon Beiftern gehabt, fo daß der Glaube baran, 


\ 





⁊ 


240 


ſo zu fügen, bem deutfchen Blut und Soden recht 
eingewachſen if. — . 

Kurz alles nahm benfelben Gang wie vor⸗ 
bin bei den Bhwen , diejenigen fchwiegen allein, 
welche vielleicht über. ben Gegenſtand haͤtten 
ſprechen koͤnnen. 

Auch dießmal ſchloß Herr Schweppermann 
ſich an ſie an. Aber nicht in fo paſſiver, leb⸗ 
kofer Urt, wie vorhin. Bielmehr ließ er auf 
bie Zweifler an der Gefpenfterwelt ſo unwillige 
Blicke fallen, daß er zuverläflig im Donnerton⸗ 
mit ihnen gefprochen, wären nicht ein. Baar 


Fa treffliche Kunden feiner Leihanſtalt darunter gewe⸗ 


fen, die er dadurch vielleicht Hor deu Kopf häite 
floßen koͤnnen. 7 

Endlich ſtand er auf und zog den Vorleſet 
auf die Seite. Aug dem Achſelzucken des Letz— 
gerg war fo viel zu fließen, daß er mit mans 


chem Aufſchluſſe, weichen Herr Schweppermann 


gerne noch gehabt hätte, dieſem nicht zu dienen 
wußte — 

Da die Herren Schreck und Schweppermann 
dicht nebeneinander auf der Hauptſtraße in 
NReuſtadt wohnen, und es ſchon ſpaͤt war, ſo 
verließen ſie jegt zufammen daß ** ſche Kaffeehaus. 

Offenbar war Herrn Schwepyermann ber 
Mond auf die Sprachorgane gefallen, Wenig⸗ 
(end ſchienen Die vielen Hm, die er ropfſchattel nd 





ET 


auf der Giraffe aubflieh, eine Dienge in ber 
Geburt erflidter Bemerkungen fund zu geben. 
Endlich, in ber Gegend des Tafchenberges, wen⸗ 
dete er fein Geſicht raſch nach der Straße, 
welche dahin führt, weil dort der Bruder Am⸗ 
broſius vormals ferne Zeile hatte. Dann fagte 
er: Es ift doch was ganz Wunderlädhes. um bie - 
Seiſterwelt! Das ‚aber hätte ich nimmermehr 
gemeint, daß jener Moͤnch noch immer auf Er⸗ 
den herumwandeln ſollte! 

Ich, warlich, eben ſo wenig! antwortete der 
Advokat. Er ſoll neuerlich von Neuſtadt heruͤ⸗ 
berkommen und dann feinen Weg über bie große 
Treppe nach der Bruͤhlſchen Terraſſe hinaufneh⸗ 
men. — Uebrigens, Herr Schweppermann, weiß 
man ja, was die Dienfchen bisweilen fehen 3 
was eine gereißte Einbildungsfraft dabei thun 
Tann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Leih⸗ 
bibliothek gewiſſermaßen bie ſaͤmtlichen Geheim⸗ 
niffe der wirklichen ſowohl als der Titular⸗Gei⸗ 
ſterwelt beiſammen hat, der kann ein Wort davon 
erzaͤhlen, was im Sehen ſolcher Dinge oft für 
Mißgriffe geſchehen. 

Waͤhrend dieſer Rede waren fie durch bad 
Schloßthor gekommen. Da überfiel-Heren Schreck 
mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein 
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erflidenn 
Was Hann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine 
Seele mehr feben ließ auf der Straße ald bie 
Schildwache im Innern des Thored, die von 








‘ 


250 


tfrem Poften nicht wegdurfte? Solche Borflels 
lungen machte ſich, nämlich Herr Schwepypermann, 
der. uͤberhaupt furchtſamer Natur if, und immer 
alle Dinge fogleich von ber ſchwaͤrzeſten Seite ber 
trachtet. 

Hier haͤtte er dergleichen Sorgen gar nicht 
nöthig gehabt. Denn der Huften hörte auf eins 
mal wieder völlig auf, wie er auf einmal gefoms 
men war, und fie gingen ruhig weiter. 

Auf Herren Schweppermannd Seite jedoch 
bauerte die Ruhe garnicht lange: Herr Schred! 
ſprach er jegt auf einmal ganz Ielfe, lieber Herr 
Advokat Schred ! Dazu hielt er ſeinen Begleiter 
am Xermel feft. 

Nun? fragte der, ganz verwundert. ' 

Mein Gott, fehen Sie denn nicht Da ficht 
es ja! 

Was ſoll ich feben ? 

Sehen Sie denn nicht, wie eb und anfchauet ? 

Phantafteen! rief der Advokat, kommen Sie 
kommen Sie!, Am Ende wollen Sie mich wohl 
felber mit dem Mönche zu fürchten machen? 

St! Ich Bitte Sie doch um Kortedwillen, 


Herr Abvokat! 


So fommen Sie doch! ſprach Herr Schreck, 
im Zone de Unwillens. 

Zieferfeufzend fagte num der Leihbibliothekar: 
Endlih! Endlich, Gott Lob, geht ed, und wirk 
lich nach der Treppe, 

Herr Schweppermann — fo fagte nunmehr 


253 


‚a® war.der Butter vis & vis die Jeitungen 
Ibendd dorgulefen, feitbem nahm er die Bücher 
pie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber 
ennoch allemal viel länger ald eine Stunde da, 
veil er doch die Fruͤchte feined Zeitungsleſens 
zenießen mußte. So eben waren diefe wieder 
'eif geworben, oder was eben fo viel fagen will, 
eine beiden Zuhörer waren fo eben eingefchlafen. 
daum ward er. dieß inne, ſo Jieß er auch Zeituns 
ven Zeitungen fenn und fprach mit Frizchen über 
ven Tiſch hinuͤber fer aͤmſig. Endlich bog fich 
)er Maler immer weiter über den Tiſch hin⸗ 
aber, und aus Höflichkeit bog fich rischen zu 
hm herüber, bis fie grade über der” Mitte des 
Eifched mit dem Munde yufammen trafen. 

Kein Wander , wenn: fie unter foichen Im» 
tänden bie Herren Schweppermann und Schreck 
zar nicht hatten hereintreten hören, welche eben 
ieſes Ichendige Gemälde betrachteten. 

Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie 
ndlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer 
varen ‚und Herr. Heide Hand auf und ſprach: 
Bloß um die Eingefchlafenen nicht zu flören, wollte - 
ch der Mamfell etwas in's Ohr fagen, 

"Ei — verſetzte hierauf der Leihbibliothekar — 
in Maler ſollte doch wohl beffer wiflen, was ein 
Ohr iftund mad ein Mund. — Marſch, Mamſell! — 

Inzwiſchen waren die Schlafenden erwacht 
und Frizchen ſchlich ſich verſchaͤmt hinter dem 
Rüden ihrer Muster in's Kaͤmmerchen hinans. 


22 

Kopf auf din Ellenbogen geſtuͤtzt, eine für ihre 
vierzig Fahre zlemlich wohlerhältene Frau. Als 
fei ihr eben ein artiges Kunſtſtuͤck gelangen, fo 
ſchlau und fröhlich fah ihr angenehmes Geficht 
‘aus, weiches mit ihrem vis d vis ben vollfoms 
menften Kontraft’ bildete: Der Tiſch ſelbſt fkand 
fo dicht an der Fenfterfeite, daß dahinter kaum 


u noch jemand zu ſitzen vermochtt, und wer ja etwa 


dahinter faß; gewiß auf keine Weiſe heraus 
tonnte, ohne einen ber beiden febendigen Riegel 
aufgumedten, welche der Schlaf mehr als gewoͤhn ⸗ 
lich in bie Breite getrieben hatte, “Und in der 
What faß Jematib hinter dem Tiſche, die Perfon 
nämlich ; welche Herrn Schweppermanns Leib 
dibliothek feit: anberthafb Jahren fo gewaltig in 
Aufnahme brachte ; das blonde Frizchen mit dem 
Wuchſe einer Hebe, aus deren blauem Auge 
jedem, der. fie anfah, ein koͤſtlicher Nektar in's 
Herz rieſelte, wenn er nicht etwa ein fuͤhllofer 
Schneemann war. Und Frizchen gegenuͤber an 
der andern Seite des Tifches ſaß der junge Maler 
Heide, ‚ein recht feines, annehmliches Perſonchen, 
ohnſtreltig der beſte Kunde der Schweppermann⸗ 
ſchen Bibliothek. Ale Abende holte er neue 
Schriften. Und fonderbar, Anfangs, ehe man 
Ihn kannte, war er ſo waͤhlig, daß er uͤber ein 
Paar Bücher eine ganze Seigerſtunde ſuchen konnte. 
Seit er's aber zu dem Mechte gebracht hatte, 
Frizchens Mutter — denn dad war:die Bierziger 
Fin und dem jungen Deren Schweppermann — 


‘ 


253 


das war.ber Mutter vis & vis die Zeitungen 
Abends vorzuleſen, feitbem nahm er die Bücher ' 


wie ſie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber 
dennoch allemal viel länger ald eine Stunde ba, 
weil er doch die Srüdhte feines Zeitungsleſens 
genießen mußte So eben waren diefe wieder 
reif geworben, ober was eben fo viel fagen will, 
feine beiden Zuhörer waren ſo eben eingeſchlafen. 
Kaum ward er dieß..inne, fo ließ er auch Zeituns 
gen Zeitungen fenn und fprach mit Srizchen über 
den Tisch hinuͤber fer aͤmſig. Endlich bog fich 


ber Maler immer weiter über den Tiſch Bins - 


über, und aus Höflichleit bog ſich Srischen zu 
ihm herüber, bis fie grade über der” Mitte des 
Vſches mit dem - Munde zuſammen trafen. 

Kein Wander, wenn fie unter ſolchen Um⸗ 
fländen die Herren Schweppermann und Schreck 
sar nicht hatten hereintreten hören, welche eben 
diefed lebendige Gemälde betrachteten. 

Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie 
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer 
waren ‚und Herr. Heide fland auf und ſprach: 


Bloß um die Eingefchlafenen nicht zu fibren, wollte - 


ih der Mamſell etwas in’d Ohr fagen, 

"Ei — perfegte hierauf ber Leibbibliothekar — 
ein Maler ſollte doch wohl beffer-wiffen, was ein 
Ohr ift and was ein Nund. — Marſch, Mamſell! — 

inzwifchen waren die Schlafenden erwacht 
und Frizchen ſchlich fich verſchaͤmt Hinter dem 
Nüden ihrer Mutter in’d Kammerchen hinans. 








Pr. 





J 


252 


Kopf auf din Ellenbogen geftägt, eine für ihre 
vierzig Jahre zlemlich wohlerhaltene Grau. Als 
fei ihr eben ein artiges Kunftfläd gelangen, fo 
ſchlau und frbhlich fah ihr angenehmes Geficht 
‘aus, welches mit ihrem vis à vis den vollkom⸗ 


menften Konträft' bildete. Der Tiſch felbit fland 


fo dicht an der Fenflerfeite, daß dahinter kaum 


j noch jemand zu ſitzen vermochte, und tverja etwa 


Dahinter faß; gewiß auf Feine Weiſe heraus 
konnte, ohne einen der beiden febendigen Riegel 
aufzuwechen, welche der Schlafmehr als gewoͤhn ⸗ 
lich in die Breite getrieben hatte; “-Unb in der 
hat faß Jemand hinter dem’ Tifehe,' die Perfon 
nämlich ; welche Herrn Schweypermanns Leihs 
dibliothek feit: anderthafb Jahren fo gewaltig in 
Aufnahme brachte ; das blonde Frizchen mit dem 
Wuchſe einet Hebe, aud deren. blauem Auge 
jedem, der. fie anfah, ein koͤſtlicher Nektar in's 
Herz riefelte, wenn er nicht etwa ein fühllofer 
Schneemann war. Und Frizchen gegenüber an 
der andern Seite des Tiſches faß derjunge Maler 
Heide, ein recht feines, annehmliches Perfdnchen, 
ohnſtteltig der beſte Kunde da Gchweppermann 
ſchen Bibliothek. Ale Abende holte er neue 
Schriften. Und fonderbar, Arfange, ehe man 
ihn kannte, war er fo waͤhlig, daß er über ein 
Paar Bücher eine ganze Seigerftunde fuchen konnte. 
Seit er's aber zu dem Rechte gebracht hatte, 
Frizchens Mutter — denn dad war · die Bierziger 
rin — und dem jungen Herrn Schweppermann — 


⸗ 


253 


dad war.der Mutter vis & vis: die Zeitungen 
Ubendd vorzuleſen, feitdem nahm er die Bücher 
wie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber 


dennoch allemal viel länger ald eine Stunde da, 


weil er doch die Srüchte feined Zeitungslefend 


genießen mußte Go eben waren diefe wieder 
reif geworben, oder wad eben fo viel fagen will, 
feine beiden Zuhörer waren ſo eben eingeſchlafen. 
"Kaum warb er. dieß..inne, ſo ließ er auch Zeituns 
gen Zeitungen ſeyn und ſprach mit Frizchen über 
den Tiſch hinuͤber ſehr aͤmſig. Endlich bog ſich 


der Maler immer weiter uͤber den Tiſch hin⸗ 


uͤber, und aus Hoͤflichkeit bog ſich Frizchen zu 
ihm heruͤber, bis fie grade über der” Mitte des 
Zifches mir dem Munde gufammen trafen. 

Kein Wunder , wenn fie unter ſolchen Um⸗ 
fländen die Herren Schweppermann und Schreck 
gar nicht Hatten hereintreten hören, welche eben 
diefeb lebendige Gemälde betrachteten. 

Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie 
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer 
waren ‚und Herr. Heide fland auf und ſprach: 


Bloß um die Eingefhlafenen nicht zu flören, wollte . 


ich der Mamſell etwas in’d Ohr fagen. 

"Ei — perfegte hierauf ber Leihbibliothefar — 
ein Maler folltedody wohl beffer-wiffen, was ein 
Ohr ift und was ein Rund. — Marſch, Mamſell! — 

Inzwiſchen waren die Sclafenden erwarht 
und Frizchen fchlich fich verſchaͤmt hinter dem 
Rüden ihrer Mutter in’d Kämmerchen hinans. 





en 


| 





254- 


Allen Reſpekt, mein Hert Habe — ſprach 
nun der Leihbibliöthekar — vor Ihnen, als Leſe⸗ 
Funde. Nach dem jetzigen Vorfalle aber darf ich 
Sie wohl bitten, Fünftig ihre Buͤcher Tieber huͤbſch 
am Tage zu holen, wenn ich zu Hauſe bin. — 

Herr Heide hatte für dieſen Augenbli nichts 
zu thun, al6 feinen Abtritn zu nehmen. 

Während hierauf Herr Schweppermann, feis 
nen.Sohn im Borbeigehen einerewige Schlafmuͤtze 
ſcheltend, nach den Buͤchern für den Advokaten 
ſuchte, ziſchelte letzterer ber Frau Ttick, Frizchens 


Mutter, etwas zu, wotuͤder ſie ihm ihren vollen 


Beifall bezeigte. — 

Als ſodann Herr Schweppermann dem Leſer 
hinausleuchtete, fagte dieſer noch ander Treppe: 
Berfprechen Sie mir, ja niemand eine Silbe von 
Ihrer Viſion auf dem Schloßplatze zu erzählen. 
Denn wahr oder unmwahr, ich meines Orts müßte 
IAugnen,, daß mir auch nur daB Geringſte vor» 
getommen , und Site konnten dann feidht in 'den 
Berdacht gerathen, gewiffe — überfpannte Ideen 
zu hegen, wodurd nad) und nach vielleicht, wenn 
es befannt würde, Ihre jegt To ſchoͤn angebrachte 
Leihbibliothek wieder herunterfommen därfte. 

So boͤſe Herr Schweppermann auch über 
denn Sinn war, welchen der Advokat mit ber 
Benennung: üÜberfpannte Ideen zu vermaͤn⸗ 
teln ſuchte, fo gelobte er doch ein doͤlliges Ver⸗ 
ſchweigen der Sache. Sein Gewiſſen ſagte ihm 
uͤberdieß, daß er in die Kategorie derjenigen ge⸗ 





255 


böre, denen das Geſpenſt, der Sage nach, ſeinen 


Beſuch zu machen pflegte. Denn, wie oft auch 
Frizchens Mutter ihm darthat, daß die Tempe⸗ 


ramente ihrer Tochter und ſeines Sohnes gar 


nicht zufammen paßten, fo behartte er doch auf 
feiner Lieblingsidee ein Pärchen aus diefen Leuten 
zu madıen. Cr fab naͤmlich Srigchend wohlthaͤ⸗ 
tigen Einfluß auf den fchwunghaften Betrieb 
feined Gewerbes recht aut ein, und Da er legten 


zes feinem Sohne kaͤuftig allein zu überlaffen 
dachte, fo wollte er ihm in Frizchen ein werben, . 


ded Kapital. mit zutheilen, wegen deſſen Sicher 
heit der junge Schweppermann um fo weniger 
gefährdet war, weil des Maͤdchens Sitte nicht 
einmal ihre fireitigen Punkte hatte, Denn was 
vorhin Aber den Tiſch hinüber von ihr geſchah, 
das gewinnt ein ganz anderes Anſehen, wenn 


man erfährt, daß Grau Trick bereitö wußte, der 


junge Maler Heide fei durchaus Fein Heide in 
der That, ja er wolle an Frizchen noch wenigen 
zum Heiden werben, vielmehr — lieber heute 
ald morgen — dad chriftliche Werk der, heiligen 
Ehe mir ihr begionen. Doch konnte Stau Zrid, 
ald Herrn Schweppermanns arme Verwandte, bei 
den Abfichten, welche er mitibter Tochter hatte, 
ihren und des Mädchens heißeſten Wunſch bie 


dahin nicht burchfegen, oder auch nur in etwas „ 


vorwärt® bringen. — 
Here Schweppermann würde übrigend diefen 
Abend feine rauhe Seite noch ganz anders dern 


‘a 








255 


ausgekehrt Haben‘, waͤre nicht fein Andenken au 
die Erſcheinung Frizchens Schutz gewefen: In 
der That war er auch waͤhrend der bangen, kum⸗ 


mervollen Nacht nicht ganz einig mit ſich, ober 


Frizchen, ſein Mündel, wirklich dem Maler 
Heide zur ehelichen Hausfrau uͤberlaſſen ſolle 


oder nicht. Sein Sohn konnte ja, ſelbſt beim 
gaͤnzlichen Untergange der Leſebdibliothek, von dem 
huͤbſchen Bermbgen leben, das ihm nach des Bas 


ters Tode zuruͤckbliob, und: bedurfte daher der 
Nothhuͤlfe gar nicht, welche ihm fein Bater mit 
einer bübfchen Grau zu verfchaffeti dachte, — 





Wllein mit dem Anbruche des Morgens tra . 


ten die Ausfichten für ded Malers Wänfche auf 


einmal wieder in einen hoͤchſt duͤſtern Nebel zw 


ruͤck. Herr Schweppermann fragte ſich nun in 
ganzem Ernſte, ob er auch recht geſehen und 


nicht vielmehr die Erſcheinung auf dem Schloß⸗ 


platze wirklich ein Fehler ſeiner Phantaſie gewe⸗ 
fen ſeyn moͤge. Daher rief er denn auch bald 
nach dem Aufſtehen Frizchen zw fig, las ihr 
den Test wegen bed Abende, hielt daun Der 
Mutter gleichfalls die Sachewur und ſprach, da, 
möge Srischen nun feinen Sohn heirathen oder 
nicht, fo viel gewiß fei, daß-er niemals feine 
Einwilligung zu ihrer Berbinbung mit Heibe 
geben werde, Denn man möge fagen was man wolle, 
die Malerei fei doch immer eine brodlofe Kunſt. — 

Der arme Heide ahndete ed, was vorgegan⸗ 
gen war, dahen wollte ihm Fein. einziger Pinfels 


257 


ſtrich gelingen. Und am Abende trat gleichfalls 
fein Augenblickchen ein, die Derzallerliebfle zu 
fehen. Denn dad Kammerfenfter, das fonft ims 
mer erleuchtet war, fobald Herr Schweppermann 
den Fuß aus dem Haufe geſetzt hatte, das blich, 
heute finfter und blieb finfter; woraus der arme 
Verliebte fchließen konnte, daß fein Widerfacher 
gar nicht ausgegangen fei. — 

So finfter aber dem Maler durch dieſes finftre 
Senfter der Ubend feibft wurde, fo heiter Tachte 
ihn der folgende Morgen an. Schon mit dem » 
Fruͤheſten Plingelte bed Leihbibliothekars Dienfls 
mädchen an feiner Thür und brachte ihm, als 
er gedffnet hatte, ein ſchoͤnes Kompliment vor 
ihtem Herrn, und der Herr Kunftmaler Heide 
möchten doch ſo gefällig ſeyn, ſich baldmoͤglichſt 
zu dem Herrn Lechbibliothekar Schweppermann 
hinuͤber zu bemuͤhen. 


Herr Heide ließ ſich das gefallen. Im ſchlimm⸗ 
ften Falle hatte Herr Schweppermann noch ein 
Paar Grobheiten für ihn auf dem Herzen. Das 
mochte feyn, wenn unfer Verliehter nur, wie er ! 
hoffte, irgend eine Gelegenheit fand, Frizchen ein 
Billet in die Hände zu prafticiren. a 
Flugs brachte er auch ein Paar Zeilen, ihre 
nunmehr böchft nothwendigen, geheimen Zufams 
menkünfte betreffend, gu Papiere, brach letzteres 
winzig klein zuſammen, und ftellte fich dann bei 
Herrn Schmeppermann ein. 0 

Das Billet aber war gang fruchtlos gefchries 
ben. Herr Schweppermann fagte ihm nämlich 
10gleich,; daß er ſich noch recht gut erinnere, wie 
Herr Heide vor einiger Zeit um die Hand feines 
Mandels, Frizchen Tri, angehalten. : Damals 
waͤren der Sache einige Bedenfen wegen feintt 

Geſpenſterbuch 6. Theil. R 








258 


brodfofen Handthierung und fonft in, den Weg 
getreten, die er nunmehr für erlebiget achte. 

Schon fand der junge Maler im Begriff, den 
Mann für diefe fo rechtſchaffene Sinnedänderung 
an fein verliebte Herz zu drüden. Aber er 
unterließ es doch, als jet in Frizchens Perfon 
ein ganz anderer Magnet für diefed Herz ber 
eintrat. Ja, er war undankbar genug, fich bloß 
mit dem Mädchen und der Srau Trick über die 
Sache zu freuen, und Herrn, Schwepyermann 
gar nicht weiter zu berädfichtigen. 

Genau genommen, that letzteres auch weni 
North, wie er fpäter. erfuhr. Ded Vormundı 
plögfihe Sinnedänderung rührte nämlich bloßß 
davon her, daß in der vorigen Nacht ber Mönch 
mit dem Kopfe unterm Urme vor fein Bette 
getreten war, und die Hand drohend gegen ihr 


* aufgehoben hatte. Dadurch war der Erſchrockene 


fo mürbe geworden daß er ſchon in der Mors 
gendämmerung „den Übvofat Schred zu ſich bitten 
Tieß und ihm die Sache vertraute. 

.. Herr Schred wollte nun Anfangs freilich wies 
der, toie zwei Tage früher, den Mönch für ein 
Zrugbild der Schwepyermannſchen Phantafie auss 
geben. Darüber aber ward der Leihbibliothekat 
dermaßen unwillig, daß jener einlenkte und meinte: 
wenn die Erfheinung wirklich flatt gefuhden, ſo 
fei, am ſich vor Fünftigen Beunruhigungen zu 
fiyern, body wohl das Befle, in die Heirath der 


" beiden jungen Perfonen gu willigen. — 


In berFolge ift es freilich an den Tag gefommen, 
daß Herrn Schweppermannd Bifionen durdy eine 


. Eruggeftalt von Frizchens Mutter und dem 


Freunde des Malers Heide, Herrn Schred — jedoch 
sang ohne Borwiffen ded Parchens — veranflaltet 
worden ſind. Schon nach dem verdächtigen Huften 


239° - 


des Advokaten am Schloßthore mügen wohl man⸗ 
de Lefer diefen in Verdacht gehabt haben, 

Daß aber die vorgelefene Sage bloß erfuns 
den fei, jener Zäufchung halber, Täugnet Herr 
Schreck ſtandhaft. Ohne die Wahrheit der Er⸗ 
ſcheinung des Moͤnches in alter Zeit, oder auch 
nur das vormalige, von Vielen ganz bezweifelte 
Daſeyn des erwähnten heimlichen Gerichts vers 
fechten zu wollen, behauptet er doch, die alte 
Handſchrift in den Haͤnden gehabt und die Kopie 
davon, bi& auf einige zur Verſtaͤndlichkeit noth⸗ 
wendige Veränderungen im Ausdrucke, mit ber 
puͤnktlichſten Treue felbft beforgt zu haben. Ganz 
wie die Sage fich befunden, fei fie zu feinem 
Zwecke — deſſen Rechtfertigung ſchwer zu uͤber⸗ 
nehmen ſeyn möchte — paſſend geweſen. 


Noch iſt hier in der Schweppermannſchen An⸗ 


Beltgenbeit binzuzufügen, daß Frizchens Mutter 
hren Aufenthalt nunmehr bei der Tochter genom⸗ 
men hat, und Herr Schmeppermann, wo er ihr 
Hier dem Advokaten einmal auf der Straße bes 


gegnet, alfegeit einen weiten Bogen um fie herum - 


macht. Syn feiner Leihbibliorhek aber, wenn fie 
Sicher holen, da find fie ihm beide vecht ſchoͤn 
willfommen. 
Seit Frizchens Abgange aus dem Hauſe if 
wirklich mancher Kunde aus der Anſtalt weggeblies 


ben ; daher fol denn noch neulich Herr Schmweps 


ermann zu feinem Sohne mit Seufzen gefagt 

ben: Es Fönnte mit unferm Gefhäft ganz 
anders ftehen , wenn ber fatale Moͤnch mit dem 
Kopf unterm Arme nicht geweſen wäre, oder 
werigftend mir damals der Kopf auf dem rech⸗ 
ten Flecke gefeflen hätte! 


— 


R2 








Der rothe Faden. 





Tief in des Obenmalbes finkerm Schweigen 
Wirft ein kriſtallner See verſtohlne Blicke 
Dem Wandrer zu ans hichter Tannen Zweigen, 
Vertraue keiner der geheimen Tüde 
Der Wellen , bie in feinem Schooße rinnen, 
Sie find der Untergang von manchen Glück. 
Hier prangten lange Zeit bie Thuͤrm' und Finnen 
Bon einem Kloſter, reich an irdfcher Habe, 
Und fchöner Himmelsbräute viel barinnen. 
Da wankt in Sturmesnacht am Pilgerflabe 
Ein fchwacher Greis einft nach des Kloſters Mork 
Um Obdach flehend und um milde Babe. 
Allein vergebens rang er an dem Orte 
Die Haͤnd' um Mitleid bei dem eifgen Regen. 
Man wich den Mübden fort mit hartem Worte. 
Kur eine zarte Jungfrau, die der Segen 
Als Braut bes Herrn, noch nicht ber Welt entbun 


den, 
£enore „ fühlt Erbarmen fich bewegen. | 
Doch aus der Andern Sinn iſt's ganz verfchwunden: 
Sie fchlagen lauter, als der Pilger klaget, | 
Der Gütigen mit kaltem Spotte Wunden, | 
Da brauf’s im Sturm: „Ihr Arsen, alfo tragt 
Den Herrn im Herzen ihr, daß ihr dens Winmer | 
Des Breifes fo geringen Dienſt verfager?” Ä 





261 


Drauf ſieht man Funken aus dem Boden fliusmern, 
Und aufgelchoffen. fchnell zu hoben Flammen, 
Sich ſchrecklich woͤlben, ob des Klofers Trümmern, N 

Die finfen tief und tiefer. Zu verrammen | N 
Die Ruͤckkehr ihnen nach des Himmels Blicke, ” 
Schlägt druͤber bald ein Wellenchor zuſammen. r 

Da wandelt trunken von der Liche Gluͤcke k 
Einper den oftverfuchten Pfad ein Ritter 
Und fchrickt, weil hier Fein Klofter mehr, zuruͤcke. 

Allnaͤchtlich ruͤhrt er leiſe fonk bie Bither, | . 
Dann kam, die ihm zu eigen fich ergeben, ; 
Lenore, feine Liebſte, ſtets an's Gitter, N 

Und feine Bruf füllt ein unendlich Beben, 7 
Als keine Spur des Kloſters auszufinden, ' u 
„Wo biſt du, feufst er, mein geliebtes Leben I 

Nun’ tönt es ſchaurig aus des Setes Gründen: 
„Komm morgen Nacht, fawird aus meinem Spiegel 
Ein blutroth Zädlein Dir herauf fich winden.“ 

Dann fchließt der Welle Mund bes Schweigens Siegel, 
Zur Heimath fehleichet er, boch kehrt er wieder 
Die naͤchſte Nacht auf banger Liebe Fluͤgel. 

Verlangend blickt zum See ſein Auge nieder, 
Und wie nun blutroth ſich ein Faden zeiget, 
Durchzittert plönlich Schauer feine Glieder. 

„Lieb‘ oder Tod!“ ruft er jedoch und neigtt 
Die Hand zum Faͤdlein. Kaum vom ihm errum⸗ 


gen N 
Iſt's bie Belichte ‚, fo ber Flut entfeiget- . 
„Dein Laut, fagt fie, if bis zu mir gedrungen; j ’ 


Des Ew’gen Schluß, den keiner je ergründet, 
Hat mit den Schuld’gen mich in eins verichlune 


gen. 
Doch fchuldig war auch ich in Lich’ entzündet, 


Und bin erft durch die Fluten losgeſprochen 
Von dem Geblähde, das guf ewig bindet; 


. en 





—— (|. 


262 


Denn vorbehalten blieb in wenig Wochen 


Der Eid mir, welcher mich von Dir gefchiedem, - 
And fchon hatt’ ich im Herzen ihn gebrochen. 
Nun bin ich, Theurer, Dein im ſtillen Frieden, 
Doch darf ich nur die mitternaͤcht'ge Stunde, 
Nach langem Fledn, Dir zum Bereine bieten, 

Furchtbare Trennung drohet unſerm Bunde, 
Wenn ſpaͤter wir beiſammen ic verweilen, 

Der Faden reißt dann mir jur Todesvunde.“ 

Und mochten Blitze gluͤhn und Stürme heulen, 
Sah nun doch jede Nacht Lenorens Treuen 
Nach bes geheimen Seees Ufern eilen. 

Und immer muß das Wunder fich erneuen : 
Kaum hat das rothe Fädlein er gezogen, 

So darf er fich an Liebchens Anſchaun freuen. 

Und immer iR die Zeit gu ſchnell verflögen, 
Wenn fie, beforgendb des Vereines Störung, 
Hinuntergleitet in die Hleichen Wogen. 

Doch äberfchritten einf fie in Bethoͤrung, 

Durch Liebeshauche, Blick und ſuͤßes Kofen, 
Die ſtrenggemeßne Stunde der Erhoͤrung, 

Gemahnet dann erfi durch der Wellen Tofen, 
Seufit die Gelichte, fich hinunterſenkend: 
„Run if bes Dolch dem Sluͤck ins Her; geſte⸗ 

ßen.“ 

Des Schreckenswortes immerdar gedenkend, 
Befaͤllt den Rittersmann das baͤngſte Zagen, 
In kuͤnft'ger Nacht zum See die Schritte len⸗ 

kend. 

Er fieht den Faden aus den Wellen ragen, 

Doc fchauerlich im Ahndungsweh befangen, 
Will feine Hand ihn nicht gu fallen wagen, 

Allein, bie monderhellten Wellen Fangen 
So mild wie ſonſt; er kann nicht widerſtreben: 
„kieb' oder Tobi” ruft glüpend fein Verlangen. 


263 -, 


Da reift das‘ Fädlein,, wie er's will erbeben 
Und Blut durchfirömer plöglich jede Welle, 
„Das iR das theure Blut von ibrem Leben! 

Dein will ich bleiben!” ruft er, und zur Stelle 
@türst er hinunter, ihr fin Wort gu bürgen, 
Da wird das blut'ge Waſſer wieder heile, 

‚Wie ihr's noch dent etſchaut bei Neuenkirchen. 




















268 


Um mich indeß erfenntlich zu eigen, 
Will ich mit Steinen, wader und fchn, 
Die Lieben, Getreuen reichlich verſehn.“ 

Geſagt, gethan! Die ganze Naht - 
Werden Steine durch ihn, herbeigebracht. 
„Ei,“ denkt der Wächter , ber fich verborgen, ⸗* 
„Mein feiner Here Urian, ſchoͤnen guten Morgen, 
Dasmal taugte, fuͤrwadr ‚euer Schluß 
Gerade ſo viel, wie eine taube Nuß. J 
Ja, wollt’ ich mir das Maul verbrennen, 
Könnt’ ich darob euch felber Dumm nennen.’ 

Der Rath erfuhr's, cd erfuhr's die Stadt 
. Und jedermann lachte fi ch trefflich fatt ; 
Denn allen fchien der Gedank' erlabend. 

Doc war ‚noch nicht aller Tage Abend. 
Der Bater der Lügen, als er einc erſchaut, 
Dog man in Form eines Kreuze baut⸗ 
Der er von jeher nicht gewogen, 
Merkend wie fehe er fich heirogen,: :- - 
Kommt berbei mit: einem fchredlichen Belöachuen 
Und daͤlt fo über dem Dome fill. 
„Wart't,“ ruft er drohend da, „ich will 
Euch lehren Kirchen nun gar noch bauen, 
Aus Steinen die unfereins zugehauen! 
Geht hier den Fels in meinen Krallen, 
Den laß’ ich auf das Kirchlein fallen, 
So ihr erfchufet mit ſolchem Fleiß, , 
Und hin if im Nu euer faurer Schweiß 5 
Denn getroffen von fo artigem Steinchen 
Bleibt an der Kirche Fein ganıes Bcheinchen.” 
Daranf eilte alles. Volt berbei, - “ 
Erbebend ein Jämmerlich Zetergefchrei, 
Blebt es: „Herr laflet den Dom vollenden - 
„Mad legt den bäßlichen Fels aus den Händen!” 
„„Gut,“ fagt der Teufel, „fo baut benn, baut, 


n 





De" 


. 
266 

pr wißt, Ich bin eine gute Haut; 

Doch ſeib auch Ihr dafür fein billig, 

Und fent mir Daneben ein Weindaus, fü will ich 

Vergeſſen ſeinetweipn In Onaden 

Den gar nicht zu” berechnenden Schaben, 

Der meinem Reich’ aus der Kirch’ erwaͤchſt, 

Die ihr mir da auf die Naſe Heckſt. 

Doch erfidrt euch ſchleunigſt, ihr lieben Leute, 

Denn mein Fels wi herunter mi Macht aufs Ge⸗ 
2 baͤude.““ 


Und um des heiligen Domes willen 


Muͤſſen fie ſchon feinen Wunfch erfüllen. 
Kopfweg!“ wuft er darauf und läßt vor allen 
Leuten den Fels daneben fallen. 
Der ſtuͤrzt halb in den Boden hinein 
Und Heiget nad ihm ber Lügenftein. ‘ 
Dran haftet: die Bpur bis diefen Tatz 
Wo des Teufels glänende Kralle Tag, 
Tach rafft fie ‚Sonntags der Kirchingemeine 


"Gar manchen hinweg und führt ihn su Weine, 


‚ 
t 
) 


— — 


IV. 


. . 
« . . ‘ a} - 


Est in g en, 
aebradt bei J. ©; Helfferidh 1848. 


W underbug, 


x 


Herausgegeben 
von 
Sriedr. Bar. de la Motte Fouqué 


und 


4 ' 
Rriedrih Laun. 


Drittes Bänden 


DE a ET TEE Du 2 
Geuttgart, 
bei A. 5. Macklot. 18410. 


4 
: . 
t 266 
pr mißt, ich bin eine gute Haut; 
Doch feid auch ihr dafür fein billig, 
Und ſetzt mit daneben ein Weinhaus, fo will ich 
Vergeſſen feinettvegen In Gnaden 
Din gar nicht zu” berechnenden Schaden, 
Der ineinem Reich’ aus der Kirch” erwaͤchſt, 
Die ihr mir da auf die Naſe kleckt. 
Doch erflärt euch ſchlennigſt, ihr kieben Leute, 
. Denn mein Fels wi herunter mit Macht aufs Ge⸗ 
, * baude/ # 
Und um des heiligen Domes willen 
fr . Müffen fie ſchon feinen Wunfch erfüllen. 
—R J Eopfweg!“ ruft er darauf und laͤßt vor allen 
J Leuten den Fele daneben fallen. 
J Der ſtuͤezt halb in den Boden hinein 
' Und peifet nad idm ber Lüͤgenſtein. 
Dran haftet die Spur bis diefen Tatz / 
Wo des Teufels gläpende Krafic lag. 
D . Nech rafft ſie Sonntass der Kirchengemeine 
Gar manchen hinweg und führt ihn zu Weine, 





2 * 


Edlingem 
sehradt bei 3. ©; Helfferich 1818. 
.. 





Bunderbug. 
- 


U 1 I 5 


ı Herausgegeben 
von 
Sriedr. Bar. de la Motte Fouqué 


und 


a 
Frited rich Laun. 


Drittes Binden 


— TER 202 
Stuttgart, . 
bei A. 5. Madlor. 1816. 








! 








Dorrede 





Laun, hat ein viel zu früher Tod den mir 
ewig theuern Apel verhindert, in dieſem 
dritten Baͤndchen des Wunderbuchs die Ders 
pflichtung zu. erfüllen, welche er auf meine 
dringende Bitte überhabm und in einerBors . 
rede zum zweiten Bändchen oͤffentlich nus⸗ 
fprac), Unter diefen Umftänden war es mir : 
„um ſo erfreulidher, Daß zwei von dem ges 

fiebten Verewigten inniggefchägte Freunde, 

welche er bereits ur thärigen Theilnahme 

an dieſem Werke aufgefordert hatte ‚meiner 
Eiuladung dazu ihr Gehör nicht verweiger⸗ 
ten. Der hochgeehrte Name des nunmeh⸗ 
sigen Mitherausgebersmird, wieid 
hoffen darf, mis im Voraus Verzeihung 
auswirken , daß ich es magen fonnte, nad) 
Apels Hintritte noch an die Fortfegung des 
Wunderbuchs zu benfen. 

Dresden im April 1817. 


3. Laun. 


, r 
ER 0 


8 au h a 1 


Die drei Templer, ont. Mi Bi". 
Der Liebesring, von 5 .. KL . 
Die Jungfrau des Poͤhlberges, v. 5.2. - 
Der Bergmoͤnch, von Br. d. Miltu 
Die: Fraͤulein vom See, d. F.L. 
Muhme Bleich, von Br. v. Mit . - 
Friedbert, von demſelben 


Altmeiſter Edrenfried und ſeine Zawilie, 
von 8. Mm. ep er 


. “m 


.. 
mt 
> 
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40 


.. . 








Die brei Templer. 


“is 





Di Nacht Tag tief über ben Gebirgen des 
ſchotti ſchen Hochlanded. Nitter Gualternd, em 
edfer Provenzal, ritt einfam durch die Thäler 
hin; bieweilen warb es ihm, als mäffe die felt 
Jahren nicht erſchaute Veſté der fchönen Gräfin 
Edilbertha ganz nahe bei ded Weges naͤchſter 
Windung ihm vor Augen fliehen; dann wieder 
fam es ihm vor, als fei er durch ein gaukelndes 
Hexen⸗ und.Koboldenfpiel ganz weit hinaus in bie 
allerentferntefte und unbewohntefte Gegend biefer 
wunderlichen Bergesforften verbannt. ' 
„Mag es fih doch fo oder anders damit vers 
halten!“ fagte er endlich leiſe aber entfchloffen in 
fi hinein. „Nur daß ich erſt erführe, ob ber 
Sinn der hohen Frau noch eben fo gegen mich 
geftelle iſt, als vordem! Ob fie mich noch wuͤt⸗ 
dig Hält, zu forechen, wie damals: „edler Rit⸗ 
ter Qualterus , reitet für mich gen Welſchland, 
und vollführt das ernfle Gericht am Herzog 
Rotaldo; der Sieg iſt moͤglich; wahrſcheinlich 
Gefpenfierbuch 7. Theil, 4 


--. . . “ . 2 


indeffen der Tod; doch weiß ih: wo Bott und 
reine Stauen winfen, fehlt es an Euerm guten 
Arm und Schwerte nicht!” — D was gu jener 
Zeit der feligen Freude viel aufging in meinem 
Herzen! Und wenn ed nun anderd geworden 
wär'!” 

Eine recht furchtbare Beklemmung zog ihm 
die ſonſt fo ſtarke Bruſt zuſammen. Zwar er—⸗ 
muthigte er ſich mit dem Gedanken: „nun, du 
haft doch auf: deinem Zuge wahrhaftig nichts 
„wider Nitterehre uud Srauenwerth gethan; wie 
kann ;denn Edilberthas fefler, frommer Sim 
‚ fd) abgewendet haben von deinem reinen, ehr: 
harlichen Dienſt!“ 

Aber. bie Ängfligenben Sedanfer wollten gar 
micht von ihm lafley, fo oft er fie auch vers 
‚lachte, und endlich im faſt uͤbermuͤthigen Hohne 
‚ben; ehrnen Handſchuh von der Linben zog, und 
damit um ſich ſchlug in die Luft, als wolle a 
Wuͤſtes, thoͤriges Nachtgefluͤgel verſcheuchen. 

Fr Da rauſchte ihm ein wunderliches Wallen 
‚und Mandeln, und Wirbeln entgegen, und eine 
‚feltfame Stimme — eben von der Seite ber, wo 
ex hingefchlagen hatte — fagte: 1 
Guten Abend, Herr Ritter, 
Guten Abend! 

Und iſt Euch ſo bitter 

Des Lebend Ssimme, 


.4 


5 


Doch iſt Euch bisweilen ſehr labend 
In ihrem wechſelnden Lachen und —* 


Des Lebens Stimme. ti 
Drum lachen wir: all Euch aus, 
Euch-aus, W * 


Im wechſelnden witzigen Graus: wo. 
„Wer da?“ rief Gualterus. ‚mit Präftigem 
Kampfeston, und hatte im felben Augenblicke 
den Eifenhandfchuh wieder an der Hanb, und 
die Hand am Schwert: Da lachte «6 nur 
noch wunderlicher aus den Gebäfchen, aber frei⸗ 
lich etwas ſcheu; und nach und nach verzog 


ſich das Lachen, und immer mehr und mehr in 


die Ferne vethollend⸗ ward am Ende gann⸗ 
lich ſtill. 

„Wunderbar ſagte darauf Gualterus laut 
vor ſich hin⸗ „Als mich Graͤfin Edilbertha hin⸗ 
ausſandte auf die italiſche Fahrt, wagte keiner 
aus dieſen ſchottiſchen Bergkobolden es, mich zu 
verlocken und zu verhoͤhnen; und nun find fie 
mit einem-Male fo wunderlich dreift geworden. 
Ach, das ift wohl. Fein gutes Zeichen für mich?" 

Er. feufgte recht fehr tief und herzlich bei 
dieſen · Worten. Da lachte es wieder Taut und 
aanz nahebei, welches er jedoch ohne Zweifel 
für eine Menfchenflimme erfennen mußte. Und 
hervor aus den Zweigen trat eine hobe, ſchlanke, 
braungelbe Dianneögeflalt, eine Fackel in der 

42 


WEEZE 


— — — 


Dand, welche das gewiſſermaßen ſchoͤne, ab 
recht ſcharfe und ſchon vom greiſenden Haup 
baar und Bart umwallete Antlitz beſtralte. Ci 
ſchoͤnes Manlthier am blanken, mit goldne 
Ningen verbraͤmtem Zaume, folgte gebuldig «a 
des Stemden Hand. 
Hoͤflich orũbend, fagte die unerwartete Ei 
ſcheinung: 
„Was aberraſcht Euch denn ſo ausnehmen 
an mis? Sch bin ja eben Fein Andrer, ald dei 
welchen Ihr (don in Welfchland fandet. Di 


‚.fogenannte Abentheurer Gualfredo bin ich, der 


ſelbe, vor deſſen ungeſtuͤmem Angriff Herzog Ro 
‚taldo in fein. Todeßblut fanf, etwa ein drei, 
vier Wochen, bevor Ihr dahin gelangen Fonntet, 
‚bie verheißine That wider ihn auszuführen. Nun, 
„bat es nicht Gualterus, that es doch Gual 
ftedo. In der Hauptſache ſollte man denken 
wWaͤre dad immer ganz einerlei!“ 

Der Fremde lachte heil und heiter auf, nid 
etwa auf eine boshafte MWeife, aber denn 
‚Compte der Provenzal es nicht über ſich g 
‚men, daß er mitgelacht hätte, ober auch nur 
‚Mund dazu verzogen. Da hörte der Fremde 
»plögfich zu lachen auf, wiegte das ſtolze Hanf 
wie fragend hin und ber, und fagte endlich: '; 
. ?uD Gualterus, Ihr feid bei weiten n 
‚nichtder- Mann, für den ich Euch hielt. Wi 


ih mir body ein — nach Allem, was man von 
Euch erzäßlte, und was ich noch vor wenigen 
Tagen durch die ſchoͤne Gräfin Edilbertha felbk 
von Euch erfuhr, — bildete ich mir doch ein, Ihr 
wäret fo ein Achter Spiegel aller edlen Ritters 
(haft, daß Euch zwar fehr viel daran läge, was 
in der Welt vollbracht würde an wahrhafter That⸗ 
berrlichkeit, nicht aber wie viel davon in Eure 
eigne Feine Schaafe zu liegen kaͤme Unb nun 
murret und aͤchzt Ihr, weil ed der Gualftedo ift 
und nicht ber Gualterus, der den böfen Herzog 
Motaldo verdientermaßen erfchlagen hat. Ermans 
net Euch, Herr Ritter, bamit Ihr Euer felbft 
würdig bleiben möget.‘’ 

Und etwas unzufrieden audfehend, zog er 
fin Maulthier auf einen nahen Fußſteig hinauf, 
ſchwang fich, die Fackel loͤſchend, in den Sattel, 
und srabte,, ch’ noch Gualterus eined Wortes 
mächtig werden Fonnte, davon, 


— — — 


„Was iſt es denn num mit mir? Und hat 
nicht der wunderliche Fremde Recht ? Und bin ich 
es denn noch werth, heute vor bad Antlig der 
Graͤfin zu treten, laͤge auch ihre Burg ganz nahe 
und heil, mit offnen Pforten und geſenkten Zug⸗ 
hruͤcken mir gegenüber 7” 

So zürnte Gualterus wider fich felbft, und 


Er 2 ze 


> 





wohl gar nicht mit Unrecht. Er ſprang vom 
Noß, entflangte es, und Inüpfte es mit dem 
Yalftertiemen an einen Eichbaum, fo daß es 
Raum und Gemädjlichkeit zum Grafen und Lagern 
behielt. Dann ſtreckte er ſich tieffinnig auf den 
Soden nieber- 
Wer ift der Sämgnn , dachte er, ber fo 
haͤßliches Unkraut in mich hinein freuen durfte? 
Unkraut ber Eigenehre und des Neides! Wahr: 
Bafısg, Gualterus, das hätte dein feliger Wafı 
fenmeißter nicht von dir geglaubt, und nod 
minder hätteft du es ſelbſt geglaubt.” 
* Wieder lachten die Kobofde aus den Berg 
Holen und Gebuͤſchen, und einige fangen : 
„Du fragft, wer ed gewefen, 
Wer es fih hat erdacht ? 
Gualterus ifl’6 gewefen 
Der hat es fich erlefen 
Aus eignen Geifted Schacht. 
Gualterus , flolger Ritter, 
Ei, ſchmaͤht nicht allzubitter 
Auf folcherlei Gedanken! - 
hr habt fie ſelbſt erdacht.“ 

„Das iſt nicht wahr ! das habt ihr erfogen !" 
rief Gualterus Fräftig dazwiſchen, und die An 
Holde lachten wohl noch, aber dad Lachen wir 
dennoch wieder zuruͤck, und verflummte endlich 
in unſichter Scheue ganz und gar. 


2 

„Ach, wenn mich Niemand auslachen dürfte, 
ald ihr!“ dachte Gualterus. „Aber mit Gual⸗ 
fredo’8 Auslachen ift es weit ein andred und 
beventlichered Ding.’ 

Er Fonnte von dieſem Einen Gegenſtande 
ſeines Sinnens gar nicht abkommen, und mußte 
ihn doch eben ſo wenig zu ſeiner Beruhigung 
und Zufriedenheit zu löfen. Am Ende — wie 
es wohl in dergleichen Fällen zu gefhehn pflegt — 
erbarmte ſich der Schlaf über ihn, und ſchloß 
ihm Augen und Gedanken zu, 





Über — wie ed gleichermaßen wohl auch zu 
gefchehen pflegt — es zogen häßliche Träume 
und Gedanken über ihn heran. Ihm ward, als 
fähe er den jungen Herzog wein , feit Edilbers 
thas fruͤhem Wittwenſtande ihr zum Braͤutigam 
erleſen, unter den Hufen eines wilden, ſchnau⸗ 
benden Roſſes todtwund liegen, und auf dem 
Roſſe ſitze Gualfredo, und lache eben ſo unbefan⸗ 
gen dazu, als er nur noch vor kurzem gelacht 


hatte. — Dann woͤlbte ſich wieder auf einmal . 


ein prächtiger Dom in vieldurdfchfunaner Ver⸗ 
zweigung rings umher, und Ritter Iweins Bahre 
ward in eine Gruft gefenft, und derweile flanden 
Edilbertha und Gualfredo , zur Einfeguung fertig, 
vor dem Altar. Im zornigen Yuffchrei faßte 


re. — 


no 


Dust. d 


4 


Hand, welche das gewiſſermaßen ſchoͤne, 
recht ſcharfe und. ſchon vom greifenden Hai 
Baar und Bart ummallete Antlitz beftralte. 
ſchoͤnes Manlthier am blanfen, mit golı 
Ringen verbrämtem Zaume, folgte geduldig 
des Stemden Hand. 

Höflich gruͤßend, ſagte die unerwartete 
ſcheinung: | 

„Was uͤbetraſcht Euch denn ſo ausnehn 
an mis? Sch bin ja eben Fein Andrer, ald N 
welchen Ihr (don in Welfchland fander. L 


‚.fogenannte Ubentheurer Gualfredo bin ich, N 


ſelbe, 907 deſſen ungeſtuͤmem Angriff Herzog 
‚taldo in fein- Todeßblut fanf, etwa ein dr 
vier Wochen, bevor Ihr dahin gelangen Fonntı 
‚bie verheißne That wider ihn auszuführen. Nu! 
„that ed nicht Qualterus, that es doch Gua 
fredo. In der Hauptfache ſollte man denk 
‚wäre bad immer ganz einerlei!“ 

Der Fremde lachte heil und heiter auf, nil 
etwa auf eine bodhafte Welfe, aber denne 
Tomte der Provenzal ed nicht über fidy ga 
‚men, daßer mitgelacht hätte, oder auch nur N 
‚Mund dazu verzogen. Da hörte der Fremde: 
plögfich.zu lachen auf, wiegte bad ſtolze Hau 
wie fragend bin und ber, und fagte endlid: 
ET >) Gualterus, Ihr ſeid bei weitem nt 
nich ber Mann, für den ich Euch hielt. Ki 





9 
ſelben, und ließen der jungen Sonne Raum, bie 
auch alsbald hellfröhlich über Felshaͤnge und Wie⸗ 
ſenmatten beranftrahlte. 

Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg. 

Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm 
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗ 
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo 
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen koͤnnen, trat ihm 
nur kaum inſden Sinn. Es war faſt, als hätte 
Gualfredo dieſes Geſchaͤft als ein pflichtſchulbiger 
Knapp’ oder Reiſiger bed kuͤhnen Gualterus noth⸗ 
wendigerweiſe beenden muͤſſen. 

Der Thuͤrmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗ 
genlichtern ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf 
einem Balkone ſichtbar. Sie gruͤßte freundlich, 
auf klirrten die Thore, und uͤber donnernde Zug⸗ 
druͤcken ſprengte Gualterus in den Hof. 


ng 


Nun ftand er oben vor ber edlen Srau, und mit 
ehrender Milde bedauerte fie, baß ihm Gualfredo 
den Sieg über den argen Rotaldo vorweg ge 
nommen habe. Ein trüber Unwille flammte yon 
Neuem in des Provenzafen Gemüth empor. 

„Es iſt wahr, forach.er, der Abentheurer, 
ben man Gualfrebo nennt, hatte dad Gluͤck, 
dem Herzog Motaldo zu begegnen, als dicfer, 
ganz in neue Frevelgedanfen vertieft, von feiner 





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Gualterus an ſein Schwert; — da wich der 
Traum von ihm, und duͤſter und wunderlich ſahen 
bie Waldbaͤume und die aufſteigenden Morgenne⸗ 
bel drein. Er ſelbſt aber zuͤckte ſein Schwert, 
ſchlug damit gegen den Schild, woraus ſich immer 
ein ganz ſeltſamer Wohlklang zu erheben pflegte, 
and fang folgende Worter- 
"uhr Geifter mit taufend Augen, 
Ihr Sterne durch wolfige Nacht! 
Was ich mag Guted taugen, — 
"Habt ihr das wohl bedache? — 
Ihr lächelt herunter und blinfet, 
Als dient’ ich eud) zum Spiel. 
Doch wie ihr ſchuͤttelt und winfet, 
Ich fann des Beffern viel. 
Ich ziehe mir eigene Bahnen — 
Ihr laufet gezügelt und blind — 
\ Ich Habe gewaltige Ahnen, — 
Ihr habt nicht Vater noch Kind. 
Ihr müßt euch nur nicht überheben, 
Ihr Stern’, im geficherten Lauf! 
. Dann ſchaut man im Wechfelleben 
Richt freundlich zu euch hinauf. 


Es war beinah, als ob die Sterne ſich ordent ⸗ 


ich etwas beſchamt gefunden hätten Aber Gualte ⸗ 
rus Lied. Gig verdleichten gegen dab Ende defs 


9 
felben,, und ließen der jungen Sonne Raum, bie 
auch alsbald hellfroͤhlich über Felshaͤnge und Wie: 
ſenmatten heranſtrauhlte. 

Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg. 

Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm 
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗ 
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo 
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen koͤnnen, trat ihm 
nur kaum inſden Sinn. Es war faſt, als hätte 
Gualfredo dieſes Geſchaͤft als ein pflichtſchuldiger 
Knapp’ oder Reiſiger des kuͤhnen Gualterus noth⸗ 
wendigerweiſe beenden muͤſſen. 

Der Thuͤrmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗ 
genlichterr ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf 
einem Balkone ſichtbar. Sie gruͤßte freundlich, 
auf klirrten die Thore, und uͤber donnernde Zug⸗ 
druͤcken ſprengte Gualterus in den Hof. 


— 


Nun ſtand er oben vor der edlen Frau, und mit 
chtender Milde bedauerte fie, daß ihm Gualfredo 
den Sieg über den argen Rotaldo vorweg ge: 
nommen babe. Ein trüber Unwifle flammte yon 
Neuem in ded Provenzafen Gemuͤth empor. 

„Es ift wahr, ſprach er, ber AUbentheurer, 
den man Gualfredo nennt, hatte das Gluͤck, 
dem Herzog Rotaldo zu begegnen, ald dieſer, 
ganz in neue Frevelgedanken vertieft, von feiner 


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m. \ Br 


für heut, 


420 


Felſenburg hinauszog mit leichtem, reiſtgen Ges 
folge, immer in die kuͤhnverſchlungenſten Thaͤler 
ſuͤdwaͤrts hinein, immer dem Meerſtrande zu, 
und nur auf den ganz allein Acht habend, — 
und da fiel Gualfredo's Geſchwader uͤber ihn 
her, und aus der uͤberraſchenden That bluͤhete 
fuͤr den beinah noch uͤberraſchteren Sieger ploͤtzlich 
die Blume der Ehren empor.“ 

„Faſt auf aͤhnliche Weiſe hat es mir ber 
Ritter, den Ihr einen Abentheurer nennt, auch 
erzaͤhlt;“ entgegnete ſehr ernſthaft Edilbertha. 
„Nur daß er noch vorher von Euern Helden⸗ 
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualterus, 
wodurch hr den Gegner in ſolche Scheu vers 
fett hattet, daß er fih von bemi Gebirge, Euerm 
eigentlichen Zummelplaße, gänzlich abwendete, 
und nur auf Thaten am Meerfirande dachte, 
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht. 
Und da 'rühmte es denn Gualfredo gar fehr, 
daß Ihr es waret, denn man zu banken habe 
für den aottbegünftigten Ausgang, ber gerechten 
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goldne 
Kette, Die ich Dem Sieger und Raͤcher beflimmite, 
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll; 
kommen gebührt,’ 

Und fie ſchlang daB leuchtende Geſchmeide 
um des knieenden Nitterd Hald, und entließ ihn 


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41 
Aber wie brannte bie herrliche Gabe. auf 


Gualterus Bruft! Wäre fie nicht von Edilbers 


tha's Dand gefommen , er hätte fie wohl, ın fürs 
mifcher Unzufriedenheit mit fi) und aller Welt, 
zerriffen, und die goldnen Ringe einzeln über 
den Waldboden hin verftreut. Er fprengte nach 
der Burg bed tapfern Walterd hin, eined Zus 
gendfreundes, den. er auf einer Kreuzfahrt nach 
dem gelobten Lande hatte kennen lernen, und 
dem zu Lieb' er vor drei Jahten den erſten Zug 
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doch 
damald zu Haufe zu treffen. — „Nun wird er 
mich nach der goldnen Kette fragen,’ murrte er 
in fich hinein, ‚und wird mir Gluͤck dazu wüns 
ſchen, und ich habe gleich bei der erften Zuſam⸗ 
menfunft nichtd. ald eine widrige Beichte abzu⸗ 
flatten , denn lügen Tann body nun Meinedgleis 
hen ein für allemal nicht.“ 

Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung 
des Bergweges, und entgegen auf feinem ſchoͤnen 
Maulthiere, nachläffig der Queere im Gatte 
ſitzend, Fam ihm Gualfrebo, und begrüßte ihn 
wit ausnehmend heiterm Lachen. 

Eine Weile ſtill haltend, blidte ihn Gualte⸗ 


ud an, ganz wie verfleint, Aber nicht lange, 


fo hatte alled Aechte und Gute in feinem Gemüt‘ 
die Oberhand gewonnen , und er fagte voll 
Demuth und Fräftiger Reue Alles heraus, was er 


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für heut, 


420 


Felſenburg hinauszog mit leichtem, reiſtgen Gi 
folge, immer in die kuͤhnverſchlungenſten Thaͤle 
ſuͤdwaͤrts hinein, immer. dem Meerfirande ;ı 
und nur auf den ganz allein Acht habend, - 
und da fiel Gualfrebo’d Geſchwader über ik 
ber, und aus der überrafchenden That bfükr 
für den beinah noch überrafchteren Sieger plöglid 
die Blume der Ehren empor.‘ 

„Saft auf Ahnlihe Weile hat es mir de 
Ritter, den hr einen Abentheurer nennt , auf 
erzählt ;”’ entgegnete fehr ernſthaft Edilberräe 
„Nur daß er noch ‚vorher von Euern Helden 
thaten viel zu berichten wußte, Herr Qualteruf, 
wodurd hr den Gegner in ſolche Scheu ber: 
feßt hattet, daß er fih von dem Gebirge, Enerm 
eigentlichiten Zummelplage, gänzlich abwendete, 
und nur auf Thaten am Meerſtrande datt, 
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht. 
Und da rühmte es denn Gualfredo gar ſehr, 
daß Ihr es waret, denn man zu danken hal 
für den aottbegünftigten Ausgang, der gerechten 
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goldte 
Kette, die ich Dem Sieger und Raͤcher beftimmtt, 
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß vol’ 
kommen gebührt,” | 

Und fie ſchlang daß leuchtende Gefchmeit 
um des knieenden Ritterd Hals, und entließ ib? 


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18 


Yugendtreiden in feinem Geifte auf, Bald wieder, 
ald hebe Edilbertha die ſchoͤne Hand ernſtidarnend 
empor, und koͤnne Gualfredo, aller Mühe unges 
achtet , nicht wieber in fein voriges, harmlofes 
Lachen Fommen. 

„Ed find die Kobolde diefer Berge!” fagte 
Gualterus in ſich felbfthinein,, kaͤmpfte den wun⸗ 
derlichen Streit ſeines Innern nieder, und ſtand 
ploͤtzlich an Walters Hand ſtolz und freudig in 
des koͤſtlichen Rittermahles Mitten. 

Von allen Seiten hoͤflich und treuherzig, ja 
beinah ehrfurchtsvoll bewillkommt, — denn der 
Ruf ſeiner Thaten war groß und herrlich, — ward 
ihm bald wieder ganz keck und friſch und zuver— 
fichtlich zu Sinne. Er leerte einen Becher auf 
den andern, und endlich war ihm Alles, was mit 
dem Andenken des Herzog Rotaldo Störendes zus 
fammenhängen mochte , fo ganz und gar leicht und 
heiter geworden, baß er auf die erſte Frage Wal⸗ 
ters, warum er denn eigentlich wider Jenen nach 
Welfcyland. gezogen fei, ganz unbefangen der Zifchs 
geſellſchaft Folgendes zu erzaͤhlen anhub: 

„Es liegt in dem appenniniſchen Gebuͤrg ein 
wunderſames Kloſter, aus dem ſeit undenklichen 
Zeiten immer alle hundert Jahr ein Ritter hervor⸗ 
gegangen iſt, ein mit Zauberkraͤften begabter, 
ganz entſetzlicher Ritter, welchem Niemand zu 
widerſtehn vermochte, und in deſſen Gemuͤth die 


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— 








14 
h und Andern gewohnten Bedenflichfeiten von Nedjt 
* und Unrecht auch nicht den mindeſten Raum zu 


finden ſchienen. Vergeblich trachteten Abt und 
Mönche darnach, ſich untereinander — vorzuͤg⸗ 
lich wenn jener bedrohliche Zeitpunkt heranna⸗ 
hete — immer in den froͤmmſten und moͤglichſt 
geſetzlichen Schranken zu halten: immer um die 
beftimmte Zeit brach Einer von ihnen ald ber 
furchtbare Ritter los, und wüthete beinahe graͤß⸗ 
’ licher, als man ed je von Heidenrittern und 
‘ Raubfchiffern in den Afteften Hiſtorien und Lies 

dern vernommen bat. 
„Da gefhahe ed vor einigen Jahren, daß 
4 Herzog Rotaldo, ſchon laͤngſt durch die abſcheu⸗ 
lichſten Thaten beruͤhmt oder beruͤchtigt, eine Luſt 
bekam, ſich zu beſſerm Erfolge mit ſolch einem 
wunderlich verfehmten und verhexten Kloſterritter 
an verbuͤnden. Er ſprengte gegen die Mauern ber 
geweihten Stätte hinan, fließ mit der Lanze wi» 
der bad. Thor, und rief in einem fort: „ſchickt 
; mir einen tollen Zauberritter heraus! ſchickt mir 
einen tollen Zauberritter heraus!” — Bergebs 
lich erinnerte ihn der Abt an bie Gottloſigkeit 
' eincd ſolchen Betragend , und bat ihn, davon 
abzufichn ; vergeblich betheuerte er, es fei Gott⸗ 
lob dergleichen verherter Menſch Jegt gar nicht 
"im Klofter, und habe es ſchlimmſten Falles das 
mit noch fiebenzig Jahre Zeit, indem der legte 


15 


von bdiefer Art vor faum erft dreißig Jahren in 
die Welt binausgebrochen fei, — Rotafdo wollte 
durchaus von keinet Entſchuldigung hoͤren, und 
erklaͤrte endlich, in feinem rafenden Uebermuth 
dem ganzen Kloſter auf Leben und Tod die blu⸗ 
tigſte Fehdde. 
5 „Nun,“ ünterbradh ihn Walter, das fann ich 
ſelbſt ihm nicht fo ganz und gar verdenfen. 
Wenigſtens mit der maͤnniglichſten Drohung und 
Kraft haͤtte ich drauf beftanden, daß fie mir 
einen fo tollen Zauberferl zum ‚Kumpan, herdei⸗ 
ſchaffen müßten. ' 

„Sie konnten es ja aber nun einmal nicht „“ 
entgegnete Gualterus eımaß ungebuldig , „und 
überhaupt brauchſt du die fhlimme Sache nicht 
noch ſchlimmer zu machen, denn in dem Kloſter 
übernachtete grade dazumal ein Mutterbruder der 
Gräfin Edilbertha, der ald Pilgrim, durch die 
Lande 309, und da Herzog Rotaldo in toller 
Wurh ohne Säumen Geuer an das Klofier 
legte und chwefelbrände hineinwarf, verbrannte 
er bei feinem wilden Anlauf ben eblen Pilger 
mit.“ | u 

„Und die fänfte Edilbertha,“ laͤchelte Wals 
ter hoͤhniſch zurüd, „fand ed für noͤthig, daß 
du deßhalb in’ die italiſchen Lande hinausfahren 
mußteft, um den Rotaldo zu erfchlagen. 

