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Heraudgegeben
von
4*
— 25
A Apel und F. Laun.
Erſtes Baͤndchen.
mi J 5 —
Stuttgart,
bei A. F. Macklot. 1816.
GR
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7.30 Sy
38,71 |
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Der Hedethaler., R a...
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En Er Er 77
... .
*
Var mebrern hundert Jahren, ald ‚den einmal.
ein vorher, herrlicher Sonnenuntergang hie Ginfüre,
migkeit des Waldes mit mannichfachen Kichtern und
Schatten beliebte, kam ein. junger -efgll .ded We⸗
geb, nahm grade. de, wo dis. Straße: aufeinander,
ging, fein ſcaweres Bündel vom Rüden, und fehle
fih unter einem alten. Zannenbaumg, zieber... Sein
ne fchwarze: Trauerkleidung ſtand ſeltſam genug
zu dem muntern, judendfrohen Geſichte, das Def,
heiße Tag zwar tuͤchtig in Schweiß a⸗ebxaght den⸗
noch aber durchaus. mis keinem unfreundlichen ‚Ing
ge belaͤſtiget hatte. Wehlgemush Rrigh ‚Des, junge
Mann das heiiglängende Haar aus dem-großen.
biauen-Auge, fah auf dad Bündel neben fi, und
dann nach dem Himmel hinauf, gleichſam als ob
er diefem nicht genug Dank dafür fagen Fonne.
So faß er denn bis der rothe Spnnenglanz
vallig verichwunden- war, und das bläuliche Mond⸗
licht ihm eine leichtere Wanderung verhieß. Nur
hätte er zuvor noch gern einen Menichen geichen,
theils um ihm feine innige Freude an Erbe und
Sefpenfterbudh, 5. Theil, 4
- - . ‚ara... -
at
Simmel mitzutheilen, theild um zu hören, welches
der rechte, und wo moͤglich naͤchſte, Weg nach
Augsburg fey. Denn obgleich er dort fchon ges
wefen war, fo hatte er doch von diefer Seite die
Meife noch niemals gerhachr.
Wirklich bewegte ſich jetzt durch das Didicht
etwas heran. Auch entdecte fein gutes Auge
bald; das Ein menſchliches Weſen war., was
- fpärergin: Ar. Geftalt eines‘ Kdblers an ihm vors
überging.
Gutẽr Fteand, fo tief der Reiſefertige ihn an,
Pe ſeyd For unter diefen Bäumen zu ‚Daun
tape’ miie daher doch, wie ich am ſchwuſte⸗
Augsburg kommen mag.
Da’ 'Fhnhe‘ Ihr mich auf diefem gußfirige ben
gleiten. Bei ganz gemächlichen Schritte müßt
Ä Zr banet’nach Tagedandrunh vor der Stadtmauer
ſeyn.
Das war unſerm Wanderer eine gar angehche
me Poft, Denn fo gern er auch das ſchwere
Bündel anf feinem Rüden trug, fo fehlte äͤhm
doch lange ſchon jemand, der ihm die Kaft- feines
Gluͤckes tragen hälfe. Die-theilnehmendfte Mies
ne hatte der Köhler freilicy nicht. - Sein Yuge
ſah aus den Büfchen der Augenbraunen fo flarr
und lieblos über die Habichtsnaſe in die Welt
hinein, als ob fein Herz laͤngſt mit zu Kohle vers
braun ſeyn muͤſſe. Dazu Hang feine Stimme fo
F
rauh umd amerfreulich, daß. ed dem Meifenden
auffiel. Doc ſchalt er fich felbft.wegen ſeines
anfänglichen, Mißtrquens gegen den Alten, Iſt
er ja doch em Menſch, dachte er. Was ann er
dafür, da ihm Gott Fein eimehmender Geſicht
derlieten und viellaicht ber Kohlenſtaub feine Stims
me derdorben «hat?.- Zudem fähe .er ‚auch woht
einnehmender aus, wenn die ſchwarzen Spuren
eined traurigen Gewerbes ‚feine Zuͤge weniger ente
fielten! — Dabei ging.ded Juͤnglings Blick zum
Himmel hinguf, dankend für Geſfalt und: Gewers
be, womit-er fich. Dagegen fo wohl verfehen fühlte,
Fuͤhren Euch — 5** — nach Augsburg ?, fo
fragte der Köhler, als fie den Weg ſchon ange⸗
treten hatten, und eine | ſolche Frage war es eben,
was der Exrzaͤhlenoluſtige ſchon eine Meile, erwar⸗
tete, weil er fo unter dem Vorwande einer exp
ſchopfenden Antwort: fein Herz heſſey, als ohne
aͤußere, Anregung, entſchuͤtten zu koͤnnen glaubte,
Ja wohl, Geſchaͤfte, verſetzte er, und recht
füße und liebe obendrein |
Hm, fagte der Andre, in biefer ſchlechien, nahr⸗
loſen Zeit wird es nicht jedem fo gut. Laßt mich
drum doch etwas von biefen Dingen: und Eurem
ganzen Treiben vernehmen.
5% bin, fo fing hierauf der Ranglng an, ich
bin von Schwabmuͤnchen, und meines Zeichens
ein Schieferbeder, wie mein Vater feliger auch
12
4
geweſen iſt, heiße auch Franz Pilsner, wie er;
Es gab große Noth in meiner lieben Eltern Haus
fe, als ich das Handwerk ergreifen wollte. Die
Mutter naͤmlich hatte viel dagegen. Mein Schatz /
fo jagte fie einsmals beim Fruͤhſtuͤck zum Barer)
ald wieder die Rede darauf kam, ich habe ja To⸗
dedangft genug, wenn ich did) oben in den Läftert
berumtlimmen fehe, ſoll ich denn nun auch nody
den einzigen Sohn deiner fährlichen, wenig loh⸗
nenden Handthierung abgeben?
Bei dieſer Rede wurde mir fo Adel zu Muthe,
daß ich den Loͤffel kaum zum Munde bringen
konnte. Denn ich hatte ein gar zu großes Wohls
gefallen an der Schieferdeckerkunſt und wußte
recht gut, daß ber Vater der Mutter Bitten und
Wünfchen immer gern zu Gefallen lebte. Died
mal aber war es nicht fo; vielmehr fagte er: das
heißt nicht wie eine gute Chriſtin ſprechen, mein
Schatz. Habe ich dir doch tauſend⸗ und aber.
taufenbmal gefagt, daß ohne ded Herrn Willen
Bein Sperling vom Dache fällt. Wie magſt dü
denn noch immerfort glauben, daß ein Mann,
den fein Beruf hinauf in die Yuft führt, der dort
bie heiligen: Häufer des Allerhbchften vollenden
maß, daß ein folcher Mann weniger unter feiner
Obhut ſtehe, als ein geringer Vogel? Und was
den ſchlechten Lohn anlangt, fo frage ich dich,
wann find wir, ich, du und unfer Kranz, hun⸗
5
grig zu Bette.gegangen? — Daß wir nicht Mams
mon zurädlegen koͤnnen, ift wahrlich Fein Uns
gluͤck. Wenn uur unfer Kind in der Zucht und
Bermahnung zum Herrn aufwaͤchſt, dann wird
der, der bie Lilien auf dem Zelde Heiber, ihm feis
ne Nahrung auch zukommen laffen, Hiermit hob
er die Haͤnde auf und betete: Wer Gott vertraut,
bat wohl gebaut, im Hinimel und auf Erden, wer
fi) verläßt auf Jeſum Chriſt, dem wird der Sims
mel werben. —
Aber, was ift.Euch? ſo unterbrach der junge
Schieferdecker hier feine Erzählung felbft, als fein
Blick auf den Begleiter fiel, deſſen Geſicht fich
secht wibermärtig verzogen hatte.
Krämpfe, weiter nichts! antwortete der Alte,
und Stanz fuhr alfo fort: Schon glaubte ich, daß
Ihr Anſtoß nähmer an dem Berfe, ber freilich
von einem Intherifchen Probfte, mit dem mein fes
iger Vater, wegen eines Kirchenbaues viel zu
thun hatte, an ihn gekommen iſt. Er hatte übers
haupt manches son dem Probſte angenommen,
auch einige fchöne Lieder bei Seite gelegt, und
pliegte zu fprechen: DE. , ichon bei. meinem
wahren Glauben bi an’s Ende verkorren ;will,
fo fcheint mir dach manches, suad Luthers Aubaͤn⸗
ger fagen, wecht gut und troͤſtlich. Auch wärbe
ifuen ja die Obrigkeit ſonſt keine Kirchen zugeſte⸗
hen! — Doch auf meire Geſchine zurdgulome
6
men: Als der Bater denn fo betete, da faltete
auch die Mutter ihre Hände andächtig mit. Dann
aber weinte fie fehr und nahm mich beim ‚Kopfe
and berzte und kuͤßte mid).
In Gottes Namen denn! fprach dierauf der
Bater und fie machte keine Einwendung weiter.
Doch war fie nicht immer fo gefaßt, und in ber
Folge brannten mic) ihre rothen Augen manch⸗
mal tief im Herzen, wenn ich Abends mit dem
Vater feliger nach Haufe kam. Ich hätte aber
die Handthierung nicht aufgeben mögen, um aller
Welt Wunder nicht. Denn Ihr könnt gar nicht
glauben, wie töftlich es if, da droben von ber
Spige eines heiligen Gotteshaufed herunter zuſe⸗
ben, auf die Meinen Städte und Dörfer und Mens
ſchen, denen ſchwindelt, wenn fie von ber Erbe,
an der fie kleben, binaufbliden und dort einen
gewahr werden, ber dem Himmel fo nahe lebt.
Richt glauben koͤnnt Ihr's, wie das Herz fo weit
und groß wird in den blauen Luͤften, dicht unter
dem Auge des Herrn, an defien irdifcher Woh⸗
nnug man arbeiter! —
Die Krämpfe des Köhlers fchienen zuzunch⸗
men; denn fein Geficht warf immer bäßlichere
Falten. Daher fragte der Schieferdecker wohls
wollend, ob vieleicht das Sitzen ihm beffer thun
würbe, Aber der Alte fchättelte den Kopf. Laßt
Euch davon nicht irren, fagte er, vnd gebt mir
j .
7
mar mehr won Eures Qiforie Mo möglich, {o
behaltet den Ueberfluß an Bemerkungen und Nes '
benbingen im Sinne, weil Mandyed davon wie
gute Lehren audfieht, wogegen das Alter nicht
ſehr empfaͤuglich if.
Nach Euerm Gefallen! verſetzte Franz weis
ter er zaͤhlend: Da ich ſonach mein Werk mit Kies
be trieb, fo verging mir die Lehrzeit, ich wußte
Taum, wie. uch. hatte ich die Freude, meine
Mutter mit mir und meinem Stande zufrieden
zu fehen, als fie. von meiner Züchtigkeit hörte,
und am Tage, we ich Ioögefprochen warb, die
Meifter meinen Kentuiffen das befte Zeugniß er⸗
teilten. .
Während meiner Gefellen s, und Wanderjahre
hatte ich Gelegenheit, manche ſchoͤne Arbeit zu
fertigen, und wie ich zuruͤck in des Aeltern Haus
kam, war mein Vater ſchon fo ſchwach geworden,
daß er wenig mehr verrichten fonnte., Iſh, warb
daher Meifter, und erhielt durch ihn gheich Ans
fangs eine ſchoͤne Kundichaft, fo daß ohne mich
in der Gegend fü leicht Feine Kirche gebedt oder
erneuert wurde, .
Eine gar ſchlimme Zeit fand ich. während ſei⸗
mer letzten Tage aus. Auch fie ging jedoch vor⸗
über, und es gewährt mir noch ‚immer Berupis
gung, wenn ich feiner Todeöftugbe gedenke. Ach,
er ſtarb gar fo.{hön! In der Entzädung fah
Ö:
er ings um fich einen Kreis frommer Heiligen
und Wunderthaͤter, von deren Abglanz fein eige⸗
ned Geficht fchon wie im Sonnenliehte der Vers
klaͤrung uns anlädhelte. —
Weiter, nur weiter! rief der Koͤhler ungebuls
big, und laßt den Alten in der Grube feyn. Weiß
man doch ſchon, was ed bei Begräbniflen für
Umftände opngefähr geben kann. Kommt zu dem,
was nan mit Euch wurde, und ob ihr ledig biiebt,
ober heicathetet. —
Wenn's meiner Mutter nachgegangen wäre,
fuhr Meifter Pilsner fort, fo hätte ich fogleich nad)
der Trauerzeit dazu gethan. Aber ich hatte das
mals die Rechte noch nicht kennen gelernt und
eine Andere fland mir nicht at. Und da ich in
ber Gefellene und Wanderzeit mich immer geh»
tet hatte, ein vorfchneiles Buͤndniß einzugehen,
wie nahe mir's auch einigemal gelegt worden, fo
wollte ich als Meifter nicht unbehutfamer verfaße
ren. Ich Hatte darüber faft tagtäglich meinen
Streit mit ber Mutter, bis ic) eines Tages nad)
Augsburg wandern mußte, um einen dortigen fehr
ſchadhaft gewordenen Kirchenthurm zu erneuen,
Da lernte ich denn einen Steinmetz, den Meifter
Haus Holding, Eennen, einen wadern, gottesfuͤrch⸗
tigen Mann, der fein Handwerk aus dem Gruns
de verſtand, und auch Gefallen daran hatte, wenn
ich Ihm von dem meinigen erzählte, Der Mann
beiaß eine Tochter, Aennchen mit Namen, eine
Zungfrau von ſechzehn Jahren, wie ich noch Feine
geliehen hatte. Da war es dad erſte Mal, daß
sh mit Ernft an's Heirathen dachte, und ber Ges
danke ward immer feſter und lebendiger in mir,
denn eine froͤmmere Hausfrau und beflere Wirs
thin war wohl weit und breit: nicht aufzufinden,
Hätte ich nur gewußt, ob fie mich Leiden ‚möchte,
dann wäre mein Erſtes gemein, bei Meifter Hans
fen um ihre Hand anzubalten, Aber das. fittias
me Kind war hierin durchaus nicht gu ergründen,
Sie fchlug bei meiner, wie bei jeder männlichen
Anrede, die Augen nieber, und antwortete kurz⸗
weg. Daß fie Dazu.biömeilen roth wurde, das
glaubte ich gar nicht mir zu Gunſten auslegen
zu bürfen,
- "Em Umfand, der mich jet einige Tage, von
dem Beſuche des Steinmeien abhielt, war mein
Berdruß über einen Mann. meines Handwerks,
den ib, um den Thurm deſto früher zu vollen⸗
Den, mir weither uesicheieben hatte, Sch war dem
Rufe, beffen er in .unferm Fache genoß, ganz als
lein nachgegangen, und fand nun, als er kam,
einen verwilberten, von ‚aller chriftlichen Demuth
weit mifernten Gefellen, der, wo ſich's thun ließ,
das Heilige und Ehrwürbige mit feinem Spotte
zu beiudeln fuchte,
Sp follte denn an dem Werke, das ich mis
48
DOd fie ſchon merkte, daß ihre Angſt unb bie
darauf folgende plögliche Freude fie verrathen
hatten und fich daher fogleich zuruͤckzichen wollte,
ſo wußte ich doch nun, wie ich mit ihr dran: war
and rief: Uenuchen, liebfted Aennchen, der Au⸗
genblid will mir wohl,- drum frage ich ſogleich,
darf ich bei Euerm Vater um Euch werben ?
Da kehrte fich: zwar ihr Auge zur Erde, aber
ihr Herz, fo fühlte ich, blieb Doch bei mir. Das
‚zu fagte mir, wie fie mich nun verließ, der halbe
Anfchiedsblid, daß mein Wunſch auch gewiß der
übrige war. *
Je freundlicher mich das Gläd anſah, deſto
eifriger mar nun mein Gebet fuͤr den Verun⸗
gluͤckten und daß fein zeitlicher Tod ihn von ber
ewigen Strafe erldfen möchte. Zugleich beftärkte
wich fein und mein Schickſal darin, daß alles
wit Gott anzufangen fei, und ich arbeitete noch
ben ganzen Tag freudig und unverzagt an dem
Kirchenbaue,
‚Abends machte ich mich bei Zeiten auf dem
eg zu Meifter Holdingen , den ich allein fand,
und brachte, da ich fein Wohlwollen gegen mich
kannte, mein Wort fogleich ohne Scheu und Nüds
Yalt an. Aber zu ‚meinem großen Erſchrecken
(chättelte der Mann den Kopf.
Ihr ſeid mir lieb und werth, Meiſter Pils»
ner, fagte er, doch weiß ich and Eurem Munde,
x
13
daß Ir bis jeht nichts habt eräbrigen Können,
Mir ift es nicht beffer gegarngen: daher darf meine
Tochten weder auf Pitgift noch auf Erbe rech⸗
nen. Was aber foll aus ihr werden, wenn 'ich
todt bin, und Ihr vielleicht zu gleicher Zeit aus
der Welt geben ſolltet. Alle Ehre Euerm Hands
werte, es iſt' ſchoͤn und zwiefach ſchoͤn, wenn man
Euch davon reden hoͤrt. Aber ed iſt auch hoͤchſt
gefährlich, wie der heutige Tag erft bewieſen hat. —
Hier unterbrach ich ihn und fuchte ihm den
Grund zu dem Unfalle in meines Mitmeiſters
Frevel zu zeigen. Doch er fehüttelte abermals
den Kopf und ſtellte Beiipiele von — wie et
fagte — ſehr frommen Schieferdeckern auf, die
ihren Tod alfo gefunden hatten. Vergebens waffe
nete ich mich mit den Gruͤnden, die mein feliger
Bater fonft immer gegen die Mutter zu Erhebung
unſerer Handthierung gebtaucht hatte. Er Fönne,
fagte er, mit feine Tochter iur dann geben, "went
ich etwas zuräcgelegt haben würde, wodon ſte
ihr Witthum in Ehren dinzubringen vermdge.
Da nun ſobald an ein ſolches Gluͤck nicht zu Härte
ken war, ſo machte mich ſein Statrſinn ſehr traurig.
Denn ich hatte zwar in meiner Heimath einen
reichen Rechtsgelehrten zum Wetter. Der aber
wollte mir übel wegen meined Gewerbes, das
feinem hochmuͤthigen Sinne zu gering dunkte;
weshalb er auch in fräherer Zeit alled anwende⸗
|
1
{
14
te, mich davon ‚abzuziehen, und mir, als nichts
feuchten wollte, fein Haus gänzlich verbet. -
Späterhin, hatte ich mehrmals verfucht, ihn
mir wieder zu gewinnen. Doch alles umſonſt.
Er erklaͤrte, daß er nichts von mir wiſſen, und
daß ich, obſchon ſein naͤchſter maͤnnlicher Perwand⸗
ter, auf keinen Pfennig „Erbe von ihm rechnen
moͤchte.
Aennchen, als fie von thres Vaters Gefinmug
hoͤrte, ward uͤber alle Maßen betruͤbt, und da
auch ihre Vorſtellungen nicht anſchlugen bei ihm,
fo entbedte fie mir eines Tages, daß fie nach
vielem Weberlegen gefunden habe, ein Sprung iu
Fluß wuͤrde ihr am beſten von ihrem Unglüde
helfen. Daruͤber entſetzte ich mich denn auferers
bentlich.. ftellte ihr ‚vor, dag. nur der ‚böfe Fejnd
ihr, diefen Gedanken. eingegeben ‚habe, von dem fie
agte, Daß er. gar. nieht, aus, ihrer Seele weisen
wolle, Meine Bitten und ihr Geber brachten. 66
aber endlich fo weit, daB davon nicht mehr bie
ede war. Ach, ich durfte ihr gar nicht fagen,
daß mir ſelber oben auf dem Thurme die Ver⸗
zweiflung manchmal eingab, meinem Leiden durch
einen Sturz hinunter ein Ende zu machen! Aber
bad Gebet, das ich nie unterließ, ftärkte auch
mich gegen dem boͤſen Satansrath, fo daß ich
ben Kirchthurm glüdlicy zu Stande brachte.
‚Beim Abſchlede, ber, wie Ihr leicht denken
a5
bunt; gar bitter und fchmerzhaft war, verficherte
mir.-Yenuchen von freien Stüden, fie werde mir
treu : bleiben, ‚und nie einem Andern angehören,
Ye Baterı machte zwar eine finfire Miene, Doch
fagte ex weiter nichts Dazu, drüdte mir auch bene
lich die Hand. =... .:
Iht werdet begreifen; daß Ich allen Sinn und
Ditz auſtrengte, um zu fparen und die Wedins
gung zum Glüde meines Lebens zu erfüllen... Als
lein meinem heißen Verlangen nad) der Vereini⸗
gung mit Aennchen förderte es bennoch- nur.
ſchlecht. Defto frober mußte mich. die Nachricht
machen, daß mein reicher Better „-voy der letzten
Krankheit plötlich ‚Aberfallen,, auf feinem Tod⸗
bette eudlidy doch in ſich gegangen mar; und mich
zum Erben eingeſetzt hatte. "Da. bin, ich deun
nup,. trage das Erbtheil in ſchoͤnen Gold ſtuͤcken
bei mir, und freue.mich, fuͤr's Erſte auf nichts fo
fehr;,. ald auf den Auzenblick, wo ich: Dad. blaue
GSels vor Meilter : Holdingen : hinfehütten.. werde.
So serläßt doch Gott Teinen, der ihm vertraut,
uud wer weiß, ob er nicht ſchon früher auch hier⸗
in auf irgend. eine Weiſe an, mich gebacht:, hätte ich
weinen Kleinmuth immer beſſer bezwingeu wollen. —
Meiſter, fo. ſagte der Koͤhler, ale. Franz nme
dielt, Ihr habt noch ein gutes Zutranen zum Le⸗
ben und deſſen zufälligen Geſchenken. Im nej⸗
nen Jahren weiß man .beffer, wie viel harasıl: am
16
bauen iſt. Warum ſeht Ihr mich fo mißtrauiſch
an? Doch wohl, weil meine Rede Eudy nicht
wohlgefaͤllt. Aber die Wabrheit ift ſtets cin bite
teres Kraut geweſen. — Um um: bei Euch und
Eueem Gelde hier ſtehen zu bleiben, gefegt nun
alles gelänge, und Ihr bekaͤmt Aeunchen wirklich;
meint Ihr, daß Euch damit ein ewig heiteres
Paradies aufgefchloffen ſey - Wenn auch — was
faft die Unmoͤglichkeit fetten hieße — alled mit ber
Grau nad) Wunfcye ginge, fo werden andere Dins
„9%, zum Beiipiel das Seld, Cuch nun zu fchaffen
machen. Zeither habs Ihr bloß von Euerm Bers
dienſte gelebt, und wißt noch gar nicht, was Gold
and Stber für gefäprliche Metalle find, und wie
fie ven Eigenthuͤmer treiben. und drängen, . auf
ihre Vermehrung auszugehen. Erſt werdet Ihr
zu thun haben, Euer Geld ſicher unterzubringen
Es wird Euch, wenn: eb nicht ſogleich mabglich
iſt, Euern ruhigen Schlaf koſten, und, wenn xa
in frande Hände übergeht; immer ber Gedanke
quälen, ob an der Sicherheit nicht noch etwas er⸗
mangele. Mit Einem Worte, wenn Ihr vorher ,
durch das Entbehren der Braut ungluͤcklich mas
vet, fo werdet Ihr End bald darch Eures Gel⸗
des Beſitz noch unglüclicher fühlen. Es Fommt
dazu, daß Ihr mit Gelde uͤberhaupt nicht umzu⸗
gehen wiſſet und viel zu offenen Herzeno ſeyd,
für einen beguͤterten Mann,
17
So imeint Ihr wohl, verſetzte Meifter Yilss'
her, ich möchte meinen freien, frohen Sin um
fo ſchlechten Metalles willen verläugnen ober aufs
geben ? |
Eines oder dad andere! antwortete der Köhler,
Zu fremden Herzen ift Geld oft der Schlüffel,
aber das eigne Herz des Geldbeſitzers muß ewig
verfchloflen ſeyn, will er nicht ficts im Gefahr
kommen, jenes Hauptſchluͤſfels verluſtig zu gehen.
So entdecket Ihr mir, einem Unbefännteh, bei
Nacht, im Walde, den Schatz, den Ihr mit Euch
fuͤhrt; wie unklug! Wenn ich nun ietzt weg⸗
ginge, um mir Gchülfen zuruͤckzukehren, "und Euch
des Schatzes, ja wohl gar des Lebens zu bes
rauben ? —
Der Zell, den der Köhler Hier ſetzte, hatte
Franzen wirklich fügen gemacht. Er warb aufs
merkſam auf das Unbeſonnene feiner Mittheilung
und dankte dem Warner.
Seht mich an, fuhr dieſer laͤchelnd fort. Un⸗
ſtreitig meint Ihr, daß unter fo altem, abgenutz⸗
rem Kittel ſchwerlich etwas von Geld und But:
verborgen ſeyn koͤnne. Gleichwohl würde ich ſehr
anſtehen, mit Euch zu tauſchen, was auch Euer
Schatz betragen mag. Much koͤnnte ich es niche
wohl, wenigftend nicht ohne Euch = mad ferne:
von mir fey ! — ſchaͤndlich zu harten, ‚weil das
Geſpenſterbuch. 5. Theil,
18
Geldſtuͤck, das ich befige, nur in meiner Hanb wie
&erliche, aber fehr wucherliche Zinfen, trägt.
Dabei zog er einen harten Thaler hervor und
fagte: Betrachtet dieje Münze und Ihr werdet
nichts Auffallendes daran entdeden. Dennoch
bat fie vor vielen ähnlichen des voraus, daß fie
dem rechtmäßigen Beſitzer in jeder Nacht ein
gleichgroßes Geldſtuͤck zubringt.
Wohl alſo gar ein ſegenannter Hedethaler ?
fragte Franz dad Stüd mit Verwunderung ans
fehend. Ich habe immer keinen rechten Glauben
‚gehabt an die Wahrheit der Sache.
Bon der koͤnnt Ihr Euch bald überzeugen.
Leert einmal eine meiner Tafchen, und legt, Das
mit keine Täufchung möglich ſey, den Thaler mit
eigener Hand hinein. Mit Anbruch des Morgens,
dem wir entgegenfcehen, unterfucht dann die Ta⸗
ſche wieder , und wenn hernach nicht Zwei, ftatt
Eined Geldſtuͤcks, darinnen liegen, fo, mögt Ihr
mich kurzweg einen Lügner fchelten.
Auf des Kdhlers nochmaliges Verlangen leerte
Franz hierauf wirklich eine der Taſchen deſſelben
und that dad Geldſtuͤck hinein. Darauf fprachen
fie noch viel und mancherlei über den Gegenftaud,
Bis endlich der Alte fagte: Wahrlich, Meifter,
ſolch ein Thaler wäre, fo viel ich Euch kenne,
für Euch beffer, als jeder andere Schatz, weil der
Stamm Eures Vermoͤgens ſich dann doch leicht
19
verbergen ‚ließe, uͤberdies dadurch die fremde Habe
acht nicht fonderlich gereizt werden kann, weil er
in keines als des rechtmäßigen Erwerbers Hand
folde Wunder verrichtet.
Hm, erwiederte der Gchieferbedier, wo kann
man zu biefer Art Geld gelangen?
Davon hernach, wenn Ihr die Wahrheit ber
Sache gepräft haben werdet, Doch da zeigt ſich
ja wohl der Morgen fchon. Sehet zu in meiner. .
Tafche und bad Kunſiſtuͤck wird fertig ſeyn.
Erſtaunt zog Franz hierauf wirklich zwei Tha⸗
ler heraus, wovon der neue ſich durch ſein, wie
eben erſt aus der Münze kommendes Gepräge
audzeichnete.
Ei, fo fagt mir doch, Lieber, wie ſolche Gelbe
Rüde erworben werden! fprach ber junge Mann
Yaftig.
Durch eine nicht allzufchwere Eeremonie, ante
wortete der Alte. Doch gehört eine andere Jah,
reszeit dazu. Habe Ihr auf künftigen Winter
noch Luft, einen folchen Thaler zu befigen, fo
Iommt — aber kurz vor Weihnachten — dort is
meine Hätte, da ſollt SShr” durch mich die nöthige
Anweiſung erhalten,
Als nun jetzt die Leichtfchimmernden Vorboten
der Sonne an dem Himmel beraufflogen, fo ver⸗
lor Franz mit Einem Male jeden Gedanken au
Geld und Gut und fagte: Da hat mich mein ſe⸗
2
20
liger Bater noch ein ſchoͤnes Lied gelehrt, das ſich
diesmal recht gewaltig nach meinen Lippen het⸗
anfbrängt: Und er fing mit reiner Stimme ans
Wach auf mein Herz und finge den Schöpfer ale.
ler Dinge.
Halt, fprach der Köhler finfter, den- Singſang
Tann ich unmoͤglich abwarten. Lebt wohl und
vergeßt meine Härte nicht; Zugleich eilte er, was
er konnte, auf dieje zu.
Das nahm Franzen Wunder. Daß eine Stim⸗
me jemanden fo recht im Grunde des Herzen zus
wider feyn koͤnne, das hatte er felbft an dem
Köhler erfahren, bei deffen Lone ihm allezeit dad
Herz wehe that. Aber fein Gelang war doch ein-
ganz anderes Ding und in der Vaterſtadt fo bes
shhömt, daß man, wie er noch zn Haufe lebte,
ihn überall zum Singen veranlaßte,, ja der Bis
[hof ihn gern unter feinen Ehorfängern gehabt
haͤtte.
Inbeſſen vollendete er ſein Lied, und meinte,
Daß deſſen lutheriſcher Urſprung das Ohr des alt»
glaͤubigen Mannes verletzt habe.
Jetzt traten ſchon die Kirchthuͤrme zu Augs⸗
burg hervor und ihte Glockentoͤne gingen ihm
beſonders fteundlich zu Herzen.
Im Holdingſchen Hauſe gab es viel Jubel
über Pilsners Gluͤck. Der Alte, außer ſich für
Frenden, herzte und kuͤßte ben künftigen Schwie⸗
8
zerſohn ohne Aufhören, ‚und Aennchen fah errd⸗
thend in dieien Umarnıungen ein holdes Bild ihr
ser eigenen Zufunft. Franz mußte indeffen bis
zur Heirath die Zrauerzeit abwarten und am fols
genden Tage wieder zuruͤck, weil er in der Hei⸗
math zu thun hatte.
Nun, fagt mir. nur, Meifter Pilsner, ſprach
der Steinmetz, warum Ihr Euer Gold mit hier⸗
per gebracht? Meint hr, ich hätte, wehn Ihr
wir von dem Beſitze deffelben bloß gefagt, Euerm
ehrlichen Worte mißtreuen mögen ?
Das nicht, antwortete der Bräutigam, aber
eines Theil wollte ich Euch doc, mit dem blane
ken Haufen ergößen, andern Theils ihn hier ger⸗
ne zuruͤcklaſſen bis zur Hochzeit.
Nein, Meiſter, verſetzte der Steinmeg + nur
das nicht, Mein: Haus iſt zu ungewohnt, Gold
zu beherbergen. , Wie ‚leicht koͤnnte etwas damit
vorgeben. Tag und, Nacht fehlte mir die Ruhe,
wenn es in meinen vier Pfählen bliebe.
Franz laͤchelte über dan Scherz, wohin er's
Anfangs hielt. Allein bald merkte er, daß es
des Mannes vdlliger Ernft wor. und da ſich auch
niemand Bekanntes fouft. in ber Stadt fand, we.
er bad Selb hätte unterbringen Tonnen, fo fah er
ſich gerdthigt, es am andern Morgen wieder, nit
zuruͤckzunehmen.
Dieſer Uwſtand wies ihn auf das Unhequewe
22
bed Befitzes von Schaͤtzen und die Warnung DM,
die ihm ber Köhler neulich gegeben hatte. Daher
fah er fich auf feiner Ruͤckreiſe Häufig und ſchuͤch⸗
tern um, und fie war im Ganzen bei weiten
nicht fo forgenfrei, ald der Hinweg geweien war,
Wie, wenn der Köhler bloß, um mich vor ihm
ficher zu machen, bie Warnung gegeben hätte, dachte
er, ald er bei feiner Hütte voräberlam, wie wenn ee
wirklich Anftalt träfe, einen Raub an mir zu ver
üben! Bein abfchrediendes Geſicht, die widers
wärtige Stimme, die Schen vor frommmen Ges
fängen, das alles beftärkte ihn nur mehr in dien
fer Vermuthung. Daher befchloß er denn auch
die Nacht nicht unterweges, fonbern in einem
BWirthöhanfe zuzubringen.
Aber fein Schlaf wär "nicht der beſte. Bei
jedem Beräufch im Hauſe und Hofe wachte er
auf, einen Ciubruch färchtend, der feinem Eigene
thume gälte. Dazwiſchen träumte er viel, unter _
‚andern auch vom Köhler und deſſen Heckethaler,
und die Vorzüge des letztern vor ſonſtigem Bere
mögen traten ihm immer mehr ins ih.
3u Haufe, wo er am folgenden Tage glüds |
lich dhlangte, beruhigte er ſich nach und nach,
wegen ber mit feinem Befige verbundenen Gefahr.
Auch verftärkten ſich, je mehr der Eindiud von
dem fchlimmen Anfehen und der rauhen Stimme
des Köhlers aus feinem Gedaͤchtniſſe derſchwand,
ı
25
bie ſchon fräßer von Zeit zu Zeit eingetretenen
Borwürfe Üiber den Verdacht gegen den Dann,
der ihm doch felbft feine Unterftäßung zum Er⸗
werb eined Heckethalers zugefagt hatte,
Der Todesfall feiner geliebten Mutter verſetzte
Stangen, ald er bie ZrauerHeider wegen ded Vets
terd fchon abzulegen gedachte, in eine zweite,
ſchmerzlichere Trauer, und fchob den Hochzeitter⸗
win bis in dad neue Jahr hinaus,
Dit der Mutter Tode fing überdies Franzend
Noth, wegen der Sicherheit feined Geldes von
neuem an. Denn ein Grundftäd, wie er zu ers
Zaufen wünfchte, fand fich Damals grade nicht,
eden fo wenig wollte fich ein Dann finden, dem
er fein Geld gern anvertrauet hätte. Da nun
feine Geichäfte in der Gegend nicht abriffen, fo
wußte er dad ganze Kapital auf Gerathewohl in der
einfamen Wohnung zurüdlaflen, und die Sorgen
Deshalb begleiteten ihn überall, Kr verfiel dar⸗
um auch häufiger ald zuvor auf den Gedanken
an bad große Gluͤck eines Heckethalers.
Eines Tage, ſchon tief im Herbfte, wo Mels
ſter Pilsner zu Deckung eines benachbarten Schlofs
ſes berufen war, fand er beim Mittageflen im
Birrhöhaufe einen Mann auf der Ofenbank figen,
deſſen Geficht ihm ſehr bekannt vorkam. Als jes
ner zu ſprechen anfing, erinnerte ihn die wider⸗
waͤrtige Stimme auch ſogleich an den KAbhler, dem
' 24
die Züge bed Fremden außerordentlich aͤhnelten.
Nur fchign dieſer jünger, als jener, auch trug das
Geſicht Feine Spur von Kohlenftaube,
Franz founte fich nicht enthalten, feiner aufs
fallenden Achnlichfeit mit dem Waldbewohner ges
geu ihn zu gedenfen. Da hörte. er denn, daß
diefer fein Bruder fey, und bald kam die Rede
auf beffen erftaunliche Kenntniffe der Naturkräfte
und hoͤhern Miffenfchaften überhaupt.
Beim Glaſe traulicyer mit dem Fremden gen
worden, erwähnte Franz endlich in Bezug auf
dieſe Wiſſenſchalten den Hegethaler, den der Koͤh⸗
ler befaß. .
a, fagte der Andere, das ift grade der Punkt,
um deswillgu.ich mit ihm zerfallen bin. Während
er nämlich) , wie ich recht gut weiß, manchem
Frewmden das Geheimniß, dazu zu gelangen, ohne
Miuflände mitgetheilt hat, will er gegen mich, ſei
ven leiblichen Bruder, nicht damit heraus, und,
bloß darum, nicht, weil ich, feiner Meinung nad),
fein rechter Hauswirth bin, und dergleichen Din⸗
ge mar ‚der Ordnung zu gut kommen follten. —
Judeſſen weiß ich jeßt auch ohne ihn zu ſolch eig
nem Kleinod zu gelangen, und beufe es naͤchſte
Weihnachtsnacht in’d Werk zu ſetzen. Zwar vers.
flieht wein Bruder. die Sache unfehlbar leichter.
abzuthun, dena meine Urt, den Hedethaler zu er⸗
werhen, hat allerbings ihre Schwierigkeiten, Aber,
beffer doch hie größere Mühe nicht geachtet, ala
die Sache ganz aufgegeben. Und, wie gejagt, ig
kurzen fech& Wochen , denke ich, den Hedethaler
in der Taſche, meinen werthen Herrn Bruder mit
feinem großen Geheimniffe weidlich auszulachen,
Mit einiger Schuͤchternhejt Außerte Franz den
Vunſch auch etwas von der Sache zu erfahren,
Herzlich gern will ich Euch entdecken, was
id) weiß, fagte der Andere, denn nichts iR mir
verhaßter, ald der leidige Geheimnißkram. Und
yrobat, darauf. verlaßt Euch, iſt mein Mittel, —
In der Chriſtnacht nämlich findet man fi) auf
dem erfien, beſten einfamen Kreuzwege ein. Sor
bald die Glocke eilf auögeichlagen hat, fängt man
bier an, einen Kreis von Thalern um fich herum
zu legen. In dieſen Kreis feßt man fich hinein.
Dann zählt man des Geld, erft vorwärts, dars
anf wieder zuruͤck, und fährt damit eine ganze
Stuade ft. Mit dem Schlage zwölf erhaltet
Ihr hierauf den Heckethaler. —
Das alles? rief Pilöner erkaunt und zweifelnd.
Nichts weiter!
Wahrlich eine finderleichte Kunſt! J
Bro For vorkin von Schwierigkeiten! —
Nun, ift denn die Herbeiſchaffung der Zhaler,
Vie zum Kreiſe gehören, nicht ſchon eine daslioe |
Schwierigleit ?
2⸗
Franz freute ſich daruͤber, daß dieſe bei ihm
ſo gut wie uͤberwunden war.
Und dann — fuhr der Andere fort — gehoͤrt
auch Muth und Hoffnung dazu. Denn waͤhrend
des Geldzaͤhlens iſt es keineswegs ſo einſam und
ruhig, wie jetzt hier im Wirthöhanfe, wo weder Wirth
noch Wirthin, noch fonft jemand zu erbliden iſt.
Bielmehr word es gar mannichfach um Euch herum
faufen und fchwirren und ſtoͤhnen und heulen und
saffeln, Alle gräßliche Töne und alle ſcheußliche Ge⸗
flalten werben auf Euern Kreis von allen Seiten
eindringen. Beſonders arg toben wirb es Euch
im Rüden, und immer feyn, als vb Euch jemand
allaugenblikli nad) dem Naden führe. Da
muͤßt Ihr denn ſtandhaft ausharren und ja- nicht
Euch danach umfehen wollen, auch beileibe nicht,
im Zählen : eins, zwei, drei und fo weiter, für Angft
und Schreden etwan eine Zahl Äbergeben. Denn
fonft ift ed um Euer Leben gefchehen und Euch das
Geſicht im Nu auf den Nüden gedreht! —
Und wer, fo fragte Franz mit leifer, bebender
Stimme, wer ift es, der fo viel Schrednifle ers
vegt; wer verfchafft mir den Hedethaler, wenn
ich mich nicht irren Jaffe ?
Ein Weſen Höherer Art, einer, den fe im gen
meinen Leben den Boͤſen nennen,
Da fprang der junge Meifter tief erſchuͤttert
von der Bank auf und ſprach: Gerne ſey von mir
ſolch Tine Gemeinſchaft. — Nein, nein, nein?
Wenn € kein beſſeres Mittel giebt, den Hecke⸗
thaler zu erlangen, fo foll er Zeitlebens nicht mein
werdet.
Hm, verſetzte der Andere, Ihr ſeid auch gar
zu bedenklich, Freund. Im Grunde ift es ja
weiter nichts, als dem fogenannten Bdſen eine
wögliche Sache abtrotzen; ihn zwingen, Euch
glädlich zu machen !
Nein, ſchon die bloße Bemeinfchaft ift Zrevel
und Suͤnde! fo ſprach Franz, ein Kreuz fchlagend
und verließ den Mann, der ihm noch hoͤhniſch
nachrief: So wendet Euch denn an meinen ſau⸗
bern Bruder, der auch vom Teufel nichts wiſſen
wat —
Pilsner fühlte ſich herzlich froh, als die Thuͤre
zwilchen ihm und dem Manne war, deſſen Züge
wit jedem Worte thdifcher zu werden fchienen.
Wie erſchrack er aber, als er am folgenden
Hbende, bei der Ruͤckkehr in die Heimath, die
Schiöffer ſeiner Wohnung aufgebrochen und feine
ganze Baarſchaft nicht wieder fand. So erloſch
dem auf Einmal der Gluͤcksſtern wieder, deſſen
er ſich zu freuen kaum angefangen hatte! Alle
Nadforihungen von feiner und der Obrigkeit
Seite blieben vergebens, und fein Zuftand war
uoch niemals: ſchlimmer geweſen. Der Beruf
ward ihm laͤſtig, der Schlaf floh ihn, und nichts
nn
-
ſchien ihm ein beſſeres Loos wieber zu verſprechen.
als die Erlangung eined Geldſtuͤckes, das ſich in
jeder Nacht vermehrte, Zwar würde fein Fünfs
tiger Schwiegervater den fortdauernden Beſitz des
Geldes bei ihm vorausgeſetzt haben, wenn er ihm
den Diebftahl nicht felbft entdeckte. Allein ein
Verbeimlihen der Sache dünkte ihm immer ein
heinzlicher Betrug, der Betrug um ein koͤſtliches
Kleinod ‚ wie feine Tochter war, wie ber Many
aun einmal dem unbemittelten. Werber nicht ges
ben wollte. Und Betrug — im ganzen Lebey
hatte er fi) deſſen noch nicht fchuldig gemacht ;
daher ſcheute er ſelbſt fein Gluͤck damit zu erfaufen,
.Das beſte Auskunftsmittel ſchien ihm noch. der
Gang zu dem bewußten Kdhler, da, wie deffey
Bruder doch felbft geaͤußert hatte, diefer eine befs
fere Urt, den Hcdethaler zu, erwerben kannte, auch
vom Teufel nichts wiffen wolle,
Zwei Tage vor dem heiligen Weihnachisfeſte
machte er ſich daher auf den Weg. Ach, wie ganız
anderd war dieſer in. ber kurzen Zeit gerworben |
Die Hoffaung , deren erfreuliche Zarbe ihn und
den ganzen Wald bekleidet hatte, war völlig aus
"feiner Bruſt verfhwunden Dazu lag in bem
Schnee ringsum ein einziges, großes Leichentuch
quögebreitet, das feinen heißen Gefuͤhlen ſchmerz⸗
liches Weh bereitete. Denn, wie fehr er auf die
Huͤlfe des Kdhlers rechnete, fo Iguerte doch has
29
hinter imiher auch eine Zurcht, bie ihn des Ge⸗
auſſes feiner Erwartung hicht froh werben lic;
Der Köhler und deſſen Bruder, wie -äßnlicy jas
den fie einander. Wenn num der Unterfchied zwi—
(hen ihren Mitteln, zum Hederhaler zu gelangen, - .
audy nicht weicntlicher war, als ber zwilchen ihrer
Yerfon? Wenn der Bruder des andern Äbnei—
gung vor dem Teufel ihm nur angedichtet hätte?
Wenn beide vereint arbeiteren, ihn in ein trauris "
sed Labprinth zu verwideln? —
Inzwiſchen langte er vor ber verfchneiten Hütte.
des Waldbewohnerd gegen Abend an. Auf ded
Wanderers Pochen dffnete der Schwarze: '
Franzen fchauerte bei dem Willkommen. Ent⸗
weder war des Koͤhlers Stimme noch kraͤchzen⸗
der, deffen Züge noch wibriger geworben, als im
Sommer, oder des jungen Meifters damaliger
Frohſinn hatte die haͤßliche Erfcheinung ein we⸗
nig überglaͤnzt; indeflen brachte der Wanderer
feine Worte an;
Habe ich's doch gedacht, erwieberte der Koͤh⸗
ler, daß Euer Gluͤck nicht lange Euer bleiben
würde Nun, wie ich verſprochen, fo fiehe ich
jest mir Freuden zu Dienfte, um Euch etwas -
Danernderes zu vwerfchaffen;
Seufzeud fragte Franz gradezu, ob auch die
Erwerbung des Heckethalers ſeiner Seele keinen
Nachtheil vringen koͤnne?
30
Ir ſeid ein Kind, antwortete ber Kbhler Ide
chelnd. Zwar giebt es Mittel und Bege dazu,
die etwas bedenklich find. So macht man Kreife
mit Geld auf Krenzwegen um ſich her, die beſſer
unterbleiben würden. Meine Urt aber iſt böchft
einfady, beruft auch auf eitel Eeremonien, ohne
welche die Geiſter nun einmal ihre Dienfte ver⸗
weigern. Ihr Tauft naͤmlich — aber noch in dies
fer Nacht, zwiſchen eilf und zwmdlf muß es ge
ſchehen — mit einem Sade, worin eine ſchwarze
Katze ſteckt, dreimal um bie nächte Kirche herum.
It diefed geſchehen, fo werdet Ihr einen Man
an der Hauptkirchenthuͤre wahrnehmen, auf den
geht Ihr zu und gebt ihm das Thier mit ber line
Yen Hand, wofhr Ihr in die rechte den Hecke⸗
thaler erhalten werdet. Der Mann wird Hierauf
bie Kate in taufend Städten zerreißen. Während
dies geſchieht, müßt Ihr jedoch eilen, um unter
Dady zu gelangen. Denn wird er fräßer mit
ber Kate fertig, fo Fommt er Euch nach und es
iſt um Euren Hals getan, —
Branz ſchauderte zurück. Und wer ift der Mann?
fragte er, mit kaum vernehmbarer Stimme. .
Ein Wefen höherer Natur, das verſteht ſich,
antwortete der Köpler unwillig. Wer mag die
Namen der Geifter wiſſen!
Uber doc) ein feindfeliges Weſen, wen es fo
fein Abſeben auf mein Leben richtet? verſetzte der
31
Echieferdecker. Wie möchte ich aus ſolcher Hand
mein Heil erwarten!
Ei fiel der Alte mörrifch ein, Grübler, wie
“br, taugen wenig zum Verkehr mir Geiftern.
Wo es auf Unbegreifliches anlommt, muß man
den Vorwig bei Seite ftellen. Da legt Euch nies
der; denn Eure Faſſungskraft wird allzuſchwach.
Nach zehn Uhr will ich Euch wecken. Mögt Ihr
dann nah der Stadt gehen und thun, wie ich
gerathen habe, oder bie Zeit verfäumen, mir kann
das gleich gelten. Auf Dank 'leifte ich gerne
Berzicht, nur muß niemand thun, al& ob der
Dienft, den ich ihm erweifen will, mir Vortheil
brachte!
Stanz wollte fich entfchuldigen; allein ein
Schlaf, wie durch Zauberkraft, bemädhtigte fich
feiner fogleich mit ganz unwiderftehlicher Gewalt.
Ihm tränmte von Aennchen. Gie flanden
beide auf der Spitze eines Selfen, deffen eine Seite
allmählig in das lieblichite Blumenthal, die ans
dre hingegen ſchnurgrade hinab an furchtbar hers
vorſtehenden Gteinfpigen in einen Fluß führte,
Aennchen beſchwor Sranzen bei Liebe und Leben⸗
Die Nacht nicht ungenutzt verſtreichen zu laſſen⸗
da er ihres Vaters Grundſatz kenne. Aber Frauz
war auch durch ihre Bitten und Thraͤnen nicht
zu bewegen. Und ſiehe, Aennchen, durch die
Berzweiflung bis zu des Abgrunds außerſtem
— —
— —
ze
Kande hingezogen. Franz, von allen Furien bers
folgt, ihr nach! Zu ſpaͤt. Schon hängen zer⸗
riſſene Rleibungsitüde an dem Felſen. Und druns
ten im Fluffe erbebt fi)” die biutende, halbzer⸗
ſchmetterte Geftalt noch einmal, um dann nicht
wieder gefehen zu werden. Franzens Entfegen
will fich in einem Schrei Luft wachen. Es fehlt
ihm die Stimme. Er will ihr nachflärgen: Da
fühle er fich zuruͤckgehalten und erwacht In ben
Armen — des Kdhlers, der ihm andeutet, daß
es nun Zeit fey, dem Werke nachzugehen, oder”
ſolches aufzugeben.
Trotz dem ichredlichen Gefichte; das der Era
wachte jet an dem Alten wahrnimmt, glaubt er
doch in ihm feinen Rertungsengel zu erbliden;
Mo ift die Kage? ruft Franz:
Dort ſchlaͤft eine im Winkel.
Im Nu ift das Rhier genommen und ein
Sad dazu.
Gelt, der Schlaf iſt der Vernunft ein guter
geprmeifter? fragt der Kohler lachend, und Franz
eilt, den feht widerfpenftigen Sad auf der Schuls
ter, zur Hhtte hinmus:
Trotz der außerorbentlichen Nachilälte trieb"
ihm der Traum doch noch immer den Schweiß‘
Über dad Geficht. Aennchens letztes Aechzen beim
Hinabfallen ſchien vor ihm herzugehen, und der
Mond, -die ganze weiße Schneefläche beleuchtend⸗
4
— — — — —
35 |
in jedem Schatten feiner Schöpfung ihr Haͤuder
tmgen nachzubilden. |
Da flieg der nächte, Franzen wohlbefannte
Kirchthurm, zu Augsburg vor ihm auf. Als ob
die Katze deſſen Nähe merke und fi) davor ent⸗
feße, jo ſtrengte fie jetzt plöglicy wieder alle Kräfte
md Krallen an, um dem prinlichen Gefängniffe
zu eutlonmen,
Franzen felbft hatte der Thurm diesmal et⸗
was Kiefenhaftes und Schreckliches, wie fein Vors
Imben, deſſen ganzen, unermeßlichen Umfang ee.
jeßt zum erſtenmale uͤberſah. Er Tome ſich
wicht mehr verheimlichen, daß der Geifl, mit dem
er ein Geihäft ahzuthun dachte, ein böfer ſeyn
muͤſſe. Und ein Geſchaͤft mit dieſem in der naͤm⸗
lien Nacht, in welcher der Heiland der Welt
geboren war! Bein Schweiß gerann zu Eife
bei diefem Gedanken. Schon in Begriff Sad
und Kage von fih zu thun, tönnte Aennchens
Aechzen Härter als jemals um ihn ber, und es
war ihm, als höre er eben die Wogen des Fluſ⸗
ſes über ihr zuſaumenſchlagen. Da tagte ihn die
Verzweiflung plötzlich gleich einer reißenben Winds⸗
braut in das Stadithor hinein.
Zitternd blieb er wieder auf dem Plate vor
der Kirche ſtehen, welcher das Zauberlicht des
Mondes einen Heiligenſchein umgegeben hatte;
Die frommen Gefühle, mit denen er an dieſem
Geſpenſterbuch. 5. Theil; €
54
Gotteshauſe gearbeitet, der Schieferbedier, der hier.
feinen Srevel gebuͤßt hatte, alles drang zerſtd⸗
rend auf ihn ein. Uber dicht bei dem verungluͤck⸗
ten Schieferdecker ftand auch fein Gluͤck, in Aenn⸗
chens Entzäden über fein Keben vor ihm! Sollte
er darum uicht alles thun, das ihrige zu erhals
ten? Augenblidlic begann er feinen Lauf um
die Kirche. Er ſah, wie ein paar ungeheure Eus
Ien, die ihn begleitet haben mochten, jetzt, als er
dem Hauptthore der Kirche gegenüber ſtehen blich,
ebenfalls fiill über ihm hielten. Da wollte ex
auf die Knie fallen und beten. Uber fein Herz
Batte Beine Gefähle, fein Mund Feine Worte für
Gebet und Andacht. Er hatte ſchon wirklich mit
dem Boͤſen zu unterhandeln angefangen und dem
Troft der Unterhaltung mit dem Himmel dadurch)
verfcherzt. '
Aennchens Verzweiflung ertönte von Neuem.
Zugleich. glaubte er ihr Haͤnderingen auf einem
benachbarten Berge zu erbliden. Und faft bes
mwußtlos war das zweite Drittheil feines Laufes
bald ebenfalls vollendet.
Noch ließ fich Fein Weien in der Hauptthüre
wahrnehmen. Da erwachte fein Gewiſſen abers
mals und rierh ihm zum Fliehen. Schon hatte die
Katze ſich los gemacht von feinem Arme und fuchte
auf ber Erde bes Sackes Ausgang. Da erfcholl ein
Heohnlachen, das ibm durch Mark und Gebein
hs
itterte. Der Satan ſchien ſich zu freuen, daß
Franz den Himmel und Aennchen zugleich ver⸗
lieren ſolle, und raſch ergriff er die Katze wieder
und raunte, von dem Geſchrei ſeiner Eulen be⸗
gleitet, auch das dritte Mal um die Kirche. Jetzt
fand er bie Thuͤre beſetzt und eilte darauf zu;
Es ſchien der Köhler ſelbſt, der ihn Hier era
wattete, nur waren feine Augen zu Flammen ges
Worden; wie der Hauch, der bläulicht aud feinen
Wunde quoll. |
Der Händel war geſchehen. Franz hielt ben
Thaler in feiner Hand und fah wie ber Geiſt
Sack und Rabe zugleich zerriß.
Auf ſeiner Flutht nach der benachbarten Mobs
nung b88 Meifters Holdings blickte er faft uns
verruͤckt hinter fi auf die Kirchthuͤre. Schon
war er dem Daufe nahe und der Boͤſe noch im⸗
mer bort mit der Katze befchäftigt, als biefer
furchtbar auflachte, dabei ploͤtzlich groß wie bie
Kirche wurde und von ihr mit zwei ungeheuren
Schritten ſo nahe hinter Franzen ftänd, daß ber
ur durch eine gluͤcliche Wendung in die Thuͤre
dem Griffe entging, det nach ihm geſchah. —
Meifter Holving hatte Franzen erft am fols
genden Tage erwartet ünd wunderte fich nicht
wenig Über feine plögliche Ankunft in einer fo
frengen Winternacht, dabei Auch hber das Tode
tenäpirliche ſeines ganzen, fohft gewobnlich ſo mun⸗
68
-— r_
Ag
56
teru Weſens. Yennchen erſchrack faſt vor dem
längit Erichnten. Denn was auch feine Worte
fagen mochten, fo ſchien ihm doch die Liebe vbl⸗
bg. aus, din Zügen verichivunden.
Ihr muͤßt fehr Trank ſeyn, Franz, Hagte fie
daher, und er ichob allcd auf die Eil, mit der er
feine Reiie. betrieben babe.
So ruht Eud) aus, Meifter, (prach der Va⸗
tet. Sch. denke mir Aennchen die Shriftmetten zu
befuchen, wozu es bald Zeit wird,
Da laßt mich Euern Begleiter ſeyn! lagte
Kranz, von der Kirche und ben andaͤchtigen Td⸗
nen darin die Heiligung wieder erwartend, deren
Abgang ihn eben ſo niederdruͤckte.
Wenn Ihr fo wollt, in Gottes Namen! rief
Meiſter Holding, und nicht lange darauf ſchickte
man ſich zum Kirchgange an.
Aber Stanz fand beim Wiedererblicken der
Kirche wie vernichter. Was konnte fie, was konn⸗
ten die erfreuliche Glockenklaͤnge einem fuͤr Troſt
geben, der ſich zu ſo gottioſem Gaukelſpiele her⸗
abgelaſſen batte?
Zum noch groͤßern Ungläd ging es grade in
die Hauprthüre, wo er erit fur; zuvor den Hecke⸗
thaler eintauſchte. Er ſchwankte die Stufen bes
bend hinan, die er während der Thurmerneuung
ſo oft frohen Muthes betreten hatte. Die from⸗
men Gefänge famisten, ftatt zu heilen, tiefer nur
2
in fein blutendes Herz. Die reingeftiinmte Orgel
beleidigie jein unreines Dhr, und der Segen, der
Run ausgeſprochen ward, fehüttelte die Glleder
des Sünders wie ein Fieberfroft zufamnıen. Es
ward ihm auch nicht cher etwas beſſer, als bie
er bad Haus Gottes wicder in Ruͤcken hatte.
Eine Krankheit, bie noch an demſelben Tage
Meiſter Holdingen befiel, zog Aennchens Yufs
merkſamkeit und Sorge von Franzen ab und
gaͤnzlich nach jhrem Vater hinüber. Noch vor
Sonnenuntergang eniſchlumnierte dieſer, um auf
der ErdE nicht wieder zu erwachen.
Aennchen bielt es für gerechten Schmerz. als
Sranz, die Hände vor die Augen gehalten, au
dem Sterbebette zu Boden flürzte. Uber Die fros
ben Hoffnungen auf dem Gefichte des Sterber⸗
den waren ed, die ihn. niederwarfen, der Glauz
der Augen ſchon trunken von dem kuͤnftigen Giuͤcke,
den er um fo weniger ertragen konnte, je. lebhaf⸗
ter er ihn an den nicht minder ſchouen a fen,
nes Vaters erinnere.
Bis zur Beerdigung des Sreinmehen Hatte
Bennchen durchaus keinen Sinn, als für ihrem ei⸗
gem Schmerz. Ach, wie viel Liebe ging ihr
mit den Gebeinen des braven Mannes zu Grabe,
und fo gut und folgiam fie auch jeberzeit. gewe⸗
fon war, fo machte fie ſich doch tauſenn Vore
sd 7
do
‚ vohrfe, daß fie für ſeme große Waterforge bhm
nicht Dankes genug abgetragen haben möchte,
Der Todesfall harte Franzen von felbft nad
dem Wirthshauſe verwiehen, doch brachte er den
größten Theil feiner Zeit bei ber Merlobren gu,
Schon darum gefchah dieſes, weil er fonft fait
überafl auf dem ihm fo. verhaßten Köhler oder befs
fen Bruder ftieß, die, wie ihm jetzt vorfam, nux
in Einer Derfon beitanden,
Nur zu bald, ward Aennchen die große Bern
anderung inne, die mit ihrem Bräutigam vorges
gangen war. Sie drang in ihn fich ihr zu ent⸗
deden, und. kam durch die Gewährung dieſes Wun⸗
ſches faſt von ihrem Bewußtſeyn.
Eie beſtand vor allem darauf, daß Franz den
gefaͤhrlichen Thaler von fich thue. Nur dadurch,
meinte ſie, werde er Gemeinſchaft und Umgang
bes Bdſen adwerfen kͤnnen, und Franz. lieferte
ihr ſogleich nicht nur den Heckethaler, ſondern auch
das Geld aus, das durch ihn gewonnen wor⸗
den war.
Man überlegte, ob letzteres wohl den Armen
zu geben ſey. Milein Mennchen hielt den Urfprung
für allzufchlimm , als daß heilfame Folgen dar⸗
aus zu hoffen flünden; daher ward es in dem
Buß geworfen. Fuͤr den Heckethaler fchien dieſe
Maapregel beiden nicht genug. Zwar hatte Meis
ſter Pilſner gehbrt, daß ex in anderer Hand, al&
9
ver, für weldye er urfpränglidy beftimmt war, oh⸗
se alle Wirkung fey. Doc) fragte fich died um
fo mehr, da feine Quelle allen Verdacht der Lüge
gegen fich hatte. Man legte daher eines Abends
den Thaler auf einen Ambos, und Stanz hieb fo
lange mit allen- Kräften darauf los, bis die Muͤn⸗
ze in unzählige Stüde gegangen war; wobei «8
ihm und Aennchen ſchien, als ob fidy, außer dem
bierdurd) erzeugten Schalle, aud) noch ein Aech⸗
zen and Wimmern hören laffe. —
Bein Nachhaufegehen fuhr Franz heftig zus
fammen , als ihm auf der Straße ein lautes Hohn⸗
gelächter ins Ohr Hang und bald nachher des
Kdhlers Geficht, vom Monde beleuchtet, ihn über
die Schulter heruͤher, mit feiner ganzen Hasuich⸗
keit angrinzte.
Das heißt, ſich dem Teufel umſonſt erge⸗
ben! ſprach der Köhler boshaft. Oder meineſt
Du Thor, mich koͤnneſt Du auch fo hald los were
den, wie meinen Thaler?
Franz, außer ſich für Schmen. beſchloß waͤh⸗
rend der völlig ſchlafloſen Nacht, den andern
Morgen mit dem Fruͤheſten Abfchied von der Braut
3u nehmen, and bei feinem Gewerbe, das ihn an’
eine ziemlich entfernte Kirche rief, Zuflucht gegen
Die Geſellſchaft des Verderbers zu fuchen. —
Aennchen beichwor ihn um Nachrichten, haupt⸗
fäcplich swegen feines unglüdlichen Verhaͤltniſſes
44
mit dem Boͤſen. Er verfprach ihr ſolche und hielt
auch Wort damit. Aber die Nachrichten hatten,
nichts tröflliched. Wenn er, wie vormals, fein
Tagewerk mit Gebet anfing, da hörte er gemei⸗
niglich des Köhlers tuͤckiſches Lachen aus einem
Winkel feiner Klaufe fallen, und da ward er
irre in feiner Andacht und wagte nicht weiter
fortzubeten. Daher ging er dans immer ohne
allen Muth an die Arbeit. Saß er nun droben
auf Dächern und Thürmen, fo fiel ihm gewoͤhn⸗
Udy der Meifter ein, der ein fo boſes Ende ge⸗
nommen, und da faßte ihn oft ein Schwindel
dergeftalt, daB er fein Werk mußte liegen laſſen;
zumal wenn — wie nicht felten geſchah — des
Köplers Geſicht aus einem benachbarten Dachfen⸗
ſter ihn anlachte.
Aennchens Kummer: daruͤber war fo groß, daß
Be es ichs Kinger in der Heimath ertragen konnte.
Eines Morgens, ald Meifter Pilsner eben wie»
der im Gebete geftdet worden war, fagte ihm
der Hausknecht des nahen Gaſthofes, Bag ihn Je⸗
mand zu ſprechen verlange. Schnell machte er
Ach auf den Weg und fand — Aennchen.
Branz, ſprach fie, Euer Zufland nagt mir alle
zuſehr am Herzen. Da nun mein Geber zu Haufe
nicht Träftig genug if, ihn zu lindern, fo will ich
«8 auf andere Weiſe verfuchen. Auf meine ins
Fändigen Bitten hat mich meine Baſe ber Nebtife
4
(in eines fehr ſtrengen Alofierd empfohlen. Dort
bin gebe ich eben, um durch lebenslängliche Ans
dacht und Bußuͤbung Euch, wie ich gewiß hoffe,
ein befleres Schickfal zu bereiten.
Liebſtes Aennchen! rief Franz im boͤchſten
Schmerze, denn bis dahin hatte er den Gedan⸗
ten, fie zu heirashen, noch nicht aufgeben Tönnen;
fo wäre denn auch dieſe eine, einzige Hoffnung,
der einzige Zweck jenes uuſeligen Frevels in Der
Chriſtnacht, mir gaͤnzlich verloren ?
Wie anderd ? erwiederte Aennchen. Unſere
Berbindung könnte und beiden doch nur neuen
Unfegen bringen!
Leider, ſprichſt Du wahr, gutes Nennchen,
Sollteſt Du denn aber darum das Dpfer feyn ?
Rein, ich, ic) felbft will den Weg in’s Kiofter
einfchlagen, und Das noch heutigen Tages }
Mit nichten, werther Franz. Laß mir doch
immer dad Heine Verdienſt, Deine Vergehung,
wo möglich, abzubäßen. Wenn ich: nun einmal
Dich entbehren foll, fo ınag ich einen Undern auch
wicht: Und wozu Tonne denn ich, im ledigen
Stande, der Welt fonderlich nuͤtzen? Mit Dir
aber ift c8 ein Anderes. Der Männer, geſchickt
wie Du, follen, fo fagte mein feliger Vater oft,
sicht viele fen. Drum bleibe Du bei Deinem
Gewerbe, und bilf ferner die Ehre Gottes durch
den Bau an feinen Heiligthümern befbrdern, Bin
u
@
ich doch ohnebin, Teider! bie erfte Veraulaſſung
gu Deinem Vergehen. Denn unfehlbar hat nur mein
früherer, bier Gedanke den boͤſen Traum in Dir
erzeugt, der die unfelige That zur Beife brachte!
Umfonft verfuchte Pilsner mehrere Gegenvors
ſtellungen ; Aennchen beharrte bei dem Eurichkuffe,
ja fein vielfältiges Bitten konnte fie nicht einmal
gu Nennung des Kloſters bewegen. Doch vers
ſprach fie, ihm dann und wann Nachricht von
ſich geben zu laffen,
Der Abſchied war fo beträbt, daß Franz ihn
wicht zu überleben glaubte. Da er dies gegen
Aennchen Auperte, ſagte fie: Denke wenigftens,
in weldyed Unpeil und mein ſtrafbares Vorhaben
ſchon gebracht Hat und vereitele mein Beftreben
für Deine zeitliche und ewige Ruhe nicht dadurch,
daß Du frevelhaft felbft Hand au Dein Leben
legeſt.
Sranz gab ihr Hierauf feine Zuſage, dies ges
wiß nicht zu thun, und ſchlich traurig hinweg.
Aber er Tam nicht weit. Wiglmehr wartete er
Ürer auf der Straße, ergriff, als fie fam, mit
beiden Händen Aeunchens Rechte, und rief ihr,
die ſolche, unwillig über ein fo auffallended Bes
zehmen, zuruͤckzog, noch ehe er ſich ſchuell ent⸗
ferate, ein Lebewohl zu, wovon, fo leiſe er's auch
ausſprach, doch die geeimften Tiefen ihrer Seele
wieberpallten, —
’
⸗
6
Wirklich nahen Han nach einiger Zeit die
Pirtung von Aennchens Bußübungen an fich
wahr. Die Geſtalten, die ihn zu erfchredten pflege
ten, fo wie dad zumeilen auch ohne fiatbare Urs
jache ihn anfchmetternde Hohngelaͤchter, quälten
(a immer ſeltener und ſeltener. Schon fing er
on, auf Fünftige vollfommene Befreiung yon dem
böfen Dingen zu hoffen, und betrieb fein Hand⸗
toert zwar nicht mit dem Muthe und Frohſinne
der frühern Zeit, aber doch wieder ziemlich ges
troſt und ſicher. Nur fehlte ihm lange alle Nach⸗
richt von der Bäßenden, bis endlich eines Abends
ein Bettelmönd) ihm Grüße brachte, und fich nach
feinem geifligen und leiblichen Befinden in ihrem
Namen erfundigte, u
Die freundlidye Miene de& Moͤnchs bei dem
guten Ausfalle der Erkundigung gab Sranzen
Ruth, ihn um Entdedlung von Nennchens Kilos
Rer zu befchwören. Allein der Mönch verwei⸗
gerte ibm dieſe durchand. i
Nach einiger Zeit kam er wieder mit Nachrich⸗ |
ten un Grüßen, verwies aber Meifter Pilsnere
eruftlich die fortdauernden Forſchungen nach Aenn⸗
bend Aufen thalte. —
AS jedoch der Monch zam deitten Male iha
auffuchte, fprach er alſo zu ihm: Lieder, ich habe
dem hochwuͤrdigen Biſchofe, der außer ber Aeb⸗
Affin ebenfalls allezeit um meine Botſchaft wußte,
Pr
.,.
.
re
u cd DEE
4
Euer: Verlangen nad) —XR von bem Klo⸗
ſter mitgethellt, und auf meine Bitten hat er end⸗
ulich geſtattet, Euch fogar mit dahin zu nehmen
und Eure vormalige Liebſte an ihrem geifllichen
Ehrentage, der Einkleidung als wirkliche Braut
des Heilandes, in feinem Gefolge zum letzten
Male zu jehen.
Franzens Freude würde fich noch mehr geaͤu⸗
Bert haben, wenn nicht mit dem Hobnlachen, das
in dem nämlichen Augenblidde erfcholl, die noch
immer nicht ganz bezwungene Macht des Böfen
über :ihn, fich zu erkennen gegeben hätte. Der
Moͤnch ertheilte ihm indeffen den Troſt, daß diefe
Macht nach der Ablegung des Gelübdes der beis
ſpiellos frommen Jungfrau wahricheinlic) ganz
aufpöreh werde. —
Sie treten hierauf ihren Weg gemeinfchaftlich
en, und kamen grade am Ubende vor Ber
Einkleidung in die Gegend des Klofterd. .. Des
Moͤnch verlich Franzen im Wirthöhaufe, mit dem
VBirſprechen, ihn am folgenden Morgen zum Bis
fibofe, der: da erwarter wurbe, abzuholen.
:: Kaum aber hatte Der mühe Wanderer ſich fein
ner Schlafftelle genähert, fo trat auch ber Köhler
zut. Ehre herein mad fpeadh: Bergebens wähnft
Du meiner 108. zn werben, Du Thor. Aber aus
freiem Willen werde ich yon Dir laſſen, wens Du
verſohnlichen Gemuͤthes biſt.
*
Ws Hierauf Franz beide Hände vorhielt, um.
fine Nähe abzuwehren, auch jedes Wort mit ihm
sermeiben zu wollen ichten, da fuhr der Ulte fort z
Wer ift denn Schuld an dem üben Vernehmen
zwiſchen und, als Du ſelber? Nachdem ich Dir
zu einem ungewöhnlichen Gluͤcke verholfen hatte,
warfeſt Du's auf die beleidigendfte Weiſe von
Dir und thatefl, mad nur. der gröbfte Undant zu
than fähig if. Du und Deine Braut, Ihr fuche
tet alles hervor, mich zu reizen, und fchreibt nun.
mein feltenereö Erfcheinen Euern lächerlichen Bußs
übungen und Gebeten gu! Gtatt der Vernunft
Gehoͤr zu geben, und eined erworbenen Gluͤckes
rubig zu genießen, laßt Ihr Euch von lofer Pfafe
fenmeinung bethören und ein Band trennen, uns
beöwillen Du einzig meinen. Beiftand benutzteſt!
Schäme Did fo toller Miderfpräche in Deinem
Handeln. Schaͤme Dich zwiefach des Weges,
hierher! So willſt Du denn fo niederträchtig.
ſeyn, morgen dem feierlichen Raube Deiner Braut
felber beizumohnen, zu dem Dich die tuͤckiſche
Hohubegier der Pfaffen berbefchieden hat? -Eo
willft Du ihnen das Entzüden an der Qual Deia,
ned blutenden Herzens vergbnnen ? —
Pilöner trat einen Schritt zurkd, Denn
wirklich fühlte er ſchon im Voraus die Pein des.
morgenden Feſtes an feinem Herzen wüthen.
Stanz, ſprach hierauf der Köhler freunblichen,
fr ı
als jemald, vertraue mir, und hoch in biefet Nacht
ſchaffe id Dich mit Deiner Braut weit von hier,
auch fol Euch nicht dad mindeſte Leid wider⸗
fahren. .
Aber Franz, fo fehr er auch erfchättert war
bon dem feiner Sehnſucht fo mwohlgefälligen Era
bieten, raffte ſich dennoch auf und ſprach: Hebe
Dich weg don mir! — Und fogleich eilte der
Köhler davon, erbot ſich jedoch noch immer anf
den erften Ruf in der Nacht wieder zu kommen
umd ihm zu feiner Braut zu verhelfen. J
Die boſe Nacht wollte für unfern Meiſter kein
Ende nehmen, auch ſtand er in der That mehrere
Mal auf dem Punkte, den Kdhler herbeizurufen,
fo groß war fein Verlangen nach Aennchen und
feine Furcht vor dem morgendeh Geluͤbde. Gleich⸗
wohl Aberwand er den böfen Drang und freute
ſich recht fehr, daß es geichehen war, als mit
dem freundlichen Moörgenlichte auch in feiner Seele
ein Kicht Aufging, wobei ihm klar wurde, was zu
feinem Heile diente,
Zwar erflang dad bekannte Hohnlachen dies⸗
mal fo ſtark, daß ihm die Wände davon zu drößs
ten fchienen, wie jet ber Biſchof angefahren kam.
Aber in der Nähe dieſes frommen Mannes irrte
ed ihn gar nicht;
Bald darauf erſchien der Moͤnch ihn abzuho⸗
len. Sie gingen, wurden jedoch im Klofter beibe zum
49
Barten befchieben. Denn fo eben war die Aeb⸗
tiſſin mit der Einzulleidenden bei dem Bifchofe,
Diefer- fegnete fie und redete fie alfo an: Anna,
au Deinem treftlich frommen Wandel hat ſich
das ganze Klofter erbaut ımd erfreut, Jetzt aber
ſprich, ob es Dein feſter, unwiderruflicher Wille
iſt, nie in die Welt zuruͤckzukehren, und einzig
dem hohen Braͤutigam zu leben, dem Du Dich
aus eigenem Triebe gewidmet haft ?
Aennchen drädte ihr Verlangen datnach zwar
ſtumm uud demuͤthig, aber kraͤftig und unzwei⸗
dentig genug aus. |
Gage zuvor, fprady hierauf der Biſchof ſtren⸗
ge, ſage, ob auch die reine Liebe zu Gott, niche
Nebenabfichten, Dein Ergreifen des heiligen Schlei⸗
erö veranlaflen; fage, ob, wenn Dein vormalf,
ger, irbiicher Bräurigam fchon befreit wäre von
dem Bbien, Du eben fo frohen Herzens, wie jet,
die Braut Deines Erldſers werben wuͤrdeſt?
Da erbleichte die Bäßenbe und die Thräsen,
die aus ihren Augen ftürzten, bezeugten ihre Scheu
vor der Beantwortung diefer Frage,
Anna, ſprach nun der Bifchof, ich Iefe in Dei⸗
ner Seele. So fromm Du audy bift, fo wenig
bift Du doch des hohen Bräutigams würdig, In
femem Namen verwerfe ih Di! —
Da ſank die Tiefgebeugte mit lauten Schrei
in des Biſchofs Fuͤßen und umfaßte dann ſtumm
⸗
43
und zitternd die Knike des heiligen Mannes, and
er neigte fich zu ihr und fuhr mit milder Stinnre
alfo fort: Aber, ich erhebe Dich auch. ' Denn ift
auch nicht allen gegeben, {chen bier einzig des
Herrn zu ſeyn, ſo bit Du doch vor vielen vohre
dig, jolched dereinft, nebft Deinem Bräutigam,
zu werden.
Und.nun bob er ſi e empor, druͤckte ſeinen Mund
auf ihre Stirne, und winkte nach der Thuͤre. Da
brachte man Franzen herein, und nachbem der
Bifchof ihn eine Weile freundlich betrachtet, nahm
er mit feinem heiligen Segen alles von ihm hine
weg, was ben Armen zeither gepreßt und geängs
figet hatte. —
Bon Sruude an hatte der Boͤſe Beinen. Theil
mehr an dem Neubeſecelten, der feine geliebte: Ana
na bald nachher chelichte, "and mit ihr ein langes
gottſeliges Leben führte, das in dem froͤhlichen
Kinderkeeife, der am fie heranwuchs, immer teus
bofinungsreiche Bluͤthen trieb, -,
a } ..
Der giebesfhwun
1.
Die Aanehmlichkeiten einer großen, genußvollen
Reſidenz reichten nicht kin, den Baron Heins⸗
berg in ihr feſtzuhalten. Alles erinnerte ihn au
den Berluft der lichemswärbign Gemahlin, mit
der er hier zwei glüdliche Jahre veriebt hatte.
Kein Geräufch vermochte. feinen Sinn’ zu betaͤn⸗
ben, der fortdauernd auf die durch den Todesfall
entſtandene, unheimliche Leere in feiner Bruſt ges
richtet war. Die Natur -und eine hoͤchſt aumu⸗
tige Gegend blieben ihm noch die einzige Hoffe
aung, als jet, nach einem düflern, neblichten
Winter, der Fruͤhling mir feinen taufendfachen
Sarden und Klängen fich ringsumher lagerte.
Aber die allgegenwärtige Stimme bee Liebe vera
wundete ihn nur tiefer, und, außer dem melan⸗
choliſchen Einerlei. des benachbarten Gehblged,
hatte er bald Teinen Ort mehr, in dem fich feine
Wunden ertragen ließen. Das Dunkel und die
Stile der grünen Eindde ſchien waren auf daB
eſpenſterbuch. 3, Theil.
a
- 1 * Na_» 4
tiefere Dunkel und bie ganz lautloſe Gtiffe zu
deuten, von der allein er feine Heilung erwartete. |
Güntherdau, ein entfernter Freund, ber dieſen
feinen Zuftand aus Briefen Tannte, hielt es für
Pflicht, den jungen, wohlhabenden und talentvoßlen
Mann einer langen Einſamkeit zu entreißen, in
der er feinem Untergange mit ſchnellem Schritte
entgegen wankte.
Er überrafchte ihn eines Abends und verweilte
wmehrete Tage bei ihm. Gefliſſentlich führte er
feine Gedaufen in die · gemeinſchaftlich verlebte
Vergangenheit zuräd. Der Zauber der heitern,
alabemifchen Jahre wurde noch einmal, nur rus
biger, in der Erinnerung genoffen. Ihr Leichtſinn
Bonnte zwar den Handlungen des Mannes nicht
zur Grundlage dienen, eben fo wenig aber eine
zweckloſe Trauer ihn zur Unthätigfeit verdammen
"follen. Guͤnthersau wußte dem Freunde dieſes
an's Herz zu legen und ihn zu einer Reiſe zu
überseven,
—W 2.
Dhne großen Erfolg ‚waren fie ſchon mehrere
VBrunnenorte durchftricyen, bis fie endlich in Pyr⸗
mout den Grafen von Ambach, .einen bei fünf
md vierzig Jahren noch fehr wohlerhaltenen, le⸗
bensluftigen Mann, antrafen, deffen geiftreiche
Miene und Zovialität Heinsbergen mehr als als
les Webrige anfprach,
51
Graf Ambach erwartete feine Familie, Die
Nngeduld, mit der es geſchah, erweckte den Freun⸗
den die Hoffnung auf neue, intereffante Bekannte
ſchaften, von der fie fich auch nachher keineswe⸗
ge& betrogen fahen. Schon dad Aeußere der drei
Damen, die, begleitet von dem verilingten: Ebens
bilde des Grafen, bald erfchienen, weiffagte ihnen _
ein. ganz neues, erhöhetes Leben. Kein Menicy
hätte der Bräfin das Alter von einigen und-breis
Big Fahren angefehen, Fein Menfch geglaubr, daß
fie von drei -fo erwachfenen Kindern die Mutter
ſeyn koͤnne. Noch war an ihrem hohen, Bräftis
den Bau duch) nicht Eine Zerflörung zu entdels
ten. Ihre fchönen Glieder ſprachen die Külle
des herrlichfien Lebens aus; und aus dem dun⸗
keln Auge blitzte der innere Reichthum, von dem
die voſllkommernſten Lippen fortdauernd ein noch
unverdaͤchtigeres Zeugniß ablegten. Jede. Bewe⸗
gung, ihres fchbuien Körpers war bewußtlos bey.
Sragien entiehnt und ed war dabei ‚kein Wunder,
wenn in Guͤnthersau (dom am erften Abende Ges
fühle für die Dame erwachten, die auf die Länge
den Mechten ihre Gemahls mit Beeinträchtigung
drohten.
ar aber die Graͤfin der vollendeten Roſe
gut zu vergleichen, fo mußte man bei den frifchen
Reizen ihrer Töchter nothwendig an die Knoſpen
denken ; deren hoͤchſte Swonhen noch erſt durch
2
52
den Bli der Sonne entfaltet werden fol, Koͤſt⸗
liche Kinder der unverfälichten Natur! Dazu fo
verfchieden,, daß fie den Charakter der Schönheit
jede auf ihre Weile darſtellten. Jukunde, die
ältere, mit braunen Augen, war, bis auf unbe»
deutende Abweichungen, der Mutter an Fülle und
Teuer ganz nachgerarhen. Dagegen firahlie aus
dem großen, blauen Auge Mariend ein Licht, wie
Die Sterne ed geben, fo füß und tief eindringend;
and) war cd, ald ob ihre ganze, lilienweiße, übers
aus Schlanke Geſtalt der Schimmer einer höheren
Abkunft umflöffee Selbſt ihre wenigen, immer
anfpruchlofen, Worte, und die Bewegung des
Mundes dabei, hatten etwas Bezauberndes. Auch
achtete man auf die geringften Laute von ihr, wie
auf etwas von tiefer Bedeutung. -
Ob fie fon im Geſange ſich durchaus nicht
meffen konnte mit der reihen ausgebildeten Stim⸗
me ihrer Schweiter,, {6 zog doch ihr weit ſchwaͤ⸗
cherer Ton die Zuhbrer mächtig an. Ein Geis
ſterklang fchien es zu fenn; ein Wunder, aus dem
heiligen Grunde des fchönften Gemuͤthes herauf⸗
geftiegen,
. Keinsberg hing mit inniger Sehnſucht an ih⸗
rem Geſange. Er fcholl wie. die Stimme feiner
Verlorenen aus den Räumen der Seligen zu ihm
heruͤber.
e 3. ’ WBG FL
Eines Abende, ald Marie das Lieblingsſtück
der Verftorbenen, den König von Thule, fang,
da hielt er ſich nicht länger. Er filirzte ihr zu
Süßen, die Hand ſtuͤrmiſch an feinen Mund. prefs
ſend. Diefe Romanze fchien es geweien zu fen,
was ihm fo lange gefehle harte. Sein Benchs
men fiel Abrigens den Andern nicht. fehr auf,
da Marie den ſchoͤnen Geſang wirklich ganz herzs
ergreifend vortrug, und jedermann im Haufe,
gleichianı, ald ob man den hoͤhern Urſprung ſtill⸗
fihweigend anerkenne, ohnehin gewohnt war, fie
bei aller Gelegenheit beſonders undzuzeichnen,
Ein Rittergut, in der Nähe des Ambachſchen,
das zu verkaufen war und fehr gerühmt wurde,
fand an Heinsbergen einen um fo eifrigern Lieb⸗
haber, da jene. Gegend durch ihre: Naturmunder'
in großem Rufe fand, auch, nach der Erzählung
der Nachbarn, in einem weiten Umfreife überaus:
gebildete und gejellige Bewohner batte.
Heinsberg war nämlidy durch die Einfamleit
ſelbſt von diejer ganz zurüc'gefommen ımd glaubte
jeht im freundlichen Beiſammenſeyn mit andern
"oildeten auf dem Lande ,. das. Leben noch am:
leichteften ertragen zu können. Daher begleitete
er auch nebft Guͤnthersau die Ambachſche Fami⸗
lie in ihre Heimath, um das verkaͤufliche Gut in
Bugenfchein zu nehmen, und da er die Bedingun⸗
N %
— FE
— — — — — — .. —
54
u gen annehmlich fand, fo war wirklich der Kauf
in Kutzem abgefcyloffen.
4.
Das Verhaͤltniß zwiſchen dem Ambachſchen
Hauſe und Heinsberg zog ſich immer dichter und
dichter. Graf Ambach und die Seinigen vermiße
ten ihn ſehr, wenn er auch nur einen Tag ausge⸗
blieben war. Heinsberg ſelbſt ſchien das Höchite
Gluͤck ſeines jetzigen Daſeyns in dieſen Kreis zu
ſetzen, deſſen Haupt fuͤr ihn Marie war, Guͤn⸗
thersau blieb ebenfalls einige Zeit hier und trug
feine Neigung, die bei der Gräfin keine Erwiede⸗
rung fand, auf deren ältere Tochter über, fo dag.
zu Unfange des Herbſtes deſſen Verlohung mit
ihr gefeiert wurde.
Dhfchon etwas Aehnliches zwiſchen Heinsberg
und Marie nicht, eingetroffen war, fo ſchien doch
ihre wechfelftitige -Art und Weile barauf hinzum
deuten. Die Mutter freute fich übrigend dars
über, daß noch nichts davon zur Sprache kam.
weil Marie erft im fechgehnten Jahre fland, und
fie dem ohnehin allyuzarten Weſen die mit jedem
gutgeführten Hausftande verbundenen Sorgen gern
noch einige Zeit erfpart hätte,
Guͤnthersau's Hochzeit war, fehr wider deſſen
Willen, immer weiter binansgefchoben worden,
weil man das fröhliche Pärchen außerdem zu früß
gu verlieren fürchtete, auch vielleicht die Gräfin
aM _
55
Iinbach damit zugleich Mariend Werlobung- weis
ter zu entfernen dachte, die ſich — wenn nicht
ales täufchte — an jenes Hochzeitfeft knuͤpfen zu
wollen ſchien. |
5.
Als endlich das erſte Schneegeſtoͤber die raube
Zeit ankuͤndigte, da. gab ſich Guͤnthersau nicht
laͤnger ruhig darein, auch fehlte Ambachs der
Borwand ihn noch zuruckzuhalten; daher beſchloß
man der Sache den Lauf gu laſſen.
Den ganzen Sommer hatte man durch Zelte
verfchömert, die mit der Jahreszeit in Verbindung:
fanden. Beſonders luſtig war noch zuletzt die
Weinlefe ausgefallen. Drum glaubte man jetzt
etwas diefer Art auch für die bewußte Hochzeit
thun zu. muͤſſen. Die Kirmes bei einem seichen
Hachter in der Nachbarichaft, weicher ein großer.
Theil der ummohnenden Gutsbeſitzer nebft meh⸗
rern Bekannten aus nahen Städten beigewohnt
hatte, gab Veraulaſſung zu dem Winterfeſte, das
man für Guͤnthersau's Hochzeit erſann. In Mas⸗
Yen follte die Nachahmung der Kirmes gefcheben,
and Graf Ambady übernahm es, eine Menge Bes
Janste zum Abende des Tages einzuladen.
Um den Scherz zu erhöhen, verrieth er niee
mand, auf wen feine Wahl gefallen ſey, daher
jeder der Gaͤſte den freieften Spielraum zu Be⸗
beuptung feines Inkognito bis zus Tafel erbielt,
[\
56
and der Wis ſich unter allerlei abentheuerithen
Berfleidungen defto ungeftdrter behaupten kounke.
Die Hochzeit felbft war bloß mit den genauern
Sreunden gefeiert worden, Die dabei immer aus
klingende Trennung des folgenden Tages erzeugte
aber eine fo däftere Stimmung, daß man nur
ſchwer fidy entfchloß, die bereits fertig liegenden
Masten anzulegen. -
6.
Schon prophezeihte man dem Kefte des Abends
nicht viel Gutes, als die nach und nad) erfolgen
de Anknunft mehrerer auffallend Verkleideter der
Phan taſie eine gefälligere Nichtung gab. - -
Jeder der Säfte hatte dem zum tieffien Still⸗
fihweigen verurtheilten Hausbofmeifter feinen Na⸗
men anzugeben, und Graf Ambach war, ald- er
Die Lifte von ihm erbielt,, fehr erfrent, daß der
groͤßte Theil der Geladenen ſich eingeftelit hatte.
Man erfchöpfte ſich wechlelöweife in Rathen
md Nachforfchen, bis am Ende der Scharffinn,
bauptfächlich der Damen, bie meiften Anweſenden
heransbrachte.
Unter den wenigen, die ein Rathfel blieben,
zeichnete ſich deſonders ein Equilibrift aud, durchs
ans nicht: mit denen gu vergleichen, bie Durch
Heramfireifen auf Kirmſen ımd Jahrmaͤrkten von
einem geringen Talente Nutzen zu ziehen. wiſſen.
Nathrlih war es zwar, baß ſchon fein Aeuheres
— in P
87
an Glanz und Anftand tin hoch Aber den Kreis
eines gemeinen Gauklers fetzte. Allein, daß auch
die Klınfte, mit denen er die Anweſenden ergdtzte,
emen Grad der Bollenbung hatten, der dad Nich⸗
tige ihres Weſens adelte, das fette die Geſell⸗
ſchaft, und vor ‚allen. den Hauswirth, in Verwun⸗
derung , weil er in der Lifte der Gebetenen auch
sicht einen Einzigen fand, von bem foldy ein-Ges
{hi zu vermuthen gemwefen wäre Selbſt die
Geftelt wußte er feinem davon zuzutheilen. Denn
wenn auch die Inapp anliegende, ideale Tracht
den ſchoͤnen Körper ungewöhnlich heraushob, fo
sierh er doch vergebens her und hin nach dem,
dem fo viel Ebenmaß eigem war.
Der Wunſch, des Närbielhaften Geſicht zu ſe⸗
hen, war allgemein, daher freute man ſich, daß
die Tafelzeit immer nuͤher ruͤckte.
Beſonders lag hieran auch unter andern dem
Baron Heinsberg, dem darum gar nicht wohl zu
Muthe war, weil alle Aufmerkſamkeit des Kuͤnſt⸗
lers ſich groͤßtentheils auf Marien aichtete und
dieſe mit ihrem Wohlgefallen an des Unbekannten
Fertigkeiten keinesweges zuräcdhielt, - Ihre Sorge
bei jeder gefaͤhrlichen Stellung um denſelben, die
driugende Art, mit ber fie ihn einigemal ſogar
davon zuruͤckhielt, brachte den Baron auf den
Argwohn, daß ihr Beifall weniger den Kinfen
«is dem Künfller gelte,
J
60
7.
Wirklich war Heinsberg Willens geweſen, noch
an dieſem Abende, wenn nicht Öffentlich, doch. im
Stillen, die Ehnftige Vereinigung mit Marien
förmlicy einzuleiten, daher hätte ihn fo Leicht nichts
empfindlicher treffen Tonnen, als der Geliebten
beſonderes Wohlwollen für einen Andern. Die
Abendrafel, meinte er, werde mehr Aufllärung
darüber geben,
Kurz vor derfelben ging Marie am Arme des
Künftlers auf und nieder. Heinsberg verwendete
Tein Auge von ifmen, um zu entdecken, ob viels
leicht ihre Pantomime, der Regel des Tages zus
wider, in muͤndliches Gefpräch übergegangen ſey.
So fehien es jedoch nicht, Als er aber jet,
wie der Unbelannte mit Marien aus dem gis
meinſchaftlichen Saale in ein Mebenzimmer trat,
eben im Begriff war , nachzufcpleien, da nahm
ihn die Frau vom Haufe auf die Seite, um ihm
weges des Platzes. bei Tiſch etwad zugufläftern,
€r fand auf glühenden Kohlen,
Es ging auch wirklich im dritten Seitenzim⸗
mer etwas vor, nicht gemacht ſeine Ruhe zu
deſdrdern. Der Equilibriſt naͤmlich zog hier, de
er ſich mit Marien allein ſah, die Maske ab,
Das Sräulein ftaunte hber bie Gchönpeit eines
ihr vdllig Unbefannten,
Marie, ſagte er, Sie ſind mein Wunſch und
99
mein Sterben, Aber Zeit und Umſtaͤnde binden
wir Die Zunge, Denken fie meiner, dann werben
wir und — ich hoffe gluͤcklich — wiederiehen !
Marie hielt ſich ängftlid an dem nebenſtehen⸗
den Armfiuhle an; das Geſtaͤndniß hatte fic alle
zufehr Äbderrafcht, Sie ſah fo ploͤtzlich in eine
Eonne des Gluͤckes, daß ihr bie Augen vergingen,
Ein Geſpraͤch, das fich jetzt näherte, bewog
den Unbelannten, die Maske eiligft vorzunehmen,
und noch ein Zimmer weiter zu gehen. Die Oräs
fin Ambady und Heinsberg waren ed, die unmit⸗
telbar darauf zu Marien traten, Sie ſchien noch
ganz außer fih und erſchrak ſichtbar, ald der
Baron fie fragte, was ſie in ſo lieſes Sinnen
verſenke?
Der Equillbriſt, antwortete ſie, nachdem ſie
wieder zu ſich gekommen war, ganz unverholen.
Ein Zug um Heinshergs Mund würde ihr
befien Empfindlichkeit darüber verrathen haben,
wenn fie ihn bemerkt hätte; ſo aber fuhr fie fort:
Ich wenigſtens habe dieſes Geſicht in meinem
Leben nicht geiehen!
Schen demaslist alfo ? fragte der Baron,
Jetzt erft fiel ed ihr ein, daß fie zu viel gee
fagt haben moͤchte. Er verlor die Made, ante
wortete fie, und der zagenbe Ton, dad Befange⸗
ne ihres ganzen Weſens gaben ziemlich klar zu
- @-
verſtehen, daß fie das voreilige Geſtaͤnduiß darch
eine Unwahrheit wieder gut machen weilte,
Ich geſtehe, ſagte die Gräfin Mutter, mit |
‚Rüdficht auf Mariens Verlegenheit, daß es mir |
gerade fo geht, wie ihr. Auch mich verlangt zw
wiſſen, wer der Tauſendkuͤnſtler feyn mag. Die
Zafel, bie eben und ruft, wird am beften dahin
führen. Kommen Sie, Baron. —
Auf den Trompetenftoß, der jegt ertönte, fams
melten fi) alle Anwelcnde im Speiſeſaal nnd bes
‚größten einander fröhlich nach abgenommener
Maste,
Der Equilibrift wer nicht darunter. Auch
bei der Tafel ſelbſt ward keiner verwißt, als er,
deſſen Stuhl leer ſtehen blieb.
8.
Graf Ambach verwunderte ſich nicht wenig.
Er zog die Liſte der Geladenen hervor, um des
Adweſenden Namen zu finden, Affeflor Rubland,
ſonſt fehlte keiner.
Der alfo, der Equilibrift ? riefen mehrere in
des Hauswirths Nähe Sitzznde verwundert aus,
Eigige zweifelten gradezu, daß’ der Affeffor ders
gleichen Kuͤnſte verſtehe. Andere ſpotteten aͤber
dieſen Unglauben, da Graf Amberg doch wiſſen
miͤſſe, wen er eingeladen habe. u
Unfefbar, fagte die-Gräftn, hat ihn die Klei⸗
ang zu fehr beemgt, und er wird jetzt beſchaͤftigt
m, 4
64
im, eine bequemere anzulegen, Allein ihr Ge⸗
mahl, der im ganzen Haufe nach ihm gefucht hatte,
brachte jet die Nachricht zuruͤck, daß Aſſeſſor
Ruhland, zu Pferde angekommen, letzteres vor.
Kurzem begehtt habe, und fortgeritten fey.
Marie ſaß in fichtbarer Miedergefchlagenheit
da. . Sie hatte alle Vermuthungen über den nun
Abweſenden mit angehört,. aber flillgefchwiegen,
um den fräßern Vorfall nicht nen aufzurägen.
Kind, Hüfterte Die Mutter ihr zu, bu gefällt:
wir heute gar nicht.
Marie kuͤßte ihre" Hand, um deshalb Ders
zeifung zu erhalten, Aber die Gräfin fuhr mit
ſtrafendem Unge fort: Du behaupteteft vorhin,
den jet fehlenden Gaſt nicht zu kennen, gleiche
wohl ift ed der, Dir, wie und allen, mohlbelannte
Rubland geweien !
Nein, theure Muster, nein, nein! Kein Zug
in ihm von Rupland, darauf ſchwoͤre ich den beis
ligfien Eid. —
Die Gräfin druͤckte ihre Verwunderung and.
Er war wohl jung und. fybn ? fragte fi. Mas
vie Aberjah ihren forfchenden Blick und fprad) bes ° '
geiſtert: O befte Mutter, die Jugend, die Schoͤn⸗
beit, die Liebe, alle 8 vereinte ſich in ihm.
Wenn Heinsberg, ihr Nachbar , diefe Worte
nicht verſtand, fo errierh er wenigftend den we⸗
ſentlichen Inhalt derfelben, Seine unsuhige Wene
[77
Statt meiner jprechen, theure Mutter!
Sonſt brachte ein heiteres Geficht mir Deinen
Wunſch.
Kann ic) dafür, daß mir jet alles zu Thraͤ⸗
nen werden will?
Allerdings kannſt Du dafür, ſprach die Mut⸗
ter ernft und ſtreuge. Gefliſſen vermeideſt Du
bie freumdlichen Gaben des Lebens, um an Luft⸗
* gebilde Seufzer und Wäniche wegzuwerfen. Das.
lange verhaltene Wort reißt ſich los von meinem.
gepreßten Herzen. Setze endlich der Sache eim.
Ziel. Mag auch der Fremde fegn, wer er wolle,
nur Unfegen und Entzweiung hat er bis jegt in
unjere Familie gebracht. Du bift Deinen Ael⸗
tern und Dir ſelbſt die Ruͤckkehr aus den Mole
ten in die Wirklichkeit ſchuldig! .
Der Vater kam dazu und unterſtuͤtzte ihren
Rath mit der ganzen Wärme feines Herzens, fo
daß Marie bald das Berfprechen gab, zum Bes
weife ihres veränderten Sinned, Heinsbergd Hand
nicht zurlickzuweiſen, wenn er fie ihr bieten follte,
Das Entzuͤcken der Aeltern über diefe Zufage
beranfchte das reine Weſen. SHeinsbergd mans
nichfache Aufmerkſamkeiten für fie fanden in dies
ſem Raufche eine fehr günftige Aufnahme, bis
faft ganz unvermerkt alles in das frühere Gleis
gekommen fdien, ja jet fogar des Barous Were
lobung mis Marien fort fand,
10,
Schon war bie Hochzeit feſtgeſeht, als Heinb⸗
derg eines Tages mit feinen Nachbar Eine Jagd⸗
parthie unternahm und den Mittag auf des letz⸗
rn Gute zubrachte, wo eine liebe, heitere Wir:
Hin des Gaftes Sehnſucht nach der Zukunft wohl
derſtaͤrken mußte, Unter allerlei traulichen Scher⸗
gen, die zum Theil auf Heinsbergs Fänftige Ehe
Bezug Jatten, war. die Tifchzeit fehr angenehm
verftriden, ald ein Bedienter die Nachricht brachte,
daß eben eine trauernde Dame abgeflitgen fe,
die, fi eine genaue Belannte vom Haufe nen⸗
amd, ihm auf dem Fuße folste,
Die m dichtes Schwarz Verhällte trat herein.
Nach zurückgefchlagenem Schleier ftand fie, das
Ehepaar eine Weile ſtumm betrachtend, Das, wis
es ſchien, bang und vergebend auf dem fehönen,
über alle Spuren des Leidens tragenden Gefichte,
kach dekaunten Zügen fuchte,
So kennt Ihr beide Eure Betwandte, Autos
win von Schilden, nicht mehr ?
Untonie! rief die Fran vom Haufe erſchrocken
und entzuͤckt zugleich, und ihre Arme breiteren fich
nad) der Trauernden aus.
Fa, rief diefe, an der Freundin Bruſt finkend,
bei allen Veraͤnderangen des Aeußern iſt mein
Herz noch das alte geblieben! Es hat auch auf
das Deine getedynet, Kunigunde }
Geſpenſterbuch. 5. Theil, &
4
66
Das konnte es! rief diefe und Thränen von
beiden Seiten befräftigten die Worte,
Ihr feld gluͤcklich! ſprach die Neuangekom⸗
mene, hierauf dem Hausherrn die Hand reichend.
Es iſt unverkennbar und ich freue mich deſſen
von ganzer Seele. Erlaubt mir die naͤchſten
Tage meined Lebens in dem Sonnenfcheine der
Eurigen zuzubringen. Zürchter nicht eine Vers
gifterin Eurer Freude an_mir zu finden. Bloß
unſere Vergangenheit laßt uns zurädtufen, Das
mit mein jetziges Seyn ſich an ihrer tröftenden
Geſtalt aufrichte . und mit den Nachllängen des
verfhwundenen Lebens die ſtumme, troftlofe Dede
der Gegenwart befeele. Laßt mich hauptfächlich
auch einer Derftorbenen mit Euch gedenken, des
ren blüthenreihe Jugend uns vormals gemeine
ſchaftlich entzuͤckte. Laßt und Alwinens, meiner
Schweſter, Grab mit Vergißmeinnicht umflechs
ten. Der Gedanke au das füße Leben dieſer Ents
fchlofenen fol Eure Luft nicht trüben, nur ers
ben,
Alwine alfo ? rief Kunigunde.
Sa, fie ging ans der Welt. Das Schwarz
das ich trage, ihrem Andenken ift ed gewibmer.
Bon morgen an gebe ich jedoch dieſes äußere
Zeichen deflelben auf, da es zu Eurer Umgebung
nicht paßt, uud uns bie Züge aus ihrem kurzen
Dafeyn Ichendigere Erinnerungen darbieten. Nicht
1 —— —— re ——
7
nauern wollen wir über ihre Vollendung, nur
rer Liebe und erfrenen. Doc zuvor vergoͤnnt
zir, Euch mit meinem duͤſtern Geſchicke bekannt
zn machen. Denn da dies boch nicht zu umge⸗
hen iſt, fo duͤnkt es mich beffer, dad Bittere, auf
Einmal in den Schooß der .Theilnehmenden auss
zaſchuͤtten, als ed ihnen nad) und nach in eine
einen Tropfen einzuflößen. —
In dieſem Augenblicke erft fchien das Fraͤu⸗
lein den Baron zu bemerken, und. durch, die
fremde Erſcheinung fich gedruͤckt zn fühlen, Schon
war er im Begriff fih zuruͤckzuziehen. Allein
man machte ihm ihr als einen Freund vom Haufe
befannt, berüßrte fein Verhaͤltniß mit der Am⸗
badyichen Familie, und Antonie erfuchte ihn fehr
u bleiben, da ihre Geſchichtcerzaͤtlung durchaus
Ar.
em Derfolg bed Geſpraͤchs "han man aber
aber Doch wieder auf die Geſchichte zuruͤck, und
da fie gelegentliy geäußert hatte, daß fie nie⸗
mand daraus ein Geheimniß zu machen brauche,
bat Heinsberg felbft, ihn als Zuhdrer daran Theil
nehmen zu laſſen.
Eie begann in folgender. Yet:
Du erinnerft Di, Kunigunde, wie unfers
Vaters Tod die Mutter veraulaßte, die Stadt,
in der wir wohnten, zu flichen, und fo weit ald
" €
68
rhdglich don ihrem zeitherigen Gluͤcke ein einias
mes Plaͤtzchen aufzuſuchen. &fe fand em foldye®
und kaufte fi) da an. Alwinte und ich bemuͤh⸗
ten und ihr den Wermuthöbecher des Lebens mit-
Roſen zu Defrdnzen und harten die Sreude, daß
ihr Auge wohgefällig an bein Kranze hing, wenn
auch der Trank felbft dadurch nicht verſuͤßt wers
den Fonnte,
Unfere Xcbensart war aͤußerſt einfach, und die
Famille des Pfarrers unier eingiger Umgang:
gute Menſchen, die Gemuͤth und Liebe genug bes
füßen, um’ zum Troſt der Mutter in deren Ideen
Bon kuͤnftigen Wiederverein gern eingugchen, und
durch anftändige Dienftlelitungen ihre Unterfiägung
zu erwiedern wußte. |
Um bieſe Zeit unterbrad) der Krieg bie Ruhe
der Gegend; zwar nicht unmittelbar, aber doch
mit Durchmärfchen und -Einquartierung , bie gar
fehr auf den Einwohnern lafteren, |
Unter andern wohnte dei uns ein Hauptmann,
Woldemar von Thalen mit Namen, der an frs
her erhaltenen Wunden erkrankte, ſechs Wochen
lang nicht von der Stelle Tonnte Meine Schwe⸗
fter und ich hatten die Beruhigung, dag fein Arzt,
ald der Genefene den Marſch fortſetzte, uns vie
Verſicherung gab, einzig unferer Pflege und Auf⸗
merkſamkeit Habe cr das Leben zu verdanken, Mir
waren beide um ſo ftolzer auf dieſes Zeugniß, da
69
wir mannigfache Gelegenheit. hatten, das fcphne
Gemärh des jungen Mannes, Fonnen, zu. lernen.
Saft. alle Geipräche, wenn wir allein, waren, hats
ten ihn und die Sorge um.fein Wohl zum Ges
genflande. Daß wir ihm beide viel galten, wußs
ten wir, doch beiaß Feine ‚non. umd eine. befondere
Zuficherung feiner Liebe. Woldemars Briefe par
sen gewöhnlich an bie Mutter gerichtet. und uns
jecer beider. darin ‚immer, mit Theilnahme. gedacht.
Niemaid zuvor hatten wir den Meiz der Zei⸗
tungen gekannt. Seht-abes, weit. welcher Unges
duld, mit welchem Zittern griffen wir mach ih⸗
nen, ob wir ſchon voraus. ſahen baf-irde noch
fo gluͤcklich ausgefallene Schlacht und : in- bie
deinlichſten Sorgen flürzen müffe; daß die ganze
Zeitung, wenn fie nicht Friedensperkuͤndigerin ward,
Jeinen Troſt für ans haben konnte, außer feinem
Namen. Und dog, neuen dic Zeitungen deu Nas
men eines Subalternofficiers in ‚der Regel nur
dann, wenn er durch Wunden ober. hen Tod fich
diefen leidigen Ruhm zu erwerben im. Stande ges
weien.
Friede, Friebe! hieß daher daB Bart, das’
(rip und ſpaͤt von unfern anpen zum Himmel
hinaufbebte.
Leider umſonſt. — Welch ein Zodesſchreck,
als eines Abends ein Wagen langſam in unſern
Hof fuhr, aus dem ein Officier getragen wurde,
70
deffen bleiche Geſichtszuͤge keinen Zweifel ließen,
welch einen ſchweren Kranken wir vor uns hatten.
Nachdem er auf ein Sopha gelegt worden
war, fagte er fehr leife abgebrochen und, wie es
fchien, nicht ohne großen, Eörperlichen Schmerz:
onen fo zur Laft zu fallen, wie undantbar!
Gleichwohl aus der Welt zu geben, ohne der
theuerften Freundſchaft das letzte Wort zuruͤckge⸗
laſſen zu haben, wie hart! So Lob, daß «6
moͤglich geweſen iſt!
Hier vergaßen meine und iwinens Thraͤnen
alles Maß, fe duß auch die ſelbſt weinende Mut⸗
ter mißbilligend fagte.
Nicht fo, Kinder. Sehet vielmehr darauf als
les zu des Kranken Eleichtermug Romige unver⸗
uglich hetbeiuſchaffen.
Schluchzend eilten wir, den Befehl auszu⸗
richten. Zum Gluͤck harten’ wir es mit verſtaͤn⸗
digen Dienſtboten zu thun. Denn unſere Anord⸗
nungen trugen ſo ſehr das Gepraͤge von Bewußt⸗
loſigkeit und Verzweiflung, daß damit ſchwerich
viel ausgerichtet geweſen wäre,
Untere einzige Hoffnung ging noch auf den Arzt
und deffen alte Vorliebe für diefen Kranken. Aber
nach genauer Unterjuchung von Woldemard Zus
flande fAyhttelte er den Kopf, und fagte unvers
holen, daß er nicht begreife, wie er bei feinen
Wunden eine ſolche Reife babe aushalten Können,
71
wenn nicht durch den Wunſch, und noch einmal
zu feben, feine Kräfte fo wunderbar geftärkt wor⸗
den waͤren.
I beſtaͤti gte ſich nur allzubald. Es trat
plöglich die Ruͤckwirkung von dieſer Anſtrengung
in der aͤußerſten Ermattung bei dem Kranken
ein und wenig Augenblicke ſpaͤter ‚hatte ſein Herz
zu ſchlagen vodllig —
uebermannt von ven Schrecken der Erinne⸗
rung mußte Antonite eine- Zeitlang inne balten,
ehe ſie folgenderinaßen fortfuhr:
Es war, ald ob der vor und liegende ſtarre
keichnam auch das Blur in meiner Schweſter
md meinen Adern erflarıt habe. Seht erſt bes
griffen wir den innigen Werein zwifchen den Ents
kelten und uns in feinem ganzen fchauerlichen
Imfange, Nein fremdes, unſer eigenes Leben
fhien getödtet und das, deffen Laft wir umbers
Kugen, gewann «in unftenndliches, geſpenſtiſches,
gegen uns felbft und unſer innerſtes Welen ge⸗
ihtetes Streben. - .
Unfere Mutter war in- biefen Momenten des
Unhrils und der Verzweiflung das einzige Hin⸗
deraiß gegen bie Vernichtung, auf deren oͤdem
Bege allein wir zum Wiederfehen des Eutſeelten
gelangen zu Ednnen wähnten. Nur ihrer treuen
Hu verdankten wis unſre Erhaltung, Ohne
‘72
Diele Hätten bie mätterlichen Eunahmmgen ſchwer⸗
lid) hingereicht. Denn wenn aud) ihre verſtaͤndige
Rede nicht ganz an uns verloren ging, fe war
Dod) deren Eindrud nur felten von Dauer. Ges
woͤhnlich glitt fie leide an der Oberfläche unferer
Seele hin, gm der in ihren Tiefen berrfchenden
Melancholie und Berworrenheit unumfchränftere
Mechte Über unfere Vorſtellaugen und Entiplüfle
einzuräumen.
Vielleicht treten bie Geſtaͤndniſſe einer -Bche,
wie meine Schweftes und ich: fie für den Verſtor⸗
benen fühlten, in gewöhnlichen Verbältniffen benz
Schicklichen zu nahe, allein meine guse Abwine
bat ja bie Welt bereits nerlaſſen, und. ein Schein⸗
ichen, wie dad meinige, achtet fich für Indgeipras
chen von dergleicdyen Ruͤckſichten gegen die Welt. —
Woldemars Beerbigungstag war der beißsfie
für und. Die Mutter fam. dazu, ald Alwine in
heſter Umarmung mit mir bei feinem Leichnam
ausrtef: Emig fo vereint! Unſere beiderfeitige
Liebe ging nach ihm, er verdient, daß wir. fie ihm
aufbewahren. Keinen Gatten, als ihn! Zheuter
Vollendeter, wir jihwören Dir —
Halt! Kind, rief die uns bis dahin anbemerkt
Gebliebene, und ihr Geſicht und Ton verkuͤndete
Furcht und Schrecken — Keinen Schwur dem
Todten!
Barum. wicht, theuerſte Mutter ? fragte ich
BEI
3
befremdet. Du weißt ja, was dieſer Todte uns
geweſen if! Laß uns doch das unfichtbare ewir
ge Band an ihn, jetzt Hier vor feinen irdifchen
Keften, recht feierlich befeftigen !
Micht das, Lieben! Keine Leidenfchaft, die Vers .
aunft allein fol Schwuͤre einleiten. Ueberhaupt
aber Teinen Schwur irgend einem Todten! Was
der Todte felbft nicht thun würde, gefchieht durch
den Tod, diefeu dem Menſchen fo feindlichen Zus
ſtaud. Wie wenn die Argliſt dieſes Feindes Ver⸗
haͤltniſſe berbeifährte, die Euch durch Meineid in
feine Gewalt bräspten ?
D Mutter, Mutter, fo rief Alwine bier ung
willig aus, wen koͤnnen Verhaͤltniſſe zum Meine
eide bewegen ? .
Euch vielleicht nicht. Doch laßt ab. von dem
Vorſatze, lieben Kinder. Ob ich ſchon die Bei⸗
fpiele von dem Nachtheile ſolcher Schwuͤre nicht
immer verbärgen möchte, fo ift doch in unferer
Samilie eins fo befannt und mit fo vielen ſeltſa⸗
men Umſtaͤnden umgeben, daß mich allezeit Schauer
anwandeln, wenn ich von Berpflichiuugen aͤhn⸗
licher Art hören muß. —
Diedmal aber verfehlte die Rede der Mutter
elle Wirkung auf unfere bethörten Herzen. Das
Beifpiel, von dem fie fprach, paßte, meinten wir,
wicht einmal weder auf und, noch auf das, was
fie damit beweiſen wollte. Es befland in einem
7&
von unferer Großmutter Bruder, feiner Gattie
bei Lebzeiten befchworenem Berfprechen, im Fall
ihres Ablebens nie wieder zu heirathen, und fors
derte ihren Zorn auf, wenn ed geſchehen follte.
Sie ftarb nachher wirklich. Der Mann war im⸗
mer der unbeicholtenfte weit und breit und feines
Worted auch hierin eingedent gewefen. Gleiche
wohl fanden ſich nach ihrem Tode eine Menge
verwidelter Umftände, die ihm eine zweite Ehe
zur - Pflicht machten. Wie er nun am Verlo⸗
bungstage mit einer trefflichen. Perfon den Sing
an den Singer ftedt, fo ift es ihm grade, als
wolle der Ring immer enger und enger werben.
Zugleich fleige der Gedanke des gebrochenen Eis
des mit aller Macht in ihm auf. Seht ihr wohl,
suft er Ubend&, nachdem er Urbelbefindens we⸗
gen das Mahl hat verlaffen müffen, feht ihr meine
Selige dort zürnend fiehen! Ein ſtarker Angſt⸗
fhweiß quillt aus feiner Stine. Er theilt den
Verwandten reuig die begangene Schuld mit,
wender jein Geficht voll Widerwillend von ber
Braut, und iſt in der folgenden Nacht, allen Arge
neimisteln zum Trotz, unter fchredflichen Zuckun⸗
gen verftorben. —
Mit Einem Worte, weit entfernt und bieran
zu Tchren, riefen meine Schwefter und ich, fobald
wir wieder allein waren, Woldemars Schatten
an, und fühlten eine große Beruhigung, «ld wir
uns ihm unter den fchauerlichften Schwuͤren zur
Eheloſigkeit verpflichtet hatten.
Nur allzubald aber rächte ſich die verſchmaͤhtt
Stimme der Erfahrung und Vernunft an dem fie⸗
genden Ungeſtuͤm der Leidenſchaft. Unſere Mut⸗
ter ſtarb ploͤtzlich und faſt zugleich mit ihr eine
ſchon fruͤher verwitwete Schweſter, welche drei
noch unerzogene Kinder hinterließ. Die faft ſtete
Mweſenheit und Sorglofigkeit ihred Vormunds
legte uns, den naͤchſten Verwandten, die Pflicht
auf, fie vor Verwahrloſung moͤglichſt zu hüten,
Unſtreitig hätten wir fie zu und genommen, als
len der Umſtand, daB es Söhne waren, fprach
in mehr als einer Hinficht dagegen, und obnges
achtet der Sorgfalt, die wir ihnen wibmeten,
mußten wir hören, daß fie Wege einfchlugen, bie
ihnen verberblich zu werden drohten. |
Zwar wendeten wir alles fortdauernd zu ihrer.
Befferung an, doch fehlte uns Glüd in der Wahl
der Menſchen, durch die wir auf ſie zu wirken
fachten.
Die jet immer häufiger werdenden Truppens
Anguartierungeri vermehrten das Unannehmliche
unferer Verhaͤltniſſe. Ein: unglüdlicher Proceß,
worein unfer ganzes Vermoͤgen vermwidelt wurde,
kam dazu, und nun fühlten wir nur allzutief das
Unglädt, fich in den eigenen Angelegenheiten frems
der Einficht allein anvertrauen zu muͤſſen.
16
Um biefe Zeit machten wir in ber benachbar⸗
ten Stadt die Belanntfchaft des geheimen Raths
yon Elbing, eines Mannes, dem Herkunft, Eine
fichten und Rechtlichkeit zu Empfehlungen ger
reichten, und Der auch von unferer Sage, weiner
up Alwinq's Meinung va, die hellſten Anfiche
gen befaß,
Bald kam er in ben Fall, und einige angerſt
wichtige Dienſte leiſten zu kͤunen. Er that eb
mir Aufopferung und glaubte um fa cher auf
Ahvinens Hand Hoffnung zu haben, da fie und
ich ihm unfere befondere Achtung uicht verbargem,
"itwine konnte keinen Grund finden, den Mann
"anözufchlagen, ald das dem. Todien von und..gen
meinfchaftlid) gegebene Wort. Daher hielt fie es
für's. Rathfomfte, ihn mir dem Umſtande belaunt
zu machen. In meiner Gegenwart gefchah es.
Allein er nahm die Groͤffnung ganz auders auf,
als fie ſich ſolches vorgeſtellt haste. Nichts ſchien
ihm non fo. geringer Erhablichkeit, als dab Ver⸗
ſprechen wegen einer, wie er ſich ausodruͤckte, dem
Todten ganz gleichguͤltigen Sache; ein Werſpre⸗
chen, wozu uͤberdies ein Grad von Bewußtloßg⸗
keit gehoͤrt habe, der es von ſelbſt null und nich⸗
tig mache. Wenn, fogte er, feinem Gluͤcke nichts
old eine fo unbedeutende Iufage im Wege fiche,
dann dürfe er fich nur an Alwinens geſundes
Urtheil wenden, um das Hinderniß gehoben zu fehen.
„
Meine Schweſter und ich behaupteten zwar
beide , daß und die Leichtigkeit fehle, mit der er
über die Sache binfchläpfe Wir Beriefen und
änter andern auch auf den, leiber, verworfenen
mutterlichen Rath gegen jenes Berfprechen.
Über diefer Rath bewied ihm durchaus nichts,
Allerdings meinte er, habe die Mutter Hecht ges
habt, und don einer fo zweckloſen Zuſage abzus
heiten, und nur in ihrem Glauben an des Todten
Mache gefehlt. Das erwaͤhnte Beilpiel von der
Naͤckkehr einer: Werftorbenen dünfte ihm vollends
nichts, als eine der mancherlei lächerlichen Aus⸗
artungen menſchlicher Einbildungstraft. Er ſelbſt
führte eine Menge Exempel diefer Art an und
forach überhaupt mit fo viel Verſtand und Ges
wandrheit, daß wir bei Widerlegung feiner Ans
fihten durchaus’ nicht fortlamen,
Dies, und hauptſaͤchlich die Nothwendigkeit
den zu Führung unferer Angelegenheiten fo nöthie
gen Mann nicht zu entfernen, veranlaßte Alwi⸗
nen allein ihm ihre Hand wirklich gu geben. '
Unfer Stonomifcher Zuftand gewann durch den
Eifer, mit dem der geheime Rath fi) deffelben
annahm , in Kurzem ein weit befferes Anſehen,
auch Härten wir für die Erziehung der Kinder
anſerer verftorbenen Tante keinen eifrigern Vers
forger finden koͤnnen.
Allein in anderer Hinſicht verfolgte und das
J u nn 2—
60
in Deinen Armen lag, bie Leiche neben nus 7
Weißt Du nicht mehr, was wir uns da, was
wir Ihm gelobten ?
So heftig ich auch felbft angegriffen war, fo
ſuchte ich mich doch zu faſſen und ihre Troft zu
geben, Ohne Erfolg,
Merkſt Du nichts von dem Keichengeruche
tige umher ? fragte fie. |
Liebſte, defte Seele! rief ich, fie auf die Ges
ſchichten, die Efbing neulich von den Giunentäus
ſchungen mittheilte, zuruͤckverweiſend.
Allein ſie zuckte die Achſeln und blieb dabel.
daß der Geruch immer zunehme.
Von nun an verließ ſie dieſer Gedanke nicht
mehr. Ihr Gatte, der nach vieler vergeblichen
Mühe: enidlicdy die Urfache der nur felten mit Gluͤck
von ihm befämpften Schwermuth entdeckte, fuchte
alled hervor, fie von dem Ungrunde ihrer Vors
ſtellungen zu überführen, Berlorne Muͤde. Spaͤ⸗
terdin fragte fie mich mehrere Mal, ob ich keinen
Hufarenfäbel klirtren höre und fah nach der Ges
gend bin, woher fie ihn vermuthete. Die Angſt,
welche Begleiterin dieſer, ich weiß nicht, ob Ers
fiheinungen oder Ideen, war, mattete fie nach
und mich voͤllig ab.
Endlich einmal, ſpaͤt am Abende, rief fie, mid)
bei der Hand faſſend: Um Gotteswillen, Schwer
fer, rette mich, rette Du mich! Hoͤrſt Du nicht
04
die Verwuͤnſchungen, die er gegen die Meineidige
ausitößr ?
Ich beichwor fie, ein befferes Zutrauen zu
dem Mollendeten zu haben, den ihre Beweggrüns
de zu der Deirath gewiß mit hoher Achtung für
fie erfüllten.
Alles vergebens. Sie wimmerte herzzerreißend
an meinem Halſe und fiel mir dann erfchöpft in
die Arme,
Mehrere Stunden lag. fie alio. Sie nicht zu.
ſtoͤren, bewegte ich mich ſo wenig ald möglich.
Welch ein Entieen aber, wie ich fand, daß e&
kein Schlummer, fondern der Tod felbft war, der
ſich der lieben Unglüclichen bemächtigt harte!
Hier laßt mid fchließen, Wozu auch noch
eine umſtaͤndliche Erwähnung der Vorwürfe, wo⸗
mit der tiefberrübte Gatte fich ſechs Monate lang
ehne Aufhören peinigte? Genug, fie und daß,
bei der eigenen tiefen Verzweiflung, fo dringende
Beduͤrfniß nad Vertrauten meines frühern Gluͤk⸗
3 und meiner Sefinnung, trieben mich zu Euch
ber, da ich ja ohnehin keinen Troft für den Ges
beugen hatte. Er felbft bar mir dazu gerathen.
Sein Vorſatz it einzig unfern Rath und Erzies
bung bedürfenden Verwandten zu Ichen, und fo
das Unrecht gegen die Entichlafene, deffen er ſich
beihuldigt, thunlichit wieder gut zu machen.
Geſpenſterbuch. 5. Theil, >
82
13.
Es lag in der Natur ber Sache, daB Heins⸗
berg, um die erfte Zeit des Wiederſehens der drei
Freunde nicht zu ſtoͤren, fich fobald als moͤglich
entfernte. Er haste aber auch noch einen wichtia
gern Grund dazu in ‚feinen innern Schmerzen.
Ohne daß die Erzäblerin es hatte ahnden können,
war mit ihrer Geſchichte eine either tief im Hin⸗
tergrunde feiner Seele fchlafende Erinnerung ihn
erweckt worden, die ihm Mark und Loben grim⸗
mig Anzunagen drohte. Schon während der ers
ſten Ehetage Hatte er und feine verftorbene Gate
tin einft in einem Momente des böchften Enthu⸗
fiasmus ſich wechfelfeitig ewigen, ausfchließenden
Beſitz aufs feierlichfte angelobt. Welcher Theil
früher al& der andere ftarb, wollte, im Hall das
Gelübde gebrochen würde, den Überlebenden, wo
möglich , deshalb zur Rede fetten. Seit dieſem
Tage war jedoch um fo weniger wieder daran
gedacht worden, da ein ieltener Grad von Kiebe
beiden dad ehelicye Verhältniß fo leicht und ſchoͤn
machte, baß die Furcht vor Untreue gar nicht
auftommen konnte, und der Tod der MWöchnerin
zu ſchnell erfolgte, als daß die in jenem Mo⸗
mente dem Weberlebenden aufgebürdete Eheloſig⸗
keit jet noch einmal hätte zur Sprache kommen
Tonnen.
Es iſt erwähnt worden, wie tief der Verluſt
| 3
biefer Battin das Gebäude von Heinsbergs Süd
erfcyätterte, und auf welchem langfamen Wege er
endlich bis zu dem Gedanken an einen Erſatz des
Verlorenen gekommen war.
14.
Im Ambachſchen Haufe begriff man die aufs
fallende Veränderung im ganzen Weſen des, bals
digen nahen Verwandten durchaus nicht. Mani
Fürmte von allen Seiten mit Fragen auf ihn los
und ein koͤrperliches Mißbehagen, das er vorgab,
reichte niemand hin, ſeinen Verluſt aller Laune
und den melancholiſchen Anſtrich zu entſchuldigen,
den jedes Wort, jede Miene angenommen hatte,
Mit Zagen nur ſah unter fo veränderten Unis
‚ftänden Marie die Trauung immer näher ruͤcken,
welcher ihr Werlobter ohne Verlegung des An⸗
ftandes nicht mehr ausweichen konnte. Auch ihre
Aeltern ſchienen nun mehr Zweifel in das Gluͤck
einer Verbindung zu feen, von ber fie fich noch
kurz zuvor das Beſte verfprochen hatten.
Die Vorbereitungen dazu gingen indeſſen ih⸗
ren Gang. Die Säfte wurden geladen und ber
Hochzeitmorgen brach an, .
Bei den in Heinsbergs Bruft immer maͤch⸗
tiger werdenden Ungluͤcksahndungen war es Fein
Wunder, wenn ein Schwarm von Krähen, ber,
wie er eben aus dem Bette zum Fenſter trat,
dor ihm aufflog und einen Morgengruß heruͤber⸗
52
83
kraͤchzte, ihn in dic unbebaglichſte Stimmung vers
fetten konnte. . Um ſtaͤrkſten hallte dad Krähen«
ed wieder in ihm, als die Braut im väterlichen
Haufe ihre‘ Unruhe bei seiner Unnaberung unter
fügen, freundlichen Worten und Mienen fo we⸗
sig, al& die rothgeweinten Augen verbergen konnte.
Da flieg in Heinsbergs Gemüth zuerft die
Frage auf, ob ed nicht. befler fey, das mit ges
waltigen Schritten berbeieilende Ungluͤck durd)
ein, wenn fchon auffallende&, doch wobhlthaͤtiges
Wort gu beſchwoͤren, ob es nicht befler ſey, noch
jetzt nach einer offenen Erklaͤrung bed ganzen
Zuſamnienhanges der Sache zuriihzutreten, als
das zarte Leben eines fo herrlichen Geſchoͤpfs,
wie Marie, in den Zluch, dem er entgegenging,
mit zu verflechten. O, wenn er bebachte, wel⸗
cher Glanz des Frobſinns vor der Bekanniſchaft
mit ibm jeden Punkt dieſes Hauſes beleuchter,
wie der gute Humor des Grafen ihn gemwiffermas
Ben zuerft wieder mit dem Leben befreundet harte,
und er nun, gum Danke, darauf ausging, dieſen
faft allein in feinen Kindern lebenden Mann,
durch Mariend Zugrunderichtung, gleichfam ganz
zu wernichten !
Fein, der Schritt, der harte, befremdende,
jeder lieblofen Mißdeutung bloßgeftellte Schritt,
follte wirklich von ihm geſchehen, als, wie von
einem Zauber berbeigehoit, auf Einmal ſolch eine
— — — — — En —
8
Menge geladener Hochzeitgäfte eintraf, daß Haus⸗
berrfyaft und Braut mit deren Empfange vollauf
za thun harten.
Heinsbergs Vorſatz fand fid) gelähmt. Dank
forderten die Gluͤckwuͤnſche der Ankommenden,
nicht Widerſpruch, der jetzt, da es ſo weit ge⸗
kommen war, die Gaͤſte leicht in ihrein Glauben
an feine Vernunft irre machen" fonnte. ' "
Maſchinenartig ſchritt nun der Berlobte "in
den Schranken des Schicklichen weiter. Die Trau⸗
ung erfolgie ohne irgend ein ungewöhnliches- Ers
eigniß. Mariens gütiges Zuneigen Tonnte feine.
Wirkung auf den Braͤutigam nicht verfehlun
Ueber Ziiche aber riß ein ‚zufglliged Wort das
Gebäude ihres vielleicht beiderſeits auf Anſtren⸗
gung beruhsuden Frohſiuns völlig nieder. Einer
der Gäfte gedachte naͤmlich Jukundens Hochs
zeitabends und fagte: Upropos, Graf Ambach,
wiffen Sie nun wohl, wer dex maslirte Taufend»
kuͤnſtler war, über den wir und damals den Kopf-
zerbradyen?
Kaum war dad Wort von ben Rippen, «is
auch die Gräfin Mutter ſchon nad) Marien blickte,
welcher ſogleich ein paar große Thränen aus den
Hagen quollen, die ſich mit Ungeduld nach dem
Frager richteten.
Run, wer ift er denn ? rief ber Graf ihm zu,
06
aus der Stellung der Frage auf dad Wiffen des
Saſtes darum fchließend.
Jedoch ketzterer barte felbft Belehrung dare
über gemünfcht, und es entfpann fich zu de&
Hausherren und defien Gemahlin großem Vers
druß ein Gerpräd über den Raͤthſelhaften, deſſen
Mefultat, nad) einer Menge fich durchkreuzender
Hypotbeſen, die Sache um Beinen Schritt weiter
brachte.
Der unangerrehme Eindruck dieſes Geſpraͤchs
euf die Hauptperfonen des Feſtes wirkte bald in
die Stimmung fämmtlidyer Anweſenden ein, fo
daß Heinsberg endlich der Langenweile, die für ihn
diesmal eine weit tiefere Bedeutung hatte, von
Herzen mübe, zuerft von ber Tafel auffprang
und durch diefe an ſich befremdende Unſchicklich⸗
keit den Andern ein fehr tillfommenes Zeichen
zum Aufbruche gab.
15.
Der Braͤutigam trug allzuſchwer an der Buͤrde
keines Mißgeſchicks, um nicht ein einſames Zim⸗
mer im obern Stocke der Geſellſchaft vorzuzie⸗
hen, die dadurch, daß ſie jetzt in eingelne Grup⸗
pen zuſammentrat, wieder Leben und Regſamkeit
erhielt.
Erſt die Waldhoͤrner, weldye die Säfte ſpaͤ⸗
terhin in den Garten riefen, fchredten den Bas
ron aus dumpfem Halbſchlafe auf, Ihr Ton,
\ 87 | \
ver das Zeit, dem er Entflohen war, nen dere
kaͤndigte, wollte fein Herz auf Einmal zerſchmet⸗
tern. Mitten hindurch glaubte er die drohende
Stimme der verftorbenen Sattin immer deutlicher
zu vernehmen, fo daß es Ihm auch bald in dieſer
Einſamkeit um fo unerträglicher wurde, da die
Dämmerung , die ein trüber Himmel ſehr plöglih
herbei führte, auch fein Auge anzufeinden kam,
daB ſchon bei jedem Aniftern aͤngſtlich nach dem
fouft ſo fehr herbei gefchnten Schatten herum fuchte,
Schon ftand er im Begriff fich auf's Neue
in's Hochzeitgeruͤmmel hineinzuſtuͤrzen, als leiſe
Tritte yon der Treppe über den Saal ihn zus
rud an das Kenfter drüdten, Vergebens riß er
die Fluͤgel auf. um nur Luft zu haben, in ber
wirklich Ichende Menfchen athmeten; kein Lauf
von außen trdftete fein Ohr. Bloß der immer
näher kommende leife Tritt auf dem Saale flug
daran, und von der Todesangſt, die ihm das Haar
hoch in die Höhe trieb, zeugte auch fein Laut, ald
jest die Thuͤre wirklich ſich dffnete.
Gott Lob! feufste er, denn es war feine Schwice
germutter,
Mein Himmel, rief diefe. bier fo allein, waͤhe
rend alles um Sie heſorgt iſt? Iſt Ihrer Ge⸗
ſundheit etwas begegnet ?
Das nidit eben.
Nun, fuhr fie hoͤchſt unmwillig fort, warum
66
entziehen Sie Sich fo, an einem Tage, der un®
und hauptſaͤchlich and) den Gäften die gegründete
ſten Anfprücde auf Sshre Gegenwart giebt? —
Ihr frühes Aufftehen von der Tafel war ſchon
fonderbar genug. Das Heißt aber doch wirklich
in der Seltfamkeit Wunder thun, daß Sie, die
Hauptperfon des Tages, Sich überall vermiffen
laffen ! "
Heinsderg ſuchte die Erzürnte zu bejänftigen
und folgte ihr nach dem Gartenhaufe zu den Ue⸗
drigen. Hier entftand aber bald eine neue Sorge,
Seit länger als einer halben Stunde fehlte die
Braut, die nach dem Ufer gegangen war, dem
Vermißten aufzujuchen. Auf alle Seiten eilte
man ihretwegen. Nirgend eine Spur. Umfonft
wurde in jeden Behältniffe des Haufes und Gars
tens nad) ihr gefucht, Die Lage der Verwandten
und des Bräutigam war ſchrecklich. Un einen
bloßen Spaziergang war ſchon darum nicht mehr
zu deuten, da Marie allein über die Gränzen der
älterlicyen Beftzungen nicht zu gehen pflegte, auch
die Nacht in der ſchwaͤrzeſten Geftalt fi) auf die
ganze Gegend geworfen hatte; dazu bei ihrem
Einmitt ein Aberaus heftiger Sturm mit Unges
witter entitanden' war,
Beil den Verwandten die Verſtimmung der Braut.
über der Tafel nur allzulebhaft noch vorſchwebte, und
des Bräutigam fpäteres Benehmen niet fehr geeig⸗
N
89
mt war, diefe zu mildern, fo fing man an dab
Wersfte zu befürchten, und die Seufjer, vom
Winde den Wellen am Ufer abgepreßt, Tamen
ihnen vor, wie die Klagen der nächiten Augens
zeugen über den freiwilligen Tod eines füßen,
jugendlichen Lebens. Be
Ein großer Theil ihrer Bormürfe, Defonders
der weiblichen, fiel auf Heinsbergs letztes raͤthſels
bafıed Benehmen. Man lich ed ihm andy fo
{ehr werten, daß er feine Beweggründe, wenn
nicht zum Troſte der Anklaͤger, doch zu einiger
Entfhuldigang für fich, in wenigen Worten ent⸗
deden zu müflen glaubte, und dieſerhald Schwie⸗
germutter und Schwägerin in ein Ncbenzimmer
führte,
Unfeliges Verhaͤngniß, rief, aͤls er fertig war,
die troſtloſe Mutter aus, was verbrachen denn
wir Anden, um fo tief mid ſchmerzlich darein
verwickelt zu werden ?
Die Umftände waren fo, daß, fobald das Ge—
witter ein wenig nachließ, die Gaͤſte fich allmaͤh⸗
lig verloren. Der Baron kehrte endlidy auch auf
fein Gut zuruͤck, von feinen innern Qualen bes
gleitet,
16. |
Am folgenden Morgen fand er die gräflicye-
Familie noch fo ziemlich in den geftrigen Kleidern.
Nichts als das Hervorſtechend⸗Hochzeitliche hatte
*
man davon gethan, da allen Mitgliedern des Haus
ſes fo wenig wie Heinsbergen der Gedanke an
Bert und Schlaf aud nur eingefallen war.
Die während der Nacht ausgeſchickten Boten
waren bereit bis auf einen zuruͤck. Keine Spur
von der Verſchwundenen batten fie finden können,
Noch in den Vormittagsftunden jedoch lan⸗
dete ein Schiffer vom jenfeitigen Ufer, der mit
dem Grafen zu fprechen verlangte, Er hatte vom
dem bäuslichen Ungluͤcke gehört, und da er mit
der Frage, ob er feine Vermuthungen über die
Sache enıdeden dürfe, (ehr willlommen war, fo
erzählte er Folgendes: Es fey ſchon ſeit einigem
Abenden eine Geſtalt auf den Felſen am Ufer,
bei dem ſehr ſtarken Wetterleuchten ſichthar ge⸗
worden, wie mehrere Fiſcher bezeugen wollten,
Sie indgefamt Härten dem Dinge fogleich nichts
Buted zugetraut, da es fehr gefpenfterhaft aus⸗
geichen, auch über die fteilen Zelfen fo leicht hin⸗
gegleitet fen, wie «8 wohl keinem Sterblichen
gluͤcken werde. Im Schloßgarten babe es ſich
gewoͤhnlich verloren. doch verſicherten einige fein
ner Handwerksgenoſſen, ed pflege den Felſenweg
wieder zurüd zu kommen. Geflern, wie das
Geſpenſt früher als gewöhnlich eingetroffen, wäre
er und feine Frau auf die Ruͤckkehr neugierig ges
weien, und da hätten fie denn nicht nur das Ding,
fondern, vom Blitzſtrahl erleuchtet, auch eine
R
Weibsperſon bazu geſehen, die von ihm Aber die
Steine weggetragen worden, Schon fey er, der
Schiffer, nach dem Kahne gegangen, um Nach⸗
richt heräber zu bringen. Allein, der immer zus
nehmende Sturm habe es unmöglich gemacht,
Ambach fah ben Fiſcher Jange forfchend an.
Er fürdjtete eine abfcheuliche Unternehmung ges
gen Marien, bie fich hinter albernen Mährchen
yor der Strafe verſtecken wolle, und hielt deu
Erzähler für einen der Mitfchuldigen. Allein die
herbeigerufenen übrigen Fiſcher beftätigten die Aus⸗
fage des Verdächtigen fo allgemein, daß eine naͤ⸗
here Unterfschung ganz überfläffig ſchien.
Uebrigens verficherten ſaͤmmtliche Fiſcher acht
Tage ſpaͤter einſtimmig, daß, fo aufmerkfiam fie
anch geweſen wären, fie feit jenem Maube die
Geſtalt nicht wieder entdeckt hätten,
17.
Es lag in den Verhaͤltniſſen, daß der Baron
feine Beſuche bei Ambachs jetzt ſeltener und kuͤr⸗
zer machte. Warum nur ſie, die Schuldloſe, der
Zornigen Rache treffen mußte! rief er, oft wenn
er allein war, und hatter mehr Furcht vor feinem
eigenen Daſeyn, ald vor dem Wiederkommen ber
verftorbenen Gattin, die ja doch, im ſchlimmſten
Galle, weiter nichtö konnte, als ihn befreien von
tinem uͤberlaͤſtigen Leben.
Was ihn Wunder nahm, war die unverſtellte
. Ki}
Güte, womit die Ambachſche Familie fi) gegen
ihn äußerte, und die Faſſung, die überhaupt in
dem Haufe ſtatt fand. Ein jehr großer Troſt für
ihn, der nimmermebr geglaubt hätte, daß fi) die
aufs innigfte an Marien hängenden Menfchen
fobald in diefes finftere Geſchick würden ergeben
Tonnen.
Es ging fo weit, daß Heinsberg ſogar eins
mal über Tafel die Gräfin von der Begebenpeit,
zwar mit Achſelzucken, aber doch mie von einer
der Familie ziemlih gleihgältigen Sache ipres
chen hörte,
Dei diefer Gelegenheit brachte auch wieder jes
mand die.Mede auf Jukundens Hochzeitabend⸗
und bie an des verſchiedenen Affefford Ruhland
Stelle erichienene unerflärbare Perfon, behaups
tend, daß diefer doch ganz der Unftrich des Geis
ſterhaften eigen fen.
Allerdings, antwortete Graf Ambach laͤchelnd.
. Ich felbft wurde daran irre, und hätte jede Ges
ſpenſtergeſchichte cher bezweifeln mögen, als gras
de Biefe. Alles ſprach dafür, daß es nicht mit
rechten Dingen zugehe; daß tiefe Schweigen, das
ich gegen jedermann uͤber die eingelabenen Gäfe
beobachtet hatte, der unerdffnete Brief und bie
Übrigen Umftände. Dennoch aber ift die Geſchichte
einer natuͤrlichen Aufldfang fähig.
Man zeigte ſich fehr begierig mehr davon zu
. 95
vernehmen, und der Graf fagte: Sie erinnern
Sich, daß die politifchen Verhältniffe zur damas
ligen Zeit mandyen Zwang, manchen gewaltiamen
Eingriff in die theuerſten und unbeftreitbarften
Rechte des Einzelnen, der Regierung an die Hand
gaben. Unter andern pflegte man auf der Poſt
in das Geheimniß der Briefe einzubringen, bes
trieb Died aber mit fo vicler Kunft, daß der Ems
pfänger den Brief mit dem Siegel des Abſen⸗
ders befam, ohne daß von det frühern Eröffnung
eine Epur daran zu bemerken war. Denken Sie
Eid) nun, irgend jemand fey grade bei dem Pos
lizeidirektor gewefen, als diejer eine Menge erdffe
neter Briefe vor fich liegen hatte. Darauf wers
de der Direktor abgerufen, und es führe wäyrend
diefer Zcit der Zufall den Blick des Anweſenden
auf einen Brief mit meiner Namensunterfchrift.
Laffen Sie Sich ihn, ded Namens erinnern, Schen
Sie den Fall, daß er ein Mädchen diefes Namens,
von Intereſſe für ihn, auf dem Maskenballe im
Bade zu Pyrmont am Abend vor unferer Abreije
geſehen hat, und ihm einfällt, daß das Marie,
meine Tochter, geweien iſt. Unfehlbar wird er
dann den Brief überlefen und die Adreſſe anſe⸗
ben. Der Aſſeſſor Ruhland, an den fie gerichtet
war, konnte wohl einer von feinen Bekannten
ſeyn, er koͤnnte von Ruhlands Tode bereitd Kennts
niß gehabt haben und von feiner Leidenſchaft zu
54
Marien zu dem abenteuerlichen Gedanken ge⸗
bracht werden, bed Verflorbenen lecre Stelle bei
unferm Kirmsfefte ausfüllen zu wollen !
Die ganze Micne bed Grafeh gab zu erken⸗
nen, daß die Fälle, bie er geſeizt, ſich wirklich er
eignet hatten, baher baten inehrere um den Nas
men bon Ruhlands Stellvertreter. Doch er
ſchluͤpfte mit einem ausweichenden Scherze fd
ſchnell darüber hin, daß man leicht merken konnte,
er habe keine Luſt ſich Weiter herauszulaſſen.
18.
Eined Morgens erhielt der Baron wicder ein
Einladungsbillet vom Grafen auf den Mittag,
fagte jedoch erft dann zu, als ein zweites erfchies
hen war, das ihn, wichtige Aufichlüffe verfprechend;
bei feiner Freundſchaft dazu aufforderte,
Kieber Heinsberg, fo redete Amdach den EFitts
tretenden an, der erfte Augenblick unfers Allein⸗
feyns ſey Bekenntniſſen gewidmet, deren mein
Herz ſich ſo gern laͤngſt ſchon entlediget haͤtte.
Die Braut, welche Sie fuͤr ein Opfer Ihres Ent⸗
ſchluſſes zur zweiten Ehe hielten, iſt noch am
Reben. Schon am Tage nach ihrem Verſchwin⸗
den befanien wir Nachricht bon ihr, und daß fid
bis zur Entſcheidung ihres Schickſals auf dent
Gute meiner Schwefter fich aufhalten werde;
doch alles unter dem Siegel bes heiligften Ver⸗
ſchwiegenheit.
DE
\
55
Und dieſes Verſchwinden und Verheimlichen!
tief der Baron, der bon der Seligkeit der Nach⸗
richt nur allzubald zu dem tiefiten Gefühle für
die dadurch erlittete Beleidigung gelangte, die
des Grafen Mitwiffen ind Schweigen unterſtuͤtzt
hatte.
Ich kanu mir den Sinn Ihrer finſtern Miene
denken, lieber Heinsberg, verſetzte der Hausherr,
doch erlauben Sie, daß ich ausrede. Sie erin⸗
nern Sich der Fiſcherſage von einem Geſpenſt,
das mehrere Abende vor Mariens Verſchwinden |
ih auf dem Felſen am Ufer fehen ließ? Ich |
felbft begriff nicht wohl, wie ein Menfch von dies
fer Seite uniern Garten betreten koͤnne. Aber
der Unbekannte von der Kirms her hatte es doch
möglich gemacht. Die Nähe der Hochzeit war
m zu Ohren gekommen, und weil Marie ſeht
oft Abends den Garten allein befüchte , fo hatte
ee ſchon viele Abende zuvor Hier auf der Lauer
geſtanden. Vergebens. Denn die mancherlei Vor⸗
Dereitungen zu dem Feſte Überhäuften fie allzu⸗
fehr mit Geſchaͤften. Am Keftabende felbft aber
gelang ihm der kecke Streich um fd eher. da Ma⸗
tie, Sie zu füchen, fi) bid an das Ende unferd
weitläuftigen Gartens entfernt hätte. Gewalt
bon feiner Seite, Liebe von Mariens, dazu uns
feblbar Ihre unverkennbare Unzufriedenheit mit
der geicploffenen Werbindung, die ihr feine glüde —
en en — Du u
96
liche Zukunft weiffagte, mit Einem Worte, alles
begünftigte dad Wageſtuͤck. Uebriges hatte der
Entführer feine Maßregeln fo gut genommen,
daß meine ausgeſchickten Boten faͤmmilich nichts
entdeckten, einen einzigen ausgenommen, der mir
am Abende des zweiten Tages einen Brief von
dem Paare überbrachte.
Heinsberg ſah ſchweigend vor fib hin. und
der Graf ergriff feine Hand. Sch verftche Ihre
Mipbilligung, fagte er, aber ob ic) fie auch vers
diene? Nach den Entdeckungen, die Sie meiner
Frau und Jukunden gemacht hatten, war doch
wohl ohnehin auf fein GliE für Sie durch Mas
rien zu rechnen. Nebenbei dürfte ed wohl mehr
ald unklug geweſen feyn, einer vielen nadıtbeiligen
Deutungen audgefeten Geſchichte die Hülle: zu
entreißen, die ihr fo glüclidy zu behaupten geluns
gen war! —
Sie haben Recht, voͤllig Recht, lieber Graf.
rief. Heinsberg feine Hand ſchuͤttelnd. Nur dad
Ueberrajchende konnte mich Anfangs etwas irre
an Ihrem Benehmen machen. Warum aber ges
ſchah nicht ſchon der einzige Schritt, der bier zu
thun war, warum entfagten Eie io lange dem
Vergnügen, das gluͤckliche Paar in Ihrer Mitte
zu ſehen?
Samilienrädfichten, lieber Baron. Der Onkel
bed jungen Mannes hatte andere Plane mit dies
fem , von denen er nicht abzubringen war, und
der Kiebende durfte feinem eifernen Willen nicht
entgegen handeln, ohne fich die ſchoͤnſten Lebens⸗
hoffnungen zu gefährden. Jetzt ift der Alte mit
Tode abgegangen. Doc ſchon höre ich meine
Frau mit Marien und dem Fünglinge auf dem
Saale, der fuͤr's Erſte fommt, Ihnen die ſchwere
Beleidigung abzubitten.
Mein Gott, der Prinz von **? rief Heinds
berg, vor dem die Zuruͤckgekehrte mit tiefgefenks
tem Haupte fland. .
Mariens kuͤnftiger Gemahl, wenn Sie verzeihen
und unfer Gluͤck wollen! ſprach der Prinz.
Der Entjagende brüdte fie beide vereint an,
fine Bruſt. Ehegericht und Kirche thaten das
Uebrige.
Marie folgte der Beſtimmung ihres nunmeh⸗
rigen Gemahls in die Reſidenz. Heinsberg hin⸗
gegen leiſtete mehr als je zuvor ihren Aeltern auf
dem Gute Geſellſchaft, und pflegte zu ſagen, daß
die raſche That des Juͤnglings ihn durch das
tiefte Unglück zu dem einzigen wirklichen Gluͤcke
gefaͤhrt habe, deſſen er nach dem Ableben ſeiner
Gattin fähig geweſen ſey.
Geſpenſterbuch. 5. Theil, ®
4 Pa
- — mn — — — — — —
98
Die Ruine von Paulinzelt.
1.
Gert bier der rechte Weg? — rief mir eine
(dynarrende Stimme durch das Gebüfch zu, und
der Wagenlenker, dem fie angehörte, arbeitcre
muͤhſam mit feinen vier Pferden den ſchwerbe⸗
packten Meifemagen über umherliegende Felſen⸗
ſtuͤcke den Berg herauf.
Er meint naͤmlich nach Langenwieſen —
ergaͤnzte eine Floͤtenſtimme die Frage, und zwei
Srauengeftalten traren hinter dem’ Wagen hervor,
Unire zerfchlagenen Glieder — fuhr die Spre⸗
cherin fort — rechtfertigen wohl einige deſcheidne
Zweifel‘, ob wir uns bisher auf einem wirklichen
Wege befunden haben.
Die ſchoͤnſten Feueraugen blidten mir aus eis
nem dunkeln Lodengewähl entgegen, und. wieders
bolten ‚freundlicy die Frage.
Diefer Weg — erwidert! ih — wenn Sie mir
erlauben, diefen langen, ſchmalen, fteinigen Pla
fo zu nennen, führt allerdings Ihren Wagen nach
v
ei — —— _ — len nn —— nn m
4
89
Langenwieſen, wenn indeffen eine Viertelſtunde
Fußweg Sie nicht zu. ſehr ermuͤdet ...
O, im Geringſten nicht — unterbrach ſie mich
— lieber eine Stunde zu Fuß, als länger fo uns
fanft gefchaufelt.
Ich erbot mich zum Begleiter durch den Wald,
bis an das naͤchſte Gaſthaus, wo die beiden Reis
fenden ihren Wagen erwarten wollten , und mein
Erbieten ward freuhdlih angenommen, Unter⸗
weges erfuhr ich, daß Ilmenau das Ziel ihe
er Reiſe war, wo die zweite Dame durch bie
färkende Waldluft und den Gebrauch der Schlak⸗
kenbaͤder ihre Geſundheit herzuitellen hoffte. Ihre
Gefaͤhrtin forgte mit der zarteften Äufmerkſamkeit
für fie, die, gehüllt in einen weiten "Staubmäns
tel, und» dicht verſchleiert, langlam 'weben: ihr
ging,. ohne jemals einigen Antpeil an unſerm Ges
iprach zu nebmen.
Mir hatten uniern angenehmen Welbwep. wicht
ellzueilig zurüdgelegt, und fauden vor dem Wirths⸗
haus den Wagen fchon angelangt: Die Ders
ſchleierte verneinte die Frage ihrer Reifegefährtin.
ob fie gefonnen ſey im Gafthofe abzurteten, zu⸗
gleich) wandte fie fih nach mir, und dankte: mir
mit wenig Harmonikatonen, den eriten, die id,
von ihr hörte, für meine Begleitung. Bei der.
Bewegung gegen mich theilte ſich ihr Staub⸗
mantel, der Schleier wich zurüd und cin biender
62
RER, ©,
100
Mabonnentopf wendete ein Paar blaue Augens ,
himmel mir zu, die zugleich alles She der Liebe
und jede Bitterkeit des Schmerzes ausfpradyen.
Die Antwort auf ihren Dank ſtockte mir auf
der Kippe. Ihr Auge ruhte einige Augenblice
forfhend und mit feltfamen Ausdrud auf mir,
dann, indem fie das ſchoͤne Geficht tiefer in den
Schleier hälfte, fagte fie leiſe zu ihrer Freundin :
Ich bin doch durch den kurzen Weg etwas ers
mattet: Laß uns einige Minuten ausruhen.
Ich folgte ihr maſchinenmaͤßig in das Wirths⸗
baus. Man trug Erfriſchungen auf. Die Freundin,
wie ed mir vorlam, auf einen leifen Wink der
Verfchleierten lud mich ein Theil zu nehmen.
Ich bin nicht immer fo ſchwach — fagte die
Verbuͤllte — halten Sie es meiner Ermübung zu
gut. Es geht auch fchnell vorüber.
Sie. fiigte den Arm auf das Sophakiſſen,
und legte den Kopf in die Hand, wie es fchien,
um audzurufen. Wir zwei andern fprachen ins
deſſen mancherlei über die benachbarten Gegenden,
ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten.
- Eahen Sie die Gegend bei Saalfeld? lispelte
einmal die Verfchleierte mit faft accentloſer Frage
dazwiſchen.
Mehrere Male — erwidert' ich — noch vor
wenig Tagen ſtand ich dort am Denkmal des
101
erften theuren Heldenopfers, das in jenen blutigen
Schlachten fiel.
Bezeichnet das Denkmal die Sielle, wo der
Prinz fiel? — fragte fie weiter, und ihre Stim⸗
me ſchien zu zittern.
Nicht ganz genau — antwortet' ich — das
Deutmal iſt zur Seite der Landſtraße errichtet;
etwas weiter abwärts, nahe bei einem Bufch...
Fochten Sie felbft in jener unglüdlichen Schlacht ?
— ſprach fie jeßt mit fefterer Stimme, und ers
505 ſich langfam aus der liegenden Stellung, ins
dem fie den Schleier etwas zurüdichlug. Die
blaffen Rofen ihrer Wangen glühten fchnell zu ho⸗
hem Purpur auf, indem die Augen mich groß
und flammend anbligten.
Ich felbft nicht — gab ich zur Antwort — aber
ein ſehr lieber Freund von mir kaͤmpfte an derfels
ben Stelle, leider fruchtloß.. .
Und blieb — ergänzte fie ſeufzend, als Mläng
auch in ihrer Erinnerung eine Zrauerglode über
dem Grab eines geliebten Helden. Ich wollte
ihre Meinung berichtigen, aber fie winfte mir
fchmerzhaft mit der Hand zu ſchweigen.
Raffen Sie und nicht diefe wehmuͤthigen Erins
Aerungen jetzt aufwecken — ſetzte fie leiſe, kaum
dorbar, Hinzu, und neigte ſich leicht wie zum Abs
fehied gegen mich. Ihre Freundin verftand fie,
auf ihren Wink eilten die Diener herbei, der
u
10%
Schlag dffaete ich, und in menig Augenblicken
war mir der Wagen mit den fchönen Fremden
aus dem Geſicht. |
| 2.
Ich war Willens den ſchoͤnen Unbekannten zu
folgen, aber der Mittag war voruͤber, und mein
Verſprechen rief mich nach Paulinzell, wo ich eine
Geſellſchaft von Freunden und Freundinnen an⸗
zutreffen hoffte, um mit ihnen die cehrwuͤrdige
romantifhe Rume der alten Klofterlirche zu bes
trachten. Ich wollte fchon um das Wirthshaus
herum nach) dem Amthofe den Weg nehmen, denn
ich hatte mich verfpätet, und glaubte meine Freun⸗
de ſchon unter den Reſten der Vorwelt in Ben
wundrung umherwandelnd gu finden, da hört’ ich
bekannte Stimmen meinen Namen rufen, und
man winfce mich hinauf, auf den Fleinen Hügel,
wo die Geiellihaft unter einer Linde verfammelt
war und auf mid) wartete,
Amin dem günftigften Lichte ben Anblick der prädye
tigen Ruine zu genießen, die nad) allen Zerftörungen
des Fanatismus, der Zeit, und, was am meiften fchas
dete, des Finquzgeiſtes, doch groß und herrlich,
wie wenig andre, von alter Art und Kunſt zeugt,
batte man befchloffen, erfi am Abend, in ber Ber
leuchtung ded Mondes, den Weg dahin anzutres
ten, Mic) Hatte man zum Fuͤhrer auserſehn, weil
ich mehrmals fchon die Gegend bereiſet hatte, und
‘
108
die Ruine aud Zeichnimgen, Modellen und noch
mehr aus eigner Beſchauung kannte. Der heitere
Simmel ließ eine belle Mondnacht hoffen, und
felbft die kleinen Wöllchen, die einzeln in ber
blauen Luft ſchwammen, fonnten die Magie. der
Mondbeleuchtung nur durch Abwechſelung des
Hellen und Dunkeln erhößn,
Der Anblik der Ruine, wenn man fidh ihr
durch den Amthof von der Abendfeite nähert, hat
allerdings viel Meberraichendbed und Imponiren⸗
bes. Der noch im Verfall ziemlich hohe Thurm
zur Rechten zieht zuerft dad Auge an. Sogleich
aber wendet ſich ber Blick zu dem achtfänligen
Portale, das aud der geräumigen Halle zum Schiffe
der Kirche führt. Durch dieſes ſleht man in die Saͤu⸗
lenreihe der Kirche felbft, und über ihm, aufbem Bor
fprunge, den feine Säulen tragen, hohe, und doch
feit dem Verfall dieſes uralten Baues mehre Male
abgeftorbene und jung herdorgewachſene Fichten:
Allein für die Beichauung heim Mondlicht fchien mir
dieſe Anfiht, wenigftend für den erften Anblick,
nicht: Die günftigfte , weil fie, den Mond verdek⸗
kend, Die Ruine unter den andern Wirthſchaftge⸗
bäuden nur als eine dunkle, beichattete Maffe
zeigt. Ich beichloß daher, den Weg von der
Morgenfeite zu nehmen; und weil bie Sonne ſich
eben dem Untergang zuneigte, fchlug ich einen
Spaziergang in den Wald por, ans dem wir
108
zu rechter Zeit hervortreten wollten, um bie Rui⸗
"ne ‘von dieſer fehr romantifch gelegenen Seite erſt
aus der Ferne in ber Mondbeleuchtung zu bes
trachten.
8.
So lange der Tag und noch umdaͤmmerte,
ſchwaͤrmte die Geſellſchaft froͤhlich im Walde ums
her. Einige ſuchten ſich heimliche Plaͤtzchen zu
vertrauten Geſpraͤchen, andre pfluͤckten ſich Wald⸗
beeren und ſchmuͤckten Kleider und Huͤthe mit
rothlich aufbluͤhender Haide. Mich, den die ſchoͤne
Fremde zuweilen noch ſtill und nachdenkend machte,
neckte man mit dem kleinen Abenteuer, das ich
gutmuͤthig erzählt hatte, und behauptete, die raͤth⸗
felhaft Verfcyleierte, die ſich fo angelentlidy nach
dem Monumente bei Saalfeld erkundigt hatte,
Bonne niemand anderd geweſen feyn, als die Prina
zeflin, die man im Babe erwarte. Als es aber
unter den hoben fchwarzen Fichten und Tannen
anfing zu dunkeln, fanden ſich die Einjamen bei
der Gefellfchaft ein, man ſchloß ſich näher an
einander, und felbft der Muthwille, den einige
mit den. Geiftern treiben wollten, die nad) der
Erzählung des Wirthes in der Ruine ſich neuer«
lich wieder gezeigt hatten,. warb immer Eleinlaue
ter, je mehr Die Dämmerung fich ausbreitete, amd
verftummte endlich ganz in der weiten, dden Stille,
205
die und zwilchen den Bergen in dem dichten
Walde umgab.
Schauerlich und büfter genug — fagte Ju⸗
lius — hat die heilige Pauline den Ort für
ihr Klofter auögefucht.. War ed Vorliebe für tiefe
Ubgefchiedenheit, oder wollte fie in biefer vormals
gewiß fehr rauhen Gegend fchwere Vergeben abs
bügen ? Er wär’ intereflant, die Gefchichtbächer
ihrer Zeit Darüber zu befragen.
Da ift wenig Ausbeute zu finden — erwiderte
Theodor — und das Wenige, was man aufges
zeichnet findet, ift Taum des Suchens werth.
D theilt und mit, wad Ihr davon wißt, Ihr
Herren — rief eine von den Frauen — if es
auch wenig, fo muß es uns doch bier, fo nah an
Yaulina’s Rupeftelle, fehr intereffant ſeyn.
Sie werden ſich getäufcht finden — entgegnete
Theodor — Soldye unvollftänbige Notizen ſtoͤ⸗
ren die Phantaſie mehr, ald daß fie. dadurch follte
aufgeregt werden. Seht denken Sie Sid) viel
liche Paulinen als fchöne Unglüdliche,- als
heilige Jungfrau , die in der geweihten Zelle die
Leiden unbefriedigter Sehnſucht vergeflen und vers
trauern will, ats eine Art von fchönerer Meloife,
die das kalte Schidfal von dem Geliebten ges
trennt bat, und die vjelfeidht nur fremde Merges
Hungen abbüßt, in die .ein dunkles Geſchick die
Unſchuldige verflocht, Wenn Gie aber in den
106
Shroniten Iefen: St, YBanlina war die Ger
mahlin, ober nad) andern die Tochter des thaͤrin⸗
giihen Markgrafen Morichon, zur Zeit Kaifer
Heinrichs des Vierten. Sie baute dad Klo⸗
fer Paulinzell, zwiſchen Königfee und
Elm, Als fie nun mit ihrem Sohn Werner
den srften Abt Gerung dafelbft einführen wollte,
und deshalb zu feinem Klofter ritt, ihn abzuho⸗
Ien, fiel fie vom Pferde und brad) den Urm, au
welcher Verletzung ſie auch bald darauf geſtor⸗
ben iſt — was haben Sie durch dieſe proſaiſche
Relation gewonnen? Die junge Schoͤne hat ſich
in eine betagte Matrone verwandelt, die Jung»
frau in die Mutter eines großen ritterlichen Soh⸗
nes, und die Wirklichkeit hat wieder einmal den
fhönen Zauber der Phantaſie zerftört,
Doch nicht fo ganz — fagte Mathilde —
Muß denn der Sohn eben ein großer ſchlagferti⸗
ger Ritter ſeyn und die Mutter eine alte Matron
ne? Den haͤßlichen Armbruch abgerechnet, kann
ich mir den Zug nad dem Klofter des Abtes
Gerung recht wohl unter dem Bild einer Flucht
nach Aegypten denken.
Und welchen romantifchen Stoff — fiel Otto,
Mathildens Bewunderer, ein, bringt allein dieſes
Dild in Paulina’s ganze Geichichte! Welche
Bebeutung Tann der Abt dadurch bekommen!
Was — fette Julius hinzu — was dffnet
L
107
tie Ungewißheit ber Ehroniften, ob Paulina Mo⸗
richon's Gemahlin oder Tochter gewefen , für ein
weite® Feld! Mir ahndet fo etwas von einer
deutichen frübern Genci. Dann wäre das düfters
ſchoͤne Romantiſche dieſer Kloſters wohl ein treues
Abbild eines tief gebeugten, verduͤſterten, aber
ſchoͤnen, trefflichen Gemuͤthes.
Werner — fragte Amalie — war biefeh
picht der Mame des: Abtes ?
Gerung vielmehr — erwiderte Theodor
— Werner hieß Paulina’s Sohn,
Noch ionderbarer! . — fuhr Anıalia fort —
Wir durchblärterten vorhin das Fremdenbuch; was
ren es nicht die Namen, Werner und Paulis
ne, die wir mir Bleiſtift gefchrieben und mir eis
nem dornigen Roſenkranz umfchlungen fanden ?.
Richtig , dieſelben! — rief Otto — Werden
Gie nun bald Geipenfter glauben, da Pauline
md Werner ald Mevenanıs kommen und jıch
fogar unser die Beichauer ihrer Muine einichreis
ben ?_ NBer weiß, ift der Mönch, den Die Wnuſths⸗
Iente bei der‘ Ruine’ gefehen haben, nicht vieier
Werner, und uns begegwet vieleicht heute Pa us
line felbft in der Ruine.
Spotten Sie jegt nit — fagte Amalie —
Etand nicht neben dieſen Namen: Karlos und
Elifaberh mit leichten Zügen bingefchrieben ?
und laͤßt fich nicht hierans auf ein werborgene®
108
Verhaͤltniß Panlina’s fchliegen, das irgend eis
wem Beſucher biefer Ruine befannt geworden
feyn muß, weil er durch dieſen Zuſatz darauf
deutete ?
Sie haben Recht — antwortete gulius _
Hat deun jener etwas magre Epronift alle Urs
kunden des Paulinzeller Archives gelefen, die viele
Leicht feit vielen Jahrhunderten verbrannt, vermodert
oder zerftreut find? Wie viel Ehnnte man noch
jet finden, wüßte man nur, wo man fuchen ſollte.
Theodor erinnerte mich jet, daß ich eine
Geſchichte Paulina’s und ihres Kloſters hier
an Ort und Stelle mitzutheilen verfprocyen hatte.
Ich führte die Blätter bei mir und erneuerte das
Verfprechen. Der Verfafler, fette ich hinzu, ei⸗
ner von meinen liebften Freunden, intereffirte ſich
auf daB lebhafteſte für diefe Ruine und für alles,
was gefchichtlich oder arıiftiih darauf Bezug hat.
Er forfchte in alten Urkunden und hörte gern jede
muͤndliche Meberlieferung. So trug er fafl ein
Heined Paulinzeller Archiv in fih, von: welchem
diefe Erzählung die Reſultate erhält. Er kleidete
fie nach feiner Art nowellenmäßig ee, und · ſon⸗
derbar, daß feine Erzäplung ein Apnliches Vers
baͤltniß, wie Sie vermuthen — Doc) id wu dem
Erzähler nicht vorgreiſen.
Wohl moͤglich — ſagte Julius — doch
mocht' ih die Namen Karlos und Elifabeth
109 - g
Im Srembenbüche weniger auf die heilige Pau⸗.
lina, als vielleicht auf Beſucher diefer Nuine
deuten. 8 Hang mir fchon vorhin wie eine duns
He Erinnerung davon an.
Man drang in Julius, fi) näher au er⸗
Hären,
Die Sache Hegt * nahe — ſagte er — da
fie Perſonen aus einer mir bekannten Familie bes
trifft. Vielleicht hörten mehre von Ihnen fchon
früßer davon , indeffen werden Sie mir es nicht
serhbeln, wenn ich Ihnen bloß das gebt, was
eigentlich das Intereſſante ift, naͤmlich die Erzaͤh⸗
lung ohne die Namen ſelbſt.
Die junge Gräfin Pauline war nach ihrer
Mutter Tode außer dem väterlichen Haufe erzos
gen worden. Go fireng auch die Aufficht war,
weldyer ihr Bater fie anvertraut hatte, fo konnte
fie doch nicht Kindern, daß Pauline bei Spas
jiergängen und an bffentlichen Orten zuweilen
einen jungen Mann ſah, deſſen Augen fie über:
au firchten, und dem die ihrigen eben fo gern
begegueten. Es war ein gefangener Officer, ber
fi von Werner nannte, und dem-ed endlich‘
nach viel vergeblichen Verfuchen gelang, fich als
Miniatsrmaler, bei der Auffeherin des Inſtitutes,
in weldyem Pauline erzogen ward, einzuführen.
Die Liebenden Hatten fich indeffen kaum wit
8 y - Fin u >»
x 4140
den erſten ſchuͤchternen Worten der Liebe heiwlich
begrüßt, als Nachrichten von ſchneller Annaͤhe⸗
rung der Armee, die ſchleunige Entfernung der
ſchwachen Beſatzung mit allen Gefangenen ndihig
machte. Werner hatte kaum ſo viel Zeit in
die Wohnung feiner Geliebten zum kurzen Ab⸗
ſchied zu eilen, aber eben fein eilfertiges Drängen
machte ihn der Vorfieherin verdächtig, und wes
der Bitten noch Verſprechungen konnte fie bewe⸗
gen, ihm eine Untertebung, ober audy nur det
letzten Anblick der Geliebten zu geftatten,
Die feindlichen Truppen bauten kaum die Stade
geräumt, als deutiche Truppen fie wieder beſetzten.
Der Kommiffarius, welcher Stadt und
Gegend im Namen des rechtmaͤßigen Regenten
förmlıh in Befig nehmen folte, war Paulis
nens Vater. Man wollte ihn mit Zeisrlichkeis
ten überall begrüßen und Pauline,. bie bei
einer ſolchen Feſtlichkeit ihm einen Kranz übers
teichte, feffelte durch ihre Schönpeit, und bie Ans
mutb, die.jede ihrer Bewegungen begleitete, alle
Augen, und befonders „die, Yufmerkiamkeit des
tommanbdisenden Generals, eines ſchoͤnen, und
in feinem mittlern Alter. noch faft jugendlich lebe
haften und feurigen Mannes. - Er gab mehrere
Feſte, deren Seele und Königin die ſchͤne Paus
line war, und nach wenig Wochen erflärte er
gegen Paulinens Water ‚feine Liebe, Die Zus
1i1.
friedenheit des Baterd mit dent allgemein bewun⸗
derten Kriegshelden, der an Gluͤcksguͤtern nicht
weniger reich war, als au Ruhm, litt feinen Zweis
fel, und ſelbſt Paulinens Zuftinmung bichen
Vater und Bewerber für fo gut ald gewiß, da
ſie den General überall fehr bemerkbar den
andern Männern vorzog, und ed nicht verbarg,
daß fie ſich durch feine geiſtvolle Unterhaltung,
durd) fein Betragen, und felbft durch manche ihr
ſehr woßlgefällige Züge feines Gefichtes zu ihm
gezogen fühle,
Dennoch erblaßte fie, ald ihr Vater ihr von
den Bewerbungen des Generals um ihre Hand
fagte. Sie fuchte vergebens Ausflüchte, endlich,
ergriffen non den freundlichen Ermahnungen des
Vaters, entdeckte fie ihm fogar ihre frühere Nei⸗
gung zu Werner. Unbekannt mit den Unfichs
ten dee Welt, ahndete fie nicht, Daß gerade diefe
Entdeckung ihr jede Hoffnung benehmen mußte,
denn num erichien dem Vater jede Weigerung
bloß als eine neue, veränderte Maske diefer feis
nen Wuͤnſchen entgegenftehenden Liebe, und die
Wahl zwifchen dem Klofter, und dem Gchorfant
gegen den Willen des Vaters, war bie Folge je⸗
ner Eutdedung. Vielleicht hätte die ſchwaͤrmeri⸗
ſche Pauline, jelbft durch ihre Wahl noch die
Wuͤnſche ihres Waters vereitelt, aber der Tod eis
ned Rittmeiſters Vernier, der damals bekaunt
- 112 .
gemacht und ihr mit einer verftellten feinen Scho⸗
nung binterbracht wurde, fo wie die fcheinbare
Theilnahme des Baterd an ihrer Trauer, bewirkte
nad) einigen Monaten doch die Erfüllung der
väterlichen Wünfche,
- Die Bemühungen des Generals, feine junge
"Gemahlin jede Freude der Jugend und Schönheit
in glänzenden gefellfchaftlichen Verhaͤltniſſen ges
nießen zu laffen, verbunfelte allerdings Wer⸗
ner's Bild etwas. Sie fühlte ſich gluͤcklich und
dachte immer feltener an bad Glück, das fie einft
mit fo viel Thränen dem Wunſch ihres Vaters
geopfert hatte Werner lebte als ein abge»
fhiedener Freund mehr in ihrer Erinnerung, als
in ihrem Herzen. Jndeſſen gab «8 doc) Stun
den, wo die ganze magifche Gewalt der erſten
Kiebe diefe Erinnerungen umleuchtete, und die
glängende Pracht ihres Lebens erſchien ihr dann
bloß wie ein vorüberraufchendes Seft, in deſſen
Sreuden man nicht heimiſch werben kann, weil.
feine Beziehung verloren ging.
Einft, ald eben eine frohe Siegeſnachricht ges
feiert wurde, und Pauline, umſtrahlt von lenche
tenden Kerzen, und gefeiert von dem glänzenden
Kreis der Gäfte ihres Gemahls die Huldigungen
ihrer Reize annahm, ward der General plöße
lich aus dem Gefchichaftöfnale gerufen. Pau⸗
line blidte ihm, von unerflärbares Angſt getrit⸗
115
ben, nach, fie bemerkte, dad er frendig in die.
Arme eined jungen Officiers eilte, Ahndungvoll
und bebend ſieht ſie nach dem Geſicht des Frem⸗
den. Mein Sobn! ‚mein vom Tod' eniſtandner
Sohn! ruft der General, und führt den Dfe
ficiee Am Rauſche. der Freude feiner Gemahlin ent⸗
gegen. Pauline ſank bei feinem Ankh leblos
u Doden, a
Pa
In dieſem Yugenblid traten wir aus ben
Wald und der uͤberraſchend ſchoͤne Anblick unters.
brach die Erzählung, -Uns gegenüber ——
der Mond die hohen Mauern der großen,. weit
ausgedehnten Ruine, Zur Linken traf bie fange,
Sänlenreihe, des Schiffes, entbloßt von ber Ders
fallenen äußern Mauer, im hellen, weißen Mond⸗
licht hervor, die rechte Seite lag im Schalien.
Born, wo ehemals der hohe Chor mit ſeinen Al⸗
tären ſtand, drang der volle Schimmer. des Won⸗
des ein. Er fiel durch das praͤchtige hobe Yorral .
in die Kirche felbit, ynd mablte dje Scharen der
Säufen, wie wandelnde, dunkle Geſtalten an die
innere Mauer der noͤrdlichen Abſeite. Die Kruͤm⸗
mungen unſeres Weges zeigten uns bald die frel⸗
ftebende Seite mit ihren Saͤulen deutlicher, bald
öffneten fie uns dje tiefe Einſicht in die ganze
Ränge bed Schiffes durch das borbere Portal,
wo fich die Pfeiler ber Vorpalle nur wenfg. und
Geſpenſterbuch. 5. Theil, 9
. -
414:
ſeltſam beleuchtet im unermeplicher Perſpeltive zu
verlieren (chienen. |
Mancher Ausruf der Bewunderung untrBra
die Betrachtung, bis wir endlich auf der Stelle
ankamen, wo vormals der Hochaltar fland. Ein
Baum bezeichnet fie, vieleicht nur zufälig. Wir
bewunderten die fchönen Verhälmiffe des Innern
Portales, deffen ungewöhnliche Höhe durch die
Täufchung der Mondbeleuchtung noch mehr in
das riefenhafte gehoben ward. Die Nifche, weldye
der Sagt nad) Paulina’s Grabftätte enthält,
lag im Dunkel, das der Taͤuſchung Raum gab;
als decke die halbverfunkene moosbewachſene Stefn⸗
Hlatte die Nefte der Heiligen. Wir betrachteten
ernft die ruhige einfame Stelle, und nur der
Abendwind, der in den Zweigen des Holunders
buſches an bem Grabe flüfterte, untefbrad) die
Stile.