„Seid Ihr Schostländer,‘ brach Qualterus 





KA —— — er 


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46 


zornig aus, „und kennt Euer eignes Reche ber 
Blutrache nicht ? Edilbertha's Bräutigam ruͤſtete 
fich zum Rachewerk, und da war es doch wohl 
beſſer, daß ich mich daran machte, ich ziemlich 
einfamer, und auf den Fall ded Niederflürgend 
gewiß fehr unbeweinter Menſch!“ 

„und Edilbertha — lachte Walter aufd nene 
azwifhen. — Edilbertha fand das Alles fo 
secht ausnehmend bequem! Und den Abentheurer 
Gualfredo Hatte fie wohl auf gleiche Art am 
Seile. Eine ſchoͤne Gefsannfchaft ‚ die fie dir da 
auderforen hat! O Ihr Löwen, Wann werdet 


Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winfe der 


Zauben zu fechten, damit der Zauber recht ficher 
und fe umberflolzieren könne im geficherten 
Schlag, als ein gar gewaltiger und unbezwing» 
Ticher Held!" 

Gualterus , feinen Wirth etwaß unzufrieden 


anſchauend, fagte nad} einigem Schweigen : 


„Spötteleien über Edilbertha und ihren edlen 
Liebling und Bräutigam wein bin ich eben nicht 


gewohnt, ruhig anzuhören ;- auch den Nitter 


Gualfredo, da fie mit Achtung von ihm redet , laß 


ich nicht ſchmaͤhen. Bon bir aber, der du mir 


fo etwad von felder anmerken Fonnteft, wenn du 
gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für ale 


mal, und redht firenge. 


„Ei, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der zorn⸗ 


17 

gluͤhende Walter ein. „Auch du konnteſt merken 
ſchon von unfrer Kreuzfahrt ber; daß ich mir 
ſolche Zurechtweiſungen nicht gefallen laſſe. Und 
ſomit, ihr Knappen, räumt die Tafeln aud ber 
Halle, und ihr, edlen Säfte, nehmt ringe an 
den Wänden eure Sige, denn ed hat hier eine 
Zunge viel zn dreift gefprochen, und da müffen 
die ftählernen, feharfen Zungen heraus.“ 

Gualterus neigte ſich mit flolzer Bejahung, 
und aldbald war der hochgewoͤlbte Sual zum 
Kampfplak umgeflalter, und Wirth und Gaft 
traten einander als zwei’ 'erzürnte Fechter mit 
blanken Klingen gegenuͤber. 

Da humpelte ploͤtzlich voll ſeltſamer Behen⸗ 
digkeit ein kleines, altes, runzliches Maͤnnlein, 
dem Knappen nnd Reifige mit einer ſeltfamen Ehr⸗ 
furcht auswichen, durch die Thür, und ſtellte ſich 
zwiſchen die beiden Ritter, ſo daß es Jedem von 
ihnen den Anfall wehrte. 

„Hauskobold,“ ſagte Walter gelaſſen, „du 
weißt, daß ich ſonſt, dem Beiſpiel der fruͤhern 
Schloßbewohner gemäß, dich in Ehren zu halten 
pflege , ‚aber Bier chuft du am beſten, wenn bu 
Dich bei Zeiten davon machſt. Dinge, wie wie 
ie Bier mit einander vorhaben, verſtehſt du nun 
einmal nicht. 

Aber der eleine- Hauskobold (denn bieſe Stelle 
zekleidete er wirklich feit einigen Jahrhunderten in 

Sefvenfierbud 7. ii. . 8. 


46 
/ -  zornig aus, „und Zennt Euer eignes Recht 
5 Blutrache nicht? Edilbertha's Braͤutigam rn 


ſich zum Rachewerk, und da war es doch w 
beſſer, daß ich mich daran machte, ich ziem! 
einfamer, und auf den Fall des Niederflürz 
gewiß fehr unbeweinter Menſch!“ 

And Edilbertha — lachte Walter aufs w 
azwifhen. — CEdilbertha fand daB Alle‘ 
secht ausnehmend bequem! Und den Ubenthen 

Rn Bualfrebo hatte fie wohl auf gleiche Art « 

Seile. Eine fhöne Geſpannſchaft, die fie dir! 
auderforen bat! D Ihr Lower, wann werk 

- Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winke M 

) Zauben zu fechten, damit ber Zauber recht ſicht 

| und keck umberflolzieren koͤnne im gefiderren 

' Schlag, als ein gar gewaltiger und unbezwing 

Ticher Held!“ . 
\ Gualterus , feinen Wirth etwas unzuftiedir 
anfchauend,, fagte nad) einigem Schweigen: 
| „Spötteleien über Edilbertha und ihren edlın 
Liebling und Bräutigam Iwein bin ich eben nid‘ 

n gewohnt, ruhig anzuhören ;- auch den Kir 

i Gualfredo, da ſie mit Achtung von ihm redet, I 

\ ich nicht ſchmaͤhen. Von dir aber, der du m 

fo etwad von felder anmerken konnteſt, wenn" 

| gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für alt 

\ mal, und recht firenge | 

„Ei, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der jon 


* 






9 

felben, und ließen der jungen Sonne Raum, bie 
auch alsbald hellfroͤhlich über Felshaͤnge und Wie⸗ \ 
ſenmatten heranſtrahlte. 
Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg. 
Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm 
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗ 
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo 
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen Fünnen, trat ihm H 

nur faum inſden Sinn. Es war faft, als hätte 


Qualfredo diefed Geſchaͤft als ein pflichrfchufdiger l 
Knapp’ oder Reifiger bed Fühnen Gualteruß noth; 
wendigermweife beenden müffen.‘ _ \ 


Der Thürmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗ 
genlichtern ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf 
einem Balkone fihtbar. Sie grüßte freundlich, 
auf Flirrten die Thore, und über donnernde Zug: 
bruͤcken fprengte Gualterus im den Hof, 


— —⸗ 


Nun ſtand er oben vor ber edlen Frau, und mit 
ehrender Milde bedauerte fie, baß ihm Gualfredo 
den Sieg über den argen Notaldo vorweg ges 
nommen habe. Ein trüber Unwifle flammte yon 
Neuem in ded Provenzafen Gemüth empor. 

„Ss iſt wahr, ſprach er, der Abentheurer, 
den man Gualfredo nennt, hatte dad Gluͤck, 
dem Herzog Rotaldo zu begegnen, ald diefer, 
ganz in neue Frevelgedanken vertieft, von feiner 


‘ 
mr 





Zelfenburg hinauszog mit leichtem, reifigen Ges 
folge, immer in, die kuͤbhnverſchlungenſten Thaͤler 
ſuͤdwaͤrts hinein, immer. dem Meerſtrande zu, 
und nur auf den ganz allein Acht habend, — 
und da fiel Gualfredo’d Geſchwader über ihn 
ber, und aus der überrafchenden That blühete 
für den beinah noch uͤberraſchteren Steger pldlich 
die Blume der Ehren empor.“ | 

„Saft auf ähnliche Meife hat es mir der 
Mitter, den Ihr einen Abentheurer nennt , auch 
erzaͤhlt;“ entgegnete fehr ernfihaft Edilbertha. 
„Nur daß er noch vorher von Euern Helden⸗ 
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualterus, 
wodurch Ihr den Gegner in ſolche Scheu ver⸗ 
ſetzt hattet, daß er ſich von dem Gebirge, Enerm 
eigentlichſten Tummelplatze, gaͤnzlich abwendete, 
und nur auf Thaten am Meerſtrande dachte, 
vielleicht gat nur auf eine geſicherte Flucht. 
Und da 'rühmte es denn Gualfredo gar ſehr, 
daß Ahr ed waret, denn man zu danken habe 
für den gottbegünfligten Ausgang der gerechten 
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goltne 
Kette, bie ich dem Sieger und Räder beflimmte, 
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll; 
fommen gebührt,” 

Und fie fehlang das Ieuchtende Geſchmeide 
um bed fnieenden Nitterd Hald, und entließ ihr 


für beut, 





11 


‚Aber wie brannte bie herrliche Gabe auf 
Gualterus Bruft! Wäre fie nicht von Sdilbers 
tha’d Hand gefommen , er hätte fie wohl, ın ſtuͤr⸗ 
wifcher Unzufriedenheit mit ſich und aller Welt, 
zerriffen, und die goltnen Ringe einzeln über 
den Waldboden hin verfireut. Er fprengte nad) 
der Burg bed tapfern Walterd bin, eined Zus 
gendfreundes, den. er auf einer Kreuzfahrt nach 
dem gelobten Lande hatte Eennen lernen, und 
dem zu Lieb’ er vor drei Jahren den erfien Zug 
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doch 
damald zu Haufe zu treffen. — ‚Nun wird er 
mich nach ber goldnen Kette fragen,” murrte er 
in ſich hinein, ‚„‚und wird mir Gluͤck dazu wuͤn⸗ 
fhen, und ich habe gleich bei ber erften Zufams 
menfunft nichts ald eine widrige Beichte abzus 
flatten,, denn lügen kann doch nun Meinesglei⸗ 
hen ein für allemal nicht.“ 

Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung 
des Bergweges, und entgegen auf feinem ſchoͤnen 
Maulthiere, nachläffig der Queere im Satte 
ſitzend, Fam ihm Gualfreto, und begrüßte ihn 
nit ausnehmend heiterm lachen. 

Eine Weile ſtill haltend, blickte ihn Gualtes 
rus an, ganz wie verfleint, Aber nicht Tange, 


fo hatte alled Aechte und Gute in feinem Gemuͤth | 


die Oberhand gemonnen , und er fagte voll 
Demuth und Fräftiger Reue Alles heraus, was «er 








1 


Felſenburg hinauszog mit leichtem, reifigen Ges 
folge, immer in die Fühnverfchlungenften Thaͤler 
fübmärtsd hinein, immer. dem Meerfirande zu, 
und nur auf den ganz allein Acht habend, — 
und da fiel Gualfredo's Geſchwader über ihn 
ber, und aus der überrafchenden That blühete 
für den beinah noch überrafchteren Sieger plöglich 
die Blume der Ehren empor.” 

„Faſt auf Ähnliche Weife hat es mir der 
Nitter, den Ihr einen Abentheurer nennt , auch 
erzählt 5’ entgegnete fehr ernſthaft Edilbertha. 
„Nur daß er noch vorher von Guern Heldens 
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualteruß, 
wodurd Ihr den Gegner in ſolche Scheu ver: 
fegt hattet, daß er fi) von dem Gebirge, Euerm 
eigentlichfien Zummelplaße, gänzlich abwendete, 
und nur auf Thaten am Meerfirande dachte, 
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht. 
Und da rühmte es denn Gualfredo gar fehr, 
daß Ihr ed waret, denn man zu banfen habe 
für den gottbegünftigten Ausgang der gerechten . 
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goltne 
Kette, die ich Dem Sieger und Rächer beſtimmte, 
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll; 
fommen gebührt,” 

Und fie ſchlang das leuchtende Geſchmeide 
um des knieenden Ritters Hals, und entließ ihn 


fuͤr beut, 


— ——e 


11 


‚Uber wie brannte bie herrliche Gabe auf 
Qualterus Bruſt! Wäre fie nicht von Edilber⸗ 
tha's Hand gefommen , er hätte fie wohl, ın fidrs 
wifcher Unzufriedenheit mit ſich und aller Welt, 
zerriffen, und die goldnen Ringe einzeln über 
den Waldboden hin verfireut. Er fprengte nad) 
der Burg des tapfern Walterd hin, eined us 
gendfreunded, den. er auf einer Kreuzfahrt nach 
dem gelobten Lande hatte Fennen lernen, und 
dem zu Lieb’ er vor drei Jahren den erfien Zug 
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doc) 
damald zu Haufe zu treffen. — ‚Nun wird er 
mich nach ber goldnen Kette fragen,’ murrte er 
in fih hinein, „und wird mir Gluͤck dazu wuͤn⸗ 
fen, und ich habe gleich bei ber erften Zufams 
menfunft nichts als eine widrige Beichte abzus 
flatten,, denn lügen Fann doch nun Meinesglei⸗ 
hen ein für allemal nicht.“ 

Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung 
des Bergweges, und entgegen auf ſeinem ſchoͤnen 
Maulthiere, nachlaͤſſig der Queere im Satte 
ſitzend, kam ihm Gualfredo, und begruͤßte ihn 
mit ausnehmend heiterm Lachen. 

Eine Weile ſtill haltend, blickte ihn Gualte⸗ 


rus an, ganz wie verſteint. Aber nicht lange, 


ſo hatte alles Aechte und Gute in ſeinem Gemuͤth 
die Oberhand gewonnen, und er ſagte voll 
Demuth und kraͤftiger Reue Alles heraus, was er 





0 
ı 
* 





N 








Bei: der fhbnen Herrin wider Gualfredo gerebet 
Hatte, und bat von ganzem Herzen um Berges 
bung, wohl fühlend, diefe Genugthuung fei uns 
endlich fihmerer und eben deßhalb verbienftlicher 
zu geben, ald die allerernfthaftefte mit den Wafı 
fen in ber Hand. 

Gualfredo Tachte wieder recht von ganzem 
Herzen , und fagte freundlich : 

„Daß Ihr einmal auf die Nafe gefallen wart, 
und zwar tächtig, ſah ich Euch gleich von vorn 
herein an. Uber das thut fo viel gar nicht; am 
wenigſten, wenn man fo fromm und treuherzig 
aufzuftehn weiß, ald Ihr, mein lieber ‚ edler 
Gualterus.“ Bi 

- Und damit reichte er ihm die Hand, und 
sitt langſam, noch immer freundlich lachend, 
ſeines Weges fuͤrder. 

— 

Aus Walters Burghallen ſcholl daßs laute 
Jauchzen eiues froͤhlichen Gelags dem Provenza⸗ 
len entgegen. Geſchmuͤckte Knappen nahmen ſein 
Roß in Empfang, und oben an der Stiege ſtand 
bereits der Schloßherr, einen gefuͤllten Pokal in 
ber Hand, den Ankoͤmmling mit einem wilden 
Riede begrüßend. 

. Dem ward ed gar feltfam zu Sinne: bald, 
als gehe nun erſt aufs neue ein friſchlebendiges 








18 


Jugendtreiben in feinem Geifte auf, Bald wieder, 
ald hebe Edilbertha die ſchoͤne Hand ernſtidarnend 
empor, und koͤnne Gualfredo, aller Mühe unge, 
achtet, nicht wieder in fein voriges, harmloſes 
Lachen kommen. 

„Es ſind die Kobolde dieſer Berge!“ ſagte 
Gualterus in ſich ſelbſt hinein, kaͤmpfte den wun⸗ 
derlichen Streit ſeines Innern nieder, und ſtand 
ploͤtzlich an Walters Hand ſtolz und freudig in 
des koͤſtlichen Rittermahles Mitten. 

Von allen Seiten hoͤflich und treuherzig, ja 
beinah ehrfurchtsvoll bewillkommt, — denn der 
Ruf ſeiner Thaten war groß und herrlich, — ward 
ibm bald wieder ganz keck und friſch und zuver⸗ 
ſichtlich zu Sinne. Er leerte einen Becher auf 
den andern, und endlich war ihm Alles, was mit 
dem Andenken des Herzog Rotaldo Stoͤrendes zu⸗ 
ſammenhaͤngen mochte, ſo ganz und gar leicht und 
heiter geworden, daß er auf die erſte Frage Wal⸗ 
ters, warum er denn eigentlich wider Jenen nach 
Welſchland gezogen ſei, ganz unbefangen der Tiſch⸗ 
geſellſchaft Folgendes zu erzaͤhlen anhub: 

„Es liegt in dem appenniniſchen Gebuͤrg ein 
wunderſames Kloſter, aus dem ſeit undenklichen 
Zeiten immer alle hundert Jahr ein Ritter hervor⸗ 
gegangen iſt, ein mit Zauberkraͤften begabter, 
ganz entſetzlicher Ritter, welchem Niemand zu 
widerſtehn vermochte, und in deſſen Gemuͤth die 


— m 


— 


oo. Bu er rn : 
» nn 





14 
pi und Andern gewohnten Bedenflichfeiten von Recht 
7 und Unrecht auch nicht den mindeſten Raum zu 
finden ſchienen. Vergeblich trachteten Abt und 


Mönche darnach, fi) untereinander — vorzuͤg⸗ 

lich wenn jener bedrohliche Zeitpunkt heranna⸗ 

hete — immer in den froͤmmſten und moͤglichſt 

gefeglichen Schranfen zu halten? immer um die 

beftimmte Zeit. brach Einer von ihnen ald der 

furchtbare Ritter los, und wuͤthete beinahe gräß» 

. licher, ald man es je von Heidenrittern und 

, Raubſchiffern in den Alteften Hiſtorien und Kies 
‚dern vernommen hat. 

R „Da gefchahe es vor einigen Jahren, daß 

l Herzog Rotaldo, ſchon laͤngſt durch die abſcheu⸗ 

lichften Thaten berühmt oder beruͤchtigt, eine Luft 


betam , ſich zu befferm Erfolge mit ſolch einem 

. wunderlich verfehmten und verherten Kloflerritter 
zn verbünden. Er fprengte gegen die Mauern der 

geweihten Stätte hinan, fließ mit der Lanze wir 

der bad, Thor, und rief in einem fort: „ſchickt 

mir einen tollen Zauberritter heraus! ſchickt mir 

einen tollen Zauberritter heraus!" — Bergebs 

lich erinnerte ihn der Abt an die Gottloſigkeit 

eincd folchen Betragend , und bat ihn, davon 

abzufiehn ; vergeblich bethewerte er, es fei Gott⸗ 

lob dergleichen verherter Menſch jegt gar nicht 

ıe "im Klofter, und habe es ſchlimmſten Falles dar 
| wit noch fiebenzig Jahre Zeit, indem der Iegte 


15 

von bdiefer Art vor kaum erſt dreißig Jahren In 
die Welt hinausgebrochen ſei, — Rotaldo wollte 
durchaus von keiner Entfhuldigung hören, und 
erffärte endlich in feinem rafenden Uebermuth 
dem ganzen Kloſter auf Leben und Tod die blu— 
tigſte Fehde. 
Nun, unterbrach ihn Walter „ndas kann ich 
ſelbſt ihm nicht fo ganz und gar berdenfen. 
Wenigſtens mit der maͤnniglichſten Drohung und 
Kraft haͤtte ich drauf beftanden, daß fie mir 
einen fo tollen Zauberkerl zum Kumpan herdei— 
ſchaffen müßten. ' 

„Sie konnten ed ja aber nun einmal nicht, a 
entgegnete Gualterus etwas ungeduldig, „und 


uͤberhaupt brauchſt du die ſchliume Sache nicht 


noch ſchlimmer zu machen, denn in dem Kloſter 
uͤbernachtete grade dazumal ein Mutterbruder der 
Graͤfin Edilbertha, der als Pilgrim durch die 
Lande zog, und da Herzog Rotaldo in toller 
Wuth ohne Saͤumen Feuer an das Klofier 
legte und chweſelbraͤnde hineinwarf, verbrannte 
er bei ſelnem wilden Anlauf den edlen Pilger 
mit! 

„und bie fänfte Edilbertha,“ Tädhelte Wals 
ter höhnifch zurüd, „fand ed für nöthig, daß 
dus deßhalb in die italifhen Lande hinausfahren 
mußteſt, um den Rotaldo zu erfihlagen. 

„Seid Ihr Schottländer, brach Qualterus 





— — 


16 


gornig aus, „und kennt Euer eignes Recht der 


Blutrache nicht 7 Edilbertha's Bräutigam rüflete 
ſich zum Rachewerk, und da war es doch wohl 
beffer, daß ich mich daran machte, ich ziemlich 
einfamer, und auf ben Fall des Niederflürzens 
gewiß fehr unbeweinter Menſch 1" 

und Edilbertha — lachte Walter aufs nene 
dazwiſchen. — Edilbertha fand das Alles fo 
recht ausnehmend bequem! Und den Abentheurer 
Gualfredo hatte ſie wohl auf gleiche Art am 
Seile. Eine ſchoͤne Geſpannſchaft, die fie dir ba 
auserforen hat! O Ihr Lowen, Wann werdet 


Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winfe der 


Tauben zufechten, damit der Tauber recht ſicher 
und keck umberftolzieren Tonne im geficherten 
Schlag, als tin gar gewaltiger und unbezwwing 
Ticher Held!" 

Gualterus , feinen Wirth etwas unzufrieden 
anſchauend, fagte nach einigem Schweigen : 

„Spötteleien über Edilbertha und ihren edlen 
Liebling und Bräutigam mein bin ich eben nicht 
gewohnt, ruhig anzuhbren;. auch den Nitter 
Bualfiedo‘, da fie mit Achtung von ihm redet, Taf 
ich nicht ſchmaͤhen. Bon dir aber, der du mir 
fo etwas von felber anmerken konnteſt, wenn du 
gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für ade 
‘mal, und recht firenge. 

vEi, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der zorm 


17 
glühende Walter ein. „Auch du konnteſt merken 
(don von unfrer Kreuzfahrt ber; daß ich mir 
foiche Zurechtiveifungen nicht gefallen laſſe. Und 
ſomit, ihr Knappen, räumt die Tafeln aud der 
Halle, und ihr, edlen Säfte, nehmt ringe an 
den Wänden eure Sige, denn ed hat hier eine 
Zunge viel zn dreift gefprochen, und da müffen 
die fählernen , fiharfen Zungen heraus.“ 

Gualterus neigte fi mit flolzer Bejahung, 
und alsbald war ber hochgewoͤlbte Saal zum 
Kampfplag umgeflaltet, und Wirth und Gaſt 
raten einander als zwei erzürnte Fechter mit 
blanken Klingen gegenuͤber. 

Da humpelte ploͤtzlich voll ſeltſamer Behen⸗ 
digkeit ein Fleines, altes, runzliches Maͤnnlein, 
em Knavpen nud Reifige mit einer ſeltfamen Ehr⸗ 
furcht auswichen, durch die Thür, und ſtellte ſich 
zwiſchen die beiden Ritter, ſo daß es Jedem von 
Ihnen ben Unfall wehrte. — 

„Hauskobold,“ ſagte Walter gelaſſen, „du 
weißt, daß ich ſonſt, dem Beiſpiel der fruͤhern 
Schloßbewohner gemaͤß, dich in Ehren zu halten 
lege, aber bier thuft du am beſten, wenn du 
ich bei Zeiten davon machſt. Dinge, wie- mit 
ie Bier mit einander vorhaben, verſtehſt du nun 
inmal nicht. 

Aber der kleine Hauerobold (denn dieſe Stelle 
ekleidete er wirklich feit einigen Jahrhunderten in 
Geſpenſterbuch 7. Theil, . 8. 





18 


ber Burg) febien andrer Meinung zu feyn, als 
fein jegiger Ders. Denn indem er mit einem höh: 
wifchen Grinfen gegen diefen, mit einem gräßlis 
Gen Dräuen gegen Gualterus hinhauchte, wur 
‚ben beiden die Armen fo matt und ſchwer, daß fe 
nur faum — man Fennt wohl ähnliche Empfin 
dungen aus Träumen — mit angefirengter Kraft 
die gewaltigen Schlachtſchwerter in der Hand und 
ſich aufrecht erhalten Fonnten, faft nach Knabıns 
weife zu Boden gezogen von der riefigen Wucht. 

„Ihr habt hier einen alzumädhtigen Schutz!“ 
lächelte ingrimmig Gualterus. 

„Hauskobold will ed nicht haben,” entgegnetı 
Walter, „baß ich meine Wände mit Provenzar 
Tenblut beſpruͤtze.“ 

Und ſo ſchieden beide im Zorne von einander, 
verabredend, ſich morgen.aufder grünen Haide zu 
Areffen, die unter der feit grauen Zeiten Fin 
galdfaal genannten Felfenhöhle lag. 





Guglterud gedachte ſich gleich nach der our 
‚berfamen Grotte zu begeben, und dort die Nach 
über zu verweilen, theild damit er mit dem Fruͤb 
roth gewißlich der erfie auf dem Kampfesanger ſei 
theils auch, weile ihın ganz Ärgerlih und us 
beimlih vorkam, noch am felbigen Abende mi 
Menſchen Berkehr zu halten. Zwar pfiffen us 


‚19, 


achten und heulten die Kobolbe fehr wunderlich 
m Gebirge, doch wußte Gualterus, daß in. der 


ingalshalle entweder ein tiefes, allen Spuk vere 


annended Schweigen herrfche, oder daß Tieblich 
"Tand Harfe darin töne und all der uralte Sais 
mlang der Barden von Selma, und fü den 


jeiit ded dort raftenden Wandrers befchirme und . 


eſchwichtige. 
Und in der That, wie er nur in die feierlichen 
lippengewoͤlbe einichritt, verftummte vor ſeinen 


hren dad Koboldsgelaͤchter, und Harfenflänge . 


bten wie Sangedregenfchauer vor ben Tropfſtei⸗ 
m nieder, und im melodiſchen Geriefel wallte 
tHare Felsbach, auß der noch von allen Diens 
henfindern unbetretnen Mitte ded wunderfamen 
erghauſes entfpringend, an ihm vorüber. 
Ihm fing ed an, fehr Hell und wohlbehaglich 
Sinne aufzugehn von dieſen ſeltſamen Tönen; 
ich ſelbſt da noch, als eine Rittergeſtalt ihm 
s dem tiefſten Dunkel unbebannt und wie 
daheim entgegen ſchritt. Er dachte an Fingal 
bſt, oder an Oſſian, ober an einen andern 
er gefeierten Helden. Aber die Geftalt kam 
ch naͤher heran, und zünbdete die Fadel durch 


tiged Unfchlagen gegen. eine Felswand zum - 


hnſten Auflodern, und lächelte ihn in dem 
ben Flammenlichte freundlich an, und war 


sadfredo. 
32 


\ 





Da konnte Gualterus fein Mißvergnägen 
beinahe nicht verhehlen. Doch rief er dem gan: 
zen Stolz feined Herzens herauf, und fagte mi: 
kuͤhnem Beroußtfeyn : 

„Suten Abend, Ihr fremder Gaſt. u 
hätte Unrecht, Euch dießmal nicht gern unter die 


Augen treten zu wollen, denn ich habe nun vol, 


Zommen audgelöfht, was ıch mir geflern wibder 


Euch zu Schulden kommen ließ. Morgen früh 
fieht mir ein ernfler Zweifampf bevor, dem id 


zu Rettung Eurer Ehren. mit einem tapfern Rit 


ser diefer Hochlande eingegangen bin. Wir koͤn 
nen und nun alfo wohl ohne weitred die Han 
bieten ald Gleich und Gleich.“ 
„Muß ergebenft danken,“ fagte ber "wunder 
liche Svemdling , „oder vielmehr nicht ergebenſt 
Denn ich kann eben nichts von meiner Verpflich 
tung gegen Euch begreifen, und Ihr kommt mi 
vielmehr in dieſem Augenblick ganz aus ale 
Maßen unbekannt und unheimlich vor.” 
„Eurer. hohen Würde,” lachte Gualterri 
höhnifch zuruͤck, „‚feheint es überhaupt fehr “ 
heimlich und fehr fatal vorzukommen, wenn it 
gend außer Euch ein Menſch auf —* eigna 
Fräftigen Süßen flcht.” 
Qualfredo feufzte tief, und trat fobanı 
ſchweigend ‚weiter nach dem Eingang ber Zelfe 
balle vor, - 

















[4 


21 
Da firahfte urploͤtzlich heller Sadlelfchein aus 


em Klippenthalweg herauf, und am wenigſten 


Bualterus Fonnte ed verfennen, daß bort jet 
ben Gräfin Edilbertha vorüber ziehe mit einem 
zeſchwader begleitender Neifigen , fie felbft auf 
inem fhneeweißen Zelter im Teichten Trabe nach 
en hoͤchſten Gegenden des Gebirges hinauf eis 
Ind. ' 

Ein Reiter des Gefolge, den entweder fein 
ngeftumes Roß oder feine Pflicht, zur Seite nady 
nöglichen Feindesverſtecken zu fpähen, weiter 


ergan geführt hatte, trabte jegt nah an den‘ 


eiden Rittern voräber, und Gualfredo rief ihm 
ine Frage zu, was es denn eigentlich gebe ? 

„Si, wißt Ihr nur das nody nicht ?“ rief ber 
jorteilende. „Iſt ja Herzog Iwein, der Braͤu⸗ 
igam meiner fchönen Herrin, zum Tod’ urpldgs 
ch erkrankt, und fie giebt dahin, ihn heilen 
u heifen, oder vielleicht an feinem Sarge zur 
tonne zu werden.“ 

Lautlos war Gualfredo aus der Höfe getre⸗ 
m. Wie herbeigewuͤnſcht Fam fein ſchoͤnes Maul⸗ 
hbier zugleich aus dem Gezweig heran geſchrit⸗ 


m. Er ſchwang ſich in den Sattel, und flog 


ein Zuge der Herrin pfeilgefhwind nad). 

„Sehr tounderlih!” dachte Gualterus. „Es 
eht doch wirklich darnach aus, als ob mein 
raum recht behalten ſollte. Reitet der Aben⸗ 








22. 


tbeurer auch nicht lachend über Iweins Peichs 
nam bin, fo foheint ed ihm doch eben ein ganz 
luſtiges „Ding zu feyn, daß Iwein ftirbe, und 
während der Juͤnglingsleichnam in die Gruft 
gefenft wird, mag der buhlerifche Greis wohl 

. froberzig mit Edilberthen am Altare ſtehn. —“ 
Uber diefe Gedanken vermochte er kaum auf 
zudenfen. Vielmehr war ed, ald greife eine 
eifige, firengwarnende Hand bagwifchen in feine 
Bruft hinein. Er wandte fih wie von fih 
felbft zuruͤckk in ehrerbietiger Schen. Zugleich 
auch hörte er ganz vornehmlich Selma’d wuns 
Derfame Harfen aud dem Innern der Fingalspalle 
Taufchen, und gerieth in einen lieblich fchauerlichen 
Zufland, von dem er nicht eigentlich wußte, war 

ed Wachen, war es Schlaf. 


u 
4 


„Und alle, ale Selma’dharfen tönen, 

Und alle tönen feiernd von der Schönen, | 

Und alle huld'gen ihr von Derzen fehr, 

Und feine Schmähung gab's und giebt «4 
mehr. 

Und du hier in den heil gen Felfenhallen, 
Siehſt du hier deine Lebensbilder wallen ? 
Halb iſt ed Zubunft, halb Vergangenheit, 
Was fi um dich im dunfeln Tanze reiht 





nn — — nn — nn —— — 


25 


Wer war der Knabe, den ein heimlich Zittern  - 
Dft forttrieb nach des Drientd Lichtgewit⸗ 
tern ? 
Der auf der vielverfchlungnen Kreuzedfahrt 
Nachher ald Sieger Siegern war gefchaart ? 
D wie fo viel der Helden dort bu Fanntefll 
D wie bu hell in Sreundfchaftsflamme 
branntefl! 
Ach, damals war «8 fo gar fehöne Zeit. 
Befinn’ dich, Heid! Iſt fie dir ewig weit ? 


. De Morgen naht. Nimm jet dich noch zus 
fammen! 
DenP wie im Blut des Wechſelmords ver⸗ 
ſchwammen 
Oft Helden, die geliebt ſich und geahnt, — 
0 dent' an Oſſian, der dich warnt und 
mahnt!“ 





Staunend ermunterte ſich Gualterus zum vol⸗ 
fen Bewußtſeyn, während die Sonne bereits ihre 
erften Lichter in die Selfenhalle fandte. Er Tannte 
die Oſſiansſagen wohl, und wußte, wie in jenen 
uralten Tagen oftmald Kämpfer voll unfeliger, 
vermuthlich zauberifcher Verblendung ihr Liebſtes 
sum Tode getroffen hatten, bald der Vater ben 
Sohn, bald der Brätigam die Braut, went 


25 


Be eben meinten, den. verhaßteflen Seind an den 
Boden zu ſtrecken. Eine Yeltfame Ahnung ergriff 
fein Herz. „Waͤr' es moͤglich,“ dachte er, „daß 
Edilberth⸗? Er bebte. Aber bald wieder 
gefaßt, ſprach er ganz laut: „o wir fechten ja 
nicht hinter verhuͤllenden Bifieren, und feit fich 
Walters Geſicht zum frechen Hohn uͤber Edil⸗ 

bertha verzog, iſt es mir wahrhaftig in ſeiner 
Verhaßtheit bekannt genug, um es mit keinem 
andern Antlig auf Erden zu verwechſeln. Den 
ſchoͤnen Ruhm doch ſoll mir der ſtolze Gual⸗ 
frebo nicht rauben, daß ich fuͤr meine Herrin, — 
ja auch im Grund fuͤr ihn ſelber mit — dem Tod 
oder dem Siege recht freudvoll entgegengeſchrit⸗ 
ten bin.“ 

Und jetzt eben tönte das wohlbekannte Waid⸗ 
und Kampfhorn Walters von den Bergen her⸗ 
uͤber, und er ſelbſt, einen leichten Sturmhut 
auf dem Haupt, ein klirrendes Schlachtſchwert 
an der Seite, ſonſt aber im blanken, luſtigen 
Jaͤgerwamms fchritt. blafend herunter in das 
Thal. 

Dem Gualterus ward ed vor dieſer Erſchei⸗ 
nung nur noch zorniger zu Sinn: grade weil 
ihn ſo bekannte, einſtmalen vertraute Züge das 
Bei anlächelten, und weil ed ihm vorfam, ald 
offenbare Walter eben in diefem Augenblick einen 
noch herbern , verhöhnendern Trotz. 








29 


Gualftedo im Nähertretenden erfannte, denn 
ach, ber mochte ihm vielleicht eine gar fchwer 
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja doch 
aus der begeifternden Edilbertha Nähe, und 
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Nachtheis 
figed vom Nitter Qualterus vorgeſchwatzt! Konnte 
ja wohl gar Iwein geftorben feyn, und der heim⸗ 
lich gewaltige Fremde irgend ein Recht gewonnen 
haben auf Edilbertha's Liebe und Treue, feinen 
Greiſenlocken und feiner oft furdhtbaren Schroffs 





heit zum fiegenden Trotz! Denn diefer— dag fahe - 
man — vermochte unausfprechlich viel über das 


Leben, und wohl dad Ungewöhnlichfte, Unerhortefte 
mochte ihm grade daß Reizendfte und Anlodendfte 
ſeyn. Dennoch empfand Gualteruß feinen Uns 
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth noch 
unendlich gefleigert. Freundlich und auf Alles, 
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem 
wunderlichen Fremdling die Hälfte feined moos⸗ 
bedeckten Schwellenfißes ein, 

Qualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter 
dankender Geberde an: er fihien erfhöpft, aber 
nur erfchöpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen. 

„Ihr kommt wir ja fo betrübe vor ;” fragte 
er mit fanfter Theilnahme, „Wie ift es denn 
mit Euerm Zweikampf abgelaufen 2° 

„Mein Gegner blutet,“ erwiederte Gualtes 
rus, „aber vielleicht bare ich Flüger gethan, den 


/ 


26 


verfah, war man wiederum aufgefprungen, und 
hatte fi) auf’ neue zum Kampf um Tod und 
Leben, um Schmach ober Ehre gefaßt und wieber 
mußten fie untereinander ablaflen, und ihren Sig 
auf den Brabfteinen nehmen. . | 

In ſolchen feltfamen Zmwifchenräumen, bald 
ded Kampfes, bald der Ruhe, war ihnen endlich 
der ganze Tag vergangen, und obgleich bereits 
der Spätabend hernieder dunfelte, hatte doch 


‚ Keiner von ihnen eine Wunde aufzuzeigen, noch 


minder faft Eonnte fich Jemand. auf irgend eine 
Art im Vortheil glauben. Wechfeldweife hatten 


"fie dabei Einer aus bed Undern Flaſche getrunfen, 


und Einer von ded Andern mitgebrachtem Bor: 
rath gezehrt. Aber der alte Grimm blieb wach, 
oder entflammte fich vielmehr nach jedem unent 
ſchiednen Gange immer gewaltiger. 

Da fuhr man endlich bei fchon ganz tief herr 
eingebrohnem Dunfel fo gewaltig wider einander 
106, daß an Fein geſchicktes Ausweichen, an fein 
gewandted Pariren mehr zu denken war. Blitz⸗ 
gewaltig, und eben fo. bligesfcharf und ſchnell 
fihhmetterten bie Siebe, ſchwirrten die Größe 
durcheinander hin und über einander ber, und 
plöglich aus Walters zerhau'nem Sturmhut quoll 
ein rother Strom, nnd ohnmädhtig feufzend taus 


melte der noch Faum fo frifche Fechter zuruͤck, 


fluͤſternd: „trag nich in Finglas Höle, Geſell. 





27 


Der Abend wird fchon fo tief, und die Kobolde 
lärmen. Trag' mich hinein, und feß’ dich an 
ben Eingang, und davor.hin leg kreuzweiſe dein 
Schwert und meined. Sonft weichen fie nicht 
von und, und ich Fann fie jegt nicht ertrager. 
Willſt du denn thun, lieber Qualterus, wie ich 
dich bat?“ 

Und es gefchah nach des vermundeten Juͤng⸗ 
lings Worten, nachdem ihn der fieghafte Geg⸗ 
ner achtſam und liebreich verbunden hatte, 


—— — v 


Draußen laͤrmten die Kobolde ſeltſamlich. 
Walter, in halber Ohnmacht, und weit in's 
Innre der Hoͤle gebettet, vernahm nichts davon, 
aber die vorgeſchriebne Stelle am Eingange huͤ⸗ 
tend, konnte Gualterus deutlich hoͤren, wie ſie 
untereinander zankten. Endlich fuhr der alte 
Hauskobold aus Walters Burg eilig, wie ge⸗ 
hetzt, auf einem ſchwarzen Hahn durch die Luft 
voruͤber; ein ganzes Heer von kleinen abſcheuli⸗ 
chen Geftalten- zürnend hinterbrein. Uber der 
Alte drehte fich lachend nad) ihnen um, und 
fang mit heifree Stimme: 

Hält ja doch jeder fein Haus gern rein! 
Sollte fein Blut in mein’d herein ! 

Hab’ ſie ja nur bier heraus aebracht, 
Habt ja nun doch ne huͤbſch biutige Nacht 3°” 


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26 


verfah, war man wiederum aufgefprungen, und 
batte ſich auf?8 neue zum Kampf um Tod und 
Leben, um Schmach oder Ehre gefaßt und wieder 
mußten fle untereinander ablaffen, und ihren Sig 
auf den Grabfteinen nehmen. | 

In folchen feltfamen Zwifchenräumen, bald 
ded Kampfes, bald der Ruhe, war ihnen endfid 


der ganze Tag vergangen , und obgleich bereird 


der Spätabend hernieder dunfelte, hatte doch 
‚ Keiner von ihnen eine Wunde aufzuzeigen , noch 
minder faſt konnte ſich Jemand auf irgend eine 


Art im Bortheil glauben. Wechſelsweiſe hatten 


"fie dabei Einer aus des Andern Slafche getrunfen, 
und Einer von ded Andern mitgebrachtem Bors 
rath gezehrt. Aber der alte Grimm blieb wach, 
oder entflammmte fich vielmehr nach jedem unent 
fhiednen Gange immer gewaltiger. 

Da fuhr man endlich bei ſchon ganz tief her» 
eingebrohnem Dunkel fo gewaltig wider einander 
108, daß an Fein geſchicktes Ausweichen, an fein 
gewwandted Pariren mehr zu benfen war. Blitz⸗ 
gewaltig, und eben fo bligesfcharf und fehnell 
fihmetterten die Hiebe, ſchwirrten die Stoͤße 
durcheinander hin und über einander ber, und 
ploͤtzlich aus Walterdzerhau'nem Sturmhut quoll 
ein rother Strom, nnd ohnmaͤchtig feufzend tau⸗ 
melte der noch kaum ſo friſche Fechter zuruͤck, 
fluͤſternd: „trag ich in Finglas Hoͤle, Geſell. 


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27 


Der Abend wird fhon fo tief, und die Kobolde 
laͤrmen. Trag' mich hinein, und fe’ dich-an 
den Eingang, und bavor,hin leg kreuzweiſe dein 
Schwert und meines. Sonft weichen fie "nicht 
von und, und ich Fann fie jegt nicht ertrager. 
Willſt du denn thun, lieber Gualterus, wie ich 
dich bat?“ 

Und ed gefchah nach ded verwundeten Yüngs 
fingd Worten, nachdem ihn der fieghafte Gegs 
ner achtſam und liebreich verbunden hatte, 


— — e 


Draußen laͤrmten die Kobolde ſeltſamlich. 
Walter, in halber Ohnmacht, und weit in's 
Innre der Hoͤle gebettet, vernahm nichts davon, 
aber die vorgeſchriebne Stelle am Eingange huͤ⸗ 
tend, konnte Gualterus deutlich hoͤren, wie ſie 
untereinander zankten. Endlich fuhr der alte 
Hauskobold aus Walterd Burg eifig, wie ges 
best, auf einem ſchwarzen Hahn durch die Luft 
vorüber ; ein ganzed Heer von Beinen abſcheuli⸗ 
chen Geflalten- zürnend hinterdrein. Aber der 
Alte drehte ſich lachend nad) ihnen um, und 
fang mit heiſter Stimme : 

Hält ja doch jeder fein Haus gern rein! 
Sollte fein Blur in mein’s herein ! 

Hab’ fie ja nur hier heraus aebracht, 
Habt ja nun doch 'ne huͤbſch blutige Nacht I" 


4 —— 9— 


28 
Da jauchzten die andern: 


„Sr bat ja’ aud Recht! 

Hat ja aud) Recht! 

Iſt ein recht luſtiger, greiſiger, neckiſcher 
| Knecht!“ 
Und fie huben allzumal einen wilden Tanzes⸗ 
reigen an. Uber da erwachten wehmüthig feiernd 
die Darfenflänge von Selma, und weit hinaus 
nach fernen Gegenden des Waldes verſlaͤubte das 
tolle Gewimmel. 


nz al 


Bon tiefer, ihm ſelbſt nnverſtandner Wehr 
muth befangen, faß Gualterus am Eingange ber 
Fingals halle ganz fill und regungslod. Ihm war 
zu Muth, ald ob er innerlich im heißen Weinen 
zerflöffe, und dabei rann Feine einzige Thräne 
über feine Wange, — er fühlte eine flechende 
nagendeiingft, ohne zu wiffen, wovor und warum, 
und dennoch, wie er fich dieſer Angſt endlich ganz 
hingab im demuͤthigen Erwarten, was eigentlich 
daraus werden folle, ward ihm plöglich wieder 
ganz unbefchreiblich wohl und heiter zu Sinn. 

Derweil kam Jemand von der Haibe herauf 
nad) der Felfenhalle gefshritten. Jede Störung 
war jet freilich dem Ritter hoͤchſt unwillfommen, 
md ganz vorzaglich diefe, da er den wunderlichen 


% 


29 


Qualfrebo im Nähertretenden erkannte, denn 
ach, der mochte ihm vielleicht eine gar fchwer 
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja doch 
aus Der begeifternden Edilberthba Nähe, und 
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Nachtheis 
figed vom Ritter Qualterus vorgeſchwatzt! Konnte 
ja wohl gar Iwein geftorben feyn, und der heims 
lich gewaltige Sremde irgend ein Recht gewonnen 
haben auf Edilbertha’d Liebe und Treue, feinen 
Greiſenlocken und feiner oft furchtbaren Schroffs 


heit zum fliegenden Zrog! Denndiefer— das fahe - 
man — vermochte unaußfprechlich viel über das 


Leben, und wohl dad Ungewoͤhnlichſte, Unerhörtefte 
mochte ihm grade das Reizendſte und Anlockendſte 
ſeyn. Dennod empfand Gualteruß keinen Uns 
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth noch 
unendlich gefteigert. Treundlich und auf Alles, 
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem 
wunderlichen Zremdling die Hälfte feined moos⸗ 
bedeciten Schwellenfiße® ein. 
Gualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter 
danfender Geberde an: er fihien erfhöpft, aber 


nur erſchoͤpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen. 


„Ihr kommt wir ja fo betrübt vor;“ fragte 
er mit fanfter Theilnahme. „Wie ift es benn 
mit Euerm Zweitampf abgelaufen 7’ 

„Mein Gegner blutet,“ ermwieterte Gualtes 
zus, „aber vieleicht bare ich Flüger gethan, den 


30 


ganzen Streit ungeſochten zu laſſen, und, mir iſt 
in dieſer Ahnung ſehr unbehaglich zu Muth.“ 

Der Alte lachte wieder recht herzlich. Da 
blickte ihn Gualterus in erneuter Unzufriedenheit 
an, und fragte nach einer Weile: 

„Sagt nur, Herr, warum ed Euch immer 
zu lachen beliebt, wenn Ihr mich unzufrieden 
ſeht, und weßhalb Ihr dagegen recht mürrifche 
Geſichter zieht, wenn mir einmal die heitre Klar⸗ 
heit ded Lebens in Kraft und Freudigkeit aufgeht !’ 

„D Bott,‘ rief Gualfredo Tächelnd aus, „die 
Sehe ift bei weitem fo fpigfindig nicht, ald Ihr 
in Euerm grübelnden Berftande fie Euch vielleicht 
denken mögt. Aber fangt deßhalb Feine Händel 
mit mir an. Grade wenn Ihr mir dabei eine 
“ Stahlfpige durch die Bruſt renntet, möchtet hr 
noch verdrießlicher werden , ald hr, es feit dem - 
heutigen fieghaften Gefechte fhon geworden ſeid. 
Wenn Ihr indeß wiſſen wollt, woher jenes mein 
Lachen und Truͤbſeyn wechſelt, ſo hoͤrt mich geru⸗ 
big an. Die Geſchichte, die ich erzaͤhlen will, 
betrifft Euch naͤher, als Ihr denkt.“ 

„Habt Ihr was von Edilbertha zu erzaͤh⸗ 
len?“ fragte Gualterus mit uͤberwallendem Herzen. 

„Auch das, mein junger Freund,“ entgegnete 
der Alte: „nur wollte ich es erſt nachher thun. 
Aber Ihr mögt recht haben. Es iſt beffer, ich 
fange gleidy damit an. Die Art, wie Ihr es 


v 


29 


Gualftedo im Nähertretenden erkannte, denn 


ach, der mochte ihm vielleicht eine gar fchwer 
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja dody 
aus der begeifternden Edilbertha Nähe, und 
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Ntachtheis 
figed vom Ritter Qualterus vorgefYwagt! Konnte 
ja wohl gar Iwein geflorben feyn, und der heims 
lich gewaltige Fremde irgend ein Recht gewonnen 
haben auf Edilbertha's Liebe und Treue, feinen 
Greifenlocden und feiner oft furchtbaren Schroffs 


heit zum fiegenden Trotz! Denn diefer— das fahe - 
man — vermochte unausfprechlich viel über da ' 


Leben, und wohl daß Ungewoͤhnlichſte, Unerhortefte 
mochte ihm grade dad Reigendfte und Anlockendſte 
feyn. Dennoch empfand Gualterus feinen Un 
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth nod) 
unendlich gefleigert. Freundlich und auf Alles, 
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem 
wunderlichen Fremdling die Hälfte feines moos⸗ 
bedeuten Schwellenfige® ein. 

Gualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter 
dankender Geberde an: er fihien erfchöpft, aber 


nur erſchoͤpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen. 


„Ihr kommt wir ja fo betrübt vor ;‘’ fragte 
er mit fanfter Theilnahme. „Wie ift es benn 
mit Euerm Zweikampf abgelaufen 2° 

„Mein Gegner blutet,“ erwiederte Gualtes 
rus, „aber vielleicht bare ich kluͤger gethan, dem 


Bun; 
“+ 


82 

Gualterus ruhig. Dann aber fügte er etwas 
ſtolz hinzu: „Doch freilich richten ſich meine 
Wuͤnſche auf einen irdifhen Berein, auf den, 
daß Edilbertha mir unveränderlich ihre hohe, 
begeiſternde Freudſchaft bewahren ſoll, und mich 
. Ieiten mie ihres Maren, gotterhellten Geiſtes 
Lichtſtrahl zu manchem ſchoͤnen und heilbringens 
ten Schaffen. Und Hat: irgend Jemand etwas 
dawider einzuwenden 7 

„Ich hab' Euch ja ſchon erklaͤrt,“ lachelte 
Gualfredo, „daß ich durchaus nicht gefünnen bin, 
Händel mit Euch anzufangen. Und am wenige 
ſten jegt, da thr mir ausnehmend wohf gefallt! 
Zwar ein ziemliches Gewichtchen Ueberſtolz druͤckt 
noch immer in Eure Schale, und beſtrebt ſich, die 
meine etwas unartig und heftig in die Hoͤhe zu 
ſchnellen. Aber laßt nur! Ich falle wohl deß⸗ 
Halb doch nicht heraus, und laſe mir ſolche 
ernfihaftgemeinte Spaͤßchen von wadern jungen 
Leuten recht gern gefallen. Hoͤrt nun achtſam 
auf meine Befchichte, denn ich fange an. 
„In jenes wunderliche Upenninenflofter, um 
deffen Zerfidrung willen der tolleRotaldo bluten 
mußte, trat — vor nun fhon mehr ald dreißig 
Jahren — ein Jüngling edlen Stammes ein, 
von ausnehmend ſchoͤner Geftalt, und überhaupt 
it jeglicher Gabe zu Freuden und Ehren ganz 
überreichlich geſchmuͤckt. Der Hatte nun feinen 


‘ 


55 


Sinn ganz und gar darauf gefeht , daß er nie | 


Mönch werden wollte, und ald ihn die Väter 
über dad Warum befragten, meinte er, es be 
dünfe ihn eben biefe Unternehmung der aller⸗ 
ſchwerſte und Fühnlichfte Nitterzug zu feyn, den 
irgend ein Menfch auf Erden unternehmen konne, 
und grade einen ſolchen Ritterzug habe er ſich 
vorgeſetzt, im Bewußtſeyn der eignen, beinah 
ganz übernatürlichen Kräfte, ſtark. 

„Beil nun eben jeßt die Zeit berannafete ‚wo 
man das Losbrechen eined wahnmwigigen Herens 
ritterd befürchten mußte, nahm der Abt mit 
dem Klofterfonvent im Einflang um fo Tieber 
den neuen Gefellen auf, hoffend, vor deſſen uns 
verfennbarer Geiſteskraft müffe entweder der arge 
Fluch auf nun und immer verflicben, ober 
fhlimmften Falls werde man durch Hülfe des 
ritterlichen Ankoͤmmlings den Toßbrechenden Bes 
feffenen viel Fräftiger und entſcheidender baͤndigen 
können. 

„Es ſah auch Anfangs Alles darnach auf, 
als ſolle die Hoffnung der frommen Bruͤder in 
Erfuͤllung gehn. Betrug ſich ja der kraͤftige 
Noviz — Bruder Fredegundo ward er auf ſein Ver⸗ 
langen genannt — hoͤchſt demuͤthig und voll nie ge⸗ 
ſehener Geiſtes⸗ und Willenskraft! Waren ihm ja 
die ſchwerſten Uebungen zu leicht! Das ange⸗ 
ſtrengteſte Faſten zu oberflaͤchlich! Man glaubte, 

Geſpenſterbuch 7. Theil. 6 














se 
Gualterus ruhig. Dann aber fügte er etwas j 
ſtolz hinzu: „Doch freilich richten ſich meine 


Wuͤnſche auf einen irdiſchen Verein, auf den, 


daß Edilbertha mir unveränderlich ihre hohe, 


begeiſternde Freudſchaft bewahren ſoll, und mich 


leiten mit ihres klaren, gotterhellten Geiſtes 
Lichtſtrahl zu manchem ſchoͤnen und heilbringen⸗ 
den Schaffen. Und hat irgend Jemand etwas 
dawider einzuwenden ? 

„Iqh dab’ Euch ja ſchon erklaͤrt,“ lachelte 
Gualfredo, „daß ich durchaus nicht gefünnen bin, 
Händel mit Euch angufängen. Und am wenige 


“ fien jegt, da ihr mir ausnehmend wohl gefallt! 


Zar ein ziemliches Gewichtchen Ueberſtolz drückt 
noch immer in Sure Schale, und beftrebt fich, die 
meine etwad unartig und heftig in die Höhe zu 
ſchnellen. ber Taßt nur! Ich falle wohl deß⸗ 
halb doch nicht heraus, und laffe mir foldhe 
ernfrhaftgemeinte Späßchen von wadern jungen 
Leuten recht gern gefallen. Hoͤrt nun adırfam 
auf meine Gefdichte, denn ich fange an. 

„JIn jenes wunderliche Apenninenklofter, um 
deſſen Zerflörung willen ber tolleRotaldo bluten 
mußte, trat — vor nun ſchon mehr al6 dreißig 
Jahren — ein Jüngling edlen Stammes ein, 
von audnehmend ſchoͤner Geflalt, und überhaupt 
wit jeglicher Gabe zu Zreuden und Epren ganz 


- überreichlich geſchmuͤckt. Der Hatte nun feinen 


2 


55 

Einn ganz und gar darauf gefeht, daß er nie 
Mönch werden wollte, und als ihn die Väter 
über dad Warum befragten, meinte er, es be 
dünfe ihn eben diefe Unternehmung der aller, 
fhwerfte und kuͤhnlichſte Kitterzug zu feyn, den 
irgend ein Menſch auf Erden unternehmen konne, 
und grade einen ſolchen Ritterzug habe er ſich 
vorgeſetzt, im Bewußtſeyn der eignen, beinah 
ganz uͤbernatuͤrlichen Kraͤfte, ſtark. 

„Weil nun eben jetzt die Zeit herannahete ‚wo 
man das Losbrechen eined wahnmwigigen Hexen⸗ 
ritters befürchten mußte, nahm der Abt mit 
dem Klofterfonvent im Einklang um fo lieber 
den neuen Gefellen auf, hoffend, vor deffen uns 
verfennbarer Geiftedfraft müffe entweder der arge 
Fluch auf nun und immer verftieben, ober 
fhlimmften Falls werde man dur Hülfe des 
titterlichen Ankoͤmmlings den losbrechenden Bes 
feffenen viel Fräftiger und entſcheidender baͤndigen 
konnen. 

„Es ſah auch Anfangs Alles darnach aus, 
als ſolle die Hoffnung der frommen Bruͤder in 
Erfüllung gehn. Betrug ſich ja ber Fräftige 
Noviz — Bruder Fredegundo ward er auf fein Vers 
langen genannt — hoͤchſt demuͤthig und voll nie ges 
fehener Geifted s und Willenskraft! Waren ihm ja 
die ſchwerſten Uebungen zu Teicht! Das ange 
fitengtefte Faſten zu oberflädlih! Man glaubte, 

Geſpenſterbuch 7. Theil. 6 


34 


‚und beinaf auch mußte man’s glauben, eined recht 
"auserlefenen Glaubenshelden theilhaftig worden | 
zu ſeyn, und nahm ihn nach Jahresfriſt trium⸗ 
phirend in die volle Gemeinſchaft der Brüder auf. 
‚And immer Allen voran blieb Fredegundo 
in jeglichen Aft der Werläugnung und Oberger 
walt über das irdifche Thun und Laſſen, und 
fteigerte die ganze Kloftergemeinde immer mehr 
und mehr, fo.daß fie zulekt in der ganzen ums 
liegenden Gegend mehr für einen Kreis von 
Engeln ald von Menfchen galt. 
nn diefer glänzenden Epoche fagte auch 
Bruder Fredegundo dfterd vor feinen Gefährten, 
— ja fogar bisweilen in den Predigten, die er 
in der Klofterfirche vor dem von allen Seiten 
zuſtrbmenden Volke hielt, — eben um der Bers 
ſuchung willen, mit welcher dieſes Kloſter bedroht 
fei, habe er ſich aus feinem jungen, fröplichen 
Nitterftande hier hereinbegeben, wohl wiffent, 
"feine ihm durch Gott angeborne Heldenkraft reiche | 
bin, dad Alled, und wohl noch taufendmal mehr 
zu befiegen. 
uUnd dann pflegte auf feinem Angeficht eine 
Sieges gewiß heit zu leuchten, die ſich allen Hod⸗ 
‚tern mittheilte, fo daß es ſchien, als ſei der 
Arge, und all das Arge, welches er zu ſtiften 
vermoͤge, in dieſem gluͤcklichen Kreiſe für ale 
Zeiten bezwungen. 


39° 


„Da warb aber am Ende ganz was Selts 
ſames aus diefer dreiften Zuverſicht. 

„Denn in einer ſehr entſetzlichen Nacht, wo 
te wildeſten Unwetter in Sturm und Blitz und 
Dagel über das Apenninenkloſter hereinbrachen, 
ınd die Bergwaſſer zuͤrnend aus ihren Ufern 
ollten, und viele Klippenhäupter wie toll und 
ſchwindelnd von ihren fteilen Sigen verderblich 
in dad Thal hinunter fehmetterten, — in eben 
tiefer Nacht auch fprang Bruder Gredegundo ents 
ſetzlich heulend von feinem Lager auf, und Brady 
die Zellen der Brüder, und hätte fie wohl alla 
zumal erwürgt, wenn nicht die Morbbegier ihn 
immer, weiter geriffen hätte von Einem zum Ans 
dern, bevor noch irgendwo die höllifche That zu 
Ende gefommen war. Über vor Entfeßen und 
Athemloſigkeit halbtodt Tagen Abt und Möndye 
in ihren Zellen, während Sredegundo mit übers 
oder untermenfchlichen Kräften das Thor ſprengte, 
und hinausräfete ald der befeflene, wahnwigige 
Klofterritter in die weit und breit erſchreckende 
Welt.“ 

Erſchoͤpft hielt der alte Gualfredo inne; bei⸗ 
nahe zitternd, und doch von der innigſten Theil, 
nahme gluͤhend, fragte ihn der Provenzal: 

„Was iſt denn aber ſeitdem aus dem um 
gluͤcklichen Helden geworden? Und wiefonnte er 
doch nur fo entfeglich fallen und fo ſchnell 2" 

62 


38 
Bald zuͤchtigende, bald lockende Wort, habe ich 
freilich der abfcheulichen Unthaten gar viele ver 
Adt in meinem zauberifchen Wahnwig. Eineter 
Ichlimmſten gefdah in der Gegend von Marfeille 
Gewaltfam ri ich eine Nonne aus dem Klofier; 
‘dann bethörte ich fie durch buhleriſche Zauberav 
fänge, und fie ließ im toller Berbiendung fich mir 
antrauen, nachdem ich in meiner abſcheulichen 
Teufelsgewalt Stadt und Gegend dermaßen unter 
mich gezwungen hatte, daß die beaͤngſteten Klos 
ſterfrauen Feine Klage wider mid) zu erheben wags 
ten. Aber aldbald überdrüffig meiner befriedigren 
Luft, — welches denn im Kleinften und Größter 
aller ungdttlichen Menfchen Art zu feyn pflegt, — 
Veß ich die Geliebte und dad Kind, dad fie mir 
gebar, in eined tapfern Burgherrn Schug, und 
eilte Bier nach Schottland in die wilden Berge 
herauf, reiht um abzuftreifen jeded Band , wel 
ches mir noch die grüne, friedliche Erte — als 
mahnend an den blauen, feligen Himmel — zu 
flechten vermöge. Was halfes! Die tolle Wuth 
- zwar faß, wie feſt hinten auf meinen Sattelbogen 





gekauert, mir auf dem Roſſe mit, und trieb mid 


ungebändigt aud Kampf in Kampf, und ax 
Blut in Blut. Über auch die verlockende Liebes 
luſt war dabei, undunverfehns lag ich in neues 
Minnebanden ganz überwältigt fell. Davor 
mußte der Bater und der Bräutigam meind 


89 


vergoͤtterten Madchens in's Todesblut fallen; 
Sie ſelbſt entfuͤhrte ich nach einer unbewohnten 
Infel, und baute ihr dort, unter dem-Beiftand 
bezwungner Knechte, und wunderlicher, mir un» 
terworfner Geiſter, ein ſeltſames Schloß. Sie 
ſtarb uͤber der Geburt unſers Kindes, und da 
ſchlug ich zuerſt einigermaßen in mich. Deßhalb, 
als ich dem Knaben eine oe Heldenburg 
gewonnen hatte‘, und Wiefen und Forſten und 
Meder umber, binterfieß ich dem beſtallten Vor⸗ 
munde, es ruhe ein firenged- Geluͤbd auf. dem 
Kleinen , daß er — dereinſt erwachfen — diiit 
Kreuzfahrt nach Paldfline Yun muüſſe.“ --! 

„Auch mein Waffenmeifler in’ der Provence 
— ſtammelte Gualterud “= redete von ' einem 
ſolchen Gebot meined verfcholfnen Baterd;' Kur 
dad es erfi lange nach feinem Verlchwinden au 
und hingediehen ſei.“ 

„Laß doch nur jetzt deinen Vater aus bem 
Spiel!“ unterbrach ihn Gualfredo mit einiger 
haſtigen Aengſtlichkeit. „Hoͤre doch lieber dafuͤr, 
wie es mir fuͤrder auf meinen Irrfahrten erging. 
— umherſtuͤrmend ohne Raſt und ohne Rub, 
nur kaum gedenkend noch der fruͤhern Liebe und 
des fruͤhern Schmerzes, ward ich da hin gerifſen 
und dort hin: immer tiefer hinein in den unbe⸗ 
sreiflichen Zaumel. Aber immer auch Mang“ eb 
wie Nachtigallenſang mir nach, mitten durch alles 


! 


— —E 


40 


Betäubende Gewirre durch: „du wurbdeſt ja doch 
fa ſehr geliebt, und haſt ja auch fo ſehr geliebt!“ 
— Damit waren. meine ſtillfrommen Jahre ger 
meint, — ich wußt' es wohl, aber. ich kehrte 
mich viel zu wenig darnach hin, im eitefn Stolz 
mich uͤberredend, nur hoͤchſtens auf meine welt 
Ken Eichfhaftep Aörfe- Mi dicler hodernf 
Meruſ;. beꝛiehn.. 

„Ach, Sualteruß ,.. ba, iſt mir zulege eine 
Erſcheinung begegnet, welche mir meine volk 
Suͤndhaftigkeit reeht unwiderfprehlih in’d Ges 
muͤth bereinftralte durch. den ganz endlofen Abs 
fand von ihr zu mir, Und fiehb, da getieh «6 
sum sigentlihen Mendepunft, und zum Anfang 
meiner Errettung unb Befehrung, Die Erfcheir 
nung. aber war Edilbertha.“ — 

u „Bit denn!“ fiel ihm Gualterus in die Ro 
be „Da müßte Ihr Sach ja erſt feit ganz 
Zurger Zeit befehrt haben, !’' 