Wir durchwandelten num einigemal Schiff und
Abſeite der Kirche nebft der Borhalle, weniger um
dad Einzelne zu betrachten, ald um den Ge⸗
ſamteindruck diefer feierlich ernſten Umgebungen
aufzunehmen. Die Beichauung der Theile ſparten
wir bid auf den folgenden Tag. Ermuͤdet begas
ben wir uns endlich in das an der Mittagsfeite
Der Kirche gelegene, zu dem Amthaufe gehörige
Gaͤrtchen, wo wir gelagert auf die weiche grüne
Moodbant unter einem fchönbelsubten Birnbaum
115
den herrlichen Aublick der mondbeſtrahlten Ruine
genofien.
Hier, wo und. jebt Blumen umblähten und
der alte Birnbaum feine mächtigen Aeſte weit über
unfre Haͤupter hinſtreckte, waren ehedem Plaͤtze
fuͤr fromme Beter und kirchliche Proceſſionen der
vormaligen Kloſterbruͤder, denn das Gaͤrtchen ˖liegt
ganz in der ehemaligen ſuͤdlichen Abſeite der Kir⸗
che, und zu dem Eingange ſelbſt gelangt man
von außen nur auf dem Wege durch den hohen
Chor Ber Kirche, Paulina's Grabſtelle ſuͤdlich
gegenäber. Die eine Seite des Gartens wird
‚von den Säulen des Schiffes felbft begrängt, und
von unfrer Moosbank fah man burch ‚die hoben
Bogen diefer Säulen. in die gegenäberfichende
Saͤnlenreihe, durch diefe wieder das. Portal, wel⸗
bed aus der Abſeite zum hohen Chore führt,
und nochmals durch. biefed den Bogen von Paus
lina’& Grabniihe. Go fahen wir "Durch, eine
Inge Weripektive von vier hohen Bogen, bid an
den Punkt, der jetzt nach Zerftdrung ber Altaͤre,
das einzige Heiligrhum diefer Kirche, bie Gebeine
der Stifterin felbft, wenigftend in der frommen
Gage des Volles, aufbewahrt.
Der Mond zauberte mit den Scatten der
Bäume, die der Wind leicht bewegte, ein fauta⸗
ſtiſches Scheinleben in diefe jet verbbete Räume,
wo das file Keben andächtiger Zuruͤckgezogenheit
22
116
an das nord flillere der Pflanzenwelt Übergegams
gen war, und die MWipfel der Bäume lifpelten
mit ihren Nadeln und Blättern den leiſen Rach⸗
hall ehemaliger Horen und Vigilien.
Man mahnte mich von allen Seiten an die
verſprochene Mittheilung von Paulina's Ges
ſchichte. Ich zog die Blätter hervor, erinnerte
aber, während ein Windlicht zu dem Leſen beforge
wurde, Julius an die Kortfegung feiner vorhin
unterbrochenen Erzaͤhlung.
6.
Sulins begann:
Als Paulina von ihrer Ohnmacht erwachte,
fand fie fid) allein mit Natalien, der ebema⸗
ligen Vertrauten ihrer Liebe. So ſchwach fie
noch ſich fühlte, fo war es dennoch nothwendig,
ide die erforderlichen Aufſchluͤſſe über den Vorfall
und feine Folgen zu geben. Der General,
ganz überwältigt von der Freude, den todtge⸗
glaubten Sohn wieder zum ſehen, hatte nür bie
ſchnelle Ohnmacht feiner Gemahlin bemerkt, nicht
aber die Veranlaffung dazu. Er fchrieb den Zus
fall auf Rechnung der heftigen Ueberraichung,
deren Wirkung er an ſich ſelbſt fuͤhlte, und das
Erſchrecken ſeines Sohnes ſchien bei dem Anblick
eines fo unerwarteten Zufalls ebenfalls auf nichts
Verborgenes zu deuten. Der junge Officier aber
war. in ‘der That Bein anderer, als jener Wer⸗
47
ner, ber in feiner Gefangenfchaft, um unerkannt
zu bleiben, feinen Bornamen flatt des Familien⸗
namens geführt hatte. Jetzt war die Bedeckung
einer Anzahl Gefangenen angegriffen worden, und
Berner, der mit feinen Kameraden den güns
fligen Zeitpunkt zu benutzen wußte, harte füch nebft
den Andern befreit, und nach ehrenvoller Theils
nahme an einem glänzenden Siege, war er zu
feinem Bater geeilt, um von neuem unter feinem
Dberbefefl zu fechten, und feine Zuftimmung zu
der Berbindung mit der Geliebten zu erhalten.
Unbenachrichtiget von den Veränderungen in dem
väterlichen Haufe fand er nun die Geliebte als
feine Mutter, unwiederbringlich und hoffnungslos
für ihn verloren, wieder.
Natalie führte fogleich dem jungen Grafen
Berner zu Paulinen, um die esfle, doch
einmal unvermeidliche Zufammenkunft, nur den
vertrauten Augen der Freundin auszuftellen. Sie
gönnte ihnen ungeftört Die erfte, thraͤnenvolle Um⸗
ermung des fchmerzlidyen Wiederſehns, um bie
Augen ausweinen und die Herzen ihren Schmerz
ergießen gu laſſen. In der erften Erhebung des
Geiſtes befchloffen beide ewige Trennung ; wie es
lichenden Herzen und. edlen Gemuͤthern eigen iſt.
ber bas Geſchick, als wär’ ed dem Guten felbft
feindlich, fcheint oft den Eutſchluß bes reinften
Willens nicht zu begimfligen, Der Water wollte
118
den nur wiedergefundenen Sohn nicht fo ſchnell
entlaffen, und bald vereitelte audy der wider Er⸗
warten ſchnell geichloffene Friede jede Hoffnung
des unglädlid Liebenden, im Schlachfgewühl,
unter feindlichen Sthaaren die Ruhe zu finden,
die fo nahe an Allem, was .die Welt von Gluͤck
für ihn hatte, ewig von ihm zurüdflob.
Wer ſich flärker fühlt, vielleicht auch nur we⸗
niger tief von Empfindung bewegt wird, mag bie
Liebenden tadeln, die bei'der Vertraulichkeit, und
der Nähe, welche ihr Familienverhaͤltniß nicht als
lein geftattete, fondern forderte, fich endlich. mehr
an bie füßen Namen ihres fräßern, kurzen Zus
ſammenledens gewoͤhnten, ald an die ehrfurdhts
vollern Beziehungen des gegenwärtigen. -- Eine
Meile, welche der General mit feiner Kamilie
Mn ein Bad machte, brachte die Liebenden fid) im⸗
mer näher. . Hier in der Ruine von Pauline
zell .erneueten fie die. frühern Schwäre ewiger
Liebe, und damals wurden wahricheinlic) die dop⸗
peldeutigen Namen, Werner und Paulimee in
Dad Frembeubuc) eingetragen und mit dem deu⸗
tnugsvollen Krauz von Dornen und ofen ums
, wunden. Bu
Einft, an einem der fchönen warmen Abende
jenes für das nördliche Deutſchland verhänguie
vollen Herdſtes, fuchte ber General feine Ge
mahlin in den weitläuftigen Gärten feines Schloſ⸗
119
(e6. Die Gewitterwolken, die der heiße Tag ges
fammelt hatte, zogen herauf und fingen ſchon an,
ſich in fernen Bligen zu entladen. Beſorgt um
feine Gemahlin, deren Gewitterfurdht. er tannte,
durchfucht er jede Laube, und endlich findet er
fie, in einem entfernten Pavillon, hingelehnt auf
ein Sopha und die Arme. liebfofend um einen
Zungen Officier geſchlungen, der vor ihr kniet.
in Ausbruch des Schreckens und Unwillens vers
rieth ihm den Liebenden, der Dfficier wendet
ſich nach dem Eintretenden, and der General
erblickt mit Entſetzen feinen eignen Sohn von den
Armen der Mutter liebend umfangen. Alle Zus
sien getäufchter Liebe und beleidigter Ehre reizen.
den Zurhdichaudernden zur wildeften Wuth, die
bisher reine Unbefcholtenheit der fchönen Verbre⸗
cherin, die fo oft ihn auf fein feltenes Gluͤck ſtolz
machte, ſteht auf einmal als ſchauderhaftes Ers
zeugniß der ungeheuerſten Schuld vor ihm. Nie
geſprocheue Worte des Abſcheues draͤngen ſich
Aber feine Lippen. Bittend naht fich der Sohn,
entehrende Beleidigung treibt ihn zuruͤck; flehend
erhebt die Schuldige die Hände; unwärdige Miß⸗
Handlung de& Zürnenden ſidßt fie hinwes Des
fchügend ftellt fich ‚der Sohn vor die Weinende
und betheuert die Meinigkeit ihrer Liebe, der Er⸗
grimmte hört ihn nicht, ſchmaͤhend faßt er ihn
an der Bruft und tritt bad entriffene Ordenskreuz
u r
120
we Füßen. Da Hält fich die deleidigte Ehra,des
Kriegerd nicht mehr. Sein Säbel ziſcht aus der
Scheide, und im Augenblick flammt der Degen
des Vaters aber bern Haupt des Sopned. Schlag
fullt auf Schlag, die Blige ſpiegeln ſich in ben,
glänzenden Ahngen, und beleuchten allein den
unnarhrlihen Kampf. Vergebene tingt Paul i⸗
na flehend die Hände, der Donner Äberbrauft Ihre
Stimme, ſie reißt fich empor" die Kämpfenden zu
trennens im wilder, felbfivergeffener Wuth führt
der General'nac) ihr einen fruchrlofen Hieb, und
im Augenblid rdthet fich die Klinge des Sohnes
mit dern Blute aus der bloßgegebenen Seite des
Vaters. Flach! ſchreit der General dus dee
verwundeten Bruſt, uud ſinkt mir dem letzten
kraftloſen Hieb, der Strönie Blutes aus der
weitgefchlagenen Winde preßt,' entfeelt zu Boden.
Vatermoͤrder! rief Donmer: und Sturm dem:
Hingeſunkenen bei der blutigen Leiche zu, und:
Vatermoͤrder! hallte ein unendliches Echo in ſei⸗
nem Herzen, In Verzweiflung wendet” er bie
blutige Klinge gegen die eigne Bruſt, und er waͤr
als Suͤhnopfer der entfelichen That von eignet
- Hand: gefallen, hätte miche ein Dfficier „ der den
Generat fuchte, und auf den Laͤrm des Gefech⸗
108 herbeicitte, die That verhindert. Der Offd
cier, em Fremd des Ungluͤcklichen, errieth die
gräßliche Begebenheit, und trich den Grafen zur
421
eiligften Flucht. Den General, fo meinte er,
lönne: man vielleicht noch in das Leben zuruͤck
rufen, nur dürfte er dann den Sohn nicht fehn,
den er ja felbft der Strafe übergeben müßte,
wollt” er auch alles Vergangene vergeflen. Nur
diefe Borftellung konnte Graf Wernern zur
Flucht bewegen. Er warf ſich fcheidend neben
Waulinen nieder, aber mit Abſcheu wies ihn
Diefe von ſich. Flieh, Ungluͤcklicher! — rief fie
ihm zu — flleh, und niemald, niemals, ſeh' ich
Dich wieder. Der fchmelifte Tod faſſe mich, eh’
id jemals Dir wieder nahe. Ein furchtbarer
Domnerihlag fchien ihren Worten das Ya des
Schickſals zuzurufen. Der Graf verhülte fein '
Geht, und in der furchtbaren Gewitternacht,
die Stile gegen die Stürme in feinem Innern
war, verließ er bie Beliebte und das vaͤterliche
Schloß.
Er wählte nit lange, ‚wohin er feinen Weg
sichten follte. Der Krieg Preußens gegen Trans
reich war eben ausgebrochen, und voll Begier
nad) Kampf und Sieg zogen die preußifchen Kries
ger den franzdfiichen Heeren entgegen. - Graf
Werner eilte dahin, wo er am erften die Schlacht,
und in ihr den willlommnen Tod zu finden hoffte;
Er focht am zehnten Oktober jenes Jahres mi.
bei Saalfeld, feine Ungeduld firebte felbft dem
zu raſchen Wordringen der sapfern Krieger zus
N
122
vor, der heldenmuͤthige Prinz war bas Opfer
des muthigen Angriffe, Werner kaͤmpfte mit
Löowenkraft. Er focht an der Geite des Prin⸗
zen, und war ſchon nahe daran ihn aus ber
Mitte der Zeinde glüdlich zu.befreien, ald er und
‚bald nad) ihm der Prinz verwundet zu Boden
ſanken.
Doch ſollte der ungluͤckliche Werner den
Tod nicht finden, den er fo ſehnſuchtvoll geſucht
hatte. Er warb von ben Siegern ‚unter ben
Verwundeten aufgehoben, und da man ihn, als
den fchon "früher Gefangenen erkannte, forgfäls
tig bewacht und nad) Frankreich abgeführt. Hier
beilte zwar die Kunft ber Merzte feine Wunden,
aber fein krankes Gemüth vermochte Feine Kunft
zu heilen. Seine Schwermuth ging nach und
nad) in Melancholie, und endlich. in ſtillen Wahn⸗
finn über, Er lebt in Frankreich in einer ans
flindigen Verforgung, und fein einziger Wunſch,
deffen gewiffe Erfüllung ihm zur feſten Vor⸗
ftellung in feinem Wahnfinn geworben iſt, bes
fieht in einem großen Sieg feines Vaterlandes,
den er erfechten helfen werde. Wan laͤßt ihm
ben unfchädlichen Wahn, der allein fein freubens
leeres Dafeyn mit einem leichten Schimmer von
Frohſinn Aberglängt,
Armer Unglädlicher ! — feufzten mehre Stims
men in ber Geſellſchaft. Ich fenfzte leiſe mir
25
denn nun warb es mir klar, baß biefr Graf
Berner, und jner Graf D.., deflen Bes
kanniſchaft ich in Frankreich gemacht hatte, Dies
ſelbe Perſon war. So innig vertraut wir auch
in kurzer Zeit zuſammen wurden, jo hatte er mir
Doch niemals das Geheimmiß feiner tiefen Schwere
muth entdedt, die ibn Allen fo ungennin ans
ziebend machte. Nur aus feinem SSniereile für
Danlinzell, aus dem Feuer, mit welchem
er von ber heiligen Pauline, ald von feiner
Schußheiligen fprady, und aus der Urt, wie er
die verihiedenen Weberlieferungen von ihr zu die
mm Ganzen verarbeitet hatte, konnte ich auf
ähnliche Begebenheiten in der Geſchichte feines
Lebens und feiner Liebe ſchließen. Ich. verfchwieg
indeffen meine Vermuthung, und bereitere mich,
bie Blätter meines unglüdlichen Freundes, die
nun felbft ein neues Intereſſe für mich erhalten -
hatten, vorzulefen.
. 1 ’
Umfanget nich, einfame Kloſterhallen,
Ihr Heiligen Reſte altchrinurb’ger Pracht!
Euch baute Liebe, Haß ließ euch verfallen;
Stets unterliegt ia Schönes dunkler Macht!
Kein Gluͤck erblüht;- fie fordert fireng von Allen
Ein bint’ges Chränenopfen fih gebracht:
Derbundne Herzen miſſen quetvoll fcheiden,
Grauſam getvenut, und nur vereint durch Leiden.
+
124 |
O fteigt herauf, Thr mitternaͤcht'gen Schatten,
Verlaßt der Grabeszellen finftre Räume,
Erhebt von eurer Gruft die ſchweren Platten,
Umfchwebt mein Ang, glei Bildern Iuft’ger Träume,
est, wo die dunklen Stunden es geitatten,
Sprecht mit dem Nachtgeftüfter dieſer Aäume,
Die aus der Gräber heil’gem Beben fproßen,
Sprecht mir vom Leid und Gluck, das ihr genoſſen.
Sprecht: bat wol unter biefen Falten Steinen
Die heiße Menfchenbruft einft ausgeglüht ?
Vergißt dad müde Auge dort zu weinen ?
Keimf unten Troſt verzweifeindem Gemiüth ?
Saht ihr das Land, wo modernden Gebeinen
Der ſchoͤne Lenz des Glaubens jung entbiiht?
Wo nichts der Liebe fergen Frieden ftöret,
Und fich verbindet, was ſich angehoͤret?
Was deutet mir das büftere Geſlimmer,
Das fern im Chor dem Grabesftein entitralt ?
Es naht fih durch ded Doms bemoofte Trümmer,
Vom Grab her ſchwebt Die blaſſe Nachtgeſtalt,
Gleich Mondesſtralen, wenn der matte Schimmer
In Saͤnlenreih'n bewegte Bilder malt:
Du biſt's! am wehmuthvollen Ernſt der Miene,
Erkennt mein Aug' dich, heilige Pauline!
Du kommſt mit Troſt aus lichterfuͤllten Fernen
Des Himmels Frieden ſtralt dein Angeſicht:
Nicht wie bei Menſchen, — ſoll ich von dir lernen,
Haͤlt dort Gewalt und irrer Wahn Gericht;
Ein heil ger Recht gilt droben über Sternen:
‚423
But tft, was reines Herzens Stimme fpriät!
Und Mofen blähn aus rauher Dornenfrone
Dort ın des Himmels ew’ger Fruͤhlingszone.
Während dem Leſen des lehren Verſes bes
merkte ich eine faft flörende Unruhe unter meinen
Zuhbrern. Was ift das? — fihrie jeht Mas -
thilde laut auf, und ein heftiger Schauder zits
terte darch ihre Glieder,
Schen Sie ed auch? — fragte Theodor —
ich glanbte, ich täufchte mich.
Was denn? Was? — fragten Mehre — und
blickten ſtarr nach dem Orte, dem Theodor die
Augen zumwenbete,
Ein blaffer Schein bewegte fich in der Ferne.
am Schluß der Ausfi ht durch die verfchiedenen
Säulenbogen,
Es ift dort — fagte A malie mit etwas ers
zwungener Faſſung — dicht vor der Niſche im
Chor.
Die rauen ſchauderten zufammen, Dort fas
ben fie Paulina’s Grab.
Es iſt nichts — fagte- Theodor verweifend
— gar nichts. Wer wirb fid) denn vor Schatten
fürdten! Sie feben och, daß, feit wir hier ges
feffen haben, der Mond Höher geftiegen iſt. Er
beleuchtet jet bie Stelle, bie vorhin — —
- \
116
an das noch flillere der Pflanzenwelt Übergegans
gen war, und die MWipfel ber Bäume lifpelten
mit ihren Nadeln und Blättern ven leifen Nach⸗
ball ehemaliger Horen und Vigilien.
Man mahnte mich von allen Seiten. an die
verfprochene Wittheilung von Paulina's Ge⸗
ſchichie. Ih zog die Blätter hervor, erinnerte
«ber, während ein Windlicht zu dem Lefen beforgt
wurde, Julius an die Kortfegung feiner vorhin
unterbrochenen Erzählung.
6.
Sulius begann:
A Paulina von ihrer Ohnmacht erwachte,
fand fie fich allein mit Natalien, der chemas
Ugen Vertrauten ihrer Liebe. So ſchwach fie
noch fich fühlte, fo war es dennoch nothwenbig,
ihr die erforderlichen Aufichläffe über den Vorfall
und feine Folgen zu geben. Der General,
gan; überwältigt von ber Freude, ben todtge⸗
glaubten Sohn wieder zu chen, hatte nür bie
ſchnelle Ohnmacht feiner Gemahlin bemerkt, wicht
aber die Beranlaffung dazu. Er fchrieb den Zus
fall auf Rechnung der Heftigen Ueberraſchung,
deren Wirkung er an ſich felbft fühlte, und das
Erſchrecken feined Sohnes ſchien bei dem Anblid
eines fo unerwarteten Zufall ebenfalls auf nichts
Verborgenes zu deuten. Der junge Officier abır
war. in ‘der That kein anderer, als jener Wer⸗
417
wer, ber in feiner Gefangenfchaft, um unerkannt
zu bleiben, feinen Bornamen ftatt des Familien⸗
uamend geführt hatte. Jetzt war die Bedeckung
einer Anzahl Gefangenen angegriffen worden, und
Werner, der mit feinen Kameraden den glins
fligen Zeitpunkt zu benngen wußte, hatte fich nebſt
den Undern befreit, und nach ehrenvoller Theils
nahme an einem glänzenden Siege, war er zu
feinem Bater geeilt, um von neuem unter feinem
Dberbefedl zu ‘fechten, und feine Zuftimmung zu
der Berbindung mit der Geliebten zu erhalten.
Unbenachrichtiget von den Veränderungen in dem
väterlichen Haufe fand er nun die Geliebte als
feine Mutter, unmwieberbringlich und hoffnungslos
für ihn verloren, wieder,
Natalie führte fogleich den jungen Grafen
Berner zu Paulinen, um. die erſte, body
einmal unvermeidliche Zufammenktunft, nur den
vertrauten Yugen der Sreundin auszuftellen. Sie
gönnte ihnen ungefldrt Die erfte, thränenvolle Um⸗
armung des fdymerzlidyen Wiederſehns, um die
Augen ausweinen und die Herzen ihren Schmerz
ergießen gu laflen. In der erftien Erhebung des
Geiftes befchloffen beide ewige Trennung ; wie es
liebenden Herzen und. edlen Gemuͤthern eigen ift.
Uber Sad Geſchick, als waͤr' es dem Busen felbft
feindlich, fcheint oft den Entſchluß des reinſten
Willens nicht zu begimfligen, Der Bater wollte
128.
der Geiſterfurcht der Geſellſchaft, und biele mit
ber, durch Geſpraͤch, Xehrüre und bad Ungewohnte
von Zeit und Drt erhöhten Stimmung, Man
kam ſich gegenfeitig zu Huͤlfe, und die beiden
Fremden mifchten fih bald gejellfchaftlich in uns
fer Geſpraͤch.
Ich erkannte an den melodiſch ſanften Tönen
ſogleich meine ſchoͤne Unbekannte von dieſem Mit⸗
tag. Ihr Schleier hatte im Mondlichte die Taͤu⸗
ſchung mit einer Geiſtererſcheinung erhöht: Sie
war geſpraͤchiger und überhaupt lebhafter, als bet
unferm frühern Zuiammenireffen. Es fchien, als
wär’ ein großer Schmerz von ihr genommen, und
ihr Geift bewege ſich nun freier in der Aus ſicht
auf eine neue, ungetruͤbte Zukunft. Dagegen
ſchien ihre Begleiterin ernſter geworden, und we⸗
gen der frohen, beinah exaltirten Stimmung ihrer
‚Kreundin erwad beiorgt.
Nach einigen Gelprächen bat Hauline, die
Erzählungen von dem Leben ihrer heiligen Na⸗
mensichweiter, die fie unterbrochen hatte, ‚forigus
ſetzen. Ich ergriff die Blätter, fie ſetzte ſich in
meine Naͤhe, fo, daß der Mond ihr [göneß, blaſ⸗
ſes Geſicht wie das einer wiedergekehrten Heili⸗
gen verklaͤrte. Mir, war es ſchauerlich zu Muth
bei ihrem Anblick, und eine aͤhnliche Stimmung
ſchien ſich uͤber die ganze Geſellſchaft zu verbrei⸗
ten. Man ſehnte ſich ihr naͤher zu ſeyn, und doch
129
war es ald lagere ſich etwas Frembattiged um
fie der, was Jeder zu berühren ſcheute. Oft
während dem Lefen von Panlinens Geſchichte
bemerkte ich Tränen in ihren Augen und faft
immer gläuzte ihr. tiefblaued Auge von einem
ſchwaͤrmeriſchen edel burch feuchte Wolken.
9,
Ich fuhr fort m ‚kefen: j
Bor dem Altare ded heiligen Kreuzes fand:
die Privrin Klara mit. dem jungen Ritter Wexs
ner, befien Blicke wohlgefällig an den Sänlens.
veipen der Kirche hinglitten, und hier und da ‘an
Bildern vder Verzierungen: bald lächend; bald.
ern hafteten. Zuweilcn Bligte fein Auge von:
hellerem Feuer, ein fluͤchtiges Roth überflog feine“.
Wange, ald gebe dad: Licht. eines großen Gedaus
ken in ihm auf, and werflärte noch mehr fanc dur |
gendliche Schönheit: rl
Ihr feid fo jung noch, Herr Riner. — — kam
de. Priorin, ‚elö: ſie Tinige Zeit ihm verwun⸗
dert, und mit Beifall betruchtet hatte — : und
dennacy. fpricht aus Euren Worten, und nach
mehr ſaſt aus Euren Dliden der Ernft und dit
Erfahrenheit eines geuͤhten Meiftera Ihr habt
auf Euren Reifen durch Italien und: im Heiligen
Laude Hicherlich viel ſchoͤnt Kirchen. und: Mäntet
geichen. Unſer armes Kirchlein kann ſich freiliſh
wit jenen Prachtgebaͤuden. nicht meſſen, aber halb
Geſpenſterbuch. 5. Theil. J
130
tip {ch es gern, wenn Ihr unverholen fagtet;
was Euch hier mißfaͤllig, und guten Rath baͤdet,
wie es zu beſſern.
She inet, fromme Fran Priorin — .ente.
gegnete der Ritter — wenn Ihr meint, Ich
werfe hier meine Augen umher, um an dem Bau
und Bildwerk Eurer Kirche zu mäleln und zu
meiftern. Ich mag ſolches Kritteln bei Niemand
wol leiden, denn ed nutzt felten, und verdirbt dem
Menſchen nur fein Wohlgefallen und feine Freude
au dem, was ihm lieb it, wie ſollt' ich alſo felbft
ſolch tHörichtes Ding beginnen. Vielmehr lob' ich
den Meifter, der Eure Kirche gebaut bat. Gr
bat Alles verftändig überlegt, und recht nach Der
Kunft ausgeführt, daß er Bor italifchen und gries
chiſchen Meiftern beftchen kann. Weberbies hat
er in Dielen Bau noch einen verborgenen Funken
gelegt, der beraußfpringt und jandet, wenn ihn
Dad rechte Auge trifft.
Wie meint Ihr das ?— frägte di Priorin.
Ich meine — fuhr der Ritter fort — fein
Wert ift gleihfam wie ein Samenkorn, defgleis
den manches wol auch dußerlicy von ammmithiger
Geſtalt iſt, aber neben-der Geſtalt hat es innres
Leben, daB ſich regt, und, wenn es den techten
Grund finder, ſich außdehnt zu noch viel herr
lichern Seftaleungen, Was Ihr mir vorhin am
ſahet, atd ich das. Gebäude Eurer Kirche betrach⸗
151
tele,. war bieleicht fo ein Keimen jene® Samen⸗
Korued. Das ift denn wol auch ein Zeichen eines
recht trefflichen Geiſtes, wenn fein Merk ın eis
nem ändern Geifte zündet, und Keime neuer
Merle wet. Der Meifter har, was ich’ ſchon
vorhin fagte, alles verftändig gerrbner und ger
meffen, aber denkt Eüch mun das Feine Kirchlein
auf einen größern Raum, Säulen und Pfeiler
fireben, gleich‘ wach enden Erden; ' zu großeret
Höhe, fie vermehren ſich in Sal und Halle,
und mit Ihnen fleigen diefe ſchoͤn emdldren Por⸗
tale hoch und immer höher hinauf, baß'der Glanz
der Richter am Hochaltar kaum ihre Wölbung era
seicht — wie Würber Ihr dann diefe großen edlen
Maften anſtaunen'i Solch eif‘ Werk daͤmmette
dor meinem Geiſt vorhin, aber — —
Ich verftch’ Euch — fagte die. Priori n,—
bad wär kein Werk für biefen P äh, ünd vH.
weniger für unfer Klofter; FR
Allerdings — erwiderte der Mitt er — eine
ſolche Kirche würde Euer Kloſteigut erfchöpfen.
and überbied zu Eurem Münfter paffen, wie eine
Mieſenſaͤule in diefe Kirchenhallen. Ueberall iſt
nichts nachtheiliger, ald nach Dingen ftreben, oder
gar fie ergreifen, die zu groß und zu hoch find
für den Menfchen und feinen Kreis:
Ihr fprecht ein wahres Mort.— fagte bie
32
152
Priorin fenfzend — Möchten doch mandye Große
es beherzigen! Doch, vergebt mir... .
Sprecht ohne Schen — fuhr der Ritter fort
— wer bat ed nicht gefchen, daß die herrliche
deutſche Kaiſerkrone, dieſe glänze Sonne von Eus
zgpa, nicht in der Srafenburg Raum fand? Welch
ein Mann war Rudolph, eh’ er nach der
Krone die Hand firedie! Welch ein edler, trefis
Hcher Held der Baierherzog Otto! Er nahın
Die Krone und ihre Laſt zerbrach ihm Herzogthum
und Leben. Der rechtlich baͤusliche Hermann
ließ fich vom ‚Glanz verloden und zerriffen wer
das ſchoͤne Gewebe ſeines Lebens, verſtoͤrt jede
Freude aus ſeiner Burg, bis er ſelbſt das gefaͤhr⸗
liche Herrſcherkleinod in die Haͤnde des Maͤchti⸗
gen zuruͤckgab, dem es gebuͤhrt, Und wie man⸗
cher ...
Ihr brecht ab — ſprach die Priorin — ſo
iſt es denn gegruͤndet, daß auch ber Wartgraf.
von Thüringen ...
Deffen verläumden ihn, ich hoff’ e8, nur feine
Seinde oder Neider — erwiberte ‚der Ritter et⸗
was heftig,
Gewiß nur diefe — tbnte eine fanfte Stimme
im der Nähe — und eine junge Nonne trat aud
einer Seitenhalle — Sollten denn diefe unjeligen
Unruhen, die Deutfchland verwuͤſten, ewig dauern ?
133
Der Ritter vergaß über ber ſchoͤnen Ers
ſcheinung feine zürnende Rede fortzufeßen.
Eine meiner Koftgängerinnen — fagte bie
Priorin, auf die Herzugelommene beutend —
Wie kommſt Du hieher, Pauline?
Vergebt, ehrwürdige Frau — antwortete dieſe
— Ich betete bier in der Halle vor dem Muttere
gottesbilde, aber Euer Geipräch, dem ich zubdrte,
309 mir die Gedanken vom Geber ab. Als Ihr
von dem Bau der Kirche redeter, war ed mir,
als fprächt Ihr ein heimliches Wort aus meiner
Seele. So erhöht und erweitert, ganz anders
und Doch ganz diefelbe, fah’ ich diefe Kirche im
Traum, als ich zum erftenmal hier gebetet hatte,
ih fland am Altare des heiligen Kreuzes, als
Braut herrlich geſchmuͤckt, und freute mich des
fhönen Kirchenbaues. Den Traum hatte ich
lingft vergeffen, aber Eure Rede rief ihn wieder
vor mein Gedaͤchtniß.
Iſt es nicht ſeltſam — fprach die Priorin
— einen jungen Nitter, gleicy einem baufundigen
Meiſter fprechen zu hören ?
Ei — entgegnete diefer — meinet Ihr. denn,
ein Ritter folle bloß mit dem Schwerte drein
Schlagen? Iſt es doch nicht weniger zur Ehre
Gottes, die dem Ritter das Hoͤchſte iſt, wenn er
die Steine und Balken ordnet, daß fie, zum ſchoͤ⸗
sen Dom zufammengefügt, die Gemuͤther zur An⸗
434
Yacht wecken, und das Kyrie und Gloria freudig
wiederballen, gleichwie die Steine um jenen froms
men Heiligen dad Amen. Mein Schwert ift das
zum nicht müßig gewefen, aber, wie ich den
Mittern die Streiche abzulerneit ſuchte, fo hatte
ib auch Acht, was meine Andacht erweckte und
lernte gern von den Meiftern in der Kunft, und,
Kon ihren wundervollen Werten,
Während des Geſpraͤches führte die Priorin
hen Ritter weiter durch die Kirche und Hallen,
und fragte ihn manches über Malerei und Bilde
werke. Auch Pauline fragte ihn viel und hörte
mit Wohlgefallen feine Antworten, Als fie nun
in eine Halle traten, blieb der Mitter mit fehr
ernften Micnen vor einem Muttergottesbilde ſte⸗
hen, und feine Blicke ruhten darauf wie anges
heftet.
Mit dieſem Bilde muͤßt Ihr Nachſi cht haben,
Herr Ritter, ſagte die Priorin laͤchelnd — Es
iſt bloß ein Wert anbächtiger Liebe zur heiligen
Mutter.
Ich ſag Euch — erwiderte Werner — daß
dieſes Bild eine der erſten Zierden Eures Kloſters
iſt. Ihr dabt keines, das ihm gleiche. Es iſt
noch neu, und ich bitt' Euch, nennt mir den Meie
fer, der dieſes Wundeibild malte, daß ich zu ihm
ele...
Ihr fpottet wol — unterbrach die Priorim
165
— dieſes Bild bat meine liebe Tochter Pauline
gemalt. Du braucht Dich Deiner Andacht nicht
zu ſchaͤmen, mein Kind, Es war ein wälfcher
Meiſter Hier, der ein Bild unfrer Heiligen malen
ſollte, und weil Pauline zugegen war, als er mir
Proben feiner Kunft zeigte, fo beftand er darauf,
ihr Angefiht für dad Muttergottesbild abzuma⸗
len, aber meine fromme Tochter verweigerte ihm
ihr Autlig ſtandhaft, weil fie ed für Frevel hielt,
ihr Bild im Klofter zur Anbetung aufftellen zn
laſſen, und weil der Maler nicht anberd malen
wollte, ald nach ihrem Angeſicht, fo malte fie
ſelbſt unter heißen brünftigen Gebeten das Bilb,
welches Ihr feht. Wenn Ihr nun meinet, ed ſey
gelungen, fo müflen wir bie Heilige preifen, wel⸗
che dad Ziehen ihrer Magd erböret hat.
Der Ritter Tonnte nicht aufpdren, das Bild
zu betrachten und zu preifen; als ifn.aber Pau⸗
Jine noc manches fragte, worüber fie feinen
Kath begehrte, und deswegen ihren Schleier zus
südwerf , da konnte er die Augen nicht von dem
himmliſchen Angeficht wenden ,„ das ihn aud dem
Schleier, wie ein Eugelskopf aus einer lichten
Wolle eutgegenblidte. Pauline bemerkte, in
Zragen vertieft, fein Erſtaunen nicht; aber zu der
Priorin ſprach der Ritter heimlich: der wälfche
Maler hatte Hecht: das heiligſte Muttergottese
\
13586
entzönbet,, bie er gleichwol tief in feinem Innen
verbergen zu möffen glaubte, nicht allein, weil
der Unterfchied der Jahre ihm mehr die Gefin
mung einer Tochter, ald einer Braut bei Paus
Linen erwarten ließ, fondern vorzuͤglich, weil er
eine Entdedung fürchtete, die feine Leidenſcheft
aus verzeiplicher Thorheit in ein furchtbar ent
ſetzliches Verbrechen ummandelte.
Markgraf Egbert hatte in fruͤhern Zr
ten diefem Klofter ein theures Pfand anvertrat,
die Fracht einer Liebe, die, fo mächtig die Lie
beuden auch waren, doch vor ber noch mächtiger
Kirche ewig verborgen bleiben mußte. Barer und |
Mutter durften weder dem Kinde noch feine |
Pflegern befaunt werden, und nur felten wagte |
feldft der Markgraf auf feinen Zügen wie von ı
ungefähr bei dem Kloſter zu verweilen, und um
ter deſſen Zöglingen ſich das fdönfte Kind zum
Liebling auszuwäßlen. Dann fchmeichelte er fd
gern mit der Möglichkeit, daß bie Vorgezogene
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefalk
Ien angehdre. Seit dem letzten Beſuch aber fürd«
tete er dad, was er fonft fo gern zu hören wänfchte,
and er beflritt mit SHeftigkeit die Behauptung fo
nes alten Dienerb, des einzigen Mitwiffers um
jene Liebe, daß Pauline das Kind dieſes Go
beimniſſes fey. Die Erage nach dem Name, !
unter welchemm dab Kind aufgenommen ward, |
137
Fhr, an wen Ihr mit Eurer Liebeswerbung Euch
ga wenden habt. Indeſſen will ich Euch nicht
verbergen , daß der Markgraf, Euer Bater, vor
nicht langer Zeit unfer Klofter befucht, und reich“
lidy befchenkt hat. Damals hat er befonderes
Wohlgefallen an Paulmen gefunden, und ihr fat
värerlich zugefprochen , fie auch gegen jedermann
{ehr gelobt, fo daB von ihm wol Fein Hinderniß
zu fürchten ſeyn möchte.
Dem Ritter war der Name Moriho fo
unbekannt, als der Priorin. Er beſchloß, am
Hofe des Kaiſers nad) ihm zu fragen, und
die Priorin, welder der Sohn bed maͤchtigen
thäringifchen Markgrafen ein willlommener ‘Bes
werber um ihren Liebling war, geftattete ihm gern
noch einige Zufammenktänfte unter ihren Augen
mit Paulinen, und feguete ihre junge, fchöns
aufblähende Liebe beim Abſchiede des Mitters
mit den beften Eegenswünfchen und Gebeten,
Während Ritter Werner am Hofe Kaifer
Heinrichs Nachfrage nad dem Ritter Mo⸗
rich o hielt, fand ih Markgraf Egbert wies
der in der Nähe des Klofters ein. Das MWohls
gefallen an der jungen faft noch. Eindlichen Paus
Lina, das die Yiorin für värerliche Zuneigung
des bejahrten Mannes hielt, war von ganz ans
derer Urt, Paulina's ſeltne Schönheit hatte
das Herz des Markgrafen, zu der heißeften Liebe
458
entzänbet , bie er gleichwol tief in feinem Innern
verbergen zu muͤſſen glaubte, nicht allein, weil
der Unterfchied der Jahre ihn mehr die Geſin⸗
nung einer Tochter, ald einer Braut bei Pau⸗
linen erwarten ließ, fondern vorzüglich, weil er
eine Entdedung fuͤrchtete, die feine Leidenſchaft
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente
ſetzliches Verbrechen ummanbdelte.
Markgraf Egbert hatte in fruͤhern Zei⸗
gen dieſem Kloſter ein theures Pfand anvertraut,
die Frucht einer Liebe, die, fo mächtig die Lie⸗
benden auch waren, boch vor der noch mächtigeren
Kirche ewig verborgen bleiben mußte, Vater und
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen
spflegern bekannt werben, und nur felten wagte
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie von
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und uns
ter deffen Zöglingen ſich das fchönfte Kind zum
Liebling auszuwählen. Dann fchmeichelte er ſich
gern mit der Möglichkeit, daß. die Worgezogene
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefal⸗
len angehoͤre. Seit dem lebten Beſuch aber fürdhs
tete er dad, was er fonft fo gern zu hören wuͤnſchte,
und er beftritt mit Heftigkeit die Behauptung feis
ned alten Dienerö, bed eitzigen Mitwiffers. um
jene Xiebe, daß Panline das Kind diefed Ges
heimniſſes ſey. Die Trage nach dem Namen,
guter welchem das Kind aufgenommen ward,
=
— nd “.-_ -
423
fennte freffih ben Schleier. Heben; allein eben
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens
unter dieſem Schleier zu erblicken fuͤrchtete, ſcheute
er die Beruͤhrung. Ungewißheit, Taͤuſchung lıber
das Mögliche, war fein einziger Troft, denn Paus
lina’s Bild war nun einmal jo tief in fein gan⸗
sed Leben verwebt, daß er es nicht ertragen .
Tonnte, fie auderd, denn als feine Geliebte zu
deuten,
Lange fucht er vergebens diefe Neigung zu -
verbergen, die ihm oft ald eine Räcyerin der früs
hern verbosenen Liebe erſchien. Zuweilen aber
gab eben dieſe Vorftellung feiner Leidenſchaft neue
Nahrung, Er glaubte dem Geſchick nicht ents
geben zu koͤnnen, und fo. wie er auf einer andern
Seite von einem angefangenen Werke gewaltſam
fortgeriflen wurde, fü fchien auch bier eine höhere
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen ſein
Widerfireben zu ihrem eigenen Ziele zu. leiten...
Was dreimal, durch Rudolph, Drto und
Hermann, den fdchfiichen und thüringifchen
Fuͤrſten mißglücte, follte Markgraf Egbert
ihnen erringen : Sreiheit von der verhaßten Ren
gierung Kaifer Heinrichs. Die größre Zahl
ber Zürften und Biſchoͤſe hatten dem Markg ra⸗
fen die deutſche Koͤnigskrone beftimmt, von Ron
aus brachten Kardindle und Legaten dem beguͤn⸗
ſtigten kuͤnftigen Reichsoberhaupt, mit dem, apo⸗
140
floliichen Segen, Verficherungen des Gelingens
zu dem kuͤhnen Unternehmen, und Ablaß für jede
vergangene oder zukünftige That, welche das Ges
lingen fördern, oder um es gu fördern unternome
men werde. Jedes Kleinod der Firchlichen Loͤſe⸗
und Bındegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur
rafchen That anzufeuern, denn, daß eine verzeh⸗
rende Leidenfchaft, fein eigned Sehnen und Ente
ſetzen, ihm unthärig um das Klofter treibe, muthe
maßte Niemand. Sein Zögern galt für Unents
fchloffenheit, gegen die man gern alle Verheie
Bungen aufbot.
Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm⸗
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn eine
‚mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer
Herzleid,, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗
bergen meint. Ihr liebt die fchöne Panline
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, fore
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt,
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig. Wer weiß denn,
ob gerade diefe Eure Tochter ift!
Beftandeft Du nicht chedem ſelbſt darauf?
fragte der Markgraf.
Dad wol — entgegnete Benno — bin id
aber doch kein Papſt, der nicht irren kann! Was
man wuͤnſcht, fieht man leicht, und damals wuͤnſcht
ich Euch das ſchoͤne Zränlein zur Tochter,
14%
Egbert ließ fich gern überreden. Er ber
gab ſich des folgenden Tages zur Priorin,
und erklärte ihr feine Ubficht mit Paulinen.
Die Priorin, die ein naͤheres Verhaͤltniß
ded Markgrafen zu Paulinen nicht ahn⸗
dete, entietzte fi) bloß vor dem Gedanken, Bas
ter und Sohn als Nebenbupler zu ſehn, doch hielt
fie es fuͤr rathſam, dem Markgrafen bie
frühere Liebe feined Sohnes. zu verbergen. Sie,
glaubte ihre gelichte Pflegetochter-wenigftens bis
zu Werners Ruͤckkehr geſichert, wenn fie ſich
auf die Entſcheidung des Ritters Moricho, als.
Panlina’s Vater, berief ‚ ohne deffen Vorwiſ⸗
fen fie äber 'Paulina nichts verfügen duͤrfe.
Egbert boͤrte mit Entfegen den Namen Mo
ich o. Unter diefem Namen, den er feit feinen.
Liebe zu hören und. zu nennen ſcheute, hatte er
vormals Paulinen dem, Klofter anvertraut.
Die -langgefürchtete Gewißheit ſtand nun auf eins.
mal mit allen Schrecken vor ihm. Kaum vers
mochr' e fo viel Befonnenpeit. zu fammeln, daß
er gegen die Priorin feine heftige Bewegung
wicht verrieth. Ich kenne den, Nitter Morich.o
— erwiperte er mit erzwungenem Stolz — und
werde ſehn, ob er dem, Markgrafen feine
Tochter verfagt.
. Werner, hatte inbefen vergebend am Hofe
des Kaifers nach dem Ritter Moricho ges
'
—R
152
Priorin fenfzend — Möchten body mandye Große
ed beberzigen! Doch, vergebt mir . . .
Sprecht ohne Scheu — fuhr der Ritter fort
— wer bat es nicht gefchen, daß bie herrliche
deutſche Kaiferfrone, diefe glänze Sonne von Eus
sopa, nicht in der Grafenburg Raum fand? Welch
ein Mann war Rudolph, ch’ er nad) des
Krone die Hand firedre! Welch ein edler, treffe
licher Held. der Baierherzog Otto! Er nahm
die Krone und ihre Laſt zerbrach ihm Herzogthum
amd Leben. Der rechtlich baͤusliche Hermann
leß fich vom Glanz verloden und zerriffen war
das ſchoͤne Gewebe feines Lebens, verflört jebe
Sreude aus feiner Burg, bis er ſelbſt das gefaͤhr⸗
liche Herrſcherkleinod in die Hände des Mächtis
gen zuruͤckgab, bem es gebößrt, Und wie mans .
Her ar
Ihr brecht ab — ſprach die Priorin — ſo
iſt es denn gegruͤndet, daß auch ber Markgraf
von Thuͤringen ...
Deſſen verlaͤumden ihn, ich hoff es, nur feine
Seinde oder Neider — erwiderte ‚der Ritter ete
was beitig.
Gewiß nur diefe — toͤnte eine fanfte Stimme
in der Nähe — und eine junge Nonne trat aus
einer Seitenhalle — Sollten denn diefe unſeligen
Unruben, die Deutfchland verwüften, ewig dauern ?
133
Der Ritter vergaß über der ſchoͤnen Er⸗
ſcheinung ſeine zuͤrnende Rede fortzuſetzen.
Eine meiner Koſtgaͤngerinnen — ſagte die
Priorin, auf die Herzugekommene deutend —
Wie kommſt Du hieher, Pauline?
Vergebt, ehrwuͤrdige Frau — antwortete dieſe
— Ich detete hier in der Halle vor dem Mutter⸗
gottesbilde, aber Euer Geſpraͤch, dem ich zuhoͤrte,
zog mir die Gedanken vom Gebet ab. Als Ihr
von dem Bau der Kirche redetet, war es mir,
als ſpraͤcht Ihr ein heimliches Wort aus meiner
Seele. So erhoͤht und erweitert, ganz anders
und doch ganz dieſelbe, ſah' ich dieſe Kirche im
Traum, als ich zum erſtenmal hier gebetet hatte,
ich ſtand am Altare des heiligen Kreuzes, als
Braut herrlich geſchmuͤckt, und freute mich des
ſchoͤnen Kirchenbanes. Den Traum hatte ich
längft vergeflen, aber Eure Rebe rief ihn wieder
vor mein Gedaͤchtniß.
Iſt es nicht feltfiam — ſprach bie Prioriu
— einen jungen Ritter, glei) einem baufundigen '
Meifter fprecyen zu hören ?
Ei — entgegnete diefer — meinet Ihr, denn,
ein Nitter folle bloß mit dem Schwerte drein
ſchlagen? Iſt es doch nicht weniger zur Ehre
Gottes, die dem Ritter das Hoͤchſte ift, wenn er
Die Steine und Balken ordnet, daß fie, zum ſchoͤ⸗
nen Dom zufammengefügt, die Gemuͤther zur An⸗
134
dacht wecken, und dad Kyrie und Gloria freubig
wiederbalten, gleichwie die Steine um jenen from⸗
men Heiligen dad Amen. Mein Schwert ift da⸗
rum nicht müßig gewefen, aber, wie ich den
Mittern die Streiche abzulernen ſuchte, fo harte
ib auch Acht, was meine Andacht erwedte und
lernte gern von den Meiftern in der Kunft, und,
gon ihren wundervollen Werken.
Während des Geſpraͤches führte die Priorin
den Ritter weiter durch die Kirche und Hallen,
und fragte ihn manches Über Malerei und Bilde
werke. Auch Pauline fragte ihn viel und hörte
nit Wohlgefallen feine Antworten, Als fie nun
in eine Halle traten, blieb der Ritter mit fehr
ernften Micnen vor einem Muttergotteöbilde ſte⸗
ben, und Teine Blide ruhten darauf wie anges
beftet.
Mit dieſem Bilde muͤßt Ihr Nachſicht haben,
Herr Ritter, ſagte die Priorin laͤchelnd — Es
iſt bloß ein Werk andaͤchtiger Liebe zur heiligen
Mutter.
Ich lag! Euch — erwiderte Werner — daß
dieſes Bild eine der erſten Zierden Eures Kloſters
iſt. Ihr dabt keines, das ihm gleiche. Es iſt
noch neu, und ich bitt' Euch, nennt mir den Mei⸗
Ber, ber dieſes Wundeibild malte, daß ich zu ihm
v⁊ . .
Ihr fpottet wol — unterbrach bie Priorin
155
— dieſes Bild hat meine liebe Tochter Pauline
gemalt. Du brauchft Dich Deiner Undacht nicht
zu ſchaͤmen, mein Kind. Es war ein wälfcher
Meiſter Hier, der ein Bild unirer Heiligen malen
foüte, und weil Pauline zugegen war, ald er mir
Droben feiner Kunft zeigte, fo beftand er darauf,
ühr Angefiht für das Muttergottesbild abzumas
Jen, aber meine fromme Tochter verweigerte ihm
üpr Autlitz ſtandhaft, weil fie es für Frevel hielt,
ihr Bild im Klofter zur Anbetung aufftellen zu
offen, und weil der Maler nicht anders malen
wollte, als nach ihrem Angeſicht, fo malte fie
ſelbſt unter heißen bruͤnſtigen Gebeten dad Bild,
welches Ihr ſeht. Wenn Ihr nun meinet, ed ſey
gelungen, fo muͤſſen wir die Heilige preifen, wel⸗
che das Ziehen ihrer Magd erhöret hat,
Der Ritter Tonnte nicht aufpdren, das Bild
zu betrachten und zu preifen; als ihn aber Paus
Jine noch manches fragte, worüber fie feinen
Bath; begehrte, und deswegen ihren Schleier zu»
shdtwerf, da konnte er die Augen nicht yon dem
Binmlifchen AUngeficht wenden ,„ das ihn aus dem
Schleier, wie ein Eugelötopf aus einer lichten
Wolle entgegenblidte. Pauline bemerkte, in
Fragen vertieft, fein Erſtaunen nicht; aber zu ber
Priorin fprach der Ritter heimlich : der wälfche
Maler hatte Hecht: das heiligfie Muttergottede
\
436
bild dat Pauline gebildet, aber als ſchonſte bifdete
die Natur in Paulinen,
Nach wenig Tagen fprad) : Ver Kite er. it
dem Klofter wieder zu. Er entdedie der Brio
rin bald, daß feit Paulinend Anblick eine unbe⸗
zwingliche Sehnfucht fein Herz erfülle; er fey der
Sohn des thäringiihen Markgrafen Egbert,
. und wenn Pauline fi) nicht unwiderruflich dem
Klofter verlobt habe, fo fey er Willens, fie zu
ſeiner Hausfrau zu erwaͤblen.
Kür mich ſelbſt, Herr Ritter — erwiderte die
Priorin — würde ih Euch jede Hoffnung gern
zuſagen, denn Pauline, wie Ihr ſchon vernom⸗
men habt, iſt weder Nonne, noch Novize, ſon⸗
dern meinem Klofter nur zur Pflege und Erzie⸗
bung anvertraut. Wer aber ihre Veltern feyen,
und ob fie von ihnen dem geiftlichen Stande bes
flimmt fey, das ift mir felbft ein Geheimniß. Der
Mann, von dem ich fie erhielt, fagte mir kloß,
fie fey die Tochter eines fehr vornehmen und reie
en Ritters, mit Namen Mor icho. Die Sum⸗
men, welche mir jährlich für biefed Kind ausgee
zahlt werden, bezeigen allerdings den Reichtum
des Waters. Wer aber diefer Moricyo fep, und
warum er. fein Kind, dad ihm ſo lieb ſcheint, fo
fern von ſich erziehn läßt, das bat mir noch Nies
mand Fund gemacht. Kennt hr man vieleicht
water ben Rittern einen dieſes Namens, ſo wißt
Su ” =- | " u r
137
She, an wen Ahr mit Eurer Liebeswerbung Euch
gu wenden habt. Indeſſen will idy Euch nicht
verbergen , daß der Markgraf, Euer Vater, vor
nicht langer Zeit unfer Klofter beſucht, und reiche
lich befchentt hat. Damals bat er befonderes
Wohlgefallen an Paulmen gefunden, und ihr faſt
väterlich zugefprochen , fie auch gegen jedermann
fehr gelobt, fo daß von ihm wol kein Hinderniß
zu fürchten ſeyn möchte,
Dem Ritter war 'der Name Moriho fo
unbelannt, ald der Priorin. Er befhloß, am
Hofe des Kaiſers nad) ihm zu fragen, und
die Priorin, welcher der Sohn des mächtigen
thäringifchen Markgrafen ein willlommener Bes
werber um ihren Liebling war, geftattete ihm gern -
noch einige Zufammenkänfte unter ihren Augen
mit Panlinen, und fegnete ihre junge, ſchoͤn⸗
aufblähende Liebe beim Ubfchiede des Ritters
mit den beften Segenswuͤnſchen und Gebeten.
Mäprend Mitter Werner am Hofe Kaifer
Heinrichs Nachfrage nach dem Ritter Mo⸗
sido hie, fand fh Markgraf Egbert wies
der in der Nähe ded Klofters ein. Das Wohls
gefallen an der jungen faft noch Eindlichen Paus
Line, das die Piorin für vaͤterliche Zuneigung
des bejahrten Mannes hielt, war von ganz ans
derer Art, Panlina’s felme Schönheit hatte
das Herz des Markgrafen zu der heißeſten Liebe
438
entzündet, die er gleichwol tief in feinem Innern
verbergen zu muͤſſen glaubte, nicht aflein, weil
der Unterfchied der Jahre ihn mehr die Gefine
mung einer Tochter, ald einer Braut bei Paus
linen erwarten ließ, fondern vorzüglich. weil er
eine Entdeckung fürchtete, die feine Leidenfchaft
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente
fegliches Verbrechen ummanbdelte.
Markgraf &gbert hatte in frähern Zei⸗
ten dieſem Klofter ein theures Pfand anvertraut,
die Fracht einer Xiebe, die, fo mächtig die Lie⸗
beuden auch waren, doch vor ber noch mächtigeren
Kirche ewig verborgen bleiben mußte. Vater und
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen
Pflegern befanut werden, und nur felten wagte
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie vom
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und uns
ter deffen Zöglingen ſich das ſchoͤnſte Kind zum
Liebling auszuwaͤhlen. Dann ſchmeichelte er ſich
gern mit der Möglichkeit, daß die Worgezogene
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefals
len angehdre. Seit dem letzten Beſuch aber furch⸗
tete er bad, was er ſonſt fo gern zu hoͤren wänfchte,
and er beftritt mit Heftigkeit die Behauptung feis
nes alten Dieners, des einzigen Mitwiffers um
jene Liebe, Daß Panline das Kind dieſes Ges
heimniſſes ſey. Die Frage nach dem Namen,
unter welchem das Kind, aufgenommen ward,
439
donnte freilich ben Schleier. heben; allein eben
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens
unter dieſem Schleier zu erblicken fuͤrchtete, ſcheute
er die Berührung. Ungewißheit, Taͤuſchung uͤber
das Moͤgliche, war ſein einziger Troſt, denn Pau⸗
lina's Bild war nun einmal io tief in fein gan⸗
zes Leben verwebt, daB er es nicht ertragen .
Tonnte, fie gnders, denn als feine Geliebte zu
denken.
Lange ſucht' er vergehens dieſe Neigung zu
verbergen, die ihm oft als eine Raͤcherin der fruͤ⸗
hern verbotenen Liebe erſchien. Zuweilen aber
gab eben dieſe Vorſtellung feiner Leidenſchaft neue
Nahrung. Er glaubte dem Geſchick nicht ent⸗
gehen zu koͤnnen, und ſo wie er auf einer andern
Seite von einem angefangenen Werke gewaltſam
fortgeriſſen wurde, fo ſchien auch hier eine höhere
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen. ſein
Widerſtreben zu ihrem eigenen Ziele zu leiten. -
Was dreimal, durch Rudolph, Dito und
Hermann, den ſaͤchſiſchen und thüringifchen
Fürften mißglüdte, follte Markgraf Egbert
ihnen erringen : Freiheit von der verhaßten Re⸗
gierung Kaiſer Heinrichs. Die arößre Zahl
der Zürften und’ Biſchoͤfe hatten dem Markg ra⸗
fen die deutſche Koͤnigskrone beftimmt, von Kom
aus brachten Kardindle und Legaten dem beguͤn⸗
ſtigten kuͤnftigen Reichsoberhaupt, mit dem apos
140
ſtoliſchen Segen, Berficherungen bes Gelingens
zu dem kuͤhnen Unternehmen, und Ablaß für jede
vergangene oder zufünftige That, welche das Ger
lingen fördern, oder um es gu fördern unternoms |
men werde. Jedes Kleinod der kirchlichen Loſe⸗
und Bindegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur
rafchen That anzufeuern,, denn, daß eine verzche
rende Leidenfchaft, fein eigned Sehnen und Ente
ſetzen, ihn unthätig um das Klofter treibe, muth⸗
maßte Niemand. Sein Zögern galt für Unents
fchloffenheit, gegen die man gern alle Verheis
Bungen aufbot.
Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn eins
‚mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer
Syerzleid,, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗
bergen meint. Ihr liebt die ſchͤne Panline
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, fore
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt,
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig Wer weiß denn,
ob gerade diefe Eure Tochter ift!
Beftandeft Du nicht chedem felbft darauf?
fragte der Markgraf.
Dad wol — entgegnete Benno — bin id)
aber doch ein Papſt, der nicht irren fann! Was
man wuͤnſcht, fiebt man leicht, und damals wuͤnſcht
ich Euch das fchöne Fräulein zur Tochter,
144
Egbert ließ fi) gern überreden. Er bes
gab fich des folgenden Tages zur Priorin,
und erklärte ihr feine Abficht mir Paulinen.
Die Priorin, die ein näheres Verhaͤltniß
des Martgrafen zu Paulinen nicht ahn⸗
dete, entletzie fih bloß vor dem Gedanken, Va⸗
ter und Sohn als Nebenbuhler zu fehn, doch hielt
fie es für-ratbfam, dem Markgrafen bie
frühere Liebe jeined Sohnes zu verbergen. Sie,
glaubte ihre geliebre Pflegetochter -wenigftens bis
zu Werners Ruͤckkehr geſichert, wenn fie ſich
auf die Entſcheidung des Ritters Morich o, als
Paullina's Vater berief, ohne deſſen Vorwiſ⸗
fen fie über Paulina nichts verfügen duͤrfe.
Egbert hörte mit Entſetzen den Namen Mor
sicho,, ‚Unter dieſem Namen, den er feit feinen.
Liebe zu hören und zu nennen fcheute, hatte ey
vormals Paulinen dem Klofter anvertraut,
Die langgefuͤrchtete Gewißheit ſtand nun auf eins.
mal mit allen Schrecken vor jhm. Kaum vers
woche" er ſo viel Belonnenheit zu ſammeln, daß
er gegen die Priorim ſeine heftige Bewegung
nicht verrieth. Ich kenne den Ritter Moricho
— erwiderte er mit erzwungenem Stolz — und
werde ſehn, ob er dem, Markgrafen feine
Tochter verfagt.
Werner, hatte indeffen vergebend am Hofe
des Raifırs nach dem Mitter Moricho ges
[4
fragt. Niema
. geringem Gluͤ
‚ beru Fürften.
Suchens z0g
überzeugt, t
Aufzufinden
die Tochter
Er faı
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kung ihre
was beı
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Pa:
war
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&
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u
143
Auf Markgraf Egbert war inbeffen dee
längft ihm drohende Streich gefallen. Befangen
in feiner wilden Leidenſchaft, vergaß er die Bes
fonnendeit und Thaͤtigkeit, welche auf feinem Weg
zum deutſchen Kaiferthron nöthig war. Mangel
on Infammenhang war ‚jest in feinen Plänen,
Säumniß oder Mebereilung flörten ihre Ausfühs
rung. Die Verbündeten verloren das Vertrauen,
mehre verließen ihn. ’ Fetzt in dem entfcheidenften
Augenblick ſprach auch der Kaifer Die Acht über
den Empoͤrer. Unficher, oft nur von ıpenig-NMeis
figen begleitet, zog der Markgraf jest von
Burg zu Burg umher, und fuchte mit den we⸗
nigen ihm noch treuen WVerbündeten mehr dent
Untergange zu entgehen, als das flolze Ziel feis
ned Strebens zu erreichen, Werner fuchte dent
Geaͤchteten, Klüchtigen vergebens, Nach langent
Umberziehen befchloß er endlich zu dem Aufent⸗
halt feiner geliebten Pauline zuruͤckzukehren, ents
ichloffen, fie zu befigen, fen e8 durch Beiſtimmung
. der Priorin, oder durch Gewalt. Briefe Paus
linens machten ihm zu dem erſtern Hoffnung,
denn die gebrochene Macht des Geächteten hob
die Surcht vor dem vormald gewaltigen Marks
grafen, und die Priorin zeigte jetzt Pau⸗
linen felbft frohere Ausfichten in die Zukunft. '
Voll der fchönften Hoffnungen zog nun Wer:
ner nach dem Klofter, aber weinend und trofts
14
los dam fm die Priorim entgegen. Bitter
Moricho hatte einen Boten gefendet, der Paus
linen ihrem Water zuführen follte. Vergebens
hatte die Priorim jedes Mittel verfuchr, der
Auslieferung ihred Lieblings auszuweichen, der
Vote war mit zu glaubwürdigen und unzweifel⸗
baften Zeugnifjen verfehen, daß berfelbe Bitter
ihn fende, der einft, Paulinen dem Klofter übers
geben hatte, fie mußte endltch nachgeben. Ihren
Kummer erhöhte noch bie Urigewißpeit aͤber Paus
lina's Zukunft, denn ber Bote verſchwieg als
ein tiefes Wepeimniß den Ort, . nach weichem er
feine Reife richtete.
Werner wuͤtete, als er biefe Radhrichten ver⸗
nahm. Er forſchte bei allen Umwohnern des Klo⸗
ſters nach dem Wege, den Paulina's Entführer
genommen habe; vergebens: Niemand wußte et⸗
was Beſtimmtes nachzumeifen, Auf eine ſchwache
MWahrfcheinlicpkeit bauend, daß der Weg nad
Braunſchweig zu gewählt worden fey, fammelte
er feine Leute, dieſe Spur zu. verfolgen, aber
kaum traute er feinen Augen, ald cr jegt Pa us
Unen felbft, begleitet von einigen Landleuten,
dem Kloſter zueilen ſah.
Meberrafcht und entzuͤckt ffog er der Gelichten
entgegen, aber abgewendet und mit allen Zeichen
des Grauens wies ihn Pauline zuruͤck. Zlieh,
Ungluͤclicher! — rief ſie ihm zu — flich weit
⸗
143
son wir! und fühneller Tod faffe mich, ed ich
jemals Dich wiederſehe.
Starr vor Schrecken ſtand der Betroffene; und
Pau line floh abgewendet vor ihm vorüber in die’
Arme ihrer mütterlichen Zreundin Klara, -- -
. 10, a
Die Fremde wurde Bier von einer ſchmerzli⸗
Ken Bewegung ergriffen. Ihr Befireben, fie. zw.
unterbräden, verrietb noch mehr den Eindruck,
den die Ergählung auf fie zu machen ſchien. Sch
hielt deswegen mit Leſen ein, und ihre Begleite⸗
rin näßerte ſich ihr mit Zeichen der Beſorgniß.
Allein fie wies diefe mit dankbarem Lächeln zus
rüd, dann bat fie mich fortzulefen. Men -follte
— feste fie hinzu — mit dergleichen raſchen Vor⸗
ſaͤtzen nicht freveln, und Srevel bleibt. immer je⸗
bed Geluͤbd, auch das Hriligſte. Ich ahnde, auch
Pauline wird dieſen Frevel büßen, und gluͤck⸗
ih genug, büßer fie ihn nur durch Tod, und
nicht durch herbere Schmerzen.
Sie ſprach diefe Worte mit erhöhter Anfrens
gung und legte am Schluß, wie ermattet, Dem
Arm um den Hals ihrer Freundin,
Sie find zu fireng — fagte Amalie, ım
den Ernſt des Augenblided etwas zu mildern —
Sie vergeflen daß es Augenblide giebt, wo dem
geängfieten, verftörten Gemuͤth Fein Troſt bleibt,
Geſpenſterbuch. 5. Theil, K
— —— — —
438
entzändet, die er gleichwol tief in feinem Inuern
verbergen zu möffen glaubte, nicht allein, weil
der Unterfehied der Jahre ihn mehr bie Gefine
nung einer Tochter, ald einer Braut bei Pau⸗
Linen erwarten ließ, fondern vorzüglich, weil er
eine Entdedung fuͤrchtete, die feine Leidenſchaft
aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar ente
fegliches Verbrechen umwanbelte.
Markgraf Egbert hatte in frähern Zei⸗
ten diefem Klofter ein theures Pfand anvertraut,
die Fracht einer Xiebe, die, fo mächtig die Lie⸗
benden aud) waren, doch vor ber noch mächtigeren
Kirche ewig verborgen bleiben mußte, Vater und,
Mutter durften weder dem Kinde noch feinen
Pflegern bekannt werben, und nur felten magte
felbft der Markgraf anf feinen Zügen wie vom
ungefähr bei dem Klofter zu verweilen, und una
ter deffen Zöglingen ſich das ſchoͤnſte Kind zum
Liebling auszuwählen. Dann ſchmeichelte er ſich
gern mit der Möglichkeit, daß die Worgezogene
ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefals
len angehdre, Seit dem legten Beſuch aber fuͤrch⸗
tete er das, was er fonft fo gern zu hören wünfchte,
amd er beflritt mit Heftigkeit die Behauptung feis
nes alten Dienerd, de einzigen Mitwiflers um
jene Liebe, daß Panline das Kind dieſes Ges
heimniſſes ſey. Die Trage nach dem Namen,
unter welchem das Kind aufgenommen ward,
429
Ionnte freilih den Schleier. Heben; allein eben
weil der Markgraf ein Bild des Entſetzens
uuter diefem Schleier zu erbliden fuͤrchtete, ſcheute
er die Berührung. Ungewißbeit, Täufchung tiber
das Mögliche, war fein einziger Troft, denn Pau⸗
lina’s Bild war nun einmal io tief in fein gan⸗
zes Leben vermwebt, daß er es nicht ertragen .
Tonnıe, fie guderd, denn als feine Gelichte zu
denken.
Lange ſucht' er vergebens dieſe Neigung zu
verbergen, die ihm oft als eine Raͤcherin der früs
ern verbotenen Liebe erichien. Zuweilen aber
gab eben dieſe Vorſtellung feiner Leidenſchaft neue
Nahrung, Er glaubte dem Geſchick nicht ente
geben zu können, und fo wie er auf einer andern
Seite von eınem angefangenen Werke gewaltſam
fortgeriffen wurde, fa fchien auch hier eine höhere
Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen ſein
Widerſtreben zu ihrem eigenen Ziele zu leiten.
Was dreimal, buch Rudolph, Drto und
Hermann, den fähfiichen und thüringifchen
Fuͤrſten mißglüdte, follte Martgraf Egbert
ihnen erringen : Freiheit von der verhaßten Res
gierung Kaiſer Heinrichs. Die größre Zahl
Der Kürften und Biſchoͤfe hatten dem Markg ra⸗
fen die deutſche Konigskrone beftimmt, von Rom
ans brachten Kardindle und Legaten dem begüns
figten Lönftigen Reichéoherhaupt, mit dem apo⸗
140
ſtoliſchen Segen, Verfiherungen des Gelingens
zu den fühnen Unternehmen, und Ablaß für jede
vergangene oder zufünftige That, welche dad Ger
lingen fördern, oder um es gu frdern unternoms
men werde. Jedes Kleinod der kirchlichen Loſe⸗
und Bındegewalt ward vom apoftolifchen Stuhl
aufgeboten, um dem zögernden Egbert zur
rafchen That anzufeuern, denn, daß eine verzeh⸗
rende Leidenſchaft, fein eigned Sehnen und Ente
fegen, ihm unthärig um das Klofter treibe, muthe
marfte Niemand, Sein Zögern galt fhr Unent⸗
ſchloſſenheit, gegen die man gern alle Verheie
Bungen aufbot.
Was treibt Ihr Euch in der finftern Sturm⸗
nacht an diefen Mauern umher — redete ihn ein⸗
mal fein alter Diener an — Ich kenne wohl Euer
Herzleid, wenn Ihr es auch noch fo tief zu ver⸗
bergen meint. Ihr liebt die fhöne Panline
im Klofter. Nehmt fie zu Eurer Hausfrau, for⸗
ſchet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt,
fo bleibt Euer Gewiffen ruhig Wer weiß denn,
ob gerade diefe Eure Tochter ift!
Beftandeft Du nicht ehedem ſelbſt darauf?
fragte der Markgraf.
Das wol — entgegnete Benno — bin id
aber doch kein Papft, der nicht irren ann! Was
man wänfcht, fieht man leicht, und Damals wünfcht”
ich Euch das ſchone Fraͤulein zur Tochter,
Eurer seen
144
Egbert ließ fi) gern überreden. Er bes
gab fi) des folgenden Tages zur Priorin,
‚ und erlärte ihr feine Ubficht mit Paulinen.
Die Priorin, bie ein näheres Verhaͤltniß
bed Markgrafen zu Paulinen nidt ahn⸗
dete, entiggie fi) bloß nor dem Gedanken, Va⸗
ter und Sohn als Nebenbuhler zu ſehn, doch hielt
fie es für rathſam, dem Markgrafen bie
frühere Liebe ſeines Sohnes zu verbergen. Sie,
glaubte ihre gelichte Pflegerochter wenigſtens bis:
zu Werners Ruͤckkehr gefichert,, wenn fie fich
ouf die Enticheidung des Ritters Moridyo, als
Paulina’s Vater, berief, ohne deſſen Vorwiſ⸗
fen fie uͤber Paulina nichts verfuͤgen duͤrfe.
Egbert, boͤrte mit Entſetzen den Namen Moe
rich o. Unter dieſem Namen, den er feit feiner.
Liebe zu bören und. zu nennen fcheute, hatte er
vormals Paulinen dem Klofter anvertraut,
Die langgefuͤrchtete Gewißheit fand nun auf eins.
mal mit allen Schrecken vor jhm. Kaum vers
mocht' er: ſo viel Belgnnenpeit, zu ſammeln, daß
er gegen die Priorim ſeine hefiige Bewegung
nicht verriet. Ych'.kenne den Ritter Moricho
— erwiperte er —F erzwungenem Stolz — und
werde ſehn, ob er dem Markgrafen ſeine
Tochter verſagt.
Werner hatte indeſſen vergebens am Hofe
des Kaiſers nach dem Ritter Moricho ge⸗
122
fragt. Niemand gab ihm Auskunft. Mit gleich
geringem Gluͤck forſchte eı an bem Hodfen der ans
‚ deru Fuͤrſten. Weberbrüffig des längen vergeblichen
Suchens zög er nad) Panlinens Kloſter zurick,
überzeugt, daß der Moricho, der fhr ihn nicht
aufzufinden war, eben fo wenig erfcheinen werde⸗
die Tochter zuruͤckzufordern.
Er fand die Priorin in bhchſter Belkniz
wmerniß, doch fuchte er vergebens, fie zur Entdek⸗
kung ihres Kummers zu bewegen. Sie ſchien et⸗
was berubigt, als er alle Gründe der Wahr⸗
ſcheinlichteit aufbot, ihr zu beweilen, Ritter Mo⸗
richo muͤſſe verſchollen, ober in fremdem Lande,
vielleicht gegen die Unglaͤubigen, geblieben ſeyn;
denn fo konnte fie boffen, daß der Markgraf
ſo wenig als fein Sohn bie Zuſtimmung bot
Paulina’d Vater erbalten werbe, und dann
war wenigſtens die Hoffnung, ihren Liebling zw
reiten, nicht auf einmal vernichtet. Doch hielt ſie
es nicht für gur, bem Sohne die Neigung ! feines
Vaters zu Paulinen’zu entbeden. "Um ihn zu
entfernen, beichwor fie Ihn nochmalsden Mitten
Moricho aufzufuchen, aber Werner; "unges
duldig über die Hinderniffe; die feiner Liebe fich
Entgegen ſtellten, und felßft unzufriedeit mit det
Bedenklichkeiten der Priorin, eilte, feinen Va⸗
ter aufzuſuchen, imd von ihm Rath und Beiſtand
iu begehren,
145
Huf Markgraf Egbert war indeffen der
längft ihm drohende Streich gefallen. Befangen
in feiner wilden Leidenſchaft, vergaß er die Ben
fonnendeit und Thätigfeit, welche auf feinem Weg
zum bdeutfchen Kaiferthron nöthig war, Mangel
an Znfammenkang war ‚jet in feinen Plänen,
Saͤumniß oder Uebereilung flörten ihre Ausfühs
rung. Die Verbündeten verloren das Vertrauen,
mehre verließen ihn.' Fetzt in dem entfcheidcnften
Augenblick ſprach auch der Kaifer die Acht über
den Empoͤrer. Unficher, oft nur von wenig Rei⸗
figen begleitet, zog der Markgraf jeut von
Burg zu Burg umher, und fuchte mit den we⸗
nigen ihm noch treuen Verbündeten mehr dem
Untergange zu entgehen, als das ftölze Ziel feis
ned Strebens zu erreichen, Werner fuchte dei
Geaͤchteten, Fluͤchtigen vergebend, Nach langent
Umherziehen beichloß er endlich zu dem Aufent⸗
halt feiner geliebten Pauline zuruͤckzukehren, ents
ichloffen, fie zu befigen, fen e8 durch Beiftimmung
. der Priorin, oder durch Gewalt. Briefe Paus
linens machten ihm zu dem erſtern Hoffnung,
denn die gebrochene Macht des Geaͤchteten hob
die Zurcht vor dem vormals gewaltigen Mark⸗
grafen, md die Priorin zeigte jet Pau⸗
linen felbft frohere Ausſichten in die Zukunft. '
Bol der ſchoͤnſten Hoffnungen zog nun Wer:
ner nach dem Kloſter, aber weinend und trofts
148
los kam ihm die Priorin entgegen. Mitter
Moricho hatte einen Boten gefendet, der Pau⸗
linen ihrem Water zuführen ſollte. Vergebens
" hatte die Priorim jedes Mittel verfucht, der
Auslieferung ihred Lieblings auszuweichen, der
Bote war mit zu glaubwürdigen und ungweifels
bafıen Zeugniffen verfehen, daß derfelbe Mister
ihn fende, der einft, Paulinen dem Klofter über»
geben hatte, fie mußte enditch nachgeben. Ihren
Kummer erhöhte noch die Ungewißheit äber Pau⸗
lina's Zukunft, denn der Bote verichwieg als
ein tiefed Beheimniß den Ort, nad. welchem er
feine Reiſe richtete.
Werner wuͤtete, als er diel⸗ Nachrichten ver⸗
nahm. Er forſchte vei allen Umwohnern des Klo⸗
Berd nach dem Wege, den Pauline ‘8 Entführer
genommen habe; vergebens: Niemand wußte et⸗
was Beſtimmtes nachzuweiſen. Auf eine ſchwache
MWahrfcheinlichleit bauend, daB der Weg nach
Braunfchweig zu gewählt worden fey, fammelte
er feine Xente, diefe Spur zu. verfolgen, aber
kaum traute er feinen Augen, als cr jetzt Pa us
Linen felbft, begleitet von einigen Landleuten,
dem Kloſter zueilen ſah.
Mcherrafcht und entzüdt flog er der Geliebten
entgegen, aber abgewendet und mit allen Zeichen
des Grauens wies ihn Pauline zuruͤck. Flieh,
Ungluͤcklicher! — rief ſie ihm u — flieh weit
4‘
143
von mir! und fchneller Tod fafe mich, % ich
jemals Dich wiederſehe.
Starr vor Schrecken ſtand der Betroffene; und
Yankine floh abgewendet vor ihm vorüber in die’
Arme: ihrer möütterlichen Freundin Klara, :
8 10. t
Die Fremde wurde Bier vom einer fchmerzlis:
hen Bewegung ergriffen, Ihr Beſtreben, fie. zu.
unterdruͤcken, verrietb noch mehr den Eindruck,
den bie Ergäplung auf fie zu machen ſchien. Sch
hielt deswegen mit Leſen ein, und ihre Begleite⸗
rin naͤherte fich ihr mit Zeichen der Beſorgniß.
Allein fie wies diefe mit dankbarem Lächeln zu.
rad, dann bat fie mich fortzuleſen. Man -follte
— fette fie Hinzu — mit dergleichen rafchen Vor⸗
fügen nicht freveln, und Srevel bleibt. immer je⸗
des Geluͤbd, auch das Hriligſte. Ich ahnde, auch
Pauline wird dieſen Frevel buͤßen, und glück⸗
lich genug, buͤßet fie ihn nur durch Tod, und
nicht durch herbere Schmerzen.
Ste ſprach diefe Worte mit erhöhter Anſtren⸗
gung und legte am Schluß, wie ermattet, den
Arm um den Hals ihrer Freundin.
Sie find zu ſtreng — fagte Amalie, um
den Ernft des Nugenblides etwas zu mildern —
Sie vergeflen Daß es Augenblide giebt, wo dem
geängfteten, verfidrten Gemüth kein Troſt bleibt,
Sefpenfterbun. 5. Theil. K
—
146
als ſich mit unzerreißlichen Bandes des Geläbhene
feft und immer fefter um das Heilige zu ſchlingen.
O, ich kenne dad Lockende diefer heiligen Ver⸗
y fuhung — erwiderte die Fremde — ber dad Ge⸗
muͤth nur zu leicht erliegt! Da vergißt ed, daß
es frevelhafte Anmaßung ift, die truͤgeriſche Eins
ficht des Augenblides, durch unverlegliche Heilige
keit des Geluͤbdes zu ewiger Wahrheit zu ſtem⸗
peln, und gewiß, niemals bleibt folcher zrevei
ungeſtraft!
Sie ſind doch zu ſtreng — wiederholte Am a⸗
Lie‘ — Tann wol ein Geluͤbd das Rechte und Gute
zu thun, jemals auf träglicher Einficyt berußn ?
Gewiß niemald — antwortete Jene mit weis
chem umb dennoch überzeugend feftem Ton — Das
Gute bleibt ewig gut, aber nicht immer derſelbe
Weg zu dem guten Ziele,
Sie neigte fich bei dieſen Worten mit einem
Ieffen Kuß zu Amalien, dann, gegen mich
gewendet, winkte fie mir weiter zu leſen.
Ich fuhr in der Erzählung fort:
- - Un einem ftörmifchen Abend faß Markgraf
Es bert, flächtend vor feinen Verfolgern, voll
büfterer Verzweiflung in der Mühle zu Eifenbüts
sel, Benno und ein Mönch faßen neben ihm,
und der Müller fpähte Draußen und von dem Dad)
ber Mühle, ob die Straße ruhig, und fein erlaudye
ter Saft bei ihm ſicher fey. Zuweilen famen einz '
seine Wanderer und begehrten Einlaß, die erzäpls '
ten dann, unlundig, vor wem fie fprachen, dem
forſchenden Mönch von der Acht gegen den Marks
grafen, und wie einer der Fürften nach dem
andern von ibm abfalle, weil fie die Reichsacht
(deuten, und der Markgraf in feiger Unents
ſchloſſenheit die Zeit zum Handeln verfäune, Er
joll, ſetzte mancher hinzu, am Gemuͤth leiden, und
feiner Sinne nicht ganz mächtig ſeyn. Sa wol,
ja wol! hörte man dann den Markgrafen tief
und kummervoll fenfgen, denn. ihm war zuweilen,
ls durchſchaure jhn eine Ahndung von nahem
Wahnfinn, und ald mäfle er-fich abmühen, zu
unterfcheiden, ob der Wahn noch Zünftig fen, ober
vielleicht gar ſchon angefange feine ‚Mebanten zu
umipinnen. Den Wanbrern warb dann unbeims
lich bei feingm bangen Seufzen und.fie gingen
lieber in die ſtuͤrmiſche Nacht hinaus, ala daß fie
mit dem trüben Gaft -in derſelben Herberge ver⸗
weilten.
Spät in ber Nacht kam noch ein Reifiger,
und erzaͤhlte neue Ungluͤckbotſchaft. Die Marks
graͤflichen waren von neuem theils geſchlagen wor⸗
den, theils zu dem Kaiſer uͤbergegangen. Wer
kaun's ihnen verargen — ſetzte der Erzaͤhler hin⸗
zu — Markgraf Egbert kann Kaiſer
Heinrichen nichts nbaben, 1 werig wie
2
148
Otto, und Rudolph und Hermann es
konnten. Das hätten die Fürften vorherfehen können,
Der Moͤnch forderte Erläuterung.
Denkt Ihr denn nicht mehr an die Prophes
zeifung — fagte Jener — Ich hab's bi Rus
dolph zuborgeiagt und bei Dtto, und nun’
auch bei dem Markgraf, das iſt alles puͤnkt⸗
lich zugetroffaae.
Was meint Ihr denn? — Masten Bean o
und der Mönch.
Nun, was alle Welt wei ,. wenigſtens in
Waͤlſchland — erwiderte der Reiſtige — Da bat
ein prophetiſch Weib Kaiſer Heinrichen ges
6 daß kein Feind ihn beſiegen koͤnne, der
nicht zugleich die Natur in ungeheurem ‚Srevel
erzümt, Warum vermochte denn Hildebrand
allein über Heinrihen? Weil der einen Bund |
mit dem Boͤſen Hatte. Das war der. Frevel wis
der die Natur: Menn der Markgraf nicht
auch foldye Zeufelei treibt, oder ähnliche Dinge,
fo paßt auf ihn die Weiffagung nicht. Er richtet
nichts aus gegen Heinrichen. |
Der Markgraf hatte den Sprecher waͤh⸗
vend feiner legten Diede ſtarr angefehen: Jene
MWeiffagung war ihm früher bekaunt geweſen, als
lein er hatte ihrer nicht geachtet. Fett im Aus
genblide der Entfdyeidung Hang‘ fie voll tiefer,
furchtbarer Bedeutung ihm entgegen, Mit einem
De
|
149
ungeheuern Gelächter, als habe ein wilder Geiſt
fein Innres verkehrt, und auf einmal jede from⸗
me RMegung in ihm zu einer fratgenhaften Larve
auni geſtaltet, fprang er auf — Ei Burfh! — rief
er, und feine Stimme kreiſchte widerlidd — vers
ſtebſt Du Di auf Zeufelcien? Fort, hinaus!
hier iſt Dein Platz nicht, ich bin Dein Meifter !
Der Reifige ladhte fo wild wie der Marks
graf, ſchuͤttelte diefem die Hand, pfiff ih dann
ein Schelmenlied und ging hinaus,
Antworte mir — fprach jet der Markgraf:
zum Moͤnche — Giebt's größere Sünde,. als
Die der ſchlechte Geſell nannte ?
Hilf Here! — erwiderte der Moͤnch — von
"allen Sünden iſt dieje die entſetzlichſte.
Giebt's Ablaß für fie? fragte der Markgraf
weiter, und zitteste in der. Frage, als verließ ihm
bie letzte Kraft, Er hielt fi) an des Mönches
Schulter, |
Dieſe Macht hat kein Prieſter in der Welt —
antwortete der Mönch.
‚Der Markgraf fchauderte zufammen. Mühs
ſam erhielt er fich aufrecht. Er ftarıte den Möndy
mit wilden Bliden an. Auch der heilige Vater
nicht? fragte er, und der grelle Ton der Ver⸗
" zweiflung hallte fchwirrend von ben Wänden des
Zimmers zuruͤck.
Der Mönch faltete die Hände, — Der per
w
130
Nge Vater — ſprach er — idſet von jeder Suͤnde,
fo glauben mir. .
Alfo noch ficherer don den geringern, — rief
der Markgraf mit graͤßlichem Frohlocken, und
feine Augen flammten wie Blide umher — Hab’
ich doc) Ablaß Für Alles, was das Werk fördert,
für Alles, Alles !
Er ging bie Nacht durch in der heftigften Be⸗
wegung umher, und die einzelnen Worte, die er
dann und want, unterbrochen von wildem Ges
lachter ausftieß, beftätigten die Bermuthüng Bens
no's, daß Leidenſchaft und Unglüd feines Herrn
Gemüth zerrätter habe. Mit der Morgendäms
merung Tamen indeſſen günftigere Nachrichten.
Die zerfireuten Truppen hatten fi) gefammelt,
tin fremder Reifiger hatte die Tapferkeit und
Entſchloſſeuheit des Markgrafen gerähmt, und
mit wunderbarer Beredſamkeit dad Vertrauen 30
diefem Heerfuͤhrer und zu feinem Gluͤck, herge⸗
ſtellt. Jetzt kamen Boten von dem gefammelten
Heere und begehrten Befehle von dem Marks
der afen mit erneuter Verfiherung unwandelba⸗
ver Treue. \
Den Markgrafen ſchauderte etwas be
diefer frohen Botſchaft, doch ſcheuchte er bald
mit nenem wilden Gelächter dad Grauen, das
ihn einigemal wie däftere Wollen umfing, als die
Hläklichen Begebenheiten ſich beftätigten, Er
m
wrdnete mit Befonnenheit cine Schlacht. man ve⸗
zum Angriff bereit, aber ein dicker Nebel brachte
Unordnung in die Unsführung feiner Pläne, und
Die wantelmürpigen Fuͤrſten drohten von neuem
ihn zu verlaffen.
Harret noch bis Morgen: — rief der Mark⸗
graf — Morgen müffen wir ſiegen!
Seine Stimme hatte etwas furchtbar gebies
xendes und zuverfichtliches. Die Fuͤrſten und Rit⸗
ter verfprachen den Morgen abzwwarten,
Da winkte der Markgraf einen vertrauten
Reifigen zu fih. Nimm Dir — ſprach er — eine
Schaar Knechte und zieh nach dem Kioſter, das
unfern der naͤchſten Stadt liegt. Dort fordre im
Namen des Ritters Moricho von der Prios
zin das Fräulein Pauline, und führe fie nach
Der Mühle von Eifenbüttel. Dort foll fie
‚ber Müller wohl pflegen, bis ich felbft komme.
Wenn die Priorin dad Fräulein Dir weigert,
do zeig” ihr biefed Pergament: daraus wird fie
erfehn, daß Mitter Moricho Dich ſendet.
Mit einer wilden Zuverfiht ging nun ber
Martgraf unter feinem Tleinen Heer umher.
Berwundert fah er, daß der anhaltende dichte
Mebel nicht ihm ſelbſt, fordern den feindlichen
Truppen verderblich gewefen war, Er bemußte
ſchneli ihre Unordnung, hinderte durch feine Stel⸗
ung die Bereinigung ihrer Schaaren, und ale
450
Kae Vater — ſprach er — loͤſet von jeder Binde,
fo glauben wir.
Alſo noch ficherer don den geringern, — rief
der Markgraf mit graßlihem Frohlocken, und
feine Augen flammten wie Bliße umher — Hab’
ich doch Ablaß für Alles, was das Werk fördert,
für Altes, Alles !
Cr ging bie Nacht durdy in der heftigften Be⸗
Wwegung umher, und die einzelnen Worte, die er
dann und wann, unterbrochen von wilden Ges
laͤchter ausſtieß, beftätigten die Bermuthäng Benz
no's, daß Leidenichaft und Unglüc feines Herrn
Gemuͤth zerrütter habe. Mit der Morgendäms
merung kamen indeffen günftigere Nachrichten,
Die zerftreuten Truppen hatten fich geſammelt,
ein fremder Reifiger hatte die Tapferkeit und
ntichloffenheit des Markgrafen gerühmt, und
mit wunderbarer Beredſamkeit dad Vertrauen 30
diefem SHeerführer und zu feinem Gluͤck, herge⸗
ftellt. Jetzt Tamen Boten von dem gefämmelten
Heere und begehrten Befehle von dem Marks
dr afen mit erneuter DVerficherung unwanbelbas
ver ‘Treue,
Den Markgrafen fchauderte etwas bei
biefer frohen Borfchaft, doch fcheuchte er bald
mit nenem wilden Gelächter das Grauen, bad
ihn einigemal wie düftere Wolken umfing, ald die
glädlichen Begebenheiten ſich beftätigten, Er
1
Sr Duete mit Befonnenpeit eine Schlacht, man we
Zum Angriff bereit, aber ein dicker Nebel brachte
AUnordnung in die Ausführung feiner Pläne, und
Die wontelmürhigen Zürften drohten von neuem
ihn zu derlaſſen.
Harret noch bis Morgen! — ref der Marks
s raf — Morgen müffen wir ſiegen!
Seine Stimme hatte etwas furchtbar gebie⸗
tendes und zuverſichtliches. Die Fuͤrſten und Rit⸗
zer verſprachen den Morgen abzuwarten.
Da winkte der Markgraf einen vertrauten
Dteiſigen zu ſich. Nimm Dir — ſprach er — eine
Schaar Kuechte und zieh nad) dem Klofter, das
aunfern der naͤchſten Stadt liegt. Dort fordre im
Namen des Ritters Moricho von der Prios
zin das Fräulein Pauline, und führe fie nach
Der Mühle von Eifenbüttel Dort foll fie
‚ber Müller wohl pflegen, bis ich ſelbſt komme.
Wenn die Priorin das Fräulein Dir weigert,
do zeig ihr dieſes Pergament: daraus wird fie
erfehn, daß Mitter Moricho Dich ſendet.
Mit einer wilden Zuverfiht ging nun ber
Martgraf unter feinem Zleinen Heer umher.
Berwundert fah er, daß der anhaltende dichte
Nebel nicht ihm ſelbſt, ſondern den feindlichen
Truppen verberblidy gewefen war. Er benußte
ſchneli ihre Unordnung, pinderte durch feine Stel⸗
ung die Vereinigung ihrer Schaaren, und alle
182
Kürten fahen die unvermeidliche Niederlage "des
Keindes, die nur durch die eben einbrechende Nacht
bis zum Morgen aufgeichoben ward.
=. Sroßer Jubel fhalite durch das Heer, Alles
röftete fih, mit dem erften Stral des Morgens
Die Schlacht zu beginnen. Da zog Markgraf
Egbert von einem einzigen Anappen begleitet,
fi aus dem Lager nad) der Mühle von Eifens
vuñttel. |
Die Mühle raufchte mit allen ihren Gängen
und der Sturmmwind firente den Schaum, ben
die Räder in fchnellem Umtrieb emporrifien, weit
umher. Egbert fchauderte faft zufammen, als
"er dem Kılappen fein Roß gab, und nun mit dem
Müller durch den fprudelnden Schaum, der ihn
naß darchkaͤltete, zwiſchen dem finftern Gewuͤl
und Gebraus von Rädern, Stampfen und ſchar⸗
fen: Sägen hindurchſchritt.
For findet alle& bereit — fagte der Müls
ter — auch der Möndy harret Eurer, aber die
Braut fißt drinn und weint, Sie fragt nad). ihe
rem Vater, and ruft alle Heiligen zn ihrer Huͤlfe.
-— Egbert ſchritt ſtumm neben dem Müller
Yer,-der jetzt eine Thür öffnete. Pauline trat
in aller Glorie der leidenden Schönheit ihm ent»
gegen. D Herr Markgraf — Hagte fie —
Euch führt mein Engel her. Nehmt Euch einer
Ungluͤcklichen an, die ſchaͤndlich aus ihrer Frei⸗
258
fatt, vom heiligen Altar weggeraubt wurde!
Schuͤtzt mich, fährt mich zu meiner Mutter Klara
zuruͤck.
Ihr ſeyd im Irrthum, ſhdne Pauline— en
widerte der Markgraf — wenn’ Ihr Euch
entführt glaubt. Ihr ſeyd Inter dem Geleit mei⸗
ner Reiſigen hieher gekommen, ich ſelbſt bin es,
der um Eure Hand wirbt, ich hoffe, Ihr werdet
mir Euer Jawort nicht verfagen.
Starr von Entjetzen hörte Pauline diefe
Rede an,
Ich liebte Euch vom erften Anblid — fuhe
der Martgraf fort. — Sollte Euch die Prios
rin nicht von meiner Werbung um Euch gejagt
baden? Diefe Nacht ift unfre Verbindung, Die
naͤchſte Morgenfonne begrüßt Euch ald Marks
sräfin, bie Abendfonne vielleicht ſchon als ...
Als Leiche! — fiel Pauline nol Verzwei⸗
Hung ein — Hofft nit, mich zu befigen! Ihr
ſeyd ein Raͤuber; wie koͤnnt Ihr mich wegfuͤh⸗
ren, und mir von Verbindung ſprechen, ohne Ge⸗
genwart und Einwilligung meines Vaters? Ich
fordre, daß Ihr mich augenblicklich in mein Klo⸗
ſter zurüdgekiten laſſet. J
Euer Vater, ſchoͤne Pauline — entgegnete
der Markgraf — kenm und billiger meine
Wahl. Uecherzeugt Euch ſelbſt. Würde er mir
160
feelt auf. Ihre Glieder waren zerſchmettert, aber
unentſtellt, und vom Frieden des Himmels vers
Hirt, Tächelte ihr Angeficht im Tode, .
Sie farb den leiblichen Tod ihres Vaters —
fogte die leiſe Stimme der Priorin Klara —
aber wie eine Heilige. "
Abt Hieronymus, auch Jerung genannt,
führte num den Leichnam der Entfchlafenen in das
von ihr geftiftete Muͤnſter, und begrub ihn vor
dern Altar des heiligen Kreuzes, und nad) Zah:
sen voll flillem Schmerz fand: er an mihrer Seite
die Ruhe des Srabes. Zu
Dort hat nun, unter Falten Grabesſteinen
Die heiße Bruft vol Liebe ansgegiäht,
Vergeſſen hat das Auge dort zu weinen,
Dort findet Troft das duldende Gemäth.
Zu jenem, Land, wo fhlummernden Gebeinen,
.. in fhäner Lenz des Glaubens neu entbläht,
. Dort, wandeln fie, mo nichts die Liebe ftöret,
und ſich verbindet was ſich angehöret,
114. J
Die Gefetichaft fprach manches Wort der Zeile
nahme an Paulina's Schickſal. Die Fremde,
welche ſich ebenfalls Pauline nannte, war vor⸗
zoͤglich bewegt.
Paulina’s Gedichte — fagte fie, zu mir
gervendet — intereffirt mich ungemein. Gruͤndet
ſich Ihre Er zaͤhlung auf gefspiehtliche Nachrichten?
1618
So tiel mir befannt ift — erwibert’ ih —
widerfpricht wenigſtens bie Geſchichte ihr nicht.
Mein Freund, dem ich fie danke, fchrieb fie auch,
nicht ohne fleißige Forſchung der Geſchichte jener
Zeit.
Wo lebt der Berfafler ? — fragte fie mit ges
ſenktem Blick, als fuͤrchtete fie die Antwort.
Zuletzt in Frankreich — antwortet' ich ihr —
er ward als toͤdtlich verwundet gefangen.
Beſitzt er nicht ein Portraͤt von Ihnen? —
fragte fie ſchnell und heftig.
Es war allerdings fo, er hatte es felbft ge⸗
malt und ich mußte ihre Frage bejahen.
O, dann beſchwor ich Sie, — fuhr ſie fort —
ſagen Sie alles, was Sie von ihm wiſſen. Sie
waren ihm der liebſte ſeiner Freunde. Ihr Bild
war oft ſein Troſt und er ſehnte ſich nach Ihrer
Beruhigung, bie ihm fruͤher oft feine Leiden er⸗
leichtert hatte. An den Zuͤgen dieſes Bildes er⸗
tannt' id) Sie ſogleich. Sprechen Sie, wo iſt
Straf Werner? |
Die Heftigkeit ihrer Frage erſchreckte mich, doch
fuchte ich mich zu faſſen.
Die letzten Nachrichten — antwortet” ic) ihr
— von meinem Freund — erhielt id) auß Bes
fangon. Freilich waren fie traurig. Ohne Zwei⸗
fel wiſſen Sie, daß er dort unter Aufficht in ei⸗
Geſpenſterbuch. 5. Theil,
166
der Greuel, um ſie brauſten die Raͤder der Muͤhle
und mengten Dunkel und ſpritzenden Schaum im
Mondſchein zu abentenerlich wilden Geſtalten, die
ihr in den Weg traten und den Lauf hemmten.
Verfolgend eilte der Markgraf ihr nach und
rufte mit wilder Stimme die Braut. Schon faßte
er auf der ſchmalen Brüde das Kleid der Flies
henden. Schuͤtzt mich, ihr Heiligen! rief bie
Verzweifelnde ; mit Loͤwenkraft rang fie mit dem
Verfolger. Sie riß ſich aus feiner Umfledhtung
und ein gewaltiger Stoß ftürgse den Taumelnden
hinab, wo Flut und Raͤderwerk ſich in den Raub
feines Lebens theilten.
Der herzueilende Müller trug die bewußtloſe
Pauline aus dem Orte des Schredens in din
entferntered Gchäude, Auf feinen Ruf hemmten
bie Knechte dad Raͤderwerk der Mühle, doch zu
ſpaͤt für die Rettung zog man den zerſchmetterten
Leichnam hervor.
Seht ward ed and) von außen lebendig. Eine
Schaar Reifige, die zu Heinrichs Heer floßen
sollte, zog bei der Mühle vorüber. Einige von
ihnen begehrten Einlaß und Lebensmittel. Da’
fanden fie den Leichnam des feindlichen Heerfuͤh⸗
zerd. Jauchzend zogen fie mit diefer Nachricht,
die mehr ihnen galt, als ein Sieg, zu des Kai⸗
fer 8 Heer, und der Lohn, der ihnen dafür ward,
137
Heß zweifefhaft., ob er der That, oder ber Bots
(haft davon gelten follte, u
Dauline mußte nm auf bie ſchleunigſte
Flucht denken. Der zerſchmetterte Leichnam lag
noch blutig auf ihrem Wege. Mit heißen Thraͤ⸗
nen des Schmerzes und der Verſoͤhnung ſank ſie
neben ihm nieder und gelobte ein Kloſter zu flife
ten zu Büßung ber ſchweren "Schulden biefer.
greuelvollen Nacht, Der Müller mit feiner
Knechten geleitete fie nady dem Klofler zu ber.
frommen Priorin Klara,
Vergebens bot Werner alles auf, die —*
liebte noch einmal zu ſehen. Durch die Prios
sin erfuhr er alle Schreden jener Nacht, die nun.
unwiderruflich ihn von der Geliebtin, Gchmefter
md Mutter trennten. Verloren für jede Freunde .
des Lebens, fuchte er "die Ruhe im Klofter zu
Hirſchau, wo er als Bruder Hieronymus
ein Beiliged Leben führte. - Paulina aber bes
ſchloß ih: dem gelobten Münfter zugleich "ein
Denkmal ihrer unglädlichen Liebe zu errichten,
Sie (endete Boten in das Kloſter Hirſchau
und ließ um den Tunftreichen Bruder Hieronys
mus bitten, der das Kloſter nad) feiner Einficht
bauen follte. Hieronymus gedachte ſogleich
jener Klofterlirche, wo er die Geliebte zuerft ges
fehen: hatte, und befchloß, den großen Kirchenbau
auszuführen, ben er. damals im Geift ſah, und
Pr u ur
.R
158
den Pauline nad dem Bilde ihres Trauwes
fo eifrig berzuftellen wünfchte.
Allwoͤchentlich kam ˖ nun ber fromme Baumeis
ſter, und ordnete und trieb die Arbeiter, das Werk
zu foͤrdern. Aber wenn er zuruͤckreiſete in ſein
Kloſter, kam die liebende Pauline und freute
ſich der Werke des brüderlichen Gelichten, be⸗
trachtete jedes und legte die Hände gleichſam
fegnend auf bie Steine und Säulen, Das ſahen
die Arbeiter, und falteten andächtig die Hände,
wenn die fromme Pauline mit den Steinen
und Werkſtuͤcken heimlich ſprach und fie berüßrte,
Kam dann der Baumeifter zuroͤck, nach der Ara
beit zu fehn, fo zeigten. die Werkleute ihm -die
Stelle, wd die-fromme Stifterin wie eine Heilige
geftanden, und die Steine fegnend beruͤhrt hatte,
Da Eniete Dieronymus nieder, wo fie mit
ihren Süßen geſtanden war, nnd Füßte . lange
und oft die Steine, worauf ihre Hände gerußt
hatten, und die Arbeiter knieten mit ihm uieder,
und beteten um Segen und um Gelingen. zu ide
sen Werk, Uber feben: wollten fi) Hierony⸗
mus und Paulina niemals, denn fie gedach⸗
ten beide des fchweren Wortes, das Pauline
zwilchen fie und ihr Widerfehn geftellt hatte.
Als nun das große Münfter vollendet man,
und weit umher geiftliche und weltliche Herren
herbei kamen, es zu betrachten, fehlte nur noch
159
der Abt, der den Klofterbrübern vorſtehen ſollte.
Paulinen kam es zu, das Oberhaupt zu bes
sufen, und fie wählte dazu den frommen Baus
meifter des Klofiers, den Bruder Hieronymus
in Hirſchau. Der Sitte gemäß und auf Zus
seven bed Biſchofes, zog fie, zu Erhöhung der
Feierlichkeit, felbft dem Abt” entgegen, um ihn eins
zabolen und im fein Klofter einzuführen, Zwar
fhenete fie feinen Anblick, aber die Heiligkeit und
Würde der Handlung fchien ihr diefes Wiederſehn
zu rechtfertigen. Sie ritt auf einem einfach ges
ſchmuͤckten Zelter, die erfte und demuͤthigſte ihres
Gefolges. Schon hörte man aus der Ferne den
Chorgefang der Klofterbrüder, die ben Abt geleis
teten, ſchon flimmte Paulina’s Gefolge dem
Kommenden das Benediktus an, und das Volk,
dad von allen Orten berbeigeftrömt war, ſank auf
die Knie, den Gegen des Nerannahenden zu ee ..
pfangen. Schon hob der Abt fegnend die Haͤn⸗
de, da erblaßten Paulina's Wangen, ihre
Augen ftarrten in einen tiefen Abhang ded Felde
weges hinab, Jetzt fchwebte ein himmliſches Laͤ⸗
cheln um ihren Mund. Vater — rief ſie — Va⸗
ter, verſoͤhnt! Ein Engel hebt den Schleier der
Schuld von und, Ich komme, ich eile in die
Arme des Vaters!
For Roß fcheuete,-und bie Seherin Pauli⸗
ne ſauk in den Felſengrund. Man hob fie ent⸗
160
feelt auf. Ihre Glieder waren zerſchmeitert, aber
unentftellt, und voni Frieden des Himmels vers
Märt, lächelte ihr Angeficht im Tode. :
Sie ftarb den leiblichen Tod ihres Baterd —
fagte die leiſe Stimme der Priorin Klara —
aber wie eine Heilige.
Abt Hieronymus, auch Ferung genannt,
führte nun den Leichnam der Entichlafenen in das
von ihr geftiftere Münfter, und begrub ihn vor
dem Altar des heiligen Kreuzes, und nad) Jah⸗
ren voll flillem Schmerz fand- er an ihrer Seite
die Ruhe des Srabed.
Dort hat nun, unter Falten Grabesfteinen
Die Heiße Bruft vol Liebe ansgegiäht,
Vergeſſen hat das Auge dort zu weinen,
Dort findet Troft das duldende Gemiith.
ua jenem, Land, wo fhlummernden Gebeinen,
‚. Ein fhöner Lenz des Glaubens neu entbluͤht,
Dort wandeln fie, wo nichts die Liebe ftöret,
Und ſich verbindet was ſich angehoͤret.
A,
Die Geſellſchaft ſprach manches Wort der Theile
“nahme an Paulina's Schickſal. Die Fremde,
welche fid) ebenfalls Pauline ‚nannte, war vor⸗
züglidy bewegt.
Panlina’s Geſchichte — ſagte ſi fie, zu mir
gewendet — intereffirt mich ungemein. Grändet
ſich Ihre Erzählung auf geſchichtliche Nachrichten 3
1618
So viel mir bekannt ift — erwidert' ih —
widerfpricht wenigſtens die Geſchichte ihr nicht,
Mein Freund, dem ich fie danke, fchrieb fie auch,
nicht ohne fleißige Forſchung der Gefchichte jener
Zeit,
Wo lebt der Verfaſſer? — fragte fie mit ges
ſenktem Blick, als fürchtete fie die Antwort.
Zuleßt in Frankreich — antworter ich ihr —
er warb als toͤdtlich verwundet gefangen.
Beſitzt er nicht ein Porträt von Ihnen? —
fragte fie fchnell und heftig.
Es war allerdings fo, er hatte es felbft ges
malt und ich mußte ihre Trage bejahen.
9, dann befchwör ic) Sie, — fuhr fie fort —
fagen Sie alles, was Sie von ihm wiffen. Sie
waren ihm der liebfte feiner Sreunde Ihr Bild
war oft fein Troſt und er fehnte ſich nach Ihrer
Beruhigung, die ihm früher oft feine Leiden er
leichtert harte. An den Zügen diefes Bildes er»
kannt' ich Sie ſogleich. Sprechen Sie, wo iſt
Graf Werner?
Die Heftigkeit ihrer Frage erſchreckte mich, doch
ſuchte ich mich zu faſſen.
Die legten Nachrichten — antwortet‘ ich ihr
— von meinem Freund? — erhielt ich aus Bes
fangon. Freilich waren fie traurig. Ohne Zweis
fel wiſſen Sie, daß er dort unter Aufficht in eis
Geſpenſterbuch. 5. Theil,
162
nem ftillen Wahnfinne lebt, der vielleicht wur mit
feinem Leben endiget.
D, wollte Gott — rief fie ſchmerzlich — es
wär’ fo! Ich komme von Befancon. Dort wird
er vermißt, und nach aller Wahrfcheinlichkeit fand
er feinen Tod in dem nahen Fluß. Ich hörte,
als ich ihn ſchon lange ald einen Todten beweint
datte, von feinem Zuſtande. Mehre Umftände
ließen mich hoffen, daß mein. Erfcheinen guͤnſtig
auf ihn wirken werde. Ich eile hin. Ach, zu
fp&t! Wenig Tage vor meiner Ankunft war er
feinen Aufſehern entſchluͤpft — ein Tuch, nah’ am
Waſſer gefunden, beſtaͤtigt die ſchreckliche Ver⸗
muthung.
Uns Allen blieb kaum ein Zweifel, daß die
Sremde, und jene Pauline, von welcher Theos
dor erzähle hatte, eine und diefelbe Perfon war,
Man berührte mit aller Vorficht die Gefchichte
ihrer Liebe, und fuchte ihr glaublicy zu machen,
daß Werner vielleicht noch im jener Gegend
umber irre, allein ihre Nachforichungen waren zu
fehr mit aller Beforgtheit der Kiebe unternommen,
als daß man ernftlicy eine folche Hoffnung hätte
begen können. Julius erinnerte fie hierbei ber
hutſam an jenes übereilte Wort bei der Trennung,
und wie auch bier der Bruch jenes Wortes in
wunderbaren Iufammenhang mit dem Tode hätte
kommen Fönnen, wenn nicht burch eine andre
165
Wendung bes Schickſals er felbft dem gefaͤhrlichen
Wiederſehn entgangen wäre,
O, mich hätt! es treffen follen, nicht ihn! —
vief Pauline — Ich ſprach ja felbft jenes uns
befonnene, frevelfafte Wort,
Man fuhte Paulinen, die von neuem in
düfteres Nachdenken verfiel, von den träben Er⸗
innerungen zu entfernen, und endete das Ges
fpräch auf die Ruine, die jet von dem immer-
höher geftiegenen Monde auf. das prächtigfte bes
leuchtet war. Die Kühle der Mitternacht erins
nerte und aufzubrechen, und als uns der Weg
durch den Garten Iängft der Säulenreihe diefer
tirchlichen Rine hinführte, und unfre Schatten
en den Säulen wechſelnd erfchienen und vers
ſchwanden, fcherzten einige in der Gefellfchaft '
über die vorige geſpenſüiſche Erſcheinung Pau⸗
lina's.
Kaum aber traten die Erſten von der. Gefells
(haft durch die Sartenthüre in den ehemaligen
hohen Chor der Kirche, als fie erichroden und
zweifelhaft zuruͤcktraten. Kine Mönchgeftalt in
ſchwarzer Benediktinertracht kniete unbeweglich in
betender Stelläng an Paulina’s Grabe
Bir find doch heute faft auserfchn, auf Phan⸗
tome zu treffen — ſagte Theodor — wäß mag
Diefes wieder fenn ?
Er ging nach der Gegend zu, aber nad) wes
22
Pr Eu ‘
EN
166
nig Schritten erhob. fich die Erſcheinung und ein
blaſſes Geſicht fah und aus der Verhüllung au.
Das Mönchgeipenfii — riefen Mehre, denen
Die frühern Erzählungen einſielen, und felbfk
Theodor ſchauderte zuſemmen und trat muthe
los zurüd.
Was geht denn vor? — rief Pauline, die
fich in dem Garten vermeilt hatte, heraustretend
Ach, das find unzeitige Scherze !
Sie ging umwillig auf die Geftalt los, ihr die
Verhuͤllung abzunehmen, aber faum hatte fie im
der Nähe das blafle Todtengeſicht erblidt, als
fie laut vor Schred .aufichrie und zu Boden ſank.
Die Moͤnchgeſtalt ſtand ſtarr und regungslos
neben ihr.
Der Trieb zu helfen uͤberwand hier die Furcht.
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten,
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ge⸗
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Pauline!
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline!
wiederholte des ſchwarzen Moͤnches dumpfe Stine
me. Vorgedeugt und die Xeblofe anftarrend, rief
die Erfcheinung nochmals mit entſetzlicher Mi⸗
ſchung von- Freude und Graufen ben Namen der
Ohnmaͤchtigen, und ſank dann neben ihr zu Boden.
Der Schred feflelte und nur auf Augenblide
die Sinne. Mir bemühten uns die furchtbare
Mönchgefialt von Paulinen zu entfernen, Sein
165
Geſicht war durch die Anſtrengung des Falles
mehr enthüllt. Wo bin ih? fragte er, wie auß
einem Traum erwachend, und Theodor und
ich erfannten Stimme und d Züge unfers Sreundes
Werner
41%
Während der Bemühungen Yanlinen in
das Leben zurücdzurufen, enthuͤllte fi) auch das
Mätbfel von der unerwarteten Erſcheinung des
Grafen Werner. Seine Schwermurh war
immer mehr in flillen Wahnfinn übergegangen
und die Nachrichten von diem fehlgeſchlagenen Ver⸗
fühen der Deutſchen fich von der franzöfifchen
Herrſchaft zu befreien, hatten in Berbindung mit
feiner unglüdlichen Liebe, Gemuͤth und: Beſin⸗
aung ihm faft völlig zerruͤttet. Doch hatte fich
die Vorſtellung, Daß er'einen Sieg zu Befreiung
feines Vaterlandes erfechten werde, immer in
ihm lebendig erhalten. Jetzt waren ihm wie er
erzählte, in feinem traumähnlichen Zuſtande, Bil⸗
der von fliegenden deutfchen Heeren erfchienen, die
ftetö ihn aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne
deutlich zu wiſſen, wie? war er’ ibmen gefolgt,
Wie er zu feiner Möuchötracht gekommen, wie
er felt ſeiner Entweichung aus Befancon fein Le⸗
ben erhalten, war ihm felbft ein Raͤthſel. Die
Vergangenheit lag wie. ein verworrner" Ziebers.
waum hinter ihm, ex konnte nicht guterisheiben,
166
. was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres
Bild des Wahnſinns war. An die Ruine von
Paulinzell hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich
ſeliges Gefichl gebunden, er kaunte fie nicht waͤhs
rend ſeines Wahnſinnes, und nur jetzt bemerkte
er das ſonderbare Zuſammentreffen, daß eben
dieſe Ruine, die ſelbſt feinen Wahnfınn mit Erins
nerungen aus gluͤcklichern Zeiten durchglaͤnzte,
nuunn auch die Entwickelung feines Schickſales here
beifuͤhrte. |
Pauline athmete noch einige Tage in bee
wußtlofer. Betäubung, aber feine Kuuſt der Aerzte
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gewalt der
Ueberraſchung Hatte fie getoͤdtet, und ihr eignes,
früher gefprocyenes Wort gegenrdad Wiederſehn
bewaͤhrt. Diefelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte
Ihrem Gelichten.die Beſinnung zurädigegeben, aber, .
graufam genug, zeigte ihm das Schidfal die Ges
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer ibm
entriffen ward , und gab ihm mit der ruͤckkehren⸗
den Befinnung nur die Empfänglichkeit für den
Schmerz. ded Verluſtes.
Wir ſehn uns bald wieber — [prach er, wenn
, feine Sreunde wit ihm Magten — und dann bring⸗
ich ihr, flatt Des Myrtenkranzes, den deutſchen
Siegeskranz von Eichenland. .
So eilte er gu den preußiſchen Fahnen. Die
Verlängerung des Waffenſtillſtandes, die fo mans
N
467
chem Gemuͤth den letzten Hoffnungfunfen vers
Töfchte, ſchlug ihm nicht nieder, eben fo wenig
founten die ungluͤcklichen Tage bei Dresden ihm
den Muth erfchüttern. Die fiegfrohen Bilder, die
vormals jeinen zerrütteten Geift erhellten, gingen
wieder durch feine Träume, und oft hörte ſelbſt
der Wachende, wie aus weiter Kerne, Siegesge⸗
laͤut und Triumphlieder gegen fich herantdnen.
Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ok⸗
tobers flürmte er mit ber tapfern Schaar Büs
Jow’s über Mödern her gegen Leipzig. Er fah
ven Sieg für die Sache fich entfcheiden, an der
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗
ſucht bing. immer feuriger riß fein Muth ihr
vorwärts, Er fahdie Feinde weichen. Die Triumph⸗
lieder feiner Träume klangen um ihn, uud Glok⸗
kengetoͤn, wie von den Thuͤrmen der nah vor ihm
liegenden Stadt, halte zu ihm der.
Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden tru⸗
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ges
zücht von dem Giege des Feindes -zu dem Sterd
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der
Stadt feiern mußten, fchallten dumpf wie Tod⸗
sengloden zu ihm heran. Seinen Freunden ſchien
anf Augenblide der Muth zu finfen, aber ber
Sierbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem
168
Bertrauen an. Verzagt nicht — ſprach er —
Euer Siegruf wird bald Eräftiger fchallen. Fort
in den Kampf! Mich laßt hier. Diefe Glocken⸗
töne follen mein Grabgeläut ſeyn.
Als mit dem Abend das Feld erlämpft war,
traf man ihn entfeelt, Paulina’s Bild an feis
nen Mund gebrüdt. In feinem Taſchenbuche
fand man diefe Zeilen.
. „Hört ihr ben bangen Angftzuf jener Gloden?
Sie hallen mahnend durch der Schlaht Gedroͤhne:
Bu eud, ihr Krigger, fprechen diefe Töne!
Zu ſchueller Rettung wollen fie euch locken.
Auf Brüder, kaͤmpft vol Muth, ſtuͤrmt unerſchrocken,
Daß kein Tirann mehr Gott und Recht verhöhne ;
Kaͤmpft, daß ben Sieg Lorbeer und Palme kröne,
Und Zubel half in des Triumphs Frohlocken.
2 Tann ben mächt’gen Schwerdtkampf nicht mehr fchlagen,
Des Lebens Blutſtrom quillt aus tiefer Wunde,
Doch freudig wird mein Geift emporgetragen.
Entgegen tönt Gruß vom geliebten Munde,
Mein goldued Morgenvoth beginnt zu tagen,
Sieg, Freiheit, Liebe glänzt in heil gem Bunde
19
4‘ x: *
Die Hausehre.
In der biſchdflichen Stadt Baſel lebte um das
Jahr funfzehnhundert und zwanzig ein junger
Buͤrger, Namens Johann Wipper, ſeines Hand⸗
werks ein Schneider. Der fand viel Unluft an
feinem Gewerbe und wäre wohl mit in den Krieg
"gezogen, wenn es darinnen mehr. Sicherheit für
Kopf und Leben gegeben hätte. Am liebften wäre
er ein reicher und vornehmer Herr gewefen, um die
Hände in den Schooß legen und eines fröhlichen
Zreibend ohne Mühe und Urbeit genießen zu
koͤnnen.
Eines Tages, als eben ein feſtlicher Zug des
Seren Biſchofs mit Pauken und Zimbeln durch
die Straßen ging, da überfiel den Meifter Wip⸗
per der Unmuth dergeftalt, daß er flugs Nadel
nnd Scheere von fi) that, und dabei alſo aus⸗
sief: Welch ein elender Menſch ich bin! Indeß
die Thiere im Walde und Lie Vögel in der Luft
fich gemächlich an dem ſchoͤnen Himmelsblau da
870
braußen ergbigen und bie Erzbiſchofe mit ifres
Gleichen gar darinnen herumkutſchen und fich auf
taufendfältige Weife erluftiren, muß ich im folcher
räuchrigen Klaufe figen und fchwißen und am
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗
geitlleid, das hier fertig werben fol, mahnet mic
an die gluͤcklichen Tage der-Andern und an mein
erbärmliches Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, id
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben.
Hiermit legte er denn die Arbeit voͤllig bi
Seite und gerieth obendrein auf den Gedanken
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf
- ebenfalld warm machte. Denn er war noch ein
Junggeſelle, der aber viel Neigung zum beiligen
Eheftande in fich verfpärte, . Er war fogar eins
mal recht nahe daran geweſen. Wie er nämlich
noch als Geſelle lebte, verplemperte er ſich mit
Hedchen, der Tochter des Meifters, bei dem er
arbeitete, Hedchen war auch wirklich ein bübs
ſches, ruͤhriges Kind, dazu nicht ganz bloß; dem
ihre Ueltern hatten ein Häuschen mit einem Gars
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldlas
ſten liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu
Zeiten feinen Müfliggang und Hang zur Unorde
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahn
lich, die Dirne zur Frau zu nehmen, das bie
ſich eine Ruthe für Zeitlebens aufbinben I Und
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand
171
wit dem armen Hedchen, das ſich die Sache ven
zu Gemüthe zog. Ä
Dho, dachte er jest, es giebt noch andere and |
reichere Mädchen in Bafel, ald Hedwig iſt, ich
darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗
gehen. Er ſchalt fih num felber „ daB er’s micht
früher gethan hatte, da ihm wohl befanut war,
wie ſchon mancher faule Zeifig durch eine reiche Hei⸗
rath zu Ruhe und Wohlſtand gekommen, Er
putzte ſich auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗
lich heraus, und ging in der Stadt umher, was
ihm ſchon allein viel beſſer, als das anhaltende
Sitzen behagen wollte.
Meiſter Johann klopfte bei mehrern ehrſamen
Buͤrgern an, deren Toͤchter gute Mitgiften zu
hoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon
mit Liebſten verſehen; andere. hatten nen feiner
Geſchichte mit Hedchen gehoͤrt; andere wollten
wit ihren Gedanken höher, als bis zur Schneiders
werkſtatt hinauf und noch) andern war etwas von
dem unfleißigen Temperamente des Freiers zu
Ohren gekommen. Denn wenn auch Die jungen
Tochter dad über dem. ſchmucken Anſehen des
Meiſters vergaßen , fo. wußren doch gemeiniglich
Die alten Väter ihrem. Gedächtuiffe darinnen nache '
zubelfen, und fo. ging es zu, daB Johann Mips
per überall mit einer langen -Nafe abziehen mußte:
Ei, dachte er da, maß es denn gabe cine
472
Stadtdirne ſeyn? Das Land hat wohl Ternhafs
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wem der
Spiegel fo freundlidy thut, ald mir, der braucht
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's
Waſſer zu fpringen! — |
Aber ' gar bald mar er ih den benachbarten
Dörfern auch fo weit gekommen, wie in der Stadt.
Ueberall hatte cr angefragt, wo Mädchen mit
Barten Thalern wohnten. Die Urfachen, bie ihm
In der Stadt die Körbe zugezogen hatten, galten
auch auf dem Lande, und überdied mochten die
hieſigen rothen und ſtammhaftigen Dirmen den
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu
Blaß und zerbredjlich finden.
Er kam daher einmal des Abends gar wild
und Abel aufgeräumt in fein Dachſtuͤbchen zuruͤck.
Die leute Zeit über Hatte er, im DBertrauen auf
eine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Us
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Rund
ſchaft eingebüßt. - Da fand der Schneidertiſch,
ber ihm fonft wenigſtens die Nothdurft geliefert
hatte, und nichts darauf, als papierene Maaße,
die ihn hoͤhniſch zu fragen fehienen, was er nun
snit ihnen und mit fich felber anzufangen- Dente ?
Doch wohl endlich wieder eine Beltellung !
brummte er, als er anjetzt einen Brief auf dem
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem
Spaudyirthe, der ihn darinnen [ehr unfeln ums ben
478
ſchuldigen Miethzins mahnte, und den folgendeg
Morgen mit dem Früheften da ſeyn und das Geld
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumfeligen
Zahler aus dem Haufe werfen, und das fchlechte
Geraͤth nebft Werktiſch zurückbehalten wollte. Auch
hatte er hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nadhficht
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ge⸗
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe
eingezogen wird ?_ Denn ein Handwerk hat gols
denen Boden, aber Muſſ iggang iſt aller Laſter
Anfang!
Meiſter Wipper war daruͤber ſo aufgebracht,
daß er den Brief ſogleich mit den Zaͤhnen zerriß,
und ſchon ſeine Scheere zur Hand nahm, um zu
ſehen, ob es wohlgethan ſey, an ihr zu ſterben,
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, als
von ihr zu leben, da er ſchon kein fremdes Blut
ſehen konnte, geſchweige fein eigenes. Ein Seil,
das aus einem Winkel hervorlugte, wuͤrde ihm
ſolchen Anblick erſpart haben. Doch dachte er
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurſachen
möchte und verwarf auch dieſen Ausweg.
Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, es
war die auf Entdeckung eines Schatzes. Der
ernfte Wille, fagte man, foll fo aigl, ja alles koͤn⸗
nen, rief er aus, und ich babe wahrlich den allers
e.
166
nig Schritten erhob: fich die Erfcheinung und ein
blaſſes Geſicht fah und aus der Verhüllung au,
Das Mönchgefpenft I! — riefen Mehre, denen
Die fruͤhern Erzählungen einfielen ; und felbft
Theodor ſchauderte aufarmmen und trat murfs
los zurüd.
Was geht denn vor? — rief Pauline, bie
fich in dem Garten vermeilt hatte, heraustretend
— Ach, das find unzeitige Scherze !
- Ste ging unwillig auf die Geftalt los, ihr ve
Verhuͤllung abzunehmen, aber kaum hatte fie in
der Nähe das blaſſe Todtengeſicht erblidt, als
fie laut vor Schreck aufichrie und zu Boden ſank.
Die Moͤnchgeſtalt ftand flarr und “rn
neben ihr.
Der Trieb zu helfen überwand hier die Furcht.
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten,
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ge⸗
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Pauline!
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline!
wiederholte des ſchwarzen Mönches dumpfe Stims
me. Vorgebeugt und die Lebloſe anftarrend, rief
die Erfheinung nochmals mit entfegliher Mir
{hung von Freude und Graufen den Namen de
Dhnmächtigen, und ſank dann neben ihr gu Boden.
Der Schred feflelte und nur quf Augenblid
die Sinne. Mir bemübten uns die furchtber
Moͤrchseſiak von Paulinen zu entfernen. Sei
165
Geſicht war durch Die Anſtrengung des Falles
mehr enthüllt. Wo bin ih? fragte er, wie auß
einem Traum erwachend, und Theodor und
ich erfannten Stimme und Züge unfere dreundes
Werner.
1m.
Waͤhrend der Bemuͤhungen Yanlinen in
das Leben zuruͤckzurufen, enthuͤllte ih auch das
Kaͤthſel von der unerwarteten Erſcheinung des
Grafen Werner. Seine Schwermuth war
immer mehr in ſtillen Wahnſinn übergegangen
and die Nachrichten von dem fehlgefchlagenen Ver⸗
fühen der Deutfchen fich von der franzöfifchen
Herrſchaft zu befreien, hatten in Berbindung mit
feiner unglüdlichen Liche, Gemuͤth und Beſin⸗
nung ihm faft völlig zerrättet. Doch hatte fich
die Worftellung,. daß er'einen Sieg zu Befreiung
feined Waterlandes erfechten werde, immer in
ihm lebendig erhalten. Yet waren ihm wie er
erzählte, in feinem traumätmlichen Zuſtande, Bil⸗
der von fliegenden deutfchen Heeren erſchienen, die
ſtets ihm aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne
deutlich zu wiflen, wie? war er ihnen gefolgt,
Wie er zu feiner Moͤnchstracht gelommen, wie
er feit ſener Entweichung aus Belancon fein Les
ben erhalten, war im felbft ein Raͤthſel. Die
Vergangenheit lag. wie. ein verworrner Fieber⸗
waum hinter ihm, er Fonnte nicht guterisheiben,
166
. was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres
Bild ded Wahnfinnd war. Un die Ruine von
Paulinzell Hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich
feliges Gefuͤhl ‚gebunden, er kaunte fie nicht wäh
rend feines Wahnfinnes, und nur jetzt bemerik
er das fonderbare Zufammentreffen, daß eben
dieſe Nuine, die felbft feinen Wahnſinn mit Erin
nerungen. aus glädlichern Zeiten burchglänite,
nun auch die Entwicelung feines Schickſales ra
beiführte. |
Pauline athmete noch einige Tage in bes
wußtlofer. Betäubung, aber Feine Kunſt der Aerzte
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gemalt der
Ueberraſchung Hatte fie getoͤdtet, und ihr eigned,
früher geſprochenes Wort gegenrdasd Wiederſehn
bewährt. Dieſelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte
Ihrem Geliebten die Beſinnung zuruͤckgegeben, abet,
grauſam genug, zeigte ihm das Schickſal die Ge
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer im
entriffen ward , und gab ihm mit der ruͤckkehre⸗
den Befinnung nur die Empfänglichkeit für de
Schmerz de& Verluſtes.
Wir fehn uns bald wieber — Tprach er, wen
, feine Freunde wit ihm klagten — und dann brisg
ih ihr, ſtatt des Myrtenkranzes, deu deutſche
Siegeskranz von Eichenlaub.
So eilte er zu den preußiſchen Fahnen. De
Verlängerung des Waffenſtillſtandes die fo man
467
. dem Gemäth den letzten Hoffnuugfunken ver⸗
Dichte, ſchlug ihm nicht nieder, eben fo wenig
. Founten die unglüdlihen ‘Tage bei Dresden ihm
den Muth erichättern. Die fiegfroben Bilder, die
vormals jeinen zerrürteten Geiſt erhellten, gingen
wieder durch feine Traume, und oft hörte felbfk
der Wachende, wie aud weiter Ferne, Siegesgee
laͤut und Triumpblieder gegen ſich herantdnen.
Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ok⸗
tobers flürmte er mit der tapfern Schaar Büs
low's über Mödern der gegen Leipzig. Er fah
den Sieg für die Sache fich entjcheiden, an der
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗
ſucht hing. Immer feuriger riß fein Muth ihn
vorwärts, Er fahdie Feinde weichen, Die Triumph⸗
lieder feiner Träume Fangen um ihn, und Glofs
Bengetdn, wie von den Thürmen der nah vor ihm
liegenden Stadt, halte zu ihm der,
Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden trus
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ges
sücht von dem Siege des Feindes zu dem Sterd
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der
Stadt feiern mußten, fchallten bumpf wie Tode
tengloden zu ihm heran. Seinen Freunden ſchien
auf Augenblide der Muth zu finten, aber ber
Sterbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem
168
Wertrauen an, Verjzagt nicht — ſprach er —
Euer Siegruf wird bald kraͤftiger ſchallen. Fort
in den Kampf! Mich laßt hier. Diefe Glodens
tdne follen mein Grabgeläut ſeyn.
AIG mit dem Abend das Feld erfämpft mar,
traf man ihn entſeelt, Paulina’s Bild an fds
nen Mund gebrüdt. Ja feinem Tafchenbude
fand man diefe Zeilen.
Hört ihr den bangen Angftzuf jener Gloden?
Sie pallen mahnend dur der Schlaht Gedröpuze 2
Ku euch, ihr Kripger, fprechen diefe Töne!
Hu ſchneller Rettung wollen fie euch locken.
uf Brüder, kaͤmpft vol Muth, ſtuͤrmt merfchroden,
Daß kein Tirann mehr Gott und Recht verhöhne ;
Kämpft, daß den Steg Lorbeer und Palme kroͤne,
Und Jubel fHalP in des Triumphs Frodioden.
"a Tann den mächt’gen Schwerdtkampf nicht wehr fchlagen,
Des Lebens Blutſtrom quillt aus tiefer Wunde,
Doc freudig wird mein Geift emporgetragen.
Entgegen tönt Gruß vom geliebten Munde,
Mein goldnes Morgenroth beginnt zn tagen,
Sieg, Greipeit, Liebe glänzt in heilgem Bunde,
169
D \ .
Die Hausehre.
In der biſchdflichen Stadt Baſel Ichte um das
Fahr funfzehnhundert und zwanzig ein junger
Bürger, Namens Johann Wipper, feines Hand⸗
wert ein Schneider. Der fand viel Unluft an
feinem Gewerbe und wäre wohl mit in den Krieg
gezogen, wenn ed darinnen mehr. Sicherheit für
Kopf und Leben gegeben hätte. Am Tiebften wäre
er einreicher und vornehmer Herr gemefen, um die
Hände in den Schooß legen und eines fröhlichen
Zreibend ohne Mühe und Arbeit genießen zu
koͤnnen.
Eines Tages, als eben ein feſtlicher Zug des
Herrn Biſchofs mit Pauken und Zimbeln durch
die Straßen ging, da -Überfiel den Meifter Wip⸗
per der Unmuth dergeſtalt, daß er flugs Nadel
and Scheere von fi) that, und dabei alfo aus⸗
sief: Welch ein elender Menfch ic) bin! Indeß
die Thiere im Walde und die Vögel in der Luft
fich gemaͤchlich an dem ſchoͤnen Himmelsblau da
178
Stadtdirne fenn? Das Land hat wohl Ternbafs
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wen der
Spiegel fo freundlich thut, als mir, der braucht
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's
Waſſer zu fpringen! —
Aber ' gar bald war er in den benachbarten
Dörfern auch fo weit gekommen, wie in der Stadt.
Ueberall hatte er angefragt, wo Maͤdchen mit
harten Thalern wohnten, Die Urfachen, bie im
In der Stadt die Koͤrbe zugezogen hatten, galten
auch auf dem Lande, und überdies mochten Die
- Yiefigen rothen und ſtammhaftigen Dirnen den
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu
Blaß und zerbrechlich finden.
Er kam daher einmal ded Abends gar wild
und Abel aufgeräumt in fein Dachftübchen zurüd,
Die leute Zeit über hatte er, im Bertrauen auf
zine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Ue⸗
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Aunds
fehaft eingebüßt. - Da Fand der Schneibertiich,
ber ihm fonft wenigftens die Nothdurft geliefert
hatte, und nichts darauf, ald papierene Maaße,
bie: ihn höhnifch zu fragen fehienen, was er nun
wit ifnen und mit fich felber anzufangen denke?
- Doc wohl enblidh wieder eine Beftellung !
brummmte er, als er anjetzt einen Brief auf dem
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem
Sauswirthe, der ihn darinnen ſehr unfeln uns ben
UT —
473
ſchuldigen Miethzins mahnte,- und den folgenden
Morgen mit dem Fruͤheſten da’ ſeyn und das Geld
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumftligen
Bahler aus dem Haufe werfen, und das fchlechte
Gerät nebft Werktifch zutuͤckbehalten wollte. Auch
batte er hinzugefügt: Mas pälfe mir alle Nachſicht
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ge⸗
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols
denen Boden, aber Müfliggang ift aller Laſter
Anfang ! .
Meifter Wipper war darüber fo aufgebracht,
daß er den. Brief ſogleich mit den Zähnen zerriß,
und ſchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu
ſehen, ob es wohlgethan fey, am ihr zu fierben,
Allein, das Fam ihm faft noch ſchwerer vor, ald
von ihr zu leben, da er fchon kein fremdes Blut
fehen. konnte, geſchweige fein eigenes. Ein Seil,
das and einem Winkel. hervorlugte, wärde ihm
ſolchen Anblick erfpart- haben. Doch dachte er
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurſachen
möchte und verwarf auch diefen Ausweg.
Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, es
war die auf Entdedung eines Schatzes. Der
ernfte Wille, fagte man, foll fo vigl, ja alles köns
ven, rief er aus, und ich habe wahrlich den aller⸗
Im
x
V
174
ernſteſten Willen, einen Schatz baldmoͤglichſt auf⸗
zufinden | — Zwar wendete ihm fein Gedächtnis
ein, daß er die reiche Heirath gleichfalls fche
ernſtlich gewollt habe, - Indeſſen wo nichts zu
verlieren ift, da ift auch nichts zu wägen, und
weil feine beträbte Lage und der Gedanke an den
Saft, der fih fo ungeſtuͤm für den folgenden
Morgen anfündigte, Ihm nicht einmal auf einen
leidlichen Schlaf Ausficht gaben, fo nahm er feis
men Wanderſtab wieder zur Hand und verlich
abermals Haus und Stadt.
Im freien Felde fiel ihm zuerft ein, daß er
auch gar Feine Muthmaßung habe, wo eigentlich
der Schatz, auf den er fo blindlings Todgehe, zu
finden ſey. Zwar hatte er gehdrt, daß dergleis
hen gemeiniglich unter ſolcher Erde liege, die
weber Thau noch Regen treffen tonne, Doch
geſetzt, daß er nun’ and) ein ſolches Stuͤck Boden
fand, nad dem er überall vergebens umherfah,
woomit: den Schatz heben, da er nicht einmal ein
Grabſcheit bei fich hatte, -hberbied, wie ifm nun
-erf-in die Gedanken kam, dazu gewiffe, beſon⸗
dere Gebräuche gehdrten, die ihm gänzlich unde⸗
Tannt waren? J
Jetzt fiel es ihm wie ein Muͤhlſtein aufs Herz
daß er wieder einmal etwas ohne Ueberlegung ans
gefangen habe, und da er eben den Mheinftrom
dic) neben ſich ſah, fo würde er. ohnfehlbar hin
me
498;
tingelprungen feyn , wenn er nicht gedacht Hätte;
daß ed ein erflaunlicher Unterfchied wäre, Rheins
lachſe zu eflen, oder ſich von ihnen wohl gar eſſen
zu laſſen.
Die Furcht vor letzterm Ereigniſſe kam ihm
aber grade zur rechten Zeit. Denn wie er jetzt
in die Hoͤhe blickte, ſo ſtand ploͤtzlich ein Berg
neben ihm. Der Berg hatte auch einen Eingang,
doch war dieſer mit einer großen eiſernen Thuͤre
wohlverwahrt.
Meiſter Wipper erſtaunte immer mehr, je
laͤnger er alles das betrachtete. Er kannte naͤm⸗
lich die Gegend, fo zu fagen, auswendig, aber
den Berg mit der eifernen Thüre gewahrte er
heute zum erfien Male. Das, meinte er, gehe
nicht mit rechten Dingen zu, glaubte auch bereits,
daß der Berg vielleicht bloß feinethalben hinges
ſtellt ſey. Er verzweifelte indeffen fchon, daß fein
Scharffinn den Weg hinein finden werde, ald auf
Einmal die eiferne Thuͤr fich von felber aufthat.
War aber guter Rath fchon zuvor theuer ges
weien, fo war er's nun erft recht. Wenigſtens
Hab es taufend und mehr Fragen, worauf Meis .
fter Wipper vor dem Hineingehen gern Antwort
gehabt hätte, 3. DB. wer wohl den Berg hinges
ftellt babe, wie die Gäfte darin behandelt wärs
den und fo weiter. Doch die mit unzähligen Kers
zen erhellten Gewoͤlbe, bie er jet entdeckte, was
nei SEE —
176
ren fo ſchoͤn und fauber, baß er ausrief? Nein,
ein häßlicher, unfauberer Geift kann hier unmoͤg⸗
lid hanfen, und daß er meine Wenigkeit nicht
verfhmäht, Davon zeugt wohl das Auffpringen
der Thuͤre, weil ich ja, fo hell der Vollmond and)
ſcheint, in der ganzen Gegend keinen Menſchen
weiter erblide, In des Himmel Namen denn!
Gleichwohl ſah er ſich bei jedem Schritte weis
"ter in die Höhle hinein auf allen Seiten um, od
vielleicht irgendwo etwas Unheimliches im Anzug
ſey. Auch wäre das bange Klopfen feines He
zend gewiß weit hinaus in die Nacht erllungen,
wenn dad Schlottern feiner Knie ſolches nicht
überboten hätte,
Wohl ſechs Gewölbe mochte er bereitö im
. Rüden haben, als er in einen von Tünitlichen
Sonnenftrahlen beleuchteten Garten gelangte, ben
fein Maler fo ſchoͤn zu malen vermocht hätte
Da gab ed Blumen und Krüchte aller Jahreszei⸗
sen und aller Welteheile, und ſchon hatte er, fall
ohne zu wiffen, daß es gefchah, feine Taſchen mit
Aprikofen, Kokusnüffen, Ananas und andern füfls
lihen Eßwaaren ziemlich vollgefüllt, als er erſt
daran dachte, daß ihm Niemand Erlaubniß dazı
gegeben, indem er aber noch in Zweifel ſtand.
ob das Beſte ſey, dad Haſenpanier zu ergreifen
oder nicht, da fiel ihm ein großer Marmorpallck
in’ Auge, und and dieſem heraus trat eine Jung⸗
>
177
frau, fo wundetſchon/⸗ daß er wie besaubert Tas
ftand, und ſchwerlich von der Stelle gekonnt hätte,
wenn auch die unbeichreibliche Milde ihres Ange⸗
ficht8 nicht gewefen wäre. Die Jungfrau” trug
sine goldene: Krone auf ihrem Haupte,“ deren
Glanz von dem helgelben "Haare ringöherum
noch weit übertroffen wurde.
Meifter Winper war ſchon im Begriff, ihr zu
Fuͤßen zu follen, ald er mit tauſend Schrecken
bemerkte, daß fich dergleichen nicht thun ließ,
maßen die Jungfrau keine Füße harte, fondern.
hr Leib, was ihm zeither vor ber, „gewaltigen
Schönheit des Antlitzes entgangen wär. in. eine
yigliche Schlange auöging, und fi in michtere
Mingel. aufrollte.
Sein Schrecken verſchwand jedoch, als ſetz
hre Stimme, lieblich wie der Klang einer ‚Harfe,
pn alfo anredete: Gott zum Gruß, Fremdling!
Ullem Anſehen nach biſt Du wenig bemittelt. D&
nir's nun an Guͤtern nicht ermangelt, ſo nimm
in kleines Willkommen von mir an. Dazu faßte
ie ihn bei der Hand und führte ihn vor eine große
Truhe.
Fuͤrchte nichts ! fägte fie, als Bei dem Laͤrm,
en ein Paat daneben liegende‘ ſchwarze Unge⸗
euer erhoben, der Schneider ſich mit aller Ge⸗
oalt- loszureißen verſuchte.
Still! rief ſie den Ungeheuern zu und im li
Seſpenſterbuch. Theil. M
170
draußen ergben und die Exgbifchöfe mit ibres
Bleichen gar darinnen herumlutfchen und ſich auf
taufendfältige Weiſe erluſtiren, muß ich in folcher
säuchrigen Klaufe figen und fchwigen und am
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗
zeitkleid, das bier fertig werden fol, mahnet mich
an die glädlichen Tage der Anden und an mein
erbärmlihes Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, ich
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben.
Hiermit legte er denn die Arbeit völlig bei
Seite und gerieth obendrein auf den Gedanken
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf
ebenfalld warm machte. Denn er war noch ein
Ssunggefelle, der aber viel Neigung zum heiligen
Eheftande in ſich verfpärte. Kr war fogar eins
mal recht nahe daran gewefen, Wie er nämlidy
noch als Gefelle lebte, verplemperte er ſich mit
Hedchen, der Tochter des Meifters, bei dem ex
arbeitete, Hedchen war auch wirklich ein huͤb⸗
ſches, rühriges Kind, dogn nicht ganz bloß; demm
ihre Aeltern hatten ein Häuschen mit einem Gars
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldka⸗
flen liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu
Zeiten feinen Mäfliggang und Hang zur Unorde
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahrs
lich, die Dirne zur Frau zu nehmen, das hieße
fi) eine Ruthe für Zeitlebens aufbinden! « Und
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand
78
wit dem arınm Hedchen, dad ſich die Sache 8
zu Gemuͤthe zog.
Dbo, dachte er jetzt, es giebt noch andere und
veichere Mädchen in Baſel, ald Hedwig iſt, ich
darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗
geben, Er ichalt fich nun ſelber, daß er's wicht
früher gethan Hatte, da ihm wohl bekannt war,
wie ſchon mancher faule Zeifig Durch eine reiche Hei⸗
rath zu Muhe und Wohlſtand gelommen, Er
putzte fi) auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗
lich heraus, und ging in der Stadt umher, was
ibm ſchon allein viel heſſer, als das anbaltenbe
Eigen behagen wollte.
Meifter Johann Flopfte bei mehrern ehrfamen
Buͤrgern an, deren Töchter gute Mitgiften zu
hoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon
it Liebſten verſehen; andere, hatten von feiner
Geſchichte mit Hedchen gehört; andere wollten
mit ihren Gedanken höher, ald bis zur Schneiders
wertftatt hinauf und nod) andern war etwas von
dem unflißigen Temperamente bed Freiers zu
Shren gekommen. Denn wenn auch Die jungen
Töchter das Über dem ſchmucken Unfehen bes
Meiſters vergaßen , ſo mwußren doch gemeiniglich
die alten Väter ihrem. Gedaͤchtniſſe darinnen nach⸗
zubelfen,, und fo, ging. ed zu, daß Johann: Mips
per überall mit einer langen Dafe abziehen mußte:
Ei, dachte er da, muß es benn grade eine
472
Stadtdirne ſeyn? Das Land hat wohl kernhaf⸗
tere Hauswirthinnen, als jene find, und wen der
Spiegel fo freundlidy thut, als mir, der Braucht
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht ins
Waſſer zu ſpringen! —
.Aber gar bald war er in den benachbarten
Dörfern auch fo weit gefonmen, wie in der Stadt.
Ueberall hatte er angefragt, wo Mädchen mit
harten Thalern wohnten. Die Urfachen, bie ihm
In der Stadt die Körbe zugezogen hatten, galten
auch auf dem Lande, und überdies mochten die
hieſigen rothen und ſtammhaftigen Dirnen den
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umſtaͤnde zu
Blaß und zerbredjlich finden.
Er kam daher einmal des Abends gar wild
und Abel aufgeräumt in fein Dachftübchen zurück,
Die letzte Zeit über hatte a, im Bertrauen auf
wine baldige, reiche Heirath, das Arbeiten für Ue⸗
berfiuß gehalten und deshalb feine ganze Kund⸗
ſchaft eingebüßt. - Da Hand der Schneidertifch,
ber ihm fonft menigftens bie-Nothdurft geliefert
hatte, und nichts darauf, ald papierene Maaße,
bie: ihn hoͤhniſch zu fragen fehienen, was er nun
mit ihnen und mit fich felber anzufangen- dene ?
- Doc wohl enblidy wieder eine Beſtellung!
brummte er, als er anjet einen Brief auf dem
Tiſche entdeckte. Aber der Brief war von feinem
Hauswirthe, der ihn darinnen ſehr unfeln um ben
473
Ichuldigen Miethzins mahnte,- und ben folgende
Morgen mit dem Fruͤheſten da’ ſeyn und das Geld
in Empfang nehmen, wo nicht, den faumfeligen
Zahler aus dem Daufe werfen, und das ſchlechte
Geräth nebft Werktiſch zuruͤckbehalten wollte. Auch
batte er Hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nachficht
bei einem liederlichen Wirche, der ftatt feinem Ges
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols
denen Boden, aber Maſſi iggang iſt aller Laſter
Anfang !
Meiſter Wipper war daräber fo aufgebracht,
daß er den Brief fogleich mit den Zähnen zerriß,
und fchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu
fehben , ob ed wohlgethan fey, an ihr zu fterben,
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, ald
von ihr zu leben, da cr fchon Fein fremdes Blut
ſehen konnte, gefchweige fein eigenes. Ein Geil,
Das aus einem Mintel. hervorlugte, würde ihm
folcyen Unblid erſpart Haben. Doch dachte er
Dabei an die Halsichmerzen, welche es verurfachen
möchte uud verwarf auch diefen Ausweg.
Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, «8
war die auf Entdedung eines Schatzes. Der
ernſte Wille, fagte man, foll jo aid, ja alles koͤn⸗
ven, rief er ans, und ich habe wahrlich den aller⸗
TE 48
e
166
nig Schritten erhob ſich die Erfcheinung und ein
blaſſes Geſicht ſah und aus der Verhuͤllung au.
Das Mönchgeipenfi I — riefen Mehre, denen
die frübern Erzählungen einfielen, und felbft
Theodor [chauderte zuſemmen und trat mul
los zurüd.
Was geht denn vor ? — rief Paulin e, die
fich in dem Garten vermeilt hätte, heraustretend
— Ach, das find unzeitige Scherze!
. Ste ging umwillig auf die Geſtalt los, ihr die
DBerbüllung abzunchmen, aber Taum hatte fie in
der Nähe das blaſſe Todtengeficht erblidt, als
fie laut vor Schreck auffchrie und zu Boden fan,
Die Moͤnchgeſtalt ſtand ſtarr und regungslos
neben ihr.
Der Trieb zu helfen uͤberwand hier die Furcht.
Wir eilten hinzu, die Ohnmaͤchtige aufzurichten,
vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Ges
ſtalt noch immer bewegunglos ſtand. Panline!
— rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline!
wiederholte des ſchwarzen Moͤnches dumpfe Stim⸗
me. Vorgebengt und bie Lebloſe anſtarrend, rief
die Erſcheinung nochmals mit entſetzlicher Mi—
[Yung von Freude und Graufen den Namen der
Dhnmächtigen, und ſank dann neben ihr gu Boden,
Der Schred feſſelte und nur auf Yugenblide
die Sinne. Mir bemühten uns bie furchtbare
Mönchgeftalt von Paulinen zu entfernen, Sein
165
Geſicht war durch Die Anftrengung des Falles
mehr enthüllt. Wo bin ich? fragte er, wie aus
einem Traum erwacend, und Theodor und
ich erkannten Stimme und Züge unfers Sreundes
Werner,
m
Während der Bemuͤhungen Paulinen in
das Leben zurüczurufen, enthällte ih auch Bas
Märhfel von der unerwarteten Ericheinung be&
Grafen Werner. Seine Schwermuth war
immer mehr in ftillen Wahnfim übergegangen
und die Nachrichten von den fehlgeſchlagenen Ver⸗
fuhen der Deutſchen fich von der franzöfifchen
Herrſchaft zu befreien, hatten in Verbindung mit
feiner unglücdtichen Liebe, Gemürh und: Beſin⸗
nung ihm faft völlig zerruͤttet. Doch hatte fich
die Vorftellung,. daß er'einen Sieg zu Befreiung
feines Vaterlandes erfechten werde, immer in
ihm lebendig erhalten. jet waxen ihm wie er
erzählte, in feinem traumäßmlichen Zuſtande, Bil⸗
der von fiegenden deutfchen Heeren erfchienen, bie
ſtets ihn aufforderten, mit ihnen zu kaͤmpfen. Ohne
Deutlich zu wiſſen, wie? war er ibmen gefolgt.
Wie er zu feiner Möuchötracht gekommen, wie
er felt feiner Entweichung aud Beſancon fein Les
ben erhalten, war ihm’ felbft ein Närbiel, Die
Dergangenpeit lag. wie. ein verworrner" Fieber⸗
waum Hinter ihm, ex Tonnte nicht guterſcheiden,
E.
166
» was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres
Bild des Wahnfinns war. An die Ruine vom
Paulinzell Hatte ihn ein dunkles, unbeſchreiblich
feliges Gefuͤhl ‚gebunden, er Taunte fie nicht wähe
rend feines Wahnfinnes, und nur jetzt bemerfte
er dab fonberbare Zufammentreffen, daß eben
dieſe Ruine, die felbft feinen. Wahnfınn mit Erins
nerungen. aus gluͤcklichern Zeiten durchglaͤnzte,
nun auch die Entwidelung feines Schidfaled here
beiführte.
Pauline athmete noch einige Tage in bee
wußtlofer Betäubung, aber feine Kunſt der Aerzte
konnte fie dem Leben erhalten. Die Gewalt der
Meberrafchung datte fie getoͤdtet, und ihr eignes,
früher geſprochenes Wort gegenrdand Wiederfehn
bewährt. Diefelbe Gewalt. des Unerwarteten hatte
Ihrem Gelichten.die Beſinnung zurüctgegeben, aber, .
graufam genng, zeigte ihm das Schidfal die- Ges
liebte in dem Augenblick, wo fie für immer ihm
entriffen ward , und gab ihm -mit ber ruͤckkehren⸗
den Beſinnung nur die Empfaͤnglichkeit für den
Schmerz des Verluſtes.
Wir ſehn uns bald wieder — ſprach er, wenn
‚ feine Freunde wit ihm klagten — und dann bring»
ich ihr, ſtatt des Myrtenkranzes, den deutſchen
Siegeskranz von Eichenlanb.
© eilte er zu den preußiſchen Fabnen. Die
Verlängerung des Waffenkilftandeh, die fo maus
467
chem Gemuͤth den legten Hoffnungfunfen vers
Loͤſchte, ſchlug ihn nicht nieder, eben fo wenig
Founten die unglüdlihden Tage bei Dresden ibm
Den Muth erichüttern. Die fiegfroben Bilder, die
vormals jeinen zerrütteten Geift erhellten, gingen
wieder durch feine Träume, und oft hörte ſelbſt
der Wachende, wie aus weiter Ferne, Siegesge⸗
laͤut und Triumphlieder gegen fich herantdnen.
Am blutigen Nachmittag des fechzehnten Ofs
tobers flürmte er mit der tapfern Schaar Büs
low's Über Mödern der gegen Leipzig. Er fah
den Sieg für die Sache ſich enticheiden, an der
fein deutſches Herz mit voller, liebender Sehn⸗
ſucht ding. Immer feuriger riß fein Muth ihn
vorwärtd, Er fahdie geinde weichen, Die Triumph⸗
lieder feiner Träume klangen um ihn, und Glofs
Bengerön, wie von den Thürmen der nah vor ihm
liegenden Stadt, halte zu ihm her.
Sieg! Sieg! — rief der Begeiſterte, immer
vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche
Kugel vom Roſſe. Seine treuen Kameraden trus
gen ihn unter einen Baum. Da kam das Ge⸗
ruͤcht von dem Giege des Feindes zu dem Sterd
benden und die Glocken, die jene Nachricht in der
Stadt feiern mußten, ſchallten bumpf wie Tod⸗
senglodten zu ihm heran. Seinen Freunden fehien
anf Augenblide der Muth zu finten, aber ber
GSterbende feuerte fie von neuem zu thatenreichem
176
genblicke wurden Laͤmmer aus ihnen, und ſchwaͤn⸗
gelten um den Meiſter herum, der ſich jedoch,
tra dem guten Anſcheine, den Rüden frei zu
halten ſuchie.
Als nun die Jungfrau den Deckel der Truhe
aufpob und ein unüiberfehlicher Vorrath don fun
Telnagelneuen harten Silberthalern vor dem Schneis
der lag, da dachte der in ſeinen Gedauken: Wollte
doch der Himmel, daß ic mir davon nach Se⸗
fallen einraffen dörfte! Und faum gedacht, ve
Bam er auch ſchon Erlaubniß hierzm
Da war denn der Meifter nicht faul und
fopfte alle feine Tafchen voll’; mobei er ſich nicht
wenig ärgerte, daß die Fruͤchte, mit denen er fih
beladen hatte, ſchon den größten ‘Theil des Raw
mes einnahmen, den er, weit vortheilhafter, mi
Silder hätte anfuͤllen konnen. Gleichwohl feheote
er ſich, dieſelben von ſich zu thun und fo zu ji
gen,’ was er ungebüprlicher Weife abgebrochen
datte.
As nun feine Taſchen ſchon uͤbervoll waren,
und er immer noch ſich bemühte, Thaler hinein
u pfropfen, da fagte die Fungfräu: Mir Maik
mein Freund, damit wenigfiens noch ein Pl
chen überbleibe.
Allein Meifter Wipper verfegte mit Lacha.
Wenn hr weiter feine Sorge habt, fo laßt and
179
ie. Bern wit ich allen Raum in meinen Taſches
Euern Edfilichen Silbermänzen: abtreten !
Nach Gefallen! fprach die Jungfrau, nur huͤtée
Did etwas von dem aus meinem Haufe und
Barten genommenen ˖wieder mit Vorſatz wegzu⸗
hun, oder zit vetlieren. Denn die Erbgeifter,
sie in dieſen Raͤumen ärger als fonft wo ſchalten,
legen dergleichen für Verachtung oder⸗Vernach⸗
äffigung aus und konnten Dir leicht alles wieder
nehmen, ehe Du mein Gebiet verlaffen bafl. —
“ Hierauf führte fie ifn zu einer andern Truhe,
dor der abermals fchwarze, ſchnaubende Unthiere
lagen, die jedoch, wie die erften, fing6 durch Re
zahm und: Demäthig’gemacht waren.
Über wie erſchrack Meiſter Wipper, als der
Deckel aufging und eitel Goldmuͤnzen ihm ente
gegen glaͤnzten, auch. die Jungfrau ihm diefelbe
Erlaubniß, wie bei den ſilbernen, ertheilte. Der
arnie Schneider! Sein Lebelang hatte er. das
Gold nur dem Namen und Anfehnnach gekannt,
und vorhin gar nicht daran gedacht, am allerwes
nigften aber, daß es fuͤr ihn gewachſen feyn koͤnne:
Nun hatte er doch die Warnung, ſich mit Silber
nicht allzufehr gun uͤbernehmen, im ben Wind ges
ſchlagen. Seine Taſchen faßten durchaus nichts
mehr ; daher er dem, was er konnte, in die Vaͤuſta
nahm.
Graͤme * nicht, ſagte hierauf: die Jungfrau,
M 2
— no 2 — —— Gt —- nd mm. LE Dur Er GER DD 9 ————55 ——vv9
⸗
180
die feine Gedanken aus der Miene erraten möchte.
Vielleicht können noch alle diefe Schäge naͤchſten⸗
Dein werben. on |
Mein? rief dei Schneider aus, und Die Freude
brachte ihn fo zur Wergeffenheit feiner ſelbſt, daß
er feinen Arm um den Leib der Gönnerim legte.
Aber ein Hieb mit dem Schlangenichwanze und
er fchrie:fogleich ‚vor Schmerz laut auf, ließ auch
die Goldſtuͤcke dazu aus der Hand fallen,
Da kribbelte und wibbelte auf Einmal ringbe
um alles von Leinen Erdgeiftern, die mit den
grimmigften Geberden auf Ihn zurannien, dech
durch einen gebieteriſchen Wink der Jungfrau aw
genblicklich wieder davon gejagt wurden.
Sie gebot ihm hierauf die verlorenen Golb⸗
Rüde ſorgfaͤltig zu ſammeln, damit nicht in ihre
Abweſenheit die Kleinen. ihre Gewalt doch noch
an ihm auslaſſen moͤchten. Uebrigens fügte fie,
indeß er den Befehl ausrichtete, hinzu, giebt es
vielleicht ein Mittel fuͤr Dich, auch, gleich mit
dieſes Gefindelg Meifter zu werden, Du mußt
wiffen, daß ich die Tochter eines gewaltigen Ki
nigd bin, Ein fremder Prinz warb um mei
Hand, allein ich erfuhr, daB er andere Liebesb⸗⸗
del hatte, und mit Trug und Liſt gegen die Bo
ber umging, daher ſchlug ich ihm alles rund d.
Zum Ungläd aber iſt er ein Zauberer, um
bat er mich Hierher entführt una durch feine Be
46%
mönfehung die untere Hälfte meines Leibes in ein
ibſcheuliches Unthier umgewandelt. Su, diefer
Seftale fo ich Elende fo. lange verweilen, big. ich,
nich entfchließe, ihm ‚die Hand zu geben ... pdey-
is em reiner. Junggeſelle mich dreimal geluͤßt
at, Die Nacht vach dem Vollmonde ſtellt fich,
zu diefem Ende gewöhnlich ein Berg hinqus, deſa
en eiſerne Tor in men Haus führt und. jedes⸗
nal aufgebt, ſobald ein Unverheiratheter ſich ihr.
zahet. Ach, ſchon find der jungen Leute viel bier:
jewejen! Aber theiuls machten fie den Verſuch,
pe dazu berechtigt zu ‚feyn; theild haben ſie
ich davor margen laſſen. Denn.follteft Du, cheus
falls Nut zur Loͤſung meines Zaubers bezeigen,.,
g muß. ih Die, wie jedem, vorausſagen, daß
nenn: Du Die Reinheit und Ehrlichkeit Deines
Junggeſelleuſtandes nicht gehbrig in Obacht ger.
nommen haft, Du befler ale Verfuche vermeiden
magſt, weil fie Die dann nur, große ‚Ungelegenn.
beit zuziehen koͤnnten. — Dagegen verfpreche ich.
Dir Hand. und Herz, falls damit alles feine Rich⸗
tigleit haben, follte. Don welch einem Stande.
Du fenn moͤgeſt, mein Purpur deckt alles Nies.-
dere quf immer zu, da ich die. Erbin. gings. ungen,
heuern Reiches bin, und. fogleich nach erfolgter:
Sntzauberyng Dich zu meinem, Gemahl ‚ergeben.
werde.
Der Schnelber war. qußer fich fuͤr Breite:
402
Jenn ſchon war es ihm, als ob bie Prinzeffin mr
allen ihren Kiften und Kaften und Kronen un
Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich
die erforderliche Reinheit zu befisen, machte auch
fogleih Anftalt zum erſten Kuſſe. Doch vers
bat er fi) zuvor alle Cinmiſchungen des Schlans
genſchweifes.
Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was
vorhin geſchab, war Beſtrafung des Vorwitz es.
Jetzt aber‘, wo es ernſte Dinge gilt, jetzt magſt
Du ganz getroſt zum Werke ſchreiten und Dich
nicht abſchrecken laſſen, wie viel Widriges Du
auch während des Kuſſes an mir wahrnehmen
ſetnun
-- Hiereuf neigte denn Meiſter Wipper in aller
Demuth und Beſcheidenheit feine Lippen nad) ib⸗
zerd Munde hinuͤber. Aber als ob die ganze
Natur des untern, thieriſchen Theils ihred Leibes,
piöglich auch in den mienfchlichen obern Theil
übergebe, fo verzog fi) dei dem Kuffe das Ge⸗
fit ber Prinzeſſin. Ihr Mund ging fo weit
auf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und
die Uugen fchoffen Tigerblide ; dabei ſchlugen ſich
‚de Hände gleich Krallen in. die Schultern dd
Küffenden,, fo daß diefer ſeine Zuflucht zw einen
anbädhtigen Water unfer nahm, damit er weis
ſtens die Seele ſichere, wenn es aud) um feinn
Seid geſchehen ſeyn ſollte.
183
Mad) vollbracdhtem Kuffe war jedoch die Das
me ganz dad vorige liebenswärdige Weſen wies
der. Sie freute ſich eine Staiten bis zu ihrer
Erldſung zrrüdgelegt zu haben, und äußerte nur
noch mit Seufzen den Wunfch, daß bie andern
beiden ebenfalld bald und gluͤcklich uͤberſtanden
ſeyn moͤchten.
Meiſter Wipper, indem er jetzt die ſanften,
Holden Züge ihres Geſichtes betrachtete, ſchalt ſich
nicht wenig wegen feiner - Furchtſamkeit und
machte bierauf zum zweiten Kufle alle Vorbe⸗
zeirungen.
Hatte fi) aber ſchon das erſte Mal der Geift
des Ungeheuers auch über die mienfchliche Hälfte
der Dame verbreitet, fo war dies jetzt noch viel
mehr der Fall. Die zwei Perlenreihen in ihrem
Munde fihienen Dreimal 'fo lang geworden zu
feyn und fletichten äber dad ganze Geſicht her⸗
der. Dazu riffen ihre Hände den armen, toba
senbleichen Schneider dergeſtalt hin und ber, als
wäre er ein Pflaumenbaun gewefen, den ei Nieſe
ſchuͤtteln wollte, fo daß er daſsmal auch gar nicht
wußte, ob der Kuß vorüber fey und er. das Zeits
liche bereits mit dem Emwigen verwechfelt habe,
denn er fiel in eine tiefe Ohnmacht.
Als er darauf wieder zu ſich kam, ergößte
ihn zwar der Anblick des lieblichen Angefichted
aufs: Neue. Aber der kaum überftandene Schreck
“
.
«70
draußen ergoͤtzen und die Erzbifchoͤfe mit ihres
Gleichen gar darinnen herumkutſchen und ſich auf
tauſendfaͤltige Weiſe erluſtiren, muß ich in ſolcher
raͤuchrigen Klauſe ſitzen und ſchwitzen und am
Kummertuche nagen! Alles, bis auf das Hoch⸗
zeitkleid, das hier fertig werden fol, mahnet mich
an bie glüglichen Tage der. Andern und an mein
erbaͤrmliches Schickſal. Ade, Hochzeitkleid, ich
mag nichts mit dir zu ſchaffen haben.
- Hiermit legte er denn die Arbeit vdllig bei
Seite und geriethb obendrein auf den Gedanken
an's Heirathen, der ihm je zuweilen den Kopf
ebenfalls warm machte. Denn er war noch ein
SSunggelelle, der aber viel Neigung zum beiligen
Eheftande in ſich verſpuͤrte. Er war fogar eins
mal recht nahe daran geweſen. Wie er naͤmlich
noch als Gefelle lebte, verplemperte er fidy mit
Hedchen, der Tochter des Meifterö, bei dem er
arbeitete, Hedchen war auch wirklich «in buͤb⸗
ſches, ruͤhriges Kind, dozu nicht ganz bloß; dem
ihre eltern hatten ein Häuschen mit einem Gar⸗
ten, und wohl noch ein zweites in ihrem Geldka⸗
ſten liegen, Allein, weil Hedchen Wippern zu
Zeiten feinen Müfliggang und Hang zur Unorde
nung vorruͤckte, fo Dachte er eined Tages: Wahrs
lich, die Dirne zur rau zu nehmen, das hieße
ſich eine Ruthe für Zeitlebens aufbinden! « Und
da brach er denn ohne allen weitern Vorwand
478
wait dem armen Hedchen, das ſich die. Sache X
zu Gemuͤthe zog.
Dbo, ‚Dachte er jetzt, es giebt noch andere un
reichere Mädchen in Baſel, als Hedwig iſt, ich
darf mir nur die Mühe nehmen. auf eine auszu⸗
gehen. Er fchalt fich nun felber „ daß ers wicht
früher gethan Hatte, da ihm wohl bekannt war,
wie ſchon mancher faule Zeifig Durch eine reiche Hei⸗
rath zu Mube and Wohlſtand gekommen. Er
pußste ſich auch auf der Stelle dazu fo viel moͤg⸗
Kid) heraus, und ging in der Stadt umher, was
ihm ſchon allein viel beffer, als das anhaltende
Eigen behagen wollte.
Meifter Johann Flopfte bei mehrern ehrfamen
Bürgern an, deren Töchter gute Mitgiften zu
Yoffen hatten, Allein einige davon waren ſchon
mit Liebſten verſehen; andere, hatten von feiner
Geſchichte mit Hedchen gehoͤrt; andere wollten
wit ihren Gedanken höher, als bis zur Schneiders
werkſtatt hinauf und noch andern war etwas von
dem unfleißigen Temperamente bed Freiers zu
Ohren gekommen. Denn wenn auch die jungen
Töchter had über Dem. ſchmucken Anſehen bes
Meifters vergaßen ‚fo. wußten doch gemeiniglich
Die alten Väter ihrem Gedaͤchtriſſe darinnen nach⸗
zubelfen, und fo ging. es zu, daß Johann Mips
per überall mit einer langen -Mafe abziehen mußte, '
Ei, dachte er da, muß es denn grade eine
178
Stadtbirne ſeyn ? Das Land hat wohl Yernhafe
tere Hauswirthinnen, ald jene find, und wen der
Gpiegel fo freundlich thut, als mir, der braucht
wegen einer Hand voll Körbe noch nicht in's
Waſſer zu fpringen! — ö
Aber gar bald war er ih ben benachbarten
Ddrfern auch fo weit gefommen, wie in der Stadt.
Meberall hatte er angefragt, wo Mädıhen mit
harten Thalern wohnten. Die Urſachen, bie ihm
In der Stadt die Kbrbe zugezogen hatten, galten
auch auf dem Lande, und uͤberdies mochten die
biefigen rothen und ftammpaftigen Ditmen den
ſchlanken Schneidermeifter für ihre Umftände zu.
Blaß und zerbrechlich finden.
Er kam daher einmal des Abends gar wilb
und Adel aufgeräumt in fein Dachftühdhen zurück,
Die legte Zeit Aber hatte er, im Vertrauen auf
wine baldige, reiche Heirath, dad Arbeiten für Ue⸗
berfluß gehalten und deshalb feine ganze Kund⸗
febaft eingebüßt. - Da Hand der Schneidertifch,
ber ihm fonft wenigſtens die Nothdurft geliefert
hatte, umd nichts darauf, als papierene- Maaße,
die ihm hoͤhniſch zu fragen feinen, was er num
wit ihnen und mit ſich felber anzufangen denke ?
Doc wohl endlich wieder eine Beſtellung!
brummte er, als er anjetzt einen Brief auf dem
Tiſche entdeckte. Aber ber Brief war von feinem
Hauswirthe, der ihn Dartınan [ehr unfein um ben
473
Ihuldigen Miethzins mahnte, und den folgenden
Morgen mit dem Früheften da’ ſeyn und das Gelb
in Empfang nebmen, wo nicht, den faumfeligen
Zahler au dem Daufe werfen, und das ſchlechte
Geraͤth nebft Werktiſch zurückbehalten wollte. Auch
batte er hinzugefügt: Was hälfe mir alle Nachficht
bei einem liederlichen Wirthe, der ſtatt feinem Ges
werbe obzuliegen, den ganzen Tag in der Irre
berumläuft und am Ende wohl gar noch als ein
Dieb oder Mörder, nebft feinem Bischen Habe
eingezogen wird ? Denn ein Handwerk hat gols
denen Boden, aber mög iggang ift aller Laſter
Anfang !
Meifter Wipper war darüber fo aufgebracht,
daß er den Brief fogleicy mit den Zähnen zerriß,
und fchon feine Scheere zur Hand nahm, um zu
ſehen, ob ed wohlgethan fey, an ihr zu fterben,
Allein, das kam ihm faſt noch ſchwerer vor, ald
von ihr zu leben, da er fchon Fein fremdes, Blut
fehen konnte, gefchweige fein eigenes, Ein Seil,
Das aus einem Winkel hervorlugte, würde ihm
foldyen Anblick erfpart haben. Doch dachte er
dabei an die Halsſchmerzen, welche es verurfachen
möchte und verwarf auch diefen Ausweg.
Endlich fiel ihm noch eine Hoffnung ein, «8
war bie auf Entdedung eines Schatzes. Der
ernſte Wille, ſagte man, ſoll ſo viel⸗ ja alles koͤn⸗
nen, rief er aus, und ich habe wahrlich den aller⸗
176
ren fo ſchoͤn und fauber, daß er ausrief: Nein,
ein häßlicyer, unfauberer Geiſt kann hier unmdg⸗
lich hanfen, und daB er meine Wenigkeit nicht
verfhmäpt, davon zeugt wohl bas Auffpringen
ber Thuͤre, weil ich ja, fo hell der Vollmond auch
ſcheint, in der ganzen Gegend keinen Menfchen
weiter erblicke. In des Himmels Namen dem!
Gleichwohl fah er ſich bei jedem Schritte weis
“ter in bie Höhle hinein auf allen Seiten um vob
vielleicht irgendwo etwas Unheimliches im Anzuge
ſey. Auch waͤre das bange Klopfen ſeines Her⸗
zens gewiß weit hinaus in die Nacht erklungen,
wenn das Schlottern ſeiner Knie ſolches nicht
uͤberboten haͤtte.
Wohl ſechs Gewoͤlbe mochte er bereits im
Ruͤcken haben, als er in einen von kuͤnſtlichen
Sonnenſtrahlen beleuchteten Garten gelangte, den
kein Maler ſo ſchoͤn zu malen vermocht haͤtte.
Da gab es Blumen und Fruͤchte aller Jahreszei⸗
sen und aller Welttheile, und ſchon hatte er, faſt
ohne zu willen, daß es gefchah, feine Tafchen mit
Aprikoſen, Kokusnuͤſſen, Ananas und andern Eöfte
lihen Eßwaaren ziemlich vollgefült, als er erft
daran dachte, daß ihm Niemand Erlaubniß dazu
gegeben. Indem er aber noch in Zweifel fand,
ob das Beſte ſey, das Haſenpanier zu ergreifen,
oder nicht, da fiel ihm ein großer Marmorpallait
in's Auge, und aus diefem heraus trat eine Jungs
477
frau, fo wunderſchoͤn, daß er wie bezaubert. das
ſtand, und ſchwerlich von der Stelle gekonnt hätte,
mwenh Auch die unbeichreibliche Mitve ihres Ange⸗
fichts nicht gewefen wäre. Die Jungfrau trug
eine goldene: Krone auf ihrem Haupte,“ deren
Glanz von dem hellgelben "Haare ringöherum
noch voeit übertroffen wurde.
Meifter Wipper war ſchon im Begriff, ihr zu |
Güßen zu fallen, ald er mit faufend Schrecken
bemerkte , daß fith dergleichen nicht thun ließ,
maßen die Jungfrau keine Fuͤße hatte, fondern.
ihr Leib, was ihm..zeither dor der, ‚gewaltigen
Schönheit des Ynrliged, entgangen wär. in ein⸗
higliche Schlange ausging, und ſich in miehtere
Ringel aufrollte.
Sein Schrecken verſchwanb ledoch, N Jetz
ihre Stiaume, lieblich wie der Klang einer Harfe,
ihn alfo anredete: Gott zum Gruß, Fremdling!
Allem Anſeben nach bit Du wenig bemitteft. DE
mir's hun an Gütern nicht ermangelt, fo nimm
ein Meines Willtommen von mir an. Dazu faßte
fie ihn bei der Hand und führte ihn vor eine große
eiſerne Truhe.
Forchte nichts fagte fie, als bei dem Lärm;
ben ein Paar daneben liegende‘ ſchwarze Unges
heuer erhoben, der Schneider ſich mit aller Ge⸗
walt loszureißen verſuchte.
Still! rief ſie den Ungeheuern zu und im Au⸗
Geſpenſterbuch. 3. Theil: mM
J
.'
>
176
geublicke wurden Laͤmmer aus ihnen, und ſchwaͤn⸗
gelten um den Meifter herum, ber ſich jedoch,
rot dem guten Anſcheine, den Müden frei u
halten. fuchte.
As nun die Jungfrau den Dedel der Truhe
aufhob und ein unüberfeblicher Vorrath don funs
Belnagelneuen harten Silberthalern vor den Schnei⸗
der lag, ba dachte der in feinen Gedanken: Wollte "
doch der Himmel, daß ich mir davon nad Ge⸗
fallen einraffen dürfte! Und faum gedacht, bes
Bam er auch ſchon Erlaubniß hierzm.
Da war denn der Meifter nicht faul und
ſtopite alle feine Taſchen voll; wobei er ficy nicht
wenig ärgerte, daß bie Früchte, mit denen er ſich
beladen hatte, ſchon den größten Theil des Raus
mes eifinahmen , den er, weit vorteilhafter, mit
Silder hätte anfuͤllen kdnnen. Gleichwohl fepkare
er ſich, dieſelben von ſich zu thun und fo zu zei⸗
gen, was er ungebuͤhrlicher Weiſe abgebrochen
datte.
Ws nun feine Taſchen ſchon uͤbervoll waren,
und er immer noch fich bemühte, Thaler hinein
dm pfropfen, da fagte die Jungfräu: Mit Maße,
mein Freund, damit wenigfiens noch ein vur
chen überbleibe.
Mlein Meiſter Wipper verſetzte mit gadın:
Menn For weiter Peine Sorge habt, fo laßt auch
179
bie. Gern. will ich allen Raum in meinen Zafıhak
Euern koͤſtlichen Silbermuͤnzen abtreten!
Nach Gefallen ! fprach die Jungfrau, mur bäre
Did etwas von dem aus meinem Haufe und
Garten genommenen - wieder mit Vorſatz wegzu⸗
thun, oder zu vetlieren. Denn‘ die Erbgeifter;
die in dieſen Raͤumen ärger als fonft wo fchalteit,
legen dergleichen für Verachtung ober Werwacke
laͤſſigung aus und Tönnten Dir leicht alles wieder
abnehmen, che Du mein Gebiet 'verlaffen. bafl. —
Hierauf führte fie ihn zu einer andern Truhe,
vor der abermald:fchwarze, fihnaubende Unthiere
lagen, die jedoch, wie die erfien, flugs durch fie
zahm und demüthig gemacht waren.
Aber wie erſchtack Meifter Winper , als der
Deckel aufging und -eitel Goldmuͤnzen ihm ˖ ent⸗
gegen glänzten, auch. die Jungfrau ihm dieſelbe
Erlanbniß, wie bei den ſilbernen, eriheilte. Der
arme Schneider! Sein Lebelang hatte er. das
Gold nur dem Namen und Anfehnnach gelannt,
und vorhin gar nicht daran gedacht, am allerıwes
nigften aber, daß es flr-ihn gemachfen feyn koͤnne:
Yun hatte er-doch die Warnung, fich mit Silber
nicht allzuſehr zu Übernehmen, im ben Wind ges
(lagen. Seine Taſchen faßten durchaus nichts
mehr; daher er denn, was er konnte, in die ‚Buße‘
nahm.
Gräne Dich nicht, ſagte hierauf die Jungfrau,
M 2
8 L
100
die feine Gedanken aus der Miene errathen möchte,
Vieleicht koͤnnen noch alle dieſe Schaͤtze naͤchſtens
Dein werden.
Mein? rief dei Schneiber sub, und Die Freude
‚ beachte ihn fo zur Vergeffenheit feiner ſelbſt, daß
er feinen Arm um den Leib der Goͤnnerin legte.
Aber ein Hieb mit dem Schlangenichwanze und
er ſchrie ſogleich vor Schmerz laut auf,. ließ auch
sie Goldſtucke dazu aus der Hand fallen,
Da kribbelte und wibbelte auf Einmal ringde
um alles von kleinen Erdgeiftern, die mit den
grimmigften Geberden auf ihn zuxannten, dach
durch einen gebieterifchen Wink der Zungfrau au⸗
genbliclich wieder Davon gejagt wurden. |
Sie gebot ihm Hierauf die verlorenen Golde
Rüde ſorgfaͤltig zu ſammeln, damit ‚nicht in ihrer
Abweſenheit die Kleinen: ihre Gewalt doch noch
an ihm auslaſſen moͤchten. Uebrigens fügte fie,
indeß er den Befehl ausrichtete, Hinzu, giebt es
vielleicht ein Mittel fuͤr Dich, auch, gleich mir
dieſes Geſindelq Meiſter zu werden. Du mußt
wiſſen, Daß ich die Tochter eines gewaltigen Koͤ⸗
nigs bin. Ein fremder Prinz warb um meine
and, allein ich erfuhr, daß er andere Licheshäns
bei hatte, und mit Irug und Liſt gegen die Wei⸗
ber umging, daher ſchlug ich ihm .alled runb ab.
Zum Unglüd aber ift er ein Zauberer, und da
bat es mich Hierher entführt una durch feine Ver⸗
484
wnfehung die untere Hälfte meines Leibes in..ci;
abſcheuliches Unthier umgewandelt. Sa, diefer
"Weftals ſoll ich Elende fo. lange verweilen, big ich
mich entichließe, ihm ‚die Hand zu geben ,.- gdex
bis em reiner Junggeſelle mich dreimal geluͤßt
hat. Die Nacht vach dem Vollmoude ſtellt ſich
zu dieſem Ende gewoͤhnlich ein Berg hinqus, beie
fen eiſerne Thür ig men Haus führt und jedes⸗
mal aufgeht, ſobald ein Unverheirathgter ſich ihr.
naher. Ach, ſchon find der jungen Leute viel hier
geweien! Aber theils machten fie den Verfuch,.
ohne dazu berechtigt zu ſeyn; theils haben. ſie
ſich davor warnen laſſen. Denn ſollteſt Du, ehtu⸗
falls Lunt zur Loͤſung meines Zaubers bezeigen,,
fa muß. ih Dis, wie jedem, vorausſagen, daß
weun Du die Reinpeit und Ehrlichkeit Deinek
Junggeſellenſtandes uicht gehbrig in Obacht ger-
nommen haft, Du befler ale Verſuche vermeiden
magſt, meil fie Die dann nur große Ungelegenn
beit zuzichen könnten. — Dagegen verſpreche ich
Dir Hand und Herz, falls damit alles feine, Nice.
tigkeit haben. ſollte. Von welch einem Stande
Da ſeyn mögeft, mein, Purpur deckt alles Nie⸗
dere auf immer zu, da ich bie. Erbin. ging&. ungen,
heuern Reiches bin, und. ſogleich nach, erfalgser:
Entzauberung Dich zw meinem, Gemahl ‚erheben.
werde,
Der Schneider war. außer ſich fr Breite,
182
Jenn ſchon war es ihm, als oh bie Prinzeſſin wit
allen ihren Kiften und Kaften und Kronen und.
Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich,
die" erforderliche Reinheit zu befisen, machte auch
—8 Anſtalt zum erſten Kuſſe. Doch ver⸗
bat er ſich zuvor alle Einmiſchungen des Schlane
genſchweifes
Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was
vorhin geſchah, war Beſtrafung bed Vorwitzes.
Jetzt aber, wo es ernſte Dinge gift, jetzt magſt
Du ganz yetroft zum Werke ſchreiten und Dich
nicht abſchrecken laſſen, wie viel Widriges Du
auch "während des Kuſſes an mir wahrnehmen
TeRi;- J
Hieräuf neigte dent Meiſter Wipper in aller
Demuih and Beſcheidenheit feine Lippen nad) ih⸗
red Munde hindber, Aber ald ob die ganze
Natur des untern, thieriſchen Theils ihres Leibes,
piöglidh auch in den mienfchlichen obern Theil
— fo verzog fi dei dem Kuſſe das Ge⸗
ſicht der Prinzeſſin. Ihr Mund ging ſo weit
auf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und
die Augen fchoffen Tigerblide ; dabei ſchlugen ſich
‚de Hände gleich Krallen in die Schultern des
Käffenden ‚- fo daß dieſer feine Zuflucht zu einem
anbächtigen Vater unfer nahm, damit er weuigs
ſtens die Seele fichere , wenn «8 and um feinen
Zub geſchehen jeyn follte,
9
Mochte auch Meter Wipper Tchätteln fo viel er
wollte, dad Kerlchen war ſattelfeſt wie Fein Ans
derer und ſchien Zeit feines Lebens. dieſe Art zu
reiten betrieben zu haben. "
Der Schneider , der feiner Angſt kein Ziel mehr
wußte, warf endlich in der hoͤchſten Verzweiflung
fämmtliche Goldſtuͤcke aus den Händen, Iserte
auch feine Taſchen völlig.
Da ließen benn auf Einmal die Heinen Leute
pon ihm ab, machten grode Krakfäße, wuͤnſchten
wohl zu deben und ſchlugen dazu cin fo durch⸗
dringended Gelächter auf, daß Meifter Wipper
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erfchöpft
in die gewoͤhnliche Welt zurüdgelangt mar, wo
der Mond der Sonne bereits Platz gemacht hatte,
Zu Hauſe bekam ber Schneider einen harten
Kampf mit dem Wirthe, der fich jedoch am Eude
auf einige Wochen vertröften ließ, weil er wohl
einſah, daß aus dem Geraͤthe des Schuidners
nur wenig oder nichts zu ldſen ſeyn würde.‘ Wo⸗
son aber die Zahlung dann machen, wovon bis
dahin leben ? In‘ der Verzweiflung uͤber!die
Pein durch Die klẽinen Leute, hatte er, nebft dem
geſchenlten Gelde, auch zugleich fein ganzes Bis⸗
chen noch uͤbriger⸗ eigener Baarſchaft weggewor⸗
fen. Dieſer Verluſt, verbunden mit den Merk—⸗
malen der ausgeſtandenen Marter an feinem gan⸗
son Körper und befonders an den von ben Spo⸗
184
gackte noch allzu heftig durch feine Glieder und
es fiel ihm die Ungelegenheit ein, mit der ihm
die Dame gebroht hatte, weun er ein Unmürdiger
ſeyn follte. Da dachte denn unfer Schue.der alfo :
Beim erften Kufle war ed ſchon ſchlimm genug,
beim zweiten. kam ich durch den färchterlichen
Anblick ihres Rachens und der YBush, mit ber
fie mic) zufammenrüttelte, in Gedanken bereits
um's Leben, Wenn nun ihre Wuth das brüte
Mal wiederum ſteigt, was bleibt ihr dann noch
äbrig, als mich wirklich zu zerreißen? Da hätte
fie denn wegen der Ungelegenheit wirklich recht
gehabt; "denn ungelegener könnte. mir. ſchwerlich
etwas fommen, als ein. fo bdier ſchneller Tod!
Zugleich, aberfann er fein zeitheriges. Leben
noch einmal: und jetzt fand er, daB das Erfore
derniß, ein reiner, ehrlicher Junggeſelle zu ſercn
verſchiedene Auslegungen erleiden koͤnne. Im
| Sail man nämlid) die Neinheit der Gefinnungen
in Anſchlag brachte, ſo war ’ed mit ihm. nichk
ganz richtig: Deun Hedchen haste er das gegen
‚bene Wort wirklich nicht, gehalten. Freilich bloß
ans Furcht vor der Didnungsliebe. und den gen
woͤbulich fehr gerechten Borwürfen des Maͤdchens.
Die Sache blieb indeſſen immer, mochte der Grund,
auch ſeyn, weicher ex wollte. |
Zwar kraͤnkte es ihn tief in ber. Seele, deß
ex. das große. Gihck von der. Hand laſſen follte,
169
die leibbafte Pringeffin ſelbſt an bie Stelle des
Bildes treten follte. Be
Um ja nicht noch einmal unverrichteter Sache
ebguzichen, predigte er ſeinem ftarkllopfenden. Hera
zen ohne Aufboͤren ‚von der Tugend bes Muthes
mb dem Laſter dei Feigheit vor. Trotz dem aber
rieſelte ihm, zald ur auſsging, um die Höhle aufs
zuſuchen, ein ziemlich ftarker Schauer durch alle
GSlicder, Von den Leinen Leuten beſorgte er
zwar nichts, weil fie auch neulich, ſogleich nach
Enpfahge der unterirdifchen Güter, ihret Wege
gegangen ‘waren, deſto fuͤrchterlicher aber ſtellte
er ſich die Geberde der Prinzeſſin beim dritten
Kufſe ver; Er uͤberwand jedoch alle Schen und
Bing auf die ihm mohlbelannte Gegend grade zu;
... Mber. wer nicht da war, das war: der Berg
mit der eiſernen Thuͤre. Nirgends entdeckte er
ihn, fo DaB er glauben mußte, die Prinzeſſin ſey
ihm vdilig verloren und habe in der Verzweif⸗
lung über ihre troflofe, hülfsbedürftige Lage doc)
noch Dett Zauberer geheisathet,.der ihr Die Schlan⸗
genhälfte angehert hatte, -
Meiſter Wipper fland jetst wiederum auf dem
Flecke, worauf er feit Kurzem fchon verichiedente
lich ficy befunden, Eine benachbarte Buche ſtreckte
ihren ſtaͤrkſten Nebenaſt fo tief zur Erde herab,
als ob fie ihm. zu einem beffern Xeben den Arm
reſchen wolle, Wirklich hatte er auch bereits fein
186
(in der Verachtung der unterirbifiken Schaͤtze
gieb und deshalb zur Rede fette, |
Dagegen wollte denn Meifter Wipper freilich |
vernünftige Worftellungen machen. Allein Diefe |
Hingen den Buͤrſchchen zu einem Ohre hinein, zu
dem andern wieder heraus. Sie beftauden bars
auf, daß er Baarfchaft und alled aus dem Gars
ten Genommene zurüdlaffe, und weil er fi) hier⸗
zu nicht gutwillig verfteben wollte, fo arbeiteten
ſie fi) von allen Seiten an ibm hinauf, als ob
er eine Kletterfiange geweſen wäre. Einige Inipe
pen ihn in die Waden, ındep andere nad) Taſchen
and Schultern krochen und fragten und fließen.
Und wenn er einige abgeſchuͤttelt hatte, fo ſaßen
gar bald noch einmal fo viele an ifm und dräd
gen und zwidten und Prallten und haͤmmerten
dermaßen auf den armen Krenzträger: los, daß
er vor Schmerz laut auffchreien mußte, Und je
mebr er ſchrie, deſto mehr von dem Beinen Ge⸗
ſchmeiß rannte. herbei, um an dem Spaße Theil
zu uchmen. Sie waren: von allen Ständen und
Altera und ganz wie die Menſchen auf der Obers
welt beichaffen, nur daß fie eine überaus Heine, ,
zum Theil winzige, Statur harten. Beſonders
peinigte ihn einer: in, vitzexlicher Tracht, der auf
feiner Nafe ritt und dazu won beiden Seiten wit
den Sporen einhieb, als ob er in Einem Tage
De and Ende der Welt gu reiſen gedaͤchte.
38
Mochte auch Meifter Wipper ſchuͤtteln fo viel er
wollte, dad Kerlchen war .fattelfeft wie Fein Ans
derer und ſchien Zeit feines Lebens. diefe Urt zu
zeiten betrieben zu baben.
Der Schneider , der feiner Angſt Fein Ziel mehr
wußte, w warf endlich in der höchften Verzweiflung
ſaͤmmtliche Goloftüde aus den Händen, Ierte
auch feine Taichen völlig.
Da ließen denn auf Einmal die Tleinen Leute
von ihm ab, madıten grode Kratzfuͤpe, wänjchten
wohl zu leben ‚und fchlugen dazu cin fo durchs
dringended Gelächter auf, daß Meifter Wipper
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erſchoͤpft
in die gewoͤhnliche Welt zuruͤckgelangt war, wo
der Mond der Sonne hereits Platz gemacht hatte,
Zu Haufe bekam der Schneider einen harten
Kampf mit dent Wirthe, der fich jedoch am Eude
auf einige Mochen verträften ließ, weil er wohl
einiah, daß aus dem Geräte des Schuldners
nar wenig oder nichts Zwlßfen ſeyn wuͤrde. Mos
von aber die Zahlung dann machen, wovon bis
dahin ileben ?_ In der Verzweiſſung über !bie
Pein. durch die klrinen⸗Leute, hatte er, nebft dem
geſchenkten Gelde, aid) -zugleic) fein ganzes Bis⸗
chen noch Äbtiger; "eigener Baarſchaft weggewor⸗
fen. - Dieſer Verluſt, verbunden mit den Merk⸗
malen ber ausgeftandenen Marter an feinem gan⸗
zon Koͤrper und befonderd an den von ben Spo⸗
182
Yen ſchon war es ihm, ald oh bie Pringeffin vie
allen ihren Kiften und Kaften und Kronen und
Thronen fein eigen wäre. Er glaubte nämlich,
die erforderliche Reinheit zu befitsen, machte auch
ſogleich Anftalt zum erften Kuſſe. Doc vere
bat er fi) zuvor alle Cinmiſchungen des Schlane
genſchweifes.
Beſorge nichts, antwortete die Prinzeſſin. Was
vorhin geſchab, war Beſtrafung des Vorwitzes.
Jetzt aber‘, wo es ernſte Dinge gilt, jetzt magſt
Du ganz getroſt zum Werte fhreiten und Dich
nicht abſchrecken laffen, wie viel Widriges Du
audy :während des Kuſſes an mir wahrnehmen
yomi;- "
Hiertiuf neigte denn Meifter Wipper in aller
Demürh und Beicheidenheit feine Lippen nad) ih⸗
ve Munde binhber, Aber ald ob die ganze
Natur des untern, thieriſchen Theils ihres Leibes,
ꝓId tzuch auch in den menſchlichen obern Theil
uͤbergehe, fo verzog fi) dei dem Kuſſe das Ges
fiht ber Prinzeſſin. Ihr Mund ging fo weit
anf, daß er ſich gar nicht mehr aͤhnlich ſah, und
die Augen fchoffen Tigerblide ; dabei fchlugen ſich
‚Ye Hände gleich Krallen in die Schultern des
Kuffenden, fo daß diefer felne Zuflucht zu einem
andichtigen Bater unfer nahm, Damit er weunig⸗
ſtens die Seele ſichere, wenn es auch um feinen
Lab geichehen jeyn ſollte.
198°
waͤrts herum gefragt haft und Übera mit lan⸗
ger Nafe abgezogen bift, nun foll Hedchen doch
wieder gut genug Teyn ? Nein, mein Schöner,
daraus kann ninnmermehr etwas werden,
Ei, dachte Meifter WBipper, die ſplelt ja Hed⸗
chen fo ohne Anftoß, daß, Pennte ich ihr Geſicht
nicht allzugut, ich felber irre Daran werben würdet
Je fefter er aber überzeugt war, bie Prinzeffin
vor fi) zu haben, befto leichter wurden ihm die
füßen Worte, fo daß auch das Mädchen, trog
der gegebenen abicplägigen Antwort, gar bald
ondered Sinned ward, ihn felbft bei den Alten
einführte,, und dieſen vorſchlug, der frühern Uns
bilden feine Erwähnung zu thun. —
Lange war Meijter Wipper nicht fo wohlge⸗
muth zu Haufe angefommen, ald dasmal. Ade,
du Dachſtuͤbchen, ade, du trauriger Schreider⸗
tiſch! rief er aus. Endlich fehe ich mich doch
am Ziel meiner Wuͤnſche; endlich werben meine
Hände einmal die verhaßten Nadeln und Schee⸗
ten entrathen Tonnen —
Um diejed Ziel noch mehr zu befchleunigen,
lieg er auch gar nicht eher nach, als bis das
Aufgebot in der Kirche geſchah und alle andere
Vorbereitungen getröffen wurden, ,
Hedwigs Aeltern fdyienen übrigens wirklich,
ſo wenig als ihre Verwandten und Bekannten,
iu wiſſen, daß fie ein ganz anderes Mädchen,
Veſpenſterbuch. 5. Tpeil, n
Lo. J —
184
noch allzu heftig durch feine lieber ur
es fiel ihm die Ungelegenheit ein, mit ber ihm
die Dame gedroht hatte, wenn er ein Unwuͤrdig er
feyn follte. Da dachte denn unfer Schue.der alfo =
Beim erften Kuffe war ed ſchon ſchlium genug,
beim zweiten. kam ich durch den fürchterlicheag_
Aublick ihres Rachens und der Wurb, mit der
fe mich zufammenrüttelte, in Gedanken bereits
um's Leben. Wenn nun ihre Wuth das britte
Mal wiederum :fleigt, was bleibt ihr dann noch
Abrig, als. mich wirklich zu zerreißen? Da hätte
fie denn wegen der Ungelegenheit wirklich reche
gehabt; denn ungelegener koͤnnte mir ſchwerlich
etwas. kommen, als ein. fo böfer fehneller Tod!
Zugleich äberfann er fein zeitheriges. Leben
noch einmal: und jetzt fand er, daB das Erſor⸗
derniß, ein reiner, ehrlicher Junggeſelle zu ſeym
erichiedene. Auslegungen erleiden koͤnne. Im
| man naͤmlich die Meinheir der Gefinnungen
in Anfchlag brachte, ſo war red mit ihn. nichk
ganz richtig· Deun Hedchen haste er DaB. gegen
‚bene Wort wirklich nicht. gehalten. Freilich bloß
and Furcht vor der Ordnungsliebe und Den gee
woͤbulich fehr gerechten Vorwürfen ded Maͤdchens.
Die Sache blieb indeſſen immer, mochte der Grunh
auch ſeyn, welcher er wollte.
Zwar kraͤnkte es ihn tief in der Seele, daß
ex. das große. Gihck von der. Haud laſſen follte,
385
Siher beſſer iſt doch beſſer! dachte er, ſab De
Prinzeſſin wehmäthig an und tagte: Ude, Allere
ſchoͤuſte! Mit Eurer Ungelegenheit habt Ihr mir
einen allzuargen Floh in's Ohr geſetzt.
Als er nun wirklich davon ging, fo begany
die Prinzeffin, zu weinen und zu wehllagen und
rad): Warum, Du loſer Knecht, haft Du meis
ne fürflichen Kippen zwei Mal entweiht, wenn
Du, Did zu ſchlecht fühltek, das große Werl
auszuführen? Warum haft Du mich, die Dich
ſo buch zu erheben dachte, alſo tief eruicbriger 2
Barum — — .
Doch der Schneider aus Aurcht, bie Thraͤnen
und Vorwuͤrfe der Schoͤnen koͤnnten ihn, mohl
noch zum dritten Kuſſe verleiten, eilte fo ſchnell
hinweg ,. daß ihre letzte Frage gar nicht, bis zu
feinem Dhre, drang. .
Will froh, ſeyn, fagte er, daß ich Tafchen und
Haͤnde voll habe ; will damit eine huͤbſche Einrich⸗
tung anfangen und Geſellen halten, die ſtatt mei⸗
ner arbeiten, und mir's auf. ber Welt recht wohl
ſeyn laſſen.
Kaum aber hatte er's ausgeredet, als auch
ſchon um. ihn. herum ein. erſchrecliches Getuͤmmel
non Heinen; hoͤchſtens einer Spanne langen, Leute,
den eutfiand, ‚deren einer. ihm ein Goldſtuͤck, das
Der Meifter. vorhin beim, Wiederaufſammeln des,
Verlor enen äberichen haste, vor. Augen hielt, und,
486
(in der Verachtung der unterirdiſchen Schaͤtze
zieh und deshalb zur Rede ſetzte.
Dagegen wollte denn Meifter Wipper freilich
vernünftige WVorftellungen machen. Allein viele
Hingen den Buͤrſchchen zu einem Ohre hinein, zu
dem andern wieder heraus. Sie beftauden bare
auf, dad er Baarſchaft und alled aus dem Bars
ten Genommene zurüclaffe, und weil er ſich hier⸗
zu nicht gutwillig verſteben wollte, fo arbeiteten
fie fi) von allen Seiten an ibm hinauf, als vb
er eine Kletterflange gewefen wäre. Einige knip⸗
pen ihn in die Waden, indeß andere nad) Taſchen
and Schultern krochen und kratzten und fließen.
Und wenn er einige abgeſchuͤttelt hatte, fo ſaßen
gar bald noch einmal fo :viele an ihm und. drädh
sen und zwidten und. trallten und Sämmerten
bermaßen auf den armen Kreuzträger- 106, daß
er vor Schmerz laut auffchreien mußte. Und je
mebr er fchrie, defto mehr von dem- Beinen Ge⸗
ſchmeiß rannte. herbei, um an dem Spaße Theil
zu nehmen. Sie waren von allen Stäuden und
Altera und ganz wie die Menſchen auf der Obers
welt beichaffen, nur daß fie eine überaus Heine, ,
zum Theil winzige, Statur harten. Beſonders
peinigte ihn einer: in vittenlicher Tracht, der auf
feiner Nafe ritt und dazu won beiden Seiten wit
den Sporen einbieb, als ob er in Einem Tage
dis ans Ende der Welt gu reifen gedaͤchte.
—*
Mochte auch Meiſter Wipper ſchuͤtteln fo viel er
wollte, das Kerlchen war ſattelfeſt wie kein An⸗
derer und ſchien Zeit feines Lebens dieſe Art zu
geiten betrieben zu haben. j
. Der Schneider , der jeiner Ungft fein Ziel mehr
wußte, warf endlich in der hoͤchſten Verzweiflung
ſaͤmmtliche Goldſtuͤcke aus den Hauden, Iserte
auch feine Taſchen völlig.
Da ließen denn auf Einmal dfe Heinen Leute
von ihm ab, machten grode Krabfäße, wünjchten
wohl zu deben .und fchlugen dazu cin fo durch⸗
dringendes Gelächter auf, daß Meifter Wipper
es noch hörte, als er ſchon athemlos und erfchdpft
in bie gewähnlicye Welt zurügfgelangt war, wo
der Diond her Sonne bereite Platz gemacht hatte,
Zu Hauſe bekam der Schneider einen harten
Kampf mit dem Wirthe, der fich jedoch am Ende
auf einige Wochen vertrhften ließ, weil er wohl
einſab, daß aus dem Geraͤthe des Schuldners
nur wenig oder nichts zwlbien ſeyn würde.‘ Wo⸗
von aber die Zahlung dann machen, wovon bis
dahin "tehen ? In der Verzweiflung über 'bie
Pein. durch die Heinen-Leute, hatte er, nebft dem
geſchenkten Gelde, auch zugleich fein ganzes Bis⸗
chen noch Äbriger; eigener Baarſchaft weggewor⸗
fen. - Diefer Verluſt, verbunden mit den Merk⸗
malen der audgeftandenen Marter an feinem gan⸗
zen Körper und befonberd an den von ben Spo⸗
so
ren aufgeriffenen Baden überzeugte ihn auch,
daß die Begebenheit kein bloßer Traum geweien
war, wefhe. ex fie fon wohl gehalten haste. .
Ach, wenn er feinen troſtloſen Zuftand be—
Dachte, fo verwänfchte er’8 taufendmal, dem brite
ten Kuß wicht gewagt zu haben. Traun, fo ie
er aus, jetzt moͤchte ich mich ſelber zerreißen von
wegen des Haſenherzens, das mir zugefallen iſt.
Wollte doch Gott, daß ich niemals auf dein Ge⸗
danken gerathen wäre, das träbfelige Schneiders
handweri au erlernen ! Denn zwiſchen Nadel,
Scheere und Buͤgeleiſen ſcheint der Kind) groß,
gewachfen zu feyn, der mir den Weg zu meinem‘
She vertreten hat. Ich Tmare der Mann’ el⸗
ner wunderfchbnen Zürftin werden! Und da ſteht
der feige Schelm an, ein Leben daran zu wagen,
das er entweder gar nicht mehr „ ober doch nur
in Sgande, Elend und ‚Kater behaupten Kann?"
¶ Der Gcdonke maghen den Meiften, gayz, Ale
Fanig.ı uud, der naͤchſte Vollmond war ‚ach feine,
ensigr.Sip ang, wo er [73 ein Herz fatſn, den.
Berg wicher. aufiudyen und. ben, dritten Kol au
Stande bringen wollte, Inzwiſchen (ah. em .wie-
feinen Mund theils mit Borgen, tHeifd. bei Bea.
kennten durchbrachte. „Das Bild der ſchoͤnen
Prinzeffin Rand wit ihm. auf und ging wit. ihm..
gu Bette, bis endlich die Racht anhrach, in der
169
die leibbafte Prinzeffin felbft un bie Stelle des
Bibes :treten follte: :: u
Um ja nicht noch einmal unverrichteter Sache
abgnziehen, predigte er ſeinem flarlllopfenden. Her⸗
gen obne Auiboren: von der Tugend des Muthes
und dem Lafter der Feigheit vor. Trotz dem aber;
rieſelte ihm, als er audging., um bie Höhle aufs
zufuchen, ein ziemlich ſtarker Schauer dur alle
Slider. Bon den Aleinen Leuten beforgte et
gwar nichts ,. weil fie auch neulich, ſogleich nach
Empfahge der unteritdiſchen Güter ‚ ihrer Wege
gegangen ‘waren; deſto fuͤrchterlicher aber Kclite
er ſich die. Gederde der Pringeffin beim dritter
Rufle vn: Er uͤberwaund jedoch alle Echen und
Bing auf bie ihm wohlbekannte Gegend grade zu;
... Aber: wer nicht da war, das war. der Berg
mit :der eiſernen Thure. Nirgends entdedte ee
ihn u fo daß er glauben mußte, die Prinzeſſin (ey
ihm vällig verloren und habe in der Verzweif⸗
lung über ihre troftiofe, huͤlfs deduͤrftige Lage doch
noch dett Zauberer geheisathet,. der ihr die Schlans
genhälfte angehert hatte.V
.Meiſter Wipper ſtand jetzt wiederum auf dem
Flecke, worauf er ſeit Kurzem ſchon verſchiedent⸗
lich ſich befunden: Eine benachbarte Buche ſtreckte
ihren ſtaͤrkſten Nebenaft fo tief zur Erde herab,
als ob fie ihm. zu einem beſſern Leben den Arm
seichen wolle, Wirklich harte er auch bereite fein
98
ren aufgeriffenen Baden übergengte ihn auch,
Daß die Begebenheit fein bloßer Traum gewefen
war, wefür ex fie fonft wohl gehaltei hätte, .
Ach, wenn er feinen trofflofen Zuftand be⸗
dachte, fo verwuͤnſchte er's taufendmal, den brite
ten Kuß nicht gewagt zu haben. Traun, fo riet
er aus, jetzt moͤchte ich mich ſelber zerreißen von
wegen ded Haſenherzens, das mir zugefallen ik
Wollte doch Gott, daß’ ich niemals auf den Ges
danken gerathen wäre, dad träbfelige Schneiders
handwerk zu erlernen! Dem zwifchen Made:
Scheere und Bügeleijen ſcheint der Fluch groß
gewachfen zu feyn, der mir den Weg zu meinem
Glicke vertreten hat. Ich konnte der Mann ’els
ner wunderfchdnen Fürftin werden! Und da ſteht
der feige Schelm an, ein Leben daran zu wagen,
Dad er entweder gar nicht mehr, oder doch nur
in Schände, Elend und Kater behaupten tann? ”
Der Gcdanke maghſe den Meiften, gap5,: tiefe
finnig, uud. der nächfte Vollmond way nad feine,
einzige Hoffnuug⸗ wo er fi; ein Herz faffen, den
Berg wicher. aufſuchen und ben ‚dritten —
Stande bringen. wollte. Inzwiſchen fake wie:
es feinen Mund theils mit Borgen, theis bei Yen
kannten durchbrachte. Das Bild der ſchoͤnen.
Prin zeſſm fand mit ibm. auf und ging mit ihm.
ax Bette, bis endlich, die Nacht anhtach, in ber.
189
bie leibbafte Prinzeffin ſelbſt un bie Stelle des
Bildes treten follte: -:
Um ja micht nod) einmal unverrichteter Sache
abguziehen, predigte er ſeinem ſtarkllopfenden Her⸗
zen ohne Aufhoͤren von der Tugend des Muthes
und dem Laſter det Feigheit vor. Trotz dem aber
rieſelte ihm, als er addging., um bie Höhle auf⸗
aufuchen, ein ziemlich ſtarker Schauer dureh allg
Bde ' Bon des kleinen Leuten beſorgte er
zwar nichts, weil fie auch neulich, ſogleich nach
Empfange der unterirdiſchen Guͤter, ihrer Wege
gegangen waren, deſto fuͤrchterlicher aber ſtellte
er ſich die Geberde der Prinzeſſin beim dritten
Kuſſe vor; Er uͤberwaund jedoch alle Schen und
ging auf die ihm wohlbekannte Gegend grade zu;
.Aber. wer nicht da war, das war der Berg
mit der eiſernen Thire. Nirgends entdedte er
ihn » fo daß er glauben mußte, die Prinzeſſin ſey
ihm vdllig verloren und habe in der Verzweif⸗
lung über ihre troftlofe, huͤlfs deduͤrftige Lage doch
noch. dett Zauberer geheisathst,. der Ihr Die Schlans
senhälfee angebert hatte, -
2. Meiſter Wipper fand jet wiederum auf dem
Fleche, worauf er feit Kurzem ſchon verichiedente
lich ſich befunden: Eine benachbarte Buche ſtreckte
ihren ſtaͤrkſten Nebenaft fo tief zur Erde herab,
als ob fie ihm: zu einem beflern Xeben den Arm
seichen wolle, Wirklich hatte er auch bereite fein
190
Schnupftuch zur Hand genomnten und es mie
den Hals geſchlungen, als ſein banges Herg den
Entſchluß wie gewoͤhnlich entzweiſchlug.
Wielleicht war ihm dasmal unter ander and)
der. Umitand binderlih, Daß er in einiger. Entfer⸗
nung bad Lachen der kleinen Leute ju vernehmen
dlaubte, worin er fie burch feinen Tod nicht. be⸗
ſtaͤrken wollte. . Yu
Ohne zu bedenken, daß dergleichen leichtferti⸗
ges Gefindel im Schlafe. der Menſchen oftmals
den ſtaͤrkſten Einfluß auf dieſe aͤußert, legte er
ſich daher in's Gras nieder und gerieth gar bald
dor Ermuͤdung in ziemlich tiefen Schlummer,
Da träumte-ihm denn, daß die unterirdiſche Prin⸗
zeſſin, wer weiß durch welchen Zufalf, ſtatt des
Schlangenſchwanzes, vor der Hand vermathlich
nur erſt zum Scheine, wieder Beine bekommen
und aus Liebe zu ihm ihre. Häple verlaſſen habe,
und fidy in Hebchend Urgnge zeige, um ihm den
dritten, gefürchteten Ruß zu erleichtern. ° _
Obſchon die Sache im Garten von. Hedchens⸗
Aeltern vorfiel, auch das Mäddyen ber. Prinzeſſin
Zuge wicht verläugnen Ionnte, bezeigte fie Doch
großen Unmillen, ald ber Meifter fie.bei ihrem '
vornehmen Namen nanıite, und fagte: Ah Bin
nichts mehr, ald wofür ich mid) ausgeba, und
wer etwas anders in mir. Keht, der mag mich mit
feiner Anrede ungehubelt laſſen. nn |
| |
191
‚ha, dachte da der Schneider, vermuthlich will
fe dich prüfen, ob du auch fie ſelber und nicht
ren hohen Stand allein liebeſt, nad that Daher
von nun an ganz, als ſey es Hedwig, voflbrachte
den Kuß gluͤcklich, und drang dann auf recht bal⸗
dige Trauung.
Das gidßte Raͤthſel fand er darin, wie ſie
grade an Hedchens Aeltern gekommen war, und
daß diefe ſich die Sache ſo gutmüthig gefallen
ließen und die Komoͤdie fo ohne Anſtoß mitipiels
ten, als ob die Prinzeffin wirklich kein Menſch
anders, als ihre Hedwig ſey. |
Das Hochzeitfeſt „ging auch vor fi ch und Dei
ſtex Wipper führte bie, Braut am Abend in feine
geringe Wohnung. Am folgenden Morgen aber,
als er erwächte, da. fab..er plöglich alles verwans
beit und die Prinzeffin in Zürftenpracht neben fich,
ab dem ebenfalls ein reicher Anzug einen ganz
andern Dienfchen ‚gemacht harte. Die hoben,
weithinlaufenden Wände glänzten von Gold und
Gifenbein, und das: erfie Wort der Prinzeſſin
wer: Nun, Händchen, bift Du mit mir zufrieden ?
Die. Antwort. ward, ihm jedoch durch Das in
demſelben Augendlice erjolgende Aufwachen er⸗
ſpert.
Nach fo, kdoſtlicher Ausſicht fand er ſich unter
der Buche, deren Leitung in ein beſſeres Leben
oe vorhin beinahe angenommen hatte, noch immer
193
flegen, und ſeinen Zuſtand nur in fo fern wein
dert, ald immittelft der Morgen angebrochen war:
Der Traum war indefien dem Meifter viek
zu bedeutſam, um ſich fetter ſofort ya kiitſchlagen
Wie manchem, fo tröftete ei ſich, hat bas Glaͤck
nicht ſchon im Traume den Weg gezeigt, worauf
es ihn zu finden denkt; und einen- Verſach iſt der
Wint fchon werth.
it Hedchens Aeltern war er Freilich —*
len, ſo daß ſie ſicher große Augen machtem, wenn
er ihre Schwelle wicder betrat,
‚Meinetwegen ! Hat. der Traum wicht gets
gen, fo fiid fie auf alles: vorbereitet, ſagte er,
und ging graden Weges auf den. (om gar wohl
befannten Garten zu. . ..nd
Durch ein Aſtloch in der Brenwamd er
fofort, daß fich alles nach Wunfche verhielt; Es
{ad die leibhafte Prinzeffin in Hedwigs Unzuge
vor einer Laube ſitzen und ftriden. Da ihm noch
in frfichem’ Andenken war, "Wie abe es ihm Die
hohe Perſon im Traume genommen hatte, ale &
fie nicht fogleich für- Hedchen ſelbſt hatte halten
wollen, ſo nahm er ſich vor, Ihr dieſen Verdruß
im Wachen zu erſparen, ging hinein und-fagret
Buten Morgen, ſchoͤnes Hedchen! Alte Aebe
roſtet doch nicht‘, und ich komme jetzt, Dich, we⸗
gen des Bergangenen um Vergebung zu bitten:
So, verſetzte das‘ Mädchen, nun Du aller⸗
Le on einen He een. SEE RR Fr Trn Bine et - |
- * — * —A—
195
wärtd herum gefragt haft und überall mit lan⸗
ger Nafe abgezogen bift, nun foll Hedchen doch
wieder gut genug Teyn? Mein, mein Schöner,
daraus kann ninnmermehr etwas werden,
. Ei, dachte Meifter Wipper, die fpielt ja Hed⸗
‚chen fo ohne Anftoß, daß, Tennte ich ihr Geficht
nicht allzugut, ich felber irre Daran werben würde !
Je fetter er aber überzeugt war, bie Prinzeflin
vor fich zu haben, befto leichter wurden ihm die
füßen Worte, fo daß auch das Mädchen, troß
der gegebenen abfchlägigen Antwort, gar bald
anderes Sinnes ward, ihn felbft bei den Alten
einführte, und diefen vorjchlug, der frühern Uns
büben feine Erwähnung zu thun. —
Lange war Meifter Wipper nicht fo wohlge⸗
muth zu Haufe angefommen, ald dasmal. Ade,
‚du Dachftübehen, ade, du trauriger Schneiders
tiſch! rief er aus. Endlich fehe ich mich doch
am Ziel meiner Wuͤnſche; endlich werden meine
Hände einmal die verhaßten Nadeln und Schee⸗
ten entratben koͤnnen —
Um diejes Ziel noch mehr zu befchleunigen,
ließ er auch gar nicht cher nach, als bis das
Aufgebot in der Kirche geſchah und alle andere
Worbereitungen getröffen wurden, |
Hedwigs eltern ſchienen übrigend wirklich,
fo wenig ald ihre Verwandten und Bekannten,
‚zu wiffen, baß fie ein ganz "anderes Mädcheiy
Geſpenſterbuch. 5. Theil, N
m.
198
als ihre Tochter vor ſich Hatten, bie nach des
Braͤutigams Vermuthung unfehlbar durch Zaus
berkünfte einftweilen aus dem Haufe geführt wors
den war. MWebrigend nahm ed Meifter Wippern
um fo mehr Wunder, da die Prinzeffin doch ganz
anders als die Abweſende ausſah. Im Betragen
wußte fie fich übrigens der Schneiderstochter vol⸗
lig gleich zu zeigen und hielt dern Bräutigam gar
oft feinen Unfleiß vor, behauptend, daß er als ihre
Ehemann ein ganz anderer Menich werden müffe,
Freilich ein ganz anderer Menſch! pflegte er Da
laͤchelnd zu fagen , und Tonnte die Zeit kaum ers
warten, wo er bis dahin gelommen feyn würde. —
Bei der Hochzeit ging es für die Kräfte der
Schneiderfamilie gar hoch her, und ald Wipper
Abends mit der Braut in feiner Behaufung ans
langte, da freute er fich fchon kindiſch auf das
Erwachen und die Verwandlung am folgenden
Morgen. —' -
Defto größer war fein Erftaunen, als er, wie
es fchien, von einem Gelächter aus dem Schlafe
aufgefchredt wurde, und zwar die Morgendänts
merung aber auch Dachfenfter und Schneidertiich,
mit einem Worte: das ganze alte Elend um ſich
ber erblickte.
Das Gelächter ſchien fogar zuzunehmen und
Draußen vom Dache hereinzufommen. Sogleich
Iprang er and dem Bette und nach dem Fenſter.
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‘ 195
Allein ob er ſchon in ben Worten: Profit, Em.
fhrftlihe Gnaden! die ihm von draußen entgegens
{chollen, die Stimme des nämlicyen Fleinen Mans
nes, deffen Ritt auf feiner Nafe ihm ewig in Ans
denken blieb, deutlich von den Uebrigen unterfcheis
Den konnte, fo gewahrte er doch nicht das Min⸗
deſte. Ohnſtreitig waren bie kleinen Leute In- Nies
beltappen, worin fein ſterbliches Auge fie ents
decken konnte, auf das Dach geklettert.
So lacht und ſchwatzt Euch meinetmegen fatt! -
rief Meifter Wipper, warf das Fenfter zu und
legte ſich wieder gu Bette, in der Meinung, daß
das nedifche Gefindel ihn zu früh aufgewedt has
be, und dad glüdlichere Erwachen jchon noch
folgen werde.
Allein Faum mochte er wieder eingefchlafen
feyn, als ein heftiges Mätteln ihm durch ben
ganzen. Körper fuhr. Nun, Siebenfchläfer, fo
rief ferne Frau ifm zu, der Feſttag iſt vorüber,
jet wird es endlich Zeit zum Arbeiten !
Da raffte fi) Meifter Wipper jähnend auf
und rieb fich die Augen immer mehr und mehr,
und der Mund blieb ihm offen flehen und bie
Schlafmäge fiel ihm vor Schreden aus der Hand,
als aller Zweifel verſchwunden war, daß er, flatt
der Prinzeffin, Hedchen felbft zur Frau bekom⸗
men batte.
Jetzt begriff er dad Lachen.der Kobolde, das
N 2 |
196
fi aufs Neue draußen vernehmen Heß, vdllig.
Erft Hatten fie ihm den Traum zugefchidt, und
dann auch im Wachen fein Auge fo in der Ber
thörung gehalten, daß ihm Hedchen, die alle ans
dere in ihrer wahren Geſtalt fahen, fälfchlich wie
die verwünfchte Prinzeflin vorgekommen war.
Nun mußte er fich wohl in Alles ergeben, fo
faner es ihm auch wurde. Für Arbeit harte Heds
chens Vater fchon geforgt und bie Neuverehelichte
ruhte und raftete nicht, bis er fid) darüber here
machte und bid er nach und nach überhaupt bie
‘alte Arbeitfchen ganz aufgegeben hatte,
Ein firenged Hausregiment führte fie freilich,
as Meifter Wipper aber in der Folge einfah,
daß er ſich weit befier, als zuvor dabei befand,
und daß er ohne einen foldyen Arzt fchwerlich
zur Ordnung hätte gebracht werden konnen, da
vergab er's den Fleinen Leuten recht gern, daß
fie ihm mit der Prinzeffin fo zum Beften gehabt
hatten, pflegte auch feine Frau am liebften feine
Dausehre zu nennen, weil durch fie wirklich
ganz allein die Ehre feines Hauſes und ſeines
Lebens gerettet worden war,
197
Die Schuhe aufden Stangen,
Ein Schwant nah D. Martin £utber,
Als in der HM ein Satanas
Gaͤhnend auf feinen Lehnſtuhl faß,
Meint’ er, es brächt: ihm wol Gewinn,
Thaͤt' er einmal die Welt durchziehn;
Könnt’ Einem den Weg zum Himmel verhegen,
Den Andern ein Ei in die Wirthfchaft lagen,
So fuhr er durch das Höllenthor
Zum ſchoͤnen Sonnenlicht empor.
Und wie er aus der Erd”. gefliegen,
Sah' er eine Stadt groß vor fich liegen,
Da ging viel’ Volks Thor aus Thor ein,
Satanas denkt: ich muß auch hinein!
Streicht füch fein Horn dicht an den Schepf;
Lockt ſich Darüber den Tiruskopf; -
Dehnt feine Hofen weit und lang, |
Daß niemand den Teufel merkt’ am.@ang.
Und weil ihn die Hoͤllenglut fchwärzlich gemacht,
©ilt er für fremd und wird hoch geacht't.
Am Thor war eine Kirch) zu ſchaun,
Darein ſich drangen Männer und Fraun,
TR
\
206
Satanas ärgert fich ſchwarz darum, °
Läuft wie befeffen im Selb herum, En
Endlich ein altes Weib er fand,
Scheußlich von G'ſicht, ganz grau von Owen
Und wie er fommt zu ihr beran, ’
Fragt fie, womit fie dienen Tann ?
Weil fie nun. wieder und wieder fragt,
Satanas feine Noth ihr klagt.
Die Alte fpricht : Iſt's das allein,
Da mußt du Bein rechter Teufel ſeyn;
Zwei Liebesleute zufammen zu hetzen,
Braucht man fich nicht außer Athen zu feen,
Heut herzt noch jedes feinen Schatz,
Morgen find beide wie Hund und Katz.
Satanas freus fich, wie. fie das fpricht,
Streichelt ˖ der Alten das Herengeficht,
Kuͤßt Stirn und Backen ihr roth mie Mennig,
Verheißt ihr dazu einen goldiien' Pfennig,
Brächt fie das Kiebespaar in Haß.
Die ſchimpft: du filziger Satanas,
Um fo einen DBettel und Kleinigkeit
Iſt dir keine Frau zu dienen bereit,
Zwa⸗ ihu ich's nur mich zu amaͤſiren,
Doch du ſollſt nichts dabei profitisen,
Verſprich mir ein paar rothe Schuh!
— Satanas lacht, und fagt ihr den Handel zu,
Die Alte nun zum MWeiblein geht, - ö
Fragt, wies um Haus. und Wirthſchaft ſteht,
7
N
201:
Under Aberall, was nichts taugt,
Bermißt viel, was man nothwendig braucht,
Obn' was zu Rom und zu Pareis
Keine Frau von Welt zu leben weiß.
Die Männer, fpricht fie, find zu genau,
Denken nicht an die Luft der Frau,
Der Eine-lebe felbft gen in Saus und Braus
Und die Frau ſitzt einfam und. hätet das Haus,
Ein Andrer denkt nur, wid er fpare, :
Und die Frau verliert die beiten Jahre.
Wie die Alte dem Weiblein den Kopf erhitzt,
Geht fie zum Mann, der in der Arbeit fikt. - -.
Sprit: ach, ihr armer -geplagter Mann,
Wie firengt ihr Boch Kopf und Hände an!
Kafteiet fogar den eignen Keib,
Spare eud) alles ab für das liche Weib.
Nun, wenn's die Fran nur recht erkennt, -
Zufrieden iſt, und nichts verſchwendt,
Wie die Weiber es jetzt gar dfters machen, -
‚Brauchen immer die theuerſten Sachen, “
Putzen ſich fhönftens fhr den Salan
Und die Mechnung' bezahlt der liebe Man, -
Ich fage das nicht von euch; bewahrt!
Eine gute Frau iſt aber eine Rare, Ä
Der Mann mit halbent Ohr erſt horcht,
Endlich mache ihn doch ‚die Rede beſorgt,
Denkt, er will auf ſein Liebchen achten,
Ob fie nach kitlem Prauk wird trachten,
4
202
Arbeitet dann noch bis Abends fpät,
Und mm vergnuͤgt zur Liebſten geht.
Wie er fie da zum Gruß- will herzen,
Mag fie nicht freundlicy, mit ihm fcherzen,
Hängt den Kopf nieder, wie ein Uglei,
Erzählt, daß fie unmwohl geworden ſey.
Die Luft wär’ jet gar-Lühl und feucht,
Der Anzug. zum Fruͤhjahr etwas zu leicht,
Man trage wol Tücher, groß, wie ein Mantel,.
Doc fo etwas wär’ ein theurer Handel,
Der Mann zu ſolchen Worren nichts fagt,
Der Abend beiden nicht wohl hebagt.
Am andern Morgen denkt der Mann:
Sch hab' meinem Lieb zu viel gethan,
Ein Weib, das alfo jung und ſchoͤn,
Mag ſich gern gepußt und bewundert ſehn.
So geht er hin, kauft ihr ein Tuch,
Wie man's damals nach der Mode trug , .
Heißt 's den Burfchen tragen zu dem Schneider,
Der foll es paden bei- andre Kleider,
Daß fein Lieb den Anzug fäud’ bereit,
Sich um fo mehr darüber freut.
Die Ulte nun fchnell gu dem MWeiblein lauft,
Erzäplt, wie der Mann ein Tuch gekauft,
Es hernach der Schneiderstechter geſchenkt,
An die er fein Herz in Bahlſchaft gehenkt.
Das arme tolle Närrchen glaubt,
Was der alte fcheußliche Sud da ſchnaubt
203
Befolgt den Rath, will auf ver Gaſſen
Bon cinem Gecken ſich führen laſſen,
Daß der Mann felbft vor Aerger ſchan,
Wie Gleiches mit Gleichem vergilt die Frau.
Wie der Dann das ficht, wird er ergrimmt,
Bon feinem Lieb zornig Abfchied nimmt,
Können fi) Beide forthin nicht leiden,
In bittrem Haß von einander fcheiden,
Das alte Weib komme nun herbei,
Kordert ihre Schuß mit lautem Geſchrei,
Da firedt Satan durch das Höllenthor
Zwei meilenlange Stangen hervor,
Auf jeder ein Schub ganz feuerroth,
Und dazu der Alten dies entbot:
Nimm deinen Lohn von den Stangen ba,
Doch meiner Hölle komm nicht zu nah !
Du ,triebft wol felber den Teufel fort,
Derweil’ er mit dir an Einem Ort,
Dean was bem Satanas nicht gelingt,
Kedlidy ein ſcheußliches Weib vellbringt.
Der ausgedacht hat diefen Schwank,
Dem wiflend die guten Frauen Danf,
Denn, wie die Männer hier auf Erden, :
Nicht fo gut,noch fo fchlimm als die Geiſter werden,
So iſt's auch eben in der Welt,
Nur umgelehrt, mit den Fraun beftellt:
Die Guten viel befier ald Engelein,
Die Bdfen Ärger ald Teufel fun. '
Legende
Dar große Karl, der faß einmal,
Zu Worms in feines Thrones Saal
Und zwifchen Grafen und Herren fland,
Dicht vor dem Throne, Herr Taland.
„Herr Zaland, lieber Bruder mein,
Ich muß in’d Sachfenreich hinein,
„Muß dort, das heilige Kreuz zu rächen,
„Der falihen Götter Altar zerbrechen,
„Und bis ich) folches Merk beenbr,
„Führt ihr allhie das Regiment,
„Damit — Gott gebe. dad. in Gnade! —
„Kein Unheil meinen Landen ſchade.
n
„Daneben ſeyd mit guter Macht
„Auf mein Gemahl und Kind bedacht,
„Denn diefe Xieden find mir eben
„Das befte Theil von meinem Leben.
Als Hildegarbis nun von fern
Fortziehn fah den Gemahl und Herrn,
Und faft ihr Hug’ in Thränen brad),
Trat zu ihr Here Taland und fprech: -
205
„O Dame, wie ich keine fah,
„a8 geht mir dein Gefchid fo nad!
„Drum fage, was zu dieſer Hrift
„Sin Troſt in deinen Noͤthen iſt?
„Ich ſwWaffr ihn bir, auch noch fo fern,
„Und wärs vom Firmament ein Gtern,
„Und waͤr's mein armed Leben gar,
„Ob deiner Ruh gaͤb' ich's fuͤrwahr.“
„„Was haͤtte mit dem Leben dein,
„„Herr Taland, wohl mein Troſt gemein ?.
„„Mein einziger Troſt, mein einziger Stern
„„Zog fort mit dem Gemahl und Hertn.““
‘
Als fie nun nimmer nicht vergißt,
Daß der Gemahl beim Feinde if,
Und Herr Taland mit Liſt und Mühen
Sie firebet von ihm abzuziehen ;
Als hun, die Fran fo tugenblich,
Herr Taland uͤberall beſhlich,
Und ihres Herzens fromme. Yuld
Verkehren wollt’ in arge Schuld $
Da Ind die Treue ihn zum Schein
In ein geheim Klofet hinein,
Entfchläpfte drauf und hielt den Baugen
&n dieſem dunkeln Ort gefangen,
206
Dody Kaum erfchaft der Kunde Ton,
Der Sieger kehrt nach feinem Thron, °
So läßt, vor Freude mild und groß, «+
Die Königin den Argen los.
Und als er fo der Haft entrann,
Und drauf das freie Feld gewann,
Eilt er unter wilden Herzensſchlaͤgen
Aldbald dem verrarhenen Bruder entgegen,
„Mein Herr und König, ach verzeiht,
„Wenn ich flatt Wonn’ euch bringe Leid,
„Wenn jet dad Unheil aus meinem Munde
Bergiftet des Sieges füße Kunde,“
nn&o ſprecht, Herr Taland, doch fogleich,
„„Welch Unfall traf mein armes Meich,
„„Oder wohl gar mein liebes Gemapl,
„„Oder mein Kind, oder alle zumal 74
„Nicht Reich, noch Kind! Zu biefer Stund
„Iſt beides, Herr, ſtark und gefund,
über, o dürft” ich doch nimmer fprechen,
„Von dem verruchten, ſchwarzen Verbrechen !
Schon wacht des Königs ganzer Grimm:
„„Sprich, Ungluͤcksbote!““ zürnt er ihm,
And was auch Talands Gewiffen fagt,
Die ſchuldloſe Gattin wird angellagt z
207
„Bie habe verleßt der Treue Band,
„BSefündigt frech an König und Land,
„Und daß Eein Hüter ihr Aug dewache,
„Verſchloſſen Herrn Zaland im finftern Gemache.“
Und Karl befiehle in Zorn entbrannt; .
„„Die Buhlerin, fie ſey verbannt,
„„Und daß ihr Blick ferner dem Frevel nicht tauge,
„„So raubt auf immer das Licht ihrem Auge!““
Wie dyauf Herr Karl auf feinem Schloß
Erfcyeint, da ift die Luft nicht groß,
Denn Hildegardis Mißgeſchick \
Betrübet jeden guten Blick. |
Noch fühlen al? ihre herbes Leiden
Als fie vom Kinde mußte fcheiden, '
Und durch den Spruch, den Karl gefällt,
Syinausziehn in die fremde Welt. —
Inzwiſchen want in düfterm Einn
Die tiefgebengte Königin,
Das Herz beim Kind und dem Gemahl,
Der Gränze zu und neuer Qual,
Die niedern Knechte, ihr Geleit,
Gedenken jebt in Traurigkeit,
Zum erftien Mal, daß um zu enden,
Sie ihr die Augen follen blenden,
208
„O &ott, ruft ihre Dienerin,
„So richteft du die Tugend hin!”
Doch jene zuͤrnt: „„Mit Gott kein Rechten, “
Und wendet mild fich zu den Knechten:
„So nehmt denn dieſes Auges Licht,
„„Seitdem das Liebſte mir gebricht,
„Erregt die Erde mir nur Schmerzen,
„„Den Himmel fchaw ich mit dem Herzen |tn
Allein das Auge, wie verflärt,
Das nach ben Anechten hin fich Eehrt,
Macht, daß das Herz der Karten zagt,
Und Feiner fie zu blenden wagt,
„Lebt wohl, Fran Königin, wir gehn,
„Mag auch, was will, mit und gefchehn }
„Das hohe Nicht des Himmels ſpricht
„Aus Euerm Blick, die Erbe nicht,”
„„Sieh Gottes wundervolle Hand!"
Sagt fie, zur Dienerin gewandt,
Und nimmt vereint mit ihr den Pfab
Gen Rom nun hin, der heiligen Stadt
Doch Karln, dem König, fehlt die Ruß
Und Herrn Talando auch dazu,
Ja, biefer Arge buͤßt den Schein”
Der Augen nun von ſelber ein.
209.
Umfonft ift aller Aerzte Fleiß.
Da zieht er, wie auf Gott's Geheiß.
Zu baden in ded Segens Strom
Mir feinem Bruder Karl gen Rom,
Und fiehe da, kaum find fie hier,
So tritt die hohe Frau herfür,
Beruͤhrt den Blinden und fogleich'
Umfängt ihn neu des Lichtes Reich.
Unb vor ihr nieder ſinkt Taland,
Und ſpricht: „So hat's der Herr gewandt!“
Bekennt freiwillig feine Schuld
Und fleht um NHildegardis Huld,
„„Das gilt beim Xeben, arger Stneche te «
Nuft Karl; doch Gnad’ ergeht für Recht,
Auf Hildegardis frommes Flehn
Darf er nur aus dem Meiche gehn.
Drauf durch des heil’gen Waters Mund
Fleußt neuer Segen auf den Bund
Des hohen Paare, zu Gottes Ehr,
REP, ae ..
v -
Den ſcheidet forthin Feiner mehr ! - , F |
Und zu Gedaͤchtniß der Geſchicht J
Hat Hildegardis aufgericht't id
Ein Klofter, welches hoch erhöht *), |
Bu Kempten diefen Tag noch ſteht. 2
*) Campidona sola judicat ense, stola,
Geſpenſterduch. 3. Theil, Ö
210_
INININITN INS — —
Das filberne Fräulein.
Dei,
da kommen fie!
— rief der Sberforftmeifter Huwald zu
Thür herein — Ruͤſtig! Brüderchen, mach’ dich
auf, das foll ein Feſt werden!
Haft Du Briefe? — fuhr der Landrat
Thalheim von feinem Armfeflel auf — iſi's
gewiß ?
Briefe? — fiel Jener mit lautem Lachen ein
— das muß man Dir laſſen, Du alter Diplo⸗
matiker baͤltſt auf Ordnung. Der Sohn ſoll Dir
wenigſtens alle Woche einmal aus dem Felde
ſchreiben, und auch die Schnepfen notificiren Dir
ſchriftlich ihre Ankunft. Weißt Du nicht, daß
heut’ Okuli iſt? Okuli, da.
Mit Deinen dummen Schnepfen! — unter⸗
brach der Laudrath verdrießlich.
Dumm ? meine Schnepfen? — ſchalt der
Dberforftmeifter — das follft Du mir abs
bitten, Herr Bruder. Setzt nach’ fort! komm)
fie ziehen, Du ſollſt Deine Luft ſehen.
211
Mir iſi's nicht wie Schnepfen und Jagd —
fagte der Landrath — ba, fieh die Jammer⸗
geiihier um mic) ber. Drei Wochen. fi nd es,
daß uns alle Nachrichten fehlen.
Und doc) Hört man ven fo bedentenden Schlach⸗
ten — feßte die Landräthin hinzu — Kann |
man da fo ruhig bleiben ?
Als od ein Officier nichts mehr zu thun hätte —
entgegnete der Dberforfimeifter— als fi
binzufeßen, und an Vater und Mutter ‚oder an
Braut und Schwefter zu fchreiben! Als ob Briefe,
die durdy Armeen gehen, nicht verloren werben
tönnten, oder aufgefangen! "
Ach, das find ſchwache Zröftungen — Hagte
Julie — Sollte denn nicht fo viel Zeit bleiben,
auf ein armes Blaͤttchen Papier die zwei Worte
zu ſchreiben: ich lebe noch und denke Eurer ? —
Nein ! ein Mann liebe nicht, wie....
Wie eine junge Braut! — fiel der Ober»
forftmeifter ein — Nicht wahr, Töchterchen ?
Nun, mein Frig ſoll ſich Hoffentlicdy bei Dir rechte
fertigen, oder ich vergeffe, daß ich ſein Vater bin,
umd liebe Dich ſelbſt.
Wie Du nur fo fherzen Tannft — fagte ber
LZandrath halb unmillig — Du haft felbit den
einzigen Sohn im Felde, und bleibft ruhig, went.
alle Umftände fich vereinigen, und mit ben traus
rigſten Ahndungen gu erfüllen.
O 2
210.
— —
Das ſilberne Fraͤulein.
Dali,
da kommen fie!
— rief der Dberforftmeifter Onwald zur
Thür herein — Ruͤſtig! Brüberchen, mach’ dich
auf, das ſoll ein Feſt werben!
Haft Du Briefe? — fuhr der Landratd
Thalpeim vom feinem Armſeſſel auf — ifs
gewiß?
Briefe? — fiel Jener mit lautem Lachen ein
— dad muß man Dir laflen, ‚Du alter Diplos
matiker hältft auf Ordnung. Der Sohn fol Dir
wenigftens alle Woche einmal aus dem Felde
ſchreiben, und auch die Schnepfen notificiren Die
ſchriftlich ihre Ankunft. Weißt Du nicht, daß
heut Okuli it? Okuli, da...
Mit Deinen dummen Schnepfen! — unters
brach der Landrat verdrießlich.
Dumm ? meine Schnepfen? — ſchalt der
Dberforftmeifter — das folk Du mir abs
bitten, Here Bruder. Jetzt mach' fort! komm)
fie ziehen, Du ſollſt Deine Luft fehen.
211
Mir iſt's nicht wie Schnepfen und Jagd —
fagte der Landrat — da, fieh die Jammer⸗
geiihier um mich ber. Drei Wochen- find es,
daB uud alle Nachrichten fehlen.
Und doch hört man ven fo bedentenden Schlach⸗
ten — feßte die Landräthin hinzu — Kann |
man da fo ruhig bleiben ?
Als ob ein Officier nichts mehr zu thun "hätte —
entgegnete der Dberforftmeifter — als fi
hinzujeßen, und an Vater und Mutter ‚oder an
Braut und Schwefter zu fchreiben! Als ob Briefe,
die durdy Armeen geben, nicht verloren werden
Eöinnten, ober aufgefangen! |
Ach, das find ſchwache Troftungen — Hagte
Julie — Sollte denn nicht fo viel Zeit bleiben,
auf ein armes Blaͤttchen Papier die zwei Norte
zu ſchreiben: ich lebe noc) und denke Eurer ? —
Mein ! ein Mann liebt nicht, wie. . + »
Wie eine junge Braut! — fiel der Ober»
forfimeifter ein — Nicht wahr, Töchterchen ?
Nun, mein Sri ſoll fich hoffentlich bei Dir rechts
fertigen, oder ich vergeffe, daß ich fein Vater bin,
amd liebe Dich felbft.
Wie Du nur fo.fchergen kannſt — fagte der
Landrath halb unwillig — Du haft felbft den
einzigen Sohn im Felde, und bleibft ruhig, wenn
alle Umſtaͤnde fich vereinigen, und mit den traus
rigfien Ahndungen ju erfüllen,
D 2
212
Ahndungen ? — wiederholte der Oberforfis
meifter etwad ernft — was für Ahndungen ?
” ‚Thalheim bezog fich wieder auf die auage⸗
bliebenen Nachrichten, allein der Oberforfts
„ meifter merkte wol, daß nicht dieſe allein die
ungewöhnlie Unruhe in ber Familie hervor⸗
brachten. .
MNach einigem Hins und Herreden erzählte der
Zandrath folgendes:
Du weißt — ſarach er — daß Dein Fritz
beim Abſchiede meiner Tochter feinen Lieblinge
hund zurüdlies, die Bianka. Das niebliche Thier⸗
hen war ſonſt ſchon manche Nacht bei und ge⸗
blieben, und Julie hatte oft ihre Freude, wenn
er wol Stundenlang zuvor, eh’ Dein Sohn kam,
feine Näpe merkte, er wurde dann unruhig, kratzte
an ben Thlren, und wollte ſeinem Herrn entges
gen. Gie ‚wartete und pflegte ihn dann, auch
aufs Beſte und das Thier gewöhnte fich an fie,
wie früher an feinen Herrn. Seit einigen Tagen
aber. wird der Hund ganz tieffinnig, geht mit eine
gezogenem Schwanze herum, hat nirgends Ruhe,
ſeufzt, ftöns und fängt endlich am ganz klaͤglich / zu
Jeulen, fo, daß wis ihm in ein Behaͤltniß auf dem
Hofe einfperren mußten. , Heut' Morgen, wie der
Zaͤger nachſehn will, hat das Thiet ganz wuͤthend
alles zerbifien und fi) unter der Thuͤr durch ges
arbeitet, Ex mußte ſich ſelbſt bei dem heftigen
°
— —
213
Scharren verwundet haben, denn der Boden war
aͤderall voll Blutflecke. Ich babe gleich Leute
nach ihm ausgeſchickt, damit er keinen Schaden
thun kann; aber meine Tochter findet nun darin
ein Unzeichen, und glaubt, dem Herrn bes Thiers
möffe ein Ungläd begegnet feyn, was der Hund
durch jein Geheul angezeigt habe. |
Warum nicht gar! — fuhr der Oberforft»
meifter etwas heftig auf — das treue Thier
bat fi) nach feinem Herrn gefehnt, Aber fo macht
Ihr's mit Menfchen und Vieh. Wird einer von
eineni ſtarken Gefühl ergriffen, das Ihr nicht
begreift, glei foll es bei ihm rappeln. Sm.
Freien wird's der Bianka ſchon beffer werden,
glaub' meinem Wort, und laß mir fie nicht etwa
erſchießen!
Ach, das iſt auch nicht Alles — ſagte Ju⸗
tie — Alle Nächte quälen mich die aͤngſtlichſten
Traͤume. sch fehe meinen Sris immer mit meis
nen Bruder zufammen, und Beide niemals in ih⸗
rer Uniform, ſondern als Jaͤger gekleidet, und
frifch geichoffenes Wild in ihren Händen. Das
bedentet Blut und gefährliche Verwundung.
Der Oberforftmeifter wollte über die --
Traumdeutungen lachen, aber die Stimmung ber
Zamilie war zu ernft und trübe, und Juliens
glänzende Augen drängten jeden Scherz zurüd.,
Liebes Kind — fagte er freundlich ernſt zu
214
dem weinenden Mädchen — ich habe gewiß am
wenigften Urfache dad Bedeutſame der Träume
zu läugneh, oder gar zu verlachen. Ein Traun
iſt es geweſen, der meinem ganzen Leben Rich⸗
tung und Gehalt gegeben hat. Gott weiß, was
ich ohne diefen Traum wär‘. Deine Träume
Tonnen eben fo wol ihre Bedeutung haben, aber
muß denn grade ein gewöhnliche Traumbuch
Ausleger Deiner Träume feyn? Ich fprede im
Ernſt, mein Kind. Du bift Braut, bift von Deis
nem Geliebten entfernt, zugleich voll Sehnſucht
und Bekuͤmmernig um ihn. Dies Alles find
Dinge, die Deinen Geift aufregen, und ‚auch
Deine Phantafie anders ald gewoͤhnlich bewegen.
Kannſi Du denn jetzt erwarten, daß Dein Traum
die gewöhnliche Sprache ruhiger Zeiten mit Dir
fprechen werde, wenu Du auch wirklich an eine
ſolche Traumfprache glaubt? Jetzt verletzet
Dich ein gutgemeinter Scherz von Deinen Freun⸗
den, meinſt Du denn, daß zur Zeit ſolcher Ges
fühle Dein Traum mit den gewöhnlichen iromis
fhen Späßen der Zraunfprge Dich verlegen
werbe ?
Sie tröften mich recht gätig — fagte Fulie
— Waͤr' doch nur fo viel Ernft und Ueberzen⸗
"gung, ald Güte in Ihrem Troft
Ih fage Dir ja — fuhr der Oberforfs
meifter fort — daß ich durch mein eignes
215
Schickſal mehr als Manche, und wol viel Andre
berechtigt bin, über Traum und Traumdentung
und überhaupt über die geheimnißvolle Einwirs
fung der fogenannten Geifterwelt zu fprechen,
Vielleicht wär’ ich auch felbft jet weniger unbes
kuͤmmert um unfere Abwefende, wär’ ich nicht
durch einen Traum über ihr Schidfal beruhigt.
Alſo duch bloß durch einen Traum! — wies
derholte Julie.
Wunderliches Mädchen — entgegnete Jener
— Beunruhigende Kraft willſt Du Deinen Träus
men einräumen, aber in ihnen: Beruhigung zu
finden, ſcheint Dir nicht ſchicklich! Nun ich fehe
wol, wir fchießen heute Teine Schnepfen, und
zu Haus mag ich auch nicht wieder reiten.
Wolle ihr mir heut’ ein Abendbrot vorfegen ‚' fo
erzähl? ich Euch zu Eurer Beruhigung meine Le⸗
bendgefchichte, die mit einem fehr angenehm ers
füllten Traum anfängt.
Das Erbieten des alten Freundes, von beffen
Leben und Schikfalen manched Wunderbare und
Seltfame verlauter hatte, war Allen höchft wills
Tommen. Man machte es ihm und ſich felbft
möglichft bequem, er fchidte feinen "Jäger mit
Aufträgen zuruͤck und der Theetiſch vereinigte
nun Erzähler und Zuhdrer in einen freundlichen,
vertraulichen Kreis,
Mein Vater — begann der Oberforſt⸗
| A - [1 ui — Ds
‘216
meifter — beſaß Feine Reichthuͤmer, aber doch
fo viel Vermögen, daß ihm und mir, feinem eine
sigen Sohne, ein, forgenfreied Leben gefichert war.
Dabei hütete er fi) vor jeder Verfchwentung,
und wenn feine Sparſamkeit meinen jugendlichen
Meinungen nicht recht einleuchten wollte, fagte
er ganz troden: „Mir ift Unabhängigkeit lieber,
ald jedes andre Gut, und um unabhängig zu
bleiben, muß man dad Seinige zufammenpalten,
Ein altes Sprichwort fagt: Beller Neider, als
Mitleider. “ Wir blieben hierüber bid an feinen
Tod verſchiedener Meinung. Sich bielt mich au
das bffentlihe Urtheil, das meinen Vater zu eis
nem Kıöfus machte, und in diefer Vorausſetzung
fanden fi) Freunde in Menge, die mir gern mit
dem ihrigen .beiftanden, wenn die Zahlungen nıcis
nes Vaters meinen Wünjchen fo wenig genügten,
ald den ihrigen. Ich Hätte den Aufenthalt auf
der Univerfität, wo ich ganz überglädlich lebte,
gern verlängert „. aber die Nachricht von meines
Vaters ploͤtzlichem Ableben rief mich nach Haus.
Ich hatte meinen Vater bei aller feiner Ge⸗
nanigleit body herzlich gelicht, und fein Tod
ſchmerzte mic) innig und weit tiefer, ald die Aus⸗
fiht auf die nun mein gewordenen Reichthuͤmer
mich erfreuen konnte, Ich verſchob ed von einem
Tage zum andern, feine Papiere durchzuſehen
und mic vom der Größe der Verlaflenfchaft zu
217
unterrichten. Endlich mußt’ ich doch an das
Wert geben, das für mich einen fehr unerwars
teten Ausgang nahm. Die Durchſicht der Pas
piere war bald geendet, und ich fand, daß die in
der Einbildungskraft fo reiche Verlaſſenſchaft in
der Wirklichkeit kaum binreichte, meine Gläubiger
zufrieden zu ſtellen. Ich hatte oft gehört. daß
die guten Freunde in dergleichen Fällen gewoͤhn⸗
lich zu boͤſen Feinden werden , aber fo ein‘ allge
meiner Sat hat eine ganz andre Geſtalt, weun
man ihn hört oder Liefet, ald wenn man ihn ſelbſt
erfährt und erlebt. Diefed legte war jegt bei
mir der Sal, Meine guten Freunde zudten bie
Achſeln, meinten, das hätte man body nicht ers
warten folen, man babe ſich doch wol in pelüs
niärer Hinſicht über den Seligen getäufcht, ich
hätte vorfichtiger feyn, und nicht anf bloße Ders -
muthungen meine Erwartungen gründen follen,
und mad dergleichen Weisheitlehren mehs waren, |
die man wmohlfeil von der Melt belommt, wenn
man die Biranlaffung dazu erſt theuer genug ber
zahlt hat. Wie oft fiel mir da meines, Vaters
wahres Wort ein: Beſſer Neiper, als Mitlgider!
Indeſſen, es war nicht zu aͤndern. Meige, feige
Erbſchaft wanderte in die Hände meiner Glaͤubi⸗
ger, die mir bewiefen, wenn ich etwas bebielt,
fo verlören fie, was ich ihnen doch nicht zus
‚ mauthen koͤnne. Mein erfter Entichluß war, ir⸗
215
gend eine Anftellung zu ſuchen, aber bie Unabs
baͤngigkeitſucht meines Vaters hatte ihm Feinde,
und meine Verſchwendung mir keine wohlwollen⸗
den Greupde gemacht. Man wies mid) ab, oder
gab mir leere Verfprechungen. So war ich auf
dem Wege ruſſiſche Kriegsdienfte zu fuchen, um
weit von meinem Vaterlande meine Beſchaͤmung
zu verbergen.
In meinem erfien Nachtquartier hatte ich eis
nen Traum, der, wie ic) ſchon erwähnte. ente
ſcheidend für mein Schickſal warb.
Ich fah mich in den blühenden Anlagen eines
fehr fchönen Parks, den ich niemals im Wachen,
fehr oft aber in Träumen gefehen zu haben, mich
erinnerte. Damald waren überhaupt die foges
nannten englifchen Gartenanlagen in Deutſchland
noch etwas fehr feltened. Hinter den herrlichften
. Blumen und Blätenbhfcyen ſah man das niedrige
WMoosdach einer Heinen Einfiedelei, von den ros
then Stralen der untergehenden Sonne durch die
ſchwankenden Zweige beleuchtet. Indem id) die
Blumen betrachte, und mic) befonder8 an einer
biendend weißen, fehr gefüllten Rofe, wie ich noch
niemals eine zuvor fah, erfreue, dffnete fich die
höre der Einfiedelei, und ein Mädchen tritt her⸗
aus — nun, von mir alten Siebenziger muͤßt
Idr Feine Befchreibung von einem ſchoͤnen Mäds
hen erwarten, Kurz, ich fand im Traume wie
219° u
angezaubert, und mußte richt, war bie Einfiebelei
ein Gartenhaus oder eine Vorhalle bed Himmels,
wo eben ein Engel heraustrat. Zum Glück faßte
fie eine Gießlanne, die am Wege fland, und ging,
ihre Blumen zu begießen, woraus ich denn fchloß,
daß ich eine Erdentochter vor mir fah, aber aud)
die fchdnfte, die jemals uuter Blumen gewandelt
bat. Sie trug ein ſchweeweißes Gewand, das
aber ganz feltiam mit fildernen Sternen durchs
webt war, ald wollt’ es damit auf eine andre,
ald die Wohnung auf Erden hindenten. Fett
ging fie bei mir vorüber, und nichte mir freunds
lid) zu , aber in der Freude über den lieben Ens
gelögruß erwacht" id).
Ich hatte niemals auf Träume etwaß gehals
ten; diefer Traum aber war gar fo ſchoͤn und‘
dad himmliſche Bild wich lange nach dem Erwa⸗
chen nicht vom meinen Augen. Indeſſen mußte
id) an die Fortſetzung meiner Meife denlen. Wie
ih nun in ber Gaftftube nody mein Fruͤhſt uͤch
verzehre, hör? ich ein paar Fremde ganz entzuͤckt
von der berrlichen Rofa unila ſprechen, welche
in den Bentheimifchen Marten bluͤhen fol. Sch
war von jeher ein Blumenfreund geweſen, und
jet um fo neugieriger, die mir noch unbelaunte
Wunderroſe zu fehen, da mir bei ihrer Beſchrei⸗
bung die weiße Blume meines Traumes einfiel,
Man wies mich auf ein nicht allzuweit entlege⸗
220
ned Dorf. Hier fand ich eimen prächtigen Sar⸗
ten, und was mich überrafchte, einen großen Theil
in dem, bamald neuen, fogenannt engliſchen Ges
ſchmack angelegt. Ich war entzädt von den
berrlichen Wechſel der Naturfchbnpeiten,, die ſich
bald in wilden Selienmaflen des Gebirges, bald
in den annauthigften Blumeuſtuͤcken und Waffen
auſichten des reizend gelegenen Thales barftellten,
and ich hatte über bie Menge feltener Blumen
und Gewädje, die der Gärtner gern dem Bes
wundernden zeigte, faft meine Mofa unika vers
geſſen, als diefer in einen Seitengang einlenfte.
Hier muß ih — ſprach er — Ihnen noch vor
Sonnenuntergang die fchöne Unika zeigen, die
zum erjienmal bei und bläßt. Sch folgte ihm,
und .auf einmal ſah ich mich in der wohlbekann⸗
ten Gartenanlage meiner Träume. Die weiße
Roſe bluͤht vor mir. Seitwaͤrts hinter blähenden
Büfchen hebt ſich im rothen Abendlicht das Moose
dad) der Einficdelei, und jetzt — dia Thhr dffnet
fich, die himmliſche GeRakt tritt heraus, ſchoͤn
und ſchoͤner noch als in meinem Traume, ſchnee⸗
weiß gelleider, nichtd fehlte, ald die ſilberuen
Sterne am Gewande meines Traumbilded, Sie
ergreift die Gießkanne und tränkt die Blumen
‚auf ihrem Wege. Da raunt mir der Gärtner zu:
das Fräulein! Mir wollen fie nichte ſtbren, fie
iſt Ahends gern allein bier. Indem ich mit meis
221
nem Fuͤhrer mich umwende, wird fie mic) ges
wahr ,. eine Purpurroͤthe überfliegt ihr Geficht und
mit demfelben himmliſch freundlichen Gruß, der
im Traume mich entzuͤckt hatte, verfchwinder fie
aus meinen Augen. . j
Mer auch Träume für nichts hält, als für
leere Bilder, wird Doch zagefiehn: müffen, dag ein _
fo puͤnktliches Wiederholen des Traumes durch
die Wirklichkeit hoͤchſt felten war, und meine Yufe
merkſamkeit erregen mußte. Wir fchien ein nähen
sed WVerhältniß zwilchen mir und dem ſchoͤnen
Träulein durch den Traum angedeutet, und nrein
Wunſch fchweifte (yon aus dem dunklen Gchier
der Sehnſucht in das Helle Land der Hoffnung
über .
Bon meinem Begleiter hörte ich wun, bas
ſchoͤne Fräulein hieße Adelheid und fey bie
Tochter des Baron Bentheim, dem das
Schloß nebft der ganzen weitläuftigen Herrſchaft
gehöre. Der Gasen in feinen ſchoͤnſten Anlagen
fey fall ganz ein Werk des Fraͤuleins, und ihr
Bruder, welcher Major in preußischen Dienften
und jet im Selbe.tep., »-tchide ihr von Zeit zu
Zeit die ſchoͤnſten und feltenſten Gewaͤchſe. Ueber⸗
haupt war der Gaͤrtner unerſchoͤpflich in ihrem
Lobe. So ſchoͤn ſie auch ſey, ſagte er, ſo ver⸗
geſſe man .doch ſelbſt ihre Schönheit uͤber der
dimmliſchen Guͤte ihres Herzens, Vor kurzem
222
habe ſich ein fehr vornehmer General um ihre
‚Hand beworben und das Fräulein habe auch ih⸗
tem Vater zu Liebe ihr Jawort gegeben, allein
gleich nach der Verlobung fen alles durch einen
ſeltſamen Zufall wieder zerfibst worden, Der
Bräutigam habe fein Wort zurückgenommen, dar⸗
über fi) mit dem Vater feiner Braut verumeis
nigt und ihn zum Zweilampf gefordert, ſey aber
kurz vor dem angeſetzten Tage plößlich geftorben.
Ich war nengierig den Grund diefes ſeltſa⸗
men Ereigniffes zu hören, und der Gärtnfr ers
zählte mir nad) einigen geheimnißvollen Weige⸗
rangen folgendes:
An einem Abend, wo das Schloß. eben mit
einer Menge von Gäften, und außerdem noch
mit zahlreicher Einguartierung überfüllt "war,
fand ſich auch der General ein, und hatte die
Grille, dad Zimmer, das man ihm in einem
Nebengebäude für die Nacht anbor, auszuſchla⸗
gen, und auf dem einzigen noch unbefebten im
Schlofle zu beftchn, das man das Fraͤuleinzim⸗
mer nannte, und feit langer Zeit nicht bewohnte,
weil es wegen Beunruhigungen, die darin ſich ers
eignen follten, in üblem Rufe ſtand. Alle Er⸗
zählungen und Warnungen bewegten ihn num zum
Lachen und änderten feinen Vorſatz nicht. End⸗
li) gab der Baron, der die Bade felbfi nicht
für fo ernfihaft Halten mochte, nach, und ließ
223
ſeinem Gaſt fuͤr die Nacht das verlangte Zimmer
einräumen. Was nun dem General in jenem .
Zimmer begegnet ſey, wußte mir der Gärtner
nicht anzugeben, er wiederholte mir nur die bes
reits erzählten Folgen biefed Vorwitzes, die allers
dings die Vermuthung eines feltfamen Geheim⸗
niffed und die Neugierde, es zu ergründen, rechts
fertigen, Ich befam Luft, mic) bei dem -Bas
ron anmelden zu laffen, allein diefer war eben
in der Refidenz, und nach einigem Beſinnen fand
ih, daß meine bedrängte Lage mir Feine fehr
günflige Aufnahme bei dem Pater meiner Ges
liebten verfprechen inne und befchlog meine
Reiſe fortzufegen. "So ging ich nach ber. Stadt
surüd. .
Ich legte mich mit dem Wunfch nieder , we⸗
nigftend im Traum noch einmal die ſchoͤne Er⸗
feheinung zu fehn, aber meine Unruhe verfcheuchte
die Träume und den Schlaf. Pläne aller Art
frenzten fi) in meinem Kopf, der Traum und
feine ſeltſame Erfuͤllung ſchien mich aufzufordern,
ſelbſt einen Schritt nach dem fchönen Ziele zu
thun, fo unerreichbar ed mir auch vorkommen
mußte. ch beichloß ‚endlich nach mehren vers
worfenes abenteuerlichen Plänen mich dein Bas
ron vorzuftellen, und ihm unter einem angenoms
nıenen Namen meine Dienfte anzubieteit.
Mit dieſem Vorſatz machte ich mic) früh auf
me af
w.
224
den Weg nach dem Ventheimiſchen Gatten. Mad |
+ einigem KHerumirren traf ich den Gärtner,
Recht gut — rief er mir zu — daß Sie noch
bier find! Der Herr Baron ift zuruͤckgekommen,
und Sie konnen ſoglelch angemeldet werden,
Das Unerbieten überrafchte mich, und ih
wollte es anfangs ablehnen, aber der Gärtner
fagtemir, wie der Baron fchon geftern Abend
nad) dem Fremden, der fich in dem Garten um
gefchn, gefragt, und fem Wedanern über den ent⸗
behrten Befuch geäußert habe. Er winkte dabei
einem Gartendurſchen, der bald mir der Nach⸗
richt zuruͤckkam, daß der Herr mic) erwarte,
Da Baron empfing 'micy-fehr artig. Er
ſprach mancherlei über den neuen Geichmad in
der Gartenkunſt und hörte aufmerkfam an, was |
ich ihm dafür und dawider fagter Erſt nad) ein |
aigen Gefprächen fragte er mid), wie durch eine
leichte Wendung veraulaßt, nach. meinem Namen,
Es ward mir, bei aller Vorbereitung dach glͤ⸗
bend heiß, als ich meinen veränderten Namen
Ewald herausjagte und erzählte, wie ich mich
auf Kamerahviffenfchaften gelegt habe, und nun
irgend eine Anftellung ſuche. Er fehlen darüber
erfreuf, und gab mir auf fehr atige Weiſe zu ven
ftehen, daß er einen Gefchäftführer zu feinm
ſaͤmmtlichen Angelegenheiten brauche, und daß «6
bloß auf meinem Eutſchluſſe beruße, diefe Stelle,
- 225
wenn Auch nur in Erwartung einer angemeffes
nern, anzunehmen. Wir wurden bald einig, fd
ſchwer es mir auch ankam, befonderd den anges
botenen Gehalt anzunehmen. Mer weiß, hätte
nicht meine "Weigerung über dieſen Punkt mich
verrathen, wär” nicht zum Gluͤck chen Adel:
heid eingerteten. Ich fah fie wieder und ſchlug ein;
So war ich denn aufgenommen, und jah taͤg⸗
Hh den Abgott meined Herzens. Jeden Tag
erichien fie mir liebenswuͤrdiger. Ihr Mint res
gierte das ganze Haus, gleichwol mißbraudhre
fie diefe uneingefchränfte Gewalt, welche ihr Vater
ihr einräumte, nicmald, und wenn fie ja einmal
ihren Willen gegen die Meinung Andrer mit Fe⸗
ſtigkeit geltend machte, fo zeugte gewiß’ der Erfolg
von der Richtigkeit ihrer Anficht.
Ich hatte mid) mit den Gefchäften des Bas
rons und mit der Dertlichfeit meines Aufentz
haltes bald ziemlich genau bekannt gemacht, und
verwaltete die mir übertragene Aufſicht zur Zu⸗
friedenheit des Beſitzers. Adelheid half mit
treulich mit ihrem Rath aus, wo meine Kenntniß
nicht hinreichte. Nur viel Neuerungen in dem
alten Schloſſe durft? ich nicht vorſchlagen; int ſol⸗
chen Fällen bray der Baron kurz mit einen:
Es mag vorjetzt noch bleiben, ab, und lich ſich
durch die beſten Gruͤnde nicht widerlegen.
Bei ſolchen Gelegenheiten fiel mir oft das
Geſpenſterbuch. 5. Theil: P
2 , — — 4c -
4:
226
Zimmer ein, wo, nad) der Erzählung des Gaͤrt⸗
ners, Adelheid's Bräutigam von einer ges
- heimen Macht follte geängftgt worden feyn. Nies
mand hatte mir etwas Beftimmteres, als ich ſchon
wußte, davon erzählen können. Ein günfliges
Ungefähr brachte mich endlich der Sache näher.
Der fiebenjährige Krieg führte uns damals
dfters Einquartierung zu. Dad Schloß hatte |
Raum genug und diefe Kriegögäfte waren zwar
damals wie jeßt ungeladene aber in der Regel
eben nicht unartige Säfte. Einmal quartierten
ſich zwei junge Officiers bei und ein, die um fo |
willlommner waren, da fie fi) als Bekannte des
Sohnes vom Haufe einführten, und ermänfchte
Nachrichten von ihm zu erzählen wußten: die
Rede kam, ich weiß nicht wie, auf Gefpenfter,
man bejahete. und läugnete, wie e& bei ſolchen
Geiprächen gebt; niemand hatte noch felbft etwas
geichn, und jeder mochte fi) doch gern durch Aus
genfchein überzeugen, ob es foldye Weſen gebe,
von denen unire Philoſophie fich nichts träumen
lit. Endlich fallt einem von den beiden Offis
cierd ein, von einem filbernen Sräulein ges
bört zu haben, daß in dem Schloſſe umgehen
folle. Der Baron weiler die ganze Sache le⸗
hend zurüd und erzählt felbft einige Anekdoten
von Erſcheinungen in dem Schloſſe, die fich inds
geſammt in eine Taͤuſchung durch Zufall o er
|
|
Furcht aufgeldfet hatten. Allen der Officier,
der vom Wein etwas erhitzt war, fährt mit der
Frage heraus, ob denn jener. Vorfall mit dem
General auch Täuschung geweien fey? Bents
beim gerierh bier in fihtbare Verlegenheit. Er
konnte nicht laͤugnen, daß diefe Begebenheir ihm
unerklaͤrlich ſey. Doc, fuhr er fort, kann hier
nicht einmal von Erflärung die Rede feyn: mir
wenigftend bat der General niemald die Beges
benheiten jener Nacht entdeckt, und. ich ſehe doch
hicht die Nothwendigkeit, warum man eben auf
eine Geiftererfcheinung fehliegen muß.
Die beiden Dfficiers beftanden nun dar⸗
auf, dieſes Abenteuer felbft Zu unterfuchen. Der
Widerſpruch des Barons und die Aengftlichkeit
Adelheid's machten fie nur nöch neugieriger.
Denn — fläfterte einer dem andern zu — am
Ende ift e8 ein fehönes nächtliche Abenteuer,
was uns bevorfteht,, wie man in Kombdien und
Romanen mehr dergleichen zu lefen findet. Ich
erbot mich die Nachtwache. mit ihnen zu theilen,
und gab vor, gehört zu haben, dergleichen Aben⸗
teuer koͤnnten nur von drei Perionen zugleich glüklih
beftanden werden. Jene waren es zufrieden, und
Bensheim gab endlich ebenfals nach. Er jagre
feiner Tochter ein paar Worte in dad Ohr, und _
erinnerte fie nach einiger Zeit, das verlangte Zim⸗
mer für die Gäfte in Stand ſetzen zu laſſen.
P2
N IE
223
Bald nach. aufgehobener Abendtafel entfernte
ich mich mit den ‚beiden Dffiriers, voll Ers
wartung wie dad geheimnißvolle Abenteuer ſich
geigen würde. . Die Gäfe fanden in: dem ziemlich
geräumigen Zimmer alles ſo, wie fie es ſich er»
beten hatten, ‚Auf einem Tiſche lagen ihre mite
gebrachten Waffen, mehre Lichter erhellten jeden
Winkel, ein Sopba und einige sufammengerhdte
Stühle waren. auf den Fall der Ermuͤdung mit
Matraten unb.teichten Deden. belegt, und in ei⸗
ner Mantuifhe;and ein fertiges Bett. In der
Mitte war auf.einem runden Ziiche Bein, Punfch
und alles Zubehör aufgeitellt, ein Sprachrohr
Ichnte in dem Fenſter, und. eine große Klingel
ließ auch aus dem Haufe felbft im Nothfall Bei⸗
Rand berbeirufen. .
Wir befahen und die ganze Einrichtung ges
nau „ beleuchteten icden Winkel und unterfuchren
Fenſter und Zhüren auf das forgfältigft. Dann
‚feßten. wir und an den runden Tifch, und indem
meine beiden Gefährten ihren Muth aus vollen
Glaͤſern fleißig anfeuerten, vertheilten fie unter
fi) die Mollen des bevorſtehenden nächtlichen
Drama. |
Mitternacht war nah, und alles blieb noch
todtenftil. Man hatte fid) ausgeſprochen. Einer
von der Sefellichaft nach dem Andern ließ bie
Augeulieder finten, man ermahnte fi) vergebens
229
gegenfeitig zur Wachfamkeit. Umfonft, der. Sala
behauptete fein naͤchtliches Recht.
Jetzt erwedte und ploͤtzlich aus den ſchinſten
Traͤumen ein ſtarkes wiederholtes Pochen. . Wir
fuhren auf, die Lichter brannten duͤſter. Es war
taghell um und. Ein Bedienter drut Herein, und
fragte, ob die Herren allein oders in: Gefellichaft
der Familie zu ftühftäten wänfgeg®- - .:....
Etwas verdrießlic) Aber die gefäufchte Ere
martung und ungewißß, oh wit das Abenteger,
oder ob das Abenteuer us verfehlt Hätte, ethos
ben wir uns.“ Mir’ erwarteten mit pörtifcyeng
Lächeln und mancher ſatiriſchen Bemerkung von
der Familie enpfarigen zu werden, allein der Bas
ron fragte dloß, ob wir in der Nacht beunruhigt
worden wären‘, ünd auf unſere Erzählung , "wie
wir das garize Abenteuer verſchlafen, folgte“ nichts,
ald die trockne Bemerlung, daß es beffer' geweſen
ſeyn würde, weny wit ben ganzen Vorwitz unter⸗
laſſen haͤtten. |
Die beiden Fremden wollten, nun- mancherjei
Aber Geifter und. Geiſterſeher wigeln,. dy Bas
ron hörte es einige Zeit, ruhig qu, endlich warf
er, wie zufällig „ bie Frage hin: oh ſie w 0l.,n0ch
eine Macht der Se eines ſolchen Übenteuerä
ſich ausfegen möchten. Die Fremden, waren (hell
mit dem Se heraug und wolllen faß De Finge
7 *
——— ———
— ⸗—⸗
230
Abel aufnehmen, aber Bentheim blieb gelafs
ſen. Ich habe Fhr Wort — fagte er — und nun
bin ich fchuldig, Sie vor allen Dingen mit einer
Heinen Täufchung bekannt zu machen. Ald Eie
geftern Abend den Wunſch dußerten, in dem vers
bächtigen Zimmer meines Schloffes die Nacht
hinzubringen, hielt ich Ihr Vorhaben für cine
Anwandlung jugendlichen Leichtfinnes. Es wär’
vergebens geweſen, Ihnen noch mehr Gruͤnde ent⸗
gegenzuſetzen, ich bediente mich daher einer, wie
mich duͤnkte, unſchuldigen Liſt. Waͤhrend Sie
glaubten, das Geiſterzimmer ſey fuͤr Sie beſtimmt,
ließ ich ein andres Zimmer fuͤr Sie bereit machen,
worin Fein befremdender Vorfall zu erwarten war.
Sie blieben deswegen auch ungefldrt. Seit ges
ſtern Habe ich Ihren Much näher Fennen gelernt,
und ich ‚glaube Fhnen dieſes Bekenntniß ſchuldig
au ſeyn, fo wie bie Verficherung , daß Sie die
Fünftige Nacht, wenn Ihr Muth nicht durch den
erften Verſuch erfaltet ift, in dem unbeimlichen
Zimmer felbft zubringen follen. Prüfen Sie nun
Ihre Unerfchrocenheit, und machen Sie mich mit
rem Entichluß bekannt. Diefes muß ich noch
hinzuſetzen: was Ihnen auch immer begegnen
kdnnte, glauben Sie nicht, daß irgend ein Scherz
von mir oder den Meinigen mit Yhrer Herz haf⸗
tigkeit getrieben werde. Mein Ehrenwort bürgt
Shuen, daß Niemand, wer es auch ſey, ſich ger
231
Ratten foll, Sie burdy eine Zäufung zu ſchrecken
oder zu beunrubigen.
Diefe Erklärung machte einen fonderbaren Eins
druck auf die beiden Abenteurer. Hier — das
fahen fie au6 dem ganzen Ernft des Barons
— wer wirklih etwas Unheimliches im Hintere
grund, und ihre Phantafie hatte freien Lauf, ſich
in den furchibarften Regionen der Geifterwelt
Schreckphantome zu bilden. Sie geftanden ſich,
daß ihnen die Herzen bänger ſchlugen, als felbft
in der geftrigen Nacht, indeflen wollten fie ihren
fräger bezeigten Murh nicht für Poltronnerie er⸗
klaͤren, fo mußten fie des Baron Anerbieten
annehmen.
Ich erwartete biefed von Ihnen — fagte Bents
beim — Sehen Sie indeffen Ihr Wagftid nicht
für unbedeutend an! Ich zweifle nicht, daß Sie
in dieier Nacht von dem Dajeyn geiftiger Wefen
Ucberzeugung erbalren werden. Bereiten Sie
Sich vor, mit voller Befonnenheir Ullem zu be⸗
gegnen, was ſich Ihnen zeigen möchte. Näheres
von den Erſcheinungen in jenem Zimmer ift mir
felbR nicht bewußt, der General, wie Öie
wiffen , bat Nicmand offenbart, was ihm begeg⸗
net fey, und mir, wie meinen Vorfahren, war
"son unfern eltern zur. heiligen Pflicht gemacht
worden, niemals jenes Zimmer zu betreten.
Wad man noch ferner Über die unbelannten
2352
Erfcheinungen ſprach, Tonnte kein belleres Licht
über die Sache verbreiten. Der Wirth ſpendete
beim Ubendeffen den Mein mit ungewohnter Spar⸗
ſamkeit, und entichuldigte ſich, daß er auch für
die Macht nur dürftig geforgt babe. Man fand
feine Vorſicht den Umftänden angemeflen und veir
entfernten und nad) Dem verrufenen Zimmer.
Hier zeigten fich nun die Spuren langer Bere
ddung: unverkennbar, und ber Unterfchied zwijchen
diefem und unferm gefirigen Schlafzimmer war
auffallend. Der Tiſch mit drei Stühlen für die
drei Gäfte, mitten unter dem wenigen vermorſch⸗
sen ‚alten Geruͤll, bildete ‚einen unangcuchmen
Kontraft, der das Unheimliche- der ganzen Algen
dung nur ‚uoch ſtaͤrker hervorhod. In der Niſche
eines vermauerten gothiſchen Fenſters ſtand ein
ziemlich verwitterter Haudaltar, aus der aͤlteſten
Zeit, mit geſchnitzten Heiligenbildern. Das rins
zige Fenſter bot die Ausſicht in einen engen Ne⸗
benhof, .in deſſen Gebäuden Fein einziges Licht
die Naͤhe eines Lebenden ankuͤndigte.
Wir richteten und indeſſen fo gut als möglich
ein. Die Flaſche Wein, die den Muth anfachen
follte, mar baid ausgeleert. Mir dachten. uns
nun die furchtbarſten Möglichkeiten aus, um die
Wirklichkeit zu überbieten, und dann, auf das '
Schlimmſte gefaßt, dem Phantom ruhiger entge⸗
‚gen treten zu-Fönnen. Sp kaw. die Geifterfiunde
233
nperan. Ich rieth, alle Winkel nochmals genau
zu unterſuchen, aber meine Gefaͤhrten waren nicht
von ihren Sitzen zu bewegen. Ich ſchalt ihre
Gleichguͤltigkeit gegen Dinge, welchen fie: vor eis
ner Stunde noch, mit Uygeduld entgegen ſahen,
aber fie kümpften, vergebens mit der Gemalt des
Schlafes, der fie endlich gegen alle meine Bemüs
hungen übermannte , und in unberoinglicher Des
mubung hielt.
Mau war, id) fo aut ale einfası in. dielem
verrufenen Geiſterzimmer. Der tiefe Schlaf mei⸗
ner Gefährten ſchien: mir nicht natuͤrlich und .ere
hoͤhte mir nur dad Grauen, dad in jochen Lagen
wol den. ‚Beheratsiten..ergreift. Ich verſchte
vergebeng, gleich den. Andern,.den Schlaf herbeie
zurufen. Meine aufgeregte Phantafıe ſcheuchte
wich „vom Sige auf, und ‚tsieb mich unſtet im,
dem oͤden Zimmer umher, Off verwuͤnſcht' id) jetzt
die, unnuͤtze Neugierde, welche mich angetzsiehen,
harte, die Geheimniffe diefes Zimmers zu- erfor
ſchen. Daß geringite, Kniſtern in. Den, morſchen,
wurmftichigen Geräthichaften.., peinigte- miſh Hl
Ankündigung nahender unhgimlicher Schrecken,
und kaum konnt ish, mich.in ylchen Angeublicken
enthalten, das immer, uz verlaſſen, und bie
Naͤhe eines lebenden, wasbenden Weſens aufzua
ſachen. Etwas beruhigend, wurde mir ein matter
Sichefchein, den ich-jeht Durgd daB Genfigr ii dem.
2
254
vorher ganz finftern Theile des Schloſſes bes
merkte, und der mir durch feine Bewegung zu
verrathen (chien, daß außer mir noch ein Wachens
der in der Nähe dieſes furchtbaren Zimmers ſich
aufpalte, vieleicht vom Schloßherrn felbft aus
Beſorgniß für und Abenteurer dahin beſtellt.
Indem ich meined wieder belebten Muthes
mich freute, hoͤrte ich ein leife& aber vernehmliches
Klopfen. Ein Meiner Schauder, den ich aber
ſchnell befämpfte , hinderte mich, den nächtlichen
Beſucher fogleich zum Eintritt aufzufordern, und
das Pocyen ward etwas lauter wiederholt. Ich
nahm ein Piftol unter den Arm und das Licht
in die Sand, fo ging ich’ nach der feftverriegelten
Xhhre, um fie zu Öffnen. Indem hör’ ich hinter
mir einen leifen Zuruf, und beim Umfehn erblid”
ich eine weiblicye werfchleierte Geftalt, die fo eben
aus einer verborgenen Tapetenthhr in dad Zim⸗
mer trirt. An dem Sternſchleier erfannte ich
ſchon die Geftalt aus meinem Tranme; jegt ſchlug
fie den Schleier zuräd, und Adelheid fieht vor
mir, ‚indem fie, mit auf dem Mund gelegten
Finger, mir Stillſchweigen gebietet.
“ Das Geheimnig des Zimmers fah ich nun
enthuͤllt. Die Bangigkeit vor dem Schrecken der
Geifterwelt war aber bei mir einer andern nicht
geringern, gewichen, die mic die Freude, die Ges
liebte in meiner Nie zu fehen, jehr mächtig ſtdtte.
236 \
Wie leicht konnten meine Gefährten von ihrem
Schlaf erwachen, und welche Kette von Berlen
genheit mußte dann durch biefed feltfame Zufame
mentreffen für fie und für uns Alle entſtehn. Ich
äußerte ihr dieſes, aber fie lächelte ımd fagte:
Sei ruhig, lieber Huwald, diefe Schläfer fids
sen und nicht. Ich erfiaunte, daß fie mich mit
meinem wahren Namen nannte, fie bemerkte es
and fafır fort: Ferdinand, mir brauchſt Du Deis
nen Namen nicht zu verbeelen, ich will Dein
Gluͤck, es ift dad meine.
Ich war entzädt über dieſe Worte und den
vertraulichen Ton, in welchem ſie mit mir ſprach,
und ich mußte mich ſehr vorſehn, daß ich nicht
in der Erwiderung der Vertraulichkeit ihren Mas
men mannte, wovon Nachtmandler, wie man fagt,
erwadjen jollen.' :Wie lange wir zuſammen fpras
hen, ‚weiß ich nicht, denn. bie Minuten fingen mir
pfeilgeichwind voruͤber. Beim Ubfchiede fragte
fie mich, ob ich ihr eine Bitte gewähren wollte?
Sch verſprach ihr jeden Wunſch zu erfüllen, wenn
ed möglich waͤr', noch eh’ fie ihn nennen würde,
Sie bat nun um meinen Ring zum Erinnerungs
zeichen an diefe Etunde. Der Ring war ein als
sed Familienerbſtuͤck und ich trennte mich ungern
von ibm, wer kann aber der Geliebten die erfte
Bitte verfagen? Ich zog Ihn ſchnell vom Kiuger
und fuͤgte ihn fehbft: an die fehöne weiße Hand.
256
Wenn Du den Ring an meiner Hand fichft —
ſprach fie — fo dent an Dein Wort. Erfälle
meinen Wunſch, wenn “ ihn auch nicht aus⸗
ſpreche.
Wir ſtanden eben vor der Miſche mit dem
Altar. Ferdinand — fagte fie faſt wehmüs
thig — wirft Du Deiner Liebe treu bleiben? Ich
Bejahte mit taufend Eiden, ed. war dad erſte Wort
son Liebe, das fie zu mir ſprach. Dent qu Dei⸗
wen Eid vor dieſem Altar — rief fie jetzt — ich.
müßte Di graufam verfolgen, weun Du ibn
ihn braͤcheſt. Mit biefen Morten ging ſie nach
ver Thür. Ich bet. fie. nun ebenfalls mn -ein
Zeichen von diefer Stunde, und :beutete auf eine,
ihrer ſchoͤnen goldenen: Locken, dabei ward: fie aber
fonberbar wehmüthig: :.. Korbre ed nicht: -fagte
fie .bittend — ed wär’ Dir vicht gut, Du wuͤr⸗
deſt meine Liebe verkennen⸗ und Dich ſehr una
gluͤcklich fuͤhlen, glaube meinem Wort. Damit
verſchwand fie durch dieſelbe Tapetenthür , burch,
welche fie eingetreten war. Als ich gber vers
ſuchte die. Thür zu oͤffnen, um ihr wenigfiend,
nachzublicken, widerſtand das Schloß allen: mein
zen Bemuͤhungen.
Erfreut uͤber die ſchone Zukunft, die fi ch jetzt
meinen Blicken fnete, nahm ‚ich meinen Platz
bei meinen erwachenden ‚Gefährten ein, und wies
ihre ragen. mit verßellter Schlaͤfrigkeit zrüsk
257
bis endlich die Träume wirklich meine Phanta⸗
fteen aufnahmen, und zu bunten Luft» und san
Ienbildern weiter verarbeiteten.
Der Morgen war kaum angebrochen, als
Bentheim ſchon nach feinen Gaͤſten fragen
ließ. Wan war befchämt zum zweitenmale das
Abenteuer verichlafen zu haben, und die beiden
Dfficiers wollten, um fich der Merlegenpeit
zu entziehn, die Beleidigten ipielen, indem fie bes
baupteten, der Hausherr habe fie mit einer eit⸗
Ien Zurcht nur necken wollen. Indeſſen mußten
fie geftehen, daß, während ihres Schlafes mans
ches Ungewöhnliche,, von ihnen unbemerkt vorges
ben konnte, und fo wurde das Unbehagliche dieſes
Verhaͤltniſſes groͤßtentheils auögeglichen,
Als ſich die Familie zum Fruͤhſtuͤck verſam⸗
melte, blieb Adelheid fuͤr meine Ungeduld
viel zu lang aus, und als ſie erſchien, glaubte
ich an ihr eine ungewoͤhnliche Blaͤſſe zu bemerken.
Ich fragte, ob dies vielleicht Folge einer unrupi
gen Nacht fen?
Im Gegentheil — eriwiderte fie laͤchelnd —
ich habe dieſe Nacht einen ſo ungewoͤhnlich feſten
Schlaf gehabt, daß ich von dem ganzen furcht⸗
baren Sturm auch nicht einen Laut gewahr wor⸗
den bin. |
Hat ed denn dieſe Rah fo heftig geftürmt ?
— fragte id).
256
Nun wahrbaftig — fagte der Baron lachend
— wer in Erwartung eines unheimlichen Aben⸗
teuers einen ſolchen Sturm verfchlafen kann , an
deffen Unerfchrocenheit darf niemand zweifeln !
Hat: denn dad Praffeln der Steine in Ihrer
Naͤhe Sie nicht aufgewedt. Det Sturm hat ja
den alten Thurm faft eingeftörzt. Ich war hs
retwegen in nicht geringer Sorge, und ſchon eins
mal auf dem Wege zu Ihrem Zimmer,
Mir fiel hierbei das Licht ein, das. ich dieſe
Nacht in einen Fenfter mir gegenüber gefehn
hatte, und ich erzählte, wie willlommen diefer
gefellige Schein mir geweien fg. Der Baron
ſchien befremdet, und dußerte, daß auf jener Seite
kein Weg zu jenem Zimmer führe, ich fürchtete,
mein Geßeimniß zu verrathen und erklärte num
felbft jenes Licht für mögliche Taͤnſchung durch
Widerſchein.
Waͤhrend des Geſpruͤchs gingen noch mehr
Berichte ein von den Zerſtoͤrungen des naͤchtlichen
Sturmes. Ein alter Hausoffitiant, Namens
Hartmann, erinnerte beſonders angelegentlich
an die Nothwendigkeit, den alten Thurm, der
vorzüglich gelitten hatte, berftellen zu laflen, und
der Hausherr gab mit einem bedeutend-n Lächeln
feine Zuftimmung , worauf der Alte ſogleich eilte,
die erforderlichen Anſtalten zu treffen.
Ueber uns koͤnnte die Dede den Einflurz dros
239
ben — fagte dr Baron, ald wir den Eifer
des Alten bemerkten — und man würde mit der
Herftellung nicht fo eilen, als mir jenem alten
Thurm. So mächtig ift der Volksglaube. An
die Erhaltung jenes Thurms fol, Gott weiß, was
Alled gebunden ſeyn, zum wenigſten, wie man
glaubt, die Dauer meines Hauſes. Was dieſe
Verbindung geknuͤpft babe, weiß Niemand zu ſa⸗
gen, und was man davon erzählt, klingt oft ges
hörten Kabeln aͤbnlich. Sonderbar indeflen ift
ed, daß den alten Thurm jeßt eine Schwachheit
über die andere anmwandelt, bald ſenkt er ſich freis
willig, bald fchärtelt ihn der Sturm zujamnıen,
fo, daß mich feine Öftern NHerftellungen ſchon ans
ſehnliche Summen koſten. Doch würd’ ich hoͤch⸗
lich bei allen meinen Leuten verſtoßen, wollt' ich
jemals die Koſten ſolcher Reparaturen ſcheuen.
So groß iſt das Anſehen jenes alten baufälligen
Gemäuerd.
Die beiden Dfficiers hatten indeflen Bes
fehl zum Aufbruch bekommen, und verließen uns
zu meiner und Bentheims Freude, denn Dies
fem war das Forfchen nach den Geheimniffen feis
ned Schloſſes fo unangenehm, ald mir, wiewol
er damals keinen Grund haben fonnte, die Euts
deckung eines Geheimniffes zu fürchten.
Als wir allein waren, fragte mich Adelheid
von neuem, ob mir denn wirklich gar nichtd Uns
⸗
240
heimliches in dem furchtbaren Zimmer begegnet
ſey ? und fie ſchauderte ſelbſt bei der Frage nach
jenen unbekannten Schreckniſſen.
Ich verſicherte, daß ich durchaus nichts Un⸗
natürliches und Unangenehmes erfahren habe, daß
mich im Gegentheil die ſchoͤnſten Bilder und Traͤu⸗
me umſchwebt haͤtten, fo daß ich unbedenklich
dieſes verrufene Zimmer zu meinem befländigen
Schlafgemach annehmen würde.
# Adelheid bat mic, vor diefem abentenere
lichen Einfall abzulaffen, ed fey an dem erſten
Verſuche genug. Der Bater flimmte der Toch⸗
. ter bei, und ich durfre auf meinem Wunſche nicht
beftehen, ohne eine Entdedung dadurch einzus
keiten.
Indeſſen neckt' ic) doch Adelheid mit bieier
Furcht und fragte, ob ihr vielleicht jemals bort
etwas Unheimliches begegnet fey. Sie verneinte
die Frage mit der Verſicherung, daß ſie von Kind⸗
heit an dieſe ganze Gegend des Schloſſes ges
heut, und niemald dorthin ſich gewagt habe.
Ich weiß nicht einmal den Weg zu jenem Zim⸗
mer — fuhr fie fort — und möchte ihn aud
nicht wiffen.
Bei diefer Scheu, Fräulein — fagte Id —
follten Sie Sic) genau mit diefem Wege befannt
machen, um nicht von ungefähr einmal dahin zu
gerathen und vieleicht fehr zu erſchrecken.
241
D, — erwlderte fie — baflır ik geforgt ! Wenn
nicht gewiſſe Waghälfe eine Aenderung machen,
find alle Thuͤren noch weit vor jenem Zimmer
feſt verichloffen.
Vielleicht aber — wendete ich ein — führen
mehrere Wege dahin. Sie koͤnnen vielleicht in eis
nem entfernten Theil des Schloſſes zu ſeyn glaus
ben, fie bemerken einen verborgenen Drüäder in
einer Wand, verfuchen ihn, eine geheime Thuͤn
dfiner fich, und auf. ‚einmal, find ſie in dem ges
fürchteten Zimmer. -- : 9
Machen Sie mich nicht bange «= fagte. Adel
hbeid — Aber das ift unmöglich. Die Zimmer,
in welchen ich. Geichäfte habe, ſind mir zu genam
befaunt, und koͤnnen Zu Seinem verborgenen aim
mer führen.
Bentheim beftätigte diefed. Jener Theii
des Schloſſes, ſetzte er hinzu, iſt ganz von dem
abgeſondert, welchen wir bewohnen, und ſogar
der Weg, der vorzeiten unmittelbar aus dem
Schloſſe in die Kirche führte, iſt ſchon laͤngſt, uns
gaugbar und verichloffen, wahrfcheinlich eben Dies
fer lang bergebrachten Furcht wegen.
Ich Hatte zu fichere Beweiſe einer Verbindung
jenes Zimmers mit dem bewohnten Theile des
Schloſſes, ald daß ich mich hätte vom Gegentheil
überzeugen follen, indeffen fragte ich bloß, .ob
nicht Adelheid vielleicht in früher Kindheit
Geſpenſterbuch, 5. Theil. Q
242
dort geweſen ſey, und ob fie nicht irgend ein
Bild von dem gefürchteten Zimmer ſich mache ?
Man macht fi) wohl von allem Unbelannten
unvoillführlich ein Bild — antwortete fie — und
fo gebt ed mir auch. Ich denke mir dad Zimmer
ziemlich weit, aber öde, was denn wohl nicht
anders feyn kann, Zugleich denke ich mir, ich
weiß nicht warum, ein Fenſter vermauert und eie
nen alten Altar darin. -
Da irrt mun- Dane Phantafie wol etwas —
fiel der Baron hier ein — Bon fo einer Deko⸗
ratiow hab’ ich nie etwas gehört, auch nichts da⸗
von bemerlt, als ich das einzigemal in meinem
Leben mich jenem Zimmer näherte, um mir des
Generals. fchmelle Entfernung begreiflich zu
machen,
Dennoch — erwidert' ich — ift ed ganz, wie
das Fräulein fagt. Ich fand wirklich diefe Nacht
hinter einem ſchweren Schirm, den ich wegrüdkte,
um jeder Taͤuſchung vorzubeugen, einen Altar in
einer Kenfternifche,
Sonderbar! ſehr ſonderbar! — riefen beide. |
Man erfhöpfte fich in Vermuthungen, ohne eine
Ninreichende Erkiärung zu finden. Die angemefs
fenfte wollt” ich aus guten Gründen nicht vers
muthen laffen, und brach für diefesmal das Ge
ſpraͤch ab,
US ich mich entfernte, traf ich Hartmann,
— — —— =
245
der mit dem größten Eifer an ber Herflellung
des Thurmes arbeiten ließ. Ic war neugierig,
von den Geheimniffen dieſes alten Baues etwas
zu erfahren, und ließ mich mit ihm in das Ges
fpräch ein. Anfangs fertigte er mich mit der
belammten Erzäßlung ab, von dem Geſcheuk eis
ned uuterirdiichen Gnomenvdlikchens, das in den
Thurm eingemanuert feyn, und. altes Ungluͤck von
der Familie abwenben folle, aber ich merkte bald,
daß er felbft dieſes Märchen, das von einer Menge
Schloͤſſern erzäplt wird, nicht glaubte. Endlich,
ald ex vertraulicher - geworben war, geſtand er,
bag ex den rechten Grund ded Geheimuiffes felbft
nicht wie, daß aber ohne Zweifel zwifchen dies
fem Thurme und. den. Erfoheinungen des filbernen
Fraͤuleins ein: Zuſammenhang ſeyn muͤſſe. Mir
ſchien nun allerdings eine ſolche Verbindung nach
meinen Erfahrungen uͤber die Erſcheinungen im
Schloſſe nicht wol denkbar, indeſſen ließ ich den
Alten erzaͤhlen, und ſo erfuhr ich folgendes:
Vor uralter. Beit, als dieſe Beſitzung von dem
Bentheims erkauft worden war, lebte ein
Fraͤulein aus dee Familie ber vorigen Beſitzer.
Sie foll von bezaubernder Schönheit gewefen .
feyn , aber dabei auch eine arge Zauberin. Durch
ihre Zaubereien hatte fie den neuen Befiger fo
geichredt, daß er dem Wahnfinne nahe geweien.
Da hat man denn das Zauberfräulein in den als
Q2
244
ten Thurm erſt zur Verwahrung gebracht, und
dann, weil ſie von den Zauberwerken nicht abge⸗
laſſen, ſie der Hexerei angeklagt, und es dahin
gebracht, daß ſie mit der Waſſerprobe ſich reini⸗
gen ſollen. Man hatte ſie nun, der Gewohnheit
nach, mit gebundenen Haͤnden und Fuͤßen auf
das Waſſer des Schloßteiches gelegt; wuͤrde ſie
oben ſchwimmen, ſo mußte diefes als Beweis ih⸗
red Bundes mit der Hölle gelten. Sie ſank nun
zwar, unter Betheurung ihrer Unfchuld, zu Bor
den, und fo war: fie von dem Verdacht gereinigt.
Weil man fie aber leblos hervorzog, fo hielt man
ihre Unſchuid doch nicht für hinlaͤnglich erwielen.
Man verfagte ihr deshalb dad Begräbmiß in der
Gruft ihrer Familie und beftattete fie in einen
Gange, welcher zur Kirche führte, Nun beißt
ed, finde fie im Grabe keine Ruhe, und verfolge
noch) immer die Bewohner des Schioffes, auch
fuche fie noch im Tode den Thurm durch ihre
Zaubereien zu ftürzen, weil fie während ihres Ges
fängniffes ihn verwänfdht Habe, daß mit ihm auch
die neue Herrfchaft fallen werbe,
Der Hexenprozeß machte mir die Erzählung
etwas verdächtig und ich fand das Märchen von
den Unterirdifchen faft paffender. Uebrigens war
ich wegen der Seftigkeit bes Thurnies ruhig, denn
Hartmann ließ arbeiten, als baue er ein Werk,
dad Belagerungen aushalten folle,
245
Mehr Sorge machte mir Adelheid, an.ber
ih eine ganz ungewöhnliche Unruhe bemerkte,
Auch ihrem Vater fchien diefes aufzufallen, er
fragte fie wiederholt nad) dem Grund biefer Uns
ruhe, doch ohne eine hinkängliche Antwort zu era
halten, Es kam mir vor, ald werde er felbft
Darüber beftürzt, und ſehe in jener ‚Unruhe Die
Aeußerung einer früher ſchon an feiner Tochter
bemerkten ahndenden Kraft. Auch Mehrere aus
der Dienerfchaft , beſonders die ältern, wurden
aufmerkiam und ſahen ſich bedenklich an. Enbs
lich beftätigte der. Erfolg die trüben Ahndungen,
Es kamen Nachrichten von: der Armee: der juna
ge Bentheim war in .ber Schlacht geblieben,
die Beſtuͤrzung und der Schmerz ded Vaters
war über alle Beichreibung. . Mit dem einigen
Sohne ging ihm zuglid) das Mecht: verloren,
über ben beträchtlichiten . Theil feiner Güter zu
verfügen, und alle Ausfichten , feiner Tochter
auch) in Nädficht auf Äußeres Gluͤck die glaͤn⸗
zendſte Zukunft zu ‚bereiten, waren vereitelt,
Mein wahrer berzlicher Antfeil, den ich an
diefem Trauerereignifle der Familie nahm, brachte
mich befonbers der ſchoͤnen Adelheid näher,
©ie geftand ein, daß fie ein großes Unglüd m
der Familie geahndet habe, allein Bilder und Ges
füple hätten ſich vor ihrem Geiſte verwirrt, daß
fie nur die allgemeine Vorſtellung des Unglüds
J
246
habe ſaſſen können. Erſt in ber Nacht, ehe bie
Srauerbotfchaft angelommen, babe dad Bild ih⸗
red Bruders fich mit jenen Borftellungen "vers
miſcht. Ich fragte, ob fie öfters dergleichen Vor⸗
ahndungen habe, und nun entbedte fie mir, baß
Fein frohes oder betrübtes Ereigniß in ihrem Hauſe
ſich begebe‘, was ihr wicht -mehre Tage. zuvor in
Bildern und Ahndungen vorſchwebe, die zugleich
eine dunkle und verworrne Beziehung auf jenes
geheimnifivelle Zimmer haben; and) meine An’
Zunft babe fie fchon einige Tage zuvor gewußt.
Diefe Eigenbeit, fo ſchauervoll fie mir auch bes
fonders in Verbindung mit dem früher bemerkten
Nachtwandeln war, zog mich. dennoch nur maͤch⸗
aiger an die ſchͤne Adelheid. Mir hatte eben⸗
falls ein Traum das erſte Zuſammentreffen mit
ihr vorgeſpiegelt, und ſo ſchien eine geheime Sym⸗
pathie zwiſchen uns und unſern Schickſalen her⸗
vorzugehen, die ich gern als Unterpfand einer
glucklichen Zukunft anerfannte. Ich glaubte auch
bald an Adelheid eine Erwicherung meiner. Reis
gung zu bemerken, doch war ber Eindrud jener
Zrauerborichaft noch zu nen, ald daß ohne Un⸗
zartheit über eine Liebe gefprochen werben Tonnte,
die fo viel Auseinanderfeßungen und Berichtiguns
‚gen udthig machte, um günftige Aufnahme ba
allen intsreflirten Perfonen erwarten zu können.
Die Erſchuͤtterung jenes Thurmes fchien num
247
auch einige prophetiſche Bedeutung zu befommen,
uud Bentheim felbft, wiewol mit feinem
Sohne dad Glüd abgeftorben war, dad von ber
Erhaltung ded Thurmes abhängen follte, drang
auf möglichite Befeftigung jener alten Mauern.
Sonberbar fchien ed dabei, daß Adelheid dies
fen Bau ungern ſah und einigemal dußerte: es
wäre vielleicht beffer, der alte Thurm ſtirze ganz
ein, da er doch feine Bedeutung verloren habe,
De alte Hartmann erfaltete auch wirklid)
in feinem Eifer, und fagte bedenklich: dad Fraͤn⸗
lein weiß vielleicht ſelbſt nicht, was fie fpricht,
allein ed hat gewiß Bebentung. So feft glaubte
auch ‘er an ein dunkles Ahndungvermoͤgen Adel⸗
heids.
Indeſſen wuchs meine Liebe zu Adelheid
taͤglich, ohne daß ich wagen durfte, ihr und ih⸗
sem Bater fie zu geftchn. Es wär’ Thorheit von
mir, dem Unbemittelten und Ausfichtlofen gewe⸗
fen, die Verbindung mit einem Fraͤulein zu ſu⸗
den, die an jeden Glanz und jebe Bequemliche
Jeit des Lebens gemdhnt, doch durch einen Uns
gluͤcksfall aller Mittel beraubt war, die gewohnte
Art zu leben fortzufegen. Die Ruͤckſichten war
sen weder zu verfennen , noch zu tadeln, welche
ihren Bater und fie felbft bei der Wahl des
Hhnftigen Gemahls leiten mußten, und ihre Schoͤn⸗
beit und Kiebenswärbigkeit, verbunden mis der
RL | ni
me»
N
240
feinſten Weltbildung, uͤbertrugen reichlich den
Mangel eines bedeutenden Vermögens. Ich war
ſchon oft entfchloffen, den Baron um meine Ents
laſſung anzugehu. Durdy eine Heine Reife wollte
ih mid) an die Entfernung von ber Geliebten
gewöhnen, ald ein Vorfall ſich ereignete, der als
les Ändere. ' .
Am Morgen ‚vor ‚meiner Abreife übergab ich
eben dem. Baron ein Band georbneter Papiere
und Rechnungen, als Lärm im Haufe entfland,
und die Dienftboten mit der Nachricht herbeiliefen,
der Thurm ſey — man wifle nicht durch welchen
Zufall — eingeſtuͤrzt. Wir eilten nach dem Plage,
"und hier kam und ſchon der .alte Hartmann
entgegen, mit einem Käftchen, das, feinem Bes
sicht: nach, ıin den zerfprungenen Mauern des
Thurwms verwahrt gewefen feyn ſollte. Wir ahn⸗
deten Alle ſogleich den Schlüffel zum Geheimnig
des Thurmes in biefem Behaͤltniß. Der Baron
verfchloß fick in fein Kabinet, aber bald ließ er
mic rufen, um die alten Schriften, welche fich
vorfanden , mit mir durchzugehen.
Diefe Papiere enthielten die Gefchichte jenes
Fraͤuleins, wovon der alte Hartmann ‚mir
die Sage erzählt hatte. Ihr Water war Beſitzer
des Schloffes und der dazu gehdrigen Herrſchaft.
Sein Wunſch, einen männlicyen Erben zu hintere
laffen, verleitere ihn ‚zum Geluͤbd' eined Zuges
249
in dad heilige Land, Um während der Löfung
dieſes Geluͤbdes feine Herrſchaft zu fichern, übers
ließ er fie einem Freunde, auf deflen Redlichkeit
er feſt baute, gegen das Verſprechen, ihm felbft
bei jeiner Ruͤckkehr, oter, im alle dieſe ihm
verfagr ſeyn follte, feinem unmündigen Sopne alle
anvertrauten Güter zurüdzugeben. Die Urkun⸗
den wurden nat aller Körmlichkeit, für die ent»
fernteften Erben noch gültig, aufgefegt und volle
jogen. Um ganz filher zu gehn,'-verbarg des
Fraͤuleins Water feine Urkunden in den Anopf
des Thurmes, der bamals gebaut ward, ohne das
Geheimniß jemand zu entbeden. Nur feine Toch⸗
ter bemerkte: zufaͤllig diefe Arbeit, doch abndete '
fe die Wichtigkeit jener Schriften nicht.
Der Mütter blieb - auf feinem Zuge in einem
Gefecht gegen die Ungläubigen, und fein Sreund
batte nichts Ungelegentlicheres , als fidy felbft in
den eigenithümlichen Befig der anvertrauten Guͤ⸗
ter zu fegen. Die Tochter des vorigen Beſitzers
forderte nun ihres unmuͤndigen Bruders erbliches
Eigenthum von dem Aumaßer, allein dieſer ſchuͤtzte
fi) durch die Urkunden, welche ihm ben Beſitz
uͤberließen, und laͤugnete das Verſprechen ber
Zuruͤckgabe. Nach langem Streiten beſann ſich
das Fraͤulein auf die Schriften, welche ihr Va⸗
ter einſt in dem Thurmknopfe verborgen hatte,
allein, zu vorſichtig dieſes Geheimniß ihren maͤch⸗
.nn
— ——
2330
tigen Zeinden prels zu geben, verſchwieg fie es,
um es einft ihrem Bruder zu entdecken. Doch
war der Verdacht, daß- fie ein gefährliches Ges
heimniß bewahre, hinlaͤnglich, um fie zu verſol⸗
gen. Man verfüchte anfangs Verfprecyen und
Drohungen, um fie zu der, Entdeckung zu bewe⸗
- gan. Endlich beiduldigte man fie der. Zauberei
und ſetzte fie in denfelben Thurm gefangen, der
ihr Geheimniß bewahrte, Hier fand fir Gelegens
heit, diefe Nachrichten aufzufäpreiben , und an dis
wem, verborgenen Ort in der Mauer der Nach⸗
wel aufzubewahren.
Bentheim dankte dem Simmel, der ihm
dieſe Entdeckung zu, einer Zeit machen ließ, wo
es ihm fo wenig Ueberwindung toftete, das une
recht befeffene Gut. dem rechten. Eigenthuͤmer zus
rüdzugeben. Gr ließ ben Thurmänapf dffnen,
die Papiere fanden.fich; — aber denkt mein Er⸗
ſtaunen, ald der Name des frühern Befigerd: zum
Vorſchein fan! Es war mein Ahnherr: Wolf
son Yuwald, Ich erinnerte mich aus alten
Nachrichten, daß er feine Herrſchaſt verkauft hats
te, und daun gegen die Uuglänbigen ‚geblieben
war. Es fand Hein Zweifel flatt, ich war ber
Abldwmling und der einzige noch übrige Nach⸗
Tomme jenes Wolf.
Dentheim erflaunte nicht weniger als is
ſelbſt über diefe Eutdeckung, die ich fogleich mit
251
ben erforderlichen Papieren aus nteinem Taſchen⸗
buch bewies. Seinen Gluͤckwunſch verbat ich,
fo lang ich nicht wiſſe, ob ich, bei allen Reiche
thümer der Welt, wirklich gluͤcklich feyn Fönne,
nämlic dur Adelheid. Der Tochter Eirds
then befannte mir ein liebeö, gern verrathenes
Geheimniß. Bentheim hatte auch Feine Eins
wendung und fo fchloffen wir den begluͤckten Bund
unferer Kiebe, "
Indem ich beichäftigt war, dem Baron ime
mer mehr Zeugniffe über meine Abkunft vorzus
legen, dachte ich an ben Ring, den ich Adelheid
bei ihrem nächtlichen VBefuche-gegeben hatte. Eis
ven recht Sichern Beweis meiner Abkunft —
fagte ich dem Baron — kann Ihnen fogar meine
Braut felbft geben, in deren Hände ich ihn eins
mal in einer merkwürdigen Stunde gelegt habe,
Man verlangte Erflärung, und id) fimgte
Adelheid, ob fie nicht einmal einen ihr früher
unbelannten Ring an ihrer Hand bemerkt habe?
Sie wußte nichts davon, Ich beichtieb ihr den
Ring genau, allein fie kounte fich nicht befinnen,
fie fand auch beim Nachfuchen keinen ähnlichen
Ming unter den ihrigen, und ich mußte glauben,
was freilich unangenehm war, der Ring fey der
nächtlichen Wandlerin bamald auf dem Wege
entfallen. Ich follte nun dad Nähere von dieſem
Geſchenk erzäpln. Des Baron ward bei der
a. mluh, a u ey #0 27
u.
ec
Bam
252
Nachricht von dem nächtlichen Erſcheinen feiner
Tochter in jenem Zimmer verlegen, und Adels
heid verficperte, fie habe niemals, fo viel ihr
wiſſend fei, einen Anfall von Nachtwandeln ges
habt, und felbft, wenn dieſes ohne ihr. Wiſſen
möglich fey, fo gehe doch aus ihrem, Schlafzim⸗
mer Bein Weg zu jenem Gemach, der Befuch
fey alfo wenigſtens unmöglich, Indeſſen war ich
‚meiner Sache zu gewiß. Ich erinnerte fie on
den möglichen Zufammenhang des Nachtwandelns
mit ihrem oft erprobten Ahndungsnermögen, und
bat fie, den Weg nach dem Fräuleingimmer ‚ges
nau zu unterfuchen, vielleicht finde ſich ein unbes
kaunter Zufammenhahg , vielleicht auch felbft. der
Ring, der dort verloren ſeyn mußte.
Adelheid gab endlich, wiewol ungern meis
nem Zureden nad), und fo gingen wir, nebfl dem
Baron, der und führte, durch einen wüften,
lang veriploffen geroefenen Gang. Eine ſchmale
Treppe führte aufwärts, Mir ſtießen an eine
Zapetentphr, und meine-Bebauptung beflätigte
-fih. Dieſe Thäre führte in das berlichtigte Zims
mer, wo, fatt eined gefürchteten Gefpenftes, die
bolde Adelh eid mir erſchienen war. Unbegreifs
lic) blieb nur, wie die verſchloſſene und faft eins
geroftete Thuͤre ſich hatte von der Nachtwandleris
erbffnen laſſen.
Die Trümmer des eingeſtuͤrzten Thurmes machs
. 253
tm den vorbern Ausweg aus dem Zimmer un⸗
gangbar,, wir waren alfo gendthigt denfelben düs .
fern, unheimlihen Weg wieder zurüdzumandeln,
Als wir die Treppe herabgeftiegen waren, und
uns in dem langen, verfallenen,, dunklen Gange
umfaben, fdj.ecte auf einmal Adelheid zuſam⸗
men, und zeigte nad) einer Wand, wo wir Ans
dern Nichts gewahr wurden Sie behauptete:
fie babe einen weißen Schatten dort gefeben, und .
ir Gefühl fage ihr, daß ein Grab in der Nähe
ſeyn muͤſſe. Der Baron wollte ed ihr audres
den, aber fie blieb dabei. Mir fiel das Grab
des Fraͤuleins ein, von welchem Hartmann
erzählt hatte, und ich beichloß, mit Zuftimmung
des Bardns, nachſuchen zu laflın. Harte -
mann, mit einigen Urbeitern begleiteten nid),
Wir fanden bald in der Mauer Zeichen, die uns
fre Vermuthung beftätigten, und hinter einigen
weggenommenen Steinen kam ein Sarg zum
Vorſchein.
Ich ließ die Dede von dem Sarge abhebeii,
und das Bild meines Traumes, Adelheid’s
Ebenbild, aber in das mir wohl befanute Ges
wand mit filbernen Sternen gekleidet, lag vor
mir im Sarge, kenntlich, wie vom Tode nod) gar
nicht beräßrt, das Geſicht in lieblicher bezau⸗
beruder Schoͤnheit noch laͤchelnd. So ſtand Adel⸗
Geſpenſterbuch. 5. Theil. R
254
Heid in jener Nacht vor mir, und in jenem Traume;
der mich zuerft der Geliebten entgegen führte.
Das ift das filberne Fräulein! — riefen die
Arbeiter zugleih mit Hartmann, und Diefer
Ausruf, und’ das Gewand mit filbernen Sternen,
dad ich nie an meiner Geliebten gehen hatte,
weckte mir jegt eine dunkle graufende Ungewiße
beit, ob wol jene nächtliche Wandlerin wirklich
. Adelheid war? Da fiel mein Bli auf die
gefalteten Hände der Todten, und ich erblidte
‚ meinen Ring, mit welchem ich mich — fo fah ich
nun ſchaudernd — der Braut im Earge verlobt
batte.
Ich mochte eine Zeitlang in flarrem Schred
ſtumm geftauden haben, ald Hartmann mid
fragte, was mit dieſem Todten werben follte?
Mir war indeffen jene ganze Nachtfcene lebendig
geworden. Die Weigerung jener Erſcheinung,
mir ein Pfand der Treue zurädzulaften, ſchien
auf fein dunkles Band zwifchen der Todten und
dem Lebenden hinzudeuten, Ihr Verlangen, bei
dem Erbliden des Ringes einen unauägefpreches
nen Wunſch zu errathen, befam jeßt einen unvers
kennbaren Sinn, da ich. die, erft Verfolgte, und
dann lange verkannte Todte, deren Sorgfalt ic)
mein ganzes Glüd dankte, im einjamen Giabe,
fern von den Särgen ihrer Ungehdrigen erblickte,
Eie erſchien mir als der Schußgeift meiner Liebe
255
und meines Glüded., Sch befahl den Sarg in
das Schloß zu tragen und dort Anftalten zu ih⸗
rem feierlichen Begraͤbniß in der ſamiliengruft
zu treffen.
Der Baron billigte mein Vorhaben, denn
er und Adelheid erkännten in der Sargbewoh⸗
nerin ebenfalld die noch im Tode wohlthätige
Urahnin meines Hauſes. Nach dem Begräbniß
blieb ich in der Gruft, um nod) einmal den Ring
zu betrachten, der mich doch zumwellen mit uns
heimlichen Gefühlen erfüllte. Allein, ald ich die
Sargdede abheben ließ, war der vor kurzem noch
fo fchöne Leichnam in Aſche zerfallen, ein Zeichen,
wie ed mir fchien, daß er feine Ruhe gefunden habe.
Nach einigen Wochen war mein feicrliches,
Verlobungsfeſt mit Adelheid angeicht. Ich
hatte einen Ring fertigen laſſen, und wollte eben
im Scherz ihn an dem Finger meiner Braut prüs
fen, da entzog fie wir fchnell ihre Hand, O, bitte
— rief fie — einen Augendlid Geduld! Sie
ſchloß ihre Schatulle auf und nahm. daraus cinen
ing. Ich habe Ihnen ein verlornes Eigenthum,
zuruͤckzugeben — fuhr fie fort — und zugleich
eine Bitte, diefe aber müffen Sie errathen, aus⸗
fprechen Tann ich fie nicht, Zugleich zeigte fie,
wir ihre Hand, und an. diefer jenen nächtlichen,
Verlobungring, Nun, was moͤcht' ich? fragte fie
| N 2
— V -- ——
S
256
noch einmal, Mit diefem Ringe mir verlobt wer⸗
den, erwidert! ich; fie nidte bejahend.
Sonderbare Verfettung! — rief ih — denn
gun, wo mir wieder eine unausgeiprochene Bitte
entgegenlam, warb ed mir von neuem zweifel⸗
haft, ob Adelheid, oder ihr nachtwandelndes
Ehenbild den Ring empfangen hatte. Meine
. Braut deutete den Ausruf anders, und erzählte
mir, der Ring fen wirklich, meiner Vermuthung
gemäß. in jenein Gange gefunden worden.
Bon dieiem Tage an konnte das furchtbare
Eräuleinzimmer ohne Gefahr und ohne Störung
bewohnt werden, auch die Bauern fürdyteten das
filberne Fräulein nicht mehr, das fie in ihrem
ſilbergeſtickten Sternſchleier hatten begraben fehn,
in welchem es ſonſt ald gefpenftifche Erfcheinung
umbergemandelt feyn follte., Der Baron felbft
erzählte mir jet, wie er in jener Nacht, wo er
und mit einem falichen Zimmer getäufcht hatte,
eine Geſtalt in filberglänzendem Schleier in dros
bender Stellung vor feinem Bette gejchen, und
deswegen und zu einer zweiten Nacht in dem
wahren Fräuleinzimmer veranlaßt habe, weil ihm
die drohenden Miene der Erfcheinung jene Taͤu⸗
(hung zu mißbilligen ſchien. Ich ließ alle weis
tern Unterfuchungen über dergleichen Dinge rus
ben, das liebfle war mir, daß meine Adelheid
von ihrer Verlobung an jened Ahndungvermdgen
257
verlor, was ihr, wie file mir oft geſtand, mehr
trübe als frohe Augenblicke gegeben hatte, Auch zu
mir kamen Feine bedeutenden Träume mehr, und
nur, feitden meine Adelheid wieder von mir
genommen iſt, ſeh' ich zuweilen Bilder der Zu⸗
Bunft, doch, was ich gern der frommen Liebe
meiner Abgefchiedenen dante, nur einer frohen
heitern Zukunft.
Und ſo, Kinder — deswegen hab ich Euch
meine Wundergeſchichte erzaͤhlt — ſo hab' ich auch
in Traume von unſern lieben Kriegshelden nur
frohe Bilder geſehn. Trauer alfo meinen Erfahe
rungen, die mwenigftend nahe genug an die Gränze
des Geifterreiches anftreifen, uud feyd guter Dinge!
Über hört doch, was kratzt denn an der Thüre ?
Kommen etwa Deine Jaͤger ? Ich höre Hunde,
Bater — rief Julie — Water, das iſt Bian⸗
ka's Stimme,
Sie dffnete die Thuͤr, und das trene Thier
fam mit freudigene Springen und Schreien in
bad Zimmer geftürmt, begrüßte Alle, und forderte
fie durch Umfehren und Wiederkommen auf, ihm
zu folgen,
Daß der wol feinen Herrn gefunden hat! _
fagte der Dberforftmeifter lachend.
Bruder Huwald — rief Thalheim — dab
iſt ein Streich von Dir! Geſteh's, unſre Söhne
find zurüd?
—
—
258
Nun, wärft Du denn boͤs — erwiberte Je⸗
ner — wenn es auf eine Weberrafchung angeſehn
wäre? Du folltek fie auf der Schnepfenjagd
+ finden, im Walde; fo hat fie nun mein Jäger
berbeigerufen. . .
Hörner klangen jegt unten, und bie beiden
Erwarteten, ald Jäger gekleidet, mit reicher Beute
von der Jagd, trasen herein.
Der Traum geht aus, Julie! — rief der
Dberforftmeifter in die frofen Umarmungen,
— Da find ja die Zäger mit dem MWildpret t
Hab’ ich's nicht gefagt: .
Okuli,
da kommen fie!
Inhalt.
am 3
Der Hedetdaler. Von 2, , . N
Der Liebesſchwur. Mon. F. 2, .
Die Ruine von Yaulinzell, Von 4.
Die Hausehre. Bong. , , .
Die Schuhe auf den Stangen. Ein Schwanf
nah D. Martin Luther. Von A..
Legende. Von F. 2, EEE
Das filberne Fraͤulein. Von A.
%
— — ⸗— Ba
Wunderbunqh.
—
Herausgegeben
A. Apel und F. Laun.
Zweites Baͤnbchen.
ee — —
Stuttgart, |
bei A. 5 Macklot. 1818.
un
8
4
.
u.a
nn "
Durch Abhaltungen ſehr verſchiedner Art
ward ich gehindert, zu dem zweiten Bands
chen des Wunderbuches die Beiträge in
demfelben Verhaͤltniſſe zu Tiefern, wie zu
den früheren Bänden des Sefpenfterbuches.
Mein Freund Friedrich Laun bat dagegen
Diefes zweite Bändchen fo vorzüglich und
fo reich ausgeftattet, dag ich meinen Dank
dafuͤr geen mit dem Dank der Leſer vers
einigen möchte, wenn unfer Freund nicht
aus einer befondern Vorliebe für Erhal⸗
tung und Herftellung des Gleichgewichtes,
wenigftens in der Wunderwelt, darauf
beftände, eine Ausgleichung auszuüben,
und feine Beiträge für das dritte Band»
chen zum Theil dutch Anweifungen auf
geleiftete Borfchüffe im zweiten Band»
vn
en zu liefern. Hoffentlich erfährt er
bafd die Unzufriedenheit der Sefer mit feis
nem Vorfag; follte er aber dadurch fich
nicht zu einem andern Entfchluß bewegen
laſſen, fo wird es allerdings unerlaͤßliche
Pflicht Für mich, im dritten Bändchen
nachzuholey , was ich im zweiten vers
ſaumt habe, und Freund Laun wird danız
im vierten die" Mängel des Dritten teiche
lich auszugleichen haben,
Leipzig in der Oftermeffe 1816,
% Apel
, |
Inhalt.
Ewanehild. Bon $.L, . Seite 4
Des Schutzgeiſt. Eine Anekdöte Von A. A. — 71
Die Wachsfisur. Don $.L, - — 103
Blendwerke. Bon F. 2. 165
Das Merrfräulein, Bon F. f. — 206
De Mind. Bon F. 2, — 139
Der rothe Faden. Don F. 2, — 260
Der Lügenkein, Bon E. 2. 0 m 268
4 —
vi
chen zu liefern. Hoffentlich erfährt er
bald die Unzufriedenheit der Leſer mit ſei⸗
nem Vorſatz; follte er aber dadurch fich
nicht zu einem andern Entfchlug bewegen
faffen , fo wird es allerdings unerlaͤßliche
Pflicht für mich, im dritten Bändchen
nachzuholey , was ich im zweiten vers
fäumt babe, und Freund Laun wird dann
im vierten die Mängel des dritten reich»
lich auszugleichen haben.
$eipjig in ber Oſtermeſſe 1816,
4, Apel,
ß Inhalt.
Ewanthild. Von F... Seite 1
Der Schutzgeiſt. Eine Anekdoͤte. Von U. — 71
Die Wachsſigur. Bon F. f. - — 103
Blendwerke. Bon F. 2. " oo 165
Das Merrfräulein, Bon Fk. — 206
Der Mind. Bon F. ?. — 19
Der rothe Faden. Bon F. 2, — 260
Der Luͤgenſtein. Bon FJ. 2, . — 268
4 ‘
En
x
Swanehitld.
Me .
Minernacht war ſchon vorüber, als gedrängt
von allen Seiten durch die fiegeötrunfenen Frans
Ir, der Sachſen Heerführer Wittefind , den
diefe damals ihren König nannten, nach einer
harten Winterreife, zu Fuße anfam auf der Burg
feines Namens. Seine Gemahlin, Geva, Herr
308 Alf von Holftein und wenige Nitter und
Knechte waren mit ihm; fänsmelich in in der Tracht
gemeiner Bauerslente.
Traun, ein koͤſtlich Stuͤck von einer Veſte!
rief Wittekind mit bitterm Spotte aus, als er
nebſt dem Herzog Alf bei Fackelſcheine die Burg
beſah. Denn die Thuͤrme fehlten ihr, die Gra⸗
ben waren ausgefuͤllt und der Wind ſtrich ſchauer⸗
lich durch die meiſten Gemaͤcher. Um ſo ˖weni⸗
ger aber, fuhr er fort, duͤrften unſere Verfolger
und hier aufſuchen. Daher werden wir unge⸗
fort Kräfte fammeln zu dem einzigen, großen
Geſpenſterbuch 6. Theil, a
)
2
Zwecke, der Rettung des Vaterlandes vom Webers
muthe der Fremden:
Seufzend blickte Frau Geva, die ſich auch
dazu gefunden, zu ihm hinauf, und Alf ſagte
kopfſchuͤttelnd: So hegſt Du, nach ſo mannich⸗
fachen, unerhoͤrten Drangſalen und Noͤthen, noch
immer Hoffnungen in dem großen Herzen ?
Ei, was ſollte mir wohl ein Herz ohne Hoff ⸗
nung? Und fie will ich: fefthalten, auch denk
ich, daß meine Kieben mich eher darin unters
ftügen, als mir ſolches erſchweren werden.
Ein ernſter Blick, der dabei über Alf und
feine Gemahlin binftreifte, benahm allen Seufs
zern und Einmwürfen, auf einmal die Sprache;
worauf König Wittefind fie und den Freund
herzlich bei der Hand faßte und austief! Nach
fo langwieriger Wanderung wird uns der Schlaf
am beften hun. Morgen, Bei neuer Kraft, won
der Hauptfache!
%
Als aber Wittekind mit dem erſten Strahle
des neuen Tages an das Fenſter trat und alles
in einem weiten Kreiſe To zerflört und verddet
ſah, wie die Gegenden, aud denen fit geflüchtet
"waren, als bie, dur) länge Gewohnbeit feinem
Herzen am wertheſten gewordene, Umgebung,
gleichſam vernichtet vor ihm dalag, da mußte
8
er ſich zur Seite wenden, um der Gattin, welche
zu ihm trat, das naffe Yuge zu verheimlichen,
O ihr Goͤtter Rtief Frau Geva, ihm an die
Bruſt finfend, wad mag aus fo vielen Uugluͤck⸗
fichen geworden feyn, die vor Kurzem noch hier
Heerb und Wohnungen hatten ?
Zu Rachegeiſtern haben fie fich erhoben, ſprach
der Held, im Augenblicke gefaßt und begeiftert.
Ihre Herzen werben im. Biutse ber gefallenen
Brüder zu chernen Mauern werben, an denen
der Stolz diefer Franken zerſchellen muß. Auf
den abgebrochenen Wänden ihrer Wohnungen wer⸗
ben fie ihre Schwerter vorgen und den Kampf
für Freiheit und Recht Eräftiger und beffer ber
ſtehen als zeither! —
Hierauf begab fih ‚der König in Alf's Ge
mach und ging mit diefem hinunter in die win?
terliche Einoͤde, zu fehen, ob nody irgendwo eine.
Spur ded Lebend anzutreffen ſei. Aber nicht
einmal Zodte waren zu finden. Die ihrer
Beſchuͤtzer ensblößten Unbewehrten, ſchienen noch
zu rechter Zeit dem auslaͤndiſchen Heufchreden».
ſchwarme entronnen. |
Der Troſt, daß fo vieleicht eine Menge
Schuldloſer ihr Leben erhalten hätten, erleichterte
die beffommenen Herzen der Helden in etwas.
Saft aber hätte ſich die Zwietracht zwiſchen fie
eingedrängt, ald dem nach Rache and Sreiei
2
4
duͤrſtenden Könige Herzog Alf abermals Zweifel
am Gelingen des za erneuernden Kampfes ents
gegenſetzte.
Haben wir, fragte naͤmlich Alf, nicht ſchon
either. und werth gezeigt unſerer Abkunft, und
wohin find wir dadurch gekommen? — Meinſt
Du, daß das Sachſenvolk nun, nachdem ihm
alle Nerven zerfchnitten worden, ſeine Rechte beſ⸗
fer behaupten werde, als vormals, wie ed noch
in Fäle der Kraft: und des Muthes anfämpfte
gegen die fraͤnkiſche Uebermacht ? Und ift es das
dns allen Weltenden aufgeraffte, immer neuere
fegte, „feile Gefindel dieſes Karls wohl werth,
daß auch nur Ein edler Sachſe ſein Blut da⸗
gegen verſpruͤtze? — Was von und geſchehen,
iſt hauptſaͤchlich für unfere Götter geſchehen; was
aber haben diefe für und gethan? Unfere Opfer
haben fie hingenommen und freuen ſich, allem
Anſehen nach, unſeres Untergangs. Laß uns
ihnen vergelten. Wozu Goͤtter, die keinen Schutz
gewaͤhren koͤnnen oder wollen? Laß es uns mit
den Goͤttern verſuchen, die jenem Karl fo güns
ſlig find. Denn auf diefem Wege it wohl noch
eher Freiheit und Gluͤck zu gemärtigen für dad
ſachſiſche Volt. —
Da brach Wittefind in feinem Eifer hier⸗
"über alfo aus: So follten wir denn als Feige
linge befchließen die Sad, die wir zeither ohne
4
Gluͤck, aber nicht ohne Ruhm, gefuͤhrt haben?
So ſollten wir auf die Goͤtter es waͤlzen, wa⸗e
einzig der Ueberzahl des Feindes und der oft
allzugeringen Ausdauer der Unſrigen zuzuſchreiben
iſt ? Ja, auch dieſer mit, und zum Theil der
Tollkuͤhnheit, die da Angriffe wagte, wo an kei⸗
nen Erfolg zu denken. mar, Der Beſitz, bey
dieſe Franken undrauben wollten, der iſt oft unfer
Verderb geweſen. Dieſe Hütten, eine falfche,
vergängliche Heimath darbietend, drohten und. um
die unvergaͤngliche, dad ‚Vaterland, zu betrügen,
Wenn diefed von fremden. Zeufeln . befeffen iſt,
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerieben
wird, was follen und dba noch Güter und Mobs
nung und Bereinzelung der Stämme? Nein,
übergll wie hier, Feine Hütten mehr! Mit ihnen
zerfallen die Scheidewände hie und trennten, und
Maͤnner, Weißer und Kinder werden vereint
flürgen auf den Frankenſchwarm und Verzweif⸗
lung Trotz bieten feiner . eberzahl. Nur Vers
zweiflung Fonnte und helfen, fie iſt da und wir
werden gerettet feyn! —
3.
Bei diefen Worten waren fieim Weitergehen
auf eine Anhöhe gelangt, und erblidten endlich
in der Gerne ein Häuflein. Menfchen um einen
brennenden Holzhaufen verfammelt.
Dank den Böttern! rief der König aud. Zu
en I — ge -
‘ 9
.
A⸗ 2
2
Zwecke, der Nettung ded Baterlanded vom Ueber⸗
muthe der Sremden:
Seufzend blidte Frau Geva, die fih auch
dazu gefunden, zu ihm hinauf, und Alf fagte
kopfſchuͤttelnd : So hegſt Du, nah ſo mannich⸗
fachen, unerhoͤrten Drangſalen und Noͤthen, noch
immer Hoffnungen in dem großen Herzen?
Ei, was ſollte mir wohl ein Herz ohne Hoff⸗
nung ? Und fie will ich: feſthalten, auch denke
ih, daß meine. Lieben mich eher darin unters
ſtuͤtzen, ald mir ſolches erſchweren erden.
Fin ernſter Blick, der dabei über Alf und
feine Gemahlin binftreifte, benahm allen Seufr
zern und Einwuͤrfen auf einmal die Sprache ;
worauf König Wittefind fie und den Fteund
heizlich bei der Hand faßte und ausrief! Nach
ſo langwieriger Wanderung wird und ber Schlaf
am beften thun. Morgen, bei neuer Kraft, von
der Hauptfache !
2%
As aber Wittefind mit dem erſten Strafe
deö neuen Tages an das Senfter trat und alles
in einem weiten Kreiſe To zerflört und verdbet
fah , wie die Gegenden, aud denen fit geflüchtet
“ waren, ald die, durch lange Gewohnbeit feinem
Herzen am wertheſten gewordene, Umgebung,
gleichſam vernichtet: vor ihm dalag ‚da mußte
Inhalt
Der Heeethaler. Bon 5%. ,
Der Liebesfhwur. Von. F. 2,
Die Ruine von Paulinzel, Bon A.
Die Hausehre. Bon. »
Die Schuhe auf den Stangen.
Legende. Bon F. 2. oo.
Das filberne Fräulein. Von A.
| Ein Schwan
nah D. Martin Luther, Bon A.
B
—*
4
duͤrſtenden Könige Herzog Ulf abermals Zweifel
am Gelingen des zu ernenernden Kampfes ent⸗
gegenſetzte.
Haben wir, fragte naͤmlich Alf, nicht ſchon
zeither und werth -gegeigt unſerer Abkunft, und
wohin find wir dadurth gekommen? — Meinſt
Du, daß dad Sachſenvolk nun, nachdem ihm
alfe Nerden zerfchnitten worden, feine- Rechte befs
fer behaupten werde, als vormals, wie ed noch
in Fülle der Kraft und des Muthes anfämpfte
gegen die fraͤnkiſche Uebermacht? Und ift es das
and allen Weltenden aufgeraffte, immer neuers
feßte, „feile Geſindel diefed Karid wohl wert,
daß auch nur Ein edler Sachſe ſein Blut da⸗
gegen verſpruͤtze? — Was von uns geſchehen,
iſt hauptſaͤchlich fuͤr unſere Goͤtter geſchehen; was
aber haben dieſe für und gethan? Unſere Opfer
haben fie hingenommen und freuen ſich, allem
Anſehen nach, unſeres Untergangs. Laß uns
ihnen vergelten. Wozu Goͤtter, die feinen Schutz
gewähren koͤnnen oder wollen? Laß ed uns mie
den Goͤttern verfuchen, die jenem Karl fo guͤn⸗
fig find. Denn auf diefem Wege iſt wohl noch
eher Sreiheit und Gluͤck zu gemärtigen für dad
fächfifche Boll. —
Da brach Wittelind in feinem Eifer Biere
über alfo aus: Go follten wir denn ald Feig⸗
linge befchließen die Sache, die wir zeither ohne
*
Gluͤck, aber nicht ohne Ruhm, gefuͤhrt baden?
So folten wir auf die Götter es wälzen, mad
einzig der Ueberzahl de Feindes und. der. oft
allzugeringen Ausdauer der Unſrigen zugufchreibep
ft? Ja, auch diefer mit, und zum Theil der
Tollkuͤhnheit, die da Angriffe wagte, wo, an Feis
nen Erfolg zu denken. war, Der Beſitz, dep
dieſe Franken und rauben wollten, der iſt oft unfer
Verderb geweſen. Dieſe Hätten, eine falfche,
vergängliche Heimath darbietend, drohten uns um
die unvergaͤngliche, das Vaterland, zu betruͤgen.
Wenn dieſes von fremden Teufeln beſeſſen iſt,
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerieben
wird, was follen und da noch Güter und Woh⸗
nung und Pereinzelung der Stämme? Nein,
übergl wie hier, Feine Hätten mehr! Mit ihnen
zerfallen die Scheidewände die und trennten, ‚und
Männer, Weiber und Kinder werden vereint
ſtuͤrzen auf den Frankenſchwarm und Verzweifs
lung Trotz bieten feiner Ueberzahl. Nur Ber
zweiflung konnte und helfen, fie IE da und wir
werben gerettet feyn! —
3.
Bei diefen Worten waren fieim Weitergehen
auf eine Anhöhe gelangt, und erblickten endlich
in der Ferne ein Häuflein Menfchen um einen
brennenden Holzhaufen verfammelt.
Dank den Göttern! rief der Königaud. Zu
. —*
&
ihnen ! Sie follen, wenn fie brave Sachſen ſind,
als Mitwerber dienen im der großen Sache!
Über Herzog Ar fehlen bereitö im Herzen
feine Götter. zugfeich-mit der geitherigen Hoffnung
gänzlich aufgegeben zu haben. Darum ging er,
während Wittekind fich weiter über fein Borhaben
perbreitete, ganz ſtill ‚und sraurig neben dem
Soffenden her.
Dad Häuflein fand, wie fich bei ihrem Ders
annahen ergab, vor einem Priefter,, ber. ſchon
in ded Königs Sinne befdyäftigt war, indem er
feine Zuhörer "zur Bertkeibigung der alten Götter
aufforderte. Und ald Wittefind freudig außrief :
Das ift der Unſere! da gewahrte der auf der
Wand eined zerflörten Hauſes, erhöht vor den
Andern flehende Priefler die Ankommenden. Er
erfannte fie auch, troß ihrer geringen Kleidung
ſogleich, ging ihnen frohlockend entgegen, unb
zeigte den Männern, bie Ihn umgaben, Wodans
wunderbare Schickung In diefem Creidniffe.
Wittekind ſelbſt erinnerte ſich ebenfalls des
filberhaarigen Prieſters, Namens Ufo , den er
vor Kurzem erfi am Marz bei feinem Schwager,
dem Herzog Ehrenbrecht von Ballenftddt-, geſehen
hatte. Er war ein Eiferer für die alten Götter
wie Feiner mehr, und taugte barum nur bdeflo
beffer zu dem Borhaben, da6 Volk für die alls
gemeine Sache zu entzänden.
Vorrede.
ibn "
Durch Abhaltungen fehr verfchiedner Art
ward ich gehindert, zu dem zweiten Bands
chen des Wunderbuches die Beiträge in
Demfelben Verhaͤltniſſe zu liefern, wie zu
Den früheren Dänden des Gefpenfterbuches.
Mein Freund Friedrich Laun bat dagegen
Diefes zweite Bändchen fo vorzliglich und
fo reich ausgeftattet, dag ich meinen Dank
dafür gern mit dem Dank ber tefer vers
einigen möchte, wenn unfer Freund nicht
aus einer beſondern Vorliebe für Erhal⸗
tung und Herftellung des Gleichgewichtes,
wenigftens in der Wunderwelt, darauf
beitände, eine Ausgfeichung auszuüben,
und feine Beitrdge für das Dritte Bands
hen zum Theil. durch Anweifungen auf
geleiftete Vorſchuͤſſe im zweiten Bands
&
geht dem Vaterlande ohnfehlbar gäng verloren,
wenn — —
Nun, ſo vollende doch! verſetzte Wittekind,
als Uffo hier innehielt.
Wenn — Du ihm ungänflig feyn | ſollteſt ⸗
fuͤgte der Prieſter hinzu.
Warum denn ih?
Weil feine vermeflenen Wuͤnſche ⸗ ia bis zu
Deinem Stamme hinauf verſteigen. —
Sprich wenigſtens deutlich aus, was Du
davon weißt,
Nun denn, verſetzte Ufo, er liebt Fräulein
Swanehilden, die Tochter des verſtorbenen Gras
fen von Ningelöheim. Er lebt nur noch im
Gedanken an fie, Seine Befanntfchaft mit ihre
roͤhrt ber von Deinem legten Befuche des Here
3098 Ehrenbrecht, wo Frau Geva, Dein Gemabl,
fie mit fich hatte, - Aber er geht lieber in feinem
Grame unter, als daß er eine verwegene Ans
ſprache bei Dir um fie thun ſollte. —
Nah Furzem Innehalten fuhr der Priefler
alfo fort: Leider, fehe ich num wohl, daß das
Schweigen des jungen Unglüdlicdyen beffer war,
als die Mede, mit der ich einen. wadern Kämpfer
für die gute Sache zu erwecken hoffte. Ich fehe
dad an meined Königs Yuge, welches finfler wird
bei meiner Entdeckung und ſich von mir abs
wendet,
” 9
Ehrwuͤrdiger Uffo, ſprach hierauf Wittefind,
Du irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein
Neffe iſt mir nicht unbekannt und mir Freuden
wollte ich ihm Swanehilden von Ringelsheim zum
Gemahl geben. Leider aber weiß Frau Geva fo
wenig von ihr alt ich ſelbſt. Ohnfehlbar muß
ſie bei unſerer vorletzten Flucht in der Feinde
Haͤnde gerathen ſeyn, fie und mein Soͤhnlein mit
ihr. Vieleicht gehoͤren ſie beide zu den Fuͤnfte⸗
halbtauſenden, welche der Wuͤtherich an dr Aller
ermorden ließ} — 5
Wittefind ftand Tange in feinen Schmerz ders
funfen. Dann fuhr er fort: O «6 war ein
gutes, herrliched Wefen, diefe Swanehild, und
Dein Heinrich iſt mir um fo lieber geworden, nun
ich weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte.
Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Meine °
Geva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar
manches erzählen, and den Juͤngling dadurd
anflammen zu raͤchen die Verlorene an ihren
Mördern,
Schon am folgenden Morgen traf Heinrich
von Efchen auf der Wittefindeburg ein, um mit
dem Könige und deſſen Gemahlin Swanehildene
Schickſal zu beflagen, Wittefind hätte die Haupts
mannßflelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗
glühendern anvertrauen koͤnnen. -
— ar Zee FE
—
&
geht dem Waterlande ohnfehlbar gang verloren,
wein — —
Nun, fo vollende doch! verſetzte Wittekind,
als Uffo hier innehielt.
Wenn — Du ihm unguͤnſtig ſeyn Fa!
fügte der Priefter hinzu,
Warum denn ih?
Weil feine vermeffenen Wanſche · ſich bis zu
Deinem Stamme hinauf verfleigen. —
Sprich wenigftens deutlich aus, was Du
davon weißt,
Nun denn, verfegte Uffo, er liebt Fraͤulein
Swanehilden, die Torhter des verftorbenen Gras
fen von Ningelöheim. Cr lebt nur noch im
Gedanken an fier Seine Bekanntſchaft mit ihr
röprt ber von Deinem legten Befuche bed Her⸗
3096 Ehrenbrecht, wo Frau Geva, Dein Gemabl,
fie mit ſich hatte, - Aber er geht lieber in feinem
Grame unter, ald daß er eine verwegene Ans
ſptache bei Dir um fie thun follte. —
Nah kurzem Innehalten fuhr der Priefler
alfo fort: Keider, fehe ich num wohl, daß das
Schweigen bed jungen Ungluͤcklichen beffer war,
als die Mede, mit der ich einen wadern Kämpfer
für die ‚gute Sache zu erwecken hoffte. Ich fehe
dad an meined Kbnige Yuge, welches finfler wird
bei meiner Entde@ung und fih von mir abı
wendet,
” 9
Ehrwuͤrdiger Ufo, ſprach hierauf Wittefind,
Du irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein
Neffe iſt mir nicht unbekannt und mit Freuden
wollte ich ihm Swanehilden von Ringelsheim zum
Gemahl geben. Leider aber weiß Frau Geva ſo
wenig von ihr als ich ſelbſt. Ohnfehlbar muß
fie bei unſerer vorletzten Flucht in der Feinde
Hände gerathen ſeyn, fie und mein Soͤhnlein mit
ihr. Vieleicht gehoͤren fie beide zu den Fuͤnfte⸗
balbtaufenden, ka der Wuͤtherich an der Aller
ermorden ließ!
Wittelind ſtand lange in feinen Schmerz ders
ſunken. Dann fuhr er fort: 'D «6 war ein
gutes, herrliched Wefen, diefe. Swanehild, und
Dein Heinrich ift mir um fo lieber geworden, nun
ich weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte.
Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Meine '
Geva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar
manches erzählen, amd den Süngling dadurch
anflammen zu raͤchen die Verlorene an ihren
Mörbdern.
Schon am folgenden Morgen traf Heinrich
von Efchen auf der Wittefindöburg ein, um mit
dem Könige und beffen Gemahlin Swanehilden«
Schickſal zu beflagen, Wittekind hätte die Haupt⸗
manngflelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗
glühendern anvertrauen fonnen.
EEE Do ne
near
40
5
Inzwiſchen verlautete die Rückkehr ded Kbnigs
Immer mehr und mehr in der Gegend. Alt
beeiferte ſich, fein Haus mit dem. Nbthigen zu
verſorgen. Auch nahm tagtäglich die Zahl ber
alten ; erprobten Freunde aufder Burg zu, tag
täglich trafen-fowohl ganze Schaaren ald klei⸗
nere Haufen in der Gegend ein, um der allge
Meinen Sache beizutreten. B
Um thärigften arbeiteten. ber Greis Uffo und
fein Neffe Heinrich an der geheimen Zufammens
berufung ber durch daß erlistene Kriegsungluͤck
überall Hin verfireueten Volkshaͤupter.
Aber die Bollmondnacht , in welcher der ger
woͤhnliche Waldyplag die Verfammelten umgab,
zeigte dem Könige und Alf, die yol Vertrauen
dahin eilten, welch ein neues Unglüd über dad
Wolf der Sachfen hereingebrochen war. Viele der
angefehenften, erleuchtetfien und tapferfien Gau
grafen, auf welche man vorzüglich gerechnet hatte,
waren wenige Tage zuvor, in Folge von Karld
Befehlen, nebft andern ausgezeichneten Perfonen
ergriffen und mit MWeibern und Kindern weit
hinweg geführt worden; zehntaufend Stämme
an der Zahl.
Die Luͤcke, welche hierdurch entftand, war
allzugroß, ald daß ſogleich zur Ausführung ded
teuen Planes Hätte gefchritten werden Können.
..
11
Dog die allgemein aufbraufende Enbitterung über
Diefen abermaligen graufamen Berfuch, dad Sach⸗
ſenvolk an feiner Wurzel zu zerſtoͤren, ſchien den»
nod für den Gewinn einer beſſern Zufunft zu
bürgen. :
So ſchwoͤret denn! rief der König, im Gefuͤhl
der Wonne dber ihren Ingrimm fein Schwert
ausziehen, und alled drängte ſich verlangend um
ibn ber. Allein mit finfender Stimme -fuhr er
fort: Doch nein, ſchwoͤtret nicht. "Auch Huffipon
und Bruno”) ſchwuren einft bei dieſem Schwerte,
zu fiegen ober zu flerben, und Bald darauf kro⸗
chen fie zu den Füßen unfered Feindes um Ver⸗
zelfung und Gnade. Denket an Freiheit und
Götter, fo wird es des entweihten Schwures
nimmer bedürfen!
. Und als man auseinander giug, da dammerte
mit dem anbrechenden Fruͤhrothe in Wittefinds,
durch dad Andenken an die freulofen Heerführet
wieder trübe gewordenem Herzen auch die Hoff—⸗
nung von neuem auf, und er fchlug dem Herzog
Alf, der tief in fich gekehrt nehenihm ging, auf
die Schulter und fagte: Fieber, ermanne Did,
Giche, wie nach der Nacht der Morgen daher
fommt. Auch unferm hart gemißhandelten, zer⸗
trennten Volke wird fein Morgen nicht qusblei⸗
”) Heerfuͤhrer von Sachfen.
42.
ben. Leuchter doch immer noch diefelbe Sonne,
die und zum Siege bei Suͤntal leuchtete! —
\ et 6, .
Eines Nachmittags , als Wittefind eben mit
feiner Gemahlin und dem treuen Alf auf der
Burg bei der waͤrmenden Flamme von der Zus
Funft redete, und bed Herzogs Kummer über bie
durch Abfall von den Gdttern der Vaͤter mit
jedem Tage .erfolgende Verminderung des ſtreit⸗
baren. Häufleind zu Iindern fuchte, da meldete
plögli ein Nitter drei vornehme Sranfen, welche
ben König. zu, fprechen wuͤnſchten.
. Und die Königin fland erfhroden auf und
rang die Hände und rief: Sa haben denn auch
Biefe unwirthbaren Trümmer der vormals fo ans
fehnlichen Burg uns nicht verbergen Fhnnen vor
unfern Keinden ! Aber Wittefind gab ihr einen
Wink zum Abtreten und fagte, baß er die Ans
koͤmmlinge erwarte. 5
Alsbald traten die Franken in das Gemach,
an ihrer Spitze Herr Amalwein, der geheime
Rath des Koniged Karl, der mir Wittekind ſchon
fruͤher, aber fruchtlos, Unterhandlung anzuknuͤ⸗
pfen verſucht hatte. |
Karl, der König der Sranfen, fo begann er,
entbietet Euch, Herr Wittelind und Herr Alf,
feinen Gruß! Euern flandhaften Sinn und mann»
Iced Gewahren achtend, wünfcht er aufzurichten
13
mit Euch ein Zriedends und Freundſchaftsbuͤnd⸗
ni, dad Eurem fireitbaren Volke und Euch ſelbſt
zu Segen und Ruhme gedeihen fol. - _
Herr Amalmein, fo verfegte hierauf der Sachs
fenfürft, unfehlbar Hat Euch auf der Neife nach
Kundfchaft in der Gegend ein Zufall unfern Auf⸗
enthalt entdedt, und Ihr blähet Euch nur mit
bem Borgeben eined Befehls von Euerm Herrn
darum, weil Euch ein fichered Geleite durch die
Meinigen ndthig duͤnkt, Die Ihr hier nicht vers
muthend waret. Woher wüßte denn. König Karl
von unferm hiefigen Aufenthalte? — |
Meinet hr, entgegnete der Franke, daß hr
darum hier verborgen hauſet, weil Ihr Eure
Burg in ber Zerflörding und jedermann zugaͤng⸗
(id) gelaffen ? So follte mein König wohl gar
glauben, daß Ihr, wie überall verbreitet worden,
in Juͤtland wäre, um bort gemäcdhlich auszu⸗
ruhen von den erlittenen Unfällen? Nein, Herr
MWittefind, er weiß alle. Kr weiß, mie feit
Eurer Ruͤckkehr die hiefige Gegend fich wunder
barlich belebt hat, wie die zahllofen Wachtfeuer,
ſo alle Naͤchte aufſteigen, ihn mit baldigem Wie⸗
derausbruche der Feindſeligkeiten bedrohen. Ja,
er weiß ſogar, mit welchen Beſchluͤſſen die Ver⸗
ſammlung im letzten Vollmonde auseinander ging.
— Aber er will nicht wiſſen, nicht hoͤren, nicht
ſehen; nur Euer Freund will er werden! —
14
Und hierzu, rief Wittefind fpottend aus, ja
ſolchem Zwecke find von ihm wohl auch eben
zehntauſend der erflen meines Volkes ihrer lieben
Heimath entriffen und getrieben worden in ein
Reich, das wegen feine Herrſchers Raubgier
jeder Sachſe verabſcheuen muß. —
Ja, ſprecht, Herr Amalwein, fo fügte Herzog
Af hinzu, that Euer König dieß auch, um dar
durch feinen Freundſchaftsbund⸗mit uns einzu⸗
leiten ? ⸗
Und, verfetzte der Franke, rechtfertigen die
Vorgänge in hieſiger Gegend ſolche Maßregel nicht
volig? Bei meinem Worte, nur an Euch is,
die Entfernren wieder zuruͤckzufuͤhren. Folget
mir. Sobald Yhr den fchredlichen Glauben aufs
gebt, der Eier Volk zu Grunde richtet, wird
der aroße Karl Euch ald Freunde und. Bundes
genoſſen umarmen, welche Ihm um fo lieber feyn
werden, je fehrerer ihm der Verein geworden,
der beiden Völkern nur Heil verfpricht. Er wird
jeden Verwieſenen in die Heimath zuruͤcklaſſen,
jeden, für deffen Treue Ihr Euch zu Buͤrgen
fie. -
An glatten Worten fehlt's Euch nie, Ihr
Sranfen! ſprach Herzog Alf. Wie würdet Ihr
unfer fpotten, wenn wir barauf hin Euch trauen,
Euch folgen wollten in ber Feinde Gewalt!
Herr Alf, entgegnete der Granfe, verfennet
15
richt meinen und meines Gebieter6 argloſen Sinn.
Eure Zweifel alle zu zerftören, fol ich diefe Beis
den Stügen feined Throned, Herrn Stephan von
Montfort und den Grafen Heinrich von Hennens
berg, als Geifeln zuruͤcklaſſen auf diefer Eurer
Burma — - r »
Hm, rief Wittekind, zu dem’ Grafen Heim
sich gewendet, Ihr, mit dem rähmlichen, deut,
fhen Namen, ein Bürge für dad Wort dieſes
Chriſtenkoͤnigs? Auch geltet Yhr viel Bei ihm,
wie ich höre, Ihr, deſſen Schweſter Hadmurh
mein Vetter, Beringer von Ballenflädt , zum Ges
mahl begehret hat? Aus meinem Angeficht, Graf
von Hennenberg! In der Schlacht nur verlange
ich dad Eure zu fehen, nicht bier. Denn mir
biutet dad Herz neben einem Berräther zu flchen
ohne mein Schwert zuͤcken zu dürfen gegen ihn. —
Und Ihr, Herr Amalwein, gehabt Euch wohl,
und faget Eurem Könige — — fagt ihm meinets
wegen was ‘hr wollt; nur nichtd von meiner
Steundfchaft für ihn. und feine Götter. —
Herr Wittefind, erwiederte Amalwein, Eure
bittere Neue wird diefe günftige Stunde gewiß
nur alzubald, aber vergebens zurüud verlangen !—
Ich habe Keine Reue, als über die Langmuth,
mit ber ich Euch anhörte! eiferte der König, ihm
den Rüden kehrend.
Here UF! — Hiermit ging der Abgefandte
E
u
16.
barauf fchmeichlerifch diefen an. Doch derfagte,
auf Wittefind deutend: Was er ſprach, hätte
auch ich gefprochen ; denn wir theilen, wie unfer
Scidfal, fo auch die Geſinnung! —
7.
Die beiden Helden rathſchlagten noch, ob fie
unter ſolchen Umfländen bie Burg mit einem ges
meinen, heimlichern Aufenthalte vertaufchen folften,
ald die Königin wieder hereintrat. Der fehmere
Kummer in ihrer Miene fchien eines fhleunigen
Troſtes zu bedürfen. Daher vielleicht ſprach ber
theilnehmende Gatte jetzt auf einmal entſcheidend:
Wir bleiben! Obfchon verrathen und ohne Wälle
und Thürme, bleiben wir in ber Iuftigen Befte !
Mir fenden Boten an dielinfern, um ihnenvon
dem Ereigniffe Kunde zu geben. Ihre Wachſam⸗
keit und Zreue iſt und ein befferer Schuß als der
feftefte , ftofzefte Wohnort. —
So geſchah es auch. Uebrigens unternahm
man fraͤnkiſcher Seits nicht einmal einen Verſuch,
den Sitz der Sachſenheerfuͤhrer zu beunruhigen:
Allein grade diefed erregte dem Könige Ges
forgniffee Je ruhiger die Arglift ausfieht, fprach
er einsmals zu Alf, deflo eifriger fei man auf
der Hut! —
Leider Tonnten die Hoffnungen, die allgemein
auf die Befchlüffe der naͤchſten Bollmondnacht
gefegt wurden, nicht gehbrig in Erfüllung geben.