„So ift es auch;“ entgegnete mit einem 
feufzenden Lächeln der Alte „Zwar fam mir 
Anfangs — es find ayn fünf Jahre feitdem vers 
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor bie 
Augen, dad ein Punftreicher Mahler, ‚von biefer 
Engelsklarheit ergriffen, auf feinen Reifen durdy 
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner 
frommer Freude gefertigt haite. Aber alles, was 
man fündhaft in mir nennen Fonnte, war feit 


4 
jenem Augenblicke — wenigſtens in Bezug auf 


Edilberthen — ab und todt. Eine Ahnung der 


ſeligen Himmelöwelt gewann ſich meinen ganzen 
Sinn zum vorwaͤrtsſtrebenden ſeligen — Segel 
moͤcht' ich ſagen, weil ja der glüdlichleitende 
Dimmeldhauc auf ähnliche Art xettende Gewalt 
ausube über ein bis dahin wild ‚swifchen den 
Salzfluthen irrendes Schiff. 

„Run wußt' ich auf einmal, wohin ich mich 
gu wenden hatte, nämlich in mein eigned Innre 
hinein, um dafelbft den Netter zu finden, der 
über allen Himmeln thront. Ich ſuchte, mein 
junger Freund, ich ſuchte, und — verſteht 
ſich, daß ich fepr.ernfihaft fuchte, — 
und, Gott ſei geprieſen! ich fand! — 

In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine 
Yugen, und, weinte noch weit fchönere Freudent 
thraͤnen ald vorhin. Dann redete er auf gefeßte 
Beife in folgenden Worten fürder: 

„Da ift mir denn Berföhnung geworden: zu 
Anfang nur mit einzelnen Menſchen und Provins 
zen, zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Viel 
des Schweren und Mübfamen ward mir zu volls 
bringen aufgegeben , aber ich rang mich ehrlich hin⸗ 
durch, und endlich — grade indem ich den wilden 
Noralde in fein Blut geflürzt hatte, ihn rächerifch, 
nad feinem eignen Begehr ald der entfeliche Klo⸗ 
ſierritter erſcheinend, — endlich ward mir aus des 


Pr ww 





36 . 
„Ich will dir deine letzte Frage zuerſt beant⸗ 


worten,“ ſprach Gualfredo, „und dabei follſi du 
gngleich erfahren, was es eigentlich zu bedeuten 


Hat mit. meinem dir fo wunderlid vorfommens 


den Lachen und Truͤbſeyn. — Sieh nur, mein 
lieber, junger Held, wär «d dem Fredegundo 


nicht eingefallen, er fiche auf eignen Beinen 


secht ganz und gar und unerfchütterlich feft, und 
es liege nur an ihm, die allerentfeglichften Ber: 
fuchungen aufzufinden, um feldige an feiner eignen 
werthgeſchaͤtzten Zrefflichfeit machtlos zu Schanden 
werden zu fehn, — ja, wär er nie auf bie 
und ähnliche Einfälle gerathen, da hätte er wohl 
lange in gottgefälligen Ehren und Herrlichfeiten 
Ieben mögen zu feiner und aller Welt Sreude, 
und von jenem entfeßlichen Sturz wär" nimmer 
sieht die Rede gewefen. Aber wer die Gefahr 
ſucht, kommt darin um, und grade dic) um 
Zommen zu fehn, Qualterud, — «6 hätte mir 
da8 eigne Herz geſpalten. Mußte ich denn de 
nicht finfter werden, wenn du auf eigne Kraft 
pochteſt, und auf Willendgewalt und meinte 
Eiwas ju ſeyn? Und durfte ich nicht fröhlich 
lachen, wenn dir die Unzulänglichfeit deiner Thaten 
recht ordentlih in’! Gemuͤth trat, und beine 
eigne Urizufänglichleit ? Und weil dieß, o lieber, 
lieber Qualterud, body giemlich oft gefchicht, hoffe 
ih auf unauöfprecyliche Freude für dich und mich 


37 
hienieden im ruͤſtig ehrbaren Thun, dort jenfeits 
in ungesträbter Seligkeit!“. 

Und wieder fchlang er die Arme freundlich um 
den jungen Ritter, und weinte noch innigere 
Freudenthraͤnen, ald vorhin. - 

Ein wunderbar ahnungsreiches Beben ciefelte 
durch Gualterus GSebein: — „Wer ſeid Ihr,“ 
ſtammelte er, „wer ſeid Ir, webe imnigreicher 
Held?“ 

„Du mußt dich nur nicht entſehenz. wie 
derte ber Alte fehr ernfihaft; „dann ich will dir’6 
wohl fagen.... Ych bin nämlich jener ehemals 
verherte und aräulich. tolle Klofterritter ſelbft. 
Aber mache dich nicht von mir los, ach bitte, 
thue das nicht! Hat ich ja dorh die ewige Gug⸗ 
de ſelber recht Deutlich meiner erbarmt ! — Wie daß 
habe zugehn koͤnnen ? meinft bu ?— Ja, von dem 
Wie — da vermag ich dir nichaMecdhenf haft zu 
geben‘, und wer quch vermochte. tab! Uber ed iſt 
geſchehn, ed tft wahrhaftig gefchehn ; ich weiß 48 
mit voller, berzendfrahficher Gwißgeit! ,  ; 

Und alles Zittern in: Gualterud Bebeinen 
ward zus jubelnden , zuverfirhtlichen Kraft. Kan 
te ja doch ninsmermehr Läge kommen aud- einer 
folhen Stimme! > 

Der Ulte aber fuhr bedaͤchig fort: ft 

„Eh' ich meinem Heil entgegengetrieben, uud 
ſpaͤterhin feiner vergewiſſert wart durch da inurg, 


ei) 


Bar gächtigende, bald lockende Wort, Habe id 
freilich der abſcheulichen Unthaten gar viele ver 
'98t in meinem zauberifchen Wahnwig. Eine de 
Fhlimmften geſchah in der Gegend von Marfeille 
Gewaltfam riß ich eine Nonne aus dem Klojier 
"dann bethörte ich fie durch buhlerifche Zauberae 
ſange, und fie ließ im toller Berbiendung ſich mis 
antranen, nachdem ich in meiner abfcheuliche 
Teufels gewalt Stadt und Gegend dermaßen una 
mich gezwungen hatte, daß die beängfleten Klcı 
ſterfrauen Feine Klage wider mic) zu erheben wagı 
em. Aber alsbald überdrüffig meiner befriedigen 
Luft; — welches denn im Kleinften und Größter 
ler ungdttlichen Menſchen Art zu feyn pflegt, — 
Tu ich die Geliebte und das Kind, das fie mir 
debar, in eined tapfern Burgherrn Schug, und 
eilte Hier nach Schottland in die wilden Berg 
herauf, techt um abzuflreifen jedes Band, wel 
ches mir noch die grüne, friebliche Erde — all 
wmahnend an den blauen, feligen Himmel — jı 
flechten vermöge. Was half es! Die tolle Wuth 
Zwar faß, wie feft hinten auf meinen Sattelboga 


gekauert, mir auf dem Roſſe mit, und trieb mid 


imgebändigt aud Kampf in Kampf, und au 
Blut in Blut. Aber auch die derlodende Liebek 
luft war dabei, und unverfehns Tag ich in neun 
Mönnebanden ganz überwältigt feſt. Davır 
mußte der Water und der Bräutigam meind 


45 


„Das iſt ja eben Dein Bruder, der mit und 
in den Tempferorden treten follte, und. nun haft 
du ja deinen Bruder erſchlagen, o mein Sohr 
Gualterus! Ach, nun werd’ ich nie wieder lachen 
können , denn verdorben hat ja dein frecher, auf fich 
felbft beharrender Hochmuth mein armes Lachen auf 
immer!“ Pan) 

Heißweinend faßen Gualfredo und Gualterus 
bei dem immer leiſer athmenden Walter, und 
auch über deſſen Wangen ſchlichen einzelne, leiſe 
— vermuthlich wohl die letzten Thraͤnen bins 
Die Harfen von Selma rauſchten feierlicht Todten⸗ 
klagen aus ben verborgenſten Hbleugaͤngen heranfi 
Wohl war es, als ob die Kobolde fern über den Ber 
gen lachten und höhnten, aber fie durften hier nicht 
heran. 

Da kamen bie erfien Morgenſtrahlen in die Sin: 
galshöle herein geglitten, und Selma's Harfen vers 
hallten im füßen Gelispel, und die Kobolde raufchs 
ten erſchrocken fernab , aber Gualfredo ſeufzte: 

„Ach fiherlich, nun in der früden Tagesſtunde, 
nun ſtirbt mein lieber Walter, mein frifcher zünafter 
Sohn, und Rirbt von Bruderhand, und ich hatte 
mich Doch fo recht von ganzem Herzen, Ihr trauten 
Schmerzenskinder, gefreut, auf eben diefed Wien 
berfehen gefreut ! O weh! Oweh!“ 

Und fie weinten wieder alle drei recht bitterlich. 


un 





— 


40 


Betäubende Gewirre durch: „du wurbefl ja doch 
fa fehr geliebt, und ‚haft ja auch fo fehr geliebt!“ 
— Damit waren. ‚meine ſtillfrommen Jahre ges 
meint, — ich wußt' ‚ed..wohl, aber ich .Echrte 
mich viel zu wenig darnach hin, im eitefn Stolz 
mich uͤberredend, nur hörhftend auf meine welts 
lichen Liebfchaften duͤrfe ſich Bier veqhernſie 
ruf. beziehn. ..: 

dh, Bualteruf,. da. iſt mir zulege eine 

Erſcheinung begegnet, weldye mir meine volle 
Suͤndhaftigkeit recht unwiderſprechlich in’d Ges 
muͤth hereinſtralte durch den ganz endloſen Abs 
fand von ihr zu mir, Und ſieh, da gedieh es 
sum sigentlihen Wendepunkt, und zum Anfang 
meinst Errettung und Befebrung. Die Erfcheis 
nung. aber war Edilbertha.“ — 

4 mie. denn!“ fiel ihm Gualterns in bie Res 
be „Da müßte Ihr Such ja erſt feit ganz 
Zurger Zeit befehrt haben!" 

„So iſt es auch;“ entgegnete mit einem 
ſeufzenden Laͤcheln der Alte. „Zwar kam mir 
Anfangs — es find nun fünf Jahre ſeitdem vers 
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor die 
Augen, das ein kunſtreicher Mahler, von dieſer 
Fngelsklarheit ergriffen, auf feinen Reiſen durch 
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner 
frommer Freude gefertigt hatte. Aber alles, was 
man fündhaft in mir nennen konnte, war feit 


4 
jenem Augenblicke je wenigftiend in Bezug auf 


Edilberthen — ab und todt. ine Ahnung der 


feligen Himmelswelt gewann ſich meinen ganzen 
Sinn zum vorwaͤrtsſtrebenden ſeligen — Segel 
möcht’ ich ſagen, weil ja der gluͤcklichleitende 
Himmelshauch auf ähnliche Art sertende Gewalt 
ausuͤbt über ein bis dahın wild zwiſchen den 
Salzfluthen irrendes Schiff. 

„Run wußt’ ich auf einmal, wohin ich mich 
gu wenden hatte, nämlich in mein eignes Innre 
hinein, um daſelbſt ben Netter zu finden, der 
über allen Himmeln thront. Ich fuchte, mein 
Junger Freund, ich fuchte, und — verficht 
fi, dag ich fehr ernſthaft ſuchte, — 
und, Gott fei gepriefen!: ih fand! — 

In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine 
Augen, und. weinte noch weit fchönere Sreudery 
thraͤnen ald vorhin. Dann redete er auf geſetzte 
Weife in folgenden Worten fürder : 

„Da ift mir denn Verfühnung geworden: zu 
Anfang nur mit einzelnen Menfsben und Provin: 
gen , zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Viel 
ded Schweren und Mübfamen ward mir zu voll 
Bringen aufgegeben ‚aber ich rang mich ehrlich hins 
durch, und endlich — grade indem ich den wilden 
Rotaldoin fein Blut geflürzt hatte, ihn raͤcheriſch, 
nach feinem eignen Begehr ald der entfeliche Klo⸗ 
ſierritter erfcheinend, — endlich ward mir aus des 


46 


Betäubende Gewirre durch: „du wurdeſt ja body 
fa ſehr geliebt, und haſt ja auch fo ſehr geliebt!“ 
— Damit waren. ‚meine ſtillfrommen Jahre ger 
meint, — ich wußt' ‚eh. wohl, aber. ich kehrte 
mich viel zu wenig darnach hin, im eiten Stolz 
mich uͤberredend, nur hoͤchſtens auf meine welt 
lichen Liehfchaftep -hürfe. ſich biefe bodernft 
Ara. begziehn... 

„Ach, Gualteruß ,. da. iſt mir Juletzt eine 
Erſcheinung begegnet, welche mir meine volle 
Suͤndhaftigkeit recht unwiderſprechlich in's Ges 
muͤth hereinſtralte durch den ganz endloſen Ab⸗ 
ſtand von ihr zu mir, Und ſieh, da gedieh es 
tum eigentlichen Wendepunkt, und zum Anfang 
meiner Errettung und Bekehrung. Die Erſchei⸗ 
nung. aber war Edilbertha.“ — 

u mie denn 1 fieh ihm Sualterus in die No 
be. „Da müßte Ihr Sach ja erſt feit ganz 
furzer Zeit befehrt haben!“ 

080 ift es auch;“ entgegnete mit einem 
feufzenden Lächeln der Alte. „Zwar kam mir 
Anfangs — es find gun fünf Jahre feitbem vers 
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor die 
Augen, das ein tunftreicher Mahler, ‚von diefer 
Engelsklarheit ergriffen, auf feinen Reifen durch 
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner 
frommer Freude gefertigt haite. Aber alles, was 
man fündhaft in mis nennen fonnte, war feit 





41 


jenem Augenblicke — wenigſtens in Bezug auf 
Editberthen — ab und tobt. Kine Ahnung der 
feligen Himmeldwelt gewanıı ftch meinen ganzen 
Sinn zum vorwärtsfirebenden feligen — Segel 
moͤcht' ich fagen, weil ja der glüdlichleitende 
Himmelshauch auf ähnliche Art settende Gewalt 
ausübte über ein bis dahin wild ‚zwifchen den 
Saljfluthen irsendes Schiff. 

„Run wußt’ ich auf einmal, wohin ich mid 
gu wenden hatte, nämlich in mein eigned Innre 
hinein, um bafelbft den Retter zu finden, Der 
über allen Himmeln thront. Ich fuchte, mein 
junger Freund, ich fuchte, und — verfteht 
fi, Baßic ſehr ernſthaft ſuchte, — 
und, Gott fei gepriefen! ih fand! — 

In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine 
Augen, und, meinte noch weit fhönere ‚Sreudenz 
tdränen als vorhin. Dann redete er auf gefegte 
Weiſe in folgenden Worten fürder: 

„Da ift mir denn Verfühnung geworden : zu 
Anfang nur mit einzelnen Menfsben und Provins 
gen , zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Biel 
bed Schweren und Mühfamen ward mir zu volls 
bringen aufgegeben , aber ich rang mich ehrlich hins 
durch, und endlich — grade indem ich den wilden 
Rotaldo in fein Blut geftürzt hatte, ihm rächerifch, 
nad) feinem eignen Begehr ald der entfegliche Klo⸗ 
ſierritter erſcheinend, — endlich ward mir aus des 


42 


heiligen Batetd Munde, und (mie ich wohl fagen 
barf) aus meinen Innern herauf der völlige felige 
Erlaß all meiner fündhaften Buͤrde zu Theil. Nun 
Bleibe mir nur noch übrig, daß ich mit meinen beis 
den Söhnen, — der eine auß jenem gottesfeindli⸗ 
chen Bunde mit der Nonne, der zweite hier in 
Schottland erzeugt, — in den Ritterorden ber 
frommen Templer trete, und fo mich und mehr noch 
die armen ſchwerbedrohten Belbe vor jeder kuͤnfti⸗ 
gen Uebertretung hüte. Meint” ich doch kaum, daß 
mir diefer Wunfch je vollkommen gelingen bürfes 
Nun aber, da du Edilberthens irdifcher Liebe mit 
fo recht herzlich reiner Freudigkeit zu entſagen ver: 
mochteft, wie follte ich noch zweifeln, daß dein 
föhnlicher Beiftann —" 

Ein tiefes, Angfiliched Stöhnen and der Fin 
galshalle unterbrach den Spredyenden. 

„3% fürchte , mein tapfrer Freund und Gegner 
ſtirbt!“ feufzte Gualterus, und eilte in die Höle! 
Qualfredo tim nad. « 

Da leuchteten funkelnde Meteore, wie man 
fie wohl in diefer wundervollen Zelfengrotte bit: 
weilen zu gewahren pflegte, in mannigfacen 
Schwingungen , glich feiernden Reigentängen bin 
und wieder, und vor ihren Fichteßbligen ward des 
todtbleichen, wohl beinahe ſchon todathmenden 
Walters Antlitz offenbar. Gualfredo aber hielt die 
Haͤnde vor die Augen, und ſeufzte weinend: 


45 


‚Das iſt ja eben Dein Bruder, der mit uns 
in den Templerorden treten follte, und nun haft 
du ja deinen Bruder erfchlagen, o mein Sohn 
Qualterus! Ach, nun werd’ ich nie wieder lachen 
koͤnnen, denn verdorben hat ja dein frecher,, auf ſich 
felbft behagrender Hochmuth mein armes Rachen auf 
immer! - on 

Heißweinend ſaßen Gualfredo und Gualterus 
bei dem immer leiſer athmenden Walter, und 
auch über deſſen Wangen ſchlichen einzeine, leiſe 
— vermuthlich wohl bie legten Thraͤnen bin: 
Die Harfen von Selma raufchren feierliche Todten⸗ 
lagen au ben verborgenften Höfengängen heranfi 
Wohl war es, ald ob die Kobolde fern über den Ber⸗ 
gen achten und höhnten, aber fie durften hier nicht 
heran. 

Da kamen die erſten Morgenſtrahlen in die Sin: 
galshoͤle herein geglitten, und Selma's Harfen vers 
balften im fäßen Gelispel, und Die Kobolde rauſch⸗ 
ten erſchrocken fernab , aber Gualfredo feufjte: 


„Ach ficherlich,, nun in der fruͤgen Tagesſtunde, 


nun ftirbe mein lieber Walter, mein frifcher juͤngſter 
Sohn, und ſtirbt von Bruderhand, und ich hatte 
mich doch fo recht von ganzem Herzen, Jhrtrauten 
Schmerzenskinder, gefreut, aufeben dieſes Wien 
derfehen gefreut! O weh! Oweh!“ 

Und fie weinten wieder alle drei recht bitterlich. 


u \ 





San 


44 


Aber ed kam viel anders, ald der alte wuns 
derfame Mann und feine zwei trüben Söpne ſich 
ed denken konnten. 

Denn mit dem Morgen zugleich trat die mor⸗ 
genroͤthliche Edilbertha in die Fingalshalle, von 
ahnungsvollen Traͤumen geweckt und hierher be⸗ 
ſchieden, an dee Hand ihres gluͤcklichen Helden und 
Gemahbld. - 

Und es war, ald ſtellten fich die Meteore in ihr 
rem legten, morgenlichen Berfchweben noch zu eis 
men Kreife zufammen über Edilbertha's Haupt, 
und von ihnen wie gefeiert. und geſchmuͤckt, goßfie 
langſam tınd betend einen. heifenden Saft in Wal⸗ 
terd Wunde. Der. Kranke ſchlug die Augen auf, 
und nicht lange, f0. lächelte er. die Morgenfonne an, 
und fagte: 

,D ich fühl’ es fürwahr, ich lebe nun woleder, 
und werde nach Ichen fix manchen herrlichen, ruh⸗ 
me&befrängten Tag! — Meine holde Wergtin aber, 
wie Yhr-fo.labend anb helfend vor mir ſteht, da 
muß ich Such eine Beichte thun. : Beliebt hab’ ich 
Euch mit all der Inbrunſt meines thörichten, Eins 
difchen Herzens, und weil Ihr bad weder erwidern 
konntet noch wollter , hub ich in rafender Srechheit 
an, wider Euchzu fehmähen. Das hat-denn mein 
Bruder Qualterudgar ernſthaft und blutig und bil⸗ 
lig an mir geraͤcht. Und nicht wahr, guͤtige Her: 
Fin, nun verzeiht Ihr mie? Und nicht wahr, nun 


EEE . . 


ı 


45 


ift Alled gut, was Gualfredo und feine Söhne Vers . 
Fehried auf Erden angefangen haben ?'’ 

Edilbertha antwortete nur mit einem anmuthi⸗ —. 
gen Laͤcheln, aber das leuchtete hold verſohnend > 
und auch Die letzte Wuubderlichkeit und Unbill verlds 
(chend durch deö Greifen und feiner Kinder Seelen 
Bin. — „Es iſt gar herrlich ‚’' fagte endlich Guals 
frebo , „daßwir Drei zum rechten Wege doch ganz 
durch daß Reiten der fehönen Herrin Edilbertha ges 
Tangt find. Mochten wir und dabei auch links oder 

rechts in Nebenpfade verirren, — ber fchöne, liebe 
Stern winfte und dennoch wieder flät zu fich hin, 
um und dem erhabenſten und feligften Sterne nach» 
zuführen, den ed je gegeben hat und giebt und geben 
wird.” 





Sie find nachher alle Drei ald Templer in - 
dad heilige Land gezogen, und ehrenvoll, und 
den größten Theil des Chriftenheered von bedrohs 
lichem Unglüd errettend, an Einem rühmlichen 
Tage gefallen, und Edilbertha hat ihnen verherr⸗ 
lichende Zhränen nachgemeint. 








Der tiebesring. 





Zur Zeit, ald der große Kaiſer Karl ſchon Jahres 
lang der Franken König war und eben in Worms 
feinen’ Hofbalt hatte, begab es ficy eined Tage, 
daß bittere Klagen dafelbft einliefen. Denn «6 
nahmen in daliger (Gegend die Bären dermaßen 
überband, daß fie ſich ſchon bis dicht an bie 
Stadt heranwagten und großen Unfug anrich⸗ 
teten. Da das dem Könige zu Ohren kam, fo 
ſprach derſelbe alfo zu den Rittern und Herren, 
welche eben um ihn waren: Schon mandıen 
Feindesſchwarm, der auf feine Bernunft pochte, 
haben wir in Gotted Namen gedämpft; laßt 
und diefem vernunftlofen nicht anders thun! 
Und alsbald waffnete ſich eine gute Schaar, 
meift anfehnlicher Herren, dem unbewehrten 
Landmanne von den grimmigen Bären zu helfen. 
Sie zerftreuten fid in den Wäldern, hierhin 
und dorthin, und waren fo fleißig im Auffuchen 
der Raubthiere, daß ſchon nach wenig Tagen 
die Gegend ziemlich gefäubert feyn konnte. Ein 
einziger, alter Bär, welchem der König auf der 
Fahrte war, ſchien noch Abrig und dem wollte 


l 
47 


er ſeſber nachtrachten, wie weit dad Thier auch 
von der Surcht hinweggetrieben ſei. Daher ents 
ließ er die meiſten feiner Gefellen und behielt, 
außer einigen Dienftleuten , keinen bei fi, als 
den Erzbifhoff, Turpin von Rheind. Denn 
auch Bifchöffen ziemte die Jagd, wo felbige zum 
Schutze vor Raubihieren gefchah. 

Vergebend aber zog Herr Turpin mit dem 
Könige hin und her, den Bären zu finden, einen 
ganzen Tag. Als es nun finfler wurde, und 
die Fährte ded Thieres gar verloren fhien, da 
befchloß Karl mit den Seinen in einer Köhlers 
hütte die Nacht über zu verweilen, um mit 
frühbem Morgen deſto frifcher wieder an das 
Merf zu gehen. | 

Aber obfchon der König die letzten Lage im 
Walde gar unruhig und beſchwerlich veriebt hats 
te, fo fonnte er doch, auch in biefer Nacht, 
des Lagers nicht froh werden, welches der Koͤh⸗ 
ler, der ihn kannte, durch ſeine Ehefrau mit 
moͤglichſter Sorgfalt bereiten laſſen. Vielmehr 
erhob er ſich, ſeiner Gewohnheit nach gegen 
Mitternacht, und ging, waͤhrend die andern in 
tiefem Schlafe lagen, vor die Thuͤre der Huͤtte, 
um ſein Aufmerken einzig den Sternen zuzu⸗ 
wenden, welche gerade in dieſer Racht ſo klar, 
wie eitel Sonnen, vom Himmel herableuchteten. 
Gleichwohl ſchloſſen ſie nicht, wie ſonſt, ſein 


J 





\ 4 


innerſtes Leben auf, fondern er fühlte ben Sinn, 
der in ſolchen Nächten gemeiniglich die hellſten, 
Herrfichften Entſchluͤſſe faßte, ſo geftbrt und duͤſter 
und verdumpft, daß er Fein einziged Sternbild 
gu entzinern vermochte. 

' Da fragte er fich felbft, warum ‚die Eterne 
wohl fo ſtumm wären für ihn, dem fie fonft 
immer ihren goldenen Mund aufthaten, und ed 
war ihm, ald fei etwas Unfreundliched gegen 
ihn im Anzuge. Denn in ben Nächten Furz 
vor dem Ableben feined theuren Gemahls, der 
Frau Hildegardis und feiner viclgeliehten Mutter 
Xerchta, welche der Herr in einem Jahre zu ſich 
berufen, hatte der Sternhimmel ſich audy nicht 
fund thun mögen dem unabläffigen Berlangen 
feines Herzens. 

Traurig wollte er ſchon in die Hätte zuruͤck. 
Doc) ald er ſich dieferhalb zur andern Seite kehrte, 
da warder, in nicht algugroßer Entfernung einer 
Flamme gewahr, welche, über die alten hohen 
Eichen des Waldes hinauf, faft bis in den Hims 
mel hinein wogte. 

Nun gab es in diefer Nähe Fein Haus, ja 
nicht einmal eine Köhferhürte, daher war er 
begierig, etwas Beſtimmtes über das Feuer zu 
vernehmen, und eilte zu dem Wirthe, und ers 
wedte ihn. Diefer aber trat fogleich mit KarPn 
herausd und erfiaunte faſt noch mehr als der 


49 


König, über die ungeheure Flamme, die mit jebem 
Augenblicke höher, und in wunderlicherer Geftale 
tung , binaufloderte. 

Herr König, ſprach der Köhler, in ſichtbarer 
Angſt, ſollte vielleicht ein Heidenſchwarm in der 
Naͤhe liegen ? Anders wenigſtens Tann ich mir 
ſolch ein euer in jener Gegend nicht deuten. 
Gleichwohl wäre, nach fo vielen Niederlagen des 
ungläubigen Volkes, die Zollfühnheit allzugroß ! 

Dem fei wie ihm wolle — verfeßte Karl — 
ich muß wiſſen, welche Bewandniß ed habe mit 
der Flamme! 

Hierauf ermunterte er feine Jagdgenoffen, 
daß ſie daufſtanden und bald waren. ber Erzbis 
(hoff wie die Uebrigen auf den Beinen, die 
meiften mit. wenig mehr ald ihren Iagbfpießen 
bewaffnet. \ j 

Waͤhrend einer der Knechte eine Fackel voran 
trug , gingen fie indgefammt herzhaft nach dem 
Zeuer zu und ed war aldö ob biefed auf einmal, 
höher denn zuvor, ja bis über die Sterne hinauf 
glänze, dann aber immer Heiner und Fleiner 
werde. 

Wie fie nun auf ben freien Plag im Walde 
kamen, ben ber Köhler für den einzigen angab, 
von dem bie große Flamme habe aufſteigen koͤn⸗ 
nen, fo fand fich Feine Spur,. nicht einmal von 
Kohlen ‚oder Aſche. Da fprach der König zum 

Gefpenfterbuch 7. Theil. 








50 


Köhfers Ei Lieber, fage, wie waͤfk es möglich, daß 
hier eben erſt ſolch eine Flamme aufgeſtiegen ſei, 
und nun ſich auch nicht das mindeſte Zeichen davon 
entdecken lieſſe? Wäre vielleicht auf anderm Plage 
geweſen, was wir von weitem wahrgenommen? 

Aber der Köhler vermaß fich Hoch, daß es für 
ein ſolches Feuer feinen Pla in ber ganzen Gegend 
gäbe , ald diefen , indem vonnunanter Wald, alı 
Ienthalben, bis auf wenige Fußſteige ‚ unzugänglic 
werde. 

Man fah hierauf nochmals ſorgſam umher, 

nirgend aber Teuchtete ein einziger Funke. Nur 
von der Mitte des Platzes breitete ſich, ein Faum 
bemerfbarer, blauer Qualm, nach allen Seiten 
hin, der einen Peſthauch von ſich gab. Als die 
Mitte fih nun wieber aufhellte, entdeckte man 
auch einige kleine Leute, welche etwas im Graſe 
zu fuchen ſchienen. 
Was gilts, Herr König, ſprach der Koͤhler, 
das alles iſt bloßer Zauberſpuk gewefen! Denn 
man will behaupten, daß das Heidenthum nun⸗ 
mehr, da die Waffen durch Gottes Hülfe ihm 
fehlſchlugen, darauf ausgehe, den Chriften mit 
heimlichen Mitteln Abbruch zu thun. 

Der Erzbifhoff trat feiner Meinung bei und 
ber König fägte: So laßt und benn hin und 
des Teufels Werke zerftören. | 

Als fie nun naher kamen, da entſetzten ſich 








51 — 
ber Erzbiſchoff und alle Uebrigen vor der Haͤßlich— 
keit des Weibes und ihrer drei Kinder, „welche 
der Anfommenden zu harten fchienen. 


Mie hierauf, beim Herannahen ber Alten, | 


die Andern in lauted Murren ausbrachen, da gebot 
der König ihnen zu ſchweigen und redete ſelbſt, mit 
milder Stimme , dad Weib alfo an: 

Mas, Alte, ift dein Beginnen, bier, mitten 
in ber Nacht ? | 

Zu ſuchen mit meinen Kleinen nach heilen: 
den’ und gluͤckbringenden Kräutern, fo nur in 
dieſer Stunde zu finden find. 

Haft du die Flamme erregt, die vorhin von 
bier in die Höhe flieg ? 

Nur gepflegt ! 

Mo ift fie hingefommen ? 

Wohin die Sonne‘ geht am Abend; es war 
nur, fünftlih aufbewahrted, Sonnenfeuer ! 

Herr König, fprach jet ber Erzbifchoff, ſeinen 
Eifer länger nicht bezähmend,, wozu die Nacht 
verderben mit biefem Zaubergefchmeiß ? Laffet fie 
binden durch die Knechte, und ihnen alsbald thun, 
was recht iſt! 

Was recht iſt! wiederholte Karl bedeutend. 
Ziehe du darum in Frieden, Weib, mit deinen 
Kindern. Mehr, denn der verdaͤchtigen Rede 
deines Mundes, traue ich auf dein wohlwollen⸗ 
des Angeſicht. 

D 2 





Nur mit Mühe hielt der Erzbiſchoff, wie die 
Uebrigen, ihren Unwillen über diefe Rede zuruͤck! 
Das Weib aber ſagte: | 


Herr König, habet Dank für den Schug, fo 


Ihr einer armen, alten Grau gewährt und traget 


mir zum Andenken diefed Singerlein *) gefertigt 
aus ben heilfamen Kräutern der Mitternacht. 
So wenig Schein ed hat, fo mag es Euch dod) 
in mancherlei Fällen Dienfte leiſten. Gedenket 
drum meiner und bed Singerleind, wenn mors 
gen der Bär von Euch erlegt wird. 

Hierauf begab ſich die Frau mit den Kins 
dern hinweg und ber König that wirklich den 
Ring an feinen Finger. 

Der Erzbiſchoff verftummtedaräber vor Schre⸗ 
den und felbft der Köhler ſchuͤttelte den Kopf. Aber 
Karl, dem ed nicht entgieng, (haft gewaltig über 
das voreilige Urtheilen, und daß man aufder Alten 
milded Unge, das ihm immer noch vorleuchte, 
fo gar wenig feße. 


Nichte, eiferte der Erbifhoff leuchtete dar⸗ 


aus, als der Glanz des Feuers, in dem dieſer 
Ring, Euch zum Verderben, bereitet wurde! 


Was bedarf «6 weiter Zeugniß, daß Eure Ber 
blendung ber Zweck der Hexe war, der ihr auch 


gelungen ift, nun wir von Euch hören, daß ein 


D 


®*) Gin fing. 


53 
fo ruchloſes Geſicht wie dad ihrige, Euch mild 
und freundlich hat duͤnken koͤnnen. 

Berbiendete Ihr alle, ermwiderte der König 
heftig. Zuvor fhon erfüllt mit eitel Zauberbils 
dern, hat Eure Einbildungsfraft Euch dad Auge 
zugebalten. Als 05 es nicht auch geheime Wiſ⸗ 
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗ 
ſchen ausgeſonnen! 

Der Peſtgeruch, ſprach Herr Turpin, ſollte 
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen? 

Da verfeßte der König finfter: So habt Ihr 
denn niemals aus unreinem Dampfe felbft da® 
Reinſte unb Höchfte hervorgehen fehen? Ober 
iſt ed eitel Weihrauch, worinn das Metall vers 


fhmolzen wird zum Kelche für den Tiſch des 


Herrn? — 

Am Morgen beim Aufbruch aus der Köhler, 
hütte meinte der König ſchon, er habe das Geſchenk 
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entdec⸗ 
te es ſich, daß ihr Ring ganz unten, an ſeinem Mit⸗ 
telfinger ; wie eingewachfen in ihn war, auch) in ſo 
furzer Zeit die Farbe bed Fingers angenommen hats 
te, 10 daß er ſich nur ſchwer von dieſem unterſchei⸗ 
den ließ. Den Ring abzunehmen , war unmoͤglich 
geworden. | 

Herr Zutpin erfeufzte, ald der König ihm die 


Sache vorzeigte. Da fagte Karlzu ihn : Und wenn | 


— was ich ganz bezweifeln muß — der Zeufel felbit 


1m . öæ 


54 


verborgen wäre in biefem Singerlein, meint ‘he, 
daß ich, derich bloß lebe, um ihn zu bekämpfen, 
mich Durch ſolch Gaufelfpiel vom Kampfe würde 
abſchrecken laffen ?, 
Seine Macht und Blendwerke find groß! 
rief der Erzbiſchoff. Doch der König fprach halbs 
gornig : Nun will ich, daß endlich die Furcht hiers 
über ſchweige! 
. Da wagte dann niemand mehr ein Wort gegen 
ihn fallen zu Iaffen über den Ring. — 
. Wirklich wurde der Bar fehr bald aufgetries 
ben, und erlegt. . Karl dachte foglih an das 
Geſchenk der Alten, enthielt ſich aber zu [pres 
chen davon. 
| So groß audh Herr Turpins Veſorgniß war 
wegen des Ringes, fo offenbarte ſich doch, waͤh⸗ 
rend geraumer Zeit, nichts an dem Könige, was 
die Macht des Höfen über ihn fund gethan hät 
te. Nach wie vor, führte Kart. ‚dad Schwert 
deö Herrn gegen bie Feinde des Glauben? und 
der Orbnung, mit Kraft und Sreudigfeit. Nach 
wie vor fprach er mit Heren Zurpin und dem 
Abt Alkuin, feinem vertrauten Freunde, von 
geiftlichen Dingen, Wie immer ftärkte er feine 
Seele in den herrlichen Schriften ded heiligen 
Auguſtinus und brach einft, weil er, troß feiner 
Anftrengung, die Wiffenfchaft nicht fo fordern 
Tonnte, ald fein Wunf war, gegen Alfuin in 


55 

folgende Worte aus: O daß ich.nur zwölf fo 
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hierony⸗ 
mum und Auguftinum ! Dod Herr. Alkuin, 
weicher diefe Aeußerung der frommen Demuth 
auwider achtete, entrüftete ſich deß und ſprach: 
Sat doch der. Schöpfer de Himmeld und. der 
Erden nicht mehrere ihred Gleichen gehabt ‚und 
Ihr könnt deren zwdlf begehen ? — .. 

Nach einiger Zeit war dad Geſchenk der Alten 
Bänzlidh vergeffen, ſelbſt von Karln, bis. eines 
Morgens, ald beim .Händewafchen fein- Auge 
auf den Finger fiel, am dem’ der Ring gefeflen, 
diefer fich nicht mehr daran fand. Gr wobte 
nicht, wenn und 19 er ihn. verloren hätte, 

Sogleich gab er Herrn Zurpin, ‚welcher ſich 
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗ 
liche Nachricht von dieſem Umſtande, und der 
fromme Mann dankte Gott, daß er fein unab⸗ 
laͤſſiges Flehen endfüch erhört Babe. 

Im diefe Zeit befand ſich der König in der 
Stadt Aach, und gieng eben darauf um, ſi 
fernerweit zu vermähfen. Die fhöne Puitgardie 
don Schwaben hatte feinen Sinn gefeffelt , deren 
Beſchreihung ihm fo umftändlich gemacht worden, 
daß er eines Tages ausrief: Obſchon ich daß 


Sräufein nimmer mit’ Yugen’gefehen, fo bin, ich 


deß doch gewiß, fie werde mir vor andern wohl⸗ 


— ET nn 








56 
gefallen, auch vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗ 
ſenden alsbald herauszufinden | 

"Der Hofmeifter,; den er zur Werbung um 
bad Zränlein eben fenden wollte, flahd dabei, 
als Karl ſolches ausrief; daher fügte der König 
hinzu: Du kannſt das immer ihrem Vater wie⸗ 
der ſagen. 

Wie nun der Hofmeiſter gen Schwaben ge 
veifet war, und dort, nebft den Abrigen Befehlen 
feined Herrn, auch diefen ausgerichtet, that 
Luitgatdis Bater aldbald, in feiner Frade, der 
Tochter ſolches kund. Da diefe nun begterig 
war; zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie for 
gleich entdecken werde, fo befchloß fie, bei ihrer 
erfien. Zufammentunft mit dem Fünftigen Gemal, 
fich im nicht6 von: den Dieneriäinen, die mit ihr 
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie diefe 
geklejdet, vor dem theuern Hertn zu erfcheinen. 

Karls Hofmeiſter, als er: ingeheim hiervon 
sernahm, ſo glaubte er dem König. doch zuvor 
davon Kunde geben zumüflen und er fhrieb ihm 
ſolches, und damit aller mögliche Irrthum vers 
mieden werde, erbot er ſich, ihm ein Zeichen 
zu geben, welche von den Ankommenden ſeine 
Braut ſei. 

Deß aber ward der König faſt zornig und 
ſchrieb dem Hofmeiſter zuruͤck: Er moͤge ſich 
beſſer gewoͤhnen, die Befehle ſeiner nunmehro 


57 


baldigen Gebieterin zu befolgen, fonder Trug 
und Hinterliſt. Ein anderes Zeichen ſeiner Treue 


und ſeines Gehorſams begehre er in dieſem Falle 


nicht von ihm. — 

Und alles geſchah, wie Luitgardis und ihr 
Braͤutigam ſolches eingeleitet. 

Um in Zeiten ſeiner Sache gewiß zu ſeyn, 
ritt Koͤnig Karl dem Brautzuge weit entgegen, 
barg ſich jedoch, als der Zug, auf eitel ſtattlichen 
Roſſen, herannahete, hinter dem Geſtrippe des 


Waldes, von wo aus er alles genau und unbe⸗ 


merkt beobachten konnte. 

Ha! rief er aus, als der Zug voruͤber kam, 
und vor Freude feiner Sache und hiermit der rei⸗ 
zendflen Braut gewiß zu feyn, alfo laut, daß 
man den Ton vernahm und alled nach der Seite 
fih hinkehrte, woher er ſcholl. Doc das dichte 
Laub ſchuͤtzte den Kbnig vor der Entdeckung und 
ald der Zug vorüber war, gewann er noch Zeit, 
auf Seitenwegen eiligft zurüdzureiten nady der 
Stadt Aach, und fich hier bereit zu machen zum 
Empfange der holden Braut. — 

Luitgardid konnte fo wenig wie alle die mit 
ihre waren, im Thore zu Aach ihr Staunen hergen 
über den König, der hier ihrer ſchon harrte, 
So viel fie auch von der Hoher feiner Geftalt 
vernommen , fö herrlich und mild zugleich hatten 
- fie ihn nicht denken mögen, ald er hier, auf 


* — 2 2 ö⏑—— 


82 
Nur mir Mähe hielt der Erzbiſchoff, wie die 


Uebrigen, ihren Unwillen über diefe Rede zuruͤck! 
Das Weib aber ſagte: | 


Herr König, habet Dank für den Schug, fo 


Ihr einer armen, alten Frau gewaͤhrt und traget 


mir zum Andenken dieſes Singerlein *) gefertigt 
aus ben heilfamen Kräutern ber Mitternadht. 
So wenig Schein ed hat, fo mag es Euch doch 
in mancherlei Faͤllen Dienfte leiſten. Gedenket 
drum meiner und des Fingerleins, wenn mor—⸗ 
gen der Baͤr von Euch erlegt wird. 

Hierauf begab ſich die Frau mit den Kin 
dern hinweg und der König that wirklich den 
ing an feinen Singer. 

Der Erzbiſchoff verftummtedaräber vor Schre 
den und felbft der Köhler ſchuͤttelte den Kopf. Aber 
Karl, dein ed nicht entgieng, ſchalt gewaltig uͤber 
das voreilige Urtheilen, und daß man auf der Alten 
mildes Auge, das ihm immer noch vorleuchte, 
ſo gar wenig ſetze. 

Nichts, eiferte der Erriſchoff leuchtete dar⸗ 


| aud, ald der Glanz de Feuers ‚ in dem dieſer | 


Ming, Euch zum Verderben, bereitet wurde! 


Was bedarf «6 weiter Zeugniß, daß Eure Ber 
blendung der Zweck der Here war, ber ihr auch 


gelungen iſt, nun wir von Euch born, daß ein 


6) Sin King. 


55 
fo ruchloſes Geficht wie dab ihrige, Euch mild 
und freundlich hat duͤnken koͤnnen. 

Verbiendete Ihr alle, erwiderte der König 
heftig. Zuvor ſchon erfüllt mit eitel Zauberbils 
dern, bat Eure Einbildungdfraft Euch dad Auge 
zugehalten. Als 0b ed nicht auch geheime Wiſ⸗ 
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗ 
ſchen ausgeſonnen! 

Der Peſtgeruch, ſprach Herr Turpin, ſollte 
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen? 

Da verſetzte der König finfter: So habt Ihr 
denn niemald aus unreinem Dampfe felbft dad 
Reinfte und Höchfte hervorgehen fehen? Ober 
iſt es eitel Weihrauch, worinn das Metall vers 


fhmolzen wird zum Kelche für den Tiſch des 


Herrn? — 

Am Morgen beim Aufbruch aus der Kohler⸗ 
hütte meinte der König fchon , er habe das Geſchenk 
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entbeds 
tes ſich, daß ihr Ring ganz unten, an feinem Mit⸗ 
telfinger , wie eingewachfen in ihn war , auch in fü 


kurzer Zeit Die Farbe des Fingerd angenommen hats. 


te, 10 daß er fih nur fchwer von dieſem unterfcheis 
den ließ. Den Ring abzunehmen, war unmöglich 
geworden. ° 

Herr Tutpin erfeufzte, ald der König ihm die 


Sache vorzeigte. Da fagte Karlzu ibm : Und wenn | 


— mad ich ganz bezweifeln muß — der Zeufel felbft 


un ee ba 


50 
Köhler s Ei Lieber, fage, wie waͤte es möglich, daß 
bier eben erft folch eine Flamme aufgeftiegen fei, 
und nun ſich auch nicht das mindefte Zeichen davon 
entdecken lieſſe? Waͤre vieleicht auf anderm Plage 
dewefen, was wir von weitem wahrgenommen ? 

Aber der Köhler vermaß fih hoch, daß es für 
ein ſolches Feuer feinen Plag in ber ganzen Gegend 
gäbe , ald diefen , indem vonnunan ter Wald, alı 
Ienthalben, bis aufmwenige Fußſteige, unzugaͤnglich 
werde. | 

Man ſah Hierauf nochmald forgfam umher, 

nirgend aber feuchtete ein einziger Bunfe. Nur 
von der Mitte des Platzes breitete ſich, ein Faum 
bemerfbarer, blauer Qualm, nad) allen Seiten 
hin, Ber einen Peſthauch von ſich gab. Als die 
Mitte ſich nun wieder aufhellte, entdeckte man 
. auch .einige Feine Leute, welche etwas im Graſe 
zu fuchen fchienen. 
Maß giltd, Herr König, fprach der Köhler, 
dad alles ift bloßer Zauberſpuk gewefen! Denn 
man will behaupten, daß dad Heidenthum nun« 
mehr, da die Waffen durch Gotted Hüffe ihm 
fehlfchlugen, darauf ausgehe, den Chriften mit 
heimlichen Mitteln Abbruch zu thun. 

Der Erzbifhoff trat feiner Meinung bei und 
ber König fagte: So laßt und denn hin „und 
des Teufels Werte zerftören. 

Als fie nun naher famen, da entfeßten ſich 


55 

folgende Worte aus: D daß ich .nur zwölf fü 
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hieronys 
mum und Auguftinum ! Doc Hear. Alkuin, 
welcher dieſe Aeußerung der frommen Demuth 
zuwider achtete, entrüftete fich deß und ſprach: : 
Hat doch der Schöpfer des Himmels und der 
Erden nicht mehrere ihres Gleichen gehabt , und 
Jhr Eonnt deren zwölf begebren ? — .. 


Nach einiger Zeit war dad Geſchenk der Alten 
gaͤnzlich vergeſſen, ſelbſt von Karln, bis eineb 
Morgens, als beim Haͤndewaſchen fein- Auge 
auf den Singer fiel, an dem’ der Ring gefeflen, 
diefer fich nicht mehr daran fand. Cr wußte 
nicht, wenn und wo er ihn. verloren hätte, 

Sogleich gab er Herrn Turpin, welchen fi 
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗ 
liche Nachricht von diefem Umftande, ‘und ber 
fromme Mann danfte Gott, daß er fein unab⸗ 
laͤſſiges Flehen endlich erhort habe. 

Um diefe Zeit befand fich der König in der 
Stadt Uach, und gieng eben barauf um, ſiĩ 
fernerweit zu vermaͤhlen. Die fchone Ruitgarbi 
von Schwaben hatte feinen Sinn gefeffelt, deren 
Befchreidung ihm fo umftändlich gemacht worden, 
daß er eined Tages ausrief: Obſchon ih bas 
Fraͤulein nimmer mit Augen geſchen, ſo bin ich 
deß doch gewiß, ſie werde mir vor andern wohl 


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56 
gefallen , auch vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗ 
ſenden alsbald herauszufinden! 
Der Hofmeiſter, den er zur Werbung um 
das Sränfein eben fenden wollte, flahb dabei, 
als Karl ſolches ausrief; daher fügte der König 


hinzu: Du kannſt das immer ihrem Bater wie 


der fagen. 

Wie nun ber’Hofmeifter gen Schwaben ge 
veifet war, und dort, nebft den Abrigen Befehlen 
feines Herren, auch diefen ausgerichtet, that 
Luitgatdis Bater aldbald, in feiner Fratde, de 
Tochter folcyed Fund. Da diefe nun begterig 
wars: zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie fos 


gleich entdecken werbe, fo beſchloß fie, bei ihret 


erfien. Zufammenfunft mit dem Fünftigen Gemal, 
fich in nichts von den Dieneriinen, die mit ike 
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie dieſe 
gekleidet, vor dem theuern Hertn zu erſcheinen. 

Karls Hofmeiſter, als er ingeheim hiervon 
vexnahm, fo glaubte er dem Koͤnig doch zuvor 
davon Kunde geben zu muͤſſen und er ſchrieb ihm 
ſolches, und-damit aller mögliche Irrthum vers 


mieden werde, erbot er ſich, ihm ein Zeichen 


ju geben, welche von den Ankommenden ſeine 


Braut ſei. 


Deß aber ward der Koͤnig faſt zornig und 
ſchrieb dem Hofmeiſter zuruͤck: Er moͤge ſich 


beſſer gewoͤhnen, die Befehle ſeiner nunmehro 


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55 
fo ruchloſes Geficht wie dab ihrige, Euch mild 
und freundlich hat bünfen koͤnnen. 

Verblendete Ihr alle, erwiderte der König 
heftig. Zuvor ſchon erfüllt mit eitel Zauberbils 
dern, hat Eure Einbildungsfraft Euch dag Auge 
zugehalten. Als od ed nicht auch geheime Wiſ⸗ 
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗ 
ſchen ausgeſonnen! 

Der Peſtgeruch, ſprach Herr Zurpin, ſollte 
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen? 

Da verfehte der König finfter: So habt Ihr 
denn ntemald aus unreinem Dampfe felbft dad 
Reinſte unb Höchfte hervorgehen fehen? Ober 
ift ed eitel Weihrauch, worinn das Metal vers 


ſchmolzen wird zum Kelche fuͤr den Tiſch des 


Herrn 7 — 

Am Morgen beim Aufbruch aus der Köhler, 
hütte meinte der König fchon , er habe das Geſchenk 
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entdee⸗ 
te es ſich, daß ihr Ring gang unten, an feinem Mit⸗ 
telfinger ‚, wie eingewachfen in ihn war, auch in fü 
kurzer Zeit die Farbe ded Fingers angenommen hats 
te, ſo daß er ſich nur ſchwer von diefem unterſchei⸗ 
den ließ. Den Ring abzunehmen, war unmoͤglich 
geworden. 

Herr Tutpin erſeufzte, als der König ihm die 


Sache voͤrzeigte. Da ſagte Karl zu ihm: Und wenn 


— was ich ganz bezweifeln muß — der Teufel ſelbſt 


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56 
gefallen ‚aud vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗ 
ſenden alsbald herauszufinden! 


"Der Hofmeiſter, den er zur Werbung um 


bad Fraͤnlein eben ſenden wollte, ftahb dabei, 


ald Kurt ſolches ausrief; daher fügte ber König 


hinzu; "Du kannſt das immer ihrem Vater wie⸗ 
der ſagen. 


Wie nun ber’ Hofmeiſter gen Schwaben ge⸗ 


veifet war, und dort, nebſt den uͤbrigen Befehlen 
ſeines Herrn, auch diefen audgerichtet, that 
Luitgatdis Bater alsbald, in feiner Frade, de 
Tochter foldhed Fund. Da diefe nun beaterig 
wars: zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie for 
gleich entdecken werbe, fo beſchloß fie, bei ihrer 
erſten Zufammenfunft mit dem künftigen Gemal, 
fich in nicht6 von. den Dienerinnen, die mit iße 
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie dieſe 
geklejdet, vor dem theuern Hertn zw erſcheinen. 





Karls Hofmeiſter, als er ingeheim hiervon 


vernahm, fo glaubte er dem Koͤnig doch zuvor 


davon Kunde geben zumüffen und er fhrieb ihm 
folches , und-damir aller mögliche Irrthum vers 


mieben werde, erbot er fih, ihm ein Zeichen 
gu geben, welche von den Anfommenden feine 


Braut fei. 
Deß aber ward der König faſt zornig und 


Tchrieb dem Hofmeifter zuruͤck: Er moͤge ſich 


beſſer gewöhnen, die Befehle feiner nunmehro 


| — — .. 

















55 
folgende Worte aus: O daß ich .nur zwölf fo 
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hieronys 
mum und Auguftinum ! Doch Herr. Alkuin, 
welcher diefe Ueußerung der frommen Demuth 
zuwider achtete, entrüftete fich deB und ſprach: 
Hat doch der Schoͤpfer des Himmels und der 
Erden nicht mehrere ihres Gleichen gehabt, und 
Ihr könnt deren zwoͤlf begehren? — 

Nach einiger Zeit war das Geſchenk der Alten 
gaͤnzlich vergeſſen, ſelbſt von Karln, bis eines 
Morgens, als beim Haͤndewaſchen ſein Auge 
auf den Finger fiel, an dem der Ring geſeſſen, 


diefer fich nicht mehr daran fand. Gr wußte 


nicht, wenn und wo er ihn. verloren hätte, 
Sogleich gab er Herrn Zurpin;, ‚welcher ſich 
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗ 
liche Nachricht von dieſem Umftande, und der 
fromme Dann danfte Gott, daß er fein unab⸗ 
Täffıges Stehen endlſich erhört Babe, “ 
Um dieſe Zeit befand ſich der Koͤnig in ber 
Stadt Aach, und gieng eben darauf um, Te 
fernerweit zu vermählen. Die ſchoͤne duiigarvi 
von Schwaben hatte feinen Einn gefeffelt , deren 
Befchreidung ihm ſo umflaͤndlich gemacht worden, 
daß er eined Tages ausrief: Obſchon ih bas 


Sräulein nimmer mit Augen gefehen, fo bin ih 


deß doch gewiß, fie werde mir vor andern en oh 





— vraza—.. 
7, — 


56 


weißen, ungewöhnlich großem Zelter, im Rode 
aus Goldſtoffe gewebt, mit ber bligenden Krone 
auf dem Haupte und dem mächtigen Schwerte in 
der Hand erfchien, und nachdem der fremde Abge⸗ 
fandte, vereint mit feinem Hofmeiſter, ihm die 
Meinung Ruitgardid kundgethan, herabflieg von 


dem Roſſe, um die Braut herauszufinden, welche 


nebft ihren Begleiterinnen und Degleitern ebew 
falls abgeftiegen war. 


Menn auch Luitgardis nicht, gleich ihm, alle 


andern ihres Geſchlechts an Schoͤnheit hinter ſich 
ließ, fo ragte fie doc) darinn Über ihre Dienerinnen 


fo weit hervor, daß fie feiner Wahl ganz ge 


ruhig entgegen fehen konnte. 


Da trat der König ihnen näher und fenfte 
fein Schwert. Wer ihn fah, der fühlte fich ers 
hoben von bein liebreichen Strahle ſeines großen, 


ſchoͤnen Auges. — 
Wie er nun ſagte: Ich, der Franken Koͤnig, 


gruͤße Luitgarden von Schwaben, als meine ge⸗ 


liebte Braut und, ſo Gott will, baldiges Gemal! 
dazu einer ber Damen feine Hand zu reichen Fam, 
die alſo Begruͤßte aber niedergefchlagenen Auges 
fh zur Seite wendete und einer der Damen, 
welche darüber ihr Bewußtſeyn verlor, alle zus 
gleich Hüffreiche Hand zu leiſten fuchten, da trat 


‚ber, der keinem äußern Feinde erzitterte, heftig 





39 


zitternd zuruͤck. Denn alles ſagte ihm, daß er 
fid) in der Perſon geirrt hatte. 

Alsbald aber ermunterte fich fein Geift wieder 
und er bedachte, wie die Blicke ded Volkes auf 
ihn gerichtet waren, auch dem eingegangenen Bers 
trage fein Recht gefchehen müfle. Doch wurde 
ed ihm ſchwer, die eine, fo er faͤlſchlich begrüßt, 
nicht anzufchauen und ftatt deffen die Nede an 
feine künftige Hausfrau zu richten, ald dieſe 
wieder zur Sefinnung zuruͤckkehrte. 

Berehrte Braut — fo begann, er — wir 
ſelbſt haben beibe Schuld an dem Irrthume, 
ber eben begangen worden. Laßt und daher jedes 
dem Andern fein Theil daran verzeihen! — 

Luitgardis ſchwieg. Da hielt der Gefandte 
ihres Vaters eine Anrede in wohlgefegten Wor 
ten. Der König aber ſchloß feine Braut in die 
Arme und darauf flieg alled wieder zu Nofle, 
um ſich nach der Burg zu begeben. Luitgardis 
dem Könige zur Linken reitend, glich einem todten 
Leichname, fo bleich war ihr Geficht, fo ſtarr⸗ 
ihr Auge, — 

Als nun in Karld. Kapelle der Segen über 
dad Paar gefprochen wurde, da erfcholl ein Aech⸗ 
zen in des Braͤutigams Nähe. Aber er fah 
nichts, wie er ſich danach umblickte. Doch war 
es ihm, als koͤnne dieſer bange Ton einzig aus 
der Siuſ jener Dame kommen, welche fein 


60 
Auge, ſeitdem er ſie faͤlſchlich für feine Braut 


begrüßt, alles Fleißes vermieden hatte. Erents 


deckte indeß die Dame nirgends, was ihn Wun⸗ 
der nahm und feine Andacht merklich ftörte. 
Gleichwohl enthielt er ſich auch nachher des Fra⸗ 
gend nach ihr. 

NIS die Dame jedoch den ganzen Tag nicht 
bei der Tafel noch fonft irgend wo erfchien, wäh 
rend alle ihred Gleichen ‘fortwährend um ihre 
Herrin waren, da ſprach Karl am Abende, wie 
niemand Mehr ald Luitgardid bei ihm faß: 


Mein theured Gemal, ald Beweis, daß du 
- wir den Fehler dieſes Morgend zu gut halten 

und fein Arg aus dem Teidigen Zufalle nehmen | 
willſt, laß und bdefienjegt ruhiger gedenken, und 


entdecke mir , welches Herkommens und Namen! 
die Diemerin iſt, der ich Worte ſagte, ſo ihr 
nicht zukamen. 

Darauf antwortete die Königin? 


Beliebter Herr und Gemal, gern moͤchte ich 


beſſere Antwort auf Eure Frage geben. Doch 


weder ich, noch eins der Meinigen weiß etwasß 


mehr von ihr, als daß fie Gunilde gehei Ben ift, 
und ein mir unbekannter Ritter ſelbige, wenig 
Tage vor meiner Abreiſe von Haufe, meinem 
Herrn Bater mir zur Begleitung empfohlen 
bat, dba eine meiner Dienerinnen erfranft war. 
Beil fie nun eine ſtille und ſittſame Jung 





61 | 
fran ſchien, fo ift ſolche mir mit anbergegeben 
worden. W 
Und habt Ihr, Mein theures Gemal — 
verſetzte der Koͤnig mitleidig — der Armen, die 
ich nirgends wieber geſehen, meines Irrthums 
halber für heute Suer Antlitz entziehen wollen ? — 
Nein, geliebter Herr, ſagte die Kbnigin, mit 
fehr aufmerkfamen Blicken auf den Gemat. Sie 
fol, wie man mir berichtet, unpaß worden feyn. 
Alles, alled die Schulb meiner trüben Augen, 
die den gemeinen Stein’ für das Juwel, bie 
fhönite Zier meiner Krone, anfahen! fprach ber 
König unmillig über fich felbfl. — | 
Defto zorniger war Karl, ald er, auf ſorg⸗ 
faͤltiges Nachforfchen, am folgenden Morgen er⸗ 
fuhr, daß ber Abgefandte feines Schwähers jene 
Dienerin fofort eigenmächtig entlaffen und gen 
Schwaben zurüdgefendet. Under fagte ibm: 
Wie mochtet Ihr Euch fo unziemlicher Dinge 
erdreuſten? Gerechtigkeit heißt der Grundſtein 


meines Throns und Ihr wagt es, dieſen hier 


vor meinen Augen dadurch zu erſchuͤttern, daß 
hr waͤlzen wollt vor allem Volke auf die Schuld⸗ 
loſe den Verdacht irgend einer argen Schuld? 
Wie kam Euch uͤberhaupt zu, Recht zu ſprechen, 
in dieſem Reiche, uͤber eine, die Ihr ſelbſt mir, 
Namens meines hochverehrten. Schwäherd, zu⸗ 
gleich mit-ber theuren Braut übergeben habt? 


a 


62 ‚ 
Schaffet fie zuruͤck, wo fie auch ſei, fo befehle 
ih Euch. Zwar enthalte ih mich aller Bers 
legung Eurer Perfon, wenn aber die Beleidigte 
nicht. Binnen drei Tagen wieder an meinem Hofe 


ift, fo werde ich, für Euren firafbaren Eingriff 


in meine Gerehhtfame, Euren Kopf von meinem 
Schwäher begehren. — Uebrigend ſei der Alwiſ⸗ 


fende mein Zeuge, daB hierunter Feinerfei Ne⸗ 


benabfidyt mich Tetet ! — 

Wirklich that Karl, nach Gunildend Ruͤckkehr, 
alles, um jeden möglichen Argwohn zu vermeiden: 
allein nicht ohne den größten Kampf mit fi 
felbft. Denn obſchon Gunilde keinesweges mit 
biendender Schönheit begabt war, vielmehr ihr 
höchfler Neiz in dem an Wildheit grängenben 
Geuer ded dunfeln Auges lag, fo wurde doch des 


Königs Blick, wo fie auch ſeyn mochte, zu ihr 


hingegogen. Ja, wider feinen Willen, hatte fein 


Gedaͤchtniß alle ihre Eigenheiten in Kurzem ders 
geftalt aufbewahrt, daß — auch ohne fie zu 


ſehen — er am ſchwaͤchſten Athem, am leiſe⸗ 


ſten Fußtritte, ſogleich i hren Athem und i ihren | 


Fuß erkannte. — 


Einſtmals bei Nacht, als Karl, ſeiner Sitte 


nach, die Sternbilder beobachten wollte, welche 


eben koͤſtlich hervortraten, da gewahrte er im 


Burghofe an einem offenen Fenſter, dicht neben | 


| dem Gemache feiner Gemalin, eine weiße Srauens 





65 


geftalt. Und fein Zrachten nach Deutung ber 
fhönen Sterngebilde verging ihm ploglich über 
der Seftalt. Obſchon kein Zug von dem Gefichte 
zu erkennen war, fo wähnte fein Yuge doch eift 
Paar dunfle Augen, heiler funkelnd als die hell⸗ 
ſten Sterne, einen füßen Liebesglanz zu ihm: her⸗ 
üderwerfen zu ſehen. 

Da fragte er leiſe hinuͤber: 

Dame, ſprecht, wie heißet Ihr, und was 
treibet Euch, den holden Schlaf an die, auch 
geuͤbtem Blicke oft unklaren, Geheimniſſe der 
Nacht zu ſetzen? 

Mein Herr und König, fprach dagegen bie 
Dame, die Sterne find meine Bertrauten von 
Kindheit an. Uebrigens ıft mein Name Gunitte, 
Erlaubet mirdaher mich zuruͤckzuziehen, auf daß 
Eure Anrede mich nicht abermals arger Deu⸗ 
tung ausſetze! 

Mit dieſen Worten entfernte ſich das Fraͤu⸗ 
lein vom Fenſter. 

Und das Vertrauen mit den Sternen, von dem 
fie ſagte, ließ dem Könige Feine Ruhe mehr. Er 
ging, um fie aufzufuchen. Doch gelobte er fich, 
auf dem Wege alled zu vermeiden, was Bunils 
dens Sittfamfeit beleidigen Tonne. Als er nun 
vor die Thüre ihres Gemached gefommen war und 
leife angefloyft und gefagt hatte: 

Dame, vergönnet mir, in Gemeinfchaft mit 


ne ne — 


64 


Euch, des Himmels Lichter, zur Erleuchtung 
unſerer Pfade, anzuſchauen! 

Aber das Fraͤulein ſprach: 
- Mein Herr und König, Ihr gewaͤhrtet mir 
Schuß gegen ein ungerechted Urtheil, wollet dar 


her nicht. feibft durch Euer jegiged Thun dieſem 


Urtbeile den Schein der Gerechtigkeit leihen. 
*Gunilde — ſprach ber König — die Sterne, 


deine Vertrauten, find meine Zeugen, daB ih 


nichts will, ald ihre mir heut fo unklare Spra⸗ 
che vernehmen, von deinen Rippen, durch beine 
Yugen. | 

Die Sterne — antwortete dad Fraͤulein — 
ja_fie fagen mir, daß ed Euer Ernft fei. Uber, 
werden fie ed auch der Weli fagen, bie ihrer 


. Sprache nicht Fundig ifE? Morgen am Tage 


darüber, wenn Ihr wollt, — 

Sie dffnete dad Gemach nicht und Karl begab 
ſich, auf ihr Bitten, wieder hinweg. 