17
Die Zeit zwiſchen Winter und Trähfing war
Schuld daran. Bei dem Austreten einer Menge
von Strömen und Flüffen konnte aus den meiften
Gauen niemand fi einftellen, fo daß die Vers
fammlung nod minder zahlreich und vollſtaͤndig
feyn mußte, als das erfte Mal. "Auch warfen
ſich, felbft wenn die Anmwefenden im Geifle ber
' Uebrigen, den fie Fannten, hätten einen fchleus
nigen Krieg befchlieffen wollen , der nöthigen Kraft
des letztern, eben die ausgetretenen Gewaͤſſer ber
hindernd in den Weg:
Wittekind fagte daher! Still und defonnen,
meine Freunde! Ein rohes Aufbraufen gegen Zeif
und Umſtaͤnde hat und zeither das größte Verderben
bereitet. Die Beinde wiffen ed, und fcheinen abers
mals darauf zu lauern. Wir müffen erſt beiſam⸗
men, ober gewärtig feyit , und buch bie bluti gſten
Anftrengungen bad Joch ber Knechtſchaft ſelbſt auf
den Naden für ewig zu heften. Der zweite Boll»
mond nad) dem heutigen wird vielleicht unferm
Bereine gänftiger ausfallen.
Da erhob ſich hier und da ein Mütten untet
ben fchlagfertigen,, rachedurfligen Helden. Doch
Wittefind ſprach: Wohl dem Volle, deffen Vor⸗
fieher von ſo edler Ungeduld brennen, aber wehe
ihnen, wenn fie dad Feuer nicht zu bewahren
wiffen bis zur rechten Zeit und Stunde!
Hierauf Fein Laut weiter. Uffo opferte den Goͤt⸗
Geſpenſterbuch 6. Theil, B
— — ——
16
tern, und die Berfammelten fehieben in -tiefer Ehr⸗
fürdyt von dem Könige, welcher mit dem Herzog
Alf nach der Burg zuruͤckehrte.
8.
Ein ſchoͤner Fruͤhlingstag gieng eben zu Ende.
Auf fein Schwert geſtuͤtzt ſtand König Wittekind
am Fenſter. Komm, rief er ſeiner Gemahlin,
welche fpinnend beim Noden faß, komm und laß
ab von Deinem traurigen Dändewerf und erquide
Did mit mir an dem rothen Slanze, worin Die
ganze Gegend aufzulodern ſcheint. Sieh den Hells
gruͤnen Anflug der lange genug traurig geweſenen
Bäume und gebenke babei anferer füßen Hoffnuns
‚gen auf eine gleiche Erneuung. |
Ä Wohl dachte ich ſchon daran, verfegte die
Königin. Auch würde ich ficher laͤngſt die Spins
del verlaffen haben, um an Deiner Seite hier
zu flehen, hätte ich Dein Sinnen nicht zu flören
geſcheut. Iſt es doch heute ohnehin weit fliller
und freundlicher in meiner Bruftald zeither.. Als
folle eine gute Borfchaft oder ſonſt ein erfrenlis
ches Zeichen vor außen fommen, fo treibt es
mic) den ganzen. Tag von Zeit gu Zeit nach den
ben Fenſtern. —
Nur wenn ich da bin, tab fie mit finfender
Stimme fort, Fehrt, leider! die alte Pein zus
ruͤck. Denn ich fehe nichts als die. zerſtorten
Huͤtten! jo
19
Michts, ſagſt Du, mein Herz?‘ entgegnete
ter König. Biſt Du mit ſehenden Augen fd
blind, daß Dir über dem Zerbrechlichen , dad wir
vergeffen follten, det Strom des Lebens under
merkt entrinnet, der allenthäfben flarf-und ans
muthig hervorquillt, der Dich eben, wie mid,
an das Fenfter Tot?
Erfpare mir nur heute Deinen Zorn, mein -
Herr und Gemahl. Bin ich doch eben heute die
Bekuͤmmerte gar nicht, welche Di feit dem letz⸗
sen, umerfeglichen Berlüfte immer vergebens zu
tröften ſuchteſt. Du bift nie hart gegen mich,
theuret Wittelind. Uber heute fei zwiefach mild,
weil ic) fo weich Bin und empfaͤnglich für jedes
Reid und jede Freude! —
Wittekind Tiebfofete ihr, und als fie wieder
zum Fenſter blickte, da'rief fie aus: Sieh eins
mal den Staub bort auf dem Wege. Das iſt
von Roſſes Hufen. Sollten wir noch Beſuch
erhalten ?
Wer muß das ſeyn ? ſprach der König Sieh,
den herrlichen Braunen, der die Uebrigen weit
hinter fich (At. Ein Srauenbild darauf; nicht?
Ja wohl, antwortete fie, and hinter der erften
noch einige Frauen, dann Nitter, die ihnen zus
Begleitung dienen mögen. — -
Frankiſche Frauen und Ritter! ſprach der
Kbnig. Was fol dad? Duntt. Karl vieleicht,
32
m.
20
weil die Schlauhert feine® geheimen Rathes nicht
ſchlau genug war, nun meinen geraden Sinn mic
fhönen Frauen zu überliften? —
Die erfte Dame war indeß auf ihrem Roſſe,
gleich einem leichten Vogel ‚'in bad offene Burgthor
geflogen, und als die Uebrigen dieſes noch lan⸗
ge nicht erreicht hatten, ſchon oben In des Fürs
fien Gemache.
9.
Im Schimmer der Abendſonne glich dab hell⸗
Blonde Haar der Hohen Frauengeflalt einem Heilis
genſcheine, und fo wenig auch dad Fürflenpaar
auf das Chriftenthum und deſſen Heilige hielt,
fo war es doch beiden, dem Könige und feiner
Gemahlin im Auge zu leſen, daß eine Aberirdis
ſche Macht fich ihrer bemaͤchtige.
7 Wer feib Ihr, hohe Frau ? fragte nach einem
langen ‚ ſtillen Zwifchenraume der Betrachtung und
des Nachdenkens, Wittefind, der Fremden fich
nähernd, bie erwartungsvoll an ber Thüre ger
blieben war. Mit ihm trat auch feine Gemahlin
der Dame näher.
So kennt Ihr, mein theurer Ohm, und Ihr,
geliebte Bafe, Eure Swanchild gar nicht mehr ?
Hat denn die kurze Zeit von wenig Monden mich
Euerm Auge fo ganz fremd werden laſſen ?
Da flatrte das Ehepaar fih an.
-- Ja, fie iſl's! rief Frau Geva, und ſchlotj
luͤck, aber nicht ohne Ruhm, geführt haben?
o follten wir auf bie Götter ed wälzen, wag
nzig der Ueberzahl des Feindes und ber, oft
Uzugeringen Ausdauer der Unſrigen zuzuſchreiben
12 Ja, auch diefer mit, und zum Theil der
‚olfühnpeit,, die da Angriffe wagte, wo an kei⸗
en. Erfolg zu denken. war, Der Beſitz, den
ieſe Sranfen undrauben wollten, der ift oft unfer
Berderb geweſen. Diefe Hätten, eine falſche,
bergängliche Heimath darbietend, drohten und. um
die unyergängliche, das Vaterland, zu betrügen,
Wenn dieſes von fremben- Zeufeln . befeffen if},
wenn der ganze, große Volksſtamm aufgerichen
wird, was follen und dba noch Güter und Woh⸗
nung und Bereinzelung der Stämme? Nein,
übergll wie hier, Feine Hütten mehr! Mit ihnen
zerfallen die Scheidewaͤnde hie und trennten, und
Männer, Weider und Kinder werden vereint
flürgen auf den Frankenſchwarm und Verzweif⸗
lung Zroß bieten feiner. Heberzahl. Nur Vers
zweiflung konnte und helfen, fie iſt da und wir
werden gerettet ſeyn! —
3.
Bei dieſen Worten waren ſie im Weitergehen
auf eine Anhoͤhe gelangt, und erblickten endlich
in der Ferne ein Haͤuflein Menſchen um einen
brennenden Holzhaufen verſammelt.
Dank den Göttern! rief des König aus. Zu
.-
x
3 22 -
denthraͤnen dem Himmel ſtill zufehrte, ſieh, die
Goͤtter haben uns nicht verlaſſen. Sie werden
euch unſerm Bolfe gnaͤdig ſeyn! —
Drauf rief er hinaus, damit ein Mahl bes
reitet werde für Smanchild und deren Begleitung.
Allein was letztere betraf, fo Börte er, fie habe,
fo bald fie vernommen, daß daß Zräulein dab
Sürftenpaar angetroffen, ihren Ruͤckweg auf der
Gtelle wieder angetreten,
Seltfam , höchft feltfam ! ſprach der König,.
Die Ungefommene mit dem Auge um die Urfadhe
fragend. Uber Swanchild bat ihn, dieß nor der
Hand auf fid beruhen zu Jaffen, indem fie ihm ein
ander Mal guügende Aufklärung barüber zu geben
denke.
Der Koͤnig Bigigre diefen Aufſchub und fagte :
Net, mein Kind. Die erfien, herrlichen Aus
‚genblide nicht. an ſo gleichguͤltige Dinge ver⸗
ſchwendet.
Dringe aber Du ebenfane. nicht jetzt mie
Tragen in fie, mein Gemahl, fagte hierauf Frau
Geva, die hinaus ging, um auf die: Mahlzeit
ihr Auge zu richten. Denn wie. wenig auch
ſonſt der Neid mich gufechten mag, fo Beneibe
ich Dir doch ſelbſt die geringfte Kunde von Swane
-Bildend zeitherigem Lehen, wenn ich ſie nicht mit
Dir cheilen ſol.
\ .ı
7
Wittekind theilte ihm feinen Anſchlag mit,
D der prieſterliche Greis ſagte: Das dachten
‚cr alle, daß der Koͤnig fein Volk und feine
Dtter Dem Berderben entseißen merde. Und frin
Zeg dazu ift der rechte, fa muß ber Sieg unfer
pn. Ya, Fein Eigentum mehr, ald Schwert,
anze und Schild. Kein‘ Eigenthum, bis dieſe
sranfen vertrieben. und nichts. von ‚ihnen Abrig
ft im Exchfenlande, denn todtes Gebein! Mogen
Hütten und Wälder zum: Beuerfirome "werden!
In diefem wird unfer Muth fi härter und
träftigen zu Erfämpfung anderer, fchönerer Hüte =
sen , welche. die Weichlichleit der Feinde für ſich |
zu erbauen glaubte: Und noch glücklichen der,
der in dem großen Kampfe untergeht. Denn ihm
wird Wodan entgegenziehen auf dem glänzenden
Steipner 7), um ihn ned Walhalla zu führen
an die Lafel der ewigen Goͤtter!
4.
2116 Uffo bierauf ben Köniz und Alf zuruͤck⸗
begleitete nach ber Wittekindsburg, da gedachte
der Priefler unter mehreren jungen Helden, bie eu
zu Anführern vorfchlug, auch eines Heinrich von
Eſchen, feined Brudersſohns. Keider, fprach er,
iſt der tapfere Gefell, in Folge einer ungluͤckli⸗
hen Leidenfhaft zum Zräumer geworden, und
*) Ein Pferd des Kriegegoties Wodan, welches acht
Beine hatte.
2
wie Im Zuſammenhange Deiner Gerichte blels
ben und Fein wichtiger Umfland fi und ent
sichen möge:
" Barum bift Du "aber fo bang und bewegt,
Swanehild 3 fragte jetzt Wittekind, als diefe, nach
langer, nachdenklicher Stille, in einen lauten
Seufger ausbrach.
Weil, antwortete dad Maͤghlein, weil mir
vorhin nicht entgangen ift, wie Dein Auge, mein
Ohm, vol trüben Ernſtes an meiner fremden
Kleidung haftete, Meine Begebenheiten muͤſſen
mich nothwendig auf’ Dinge und Perfonen zus
ruͤckfuͤhten, welche Urſache zu biefem Anzuge find
und darum Dein Mißfallen erregen dürften.
Sorge nicht, gellebtes Kind ! ſprach der Kbnig.
Laß es, wenn mein Ernft fich vergangen hat
gegen Deine Kleidung ; Kleider und Herzen find
gang verſchiedene Sachen, Sei Dein Kleid und
die nun verſchwundene Umgebung fo fränfifch als
fie feyn wolle, und wird es nicht irren, leuchtet
doch das alte, treue Sachſenberz noch Immer
aus Deinem Auge.
Das, rief Swanehild mit hoher Freude aus,
ja, das ift mein Stolz, daß ich dieſes noch rein
im Buſen trage.
Nun denn, fprach der König, ihre Hand faſ⸗
ſend, fo 'erzäple ohne Zögern und Ruͤckſichten,
Ehrwuͤrdiger Uffo, ſprach hierauf Wittefind,
irreft in der Quelle meiner Berräbniß. Dein
Fe iſt mir nicht unbekannt und mir Freuden
Uteich ihm Smwanehilden von Ringeldheim zum
:mahl geben. Leider aber weiß Frau Geva fo
nig von ‘ihr. al6 ich felbft. Ohnfehlbar mug
bei unferer vorlegten Flucht in der Feinde
ande gerathen ſeyn, fie und mein Shhnlein mit
r. Vieleicht gehören fie beide zu den Fünfter
ilbtauſenden, welche der Wuͤtherich an u Aller
morden ey —
Wittefind ftand lange in feinen Schrirerz vers
anfen. Dann fuhr er fort; O es war, ein
uted, herrliche Wefen, diefe. Swanehild, und
Nein Heinrich iſt mir um fo lieber geworden, nun
ch weiß, welchen Eindrud fie auf ihn machte.
Sende ihn zu mir fo bald ald möglich. Deine
eva wird ihm von ihrer lieben Swanchild gar
manches erzählen, amd den Juͤngling dadurch
anflammen zu raͤchen die Verlorene an’ ihren
Mördern,
Schon am folgenden Morgen traf Heinrich
von Eſchen auf der Wittefindsburg ein, um mit
dem Könige und deffen Gemahlin Swanehildens
Schickſal zu beklagen⸗ Wittefind hätte die Haupt⸗
mannsſtelle, die er ihm übertrug, keinem Rache⸗
glühendern anvertsauen Tonnen.
man
- Pr
26
rauhe Frage: Was giebt’ bei fo ſpaͤter Tages⸗
zeit ? nur noch tiefer bie Hermathlofen verwun⸗
ben. — Und wie Du nun, theure Pflegemutter,
mit Deiner aus Liebe für und zitternden Stimme
fo ſuͤß um Obdach bateſt, und dennoch der harte
Fiſcher Fein Ohr hatte, fondern die Thäre fcyeh
tend zuwarf, und ber Heine Wiprecht Dein Weis
nen durch feine Liebfofungen zum Schweigen Brins
gen wollte! Ach, wer wäre de wicht gerne in
ſolcher Angft vergangen? — —
JIch wohl nicht? fragte hier der —RX
laͤchelnd.
Nein, Vaͤterchen, verſttzt⸗ Swanehild
nicht. Ich ſehe Dich noch, wie Du, 3
des Vorgangs ſchweigend auf Dein Schwert ge⸗
lehnt, daſtandeſt, und no fo daftandeft, ale
aus dem: Zenfter der Hütte die Frage erſcholl,
ob wir und und unſer Winſeln endlich in Güte
foriſchleppen wollten ? — Die gute Mutter wars
ſuchte mun.die Worfiellung, welch ein boͤſer, ges
fa hrvoller Weg ed fei, da man vor Nebel den
Schritt nicht ſehen koͤnne. Uber zwei ſtarke
Maͤnnerſtimmen draͤueten zugleich, uns mit Ge⸗
walt fortzutreiben, wenn wir nicht ohne Verzug
Anſtalt zum Gehen machten. — Und als nun
Mutter Wiprechten und mid) bei der Hand faßte,
um fi wirklich mit und hinweg zu begeben, da
fagteft Du zu ihr: Halt, und riefft hinein in’
-
27
Senfter: Wollt Ihr Öffnen ? — Wie num flat
deffen ein fpottended Lachen herausſcholl, da zogſt
Du Dein Schwert und Biebeft auf die Thäre
gu, bis fie aus «inander fprang. Dann fahen
wir noch bei dem ſchwachen Lampenſchein Inder
Hütte, wie dort alles ſich zur Wehr feßte, Maͤn⸗
ner und Weiber. Wirhörten, wie Dein Schwert
mit ihren Waffen zufamnsenflang, — Und bei
Deinem Händeringen, beſte Baſe, wurde dem
einen Wiprecht foangfi, daß er Taut aufweinte
und Did) und mich immer weiter hinwegzuzle⸗
ben fuchte. : 3a, fagteft Du darauf Teife zu mir,
nur fort, immer fort von diefer Stätte dei‘
Todes und der Verzweiflung: : Water wird ſich
fhon behaupten ; nur. Ihr koͤnntet allzuleicht zu
Schaden Tommen. Ich muß feiner hier harren
Ihr aber’ geht, und haltet Euch nur immer
links, vom Sluffe abwärts; Bald komme ich,
meine lieben . Rinder zuruͤckzuholen. — Dazu
gabſt Du noch dem Fleinen Wipreche, der ſehr
über Kälte klagte, den eigemen Mantel. — Ich
ging nun mit ihm, wie Du und gefagt hattefle
Leider aber warteten mir vergebens auf die theus
re Mutter. J na
Nicht ihre Schuld war es, gutes Kind!
forah der König. Höre, wie ed und ferner
erging. Er waͤhrte eine ziemliche Zeit, che ich
| wich in der Hüͤtte behaupten konnte: bean ich
|
an \
28
batte ed mit wadern Gegnern zu thun. Yo,
vielleicht wäre ich niemald zu Stande gefommen,
wenn nicht einer von ihnen meinen Delm ent
zwei und berabgefchlagen hätte Der erfannte
mich nun, und fOgleich Beugte er fein Knie und
wehrte ben Uebrigen. — Auf meine jetzt herause
firdmenden Vorwuͤrfe wegen ihrer Unmenſchlich⸗
Feit gegen arme Flüchtlinge, fagten fie jedoch,
daß eben ihr Mitleid mit legteten fie dahin ger
bracht habe, Die Franken nämlich, wohl wiß
fend , daß fehon mancher verfolgte Sachſe inder
Hätte Zuflucht und Rettung gefunden, hätten
geſchworen, fie bei ber naͤchſten Entdeckung dies
fer Art mit der ganzen Hütte und Weibern und
Kindern gu verbrennen. Da ſchmerzte mich mein
Berfahren gegen die armen Leute garfehr, und
ed war mir ein großer Zroft, Daß. bei‘ Unters
ſuchung der Wunden, bie ich geſchlagen hatte,
euch feine einzige gefährliche ſich entdeckte. —
Deko ſchauriger überfiel ed mich, ald auf mein
Dreimaliged Rufen nah Euch, Ihr Lieben, Leine
Antwort erfolgte, und nach vielem frucdhtlofen
Umherleuchten vor der Hütte, endlich meine gute
Geva allein, und ganz Ieblod am Boden vorge
funden wurde. Bon Euch andern beiden Feine
Spur, bis nad) langer forgfältiger Behandlung
in der Hütte, meine liebe Frau, vor Kälte nur
erftarrt geweſen, wieder die Auge aufſchlug. —
. 29
Mir heftig bie Hand preffend, erwähnte fie (0
gleich den Rath, den fie Euch gegeben hatte.
Ach, fiel hier die Königin ein, ein Rath,
den ich oft ſo gern mit meinem armen Leben
zurüderkauft hätte! — Denke Dir, liebe Swanes
bild, den Todesſchreck, ald meine Verzweiflung
allenthalben vergebens nach Euch gerufen hatte,
als wir, verachtend die Gefahr, von den grau⸗
ſamen Franken gefangen zu werden, noch am
lichten Tage ben ganzen benachbarten Wald ver⸗
geben nach Euch durchſuchten!
Wo kamt Ihr denn bin, gutes Kind? —
Wir waren; erwiederte Swanehild, ein ziem⸗
liches Stuͤck in den Wald hinein. Ich waͤre
auch noch weiter gegangen, Aber dem kleinen
Biiprecht ward fo bange nach Eudy, daB er
durchaus nicht mit wollte Wir warteten daher
eine gute Zeit. Raum Tann ich Euch erzählen,
wie mir das Herz zitterte, ald dad Anfangs
fehr entfernte Gecheul eines Wolfes uns näher .
ruͤckte: und fonft auch Fein Laut im ganzen Ger
hoͤlze! — Doch endlich Flang es in der Weite
wie Huftritte. Bald drauf waren fogar Diens
ſchenſtimmen zu vernehmen, und ein Fadelfchein
drängte ſich muͤhſam durch den diden Schwefel⸗
dampf ded fortbauenden Nebeld. Vergebens
firebte ich jegt, mich mit Wiprechten zu entfers
nen. Er wollte durchaus dem Lichte zu, und
” IV
ſchrie laut auf, als ich ihn davon gu Fragen vers
fuchte. Hierdurch entdeckt, rief eine‘ Manns⸗
ſtimme und ein: Wer da? gu Wach Fam ein
Knecht mit der Tadel fchnellen Schritteß zu und
heran. — Wer feid Ihr, fragte ir. — Arme
Bertriebene, die der graufame Krieg des Obdachs
und der Eltern beraubie! war mtine Antwort: —
Dieß, und wahrfcheinlich noch meht dad fort;
dauernde Verlangen des weinenden Kleinen nach
feiner Muttet, lenkte zwei Damen, die nebit
einigen Nitterömännern zu Pferde waren, nad)
und zu. Sogleich nahm Die eine, welche auf
einem fchneeweißen Zelter faß, den Heinen Wipreiht
gu fi, den das Licht und die Liebfofung der
vornehmen Tremden zum Schweigen brachte. —
Sadıfen feid Ihr? fragte fie mich, Ich Fonnte
nicht ander ald ja antworten Nun, fuhr fie
fore, bier im Walde duͤrft Ihr.nicht Bleiben,
Kommt mit und auf eine Burg in ber Nach⸗
barſchaft. Erſt wenn es Tag geworden, kann
von Euerm weitern Fortkommen bie Rede ſeyn. —
Meine Seufzer und Weigerungen befremde⸗
ten die Dame wie bie Uebrigen. Dahinter ſteckt
wohl mehr! fagte einer ihrer Begleiter. Gewiß⸗
lich find dad Kinder vornehmer Slüchtlinge, welche
diefe hier erharren follen, und fo wäre vielleicht
ganz von ohngefähr ein guter Gang zu thun.
.Dieſe Rede erfchredite mich nicht wenig, da
31
ich Euch fo nahe wußte, auch die andern Herren
feiner Vermuth ung beitraten. Aber die Dame,
weit entfernt das Zutrauen zu täufchen, mit dem
ber kleine Wiprecht nad) ihrem bligenden,, buns
keln Auge hinaufſchaute, fagte: Wahrlich, unfere
Sache ift es nicht, foldhen Gang zu verfuchen,
und dem, Ungluͤcke feine legt Zuflucht, die freie
Luft, zu rauben. Mag «6 feyn, wie ed wolle,
dad Mägdlein .nebft dem Kleinen, fie follen mit
und, weil fie fonft hier gar leicht eine Beute
der Wölfe werden koͤnnten. — Dazu hieß fie
einen Ritter vom Pferde fleigen und mir ed eins
raͤumen. Morgen , fügte fie freundlich Hinzu,
dann helfe ich Euch felbft die verlorenen Ders
wandten wieder aufjuchen.
Hier ſchien mir, Eurer Gicherheit halber?
tbeurer Ohm, nichts weiter zu thun, ald mich
darein geduldig Zu ergeben. —
Es beliebte der Dame, die von allen Uebri⸗
gen hochverehrt vourde, mich ihr zur Seite reiten
zu laſſen; auch zeigte fie fih dermaßen gut und
leutſelig gegen dad unbefannte Mägdlein ,, daß,
als fie merkte, ihre Sragen nach meinen Vers
haͤltnißen fänden nur ſchwere und erfünftelte
Antworten, fie ganz davon abließ, verfichernd,
mein Zutrauen zu ihr werde bei näherer Befannts
ſchaft ſich ungefucht finden. —
O, fie war ſo mild und lieh, daß ich bereitö
3
R
die defte Höffnung faßte, durch ihre Beihürfe |
Euch, werthe Pflegeältern, am folgenden Mors
- gen zuruͤckzuerhalten. Uber mein Hoffen vers
ſchwand doch wieder, ald ich beim Anfommen
auf einer Burg vernahm, daß fie Bertha, die
Tochter ded Königs Karl, Eures Feindes, und
daß des Iegtern Kanzler, Herr Eginhard, in ihrem
Gefolge ſei. Da konnte ich wohl unmöglich von
meiner und Wiprechts Abkunft und von Eurer
Nahe reden wollen!
1%
Zum Gluͤck, fo fuhr Swanehild fort, begehrte
die Prinzeffin auch am andern Morgen mein
Geheimniß nicht. Ich ſelbſt aber, um von Euch,
theure Verwandte, auf anderm Wege vielleicht
Runde zu vernehmen, erzählte ben Umfland von
der Sifcherhütte, wo ich Euch verließ, fo, ald
ob mich am Abende, wie ich mit dem Kleinen
darauf zugegangen, um Schutz zu fuchen, ein
großer Lärm, der dort vorgewefen, in den Wald
verſcheucht habe.
Allein durch die Befchreibung ded Larmé und
der Gewalt, die der ziemlich nahe bei ber Burg |
gelegenen Fiſcherhuͤtte von bewaffneter Hand wir
derfahren fei, erreichte ich zwar die Abficht, daß
man darnach Erfundigung eingichen wolle, Doch
mein Bedauern mit den angegriffenen Fiſchers⸗
lenten theilten zwei Ritter, welche dabeiflanden,
35
keinesweges. Sie fagten vielmehr, dieſes Fiſcher⸗
haus habe zeither immer ihren Feinden eine heim⸗
liche Zuflucht abgegeben und die ihm deshalb fchon -
laͤngſt angebroßete Rache werde, meiner Erzählung,
nach , endfich wohl darüber herein gebrochen ſeyn.
Sie entſchloſſen ſich auch fekbft hinzugehen,. un
Erfundigung einzuziehen. .
Ach, was erfchütterten mich die Nachrichten,
welche ‚fie bald zufückbrachten:] Zufrieden mit dem
diedmaligen Benehmen. der Fiſchersleute, erzaͤhl⸗
ten fie, nach der letztern Aubſage, daß fluͤchtige
Sachſen es gemefen, die mit ſtuͤrmiſcher Hand
in die Huͤtte gedrungen waͤren, deren Eingang
man ihnen verweigert, Doch ſei der Lohn: da⸗
für den Angreifenden bald gefommen, indem no
gu rechter Zeit ein voräberziehendes srontenhaun
lein ſie gefangen weggefuͤhrt habe! —
Armes Kind! rief hier der Koͤnig, 9 Swane⸗
hild bei dem Andenken an die fo unfelige Nach⸗
richt ihr Auge bang zum Himmel erhob. Hein,
Liebe, gefangen wurden, wir nicht, wie Du nun
weißt, Auch geleitete und in der folgenden Nacht
der ded Weges ſehr kundige Fiſcher ſelbſt, bis
wir aus aller Gefahr waren.
Das Fräulein ‚verfehter Das erfuhr ich fpds
ter ebenfalld dur die Frau Eures Begleiters,
als fie Zifche zum Verkauf auf die Burg gebracht
hatte. Das Weib war jedoch in ihrer Sreude Aber
Geſpenſterbuch 6. Theil . &
54
das ſaͤchſiſche Maͤgdlein fo laut und geſchwaͤtzig,
daß ich wohl anſtehen mußte, mich ihr, als die
im Walde vergebens Geſuchte, zu erkennen zu
geben. — Denkt Euch aber die troſtloſe Zwiſchen⸗
zeit von mehrern Tagen bi zu dieſer Kunde!
Ach, kaum wußte ich meinem tiefen Schmerze
Graͤnzen zu ſetzen: es waren bie ſchrecklichſten
Tage meines ‚Lebens.
Deſto mehr kann ich die Prinzeſſin Bertha
ruͤhmen, die, das Fabelhafte der Geſchichte, welche
ich ihr für die meinige gegeben, ſchon damals
afennend, mich dennoch mit der größten Güte
behandelte: Desgleichen muß ich der bejahrten
MWittwe eined Grafen Kunz von Hennenberg ges
denden. Sie hatte ihre einzige Freude an dem
Heinen. Wiprecht, und trug, gleich der zärtlich,
fen Mutter, für dad Kind Sorge
. Hätte ich, da ich Euch, iheure Pflegeaͤltern,
nirgends aufzuſuchen, auch von keinem andern
Unterkommen fuͤr mich ſelber wußte, einen beſſern
Schutz für den Kleinen finden mögen, als auf ber
Burg biefer Allgemein verehrten Dame, die fich
erbot, ihm dort aufzuerziehen ?
Auf einer Burg den Hennenbergen zugehörig ?
fragte Wittefind mit finfterer Stirne. Undwif
fen fie von ded Knaben Abkunft? —
Noch immer nichts ! antwortete Swanehild. —
Ad, beim Abſchiede von dem Heinen Wiprecht
35
hätte ber Schmerz mid; Beinahe zum Widerrufe
des Berfprechend bewogen, ihn ber Gräfin anzus
vertrauen ! Allein fie beharrte auf der Erfüllung
meined Worted ; auch ftand ich an, Euern Sohn,
deffen Urfprung doch wohl einmat der Zufall offens
baren konnte, nach Paderborn zum Hoflager des
Königs Karl mitzunehmen , wohin die Prinzeffin
Bertha mich überredete , fie zu begleiten.
Wie, rief bier der Oheim aus, Du wag⸗
uf — —
Ei, verſetzte Swanehild, unter dem Schutze
der trefflichen Bertha haͤtte ich alles leicht wagen
koͤnnen. Auch will ich Euch geſtehen, daß ihr
ſo engelgleiches Wohlwollen meinem Herzen ſchon
auf der Reife nach dem Hoflager keinen laͤngern
Ruͤckhalt verſtattete. Nothwendig mußte ich zei⸗
gen, daß ich ihre Liebe nicht verkannte; ich mußte
mich ihr als die Verwandte des großen Wittekind,
ald deſſen Pflegetochter zu erkennen geben,
O Mißgriff der arglofen Unſchuld! rief der
König hier aus. Dich der Tochter des Wuͤthe⸗
richs zu entdecken, dem. das Lehen jede redli⸗
chen Sadıfen ein Gräuel iſt, der, gleich jene
römifchen Buben, der fich Kaiſer nannte ‚- dem
Sachſenvolke einen einzigen Hals wünfchte, um
das ganze den an der Aller durch ihn ermordeten
Zaufenden mit einem Male nachzuſenden! —
Danf den _ Göttern, daß ich Did wit babe,
' 2
Rn ut On _ Bm
56
Swanehild. Ewigen Dank den Lenkern der Den,
ſchenſchickſale, daß dem unglaͤubigen Frevler Deine
Abkunft, trotz diefem gefaͤhrlichen Zutrauen zu
feiner Tochter, verborgen geblieben iſt! —
Dazu ſchlang er feinen Arm fo feſt um fie,
als ob er ſich ihres Wiederdeſ itzes noch nicht recht
ſicher fuͤhle.
Wie aber, Vaͤterchen, ſprach das Sräulein,
freundlich. zu ihm hinaufblickend, wie, wenn König |
Rarl doch nicht nur meinen fächfifchen Urfprung,
fondern ſogar bie nahe Berwandtſchaft mir r Dir |
esfahren bätte,?
. Dann — rief Wittefind aus — dann muͤß⸗
ten alle feine Therme ſchon mit gefangenen
Schlachtopfern uͤberfuͤllt und alle feine Henkerbeile
bei Verden drauf gegangen feyn , ehe Du frei in |
unfere Arme haͤtteſt kehren kͤnnen! —
Und doch — verfeßte fie — bin ich ba, mich
Eurer Liebe zu erfreuen! — Ein Ritter, der mid
"einmal hier auf der Burg gefthen, erkannte mich
in Paderborn wieder, and entdeckte dem Könige,
was die Tochter ihm ſorgfaͤltig verheimlicht
hate. —
‚Dann biſt Du duch ein Wunder ber Argi
Por Btraufamen-entronnen! fprach die Koͤnigin.
Nein, theure.Bafe, antwortete Smanehild.
König Karl kam auf diefe Nachricht felber gu mir
in feiner Tochter Gemach und nannte mich for
21
:> für werloren geachtete, theure Kleinod feit in
2 Arme, und der König fland daneben und
nte nicht fatt. werden des Anfchauend einer
ftalt, im derer, wie er fpäterhin ſelbſt geftand,
’r freundliche Gdttin Hlyna geſehen, welche —
sch der Meinung feined Glaubend — von ber
ıswaltigen Frigga ihren Geliebten, den Menfchen
weiten als Schuggeift gefendet wird. — —
Sieh meine Uhndung! ſprach Geva zu ihm,
Swanehilden feinem Wohlgefallen überlaffend,
Mit ihr iſt bie freudige Unruhe, welche mich erfülls
=, zur veinen, koͤſtlichen Freude geworden. Swas
ehild fei geſegnet!
Das fei fie! fagte der König, faßte ded zars
‚ten Fraͤwleins beide Hände, und tranf auß ihren =
biauen Augen ein Entzüden, das er feit langer
‚ Zeit nit "mehr gekannt hatte. °
Ä Nun aber Mägdlen, ſprach jetzt Frau Geva,
zoͤgernd, weil fie fürchtete,; daß die Antwort ihre
früheren Beſorgniſſe in traurige Gewißheit ver⸗
wandeln koͤnne, nun ſage mir, weißt Du viel⸗
leicht auch unſern Sohn Wiprecht, den wir ww
gleich wit: Dir einbüßten?
Er lebt, theure Baſe; er ift gefund und
wohlbehalten auf einer Burg, mo freundlidh ger -
finnte Menfehen ihn Euch bewahren.
Sieh, Gera, fagte hierauf der König zu
diefer, die, auf einen Seffel gefunten, ihre Freu⸗
— X
Seine Sicherheit, entgegnete Wiettekind, bie
wird auch erft mit dem Untergange unſeres gane
zen Volkes anheben koͤnnen. Denn, das ſchwoͤre
ich ——
O nicht doch, beſter Vater, fiel Swanehild
mit fo bittender Stimme und heftig abwehrender
Geberde ein, daß der König mitten in feinem
Zorne wie von himmlifcher Gewalt gebunden, inne
bielt und den Schwur unvollendet ließ,
Mein theurer, mein gütigfier Ohm, fahr
Swanehild fort, der Himmel bewahre Dein ehrı
würdiged Haupt vor dem Fluche des Meineids.
Denke drum, ftatt aller Schwuͤre, aufein guͤt⸗
liches Bernehnien mit dem Könige der Franken.
Seit ich an feinem Hofe Iehte in Paderborn —
Genug für heute von ihm und yon Pader⸗
born! rief Wittefind aus. Daß der chriftfiche
Wuͤtherich inmitten des fonft fo ehrwuͤrdigen
Gdoͤtterwaldes von Teutoburg, an derfelben Stelle,
wo unter Hermann, unferm Ahnberrn, das deut:
ſche Bolt vom Joche der Römer ſich loßriß, fein
Hoflager halten darf, das ifteine ewige Schand⸗
fäule für die Nachfommen bed Helden, ' Nur
durdy Ströme yon Blut und Feuer mag fie ver:
tilgt werden,
Theuerſter Ohm, Ptach Swanehild, und druͤck⸗
ſe flehend ſeine Hand an die Lippen, ſagteſt Du doch
telber, daß es für heute genug ſei davon! —
”
10.
Miete rind mußte ſich, je laͤnger er dad Mi:
«in betrachtete, immer mehr Gewalt antban, "um
ihr 205 gzuruͤckzuhalten, das ihm auf der Zunge
ſchwebte, Aus dem fühen, kindlichen Waſen, das
RT. vor Des Trennung In; Bwanehilden‘ gelicht,
war eine fo feine, herrliche Jungfrau geworden,
DaB er zuweilen in Perſuch gerieth, fie unter bie
Hoben Afen *) zu rechnen. Auch ihre Stimm
(dien ganz andere ald vormals, So war noch
kein Wort, kein Ton ihm zu Ohr und Derzen
gedrungen, als der ihrige. Aur. die Kleidung
wollte ihm, weil fie die fraͤnkiſche Meife hatse,
wenig zuſagen. Gleichwohl fand er fie an ihy
wicht fo widrig, ald an. anderm fränfifchen Frauen⸗
zimmer, auch heſtand fi e in ben. feinſten, koſt⸗
barfign Stoffen, und er hätte überaus gern fps
aleich gewußt, wie fie in dieſe Kracht und zu fg
* sornehmen Geleit gekommen fei, ſcheute jedoch
die Frage, des von ſeiner Gewahlin ausgeſpro⸗
chenen Wunſches halber.
Ais Frau Geva zuruͤck und das Mahi unter
munteim, froͤhlichen Weſen vollendet war, ſo
fagte die erhabene Hausmutter: Nun, Kind, bes
richte und auch recht getreu wie ed Dir ergan⸗
gen iſt, und zwar von dem Augenblicke an, wo
Du mit Wiprechten Dich entfernteft, auf daß
*j Götter,
v
J
ı E Pan
m duͤſteres Sinnen verloren, vernahm indeft
fen Wittefind von den Reben der beiden rauen
pur dann und wann ein. einzelned Wort ohne
Bedeutung, Noch immer wußze er nicht wie
ibm vorhin bei dem unterbröchenen Schwure ger
fhehen warn Endlih aber flieg plöglih mit
dem Gedanken an Heinrich von Efchen der Wunfh
auf in ihm, Swanehilden wegen deſſelben behuts
fam augzuforfchen,, und er riß fich mit Gewalt von
feinen Betrachtungen los und redete dad Sräulein
alfoan ; Entſinneſt Du Dich noch unſers Aufentz
halts bei Vetter Ehrenbrecht am Harze ?
. Sar oft, befter Ohm, iſt mit diefe Reife in
Gedanken gewefen, antıvortete Swanchild. Wir
verlebsen dort fo mandjen Tieben ,. freundlichen
Zag. Aber, fügte fietiefer feufzend hinzu, daner
ben auch einen, der. fie faft alle verdunkeln koͤnnte.
Denn noch flodt mir-dad Blut im Herzen, wenn
ic: des Opferfeſtes gedenke, welches dort gehalten
. ward. Die armen Gefangenen, die, von bluts
bürfligen Prieftern verhöhnt , einem Kloße, Krodo
genannt, bingefhlachtet wurden! —
Zu Ehren. bed. racheheifchenden Wodan! —
fiel Wittefind zornig ein. Uber fein Zorn vers
ſchwand, ald er in die Ihräne des Maͤgdleins
blickte. Indeſſen war ey doch dadurch von dem
4
Zwecke felner Anrede abgefommen uud ſank in
fein voriges Nachfinnen zurüd.
Auch Frau Geva blieb nun, überwältigt von
Diefes neuen Unterflüßung ihred Argwohnd gegen
Swankhildens Glauben, faft den ganzen Abend
flumm und in ſich gekehrt.
14,
Herzog Ulf, der ent ſpaͤt In der Nacht von
einer Neife zuruͤckkam, war ganz trunfen vor
Sreude, ald er am folgenden Morgen die lange
Vermißte wiederfah. Er feßte ſich zu ihr, ſehr
. vergnägt fihtinend mit ihren Antworten auf feine
Sragen nach Karl und deſſen Umgebung und Ges
dräuchen,, während Wittelind und Geva, jedes
einzeln und weit entfernt von ihnen, in dem ſchon
am Abende begonnenen , nachdenFlichen Schweigen
verharrten,
Da duͤnkte ed dem Fraͤulein Zeit, dem Herzöge
von einem Vorhaben Mitthilung zu thun, dad zu
ihren erleſenſſen Hoffnungen gehört hatte, aber an
Wittekinds Abneigung gegen die Franken fcheitern
zu wollen fhien. Sie war nämlich von Karl, dem
fie Bid Wolmerflädr gefolgt gewesen, mit der Zuſa⸗
ge gefibieden , ihrem Oheim und Ulf, die in der ler
ten an fieergangenen Gefandfihaft zuruͤckgewieſene
Bitte um eine mündlidje Unterrefung nochmal
an's Herz zu legen, und machte jeßt Wirtefindt
würdigen Freund damit befannt.
3
die def Höffnung faßte, durch ipre Beih uͤlfe
Euch, werthe Pflegeaͤltern, am folgenden Mor
gen zuruͤckzuerhalten. Aber mein Hoffen ver⸗
ſchwand doch wieder, als ich beim Ankommen
auf einer Burg vernahm, daß ſie Bertha, die
Tochter des Koͤnigs Karl, Eures Feindes, und
daß des letztern Kanzler, Herr Eginhard, in ihrem
Gefolge ſei. Da konnte ih wohl unmoͤglich von
meiner und Wiprechtd Abkunft und von Eurer
Nahe reden wollen!
412
Zum Glüd, fo fuhr Swanehild fort, begehrte
die Prinzeffin auch am andern Morgen mein
Geheimniß nicht. Ich felbft aber, um von Euch,
theure Verwandte, auf andern Wege vielleicht
Runde zu vernehmen, erzäpfte ben Umſtand von
der Sifcherhütte, wo ich Euch verließ, fo, als
ob mich am Abende, wie ich mit dem Kleinen |
darauf zugegangen, um Schuß zu ſuchen, ein
großer Laͤrm, ber dort vorgemefen, in den Wald
verſcheucht habe.
Allein durch die Befchreibung ded Larms und
der Gewalt, die der ziemlich nahe bei ber Burg
gelegenen Fiſcherhuͤtte von bewaffneter Hand wis
derfahren fei, erreichte ich zwar die Abficht, daß
man darnach Erkundigung eingiehen wolle. Doch
mein Bedauern mit den angegriffenen Fiſchers ⸗
keuten sheilten zwei Ritter, welche dabeiflanden,
*
35
keinesweges. Sie fagten vielmehr, dieſes Sifchers
haus habe zeither immer ihren Feinden eine heim»
kiche Zuflucht abgegeben und die ihm deshalb fchon -
längft angedroßete Rache werde, meiner Erzählung
nach , endlich mohl darüber herein gebrochen ſeyn.
Sie entfhloffen ſich auch fekbft hinzugeben, um
Erfundigung einzuziehen.
Ach, was erſchuͤtterten mich die Nachrichten,
weldye ‚fie bald zutuͤckbrachten! Zufrieden mit dem
diedmaligen Benehmen det Kifchersleute,,. erzähle
ten fir, nach ber letztern Ausſage, daß fluͤchtige
Sachſen ed geweſen, die mit ſtuͤrmiſcher Hanb
in die Huͤtte gedrungen waͤren, deren Eingang
man ihnen verweigert. Doch ſei der Lohn da⸗
fuͤr den Angreifenden bald gekommen, indem od
gu rechter Zeit ein voraͤberziehendes Srantenhin
lein fie gefangen weggeführt habe! ... * ..
Armes Kind ! riefhier der König, als Swanr⸗
hild bei dem Andenken an die ſo unſelige Nach⸗
richt ihr Auge bang zum Himmel erhob. Nein,
Liebe, gefangen wurden wir nicht, wie Du nun
weißt, And) geleitete und in der folgenden Nacht
der ded Weges ſehr kundige Zifcher ſelbſt, bis
wir aus aller Gefahr waren.
Das Fräulein ‚verfehter Das erfuhr ich fpds
ter ebenfalld durch die Grau Eures Begleiters,
ald fie Fifche zum Berfaufauf die Burg gebracht
hatte. Das Weib war jedoch in ihrer Freude Aber
Geſpenſterbuch 6. Theil, . GC
54
das ſaͤchſiſche Mägdfein fo laut und geſchwaͤtzig,
daß ich wohl anſtehen mußte, mich ihr, als die
im Walde vergebens Geſuchte, zu erkennen zu
geben. — Denkt Euch aber die troftlofe Zwiſchen⸗ |
zeit von mehrern Zagen 5i6 zu diefer Runde!
Ach, kaum wußte ich meinem tiefen Schmerze
Grängen zu feßen: ed waren die fchrediichfien
Tage meined ‚Lebens.
Defto mehr Tanit: ich die Pringeffin Bertha
rühmen,. die, dad Fabelhafte der Gefchichte, welche
ich ihr für die meinige gegeben, ſchon damals
afennend, mich dennoch mit der größten Guͤte
behandelte: Dedgleichen muß ich der bejahrten
Mittwe eined Grafen Kunz von Hennenberg ges
denden. Sie hatte ihre einzige Freude an dem
Heinen Wiprecht, und trug, gleich der zärtlich
fien Mutter, für dad Kind Sötge
Hätte ich, da ich Euch, theure Pflegeaͤltern, |
nirgends aufzufuchen, auch von feinem andern
Unterkommen fit mich felber voußte, einen beffern .
Schug für ben Kleinen finden mögen, als auf der
Burg biefer allgemein verehrten Dame, die fi
erbot, ihn dort aufzuerziehen ?
Auf einer Burg den Dennenbergen zugehörig?
fragte Wittefind mis finflerer Stirne. Und wiſ⸗
fen fie von ded Knaben Abkunft? —
Noch immer nichts ! antwortete Swanehild. —
Ah, beim Abſchiede von dem Heinen Wiprecht
t
35
hätte ber Schmerz mich beinahe zum Widerrufe
des Berfprechend bewogen, ihn ber Gräfin anzu⸗
vertrauen ! Allein fie beharrte auf der Erfüllung
meined Worted ; auch ſtand ich an, Euern Sohn,
deſſen Urſprung boch wohl einmal der Zufall offens
baren fonnte, nad) Paderborn zum Hoflager des
Königs Karl mitzunehmen , wohin die Prinzeffin
Bertha mich überredete,, fie zu begleiten,
Wie, rief bier der Oheim aus, Du wag—⸗
teſt — —
Ei, verſetzte Swanehild, unter dem Schutze
der trefflichen Bertha haͤtte ich alles leicht wagen
koͤnnen. Auch will ich Euch geſtehen, daß ihr
ſo engelgleiches Wohlwollen meinem Herzen ſchon
auf der Reife nach dem Hoflager feinen länger
Ruͤckhalt verſtattete. Nothwendig mußte ich zei⸗
gen, daß ich ihre Liebe nicht verkannte; ich mußte
mich ihr als die Verwandte des großen Wittekind,
als deſſen Pflegetochter zu erkennen geben.
O Mißsgriff der argloſen Unſchuld! rief der
König hier aus. Dich der Tochter des Wuͤthe⸗
richs zu entdecken, dem. dad Leben jedes redli⸗
—8
chen Sachſen ein Graͤuel iſt, der, gleich jenem -
römifchen Buben, der ſich Kaiſer nannte , dem
Sachſenvolke einen einzigen Hals vorinfehte, un
dad ganze den an der Aller burch ihn ermordeten
Zaufenden mit einem Male nachzuſenden! —
Danf den Bdttern, daß ih Dich wie babe,
— 2
— —. — —“⸗⸗
56
Swanehild. Ewigen Dank ben Renfern der Diens
ſchenſchickſale, daß dem ungläubigen Frevler Deine
Abkunft., trog diefem gefährlichen Zutrauen zu
ſeiner Tochter, verborgen geblieben iſt! —
Dazu ſchlang er feinen Arm fo feſt um fie,
alö ob er fich ihre Wiederden itzes noch nicht recht
ſicher fühle
Wie aber, Vaͤterchen, ſprach dad Sräaulein,
freundlich zu ihm binaufblidend.wie, wenn König
Karl doch nicht nur meinen fächfifchen Urſprung,
fondern ſogar bie nahe Verwandeſchaſt mir r Dit |
esfahren haͤtte,?
Dann — rief Wittefinb aus — — dan muͤß⸗
ten alle feine Thuͤrme ſchon mit gefangenen
Schiachtopfern uͤberfuͤllt und: alle feine Henkerbeile
bei Verden drauf gegangen feyn , che Du frei in
unfere Arme haͤtteſt kehren kͤnnen! —
Und doch — verſetzte ſie — bin ich da, mich
Eurer Liebe zu erfreuen! — Ein Ritter, der mich
rinmal hier auf der Burg gefehen, erfannte mich
in Paderborn wieder, and entdeckte dem Könige,
was die Tochter ihm ſorgfaͤltig verheimlicht |
hasse. — . |
:Dann biſt Du buch ein Wunder der Arglit
For Sraufamen.entronnen ! fprach die Königin.
:, Nein, theure.Bafe, antwortete Swanehild.
König Karl kam auf diefe Nachricht felbergu mir
in feiner Tochter Gemach und nannte mich for
87
gleich bei meinem Namen. Da ich nun dar⸗
über gar fehr erſchrocken und befümmert ausſehen
mochte, ſo fagte er Gei getroſt und gutes
Muthes, mein Kind. Wollte Gott, - daß der
tapfere Witftkind , gleich Dir, eine Zeitlang an
meinem Hoflager zubraͤchte. Unſere nähere Bar
Sanntfchaft würde mir und ihm, fo wie dem
ganzen Sachſenvolke, frommen und wohlthun. —
Hm! das fagte er ? rief MWittefind mit bite
term Spotte. Vieleicht gar noch mehr? —
Ya, antwortete Swanehild. Er rühmte Dich
und Deine Thaten dergeflalt, daß mir. vor Freude
die Augen übergingen. Dann aber fügte er noch
hinzu; Dein Ohm wi fein Volk gluͤcklich wiſſen.
Über der Weg, den er. dazu wählt, iſt ſchwerlich
der rechte. Ein Wort der Berfländigung hiers
über mit wir, würde binreichen, mich und ihn,
auch die beiden Völker, gu Brüdern zu machen,
O des Heuchlers! rief Wittefind and. Ein
Wort ber Berfiändigung,. nach dem, was erſt an
der Aller, und dann noch gang neuerlich durch
Hinwegfuͤhrung der Bluͤthe des Volkes geſchehen
iſt! —
Theurer Ohm! ſprach hierauf dus Syäufein,
der Borgang an der Aller wird von Karl felbft eine
Uebereifung genannt, dieser feinem Zorne nicht ver⸗
geben ann. Die letzte Maßregel aber glaubt es
der eigegen Sicherheit ſchuldig geweſen zu ſeyn.
+
‘
- eine Sicherheit , entgegnete Wittefind, die
wird auch erfi mit dem Untergange unferes gan⸗
gen Volkes anheben Fnnen, Denn, das (diwöre
ich — —
O nicht doch, dbeſter Vater, fiel Swanehild
mit ſo bittender Stimme und heftig abwehrender
Geberde ein, daß der Koͤnig mitten in ſeinem
Zorne wie von himmliſcher Gewalt gebunden, inne
hielt und den Schwur unvollendet ließ.
Mein theurer, mein guͤtigſter Ohm, fuhr
Swanehild fort, der Himmel bewahre Dein ehr«
würdiged Haupt vor dem Sluche des Meineids.
Denke drum, ſtatt aller- Schwuͤre, aufein güte
liches Vernehmen mit dem Koͤnige der Franken.
Seit ich an feinem Hofe lebte in Paderborn —
Genug fuͤr heute von ihm und von Pader⸗
born! rief Wittekind aus. Dafi der chriſtliche
MWürherih inmitten des fonft fo ehrwuͤrdigen
Goͤtterwaldes von Zeutoburg, an derfelben Stelle,
wo unter Hermann, unferm Ahnberrn, dad deuts
ſche Bolt vom Joche der Römer ſich loßriß, fein
Hoflager halten darf, das ifteine ewige Schande
fäule für die Nachkommen des Helden, ' Nur
durch Ströme yon Blut und Feuer mag fie vers
tilgt werden,
Theuerfier Ohm, ſptach Swanehild, und druͤck⸗
ſe flehend ſeine Hand an die Lippen, ſagteſt Du doch
telber, daß es fuͤr heute genug ſei davon! —
'
39
Haft Recht! mein Kind, ſprach ber König,
die Rede fogleih auf andere Dinge ühberführ
rend. .
Uber es Tag in den Umfländen, daß fie
immer wieder auf Swanehildens Verkältniffe am
fränfifhen Hofe zurüdfam und davon getrübt
wurde. So hörte bie Königin nicht ohne Uns
ruhe, daß dad Fräulein felbft bei Frau Faſtrad,
der harten Gemahlin ded Königd Karl, in bes
fonterer Gunft ſtehe, und von ihr an den letzten
Weihnachten bie ſchoͤne Kleidung, welche fie trug,
zum Gefchenfe erhalten habe. Frau Geva wußte
von biefem Fefte ber Geinde ihres Glaubens und
dem Gebrauche, einander dabei zu befchenfen.
Auch das ſchoͤne Roß, worauf Swanehild ange
fommen ruͤhrte von ber Sranfenfönigin her, der
man dod ein. bis zur Grauſamkeit gehended, u
verſoͤhnliches Gemuͤth gegen alled beilegte, mad
nicht an Chriſtum glaubte. Sollte Smanchild
vielleicht — —! Tray Geva wagte den ihr fo
furchtbaren Gedanken der Möglichkeit, daß fie
‚ getauft fei, nicht einmal in geheim audzuſprechen,
auch enthielt fie-fid der Erfundigung barnadı,
weil fie die Gewißheit der Sache ärger ald ben
Tod fcheuend, mit der Unwiffenheit ihre, im fer
nern Geſpraͤch immer fieigende, Beforgniß, zum
Sciweigen zu bringen fuchte.
Yo 13. . |
em duͤſteres Sinnen verloren, vernahm indef
fen Wittefind von den Reden der beiden Grauen
nur dann und wann ein. einzelned Wort ohne
Bedeutung, Noch immer wußze er nicht wie
ihm vorhin bei dem unterbrochenen Schroure ger
fehehen war. Endlich aber flieg plöglih mit
dem Gedanken an Heinrich von Eichen der Wunfd
auf in ihm, Swanehilden wegen deffelben behuts
fam augzuforfchen,, und er riß fich mit Gewalt von
feinen Betrachtungen los und redete dad Sräulein
alfo an : Entfinneft Du Dich noch unſers Aufentz
halts bei Vetter Ehrenbrecht am Harze?
. Gar oft, befter Ohm, iſt mir diefe Reife in
Gedanken geweſen, antwortete Swanehild. Wir
verlebten dort fo mandıen lieben, freundlichen
Tag. Mber, fügte fietiefer feufzend hinzu, daner
ben auch einen , der. fie faft alle verdunkeln koͤnnte.
Denn noch flodt mir das Blut im Herzen, wenn
ic des Opferfeſtes gedenke, welches bort gehalten
. warb. Die armen Gefangenen, die, von blut
dürftigen Prieftern verhöhnt , einem Kloße, Krodo
genannt, hingefhlachter wurden! —
Zu Ehren bed. racheheifchenden Wodan! —
fiel Wittefind zornig eih.. Aber fein Zorn ver
ſchwand, ald er in die Thräne des Maͤgdleins
blickte. Indeſſen war er doch dadurch von dem
87
ich bei meinem Namen. "Da ih nun dar⸗
er gar fehr erfchroden und befümmert ausſeben
ochte, fo fagte erz. Sei geiroft und gutes
duthes, mein Kind, Wollte Gott, daß der
ıpfere Witttfind , gleich Dir, eine Zeitlang an
reinem Moflager zubrächte. Unfere nähere Se
ınnttfchaft würde mir und ihm, fo wie dem
anzen Sadıfenvolke, frommen und wohlthun. —
Hm! das fagte er ? rief Wittekind mit bit
erm Spotte. Vielleicht gar noch mehr? —
Ya, antwortete Swanehild. Er ruͤhmte Dich
und Deine Thaten bergeflalt, daß mir. vor Freude
Die Augen Übergingen. Dann aber fügte er noch
hinzu; Dein Ohm will fein Volk gluͤcklich wiſſen.
Uber der Weg, ben er. dazu wählt, ift ſchwerlich
der rechte. Ein Wort der Berftändigung hier⸗
über mit wir, würde hinreichen, mich und ihn,
auch die beiden Volker, gu Brüdern zu machen.
O des Heuchlerd ! rief Wittefind aus. in
Wort der Berftändigung,. nach dem, was erſt an
der Ufer, und dann noch ganz neuerlich, durch
Hinwegfuͤhrung ber Bluͤthe des Volkes gefchehen
iſt! —
Theurer Ohm! ſprach hierauf das Frarlein,
der Vorgang an der Aller wird von Karl ſelbſt eine
Uebereilung genannt, die er ſeinem Zorne nicht ver⸗
geben kann. Die letzte Mabregel aber glaubt ex
der eigegen Sicherheit ſchuldig geweſen zu ſeyn.
J
a
42
Die Yufmerffamkeit, womit Herzog Alf ihr
zubörte, beiebte ihre Nede mit einem wunderfas
men Teuer. Gie erzählte zugleich von der ehrens
vollen Begleitung auf die Wittefindeburg ; daß
naͤmlich Koͤnig Karl, außer emigen Srauen ferner
Gemahlin, unter anderen auch ben mit ber Pringeflin
Bertha heimlich vermählten Grafen Engelbredyt
dazu erwählt, und um allem Berbachte des Aus⸗
Funbfchaftend zu entgehen, ihnen verboten habe,
den Burghof zu befchreiten,
Noch fügte fie im Allgemeinen binzu, daß der
große Karl nichts fo fehr wuͤnſche, ald aus feinen
wadern Feinden feine Freunde zu machen, und
daß eine Zufammenkunft mit ihm obnfehlbar zu
diefer dem Sacıfenlande fo heilfamen und wohl«
shätigen Verwandlung führen werde.
- Bon der Macht ihrer Rede bezwungen , näherte
fih Herzog Alf ſchon dem fortbauernd finnenden
Wittelind, ald die AUngen aller, bie gegenwärtig
waren, auf «einen Hereintretenden fielen,
Heinrich von Efchen, indem er mit Ehrfurdt
feinen Schritt zum Kbnige Ienfte, ward durch
Swanchilds Erfcheinung plöglich unterbrochen,
und beugte, feiner ſelbſt unberpußt geworden, vor
Diefer fein Knie zuerſt.
Sein Entzüden und feine Hingebung, dazu
des Frqaͤuleins ſichtbare Unruhe, ergriff aller Dere
jen. Die Natur verkündigte das den beiden noch
- 43
ſelbſt nicht ganz Mare Geheimniß, welches zwischen
ihnen Statt fand, in einem einzigen Augenblicke
ſo Fräftig und unzweidentig, daß Wittefind fos
Gleich zu ihnen trat, und zu Swanehild fagte:
Er wollte ber Rächer Deined Todes feyn, mag
er nun bafür der Genoſſe Deined Lebens wers
ben! —
Als aber hierauf beide danfend vor bem Könige
niederfnieten,, und der alte Priefter Uffo jetzt hers
ein trat, da entdeckte Swanehild in ihm den graus
ſamen DOpferpriefter yom Harze, und fie entfegte
fi) vor dem Greife, Und als er den Sinn der
Handlung, die hier vorging, erfannte, und feine
Weihe über dad Paar ausfprechen wollte, da
erhob fich Die Braut plöglich, ihn mir zuͤrnendem
Auge zuruͤckweiſend und wie auf höheres Eingeben
audrufend ; ws
Wiſſe, Blutiger, daß ich Deinen Segen verabs
ſcheue, weil ich ihn für Fluch achte. Wiſſe, daß
hr feinen Theil weiter habt an mir, Du und
deine falſchen Götter, ſeitdem bie heilige Taufe
mein Herz für immer von bed Heidenthums Ser
en rein gewaſchen hat. —
Und der König und die Königin flanden tief
Im Gemüth erfchüttertund verhällten ihr Angeficht,
Draufhob der Alte vor Wuth ſchaͤumend alfo an;
So kann auch diefer mein Neffe feinen Theil haben
x
an Dir, Verfluchte! Hinweg, Heinrich, auf daß
4
das Gift des Athems, welchen Lofe*) ihr ein
gehaucht, nicht zerftöre Deined Lebens Bluͤthe,
und Dich verweiſe auf ewig in daß eifige angſi⸗
volle Land der Nebel, wo bie feſtverwahrte Woh⸗
nung Elend, die Tafel’ Hunger, der Knecht Träg
und die Maad Langſam heißt, mo Du keinen
Schritt thun wuͤrdeſt, ohne von giftigem Gewuͤrm
umwunden und gepeiniget zu werden. — Hin⸗
weg, fage ich, fo fügte ber Priefter noch beftie
ger binzu, als Heinrich ſich von Swanehildens
Blicke gefeffelt und zurüdgehalten ſah, hinweg
von der Abgefallenen, Yusfägigen , von dem ver⸗
dorrten Reife des erhabenften Stammes. Denn
es zieht alled hinab in fein Berderben, was von
ihm irgend berühret wird! —
Als nun Heinrich hinaus war, fo unterbrach
der Priefter die fortdauernde Todtenſtille folgens
dermaßen: Und verflucht wie fie ſelbſt, fei &in
jeglicher, der fortan. mit der Abtruͤnnigen, Goͤt ⸗
terfäffernden , Verfluchten, Gemeinſchaft halten
wird. Keln Skalde **) foU feine Thaten in der
Afenfprache verberrlichen. Auf dem Meere fol
rei ihm den Himmel mit Wolten verhüllen,
und Niord feiner Fahrt unguͤnſtige Winde fenden.
Er fol Schiff bruch erleiden und Beine der fchönen
weißen Jungfrauen da feyn, ihn in den Schooß
*) Der böfe Weiß. .
“*) Dichter.
as
ihrer Mutter Ran zu bringen, Die gaſtfreten
Zwerge der oͤden Felſen ſollen dem lechzenden
Wanderer ihre ſteinerne Wohnung verſchließen,
und die ſonſt ſo mildthaͤtigen Waldmaͤgdlein ihr
hinausjagen aus ihrer. gruͤnen Heimath. %a,
ſelbſt im edelſten Kampfe fol Ullers Zauber ihn
nicht beſchuͤtzen, und wenn er dann faͤllt, Heints
dal”) ihn zuruͤcktrelben, auf daß er nie ein
Zehe über die ſieben Strahlen der Afenbruͤcke **,
nad) dem prächtigen Schildgewoͤlbe Walhalla’d, .
Nimmer ſoll fein Auge dit Götter erblicken, herrs
lich wie fie dort fißen im Harniſch und Panzer;
ninmer er aud der Walkyren fihdnen Händen
die golbbefäumten Hörner sum Fhfkfichen Lade '
srunfe empfangen! = |
Nachdem nun Ufo diefen Fluch ausgeſpro⸗
then, entfernte er ſich, und die Zuruͤckbleibenden,
zermalmt von feinen Worten, blickten nach Swane⸗
bild, und wären außer ſich vor Berwunderung, ı
daß des Priefterd Zorn ihrer Miene das‘ gewoͤhn⸗
liche, füße Lächeln nicht hatte ſidten Fönrten. °
Staunet nicht, meine Lieben, rief fie be
geiftert aus, daß ein folder Fluch einen fü
ſchwachen Weſen auch Yar nichts anhaben möchte,
*) Der Waͤchter von Walhalla.
**x) Der Regenbogen, uͤber den die zefallenen Hel⸗
den nach Walhalla einzogen, '
“
| u
[73
Betet den Iedendigen Gott an, ber dad vorhin
ſelbſt aus mir ſprach, was ich geftern Abend mit
Mühe Euch verbarg. Die fleten Niederlagen
ber tapfern Sachfen verkünden ja mehr als alles |
die Ohnmacht der Bögen, für deren Namen fie
kaͤmpfen! Und, wie. Ihr's auch anfangen, wie
Ihr auch die Franken befriegen möchtet, immer
wird Unheil und Verzweiflung die Frucht Eurer
Anſtrengungen ſeyn, weil jenen der einzige, wahre
Gott zur Seite ſteht! —
15.
Lange dauerte die Stille nach dieſen Worten,
deren Geift auf den bangen Zubbrern ſchwer zu
Tiegen fehien. Endlich erhob Wittekind feine Auge
und ſprach: Was nun than, Ungluͤckliche, mit
fo ſchrecklichem Fluche beladen ?
Zu deinen. Füßen, Vater, will ich Tiegen
und fliehen, bid Du Deinem Heile gefolgt feyn
‚wirft. Eile, mein Herr und Ohm, nah Wol⸗
merftädt, dem dermaligen Hoflager des Könige
Karl, und ferne Eennen den Helden, den Du
falſchlich beurtheileſt nad) den Augenblicken feined-
gereigten Zorned. Nicht der Tyrann, nur ‘der
Befreier unfered Volkes von ben ohnmaͤchtigen
Gögen, will er ſeyn. O mein König, noch eins
mal befchwöre ih Dich, Karla anzufchauen in
der Nähe, zu fehen die Andacht und Froͤmmig⸗
keit, mit denen er, feiner Hoheit entfagend, ſich
1)
47
vor dem einzigen Gotte niederwirft. Keine Zeit
ift geſchickter ihn zu beobachten, als die jekige.
Das Heilige DOfterfeft naht heran. Stelle Dich
im Haufe Botted ihm gegenüber, wenn er mit
den Seinigen und allem Volle zum Zifche des
Herrn gebet, und dir Geiſt der Demuth und’
Liebe, welcher webet in ihn, der wird auch Dich
erfaffen,, Du wirft ihm die Hand darbieten und
fagen : Laß und "Brüder feyn! —
Mein liebes, mein guted Kind! riefder König,
bezwungen von ber Kraft ihres Tones und der
Slide, die wie Himmeldglanz auf ihn fielen;
dazu nahm er fie in feine Arme,
Du vergiffeft, mein theurer Ohm, fagte Swane⸗
bild, daß Du ſchon hiemit theilhaftig wirft meis .
ned Fluches.
Da ſchauerte den Koͤnig. Doch ein einziger
Blick in des Fraͤuleins reines Auge ſicherte ihm
den fuͤr verloren geachteten Segen von neuem zu.
Kind, ſprach er, geliebtes Kind, wie tief
ſchmerzt mich Dein Ungluͤck! Ufo iſt unverföhns
lich und ſein Neffe fuͤr immer Dir verloren, der
Dir ſehr viel zu gelten ſchien! —
So hat mich meine Freude verrathen! rief
Swanehild. Ich will. daher nicht bergen, daß
feit dem erflen Bekanntwerden mit Heinrich von
Eſchen — fein Bild in einer Geeler lebendig
zurüchgeblichen ift, und daß dad Gluͤck, ihn ſo
44
ylöglich ſelbſt wiebergufinden und fogladı. fein zu
werden, mir. dad Theuerſte auf der Erde war;
Aber, mein Herr und König, fogar dem Theuers
fien foll man, um Bottts willen, entfagen koͤn⸗
nen. Dad gebietet mein neuer Glaube und er
*
iſt es auch, der mich mit Kraft dazu ausruͤ⸗
ft! —
Ein lang der Verflärung ſchien ed, iu dem
ſie daſtand, und Wittefind erhob ſich und fagte
zum Herzog von Holfiein: Lieber, laß uns denn
gen Molmerftädt ziehen! —
And fie, fragte Frau Geva, als Herzog Alf
darein gewilligt hatte, ſoll fie Euch geleiten? —
Nein, geliebte Baſe, fiel hier dad Fraͤulein
ein „ bevor dad Werk nicht vollendet iſt, müflen
fie vermeiden alle Gemeinfdjaft mit mir. Auch
Du, theure Frau, mußt Did) bis dahin meines
Umgangs enthalten Laßt mich nur immer in
einen Kerfer werfen und mich der unwuͤrdigſten
Sefangenen gleich halten, die Hoffnung auf Euer
kuͤnftiges Heil wird mich gegen alled. Ungemad
kraͤfti iqen.
So flehend aber auch Swanehild um bad fehle
vefte der Befängniffe bat, fo konnte doch dad Koͤ⸗
nigspaar fh zu ſolchem Verfahren durchaus nicht
entfchließen. Ein abgefonderted. Gemach für fie im
obern Theile der Burg war alled, wozu fie ſich am
Ende noch verftanden.
49
16. j
Als nad) den mancherlei Sorgen eined lan⸗
gen , trüben Tages die Nacht endlich bereinbrach,
da fliegen die beiben Fürften gu Roſſe, und rite
ten, von niemand geleitet, aus dem Burgthore,
Je weiter fie fih von. der Heimath entfernten,
defto ſchwaͤcher ward andy ihre in Swanehildens
Anfchauen fo lebendig geweſene Hoffnung auf
dad Heil, welches ihrer Harte am Hofe des
Frankenkoͤnigs. Hätte nicht Alf fchon früher
geſchwankt im Glauben an ihre Bögen, fo wuͤrde
ed daher am folgenden Zage dem Könige fehr.
leicht geworden feyn, ihn gradezu zur Ruͤckkehr
gu bewegen. Denn Wittefind fagte, als ber
Morgen anbrach: Zraun, wirhaben nicht übers
legt, wel ein mißlich Wageſtuͤck wir beſtehen!
Schwer werden wir biefe Neife fo geheim voll⸗
bringen, al& wir fie abfichrtlich angefangen. Zwar
find wir während ber Nacht ein gutes Theil
Weged weggefommen von Haufe Was aber
wird, auch noch fo entfernt, unfenntlid machen
Die Fuͤrſten, die das Bolt fo oft an feiner Spike
ſah? Und welche Deutung Fann eine Reife nach
Wolmerſtaͤdt finden, wenn wir beobadptet wer,
den? No, treuer Kampfgeſell, ift ed Zeit, ben
Ruͤckweg zu fuchen und durdy reichliche Opfer
gabe zu verfühnen die Götter, bie wir fo boͤslich
zu verrathen gedachten ! |
Gefpenfierbuch 6. Theil. D
50
Da ereiferte ſich Jedoch Herzog Ulf gegen ihn
und fagte: Was unfere Götter anlangt, fo ift
es Dir nichts Neues, daß ich ihnen nur noch
mit Widerwillen diene. Dir aber duͤnkt es ein
fo neues als unerfreuliched Bezeigen ded Königs
Wittekind, daß er feine Dannhaftigfeit, wie fonft
nie, verläugnend,, von dem gefaßten Entfchluffe
obne Noth wieder abſtehen will. —
Und diefe Rede traf fo maͤchtig durch Mark
und Leben ded Helden, daß er, unbefümmert,
was auch nun erfolgen mochte, flatt ber Ant⸗
wort , feinem Roſſe die Sporen gab, und binnen
der ganzen Reiſe keinen Laut wieder bagegen von
ſich vernehmen ließ. Daß uͤbrigens feine Ber
muthung wegen des Erfanntwerbend nicht grund»
106 geweſen, davon fprach die tiefe Verehrung,
die gar mancher Wanderer auf ihrem Wege ben
Reiſenden bezeigte. \
17:
Eindmald, grade am letzten Morgen, als fie
vor der Hütte eined Köhlerd, bei dem fie übers
nachtet,, auf ihre Roffe geftiegen waren, da redete
MWittefind im Fortreiten alfo gu feinem Sreunde :
Lieber, mir ift heute gar feltfam und ungewoͤhn⸗
ih zu Muthe. Das rührt von einem Traume
in diefer Nacht ber, deſſen Auslegung ich wohl
wiffen möchte. Mir träuimte nämlich von mei
ner Nichte, der Swanehild. Tief unter ber Erde
51>-
faß fie in einem abfcheulichen Kerker voller Schlans
gen und anderm ‚großen Gewürm. Uber als,
Tonne die Hülfe ihren Bitten nicht entfiehen, fo
faltete fie ihre Hände und hob fie nach ber Höhe
muthig empor. Giche, da that fih auch wirk⸗
lidy grade an der Sielle, wohin fie ihre Augen
und Hände richtete, des Gewoͤlbe des Gefaͤng⸗
niſſes auf, und in dem milden Lichtſcheine, wel⸗
cher hereindrang, ſchwebte ein Knabe hernieder
zu ihr, wunderſchoͤn von Geſtalt und Weiſe, der
ein hoͤlzernes Kreuz auf feiner Schulter trug.
Da entſtand plöglich ein allgemeines, ſchreckliches
Regen unter all dem Gewärm, ein Geziſch und
Geſchrei, vor dem meinem Ohre graute und das
Herz im Leibe mir zufammenftor. Und die gife
tigen Zungen aller ber böfen Thiere ſtreckten ſich
weit aus nach der Gefangenen, fo daß ich mit
gezogenem Schwerte auf das Gewärm losgehen
wollte. Doch mein Arm erflarste in dieſem Au⸗
genblide und ohnmaͤchtig fanf dad Schwert aus
meiner Hand. Deß erſchrak ich gar fehr. Da
verfuchte ih Swanehilden zuzurufen, daß fie
vorwärts fich wenden möchte, weil hinter ihr ein
Drache den ungeheuern Rachen (don an ihrem
Naden hatte. . Uber die Stimme verfagte mir,
und Swanehild ſtand mildlaͤchelnd und unbeforgt,
wie neulich nach Uffo’d Fluche, und ſank, alle
Schredniffe ringenm,. als täufchende Larven ver,
D 2
52
achtend, vor dem glanzvollen ginde auf ihre
Kniee. Drauf nahin dieſes ſein Kreuz von ber
Schulter, und wie es ſolches hierhin und dahin
neigte, fo zerbarſten ſogleich die giftigen Unge⸗
heuer zu allen Seiten. Die Gefangene aber
umklammerte mit tiefer Ergebung dad Kreuz und
warb daran bald und ohne Befchwer hinaufgezo⸗
een von dem Kinde, mit bem.fie fobann ver
ſchwand. Drauf erwachte ide — Was duͤnkt
Dich wohl von dieſem Traume, Alf?
Hm, ſprach der Herzog mit bedenklicher Miene,
davon dänft mich wenig Gutes. Wenn Unfere
Mriefter recht haben, fo ift der Traum gemeinig⸗
Th das Begentheil von dem, was er bedeutet. —
Das Krenz mag wohl für ein Zeichen des Epriften,
ihums gelten. Wie wenn Swanehildend Erren
tung im Traume ihren wirflichen Untergang vor
ausſagte? Zum erfien Dale fällt mir jegt ein,
daß wir fie nicht hätten zuruͤcklaſſen füllen! —
Dho, rief Wittefind, wo Pbnnte fie ficherer
feyn, ald auf ded Königs Burg?
Ei, verfegte Herzog Alf, ich kenne diefen
Uffo und feine Rachgier. Laß nur etwa feinen
Neffen nicht abſtehen wollen von Schwanehilden.
Wer weiß, wozu dann der Alte fähig wäre
Der Tod einer Chriſtin duͤnkt ihm ſchon an fid
ein hohes Berbienft.
Gpriftin, oder nicht! tief der König beruhigt
29
| 16.
SITES nad) den mancherlei Sorgen eined lan⸗
x „ trüben Tages die Nacht endlich hereinbrach,
ftiegen die beiden Sürften zu Noffe, und rits
2, 9on niemand geleitet, aud dem Burgthore,
woeiter fie fi) von. der Heimath entfernten,
fto ſchwaͤcher ward auch ihre in Swanehildens
nfchauen fo lebendig gemwelene Hoffnung auf
38 Heil, welches ihrer harre am Hofe des
rankenkoͤnigs. Hätte nicht Alf fchon fruͤher
eſchwankt im Glauben an ihre Gößen, fo würde
8 Daher am folgenden Lage dem Könige fehr.
eicht geworden feyn, ihn gradezu zur Ruͤckkehr
‚u bewegen. Denn Wittefind fagte, ald ber
Morgen anbrach: Traun, wirhaben nicht übers
egt, wel ein mißlih Wageſtuͤck wir beftehen!
Schwer werden wir diefe Neife fo geheim voll
Bringen, ald wir fie abfichtlich angefangen. Zwar
find wir während der Nacht ein gutes Theil
Weges weggefommen von Haufe Was aber
woird, auch noch fo entfernt, unfenntlich machen
Die Fürften , die das Volk fo oft an feiner Spige
ſah? Und welche Deutung Tann eine Neife nach
Wolmerſtaͤdt finden, wenn wir beobachtet wers
Den? Noch, treuer Kampfgeſell, ift ed Zeit, den
Muͤckweg zu fuchen und durch reichlidhe Opfer
gabe zu verföhnen die Götter, die wir fo boͤslich
zu verrathen gebachten ! |
Geſpenſter buch 6. Theil. D
54
Hier aber legten fie ihrem Verlangen Zügel an,
weil der 'ftarfe Schritt nicht paſſen wollte zu
den gebrechlichen Perfonen, die fie nun vor
ſtellten.
Es war noch früh am Lage. Nur einzeln
erfi "gingen die frommen Gläubigen zur Kirche,
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte
zu finden , wo fie die Ankunft des Könige Karl
und feines hohen Haufe und die heilige Hands
lung überhaupt wohl beobachten mochten. Weit
fie jedoch ſchon: fo vielen im Treffen, wie zur
‚suhögen Zeit, ald ungertrennlich erſchienen waren,
and mancher, wenn er bier ihre Gefichter beis
ſannnen erblickte, ſie, feibfl.in der falſchen Klei-
bung, keicht erkennen ikonnte, ſo eatfernten ſie
ſi ſehr weit von mann rn
. Das Gottetbausrflttn Ab immer uhr und
* Ein Geraͤuſch, das ſich jetzt unter der
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die
Ankunft der Erften im Volle. Wittekind er
ſtaunte, ald er den Abnig Karl an der Eintre
senden Spiße erblickte. Iſt das derfelbe, fragte
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft
gu Pferde Hierhin und dorthin fliegen.fah, deſſen
einzıged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein maͤch⸗
tiger Sturmwind in bie Meinigen ti, daß diefe
517
fie in einem abfcheulichen Kerfer voller Schlan⸗
und anderm großen Gewuͤrm. Uber ald,
ne die Hülfe ihren Bitten nicht entfiehen, fo
tete fie ihre Hände und hob fie nad) ber Höhe
ıthig empor. Siehe, da that ſich auch wirk⸗
, grade an der Sielle, wohin fie ihre Augen
d Hände richtete, ded Gewölbe bed Gefaͤng⸗
ſſes auf, und in dem milden Tichtfcheine, weils
er bereindrang, ſchwebte ein Knabe bernicber
iühr, wunderfchön von Geſtalt und Weife, der
n hoͤlzernes Kreug auf feiner Schulter trug.
‚a entfiand plöglich ein allgemeines, ſchreckliches
tegen unter all dem Gewärm, ein Geziſch und
jefchrei, vor dem meinem Ohre graute und das
verz im Leibe mir zufammenfror. Und die gif⸗
‚gen Zungen aller der böfen Thiere ſtreckten fich
veit aus nach der Gefangenen, fo daß ich mit
izogenem Schwerte auf dad Gewuͤrm losgehen
vollte. Doch mein Arm erflarste in dieſem Au⸗
zenblicke und ohnmaͤchtig ſank dad Schwert aus
meiner Hand. Deß erfchraf ich gar fehr. Da
verfuchte ih Swanehilden zuzurufen, daß fie
vorwärts fich wenden möchte, weil hinter ihr. ein.
Drache den ungeheuern Rachen ſchon an ihrem
Nacken hatte. Aber die Stimme verfagte mir,
und Smwanehild ſtand mildlaͤchelnd und unbeforgt,
wie neulih nach Uffo's Fluche, und fanf, alle
Schreckniſſe ringsum, als täufchende Larven ver,
D 2
5
Hier aber Yegten fie ihrem Verlangen Zügel an,
weil der 'flarfe Schritt nicht paſſen wollte zu
ben gebrechlichen Perfonen, die fie nun vor
fieliten.
Es war noch frub am Tage. Nur einzeln
erſi "gingen die frommen Oläubigen zur Kirche,
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte
zu finden , wo fie ‚die: Ankunft des Könige Karl
und feines hohen Hauſes und die heilige Hands
Iung überhaupt wohl beobachten mochten. Weit
fie jedoch fchon: fo vielen im Treffen, wie zur
‚suhtgen Zeit, ald ungertrennlich erfehlenen waren,
and mancher, wenn er hier ihre Gefichter beis
ſannnen erblickte, ſie, feibfit.in der falſchen Klei⸗
bung, keicht erfeunen ‚onnte , ſo entfernten fit
1% fehr weit von einander. ;
u,
.- Dat Gotteshaus rfäßte Hb immer wir un
* Ein Geraͤuſch, das ſich jetzt unter der
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die
Ankunft der Erfien im Volke. Wittelind ers
ſtaunte, ald er den Kbnig Karl an der Einerer
senden Spiße erblidhte. Iſt das derfelbe, fragte
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft
gu Pferde hierhin und borthin fliegen.fah, deſſen
einziged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein mädı
tiger Sturmwind in die Meinigen tig, daß diefe
, 53
gerfioßen und ihre Heil in der Flucht ſuchen
mußten ? ft das jener Stolze, der fo gern bie
ganze Welt zum Schemel feiner Füße machte?
fo fragte ſich Wittefind. Denn der Franken⸗
Fönig kam, wunderfhon zwar von Geftalt wie
fonft, doch in geringer einfacher Kleidung , den
Blick zur Erde gefenft, Tangfam und demuͤthig
daher. Als er aber jegt, nad) dem Hochaltar
ſchauend, mit einer tiefen Kniebengung an feine
Bruſt ſchlug, da ergriff Wittekind das himm⸗
liſche Entzuͤcken in feinem Auge dergeſtalt, daß
er faft verfucht wurde, fein Knie gleichfald zu
beugen.
Hierauf fegte fih König Karl mit feinem
Hofe in des Volfed Mitte und der Blick des
Sachſenherrſchers Fonnte nicht von ihm weichen.
Des Betenden Andacht hielt ihn wie ein heilis
ges Liebesband feft an feinem Zeinde, und ſchien
die Feindſchaft felbft mit der Wurzel aus des
Bewundernden Herzen reißen zu wollen. Und
wie nun fpäterhin die .chriftliche Gemeinde dem
Altare nahete, der König Korl voran, und dies
fer aus des Prieſters Hand den Leib ded Herrn
eben enzpfangen follte, da faßte den Sachſen⸗
fürften. plöglich «in freubiged Erfchreden. Denn
daſſelbe Kind mit dem Kreuze auf der Schalter,
dad er im Traume geſehen, fab er hier bei hel⸗
lem Sonnenlichte, zwifchen dem Prieſter und dem
56
Könige. Nur ſchien es ihm noch um vieles herr⸗
licher als im Traume. Und die Strahlen um das
Peine, liebliche Haupt des Kindes ergoſſen ſich über
den Koͤnig Karl und floſſen immer weiter und wei⸗
ter umher, fo daß auch Wittekind davon berührt
wurde. Und fie drangen bis in das Herz bed
Sachſen fo tief, daß dieſer anbetend auf feine
Kniee ſank und ber ganzen irdifchen Umgebung
ſich enträdt fühlte. —
Erſt mit dem allgemeinen Aufbruch der Anı
baͤchtigen aud der Kirche erlangte der Held fein
Bewußtfeyn wieder. Da beeilte er fi, die
Pforte zu erreichen, wo er dem König Karl, dem
auch in feinen Augen nunentfchiedenen Liebling
ded Himmeld , indem er fich den gemeinen Bett
lern zugefellte, und um eine Gabe flehte,, recht
in's AUngeficht zu ſehen, und bevor er in flatts
‚ Hier Kleidung am Hofe erfchiene, aus feiner
Miene noch einmal von der Wahrhaftigkeit bed
erlebten Wunders fich zu Aberzeugen hoffte.
Ya, ed ift alles, alled wahr! dachte er dann,
auf einer Stufe vor der Pforte figend , ald erben
großen König von weitem erblidte; denn feine
Züge fhienen noch immer von dem Abglanze bed
himmliſchen Kindes belebt und verberrliht. Wie
nun, bei feinem Heraustreten aus ber Pforte,
Mittefind die Hand nach einem Allmofen aus;
ſtreckte, da blieb Karl eine Weile vor ihm fichen
Bilickte ihn, freundlich zwar, aber bergeftaft
Daß der Sadıfenfürft des freiwillig übernoms
sen, unmiürbdigen Berhältniffes ſich fchämend,
Auge tief zur Erde niederfchlug. .
FSolge mir, Lieber! fagtenun der König Karl |
ibm , ich habe bier Feine Gabe für Di bei
: Dand. Da folgte ihm Wittefind, und alled
rwounderte fich über ded Königs Verlangen, und
ch mehr, als er in ber Burg den Bettler zu
nem Geſpraͤche mit ibm allein vor fi lommen
eg.
20.
Wilfommen, Herr Wittelind, fo redete König
sarl den DBerwunderten fogleih an. Meintet
sHr die Seflalt des Helden, ber mir oft fo fuschts
ar gewefen, durch Eure Berlarvung meinem Auge
u verfteden? Bor Kurzem exit habt Ihr meine
Hrenvolle Einladung von Euch gewieſen, um
bald darauf in diefem Anzuge gen Wolmerſtaͤdt
su kommen! Nach Euerm Gefallen. Jh will
deßhalb nicht mit Euch rechten ; begehre auch nicht
zu wiffen, warum hr einem fo feltfamen Eins
fallenachgegeben habt. Nur das bitte ich, mir _
zu erläutern, aus was Urſache ber abgefagtefle
Zeind des Ghriftenglaubens ſich entſchloß, ber hei⸗
ligſten Handlung deſſelben beizuwohnen. Denn
wiſſet, ſchon in der Kirche iſt Imir Euere Geſtalt
nicht entgangen, auch das nicht, daß Ihr, eben
u
58
als ich am Altare ftand, Euer Knie und Euer
Antlitz zur Erde neigtet. Sollte vielleicht der
Geiſt ded Herrn Euch plöglich erleuchtet haben ?—
Da bekannte Wittefind alles, was ihm begeg |
net war, und daß er nun gewiß naͤchſtens die
heilige Taufe nehmen werde.
Und Karl ſchloß ihn in feine Arme und fagtes
Die Erfcheinung, fo Ihr vor und allen voraus
habt, beweift mir, wie body der Gott des Him ⸗
meld und der Erde Eure Belehrung achtet, daß
er fo viel für Euch gethan hat. Ihr werdet fürs
der in Gemeinſchaft mit mir nun auch da6 Eurige
für Ihn thun, Ihr und Eure Sachfen. Denn
nicht zur Unterjochung dieſes Volkes, fondern
nur zur Vertilgung feiner fo ohnmächtigen, als
graufamen Rachegotter, führte ich gegen fie daß
Schwert. Es kehrt in die Scheide zuruͤck, for
bald der Gott, der aus Menſchenliebe am Kreuze
ſtarb, ihre Herzen erleuchtet. Auf Euer Wort
trauend, nehme ich Euch hiemit zu' meinem
Baffenbrubder auf und beflätige Eure Würde unter
‘dem Namen eines Herzogs der Sadıfen.
Nach kurzem Geſpraͤch fand es ſich, daß die
beiden großen Fuͤrſten faſt in allem uͤbereinſtimm⸗
ten, und fie berenten gar ſehr, es fo ſpaͤt erſt
erkannt zu haben.
Herzog Alf, welcher Wittekinds Ruf nach
Hofe von weiten beobachtet hatte, und jetzt bange
feinen $reund an ber Burgmauer herums
ich, ward bald entdeckt und gleichfalld heraufr
ufen. Er nahm feinen Anftand dem Bunde
zutreten.: Schon am Ubende erfchienen beide
ihrer bei dem Schäfer zuruͤckgebliebenen Ritter
icht am Hofe. Yuch feierten fie dad Dfterfeft
allgemeiner Erbauung recht andaͤchtig mit.
21.
Die naͤchſten Zage nach dem Zefle verfloffen
nter allerlei. ritterfihen Uebungen zu Ehren ber
euen , bochgeachteten Freunde. Befonderd feiers
ich war die Art, mit weldher ber nunmehrige
yerz0g des Sachſen dem Grafen Heinrich von
dennenberg wegen ber. letzten Beleidigung auf
er Wittekindsburg Abbiite hat. Schon damals,
agte Graf Henrich; hoffte ich, daß Eure Ders
blendung bald ein Ende nehmen: müfle, und
bloß darum enthielt ich. mich aller Antwort ; ein
Umftand, der. meine: beutige kuſt um Vieles
vergroͤßert.
Wittekind entdeckte ihm nun, beß der Kleine
auf feiner Mutter Burg fein Sohn ſei, und
hörte von dem Darüber Dacherfreuten‘, daß man
Stau von Hennenberg in den naͤchſten Tagen
bei Hofe erwarte, wohin fie den Heinen Wiprecht
mitbringen werde. —
Herzog Wittefind, ber nun ohne Berzug zus
rüdgewollt Hatte, befehloß eine fo große Freude
60
noch zu erwarten, und den Sohn der von Schus
fucht nach ihm ganz durchdrungenen Mutter in
die Arme zu führen.
Während dieſer Zeit 309 ſich dad Freund⸗
ſchaftsband zwiſchen dem Könige Karl und Wits
teind immer feſter. Smwanchildend wurde oft
von HR großem Lobe gedacht; auch konn⸗
ten beſonders Bertha und Frau Faſtrad nicht
aufhoͤren, das Fräulein zu ruͤhmen und ihr bal⸗
diges Wiederſehen zu wuͤnſchen.‘ Den Fluch bed
Prieſters verachtete man, da er, wie man glaubte,
in ihren Verhaͤltniſſen ihr ganz unſchaͤdlich ſei.
Man verwieß auch deßhalb dem Herzoge von
Holſtein, wenn er an dieſer Unſchaͤdlichkeit Zwei⸗
fel Außerte, und darum ſchleuniger zurüchegehrtn
feine Meinung zu verſchiedenen Dlalen.
Alein nur zu bald, faft zugleich mit dar
Ankunft des Pleinen Wiprechts, Beftätigten ſich
fs Beſorgniſſe. Es kam naͤmlich als Eilbote
ein Ritter, von Frau Geva an ihren Gemahl
gefendet, mit folgender Kunde: Wittefinds bald
in der dortigen Gegend verlautete Abweſenheit
hatte bei Uffo und einigen Gaugrafen Unruhe
erregt, welche durch die Ausſage mehrerer Un
Yhmmlinge, die ihn und den Herzog Ulf unweit
Molmerftädt getroffen, noch verftärkt wworden war. ·
@päter hatte man fogar von dem eingetretenen,
vertrauten Berbältniffe der beiden Helden mit
x
6
näg Katl und ben Feſten an deffen Hofe , ihm
Shren angeſtellt, Mirtheilung erhalten. Sor
ich ahndete dem finftern Sinne Uffo's die Urs
pe und der nahe Fall der Götter, deren Pries
e er fi nannte — Eined Tages erfcheine
:änrich von Efchen vor Wittekinds Gemahlin,
ıd erdffnet ihr dieſe Vorgänge ſowohl, als daß
deren Werfolg Smanehild auf der Burg felber
icht mehr vor den Angriffen. ſeines Oheims
‚cher fei, ja daß mit Einbruch der Nacht die
Chriſtin, welche dad Saamenkorn des Böfen in
sie Herzen ber Erften des Volkes geworfen, ald
ine Berrätherin abgeholt und verurtheilt werden
ſolle. Uffo's Wuth kenne feine Grängen, und
es fei alles für feine Verlobte zu fürchten. Dar⸗
ander entfegte ſich Frau Geva gar fehr und Fam
mit dem von Efchen überein, dad Fräulein ihm
anzuvertrauen, der ihr einen ſichern Aufenthalt
zu verſchaffen gefobte. Schon war er auch am
Abende mit ihr auf dem Wehe aus der Burg.
Allein der mißtrauiſche uffo hatte eine ganze
Schaar von Lauerern in des Thores Nähe. Man
erfannte die Fluͤchtenden und bemaͤchtigte ſich
ihrer. Seitdem wußte niemand was aus ihnen
geworden war. .
Um Auskunft darüber zu erlangen, hatte
Frau Geva den Uffo vergeben zu ſich befcheiden
laſſen und ihm endlich hei dem Zorne ihres bafd
— —
[22
Hier aber Tegten fie ihrem Verlangen Zügel an,
weil der flarfe Schritt nicht paſſen wollte zu
den gebrechlicyen Perfonen, die fie nun von
ftellten.
Es war noch fruh am Tage. Nur einefn
drfi "gingen die frommen Gläubigen zur Kirche,
und Wirtefind und Alf hatten Zeit genug, Orte
30 Anden , wo fie die. Ankunft ded Könige Karl
und feines hohen Hauſes und die heilige Hands
Tung überhaupt wohl beobadjren mochten. Weit
Me :jedody fhan: fo vieken im Treffen, wie zur
‚ruhigen Zeit, als unzertrennlic) erſchlenen waren,
and mancher, wenn er ‚hier ihre Gefichter beis
fartnen erblickte, ſie, felßfi.in der falſchen Klei⸗
bung, keicht erkeunen fonnte ,..fo eurfernten fe
” fehr weit von einanden Im
- 1
1%
: Des Gottetham faune aa immer wir und
mai. Ein: Geraͤuſch, das ſich jet unter der
ganzen Menge vernehmen ließ, deutete auf die
Ankunft der Erften im Volle. Wittekind er
flaunte, als er deu. Abnig Karl an der Eintrer
senden Spitze erblidse. Iſt dad derfelbe, fragte
er ſich, den ich im. Toben der Schlacht fo oft
au Pferde hierhin und dorthin fliegen.fah, deffen
einziged Wort ganze Heerfchaaren , wie ein maͤch⸗
tiger Sturmwind in die Meinigen tig, daß diefe
65
ıtt fand, noch zur rechten Zeit eintreffen
unten. .
Deideß die gemeine Reiterruͤſtung, welche
in Wolmerſtaͤdt angelegt hatten, und das
rgezogene Bifir, waren nicht geeignet, ihnen
trauen au gewinnen. Doch galt diefed den⸗
ben für’® erfle auch weniger, als die Unfennts
bieit.
Se näher fie dem Walde kamen, wo die
zolksberathungen gehalten zu werden pflegten,
efto mehr Bewegung nahmen fie auch unter ben
vehrhaften Männern wahr, bis ihnen endlich
je Antworten auf ihre behutfamen Erfundiguns
sen über die Zufammenberufung felbft Feinen
Iweifel weiter ließen.
Herr Uffo wird flaunen bei unferer Anrede P
fagte der Sacjfenfürft zu feinem Waffenbruder,
als fie am Abende vor der Bollmondnadht fchon
fehr frühgeitig an dem wohlbefannten Orte eins
trafen, und hier, nachdem fie die Rofle anger
bunden, zum erften Diale auf biefer Reife in’s
Grad gelagert der Ruhe pflegten, und dazu etwas
Speife und Tranf, daß fie hatten, zu ſich nah⸗
men. Beſo nders freute ſich der Held feines klei⸗
nen Sohnes, der ohngeachtet der Befchwerben
einer fo übereiften Reife von dem Schlafe, defr
fen man ihn bedürftig glaubte, durchaus nichts
hören wollte! —
56
Könige. Nur ſchien es ihm noch um vieles herr
licher ald im Traume. Und die Strablen um das
Feine, liebliche Haupt bed Kindes ergoffen fich über
den König Karl und floffen immer weiter und wei⸗
ter umber, fo daß auch Wittefind davon berührt
wurde. Und fie drangen bis in das Gerz bei
Sachſen fo tief, daß biefer anbetend auf feine
Kniee ſank und ber ganzen irdifchen Umgebung
ſich enträdt fühlte — |
Erſt mit dem allgemeinen Aufbruch der Anı
Bächtigen aud der Kirche erlangte der Held fein
Bewußtſeyn wieder. Da beeilte er ſich, die
Pforte zu erreichen, wo er bem König Karl, bem °
auch in feinen Augen nunentfdiebenen Liebling
ded Himmels, indem er fich den gemeinen Bett
lern zugefellte, und um eine Gabe flehte, recht
in's Ungeficht zu fehen, und bevor er in ſtatt⸗
licher Kleidung am Hofe erfchiene, aus feiner
Miene noch einmal von der Wahrhaftigkeit des
erlebten Wunders fich zu uͤberzeugen hoffte.
Sa, es ift alled, alled wahr! bachteer dann,
auf einer Stufe vor ber Pforte figend , ald erben
großen König von weitem erblidte; benn feine
Züge fchienen noch immer von dem Abglanze bed
bimmlifchen Kindes belebt und verherrlicht. Wie
nun, bei feinem Deraußtreten aus ber Pforte,
Mittefind die Hand nach einem Allmoſen aus;
firedite, da blieb Karl eine Weile vor ihm fichen
65
Such; reitet Eured Weges zurüd. Iſt Euer
rr unter ben Gutgefinnten, fo findet Shr ihn
viß nicht mehr, und iſt er bei den Andern zus
geblieben, fo verdient er ſchwerlich, daß Ihr
n auffischtet und ihm ferner Folge Teiftet. — Das
terfiwürdigftie, als ich hinwegritt, war ein
»pfer.
Ein Opfer? rief Wittekind ahndungsvoll.
Sin ſchoͤnes, herrliches Fräulein, welches den
dnig zu dem Glauben der Chriften verführt
aben fol. -Der Priefter redete lange davon,
vie ihr Blut ganz allein den Wodan verfühnen
ınd die Schande von der Sacıfen Waffen abs
vafchen Tonne. Und als er fo redete und in
zraufe Flüche und Verwuͤnſchungen gegen bie Ges
bundene ausbtach, da fland der von Efchen, des
Prieſters Neffe, an einen Baum daneben eben»
falld angefeffelt. Indem num ber Priefter des
Maͤgdleins Bande loͤſete, fo fagte dr zu dieſem:
Unwuͤrdiger, Du follft Zeuge werden von dem
Dpfer und der Verzweiflung ber Berfluchten !
Da erhob dad Fräulein ihre Stimme und fagte
ruhig laͤchelnd zu dem Gebundenen: Sieh auf
mich, Du Guter, und Du wirſt keine Spur der
Verzweiflung gewahren an ber unſchuldig Sterben⸗
den. Aber meine Ergebung in den unerforſchlichen
Willen des Allerhoͤchſten, und mein Glaube an ſeine
Weisheit und den himmliſchen Lohn der hen,
Geſpenſterbuch 6. Theil,
ald ich am Altare ftand, Euer Knie und Euer
Untlig zur Erde neigtet. Sollte vielleicht der
Geiſt des Herrn Euch ploͤtzlich erleuchtet haben ?—
Da befannte Wittefind alles, was ihm begeg ⸗
net war, und daß er nun gewiß naͤchſtens die
heilige Taufe nehmen werde.
Und Karl ſchloß ihn in feine Arme und: fagte:
Die Erfcheinung, fo Ihr vor und allen voraus
habt, bemweift mir, wie body der Gott des Him ⸗
‘meld und ber Erbe Eure Belehrung achtet, daß
er fo viel für Euch gethan hat. Ihr werdet fürs
der in Gemeinſchaft mit-mir nun aud) das Eurige
für ihn thun, Ihr und Eure Sachen. Denn
nicht zur Unterjochung dieſes Volkes, fondern
nur zur Bertilgung feiner fo ohnmädhtigen, al
graufamen Rachegotter, führte ich gegen fie dad
Schwert. Es Fahrt in die Scheide zuruͤck, für
bald der Gott, der aus Menſchenliebe am Kreuze
farb, ihre Herzen erleuchtet. Auf Euer Wort
trauend, nehme ich Euch hiemit gu’ meinem
Waffenbruder auf und beflätige Eure Würde unter
‘dem Namen eined: Herzogs der Sadıfen.
Nach kurzem Geſpraͤch fand es ſich, daß bie
beiden großen Fürften faft in allem übereinftimms
ten, und fie beremten gar fehr, es fo fpät erſt
erkannt zu haben.
Herzog Alf, welcher Wittefinde Ruf nah
Hofe von weiten beobachtet hatte, und jegt bange
67
Der Wald ward jetzt immer dichter und dich⸗
er, auch ließen ſich ſchon menſchliche Laute ver⸗
nehmen. Da fuhr Herzog Wittekinds Hand
unwillkuͤhrlich nad) dem Schwerte, und er gog es
Heraus und übergab Alf feinen Wiprecht und
witte, fo viel der enge Weg es zuließ, weit vor
aus, feinem blutenden Herzen nad. —
Obſchon das Häuflein, weiches er.anf einem
geräumigen Rafenplage Horfand, nicht unbebeu⸗
tend war, fo ritt ek doc guten Muthes darauf.
zu: Wer feid Ihr? ſprach er zornig. Mir hat
Such berufen ? Was habt Ihr beſchloſſen? Ich Win
tefind, Euer Bürft und Heerführer, frage Euch das l
Und das: Ja, er IE! das jetzt hier und
da aus dem Dunde der Verſammelten bebte, zeugte
genugſam von ihrem Erſchrecken und ihrer Neue.
Darauf aber richtete ſich ein Mann, der in
einiger Gerne am Boden lag, -Tangfam empor
und rief: Opeifet und toͤdtet den Abtrännigen!
Und diefer Mann war Ufo, der racheburflige
Eiferer für feine Götter.
af den ſprengte Wirtefind an, ühd ſchwang
fein Schwert Aber das Haupt des Priefterd, und
ſprach: Wo haſt Du Swanehilden, Du bbfer
Räuber und Mörder?
Da erſcholl plöglich ded Fraͤuleins Stimme,
und entzuͤckt über bad geliebte Reben, das er vers
E 2
60
noch zu erwarten, und den Sohn der von Sehn⸗
ſucht nach ihm ganz durchdrungenen Mutter in
die Arme zu fuͤhren.
Waͤhrend dieſer Zeit zog ſich das Freund⸗
ſchaftsband zwiſchen dem Koͤnige Karl und Wit⸗
tekind immer feſter. Swanehildens wurde oft
von — großem Lobe gedacht; auch konn⸗
ten beſonders Bertha und Frau Faſtrad nicht
. aufhören, das Fraͤulein zu ruͤhmen und ihr bal⸗
diges Wieberfehen zu wünfdhen. :- Den Fluch bed
Prieſters verachtete man, da er, wie man glaubte,
in ihren VBerhältniffen ihr gang unfchädlich ſei.
Man verwieß auch beßhalb dem Herzoge von
Dolftein, wenn er an diefer Unſchaͤdlichkeit Zwei⸗
fel äußerte, und barum fehleuniger gurüdbegehrte,
feine Meinung zu verſchiebenen Dlalen.
Alein nur zu bald, faft zugleich mit be:
Ankunft bed Fleinen Wiprechts, Beftätigten fi
MfS Beforgniffe. Es Fam nämlich als Eilbote
ein Ritter, von Srau Geva an ihren Gemahl
gefendet, mit "folgender Kunde: Wittekinds bald
in der dortigen Gegend verlautete Abweſenheit
hatte bei Ufo und einigen Gaugrafen Unruhe
erregt, welche durch die Ausſage mehrerer Uns
Yommlinge, die ihn und den Herzog Alf unweit
Molmerfädt getroffen, noch verftäckt worden war.
@päter hatte man fogar von dem eingelretenen,
vertrauten Berbältniffe der beiden Helden mit
\
*
61
König Kat! und den Feften an deffen Hofe, ihm
Zu Ehren angeftellt, Mittheilung erhalten. So⸗
gleich ahndete dem finflern Sinne Uffo's die Urs
fache und der nahe Fall der Börter, deren Pries
fter er fi nannte. — Eined Tages erfcheint
Heinrich von Efchen vor Wittekinds Gemahlin,
und. eröffnet ihr diefe Vorgänge fomohl, als daß
in deren Berfolg Smanehild huf der Burg felber
nicht mehr vor den Ungriffen ſeines Oheims
ficher fei, ja daß mit Einbruch der Nacht bie
Chriſtin, welche dad Saamenkorn bed Böfen in
Die Herzen ber Erften des Volkes geworfen, als
eine Berrätherin abgeholt und verurtheilt werden
ſolle. Uffo's Wuth kenne Feine Gränzen, und
ed ſei alles für feine Verlobte zu fürchten. Dar⸗
über entſetzte ſich Frau Geva gar fehr und Fam
mit dem von Eſchen überein, das Fräulein ihm
anzudertrauen, ber ihr einen fichern Aufenthalt
zu verfchaffen gelobte. Schon war er auch am
Abende mit ihr auf dem Wehe aus der Burg.
Allein der mißtrauifche Uffo hatte eine ganze
Schaar von Fauerern in ded Thores Nähe: Man
erkannte die Zlüchtenden und bemächtigte fich
ihrer. Seitdem wußte niemand was aus ihnen
geworden war.
Um Auskunft darhber zu erlangen, hatte
Stau eva den Uffo vergebens zu fich befcheiden
laſſen und ihm endlich bei dem Zorne ihres bafd
62
zuruͤckkehrenden Gemahld zu kommen Befohlen.
Allein aus feiner Antwort erfah man, daß er
ſelbſt dem Fuͤrſten den Gehorfam zu werweigern
wage. R
Der Bote fügte noch hinzu, daß er unter
wegs von einer durch Uffo zufammengerufenen
Volksverſammlung gehoͤrt habe, bei der man auf
die Wahl eined neuen Heerführers Bedacht neh⸗
men wolle \
Und die Herzoge von Sachſen und Holflein,
bochergluͤhend in ihrem gerechten Zorn, thaten
dieß, und daß fie ohne Verzug die Ruͤckreiſe ans
treten wollten, fogieich dem Könige Fund. Do
verweigerten fie die Annahme der Ritter und
Mannen, welche ihnen dieſer zu Zuͤchtigung der
Aufrührer anbot. ” ‚
Ich kenne, fagte Wittefind, die Meinen zu
gut, um nicht zu wiffen, daß ich ed hoͤchſtens
mit einem ‚od er einigen Uebelgefinnten zu thun
babe. Die Uebrigen find Berbiendete, welche
mein Erfcheinen ſchon allein gu ihrer Pflicht zur
ruͤckfuͤhren wird.
Bald darauf fliegen fie zu Roſſe, wo Bitr
tekind feinen Heinen Sohn vor fi) figen hatte
22.
Die Reife ging Tag und Nacht, fo daß fir,
wenn im Vollmonde eine Volksverſammlung
63
Statt fand, noch zur rechten Zeit eintreffen
fonnten,
Beides, Die gemeine Neiterrüftung , welche
fie in Wolmerftädt angelegt hatten, und das
vorgezogene Bifir, waren nicht geeignet, ihnen
Dutrauen zu gewinnen. Doc galt dieſes dens
felben fuͤr's erfle auch weniger, ald die Unkennt⸗
lichkeit.
Fe näher fie’ dem Walde Famen, wo bie
Volksberathungen gehalten zu werben pflegten,
defto mehr Bewegung nahmen fie auch unter den
voehrbaften Männern wahr, bie ihnen endlich
die Antworten auf ihre behutfamen Erkundiguns
gen über die Zufammenberufung felbft Feinen
Zweifel weiter ließen.
Herr Uffo wird ftaunen Bei unferer Anrede f
fagte der Sachfenfürft zu feinem Waffenbruber,
als fie am Abende vor der Bollmondnadht ſchon
ſehr fruͤhzeitig an dem wohlbekannten Orte ein⸗
trafen, und hier, nachdem ſie die Roſſe ange⸗
bunden, zum erſten Male auf dieſer Reiſe in's
Gras gelagert der Ruhe pflegten, und dazu etwas
Speife und Zranf, dad fie hatten, zu ſich nahe
men. Beſonders freute fich der Held feines klei⸗
nen Sohnes, der ohngeachtet ber Befchwerben
einer fo übereilten Reife von dem Schlafe, defr
fen man ihn bebärftig glaubte, durchaus nichts
hören wollte! —
u
64
Schon war die Nacht vollig hereingebrochen,
und noch immer Feiner von allen Gaugrafen
vorhanden.
- Geltfam genug! rief Ulf aus. Gollten die
vielen Nachrichten ber den Volksverein ſaͤmtlich
feinen Grund haben? Jetzt müßten doch die
Berathungen begonnen feyn. —
Allerdings! verfegte Wittefind. Wie aber,
fo eben gerathe ich auf ben Gedanken, wie wen
man, dem zeitherigen Gebrauche zumider, da?
Volk an einen andern Ort berufen hätte?
„Mit der ganzen Schwere eines finftern Bor
aefühls überrafchte diefer Argwohn jegt die Für
ſten, und fogleich feßten fie fich zu Pferde, ohne
jedoch zu wiffen, wohin fie ihre Schritte zuafl
lenken ſollten. Und als ſie ſchon ziemlich lange
bang und duͤſter hin⸗ und hergeritten waren, da
gewahrten ſie einen Ritter mit mehrern Reiſigen,
welcher fuͤrbaß zog. Den redete Herzog Witte
find alfo an: Gemach, Herr Ritter, und ſaget
und, wenn hr ed wiſſet, wo die Volksver⸗
fammlung abgehalten wird, au der unfer Het
und aufgeböten.
Da babt Ihr Euch zu ſpaͤt auf dat Bleib
gemacht, antwortete der Ritter. Denn die mi
fin Grafen find im Zorn davon gegangen, mit
ich, weil es darauf anfam, dem Könige Witte
Find die Treue aufzufündigen. — Daher rathe
67
65°
ich Euch; reitet Eures Weges zurüd. Iſt Euer
Herr unter den Gutgefinnten,, fo findet Shr ihn
gewiß nicht mehr, und iſt er bei den Andern zus
ruͤckgeblieben, fo verdient er ſchwerlich, daß Ihr
ibn auffuchtet und ihm ferner Folge leiſtet. — Das
Merkwuͤrdigſte, als ich hinwegritt, war ein
Opfer.
Ein Opfer? rief Wittekind ahndungsvoll.
Ein ſchoͤnes, herrliche Fräulein, welches Den
König zu dem Glauben ber Chriften verführt
haben fol. *-Der Priefter rebete lange davon,
wie idr Blut ganz allein den Wodan verfühnen
und die Schande von der Sacıfen Waffen abs
wafchen koͤnne. Und als er fo redete und in
graufe Flüche und Verwuͤnſchungen gegen bie Ges
bundene ausbrach, da fland der von Efchen, des
Prieſters Neffe, an einen Baum daneben eben»
falls angefeffelt. Indem num ber Priefter des
Mägdleind Bande Idfete,, fo fagte tr zu diefem:
Unwuͤrdiger, Du folft Zeuge werden von dem
Dpfer und der Verzweiflung der Berfluchten !
Da erhob dad Fräulein ihre Stimme und fagte
ruhig TAchelnd zu dem Gebundenen: Sieh auf
mich, Du Guter, und Du wirft Feine Spur ber
Berzweiflung gemahren an der unfchuldig Sterben»
den. Aber meine Ergebung in den unerforfchlichen
Willen bed Allerhöchften, und mein Glaube an feine
Meisheit und den himmlifchen Lohn der outer,
Geſpenſterbuch 6. Theil,
66
diefer Haube wird gewiß auch der Deinige wer⸗
den!
Sr if es (hen! rief der von Efchen von
ihtem Geifte durchdrungen aus. Da griff der |
Prieſter ſchnell und ſchaͤumend vor Wuth zudem
Opfermeſſer. — Jetzt war kein Bleiben mehr fuͤr
mich; erſchuͤttert und empoͤrt von allem, deſſen
Zeuge ich geweſen, beſtieg ich das Roß und ritt
mit den Meinigen davon. — O waͤre doch Wit⸗
tekind hier, um den treuvergeſſenen Uffo zu zuͤch⸗
tigen!
Er iſt es! rief der Herzog, das Viſir dffnend
und dem Ritter die Hand reichend. Schrecklich
ſoll die Nache hereinbrechen über die Stifter des
heilloſeſten Mordes! —
und der treue Sachfe frohlockte, dem Helden
ſein Geleit nach dem Haag bietend, wo die Ver⸗
ſammlung gehalten wurde. —
25.
Nachdem fie nun, intiefe, ſtumme Gedanken
verloren, ſchon eine weite Strecke, von keinem
Laut, als ber Pferde Hufen unterbrochen, zuruͤck⸗
‚gelegt hatten, da Töfete ich der Schmerz des Sach⸗
fenfürften endlich in Töne auf. Meine liebe, liebe
Swanehild! riefer. Wollte der Himmel, Bruder
Alf, daß ich beffer beachtet hätte Deine Bor
Torge und Dein Warnen! Und den Traum bajı.
Wie ſchrecklich iſt er doch in Erfüllung gegangen!
67
Der Wald ward jet immer dichter und dich)
ir, auch ließen ſich ſchon menſchliche Laute vers
nehmen. Da fuhr Herzog Wittelindd Hand
unwillkuͤhrlich nach dem Schwerte, und er zog es
heraus "und übergab Alf ſeinen Wiprecht und
eilte, fo viel der enge Weg es zuließ, weit vor
aus, feinem bintenden Herzen nad. —
Dbfchon das Häuflein, welches er.anf einem
geräumigen Rafenplage vorfand, nicht unbebeus
tend war, fo ritt es doch guten Muthes darauf
zu: Wer feib Ihr? fprach er zurmig. Wir hat
Such berufen ? Was Habt Ihr defchloffen ? Ich, Win
sefind, Euer Fuͤrſt und Heerführer, frage Euch daß |
Und das: Ja, er iſt's! das jetzt hier und
da aus dem Munde der Berfammelten bebte, zeugte
genugſam von ihrem Erfchredden und ihrer Neue.
Darauf aber richtete fich ein Mann, ber in
einiger Gerne am Boden lag, -Tangfam empor
und rief * Gpeifet und toͤbtet den Abtrünnigen!
Und diefer Mann war Uffo, der vacheburftigk
Gtferer für feine Götter.
Auf den fprengre Wittefind an, ünd ſchwang
fein Schwert über das Haupt bed Priefterd, und
ſprach: Wo haft Du Swanehilden, Du böfer
Mäuber und Mörder ?
Da erſcholl ploͤtzlich des Fraͤuleins Stimme,
und entzuͤckt uͤber das geliebte Leben, das er ver⸗
E 3
— —
—
66
diefer Haube wird gewiß aud) der Deinige wer,
den!
Cr iſt es (hen! tief der von Eſchen von
ihrem Geifte durchdrungen aus. Da griff der
Priefter ſchnell und ſchaͤumend vor Muth zu bem
Dpfermeffer. — Zegt war Fein Bleiben mehr für
mich; erfchüttert und empdrt von allem, deſſen
Zeuge ich geweſen, beflieg ich dad Roß und ritt
mit den Meinigen davon. — D wäre doch Bits
tekind hier, um den treuvergeſſenen Uffo zu zuͤch⸗
tigen!
Er iſt es! rief der Herzog das Viſir dffnend
und dem Ritter die Hand reichend. Schrecklich
ſoll die Rache hereinbrechen über die Stifter des
heillofeften Mordes! —
- Und ber treie Sacıfe frohlockte, dem Helden
fein Geleit nach dem Haag bietend, wo die Ber
farnmlung gehalten wurde, —
235.
Nachdem fie nun, intiefe, ſtumme Gedanken
derloren, ſchon eine weite Strecke, von keinem
Laut, als ber Pferde Hufen unterbrochen, zuruͤck⸗
gelegt hatten, da loͤſete ſich der Schmerz des Sach⸗
‚fenfärften endlich in Töne auf. Meine liebe, liebe
Swanehild! tiefer. Wollte ber Himmel, Bruber
Alf, daß ich beffer beachtet hätte Deine Bor
Torge und Dein Warnen! Und den Traum dazu.
Wie ſchrecklich iſt er doch in Erfüllung gegangen!
77
zibung, ernf und düfter von Anfehen, tritt
sein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spar
ze nimmt aber feine Notiz von ihm und feis
m Nuf; er tritt an dad Buͤcherbret, greife
ich einigen Bänden von Pope's Schriften, blaͤt⸗
rt etwas darin, und feßt fie fogleich mit einem
rgerlichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle,
ber, wie der Autor im Bett mit nicht geringem
3erdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Titeln
ad) unten. Pope ruft nöchmald., Der Spas
ster [Aßt fich in feiner ſtummen Kritit nicht flören,
ind ald er endlich mit feiner Muflerung zum «
Schluß kommẽ, geht er nach Popels Schreibtifch,
aimmt ein Manuffript, an welchem der Beſitzer
aoch am Abend geſchrieben hat, Tief, blättert,
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blättert
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor
zu bunt, Mein Herr, ruft er den Spanier an,
wenn Sie Jemand mit Ihrem Befudy beehren
wollen ‚ fo wählen Sie künftig eine bequemere Zeit.
Der Spanier würdigt ihn feined Blicks. Und
wo fie einen Beſuch machen, fährt Pope fort,
da beobachten Sie gefälligft Die Befege des Anſtan⸗
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere.
‚De Spanier Dlättert ruhig fort mit feinem fata⸗
“Ten ironifen Lächeln. Sonſt — poltert nun
"der enträftete Dichter — fonft wird man gegen
Sie fein Hawdredhe zu brauchen wiffen, und mit
68
nichtet geglaubt, eilte Wirtefind nad) dem Baume,
. woran man fie wieder gebunden hatte. Alsbald
löfete fein Schwert die Feſſeln und die noch Uns
verlegte ſah danfınd zum Dimmel und ihrem
Oheim aufı
Noch ſprachlos durch die feltfame Folge der
Ereigniffe, deutete fie auf den gefeffelren von Efchen.
Gogleich ‚befreite ber Fuͤrſt auch diefen, in dem
ibm Swanehild ihren Retter vorflellte. — Als
nämlich der Priefter das bereits entbloͤßte Opfers
meſſer zu. weihen, ‚feine Götter angerufen hatte,
und ſodann eben damit auf das fdımeigende
Opfer losbrechen wollte, da machte die Verzweif⸗
lung Heinrichs Arm riefenflart ; er jerriß feine
Sande, flürzte mit Wuth auf den Oheim ein, wand
ihm das Meſſer aus der Hand, und brachte ihm
ſelbſt eine ſolche Wunde bei, daß er zu Boden
ſank.
Doch im Davoneifen mit ‚der fo Gereiteten
war er fchon wieder ergriffen worden. Sein
Schidfal, dad ber, nur leicht verwundete, Prie⸗
fter felbft ausſprach, follte nun feyn, Swanehil⸗
dens Zod zu ſterben; nach ihr. Uffo behielt fich
vor, zum Danke für feine Rettung beide Opfer
felbft zu verrichten, fobald er ficy wieder geſam⸗
melt haben würde. —
Der gluͤcliche Ausgang mag den Frevel ver⸗
77
dung, ernſt und düfter von Unfehen, tritt
ein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spas
r nimmt aber feine Notiz von ihm und feis
n Nuf; er tritt an dad Buͤcherbret, greift
ch einigen Bänden von Pope's Schriften, blaͤt⸗
:t etwas darin, und ſetzt fie fogleich mit einem
gerlichen fatirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle,
er, wie der Autor im Bett mit nicht geringem
erdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Ziteln
xch unten. Pope ruft nochmald. Der Spas
ter läßt ſich in feiner ſtummen Kritik nicht flören,
nd ald er endlich mit ſeiner Muflerung zum
zchluß kommt, geht er nach Pope’s Schreibtiſch,
immt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer
och am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert,
Huͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert
deitet. Das wird endlich dem zuſehenden Autor
uw bunt. Mein Herr, ruft ed den Spanier an,
venn Sie ‘Jemand mit Ihrem Beſuch beehren
vollen , fo wählen Sie Fünftig eine bequemere Zeit.‘
Der Spanier würdigt ihn Peined Blicks. Und
v0 fie einen Befuch machen, fährt Pope fort,
da beobachten Sie gefaͤlligſt Die Geſetze des Anſtan⸗
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere.
Der Spanier blaͤttert ruhig fort mit feinem fata⸗
fen ironifhen Lächeln. Sonſt — poltert nun
der entrüftete Dichter — fonft wird man gegen
Sie fein Hausrecht zu brauchen wiffen, und mit
%
68
nichtet geglaubt, eilte Wittekind nad ben Bäume,
. woran- man fie wieder gebunden hatte. Alsbald
löfete fein Schwert die Feſſeln und die noch Uns
verlegte ſah dankend zum Himmel und ihrem
Oheim auf.
Noch ſprachlos durch die ſeltſame Folge ber
Ereigniſſe, deutete ſie auf den gefeſſelten von Eſchen.
Sogleich befreite der Fuͤrſt auch dieſen, in dem
ihm Swanehild ihren Retter vorſtellte. — Als
naͤmlich der Prieſter das bereits entbloͤßte Opfer⸗
meſſer zu weihen, feine Götter angerufen hatte;
und ſodann eben damit auf das fchiveigende
Opfer losbrechen wollte, da machte die Verzweif⸗
lung Heinrichs Arm rieſenſtark; er zerriß ſeine
Bande, ſtuͤrzte mit Wuth auf den Oheim ein, wand
ihm das Meſſer aus der Hand, und brachte ihm
ſelbſt eine ſolche Wunde bei, daß er u Boden
ſank.
Doch im Davoneilen init ‚der fo Gereiteten
war er fdyon wieder ergriffen worden. Sein
Schidfal, dad ber, nur leicht vermundete, Prie
fter ſelbſt ausſprach, follte nun ſeyn, Swanehil⸗
dens Tod zu ſterben; nach ihr. Uffo behielt ſich
vor, zum Danke für feine Rettung beide Opfer
ſelbſt zu verrichten, fobald er ſich wieder gefam
melt haben würde. —
Der gluͤctiche Ausgang mag den Frevel ver⸗
79
ennt er, ber Spanier fer ihm begegnet, und
ehe auch eine alte Sage in. dem Haufe, daß
vor Tanger Zeit ermördeter Spanier fich zu
icen fehen laffe, allein Niemand habe ſich ges
wet Davon zu fprechen , weil ja der Herr jeden
‚Stdem Dienft jage, der von Erſcheinungen fi
v as verlauten laffe Pope will nichts mehr
‚ven, er verbietet dem Diener, weiter davon zu
‚reden, indeffen befiehlt er ihm doch, den Neft
er Naht bei ihm auf dem Sofa zuzubringen:
50 fchläft er auch felbfi wieberein. Ald er am
Morgen erwacht , ruft er feinen Diener. Nies
nandantwortet. Er fiebt nachdem Sofa. Kein
Diener fehläft darauf. Scheltend, daß ber Bur⸗
che gegen feinen Befehl das Zimmer verlaffen ’
yabe, zieht er die Klingel, da Fommt es die *
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre,
aber fie ift feſt verfchloffen und verriegelt. Pope .
muß auffiehn undöffnen. Warum bift Du gegen
meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt |
der Herr den eintretenden Diener an. Sie Flins
gelten ja, entfehuldigt dieſer. Aus die ſem
Zimmer, meine ich, fegte Pope hinzu. Ich foname
3a nur eben herein, erwiederte der Diener befremdet.
Warſt Da nicht diefe Nacht hier, ald Dir der
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener
fchüttelt bedenflich ben Kopf? der Spanier ? wie
derholter. Ya, der Spanier, ermwibert ber Ders,
r [Wu
Saiten, und nachher Swanehild mit ihrem Neitee
von Prieflerhand verbunden worden war. —
In Kurzem verfpärte alled Gachfenvelf den
Gegen der neuen Lehre, fo baß jedermann nach
‘der Taufe begierig wurde,
Wittekind blieb bis an fein feliged Enke der
frommfte Chrift und treuefle Freund bed nachheri⸗
gen Kaiferd Karl, ift auch ald beided noch in ben
fpäteften Zeiten anerfannt, und von Pabſt Urban
dem achten, mit Karl zugleich, unter die Zobl
der Heiligen anfgenpanmen worden,
Der Shusgeif.
Anekdote,
an wollen wir Nummer zwei vornehmen —
fagte ber Profeffor — indem er Die Schleifen
feiner Kupferſtichvappen zuſammenſchlang, uno
nach ber zweiten Abtheilung blidte, die ſchon an
dem Tiſche lehnte — die, hoffeich, wird Ihnen
noch beffer zufagen. Uber Sie fehen fo oft nach
ber Uhr, Brau@ceheimräthin, fait ſollt' ich
fürchten ...
Ich felbft fürchte nur — unterbradh bie
Polizeidirektorin — es wird zu fpät, um
«ine neue Abtheilung anzufangen, und «ed wär
wirklich Schade, dieſe ſchoͤnen, ausgeſuchten Blaͤt⸗
ter bloß fluͤchtig zu durchlaufen. Wenn Ihre
Zeit es «in andermal geſtattet...
Es iſt ja noch gar nicht ſo ſpaͤt — entgeg⸗
nete ber Polizeibirekt or ſelbſt, der ſchon
72
befchäftigt war, bie fehmeren Pappen auf den
Tiſch zu heben — Wir bringen noch recht bequem
die ganze folgende Abtheilung durch, Wie kommt
es, daß Du heut foeilig bit?
Man ift doch jegt am liebſten Abende zu
Haus — erwiberte die Geheimräthin — es
iſt doch immer ficherer, “
Sicherer ? — fragte der Poligeidireftor
lachend — Du machſt meiner Amtöführung ein
gutes Kompliment! Wo fol denn jegt Unfichers
beit entfliehen, befonderd da wir unfre militäris
{hen Sicherheitsſtbrer los find?
Eben darum — fagte Jens — Sie wuͤr⸗
den und nicht verlaffen haben, wenn fie nicht
ſelbſt an ihrer Sicherheit gegweifelt hätten, Wahrs
ſcheinlich find die Feinde fehr in unferer Nähe,
und wie leicht entfichen da nicht Unruhen, wo
man «6 am wenigflen ermartet,
R D, wenn Sie weitet nichts fürchten liachte
der Profeffor — da laſſen Sie und ganz
ruhig unfere Bilder vollends durchgehen. Bis
zu Ankunft der Feinde fliege voch manch Tröpf-
ben Zeit vorüber, und ich denke, wir. werben
früher unfre fogenannten Veſchuͤtzer wiederſehn, ehe
wir unfre Feinde, oder vielmehr Vefreier, denn
Feinde giebt es nicht mehr, zu fehen bekommen.
Indeffen ift ihre Ahndung body nicht ganz ohne
, Grund, denn gleich in den. srflen Hlättern hier -
23
werde ich Ihnen einige der Nord s Drientalen,
wenigftend im Bilde vorzeigen können.
Ein andermal, bit id) — ermiberte die
Aengſtliche — Wenn Gie meine Unruhe
fühlten, Sie würden mich Selbſt gern in mei⸗
ner Wohnung wiffen,
Aber wirflid — fagte ber Geheimrath
beruhigend — Du bift ganz ohne Grund in
Eorgen. Rad) den heutigen Nachrichten fünnen
und wohl die nächfien Tage manche Friegerifche
Ereigniſſe, oder doch wenigften® fremde Gaͤſte mit,
Bringen, aber für Morgen wolle’ ich faft noch
ſiehn, und für .diefen Abend iſt auch nicht der
entferntefte Grund, etwad zu erwarten.
Man fuchte vergebens von allen Seiten Gründe
auf, bie Geheimraͤthin von dem Ungrund ihrer
Furchtſamkeit zu überzeugen ; fie warb immer aufs
fallender aͤngſtlich, und endlih um bie Gefells
(daft und dad Vergnügen des Abende nicht zu
flören,, ſchlug fie vor, der Proferffor möchte
fie begleiten, und bei ihrem Mann einige Ge
mählde und Kupferſtiche betrachten, über melche
man vorhin gefprochen und geflritten hatte. Der
Vorſchlag ward gern angenommen, der Profefr
for verſchloß lachend, aufder Geheimraͤthin
ernſtes Erinnern, feine Thüren doppelt, und nun
zog man veranägt unter mancherlei Scherzen aus
dem Haufe bed Profefford in die Wohnung
714
bed Poligeibir — wo das Geſpraͤch vor
den neuen Sehenswuͤr
wieder in den vorigen lebendigen Gang gerieth.
Sollte man nicht glauben — ſagte der Gw
heimrath, ald feine Gemahlin ſich eben ent⸗
fernt hatte — meine Frau wär eine Geifterfehe
sin? Ihre fonderbare Unruhe macht mir fafl
felbft bang. Ich bin dergleichen gar nicht vor
ihr gewohnt. |
Die Folge von den Geſpraͤchen, die jegt an
der Zagedorbnung find — entgegnete der Pro
feffor — Glauben Sie doch nicht an bergleis
hen Dinge. Wir werden fo volltommen ruhig
und ungeflört Ihre fchönen Kunſtſchaͤtze betrachten
Tonnen, ald ob wir die Koſaken und Baſchkiren
nur noch aus Neifebefchreibungen Tennten.
Der Polizeidirektor fchien nicht dieſer
Meinung. Er warb etwas zerfirent, und kaum
fonnte des Profeſſors Erzählung von den
deutſchen Alterthuͤmern, die er in einer Berfteis
gerung erhalten, und zur Borzeigung für Diefen
Abend beftimmt hatte, ihm einige Aufmerkſam⸗
Zeit abgewinnen, Der Profsffor lächelte einige
Mal über den Glauben an Vorahndungen, den
jener durch feine Bangigfeit verrieth, und nahm
aus Seelenlehre und Naturwiffenfhaft alle Bes
weismittel zufammen, um den Ungrund eines fol
eben Glaubens darzuthun.
igfeiten der Kunft bald !
75
Y Tann gegen alle Ihre Gründe nichts eins
wenden — fagte endlich der Geheimrath —
ald fo manche Erfahrungen, die dab Gegentheil
Ihrer Meinung beflätigen, und und wenigften®
auf Augenblicke die Ausſicht in Gegenden gewähr
zen, weldhe von der Wilfenfchaft noch nicht aufs
gehellt find. Was glaubwärbige Männer erzaͤh⸗
len, bei weldyen ber Verdacht eined Beſtrebens,
Andre taͤuſchen zu wollen, unmoͤglich ift, kann
man, wenn auch in einigen Fällen, doch nicht
durchaus und ohne alle Ausnahme verwerfen.
Marum nit? — erwiderte der Brofef
for — wenn die Sache an fich felbft gegen alle
Gefege der Möglichkeit ſtreitet? Die rechtlichſten
und glaubwuͤrdigſten Männer Können felbft ges
täufcht werden, Uebrigens ift ed mit den Ahns
dungen , wie mit den Irrlichtern. Jedermann
hat nur davon gehört; Fein Einziger, ben ich
darüber geſprochen habe, hatte die Erfahrung
ſelbſt gemacht. Che ich nicht ſelbſt einen Geiſter⸗
feber zu feben bekomme, der mich ernfihaft und
ald rechtlicher Dann verfichert, er habe wachend
und bei vollem, unbezweifeltem Beroußtfeyn ſelbſt
etwas dergleichen erlebt, eher glaub’ id) von dem
Allen fo viel ald nichts.
Wenn aber ein folcher Seiſterſeher fich fände
— fagte der Geheimrath — dann würden
Sie glauben?
76
"Hm — verfehte Jener mit zweifelnden |'
Achzelzuden — immer noch erfi nur nad ger }
nauer Prüfung. Taͤuſchung iſt gar zu Teiche 1
möglih. Pope's Beiſpiel ift mir ſtets eine große
Warnung gewefen.
Der Geheimrathmolte das Nähere wiffen,
Iſt Ihnen die Anekdote unbefannt? — fragte
der Profeffor— Pope war ein entfchiedener
Gefpenfterläugner, und hatte die eigne Fatalität
ſtets Bedienten zu befommen, Die in dem Grade
Teihtglaubig waren, wie er felbft ſchwerglaͤubig.
Um ihre Gefpenfterfurcht zu verſcheuchen, verbot
er ernftlih in feinem Haufe von Erſcheinungen
oder aͤhnlichen Dingen auch nur zu ſprechen, und
drohte Jedem, ber ein Wort davon erwaͤhnte,
oder überhaupt Geſpenſterfurcht verrieth, mit aus
genblicklicher Entlaffung aus feinem Dienft. Pope
hatte nun eben eine neue Wohnung bezogen, fi
bequem und nett darin nach feinen Wünfchen
eingerichtet, und wollte die erfie Nacht in den
fertig gewordenen Zimmern ſchlafen. Aus Bor
ficht verriegelt er der unbefannten Umgebungen
wegen vor bem Schlafengehn die Thür, und
verſucht nun, feiner Gewohnheit nach, fich in
den Schlaf zu leſen. Nach einiger Zeit bemerkt
er eine Bewegung an der Thür feined Zimmers.
Sie Öffnet ſich, indem er nach dem Geräufh
umblit, und eine Geftalt in alter ſpaniſcher
77
Fleidung, ernft und duͤſter von Anfehen, tritt
Berein. Pope ruft die Erſcheinung an, der Spas
nier nimmt aber Feine Notiz von ihm und feis
nem Ruf; er tritt an dad Buͤcherbret, greift
nach einigen Bänden von Pope's Schriften, bläte
tert etwas darin, und ſetzt fie fogleich mit einem
ärgerfichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle,
aber , wie der Autor im Bett mit nicht geringem
Verdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Titeln
nach unten. Pope ruft nochmals. Der Spas
nier laͤßt ſich in ſeiner ſtummen Kritik nicht ſtoͤren,
und als er endlich mit ſeiner Muflerung zum
Schluß fommt, geht er nach Popes Schreibtiſch,
nimmt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer
noch am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert,
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor
zu bunt. Mein Herr, ruft er den Spanier an,
wenn Sie Jemand mit Ihrem Beſuch beehren
woillen, fo wählen Sie kuͤnftig eine bequemere Zeit.
Der Spanier würdigt ihn Peined Blicks. Und
wo fie einen Beſuch machen, fährt Pope fort,
da beobachten Sie gefälliaft die Geſetze des Anftans
des, und durchmuftern Sie nicht fremde Papiere
Der Spanier Diättert ruhig fort mir feinem fatas
fen ironifchen Lächeln. Sonſt — poltert nun
der enträftete Dichter — fonit wird man gegen
Sie fein Hausrecht zu brauchen wiffen, und mit
P
78
den Worten fährt er aus dem Bett, reißt feinen
Degen au6 ber Scheide, und flürmt damit auf
den Spanier ein. Der fenft gelaffen die Hand,
womit er die Papierbfätter hält, nnd indem er
Pope'n mit bemfelben Falten Spottlaͤcheln in dad
Geſicht ſieht, Öffnet er mit der andern Hand feine
Bruſibekleidung . Hier erblidt Pope mit Schau
dern eine blusende Wunde, größer und tödslicher,
als er felbft fie dem nächtlichen Störer beizubrin ⸗
gen gefonnen war. Erſchuͤttert tritt er zurüd
und Hingelt feinem Diener. Vergebens. Er
wiederholt den Muf, niemand erſcheint, nur der
Spanier ſteht noch gelaffen am Schreibtiſch, und
fegt ruhig die Durchficht der Papiere fort. Mein
Herr, fagt endlich Pope, wer Sie auch feyn
mögen, Sie erzeigen mir eine Gefälligfeit,, wenn
Sie mid) jeßt verlaffen. Der Spaniet nidt be
willigend, legt bie Blätter ans der Hand, und
entfernt fich langſam und ernſthaft. Faſt betaͤubt
Yon dem ſeltſamen Abenteuer wankt Pope auf
fein Lager zuruͤck, da kommt fein Bedienter, und
fragt, was der Herr Beficht ? Iſt Dir Niemand
begegnet? redet Pope ihn anı Ja, auf der Treppe /
antwortet der Diener. Wer ware, wie fahr
aus? fragt Pope weiter. Der Diener zoͤgert mit
der Antwort. Der Herr dringt in ihn, jener
entſchuldigt ſich mit dem Verbote des Hetrn über
gewiſſe ihm mißfaͤllige Dinge zu fprechen, endlich
79
Bekennt et, der Spanier fer ihm begegnet, und
ws gehe auch eine alte Sage in. dem Haufe, daß
ein vor langer Zeit ermördeter Spanier fich zu
Zeiten fehen laffe, allein Niemand habe fich ges
trauet davon zu fprechen , weil ja der Herr jeden
aus dem Dienft jage, der vdn Erfcheinungen ſich
etwas verlauten laſſe. Pope will nichtd mehr
hören, er verbietet dem Diener, weiter davon zu
fprechen, indeſſen beficehlt er ihm doch, den Neft
der Nacht bei ihm auf dem Sofa zugubringen:
So ſchlaͤft er auch felbft wieder ein. Als er am
Morgen erwacht , ruft er feinen Diener. Nie
mand antwortet. Er ſieht nach dem Sofa. Kein
Diener ſchlaͤft darauf. Scheltend, daß der Bur⸗
ſche gegen feinen Befehl dab Zimmer verlaffen
habe, zieht er die Klingel, da kommt es bie
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre,
aber fie ift feſt verfchloffen und versiegeln Pope
muß aufftchn undöffnen. Warum bift Du gegen
meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt
der Herr den eintretenden Diener an. Sie Hins
gelten ja, entſchuldigt dieſer. Aus -diefem
Zimmer, meine ich, ſetzte Pope hinzu. Ich fomme
ja nur eben herein, ermwiederte ber Diener befremdet.
Warſt Du nicht diefe Nacht hier, ald Dir ber
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener
ſchuͤttelt bedenklich den Kopf? der Spanier ? wie
derholter. Ja, der Spanier, erwidert ber Herr,
80
ber bier bei mir war, und den Du wahrfcheinfich
bereingelaffen haft. Der Dieneer ſieht feinen Herrn
zweifelhaft an, und erinnert ihn, daß die Thüre
ja von innen verriegelt geweſen. Haben Sie
vielleicht lebhaft geträumt ? fragt er zuletzt bes
fänftigend. Getraͤumt ? wiederholt Pope ärger |
ich , ſtehn dort nicht die Bücher noch verkehrt,
Die ber ungebetene Beſuch mir umgedreht hat ?
Beide blicken nach dem Buͤcherſchrank, aber alle
Baͤcher fiehen noch aufrecht, und in ber Ordnung,
wie fie Pope am vorigen Zage felbft aufgefiellt
hatte. Geh nur, fagt er jeft lachend zum Dies
ner, ich wollte Deine Herzhaftigkeit prüfen, Du
bift werth in meinem Dienfte zu bfeiben. — Es
war alfo ein Traum, was Popen fo fehr geängs
ftet hatte, daß er beinah zum Sefpenfterglauben
ſich bekehrt hätte, und fo ift ed ın allen Fällen
nur mehr oder weniger fcheinbäare Täufchung, was
einen folchen Glauben an Unmdglichkeiten erregt
ober begünftiget.
In allen Zällen ?— wieberholteder Geheim
rath — das moͤcht' ich nicht mie Ihnen behaupten.
Mir ſelbſt iſt einmal ein ſonderbarer Zufall be
gegnet, an den ich viel Jahre lang nicht gebadit
Babe, der mir aber eben jeßt fehr lebhaft in dab
Gedaͤchtniß zuruͤckkehrt, und nicht wie Poypes
Spanier ein Traumbild war. Ich will Ihnen
den Vorfall erzählen. Daß ih Gie nicht mit
Bi
einer Erdichtung taͤuſchen will, werden Sie mel⸗
ner ernſien Verſicherung glauben. Urtheifen Gig,
wenn Sie Allee gehört haben, ob ich wohl felbſt
unter den Umſtaͤnden, welche Rt.) Ihnen gang,
ereu angeben will, getäufcht. werden konnte. J
Es wird etwas uͤber zehn Jahre her ſeyn,
als ich in der Kammer zu M.als Rath
angeſtellt war. Ich lebte noch aunverheirathet
uͤnd war ziemlich beweglich, meine Kollegen im
Gegentheil liebten mehr die bebaglicht Huhe, und
fo nahm ich gewöhnlich ihnen die Geſchaͤfte ab,
die Reiſen in etwas entfeknie Gegenden nötig‘
machten. Cnft‘, "als ich mich. eben, zu eine
ſolchen Reiftanfehtikte, bie mich bei Kloſier Wall
bach vorbeiführte, dat mich ‘einer der ältern Kam
merräthe da diefer ‚Gelegenheit‘ alt Feiner bie
Gebäude dieſes Kinfler® in Augenſchein zu veh⸗
mem Es war ſeit Yähger Zeit id’ cn Amt vor
mwanbelt worden, und bie Amleute harten vols
mald ſchon öft \im’ "Werbefferuße "DIR" alten" Ge⸗
Bäube-argefucht. Als wir fie rl her Kam⸗
mer endlich ‚Suiltahanh, , fand der neue Amt⸗
mann den Bad umdthig, And. wolie ſich mit
bein bewohnbaren Thelie dei‘ Klofterß begnügen,
wenn Man ihm dagegen einige andere Wequen⸗
ſichkeiten geſtatieni wuͤtde. Kurz, ich ſolite mein
Gutachten über ber Zuſtand der Ahibo daude
Beſpenſtethuch 6. Theil. 5
82
deben, und über die Nothwendigkeit einer Aus⸗
beſſerung ober eines neuen Baues.
Auf der „Hinreife: zu meinem eigentlichen Ger
ſthaͤft, begnugte ich mich, das Kofler im Vor⸗
überfahren zu betrachten, und es geflel mir von
bem Amtmann, daß er die alten gothiſchen For⸗
tijen, die von ihren Bergen recht duͤſter und
pemärig, in die Ebene herunterfahen, nicht einer
equemern Wohnlichkeit wegen, in ein modernes
Gebäude wollte umfchaffen laſſen. Ich freute
mie auf die. näßere Bekanntſchaft mit ihm und
ai ‚feinen ‚altertpämlichen Umgebungen.
"Huf, ı meiner Ruͤcreiſe kam ich niemlich ſpaͤt
FR ‚dem, pker. an, . Der wntergehenbe Mond
Beleuchtete durch, ‚finftre Sturmmolfen. fparfam die
alten. ‚Fhürıge und dunfeln grauen Mauern, die
mir. ‚Indeffen ei ibrem Alter noch ziemlich wohl
erhalten ſchienen Die Amtmannin, tine etwas
ältliche, A aber och ziemlich raſche Stau, bewill⸗
iüonmnche mich und entfehuldjgre die Abweſenheit
ihres Manned, mit einer, amtlichen Reife, von
welchen, er erft om folgenden Lage zuruͤckkommen
werde, ‚Sie ſchien darüber, ‚fehr. ig Berlegenheit,
und. ich haite Hft zu verſichern, daß mir bei
meiner unangeineideten Ankunft die Geſchaͤftab⸗
weſenheii des Beamten gar nicht defrembend feyn
Tonne ‚und daB morgen binlaͤngliche Zeit ſei,
meinen Auftrag au vollziehen. Indeſſen fand ich,
85
daß ich bie Ruhe ded Haufed geftort haben
mochte, ich ließ mir mein Schlafzimmer zeigen,
und ein Toͤlpel von Knecht. führte mich durch
dunkle Kreuz » und Quergänge zu einer alten
finftern Zelle mit gothiſchen Fenſtern und Schnoͤr⸗
fein, und winfchte mir eine unterthänig gehors
famfte Nacht. Ermüdung von der Reife und
etwas Langweile brachten mich zeitig auf daß
Bert, und ich fchlief bald ein. Ich weiß nicht,
wovon ich nach einigen Stunden erwachte, aber
indem ich wieder einzufchlummern fuchte, hörte
ich ſonderbare Toͤne wie non ſchweren, Iangfamen,
ungeheuern Fußtritten. Je Iänger ich hotchte,
um fo unheimlicher ward mir bei dieſem Geräufch. .
Die Schritte fihienen einem ganz fremdartigen
Weſen anzugehören, und zumwellen war ed mir,
als zitterte von ihnen der Grund, wiewohl der
Schall ſelbſt nicht fehr laut, und nur, wie aus
einer tiefen Ferne toͤnte. Sch fchauderte mehr⸗
mal zuſammen', wiewohl ich mir felbft meine
Surchtfamfeit verwies, und ich bemühte mid
vergebens unter diefen Toͤnen ben Schlaf herbeis
zueufen. Endlich zu meiner Freude “ward es
ſtille, aber nicht lange, da rafchelte ed an meis
nee Thür, und ich glaubte ein leifed Klopfen
zu vernehmen. 3ch richtete mich im Bett auf
und flarrte nach der Thür hin, ed blieb aber ruhig.
Kaum hatte ich mich wieder gelegt ald von neuem
U A
0 un En En ee A — —5— 57—775 — 7577⏑⏑⏑. —
44,
das Nafcheln und Klopfen toͤnte, und als ich hin⸗
blickte, ſah ich ſogar deutlich die Thuͤre ſich bewegen.
Einbildung! — tief ber Pro feſſor dazwi⸗
ſchen — nichts als Einbildung! Taͤuſchung durch
die aufgeregte Fantaſie!
Nichts weniger — fuhr der Geheimrath
fort — Sie werden mehr hoͤren. Ich ſah deut⸗
lich die Thuͤr ſich bewegen und rief laut: Wer
da! Da ward es von neuem fill, aber nich
lange, fo klopfte es wieder und färfer, und die
Thür ward gebffnet.
Nein, forschen Sie im, Ef - — unter⸗
brach der Profeffor.
Im vollen Ernſte — erroiderte der Geheim⸗
| rath — Das ging mir nun zu weit. Ich
ſprang vom Bett. ‚auf, gegen die Thuͤre zu, und
bier fah ich deutlich eine ſchlauke, weiße, weib⸗
liche Geſtalt, in einem Tchwachen Lichtſchimme
bon der Thür hinwegſchweben. Sie ſchien mis
zu winfen. Ich ergriff ein Licht, meine Furcht
wich einer faſt wilden Herzhaftigkeit. Die Ge
ftalt glitt durch einige dunkle Gänge, ich eilte
ihr na, ohne ſie zu erreichen Auf einmal
verfhwand fie, aber wie ich an den Dre kam,
wo ich fie zuletzt gefehn hatte, entdecke ich eim
Treppe. Ih glaubte noch in der Tiefe etwas
von dem biaffen Schimmer zu bemerken, ich eile
hinab, aber nichts war rings um mich zu [chen
83
Eine offene Thür fland mir entgegen, ich trete
Binein ‚und frifche Luft weht mich an ‚ ich finde
mich unger freiem Himmel Cine Menge Erzaͤh⸗
lungen von ähnlichen Ubentheuern kreuzen fih in
meinem Kopfe. Ich fehe mich überall nach meis
nem geifligen Sührer um, indem ſchreckt mich
ein fürdhterliched Gekrach aus meinen Rachfor⸗
(dungen, die Erbe zittert unter mir, eine Staubs
wolke verhüllt mir alle GSegenflände, ich unters
[Heide nur ein lautes verwirrted Geſchrei, Leute
laufen von allen Orten herbei, und es zeigt fich,
daß ber ganze Theil des Amtsgebaͤudes, in wels
dem ich geſchlafen hatte, eingeflürzt war; eine
Diertelftunde früher, und ich war unter Sen
Truͤmmern begraben; rief mich nicht jene ſelt⸗
fame Erſcheinung aus meinem Zimmer, fo theilte
ih das Loos meined Bettes, das zerfchmettert
unter dem Schutte gefunden ward. ch eilte
nun, aus diefem unhelmlichen Orte gu Fommen,
500 der amtliche Zweck meiner Gegenwart ohnes
hin nicht mehr Statt finden’ konnte. Deßwegen
fand ich nicht einmal nöthig die Ruͤckkehr des
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter der
Hand Erfundigungen ein, ob vielleicht ſchon frür
ber in den alten Kloftergebäuden etwas unheim⸗
Kiched bemerkt worden fei, aber Niemand wollte
das Mindefle vernommen haben, ich erzählte dar
Her auch Niemand von meinem Abentheuer, und
76
"Hm — verfehte Jener mit zweifelndem
Achzelzuden — immer noch erfi nur nach ges
nauer Prüfung. Taͤuſchung iſt gar. zu leicht
möglich. Pope's Beiſpiel ift mir fletd eine große
Warnung gewefen.
Der Geheimra th wollte dad Nähere voiffen,
Iſt Ihnen die Anekdote unbekannt? — fragte
der Profeffor — Pope war ein entfchrebener
Gefpenfterläugner , und hatte die eigne Fatalität
fletd Bedienten zu befommen, Die in dem Grade
leichtglaubig waren, wie er felbft ſchwerglaͤubig.
Um ihre Geſpenſterfurcht zu verſcheuchen, verbot
er ernfllich in feinem Haufe von Erfcheinungen
oter ähnlichen Dingen auch nur zu fprechen, und
drohte Jedem, der ein Wort davon erwähnte,
oder überhaupt Geſpenſterfurcht verrieth, mit aus
genblicklicher Entlaffung aus feinem Dienft. Pope
hatte nun eben. eine neue Wohnung bezogen , fi
bequem und nett darin nach feinen Wänfchen
eingerichtet, und wollte die erfle Nacht in ben
fertig gewordenen Zimmern fihlafen. Aus Bor
ficht verriegelt er der unbelannten Umgebungen
wegen vor dem Schlafengehn .die Thür, und
verfucht nun, feiner Gewohnheit nach, ſich in
den Schlaf zu leſen. Nach einiger Zeit bemerkt
er eine Bewegung an der Thür feines Zimmers.
Sie Öffnet fi, indem er nah dem Geräufd
umblidt, und eine Seftalt in alter fpanifcher
‘
77
Kleidung, ernft und düfter von Unfehen, tritt
herein. Pope ruft die Erfcheinung an, der Spas
nier nimmt aber Feine Notiz von ihm und feis
nem Ruf; er tritt an bad Buͤcherbret, greift
nach einigen Bänden von Pope's Schriften blaͤt⸗
tert etwas darin, und feßt fie fogleich mit einem
ärgerlichen fasirifchen Lächeln wieder an ihre Stelle,
aber , wie der Autor im Bett mit nicht geringem
Berdruß bemerkt, allezeit umgekehrt, mit den Ziteln
nad) unten. Pope ruft nodhmald. Der Spas
nier laͤßt fich in feiner ſtummen Kritif nicht flören,
und ald er endlich mit feiner Muſterung zum
Schluß kommẽ, geht er nach Popes Schreibtiſch,
nimmt ein Manuſkript, an welchem der Beſitzer
noch am Abend geſchrieben hat, lieſt, blaͤttert,
ſchuͤttelt zuweilen laͤchelnd den Kopf, und blaͤttert
weiter. Das wird endlich dem zuſehenden Autor
zu bunt. Mein Herr, ruft er den Spanier an,
wenn Sie Jemand mit Ihrem Beſuch beehren
wollen, ſo waͤhlen Sie kuͤnftig eine bequemere Zeit.
Der Spanier wuͤrdigt ihn keines Blicks. Und
wo ſie einen Beſuch machen, faͤhrt Pope fort,
da beobachten Sie gefaͤlligſt die Geſetze des Anſtan⸗
des, und durchmuſtern Sie nicht fremde Papiere.
Der Spanier blaͤttert ruhig fort mit feinem fata⸗
fen ironifhen Lächeln. Sonſt — yoltert nun
Der enträftete Dichter — fonft wird man gegen
Sie fein Haudrecht zu brauchen wiffen, und mis
78
den Worten fährt er aus dem Bett, reißt feinen
Degen aus der Scheide, und flürmt damit auf
den Spanier ein, Der fenkt gelaffen die Hand,
womit er die Papierblätter hält, nnd indem er
Pope'n mit demfelben Falten Spottlaͤcheln in das
Geſicht ſieht, Öffnet er mit der andern Hand feine
Bruſtbekleidung . Hier erblickt Pope mit Schau
dern eine biutende Wunde, größer und toͤdtlicher,
als er felbft fie dem nächtlichen Störer beizubrin /
gen gefonnen war. Erſchuͤttert tritt er zurüd
und Mingelt feinem Diener. Vergebend. Cr
wiederholt den Ruf, niemand erſcheint, nur ber
Spanier ſteht noch gelaffen am Schreibtifch, und
fegt ruhig die Durchficht der Papiere fort. Mein
Herr, fagt endlich Pope, wer Sie auch ſeyn
mögen, Sie erzeigen mir eine Gefälligkeit, wenn
Sie mich jegt verlaffen. Der Spaniet nickt ber
willigend, Tegt die Blätter aus der Hand, und
entfernt fich langſam und ernſthaft. Faſt betaͤubt
von dem ſeltſamen Abenteuer wankt Pope auf
ſein Lager zuruͤck, da kommt ſein Bedienter, und
fragt, was der Herr befiehlt ? Iſt Dir Niemand
‚begegnet? redet Pope ihn an Ja, auf der Treppe,
antwortet der Diener. Wer war es, wie fah er
aus? fragt Popeweiter. Der Diener zoͤgert mit
der Antwort. Der Herr dringt in ih, jener
entſchuldigt fich mit dem Verbote des Herten über
gewiſſe ihm mißfäßige Dinge zu ſprechen, endlich
Bu __..
79
dekennt et, der Spanier fer ihm begegnet, und
es gehe auch eine alte Sage in dem Haufe, daß
ein vor langer Zeit ermördeter Spanier ſich zu
Zeiten fehen laffe, allein Niemand habe ſich ges
trauet Davon zu fprechen,, weil ja der Herr jeden
aus dem Dienft jage, ber von Erfcheinungen ſich
etwas verlauten laffe. Pope will Nichts mehr
hören, er verbietet dem Diener, weiter davon zu
ſprechen, indeffen befichlt er ihm doch, den Neft
der Nacht bei ihm auf dem Sofa zuzubringen.
So ſchlaͤft er auch ſelbſt wieder ein. Als er am
Morgen erwacht, ruft er ſeinen Diener. Nie⸗
mand antwortet. Er ſieht nach dem Sofa. Kein
Diener ſchlaͤft darauf. Scheltend, daß der Bur⸗
ſche gegen feinen Befehl das Zimmer verlaſſen
habe, zieht er die Klingel, da kommt «8 bie
Treppe herauf, und pocht und klinkt ander Thuͤre,
aber fie ift feſt verfchloffen und verriegelt. Pope
muß auffiehn und öffnen. Warum bift Du gegen
meinen Befehl aus dem Zimmer gegangen ? fährt
der Herr den eintretenden Diener an. Sie klin⸗
gelten ja, entfchuldige dieſer. Aus dieſem
Zimmer, meine ich, feßte Pope hinzu. Ich komme
ja nur eben herein, erwieberte der Diener befremdet.
Warſt Du nicht Diefe Nacht hier, ald Dir der
Spanier begegnete ? fragt der Herr. Der Diener
ſchuͤttelt bedenklich den Kopf? der Spanier ? wies
derholter. Ya, der Spanier, erwibert des Herr,
80
ber Bier bei mir war, und den Du wahrſcheinlich
hereingelaffen haft. Der Dieneer ficht feinen Herrn
zweifelhaft an, und erinnert ihn, daß die Thüre
ja von innen verriegelt geweſen. Haben Gie
vielleicht lebhaft getraͤumt ? fragt er zulegt bes
fänftigend. Getraͤumt ? wiederholt Pope ärgers
lid) , ſtehn dort nicht die Buͤcher noch verkehrt,
die ber ungedetene Beſuch hir umgedreht har 2
Beide blicken nach dem Bücherfchranf,, aber alle
Bücher fiehen noch aufrecht, und in der Ordnung,
wie fie Pope am vorigen Zage felbft aufgeftelle
hatte. Geh nur, fagt er jeßt lachend zum Dies
ner, ich wollte Deine Herzhaftigkeit prüfen, Du
bift werth in meinem Dienfte zu bfeiben. — Es
war alfo ein Traum, was open fo fehr geängs
ftet hatte, daß er beinah zum Sefpenfterglauben
ſich bekehrt hätte, und fo iſt es in allen Faͤllen
nur mehr oder weniger ſcheinbaͤre Taͤuſchung, was
einen ſolchen Glauben an Unmoͤglichkeiten erregt
oder beguͤnſtiget.
Sn allen Faͤllen ? — wiederholte der Geheims
rath — das moͤcht' ich nicht mit Ihnen behaupten.
Mir ſelbſt ift einmal ein ſonderbarer Zufall bes
gegnet , an ben ich viel Jahre Tang nicht gebacht
Babe, der mir aber eben jetzt fehr lebhaft in das
Gedaͤchtniß zuruͤckkehrt, und nicht wie Pope's
Spanier ein Traumbild war. Ych will Ihnen
den Borfall erzählen, Daß ich Gie nicht mit
64 -
einer Erdichtung täufchen will, wwerbin Sie mel⸗
ner ernſien Verſi cherung glauben. Urtheilen Sie,
wenn Sie Alles gehoͤri haben, ob ich wohl felbft
unter den Umfländen,, welche ich Ihnen gang
treu angeben will, getaͤuſcht werden konnte. F
Es wird etwas über zehn Jahre her ſeyn,
als ich in der Kammer zu M. ale Rath
angefielt war. Ach lebte noch ünderheirathet,
und wär ziemlich beweglich, meine Kollegen im
Gegentheil liebten mehr die behagliche Ruhe, und
fo nahm ich gewdhnlich ihnen’ die Geſchaͤfte ab
die Reiſen in etiwas entfernie Gegeüden nötig
machten. Einſt, "als ich mich eben zu eine
ſolchen Reiſe anſchickle, die mich bei Kiöfter Balls
bach vorbeiführte,, bat mich einer der aͤltern Kam⸗
merräthe da dieſer ‚Gelegenheit‘ Tat einer" die
Gebäude dieſes Klvflers in Augenſchein zu neh?
men. Es war feit Yäliger Zeit id’ ein Amt vorn
wandelt worden; "und di? Anreise hatten vote
mald (den oft im Berbefferuiig Bir alten‘ &
mer 44 nit t haſten, fand der neue Amt⸗
mann den Bau um th, und wolie ſich mit!
dem bewohnbaren Theiie des Klofters begnügen,
wenn man ihm dagegen einige andere Bequeine
ſichkeiten geſtatien würde: Kurz, ich ſollte mein
Gutachten über dert Zuſtand der’ Unitbgedäube!
Belpenſterbuch 6, Zei, " 7 5
82
geben , und über die Nothwendigkeit einer Aus⸗
befferung ober etnes neuen Baues. |
Auf der „Hinreife zu meinem eigentlichen Ger
ſthaͤft, 'Heandgte ich mich , das Kofler im Vor⸗
überfahren zu betrachten, und es gehel mir von
dem Amtmann, baß er die alten gothifchen For⸗
men, bie von ‚ihren Bergen recht büfler und
proärig in die Ebene herunterfahen, nicht einer
equemern Wohnlichkeit wegen, in ein modernes
Get wollte umfcheffen laſſen. Ich freute
‚auf die näßere Vekannıfcaft mit ihm und
ai ‚feinen altertpämlichen Umgebungen.
Auf meiner Ruͤckreiſe kam ich nriſmlich fpät
bei dem, Kpker. an, . Der wntergehende Mond
Beleuchtete durch, finftre Sturmmolten fparfam die
alten. Thrm⸗ and bunfeln grauen Mauern, die
mir ‚Indeffen kei Abrem Alter noch ziemlich wohl
erhalten fehienen, Die Umtmannin, tineerwas
alttiche,, aber oh ziemlich raſche Srau, bewill⸗
ommncſe ui und entſchuldjgte d die Abweſenheit
ihres Manned, mit einer, amtlichen Reife, von
welcher er et am folgenden Tage zurucktommen
werde, Sie dien darüber ſehr ig Berlegenheit,
und ich ‚hatte Hft. zu verſi chetn, daß mir bei
meiner unangemelbeten Ankunft. die Geſchaͤftab⸗
efenbeit des Beamten gar- nicht hefremdend feyn
Tonne, und daB morgen binlängliche Zeit fe,
meinen Auftrag zu vollziehen. Indeſſen fand ich,
85
daß ich Die Ruhe des Haufed geftört haben.
mochte, ich Tieß mir mein Schlafzimmer zeigen,
und ein Zölpel von Knecht. führte mich durch
bunffe Kreuz s und Quergänge zu einer alten
finftern Zelle mit gothifchen Senftern und Schnoͤr⸗
fein, und woͤnſchte mir eine unterthänig gehors
famfte Nacht. Ermüdung von der Reife und
etwas Langweile brachten mich zeitig auf daB
Bert, und ich ſchlief bald ein. Ich weiß nicht,
wovon ich nad) einigen Stunden erwachte, aber
indem ich wieder einzufchlammern fuchte, hörte
ich fonderbate Töne wie von fchweren, Iangfamen,
ungeheuern Fußtritten. Je länger ich hotchte,
,
um fo unheimlicher ward mir bei diefem Geraͤuſch.
Die Schritte ſchienen einem ganz fremdartigen
Weſen anzugehören, und zuweilen war ed mir,
als zitterte von ihnen der Grund, wiewohl ber
Schall ſelbſt nicht fehr Taut, und nur, wie aus
einer tiefen Gerne toͤnte. Sch fchauderte mehr,
mal zufammen‘, wiewohl ich mir felbft meine
Surchtfamfeit verwied,, und ich bemühte mid
vergebens unter diefen Tönen den Schlaf herbeis
zucufen. Endlich) zu meiner Freude warb es
ſtille, aber nicht lange, da rafchelte es an meis
nee Thür, und ‘ich glaubte ein leifed Klopfen
zu vernehmen. Ich richtete mich im Bett auf
und flarrte nach der Thür hin, ed blieb aber ruhig:
Kaum hatte ich mich wieder gelegt ald von neuem
- 5 2 ”
{ 84
dad Naſcheln und Klopfen tonte, und als ich hin⸗
blickte, ſah ich ſogar deutlich die Thuͤre ſich bewegen.
Einbildung! — rief der Profeſſor dazwi⸗
fhen — nichts als Einbildung! Taͤuſchung dardy
die aufgeregte Fantaſie!
Nichts weniger — fuhr der Geheimrath
fort — Sie werden mehr hören. Ich ſah beuts
die Thuͤr ſich bewegen und rief laut: Wer
! Da ward ed von neuem fill, aber nicht
* fo klopfte ed. wieder und ſtaͤrker, und die
Thür ward gedffnet..
Nein, ſprechen Sie im, Ernfi? — unters
brach der Profeffor.
Im vollen Ernſte — erwiderte ber, BGehtim
| rath — Das ging mir nun zu weit. Ich
ſprang vom Bett. ‚auf, gegen die Thuͤre zu, und
bier fah ich deutlich . eine ſchlanke, weiße, weib⸗
liche Geflalt, in einem Tchwachen Lichtſchimmer
bon der Thür hinwegſchweben. Sie ſchien mir
zu winfen. Ich ergriff ein Licht, meine Furcht
wich einer faft wilden Herzhaftigkeit. Die Ger
ſtalt glitt durch einige dunkle Gänge, ich eilte
ihr nach, ohne ſie zu erreichen. Auf einmal
verſchwand ſie, aber wie ich an den Ort kam,
wo ich ſie zuletzt geſehn hatte, entdecke ich eine
Treppe. Ich glaubte noch in ber Tiefe etwas
von dem biaffen Schimmer gu bemerken, ich eile
hinab, aber nichts war rings um mid zu ſehen.
8
Eine offene Thür ſtand mir entgegen, ich trete
Binein ‚und frifche Euft weht mid an, ich finde
mich unter freiem Himmel Eine Menge Erzaͤh⸗
lungen von aͤhnlichen Abentheuern kreuzen ſich in
meinem Kopfe. Ich ſehe mich überall nach mei⸗
nem geiſtigen Fuͤhrer um, indem ſchreckt mich
ein fuͤrchterliches Gekrach aus meinen Nachfor⸗
ſchungen, die Erde zittert unter mir, eine Staub⸗
wolke verhuͤllt mir alle Gegenſtaͤnde, ich unter⸗
ſcheide nur ein lautes verwirrtes Geſchrei, Leute
laufen von allen Orten herbei, und es zeigt ſich,
daß der ganze Theil des Amtsgebaͤudes, in wel⸗
chem ich geſchlafen hatte, eingeſtuͤrzt war; eine
Viertelſtunde fruͤher, und ich war unter Sen
zrümmern begraben; rief mich nicht jene felts
fame Erfcheinung aus meinem Zimmer , fo theilte
ich dad Loos meined Bettes, das zerfchmettert
unter dem Schutte gefunden ward. dh eilte
nun, aud diefem unhelmlichen Orte zu fommen,
wo der amtliche Zweck meiner Gegenwart ofnes
Hin nicht mehr Statt finden’ konnte. Deßwegen
fand ich nicht einmal nöthig bie Ruͤckkehr des
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter der
Hand Erkundigungen ein, ob vielleicht ſchon fruͤ⸗
her in den alten Kloſtergebaͤuden etwas unheim⸗
liches bemerkt worden ſei, aber Niemand wollte
das Mindeſte vernommen haben, ich erzaͤhlte da⸗
her auch Niemand von meinem Abentheuer, und
\ 86°
hatte es felbft faſt vergeffen , bis heut die Aengſt⸗
Sichkeit meiner Grau, und vorhin, als fie zur
Thür Binausging, eine auffallende Achnlichkeit
ihrer Geftalt mit jener Erfcheinung mic) daran
erinnerte. Ä
Dann glaub’ ich wohl — lachte der Pros
feffor — baß Sie der Erſcheinung im Klofter
herzhaft gefolgt find. Sie verſprachen fich viel
leicht ein romantifchered Abentheuer, ald den Ein⸗
flurg eines alten Gebäudes.
Scherz beifeite — erwibderte der Geheimes
rath — dad Gefpenflifche abgerechnet, wär die
Geſtalt vielleicht intereffant genug gewefen. Allein
auf die Hauptſache zu kommen, laſſen Sie auch
Die Erſcheinung nichts Wirkliches, fondern ein
bloßes Gefpenft meiner Einbildung gewefen feyn,
wie erflären Sie ihren fonderbaren Zufammenhang
mit der Rettung meined Lebens aus der augen
blicklichen unvermeidlichen Todesgefahr ? Entwe⸗
ber ein Schutzgeiſt außer mir, ober eine ahn⸗
dende Kraft in mir. Nennen Sie, wenn Sie
Sonnen, ein Drittes.
Der Profefforfuchte vergebens dieſes Drits
te, und wand fih in manchen mehr oder wenis
ger gezwungenen Erflärungen, die der Gehe im⸗
rath Teicht widerlegt. Man firitt ſich noch,
als ein entfernter Lärm aufder Straße die Aufı
merkſamkeit des Polizeidirektors anf ſich
87 ‘
zog. Der Lärın warb Tauter, zog näher, man
trat an daß Senfter, die Straßengänger flugten,
flanden, liefen, die Hausthuͤren füllen fih mit
Neugierigen, im Augenbli traten Polizeioffis
cianten atbemlos herein. Die Koſaken, berichtete
einer, find nah. Kofafen, Kofaten! ſchallte es
von der Straße herauf und Hurrah, Hurrah! hallte
ein wildes Geſchrei lange und wiederholt nach.
Der Profef f or durchlief in wenig Augen⸗
blicken alle Statiönen vom Unglauben bis zur
finnlichften Ueberzeugung. Er fuchte nad) feinem
Hut, und wär gern in feiner Wohnung gewe⸗
fen, aber das Gebräng des Volkes, dad zahllos
durch die Straßen wogte, machte jeden Verſuch
unaußführbar.
Die fremden Gaſte hatten indeffen ſchnell
den Zweck ihres nnerwarteten Befuches erreicht.
Nach einigen Nachforſchungen zogen fie fehr bald
in völliger Ruhe zu der Stadt hinaus. Nur
Die Volksmenge wogte nody lärmend auf den
Straßen umher, und bee Polizeidirektor,
nach dem während ded ganzen Vorfalls von meh⸗
zen Seiten oft gefragt wurde, war fehr zufries
den, zu rechter Zeit in feiner Wohnung gegens
wärtig gewefen zu feyn.
Da hätten wir alfo einen neuen Beweis von
Yhndungvermögen — fagte der Polizeibireh
sor, ald man den Borgang befprochen hatte —
68
und zwar einen felbik erfebten, nicht dloß durch
Erzählung überlieferten. Wie ſteht es nun mit
Ihrem Unglauben?
Ich bin geſchlagen, total aus dem Felde ger
ſchlagen — rief der Profeſſor mit komiſchem
Händeringen — Die Frau Geheimräthin hat
mic) ganz befehrt. Bon heut‘ un alaube ich feft
‚ an Ahndungen, SefpenftersErfheinungen, Schutz⸗
geifter, Unzelchen, und was Sie fonft noch wollen!
Nicht wahr — lachte die Gcheimrdrhin—
Sie werden wenigftend für meine geheimen Seelens
kraͤfte einigen Reſpekt befommen ? Und wenn Sie
dieſen nicht durch neue Zweifel aud den Yugen
fegen wollen, fo erfüllen Sie meine Ahndung,
daß Sie heut Abend unfer Gaſt find. .
DerProfeffor fagte zu, und bat ſich das
gegen aus, dad Käfichen mir deutfchen Alterthuͤ⸗
mern bringen zu duͤrfen, welche er eigentlich feiner
Sefellfchaft Hatte vorzeigen wollen, wenn die Ahn⸗
bung dee Geheimraͤthin ihm nicht die Geſell⸗
ſchaft ſelbſt entfuͤhrt hatte. Man ſchickte in
ſeine Wohnung und in kurzem kamen die Se
henswuͤrdigkeiten an.
Sehn Sie hier — fagte endlich der Bros
feffor, nachdem er mehre Alterthuͤmer yorge
zeigt hatte — fehn Bie hier dad merkwürdigfle
und Foflbarfte Stück meiner neuen Afguifition.
Diefed fchöne alte Gefäß, das, wie ich Ihnen
89 '
nachher beweiſen will, hoͤchſtwahrfcheinlich ein urafs
ted Heiligthum eined Klofter& geweſen feyn mag,
ift gewiß von unfihägbarem Werthe, Die Form
iſt faſt griechiſch; man kann nichts gefaͤlligeres
ſehen bei der hoͤchſten Einfachheit. Schade, daß
die Handhabe auf der einen Seite etwas verletzt
iſt, indeſſen hat mir dieſe kleine, unweſentliche
Beſchaͤdigung einen wichtigen Aufſchluß über dies
fed Gefäß gegeben, das vielleicht das einzige in
feiner Art if. Unter ver abgebracdhenen Hands
habe wird nämlich eine Schrift ſichtbar, welche
mit dem Ort, wo biefed Gefäß gefunden ward,
hoͤchſt auffallend Üübereinfimmt. Es war in einem
alten Kloſter forafältig vermauert: gewefen, und
erſt bei dem Abbrechen ber Mauern hat man es
vor einigen Jahren gefunden.- Das Klofter bes
wahrte ehedem viel Reliquien, welche yon ben
Mönchen bei der Säfularifirung entfernt worden
find. "Unter diefen Reliquien war ohne Zweifel dies
fes Gefäß eine ber heiligſten und fein Dafeyn
vielleicht nicht einmal den Mönchen mehr befannt,
weil ed Hang verborgen in einer Höhlung ber
Mauer verwahrt wurde, Es iſt nämlich diefed
Gefäß, wie die erwähnte Inſchrift deutlich bes
zeichnet, nichtd anders, ald eine alte Nachbildung‘
des berühmten heiligen Graals. Schn Sie hier
die ganz Ieferlichen Worte Ad. St. Graal. Dom,
Mod. auf deutſch ungefähr:. Nach dem Modell
90
des heiligen Graal unſers Herrn. Deßwegen
verwahrte man es auch ohne Zweifel ſo ſorgfaͤl⸗
tig. Die unverkennbare Vaſengeſtalt widerlegt
übrigend die Meinung einiger Schriftfteler, als
fei der Graal eine flache Schaale gewefen; er
war vielmehr kelchfoͤrmig, wie dieſes Gefäß uns
verkennbar zeigt.
Die Geheimräthin hatte während der
Erklärung des Profeffordmehrmald das Tuch
vor den Mund gehalten. Jetzt brach ſie in ein
lautes Lachen aus.
Schelten Sie mir Niemand mehr leichtglaͤu⸗
big — ſprach fie endlich — wer an politiſche
oder geiftige Wundergefchichten glaubt, wenn Sie
ſelbſt in Apnlichen Dingen fo freigebig mit Ihrer
Ucberzeugung find, und fo ein Töpfergefäß für
ein altes Heiligthum anfehn!
Aber ich Bitte Sie — fagteder Profeffor
etwas beleidigt — betrachten Sie diefe Arbeit,
und nehmen Sie alle Umftände zufammen, wie
Tonnen Sie ander Aechtheit diefed Gefäßes nur
einen Augenblick zweifeln? Die Konkurrenz bei
der Berfleigerung war auch ungemein ſtark, und
ich bin bis auf fünf und zwanzig Louiöd'or ‚se
trieben worden.
Die hätı? ich Ihnen erfpart — rief die Ge
beimräthin — wenn Sie mir ein gutes
Wort gegeben hätten. Ich glaube der Meifter
91
lebt noch, ber mir dieſes unſchaͤtzbare Kunſtwerk
einmal um einen baaren Gulden verfertiget hat.
Sie ſcherzen! — rief der Profeſſor halb
unwillig. Der Polizeidirektor lachte etwas
ſchadenfroh, und bas um bie nähere Auskunft -
über diefed Gefäß.
Ah, das ift eine lange Gefchichte — erwiderte .
bie Geheimraͤthin — und überdieß hängt fie
mit einer Pleinen Schelmerei zufammen , die ich
noch ald Mädchen mit einer Freundin ausführen -
balfe Ich Habe lange nicht mehr daran gedacht,
aber durch Ihren Graal wird mir der ganze
Vorgang wieder Iebendig.
Man drang von neuem in die Sprecherin, _
daß fie ihre Geſchichte mittheilen möge. Sie
begann ;
Eine Freundin meiner Mutter, die viel Theil
an meiner Erziehung hatte, lebte mit ihrem
. Manne, der Rentbeamter war, auf einem Anite,
zu deffen Wohnung und Wirthfchaft man bie
Gebäude eined eingezogenen Klofterd ſchon laͤngſt
eingerichtet hatte. Die Gegend war fehr ange,
nehm, nnd ich brachte oft einige Tage recht
vergnügt bei ihr zu. Das einzige Unangenehme,
worüber wir beide uns oft beflagten, war der
aͤußerſt fparfam vorhandene wohnliche Plag im
dem übrigend fehr weitläuftigen Gebäude. Der
N
92
Mann meiner Freundin war nämlich ein eben
fo eifriger Liebhaber deutſcher Altertgümer, als
manche Profefforen und Polizeidireftoren, und
fand nun in dem alten Gebäude unerfepbpflichen
Stoff für feine Liebhaberei. Deßwegen drängte
er fein Hauswefen lieber in den engſten Raum
gufammen, und half dem einfallenden Gemäuer
durch Stögen an allen Orten und Enden nach,
ehe er fich entfchloffen hätte etwas von dem alten
Gebäude anders einrichten oder neu herfiellen zu
Taffen. Da half auch Fein Zureden, und endlich
war es wirklich fo weit gefommen, daß fein
Gefinde mehr in dem verfallenen Haufe bleiben
wollte, aus Furcht, daß ed über ihnen einbrechen
und fie alle indgefamt begraben möchte, Zu
unſerer großen Freude hörten wir endlich, daß
eine Kommiffion anfommen und die Gebäude
befichtigen werde, Aber der Amtmann fah wohl,
daß es nad) einer Beſichtigung ohne einen Bau
nicht abgehen fünne, der dann feine ganze Lieb
haberei flörte; er machte fich alfo felbft auf den
Weg in die Reſidenz, um bei der Rammer münds
ſiche Vorftellungengegen den Bau und gegen die
Kommifiion zu machen, und meine Freundin,
bei welcher ich eben einige Tage zubrachte, war
von neuem troſtlos über bie pereitelte Hoffnung.
Da hatte ein Schreiber, der ein aufgeiwedter
Kopf war, einen Einfall, vielleicht Anfangs nur
85
Sine offene Thür ſtand mir entgegen, ich trete
Binein, und friſche Luft weht mich an, ich finde
mich unter freiem Himmel, Cine Menge Erzaͤh⸗
Iungen- von Ahnlichen Abentheuern Freuzen ſich in
meinem Kopfe. Ach fehe mich überall nach meis
nem geiftigen Führer um, indem ſchreckt mich
ein fürdhterliched Gekrach aus meinen Rachfor⸗
ſchungen, bie Erde zittert unter mir, eine Staubs
wolke verhuͤllt mir alle Gegenflände, ich unters
Scheide nur ein lautes verwirrted Geſchrei, Reute
Yaufen von allen Orten herbei, und e& zeigt fich,
Daß der ganze Theil DES Amtsgebaͤudes, in wel⸗
chem ich gefchlafen hatte, eingeflürzt war; eine
Viertelſtunde früher, und ich war unter den
zrümmern begraben; rief mich nicht jene felt
fame Erfcheinung aus meinem Zimmer, fo theilte
ich dad Loos meined Bettes, das zerfchmettert
unter dem Schutte gefunden ward. ch eifte
nun, aus diefem unhelmlichen Orte zu fommen,
wo der amtliche Zweck meiner Gegenwart ofnes
bin nicht mehr Statt finden fonnte. Deßwegen
fand ich nicht einmal nöthig die Ruͤckkehr des
Beamten abzuwarten. Indeſſen zog ich unter ber
Hand Erfundigungen ein, ob vielleicht ſchon früs
ber in den alten Kloſtergebaͤuden etwas unheim⸗
liches bemerkt worden fel, aber Niemand wollte
dad Mindefte vernommen haben, ich erzählte das
ber andy Niemand von meinem Abentheuer, und
9%
wohnten entweder gluͤcklicherweiſe in einem andern
Theil des Hauſes, oder fie wurden auf eine
ſcheinbare Weife entfernt. So war denn Alles
vorbereitet, die Stügen waren mit ſtarken Seilen
ummunden, die von den Pferden angezogen wers
den follten, um fie ſchnell'unter ben Dächern und
Wänden wegzuziehen; wir, warteten nur auf die
Mitternacht. / Indem wir aber noch bin und her
räumen, fährt ein Wagen vor, und der angefüns
digte Kommiffarius kommt ſchon an. —Ich glaube
ber wahrhaftig, ihr unartigen Herren lacht mich
mit meiner treußerzigen Erzaͤhlung aus! Nun,
ich kann ſie auch zuruͤcbehalten.
Im Gegentheil — erwiderte der Profeſſor
Ihre Geſchichte iſt hoͤchſt intereſſant für und,
und ich Bitte Sie Inftändigit fortzufahren. Unfer
Lachen bezog ſich auf eine aͤhnliche Geſchichte, die
ich vor nicht gar langer Beit gehört Habe.
"9; bie muͤſſen Sie und mittheilen! — rief
die Geheimraͤthin.
Mit Vergnügen nachher — antwortete der
Profefſſor — Zueiſt krfauben Sie, daß wir
. Ihre‘ angefangene Erjähhung zu Ende hören.
Du bliebſt bei dert Kommiffar — fagte der
Geheimr ath elnhelfenb.
Ei bewahre!-lachte die® eheimtäthin—
da hatte ich mehr Gefihäfte an jenem Abend.
Es war zwar’ ein ſehr huͤbſcher junger Mann,
F 95
— wie hieß er doch leid ? — Lammerrath
Ettmuͤller.
Ettmuͤller? — rief der Geheimrath
lachend — Ettmuͤller ein huͤbſcher innger Mann?
Das war ja ein alter ausgetrockneter Greis, der
vor ungefähr fünf Jahren im ſechs urd achtzigſten
Jahre ſeines Lebens entſchlafen iſt.
Warum nicht gar — widerſprach die Bes
hHeimräthin — dad muß ein Anderer feyn.
Gener Kommiffar war ein ſtattlicher Munn in
Deiner@rdße,überhaupt Dir techt aͤhnlich, ſogar ir
der Sprache, ſo viel ich mich erinnere. Du rannſt
alſo wohl glauben, daß er mir nicht wenig ge⸗
fiel. Aber Profeffo'r; ‚Sie machen mich Höfe
mit Ihrem Lachen, und: Du fängft auch wieder
an. Ach geht, Ihr habt mid; zum Beſlen!
Der Proferfor behkeäirte, ber Geheim
rath fehmeichelte, und Beide baten um die
Fortſetzung ber Geſchichte.
Daß mir aber keiner ehr lacht =" troßte
die Erzäpferin—fonn hör ich auf.“ Mſo der
huͤbſche ariige Kommiſſart kam an. Er war abet
nur gar zu arlig, deiner ſchwatzte der Amt⸗
mannin ſo viel Schönes über ihren romantifchen
Aufenthalt in dem alten Ktofter vor,‘ ünd über
feine Liebhaberei an den fatalen Alterthuͤmern,
daß ihr alle Hoffnung’ erging ‚ber Antiquitaͤ⸗
tenfreund werde ihrem Manne widerſprechen und
9%
wohnten entweder gluͤcklicherweiſe in einem andern
Theil des Haufe, oder: fie wurden auf eine
ſcheinbare Weife entfernt. So war denn Alles
vorbereitet, die Stügen waren mit flarfen Seien
aummunden, die von ben Pferden angezogen wers
ben follten, um fie ſchnell'unter den Dächern und
Wänden wegzuziehen; wir warteten nur auf die
Mitternacht. - Indem wir abernoch hin und her
räumen, fährt ein Wagen vor, und der angekuͤn⸗
digte Komtniſſarius kommt ſchon an. —Ich glaube
aber wahrhaftig, ihr nnartigen Herren lacht mich
mit meiner treuberzigen Erzählung aus! Nun,
ich Kann fe auch zuruͤckbehalten.
Im Gegentheil — erwiderte der Pro feffor
Ihre Geſchichte iſt Höchft intereſſant für und,
und ich Bitte Sie inſtaͤndigſt fortzufahren. Unſer
Lachen bezog ſich auf eine aͤhnliche Gedichte, bie
ich vor nicht gar langer Beit gehört Habe.
“97 bie muͤſſen Sie uns mittheilen! — rief
die Geheimräthin.
Mit Vergnügen nachher — antwortete der
Brofeffor — Zueifl erlauben Sie, daß wir
. Ihre angefangene Erjähfung zu Ende hören.
Du bliebft bei dem Kommiffer - — ſagte der
Geheimrath einhelfenb.
Ei bewahre!lachte die G 6
da hatte ich mehr Geſchaͤfte an jenem Abend.
Es war gwar’ein fehr huͤbſcher junger Mann,
95
— mie hieß er doch gleich? — Kammerrath
Ettmuͤller.
Ettmuͤller? — rief der Geheimrath
lachend — Ettmuͤller ein huͤbſcher innger Mann?
Das war ja ein alter ausgetrockneter Greis, ber
vor ungefähr fünf Jahren im ſechs urd achtzigſten
Jahre ſeines Lebens entſchiafen iſt.
Warum nicht gar — widerſprach die Ges
beimräshin — dad muß ein Anderer ſeyn.
Jener Kommiffar war ein ſtattlicher Mann in
DeinerGröße,überhaupt Dit recht aͤhnl ich, ſogar in
der Sprache, ſo viel ich mich erinnere. Du kaunſt
alſo wohl glauben, daß er mir nicht wenig ge⸗
fiel. Aber Profeffor; &ie machen mich boͤſe
mit Ihrem Lachen, und’ Du fängft auch wieder
an. Ach geht, Ihr habt miqh zum Beſten!
Der Profeſſor bepeeirte, der Geheim'
rath ſchmeichelte, und Beide baten um "die
Fortſetzung der Gefchichte.
Daß mir aber Feiner hr lacht — ⸗itotzte
die @rzäpferin—fonf hoͤr ich auf." Mſo det
hübſche artige Kommiſſat Pant an. Er wdr’aber
mannin fo viel Schönes über ihren romamtifchen
Aufenthalt in dem alten Kloſter vor, ünd über
feine Liebhaberei an den fatalen Alterthuͤmern,
daB ihr alle Hoffnung‘ erging , der Antiquitaͤ⸗
tenfreund werde ihren Manne widerſprechen und
96
einen neuen Bau anordnen. Gie trag mit alſo
die Beforgung der noch’ nöthigen Anſtalien auf,
um ihren Gaft. unterhalten zu koͤnnen. ndeflen
muß fie wenig (Unterhaltung bei dem antiquaris
ſchen Kammerrath gefunden haben,, denn fie ließ
ihn bald in dad Gaſtzimmer bringen, und half
mir unfer Wert für die Nacht anordnen. _
Nun hatten wir aber keinen Meinen Schred.
Wie wir über, den Hof: gähen, um, nach, den
Arbeitern zu ſehn, die ſchon die Stuͤtzen anhie⸗
den. damit fie leichter einhrechen follten, da ſeha
wir In demſelben Theile des Haufes, ber fo eben
eigfallen fol, Licht durch die Fenſter ſchimmern,
nud in dem Augenblicke wird es uns Har, daß
cher. upgeſchickte Petex, das war ein Knecht, dei
von; unſerm Vorhaben vichts wußte, den Frem⸗
den, zu dem vormaligen Gaflzimmer geführt hatte
das . jest feinen Einſturz erwartete. Wir riefen
den Arbeitern fogleich Malt entgegen, ‚nnd Hefen
die Hferde. von den Seifen: Ipöfpannga, aber mi
ſollte mat nun ben Fremden aus dem ſchon war!
Senden Gebäude entfernen... ohne, Allles zu verru⸗
then? Die Amtmannin mar ſo er(chroden, da)
ihr die Süße den Dienſt verfagten, ich weiß fell
nicht, mie ich. den herzhaften Entfchtuß faßte, iht
TOR gu rufen. Et wag »epmuten was er mil
dach ich, wenn er nur erſi heraus und gertifl
He go Tief ich hach ſainem Zimmet uph pochla,
97
aber wie ih hörte, daß er ſich beinegte, zog ich
mich geſchwind zuruͤck; doch ſah ich nicht kom⸗
wen, sch mußte noch einmalypochen. Das: Here
ein! dad er recht herzhaft herausrief, verfcheuchte
mich wieder, aber jegt ſchien der Soden ſchon
unter mir zu ſchwanken. In ber Angſt riß ich
fine Thür auf und wollte eben Hereintreten, da
fam er mir mit bem Kicht entgegen. Ermochte
mid) wohl. in meinem weißen Anzuge für einem
Nachtgeiſt oder eime wieberfehrende Nonne bals
ten ; Indeffen war ich froh, daß er auf den Fuͤßen
war, und mirnadhfchritt, als ich zuruͤckeilte. So
verfolgte er mich bis in einen kleinen entfernten
Hof. Ich kam auf kuͤrzerem Wege zu den
Arbeitern zuruͤck, und auf mein Zeichen, daß
der Srembe- in Sicherheit fei, praffelte mit einem
Ruck das alte Kloftergemäuer zuſammen. Ich
ließ mich nun nicht weiterfehn, denn der Fremde
hätte mich vielleicht doch wieder erfannt, und
dann wär lunfre Schelmeres verrathen gewefen.
Aber die Angſt von jenen Abend mag ich nicht
noch einmal erfahren.
Nein, wär es denn wirklich moͤglich — rief
der®eheimrath, indem er feine Gemahlin an
fin Herz drüdte — Du haͤtteſt Dich in dab
wanfende, dem Einſturz fo nahe Gebäude gewagt,
um der Schugengel jenes Fremden zu werden ?
BGeſpenſterbuch 6. Tdeil. ®
98
Nun, da war doch nichts zu überlegen —
anmdortete die Geheimraͤthin = die Gefahr
tiberwand alle Ruͤckſicht. Aber, wahrhaftig, ich
weiß nicht, bin ich verrathen oder verfauft; Du
fiebft mich mit einer fü befondern Herzlichkeit an,
und der Pröfeffor lacht wieder wie ein Kobold:
Was habt Ihr nun zufammen ?
Was Du reiht gern erfahren folft — erwi⸗
derte der Geheimrarh — Ich ergählte dem
Sröfeffor, um feinen Unglauben etwas zu beus
gen, wie mich einft ein Schutzgeiſt aud einem
Kaufe geführt hatte, das im Augenblick, als ich
es verließ, zuſammenſtuͤtzte; und nun höre ich;
baß diefer mein Schutzgeiſt ſchon damals Fein
andrer war, als der gate Geiſt, bet. mich bald
nachher fihtbar durch mein Leben zu’ begleiten
anfing , meine: Antonie!
Was — rief die Geheimraäthin — Du
felbft wärft jener Kommiſſar gemwefen ?
Niemand anders — fagte er — Kammer
racth Ettmuͤller, dir ſich kraͤnklich fühlte, übers
trug mir dieſes Geſchaͤft.
O, das iſt ja doppelt herrlich — rief die
Sehẽimſraͤt hin — und umarmte ihten Go
mahl.
Aber der Ptofeſſor tohrde nun triumphiren —
fagte Diefer — führten nicht die braven Koſaken
von heute Deine Sache gegen feinen Unglauben.
“
99 |
Diefe Sache gieb nur Auf — lachte die Ge⸗
beimrächin — Ich hatte zu meiner Ahndung
gute Quellen. Mein Bruder, weißt Du, fteht
mit den Preußen bier in der Nähe. Er ſchickte
mit heut Morgen tinen Briefan feine Srau, mit
der geheimen Anweifung, ihn einem Kofafen, der
heut Abend danach fragen würde, Mitzugeben,
finden ſich aber heut Abend Feine Kofaten ein,
den Brief Togleich zu verbrennen. Die Addreſſe
der unfihuldigen Frau fland nun wahrfcheinlich
bloß als Maske darauf, indeffen hat der Koſak
sihtig nachgefragt, And den Brief nebft einem
guten Trunk erhalten. Das Geheimniß gegen
Dich will mein Brudet in den naͤchſten Tagen
ſelbſt rechtfertigen.
Das ift ſchoͤn, das iſt herrlich! — jubelte
nun der Proffeſfor— fo ſollten alle Viſionen,
Wundergeſchichten umd andre Träumereien aufs
geklaͤrt werden!
Ich flimme von Herzen ein — erwiderte bie
Beheimräthin — und erfülle fogar Ihren
frommen Wunſch auf der Stelle, in Beziehung
anf Ihren heiligen Graal. Gie willen doch
noch, daß diefer der Punkt war, von welchem
meine Erzählung ausging, und zu dem fie alfo
billig jetztzutuͤckkehrt? — Nun vernehmen Gie
weiter. Der Mann meiner Freundin war ganz
antroͤſtlich uͤber den Verluſt feiner‘ Kunſtſchaͤtze,
G2 4
100
die wir zwar größtentheild in Sicherheit gebracht
Hatten, aber doch nicht alle, denn manchen ber
‚alten Scherben fahen wir Laien den unfchägharen
Kunftwerth nicht an, der drin verborgen ſeyn
follte. Beſonders beflagte er ein altes thoͤnernes
Gefaͤß von unglaublicher Seltenheit, und meine
Freundin, die des ewigen Jammers ſatt wurde,
bat mich einmal ſchriftlich, ob ich ihr nicht irgend
ein altes Stuͤck der Art verſchaffen koͤnne, um den
Gedanken an das verlorne damit zu verdrängen
Ich wußte nirgends eine folche Seltenheit aufzu⸗
treiben; um indeffen doch dad Meinige zu thun,
ging ich zu unferm Töpfer, oder wie er ſich lieber
nennen ließ, zu bem Herrn Dom Modellirer, und
beftellte nach meiner Angabe ein Gefäß, wie ed unge’
faͤhr im Alterthum möchte ausgefehn haben. Der
Meiſter fand ſich durch den Antrag fehr geſchmei⸗
chelt, und unterließ nicht feinen ganzen Namen
nebft Zitulatur auf die Vaſe zu feen, wodurch
es natuͤrlich für meinen Zweck unbrauchbar ward·
Er mußte alſo noch einmal das Werk vornehmen,
und ich ermangelte nicht ihm ernſtlich einzuſchaͤt⸗
fen, daß er feinen Namen nicht anbringen folt
da die Vaſe für ein Werk eines feit mehr alt
taufend Jahr begrabenen Meiſters gelten fol
Indeſſen, wie ich ſehe, muß er fich doch einen
großen Nachruhm von feinem Kunſtwerk verſoro⸗
chen haben, ba ex es nicht hat unterlaſſen kom
101
nen, feine Zeichen wenigflend unter ber Hand⸗
babe in die Nachwelt einzupafchen.
Mad Tauſend! rief ber Profeffor mit
etwas Fraufer Stirn.
Nicht anders — fuhr die Seheimräthin
fort — Bemerken Sie hier Wohl: Adam Stephan
Graal, Dom Mobellirer,
Der Geheimrath lachte laut auf, aber
dee Profeffor wollte noch nicht feinen Graal
aufgeben. ad, Sie ſcherzen — rief er — Nein,
nein, das iſt eine Erfindung von Ihnen, die zwar
recht artig iſt ...
Aber nicht weniger wahr — erwiderte Jene —
Ueberzeugen Sie Sich hier durch das erfie Probe⸗
füd des Meiſters, das ich zufälligermwelfe aufge
hoben habe, wo dieſekbe Auffchrift vonftändig, ohne
alle Abkuͤrzung zu ieſen iſt. Ich verehre Ihnen
die Seltenheit fuͤr Ihr Mufſfeunmn.
Ein unausſoſchliches Lachen von allen Seiten
ſchloß das Geſpraͤch. Man vereinigte fi indem
Borfak, wedet ſelbſt leichtglaͤubig zu ſeyn, noch
Andre wegen Leichtgiaͤubigkeit vorſchnell zu tadeln,
und dabet immer dad goldenen Spruchs einge
denk zu bleiben: Wer ſtehet, der ſehe zu, daß
er vi fall. u
Y
Die Wachsfigur.
’ .
’
Gr einer. Stunde war. bad Kraͤnzchen ziem lich
beifammen. ”) Aber ber Frohſinn ſchien für
ſchon einige laut gemadht.
De habt Ihr's, rief Hilarie daß der hagere
melancholiſche Mann, der heute fehlt, Bei unſern
Werſammlungen Baum zu eutbehren iſt. Nur
denken darf ich mir ihn, und fein oft fü bitter⸗
füßed Geht, fein vornehmed Zurägmeifen eines
muthwilligen Scherzes, feine varkenfchen Wider»
fegungen miginez Einfälle, nımdenten, und meine
Laune werbeffert fich ſogleich.
Sollte die frifche Farbe feiner wohlgebildeten
Zuͤge nicht auch etwas. dabei thunꝰ drohte Theo⸗
do re,
Vielleicht gäbe ich das abenfal⸗ au, koͤnnte
ich nicht dadurch meinem Ludwig unnoͤthige
*) Im Voraus ik dielleicht bier anzubeuten, daf
Die Beit diefer Gefchichte mit der franzöfifcehen Revo-
Iution sufammenfält.
103
Griffen in den Kopf fegen! erwiberie Be miit Ans
muth. Uebrigend babe ich nichts „gewollt mit
diefer Bemerkung , ald Euch aufmerffam machen
auf die unerfannte Wohlthat, welche unferm
Kränzchen der Himmel durch dieſen melancholi⸗
ſchen Herrn erwieſen bat,
er nit von Guido hörte, als das, fü
fiel bier Konflantin, der Wirthin Bruder f ein,
ber koͤnnte ihn wahrlich für eine bloß lächerliche
Derfon halten. Das aber iſt er keinesweges.
Vielmehr ift er ein Mann yon Verſtand und.
Herz. Nur hätte er hei einem entfchiebenen
Hange zur Einfeitigfeit daß Mannichfarhe der
banten — iwenigfiend der europäifchen — Welt
ſehen muͤſſen, um nicht bisweilen an einer Mode⸗
ehorheit zu ſcheitern. So ſpukt denn auch jetzt
in ihm der von manchem falſchiich ſogenannte
Geiſt des achtzehnten Jahrhunderts, ein Ding,
bad alles laͤugnet, was ed nicht durchſchauen
kann, das alles beffer wiffen will, ald die Stimme
bed Gemüthe und der Erfahrung, und das mit
den Gräneln ber jegigen Mevolutipn in Frank⸗
reich, welche hauptſaͤchlich von feinem Ungeſchick
herruͤhren, untergehen dürfte, wie es ſolches auch
gewiß verdient. — Er wird davon zuruͤckkom⸗
men, feine Jugend nnd innere Gediegenheit vers
bürgen dab,
»
. ‘>
\
\ -
08
Wie gerufen! rief Hilarie, als Guido Bier |
noch eintrat. ' Beide Oberen muͤſſen Ihnen lark
geklungen haben.
Daß ich nicht wuͤßte! erwiderte er laͤchelnd.
D, Sie laͤugnen ed nur, wie Sie alles
Yäugnen. Geſtehen Sie's licher, daß hr linkes
Dhr Ihnen feine Ruhe gelaffen hat, bis Sie
bieher eilten, um dadurch) bem Gefpräde über
Sie ein Ende zu machen.
E 3ch bin alfo fo gluͤcklich geweſen ? fragte Guido.
Gluͤcklich und unglüdlih, wie Sie's neh
men. Ein Gluͤck iſn's zum Beiſpiel allemal,
wenn Theodore und ich von Ihnen ſprechen.
Allein Geſpraͤche, die im linken Ohre des abs
weſenden Gegenſtandes wiederklingen, ſind wenig⸗
ſtens von ſehr zweideutiger Art. Mit Einem
Worte, wir haben und über Gig aufgehalten,
aber doch fo, „daß wir Ihre Perſon ſehr zu ver⸗
miſſen vorgaben.
Guido fand ſich mit einer Artigkeit ab. Doch,
der ſonſt immer ſo reiche Fluß der Unterhaltung
wollte, noch nicht in Gang kommen. Die mans
nichfahften Gegenftände ‚wurden vergebens her⸗
beigezogen ; an feinem haftete die feltfame Sprös
Digfeit der Worte ded Abends.
Endlich fing noch Julie, die Wirthin, zu
Konftantin alfo an: Ach, Tieber Bruder, gut,
daß mir's einfällt, wer bewohnt denn jetzt den
99
Diefe Sache gieb nur Auf — lachte die Ga
Heimrärhin — Ich hatte zu meiner Ahndung
Aute Quellen. Mein Bruder, weißt Du, ſteht
mit den Preußen hier in der Nähe. Er ſchickte
mir heut Morgen tinen Briefan feine Grau, mit
der geheimen Unweifung, ihn einem Kofafen, der
heut Abend danach fragen würde, Mitzugeben,
fänden ſich aber heut Abend Feine Koſaken tin,
‚den Brief fogleich zu verbrennen. Die Abddreſſe
der unfchuldigen Frau fland nun wahrfcheinlich
bloß ald Maske darauf, indeſſen hat der Koſak
sichtig nachgefragt, und den Brief nebft einem
guten Trunk trhalten. Dad Geheimniß gegen
Dih will mein Bruder in den nähhfien Tagen
ſelbſt rechtfertigen.
Das ift ſchoͤn, das ift herrlich! — jubelte
nun der Profeffor— fo follten alle Bifionen,
Mundergefhichten und andre Traͤumereien aufs
geffärt werden!
Ich flimme von Herzen ein — ermiderte bie
Geheimraͤthin — und erfülle fogar Ihren
frommen Wunfih auf der Stelle, in Beziehung |
auf Ihren heiligen Graal. Gie willen doch
noch, daß diefer der Punkt war, von welchem
meine Erzählung ausging, und zu dem fie alfo
billig jeßt”zurädtcehre ? — Nun vernehmen Sie
weiter. Der Mann meiner Freundin war ganz
antroͤſtlich über den Verluſt feiner" Kunftfchäge,
62 4
106
Nein, entgegnete Julie ernft genug, mir war
8, ich verſichre Dich, gar nicht laͤcherlich!
Das wird’ aber werden, wenn id) fage,
baß der goldbefäumte Thürfteher wirklich niche
aus Fleifh und Blut, wie feine Kameraden und
wir feiber, fondern aus bloße, todtem Wachſe
heſteht, und daß er, mir Einem Worre, als das
Proͤbchen yon einer Sammfung Figuren, welche
den erſten Stod einnehmen, die Voruͤbergehen⸗
ben anloden fol. Daß Du flatt deffen abges
ſchreckt worden bift, liebe Schweſter, dad rührt
eines Tbeils don allzu flüchtiger Betrachtung,
andern Zheild aber von ber in der That recht
vorzäglichen Nachahmung der Menſchengeſtalt ber,
welche diefer Figur, ſo wie den meiften der Sayms
Iung nicht abzufprechen ift.
Warum laͤffeſt Du mich denn aber auch kein
Sterbenswoͤrtchen von den Herrlichkeiten in Deis
nem Hauſe hoͤren?
Entweber , weil ich's vergeften Babe, ober
auch vielleicht, weil ich in Berdacht fommen
Fönnte, ald wollte ich mir bie Zweifel wegen
Berichtigung des Miethzinſes durch Dich und
meine ührigen Freunde auf eine beruhigende Art
loͤſen laſſen. Und fie find wirflich nicht aus
bei Luft gegriffen, während ber drei Tage, dag
die wächfernen Potertaten in Gefellfchaft vers
ſchiedener Mordbrenner und Gelehrten in mein
107
Hand gezogen find, Has noch faſt Feine Sec
nach ihnen gefragt, und. mancher. Umſtand fagt
wir, daß der Befiger der. Figuren darüber. in
nicht geringer Verlegenheit feyn mag. -
Et, ſprach Bier. Karl, liegt doch die Unter“
Haltung heute ohnehin wie an Ketten, wer weiß,
od nicht die Wachöfiguren und mit Stoff für
den Neft des Abends vnerforgen Fönnten? Wie
wäre ed, wenn wir fogleidh dem armen Herrn
fo vieler hohen Haͤupter et cAtera einen kleinen u
Zroft hinüber brachten?
Der Vorſchlag fand Beifalf bei der. Miechrs
heit der Anweſenden, Da erhob. auf inmat
Hilarie ihre Stimme. Gert bewahra mich, rief
fie, vor dem widerwaͤrtigen Anblicke einer ſolchen
Geſellſchaft Erſt var merigen Monaten habe ich
eine Ähnliche in Wien geſehen, und bin froh ges .
wefen , die Erinnerung daran allmaͤblig los gewor⸗
den au feyo. Mehrere Zimmer voll ſtummer gen
ſchminkter Reichen find. Mr mid «in wahrhaft,
graufender. Unblid, —
„- Zquesften Moment vieleicht — . qrfeßke Saic
O9: munmanadesumäst——
»@i. was oswÄgen, We: Hilarie ein, Bay
kommt unfer eins ger mnicht wenn «einem ba&
Hy opft. — Ich: verbitte mir alled Spots
ten. — Und geſetzt, "ich bedaͤchte hundertmal,
hedaͤchte, mad für einen Schlag yon Menfchen
108
ich ba vor mir Hätte, mein Auge würbe ſich doch
Deleidigt finden von der Zufammenftellung fo
himmelweit auseinander flehender Perfonen und
Stände.
Das aber, Belle, .forach Guido, das zieht
"Ja eben‘ die Sache in's Komifche, woran Ihre
Grillen am leichteften ſcheitern werden.
In's Komiſche? Nichts weniger! Grabe durch
dieſes Yneinanderwerfen ‚der Stände, Alter und
Charaktere mußte. mir: ja wohl zunaͤchſt der Tod
einfallen, der hierin aufdie nämliche Weiſe ders
fährt. Ich muß unter Leichen zu feyn glauben,
weil im Leben folche Dinge gar nicht vorkom⸗
wien koͤnnen. Und jebeffer die-menfchlige Form
dem Nachbildner gelungen iſt, defto ſchlimmer
aur für mich. Kommt boch fogar der Geruch)
des Wachſes hinzu, mich in meinem ſehr unbe
quemen Glauben zu:beflärten.
v5 laͤugne nicht, ſagte Ludwig, daß mir in
einem aͤhnlichen Kubinette meine Phantaſie Streiche
geſpielt hat, bie mich hinterher zum Errbthen
brachten. Beim Beobachten · der dem Leben mehr
nachgeäfften, als nachgebilbeten Fotimen, ſtel mir
der: Bedanke ein, wie, sinn es ſchadenftohe⸗
Genien gaͤbe, die dann iund wann FIR eine
dieſer Wachsfiguren mit einem auffallenden Scheine
bes Lebens verfähen, 'Deflände er auch nur in
einen. Blicke ober Late ‚oder der geringfien Ber
. 109
änderung der Stellung. Ich verfickere Sie, Guido,
daß mir bei biefer Vorſtellung eiskalt wurde ,
und ich ein Paar noch uͤbrige Zimmer lieber
unbefehen Tief, um nur,. wie unfere reigende
Wirthin, and der geſpenſtiſchen Sphäre zu
kommen.
Über, Sie hätten, fiel Guido ein, Ihrer
Phantaſie durchaus den Weg vertreten müffen! —
Darüber, glaube ih, find wir indgefamt eine
verftanden, daß «ed Feine Gefpenfter giebt.
Wenigſtens, verfehte Konflantin, laͤchelnd,
zweifeln wär gewiß alle eher an ihtem Dafeyn,
ald daß wir darauf ſchwoͤren möchten.
But, fuhr Guido fort, Doch auch ſchon
bei aufrichtigem Zweifeln daran, hätte Sreund
Endwig feine Phantafie durch ein laͤngeres Aus⸗
barren am leichteften und beften widerlegen koͤn⸗
nen und follen.
Ad ob es nicht Zuftände gebe, in denen bie
Phantaſie ſich zur Oberherrin aller andern Kräfte
aufwirft, vorübergehende, vieleicht krankhafte
Baftände, die aber darum doch felbft bei dem
Gefundeften zuweilen eintreten koͤnnen! rief Kons
Rantın aus.
Ja, wenn Gie eine Föryerliche Krankheit zur u
Urfache annehmen ! fprach Guido.
. €i, verfegte der Undere, alle Schwaͤche iſt
Krankheit, und ob fie vom Körper oder der Seele
08
ie gerufen! rief Hilarie, ald Guido Bier
noch eintrat. * Beide Ohren müflen Ihnen ſtark
geflungen haben.
: Daß ich nicht wäßte! ermwiberte er laͤchelnd.
D‘, Sie lAugnen es nur, wie Sie alles
laͤugnen. Geſtehen Sie's lieber, Daß Ihr linkes
Dhr Ihnen feine Ruhe gelaflen bat, bis Sie
bieher eilten, um dadurch dem Geſpraͤche uͤber
Sie ein Ende zu machen.
E 3 bin alfo fo gluͤcklich geweſen ? fragte Guido.
Gluͤcklich und unglüdlih, wie Sie's neh⸗
men. Ein Gluͤck ie zum Beifpiel allemaf,
wenn .Theodore und ich von Ihnen fprechen.
Allein Geſpraͤche, die im länken Ohre des ad»
weſenden Gegenſtandes wiederklingen, ſind wenig⸗
ſtens von ſehr zweideutiger Art. Mit Einem
Worte, wir haben und über Sie aufgehalten,
aber doch fo, „daß wir Ihre Perſon ſehr zu ver⸗
miſſen vorgaben.
Guido fand ſich mit einer Artigkeit ab. Doch,
der ſonſt immer ſo reiche Fluß der Unterhaltung
wollte noch nicht in Gang kommen. Die man⸗
nichfachſten Gegenſtaͤnde wurden vergebens her⸗
beigezogen; an keinem haftete die ſeltſame Sproͤ⸗
digkeit der Worte des Abends.
Endlich fing noch Julie, die Wirthin, zu
Konſtantin alſo an: Ach, lieber Bruder, gut,
daß mir's einfaͤllt, wer bewohnt denn jetzt den
105
erfien Stod Deines Haufe? Das muß ein gar
vornehmer Herr ſeyn! Wenigſtens ift der Thuͤr⸗
ſteher überaus reich mit Golde berändert,
Allerdings, antwortete der Gefragte, widers
fährt meinem armen Haufe fall zu viel Ehre
Mehr als Ein vornehmer Herr wohnt darin,
Wenn nur auch der Zind gehörig abgerragen
wird! — Er nannte hierauf einige der groͤßten
Sürften, fo daß man ſich wundern wußte, wie
er an der Berichtigung der Mierhe auch nur im
mindeften zweifeln konnte.
Daß, fuhr Julie fort, der Stolz ba Dei⸗
nen Herren Abmiethern zu Hauſe ift, das darf
man fihbon aus dem Thürhüter fohließen. Denn
diefe fteife Haltung, dieß wahrhaft fleinerne Ges
fit, hat für mid) etwas überaus Schauerliches,
Sogar den Stock mit großem, filbernem Knopfe
haͤlt Ser Menfch immer auf dieſelbe Weife, fo
daß es Fein Wunder ift, wenn, wie ed gefchieht,
die Straßenkinder bei ihm ſich ſammeln und ihn
angaffen. Geſtern in der Abenddaͤmmerung ging
ich auch wieder vorbei, und als mein Blick auf
die lange regungsloſe Geſtalt fiel, da ſchuͤttelte
mich die Furcht ſo zuſammen, daß ich meine
Schritte mehr ald verdoppelte, um nur aud ber
gefpenftifchen Sphäre zu fommen.
Konftantin lachte,
106
Nein, entgegnete Julie ernft genug, mir war
, ich verfichre Dich, gar nicht laͤcherlich!
Das wird's aber werden, wenn ic) fage,
daß der goldbefäumte Thürfteher wirklich nicht
aus Fleiſch und Blut, wie feine Kameraden und
wir feier, fondern aus bloßem, todtem Wachſe
beſteht, und daß er, mir Einem Worre, al da6
Proͤbchen yon einer Sammlung Figuren, welche
den erſten Stoß einnehmen, die Borübergehen:
ben anloden fol. Daß Du flatt deffen abge⸗
ſchreckt worden bift, liebe Schweſter, das rührt
eined Theils von allzu flüdhtiger Betrachtung,
andern Zheild aber von der in ber That recht
vorgäglichen Nachahmung ber Menſchengeſtalt ber,
welche diefer Figur, ſo wie den meiften der Samm
lung nicht abzufprechen iſt.
Warum läffeft Du mich denn aber aud fein
Ster benswoͤrtchen don den Herrlichkeiten in Dei⸗
nem Hauſe hören ?
Entweder, weil ich’ vergeffen habe, ober
auch vielleicht, weil ich in Verdacht kommen
koͤnnte, ald wollte ich mir bie Zweifel wegen
Berichtigung des Miethzinſes durch Dich und
meine uͤbrigen Freunde auf eine beruhigende Art
föfen laffen. Und fie find wirflih nicht aus
der Luft gegriffen, waͤhrend der drei Tage, daß
die waͤchſernen Potentaten in Geſellſchaft ver⸗
ſchiedener Mordbrenner und Gelehrten in mein
107
Hand gezogen find, Bas noch faft Feine Seele
nad ihnen gefragt, und mancher Umſtand ſagt
mir, daß der Beſitzer der Figuren daruͤber in
“nicht geringer Berlegenheit feyn mag. -
Et, ſprach hier Karl, ‚liegt doch die Unter⸗
haltung heute ohnehin wie an Ketten, wer weiß,
od nicht die Wachdfiguren und mit Stoff für
den Reſt des Abends verforgen könnten? ‚Wie
wäre es, wenn win fogleidh dem armen Herrn
fo vieler hohen Häupter et caͤtera einen kleinen
Troſt hinuͤber brachten ?.
Der: Borfchlag fand Beifall bei der. Mehra
heit der Anweſenden. Da erhob. auf Einmat
Hilarie- ihre Stimme. Gent bewahra mich, riek
fie, vor dem widermärtigen Anblicke einer ſolchen
Geſellſchaft Erſt var werigen Monaten habe ich
eine aͤhnliche in Mien geſehen, und bin froh gen .
weſen, die Erinnerung baran:allmählig los gewor⸗
den au ſeyn· Diehrere Zimmer voll ſtummer ge⸗
ſchminkter Beichen find. Ar mid «in wahrhaft,
grauſender Anblid, —
.AIm exſten Dromenta bielleiche — wrſetue Suic
er. men manaberawäst —— |
Ki. was eswägen, "Bel: Nilarie ein, Bag
fommt unfer ein& gar. nicht; wenn einem ba,
Hexz Hopf, — Ich: verbitte mir alles Spot,
sen. — Und geſetzt, "ich bedaͤchte hundertmal,
hedaͤchte, mad für einen, Schlag yon Menfchen
108
ich ba vormir hätte, mein Auge würde ſich doch
beleidigt finden von der Zufammenftellung fo
Bimmelmweis auseinander fiehender Perfonen und
Stände.
Das aber, Befle, ſprach Guido, das zieht
"Ja eben‘ die Sache in's Komiſche, woran Ihre
Brillen am leichteften ſcheitern werden.
In's Komiſche? Nichts weniger! Gradedurdh
dieſes Ineinanderwerfen der Stände, Alter und
Gharaftere mußte mir ja wohl zunaͤchſt der Tod
einfallen, der hierin auf die naͤmliche Weiſe ver⸗
faͤhrt. Ich muß unter Leichen zu ſeyn glauben,
weil im Leben ſolche Dinge gar nicht vorkom⸗
men konnen. Und jebeffer die-menfchlige Form
dem Nachbildner gelungen iſt, deſto fehfimmer
nur füs mich. Kommt boch fogar der Gerud)
des Wachſes hinzu, mich in meinem.fehr unbe
auemen Glauben zu:beflärken.
Ich Täugne nicht, ſagte Ludwig, daß mir im
Anm ähnlichen Kuͤbinette meine Phantaſie Strriche
geſpielt hat, die mich hinterher zum Errdthen
brachten. ‚Beim Beobachten · der dem Leben mehr
nachgeäfften, als nachgebildeten Fotinen / ſtel mir
der: Wedanke ein, wie, wienn es fchadenftoh⸗
Benin. gäbe, die dann iund warn plotzlich eine
biefer Wachsfiguren mit einem auffallenden Scheine
bes Lebens verſahen, Veſtaͤnde er auch Nur in
einem Blicke oder Laufe,: vder der geringſten Ber
. 109
änderung der Stellung. Ich verſichere Sie, Buibo,
daß mir bei diefer Vorſtellung eiskalt wurde ,
und ich ein Paar noch Abrige Zimmer lieber
unbefehen ließ, um nur, wie unfere reigende
Wirthin, aus der gefpenflifden Sphäre zu
fommen. "
Aber, Sie hätten, fiel Guido ein, Ihrer
Phantafie durchaus den Weg vertreten müffen! —
Darüber, glaube ih, find wir indgefamt eins
verftanden, daß es Feine Gefpenfter giebt.
Wenigſtens, verfehte Konflantin, laͤchelnd,
zweifeln wir gewiß alle eher an ihtem Dafeyn,
ald daß wir darauf ſchwoͤren möchten.
Gut, fuhr Guido fort, Doch auch ſchon
bei aufrichtigem Zweifeln daran, hätte Sreund
Ludwig feine Phantafie durch ein laͤngeres Aus⸗
barren am leichteften und beften widerlegen koͤn⸗
nen und follen.
Als ob ed nicht Zuftände gebe, in denen bie
Phantaſie fih zur Oberherrin aller andern Kräfte
aufwirft, voruͤbergehende, vielleicht krankhafte
Raftände, die aber darum body felbft bei dem
Gefundeften zuweilen eintreten koͤnnen! rief Kons
ſtantin aus.
Ja, wenn Sie eine koͤrperliche Krankheit zur
Urſache annehmen! ſprach Guido.
. ©i, verſetzte der Andere, alle Schwaͤche iſt
Krankheit, und ob ſie vom Koͤrper oder der Seele
un
118
herruͤhre, daruber find oft die geſchickteſten Aerzte
ungewiß. So will ich Ihnen jetzt eine Geſchichte
erzählen, die ganz hierher paßt, eine Geſchichte,
deren Held ein Mann ift, der im Ganzen feiner
Einbildungskraft Meifter zu ſeyn verfteht. — Aber
wo lebt der Starke , der nicht zumeilen durch ſonder⸗
bares , ihm oft ſelbſt unbewußtes Zuſammentref⸗
fen einzelner Dinge, in eine höchft reigbare, und
ihm ganz ungewoͤhnliche Stimmung verfegt wer⸗
den Fönnte? —
Mihrere von Ihnen, meine Breunde, erinnern
Sich wahrſcheinlich meines Iegten Ausfluges nach
dem Süden von Deutſchland und der Schweiz.
Es war ein großer Genuß für mich, einen Ges
ſellſchafter dabei zu haben, wie Bertram, und
ich bin mit ben mancherlei fröhlichen Begegniffen,
bie wir auf dieſer Reiſe erlebten, nicht zuräds
haltend geweſen. Ein einziged nur theilte ich
Bi6 jegt niemand mit, das durchaus nicht zu den
fröhlichen gehört. Bergebens frage ich mich ſelbſt
um die Urſache diefed oft nur durch abfichtliche
Sprünge in meinem Erzählen erreichbaren Stil»
ſchweigens. Wer weißdaher, ob nicht ein ſolches
Verheimlichen ebenfalls Beſtimmung war! — Las
cheln Sie, lieber Guido, es irrt mich keinesweges.
So viel iſt gewiß, ein ſchicklicherer Platz für jenes
Ereigniß hätte ſich ſchwerlich denken laſſen, als der
ihm heute werden kann. —
“ 105
Grillen in den Kopf fegen! ermiberie Be mit An⸗
muth. Uebrigend babe ich nichts gewollt mit
Diefer Bemerkung, ald Euch aufmerffam machen
auf die unerfannte Wohlthat, welche unferm
Kraͤnzchen der Himmel durch dieſen melapcholi⸗
ſchen Herrn erwieſen hat,
Wer nichts von Guido hörte, als das, fü
fiel hier Konflantin, ber Wirthin Bruder ein,
ber Tönnte ihn wahrlich für eine bloß laͤcherliche
Perſon halten. Das aber iſt er keinesweges.
Vielmehr iſt ex ein Mann yon Verſtand und
Herz. Nur haͤtte er bei einem entſchiedenen
Hange zur Einſeitigkeit daß Maunichfache der
bunten — wenigſtens ber europäifchen — Welt
fehen mäffen, um nicht bisweilen an einer Mode⸗
ehorheit zu fcheitern, So fpuft denn auch jetzt
in ihm der von mandem falſchlich fogenannte
Geift des arditzehnten Jahrhunderte, ein Ding,
das alles laͤugnet, was es nicht durchſchauen
kann, das alles beſſer wiſſen will, als die Stimme
des Gemuͤths und der Eifahrung, und das mit
den Graͤneln der jetzigen Revolution in Frank⸗
reich, welche hauptſaͤchlich von ſeinem Ungeſchick
herruͤhren, untergehen dürfte, wie es ſolches auch
gewiß verdient. — Er wird davon zuruͤckkom⸗
men, ſeine Jugend und innere Gediegenheit ver⸗
buͤrgen das.
r
\
\
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Pan >)
\ *
112
Zeitafter den Großen betitelte, aufgeflellt, und
fo vielleicht des Tegtern unfehlbare Vernichtung
ſinnreich ausſprechen wollen. Vielleicht war es
auch nur das Werk des Ohngefaͤhrs, denn wenn
man manche andere Gruppe anfah, fo wurde
man fehr zweifelhaft, ob Zufall oder Albernheit
fie geordnet hatte.
Tach vielen. der ſchreiendſten Konttaſte zog
ein Engeldgelicht unfere ganze Seele dergeſtalt an,
dag wir zum Beobachten feiner ſchlechten Nach⸗
barfchafı gar nicht fommien konnten. Es war bie
Genci, die tugendhafte, und doch des Batermors
des überführte und hingerichtete Beatrice Cenci;
ganz ähnlich dem Gemählde, dad wir früher in
der Billa Albobrandini zu Rom von ihr gefehen
hatten. Die Gerechtigkeit hatte, aus biefen Zügen
zu ſchließen, nie einen fo heillofen Frevel began⸗
gen als ihre Hinrichtung.
Bertram gerieth außer fich beim Nachdenken
darüber, Welch ein Mann wären Sie, fagte er
zu dem Befiger ded Kabinetd, wenn Sie in bie
fed Bild der Tauterfien Unfchuld die entflohene
Seele zuruͤckzaubern Fönnten !
Diefer Wunfch ift (don von manchem gefcher
ben! antwortete der Mann lächelnd. Bor wenig
Tagen war fogar einer hier, der, nachdem er ihn
ebenfalls gethan, fich ernftlich zu fürdhten anfing,
und Außerse, daß die Bilder frühzeitig verſtorbe⸗
443
ner, hauptfächlich hingerichteter Prrfonen zuwei⸗
len von ihren Seelen umfchmebt und bei dem
außgefprochenen Wunfche ihrer Rüdfehr auf Aus
genblide mit Leben durchfirömt würden. Hier
wurde des Befiger der Figuren zur andern Seite
gerufen.
Seltfame Behauptung t rief Bertram. Yndef
fen, fo fagte ich mit fcheinbarem Ernfte, ift doch
vielleicht etwad Wahred daran. Denn je länger
ich dieſes Fleiſch betrachte, defto wärmer fchmeichelt
fih) mein Auge es zu finden. Und meinft Du
nicht, daß troß dem aufrichtigen Wunfche, dab ‘
Bild befebt zu Sehen, und, wenn es gefchähe,
dennoch ein heftiged Grauen anwandeln koͤnnte7
Wohl möglich! verfekte er. —
Sieh, fuhr ich fort, fieh, wie die Lippen
eben beweglich werden.
Nun nein, antwortete er, fo gefpenftergfäus
big bin ich darum noch nicht. Ya, auf diefe
Gefahr koͤnnte ich dad fromme Bild ſogleich bei
ter Hand fallen.
Berfuche ed nicht, Lieber! Ein Drud von
diefen wächfernen Fingern müßte — ich geſtehe
ed — bis tief in's innerfte Leben ſchauern. —
Und doch nicht, verfeßte er, wenn man das
liebe Geficht betrachtet, dad nur gegen dad Böfe
feindfelig feyn Kann!
Ein Augenblick war es, wo ich mich unwill⸗
Seſpenſterbuch 6. Theil, d
118
Yührlich nad) einem Klange aud der Nachbarfchaft
umfah, und ein zweiter, wo ber Sall meines
Freundes auf den Fußboden mich gewaltfam nad
ihin zuruͤcktiß. Der Gall hatte allgemeine6 Aufı
fehen gemacht 5 was in ben Zimmern mar, firömte
herzu. Bertram war um fein Bewußtſeyn ger
fommen. Ich fand ſchon darum große Todes⸗
angft aus, weil ich meinen unzeitigen Scherz ald
eine Miturfadhe anfoh. Denn die unten neben
ibm liegende abgebrochene Hand ber Cenci deutete
im Boraud_auf die.Urfache hin. —
Als er die Augen wieder gedffnet hatte, ſchloß
er ſie auch ſogleich von neuem, verlangte hin⸗
weg, und that ſie auch nicht eher auf, als bis
ich, fein Führer, die Thuͤre des Wachskabineto
hinter und zuklappte. — |
Den ganzen Abend wieß er alleb Geſpraͤch
über den Vorfall von ſich, und trug mir auf, mit
dem Inhaber der Figuren den Schadenerfag a
zuthun, bamit ihm der Mann nur nicht wieder
zu Geſichte kaͤme.
Erſt am folgenden Morgen erzaͤhlte er mir,
wie er die Hand der Cenci ergriffen, und wirb
lich einen Drud von dem falten Wachs zu
empfinden geglaubt habe. Sein Glaube daran
fügte er hinzu, fei nun zwar wiebtr verſchwun⸗
den, aber feine übetreigte Phantafie habe der
Borfpiegelung doch einen ſolchen Schein bet
\
115
Wahrheit gegeben, daß er gewiß Zeitlebens da⸗
ran gedenfen werde. —
Hu! rief Hilarie, als Konflantin hiermit
ſchloß num daͤchte ich, müßten wir für alle Wachs⸗
figuren gehorfamft danken. Perfonen weniäftend,
die ſo weit von den Ihrigen entfernt ſchlafen,
wie ich, die koͤnnen mit biefer Menge Stoff zu
ſchaurigen Bildern und Träumen voͤllig zufrie⸗
den ſeyn.
Behuͤte, ſchͤne Freundin! ſprach Guido laͤ⸗
chelnd. Da waͤren wir rechte Helden und Helbins
nen, wenn wir und durch eine foldhe Erzählung
irre machen ließen, die Wachsfiguren felbft gu
fehen. Denn fo überreigt ift wohl heute untek
und Feine einzige Phantafie, um ein ähnliches
Begegniß befürchten zu dürfen.
Sein Blick fagte deutlich geaug, daß det
Spott, zu dem fich dabei die Lippe verzog, auf
Konflantin gemuͤnzt war. Hilarie kaͤmpfte zwar
noch mächtig an gegen den Beſuch der Wachs⸗
figuren , ald aber alled nichts Half, fo entſdioß
ſie ſich ſelber mitzugehen.
Sulie holte erſt wieder friſch Athem, wie fie
nebſt den Uebrigen vor ihres Bruders Haufe ſtand,
und dem von Lampen ringsumgebenen Thuͤrſte⸗
ber, der ihr das Voruͤbergehen ſchon ein paar
Mal recht unbehaglich gemacht hatte, In dad
wächferne Angeſicht ſehen konnte. Ihr Lächeln
92
Sn ⏑— ————⏑⏑ ⏑ SS De — — —
116
aber- über bie Sache wurde nur allzubald durch
einen mächtigen Schreck verbrängt. Denn oben
beim Eingange Fam sine Geſtalt grade auf die
Geſellſchaft zu, dem Thuͤrſteher bis auf den feh⸗
- Inden Stod in allem fo aleih, daß fie auf den
Gedanken gerieth, der Wachsmann fei lebendig
geworben, und zum. Fenſter bereingefliegen, um
fie nun auch oben zu empfangen:
Hilarie fließ einen lauten Schrei aus. Der
Beſitzer der Figuren, wofür fich dieſe Doublette
vom Portier bald: zu erfennen gab, aͤußerte, daß
ihm dad Staunen und zum Theil Erfchreden
der Gefellfehaft ſchmeicheln müffe, weil er fein
Antenſtehendes Ebendild, fo wie alle übrige Wachs⸗
figuren,: felbft, verfertiget habe. Aber Konftantin
meinte, bieß heiße den Scherz zu weit treiben,
und vietb ihm an, weniäftend dad Treſſenkleid
Fünftig abzulegen, weil fein Triumph ber geſchickten
Nachbildung: mit dem Erſchrecken der Zufchauer
allzutheuer erkauft fe. -
Guĩdo Fonnte fich des heftigften Lachens über
diefe Bermahnung nicht enthalten, und zog, da
Die ganze übrige Geſellſchaft legtere billigte, hier⸗
mit für die naͤchſte Zeit gleichlam «eine Scheider
wand zwifchen ſich und die Undern.
Statt, gleich diefen, dem Beliker des Kabi⸗
netd zu folgen, und beffen zuweilen fehr merk:
würdig unrichtige Erklärungen biflorifcher Pers
217
fonen mit anzuhdren,- eifte «neorand, divenigen
Siguren vorzugsweiſe hetrachtend, deren Phyfingnor,
mie am meiften auffiel,. fg daß er allen Uebrigen
bald vhllig aus dem Sehhtn Fam. — ı.:.
Hilarlens Aengſtlichteit und Beſorgaiſſe, wann
hinter ihr etwas ſich regte, gaban viel Staff zur,
kuft, an der fie eudlich ſelbſt mit. Theil nahm.
Nur hielt ſie ſich gemeiniglich in der Uebrigen
Mitte, um nicht etwa, abgefondert von ühnen,:
ein fchlimmered Loos als dieſe gu erfahren:
Endlich redete ke Konſtantinen alſo an: Nichn
wahr, das ſind-ganz andere, als jene bo s.h.afe
ten Wachſfiguren in Münden? — Freilichtu
fügte fie ſogleich ſelbſt hinzu Schon die proͤchen
tige Kleidung zeigt: dag, nicht wahr tr Sprechen
Sie doch ia, au non tm rn. Tr
Sie antworten je uf Ihre. Sragen ſelbit fps
tihrig, daß, xs meintt: dabei ges. nicht Mash,
fagte er aͤchelnd. —WW
Nun, danm möchte iq wohl zoiffen, Aber
fie heimlicher als zuvor, ob. man bien eine
Hand anfaffen:fönne, hm sind beforchten gu;
dürfen ? 5 tn
Ich ehe für nl. mas Senf: ums
beuunißvoll, I rel
Ufo doch mögih tt —8
Er. zudte die. Ychfeln. . oo
D das if mir hoͤchſt fatal, .. Bean Sir lau
v
gg wy— BE —ö
418
Yan gur nicht, "we eb mich dazu treibt und
Angſtigt, wie. «6 mich in⸗allen Singern nad fo
denen Wachshand zudt I
Denken Sie doch nur an den Wpfel, den die
ol Schlange ver-Cha’relhte! rief er pidelich in
. ein Tantes Lachen andtechend. —
- Sie Haͤßlicher! fügte Hilarie anetdig; als er
Heraufdee ganze Sache der Geſellſchaft mittheilte,
die daruͤber in eine überaus luſtige Laune gerieth.
Abrr obſchon der Boſitzer des Kabineis dem
furchtſamen Fraulein verſicherte, daß fie jede der
Flauren ganz getroft. bei der Hand nehmen koͤnne,
und ihr auch mes gutem Beiſpiel voranging, ſo
wägte fie doch nicht ’ihter Neigung nachzugeben.
Heͤchſtens falf.- Man: fir dann nad’ wenn mit
großer Behutfamkeit und Zurcht, als ob: «8 einer.
Elrfeitfirinafdpind geile ,''wadh dent Aleide einer
Siaur' greifen, welches ifnmier iſehre voſſirlich her⸗
auskam, und den Beobachtern vielleicht "ehr
Vorgitägen"ald die Zaubtſache gewahrte. —
:Gutdo war ihnen inzwiſchen fo ganz in Ber
geffeuheit: rather, daß fie ordentlich ſtaunten,
wie ſie ihn im letzten Zimmer ſtehen ſahen. Er
beatertoe ir Eiattecen Jar nicht, fo tief verloren
war er in das Anſchauen einer weiblichen Figur,
einer, der Haltung und Ordnung des Anzugs
nach, vornehmen Dame, einem Sehr voller
Seele und Anmuch-- a
443
ner, hauptfächlich hingerichteter Prrfonen zuwei⸗
len von ihren Seelen umfchmebt und bei dem
audgefprocenen Wunfche ihrer Ruͤckkehr auf Aus
genblicde mit Leben durchſtroͤmt würden. Hier
wurde der Beſitzer der Figuren zur andern Seite
gerufen.
Seltfame Behauptung ! rief Bertram. Indeſ⸗
fen , fo fagte ich mit ſcheinbarem Ernfte, ift doch
vielleicht etwad Wahred daran. Denn je länger
ich dieſes Fleiſch betrachte, defto wärmer fchmeichelt
ſich mein“ Auge es zu finden. Und meinft Du
nicht, daß trog dem aufrichtigen Wunfche, das
Bild belebt zu Sehen, und, wenn es gefchähe, .
dennoch ein heftiged Grauen anwandeln koͤnnte?
Wohl möglich! verfegte er. —
Sich, fuhr ich fort, fieh, wie die Lippen
eben beweglich werden.
Nun nein, antwortete er, ſo gefpenftergläus
big bin ich darum noch nicht. Ya, auf diefe
Gefahr koͤnnte ich dad fromme Bild, fogleich bei
der Dand faffen.
Verſuche ed nicht, Fieber! Ein Druck von
diefen wächfernen Fingern müßte — ich geftehe
es — bis tief in's innerfte Leben ſchauern. —
Und doch nicht, verfegte er, wenn man das
Tiebe Geſicht betrachtet, das nur gegen dad Boͤſe
feindfelig feyn Tann!
Fin Augenblick war ed, wo ich mich unwill⸗
Geſpenſterbuch 6. Theil. 0 |
420
um dann deſto ſchadenfroher über ihn herzu⸗
* fallen, \
Endlich aber, ald man ſchon wieder In Juliens
Behauſung ſaß und die allaemeine Spannung fich
in einem anhaltenden, unerfreulichen Stillſchwei⸗
gen deutlich genug ausgeſprochen hatte, da konute
Hilarie doch Ihre Neugier ‚nicht mehr. im Zaume
halten. Erzaͤhlen Sie, . Guido, fagte fie, auf der
Stelle und ohne alle Umſchweife, was hatte e#
mie Ihnen und jener Figur für Bewandtniß ?
Sie müffen fprechen ! Rüge oder Wahrheit, wa$
Sie wollen, nur ſprechen Sie, damit. wir Undera
auch einmal wieder zur Sprache fommen. Denn
nichts iſt doch häßlicher und unerträglicher, al$
wenn eine Geſellſchaft bloß darum, weil fie ſtille
Wachsfiguren gefehen hat, nun felber zu einem
ſtummen und ſchauerlichen Wachsfigurenkabinette
werden will. —
Ja, ich will reden, fagte hierauf Guido, und
das mit fo bangem, wunderlichem Zone, daß die
Anweſenden den Gedanken .an Verftellung ſogleich
‘aufgaben. Ich muß fogar reden ; hauptfächlich
unſers Ronftantind halber. — Unfehlbar hat mar
mir vorhin angemerkt, daß ich feines Freundes
BSegebenheit in München, trog des fo wahrhafr
ten Yugenzeugen, din Zweifel 309. Jetzt denke
ich gang ander&darüber, nachdem mir felbft etwas
siemlich Gleiches begegnet ift. — Die hoͤchſtre itzen⸗
115
Wahrheit gegeben, daß er gewẽ Zeitlebens · bar
ran gedenken werde. —
Hu! rief Hilarie, aAis Konſlantin hiermit
ſchloß, nun daͤchte ich, muͤßten wir für alle Wachs⸗
figuren gehorfamft danken. Perſonen wenigſtens,
die ſo weit von den Ihrigen entfernt ſchlafen,
wie ich, die koͤnnen mit dieſer Menge Stoff zu
ſchaurigen Bilden und Traͤumen voͤllig zufrie⸗
Den fen.
Behuͤte, ſchoͤne Freundin! ſprach Guido Tär
end. Da wären wir rechte Helden und Helbins
nıen, wenn wir und durch eine foldhe Erzählung
irre machen ließen, die Wachöfiguren ſelbſt zu
fehen. Denn fo überreige ift wohl heute untek
uns Feine einzige Phantafie, um ein ähnliches
Begegniß befürchten zu dürfen.
Sen Blick fagte deutlich genug, daß der
Spott, zw dem ſich dabei die Lippe verzog, auf
Konftantin gemünzt war. Hilarie Fämpfte zwar
noch mädıtig an gegen den Befuch der Wachs⸗
figuren, als aber alles nichts half, ſo eiſwiot
ſie ſich ſelber mitzugehen.
Julie holte erſt wieder friſch Athem, wie ſie
nebſt den Uebrigen vor ihtes Bruders Hauſe ſtand,
> und dem von Lampen ringsumgebenen Thuͤrſte⸗
ber, der ihr das Voruͤbergehen ſchon tin Paar
Mal recht unbehaglich gemacht Hatte, in dad
wächferne Angeſicht ſehen konnte. hr Lächeln
92
420
um dann beflo fdhadenfroher über ihn herzu⸗
“ fallen, \ .
Endlich aber, ald man ſchon wieder In. Juliens
Behauſung ſaß und die allaemeine Spannung fich
in einem anhaltenden, unerfreulichen Stiufchweis
gen deutlich genug ausgeſprochen hatte, da konutt
Hilarie doch Ihre Neugier ‚nicht mehr. im Zaume
halten. Grzähfen Sie, Guido, fagte fie, auf der
Stelle und ohne alle Umſchweife, was hatte «6
mit Ihnen und jener Figur für Bewandtniß ?
Sie müffen fprechen ! Lüge oder Wahrheit, was
Sie wollen, nur fprechen Sie, damit wir Undern
auch einmal wieder zur Sprache kommen. Denn
nichts iſt doch häßlicher und unerträglicher, ald
‘wenn eine Gefellfhaft bloß darum, weil fie ftille
Wachs figuren geſehen bat, aun ſelber zu einem
flummen und fchauerlichen Wachsfigurenfabinerte
werden will. —
Ja, ih will reden, fagte hierauf Guido, und
das mit fo bangem, wunderlichem Zone, daß die
Anweſenden den Gedanfen .an Verftelung fogleich
"aufgaben. Ich muß fogar reden ; hauptſaͤchlich
unſers Ronftantins halber. — Unfehlbar hat man
mir vorhin angemerkt, daß ich ſeines Freundes
Begebenheit in München, troß des fo wahrhafs
ten Yugenzeugen, in Zweifel zog. Jetzt denke
ich gang anders darüber, nachdem mir felbft etwas
gziemlich Gleiches begegnet iſt. — Die höchflrejgen,
124
" den Züge ber Geſtalt, bei der Sie mich wieder⸗
fanden, erregten mein Intereſſe dermaßen, daß
ich von ihrem Anfchauen gar nicht ablaffen fonnte,
Und — ſollte man's denken! — je Tänger ich fie
por mir hatte, defto fefler ward der Glaube in
mir, es fige feine Wachsfigur, fondern ein wirk⸗
liches Wefen da. Dein Auge fah deutlich bie
Megungen des fchönen Lebens. Gleichwohl befiel
wid eine Scheu, die Geſtalt näher zu betrachs
ten, oder anzufaflen. Da rief ich denn Konſtan⸗
tin zu. mir, welcher laͤchelnd das Geſicht unters
fuchte -und mich darauf felber dazu veranlaßte.
3a, in dein Yugenhlide, als ich ed nun anfühlte,
war es unflreitig yon Wache. Aber nach immer. .
frage ich mich, ob es eine Minute fruͤher nicht
anders damit geweſen ſei? Nimmermehr haͤtte
ih meiner Phantafie ſolch eine ungewoͤhnliche
Ausſchweifung zugetraut! —
Da haben wir's! rief Hilarie ‚gifchend. Nun
find wir hierin ganz gleich geworden. Yergerlich
iſt's indeffen Doch. Denn wenn felbft fo ruchlofe
Zroeifler zur (Erfenntniß kommen , dann hat man
ja gar feinen Schuß mehr gegen- feinen eigenen
Geſpenſterglanben. — —
Sagen Sie mir, Konftantin, fa fprach Guido,
ihn beim Fortgehen am Arme faſſend, Tonnte ſich
denn Bertram fpäterhin überzeugen , daß bad Bild
der Cenci in jenem Augenblicke nicht wirklich lebens
1m
"dig geworden war, Tonnte er ſich überzeugen, baf
er's dabei bloß mit feiner Phantafie zu thun
uehabt habe?
Allerdings! war die Antwort. Wie oft has
er nicht in der Folge Darüber vecht herzlich lachen
Tonnen!
Wollte Gott, rief Guido, ich wäre ſchon
auch fo weit. J
Sie glauben alfo noch immer an etwas Ueber⸗
natürliches?
Leider, ja. — So feltfam und widerfinnig
und gegm ale meine Grundfäge es if, ih muß
daran glauben, wenigſtens in manchem Momente,
— Als ich das liebliche Geſicht anflaunte, fo
überrafchte mich ganz plöglich der Gebanfe an
Pyamation und fein Glü@ bei Erfüllung des
Tange genährten Wunfched. Und drauf fing auch
die Figur vor mir ſich allmählig zu beleben an,
Aber), ‘lieber Guido; da haben:Sie ja mit
einem Male den ganzen Gang einer gereigten Eins
Bildungstraft. Morgen werden Sie Sich gewiß
die Sache grade fo denken, wie ich.
Ich zweifle noch. Uebrigend, Konflantin,
Habe ich eine große Bitte an Sie. Begleiten Sis
mich body zu dem Befiger der Wachsfiguren. Die
bewußte gehärte zu denen, welche darin eine Aus ⸗
nahme von ben meiften übrigen machten, daß Fein
Zettel mit der Auskunft über das Urbild davor lag.
119
Hilarie näherte ſich ihm leiſe und fiah Aber j
feine Schulter herein, Hoͤchſt erfchroden fuhr er
sufarmen,
Nun, nun, rief fie, ich bin ed ja: Aber
mein Gott, was fiht Sie denn an; Sie find ja
xben bleich wie der Tod geworden F—
Statt aller. Antwort aber eilte ervon ihr hin⸗
weg gu Konftantin, und ſprach feife mit diefen,
ihn vor dad Frauenbild führend.
Ohnfehlbar wollt Ihr mich zu fürchten mas
hen! rief Hilarie, ald Beide die Figur hoͤchſt
aufmerkſam betrachteten.
Dieſer Vorſatz wuͤrde gewiß ſchon gelungen
ſeyn, wenn er da geweſen wäre. Denn fo, ſchnell
als moglich eilte fie zu den Uebrigen zuruͤck.
Konſtantin theilte noch lange Guido's aus⸗
ſchließende Aufmerkſamkeit auf jene Geſtalt, doch
zeigte ſein Kopfſchuͤtteln, als er das Geſicht be⸗
taſtet hatte, daß er in Beurtheilung derfetben
mit Guido nicht einderflanden war. —
Nur mit Mühe hätte die Neugier der Ans
bern ſich der Nachfrage nach Guido's Seltfamfeit
enthalten. Bieleicht trug hierzu der Umftand
bei, daB man fürchtete, der allgeitfertige Zweifler
wolle, fo wenig er auch im Allgemeinen zum
Scherz aufgelegt war, dem Glauben an irgend
“ ein uͤbernatuͤrliches Einwirken durch falfche Bors
foiegelung von dergleichen nur eine Falle legen,
’
us
124
einem natürlichen Tode entfernt zu feyu. An
einen unngrürlichen aber, eine — Hinrichtung,
mir grauf ſchon vor dem Worte in diem Zus
foarmenhange! ift bei fo reinen Jugendlichen Zügen
gar nicht zu denken. —
Ei, fel Hier Konſtantin ihm in die Rede,
ſo denken Sie dody nur an dad Bild der Senci,
dad Sie gewiß, wenigfiend in Kopie, geſehen
baben.
Guido ſchien son der Semrrtung esfäättert,
doch nicht fo fehr, um dadurch zu Aufgebung
feines Vorhabens bervogen zu werden. —
Ich myBwilfen ; wer fie iR! fagteer, und
Konſtantin begleitete ihn zu den Warbsfiauren.
Der Befiger, bei ihrer Ankunft eben in Bes
griff ſtehend, die Ausſtellung zu ſchließen, ging
mit den Schauluſligen noch einmal zuruͤck. So⸗
Hfeich ſoll die Erleuchtung beſorgt ſeyn! ſagte er.
Doch Guido verhinderte ihn am Anzuͤnden der
ausgeldſchien Lichter mit der Verſicherung, daß
es ‚ihnen bloß. auf das letzte Zimmer ankomme.
Als fie. hierher gelangt waren, ‚fragte ber
Wißbegierige: Wer iſt diefe Dame? —
Alle die, antwortete her Mann, vor denen
fein Zettel Tiegt,. find bloße Ideale. -
- Die andern; ja! verfegte der Fragende erhigt.
— Bon biefer- Figur aber machen Sie mir dab
nice weiß. Hier iſt Eberalieꝛr und Leben und
| 123
Individuelles, was ich in ber Flachheit'aller der
fogenannten Ideale dabei vermiffe,
Der Herr find Kenner! ſprach der Befiger:
Doc kann ich nicht dienen mit dem Namen der
Perſon.
Verkaufen Sie welche von Ihren Figuren?
O ja.
Guido erkundigte ſich nach dem Preiſe, be⸗
friedigte, ohne alles Abdingen, ſogleich die For⸗
derung und machte nur dad unverzügliche Fort⸗
ſchaffen ded Bildes in feine Wohnung noch aus,
Du fiehft mir mit Deinem Leben für aılen
Schaden daran! faate er zu dem. Bedienten, dem
der Transport anvertraut wurde,
Sorgen Sie nicht, antwortete fein Herr, der
weiß damit umzugehen. Zugleich fragte er ihn,
fihtbar erfreut über den großmüthigen Käufer,
ob er nicht noch etwas. aus der Sammlung fich
ausſuchen wolle _. |
Nein! war die Antwort. Doc bot Guido ein
Goldſtuͤck für die Achte Nachricht von dein Dris
ginal der gekauften Figur..
Aber ganz unter und, fagte nach einigem
Zögern der Mann, es ift eine Dame aus Frank⸗
reich.
. Und ihr Name? warum ein ſolches Zaubern
damit? fiel Guido mißvergnügt ein.
Weil man in jegigen, ſchlimmen Zeiten jebed
124
einem natürlichen Tode entfernt zu feyn. Un
einen unngtürlichen aber, eine — Hinrichtung,
mir graut ſchon vor dem Worte in dieiem Zus
ſaumenhange! ift bei fo reinen jugendlichen Zügen
gar nicht zu denken. — ,
Ei, fel Hier Konftantin ihm in die Rede,
fo.denten Sie doch nur an dad Bild der Genci,
das Sie gewiß, wenigſiens in Kopie, geſehen
baden. I .
Guido ſchien von der Bemerkung erſchuͤttert,
doch nicht fo fepr, um ‚dadurch zu Aufgebung
feines Vorhabens bewogen zu werden; —
Ich my wiſſen; wer fie iR! fagteer, und
Konftantin ‚begleitete ihn zu den Waröfiauren.
Der Befiger, bei. ihrer Ankunft eben in. Bes
ariff ſtehend, die Ausſtellung zu,fchließen, ging
wit ben Schaulufligen noch einmal zuruͤck. So⸗
oleich foll die Erleuchtung heforgt ſeyn! fagte er.
Doch Guido verhinderte ihn am Anzuͤnden der
anßgelbfchren Lichtes mit der Berficherung, daß
es ‚ihnen bloß;auf dad feßte Zimmer anfomme.
Als fie. Hierber. gelangt waren, ‚fragte der
Wiß begierige: Wer iſt diefe Dame? —
Alle die, antwortete der Mann, vor denen
fein Zettel Tiegt,. find bloße Ideale. !
- Die andern; ja! verfegte der Fragende erhigt.
— Bon biefer- Figur aber machen Sie mir dad
nice weiß. Hier iſt ‚Sbarakter und Leben und,
125
Individuelles, was ich in ber Flachheit aller det
fogenannten Ideale dabei vermiffe,
Der Herr find Kenner! fprach ber Befiger.
Doch kann ich nicht dienen mit dem Namen der
Perſon.
Verkaufen Sie welche von Ihren Figuren?
D ja. |
Guido erfundigte ſich nady dem Preife, ber
friedigte, ohne alles Abdingen, fogleich die For⸗
derung und machte nur dad unverzügliche Fort⸗
fhaffen ded Bildes in feine Wohnung: noch auß,
Du fiehft mir mit Deinem Leben für allen
Schaden daran! faate er zu dem. Bedienten, denz
der Transport anvertraut wurde.
Sorgen Sie nicht, antwortete fein Herr, der
weiß damit umzugehen. ' Zugleich fragte er ihn, -
ſichtbar erfreut über den großmüthigen Käufer,
ob er nicht noch etwas. aus der Sammlung fich
außfuchen wolle.
Nein! war die Antwort. Doc bot Guido ein
Goldſtuͤck für die Achte Nachricht von dem Ori⸗
ginal der gekauften. Figur..
Aber ganz unter und, fagte nach einigem
Zögern der Mann, ed ift eine Dame aud Frank⸗
reich.
Und ihr Name? warum ein ſolches Zaudern
damit? fiel Guido mißvergnuͤgt ein.
Weil man in jetzigen, ſchlimmen Zeiten jedes
— —
126
Wort abzumägen hat. Indeſſen — dabei näherte
ſich feine Hand dem Goldſtuͤcke; Guido bemerkte
es, und es fiel hinein — indeß bei Ihnen, meine
Herren, verläßt mich alle Beforgnig. Sie hieß
Marie von Münzerberg.
Die? fragte Guido erbfeicht zurüdtweichend.
Lebt fie erwa nicht mehr ? Der Verkäufer zuckte
die Achſeln. Ohngefaͤhr eine Woche, nachdem
ich mir ihrem Abbilde fertig war, das ihr Bräur
tigam bei mir beftelt hatte, iſt fie, leider! auf
Einmal verſchwunden, und man fagt fich eine
Gefchichte in’6 Ohr, eine Gefchichte, bei der gewiß
jedem ein Schauer anmwandeit, ber die Dame
jemals gefehen hat.
Welche Geſchichte?
Man fagt, fie fei hingerichtet worden: —
Uber, mein Herr, was widerfährt Ihnen? Sollte
fie vielleicht eine Verwandte von Ihnen geweſen
feon?
Mein! ſprach der Erſchuͤtterte ſich Faffend.
Der unfelige Sinn ihres Geweſen hat mid
nur fo ergriffen. Und Schuld wäre es, was
dieſer Engelögeftalt dad Leben raubte ?
Schuld und Unſchuld, wer will dad in jenem
Lande jet unterfcheiden? Die Heimlichkeit
ber Hinrihtung ſpricht für dad Fraͤulein von
Münzerberg. Unfehlbar wäre fie unter dem allge
meinen Mordeifen gefallen. Allein fie-hatte viele
127
Freunde, und fo foll einmal bei Nacht in einem
fhwarz außgefchlagenen Zimmer, von. lauter
ſchwarz gefleideten Männern mit umflorten Ges
fihtern, Gericht über fie gehalten, und fie bann
zu der einen, ein Scharfrichter zu einer andern
Thüre tingelaffen worden feyn, Dian fol jie auf
einen Schemel in der Mitte niedergeſetzt und der
Scharfrichter ihr auf Befehl der ſchwarzen Maͤn⸗
ner, nach einigen Weigerungen, den Kopf abge⸗
ſchlagen haben. —
Das klingt gar maͤhrchenhaft! rief Konſtau⸗
tin aus. Auch erinnere sch mich einmal etwas
Aehnliches, ich glaube vom Scharfrichter zu Lan⸗
dau , gelefen zu haben, den man bei Nacht abger
holt, in einen Wagen zu fleigen. gezwungen und
mit verbundenen Augen fortgefahren, dann Treppe
auf, Treppe nieder, bis in ein Zimmer geführt -
bat, wo es gerade ſo ausſah und zuging, wie
Sie fagten:
- Eben aus eined Scharfridhterd Munde, erwi⸗
derte der Beſitzer des Kabinets, kommt dieſe
Erzaͤhlung des Vorfalls her. BVermuthlich iſt es
die naͤmliche Geſchichte.
Schwerlich! verſetzte Konſtantin. Ich müßte
mich ſehr irren, oder die, von der ich geleſen,
hat ſich ſchon weit früher ereignet —
Auf dem Heimwege ſorach man mehr über
die Geſchichte. Konſtantin zog fie ſchon darum
128
in Zweifel, weil ber heimliche Morb viel ſicherer
ohne alle Umflände, als mit fo laͤcherlichen, gras
vitärifchen Formen vorzunehpnen geweſen fei.
Es ift ein Mährchen, ein bloßed Maͤhrchen,
faate Guido, wieberauflebend, das mit einem
Louisd'or zur Gnüge bezahlt und die Unrahe
nicht werth ift, die ed mir verurfachte,
—
Guido's Freunde zeigten ein großes Befrems
den, ald von ihm, der den ganzen Winter mit
ihnen zugubringen gedacht hatte, am folgenden
Morgen auf einmal Abſchiedskarten einliefen.
Beſonders fiel die Sache Konflantin auf, der
auch ſogleich in feined Freundes Wohnung eilte.
Allein diefer war ſchon mit dem Zrüheflen abge,
reiſet. —
Konſtantin enthielt ſich zwar der Erzählung
vom Kaufe ded Wachsbildes und den Mittheis
Tungen über deffen Original ; doch machte er einft,
als wieder im Kraͤnzchen die Rede auf den Ahwer
fenden und deffen fo plöglich mitten im Zweifel
an allem Unbegreiflichen entſtandene Geiflerfeherei
gerierh, daruͤber folgende Bemerkung : Wie wide
sig oft die gerinaflen Kleinigkeiten werden! An
fich war unfer Beſuch der Wachskzauren etwas
boͤchſt gleichguͤltiges. Und doch bin idyüherzeugt,
daß die dort erlebte Begebenheit in Guido's gans
t
J
129
zem Fünftigem Reben und Wirken anfiingen und
ſich geltend machen wir! —
Einen Monat fpäter kam folgender Brief an
Konſtantine
„Ihnen, mein Freund; haͤtte ich vor allen
eine Erklaͤrung meine plöglichen Verſchwindens
surädlaffen follen. Ich made mit Vorwuͤrfe,
daß es nicht geſchehen iſt. Ach, wie diele, wie
bittere Vorwuͤrfe mache ich mir nicht. überr
haupt !? —
„Sie werden Sich erinnern, wie wir an
jenem Abende audeinander gingen. Sie werden
Sich denken, daß damald zuerft die Stage in mit
entſtehen mußte: Iſt fie aber auch wirklich dir
Maͤhrchen die Geſchichte, womit man mich. ads
fand, und daß meine Bejahüng diefer oft wie⸗
derholten Frage zuweilen wie eine halbe Vernei⸗
hung aasſehen mochte? Das aber werden Sie
nicht denken, daß bir gekaufte Figur bei mir
nicht angelangt war, daß ich, anruhig darüber,
zuruͤckeile, und den Verkaͤufer aus dem Belle
klopfe, daß der mit der Ehrlichkeit feined noch
abmwefenden Bedienten meine Behauptung wider⸗
Segen will, und daß, wie fid) bald darauf findet,
Diefer ehrliche Mann wirklich über alle Berge iſt. —
Zrog meinem unabldffigen und wegen der dadurch
verurfachten Storung manches fremden Schlafeß,
bis zur Unverfhämtheit gehenden Suchens Die
Geſpenſterbuch 6. Theiili. J
—
150
ganze Nacht Hindurch, konnte ich weder von ihm
noh von dem Wachsbilde die geringfle Spur
erlangen. —
net endlich, meinen Sie, ſei die Sache
aus geweſen, ich haͤtte, wie das im Leben zu gehen
pfle gt, einen geringen Verluſt gehabt und ſolchen ver⸗
ſchmerzen muͤſſen und follen. Aber vom Sollen war
überhaupt in mit feine Rede mehr. Es flürmte,
wie nie, in meiner Bruft, und wenn fie Wahn⸗
finn ift, die Ahndung, daß ich dad Original der
Wachsfigur irgendwo antreffen und mir gueignen
müffe, fo fchreibt ein Wahnfinniger dieſen Brief
an Sie Denn es blieb mir Baum Zeit bie
Abſchiedskarten beraudzufuchen, fo drängte mich's
hinaus in eine fremde Welt. Veraͤnderte Umges
bungen thaten mir durchaus Noth! das fühlte
ich, das fühle ich noch jetzt in den verfiändigeren
Momenten. Nur traurig, daß dieſe Stimmung
ſich eben bloß auf Augenblicke beſchraͤnkt und
die ganze übrige Zeit meinem feltfamen Streben
gewidmet iſt! —
„Bas doc ein einziger Abend aus dem Mens
ſchen zu machen vermag! Erflären Sie mir ben
Umftand. Erflären Sie mir die plögliche Entr
ſtehung einer innern Gewalt, die mich hier und
dorthin drängt und treibt, eines mit einem Male
ausgebrochenen Vulkans, der vielleicht nicht eher
»
131
aufhört, Zlammen zu. werfen, ald Bid mein
armed Dafeyn in Afche liegt. —
„Und nun noch eind. Wenn Giemir ur
zieben haben, fo machen Sie auch, daß unfere.
Sreunde ed thun. Julien kbnnen Siealled mit
theifen, was Sie wiffen. Bu feiner Zeit ſollt
Ihr indgefamt wieber von mir hören. Zu feiner
Zeit, fage ich und weiß body nicht, ob bie dar⸗
unter verflandene jemald fommen werde!
‚Die Unordnung biefer Zeilm mag Ihnen
ein ſchwacher Abriß von meinen Zuftande feyn.
Sie fängt bamit an, daß der Ort fehlt, wo ich.
fie ſchreide. Das aber geſchah abfichtlich ; ich
ſcheute mich allzukindiſch Zu erſcheinen. Falſche
Schaam! Nachdem Sie ſo viel von dem Kinde
wiſſen, kommt ein Mehr oder Weniger in keine Be⸗
trachtung. — Der Zweifel, ob das vorhin erwaͤhnte
Mahrchen wirklich Maͤhrchen ſei, hat mich bis hier⸗
her, nach Landau, getrieben. Sie wollten doch
etwas Aehnliches, wie jene Hinrichtung, von dem
hieſigen Scharfrichter geleſen haben; nur ſcheine
die Geſchichte aus früherer Zeit herzutuüͤhren. Die⸗
fer Beiſatz hielt mich indeſſen nidyt zuruͤck, hier»
her zu reifen und-ben Scharfrichter zu befragen.
Der Mann wußte fein Wort. Ich war nur’
froh, daß er auch nicht wußte; wie weit ich:
gereifet din, um mir dieſe Auskunft von ihm
zu erholen.
32
152
„Hier muß gefchloffen werden. Der Poflillon,
der fchon beim Anfange dieſes Briefed mir Klats
ſchen und Blaſen mein Einfleigen zu befchleunis
gen fuchte ,. hat bereits die ganze Nachbarſchaft
an bie Fenſler geblafen und geklatſcht. Herzli⸗
ves Lebewohl! —
.Julie erſtaunte, als Konſtantin diefe Nach⸗
richten uͤberbrachte. Wer haͤtte das von dieſem
Guido ſich verſehen! rief ſie aus. Ein ſo ploͤtz⸗
licher. Uebergang in eine ganz andere Natur hat
doch in Wahrheit viel Unnatuͤrliches! —
Wie man’d nimmt, erwiderte Konflantin.
Guido beſaß immer mehr Tiefe, als die Bil⸗
dung, die man ihm aufgedrungen, geſtattete.
Sein melancholifched Weſen zeugte fietd von
innerm Unfrieden. Unglüdliche Ereigniffe kannte
er nitht an ſich, daher ruͤhrte diefer Unfriede
gewiß von .den engen Anfichten der Welt und
der. ihm vorgefpiegelten Leere der Denfchennatur
ber , die feine Lehrer ihm beigebracht hatten.
Unter dieſen Umſtaͤnden iſt eine plößliheSmpörung
. feiner innern Kraft, ſelbſt bei einem ganz gerin
gen Anſtoße von nußen, leicht. denkbar. Die
Folgen ded Paropismus find freilich noch nicht
voraustzuſehen. Doch wollen wir.boffen, daß er
ihn zum Geile, nicht zum Untengange führen
werde.
-
135
Den ganzen Winter fehnten ſich Konſtantin
und deffen vertrautere Freunde ‚vergebens nach
Briefen von Guido. Außer Julien war jeboch
niemand etwas von den nähern Umfländen und.
dem letzten Schreiben mitgetheilt worden. Hilarie,
Die inzwifchen Ludwig geheirathet hatte, fagte
unter andern einft in der Gefellfchaft bei Julien:
Sollte id) nur ein einziges Mal dem hagern,
melandiolifhen Manne den Leviten Iefen fünnen
über fein dummes Verſchwinden! Für fo eine
hochaufgeklaͤrte Perſon ſchickte fich fchon die Bes
hauptung von dem Lebendigwerden der Wachs⸗
figur nicht, geſchweige gar dad Berfhwinden.
St! fiel Ronftantin ein, wiffen Sie wohl,
daß man von Dingen, vor denen man ſich fuͤrch⸗
tet, ſtill ſeyn muß, wenn die Furcht einem nicht.
zu Kopfe wachen ſoll? — —
Mitten unter dem Scherzen über biefen Gegen»
ſtand Iangte ein Brief an Julien an, der große
Aufmerkſamkeit auf fih 3095 ein Brief von
Guido. — Er lebte feit einem Monate mit ber
Stau, die er ingwifchen genommen hatte, auf
feinen kaum zwei Meilen entfernten Gute, und
Ind die ganze Sefelfchaft -für einen ber naͤchſten
Zage dahin.
Alſo geheirathet ? rief Ronflantin erfreut dar⸗
über, und -sä-Tonnte, micht: fehlen, Daß wegen
454
Guido's Talentd zur Häublichleit mandherlei
Urtheile zum Borfcheine kamen.
Din Einladung war übrigendum fo willfoms
mener , da der Brief, ohngeachtet feiner Kürze,
von einer wahrhaft freubetrunfenen Seele zeugte.
Hilarie betrachtete die Schriftzüge lange, ehe
fie verwundert außrief: Wahrhaftig, dad hat der
hagere Melancholiſche geſchrieben. Ich Tenne
ſeine Lettern aus meines Mannes Stammbuche.
Dem hat doch wohl die Ehe den Kopf zurecht
geſetzt! —
Guidos Wunſche gemäß machte man ſich ſehr
fruͤh auf den Weg. Die Gegend um ſein Gut
uͤberraſchte außerordentlich. Bei einem Waͤldchen
voll ſchlagender Nachtigallen rief Hilarie aus:
Und hier, wo fogar ich mich zur Wehmuth herab⸗
laſſen koͤnnte, hier ift der tieffinnige Menfch Ius
flig geworden! —
Am Haufe waren mandherlei Unflalten für
den Abend zu bemerken: Vorrichtungen zur Ers
leuchtung auf der einen und zum Feuerwerk auf
der andern Seite, —
Buidp’n felbft erfannte man nicht mehr, afd
er die Gäfte empfing, fo rund und behaglich
waren Jet feine Züge.
Er entſchuldigte bie Abweſenheit ber Gattin,
die erſt gegen Mittag eintteffen wuͤrde, gu beren
"155
Heutigem Geburtötäge dad Feſt heimlich von har
zubereitet war. —
Das Beſte, lieber, Guido, fo fing Julie an,
als während bed Fruͤhſtuͤckks im Garten die Erkun⸗
digungen ofimald einander gejagt und ſich das
Geld fireitig gemacht hatten, ohne im Ganzen
zu einem Maren Refultate zu führen, das Beſte
wird feyn,; Sie theilen und Selbftandauf Ei n⸗
mal fo viel von Ihrem Schidfale mit, ald wir
Davon wiffen follen. Ohne dad merben wir bei⸗
Derfeitd den ganzen Tag nicht fertig mit Fragen
und Antworten, und der Erfolg unferer Bemuͤ⸗
Hungen ift am Ende doch nur hoͤchſt unvolſſtan⸗
dig und füdenhaft, —
Guido zeigte ſich ſogleich Bereit, ihren von
den Uebrigen lebhaft unterſtuͤtzten Wunſch zu erfuͤl⸗
fen. Nachdem er alle die ‚in dem Briefe an
Konſtantin berührten Umflände in der Kürze mite
getbeilt Hatte, fuhr er alfo fort;
Rad werben Sie fagen, meine Freunde, von
dem VBorgefühle, von ber Thorheit, wie man
den Ungeſtuͤm, der mich durch ganz Deutfchland
und einen Theil von Frankreich trieb, nennen
könnte, wenn Sie den Erfolg damit zuſammen
halten ? Ein Bierteliehr war ıch überall.meinem
Zwecke nachgegangen und dad bewußte Mährchen
von ber Hinrichtäng irrte mich gar nicht mehr
in der durch Träume und ſinnvolles Wachen oft
136
befeſtigten Veberzeugung, daß ich das Wachsbild
ohnfehlbar im Leben wieder finden würde, ja
möäfte —
Bor drei Monaten komme ich endlich Bier
auf meinem Gute an, um mic, von deflen Zus
ſtande zu überzeugen. Es war bie hödifke Zeit,
die Untreue meined Berwalterd Tennen zu fernen
und ihn auf der Stelle. zu entlaffen. Die Unord⸗
nung, in ber ich alles fand, noͤthigte mich zum
Bleiben, und. die Arbkis dabei that mir wohl,
jedoch ohne den Hauptgedanken zu unterdrüden
oder auch nur zu fibren. —
. Der Brühfing war im Anguge In der
ganzen Natur regte ſich bad neue Leben und ein
erfreulicher, grüner Schimmer Iag Aber dad troſt⸗
fofe Grau ber fo lange erflarıs gewefenen Erde
ausgebreitet. Ringsum quollen die Saaten üppig
hervor. Wie ein frobed Kind wandelte ich
eined Nachmittags umher, und gedachte unter
manchen hier im SKreife geliebter Verſtorbener
genoffenen Sreude der koͤſtlichen Kraft und Züge
der erften jahre bed Lebend. Bewußtlod war
ich gar weit vom Haufe weggefommen. (ie
Heined Guͤtchen in ber Nachbarfchaft, dab ein.
Birfenwald von der übrigen Gegend abfonberte,
befand fich im der Nähe, Mannichfadıe, ſchoͤne
Erinnerungen knuͤpften mein Herz an diefed Guͤt⸗
chen. Ich gedachte meines Zrübfinns, als der
137
Water daffelbe darum veraͤußerte, weif ich im
daſigen Gartenteiche einmal ‚beinahe ertrunfen
wäre; ein Umftand, der mir grade, im Gedanken
an bie dabei audgeflandene Angſt, recht behaglich
Fam, und bad Gefühl des geretteten Lebens an
diefem Orte am füßeften und lebendigfien madıte:
Es lag. mir daran, ben Garten wiederzus
ſehen, deffen Auffeher fonft immer auf das früs
heſte Blumenvolk viel gehalten hatte, und ich
durchmanderte das fchönduftende Birkendidicht.
Wie oͤffnete ſich mein Herz fo weitim Ange⸗
ſichte ded Gartens, der noch ganz bie alte Phys
fiognomie hatte und dazu von einer fehr forgs
fältigen Abwartung zeugte! — Aber die Blumen
(liefen doch noch. Selbſt der neugierige Krokus
Hatte feine heitern, lebensluſtigen Augen noch
nicht aufgethan. — Alles dieß ſah ich durch die
Lattenthuͤre; ba ich aber dieſe unverſchloſſen fand,
fo fonnte ich mich nicht enthalten, de& Gartens
geliebten Boden ſelbſt zu betreten.
Mein Auge ruht eine Zeitlang ſinnend anf
tem fpiegelglatten Teiche. Der Kahn, and dem
ich einft fiel, ſteht noch befefligt am jenfeitigen
Ufer. Eine tiefe Schmermuth bemeifters ſich mei⸗
a5 Weſens. Wie manches, denke ich, wäre Dir
erfpart worden, wenn Du damals den Schlaf
in diefem Waſſer gefunden hättefi! Da flaune,
da erſchrecke ich ; denn die Umriffe jener Wachs⸗
Te u
BEER —_
158
‚figur , Feine andern, ſchwimmen vor mir auf der
leuchtenden Flaͤche. Und gewaltig, wieeine Furie,
überfällt mich die Frage vom Hineinftürgen in
die Arme der Wellengeftalt, und die Furie hätte
vieleicht ihren Willen durchgefegt, wäre mein
Bli nicht, gleichſam mechaniſch, zur Geite nach
der Urfache ded Scheined gegangen, wo ih —
wer hätte es denfen follen? — dab ſebendige
Urbild gavahr werde '
Gerroffen bis in's tieffte Leben fehle mir
Sprache und Benehmen. Da grüßt mich der
Engel freundlich und fagt mir, daß mein aufs
merkſames Beobachten des Teiches feine Wilder
gierde nach dem Gegenflande auch erregt habe,
Der Grgenfland find zum Theil auch Gie,
hauptfächlich Sie geweſen! ftammelte ich unges
ſchickt genug. Aber, wer an meiner Stelle hätte
nach foldy einer Revolution im Innern fogleicy
die paffende Antwort finden mögen? Ich fühlte
den Fehler ſobald er heraus war, und bat, daß
fe mir den Aufſchluß, den fie verlangte, für ein
ander Mal zu fparen erlauben möchte. Denn
daß — fo fuhr ich fort — daß ich mit Ihnen
heute zum erften uud auch zum legten Mate follte
geſprochen haben, das werden Sie mir wohl nicht
zumuthen ‚wollen ? — Unfehlbar habe ich die Ehre
die Beſitzerin dieſes Grundflüde in Ihnen zu
ſehen ?
459
Sle bejahte,
Dann find mir Nachbarn und müffen noch»
wendig gute Nachbarfchaft Halten,
Ich hatte viel Mühe meine Wärme und mein
Yuge zu mäßigen, dad auf ſo langes, aͤngſtliches
Suchen feinem Durfle nach dieſer Geſtalt und
dem milden, herrlichen Geiſte darin nicht ſelbſt
43 gebieten verſtand.
Ich erzählte von meiner Vorliebe für dieſes
Grundſtuͤck und diefen Teich. Der Zufag lent⸗
ſchluͤpfte mir, daß der letztere durch ihr Tebendige&
Bild einen Abglanz des Paradiefed für mich erhals
sen babe, Mit einem Worte, in ber balben
Stunde, welche dieſes Geſpraͤch dauerte , blitzte
die Blut meined Herzens mehrere Dial fo aufs
fallend hervor, daß ich ſelbſt rathſam fand, mich
zu entfernen, weil ich nur allgu wohl fühlte, für
die erſte Zufammfunft ſei zu viel gefchehen.
Als ich ging, wußte ich, daß fie Marie von
Malthau hie und In einigen Tagen ihre Mutter
erwarte, für melche fie dieſe kleine Beſitzung erſt
ohngefaͤhr vor zwei Monaten erkauft habe, und
daß ich, wad mir das liebſte war, am folgenden
Morgen wiederkommen durfte.
Unterweges ſowohl als nachher uͤberlegte ich
oft, warum ich nur angeſtanden, ihr uͤber meine
Freude beim Erblicken ihres Bildes und ihrer
ſelbſt etwas Näheres mitzutheiler; warum ich fie
.,
480
nicht gefragt , ob fie zu jener Wachsſigur wohl
dad Driginal gewefen feyn möge. Die Aehnlich⸗
feit zwifchen ihr und der Figur ging wirklich bis
an bad Hleinfte Detail. " Allein die Erzaͤhlung von
der Hinrichtung bed Urbildes jener Wachsſigur, ſo
wenig. ich auch an diefe Erzählung glaubte, hielt
mich doch auch in ber Folgeimmer ab, ihr davon
zu fagen, fo daß ich die erfte, ungeſchickte Aurede,
uͤber die ich Fünftig Auskunft werfprochen, als fie
diteſe verlangte, mit meiner damaligen Beſtuͤrzung
fo viel möglich zu entfchuldigen ſuchte.
Je dfter ıch fie befuchse,, defto einiger fühlten
fich mein Geift und mein. Herz mit den ihrigen,
und der Bund für dad Leben warb gefehloffen.
Nur ihre Mutter fehlte noch, auf welche
Marie fehnlicdy wartete. Statt ihrer war jedoch,
mie fie mir eined Tages fehr traurig erzählte, ein
Brief angelangt, der Mariend Hoffnung darauf
vollig vernichtete. Nun hielt ich ſchriftlich bei
der Abweſenden um die Einwilligung an, nad
deren Ankunft nichts die Derrliche vor meinem
Drange fehügen konnte, die Gemeinſchaft unferer
Zukunft durch Priefterfegen beftätigt zu wiffen. —
Wer Marien nie ſah, nie hörte, der wird,
der muß mich hoͤchſt unvorfichtig ſchelten, daß ich,
ald wir ſchon vom Altare zuruͤckkehrten, noch Feine
Silbe von dem eigentlichen Herkommen meiner
aunmehrigen Gattin wußte. Denn meder Ges
1
— —— — ———
129
Zem Fünftigem Leben und Wirken anflingen un
ſich geltend machen wird! —
Einen Monat ſpaͤter kam folgender Brief au
Konftantin
„Ihnen, mein Freund, haͤtte ich vor allen -
eine Erflärung meines pidglichen Verſchwindens
zuruͤcklaſſen ſollen. Ich mache mit Vorwuͤrfe,
daß es nicht geſchehen iſt. Ach, wie viele, wie
bittere Vorwürfe made ich mir nicht übers
haupt !? —
„Sie werben Sich 'erinnern, wie wir an
jenem Ubende auseinander gingen. Sie werden
Sich denken, daß damals zuerft die Stage in mit
entfichen müßte: Iſt fie aber auch wirklich ein
Maͤhrchen die Geſchichte, womit Man mich, ab»
fand, aud daß meine Bejahüng bdiefer oft wies
derholten Frage zuweilen wie eine halbe Vernei⸗
hang ansfehen mochte ? Das aber werden Sie
nicht denken, daß bie gekaufte Figur bei mir.
nicht angelangt war, daß ich, anruhig daruͤber,
zuruͤckeile, und den Verkaͤufer aus dem Bette
klopfe, daß der mit der Ehrlichkeit ſeines noch
abmefenden Bedienten meine Behauptung wider,
legen will, und daß, wie ſich bald darauf findet,
diefer ehrliche Mann wirklich über alle Berge iſt. —
Trotz meinem unablaffigen und wegen der dadurch
verurfachten Störung manches fremden Schlafed,
bis zur Unverfhämtheit gehenden Suchens bie
Gefpenfterbuch 6. Theii. 3
136
‘ Befefligten Ueberzeugung, daß ich das Wachebilb
obnfehlbar im Leben wieder finden würde, ja
müßte — ’
Bor drei Monaten komme ich endlich Bier
auf meinem Gute an, um mic) von deſſen Zus
fignde zu uͤberzeugen. Es war bie höchfle Zeir,
die Untreue meines Berwalterd Tennen zu fernen
und ihn auf der Stelle zu entlaffen. Die Unord⸗
nung, in ber ich alles fand, nötbigte mich zum
Bleiben, und die Arbkis dabei that mir wohk
jedoch ohne den Hauptgedanken zu unterbrüden
oder auch nur zu fibren. —
„Der Krühling war im Anzuge. In der
ganzen Natur regte ſich dad neue Leben und ein
erfreulicher, grüner Schimmer lag über das troſt⸗
fofe Grau ber fo lange erflarrı gewelenen Erde
ausgebreitet. Ringsum quollen die Saaten üppig
hervor. Wie ein frobed Kind wandelte ich
eined Nachmittags umher, und gedachte unter
manchen bier im Kreiſe geliebter Verſtorbener
genoflenen Freude der koͤſtlichen Kraft und Füße
der erften Jahre bed Lebens. Bewußtlod war
ich gar weit vom Haufe weggefommen. Cie
kleines Guͤtchen in ber Nachbarfchaft, daB ein
Birkenwald von ber übrigen Gegend abfonberte,
befand fich in der Nähe. Mannichfache, ſchoͤne
Erinnerungen knuͤpften mein Herz an diefed Guͤt⸗
den. Ich gedachte meines Truͤbſinns, als der
137
Water daſſelbe darum veräußerte, weif ich im
Dafigen Gartenteiche einmal ‚beinahe ertrunfen
wäre; ein Umſtand, der mir grade, im Gebanfen
an die dabei außgeflandene Angſt, recht behaglich
kam, und dad Gefühl des gereiteten Lebens an
diefem Orte am füßeften und Iebendigfien madıte:
Es lag mir daran, den Garten wiederzus
ſehen, deſſen Auffeher fonft immer auf das früs
heſte Blumenvolk viel gehalten hatte, und ich
durchwanderte dad fchönduftende Birkendidicht.
Wie öffnete fi) mein Herz fo weit im Ange⸗
fihte des Gartens, der noch ganz die alte Phys
fiognomie hatte und dazu von einer fehr ſorg⸗
fältigen Abwartung zeugte! — Über die Blumen
fohliefen doch noch. Selbſt der neugierige Krokus
hatte feine heitern, Iebenslufligen Augen noch
nicht aufgethan. — Alles dieß fah ich durch die
Lattenthuͤre; da ich aber diefe unverfchloffen fand,
fo konnte ich mich nicht enthalten, ded Garten
geliebten Boden felbft zu Betreten.
Mein Auge ruht eine Zeitlang finnend anf
Lern fpiegelglatten Teiche, Der Kahn, aud dem
ich einft fiel, ſteht noch befeftigt am jenfeitigen
Ufer. Eine tiefe Schwermuth bemeiftert fich mei⸗
a5 Weſens. Wie manches, denke ich, wäre Dir
erfpart worden, wenn Du damald den Schlaf
in dieſem Waſſer gefunden haͤtteſt! Da flaune,
da erſchrecke ich ; denn die Umriffe jener Wachs⸗
138
‚figur , feine andern, ſchwimmen vor mir auf der
leuchtenden Fläche. Und gewaltig, wie eine Furie,
überfällt mich die Frage vom Hineinftürzen in
die Arne der Wellengeftalt, und die Furie hätte
vießeicht ihren Willen durchgefegt, wäre mein
Blick nicht, gleichſam mechanifch, zur Geite nach
der Urfache des Scheined gegangen, wo ich —
wer hätte es benfen follen? — dab febendige
Urbild gewahr werde.
Getroffen bis in's tiefſte Leben fehlt mir
Sprache und Benehmen. Da gruͤßt mich der
Engel freundlich und ſagt mir, daß mein auf⸗
merkſames Beobachten bed Teiches feine Wißbe⸗
gierde nach dem Gegenflande auch erregt habe,
Der Gegenftand find yum Theil auch Sie,
hauptfächlich Sie gewefen ! flammelte ich unges
ſchickt genug. Aber, wer an meiner Stelle hätte
nad) ſolch einer Revolution im Innern ſogleich
die paffende Antwort finden mögen? Ich fühlte
ben Fehler fobald er Heraus war, und bat, daß
fe mir den Aufſchluß, den fie verlangte, für ein
ander Mal zu fparen erlauben möchte Denn
dag — fo fuhr ich fort — daß ich mit Ihnen
heute zum erflen uud auch zum letzten Male follte
geſprochen haben, das werden Sie mir wohl nicht
zumuthen ‚wollen ? — Unfehlbar habe ich die Ehre
die Vefigerin dieſes Grundſtuͤckes in Ihnen zu
feben ?
159
Sie bejahte.
Dann find wir Nachbarn und muͤſſen noth⸗
wendig gute Nachbarſchaft Halten,
Ich hatte viel Mühe meine Wärme und mein
Auge zu mäßigen, dad auf ſo langes, angſtliches
Suchen ſeinem Durſte nach dieſer Geſtalt und
Sem milden, herrlichen Geifle darin nicht ſelbſt
gu gebieten verſtand.
Ich erzählte von meinen Vorliebe für biefe&
Grundftüd und biefen Zei, Der Zuſatz fents
ſchluͤpfte mir, daß der letztere durch ihr lebendiges
Bild einen Abglanz des Paradieſes für mich erbale
sen babe, Mit einem Worte, in ber halben
Stunde, weldye dieſes Geſpraͤch dauerte, blifte
die Blut meined Herzens mehrere Mal fo aufs
fallend hervor, daß ich felbft rathſam fand, mich
zu entfernen, weil ich nur allzu wohl fühlte, für
die erfte Zufammfunft fe zu viel gefcheben.
Als ich ging, wußte ich, daß fie Marie von
Malthau hieß und In einigen Tagen ihre Mutter
erwarte, für melche fie dieſe Eleine Beſitzung erſt
ohngefähr vor zwei Monaten erfauft habe, und
daß ich, was mir das Tiehfle war, amfolgenden
Morgen wieberfommen, durfte,
Unterweges ſowohl als nachher überfegte ich
oft, warum ich nur angeflanden, ihr über meine
Freude beim Erbfiden ihres Bildes und ihrer
ſelbſt etwas Näheres mitzutheiler ; warum ich fie
Y
140
’
nicht gefragt, ob fie gu jener Wadhöfigur wohl
dad Driginal gerwefen feyn möge. Die Aehnlich⸗
feit zwifchen ihr und der Figur ging wirklich bis
in dad Heinfle Detail. * Allein die Erzaͤhlung von
der Hinrichtung des Urbildes jener. Wachsſigur, fo
wenig ich auch ap diefe Erzählung glaubte, hielt
mich doch auch ip der Zolgeimmer ab, ihr davon
zu fagen, fo daß ich die erſte, ungeſchickte Anrede,
über die ich Tünftig Auskunft verfprocdhen, als fie
biefe verlangte, mit meiner damaligen Beflärzung
fo viel möglich zu entfchuldigen ſuchte.
Je öfter ich fie beſuchte, deſto einigerfühlten
ſich mein Geift und mein Herz mit den ibrigen,
und der Bund für dad Leben ward gefehloffen.
Nur ihre Mutter fehlte noch, anf welche
Marie fehnlidy wartete. Statt ihrer war jedoch,
wie fie mir eines Tages fehr traurig erzählte, ein
Brief angelangt, der Mariens Hoffnung darauf
vollig vernichtet. Run hielt ich ſchriftlich bei
der Abweſenden um die Einwilligung an, nach
deren Ankunft nichts die Derrliche vor meinem
Drange ſchuͤtzen konnte, die Gemeinfchaft unferer
Zukunft durch Prieflerfegen beftätigt zu willen. —
- Wer Marien nie ſah, nie hörte, ber wird,
der muß mich hoͤchſt unvorfichtig fihelten, daß ich,
ald wir ſchon vom Altare zuruͤckkehrten, noch Feine
Silbe von dem eigentlichen Herlommen meiner
aunmebrigen Gattin wußte. Denn weder Ges
1
1°
vurtsdrt, noch Land, noch ſonſtige Verbältniffe
hatte fie_ mir entdeckt. Geufzend war ich bei mei
nen Fragen danach immer auf eine beffere Zeit
verwiefen worden ; ja ich fannte nicht einmal den,
ſich er nidgt unwichtigen, Umſtand, ber ihre Muts
ter umb fie getrennt, und letztere hoͤchſt wahrſchein⸗
lich fehr weit entfernt von ihrer. Geburtögegend in.
meine Mähe getrieben hatte. "Uber der Einklang ⸗
ihred ganzen Weſens, der‘ auch bis in's kleinſte
und unbedeutendite geht, Disfe — Sabbathöftille
möchte ich fagen — bie bei einem, wie es ſcheint,
ihr uffpränglid angehörenden, welancholifchen
Sinne, die Weiblichkeit, in dem ihr fo eigenen
Mondesglanze anf dad reinfte und füßefte aus⸗
fpricht , erheben fie in meinen .Yugen über jeden
Berdacht fd weit, daß ich fogar für alleihrefrür
beren Dandlungen mich freiwillis zum vuͤtgen
ſtellen wuͤrde. —
Der Enthuſiasmu, mit dem Guido in bie
ſem Tone fortfuhr, war nicht gemacht, eine Eins
wendung 'und noch viel weniger. eine Widerlegung
zu erlauben, obſchon das Verſtummen der Geſell⸗
(haft von keiner abfolten Billigung feiner Aus
ſichten und feined Verfahrens zu geugen fehien.
Er möchte bad ſelbſt fühlen, und ba er zu
mehrerer Beglaubigung, feiged uneingeſchraͤnkten
kLobes, nichtd weiter vorzubringen wußte, umd
Mariens . Ankunft von dem Guͤtchen, wo fie.
——— — |
*
- 142
Geſchaͤfte Hatte, feiner Rechnung na, erſt im
einer Stunde erfolgen fonnte, fo geigteer wenige
ftend ein Miniaturbild von Ihr, welches er auf
ſeiner Bruſt trug.
Wirklich aͤußerte dieſes eine dedentende Wir⸗
kung auf die mehreſten Gaͤſte, ſowohl wegen
der ganz auffallenden Aehnlichkeit mit jener Wachs⸗
figur, als auch wegen bed herrlichen Anges, weß⸗
halb das Bild der Figur weit vorzuziehen war.
Ja, es kam mit dem Bilde eine gewiſſe Beruhi⸗
gung über Guido's Zukunft in die Geſellſchaft, fo
daß auch Julie, dad Porträt noch in der Hand,
mit vielem Feuer alfo anfing
Warum aber, mein Freund, haben Sie dies
ſey Engel ihren- Bekannten ber fo nahen Stadt,
einen ganzen Monat vorenthalten ? Das Leben
ift 3a fo kurz, Daß man dergleichen: Befanntfchaft
nie früh genug machen kann!
Da haben Sie wohl recht ſprach Buido, ihr
dankbar die Dand druͤckend. Auch wäre ich gewiß
viel eher mitmeiner Einladung gefommen, went
nicht durch meine lange Abweſenheit vom Gute
alles hier in einem foldyen Zuflande gelegen hätte
daß ed großer Vorbereitungen bedurfte,um Freunde
bier fehen Zu koͤnnen. Und was eine Reife nach
ver Stadt betrifft, fo iſt meine Grau hierzu
ſchlechterdings nicht zu überreden. Alle Städte
überhaupt ind ihr. fo zuwider, daß ich es Ihnen
\
— —— ng
| 143
nicht befchreiben Fann. Auch meidet fie fremde
Menſchen außerorbentlih. Bon Shnen allen
babe ich ihr jeboch fo viel gefagt, daß Sie ſchon
als ihre Bekannte anzufehen find, und ich ihr
obnfehlbar große Freude mache, wenn ich fie heute
mit Ihrer Anmefenheit überrafche. Denn noch
weiß fie Fein Wort von der GBefelffchaft, die fie
finden wird. Auf dem benachbarten Guͤtchen ift
fie ſchon feit geftern mit einigen dkonomiſchen Bers
richtungen befchäftigt, und fo Fonnte ich mich mit
den Vorbereitungen zu dem heutigen Tage ohne
alle Störung und Entdedung abgeben. Bielleicht
gelingt ed mir, fie allmählig von dem duͤſtern
Kreife abzulenken, dem fie fich dermalen noch nur
allgufehr zuneigt. So batfie eine befondere Vor⸗
liebe für die Gräber und Tieß neulich bei einer
ſchoͤnen Mondnacht nicht her nach, bis ich fie
zum hiefigen Gotteßader begleitete. Hier warf
fie ſich fogleich mit dem Geſicht auf das erite
Brab nieder, und ald endlich meine Bitten fie
bavon trennten, da rannen Ströme von Thraͤnen
über ihr Geſicht. Ich fragte, warum der Hügel
fie fo befonders erſchuͤttert babe ? |
Nicht erfchüttert, mein Herz! war ihre Ant⸗
wort ; beruhigt vielmehr! Mit diefen Thränen. ift
mir gar viele Angft von ber Seele weggefloffen.
Auch war ed nicht grade dieſer Hügel, der mir fü
wohl that, *8* die Geſtalt eines Grabes
144
überhaupt. — Hiervon Fünftig, vieleicht naͤch⸗
ſtens! fo fügte fie, zu Befeitigung der Frage hin⸗
zu, welche meine Blicke nicht verheelen fonnten. —
Hilarie ſchien am wenigfien von diefen Mits
theilungen bed Neuverheiratbeten ‚erbaut. Daher
fagte fie, ald jegt ein Billet an ihn abgegeben
wurde, Julien feife in’6 Ohr: Ich wollte doch,
daß wir die neue Bekanntſchaft fchon gemacht
und den ganzen Tag überflanden hätten! Das
find meine Perfonen gar nicht, bie fich ihre Bea
tuhigung von Kirchhoͤfen herholen. Am wenige
ſten aber gefallen fie mir dann, wenn fie eine
fo erſtaunliche Aehnlichkeit mit Werfiorbenen,
oder wohl gar Hingerichteten befigen.
Julie hörte Faum, was fie fagte. Ihre
und aller Uehrigen Aufmerkſamkeit richtete fich auf
den plotzlich todtenfahl und regungslos geworde⸗
nen Hauswirth und dad Villet, welches feiner
Hand entfallen war. Er fchien felbft vom Stuple
herunterfinten zu wollen, fo daß Konftantin,
fein Nachbar, plöglich zugriff und nach der Ur⸗
ſache des ſo raͤthſelhaften Ereigniffes fragte
Sprachlos deutete Guido auf dad Bidet am
Boden, mit dem Winfe, daß man es aufheben
und Iefen Tonne. Es enthielt Folgendes ix
frangöfifcher Sprache:
„Lebe wohl, mein Theurer, mein Gelichter!
Die Umftände drängen mid von Dir! Kein
145
Forſchen aber nach meinem Aufenthaltel Darum
beſchwoͤre ich Dich, bei unferer Eiche, bei mei⸗
ner feften Hoffnung, einfl wieder Zu fommen. — '
Bon ihr alfo? rief Konflantin, der den
Zettel gelefen hatte, welcher nun auß einer Hand
in die andere ging. Guido bejahte. An Troſt⸗
gründe war, wie jedem einleuchtete, bei einem
ſolchen Ereigniffe und einer Liebe zu der Entwis
dhenen, wie die feinige, nicht gu denken. Gein
biftenartiged Stummſeyn theilte ſich den Uebri⸗
gen mit. Ueber Zifbe, wo alles Effen um
gerolffermaßen das Leben felbft, nur Schein war,
gab er daß erfte, bedeutende Wort wieder ‚op
ſich. Es eftand in der Srllärung, doß er
ihrem Berlangen gemäß, und noch im vblligen
Zutrauen auf fie, fich. gewiß alles Forfchens
nach ihr forgfältig enthalten werbe. —
Sein Zuftand fehien der Einſamkeit gu bedouͤr⸗
fen. Mehr aus diefem Grunde als des herr⸗
(henden, Mißbahagens halber; machte man fich
bei Zeiten auf den Ruͤckweg, bei welchem ‚bie
Unterhaltung in allen vier Wagen aus Hypothe⸗
fen, gm Erklaͤrung des fo ganz ſeltſamen Bose
falle befand, die aber, bei näheres Beleuchtung,
ſaͤnmtlich nicht fehr balıbar m warn. . 1
euheihie %.)
Befvenkerbud 6. Theil, .. 8
- D PT“ 24
156
Ein Paar’ Tage drauf fland Julie des Mors
gend mit ihrem Bruder am Fenſter, als ein
Neifewagen zum benachbarten Thore hereinroffte.
Iſt dad nicht Buido’d Equipage? fragte
fi. u °
Allerdings. Und wie flarf aufgepackt. Wil
dr vielleicht gar wieder in der Stadt: bleiben ?—
Sp war es auch wirklich, Noch Feine Halbe
Stunde fpäter fland er vor ihnen, dieſes ſelbſt
zu erflären, Cr war, man fah und hörte daß,
in ſeinem Innern zerſtoͤrt und vernichtet.
Noch immier ohne Nachricht? fragte Julie
mitleidsvoll, afö er die laͤngſte Weile mit allen
Zeichen bed bitterſten Lebenduͤberdruſſes ſtumm
da geſeſſen hatte.
Nachrichten, o ja, bie habe ich, antwortete
er mit Heftigkeit, Nachrichten, die mir dad
Herz zu Stein und Eis madjen.
Mein: Sort, ef Konftantin aus, böfe |
Nachrichten von der Entwichenen find: ed, was
Sie fo in Verzweiflung fegt ?
Böfe, erwiederte er lachend, böfe nicht eben,
nber auch warlich feine guien, Ueberhaupt fleht
«6 ſehr bedenklich mit dem Unterſchlede der
Wortes boͤſe undigut, wenn ed Adgeſchiedenen
verſtattet iſt, aus ihren Graͤbern hervorzugehen,
und der Liebe heilige Geſtalt mit einer ſolchen
Virtuoſitaͤt nachzuahmen; fie nachzuahmen, um
%
147
allem Glauben an fie und an Bott ſelbt in's
Laͤcherliche zu ziehen!
Sie ſtaunen mid an. Hören Sie und
Ihr Staunen wird fi in Entfegen verwans
dein. — Geftern Nachmittag — 1% war ein
Tag an’ Glanze jenem gleich, wo ich Mariens
Bekanntſchaft machte, ein Umſtand, der (dom -
allein den demuͤthigendſten, beilloſeſten Spott
mit meinen damaligen , fo, tiefen und ‚heiligen,
Gefühlen treibt ! — geſtern alſo, wie ich ohn⸗
gefaͤhr in derſelben Laune noch war, in der Sit
mich neulich verließen, wird mir ein Herr. Delas
foffe angefagt.. Meine Unentfchfoffenheit, ob ich
ihn anriehmen folle, oder nicht, ward durch des
Mannes Ungeduld ſelbſt befeitiget ; ‚er trat be
ein. Eine lange, blaſſe Geftalt in Fhwarger,
Kleidung, uͤbrigens bei noch ziemlich “uhgen
Jahren, und von dar Natur‘ nicht agüngig
behandelt.
Mein Herr, ſo fing e, auf den —*
blickend, mit Zoͤgern, in franzoͤſiſcher Sprache
an; der Bediente entfernte ſich hierauf und der
Fremde fuhr fehr bewegt und feierlich ei forte
Sie haben vor Kurzem geheirathet ? Se}
Die Zrage beunrubigte mich, er. ——
und ſprach: Um allen Mißverſtaͤndniſſen mb
Verwechſelungen vorzubeugen, ſagen Sr mir, .
2
v
1 J
ee FE u? — —
—
if dieß dad Geſicht dir Dame, mit welder
Sie getraut worden find ?
Erfchroden fühfte id) ſogleich nach meinem
Medaillon auf ber Brufl. Denn daß, welches er
mir barbot, war das naͤmliche, ſo wie das Bilb
feibt in, Stelung und allem mit dem. meinigen
übireinftimmte. Ein und derfelbe Maler mußte
beide Poͤriraͤts gemalt haben; es ſchien mir ſogar,
ale ob dad meinige, das ich jetzt ebenfalls her⸗
vorzog und neben bas andere hielt, ur bie
Köbie von dem feinigen fei.
a viiahie ſeine Frage und er fragte ferner =
Katın ich Ihre Frau Gemahlin nicht fprechen 2
Gein Ton dabei war fo leife und bebend, dag
ich auf ger ‚aue Verhaͤltniſſe zwiſchen ihm und
ihr sat, die ſich ch duich meine Verbindung mit
ide 9 gelört fühlten.
* —8 konnie fur antworten, daß fie feit eini⸗
ı gen "Lagen abmwefend fei.
Meine Reife nach Deutfchland, fuhr er fort,
Bat’ Soden Zweck fie aufzuſuͤchen, fo ttoſtlos
and Yeinigend auch das Zufammentreffen n mit ihr
hit werden moͤchte. in vor Kurzem aus biefen
Gegenden nach Rranfrlid) züruͤckgekehrter Sreund
benachrichtigte midy, daß ſich die Dante Bier ande
Bauft Habe. — Ich vile hierher ‚' überzeuge mid
auch zweimal von weiten, baß fe es wirklich fei.
Über der Muth fehlt wir, ſie anzureden. Wie
PP 7
Du
ich nun wieder komme, ift ſie nicht mehr da, und
meine einzige Hoffnung auf Sie, mein Herr, ge
fegt. “Sagen Sie, wenn fie zuruͤckkehrt, und
erlauben Sie mir dann ein Qefpräch mit der, die
einft unter dem Namen, Marie von Möngerberg,
meine Braut war, .
Miünzerberg! rief ich aus, mich des Namend
wohl entſinnend, den ich im Wachefigurenfadinette
gehoͤrt hatte.
Ich weiß, fuhr er fort, daß fie aus urfachen,
die mir leicht begreiflich ſind, neuerlich den Namen
Malthau angenommen hat. Das indeſſen if
etwas Außerwefentlihed, Sagen Gie mir nur,
wenn fie zuxuͤckkehren wird.
Der Schauer bei dem Namen, den er zuerſt
genannt, hatte mir alle Bedenken und Acht
sein auß der Seele geweht.
Ich werß es nicht ! ſprach ich, zu mehrerer Verraf⸗
tigung den Zettel vorzeigend, den fie mir geſchrio⸗
ben hatte. |
Ya, fagte er, dab ift ihre Hand, und es ſchmerzt
mich fehr, die Dame verfehlt zu haben. Ihre Auf⸗
richtigleit aber, mein Herr, verpflichtet mich zu
einer Mittheilung, die Ihnen doch vielleicht Fünf
tig von Nugen feyn fönnte Das Unmahrfcheins
liche deffen, wad ich Ihnen zu entdecken habe,
veranlaßt mich jeboch zu einer kurzen Einleitung.
Bor acht Jahren noch würde mir es felbit
\
13 . -
— a — - __ 1 _ 30 — af — — —
‚450
ganz widerfinntg und- fabelhaft geflungen haben,
daß «ed. mitten. unter den Dienfchen Perfonen geben
ſolle, die, ob fie ſchon alle ihre Verhaͤltniſſe und
Bebürfniffe mit dieſen theilten, dennoch einer ganz
andern Welt angehören koͤnnten. Selbſt das
gebilderfte Publikum iſt über diefen Punkt noch
dei weitem nicht genug ‚unterrichtet. Allein ein
befondered Vertrauen , deſſen mich während mess
ned Aufenthalts in Paris der große, nur allzu
verfannte Caglioſtro würdigte, hat mich mir Kennt⸗
nifien und Erfahrungen aus dem Natur s und
Geiſterreiche verſehen, zu denen ich fonfl nimmer,
mehr gelangt feyn würde. Seitdem weiß ich,
daß dergleichen wunderbare, und ben fie treffen,
oftmals hart beſchaͤdigende Berbindungen gar nichts
ſeltenes find, wiewohl fie nur felten erfannt wer;
den. Dieß glaube ich vorausſchicken zu muͤſſen,
ehe ich Ihnen ſagen konnte, mein Herr, daß Sie
wirklich mit einer bereits Verſtorbenen verheira⸗
thet ſind! —
Hier hielt er inne, Das Wort ber ſchwarzen,
blaffen Geſtalt klang felbft wie aus Geiſtermunde,
es raubte mir erſt die Sprache und dann das
Bewußtſeyn. -
Mein Herr — fo begann ich, nachdem dieſes
zurüdgefehrt war, und mein Auge eine Zeitlang
auf dem Fremden geruhet hatte — drefe Ichendige
Geſtalt der Liebe und bed Lebens zugleich, diefe
15% \
follte nur ein wiedergekommener Geiſt geweſen
ſeyn?
Er zuckte bie, Achſeln und fagte: Wenn Sie
gefaßt genug wären, fo wollte ich verſuchen,
meinem Schmerze über bad Ereigniß, das Marie
dahin brachte, Töne zu geben.
Neden Sie, mein Herr, antwortete ih, wer
einmal fo Piel gehört hat, ber kann wohl auf
alles gefaßt ſeyn. . |
Wohlen, fprach ber Fremde. Der Sturm
ber Revolution, welcher ſo manche aus Frank⸗
reich hinausſcheuchte, trieb Andere wunderlicher
Weiſe in der neuen Republik herum, und ſo
waren denn auch Marlens Aeltern von Strafe
burg, ihrem Geburtsorte, tiefer in's Rand zuletzt
nach ** gelommen, Hier Jernte ich die einzige
Tochter fennen, verliebte mich heftig in fie und
verließ dad Haud ihrer Aeltern eined Abende als
Mariend Verlobter.
Ich geſtehe, daß ich mit mir ſelbſt daruͤber
aneind war, ob die truͤbe Stimmung, bie ich
jest an dem Mädchen enttedte, vieleicht von
einer geheimen Abneigung gegen meine Perfon her,
rühre. Aber meine Liebe fcheute bie Unterſuchung
der Sadıe. Marie konnte ja wohl auch der mans
cherlei herben Verluſte vorgen, die ihre Aeltern
durch die Revolution erlitten, bie fehr fihtbare
Berfiimmung bderfelben teilen. Sie war übers
4
„dieß fo gut und freundlich gegen mid, baf die
eigentliche Liebe ſich noch finden .fonnte, zumal,
da ich alled anzumenden gedachte, ihr-dad Band
- der Che annehmlich zu machen.
» Ingwifchen ward die Revolution immer blu⸗
tiger. Aus Straßburg liefen Nachrichten ein,
welche Mariend Vater fo verdächtig. machten, daß
ex ficher unter der Buillotine den Geiſt aufgegeben,
wenn der natürliche Tod fich feiner nicht früher ana
genommen hätte, _
Der Argwohn der Regierung errang allmählig
die höchfie Stufe. Bel Durchſuchung der Papiere
des Bürger Drüngerberg war. felbft Mariens
Eigentbum mit aufgekört worden. Man hatte
darin ein Paar Briefe gefunden , welche ihre Mut⸗
ger einft von der hingerichteten Sharloste Corday
erhalten. Die Belannefchaft mit ber letztern
machte Die Mutter, die Aufbewahrung der Briefe
Marien um fo verbächtiger, da in diefen bev
beftigfte Daß gegen die jetzt berrfchende Partber
- Sich außfprach. Kein Beil mehr für beide, als
die Auswanderung.
Diefe ward beſchloſſen. Als gemeine Leute
verkleidet gingen Mutter und Tochter eined Abends
aus der Stadt. Allein Marie hat in der Ungft
und Beltürzung ein wichtiges Dokument vergefs
fen. Sie eilt zurück und im Thore wird fie von
ihrer eigenen Schonpeis verrathen. Man verhafs
453
"et fie. Der maͤnuliche Anzug iſt dad erfle Bers
brechen, dad man an ihr findet. Die andern
folgen Bald, Ich felbft, obſchon einer der Anges
fehenften, und von der herrſchenden Parthei Des
günfligıften in ber Stade, werde vor Gericht
gezogen. Man beſchuldigt mich, ihr und der Muts
ter die falfchen Paͤſſe verſchafft zu haben, Daß
Marie verforen iſt, leidet Feinen Zweifel, mic
aber glaube ich durch Laͤugnen retten zu koͤnnen.
Ich. werde mit ihr zufammengeftellt. Gott
im Himmel, welch eine Scene! Welch eine ver⸗
bammliche Lebensluſt verleitet mich auf dem
Laͤugnen zu beharren, dem Engel gegenuͤber, der
zu ſterben beſtimmt jſt? Sie wird gefragt, ob
der Paß durch meine Hand gegangen ſei? Sie
weiſt die Frage mit Verachtung zuruͤck. Dev
Bürger Delafoffe, fpright fie, hat hierauf bereits
geantwortet! — .
Aber meine Angſt entgeht den Blutrichtern
nicht. |
Da entſteht ploͤtzlich ein Laͤrm vor dem Haufe.
Ein Haufe Volks, der in Marien feine Wohls
thäterin verehrt, will wiſſen, was mit ihr gefches
ben ſoll, will fie gerettet wiffen.
Sept wäre der’ Augenbli zum Handeln ges
wefen. Aber meine Seigheit läßt ihn ensfchlüpfen,
ohngeachtet die Betroffenheit der Richter nur zu
deutlich wahrzunehmen iſt. Wan befinftigt das
154
Immer mehr zunehmende Bolt mit der Zufage,
daß gegen die Bürgerin Müngerberg fein Blut⸗
artheil zu beforgen ftehe, jedoch, wichtiger Urfas
chen halber, ihre Freiheit noch nichr erfolgen
koͤnne.
Hierdurch beſchwichtigt, geht die Menge aus
einander und Marie wird in ein anſtaͤndigeres
Gefaͤngniß geführt. Auch dieß aber nur, wm dem
Volke Dad Auge zu bienden, Denn da man
eine Öffentliche Hinrichtung für gefährkich erachtet,
fo wird, nach einem bereits früher gegebenen Bei⸗
fpiele, in eine benachbarte Stade nad) einem
Scharfrichter geſchickt, dermit dem Richtfhwerte
yormald gut umzugehen verſtand. Bei Nacht iſt
der Mann feiner Wohnung entriffen und mit
_ verbundenen Augen fortgefahren worden. Die -
gräßliche Reierlichkeit, die man vorhatte, mochte
nicht ſowohl Marien, ald mir gelten follen. Dan
wünfchte, daß ich mich verrathen möchte, und
wieß mir daher unter ben fämtlich in Schwarz
gekleideten Richtern meinen Plag an, Es war
nur eine leere, gottlofe Zorm, zu meiner Qual
bereitet, Denn antse berbeigeführte Marie rich,
tete man nicht einmal eine Frage. Mir aber
hob mein Nadıbar , eben als fie. yon zwei Pers
fonen bereingeführt und auf einen Seffel in ber
Mitte des Saales gebracht worden war, den
ſchwarzen Slor, ben ich wie afle Uebrigen vor
6
N * ade — — ».. ss zip 4 # -
455
dem Geſichte hatte, in die Höhe, um mir mit
feinen teuflifchen Augen den Todesſchweiß auf
die Stirne zn treiben, |
Und dennoch that ich nicht, was ich follte!
Statt Marien zu Füßen zu flürzgen und mich der
fehon früher gezeigten Seigheit halber durch einen‘
ehrenvollen Tod zu entfündigen, wendete id), um
aur mein fchlechted, gemißbrauchtes Leben ſchmaͤh⸗
lich zu erhalten, mein Auge von der Schuldlor
fen ad, und ertrug lieber den Hohn der um
mid) her Stehenden. Noch mehr, ſelbſt die Weis
gerung des Scharfrichterd, fein Schwert bier zu
gebrauchen, konnte mich nicht andere Sinnes
madıen. Ja, als einer ihm "ein Piftol auf die
Bruft feßte, ertrug ich auch das, und hörte,
wie bald darauf von bed alfo Gegtungenen
Nichtfchwerte getroffen, dad ſchuldloſe Haupt
meiner Geliebten Aber den Boden hinrollte. Ein
entfeglicher,, ungeheueger Klang! —
Nachdem Dalafoſſe alfo geendet hatte, ftarrte
fein Uuge dergeflalt auf die Dielen hin, ald ob
noch immer Mariend Haupt vor ihm ba liege.
Ich fprang von: meinem Stuble, ging haflig
auf und nieder, ergriff bewußrlod den Hut und
fegte ihm wieder ab. Doch fegte ich mich fo
weit ald möglih von dem Manne, in einen.
Winkel ded Zimmers.
Ich fühle, ſprach der Fremde, was Ihr
156
Entfernen son mir fagen will. Wollte Gott,
ich felbft könnte aus mir herausgehen. Zuvor
aber nur noch Einmal Mariend Geift fchauen
und um ihre Berzeihung fliehen! Das ift ber
Hauptzweck meiner Flucht aus dem franzoͤſiſchen
Meidhe. Denn nach dem, was Sie nun wiſſen,
Tonnen Sie wohl denten, daß diefe Reife nach
Deutfchland nichts anders ift, als.eine Flucht,
welche mir die Ruͤcktehr in mein Baterland für
immer abſchneidet. Jetzt fagen Sie wir, ob
Ihnen nice vielleicht zufällig der Aufenthalt
von Mariend Matter bekannt worden ?
Ich konnte ihm hierüber Auskunft ertheilen,
und fo fchauerlich auch feine Gegenwart mich
anſpricht, fo habe ich ihn doch in meinem Wa⸗
gen mit hierher genommen, da ich ja wohl aus
einem Hauſe mußte, wo auf jedem Schritte
mir die Spur des Geiſtes entgegentrist, mit
den ich vermaͤhlt geweſen bin. Alles Angſtet,
bie auf ihren legten Zettel, in dem dad Wort:
revenir, mir jest fo grauenhaft außficht, wis
die ganze ſchreckliche Begebenheit. —
Ob ſich deun durchaus Feine andere Ertla⸗
zung denken laſſe? meinten Julie und Konflane
tin, denen Die Gefchichte gar zu unglaublich vor⸗
fam.
Durchaus Feine! antwortete Guido. Nur
allzuviel hat mich disfer Delafoffe unterweges
—
ne hl er
157
mit-gang aͤhnlichen Geſchichten aus Caglioſiro's
Munde unterhalten. Dazu hat mein neuer mir
ſehr furchtbarer Bekannter es ausdruͤcklich beſtaͤ⸗
tigt, daß auf feine Beſtellung ih Wachsfiguren⸗
Fünfter fie furg vor ihrer Etmordung mit großen. .
Treue abgebildet habe. Er zeigte mir einen Brief
Mariend, und dem GBefängniffe sgefchrieben,, der
fchon von.ihrer Berurtheilung fagt, und überdieß
das Eigenthuͤmliche ihrer Handſchrift fo fehr an
fih trägt, daß Fein Mißtrauen in denfelben zu.
fügen iſt. Außerbem kennt fogar der ganz unvers
daͤchtige Beſitzer ded Bafthofed, in dem- wir vor⸗
Bin abgetreten find, den Franzofen aus früherer
Zeit, und verfichent: nich , ex; geite In der. ganzen
Stadt. für ben rechtlichſten, Telibefien Mann,
Dad wird auch durch die unverkenſchare Wahr,
heitsliebe beflätiget, die ſehr aft zu feinem gros
Ben Nachtheile alles charakterifirt, was er wie
vorgetragen hat.
x
Über, ach | jetzt Konſtantin, des Freundes
Hand ergreifend „ welchen Grund foßte ein ſolcher
Geiſt gehabt Haben, Sie fo entſetzlich zu beunru⸗
higen? — - Und follten Sie nicht, wenn fo etwad
mit der — freilich noch nicht ergründeten —
Griſternatur ſich vereinigen ließe, ſollten Sie da
icht ſchon ‚früher. an ber Perſon, die Ihr Herz
ganz auszufuͤllen ſchien, gewiſſe Umſtaͤnde wahr⸗
158°
genommen haben, bie Ihnen Zweifel gegen bies
ſelbe Hätten erregen Tonnen? —
Allerdings, fagte er. So zum Beifpiel nur,
der mir fo unerflärliche Hang nach den Gräbern,
von dem ich ja wohl ſchon erzählt habe. —
Der — verfegte Julie — der Fonnte wohl
auch auf den nach des Franzoſen Erzählung durch
die Bedraͤngniſſe der Revolution frühzeitig getoͤd⸗
teten Water ober einen andern geliebten Todten
ſich bezogen haben! —
Warum aber. foldyes denn verbeimtichen ?
fragte Guide.
Weil fie überhaupt von den Umfländen ihres
Lebens hat ſchweigen wollen; : und: vielleicht fuͤrch⸗
tete die beflimmte Erwähnungätgend einer in ihre
frühern Verhaͤltniſſe genau verwebten Perfon
Tonne weiter führen, als ihr Gefeimniß ertragen
möchte —
Mit einem Wort, fuhr Guido fort, mein
Butrauen war damald fo groß, daß es jeden
Zweifel niederſchlug. Jetzt aber, jet erſcheint mir
auch die Verheimlichung ihres Urſprungs und der
ganzen Geſchichte fo fonderbar, daß ich mich
wegen meiner Beruhigung dabei einen Thoren,
einen recht gewoͤhnlichen, durch Leidenſchaft ge⸗
blendeten Thoren ſchelten muß. — —
Ein Beſuch, der Die Fortfegung des Geſpraͤcht
verhinderte, beflimmse den Zieflinnigen, mit ſich
.
-
159
fetöft und feinem Schickſale Zerfallenen, bad Haus
Zu verlaffen, wo Nun wieder dig gewöhnliche Kons
derfation ihre Rechte forderte für die er, wie
man denfen Fann, jegt keinen Sinn hatt —
Einige Tage darauf kam Guido zu Konflans
tin., und rzählte diefem nicht obne Freude, daß
bie:einft von ihm erkaufte Wachsfigur — Diariend
fo aͤhnliches Abbild, wieder iin feine Hände gera⸗
then. Es Hattenämlich im Borbeigehn am Gens
fler eined Kaffeehauſes mit großem: Befremden bie
Berlorene ſebſt zu erblidlen geglaubt, war dank
hinauf gegangen, wo er fein lebloſes Eigenthum
vorfand und zuruͤck verlangte. Der Bediente des
Beſitzers des Wachsfigurenkabinets, der hier ber
kannt geweſen, hatte das Stuͤck mit dem Ver⸗
ſprechen, es am Morgen wieder einzuloͤſen, in
Verſatz gegeben, Statt. aber dieſes Verſprechen
zu erfuͤllen, war er, wie ſchon erwaͤhnt worden,
davon gegangen. Bor einigen Lagen einmal hatte
ein Gaſt zum Scherz die Figur an’d Fenſter ge⸗
ſtellt, uud wie der Wirth, erzählte, ihr ſchoͤnes
Geſicht eine Menge Neugieriger herauf gelockt.
Darum mochte man fie auch wohl feitdem hier
ſtehen gelaffen haben.
Guido hatte die Aufhebung eined ſolchen Miß⸗
brauchs nicht nur fich, fondern auch Marien ſchul⸗
dig zu ſeyn geglaubt.” Denn ſeit neulich waren
144
überhaupt. — Hiervon Fünftig, vielleicht mAckh⸗
ſtens! fo fügtefie, zu Befeitigung ber frage KHiw
zu, welche meine Blicke nicht verheelen konntem— —;
Hilarie ſchien am wenigſten von diefen Meit⸗
theilungen ded Neuverheiratbeten erbaut. Deabe
fagte fie, als jegt ein Billet an ihn abgegebe
wurde, Julien leiſe in’6 Ohr: Ich wollte Doch
dag wir die neue Bekanntſchaft fchon gemacht
und den ganzen Tag überftanden hätten! Das |
find meine Perfonen gar nicht, die fih ihre Bes
ruhigung von Kirchhöfen herholen. Am wenig»
ften aber gefallen fie mir dann, wenn fie eine
fo erftaunfiche Wehnlichkeit mit MWerfiorbexen,
oder wohl gar Hingerichteten befigen. Ä
Julie hörte kaum, was fie fagte Ihre
und alfer Uebrigen Aufmerkſamkeit richtete ſich auf
den ploͤtzlich todtenfahl und regungslos geworde⸗
nen Haudwirth und das Billet, welches feiner
Hand entfallen war. Er fchien ſelbſt vom Stuhle
herunterfinfen zu wollen, fo daß Konftantin, |
fein Nachbar, plöglich zugriff und nach der Urs
fache des fo räthfelhaften Ereigniſſes fragte
Sprachlos deutete Guido auf dad Bihler am
Boden, mit dem Winfe, daß man ed aufheben
und Iefen könne. Es enthielt Folgendes in
frangofifcher Sprache:
„Rebe wohl, mein Theurer, mein Gelichter!
Die Umftände drängen mid von Dir! Kein
4öt
Ars ı im Herbſt deffelben Jahres Guido abers
mald — abfihtlid an einem ber gewöhnlichen.
Berfammlungstage — in Juliens Zimmer trat,
und niemand noch als ihren Bruder bei ihr fand,
da rief fie ihm fogleich ihren Gluͤckwunſch ent⸗
gegen, weil ſein Geſicht ihr fage, daß er nicht,
mehr krant fi. =
Auch vormals, verſetzt er, war ich nicht
gerade koͤrperlich krank, man muͤßte denn anneh⸗
men, daß das Leben felbſt zuweilen dem friſche⸗
ſten Menſchen. zur bitterſten Krankheit werden
koͤnne.
Doch hoͤrt, Ihr Lieben, wie es mir ferner
ergangen if. Ich reiſete gradezu von hier auf
mein Gut: - Ganz in mich zuruͤckgezogen, wurde
der Gedanke an die verſchwundene Gattin immer
lebendiger In mir. ag" fuͤhlte mich wie von,
ihr ſelbſt umgeben, und die Plaͤtze, wo fie ſonſt
am meiften gelebt und gewaltet hatte, waren für
mich durch ihr Andenken geweiht und geheiligt.
Zu Zeiten wohnte ich auch in dem benachbarten
GSuͤtchen, wo ich fie züerſt erblickte. Da begab
ich mich To gern ah hellen Nachmittagen zu dem
Teiche, und immer war ed mir, als ob, vol
damals, did Wellen Mariens herrliche Farbe und
Geftalt nun Bald. wieder einmal annehmen,
müßten. -
Und als ich einft auch fo vor dem Teiche
Geſbenlterbuch 6. Theil. L
162
- fland, da geſchah es wirklich, und als ich mich
drauf zur Seite wandte wie vormals, da war
ſie ſelbſt neben mir, die Arme liebend nach mir
ausgebreitet. Doch nun erfaßte mich, trotz der
Lieblichkeit des ganzen Weſens, der Schauer, daß
dieſes einer andern Welt angehoͤre, und ich zögerte
meine Arme nad ihm audzuftreden:
So Tiebft Du mich nicht mehr, mein eins
ziges Leben ! rief Marie, auch wenn ich Dir die
Gruͤnde meines ach mir felbſt ſo traurigen Ver⸗
ſchwindens ſogleich entdecken will?
Und mochte fie ſeyn, wer fit wollte, Worte,
Ton und Miene beflärten mich dergeftalt, daß
ich fie an mein Herz reißen mußte — |
Ich bin, fo fagte fie bald darauf, in Frank⸗
reich geboren und auf bie ſchrecklichſte Weiſe von
dort hinweg gedrängt worden. Schuldlod dem
Tode ſchon, einem heimlichen Tode beflimmt, hat,
der Wärter meined Gefängniffes Mitleid mit mir.
Eine der vielen Gefangenen in feiner Verwahrung
ift eben vor Angſt geftorben, ald er mich zur
Hinrichtung führen fol. Da zieht.er denn dies
fer Verſtorbenen meine Kleidung an, und flatt
meiner wird fie mit verbundenen Augen, ald ohns
mächtig geworden, fortgefchleppt und ihr der Kopf
abgeichlagen. s. |
Sp warb ich gerettet, entlam auch eine
x
165
Woche fpÄter der Stadt und dem ganzen un⸗
— Lande. —
mein Himmel, Du biſt es, Du feßt!
rief 6 aus, und erzählte ihr, was ich gehört
batte.
Armer Mann ! ſagte fr Defio frobe aber
wird unfere Zukunft feyn!
Sie erzählte mir hierauf, daß bie erda
nung ihres vormaligen Verlobten in der hieſigen
Gegend und feine Aufmerkſamkeit auf ſie, fie Das
von gerrieben habe, weil feine unwuͤrdige Schwaͤche
fie wohl auch in. Deutſchland haͤtte verrathen und
ungluͤcklich machen koͤnnen, da: ſie fehr gut wilfe,
in welchem geheimen Bufammenhange ihre Bew
folgen mit vorzüglich angeſehenen Perfonun in
unferm Baterlande ftänden. Allen Argwohn zu
vermeiden, babe fie ſich deßhalb ſchon früher in
Deutfchland von ihrer Mutter getrennt, biefek
auch angelobt, bis zur gaͤnzlichen Veraͤnderung
der Umſtaͤnde niemand und ſelbſt mich nicht mit
ihrer Geſchichte bekannt zu machen. — Dieſe
Veränderung der Umſtaͤnde, fügte fie froͤhlich
hinzu, iſt mit dem nunmehrigen Sturz der Blut⸗
regierung eingetreten, und meine Mutter bereits
hier, um uns nie wieder zu verlaſſen! — —
Die Mutter ſelbſt trat nachmals herbei und
wir genoſſen den ganzen Abend gemeinſchaftlich
22
164
her, uehmüthigften- und zugleich füßeflen Erinne⸗
tung unferer audgeftandenen Begegniſſe. —
F pe Wagen, der jetzt vor Juliens Hauſe hielt,
brachte beide, Märien und, deren Mutter — zwei
bin Fahren nach zwar enifernte, aber in Anſe⸗
bung der Form einander fehr nahe, wuͤrdige Ges
Adiken 4 mit. Die übrigen allmaͤhlig erſchej⸗
nenden Gaͤſte erfreuten fidy'der von der Wirthin
ißfmen.mitgetheilten, unerwartet gluͤcklichen Lofung
aines Raͤthſels,dis gewigermaßen in dieſem
Haufe begonnen hatte..
Hilarie verſicherte noch Sefonbers, daß nädy
(end ‚the Bismah duf Guido's Gut mit. ihr
wäre /: ſei es ade. nur; unit in Mariens Gegen’
wart dit, Wachsſtgut vor ber. fie num gar keine
Furcht weiter empfinde, seh aetroß bei der
Hua au faſſen. |
Blenbwerke
um ——n
Semꝛig oder achtzig Jahre nachdem Pabſi Boni⸗
facius der neunte die hohe Schule zu Erfurt mit
neuen Freiheiten begnadet hatte, gingen eined
Sonntags allda zwei Studenten’ über die Straße,
noch unfhläffig , in welcher Kirche fie ihre Veſper
Halten wollten. Da kam um eine Ecke herum
eine Jungfrau, deren Schleier wie frifch gefallener
Schnee dur die allmaͤhlig uͤberhand nehmende -
Dämmerung leuchtete, und der dabel fo fein und
gart ſchien, daß den beiden Gefellen weder ihre
Schönheit, noch ihre gute Abkunft entgehen fonnte,
Als fie beſcheiden einen, Schritt zurädtraten,
ging die Jungfrau mit ſitiſam zur Erde geſenk⸗
tem Blicke bei ihnen voruͤber, und nun ſahen
ſie erſt recht den ſchlanken, koͤſtlichen Wuchs ders
ſelben, fo daß ihr Auge wie angefeſſelt hing an
ber wundervollen Geftalt. Beſonders warm ward
dm einen um's Herz, welcher Siegmund Wardı
berg hieß, und er fagte zu Gotthard Heßler, ſei⸗
nem Gefaͤhrten:
160
feine Gedanken von ihr ganz anders geworben: Je
treuer dad Wachsbild ihre Figur ihm zurüd gab,
deſto weniger Fonnte er ſich ſelbſi dann vor der
Verſchwundenen ſcheuen, wenn ers wirklich in ihr
mit einem Geiſte zu thun hatte. Nach allem,
was auch Delafoſſe ihr nachſagte, war ſie ein
vottreffliches Weſen. Guido hatte fie ebenfalls
nur als ein ſolches kennen gelernt, und wenn
ſchon die Nachricht, daß fie eine aus dem Grabe
‚Butüdgefehrte ſei, welche ſo kurz, auf ihr felts
ſames, ihn tief verwundendes Perſchpinden folgte,
ihn in den verzweifeltſten Zuſtand, @gen- mußte,
16 fand er doch. mit feiner ruͤckkehrenden Befons
nenheit gar nichts mehr an ihr, was ihm ein
Grauen vor ihr haͤtte erregen ſotlen.
Die Wiederkunft Delafoſſes, ber Mariens
Mütter an dem bezeichneten Orte nicht meht ger
funden hatte, und nan hier in def Stadt feinen
Aufenthalt waͤblte, bewirkte nach dem; was er
darüber an Konſtantin ſchried, daß er eines Tages,
sie er gefommen ivar, mit Sal und Pad auß
der Stadt verſchwand. Die eingeftandene Seigs
beit des Mannes, ber damald Matlen Hätte
reiten oder mit {hr teren ſollen, machte deffen
Geſtalt für Guido Zur widerwaͤrtigſien aüf der
ganzen Erde —
4 4 2 r
4öt
si im Herbft deſſelben Jahres Guido abers
mald — abfichtlich an einem der gewöhnlichen
Berfammlungstage — in Zuliene Zimmer trat,
und niemand noch als ihren Bruder bei ihr fand,
da rief fie ihm fogleich ihren Gluͤckwunſch ents
gegen, weil fein Geſicht ihr ſage, daß er nicht,
mehr krank fi. —
Auch vormals, verſetzte er, war ich nicht
gerade koͤrperlich krank, man muͤßte denn anneh⸗
men, daß das eben ſelbſt zuweilen dem friſche⸗
ſten Menſchen jur bitterfien Krankheit werden
koͤnne.
Doch hoͤrt, Ihr Lieben, wie es mir ferner
ergangen iſt. Ich reiſete gradezu von hier auf
mein Gut.- Ganz in mich zuruͤckgezoqgen, wurde
der Gedanke an bie verſchwundene Gattin immer
jebendiger In mir. Ich' fühlte mich wie von.
ihr felbft umgeben, und die Piäge, wo fie ſonſt
am meiften gelebt und gewaltet hatte, waren für
mich durch ide Andenken geweiht und geheiligt.
Zu Zeiten wohnte ich auch in dem benachbarter
Guͤtchen, wo ich fie züerſt erblickte. Da begab
ich mich To gern an hellen Nachmittagen zu dem
Teiche, und immer war ed mir, als ob, wis
damals, did Wellen Mariens herrliche Sarbe und‘
Geftalt nun bald - wieder einmal annehmen,
müßten. °”
Und ald ich einft aͤuch fo vor dem Teiche
Geſpendterbuch 6. Theil. g
(4
162
- fland, da gefchah es wirklich, und als ich mid
drauf zur Seite wandte wie vormals, da war
fie ſelbſt neben mir, die Arme liebend nady mir
audgebreitet. Doch nun’erfaßte mic, trog der
Lieblichkeit des ganzen Weſens, der Schauer, daß
dieſes einer andern Welt angehöre, und ich zbgerte
meine Arme nach ihm auszuflreden:
Sp Tiebft Du mid nicht mehr, mein eins
ziges Leben ! rief Marie, auch wenn ich Dir die
Gründe meined ach mis felbſt fo traurigen Bers
ſchwindens fogleich entdedten will ?
- Und mochte fie feyn, wer fit wollte, Worte,
Ton und Miene beflärmten mich bergeflalt,, daß
ich fie an mein Herz reißen mußte —
Ich bin, fo fagte fie bald darauf, in Frank⸗
reich geboren und auf die ſchrecklichſte Weiſe von
dort hinweg gedrängt worden. Schuldlos dem
Tode fhon, einem heimlichen Tode beftimmt, bat,
ber Wärter meined Gefängniffes Mitleid mit mir.
Eine der vielen Gefangenen in feiner Verwahrung
ift eben vor Angſt geflorben, als er mich zur
Hinsihtung führen fol. Da zieht .er denn dies
fer Berftorbenen meine Kleidung an, und flatt
meiner wird fie mit verbundenen Augen, ald ohn⸗
mächtig geworben, fortgefchleppt und ihr der Kopf
abgefchlagen. ..
So mard ich gerettet, entlam auch eine
N
165
Woche fpäter der Stadt und dem ganzen un⸗
gluͤcklichen Lande. —
O mein Himmel, Du biſt es, Du ſelbſt!
rief ich aus, und erzaͤhlte ihr, was ich gehört
hatte.
Arme Mann ! ſagte ſie. Deſto frohet aber
wird unfere Zufunft feyn! um
Sie erzählte mir Hierauf, daß die Erſchel⸗
nung ihres vormaligen Verlobten in der hieſigen
Gegend und feine Aufmerkſamkeit auf ſie, fie da⸗
von gerrieben habe, weil feine unwuͤrdige Schwaͤche
fie wohl auch in. Deutſchland Häste verratken und
ungluͤcklich machen koͤnnen, da: fe fehr gut wiffe,
in weldyem geheimen Zuſammenhange ihre Ber
folges mit vorzuͤglich angeſehenen Perfonun in
unſerm Baterlande fländen. Allen Argwohn zu
vermeiden, babe fie ſich deßhalb ſchon früher in
Deutfchland von ihrer Mutter getrennt, biefer
auch angelobt , bis zur gänzlichen Veränderung
der Umftände niemand und felbft mid) nicht mit
ihrer Gefchichte befannt zu machen. — Diefe
Beränderung der Umftände, fügte fie fröhlich
hinzu, iftmit dem nunmehrigen Sturz der Blut
regierung_eingetreten, und meine Mutter bereit®
bier, um uns nie wieder zu verlaffen! — —
Die Mutter felbft trat nachmals herbei und
wir genoffen den ganzen Abend gemeinſchaftlich
22
164
her, wehmuͤthigſten und zugleich füßeflen Erinnes
rung unferer ausgeftandenen Begegnifle —
.- Ba Wagen, der jetzt vor, Juliens Hauſe hielt,
brachte beide, Mätien und, deren Mutter — zwei
bin Yaßren nach zwar enifeinte,, aber in Anſe—
hung der Form einander fehr nahe, ‚würdige Ge⸗
falten Hrimit,. Die abrigen allmaͤhlig erſchej⸗
nenden Gaͤſte erfreuten? ſich der von der Wirthin
ihnen mitgetheilten, unerwartet gluͤcklichen Loſung
anes Raͤthſels, dus gewiſſermaßen in dieſem
Hauſe begonnen hatte.
Hilarie verſicherte noch Sefonbers, daß naͤch⸗
Aendı.ihr: Gemahll duf WBuido’d Gut mit ihre
äh: frisch auch. nur; ut in Mariend Gegen»
wart dit; Wachsſigutzvor ber. fie nun gar feine
Funcht weiter ‚empfinde, sein eroß‘ bei der
dand an faſſen.
; 2. ..
* .. ‘ I H
Blenbwerke
© .ania oder achtis Jahre / nachdem Pabſt Boni⸗
facius der neunte die hohe Schule zu Erfurt mit
neuen Freiheiten begnadet hatte, gingen eineb⸗
Sonntags allda zwei Studenten’ über die Straße,
noch unſchluͤſſig, in welcher Kirche ſie ihre Veſper
halten wollten. Da kam um eine Ecke herum
eine Jungfrau, deren Schleier wie frifch gefällener
Schnee durch die allmählig Gberhand nehmende -
Dämmerung leuchtete, und der dabei fo fein und
gart ſchien, Daß den beiden Gefellen weder ihre
Schönheit, noch ihre gute Abkunft entgehen fonnte,
Als fle beſcheiden einen Schritt zuruͤcktraten,
ging die Jungfrau mit ſitiſam zur Erde geſenk⸗
tem Blicke bei ihnen vorüber ‚ und nun fahen
fie erft recht den ſchlanken, köfllichen Wuchs ders
felden, fo daß ihr Auge wie angefeflelt hing an
ber wundervollen Geſtalt. Beſonders warm ward
dAm einen um's Herz, welcher Siegmund Wars⸗
berg hieß, und er fagte zu Gotthard Heßler, ſei⸗
nem Gefaͤhrten:
» 166
— Kieber, wir koͤnnen nicht beffer fhan, denn
ben Schritten des Fraͤuleins folgen, dad unfehls
bar auch geht , ihre Andacht in chriſtlicher Gemeinde
zu verrichten. Denn dad muß wohl das heiligfie
Gotteshaus ſeyn, wo die Engeli in fihtbarer Go
flalt einfehren. "
So fehr aber Gotthard felbft von des Mägde |
Teind Schönheit eingenommen war, fp mißfiel |
ihm dennoch biefe Mede über die Maße, and,
verwieß er Wardberg ſolche mit herben Worten.
Uebrigend ging er mit ihm nach der Kirche unſe⸗
zer lieben Frauen „ gu welcher die Jungfrau eben.
binanſtieg.
Neben oder: hinter derfefden aber Fonnten fie
richt, wie Siegmund. gehofft hatte, Plag in der.
Kirche erhalten, meildie Schöne an einem abges
fonderten Orte bei dem Rathömeifter Zeideler faß,
welcher — fo hörte Warsberg yon einem darum
Befragten — ihr Baser war, Als nun das
Maͤgdlein hier an ihrem belerleuchteten Sitze den
Schleier zurücthat, da ſchien ed Siegmund, als
wollte mit ihrem frommen, holdſeligen Gefichte
eine neue Sonne über feinem Leben aufgehen, und
al fein Sinnen und Denken war dergeflaftt bloß
auf das liebliche Antlig der Jungfrau gerichtet,
daß für die Andacht fein Raum darin blieb.
Aber Gotthard, welcher ihm zur Rechten faß,
blidte eine Weile bleich und flare nach deffen
a ge 3 ee
467
anderer Seite, und fprach dann mit tiefen Athens
zügen feife in's Ohr ded Freundes:
Siegmund, welch ein Schreckensnachbar ift der
zu Deiner Linfen ?
Darauf warf Wardberg einen ſcheuen Blick
dahin und machte dann Heßler, vermeinend, dies
fer habe ihn nur im Anfchauen der (äönen
Jungfrau flören wollen, ein gar böfe& finfteres |
Geſicht,
Doch Gotthard fuhr fort: Laß uns lieber
einen andern Sig wählen; denn wahrlich, Dein
Nachbar fommt mir für in der andbächtigen Ges
meinde vote der Iſcharioth unter den Apoſteln.
Es ift ald zerriffe mir fein Anblick jeden froms
men Seufzer auf der Rippe, ald wollte fein gieris
ges Auge mein Herz austrocknen und meine Seele
in ſich ſaugen!
Nun betrachtete Siegmund ſeinen Freund mit
bedenklichem Auge und ſagte: Was ſchauet doch
Dein bethoͤrter Blick, da mir ja zur Linken nie⸗
mand ſitzet 7,
Aber grade um defto ſchauerlicher ward es
jetzt dem Andern, daher antwortete er: Dann
laß und im Namen Gotted und aller Heiligen
von biefer Stelle. Doch fchaue nur, ſchau, wie
ed jegt mich anflarrt ! Komm, Lieber, komm! —
Allein Siegmund bemerkte abermals nichts,
und weil ed keinen beffern Pla mehr gab in
Ar m RR nn —
P
188
der Kirche zum Betrachten ber Jungfrau, fo bfieß
er, während Gotthard. auf die entgegengefegte
Seite ill. —
. Wirklich, fühlte Warsberg, „wie mit jedem
Augenblicke die reinen, lieblichen Zuͤge der Raths⸗
meiſterstochter tiefer einwurzelten in ſeinem Herzen.
Als nun die Veſper zu Ende war, ſo dachte
er nur darauf, der Jungfrau nachzuſchleichen, und
ihr, ſollte fie auch, wie er fuͤrchtete, mit ibrem
Vater ſeyn, beguͤnſtigt vonder inzwiſchen einge⸗
tretenen Dunkelheit, gelegentlich ein ſuͤßes Wort
zuzuraunen. Denn die ſinnreiche Liebe weiß, wo
es nur moͤglich iſt, Mittel und Wege fuͤr ihren
Zweck auszufinden.
Aber die Leuchte des Dieners, welcher dem
Rathsmeiſter vorauüsſchritt, hinderte Warsberg
fo lange an. Ausführung feined Vorhabens, bis
jetzt, wunderharer Weiſe, mitten durch die ruhige
Luft ein heftiger MWindzug ſtrich, Die Leuchte vers
loͤſchend. Wie nun der Alte ſich mit dem Diener
‚ darüber verwunderte, ging Siegmund fo nahe bei
der. Zochter vorbei, daß er an ihren Schleier
ftreifte , dazu flüfterte er die Worte:
Den füßeften Schlaf ber füßefien Jungfrau !
Als fie wirflid feinen Wunfch pernommen
zu haben fchien, eilte er, ganz trunfen vor Sreude
‚ barüder, hinweg, um zu Haufe Gotthard, ber
bei ihm wohnte, bie Sache mitzutheilen.
- 2 —— — — we ,-
169
Allein Gotthard hatte den Namen mit der
That, Denn er war gar gottesfuͤrchtig und
fagte auf Siegmunds Bericht des Vorgefallenen;
Ungluͤckskind, kehre um von dieſem Pfade!
das groͤßte Zeichen Deiner Verblendung iſt, daß
Du nicht ſehen konnteſt die furchtbare Geſtalt
in der Kirche neben Dir, welche Deinen Sinn
auf's Boͤſe leitete, und deren Blick mir noch jetzt
das Haar emporſtraͤubt. Der Windſtoß, welcher
des Rathsmeiſters Leuchte verlöſchte, war unſtreitig
nichts weiter als ein Hauch ſeines heilloſen
Mundes! —
Wefſen? fragte Siegmund, erfähhtter von
den kräftigen Tone ded Freundes.
Seiner — ermiderte Gotthard — den ich
nicht nennen mag, den Dy aber an feinen Wer⸗
fen erkennen follteff!
Das griff Warsberg vollends an's Herz und
Heßler fuhr fort:
Es if Zeit, Hohe Bett, daß Du Did los
macheſt yon den Eingebungen der bofen Gewalt.
Denk an Dorchen und die Thränen der. Berführs
sen durch Dih! Ya, Siegmund, anſtatt Dich
tiefer in der Hoͤlle Netze zu verſtricken, ‚tritt
vielmehr Fräftig aus ihnen taub,
O ſprich, auter Gotthard, was foll ich thun ?
fragte der Andere,
Deinen Yeltern den Fehler entdecken und mit
470
ihrer Beiſtimmung Dorchen ehelichen, bevor fie
für immer der Schande anheim fällt. —
Aber — verfegte Siegmund — die Xeltern
werden mir darob gewaltig zürnen.:
Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doc
giebt ed Feinen andern Ausweg zur Ehrenrettung
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch
| Deine Aeltern reiche Leute, welche die Koften des
neuen Handhalt& nicht zu feheuen brauchen, den
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch ift
Dorchen die Tochter eined weitberühmten, kunſt⸗
reichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne.
Siegmund reichte bem Freunde hierauf bie
Hand und verſprach zu thun, wie er gerathen
hatte. —
In der Nacht aber traͤumte ihm von des
Rathsmeiſters Tochter. Da war es, als trete
ſie aus ihrem Hauſe und als falle mit ihr ein
Strahl in ſeine Seele, jede andere Erinnerung
daraus verdraͤngend. Wie fie ihn num erblickte,
fo f&ien fie in ihm bdenfelben, den fie Tages
zuvor auf dem Wege in die Vesper fowol ale
nachher, wie er ihr dad Wort zuflüfterte, ber
merkt hatte, wieder zu erkennen. Denn ihr zarı
tes, weißed Geficht erglängte plöglich, wie der
Himmel vom Strahle des Morgens; ihr Blick
ſank zur Erde und der Fuß than einen unſichern
Tritt zuruͤck. Gleichwol fehlte Siegmund dab
e ⸗ men ur
171
Berz „ fie anzureben. Doch ſchlich er. von weie
tem nad, abermald nad) der Marienkirche, wo
fie die Rrühmeffe abzuwarten gedachte. Bevor fie
aber zur Kirche gelangte, ließ ed ihm doch Feine
Rube : er mußteihr Rede wögewinnen. Es gins
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und
Entfchuldigungen feiner Dreifligfeit fo wunder⸗
ſam vom Munde, daß er felbft darüber erflaunte,
und die Junafrau, Barbara mit Namen, ihm
nicht zuͤrnen mochte; daher er ſie denn auch zur
Kirche hinauf geleitete, und ihr dort dat geweihte
Waſſer reichte,
Drauf ſetzte fie ſich zwar wieder an den Platz,
den fie in der Veſper eingenommen ; doch war dieß⸗
mal der Bater nicht mit da; audy richtete fich ihre
Auge zu wiederholten Malen auf den neuen Ber
fannten, der ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil
er an Geſtalt und übrigem Weſen wohl gemacht
war, einer fhönen Jungfrau zu gefallen.
Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in
noch portheilhaftern Lichte, weil fie die großen,
blauen Augen und dad goldene Haar ehr here
aushob.
Auf dem Heimwege ſaumte daher Siegmund
nicht, ſie abermals zu geleiten und dabei ſeine
Liebesworte ſogleich anzubringen. Doch zu feinem
größten Erſchrecken ſagte ihm die Jungfrau, daß
— — an — Rn
472 4
ihr Bater fle bereits einem Andern verlobt habe,
und in wenig Wochen die Zrauung feyn ſolle.
Ueber diefen Schred wachte Siegmund auf
und merkte, daß alles nur ein Traum gewefen fei.
Darauf enrfihlief er:vieder und gerieth abermals
im Zraum vor ded Rathsmeiſters Zeideler Haus.
Es war fehon dunkler Abend, aber die Thuͤre noch
offen. Da ging er hinein und gelangfe in den
Hof, wo er eine Heine Seitentreppe vorfand.
Die erflieg er. und traf oben ſogleich Barbara's
Kämmerlein und Burhara darin. Und er bemädhs
tigte fich der ſchoͤnen Geſtalt und bat fo rührend,
daß ihr -davon alle Kraft zum Hülferufen benoms
Men ward. , Sp trug er fie aud dem Haufe und
Gotthard felbft ftand hier, fie zu empfangen und
die Jungfrau mit fchonen Reden zu betäuben.
Sie führten folche hieranf aus der Stadt, immer
weiter und weiter. ° Endlich kamen fie mit ihr in
ein Dorf, nahe hei Eidleben, ba fand fich ein
Pfaff, der fie trauete, worauf ein großes. Feſt
erfolgte. —
Als ob er von den hellen Pfeifen des Zeflet
felbft erwedt worden, fo fuhr jekt Siegmund
plöglih aus dem Scylafe empor ynd ſah, daß
alled wiederum bloßer Zraum gemefen und er,
ſtatt fein HDochzeitfeft mit der fchönen Raths⸗
meiflerStochter zu feiern, einfam in gewohnter
Zelle zu Erfurt liege, Gleichwohl Fam ihm der
173
Zraum gar nicht aus dem Sinne und er fühlte
einen Drang in fich, fogleich Kleid. und Mantel
unfzuwerfen und auszugehen: Ä
Da fagte noch Gotthard, bereitd bei ben
Büchern figend :
Zraun, ed muß Dir viel Muße ſeyn, oder
Unrupe, daß Du ſchon zu To. früher Tageszeit
Zerfireuung fucheftin ber Stadt! denn der Kirche
wegen geheſt Du doch wohl fo frühe nicht aus?
Und Siegmund flug dad Gewiſſen maͤch⸗
tig. Denn er gedachte, -wad er dem Sreunde am
Übende zugefagts Dennoch fonnte er fib nicht -
Iöfen von dem gemaltigen Untziche bed Traumes
und er ſprach·
Bielleicht geht doch man Weg zur girche. —
Dann — verfegte Gotthard — dann giehe
in Srieden. Denn ed iſt gut und loͤblich, ale
Dinge mit Gott- anzufangen !
Das Zutrauen aber, womit it fein frommer
Freund ihm die Hand reichte, verwundete Sieg⸗
mund ſtaͤrker denn der fruͤhere Argwohn, und
ſchon ſtand er im Begriff, ihm den Traum zu
entdecken, als es ihn wie mit Gewalt zur Thuͤre
hinaus draͤngte.
Er ſtuͤrmte die Treppe hinab. über die Straße,
bis vor ded Rathsmeiſters Zeibeler Haus. Und
fiche, alled wie in feinem Traume. Barbara trat
aus der Thuͤre und die Unfchuld ihrer Miene im
ir
ia.
Berein mitdem Worte feines Gewiſſens, feffelte
ihm Schritt und Zunge, Docd nur auf Augens
blide. Auch was nunmehr erfolgte, bildete nur
feinen Traum irh Wachen aus, fo daß in Kurzem
deſſen erfie Hälfte bis auf die Eltinften Umftände
vollendet war. —
Als er nun aus Barbara’d Munde vernommen
hatte, iht Vater habe fie. bereit6 einem Andern
zugefprochen, da verfieler in fo große Betruͤbniß,
daß nur die Hoffnung auf ded Traumes zweiten
. Kheil ihm einen ſchwachen Troft geben konnte.
Zu Haufe aber ſuchte er Gotthard auszu⸗
weichen, der noch feit über feinen Buͤchern ſaß.
Es ging indeffen nicht immer, denn fein Freund
fragte endlich geradehin:
Biſt Du wirklich in der Kirche geweſen ?
Siegmund bejahte.
Nun, dann — verſetzte der Andere — dann
wundert's mich, daß Du nicht mehr Kraft und
Freudigkeit daher zuruͤckbringeſt. Biſt Du viel⸗
leicht auch bei dem armen Dorchen geweſen, ſo
daß Dich ihre gerechte Klage ſeitdem wieder nieder⸗
beugte? Getroft, Lieber, auch fie wird ed wer⸗
den , da Dein guter Wille alles zum Veſten zu
kehren denkt!
Solche Troſlesworte konnten natuͤrlich nichts,
als pur tiefer einfchneiden in Siegmund6 verwans
beted Herz. Gotthard ſchrieb indeß die Fortdauer
*
178 .
feines Truͤbſinns dem Gedanken an die Trauer
feiner Aeltern bei der unerwarteten Nachricht zu,
und Tieß ab, ihn mit weitern Sragen zu beldftis
gen, da er meinte, daß durch das Worbaben,
welches er dem Freunde gutraute, alled von felbft
einen guten Ausgang gewinnen müffe. — Daher
machte er auch Feine einzige Bemerkung darüber,
daß Siegmund den ganzen Tag nicht Speife noch
Trank zu fi nahm.
Als nun’ die Dämmerung hereinbrach, da
ließ ed Siegmund Feine Ruhe mehr zu Haufe,
Er dachte nur darauf, ob ihm ber zweite Traum .
gleichfalls ausgehen werde, wie der erfte. Es
war aber noch nicht finfter genug, daher trat er
einfiweilen in ein Wirthöhaud. Hier ſtanden
mehrere Buͤrger zuſammen bei der Kanne, und
er horchte hoch auf, als er vernahm, daß der Ge⸗
genſtand ihrer Rede der Rathsmeiſter Zeideler
war. Einer der Buͤrger, ſeines Gewerbes ein
Pfeifer, erzaͤhlte von einem andern Kunffpfeifer,
Namens Henrich zu Eisleben, welcher ſich vor
Kurzem nach Erfurt wenden und hieſelbſt das
Buͤrgerrecht gewinnen wollen, von dem Raths⸗
meiſter Zeideler aber ſehr hart angelaſſen und hin⸗
weggewieſen worden. Es ſei, habe ernannter
Rathsmeiſter geſagt, des luftigen Geſindels ſchon
zu viel in der Stadt, als daß man die Mehrung
deſſelben geſtatten duͤrfte, da das Gewerbe eines
| 176
Pfeifers doch nur auf Thorheit und Hoffarth und
Eitelfeit ausgehe. Solche Rede aber hätte Hen⸗
sich von Eidleben fehr erzürnt, da fein Gewerbe
eine feine Kunſt fei, von Groß und Kieln in Eh⸗
ren gehalten überall, Er babe auch im Weggehen
vom Rarhhaufe laut gefagt, daß er nicht ruhen
wolle, bis er an dem Rathsmeiſter Zeibeler Rache
genommen, und gewiß jede Gelegenheit dazu
ergreifen werde.
Und er haͤlt Euch Wort — ſo fuͤgte der
Erzähler hinzu — darauf kenne ich den Hen⸗
rich. —
| Zimmittelft ı wär es fnfterer Übend geworben
und Siegmund ſetzte feinen Fuß weiter. Aber⸗
mals alles, wie in ſeinem Traume: die Haus⸗
thür offen, bie Seitentreppe im Hofe zu fehen.
Nichts hätte bei foichem Anſchein ſeinen wilden
Muth baͤndigen Yonnen. "Barbara bald in feis
nen Armen! Diefer‘ Gedanke trieb ihn wie der
Meerſturm dab ſchwache Fahrzeug. — Auch ſie
fand er droben und ihr ohnmaͤchtiges Straͤuben.
Als er nun mit ihr aus dem Haufe trat
und wirklich Gotthard feiner harten fab, da ver⸗
(wand: ihm ſogar das letzte Bedenken. Gott
hard ſagte, daß er ihm nachgegangen. und felbfl
zur Ausführung feines Borhabend behütfiich feyn
wolle, weil er ja doch davon nicht abzubringen
ſcheine.