Am folgenden Morgen mit ben Yrübeften 
ließ die Königin, welche dicht neben Gunildens 
Gemache fchlief, das Fräulein zu fich holen, ſchloß 
fie in ıhre Arme und ſprach: Verzeihe, mein 
Kind, dad Unrecht, fo dir durch den Abgeſandten 
meined theuren Vaters widerfahren if. Der 
Schlaf flohe mich in voriger Nacht; dba bin ich 
Zeugin gewefen deiner Irene, vor dem Augen 
blide, wo mein Gemal dir Unfprache abgewann, 





‚ 68 


bis wo er die Thuͤre deines Gemaches vetließ— 
Fahre fort, treu und tugendlich mir zu dienen, 
weiche jedoch dem Koͤnige, meinem vielgeliebten 
Gemale, nicht alſo aus, daß er deſſen Verdacht 
faſſe, weil dieſes ſeiner Leidenſchaft — wenn er 
ſolche fuͤr dich empfinden ſollte — nur ein neuer 
Sporn und Antrieb ſeyn wuͤrde. Uebrigens deute 
mir doch, da dir die geheime Schrift der Sterne 
befannt, was darinnen von meiner Zukunft ſteht. 


Gunilde weiſſagete hierauf ihrer Herrin viel 


Erfreuliches, und befefligte ſich hierdurch gar 
ſehr in Luitgardis Gunſt. — 
Den erſten Augenblick, wo Gunilde allein 


war, erſah der Koͤnig, um ihre Entdeckungen 


der vorigen Nacht zu vernehmen. Er flaunte 
darüber, was die Sterne ihr verrathen. Zwar 
hat ten fie fich gegen ihn durchaus nicht Far außs 
gefprochen ; doch waren auch die Dunkeln Andeus 
tungen, welche er ihnen verdankte, oft ganz im 
Widerfpruche mit Gunildens volfländigen Auf⸗ 
ſchluͤſen, ſo daß der Argmwohn in ihm: fich regte, 
feine Sternfunbe beruhe auf eitel falſchen Grund» 
fägen. | 

Nun ließ er nicht eher ab, als bis Gunilde 
ſich entſchloß, die nachſte Nacht in Gemeinfcyaft 
mit ihm den Himmel zu beobachten. Doc drang 
fie Dabei darauf, daß Luitgardis dazugezogen 
Werde, Dagegen lehnte fie Alkuins Gegenwart, 

Geſpenſterbuch 7. Theil. & 


64 


Cuh, des Himmeld Lichter, zur Erleuchtung 
unferer Pfade, anzufchauen ! | 

Aber dad Fräulein ſprach: 

Mein Herr und König, Ihr gewährtet mir 

Schuß gegen ein ungerechted Urtheil, wollet dar 
ber nicht. felbft durch Euer jegiged Thun dieſem 
Urtheile den Schein der Gerechtigkeit leihen. 
-  Qunilde — ſprach der König — die Sterne, 
beine Bertrauten, find meine Zeugen, daß ich 
nichts will, ald ihre mir heut fo unklare Spra⸗ 
che vernehmen, von beinen Lippen, durch beine 
Yugen. 

Die Sterne — antwortete bad Fräulein — 
ja_fie fagen mir, daß es Euer Ernft fei. Uber, 
werden fie ed auch der Welt fagen, bie ihrer 
Sprache nicht Fundig if? Morgen am Tage 
barüber , wenn Ihr wollt. — 

Sie dffnete dad Gemach nicht und Karl begab 
ſich, auf ihr Bitten, wieder hinweg, 

Am folgenden Morgen mit den Fruͤheſten 
ließ die Königin, welche dicht neben Gunildens 
Gemache fchlief, dad Fräulein zu fich holen, ſchloß 
fie in ihre Arme und ſprach: Verzeihe, mein 
Kind, dad Unrecht, fo dir durch den Abgeſandten 
meined theuren Vaters widerfahren if. Der. 
Schlaf flohe mich in voriger Nacht; da bin ich 
Zeugin gewefen deiner Treue, vor dem Augen⸗ 
blide, wo mein Gemal dir Anfprache abgewann, 


67 


Hinderniffe entgegengefegt, bamit fie ihn deflo 
feiter in ihre Schlingen befommen möchte. 

Sein Umgang mit ihr warb von Tag zu Tage 
feiner Gemalin, und fogar dem Reiche gefähr: 
liyer. Nicht genug, daßer alle Freude verloren 
hatte an ber Sorge für dad Negiment,-entfernte 
er auch, fonder Zweifel bewogen duch Guni 
dens falfche Auslegung der Geflirne, oder bes 
Sräufeind ungezügelten Willen, die mädhtigfien 
Stuͤtzen deſſelben. Erfing fogar an, die Feinde 
Chrifti mit andern Augen zu betrachten und warb 
nie mehr betroffen, im Leſen der Schriften hei⸗ 
liger Männer, wozu er vor Kurzem noch fogar 
die Zeit während des Eſſens oftmald angemens 
det hatte. 

Da bat alled und beſchwor den Koͤnig, das 
Rechte wieder wie vormals zu thun, und die 
Dirne von ſich zu weiſen, die ſo viel Unheil 
uͤber ſein Reich bringe. 

Und aus den fernſten Gegenden deſſelben kam 
allmaͤhlig eine große Zahl weiſer und heiliger 
Maͤnner, um ihm ſeine Pflichten vorzuhalten, 
und zu zeigen, wie durch ſo arges Beginnen die 
Strahlen des Ruhmes verloͤſchen muͤßten, welche 
die fruͤhere preißwuͤrdige Amtierung um des Koͤ⸗ 
niges Haupt gewunden hatte. 

Aber weder der weiſe Erzbiſchoff Turpin, noch 
ſeine Schweſter Gisla, die Aebtiſſin, welche ihm 

E 2 


68 


vieles galt, kurz niemand, vermochte feinen 
Sinn zu ändern. 


Ein einzigesmal, ald die Kunde Fam, von 
feined Zreunded, des heiligen Vaters Adriani 
Ableben, da wollte er vor Nührung in Thränen 
gerfließen, weil er fih unwuͤrdig fühlte des 
Segens, ben der hohe Mann ihm hinterlaffen. 

Aber nur. allzubald hatten Gunildens Blide 
feine Thränen wieder getrocknet und ihre Lipoen 
ihm die Ruͤhrung aus dem verkehrten Derzen 
gefogen. — 

Der große Nachtheil, welchen, unter anderm 
Religion und Glaube durch die Umftände erlit⸗ 
ten, und daß man bemerkt haben wollte, Gr: 
nilde gehe immer nur mit MWiderwillen zum 
Tiſche ded Herrn, das bewog endlich mehrere 
fromme Menſchen nachzuſpuͤren ihrem, bis da⸗ 
hin keinem bekannten, Herkommen. Und es 
ergab ſich, daß fie eine Tochter war des Maus 
tenfönigs Abdorrhaman, von einer Chriftenfifa: 
vin zwar geboren, aber im NHeidenthume groß. 
-gezogen , die von jeher der heiligen Laufe wider 
firebt hatte. 

Froh darüber, wie er mit dem Gewicht fol 
her Kunde dad Herz ded Königs auf Einmal 
zum Guten fehren wolle, trat ber Erzbifchor 
von Rheims zu Karln. 





69 


Uber wie entfeßte fih der Dann Gottes, .- 


ald auch dad den König nicht von Gunilden 
wenden konnte, vielmehr derfelbe darüber in die 
Worte ausbrach: Und fei fie wer, und waß fie 
wolle, Qunilde verdient der Franfen Königin zu 
ſeyn, und ich habe beſchloßen, diefem würdigen 
Haupte die Krone nicht länger vorzuenthalten. 


Darauf ließ Karl wirklich eine Eoftbare Krone . 


bereiten. Che er folche aber der Heidin auf ihr 


Haupt fegen Eonnte, ſchien der Himmel die, 


große Noch, welche dad Reich erlitt und noch 
bedrohte, durch den Tod der böfen Dirne hins 
wegnehmen zu wollen. Denn der Argwohn war 


nicht ohne Grund, daß fie wirklich darauf aus⸗ 


ging, das Chriftenehum wieder auszurotten. 
Schon freute fih alles Volk ber wunderbar 
ten Rettung gar fehr. Der König aber, außer 
fih in feinem Schmerz, Tieß den Leichnam. mit 
den Föftlichften Salben verfehen, und als berfelbe 


nun beigefegt werden follte, fo verhinderte er. 


ſolches und that die Krone auf ber Todten Haupt 
und lag vor ihr auf den Knieen Tag und Nacht. 
Ja, der Erzbifchoff Turpin, welcher wenig mehr 
aus der Gegend feined Gemaches ſich entfernte, 
vernahm einftmald, daß der König in feiner 
Verzweiflung mit lauter Stimme gelobte, zum 
Heidenthume zurüdzufehren, wenn Gunilde wieder 


68 


vieles galt, kurz niemand, vermochte feinen 
Sinn zu Ändern. | 


. Ein einzigeömal, ald bie Kunde Fam, von 
feined Freundes, des heiligen Vaters Adriani 
Ableben, da wollte er vor Ruͤhrung in Thraͤnen 
zerfliegen, weil er fi unmwürdig fühlte des 
Segend , ben der hohe Mann ihm Hinterlaffen. 

Aber nur. allzubald hatten Gunildens Blicke 
feine Thränen wieder getrocknet und ihre Pippen 
ihm die Rührung aus dem verkehrten Herzen. 
gefügen. — 

Der große Nachtheil, welchen unter anderm 
Religion und Glaube durch die Umftände erlit⸗ 
ten, und daß man bemerkt haben wollte, Gr: 
nilde gehe immer nur mit MWiderwillen zum 
Zifche des Herrn, das bewog endlich mehren 
fromme Menfhen nachzufpüren ihrem, bis da 
bin keinem befannten, Herkommen. Und « 
ergab ſich, daß fie eine Tochter war ded Mau 
renkoͤnigs Abdorrhaman, von einer Chriftenfflas 
vin zwar geboren, aber im Heidenthume groß 
‚gezogen, die von jeher der heiligen Taufe wider 
ſtrebt hatte. 


Froh darüber, wie er mit dem Gewicht folk 
her Kunde dad Herz ded Königs auf Cinmel 


zum Guten fehren wolle, trat der Ergbifchor 
von Rheims zu Karln. 








69 


Aber wie entfegte fih der Mann Gottes, .. 
als auch dad den König nicht von Gunilden 
wenden konnte, vielmehr derfelbe darüber in die 
Worte ausbrach: Und fei fie wer, und was fie 
wolle, Gunilde verdient der Franken Königin zu 
feyn, und ich habe beſchloßen, diefem würdigen 
Haupte die Krone nicht länger vorzuenthalten, 


Darauf ließ Karlwirflich eine koſtbare Krone 
bereiten. Che er ſolche aber der Heidin auf ihr 
Haupt fegen konnte, ſchien der Dimmel bie, 
große Noch, welche das Reich erlitt und noch 
bedrohte, durch den Tod der boͤſen Dirne hins 
wegnehmen zu wollen. Denn der Argwohn war 
nicht ohne Grund daß fie wirklich darauf aus⸗ 
ging, dad Chriftenthum wieder auszurotten. 


Schon freute fih alle Volk ber wunderbas 
ten Rettung gar fehr. Der König aber, außer 
fih in feinem Schmerz, Tieß den Leichnam. mit 
den koͤſtlichſten Salben verfehen, und als derfelbe 
nun beigefegt werden follte, fo verhinderte er 
folhes und that die Krone auf ber Zodten Haupt 
und lag vorihr auf den Knieen Zag und Nacht. 
Ja, der Ergbifchoff Zurpin, welcher wenig mehr 
aud der Gegend feined Gemaches fich entfernte, 
vernahm einftmald, daß der König in feiner 
Verzweiflung mit lauter Stimme gelobte, zum 
Heidenthume zurüdzufehren, wenn Bunilde wieder 


ne nn. 


70 


erwadhen, und nur ein Jahr lang feinen Thron 


mit ihm theilen wolle. | 
Enntbrannt darüber im heiligen Eifer, wollte 
eben der fromme Mann das Gemach eroͤffnen, 
in dem ſolch ein Graͤuel ſich kund that, als er, 
noch außen, ein Jauchzen des Koͤnigs vernahm, 
ſo daß er meinen mußte, der arme Herr ſei in 
ſeinem Schmerze ploͤtzlich wahnſinnig geworden. 
Wie er nun anſtand, das geweihte Kleid, das 
er trug, der Verletzung durch die Hand eines 
Wahnſinnigen auszuſetzen, da nahm er eine 
Spalte wahr in der Thüre und fahe durch dies 
felbe, daß der Leichnam in der That fih aufge⸗ 
richtet und einen Schein des Lebens erhalten hatte. 


Doch Faum, daß der Erzbifchoff die Thuͤre 
mit geweiheter Hand berührte, fo fiel. die Leiche 
wiederum leblos zurüd, Da ward Karl hocher⸗ 
grimmt über fein nunmehriged Eintreten, weiler 
feiner Nähe die Reblofigkeit Gunildend mit Recht 
zuſchrieb. Doch ging ſolch ein Glanz aus von 
dem Dianne Gotted, daß den König ein Schauer 
anwanbelte und er Feine Worte batte, ihm fol 
ches zu verweiſen. 

Als aber nun der Erzbiſchoff des Koͤnigs Hand 
ergreifen und ihn aus dem Zimmer fuͤhren wollte, 
mit den Worten, daß er feinem Reiche noͤthi⸗ 
ger fei, ald fo haͤßlichem Leichname, da wehrte 








» Äi 


Karl ihn dennoch heftig ab und fagte in feiner 
Verzmeiflung s 

Hier, bier ift mein Reich unb mein Leben 
und mein Himmel. Eben erwachte diefed theure 
Haupt von feinem Schlafe und verfpradh, den 


Thron fortan mit mir zu theilen. Geht, eilet, 


foldje® Fund zu thun allem Bolfe! 

Als nun Zurpin fahe, daß der König durchs 
aus nicht zu bewegen war, dad Gemach zu ver» 
laffen, da gedachte er ded Reiches und der Kirche 
mit betrübtem Herzen, und ging in die Kapelle, 
und warf fi vor dem Altare nieder, um Er⸗ 
leuchtung flehend , wie ſolchem ungeheuern Fre⸗ 
vel zu ſteuern fei. 

Und wie er bier auf feinen Kinieen lag, ers 
ſchien ihm der Engel des Hertn und erfüllte feiner 
Geift mit einer wunderbaren Klarheit, daß er fah, 
wie alles Höfe von dem unfeligen Ninze herruͤhre, 
ten Karl; feiner Berwarnudg nicht achten, einft 
bei Nacht im Walde von jener Alten angenoms 
men. Dieſe arge Zauberin 'ging in der That 
darauf aus, den König durch den eben erfl, einzig 
fürihn bereiteten, Ring, dem Chriflenthbume abs 
wendig zu machen. Aber des Ringes Zauber war 
zu ſchwach gemwefen wider die Glaubendftärfe des 
Helden. Darum nahte fich die Alte einftmafs 
bei Nacht, wahrſcheinlich unfichtbar, wie Karl in 
ftinem Zelte ſchlief und zog ihm den Ring wieder 





— 


72 4 


vom Finger. Und wie einſt die Schlange Evam, 
ſo ſollte ein ſchlangengleiches Weib ihn nunmehr 
verfuͤhren, und der Ring dem Weibe in ſeinen 
Augen, eine Schoͤnheit, ſelbſt durch den Lob 
unzerſtoͤrbar, verleihen, auch, unter der Zunge 
getragen, die ſuͤßeſten Worte einflößen. Gunilde 
war ed, welche von der Hexe hierzu auserwaͤhlt 
wurde. — 

Da warf ſich der Erzbischof auf fein Antlitz 
nieder, den Himmei preifend für ſolche Dffenbar 
rung, und ging flugd zurüd nad dem vorhin 
verlaffenen Gemach und erfah durdy die Spalte 
ber Thüre, daß Karl, ben Ellenbogen auf ben 
Tiſch geſtuͤtzt, fein Haupt in der flachen Hand 
hielt und eingefchlummert war, auch die Entfeelte 
noch mit gefchloffenen Augen dalag. Und er er 
dffnete die Thuͤre Teife und fihlich Binein nad 
dem Leichname zu, bed Vorſatzes, ihn den Mund 
aufzuthun und ben gefährlichen Ring hexauszu⸗ 
nehmen. . 

Kaum aber, baßber Erzbiſchoff die Lippe der 
Leiche beruͤhrt hatte, ſo weckte die unſichtbare 
Gewalt, welche fie, Kraft des Ninges, über den 
König übte, diefen and feinem Schlummer. 

Darauf riß Karl in grimmiger Wuth fein 
Schwert aus der Scheibe, um damit hergufallen 
über den Erzbifchoff,, daß er fidh ſolcher Dinge 
erdseuften möge. Doch fchon bevor es geſchah, 





75 


war der Ming in des Ersbifchoffd Hand und er 
reichte ihn ruhig fächelud dem Könige, der eben 
das Schwert Aber feinem Haupte geſchwungen 
hielt. 

Und ald der König den Ning für denſelben 
erkannte, den er unbemerkt wieder verloren hatte, 
ſo fiel faft zugleich fein Blick aufden todten Koͤr⸗ 
ver Da erfchraf er gewaltig. Denn wie allen 
Andern, kam er ihm nun leichenhaft und abſcheu⸗ 
lich vor, und er ſahe wohl, daß ſeine zeitherige 
Berbfendung von dem argen Zauber herruͤhrte, 
der ihm erſt dann etwas anhaben können, als 
er mit diefem Weibe zufammengerathen war. 

Und bad Schwert fanf von ſelbſt aus ſeiner 
Hand. 

Fort, fort mit dieſem Leichname, der mir 
Herz und Leben, wie jenes Feuer die Luft, ver⸗ 
peſtet hatte! So rief er und eilte am Arme des 
Erzbiſchoffs aus dem Gemache und vernahm von 
dieſem die wunderbare Weiſe, wie der Herr dem 
frommen Manne das Geheimniß zu ſeiner Ret⸗ 
tung mitgetheilt hatte. — 

Nun aber, ſprach der Erzbiſchoff/ ‚ nun ſei 
Euer Erſtes, mein König, das Fingerlein von 
Euch zu thun, auf daß ed feine teuflifche Gewalt 
fortan nimmer an Euch, noch irgend einem uͤben, 
oder den Feuergeiſtern, ſo es bereitet, wieder in 
die vande gerathen moͤge! 


21* 


74 


Da gab der König alsbald den Ring dem 
frommen Danne und biefer ſprach, ihn in die 
Hoͤhe haltend: 


Aus der Flamme ginaft du hervor, um Gew 
len zu werben für die Slamme Damit du auf 
immer von der Gemeinfchaft mit deinem Urfloffe 
gefchieden feift, ſoll jet die Welle dich verfchlingen. 

Und der Erzbifchoff warf den Ring in den 
See, der vor ihnen lag und fegneteden König 
ein und diefer fief fodann, neben ihn, auf feine 
Kniee, um Gott zu danfen für dad gerettete 
Heil feiner Seele. 


Sodann eilte Karl mit ihm zu feiner Hauds 
frau , die er lange nicht gefehen hatte. Die er⸗ 
ſtaunte gar ſehr, daß er, da er doch zeither 
faſt hart und unfreundlich mit ihr verfahren, 
jetzt fo ſchuͤchtern und mild auf ſie zukam. Da 
winkte er dem Erzbiſchoff, ihr zu erzaͤhlen, was 
geſchehen war, Und die Königin, ala fie es 
vernahm, war deß über die Maßen froh und 
reichte dem Neuigen ihre Rechte. 


. Da fagte der König: Mein: hergallerliebfies 
Gemal , der Himmel ſchenkt dich mir heute zum 
zweiten Male. Jetzt begreift du wohl, wie ich 
fo..rafend ſeyn Fonnte, dein ſuͤßes, Tiebreiches 
Antlitz, die hohe, abeliche Geflalt und Geberte, 
bei der Larve zu überfehen, durch weiche die 


25 


Hölle mich zu locken dachte auf ewig in ihren 
Abgrund ? 

Der König traf fodann Anſtalt zu einer 
nochmaligen Feier feiner Hochzeit, wozu die edels 
ſten und flattlichflen Gäfte geladen wurden, im 
Teiche weit und breit. 

Und alles Volk jauchzete und preifete Gott, 
der dad Herz ded Könige regiert hatte. — 

Ab nun Karl an fich bemerkte, die Gewalt 
des Ninged dauere gewiffermaßen noch fort, ins 
dem fein Auge, auch wider Willen, nad jenem 
See gezogen wurde und feine Vorliebe für die 
Stadt Aach fo groß war, daß er, von ihr im 
Staatögefchäften abweſend, fletd eine unübers 
windliche Sehnfucht nach berfeiben hatte, und 
nicht ruhen Fonnte, bis er.zurüd in ihre Mauern 
wur, da entdeckte er ſolches einit Herrn Alkuin, 
feinem Treunde, und ſprach fobann : 

Der Zauber, welcher bierunter waltet, foll 
Bald. einem bimmlifchen Zauber weichen müffen. 
Denn. ich bin entfchloffen, zu Abbuͤßung jener 
und anderer Sünden, dem Himmel ein Heiligs 
thum zu errichten, beffen Pracht nirgend feines 
Gleichen finde — 

Sofort ließ er auch aus ferien Landen Fofls 
liche Säulen und Marmelſteine herbeiführen, 
und Künftfer und Bauleute Famen aller Art, 
aus der ganzen Welt, nady der Stadt Aach. 


] 
716 


Zum Auffeher des Baues aber erkiefete er feinen 
Getreuen, Herren Eginhard. 

So wurde dad Münfter unferer lieben Grauen 
aufgerichtet, von acht Pfeilern getragen, mit 
ehernen Thuͤren wohl verfehen und mit Golde 
und Silber reich geſchmuͤckt. 

Als nun nach fieben Jahren dieſes Heilige 
Haus beendigt war, da berief ber König zum 
Meihungstage eine große Zahl von Zürften und 
Grafen und Herren feined weiten Reiches, vor 
naͤmlich auch Bifchöffe, dreihundert und fünf 
und ſechszig an der Zahl ; Tegtere, damit indie 
fen Münfter jeglicher Tag im Jahre eineb from 
men Mannes und deffen befonderer Borbitte fi 
erfreuen möge. Die Weihe felbft gefchah_am 
Dreifönigöfefle, im achthundert‘; und vierten 
Sabre nach der Geburt unferd Herren, durch 


. den heiligen Bater Leo, weldyer deßhalb von 


Rom anher gekommen war. Aber zwei Biſchoͤffe 
von jenen dreihundert und fünf und ſechszig 
Hatte der Herr inzwifchen zu ſich genommen. 
Und Monulphus und Gondulphus, fo warın 
die beiden feligen Männer geheißen, fteigen ber’ 
vor aus der Gruft ber Kirche bed heiligen Ser 
vatius, wo fie begraben liegen, unb wandeln 
betend nach dem Münfter unferer lieben Grauen. 
Dort nehmen fie, zu großem Erfkaunen aller, 
ihre Plaͤtze ein-und Tehren, ald der heilige Vater 


77 


ben Gegen ausgefprochen, wieder zuruͤck in ihre 
Grabesſtaͤtte. — 

Der See aber, in welchem jener Ring ſich 
befand, wurde vom Kaiſer — denn dazu war 
Karl nun ſchon vier Jahre zuvor gekroͤnt wor⸗ 
den — uͤberbaut mit einem praͤchtigen Pallaſte, 
den er ſein Lateranum zu nennen pflegte. Die 
Bosheit des Zaubers in beſagtem Ringe war 
durch Karls Buße und die Kraft feiner frommen 
Stiftung gänzlich gebrochen, doch feffelteihn nun» 
mehr eine heilige Gewaltandie Stadt Aach. Sie 
blieb auch fein geliebtefter Wohnfig, den er, for 
bald ihm Ruhe vergonnt war, immer wieder 
mit Greuden auffuchte und wo er eined frommen 
und unfträflicden Wandels ſich befleigigte, bis 
der Herr ihm heimführte zu feiner Gnade. 





Die 
Qungfrau des Pöhlberges. 


Gneutfünzmuukunstuägn, 


1. 


Ni. hohe geräumige Burg Tag wie ausgeflorben 
da. Ritter Bolko von Wendenfee litt an heftir 
gem Gichtfchmerz, und Mechtilde, feine junge 
lieblich blühende Gemalin, bie ihre füßen Erwar⸗ 
tungen von der Ehe mit dem reichen Manne nidit 
im minbeften erfüllt fah, fing an, bed Gefchäfts 
einer Kranfenwärterin überdräffig zu werden. 
An gefellige Freude Fein Gedanke, da alled Junge 
und Wehrhafte aus der Gegend laͤngſt fortgezo⸗ 
gen war in den Krieg nach Franfreih, und bie 
wenigen aurücgebliebenen Edeln der Nachbar⸗ 
ſchaft, gleich dem Ritter Bolko, durch Hinfälligs 
keit an ihre Behaufung gefeffelt wurden. — 
Endlih, nad langem, fruchtlofen Darren 
erfhol die Kunde vom Frieden und von ber 
Heimkehr. Zugleich vernahm Ritter Bolko, daß 
fein Stelivertreter im Kriege, der Knappe Adels 


79 


bert von Yuldringen,, wegen ausgezeichneter Hels 
denthaten, vom Kaifer felbft zum Ritter gefchlas 
gen worden. Dad Herz ded Kranken klopfte 
mächtig bei dieſer Nachricht feined Waffenzoͤg⸗ 
lingd und Mechtilde bereitete für den Abend, an 
dem dad Häuflein eintreffen follte, ein feftliches 
Mahl, um dem neuen Nitter die wohlverdiente 
Auszeichnung widerfahren zu laffen. — 

Die Gegend war in rothen Abendglanz ges 
hüllt, ald der Thurmwart hereintrat, die Kom⸗ 
menden anzufagen. Nitter Bolfo, geflüßt auf 
fine Gemalin und einen der Knechte, wanfte 
ſelbſt nach dem Söller. Aber die Freude, wors 
auf fein Auge gehofft hatte, ward beim Nähers 
fommen ded Häufleind fehr geftört. Viele Tapfere, 
nach denen er umherfuchte, wurden fchmerzlich 
vermißt. Ueberhaupt war die Schaar gar merfs 
lih zuſammengeſchmolzen. 

Defto frifcher und ftattlicher ritt der Anführer 
derfelben einher. - Der junge Held ſchien währ 
rend der kurzen Abweſenheit von achtzehn Mons 
den um eine ganze Spanne größer und daß licht⸗ 
draune Roß, welches ihn trug, flolzer auf den 
fo kraftvollen, wwurbigen Herrn geworden. Medhs 
tilde Fonnte ihr Trunkenſeyn von feinem Anblicke 
nicht verbergen. Bolko billigte ed und nahm 
die goldene Kette, welche von feinem Halſe her⸗ 
abding und ſprach: Weine vielgeliebte Gema⸗ 


do 


lin, unſer gnaͤdigſter Kaiſer hat ihn nach Wuͤr⸗ 
den geehrt, an uns iſt es, ihn zu zieren. Gehet 
Ihr ihm entgegen mit dieſem guͤldenen Kleinod 
und haͤnget es ihm um den Hals. Es wird 
Adelberten gewiß doppelt theuer ſeyn, als der 
Preiô meiner und feiner Tapferkeit. 

Die Sreude beflügelte Diechtildend Schritte 
Kaum bemerkte Udelbert unten die ihm entgegen 
Filende, fo fprang er vom Noffe ihr feine Ehr⸗ 
furcht zu bezeigen. In demfelben Augenblide 
ſchmuͤckte ſie ihn mit der goldenen Kette und 
ſprach: 

Herr Ritter, vergoͤnnet auch der Freund⸗ 
ſchaft, den Heldenmuth zu ehren. Ich bin ſtolz 
darauf, daß mein Gemal die Vollziehung feines 
Wunſches in meine Hand legte, 

Und ich, edle Frau — antwortete Adelbert, 
fie die Stiege binaufgeleitend — ſchwerlich wuͤrde 
dad Ritterfihmwert mir geworden ſeyn, hätte ich ſo 
gezittert in der Schlacht, wie jegt vor Beſchaͤ⸗ 
mung buch Eure namenlofe Guͤte. 

Guter Adelbert ! ſprach Mechtilde, wohl mer 
kend, daß ein Theil feined Zitternd auf Rech⸗ 
nung ihrer hohen Reize zu fegen war. 

Nennet mich immer fo, wie fonft, edle 
rau, erwieberte er. Ich ziehe diefe Anrede 
(dom darum vor, weil aus Euerm ſchoͤnen Munde 
Seine fchmeichelhaftere denkbar iſt, auch dad Wort 
gut. in Beziehung auf mid von Euch ausge 


81 


ſprochen, mir fietd als Richtſchnur beffen dimeh 
wird, dem ich vor Allen nachzuftreben habe. — 

Bolko ließ firh bis am die Thuͤre des Ge⸗ 
maches bringen und druͤckte den Eintretenden mit 
inniger Liebe an fein Derz. 

Bei Tafel, zu welcher mehrere ebenfalls: heimge 
kehrte Ritter geladen waren, ſaß die Wirthin neben 
Adelbert. Aber je hoͤher nach und nach ihr Kroßk 
finn flieg, befto fliller und. in fich gefehrter ward 
der Ritter. Mechtilde hielt diefed für das Zei⸗ 
chen einer beſondern Neigung zu ihr, von der 
Furcht in Schranken gehalten. Daher fagte fie 
ihm am folgenden Lage, fo oft fie allein war 
mit im, von der Sehnſucht, mit der fie feine 
Ruͤckkehr erwartet habe, und wie ihr Gedanke 
immer bei ihm geweſen fei. Doch felbft hier⸗ 
durch ward die Schuͤchternheit ded Juͤnglings 
nicht gehoben - oder auch nur vermindert; viel 
mehr zog fich der Nitter am Ende ganz von 
ihr zuruͤck. Denn Huldringen verſchmaͤhte ein 
Gluͤck, welches er durch Verrath feines theuern 
Erziebers hätte erreichen Tonnen. — 

Unfer diefen Umftänden hatten die unverkenn⸗ 
baren Liebesbewerbungen Mechtildend fogar eine 
ſehr nachtheilige Wirkung auf feine Neigung zu 
ihr. Gleichwohl verfäumte er nicht, ber Gattin 
des Hochverehrten Lehrerd und Freundes überall, 
wo er mit ihr zufammentraf, bie Ehrfurcht zu er 

Sefpenfierbuch 7. Theil, 


m ar 


52 


weeifen , weldye fe als ſolche von ihm fordern 
konnte. — 

So ſtanden die Sachen, als Ritter Bolko 
allmaͤhlig immer mehr von Kraͤften kam, und 
endlich gar dad Leben verlaſſen mußte. Mech⸗ 
silde war außer fih vor Schmerz; an feinem 


Sterbebette. Das Gewiflen mochte ed feyn, was 
‚Sie fo ängfiete, maß ihr den untreuen. Sinn 


gegen denjenigen vorwarf, dem fie. ewige Treue 
gelobt hatte. 

Der ſchuldloſe Udelbert, weit. entfernt ihrer 
Verzweiflung biefe Undlegung zu geben, machte 
fi) in der Stille bittre Borwärfe, daß er ihr 
uneigennägiged Wohlwollen gegen ihn früher 
ganz falfch verflanden habe, und bemühte fi 
eifriaft, ihr Troſt zuzuſprechen. Vielleicht wären 
auf diefem Pfade ihre geheimften Wuͤnſche noch 
von felbft zur Erfüllung gelangt, bätte nicht 
Adelberts inniger Antheil ſie zu fruͤh an's Licht 


gerufen, Die von Liebe zu ihm heftig gluͤhende 


Frau wagte ſchon bald nad) dem Begräbnißtage 
ſich recht offen gegen den Mitter zu erkennen 
zu, geben und erkaͤltete damit feine Gefühle mehr 
ald jemals. — 

Vergebens fuchte ihr Schmerz hierkber ſich 
in die Zrauer um den Berfiochenen zu kleiden. 
Huldringen wurde nicht mehr getauſcht durch 
bieſet Gaunkelſpiel 


“ 
. 


63° 
2 


Um fo trauriger mußte ed der Witwe bei 
ihren Beſtrebungen feyn, daß jeßt Adelberten 
durch den Tod eined Oheims, beffen Burg, auf 
dem Poͤhlberge bei Schredenberg *) gelegen, zus 
fil, und er bier feine Wohnung auffchlagen 
woilte. Manche Vorftelungen gefchahen dagegen 
von ihrer Seite, Beſonders fuchte fie die Pflichs 
ten gegen bie verlaffene Witnve feined Erzieher 
ihm vorzuhalten. Weit entfernt, dieſe gu vers 
fennen , trug daher Abdelbert einem Waffenbruder 
auf, fi) Mechtildend anzunehmen. Denn bie 
Burg auf dem Pöhlderge und die dortigen Uns 
terthanen legten ihm noch nähere Pflichten auf 
und forderten feine Gegenwart zu dringend, ale 
daß er der fchönen Zrauernden hätte nachgeben 
Tonnen. — 

Am Abfchieddmorgen flampften Huldringens 
Noffe fchon lange, des Scheidenden harrend. 
Immer hatte Mechtilde ihm noch ein Wort zu 
fagen und die Laft ihres Herzens, durch nafle 
Augen und ſchweres Athemholen hinlänglich verr 
tathen, ſprach fein Mitleid zu rühbrend an, 
um fie durch Eilen noch mehr zu verlegen. Ends 
lich aber als ihre ſchwer verhaltenen Thraͤnen 
hervorſtuͤrzten, da ſprach er: Edle Frau, das 


2) Sen Annaberg, im ſaͤchſiſchen Erisebirge. 
52. 


- 


64 


Scheiden ift wahrlich ſchrecklicher ald die Trennung 
feldft, Taffet und daher endlich das minder Schlim⸗ 
me vorziehen ! — 

Dazu reichte er feine Hand zum flummen 
Lebewohl! Aber Mechtilde hielt ihn feit und 
fagte: Es fei, Adelbert. Doch befchwöre ich 
Eud mir Nachricht zu geben, fobald Ihr ange 


fommen feyn werdet auf Eurer Burg, und üben 


Haupt dad Band nicht ganz zu zerreißen, welches 
Euch fonft fo feſt an diefe Gemaͤcher und Gegend 
feffelte. War ich doch immer Eure treuefte Freun⸗ 
din! Vergebt mir darum auch, wenn es einiger 
. mal dad Unfehen hatte, ald wolle idy gar noch 
um Eure Liebe werben. Achtet dieß ald Augen: 
blicke der Berirrung „ eben durch die Innigkeit 
meiner Freundſchaft erzeugt. Gedenket derjenigen, 
welche hier beten wird für Euer Heil auf der eins 
.famen Burg; der nichts mehr Freude gewähren 
wird aufder Welt, als diefed Gebet, und deffen 
Erfüllung. Adelbert, jener Abend, an dem hr 
fiegreich zurüctehrtet und ich auf dad Geheiß 
meines feligen Herrn Euch diefed güfdene Kleinod 
umhing, der fer Euch unvergeffen und deute auf 
dad Berhältniß bin, das für immer nun flatt 
finden muß zwiſchen und. Eure $reundfchaft 
für immer ! 

Sür immer! Und zwar bie treueſte, innigfie 
Freundſchaft! rief Adelbert aus, zog ihre Dand 


! 
| 


85 


ft an fein Herz, dann an feine Rippen und 
eilte hinweg. . 

Schluchzend ftredite Mechtilde ihre Arme nach 
ihm aus, ald wolle, ald müffe fie mit ibm. 
Dann eiftefie nach dem Söller, um den mit den 
Seinen Davonjagenden noch einmal in’d Auge zu 
faffen, unbefümmert in ihrer Leidenfchaft darum; 
welche Auslegung die Burgfeute ihrem qualvol⸗ 
len Zuflande geben möchten. — 


3. 


Adelbert vergaß nicht, was er zugeſagt hatte. 
Erſt gab er ihr, ſogleich nach der Ankunft auf 
ſeiner Burg ſchriftliche Nachricht, kam auch, ſo⸗ 
bald nur das Noͤthigſte beruͤckſichtigt war, ſelbſt 
wieder zum Beſuche zu ihr. Ihre Freude war 
ungemein groß daruͤber. Als er aber züruͤck nach 
ſeiner neuen Heimath kehrte, da fuͤhlte ſie recht 
ſchmerzlich, daß die Freundſchaft des von ihr ſo 
innig Geliebten, ihrem Herzen doch keine Gnuͤge 
tue, und er gleichwohl bei bet bloßen Freund⸗ 
ſchaft fichen bleiben werde — "| 

Der Abend diefed zweiten Scheidetages war 
für fie finfter in jeder Ruͤckſicht. Rings um 
die Burg lagen ſchwere Gewitterwölfen und der 
Sturm, welcher ſie eben vollends zufammtenjagte, 
ſchien auch Mechtildens Gefühle in wilde Glut 
zu entzuͤnden. Wie thoͤrigt eilte fie aus dem 


| — 
Tr u —— nt 


a um - u. uch - elle “ — 


— 


86 
Surgthore i in den Garten und von diefem wieder 


herauf nach dem Söller. Ihre Blicke hafteten 
ſtarr an. der Stelle, wo Abelbert: ihr zufegt ven 


ſchmunden war. Ihr ſchoͤnes leidendes Auge 


ſchien ihn zuruͤckzaubern zu wollen. 
: Mit der eintretenden Dämmerung rief fie 
ihres vertrauten Freundin, daß diefe ihr die Zither 
Holen. follte Sie riß folche der Damit herbeieilen⸗ 
den Jutta aus der Hand, und mitten ım Brau— 
fen ded Sturmwindes griff fie aufd heftigſte in 
die Saiten und fang, dazu ver zweiflungsvell 
hinauf in die Wolken ſihauend, ein Lied, ohn⸗ 
gefaͤhr folgendes Inbalts: 
Heulet nur, fliegende 
Schwarze Geſlalten. 
Stuͤrmet, die truͤgende 
Welt zu zerſpalten! 
Donnerkeil ruͤnde dich 
Sie zu verheeren; 
Blitzſtrahl entzuͤnde dich, | 
Mich zu verzehren. 
Jugend, was logeſt du, 
Mit holdem Gleißen? 
Buſen, was wogeſt du, 
Ohne zu reißen? 
Heulen iſt nicht genug, 
Treuloſe Winde, 


87 
Daß vor bed Lebens Trug „ 
. Brieben ich finde. ER 
In mir ein Slammenmeer, 2 
Eifiged Quäfen 0 
Draußen, drum Flammien ber, u 
Mich zu vermählen! — ! 


Außer Sich ſchlug Mechtilde hierauf die Zicher 
an dem Gemäuer entzwei und fchien Abſichten 
Ich aus dem immer nachtlicher gewordenen Him⸗ 
mel ein Blitz herunterfuhr. Da flürzfe ſie auf 
die Kniee ‚nieber, die Arme hoch hinauf reichend, 
ald fordre ſich nochmals dringender einen toͤdten⸗ 
den Strap! für ihr Herz. 

Tpeure Mechtilde! — — ſorach Jutta trſlend 
Du bies 2 rief bie Burgherrin, welche, in ihrer, 
Pein ganz vergeffen hatte, daß fie nicht. allein 
war, und reichte der Freundin, die Band, . ..n 

Sch hoffe — fagte Mechtilde als die Dlitze 
immer flärker und heftiger wurden — ich hoffe, 
daß ber Himmel, der inich gang außer: Acht 
gelaſſen, endlich meiner gedenken werde. -Diek: 
will ich auf meine Erlöfung harren. Dad Scheine 
leben, bad ich fo Lange fehon. führe, iſt fürber 
nicht zu ertragen: ich begehrte den Tod! — 3 

Geliebteſte Freundin — fagte Jutta richt 
fo finſtre, ſchreckliche Gebanten ! er 


X 


68 


Alb 05 eine Lebendigbegrabene wie ich, freunds 
Tide hegen Konnte! — rief Medhtilde aus, und 
Jutta fuchte vergebens, tröftend auffie zu wirken, 
und fie zum Verlaffen des Söllerd ‚zu bewegen, 
da das Ungemitter ſchon ihren Haͤuptern nabe 
fland ‘und der heftigſte Regen aus der, fhwarzen 
Napht herunterfiel. | 

Ge armes gint ſprach Mechiilbe. Ich 
wi dir ja. nicht Theilnahme zumuthen, an dem 
Stick, welches‘ a ‚Hier ſehnlich 
fein keine Loos, aß ihre Sreundin. 

Mechtilde —— fie in ihre Arme ünd ſprach 
bann, fie von’ ſich lößend, als eben wieder ein 
heftiger Blitz die Gegenb furchtbar erhellte: Ent 
ferne Dich wenigſtens · von mir. Der Blitzſtrabl 
ben ich meinem Leben vom Himmel ertrotzt gu 
BRöbr hoffe, ſoll sen deinigen nicht ſchaben, wel⸗ 
chem die "Freude noch auf. tauſend Wegen ent⸗ 
FENG jauchzt. 

Nglita zoͤgerte noch‘ ämmer- in ber’ ne ber 
Freundin. Doch diefebräng ‘ daranf, daß fie 
wertigftend bis an die entgegengefegte Seite dei 
Soͤllers, weit von ihr: wegging. 

Armed Kind — rief Mechtilde, der Freundin 
Schluchzen vernehmend — geh doch, gehe hinein. 
So furchtbar Haft du sign feine Nacht im 
Sreien zugebracht: — 


ge mn — 1 


09 


Doch habe ich's! erwiederte jene, Es wirh, 


nun jährig, daß ich eine weit ſchrecklichere erlebte, 
drunten im dicken Eichwalde. Weißt du noch, 
Mechtilde⸗ als ich am Morgen hineintrat zu dir 
und du mi Faum wieder erkannteſt, ſo bleich 
und entſtellt, wie ich ausſah? Sch fügte damals 
die Urfache nicht „weil ich mid) derfelden fhämte. 
Denn ich hatte: einen ungeheuern Frevel begangen? 
ih war in der Huͤtte jener Alten geweſen, ‚bie 
man nur immer die graue Waldfrau nennt. 
Was wollen du dort? fragte Mechtilde. | 
Du erinnerſt dich doch — verfegie Yutta — 
daß Heinrich damald mir, untreu geworden war. 
Weil nun gi Hei, gar nicht von ihm abließ, 
fo begab ; ich mid) eine Tages zu der Aiten und 
fragte die, was wohl anzufangen fei, um ihn 
mir zurädzußringei'?' — BE woͤllen ſehen! 
ſprach dieſe. Geduldet Euch mar bis zur naͤchſten 
Gewitternacht. "In der aber Tomınf "zu mir 
Denn recht Eräftige kLiebestraͤnke laffen ſuch nur bei 
naͤchtlichen Bligen deteiten. Ich vrrfprach biers 
auf, mich einzuſtellen. — Schon am”; zweiten: 
Abende thuͤrmten ach die Wolken auf. und das 
Better Fam wirklich heran. Da ſchlich ich mich, 
mie Hülfe ber Frau ded Thorwarts aus der 
Burg und (begab wich. in den. Wald. Beine 
Büße ſchienen brechen zu wollen, fd ſchauerte 
Bir vor dem Schritie, Aber der gewaltige Drang 





90 


meines Herzens machte boch, daß ich mich zu⸗ 
ſammenraffte. — 


Die Nacht war rabenſchwarz. Die Blitze, 
welche von Zeit zu Zeit den Wald in Flammen 
ſetzten, leuchteien mir nothduͤrftig durch dad Dit; 
kicht bis zu der Waldfrau. Schon hatte ein 
Wetterſtrahl mir ıhre Hütte gezeigt. Mähren 
ich aber darauf. Buging, war alled wieder finfter 
geworden. Doch bemerfte ich an ber Stelle, wo 
ich mir die Hütte denfen müßte, ‘ein Paar Jun 
fen neben ‚einander, mitten. in der ſchwarzen 
Nadıt. "Auf diefe ging ich zu und erfchrad nicht 
wenig, als jetzt die Waldfrau ſelbſt, dicht ver 
mir ſtehend, mich anredete. Die beiden Jun 
fen. waren. ihre Augen gewelen. 


. Habt ein ſchoͤnes Naͤchelein getroffen, Schr 
kein! ſorach Die Alte, Gebt, gebt mir burtiy, 
was zu.unferm, Vorhaben erforderlich, ifl. — 


Letzteres war ein golbenes Ringelein pon dem 
Liebſten, das ih auf: ihre Geheiß mirgebradt 
hatte. Denn zu foldem Zauber gehoͤrt allıziit 
ein Andenken oder irgend ein Stuͤck, dad dem 
Lirbften einſt zufländig .arıwefen, — Da gab 
ich ihr denn bad Ningelein-,- doch nur mit Ixm 
Sedinge „daß ich. ed gewiß zunhch-erhielte vor 
ihr. Sie fagtemir’d gu und. führte mich dapı 
bei des Hand in ihre. Hütte - 





9 


Das Blur flarrte in meinen Adern ſchod 
aufbder Schwelle; denn dumpfe unheifserfündendg 
Töne umfreiften ‚mich in der diden Finſterniß. 
Ich wußte nicht,: welchem Weſen ich ſie beimef 
ſen ſollte, ja, es ward mir ſogar zweifelhaft, 
ob fie dem Leben angehörten oder dem Tode. 
Da fuhr ein Blitzſtrahl zum Fenſter herein. im 
einen Keffel, der mitten in der Stube ſtand, fo 
furchtbar darin hin und her zuckend, batd aufs 
bald: untertauchend, daß mir die Sinne ‚gan 
umnebelt wurden. Bald aber fchredire ein unters 
irdifched Krachen mich auf and dem böfen Traume. 
Der Boden: der Hütte fchien’ -Augeinander zu 
weichen, und als ich mich emiorrichte, dem 
Grabe bei: lebendigen; Leibe zir entfümmen, dh 
iſt es, als dreche draußen der danze Wald im 
Sturm⸗ zuſammen. Dozwiſchen kreiſchte idre 
Alte, um denKeſſel heeumrafendy aus dem vön 
allen Seiten Blitzurahlen guten; j maufbörtis 
Die Morte : “ Ar tl: . , 

Wohl! ! die Biitze, die gleich - Schlangen, » 

Nach dem Zauberkeſſel ſprangen, Bu 

Winden drinnen fi} aefangen! — 

Drauf Fam fie mit einem: Befichte‘, roih, 
wie die Flamme der Verdammniß, und hoch auf⸗ 
ſteigendem Haare. zu mir und ſprach: 

Bas du: auch. fehen oder hoͤren magſt, Toͤch⸗ 
terlein, fuͤrchte dich nicht. Schau dad Feuer im 


TR TE na 


- 92 

Keſſel, wie es mit Gewalt wieder hinauf will 
sum Himmel, vondem es herabgekommen. Uber 
es ift gebunden und muß nun: kochen den Tran, 
welchen du von mir erheifcheft. 

In dieſem Augenblicke murtte und Freifchte 
und wimmerte ed in der ringsum feuerhellen 
Stube. oa 

Nunmehr fprang die Waldfrau abermals froh⸗ 
lockend um den Keffel herum und fang wie vors 
bin eine Zeitlang ohne Aufhoͤren Folgendes: 

Eure Pein ift mein Verguägen, 
Eitel Euer ſidrriſch Kriegen. 
Was nicht feyn fol, werd’ ich fuͤgen! — 

Immer ſchrecklicher wurden die Töne im 
Keffel und das Zifchen der Blitze, daan aber 
Horben fie allmäplig in tiefem Jewımer ab; bit 
Blige verloſchen and Geſtalten fliegen aus dem 
Zauberkeſſel mit bleichen ſchrecklichen Geſichtern 
von Männern, Weibern und Kindern, welche 
fih in Rauch auflöfeten. s 

Drauf fpraug, die here flärkeren Schritte 
als zuvor um den: KXeflel zu dreien Malen und 
ſchrie mit. der heilloſeſten Schadenfreude : 

Wohl! Nun habt ihr außgefungen, 
Euer. Leben ift verflungen 
Und der Liebesſtrank gelungen! — 

Wart, Kindchen! ſo fprach fie dann gu mir, 

bie ih hinaus wollte: warte num noch, Deiz 


} 


2 


Liebfter ſol ſelbſt erfcheinen, bir den Trank gu 
überreichen, der ihn In beine Gewalt geben wird. 
Aber huͤte did, davon Fünftig gegen ihn ein 
Wort fallen zu laffen, leicht koͤnnte fonft aus 
feiner Liebe der grimmigfte Haß werden! — 

Ein leiſes Lachen, wie wenn jemand hinter 
Eined Rüden dieſen verhoͤhnet, zifchelte jeßt 
allenshalben um mich ber, und ed warb mir 
babei fo unfreundlidy zu Muthe, daß ich, waͤh⸗ 
rend die Alte tief in den Keffel hinein unver⸗ 
fiändliche Worte ſprach, die Thüre zu gewinnen 
trachtete, und durd) den Wald zuräd nach Haufe 
floh. Unverrichteter Sache nach vielen Schredis 
niffen I Auch ließ ich lieber feinen Ring in dem 
Zauberfeffel, ald daß ich von der Bosheit der 
Alten Gebrauch madyen wolle. — — 

Thorin, Ihr — zürnte die Alte, ald ich ihr 
am folgenden Morgen aufdem Burgplagebegegs 
nete , vergebens habt Ihr Eure Seele mit Fluch 
beladen, da Ihr die Frucht davon verfchmähen 
konntet! — 

Gleichwohl — fo ſchloß Jutta ihre Rede — 


gleichwohl freut es mich noch heute, daß ich die 


begonnene Rudhlofigkeit nicht vollbrachte. Denn 
ich fühle, der Herr hat mein Gebet erhört und 
den Fluch , worein die Alte mich verſtrickt Hatte, 
wieder von mir genommen. Es iſt mir um fo 
gewiſſer, da der Geliebte nun von freien Stüden 





86 

BSurgthore in den Garten und von diefem wieder 

herauf nach dem Söller. Ihre Blicke hafteren 

ſtart an der Stelle, wo Abdelbert ihr zufegt vers 
ſchmunden war. Iht fehöned leidendes Auge 
ſchien ihn zuruͤckzaubern zu wollen. 

- Mit der eintretenden Dämmerung rief fie 
ihrer vertrauten Freundin, daß diefe ihr die Zitker 
Holen follte. Sie riß folche der damit herbeieilen⸗ 
den Jutta aus der Hand, und mitten im Braur 
fen des Sturmwindes griff fie aufs heftigſte in 
die Sajten und fang, dazu verzweiflungsvoll 
Hinauf in die Wolfen ſchauend, ein Lied, ohn⸗ 
gefaͤhr folgendes ‚Inhalts : ‚ 

Heulet nur, fliegende 
"Schwarze Geſlalten. 
Stürmet "die truͤgende 
Welt zu zerfpalten! 

» Donnerfeil ründe dich 

B Sie zu verheeren ; u. 

Blitzſtrahl entzuͤnde dich, 
Mich zu verzehren. 
Jugend, was logeft du, 
Mit holdem Gleißen ? 
Bnfen, was wogeft du, 
Ohne zu reißen? 
Heulen ift nicht genug, 
Treuloſe Winde, 


% 


95 


wollteft du dennoch? — Belinne dich Mechtilde, 
du bift weit flrafbarer als ich; denn ich war ein 
unerfahrned Kind, ich wußte nichtd von alle den, 
dort erlebten, gräßlichen Dingen ; du bift unters 
richtet davon, burch mich. _ 

Meine nicht: — erwiederte Mechtilde — mit 
Morten die Glut zu befprechen , vonder meine 
Bruft bereits halb getrocknet ifle Nach Liebe 
lechze ich; nach ſeiner Liebe; nur fie fann mich 
retten. — Doch gut, ich entbinde dich fogar 
ded geleifieten Schwurd und gehe allein, da ich 
unfehfbar auch fo die Hätte finden werde — 

Allerdings wirft du dad! Aber eben darum 
Tann ich dich nicht allein gehen laſſen. Kine 
Warnerin thut dir auf folchem Pfade gar North. 

Spare, ichwiederhole ed, deine Worte, liebe 
Jutta; fiefallen aufeinen. ganz unemptänglichen 
Boden! — 

D daß ich — verfeßte jene — daß ich diefe 
Geſchichte Dir mittheilen mußte! In der beflen 
Abficht wenigftens ift es gefhehn! — 

Mit diefen Worten eilte fie Mechtilden nach, 
weiche aus Furcht, die Gelegenheit zu verfäus 
men, ſich nicht einmal überreden ließ, ihre völlig 
durchnaͤßte Kleidung zuvor mit einer trodenen 
zu vert auſchen. — 

Der Thorwart erſchrak, als ſeine Gebieterin 
hinauswollte in den ſchrecklichen Sturm. Ihr 





- u 


96 


flarred Auge, ihr dumpfes Wort ſchreckte ihn 


faſt noch mehr, als das unerklaͤrbare Verlangen. 
Aber fie wieß feinen mitleidig fragenden Blick 
mit heroiſcher, unfreundlicher Miene zuruͤck. De 
bffnete er zitternd und ſah dann Jutta, welche 
ihr folgte, mit ſtummem Kopfſchuͤtteln in's Gr 


ſicht. Ein liebreicher Blick der letziern war die 
einzige Beruhigung, welche ihm zuruͤckblieb und 


die auch nicht groß ſeyn konnte, da der Blick un 
verkennbar ſelbſt aus troftbedärftigem Hufen fan. 
Harre unfer ! ſprach Jutta zum Thorwart. 
Bald werden wir wieder hier ſeyn. — 
Mechtilde, nichts als ihr Ziel im Auge ha 


. bend, war fhon vorausgeeilt. 


Während Jutta beijedem Schritte zuſammen⸗ 
bebte, würdigte die Burgherrin die Blitze, weldt 
ſich kreuzten aufdem Wege, nicht des mindeſte 
Aufmerkens. Erſt, als unfern von ihnen, der 
Wetterſtrahl eine Eiche zerſpaltete, erſt da ſchien 
die in tiefed Schweigen Verſunkene Augen zu 
Haben für die furchtbare Umgebung und rief: 
Barum nicht mir diefen Blitz, der mich dieſes 
Banged und des ganzen laͤſtigen Lebens auf 
Einmal entbunden hätte? — 

Jutta Tieß ihre Mitleidsthraͤnen ſtill herab⸗ 
fallen, weil ſie uͤberzeugt war, daß der Zuſtand 
der Freundin durch Zureden eher ſchlimmer als 
beſſer werden wuͤrde. Als aber die beiden Augen 





47 
der. Alten, gerade wie in jeher Macht, da Jutta 
biefen Weg allein machte, aus ber finflern Han 
tenthuͤre herübetfeuthteten, da konnte fie fich doch 
nicht enthalten, "der: Freundin um den Hals zu 
fallen und fie. bei allem, was dem ·Menſchen 
theuer und heilig iſt, zu beſchwoͤren, umzukeh⸗ 
sun, jetzt, da es noch Zeit ſei. 

Allein Mechtilde machte: ſich Mit Unwillen 
von Jutta los und eilte der Alten zu. 

Willkommen, geſtreinge Frau! ſprach die Zans 
berin. Dachte ich doch, daß dieſe ſchoͤne Nach 
nicht vergehen wuͤrde, one daß jemand meiner 
Haͤlfe begehrte. Wem moͤchte ich fie wohl lieber 
bieten, als dir, unſerer guten Herrin. "Bere 


forich mir aber, es nicht zu halten, wie die, ſo | 


dich geleitet. Denn an fchlechte Neugier fek 
meine Bunfk fo wenig verfchmender;,: aid an die 
Furchtſamtelt, welche wi im Stande iſt Gr 
Bed. zu ertragen ⸗⸗ 

Da wirft zufrieden ſeyn mit mic, Art ante 
wörtete Mechtilde. fi 8, fage mir, weis 
zu Bereitung einet fräftigen Liebeſßrantet 

Grade die rechte, bei fo kraͤftigen Bhitzen. 
Auch verſah ich mich deſſen, baß die ungluͤckſiche 
Liebe heute nicht ausbleihen wuͤnde. Din’ 


giebt deren. nur allzuviel id der Welt und mein 
weniges Wiſſen iſt bekannt· genug, Shhön Rebe: 


ber Keſſel Halb im Sieden. Haſt du aber ’a 
Geſpenſterbuch 7. Cheil. de 7 


! 





.ı  9®& 


—* awe⸗d, —* ‚dem. bin. d4 liebeſt, ww 
"angehörte? | | 
Ä Benigfent: — "yerfegte Mechellbe — trage 
ich eine ode: von ihm auf meinm Bufen, welche 
ich einſt heiwläch dem Sqlafenden vom Haupte 
ſchnit. 

So gieb doch, gie; Ein beſſer Kleinod zu 
Erfälung einer Wuͤnſche würde ſchwerlich zu 
finden ſeyn· — 

Es war daß. erſle Mai anf, benz ganzen Wege 
biexher, dgh Mechtilde zuterte vor Bangigkeit, 

als fie die Locke von ihrem Buſen nahm und 
fie der Waldkrau uͤbetreichte Denn ſchon lange 
betrachtete die Liebende dieſe Locke als einen Theil 
ihres ignerſſeꝛ Weſens, ja”. alt. deſſen befira 
Tpeil,;. 

——— mi närt ſprach die te, fe i in bi. 
Ieere, Stube führend, wn: ber. von Blitzen senmiet 
mehr “und mehr angefüllte Keffel' Leuchtete, waͤh⸗ 
venh wie: mannjchfaften “übe leiſen, . bitsern 
Shirkig: and. den ‚Randwolken, bapkbes ſih 
vernehunen Tiefin. 

Jattia war ihrer Geryndin gefolgt; un Fam, 
—* bier nöd einmal an fie; wie die Ber: 
-zeifliyng ſelbſt, um fie herauszuziehen mit Ges 
welt, auf Te boſem Naftlreife . Aber unwilig 
Adleydertg Mechtilde die Morneade von ſich, ſo 
deß dieſe nichts weiter zu thun:avußtt aus bin 


— % ip 9 e I“ “ 


| 99 
auszueilen, hier auf die Kniee zu fallen und zum 
Himmel für die Verblendete zu beten. 

Ganz wie Jutta erzählt hatte, verfuhr bie 
Alte auch in diefer Nacht ; doch waren die Ereigs 
niffe vieleicht noch ſchreckticher; das Eine Mal 
fhien es, ale fei die Hütte gar vom Grand auß 
geborfien ; und als wolle 'cben daB Dach herab⸗ 
fürzen über Mechtilden. ber vor allem diefen 
erzitterte fie nicht. Der gräßlidhe Ton und die 
wahrhaft fchaudererregenden Mienen, mit weldyen . 
die Alte im- legten Verſe ihre Schadenfreube aus⸗ 
drüdte, dußerte Beine Wirkung auf Mechtilden. 
Sogar die ſchrecklichen Geſichte, welche nachher aus 
dem Rauche emporſtiegen, fanden keinen Weg ja 
ihrem, allem Mitleid fremd gewordenen Hergen. 

Erſt als auf die Verheißung der Alten, daB 
nun der Geliebte ſelbſt ihr den Trank reichen 
werde, ein Ton ded Zorned ın der Rauchwolke 
zu vernehmen war, in dem fie Adelberts Stimme ers 
kennen wollte,erft da fing ſie an, Pein zu empfinden. 
Diefe wurde immer größer und größer, als wirklich 
aus dem Dampfe des Geliebten Geftalt fich nach und 
nach entwickelte und fein Geſicht zornig, wie efie fol 
ches nie gefehen, fie anbllckte. 

Gleichwohl firedte fie.die bebende Hand and 
nach der. Phiole in feiner Rechten. In biefem 
Augenblicke jedoch gewahrte fie, daß ihm ein 
Dlutiger Dolch im Herzen faß und — o namen⸗ 

2 








- 92 


Keſſel, wie 6 mit Gewalt wieder Finauf witr 


sum Himmel, don dem ed herabgelommen. Uber 
es iſt gebunden und muß nun kochen den Trank, 
welchen du von mir erheiſcheſt. 

In dieſem Augenblicke murtte und kreiſchte 
und wimmerte ed in ber ringsum feuerhellem 
Stube. 

Nunmehr fprang die Waldfrau abermals froh⸗ 
lockend um den Keffel herum ‚und fang wie vors 
bin eine Zeitlang ‚ohne Aufhören. Folgendes 2 

Eure Pein ift mein Vergnügen, 
Eitel Euer ſtdrriſch Kriegen. 
Was nicht feyn fol, werd’ ich fuͤgen! — 

Immer fehrediicher wurden die Töne im 
Keſſel und das Zifchen der Blige, dann aber 
#orben fie allmäplig in tiefem Jeuımer ab; die 
Blige verloſchen und Geflalten fliegen aud dem 
Bauberteffef mit bleichen ſchrecklichen Geſichtern 
von-Männern,. Meibern und Kindern, welche 
fi) in Rauch aufldſeten. 

Drauf fpraug die bere ſtarketen Shrittes 
als zuvor um den. Keffel zu dreien Malen und 
ſchrie mit. der heilloſeſten Schadenfreude: 

Wohl! Nun habt ihr ausgefungen, 
Euer Leben ift verffungen 
Und der Liebestrant gelungen! — 

Wart, Kindchen ! ſo ſprach fie dann gu mir, 

die ich hinaus wollte: warte nun noch. Dein 


108 


Phiole. Auch Aber Mechtildens Geſicht erſchrak 
ſie, denn dieſe ſchien in der Einer Nacht voller 
Qual und Suͤnde, um zehn ganze Jahre alter 
geworden. 

Jutta — ſprach die Befiterin bed Trants — 


bier trage ich denn endlich die fehle Zuverſicht auf. 


dad laͤngſt erfehnte Gluͤck in meiner Hand. So⸗ 
gleich ſoll Anſtalt getroffen werden zur Abreiſe; 
denn noch dieſen Vormittag muß ich bei ihm 
ſeyn auf dem Poͤhlberge. | 

Wie, Mechtildis — entgegnete bie Freundin 
— ſo fehr koͤnnteſt du vergeffen, was du bir 
ſelbſt ſchuldig diſt, um ihm nachtucilen, wie 
eine Rafende 9 \ 


Ei, ſollte ich denn nicht rafet , um das eins 
zuholen, das mit ſtets fo feindlich den Ruͤcken 
Teprte? das, daB glaube ich meinem armen Her⸗ 
zen ſchuldig zu ſeyn für feine Tangen namenlos 
fz Qualen auf den Flügeln’ det ſchwankenden 
und treuloſen Hoffnung. — 

Mechtilde — rief Jutta — dieſes Glas iſt 
dein Verderben, mache feinen Gebrauch von ihm, 
um Gotteswillen bitte ich dich darum! — 

Bitte den Berfchmachtenden , ‚ben Labetrunf 
von ſich zu weiſen, der ihm nach langem frucht⸗ 
lofen Sehnen geboten wird, Diefe Phiole iſt, 
mein Alles anf dieſer Welt | 





ME 


102 


Unb was in jener? fragte Jutta mit furdt 
barem Nachdruck. 

In die ſer TO: ich jegt leben! — verſetzt 
Mechtilde. Darum will id auch leben un 
mar todt fepn in ihr, wie ich ts zeither geweſen! 