4 v Lv ⁊
177
Die Yungfrau aber, als fie mit ihr Zum
Thore hinaus waren, erholte fich endlich aus der
Betäubung, worin dad füße Schmeicheln und
die zarten Liebesworte Siegmundsé fie gelifpelt
hatten, und fie rief:
O ſprecht, Reute; was iſt das, und was
begehrt Ihr ˖ von mir, die ich doch eines Andern
werden fol? Laßt mich lieber zuruͤck in dad Haus
meined Vaters, wohin ich allein gehöre.
Hierauf erwiderte Waröberg :
So haſſeſt Du mich, Höldfeligfte, mit fol
her Graufamkeit, daB Du gar mein Berderben
verlangeft?
Nicht Dein Berberben! ſprach fie. Auch
haſſe ich nicht Dich, fondern nur Deine gottlofe
Untreu an der Sittfainfeit, und daß Du eine
unbefcholtene Jungftau alfo entzweien willft mit
ihren Verwandten und in Schimpf und Schande
bringen !
Und gleichwohl — verfegte Siegmund —
zwang id Dich nicht, mit hierher zu gehen;
vielmehr gewann: nur meine Liebe fo viel über
Dein Herz!
Darauf ſchalt die Jungfrau :
Sprich nicht alfo., böfer Gefel, der Du wohl
mit argen Zauberfünften umgehen magſt. Denn
anders Tonnte ed Dir fchmwerlich gelingen, mich
dergeftalt zu verbienden !
Geſpenſterbuch 6. Theil. M
. 478
Jungfrau — entgegnett Siegmund — Taft
und beide die Schuld. gemeinfhaftlidh tragen, da
Ihr doch nun nicht unbemerkt in Euered Baterd
Haus zuruͤckkehren werdet, dort dber jedermann,
felbft Euer Bräutigam, die Zauberkünfte, fo Ihr
mir gern zur Laſt legtet, in Euer Willen zum
Mitgehen finden wird. |
Barbara aber, welcher das tinleüchtete, jam⸗
merte gar ſehr, und ſie glaubte die Schmach
nicht erdulben zu koͤnnen, welche ihrer im vaͤter⸗
lichen Hauſe wartete, daher wendete ſie ſich an
Gotthard, der ſeit der erſten Begrüßung wenig
von fih hören Taffen. Er beantwortete jedoch
ihre Srage mit bloßem Achſelzucken. Darauf
beräubte Siegmund fie aufs Neue mit Liebes⸗
werten, fo daß bald vom Zuruͤckkehren nicht meht
die Rede war, |
Der zu befütdytenden Nachforſchungen halber
hielt man ſich unterweged nur fo viel auf, um
dab Norhdärftige an Effen und Trinken einzus
nehmen und zuweilen im Waldeöfchatten ein
wenig audzuruhen, Endlich Tagen bie Thürme
der Stadt Eisleben vor ihnen im grauen Nebel.
Sogleich fiel Siegmund, da er allda keine Bes
Sanntfchaft hatte, der Kunftpfeifer Henrich ein,
welchem, nach dem was er im Wirthshauſe zu
Erfurt vernommien, die Gelegenheit ſich dadurd,
daß er Sarbara’d Verbindung mit ihrem Entführ
179
ver begänflige, an dem Nathsmeifter Zeideler zu
rächen, willfommen feyn mußte. Als fie nun
in Eisleben anfangten, fo fragte er fogfeich nach
dem Pfeifer und warb auch alsbald su ihm
gewiefen
Henrich ſchlug jaudhgenb i in die Hände, al
Siegmund ihm heimlich fein. Anliegen erdffnete..
Bald war auch mit des Pfeiferd Beiftande anf
einem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden,
der die Tranung ohne Anſtand beforgte. Der.
Pfeifer aber, hocherfreut über die Rache ‚welche
er alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, be
rief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo
daß die Hochzeit gar feſtlich gehalten, auch viel
dabei getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗
rich hatte eine ftarte Bekanntſchaft in der Gegend,
meift junges Bolt, und folded in Siegmunds
Namen dazu geladen. |
Doch am Abend, wie ber Laͤrm eben gar
groß geworden, kam Heßler plöglich zu Wars⸗
berg und rief Henrich, den Pfeifer, auch dazu. —
Ich war — fo fagte er Hier gu ihnen — eben
drunten im Dorfe, Da hörte ich, leider! daß
Such ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter
Zeideler von Erfurt hat und nämlich nachgeſpuͤrt
und ift ſchon mit Befolge hier, um feine Toch⸗
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Daß.
koͤnnte ein böfed Halsgericht geben; drum laßt
D 2
170
ibrer Veiftimmung Dorchen ehelichen, bevor ſie
für immer der Schande anheim faͤllt. —
Aber — verfagte Siegmund — die Yeltern
werden mir darob gewaltig zürnen. .
Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doch
giebt es Feinen andern Ausweg zur Ehrenrettung
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch
Deine Yeltern reiche Leute, welche die Koften des
neuen Hanshalt& nicht zu ſcheuen brauchen, den
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch iſt
Dorchen die Lochter eined weirberühmten, kunſt⸗
reichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne.
Siegmund reichte dem Freunde hierauf die
Hand und derſprach zu thun, wie er gerathen
hate. —
In der Nacht aber träumte ihm von des
Nathömeiflerd Tochter. Da war ed, ald trete
fie aud ihrem Haufe und ald falle mit ihr ein
Strahl in feine Seele, jede andere Erinnerung
daraus verdrängend. Wie fie ihn num erblidte,
fo f&ien fie in ihm denfelben, ben fie Tages
zuvor auf dem Wege in die Vesper fomol als
nachher, wie er ihr dad Wort zufläfterte, bes
merkt hatte, wieber zu erfennen. Denn ihr zar⸗
tes, weißes Geficht erglängte plöglich, wie der
Simmel vom Strahle des Morgens; ihr Bid
fan? zur Erbe und der Fuß tha= einen unſichern
Tritt zuruͤck. Gleichwol fehlte Siegmund dab
— nd
171
Gerz , fie anzureden. Doch fehlich er von weis
gem nach, abermald nach der Marienfirdhe, wo
fie die Fruͤhmeſſe abzuwarten gedachte. Bevor ſie
aber zur Kirche gelangte, ließ es ihm doch keine
Ruhe: er mußte ihr Rede gewinnen, Ed gin⸗
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und
Entſchuldigungen ſeiner Dreiſtigkeit ſo wunder⸗
ſam vom Munde, daß er ſelbſt daruͤber erſtaunte,
und die Jungfrau, Barbara mit Namen, ihm
nicht zuͤrnen mochte; daher er fie denn aud) zur
—
Waſſer reichte.
Drauf feßte fie ſich zwar wieder an ben Plaß,
den fie in der Befper eingenommen ; doch war dieß⸗
mal der Bater nidyt mit da; auch richtete fich ihre
Auge zu wiederholten Malen auf den neuen Bes
fannten, ber ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil
er an Geſtalt und übrigem Wefen wohl gemacht
war, einer fehönen Jungfrau zu gefallen.
Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in
noch yortheilhafterm Fichte, weil fie die großen,
Blauen Augen und dad goldene Haar Mehr here
aushob.
Auf dem Heimwege ſaumte daher Siegmund
nicht, ſie abermals zu geleiten und dabei ſeine
Liebesworte ſogleich anzubringen. Doch zu ſeinem
größten Erſchrecken ſagte ihm bie Jungfrau, daß
4170
rer Veiftimmung Dorchen ehelichen, bevor fie
für immer der Schande anheim fält. —
Aber — verfagte Siegmund — die Yeltern
werden mir darob gewaltig zürnen.
Und mit Recht! antwortete Gotthard. Doch
giebt ed Feinen andern Yusweg zur Ehrenrettung
des vorhin fo ſchuldloſen Mägdleind. Sind doch
Deine Aeltern reiche Leute, welche die Koſten des
neuen Hanshalt& nicht zu feheuen brauchen, den
lediglich Deine Schuld herbeigelodt. Auch iſt
Dorchen die Tochter eineb weitberühmten, kunſt⸗
zeichen Goldſchmidts, und eine gar feine Dirne.
Siegmund reichte dem Freunde hierauf die
Hand und verfpgad zu thun, wie er gerathen
hatıe. —
In der Nacht aber träumte ihm von des
Mathsmeiſters Tochter. Da war ed, als trete
fie aus ihrem Haufe und als fale mit ihr ein
. Strahl in feine Seele, jebe andere Erinnerung
daraus verdrängend. Wie fie ihn nun erblidte,
fo ſchien fie in ihm denfelben, den fie Tages
guvor auf dem Wege in die Vesper ſowol als
nachher, wie er ihr dad Wort zuflüfterte, ber
merkt hatte, wieder zu erkennen. Denn ihr zar⸗
tes, weißed Geficht erglänzte ploͤtzlich, wie der
Simmel vom Strahle bes Morgens; ihr Blick
fan? zur Erde und der Fuß thar einen unſichern
Tritt zuruͤk. Gleichwol fehlte Siegmund dab
171
Herz, fie anzureden. Doc ſchlich er von weie
gem nad, abermald nad) der Marienkirche, wo
fie die Fruͤhmeſſe abzuwarten gedachte. Bevor ſie
aber zur Kirche gelangte, ließ es ihm doch keine
Ruhe: er mußte ihr Rede Igewinnen. Es gin⸗
gen ihm auch die feinen, zierlichen Worte und
Entſchuldigungen feiner Dreiſtigkeit fo wunders
fam vom Munde, daß er ſelbſt darüber erftaunte,
und die Junafrau, Barbära mit Namen, ihm
nicht gürnen mochte; daher er fie denn auch zur
Kirche hinauf geleitete, und ihr bort das geweihte
Waſſer reichte,
Drauf ſetzte fie ſich zwar wieder an den Plaß,
den fie in der Befper eingenommen ; doch war dieß⸗ |
mal der Bater nidyt mit da; auch richtete fich ihr
Yuge zu wiederholten Malen auf den neuen des
kannten, der ſolches nicht zu fcheuen brauchte, weil
er an Geſtalt und übrigem Wefen wohl gemacht
war, einer fhönen Jungfrau zu gefallen.
Die Tageshelle aber zeigte Barbara nur in
noch yortheilhafterm Lichte, weil fie die großen,
Blauen Augen und das goldene Haar ehr here
aushob, \
Auf dem Heimmege fäumte daher Siegmund “
nicht, fie abermald zu geleiten und babei feine
Liebesworte fogleich anzubringen. Doch zu feinem
größten Erſchrecken fagte ihm die Jungfrau, daß .
172 4
ihr Vater fle bereits einem Andern verlobt Habe,
und in wenig Wochen die Trauung feyn Tolle.
Ueber diefen Schred wachte Siegmund auf
und merkte, daß alles nur ein Traum gewefen ſei.
Darauf enrfihlief er wieder und gerieth abermald
im Traum vor ded Rarhömeifterd Zeideler Haus.
Es war fihon Dunkler Abend, aber die Thuͤre noch
offen. :Da- ging er hinein und gelangfe in den
Hof, wo er eine Meine Seitentreppe vorfand.
Die erflieg er. und traf oben ſogleich Barbara's
Kämmerlein und Barbara darin. Und er bemaͤch⸗
tigte fich der ſchoͤnen Geſtalt und bat fo rührend,
daß ihr davon alle Kraft zum Hilferufen benom⸗
Men ward. Sp trug er fie aus dem Haufe und
Gotthard ſelbſt fiand hier, fie zu empfangen und
die Jungfrau‘ mit ſchönen Reden zu betäuben,
Sie führten folche hierauf aus Der Stadt, immer
weiter und weiter. ° Endlich kamen fie mit ihr in
ein Dosf, nahe hei Eisleben, da fand fich ein
Pfaff, der fie trauete, worauf ein großes Fefl
erfolgte. —
Als od er von den hellen Pfeifen bed Feſteß
felbft erwedt worden, fo fuhr jekt Siegmund
plöglich aus dem Schlafe empor ynd ſah, daß
alled wiederum bloßer Zraum gewefen und er,
fiatt fein Hochzeitfeft mit der ſchöͤnen Raths⸗
meifterdtochter zu feiern, einfam in gewohnter
Zeile gu Erfurt liege, Gleichwohl Fam ihm der
173
Traum gar nicht aud dem Sinne und er fühlte
einen Drang in fich, fogleich Kleid und Mantel
umzuwerfen und auszugehen, Ä
Da fagte noch Goubasd , bereitö bei ben
Büchern ſitzend:
Traun, es muf Dir Biel Muße feyn ; oder
Unruhe, daB Du ſchon zu fo früher Tageszeit
Zerftreuung ſucheſt in ber Stadt! denn der Kirche:
wegen geheilt Du dach wohl fo fräheniht aus?
Und Siegmund ſchlug dad Gewiſſen maͤch⸗
tig. : Denn er gedachte, was er dem Sreunde am
Abende zugeſagt. Dennoch Fonnte er fih nicht
Iöfen von dem gewaltigen Anttiehe bed Traumes
und er fpradhs. _
Vielleicht geht doch man Wes zur girche. —
Dann — verſetzte Gotthard — dann ziehe
in Frieden. Denn es iſt gut und loͤblich, ale
Dinge mit Gott anzufangen ! —
Dad Zutrauen: aber, womit fein frommer
Kreund ihm die Hand reichte, verwundete Sieg⸗
mund flärker denn der frühere Urgwohn, und
ſchon fland er im Begriff, ihm den Traum zu
entdedlen, ald ed ihn wie mit Gewalt zur Thuͤre
hinaus drängte,
Er flürmte die Treppe hinab, über bie Straße,
His vor ded Rathsmeiſters Zeideler Haus. Und
fiehe, alles wie in feinem Traume. Barbara trat
aus der Thuͤre und die Unſchuld ihrer Miene im
476
Jungfrau — entgegnete Siegmund — Taßt
und beide die Schuld gemeinfchaftlich tragen, da
Ihr doch nun nicht unbemerkt in Eueres Vaters
Haus zuruͤckkehren werdet, dort aber jedermann,
felbft Euer Bräutigam, die Zauberfünfte, fo Ihr
mir gern zur Laſt legtet, in Euerm Willen zum
Mitgehen finden wird.
Barbara aber, welcher das einleuchtete, jam⸗
merte gar fehr, und fie glaubte die Schmach
nicht erdulden zu Tonnen, welche ihrer im vater⸗
lichen Haufe wartete," daher wendete fie ſich an
Gotthard, der feit der erflen Begrüßung wenig
von fih hören laffen. Er beantwortete jedoch
ihte Frage mit bloßem Achſelzucken. Darauf
beräubte Siegmund fie auf's Neue mit Liebes⸗
werten, fo daß bald vom Zuruͤckehren nicht meht
die Rede war,
Der zu befuͤtchtenden Nachforfhungen halber
hielt man ſich unterweges nur fo viel auf, um
das Norhdärftige an Effen und Trinken einzus
nehmen und zumeilen im Waldeöfchatten ein
wenig auszuruhen. Endlich lagen die Thuͤrme
der Stadt Eisleben vor ihnen im grauen Nebel.
Sogleich fiel Siegmund, da er allda Feine Ber
kanntſchaft hatte, der Kunftpfeifer Hentich ein,
weldyem , nach dem was er im Wirthöhaufe zu
Erfurt vernommen, die Gelegenheit ſich dadurch,
daß er Barbara’s Verbindung mit ihrem Entführ
179
rer beguͤnſtige, an dem Rathsmeiſter Zeidelet zu
raͤchen, willkommen ſeyn mußte. Als ſie nun
in Eisleben anlangten, ſo fragte er ſogleich nach
dem Pfeifer und ward auch alsbald zu ihm
gewieſem
Henrich ſchlug zauchzend i in die Haͤnde, als
Siegmund ihm heimlich ſein Anliegen eroͤffnete.
Bald war auch mit des Pfeifers Beiſtande anf
einem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden,
der die Trauung ohne Anſtand beforgte. Der
Pfeifer aber, hocherfreut über die Nache „welche
er alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, ber
rief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo
daß die Hochzeit gar feftlich gehalten, auch viel
dabei getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗
rich hatte eine ſtarke Befanntfchaftin der Gegend,
meift junged Volk, und folded in Siegmunds
Namen dazu geladen.
Doch am Abend, wie der Lärm eben gar
groß geworden, Fam Heßler plöglid zu Wars⸗
berg und rief Henrich, ben Pfeifer, auch dazu: —
Ich war — fo fagte er Hier zu ihnen — eben
drunten im Dorfe. Da hörte ih, leider! daß
Fach ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter
Zeideler von Erfurt hat und naͤmlich nachgeſpuͤrt
und ift (don mit Befolge hier, um feine Toch⸗
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Daß.
Tonnte ein boͤſes Halsgericht geben; drum laßt
mM 2
180
Euch beide rathen und gehet flugd mit mir da}
von! —
Siegmund wollte nun zwar durchaus nicht
fort oßne die Braut; doch da der Pfeifer den
Kopf fchüttelte und ebenfalld meinte, daß das
Leben davon zu bringen jeßt die Hauptſache ſei,
indem alled andere in Zukunft eher wieder zu
erlangen ſtehe, als dieſes, fo Tieß er ſich's audy
‚gefallen und entkam mit den beiden Undern durch
die Sartenthüre, während der Rathsmeiſter und
die Seinigen ſchon in's Haus brangen.
‚Aber der Pfeifer konnte nicht zurüd nach
Eisleben und Siegmund weder nad) Erfurt noch
in feine Heimath, weil wohl gu fürchten fland,
daß man auch dorthin nach ihnen fenden werde.
Sie entfamen jedoch insgeſammt bis nach Franken,
wo niemand um die Sache Wiſſenſchaft hatte.
, Siegmund gebrach es indeffen an aller Rufe.
Dad Leben war ihm eine traurige Laſt, nun er
die entbehren mußte , die in der legten Zeit fein
einziges Dichten und Trachten geweſen. Daher
machte er audy allerlei Unfchläge, wie der gelichs
ten Barbara beizufommen feyn dürfte ‘Doch
der Pfeifer ging in fich und es reuete ihm der
bdfen That, welche er aus Rache, unternommen,
gar fehr. Das fagte er audy Waröberg. Der
aber hatte in feiner Befangenheit Teinen Sinn
mehr für dad Rechte. Darum nahm Henrich
[2
Li
181
eine Morgens, ald Heßler eben ausgegangen war,
feinen Wanderſtab und fagte zu Siegmund :
Gehab Di wohl! Denn feitich mein Ber:
gehen einfehe, flimmen wir nicht mehr zufammen.
Ich will zufchauen , wo meine Kunſt andenwärtd
Unterfommen findet; ift ihr doch allenthalhen
gededrer Zifch gewiß. — Und noch eins, Gefell!
Was Du au thun möÖgeft, fo fliche Deinen
(Sefährten! Dein junges Blut Fönnte in feiner
Geſellſchaft leicht zu ervigem Schaden kommen.
Glaube dab meiner Erfahrung. ch babe Acht
auf ihn gegeben und ift er Fein Zauberer, o fo
fann er nur der Satan felber feyn. —
Aber die Nede machte wenig Eindrud auf
Siegmund, welder Gotthard von Grund aus
zu kennen glaubte. Als er indeffen nun ſtets
allein war mit ihm und Zeit genug zum Nach⸗
denken behielt, da nahm es Warsberg immer mehe
Wunder, welch große Veränderung in der That
mit Heßler vorgegangen. Denn er, ber fonft
feine geiftlichen Bücher gar nicht miffen Fonnte,
lebte jegt, ohne auch nur nach ihnen zu fragen. —
Zudem ſchien er oft in ein duͤſteres Brüten vers
Ioren, was dem fo heitern Menſchen ſonſt niemals
begegnete. —
Als endlich einmal Siegmund beim Aufſte⸗
hen vom Lager alſo zu ihm anhob:
Weißt Du noch, Gotthard, wie Du in der
"182
Vefper zu Erfurt mir einreden wollteſt, es file
ein ſchlimmer Nachbar an meiner Seite, den ich
vicht gewahrte 2 —
D ja. antwortete ber. Andere kachend — ich
habe in meinem Leben. manch Hirngefpinft diefer
Art erfchaut.
Jetzt alfo, Gotthard, meinſt Du ſelber, daß
«6 bloßes Hirngeſpinſt geweſen ?
Allerdings + Die Einbildung treibt bisweilen
wunderliche Wirihſchaft im Gehirue junger Ges
fellen ! l ⸗
Und doch — — ſprach Stegmund nach fangen,
tiefem Athemzuge — doch gemahnt 6 mich bias
weilen, aldob Du dazumal Recht gehabs haͤtteſt
und ich Unrecht. — Denn eine‘ böfe, 4ußere Kraft
mußte wohl dazu gehören, mich von Dorchen, die
ich verführte, fo ganz mit Seele und Ginnen
abzuwenden. Ich fühlte dad, wie Du za Haufe
mir die Sache vorhieltefl. Es gehörte wahrlich
mehr Rede von Deiner Seite dazu, ald von⸗
nöthen gersefen, wenn alle& natürlich bei mir
gugegangen. Und der Lraum, der doppelte Traum,
den ih Dir erſt geftern erzählte, der alle meine
guten Borfäge wieder ummarf, wie ſoll ich mir
den anders, ald durch fremdes, gewaltiged Eins
wirten erklären, ba die Wirklichkeit nachher doch
nichtö chat, ald feine Gerippe mit dem erforderli⸗
«en Fleiſch und Blut au überhauen ?
ER *
179
- begünflige, an dem Rathsmeiſter Zeideler zu
chen, woillfommen feyn mußte. Als fie nun
Eisteben anlangten, fo fragte er fogleich nach
m Pfeifer und warb auch aldbald gu ihm
wiefem
Henrich ſchlug jauchzenb i in die Hände, ale
iegmund ihm heimlich fein. Anliegen erbffnete.
‚ald war auch mit des Pfeiferd Beiftande auf
nem benachbarten Dorfe ein Pfaff aufgefunden,
er die Lrauung ohne Anfland beforgte. Der
Yfeifer aber, Hocherfreut über die Nache ‚welche
e alfo an feinem Beleidiger nehmen konnte, ber
ief noch mehrere feiner Kunftgefellen herzu, ſo
raß die Hochzeit gar feftlich gehalten, auch viel
aber getanzt und gefprungen wurde ; denn Hen⸗
rich hatte eine ſtarke Befanntfchaft in der Gegend,
meift junges Bolf, und folded in Siegmunds
Namen dazu geladen,
Doch am Abend, wie der Lärın eben gar
groß geworden, Fam Heßler ploͤtzlich zu Wars⸗
berg und rief Henrich, den Pfeifer, auch dazu. —
Ich war — fo fagte er Hier zu ihnen — eben
drunten im Dorfes Da hörte ih, leider! daß
Euch ein Ueberfal drohe. Der Rathsmeiſter
Heideler von Erfurt hat und nämlich nachgeſpuͤrt
and ift (don mit Gefolge hier, um feine Toch⸗
ter und und drei in Empfang zu nehmen. Dad
koͤnnte ein böfed Valsgericht geben; drum laßt
DM 2
488.
Aber Gotthard — rief Siegmund aud m
denfe Dir, Dorchen, wie fie bie Stunde ihrer und
meiner Geburt verwünfdgen mag; denke Dir den
fo hochgeachteten Goldſchmidt, ihren Vater, ihre _
Mutter, dad Mufterbild einer fittfamen Haus⸗
frau , dieſe Aeltern, die alled getban, um ihr
Kind der Tugend zuzuführen ; denke Dir fie, wenn
fie nun die Schmach des Mägdleind inne werden !
Sreilich — erwiberte der Andere — dad wird,
ihnen ungelegen fommen. Aber Du, mußt denn
Du deßwegen dem rafilofen, weit hinausſtreben⸗
den Geifte mit ber Goldſchmidtstochter ein ewiges
Gewicht an die ſchoͤnen Bittige hängen ?
Ei — fprahd Siegmund — meine Schuld
muß ich doch wohl vor allem gut zu machen
ſuchen. 6
Ich daͤchte — verſetzte Heßler lachend — jedes
von Euch koͤnnte die Haͤlfte der Schuld ſo auf
Ad nehmen, wie Ihr Euch in die Luſt gleich⸗
falls getheilt haben möge! —
Da ſchauerte Waröberg vor dem Freunde.
Gleichwohl ſchmeichelte ſolche böfe Sinnebart feiner
Neigung, die fortbauernd von Dorchen völlig
abgewandt, einzig nach Barbara fich hinkehrte.
Er glaubte indeffen andere Luft noͤthig zu haben,
kleidete fi) daher eilendd an und ging hinaus
in's freie Feld. Uber fein Gewiſſen ging mit
ihm und drüdte ihn bald auf einen Hügel am
185
Mege nieder. Dier verfanf er, ber. Umgebung
feinen Blick zumendend, in dad Meer büflerer
Bilder, welches in feinem Innern aufs und abs
ſtuͤrmte.
Da klopft ihm mit einem Male ein Haͤnd⸗
chen leiſe auf den Arm, und wie er aufficht,
fa ift es Dorchen, die vor ihm ſteht. Es iſt
ihr freundliches Geſicht, obſchon bleich von Harm;
"ihr ſchoͤnes dunkles Auge iſt es, obſchon halb
erloſchen in den Thraͤnen, deren Spur ſich rings⸗
um eingegraben hatte, '
Beim Erblicken des verlorenen: Sichften ‚bras
hen fie von Nexem firommeis hervor. ,
Siegmund? — fprah fie — Du haft die
Matbsmeiſters Tochter entführt; Dein Herz ger
hört mir nicht mehr an. ber der Himmel,
wenn anderd ber noch von mir weiß, ber Him⸗
mel führe Dich felber mir unverhofft zu. Nicht
ald wollteich Anſpruch machen auf die Hand, fo
Du mir gufagtefl. Nein, mein Anſpruch mag
verfallen feyn, wie Dein Verſprechen. Und damit
feine boͤſe Erinnerung daran Dich quäle, fo gieb
mir meinen Ring zuräd, wie ich Dir den Deinis
gen hier wieder gebe.
Dorchen! rief Siegmunb, ihre Sand heftig
ergreifend.
Nein! ſprach fie, indem fie folche von ihm
los machte, glaube nicht, daß ich Deinetwegen
184,
Aber Gotthard. — rief Siegmund aus —
denke Dir, Dorchen, wie fie die Stunde ihrer und
meiner Geburt verwünfdgen mag; benfe Dir den
fo hochgeachteten Goldſchmidt, ihren Vater, ihre
Mutter, dad Mufterbild einer fittfamen Haus⸗
frau , diefe Aeltern, die alle gethban, um ihr
Kind der Tugend zuzuführen; denke Dir fie, wenn
fie nun die Schmach des Mägdleind inne werden !
Sreilich — erwiberte der Andere — dad wird,
ihnen ungelegen fommen. Aber Du, mußt denn
Du defwegen dem rafilofen, weit hinausſtreben⸗
den Geiſte mit der Goldſchmidtstochter ein ewiges
Gewicht an die ſchoͤnen Fittige haͤngen?
Ei — ſprach Siegmund. — meine Schuld
muß ich doch wohl vor allem gut au machen
fuchen.
Ich daͤchte — verſetzte Heßler lachend — jedes
von Euch koͤnnte die Haͤlfte der Schuld ſo auf
ſich nehmen, wie Ahr Euch in die Luſt gleich⸗
falls getheilt haben moͤgt! —
Da ſchauerte Warsberg vor dem Freunde.
Gleichwohl ſchmeichelte ſolche böfe Sinnebart feiner
Neigung, die fortbauernd von Dorchen völlig
, abgewandt, einzig nach Barbara fich hinkehrte.
Er glaubte indeffen andere Luft noͤthig zu haben,
Heidete ſich daher eilendd an und ging hinaus
in's freie Feld. Uber fein Gewiffen ging mit
ihn und drüdte ihn bald auf einen Hügel am
185
Wege nieder. Dier verfanf er, der. Umgebung
feinen Blick zumendend, in dad Meer büfterer
Bilder, welches in feinem Innern aufs und abs
ſtuͤrmte.
Da klopft ihm mit einem Male ein Haͤnd⸗
hen leiſe auf den Arm, und wie er aufſieht,
fü iſt es Dorchen, die vor ihm ſteht. Es iſt
ihr freundliches Geſicht, obſchon bleich von Harm;
- "ihr ſchoͤnes dunkles Auge iſt es, obſchon halb
erloſchen in den Thraͤnen, deren Spur ſich rings⸗
um eingegraben hatte,
Beim Erblicken des verlorenen Liebſten bhra⸗
hen fie von Nezem firommeis hervor.
Siegmund — ſprach fie — Du haſt die
Ratbsmeiſters Tochter entführt; Dein Herz ger
hört mir nicht mehr an. Uber der Himmel,
wenn anders ber noch von mir weiß, der Him⸗
mel führt Dich felber mir unverhofft zu. Nicht
als wollte ich Anſpruch machen auf die Hand, fo
Du mir zuſagteſt. Nein, mein Anſpruch mag
verfallen feyn, wie Dein Berfprehen. Und damit
Feine bbfe Erinnerung daran Dich quäle, fo gieh
mir meinen Ring zuräd,. wie ich Dir den Deini⸗
gen hier wieder gebe.
Dorchen! rief Siegmund, ihre Hand heftig
ergreifend.
Nein! ſprach fie, indem fie folche von ihm
los machte, glaube nicht, daß ich Deinetwegen
Pr — Lu _ — — ...__ >... — — — — — —
484
meinen geliebten Geburtsort heimlich verlaffen
babe. Nur der Ueltern, der frommen Aeltern
halber, geſchah ed. Denn es iſt ihnen. beffer
noch, kinderlos ſeyn, ald zu erfahren von mir,
was Du — — weißt. —
Gott, Gott! — rief Siegmund, mit der
Hand ſeine Augen vor der Geſtalt der Armen
ſchuͤtzend, aber vor dem Lichte des Zaged, deſſen
er ſich unwerth achtete. —
Lange blieb er halb bewußtlos, und wie er
endlich ‚wieder aufblickte, da fragte er fi, was
mit ihm vorgegangen , 0b Dorchen wirklich bei
ibm gemwefen fi? Deun nun war er allen.
Deſto mehr erſchrak er über Heßlers Geſell⸗
ſchaft, worein er einen Augenblick ſpaͤter fo ploͤtz⸗
lich gerieth, daß es zweifelhaft blieb, ob fein
Bekannter aus einem Graben "Hinter ibm, Ober
aus der Erbe heraufgefliegen.
Nun Haft Du ja dad abgedanfte Liebchen wies
der bei Dir gehabt, Siegmund ,„ fo begann ber
Under Doch Siegmund, der jegt durch den
Ning an feiner Hand ebenfalld davon überzeugs
wurde, daß Fein bloßes Phantafiefpiel ihn mit
Dorchens Erfcheinung getäufcht habe, winfte, an
dig Leidende denkend, die noch immer mit fo viel
unverdienter Schonung vor den Augen feined Geis
ſtes da ſtand, finfleren Blickes, Schweigen dem
rohen Munde.
vw v⸗
4187
BeimZurädtehren mit demYndern verſchwand
aber dad durch ihn fb tiefgefränfte Wefen allmaͤh⸗
lig aus feinem Auge. Doch ward ihm deßhalb
nicht froher um's Herz ; vielmehr ſtellte ſich fein
Drang nad) Barbara immer ftärfer und ſtaͤrker
ein, fo daß er, als fie in ihrer Wohnung anfar
nen, endlich ausrief:
Gotthard, haft Du wirklich etwa gar zaubern
gelernt, daß Du mir ben Trieb in ber Seele
felbft gewaltfam umwenden und mein Herz ſtim⸗
men magſt, wie ein todted Saitenfpiel ?
Wer weiß? verfegte der Andere.
O, dann fpradı Siegmund — dam vers
laß mich! Denn fihon friert mein Darf zufams
men bei der Betrachtung, “Du koͤnnteſt mir wohl
nad) und nach Gedanken einflößen, wie die, welche,
böfen Giftqualm aushauchend, mich vohin in's
Freie hinaus nöthigten.
But — fpradı der Andere — ich gehe, wenn
Du mein entbehren kannſt!
Halt, nody eind! rief Siegmund, dad Herz
ſchlaͤgt mir die Bruſt entzwei, wenn ich nicht
weiß, wie ed um Barbara ſtehen mag. Kannfl
Du mir fagen, ob fie glüdlich ift?
Gluͤcklich? — lachte jener — Närrifche Frage !
Sie wäre vielleicht gluͤcklich geworden, hätte fich
Die verwuͤnſchte Gerechtigfeit nicht dazwiſchen ges
ſegt! So viel fannft Du wohl errathen, daß Vater
x
-
486
meinen geliebten Geburtsort heimlich verlaſſen
habe. Nur der Aeltern, der frommen eltern
halber, geſchab ed. Denn es ift ihnen beſſer
noch, kinderlos ſeyn, ald zu erfahren von mir,
was Du — — weißt. —
Gott, Gott! — rief Siegmund, mit ber
. Hand feine Augen vor der Geflalt der Armen
ſchuͤtzend, ader vor dem Lichte des Tages, deſſen
er ſich unwerth achtete. —
Lange blieb er halb bewußtlos, und wie en
endlich wieder aufblickte, da fragte er ſich, was
mit ihm, vorgegangen , 0b Dorchen wirklich bei
ihm gewefen fei? Denn nun war er allen.
Deſto mehr, erſchtat er über Heßlers Geſell⸗
ſchaft, worein er einen Augenblick ſpaͤter fo plotz⸗
lich gerieth, daß es zweifelhaft blieb, ob fein
- Bekannter aus einem Graben" binter ihm, ober
aus ber Erde heraufgefliegen.
Nun haft Du ja dad abgedankte Liebchen wies
ber bei Dir gehabt, Siegmund, fo begann der
Under. Doch Siegmund, der jet durch den
Ning an feiner Hand ebenfalls davon überzeugt
wurde, daß kein bioded Phantafiefpiel ihn mit
Dorchens Erſcheinung getäufcht habe, winkte, an
die Leidende denkend, die noch immer mit fo viel
unverdienter Schonung vor den Augen feines Geis
filed. da ftand, finfteren Blickes, Schweigen dem
vofen Munde.
. 4... en
4187
VeimZuruͤckkehren mit dem Andern verſchwand
aber das durch ihn ſo tief gekraͤnkte Weſen allmaͤh⸗
lig aus ſeinem Auge. Doch ward ihm deßhalb
nicht froher um's Herz; vielmehr ſtellte ſich ſein
Drang nach Barbara immer ſtaͤrker und ſtaͤrker
ein, ſo daß er, als ſie in ihrer Wohnung anka⸗
en, endlich ausrief:
Gotthard, haſt Du wirklich etwa gar zaubern
gelernt, daB Du mir den Zrieb in ber Seele .
ſelbſt gewaltfam ummenden und mein Herz ſtim⸗
men magft, wie ein todted Saitenfpiel ?
Wer weiß? verfeßte der Andere,
D, dann — ſprach Siegmund — dann ver⸗
laß mich! Denn fihon friert mein Mark zufams
men bei der Betrachtung, Du koͤnnteſt mir wohl
nad) und nach Gedanken einflößen, wie die, welche,
böfen Giftqualm aushauchend, mich vohin in's
Sreie hinaus noͤthigten.
But — ſprach ber Andere — ich gehe, wenn
Du mein entbehren Kannft !
-
Halt, noch eind! rief Siegmund, bad Herz
ſchlaͤgt mir die Bruft entzwei, wenn ich nicht
weiß, wie ed um Barbara fliehen mag. Kannſt
Du mir fagen, ob fie gluͤcklich ift?
Gluͤcklich? — lachte jener — Närrifche Frage !
Sie wäre vielfeicht gluͤcklich geworden, hätte fich
Die verwuͤnſchte Gerechtigfeit nicht dazwiſchen ges
legt! So viel fannft Du wohl errathen, daß Vater
x
188
und Bräutigam der Entlaufenen wenig ShBige
keiten fagen werden ! — .
Und id, o wie felig Fönnte ich feyn mit
ihr! Ob ich wohl nach Erfurt zuͤruͤck dürfte?
Warum nicht ? Der Magiftrat erwartet Dich
mit Sehnſucht. Alle fein Marterwerkzeug liegt
ſchon bereit, Denn dad Hinwegführen ber
Tochter eines ſtolzen Rathsmeiſters gilt wenige
ftend fo viel, als die Berführung von gehn ehr⸗
lichen Goldſchmidtskindern! —
Gotthard !— rief Siegmund yerzweifelnd und
fuhr auf ihn ein,
Nur gemach — ermwiberte der Andere ganz
gelaſſen — Wozu wollen Freunde ſich den Hate
drehen?
Freunde ? — verfegte Warsberg — wir fmb
feine Freunde mehr! Und doch, Gotthard, wenn
Du geheime Künfte verfiehft, und mich mit Bars
bara. unbemerft von’ den Ihrigen zufammen
bringen fönnteft, nur um fie noch einmal gu
fehen, ein einziges Mal! Ja, wenn Du dad
koͤnnteſt!
Nun — rief der Andere ſchnell — was
wäre denn ba?
Dann würde ich Dich body bei unferer alten
Freundfchaft darum befchwdren! rief Siegmund,
und fein Auge und dad ganze Geſicht glüßete wit
im Anfall des peftigften Fiebers.
t nn m:
j .
‘
189
Meinetwegen — ſprach der Andere — da Du
fie nnr ſehen willſt. Aber Fein Umarmen, fein
Anrühren ! —
Nein — ſprach Warsberg — nichte will ich,
als fie ſehen. Wie auch mein Herz ſich auf⸗
lehnen moͤge, dieſes Anſchauen ſoll das Letzte ſeyn 5
zwiſchen mir und der Holden. Es ſoll mir Muth
verleihen zur gaͤnzlichen Entſagung. Ihr mildes
Auge ſelbſi fol mich ſtaͤrken in dem Vorſatze,
Dorchen aufzuſuchen und — zu thun, was
Recht iſt.
Darüber laͤchelte der Andere fo boshaft, daß
Siegmund ſich zur Seite wandte, weil erfein Bes
ficht nicht ertragen fohnte. Darauf fagte Heßler:
Um Dlitternacht fol Dir die Erfcheinung were _
den, in diefem Gemache!
Als nun die fehleichende Tages⸗ und Abends
geit endlich der Mitternacht Raum gemacht hatte,
da fprach Heßler noch einmal zu dem harrenden
Siegmund mit aufgehobenem Finger:
Aber Fein Umarmen! Nicht das mindeſte
Berühren !
Siegmund wieberholte die Worte mit Nach⸗
druck.
Einen Augenblick ſpaͤter ging die Thuͤre auf,
und Barbara trat hold herein, wie die Goͤttin
der Liebe. Da ſank Siegmund‘, bezwungen von
der Gewalt ihrer Neige, vor ihr auf die Kniee, |
— ED u. Un no J
188
und Bräutigam der Entlaufenen wenig Shfig«,
feiten fagen werden ! —
Und ih, o wie felig rdunte ich ſeyn mit
ihr! Ob ich wohl nach Erfurt zuͤruͤck dürfte?
Warum nicht ? Der Magiſtrat erwartet Dich
mit Sehnſucht. Alle fein Marterwerkzeug liegt
ſchon bereit, Denn dad Hinmwenführen der
Tochter eines ſtolzen Rathsmeiſters gilt wenigs
ſtens ſo viel, als die Verfuͤhrung von zehn ehr⸗
lichen Goldſchmidtskindern! —
Gotthard! — rief Siegmund verzweifelnd und
fuhr auf ihn ein,
Nur gemach — ermiberte der Andere ganz
gelaffen. — Wozu wollen Sreunde ſich den Halg
brehen ? ?
Sreunde? — verfegte Marsberg — wir finb
keine Sreunde mehr! Und doch, Botthard, wenn
Du geheime Künfte verftehfl, und mich mit Bars
bara. undemerft von den Ihrigen zufammen
bringen Fönnteft, nur um fie noch einmal zu
ſehen, ein einziges Mal! Ya, wenn Du dab
koͤnnteſt! u
Nun — rief der Andere ſchnell — was
wäre denn da?
Dann würbe ich Dich doch bei unferer alten
Freundſchaft darum befchwdren: rief Siegmund,
und fein Auge und dad ganze Geſicht gluͤhete wie |
im Unfall des heftiaften Fiebers.
189
Meinetwegen — ſprach der Andere — da Du
fie nnr ſehen willſt. Aber Fein Umarmen, Fein
Anruͤhren! —
Nein — ſprach Waröberg — nichts will ich,
als ſie ſehen. Wie auch mein Herz ſich aufe _
lehnen möge, dieſes Anſchauen fol dad Letzte feyn
zwifchen mir und ber Holden. Es fol mir Muth
verleihen zur gaͤnzlichen Entfagung. Ihr milded
Auge ſelbſt ſoll mich ftärken in dem Vorſatze,
Dorchen aufzuſuchen und — zu thun, was
Recht iſt.
Darüber lächelte dei Andere fo boshaft, daß
Siegmund ſich zur Seite wandte, weil erfein Ges
ficht nicht ertragen Fohnte. Darauf fagte Heßler:
Um Mitternacht fol Dir die Erfcheinung wers
den, in diefem Gemache!
Als nun die fchleichende Tages⸗z und Abend»
geit endlich der Mitternacht Raum gemacht hatte,
da ſprach Heßler noch einmal zu dem harrenden
Siegmund mit aufgehobenem Finger:
Aber kein Umarmen! Nicht das mindeſte
Beruͤhren!
Siegmund wiederholte die Worte mit Nach⸗
bruck.
Einen Augenblick ſpaͤter ging die Thuͤre auf,
and Barbara trat hold herein, wie die Göttin .
der Liebe. Da ſank Siegmund, bezwungen von
der Gewalt ihrer Meige, vor ihr auf die Knie,
190
fie beſchwoͤrend, ihm nicht gu zuͤrnen wegen ber
Bosheit, die er an ihr verübt durch die Ents
führung. Zugleich verarfachte der Liebes zauber
in ihrem gangen Wefen, daß er fih und der
Schwur vergaß und ihre Hand ergriff:
Und kaum, daß letzteres gefchehen war, fo
fan? die Geftalt zufammen als ein todter Koͤr⸗
per, worin alle Spur des Lebens erfofchen iſt. —
Ha, Zauberfput, böfer, hoͤlliſcher Zauber
fouf! fhrieSiegmund, welcher aufgefprängen warn
wit gezogenem Degen auf den Andern einzudrins
gen. Doc der war nicht mehr zu ſehen. Nur
ein entfegliched Lachen verrieth, daß er noch im
Gemache fer ,
Wer bift Du? rief Wardberg, wie auf eins
mal von taufend Dolchen durchbohrt.
Ich bin, wer ich eben bin! lachte der Uns
ſichtbare. Denke nur darauf, ebenfalls zu bleis
ben wer Du bift neben dieferh Reihnam! —
Siegmund gerieth außer ſich bei dem Gedan⸗
ten, man koͤnne ihn nun gar fürden vorfäglichen
"Mörder der ſchoͤnen Liebſten halten, und alle Welt,
in Berfolg deffen und des früher Borgefallenen, '
ähm fluchen beider ſchmachvollen Hinrichtung, die
feiner wartete. ,
Das war zu viel; daher flehte er den Unfichts
baren an, wenn er's vermdge, den Leichnam wie⸗
der in's Leben zu bringen.
191
Darauf Antwörtete jener: Es fol gefchehen,
dad Du wuͤnſcheſt; Barbara ſoll morgen früh
im Haufe ihre Vaterd aus ihrem Bette aufs
ftehen. Nicht Deiner Freundfihaft wegen; denn
ich haffe die Sreundfchaft, wit ich Dich haffe, und
alles wad Menfch Heißt. Aus bloßem Daffe floͤßte
üch Liebe zu Barbara in die Bruft deffen, über
Den ich durch Dorihend Verführung Macht ger
wwonnem Aus bloßem Haſſe nahm ich die Geſtalt
Meines Freundes Heßler an, wie ich auch nun⸗
mehr aus bloßem Haffe Dich von einem baldigen
sLode ertetten will. Denn Dein ganzed noch fort⸗
Dauernbed Leben ſoll nur Ein LTod, Eine Ver⸗
gweiflung ſeyn. —
Darauf warf Siegmund ſich zur Erden und
flehte zu Bott, daß er über ihn verhaͤngen möge,
was ed fei, wenn er ihn nur aus des Boͤſen
Gewalt befreien wolle, und da der Tieferfchüts
terte wieder auffah, war der Leichnam verſchwun⸗
den, auch die Stimme des Unfichtbaren nicht mehr
gu hören.
Noch in verfelben Nacht verließ Siegmund
Hand und Stadt.
Sein Erfied war nunmeht, Dorchen aufzus
ſuchen und feinen Aeltern Nachricht vonden Ums
fländen zu geben. So ungehalten fie auch auf
den Sohn waren, fo Fonnten fie doch feinem ties
fen Unglüde die Verzeihung nicht verweigern, ries
' T — "
— — — x. ** *
' 92 ,
then ihm indeffen von bem Gebanfen ab, in die
Heimath zu fommen, da bereit6 bei der dortis
gen Obrigkeit auf fehne Verhaftung, im Fall er
erfcheine, angetragen fei.
’ Nach Dorchen aber fuchte er überall verge⸗
bens, fo daß ed wahr wurde, was ber fürdhters
liche Unſichtbare ihm weiffagte, und fein Leben
wirklich ein fortbauernder Tod, eine immerwäps
vende Verzweiflung w i
Eines Tages in’ einer Heinen Stadt warb
ihm ein Ring zu Kauf angeboten, den er fogleich
für denjenigen erfannte, welchen Dördhen ihm
einft gegeben und zulegt gegen Herausgabe deds
jenigen, ben fie vom ihm erhalten, wieder an
ſich genommen. Der Befchreibung nach war fie
es felbft geweſen, "die den Ming verkauft hatte,
. Aus Mangel! —
— Abber dad war nicht bad Bitterfle,; was er
babei vernahm. Allgemein wurde fie für die
. Mutrer eined Kinded gehalten, das im Keller
des Haufes, wo fe gewohnt, ermordet gefunden
worden. Obſchon wenig Zweifel darüber biieb,
daß bie That durch fie felbft geſchehen fei, weil
fie an dem Tage, wo das Kind gefunden wurde,
\ ſich heimlich entfernt hatte, fo verheelte man es
doch ber Obrigkeit aus Mitleiden. Schon vor
der Niederfunft hatte Dorchen nämlich irre Re⸗
den auögefioßen und gemeint, daß ein Kind
195 °
lockt worden. Freue Dich aber mit mir, well
uns beiden heute viel Heil widerfahren iſt! —
Henrich entbedte ihm nun, daß er. vorhin
jenen Gefährten auf der Straße angetroffen in
geiftlicher Kleidung, und .denfelben alsbald als
den Genoffen feined gottlofen Peinigerö, des
Gatand , den Gerichten übergeben habe. Cr
hoffe auf Ruhe, nun diefer Arge ſich in der
Gerechtigkeit Händen befinde,
Aber Henrichs Hoffen ward nicht afale.
Siegmund war noch hei ihm, als das Getdſe,
welches oft um ihn her erſcholl, von Neuem ihn
ſchreckte. Bald darauf kam auch der Mam,
welcher auf Henrichs dringendes Suchen verhaftet,
jedoch, weil er ſich als voͤllig ſchuldlos ausgewie⸗
ſen, wieder entlaſſen worden, ſelbſt, in Beglei⸗
tung mehrerer Sottesgelehrten, um der Urſache
von bed Pfeifer Haſſe gegen Ihn auf die Spur
zu fommen.
Ad nun det Fremde Siegmund gewahrte, fo
ging er zuerft anf diefen zu und reichte ihn die
Hand-fich zu innig freuend, ihn wiederzuſehen,
ald daß Siegmund Hätte meinen koͤnnen, er ſei
nicht der Achte‘ Gotthard Heßler, fein alter
Freund. Nachdem fie eine Zeitlang fehr herzlich
mit einander gefprochen, da trat auch der Pfeifer,
der Anfangs die größte Schen vor dem Manne
gehabt, dazu, und überzeugte fich, daß er Gott»
| N 2 ,
". [3 u,
wi nn *
194
überall fuchte nach ihr, nirgends war fit anzu⸗
treffen.
Endlich nahm er feinen Aufenthalt in Dee
Stadt Leipzig felbft, um auf der fo eben Hier
errichteten hohen Schule feine Studien wieders
um mit Eifer fortzufegen. .
‚ Bald nad feiner Ankunft bönte er Aamat
in dem Hauſe, wo er fein Mittagsbrod einzut⸗
nehmen pflegte, don einem Kunſtpfeifer ſprechen,
welchem ber Satan da rum hart zuſetze, daß er
einſt auf einer Hochzeit muſizirt, ba er doch
geiwußt, daß die Braut eine für einen Andern
beflimmte,, ihren Aeltern heimlich Weggefäßrte
geweſen. Der Pfeifer — hieß es — habe keine
Ruhe Tag upd Nacht, obfchon er feine dama⸗
uͤge That ernſtlich bereue und zu allen geiſtlichen
Mitteln feine Zuflucht nehme.
Siegmund erbleichte bei diefer Erzählung;
denn fogleich fiel ihm der Pfeifer Henrich ein.
Auch war er’ in ber That. . Da konnte er ſich
benn nicht enthalten, ihn aufzuſuchen.
‚ Wider alles Erwarten fand er denſelben
nicht wild und ſchwermuͤthig, wie man ihm
ſolchen befchrieben hatte, vielmehr war Henrich
gar vergnägt. Er erfannte Siegmund fogleid
and rief ihm zu: Willkommen Du arıner,
betrogener Geſell, der lediglich durch die Argliſt
eined böfen Gefährten in jened Berbrechen vers
497
unfehlbar nichtd dagu Dienanhgs- Bee lafın
werde Tri nn
Aber nun, Lieber hrach ‚der aifo. Serröfket;
nun Du felbft Feinen Zweifel mehr darein ſetzeſt
daß die,gorige,, fündjiche Bagier von mir gewichen
fei,. ſo fage ‚mir auch, daferne, Du «8 .noeißr,
ob des Rathsmaiſterd Jochter zu Erfurt, zuruͤck⸗
gekommen in das Haus, ihres Vaterſ, und, wat
ſonſt; aus derfeiben. geworden? — .
Dieſe: Frege. exwegkte ‚eins, große —
in- Gotthard .- Nund er ſagte
Was ich Deiner Wißbegier hierauf antwor⸗
gen kann, wird ſchwerlich Dir- zum Trofte gerei⸗
ent. Ayein da, die Frage nun einmpf an mich
⸗xgangen ift, ſo darf,die Wahrheit nicht vorent⸗
balten werden. — Allerdings ſchien ed.die lebende
Varbara, ꝛwelche am. Morgen vom Sagen auf⸗
ſtand; auch hatte Teineh. im Hauſe ihre naͤchtliche
Ahweſenheit bemeift,,. Sie that am. Morgen und
nachher alled ihrer. Bewohnkeit. nach. ‚Nur, wax
fin ihrer Sprache beraupt; dazu ſchritt ſig ſo beiß
und langſam einher, und. ſah ſo hleich und todtey⸗
artig aus, daß die große Veränderung i inihr dem
Vater ‚und ſaͤmmtlichen Berwandtfhaft. große
Anruhe erregte. Befondexs fehlte ihr auch. dad
ſchone Licht ihres Auges, das zuvor ſy mild, und
gut umberleuchtete. Statt deſſen gluͤhege darin
ein dumpfes, duͤlleres Geyer, ſo do. die Men⸗
— — —
196
hard Unrecht gethan, wenn er ihn mit zenem
verwechſelt, der vorhin ſeine Seſtalt angenom⸗
Men — 8 Due Be
Gottharb berſprach Beim Weggehen, Henrich
wieder zu beſuchen und ihn mit Rath und
Troſt kraftig zu unterſtuͤtzen. Denn ſo jung er
"war, fo hatte er, doch ſchon durch große Gelehr⸗
ſamkeit den Grad eines Doktor der Theologie
und-den. Ruf, zum, Lehrer an der neuen hohen
Säule zu Leipzig gewonnen. Darauf geleitete
er Siegmund. in feine Wohnung, und als ſie hier
allein. waren, fo offenbarte diefer ſeinem alten
Freunde Alles, was er erlebt hatte, und Gott⸗
hard entſetzte ſich ch uͤber die, ſchrecklichen Dinge,
auch ſchmerzte ihn, nicht wenig der Mißdrauch
ſeiner Geſtalt durch den Böfen Geiſt. Denn au
‚allem , was er hörte, zog er ben Schluß, daß
fein lebendiges Konterfei fein bloßer Zauberer,
‚Sondern ber böfe Geiſt ſelbſt geweſen. Doch troͤ⸗
ſtete er- Waröberg damit, daß, möge aud fein
Geſchick das fſinflerſie ſeyn auf dieſer Erde, er
‚gewiffe Hoffnung habe auf ein beffered in jener
Welt. Denn der Umſtand, daß er der Gemein
(haft bed Setans ganz entronnen, zeige ihm von
feiner aufrichtigen Reue und guten Gefiinung;
indem der Satan, falls nur einige Ausſicht da
wäre , den Reuigen wieder auf Ubwege zu locken,
v ur Ba
BL LI a. _ME:__—. une
497. ‘
unſehlbar nichts dezu vn underfucht Tafın
werde. : ch in
Aber num, Bieber ,- r forach. der io. Setröfkere:
nun Du felbft Feinen Zweifel mehr darein ſetzeſt
Daß die,norige, fündhiche Bagier von mir gewichen
fei,; ſo fage mir auch, daferne Du «8 weißt,
ob des Rathsmeiſtere Tochter zu Erfurt, zuruͤck⸗
gekommen in das Haus, ihres Vaters, und wat
ſonſt; aus derſelben. geworben? —
-Diefe-, Froge exweckte eine, große Serröni
in. Gotthard , und, er ſagte .
Mas sch Deiner ifhegien hierauf antipgre
gen Tann, wird ſchwerlich Dir. zum Trofte gerei⸗
chen? Nein da. die. Grage.nun einmaf an mich
gsgangen iſt, fo. darf die Wahrheit nicht vorent⸗
halten. werden. — Allerdinge ſchien e&.bie Ichende
Barbazg ‚.welhe am. Morgen vom Sagen aufs
ſtand; auch hatte Feiyeß. im Haquſe ihre nächtliche
Abwefenheit bemerkt... Sie.that am Morgen und
nachher alled. ihrer. Gewohnheit. nach. Nur, wax
fis ihrer Sprache beraupz; dazu ſchritt fig ſo leiß
und langſam einher, und: ſah ſo bleich und.todsemg
artig aus, daß die große Veränderung in ihr Dem
Bater ‚uud ſaͤmmtlichen PBerwandtfchaft. große
Inruhe erregte. Befondexs fehlte aͤhr auch. dad
ſchone Licht ihres Puges, Das zuvor ſo mjild und
gut umherleuchtete. Statt deſſen glühege- darin
ein dumpfes, duͤſteres Feger, ſo daß die Men⸗
198
ſchen anfingen Ach zu feheien vor dem Maͤgdlein.
Schon glaubte der Barer, der fie vor Jammer
hold gar nicht ineht Betrachten konnte, feine
wenige Schonung habe aus der Tochter mit einens
Dale ein fo ſchreckliches Leichenbild gemacht.
Doc; wie fehr er fie auch mit zärtlichen Worten
wieder zu gewinnen :tvadftere, immer fab fie ihn |
aur-flarr und ſchauderhaft au, fo daßer, als dieß.
drei ganze Tage gedäuert, mehrere Gottesgelehrte
zu ſich lud, um von diefen zu vernehmen, was
bie Sache für Bewandtniß babe, und wie feiner
Neben Zochfer-zu heifen ſei. Als nun in ſeinem
Beiſeyn die frommen Maͤnner herantraten zu ihr,
ba ward das Teuer in Barbara's Augen wilder
als vorhin ſo daß jene eine große Berflodung
argwohnten im Herzen des Mägdleins, und einer
derfelben fie im‘ Namen Gottes hart: anredete,
Und fiche, da wich der Teufel; welcher bis dahin
varbara's todten Leichnam widerrechtlich inne
gehabt, alsbald von ihr und-die Leiche fiel zus
Erde, ohne weiter ſich zu regen; worauf ſie au
gerbeihter Stätte beerdigt worden! —
Bott, Gott! rief Siegmund, auf die Kniee
flürzend und Die Hände hochemporgchoßen, auch
biefer Mord alfo durch mich, den Zrevier, der
Bie herrliche Jungfrau wit Satans Hüuͤlfe ihret
Heimath entreißen ließ! —
Und Dorchens Aeltern — fügte er dann
nn u ey „x
294
name Barbara'd und feine Ohnmacht verhöhnet
Hatte, deſto eifriger Dachte er daran, zu ber Magd
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fis den
unfichtbaren Gefellen vermögen folle, ſich ihr näher
fund zu geben und gu’ vorfichtbaren:
Wie groß aber war Warsbergs Erſtaunen, ale
er in die Küche hineintrat und die-Magd ohn⸗
maͤchtig zu Boden ſank. Obſchon bis zur Jam⸗
mergeflalt abgefallen, erfannte er fie doch noch
Für das von Ihm verfuhrte Dorchen, und «6
fehmerzte ihm tief in der ‚Seele; baß die wohl⸗
erzogene Tochter des Funftreichen Goldſchmidts ſich
fo geringen. Dienfled untergiehen mußte, Doch
gedachte er auf der Stelle’ ſich ihrer anzunehmen.
Dorchens Freude, ald fie nach zuruͤckgekehr⸗
tem Bewußtſeyn bie alte Tiebe in Siegmund wie⸗
der aufgelebt fah, ſtand augenfcheinlich ein tiefet
Schmei jur Seite. Doc Siegmunds Berlans
gen, fie aus der jekigen Erniedrigung zu zichen,
und die Eif, mit der er zu ihren Herrſchaft ging
um einen Dergfeich abzuſchließen, kraft deſſen ſie
ſofort ihrer Dienſte quitt ſeyn ſollte, betaube;
dieſen Schmerz für den Augtnblick.
Erſt als fie den verfauften Ring don ihm zus
ruͤck erhielt, durchzuckte ie aufs Reit Ama
Ihren Koͤrper. J
: Woher: kamſt Du zu —* fragte he
— ** a—.
geuichen ſollſt im: Ungeficht bed Herrn. Nur
den Reichnam darf der häßliche Wurm ded Paras
diefes Die befhädtgent —
- So Iomme er bean! rief Henrich freubig
aus, auf daß der Müde in die bimmlifche Hei⸗
math eingebe}
"Darauf reichte Ihm der. Douor ben Leib des
Herrn und ging ſodann.
:: Am andern Tage aber, als man den Pfeifer
allenthalben vergebens geſucht hatte, ward er end⸗
lich vhnweit dor Stadt in einer Hafetftande ents
: PeH aufgefunden. — nie
Zus damallgen Zeit warde m Leipzig viel
von einer Magd erzählt, zu welter ein unfichte
barer Geſell ſichtin die Küche gefunden, der mit
dh freundlich ſprach ‚und feinen Platz gewöhnlich
auf der einen Selm: deb Herde hatte, Weil
et dafür Sorde mug; def‘ biefe Stelle immer
sfche reinlich blieb ‚for :Bielt :man den Unſichtba⸗
sen, welder im Haufe dad. Heinzlein genannt
wurde, fuͤr elnen guten’ Sell. Er half der
Magd mandyen Dienſt verrichten, ' Hauptſaͤchlich
iging er ar ihrer flatt in. den Keller; wenn auß
dieſem etwas zu holen war. Denn die Magd
hatte viel Schen: vor tem Keller. —
Siegmund hörte Abenfalls. won dieſem Hanp
lein/ und. je furchtbater ihm die Erinnerung an
hie Seunme warq die feinen Schinerz - beim Leich⸗
294
name Barbara’d und feine Ohnmacht verhoͤhnet
Hatte, deſto eifriger dachte er daran, zu der Magd
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fie den
unfichtbaren Geſellen vermögen ſolle, fich ihr näher
fund zu geben und gu vetfichtbaren.
Pie groß aber war Warsbergs Erſtaunen, ai
er in die Küche Hineintrat und die Magd ohns
mächtig’ zu Boden ſank. Obſchon bis zur Jam
mergeſtalt abgefallen, erkannte er ſie doch noch
für das von ihm verführte Dorchen, und es
ſchmerzte ihm tief in der Seele; Haß die wohl⸗
erzogene Tochter des Funfiteichen Goldſchmidts ſich
fo geringen Dienfled untergiehen mußte. Doch
gedachte er auf der Stelle fid} -Ihrer anzunehnien.
Dorchend Freude, als fie: nach zuruͤckgekehr
tem Bewußtſeyn bie alte Liebe in Siegmund wie⸗
der aufgelebt fah, ſtand augenſcheinlich ein:tibfer
Schmer jur Seite. Doc Siegmunds Verlan⸗
gen, ſie aus der jetzigen Erniedrigung zu ziehefl,
und die Sit, mit der er zu ihren Herrſchaft ging,
am eitien Vergteich abzuſchließen, kraft daffen 'fid
fofort ihrer Dienfle quitt feyn folte, betaube;
dieſen Schmerz für den Augenblick. i
KErſt als fie den verfauften Ring Yon ibm zus
ruͤck erhielt, durchzuckte es aufs Neue Fame
ihren Körper. :
: Wolae: kamſt Du zu Don? „frages he
— *** mtl Ä
be en .. . Bu 1. nen och —
200 j
genießen ſollſt im Ungeficht des Her. Nur
den Reichnam darf der häßliche Wurm des Paras
dieſes Dir befhädigent —
So komme ed denn! rief Henrich freudig
aus, auf daß der Muͤde in die himmlifche Bew
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"Darauf reichte ihm der Douer ben Leib bed
Herrn und ging fodann.
.: Yın 'andern Tage aber, als man den Pfeifer
aflenthalben vergebend gefucht hatte, ward erends
Hd vhnweit der Stadt in einer Haſelſtaude ent⸗
heell aufge funden. — te
‚Zur Damaltgen Zeit warde m Leipzig viel
von einer Magd erzählt, zu welcher ein unſicht⸗
barer Sefell ſich in die Küche gefunden, der mit
ihr freundlich ſprach und feinen Platz gewoͤhnlich
auf der einen Selm: deb Herdeb hatte. Weil
'w dafür Sorge mug; ‘def’ diefe Stelle immer
zfehr reinlich "blieb, ſvrhielt man den Unſichtba⸗
ren, welcher im Haufe das Heinzlein genannt
wurde, fuͤr einen guten‘ Sell. Er half der
Magd mandyen Dienſt verrichten, Hauptſaͤchlich
zging er an ihrer ſtatt in. den’ Keller; wenn aus
idieſem etwas zu Holm war. Denn die Magd
haste viel Schen vor dem Keller. — - '
Siegmund: hörte cbmfalld, von dieſem Heinz
“Tein,. und je: furdätäater ihm die Grinnerung an
chia Sem Wilrg: die feinen Schinerz. beim Reichs
291
name Barbara's und feine Ohnmacht verhöhnet
Hatte, deſto eifriger dachte er daran, zu der Magd
zu gehen, und fie zu äberreden, daß fie den
unfichtbaten Geſellen vermögen folle, ſich ihr näher
kund zu geben und zu votfichtbaren. |
Wie groß aber war Warsbergs Erflaunen, afl
er in die Küche hineintrat und: die Magd ohn⸗
mächtig gu. Boden ſank. Obfchon bis zur Jam⸗
mergeſtalt abgefallen, erfannte er fie doch noch
Fuüͤr das von ihm verfährte Dorchen, und «6
ſchmerzte ihm tief in der Seele ; Haß die wohl⸗
erzogene Tochter des kunſtreichen Goldſchmidts ſich
fo geringen Dienſtes untergiehen mußte, Doch
. gedachte er auf der Stelle’ ſich ‚Ihrer anzunehmen.
Dorchend Freude, als fie nach zuruͤckgekehr⸗
tem Bewußtſeyn die alte Liebe in Siegmund wie⸗
der aufgelebt fah, flarid augenſcheinlich ein!tiefer
Schmer jur Seite Doch: Slegmunde Verlan⸗
‚gen, ſie aus der jetzigen Erniedrigung zu ziehefl;
und die Eif, min der er zu ihrer Herrfchaft ging,
am eiien Dergteich abzufchließen,, kraft daffen 'fd
fofore ihrer Dirnſte quitt feyn follte, betäubte
diefen Schmerz für den Augendlid. z
Erſt als fie den verfauften Ring von ihm zu:
ruͤck erhielt, durchzuckte ed aufs Neue ſcmernich
ihren Körper. - DL Zr
: Wo: famft Du zu em? fragte“ he
Anafilich,: nn +1 j
m .
198
ſchen anfingen ich zu feheuien vor dem Maͤgdlein.
Schon glaubte der Vater, der fie vor Jammer
bald gar micht mehr betrachten konnte, feine
wenige Schonung habe aus der Lochter mie einem
Male ein fo ſchreckliches Leichenbild gemacht.
Doc; wie fehr er fie auch mit zärtlichen Worten
wieder zu gewinnen: trachtete, immer ſah ſie ihn
nur ſtarr und ſchauderhaft ar, ſo daß er, als die
drei ganze Tage gedauert, mehrere Gottesgelehrte
zu ſich lud, um von dieſen zu vernehmen, was
die Sache für Bewandtniß babe, und wie feiner
leben Tochter zu helfen ſei. Als nun in feinem
Beifeyn die frorumen Maͤnüer herantraten zu ihr,
da ward dad Teuer in Barbara's Augen wilder
als vorhin, fo daß jene eine große Verſtockung
argwohnten im Herzen des Maͤgdleins, und einer
derſelben fie im’ Namen Gottes hart: anredete.
Und fiche, da wich der Teufel; welcher bis dahin
vBardbara's todten Leichnam widerrechtlich inn«
gehabt, alsbald von ihr und-die Leiche fiel zus
Erde, ohne weiter ſich zu-regen; worauf fie au
geweihter Staͤtte beerdigt worden! —
Bott, Gott! rief Siegmund, auf die Knie
flürzend und die Hände hochemporgehoben, aud
diefer Mord alſo durch mich, ben Frevler, bet
Bie herrliche Jungfrau mit Satans Huͤlfe ihrer
Heimath entreißen if! —
Und Dorchens Altern — fügte er dann
'20% _
nach dem fugenannten Heinzſein. Dorchen ging
bierauf mit dem Berlobten in die Kuͤche, zeigte
ihm am Herde die. befonder6 fauber. gehaltene
Stelle, Hinzufügend, daß der Geiſt freiwillig zus
acfagt Habe, ihr zu folgen au. in die neue
Wohnung , und ſie ledenslaag mie su vers
faffen. 1
Siegmund Aachi⸗ nunmehr eine Andede a ar
den Unfichtbaren; erhrelt aber. feine Antwort.
Dorchen nt rk. reine in des Lienſen Bei⸗
ſeyn.
Das alles derammerte Wartberg.
Als fie dadauf wieder in ber Senube waren,
forady er deßhalb ge: Dorchen :
Liebſter Herzensſchatz, es duͤrfte alberbings die
Reinlichkeit, deren ſich das Heinzlein befleißer,
von einem guten, 'reinen Geiſte zeugen. Doch
derſchmaͤht der Fuͤrſteder Finfterniß.auch nicht, fick
in Richt zu kleiden, wenn folches ‚feine Bosheit
fordern kann.“ Ich Habe dab leider! an. mir
erlebt, und meine Erfahrung Ichrer mich, Die
Stimmen genau 'zu prüfen, welche eines Koͤr⸗
pers ermangeln. Gehe daher zu ihm, mein
Kind, und heiße ihm feine eigentliche Geſtalt
annehmen und bedraͤue ihn damit, daß,: falls fol-
ches nit geſchaͤhe, Du gottfefige Männer herr
bei rufen werdeft, ibn in Gotied Namen dazu zu
nörhigen.: Denn if} ervein guter Geiſt, ‚fo darf
m.
204
ur Die:fohdjer Nede halber 'nicht zurnen, iſt er
aber, ein. boͤſtr, dann beffer,.ieri gerne, als daß
. 006 Heil Diner Seele in;Gefahr gerathe.
° Daraaf.ıging Dorchen in Die: Küche, und
Shat ‚:wie.beni.Linbfle.ihr geheifien hatte,
Sie kam raher gar. blaß·iund uttaurig gurüd
in die Stube. Denn Heinzlein hatte zwar vert
ſprochen, ihr ſuhtbar u werben, Mach möge +4 |
einzig. in Reller::gefchehen;; vor dem fie guade
jetzt eine größere: Scheu⸗ hege, als xmals.
Wohlan — fprah Watsberg — in Gotteh
Namen geleite ich. Dich hinab, ſa kaun, was auch
unſerm Seibe roiterfahren Düsfte, der Ente. doqh
ſicher fein Leid etwas anhaben.
Darauf gingen ſie. es .., ö
Es war Dorchen, :ald :..0b; fie ‚mit. Akten
Stufe des Kellers, in ein iticferes Grauen, ge⸗
riethe. Haid ſie Hammerte<firh.: wmer feſter an
den Geliebten deſſen Herz gleichfalls immer
banger zu klopfen begans. Und .heider Augen
blickten 'überall sumber, Ab wehl. in der Dunkel ⸗
- heit drunten tine.Geftalt ſich irgendwo erkennen
laſſe. Midifte, hun die: Hälfte „der Treppe bins
ter ſich hattenda Wandekta:ein, Heiner, ſchwa⸗
cher Schrin heran, der Dirhtek:und sbichter sourde,
je näher..es Sam, Uhnbangsept kehrten beide
bie ſtatren Augen unverruͤckt; nach. dem Scheine,
der ihnen; ols er endljch. auf der antera Stufe
War, plöglich in der Geftalt eines neugeborenen
Kindes, am Derzen ' art biutend, entgegen»
trat. —
Jeſus Marie! unfer Kind! — rief Dor⸗
chen zurüdeilend. — Siegmund ſtuͤrzte todt die
Treppe hinunter, feine Verlobte aber, um der
Gemeinfchaft des böfen Gefellen am Herde zu
enstinnen und menigftend ihre. Seele zu reiten,
Aoh im die Arme der firafenden Gerechtigkeit.
"204
er Dir ſolcher Made halber .'nicht zuͤrnen, iſt er
aber, ein: boſtr, dann: beffer,.ieriigäurne., ald_daf
. 006 Heil Deiner Seele in! Gefahr geraihe,
* Dareif.igiag Dorchen im. Dis: Auche, und
hat ‚: wie.beni.Linbfteipr geheifitn hatte.
Sic kum raher gar. blaß.;umd vtraurig gurüd
in die Stube. Denn Heinzlein hatte zwar dere
ſprochen, ihr ſichtbar zu werben, Auch möge es
einzig:in Kelber. geichehen;; ver: dem fie guade
jetzt eine größere: Scheu ..dege,. ald xmals.
Wohlan — ſprach Warsberg — in Gptteh
Namen geldtehk Dich hinab, fa kaun, was auch
unſerm Zeibe. roitierfahren Düzfir der Ente. doch
fine kein Leid etwas anhabeng ·.
Danauf gingen ſie.
Es mar Dorchen; als eb ie mit jeder
Stufe des: Kellers, in in tieferes Grauen, ge⸗
riethe. Muh: ſie lammerte cſich Immer feſtet an
den Gelichten deſſen Dora. naleichfalls immer
bangen ;& klopfen begans. And .heider Augen
biidtex 'überall umber, 0b weh. in der: Dunkel
beit drunten dine Geſtalt ſich irgendwo erkennen
laſſe. Meifie; hun die: Hälfte der Trephe hin
ser ſich batteny: da. wandektaiein,Kleiner, ſchwa ⸗
ar Scheint heran, der dichtetund / dichtat wurde,
je näher..es Sam. Ahndangsvoll kehren, beide
bie ſtatren Yugen underrügs; nach dem Scheine,
der ihnen, ols er endljch. auf Agr.aantern Grufe
TE.
20% -
War, xoglich in der Geſtalt eines neugeborenen
Kindes, am Herzen ' Hart blutend, entgegen»
trat. —
Jeſus Marie! unfer Kind! — rief Don
chen zuruͤckeilend. — Siegmund flürgte todt die
Treppe hinunter, feine Verlobte aber, um dee
Gemeinſchaft des böfen Gefellen am Herde zu
wnerinnen und wenigftend ihre. Seele zu retten,
Koh in die Arme der ſtrafenden Gerechtigkeit.
oe.
Das Meerfräufeim
Ungefähr im Anfänge des Hfünfgehnten Jahrhun⸗
derts zeichnete fi dad Haus ber Möntano zu
Palermo durch alle die Neige aus, weldye dee
Reichthum in den Händen von Geift und Geſchmack
gewähren fann. Francesko Montano hatte unter
dem tapfern Bisconti Herzog von Mailand ald
Dbderfter gedient und zu dem Ruͤckzuge ber Zeinde
am Gardafee viel beigetragen. Dann war er in fein
Geburtsland zuruͤckgekehrt, um hier die ihm übrigen
Tage im Kreife feiner Gemahlin und Kinder zuzu⸗
bringen. Keined der leßtern zog er dem andern vor;
aus Srundfägen. Gleichwohl ſchlug fein Herz ſchon
darum am flärkften für den Sohn, weil er fein eins
jigerwar, waͤhrend drei Töchter, an Wohlgeflalt
und Sitte wetteifernd,, fein haͤusliches Reben heiter
ausſchmuͤckten.
Filippo Montano hatte eben das ein und zwan⸗
zigfte Jahr zurückgelegt und ſich fo ausgebildet, daß
er manches bedeutende Staatsamt würde haben
verwalten koͤnnen. Allein er zog die Stille der
Wiſſenſchaft dem öffentlichen Reben vor. Sein
207
Vater fchien ed zu billigen, und eben dieferhald -
ergab fich auch die Mutter darein,, die dem Sohnk
wohl noch licher einen anfehnlichen Rang gegoͤnnet
hätte. Sein Aeußeres war fo vollfommen, daß man
ihn allgemein ben zweiten Apollo nannte, und mans
che Jungfrau fich ftärker in feinem Anfchauen bes
rauſchte, als es ihrer Ruhe zuträglich feyn mochte ;
mancher junge Dann im Kreife der Frauen fich
durch Filippo's Gegenwart gedruͤckt fühlte. Sein
ewig heiterer Gelft fagte jedoch, daß fein Herz bie
"dahin, wenn nicht die Liebe felbft, doch gewiß
ihre Feſſeln, fortdauernd von fich gewieſen habe.
Ueberhaupt ſchien er, außer in den Wiſſenſchaf⸗
ten , alle möglichen Bande zu fliehen, fo daß
fogar feine Zerfireuungen jeden Zag eine andere
Sorm annahmen, damit er auch in ihnen nicht
der Sflaverei der Gewohnheit anheimfalle.
Nur Eine Luft gab ed, welcher er ſich in
ber ſchoͤnen Jahreszeit faſt tagtäglich widmete,
dad Bad im Meere; weil er dieß feinem Körper
zurräglih glaubte. Er war ein fo fertiger
Schwimmer, daß man bei feinem Auf s und Uns
tertauchen auf den Gedanken gerieth, nicht die
Erde fondern dad Meer müffe fein Element feyn.
Auch wagte er ſich oft fo weit hinaus in bie
große Waflerfläche, daß die eltern einigemal
ihre Bangigkeit darüber äußerten.
Einsmals, als er eben wieser wie gewoͤhn⸗
} J 208
lich gegen Abend die herrlichen Ufer weit, weit
hinter ſich gelaffen hatte, da empfand er ein
Wohlſeyn, wie niemals. Wie Liebeöfeufzer Hahs
gen ihm die Wellen und ihr Berüpren däuchte
ihm wie Küffe und füße Umarmung. Und die
Tauſchung ſchien bald. noch ſtaͤrker werden zu
wollen. Denn hinter ihm erſcholl ein Ton der
Ungſt von der lieblichſten Frauenſtimme. Da
ſah der Schwimmer ſich um und ed war — keine
Taͤuſchung ·
Gott! — rief er aus — denn der Kopf,
welcher hier aus dem Waſſer ragte und die Arme,
bie nad) ihm ſich ausftredten und der Blick der
blauen, von lichtblondem Haar umfloffenen Yur
. gen, wenn dad alled feiner Liebesgottin gehdrte,
’ fo war wohl bie ganze Melt nichts, als cin
arger, himmelſchreiender Trug.
Ein Moment und die wunderſchone Jungs
frau lag in feinen Armen, und der Dank aus
ihrem Blicke kraͤftigte dieſe ſo, daß er die
reitzende Laſt gluͤcklich an das weit entfernte Ufer
brachte.
Niederaefchlagened Auges trat fe bier, bis
er feinen Mantel umgeworfen hatte, zuruͤck und
B fuchte ihrem Gewande in lichtem Weißzeuge
beſtehend, das, überall von, der Näffe burch⸗
fe drungen, bloßem Waſſerſchaume glich, fo gut
als möglich die Kleiderform zuruͤckzugeben.
‘209
ein Fraͤulein — fo rebett Flippo fie an ⸗
nun: ſagt mit vor Allem, welchem Ungluͤcke ich
die Seligkeit verdanke, Euer Retter geworden
zu ſeyn and wohin id Euch Zu geleiten babe,
um Eunerm Wunfche Gnuͤge zu Teiften. "
Da deutete die Schoͤne nlit der eitienhand |
in dad Meer hinaus. Aber die Worte fehlten
ihr; doch ſchien fie ICH wobl gu verftehen, waß
der Juͤngliag ſprach. J
Das Laudhaus ſeines Vaters war in der
Naͤhe, Roſaura, die eine ſeiner Schweſtern,
bielt ſich eben hier auf-und tiug Sorge für die
Bekleidung der Vereftetin
Aber, obſchon Filippo fie In mehteren Spra⸗
hen antedere, To konnte er boch Feine Antwort
von ihr erhalten. Ya, es fand ſich endlich,
daß fie in der That vollig ſtumm war.
Schade, ewig Schade, tief er aus, daß fü
wunbervolfen Lippen dgB Wort nicht —*
wurde! Doch Vollkommenheit iſt nicht dad: Loos
des Menſchen. Bi ſolcher Anſtrengung im
Geſtalten mußte daher wohl die Natur dieſem
Weſen die Sprache verſagen. Und ſpricht denn
nicht alleb an ihr, Uuge und Mieue and Geberde,
und zwar fd feelenvolle Sprache, daß dad Wort
bavor niederfallen und feine Vettelarmuth geſte⸗
hen möchte? —
Roſaura erkannte es allzuſeht, wie bo die
Ocipenkerbuc 6. Theil,
J
— — — —— tt
—
Mine _ .
208
lich gegen Abend die herrlichen Ufer weit, weit
hinter ſich gelaffen hatte, da empfand er ein
Wohiſeyn, wie hiemald. Wie Liebes ſeufzer klan⸗
gen ihm die Wellen und ihr Beruͤhren däuchte
ihm wie Küffe und füße Umarmung. Und die
Taͤuſchung ſchien bald noch ſtaͤrker werden zu
wollen. Denn hinter ihm erfhoU ein Ton der
Ungft von der Tieblichfien Srauenftimme. Da
ſah der Schwimmer ſich um und es war — keine
Taͤuſchung ·
Gott! — rief er aus — denn der Kopf,
welcher hier aus dem Waſſer ragte und die Arme,
bie nad) ihm fidh ausſtreckten und der Blick der
blauen, von lihrblondem Haar umfloffenen Aus
_\gen, wenn dad alle Feiner Liebesgottin gehörte,
fo war wohl die ganze Welt nichts, als ein
arger, himmelfchreiender Trug.
Ein Moment und die wunderſchoͤne Jungs
frau fag in feinen Armen, und der Dant aus
ihrem Blicke kraͤftigte diefe fo, daB er tie
zeigende Laft glücklich an das weit entfernte Ufer
brachte.
Niedergefchlagened Auges trat de bier, bie
er feinen Mantel umgeworfen hatte, zurüd und
fuchte ihrem Gewande in Ticdhtem . Weißzeuge
beftehend, das, überall von. der Näffe burch⸗
drungen, bloßem. Wafferfchaume glich, fo gut
als möglich die Kleiderform zuruͤckzugeben.
i
211
tung hin. Das ſchien den Bruder zu verdrießen,
und er fagte:
Allerdings rärhfelhaft; auch mir. Aber, Schwe⸗
ſter, ift denn die ganz unvergleichbare Schönheit
der Dame nichtein weit groͤßeres Naͤthſel für jedes
Auge, dad fehen Tann ? Solch ein Räthfel , wie fie
iſt, zu löfen, wer moͤchte daran dicht Leib und Les
ben fegen? — an
Waͤhrend Nofaura diefe Rede mir ſichtbarem
Verdruſſe aufnahm und zur Seite ſah, Tenfte ein
himmlich⸗ ſchoͤner Blick der Andern ſich fo tief,
in Filippo's Herz, daß dad Schidfal dieſes Her⸗
zens für immer entſchieden war. Sie oder Feine! -
erklang es darin.
Bald darauf gingen alle drei gemeinſchaftlich
nad) der Stadt.
Die Ankunft der Fremden und dad viele ins
erklaͤrliche an ihr, machte großen Eindrud im
Haufe. In den beiden andern Schweftern Filip⸗
po's wat eben fo wenig Wohlwollen für bie
neue Bekanntſchaft, als in Rofauren wahrzus
nehmen, wenn ſchon ber Höflichkeit auch von
ihnen ihre Nechte nicht vorenthalten wurden.
Die Mutter trat auf der Töchter Seite,
Vefonderd als fie die Soralofigkeit (ah, mit
welcher die Gerettete ſich hier unter Tauter frems
den Menſchen befand und. ihrer früheren Bers
haͤltniſſe auch gar nicht zu denken ſchien. Ein
- 82
210
Iremde über fie an Schönheit hervorragte, um
von ded Bruders Enthuſiasmus erfreut zu wer⸗
. den. Dod nahm fie ſich ſo artig gegen die Un⸗
befannte, ald die Umftände ed erfordersen und dieß
vielleicht um fo mehr, dacd bald ganz Has wurde,
daß die fchöne Gerettete bei ihrer gänzlichen Sprach⸗
loſigkeit Doch keinesweges des Gehoͤrs beraubt war,
ſondern jedes Wort richtig verſtand.
Filippo wuͤnſchte, als ſich das nicht weiter
bezweifeln ließ, daruͤber einige Auskunft von
ihr und ſagte: | . |
. Mein Sräulein, ‚thur mir, ich bitte Euch,
ſchriftliſch zu wiſſen, wie es zugeht, daß Ener
Ohr alles vernimmt ; und Zhr, gleichwohl nicht
vermoͤget, ähnliche Töne, wie wir andern, bers
vorzubringen, da doch fonft die Stummheit gemeis
niglich nur al die Folge eined gänzlishen Gehör,
mangels betrachtet wird,
‚Dazu reichte er ihr feine Schreibtafel: Aber
das Fräulein ſchob fie zuraͤck, und Beutete durch
Geberden darauf hin, daß fie des Schreibens
unkundig ſei.
In allen Sprachen? fragte Filippo ferner.
In allen! fü gab fie gang unzweideutig zu
DVernehmn. |
Wabrlich fehrrächfeihaf rief Rofaura, und ihre
Ton dabei fireifte an eine beleidigende Verwunde⸗
213
feinen Aeltern mit einem Eifer, vor‘ dem fie
erfchrafen, daß es ihm nun durchaus nicht laͤn⸗
ger möglich fei, zu leben, wenn er fie niche befi igen
folle. Achſelzuckend willigen fie ein, und die
Kirche heiligte Filippo's Band mit der flummen
Schönheit, wie man fie, welcher er den Namen
Mirabella gegeben 'hatte, in ganz Palermo au
nennen pflegte. j
Bom Anfange an äußerte Mirabella eine große
Scheu vor dem Anblicke des Meeres. Auf ihr
Bitten hatte man ihr daher fogleich- eine Mobs
nung eingeräumt, von welcher aus man nice
dahin ſehen fonnte. Ber ber neuen Einrichtung
drang fie ebenfalld auf ein ſolches Quartier; ein
Umſtand, den man allgemein fo. auslegte, als ob
fie mit allzugroßem Schauder an das Unglddzus
ru denke, welches fie auf dem Meere betroffen Ä
Habe,
Das Paar lebte gluͤcklich. Uber Mirabellend
Scheu vor dem Anblicke des Meeres dauerte fort.
Wo fie in Zimmer kam, ‘deren Ausſicht dahin
ging, wendete fie ihr Auge oft recht auffallend
davon ab. Schon befaßen fie einen Sohn, der
feine fihöne Mutter nicht verläugnen fonnte,
ald eindmald am Abende Nofaura ihren Bruder
bei Seite nahm, und zu ihm fagte:
Theurer Filippo, id muß Dir etwas vers
trauen, das mem Herz nicht: wenig Angfliget,
De nn 2 . Te An 4
”
- Bea u ..,
N.
212 |
ungeheuerer Leichtfinn, meinte fie, oder ein gaͤnz⸗
licher Mangel an Gefühl gehöre dazu, Hier ſogleich
wie einheimifch und froh und vergnügt zu feyn.
Denn auch die fehr fihtbare Neigung zu Filippo
Tonne dad Mädchen: Feinedweged ensfchuldigen,
daß fie an die unfehlbare Betruͤbniß der Ihrigen
uͤber ihren Verluſt nicht im mindeſien zu den⸗
ken ſcheine!
Wer weiß — MD. ſprach hierwider der Gemahl
der Matrone, gegen. ben fi biefe alſo Außerte —
wer weiß benn, ob die Ihrigen nicht durch uͤble
Behandlung des Fraͤuleins Vergeſſen ſelbſt ver⸗
ſchuldet haben Wer will überhanpt i im. Augen⸗
blicke ſogleich entſcheiden, ob unter den zahlloſen,
denkbaren Verhaͤltniſſen auch nicht eines zu finden
ſei, fähig, die Gerettete zu entſchuldigen, ja zu
rechtfertigen 3 _
Mit einem Warte, der alte Montano trat
ſeinem Sohne ziemlich bei. Er hatte fogar nichts
gegen deſſen Vorhaben, die Unbefannte zu hei⸗
ratben Nur bat er ihn, die Sache nicht zu
uͤbereilen, ſondern zuvor Erkundigungen einzu⸗
ziehen. |
Silippo’6 Herz war zu fehr dabei intereffirt,
um nicht hierzu alled Thunliche in Bewegung zu
fegen. Uber es ließ fich doch weder der. Ungluͤcks⸗
fall, noch dad Herkommen des Fräufeind ausmit⸗
teln. Da erklärte der junge Mann endlich einmal
x
213
feinen eltern mit einem Eifer, vor‘ dem fie
erfchrafen, daß ed ihm nun durchaus nicht laͤn⸗
ger möglich fei, zu leben, wenn er fie nicht beſitzen
folle. Uchfelzudend willigten fie ein, und die
Kirche heiligte Filippo's Band mit der ſtummen
Schönheit, wie man fie, welcher er ben Namen
Mirabella gegeben hatte, in ganz Palermo zu
nennen. pflegte.
Dom Anfange an aͤußerte Mirabella eine große
Scheu vor dem Anblide des Meeres. Auf ihr
Bitten hatte man ihr daher fogleich eine Mohr
nung eingeräumt, von welcher au man niche
dabin fehen konnte. Bei der neuen Einrichtung
drang fie ebenfalld auf ein ſolches Quartier; ein
Umftand, den man allgemein fo. außlegte, als ob
fie mit alzugroßem Schauder an dad Ungldczus
ruͤck denke, weldes fie auf dem Meere betroffen
habe,
Dad Paar lebte gluͤcklich. Aber Mirabellend
Scheu vor dem Anblide des Meeres dauerte fort.
Mo fie in Zimmer Fam, deren Ausſicht dahin
sing, wendete fie ihr Auge oft recht auffallend
davon ab. Schon befaßen fie einen Sohn, der
feine fihöne Mutter nicht verkäugnen Fonnte,
als eindmald am Abende Rofaura ihren Bruder
bei Seite nahm, und zu ihm fagte:
Theurer Filippo, ih muß Dir etwas vers
trauen, das men Herz nicht wenig Angfliget.
/
. .
ae Mn Sm A... a rn, _
nn nn
218
Vorhin ald Mirabella ſich vermutlich ganz allein
im Haufe glaubte, ging ich zufällig bei ihrem
Zimmer vorbei, und hörte, daß mehrere befannte
Lieder darin gefungen wurden. Das mwunderte
mich, da außer der Stummen niemand dort feyn
Tonnte, und. ih ging hinein. Hierüber nun
erſchrak fie außerordentlich, wollte auch auf all
mein Bitten ſich nicht zum Fortfahren in ihren
Geſange bewegen laffen, Bielmebr fpielte fie die
Stumme auf's Neue, — Das aber betrübt mich
garfehr, lieber Bruder, um Deinetwillen. Denn
es muß doch ein wichtiger Grund vorhanden feyn
zu ihrem fo beharrlichen Schweigen. Auch gehört
ein Grad von Verftellung dazu, der wenig Gutes
für Dein Fünftiged Gluͤck verſpricht. Die ganze
Familie, welcher Rofaura dieſes wichtige Geheim⸗
niß fchon früher mitgetheilt hatte, kam jetzt auch
dazu. Alles zeigte fich höchft empört über Mira⸗
bellen& Verſtellung, und Fraucesko legte feinem
Sohne ernftlichft auf, die Gattin unter diefen
Umftänden zum Reden zu noͤthigen. —
Mit ſehr befümmertem Herzen ging Filippo
zu ihr und hielt ihr die Sache vor.
Kind, fagte er, als fie alles ſogleich, mit
Mienen um Vergebung bittend, eingefland, ohn⸗
fehlbar giebt ed in Deinem früheren Leben Ticht
fheue Geheimniffe, welche fich unter der angenome
menen Stummheit zu verbergen fuchen ? — Bee
I un Pins —— — u | ge —— ——— — —— \-
> 217
Fuͤhlt der hokden Käffe Hauchen,
Die herauf in Liebe loben; -
Seht, wie unſre bella Augegeee
Lieb! um Liche von Euch fd! m
Filippo, ganz derauſcht von ·den in fein innen
fie® Leben zitternden Vöneh) ümfaßte Mirabelleü
und, aufbbrend, ſich durch: Bewegung auf der
Oberflaͤche des Waſſers zu. bahaupten, ſchien er
wirklich der geheimen Macht: in ber Tiefe nach⸗
geben zu mollen. ‚Da ‚ergreift. ihn die Gattin
nen Sinnen faft ganz Berlaffenen mundeebater.
Weiſe zurüd an dad Ufer. — n
Mad war das? Was if das alles? — So
ruft hier der voͤllig in's Leben Zuruͤckgebrachte.
Aber Mirabella nimmt mit. der Rechten .feinen
Iinfen Arm, und hältnach der Seite. des Megred.
Hin 'mit der Tinten Hand einen. Theil des Ges
wanded vor Ohr und Auge, um, wie ed ſchien,
weder vom Klange, noch nom Unfehen der Wogen,
zur Rüdfehr in diefelben verlodt zu werden.
Wer bi Du? ſpricht er zu Haufe, die Gatı
tin anftarrend. Denn ber fühe Gedanke, fie einſt
dem Untergange in den Wogen entriſſen zu haben,
‚fand felne Bernichsung in diefer Naht. Was
bedurfte die einer Rettung, bie in den Wellen
wie zu Hauſe mar, und ihn felbft dießmal, ganz
unläugbar-dem Untergangeentzogen hatte?
17
216
|
ans und ſchickte die, füßeften Slide nach Dem Ä
Wogen. Endlich riß der Zauber in ihnen fie
gar von bem Arme ded Satten. Sie warf fich,
als fei es Die Bruͤſt eines lang entbehrten Ge⸗
liebsten, auf das Meer, und verſchwand darin
ſo, daß Filiÿpo einen heftigen Schrei ausſtieß.
Da tauchte fie ſchalkhaft laͤchelnd mpor‘, und
verſchwand wieder und kam dann von Neuem
zum Vorſchein. So herxlich hatte Filippo ihren |
Körper nie geſehen. Er glaͤnzte in den wunder⸗
vollſten Biegungen. Ded Gatten Yuge ward
eiferfüchtig auf den Vollmond, der die leuchtende
Kraft, welde ex ber Sonne entwendet, deu
Schwimmenden abtreten zu wollen fchien.
Aber ſelbſt hei ihrer unglaublichen Gewandt⸗
beit werd dem, Filippo bänge, daß fie allzuviel
wagen moͤchte. Daher begab er fich gleichfalls in's
Meer, um ihr auf den Nothfall nahe zu ſeyn.
Kaum ‚aber hatte ex fie endlich ergriffen, fo
saunten die Wellen , die fchon bei frinem erften
Zuſammentreffen mit der Schönen ihn ſuͤß und
geheimniß voll umſchlungen und umliſpelt hatten,
dem Paare, wie dem Silippp duͤnkte, folgenden
Geſang zur
£ieben, kommt, o kommt bernicher!
- Höret nur „ wie keif und lüfern,
Aus der Tiefe Liebesliede r
Eurer Herien Slut umſluͤſtern:
> 217
Fuͤhlt ber hokdın Küffe Hauchen, )
Die berauf in-Liebe leben: .
Seht, wie wufre belles Kan...
Lieb’ um Liche von Euch fobesu! —
Filippo, ganz derauſcht von den in fein inners
filed Leben -zitternden "Vöneh, umfaßte Mirabellen
und, aufhörend, ſich durch: Bewegung auf der
Oberflaͤche bes. Waſſerd zu, bahaupten, ſchien er
wirklich der geheimen Macht: in ber Tiefe nach⸗
geben zu mollen. Da ergreift ihn die Gattin
in hoͤchſter Verzweiflung und rudert den von feis
nen Sinnen faſt gang Berlaffenen wunderbarer
Weife zurüd an dad Ufer. — ö
Was war dad? Was ifl das alles? — So
ruft hier der voͤllig in's Leben Zurüdgebsachte.:
Aber Mirabella nimmt mit der Rechten ‚feinen
Iinfen Arm, und hältnach der Seite. des Megred.
Hin 'mit der linfen Hand einen. Theil des Ges
wanded vor Ohr und Auge, um, wie ed fchien,.
weder vom Klange, noch uom Anſehen der Bogen,
zur Nüdfehr in diefelben verlodt zu werden.
Wer biſt Du? ſpricht er zu Haufe, bie Gat⸗
sin anftarrend. Denn der fühle Gedanke, fie einfl
dem Untergange in den Wogen entriffen zu haben,
‚fand feine Vernichgung in diefer Nacht. Was
bedurfte die einer Rettung, die in ben Wellen
sole zu Haufe war, und ihn felbft diefmal, ganz
unlaͤugbar dem Untergangeentzogen hatie ?
ee et ren.
i7
218
Her bit Du? wiederholte er, als außer
einem Liebesblicke Feine Antwort erfolgt war.
Da drüdte ſie ihn an ihre wunderſchoͤne Bruſt.
Auch ohne Wort fagte ihr ganzes Thun und
Ben ‚, Blarer als alle Rede: Dein bin ich ja,
mit all meine: Schönheit und Liche und Güte
frage nichts weiter! _
Auch fehlen ihm das in diefem Moiente zu
genügen.
Aber dad Nachdenken ber folgenden Tage
führte ihn Immer wieder auf‘ den Punkt feiner
zuruͤckgenommenen Srage bin. Dazu kam, daß
Apollonia, eine ſeiner Schweſtern, in jener Nacht,
erweckt durch fein Fortgehen mit Mirabellen, vom
Fenſter aus Zeugin der Scene im Waſſer gewe⸗
ſen war und ſolches ihrer Dienerin vertraut hatte.
Von dieſer war der Umſtand auf allerlei Umwe⸗
gen bis zur Frau vom Haufe gelangt, die, bare
über höchft unruhig, ihren Sohn eined Tages
. holen ließ, und alfo zu ihm ſagte :
Mein theurer Filippo, einziger männlicher
Zweig eined alten, verehrten Namens, Vergoͤnne
ber, welche Dich gebar, baß fie die Sorge in
Deinem Bufen ausfchütte, bie mehr noch Dein
eigenens Wohl, als dad meinige angeht.
Wie hätte der Sohn foldye Rede der bekuͤm⸗
werten Mutter zuruͤckweiſen mögen ?
219
Zuvdrderft — fo fuhr fie fort — fage mir
doch, ob ed wahr ift, daß vor Kurzem einmaf
in der, Nacht Deine Gattin fih ald eine voll
endete Schwimmerin gezeigt, und Dich auf eine
für die zarte Grau an Wunder grängende Weife
der Gewalt der Wogen entriffen hat? —
Das Tonnte Filippo nicht laͤugnen.
Da erblaßte die erfchrodene Mutter, Lieber
Sohn — fagte fie — ed thut mir web, fehr
web, Deinen Srieben zu foren. Aber ‚ed ge
ſchieht einzig Dis zum Heil. Weißt Du, daf
Du Leib und Seele zugleich wegen diefer Frau
verlieren kannſt? Nach dem Ichten Borfafle iſt's
gewiß , daß fie nur durch Trug Deine Belannts
(daft gewonnen hat, und follte nicht auch ein
Zauber noͤthig gewefen ſeyn, um einen fo kunſt⸗
reichen und bevunderten Schwimmer, wie Du
bift, in Todesnoth zu bringen? — D gewiß,
mein Sohn — ſprach fie, als er bier, des Wel⸗
Iengefanges fchmerzlich gehenkend, tief erſeufzte,
gewiß iſt alled nur gefehehen, damit fie Dich
durch diefe Rettung deſto feſter umgarne und tie⸗
fer in’d Verderben hinabziehe! — Geliebter Sohn,
frage fie, wer fie fei und wie die Sache zuſam⸗
menhänge, und giebt fie Feine Antwort, fo thus
fie von Dir! — |
Das Wort ſchnitt in bad Mark feines Le⸗
bens ein _
*
220
Die Mutter erſah das und faßte feine Hand.
Es gilt das Heil Deiner Seele! ſprach fie, und
die Thräne Bed geänafligten Mutterherzené fief
brennend auf die Wange, an diefte ſich lehnte.
Thue fie von Dir, liebſtes Kind, wenn fie nicht
reden will. Iſt doch alle Trug an dieſem
Weſen, böfer Daͤmonentrug! Dan hat fie ja
fingen hören, deutfiche Worte, als fie ſich allein
glaubte. Welch eine hoͤlliſche Bosheit, dem Gat⸗
ten, den ſie zu lieben heuchelt, durch freiwilliges
Stummſeyn das Herz zu zerreißen! Welch eine
unglaubliche Boſheit, bie Stummheit, trotz feiner
zaͤrtlichſten Bitten, Jahrelang behaupfen gufönnen!!.
Francesko, ber dazu kam, verwunderte ſich
nicht wenig über bie große Bewegung, worin er
Gattin und Sohn fand. Auch er trat, fobald
er die Umſtaͤnde vernahm, der mütterfichen DReis
nung bei. Dem nun erfolgenden, vereinten
Sturme mußte bed Sohneb Herg nachgeben. Er
fagte zu, was. man von ihm begehrte —
Als er aber zu Mirabellen kam, da bielt die
Schöne fein Kind, ihr Ebenbild, fo lieblich in
den Armen und reichte ed ihm, daß er’d kuͤſſen
möchte und fihlug das herrliche, bfaue Auge fo
füß zum Himmel, daß jedes Wort ihres Mun⸗
bed nur elender Ueberfluß geweſen wäre.
Danf ‚_taufend Dank, Dir droben, ber Du
beide mir gegeben haft, biefen Gemahl und die’
AR
ſes Rind! fo ſprach ihr frommer Blick und Fi⸗
lippo druͤckte erſt einen Kuß auf des Kindes
Stirn, dann auf die Lippen der innig geliebten
Gattin. Wer diefe auch feyn, was er felbfi
aud) zugefagt haben mochte, In dieſem Momente
war er Mirabellend Liebe und Güte viel zu
gewiß, um in fie gu dringen mit: einer Frage,
deren, Beantwortung han fo pftfchon von ihrer
flehenden Geberde abgelehnt worden war: -- -
Die Berwandten ließen ihm indeffen Teint
Ruhe. Daye mußte -Mirabelle von. ihnen eine
ſehr demuͤthigende Behandlung erfahren. Zu
feinen Gamilientage wurde .fie wiehr: gezogem
Niemand befuchte fie, alles kehrte ſich von ihr
ab, wie von einem böfen Geiſte — .
Silippo litt unbefehreiblich,
Einft an einem fchbnen Abende, ald fie, ihr
Kind auf dem Atme, den Barten befuchte, war
er, von der Thuͤre aus, ‚Beuge, Daß: feine
Mutter und die Schweftern. ihren. ſchuͤchternen
gwar, body freundlichen Gruß nicht Animal der
Fleinflen Erwiederung werth - hielten, "vielmehr
den Garten auf der Stelle verließen. Da griff
ihm eine ſolche Erniedrigung ferner: Gattin gewal⸗
tiger ald je an’d Herz. Schon war er Wil⸗
lens, bie Verwandten ernfihaft zur Rede gu
fiellen, als er der feinen Aeltern gegebenen Zur
fage noch zu vechter Zeit gedachte.
222
Geht ober nie? fagte er zu ſich und ging has
fligen Schritted in den Garten.
Geliebtes Herz — ſo rebete er die Gemahlin
an — bemerkteſt Du.wohl, wie unwuͤrdig man
it Dir erfuhr? - |
Mitabella antwortete durch Achſelzuden.
Und wien Schuld dieß alles, Liebſte, als
die Deinige? Ein Wort, ein einziges Wort
daruͤber wer Du biſt, und die Scheidewand fällt,
welche Dein Unerflärbared zwiſchen Did und
die Mengen‘ Bezögen hat! v
Da gab Mirabella dutch Zeichen gu verfte
ben, wie kein Uriheil über fie Gewicht Habe,
als das feinige, wie gar nichtd da fei für fie,
‚ in-dergangen Welt, ald er und ihr Kind.
O mein theuerſtes Leben — rief er nun
aus — wenn ich denn, wie ich's glaube, einen
weſentlichen Theil Deines Daſeyns und Gluͤckes
ausmache, fo nimm den Kummer von dieſem
Herzen, meine Gemahlin fd tief erniedrigt zu
fehen. Alles fagt mie von Deiner Güte und
Liebe. Nur der Andern wegen, ſprich es aus,
wer Du biſt! —
Hierauf fiel fie Ihm zu Fahen, ſeine Kniee
umfaſſend, zeigte dann auf ihr Kind und ihn
und ſich. Ihre übrige Geberdenſprache ſagte
dentlich den Wunſch aus, daß er mit ihr, fern
von dieſer Gegend und dem Meere — gegen
228
welches fie einen heftigen Wiberwillen ausdruͤckte
— in’6 Land tiefer hineingiehen ſollte, wo fie,
ungeflört von fremden Uebelwollen, ‚ihrem ſchuld⸗
lofen Vereine allein leben dürften.
Ah, Mirabella war fo ganz Liebe, dag
er wohl abermald von ſeiner Bitte abſtehen
mußte.
Je düflerer ihn die gegebene Zufage machte,
deren Erfüllung er ſonach feinem Herzen nicht
abdringen Fonnte, deflo eifriger dachte er felbfk
darauf, fi) aus Palermo hinmeg , in einen abr
gelegenen Ort der fegenreichen Inſel zu begeben.
Aber aud vielen Urfachen Fonnte ed nicht ohne
Vorwiſſen feined Vaters geſchehen. Als er dies
fen nun davon unterrichtete, fo brach Francesko
in die größte Heftigfeit aus, auf bem Worte
beftehend , welches fein Sopt ihm und der Mut⸗
ter gegeben hatte. —
Vergebens ſuchte Filippo ihm f eine Anſicht
von der Schönen beizubringen. Des Vaters
Born drang alled uͤberhoͤrend auf bie Erfüllung
ber Zuſage. |
Erſt, als Filippo am folgenden Tage in
(
einem Briefe umftändlih auseinander geſetzt
hatte, warum er. auf bie Alterfiche Losſprechung
von diefer Zufage hoffen zu dürfen glaube, erft
da ſchien Francesko geneigter gu einer Unterhand⸗
lung in diefer Angelegenheit... Nur erfuchse er
224
feinen Sohn, baß et, möge er in Palerno blei⸗
ben oder hinwegziehen, nun endlich einmal fi
dem Könige falle vorſtellen laſſen, da biefer noch
wendige Aft nur altzulange verſchoben worden
fi. 0.4
‚ Um den: Bater. R gendatn; wußte: Bitiyso
fi dazu entfchließen.
Aber‘ der Une war gar argliſtig dabei zu
Werte gegangen. Er hatte den König von ber
Rage der Ehe ſeines Sohnes, wie er, der Bater
foldye betrachtete, ‚unterrichtet ;’ and um Beiltand
ded Landesfürften gegen Filippo's Neigung ae
fließt. —: Daher: ließ‘ der König - den jungen
Mann feh? hart an, und gebot ihm; feine Gat⸗
fin zur ‚Rede: über ſich ſelbſt zu nothigen, wenn
er nicht wolle „daß ihr Geſtaͤndniß auf ſchmach⸗
volle Weiſe durch idie peinliche- Frage Hfrausger
bracht werde. Sr fügte binzu-, daß eb kindiſch
und der Ahnen ber Montano ganz inwärdig
fei, ſich auf fo plumpe Art von Deren ober ähns
lichen Perfontn :am Narrenſeile führen zu Taffen,
und daß er erſt dann wieder zu, feiner Gnade
gelaugen ſolle, winn er die’ feinem Vater geger
bene Zufage: erfuͤlt haben werde, '
Die harten , ibeleidigenden Worte des Koͤnigs,
die diefer in Gegenwart einiger Großen ausſtieß,
fetzten ben Filippo um fo mehr in Wuth, da
ba ber That den Label, welcher ihm widerfuhr,
228
ein Schein der Wahrheit unterſtuͤtzte. Daher
eilte er auch nach Hauſe, und in Staatskleidern,
wie er war, den Degen an der Seite, in's
Zimmer ſeinet Gemahlin:
Sprich endlich, Schlange, wer Du biſt, rief
er athemlos und ſchwang dazu den Degen uͤber
das Kind in der Wiege neben ihr.
Da bedeckte fit mit ihrer Bruſt das legtıre
und fagte gu dem Gemahl:
Theuied Herz, ja, jetzt muß ed ſeyn, zu
Nettung des Kinded muß ich Dich brechen !:
Wiſſe, daß ich, in den Tiefen bed Meered gebo⸗
ren, auch bier auf ber Erbe nach den Gefegen,
die dort unten gelten, leben muß, Badend
erblickte ich Dich und gewann Dich lieb. Schon
ald Du ſcheinbar mich retteteſt, Hätte ich bie
Rede an Dich richten können. Aber fobald «6
geſchah, war auch Dein Gluͤck den Mächten in
der Waffertiefe verfallen. Denn fit haſſen ben
Wandel der Menſchen, unb mögen ed nur angern,
dag die Unfrigen mit Euch Gemeinfdhaft haften.
Darum, fobald wir einem von Euch unfer Herz
zuwenden, müflen wir auch.die Pein der Stumm
heit Aber und nehmen. Und wahrlih, «6 iſt
der Liebe fchwerer, flumm zu feyn, als bed Ger
fiebten Stummſeyn zu ertragen! Denn dad Wort
draͤngt ihr ſtets gewaltig zum Munde. über bie
Staͤrke meiner Riebe zu Dir huͤtete ſelbſt des Wort.
Geſpenſterbuch 6. Theil. P
N
226.
Jetzt, Theurer, weißt Du alles! Meinen
Ernſt, Dein zu feyn fir immer, verbürgt Dir
meine Furcht vor.der Heimath, dem Meere, befs
fen Anblick den in feinen Ziefen Gebornen firts
unendlihe Erquidung gewährt. — Noch. mehr
buͤrge Dir’d die "Gewalt, die ich meiner eigenen
Natur anthat um Deinetwillen, ald die Wellen
Di mit ihrem falfchen Geſange hinablocken
wollten. $ilippo, wir mäffen ſcheiden. Bedenke
jest, welchen Schmerz es mir Foften mußte, Dei⸗
nen Ungefiäm mich fprechen zu hören, ſo oft zus
ruͤckzuweiſen, und daß: ich mein Schweigen nur
darum aufgab, weil dad Leben meines Kindes
bedroht war. Lebe wohl, theurer Filippo! Sollte
auch mein Anſpruch auf Dich dahin ſeyn, ſo werde
ich doch dem Sohne, den ich gebar, nimmer ent⸗
ſagen.
Und der Tiefetſchuͤtterte warffich, wie vorhin
Mirabella, über die Wiege, vermeinend, daf wenn
er fi) ſo des geliebten Kindes verfichere, er die
Mutter zugleich am ehernen Bande hafke. Bon
der Gemalt ihrer Worte erdruͤckt, deren Nachklang
im feinem Gemuͤthe immer fchautrlicher wurde,
* er eine lange Weile ſo gelegen, als er ſich
erſt wieder aufrichtete.
Aber Mirabella war nicht im Zimmer, nicht
im Haufe, nirgends war fie gu finden. Endlich
Sam noch. die Nachircht, daß fie zum Erſchrecken
227
mehrerer Perfonen nach dem Meere gegangen ſei |
"und fich Bineingeftürgt habe. .
Alfo doch ohne dad Kind? rief Fitlippo. Go |
wollte die zärtlichite der Mütter licher das ihre
Unentbehrliche hier zuruͤcklaſſen, ald Iänger Ges
meinſchaft haften mit einem Ungeheuer, einem
fluchwuͤrdigen Ungeheuer, wie ih bin ? —
Der junge Mann wuͤthete ſchrecklich und fließ
die härteften Vorwuͤrfe gegen fich, feine Familie,
ja ſelbſt gegen den König aus. Niemand wagte
feiner Verzweiflung in den Weg zu treten.
So ging es den ganzen Tag und den größten
Theil der Nacht hindurch. Erſt gegen Morgen
verfiel er in einen unruhigen Schlaf, und als er
fpät erwachte, und feinem Schmerze an dem lie⸗
den Abbilde ber Verſchwundenen einen neuen
Stachel geben wollte, da fand er die Wiegeleer,
welche bicht bei feinem Bette geftanden hatte.
Mein Kind! fprady er, den einzigen Schatz,
der mir übrig bleibt, wo habt Ihr ihn?
Seine Xeltern fanden erflarrt vorihm. Die
Mutter ſelbſt Hatte die ganze Nacht Wache gehal⸗
ten bei Sohn und Kind, Da war — grade als
Silippo eingefchlafen — Mirabella in einem leich⸗
ten, weißen Nebelgewande zur Thuͤre herein und
vor die Wiege getreten. Die Wächterin hatte
ihr wehren wollen, nach den Kleinen zu fangen,
Aber die Wächterin war auch Diutter, und fo hatte
P 2
N:
⸗ 225
Miradıllend Miene fie wie gelaͤhmt, weil dieſe
Miene ſchauerlicher als die ſtaͤrkſten Worte aus⸗
rief: Wer will ber ungluͤckſeligen Mutter Die
Frucht vorenthalten, welche fie unter dem Herzen
getragen ?
Die Meerbewohntrin nahm dab Kind aufden
Arm und ging hinweg bamit. - Jetzt endlich
armannte ſich die Matrone fo weit, um nachzu⸗
eilen und der bereits aufgeſtandenen Dienerſchaft
anzubefehlen, daß ſie die Hinweggehende aufhal⸗
tem mbrhren. Aber alle waren gar oft Zeugen
geweſen von ihrer Mutterliebe; alle ſahen ſich
durch die Macht: der Natur felbft gejwungen,
jur Anerkennung ihrer geheiligten Rechte auf das
Kind: |
Acka Menfch wagte au nur den Armi nach
ihr zu erheben, als fie — ein. Bild des tiefften,
ſchrecklichſten Schmerzen — bie Treppe hinab
und, aus dem Hauſe ſchlich.
Man hatte ſie abermals den Weg nach dem
. Meere nehmen und dann die Wellen über ihr
und dem Kinde gufammenfchlagen ſehen⸗
Als Filippo auf feine vorige heftige Rrage
Diefe Umftände erfuhr, verſtummte ers Später
bin ſchien er ruhiger zu werden. Wenlgſtens
danfte er allen, daß fie der Mutter ſeines Soh⸗
nes Fein Hindernif in den Weg gelegt hatten. —
229
Bon jetzt nahm er felbft eine Einfifbigkeit
an, die an gängliche Stummheit gränzte. Sein
Bater drang fehr in ihn, ſich der bofen Erinne⸗
rungen halber aus Palermo Binweg, und, wie
er früher gewollt hatte, an einen vom Dieere ent»
fernten Ort gu wenden. Bergebend ; bad Meer
ſchien jegt auch feine Heimath geworben. Bes
ſonders gern babdete er in der Gegend, wo feine
Gattin mit dem Kinde verſchwunden war.
An demfelben Abende, an dan er ſpaͤterhin
einmal vom Meere nidyt wieder zuruͤckkam, hats
ten viele Schiffer ein ungewöhnliche Leuchten
auf dem Waſſer in jener Gegend wahrgenommen.
Manche fchloffen hieraus auf Filippo's Wieder
verein mit feinen Lieben, jenſcics der Wogen
und Stuͤrme, — |
Der Mind.
Eee
Auf **8 Kaffeehauſe in Dresden wurde eines
Abende an dem einen Tiſche ein intereſſanter Ger
genſtand abgehandelt. Es ging über bie ſteinere
nen Wächter, der vor Kurzem an dem Bruͤhlſchen
Garten erbaueten, anſehnlichen Treppe, die aͤgypti⸗
ſchen Loͤwen, her. Der Eine verſicherte, daß fie
ihm eher wie große Hunde denn Loͤwen vorkaͤmen.
Ein Anderer wollte zufrieden feyn, wenn fig nur
wie natürliche Hunde ausſaͤhen, ſo aber wären
ed, weiß Gott im Himmel, ganz unnatürliche
Beſtien. Dagegen wußte ein Dritter, aus der
-Befchreibung von Bonaparte's Leibmameluden,
daß fich die Löwen in Aegypten juft fo und nicht
anders trügen. Aber, mein Gott, fagte ein
Vierter, welcher dazu eine fehr fremde Ausſprache
annahm, warum denn nicht lieber deutſche
Löwen in einer fo deut ſchen Zeit? —
Einige ſahen den letzten billigend, anbere
ganz erflaunt, andere gar lachendan. Auch fpra«
en noch vieleüber die Sache mit. Nur diejenis
2
251
gen fchienen ſchweigend ihren Rauchtabak zu vers
qualınen, bie wohl etwas Beſſeres darüber Hätten
fagen koͤnnen.
Obſchon der mit anwefende Leihbibliothekar aus
der Neufladt, Herr Schweppermann, nicht zu les
tern zu rechnen war, fo reihte er fich doch an
die Schweigenden an, weil Löwen grade nicht
zu feinem, Fache gehörten. Ya, es begann ber
reits dann und wann bie Augen zu fehließen und
mit ben Kopfe zu niden, ald dad Gefpräd
durch einen eben erſt Dinzutretenden,, den Advo⸗
fat Schreck, eine andere Wendung erhielt.
Apropos, meine Herren — fing Herr Schred
an — da Sie eben beim Bruͤhlſchen Garten
find, haben Sie noch nicht von dem Gefpenfte,
dem Mönche, gehört, das in voriger Natht dort
gefeßen worden iſt?
Diefed Wort wirkte ſogleich auf Herrn
Schweppermann bergeftalt, daß er bie Yugen
weit, weit öffnete, und fein Ohr dem Erzähler
quneigte, Denn bie Gefpenfler waren ganz eigent⸗
lich fein Fach, als Leihbibliothekar und als
Menſch. Er hatte naͤmlich von Kindesbeinen
an bei Nacht immer etwas zu ſehen oder zu
hoͤren gehabt, und es gab vielleicht kein einziges
Mitglied ſeiner Familie, das ſich ihm, nach
oder kurz vor dem Tobe, nicht geſpenſtiſch gezeigt
hätte. Zu Zeiten, wenn fich ein Todesfall ereigs
Sn 1}
232
nen follte, war ed, als wolle fein ganzed Haus⸗
geräth zu Grundegehen. Noch neulidy erft hatte
er geäußert, daß, weil ihm nun lange nichts
Unheimliches begegnet fei, nädftend gewiß etwas
Außerordentliches erfolgen müffe. Darauf koͤnne
er, zufolge feinen Erfahrung, nach einer fo lan»
gen Paufe, allegeit ſicher rechnen. Uebrigens —
fügte er hinzu — laſſe ich mich dab alled nicht
weiter anfechten, mache, wenn ein Geiſt an mir
‚oorübergeht, in Gotted Namen mein Kreuz und
bin geborgen.
Auf Herrn Schrecks Frage aber verfidgerten
mehrere, daß fie auch Fein Wort von der Erfdheis
nung in voriger Nacht gehört hätten.
Aber — fuhr er fort — Sie wiffen doch von
bem Mönche, der bereit vor Jahrhunderten auf
hiefigen Wällen bisweilen umgegangen ſeyn folk ?
Einige wellten fo etwas einmal vernommen
haben , Andre ſchuͤttelten den Kopf.
Ei — fagte nun Herr Schweppermann —
von der Hiftorie bat mir meine felige Groß
mutter ſchon erzählt. Nicht wahr, ber Mönd
erfchien gewöhnlich vor ungluͤcklichen Landesereig⸗
niſſen, trug den Kopf unterm Arme und dabei
eine Yaterne in ber Hand. -
Richtig! ſprach Herr Shred, Neuerlidy
hat man zwar daran zweifeln wollen, aber — —
Aber — unterbrach ibn einer— Sie wären
255
wehl im Gtande, ſolchen Unſinn für wahr zu
halten ?
Herr Schweppermann warf «inen fehr vers
drießlichen Bli® auf den Zweifler und der Ads
vofat fuhr ruhig fort: Ich Tann die. Wahrheit
der Sache dahingeftellt feyn laſſen. Doch habe
ich, in der Vorausſetzung, daß man die Sage
von voriger Nacht wiffen werde, bie Hiftorie dies
fe Mönche, wie ich fie vor Jahren einmal in
einem alten Manufcript fand, abgefchrieben mite
gebracht, um fie zum Bellen zu geben, da fie
gluͤcklicher Weife nicht allzulang iſt.
Ei, fprad hier Herr Schmeppermann, ber
in der Gefpenfterliteratur wohl Bewanderte, bamit
haben Sie unfern Danf gar fehr verdient. So
viel auch darüber geſprochen und bin und wies
der gefihrieben worden, fo gieht es doch noch
gar nichtd Befriedigended Aber biefe Erfdeinung.
Wollten Sie mir die Schrift wohl ein wenig
erlauben ?
Mit Vergnügen! antwortete des Advokat.
Doch mehrere der Uebrigen machte ihre gleichen
Unfprüche darauf geltend, daher Herr Schrei
ſich bewogen fah, die Sage vorzuleſen. Sie laus
tete folgendergeflalt :
In dieſer Ießten Zeit begab eb fich, daß der
Landéknecht, welcher an der Baftei beim Wils⸗
druffer Thore allhit Wache halten follte, in der
> 2354
Mitternachtflunde, wie man Fam ihn abzuldfen,
auf dem Erdboden, gleichfam als feier ploͤtzlich
verftorben, ausgeſtreckt und fleif liegend befunden
wurde ; fo daß man denfelber auf einer Trage
zuruͤck nach der Wacht bringen mußte. Hier
aber gab er afdbald einige Zeichen des Lebens
von ſich; worauf er, durch Anwendung allerlei
zweckdienlicher Mittel, endlich die Augen wieder
aufthat. Gott Lob} — rief da der Knecht aus
— daß ich wieder unter Menfchen bin ; denn es
war doch gar zu grauenhaft, was mir eben
begegnet iſt. — Nun drang man in ihn, fein
Begegniß Fund zu thun, und er ſagte:
Ihr wiffet insgeſammt, liebe Gefellen, wie
ich mich im Kriege herumgefchlagen und de noch
Beugniß trage, in dem Kreuzhiebe hier auf der
Stirne. Als ich aber vorhin auf meinem Poften
ftand , da gewahrte ich plöglich einen wunderli⸗
chen Richtfchein, welcher, wo der Wall in bie
Kruͤmme geht, herüberfam und immer näher an
mid) heran. Da entdeckte ich , dafi der Schein
von einer Laterne ausging. Als ich nun: wer
Da? rufe und ed nicht antwortet, da trete ich
Dem Lichtlein näher und fiche einer der Brüder
Baarfüßer ſteht vormir, etwas unter dem Arme
tragend, Und weil Feine Antwort erfolgt war
auf mein Anrufen, fo rufe ich nochmals, und
zwar ungeduldiger, Denn was hat, meine id,
256
um dlefe Zeit ein Ordenébruder auf dem Wale
zu fchaffen? Da antwortete er denn. — Uber
fein: gut Freund ! Hang: fo leife und Hohl und
ſchauerlich, daß es mir zitterte durch Mark und
Bein. Bald darauf entdecke ich gar, wie dab
Ding, dad nunmehro dicht vor mis ſteht, fein
Daupt nicht auf den Schultern, fondern unterm
Arme trägt,
Was aber ſeitdem ſich mit mir begeben, iſt
mir unbefannt. —
Solcher Mähr erflauneten feine Geſellen und
harreten ſehr auf die Ruͤckkehr ded Knechtes,
welcher den Wiederbeleblen abzuloͤſen gegangen
war. Der zweite aber hatte nichts geſehen, ſo
wenig zig alle darauf folgenden Landsknechte,
weiche indgefamt gar ſchweren Herzend nach ber
Baflei gegangen waren. Denn feiner zweifelte,
daß dem erften wirklich die Erſcheinung begegnet
ſei, weil fie nicht glauben mochten, daß eitel
Furcht ihn genedt habe, maßen er für einen
ganz unerfchrodenen Degen allgemein geachtet
wurbe,
Es kam auch am folgenden Tage die meiſten
vorder Wacht in der Mitternachtöftunde an jener
Baftei ein Graufen an. Da trat einer auß
ibnen, ber ſoſches merkte, hervor und ſprach: Ob⸗
wohlen auch ich nicht gelernet mit Seinden umzu⸗
fpringen, fo nicht Fleiſch und Bein haben, fü
236
denke ich doch den Dienft um Mitternacht an
bem bepußten Orte zu verfehen, wenn es mir
anvertrauet werben wollte. Keinesweges aus
Fuͤrwitz; denn bes fei ferne von mir!
Da war man frab, daß fich. einer freiwillig
fand für den bedenklichen Poften, und ſchickte ihn,
als die Stunde Fam, zu jener Baſtei auf bie
Wacht. —
Der Landsknecht hatte vollauf Zeit gehabt,
ſich Die Sache zu überlegen, und rief, als er fihon
da ſtand, feine Gedanken noch einmaldaran zurdd.
Was kann mir, dachte er, Unrechted begegnen,
ba ich nichts Unrechtes gethan, noch im Ginne
babe, vielmehr lediglich meiner Pflicht nachlebe.
Das ftärkte ihn denn gewaltiglich.
Gleichwohl war& ihm auch wieder gar bang
und unheimlich, wenn ein Rniftern oder Rafıheln
ſich vernehmen Tieß, oder er ſich eindildete, nuns
mehro wirklich einen hellen Schein oder gar das
Eichtlein ſchon felber um die Krümmung des
Walles herumkommen zu fehen. Ein eiskalter
Schauer aber durchzog ploͤtzlich feinen ganzen Reib,
ald jet, nicht langſam heran, wie bei dem vom
geftrigem Tage, fondern gang plöglich der Baar⸗
füßer, der Feiner? Kopf hatte, mit feiner Laterne
fo dicht neben ihm aus dem Erdboden heraufftieg,
daß er den Saum ſeines Waffentocks berührt
alaubte von dem Geifle. Da pralte er heftig
237
surüd, und entfehte fi) vollends beim Anblicke
Ded Hauptes, welches der Mönch unterm Arme
trug. Denn ed war, wie eben erſt vom Scharfs
zichter abgefchlagen , und es ſchien noch Blut
Daraus zu fließen auf den, der es trug. Auch
entfann fich der Knecht, daß bie Geſichtszuͤge
daran einem jungen Manne gehoͤrten, der, wie
er der Landoknecht vor etwa einem halben Jahre,
ald gar fchöner Vollmond leuchtete, ebenfalls um
Mitternacht bei einer Baflei ded Walled, die nad)
der Elbe hinaus geht, Wache halten mußte, dort
aud einer Sänfte flieg. O — fo hatte damals
der junge Dann die Hände ringend immer aus⸗
gerufen, wie bin ich fo elend und doch fo unſchul⸗
dig. Ya, ja, ich din es, ich fierbe unfchuldig! —
Deß war jeboch nicht geachtet, Sondern der Juͤng⸗
fing nad) dem Innern der Baſtei, dem heimlichen
Gerichte, die Jungfrau genannt, binabgeführt
worden, und bald darauf hatte der Landsknecht
außen die Schwerter der Jungfrau unten im Ges
richt zufammen Elirren hören ; fodann mehrere
fhwarze Männer heraus fommen, und nachdem
der Eingang verfchloffen worden,. hinweggehen
fehen. Uber der junge Menſch Fam nicht zurüd
wit ihnen !
Schon ba graute ed dem Landsknechte fehr
vor den ſchwarzen Männern und ihrer heimlichen
That. Jetzt aber, ald er den Kopf des damald
240
allem den Kopf ſchuͤttelte, da erfah ich — dent
wir fanden in ihred Herrn Arbeitszimmert, im
deifen Reinigung fie eben begriffen war — duf
dem Schieibetifche din Bfättlein mit einem Auf
fake in lateinifher Sprache. Der Inhalt machte
mich aufmerffani: Ich lab weiter, und «6 wat
von einem Geheimniſſe die Rede, fo wichtig, daß
«8 unfehlbar jedem, ber dayum wußte, bas Leben
koſten konnte.
Als nun die Zofe das Blaͤttlein gewahrte in
meiner Hand, da fagte fie zu mit: Lieber Herr,
mollet dody um meines: guteh Rufes willen alles
hiet auf dem Tiſche unangetaftet Iaffen, indem
mein gnaͤdiger Graf unter Bedrohung, mich ſo⸗
fort aus dem Dienſte zu jagen, mir verboten
bat, etwas zu verändert auf dieſem Zifche oder
gar in die Hand zu nehmen: Auch fol mir ein
Gleiches widerfabren,, wenn Id) irgend jemand
über diefe Schwelle laſſe. Denn fo wohl es
Euch auch fonft wi, dieſes Zimmer würde er
doch felbit für Euch verfchloffen "halten.
Darauf nun legte ich zwar dad Blättlein
wieder an feinen Ort, entfernt mid) auch for
gleich aus den Haufe, doch nur um einige Stun
den fpäter; wo dei Hausherr zugegen war, zuruͤck⸗
zukehren. Mit wenigen Worten deutete ich da
ihm an, daß ein gewiſſer junger Dann — hier
nannte ich Kunigundend Buhlen — in uͤberaus
241
firafbaren Verbindungen ſtehe. Ich ließ Worte
fällen von feinen angeblichen Aeußerungen, welche
einzig aus jenem Blaͤrtlein geahdpft waren. Da’
erbfeichte Kunigundens Bater, banfte mir für den’
wichtigen Dienft, fo ich dem Staute geleiſtet, und
ging dann, wie er fagte, am Maßtegeih zu neb⸗
men, den Vertath zu hindern. —
Erſt in der folgenden Nacht kam ich zum
Beſinnen wegen meiner gräulichen Handlung.
Nach einem hoͤchſt unruhigen Schlafe erwachte ich
auf einmal wie durch Schwertgeklirr. Ich zit
terte am ganzen Leibe, als es geſchah. Sogleich
dachte ich an den jungen Mann, und es war,‘
ats ob feine. Tobesanaft auf meinen Körper her
nieder traͤufe und mir eiskalt bis rief die
Seele gehe v
Mit dem fruͤheſten Morgen erkundigte ich
mich‘ nach ihm und er war verſchwunden, kein
Menſch wußte wohin.
Leider! vief Hier der Landoknecht and, hider
habe ich/s geſehen, wo er verſchwand; geſehen und
gehott. Das Schwertgeklirre war auch dabei!
Nachdem er dem Geiſle nähern Aufſchluß
hieraber gegeben, fuhr biefet ſeafzend alſo fort:
Über der ungeheuere Frevel brachte meiner
Leidenſchaft auch Fein Gedeifen! War mir Bei
Leſung jenes Blaͤrtleins vielleicht etwas entſchluͤpft,
oder ſchoͤpfte die Zofe ſonſt Berdacht, genug, als
Geſpenſterbuch 6. Tdeil. Q
242
niemand wußte wohin der junge Mann gekommen,
und fi auch fpäterhin Feine Spur wieberfand
von ihm, da trieb ihr Gewiſſen fie, einen Ber
dacht über mich gegen ihren Herrn zu Außern
und zu entdecken, daß ich in feinem Schreibe
zimmer gewefen und bier einen Zettel vom Tiſche
in der Hand gehabt. Mein Diöner, im verirau
lichen Umgange mit der Zofe ſtehend, kam eines
Abends eiligſt nach Haufe und :fagte mir das,
hinzufuͤgend: Eilet Herr, daß Ihr fortkommet in
die Fremde hinaus. Denn ich weiß: gewiß, daß
Euere Freiheit, ja wohl Euer Leben gefährdet
iſt im Laufe diefer Nacht. |
Da 309 ich noch an demfelben Abende fort
and Dresden und verließ dad Sadıfenland und
fam gen Boͤheim, wo ich mich in der Haupt -
fladt Prag eine. Weile unter fremden Namen
aufhielt. | |
Aber der arge Geiſt der Hölle hatte mid
nur einmal ergriffen und sradhtefe, mich immer
tiefer in fein Verderben zu ziehen. Tag und
Nacht fpiegelte er mir für, von wie großer Schöne |
Sunigunde fei, und daß alle Süd fo Tange
mir fehlen werde, als ich ihres Beſitzes mich nicht
erfreuen könne. Da faßte ich denn thörichter Weiſe
den Vorſatz, wieder nach Dredden zu ziehen, und
diejenige mit Gewalt zu nehmen , welche fonft
ſchwerlich je bie meinige werben Fonnte,
283
- Und für immer, Du beblagenswerther Geifl;
ft Du "verdammt zu: fo unfeligem Treiben ? .
Nicht für immer; der Herr. fei gelobt! ſo
ie die Antwort. Einſt fol auch mein Sean
in der 'Gnade erfchsinen. -- Aber diefed Einſt,
er weiß, ob nicht lange, Ewigkeiten lange Yahrı
underte zwiſchen heute und meiner Erloͤſung
iegen. Zu Abbuͤßung der. begangenen Srevelthas
er liegt mir unter andesn auch ob, Diejenigen
Ueltern zu beffern, welche, verſtockten Herzens,
hren Kindern flatt folcher ehelichen Buͤndniſſe,
in denen fie ein gottfefiges Lehen führen würden,
andere amfdringen wollen, die ihnen ein Graͤuel
und dem Boͤſen ein Wohlgefallen find. -Leiber
jedoch iſt mir nicht vergoͤnnet, ihnen wörtliche
Warnung gu geben. Nur mit aufgehobener
Hand bedrohen darf ich fie. Verſtehen ſie dieſes
nicht, fo iſt der Gang mir fowohl ald ihnen
verloren ! re,
Hier — fo ſchalltete ber Vorleſer ein: — hier
fehlt Teides ! eine ziemliche Stelle in dem alten
von Moder gebraͤunten Manuferipte, welche
weggebrochen war. . Auß: einigen: flebengebliches
nen Worten zu Tchließem, enthielt fie etwas Nds
hered über die Bedingungen, unter denen dei
Seit von Zeit zu Zeit erfheinen konnte und
endlich Erlofung zu hoffen hatte Der Auffag
ift, befage des Schluſſes, wörtlich getreu nach
\
Te ss 2.
std
‚
‘
244
derfelben Nacht zerſchnitten die naͤmlichen Meſſer
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den
Unſchuldigen geliefert, mein eferided Leben. Ach,
ich wäre allzu giͤcklich geweſen, haͤtten ke mich
bloß von dieſer Taftenden Puͤrde befreit. Wber
nein, fie lieferten mich nya-bem unlichtbaren Nich⸗
ter aus. Kaum mar mein Leben dahin, fo wurde
ich von ihm verurtheilt, ſchrecklich verurtheilt.
Theils in dein leeren Raume zwiſchen Himmel
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen
der Unterwelt eingefchloffen, ‚muß ich des durch
mich Gensorbeten. Haupt immer bei mir tragen,
und wegen .ded großen Unheil, fo ich verübt,
mich von Zeit zu Zeit auf bie Erde zuruͤckbe⸗
geben, um ein Bote bed Unpeild hier zu feyn,
vonjedwebem vermieden und verabfcheuet. Denn
der Born bed Himmels folgt dem Werbrechen
überall! — Auch Kunigundend Bater bleibt nicht
ungeſtraft, daß er, nach aiteln Dingen trachtend,
der Zochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte,
und der fie begluͤckt Hätte, eigenfinnig verwei⸗
gerte. Denn wie Du mich hier ſieheſt, muß ich
allegeit in Kunigundens Geburtönacht und ber
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Baterd Bette
. ireten. — i
Der Landsknecht tieferſchuͤttett von dem, war
er dernommen, fragte:
243
Und für immer, Du beblagenswerther Geifl;
bift Du verdammt zu: fo unfefigem reiben ?
Nicht für immer; der Herr fei gelobt! ſo
Hic die Antwort. Einſt fol auch mein Stuͤnd⸗
lein der ‘Gnade erſcheinen. Aber dieſes Cinft,
ver weiß, ob nicht lange, Ewigkeiten fange Jahrt
Hunderte zwiſchen heute und meiner Crlöfung
liegen. Zu Abbuͤßung ber. begangenen Freveltha⸗
sen liegt mir unter andern auch ob, diejenigen
Yeltern zu beffern, weiche, verſtockten Herzens,
ihren Kindern flatt ſolcher ehelichen Bänbniffe,
in denen fie ein gottfeliges Leben führen würden,
andere aufbringen wollen, bie ihnen ein Graͤuel
und dem Böfen sin Wohlgtfallen find. Leider
jedoch iſt mir nicht vergoͤnnet, ihnen wortliche
Marnung zu geb. Nur mit aufgebobener
Hand bidrohen darf ich fie. Verſtehen fie dieſes
nicht, fo iſt ber Gang mir ſowohl ald ihnen
verloren! ——
Hier — fo ſchaltete ber Vorleſer ein: — hier
fehlt Teiber ! eine ziemliche Stelle in dem alten
von Moder gebraͤunten Manufcripte, welche
weggebrochen war. Aus einigen flebengebliche
nen Worten zu Tchließen, enthielt fie etwas Naͤ⸗
bered über die Bedingungen, unter denen der
Geiſt von Zeit zu Zeit erſcheinen konnte und
endlich Erlofung zu hoffen hatte Der Aufiag
iſt, befage des Schluſſes, wörtlich getreu nad)
\
« — pn" > -.n
der Erzählung ded Landsknechts, welcher darin ein
für feinen geringen Stand. ungemein rebper ”)
Menfch genannt wird, vom Bruber Anwbroftus,
Bertholds nahem Verwandten, abgefaßßt und
‚unterfchrieben, auch auf. weitere durch ihn einge⸗
zogene Erfündigung mit ber geſchichtlichen Ein:
leitung, wie ich folche vorgelefen habe, ergänzt
worden: — Bor einiger Zeit: gelangte: fie, ſchon
fo defekt, wie ich fie gefunden , durch Erbfchaft
in bie Wände eined meiner Bekannten, beffen
Großvater — weldger viel auf fie gehalten —
in einem Nebenblatte mehrere Notizen über das
fpätere Erſcheinen des Geiſtes hinzugefügt Hat.
Diefen Notizen va fell er neuerlich in einen
beffern Zuſtand gerathen und feine Wohnung
nicht mehr in der Nuft, auch nicht in Kammenr
der Erde, fondern in derjenigen Baſtei bed Wal⸗
led haben, welche vorhin zum heimlichen Ger
richte gedient, dann aber in einen Pavillon ver«
„wandelt worden if. So lange Iegterer geſtan⸗
den hat, fol der fogenannte Moͤnch, als ges
flört in feiner Ruhe, oft in ber Nähe gefeben,
auch in gewiflen Nächten bed Jahres ein herz⸗
fchneidendes Aechzen und jenes furchtbare Schwer:
tergeklirr dafelbft gehört worden feyn. Noch gar
manchem habe- er dba feinen Beſuch im Schlaf
gemache abgeftattet, dody niemals jemand einis
49) > peredfamer, ” \
2
mf der mar aubflieh, eine Dienge in ber
Seburt erflidter Bemerkungen fund zu geben.
Sndlich, ‚in ber Gegend des Taſchenberges, wen⸗
dete er fein Geſicht raſch nach der Straße,
welche dahin führt, weil dort der Bruder Um⸗
broftuß vormals ferne Zelle hatte. Dann fagte
er: Es iſt doch was ganz Wunderliches um die
Geiſterwelt! Das aber haͤtte ich nimmermehr
gemeint, daß jener Moͤnch noch immer auf Er⸗
den herumwandeln ſollte!
Ich, warlich, eben ſo wenig! antwortete der
Advokat. Er ſoll neuerlich von Neuſtadt heruͤ⸗
berkommen und dann feinen Weg über bie große
Treppe nach der Brühlfchen Terraſfe hinaufneh⸗
men. — Uebrigens, Herr Schweppermann, weifl
man ja, wad die Mienfchen bisweilen ſehen;
was eine gereißte Einbildungsfraft dabei thun
kann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Reihe
bibliotheb gewigermaßen die ſaͤmtlichen Geheim⸗
niffe der wirklichen ſowohl als der Titular⸗Gei⸗
ſterwelt beiſammen hat, der kann ein Wort davon
erzählen, was im Sehen ſolcer Dinge oft für
Mißgriffe geſchehen.
Während diefer Rede waren fie durch dad
Sdhloßthor gekommen. Da überfiel Hertn Schreck
mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erſticken.
Mas dann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine
Seele mehr fehen ließ auf der Straße ald bis
Schildwache im Innern des Thores, bie von
250
ihrem Poften nidyt megdurfte? Solche Borfi
Tungen machte ſich. naͤmlich Herr Schwepperma:
der. überhaupt furchtfamer Natur if, und imm
alle Dinge fogleich von ber ſchwaͤrzeſten Seite!
trachtet.
Hier hätte er dergleichen Sorgen gar mi
nöthig gehabt. Denn der Huften hörte auf ci
mal wieber völlig auf, wie er auf einmal gefon
men war, und fie gingen ruhig weiter.
Auf Herrn Schweppermannd Seite jedet
bauerte die Ruhe gar nicht lange. Herr Schr!
ſprach er jegt auf einmal ganz leife, lieber Hm
Advokat Schreck! Dazu hielt er feinen Beglaie
am Xermel feſt.
Nun? fragte der, ganz verwundert. "
Mein Gott, fehen Sie denn nicht ? De fiedt
es ja!
Was fol ich ſehen ?
Sehen Sie denn nicht, wie es und anſchauet ?
Phantafleen! rief der Advokat, kommen Sit
kommen Sie! Am Ende wollen Sie mic wohl
felber mit dem Möndje zu fürchten machen?
St! Ich Bitte Sie body um Gottedwilln
Herr Advofat!
So kommen Sie do! ſprach Herr Schret
im Tone des Unmwillens.
Tie ferſeufzend fagte num der Leihbibliothekar
Endlich! Endlich, Gott Lob, geht es, und wirt
lich nach der Treppe,
Herr Schweppermann — fo fagte nunmer
2
auf der Straße außflieh, eine Menge in der
Geburt exflidter Bemerkungen Fund zu geben.
Endlich, in ber Gegend des Taſchenberges, wen⸗
dete er fein Geſicht raſch nach der. Straße,
welche dahin führt, meil dort der Bruder Am⸗
broſtus vormals ſeine Zeile hatte. Dann fagte
er: Es iſt doch wad ganz Wunderläche. um die
Geifterweit Das aber hätte ich nimmermehr
gemeint, baf jener Moͤnch noch immer auf Er
den herumwandeln folltel >.
Ich, warlich, eben fo wenig! antwortete der
Advokat. Er fol neuerlih von Neuſtadt heruͤ⸗
berfommen und dann feinen Weg über bie große
Treppe nach der Bruͤhlſchen Terraſfe hinaufneh⸗
men. — Uebrigens, Herr Schweppermaun, weifl
Man ja, was die Menſchen bisweilen ſehen;
was eine gereitzte Einbildungskraft dabei thun
kann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Leih⸗
bihlioehe® gewigermaßen die fämtlichen Geheim⸗
niffe der wirklichen fowohl als der Zituler s Geis
ſterwelt heifammen hat, der Tann ein Wort davon
erzählen, was im Sehen ſolcher Dinge oft für
Mißgriffe gefchehen« .
Während diefer Rede waren fie durch dad
Sdloßthor gekommen. Da überfiel Heren Schreck
mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erftiden“
Was dann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine
Seele mehr fehen ließ auf der Strafe ald bir
Schildwache im Innern des Thores, bie von
244
berfelben, Nacht zerſchnitten die naͤmlichen Meſſer
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den
Unſchuldigen gelieferg. mean elendes Lehen. Ach,
id; waͤre allzu glincklich geweſen, haͤtten fie mich
bloß von dieſer laſtenden Vuͤrde befreit. LAber
nein, fie lieferten mich nua-dem unſichtbaren Rich⸗
ter aus. Raum war mein Leben dahin, fo wurde
ich von ihm verurtheilt, fehredlich Serurtheilt.
Theil in dem leeren Raume zwiſchen Himmel
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen
der Unsermwelt eingefchloffen, muß ich des durch
mich Gewordeten Haupt immer bei-mir fragen,
und wegen des großen Unheils, fo ich verübt,
. mich von Zeit zu. Zeit auf bie Erde zuruͤckde⸗
geben, um ein Vote bed Unbheils hier zu ſeyn,
von jedwedem vermieden und verabſcheuet. ‚Denn‘
der Zorn bed Himmels folgt dem Verbrechen
uͤberall! — Auch Kunigundens Vater bleibt nicht
ungeſtraft, daß er, nach. aiteln Dingen trachtend,
der Tochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte,
und der. fie begluͤckt hätte, eigenfinnig verwei⸗
gerte. Denn wie Du mich hier ſieheſt, muß ich
allezeit in Kunigundens Geburtönacht und ber
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Baterö Bette
‚ut. —
Der Landbsknecht tieferſchuͤttert von dem, was
er dernommen, fragte:
253
a8 war.der Mutter vis & vis — die Zeitungen
lbends vorzuleſen, feitbem nahm er bie Bücher "
ie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber
ennoch allemal viel länger ald eine Stunde da,
yeil er. doch bie Brüchte feines Beitungslefend
venießen mußte So eben waren dieſe wieder
eif geworden, oder was eben fo vielfagen will,
eine beiden Zuhbrer waren fo eben eingefchlafen.
taum warb er. dieß.änne, ſo Jieß er auch Zeituns
ven Zeitungen .fenn und forach mit Frizchen über
yen.Lifch hinuͤber ſehrr aͤmſig. Endlich bog ſich
der Maler immer weiter uͤber den Tiſch hin⸗
uͤber, und aus Hoͤflichkeit bog ſich Frizchen zu
ym heruͤber, bis fie grade über der" Mitte des
Lifched mit dem Munde gufammen trafen. .
Kein Wander , wenn fie unter folchen Um⸗
fränden bie Herren Schweppermann und Schreck
gar nicht Hatten hereintreten hören, welche eben
dieſes Ichendige Gemälde betrachteten. |
Nun? rief. der Hauswirth. Da merkten fie
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer
waren ,sund Herr Habe fand auf und ſprach:
Bloß um die Eingeſchlafenen nicht zu flören, wollte .
ich der Mamfe etwas in’d Ohr fagen.
"Ei — perfegte hierauf ber Leihbibliothefar —
‘ein Maler ſollte doch wohl befferwiffen, was ein
Ohr iſt und was einDRund. — Marſch, Mamſell! —
Inzwiſchen waren die Schlafenden erwacht
und Frizchen ſchlich ſich verſchaͤmt hinter dem
Ruͤcken Ihrer Mutter in's Kaͤmmerchen hinans.
244
berfeiben, Nacht zerſchnitten :die naͤmlichen Meſſer
der Jungfrau, unter welche ich vor Kurzem den
Unſchuldigen geliefert, mein eſendes Lehen. Ach,
ic; waͤre allzu gluͤſcklich geweſen, hätten fie mich
bloß von dieſer laſtinden Vuͤrde befreit. Aber
vein, fie lieferten mich nun⸗dem unſichtbaren Rich⸗
ter aus. Kaum mar mein leben dahin, ſo wurdt
ich von ihm verurtheilt, ſchrecklich verurtheilt.
Theils in dem leeren Raume zwiſchen Himmel
und Erde ſchwebend, theils in flammende Tiefen
der Unsermelt eingefchloffen, ‚muß ich des durch
mich Gemordeten Hauyt immer bei mit fragen,
und wegen .ded großen Unheils, fo ich veruͤbt,
„ mich von Zeit zu Zeit auf bie Erde zuruͤckbe⸗
geben, um ein Bote bed Unheils hier zu feyn,
von jedwedem vermieden und verabfcheuet. Denn
der. Born bed Himmels folgt dem Verbrechen
uͤberall! — Auch Kunigundens Vater bleibt nicht
ungeflraft, daß er, nach. eiteln Dingen trachtend,
der Tochter den rechtlichen Buhlen, den fie liebte,
und der fie begluͤckt Hätte, eigenfinnig verwei⸗
gerte. Denn wie Du mich bier ſieheſt, muß ich
allegeit in Kunigundens Geburtönacht und der
Sterbenacht ihres Buhlen vor des Vaters Bette
In. — f
Der Landsknecht hieferſchütiett von dem, was
es vernommen, fragte: -
257
‚ich gelingen. Und am Abende trat gleichfalls
"in Augenblidchen ein, die Derzallerliebfte zu
"hen. Denn dad Kammerfenfter, das fonft ims
tiger erleuchtet war, fobald Herr Schweppermann
zen Fuß aus dem Haufe gefegt hatte, das blieb,
eute finfter und blieb finfter; woraus der arme
„Berfiebte fchließen konnte, daß fein Widerſacher
"rar nicht ausgegangen fei. *
So finſter aber dem Maler durch dieſes finſtre
Fenſter der Abend ſeibſt wurde, fo heiter lachte
zihn der folgende Morgen an. Schon mit dem
‚Srübeften Flingelte bed Leihbibliothekars Dienfi⸗
‚mädchen an feiner Thür und brachte ihm, als
"er gedffnet hatte, ein ſchoͤnes Kompliment vor
ihrem Herrn, unb der Herr Kunftmaler Heide
möchten doch ſo gefällig ſeyn, ſich baldmoͤglichſt
zu dem Herrn Leihbibliothekar Schweppermann
hinuͤber zu bemuͤhen.
Herr Heide ließ ſich das gefallen. Im ſchlimm⸗
ſten Falle hatte Herr Schweppermann noch ein
Paar Grobheiten für ihn auf dem Herzen. Das
mochte feyn, wenn unfer Verliehter nur, wie er
hoffte, irgend eine Gelegenheit fand, Frizchen ein
Billet in die Dände zu prafticiren.
Flugs brachte er auch ein Paar Zeilen, ihre
nunmehr hoͤchſt nothwendigen, geheimen Zufams
menfünfte betreffend, gu Papiere, brach letzteres
wingig Mein: zuſammen, und ftellte fich dann bei
Herrn Schweppermenn ein.
Das Billet aber war ganz fruchtloß gefchries
ben. Herr Schweypermann fagte ihm nämlich
ſogleich, daß er ſich noch recht gut erinnere, wie
Herr Heide vor einiger Zeit um die Hand feines
Mandels, Frizchen Trick, angehalten. : Damals
waͤren der Sache eintge Bedenken wegen ſeinet
Geſpenſterbuch 6. Theil. R
⸗
—
246
der Erzaͤhlung des Landsknechts, welcher darin eir
für feinen geringen Stand, ungemein redper *)
Menſch genannt wird, vom Bruder Ambrofius,
Bertholds nahem Wermandten:, -abpefaßt und
unterfchrieben, auch auf weitere durch ihn ringen
zugene Erfündigung mit ber geſchichtlichen Sin:
leitung „ wie ich folcye vorgelefen habe, ergänzt
worden: — Bor einiger Zeit gelangte fie, ſchon
fo defekt, wie ich fie gefunden, durch Erbfchaft
in die Hände eines meiner Bekannten, deſſen
Großvater — welcher viel auf fie gehalten —
in einem Nebenblatte mehrere Notizen über das
fpätere Erfcheinen des Geiſtes hinzugefügt hat.
Diefen Notizen vach fall er neuerlich in einen
beffern Zuftand gerathen: und feine Wohnung
nicht mehr in der Luft, auch nicht in flammen⸗
der Erde, fondern in derjenigen Baſtei ded Wals
led haben, welche vorhin zum, heimlichen Ges
richte gedient, dann aber in einen Pavillon vers
wandelt worden if. So lange letzterer geſtan⸗
den hat, ſoll der ſogenannte Moͤnch, als ge⸗
flört in feiner Ruhe, oft in der Nähe geſehen,
auch in gewiflen Nächten bed Jahres ein herzs
fchneidendes Aechzen und jenes furchtbare Schwer:
tergeklirr daſelbſt gehört worden ſeyn. Noch gar
manchem habe- er da feinen Beſuch im Schlaf⸗
gemache abgeflatter, doch niemald jemand einis
*): beredfame.. ” ' "
247
ges Leid außerbem zugefügt. — Späterhin, ak
nur nod die Ruinen jene Pavillons übrig
waren, will man von der Erfiheinung nichts mehr
gehört Haben, Wenn es aber gegründet iſt, daß
in voriger Nacht wirklich ber Enthauptete aber
mals gefehen worden — was ich Teimebruegeb
verbürgen moͤchte! — fo würden gewiß mandıe
dem neuen , aus feinen Lrämmern wieder erflans
denen Gebäude, die Beranlaffung dazu beimeſſen \
wollen. Uebrigend — fo ſchloß der Borlefer — |
enthalte ich mich alled eigenen Urtheiles über die !
Sadır. — |
Defto reicher entfolteten ſich die Urtheife der |
Andern. Hauptfächlich gerieth das Urtheilen wie⸗
ber in die Hände der Kritiker der aͤgyptiſchen |
Löwen. Einige fprachen in zahlloſen Worten ' |
die dürftige Behauptung aus, daß alled erlogen
fei. Ulbernheiten! riefen Andere. Noch Andere
fuchten durch eine höchft pfiffige Miene an den
Tag zu Iegen, welche Mühe es ihnen koſte, ihr
Lachen zuruͤckzuhalten. Einer endlich — ber naͤm⸗
fiche, welcher der großen Zreppe fogern d eu tfche
Löwen gegbnnet hätte — wollte doch einigen
Anfchein der Wahrheit in jener Sage finden.
Denn — fagte er — die Achten Deutfchen der
Borzeit haben befanntlich zumeilen Erfeheinungen
g pon Beiftern gehabt, fo daß der Glaube baran,
\
⁊
240
ſo zu fügen, bem deutfchen Blut und Soden recht
eingewachſen if. — .
Kurz alles nahm benfelben Gang wie vor⸗
bin bei den Bhwen , diejenigen fchwiegen allein,
welche vielleicht über. ben Gegenſtand haͤtten
ſprechen koͤnnen.
Auch dießmal ſchloß Herr Schweppermann
ſich an ſie an. Aber nicht in fo paſſiver, leb⸗
kofer Urt, wie vorhin. Bielmehr ließ er auf
bie Zweifler an der Gefpenfterwelt ſo unwillige
Blicke fallen, daß er zuverläflig im Donnerton⸗
mit ihnen gefprochen, wären nicht ein. Baar
Fa treffliche Kunden feiner Leihanſtalt darunter gewe⸗
fen, die er dadurch vielleicht Hor deu Kopf häite
floßen koͤnnen. 7
Endlich ſtand er auf und zog den Vorleſet
auf die Seite. Aug dem Achſelzucken des Letz—
gerg war fo viel zu fließen, daß er mit mans
chem Aufſchluſſe, weichen Herr Schweppermann
gerne noch gehabt hätte, dieſem nicht zu dienen
wußte —
Da die Herren Schreck und Schweppermann
dicht nebeneinander auf der Hauptſtraße in
NReuſtadt wohnen, und es ſchon ſpaͤt war, ſo
verließen ſie jegt zufammen daß ** ſche Kaffeehaus.
Offenbar war Herrn Schwepyermann ber
Mond auf die Sprachorgane gefallen, Wenig⸗
(end ſchienen Die vielen Hm, die er ropfſchattel nd
ET
auf der Giraffe aubflieh, eine Dienge in ber
Geburt erflidter Bemerkungen fund zu geben.
Endlich, in ber Gegend des Tafchenberges, wen⸗
dete er fein Geſicht raſch nach der Straße,
welche dahin führt, weil dort der Bruder Am⸗
broſius vormals ferne Zeile hatte. Dann fagte
er: Es ift doch was ganz Wunderlädhes. um bie -
Seiſterwelt! Das ‚aber hätte ich nimmermehr
gemeint, daß jener Moͤnch noch immer auf Er⸗
den herumwandeln ſollte!
Ich, warlich, eben ſo wenig! antwortete der
Advokat. Er ſoll neuerlich von Neuſtadt heruͤ⸗
berkommen und dann feinen Weg über bie große
Treppe nach der Bruͤhlſchen Terraſſe hinaufneh⸗
men. — Uebrigens, Herr Schweppermann, weiß
man ja, was die Dienfchen bisweilen fehen 3
was eine gereißte Einbildungsfraft dabei thun
Tann! Ein Mann wie Sie, der in feiner Leih⸗
bibliothek gewiſſermaßen bie ſaͤmtlichen Geheim⸗
niffe der wirklichen ſowohl als der Titular⸗Gei⸗
ſterwelt beiſammen hat, der kann ein Wort davon
erzaͤhlen, was im Sehen ſolcher Dinge oft für
Mißgriffe geſchehen.
Waͤhrend dieſer Rede waren fie durch bad
Schloßthor gekommen. Da überfiel-Heren Schreck
mit einem Male ein ſolches Huſten, daß ſein
Gefaͤhrte in Furcht war, ed möchte ihn erflidenn
Was Hann anfangen mit ber Leiche, da fich Feine
Seele mehr feben ließ auf der Straße ald bie
Schildwache im Innern des Thored, die von
‘
250
tfrem Poften nicht wegdurfte? Solche Borflels
lungen machte ſich, nämlich Herr Schwepypermann,
der. uͤberhaupt furchtſamer Natur if, und immer
alle Dinge fogleich von ber ſchwaͤrzeſten Seite ber
trachtet.
Hier haͤtte er dergleichen Sorgen gar nicht
nöthig gehabt. Denn der Huften hörte auf eins
mal wieder völlig auf, wie er auf einmal gefoms
men war, und fie gingen ruhig weiter.
Auf Herren Schweppermannd Seite jedoch
bauerte die Ruhe garnicht lange: Herr Schred!
ſprach er jegt auf einmal ganz Ielfe, lieber Herr
Advokat Schred ! Dazu hielt er ſeinen Begleiter
am Xermel feft.
Nun? fragte der, ganz verwundert. '
Mein Gott, fehen Sie denn nicht Da ficht
es ja!
Was ſoll ich feben ?
Sehen Sie denn nicht, wie eb und anfchauet ?
Phantafteen! rief der Advokat, kommen Sie
kommen Sie!, Am Ende wollen Sie mich wohl
felber mit dem Mönche zu fürchten machen?
St! Ich Bitte Sie doch um Kortedwillen,
Herr Abvokat!
So fommen Sie doch! ſprach Herr Schreck,
im Zone de Unwillens.
Zieferfeufzend fagte num der Leihbibliothekar:
Endlih! Endlich, Gott Lob, geht ed, und wirk
lich nach der Treppe,
Herr Schweppermann — fo fagte nunmehr
253
‚a® war.der Butter vis & vis die Jeitungen
Ibendd dorgulefen, feitbem nahm er die Bücher
pie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber
ennoch allemal viel länger ald eine Stunde da,
veil er doch die Fruͤchte feined Zeitungsleſens
zenießen mußte. So eben waren diefe wieder
'eif geworben, oder was eben fo viel fagen will,
eine beiden Zuhörer waren fo eben eingefchlafen.
daum ward er. dieß inne, ſo Jieß er auch Zeituns
ven Zeitungen fenn und fprach mit Frizchen über
ven Tiſch hinuͤber fer aͤmſig. Endlich bog fich
)er Maler immer weiter über den Tiſch hin⸗
aber, und aus Höflichkeit bog fich rischen zu
hm herüber, bis fie grade über der” Mitte des
Eifched mit dem Munde yufammen trafen.
Kein Wander , wenn: fie unter foichen Im»
tänden bie Herren Schweppermann und Schreck
zar nicht hatten hereintreten hören, welche eben
ieſes Ichendige Gemälde betrachteten.
Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie
ndlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer
varen ‚und Herr. Heide Hand auf und ſprach:
Bloß um die Eingefchlafenen nicht zu flören, wollte -
ch der Mamfell etwas in's Ohr fagen,
"Ei — verſetzte hierauf der Leihbibliothekar —
in Maler ſollte doch wohl beffer wiflen, was ein
Ohr iftund mad ein Mund. — Marſch, Mamſell! —
Inzwiſchen waren die Schlafenden erwacht
und Frizchen ſchlich ſich verſchaͤmt hinter dem
Rüden ihrer Muster in's Kaͤmmerchen hinans.
22
Kopf auf din Ellenbogen geſtuͤtzt, eine für ihre
vierzig Fahre zlemlich wohlerhältene Frau. Als
fei ihr eben ein artiges Kunſtſtuͤck gelangen, fo
ſchlau und fröhlich fah ihr angenehmes Geficht
‘aus, weiches mit ihrem vis d vis ben vollfoms
menften Kontraft’ bildete: Der Tiſch ſelbſt fkand
fo dicht an der Fenfterfeite, daß dahinter kaum
u noch jemand zu ſitzen vermochtt, und wer ja etwa
dahinter faß; gewiß auf keine Weiſe heraus
tonnte, ohne einen ber beiden febendigen Riegel
aufgumedten, welche der Schlaf mehr als gewoͤhn ⸗
lich in bie Breite getrieben hatte, “Und in der
What faß Jematib hinter dem Tiſche, die Perfon
nämlich ; welche Herrn Schweppermanns Leib
dibliothek feit: anberthafb Jahren fo gewaltig in
Aufnahme brachte ; das blonde Frizchen mit dem
Wuchſe einer Hebe, aus deren blauem Auge
jedem, der. fie anfah, ein koͤſtlicher Nektar in's
Herz rieſelte, wenn er nicht etwa ein fuͤhllofer
Schneemann war. Und Frizchen gegenuͤber an
der andern Seite des Tifches ſaß der junge Maler
Heide, ‚ein recht feines, annehmliches Perſonchen,
ohnſtreltig der beſte Kunde der Schweppermann⸗
ſchen Bibliothek. Ale Abende holte er neue
Schriften. Und fonderbar, Anfangs, ehe man
Ihn kannte, war er ſo waͤhlig, daß er uͤber ein
Paar Bücher eine ganze Seigerſtunde ſuchen konnte.
Seit er's aber zu dem Mechte gebracht hatte,
Frizchens Mutter — denn dad war:die Bierziger
Fin und dem jungen Deren Schweppermann —
‘
253
das war.ber Mutter vis & vis die Zeitungen
Abends vorzuleſen, feitbem nahm er die Bücher '
wie ſie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber
dennoch allemal viel länger ald eine Stunde ba,
weil er doch die Srüdhte feines Zeitungsleſens
genießen mußte So eben waren diefe wieder
reif geworben, ober was eben fo viel fagen will,
feine beiden Zuhörer waren ſo eben eingeſchlafen.
Kaum ward er dieß..inne, fo ließ er auch Zeituns
gen Zeitungen fenn und fprach mit Srizchen über
den Tisch hinuͤber fer aͤmſig. Endlich bog fich
ber Maler immer weiter über den Tiſch Bins -
über, und aus Höflichleit bog ſich Srischen zu
ihm herüber, bis fie grade über der” Mitte des
Vſches mit dem - Munde zuſammen trafen.
Kein Wander, wenn fie unter ſolchen Um⸗
fländen die Herren Schweppermann und Schreck
sar nicht hatten hereintreten hören, welche eben
diefed lebendige Gemälde betrachteten.
Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer
waren ‚und Herr. Heide fland auf und ſprach:
Bloß um die Eingefchlafenen nicht zu fibren, wollte -
ih der Mamſell etwas in’d Ohr fagen,
"Ei — perfegte hierauf ber Leibbibliothekar —
ein Maler ſollte doch wohl beffer-wiffen, was ein
Ohr ift and was ein Nund. — Marſch, Mamſell! —
inzwifchen waren die Schlafenden erwacht
und Frizchen ſchlich fich verſchaͤmt Hinter dem
Nüden ihrer Mutter in’d Kammerchen hinans.
Pr.
J
252
Kopf auf din Ellenbogen geftägt, eine für ihre
vierzig Jahre zlemlich wohlerhaltene Grau. Als
fei ihr eben ein artiges Kunftfläd gelangen, fo
ſchlau und frbhlich fah ihr angenehmes Geficht
‘aus, welches mit ihrem vis à vis den vollkom⸗
menften Konträft' bildete. Der Tiſch felbit fland
fo dicht an der Fenflerfeite, daß dahinter kaum
j noch jemand zu ſitzen vermochte, und tverja etwa
Dahinter faß; gewiß auf Feine Weiſe heraus
konnte, ohne einen der beiden febendigen Riegel
aufzuwechen, welche der Schlafmehr als gewoͤhn ⸗
lich in die Breite getrieben hatte; “-Unb in der
hat faß Jemand hinter dem’ Tifehe,' die Perfon
nämlich ; welche Herrn Schweypermanns Leihs
dibliothek feit: anderthafb Jahren fo gewaltig in
Aufnahme brachte ; das blonde Frizchen mit dem
Wuchſe einet Hebe, aud deren. blauem Auge
jedem, der. fie anfah, ein koͤſtlicher Nektar in's
Herz riefelte, wenn er nicht etwa ein fühllofer
Schneemann war. Und Frizchen gegenüber an
der andern Seite des Tiſches faß derjunge Maler
Heide, ein recht feines, annehmliches Perfdnchen,
ohnſtteltig der beſte Kunde da Gchweppermann
ſchen Bibliothek. Ale Abende holte er neue
Schriften. Und fonderbar, Arfange, ehe man
ihn kannte, war er fo waͤhlig, daß er über ein
Paar Bücher eine ganze Seigerftunde fuchen konnte.
Seit er's aber zu dem Rechte gebracht hatte,
Frizchens Mutter — denn dad war · die Bierziger
rin — und dem jungen Herrn Schweppermann —
⸗
253
dad war.der Mutter vis & vis: die Zeitungen
Ubendd vorzuleſen, feitdem nahm er die Bücher
wie fie ihm unter die Hände geriethen, blieb aber
dennoch allemal viel länger ald eine Stunde da,
weil er doch die Srüchte feined Zeitungslefend
genießen mußte Go eben waren diefe wieder
reif geworben, oder wad eben fo viel fagen will,
feine beiden Zuhörer waren ſo eben eingeſchlafen.
"Kaum warb er. dieß..inne, ſo ließ er auch Zeituns
gen Zeitungen ſeyn und ſprach mit Frizchen über
den Tiſch hinuͤber ſehr aͤmſig. Endlich bog ſich
der Maler immer weiter uͤber den Tiſch hin⸗
uͤber, und aus Hoͤflichkeit bog ſich Frizchen zu
ihm heruͤber, bis fie grade über der” Mitte des
Zifches mir dem Munde gufammen trafen.
Kein Wunder , wenn fie unter ſolchen Um⸗
fländen die Herren Schweppermann und Schreck
gar nicht Hatten hereintreten hören, welche eben
diefeb lebendige Gemälde betrachteten.
Nun? rief der Hauswirth. Da merkten fie
endlich, daß noch außer ihnen Wachende im Zimmer
waren ‚und Herr. Heide fland auf und ſprach:
Bloß um die Eingefhlafenen nicht zu flören, wollte .
ich der Mamſell etwas in’d Ohr fagen.
"Ei — perfegte hierauf ber Leihbibliothefar —
ein Maler folltedody wohl beffer-wiffen, was ein
Ohr ift und was ein Rund. — Marſch, Mamſell! —
Inzwiſchen waren die Sclafenden erwarht
und Frizchen fchlich fich verſchaͤmt hinter dem
Rüden ihrer Mutter in’d Kämmerchen hinans.
en
|
254-
Allen Reſpekt, mein Hert Habe — ſprach
nun der Leihbibliöthekar — vor Ihnen, als Leſe⸗
Funde. Nach dem jetzigen Vorfalle aber darf ich
Sie wohl bitten, Fünftig ihre Buͤcher Tieber huͤbſch
am Tage zu holen, wenn ich zu Hauſe bin. —
Herr Heide hatte für dieſen Augenbli nichts
zu thun, al6 feinen Abtritn zu nehmen.
Während hierauf Herr Schweppermann, feis
nen.Sohn im Borbeigehen einerewige Schlafmuͤtze
ſcheltend, nach den Buͤchern für den Advokaten
ſuchte, ziſchelte letzterer ber Frau Ttick, Frizchens
Mutter, etwas zu, wotuͤder ſie ihm ihren vollen
Beifall bezeigte. —
Als ſodann Herr Schweppermann dem Leſer
hinausleuchtete, fagte dieſer noch ander Treppe:
Berfprechen Sie mir, ja niemand eine Silbe von
Ihrer Viſion auf dem Schloßplatze zu erzählen.
Denn wahr oder unmwahr, ich meines Orts müßte
IAugnen,, daß mir auch nur daB Geringſte vor»
getommen , und Site konnten dann feidht in 'den
Berdacht gerathen, gewiffe — überfpannte Ideen
zu hegen, wodurd nad) und nach vielleicht, wenn
es befannt würde, Ihre jegt To ſchoͤn angebrachte
Leihbibliothek wieder herunterfommen därfte.
So boͤſe Herr Schweppermann auch über
denn Sinn war, welchen der Advokat mit ber
Benennung: üÜberfpannte Ideen zu vermaͤn⸗
teln ſuchte, fo gelobte er doch ein doͤlliges Ver⸗
ſchweigen der Sache. Sein Gewiſſen ſagte ihm
uͤberdieß, daß er in die Kategorie derjenigen ge⸗
255
böre, denen das Geſpenſt, der Sage nach, ſeinen
Beſuch zu machen pflegte. Denn, wie oft auch
Frizchens Mutter ihm darthat, daß die Tempe⸗
ramente ihrer Tochter und ſeines Sohnes gar
nicht zufammen paßten, fo behartte er doch auf
feiner Lieblingsidee ein Pärchen aus diefen Leuten
zu madıen. Cr fab naͤmlich Srigchend wohlthaͤ⸗
tigen Einfluß auf den fchwunghaften Betrieb
feined Gewerbes recht aut ein, und Da er legten
zes feinem Sohne kaͤuftig allein zu überlaffen
dachte, fo wollte er ihm in Frizchen ein werben, .
ded Kapital. mit zutheilen, wegen deſſen Sicher
heit der junge Schweppermann um fo weniger
gefährdet war, weil des Maͤdchens Sitte nicht
einmal ihre fireitigen Punkte hatte, Denn was
vorhin Aber den Tiſch hinüber von ihr geſchah,
das gewinnt ein ganz anderes Anſehen, wenn
man erfährt, daß Grau Trick bereitö wußte, der
junge Maler Heide fei durchaus Fein Heide in
der That, ja er wolle an Frizchen noch wenigen
zum Heiden werben, vielmehr — lieber heute
ald morgen — dad chriftliche Werk der, heiligen
Ehe mir ihr begionen. Doch konnte Stau Zrid,
ald Herrn Schweppermanns arme Verwandte, bei
den Abfichten, welche er mitibter Tochter hatte,
ihren und des Mädchens heißeſten Wunſch bie
dahin nicht burchfegen, oder auch nur in etwas „
vorwärt® bringen. —
Here Schweppermann würde übrigend diefen
Abend feine rauhe Seite noch ganz anders dern
‘a
255
ausgekehrt Haben‘, waͤre nicht fein Andenken au
die Erſcheinung Frizchens Schutz gewefen: In
der That war er auch waͤhrend der bangen, kum⸗
mervollen Nacht nicht ganz einig mit ſich, ober
Frizchen, ſein Mündel, wirklich dem Maler
Heide zur ehelichen Hausfrau uͤberlaſſen ſolle
oder nicht. Sein Sohn konnte ja, ſelbſt beim
gaͤnzlichen Untergange der Leſebdibliothek, von dem
huͤbſchen Bermbgen leben, das ihm nach des Bas
ters Tode zuruͤckbliob, und: bedurfte daher der
Nothhuͤlfe gar nicht, welche ihm fein Bater mit
einer bübfchen Grau zu verfchaffeti dachte, —
Wllein mit dem Anbruche des Morgens tra .
ten die Ausfichten für ded Malers Wänfche auf
einmal wieder in einen hoͤchſt duͤſtern Nebel zw
ruͤck. Herr Schweppermann fragte ſich nun in
ganzem Ernſte, ob er auch recht geſehen und
nicht vielmehr die Erſcheinung auf dem Schloß⸗
platze wirklich ein Fehler ſeiner Phantaſie gewe⸗
fen ſeyn moͤge. Daher rief er denn auch bald
nach dem Aufſtehen Frizchen zw fig, las ihr
den Test wegen bed Abende, hielt daun Der
Mutter gleichfalls die Sachewur und ſprach, da,
möge Srischen nun feinen Sohn heirathen oder
nicht, fo viel gewiß fei, daß-er niemals feine
Einwilligung zu ihrer Berbinbung mit Heibe
geben werde, Denn man möge fagen was man wolle,
die Malerei fei doch immer eine brodlofe Kunſt. —
Der arme Heide ahndete ed, was vorgegan⸗
gen war, dahen wollte ihm Fein. einziger Pinfels
257
ſtrich gelingen. Und am Abende trat gleichfalls
fein Augenblickchen ein, die Derzallerliebfle zu
fehen. Denn dad Kammerfenfter, das fonft ims
mer erleuchtet war, fobald Herr Schweppermann
den Fuß aus dem Haufe geſetzt hatte, das blich,
heute finfter und blieb finfter; woraus der arme
Verliebte fchließen konnte, daß fein Widerfacher
gar nicht ausgegangen fei. —
So finfter aber dem Maler durch dieſes finftre
Senfter der Ubend feibft wurde, fo heiter Tachte
ihn der folgende Morgen an. Schon mit dem »
Fruͤheſten Plingelte bed Leihbibliothekars Dienfls
mädchen an feiner Thür und brachte ihm, als
er gedffnet hatte, ein ſchoͤnes Kompliment vor
ihtem Herrn, und der Herr Kunftmaler Heide
möchten doch ſo gefällig ſeyn, ſich baldmoͤglichſt
zu dem Herrn Lechbibliothekar Schweppermann
hinuͤber zu bemuͤhen.
Herr Heide ließ ſich das gefallen. Im ſchlimm⸗
ften Falle hatte Herr Schweppermann noch ein
Paar Grobheiten für ihn auf dem Herzen. Das
mochte feyn, wenn unfer Verliehter nur, wie er !
hoffte, irgend eine Gelegenheit fand, Frizchen ein
Billet in die Hände zu prafticiren. a
Flugs brachte er auch ein Paar Zeilen, ihre
nunmehr böchft nothwendigen, geheimen Zufams
menkünfte betreffend, gu Papiere, brach letzteres
winzig klein zuſammen, und ftellte fich dann bei
Herrn Schmeppermann ein. 0
Das Billet aber war gang fruchtlos gefchries
ben. Herr Schweppermann fagte ihm nämlich
10gleich,; daß er ſich noch recht gut erinnere, wie
Herr Heide vor einiger Zeit um die Hand feines
Mandels, Frizchen Tri, angehalten. : Damals
waͤren der Sache einige Bedenfen wegen feintt
Geſpenſterbuch 6. Theil. R
258
brodfofen Handthierung und fonft in, den Weg
getreten, die er nunmehr für erlebiget achte.
Schon fand der junge Maler im Begriff, den
Mann für diefe fo rechtſchaffene Sinnedänderung
an fein verliebte Herz zu drüden. Aber er
unterließ es doch, als jet in Frizchens Perfon
ein ganz anderer Magnet für diefed Herz ber
eintrat. Ja, er war undankbar genug, fich bloß
mit dem Mädchen und der Srau Trick über die
Sache zu freuen, und Herrn, Schwepyermann
gar nicht weiter zu berädfichtigen.
Genau genommen, that letzteres auch weni
North, wie er fpäter. erfuhr. Ded Vormundı
plögfihe Sinnedänderung rührte nämlich bloßß
davon her, daß in der vorigen Nacht ber Mönch
mit dem Kopfe unterm Urme vor fein Bette
getreten war, und die Hand drohend gegen ihr
* aufgehoben hatte. Dadurch war der Erſchrockene
fo mürbe geworden daß er ſchon in der Mors
gendämmerung „den Übvofat Schred zu ſich bitten
Tieß und ihm die Sache vertraute.
.. Herr Schred wollte nun Anfangs freilich wies
der, toie zwei Tage früher, den Mönch für ein
Zrugbild der Schwepyermannſchen Phantafie auss
geben. Darüber aber ward der Leihbibliothekat
dermaßen unwillig, daß jener einlenkte und meinte:
wenn die Erfheinung wirklich flatt gefuhden, ſo
fei, am ſich vor Fünftigen Beunruhigungen zu
fiyern, body wohl das Befle, in die Heirath der
" beiden jungen Perfonen gu willigen. —
In berFolge ift es freilich an den Tag gefommen,
daß Herrn Schweppermannd Bifionen durdy eine
. Eruggeftalt von Frizchens Mutter und dem
Freunde des Malers Heide, Herrn Schred — jedoch
sang ohne Borwiffen ded Parchens — veranflaltet
worden ſind. Schon nach dem verdächtigen Huften
239° -
des Advokaten am Schloßthore mügen wohl man⸗
de Lefer diefen in Verdacht gehabt haben,
Daß aber die vorgelefene Sage bloß erfuns
den fei, jener Zäufchung halber, Täugnet Herr
Schreck ſtandhaft. Ohne die Wahrheit der Er⸗
ſcheinung des Moͤnches in alter Zeit, oder auch
nur das vormalige, von Vielen ganz bezweifelte
Daſeyn des erwähnten heimlichen Gerichts vers
fechten zu wollen, behauptet er doch, die alte
Handſchrift in den Haͤnden gehabt und die Kopie
davon, bi& auf einige zur Verſtaͤndlichkeit noth⸗
wendige Veränderungen im Ausdrucke, mit ber
puͤnktlichſten Treue felbft beforgt zu haben. Ganz
wie die Sage fich befunden, fei fie zu feinem
Zwecke — deſſen Rechtfertigung ſchwer zu uͤber⸗
nehmen ſeyn möchte — paſſend geweſen.
Noch iſt hier in der Schweppermannſchen An⸗
Beltgenbeit binzuzufügen, daß Frizchens Mutter
hren Aufenthalt nunmehr bei der Tochter genom⸗
men hat, und Herr Schmeppermann, wo er ihr
Hier dem Advokaten einmal auf der Straße bes
gegnet, alfegeit einen weiten Bogen um fie herum -
macht. Syn feiner Leihbibliorhek aber, wenn fie
Sicher holen, da find fie ihm beide vecht ſchoͤn
willfommen.
Seit Frizchens Abgange aus dem Hauſe if
wirklich mancher Kunde aus der Anſtalt weggeblies
ben ; daher fol denn noch neulich Herr Schmweps
ermann zu feinem Sohne mit Seufzen gefagt
ben: Es Fönnte mit unferm Gefhäft ganz
anders ftehen , wenn ber fatale Moͤnch mit dem
Kopf unterm Arme nicht geweſen wäre, oder
werigftend mir damals der Kopf auf dem rech⸗
ten Flecke gefeflen hätte!
—
R2
Der rothe Faden.
Tief in des Obenmalbes finkerm Schweigen
Wirft ein kriſtallner See verſtohlne Blicke
Dem Wandrer zu ans hichter Tannen Zweigen,
Vertraue keiner der geheimen Tüde
Der Wellen , bie in feinem Schooße rinnen,
Sie find der Untergang von manchen Glück.
Hier prangten lange Zeit bie Thuͤrm' und Finnen
Bon einem Kloſter, reich an irdfcher Habe,
Und fchöner Himmelsbräute viel barinnen.
Da wankt in Sturmesnacht am Pilgerflabe
Ein fchwacher Greis einft nach des Kloſters Mork
Um Obdach flehend und um milde Babe.
Allein vergebens rang er an dem Orte
Die Haͤnd' um Mitleid bei dem eifgen Regen.
Man wich den Mübden fort mit hartem Worte.
Kur eine zarte Jungfrau, die der Segen
Als Braut bes Herrn, noch nicht ber Welt entbun
den,
£enore „ fühlt Erbarmen fich bewegen. |
Doch aus der Andern Sinn iſt's ganz verfchwunden:
Sie fchlagen lauter, als der Pilger klaget, |
Der Gütigen mit kaltem Spotte Wunden, |
Da brauf’s im Sturm: „Ihr Arsen, alfo tragt
Den Herrn im Herzen ihr, daß ihr dens Winmer |
Des Breifes fo geringen Dienſt verfager?” Ä
261
Drauf ſieht man Funken aus dem Boden fliusmern,
Und aufgelchoffen. fchnell zu hoben Flammen,
Sich ſchrecklich woͤlben, ob des Klofers Trümmern, N
Die finfen tief und tiefer. Zu verrammen | N
Die Ruͤckkehr ihnen nach des Himmels Blicke, ”
Schlägt druͤber bald ein Wellenchor zuſammen. r
Da wandelt trunken von der Liche Gluͤcke k
Einper den oftverfuchten Pfad ein Ritter
Und fchrickt, weil hier Fein Klofter mehr, zuruͤcke.
Allnaͤchtlich ruͤhrt er leiſe fonk bie Bither, | .
Dann kam, die ihm zu eigen fich ergeben, ;
Lenore, feine Liebſte, ſtets an's Gitter, N
Und feine Bruf füllt ein unendlich Beben, 7
Als keine Spur des Kloſters auszufinden, ' u
„Wo biſt du, feufst er, mein geliebtes Leben I
Nun’ tönt es ſchaurig aus des Setes Gründen:
„Komm morgen Nacht, fawird aus meinem Spiegel
Ein blutroth Zädlein Dir herauf fich winden.“
Dann fchließt der Welle Mund bes Schweigens Siegel,
Zur Heimath fehleichet er, boch kehrt er wieder
Die naͤchſte Nacht auf banger Liebe Fluͤgel.
Verlangend blickt zum See ſein Auge nieder,
Und wie nun blutroth ſich ein Faden zeiget,
Durchzittert plönlich Schauer feine Glieder.
„Lieb‘ oder Tod!“ ruft er jedoch und neigtt
Die Hand zum Faͤdlein. Kaum vom ihm errum⸗
gen N
Iſt's bie Belichte ‚, fo ber Flut entfeiget- .
„Dein Laut, fagt fie, if bis zu mir gedrungen; j ’
Des Ew’gen Schluß, den keiner je ergründet,
Hat mit den Schuld’gen mich in eins verichlune
gen.
Doch fchuldig war auch ich in Lich’ entzündet,
Und bin erft durch die Fluten losgeſprochen
Von dem Geblähde, das guf ewig bindet;
. en
—— (|.
262
Denn vorbehalten blieb in wenig Wochen
Der Eid mir, welcher mich von Dir gefchiedem, -
And fchon hatt’ ich im Herzen ihn gebrochen.
Nun bin ich, Theurer, Dein im ſtillen Frieden,
Doch darf ich nur die mitternaͤcht'ge Stunde,
Nach langem Fledn, Dir zum Bereine bieten,
Furchtbare Trennung drohet unſerm Bunde,
Wenn ſpaͤter wir beiſammen ic verweilen,
Der Faden reißt dann mir jur Todesvunde.“
Und mochten Blitze gluͤhn und Stürme heulen,
Sah nun doch jede Nacht Lenorens Treuen
Nach bes geheimen Seees Ufern eilen.
Und immer muß das Wunder fich erneuen :
Kaum hat das rothe Fädlein er gezogen,
So darf er fich an Liebchens Anſchaun freuen.
Und immer iR die Zeit gu ſchnell verflögen,
Wenn fie, beforgendb des Vereines Störung,
Hinuntergleitet in die Hleichen Wogen.
Doch äberfchritten einf fie in Bethoͤrung,
Durch Liebeshauche, Blick und ſuͤßes Kofen,
Die ſtrenggemeßne Stunde der Erhoͤrung,
Gemahnet dann erfi durch der Wellen Tofen,
Seufit die Gelichte, fich hinunterſenkend:
„Run if bes Dolch dem Sluͤck ins Her; geſte⸗
ßen.“
Des Schreckenswortes immerdar gedenkend,
Befaͤllt den Rittersmann das baͤngſte Zagen,
In kuͤnft'ger Nacht zum See die Schritte len⸗
kend.
Er fieht den Faden aus den Wellen ragen,
Doc fchauerlich im Ahndungsweh befangen,
Will feine Hand ihn nicht gu fallen wagen,
Allein, bie monderhellten Wellen Fangen
So mild wie ſonſt; er kann nicht widerſtreben:
„kieb' oder Tobi” ruft glüpend fein Verlangen.
263 -,
Da reift das‘ Fädlein,, wie er's will erbeben
Und Blut durchfirömer plöglich jede Welle,
„Das iR das theure Blut von ibrem Leben!
Dein will ich bleiben!” ruft er, und zur Stelle
@türst er hinunter, ihr fin Wort gu bürgen,
Da wird das blut'ge Waſſer wieder heile,
‚Wie ihr's noch dent etſchaut bei Neuenkirchen.
268
Um mich indeß erfenntlich zu eigen,
Will ich mit Steinen, wader und fchn,
Die Lieben, Getreuen reichlich verſehn.“
Geſagt, gethan! Die ganze Naht -
Werden Steine durch ihn, herbeigebracht.
„Ei,“ denkt der Wächter , ber fich verborgen, ⸗*
„Mein feiner Here Urian, ſchoͤnen guten Morgen,
Dasmal taugte, fuͤrwadr ‚euer Schluß
Gerade ſo viel, wie eine taube Nuß. J
Ja, wollt’ ich mir das Maul verbrennen,
Könnt’ ich darob euch felber Dumm nennen.’
Der Rath erfuhr's, cd erfuhr's die Stadt
. Und jedermann lachte fi ch trefflich fatt ;
Denn allen fchien der Gedank' erlabend.
Doc war ‚noch nicht aller Tage Abend.
Der Bater der Lügen, als er einc erſchaut,
Dog man in Form eines Kreuze baut⸗
Der er von jeher nicht gewogen,
Merkend wie fehe er fich heirogen,: :- -
Kommt berbei mit: einem fchredlichen Belöachuen
Und daͤlt fo über dem Dome fill.
„Wart't,“ ruft er drohend da, „ich will
Euch lehren Kirchen nun gar noch bauen,
Aus Steinen die unfereins zugehauen!
Geht hier den Fels in meinen Krallen,
Den laß’ ich auf das Kirchlein fallen,
So ihr erfchufet mit ſolchem Fleiß, ,
Und hin if im Nu euer faurer Schweiß 5
Denn getroffen von fo artigem Steinchen
Bleibt an der Kirche Fein ganıes Bcheinchen.”
Daranf eilte alles. Volt berbei, - “
Erbebend ein Jämmerlich Zetergefchrei,
Blebt es: „Herr laflet den Dom vollenden -
„Mad legt den bäßlichen Fels aus den Händen!”
„„Gut,“ fagt der Teufel, „fo baut benn, baut,
n
De"
.
266
pr wißt, Ich bin eine gute Haut;
Doch ſeib auch Ihr dafür fein billig,
Und fent mir Daneben ein Weindaus, fü will ich
Vergeſſen ſeinetweipn In Onaden
Den gar nicht zu” berechnenden Schaben,
Der meinem Reich’ aus der Kirch’ erwaͤchſt,
Die ihr mir da auf die Naſe Heckſt.
Doch erfidrt euch ſchleunigſt, ihr lieben Leute,
Denn mein Fels wi herunter mi Macht aufs Ge⸗
2 baͤude.““
Und um des heiligen Domes willen
Muͤſſen fie ſchon feinen Wunfch erfüllen.
Kopfweg!“ wuft er darauf und läßt vor allen
Leuten den Fels daneben fallen.
Der ſtuͤrzt halb in den Boden hinein
Und Heiget nad ihm ber Lügenftein. ‘
Dran haftet: die Bpur bis diefen Tatz
Wo des Teufels glänende Kralle Tag,
Tach rafft fie ‚Sonntags der Kirchingemeine
"Gar manchen hinweg und führt ihn su Weine,
‚
t
)
— —
IV.
. .
« . . ‘ a} -
Est in g en,
aebradt bei J. ©; Helfferidh 1848.
W underbug,
x
Herausgegeben
von
Sriedr. Bar. de la Motte Fouqué
und
4 '
Rriedrih Laun.
Drittes Bänden
DE a ET TEE Du 2
Geuttgart,
bei A. 5. Macklot. 18410.
4
: .
t 266
pr mißt, ich bin eine gute Haut;
Doch feid auch ihr dafür fein billig,
Und ſetzt mit daneben ein Weinhaus, fo will ich
Vergeſſen feinettvegen In Gnaden
Din gar nicht zu” berechnenden Schaden,
Der ineinem Reich’ aus der Kirch” erwaͤchſt,
Die ihr mir da auf die Naſe kleckt.
Doch erflärt euch ſchlennigſt, ihr kieben Leute,
. Denn mein Fels wi herunter mit Macht aufs Ge⸗
, * baude/ #
Und um des heiligen Domes willen
fr . Müffen fie ſchon feinen Wunfch erfüllen.
—R J Eopfweg!“ ruft er darauf und laͤßt vor allen
J Leuten den Fele daneben fallen.
J Der ſtuͤezt halb in den Boden hinein
' Und peifet nad idm ber Lüͤgenſtein.
Dran haftet die Spur bis diefen Tatz /
Wo des Teufels gläpende Krafic lag.
D . Nech rafft ſie Sonntass der Kirchengemeine
Gar manchen hinweg und führt ihn zu Weine,
2 *
Edlingem
sehradt bei 3. ©; Helfferich 1818.
..
Bunderbug.
-
U 1 I 5
ı Herausgegeben
von
Sriedr. Bar. de la Motte Fouqué
und
a
Frited rich Laun.
Drittes Binden
— TER 202
Stuttgart, .
bei A. 5. Madlor. 1816.
!
Dorrede
Laun, hat ein viel zu früher Tod den mir
ewig theuern Apel verhindert, in dieſem
dritten Baͤndchen des Wunderbuchs die Ders
pflichtung zu. erfüllen, welche er auf meine
dringende Bitte überhabm und in einerBors .
rede zum zweiten Bändchen oͤffentlich nus⸗
fprac), Unter diefen Umftänden war es mir :
„um ſo erfreulidher, Daß zwei von dem ges
fiebten Verewigten inniggefchägte Freunde,
welche er bereits ur thärigen Theilnahme
an dieſem Werke aufgefordert hatte ‚meiner
Eiuladung dazu ihr Gehör nicht verweiger⸗
ten. Der hochgeehrte Name des nunmeh⸗
sigen Mitherausgebersmird, wieid
hoffen darf, mis im Voraus Verzeihung
auswirken , daß ich es magen fonnte, nad)
Apels Hintritte noch an die Fortfegung des
Wunderbuchs zu benfen.
Dresden im April 1817.
3. Laun.
, r
ER 0
8 au h a 1
Die drei Templer, ont. Mi Bi".
Der Liebesring, von 5 .. KL .
Die Jungfrau des Poͤhlberges, v. 5.2. -
Der Bergmoͤnch, von Br. d. Miltu
Die: Fraͤulein vom See, d. F.L.
Muhme Bleich, von Br. v. Mit . -
Friedbert, von demſelben
Altmeiſter Edrenfried und ſeine Zawilie,
von 8. Mm. ep er
. “m
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mt
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40
.. .
Die brei Templer.
“is
Di Nacht Tag tief über ben Gebirgen des
ſchotti ſchen Hochlanded. Nitter Gualternd, em
edfer Provenzal, ritt einfam durch die Thäler
hin; bieweilen warb es ihm, als mäffe die felt
Jahren nicht erſchaute Veſté der fchönen Gräfin
Edilbertha ganz nahe bei ded Weges naͤchſter
Windung ihm vor Augen fliehen; dann wieder
fam es ihm vor, als fei er durch ein gaukelndes
Hexen⸗ und.Koboldenfpiel ganz weit hinaus in bie
allerentferntefte und unbewohntefte Gegend biefer
wunderlichen Bergesforften verbannt. '
„Mag es fih doch fo oder anders damit vers
halten!“ fagte er endlich leiſe aber entfchloffen in
fi hinein. „Nur daß ich erſt erführe, ob ber
Sinn der hohen Frau noch eben fo gegen mich
geftelle iſt, als vordem! Ob fie mich noch wuͤt⸗
dig Hält, zu forechen, wie damals: „edler Rit⸗
ter Qualterus , reitet für mich gen Welſchland,
und vollführt das ernfle Gericht am Herzog
Rotaldo; der Sieg iſt moͤglich; wahrſcheinlich
Gefpenfierbuch 7. Theil, 4
--. . . “ . 2
indeffen der Tod; doch weiß ih: wo Bott und
reine Stauen winfen, fehlt es an Euerm guten
Arm und Schwerte nicht!” — D was gu jener
Zeit der feligen Freude viel aufging in meinem
Herzen! Und wenn ed nun anderd geworden
wär'!”
Eine recht furchtbare Beklemmung zog ihm
die ſonſt fo ſtarke Bruſt zuſammen. Zwar er—⸗
muthigte er ſich mit dem Gedanken: „nun, du
haft doch auf: deinem Zuge wahrhaftig nichts
„wider Nitterehre uud Srauenwerth gethan; wie
kann ;denn Edilberthas fefler, frommer Sim
‚ fd) abgewendet haben von deinem reinen, ehr:
harlichen Dienſt!“
Aber. bie Ängfligenben Sedanfer wollten gar
micht von ihm lafley, fo oft er fie auch vers
‚lachte, und endlich im faſt uͤbermuͤthigen Hohne
‚ben; ehrnen Handſchuh von der Linben zog, und
damit um ſich ſchlug in die Luft, als wolle a
Wuͤſtes, thoͤriges Nachtgefluͤgel verſcheuchen.
Fr Da rauſchte ihm ein wunderliches Wallen
‚und Mandeln, und Wirbeln entgegen, und eine
‚feltfame Stimme — eben von der Seite ber, wo
ex hingefchlagen hatte — fagte: 1
Guten Abend, Herr Ritter,
Guten Abend!
Und iſt Euch ſo bitter
Des Lebend Ssimme,
.4
5
Doch iſt Euch bisweilen ſehr labend
In ihrem wechſelnden Lachen und —*
Des Lebens Stimme. ti
Drum lachen wir: all Euch aus,
Euch-aus, W *
Im wechſelnden witzigen Graus: wo.
„Wer da?“ rief Gualterus. ‚mit Präftigem
Kampfeston, und hatte im felben Augenblicke
den Eifenhandfchuh wieder an der Hanb, und
die Hand am Schwert: Da lachte «6 nur
noch wunderlicher aus den Gebäfchen, aber frei⸗
lich etwas ſcheu; und nach und nach verzog
ſich das Lachen, und immer mehr und mehr in
die Ferne vethollend⸗ ward am Ende gann⸗
lich ſtill.
„Wunderbar ſagte darauf Gualterus laut
vor ſich hin⸗ „Als mich Graͤfin Edilbertha hin⸗
ausſandte auf die italiſche Fahrt, wagte keiner
aus dieſen ſchottiſchen Bergkobolden es, mich zu
verlocken und zu verhoͤhnen; und nun find fie
mit einem-Male fo wunderlich dreift geworden.
Ach, das ift wohl. Fein gutes Zeichen für mich?"
Er. feufgte recht fehr tief und herzlich bei
dieſen · Worten. Da lachte es wieder Taut und
aanz nahebei, welches er jedoch ohne Zweifel
für eine Menfchenflimme erfennen mußte. Und
hervor aus den Zweigen trat eine hobe, ſchlanke,
braungelbe Dianneögeflalt, eine Fackel in der
42
WEEZE
— — —
Dand, welche das gewiſſermaßen ſchoͤne, ab
recht ſcharfe und ſchon vom greiſenden Haup
baar und Bart umwallete Antlitz beſtralte. Ci
ſchoͤnes Manlthier am blanken, mit goldne
Ningen verbraͤmtem Zaume, folgte gebuldig «a
des Stemden Hand.
Hoͤflich orũbend, fagte die unerwartete Ei
ſcheinung:
„Was aberraſcht Euch denn ſo ausnehmen
an mis? Sch bin ja eben Fein Andrer, ald dei
welchen Ihr (don in Welfchland fandet. Di
‚.fogenannte Abentheurer Gualfredo bin ich, der
ſelbe, vor deſſen ungeſtuͤmem Angriff Herzog Ro
‚taldo in fein. Todeßblut fanf, etwa ein drei,
vier Wochen, bevor Ihr dahin gelangen Fonntet,
‚bie verheißine That wider ihn auszuführen. Nun,
„bat es nicht Gualterus, that es doch Gual
ftedo. In der Hauptſache ſollte man denken
wWaͤre dad immer ganz einerlei!“
Der Fremde lachte heil und heiter auf, nid
etwa auf eine boshafte MWeife, aber denn
‚Compte der Provenzal es nicht über ſich g
‚men, daß er mitgelacht hätte, ober auch nur
‚Mund dazu verzogen. Da hörte der Fremde
»plögfich zu lachen auf, wiegte das ſtolze Hanf
wie fragend hin und ber, und fagte endlich: ';
. ?uD Gualterus, Ihr feid bei weiten n
‚nichtder- Mann, für den ich Euch hielt. Wi
ih mir body ein — nach Allem, was man von
Euch erzäßlte, und was ich noch vor wenigen
Tagen durch die ſchoͤne Gräfin Edilbertha felbk
von Euch erfuhr, — bildete ich mir doch ein, Ihr
wäret fo ein Achter Spiegel aller edlen Ritters
(haft, daß Euch zwar fehr viel daran läge, was
in der Welt vollbracht würde an wahrhafter That⸗
berrlichkeit, nicht aber wie viel davon in Eure
eigne Feine Schaafe zu liegen kaͤme Unb nun
murret und aͤchzt Ihr, weil ed der Gualftedo ift
und nicht ber Gualterus, der den böfen Herzog
Motaldo verdientermaßen erfchlagen hat. Ermans
net Euch, Herr Ritter, bamit Ihr Euer felbft
würdig bleiben möget.‘’
Und etwas unzufrieden audfehend, zog er
fin Maulthier auf einen nahen Fußſteig hinauf,
ſchwang fich, die Fackel loͤſchend, in den Sattel,
und srabte,, ch’ noch Gualterus eined Wortes
mächtig werden Fonnte, davon,
— — —
„Was iſt es denn num mit mir? Und hat
nicht der wunderliche Fremde Recht ? Und bin ich
es denn noch werth, heute vor bad Antlig der
Graͤfin zu treten, laͤge auch ihre Burg ganz nahe
und heil, mit offnen Pforten und geſenkten Zug⸗
hruͤcken mir gegenüber 7”
So zürnte Gualterus wider fich felbft, und
Er 2 ze
>
wohl gar nicht mit Unrecht. Er ſprang vom
Noß, entflangte es, und Inüpfte es mit dem
Yalftertiemen an einen Eichbaum, fo daß es
Raum und Gemädjlichkeit zum Grafen und Lagern
behielt. Dann ſtreckte er ſich tieffinnig auf den
Soden nieber-
Wer ift der Sämgnn , dachte er, ber fo
haͤßliches Unkraut in mich hinein freuen durfte?
Unkraut ber Eigenehre und des Neides! Wahr:
Bafısg, Gualterus, das hätte dein feliger Wafı
fenmeißter nicht von dir geglaubt, und nod
minder hätteft du es ſelbſt geglaubt.”
* Wieder lachten die Kobofde aus den Berg
Holen und Gebuͤſchen, und einige fangen :
„Du fragft, wer ed gewefen,
Wer es fih hat erdacht ?
Gualterus ifl’6 gewefen
Der hat es fich erlefen
Aus eignen Geifted Schacht.
Gualterus , flolger Ritter,
Ei, ſchmaͤht nicht allzubitter
Auf folcherlei Gedanken! -
hr habt fie ſelbſt erdacht.“
„Das iſt nicht wahr ! das habt ihr erfogen !"
rief Gualterus Fräftig dazwiſchen, und die An
Holde lachten wohl noch, aber dad Lachen wir
dennoch wieder zuruͤck, und verflummte endlich
in unſichter Scheue ganz und gar.
2
„Ach, wenn mich Niemand auslachen dürfte,
ald ihr!“ dachte Gualterus. „Aber mit Gual⸗
fredo’8 Auslachen ift es weit ein andred und
beventlichered Ding.’
Er Fonnte von dieſem Einen Gegenſtande
ſeines Sinnens gar nicht abkommen, und mußte
ihn doch eben ſo wenig zu ſeiner Beruhigung
und Zufriedenheit zu löfen. Am Ende — wie
es wohl in dergleichen Fällen zu gefhehn pflegt —
erbarmte ſich der Schlaf über ihn, und ſchloß
ihm Augen und Gedanken zu,
Über — wie ed gleichermaßen wohl auch zu
gefchehen pflegt — es zogen häßliche Träume
und Gedanken über ihn heran. Ihm ward, als
fähe er den jungen Herzog wein , feit Edilbers
thas fruͤhem Wittwenſtande ihr zum Braͤutigam
erleſen, unter den Hufen eines wilden, ſchnau⸗
benden Roſſes todtwund liegen, und auf dem
Roſſe ſitze Gualfredo, und lache eben ſo unbefan⸗
gen dazu, als er nur noch vor kurzem gelacht
hatte. — Dann woͤlbte ſich wieder auf einmal .
ein prächtiger Dom in vieldurdfchfunaner Ver⸗
zweigung rings umher, und Ritter Iweins Bahre
ward in eine Gruft gefenft, und derweile flanden
Edilbertha und Gualfredo , zur Einfeguung fertig,
vor dem Altar. Im zornigen Yuffchrei faßte
re. —
no
Dust. d
4
Hand, welche das gewiſſermaßen ſchoͤne,
recht ſcharfe und. ſchon vom greifenden Hai
Baar und Bart ummallete Antlitz beftralte.
ſchoͤnes Manlthier am blanfen, mit golı
Ringen verbrämtem Zaume, folgte geduldig
des Stemden Hand.
Höflich gruͤßend, ſagte die unerwartete
ſcheinung: |
„Was uͤbetraſcht Euch denn ſo ausnehn
an mis? Sch bin ja eben Fein Andrer, ald N
welchen Ihr (don in Welfchland fander. L
‚.fogenannte Ubentheurer Gualfredo bin ich, N
ſelbe, 907 deſſen ungeſtuͤmem Angriff Herzog
‚taldo in fein- Todeßblut fanf, etwa ein dr
vier Wochen, bevor Ihr dahin gelangen Fonntı
‚bie verheißne That wider ihn auszuführen. Nu!
„that ed nicht Qualterus, that es doch Gua
fredo. In der Hauptfache ſollte man denk
‚wäre bad immer ganz einerlei!“
Der Fremde lachte heil und heiter auf, nil
etwa auf eine bodhafte Welfe, aber denne
Tomte der Provenzal ed nicht über fidy ga
‚men, daßer mitgelacht hätte, oder auch nur N
‚Mund dazu verzogen. Da hörte der Fremde:
plögfich.zu lachen auf, wiegte bad ſtolze Hau
wie fragend bin und ber, und fagte endlid:
ET >) Gualterus, Ihr ſeid bei weitem nt
nich ber Mann, für den ich Euch hielt. Ki
9
ſelben, und ließen der jungen Sonne Raum, bie
auch alsbald hellfröhlich über Felshaͤnge und Wie⸗
ſenmatten beranftrahlte.
Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg.
Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen koͤnnen, trat ihm
nur kaum inſden Sinn. Es war faſt, als hätte
Gualfredo dieſes Geſchaͤft als ein pflichtſchulbiger
Knapp’ oder Reiſiger bed kuͤhnen Gualterus noth⸗
wendigerweiſe beenden muͤſſen.
Der Thuͤrmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗
genlichtern ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf
einem Balkone ſichtbar. Sie gruͤßte freundlich,
auf klirrten die Thore, und uͤber donnernde Zug⸗
druͤcken ſprengte Gualterus in den Hof.
ng
Nun ftand er oben vor ber edlen Srau, und mit
ehrender Milde bedauerte fie, baß ihm Gualfredo
den Sieg über den argen Rotaldo vorweg ge
nommen habe. Ein trüber Unwille flammte yon
Neuem in des Provenzafen Gemüth empor.
„Es iſt wahr, forach.er, der Abentheurer,
ben man Gualfrebo nennt, hatte dad Gluͤck,
dem Herzog Motaldo zu begegnen, als dicfer,
ganz in neue Frevelgedanfen vertieft, von feiner
N
‘
DI
— — rn — — — —
Gualterus an ſein Schwert; — da wich der
Traum von ihm, und duͤſter und wunderlich ſahen
bie Waldbaͤume und die aufſteigenden Morgenne⸗
bel drein. Er ſelbſt aber zuͤckte ſein Schwert,
ſchlug damit gegen den Schild, woraus ſich immer
ein ganz ſeltſamer Wohlklang zu erheben pflegte,
and fang folgende Worter-
"uhr Geifter mit taufend Augen,
Ihr Sterne durch wolfige Nacht!
Was ich mag Guted taugen, —
"Habt ihr das wohl bedache? —
Ihr lächelt herunter und blinfet,
Als dient’ ich eud) zum Spiel.
Doch wie ihr ſchuͤttelt und winfet,
Ich fann des Beffern viel.
Ich ziehe mir eigene Bahnen —
Ihr laufet gezügelt und blind —
\ Ich Habe gewaltige Ahnen, —
Ihr habt nicht Vater noch Kind.
Ihr müßt euch nur nicht überheben,
Ihr Stern’, im geficherten Lauf!
. Dann ſchaut man im Wechfelleben
Richt freundlich zu euch hinauf.
Es war beinah, als ob die Sterne ſich ordent ⸗
ich etwas beſchamt gefunden hätten Aber Gualte ⸗
rus Lied. Gig verdleichten gegen dab Ende defs
9
felben,, und ließen der jungen Sonne Raum, bie
auch alsbald hellfroͤhlich über Felshaͤnge und Wie:
ſenmatten heranſtrauhlte.
Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg.
Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen koͤnnen, trat ihm
nur kaum inſden Sinn. Es war faſt, als hätte
Gualfredo dieſes Geſchaͤft als ein pflichtſchuldiger
Knapp’ oder Reiſiger des kuͤhnen Gualterus noth⸗
wendigerweiſe beenden muͤſſen.
Der Thuͤrmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗
genlichterr ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf
einem Balkone ſichtbar. Sie gruͤßte freundlich,
auf klirrten die Thore, und uͤber donnernde Zug⸗
druͤcken ſprengte Gualterus in den Hof.
—
Nun ſtand er oben vor der edlen Frau, und mit
chtender Milde bedauerte fie, daß ihm Gualfredo
den Sieg über den argen Rotaldo vorweg ge:
nommen babe. Ein trüber Unwifle flammte yon
Neuem in ded Provenzafen Gemuͤth empor.
„Es ift wahr, ſprach er, ber AUbentheurer,
den man Gualfredo nennt, hatte das Gluͤck,
dem Herzog Rotaldo zu begegnen, ald dieſer,
ganz in neue Frevelgedanken vertieft, von feiner
“
CY u
m. \ Br
für heut,
420
Felſenburg hinauszog mit leichtem, reiſtgen Ges
folge, immer in die kuͤhnverſchlungenſten Thaͤler
ſuͤdwaͤrts hinein, immer dem Meerſtrande zu,
und nur auf den ganz allein Acht habend, —
und da fiel Gualfredo's Geſchwader uͤber ihn
her, und aus der uͤberraſchenden That bluͤhete
fuͤr den beinah noch uͤberraſchteren Sieger ploͤtzlich
die Blume der Ehren empor.“
„Faſt auf aͤhnliche Weiſe hat es mir ber
Ritter, den Ihr einen Abentheurer nennt, auch
erzaͤhlt;“ entgegnete ſehr ernſthaft Edilbertha.
„Nur daß er noch vorher von Euern Helden⸗
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualterus,
wodurch hr den Gegner in ſolche Scheu vers
fett hattet, daß er fih von bemi Gebirge, Euerm
eigentlichen Zummelplaße, gänzlich abwendete,
und nur auf Thaten am Meerfirande dachte,
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht.
Und da 'rühmte es denn Gualfredo gar fehr,
daß Ihr es waret, denn man zu banken habe
für den aottbegünftigten Ausgang, ber gerechten
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goldne
Kette, Die ich Dem Sieger und Raͤcher beflimmite,
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll;
kommen gebührt,’
Und fie ſchlang daB leuchtende Geſchmeide
um des knieenden Nitterd Hald, und entließ ihn
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41
Aber wie brannte bie herrliche Gabe. auf
Gualterus Bruft! Wäre fie nicht von Edilbers
tha's Dand gefommen , er hätte fie wohl, ın fürs
mifcher Unzufriedenheit mit fi) und aller Welt,
zerriffen, und die goldnen Ringe einzeln über
den Waldboden hin verftreut. Er fprengte nach
der Burg bed tapfern Walterd hin, eined Zus
gendfreundes, den. er auf einer Kreuzfahrt nach
dem gelobten Lande hatte kennen lernen, und
dem zu Lieb' er vor drei Jahten den erſten Zug
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doch
damald zu Haufe zu treffen. — „Nun wird er
mich nach der goldnen Kette fragen,’ murrte er
in fich hinein, ‚und wird mir Gluͤck dazu wüns
ſchen, und ich habe gleich bei der erften Zuſam⸗
menfunft nichtd. ald eine widrige Beichte abzu⸗
flatten , denn lügen Tann body nun Meinedgleis
hen ein für allemal nicht.“
Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung
des Bergweges, und entgegen auf feinem ſchoͤnen
Maulthiere, nachläffig der Queere im Gatte
ſitzend, Fam ihm Gualfrebo, und begrüßte ihn
wit ausnehmend heiterm Lachen.
Eine Weile ſtill haltend, blidte ihn Gualte⸗
ud an, ganz wie verfleint, Aber nicht lange,
fo hatte alled Aechte und Gute in feinem Gemüt‘
die Oberhand gewonnen , und er fagte voll
Demuth und Fräftiger Reue Alles heraus, was er
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für heut,
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Felſenburg hinauszog mit leichtem, reiſtgen Gi
folge, immer in die kuͤhnverſchlungenſten Thaͤle
ſuͤdwaͤrts hinein, immer. dem Meerfirande ;ı
und nur auf den ganz allein Acht habend, -
und da fiel Gualfrebo’d Geſchwader über ik
ber, und aus der überrafchenden That bfükr
für den beinah noch überrafchteren Sieger plöglid
die Blume der Ehren empor.‘
„Saft auf Ahnlihe Weile hat es mir de
Ritter, den hr einen Abentheurer nennt , auf
erzählt ;”’ entgegnete fehr ernſthaft Edilberräe
„Nur daß er noch ‚vorher von Euern Helden
thaten viel zu berichten wußte, Herr Qualteruf,
wodurd hr den Gegner in ſolche Scheu ber:
feßt hattet, daß er fih von dem Gebirge, Enerm
eigentlichiten Zummelplage, gänzlich abwendete,
und nur auf Thaten am Meerſtrande datt,
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht.
Und da rühmte es denn Gualfredo gar ſehr,
daß Ihr es waret, denn man zu danken hal
für den aottbegünftigten Ausgang, der gerechten
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goldte
Kette, die ich Dem Sieger und Raͤcher beftimmtt,
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß vol’
kommen gebührt,” |
Und fie ſchlang daß leuchtende Gefchmeit
um des knieenden Ritterd Hals, und entließ ib?
U}
18
Yugendtreiden in feinem Geifte auf, Bald wieder,
ald hebe Edilbertha die ſchoͤne Hand ernſtidarnend
empor, und koͤnne Gualfredo, aller Mühe unges
achtet , nicht wieber in fein voriges, harmlofes
Lachen Fommen.
„Ed find die Kobolde diefer Berge!” fagte
Gualterus in ſich felbfthinein,, kaͤmpfte den wun⸗
derlichen Streit ſeines Innern nieder, und ſtand
ploͤtzlich an Walters Hand ſtolz und freudig in
des koͤſtlichen Rittermahles Mitten.
Von allen Seiten hoͤflich und treuherzig, ja
beinah ehrfurchtsvoll bewillkommt, — denn der
Ruf ſeiner Thaten war groß und herrlich, — ward
ihm bald wieder ganz keck und friſch und zuver—
fichtlich zu Sinne. Er leerte einen Becher auf
den andern, und endlich war ihm Alles, was mit
dem Andenken des Herzog Rotaldo Störendes zus
fammenhängen mochte , fo ganz und gar leicht und
heiter geworden, baß er auf die erſte Frage Wal⸗
ters, warum er denn eigentlich wider Jenen nach
Welfcyland. gezogen fei, ganz unbefangen der Zifchs
geſellſchaft Folgendes zu erzaͤhlen anhub:
„Es liegt in dem appenniniſchen Gebuͤrg ein
wunderſames Kloſter, aus dem ſeit undenklichen
Zeiten immer alle hundert Jahr ein Ritter hervor⸗
gegangen iſt, ein mit Zauberkraͤften begabter,
ganz entſetzlicher Ritter, welchem Niemand zu
widerſtehn vermochte, und in deſſen Gemuͤth die
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—
14
h und Andern gewohnten Bedenflichfeiten von Nedjt
* und Unrecht auch nicht den mindeſten Raum zu
finden ſchienen. Vergeblich trachteten Abt und
Mönche darnach, ſich untereinander — vorzuͤg⸗
lich wenn jener bedrohliche Zeitpunkt heranna⸗
hete — immer in den froͤmmſten und moͤglichſt
geſetzlichen Schranken zu halten: immer um die
beftimmte Zeit brach Einer von ihnen ald ber
furchtbare Ritter los, und wüthete beinahe graͤß⸗
’ licher, als man ed je von Heidenrittern und
‘ Raubfchiffern in den Afteften Hiſtorien und Lies
dern vernommen bat.
„Da gefhahe ed vor einigen Jahren, daß
4 Herzog Rotaldo, ſchon laͤngſt durch die abſcheu⸗
lichſten Thaten beruͤhmt oder beruͤchtigt, eine Luſt
bekam, ſich zu beſſerm Erfolge mit ſolch einem
wunderlich verfehmten und verhexten Kloſterritter
an verbuͤnden. Er ſprengte gegen die Mauern ber
geweihten Stätte hinan, fließ mit der Lanze wi»
der bad. Thor, und rief in einem fort: „ſchickt
; mir einen tollen Zauberritter heraus! ſchickt mir
einen tollen Zauberritter heraus!” — Bergebs
lich erinnerte ihn der Abt an bie Gottloſigkeit
' eincd ſolchen Betragend , und bat ihn, davon
abzufichn ; vergeblich betheuerte er, es fei Gott⸗
lob dergleichen verherter Menſch Jegt gar nicht
"im Klofter, und habe es ſchlimmſten Falles das
mit noch fiebenzig Jahre Zeit, indem der legte
15
von bdiefer Art vor faum erft dreißig Jahren in
die Welt binausgebrochen fei, — Rotafdo wollte
durchaus von keinet Entſchuldigung hoͤren, und
erklaͤrte endlich, in feinem rafenden Uebermuth
dem ganzen Kloſter auf Leben und Tod die blu⸗
tigſte Fehdde.
5 „Nun,“ ünterbradh ihn Walter, das fann ich
ſelbſt ihm nicht fo ganz und gar verdenfen.
Wenigſtens mit der maͤnniglichſten Drohung und
Kraft haͤtte ich drauf beftanden, daß fie mir
einen fo tollen Zauberferl zum ‚Kumpan, herdei⸗
ſchaffen müßten. '
„Sie konnten es ja aber nun einmal nicht „“
entgegnete Gualterus eımaß ungebuldig , „und
überhaupt brauchſt du die fhlimme Sache nicht
noch ſchlimmer zu machen, denn in dem Kloſter
übernachtete grade dazumal ein Mutterbruder der
Gräfin Edilbertha, der ald Pilgrim, durch die
Lande 309, und da Herzog Rotaldo in toller
Wurh ohne Säumen Geuer an das Klofier
legte und chwefelbrände hineinwarf, verbrannte
er bei feinem wilden Anlauf ben eblen Pilger
mit.“ | u
„Und die fänfte Edilbertha,“ laͤchelte Wals
ter hoͤhniſch zurüd, „fand ed für noͤthig, daß
du deßhalb in’ die italiſchen Lande hinausfahren
mußteft, um den Rotaldo zu erfchlagen.
„Seid Ihr Schostländer,‘ brach Qualterus
KA —— — er
®
46
zornig aus, „und kennt Euer eignes Reche ber
Blutrache nicht ? Edilbertha's Bräutigam ruͤſtete
fich zum Rachewerk, und da war es doch wohl
beſſer, daß ich mich daran machte, ich ziemlich
einfamer, und auf den Fall ded Niederflürgend
gewiß fehr unbeweinter Menſch!“
„und Edilbertha — lachte Walter aufd nene
azwifhen. — Edilbertha fand das Alles fo
secht ausnehmend bequem! Und den Abentheurer
Gualfredo Hatte fie wohl auf gleiche Art am
Seile. Eine ſchoͤne Gefsannfchaft ‚ die fie dir da
auderforen hat! O Ihr Löwen, Wann werdet
Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winfe der
Zauben zu fechten, damit der Zauber recht ficher
und fe umberflolzieren könne im geficherten
Schlag, als ein gar gewaltiger und unbezwing»
Ticher Held!"
Gualterus , feinen Wirth etwaß unzufrieden
anſchauend, fagte nad} einigem Schweigen :
„Spötteleien über Edilbertha und ihren edlen
Liebling und Bräutigam wein bin ich eben nicht
gewohnt, ruhig anzuhören ;- auch den Nitter
Gualfredo, da fie mit Achtung von ihm redet , laß
ich nicht ſchmaͤhen. Bon bir aber, der du mir
fo etwad von felder anmerken Fonnteft, wenn du
gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für ale
mal, und redht firenge.
„Ei, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der zorn⸗
17
gluͤhende Walter ein. „Auch du konnteſt merken
ſchon von unfrer Kreuzfahrt ber; daß ich mir
ſolche Zurechtweiſungen nicht gefallen laſſe. Und
ſomit, ihr Knappen, räumt die Tafeln aud ber
Halle, und ihr, edlen Säfte, nehmt ringe an
den Wänden eure Sige, denn ed hat hier eine
Zunge viel zn dreift gefprochen, und da müffen
die ftählernen, feharfen Zungen heraus.“
Gualterus neigte ſich mit flolzer Bejahung,
und aldbald war der hochgewoͤlbte Sual zum
Kampfplak umgeflalter, und Wirth und Gaft
traten einander als zwei’ 'erzürnte Fechter mit
blanken Klingen gegenuͤber.
Da humpelte ploͤtzlich voll ſeltſamer Behen⸗
digkeit ein kleines, altes, runzliches Maͤnnlein,
dem Knappen nnd Reifige mit einer ſeltfamen Ehr⸗
furcht auswichen, durch die Thür, und ſtellte ſich
zwiſchen die beiden Ritter, ſo daß es Jedem von
ihnen den Anfall wehrte.
„Hauskobold,“ ſagte Walter gelaſſen, „du
weißt, daß ich ſonſt, dem Beiſpiel der fruͤhern
Schloßbewohner gemäß, dich in Ehren zu halten
pflege , ‚aber Bier chuft du am beſten, wenn bu
Dich bei Zeiten davon machſt. Dinge, wie wie
ie Bier mit einander vorhaben, verſtehſt du nun
einmal nicht.
Aber der eleine- Hauskobold (denn bieſe Stelle
zekleidete er wirklich feit einigen Jahrhunderten in
Sefvenfierbud 7. ii. . 8.
46
/ - zornig aus, „und Zennt Euer eignes Recht
5 Blutrache nicht? Edilbertha's Braͤutigam rn
ſich zum Rachewerk, und da war es doch w
beſſer, daß ich mich daran machte, ich ziem!
einfamer, und auf den Fall des Niederflürz
gewiß fehr unbeweinter Menſch!“
And Edilbertha — lachte Walter aufs w
azwifhen. — CEdilbertha fand daB Alle‘
secht ausnehmend bequem! Und den Ubenthen
Rn Bualfrebo hatte fie wohl auf gleiche Art «
Seile. Eine fhöne Geſpannſchaft, die fie dir!
auderforen bat! D Ihr Lower, wann werk
- Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winke M
) Zauben zu fechten, damit ber Zauber recht ſicht
| und keck umberflolzieren koͤnne im gefiderren
' Schlag, als ein gar gewaltiger und unbezwing
Ticher Held!“ .
\ Gualterus , feinen Wirth etwas unzuftiedir
anfchauend,, fagte nad) einigem Schweigen:
| „Spötteleien über Edilbertha und ihren edlın
Liebling und Bräutigam Iwein bin ich eben nid‘
n gewohnt, ruhig anzuhören ;- auch den Kir
i Gualfredo, da ſie mit Achtung von ihm redet, I
\ ich nicht ſchmaͤhen. Von dir aber, der du m
fo etwad von felder anmerken konnteſt, wenn"
| gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für alt
\ mal, und recht firenge |
„Ei, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der jon
*
9
felben, und ließen der jungen Sonne Raum, bie
auch alsbald hellfroͤhlich über Felshaͤnge und Wie⸗ \
ſenmatten heranſtrahlte.
Dicht vor Gualterus lag Edilberthas Burg.
Da ritt er in all dem edlen Stolze, der ihm
ſonſt eigen zu ſeyn pflegte, den gewundenen Burg⸗
pfad hinauf. Daß er den argen Herzog Rotaldo
nicht ſelbſt mehr hatte erlegen Fünnen, trat ihm H
nur faum inſden Sinn. Es war faft, als hätte
Qualfredo diefed Geſchaͤft als ein pflichrfchufdiger l
Knapp’ oder Reifiger bed Fühnen Gualteruß noth;
wendigermweife beenden müffen.‘ _ \
Der Thürmer blies; in den ſtrahlendſten Mor⸗
genlichtern ward Edilbertha's herrliche Geſtalt auf
einem Balkone fihtbar. Sie grüßte freundlich,
auf Flirrten die Thore, und über donnernde Zug:
bruͤcken fprengte Gualterus im den Hof,
— —⸗
Nun ſtand er oben vor ber edlen Frau, und mit
ehrender Milde bedauerte fie, baß ihm Gualfredo
den Sieg über den argen Notaldo vorweg ges
nommen habe. Ein trüber Unwifle flammte yon
Neuem in ded Provenzafen Gemüth empor.
„Ss iſt wahr, ſprach er, der Abentheurer,
den man Gualfredo nennt, hatte dad Gluͤck,
dem Herzog Rotaldo zu begegnen, ald diefer,
ganz in neue Frevelgedanken vertieft, von feiner
‘
mr
Zelfenburg hinauszog mit leichtem, reifigen Ges
folge, immer in, die kuͤbhnverſchlungenſten Thaͤler
ſuͤdwaͤrts hinein, immer. dem Meerſtrande zu,
und nur auf den ganz allein Acht habend, —
und da fiel Gualfredo’d Geſchwader über ihn
ber, und aus der überrafchenden That blühete
für den beinah noch uͤberraſchteren Steger pldlich
die Blume der Ehren empor.“ |
„Saft auf ähnliche Meife hat es mir der
Mitter, den Ihr einen Abentheurer nennt , auch
erzaͤhlt;“ entgegnete fehr ernfihaft Edilbertha.
„Nur daß er noch vorher von Euern Helden⸗
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualterus,
wodurch Ihr den Gegner in ſolche Scheu ver⸗
ſetzt hattet, daß er ſich von dem Gebirge, Enerm
eigentlichſten Tummelplatze, gaͤnzlich abwendete,
und nur auf Thaten am Meerſtrande dachte,
vielleicht gat nur auf eine geſicherte Flucht.
Und da 'rühmte es denn Gualfredo gar ſehr,
daß Ahr ed waret, denn man zu danken habe
für den gottbegünfligten Ausgang der gerechten
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goltne
Kette, bie ich dem Sieger und Räder beflimmte,
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll;
fommen gebührt,”
Und fie fehlang das Ieuchtende Geſchmeide
um bed fnieenden Nitterd Hald, und entließ ihr
für beut,
11
‚Aber wie brannte bie herrliche Gabe auf
Gualterus Bruft! Wäre fie nicht von Sdilbers
tha’d Hand gefommen , er hätte fie wohl, ın ſtuͤr⸗
wifcher Unzufriedenheit mit ſich und aller Welt,
zerriffen, und die goltnen Ringe einzeln über
den Waldboden hin verfireut. Er fprengte nad)
der Burg bed tapfern Walterd bin, eined Zus
gendfreundes, den. er auf einer Kreuzfahrt nach
dem gelobten Lande hatte Eennen lernen, und
dem zu Lieb’ er vor drei Jahren den erfien Zug
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doch
damald zu Haufe zu treffen. — ‚Nun wird er
mich nach ber goldnen Kette fragen,” murrte er
in ſich hinein, ‚„‚und wird mir Gluͤck dazu wuͤn⸗
fhen, und ich habe gleich bei ber erften Zufams
menfunft nichts ald eine widrige Beichte abzus
flatten,, denn lügen kann doch nun Meinesglei⸗
hen ein für allemal nicht.“
Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung
des Bergweges, und entgegen auf feinem ſchoͤnen
Maulthiere, nachläffig der Queere im Satte
ſitzend, Fam ihm Gualfreto, und begrüßte ihn
nit ausnehmend heiterm lachen.
Eine Weile ſtill haltend, blickte ihn Gualtes
rus an, ganz wie verfleint, Aber nicht Tange,
fo hatte alled Aechte und Gute in feinem Gemuͤth |
die Oberhand gemonnen , und er fagte voll
Demuth und Fräftiger Reue Alles heraus, was «er
1
Felſenburg hinauszog mit leichtem, reifigen Ges
folge, immer in die Fühnverfchlungenften Thaͤler
fübmärtsd hinein, immer. dem Meerfirande zu,
und nur auf den ganz allein Acht habend, —
und da fiel Gualfredo's Geſchwader über ihn
ber, und aus der überrafchenden That blühete
für den beinah noch überrafchteren Sieger plöglich
die Blume der Ehren empor.”
„Faſt auf Ähnliche Weife hat es mir der
Nitter, den Ihr einen Abentheurer nennt , auch
erzählt 5’ entgegnete fehr ernſthaft Edilbertha.
„Nur daß er noch vorher von Guern Heldens
thaten viel zu berichten wußte, Herr Gualteruß,
wodurd Ihr den Gegner in ſolche Scheu ver:
fegt hattet, daß er fi) von dem Gebirge, Euerm
eigentlichfien Zummelplaße, gänzlich abwendete,
und nur auf Thaten am Meerfirande dachte,
vielleicht gar nur auf eine geficherte Flucht.
Und da rühmte es denn Gualfredo gar fehr,
daß Ihr ed waret, denn man zu banfen habe
für den gottbegünftigten Ausgang der gerechten .
That. Empfanget, Herr Gualterus, die goltne
Kette, die ich Dem Sieger und Rächer beſtimmte,
und die Euch nach jenem herrlichen Zeugniß voll;
fommen gebührt,”
Und fie ſchlang das leuchtende Geſchmeide
um des knieenden Ritters Hals, und entließ ihn
fuͤr beut,
— ——e
11
‚Uber wie brannte bie herrliche Gabe auf
Qualterus Bruſt! Wäre fie nicht von Edilber⸗
tha's Hand gefommen , er hätte fie wohl, ın fidrs
wifcher Unzufriedenheit mit ſich und aller Welt,
zerriffen, und die goldnen Ringe einzeln über
den Waldboden hin verfireut. Er fprengte nad)
der Burg des tapfern Walterd hin, eined us
gendfreunded, den. er auf einer Kreuzfahrt nach
dem gelobten Lande hatte Fennen lernen, und
dem zu Lieb’ er vor drei Jahren den erfien Zug
in diefe Hochlande unternahm, ohne ihn doc)
damald zu Haufe zu treffen. — ‚Nun wird er
mich nach ber goldnen Kette fragen,’ murrte er
in fih hinein, „und wird mir Gluͤck dazu wuͤn⸗
fen, und ich habe gleich bei ber erften Zufams
menfunft nichts als eine widrige Beichte abzus
flatten,, denn lügen Fann doch nun Meinesglei⸗
hen ein für allemal nicht.“
Da trabte er fo eben um eine fcharfe Windung
des Bergweges, und entgegen auf ſeinem ſchoͤnen
Maulthiere, nachlaͤſſig der Queere im Satte
ſitzend, kam ihm Gualfredo, und begruͤßte ihn
mit ausnehmend heiterm Lachen.
Eine Weile ſtill haltend, blickte ihn Gualte⸗
rus an, ganz wie verſteint. Aber nicht lange,
ſo hatte alles Aechte und Gute in ſeinem Gemuͤth
die Oberhand gewonnen, und er ſagte voll
Demuth und kraͤftiger Reue Alles heraus, was er
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Bei: der fhbnen Herrin wider Gualfredo gerebet
Hatte, und bat von ganzem Herzen um Berges
bung, wohl fühlend, diefe Genugthuung fei uns
endlich fihmerer und eben deßhalb verbienftlicher
zu geben, ald die allerernfthaftefte mit den Wafı
fen in ber Hand.
Gualfredo Tachte wieder recht von ganzem
Herzen , und fagte freundlich :
„Daß Ihr einmal auf die Nafe gefallen wart,
und zwar tächtig, ſah ich Euch gleich von vorn
herein an. Uber das thut fo viel gar nicht; am
wenigſten, wenn man fo fromm und treuherzig
aufzuftehn weiß, ald Ihr, mein lieber ‚ edler
Gualterus.“ Bi
- Und damit reichte er ihm die Hand, und
sitt langſam, noch immer freundlich lachend,
ſeines Weges fuͤrder.
—
Aus Walters Burghallen ſcholl daßs laute
Jauchzen eiues froͤhlichen Gelags dem Provenza⸗
len entgegen. Geſchmuͤckte Knappen nahmen ſein
Roß in Empfang, und oben an der Stiege ſtand
bereits der Schloßherr, einen gefuͤllten Pokal in
ber Hand, den Ankoͤmmling mit einem wilden
Riede begrüßend.
. Dem ward ed gar feltfam zu Sinne: bald,
als gehe nun erſt aufs neue ein friſchlebendiges
18
Jugendtreiben in feinem Geifte auf, Bald wieder,
ald hebe Edilbertha die ſchoͤne Hand ernſtidarnend
empor, und koͤnne Gualfredo, aller Mühe unge,
achtet, nicht wieder in fein voriges, harmloſes
Lachen kommen.
„Es ſind die Kobolde dieſer Berge!“ ſagte
Gualterus in ſich ſelbſt hinein, kaͤmpfte den wun⸗
derlichen Streit ſeines Innern nieder, und ſtand
ploͤtzlich an Walters Hand ſtolz und freudig in
des koͤſtlichen Rittermahles Mitten.
Von allen Seiten hoͤflich und treuherzig, ja
beinah ehrfurchtsvoll bewillkommt, — denn der
Ruf ſeiner Thaten war groß und herrlich, — ward
ibm bald wieder ganz keck und friſch und zuver⸗
ſichtlich zu Sinne. Er leerte einen Becher auf
den andern, und endlich war ihm Alles, was mit
dem Andenken des Herzog Rotaldo Stoͤrendes zu⸗
ſammenhaͤngen mochte, ſo ganz und gar leicht und
heiter geworden, daß er auf die erſte Frage Wal⸗
ters, warum er denn eigentlich wider Jenen nach
Welſchland gezogen ſei, ganz unbefangen der Tiſch⸗
geſellſchaft Folgendes zu erzaͤhlen anhub:
„Es liegt in dem appenniniſchen Gebuͤrg ein
wunderſames Kloſter, aus dem ſeit undenklichen
Zeiten immer alle hundert Jahr ein Ritter hervor⸗
gegangen iſt, ein mit Zauberkraͤften begabter,
ganz entſetzlicher Ritter, welchem Niemand zu
widerſtehn vermochte, und in deſſen Gemuͤth die
— m
—
oo. Bu er rn :
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14
pi und Andern gewohnten Bedenflichfeiten von Recht
7 und Unrecht auch nicht den mindeſten Raum zu
finden ſchienen. Vergeblich trachteten Abt und
Mönche darnach, fi) untereinander — vorzuͤg⸗
lich wenn jener bedrohliche Zeitpunkt heranna⸗
hete — immer in den froͤmmſten und moͤglichſt
gefeglichen Schranfen zu halten? immer um die
beftimmte Zeit. brach Einer von ihnen ald der
furchtbare Ritter los, und wuͤthete beinahe gräß»
. licher, ald man es je von Heidenrittern und
, Raubſchiffern in den Alteften Hiſtorien und Kies
‚dern vernommen hat.
R „Da gefchahe es vor einigen Jahren, daß
l Herzog Rotaldo, ſchon laͤngſt durch die abſcheu⸗
lichften Thaten berühmt oder beruͤchtigt, eine Luft
betam , ſich zu befferm Erfolge mit ſolch einem
. wunderlich verfehmten und verherten Kloflerritter
zn verbünden. Er fprengte gegen die Mauern der
geweihten Stätte hinan, fließ mit der Lanze wir
der bad, Thor, und rief in einem fort: „ſchickt
mir einen tollen Zauberritter heraus! ſchickt mir
einen tollen Zauberritter heraus!" — Bergebs
lich erinnerte ihn der Abt an die Gottloſigkeit
eincd folchen Betragend , und bat ihn, davon
abzufiehn ; vergeblich bethewerte er, es fei Gott⸗
lob dergleichen verherter Menſch jegt gar nicht
ıe "im Klofter, und habe es ſchlimmſten Falles dar
| wit noch fiebenzig Jahre Zeit, indem der Iegte
15
von bdiefer Art vor kaum erſt dreißig Jahren In
die Welt hinausgebrochen ſei, — Rotaldo wollte
durchaus von keiner Entfhuldigung hören, und
erffärte endlich in feinem rafenden Uebermuth
dem ganzen Kloſter auf Leben und Tod die blu—
tigſte Fehde.
Nun, unterbrach ihn Walter „ndas kann ich
ſelbſt ihm nicht fo ganz und gar berdenfen.
Wenigſtens mit der maͤnniglichſten Drohung und
Kraft haͤtte ich drauf beftanden, daß fie mir
einen fo tollen Zauberkerl zum Kumpan herdei—
ſchaffen müßten. '
„Sie konnten ed ja aber nun einmal nicht, a
entgegnete Gualterus etwas ungeduldig, „und
uͤberhaupt brauchſt du die ſchliume Sache nicht
noch ſchlimmer zu machen, denn in dem Kloſter
uͤbernachtete grade dazumal ein Mutterbruder der
Graͤfin Edilbertha, der als Pilgrim durch die
Lande zog, und da Herzog Rotaldo in toller
Wuth ohne Saͤumen Feuer an das Klofier
legte und chweſelbraͤnde hineinwarf, verbrannte
er bei ſelnem wilden Anlauf den edlen Pilger
mit!
„und bie fänfte Edilbertha,“ Tädhelte Wals
ter höhnifch zurüd, „fand ed für nöthig, daß
dus deßhalb in die italifhen Lande hinausfahren
mußteſt, um den Rotaldo zu erfihlagen.
„Seid Ihr Schottländer, brach Qualterus
— —
16
gornig aus, „und kennt Euer eignes Recht der
Blutrache nicht 7 Edilbertha's Bräutigam rüflete
ſich zum Rachewerk, und da war es doch wohl
beffer, daß ich mich daran machte, ich ziemlich
einfamer, und auf ben Fall des Niederflürzens
gewiß fehr unbeweinter Menſch 1"
und Edilbertha — lachte Walter aufs nene
dazwiſchen. — Edilbertha fand das Alles fo
recht ausnehmend bequem! Und den Abentheurer
Gualfredo hatte ſie wohl auf gleiche Art am
Seile. Eine ſchoͤne Geſpannſchaft, die fie dir ba
auserforen hat! O Ihr Lowen, Wann werdet
Ihr doch endlich ablaffen, auf die Winfe der
Tauben zufechten, damit der Tauber recht ſicher
und keck umberftolzieren Tonne im geficherten
Schlag, als tin gar gewaltiger und unbezwwing
Ticher Held!"
Gualterus , feinen Wirth etwas unzufrieden
anſchauend, fagte nach einigem Schweigen :
„Spötteleien über Edilbertha und ihren edlen
Liebling und Bräutigam mein bin ich eben nicht
gewohnt, ruhig anzuhbren;. auch den Nitter
Bualfiedo‘, da fie mit Achtung von ihm redet, Taf
ich nicht ſchmaͤhen. Bon dir aber, der du mir
fo etwas von felber anmerken konnteſt, wenn du
gewollt haͤtteſt, verbitte ich es mir ein für ade
‘mal, und recht firenge.
vEi, mit dem Merkenkoͤnnin!“ fiel der zorm
17
glühende Walter ein. „Auch du konnteſt merken
(don von unfrer Kreuzfahrt ber; daß ich mir
foiche Zurechtiveifungen nicht gefallen laſſe. Und
ſomit, ihr Knappen, räumt die Tafeln aud der
Halle, und ihr, edlen Säfte, nehmt ringe an
den Wänden eure Sige, denn ed hat hier eine
Zunge viel zn dreift gefprochen, und da müffen
die fählernen , fiharfen Zungen heraus.“
Gualterus neigte fi mit flolzer Bejahung,
und alsbald war ber hochgewoͤlbte Saal zum
Kampfplag umgeflaltet, und Wirth und Gaſt
raten einander als zwei erzürnte Fechter mit
blanken Klingen gegenuͤber.
Da humpelte ploͤtzlich voll ſeltſamer Behen⸗
digkeit ein Fleines, altes, runzliches Maͤnnlein,
em Knavpen nud Reifige mit einer ſeltfamen Ehr⸗
furcht auswichen, durch die Thür, und ſtellte ſich
zwiſchen die beiden Ritter, ſo daß es Jedem von
Ihnen ben Unfall wehrte. —
„Hauskobold,“ ſagte Walter gelaſſen, „du
weißt, daß ich ſonſt, dem Beiſpiel der fruͤhern
Schloßbewohner gemaͤß, dich in Ehren zu halten
lege, aber bier thuft du am beſten, wenn du
ich bei Zeiten davon machſt. Dinge, wie- mit
ie Bier mit einander vorhaben, verſtehſt du nun
inmal nicht.
Aber der kleine Hauerobold (denn dieſe Stelle
ekleidete er wirklich feit einigen Jahrhunderten in
Geſpenſterbuch 7. Theil, . 8.
18
ber Burg) febien andrer Meinung zu feyn, als
fein jegiger Ders. Denn indem er mit einem höh:
wifchen Grinfen gegen diefen, mit einem gräßlis
Gen Dräuen gegen Gualterus hinhauchte, wur
‚ben beiden die Armen fo matt und ſchwer, daß fe
nur faum — man Fennt wohl ähnliche Empfin
dungen aus Träumen — mit angefirengter Kraft
die gewaltigen Schlachtſchwerter in der Hand und
ſich aufrecht erhalten Fonnten, faft nach Knabıns
weife zu Boden gezogen von der riefigen Wucht.
„Ihr habt hier einen alzumädhtigen Schutz!“
lächelte ingrimmig Gualterus.
„Hauskobold will ed nicht haben,” entgegnetı
Walter, „baß ich meine Wände mit Provenzar
Tenblut beſpruͤtze.“
Und ſo ſchieden beide im Zorne von einander,
verabredend, ſich morgen.aufder grünen Haide zu
Areffen, die unter der feit grauen Zeiten Fin
galdfaal genannten Felfenhöhle lag.
Guglterud gedachte ſich gleich nach der our
‚berfamen Grotte zu begeben, und dort die Nach
über zu verweilen, theild damit er mit dem Fruͤb
roth gewißlich der erfie auf dem Kampfesanger ſei
theils auch, weile ihın ganz Ärgerlih und us
beimlih vorkam, noch am felbigen Abende mi
Menſchen Berkehr zu halten. Zwar pfiffen us
‚19,
achten und heulten die Kobolbe fehr wunderlich
m Gebirge, doch wußte Gualterus, daß in. der
ingalshalle entweder ein tiefes, allen Spuk vere
annended Schweigen herrfche, oder daß Tieblich
"Tand Harfe darin töne und all der uralte Sais
mlang der Barden von Selma, und fü den
jeiit ded dort raftenden Wandrers befchirme und .
eſchwichtige.
Und in der That, wie er nur in die feierlichen
lippengewoͤlbe einichritt, verftummte vor ſeinen
hren dad Koboldsgelaͤchter, und Harfenflänge .
bten wie Sangedregenfchauer vor ben Tropfſtei⸗
m nieder, und im melodiſchen Geriefel wallte
tHare Felsbach, auß der noch von allen Diens
henfindern unbetretnen Mitte ded wunderfamen
erghauſes entfpringend, an ihm vorüber.
Ihm fing ed an, fehr Hell und wohlbehaglich
Sinne aufzugehn von dieſen ſeltſamen Tönen;
ich ſelbſt da noch, als eine Rittergeſtalt ihm
s dem tiefſten Dunkel unbebannt und wie
daheim entgegen ſchritt. Er dachte an Fingal
bſt, oder an Oſſian, ober an einen andern
er gefeierten Helden. Aber die Geftalt kam
ch naͤher heran, und zünbdete die Fadel durch
tiged Unfchlagen gegen. eine Felswand zum -
hnſten Auflodern, und lächelte ihn in dem
ben Flammenlichte freundlich an, und war
sadfredo.
32
\
Da konnte Gualterus fein Mißvergnägen
beinahe nicht verhehlen. Doch rief er dem gan:
zen Stolz feined Herzens herauf, und fagte mi:
kuͤhnem Beroußtfeyn :
„Suten Abend, Ihr fremder Gaſt. u
hätte Unrecht, Euch dießmal nicht gern unter die
Augen treten zu wollen, denn ich habe nun vol,
Zommen audgelöfht, was ıch mir geflern wibder
Euch zu Schulden kommen ließ. Morgen früh
fieht mir ein ernfler Zweifampf bevor, dem id
zu Rettung Eurer Ehren. mit einem tapfern Rit
ser diefer Hochlande eingegangen bin. Wir koͤn
nen und nun alfo wohl ohne weitred die Han
bieten ald Gleich und Gleich.“
„Muß ergebenft danken,“ fagte ber "wunder
liche Svemdling , „oder vielmehr nicht ergebenſt
Denn ich kann eben nichts von meiner Verpflich
tung gegen Euch begreifen, und Ihr kommt mi
vielmehr in dieſem Augenblick ganz aus ale
Maßen unbekannt und unheimlich vor.”
„Eurer. hohen Würde,” lachte Gualterri
höhnifch zuruͤck, „‚feheint es überhaupt fehr “
heimlich und fehr fatal vorzukommen, wenn it
gend außer Euch ein Menſch auf —* eigna
Fräftigen Süßen flcht.”
Qualfredo feufzte tief, und trat fobanı
ſchweigend ‚weiter nach dem Eingang ber Zelfe
balle vor, -
[4
21
Da firahfte urploͤtzlich heller Sadlelfchein aus
em Klippenthalweg herauf, und am wenigſten
Bualterus Fonnte ed verfennen, daß bort jet
ben Gräfin Edilbertha vorüber ziehe mit einem
zeſchwader begleitender Neifigen , fie felbft auf
inem fhneeweißen Zelter im Teichten Trabe nach
en hoͤchſten Gegenden des Gebirges hinauf eis
Ind. '
Ein Reiter des Gefolge, den entweder fein
ngeftumes Roß oder feine Pflicht, zur Seite nady
nöglichen Feindesverſtecken zu fpähen, weiter
ergan geführt hatte, trabte jegt nah an den‘
eiden Rittern voräber, und Gualfredo rief ihm
ine Frage zu, was es denn eigentlich gebe ?
„Si, wißt Ihr nur das nody nicht ?“ rief ber
jorteilende. „Iſt ja Herzog Iwein, der Braͤu⸗
igam meiner fchönen Herrin, zum Tod’ urpldgs
ch erkrankt, und fie giebt dahin, ihn heilen
u heifen, oder vielleicht an feinem Sarge zur
tonne zu werden.“
Lautlos war Gualfredo aus der Höfe getre⸗
m. Wie herbeigewuͤnſcht Fam fein ſchoͤnes Maul⸗
hbier zugleich aus dem Gezweig heran geſchrit⸗
m. Er ſchwang ſich in den Sattel, und flog
ein Zuge der Herrin pfeilgefhwind nad).
„Sehr tounderlih!” dachte Gualterus. „Es
eht doch wirklich darnach aus, als ob mein
raum recht behalten ſollte. Reitet der Aben⸗
22.
tbeurer auch nicht lachend über Iweins Peichs
nam bin, fo foheint ed ihm doch eben ein ganz
luſtiges „Ding zu feyn, daß Iwein ftirbe, und
während der Juͤnglingsleichnam in die Gruft
gefenft wird, mag der buhlerifche Greis wohl
. froberzig mit Edilberthen am Altare ſtehn. —“
Uber diefe Gedanken vermochte er kaum auf
zudenfen. Vielmehr war ed, ald greife eine
eifige, firengwarnende Hand bagwifchen in feine
Bruft hinein. Er wandte fih wie von fih
felbft zuruͤckk in ehrerbietiger Schen. Zugleich
auch hörte er ganz vornehmlich Selma’d wuns
Derfame Harfen aud dem Innern der Fingalspalle
Taufchen, und gerieth in einen lieblich fchauerlichen
Zufland, von dem er nicht eigentlich wußte, war
ed Wachen, war es Schlaf.
u
4
„Und alle, ale Selma’dharfen tönen,
Und alle tönen feiernd von der Schönen, |
Und alle huld'gen ihr von Derzen fehr,
Und feine Schmähung gab's und giebt «4
mehr.
Und du hier in den heil gen Felfenhallen,
Siehſt du hier deine Lebensbilder wallen ?
Halb iſt ed Zubunft, halb Vergangenheit,
Was fi um dich im dunfeln Tanze reiht
nn — — nn — nn —— —
25
Wer war der Knabe, den ein heimlich Zittern -
Dft forttrieb nach des Drientd Lichtgewit⸗
tern ?
Der auf der vielverfchlungnen Kreuzedfahrt
Nachher ald Sieger Siegern war gefchaart ?
D wie fo viel der Helden dort bu Fanntefll
D wie bu hell in Sreundfchaftsflamme
branntefl!
Ach, damals war «8 fo gar fehöne Zeit.
Befinn’ dich, Heid! Iſt fie dir ewig weit ?
. De Morgen naht. Nimm jet dich noch zus
fammen!
DenP wie im Blut des Wechſelmords ver⸗
ſchwammen
Oft Helden, die geliebt ſich und geahnt, —
0 dent' an Oſſian, der dich warnt und
mahnt!“
Staunend ermunterte ſich Gualterus zum vol⸗
fen Bewußtſeyn, während die Sonne bereits ihre
erften Lichter in die Selfenhalle fandte. Er Tannte
die Oſſiansſagen wohl, und wußte, wie in jenen
uralten Tagen oftmald Kämpfer voll unfeliger,
vermuthlich zauberifcher Verblendung ihr Liebſtes
sum Tode getroffen hatten, bald der Vater ben
Sohn, bald der Brätigam die Braut, went
25
Be eben meinten, den. verhaßteflen Seind an den
Boden zu ſtrecken. Eine Yeltfame Ahnung ergriff
fein Herz. „Waͤr' es moͤglich,“ dachte er, „daß
Edilberth⸗? Er bebte. Aber bald wieder
gefaßt, ſprach er ganz laut: „o wir fechten ja
nicht hinter verhuͤllenden Bifieren, und feit fich
Walters Geſicht zum frechen Hohn uͤber Edil⸗
bertha verzog, iſt es mir wahrhaftig in ſeiner
Verhaßtheit bekannt genug, um es mit keinem
andern Antlig auf Erden zu verwechſeln. Den
ſchoͤnen Ruhm doch ſoll mir der ſtolze Gual⸗
frebo nicht rauben, daß ich fuͤr meine Herrin, —
ja auch im Grund fuͤr ihn ſelber mit — dem Tod
oder dem Siege recht freudvoll entgegengeſchrit⸗
ten bin.“
Und jetzt eben tönte das wohlbekannte Waid⸗
und Kampfhorn Walters von den Bergen her⸗
uͤber, und er ſelbſt, einen leichten Sturmhut
auf dem Haupt, ein klirrendes Schlachtſchwert
an der Seite, ſonſt aber im blanken, luſtigen
Jaͤgerwamms fchritt. blafend herunter in das
Thal.
Dem Gualterus ward ed vor dieſer Erſchei⸗
nung nur noch zorniger zu Sinn: grade weil
ihn ſo bekannte, einſtmalen vertraute Züge das
Bei anlächelten, und weil ed ihm vorfam, ald
offenbare Walter eben in diefem Augenblick einen
noch herbern , verhöhnendern Trotz.
29
Gualftedo im Nähertretenden erfannte, denn
ach, ber mochte ihm vielleicht eine gar fchwer
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja doch
aus der begeifternden Edilbertha Nähe, und
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Nachtheis
figed vom Nitter Qualterus vorgeſchwatzt! Konnte
ja wohl gar Iwein geftorben feyn, und der heim⸗
lich gewaltige Fremde irgend ein Recht gewonnen
haben auf Edilbertha's Liebe und Treue, feinen
Greiſenlocken und feiner oft furdhtbaren Schroffs
heit zum fiegenden Trotz! Denn diefer— dag fahe -
man — vermochte unausfprechlich viel über das
Leben, und wohl dad Ungewöhnlichfte, Unerhortefte
mochte ihm grade daß Reizendfte und Anlodendfte
ſeyn. Dennoch empfand Gualteruß feinen Uns
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth noch
unendlich gefleigert. Freundlich und auf Alles,
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem
wunderlichen Fremdling die Hälfte feined moos⸗
bedeckten Schwellenfißes ein,
Qualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter
dankender Geberde an: er fihien erfhöpft, aber
nur erfchöpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen.
„Ihr kommt wir ja fo betrübe vor ;” fragte
er mit fanfter Theilnahme, „Wie ift es denn
mit Euerm Zweikampf abgelaufen 2°
„Mein Gegner blutet,“ erwiederte Gualtes
rus, „aber vielleicht bare ich Flüger gethan, den
/
26
verfah, war man wiederum aufgefprungen, und
hatte fi) auf’ neue zum Kampf um Tod und
Leben, um Schmach ober Ehre gefaßt und wieber
mußten fie untereinander ablaflen, und ihren Sig
auf den Brabfteinen nehmen. . |
In ſolchen feltfamen Zmwifchenräumen, bald
ded Kampfes, bald der Ruhe, war ihnen endlich
der ganze Tag vergangen, und obgleich bereits
der Spätabend hernieder dunfelte, hatte doch
‚ Keiner von ihnen eine Wunde aufzuzeigen, noch
minder faft Eonnte fich Jemand. auf irgend eine
Art im Vortheil glauben. Wechfeldweife hatten
"fie dabei Einer aus bed Undern Flaſche getrunfen,
und Einer von ded Andern mitgebrachtem Bor:
rath gezehrt. Aber der alte Grimm blieb wach,
oder entflammte fich vielmehr nach jedem unent
ſchiednen Gange immer gewaltiger.
Da fuhr man endlich bei fchon ganz tief herr
eingebrohnem Dunfel fo gewaltig wider einander
106, daß an Fein geſchicktes Ausweichen, an fein
gewandted Pariren mehr zu denken war. Blitz⸗
gewaltig, und eben fo. bligesfcharf und ſchnell
fihhmetterten bie Siebe, ſchwirrten die Größe
durcheinander hin und über einander ber, und
plöglich aus Walters zerhau'nem Sturmhut quoll
ein rother Strom, nnd ohnmädhtig feufzend taus
melte der noch Faum fo frifche Fechter zuruͤck,
fluͤſternd: „trag nich in Finglas Höle, Geſell.
27
Der Abend wird fchon fo tief, und die Kobolde
lärmen. Trag' mich hinein, und feß’ dich an
ben Eingang, und davor.hin leg kreuzweiſe dein
Schwert und meined. Sonft weichen fie nicht
von und, und ich Fann fie jegt nicht ertrager.
Willſt du denn thun, lieber Qualterus, wie ich
dich bat?“
Und es gefchah nach des vermundeten Juͤng⸗
lings Worten, nachdem ihn der fieghafte Geg⸗
ner achtſam und liebreich verbunden hatte,
—— — v
Draußen laͤrmten die Kobolde ſeltſamlich.
Walter, in halber Ohnmacht, und weit in's
Innre der Hoͤle gebettet, vernahm nichts davon,
aber die vorgeſchriebne Stelle am Eingange huͤ⸗
tend, konnte Gualterus deutlich hoͤren, wie ſie
untereinander zankten. Endlich fuhr der alte
Hauskobold aus Walters Burg eilig, wie ge⸗
hetzt, auf einem ſchwarzen Hahn durch die Luft
voruͤber; ein ganzes Heer von kleinen abſcheuli⸗
chen Geftalten- zürnend hinterbrein. Uber der
Alte drehte fich lachend nad) ihnen um, und
fang mit heifree Stimme:
Hält ja doch jeder fein Haus gern rein!
Sollte fein Blut in mein’d herein !
Hab’ ſie ja nur bier heraus aebracht,
Habt ja nun doch ne huͤbſch biutige Nacht 3°”
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26
verfah, war man wiederum aufgefprungen, und
batte ſich auf?8 neue zum Kampf um Tod und
Leben, um Schmach oder Ehre gefaßt und wieder
mußten fle untereinander ablaffen, und ihren Sig
auf den Grabfteinen nehmen. |
In folchen feltfamen Zwifchenräumen, bald
ded Kampfes, bald der Ruhe, war ihnen endfid
der ganze Tag vergangen , und obgleich bereird
der Spätabend hernieder dunfelte, hatte doch
‚ Keiner von ihnen eine Wunde aufzuzeigen , noch
minder faſt konnte ſich Jemand auf irgend eine
Art im Bortheil glauben. Wechſelsweiſe hatten
"fie dabei Einer aus des Andern Slafche getrunfen,
und Einer von ded Andern mitgebrachtem Bors
rath gezehrt. Aber der alte Grimm blieb wach,
oder entflammmte fich vielmehr nach jedem unent
fhiednen Gange immer gewaltiger.
Da fuhr man endlich bei ſchon ganz tief her»
eingebrohnem Dunkel fo gewaltig wider einander
108, daß an Fein geſchicktes Ausweichen, an fein
gewwandted Pariren mehr zu benfen war. Blitz⸗
gewaltig, und eben fo bligesfcharf und fehnell
fihmetterten die Hiebe, ſchwirrten die Stoͤße
durcheinander hin und über einander ber, und
ploͤtzlich aus Walterdzerhau'nem Sturmhut quoll
ein rother Strom, nnd ohnmaͤchtig feufzend tau⸗
melte der noch kaum ſo friſche Fechter zuruͤck,
fluͤſternd: „trag ich in Finglas Hoͤle, Geſell.
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27
Der Abend wird fhon fo tief, und die Kobolde
laͤrmen. Trag' mich hinein, und fe’ dich-an
den Eingang, und bavor,hin leg kreuzweiſe dein
Schwert und meines. Sonft weichen fie "nicht
von und, und ich Fann fie jegt nicht ertrager.
Willſt du denn thun, lieber Gualterus, wie ich
dich bat?“
Und ed gefchah nach ded verwundeten Yüngs
fingd Worten, nachdem ihn der fieghafte Gegs
ner achtſam und liebreich verbunden hatte,
— — e
Draußen laͤrmten die Kobolde ſeltſamlich.
Walter, in halber Ohnmacht, und weit in's
Innre der Hoͤle gebettet, vernahm nichts davon,
aber die vorgeſchriebne Stelle am Eingange huͤ⸗
tend, konnte Gualterus deutlich hoͤren, wie ſie
untereinander zankten. Endlich fuhr der alte
Hauskobold aus Walterd Burg eifig, wie ges
best, auf einem ſchwarzen Hahn durch die Luft
vorüber ; ein ganzed Heer von Beinen abſcheuli⸗
chen Geflalten- zürnend hinterdrein. Aber der
Alte drehte ſich lachend nad) ihnen um, und
fang mit heiſter Stimme :
Hält ja doch jeder fein Haus gern rein!
Sollte fein Blur in mein’s herein !
Hab’ fie ja nur hier heraus aebracht,
Habt ja nun doch 'ne huͤbſch blutige Nacht I"
4 —— 9—
28
Da jauchzten die andern:
„Sr bat ja’ aud Recht!
Hat ja aud) Recht!
Iſt ein recht luſtiger, greiſiger, neckiſcher
| Knecht!“
Und fie huben allzumal einen wilden Tanzes⸗
reigen an. Uber da erwachten wehmüthig feiernd
die Darfenflänge von Selma, und weit hinaus
nach fernen Gegenden des Waldes verſlaͤubte das
tolle Gewimmel.
nz al
Bon tiefer, ihm ſelbſt nnverſtandner Wehr
muth befangen, faß Gualterus am Eingange ber
Fingals halle ganz fill und regungslod. Ihm war
zu Muth, ald ob er innerlich im heißen Weinen
zerflöffe, und dabei rann Feine einzige Thräne
über feine Wange, — er fühlte eine flechende
nagendeiingft, ohne zu wiffen, wovor und warum,
und dennoch, wie er fich dieſer Angſt endlich ganz
hingab im demuͤthigen Erwarten, was eigentlich
daraus werden folle, ward ihm plöglich wieder
ganz unbefchreiblich wohl und heiter zu Sinn.
Derweil kam Jemand von der Haibe herauf
nad) der Felfenhalle gefshritten. Jede Störung
war jet freilich dem Ritter hoͤchſt unwillfommen,
md ganz vorzaglich diefe, da er den wunderlichen
%
29
Qualfrebo im Nähertretenden erkannte, denn
ach, der mochte ihm vielleicht eine gar fchwer
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja doch
aus Der begeifternden Edilberthba Nähe, und
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Nachtheis
figed vom Ritter Qualterus vorgeſchwatzt! Konnte
ja wohl gar Iwein geftorben feyn, und der heims
lich gewaltige Sremde irgend ein Recht gewonnen
haben auf Edilbertha’d Liebe und Treue, feinen
Greiſenlocken und feiner oft furchtbaren Schroffs
heit zum fliegenden Zrog! Denndiefer— das fahe -
man — vermochte unaußfprechlich viel über das
Leben, und wohl dad Ungewoͤhnlichſte, Unerhörtefte
mochte ihm grade das Reizendſte und Anlockendſte
ſeyn. Dennod empfand Gualteruß keinen Uns
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth noch
unendlich gefteigert. Treundlich und auf Alles,
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem
wunderlichen Zremdling die Hälfte feined moos⸗
bedeciten Schwellenfiße® ein.
Gualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter
danfender Geberde an: er fihien erfhöpft, aber
nur erſchoͤpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen.
„Ihr kommt wir ja fo betrübt vor;“ fragte
er mit fanfter Theilnahme. „Wie ift es benn
mit Euerm Zweitampf abgelaufen 7’
„Mein Gegner blutet,“ ermwieterte Gualtes
zus, „aber vieleicht bare ich Flüger gethan, den
30
ganzen Streit ungeſochten zu laſſen, und, mir iſt
in dieſer Ahnung ſehr unbehaglich zu Muth.“
Der Alte lachte wieder recht herzlich. Da
blickte ihn Gualterus in erneuter Unzufriedenheit
an, und fragte nach einer Weile:
„Sagt nur, Herr, warum ed Euch immer
zu lachen beliebt, wenn Ihr mich unzufrieden
ſeht, und weßhalb Ihr dagegen recht mürrifche
Geſichter zieht, wenn mir einmal die heitre Klar⸗
heit ded Lebens in Kraft und Freudigkeit aufgeht !’
„D Bott,‘ rief Gualfredo Tächelnd aus, „die
Sehe ift bei weitem fo fpigfindig nicht, ald Ihr
in Euerm grübelnden Berftande fie Euch vielleicht
denken mögt. Aber fangt deßhalb Feine Händel
mit mir an. Grade wenn Ihr mir dabei eine
“ Stahlfpige durch die Bruſt renntet, möchtet hr
noch verdrießlicher werden , ald hr, es feit dem -
heutigen fieghaften Gefechte fhon geworden ſeid.
Wenn Ihr indeß wiſſen wollt, woher jenes mein
Lachen und Truͤbſeyn wechſelt, ſo hoͤrt mich geru⸗
big an. Die Geſchichte, die ich erzaͤhlen will,
betrifft Euch naͤher, als Ihr denkt.“
„Habt Ihr was von Edilbertha zu erzaͤh⸗
len?“ fragte Gualterus mit uͤberwallendem Herzen.
„Auch das, mein junger Freund,“ entgegnete
der Alte: „nur wollte ich es erſt nachher thun.
Aber Ihr mögt recht haben. Es iſt beffer, ich
fange gleidy damit an. Die Art, wie Ihr es
v
29
Gualftedo im Nähertretenden erkannte, denn
ach, der mochte ihm vielleicht eine gar fchwer
zu tragende Borfchaft bringen. Kam er ja dody
aus der begeifternden Edilbertha Nähe, und
hatte ihr vielleicht wer weiß wie viel Ntachtheis
figed vom Ritter Qualterus vorgefYwagt! Konnte
ja wohl gar Iwein geflorben feyn, und der heims
lich gewaltige Fremde irgend ein Recht gewonnen
haben auf Edilbertha's Liebe und Treue, feinen
Greifenlocden und feiner oft furchtbaren Schroffs
heit zum fiegenden Trotz! Denn diefer— das fahe -
man — vermochte unausfprechlich viel über da '
Leben, und wohl daß Ungewoͤhnlichſte, Unerhortefte
mochte ihm grade dad Reigendfte und Anlockendſte
feyn. Dennoch empfand Gualterus feinen Un
willen, fondern nur feine inn’re Wehmuth nod)
unendlich gefleigert. Freundlich und auf Alles,
was er zu hören habe, gefaßt, räumte er dem
wunderlichen Fremdling die Hälfte feines moos⸗
bedeuten Schwellenfige® ein.
Gualfredo nahm diefe Höflichkeit mit heiter
dankender Geberde an: er fihien erfchöpft, aber
nur erſchoͤpft von recht freudigen Herzensſchlaͤgen.
„Ihr kommt wir ja fo betrübt vor ;‘’ fragte
er mit fanfter Theilnahme. „Wie ift es benn
mit Euerm Zweikampf abgelaufen 2°
„Mein Gegner blutet,“ erwiederte Gualtes
rus, „aber vielleicht bare ich kluͤger gethan, dem
Bun;
“+
82
Gualterus ruhig. Dann aber fügte er etwas
ſtolz hinzu: „Doch freilich richten ſich meine
Wuͤnſche auf einen irdifhen Berein, auf den,
daß Edilbertha mir unveränderlich ihre hohe,
begeiſternde Freudſchaft bewahren ſoll, und mich
. Ieiten mie ihres Maren, gotterhellten Geiſtes
Lichtſtrahl zu manchem ſchoͤnen und heilbringens
ten Schaffen. Und Hat: irgend Jemand etwas
dawider einzuwenden 7
„Ich hab' Euch ja ſchon erklaͤrt,“ lachelte
Gualfredo, „daß ich durchaus nicht gefünnen bin,
Händel mit Euch anzufangen. Und am wenige
ſten jegt, da thr mir ausnehmend wohf gefallt!
Zwar ein ziemliches Gewichtchen Ueberſtolz druͤckt
noch immer in Eure Schale, und beſtrebt ſich, die
meine etwas unartig und heftig in die Hoͤhe zu
ſchnellen. Aber laßt nur! Ich falle wohl deß⸗
Halb doch nicht heraus, und laſe mir ſolche
ernfihaftgemeinte Spaͤßchen von wadern jungen
Leuten recht gern gefallen. Hoͤrt nun achtſam
auf meine Befchichte, denn ich fange an.
„In jenes wunderliche Upenninenflofter, um
deffen Zerfidrung willen der tolleRotaldo bluten
mußte, trat — vor nun fhon mehr ald dreißig
Jahren — ein Jüngling edlen Stammes ein,
von ausnehmend ſchoͤner Geftalt, und überhaupt
it jeglicher Gabe zu Freuden und Ehren ganz
überreichlich geſchmuͤckt. Der Hatte nun feinen
‘
55
Sinn ganz und gar darauf gefeht , daß er nie |
Mönch werden wollte, und ald ihn die Väter
über dad Warum befragten, meinte er, es be
dünfe ihn eben biefe Unternehmung der aller⸗
ſchwerſte und Fühnlichfte Nitterzug zu feyn, den
irgend ein Menfch auf Erden unternehmen konne,
und grade einen ſolchen Ritterzug habe er ſich
vorgeſetzt, im Bewußtſeyn der eignen, beinah
ganz übernatürlichen Kräfte, ſtark.
„Beil nun eben jeßt die Zeit berannafete ‚wo
man das Losbrechen eined wahnmwigigen Herens
ritterd befürchten mußte, nahm der Abt mit
dem Klofterfonvent im Einflang um fo Tieber
den neuen Gefellen auf, hoffend, vor deſſen uns
verfennbarer Geiſteskraft müffe entweder der arge
Fluch auf nun und immer verflicben, ober
fhlimmften Falls werde man durch Hülfe des
ritterlichen Ankoͤmmlings den Toßbrechenden Bes
feffenen viel Fräftiger und entſcheidender baͤndigen
können.
„Es ſah auch Anfangs Alles darnach auf,
als ſolle die Hoffnung der frommen Bruͤder in
Erfuͤllung gehn. Betrug ſich ja der kraͤftige
Noviz — Bruder Fredegundo ward er auf ſein Ver⸗
langen genannt — hoͤchſt demuͤthig und voll nie ge⸗
ſehener Geiſtes⸗ und Willenskraft! Waren ihm ja
die ſchwerſten Uebungen zu leicht! Das ange⸗
ſtrengteſte Faſten zu oberflaͤchlich! Man glaubte,
Geſpenſterbuch 7. Theil. 6
se
Gualterus ruhig. Dann aber fügte er etwas j
ſtolz hinzu: „Doch freilich richten ſich meine
Wuͤnſche auf einen irdiſchen Verein, auf den,
daß Edilbertha mir unveränderlich ihre hohe,
begeiſternde Freudſchaft bewahren ſoll, und mich
leiten mit ihres klaren, gotterhellten Geiſtes
Lichtſtrahl zu manchem ſchoͤnen und heilbringen⸗
den Schaffen. Und hat irgend Jemand etwas
dawider einzuwenden ?
„Iqh dab’ Euch ja ſchon erklaͤrt,“ lachelte
Gualfredo, „daß ich durchaus nicht gefünnen bin,
Händel mit Euch angufängen. Und am wenige
“ fien jegt, da ihr mir ausnehmend wohl gefallt!
Zar ein ziemliches Gewichtchen Ueberſtolz drückt
noch immer in Sure Schale, und beftrebt fich, die
meine etwad unartig und heftig in die Höhe zu
ſchnellen. ber Taßt nur! Ich falle wohl deß⸗
halb doch nicht heraus, und laffe mir foldhe
ernfrhaftgemeinte Späßchen von wadern jungen
Leuten recht gern gefallen. Hoͤrt nun adırfam
auf meine Gefdichte, denn ich fange an.
„JIn jenes wunderliche Apenninenklofter, um
deſſen Zerflörung willen ber tolleRotaldo bluten
mußte, trat — vor nun ſchon mehr al6 dreißig
Jahren — ein Jüngling edlen Stammes ein,
von audnehmend ſchoͤner Geflalt, und überhaupt
wit jeglicher Gabe zu Zreuden und Epren ganz
- überreichlich geſchmuͤckt. Der Hatte nun feinen
2
55
Einn ganz und gar darauf gefeht, daß er nie
Mönch werden wollte, und als ihn die Väter
über dad Warum befragten, meinte er, es be
dünfe ihn eben diefe Unternehmung der aller,
fhwerfte und kuͤhnlichſte Kitterzug zu feyn, den
irgend ein Menſch auf Erden unternehmen konne,
und grade einen ſolchen Ritterzug habe er ſich
vorgeſetzt, im Bewußtſeyn der eignen, beinah
ganz uͤbernatuͤrlichen Kraͤfte, ſtark.
„Weil nun eben jetzt die Zeit herannahete ‚wo
man das Losbrechen eined wahnmwigigen Hexen⸗
ritters befürchten mußte, nahm der Abt mit
dem Klofterfonvent im Einklang um fo lieber
den neuen Gefellen auf, hoffend, vor deffen uns
verfennbarer Geiftedfraft müffe entweder der arge
Fluch auf nun und immer verftieben, ober
fhlimmften Falls werde man dur Hülfe des
titterlichen Ankoͤmmlings den losbrechenden Bes
feffenen viel Fräftiger und entſcheidender baͤndigen
konnen.
„Es ſah auch Anfangs Alles darnach aus,
als ſolle die Hoffnung der frommen Bruͤder in
Erfüllung gehn. Betrug ſich ja ber Fräftige
Noviz — Bruder Fredegundo ward er auf fein Vers
langen genannt — hoͤchſt demuͤthig und voll nie ges
fehener Geifted s und Willenskraft! Waren ihm ja
die ſchwerſten Uebungen zu Teicht! Das ange
fitengtefte Faſten zu oberflädlih! Man glaubte,
Geſpenſterbuch 7. Theil. 6
34
‚und beinaf auch mußte man’s glauben, eined recht
"auserlefenen Glaubenshelden theilhaftig worden |
zu ſeyn, und nahm ihn nach Jahresfriſt trium⸗
phirend in die volle Gemeinſchaft der Brüder auf.
‚And immer Allen voran blieb Fredegundo
in jeglichen Aft der Werläugnung und Oberger
walt über das irdifche Thun und Laſſen, und
fteigerte die ganze Kloftergemeinde immer mehr
und mehr, fo.daß fie zulekt in der ganzen ums
liegenden Gegend mehr für einen Kreis von
Engeln ald von Menfchen galt.
nn diefer glänzenden Epoche fagte auch
Bruder Fredegundo dfterd vor feinen Gefährten,
— ja fogar bisweilen in den Predigten, die er
in der Klofterfirche vor dem von allen Seiten
zuſtrbmenden Volke hielt, — eben um der Bers
ſuchung willen, mit welcher dieſes Kloſter bedroht
fei, habe er ſich aus feinem jungen, fröplichen
Nitterftande hier hereinbegeben, wohl wiffent,
"feine ihm durch Gott angeborne Heldenkraft reiche |
bin, dad Alled, und wohl noch taufendmal mehr
zu befiegen.
uUnd dann pflegte auf feinem Angeficht eine
Sieges gewiß heit zu leuchten, die ſich allen Hod⸗
‚tern mittheilte, fo daß es ſchien, als ſei der
Arge, und all das Arge, welches er zu ſtiften
vermoͤge, in dieſem gluͤcklichen Kreiſe für ale
Zeiten bezwungen.
39°
„Da warb aber am Ende ganz was Selts
ſames aus diefer dreiften Zuverſicht.
„Denn in einer ſehr entſetzlichen Nacht, wo
te wildeſten Unwetter in Sturm und Blitz und
Dagel über das Apenninenkloſter hereinbrachen,
ınd die Bergwaſſer zuͤrnend aus ihren Ufern
ollten, und viele Klippenhäupter wie toll und
ſchwindelnd von ihren fteilen Sigen verderblich
in dad Thal hinunter fehmetterten, — in eben
tiefer Nacht auch fprang Bruder Gredegundo ents
ſetzlich heulend von feinem Lager auf, und Brady
die Zellen der Brüder, und hätte fie wohl alla
zumal erwürgt, wenn nicht die Morbbegier ihn
immer, weiter geriffen hätte von Einem zum Ans
dern, bevor noch irgendwo die höllifche That zu
Ende gefommen war. Über vor Entfeßen und
Athemloſigkeit halbtodt Tagen Abt und Möndye
in ihren Zellen, während Sredegundo mit übers
oder untermenfchlichen Kräften das Thor ſprengte,
und hinausräfete ald der befeflene, wahnwigige
Klofterritter in die weit und breit erſchreckende
Welt.“
Erſchoͤpft hielt der alte Gualfredo inne; bei⸗
nahe zitternd, und doch von der innigſten Theil,
nahme gluͤhend, fragte ihn der Provenzal:
„Was iſt denn aber ſeitdem aus dem um
gluͤcklichen Helden geworden? Und wiefonnte er
doch nur fo entfeglich fallen und fo ſchnell 2"
62
38
Bald zuͤchtigende, bald lockende Wort, habe ich
freilich der abfcheulichen Unthaten gar viele ver
Adt in meinem zauberifchen Wahnwig. Eineter
Ichlimmſten gefdah in der Gegend von Marfeille
Gewaltfam ri ich eine Nonne aus dem Klofier;
‘dann bethörte ich fie durch buhleriſche Zauberav
fänge, und fie ließ im toller Berbiendung fich mir
antrauen, nachdem ich in meiner abſcheulichen
Teufelsgewalt Stadt und Gegend dermaßen unter
mich gezwungen hatte, daß die beaͤngſteten Klos
ſterfrauen Feine Klage wider mid) zu erheben wags
ten. Aber aldbald überdrüffig meiner befriedigren
Luft, — welches denn im Kleinften und Größter
aller ungdttlichen Menfchen Art zu feyn pflegt, —
Veß ich die Geliebte und dad Kind, dad fie mir
gebar, in eined tapfern Burgherrn Schug, und
eilte Bier nach Schottland in die wilden Berge
herauf, reiht um abzuftreifen jeded Band , wel
ches mir noch die grüne, friedliche Erte — als
mahnend an den blauen, feligen Himmel — zu
flechten vermöge. Was halfes! Die tolle Wuth
- zwar faß, wie feſt hinten auf meinen Sattelbogen
gekauert, mir auf dem Roſſe mit, und trieb mid
ungebändigt aud Kampf in Kampf, und ax
Blut in Blut. Über auch die verlockende Liebes
luſt war dabei, undunverfehns lag ich in neues
Minnebanden ganz überwältigt fell. Davor
mußte der Bater und der Bräutigam meind
89
vergoͤtterten Madchens in's Todesblut fallen;
Sie ſelbſt entfuͤhrte ich nach einer unbewohnten
Infel, und baute ihr dort, unter dem-Beiftand
bezwungner Knechte, und wunderlicher, mir un»
terworfner Geiſter, ein ſeltſames Schloß. Sie
ſtarb uͤber der Geburt unſers Kindes, und da
ſchlug ich zuerſt einigermaßen in mich. Deßhalb,
als ich dem Knaben eine oe Heldenburg
gewonnen hatte‘, und Wiefen und Forſten und
Meder umber, binterfieß ich dem beſtallten Vor⸗
munde, es ruhe ein firenged- Geluͤbd auf. dem
Kleinen , daß er — dereinſt erwachfen — diiit
Kreuzfahrt nach Paldfline Yun muüſſe.“ --!
„Auch mein Waffenmeifler in’ der Provence
— ſtammelte Gualterud “= redete von ' einem
ſolchen Gebot meined verfcholfnen Baterd;' Kur
dad es erfi lange nach feinem Verlchwinden au
und hingediehen ſei.“
„Laß doch nur jetzt deinen Vater aus bem
Spiel!“ unterbrach ihn Gualfredo mit einiger
haſtigen Aengſtlichkeit. „Hoͤre doch lieber dafuͤr,
wie es mir fuͤrder auf meinen Irrfahrten erging.
— umherſtuͤrmend ohne Raſt und ohne Rub,
nur kaum gedenkend noch der fruͤhern Liebe und
des fruͤhern Schmerzes, ward ich da hin gerifſen
und dort hin: immer tiefer hinein in den unbe⸗
sreiflichen Zaumel. Aber immer auch Mang“ eb
wie Nachtigallenſang mir nach, mitten durch alles
!
— —E
40
Betäubende Gewirre durch: „du wurbdeſt ja doch
fa ſehr geliebt, und haſt ja auch fo ſehr geliebt!“
— Damit waren. meine ſtillfrommen Jahre ger
meint, — ich wußt' es wohl, aber. ich kehrte
mich viel zu wenig darnach hin, im eitefn Stolz
mich uͤberredend, nur hoͤchſtens auf meine welt
Ken Eichfhaftep Aörfe- Mi dicler hodernf
Meruſ;. beꝛiehn..
„Ach, Sualteruß ,.. ba, iſt mir zulege eine
Erſcheinung begegnet, welche mir meine volk
Suͤndhaftigkeit reeht unwiderfprehlih in’d Ges
muͤth bereinftralte durch. den ganz endlofen Abs
fand von ihr zu mir, Und fiehb, da getieh «6
sum sigentlihen Mendepunft, und zum Anfang
meiner Errettung unb Befehrung, Die Erfcheir
nung. aber war Edilbertha.“ —
u „Bit denn!“ fiel ihm Gualterus in die Ro
be „Da müßte Ihr Sach ja erſt feit ganz
Zurger Zeit befehrt haben, !’'
„So ift es auch;“ entgegnete mit einem
feufzenden Lächeln der Alte „Zwar fam mir
Anfangs — es find ayn fünf Jahre feitdem vers
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor bie
Augen, dad ein Punftreicher Mahler, ‚von biefer
Engelsklarheit ergriffen, auf feinen Reifen durdy
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner
frommer Freude gefertigt haite. Aber alles, was
man fündhaft in mir nennen Fonnte, war feit
4
jenem Augenblicke — wenigſtens in Bezug auf
Edilberthen — ab und todt. Eine Ahnung der
ſeligen Himmelöwelt gewann ſich meinen ganzen
Sinn zum vorwaͤrtsſtrebenden ſeligen — Segel
moͤcht' ich ſagen, weil ja der glüdlichleitende
Dimmeldhauc auf ähnliche Art xettende Gewalt
ausube über ein bis dahin wild ‚swifchen den
Salzfluthen irrendes Schiff.
„Run wußt' ich auf einmal, wohin ich mich
gu wenden hatte, nämlich in mein eigned Innre
hinein, um dafelbft den Netter zu finden, der
über allen Himmeln thront. Ich ſuchte, mein
junger Freund, ich ſuchte, und — verſteht
ſich, daß ich fepr.ernfihaft fuchte, —
und, Gott ſei geprieſen! ich fand! —
In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine
Yugen, und, weinte noch weit fchönere Freudent
thraͤnen ald vorhin. Dann redete er auf gefeßte
Beife in folgenden Worten fürder:
„Da ift mir denn Berföhnung geworden: zu
Anfang nur mit einzelnen Menſchen und Provins
zen, zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Viel
des Schweren und Mübfamen ward mir zu volls
bringen aufgegeben , aber ich rang mich ehrlich hin⸗
durch, und endlich — grade indem ich den wilden
Noralde in fein Blut geflürzt hatte, ihn rächerifch,
nad feinem eignen Begehr ald der entfeliche Klo⸗
ſierritter erſcheinend, — endlich ward mir aus des
Pr ww
36 .
„Ich will dir deine letzte Frage zuerſt beant⸗
worten,“ ſprach Gualfredo, „und dabei follſi du
gngleich erfahren, was es eigentlich zu bedeuten
Hat mit. meinem dir fo wunderlid vorfommens
den Lachen und Truͤbſeyn. — Sieh nur, mein
lieber, junger Held, wär «d dem Fredegundo
nicht eingefallen, er fiche auf eignen Beinen
secht ganz und gar und unerfchütterlich feft, und
es liege nur an ihm, die allerentfeglichften Ber:
fuchungen aufzufinden, um feldige an feiner eignen
werthgeſchaͤtzten Zrefflichfeit machtlos zu Schanden
werden zu fehn, — ja, wär er nie auf bie
und ähnliche Einfälle gerathen, da hätte er wohl
lange in gottgefälligen Ehren und Herrlichfeiten
Ieben mögen zu feiner und aller Welt Sreude,
und von jenem entfeßlichen Sturz wär" nimmer
sieht die Rede gewefen. Aber wer die Gefahr
ſucht, kommt darin um, und grade dic) um
Zommen zu fehn, Qualterud, — «6 hätte mir
da8 eigne Herz geſpalten. Mußte ich denn de
nicht finfter werden, wenn du auf eigne Kraft
pochteſt, und auf Willendgewalt und meinte
Eiwas ju ſeyn? Und durfte ich nicht fröhlich
lachen, wenn dir die Unzulänglichfeit deiner Thaten
recht ordentlih in’! Gemuͤth trat, und beine
eigne Urizufänglichleit ? Und weil dieß, o lieber,
lieber Qualterud, body giemlich oft gefchicht, hoffe
ih auf unauöfprecyliche Freude für dich und mich
37
hienieden im ruͤſtig ehrbaren Thun, dort jenfeits
in ungesträbter Seligkeit!“.
Und wieder fchlang er die Arme freundlich um
den jungen Ritter, und weinte noch innigere
Freudenthraͤnen, ald vorhin. -
Ein wunderbar ahnungsreiches Beben ciefelte
durch Gualterus GSebein: — „Wer ſeid Ihr,“
ſtammelte er, „wer ſeid Ir, webe imnigreicher
Held?“
„Du mußt dich nur nicht entſehenz. wie
derte ber Alte fehr ernfihaft; „dann ich will dir’6
wohl fagen.... Ych bin nämlich jener ehemals
verherte und aräulich. tolle Klofterritter ſelbft.
Aber mache dich nicht von mir los, ach bitte,
thue das nicht! Hat ich ja dorh die ewige Gug⸗
de ſelber recht Deutlich meiner erbarmt ! — Wie daß
habe zugehn koͤnnen ? meinft bu ?— Ja, von dem
Wie — da vermag ich dir nichaMecdhenf haft zu
geben‘, und wer quch vermochte. tab! Uber ed iſt
geſchehn, ed tft wahrhaftig gefchehn ; ich weiß 48
mit voller, berzendfrahficher Gwißgeit! , ;
Und alles Zittern in: Gualterud Bebeinen
ward zus jubelnden , zuverfirhtlichen Kraft. Kan
te ja doch ninsmermehr Läge kommen aud- einer
folhen Stimme! >
Der Ulte aber fuhr bedaͤchig fort: ft
„Eh' ich meinem Heil entgegengetrieben, uud
ſpaͤterhin feiner vergewiſſert wart durch da inurg,
ei)
Bar gächtigende, bald lockende Wort, Habe id
freilich der abſcheulichen Unthaten gar viele ver
'98t in meinem zauberifchen Wahnwig. Eine de
Fhlimmften geſchah in der Gegend von Marfeille
Gewaltfam riß ich eine Nonne aus dem Klojier
"dann bethörte ich fie durch buhlerifche Zauberae
ſange, und fie ließ im toller Berbiendung ſich mis
antranen, nachdem ich in meiner abfcheuliche
Teufels gewalt Stadt und Gegend dermaßen una
mich gezwungen hatte, daß die beängfleten Klcı
ſterfrauen Feine Klage wider mic) zu erheben wagı
em. Aber alsbald überdrüffig meiner befriedigen
Luft; — welches denn im Kleinften und Größter
ler ungdttlichen Menſchen Art zu feyn pflegt, —
Tu ich die Geliebte und das Kind, das fie mir
debar, in eined tapfern Burgherrn Schug, und
eilte Hier nach Schottland in die wilden Berg
herauf, techt um abzuflreifen jedes Band, wel
ches mir noch die grüne, friebliche Erde — all
wmahnend an den blauen, feligen Himmel — jı
flechten vermöge. Was half es! Die tolle Wuth
Zwar faß, wie feft hinten auf meinen Sattelboga
gekauert, mir auf dem Roſſe mit, und trieb mid
imgebändigt aud Kampf in Kampf, und au
Blut in Blut. Aber auch die derlodende Liebek
luft war dabei, und unverfehns Tag ich in neun
Mönnebanden ganz überwältigt feſt. Davır
mußte der Water und der Bräutigam meind
45
„Das iſt ja eben Dein Bruder, der mit und
in den Tempferorden treten follte, und. nun haft
du ja deinen Bruder erſchlagen, o mein Sohr
Gualterus! Ach, nun werd’ ich nie wieder lachen
können , denn verdorben hat ja dein frecher, auf fich
felbft beharrender Hochmuth mein armes Lachen auf
immer!“ Pan)
Heißweinend faßen Gualfredo und Gualterus
bei dem immer leiſer athmenden Walter, und
auch über deſſen Wangen ſchlichen einzelne, leiſe
— vermuthlich wohl die letzten Thraͤnen bins
Die Harfen von Selma rauſchten feierlicht Todten⸗
klagen aus ben verborgenſten Hbleugaͤngen heranfi
Wohl war es, als ob die Kobolde fern über den Ber
gen lachten und höhnten, aber fie durften hier nicht
heran.
Da kamen bie erfien Morgenſtrahlen in die Sin:
galshöle herein geglitten, und Selma's Harfen vers
hallten im füßen Gelispel, und die Kobolde raufchs
ten erſchrocken fernab , aber Gualfredo ſeufzte:
„Ach fiherlich, nun in der früden Tagesſtunde,
nun ſtirbt mein lieber Walter, mein frifcher zünafter
Sohn, und Rirbt von Bruderhand, und ich hatte
mich Doch fo recht von ganzem Herzen, Ihr trauten
Schmerzenskinder, gefreut, auf eben diefed Wien
berfehen gefreut ! O weh! Oweh!“
Und fie weinten wieder alle drei recht bitterlich.
un
—
40
Betäubende Gewirre durch: „du wurbefl ja doch
fa fehr geliebt, und ‚haft ja auch fo fehr geliebt!“
— Damit waren. ‚meine ſtillfrommen Jahre ges
meint, — ich wußt' ‚ed..wohl, aber ich .Echrte
mich viel zu wenig darnach hin, im eitefn Stolz
mich uͤberredend, nur hörhftend auf meine welts
lichen Liebfchaften duͤrfe ſich Bier veqhernſie
ruf. beziehn. ..:
dh, Bualteruf,. da. iſt mir zulege eine
Erſcheinung begegnet, weldye mir meine volle
Suͤndhaftigkeit recht unwiderſprechlich in’d Ges
muͤth hereinſtralte durch den ganz endloſen Abs
fand von ihr zu mir, Und ſieh, da gedieh es
sum sigentlihen Wendepunkt, und zum Anfang
meinst Errettung und Befebrung. Die Erfcheis
nung. aber war Edilbertha.“ —
4 mie. denn!“ fiel ihm Gualterns in bie Res
be „Da müßte Ihr Such ja erſt feit ganz
Zurger Zeit befehrt haben!"
„So iſt es auch;“ entgegnete mit einem
ſeufzenden Laͤcheln der Alte. „Zwar kam mir
Anfangs — es find nun fünf Jahre ſeitdem vers
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor die
Augen, das ein kunſtreicher Mahler, von dieſer
Fngelsklarheit ergriffen, auf feinen Reiſen durch
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner
frommer Freude gefertigt hatte. Aber alles, was
man fündhaft in mir nennen konnte, war feit
4
jenem Augenblicke je wenigftiend in Bezug auf
Edilberthen — ab und todt. ine Ahnung der
feligen Himmelswelt gewann ſich meinen ganzen
Sinn zum vorwaͤrtsſtrebenden ſeligen — Segel
möcht’ ich ſagen, weil ja der gluͤcklichleitende
Himmelshauch auf ähnliche Art sertende Gewalt
ausuͤbt über ein bis dahın wild zwiſchen den
Salzfluthen irrendes Schiff.
„Run wußt’ ich auf einmal, wohin ich mich
gu wenden hatte, nämlich in mein eignes Innre
hinein, um daſelbſt ben Netter zu finden, der
über allen Himmeln thront. Ich fuchte, mein
Junger Freund, ich fuchte, und — verficht
fi, dag ich fehr ernſthaft ſuchte, —
und, Gott fei gepriefen!: ih fand! —
In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine
Augen, und. weinte noch weit fchönere Sreudery
thraͤnen ald vorhin. Dann redete er auf geſetzte
Weife in folgenden Worten fürder :
„Da ift mir denn Verfühnung geworden: zu
Anfang nur mit einzelnen Menfsben und Provin:
gen , zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Viel
ded Schweren und Mübfamen ward mir zu voll
Bringen aufgegeben ‚aber ich rang mich ehrlich hins
durch, und endlich — grade indem ich den wilden
Rotaldoin fein Blut geflürzt hatte, ihn raͤcheriſch,
nach feinem eignen Begehr ald der entfeliche Klo⸗
ſierritter erfcheinend, — endlich ward mir aus des
46
Betäubende Gewirre durch: „du wurdeſt ja body
fa ſehr geliebt, und haſt ja auch fo ſehr geliebt!“
— Damit waren. ‚meine ſtillfrommen Jahre ger
meint, — ich wußt' ‚eh. wohl, aber. ich kehrte
mich viel zu wenig darnach hin, im eiten Stolz
mich uͤberredend, nur hoͤchſtens auf meine welt
lichen Liehfchaftep -hürfe. ſich biefe bodernft
Ara. begziehn...
„Ach, Gualteruß ,. da. iſt mir Juletzt eine
Erſcheinung begegnet, welche mir meine volle
Suͤndhaftigkeit recht unwiderſprechlich in's Ges
muͤth hereinſtralte durch den ganz endloſen Ab⸗
ſtand von ihr zu mir, Und ſieh, da gedieh es
tum eigentlichen Wendepunkt, und zum Anfang
meiner Errettung und Bekehrung. Die Erſchei⸗
nung. aber war Edilbertha.“ —
u mie denn 1 fieh ihm Sualterus in die No
be. „Da müßte Ihr Sach ja erſt feit ganz
furzer Zeit befehrt haben!“
080 ift es auch;“ entgegnete mit einem
feufzenden Lächeln der Alte. „Zwar kam mir
Anfangs — es find gun fünf Jahre feitbem vers
gangen — nur ein Bildniß von ihr vor die
Augen, das ein tunftreicher Mahler, ‚von diefer
Engelsklarheit ergriffen, auf feinen Reifen durch
die Hochlande, ihr ganz unbewußt, zu eigner
frommer Freude gefertigt haite. Aber alles, was
man fündhaft in mis nennen fonnte, war feit
41
jenem Augenblicke — wenigſtens in Bezug auf
Editberthen — ab und tobt. Kine Ahnung der
feligen Himmeldwelt gewanıı ftch meinen ganzen
Sinn zum vorwärtsfirebenden feligen — Segel
moͤcht' ich fagen, weil ja der glüdlichleitende
Himmelshauch auf ähnliche Art settende Gewalt
ausübte über ein bis dahin wild ‚zwifchen den
Saljfluthen irsendes Schiff.
„Run wußt’ ich auf einmal, wohin ich mid
gu wenden hatte, nämlich in mein eigned Innre
hinein, um bafelbft den Retter zu finden, Der
über allen Himmeln thront. Ich fuchte, mein
junger Freund, ich fuchte, und — verfteht
fi, Baßic ſehr ernſthaft ſuchte, —
und, Gott fei gepriefen! ih fand! —
In feliger, Wehmuth ſenkte Gualfredo feine
Augen, und, meinte noch weit fhönere ‚Sreudenz
tdränen als vorhin. Dann redete er auf gefegte
Weiſe in folgenden Worten fürder:
„Da ift mir denn Verfühnung geworden : zu
Anfang nur mit einzelnen Menfsben und Provins
gen , zulegt aber mit der heiligen Kirche auch. Biel
bed Schweren und Mühfamen ward mir zu volls
bringen aufgegeben , aber ich rang mich ehrlich hins
durch, und endlich — grade indem ich den wilden
Rotaldo in fein Blut geftürzt hatte, ihm rächerifch,
nad) feinem eignen Begehr ald der entfegliche Klo⸗
ſierritter erſcheinend, — endlich ward mir aus des
42
heiligen Batetd Munde, und (mie ich wohl fagen
barf) aus meinen Innern herauf der völlige felige
Erlaß all meiner fündhaften Buͤrde zu Theil. Nun
Bleibe mir nur noch übrig, daß ich mit meinen beis
den Söhnen, — der eine auß jenem gottesfeindli⸗
chen Bunde mit der Nonne, der zweite hier in
Schottland erzeugt, — in den Ritterorden ber
frommen Templer trete, und fo mich und mehr noch
die armen ſchwerbedrohten Belbe vor jeder kuͤnfti⸗
gen Uebertretung hüte. Meint” ich doch kaum, daß
mir diefer Wunfch je vollkommen gelingen bürfes
Nun aber, da du Edilberthens irdifcher Liebe mit
fo recht herzlich reiner Freudigkeit zu entſagen ver:
mochteft, wie follte ich noch zweifeln, daß dein
föhnlicher Beiftann —"
Ein tiefes, Angfiliched Stöhnen and der Fin
galshalle unterbrach den Spredyenden.
„3% fürchte , mein tapfrer Freund und Gegner
ſtirbt!“ feufzte Gualterus, und eilte in die Höle!
Qualfredo tim nad. «
Da leuchteten funkelnde Meteore, wie man
fie wohl in diefer wundervollen Zelfengrotte bit:
weilen zu gewahren pflegte, in mannigfacen
Schwingungen , glich feiernden Reigentängen bin
und wieder, und vor ihren Fichteßbligen ward des
todtbleichen, wohl beinahe ſchon todathmenden
Walters Antlitz offenbar. Gualfredo aber hielt die
Haͤnde vor die Augen, und ſeufzte weinend:
45
‚Das iſt ja eben Dein Bruder, der mit uns
in den Templerorden treten follte, und nun haft
du ja deinen Bruder erfchlagen, o mein Sohn
Qualterus! Ach, nun werd’ ich nie wieder lachen
koͤnnen, denn verdorben hat ja dein frecher,, auf ſich
felbft behagrender Hochmuth mein armes Rachen auf
immer! - on
Heißweinend ſaßen Gualfredo und Gualterus
bei dem immer leiſer athmenden Walter, und
auch über deſſen Wangen ſchlichen einzeine, leiſe
— vermuthlich wohl bie legten Thraͤnen bin:
Die Harfen von Selma raufchren feierliche Todten⸗
lagen au ben verborgenften Höfengängen heranfi
Wohl war es, ald ob die Kobolde fern über den Ber⸗
gen achten und höhnten, aber fie durften hier nicht
heran.
Da kamen die erſten Morgenſtrahlen in die Sin:
galshoͤle herein geglitten, und Selma's Harfen vers
balften im fäßen Gelispel, und Die Kobolde rauſch⸗
ten erſchrocken fernab , aber Gualfredo feufjte:
„Ach ficherlich,, nun in der fruͤgen Tagesſtunde,
nun ftirbe mein lieber Walter, mein frifcher juͤngſter
Sohn, und ſtirbt von Bruderhand, und ich hatte
mich doch fo recht von ganzem Herzen, Jhrtrauten
Schmerzenskinder, gefreut, aufeben dieſes Wien
derfehen gefreut! O weh! Oweh!“
Und fie weinten wieder alle drei recht bitterlich.
u \
San
44
Aber ed kam viel anders, ald der alte wuns
derfame Mann und feine zwei trüben Söpne ſich
ed denken konnten.
Denn mit dem Morgen zugleich trat die mor⸗
genroͤthliche Edilbertha in die Fingalshalle, von
ahnungsvollen Traͤumen geweckt und hierher be⸗
ſchieden, an dee Hand ihres gluͤcklichen Helden und
Gemahbld. -
Und es war, ald ſtellten fich die Meteore in ihr
rem legten, morgenlichen Berfchweben noch zu eis
men Kreife zufammen über Edilbertha's Haupt,
und von ihnen wie gefeiert. und geſchmuͤckt, goßfie
langſam tınd betend einen. heifenden Saft in Wal⸗
terd Wunde. Der. Kranke ſchlug die Augen auf,
und nicht lange, f0. lächelte er. die Morgenfonne an,
und fagte:
,D ich fühl’ es fürwahr, ich lebe nun woleder,
und werde nach Ichen fix manchen herrlichen, ruh⸗
me&befrängten Tag! — Meine holde Wergtin aber,
wie Yhr-fo.labend anb helfend vor mir ſteht, da
muß ich Such eine Beichte thun. : Beliebt hab’ ich
Euch mit all der Inbrunſt meines thörichten, Eins
difchen Herzens, und weil Ihr bad weder erwidern
konntet noch wollter , hub ich in rafender Srechheit
an, wider Euchzu fehmähen. Das hat-denn mein
Bruder Qualterudgar ernſthaft und blutig und bil⸗
lig an mir geraͤcht. Und nicht wahr, guͤtige Her:
Fin, nun verzeiht Ihr mie? Und nicht wahr, nun
EEE . .
ı
45
ift Alled gut, was Gualfredo und feine Söhne Vers .
Fehried auf Erden angefangen haben ?'’
Edilbertha antwortete nur mit einem anmuthi⸗ —.
gen Laͤcheln, aber das leuchtete hold verſohnend >
und auch Die letzte Wuubderlichkeit und Unbill verlds
(chend durch deö Greifen und feiner Kinder Seelen
Bin. — „Es iſt gar herrlich ‚’' fagte endlich Guals
frebo , „daßwir Drei zum rechten Wege doch ganz
durch daß Reiten der fehönen Herrin Edilbertha ges
Tangt find. Mochten wir und dabei auch links oder
rechts in Nebenpfade verirren, — ber fchöne, liebe
Stern winfte und dennoch wieder flät zu fich hin,
um und dem erhabenſten und feligften Sterne nach»
zuführen, den ed je gegeben hat und giebt und geben
wird.”
Sie find nachher alle Drei ald Templer in -
dad heilige Land gezogen, und ehrenvoll, und
den größten Theil des Chriftenheered von bedrohs
lichem Unglüd errettend, an Einem rühmlichen
Tage gefallen, und Edilbertha hat ihnen verherr⸗
lichende Zhränen nachgemeint.
Der tiebesring.
Zur Zeit, ald der große Kaiſer Karl ſchon Jahres
lang der Franken König war und eben in Worms
feinen’ Hofbalt hatte, begab es ficy eined Tage,
daß bittere Klagen dafelbft einliefen. Denn «6
nahmen in daliger (Gegend die Bären dermaßen
überband, daß fie ſich ſchon bis dicht an bie
Stadt heranwagten und großen Unfug anrich⸗
teten. Da das dem Könige zu Ohren kam, fo
ſprach derſelbe alfo zu den Rittern und Herren,
welche eben um ihn waren: Schon mandıen
Feindesſchwarm, der auf feine Bernunft pochte,
haben wir in Gotted Namen gedämpft; laßt
und diefem vernunftlofen nicht anders thun!
Und alsbald waffnete ſich eine gute Schaar,
meift anfehnlicher Herren, dem unbewehrten
Landmanne von den grimmigen Bären zu helfen.
Sie zerftreuten fid in den Wäldern, hierhin
und dorthin, und waren fo fleißig im Auffuchen
der Raubthiere, daß ſchon nach wenig Tagen
die Gegend ziemlich gefäubert feyn konnte. Ein
einziger, alter Bär, welchem der König auf der
Fahrte war, ſchien noch Abrig und dem wollte
l
47
er ſeſber nachtrachten, wie weit dad Thier auch
von der Surcht hinweggetrieben ſei. Daher ents
ließ er die meiſten feiner Gefellen und behielt,
außer einigen Dienftleuten , keinen bei fi, als
den Erzbifhoff, Turpin von Rheind. Denn
auch Bifchöffen ziemte die Jagd, wo felbige zum
Schutze vor Raubihieren gefchah.
Vergebend aber zog Herr Turpin mit dem
Könige hin und her, den Bären zu finden, einen
ganzen Tag. Als es nun finfler wurde, und
die Fährte ded Thieres gar verloren fhien, da
befchloß Karl mit den Seinen in einer Köhlers
hütte die Nacht über zu verweilen, um mit
frühbem Morgen deſto frifcher wieder an das
Merf zu gehen. |
Aber obfchon der König die letzten Lage im
Walde gar unruhig und beſchwerlich veriebt hats
te, fo fonnte er doch, auch in biefer Nacht,
des Lagers nicht froh werden, welches der Koͤh⸗
ler, der ihn kannte, durch ſeine Ehefrau mit
moͤglichſter Sorgfalt bereiten laſſen. Vielmehr
erhob er ſich, ſeiner Gewohnheit nach gegen
Mitternacht, und ging, waͤhrend die andern in
tiefem Schlafe lagen, vor die Thuͤre der Huͤtte,
um ſein Aufmerken einzig den Sternen zuzu⸗
wenden, welche gerade in dieſer Racht ſo klar,
wie eitel Sonnen, vom Himmel herableuchteten.
Gleichwohl ſchloſſen ſie nicht, wie ſonſt, ſein
J
\ 4
innerſtes Leben auf, fondern er fühlte ben Sinn,
der in ſolchen Nächten gemeiniglich die hellſten,
Herrfichften Entſchluͤſſe faßte, ſo geftbrt und duͤſter
und verdumpft, daß er Fein einziged Sternbild
gu entzinern vermochte.
' Da fragte er fich felbft, warum ‚die Eterne
wohl fo ſtumm wären für ihn, dem fie fonft
immer ihren goldenen Mund aufthaten, und ed
war ihm, ald fei etwas Unfreundliched gegen
ihn im Anzuge. Denn in ben Nächten Furz
vor dem Ableben feined theuren Gemahls, der
Frau Hildegardis und feiner viclgeliehten Mutter
Xerchta, welche der Herr in einem Jahre zu ſich
berufen, hatte der Sternhimmel ſich audy nicht
fund thun mögen dem unabläffigen Berlangen
feines Herzens.
Traurig wollte er ſchon in die Hätte zuruͤck.
Doc) ald er ſich dieferhalb zur andern Seite kehrte,
da warder, in nicht algugroßer Entfernung einer
Flamme gewahr, welche, über die alten hohen
Eichen des Waldes hinauf, faft bis in den Hims
mel hinein wogte.
Nun gab es in diefer Nähe Fein Haus, ja
nicht einmal eine Köhferhürte, daher war er
begierig, etwas Beſtimmtes über das Feuer zu
vernehmen, und eilte zu dem Wirthe, und ers
wedte ihn. Diefer aber trat fogleich mit KarPn
herausd und erfiaunte faſt noch mehr als der
49
König, über die ungeheure Flamme, die mit jebem
Augenblicke höher, und in wunderlicherer Geftale
tung , binaufloderte.
Herr König, ſprach der Köhler, in ſichtbarer
Angſt, ſollte vielleicht ein Heidenſchwarm in der
Naͤhe liegen ? Anders wenigſtens Tann ich mir
ſolch ein euer in jener Gegend nicht deuten.
Gleichwohl wäre, nach fo vielen Niederlagen des
ungläubigen Volkes, die Zollfühnheit allzugroß !
Dem fei wie ihm wolle — verfeßte Karl —
ich muß wiſſen, welche Bewandniß ed habe mit
der Flamme!
Hierauf ermunterte er feine Jagdgenoffen,
daß ſie daufſtanden und bald waren. ber Erzbis
(hoff wie die Uebrigen auf den Beinen, die
meiften mit. wenig mehr ald ihren Iagbfpießen
bewaffnet. \ j
Waͤhrend einer der Knechte eine Fackel voran
trug , gingen fie indgefammt herzhaft nach dem
Zeuer zu und ed war aldö ob biefed auf einmal,
höher denn zuvor, ja bis über die Sterne hinauf
glänze, dann aber immer Heiner und Fleiner
werde.
Wie fie nun auf ben freien Plag im Walde
kamen, ben ber Köhler für den einzigen angab,
von dem bie große Flamme habe aufſteigen koͤn⸗
nen, fo fand fich Feine Spur,. nicht einmal von
Kohlen ‚oder Aſche. Da fprach der König zum
Gefpenfterbuch 7. Theil.
50
Köhfers Ei Lieber, fage, wie waͤfk es möglich, daß
hier eben erſt ſolch eine Flamme aufgeſtiegen ſei,
und nun ſich auch nicht das mindeſte Zeichen davon
entdecken lieſſe? Wäre vielleicht auf anderm Plage
geweſen, was wir von weitem wahrgenommen?
Aber der Köhler vermaß fich Hoch, daß es für
ein ſolches Feuer feinen Pla in ber ganzen Gegend
gäbe , ald diefen , indem vonnunanter Wald, alı
Ienthalben, bis auf wenige Fußſteige ‚ unzugänglic
werde.
Man fah hierauf nochmals ſorgſam umher,
nirgend aber Teuchtete ein einziger Funke. Nur
von der Mitte des Platzes breitete ſich, ein Faum
bemerfbarer, blauer Qualm, nach allen Seiten
hin, der einen Peſthauch von ſich gab. Als die
Mitte fih nun wieber aufhellte, entdeckte man
auch einige kleine Leute, welche etwas im Graſe
zu fuchen ſchienen.
Was gilts, Herr König, ſprach der Koͤhler,
das alles iſt bloßer Zauberſpuk gewefen! Denn
man will behaupten, daß das Heidenthum nun⸗
mehr, da die Waffen durch Gottes Hülfe ihm
fehlſchlugen, darauf ausgehe, den Chriften mit
heimlichen Mitteln Abbruch zu thun.
Der Erzbifhoff trat feiner Meinung bei und
ber König fägte: So laßt und benn hin und
des Teufels Werke zerftören. |
Als fie nun naher kamen, da entſetzten ſich
51 —
ber Erzbiſchoff und alle Uebrigen vor der Haͤßlich—
keit des Weibes und ihrer drei Kinder, „welche
der Anfommenden zu harten fchienen.
Mie hierauf, beim Herannahen ber Alten, |
die Andern in lauted Murren ausbrachen, da gebot
der König ihnen zu ſchweigen und redete ſelbſt, mit
milder Stimme , dad Weib alfo an:
Mas, Alte, ift dein Beginnen, bier, mitten
in ber Nacht ? |
Zu ſuchen mit meinen Kleinen nach heilen:
den’ und gluͤckbringenden Kräutern, fo nur in
dieſer Stunde zu finden find.
Haft du die Flamme erregt, die vorhin von
bier in die Höhe flieg ?
Nur gepflegt !
Mo ift fie hingefommen ?
Wohin die Sonne‘ geht am Abend; es war
nur, fünftlih aufbewahrted, Sonnenfeuer !
Herr König, fprach jet ber Erzbifchoff, ſeinen
Eifer länger nicht bezähmend,, wozu die Nacht
verderben mit biefem Zaubergefchmeiß ? Laffet fie
binden durch die Knechte, und ihnen alsbald thun,
was recht iſt!
Was recht iſt! wiederholte Karl bedeutend.
Ziehe du darum in Frieden, Weib, mit deinen
Kindern. Mehr, denn der verdaͤchtigen Rede
deines Mundes, traue ich auf dein wohlwollen⸗
des Angeſicht.
D 2
Nur mit Mühe hielt der Erzbiſchoff, wie die
Uebrigen, ihren Unwillen über diefe Rede zuruͤck!
Das Weib aber ſagte: |
Herr König, habet Dank für den Schug, fo
Ihr einer armen, alten Grau gewährt und traget
mir zum Andenken diefed Singerlein *) gefertigt
aus ben heilfamen Kräutern der Mitternacht.
So wenig Schein ed hat, fo mag es Euch dod)
in mancherlei Fällen Dienfte leiſten. Gedenket
drum meiner und bed Singerleind, wenn mors
gen der Bär von Euch erlegt wird.
Hierauf begab ſich die Frau mit den Kins
dern hinweg und ber König that wirklich den
Ring an feinen Finger.
Der Erzbiſchoff verftummtedaräber vor Schre⸗
den und felbft der Köhler ſchuͤttelte den Kopf. Aber
Karl, dem ed nicht entgieng, (haft gewaltig über
das voreilige Urtheilen, und daß man aufder Alten
milded Unge, das ihm immer noch vorleuchte,
fo gar wenig feße.
Nichte, eiferte der Erbifhoff leuchtete dar⸗
aus, als der Glanz des Feuers, in dem dieſer
Ring, Euch zum Verderben, bereitet wurde!
Was bedarf «6 weiter Zeugniß, daß Eure Ber
blendung ber Zweck der Hexe war, der ihr auch
gelungen ift, nun wir von Euch hören, daß ein
D
®*) Gin fing.
53
fo ruchloſes Geſicht wie dad ihrige, Euch mild
und freundlich hat duͤnken koͤnnen.
Berbiendete Ihr alle, ermwiderte der König
heftig. Zuvor fhon erfüllt mit eitel Zauberbils
dern, hat Eure Einbildungsfraft Euch dad Auge
zugebalten. Als 05 es nicht auch geheime Wiſ⸗
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗
ſchen ausgeſonnen!
Der Peſtgeruch, ſprach Herr Turpin, ſollte
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen?
Da verfeßte der König finfter: So habt Ihr
denn niemals aus unreinem Dampfe felbft da®
Reinſte unb Höchfte hervorgehen fehen? Ober
iſt ed eitel Weihrauch, worinn das Metall vers
fhmolzen wird zum Kelche für den Tiſch des
Herrn? —
Am Morgen beim Aufbruch aus der Köhler,
hütte meinte der König ſchon, er habe das Geſchenk
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entdec⸗
te es ſich, daß ihr Ring ganz unten, an ſeinem Mit⸗
telfinger ; wie eingewachfen in ihn war, auch) in ſo
furzer Zeit die Farbe bed Fingers angenommen hats
te, 10 daß er ſich nur ſchwer von dieſem unterſchei⸗
den ließ. Den Ring abzunehmen , war unmoͤglich
geworden. |
Herr Zutpin erfeufzte, ald der König ihm die
Sache vorzeigte. Da fagte Karlzu ihn : Und wenn |
— was ich ganz bezweifeln muß — der Zeufel felbit
1m . öæ
54
verborgen wäre in biefem Singerlein, meint ‘he,
daß ich, derich bloß lebe, um ihn zu bekämpfen,
mich Durch ſolch Gaufelfpiel vom Kampfe würde
abſchrecken laffen ?,
Seine Macht und Blendwerke find groß!
rief der Erzbiſchoff. Doch der König fprach halbs
gornig : Nun will ich, daß endlich die Furcht hiers
über ſchweige!
. Da wagte dann niemand mehr ein Wort gegen
ihn fallen zu Iaffen über den Ring. —
. Wirklich wurde der Bar fehr bald aufgetries
ben, und erlegt. . Karl dachte foglih an das
Geſchenk der Alten, enthielt ſich aber zu [pres
chen davon.
| So groß audh Herr Turpins Veſorgniß war
wegen des Ringes, fo offenbarte ſich doch, waͤh⸗
rend geraumer Zeit, nichts an dem Könige, was
die Macht des Höfen über ihn fund gethan hät
te. Nach wie vor, führte Kart. ‚dad Schwert
deö Herrn gegen bie Feinde des Glauben? und
der Orbnung, mit Kraft und Sreudigfeit. Nach
wie vor fprach er mit Heren Zurpin und dem
Abt Alkuin, feinem vertrauten Freunde, von
geiftlichen Dingen, Wie immer ftärkte er feine
Seele in den herrlichen Schriften ded heiligen
Auguſtinus und brach einft, weil er, troß feiner
Anftrengung, die Wiffenfchaft nicht fo fordern
Tonnte, ald fein Wunf war, gegen Alfuin in
55
folgende Worte aus: O daß ich.nur zwölf fo
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hierony⸗
mum und Auguftinum ! Dod Herr. Alkuin,
weicher diefe Aeußerung der frommen Demuth
auwider achtete, entrüftete ſich deß und ſprach:
Sat doch der. Schöpfer de Himmeld und. der
Erden nicht mehrere ihred Gleichen gehabt ‚und
Ihr könnt deren zwdlf begehen ? — ..
Nach einiger Zeit war dad Geſchenk der Alten
Bänzlidh vergeffen, ſelbſt von Karln, bis. eines
Morgens, ald beim .Händewafchen fein- Auge
auf den Finger fiel, am dem’ der Ring gefeflen,
diefer fich nicht mehr daran fand. Gr wobte
nicht, wenn und 19 er ihn. verloren hätte,
Sogleich gab er Herrn Zurpin, ‚welcher ſich
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗
liche Nachricht von dieſem Umſtande, und der
fromme Mann dankte Gott, daß er fein unab⸗
laͤſſiges Flehen endfüch erhört Babe.
Im diefe Zeit befand ſich der König in der
Stadt Aach, und gieng eben darauf um, ſi
fernerweit zu vermähfen. Die fhöne Puitgardie
don Schwaben hatte feinen Sinn gefeffelt , deren
Beſchreihung ihm fo umftändlich gemacht worden,
daß er eines Tages ausrief: Obſchon ich daß
Sräufein nimmer mit’ Yugen’gefehen, fo bin, ich
deß doch gewiß, fie werde mir vor andern wohl⸗
— ET nn
56
gefallen, auch vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗
ſenden alsbald herauszufinden |
"Der Hofmeifter,; den er zur Werbung um
bad Zränlein eben fenden wollte, flahd dabei,
als Karl ſolches ausrief; daher fügte der König
hinzu: Du kannſt das immer ihrem Vater wie⸗
der ſagen.
Wie nun der Hofmeiſter gen Schwaben ge
veifet war, und dort, nebft den Abrigen Befehlen
feined Herrn, auch diefen ausgerichtet, that
Luitgatdis Bater aldbald, in feiner Frade, der
Tochter ſolches kund. Da diefe nun begterig
war; zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie for
gleich entdecken werde, fo befchloß fie, bei ihrer
erfien. Zufammentunft mit dem Fünftigen Gemal,
fich im nicht6 von: den Dieneriäinen, die mit ihr
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie diefe
geklejdet, vor dem theuern Hertn zu erfcheinen.
Karls Hofmeiſter, als er: ingeheim hiervon
sernahm, ſo glaubte er dem König. doch zuvor
davon Kunde geben zumüflen und er fhrieb ihm
ſolches, und damit aller mögliche Irrthum vers
mieden werde, erbot er ſich, ihm ein Zeichen
zu geben, welche von den Ankommenden ſeine
Braut ſei.
Deß aber ward der König faſt zornig und
ſchrieb dem Hofmeiſter zuruͤck: Er moͤge ſich
beſſer gewoͤhnen, die Befehle ſeiner nunmehro
57
baldigen Gebieterin zu befolgen, fonder Trug
und Hinterliſt. Ein anderes Zeichen ſeiner Treue
und ſeines Gehorſams begehre er in dieſem Falle
nicht von ihm. —
Und alles geſchah, wie Luitgardis und ihr
Braͤutigam ſolches eingeleitet.
Um in Zeiten ſeiner Sache gewiß zu ſeyn,
ritt Koͤnig Karl dem Brautzuge weit entgegen,
barg ſich jedoch, als der Zug, auf eitel ſtattlichen
Roſſen, herannahete, hinter dem Geſtrippe des
Waldes, von wo aus er alles genau und unbe⸗
merkt beobachten konnte.
Ha! rief er aus, als der Zug voruͤber kam,
und vor Freude feiner Sache und hiermit der rei⸗
zendflen Braut gewiß zu feyn, alfo laut, daß
man den Ton vernahm und alled nach der Seite
fih hinkehrte, woher er ſcholl. Doc das dichte
Laub ſchuͤtzte den Kbnig vor der Entdeckung und
ald der Zug vorüber war, gewann er noch Zeit,
auf Seitenwegen eiligft zurüdzureiten nady der
Stadt Aach, und fich hier bereit zu machen zum
Empfange der holden Braut. —
Luitgardid konnte fo wenig wie alle die mit
ihre waren, im Thore zu Aach ihr Staunen hergen
über den König, der hier ihrer ſchon harrte,
So viel fie auch von der Hoher feiner Geftalt
vernommen , fö herrlich und mild zugleich hatten
- fie ihn nicht denken mögen, ald er hier, auf
* — 2 2 ö⏑——
82
Nur mir Mähe hielt der Erzbiſchoff, wie die
Uebrigen, ihren Unwillen über diefe Rede zuruͤck!
Das Weib aber ſagte: |
Herr König, habet Dank für den Schug, fo
Ihr einer armen, alten Frau gewaͤhrt und traget
mir zum Andenken dieſes Singerlein *) gefertigt
aus ben heilfamen Kräutern ber Mitternadht.
So wenig Schein ed hat, fo mag es Euch doch
in mancherlei Faͤllen Dienfte leiſten. Gedenket
drum meiner und des Fingerleins, wenn mor—⸗
gen der Baͤr von Euch erlegt wird.
Hierauf begab ſich die Frau mit den Kin
dern hinweg und der König that wirklich den
ing an feinen Singer.
Der Erzbiſchoff verftummtedaräber vor Schre
den und felbft der Köhler ſchuͤttelte den Kopf. Aber
Karl, dein ed nicht entgieng, ſchalt gewaltig uͤber
das voreilige Urtheilen, und daß man auf der Alten
mildes Auge, das ihm immer noch vorleuchte,
ſo gar wenig ſetze.
Nichts, eiferte der Erriſchoff leuchtete dar⸗
| aud, ald der Glanz de Feuers ‚ in dem dieſer |
Ming, Euch zum Verderben, bereitet wurde!
Was bedarf «6 weiter Zeugniß, daß Eure Ber
blendung der Zweck der Here war, ber ihr auch
gelungen iſt, nun wir von Euch born, daß ein
6) Sin King.
55
fo ruchloſes Geficht wie dab ihrige, Euch mild
und freundlich hat duͤnken koͤnnen.
Verbiendete Ihr alle, erwiderte der König
heftig. Zuvor ſchon erfüllt mit eitel Zauberbils
dern, bat Eure Einbildungdfraft Euch dad Auge
zugehalten. Als 0b ed nicht auch geheime Wiſ⸗
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗
ſchen ausgeſonnen!
Der Peſtgeruch, ſprach Herr Turpin, ſollte
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen?
Da verſetzte der König finfter: So habt Ihr
denn niemald aus unreinem Dampfe felbft dad
Reinfte und Höchfte hervorgehen fehen? Ober
iſt es eitel Weihrauch, worinn das Metall vers
fhmolzen wird zum Kelche für den Tiſch des
Herrn? —
Am Morgen beim Aufbruch aus der Kohler⸗
hütte meinte der König fchon , er habe das Geſchenk
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entbeds
tes ſich, daß ihr Ring ganz unten, an feinem Mit⸗
telfinger , wie eingewachfen in ihn war , auch in fü
kurzer Zeit Die Farbe des Fingerd angenommen hats.
te, 10 daß er fih nur fchwer von dieſem unterfcheis
den ließ. Den Ring abzunehmen, war unmöglich
geworden. °
Herr Tutpin erfeufzte, ald der König ihm die
Sache vorzeigte. Da fagte Karlzu ibm : Und wenn |
— mad ich ganz bezweifeln muß — der Zeufel felbft
un ee ba
50
Köhler s Ei Lieber, fage, wie waͤte es möglich, daß
bier eben erft folch eine Flamme aufgeftiegen fei,
und nun ſich auch nicht das mindefte Zeichen davon
entdecken lieſſe? Waͤre vieleicht auf anderm Plage
dewefen, was wir von weitem wahrgenommen ?
Aber der Köhler vermaß fih hoch, daß es für
ein ſolches Feuer feinen Plag in ber ganzen Gegend
gäbe , ald diefen , indem vonnunan ter Wald, alı
Ienthalben, bis aufmwenige Fußſteige, unzugaͤnglich
werde. |
Man ſah Hierauf nochmald forgfam umher,
nirgend aber feuchtete ein einziger Bunfe. Nur
von der Mitte des Platzes breitete ſich, ein Faum
bemerfbarer, blauer Qualm, nad) allen Seiten
hin, Ber einen Peſthauch von ſich gab. Als die
Mitte ſich nun wieder aufhellte, entdeckte man
. auch .einige Feine Leute, welche etwas im Graſe
zu fuchen fchienen.
Maß giltd, Herr König, fprach der Köhler,
dad alles ift bloßer Zauberſpuk gewefen! Denn
man will behaupten, daß dad Heidenthum nun«
mehr, da die Waffen durch Gotted Hüffe ihm
fehlfchlugen, darauf ausgehe, den Chriften mit
heimlichen Mitteln Abbruch zu thun.
Der Erzbifhoff trat feiner Meinung bei und
ber König fagte: So laßt und denn hin „und
des Teufels Werte zerftören.
Als fie nun naher famen, da entfeßten ſich
55
folgende Worte aus: D daß ich .nur zwölf fü
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hieronys
mum und Auguftinum ! Doc Hear. Alkuin,
welcher dieſe Aeußerung der frommen Demuth
zuwider achtete, entrüftete fich deß und ſprach: :
Hat doch der Schöpfer des Himmels und der
Erden nicht mehrere ihres Gleichen gehabt , und
Jhr Eonnt deren zwölf begebren ? — ..
Nach einiger Zeit war dad Geſchenk der Alten
gaͤnzlich vergeſſen, ſelbſt von Karln, bis eineb
Morgens, als beim Haͤndewaſchen fein- Auge
auf den Singer fiel, an dem’ der Ring gefeflen,
diefer fich nicht mehr daran fand. Cr wußte
nicht, wenn und wo er ihn. verloren hätte,
Sogleich gab er Herrn Turpin, welchen fi
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗
liche Nachricht von diefem Umftande, ‘und ber
fromme Mann danfte Gott, daß er fein unab⸗
laͤſſiges Flehen endlich erhort habe.
Um diefe Zeit befand fich der König in der
Stadt Uach, und gieng eben barauf um, ſiĩ
fernerweit zu vermaͤhlen. Die fchone Ruitgarbi
von Schwaben hatte feinen Sinn gefeffelt, deren
Befchreidung ihm fo umftändlich gemacht worden,
daß er eined Tages ausrief: Obſchon ih bas
Fraͤulein nimmer mit Augen geſchen, ſo bin ich
deß doch gewiß, ſie werde mir vor andern wohl
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—
56
gefallen , auch vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗
ſenden alsbald herauszufinden!
Der Hofmeiſter, den er zur Werbung um
das Sränfein eben fenden wollte, flahb dabei,
als Karl ſolches ausrief; daher fügte der König
hinzu: Du kannſt das immer ihrem Bater wie
der fagen.
Wie nun ber’Hofmeifter gen Schwaben ge
veifet war, und dort, nebft den Abrigen Befehlen
feines Herren, auch diefen ausgerichtet, that
Luitgatdis Bater aldbald, in feiner Fratde, de
Tochter folcyed Fund. Da diefe nun begterig
wars: zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie fos
gleich entdecken werbe, fo beſchloß fie, bei ihret
erfien. Zufammenfunft mit dem Fünftigen Gemal,
fich in nichts von den Dieneriinen, die mit ike
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie dieſe
gekleidet, vor dem theuern Hertn zu erſcheinen.
Karls Hofmeiſter, als er ingeheim hiervon
vexnahm, fo glaubte er dem Koͤnig doch zuvor
davon Kunde geben zu muͤſſen und er ſchrieb ihm
ſolches, und-damit aller mögliche Irrthum vers
mieden werde, erbot er ſich, ihm ein Zeichen
ju geben, welche von den Ankommenden ſeine
Braut ſei.
Deß aber ward der Koͤnig faſt zornig und
ſchrieb dem Hofmeiſter zuruͤck: Er moͤge ſich
beſſer gewoͤhnen, die Befehle ſeiner nunmehro
un —— nt — — - — —
55
fo ruchloſes Geficht wie dab ihrige, Euch mild
und freundlich hat bünfen koͤnnen.
Verblendete Ihr alle, erwiderte der König
heftig. Zuvor ſchon erfüllt mit eitel Zauberbils
dern, hat Eure Einbildungsfraft Euch dag Auge
zugehalten. Als od ed nicht auch geheime Wiſ⸗
ſenſchaften gaͤbe, zum Heil und Gluͤcke der Men⸗
ſchen ausgeſonnen!
Der Peſtgeruch, ſprach Herr Zurpin, ſollte
der auch nicht von unreiner Quelle zeugen?
Da verfehte der König finfter: So habt Ihr
denn ntemald aus unreinem Dampfe felbft dad
Reinſte unb Höchfte hervorgehen fehen? Ober
ift ed eitel Weihrauch, worinn das Metal vers
ſchmolzen wird zum Kelche fuͤr den Tiſch des
Herrn 7 —
Am Morgen beim Aufbruch aus der Köhler,
hütte meinte der König fchon , er habe das Geſchenk
der Alten in der Nacht verloren. Bald aber entdee⸗
te es ſich, daß ihr Ring gang unten, an feinem Mit⸗
telfinger ‚, wie eingewachfen in ihn war, auch in fü
kurzer Zeit die Farbe ded Fingers angenommen hats
te, ſo daß er ſich nur ſchwer von diefem unterſchei⸗
den ließ. Den Ring abzunehmen, war unmoͤglich
geworden.
Herr Tutpin erſeufzte, als der König ihm die
Sache voͤrzeigte. Da ſagte Karl zu ihm: Und wenn
— was ich ganz bezweifeln muß — der Teufel ſelbſt
TU
56
gefallen ‚aud vermeſſe ich mich, ſie unter tau⸗
ſenden alsbald herauszufinden!
"Der Hofmeiſter, den er zur Werbung um
bad Fraͤnlein eben ſenden wollte, ftahb dabei,
ald Kurt ſolches ausrief; daher fügte ber König
hinzu; "Du kannſt das immer ihrem Vater wie⸗
der ſagen.
Wie nun ber’ Hofmeiſter gen Schwaben ge⸗
veifet war, und dort, nebſt den uͤbrigen Befehlen
ſeines Herrn, auch diefen audgerichtet, that
Luitgatdis Bater alsbald, in feiner Frade, de
Tochter foldhed Fund. Da diefe nun beaterig
wars: zu wiffen, ob Karl auch wirklich fie for
gleich entdecken werbe, fo beſchloß fie, bei ihrer
erſten Zufammenfunft mit dem künftigen Gemal,
fich in nicht6 von. den Dienerinnen, die mit iße
reiſeten, auszuzeichnen, und gänzlich wie dieſe
geklejdet, vor dem theuern Hertn zw erſcheinen.
Karls Hofmeiſter, als er ingeheim hiervon
vernahm, fo glaubte er dem Koͤnig doch zuvor
davon Kunde geben zumüffen und er fhrieb ihm
folches , und-damir aller mögliche Irrthum vers
mieben werde, erbot er fih, ihm ein Zeichen
gu geben, welche von den Anfommenden feine
Braut fei.
Deß aber ward der König faſt zornig und
Tchrieb dem Hofmeifter zuruͤck: Er moͤge ſich
beſſer gewöhnen, die Befehle feiner nunmehro
| — — ..
55
folgende Worte aus: O daß ich .nur zwölf fo
weife und gelehrte Männer hätte, wie Hieronys
mum und Auguftinum ! Doch Herr. Alkuin,
welcher diefe Ueußerung der frommen Demuth
zuwider achtete, entrüftete fich deB und ſprach:
Hat doch der Schoͤpfer des Himmels und der
Erden nicht mehrere ihres Gleichen gehabt, und
Ihr könnt deren zwoͤlf begehren? —
Nach einiger Zeit war das Geſchenk der Alten
gaͤnzlich vergeſſen, ſelbſt von Karln, bis eines
Morgens, als beim Haͤndewaſchen ſein Auge
auf den Finger fiel, an dem der Ring geſeſſen,
diefer fich nicht mehr daran fand. Gr wußte
nicht, wenn und wo er ihn. verloren hätte,
Sogleich gab er Herrn Zurpin;, ‚welcher ſich
damals in feinem Erzbisthum aufhielt, ſchrift⸗
liche Nachricht von dieſem Umftande, und der
fromme Dann danfte Gott, daß er fein unab⸗
Täffıges Stehen endlſich erhört Babe, “
Um dieſe Zeit befand ſich der Koͤnig in ber
Stadt Aach, und gieng eben darauf um, Te
fernerweit zu vermählen. Die ſchoͤne duiigarvi
von Schwaben hatte feinen Einn gefeffelt , deren
Befchreidung ihm ſo umflaͤndlich gemacht worden,
daß er eined Tages ausrief: Obſchon ih bas
Sräulein nimmer mit Augen gefehen, fo bin ih
deß doch gewiß, fie werde mir vor andern en oh
— vraza—..
7, —
56
weißen, ungewöhnlich großem Zelter, im Rode
aus Goldſtoffe gewebt, mit ber bligenden Krone
auf dem Haupte und dem mächtigen Schwerte in
der Hand erfchien, und nachdem der fremde Abge⸗
fandte, vereint mit feinem Hofmeiſter, ihm die
Meinung Ruitgardid kundgethan, herabflieg von
dem Roſſe, um die Braut herauszufinden, welche
nebft ihren Begleiterinnen und Degleitern ebew
falls abgeftiegen war.
Menn auch Luitgardis nicht, gleich ihm, alle
andern ihres Geſchlechts an Schoͤnheit hinter ſich
ließ, fo ragte fie doc) darinn Über ihre Dienerinnen
fo weit hervor, daß fie feiner Wahl ganz ge
ruhig entgegen fehen konnte.
Da trat der König ihnen näher und fenfte
fein Schwert. Wer ihn fah, der fühlte fich ers
hoben von bein liebreichen Strahle ſeines großen,
ſchoͤnen Auges. —
Wie er nun ſagte: Ich, der Franken Koͤnig,
gruͤße Luitgarden von Schwaben, als meine ge⸗
liebte Braut und, ſo Gott will, baldiges Gemal!
dazu einer ber Damen feine Hand zu reichen Fam,
die alſo Begruͤßte aber niedergefchlagenen Auges
fh zur Seite wendete und einer der Damen,
welche darüber ihr Bewußtſeyn verlor, alle zus
gleich Hüffreiche Hand zu leiſten fuchten, da trat
‚ber, der keinem äußern Feinde erzitterte, heftig
39
zitternd zuruͤck. Denn alles ſagte ihm, daß er
fid) in der Perſon geirrt hatte.
Alsbald aber ermunterte fich fein Geift wieder
und er bedachte, wie die Blicke ded Volkes auf
ihn gerichtet waren, auch dem eingegangenen Bers
trage fein Recht gefchehen müfle. Doch wurde
ed ihm ſchwer, die eine, fo er faͤlſchlich begrüßt,
nicht anzufchauen und ftatt deffen die Nede an
feine künftige Hausfrau zu richten, ald dieſe
wieder zur Sefinnung zuruͤckkehrte.
Berehrte Braut — fo begann, er — wir
ſelbſt haben beibe Schuld an dem Irrthume,
ber eben begangen worden. Laßt und daher jedes
dem Andern fein Theil daran verzeihen! —
Luitgardis ſchwieg. Da hielt der Gefandte
ihres Vaters eine Anrede in wohlgefegten Wor
ten. Der König aber ſchloß feine Braut in die
Arme und darauf flieg alled wieder zu Nofle,
um ſich nach der Burg zu begeben. Luitgardis
dem Könige zur Linken reitend, glich einem todten
Leichname, fo bleich war ihr Geficht, fo ſtarr⸗
ihr Auge, —
Als nun in Karld. Kapelle der Segen über
dad Paar gefprochen wurde, da erfcholl ein Aech⸗
zen in des Braͤutigams Nähe. Aber er fah
nichts, wie er ſich danach umblickte. Doch war
es ihm, als koͤnne dieſer bange Ton einzig aus
der Siuſ jener Dame kommen, welche fein
60
Auge, ſeitdem er ſie faͤlſchlich für feine Braut
begrüßt, alles Fleißes vermieden hatte. Erents
deckte indeß die Dame nirgends, was ihn Wun⸗
der nahm und feine Andacht merklich ftörte.
Gleichwohl enthielt er ſich auch nachher des Fra⸗
gend nach ihr.
NIS die Dame jedoch den ganzen Tag nicht
bei der Tafel noch fonft irgend wo erfchien, wäh
rend alle ihred Gleichen ‘fortwährend um ihre
Herrin waren, da ſprach Karl am Abende, wie
niemand Mehr ald Luitgardid bei ihm faß:
Mein theured Gemal, ald Beweis, daß du
- wir den Fehler dieſes Morgend zu gut halten
und fein Arg aus dem Teidigen Zufalle nehmen |
willſt, laß und bdefienjegt ruhiger gedenken, und
entdecke mir , welches Herkommens und Namen!
die Diemerin iſt, der ich Worte ſagte, ſo ihr
nicht zukamen.
Darauf antwortete die Königin?
Beliebter Herr und Gemal, gern moͤchte ich
beſſere Antwort auf Eure Frage geben. Doch
weder ich, noch eins der Meinigen weiß etwasß
mehr von ihr, als daß fie Gunilde gehei Ben ift,
und ein mir unbekannter Ritter ſelbige, wenig
Tage vor meiner Abreiſe von Haufe, meinem
Herrn Bater mir zur Begleitung empfohlen
bat, dba eine meiner Dienerinnen erfranft war.
Beil fie nun eine ſtille und ſittſame Jung
61 |
fran ſchien, fo ift ſolche mir mit anbergegeben
worden. W
Und habt Ihr, Mein theures Gemal —
verſetzte der Koͤnig mitleidig — der Armen, die
ich nirgends wieber geſehen, meines Irrthums
halber für heute Suer Antlitz entziehen wollen ? —
Nein, geliebter Herr, ſagte die Kbnigin, mit
fehr aufmerkfamen Blicken auf den Gemat. Sie
fol, wie man mir berichtet, unpaß worden feyn.
Alles, alled die Schulb meiner trüben Augen,
die den gemeinen Stein’ für das Juwel, bie
fhönite Zier meiner Krone, anfahen! fprach ber
König unmillig über fich felbfl. — |
Defto zorniger war Karl, ald er, auf ſorg⸗
faͤltiges Nachforfchen, am folgenden Morgen er⸗
fuhr, daß ber Abgefandte feines Schwähers jene
Dienerin fofort eigenmächtig entlaffen und gen
Schwaben zurüdgefendet. Under fagte ibm:
Wie mochtet Ihr Euch fo unziemlicher Dinge
erdreuſten? Gerechtigkeit heißt der Grundſtein
meines Throns und Ihr wagt es, dieſen hier
vor meinen Augen dadurch zu erſchuͤttern, daß
hr waͤlzen wollt vor allem Volke auf die Schuld⸗
loſe den Verdacht irgend einer argen Schuld?
Wie kam Euch uͤberhaupt zu, Recht zu ſprechen,
in dieſem Reiche, uͤber eine, die Ihr ſelbſt mir,
Namens meines hochverehrten. Schwäherd, zu⸗
gleich mit-ber theuren Braut übergeben habt?
a
62 ‚
Schaffet fie zuruͤck, wo fie auch ſei, fo befehle
ih Euch. Zwar enthalte ih mich aller Bers
legung Eurer Perfon, wenn aber die Beleidigte
nicht. Binnen drei Tagen wieder an meinem Hofe
ift, fo werde ich, für Euren firafbaren Eingriff
in meine Gerehhtfame, Euren Kopf von meinem
Schwäher begehren. — Uebrigend ſei der Alwiſ⸗
fende mein Zeuge, daB hierunter Feinerfei Ne⸗
benabfidyt mich Tetet ! —
Wirklich that Karl, nach Gunildend Ruͤckkehr,
alles, um jeden möglichen Argwohn zu vermeiden:
allein nicht ohne den größten Kampf mit fi
felbft. Denn obſchon Gunilde keinesweges mit
biendender Schönheit begabt war, vielmehr ihr
höchfler Neiz in dem an Wildheit grängenben
Geuer ded dunfeln Auges lag, fo wurde doch des
Königs Blick, wo fie auch ſeyn mochte, zu ihr
hingegogen. Ja, wider feinen Willen, hatte fein
Gedaͤchtniß alle ihre Eigenheiten in Kurzem ders
geftalt aufbewahrt, daß — auch ohne fie zu
ſehen — er am ſchwaͤchſten Athem, am leiſe⸗
ſten Fußtritte, ſogleich i hren Athem und i ihren |
Fuß erkannte. —
Einſtmals bei Nacht, als Karl, ſeiner Sitte
nach, die Sternbilder beobachten wollte, welche
eben koͤſtlich hervortraten, da gewahrte er im
Burghofe an einem offenen Fenſter, dicht neben |
| dem Gemache feiner Gemalin, eine weiße Srauens
65
geftalt. Und fein Zrachten nach Deutung ber
fhönen Sterngebilde verging ihm ploglich über
der Seftalt. Obſchon kein Zug von dem Gefichte
zu erkennen war, fo wähnte fein Yuge doch eift
Paar dunfle Augen, heiler funkelnd als die hell⸗
ſten Sterne, einen füßen Liebesglanz zu ihm: her⸗
üderwerfen zu ſehen.
Da fragte er leiſe hinuͤber:
Dame, ſprecht, wie heißet Ihr, und was
treibet Euch, den holden Schlaf an die, auch
geuͤbtem Blicke oft unklaren, Geheimniſſe der
Nacht zu ſetzen?
Mein Herr und König, fprach dagegen bie
Dame, die Sterne find meine Bertrauten von
Kindheit an. Uebrigens ıft mein Name Gunitte,
Erlaubet mirdaher mich zuruͤckzuziehen, auf daß
Eure Anrede mich nicht abermals arger Deu⸗
tung ausſetze!
Mit dieſen Worten entfernte ſich das Fraͤu⸗
lein vom Fenſter.
Und das Vertrauen mit den Sternen, von dem
fie ſagte, ließ dem Könige Feine Ruhe mehr. Er
ging, um fie aufzufuchen. Doch gelobte er fich,
auf dem Wege alled zu vermeiden, was Bunils
dens Sittfamfeit beleidigen Tonne. Als er nun
vor die Thüre ihres Gemached gefommen war und
leife angefloyft und gefagt hatte:
Dame, vergönnet mir, in Gemeinfchaft mit
ne ne —
64
Euch, des Himmels Lichter, zur Erleuchtung
unſerer Pfade, anzuſchauen!
Aber das Fraͤulein ſprach:
- Mein Herr und König, Ihr gewaͤhrtet mir
Schuß gegen ein ungerechted Urtheil, wollet dar
her nicht. feibft durch Euer jegiged Thun dieſem
Urtbeile den Schein der Gerechtigkeit leihen.
*Gunilde — ſprach ber König — die Sterne,
deine Vertrauten, find meine Zeugen, daB ih
nichts will, ald ihre mir heut fo unklare Spra⸗
che vernehmen, von deinen Rippen, durch beine
Yugen. |
Die Sterne — antwortete dad Fraͤulein —
ja_fie fagen mir, daß ed Euer Ernft fei. Uber,
werden fie ed auch der Weli fagen, bie ihrer
. Sprache nicht Fundig ifE? Morgen am Tage
darüber, wenn Ihr wollt, —
Sie dffnete dad Gemach nicht und Karl begab
ſich, auf ihr Bitten, wieder hinweg.
Am folgenden Morgen mit ben Yrübeften
ließ die Königin, welche dicht neben Gunildens
Gemache fchlief, das Fräulein zu fich holen, ſchloß
fie in ıhre Arme und ſprach: Verzeihe, mein
Kind, dad Unrecht, fo dir durch den Abgeſandten
meined theuren Vaters widerfahren if. Der
Schlaf flohe mich in voriger Nacht; dba bin ich
Zeugin gewefen deiner Irene, vor dem Augen
blide, wo mein Gemal dir Unfprache abgewann,
‚ 68
bis wo er die Thuͤre deines Gemaches vetließ—
Fahre fort, treu und tugendlich mir zu dienen,
weiche jedoch dem Koͤnige, meinem vielgeliebten
Gemale, nicht alſo aus, daß er deſſen Verdacht
faſſe, weil dieſes ſeiner Leidenſchaft — wenn er
ſolche fuͤr dich empfinden ſollte — nur ein neuer
Sporn und Antrieb ſeyn wuͤrde. Uebrigens deute
mir doch, da dir die geheime Schrift der Sterne
befannt, was darinnen von meiner Zukunft ſteht.
Gunilde weiſſagete hierauf ihrer Herrin viel
Erfreuliches, und befefligte ſich hierdurch gar
ſehr in Luitgardis Gunſt. —
Den erſten Augenblick, wo Gunilde allein
war, erſah der Koͤnig, um ihre Entdeckungen
der vorigen Nacht zu vernehmen. Er flaunte
darüber, was die Sterne ihr verrathen. Zwar
hat ten fie fich gegen ihn durchaus nicht Far außs
gefprochen ; doch waren auch die Dunkeln Andeus
tungen, welche er ihnen verdankte, oft ganz im
Widerfpruche mit Gunildens volfländigen Auf⸗
ſchluͤſen, ſo daß der Argmwohn in ihm: fich regte,
feine Sternfunbe beruhe auf eitel falſchen Grund»
fägen. |
Nun ließ er nicht eher ab, als bis Gunilde
ſich entſchloß, die nachſte Nacht in Gemeinfcyaft
mit ihm den Himmel zu beobachten. Doc drang
fie Dabei darauf, daß Luitgardis dazugezogen
Werde, Dagegen lehnte fie Alkuins Gegenwart,
Geſpenſterbuch 7. Theil. &
64
Cuh, des Himmeld Lichter, zur Erleuchtung
unferer Pfade, anzufchauen ! |
Aber dad Fräulein ſprach:
Mein Herr und König, Ihr gewährtet mir
Schuß gegen ein ungerechted Urtheil, wollet dar
ber nicht. felbft durch Euer jegiged Thun dieſem
Urtheile den Schein der Gerechtigkeit leihen.
- Qunilde — ſprach der König — die Sterne,
beine Bertrauten, find meine Zeugen, daß ich
nichts will, ald ihre mir heut fo unklare Spra⸗
che vernehmen, von beinen Lippen, durch beine
Yugen.
Die Sterne — antwortete bad Fräulein —
ja_fie fagen mir, daß es Euer Ernft fei. Uber,
werden fie ed auch der Welt fagen, bie ihrer
Sprache nicht Fundig if? Morgen am Tage
barüber , wenn Ihr wollt. —
Sie dffnete dad Gemach nicht und Karl begab
ſich, auf ihr Bitten, wieder hinweg,
Am folgenden Morgen mit den Fruͤheſten
ließ die Königin, welche dicht neben Gunildens
Gemache fchlief, dad Fräulein zu fich holen, ſchloß
fie in ihre Arme und ſprach: Verzeihe, mein
Kind, dad Unrecht, fo dir durch den Abgeſandten
meined theuren Vaters widerfahren if. Der.
Schlaf flohe mich in voriger Nacht; da bin ich
Zeugin gewefen deiner Treue, vor dem Augen⸗
blide, wo mein Gemal dir Anfprache abgewann,
67
Hinderniffe entgegengefegt, bamit fie ihn deflo
feiter in ihre Schlingen befommen möchte.
Sein Umgang mit ihr warb von Tag zu Tage
feiner Gemalin, und fogar dem Reiche gefähr:
liyer. Nicht genug, daßer alle Freude verloren
hatte an ber Sorge für dad Negiment,-entfernte
er auch, fonder Zweifel bewogen duch Guni
dens falfche Auslegung der Geflirne, oder bes
Sräufeind ungezügelten Willen, die mädhtigfien
Stuͤtzen deſſelben. Erfing fogar an, die Feinde
Chrifti mit andern Augen zu betrachten und warb
nie mehr betroffen, im Leſen der Schriften hei⸗
liger Männer, wozu er vor Kurzem noch fogar
die Zeit während des Eſſens oftmald angemens
det hatte.
Da bat alled und beſchwor den Koͤnig, das
Rechte wieder wie vormals zu thun, und die
Dirne von ſich zu weiſen, die ſo viel Unheil
uͤber ſein Reich bringe.
Und aus den fernſten Gegenden deſſelben kam
allmaͤhlig eine große Zahl weiſer und heiliger
Maͤnner, um ihm ſeine Pflichten vorzuhalten,
und zu zeigen, wie durch ſo arges Beginnen die
Strahlen des Ruhmes verloͤſchen muͤßten, welche
die fruͤhere preißwuͤrdige Amtierung um des Koͤ⸗
niges Haupt gewunden hatte.
Aber weder der weiſe Erzbiſchoff Turpin, noch
ſeine Schweſter Gisla, die Aebtiſſin, welche ihm
E 2
68
vieles galt, kurz niemand, vermochte feinen
Sinn zu ändern.
Ein einzigesmal, ald die Kunde Fam, von
feined Zreunded, des heiligen Vaters Adriani
Ableben, da wollte er vor Nührung in Thränen
gerfließen, weil er fih unwuͤrdig fühlte des
Segens, ben der hohe Mann ihm hinterlaffen.
Aber nur. allzubald hatten Gunildens Blide
feine Thränen wieder getrocknet und ihre Lipoen
ihm die Ruͤhrung aus dem verkehrten Derzen
gefogen. —
Der große Nachtheil, welchen, unter anderm
Religion und Glaube durch die Umftände erlit⸗
ten, und daß man bemerkt haben wollte, Gr:
nilde gehe immer nur mit MWiderwillen zum
Tiſche ded Herrn, das bewog endlich mehrere
fromme Menſchen nachzuſpuͤren ihrem, bis da⸗
hin keinem bekannten, Herkommen. Und es
ergab ſich, daß fie eine Tochter war des Maus
tenfönigs Abdorrhaman, von einer Chriftenfifa:
vin zwar geboren, aber im NHeidenthume groß.
-gezogen , die von jeher der heiligen Laufe wider
firebt hatte.
Froh darüber, wie er mit dem Gewicht fol
her Kunde dad Herz ded Königs auf Einmal
zum Guten fehren wolle, trat ber Erzbifchor
von Rheims zu Karln.
69
Uber wie entfeßte fih der Dann Gottes, .-
ald auch dad den König nicht von Gunilden
wenden konnte, vielmehr derfelbe darüber in die
Worte ausbrach: Und fei fie wer, und waß fie
wolle, Qunilde verdient der Franfen Königin zu
ſeyn, und ich habe beſchloßen, diefem würdigen
Haupte die Krone nicht länger vorzuenthalten.
Darauf ließ Karl wirklich eine Eoftbare Krone .
bereiten. Che er folche aber der Heidin auf ihr
Haupt fegen Eonnte, ſchien der Himmel die,
große Noch, welche dad Reich erlitt und noch
bedrohte, durch den Tod der böfen Dirne hins
wegnehmen zu wollen. Denn der Argwohn war
nicht ohne Grund, daß fie wirklich darauf aus⸗
ging, das Chriftenehum wieder auszurotten.
Schon freute fih alles Volk ber wunderbar
ten Rettung gar fehr. Der König aber, außer
fih in feinem Schmerz, Tieß den Leichnam. mit
den Föftlichften Salben verfehen, und als berfelbe
nun beigefegt werden follte, fo verhinderte er.
ſolches und that die Krone auf ber Todten Haupt
und lag vor ihr auf den Knieen Tag und Nacht.
Ja, der Erzbifchoff Turpin, welcher wenig mehr
aus der Gegend feined Gemaches ſich entfernte,
vernahm einftmald, daß der König in feiner
Verzweiflung mit lauter Stimme gelobte, zum
Heidenthume zurüdzufehren, wenn Gunilde wieder
68
vieles galt, kurz niemand, vermochte feinen
Sinn zu Ändern. |
. Ein einzigeömal, ald bie Kunde Fam, von
feined Freundes, des heiligen Vaters Adriani
Ableben, da wollte er vor Ruͤhrung in Thraͤnen
zerfliegen, weil er fi unmwürdig fühlte des
Segend , ben der hohe Mann ihm Hinterlaffen.
Aber nur. allzubald hatten Gunildens Blicke
feine Thränen wieder getrocknet und ihre Pippen
ihm die Rührung aus dem verkehrten Herzen.
gefügen. —
Der große Nachtheil, welchen unter anderm
Religion und Glaube durch die Umftände erlit⸗
ten, und daß man bemerkt haben wollte, Gr:
nilde gehe immer nur mit MWiderwillen zum
Zifche des Herrn, das bewog endlich mehren
fromme Menfhen nachzufpüren ihrem, bis da
bin keinem befannten, Herkommen. Und «
ergab ſich, daß fie eine Tochter war ded Mau
renkoͤnigs Abdorrhaman, von einer Chriftenfflas
vin zwar geboren, aber im Heidenthume groß
‚gezogen, die von jeher der heiligen Taufe wider
ſtrebt hatte.
Froh darüber, wie er mit dem Gewicht folk
her Kunde dad Herz ded Königs auf Cinmel
zum Guten fehren wolle, trat der Ergbifchor
von Rheims zu Karln.
69
Aber wie entfegte fih der Mann Gottes, ..
als auch dad den König nicht von Gunilden
wenden konnte, vielmehr derfelbe darüber in die
Worte ausbrach: Und fei fie wer, und was fie
wolle, Gunilde verdient der Franken Königin zu
feyn, und ich habe beſchloßen, diefem würdigen
Haupte die Krone nicht länger vorzuenthalten,
Darauf ließ Karlwirflich eine koſtbare Krone
bereiten. Che er ſolche aber der Heidin auf ihr
Haupt fegen konnte, ſchien der Dimmel bie,
große Noch, welche das Reich erlitt und noch
bedrohte, durch den Tod der boͤſen Dirne hins
wegnehmen zu wollen. Denn der Argwohn war
nicht ohne Grund daß fie wirklich darauf aus⸗
ging, dad Chriftenthum wieder auszurotten.