Finſter barg fie dad Glas in ihr Gewend 
und riß fich. los vom Arme der Freundin, welde 
Jangfam und in ber tiefften Betruͤbniß ihr nad 
Ser Burg folgte — - 

Der Thorwart, ber ſich lange fchon unge 
fehen hatte nach deu nächtlichen NBgnberinnen, 
mat hocherfreut über deren Aukunft. In de 
Hurg wear.urgn,es, gleichfalld, denn er hatte die 
ſeltſame Yuswanderunghicht verſchn eigen koͤnner, 
and alles zeigte, Neugier nach des Raͤthſels Loͤſung. 

Statt. letueret aber tam ein neues rRaͤthkl 


binzu: Nych vor Sonnenaufgang mußten zwi 
Roffe- vorgeführt werden, welche Medritte un 


Juita befliegen, „Ein Anappe nebſt zweien Knech— 
ten wurde zur Begleitung auserſehen und von 
der ‚Reife ſelbſt ſagte die Herrin nur ſo viel, 


daß fie am Abend zurätkgufehten hoffe. — 


e. 
:6. . + 27 


Adelbert ſtaunte nicht wenig überbi: Ankunft 
der beiden Damen. Eben fo fehn vielleicht übe 
das Geſicht Mechtildens. Auch er fand, mit 


Yutta in der Nacht, eine fo große. Entſtellung 


168 


daran , duß: er note fragle: u ty atmodhle 
fei ?. Die davon Befroffene vernante eb 5.0084. ° 
fihernd „ daß vielleicht der Berdniß Abe ipt Bere. . 
geſſen einer ei Wngelegenheitavähttertd feint® . 
geſtrigen Beſuchsder Lebhaftigkelt hrer Seſtchte 
farbe geſchadet haber Sie irug ihi hierauf dieſe 
Aogelegenheit vdr /welche ‚fie für "der Grund 
ihres Kommens ausgab, und HL ber —* 
fü Podewrend · war‘, ‚08 der: Rittern bein "Borgen 
Deu woͤhl glauben konnte. 3 FE 
Beim Mittagsmale, welches le DA auf 
der Burgeinnhmen, mißfiel’ch Mechtiſden ſchon 
fehr, daß au: Meſcevis Schwefter, wpelche beß 
ihm wohnte, nioch mehtere ferne RIESE 
fihaft. teifietn. Sir: wartete fühge vergebend auf 
At Gelegenheitz den Trank in“ NAdeld erto —— 4 
gu Thyliegen ‚PR. fen. Thom anche augſelich 
zu werben, als niet, einsiger egal DARE. . 
gunſtig · ſeyn wllte Kar Be I ze 
»,@ublich fand Abb: woch RR PORN 
eb Thurmwaris Trompete ialle- Vuchrigp an die 
Benfer -tacıe izot Tie ſchleunigzſt das Fiaſchenn 
dervor und goß Eis in ben Becher eb Burgherrn· 
A: Uebrigen waren jüläufner Meint aufdie anikortir! 
menden, neuen Gaͤſte, als daß Bean” uns 
rue hien väter mei ne d. 
nr." Bald war iruninehe? die‘ ———— 
mit Nine; Kunst) Bernie Nndetiben 


‚a 


? 
> 
S 
* 


96 


flarreb Auge, ihr dumpfes Wort ſchreckte ihn 
faft noch mehr, ald dad unerflärbare Berfangen. 
Aber fie wieß feinen mitleidig fragenden Blick 
mit herösfcher, unfreundlicher Miene zurüd. Da 
Öffnete er zitternd und fah dann Jutta, welche 
ihr folgte, mit flummen Kopffchätteln in's Ge 
fiht. Ein liebreicher Blick der letztern war die 


einzige Beruhigung, welche ihm zurüdblieb und. 


bie auch nicht groß feyn Fonnte, da der Blick uns 
verfennbar ſelbſt aus trofibedürftigem Bufen Fam. 
Harre umfer ! fprach Jutta zum Thorwart. 
Bald werden wir wieder hier feyn. — 
Mechtilde, nichts als ihr Ziel im Auge has 


bend, war fhon voraußgeeilt. 


Wäprend Jutta bei jedem Schritte zufammens 
bebte , würdigte die Burgherrin die Blitze, welche 
ſich kreuzten auf dem Wege, nicht des mindeften 
Aufmerkend. Erſt, ald unfern von ihnen, der 
Merterftrahl eine Eiche zerfpaltete, erſt da fhien 
die in tiefes Schweigen Verſunkene Augen zu 
haben für die furchtbare Umgebung und rief: 
Warum nicht mir diefen Blitz, der mich dieſes 
Banged und ded ganzen Häftigen Lebens auf 
Einmal entbunden hätte? — 

Jutta ließ ihre Mitleidsthraͤnen fill herab⸗ 
fallen, weil fie überzeugt war, daß der Zuſtand 
der Freundin durch Zureden eher ſchlimmer als 
beſſer werden würde. Als aber die beiden Yugen 


108 


nen, trat er at äßen, wie er chen. init Blanka 
im Sprechen war And ſagte: Lieber Hulbringen, 
in dieſer kann ich Euch zugleich die Verlobte des 
NRitters Bernhard von Wildenan vorſtellen? 
Wie ein tödtenben Blitzſtrahl traf Dad Wort 
das ‚Leben von beiden mis Einem Male. Starr 
hand Adelbert noch einen Augenblick day... dann 
eilte er hin nach feinem Becher, und zu Mech 
tildens Entzuͤcken trank feine Ver weiſtuns ive 
in Einem Auge aud. 

Jutta errieth aus ber. Geenbetzunkinfeit: ißeer 
reundin, was geſchehen ſeyn mochte. : Die 
Folge beſtaͤtigte ihr die: Bermutbungt ‚Adalbert 
fu an, niemanden:zu ſuchen, als Mechtilden. 
da, er beſtand darauf, noch au demſelben Abend⸗ 
in ſeiner Gaͤſte Beiſeyn die Verlobung mit ihr 
In feiern. Während. dei Ningewechſals verlor 
Slanka iht Wenußafeyn , fo, def fie hinwegge⸗ 
bracht werben mußte. h 

Diefer Zufall und der Unfland, daß die Nach⸗ 
ſchon aflguweiz vorgeruͤckt war, bewog Huldringen, 
den Nittern den Vorſchlag zu thun, den Morgen 
auf feiner Berg beim Becher zu erwarten, wäle 
ind bei. anweſenden Braum: ein erneisfend 
dager: angewieſen wurie | 

7. 

Erſt mach der Mittagstafel des folgenden 

Tages. ſchieden die Ghfe von der Burg. Die 





“ 


100 


loſes Entfetzen! — eine Art von Schattenbild, 


weiches den Stoß dahin gethan hatte, im deſſen 
Geſichtszuͤgen ſie, wie im Spiegel, ihre eigenen 
wieder erkannte. 

Was ift dad? fragte fie, die Fauſt nach der 
Hexe aufgehoben. 

Eine Prüfung deiner Stanbhaftigfeit, tie 
letzte! antwortete diefe und Mechtildens Ver⸗ 
zweiflung-beziwang iht Grauen; haſtig griff ie 
nach der Phiole. | 

Da verſchwand bie Erfcheinung vor der Ser 
wußtlofen. Doc als fie wieder zu fich Fam, 
überzeugte fie das Glas in ihrer Hand davon, 





daß die erlebten Borfälle Feine bloßen Träume 


geweſen. — 

Alte — ſprach Mechtilde — der reichfte Lohe 
fell dir. werben für. deine Kunfl.] 
3. Ich dankte bir, edle Frau, antwortete fie. 
Doch verfehmähe ich deine Babe, che du ben 
Trank erprobt haſt an dem Geliebten, Scha 
Ki) wohl. — 


$. 


| Die Morgenwinde fehüttelten ſchon den Neger 
von den. Bäumen, ald, Mechtilde aus der Hatte 


Hat. Jutta ging im Walde haͤnderingend auf 


and nieder. Ein Schauer durdhbebte ihr inner: 
ſtes, ald fie die Freundin wieder ſah mit te 


108 


Däiofe Auch über Mechtildens Geſicht erſchrak 
fie , denn dieſe fchien in der Einer Nacht voller 
Dual und Sünde, um gehn gone Jabre alter 
geworden. 

Jutta — ſprach die Befiterin des Tranks — 


hier trage ich denn endlich die feſte Zuverſicht auf. 


dad laͤngſt erfehnte Gtüd in meiner Hand. So⸗ 
gleich fol Anſtalt geiröffen werden zur Abreife s 
denn noch biefen Vormittag muß. ich bei ihm 
feyn auf dam Poͤhlberge. 

Wie, Mechtildis — entgegnete bie Greundin 
— ſo fehr koͤnnteſt du vergeffen, was du bir 
ſelbſt ſchuldig biſt, um ihm nachzueilen, wie 
eine Rafende 9 f 


Ei, folte ich denn nicht rafen, um das eins 
zuholen, das mir ſtets fo feindlich den Ruͤcken 
reyrte? das, dad glaube ich meinem armen Her⸗ 
zen jchuldig zu feyn für feine fangen namenlos 
fen Qualen auf den Flügeln’ det ſchwankenden 
und treuloſen Hoffnung. — 


Mechtilde — rief Jutta — diefed Glas if 
dein Verderben, mache feinen Gebraud von ihm, 
um Gottedwillen bitte ich dich darum! — 

Bitte den Berfchmachtenden , ‚den Labetrunf 
von ſich zu. weifen, der ihm nach langem frucht⸗ 
loſen Sehnen geboten wird. Diefe Phiole Hl, 
mein Alles auf biefer Welt } 


102 


AUnd wäs in jener? fragte Jutta mit furcht 
barem Nachdsud,‘ 

In Diefer:follt ich jegt leben! — verſetzte 
Mechtilde. Darum will ic auch Teben un 
nich todt ſeyn in ihr, wie ich ẽs zeither geweſen! 

Finſter barg fie dad Glas in ihr Gewond 
und riß ſich. 108 vom Arme der Freundin, welche 
langfam und in ber tiefſten Betruͤbniß ihr nach 
Ser Burg folgte. — — 

Der Thorwart, ber ſich lange ſchon unge⸗ 
ſehen haste - nach. deu nächtlichen Wanderinnen, 
Wat hocherfreut uͤber deren Aukunft. In der 
Hurg war. mn es gleihfalld, ‚denn er hatte die 
ſeltſame Auswanderung nicht verfchweigen Fünnen, 
und alles zeigte, Nenpier nad) des Raͤthſels Loͤſung. 

Statt letierer ‚aber kam ein neues Rärpkl 
. hinzu ; Noch vor Sonnenaufgang mußten zwei 
Reſſe. voraefuͤhrt werden, welche Mechrilde und. 
Juita befliegen, . Ein Knappe nebſt zweien Knech⸗ 
fen wurde ‚zur Begleitung außerfeben und von. 
der ‚Reife ſelbſt ſagte die Herrin nur fo viel, 
daß fie ie am Abend surätfgufehren hoffe. — 


6. Bu » 

Abewen hau nicht wenig über die Ankunft 
ber beiden Damen: Eben fo fehn vieileicht Aber 
dad Geſicht Mechtildens. Auch er fand, wie 
Jutta in der Nacht, eine p große. Entſtellung 





i68 


duraii, "Su: er vor ige fragte: DE Te atmodhl 
fei %.. Die dadon -Weroffene. verndinte es; ver⸗ 
fihernd , baß vielleicht der Verdruß Ai iht Bere. . 
geſſen einer. wichtigen ugelegenheltawahtend feints 
geſtrigen Beſachs der Lebhaftigkeln threr Seſchts⸗ 
farbe geſchadet Hader: Sie” ttug ihm hierauf dieſs 
Augelegenheit · vor; welche fie" für den Grund... 
ihred Kommens ausgab, und: Min bar Chir . 
ſo bedeeend: ar. dußz der: Mittern bem 'zlorgen 
Mu wog glauben onnte. 2 1 
Beim Mittagsmale, welches ui Dacath auf. 
ber Burg: einnohinen, mißſtel ch Mechtilden ſchon 
fehe, dat außee Welaris Sqhwdefter, welche eb 
ihm wohnte, noch infäkere fremde Ritits Geſel⸗ 
ſchaft leiſteten.Sie wariete lakge vergebend aufßf 
Ant. Getegenheitzeihen Trank in’ ldeibeitdl Bechen 
gu: ſchutten, Widĩ fen. Thom unter Ai - 
j werben , a1: — einziger Hager: DEE. \. 
gänfttg .feyntuällei' wat len 
» Endlich fand A: woch elner.⸗ a 
ws Thurmwaris Trompete 'ialle- vangaan' die 
Denſter Tocıe 40H Te ſchleunigſt das’ Sräfdhent . 
dervor und goß Gcnus in den Becher des Burgherrn⸗ 
Br: Uebrigen waten zulaufmerkſam̃ auf die aulkvnie 
menden, neuen Gaͤſte, als daß ſe ecAludens uns 
—** ame i 
"Salbe iihunineheT die: SUPMEL.PTE ieefäh. 
nat: Rintere » Feain eh, Dun! Umbrien 


* 
> 


BR: 
Wetemncghrete ſich einen auech beſondeve Neige 
au&, bes. ebelgefiultete Aͤrvar beſchaͤmte den Glanz 


. amd ſjpanen Bidet, vom dem et. singefaßt wer, 


0 Beil. wiidarkheite Auf — Un Um 
al ganaqe her Morgenſchein friiher , | 
reicher dogande und. jebet Blick auß ihrem ram 
Yugı defekigse van ſo mehr, da disfe Blide-faßk im⸗ 
ur; aus Gittſamkeit, nach dem woeißen Lichte des 
ſchuldloſen. Aufendastcher,zgiuden: Baltenbeiten ges 
hörten, Dazu floß das koͤſtlichſte Gelb in großen ter 
deu ühmibneäädunttern. . iu..." 
2. Den; Binbrud ; welchen daß. Gränkin. Blanka 
yon Kirhenberg ‚auf Adelhert odu⸗/· war fo uns 
wshunbar,. daß er Mechthildenunmoglich ent⸗ 
dJehen :Fonnter +, Mach: Blanka⸗ ſchien, wenn- er 
wit ibx ſprad, von hoͤherm Fenen als gewoͤbnlich 
garbahet. Dazu wagten jhec boften Augen ‚Fein 
an Nal ganm nach ihmaufswichen.. . 
Mechtilde ſchoß ſchreckliche Blicke nad ihr 
berubex. Schen fuͤrchtete ſie, da ihr. garzes 
Norhaben verxloren ſeyn amd. ber, Fiebeserank mm 
. Magen. Meiſe ingend einem Knaphhen oder Knechte 
zufall werde. : Denn -Dulbsingen;, ‚in dad Uns 
ſchamen der Schonen uefunfen, date feinen 
Vecher ohllis .pexarflen.: o , .. . 
Sub Blanka's Bruder, Herz. Dietrig von. 
Eichenberg /bemerkte, mas. in; Adelberts Buſen 
Borging. : Um allem Uebo⸗il in:Beitrn gu beges⸗ 





208 


nen’, trat er ai ihen, woe er eben. mit Blanka 
im Sprechen ˖wat And ſagte: Lieber Holbringen, 
in dieſer kanm ich Euch zugleich Die Verlobte des 
Ritters Bernhard von Wildenan vorſtellen! 
Wie ein toͤbtonden Blitzſtrahl traf. dad Wort 
das ‚Leben von beiden mis Einem Male. Start 
ſtand Adelbert noch einen. Augenblick ba,.: dann 
eilte er hin nach feinem Becher, und zu Mech⸗ 
tildend Entzuͤcken trank feine Ver zweiſtung or 
in Einem Auge a. -. . 

Yutta errieth aus ber. hreudetrunlenheit ihrer 
Freundin, was gefchehen. ſeyn mochte. Die 
Folge beftätigte ihr die. Bermuthungt ‚Adalbert 
fing an, niemanden zu ſuchen, als Mechtilden. 
Sa, er beſtand darauf, noch au demſelben Abends 
in ſeiner Gaͤſte Beiſeyn die Berlobung mit. ihr 
zu feiern. Während. de Ringewechſals verlor 
Blanka iht Bewußtſeyn, fo, daß fie. binwesge⸗ 
bracht werden mußte. 

Dieſer Zufall und der Umfiand, daß die Mad 
ſchon aflguiweit vorgeruͤckt war, bewog Huldringen, 
den Nittern den Vorſchlag zu thun, den Morgen 
auf feiner Burg beim Becher zu erwarten, wäls 
ind den anmwefenden: Braun‘ ein oweinſaw⸗⸗ 
dager. angewieſen wurbe: : | 

Te 

Erſt mach der Mittagstafel des folgenden 

Leges ſchieden die Gaͤß⸗e von der Burg. Die 





O6 


ſchoͤne Blaunka war: noch ſo hinfkilig vom geſtrigen 
Gragnöfe,. daß fie nur mit Mähe'fich auf ihrem 
Noſſe Feſtzuhalten vermochte.. Mbeibert' ſelbſt ger 
leiter: Mechtilden and i Yattarınach der Seimath. 
Kaum aber, daß ſie dieſe errricht hatien, fü er⸗ 
krankte ie Freundin ſeiner Verlobten. Sn uͤber⸗ 
ans“ heftiges Fleber warf fie ublläg niebers. Alles 
bleiferto· ſich zur Huͤlfelerſtung; denn Jutta war 
zu liebreich uls daß nicht edermann ihe haͤtte 


Geneſung wuͤnſchen follen. Unch Adelbert wachte 


oftĩ in iGefellſchaft: ſeiner Staut an: ihrem Lager. 
5Einftmals gegen Abend wie Jutta eben wi ebẽt 
in oſer Fieberhitze lag sad uiamand bei tyr wahl, 
als ihre Dienevrin. und her · Ritter von Duldmingen, 
da nahete hu · der alte Thorwart, um ſich, wie it 
fagte, nach dern guten Frauͤuſein zu erkundigen : 
Karin erblickte die Kraukel fein mitbäibigts 


Geſccht, ſo rollten ihre Augen, ihr Mun de dafnete 


ſich gewaltſam. Es war al trachte ſie zuorechen 

und als widerſtrebe ihr Bad Wborts.. '.::. 17:17. 
Endlich aber rieß ſer doch aus? Du, Ur, 

dw Fatinit.ed wiſſen; woas nich niebergeworfer 


Sat; was mich aͤngſtigt und vielleicht: mgſtogen 


wird bistzum rleßten Hauche.  Erinneri Bu Dich 


‚ jener, fehtedlichen Gewicernacht? In ber· et 


mein Unheil! — . 
Meiute ichs doch immer APrach dei Man 


mini Ih wi. Auch, wie ungern I 





io? 
Euch dab Thor bffnete, durchweicht vom'Negen, 
wie Ihr don waret. Die Erkältung‘ Fonnıd 


ja gar nicht fehlen! BE Ze 


Nein,’ Alter, nein! — rief ſie mit ſchrecklichein 
Blicke — Niet! Elaliung hoͤlliſches Feuer viel) 
mehr war ed, was mich getroffen hat: Blitze 
vom Simmel herabgekommen und von ber Hoͤlle 
feſtgehalten und: zu furchtbarem Frevel denkt: 
Bere für mich und deine Herrin, guter After! 
Mir waren damals Bei’der Maldfrau, ber böfen 
Zauberin. Mechtilde ließ fich von ihr einen Lie 
bestrank kochen für den Ritter von Huldringen! — 

Er ift doch wohl nicht in Ber Nähe, dag er6 
gehört Haben könne? — 

Der Thorioart suchte bie‘ Achfeln und” hob 
die Augen zam "Himmel. Gern haͤtte er int 
Kunde gegebeh von Adelberts Anweſenheit, 3 wenn 


dieſer ſoſches nicht Durch ſeine Zorn drohendig 


Augenbraunen gewehret hätte. — 

9a, Aiter — fuhr ſie fort — das wär eine 
Nacht , wie id; deinen greifen Haaren feine wälr 
(hen will. Ich bin jung und haße nöch Zeit 
vielleicht mich durch Buße wieder "auszuföhnen 


mit dem Himmel. Dein noch übriäed Tchen 


würde zu furz dazu feyn: ° Yet gehe und’ bete 
für uns, börft du? 

Der Ulte eilte hierauf zu der Durgherrin/ 
dieſer berichtend,“ was in HDurdringens Biiſeyn 





108 

vorgefallen war... Eingedenk des Wortes der Zau⸗ 
berin, daß der Geliebte nie. von dem Liebestrante 
erfahren dürfe, wenn feine Liebe ſich nicht in 
grimmigen Haß verwandeln folle, wid) auf einmal 
ihr alles Blut and dem Geſichte; ihr Alben 
ſtockte. Doch, den Jammer des vor ihr fichens 
din Alten nicht achtend, raffte fie. ſich ploͤtzlich 
auf und eilte nach dem Zimmer der Kranken. 
Hier ſaß Huldringen, von lehterer noch) immer 
anbemerfi, zu des Bettes Häupten mit flarren 
glühenden Augen. 

Wie ein heftiger Windfloß bie Gluth zur 
Slemme bringt, fo hier dad Erfcheinen Mech⸗ 
end, | 
Buͤbin, Schaͤndliche! Kiefer aus, vergeffend, 

wo er war und fein Schwert ziehend. 

So ermorbe mich denn! ſprach Mechtilde; 
morde mich wegen der boshaften Traͤnme ciner 
Fieberkrauken / | 

‚De blickte Jutta heftig erſchrocken auf un 
verhäßte dann fehluchzend ihre Augen in bes 
Hauptliffen. — | 
. Nur allzuwahr — rief Adelbert. — bat das 
Sieber i in feinem Traume gefprochen ! Meine, noch | 
niemand entdeckte Pein in jener Gewitternacht ver 
bürgt es mir. War es mir doch, ald obaled Haar 
meines Hauptes ausgeriſſen, als ob meines Her⸗ 
jens Blut abgezapft werde! Doch morden will ich 


X 














109 


dich nicht! — Biſt ja elend genug, in den Gefühle 
fotch eines Lebens, foldy einer Berworfenheit! — 

Mit diefen Worten ſtieß Adelbert fein Schwert 
in die Scheide, fchleuderte die Bittende, bemüht, 
ihm ben Ausgang zu vertreten, von fi, unb 
war wenig Minuten fpäter mit feinen Knappen 
zu Roſſe auf dem Wege nach dem Pöhlberge. 

Am Morgen verfhied Jutta und „mit diefer 
Mechtilden die einzige Warnerin vor dem Pfade, 
den fie betreien hatte: Daher eilte die Zroftlofe 
auch fogleich in den Wald nach ber Zauberin. 
Diefe aber zuckte die Achfeln, als fie helfen ſollte. 
Ein neuer Liebestrank — behauptete fie — fei 
nicht mehr hinreichend. Nichts fünne ihr helfen, 
ald ein Buͤndniß mit dem Oberheren der Zauberer. 

Auch daß! riefdie Wahnfinnige aus und wie 
fhauderhaft die Formen ſeyn mochten, fie unters 
warf fi) ihnen und errichtete dann ein geheimes 
Schwefterband mit der Waldfrau. 

Adelberten fing an zu rauen vor dem Saale 
in feiner Burg, weil er bier den Liebestrank 
befommen batte und er ladete Feine Gäfte mehr 
zufich , fondern zog überhaupt dad Umherſchweifen 
dem Sitzen auf dem Pöhlberge vor. 

Dft tabelte man ihn fehr bitter wegen feiner 
einſamen, faft menfchenfcheuen Weife, da er ein 
Mann war, wohlbabend genug, um ein frohes 


108 


vorgefallen war... Eingebenk des Wortes der aus 

berin, daß der Geliebte nie. von dem Liebestranke 
erfahren dürfe, wenn feine Liebe fih nicht in 
grimmigen Haß verwandeln folle, wid) auf einmal 
ihr alles Blut and dem Geſichte; ihr Athen 
fiodte. Doc, den Jammer des vor ihr ſtehen⸗ 
din Alten nicht achtenb.,..zaffte Re ſich ploͤtzlich 
auf und eilte nach dem Zimmer.ber Kranken. 
Hier. faß Yuldringen, von letzterer noch immer 
unbemerft, zu bed Bettes Däupten mit flarren 
glühenden Augen. 

Wie ein heftiger Windfloß bie Gluth zur 
Slam bringt, fo hier dad Erfcheinen Mech⸗ 
tildens. 

Buͤbin, Schaͤndliche! eief er aus, vergeſſend, 
wo er war und ſein Schwert ziehend. 

So ermorde mich denn! ſprach Mechtilde; 
morde mich wegen der boshaften Traͤume einer 
Fieberkrauken! 

Do blickte Jutta beſtig erſchrocken auf und 
verbullt dann ſchluchzend ihre Augen in das 
Hauptkiſſen. — 

. Nur allzuwahr — rief Adelbert. — hat das 
Sieber in feinem Traume gefprodyen! Meine, noch 
niemand entdeckte Pein in jener Gewitternacht vers 
bürgt ed mir. War es mir doch, ald ob alles Haar 
meined Haupted audgeriffen , ald ob. meines Ders 
jens Blut abgezapft werde ! Doch morden will ich 


2 














109 


dich nicht! — Biſt ja elend genug, in dem Gefühle 
ſoich eines Lebens, foldy einer Berworfenheit! — 
Mit diefen Worten ftieß Adelbert fein Schwert 
in die Scheide, fchleuderte die Bittende, bemüht, 
ihm den Ausgang zu vertreten, von ſich, und 
war wenig Minuten fpäter mit feinen Knappen 
zu Roſſe auf dem Wege nach dem Pöhlberge. 
Am Morgen verfchied Jutta und „mit diefer 
Mechtilden die einzige Warnerin vor dem Pfabe, 
den fie betresen hatte: Daher eilte die Zroftlafe 
auch fogleich in ben Wald nad) der Zauberin. 
Diefe aber zuckte die Achſeln, als fie helfen ſollte. 
Ein neuer Liebestrank — behauptete fie — fei 


nicht mehr hinreichend. Nichts koͤnne ihr helfen, 


als ein Buͤndniß mit dem Oberheren der Zauberer. 

Auch das! riefdie Wahnfinnige aus und wie 
fhauderhaft die Formen feyn mochten, fie unters 
warf ſich ihnen und errichtete dann ein geheime 
Schwefterband mit der Waldfrau. 

‘ 8. , 

Adelberten fing an zu grauen vor dem Saale 
in feiner Burg, weil er bier den Liebestrank 
befommen hatte und er ladete Feine Gäfte mehr 
zu ſich, fondern z0g überhaupt das Umherſchweifen 
dem Sitzen auf dem Pöhlberge vor. 

Dft tadelte man ihn fehr bitter wegen feiner 
einfamen, faft menſchenſcheuen Weiſe, da er ein 
Mann war, wohlhabend genug, um ein frohes 


: 
Leben mit: Weib und Kindern zu führen, avch 
wie fonft der ſchoͤne Knappe, jegt weit und breit 
der ſchoͤne Ritter genannt wurde. 


Eined Tages Fam er nach Schreckenberg, 100 
eben Jahrmarkt war and er allerlei einzufaufen 
hatte. Da reizte plöglich eine Käuferin fein Yuge 
durch ihre Wohlgeſtalt, und er wuͤnſchte fehr, 
ihr Geſicht zu ſehen, welches die Waaren der 
Bude verbargen, an der ſie mit einer bejahrten 
Dame ſtand. 

Beim Naͤhertreten ſah er, daß man feines 
Heirathsgut einkaufte. Auf das Geraͤuſch ſeiner 
Syoren blickten die Kaͤuferinnen ſich um, und Abel: 


bert nnd die kaufende Jungfrau hartten ethleicht 


> 


einanderan. Die ſchoͤne Blanfa war ed mit ihrer 
Mütter. Letztere wußte erfi nicht, was fie von ber 
Teltfamen Veränderung ihrer Tochter denken folk, 
als der Ritter, ben fie zeither nur dem Rufe 


nach gekannt hatte, ſich ihr zu erkennen gab. 


Ein Zug tiefer Betruͤbniß zitterte auf dem noch 
wohlerhaltenen Geſichte der bejahrten Dame. 
Durch ihren Sohn hatte ſie fruͤher von dem 
Eindrucke gehoͤrt, den Adelbert auf ihre Tochter 
gemacht. Letztere war ſelbſt gegen ſie ganz offen⸗ 
herzig hieruͤber geweſen. Adelberts Feindſchaft 


mit Mechtilden, welche jetzt überall fund wurde, 


erregte bald darauf neue Hoffnungen in Blanka. 


ar 


Doch wieß die Murntt dieſe auf · dad Beenarden de⸗ 
reits gegebene Wort hin. —J 


Und kaum mochte es der. ehrwuͤrdigen Mattone 


‚gelungen fegn, durch vernünftige Darftellung 
der Umſtaͤnde, dab. VBild dus Nikterd von Hul⸗ 
ringen auß ber. Tochmer Soele zu Drängen, als fein 
Erfchtinen noͤtzlich dat sum. Wert wieder uͤber 
den Haufen wirft. on 

Herr Ritter — mit dieſen, dee eubgeforos 
henen Worten-naprä die,. bei allem Unmuthe: doch 
enifchleffene Fran, Adelberten auf die Seite — 
Ihr feid..ein Ehrenmann, aber. ber. Bräutigam 
meiner. geliebten Tochter iſt auch einer. Ich 
weiß, daß Ihr Gefallben fandet an ihr und fie an 
Euch. Doch auch Yhrı werdet .miffen,. wad: in 
Sällen:, wie Diefen ‚einem techilichen Rutwemann 
zukommt. nm... 

Das weiß ich, ſorach Huldringen ic „tief 
verbeugend, und ging, ohne auch nur noch einen 
einzigen, Blick auf Blanba zu richten. + 

Das aber grade konnte letztere nicht ertragen, 
und als fie mit der. Mutter. nach Haufe. Sam, 


bewog. fie hen ihrer, bier barrenden Mauden, gu - 


Abelbert :auf. den. Röhlberg zu ‘gehen: und zu 
fragey : Ob er darum x weil ˖ ihnen mechfelſeitige 
Liebe verſagt ſei, ihr auch deu woharouendan 
Blick entziehen wolle? | 

Der Ritter von on Ewerbera, woa⸗ma⸗ defe 


us: 
Leid feiner Schweſler die eigene Bruſt mit Weh⸗ 


muth erfüllte, befchwor fogar Adelberten mit ihm | 


zu kommen zu -Blanfen und ihr. ya verfichern, 
daß fein Wohlwollen ihr nicht fehle, da fie auf 
zweiter nichtd Anſpruch mache. - 


Aber. die Bruderliebe hatte hiermit nicht wohl 


gerathen. In Huldringen® liebevollen Blicke zer: 
ſchmolz, als er Abende bei Blanka's Eltern und 


ihr erfchien , die Feſtigkeit ihres Borfaged. Ja, 


fie. erkrankte dergeflalt nad biefem Abende, und 


forach mehrere Tage mit ſolcher Sehnſucht vor 


Huldringen, daß die Mutter, aus Liebe gu ihr, 
felbft nach dem Ritter Adelbert ſchickte. 
Diefer fand, ald er fam, Blauka's Braͤrnti, 
gam, der.eben aus dem Kriege heimgefehrt und 
nicht wenig erſchuͤttert war von der Abneigung, 
mit welcher ihn die ihrer Haltung nicht maͤchtige 
Braut empfangen hatte... Noch empfindlicher 
mußte das Entzuͤcken ihm werben, mit dem fie 
den jegt Hereintretenden bewillkommnete. 
Zwar fuchte die Mutter alled durch den halb⸗ 
bewußtloſen Zuſtand des Fraͤuleins gu entſchul⸗ 


digen, doch ſchaute Bernhurd von Wildenau ber 


Sache auf ben Grund und ſagte: Ritter von 


Hulbringen, mancher an meinem Plage würde 


fo. thoͤrigt ſeyn, Genugthuung- von Euch zu ven 
langen in folder Angelegenheit. : Durch Schwert 


und Ranze aber läßt die Neigung der Menſchen 





113 


Sich Feine dauernde Richtung geben. Darum vers 
gichte ich‘ freiwillig auf meine Anſpruͤche. Mag 
Euch Blanka's Hand gluͤcklich machen, da ich ja 
doch unter dieſen Umſtaͤnden kein Gluͤck von ihr 
erwarten duͤrfte. — 

Herr Ritter — ſprach hierauf die erfreute 
Mutter — wohl dem, der alſo handeln kann, 
wie Ihr, denn dadurch muß ihm ſelbſt auf Erden, 
fpät oder frühe, der Friede des Herzens gewiß feyn, 

Bernhard ſchied, und feine Züge fagten dabes 
deutlich, wie theuer er diefen Frieden erkaufte. 
In ihrer Leidenſchaft für Adelberten ging Blanken 
das Mitgefühl fir den Zuftand ihres geweſenen 
Braͤutigams vollig verloren. Die Hoffnungen 
einer ſchoͤnen Zukunft reichten ihr den Arm, ſo 
daß ſie gar bald das Krankenlager verlaſſen 
konnte. — 

9. 

Den Liebenden ging ein neues Leben auf, nur 
ſelten von Wildenau's tiefem Schmerze ein wenig 
truͤbe gehaucht. Denn durch blinde Leidenſchaft 


erhitzt, pflegt jeder ſelbſt die unrechtmaͤßigſte 


Liebe ſich für das heiligſte und alles fuͤr rechtlos 
zu halten, was feindlich mit ihr zufammentrifft. 
Eines Abends, ald dad Paar berauſcht faß 
von den Zräumen einer feligen Zufunft und 
Blanka's Mutter eben hinausgegangen war, ds 
Geſpenſterbuch 7. Theil. 


ee 





BE (dee 
2 


114 


erhob ſich grade wie Adelbert die Unendlichkeit 
feiner eigenen Leidenfchaft in Blanka's liebevollen 
Yugenfternen wiederfinden wollte, auf dem Stuhle, 
welchen die Mutter vor furgem noch inne gehabt, 
ein lauted Athmen. Da die Ruͤckkehr der Deutter 
nicht ſo bald zu erwarten gewefen war, fo blickten 
beide zugleich nach dem Sitze hin. Es war aber 
auch Feinediweged dad Geſicht der theilnehmenten 
Mutter, was fie entdediten , ed waren Mechtils 
dens Züge. “Beide flogen vor dem Falten furcht⸗ 
baren Hohne in ihren tiefliegenden Auge von 
den Stühlen empor. 

Was wilft du Hier, böfe Zauberin? rief 
Adelbert. 

Gewoͤhne dich immer an meinen Anblick — 
ſprach Mechtilde — mitten in Euern Gluͤckstraͤu⸗ 
men werde ich Euch oft alſo überrafchen. 

Fliehe oder zittre I rief der Nitter die Fauſt 
empor bebend. 

Keined von beiden! antwortete fie. In tiefer 
Ruhe erwarte ich beinen Dank für das mannich⸗ 
face Gute, fo du von meinem Gemale und 
mir empfingfl. | 

Dieſes Wort entkräftete des Nitterd Arm, 
und fie ſagte: Was zähmte doch den wuͤthigen 
Tiger fo ploͤtzlich? Was fchonefl du meines zeits 
lichen Lebens, bu, durch den die Seele mir vers 
loren ging? — Schaudre nur davor, es Hit alfo. 


115 
Du allein bift an den ſchrecklichen Schritten ſchuld, 
die ich gethan habe! — 

Mechtilde — rief da der Ritter mitleidig — 
gehe in dich, weiche von dem heillofen Pfade, 
den du wandelt! — 

Um dich denn doch in einer Undern Armen 
zu fehen? Nein! ch will elend feyn, wenn ich 
nicht felig werben fol, felig durch dich! — Aber 
fu — und du, erwartet auch Ihr Feine Seligs 
fit von dem Bündniffe, welches bie jegt nur 
noch in Eueen Träumen lebt. Sobald ed der 
Wirffichfeie näher tritt, wird ed auch zerfallen 
in ſich ſelbſt. Denn in nicht fuche ich nun’ mein 
li als darin, Andere in mein namenlofed 
Elend Hinabzuziehen! — 

Schmerzlih umfaßte Adelbert die Gelichte, 
während Mechtilde dad Gemach verließ. Biel 
leicht war dieß der erfie Dioment, wo das Tiebende 
Paar fein Unrecht an Bernhard erfannte und 
fühlte, daß es, ohne diefed, ſchwerlich alfo in 
bie Hände der böfen Zauberin möchte gegeben 
worden feyn. Gleihwohl war die beiberfeitige 
Leidenſchaft zu ſtark, als daß fie einer Verbin⸗ 
tung hätten entfagen mögen , in welcher allein 
fie ihr Deil zu finden glaubten. 

10. 

Die Hochzeit fand zwar zu Schredienberg im 

elterlichen Haufe der Braut flatt, doch begab man 
22 


- 116 


ſich, nachdem die Trauung vorüber war, nach 
dem Pöhlberge, wo ber Bräutigam ein großes 
Feſt veranftaltet hatte. Als alles ſchon Hier vers 
fammelt war, und man eben Paar und Paar 
in den Speifefaalging, da erbleichte mit Einem 
Male die ſſchoͤne Braut und ſank ſchreiend zu 
Boden vom Arme des —— Der Schrebk⸗ 
ken war um ſo groͤßer, da alle Verſuche einen 
Lebensfunken in ihr zu erwecken, fruchtlos blieben. 
Meder die untroͤſiliche Mutter noch irgend einer 
ber Säfte begriff das Piögliche biefed, dad ganze 
Feſt vom Grunde aus zerfiörenden Trauerfalles, 
weil die Erblihene vor dem Augenblicke ihres 
Hinſcheidens audy nicht die Heinjte Ahndung von 
Unpäßlichfeit gehabt hatte. Nur Hdelbert dachte 
fogleich an Mechtitde und deren Drohung. Zur 
weilen aber fonnte er auch gar nıdyt glauben, daf 
Blanka geftorben ſei, und meinte, fie müfle nun 
endlich wieder aus ihrem tiefen Schlafe erwachen. 
Allein nach drei Lagen und Nächten, die er bei 
ihr zugebracht hatte, zeigte ſich auch nicht Die 
mindefte Lebensfpur. Am Abende nach dem Tage, 
an welchem Blanka beigefegt worden, und Adels 
bert fchlaflo8 im Bette liegend fein ſchreckliches 
Schickſal überfann, da. öffnete ſich plöglich dir 
Thuͤre. Er blickte auf; ein eiskalter Schaue 
überlief: ihn: Mechtilde kam auf ihn zu. 


” 


117 


Sift du ed ferbft, oder ift e6 nur ein Trug⸗ 
bild der Hölle? rief er aufgerichtet. — 

Wie du es nehmen willſt! antwortete. fie. 
Es iſt eingetroffen, was Ich dir weiflagte: bein 
Gluͤckstraum iſt zergamgen an meiner Radıe, wie 
jeder andere. Wer hieß dich aber auch die gelichte 
Gattin lebend binabftoßen in die kalte Gruft ? 

Lebend? rief Adelbert voll Entfeßen: 

Ja wohl lebend! antwortete fie. Nur. Zauber 
gab ihr den Schein einer Todten. — Jetz lebt 
ſie wieder! 

Teufliſche Luͤgnerin — rief der Ritter — 
willſt du mich nun nych wahnſinnig mare vor 
eine falſche Hoffnung ? am 

Hoffe nicht ! verfegte Mechtilde. Kenn vs 
fchon lange moderſt, wird fie noch leben und 
umgehen .auf dieſem Berge. : Uber nicht zu dei⸗ 
nem Heile. Denn der erfie ihrer Blide. auf 
dich wish auch dein. Tod ſeyn! — 

D du höllifche Natter! ſchrie Adelbert, nach 
ihr hinraſend. Doc 'als er vor ihr ſtand, da 
erfaßte ihn ein heftiger Schrecken und ſie ſprach 
mit Hohne: 

Gewahrſt du nun, daß auch ich eine Abge⸗ 
ſchiedene bin ? Auf daß meine grimmigfle Seins 
din deſto laͤnger leben moͤge, ein unerfreuliches, 
grauenvolles, tddtendes Leben, darum habe ich 
mich des meinigen ſelbſt beraubt. 





/ 


118 


.Mit diefen Worten verfchwand die Erfah 
nung- 

Feſthaltend in feinen Gedanken, was fie ge 
ſagt hatte, rief der Ritter ſogleich nach Leuten 
und Fackeln und eilte damit hinab in die Gruft. 
Er ließ fie dffnen, 

.Wo iſt fie? fragte er mit manvie Stimme, 
als bie Gruft leer war, 


Erſtaunt fahen feine Begleiter fi an. Nie 
mand begriff, wer das eiferne Thor ohne Geraͤuſch 
gedffnet und wieder verfchloffen hatte. — 

— Herr Rifter — ſo fprach am folgenden Nach⸗ 
miitage· ein Knappe gu dem Troſtbeduͤrftigen — 
geſtern hat ein Knecht Eure Braut juſt in ihrer 
Sterbeſtunde auf dem Schloßberge geſehen. Ich 
wollte wiſſen, wäs an feinem Vorgeben fei und 
vorhin iſt fie auch mir-bort begegnet. Zwar 
ſchlug fie das Auge zur Erbe, aber fie war es, 
in völligen Glanze ihres Hochzeits⸗ x und Ster⸗ 
betages, ich ſchwoͤre darauf. 


Am folgenden Mittäge verfäumte Adelbert 
nicht, den Weg atıfzufuchen , den’ fi ie, wie er 
hörte, beidemaf genommen hatte. ' Und ohne 
daß er ihr Ankommen inne, geworben, fland fie 
plöglich vor ihm mit 'niedergefchlagenen Augen, 
wie geflern und vorgeſtern. Blanka, mein⸗ 
theure Blanka! rief er nun aus. — 


119 


Aber vie hierauf ihre Augenlieder ſich er⸗ 
ſchloſſen, fo ſchnitt auch ein Strahl aus ihnen 
auf Adelbert fein Leben mit Einemmale entzwei. 

Manche Andere haben feitdem die Jungfrau 
hochzeitlich in ſchneeweißem Atlas gekleidet und 
das Haupt mit goldenen Locken geſchmuͤckt, in 
der Mittagsflunde den Pohlberg herablommen 
und traurig und niedergefäplagenen Auges vors 
überwandelnfehen. Jeden aber, der, bethoͤrt von 
dem Glanze der Erfcheinung, durch Ausrufen 
ihres Namens ihren Blick auf fich herüber lockte, 
hat diefer Blitzſtrahl aus der Unterwelt ſogleich 
tbdtend in daB Mark feined Lebens ‚getroffen, 





ut . \ 


Be Der Bergmönd, 





Heltdnend ſchallte das Betgloͤcklein von des 
Steigers Wohnung durch das Bergſtaͤdtchen, als 
bie, Abendfoane mit ihren ſcheidenden Strahlen die 
' Waldhoͤhen xiugs umher mit Gold und Purpur 
ſaͤunte. Es mag. die Stunde, mo die Manns 
fdaft, die den Tag über in der Grube gearbeitet 
Hatte, von den zur Nachtſchicht beftimmten Knap⸗ 
ven abgelöst wurde, 

Nun laß mich liebes Fraͤnzchen“ — fagte 
Michael zu feinem Mädchen, das ihn ein Stud 
Wegs begleitet hatte — „der Steiger kann mich 
nicht leiden und paßt mir auf den Dienſt; kaͤme 
id) einmal zu fpät zur Schicht, fo hätte er eben 
in Recht mich auszuzanten, und da follte mird 
etruͤbſelig ergehn!” Damit drüdte er noch einen 
Kuß auf Franziska's bfühende Tippen und ſprang 
nad) dem Grubengebäude, wo er noch vorm 
Berlefen der Mannfchaft anfam, und flatt des 
gewöhnlichen frommen Grußes mit Fluchen und 
Schelten dom Steiger auf der Fahrt geleitet 
wurde. 

Dieſer, der Franziska's frommem und wackerm 


121 


Bater in bderfelben Stelle gefolgt war, hatte fich 
gleich in den esften Monaten ald einen bösartis 


gen, gottlofen. Mann Fund gegeben. Er ſpottete 


über Kirche und Gebet, trank. und fpielte uns 
mäßig, drückte. feine Untergebenen, und madıte 
ſowohl mit den gewonnenen Erzen ald mit dem 
zur Auszimmerung der Gruben und Erhaltung 
der Mafchinen beſtimmten Bauhoͤlzern und Mes 
talfen, einen [handlichen Unterfchleif. - : 

Ein fo ſchlimmes Beiſpiel hatte in einigen Jah 
ren Die Mannſchaft zur Grube St. Florian genannt 
zu einer harhft fittenfofen und Tiederlichen Bande ges 
madıt. Un der Stelle der, einem Beramanne fo 
nöthigen Gottesfurcht, war, eine emporende Ges 
ringſchaͤtzung aller religiöſen Gebräuche eingeriſſen / 
die uͤber kurz oder lang die wohlverdlente Strafe 
nach ſich ziehen mußte. 

Unter dieſer raͤudigen Herde waren noch etwa 
ein acht oder zehn alte Bergleute, die treu an Gott 
und Vergeltung glaubten, und ſich in frommer 
Gemeinſchaft zu einander hielten, von der boͤſen 
Rotte aber auch Spottweiſe „Moſes und die 
Propheten’! genannt wurden. 

Diefet Heine Häuflein hatte vergebens ber eine 
reißenden. Verwilderung entgegen zeftrebt, und auch 
ſogar einmal mit einer Anzeige getroht. 

Der herzhafteſte unter den Sprechern war Mi⸗ 


chael, eln junger Dann voll Geiſt und Leben, ‚der 








» : Der Bergmönd). 





Hatdnend ſchallte das Betgloͤcklein von des 
Steigers. Wohnung, durch das Bergſtaͤdtchen, als 
die Abendſonne mit ihren ſcheidenden Strahlen die 

Waldhohen ginge uber mit Gold und Purpur 
fängite. Es may ‚die Stunde, wo die Manns 
(haft, die den Tag ‚über in der Grube gearbeitet 
Hatte, von den zur Nachtſchicht beſtimmten Knap⸗ 
pen abgeloͤſt wurde. 

„Nun laß mich liebes Fraͤnzchen“ — ſagte 
Michael zu ſeinem Maͤdchen, das ihn ein Stuͤck 
Wegs begleitet hatte — „der Steiger kann mich 
nicht leiden und paßt mir auf den Dienſt; kaͤme 
ic) einmal zu fpät zur Schicht, fo hätte er eben 
in Recht mich auszuzanken, und da follte mirs 
Ktrübfelig ergehn!” Damit drüdte er noch einen 
Kuß auf Franziska's blühende Lippen und fprang 
nah dem Brubengebäude, wo er noch vorm 
Berlefen der Mannfchaft anfam, und flatt bes 
gewöhnlichen frommen Grußed mit SlIuchen und 
Schelten vom Steiger auf ber Fahrt geleitet 
wurbe, 

Diefe , der Sranzisfa’s frommem und wackerm 








421 


Bater in berfelben Stelle gefolgt war, hatte fich 
gleich in den exften Monaten ald einen bösartis 
gen, gottloſen Mann Fund gegeben. Er fpottete 
über Kirche und Geber, trank. und fpielte uns 
mäßig, druͤckte feine Untergebenen, und machte 
ſowohl mit den gewonnenen Erzen ald mit dem 
zur Auszimmerung ber Gruben und Erhaltung 
der Maſchinen beflimmten Bauhoͤlzern und Mer 
tallen, einen ſchaͤndlichen Unterfchleif. - J 

Ein fo ſchlimmes Beiſpiel harte in einigen Jah 
ren die Mannſchaft zur Grube St. Florian genannt 
zu einer havbft fittenfofen und Iiederlichen Bande ges 
macht. An der Stelle der, einem Beramanne fo 
nöthigen Gottesfurcht, war,sine: emporende Ges 
ringſchaͤtzung aller-religiüfen Gebräuche eingeriffen) 
Die über kurz oder lang die wodloerdiente Strafe 
nach ſich ziehen mußte. 

Unter dieſer raͤudigen Herde waren noch etwa 
ein acht oder zehn alte Bergleute, die treu an Gott 
und Vergeltung glaubten, und ſich in frommer 
Gemeinſchaft zu einander hielten, von ber boͤſen 
Motte aber auch Spottweife „Moſes und bie 
Propheten“ genannt wurden. 

Dieſes Heine Häuflein hatte vergebens ber eine 
peißenden Rerwilderung entgegengeflrebt,, und auch 
fogas einmal mit einer Anzeige gedroht. | 

Der berzhaftefle unter den Sprechern war Mis 
&ael, ein junger Dann voll Geiſt und Leben, der 


122% 


ſich durch feine feltenen Faͤhigkeiten, und feinen Fleiß 
auf der Berafchule ſowohl ald im praktiſchen Berg 
baue, fo ausgezeichnete Kenntniſſe erworben hatte, 
daß ihn Fraͤnzchens Vater mit gutem Gewiſſen dem 
Bergamtezur Beförderung vorſchlagen durfte, 

Sicher würde auch eine vortheifhafte Anflels 
fung darauf erfolgt feyn, wenn ber alte wadıe 
Steiger am Leben geblieben wäre, und fleißig 
die hohen Gönner hätte erinnern fünnen. 60 
aber flarb er, und mit ihm ſchien auch Michaels 
Gluͤck vernichtet. Die gethanen Verſprechungen 
blieben unerfüllt, und nach kurzer Zeit kam ein 
neuer OÖberfleiger hin, der bald darauf foͤrmlich 
eingewiefen, und der Knappſchaft als ihr nun: 
mehriger Oberer vorgeftellt wart. 

Franziska zerfloß an dieſem Tage in Thraͤnen. 
Ihre Hoffnung, nach des geliebten Baterd Tode 
nun doch in ihrem Michael als Gatten eine 
Stuͤtze zu finden, war aufs neue in die Ferne 
hinausgeruͤckt. Sie war arm, Michael lebte von 
ſeinem Verdienſte. Was die Zukunft noch mehr 
verfinſterte, war des neuen Steigers gehaͤſſige Aen⸗ 
Berung über Michael: „er wolle feinem Nebenbuh⸗ 
ler die ſtolzen Gedanken ſchon vergehen machen !" 
.. In der That begegnete er auch dem wadern 
jungen Mann aufs ſchnoͤdefte, ließ ihm feine. Obers 
gewalt bei jeder Gelegenheit fühlen, und mochte 
auch in feinen Berichten nicht beffer gegen ihn vers 


EEE el nn mn. 


| 125 


fahren. Denn bei dem letzten Föhnungstage, las 
der Steiger eine Weifung vom Bergamte ab, 109 
rinnen dem Knappen Michael Chrerbietung und 
Unterwerfung gegen feinen Vorgeſetzten empfohlen 
warb.. 

„Laß das gut, ſeyn Franz hen — troͤſtete 

dieſer ſeine weinende Geliebte, als er bei ihr in 
ber alten Muhme Stuͤbchen ſaß — „ohne Got⸗ 
tes Willen kann mir auch der Teufel kein Haar 
kruͤmmen., geſchweige denn der Steiger. Mag 
er mich verläumben, meine Unſchuld und feine 
Schlechtigkeit kammen doch noch einmaland Licht, 
und dir und mir hilft der liebe Gott auch noch 
zuſammen. Darum, vertrauen wir ibm, fo 
wirds und nicht fehlen.” Die alte Muhme: lobte 
Michaels gotteöfürchtigen Sinn; aber Fraͤnzchen 
weinte fort, und ber Steiger ‚feindete den Jungen 
Wann nicht weniger an, als zuvor. 
, Seit der gedrohten Unzeige, war fein beimlicher 
Haß in offendare Feindſchaft ausgebrochen, und er 
ſchwur unauslöfchliche Rache. Mit Gelbe gewann 
er einpaar her (hlimmfien, gegen Michael ald eis 
nen Verlaͤumder aufzutreten, und wußte den Vor⸗ 
fol i in feiner. Klagfchrift fo vorzuflellen, daß von 
Bergamts wegen dem Michael angedeutet wurde, 
bei einer neuen Klage des Steigerd habe er als ein 
Muheftörer, unausbleiblich feinen Abfchied zu ger 
warten. 





124 

Tief gefränkt ging biefer ‚mit feinem alten 
Sreunde, dem eidgrauen Martin nach der Grube. 
Martin tröftete ihn väterlich, und fehloß mit 
der Verficherung, er felbft wolle ſich aufmachen, 
und ind Bergamt gehn, und gegen den Gteiger 
auftreten, deffen Naͤnke er allein ganz aufzubdeden 
im Stande ſei. — „Hierhet, Vater Martin,” 
ſagte Michael, als der Alte jegt vom Wege abging. 

„Faß du's gut ſeyn, mein Sohn! Ich weiß 
was ich thue. Komm nur mit mir!’ 

.  Veriouwnbert folgte Michael beim Altbater, der 
mit ihm hinter einen dicken Sirauch trat, und 
nach der" Grube hindeutere. ' 

Michael fab bir. - Da faß oben auf te 

Fahrt *) ein wunderlicher Peiner dicker Mann, 
in ganz weiten Moͤnchskleidern von dunkler Farbe, 
mit den "Füßen, die in die Grube hinabhingen, 
wild fchlenfernb," während fein Haupt, mit einem 
großen herabfalfenden runden Hate bedeckt, wie 
eine Kugel‘ im Kreiſe auf dem ſtatken Rumpfe 
umlief. — 
. „Wer iſi denn ..“ fragte Michael leiſe. 
„St — um Gotteswillen“ — winfte Bater 
Martin — „'s iſt der Bergmoͤnch! laſſen wir ihn 
vorüber! 


„9: Bapıe'Beißt bei ben Bertlenten bie Leitern 
anf welchen man binabfeige, 





125 


Jetzt hob ſich die Erfcheinung aus ber Grube, 
tete fich hoch ın die Hoͤh', und flürzte fich mit 
einem Sage Kopf über in den Schacht hinunter. 

Michael fchriegaut. „Sei ohne Sorge’ Tachte 
Martin, „der thut fich feinen Schaden.” 

Auf dem Wege belehrte der Alte feinen jungen 
Sreund von ded Bergmoͤnchs Eigenfchaften. Mi⸗ 
chael erfuhr nun, daß es ein böfed Zeichen fei, 
wenn er fich am Zage fehen laffe. Gewöhnlich 
folge Unglüd darauf. Sonft thue der. Mönd 
gottedfürchtigen Bergleuten Feinen Schaden, im 
Gegentheil zeige er ihnen biöweilen edle Gänge: 
an, auch höre man ihn oft in der Tiefe arbeiten. 
Upter diefem Gefpräcde waren die beiden wieder 
an der "Grube angelangt, und gingen nun an 
ihr Tagwerk. 

Nach einiger Zeit Fam Michael fpät und ges 
dankenvoller alsfonft zu feinem Mädchen. Fran⸗ 
ziska that waß fie fohnte, den Truͤbſinn von 
feiner Stirn zu fcheuchen. Bergebend. Endlich 
ging die alte Muhme dad Abendeſſen zu bereiten, 
da ließ Michael der Rebe freien Lauf. 

„Sieh Fraͤnzchen“ — hob er an — „du weißt, 
wir find beide arm, und haben in unfrer Dürfs 
tigkeit nicht einmal den Troſt, unfte Liebe vor 
den Leuten zu zeigen, weil wir noch nicht Mann 
und Zrau find. Nun ift der Sieiger mein Tod⸗ 
feind, der mir feine Zulage auf meinen Lohn 


126 


gönnen wird, und fo koͤnnen noch Jahre vergeht, 
eh wir einander heirathen koͤnnen!“ 

„Michael! — unterbrad ihn Franziska — 
‘zbabe ich dir Denn nicht tauſendinal gefchworen, 
daß ich dich, hättet du auch Tonnen Goldes, 
nicht zärtficher Tieben wuͤrde? So laß und heira⸗ 
then, und North und Kummer zufammen tragen, 
wenn und Gott nun einmal ſolches beſtimmt 
hat!“ 


„sa doc liebes Mädchen, aber ich Fonnte 
mir ed nicht verzeihen, dich ans deiner Rube ın 
Angſt und Noth zu verfegen. Indeß giebt's eben 
noch ein Mittel, und gleich auf der Stelle ;u 
heirathen, und noch eben eind reich und gluͤcklich 
zu feyn. Wenn nun — 

„Ein Mittel’ — fagte Franziska, ihm lieb» 
. reich das geſenkte Haupt mit der Hand empor 
hebend, und ihm fehr ernfl in die dunfeln Augen 
blidend — „ein Mittel, dad mein frommer 
Freund mit Zögern nennt, das ihn einen ganzen 
Abend träbfinnig macht, ſollte das wohlein ers 
laubtes Mittel ſeyn?“ 

„Thu mir nicht Unrecht liebes Maͤdchen, und 
vernimm erſt was mir begegnet iſt!“ Damit 
verließ Michael den Schmollwinkel am Ofen, 
ſetzte ſich Fraͤnzchens Spinnrade gegenuͤber, und 

‘bob folgendergeſtalt an zu erzaͤhlen: 


"427 


„Es mußte ſchon ſtark gegen das Ende der 
Shit gehn, denn mein. feßted Licht im der 
Blende *) war faft ganz herunter gebrannt, ald 
ih vor Ort **) Pnieend, ein Klopfen und Haͤm⸗ 
mern wie von arbeitenden Bergleuten, aber unter 
meinen Süßen vernahm. Sch wußte, da ich 
auf der Sohle der Grube war, daß «8 unter mir. 
feinen Bergmann geben Fonne, und hielt «8 für 
den zurüdgeworfenen Schall meiner entfernt 
arbeitenden Kameraden. Das Klopfen hörte ins 
ded nicht auf. Nun fiel mir zwar wohl ein, 
daß mir Vater Martin erzählt hatte, wie man 
bisweilen fol Kiopfen in den Gruben höre, 
wenn audy eben, Fein Menfch arbeite, Das wären 
die Erdgeifter. Ich achtete nicht weiter darauf, 
und es verlor fi) auch bald. Nun fuchte ich 
mein Zeug zufammen, und ging auf dem Stols 
len vor zum Fahrſchachte. Wie ih fo in Ges 
danfen um eine Ede biege, die der Stollen 
madır , fo tritt mir plöglich aud einem von ben 
Alten getricbenen und verlaffenen Ort, ein Feiner, 
dider Mann im Grubenfittel entgegen, vom 
Eifenodyer fo roth gefärbt, und fo fchmierig als 


unfer einer. Gchlägel und Eifen, die ibm im. . 


Gürtel ftafen, waren ungeheuer groß und flarf. 


*) Blende, Das Grubenlicht. r 
”") Ort. Die Stelle, mo der Bergmann eben 
arbeitet. 





126 


gönnen wird, und fo koͤnnen nod Jahre vergehn, 
eb wir einander heirathen koͤnnen!“ 

„Michael — unterbrad ihn Franziska — 
„habe ich dir denn nicht taufendimal gefchworen, 
daß ich dich, hätteft du auch Zonnen Goldes, 
nicht zärtficher lieben würde? So laß und heiras 
then, und North und Kummer zufammen tragen, 
wenn und Gott nun einmal folched beflimmt 
Bar !” 


„sa doch liebes Mädchen, aber ich koͤnnte 
mir es nicht verzeihen, dich aus deiner Ruhe ın 
Angſt und North zu verfegen. Indeß giebt's eben 
noch ein Mittel, und gleich auf der Stelle ;u 
heirathen, und noch eben eins reich und gluͤcklich 
zu feyn. Wenn nun — 

„Ein Mittel’ — fagte Franziska, ihm lieb 
reich dad arfenfte Haupt mit der Hand empor 
hebend, und ihm fehr ernſt in die dunfeln Augen 
blidend — „ein Mittel, dad mein frommer 
Freund mit Zögern nennt, dad ihn einen ganzen 
Abend trübfinnig macht, follte dad wohl ein ers 
laubtes Mittel feyn ?“ 


„Thu mir nicht Unrecht liches Mädchen , und 
vernimm erſt was mir begegnet iſt!“ Damit 
verließ Michael den Schmollwinfel am Ofen, 
fegte fih Fraͤnzchens Spinnrade gegenüber, und 
bob folgendergeflalt an zu ergäßlen: 





Eee 


"127 | 


„Es mußte fchon ſtark gegen dad Ende der 
Schicht gehn, denn mein letztes Licht in der 
Blende”) war faft ganz herunter gebrannt, als 
ih vor Ort **) Inteend, ein Klopfen und Haͤm⸗ 
mern wie von arbeitenden Zergleuten, aber unter 
meinen Süßen vernahbm Ich wußte, da ich 
auf der Sohle der Grube war, daß es unter mir. 
feinen Bergmann geben Fünne, und hielt ed für 
ben zurücdgeworfenen Schall meiner entfernt 
arbeitenden Kameraden. Das Klopfen hörte ins 
deß nicht auf. Nun fiel mir zwar wohl ein, 
daß mir Vater Martin erzählt hatte, wie man 
bisweilen fol Klopfen in den Gruben höre, 
wenn auch eben, fein Menfch arbeite. Dad wären 
die Erdgeifter. ch achtete nicht weiter darauf, 
und es verlor ſich auch bald. Nun ſuchte ich 
mein Zeug zufammen, und ging auf dem Stols 
len vor zum Fahrſchachte. Wie ih fo in Ges 
danfen um eine Ede biege, die der Stollen 
macht, , fo tritt mir plögfich aus einem von den 
Alten getriebenen und verlaffenen Ort, ein Heiner, 
dider Mann im Grubenfittel entgegen, vom 
Eiſenocher fo roth gefärbt, und fo ſchmierig als 
unfer einer. Schlägel und Eifen, die ibm ım. 
Gürtel fiafen, waren ungeheuer groß und flarf. 


*) Blende. Das Srubenlicht. ‚ 
””) Ort. Die Stelle, wo ber Bergmann chen 
arbeitet. 


. 128 ° 
In der rechten. Hand ‚hielt er eine Blende, in 
der aber Fein Licht brannte, fondern ein herrlicer 
grüner Stein befeſtigt war, der einen wunderlieb ⸗ 
lichen bunten Schein in hellen Strahlen nad 
allen Seiten hinwarf. 

Ein bloßes Nebelgebild aus böfen Wettern 
und fonft verdorbner Luft erzeugt, war das nicht, 
wie ich auf den erflen Blick ſah. Ich wollte 
daher ſchweigend vorbei. Mit Erſtaunen aber 
ward ich gewahr, daß der unbelannte Bergmann 
mit feinem Reibe die Breite des Stollens fo 
genau außfüllte, daß an Fein Borbeifchlüpfen 
zu denken war. 

„Ich trat alfo ein Schritt zurüd, ſchlug ein 
Kreuz vor der Geftalt und fagte: „wer du auch 
feift, gieb einem frommen Bergmanne Raum, der 
auf feinem Beruföwege wandelt !’’ Uber der Beine 
Kerl lachte, und ſagte: „Ich fuͤrchte mich vor deis 
nem Zeichen nicht, Kamrad, und magſt du daraus 
abnehmen, daß ich dir kein Leid zufuͤgen will. 
Im Gegentheile, ich will dir helfen. Du biſt 
ein armerKerl,haft manchmal kaum ſatt Brot, und 
verdienſt mehr als alle die Schurken, die hier 
anfahren. Ich bin, den ihr den Bergmoͤnch 
nennt, bin Herr über alle Gebuͤrge dieſer Ger 
gend, und kenne alle edle Floͤtze und reichen 
Gänge. Did; hab’ ich liebgewonnen, und will 

dich zum reichen Manne machen. Hier nimm — 


er?” | 
damit langt er aus feinem weiten Grubenkleide 
eine Menge der berrlichiien Schauflufen ber 
vor, die ich auf den erſten Bli für gedlegen 
Rothguͤlden⸗Erz erkannte. 

„Gott verhuͤte, — antwortete ich — daß 
ich euer Geſchenk annaͤhme, und ſomit meinen 
Landesherrn beſtoͤhle. Wißt ihr wirklich, wo edle 
Geſchiche brechen, ſo zeigt es dem Steiger an, 
wir bekommen dann alle einen hoͤhern Lohn. 
Schimpft mir auch nicht auf meine Kameraden, 
ed find auch noch ehrliche Kerls drunter, 

„Narr du“ — brummte der Bergfönig — 
„mit deinen ehrlichen Kameraben ; und dein Stei⸗ 
gerift ein Schuft,, der die Grube beſtiehlt, und 
dem ich noch einmal den Hals umdrehen will! — 
Du nimmſt alfo mein Geſchenk nicht?“ 

„Ich darf nicht, Herr,“ entgegnete ich. 

„Nun fo kriech hinaus du blöder Maulwurf 1" 
Damit faßte er mich bei den Schultern, und 
warf mich den Stollen vor, bis an den Fahr⸗ 
ſchacht, ohne daß mir jedoch ein Glied weh se 
than hätte. 

„Ich hatte Mühe die Fehrt zu finden, denn 
meine Blende war verlöfcht. Endlich hatte ich 
fie, und flieg nun herzhaft Tod. Als ich fo hoch 
war, daß dad Tageslicht herein fiel, ſah ich den 
Bergmoͤnch ſchon oben ſitzen und neben ihm des 
Gteigerd Neffen, den Iuft’gen Guntram. . Der 

Geſpenfſterbuch 7. Theil, 3 





m 


128 


In der rechten. Hand hielt er eine Blende, in 


der aber Fein Richt brannte, fondern ein herrlicher 
grüner Stein befeftigt war, ber einen wunderliebs 
fichen bunten Schein in hellen Strahlen nad 
allen Seiten hinwarf. 

„Sin bloßed Nebelgebild aus böfen Wettern 
und fonft verdorbner Luft erzeugt, war das nicht, 
wie ih auf den erfien Blick ſah. Ich wollte 


. daher ſchweigend vorbei. „Mit Erflaunen aber 


ward ich gewahr, daß der unbelannte Bergmann 
mit feinem Leibe die Breite ded Stollens fo 


“genau audfüllte, daß an Fein Borbeifchlüpfen 


zu denken war. 

„Ich trat alſo ein Schritt zurüd, Tchlug ein 
Kreuz vor der Geſtalt und fagte: „wer du auch 
feift, gieb einem frommen Bergmanne Raum, der 
auf feinem Beruföwege wandelt !’’ Uber der Kleine 
Kerl lachte, und fagte: „Ich fürchte mich vor deis 
nem Zeichen nicht, Kamrad, und magſt du daraus 
abnehmen, daß ich dir Fein Leid zufügen will. 
Sm Gegentbeile, ich will bir helfen. Du bift 
ein armerKerl,haft manchmal kaum fatt Brot, und 
verdienft mehr ald alle die Schurfen, die bier 
anfahren. Ich bin, den ihr den Bergmoͤnch 
nennt, bin Herr über alle Gebuͤrge diefr Ger 
gend, und kenne alle edle Flöße und reichen 
Gänge. Did hab’ ich liebgewonnen, und will 


dich zum reichen Manne machen. Hier nimm — 





12) 


damit Sant er auß feinem weiten Grubenkleide 
eine Menge der berrlichiten Schaufiufen ber 
vor, die ich auf den erften Bli für gedlegen 
Rothgülden-Erz erkannte. 

„Gott verhuͤte, — antwortete ich — daß 
ich euer Geſchenk annaͤhme, und ſomit meinen 
Randesperrn beſtoͤhle. Wißt ihr wirklich, wo edle 
Geſchiche brechen, fo zeigt es dem Steiger an, 
wir befommen dann alle einen böhern Lohn. 
Schimpft mir audy nicht auf meine Kameraden, 
ed find auch noch ehrliche Kerl drunter. 

„Narr du“ — brummte der Bergkoͤnig — 
„mit beinen ehrlichen Kameraben ; und dein Steis 
gerift ein Schuft,, der die Grube beſtiehlt, und 
dem ich noch einmal den Hals umdrehen will! — 
Du nimmſt alfo mein Geſchenk nicht?“ 

„Ich darf nicht, Herr,“ entgegnete ich, 

„Nun fo Friecch hinaus du biöder Maulwurf!“ 
Damit faßte er mich bei den Schultern, und 
warf mich den Stollen vor, bis an den Fahr⸗ 
ſchacht, ohne daß mir jedoch ein Glied weh su 
than hätte. 

„Ich hatte Mühe bie Fehrt zu finden, denn 
meine Blende war verlöfcht. Endlich hatte ich 
fie, und flieg nun herzhaft Tod. Als ich fo hoch 
war, daß dad Tagedlicht herein fiel, fah ich den 
Bergmoͤnch ſchon oben ſitzen und neben ihm des 
Steigerd Neffen, den Iuft’gen Guntram. . Der 

Geſpenſterbuch 7. Theil, , 3 


k. - 


1350 


Mond; hatte diefelben Stufen ausgelegt, die er 
mir angeboten , verlangte aber, Guntram fol 
fie theilen,, und feinen Theil davon behalten, den 
andern aber ihm geben. 


„Guntram theilte nun. Wenn er aber eine 
Stufe zerfhhlug , fo fhob er immer die größer 
Hälfte heimlich in ben Kittel. WE er fertig 
war , fledte er feinen Theil ein, und ſchob dem 
Berggeifle die andre Hälftezu. Der aber packn 
ihn beim Gürtel, riß ihm die verfiechten Stüde 
heraus , rannte ihn mit dem Kopfe gegen die 
Sahrt, wobei erimmer ſchrie: „heißt dad ehrlich 
getheilt, du Galgenfirid ? heißt das ehrlich ger 
heilt 7° und endlich ſchleuderte er ibn. den Schach 
hinunter. 


„Sch hatte das voraus gefeßen, und fland 
zum Gluͤcke feſt auf meinen Füßen. So gelang 
es mir den ſtuͤrzenden Guntram aufzufangen, 
und wieder mit heraufzubringen. Ich trug ihn 
gum Steger, dem: ich die ganze Geſchichte en 
zahfte- ‚Aber der hieß mich einen Narren, meintt, 
ich ſei wohl betrunken gewefen, und gebot mit 
had) Haus zu gehn. 

Seit der Zeit begegnet mir der Beramönd 
täglich, und heut Abend bot er mir gargediegn 
Gold'an, von dem er mir fagte, es fei ad 
einem weit entfernten Lande, und ich fünne d 





‚134° 

daher ganz unbeforgt nehmen. Dennoch — ich 
weiß nicht — freilich. —“ nn 

„Dennoch“ — fiel, Frangiska ein —_ „rin 
nert dich Dein Gemiffen ‚ep nicht zu nehmen; 
nicht fo Michael? Nun ſieh', ich denke eben. 117 
und du darfjt wahrhaftig nichtd annehmen, fol‘ 
ten. wir auch noch fo -kange einander ‚night, hei⸗ 
rathen duͤrfen!“ Be re 

An, andern Morgen wurde Michael vor. den 
Steiger gefodert, der ihm befannt machte, 
Guntram habe auögefagt , Michael fei betrunken 
in die Grube gefammen, habs Händel angefan⸗ 
gen, ihn blutruͤnſtig gefchlagen, und, um ſich zu 
entfchußdigen, dad Mährchen vom Bexgwoͤuch 
erfunden. Auch fei er nehſt ein paar Zeugen 
erbotig, ſeine Ausſage ‚gegen Michael zu be 
ſchwoͤren.— ea 

Dhgisäch diefer nun die Zeugen ihrer. Schänds 
fichfeit leicht überfühtte, indem fir auf fein Ger 


fragen gang andre Umſtaͤnde ald Guntram-, ers, 


zählte, angaben, fo konnte er body nicht laͤug⸗ 


nen, daß er des Steigers Neffen blutend herquf 


gebracht, und vor ſeines Oheims MWohnung.nier 
dergelegt ‚hatte. Da dieſer bie Geſchichte vom 
Berggeiſte ſchlechter dingoͤ nicht glauben wollte, 
und Michael keinen Zeugen ſeiner Unſchuld hatte, 
fo warb, er auf act Tage zur Hundejungen⸗ 


arbeit verurtheilt. Dad heißt, er mußte einem. 
2 


4132 

Ichwern vierradrigen Karren ſchieben, auf wei 
chem das Geſtein in der Grube bis zum Trei⸗ 
begdpel . geſchafft wird, und der in ber Bergs 

 fpladje der Hund Heißt: ‚Eine Arbeit der jüngs 
Den Anfänger! \ 

Diefe neue unverfdere Kraͤnkung empoͤrte 
shisas Herz; er’ befthloß feinen Abfchied zu 
fodern, und auf einem audländifhen Bergwerk 
ein "Unteitommen zu ſuchen· Franziska beftärtie 
In i in ſeinem Entſchluſſe. Am naͤchſten Lohn⸗ 
tage wollte er ihn anzeigen. 

* Ruhis, im Benußtfeyn feiner Unſchuld, vohr 
er heut angefahren, und’ beganır eben feine 
® Strafarbeit. Da fab erben Bergfönig- ſich gegen 

“über flehn, und‘ ihn auslachen. ,„;Siehfl du 
Zropf!’ — ſprach er — „wie deine Gatmuͤthig ⸗ 
kei belohnt wird, und was du fuͤr ehrliche Kar 

® en haft? :So nimm aun ein Stuͤck Sil⸗ 

"beib bon mir, damit du: wenigftens einen Zeht · 

pfennia auf die Reife haben!" 

\ Hebe dich ideg Berſucher,“ antwortete Mi⸗ 
"ball. Jegt leide ich unſchuldig, deßhalb Bin 
1 und girter Dinge ; fo ich aber deinen 

5 Vieichthum naͤhme, und miein Geroiffen mit unge 
wechterh Gute Belaftete, was bleibe mir denn für 
"ein rofl 9" " 

9 Treibegoͤpel. Cin Raͤderwerk aͤber der un 
velches das Schein aus der Grube windet. 













135 


„Ich fehe wohl” — entgegnete ber Geiſt — 
„du bift ein-wacrer Burſch, ber in feiner Red⸗ 
lichkeit nicht wanfend zu machen ifl. Wandle 
ferner fo, und es wird dir wohl gehn. Ich 
bleibe dein Freund, und obwohl du mich heut 
zum letztenmale ſiehſt, fo ſollſt du body noch oft in 
deinem Leben meinen wohlthaͤtigen Einfluß inne 
werden. Jetzt merke wohl auf was ich dir fage, 
Wenn du zu Abend aus der Grube fährft, fo 


bitte den Steiger, er möge dich morgen frei . 


affen, du wolleft deine Andacht halten. . Das 
zarf er dir nicht abfchlagen. Dann geh’ zum 
Beiſtlichen, empfange die heiligen Sakramente, 
ınd halte dich ruhig. Hüte dich aber, jemand 
in Wort zu fagen, ed wäre zu beinem Schaden. 
Benn nun ber Steiger die Knappen beruft, fo 


eh” und thu frifchen Muths, was dir befohlen 
tird. Du bift auf guten Wegen. Gott wird 
ich ſchuͤtzen, und ich werde sbir- behilflich 


eyn!“ 


Michael that wie ihm geſagt ward. Er ver⸗ 
ichtete am andern Morgen ſeine Andacht, und 
af num ſtillbetend in feinem Kämmerlein, war⸗ 


end was da kommen ſolle. 

Einige Stunden nach Mittag hoͤrte er vin 
ufammenlaufen , und ſautes eilendes Geſprach 
or feiner Huͤtte. 


I, Vie 


334 

i er trat hinaus und vernahm, das große Ge⸗ 
länge, was die Waffer aus der Grube hebe und 
ins Sb leite, ſtehe fill, woraus zu fchließen, 
daß es gerbrochen feyn muͤſſe; weil man aber ein 
ganz ungewoͤhnliches Brauſen und Poltern in der 
Tiefe höre, und doch Feine Meldung aus ber 
Grube komme, fo befürchte man ein Unglüd. 
Während man fi) deßhalb beſprach, laͤutete die 
Betglocke zur ungepöhnlichen Stunde. Ein Ruf 
für alle Bergleute, die ſich nicht auf der Schicht 
befanden; ſich beim Steiger zu verſammeln. 


Mit pochendem Herzen dachte Michael an des 
Beified Worte, und eilte nad) bem Verſamm⸗ 
Iungsplage, 

„Der Teufel weg! — laͤrmte hier der Stei⸗ 
ger — „was fuͤr ein verfluchter, dreimal verma⸗ 
ledeiter Zufall wieder bei dem großen Kunſtrade be⸗ 
gegnet iſt Ich wollte Dad Donnerwetter ſchluͤge die 
ganze Maſchine in Stuͤcke, und uns alle dazu 
hundert Meilen tief in die Erde! Man hat fo 
nichts als Schererei davon!“ 


Michael kreuzte und ſegnete ſich vor des Man⸗ 
ned gräulichen und ruchlofen Reber. 


Jetzt kam ein Knappe, und meldete,: ber tiefe 
Stollen fiche voll Wafler, "und, ‚die Flut babe einen 
Schachthut mit herausgeſpuͤlt, den er bei ſich 
habe. 


155 

Unter $fuchen und Bermünfchungen aller Urt, 
409 der Steiger an ber Spigeber Bergleute nach 
dem Huthaufe, wo die Mannfchaft gewöhnlich 
aufzufahren pflegte. So wie die dad Mundloch 
des Schachtes verfchließende Fallthuͤre geöffnet 
wurde, hoͤrte man auch ſchon das donneraͤhnliche 
Brauſen der unterirdiſchen Flut. 

Jetzt wurden die anweſenden Bergleute uͤber⸗ 
zaͤhlt. Der alte Martin fehlte. Der Steiger 
beſann ſich jedoch, daß er ihm am vorigen Tage 
erlaubt habe, in fein Geburtsborfzugehn. Die 
eine Hälfte wurde mir Werkzeugen nach dem 
Kunftrade gefandt, um größerer Schaden vors 
zubeugen, die andre, unter der fich der wiebers 
genefene Guntram, Michael und noch mehrere 
Alte befanden , behielt der Steiger bei fich. 

„Guntram“ — redete er jegt feinen Neffen 
an — „es muß unweigerlich einer in dad ver⸗ 
fluchte Koch, damit man ordentlich erfährt, wie 
ed ausſieht, und ob denn die Sadermenter da 
unten todt oder lebendig find.‘ 

Guntram warb blaß. N 

„Here DOberfteiger” — nahm Michael dab 
Dort — „mit Gunſt. Mein Ramerad Guntram 
ift noch ſchwach von dem letzten Falle, wie leicht 
könnte ihm ſchwindeln, und er von der Fahrt 
hinabſtuͤrzen in die Tiefe. Laßt mich hinein’ in 
Gottes Namen !' 








436 


„Ins Drei Tenfeld Namenfag ih Euch, Ahr 
Topfhängerifcher Betbruder, fchweigt bis man Euch 
zu reden befiehle! Ich ſoll wohl nicht merken, 
daß Ihr Euerm Todfeinde Guntram die Gele 
genheit nicht gönnt, ſich auszuzeichnen? Fahr du 
an Guntrem, und ſieh, wie weit du kommſt. Ich 
verſpreche dir einen Bericht and Bergamt, ber dir 
den Unterfleiger einbringen ſoll!“ 

Guntram zündete feine Blende an und flieg eints 
ge Sproffen hinab, Da hörte er es ſauſen, ſchaͤu⸗ 
men ‚wpgen , brüllen, Daß Derzfanf ihm. Er 
flieg wieder aufwärts, 

„Bitt' Euch, Herr Oberfteiger , laßt mich wie 
der herauf, es iſt gar zu graͤßlich!“ 

„Schaͤmt Euch, feige Memme“ — antwortete 
dieſer — ‚‚Marfch I hinunter.“ 

„Ich bitte Euch um Gotteswillen, Herr Ohm," 
e»flehte der Juͤngling — „die Angft bringt mid 
um; und die Waſſer fleigen immer höher I“ 

„Gotts Donnermetter, fo erfauft ind Teufels 
Namen, wenn Ihr nichts befferd werth ſeid!“ 
Damit ſtieß der erzuͤrnte Mann den Juͤngling 
hinunter, und warf die ſchwere Fallthuͤre zu. 

Nun liefen Berichte von allen Seiten ein, 
daß eine unterirdiſche entſetzliche Waſſerflut das 
ganze Werk erſaͤuft, die ſchadhafte Auszimme⸗ 
zung losgeriſſen, die Maſchinen zerſtoͤrt, und fo 
einen hoͤchſt beträchtljchen Schaden angerichtet habe. 





— - 


137 


Mehr als zwanzig Bergleute, die eben auf der 
Schicht arbeiteten, waren verloren. Die traurige 
Kunde perbreitete ſich ſchnell, die Wittwen und 
Waiſen der Verungluͤckten erfuͤllten die Luft mit 
ihrem Jammergeſchrei, und klagten des Steigers 
gewiſſenloſe Vernachlaͤſſigung des Werkes, als 
die Urſache ihres Ungluͤcks an. Auch Franziska 
kam in toͤdtlicher Angſt um ihren Michael ge⸗ 
laufen. Da gebot der Steiger durch die Vor⸗ 
wuͤrfe erbittert, durch ſeines Neffen vorſetzlichen 
Mord noch mehr verwildert, Michael ſolle nun 
hinab, und ihm Kundſchaft bringen, woraus er 
denn den Bericht abfaſſen koͤnne. Vergebens 


ſtellten ihm einige der aͤlteſten Bergleute vor, 


ein ſolch Berlangen ſei unnuͤtz, indem die Urſache 
und die Größe des Schadens nur zu klar wären, 
Dazu verhinderten auch die immer höher ſteigen⸗ 
den Fluten ‚jede Unterfuchung,, und der arıne 
Michael fei ganz nutzlos ein Raub des unaus⸗ 
weichlichen Todes. Franziska fiel dem harten 
Panne mit Thränen zu Füßen, ihn beſchwoͤ⸗ 
rend, ihr liebſtes Gut auf Erben nicht fo ganz 
unnüß zu morden. Umfonfl. Der Steiger bes 
fand darauf als auf einem letzten pflichtmäßigen 
Berfuche, „Und“ — fegte er hinzu — „habe 
ich meinen Neffen dem landeöherrlichen Dienſte 
opfern koͤnnen, fo werde ich für Euern Liebſten, 
Jungfer, wahrlich Feine Ausnahme machen» 


8 


Pr 


138 


Ald Euer Oberer befehl ih Euch Michael‘, fahrt 
an. hr feid ja ein fröommer Dann und eifriger 
Beter, Euch werden bie Waller die Güße nicht 
naß machen !’ 

Und Michael trat mit angegüindeter Blende auf 
die Fahrt. „Sei ruhig Fränzchen,” — ſagte er — 
„der Steiger Hat Recht , es iſt meine Pflicht. Aber 
mein Herz fagt mir, wir fehen und wieder!“ Jetzt 
flieger hinab, und ber ihm warf der Steiger die 
Thuͤr zu ‚ ſchob den Riegel vor, und fagte lachend : 
„der fromme Dann wird wohl pochen, wenn er 
wieder heraus will!“ 

„Ha Ungeheuer, ſchaͤndlicher, verruchter Mörs 
der,“ — ſchrie Franziska außer ſich — „nicht 
genug, daß du den unſchuldigen Michael anfs 
feindlichſte verfolgteſt, aufs ſchaͤndlichſte verlaͤum⸗ 
deteſt, nun willſt da ihn auch noch vorſetzith 


morden, weil du von ſeinet Klugheit und Recht⸗ 


lichkeit das Schlimmſie fuͤrchteſt? Aber ich rufe 
Gottes Gerichte uͤber Dein Haupt. Die Thraͤnen 
der Waiſen ſchreien zum Himmel um Rache. 
Sie wird dich treffen und zerſchmettern!“ Ohn⸗ 
maͤchtig fiel fie zu Füßen. 

„Bringt das manndtolle Weibsbild von hin⸗ 


nen,“ befahl der Steiger. Aber feiner der Umſte⸗ 


benden wagte ed, fie anzuruͤhren. 
„Wenn der Erzengel Michael wieder zu Tage 
außfährt, fo ruft mich nur. Ich bin in meiner 











139 , 


Wohnung!“ Mir diefen bitter hoͤhnenden Wor⸗ 
ten ging der Steiger nach feinem Haufe 
Die Bergleute blieben flehen, als erwarteten 
fie wirklich Michaeld Ruͤckkehr. Da esbob ſich 
Franziska todtenbleih und zitternd vom Boden. 
Ihr reiches ſchwatzes Haar hatte ſich gelöst, und 
flog geifterhaft um das verflörte Antlig und die 
hohe, ſchlanke Geſtalt. 
„Deffnet den Schacht,“ gebot fie. Shui 
gend vollzog man ihr Gebot, Da kniete fie 
einige Schritte ſeitwaͤrts, erhob zitternd die 
Hände, und während die Thränen ihr blaffed Ge: 
ſicht überftromten, betete fie mit Iauter Stimme : 
„Vergib, ewige Güte, mir, deinem ſchwachen 
Kinde, dad ſchon verzweifelte, ehe e& bei deiner 
Allmacht Huͤlfe gefuche hatt. Was aller 
Welt unmoͤglich fcheint, ift dir ein leichtes. 
Rette, o rette meinen Freund! Iſt aber 
meine Bitte thörigt, fo vergieb, Allmaͤchtiger; 
aber dann, dann 0 du ewige Erbarmung 
“ und Liebe, dann nimm auch mich von biefer 
Melt!" 
Die Männer bebten, und Thränen zitterten 
in ihren Augen! 
Jet — fagte fie leiſe — „blicke einer 
hinunter, und rufe mir zu, was er- fießt.- 
“Eine lange Pauſe. „Noch nichts ?“ fragte 
fe debend. „Nichts“ war die fürchterliche Ant⸗ 


** 


140 


wort. Ihre Augen wurden dunkel. Die Angſt, 
unerhoͤrt gebetet zu haben, preßte Tropfen aus 
ihrer Stirn. Immer ſchwaͤcher ward fie. Jetzt 
fant ihr Haupt, erfchöpft fiel fie vorwär auf 
Die gefaltenen Hände, und 

„richt “ ruft ber fpähenbe Bergmann. „Ich 
feh’ ein Licht in der Tiefe!“ 

Stanzisfa flog heran, augenblicklich aber 
flürzte fie wieder auf die Kniee, ihr Herz ſchlug 
hörbar. „Faſſe dich Seele, ſprach fie leife — 
„noch ift Taͤuſchung moͤglich!“ Und wie verfieint 
blieb fie horchend am Boden Tiegen. 

„'S iſt ein Bergmann”’ — fagte der Knappe. 
„Ich höre feinen Zritt auf der Fahrt. Aber er 
ſtoͤhnt ſchwer!“ 

Jetzt hatte Franziska wieder Thraͤnen. 

„'S iſt weiß Gott Michael,” ruft der Spaͤ⸗ 
ber jegt fich aufrichtend, indeß ſich alled, Fran⸗ 


ziska voran, dicht um die Grube drängte. 


Uud wie ein Stern ans finſtrem Gewölfe, 
fo leuchtete jetzt Michaels Grubenlicht aus der 
wuͤſten Tiefe herauf. Schon konnte man ſeine 
edlen, von der Angſt geſchaͤrften, blaſſen Ger 


ſichtszuͤge erkennen. „Helft mir Kameraden,“ 


ſchrie et. Und alle Arme ſtreckten ſich nach ihm 
ousé. Jetzt ſtand er oben. Um den Leib Batte 
es ein Geil gefchlagen, er zog eb nach ſich here 








141 


auf, und an dem Selle hing’ — Guntrams 
Leiche ! | 

Franziska lag oßnmärhtig in bed waffertries 
fenden Michaels Armen, Da Bam ein Berg⸗ 
offizier von hohem Range,: und hintyr aͤhm der 
Steiger mit gegognem Hnte und der alte Martin. 

„Michael lebt, Michael -Tebe ,’ fchrie alles 
ihm jubelnd entgegen. „Unmoͤglich Kinder, 
meinte der Obere, und eilte zur Grube, der 
: Steiger betroffen hinter ihm. ber. 

Aber Michael: rieb nur Gutrams Schläfen, 
und ließ ihm Sprengpulver H0r.der Naſe ans 
zunden und riechen. Endlich fam. er zu fich, 
flug die Yugen auf, und flenzmeltey, - 

„Michael , unſchuldiger, -verläumdeter Mis 
dyael, zweintal mein Nester, ach vergieb!“ Diefer 
druͤckte ihn an fein Derz. 

Sept beugte fich der Bergoffizier über ben 
Schacht, und. hinabſtarrend, fagte er, „unglaubs 
lich — die Waſſer -fleigen noch immer] Seht nur 
ſelbſt Har Oberfisiger !' Der eilte herbei, fich 
weit..vorüber den Abgrund legend. Aher unplögs 
lich fahr, allen ſichtbar, eine Rieſenfauſt aus der 
Tiefe, drehte im Nu ded Steigerd Ungeliht auf 
. den Nacken, daß man alle Wirbel.brechen hörte, 
hielt das gräßlich verzerrre blaue Todtenantlitz der 
Menge entgegen, und verfdnvand mit ſeinem 
Raube unter der Flut. Augenblicks darauf hoͤrte 





142 


man ein füschterliched Donnern, wie von zw 
farnmenflürzenden Bergen in der Tiefe. 
Als die Umſtehenden fih vom Schreck und 
"bangen Erftaunen erbplt hatten, nahm der Berg⸗ 
beamte daͤs Wort, „Gott hat gerichtet — fagte 
er ſehr ernſt — und meinen ſchwachen Haͤnden 
dieß ſchwere Amt entnommen. Denn auch ich 
war gekommen zu richten. Das Bergamt, mit 
Klagen über die unrichtigen. Ausbentezahlungen, 
von Seiten der: Gewerken beſtuͤrmt, beſchloß eine 
aſtrenge Umterfinhung der hieſigen Gruben, bie 
‚mir aufgetragen ward. Bor meiner Abreiſe kam 
der Altvater Martin, den ich von Jugend auf 
ald einen wadern Bergmann .und frommen Chris 
ſten kannte, mis fehr: wichtigen 'Beweifen gegen 
die Rechtlichkeit des Steigerd und mit ſehr em⸗ 
fehlenden Schilderungen bed jangeh Michaels 
beim Bergamte an. Zum Glüuͤck fanden fich 
mehrere vortreffliche Riſſe und Berechnangen dies 
ſes Fugen Bergmanned unter bei Papieren eines 
verfiorbenen Rathes, die durch meine Hände ger 
gangen waren. Aus bdenfelden "Papieren ergab 
ſich audy ded Steigerd Trenlofigkeit und ſchaͤnd⸗ 
licher Betrug. Sch reiste nun mit Vollmacht 
zu ſtrafen und gu belohnen Hierher, Martin 
begleitete niich. Unterweges hörten wir ſchon 
von der Ausartung der hieſgen Mannſchaft und 


143 


von der über fie verhängten göttlichen Strafe. 
Ich fiellte mich anfangs gegen den Steiger, als 
fei ich nicht abgeneigt, mit ihm gemeinfchaftliche 
Sade zu machen. Dieß machte den Elenden 
fo drei, daß ermir unaufgefordert feine Schaͤnd⸗ 
fichkeiten befannte. Hier an ber Grube, wo er feis 
ne legte Unthat an Michael begangen hatte , wollte 
ich ihn vor euer alier Augen vernichten. Aber wie 
gefagt, Gott hat gerichter! Nun Michael, bevor 
ich meinen Auftrag vollende, ſag und. noch „noie 
du gerettet worden biſt. “ 

„Ach edler Herr, ich kann Euch fan gar nichts 
fagen. Als ich den Steiger. den ſchweren eifers 
nen Berzen über die Sallthür. legen hurte, da 
merkte ich wohl feine Tuͤcke und daß +8 auf 
meineg Tod abgeſehen fe. Aber ich vertraute 
‚auf Sort und den Berggeiſt, der: ſich ja mir 
auch ald ein gottesfuͤrchtiges Wefen Fund gege⸗ 
ben hatte. Unter mir sobte die Flut fürchters 
ih. Die Wafferräder fausten im ſchnellſten 
Umtriebe. Die Ziehſtangen und die zerbrochenen 
Ketten klirrten und pfiffen und heulten fuͤrchter⸗ 
lich. Ic wagte mich bis über die Hälfte des 
Leibes ind Waffer, weil ich die Sproffen der 
Fahrt noch feſt fühlte Soyiel fonnte ich. bei 
meinem. Grubenſichte ſehen, daß das Waſſer ſchon 
hoch uͤber unſern letzten Orten ſtehe. Da fuͤhlte 
ich zu meinen Süßen einen Koͤrper. Ich zag 


> f} 





& 7’ 


BJ 


144 
ibn empor. Es war Guntram. Im Augen⸗ 
blick hörte ich einen neuen Waſſerſturz unter 
mir donnern. Zugleich auch ſchwankte Die Fahrt, 


‚Inalite, brach, und ich flürzte, den Todten in 
‘meinen Armen, hinab in die ſchwarze Flut. Nun 


weiß ich nichtd mehr. Ich erwachte von dem 


-ftarten Geruch brennenden Bergdld. Als id 


die Augen auffchlug, fand: ich Hoch über der 


leis wogenden Tiefe, feitwärts der Fahrt, m 
“einer geraͤumigen trockenen Halle, die ich nie 


vorher geſehen hatte. Vor mir brannte in einer 


großen kupfernen Schale das Bergoͤl in grünen 
Flammen. Neben: mir: lehnte der ertrunkene 


Guntram; zu meinen Fuͤßen ſtand meine ange⸗ 


zuͤndete Blende und Tag ein Stud: Seil. Ich 


fah nun wohl wad bie Abſicht war. Da fid 
ich auf meine: Kniee, und betete unb dankte. 


Zuerſt So, dann dem guten Geiſte. Hierarf 


fehleifte ih Guntram das Seilunter den Achfein 
durch, mir um ben Leib, und flieg nun getroft 
herauf, wo id) denn Gott lebenslang für meine 
wunderbare Rettung danfen will!” -- - 

„Thut dad, braver Michael” — fagte der 
Beamte, „empfangt aber auch aus meinen Haͤn⸗ 
den die zeitliche Belohnung eures tugendhaften 
Wandels. Das Bergamt ernennt Euch durch 
mic) zum Unterfleiger an der Grube Sankt Flo⸗ 
kian, und weit auch dem alten Martin einem 








En OMOM1O oOo-œra- — 


N 


148 


Zufhuß An, den er von Euch erhalten wird, 
und der ihm erlaubt, den Heft feines Lebens 
außer der Grube zuzubringen. Wandelt vor 
Gott und rührt Euch tuͤchtlg In euerm neuen 
Berufe.‘ Damit fhied ber Beamte. 

Ber war glüclicher als Michael, Fraͤnz⸗ 
hen und der alte Martin. Nach acht Tagen 
war Franziska Michaels gluͤckliches Weib. Aber 
auch der Berggeiſt hielt Wort. Die erſoffene 
Grube blieb zwar liegen; aber in demſelben 
Meviere entdeckte Michael die berrlichfien Ans 
brüde. Die Grube ward nad feinem Namen 
„SrzengelMichael” genannt, gab überreiche 
Ausbeute und baute fih gut aus. Als aber 
nach einem Jahre Michael den Beamten unb 
den alten Martin zu Gevattern bei feinem neus 
geborenen Söhnlein bat, und diefer ihm die Ers 
nennung zum Öberfteiger mit Gehaltözulage mit 
Brachte, da klingelte ed auf einmal wie güldene 
Scheller auf den zinnernen Tellern, die an ber 
Band fanden. Und fiehe, es fielen eitel neue 
Goldſtuͤcke durch die Dede herab, hundert an 
der Zahl. Zn der Mitte war ein Mönch bars - 
auf geprägt, und rund herum ftanden die Worte: 
„Beſcheert Gluck zum Erzengel!” 

Set erfannte Michael won! feinen alten Freund 
den Berggeift, und in der Sreude feined Herzens 
griff er nach einem Becher Weins, und brachte 

Sefpenfierbuch 7. Theil, K 


‚146 


die Geſundheit aus: „der Berggeiſt follleben! a 
Da that ihm jedermann Beſcheid, die Glaͤſe 
klirrten, und zugleich ertönte eine. herrliche flark 
und doch liebliche Muſik von Harfen und Zithern, 
Hoͤrnern und Schalmeien. Als man aber di 
Thür oͤffnete, und den Spielleuten gu trinke 
geben wollte, da war niemand zu fehen, noq 
au hören. — 





Die Fräulein vom See. 





Die Nacht lag drangen Falt in ſchwarzen Schleiern, 
‚Und Jungfrau’'n faßen bei des Heerbes Kniſtern 
"Am Rocken mohlgemmtb mit ihren $reiern 

Zu Epfenbach. Da tönet durch die Rüftern, 

Die weit des. Haufes Giebel uͤberſteigen, 
Ein Wohllaut, weicher, als der Harfe Slüftern, 

Als fchmebe her vom Eee im frohen Reigen’ 

Ein Elfenchor mit lindem Geißertritte, 
Klingt’s der Verſammlung durch das nächt’ge 
Schweigen. 
Nun klopft es leiſe nach der Jungfrau'n Sitte. 


Herein! ruft man halb freudig, halb erſchrocken, 


Und ſieh, drei Sräulein treten in die Mitte, 
hr Schneegewand ummallt von lichten Loden. 
Grüßt jede durch des Auges füße Rede 
Und nimmt zur Hand den mitgebrachten Rocken. 
Und von des Dörflein Spinnerinnen jede 
Macht Plan am Heerde ben drei weißen Lichtern; 
Doch ſtumm wird alles, wie in duͤſtrer Oede. 
Erſt, als der Fraͤulein blaſſen Angeſichtern 
Des Heerdes Flamm' im Wiederſchein erbluͤhet, 
Da nahn die Andern ſpinnend ſich und ſchuͤchtern. 
K2 





4188 
Klein fo dünn man auch den Faden siehet, 


So fhön und kunſtvoll ald die Fremden fpinnen, 


Eind alle Jungfrau'n hur umfonk bemuͤhet. 
Doc mie den Sräulein Worte ntın entrinnen, 
\ Petgißt fich bald die Kunſt der arten Hände, 
So maͤchtig waltet Zauberkraft barinnen 3 
Anmutb'ge Mährlein Reigen auf behende, 
Gleich Blumenſchmelz ımd Duft aus Bunde 
reichen, 
Doch plönlich geht das heitre Spiel zu Ende: Zu 
Inmitten ihrer Rede Lauf’ erbleichen | 
\ Die Schönen, brechen fchleunig auf und eilen 
Davan. Die andern ſtehn voll Furcht und 
Schweigen. 

Dann flarren fie erſtaunt ſich an, und neigen 
Einander Ohr und Mund: Wer waren jene ? 
Wird jemals fürber fich ihr Glanz uns zeigen? — 

Als nun das Dunkel wieder eine die Söhne 
Des Dorfs und Töchter dort am traten Heerde, 
Schweben auch mieder wonnigliche Töne: 

Vom ce berüber auf die ſtille Erde; 

Wie geftern treten mit verfchloßnen Zungen 
Die Sräulein ein und fröblicher Geberde. 

And als des Heerdes Flamme fie burchdrungen, 
Entquillen Mäprlein neu dem holden runde, 

So zauberiſch, wie gehern fie erflungen. 

Doc kaum: erfcholl vom Thurm die elfte Stunde, 
So nahmen fie den Rocken ſchnell zufanımen, 
Enteilend abermals dem neuen Bunde;, | 

Huf zarter Licbestöne Wagen ſchwammen 

. Sie dranfen fort, doch wagt, fie au belaufchen, 








149 


- &ich niemand von des Heerdes treuen Flammen. 
Und fieb, mit jedem neuen Abend raufchen 

Die Fräulein auf der Töne Strom heruͤber, 

Für traute Blide Maͤhrlein anszutauſchen. 
Gewohnheit zehrt das Staunen auf Darüber, 

Man fehnt herbei den Abend, der fie bringe, 

Und- jeder macht fie nur dem Völklein licher, 
a, manchen ehrlichen Geſellen dringet 

Mit ihren Mäprchen au ihr Blick zu Herzen, 

Der füßer faſt, als felbh ihr Tan erklinget, 
Die holden Saͤſte nimmer zu verſcherzen, 

Streht alles ihren Beifall zu erjagen, 

Nur eins erregt dem Voͤlkchen bittre Schmerten? 
Elf hoͤren kaum vom Thurm bie Fremden fchingen, !' 

So ſtirbt ihr Wort; fie eilen raſch von dinnen, 

Oft mitten in der lieblichſten der Sagen. — 
Bor Andern aber liebt- mit Seel’ und Sinnen - 

Der wadre Rolf der zarten Fräulein eine 

Und um ihr Anſchaun länger zu gewinnen - 
Eich und dem ganzen traulichen Vereine, — 

Laͤßt er die Uhr zuruͤck ein Stuͤndlein rücken 3 \ 

Daß Ditternacht als elfte Stund' erſcheine. 
Bethoͤrt, wie alle, von der Taͤuſchung, ſchicken, 

Die Fräulein erfi , ale fchen die Geifteriue . 

Borüber, an fich am den Abfchiedsblickn. - 
Doch Rolf, gepernigt, wie von tiefer Wunde, 

Bon dem Betrug den arglos er begangen, 

Macht um den See die ganze Nacht die Runde 
Ind horch, aus deſſen Silberwellen rangen 

Eich Jammertöne los, worinn die Stimmen 

Der Eraulein, unverkennbar ihm, erflangen, 


J 


150 


Erſt will er ſchon hinab zu ihnen ſchwimmen, 
Dann, die Beleidigten nicht frech zu ſtoͤren, 
Den hoͤch ſten Fels zu‘ feinem Sturz erklimmen. 

Doch laͤßt ſein Fuß das Bleiben ſich nicht wehren, 
Er muß — vmoͤcht' ihm bald das: Herz jere 

ſpringen! — 
Er muß die ſuͤße Jammerſtimme hören. — 

Kaum aber regt der Morgen feine Schwingen, 
So Hört auch Rolf des Jammers derbe Laute 
Allmaͤhlig bis:zum letzten Ach ! verklingen, 

Als er nun ſtatr zum See hinunterfchaute, 
Erglänzten blutig bald darin drei Stellen, 
Bor denen ihm das junge Haar ergraute, 

Als ob eraͤch end aus ben ſtiten Wellen 
Das liebſte Lebend zuͤrnend auferſtehe, 

So fieht ben einen Punct er plönlich ſchwellen. 

Er ſchaut and ſchaut, allein das herbe Wehe, 
Das er erſchaut, will nicht fein Kers zerreißta, 
Wie bruͤnſtig auch vom Himmel er's erfiche, 

So fhmilst des Tapes Licht ihn bin zum Teifen 
Duntel , das oft am Heerd ihm huilboolf lachte 
Und. fehnel entrinnt: er nach der Freunde Sreifen. 

Hier hob den Zuß er zitternd nur und fachte, 
Fuͤrcheend, damit die Andern mwegiufcheuchene 
Als auf er die befannte Thüre machte. 

Schon: lauſchen al am Herde nach dem Zeichen 
Der Fräulein, die auf Tönen oft gekommen, 
Adein die ſchwarzen Lüfte draußen ſchweigen. 

Wer bat und Armen ihre Huld genommen? 

So unterbricht die Stil oft bumpfes Fragen 
And Rolf figt Karren Auges tief beflommen, 


... u... - > _.- 





451 


Denn graufam bemmien ihm den Troß der Kla⸗ 
sen 

Die blutigen Stellen, fo im Gere ſchwammen. 

Doch kaum, daß elf die Thurmupr auegeſchla⸗ 


gen, 
Bricht auth zum Gli⸗ fein wundes Herz dt 
ſammen. 
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‚Muhbme Blei 


Von ſeinem Vater, einem tuͤchtigen Waidmanne, 
zu demſelben Berufe mit großer Sorgſamkeit an⸗ 
gefuͤhrt, hatte der junge Ferdinand Eckebrecht 
feine Lehrjahre uͤberſtanden, und follte mit der 
Zeit deffen Adjunkt werden. 

Allein er hatte nie Luft zum Jaͤgerleben gehabt, 


und nur mit Widerwillen die Lehre angetreten. 


Wald s und Felsthal waren ihm zu düfter, Hörner 
Fang und Hundögebell zu eintönig. Wenn aber 
im nächften Städtchen Truppenſchau gehalten 
ward, wenn da die filbernen Trompeten ſchmettere 
ten, die Paufen wirbelten, bie Standarten flatter 
ten , und nun in langen Reihen bie glänzenden Kuis 
saffiere am Mufterzelte vorbeizogen, mühfam bie 
feurigen fchwarzen Roffe zum Parabdetritt zur 
gelnd— und, nun dem Obriften vorüber, im don⸗ 
nernden Galopp dahin flogen, die blanfen Klins 
gen im Scherz über den Goldhelmen ſchwenkend — 
ach dann fchlug Ferdinand Herz vor banger, uns 
geſtuͤmer Sehnſucht. Das war ed, was er fuchte, 


un an on - 





u 165 


und was ihm Feld und Wald und Hörnergetön und 

Hundsgebell nicht zu erfeßen vermochten. 
Gewöhnlich tobte er in ſolcher Stimmung Tag 

und Nacht im Waldgebirge umher, die kuͤhnſien 


Schüffe, die gefährlichften Sprünge von einer 


Selözade zur andern wagend; gleichfam ald wolle 
er fich felbft beweifen , bei folder Kuͤhnheit, Kraft 
und Gewandheit, fei er zu gut zum gemeinen 
Jäger, wohl aber flede ein kuͤuftiger Kriegs⸗ 
oberfter in ihm verborgen. 


Seinem Vater war er in folcher wilden Stims 


mung am liebften. Obgleich unverſoͤhnlicher Feind 
der Soldaten — diebittern Gram in fein fruͤheres 
Leben gebracht haben ſollten — liebte er doch 
Mannstroß, Kuͤhnheit und ein gewiſſes raubes , 
militairiſch es Weſen üngemein. 

„Braͤver Jaͤger, der Ferdinand,“ pflegte er 
dann wohl zw ſagen, wenn ber ſchoͤne Juͤngling 
gluͤhendheiß, Geſicht und Haͤnde von Dornriſſen 
blutend, die Kleider vom Klippenſturz zerſchlitzt, 
ein Witd uͤber der Achſel, barſch Ind Zimmer 
trat, feine Buͤrde in einen Winkel ſchleudernd / 
die gewichtige Buͤchſe wie ſpielenb mit einer 
Hand herum warf, und fie dann hoch an dei 
Wand an den Haken hing. 

Gerdinand war eined Tages im Walde bei 
Holzhauern, die ihm untergeben waren, da falls 
ten die bekannten filbernen Zrompetentöne wie 


RE ul > > 





158 


tufend und grüßend zu ihm heruͤber. „Ha — 
dachte er — die Kuiraffiere erergiren Oräben — 
du ſpringſt hinuͤber!“ 


Wieeine Katze klomm er die Felſenwand hinab, 
den jaͤhen Hang hinunter. Schon ſah er die Helme 
blitzen, noch ein paar hundert Schritt — da ſtand 
er auf der Ebne, und die ſchoͤn geordneten Schwa⸗ 
bronen i im hellen Sonnenglanz ihrer Waffen ,‚ vor 
ihm. 


Es gab eben heute wieber eine Truppenſchau 
vor dem neuen Obriſten, der dad Regiment be 
fommen, und nun icde einzelne Schwabron genau 
durchgemuftert hatte. Mit der gefpannteften Aufı 
merkſamkeit begleitete Ferdinand die verſchiedenen 
Reiteruͤbungen, und ſah auf einem Steine am 
Wege ſitzend, ‚pie letzten Abtheilungen bei ſich 
vorüber siehn.. Der Obdrift. war mit feinem 
Gefolge zurüdgeblieden, und -fam nun in freund; 
lichen Geſpraͤch langſam hexangeritten. 


Ferdinand ſprang ſogleich ehrerbietig auf, mili⸗ 
tairiſch den Hat ziehend. Die laue Morgenluft 
wehte ihm das dunkle Haas aus dem ſonnenge⸗ 
braͤunten Antlitz. 


„Nſchoͤner Burſch,“ ſagte der Obriſt. „Wei 
feid Ihr, junger Dann 2 

„Ferdinand Edebrecht , des naͤchſten Zörftert 
Sohn, gnädiges Herr Obriſt.“ 


f 
! 
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156 


„Keine Luft zum Soldaten ?” frug der Obriſt 
laͤchelnd. 

„O nur zu viel — meinte Ferbinand — und 
uͤbergluͤcklich unter Euerm Befehl zu dienen: “ 

„Wetter — das iſt ein gewandter Burſch, — 
ſagte der Obrift, ſich zu dem weiten Kreiſe der 
um ihn haltenden Offiziere wendend. — Den 
muß ich zu meiner Schwadron haben! Ja mein 
Sohn — fuhr er fort — das iſt recht ſchoͤn, 
aber man wird nicht gleich Offizier, Ihr. muͤßtet 
ein paar Jahr Gemeiner ſeyn!“ 

„Ich weiß wohl, gnaͤdiger Herr; ‚aber. gluͤckt 
es mir je, «unter Euern Augen zu fehten, : ſo 
follten die Jahre wohl: zu Mohaten werden!“ 

„Zeufeldiung — tief der entzuͤckte Obrift — 
komm gleich mit‘ In vier Boden biſi du 
Korporals ' Mir 

„Ich hat kicht Heer Obriſt. äh Bater 
ift den S oldaten todtfeind „und ledt nuriin den 
Gedanken ih mirfeineh Nachfolger ga fehen.” 
,Poffen !: Der alte Narn!“. Jachte Yer if, 
„Here Rittmeifter Adjutant!“ | 

Ein ſchlanker Reiter prallsie'yor. - - 

„Bemerkt Euch ded jungen Manned Namen 
and Wöhndrt:- Ihr feibft ſollt mir ihn abholen. 
Lebt wohl, Eckebrecht, auf Wiederfehen?!‘ 

Und ım faufenden Galopp flog ber Schwarm 
über die Fläche hin. 


156 


:- Der Ahjutant hielt noch neben Yerbinand, 
Die Furze Notiz war bald eingetragen. 

‚Aber mein Vater,“ feufzte Ferdinand. 
„Nimmermehr giebt er mich frei!” 

„Borat nicht, wadrer Jäger. Der Herr Obrift 
gift alled beim Fuͤrſten. Ude künftiger Kamerab !’’ 

Da ftob auch der legte hin, wie vom Winde 
getragen. Ferdinand ’fland träumend; aber bie 
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden 
Ausfichten riſſen ihn über alle Bedenklichkeiten 
hinweg, die angeborne Wildheit heil aufachend. 

Nah der gewohnten Weife ging es auch Deut 
wieder auf dem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Geld 
auf, Fels ab; und erſt am zweiten Tage trat er 
Beutebeladen in die väterlihe Wohnung: 
„Braver Berdinand,“ rief auch heat ber Alte 
dem Eintretenden entgegen, Er Tief ſich dad 
erlegre Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß,‘ ’ 
fagte er — barauf; „Du bift doch ein tüchtiger 
Kerl, ein fermer Schuͤtz! Nun, an dir befommt 
doch der Aiskeinmah einen Sorte, wie er feyn 
muß! u 

„Das hoffe ich ‚a — ntmortet Serdinand 
balblaut. 

Da fing ed an binter dem Ofen zu raſcheln 
und fich zu bewegen , und hervor trat eine lange, 
geifterbleiche Frauengeſtalt, einen Roden im Urme. 

Es war des Foͤrſiers Schweſter, ihrer Blaͤſſe 


\ 


167 


Hatte, machte fi) mit unglaublicher Kraft los, 
tief neben feinem Pferd her, und mit dem Zins 
ger drohend, rief fie unaufhörlich fehr laut: 
„Nandchen Ede s Feles breit, Nan⸗Nan⸗Nand⸗ 
hen Ecke⸗keke⸗brecht!“ 

Das Unheimliche der Srfcheinung ward durdh 
dag Lächerliche ihred Aufzugs , ihrer Sprache und 
ihrer Vertraulichkeit mit dem glänzenden Kitts 
meifter fo verwifcht „ daß -ein unaufhaltfames Ges 
lächter die’ ganze Schwadron ergriff, während 
Muhme Blei immer lauter fchreiend,, neben 
Ferdinands Pferde herhinkte. Aber im Augens 
biide blitzte auch des ergürnten Kriegsmannes 
Pallaſch uͤber der Alten, und mit dem Schrei: 
„Herr Jeſus hilf!“ ſank ſie blutend mit geſpal⸗ 
tenem Haupte zu Boden. Zugleich auch ſchallte 
das Kommandowort, im donnernden Galopp 
marſchierte die Kolonne auf, ging raſch vorwaͤrts 
und Muhme Bleich blieb huͤlßos in ihrem Blute 
liegen. 

Das Gefecht ward weder hitzig noch entſchei⸗ 
dend; ber Feind zog ſich zuruͤck, und die warnende 
Alte wurde verlacht. Allein am ſelben Abend ward 
man in der Flanke angegriffen, geworfen, und 
Ferdinands Regiment erfuhr bedeutenden Verluſt. 
Der Obrift blieb an ber Spige deffelben auf dem 
Wahlplatze. 

Tags darauf forderte Eckebrecht feinen Gegner, 








J 


Mubme Bleich. 


7 


Won feinem Bater, einem tächtigen Waidmanne, 
zu demfelben Berufe mit großer Sorgfamfeit ans 
geführt, hatte der junge Ferdinand Edebredt 
feine Lehrjahre überflanden, und follte mit der 
Zeit deffen Adjunkt werben. 

Allein er hatte nie Luft zum Jaͤgerleben gehabt, 
und nur mit Widerwillen die Lehre angetreten. 
Wald + und Felöthal waren ihm zu duͤſter, Hoͤrner⸗ 
Hang und Hundsgebell zu eintönig. Wenn aber 
im naͤchſten Städtchen Lruppenfhau gehalten 
ward , wenn da die filbernen Trompeten ſchmetter⸗ 
ten, bie Paufen wirbelten, bie Standarten flatter » 
ten, und nun in langen Reihen bie glänzenden Kuis 
raffiere am Mufterzelte vorbeizogen, mühfam bie 
feurigen fchwarzen Roſſe zum Paradetritt zuͤ⸗ 
gelnd— und, nun dem Obriften vorüber, im dons 
nernden Galopp dahin flogen, die blanken Klin⸗ 
gen im Scherz über den Goldhelmen fchwentend — 
ach dann fchlug Ferdinands Herz vor banger, uns 
geſtuͤmer Sehnſucht. Das war cd, was er fuchte, 


in. m." - une | 





159 


„Hier Freund,“ rief er. „Hier iſt der fuͤrſtli⸗ 
he Befehl an Euern Vater. Ihr ſeid frei.‘ 

„Gott iſtéͤ moͤglich!“ erwiederte Ferdinand 
halb freudig, halb bang uͤberraſcht. „Aber mein 
Bater iſt abweſend!“ 

„So erwarte ich ihn,“ antwortete der Adju⸗ 
tant. „Ich habe Befehl, Euch mit zuruͤck zu 
bringen. Dort kommt auch ſchon meine Ordo⸗ 
nanz mit einem Handpferde fuͤr Euch! 

Ferdinand ſah hinaus. Er ſah die Ordo⸗ 
nanz, zugleich aber auch nebenher ſeinen leichen⸗ 
blaſſen Vater, der den alten Braunen ſtachelte, 
um fruͤher als der Kuiraſſier anzukommen. 

Jetzt ſprang er ab, ließ den treuen Gaul 
unbekuͤmmert fiehn, und eilte ind Zimmer. 

Auf Dem Flur trat ihm der Offizier entges 
gen, den fürftlichen Befehl in der Hand. 
„Herr — redete er ibn an — Euer’ Sohn 
da hat dem Herrn Obriſten gefagt, er wuͤnſche 
Soldat zu werden, dürfe ed aber vor Euch nicht 
laut werben laſſen!“ 

Der alte Zörfter zitterte vor Schred und 
Zonnte Fein Wort fprechen. Serdinand, den 
Ausgang bang erwartend, ftand wie ein armer 
Sünder in einer Ede ded Zimmers, 

„Weil aber — nahm der Offizier das Wort 
wieder — ber ‚Herr Obrift dad Gluͤck Eures 
Sohnes will, fo hat er dem Zürften des jungen 


Mo __. 


160 


Manned Wünfche vorgetragen, und bier iſt nun 
ein fürftlicher Befehl, Traft Geffen Ihr Euern 
Sohn in feinem Vorhaben nicht hindern, fons 
dern ihn mit mir zum Regiment gutwillig ab» 
gehn laſſen follt. Hört Ihr wohl?“ 

\ „Meines Sohnes Gluͤck,“ — fagte der Foͤr⸗ 
ſter fchneidend. ,‚Und mas wird denn aus meis 
nem Gluͤck, meinen Wuͤnſchen?“ 

„Tärrifcher Alter! in einem Jahre iſt Euer 
Sohn Offizier! Iſt denn das fein Gluͤck für 
Euch?“ 

„Nichts weniger als dad, Herr Ofſizier — 
entgegnete der ⸗ Alte — und bu Ferdinand, mein 
lieber, einziger Sohn, iſt es denn wahr, iſt es 
denn moͤglich? Du willſt mich verlaſſen, meine 
liebſten Hoffnungen und Wuͤnſche mit einem 
Schlage vernichten, mir meine Sorge und Pflege 
mit Undank lohnen, und hingehn, und ſo ein 
— ſo ein Soldat werden?“ 

„Herr! keine Seitenblicke auf den edlen 
Stand, den der Fuͤrſt liebt,” — rief der Adjutant. 

„Hert Offizier, ihr wißt nicht, was diefer 
edfe Stand meiner Ruhe koſtet. Fragt nur das 
bieiche Bild dost hinterm Ofen!“ | 


Muhme Bleich Froch jekt aus ihrem Winkel 
hervor ; mit rolfenden Augen und Tnirfchenden 
Zähnen näherte fie fi) dem Adjutanten und ehe 


\ 


161 


er es verhindern konnte, hatte fie feine Band 
erfaßt und blutig gebiffen. 

„Schafft das alte Scheufal weg — ſchrie 
der erfchrodine Kriegsmann — oder ich renne 
ihr meinen Pallaſch durchs Herz!’ 

„He⸗He⸗Herz i⸗i⸗iſt ſcho⸗ſchon ent sents 
zwei!’ g gfinzte bie Wahnfinnige und verkroch fich. 

„Ferdinand Eckebrecht, Ihr feib Soldat auf 
ded Bürften Geheiß. Als Euer Vorgefegter befehle 
ih Euch, mir: unverzüglich zu folgen.” Mit 
diefen Worten verließ der Offizier dad Zimmer. 

Serdinand wollte nach. Da vertrat ihm der 
Alte den Weg. Tiefen Ernſtes faßte er feine 
Hand und fagte: „Mann! Sohn! Chriſt! 
ſchwurſt du denn nicht in Gottes Namen — ich 
Bin nicht Soldat ?“ 

„Damals Vater war ich es auch noch nicht,“ 
antwortete Ferdinand. 

„Elender Wortmaͤkler, Luͤgner vom Ynfang 
an,“ — gürnte ber Alte, „So fpielteft du mit 
meiner Angſt, konnigſt meinen Kummer mit an⸗ 
ſehen, und warſt elend genug, dich mit einem 
Wortſpiel herauszuluͤgen ? Geh hin, meineidiger, 
wortbruͤchiger Menſch, ohne Glauben und ohne 
kiebe. Werde Soldat, aber nimmer betritt diefe 
Schwelle wieder. Ich weiß, du bift herzlos, 
wirft mich unb meinen Kummer bald vergeffen 
yaben. Aber einfk werden dis meine Thränen auf 
Geſpenſterbuch 7. Theil 2 


156 


Der Adjutant hielt noch neben Ferdinand. 
Die kurze Notiz war bald eingetragen. 

„Aber mein Vater,“ ſeufzte Ferdinand. 
„Nimmermehr giebt er mich frei!“ 

„Borat nicht, wackrer Jaͤget. Der Herr Obriſt 
gift alles beim Fuͤrſten. Ude künftiger Kamerab !'* 

Da ſtob auch der lebte hin, wie vom Winde 
getragen. Ferdinandfland träumend; aber die 
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden 
Ausſichten riffen ihn über alle Bebenklichkeiten 
hinweg, die angeborne Wildheit heil anfacbend. 

Nah der gewohnten Weife ging. es audy beut 
wieder aufdem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Fels 
auf, Feld ab; und erſt am zweiten Lage trat er 
Beutebeladen in die väterliche Wohnung. 

„Braver Ferdinand,“ rief auch heut der Alte 
dem Eintretenden entgegen, Er Tief jich dab 
erlegte Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß, ‘’ 
fagte er — barauf; „Du bift doch eim tüchtiger 
Kerl, ein fermer Shüg! Nun, an dir befommt 
doch der Fuͤ Sirk.cinmal einen Foͤrſter, wie er feyn 
muß!“ 

„Das hoffe ich ‚ — anmorten Ferdinand 
balblaut. | 

Da fing ed an hinter dem Ofen zu raſcheln 
und fich zu bewegen , und hervor trat eine lange, 
geiſterbleiche Frauengeſtalt, einen Rocken im Arme. 

Es war des Foͤrſters Schweſter, ihrer Blaͤſſe 











157. 


wegen, „Muhme Bleich“ genannt. Im Haub 
und der Gegend galt fie für halbwahnwitzig. ‚Sie 
fiammelte, und da fie deßhalb oft von muthwilligen 
Buben verhöhnt worden war, fo fpradı fie feit 
Jahren nur das aflerndthiafte ; dieß nur in kurs 
zen Worten, 
Jetzt ſchlich fie, faſt unhoͤrbar zu Ferdinand 

hin, mit erhabnem, duͤrrem Zeigefinger drohend. 

„Des des der luͤ⸗ luͤgt!“ ſtammelte fie. 

„Was? Wer luͤgt!“ fuhren Vater und Sohn 
die Ulte an. 

„Nan⸗ Nans Nandel luͤ⸗ luͤ⸗ luͤgt!“ 

„Ihr traͤumt wohl, Muhme Bleich,“ ſagte 
Ferdinand betroffen. 

„Was kraͤchzt denn bie alte Eule wieder?“ 
ftagte der Foͤrſter verdrießlich. 

„Ran + Nans Nandel fes kein Ar Jaͤ⸗ Jaͤ⸗ 
ger. - Nans⸗ Nandel Sols Solr Eovldat!’’ 

„Donnerwetter !’’ fluchte der Alte, „Was 
ift das! Sag Junge iſt's wahr? Höllen Eles 
ment! Nein, nein 's iſt nicht wahr, 's wäre 
ja mein Tod! Sag, ſag, bilt du .... 

„Aergert Euch doch nicht Vater,“ begütigte 
Serdinand den Alten — „id ſag' Euch ya, auf 
mein Ehrenwort, idy bin nicht Soldat!“ 

„Lür⸗Luͤ⸗Luͤgt!“ fagte Muhme Bleich kopf⸗ 
ſchuͤttelnd und kroch hinter den Ofen zuruͤck. 

Ferdinand war außer ſich vor Zorn; er begriff 


156 


Der Abintant hielt noch neben Ferdinand. 
Die Furze Notiz war bald eingetragen. 

‚Aber mein Vater,“ feufzte Serdinand. 
„Nimmermehr giebt er mich frei!” 

- „Sorat nidt wackrer Jäger. Der Herr Obriſt 
gilt alled beim Fürften. Ade kuͤnftiger Kamerab !’* 

Da ftob auch der lekte hin, wie vom Winde 
getragen. Ferdinand’fland träumend; aber bie 
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden 
Ausſichten riffen ihn über alle Bedenklichkeiten 
hinweg , die angeborne Wildheit heil aufachend. 

Nah der gewohnten Weife ging. es auch heut 
wieder auf dem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Fels 
auf, Fels ab; und erſt am zweiten Tage trat er 
Beutebeladen in die vaͤterliche Wohnung. 

„Braver Serdinand,’ rief auch Heut ber Alte 
dem Eintretenden entgegen, Er Tief ſich dab 
erlegte Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß,“ 
fagte er — batauf; „Du bift doch ein tüchtiger 
Kerl, ein fermer Shüg! Nun, an dir befommt 
doch der, Fuͤrſt einmal. einen Sorfter, wie er ſeyn 
muß !” 

„Das hoffe ich RL — entmortet Serdinand 
balblaut. 

Da fing es an hinter dem Ofen zu raſcheln 
und ſich zu bewegen, und hervor trat eine lange, 
geiſterbleiche Frauengeſtalt, einen Rocken im Arme. 

Es war de Foͤrſters Schroefter, ihrer Blaͤſſe 


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157. 
sorgen, „Muhme Bleich“ genannt. Im Haus 
und der Gegend galt fie für halbwahnwitzig. Sie 
ftammelte, und da fie deßhalb oft von muthwilligen 
Buben verhöhnt worden war, fo fprach fie feit 
Jahren nur dad allernöthigfte; dieß nur in kur⸗ 
zen Worten, 
Jetzt ſchlich fie, faft unhörbar zu Ferdinand 

hin, mit erhabnem, dürrem Zeigefinger drohend. 

„Der des der Ihs luͤgt!“ ſtammelte fie. 

„Was ? Wer luͤgt!“ fuhren Vater und Sohn 
die Alte an. 

„Nan⸗ Nans Nandel luͤ⸗ luͤ⸗ luͤgt!“ 

„Ihr traͤumt wohl, Muhme Bleich,“ ſagte 
Ferdinand betroffen. 

„Was kraͤchzt denn die alte Eule wieder ?” 
ftagte der Foͤrſter verdrießlich. 

„Nars s Nans Nandel tes kein Jaͤ⸗ Yas As 
ger.  Nans Nandel Sols Sols Eoidar!’’ 

„Dorinerwetter!“ fluchte ber Alte. „Was 
iſt das! Gag Junge ifi’d wahr? Höllen Eles 
ment! Pein, nein 's ift nicht wahr, 's wäre 
ja mein Tod! Sag, ſag, bift du .... 

„Aergert Euch doch nicht Vater,’ begitigte 
Serdinand den Alten — „ih fag’ Euch ja, auf 
mein Ehrenwort, ich bin nicht Soldat |‘ 

„Luͤ⸗vLuͤ⸗ Lüge I fagte Muhme Bleich kopf⸗ 
ſchuͤttelnd und kroch hinter den Ofen zuruͤck. 

Ferdinand war außer ſich vor Zorn; er begriff 


156 


weder was die Alte gegen ſeinen Hang zum Sol 
batenftande habe, noch woher fie fein Geheim 
niß wiffe, und weßwegen fie ihn nun verrathe. 
Der Zörfter war und blieb verflimmt. Am 
andern-Morgen nahm er die Alte wieder vor 
"und fragte fie aufs fchärffte aus, woher fie die 
Nachricht habe, und was daran wahr fei. 
.  Ulein aus der Wahnfinnigen war nichts her⸗ 
auszubringen, als — fie habe ed geträumt. Un 
‚willig fließ fie der Alte in ihren Winkel zurüd, 
von wo aus fie immer hervor heulte: „Dos 
do + doch wahr, Nan s Nan-s Nandel Sols Sol 
Soldat !" 

Der Foͤrſter beſchloß nach der Stadt zu reis 
ten, um zu verfuchen, ob es nicht möglich ſei, 
ſich Ferdinand gleich adjungiren zu laffen. Er 
theilte dieß Vorhaben feinem Sohne mit, und 
fagte mit Thränen in den Augen: — „Zu meiner 
Zeruhigung, ſchwoͤre mir, du biſt nicht Soldat!“ 
Und Ferdinand ſchwor: „ich bin's nicht!“ 

Da heulte die Alte im Schlafe laut auf, und 
wie von Entſetzen ergriffen, prallten die beiden 
‚Männer aus einander. 

Ein paar Stunden mochte ber Foͤrſter weg 
feyn , da forengte der Adjutant vor dad Haus. 
Er hielt ein Papier mit großem Siegel hoch in 
der Hand. Bligend ſtrahlte der Soldhelm, bligend 

"flog die goldne Feldbinde um feine Schultern. 


159 


„Hier Breund,” rief er. „Bier ift-der fuͤrſtli⸗ 
he Befehl an Euern Vater. Ihr feid frei.” 

„Bott iſts möglich!” erwiederte Ferdinand 
halb freudig, halb bang überrafcht. „Uber mein 
Bater ift abweſend!“ 

„So erwarte ich ihn,“ antwortete der Abjus 
tant. „Ich babe Befehl, Euch mit zurüd zu 
bringen. Dort fommt auch ſchon meine Ordo⸗ 
nanz mit einem Handpferde für Euch! 

Kerdinand fah hinaus. Er fah die Ordo⸗ 
nanz , zugleich aber auch nebenher feinen leichens 
blaffen Bater, der den alten Braunen flachelte, 
um früher ald ber Kuiraffier anzufommen. 

Jetzt fprang er ab, ließ den treuen Gaul 
unbefämmert fiehn, und eilte ind Zimmer. 

Auf dem Flur trat ihm der Offizier entge⸗ 
gen, den fürftlichen Befehl in der Hand. 

„Herr — redete er ibn an — Euer Sohn 
da bat dem Herrn Obriſten geſagt, er wünfde 
Soldat zu werden, dürfe ed aber vor Euch nicht 
laut werden laſſen!“ 

Der alte Foͤrſter zitterte vor Schreck und 
konnte Fein Wort ſprechen. Ferdinand, den 
Ausgang bang erwartend, ſtand wie ein armer 
Suͤnder in einer Ecke des Zimmers. 

„Weil aber — nahm der Offizier das Wort 
wieder — der Herr Obriſt das Gluͤck Eures 
Sohnes will, fo hat er dem Fuͤrſten des jungen 


180 
verkuͤndeten die Trommeten zwei neue Kämpfer. 
Den in ſilberner Ruͤſtung und halb weiß, Hall 
blaufammtnem Wappenrode, erfannte ich bald on. 
ben Farben unfers Haufes. Es war mein kam, 
licher Bruder Francesko. Leicht flog der fein 
. andalufifhe Schimmel über die Verhaͤgung iu 
Rennbahn, Faum den Sand empor wirbelnd. Bra 
der andern’Seite Fam eine nicht minder hohe Air 
tergeftalt in blauem Stahl, und dunkelgrün mi 
Gold verbrämten Wappenrock hereingefpreng. 
Nachdem er den Hof gegrüßt, galoppirte er mir 
gegenüber, hielt und grüßte mit ehrerbietig geſenl⸗ 
ter Lanze. Meine Wangen glühlen, und die Neu 
gier, zu wiſſen, wer der ſchlanke Ritter ſei, pei⸗ 
nigte mid. Ich verlor das wilde arabiſche Reh 
nicht aus den Ange. Geht rennten beide geger⸗ 
einander, die Ranzen frachten, und Francedtch 
Schimmiel uͤberſchlug ſich mit feinem Neiter. Ehe 
ich mich vom Schreck erholt hatte, war er ſchon 
wieder duͤgelfeſt. Der Kampf ding von Neuem 
an, und dießmal mußte der: Fremde den Saud 
kuͤſſen. Nun führte mein Bruder nie denfelbs 
als den edeln Grafen Pedro Aldufar anf, mit den 
er auf ber hohen Schule zu Salamanea ben frei 
Künften obgelegen, wo Albufar, feiner her rlichen 
mauriſchen Vorfahren eingedenk, ſich in der Gi 
fangesfunft fo wie in ber Nature und Urzenh 
kunde ungemein hervorgethan baile. 


« Fi 





3 





181 


Ich laͤugne es nicht, daß des edeln Albufar’s 
eine Sitte mein Herz gewann, “fo daß ich die 
tete Aufmerffamtelt eines dritten, Don Lopez 
e Beragüel, nicht eher bemerkte, als bie fie 
nir höchft läflig wurde. 

Cr wandte ſich deshalb an meinen Bruder, 
em er feine Reichthümer und Befigungen weit⸗ 
iufig aufzählte. Allein diefer verficherte ihn mit 
iner gewohnten Galanterie , dad Herz einer Dame 
ie ein unfchäßbarer Edelſtein, nie zu kaufen, 
aum zu verdienen, und nur ald ein Geſchenk zu 
halten. Er ſprach mir nun zwar wohl von Lopez 
zewerbungen: aber des Manned ganzed Wefen 
atte für mich etwas unheimlich abſchreckendes, 
aß ich Francesko bat, ihm ein fuͤr allemal das 
urchaus fruchtloſe ſeiner Bemuͤhungen anzukuͤn⸗ 
igen. Wuͤthend nahm Lopez dieſe Eröffnung auf. 
s kam zum Wortwechſel, endlich zum Klingen⸗ 
ieh, Mein armer Bruder ward ſchwer verwun⸗ 
et. Ich pflegte fein, und Lopez ſchickte taͤglich 
nen alten Wundarzt, der ihm von dem Befinden 
ned edein Gegners Nachricht bringen mußte. 
o haſſenswuͤrdig er mir audı fonft erſchien, fo 
uͤhrte mich doch diefer Beweis von Herzlichkeit. 
ber wie fürchterlich ward ich betrogen. Syener 
Ite, angeblich ſtumme Wundarzt, war ein altes 
Leib, eine hochft verruchte Here und Zauberin. 
ste gab'mielnem genefenden Studer gefchict einen 


len - 


183 


Geftigen Schlaftrunfein, der ihn drei Lage kin 
durch in tobtähnlicher Betäubung banigbderhielt, 
Waͤhrend dieſer Zeit harte Lopez mit feine 
geuflifchen Helferöhelfgrin dig Gelegenheit wei: 
erkundet. In der Racht ward ich überfafen, au 
bunden und entfjihrf. - Der abfcheuliche Lopez ders 
fieß in wenig Tagen den fpanifchen Spben. Sei 
einem Sahre ziehe ih nun mit ihm, der fü 
anderer als der Hauptmann it, dem Ihr die Adet 
geſchlagen, in der Welt umher. Täglich, 1 
flündfich beſtuͤrmt er mich mit Liebkoſungen, du 
mir verhaßter find aſs der Tod. 
Als Ich ihm vor einigen Tagen feine grängen 
loſe Schaͤndlichkeit vorwarf, ihm ſchwur, daß ic 
nicht lebendig in ſeine Arme kommen wollte, und 
im gerechten Eifer ihn einen ehr s und wortbruͤchi⸗ 
gen Schurken nannte, der nach Ritterrecht an den 
Schweif einer Stute gebunden und fo zur Fehm⸗ 
fätte gefchleife werden ſollte — hilf Himmel! wie 
ergrimmte er da ! Er riß mich bei den Haaren zu 
Boden, fehleifte mich im Zimmer umher, rennt 
mich mit dem Kopfe gegen die Mauer, und wir 
mich zmeifeldohne umgebracht haben, wäreer nicht 
— zu meinem Gluͤcke m vom Schlafe uͤberfaller 
worden. Ihr follt nämlich wiffen, daß der Be 
echte i in unaufloͤslichem Bunde mit ben Geifters 
der Kinfterniß ſtehet, denen er ſchon als Knabe 
für Die Gaden unerineßfichen Neichtbums , immer 





165 


-wäßrender Gefundheit und Unverwundbarkeit ſeixe 

Seele verfchrieb. Nur eine Stunde jeden Tages, 
und zwar um 12 Uhr Mittag verläßtihn hie Kraft 
der Hölle, und dann überfällt ibn ein tiefer Schlaf. 
Auf der Bruft erägt er ein roth feiden Kuͤſſſein, in 
fein Blut getaucht, und mit. entfeglichen Gottes 
läfterungen geweiht. Aller fieben Wochen muß er 
jened Paͤcktlein, dad abfcheuliche Dinge enthalten 
mag, aufd neue in feinem Blute baden, falld ber 
Bund nicht für geloͤſt geiten ſoll. Dieß alled weiß 
ich von ihm felbſt, der es mir, als er einſt berauſcht 
in mein Zimmer trat, entdeckte. Bis jetzt hat 
mich der Himmel noch beſchuͤtzt, und ich bin dem 
Unholde gluͤcklich entgangen. Allein vor ſteben Wo⸗ 
chen kuͤndigte er mir an, daß dieß die Iehte Friſt 
ſei. Bei fürchterlichen Eiden ſchwur er, mir das 
Herz aus dem Reibe zu reißen, falls ich. mich nicht 
ergeben würde, Und o barmherziger Himmel, in 
drei Tagen kehrt er .von einer Meife zuruͤck, und 
die Friſt iſt abgelaufen!“ 

„Beruhigt Euch, ſchoͤne Freundin, — ind 
flete Sriedbert bie Gräfin — ſo wahr Gott ber 
Zugend hilft, sch fiehe Euch bei, und mir ahnet: 
ih errette Euch. Allein fagt mir.nur wie und 
wenn ich den Unhold gerade in feiner ſchwachen 
Stunde treffe, falls er mein nicht ale Bund 
arzt begehrt 7 

„Alles iſt überlegt. — anuwortete vdaura. u. 





485 
venn ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber 
immer hinderte die Zaghaftigkeit derer, denen ic 
mich anvertraute, die Ausführung. Mit dieſem 
Dolche‘, deffen Heft bad Kreuz unſers Erlöfers 
wildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und 
biete Euch meine undetuͤhrten Lippen zum Wei⸗ 
Buß! 14 
.» Zriebbert. ließ fich demuthsvoll auf ein Knie 
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie 
fherrfichen Gaben. 
2.3. laſſe Euch rufen — hob bie Gräfin an — 
Yobald Lopez yon feinem eifernen Schtafe überfallen 
wird. RNaſch durchbohrt Iht dann den: Schänd: 


«fichen, “und fehenkt-Eurer ewig dankbaren Freundin 


Freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht 
eher ald am dritten Tage von feiner Reife gurüds 
kehren, und er dann Eurer früher zum Aderlaß 
‚begehren, ald der Schlaf eintritt, fo zaubert nicht, 
ihm das Paͤcktlein zu entwenden, während er blu⸗ 
tet, bamit er ſo feines hölifchen Beiſtandes en 
behre,“ 

Feiedbert war feit entfihloffen, mit Gefahr 
feined Lebens den Unhold zu erlegen und die 
Sraſi zu retten... 

Bm Tiebften wäre ed. ihm gewefen , hätte er 
Selegenbeit gefunden, das hölfifche Kleinod ihm 
während ded Uderlaffend wegzunehmen, ihn- dann 
zu verbinden, uud nunum den Befig zu kaͤmpfen. 











185 


Denn ihn im magiſchen Schlafe niederzuſtoßen, 
f&ien feinem deutfchen Herzen zu unruͤhmlich, 
obgleich er ſich nicht verbergen Fonnte, daß fo 
allein daS Reben der Gräfin geſichert ſei. Er 
beſchloß den Himusel walten zu laffen, und vers 
ließ die Gräfin nicht ohne bange Erwartung. 

Aber am Morgen des dritten Tages ward er 
von dem Aufwärter ded Gafthaufed zu dem fpanis 
fen Hauptmanne beſchieden, ihm die Aber zu 
Öffnen. - Friedberts Herz Flopfte ungeſtuͤm. “inter 
feinem Mantel verbarg'er ein gutes Schwert, 
nahm fein Bindezeug unter den Arm, und trat 
getroſt den kurzen Weg an. 

Alles war genau wieder ſo wie das Erſtemal. 
Der Hauptmann ſaß wieder ganz allein in mitten 
des Zimmers, den rechten Arın entbloͤßt. Fried⸗ 


bert mußte wieder drei vergebliche Verſache machen, 


recht als wolle der furchtbare Spanier fi von dem 
unaudgefeßten Beiftande feiner unterirbifchen 
Bundsgenofien verfichern. Finſter Tächelnd ſtand 
er jeßt auf, zog dad Paͤcktchen aus dem Bufen, 
und barg ed unter feinem auf einem Pfeilertifch 
liegenden, reich befiederten Sturnihute. Fried⸗ 
bert behielt ihn fcharf im Auge. Erfchlug jest 
tiefer ald dad vorigemal, und eine reiche Quelle 
ſtroͤmte aus der geöffneten Aber, Der Spanier 
fing felbft in einem filbernen Becken das hervor⸗ 
ſchießende ſchwarze Blut auf. 


‚Je 


7486 

. Während .er- fo mit beiden Armen befchäftigt 
war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein, 
Yüftete den Sturmhut, uud ſchob daß Pältlein in 
feinen Bufen, Der. Spanier hatte nichts bemerkt. 
est war er verbunden, und Friebbert widelte 
fein Schwert aus dem Mantel, 309 ed aus ber 
‚Scheide, und ſtellte ih dem Haupımann ſchlag⸗ 
‚fertig gegenüber. 

Diefer fah ihn verwundert an. „Was fol 
Ien sie Poflen ?’’ frag er veraͤchtlich, indem er 
‚an den: Pfeiler trat, und ‚mit der Hand unter 
den Hut griff, 

„Wer hat mir das Kleinod geraubt, das 
unter meinem Sturmhute lag?“ frug er ſchuell 
mit zornblitzenden Augen. 

„Ich Herr“ — antwortete Friedbert keck. 
Der Spanier ſchien ſich zu beſinnen. „Treibt 
keine unnuͤtze Kurzweil, Geſell — ſagte er freund⸗ 
lich — und gebt mir das Ding zuruͤck. Fuͤr Euch 
ift ed von keinem Werthe, und ich ſchenke Euch 
noch überdieg eine Handvoll Geld!” 

„Nicht für Tonnen Goldes. Das Pädktlein 
bleibt auf meiner Bruſt, und einer von uns 
todt im Zlpımer. Ihr feht mich entfchloffen, 
barum zu kaͤmpfen. 

„Narr — fagte der Hauptmann — wenn du 
den Werth des. Dinges Fennft und danach Iüflern 
Pin, fo kann ich dir mit ſeichter Mühe rind 


187 


verſchaffen, und wir werden Bundesbruͤder oben» 
drein. 

„Da Schaͤndlicher — rief Friedbert — bu 
irrſt groͤblich, wenn du glaubſt, ich begehre in 
deine Hölfifche Verbindung zu treten. . Wiffe, dein 
Geheimniß ift verrathen, deine Unvermundlichfeit: 
genommen, bein Tod befchloffen. est wähle: 
bereue deine Schandthat und flirb als ein Chrift, 
odey rufe die Hölle an, und fich was ihre Geifter 
gegen diefe am Hochaltare gemeihte Klinge vermoͤ⸗ 
gen. Sterben mußt bu. 

Wie ein wildes Zigerthier bruͤllte der rache⸗ 
fhnobende Spanier ; „Ha Laura, dad ifl dein 
Merk! Aber dein Herzblut fol tropfenweis uns: 
ter den entfeglichiien Qualen zu meinen Füßen 
versinnen !’C Damit hatte er feinen Degen ergrifs 
fen, gezuͤckt, und rennte nun auf Sriedbert los, 
einen wuͤthenden Stoß gegen beflen Bruſt führend. 
Diefer aber parirte mit Kraft und Gewandtheit, 
und im Augenblick rigte fein fiharfer Stahl des 
Hauptmanns Arm. 

„Die Hölle giebt dir Kraft — ſchrie jener — 
leg’ das Paͤcktlein ab, damit wir mit gleichen: 
Waffen fechten!“ 

„Nicht alfo — entgegnete Friedbert — hr 
moͤchtet den Augenblick zu meinem Schaden nuͤtzen. 
Aber ich entſage hiemit laut dem Teufel und ſeinen 
Werken, und fechte als ein getaufter Chriſt! 





183 


geftigen Schlaftrunf ein, der ihn drei Tage kin 
durch in sodtähnlicher Betäubung daniederhielt. 
Waͤhrend biefer Zeit hatte Lopez mit feine 
feuflifchen Helfershelferin die Gelegenheit wet 
erkundet, In der Racht ward ich überfalfen,, quı 
bunden und entführt. Der abſcheuliche Lopez ver 
fieß in wenig Tagen den fpanifchen Boden. Ecı 
einem Jahre ziehe ic) nun mit ihm ‚ der faa 
anderer ald der Hauptmann it, dem Ihr die Ader 
geſchlagen, in der Welt umher. Taͤglich, ı 
ſtuͤndlich beſtuͤrmt er mich mit Liebkoſungen, du 
mir verhaßter find aſs der Tod. 
Als ich ihm vor einigen Tagen ſeine graͤnzen 
loſe Schaͤndlichkeit vorwarf, ihm ſchwur, daß ih 
‚nicht Iebendig in feine Arme kommen wollte, un) 
im gerechten Eifer ihn einen ehr » und wortbruͤch⸗ 
gen Schurfen nannte, der nach Ritterrecht an dia 
Schweif einer Stute gebunden und fo zur Fehm 
flätte gefchleift werden follte — hilf Himmel! wie 
ergrimmte er da ! Er.riß mich bei den Haaren — 
Boden, ſchleifte mich im Zimmer umher, rennt 
mich mit dem Kppfe gegen die Mauer, und wirh 
mich zweifelsohne umgebracht haben, wäreer nick 
— zu meinem Gluͤcke — vom Schlafe überfatt 
worden. Ihr follt nämlich wiſſen, daß der 8 
tachte in unaufloͤslichem Bunde mit den Geift 
der Binfterniß ſtehet, denen er ſchon ald Ku 
für die Gaden unerinegfichen Reichthums, imm 





165 


-währender Gefundheit und Unverwundbarkeit feine 

Seele verſchrieb. Nur eine Stunde jeden Tages, 
und zwar um 12 Uhr Mittags verläßt ihn hie Kraft 
der Hölle, und dann überfällt ibn ein tiefer Schlaf. 
Auf der Bruft trägt er ein roth feiden Kafflein, in 
ſein Blut getaucht, und mit entſetzlichen Gottes⸗ 
laͤſterungen geweiht. Aller ſieben Wochen muß ex 
jenes Paͤcktlein, das abſcheuliche Dinge enthalten 
mag, aufs neue in ſeinem Blute baden, falls der 
Bund nicht für geloͤſt gelten ſoll. Dieß alles weiß 
ich von ihm felbſt, der edmir, als er einſt beraufcht 
in mein Zimmer trat, entdeckte. Bis jegt hat 
mich der Himmel noch beſchuͤtzt, und. id) Bin dem 
Unholde giudlich entgangen. Allein vor fteben Wo⸗ 
hen fündigte er mir am, daß bieß die Ichte Trift 
fei. Bei fürdpterlichen Eiben ſchwur er, mir das 
Herz aus dem Leibe zu reißen, fallt ich mich nicht 
ergeben würde, Und o barmherziger Himmel, in 
drei Tagen kehrt er von einer Meife zurüd, und 
die Friſt iſt abgelaufen!” 

„Beruhigt Euch, ſchoͤne Freundin, — cds 
ſtete Sriebbert die Gräfin — fo wahr Gott der 
Zugend hilft, sch fiehe Euch bei, und mir ahnet: 
ich errette Euch. Allein fagt mir.nur wie und 
wenn ich den Unhold gerade in feiner ſchwachen 
Stunde treffe, falls er mein nicht ald Bund 
arzt begehrt 7 

„Alles iſt überlegt. — antworhete darta * 


485 
venn ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber 
immer hinderte die Zaghafligfeit derer, benen ich 
mich anvertrante, die Ausführung. Mit diefem 
Mole‘, deffen Heft bad Kreuz unferd Erloͤſers 
>. Hildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und 
biete Euch: meine unberäßtten Lippen zum Weir 
st 14 ! 
Friedbert ließ fich demuthsvoll auf ein Knie 
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie 
fhesrfichen Gaben, 
2:71,36 Tajfe Euch rufen — hob bie Gräfin an — 
Kahald Lopez yon feinem eifernen Schlafe überfallen 
wird. Raſch durchbohrt Iht dann hen Schaͤnd⸗ 
fichen, und fehenkt:Eurer ewig danfbaren Freundin 
freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht 
eher ald am britten Tage von feiner Reiſe zuruͤck⸗ 
Fehven,, und 'er dann Eurer früher zum Aderlaß 
a :Begehren, ald der Schlaf eintritt, fo zaubert nicht, 
ihm Das Paͤcktlein zu entiwenden, während er -blus 
tet, damit er fo feines höllifchen Beiftanded ent 
| behrer 
Feiedbert war feſt eniſchloſfen, mit Gefaht 
ſeines Lebens den Unhold zu erlegen und die 
Graͤfin zu retten. 
"8m liebſten wäre es ihm geweſen, hätte er 
„Selegenbeit gefunden; dad hoͤlliſche Kleinod ihm 
während des Uberlaffend wegzunehmen, ihn ˖ dann 
zu verbinden, uud nun um ben Befig zu kaͤmpfen. 








naar. a .n 


185 


Denn ihn im maäifchen Schlafe niederzuſtoßen, 
ſchien feinem deutfchen Herzen zu unrühmlich, 
obgleich er fidy nicht verbergen Fonnte, daß fo 
allein das Leben der Gräfin geſichert ſei. Er 
beſchloß den Himutel walten zu Taffen, und vers 
ließ die Gräfin nicht ohne bange Ermartung. 

Aber am Morgen des dritten Tages ward er 
von dem Aufwärter ded Gafthaufed zu dem fpanis 
fhen Hauptmanne beſchieden, ihm die Ader zu 
Öffnen. - Friedberts Herz klopfte ungeſtuͤm. einter 
feinem Mantel verbarg'er ein gutes Schwert, 
nahm fein Bindezeug unter den Arm; und trat 
getroſt den kurzen Weg an. 

Alles war genau wieder ſo wie das Erſtemal. 
Der Hauptmann ſaß wieder ganz allein in mitten 
des Zimmers, den rechten Arm entblößt. Fried⸗ 


bert mußte wieder drei vergebliche Verſache machen, 


recht als wolle der furchtbare Spanier fi von bem 
unausdgefeßten Beiftande feiner unterirdifchen 
Bundsgenoſſen verfichern. Finfter Tächelnd ſtand 
er jegt auf, zog dad Paͤcktchen aud dem Bufen, 
und barg es unter feinem auf einem Pfeilertifch 
liegenden, reich befiederten Sturnihute. Fried⸗ 
bert behielt ihn ſcharf im Auge. Erſchlug jetzt 
tiefer als das vorigemal, und eine reiche Quelle 
ſtroͤmte aus der geöffneten Aber. Der Spanier 
fing felbft in einem filbernen Becken das hervor⸗ 
ſchießende ſchwarze Blut auf. ° PN 


186 | 


Woaͤhrend.er fo mit beiben Armen Befchäftigt 
war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein, 
uͤftete den Sturmhut, uud ſchob das Päktlein ir 
feinen Buſen. Der Spanier hatte nichts bemerkt. 
Jetzt war er verbunden, und Friedbert wickelte 
fein Schwert aus dem Mantel, zog ed aus der 
‚Scheide, und flellte fi dem Hauptmann ſchlag⸗ 
‚fertig gegenüber. 

Diefer ſah ihn verwundert an. „Was fols 
Ien sie Poſſen ?“ frug er verädhtlih, indem er 
‘an den‘ Pfeiler trat,. und ‚mit der Hand unter 
den Hut griff. | 

: ‚Wer bat mir das Kleinod geraubt, Dad 
unter meinem Sturmhute lag?’ frug er ſchnell 
mit zornbligenden Augen. 

„Ich Herr“ — antwortete Friedbert Fed. 
Der Spanier fchien fich zu befinnen. „Treibt 
feine unnuͤtze Kurzweil, Geſell — ſagte er freunde 
lich — und gebt mir dad Ding zuruͤck. Fuͤr Euch 
iſt es von keinem Werthe, und ich ſchenke Euch 
noch uͤberdieß eine Handvoll Geld!“ | 

„Nicht für Tonnen Golded, Das Packtlein | 
bleibt auf meiner Bruſt, und 'einer von uns 
todt im Zunmer. Ibhr feht mich entfchloffen, 
barum zu kaͤmpfen. 

„Narr — fagte der Haupimann — wenn de 
‚den Werth de& Dinges kennſt und danach luͤſtern 
bin, fo Tann ich bir mit feichter Mühe eins 








187 


verſchaffen, und wir werben Bundesbruͤder oben, 
drein. 

„pa Schaͤndlicher — rief Friedbert — du 
irrſt gröblich, wenn du glaubſt, ich begehre in 
deine höllifche Verbindung zu treten. Wiffe, dein 
Geheimniß ift verrathen, deine Unvermundlichfeit: 
genommen, bein Tod befchloffen. Jetzt wähle: 
bereue deine Schandthat und flirb als ein Chrift, 
oder rufe die Hölle an, und ſieh was ihre Geifter 
gegen diefe am Hochaltare gemeihte Klinge vermds 
gen. Sterben mußt bu. 

Wie ein wildes Tigerthier bruͤllte der rache⸗ 
fhnobendg Spanier ; „Ha Laura, dab ift dein 
Werk! Uber dein Herzblut foll tropfenweis uns 
tee ben -entfeglichitien Qualen zu. meinen Süßen 
versinnen !’! Damit hatte er feinen Degen ergrifs 
fen, gezuͤckt, und rennte nun auf Friedbert los, 


einen wuͤthenden Stoß gegen beffen Bruft führend, 


Diefer aber parirte. mit Kraft und Gewandtheit, 
und im Augenblick rigte fein fcharfer Stahl des 
Hauptmannd Arm. 

„Die ‚Hölle giebt dir Kraft — ſchrie jener — 
leg’ dad Pädktlein ab, damit wir mit gleichen: 
Waffen fechten !'' 

„Nicht alfo — entgegnete Friedbert — hr 
möchtet den Augenblick zu meinem Schaden nuͤtzen. 
Über ich entfage-hiemit laut dem Zeufel und feinen 
Merfen, und fechte als ein getaufter Chriſt! 





485 

Yen ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber 
immer hinderte die Zaghaftigkeit derer, denen id 
nich anvertraute, die Ausfuͤhrung. Mit Diefem 
Dolche, deffen Heft dab Kreuz unferd Erföfers 
Hildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und 
biete Euch meine unberühtten Rippen zum eis 
daß 144 

.» Zriebbert. ließ fich demuthsvoll auf ein Knie 
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie 
fherrfichen Gaben, ' 

1,3 Tajfe Euch rufen — bob bie Gräfin an — 
Yohald Lopez yon feinem eifernen Schlafe überfallen 
wird. Raſch durchbohrt Iht dann den Schaͤnd⸗ 
-fichen, und ſchenkt. Eurer ewig dankbaten Freundin 
Freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht 
eher ald am dritten Lage von feiner Reife zuruͤck⸗ 
kehren, und er dann Eurer fruͤher zum Aderlaß 
begehren, als der Schlaf eintritt, ſo zaudert nicht, 
ihm dad Paͤcktlein zu entwenden, während er blu⸗ 
tet, damit er fo feined höflifchen Veiſtandes ent⸗ 
behre. 

Feiedbert war feſt entſchloſſen, mit Gefahr 
feined Lebens den Unhold zu erlegen und die 
GSraͤfin zu retten. 

Um liebften wäre ed. ihm gewefen, hätte er 
‚Selegenheit gefunden; dad hoͤlliſche Kleinod ihm 
während des Uderlaffend wegzuncehmen, ihn- dann 
su verbinden, und nun um den Befig zu kaͤmpfen. 


189 


fich feiner zu bemaͤchtigen. Da fandte ine Schutz⸗ 
geift ihm fromme Gedanken ind Herz... „Sort Hoͤl⸗ 
lenſpuk in des Sefreuzigten Namen“ rief er laut, 
und alle daß teuflifche Blendwerk zerfloß wie Nebel 
und Dunft. Zugleich auch wich der Hauptmann eir 
nen Schritt ruͤckwarts, und Friedbert drang raſch 
nad); mit höchfter Kraft führte der Spanier jegt 
einen Stoß, riedbert aber fhlug den Degen ſeit⸗ 
waͤrts, und,pfeilfchnell fuhr nun feine ſcharfe Klinge: 
fo mitten durch des Gegners Bruſt, daß er zu. Bo⸗ 
ben flürzte, Friedberten mit ſich niederreißend. » 

Waͤhrend der nun bemüpt war, fih von dem 
Unboide los zu machen, flog die Thuͤx auf und Lau⸗ 
ra eilte ind Zimmer. „Gott im Himmel fei geprier 
fen‘ — rief fie laut, — „ich bin geretiut” — und 
fanf in des ihr entgegeneilenden Stiedbertd Arme, . 

Das fah Der Sterbende, und mit balbem Leibe. vom 
Boden emporgerichtet, tleich von Todesangft ’ 
brülfte er mit fürchterlicher Unflrengung : „Hölle 
räche mich an den Beiden vi Damit ſank er zuruͤck 
und verſ chied. 

Das Gluͤck wollte, daß Ritter Francesko Mom 
tefereno, ber feiner entfuͤhrten Schweſter, überal 
nachgeſpuͤrt hatte, gerade in die Stadt einritth 
als der Vorfall ſchon allgemein bekannt war. Voll 
Entzuͤcken eilte er, den Retter ſeiner heißgeliebten 
Schweſter zu umarmen.. Friedbert, ugverheirar 
thet und elternlos nahm gern Rad Erbieten ang 


486 


war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein, 


an den: Pfeiler trat, und mit der Hand unter 


den Hut griff. 


: ‚Wer hat mir das Kleinod geraubt, das 
unter meinem Sturmpute lag?’ frug er ſchnell 
mit zorndligenden Augen. 

„Ich Herr“ — antwortete Friedbert Fed. 

Der Spanier fchien fih zu befinnen. „Treibt 


Feine unnüße Rurzweil, Geſell — ſagte er freunds 


lich — und gebt mir dad Ding zurüd. Fuͤr Euch 
ift ed von feinem Werthe, und ich ſchenke Euch 
noch überdieß eine Handvoll Geld!“ 

„Nicht fuͤr Tonnen Goldes. Das Paͤcktlein 
bleibt auf meiner Bruſt, und einer von uns 


u Während .cr- fo mit beiben Atmen befehäftigt 


füftete den Sturmhut, uud ſchob dad Pähtlein in 
feinen Bufen. Der. Spanier hatte nichts bemerkt. 
Jetzt war er verbunden, und Sriedbert wickelte 
fein Schwert aus. dem Mantel, 309 ed aus der 
‚Scheide, und flellte fih dem Hauptmann ſchlag⸗ 
‚fertig gegenüber. | 

Diefer fah ihn verwundert an, „Was ſol⸗ 
Sen sie Poflen ?’’ frag er verähtlih, indem er 


todt im Zlnmer. Ihr ſeht mich entfchloffen, 


datum zu kaͤmpfen. 


„Narr — ſagte der Yaupimann — wenn du 


den Werth des Dinges Fennft und danach ſuͤſtern 
biſt, fo Kann ich bir mit Teichter Mühe eins 








191 
N 
audgeftopften Tieren, mit Mumienu. dal.an’, ſo 


daß Friedbert immer nene Nahrung für feine uner⸗ 
ſaͤttliche Wißbegierde finden ronnte. J 


—4 
N U ) 


Er lebte hier einige Jahre in üngetruͤbter Zu⸗ 
ftiedenheit, und hatte die Freude zu ſehen, daß 
Laura's Gluͤck durch ſein vertrautes Verhaͤltniß 
mir ihrem Gemahle noch mehr erhoͤhet wart. Einſt 
meldete man in’ ded Grafen Abweſenheit eine Zi⸗ 
geunerin ‚die allerhand adögezeichnete Lafchenfpier 
lerkunſtſtuͤcke vorzeigen wollte, auch ſich mit Wahr⸗ 
ſagen abgaͤbe. Laura beſchloß ihres Geinahls vhy⸗ 
ſikaliſche und chemiſche Kenntniſſe beĩ dieſer Gele⸗ 
genheit auf eine ſcherzhafie Probe zu ſtellen; und 
fd wenig ſie auch daran glaubte, fo ließ fie fich doch 
auch von der Alten wahrſagen. Dieſe ſchien betre⸗ 
ten uͤber die Linien in Laura's ſchoͤner Hand, gab | 
aber nur fo viel zu verſlehen ‚ die Gräfin möge 
ſich in: Acht hehmen, indem ſie ſich mit irgend 
tinem ſcharfen Werkzeuge ſelbſt veriegen werde,, 
„Mit einer Nadel vielleicht, Muge Frau?’ hoͤhnte 
die Graͤſin, und befahl im Scherz Friedbert ſolle 
nun auch ſeine Hand hinreichen. Die Zigeunerin 
beſah fie lange aufmerkſam, dann ſagie fie: „,juns 
ger Herr, ihr werdet noch einige Zeit ſehr gluͤcklich 
feyn, dann aber werdet ihr unter die wilden Thiere 
gerathen, und durch die Umarmung eined drem⸗ 
den groß Uupeil erfahten.“ 


BT 


IN 
oe: 


- 


Du” 
. 


296 


die beiden in ihr ſchoͤnes Baterland "zu begleiten, 
und dort wenigſlens fo Tange zu bleiben, bis ihn 


das Heimweh zuruͤckrufe. , Alle drei verließen nun 


‚die Stadt, nachdem der Sturmhüt und das 


Schwerdt des Spaniers nebſt jenem berüchtigten 
Packtchen, dad Frieddert auf ben Todten gewors 
fen hatte, unter dem Galgen verfcharrt Torben. 
Der Leichnam war nirgends zu finden. 

Laura lebte nur erft feit wenig Monden' in 


Spanien, als Graf Pedro Albufar, der feiners 


feitd auf entgegengefehten Wegen, um die Ent 
führte einzuholen, ausgezogen wär, auch von 
feiner fruchtloſen Fähre heimkehrte. Dee Freude 
feinen Freünd unddie Geliebte‘ wiederzüſehen, 
folgte bald die Verbindung mit ber ſthonen Lauta. 
Sie zog mit ihrem Gewahl auf feine nah am 
Meere gele jenen: Beſi gungen ‚und Frledbert beglei⸗ 
tete ſie. Mit i inniger Herzlichkeit ſchloß ſich Graf 
Aldufar an den Juͤngling ‚ und dieſer erwiderte 
mit deutſcher nachhaltiger Wärme‘ die ſpaniſche 
Glut. Das gemeinſchaftliche Intereſſe an den 
Naturwiſſenſchaften verband die jungen Männer 
aufs innigfle Der Graf bereitete feinerg deut⸗ 
ſchen Freunde eine hochſt angenehme Exiſtenz, ins 
dem er ihn zum Leibarzt der Graͤfin und zum Auf⸗ 
feher feiner Bibliothek und der herrlichen nature 
Biflorifchen Samınfungen machte, Die er beſaß. 
Taͤglich Samen Kiften hit Pflanzen; "Misetalien, 





191 
N 
außgeftopften Thieren, mit Mumienu. "dal. an’, ſo 
daß Friedbert immer neue Nahrung für feine uner⸗ 
ſaͤttliche Wißbegierde finden ronnte. 


⸗ 
en] 


Er lebte hier einige Jahre in ingeirüßte Zus 


friedenheit,, und hatte die Freude zu fehen, daß, 
Laura's Gluͤck durch fein vertrautes Verhaͤltniß 
mit ihrem Semahle noch mehr erhoͤhet wart. Einſt 
meldete man’ in’ des Strafen Abweſenheit eine Zi⸗ 
geunerin, die allerhand ausgezeichnete Taſchenſpie⸗ 
lerkunſtſtuͤcke vorzeigen wollte, auch ſich mit Wahr⸗ 
fagen abgaͤbe. Laura beſchloß ihres Genahls vhy⸗ 
ſikaliſche und chemiſche Kenntniſſe bei dieſer Gele⸗ 
genheit auf eine ſcherzhafte Probe zu ſtellen; und 
fo wenig fie auch daran glaubte, fo ließ fiefich doch 
auch von der Alten: wahrſagen. Dieſe ſchien betre⸗ 
ten uͤber die Linien in Laura's ſchoͤner Hand, gab 
aber nur fo viel zu ‚verfichen‘, die Gräfin möge 
fit} in Acht nehmen „ indem fie fidh mit irgend, 
einem ſcharfen Werkzeuge ſelbſt verietzen werde,, 
„Mit einer Nadel vielleicht, kluge Frau?“ hoͤhnte 
die Graͤfin, und befahl im Scherz Friedbert ſolle 
nun auch ſeine Hand hinreichen. Die Zigeunerin 
beſah ſie lange aufmerkſam, dann fagtefie: „uns 
ger Herr , ihr werdet noch einige Zeit ſehr gluͤcklich 
kun, dann aber werdet ihr unter Die wilden Thiere 
gerashen, und durch die Umarmung eine Srems. 
den groß Unheil erfahren,“ | 


' 192 

Während Sana und Sriebbert über.die poffiers 
liche Bufammenflelung, noch lachten, kehrte der 
Graf in das Schloß zurüd, und, beide eilten ihm 
enigegen. So abentheuerlich nun auch ihm die 
Prophezeiungen der Wahrfagerin Hangen, fo vers 
wies er doch der Gräfin foroohf al& feinem Freunde 
mit fanftem Ernfie ihren Borwig. „Glaubt mir 
meine Lieben — ſchloß er feine, Rede, — ſolcher 
Frevel firaft, ſich immer ſelhſt ‚Entweder durch 
wirkliches Eintreffen des Vorhergeſagten, ober 
durch den tiefen und ſchreckhaften Eindruck, ber 
ſich in der Seele unaustöfchlich Ichhaft. echäß, und 
faſt immer, ein, trübed Ente. herbeiführt. Ich 
koͤnnte gtaufenerregende Beifpiele für meinen Sag 
aus der Geſchichte meiner edeſn mı ırifchen Bors 
fahren anführen. ‚Gebe Sort di nichts aͤhn⸗ 
liches an Euch erfahren moͤge!“ 

Man war ernfihaft geworden, ‚und um die 
vorige Heiterkeit wieder zu befeben, verlangte der 
Graf, die Zafchenfpielerin folle erfcheinen. Verge⸗ 
bend ward fieim ganzen Schloffe gefucht. „Nun 
— lächelte der Graf — wenn. Laura nicht die 
Sreude haben fol, mich vor der weifen Brau meine | 
Unvoiffenheit geftehen zu hbren, fo. will ich dagegen 
verſuchen ob es mir nicht gelingen wird, ihr eis 
ne andre Freude zu verſchaffen.“ 

Er befahl.nun den orientaliſchen Kaufmann 
herein zu führen, der ähn begleijet habe. Dicfer 








495 
Fam und legte die herrlichfien , reichfien und 46% 
ſchmackvollſten Waaren and, die nur ein’ weiß: 
liches Herz reitzen koͤnnen. Als Laura nach den 
Preiſen fragte, antwortete ihr der baͤrtige Tuͤrke, 
ihr Gemahl habe ihm feinen lganzen Beſitz abge⸗ 
kauft, und alles was Sie hier ſehe, ſei Iht Ei⸗ 
genthum. Wolle ſie jedoch ſich aus Freude auch 
gegen ihn guͤnſtig erzeigen, ſo bitte er — um einen 
Kuß! Und ehe Laura ſich beſinnen, und irgend 
jemand es hindern konnte, war er der Graͤfin 
um den Hals gefallen, und kuͤßte ihre ſchoͤnen 
Lippen fo feurig, daßıman ihr Geſchrei davor 
nicht hören konnte. Umſonſt bemfhete ſich Fried⸗ 
bert den unverſchaͤmten Kaufmann von der Graͤfin 
weg zu reißen. Albufar, der ihn hierin unter⸗ 
ſtuͤtzte, fing es fo ungeſchickt an, daß Friedbert 
ſich in dem langen Kaftan des Tuͤrken und ben 
Süßen des Grafen verwickelte, und gu Boden fiel. 
Zornig raffte er fidh empor, und wollte nan im 
höchften Ernſt auf den Türken losgehn, -da ri 
diefer den -falfchen Bart von Kinn und Rippen, 
fo wie die greifen buſchigen Augenbraunen ab; 
ſchleuderte Turban und Kaftan von fih, und 
fand als Francesko Mormtefereno‘ laut Tachend 
vor dem verbluͤfften Friebbert. Nun war die 
Srende allgemein, und hundertfach theifte bit 
fhöne Laura ihre ſuͤßen Küffe an Gemahl' und 
Bruder aus; fü daß Friedbert fie ſcharzend bat 
Geſpenfterbuch 7. Theil. N 





198 


denn doch einige Ruͤckſicht auf ihn zu nehmen, 
der eine wahrhaft tantaliſche Pein erleide! 
„Auch dir, mein ‚guter Friedbert — fagır 
Albufar fich zu ihm wendend — bereite ich eim 
‚große Freude. In meines ritterlich edlen Schwa⸗ 
gers Geleit iſt nämlich-eine uͤberaus reiche Sens 
dung der ſeltenſten Naturalien über das Mex 
ber hier auf dem Schloffe angefommen, und ih 
‚werfpreche bir einige der ſchoͤnſten Stüde für deine 
Privatfammlung. Dagegen folft du mir behülf 
lich ſeyn, meine ſaͤmmtlichen Naturfchäge in dem 
neueingerichteten Saale, ald einem Mufenm, 
wemäßig und ſchoͤn aufzuſtellen!“ Friedbert 
" fiel entzuͤckt in des Grafen Umarmung, und wolle 
nun ſogleich zu ‚feinen Kiſten und Kaͤſten. Aber 
Laura verbot ihm heut, daran zu denken, und die 
‚Vier brachten einen unausſprechlich froßen und | 
heitern Abend miteinander zu. - 
- In den nädften Lagen waren bie Freunde 
ganz mit ihrer Wiffenfchaft beſchaͤſtigt. We 
Kiſten, bis auf ein paar der größten, Die nad 
der Auffchrift foſſile Knochen ‚und . allerhand 
BWerfleinerungen enthielten, waren gebffnet, und 
die herrlichſten ¶Gegenſtaͤnde daranß, ma Bor 
(ein gefommen... Die Menge derſelben war fo 
bedeyiend,, das Albufar und Briebbert fie unter 
fh vertheilten, and-fo. kam es datg der letzterr 
zur mit Pflanzen, Infehren und Mineralien bes 


196 


ſchaͤſtigt, die große Anzabl ausgeſtopfter Thiere 
och gar.nicht gefehen. hatte. 

Eben wollten beide eined Abends ihre Studie 
serlaffen, und ſich nach den Zimmern der Gräfin 
begeben , ald der Armbruftfpanner,, der in dem 
zroßen Saale fchlief, damit nicht etwa aus dem 
Barten her Einbruch gefchehen könne, feinen Ges 
hieter flebentlichft Bat, ihn davon loszuſprechen. 
Er habe geglaubt die vorige Nacht vor Angſt ſter⸗ 
den zu müffen. Ein fürchterliched Zoben und 
pochen habe ſich nad Mitternacht erhoben, alle 
Riften umgeſtuͤrzt, alle Schränfe aufgefprenat, 
und in einem Heinen Gewölbe neben dem Saale, 
wohin man noch unerdffnete Kiften geſetzt habe, 
fei der Lärm am tollſten geweſen. Beim erfien 
Hahnenruf jedoch fei ed alles fill geworden. 

Albufar und Zriedbert fahen bald einander, 
bald den Armbruſtſchuͤtzen an, ber fonft nicht grade 
für feig galt. > 

„Laßt mich die Nacht hier zubringen, lieber 
Graf — ſagte Friedbert — fo erfahrt ihr auf ein 
mal was es iſt, und ſeid ſicher nicht mit Hirnge⸗ 
ſpinnſten heimgeſucht zu werden. Der Graf gab 
die Erlaubniß, befahl aber daß er den Diener bei 
ſich behalte. Auch das lehnte Friedbert ab. Un⸗ 
gern gab er zu, daß dieſer bewaffnet vor dem Ein⸗ 
gange fein Lager nehmen ſollte, um, falls es einem 
Einbruch aͤhnlich ſaͤhe, batfe gu rufen, und bei⸗ 

N12 





196 


der Hand zu ſeyn. Der Gräfin verſchwieg mas 
die Sache, und verbot auch dem Armbruſtſpanner 
bei der Ungnade feined Herrn ‚ein Wort davon 
gegen die übrige Dienerfchaft zu verfautbaren. ' 

Nach der Abendtafel trat Friedbert in den 
Saal. Er mußte lächeln, ald er An des Arms 
bruſiſchuͤtzen Entfegen dachte, das ihm jetzt fehr 
erklaͤrlich wurde. Im wildeflen Gemifch flanden 
bier Tiger und. Lowen, Bären und Leoparden an 
den Wänden umher, mit haͤßlichen dicfrbpfigen 
Vögeln abwecgelnd. An den Benftern hingen 
ſchwarze Riefenfchlangen, auf dem Boden fagın 
allerhand Eiderhfen und ungeſtaltete Fiſche; auf 
den Zifchen Teuchteten Todtenkoͤpfe, und faßen 
bäßlice große Spinnen unter Glas. In den 
Wandfcränken ftanden allerhand ſeltſamlich⸗ 
Kinderfiguten ü in Geift aufbewahrt, die bei der 
sudenden Lichtflamme die Glieder su bewegen 
ſchienen. 

Ihm war dieß'alles zu bekannt, als daß e 
ihn Hätte erſchrecken ſollen. Er nahm daher die 
Handſchtjft eines alten arabiſchen Chemikers zur 
Hand, die ihn der Graf zu entziffern gelehrt 
‚satte, und feßre ſich ruhig an die ‚große Tafel, 
den Unfug erwartend.: 

. Schon einige Stunden waren Ohne Störung] 
erhoffen! und Friebbert ſtand eben auf, um fid 
angeleidet auf fein Lager’ zu werfen, als er eis 


197 


dumpfes Pochen unfern von fi) vernahm. Er 
ſah auf und horchte. Es war feine Zäufchung, 
deutlich zählte er die Schläge — erft drei — dann 
zwei — dann noch einmal zwei. An Ratten ober 
Mäufe war hier nicht gu denken. Er.ging an jede 
Thuͤr, an jeden Glasſchrank — alles ıftill. Er 
bob die Dedel von den großen Särgen ber Miumien 
ab — umfonfl. Jetzt erhob fi) dad Poltern von 
neuem, und zwar ganz beutlich Fam es aus bem 
Gewölbe, wo -die unerbffneten Kiſten flanden, 
Sriedbert ging augenblicklich ‘mit angezuͤndeter 
Kerze dem Schalle nad. Er hatte ſich nicht 


geirtt ; kaum betrat er das Gemach, fo vernahm , 


ec außer dem ſchon gehörten Laut, auch noch 


ein ſonderba res Scharren, Bewegen und Wenden. 


Ein Schauer überfief ihn, aber er firafte ſich 
gleich ſelbſt. „Poſſen — fagte er laut — biefe 
Kiffen find. ˖mehr äld 6 Monden unterwegs gewe⸗ 
fen, kein, lebendiges Weſen Tann alfo nicht 
darin verbor gen ſeyn. Und falls irgend eine Dies 
besliſt oder fonft ein Bubenſtuͤck dahinter fledte, 
legt denn nicht des Grafen Keibfchüg vor ber 
Thuͤre auf den erfien Ruf bereit ? und. habe ich 
nicht zur eigenen Bertbeidigung jenen berrlichen 
Dolch, den mir Raura in der fchönften Stunde 
meines Lebens gab? Aber ich brauche dich nicht 
ritterliche Waffe 5 dagegen werden mir- Hammer 
und Zange deſto noͤthiger ſeyn!“ 





198 
. Die Wehzenge waren in der Nähe, nei 


man ihrer bei jedem anfommenden Zranfyorte 


bedurfte. So, wie ſich Friedbert an die Eros 


nung ded Kaſtens begab, hörte dad Getös anf. 


Die-breterne Deda gab bald nach; jetzt glitt fir 
herah, und vor ſeinen Angen lag — ein riefen 
großes, menſchliches Geripp. Friedbett ſtutzte 
Da ſah er in der. Bruſthoͤhle rin weißes Papier 
Jenchten. Raſch Kite er ſich danach, meinen? 
‚ed muͤſſe eine Erklaͤrung dieſer muthmaßlich ſelt⸗ 
sen Knochengeſtalt enthalten. Daß Papier war 
‚indeß nur die Hülſe eined andern Gegenſtandes. 
‚Er widelte «& los, und das biusgetränfte Kuͤſp 


j ‚Jin des eymosdeten Spaniers lag in feinen Haͤr⸗ 


ben-,. diefe augenhlicklich roth färbend. Entſetzt 
ſchleuderte es Friedhert von ſich. Allein fo wie er 


Sb: aufrichtete, ſijeg auch dad Gerippe mit Ihm 


empor, Die langen, Moͤchernen Arme feſt um 
ſeinen Hals ſchlagend, die hohlen Augenhoͤhlen, 
ben zahnloſen Mund dicht an ſein ˖ Geſicht legend. 
Dit der Rieſenkraft der Berzweiflung kaͤmpfu 
Friedbert fi) zu befreien, Vergebens ſtieß «? 
Baura’d Dolch zwiſchen die beinernen Rippen. 
Bon einen fürchterlich laͤhmenden Schlag gerkof: 
fen, fan? fein Arm, und. der Hold flog weit 
von ibm an den Hohen. Immer enger und 
enges preßte bad Gefpenft den Ungluͤcklicher 
an fih, der feinen. Laut von ſich zu geben ven 





199 


mochte, und deffen Todedungfi::niemand ahnete. 
Endlich ließ es ſich auf’die Kifle nieder, und 
behielt 3 Den Erwuͤrgten in ſeinen antgeiſchan 
Armen. 

So fand ihn der. Armbruſiſchut am ſpaie 
Morgen von feinem ungewoͤhnlich langen Schlafe 
beaͤngftigt. Der Graf und feine Gemablin flarys 
ten herbei, mit ihnen ‚die gauze Dienerfchaft, 
jeder noch auf ei eine Mutentreibungıbed Schwetens 
hoffend. 


Leider war alles fo. Entfehtich — ſchri⸗e 


Laura .mit Thraͤnen des tiefſten Schmerzens — 
nicht einmal mein Dolch mit dem Kreuzesheft 
konnte den Ungluͤcklichen retemi? Oder hat. er 
ihn in der Verzweiflung:oon ſich geworfen‘?!! Sie 
eilte nach der Stelle, wonder Dot am Baden 
lag, um ihn wieder gu ſich zu nehmen. Im 
ſelhen Arugenblicke ſprang bad Geripp klapperud 
empor..: Alle führen: entſetzt zuekd:,; zur der 
Grafblieh nachdenklich ohn. Aaura tm Fodes⸗ 
angfe, die Knochengeſtalt werde fie nun erfaſſoin, 
will fliehen. Aber vorwuͤrts geheugt, um Den 
Dolch aufzunehmen, verliert ſia dab Gleichge⸗ 
wicht, ihr: Fuß wann: fter ſtürztz ned ſallt ſich 
den ergriffnen (herfen Stahl.in Fe Brufl. ‚Pant 
‚auffchreiend ſinkt fie: gu Voden. .. 

Jetzt erwacht auch der Graf aus feiner 20 
täubung. Ersitt zulaure. Ein Blick auf ihre 





a 


% 


Bunde feigt..ihm;;i&aß der Dolch von dem Des 
mantkrenz, das fie auf der Bruſt traͤgt, ſchraͤg 
ubglitt, und: Feine toͤdtliche Verletzung gemacht 
haben kann. Jetzt faßt Er den Dolch, und 
radem 'en das auf dem Hefte: befindliche Grucifir 
dom. Gerippe entgegenhaͤlt, ruft er:. „in dieſes 
Bildes Namen, hoͤlliſcher Spuf, laß beine Beute 
fahren. I: Und faum Hat er dieſe Worte ausge 
Iprücden‘, fo finft das Skelett zu Staub und | 
Aſche zuſammen, und Friedbert (chlägt die Uns 
> LU Ä 

— Der. Graf befabl 'nun“ fire die beiden theuren 
Weſen bie möglichite Sorgfalt gu tragen. Laura 
Ward ir: ihre Zimmer gebracht, Sriebbert aber, 
Hm Armen des hoͤlli ſchen Peinigers einmal ents 
flohen ‚bedurfte fo wenig ‚Hülfe, daß er fogar 
nm felben Lage: die Wunde ‚der Gräfin unters 
ſuchte, und fie zwar für eine tiefe Schramme, 
aber: durchaus: nicht gefaͤhrlich erkannte. Auf 
feinen Gent: hatte dagegen der Vorfall einen fo 
tiefen. Eindruck gemacht, daß er in den Orden 
Der burmherzigen Brüder trat, und barinin der 
doppelten Eigenfchaft eines keibed s und Seelenarz⸗ 
aAes noch unzaͤhliges Gute ſtiftete. Als Laura wie⸗ 
der hergeſtellt war, und ſich von Friedbert, den 
man jetzt Pater Benedetto nannte, den ganzen Vor⸗ 
fall erzaͤhlen ließ, fegteder Graf hinzu: „Sobald 
ich das Zimmer betrat, fiel mir beim Anblick der 





r 
i 
rn u 201 . 


aufgeftellten Panther, Löwen und Tiger, ſogleich 
die Prophezeihung ber Wahrfagerin ein. Wie ich 
nun Sriedbert in den Armen bed Gerippes fah, 
erriethich fogleich den Zufammenhang, und ſchloß 
auch gleich mit Zuverficht, "Gott. würds der Hblle 
nicht den Sieg davon tragen laffen. Der wegge⸗ 
ſchleuderte Dolch, den gewiß — nicht gut⸗ 
willig hergegeben hatte, beſtaͤrkte ich in der Ge⸗ 
wißheit. Laura'sSelbſtverwundung mit ihrem eige⸗ 
nen Dolche, wodurch die Prophezeihung ganz erfuͤllt 
wurde, unterbrach zwar mein Gebet zum Himmel 
um Rettung unſers Freundes. Inzwiſchen hatte die 
heilbringe nde Kreuzesgeſtalt ſchon den Tod bes 
zwungen 5 um fo freudiger ærgriff ich fie, feſt übers 
zeugt, fie nun auch hier über die Hoͤlle den 
Sieg davon tragen zu ſehen. Und. der Herr ließ 
mein Hoffen nicht zu Schanden werden !’'. „Ach 
Albufar — rief Benedetto, ſich in des Freundes 
Arme werfend — ich mar verloren, aber dein 
Glaube hat. mir geholfen!” 





armeißer Ehrenfried 
- und. 
‚feine Samitie. 
B i m. B . 
iM Fougaki co. 











„Sätese die Hausthuͤr zu, Nargrethchen,“ 

fagte der alte Großvater, „und ſchieb auch den 

Niegel recht· fötgfanr vor. Die Herren Studen⸗ 

ten wolfen heut' Nacht ein groß Jubiliren auf 

ben Straßen 'halten, wie mir der Nachbar 

Schwertfeget erzähle, hat, und da ft es denn 

für unfern einfamen Haushalt "Yumal da wir 

im Erdgefhoß wohnen, am beften, daß man 

ſich etwas forgfältig verwahrt. Ich will derweil 

D auch die Zenfterladen zumachen; +6 iſt ſchon 

ganz dunkel geworden, und wir müffen ja of 
nehin. Licht anſtecken.! 

„Wie ſoll denn aber unfer alter Miethsmann 

bereintommen , lieber Großvater?” fragte das klei⸗ 

» Madchen· „Ihr wißt ja, der iſt noch draußen 


goꝛ 
im Fichtenduſch and rumort i denal ten Heiden⸗ 
graͤbern herum.” 

„Laß ihn rumoren, Kind, "fo lang er will. 
Wir können’d nicht hindern: Dafür fann er 
ſich's denn gefallen laffen, ein Bischen vor ber 
Thuͤre gu warten. Mir if fein Treiben ohnehin 


.. nicht recht, und mich reut ed, daß ich‘ bei des 


Hauſes Urbernahme dem verin Profeffor vers 
ſprach, den wunderlichen Drierpömann nicht aus⸗ 
zutreiben!“ 


„J Großvater ‚ dem armen Herrn Profeffor 


ward es ohr.: ehin fauer genug, fein ſchoͤnes an⸗ 
geerbtes Haus mit dem Rüden anzufehn, und 
ich bin den fhlimmen Glaͤubigern, die ihn ‚dazu 
brängten, recht aram. Der Herr Profeffor ficht 
immer PA hold und. freundlich aus ,auch gar 
nicht ſo alt wie die andern Herren Profeſſoren, 
und weiß viele herrliche Geſchichten aus der ver⸗ 
gangenen Zeit, wobei einem wog! ‚manchmal, die 
Haare ein bischen zu Berge ftehn, aber es hört 
fi) doch fehr huͤbſch zu. Und, der wunderliche 
Miethsmann ift im Grunde wohl auch fo gar 
übel nicht, ald er mir bisweilen norkommt, 


„Mag ſeyn, Kind, aber ich hatte in mei⸗ 
nem Baterhauſe bleiben ſollen. Wenn ich dran 
vorbeigehe,; wird mir noch immer recht wehmuͤ⸗ 
thig um's Herz. Es war viel huͤbſcher dort.” 





P_ 


205 
ind: doch gen Ihr damals pie dfter 


als jetzt.“ 


„Wie du's verſtehſt, Dargrethähen! Nun, | 
ich hab's dem ‚aulen ‚Heren Profeffor zu Gefal⸗ 
Jen gethan. Ünd hätt’ er nur hier wohnen bier | 
ben wollen! Allenfaſls auch ohne Miethzins! 
Aber. davon war ja gar nicht mit ibm zu pre 
den. _ Nun jeht, mein liebes Kind, vor allen 
Dingen, geh’ und mache die Hausthuͤr zu.‘ 

Das artige Margrethchen that nach ˖ des Groß: 
vaters Befehl. Dreimal drehte ſie den Sdluͤſſel 
im: ‚Schloß um‘, ſchob noch zuͤletzt recht ſorgſam 
den eifernen Riegel vor, und nun faßen bie 


zwei recht heimlich und behaglich in dem ſtillen, 


Fanfterhellten Stuͤbchen beiſammen. 
„Sol ich dit nun vorleſen, Großbaͤterchen! 
fragte das Kind. Der freundliche Alte nidte 
böahens ,. indem er aus einer Schublade Blei 
ſtift, Lineal und Papier hervorſuchte, um, wie 
er wohl um dieſe Stunde pflegte , Zeichnungen 
zu entwerfen, die er dann ald Altmeiſter bes 
Tiſchlergewerks den jüngern Runftgenoffen zur 
Ausführung vertheilte. Deswegen hielt er auch 
gar’Feine Gefellen mehr, fondern lebte ganz ab⸗ 
gefondert, gepflegt von einer einzigen Magd und 
feinem frommen Enteltöchterchen. 
Das liebe Kind hatte ben großen, in Per 
gawent Funflreich eingebundenen Folianten her 








205 


beigeſchleppt, und las, dem Großvater gegenaher 
fitzend, folgendergeflalt: 

„Es hat ſich auch einſtmalen zugetragen, 
daß in der Seeſtadt Venezia - ein“ Gondolier 
(man nennet daſelbſt die Leute alſo, die‘, wes 
gen Ermanglung "ordentlicher SMiaflerfiraßen 
und demgemäßen Fuhrwerks, in ſchwarzbehan⸗ 
genen Kaͤhnen fürkohn auf den Waſſerkanaͤlen 
bin und her kutſchieren) einen fremden Ruder⸗ 
knecht angenommen hat, von gar ungewöhnlis 
cher Größe und Stärke. Wußte auch weber ber 
Gondolier, noch fonft Jemand anzugeben, woher 
denn felbiger Burfih eigentlich gefommen, und 
aus weldjen Provinzien er bürtig fe. Es has 
ben einige Gelehrte bekaupten wollen, diefer Rus 
derknecht, der gar nicht zu ſprechen, wohl aber eis 
nen guten Zrunf zu thun und höflich zu grüßen 
wußte, fei in ber That nichts anderd, als ein 
verhextes Thier, welchem ein. wunderfamlicher 
Zaubermeifter die Denfchengeflalt angezogen has 
be, und flamme «6 aus dem rieſenſtarken Ge⸗ 
ſchlechte der großen Elephanten her.“ | 

‚Dem fei, wie ibm wolle : der Gondolier 
war mit feinem Nubderfnechte zufrieden, als 
welcher zwar ausnehmend viel Zranf und 
Speife zu fih nahm, aber auch auönchmend 
viel Arbeit Teiftete, und über deffen Herkunft 
zerdrach er fi den Kopf weiter nicht, ſon⸗ 





[02 


dern. ach die Selehrten deshalben nach ibtew 
Belieben ſtreiten.“ 

„Da hat er aber nicht gut dran gethan, 
denn ein ehrbarer chriſtlichet Hausvater ſoll 
keinen Dienſtboten annehmen, als deſſen Glau⸗ 
ken, Herkommen und bisherigen Lebenswandel 
er geziemend kennt, ſintemal er ja doch immer 
Gott und den Menſchen für ſeines Geſindes Aufs 
führung mitverantwortlich bleibt." . | 

Der Alte feufzte, aus tiefem Herzen, und lic 
fein- ehrwürdig weißed Haupt in die vorgeflügte- 
Hand ſinken. Margrethchen hielt inne und fah 
ihn befiemder an. Da ermannte er ſich, und 
ſagte, iäcdhelnd wigber emporgerichtet: „Lied du 
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichts. Sch dachte 
nur, wie eb hätte weit. beffer Fommen müffen, 
wenn ich —.lied du nur weiter, Kind.” Mars 
grethchen fuhr fort. 

nDa bat denn inſtmalen ein beruͤhmter 
Schwarzkuͤnſtler ſich beigehen laſſen, ben Gondo⸗ 

lier um drei tuͤchtige Ruderknechte zu bitten, für 
eine ſeht Tange und eilige Fahrt bei Nacht, und 
bat der Gondolier am beften zu thun vermeint, 
wenn er ihm ben ſtummen Trinker zutheile, alt 
welcher für fechfe gu rudern vermochte. Anfaͤng⸗ 
llich ift auch die Fahrt seht gut gegangen. Aber um 
. Mitternacht hat man ein fuͤrchterliches Geheul in 
den Waſſerſtraßen vernommen, und. haben viele 





207° 


Menſchen darin: die Stimme bed Schwarzkünfts 
lers gu erfennen vermeint. Auch find einige drei⸗ 
fle junge Leute mit Fackeln und- Waffen ‚hergugen 
laufen. Die fahen noch eben wie der gewaluͤge 
Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗ 
delſchiffleins ſtand, und es immer tiefer in das 
Waſſer hinunterfiampfte ‚wobei er mit dem fleis 
nen Schwarzkuͤnſtler Ball ſpielte, daß dem der 
Kopf darüber vom Rumpfe flog. ‚Endlich vers 
ſank der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein 
tief unter die Fluth. ‘ 

„Am andern Morgen bat man den ganz zer⸗ 
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen 
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗ 
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗ 
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗ 


traͤnkter Elephant gefunden. Wußte fein Menſch, 
. woher foldy fremdes Thier gefommen war. . 


„Iſt alfo wohlanzunchmen, daß der Schwarr⸗ 
kuͤnſtler das ungeheure Geſchoͤpf zu Ausfuͤhrung 
irgend einer ſchlimmen That in Menſchenbildung 
verzaubertund nach Venezia gefchaffthabe. Iſt 
‚ihm aber auch auf basmal verunglüdt, ba er 
vielleicht Zeit und Stunde und Conſtellation mag 
außer Acht gelaſſen haben; ‚oder auch wohl von 
den böfen Geiftern verblendet wordenift, baß er 
| bein Einfleigen in die Gondel den Verhexten gar 


\ nicht wiebererfannte ; wie es denn gewöpniig mis. 





266 


dern. ſteß die Gelehrten deshalben nach ihrem 
Belieben: ſtreiten.“ | 

„Da hat er aber nicht gut dran gethan, 

denn ein ehrbarer chriſtlicher Hausvater ſoll 
keinen Dienſtboten annehmen, als deſſen Glau⸗ 

ken, Herkommen und bisherigen Lebenswandel 
er geziemend kennt, ſintemal er ja doch immer 
Gott und den Menſchen fuͤr ſeines Geſindes Auf⸗ 
führung mitverantwortlich bleibt.“ 

De Alte ſeufzte, aus tiefem Herzen, und ließ 
ſein ehrwuͤrdig weißes Haupt in die vorgeſtuͤtzte 
Hand ſinken. Margrethchen hielt inne und ſah 
ihn befremdet an. Da ermanute er ſich, und 
ſagte, laͤchelnd wieder emporgerichtet: „lies du 
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichts. Ich dachte 
nur, wie es hätte weit. beſſer Yommen muͤſſen, 
wenn ih — lies du nurweiter, Kind.” Mars 
grethchen fuhr fort. ü | 

„Da hat denn einfimalen ein berühmter 
Schwarzkuͤnſtler fich beigehen laffen, den Gondo⸗ 

' Her um drei tüchtige Ruderknechte zu bitten, für 
eine fehr lange und eilige Fahrt bei Nacht, und 
bat der Gondolier am beften zu thun vermeint, 

‚wenn er ihm den ſtummen Zrinfer zutheile, als 
welcher für fechfe zu rudern vermochte. Anfängs | 

llich iſt auch die Fahrt recht gut gegangen. Über um 

. Mitternacht hat man ein fürchterliche® Geheul in 
den Waſſerſtraßen vernommen, und haben viele 





807" 
Menſchen darin.die Stimme bed Schwarzkuͤnſt⸗ 
lers gu erkennen vermeint. Auch find einige dreis 
ſte junge Leute mit Sadeln und Waffen herzugen 
laufen. Die ſahen noch eben, wie ber gewaltige 


Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗ 


beifchiffleind ftand, und es immer. tiefer in das 
Waſſer Hinunterflampfte, wobei er mit. dem Fleis 
nen Schwarz kuͤnſtler Ball fpielte, daß dem ber 
Kopf darüber vom Rumpfe flog. Endlich ver⸗ 
ſank der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein 
tief unter die Fluth.“ | 

„Am andern Morgen hat man den ganz zer⸗ 
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen 
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗ 
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗ 
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗ 
traͤnkter Elephant gefunden. Wußte fein Menſch, 
. woher ſolch fremdes Thier gekommen war.“ 
„Iſt alſo wohl anzunehmen, daß der Schwarze 
fünftier das ungeheure Geſchoͤpf zu Ausführung, 
irgend einer ſchlimmen That in Menfchenbildung 
verzaubert und nad) Venezia gefchafft habe. Iſt 
ihm aber auch auf dasmal verunglüdt, ba er 
vielleicht Zeit und Stunde und Conftelation mag 
außer Acht gelaſſen haben; oder auch wohl von 
den böfen Geiſtern verblendet worden iſt, daß er 
beim Einſteigen in die Gondel den Verbexten gar 
J nicht wiebererfannte ; wie ed denn gewoͤhnlich mis. 


206 


den. ſteß die Gelehrten deshalben nach ibrew 
Belieben ſtreiten.“ | 
„Da: hat. er aber nicht gut dran gethan, 
‚denn ein ehrbarer chriſtlicher Hausvater foll 
feinen Dienftboten annehmen , ald deſſen Glaus 
hen, Herkommen und biöherigen Lebenswandel 
er geziemend Fennt, fintemaler ja doch immer 
Gott und den Menfchen für feined Gefindes Auf: 
führung mitverantwortlich.bleibt.‘' . 
Der Alte feufzte, aus tiefem Herzen, und ließ 
fein- ehrwürdig weißes Haupt in die vorgeflüßte - 
Hand finten. Margrethchen hielt inne und fah 
ihn befremdet an. Da ermannte er ſich, und 
ſagte, iächeind wieder emporgerichtet s „lies du 
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichtd. Ich dachte 
nur, wie ed. hätte weit beffer Yommen müffen, 
wenn ih — lies du nur weiter, Kind.’ Mars 
grethchen fuhr fort. 
„Da bat denn einſtmalen ein beruͤhmter 
Schwarzkuͤnſtler ſich beigehen laſſen, den Gondo⸗ 


llier um drei tuͤchtige Ruderknechte zu bitten, für 


eine fehr lange und eilige Fahrt bei Nacht, und 
bat der Gondolier am beſten zu thun vermeint, 

- wenn er ihm den ſtummen Trinker zutheile, als 
welcher für ſechſe zu rudern vermochte. Anfänge 
llich ift auch die Fahrt recht gut gegangen. Uber um 


Mitternacht hat man ein fürchterliched Geheul in 


den Waſſerſtraßen vernommen, und haben viele 





307 " 


Menſchen darin die Stimme des Schwarzkuͤnſt⸗ 
lers zu erkennen vermeint. Auch ſind einige drei⸗ 
ſte junge Leute mit Fackeln und Waffen herzuge⸗ 
laufen. Die fahen noch sben ‚wie ber gewalttge 
Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗ 
delſchiffleins fand, und es immer. tiefer in das 
Waſſer hinunterfiampfte, mobei ermit. dem klei⸗ 
nen Schwarzkuͤnſtler X Ball fpielte, daß dem ber 
Kopf darüber vom Rumpfe flog. ‚Endlich vers 
. fan? der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein 
tief unter die Fluth.“ 

„Am andern Morgen bat man.ben ganz zer⸗ 
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen 
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗ 
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗ 
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗ 
traͤnkter Elfphant gefunden. Wußte kein Menſch, 
woher ſolch fremdes Thier gekommen war.“ 
„Iſt alſo wohl anzunehmen, daß der Schwarze 
fünftler dad ungeheure Geſchoͤpf zu Ausführung, 
irgend einer ſchlimmen That in Dienfchenbilbung 
verzaubert und nad) Venezia geſchafft habe. Iſt 
ihm aber auch auf dasmal verunglüdt, da er 

vielleicht Zeit und Stunde und Conſtellation mag 
außer Acht gelaffen haben; oder auch wohl von: 
den Köfen Geiftern verblendet worden ift, daß er 
. beim Einfteigen in die Gondel den Verhexten gar 
“ nicht wiebererfannte ; wie ed denn gewoͤhnlich mit 





[4 


200 


derglelchen fofen Künffen auf ähnliche Manier zu 
“enden pflegt. Einige wollten wiffen, der Magier 


* habe fich felbft die unfcheinbare Geſtalt, in welcher 
* er Fein und aͤltlich einherging , durch feine Kunſt 


nur ſo umgegeben, fei aber eigentlich ein wunder⸗ 

ſchoͤner Züngling gewefen, und in die Gemahlin 
5 des venezianiſchen Herzogs, welchen ſie daſelbſt 
Doge heißen, , fehr verliebt. Da hat denn woßl 
der Elephantenknecht zu einer Entfuͤhrung helfen 
ſollen, oder gar zu einer Umwaͤlzung der ganzen 
Stadt und des ſaͤmmtlichen freien Herzogthumes 
oder Republik. Iſt aber, wie oberzaͤhlt durch 

bes Nigromanten eigne Unvorſichtigkeit vor das⸗ 
mal unterblieben.? © 

„Woraus zu lernen — 

Margrethchen ward ud ein wuͤſtes Gelärm 
huf der Straße am Meiterlefen gehindert. Sie 
blickte ängftiich nad) den Senftern, und Rüfterte 
endlich: 

„Ad Großväterchen, aber die Herren Gtu 
denten find doch auch heute gar zu ausnehmend 
ſehr luſtig !“ 

„Iſt nun einmal ihre Art ſo, laͤchelte der 
Freundliche Greis. Und Art laßt'nicht von Art, 


— 


wie man ſchon im Sprichwort zu ſagen pflegt. 
Laß dich's ſo wenig irren, als dag Saufeneined 
Fruͤhlingsſturmes, und bleibe nur ungeflbrt am 


- %efen, mein liebes Kindchen.“ 








| 209 

Margyreiha ſchickte ſich an, nach den Worten 
ihres Großvaters zu thun; da donnerten aber 
ploͤtzlich drei fo gewaltige Schläge gegen den Fen⸗ 
ſterladen, duß ſie ihr ſchoͤnes, altes Buch wei⸗ 
nenb“ aus den Händchen finken ließ, und das 
bleichwerbende Geſichtlein in die Kuͤſſen des ge⸗ 
polſterten Stuhles verbarg. 

Nicht fo der ehrbare Altmeiſter. Gehen das 
Senfter vorfchreitend, fagte er mit aller kuͤhnen 
Gewalt feiner. bei früher Jugendzeit im Krieges 
dienfte geübten Stimme: 

„Wer hat hier einen freien Yürger zu tur⸗ 
biren in feinem eignen Haufe? Rede ber frevels 
hafte Menſch draußen und nenne mir feinen 
Namen, falld er in der That fo dreiſt ift, role 
er ſich anzuſtellen beliebt ! Was diefed Haus 
betrifft, fo wohnt bier drinnen der Altmeifter 
des hiefigen achtbaren Tiſchlergewerks, mit Nas 
men Philibert Ehrenfried !’‘ 

Fin leiſes, angftvolled Gewinfel Tieß ſich 
draußen vernehmen, auf recht feltfame Weife 
durch das Toſen des Studentenjubels dringend, 
und, mit leſemn nach und nach im weitern Fort⸗ 
siehn verhallend. 

„Was war das?“ ſagten Großvater und En⸗ 
kelin, und blickten einander ſtaunend an. 





Geſoenſterbuch 7. Cheil O 


‚210 


Die Studenten. hatten fich nach dem Marke 
hingemacht, wo fie einen großen Kreis bildeten, 
mit Fackeln wild in die Luft ſchlagend, und dit 
langen, gezuͤckten Hieber auf den Steinen wegen. 
Es follte unterſchiedlichen Profeſſoren ein Peteut 
gebracht werden, gorzüglich dem, von welden 
Margrethchen vorhin mit fo vieler Liebe gefpte 
hen hatte. Er pflegte nämlich zwar fehr freund: 
lich mit den Studenten umzugehn, oft aberihtt 
Wildheiten und rohen Streiche "auf eine ſe 
witzig fcharfe und zugleich fo tief ernſte Weil 

zu ſchelten, daß fie nicht mußten, wo fie hin 
fehn follten. Nun hofften fie ihn von diem 
laͤſtigen Genformat für immer, fortzufchreden, und 
waren befonderd dazu aufgehegt durch einen fram 
den Studenten, Namens Marcellin, der ft 
einigen Wochen als Neifender hier lebie, un 
dem. ganzen wilden Schwarme fehr theuer gewor⸗ 
den war, durch die Kühnheit und nicht anmuth 
loſe Kraft, mit welcher er, obgleich laͤngſt üb 
die gewöhnlichen Studentenjahre hinaus, tolt 
Dinge begann und durchſetzte; zugleich auch hegie 
Jedermann vor feinen nicht germeinen Geifleög 
ben und Kenntniffen Achtung. Gegen ben Pin 
feſſor Nordenholm (ſo hieß. Margrethcheri 
Schuͤtzling) ſchien er von Anfang her einen bs 
fondern Widerwillen zu empfinden. Er fonntt 
ihn Faum nennen hören, war nie dahin zubrin 


gıt 


gen, daß er ihm einen Beſuch abgeſtattet haͤtte, 
wie allen übrigen Profefforen, und freute fi 
ganz unaudfprechlidy und uͤberlaut, ald er diefen 
Zug wider den ihm Berhaßten im Gange fah. 

Nun aber fland das ganze wilde Juͤngling⸗ 
Heer vor Nordenholms jekiger Wohnung, und 
Lange vergeblich riefen bennoch Hundert Stimmen 3 
„Marcelin ! Marcellin !'’ 

Marcellin war weder zu hören noch zu fehn. 

- Endlih Fam er ganz bleich und athemlos, 
mühfem auf feinen Hieber fich ſtuͤtzend, aus dem 
Hanfen Hervorgefchlichen. Die Senioren der Landes 
mannfdhaften traten flaunend und fragend aufihn 
zu; wunderlich zuckten die Fackellichter über fein 
blaffed , entſtelltes Schicht. 

„Iſt da6 auch wohl Sitte und Recht 7 fuhr 
er die ihn Begrüßenden zornig an. „Hetzt Ihr 
mich⸗ da ganz verrüdterweife an das Haus eine 
alten wunderlichen Tiſchleraltmeiſters, — ich mag 
ibn gar nicht einmal bei Namen nennen, — und 
bildet mir ein, daß fei die angeerbte Wohnung des 
widerwärtigen Profeffor Nordenholm!“ 

„Run freilich hat der Altmeiſter feinen Gig 
in Nordenholms apgeerbtem Hauſe;“ ſprach einer 
der Juͤnglinge unzufrieden zuruͤck. „Aber wer hat 
denn dich — wie du dich auszudruͤcken beliebſt — 
dort hin gehetzt ? Und wie weißt du denn uͤberhaupt 
etwas von Nordenholms Erhwohnung, du, der 

2 


J 


212 


ja viemals das mindeſte von ihm hören wollte, 
und der du vorgabſt, Dich durchaus nicht um ihm 
zu befümmern. Das kommt mir denn doch es 
was fonderbar vor!“ 

Marcellind Studentenehre fand fi) durch den 
Augdruck: „ſonderbar“ auf eine ernſte Weife 
verlegt ; überhaupt antwortete er fo wild und 
verworren, daß man immer tieferin das begins 
nende Gezaͤnk hineingerieth, und nicht lange, fo 
hatte er in feinem Ingrimm zwei Senioren der 
Landemannf&aften auf morgen zum Zweifampf 
gefordert. Darüber ging aber endlich die ganze 
Verſammlung im entzweiten Zumuftuiren ausein⸗ 
ander, ohne baßirgend aus einem früher befchloßs 
nen Pereat etwas geworden wäre. Nordenholm 
f&aute ihnen aus feinen mit alten Büchern halb 
zugefegten Fenſtern im. erniten wehmuthövollen 
Lächeln nach, ſich an einen ähnlichen Aufzug 
erinnernd, nach welchem vor Jahren ihn feined 
Erdenlebens liebſte Freude verlaffen hatte. 





Der Ultmeifter und Margrethchen hatten 
derweil noch lange ſiill und nachdenklich dage · 
ſeſſen. 

Lies heut nicht fuͤrder, Kind, ſagte endlich der 
Greis. Die Nadıt fheint fo wild hereinzu 
"brechen, und auch die Befdichte war mir übe 
"alle Maßen wunderlich. Der weiß, es fonnım 


215 


wohl noch. sollere Hiftorien nachkommen. Nuͤcke 
du lieber dein Spinnrädchen an den Tiſch, und 
wenn bir etwa eind deiner huͤbſchen Lieder dabei 
einfällt, fo fing’ es mir von.” 

Margrethchen nickte freundlich bejahend, und 
hub recht emfig zu ſpinnen an, aber ein Lied⸗ 
chen wollte nun einmal nicht aus dem erfchredis 
ten Heinen Herzen heraus; vielmehr, war ihr zu 
Muth — obgleich auf der Straße ſchon wieder 
die gewohnte ruhige Stille herrſchte, als müffe 
dieſer Abend noch einen recht feltfamen Graus 
beraufführen. x 

Und fie ſchien nicht unrecht geahnet zu haben. 

Denn mit ſchweren Tritten über ihnen ging 
es auf und nieder, in derfelben Kammer, die 
der noch nicht Heimgefehrte alte Miethsmann 
inne batte, und zu deren wunderlichen Innern 
er den einzigen Schliifel beftändig bei fich trug. 
Dazwiſchen hörte man ein grauenvolled Aechzen 
berunterhallen, mie aus todtmäder und furchtbar 
seängfteter Menſchenbruſt. Margrethchen dew 
tete nur ſtillſchweigend dahinauf; der ehrbare 
Altmeifter nahm feinen alten Pallaſch von ber 
Wand, betete einige Augenblicke fill, und ging 
dann nach der Thuͤre. . 

„Ach Großvater, lieber Großvater, nehmt 
mich doch mir!” weinte Margrethchen. „Was 
auch immer pben los feyn mag, es Fann doch 


214 


nichts ſo⸗entſetzliches ſeyn, als ich mir einbilde, 
wenn. ich hier. im ber Stube allein bleibe mit 
meinen ‚graulicdhen Gedanken. D, ich bitte Euch 
"am Alles, nehmt mich mit!" ;® 
Und nach einigem Veſinnen, während beffen 
der Altmeiſter die Laterne in gehörige Ordnung 
gebradyt und dad. anbre Licht geldſcht hatte, 
winkte er dem aͤngſtlichen Kinde bejahend. zu, 
und Teuchtete.ihr voram ie aber hielt ſich mit 
beiden Händchen aus angefirengsefler Kroft an 
feinem Kieide feft. 
Immer deutlicher, wie fie über den großen, 
hallenden Hausflur gingen, bie fleinerne, enge 


Wendeltreppe hina uf, hoͤrten fie im Zimmer des 


ubweſenden Miethsmannes jenes feltfame Schrei⸗ 

ten und Aechzen. Nun ſtanden ſie vor der Thuͤr; 

durch das Schiuſſelloch blitzte ihnen Licht ent⸗ 

æesen 

„In Gottes Namen, rief Attmeifter Eh 
renfried, „wer treibt fein Wefen dabrinnen , und 

was hat er dafelbft zu fchaffen 2’ 

Wird flog urplöglic die Thüre auf, und: 
buſſah! halloh! Wer ftöre, wer erſchreckt mich 7" 
Yeulte ed von drinnen heraus, fo abfcheulich toll, 
daß Altmeifter Ehrenfried unwillkuͤhrlich einen 


Schritt zuruͤckſchwankte, und das Rind ſich Fniend | 


and leiſe wimmernd hinter ihm verbarg. 
In Mitten der Kammer ſtand, mit einem 


215 


blutrothen Mantel angerhan der fremde Mieths⸗ 
mann, und zitterte gleichfalls heftig. 
Nach einigem Schweigen fagte er mit hohler 
Stimme?! on 
„Nehmt doch Euern Diethzins für dies halbe 
Jaht. Da liegt er ja auf dem Tiſche. Nehmt . 
doch hin. Er war Euch ja fehon in voriger Mode 
verfallen.“ in 
„Darauf kommt's mir ‚heute nicht eben ‚an ;'' 
entgegnete der Altmeifter, mit wieder vollfommen 
gefegter und -fichrer Stimme. . „Aber wiffen will 
und muß Id, was Ihr fo grauenvoll bier ftöhnt 
und Achzt, und auf welchen Wegen Ihr in mein 
feſtverſchloßnes Haus heimgefommen feid. 
„Was ich ftöhne? Was ich achze ? feufzte 
Halb und Tachte halb der unwillige Miethsmann 
zuruͤck. ei, bas haben ja fogarbdie ſpukenden 
Bilder am Hochgericht frei; warum nicht Jemand, 
der feine Miethe ordentlich "und uͤberreichlich bes 
zahlt? — Wie id) pereingefommen pin? Hm! 
Was dad nur für Neden find !— dumme, tolle, 
ganz ungehdrige Reden ! Stand ja die Hausthuͤr 
fperrangelweit offen, als ich Fam. Ich wenig, 
flens, — auf Ehre kann ichs Euch verfihern, — 
ich wenigftend hab’ es nicht andere vermerkt,‘ 
„Nun denn, fagte Meifter Ehrenfried gelafs 
fen, fo muß ich Euch gar ernfllich bitten, noch 
morgenden Tages auszuziehn, denn ſolche Mieihs⸗ 





216 


feute , denen feftwerfchloffene Ihüren vorkommen, 
wie fperrangefweit: offne, leid' ih nun einmal in 
meinem Haufe nicht.“ u 

„Das wird denn doch noch einigermaßen brauf 
anfohnmen ;'' lachte ber Freinde hoͤhniſch zuruͤck,“ 
wegen des Auszichend, mein' ich. Ihr wißt, da 
habt Ihr Euch dem ehemaligen Hausherrn eben fo 
gut als mir drum verpflichtet. Fuͤr jetzt ſayd nur 
ſe o gut oder fo Flug ‚und nehmt einſtweilen den ver⸗ 
fallenen Miethzins hin.“ 


Seitwaͤrts nach dem auf ein Tiſchlein hinge⸗ 
zaͤhlten Golde blickend, ſagte der Altmeiſter: 


„Vor der Hand‘ mag ich gar nichts von Euch.“ 
Neberdem ſehe ich, daß Ihr ſchon wieder ſo kurioſe 
uralte Dublonen bringt, mit dem Namen Venezia, 

und ich weiß nicht welcher verfcholßnen Jahreszahl 

brauf. Und ich hab’ Euch ſchon vorigesmal geſagt, 

daß ich kein Wechsler bin, und mit den ſeltſamen, 
außer Cours gekommenen Münzen nichts zu ſchaf⸗ 
fen haben will, ftände. auch zehnfach dabei zu 
gewinnen,“ 

„Es find dießmal Feine venezianiſche Dublo⸗ 
nen;“ lachte der Fremde hohl. „Altſaͤchſiſche 
GSolbmuͤnzen ſind es, wie ſie Eure Vaͤter ſchon 
vor tauſend Jahren gekannt haben. Und kennt 
Ihr thörichtes Volk fie jetzt nicht mehr, fo mag 
ber vorige Hausherr, der wunderliche, ſuperkluge 


n % 


217 


Nordenholm, , für das Auswechfeln forgen. mie 
aber laßt in Frieden, oder nehmt was Euer iſt!“ 
Und da ſich Altmeiſter Ehrenfried unwillig 
zum Fortgehn wandte, ſchlug der truͤbe Mieihs⸗ 
mann ſeine Thuͤre ſo heftig zu, daß vor ihrem 
Zugwinde ſelbſt das Lichtlein in der Laterne ver⸗ 
loſch. Langſam und grauend tappten Großvater 
‚und Enkelin die Treppe hinab, durch die hallende 
Hausflur zuruͤck, und wurden erſt einigermaßen 
wieder friſch und froh, als ſie in dem trauten 
Stuͤblein dad Licht zum Brennen,gebradzt hatten. 
Da aber ſchellte Altueiſter Ehrenfried auch gleich 
recht gewaltig nach der Magd, und hieß ſie den 
Profeſſor Nordenholm alsbald zu ihm baſcheiden; 
und ob er auch ſchon zu Bette gegangen ſei, er 
muͤſſe wieder auf, und wegen einer hochwichtigen 
Angelegenheit noch in dieſer Stunde zu ihm ber. 





Sehr bleich und beflürzt trat nach kurzer Friſt 
der Profeffor in dad Gemach. „Ihr laßt mid) 
wegen ded Miethsmannes rufen? Nicht wahr ?’’ 
fagte er mit Teifer Stimme. „Ach Gott, ich 
konnt' ed wohl denken! Aber fchidt Margreth⸗ 
‚hen zu Bett. Ich hab’ Euch viel und ſeltſames 
‚zu fagen, und unfre Berathung möchte weit bis 
über Mitternacht hinaus dauern.“ 

Der Ultmeifter winkte hejahend, und gebot 
der Magd, dad Kind zur Ruhe zu bringen. 


218 — 


Wohl fahe Margretfichen ein wenig Angflfich aus, 
aber überfegend, dafl zu ihrem Schuge der wackre 
fromme Großvater wach Bleibe und ber gute 


Herr Profeſſor, gedachte fie ſelbſt, es fei am 


beſten, den wilden Schreden zu verfchlafen, und 
fagte beiden Männern eine freundliche gute Nacht. 
Auch fchlief fie, nach einem: herzigen Gebetleim, 
‚ flugd und fröhfich ein, und der Graus Batte 
fürder- in diefer Nacht über dad fromme, liebe 
Kind alle Gewalt verloren. 

Nordenholm und der alte Chrenfried hatten 
fich ındeß- ernſt und feierlich einander gegenüber 
an den zunden Tifch defekt, und Jener hub nad 
einem ˖ tieffinnigen Schweigen folgendergeftalt zu 


reden anf en. 


„Ih muß Euch zufoͤrderſt an einen großen 
Samen, erinnern, Tieber-Aftwieifler, und zugleich 
an die einzige Stelle Eures ehrſamen Lebens, 
die es Euch gefiel, mit tinem undurchdtinglichen 
Dunkel zu bedecken, aber — es gebt nun ein⸗ 
mal nicht anders! — Ich liebte Eure ſeit zehn 
Jahren verſchwundene Tochter, und es war auch 
eine Zeit, wo fie meine Neigung, wenn nicht 
erwiderte, doch ihr mit ſchüldlofer Milde und 
Sreunblichfeit begegnete. Das Verſchwinden ber 
bolden Jungfrau, mir über Alles fchmerzhaft, 
blieb mir fo unerfiärbar, ald vermuthlich Euch.” 

Der Alte winkte ibm gu ſchweigen, und 


219 


fchien innerlich mit fich zu —* se gehu. Ends 
lich. fadte er: 

„Mir ift jene furchtbere Vegebenheit nicht 
ganz fo unerflärlich, als Ihr denken moͤgt, lieber 
Herr, obgleich ſchmerzhafter, ald. fie irgend einem 
Menſchen auf Erden feyn kann. Wenn idy mir 
aber Allees überlege, — Euer. 'rechtliched Weſen 
Eure jekige Dffenheit, die treue Liebe, die Ihr 
für mein Enteltöchterchen bewahrt, und ded Kins 
des anmuthiges Vertrauen zu Euch, — ja, lieber 
Herr, auch ich bin Euch mein ganzes Vertrauen 
ſchuldig, und fo'vernehmt denn, was ich von mer 
ner unglüdlichen Tochter weiß.“ \ 

„Es mögen jetzt grade zwoͤlf Jahre verſloſſen 
ſeyn ‚oder etwas drüber, da fam in mein flilled 
Haus — ach, ich wohnte damals fo behaglich und 
Far mit meinem jungfräulichen Kinde! — Fam, 
fage ich, ein ſchoͤner junger Herr zu mir herein, 
und nachdem er alles in meiner Werfilätte recht 
genau befehn hatte, trug er fih mir zum Lehrburs 
ſchen an. Ihr koͤnnt denken, wie Id) das Anfangs 
ald einen höflichen Scherz erwiederte, nachher ald 
eine ungegogneBerhöhnung ernfihaftiglich von mir 
wieß. Uber ber junge Herr befland darauf, er 
treibe weber Scherz noch Verhoͤhnung, fordern 
finde nun einmal recht ernfihafte Luſt daran, das 
edle Zifchlerhandwerf yanz aus dem Grunde zu 
lernen, wozu es ihm bis jegt nur an einem gehö⸗ 





betrog?“ 


220 


eig ſinn⸗ und kunſtbegabten Meiſter gefehlt Habe. 
Der fer ihm nun in meiner. Perfon vorgekommen, 
and er werde nicht von mir wanken noch weichen, 
bis er all meined Willens und Koͤnnens theilhaftig 
worden ſei. Da ſprach mein thötigted Derze Ja, 
und meine Zunge ſprach ed nach... Und wußte id) 
Sach nicht einmal, wer der junge Herr eigentlich 
fei, und woher er fomme, und ob er irgend eine 
gültige Befcheinigung mit ſich führe. Aber wie 
eın Verherter nahm. ich ſchon greifender Thor den 


Mubekannten in meine ehrfame Werkſtatt, und 
. »annte ihn Auf fein Begehren Ludibert Wendel⸗ 


ſtern.“ 


„Ludibert! ſeufzte Nordenholm. Ach, in mei⸗ 
ner Geſchichte kommt auch ein Ludibert vor. Aber 
weiter, weiter, lieber Meiſter. War es denn der 
Ludibert, der Euch um Eure engelholde Tochter 


0 


„Kein andrer Menſch auf Erden!“ erwiederte 
finſter der Alte.“ Wohl ſtellte ſich der arge Ver⸗ 
führer gar fein und geſchickt zu meinem edlen 
Dandwerf an, baß ich noch nie einen Lehrling 
feined Gleichen gehabt hatte, wie er benn über 


haupt mit vielen und fchönen Talenten begabt 


war. Er ſchlug die Laute kunſtreich, und fang 
TWunderfüße Weifen dazu; er wußte das Raps 
pier old ein Meifter zu führen — 


291 
Nordenholm nickte ernſt bejahend. Der Alte 
fuhr fort, ohne es zu beachten: 
„Und in den Sreiftunden gab er all meinen 
Geſellen und’ Lehrburfchen in der edlen Fechts 
Funft Unterricht, welches mir, der ich felbft meine 


Waffe gut führe ald ehemaliger Soldat, und: 


ein Gleiches von jedem Ehrenmann gern fehe, 
audnehmende Freude machte. Dabei zeigte ber. 
Herr Urian in feinem ganzen Mandel nichts als 
Sittfichkeit und Anftand ;— Summa, er bethörte 
mich mit jedem Tage mehr, bid mir nach zwei 
Jahren din Augen erfchreclich aufgethan wurden, 
Grade hatten die Herren Studenten einen Umzug 
gehalten, wie heute Abend, und wer nicht zum 
Spätimbif Fam, und fich feitdem niemalen wies 
der fehn Ließ, war Ludibert Wendelflern. Am 
Morgen drauf fand Ich in meiner Tochter Agnes 
Stuͤbchen an ihrer State nichtd ald ein Papier 
mit die ſen Zeilen.‘ 

Er ftand auf, Öffnete ein wohlberſchloßnes 
Wandſchraͤnklein, und nahm zwei Briefe heraus, 
deren einen er dem Profeſſor hinreichte. Nor⸗ 
denholm, die Schriftzuͤge der Geliebten aus ein⸗ 
zelnen im halben Scherz geſchriebnen Blaͤttchen 
nur allzugut wiedererkennend, las unter Thraͤnen: 


„Mich ruft ein großes Gluͤck, herzlieber 


Bater, aber Ihr hättet nimmer drein gewil⸗ 


not. Lebt wohl, und beruhigt - ‚Ener liebes 








222 


— 


Herz. Sch Hoffe zuverſt htlich, ja ich weiß, 

daß wir einander unter taufendmal taufend 
. Steuden wiederfehn.‘‘ 
„Das ift denn nun freilich nicht wahr gewor⸗ 
den!‘ feufzte der Alte, und fuhr mit der Hand 
über die grauen Wimpern. „Sie hat «ed wohl 
gar zu gewiß zu wiſſen vermeint, und dad bringt 
gen Hoffnungen der armen Menfchenfinder Fein 
Gluͤck. Es iſt nur Eins gewiß, aber dab ift 
auch ganz gewiß, wofür der Herr geprjefen fei 
in Ewigkeit ! 

. Er nahm das Mügchen vom chrwuͤrdigen 
Haupte, hielt es zwiſchen den gefaltnen Haͤnden, 
und betete ſtill. 

Dann fagte er voll heitrer Erhebung: 

„Durch vier Sabre ſeitdem hate’ ich nichte 
von ihr vernommen, Da lag eines fhönen Mor 
gend Margrethchen, fauber in prächtige Windeln 
gewidelt in einem ſchmucken Körbchen ald ein 
armes Vierteljahrkindlein vor meiner Thür ; die 
ſes Brieflein dabei.‘ 

Dad lad er felbft mit fefler Stimme folgen 
dergeflalt: | 

„Ich bin vor Gott ehelih zufammenge 
geben durch geweihte Priefterhand mit meir 
nem geliebten Ludibert, und, Bater, bei 
allem was heilig iſt, die Kleine, bie ich Euch 
hier unter taufend TIhränen fende, iſt mein 





223 
ebrbar in ber Ehe gezeugtes Kind. Wenn 


Ihr mich nicht durch Euern Fluch verderben 


wollt für alle Zeit, fo bemeift mir Eure Huld 
damit, dad Ihr dad arme, liebe Kind aufs 
nehmt und quferzieht, bis ich komme, «es 
abzuhofen, denn noch muß fein Dafeyn ein 
Seheimniß bleiben. — Mein Gemahl hält 
mid in hohen Ehren und reichem Glanz, 
aber — ah glaubt es mir, herzlieber Bar 
ter! — mit flillen Sehnfuchtöthränen, und 
mit dem heißen Wunſch, Eure Schwelle recht 
bald wieder betreten zu dürfen denkt immers 
bar an Euch zurüd 
Eure Agnes.’ 
„Ss Tag,” fuhr der Alte fort, „an Gold. 
und Silber und Edelgeflein und andern Herrlichs 
feiten eine bedeutende Summe mit im Korb. Daß 
bab’ ich denn natuͤrlich fogleich hier in Sanct Urfus 
lafpital abgeliefert ald ein auswärtig frommes Ver⸗ 
maͤchtniß von unbefannter Hand. Aber Feinen 


Augenblick bedacht’ ich mich, auf mein Wort zw, 


erflären, meine Tochter fei in der Fremde verheis 
rathet, und die Kleine fei mein Enkelfind. Nun, 
Gottlob, die Stadt fegt ein hinlängliched Bers 
trauen in Ultmeifter Philibert Chrenfriede Rede; 
fo überlief mich denn auch niemand weiter mit 
unnügen Fragen. Und ſicherlich, eine Füge hat 
mein armes Agneschen nicht aufihred alten Dar 


‘ 


D 


224 


ters Seele geladen. Ich zog die Kleine nach beſtem 
MWiſſen und Gewiſſen auf, und dabei iſt es denn 


fo verdlieben unter Gottes Schutz und unerforſche⸗ 


lichem Rathſchluß bis auf den heutigen Bag.” 


Nordenholm faßte des Alten Hand, beugte 


ſich darüber, und weinte bitterlich. "Dann ſagte 
er nach einem langen Schweigen: 


„Ach lieber, guter Meiſter, Ihr leidet freilich 
wohl ſebr ſchwer, aber Ihr leidet beinahe ganz 


ſchuldlos, und eben deswegen freudig und ſtark. 
Und mit dem Schuldlosleiden, — o weh, da iſt 
es bei mir keinesweges klar! — Denn ob auch 


‚gleich zu Anfang nichts Arges auf meiner Seele 
lag, ſo daͤmmerte doch viel des Argen ſo nach und 


nach verdunkelnd in mich herein.“ 

„Das geſchah nämlich zuerſt bei jenem vor 
Euch vorhin erwähnten Zefte, wo ich noch ald ein 
fröhlicher Juͤngling — ach zweifach fröhfich, weil 
ich dazumal in großer Zuverficht auf Eurer holden 
Agned Liebe hoffte! — mit den andern Student 
in Reih' und Glied einherzog.” 

„Wir jubilirten nach gehaftnem Umgang in 
einem feſtlich geſchmuͤckten Saal ,. ba trat ein 
Verlarvoter in glänzender Tracht herein. Wir hatı 
fen ihn ſchon einigemal in unferm Zuge bemerkt, 
und meinten nicht anders, als daß ein kuſtiger 
Kamrad feinen Scherz mir und haben wolle. Jehf 
verbeugte fich der Unbefännte würdig und &rnil 











225 


' 
mit ſeht anmuthiger Stimme um die Erlaubnef 
bittend, der Gefellfehaft etwas vortra gen zu duͤr⸗ 
fen. Nah allgemeiner Bewilligung Hub.er.um, 
uns auf Ehre und Pflidyt zu befragen, abes redet 
fei, daß ein Beliebter die Kiebende:entführe, wenn 


er gedenke, fie. hinfort als feine getreue Hausfrau ' 


in hoben Ehren und Würden zu halten; fein. Stud 
aber und dad ihrige auf Feine andre Weiſe errets 
hen könne? — Er ſchwieg, und bie Stimmen 
für und wider tönten eifrig burcheinander hin, die 
mehrſten jedoch, vom froͤhlichen, uͤberdreiſten 
Jugend⸗ und Weinmuthe beflügelt, ſprachen ein 
keckes Ja, und ach, lieber Meiſter, auch ich 
gehoͤrte zu den Frevelnden! Ed war der erſle 
wahrhaft abſcheuliche Fehltritt meines Lebens, und 
nur vor einer halben Stunde ſagte mir Euer Mund, 
wie gewaltfam ich auch mein aͤußres Sail damit 
binunterreißen half !’ 

‚Erbargfan Antlitz indie Hände und ſchwies. 
Der alte Mann legte mit ſegnender Verzeihung 
feine ehrbare Rechte ihm auf's reuige Haupt. Da 
‚richtete ſich Nordenholm neu erftarkt wieder auf, 
und redete folgendergeflalt weiten: 

„Mic faßte im Augenblick jened unfeligen 
Ausſpruches ein wuͤſter Schreindel toller Rufligfeit, 
die gewiß vecht furchtbar gegen mein ehemaliges 
ſtilles Sadhlickfepu:nhfiuch. Ich ſelber Fam mir 


wild und feltfam und unheimlich vor, und ärzte 
Geſpenfterbuch 7. Theil, P 





226 


mich eben deſshalb nur immer tollet in alle Toll⸗ 
heit des Laͤrmens und. Zrinfend und rafenden 
Bingend hinein. Go hörte ich benn nur noch 
dumpf und wie von fern heräber, daßder Fremde 
fich beftrebte, mit zierlich edeln Worten muthige 
Genoffen zu werben für die Ausführung der nun 
beinah von Allen gebilligten That. Mein rohes 
Dazwiſchen jubeln fibrte ihn ; es fielen feiner s und 
meinerſeits beleidigende Worte. Da riß er die 
Larve ab, und ein ganz fremdes, aber wunder⸗ 
ſchoͤnes Juͤnglingsantlitz zuͤrnte mir entgegen. 
Mein Vorname iſt Ludibert, ſagte er, der Name 
meines Stammes fuͤrſtlich, aber ich habe nicht 
Luft, ihn ‚heute zu nennen. Genuͤge Euch da, 
und ſtellt Euch mir zum «hrbaren Kampf. — 
Schnell war Ulled geordnet, und ih, dei id 
mich für einen faft unbefiegbaren- Fechter gehal⸗ 
sen hatte, ſtuͤrzte gleich im erſten Wange vor 
der ungeheuern Uebermacht mrines Gegners blu⸗ 
tend und ſchnell bewußtlos zu Boden. Der Stoß 
ſaß tief in der Bruſt.“ J 
„Als ich — Wochen nachher — wieder zur 
vollen Beſinnung gelangte fummten finſtte Ges 
ruͤchte von ‚meiner angebeteten Agnes Verſchwin⸗ 
‚den in mein Ohr.n Jch Fonnte dad Wann und 
Wie nicht erfahren, und ftelfte Alles nur in ſoweit 
mit jener wilden Nacht zufamımen, als ich glardie, 


2 * 
x S 21 





22) 


Und bemüthig feine Blicke fenfend, ſprach 
Nordenholm leiſe: 

„Agnes erging ſich im Mondenlicht, pracht⸗ 
voll gefhmädt, gelehnt auf Lodiberts Arm. 
Noch hielt ich mein Antlitz lauſchend fern, daß 
der Spiegel: ed nicht aufnehmen konnte. Da 
tratet ploͤtzlich Ihr, Meifter , in den Garten, 
und aus dem Spiegel zuerſt nahm ih Eure juſt 
damald todtbleichen Züge wahr. Entfeßt, und 
fürchtend, auch Ihr möchtet Agnes "erblidten, 
ſtuͤrzte ich mich über da8 Glas, fahe mein eignes 
verzerrted Antlitz berausfeuchten ; und zerfchmers 
tere im: taufend Stüde fiel das Funftreiche Bl 
geug aus meiner bebenden Hand.“ 

„Ich weiß es noch, als wär es heute ;” 
ſagte der greife Ehrenfried. „Aber von all den 
Spiegelbildern ſah ich nichts, denn es ſchwebte 
mir ein Gewoͤll herzinniger Thränen vor den Augen. 
Ich tatte mich dazumal in Gotted Willen noch 
gar nicht gehbrig ergeben, Weinenb lag ich auf 
meinen Bette, da war's, als flüftre mir Einer 
ins Ohr? ‚‚madhe dich auf, im Nordenhotm’d 
Haufe weiß: Jemand was beine Tochter ‚Macht! 
Und ich folgte, and es war doch ohne Zweifel 
Fein guter Geiſt, ‘der mir fo etwas ſagte. Auch 
wie-ich:euch fo' erſchrecken fah, ging ich — Ihr 
wißt ja ſelbſt — aldöbald wieder ſchweigend 
auruͤck, und ſprach niemalen gu Euch davon. 


da 


226 


richte, Solch ein wunderſames Werkzeug berei⸗ 


tete ich wir mit unſaͤglicher Mühe and. übers 
ſchwaͤnglichen Koſten, und einſtmalen im Gärten 


dieſes Eures jetzigen, damals noch meines Hau⸗ 


ſes,begann ich —r.hel und golden war grade 


des. :Bollmand am ˖ Himmel: aufgezpgen "um. 


SH Uhr Ahjends mein verſchwiegnes Erpelinient. 
Daß .man.. au). meine Erfcheinung — dafern 
mern Bald. in: den Spiegel falle — von dem ferns 


fien Erdeeinkel her erblicken muͤſſe; war mir wohl 


bekannt, aber ich dachte vor ber. Hand auf. nichts, 
als Agnes Geſchickrund Aufenthalt zu erkunden.“ 
1, Cb-mar, Alb. beite bei den auf gut Stud 
angefielkten Spiegehvendungen ein hülfreiched Wer 
fenımeine.Aend, .. Denn ung menige, fremde felts 
fame Geftalten waren mir ın unbefanhten. Ge 
gaben, voguͤbergeſchwebt, ha in! der Richtung 
gen Süden, — o Meiffer, o Mater, noch feigt 
ed: Bund lieb und hexzzerreiſend vor min auf! — 
de in einem blühenden: Omangenhaine, ot haben 
Pinien rings umkraͤnzt erging fi) Agnes im Mon⸗ 
denlicht Mn Ti a 

.: "Eure Angen furkeln/ vol Entzuͤcken 3“ nur. 
terbrach ihn ſehr unzufrieden der Greis. „Zhr 
ſollt und dürft, Euch ‚aber nicht freuen inded 
Erinnerung an ein. bösliches Hexenwerk. Ver⸗ 
kuͤndet mir mit Reue und Ernſt, wad Ihr ge⸗ 
ſehn bad . tn 





229 

Und demüthig feine Blicke fenkend, ſprach 
Nordenholm leiſe: 

„Agnes erging ſich im Mondenlicht, pracht⸗ 
voll geſchmuͤckt, gelehnt auf Lodiberts Arm. 
Noch hielt ich mein Antlitz lauſchend fern, daß 
der Spiegel: es nicht aufnehmen konnte. Da 
tratet ploͤtzlich Ihr, Meifter , in den Garten, 
und aus dem Spiegel zuerſt nahm ich Eure juft 
damals todtbleichen Züge wahr. Entſetzt, und 
fuͤrchtend, auch hr möchtet Agnes erblicken, 
flürzte ich mich. über dad Glas, fahe mein eigned 
verzerrtes Antlig beraußleuchten ; und zerſchmet⸗ 
tert in. taufend Stüde fiel das kunſtreiche werd 
zeug aus'merner.bebenden Hand.’ ı 
„„Ich weiß es noch, ald wär” ed heute r 
fagte der greife Ehrenfried. „Uber von all den 
Spiegelbildern ſah ich nichts, denn ed ſchwebte 
wir ein Gewoͤlk herzinniger Thränen vor den Augen. 


Ich Hatte mid) dazumal in Goites Willen noch 


gar nicht gehbrig ergeben. "Weinchd lag ich auf 
meinem Bette, da war'd,- ald flüftre mir Einer 
ind Ohr ‚made Dich auf, im Rordenholm's 
Yaufe Heiß: Jemand was beine Tochter macht!" 
Und ich folgte, and es war doch ohne Zweifel 
kein guter Geiſt, der mir fo etwas fagte Auch 
wie-ich:euch fo' erfchreden ſah, ging ich — Ihr 
wißt ja ſelbſt — aldbald wieder ſchweige 

surüd, und ſprach niemalen zu Euch davon. 


vi 


230 

Aber eine ganze Zeit Tang that mir doch Etwas 
im Gewiffen recht weh, und ſeht, lieber beshörs 
‚ses. Herr, das iſt ‚bei ſolchen Herereien und Zaus 
herſtuͤcklein auch eben noch ein redet. bedenklich 
Ding; man kann ein ſiill einfaͤltiglich Gemuͤth 
ganz wider deſſen Willen zugleich mit. verkären.’‘ 

.. Zudem, hörten. ſie, wie ‚broben’ der feltfame 


ö "Mierhemapn fi} wieder zu regen anhub mit Bins 


‚feln und Aechzen und verwildertem Lachen. 
„Daß Gott!“ zief Nordenholm erſchrocken 
aus, „Wenn nun dat Kind aber dem · unbeim / 
lichen Laͤrmen erwacht!“ 2:1 au: 

Und fon erhuhney,, zornig Bivanfbrobens, 
die Hand, — aber. aldbald ſich zuͤgelnd, ‚Eniete 
er nieder, und ſprach: 

.„OHelſt mir beten, lieber, frammet Meißer; 
Pas. wird um Vieles beſſer, ſeyn.“ 
Und ſie deteten, und Alles word il 

Da fie nun. aber; wiederum einander am 
Tiſche gegenuͤber faßen 5 fprach, ber. Altmeiſter: 


„Geweß , ‚Her ‚ Profeffor ¶auch narh. auf- 


andre Weiſe, alq mit jenen wunderlicgen, Spier 
gelhänfigen habt Ihr, mein Gemuͤth mir,verftört, 
Und werdet Ihr am beſten thun +8 gang igrade 
beraus zu fagen,, daß auch.der wunderliche, aum 
WIR gewordene Miethsmann im, Ener truͤbe 
Wunder ⸗Ryibe mit gehoͤrt.“ 

080 Ä co3 ſagie Noypenbolm den 


‘ 
a 





251- 


Einmal wiſſend, gegen Süden bin muͤſſe Agnkd 
zu finden ſeyn, begab ich mich aldbald auf die 


Fahrt, meines angeerbtenVermoͤgens letzte 


Truͤmmer dazu auf einen Haufen raffend. Vot⸗ 


ber noch — um. anfehnlicher. zu ‚geifen — ge⸗ 
wann ich mir ben Doktor 4 und Profeſſortitel, 


und nun ging es hinaus, und abwefend par ich 
als Ihr Ener Jiched Margrethchen fandet und 
aufnahmt. Ach, ih fand derweilen yiel weniger 
bolde Dinge, Graufame, fuͤrchterliche Berbine 
dungen fiſſen. mich in ihren Strudel, binein, 4 

„Bis zur Megreöftadt Bengzig war ich. gelangt, 

a foradı man ‚zu. mir von einem Schwarzkuͤnſt⸗ 
ker, der alle’Dinge auf Erden zu .entziffern ders 
fiche, und weil mein raſtloſes Rachjagen Yanes 
fe noch insitiek vergeblich ſuchte, gad ich“ mich 
n“ beſſen“ Bekanntſchaft,“'und ebai“er iſt dad’ 
etiiſetzliche Weftn/ das nur kaum nöch wimmernð 
undechzenb fiber uns dahin ſchritt. Eine Hel⸗ 
mach, ſpruch WE müffe er haben, um bie rechte 
Befchtoßkiänd"ihznftdlen, und bebkiäfh mußte ich 
ihm Linen täten Platz in heinent Haufe ?gelo⸗ 
bei, ÄRA: angekom, die er nilge 
Wort; Agueſevo Bild. enfehline: ihih nur unter 
sang Dustin Schleiern; wanbtefias: vor,’ 
Suguundaikte max Icon in Bimezib: fagem;i en: feie 
nur eigertäirg. eid Gefpenfl, — cimdıyor Jahr⸗ 


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252. 


hunderten durch eigne unvorfichtige Zauberei zer⸗ 
Ghdten Schwarzkünftiers unrubiges Gefpenft —" 
„Daß Gott,“ feufzte Ehrenfrieb, „ich fürchte, 
Margrethchen hat mir heut? Abend feine Gefchichte 
vorgeleſen! Wie dem aber auch fei, wir müflen 
und ihr vor allen andern Dingen vom Halſe 
Maffen.“ 
und wieder zündete er die Laterne an und 
nahm feinen Pallaſch unter den, Arm, und 
ſchritt entſchloſſnen Muthes hinauf. Norden⸗ 
holm wagte keine Einwendung; obgleich im in⸗ 
nerſten Herzen vor Grauen und Zweifelmuth 
etbebend, folgte er ſeinem greiſen Freunde nach 
zu bem furdibaren Bang. u 


Der Hangwirlh klopfte au feines; Mietbo⸗ 
mannes Thür. Die that fich langſam anf, wohl 
yor irgend einer unfichtbaren. Grnalt, daun ganı 
om andern Ende der Kammer ſaß der Kant 
liche Saft im, rothen Mantel am Soden 
ſich ‚her einige Her aupfchafien, Brig, da —* 
dem, Stofged aus feinin. tieflicgephen, Hagen an 
1; Gebt Euch keine Muͤhe“ſagte er mit 
hohler Stimme, „Euern Wunſch uud Rathe⸗ 
ſchlag kenne ich recht gut, abere es mirk:nihtb 
draus; wenigſlens beiſEuerm keibeslebesnicht, 
und es iſt noch ſehr die Frage, ob Meiſter Phi⸗ 








‚ 233 


liberts Urenkelkinder mein ledig werden. Denn 
ich. bin ein Ding von fehr zaͤher Natur.“ 
Nordenholm feufzte tief aus beaͤngſteter Seele. 
Da ’serfuchrt der Rothe zu lachen, — aber daß 
konnte er doch nicht recht, — und fagte tri⸗ 


umpbirend!: - -" .  . ii 
„Einem von "Euch. zweien iſt gar jaͤmmerlich 


ga Sinne. Go viel weiß -ich gewiß!“ 
IB aber, — entgegnete Ultmeiſter Phi⸗ 
libert Ehrenfried gelaſſen, — „ich weiß noch 
sit zuverſuchtlicher, daß ich der Eind nicht bin. 
Ya, ich weiß auch noch was mehrz naͤmlich, 
daß Du keine Viertelſtunde laͤnger in dleſem 
Hauſe verweilen darfft, weil ich dir im: flohen} 
lebensfräftigen Glauben und Gottvertrauen dad 
Ausziehngebiete und das Mirberfommen vers 
biese. Auch ſollſt du Dich ſtitt: und heimlich 
davon machen , und Feine Chriftenfeele in mei⸗ 
nen vier Pfählen erfchredien odel'serwirren. m 
Nun? — Gehſt du? — Zwinge mich nicht, daß 
ich ſtrenger und ausdruͤcklicher ſoreche. Du woͤch⸗ 
ge rl. ſchlimme Frucht davon ziehn.“ "u io 9% 
Und. eilig und mit. haßlicher Gewendtheit 
ſich aufrichtend. und bie wunderlichen Geraͤthe 
(haften dei: Kaͤmmerſeims unter feinen Mantel 
packend, ſchnellte Der Morhe zur Thdr’. hinaus, 
im Borbeikreifenfläfternd ::,,die ſuperkluger Rote 
denholm, biſt gegen den hier, — den. Graubart, — 


s — 7 


Mn 


— — 


234 


abſcheulich dumm.! Weg will ih aus den vier 
Pfähfen!--m, Aber draußen was Unheil, — was 


. Unheil doch be. 


. Seine Stimme verhallte. Er ſelbſt war ver 
ſchwurhen. Wit ruigem Hausvatermuch leuch 
tete Meifter Ehrenftied ſorgſam umher, ob auch 
nicht is gend · elwabb Unheimtichrs zuruͤckgeblieben 


ſei. Er fand. dexgleichen nicht; nur auf dem 


Diſchlein lag adch immer. der- Miethzins in ur⸗ 
alten Goldmünzen aufgezaͤbllt. 

„Hm, ſagte Ehrenfriedinasbfinnend, behalten 
wiag ich/s grade nicht · unde doch auch wieder if’? 
eine Gottesgabe, die man. nicht. ungenicht vergta⸗ 
Ken. oderiwerfehlendern darf! — Wir; wollen's in 


> Sanct Urfulofpital tragen. Der ‚Morgen dans 


mert fa febon recht. heil durch Dis'Genflerladen, und 
Margtrethchen wallen wir weden,und mitnehrun. 
Das Kiadogeht ohnehin dieſes Weges ſargarz aub / 
nehmend gern.“ ne 





. Wo mm... 


Und in den hellen "Erhftichtenn: wandelte Dis 
fier Ehrenfried' und: Nordenholm, achtſam dad 
Wiebe Rurgidehchen zwiſchen dick führend, den Abb 
nen Lindengang;· der zum Urfafafgisalfanft berg⸗ 


„an leitet, hinnufrDas Kind lachte und ergahlıe 


ih einan:fork, ſo Daß Wer die Gnflchter der zw 
siefernfen Mänier diowellen auch einnas hinſtin 
wie heneres Lacheln. Jeht, eine Epitalfrau, die 


25. 
ihnen entgegenfäm, wahrnehmen, ſchlug Marg⸗ 
rethchen die Haͤndlein "ganz ausnehmend freudig 
zuſammen, rufend: 

„Ach Frau Sibylle! Ach Frau Sibyile ‚die 
. mir immer fo gar ſchoͤnes Obſt und fchöne Kuchen 
bringt, und der ich fo gern ein Patſchhaͤndchen 
gebe! Einen fdhbnen guten Morgen, liebe Grau 
Sibylle!“ 

Und ihre Fuͤhrer zuruͤcklaſſend, lief ſie der 
weitverhuͤllten und ſich zu ihr niederbeugenden 
Frauengeſtalt entgegen. 

Im ſelben Augenblick drang ein verworrnes 
Getuͤmmel von der entgegengeſetzten Seite huͤgelan. 
Ein Zug vieler Studenten kam herauf, in deſſen 
Mitte eine Bahre, worauf wohl ein Schwerver⸗ 
wundeter liegen mochte, der Huͤlfe des wohlthaͤ⸗ 
tigen Urſulaſtiftes beduͤrftig. Frau Sibylla trat, 
ſich von dem Kinde losmachend, mit eilendem 
Ernſt ihrer Pflicht entgegen; die Maͤnner folgten 
bedaͤchtig; Margrethchen barg ſich angftvof hins 
ter 'einen bfühenden Rofenftrauch. 

Die Bahre ward niedergelaffen; im Kreife 
drängten fich die Studenten umher, während ie 
Stiftöfrau fanft und forgfältig des Vermunderen 
Zuſtand unterfuchte. Man ließ dem indeß herzus 
getretnen Nordenholm und dem wackern Altmeiſter 
ehrerbietig Raum, und erzählte ihnen leiſefſuͤſternd, 
wie der fremde Student Marcelin ben einen deu 


nn 


236 


herausgeforderten Seniorer mit großer Geſchicklich ⸗ 
keit entwaffnet, und ihm dann feineigned Unrecht‘ 
von gefiern Abend offen geftanden habe; darauf 
fei auch eine herzliche Verſohnung erfolgt. „Dit 
dem zweiten Gefechte," fuhr der Erzählende fort, 
würde ed wahrſcheinlich daffelde, oder doch ein 
ähnliches mildes Ende genommen haben, wenn 
nicht — es wußte Keiner, woher — plöglic ein 
alter, fi.ifam audfehender Mann im rorhen Man⸗ 
sel unter und Zeugen und Zuſchauern mitgeſtanden 
bätıe. Der murmelte immerfort unvernehinbare 


. Worte vor ſich hin, und fahe dazu höchſt unzu⸗ 


frieden aus. Die Tämpfer ſtritten wilder und 
"wilder. Auf einmal büdte ich der Fremde, raffte 
mit unerwarteter Gewandtheit Staub vom Boden, 
und firente ihn, gleich einer ganzen Molke, zwi⸗ 
fhen die Fechtenden. Lautlachend riefer: „ſchon 
gegrüßt, Herr Altmeiſter! Wohlauf! Hab’ den 
noch meinen Poffen gefpielt! Nun auf Venezia! 
Nun gehabt Euch wohl! Unheil — Unheil — !" 
Und auf ganz unerflärbare Weife war er fort. 


„ir, die wir und vom Staunen erholten, fahen 


beide Gegner blutig am Boden: den Senior todt, 
den Martellin in dem Zuftande, wie Ihr ihn leider 
vor Euch erblidt. Die Sekundanten find ent 


Hohn; wir Minderfchufdige wollten und lieber al» 


‚zumal der gefeglichen Abndung überliefern, ald ben 
ungluͤdlichen huͤlflos laſſen.“ 


237 


Schandernd iraten Ehrenftied und Norden⸗ 
holm naͤher zur Bahre. 

Da richtete ſich der bleiche Marcellin, Nor⸗ 
denholm erkennend, inZuckungen empor und aͤchzte. 

„Schwarzkuͤnſtler, verwuͤnſchter Schwarzfünfts 
ler, dir hatt' ich's geſchworen! Sah doch dein 
widerwaͤrtiges Antlitz mir drein, als du vor mei⸗ 
nes ſuͤßen Weibes Aug' ihres blaſſen, abgehaͤrm⸗ 
ten, thraͤnenvollen Vaters Bildniß zauberteft, 
O damals, im Orangenhaine bei Neapoſis! — Im 
Mondenſchein! — Weißt noch wohl? Mußt ja 
nochzwiſſen. — Und in aͤngſtlicher Reue wandte 
fie fich von mir ab, und zerriffen war unfer 
liebegluͤh'nder Bund, und ich habe fie nicht wies 
derfinden Können auf der ganzer weiten, weiten 
Erde. Da Fam ich denn ber, um mich an dir 
zu rächen, — und muß nun elend fierben, — 
und Jegt Boch waren alle Hinderniffe befiegt, und 
ald Herzogin hätt? ih die füße Huldin, um. 
derentwilfen ich Zifchlergefell ward, und weiß 
Gott was fonft neh mehr, — ja — heimge⸗ 
führe hatt' ich fie jegt in Luft und Pracht, ' 
and — o nun iſt fie fort, und ich ſterbe, — 
fierbe wohl gar an einem neuen. Pröbchen deiner 
Hexenkunſt — 

Ein Gemurmel ging durch den Kreis. „Er 
fafelt im Wundfieber;”’ ſagten Einige, -Undere 
aber Sprachen bedenflichere Worte . 

Meifter Shrenfried fahe freundlich umher, 
3098 dad Kaͤppchen von feinem ſchoͤnen Greifens 
haar, und fagte mit lauter aber fanfter Stimme: 
‚ „Den hochzuverehrenden jungen. Herren und 
einem Jeden, der darnach zu fragen bat, fiche 
ich mit Leben und Chre dafür ein, daß Pros 
feffor Nordenholm an dem Tode diefed - wilden - 
ungen Mannes unfchuldig iſt.“ | 

Gefpenfierbuch 7. Theil, 


\ 


. Iadr laͤchelnd bin, Und: ſtarb. 


230; 


Alsbald warb dad Gemurmel fill, und Alle 
neigten ſich ehrerbietig gegen den trefflichen Greis; 
auch hörte man ringsum feife Entſchuldigungen 
und Abbitten an Nordenholm. Uber der wußte 
kaum noch von der Welt etwas; ; er fland in heißen, 
flillen Zhränen wie ein Bild der Wehmuth da. 

Der Altmeifter neigte ſich indeſſen -gegen den 
Sterbenden hinab, und ſprach mit fanfter Feſtig⸗ 
keit: oo 
„Ihr ‚werdet nun. bald vor Gottes Angeſicht 
ſtehn, lieber Herr, und jetzt habt Ihr vor Euch 
das Aygeſicht eines Menſchen, den Ihr entſetz⸗ 


lich, auf irdiſche Weife. ganz unvertilgbar ſchwer, 


gekraͤnkt und beleidigt haht. Aber Gottlob, ich 
kenne den, der uns geboten Bat, unfern Schuld: 
nern zu verzeihen, und, lieber Herr, auch. Eur 
harter das geboten. Seht nur, was mich betrifft, 
ic) verzeihe Euch aus ganzem ;Derzen, und wenn 


Ihr gleichfalls mit verfohntem Gemüthe - feheidet, 


findet fich, fchon.denfeit. Einer, der Eure Schal: 
den allgumal in uͤberſchwaͤnglicher Huld um 
Liebe zu. loͤſchen weiß. Und. der wird Euch, lie⸗ 


. ber Ludihert, obgleich. Ihr bier auf Erden mit 
recht. boͤhlicher Falſchheit den Namen Wendel⸗ 


ſtern trugt., zu einem fo ſtaͤten und herrlichen 


Sterne yerklären, daß feine: irdiſche Pracht Eures 


augebarnen. Standes .hinaufreichen kann, „und 
wir noch alle dermaleinſt unfre -felige "Luft. mir: 
fammen daran finden werden, Schlaft nur huͤbſch 
ruhig und verfühnlich ein, lieber Ludihert, und 
freut ·Euch im Boraus auf's Erwahen! 
Der für Marcellin gehaltne Ludihbert reichte 
beide Hände dem Atmeiſter und dem hur kaum 
noch ſo grimmig: gehaßten Nordenholm freund: 
CR M.: . 


—9 
— 


% 


239. 


Erft jeßt bemerkte man, daß die Stifröfram 
ohnmaͤchtig neben ber Bahre niedergefunfen war. 
Indem ber. Alte fie:mit Eräftiger Sorgfamkeit 
emporrichtete, kam fie wieder zu fich, wies ernfle 
baft winfend alle fernere Hulfe ab, und wandte 
ihre langſamen Zritte, die Umhüllung ihres Ants 
lißed noch feſter zuſammenziehend, wieder nach 
Sanct Urfulaflifte zu. Die Studenten erhüben 
die Bahre des Gefaͤllten, um ihn einftweilen in 
einem alten, balbverfunfnen Kirchlein vor: dem 
Thore beizuſetzen, während Nordenholm, durch Tun . 
diberts ſuͤhnenden Abſchied wunderſam Igeſtaͤrkt, 
ihnen mit aller ſonſtgewohnten Kraft und Klarheit 
in kurzen Worten die Wege zur beſten Ausgleichung 
ihres Handels andeutete, und ſeine vielgeltende 
Fuͤrſprache dabei verhieß. Dankend und ehrfurchts⸗ 
voll gruͤßend zog die truͤbe Schaar von bannen: 
: ‚Da hatte derweil die Stiftöfrau den. alten 

hreufried fich nachgewints, und fland mit ihm 
unter ber Thorwoͤlbung. ded frommen. Hauſes 
im ernften Sefpräh. Auch den umblidienden 
Nordenholm winfte jeßt der Alte herbei, und 
fagte: „die fromme, wohlthaͤtige Grau will und 
Beiden etwas offenbaren. 

Und zuruͤck wallten die Schleier von ihrer 
Stirn, und vor ihnen ftand die verloren geglaubte 
Agnes, zwar bleich und fehr verwandelt ın ſo 
vielen innern Schmerzen, aber dennoch unvers 
kennbar den Blicken ded Baterd und des Liebens 
den.’ 

Iñ de Irnſten gotfergebinen TStimmmmg, 
weldye den Dreien tjetzt aufgegangen war, ges 
dachten fie aller gefcheiterten Erpenwuͤnſche mit 
fanfter, Tächelnder Geduld, und auch was ihnen 
in Zufunft noch hienieden zu thun oder zu laſſen 
übrig fei, ward bald und Flarvon Jedem erfhaut 


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und: audgefprochen: &o Fam ed denn, daß Mar: 

rethchen, die, von der gefzigen Unruße und dem 
fräen Gange ermuͤdet, fanft hinter den Rofen 
in Schlaf geſunken war, nun berbeihüpfend die 
Dreie mit beitern, man koͤnnte ſprechen feligen 
Ungefihtern in den belduftigen Morgen Hinauss 
ſchauend antraf. 

„Ei, tächelte die Kleine, wie ſchoͤn du aus⸗ 

fehlt, du liebe Frau Sibylle ‚ feit- du die finfire 
Kappe bir weiter zurüd geftreift haft 1” 
- Sie lächelte aber noch viel freudiger, als fie 
erfuhr , inöfünftige werde Grau Sibylle bei ipnen 
im Haufe wohnen, und zwar in dem Gemache 
des alten, ſeliſamen Miethömannd , der ohne 
bin für immer ausgezogen fei. 

Und fo ward und blich «6 denn auch, und 
208 den zarten, vielgetreuen Bemühungen der in 
heitrer Entfagung lebenden Dreie Hübte Mars 
g m zu einer der holdeften Blumen im zeir 
Hm Kranze deutſchet Frauen empor 


nn — 
\ Eßlingen, 
edrudt bel I. ©. Heifferich, saie,