Schon freute fih alle Volk ber wunderbas
ten Rettung gar fehr. Der König aber, außer
fih in feinem Schmerz, Tieß den Leichnam. mit
den koͤſtlichſten Salben verfehen, und als derfelbe
nun beigefegt werden follte, fo verhinderte er
folhes und that die Krone auf ber Zodten Haupt
und lag vorihr auf den Knieen Zag und Nacht.
Ja, der Ergbifchoff Zurpin, welcher wenig mehr
aud der Gegend feined Gemaches fich entfernte,
vernahm einftmald, daß der König in feiner
Verzweiflung mit lauter Stimme gelobte, zum
Heidenthume zurüdzufehren, wenn Bunilde wieder
ne nn.
70
erwadhen, und nur ein Jahr lang feinen Thron
mit ihm theilen wolle. |
Enntbrannt darüber im heiligen Eifer, wollte
eben der fromme Mann das Gemach eroͤffnen,
in dem ſolch ein Graͤuel ſich kund that, als er,
noch außen, ein Jauchzen des Koͤnigs vernahm,
ſo daß er meinen mußte, der arme Herr ſei in
ſeinem Schmerze ploͤtzlich wahnſinnig geworden.
Wie er nun anſtand, das geweihte Kleid, das
er trug, der Verletzung durch die Hand eines
Wahnſinnigen auszuſetzen, da nahm er eine
Spalte wahr in der Thüre und fahe durch dies
felbe, daß der Leichnam in der That fih aufge⸗
richtet und einen Schein des Lebens erhalten hatte.
Doch Faum, daß der Erzbifchoff die Thuͤre
mit geweiheter Hand berührte, fo fiel. die Leiche
wiederum leblos zurüd, Da ward Karl hocher⸗
grimmt über fein nunmehriged Eintreten, weiler
feiner Nähe die Reblofigkeit Gunildend mit Recht
zuſchrieb. Doch ging ſolch ein Glanz aus von
dem Dianne Gotted, daß den König ein Schauer
anwanbelte und er Feine Worte batte, ihm fol
ches zu verweiſen.
Als aber nun der Erzbiſchoff des Koͤnigs Hand
ergreifen und ihn aus dem Zimmer fuͤhren wollte,
mit den Worten, daß er feinem Reiche noͤthi⸗
ger fei, ald fo haͤßlichem Leichname, da wehrte
» Äi
Karl ihn dennoch heftig ab und fagte in feiner
Verzmeiflung s
Hier, bier ift mein Reich unb mein Leben
und mein Himmel. Eben erwachte diefed theure
Haupt von feinem Schlafe und verfpradh, den
Thron fortan mit mir zu theilen. Geht, eilet,
foldje® Fund zu thun allem Bolfe!
Als nun Zurpin fahe, daß der König durchs
aus nicht zu bewegen war, dad Gemach zu ver»
laffen, da gedachte er ded Reiches und der Kirche
mit betrübtem Herzen, und ging in die Kapelle,
und warf fi vor dem Altare nieder, um Er⸗
leuchtung flehend , wie ſolchem ungeheuern Fre⸗
vel zu ſteuern fei.
Und wie er bier auf feinen Kinieen lag, ers
ſchien ihm der Engel des Hertn und erfüllte feiner
Geift mit einer wunderbaren Klarheit, daß er fah,
wie alles Höfe von dem unfeligen Ninze herruͤhre,
ten Karl; feiner Berwarnudg nicht achten, einft
bei Nacht im Walde von jener Alten angenoms
men. Dieſe arge Zauberin 'ging in der That
darauf aus, den König durch den eben erfl, einzig
fürihn bereiteten, Ring, dem Chriflenthbume abs
wendig zu machen. Aber des Ringes Zauber war
zu ſchwach gemwefen wider die Glaubendftärfe des
Helden. Darum nahte fich die Alte einftmafs
bei Nacht, wahrſcheinlich unfichtbar, wie Karl in
ftinem Zelte ſchlief und zog ihm den Ring wieder
—
72 4
vom Finger. Und wie einſt die Schlange Evam,
ſo ſollte ein ſchlangengleiches Weib ihn nunmehr
verfuͤhren, und der Ring dem Weibe in ſeinen
Augen, eine Schoͤnheit, ſelbſt durch den Lob
unzerſtoͤrbar, verleihen, auch, unter der Zunge
getragen, die ſuͤßeſten Worte einflößen. Gunilde
war ed, welche von der Hexe hierzu auserwaͤhlt
wurde. —
Da warf ſich der Erzbischof auf fein Antlitz
nieder, den Himmei preifend für ſolche Dffenbar
rung, und ging flugd zurüd nad dem vorhin
verlaffenen Gemach und erfah durdy die Spalte
ber Thüre, daß Karl, ben Ellenbogen auf ben
Tiſch geſtuͤtzt, fein Haupt in der flachen Hand
hielt und eingefchlummert war, auch die Entfeelte
noch mit gefchloffenen Augen dalag. Und er er
dffnete die Thuͤre Teife und fihlich Binein nad
dem Leichname zu, bed Vorſatzes, ihn den Mund
aufzuthun und ben gefährlichen Ring hexauszu⸗
nehmen. .
Kaum aber, baßber Erzbiſchoff die Lippe der
Leiche beruͤhrt hatte, ſo weckte die unſichtbare
Gewalt, welche fie, Kraft des Ninges, über den
König übte, diefen and feinem Schlummer.
Darauf riß Karl in grimmiger Wuth fein
Schwert aus der Scheibe, um damit hergufallen
über den Erzbifchoff,, daß er fidh ſolcher Dinge
erdseuften möge. Doch fchon bevor es geſchah,
75
war der Ming in des Ersbifchoffd Hand und er
reichte ihn ruhig fächelud dem Könige, der eben
das Schwert Aber feinem Haupte geſchwungen
hielt.
Und ald der König den Ning für denſelben
erkannte, den er unbemerkt wieder verloren hatte,
ſo fiel faft zugleich fein Blick aufden todten Koͤr⸗
ver Da erfchraf er gewaltig. Denn wie allen
Andern, kam er ihm nun leichenhaft und abſcheu⸗
lich vor, und er ſahe wohl, daß ſeine zeitherige
Berbfendung von dem argen Zauber herruͤhrte,
der ihm erſt dann etwas anhaben können, als
er mit diefem Weibe zufammengerathen war.
Und bad Schwert fanf von ſelbſt aus ſeiner
Hand.
Fort, fort mit dieſem Leichname, der mir
Herz und Leben, wie jenes Feuer die Luft, ver⸗
peſtet hatte! So rief er und eilte am Arme des
Erzbiſchoffs aus dem Gemache und vernahm von
dieſem die wunderbare Weiſe, wie der Herr dem
frommen Manne das Geheimniß zu ſeiner Ret⸗
tung mitgetheilt hatte. —
Nun aber, ſprach der Erzbiſchoff/ ‚ nun ſei
Euer Erſtes, mein König, das Fingerlein von
Euch zu thun, auf daß ed feine teuflifche Gewalt
fortan nimmer an Euch, noch irgend einem uͤben,
oder den Feuergeiſtern, ſo es bereitet, wieder in
die vande gerathen moͤge!
21*
74
Da gab der König alsbald den Ring dem
frommen Danne und biefer ſprach, ihn in die
Hoͤhe haltend:
Aus der Flamme ginaft du hervor, um Gew
len zu werben für die Slamme Damit du auf
immer von der Gemeinfchaft mit deinem Urfloffe
gefchieden feift, ſoll jet die Welle dich verfchlingen.
Und der Erzbifchoff warf den Ring in den
See, der vor ihnen lag und fegneteden König
ein und diefer fief fodann, neben ihn, auf feine
Kniee, um Gott zu danfen für dad gerettete
Heil feiner Seele.
Sodann eilte Karl mit ihm zu feiner Hauds
frau , die er lange nicht gefehen hatte. Die er⸗
ſtaunte gar ſehr, daß er, da er doch zeither
faſt hart und unfreundlich mit ihr verfahren,
jetzt fo ſchuͤchtern und mild auf ſie zukam. Da
winkte er dem Erzbiſchoff, ihr zu erzaͤhlen, was
geſchehen war, Und die Königin, ala fie es
vernahm, war deß über die Maßen froh und
reichte dem Neuigen ihre Rechte.
. Da fagte der König: Mein: hergallerliebfies
Gemal , der Himmel ſchenkt dich mir heute zum
zweiten Male. Jetzt begreift du wohl, wie ich
fo..rafend ſeyn Fonnte, dein ſuͤßes, Tiebreiches
Antlitz, die hohe, abeliche Geflalt und Geberte,
bei der Larve zu überfehen, durch weiche die
25
Hölle mich zu locken dachte auf ewig in ihren
Abgrund ?
Der König traf fodann Anſtalt zu einer
nochmaligen Feier feiner Hochzeit, wozu die edels
ſten und flattlichflen Gäfte geladen wurden, im
Teiche weit und breit.
Und alles Volk jauchzete und preifete Gott,
der dad Herz ded Könige regiert hatte. —
Ab nun Karl an fich bemerkte, die Gewalt
des Ninged dauere gewiffermaßen noch fort, ins
dem fein Auge, auch wider Willen, nad jenem
See gezogen wurde und feine Vorliebe für die
Stadt Aach fo groß war, daß er, von ihr im
Staatögefchäften abweſend, fletd eine unübers
windliche Sehnfucht nach berfeiben hatte, und
nicht ruhen Fonnte, bis er.zurüd in ihre Mauern
wur, da entdeckte er ſolches einit Herrn Alkuin,
feinem Treunde, und ſprach fobann :
Der Zauber, welcher bierunter waltet, foll
Bald. einem bimmlifchen Zauber weichen müffen.
Denn. ich bin entfchloffen, zu Abbuͤßung jener
und anderer Sünden, dem Himmel ein Heiligs
thum zu errichten, beffen Pracht nirgend feines
Gleichen finde —
Sofort ließ er auch aus ferien Landen Fofls
liche Säulen und Marmelſteine herbeiführen,
und Künftfer und Bauleute Famen aller Art,
aus der ganzen Welt, nady der Stadt Aach.
]
716
Zum Auffeher des Baues aber erkiefete er feinen
Getreuen, Herren Eginhard.
So wurde dad Münfter unferer lieben Grauen
aufgerichtet, von acht Pfeilern getragen, mit
ehernen Thuͤren wohl verfehen und mit Golde
und Silber reich geſchmuͤckt.
Als nun nach fieben Jahren dieſes Heilige
Haus beendigt war, da berief ber König zum
Meihungstage eine große Zahl von Zürften und
Grafen und Herren feined weiten Reiches, vor
naͤmlich auch Bifchöffe, dreihundert und fünf
und ſechszig an der Zahl ; Tegtere, damit indie
fen Münfter jeglicher Tag im Jahre eineb from
men Mannes und deffen befonderer Borbitte fi
erfreuen möge. Die Weihe felbft gefchah_am
Dreifönigöfefle, im achthundert‘; und vierten
Sabre nach der Geburt unferd Herren, durch
. den heiligen Bater Leo, weldyer deßhalb von
Rom anher gekommen war. Aber zwei Biſchoͤffe
von jenen dreihundert und fünf und ſechszig
Hatte der Herr inzwifchen zu ſich genommen.
Und Monulphus und Gondulphus, fo warın
die beiden feligen Männer geheißen, fteigen ber’
vor aus der Gruft ber Kirche bed heiligen Ser
vatius, wo fie begraben liegen, unb wandeln
betend nach dem Münfter unferer lieben Grauen.
Dort nehmen fie, zu großem Erfkaunen aller,
ihre Plaͤtze ein-und Tehren, ald der heilige Vater
77
ben Gegen ausgefprochen, wieder zuruͤck in ihre
Grabesſtaͤtte. —
Der See aber, in welchem jener Ring ſich
befand, wurde vom Kaiſer — denn dazu war
Karl nun ſchon vier Jahre zuvor gekroͤnt wor⸗
den — uͤberbaut mit einem praͤchtigen Pallaſte,
den er ſein Lateranum zu nennen pflegte. Die
Bosheit des Zaubers in beſagtem Ringe war
durch Karls Buße und die Kraft feiner frommen
Stiftung gänzlich gebrochen, doch feffelteihn nun»
mehr eine heilige Gewaltandie Stadt Aach. Sie
blieb auch fein geliebtefter Wohnfig, den er, for
bald ihm Ruhe vergonnt war, immer wieder
mit Greuden auffuchte und wo er eined frommen
und unfträflicden Wandels ſich befleigigte, bis
der Herr ihm heimführte zu feiner Gnade.
Die
Qungfrau des Pöhlberges.
Gneutfünzmuukunstuägn,
1.
Ni. hohe geräumige Burg Tag wie ausgeflorben
da. Ritter Bolko von Wendenfee litt an heftir
gem Gichtfchmerz, und Mechtilde, feine junge
lieblich blühende Gemalin, bie ihre füßen Erwar⸗
tungen von der Ehe mit dem reichen Manne nidit
im minbeften erfüllt fah, fing an, bed Gefchäfts
einer Kranfenwärterin überdräffig zu werden.
An gefellige Freude Fein Gedanke, da alled Junge
und Wehrhafte aus der Gegend laͤngſt fortgezo⸗
gen war in den Krieg nach Franfreih, und bie
wenigen aurücgebliebenen Edeln der Nachbar⸗
ſchaft, gleich dem Ritter Bolko, durch Hinfälligs
keit an ihre Behaufung gefeffelt wurden. —
Endlih, nad langem, fruchtlofen Darren
erfhol die Kunde vom Frieden und von ber
Heimkehr. Zugleich vernahm Ritter Bolko, daß
fein Stelivertreter im Kriege, der Knappe Adels
79
bert von Yuldringen,, wegen ausgezeichneter Hels
denthaten, vom Kaifer felbft zum Ritter gefchlas
gen worden. Dad Herz ded Kranken klopfte
mächtig bei dieſer Nachricht feined Waffenzoͤg⸗
lingd und Mechtilde bereitete für den Abend, an
dem dad Häuflein eintreffen follte, ein feftliches
Mahl, um dem neuen Nitter die wohlverdiente
Auszeichnung widerfahren zu laffen. —
Die Gegend war in rothen Abendglanz ges
hüllt, ald der Thurmwart hereintrat, die Kom⸗
menden anzufagen. Nitter Bolfo, geflüßt auf
fine Gemalin und einen der Knechte, wanfte
ſelbſt nach dem Söller. Aber die Freude, wors
auf fein Auge gehofft hatte, ward beim Nähers
fommen ded Häufleind fehr geftört. Viele Tapfere,
nach denen er umherfuchte, wurden fchmerzlich
vermißt. Ueberhaupt war die Schaar gar merfs
lih zuſammengeſchmolzen.
Defto frifcher und ftattlicher ritt der Anführer
derfelben einher. - Der junge Held ſchien währ
rend der kurzen Abweſenheit von achtzehn Mons
den um eine ganze Spanne größer und daß licht⸗
draune Roß, welches ihn trug, flolzer auf den
fo kraftvollen, wwurbigen Herrn geworden. Medhs
tilde Fonnte ihr Trunkenſeyn von feinem Anblicke
nicht verbergen. Bolko billigte ed und nahm
die goldene Kette, welche von feinem Halſe her⸗
abding und ſprach: Weine vielgeliebte Gema⸗
do
lin, unſer gnaͤdigſter Kaiſer hat ihn nach Wuͤr⸗
den geehrt, an uns iſt es, ihn zu zieren. Gehet
Ihr ihm entgegen mit dieſem guͤldenen Kleinod
und haͤnget es ihm um den Hals. Es wird
Adelberten gewiß doppelt theuer ſeyn, als der
Preiô meiner und feiner Tapferkeit.
Die Sreude beflügelte Diechtildend Schritte
Kaum bemerkte Udelbert unten die ihm entgegen
Filende, fo fprang er vom Noffe ihr feine Ehr⸗
furcht zu bezeigen. In demfelben Augenblide
ſchmuͤckte ſie ihn mit der goldenen Kette und
ſprach:
Herr Ritter, vergoͤnnet auch der Freund⸗
ſchaft, den Heldenmuth zu ehren. Ich bin ſtolz
darauf, daß mein Gemal die Vollziehung feines
Wunſches in meine Hand legte,
Und ich, edle Frau — antwortete Adelbert,
fie die Stiege binaufgeleitend — ſchwerlich wuͤrde
dad Ritterfihmwert mir geworden ſeyn, hätte ich ſo
gezittert in der Schlacht, wie jegt vor Beſchaͤ⸗
mung buch Eure namenlofe Guͤte.
Guter Adelbert ! ſprach Mechtilde, wohl mer
kend, daß ein Theil feined Zitternd auf Rech⸗
nung ihrer hohen Reize zu fegen war.
Nennet mich immer fo, wie fonft, edle
rau, erwieberte er. Ich ziehe diefe Anrede
(dom darum vor, weil aus Euerm ſchoͤnen Munde
Seine fchmeichelhaftere denkbar iſt, auch dad Wort
gut. in Beziehung auf mid von Euch ausge
81
ſprochen, mir fietd als Richtſchnur beffen dimeh
wird, dem ich vor Allen nachzuftreben habe. —
Bolko ließ firh bis am die Thuͤre des Ge⸗
maches bringen und druͤckte den Eintretenden mit
inniger Liebe an fein Derz.
Bei Tafel, zu welcher mehrere ebenfalls: heimge
kehrte Ritter geladen waren, ſaß die Wirthin neben
Adelbert. Aber je hoͤher nach und nach ihr Kroßk
finn flieg, befto fliller und. in fich gefehrter ward
der Ritter. Mechtilde hielt diefed für das Zei⸗
chen einer beſondern Neigung zu ihr, von der
Furcht in Schranken gehalten. Daher fagte fie
ihm am folgenden Lage, fo oft fie allein war
mit im, von der Sehnſucht, mit der fie feine
Ruͤckkehr erwartet habe, und wie ihr Gedanke
immer bei ihm geweſen fei. Doch felbft hier⸗
durch ward die Schuͤchternheit ded Juͤnglings
nicht gehoben - oder auch nur vermindert; viel
mehr zog fich der Nitter am Ende ganz von
ihr zuruͤck. Denn Huldringen verſchmaͤhte ein
Gluͤck, welches er durch Verrath feines theuern
Erziebers hätte erreichen Tonnen. —
Unfer diefen Umftänden hatten die unverkenn⸗
baren Liebesbewerbungen Mechtildend fogar eine
ſehr nachtheilige Wirkung auf feine Neigung zu
ihr. Gleichwohl verfäumte er nicht, ber Gattin
des Hochverehrten Lehrerd und Freundes überall,
wo er mit ihr zufammentraf, bie Ehrfurcht zu er
Sefpenfierbuch 7. Theil,
m ar
52
weeifen , weldye fe als ſolche von ihm fordern
konnte. —
So ſtanden die Sachen, als Ritter Bolko
allmaͤhlig immer mehr von Kraͤften kam, und
endlich gar dad Leben verlaſſen mußte. Mech⸗
silde war außer fih vor Schmerz; an feinem
Sterbebette. Das Gewiflen mochte ed feyn, was
‚Sie fo ängfiete, maß ihr den untreuen. Sinn
gegen denjenigen vorwarf, dem fie. ewige Treue
gelobt hatte.
Der ſchuldloſe Udelbert, weit. entfernt ihrer
Verzweiflung biefe Undlegung zu geben, machte
fi) in der Stille bittre Borwärfe, daß er ihr
uneigennägiged Wohlwollen gegen ihn früher
ganz falfch verflanden habe, und bemühte fi
eifriaft, ihr Troſt zuzuſprechen. Vielleicht wären
auf diefem Pfade ihre geheimften Wuͤnſche noch
von felbft zur Erfüllung gelangt, bätte nicht
Adelberts inniger Antheil ſie zu fruͤh an's Licht
gerufen, Die von Liebe zu ihm heftig gluͤhende
Frau wagte ſchon bald nad) dem Begräbnißtage
ſich recht offen gegen den Mitter zu erkennen
zu, geben und erkaͤltete damit feine Gefühle mehr
ald jemals. —
Vergebens fuchte ihr Schmerz hierkber ſich
in die Zrauer um den Berfiochenen zu kleiden.
Huldringen wurde nicht mehr getauſcht durch
bieſet Gaunkelſpiel
“
.
63°
2
Um fo trauriger mußte ed der Witwe bei
ihren Beſtrebungen feyn, daß jeßt Adelberten
durch den Tod eined Oheims, beffen Burg, auf
dem Poͤhlberge bei Schredenberg *) gelegen, zus
fil, und er bier feine Wohnung auffchlagen
woilte. Manche Vorftelungen gefchahen dagegen
von ihrer Seite, Beſonders fuchte fie die Pflichs
ten gegen bie verlaffene Witnve feined Erzieher
ihm vorzuhalten. Weit entfernt, dieſe gu vers
fennen , trug daher Abdelbert einem Waffenbruder
auf, fi) Mechtildend anzunehmen. Denn bie
Burg auf dem Pöhlderge und die dortigen Uns
terthanen legten ihm noch nähere Pflichten auf
und forderten feine Gegenwart zu dringend, ale
daß er der fchönen Zrauernden hätte nachgeben
Tonnen. —
Am Abfchieddmorgen flampften Huldringens
Noffe fchon lange, des Scheidenden harrend.
Immer hatte Mechtilde ihm noch ein Wort zu
fagen und die Laft ihres Herzens, durch nafle
Augen und ſchweres Athemholen hinlänglich verr
tathen, ſprach fein Mitleid zu rühbrend an,
um fie durch Eilen noch mehr zu verlegen. Ends
lich aber als ihre ſchwer verhaltenen Thraͤnen
hervorſtuͤrzten, da ſprach er: Edle Frau, das
2) Sen Annaberg, im ſaͤchſiſchen Erisebirge.
52.
-
64
Scheiden ift wahrlich ſchrecklicher ald die Trennung
feldft, Taffet und daher endlich das minder Schlim⸗
me vorziehen ! —
Dazu reichte er feine Hand zum flummen
Lebewohl! Aber Mechtilde hielt ihn feit und
fagte: Es fei, Adelbert. Doch befchwöre ich
Eud mir Nachricht zu geben, fobald Ihr ange
fommen feyn werdet auf Eurer Burg, und üben
Haupt dad Band nicht ganz zu zerreißen, welches
Euch fonft fo feſt an diefe Gemaͤcher und Gegend
feffelte. War ich doch immer Eure treuefte Freun⸗
din! Vergebt mir darum auch, wenn es einiger
. mal dad Unfehen hatte, ald wolle idy gar noch
um Eure Liebe werben. Achtet dieß ald Augen:
blicke der Berirrung „ eben durch die Innigkeit
meiner Freundſchaft erzeugt. Gedenket derjenigen,
welche hier beten wird für Euer Heil auf der eins
.famen Burg; der nichts mehr Freude gewähren
wird aufder Welt, als diefed Gebet, und deffen
Erfüllung. Adelbert, jener Abend, an dem hr
fiegreich zurüctehrtet und ich auf dad Geheiß
meines feligen Herrn Euch diefed güfdene Kleinod
umhing, der fer Euch unvergeffen und deute auf
dad Berhältniß bin, das für immer nun flatt
finden muß zwiſchen und. Eure $reundfchaft
für immer !
Sür immer! Und zwar bie treueſte, innigfie
Freundſchaft! rief Adelbert aus, zog ihre Dand
!
|
85
ft an fein Herz, dann an feine Rippen und
eilte hinweg. .
Schluchzend ftredite Mechtilde ihre Arme nach
ihm aus, ald wolle, ald müffe fie mit ibm.
Dann eiftefie nach dem Söller, um den mit den
Seinen Davonjagenden noch einmal in’d Auge zu
faffen, unbefümmert in ihrer Leidenfchaft darum;
welche Auslegung die Burgfeute ihrem qualvol⸗
len Zuflande geben möchten. —
3.
Adelbert vergaß nicht, was er zugeſagt hatte.
Erſt gab er ihr, ſogleich nach der Ankunft auf
ſeiner Burg ſchriftliche Nachricht, kam auch, ſo⸗
bald nur das Noͤthigſte beruͤckſichtigt war, ſelbſt
wieder zum Beſuche zu ihr. Ihre Freude war
ungemein groß daruͤber. Als er aber züruͤck nach
ſeiner neuen Heimath kehrte, da fuͤhlte ſie recht
ſchmerzlich, daß die Freundſchaft des von ihr ſo
innig Geliebten, ihrem Herzen doch keine Gnuͤge
tue, und er gleichwohl bei bet bloßen Freund⸗
ſchaft fichen bleiben werde — "|
Der Abend diefed zweiten Scheidetages war
für fie finfter in jeder Ruͤckſicht. Rings um
die Burg lagen ſchwere Gewitterwölfen und der
Sturm, welcher ſie eben vollends zufammtenjagte,
ſchien auch Mechtildens Gefühle in wilde Glut
zu entzuͤnden. Wie thoͤrigt eilte fie aus dem
| —
Tr u —— nt
a um - u. uch - elle “ —
—
86
Surgthore i in den Garten und von diefem wieder
herauf nach dem Söller. Ihre Blicke hafteten
ſtarr an. der Stelle, wo Abelbert: ihr zufegt ven
ſchmunden war. Ihr ſchoͤnes leidendes Auge
ſchien ihn zuruͤckzaubern zu wollen.
: Mit der eintretenden Dämmerung rief fie
ihres vertrauten Freundin, daß diefe ihr die Zither
Holen. follte Sie riß folche der Damit herbeieilen⸗
den Jutta aus der Hand, und mitten ım Brau—
fen ded Sturmwindes griff fie aufd heftigſte in
die Saiten und fang, dazu ver zweiflungsvell
hinauf in die Wolken ſihauend, ein Lied, ohn⸗
gefaͤhr folgendes Inbalts:
Heulet nur, fliegende
Schwarze Geſlalten.
Stuͤrmet, die truͤgende
Welt zu zerſpalten!
Donnerkeil ruͤnde dich
Sie zu verheeren;
Blitzſtrahl entzuͤnde dich, |
Mich zu verzehren.
Jugend, was logeſt du,
Mit holdem Gleißen?
Buſen, was wogeſt du,
Ohne zu reißen?
Heulen iſt nicht genug,
Treuloſe Winde,
87
Daß vor bed Lebens Trug „
. Brieben ich finde. ER
In mir ein Slammenmeer, 2
Eifiged Quäfen 0
Draußen, drum Flammien ber, u
Mich zu vermählen! — !
Außer Sich ſchlug Mechtilde hierauf die Zicher
an dem Gemäuer entzwei und fchien Abſichten
Ich aus dem immer nachtlicher gewordenen Him⸗
mel ein Blitz herunterfuhr. Da flürzfe ſie auf
die Kniee ‚nieber, die Arme hoch hinauf reichend,
ald fordre ſich nochmals dringender einen toͤdten⸗
den Strap! für ihr Herz.
Tpeure Mechtilde! — — ſorach Jutta trſlend
Du bies 2 rief bie Burgherrin, welche, in ihrer,
Pein ganz vergeffen hatte, daß fie nicht. allein
war, und reichte der Freundin, die Band, . ..n
Sch hoffe — fagte Mechtilde als die Dlitze
immer flärker und heftiger wurden — ich hoffe,
daß ber Himmel, der inich gang außer: Acht
gelaſſen, endlich meiner gedenken werde. -Diek:
will ich auf meine Erlöfung harren. Dad Scheine
leben, bad ich fo Lange fehon. führe, iſt fürber
nicht zu ertragen: ich begehrte den Tod! — 3
Geliebteſte Freundin — fagte Jutta richt
fo finſtre, ſchreckliche Gebanten ! er
X
68
Alb 05 eine Lebendigbegrabene wie ich, freunds
Tide hegen Konnte! — rief Medhtilde aus, und
Jutta fuchte vergebens, tröftend auffie zu wirken,
und fie zum Verlaffen des Söllerd ‚zu bewegen,
da das Ungemitter ſchon ihren Haͤuptern nabe
fland ‘und der heftigſte Regen aus der, fhwarzen
Napht herunterfiel. |
Ge armes gint ſprach Mechiilbe. Ich
wi dir ja. nicht Theilnahme zumuthen, an dem
Stick, welches‘ a ‚Hier ſehnlich
fein keine Loos, aß ihre Sreundin.
Mechtilde —— fie in ihre Arme ünd ſprach
bann, fie von’ ſich lößend, als eben wieder ein
heftiger Blitz die Gegenb furchtbar erhellte: Ent
ferne Dich wenigſtens · von mir. Der Blitzſtrabl
ben ich meinem Leben vom Himmel ertrotzt gu
BRöbr hoffe, ſoll sen deinigen nicht ſchaben, wel⸗
chem die "Freude noch auf. tauſend Wegen ent⸗
FENG jauchzt.
Nglita zoͤgerte noch‘ ämmer- in ber’ ne ber
Freundin. Doch diefebräng ‘ daranf, daß fie
wertigftend bis an die entgegengefegte Seite dei
Soͤllers, weit von ihr: wegging.
Armed Kind — rief Mechtilde, der Freundin
Schluchzen vernehmend — geh doch, gehe hinein.
So furchtbar Haft du sign feine Nacht im
Sreien zugebracht: —
ge mn — 1
09
Doch habe ich's! erwiederte jene, Es wirh,
nun jährig, daß ich eine weit ſchrecklichere erlebte,
drunten im dicken Eichwalde. Weißt du noch,
Mechtilde⸗ als ich am Morgen hineintrat zu dir
und du mi Faum wieder erkannteſt, ſo bleich
und entſtellt, wie ich ausſah? Sch fügte damals
die Urfache nicht „weil ich mid) derfelden fhämte.
Denn ich hatte: einen ungeheuern Frevel begangen?
ih war in der Huͤtte jener Alten geweſen, ‚bie
man nur immer die graue Waldfrau nennt.
Was wollen du dort? fragte Mechtilde. |
Du erinnerſt dich doch — verfegie Yutta —
daß Heinrich damald mir, untreu geworden war.
Weil nun gi Hei, gar nicht von ihm abließ,
fo begab ; ich mid) eine Tages zu der Aiten und
fragte die, was wohl anzufangen fei, um ihn
mir zurädzußringei'?' — BE woͤllen ſehen!
ſprach dieſe. Geduldet Euch mar bis zur naͤchſten
Gewitternacht. "In der aber Tomınf "zu mir
Denn recht Eräftige kLiebestraͤnke laffen ſuch nur bei
naͤchtlichen Bligen deteiten. Ich vrrfprach biers
auf, mich einzuſtellen. — Schon am”; zweiten:
Abende thuͤrmten ach die Wolken auf. und das
Better Fam wirklich heran. Da ſchlich ich mich,
mie Hülfe ber Frau ded Thorwarts aus der
Burg und (begab wich. in den. Wald. Beine
Büße ſchienen brechen zu wollen, fd ſchauerte
Bir vor dem Schritie, Aber der gewaltige Drang
90
meines Herzens machte boch, daß ich mich zu⸗
ſammenraffte. —
Die Nacht war rabenſchwarz. Die Blitze,
welche von Zeit zu Zeit den Wald in Flammen
ſetzten, leuchteien mir nothduͤrftig durch dad Dit;
kicht bis zu der Waldfrau. Schon hatte ein
Wetterſtrahl mir ıhre Hütte gezeigt. Mähren
ich aber darauf. Buging, war alled wieder finfter
geworden. Doch bemerfte ich an ber Stelle, wo
ich mir die Hütte denfen müßte, ‘ein Paar Jun
fen neben ‚einander, mitten. in der ſchwarzen
Nadıt. "Auf diefe ging ich zu und erfchrad nicht
wenig, als jetzt die Waldfrau ſelbſt, dicht ver
mir ſtehend, mich anredete. Die beiden Jun
fen. waren. ihre Augen gewelen.
. Habt ein ſchoͤnes Naͤchelein getroffen, Schr
kein! ſorach Die Alte, Gebt, gebt mir burtiy,
was zu.unferm, Vorhaben erforderlich, ifl. —
Letzteres war ein golbenes Ringelein pon dem
Liebſten, das ih auf: ihre Geheiß mirgebradt
hatte. Denn zu foldem Zauber gehoͤrt allıziit
ein Andenken oder irgend ein Stuͤck, dad dem
Lirbften einſt zufländig .arıwefen, — Da gab
ich ihr denn bad Ningelein-,- doch nur mit Ixm
Sedinge „daß ich. ed gewiß zunhch-erhielte vor
ihr. Sie fagtemir’d gu und. führte mich dapı
bei des Hand in ihre. Hütte -
9
Das Blur flarrte in meinen Adern ſchod
aufbder Schwelle; denn dumpfe unheifserfündendg
Töne umfreiften ‚mich in der diden Finſterniß.
Ich wußte nicht,: welchem Weſen ich ſie beimef
ſen ſollte, ja, es ward mir ſogar zweifelhaft,
ob fie dem Leben angehörten oder dem Tode.
Da fuhr ein Blitzſtrahl zum Fenſter herein. im
einen Keffel, der mitten in der Stube ſtand, fo
furchtbar darin hin und her zuckend, batd aufs
bald: untertauchend, daß mir die Sinne ‚gan
umnebelt wurden. Bald aber fchredire ein unters
irdifched Krachen mich auf and dem böfen Traume.
Der Boden: der Hütte fchien’ -Augeinander zu
weichen, und als ich mich emiorrichte, dem
Grabe bei: lebendigen; Leibe zir entfümmen, dh
iſt es, als dreche draußen der danze Wald im
Sturm⸗ zuſammen. Dozwiſchen kreiſchte idre
Alte, um denKeſſel heeumrafendy aus dem vön
allen Seiten Blitzurahlen guten; j maufbörtis
Die Morte : “ Ar tl: . ,
Wohl! ! die Biitze, die gleich - Schlangen, »
Nach dem Zauberkeſſel ſprangen, Bu
Winden drinnen fi} aefangen! —
Drauf Fam fie mit einem: Befichte‘, roih,
wie die Flamme der Verdammniß, und hoch auf⸗
ſteigendem Haare. zu mir und ſprach:
Bas du: auch. fehen oder hoͤren magſt, Toͤch⸗
terlein, fuͤrchte dich nicht. Schau dad Feuer im
TR TE na
- 92
Keſſel, wie es mit Gewalt wieder hinauf will
sum Himmel, vondem es herabgekommen. Uber
es ift gebunden und muß nun: kochen den Tran,
welchen du von mir erheifcheft.
In dieſem Augenblicke murtte und Freifchte
und wimmerte ed in der ringsum feuerhellen
Stube. oa
Nunmehr fprang die Waldfrau abermals froh⸗
lockend um den Keffel herum und fang wie vors
bin eine Zeitlang ohne Aufhoͤren Folgendes:
Eure Pein ift mein Verguägen,
Eitel Euer ſidrriſch Kriegen.
Was nicht feyn fol, werd’ ich fuͤgen! —
Immer ſchrecklicher wurden die Töne im
Keffel und das Zifchen der Blitze, daan aber
Horben fie allmäplig in tiefem Jewımer ab; bit
Blige verloſchen and Geſtalten fliegen aus dem
Zauberkeſſel mit bleichen ſchrecklichen Geſichtern
von Männern, Weibern und Kindern, welche
fih in Rauch auflöfeten. s
Drauf fpraug, die here flärkeren Schritte
als zuvor um den: KXeflel zu dreien Malen und
ſchrie mit. der heilloſeſten Schadenfreude :
Wohl! Nun habt ihr außgefungen,
Euer. Leben ift verflungen
Und der Liebesſtrank gelungen! —
Wart, Kindchen! ſo fprach fie dann gu mir,
bie ih hinaus wollte: warte num noch, Deiz
}
2
Liebfter ſol ſelbſt erfcheinen, bir den Trank gu
überreichen, der ihn In beine Gewalt geben wird.
Aber huͤte did, davon Fünftig gegen ihn ein
Wort fallen zu laffen, leicht koͤnnte fonft aus
feiner Liebe der grimmigfte Haß werden! —
Ein leiſes Lachen, wie wenn jemand hinter
Eined Rüden dieſen verhoͤhnet, zifchelte jeßt
allenshalben um mich ber, und ed warb mir
babei fo unfreundlidy zu Muthe, daß ich, waͤh⸗
rend die Alte tief in den Keffel hinein unver⸗
fiändliche Worte ſprach, die Thüre zu gewinnen
trachtete, und durd) den Wald zuräd nach Haufe
floh. Unverrichteter Sache nach vielen Schredis
niffen I Auch ließ ich lieber feinen Ring in dem
Zauberfeffel, ald daß ich von der Bosheit der
Alten Gebrauch madyen wolle. — —
Thorin, Ihr — zürnte die Alte, ald ich ihr
am folgenden Morgen aufdem Burgplagebegegs
nete , vergebens habt Ihr Eure Seele mit Fluch
beladen, da Ihr die Frucht davon verfchmähen
konntet! —
Gleichwohl — fo ſchloß Jutta ihre Rede —
gleichwohl freut es mich noch heute, daß ich die
begonnene Rudhlofigkeit nicht vollbrachte. Denn
ich fühle, der Herr hat mein Gebet erhört und
den Fluch , worein die Alte mich verſtrickt Hatte,
wieder von mir genommen. Es iſt mir um fo
gewiſſer, da der Geliebte nun von freien Stüden
86
BSurgthore in den Garten und von diefem wieder
herauf nach dem Söller. Ihre Blicke hafteren
ſtart an der Stelle, wo Abdelbert ihr zufegt vers
ſchmunden war. Iht fehöned leidendes Auge
ſchien ihn zuruͤckzaubern zu wollen.
- Mit der eintretenden Dämmerung rief fie
ihrer vertrauten Freundin, daß diefe ihr die Zitker
Holen follte. Sie riß folche der damit herbeieilen⸗
den Jutta aus der Hand, und mitten im Braur
fen des Sturmwindes griff fie aufs heftigſte in
die Sajten und fang, dazu verzweiflungsvoll
Hinauf in die Wolfen ſchauend, ein Lied, ohn⸗
gefaͤhr folgendes ‚Inhalts : ‚
Heulet nur, fliegende
"Schwarze Geſlalten.
Stürmet "die truͤgende
Welt zu zerfpalten!
» Donnerfeil ründe dich
B Sie zu verheeren ; u.
Blitzſtrahl entzuͤnde dich,
Mich zu verzehren.
Jugend, was logeft du,
Mit holdem Gleißen ?
Bnfen, was wogeft du,
Ohne zu reißen?
Heulen ift nicht genug,
Treuloſe Winde,
%
95
wollteft du dennoch? — Belinne dich Mechtilde,
du bift weit flrafbarer als ich; denn ich war ein
unerfahrned Kind, ich wußte nichtd von alle den,
dort erlebten, gräßlichen Dingen ; du bift unters
richtet davon, burch mich. _
Meine nicht: — erwiederte Mechtilde — mit
Morten die Glut zu befprechen , vonder meine
Bruft bereits halb getrocknet ifle Nach Liebe
lechze ich; nach ſeiner Liebe; nur fie fann mich
retten. — Doch gut, ich entbinde dich fogar
ded geleifieten Schwurd und gehe allein, da ich
unfehfbar auch fo die Hätte finden werde —
Allerdings wirft du dad! Aber eben darum
Tann ich dich nicht allein gehen laſſen. Kine
Warnerin thut dir auf folchem Pfade gar North.
Spare, ichwiederhole ed, deine Worte, liebe
Jutta; fiefallen aufeinen. ganz unemptänglichen
Boden! —
D daß ich — verfeßte jene — daß ich diefe
Geſchichte Dir mittheilen mußte! In der beflen
Abficht wenigftens ift es gefhehn! —
Mit diefen Worten eilte fie Mechtilden nach,
weiche aus Furcht, die Gelegenheit zu verfäus
men, ſich nicht einmal überreden ließ, ihre völlig
durchnaͤßte Kleidung zuvor mit einer trodenen
zu vert auſchen. —
Der Thorwart erſchrak, als ſeine Gebieterin
hinauswollte in den ſchrecklichen Sturm. Ihr
- u
96
flarred Auge, ihr dumpfes Wort ſchreckte ihn
faſt noch mehr, als das unerklaͤrbare Verlangen.
Aber fie wieß feinen mitleidig fragenden Blick
mit heroiſcher, unfreundlicher Miene zuruͤck. De
bffnete er zitternd und ſah dann Jutta, welche
ihr folgte, mit ſtummem Kopfſchuͤtteln in's Gr
ſicht. Ein liebreicher Blick der letziern war die
einzige Beruhigung, welche ihm zuruͤckblieb und
die auch nicht groß ſeyn konnte, da der Blick un
verkennbar ſelbſt aus troftbedärftigem Hufen fan.
Harre unfer ! ſprach Jutta zum Thorwart.
Bald werden wir wieder hier ſeyn. —
Mechtilde, nichts als ihr Ziel im Auge ha
. bend, war fhon vorausgeeilt.
Während Jutta beijedem Schritte zuſammen⸗
bebte, würdigte die Burgherrin die Blitze, weldt
ſich kreuzten aufdem Wege, nicht des mindeſte
Aufmerkens. Erſt, als unfern von ihnen, der
Wetterſtrahl eine Eiche zerſpaltete, erſt da ſchien
die in tiefed Schweigen Verſunkene Augen zu
Haben für die furchtbare Umgebung und rief:
Barum nicht mir diefen Blitz, der mich dieſes
Banged und des ganzen laͤſtigen Lebens auf
Einmal entbunden hätte? —
Jutta Tieß ihre Mitleidsthraͤnen ſtill herab⸗
fallen, weil ſie uͤberzeugt war, daß der Zuſtand
der Freundin durch Zureden eher ſchlimmer als
beſſer werden wuͤrde. Als aber die beiden Augen
47
der. Alten, gerade wie in jeher Macht, da Jutta
biefen Weg allein machte, aus ber finflern Han
tenthuͤre herübetfeuthteten, da konnte fie fich doch
nicht enthalten, "der: Freundin um den Hals zu
fallen und fie. bei allem, was dem ·Menſchen
theuer und heilig iſt, zu beſchwoͤren, umzukeh⸗
sun, jetzt, da es noch Zeit ſei.
Allein Mechtilde machte: ſich Mit Unwillen
von Jutta los und eilte der Alten zu.
Willkommen, geſtreinge Frau! ſprach die Zans
berin. Dachte ich doch, daß dieſe ſchoͤne Nach
nicht vergehen wuͤrde, one daß jemand meiner
Haͤlfe begehrte. Wem moͤchte ich fie wohl lieber
bieten, als dir, unſerer guten Herrin. "Bere
forich mir aber, es nicht zu halten, wie die, ſo |
dich geleitet. Denn an fchlechte Neugier fek
meine Bunfk fo wenig verfchmender;,: aid an die
Furchtſamtelt, welche wi im Stande iſt Gr
Bed. zu ertragen ⸗⸗
Da wirft zufrieden ſeyn mit mic, Art ante
wörtete Mechtilde. fi 8, fage mir, weis
zu Bereitung einet fräftigen Liebeſßrantet
Grade die rechte, bei fo kraͤftigen Bhitzen.
Auch verſah ich mich deſſen, baß die ungluͤckſiche
Liebe heute nicht ausbleihen wuͤnde. Din’
giebt deren. nur allzuviel id der Welt und mein
weniges Wiſſen iſt bekannt· genug, Shhön Rebe:
ber Keſſel Halb im Sieden. Haſt du aber ’a
Geſpenſterbuch 7. Cheil. de 7
!
.ı 9®&
—* awe⸗d, —* ‚dem. bin. d4 liebeſt, ww
"angehörte? | |
Ä Benigfent: — "yerfegte Mechellbe — trage
ich eine ode: von ihm auf meinm Bufen, welche
ich einſt heiwläch dem Sqlafenden vom Haupte
ſchnit.
So gieb doch, gie; Ein beſſer Kleinod zu
Erfälung einer Wuͤnſche würde ſchwerlich zu
finden ſeyn· —
Es war daß. erſle Mai anf, benz ganzen Wege
biexher, dgh Mechtilde zuterte vor Bangigkeit,
als fie die Locke von ihrem Buſen nahm und
fie der Waldkrau uͤbetreichte Denn ſchon lange
betrachtete die Liebende dieſe Locke als einen Theil
ihres ignerſſeꝛ Weſens, ja”. alt. deſſen befira
Tpeil,;.
——— mi närt ſprach die te, fe i in bi.
Ieere, Stube führend, wn: ber. von Blitzen senmiet
mehr “und mehr angefüllte Keffel' Leuchtete, waͤh⸗
venh wie: mannjchfaften “übe leiſen, . bitsern
Shirkig: and. den ‚Randwolken, bapkbes ſih
vernehunen Tiefin.
Jattia war ihrer Geryndin gefolgt; un Fam,
—* bier nöd einmal an fie; wie die Ber:
-zeifliyng ſelbſt, um fie herauszuziehen mit Ges
welt, auf Te boſem Naftlreife . Aber unwilig
Adleydertg Mechtilde die Morneade von ſich, ſo
deß dieſe nichts weiter zu thun:avußtt aus bin
— % ip 9 e I“ “
| 99
auszueilen, hier auf die Kniee zu fallen und zum
Himmel für die Verblendete zu beten.
Ganz wie Jutta erzählt hatte, verfuhr bie
Alte auch in diefer Nacht ; doch waren die Ereigs
niffe vieleicht noch ſchreckticher; das Eine Mal
fhien es, ale fei die Hütte gar vom Grand auß
geborfien ; und als wolle 'cben daB Dach herab⸗
fürzen über Mechtilden. ber vor allem diefen
erzitterte fie nicht. Der gräßlidhe Ton und die
wahrhaft fchaudererregenden Mienen, mit weldyen .
die Alte im- legten Verſe ihre Schadenfreube aus⸗
drüdte, dußerte Beine Wirkung auf Mechtilden.
Sogar die ſchrecklichen Geſichte, welche nachher aus
dem Rauche emporſtiegen, fanden keinen Weg ja
ihrem, allem Mitleid fremd gewordenen Hergen.
Erſt als auf die Verheißung der Alten, daB
nun der Geliebte ſelbſt ihr den Trank reichen
werde, ein Ton ded Zorned ın der Rauchwolke
zu vernehmen war, in dem fie Adelberts Stimme ers
kennen wollte,erft da fing ſie an, Pein zu empfinden.
Diefe wurde immer größer und größer, als wirklich
aus dem Dampfe des Geliebten Geftalt fich nach und
nach entwickelte und fein Geſicht zornig, wie efie fol
ches nie gefehen, fie anbllckte.
Gleichwohl firedte fie.die bebende Hand and
nach der. Phiole in feiner Rechten. In biefem
Augenblicke jedoch gewahrte fie, daß ihm ein
Dlutiger Dolch im Herzen faß und — o namen⸗
2
- 92
Keſſel, wie 6 mit Gewalt wieder Finauf witr
sum Himmel, don dem ed herabgelommen. Uber
es iſt gebunden und muß nun kochen den Trank,
welchen du von mir erheiſcheſt.
In dieſem Augenblicke murtte und kreiſchte
und wimmerte ed in ber ringsum feuerhellem
Stube.
Nunmehr fprang die Waldfrau abermals froh⸗
lockend um den Keffel herum ‚und fang wie vors
bin eine Zeitlang ‚ohne Aufhören. Folgendes 2
Eure Pein ift mein Vergnügen,
Eitel Euer ſtdrriſch Kriegen.
Was nicht feyn fol, werd’ ich fuͤgen! —
Immer fehrediicher wurden die Töne im
Keſſel und das Zifchen der Blige, dann aber
#orben fie allmäplig in tiefem Jeuımer ab; die
Blige verloſchen und Geflalten fliegen aud dem
Bauberteffef mit bleichen ſchrecklichen Geſichtern
von-Männern,. Meibern und Kindern, welche
fi) in Rauch aufldſeten.
Drauf fpraug die bere ſtarketen Shrittes
als zuvor um den. Keffel zu dreien Malen und
ſchrie mit. der heilloſeſten Schadenfreude:
Wohl! Nun habt ihr ausgefungen,
Euer Leben ift verffungen
Und der Liebestrant gelungen! —
Wart, Kindchen ! ſo ſprach fie dann gu mir,
die ich hinaus wollte: warte nun noch. Dein
108
Phiole. Auch Aber Mechtildens Geſicht erſchrak
ſie, denn dieſe ſchien in der Einer Nacht voller
Qual und Suͤnde, um zehn ganze Jahre alter
geworden.
Jutta — ſprach die Befiterin bed Trants —
bier trage ich denn endlich die fehle Zuverſicht auf.
dad laͤngſt erfehnte Gluͤck in meiner Hand. So⸗
gleich ſoll Anſtalt getroffen werden zur Abreiſe;
denn noch dieſen Vormittag muß ich bei ihm
ſeyn auf dem Poͤhlberge. |
Wie, Mechtildis — entgegnete bie Freundin
— ſo fehr koͤnnteſt du vergeffen, was du bir
ſelbſt ſchuldig diſt, um ihm nachtucilen, wie
eine Rafende 9 \
Ei, ſollte ich denn nicht rafet , um das eins
zuholen, das mit ſtets fo feindlich den Ruͤcken
Teprte? das, daB glaube ich meinem armen Her⸗
zen ſchuldig zu ſeyn für feine Tangen namenlos
fz Qualen auf den Flügeln’ det ſchwankenden
und treuloſen Hoffnung. —
Mechtilde — rief Jutta — dieſes Glas iſt
dein Verderben, mache feinen Gebrauch von ihm,
um Gotteswillen bitte ich dich darum! —
Bitte den Berfchmachtenden , ‚ben Labetrunf
von ſich zu weiſen, der ihm nach langem frucht⸗
lofen Sehnen geboten wird, Diefe Phiole iſt,
mein Alles anf dieſer Welt |
ME
102
Unb was in jener? fragte Jutta mit furdt
barem Nachdruck.
In die ſer TO: ich jegt leben! — verſetzt
Mechtilde. Darum will id auch leben un
mar todt fepn in ihr, wie ich ts zeither geweſen!
Finſter barg fie dad Glas in ihr Gewend
und riß fich. los vom Arme der Freundin, welde
Jangfam und in ber tiefften Betruͤbniß ihr nad
Ser Burg folgte — -
Der Thorwart, ber ſich lange fchon unge
fehen hatte nach deu nächtlichen NBgnberinnen,
mat hocherfreut über deren Aukunft. In de
Hurg wear.urgn,es, gleichfalld, denn er hatte die
ſeltſame Yuswanderunghicht verſchn eigen koͤnner,
and alles zeigte, Neugier nach des Raͤthſels Loͤſung.
Statt. letueret aber tam ein neues rRaͤthkl
binzu: Nych vor Sonnenaufgang mußten zwi
Roffe- vorgeführt werden, welche Medritte un
Juita befliegen, „Ein Anappe nebſt zweien Knech—
ten wurde zur Begleitung auserſehen und von
der ‚Reife ſelbſt ſagte die Herrin nur ſo viel,
daß fie am Abend zurätkgufehten hoffe. —
e.
:6. . + 27
Adelbert ſtaunte nicht wenig überbi: Ankunft
der beiden Damen. Eben fo fehn vielleicht übe
das Geſicht Mechtildens. Auch er fand, mit
Yutta in der Nacht, eine fo große. Entſtellung
168
daran , duß: er note fragle: u ty atmodhle
fei ?. Die davon Befroffene vernante eb 5.0084. °
fihernd „ daß vielleicht der Berdniß Abe ipt Bere. .
geſſen einer ei Wngelegenheitavähttertd feint® .
geſtrigen Beſuchsder Lebhaftigkelt hrer Seſtchte
farbe geſchadet haber Sie irug ihi hierauf dieſe
Aogelegenheit vdr /welche ‚fie für "der Grund
ihres Kommens ausgab, und HL ber —*
fü Podewrend · war‘, ‚08 der: Rittern bein "Borgen
Deu woͤhl glauben konnte. 3 FE
Beim Mittagsmale, welches le DA auf
der Burgeinnhmen, mißfiel’ch Mechtiſden ſchon
fehr, daß au: Meſcevis Schwefter, wpelche beß
ihm wohnte, nioch mehtere ferne RIESE
fihaft. teifietn. Sir: wartete fühge vergebend auf
At Gelegenheitz den Trank in“ NAdeld erto —— 4
gu Thyliegen ‚PR. fen. Thom anche augſelich
zu werben, als niet, einsiger egal DARE. .
gunſtig · ſeyn wllte Kar Be I ze
»,@ublich fand Abb: woch RR PORN
eb Thurmwaris Trompete ialle- Vuchrigp an die
Benfer -tacıe izot Tie ſchleunigzſt das Fiaſchenn
dervor und goß Eis in ben Becher eb Burgherrn·
A: Uebrigen waren jüläufner Meint aufdie anikortir!
menden, neuen Gaͤſte, als daß Bean” uns
rue hien väter mei ne d.
nr." Bald war iruninehe? die‘ ————
mit Nine; Kunst) Bernie Nndetiben
‚a
?
>
S
*
96
flarreb Auge, ihr dumpfes Wort ſchreckte ihn
faft noch mehr, ald dad unerflärbare Berfangen.
Aber fie wieß feinen mitleidig fragenden Blick
mit herösfcher, unfreundlicher Miene zurüd. Da
Öffnete er zitternd und fah dann Jutta, welche
ihr folgte, mit flummen Kopffchätteln in's Ge
fiht. Ein liebreicher Blick der letztern war die
einzige Beruhigung, welche ihm zurüdblieb und.
bie auch nicht groß feyn Fonnte, da der Blick uns
verfennbar ſelbſt aus trofibedürftigem Bufen Fam.
Harre umfer ! fprach Jutta zum Thorwart.
Bald werden wir wieder hier feyn. —
Mechtilde, nichts als ihr Ziel im Auge has
bend, war fhon voraußgeeilt.
Wäprend Jutta bei jedem Schritte zufammens
bebte , würdigte die Burgherrin die Blitze, welche
ſich kreuzten auf dem Wege, nicht des mindeften
Aufmerkend. Erſt, ald unfern von ihnen, der
Merterftrahl eine Eiche zerfpaltete, erſt da fhien
die in tiefes Schweigen Verſunkene Augen zu
haben für die furchtbare Umgebung und rief:
Warum nicht mir diefen Blitz, der mich dieſes
Banged und ded ganzen Häftigen Lebens auf
Einmal entbunden hätte? —
Jutta ließ ihre Mitleidsthraͤnen fill herab⸗
fallen, weil fie überzeugt war, daß der Zuſtand
der Freundin durch Zureden eher ſchlimmer als
beſſer werden würde. Als aber die beiden Yugen
108
nen, trat er at äßen, wie er chen. init Blanka
im Sprechen war And ſagte: Lieber Hulbringen,
in dieſer kann ich Euch zugleich die Verlobte des
NRitters Bernhard von Wildenan vorſtellen?
Wie ein tödtenben Blitzſtrahl traf Dad Wort
das ‚Leben von beiden mis Einem Male. Starr
hand Adelbert noch einen Augenblick day... dann
eilte er hin nach feinem Becher, und zu Mech
tildens Entzuͤcken trank feine Ver weiſtuns ive
in Einem Auge aud.
Jutta errieth aus ber. Geenbetzunkinfeit: ißeer
reundin, was geſchehen ſeyn mochte. : Die
Folge beſtaͤtigte ihr die: Bermutbungt ‚Adalbert
fu an, niemanden:zu ſuchen, als Mechtilden.
da, er beſtand darauf, noch au demſelben Abend⸗
in ſeiner Gaͤſte Beiſeyn die Verlobung mit ihr
In feiern. Während. dei Ningewechſals verlor
Slanka iht Wenußafeyn , fo, def fie hinwegge⸗
bracht werben mußte. h
Diefer Zufall und der Unfland, daß die Nach⸗
ſchon aflguweiz vorgeruͤckt war, bewog Huldringen,
den Nittern den Vorſchlag zu thun, den Morgen
auf feiner Berg beim Becher zu erwarten, wäle
ind bei. anweſenden Braum: ein erneisfend
dager: angewieſen wurie |
7.
Erſt mach der Mittagstafel des folgenden
Tages. ſchieden die Ghfe von der Burg. Die
“
100
loſes Entfetzen! — eine Art von Schattenbild,
weiches den Stoß dahin gethan hatte, im deſſen
Geſichtszuͤgen ſie, wie im Spiegel, ihre eigenen
wieder erkannte.
Was ift dad? fragte fie, die Fauſt nach der
Hexe aufgehoben.
Eine Prüfung deiner Stanbhaftigfeit, tie
letzte! antwortete diefe und Mechtildens Ver⸗
zweiflung-beziwang iht Grauen; haſtig griff ie
nach der Phiole. |
Da verſchwand bie Erfcheinung vor der Ser
wußtlofen. Doc als fie wieder zu fich Fam,
überzeugte fie das Glas in ihrer Hand davon,
daß die erlebten Borfälle Feine bloßen Träume
geweſen. —
Alte — ſprach Mechtilde — der reichfte Lohe
fell dir. werben für. deine Kunfl.]
3. Ich dankte bir, edle Frau, antwortete fie.
Doch verfehmähe ich deine Babe, che du ben
Trank erprobt haſt an dem Geliebten, Scha
Ki) wohl. —
$.
| Die Morgenwinde fehüttelten ſchon den Neger
von den. Bäumen, ald, Mechtilde aus der Hatte
Hat. Jutta ging im Walde haͤnderingend auf
and nieder. Ein Schauer durdhbebte ihr inner:
ſtes, ald fie die Freundin wieder ſah mit te
108
Däiofe Auch über Mechtildens Geſicht erſchrak
fie , denn dieſe fchien in der Einer Nacht voller
Dual und Sünde, um gehn gone Jabre alter
geworden.
Jutta — ſprach die Befiterin des Tranks —
hier trage ich denn endlich die feſte Zuverſicht auf.
dad laͤngſt erfehnte Gtüd in meiner Hand. So⸗
gleich fol Anſtalt geiröffen werden zur Abreife s
denn noch biefen Vormittag muß. ich bei ihm
feyn auf dam Poͤhlberge.
Wie, Mechtildis — entgegnete bie Greundin
— ſo fehr koͤnnteſt du vergeffen, was du bir
ſelbſt ſchuldig biſt, um ihm nachzueilen, wie
eine Rafende 9 f
Ei, folte ich denn nicht rafen, um das eins
zuholen, das mir ſtets fo feindlich den Ruͤcken
reyrte? das, dad glaube ich meinem armen Her⸗
zen jchuldig zu feyn für feine fangen namenlos
fen Qualen auf den Flügeln’ det ſchwankenden
und treuloſen Hoffnung. —
Mechtilde — rief Jutta — diefed Glas if
dein Verderben, mache feinen Gebraud von ihm,
um Gottedwillen bitte ich dich darum! —
Bitte den Berfchmachtenden , ‚den Labetrunf
von ſich zu. weifen, der ihm nach langem frucht⸗
loſen Sehnen geboten wird. Diefe Phiole Hl,
mein Alles auf biefer Welt }
102
AUnd wäs in jener? fragte Jutta mit furcht
barem Nachdsud,‘
In Diefer:follt ich jegt leben! — verſetzte
Mechtilde. Darum will ic auch Teben un
nich todt ſeyn in ihr, wie ich ẽs zeither geweſen!
Finſter barg fie dad Glas in ihr Gewond
und riß ſich. 108 vom Arme der Freundin, welche
langfam und in ber tiefſten Betruͤbniß ihr nach
Ser Burg folgte. — —
Der Thorwart, ber ſich lange ſchon unge⸗
ſehen haste - nach. deu nächtlichen Wanderinnen,
Wat hocherfreut uͤber deren Aukunft. In der
Hurg war. mn es gleihfalld, ‚denn er hatte die
ſeltſame Auswanderung nicht verfchweigen Fünnen,
und alles zeigte, Nenpier nad) des Raͤthſels Loͤſung.
Statt letierer ‚aber kam ein neues Rärpkl
. hinzu ; Noch vor Sonnenaufgang mußten zwei
Reſſe. voraefuͤhrt werden, welche Mechrilde und.
Juita befliegen, . Ein Knappe nebſt zweien Knech⸗
fen wurde ‚zur Begleitung außerfeben und von.
der ‚Reife ſelbſt ſagte die Herrin nur fo viel,
daß fie ie am Abend surätfgufehren hoffe. —
6. Bu »
Abewen hau nicht wenig über die Ankunft
ber beiden Damen: Eben fo fehn vieileicht Aber
dad Geſicht Mechtildens. Auch er fand, wie
Jutta in der Nacht, eine p große. Entſtellung
i68
duraii, "Su: er vor ige fragte: DE Te atmodhl
fei %.. Die dadon -Weroffene. verndinte es; ver⸗
fihernd , baß vielleicht der Verdruß Ai iht Bere. .
geſſen einer. wichtigen ugelegenheltawahtend feints
geſtrigen Beſachs der Lebhaftigkeln threr Seſchts⸗
farbe geſchadet Hader: Sie” ttug ihm hierauf dieſs
Augelegenheit · vor; welche fie" für den Grund...
ihred Kommens ausgab, und: Min bar Chir .
ſo bedeeend: ar. dußz der: Mittern bem 'zlorgen
Mu wog glauben onnte. 2 1
Beim Mittagsmale, welches ui Dacath auf.
ber Burg: einnohinen, mißſtel ch Mechtilden ſchon
fehe, dat außee Welaris Sqhwdefter, welche eb
ihm wohnte, noch infäkere fremde Ritits Geſel⸗
ſchaft leiſteten.Sie wariete lakge vergebend aufßf
Ant. Getegenheitzeihen Trank in’ ldeibeitdl Bechen
gu: ſchutten, Widĩ fen. Thom unter Ai -
j werben , a1: — einziger Hager: DEE. \.
gänfttg .feyntuällei' wat len
» Endlich fand A: woch elner.⸗ a
ws Thurmwaris Trompete 'ialle- vangaan' die
Denſter Tocıe 40H Te ſchleunigſt das’ Sräfdhent .
dervor und goß Gcnus in den Becher des Burgherrn⸗
Br: Uebrigen waten zulaufmerkſam̃ auf die aulkvnie
menden, neuen Gaͤſte, als daß ſe ecAludens uns
—** ame i
"Salbe iihunineheT die: SUPMEL.PTE ieefäh.
nat: Rintere » Feain eh, Dun! Umbrien
*
>
BR:
Wetemncghrete ſich einen auech beſondeve Neige
au&, bes. ebelgefiultete Aͤrvar beſchaͤmte den Glanz
. amd ſjpanen Bidet, vom dem et. singefaßt wer,
0 Beil. wiidarkheite Auf — Un Um
al ganaqe her Morgenſchein friiher , |
reicher dogande und. jebet Blick auß ihrem ram
Yugı defekigse van ſo mehr, da disfe Blide-faßk im⸗
ur; aus Gittſamkeit, nach dem woeißen Lichte des
ſchuldloſen. Aufendastcher,zgiuden: Baltenbeiten ges
hörten, Dazu floß das koͤſtlichſte Gelb in großen ter
deu ühmibneäädunttern. . iu..."
2. Den; Binbrud ; welchen daß. Gränkin. Blanka
yon Kirhenberg ‚auf Adelhert odu⸗/· war fo uns
wshunbar,. daß er Mechthildenunmoglich ent⸗
dJehen :Fonnter +, Mach: Blanka⸗ ſchien, wenn- er
wit ibx ſprad, von hoͤherm Fenen als gewoͤbnlich
garbahet. Dazu wagten jhec boften Augen ‚Fein
an Nal ganm nach ihmaufswichen.. .
Mechtilde ſchoß ſchreckliche Blicke nad ihr
berubex. Schen fuͤrchtete ſie, da ihr. garzes
Norhaben verxloren ſeyn amd. ber, Fiebeserank mm
. Magen. Meiſe ingend einem Knaphhen oder Knechte
zufall werde. : Denn -Dulbsingen;, ‚in dad Uns
ſchamen der Schonen uefunfen, date feinen
Vecher ohllis .pexarflen.: o , .. .
Sub Blanka's Bruder, Herz. Dietrig von.
Eichenberg /bemerkte, mas. in; Adelberts Buſen
Borging. : Um allem Uebo⸗il in:Beitrn gu beges⸗
208
nen’, trat er ai ihen, woe er eben. mit Blanka
im Sprechen ˖wat And ſagte: Lieber Holbringen,
in dieſer kanm ich Euch zugleich Die Verlobte des
Ritters Bernhard von Wildenan vorſtellen!
Wie ein toͤbtonden Blitzſtrahl traf. dad Wort
das ‚Leben von beiden mis Einem Male. Start
ſtand Adelbert noch einen. Augenblick ba,.: dann
eilte er hin nach feinem Becher, und zu Mech⸗
tildend Entzuͤcken trank feine Ver zweiſtung or
in Einem Auge a. -. .
Yutta errieth aus ber. hreudetrunlenheit ihrer
Freundin, was gefchehen. ſeyn mochte. Die
Folge beftätigte ihr die. Bermuthungt ‚Adalbert
fing an, niemanden zu ſuchen, als Mechtilden.
Sa, er beſtand darauf, noch au demſelben Abends
in ſeiner Gaͤſte Beiſeyn die Berlobung mit. ihr
zu feiern. Während. de Ringewechſals verlor
Blanka iht Bewußtſeyn, fo, daß fie. binwesge⸗
bracht werden mußte.
Dieſer Zufall und der Umfiand, daß die Mad
ſchon aflguiweit vorgeruͤckt war, bewog Huldringen,
den Nittern den Vorſchlag zu thun, den Morgen
auf feiner Burg beim Becher zu erwarten, wäls
ind den anmwefenden: Braun‘ ein oweinſaw⸗⸗
dager. angewieſen wurbe: : |
Te
Erſt mach der Mittagstafel des folgenden
Leges ſchieden die Gaͤß⸗e von der Burg. Die
O6
ſchoͤne Blaunka war: noch ſo hinfkilig vom geſtrigen
Gragnöfe,. daß fie nur mit Mähe'fich auf ihrem
Noſſe Feſtzuhalten vermochte.. Mbeibert' ſelbſt ger
leiter: Mechtilden and i Yattarınach der Seimath.
Kaum aber, daß ſie dieſe errricht hatien, fü er⸗
krankte ie Freundin ſeiner Verlobten. Sn uͤber⸗
ans“ heftiges Fleber warf fie ublläg niebers. Alles
bleiferto· ſich zur Huͤlfelerſtung; denn Jutta war
zu liebreich uls daß nicht edermann ihe haͤtte
Geneſung wuͤnſchen follen. Unch Adelbert wachte
oftĩ in iGefellſchaft: ſeiner Staut an: ihrem Lager.
5Einftmals gegen Abend wie Jutta eben wi ebẽt
in oſer Fieberhitze lag sad uiamand bei tyr wahl,
als ihre Dienevrin. und her · Ritter von Duldmingen,
da nahete hu · der alte Thorwart, um ſich, wie it
fagte, nach dern guten Frauͤuſein zu erkundigen :
Karin erblickte die Kraukel fein mitbäibigts
Geſccht, ſo rollten ihre Augen, ihr Mun de dafnete
ſich gewaltſam. Es war al trachte ſie zuorechen
und als widerſtrebe ihr Bad Wborts.. '.::. 17:17.
Endlich aber rieß ſer doch aus? Du, Ur,
dw Fatinit.ed wiſſen; woas nich niebergeworfer
Sat; was mich aͤngſtigt und vielleicht: mgſtogen
wird bistzum rleßten Hauche. Erinneri Bu Dich
‚ jener, fehtedlichen Gewicernacht? In ber· et
mein Unheil! — .
Meiute ichs doch immer APrach dei Man
mini Ih wi. Auch, wie ungern I
io?
Euch dab Thor bffnete, durchweicht vom'Negen,
wie Ihr don waret. Die Erkältung‘ Fonnıd
ja gar nicht fehlen! BE Ze
Nein,’ Alter, nein! — rief ſie mit ſchrecklichein
Blicke — Niet! Elaliung hoͤlliſches Feuer viel)
mehr war ed, was mich getroffen hat: Blitze
vom Simmel herabgekommen und von ber Hoͤlle
feſtgehalten und: zu furchtbarem Frevel denkt:
Bere für mich und deine Herrin, guter After!
Mir waren damals Bei’der Maldfrau, ber böfen
Zauberin. Mechtilde ließ fich von ihr einen Lie
bestrank kochen für den Ritter von Huldringen! —
Er ift doch wohl nicht in Ber Nähe, dag er6
gehört Haben könne? —
Der Thorioart suchte bie‘ Achfeln und” hob
die Augen zam "Himmel. Gern haͤtte er int
Kunde gegebeh von Adelberts Anweſenheit, 3 wenn
dieſer ſoſches nicht Durch ſeine Zorn drohendig
Augenbraunen gewehret hätte. —
9a, Aiter — fuhr ſie fort — das wär eine
Nacht , wie id; deinen greifen Haaren feine wälr
(hen will. Ich bin jung und haße nöch Zeit
vielleicht mich durch Buße wieder "auszuföhnen
mit dem Himmel. Dein noch übriäed Tchen
würde zu furz dazu feyn: ° Yet gehe und’ bete
für uns, börft du?
Der Ulte eilte hierauf zu der Durgherrin/
dieſer berichtend,“ was in HDurdringens Biiſeyn
108
vorgefallen war... Eingedenk des Wortes der Zau⸗
berin, daß der Geliebte nie. von dem Liebestrante
erfahren dürfe, wenn feine Liebe ſich nicht in
grimmigen Haß verwandeln folle, wid) auf einmal
ihr alles Blut and dem Geſichte; ihr Alben
ſtockte. Doch, den Jammer des vor ihr fichens
din Alten nicht achtend, raffte fie. ſich ploͤtzlich
auf und eilte nach dem Zimmer der Kranken.
Hier ſaß Huldringen, von lehterer noch) immer
anbemerfi, zu des Bettes Häupten mit flarren
glühenden Augen.
Wie ein heftiger Windfloß bie Gluth zur
Slemme bringt, fo hier dad Erfcheinen Mech⸗
end, |
Buͤbin, Schaͤndliche! Kiefer aus, vergeffend,
wo er war und fein Schwert ziehend.
So ermorbe mich denn! ſprach Mechtilde;
morde mich wegen der boshaften Traͤnme ciner
Fieberkrauken / |
‚De blickte Jutta heftig erſchrocken auf un
verhäßte dann fehluchzend ihre Augen in bes
Hauptliffen. — |
. Nur allzuwahr — rief Adelbert. — bat das
Sieber i in feinem Traume gefprochen ! Meine, noch |
niemand entdeckte Pein in jener Gewitternacht ver
bürgt es mir. War es mir doch, ald obaled Haar
meines Hauptes ausgeriſſen, als ob meines Her⸗
jens Blut abgezapft werde! Doch morden will ich
X
109
dich nicht! — Biſt ja elend genug, in den Gefühle
fotch eines Lebens, foldy einer Berworfenheit! —
Mit diefen Worten ſtieß Adelbert fein Schwert
in die Scheide, fchleuderte die Bittende, bemüht,
ihm ben Ausgang zu vertreten, von fi, unb
war wenig Minuten fpäter mit feinen Knappen
zu Roſſe auf dem Wege nach dem Pöhlberge.
Am Morgen verfhied Jutta und „mit diefer
Mechtilden die einzige Warnerin vor dem Pfade,
den fie betreien hatte: Daher eilte die Zroftlofe
auch fogleich in den Wald nach ber Zauberin.
Diefe aber zuckte die Achfeln, als fie helfen ſollte.
Ein neuer Liebestrank — behauptete fie — fei
nicht mehr hinreichend. Nichts fünne ihr helfen,
ald ein Buͤndniß mit dem Oberheren der Zauberer.
Auch daß! riefdie Wahnfinnige aus und wie
fhauderhaft die Formen ſeyn mochten, fie unters
warf fi) ihnen und errichtete dann ein geheimes
Schwefterband mit der Waldfrau.
Adelberten fing an zu rauen vor dem Saale
in feiner Burg, weil er bier den Liebestrank
befommen batte und er ladete Feine Gäfte mehr
zufich , fondern zog überhaupt dad Umherſchweifen
dem Sitzen auf dem Pöhlberge vor.
Dft tabelte man ihn fehr bitter wegen feiner
einſamen, faft menfchenfcheuen Weife, da er ein
Mann war, wohlbabend genug, um ein frohes
108
vorgefallen war... Eingebenk des Wortes der aus
berin, daß der Geliebte nie. von dem Liebestranke
erfahren dürfe, wenn feine Liebe fih nicht in
grimmigen Haß verwandeln folle, wid) auf einmal
ihr alles Blut and dem Geſichte; ihr Athen
fiodte. Doc, den Jammer des vor ihr ſtehen⸗
din Alten nicht achtenb.,..zaffte Re ſich ploͤtzlich
auf und eilte nach dem Zimmer.ber Kranken.
Hier. faß Yuldringen, von letzterer noch immer
unbemerft, zu bed Bettes Däupten mit flarren
glühenden Augen.
Wie ein heftiger Windfloß bie Gluth zur
Slam bringt, fo hier dad Erfcheinen Mech⸗
tildens.
Buͤbin, Schaͤndliche! eief er aus, vergeſſend,
wo er war und ſein Schwert ziehend.
So ermorde mich denn! ſprach Mechtilde;
morde mich wegen der boshaften Traͤume einer
Fieberkrauken!
Do blickte Jutta beſtig erſchrocken auf und
verbullt dann ſchluchzend ihre Augen in das
Hauptkiſſen. —
. Nur allzuwahr — rief Adelbert. — hat das
Sieber in feinem Traume gefprodyen! Meine, noch
niemand entdeckte Pein in jener Gewitternacht vers
bürgt ed mir. War es mir doch, ald ob alles Haar
meined Haupted audgeriffen , ald ob. meines Ders
jens Blut abgezapft werde ! Doch morden will ich
2
109
dich nicht! — Biſt ja elend genug, in dem Gefühle
ſoich eines Lebens, foldy einer Berworfenheit! —
Mit diefen Worten ftieß Adelbert fein Schwert
in die Scheide, fchleuderte die Bittende, bemüht,
ihm den Ausgang zu vertreten, von ſich, und
war wenig Minuten fpäter mit feinen Knappen
zu Roſſe auf dem Wege nach dem Pöhlberge.
Am Morgen verfchied Jutta und „mit diefer
Mechtilden die einzige Warnerin vor dem Pfabe,
den fie betresen hatte: Daher eilte die Zroftlafe
auch fogleich in ben Wald nad) der Zauberin.
Diefe aber zuckte die Achſeln, als fie helfen ſollte.
Ein neuer Liebestrank — behauptete fie — fei
nicht mehr hinreichend. Nichts koͤnne ihr helfen,
als ein Buͤndniß mit dem Oberheren der Zauberer.
Auch das! riefdie Wahnfinnige aus und wie
fhauderhaft die Formen feyn mochten, fie unters
warf ſich ihnen und errichtete dann ein geheime
Schwefterband mit der Waldfrau.
‘ 8. ,
Adelberten fing an zu grauen vor dem Saale
in feiner Burg, weil er bier den Liebestrank
befommen hatte und er ladete Feine Gäfte mehr
zu ſich, fondern z0g überhaupt das Umherſchweifen
dem Sitzen auf dem Pöhlberge vor.
Dft tadelte man ihn fehr bitter wegen feiner
einfamen, faft menſchenſcheuen Weiſe, da er ein
Mann war, wohlhabend genug, um ein frohes
:
Leben mit: Weib und Kindern zu führen, avch
wie fonft der ſchoͤne Knappe, jegt weit und breit
der ſchoͤne Ritter genannt wurde.
Eined Tages Fam er nach Schreckenberg, 100
eben Jahrmarkt war and er allerlei einzufaufen
hatte. Da reizte plöglich eine Käuferin fein Yuge
durch ihre Wohlgeſtalt, und er wuͤnſchte fehr,
ihr Geſicht zu ſehen, welches die Waaren der
Bude verbargen, an der ſie mit einer bejahrten
Dame ſtand.
Beim Naͤhertreten ſah er, daß man feines
Heirathsgut einkaufte. Auf das Geraͤuſch ſeiner
Syoren blickten die Kaͤuferinnen ſich um, und Abel:
bert nnd die kaufende Jungfrau hartten ethleicht
>
einanderan. Die ſchoͤne Blanfa war ed mit ihrer
Mütter. Letztere wußte erfi nicht, was fie von ber
Teltfamen Veränderung ihrer Tochter denken folk,
als der Ritter, ben fie zeither nur dem Rufe
nach gekannt hatte, ſich ihr zu erkennen gab.
Ein Zug tiefer Betruͤbniß zitterte auf dem noch
wohlerhaltenen Geſichte der bejahrten Dame.
Durch ihren Sohn hatte ſie fruͤher von dem
Eindrucke gehoͤrt, den Adelbert auf ihre Tochter
gemacht. Letztere war ſelbſt gegen ſie ganz offen⸗
herzig hieruͤber geweſen. Adelberts Feindſchaft
mit Mechtilden, welche jetzt überall fund wurde,
erregte bald darauf neue Hoffnungen in Blanka.
ar
Doch wieß die Murntt dieſe auf · dad Beenarden de⸗
reits gegebene Wort hin. —J
Und kaum mochte es der. ehrwuͤrdigen Mattone
‚gelungen fegn, durch vernünftige Darftellung
der Umſtaͤnde, dab. VBild dus Nikterd von Hul⸗
ringen auß ber. Tochmer Soele zu Drängen, als fein
Erfchtinen noͤtzlich dat sum. Wert wieder uͤber
den Haufen wirft. on
Herr Ritter — mit dieſen, dee eubgeforos
henen Worten-naprä die,. bei allem Unmuthe: doch
enifchleffene Fran, Adelberten auf die Seite —
Ihr feid..ein Ehrenmann, aber. ber. Bräutigam
meiner. geliebten Tochter iſt auch einer. Ich
weiß, daß Ihr Gefallben fandet an ihr und fie an
Euch. Doch auch Yhrı werdet .miffen,. wad: in
Sällen:, wie Diefen ‚einem techilichen Rutwemann
zukommt. nm...
Das weiß ich, ſorach Huldringen ic „tief
verbeugend, und ging, ohne auch nur noch einen
einzigen, Blick auf Blanba zu richten. +
Das aber grade konnte letztere nicht ertragen,
und als fie mit der. Mutter. nach Haufe. Sam,
bewog. fie hen ihrer, bier barrenden Mauden, gu -
Abelbert :auf. den. Röhlberg zu ‘gehen: und zu
fragey : Ob er darum x weil ˖ ihnen mechfelſeitige
Liebe verſagt ſei, ihr auch deu woharouendan
Blick entziehen wolle? |
Der Ritter von on Ewerbera, woa⸗ma⸗ defe
us:
Leid feiner Schweſler die eigene Bruſt mit Weh⸗
muth erfüllte, befchwor fogar Adelberten mit ihm |
zu kommen zu -Blanfen und ihr. ya verfichern,
daß fein Wohlwollen ihr nicht fehle, da fie auf
zweiter nichtd Anſpruch mache. -
Aber. die Bruderliebe hatte hiermit nicht wohl
gerathen. In Huldringen® liebevollen Blicke zer:
ſchmolz, als er Abende bei Blanka's Eltern und
ihr erfchien , die Feſtigkeit ihres Borfaged. Ja,
fie. erkrankte dergeflalt nad biefem Abende, und
forach mehrere Tage mit ſolcher Sehnſucht vor
Huldringen, daß die Mutter, aus Liebe gu ihr,
felbft nach dem Ritter Adelbert ſchickte.
Diefer fand, ald er fam, Blauka's Braͤrnti,
gam, der.eben aus dem Kriege heimgefehrt und
nicht wenig erſchuͤttert war von der Abneigung,
mit welcher ihn die ihrer Haltung nicht maͤchtige
Braut empfangen hatte... Noch empfindlicher
mußte das Entzuͤcken ihm werben, mit dem fie
den jegt Hereintretenden bewillkommnete.
Zwar fuchte die Mutter alled durch den halb⸗
bewußtloſen Zuſtand des Fraͤuleins gu entſchul⸗
digen, doch ſchaute Bernhurd von Wildenau ber
Sache auf ben Grund und ſagte: Ritter von
Hulbringen, mancher an meinem Plage würde
fo. thoͤrigt ſeyn, Genugthuung- von Euch zu ven
langen in folder Angelegenheit. : Durch Schwert
und Ranze aber läßt die Neigung der Menſchen
113
Sich Feine dauernde Richtung geben. Darum vers
gichte ich‘ freiwillig auf meine Anſpruͤche. Mag
Euch Blanka's Hand gluͤcklich machen, da ich ja
doch unter dieſen Umſtaͤnden kein Gluͤck von ihr
erwarten duͤrfte. —
Herr Ritter — ſprach hierauf die erfreute
Mutter — wohl dem, der alſo handeln kann,
wie Ihr, denn dadurch muß ihm ſelbſt auf Erden,
fpät oder frühe, der Friede des Herzens gewiß feyn,
Bernhard ſchied, und feine Züge fagten dabes
deutlich, wie theuer er diefen Frieden erkaufte.
In ihrer Leidenſchaft für Adelberten ging Blanken
das Mitgefühl fir den Zuftand ihres geweſenen
Braͤutigams vollig verloren. Die Hoffnungen
einer ſchoͤnen Zukunft reichten ihr den Arm, ſo
daß ſie gar bald das Krankenlager verlaſſen
konnte. —
9.
Den Liebenden ging ein neues Leben auf, nur
ſelten von Wildenau's tiefem Schmerze ein wenig
truͤbe gehaucht. Denn durch blinde Leidenſchaft
erhitzt, pflegt jeder ſelbſt die unrechtmaͤßigſte
Liebe ſich für das heiligſte und alles fuͤr rechtlos
zu halten, was feindlich mit ihr zufammentrifft.
Eines Abends, ald dad Paar berauſcht faß
von den Zräumen einer feligen Zufunft und
Blanka's Mutter eben hinausgegangen war, ds
Geſpenſterbuch 7. Theil.
ee
BE (dee
2
114
erhob ſich grade wie Adelbert die Unendlichkeit
feiner eigenen Leidenfchaft in Blanka's liebevollen
Yugenfternen wiederfinden wollte, auf dem Stuhle,
welchen die Mutter vor furgem noch inne gehabt,
ein lauted Athmen. Da die Ruͤckkehr der Deutter
nicht ſo bald zu erwarten gewefen war, fo blickten
beide zugleich nach dem Sitze hin. Es war aber
auch Feinediweged dad Geſicht der theilnehmenten
Mutter, was fie entdediten , ed waren Mechtils
dens Züge. “Beide flogen vor dem Falten furcht⸗
baren Hohne in ihren tiefliegenden Auge von
den Stühlen empor.
Was wilft du Hier, böfe Zauberin? rief
Adelbert.
Gewoͤhne dich immer an meinen Anblick —
ſprach Mechtilde — mitten in Euern Gluͤckstraͤu⸗
men werde ich Euch oft alſo überrafchen.
Fliehe oder zittre I rief der Nitter die Fauſt
empor bebend.
Keined von beiden! antwortete fie. In tiefer
Ruhe erwarte ich beinen Dank für das mannich⸗
face Gute, fo du von meinem Gemale und
mir empfingfl. |
Dieſes Wort entkräftete des Nitterd Arm,
und fie ſagte: Was zähmte doch den wuͤthigen
Tiger fo ploͤtzlich? Was fchonefl du meines zeits
lichen Lebens, bu, durch den die Seele mir vers
loren ging? — Schaudre nur davor, es Hit alfo.
115
Du allein bift an den ſchrecklichen Schritten ſchuld,
die ich gethan habe! —
Mechtilde — rief da der Ritter mitleidig —
gehe in dich, weiche von dem heillofen Pfade,
den du wandelt! —
Um dich denn doch in einer Undern Armen
zu fehen? Nein! ch will elend feyn, wenn ich
nicht felig werben fol, felig durch dich! — Aber
fu — und du, erwartet auch Ihr Feine Seligs
fit von dem Bündniffe, welches bie jegt nur
noch in Eueen Träumen lebt. Sobald ed der
Wirffichfeie näher tritt, wird ed auch zerfallen
in ſich ſelbſt. Denn in nicht fuche ich nun’ mein
li als darin, Andere in mein namenlofed
Elend Hinabzuziehen! —
Schmerzlih umfaßte Adelbert die Gelichte,
während Mechtilde dad Gemach verließ. Biel
leicht war dieß der erfie Dioment, wo das Tiebende
Paar fein Unrecht an Bernhard erfannte und
fühlte, daß es, ohne diefed, ſchwerlich alfo in
bie Hände der böfen Zauberin möchte gegeben
worden feyn. Gleihwohl war die beiberfeitige
Leidenſchaft zu ſtark, als daß fie einer Verbin⸗
tung hätten entfagen mögen , in welcher allein
fie ihr Deil zu finden glaubten.
10.
Die Hochzeit fand zwar zu Schredienberg im
elterlichen Haufe der Braut flatt, doch begab man
22
- 116
ſich, nachdem die Trauung vorüber war, nach
dem Pöhlberge, wo ber Bräutigam ein großes
Feſt veranftaltet hatte. Als alles ſchon Hier vers
fammelt war, und man eben Paar und Paar
in den Speifefaalging, da erbleichte mit Einem
Male die ſſchoͤne Braut und ſank ſchreiend zu
Boden vom Arme des —— Der Schrebk⸗
ken war um ſo groͤßer, da alle Verſuche einen
Lebensfunken in ihr zu erwecken, fruchtlos blieben.
Meder die untroͤſiliche Mutter noch irgend einer
ber Säfte begriff das Piögliche biefed, dad ganze
Feſt vom Grunde aus zerfiörenden Trauerfalles,
weil die Erblihene vor dem Augenblicke ihres
Hinſcheidens audy nicht die Heinjte Ahndung von
Unpäßlichfeit gehabt hatte. Nur Hdelbert dachte
fogleich an Mechtitde und deren Drohung. Zur
weilen aber fonnte er auch gar nıdyt glauben, daf
Blanka geftorben ſei, und meinte, fie müfle nun
endlich wieder aus ihrem tiefen Schlafe erwachen.
Allein nach drei Lagen und Nächten, die er bei
ihr zugebracht hatte, zeigte ſich auch nicht Die
mindefte Lebensfpur. Am Abende nach dem Tage,
an welchem Blanka beigefegt worden, und Adels
bert fchlaflo8 im Bette liegend fein ſchreckliches
Schickſal überfann, da. öffnete ſich plöglich dir
Thuͤre. Er blickte auf; ein eiskalter Schaue
überlief: ihn: Mechtilde kam auf ihn zu.
”
117
Sift du ed ferbft, oder ift e6 nur ein Trug⸗
bild der Hölle? rief er aufgerichtet. —
Wie du es nehmen willſt! antwortete. fie.
Es iſt eingetroffen, was Ich dir weiflagte: bein
Gluͤckstraum iſt zergamgen an meiner Radıe, wie
jeder andere. Wer hieß dich aber auch die gelichte
Gattin lebend binabftoßen in die kalte Gruft ?
Lebend? rief Adelbert voll Entfeßen:
Ja wohl lebend! antwortete fie. Nur. Zauber
gab ihr den Schein einer Todten. — Jetz lebt
ſie wieder!
Teufliſche Luͤgnerin — rief der Ritter —
willſt du mich nun nych wahnſinnig mare vor
eine falſche Hoffnung ? am
Hoffe nicht ! verfegte Mechtilde. Kenn vs
fchon lange moderſt, wird fie noch leben und
umgehen .auf dieſem Berge. : Uber nicht zu dei⸗
nem Heile. Denn der erfie ihrer Blide. auf
dich wish auch dein. Tod ſeyn! —
D du höllifche Natter! ſchrie Adelbert, nach
ihr hinraſend. Doc 'als er vor ihr ſtand, da
erfaßte ihn ein heftiger Schrecken und ſie ſprach
mit Hohne:
Gewahrſt du nun, daß auch ich eine Abge⸗
ſchiedene bin ? Auf daß meine grimmigfle Seins
din deſto laͤnger leben moͤge, ein unerfreuliches,
grauenvolles, tddtendes Leben, darum habe ich
mich des meinigen ſelbſt beraubt.
/
118
.Mit diefen Worten verfchwand die Erfah
nung-
Feſthaltend in feinen Gedanken, was fie ge
ſagt hatte, rief der Ritter ſogleich nach Leuten
und Fackeln und eilte damit hinab in die Gruft.
Er ließ fie dffnen,
.Wo iſt fie? fragte er mit manvie Stimme,
als bie Gruft leer war,
Erſtaunt fahen feine Begleiter fi an. Nie
mand begriff, wer das eiferne Thor ohne Geraͤuſch
gedffnet und wieder verfchloffen hatte. —
— Herr Rifter — ſo fprach am folgenden Nach⸗
miitage· ein Knappe gu dem Troſtbeduͤrftigen —
geſtern hat ein Knecht Eure Braut juſt in ihrer
Sterbeſtunde auf dem Schloßberge geſehen. Ich
wollte wiſſen, wäs an feinem Vorgeben fei und
vorhin iſt fie auch mir-bort begegnet. Zwar
ſchlug fie das Auge zur Erbe, aber fie war es,
in völligen Glanze ihres Hochzeits⸗ x und Ster⸗
betages, ich ſchwoͤre darauf.
Am folgenden Mittäge verfäumte Adelbert
nicht, den Weg atıfzufuchen , den’ fi ie, wie er
hörte, beidemaf genommen hatte. ' Und ohne
daß er ihr Ankommen inne, geworben, fland fie
plöglich vor ihm mit 'niedergefchlagenen Augen,
wie geflern und vorgeſtern. Blanka, mein⸗
theure Blanka! rief er nun aus. —
119
Aber vie hierauf ihre Augenlieder ſich er⸗
ſchloſſen, fo ſchnitt auch ein Strahl aus ihnen
auf Adelbert fein Leben mit Einemmale entzwei.
Manche Andere haben feitdem die Jungfrau
hochzeitlich in ſchneeweißem Atlas gekleidet und
das Haupt mit goldenen Locken geſchmuͤckt, in
der Mittagsflunde den Pohlberg herablommen
und traurig und niedergefäplagenen Auges vors
überwandelnfehen. Jeden aber, der, bethoͤrt von
dem Glanze der Erfcheinung, durch Ausrufen
ihres Namens ihren Blick auf fich herüber lockte,
hat diefer Blitzſtrahl aus der Unterwelt ſogleich
tbdtend in daB Mark feined Lebens ‚getroffen,
ut . \
Be Der Bergmönd,
Heltdnend ſchallte das Betgloͤcklein von des
Steigers Wohnung durch das Bergſtaͤdtchen, als
bie, Abendfoane mit ihren ſcheidenden Strahlen die
' Waldhoͤhen xiugs umher mit Gold und Purpur
ſaͤunte. Es mag. die Stunde, mo die Manns
fdaft, die den Tag über in der Grube gearbeitet
Hatte, von den zur Nachtſchicht beftimmten Knap⸗
ven abgelöst wurde,
Nun laß mich liebes Fraͤnzchen“ — fagte
Michael zu feinem Mädchen, das ihn ein Stud
Wegs begleitet hatte — „der Steiger kann mich
nicht leiden und paßt mir auf den Dienſt; kaͤme
id) einmal zu fpät zur Schicht, fo hätte er eben
in Recht mich auszuzanten, und da follte mird
etruͤbſelig ergehn!” Damit drüdte er noch einen
Kuß auf Franziska's bfühende Tippen und ſprang
nad) dem Grubengebäude, wo er noch vorm
Berlefen der Mannfchaft anfam, und flatt des
gewöhnlichen frommen Grußes mit Fluchen und
Schelten dom Steiger auf der Fahrt geleitet
wurde.
Dieſer, der Franziska's frommem und wackerm
121
Bater in bderfelben Stelle gefolgt war, hatte fich
gleich in den esften Monaten ald einen bösartis
gen, gottlofen. Mann Fund gegeben. Er ſpottete
über Kirche und Gebet, trank. und fpielte uns
mäßig, drückte. feine Untergebenen, und madıte
ſowohl mit den gewonnenen Erzen ald mit dem
zur Auszimmerung der Gruben und Erhaltung
der Mafchinen beſtimmten Bauhoͤlzern und Mes
talfen, einen [handlichen Unterfchleif. - :
Ein fo ſchlimmes Beiſpiel hatte in einigen Jah
ren Die Mannſchaft zur Grube St. Florian genannt
zu einer harhft fittenfofen und Tiederlichen Bande ges
madıt. Un der Stelle der, einem Beramanne fo
nöthigen Gottesfurcht, war, eine emporende Ges
ringſchaͤtzung aller religiöſen Gebräuche eingeriſſen /
die uͤber kurz oder lang die wohlverdlente Strafe
nach ſich ziehen mußte.
Unter dieſer raͤudigen Herde waren noch etwa
ein acht oder zehn alte Bergleute, die treu an Gott
und Vergeltung glaubten, und ſich in frommer
Gemeinſchaft zu einander hielten, von der boͤſen
Rotte aber auch Spottweiſe „Moſes und die
Propheten’! genannt wurden.
Diefet Heine Häuflein hatte vergebens ber eine
reißenden. Verwilderung entgegen zeftrebt, und auch
ſogar einmal mit einer Anzeige getroht.
Der herzhafteſte unter den Sprechern war Mi⸗
chael, eln junger Dann voll Geiſt und Leben, ‚der
» : Der Bergmönd).
Hatdnend ſchallte das Betgloͤcklein von des
Steigers. Wohnung, durch das Bergſtaͤdtchen, als
die Abendſonne mit ihren ſcheidenden Strahlen die
Waldhohen ginge uber mit Gold und Purpur
fängite. Es may ‚die Stunde, wo die Manns
(haft, die den Tag ‚über in der Grube gearbeitet
Hatte, von den zur Nachtſchicht beſtimmten Knap⸗
pen abgeloͤſt wurde.
„Nun laß mich liebes Fraͤnzchen“ — ſagte
Michael zu ſeinem Maͤdchen, das ihn ein Stuͤck
Wegs begleitet hatte — „der Steiger kann mich
nicht leiden und paßt mir auf den Dienſt; kaͤme
ic) einmal zu fpät zur Schicht, fo hätte er eben
in Recht mich auszuzanken, und da follte mirs
Ktrübfelig ergehn!” Damit drüdte er noch einen
Kuß auf Franziska's blühende Lippen und fprang
nah dem Brubengebäude, wo er noch vorm
Berlefen der Mannfchaft anfam, und flatt bes
gewöhnlichen frommen Grußed mit SlIuchen und
Schelten vom Steiger auf ber Fahrt geleitet
wurbe,
Diefe , der Sranzisfa’s frommem und wackerm
421
Bater in berfelben Stelle gefolgt war, hatte fich
gleich in den exften Monaten ald einen bösartis
gen, gottloſen Mann Fund gegeben. Er fpottete
über Kirche und Geber, trank. und fpielte uns
mäßig, druͤckte feine Untergebenen, und machte
ſowohl mit den gewonnenen Erzen ald mit dem
zur Auszimmerung ber Gruben und Erhaltung
der Maſchinen beflimmten Bauhoͤlzern und Mer
tallen, einen ſchaͤndlichen Unterfchleif. - J
Ein fo ſchlimmes Beiſpiel harte in einigen Jah
ren die Mannſchaft zur Grube St. Florian genannt
zu einer havbft fittenfofen und Iiederlichen Bande ges
macht. An der Stelle der, einem Beramanne fo
nöthigen Gottesfurcht, war,sine: emporende Ges
ringſchaͤtzung aller-religiüfen Gebräuche eingeriffen)
Die über kurz oder lang die wodloerdiente Strafe
nach ſich ziehen mußte.
Unter dieſer raͤudigen Herde waren noch etwa
ein acht oder zehn alte Bergleute, die treu an Gott
und Vergeltung glaubten, und ſich in frommer
Gemeinſchaft zu einander hielten, von ber boͤſen
Motte aber auch Spottweife „Moſes und bie
Propheten“ genannt wurden.
Dieſes Heine Häuflein hatte vergebens ber eine
peißenden Rerwilderung entgegengeflrebt,, und auch
fogas einmal mit einer Anzeige gedroht. |
Der berzhaftefle unter den Sprechern war Mis
&ael, ein junger Dann voll Geiſt und Leben, der
122%
ſich durch feine feltenen Faͤhigkeiten, und feinen Fleiß
auf der Berafchule ſowohl ald im praktiſchen Berg
baue, fo ausgezeichnete Kenntniſſe erworben hatte,
daß ihn Fraͤnzchens Vater mit gutem Gewiſſen dem
Bergamtezur Beförderung vorſchlagen durfte,
Sicher würde auch eine vortheifhafte Anflels
fung darauf erfolgt feyn, wenn ber alte wadıe
Steiger am Leben geblieben wäre, und fleißig
die hohen Gönner hätte erinnern fünnen. 60
aber flarb er, und mit ihm ſchien auch Michaels
Gluͤck vernichtet. Die gethanen Verſprechungen
blieben unerfüllt, und nach kurzer Zeit kam ein
neuer OÖberfleiger hin, der bald darauf foͤrmlich
eingewiefen, und der Knappſchaft als ihr nun:
mehriger Oberer vorgeftellt wart.
Franziska zerfloß an dieſem Tage in Thraͤnen.
Ihre Hoffnung, nach des geliebten Baterd Tode
nun doch in ihrem Michael als Gatten eine
Stuͤtze zu finden, war aufs neue in die Ferne
hinausgeruͤckt. Sie war arm, Michael lebte von
ſeinem Verdienſte. Was die Zukunft noch mehr
verfinſterte, war des neuen Steigers gehaͤſſige Aen⸗
Berung über Michael: „er wolle feinem Nebenbuh⸗
ler die ſtolzen Gedanken ſchon vergehen machen !"
.. In der That begegnete er auch dem wadern
jungen Mann aufs ſchnoͤdefte, ließ ihm feine. Obers
gewalt bei jeder Gelegenheit fühlen, und mochte
auch in feinen Berichten nicht beffer gegen ihn vers
EEE el nn mn.
| 125
fahren. Denn bei dem letzten Föhnungstage, las
der Steiger eine Weifung vom Bergamte ab, 109
rinnen dem Knappen Michael Chrerbietung und
Unterwerfung gegen feinen Vorgeſetzten empfohlen
warb..
„Laß das gut, ſeyn Franz hen — troͤſtete
dieſer ſeine weinende Geliebte, als er bei ihr in
ber alten Muhme Stuͤbchen ſaß — „ohne Got⸗
tes Willen kann mir auch der Teufel kein Haar
kruͤmmen., geſchweige denn der Steiger. Mag
er mich verläumben, meine Unſchuld und feine
Schlechtigkeit kammen doch noch einmaland Licht,
und dir und mir hilft der liebe Gott auch noch
zuſammen. Darum, vertrauen wir ibm, fo
wirds und nicht fehlen.” Die alte Muhme: lobte
Michaels gotteöfürchtigen Sinn; aber Fraͤnzchen
weinte fort, und ber Steiger ‚feindete den Jungen
Wann nicht weniger an, als zuvor.
, Seit der gedrohten Unzeige, war fein beimlicher
Haß in offendare Feindſchaft ausgebrochen, und er
ſchwur unauslöfchliche Rache. Mit Gelbe gewann
er einpaar her (hlimmfien, gegen Michael ald eis
nen Verlaͤumder aufzutreten, und wußte den Vor⸗
fol i in feiner. Klagfchrift fo vorzuflellen, daß von
Bergamts wegen dem Michael angedeutet wurde,
bei einer neuen Klage des Steigerd habe er als ein
Muheftörer, unausbleiblich feinen Abfchied zu ger
warten.
124
Tief gefränkt ging biefer ‚mit feinem alten
Sreunde, dem eidgrauen Martin nach der Grube.
Martin tröftete ihn väterlich, und fehloß mit
der Verficherung, er felbft wolle ſich aufmachen,
und ind Bergamt gehn, und gegen den Gteiger
auftreten, deffen Naͤnke er allein ganz aufzubdeden
im Stande ſei. — „Hierhet, Vater Martin,”
ſagte Michael, als der Alte jegt vom Wege abging.
„Faß du's gut ſeyn, mein Sohn! Ich weiß
was ich thue. Komm nur mit mir!’
. Veriouwnbert folgte Michael beim Altbater, der
mit ihm hinter einen dicken Sirauch trat, und
nach der" Grube hindeutere. '
Michael fab bir. - Da faß oben auf te
Fahrt *) ein wunderlicher Peiner dicker Mann,
in ganz weiten Moͤnchskleidern von dunkler Farbe,
mit den "Füßen, die in die Grube hinabhingen,
wild fchlenfernb," während fein Haupt, mit einem
großen herabfalfenden runden Hate bedeckt, wie
eine Kugel‘ im Kreiſe auf dem ſtatken Rumpfe
umlief. —
. „Wer iſi denn ..“ fragte Michael leiſe.
„St — um Gotteswillen“ — winfte Bater
Martin — „'s iſt der Bergmoͤnch! laſſen wir ihn
vorüber!
„9: Bapıe'Beißt bei ben Bertlenten bie Leitern
anf welchen man binabfeige,
125
Jetzt hob ſich die Erfcheinung aus ber Grube,
tete fich hoch ın die Hoͤh', und flürzte fich mit
einem Sage Kopf über in den Schacht hinunter.
Michael fchriegaut. „Sei ohne Sorge’ Tachte
Martin, „der thut fich feinen Schaden.”
Auf dem Wege belehrte der Alte feinen jungen
Sreund von ded Bergmoͤnchs Eigenfchaften. Mi⸗
chael erfuhr nun, daß es ein böfed Zeichen fei,
wenn er fich am Zage fehen laffe. Gewöhnlich
folge Unglüd darauf. Sonft thue der. Mönd
gottedfürchtigen Bergleuten Feinen Schaden, im
Gegentheil zeige er ihnen biöweilen edle Gänge:
an, auch höre man ihn oft in der Tiefe arbeiten.
Upter diefem Gefpräcde waren die beiden wieder
an der "Grube angelangt, und gingen nun an
ihr Tagwerk.
Nach einiger Zeit Fam Michael fpät und ges
dankenvoller alsfonft zu feinem Mädchen. Fran⸗
ziska that waß fie fohnte, den Truͤbſinn von
feiner Stirn zu fcheuchen. Bergebend. Endlich
ging die alte Muhme dad Abendeſſen zu bereiten,
da ließ Michael der Rebe freien Lauf.
„Sieh Fraͤnzchen“ — hob er an — „du weißt,
wir find beide arm, und haben in unfrer Dürfs
tigkeit nicht einmal den Troſt, unfte Liebe vor
den Leuten zu zeigen, weil wir noch nicht Mann
und Zrau find. Nun ift der Sieiger mein Tod⸗
feind, der mir feine Zulage auf meinen Lohn
126
gönnen wird, und fo koͤnnen noch Jahre vergeht,
eh wir einander heirathen koͤnnen!“
„Michael! — unterbrad ihn Franziska —
‘zbabe ich dir Denn nicht tauſendinal gefchworen,
daß ich dich, hättet du auch Tonnen Goldes,
nicht zärtficher Tieben wuͤrde? So laß und heira⸗
then, und North und Kummer zufammen tragen,
wenn und Gott nun einmal ſolches beſtimmt
hat!“
„sa doc liebes Mädchen, aber ich Fonnte
mir ed nicht verzeihen, dich ans deiner Rube ın
Angſt und Noth zu verfegen. Indeß giebt's eben
noch ein Mittel, und gleich auf der Stelle ;u
heirathen, und noch eben eind reich und gluͤcklich
zu feyn. Wenn nun —
„Ein Mittel’ — fagte Franziska, ihm lieb»
. reich das geſenkte Haupt mit der Hand empor
hebend, und ihm fehr ernfl in die dunfeln Augen
blidend — „ein Mittel, dad mein frommer
Freund mit Zögern nennt, das ihn einen ganzen
Abend träbfinnig macht, ſollte das wohlein ers
laubtes Mittel ſeyn?“
„Thu mir nicht Unrecht liebes Maͤdchen, und
vernimm erſt was mir begegnet iſt!“ Damit
verließ Michael den Schmollwinkel am Ofen,
ſetzte ſich Fraͤnzchens Spinnrade gegenuͤber, und
‘bob folgendergeſtalt an zu erzaͤhlen:
"427
„Es mußte ſchon ſtark gegen das Ende der
Shit gehn, denn mein. feßted Licht im der
Blende *) war faft ganz herunter gebrannt, ald
ih vor Ort **) Pnieend, ein Klopfen und Haͤm⸗
mern wie von arbeitenden Bergleuten, aber unter
meinen Süßen vernahm. Sch wußte, da ich
auf der Sohle der Grube war, daß «8 unter mir.
feinen Bergmann geben Fonne, und hielt «8 für
den zurüdgeworfenen Schall meiner entfernt
arbeitenden Kameraden. Das Klopfen hörte ins
ded nicht auf. Nun fiel mir zwar wohl ein,
daß mir Vater Martin erzählt hatte, wie man
bisweilen fol Kiopfen in den Gruben höre,
wenn audy eben, Fein Menfch arbeite, Das wären
die Erdgeifter. Ich achtete nicht weiter darauf,
und es verlor fi) auch bald. Nun fuchte ich
mein Zeug zufammen, und ging auf dem Stols
len vor zum Fahrſchachte. Wie ih fo in Ges
danfen um eine Ede biege, die der Stollen
madır , fo tritt mir plöglich aud einem von ben
Alten getricbenen und verlaffenen Ort, ein Feiner,
dider Mann im Grubenfittel entgegen, vom
Eifenodyer fo roth gefärbt, und fo fchmierig als
unfer einer. Gchlägel und Eifen, die ibm im. .
Gürtel ftafen, waren ungeheuer groß und flarf.
*) Blende, Das Grubenlicht. r
”") Ort. Die Stelle, mo der Bergmann eben
arbeitet.
126
gönnen wird, und fo koͤnnen nod Jahre vergehn,
eb wir einander heirathen koͤnnen!“
„Michael — unterbrad ihn Franziska —
„habe ich dir denn nicht taufendimal gefchworen,
daß ich dich, hätteft du auch Zonnen Goldes,
nicht zärtficher lieben würde? So laß und heiras
then, und North und Kummer zufammen tragen,
wenn und Gott nun einmal folched beflimmt
Bar !”
„sa doch liebes Mädchen, aber ich koͤnnte
mir es nicht verzeihen, dich aus deiner Ruhe ın
Angſt und North zu verfegen. Indeß giebt's eben
noch ein Mittel, und gleich auf der Stelle ;u
heirathen, und noch eben eins reich und gluͤcklich
zu feyn. Wenn nun —
„Ein Mittel’ — fagte Franziska, ihm lieb
reich dad arfenfte Haupt mit der Hand empor
hebend, und ihm fehr ernſt in die dunfeln Augen
blidend — „ein Mittel, dad mein frommer
Freund mit Zögern nennt, dad ihn einen ganzen
Abend trübfinnig macht, follte dad wohl ein ers
laubtes Mittel feyn ?“
„Thu mir nicht Unrecht liches Mädchen , und
vernimm erſt was mir begegnet iſt!“ Damit
verließ Michael den Schmollwinfel am Ofen,
fegte fih Fraͤnzchens Spinnrade gegenüber, und
bob folgendergeflalt an zu ergäßlen:
Eee
"127 |
„Es mußte fchon ſtark gegen dad Ende der
Schicht gehn, denn mein letztes Licht in der
Blende”) war faft ganz herunter gebrannt, als
ih vor Ort **) Inteend, ein Klopfen und Haͤm⸗
mern wie von arbeitenden Zergleuten, aber unter
meinen Süßen vernahbm Ich wußte, da ich
auf der Sohle der Grube war, daß es unter mir.
feinen Bergmann geben Fünne, und hielt ed für
ben zurücdgeworfenen Schall meiner entfernt
arbeitenden Kameraden. Das Klopfen hörte ins
deß nicht auf. Nun fiel mir zwar wohl ein,
daß mir Vater Martin erzählt hatte, wie man
bisweilen fol Klopfen in den Gruben höre,
wenn auch eben, fein Menfch arbeite. Dad wären
die Erdgeifter. ch achtete nicht weiter darauf,
und es verlor ſich auch bald. Nun ſuchte ich
mein Zeug zufammen, und ging auf dem Stols
len vor zum Fahrſchachte. Wie ih fo in Ges
danfen um eine Ede biege, die der Stollen
macht, , fo tritt mir plögfich aus einem von den
Alten getriebenen und verlaffenen Ort, ein Heiner,
dider Mann im Grubenfittel entgegen, vom
Eiſenocher fo roth gefärbt, und fo ſchmierig als
unfer einer. Schlägel und Eifen, die ibm ım.
Gürtel fiafen, waren ungeheuer groß und flarf.
*) Blende. Das Srubenlicht. ‚
””) Ort. Die Stelle, wo ber Bergmann chen
arbeitet.
. 128 °
In der rechten. Hand ‚hielt er eine Blende, in
der aber Fein Licht brannte, fondern ein herrlicer
grüner Stein befeſtigt war, der einen wunderlieb ⸗
lichen bunten Schein in hellen Strahlen nad
allen Seiten hinwarf.
Ein bloßes Nebelgebild aus böfen Wettern
und fonft verdorbner Luft erzeugt, war das nicht,
wie ich auf den erflen Blick ſah. Ich wollte
daher ſchweigend vorbei. Mit Erſtaunen aber
ward ich gewahr, daß der unbelannte Bergmann
mit feinem Reibe die Breite des Stollens fo
genau außfüllte, daß an Fein Borbeifchlüpfen
zu denken war.
„Ich trat alfo ein Schritt zurüd, ſchlug ein
Kreuz vor der Geftalt und fagte: „wer du auch
feift, gieb einem frommen Bergmanne Raum, der
auf feinem Beruföwege wandelt !’’ Uber der Beine
Kerl lachte, und ſagte: „Ich fuͤrchte mich vor deis
nem Zeichen nicht, Kamrad, und magſt du daraus
abnehmen, daß ich dir kein Leid zufuͤgen will.
Im Gegentheile, ich will dir helfen. Du biſt
ein armerKerl,haft manchmal kaum ſatt Brot, und
verdienſt mehr als alle die Schurken, die hier
anfahren. Ich bin, den ihr den Bergmoͤnch
nennt, bin Herr über alle Gebuͤrge dieſer Ger
gend, und kenne alle edle Floͤtze und reichen
Gänge. Did; hab’ ich liebgewonnen, und will
dich zum reichen Manne machen. Hier nimm —
er?” |
damit langt er aus feinem weiten Grubenkleide
eine Menge der berrlichiien Schauflufen ber
vor, die ich auf den erſten Bli für gedlegen
Rothguͤlden⸗Erz erkannte.
„Gott verhuͤte, — antwortete ich — daß
ich euer Geſchenk annaͤhme, und ſomit meinen
Landesherrn beſtoͤhle. Wißt ihr wirklich, wo edle
Geſchiche brechen, ſo zeigt es dem Steiger an,
wir bekommen dann alle einen hoͤhern Lohn.
Schimpft mir auch nicht auf meine Kameraden,
ed find auch noch ehrliche Kerls drunter,
„Narr du“ — brummte der Bergfönig —
„mit deinen ehrlichen Kameraben ; und dein Stei⸗
gerift ein Schuft,, der die Grube beſtiehlt, und
dem ich noch einmal den Hals umdrehen will! —
Du nimmſt alfo mein Geſchenk nicht?“
„Ich darf nicht, Herr,“ entgegnete ich.
„Nun fo kriech hinaus du blöder Maulwurf 1"
Damit faßte er mich bei den Schultern, und
warf mich den Stollen vor, bis an den Fahr⸗
ſchacht, ohne daß mir jedoch ein Glied weh se
than hätte.
„Ich hatte Mühe die Fehrt zu finden, denn
meine Blende war verlöfcht. Endlich hatte ich
fie, und flieg nun herzhaft Tod. Als ich fo hoch
war, daß dad Tageslicht herein fiel, ſah ich den
Bergmoͤnch ſchon oben ſitzen und neben ihm des
Gteigerd Neffen, den Iuft’gen Guntram. . Der
Geſpenfſterbuch 7. Theil, 3
m
128
In der rechten. Hand hielt er eine Blende, in
der aber Fein Richt brannte, fondern ein herrlicher
grüner Stein befeftigt war, ber einen wunderliebs
fichen bunten Schein in hellen Strahlen nad
allen Seiten hinwarf.
„Sin bloßed Nebelgebild aus böfen Wettern
und fonft verdorbner Luft erzeugt, war das nicht,
wie ih auf den erfien Blick ſah. Ich wollte
. daher ſchweigend vorbei. „Mit Erflaunen aber
ward ich gewahr, daß der unbelannte Bergmann
mit feinem Leibe die Breite ded Stollens fo
“genau audfüllte, daß an Fein Borbeifchlüpfen
zu denken war.
„Ich trat alſo ein Schritt zurüd, Tchlug ein
Kreuz vor der Geſtalt und fagte: „wer du auch
feift, gieb einem frommen Bergmanne Raum, der
auf feinem Beruföwege wandelt !’’ Uber der Kleine
Kerl lachte, und fagte: „Ich fürchte mich vor deis
nem Zeichen nicht, Kamrad, und magſt du daraus
abnehmen, daß ich dir Fein Leid zufügen will.
Sm Gegentbeile, ich will bir helfen. Du bift
ein armerKerl,haft manchmal kaum fatt Brot, und
verdienft mehr ald alle die Schurfen, die bier
anfahren. Ich bin, den ihr den Bergmoͤnch
nennt, bin Herr über alle Gebuͤrge diefr Ger
gend, und kenne alle edle Flöße und reichen
Gänge. Did hab’ ich liebgewonnen, und will
dich zum reichen Manne machen. Hier nimm —
12)
damit Sant er auß feinem weiten Grubenkleide
eine Menge der berrlichiten Schaufiufen ber
vor, die ich auf den erften Bli für gedlegen
Rothgülden-Erz erkannte.
„Gott verhuͤte, — antwortete ich — daß
ich euer Geſchenk annaͤhme, und ſomit meinen
Randesperrn beſtoͤhle. Wißt ihr wirklich, wo edle
Geſchiche brechen, fo zeigt es dem Steiger an,
wir befommen dann alle einen böhern Lohn.
Schimpft mir audy nicht auf meine Kameraden,
ed find auch noch ehrliche Kerl drunter.
„Narr du“ — brummte der Bergkoͤnig —
„mit beinen ehrlichen Kameraben ; und dein Steis
gerift ein Schuft,, der die Grube beſtiehlt, und
dem ich noch einmal den Hals umdrehen will! —
Du nimmſt alfo mein Geſchenk nicht?“
„Ich darf nicht, Herr,“ entgegnete ich,
„Nun fo Friecch hinaus du biöder Maulwurf!“
Damit faßte er mich bei den Schultern, und
warf mich den Stollen vor, bis an den Fahr⸗
ſchacht, ohne daß mir jedoch ein Glied weh su
than hätte.
„Ich hatte Mühe bie Fehrt zu finden, denn
meine Blende war verlöfcht. Endlich hatte ich
fie, und flieg nun herzhaft Tod. Als ich fo hoch
war, daß dad Tagedlicht herein fiel, fah ich den
Bergmoͤnch ſchon oben ſitzen und neben ihm des
Steigerd Neffen, den Iuft’gen Guntram. . Der
Geſpenſterbuch 7. Theil, , 3
k. -
1350
Mond; hatte diefelben Stufen ausgelegt, die er
mir angeboten , verlangte aber, Guntram fol
fie theilen,, und feinen Theil davon behalten, den
andern aber ihm geben.
„Guntram theilte nun. Wenn er aber eine
Stufe zerfhhlug , fo fhob er immer die größer
Hälfte heimlich in ben Kittel. WE er fertig
war , fledte er feinen Theil ein, und ſchob dem
Berggeifle die andre Hälftezu. Der aber packn
ihn beim Gürtel, riß ihm die verfiechten Stüde
heraus , rannte ihn mit dem Kopfe gegen die
Sahrt, wobei erimmer ſchrie: „heißt dad ehrlich
getheilt, du Galgenfirid ? heißt das ehrlich ger
heilt 7° und endlich ſchleuderte er ibn. den Schach
hinunter.
„Sch hatte das voraus gefeßen, und fland
zum Gluͤcke feſt auf meinen Füßen. So gelang
es mir den ſtuͤrzenden Guntram aufzufangen,
und wieder mit heraufzubringen. Ich trug ihn
gum Steger, dem: ich die ganze Geſchichte en
zahfte- ‚Aber der hieß mich einen Narren, meintt,
ich ſei wohl betrunken gewefen, und gebot mit
had) Haus zu gehn.
Seit der Zeit begegnet mir der Beramönd
täglich, und heut Abend bot er mir gargediegn
Gold'an, von dem er mir fagte, es fei ad
einem weit entfernten Lande, und ich fünne d
‚134°
daher ganz unbeforgt nehmen. Dennoch — ich
weiß nicht — freilich. —“ nn
„Dennoch“ — fiel, Frangiska ein —_ „rin
nert dich Dein Gemiffen ‚ep nicht zu nehmen;
nicht fo Michael? Nun ſieh', ich denke eben. 117
und du darfjt wahrhaftig nichtd annehmen, fol‘
ten. wir auch noch fo -kange einander ‚night, hei⸗
rathen duͤrfen!“ Be re
An, andern Morgen wurde Michael vor. den
Steiger gefodert, der ihm befannt machte,
Guntram habe auögefagt , Michael fei betrunken
in die Grube gefammen, habs Händel angefan⸗
gen, ihn blutruͤnſtig gefchlagen, und, um ſich zu
entfchußdigen, dad Mährchen vom Bexgwoͤuch
erfunden. Auch fei er nehſt ein paar Zeugen
erbotig, ſeine Ausſage ‚gegen Michael zu be
ſchwoͤren.— ea
Dhgisäch diefer nun die Zeugen ihrer. Schänds
fichfeit leicht überfühtte, indem fir auf fein Ger
fragen gang andre Umſtaͤnde ald Guntram-, ers,
zählte, angaben, fo konnte er body nicht laͤug⸗
nen, daß er des Steigers Neffen blutend herquf
gebracht, und vor ſeines Oheims MWohnung.nier
dergelegt ‚hatte. Da dieſer bie Geſchichte vom
Berggeiſte ſchlechter dingoͤ nicht glauben wollte,
und Michael keinen Zeugen ſeiner Unſchuld hatte,
fo warb, er auf act Tage zur Hundejungen⸗
arbeit verurtheilt. Dad heißt, er mußte einem.
2
4132
Ichwern vierradrigen Karren ſchieben, auf wei
chem das Geſtein in der Grube bis zum Trei⸗
begdpel . geſchafft wird, und der in ber Bergs
fpladje der Hund Heißt: ‚Eine Arbeit der jüngs
Den Anfänger! \
Diefe neue unverfdere Kraͤnkung empoͤrte
shisas Herz; er’ befthloß feinen Abfchied zu
fodern, und auf einem audländifhen Bergwerk
ein "Unteitommen zu ſuchen· Franziska beftärtie
In i in ſeinem Entſchluſſe. Am naͤchſten Lohn⸗
tage wollte er ihn anzeigen.
* Ruhis, im Benußtfeyn feiner Unſchuld, vohr
er heut angefahren, und’ beganır eben feine
® Strafarbeit. Da fab erben Bergfönig- ſich gegen
“über flehn, und‘ ihn auslachen. ,„;Siehfl du
Zropf!’ — ſprach er — „wie deine Gatmuͤthig ⸗
kei belohnt wird, und was du fuͤr ehrliche Kar
® en haft? :So nimm aun ein Stuͤck Sil⸗
"beib bon mir, damit du: wenigftens einen Zeht ·
pfennia auf die Reife haben!"
\ Hebe dich ideg Berſucher,“ antwortete Mi⸗
"ball. Jegt leide ich unſchuldig, deßhalb Bin
1 und girter Dinge ; fo ich aber deinen
5 Vieichthum naͤhme, und miein Geroiffen mit unge
wechterh Gute Belaftete, was bleibe mir denn für
"ein rofl 9" "
9 Treibegoͤpel. Cin Raͤderwerk aͤber der un
velches das Schein aus der Grube windet.
135
„Ich fehe wohl” — entgegnete ber Geiſt —
„du bift ein-wacrer Burſch, ber in feiner Red⸗
lichkeit nicht wanfend zu machen ifl. Wandle
ferner fo, und es wird dir wohl gehn. Ich
bleibe dein Freund, und obwohl du mich heut
zum letztenmale ſiehſt, fo ſollſt du body noch oft in
deinem Leben meinen wohlthaͤtigen Einfluß inne
werden. Jetzt merke wohl auf was ich dir fage,
Wenn du zu Abend aus der Grube fährft, fo
bitte den Steiger, er möge dich morgen frei .
affen, du wolleft deine Andacht halten. . Das
zarf er dir nicht abfchlagen. Dann geh’ zum
Beiſtlichen, empfange die heiligen Sakramente,
ınd halte dich ruhig. Hüte dich aber, jemand
in Wort zu fagen, ed wäre zu beinem Schaden.
Benn nun ber Steiger die Knappen beruft, fo
eh” und thu frifchen Muths, was dir befohlen
tird. Du bift auf guten Wegen. Gott wird
ich ſchuͤtzen, und ich werde sbir- behilflich
eyn!“
Michael that wie ihm geſagt ward. Er ver⸗
ichtete am andern Morgen ſeine Andacht, und
af num ſtillbetend in feinem Kämmerlein, war⸗
end was da kommen ſolle.
Einige Stunden nach Mittag hoͤrte er vin
ufammenlaufen , und ſautes eilendes Geſprach
or feiner Huͤtte.
I, Vie
334
i er trat hinaus und vernahm, das große Ge⸗
länge, was die Waffer aus der Grube hebe und
ins Sb leite, ſtehe fill, woraus zu fchließen,
daß es gerbrochen feyn muͤſſe; weil man aber ein
ganz ungewoͤhnliches Brauſen und Poltern in der
Tiefe höre, und doch Feine Meldung aus ber
Grube komme, fo befürchte man ein Unglüd.
Während man fi) deßhalb beſprach, laͤutete die
Betglocke zur ungepöhnlichen Stunde. Ein Ruf
für alle Bergleute, die ſich nicht auf der Schicht
befanden; ſich beim Steiger zu verſammeln.
Mit pochendem Herzen dachte Michael an des
Beified Worte, und eilte nad) bem Verſamm⸗
Iungsplage,
„Der Teufel weg! — laͤrmte hier der Stei⸗
ger — „was fuͤr ein verfluchter, dreimal verma⸗
ledeiter Zufall wieder bei dem großen Kunſtrade be⸗
gegnet iſt Ich wollte Dad Donnerwetter ſchluͤge die
ganze Maſchine in Stuͤcke, und uns alle dazu
hundert Meilen tief in die Erde! Man hat fo
nichts als Schererei davon!“
Michael kreuzte und ſegnete ſich vor des Man⸗
ned gräulichen und ruchlofen Reber.
Jetzt kam ein Knappe, und meldete,: ber tiefe
Stollen fiche voll Wafler, "und, ‚die Flut babe einen
Schachthut mit herausgeſpuͤlt, den er bei ſich
habe.
155
Unter $fuchen und Bermünfchungen aller Urt,
409 der Steiger an ber Spigeber Bergleute nach
dem Huthaufe, wo die Mannfchaft gewöhnlich
aufzufahren pflegte. So wie die dad Mundloch
des Schachtes verfchließende Fallthuͤre geöffnet
wurde, hoͤrte man auch ſchon das donneraͤhnliche
Brauſen der unterirdiſchen Flut.
Jetzt wurden die anweſenden Bergleute uͤber⸗
zaͤhlt. Der alte Martin fehlte. Der Steiger
beſann ſich jedoch, daß er ihm am vorigen Tage
erlaubt habe, in fein Geburtsborfzugehn. Die
eine Hälfte wurde mir Werkzeugen nach dem
Kunftrade gefandt, um größerer Schaden vors
zubeugen, die andre, unter der fich der wiebers
genefene Guntram, Michael und noch mehrere
Alte befanden , behielt der Steiger bei fich.
„Guntram“ — redete er jegt feinen Neffen
an — „es muß unweigerlich einer in dad ver⸗
fluchte Koch, damit man ordentlich erfährt, wie
ed ausſieht, und ob denn die Sadermenter da
unten todt oder lebendig find.‘
Guntram warb blaß. N
„Here DOberfteiger” — nahm Michael dab
Dort — „mit Gunſt. Mein Ramerad Guntram
ift noch ſchwach von dem letzten Falle, wie leicht
könnte ihm ſchwindeln, und er von der Fahrt
hinabſtuͤrzen in die Tiefe. Laßt mich hinein’ in
Gottes Namen !'
436
„Ins Drei Tenfeld Namenfag ih Euch, Ahr
Topfhängerifcher Betbruder, fchweigt bis man Euch
zu reden befiehle! Ich ſoll wohl nicht merken,
daß Ihr Euerm Todfeinde Guntram die Gele
genheit nicht gönnt, ſich auszuzeichnen? Fahr du
an Guntrem, und ſieh, wie weit du kommſt. Ich
verſpreche dir einen Bericht and Bergamt, ber dir
den Unterfleiger einbringen ſoll!“
Guntram zündete feine Blende an und flieg eints
ge Sproffen hinab, Da hörte er es ſauſen, ſchaͤu⸗
men ‚wpgen , brüllen, Daß Derzfanf ihm. Er
flieg wieder aufwärts,
„Bitt' Euch, Herr Oberfteiger , laßt mich wie
der herauf, es iſt gar zu graͤßlich!“
„Schaͤmt Euch, feige Memme“ — antwortete
dieſer — ‚‚Marfch I hinunter.“
„Ich bitte Euch um Gotteswillen, Herr Ohm,"
e»flehte der Juͤngling — „die Angft bringt mid
um; und die Waſſer fleigen immer höher I“
„Gotts Donnermetter, fo erfauft ind Teufels
Namen, wenn Ihr nichts befferd werth ſeid!“
Damit ſtieß der erzuͤrnte Mann den Juͤngling
hinunter, und warf die ſchwere Fallthuͤre zu.
Nun liefen Berichte von allen Seiten ein,
daß eine unterirdiſche entſetzliche Waſſerflut das
ganze Werk erſaͤuft, die ſchadhafte Auszimme⸗
zung losgeriſſen, die Maſchinen zerſtoͤrt, und fo
einen hoͤchſt beträchtljchen Schaden angerichtet habe.
— -
137
Mehr als zwanzig Bergleute, die eben auf der
Schicht arbeiteten, waren verloren. Die traurige
Kunde perbreitete ſich ſchnell, die Wittwen und
Waiſen der Verungluͤckten erfuͤllten die Luft mit
ihrem Jammergeſchrei, und klagten des Steigers
gewiſſenloſe Vernachlaͤſſigung des Werkes, als
die Urſache ihres Ungluͤcks an. Auch Franziska
kam in toͤdtlicher Angſt um ihren Michael ge⸗
laufen. Da gebot der Steiger durch die Vor⸗
wuͤrfe erbittert, durch ſeines Neffen vorſetzlichen
Mord noch mehr verwildert, Michael ſolle nun
hinab, und ihm Kundſchaft bringen, woraus er
denn den Bericht abfaſſen koͤnne. Vergebens
ſtellten ihm einige der aͤlteſten Bergleute vor,
ein ſolch Berlangen ſei unnuͤtz, indem die Urſache
und die Größe des Schadens nur zu klar wären,
Dazu verhinderten auch die immer höher ſteigen⸗
den Fluten ‚jede Unterfuchung,, und der arıne
Michael fei ganz nutzlos ein Raub des unaus⸗
weichlichen Todes. Franziska fiel dem harten
Panne mit Thränen zu Füßen, ihn beſchwoͤ⸗
rend, ihr liebſtes Gut auf Erben nicht fo ganz
unnüß zu morden. Umfonfl. Der Steiger bes
fand darauf als auf einem letzten pflichtmäßigen
Berfuche, „Und“ — fegte er hinzu — „habe
ich meinen Neffen dem landeöherrlichen Dienſte
opfern koͤnnen, fo werde ich für Euern Liebſten,
Jungfer, wahrlich Feine Ausnahme machen»
8
Pr
138
Ald Euer Oberer befehl ih Euch Michael‘, fahrt
an. hr feid ja ein fröommer Dann und eifriger
Beter, Euch werden bie Waller die Güße nicht
naß machen !’
Und Michael trat mit angegüindeter Blende auf
die Fahrt. „Sei ruhig Fränzchen,” — ſagte er —
„der Steiger Hat Recht , es iſt meine Pflicht. Aber
mein Herz fagt mir, wir fehen und wieder!“ Jetzt
flieger hinab, und ber ihm warf der Steiger die
Thuͤr zu ‚ ſchob den Riegel vor, und fagte lachend :
„der fromme Dann wird wohl pochen, wenn er
wieder heraus will!“
„Ha Ungeheuer, ſchaͤndlicher, verruchter Mörs
der,“ — ſchrie Franziska außer ſich — „nicht
genug, daß du den unſchuldigen Michael anfs
feindlichſte verfolgteſt, aufs ſchaͤndlichſte verlaͤum⸗
deteſt, nun willſt da ihn auch noch vorſetzith
morden, weil du von ſeinet Klugheit und Recht⸗
lichkeit das Schlimmſie fuͤrchteſt? Aber ich rufe
Gottes Gerichte uͤber Dein Haupt. Die Thraͤnen
der Waiſen ſchreien zum Himmel um Rache.
Sie wird dich treffen und zerſchmettern!“ Ohn⸗
maͤchtig fiel fie zu Füßen.
„Bringt das manndtolle Weibsbild von hin⸗
nen,“ befahl der Steiger. Aber feiner der Umſte⸗
benden wagte ed, fie anzuruͤhren.
„Wenn der Erzengel Michael wieder zu Tage
außfährt, fo ruft mich nur. Ich bin in meiner
139 ,
Wohnung!“ Mir diefen bitter hoͤhnenden Wor⸗
ten ging der Steiger nach feinem Haufe
Die Bergleute blieben flehen, als erwarteten
fie wirklich Michaeld Ruͤckkehr. Da esbob ſich
Franziska todtenbleih und zitternd vom Boden.
Ihr reiches ſchwatzes Haar hatte ſich gelöst, und
flog geifterhaft um das verflörte Antlig und die
hohe, ſchlanke Geſtalt.
„Deffnet den Schacht,“ gebot fie. Shui
gend vollzog man ihr Gebot, Da kniete fie
einige Schritte ſeitwaͤrts, erhob zitternd die
Hände, und während die Thränen ihr blaffed Ge:
ſicht überftromten, betete fie mit Iauter Stimme :
„Vergib, ewige Güte, mir, deinem ſchwachen
Kinde, dad ſchon verzweifelte, ehe e& bei deiner
Allmacht Huͤlfe gefuche hatt. Was aller
Welt unmoͤglich fcheint, ift dir ein leichtes.
Rette, o rette meinen Freund! Iſt aber
meine Bitte thörigt, fo vergieb, Allmaͤchtiger;
aber dann, dann 0 du ewige Erbarmung
“ und Liebe, dann nimm auch mich von biefer
Melt!"
Die Männer bebten, und Thränen zitterten
in ihren Augen!
Jet — fagte fie leiſe — „blicke einer
hinunter, und rufe mir zu, was er- fießt.-
“Eine lange Pauſe. „Noch nichts ?“ fragte
fe debend. „Nichts“ war die fürchterliche Ant⸗
**
140
wort. Ihre Augen wurden dunkel. Die Angſt,
unerhoͤrt gebetet zu haben, preßte Tropfen aus
ihrer Stirn. Immer ſchwaͤcher ward fie. Jetzt
fant ihr Haupt, erfchöpft fiel fie vorwär auf
Die gefaltenen Hände, und
„richt “ ruft ber fpähenbe Bergmann. „Ich
feh’ ein Licht in der Tiefe!“
Stanzisfa flog heran, augenblicklich aber
flürzte fie wieder auf die Kniee, ihr Herz ſchlug
hörbar. „Faſſe dich Seele, ſprach fie leife —
„noch ift Taͤuſchung moͤglich!“ Und wie verfieint
blieb fie horchend am Boden Tiegen.
„'S iſt ein Bergmann”’ — fagte der Knappe.
„Ich höre feinen Zritt auf der Fahrt. Aber er
ſtoͤhnt ſchwer!“
Jetzt hatte Franziska wieder Thraͤnen.
„'S iſt weiß Gott Michael,” ruft der Spaͤ⸗
ber jegt fich aufrichtend, indeß ſich alled, Fran⸗
ziska voran, dicht um die Grube drängte.
Uud wie ein Stern ans finſtrem Gewölfe,
fo leuchtete jetzt Michaels Grubenlicht aus der
wuͤſten Tiefe herauf. Schon konnte man ſeine
edlen, von der Angſt geſchaͤrften, blaſſen Ger
ſichtszuͤge erkennen. „Helft mir Kameraden,“
ſchrie et. Und alle Arme ſtreckten ſich nach ihm
ousé. Jetzt ſtand er oben. Um den Leib Batte
es ein Geil gefchlagen, er zog eb nach ſich here
141
auf, und an dem Selle hing’ — Guntrams
Leiche ! |
Franziska lag oßnmärhtig in bed waffertries
fenden Michaels Armen, Da Bam ein Berg⸗
offizier von hohem Range,: und hintyr aͤhm der
Steiger mit gegognem Hnte und der alte Martin.
„Michael lebt, Michael -Tebe ,’ fchrie alles
ihm jubelnd entgegen. „Unmoͤglich Kinder,
meinte der Obere, und eilte zur Grube, der
: Steiger betroffen hinter ihm. ber.
Aber Michael: rieb nur Gutrams Schläfen,
und ließ ihm Sprengpulver H0r.der Naſe ans
zunden und riechen. Endlich fam. er zu fich,
flug die Yugen auf, und flenzmeltey, -
„Michael , unſchuldiger, -verläumdeter Mis
dyael, zweintal mein Nester, ach vergieb!“ Diefer
druͤckte ihn an fein Derz.
Sept beugte fich der Bergoffizier über ben
Schacht, und. hinabſtarrend, fagte er, „unglaubs
lich — die Waſſer -fleigen noch immer] Seht nur
ſelbſt Har Oberfisiger !' Der eilte herbei, fich
weit..vorüber den Abgrund legend. Aher unplögs
lich fahr, allen ſichtbar, eine Rieſenfauſt aus der
Tiefe, drehte im Nu ded Steigerd Ungeliht auf
. den Nacken, daß man alle Wirbel.brechen hörte,
hielt das gräßlich verzerrre blaue Todtenantlitz der
Menge entgegen, und verfdnvand mit ſeinem
Raube unter der Flut. Augenblicks darauf hoͤrte
142
man ein füschterliched Donnern, wie von zw
farnmenflürzenden Bergen in der Tiefe.
Als die Umſtehenden fih vom Schreck und
"bangen Erftaunen erbplt hatten, nahm der Berg⸗
beamte daͤs Wort, „Gott hat gerichtet — fagte
er ſehr ernſt — und meinen ſchwachen Haͤnden
dieß ſchwere Amt entnommen. Denn auch ich
war gekommen zu richten. Das Bergamt, mit
Klagen über die unrichtigen. Ausbentezahlungen,
von Seiten der: Gewerken beſtuͤrmt, beſchloß eine
aſtrenge Umterfinhung der hieſigen Gruben, bie
‚mir aufgetragen ward. Bor meiner Abreiſe kam
der Altvater Martin, den ich von Jugend auf
ald einen wadern Bergmann .und frommen Chris
ſten kannte, mis fehr: wichtigen 'Beweifen gegen
die Rechtlichkeit des Steigerd und mit ſehr em⸗
fehlenden Schilderungen bed jangeh Michaels
beim Bergamte an. Zum Glüuͤck fanden fich
mehrere vortreffliche Riſſe und Berechnangen dies
ſes Fugen Bergmanned unter bei Papieren eines
verfiorbenen Rathes, die durch meine Hände ger
gangen waren. Aus bdenfelden "Papieren ergab
ſich audy ded Steigerd Trenlofigkeit und ſchaͤnd⸗
licher Betrug. Sch reiste nun mit Vollmacht
zu ſtrafen und gu belohnen Hierher, Martin
begleitete niich. Unterweges hörten wir ſchon
von der Ausartung der hieſgen Mannſchaft und
143
von der über fie verhängten göttlichen Strafe.
Ich fiellte mich anfangs gegen den Steiger, als
fei ich nicht abgeneigt, mit ihm gemeinfchaftliche
Sade zu machen. Dieß machte den Elenden
fo drei, daß ermir unaufgefordert feine Schaͤnd⸗
fichkeiten befannte. Hier an ber Grube, wo er feis
ne legte Unthat an Michael begangen hatte , wollte
ich ihn vor euer alier Augen vernichten. Aber wie
gefagt, Gott hat gerichter! Nun Michael, bevor
ich meinen Auftrag vollende, ſag und. noch „noie
du gerettet worden biſt. “
„Ach edler Herr, ich kann Euch fan gar nichts
fagen. Als ich den Steiger. den ſchweren eifers
nen Berzen über die Sallthür. legen hurte, da
merkte ich wohl feine Tuͤcke und daß +8 auf
meineg Tod abgeſehen fe. Aber ich vertraute
‚auf Sort und den Berggeiſt, der: ſich ja mir
auch ald ein gottesfuͤrchtiges Wefen Fund gege⸗
ben hatte. Unter mir sobte die Flut fürchters
ih. Die Wafferräder fausten im ſchnellſten
Umtriebe. Die Ziehſtangen und die zerbrochenen
Ketten klirrten und pfiffen und heulten fuͤrchter⸗
lich. Ic wagte mich bis über die Hälfte des
Leibes ind Waffer, weil ich die Sproffen der
Fahrt noch feſt fühlte Soyiel fonnte ich. bei
meinem. Grubenſichte ſehen, daß das Waſſer ſchon
hoch uͤber unſern letzten Orten ſtehe. Da fuͤhlte
ich zu meinen Süßen einen Koͤrper. Ich zag
> f}
& 7’
BJ
144
ibn empor. Es war Guntram. Im Augen⸗
blick hörte ich einen neuen Waſſerſturz unter
mir donnern. Zugleich auch ſchwankte Die Fahrt,
‚Inalite, brach, und ich flürzte, den Todten in
‘meinen Armen, hinab in die ſchwarze Flut. Nun
weiß ich nichtd mehr. Ich erwachte von dem
-ftarten Geruch brennenden Bergdld. Als id
die Augen auffchlug, fand: ich Hoch über der
leis wogenden Tiefe, feitwärts der Fahrt, m
“einer geraͤumigen trockenen Halle, die ich nie
vorher geſehen hatte. Vor mir brannte in einer
großen kupfernen Schale das Bergoͤl in grünen
Flammen. Neben: mir: lehnte der ertrunkene
Guntram; zu meinen Fuͤßen ſtand meine ange⸗
zuͤndete Blende und Tag ein Stud: Seil. Ich
fah nun wohl wad bie Abſicht war. Da fid
ich auf meine: Kniee, und betete unb dankte.
Zuerſt So, dann dem guten Geiſte. Hierarf
fehleifte ih Guntram das Seilunter den Achfein
durch, mir um ben Leib, und flieg nun getroft
herauf, wo id) denn Gott lebenslang für meine
wunderbare Rettung danfen will!” -- -
„Thut dad, braver Michael” — fagte der
Beamte, „empfangt aber auch aus meinen Haͤn⸗
den die zeitliche Belohnung eures tugendhaften
Wandels. Das Bergamt ernennt Euch durch
mic) zum Unterfleiger an der Grube Sankt Flo⸗
kian, und weit auch dem alten Martin einem
En OMOM1O oOo-œra- —
N
148
Zufhuß An, den er von Euch erhalten wird,
und der ihm erlaubt, den Heft feines Lebens
außer der Grube zuzubringen. Wandelt vor
Gott und rührt Euch tuͤchtlg In euerm neuen
Berufe.‘ Damit fhied ber Beamte.
Ber war glüclicher als Michael, Fraͤnz⸗
hen und der alte Martin. Nach acht Tagen
war Franziska Michaels gluͤckliches Weib. Aber
auch der Berggeiſt hielt Wort. Die erſoffene
Grube blieb zwar liegen; aber in demſelben
Meviere entdeckte Michael die berrlichfien Ans
brüde. Die Grube ward nad feinem Namen
„SrzengelMichael” genannt, gab überreiche
Ausbeute und baute fih gut aus. Als aber
nach einem Jahre Michael den Beamten unb
den alten Martin zu Gevattern bei feinem neus
geborenen Söhnlein bat, und diefer ihm die Ers
nennung zum Öberfteiger mit Gehaltözulage mit
Brachte, da klingelte ed auf einmal wie güldene
Scheller auf den zinnernen Tellern, die an ber
Band fanden. Und fiehe, es fielen eitel neue
Goldſtuͤcke durch die Dede herab, hundert an
der Zahl. Zn der Mitte war ein Mönch bars -
auf geprägt, und rund herum ftanden die Worte:
„Beſcheert Gluck zum Erzengel!”
Set erfannte Michael won! feinen alten Freund
den Berggeift, und in der Sreude feined Herzens
griff er nach einem Becher Weins, und brachte
Sefpenfierbuch 7. Theil, K
‚146
die Geſundheit aus: „der Berggeiſt follleben! a
Da that ihm jedermann Beſcheid, die Glaͤſe
klirrten, und zugleich ertönte eine. herrliche flark
und doch liebliche Muſik von Harfen und Zithern,
Hoͤrnern und Schalmeien. Als man aber di
Thür oͤffnete, und den Spielleuten gu trinke
geben wollte, da war niemand zu fehen, noq
au hören. —
Die Fräulein vom See.
Die Nacht lag drangen Falt in ſchwarzen Schleiern,
‚Und Jungfrau’'n faßen bei des Heerbes Kniſtern
"Am Rocken mohlgemmtb mit ihren $reiern
Zu Epfenbach. Da tönet durch die Rüftern,
Die weit des. Haufes Giebel uͤberſteigen,
Ein Wohllaut, weicher, als der Harfe Slüftern,
Als fchmebe her vom Eee im frohen Reigen’
Ein Elfenchor mit lindem Geißertritte,
Klingt’s der Verſammlung durch das nächt’ge
Schweigen.
Nun klopft es leiſe nach der Jungfrau'n Sitte.
Herein! ruft man halb freudig, halb erſchrocken,
Und ſieh, drei Sräulein treten in die Mitte,
hr Schneegewand ummallt von lichten Loden.
Grüßt jede durch des Auges füße Rede
Und nimmt zur Hand den mitgebrachten Rocken.
Und von des Dörflein Spinnerinnen jede
Macht Plan am Heerde ben drei weißen Lichtern;
Doch ſtumm wird alles, wie in duͤſtrer Oede.
Erſt, als der Fraͤulein blaſſen Angeſichtern
Des Heerdes Flamm' im Wiederſchein erbluͤhet,
Da nahn die Andern ſpinnend ſich und ſchuͤchtern.
K2
4188
Klein fo dünn man auch den Faden siehet,
So fhön und kunſtvoll ald die Fremden fpinnen,
Eind alle Jungfrau'n hur umfonk bemuͤhet.
Doc mie den Sräulein Worte ntın entrinnen,
\ Petgißt fich bald die Kunſt der arten Hände,
So maͤchtig waltet Zauberkraft barinnen 3
Anmutb'ge Mährlein Reigen auf behende,
Gleich Blumenſchmelz ımd Duft aus Bunde
reichen,
Doch plönlich geht das heitre Spiel zu Ende: Zu
Inmitten ihrer Rede Lauf’ erbleichen |
\ Die Schönen, brechen fchleunig auf und eilen
Davan. Die andern ſtehn voll Furcht und
Schweigen.
Dann flarren fie erſtaunt ſich an, und neigen
Einander Ohr und Mund: Wer waren jene ?
Wird jemals fürber fich ihr Glanz uns zeigen? —
Als nun das Dunkel wieder eine die Söhne
Des Dorfs und Töchter dort am traten Heerde,
Schweben auch mieder wonnigliche Töne:
Vom ce berüber auf die ſtille Erde;
Wie geftern treten mit verfchloßnen Zungen
Die Sräulein ein und fröblicher Geberde.
And als des Heerdes Flamme fie burchdrungen,
Entquillen Mäprlein neu dem holden runde,
So zauberiſch, wie gehern fie erflungen.
Doc kaum: erfcholl vom Thurm die elfte Stunde,
So nahmen fie den Rocken ſchnell zufanımen,
Enteilend abermals dem neuen Bunde;, |
Huf zarter Licbestöne Wagen ſchwammen
. Sie dranfen fort, doch wagt, fie au belaufchen,
149
- &ich niemand von des Heerdes treuen Flammen.
Und fieb, mit jedem neuen Abend raufchen
Die Fräulein auf der Töne Strom heruͤber,
Für traute Blide Maͤhrlein anszutauſchen.
Gewohnheit zehrt das Staunen auf Darüber,
Man fehnt herbei den Abend, der fie bringe,
Und- jeder macht fie nur dem Völklein licher,
a, manchen ehrlichen Geſellen dringet
Mit ihren Mäprchen au ihr Blick zu Herzen,
Der füßer faſt, als felbh ihr Tan erklinget,
Die holden Saͤſte nimmer zu verſcherzen,
Streht alles ihren Beifall zu erjagen,
Nur eins erregt dem Voͤlkchen bittre Schmerten?
Elf hoͤren kaum vom Thurm bie Fremden fchingen, !'
So ſtirbt ihr Wort; fie eilen raſch von dinnen,
Oft mitten in der lieblichſten der Sagen. —
Bor Andern aber liebt- mit Seel’ und Sinnen -
Der wadre Rolf der zarten Fräulein eine
Und um ihr Anſchaun länger zu gewinnen -
Eich und dem ganzen traulichen Vereine, —
Laͤßt er die Uhr zuruͤck ein Stuͤndlein rücken 3 \
Daß Ditternacht als elfte Stund' erſcheine.
Bethoͤrt, wie alle, von der Taͤuſchung, ſchicken,
Die Fräulein erfi , ale fchen die Geifteriue .
Borüber, an fich am den Abfchiedsblickn. -
Doch Rolf, gepernigt, wie von tiefer Wunde,
Bon dem Betrug den arglos er begangen,
Macht um den See die ganze Nacht die Runde
Ind horch, aus deſſen Silberwellen rangen
Eich Jammertöne los, worinn die Stimmen
Der Eraulein, unverkennbar ihm, erflangen,
J
150
Erſt will er ſchon hinab zu ihnen ſchwimmen,
Dann, die Beleidigten nicht frech zu ſtoͤren,
Den hoͤch ſten Fels zu‘ feinem Sturz erklimmen.
Doch laͤßt ſein Fuß das Bleiben ſich nicht wehren,
Er muß — vmoͤcht' ihm bald das: Herz jere
ſpringen! —
Er muß die ſuͤße Jammerſtimme hören. —
Kaum aber regt der Morgen feine Schwingen,
So Hört auch Rolf des Jammers derbe Laute
Allmaͤhlig bis:zum letzten Ach ! verklingen,
Als er nun ſtatr zum See hinunterfchaute,
Erglänzten blutig bald darin drei Stellen,
Bor denen ihm das junge Haar ergraute,
Als ob eraͤch end aus ben ſtiten Wellen
Das liebſte Lebend zuͤrnend auferſtehe,
So fieht ben einen Punct er plönlich ſchwellen.
Er ſchaut and ſchaut, allein das herbe Wehe,
Das er erſchaut, will nicht fein Kers zerreißta,
Wie bruͤnſtig auch vom Himmel er's erfiche,
So fhmilst des Tapes Licht ihn bin zum Teifen
Duntel , das oft am Heerd ihm huilboolf lachte
Und. fehnel entrinnt: er nach der Freunde Sreifen.
Hier hob den Zuß er zitternd nur und fachte,
Fuͤrcheend, damit die Andern mwegiufcheuchene
Als auf er die befannte Thüre machte.
Schon: lauſchen al am Herde nach dem Zeichen
Der Fräulein, die auf Tönen oft gekommen,
Adein die ſchwarzen Lüfte draußen ſchweigen.
Wer bat und Armen ihre Huld genommen?
So unterbricht die Stil oft bumpfes Fragen
And Rolf figt Karren Auges tief beflommen,
... u... - > _.-
451
Denn graufam bemmien ihm den Troß der Kla⸗
sen
Die blutigen Stellen, fo im Gere ſchwammen.
Doch kaum, daß elf die Thurmupr auegeſchla⸗
gen,
Bricht auth zum Gli⸗ fein wundes Herz dt
ſammen.
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‚Muhbme Blei
Von ſeinem Vater, einem tuͤchtigen Waidmanne,
zu demſelben Berufe mit großer Sorgſamkeit an⸗
gefuͤhrt, hatte der junge Ferdinand Eckebrecht
feine Lehrjahre uͤberſtanden, und follte mit der
Zeit deffen Adjunkt werden.
Allein er hatte nie Luft zum Jaͤgerleben gehabt,
und nur mit Widerwillen die Lehre angetreten.
Wald s und Felsthal waren ihm zu düfter, Hörner
Fang und Hundögebell zu eintönig. Wenn aber
im nächften Städtchen Truppenſchau gehalten
ward, wenn da die filbernen Trompeten ſchmettere
ten, die Paufen wirbelten, bie Standarten flatter
ten , und nun in langen Reihen bie glänzenden Kuis
saffiere am Mufterzelte vorbeizogen, mühfam bie
feurigen fchwarzen Roffe zum Parabdetritt zur
gelnd— und, nun dem Obriften vorüber, im don⸗
nernden Galopp dahin flogen, die blanfen Klins
gen im Scherz über den Goldhelmen ſchwenkend —
ach dann fchlug Ferdinand Herz vor banger, uns
geſtuͤmer Sehnſucht. Das war ed, was er fuchte,
un an on -
u 165
und was ihm Feld und Wald und Hörnergetön und
Hundsgebell nicht zu erfeßen vermochten.
Gewöhnlich tobte er in ſolcher Stimmung Tag
und Nacht im Waldgebirge umher, die kuͤhnſien
Schüffe, die gefährlichften Sprünge von einer
Selözade zur andern wagend; gleichfam ald wolle
er fich felbft beweifen , bei folder Kuͤhnheit, Kraft
und Gewandheit, fei er zu gut zum gemeinen
Jäger, wohl aber flede ein kuͤuftiger Kriegs⸗
oberfter in ihm verborgen.
Seinem Vater war er in folcher wilden Stims
mung am liebften. Obgleich unverſoͤhnlicher Feind
der Soldaten — diebittern Gram in fein fruͤheres
Leben gebracht haben ſollten — liebte er doch
Mannstroß, Kuͤhnheit und ein gewiſſes raubes ,
militairiſch es Weſen üngemein.
„Braͤver Jaͤger, der Ferdinand,“ pflegte er
dann wohl zw ſagen, wenn ber ſchoͤne Juͤngling
gluͤhendheiß, Geſicht und Haͤnde von Dornriſſen
blutend, die Kleider vom Klippenſturz zerſchlitzt,
ein Witd uͤber der Achſel, barſch Ind Zimmer
trat, feine Buͤrde in einen Winkel ſchleudernd /
die gewichtige Buͤchſe wie ſpielenb mit einer
Hand herum warf, und fie dann hoch an dei
Wand an den Haken hing.
Gerdinand war eined Tages im Walde bei
Holzhauern, die ihm untergeben waren, da falls
ten die bekannten filbernen Zrompetentöne wie
RE ul > >
158
tufend und grüßend zu ihm heruͤber. „Ha —
dachte er — die Kuiraffiere erergiren Oräben —
du ſpringſt hinuͤber!“
Wieeine Katze klomm er die Felſenwand hinab,
den jaͤhen Hang hinunter. Schon ſah er die Helme
blitzen, noch ein paar hundert Schritt — da ſtand
er auf der Ebne, und die ſchoͤn geordneten Schwa⸗
bronen i im hellen Sonnenglanz ihrer Waffen ,‚ vor
ihm.
Es gab eben heute wieber eine Truppenſchau
vor dem neuen Obriſten, der dad Regiment be
fommen, und nun icde einzelne Schwabron genau
durchgemuftert hatte. Mit der gefpannteften Aufı
merkſamkeit begleitete Ferdinand die verſchiedenen
Reiteruͤbungen, und ſah auf einem Steine am
Wege ſitzend, ‚pie letzten Abtheilungen bei ſich
vorüber siehn.. Der Obdrift. war mit feinem
Gefolge zurüdgeblieden, und -fam nun in freund;
lichen Geſpraͤch langſam hexangeritten.
Ferdinand ſprang ſogleich ehrerbietig auf, mili⸗
tairiſch den Hat ziehend. Die laue Morgenluft
wehte ihm das dunkle Haas aus dem ſonnenge⸗
braͤunten Antlitz.
„Nſchoͤner Burſch,“ ſagte der Obriſt. „Wei
feid Ihr, junger Dann 2
„Ferdinand Edebrecht , des naͤchſten Zörftert
Sohn, gnädiges Herr Obriſt.“
f
!
u
156
„Keine Luft zum Soldaten ?” frug der Obriſt
laͤchelnd.
„O nur zu viel — meinte Ferbinand — und
uͤbergluͤcklich unter Euerm Befehl zu dienen: “
„Wetter — das iſt ein gewandter Burſch, —
ſagte der Obrift, ſich zu dem weiten Kreiſe der
um ihn haltenden Offiziere wendend. — Den
muß ich zu meiner Schwadron haben! Ja mein
Sohn — fuhr er fort — das iſt recht ſchoͤn,
aber man wird nicht gleich Offizier, Ihr. muͤßtet
ein paar Jahr Gemeiner ſeyn!“
„Ich weiß wohl, gnaͤdiger Herr; ‚aber. gluͤckt
es mir je, «unter Euern Augen zu fehten, : ſo
follten die Jahre wohl: zu Mohaten werden!“
„Zeufeldiung — tief der entzuͤckte Obrift —
komm gleich mit‘ In vier Boden biſi du
Korporals ' Mir
„Ich hat kicht Heer Obriſt. äh Bater
ift den S oldaten todtfeind „und ledt nuriin den
Gedanken ih mirfeineh Nachfolger ga fehen.”
,Poffen !: Der alte Narn!“. Jachte Yer if,
„Here Rittmeifter Adjutant!“ |
Ein ſchlanker Reiter prallsie'yor. - -
„Bemerkt Euch ded jungen Manned Namen
and Wöhndrt:- Ihr feibft ſollt mir ihn abholen.
Lebt wohl, Eckebrecht, auf Wiederfehen?!‘
Und ım faufenden Galopp flog ber Schwarm
über die Fläche hin.
156
:- Der Ahjutant hielt noch neben Yerbinand,
Die Furze Notiz war bald eingetragen.
‚Aber mein Vater,“ feufzte Ferdinand.
„Nimmermehr giebt er mich frei!”
„Borat nicht, wadrer Jäger. Der Herr Obrift
gift alled beim Fuͤrſten. Ude künftiger Kamerab !’’
Da ftob auch der legte hin, wie vom Winde
getragen. Ferdinand ’fland träumend; aber bie
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden
Ausfichten riſſen ihn über alle Bedenklichkeiten
hinweg, die angeborne Wildheit heil aufachend.
Nah der gewohnten Weife ging es auch Deut
wieder auf dem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Geld
auf, Fels ab; und erſt am zweiten Tage trat er
Beutebeladen in die väterlihe Wohnung:
„Braver Berdinand,“ rief auch heat ber Alte
dem Eintretenden entgegen, Er Tief ſich dad
erlegre Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß,‘ ’
fagte er — barauf; „Du bift doch ein tüchtiger
Kerl, ein fermer Schuͤtz! Nun, an dir befommt
doch der Aiskeinmah einen Sorte, wie er feyn
muß! u
„Das hoffe ich ‚a — ntmortet Serdinand
balblaut.
Da fing ed an binter dem Ofen zu raſcheln
und fich zu bewegen , und hervor trat eine lange,
geifterbleiche Frauengeſtalt, einen Roden im Urme.
Es war des Foͤrſiers Schweſter, ihrer Blaͤſſe
\
167
Hatte, machte fi) mit unglaublicher Kraft los,
tief neben feinem Pferd her, und mit dem Zins
ger drohend, rief fie unaufhörlich fehr laut:
„Nandchen Ede s Feles breit, Nan⸗Nan⸗Nand⸗
hen Ecke⸗keke⸗brecht!“
Das Unheimliche der Srfcheinung ward durdh
dag Lächerliche ihred Aufzugs , ihrer Sprache und
ihrer Vertraulichkeit mit dem glänzenden Kitts
meifter fo verwifcht „ daß -ein unaufhaltfames Ges
lächter die’ ganze Schwadron ergriff, während
Muhme Blei immer lauter fchreiend,, neben
Ferdinands Pferde herhinkte. Aber im Augens
biide blitzte auch des ergürnten Kriegsmannes
Pallaſch uͤber der Alten, und mit dem Schrei:
„Herr Jeſus hilf!“ ſank ſie blutend mit geſpal⸗
tenem Haupte zu Boden. Zugleich auch ſchallte
das Kommandowort, im donnernden Galopp
marſchierte die Kolonne auf, ging raſch vorwaͤrts
und Muhme Bleich blieb huͤlßos in ihrem Blute
liegen.
Das Gefecht ward weder hitzig noch entſchei⸗
dend; ber Feind zog ſich zuruͤck, und die warnende
Alte wurde verlacht. Allein am ſelben Abend ward
man in der Flanke angegriffen, geworfen, und
Ferdinands Regiment erfuhr bedeutenden Verluſt.
Der Obrift blieb an ber Spige deffelben auf dem
Wahlplatze.
Tags darauf forderte Eckebrecht feinen Gegner,
J
Mubme Bleich.
7
Won feinem Bater, einem tächtigen Waidmanne,
zu demfelben Berufe mit großer Sorgfamfeit ans
geführt, hatte der junge Ferdinand Edebredt
feine Lehrjahre überflanden, und follte mit der
Zeit deffen Adjunkt werben.
Allein er hatte nie Luft zum Jaͤgerleben gehabt,
und nur mit Widerwillen die Lehre angetreten.
Wald + und Felöthal waren ihm zu duͤſter, Hoͤrner⸗
Hang und Hundsgebell zu eintönig. Wenn aber
im naͤchſten Städtchen Lruppenfhau gehalten
ward , wenn da die filbernen Trompeten ſchmetter⸗
ten, bie Paufen wirbelten, bie Standarten flatter »
ten, und nun in langen Reihen bie glänzenden Kuis
raffiere am Mufterzelte vorbeizogen, mühfam bie
feurigen fchwarzen Roſſe zum Paradetritt zuͤ⸗
gelnd— und, nun dem Obriften vorüber, im dons
nernden Galopp dahin flogen, die blanken Klin⸗
gen im Scherz über den Goldhelmen fchwentend —
ach dann fchlug Ferdinands Herz vor banger, uns
geſtuͤmer Sehnſucht. Das war cd, was er fuchte,
in. m." - une |
159
„Hier Freund,“ rief er. „Hier iſt der fuͤrſtli⸗
he Befehl an Euern Vater. Ihr ſeid frei.‘
„Gott iſtéͤ moͤglich!“ erwiederte Ferdinand
halb freudig, halb bang uͤberraſcht. „Aber mein
Bater iſt abweſend!“
„So erwarte ich ihn,“ antwortete der Adju⸗
tant. „Ich habe Befehl, Euch mit zuruͤck zu
bringen. Dort kommt auch ſchon meine Ordo⸗
nanz mit einem Handpferde fuͤr Euch!
Ferdinand ſah hinaus. Er ſah die Ordo⸗
nanz, zugleich aber auch nebenher ſeinen leichen⸗
blaſſen Vater, der den alten Braunen ſtachelte,
um fruͤher als der Kuiraſſier anzukommen.
Jetzt ſprang er ab, ließ den treuen Gaul
unbekuͤmmert fiehn, und eilte ind Zimmer.
Auf Dem Flur trat ihm der Offizier entges
gen, den fürftlichen Befehl in der Hand.
„Herr — redete er ibn an — Euer’ Sohn
da hat dem Herrn Obriſten gefagt, er wuͤnſche
Soldat zu werden, dürfe ed aber vor Euch nicht
laut werben laſſen!“
Der alte Zörfter zitterte vor Schred und
Zonnte Fein Wort fprechen. Serdinand, den
Ausgang bang erwartend, ftand wie ein armer
Sünder in einer Ede ded Zimmers,
„Weil aber — nahm der Offizier das Wort
wieder — ber ‚Herr Obrift dad Gluͤck Eures
Sohnes will, fo hat er dem Zürften des jungen
Mo __.
160
Manned Wünfche vorgetragen, und bier iſt nun
ein fürftlicher Befehl, Traft Geffen Ihr Euern
Sohn in feinem Vorhaben nicht hindern, fons
dern ihn mit mir zum Regiment gutwillig ab»
gehn laſſen follt. Hört Ihr wohl?“
\ „Meines Sohnes Gluͤck,“ — fagte der Foͤr⸗
ſter fchneidend. ,‚Und mas wird denn aus meis
nem Gluͤck, meinen Wuͤnſchen?“
„Tärrifcher Alter! in einem Jahre iſt Euer
Sohn Offizier! Iſt denn das fein Gluͤck für
Euch?“
„Nichts weniger als dad, Herr Ofſizier —
entgegnete der ⸗ Alte — und bu Ferdinand, mein
lieber, einziger Sohn, iſt es denn wahr, iſt es
denn moͤglich? Du willſt mich verlaſſen, meine
liebſten Hoffnungen und Wuͤnſche mit einem
Schlage vernichten, mir meine Sorge und Pflege
mit Undank lohnen, und hingehn, und ſo ein
— ſo ein Soldat werden?“
„Herr! keine Seitenblicke auf den edlen
Stand, den der Fuͤrſt liebt,” — rief der Adjutant.
„Hert Offizier, ihr wißt nicht, was diefer
edfe Stand meiner Ruhe koſtet. Fragt nur das
bieiche Bild dost hinterm Ofen!“ |
Muhme Bleich Froch jekt aus ihrem Winkel
hervor ; mit rolfenden Augen und Tnirfchenden
Zähnen näherte fie fi) dem Adjutanten und ehe
\
161
er es verhindern konnte, hatte fie feine Band
erfaßt und blutig gebiffen.
„Schafft das alte Scheufal weg — ſchrie
der erfchrodine Kriegsmann — oder ich renne
ihr meinen Pallaſch durchs Herz!’
„He⸗He⸗Herz i⸗i⸗iſt ſcho⸗ſchon ent sents
zwei!’ g gfinzte bie Wahnfinnige und verkroch fich.
„Ferdinand Eckebrecht, Ihr feib Soldat auf
ded Bürften Geheiß. Als Euer Vorgefegter befehle
ih Euch, mir: unverzüglich zu folgen.” Mit
diefen Worten verließ der Offizier dad Zimmer.
Serdinand wollte nach. Da vertrat ihm der
Alte den Weg. Tiefen Ernſtes faßte er feine
Hand und fagte: „Mann! Sohn! Chriſt!
ſchwurſt du denn nicht in Gottes Namen — ich
Bin nicht Soldat ?“
„Damals Vater war ich es auch noch nicht,“
antwortete Ferdinand.
„Elender Wortmaͤkler, Luͤgner vom Ynfang
an,“ — gürnte ber Alte, „So fpielteft du mit
meiner Angſt, konnigſt meinen Kummer mit an⸗
ſehen, und warſt elend genug, dich mit einem
Wortſpiel herauszuluͤgen ? Geh hin, meineidiger,
wortbruͤchiger Menſch, ohne Glauben und ohne
kiebe. Werde Soldat, aber nimmer betritt diefe
Schwelle wieder. Ich weiß, du bift herzlos,
wirft mich unb meinen Kummer bald vergeffen
yaben. Aber einfk werden dis meine Thränen auf
Geſpenſterbuch 7. Theil 2
156
Der Adjutant hielt noch neben Ferdinand.
Die kurze Notiz war bald eingetragen.
„Aber mein Vater,“ ſeufzte Ferdinand.
„Nimmermehr giebt er mich frei!“
„Borat nicht, wackrer Jaͤget. Der Herr Obriſt
gift alles beim Fuͤrſten. Ude künftiger Kamerab !'*
Da ſtob auch der lebte hin, wie vom Winde
getragen. Ferdinandfland träumend; aber die
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden
Ausſichten riffen ihn über alle Bebenklichkeiten
hinweg, die angeborne Wildheit heil anfacbend.
Nah der gewohnten Weife ging. es audy beut
wieder aufdem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Fels
auf, Feld ab; und erſt am zweiten Lage trat er
Beutebeladen in die väterliche Wohnung.
„Braver Ferdinand,“ rief auch heut der Alte
dem Eintretenden entgegen, Er Tief jich dab
erlegte Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß, ‘’
fagte er — barauf; „Du bift doch eim tüchtiger
Kerl, ein fermer Shüg! Nun, an dir befommt
doch der Fuͤ Sirk.cinmal einen Foͤrſter, wie er feyn
muß!“
„Das hoffe ich ‚ — anmorten Ferdinand
balblaut. |
Da fing ed an hinter dem Ofen zu raſcheln
und fich zu bewegen , und hervor trat eine lange,
geiſterbleiche Frauengeſtalt, einen Rocken im Arme.
Es war des Foͤrſters Schweſter, ihrer Blaͤſſe
157.
wegen, „Muhme Bleich“ genannt. Im Haub
und der Gegend galt fie für halbwahnwitzig. ‚Sie
fiammelte, und da fie deßhalb oft von muthwilligen
Buben verhöhnt worden war, fo fpradı fie feit
Jahren nur das aflerndthiafte ; dieß nur in kurs
zen Worten,
Jetzt ſchlich fie, faſt unhoͤrbar zu Ferdinand
hin, mit erhabnem, duͤrrem Zeigefinger drohend.
„Des des der luͤ⸗ luͤgt!“ ſtammelte fie.
„Was? Wer luͤgt!“ fuhren Vater und Sohn
die Ulte an.
„Nan⸗ Nans Nandel luͤ⸗ luͤ⸗ luͤgt!“
„Ihr traͤumt wohl, Muhme Bleich,“ ſagte
Ferdinand betroffen.
„Was kraͤchzt denn bie alte Eule wieder?“
ftagte der Foͤrſter verdrießlich.
„Ran + Nans Nandel fes kein Ar Jaͤ⸗ Jaͤ⸗
ger. - Nans⸗ Nandel Sols Solr Eovldat!’’
„Donnerwetter !’’ fluchte der Alte, „Was
ift das! Sag Junge iſt's wahr? Höllen Eles
ment! Nein, nein 's iſt nicht wahr, 's wäre
ja mein Tod! Sag, ſag, bilt du ....
„Aergert Euch doch nicht Vater,“ begütigte
Serdinand den Alten — „id ſag' Euch ya, auf
mein Ehrenwort, idy bin nicht Soldat!“
„Lür⸗Luͤ⸗Luͤgt!“ fagte Muhme Bleich kopf⸗
ſchuͤttelnd und kroch hinter den Ofen zuruͤck.
Ferdinand war außer ſich vor Zorn; er begriff
156
Der Abintant hielt noch neben Ferdinand.
Die Furze Notiz war bald eingetragen.
‚Aber mein Vater,“ feufzte Serdinand.
„Nimmermehr giebt er mich frei!”
- „Sorat nidt wackrer Jäger. Der Herr Obriſt
gilt alled beim Fürften. Ade kuͤnftiger Kamerab !’*
Da ftob auch der lekte hin, wie vom Winde
getragen. Ferdinand’fland träumend; aber bie
Naͤhe des erfehnten Gluͤckes, und die fo glänzenden
Ausſichten riffen ihn über alle Bedenklichkeiten
hinweg , die angeborne Wildheit heil aufachend.
Nah der gewohnten Weife ging. es auch heut
wieder auf dem Ruͤckwege Thal aus, Thal ein, Fels
auf, Fels ab; und erſt am zweiten Tage trat er
Beutebeladen in die vaͤterliche Wohnung.
„Braver Serdinand,’ rief auch Heut ber Alte
dem Eintretenden entgegen, Er Tief ſich dab
erlegte Wild zeigen. — „Ein waderer Schuß,“
fagte er — batauf; „Du bift doch ein tüchtiger
Kerl, ein fermer Shüg! Nun, an dir befommt
doch der, Fuͤrſt einmal. einen Sorfter, wie er ſeyn
muß !”
„Das hoffe ich RL — entmortet Serdinand
balblaut.
Da fing es an hinter dem Ofen zu raſcheln
und ſich zu bewegen, und hervor trat eine lange,
geiſterbleiche Frauengeſtalt, einen Rocken im Arme.
Es war de Foͤrſters Schroefter, ihrer Blaͤſſe
I)
L
157.
sorgen, „Muhme Bleich“ genannt. Im Haus
und der Gegend galt fie für halbwahnwitzig. Sie
ftammelte, und da fie deßhalb oft von muthwilligen
Buben verhöhnt worden war, fo fprach fie feit
Jahren nur dad allernöthigfte; dieß nur in kur⸗
zen Worten,
Jetzt ſchlich fie, faft unhörbar zu Ferdinand
hin, mit erhabnem, dürrem Zeigefinger drohend.
„Der des der Ihs luͤgt!“ ſtammelte fie.
„Was ? Wer luͤgt!“ fuhren Vater und Sohn
die Alte an.
„Nan⸗ Nans Nandel luͤ⸗ luͤ⸗ luͤgt!“
„Ihr traͤumt wohl, Muhme Bleich,“ ſagte
Ferdinand betroffen.
„Was kraͤchzt denn die alte Eule wieder ?”
ftagte der Foͤrſter verdrießlich.
„Nars s Nans Nandel tes kein Jaͤ⸗ Yas As
ger. Nans Nandel Sols Sols Eoidar!’’
„Dorinerwetter!“ fluchte ber Alte. „Was
iſt das! Gag Junge ifi’d wahr? Höllen Eles
ment! Pein, nein 's ift nicht wahr, 's wäre
ja mein Tod! Sag, ſag, bift du ....
„Aergert Euch doch nicht Vater,’ begitigte
Serdinand den Alten — „ih fag’ Euch ja, auf
mein Ehrenwort, ich bin nicht Soldat |‘
„Luͤ⸗vLuͤ⸗ Lüge I fagte Muhme Bleich kopf⸗
ſchuͤttelnd und kroch hinter den Ofen zuruͤck.
Ferdinand war außer ſich vor Zorn; er begriff
156
weder was die Alte gegen ſeinen Hang zum Sol
batenftande habe, noch woher fie fein Geheim
niß wiffe, und weßwegen fie ihn nun verrathe.
Der Zörfter war und blieb verflimmt. Am
andern-Morgen nahm er die Alte wieder vor
"und fragte fie aufs fchärffte aus, woher fie die
Nachricht habe, und was daran wahr fei.
. Ulein aus der Wahnfinnigen war nichts her⸗
auszubringen, als — fie habe ed geträumt. Un
‚willig fließ fie der Alte in ihren Winkel zurüd,
von wo aus fie immer hervor heulte: „Dos
do + doch wahr, Nan s Nan-s Nandel Sols Sol
Soldat !"
Der Foͤrſter beſchloß nach der Stadt zu reis
ten, um zu verfuchen, ob es nicht möglich ſei,
ſich Ferdinand gleich adjungiren zu laffen. Er
theilte dieß Vorhaben feinem Sohne mit, und
fagte mit Thränen in den Augen: — „Zu meiner
Zeruhigung, ſchwoͤre mir, du biſt nicht Soldat!“
Und Ferdinand ſchwor: „ich bin's nicht!“
Da heulte die Alte im Schlafe laut auf, und
wie von Entſetzen ergriffen, prallten die beiden
‚Männer aus einander.
Ein paar Stunden mochte ber Foͤrſter weg
feyn , da forengte der Adjutant vor dad Haus.
Er hielt ein Papier mit großem Siegel hoch in
der Hand. Bligend ſtrahlte der Soldhelm, bligend
"flog die goldne Feldbinde um feine Schultern.
159
„Hier Breund,” rief er. „Bier ift-der fuͤrſtli⸗
he Befehl an Euern Vater. Ihr feid frei.”
„Bott iſts möglich!” erwiederte Ferdinand
halb freudig, halb bang überrafcht. „Uber mein
Bater ift abweſend!“
„So erwarte ich ihn,“ antwortete der Abjus
tant. „Ich babe Befehl, Euch mit zurüd zu
bringen. Dort fommt auch ſchon meine Ordo⸗
nanz mit einem Handpferde für Euch!
Kerdinand fah hinaus. Er fah die Ordo⸗
nanz , zugleich aber auch nebenher feinen leichens
blaffen Bater, der den alten Braunen flachelte,
um früher ald ber Kuiraffier anzufommen.
Jetzt fprang er ab, ließ den treuen Gaul
unbefämmert fiehn, und eilte ind Zimmer.
Auf dem Flur trat ihm der Offizier entge⸗
gen, den fürftlichen Befehl in der Hand.
„Herr — redete er ibn an — Euer Sohn
da bat dem Herrn Obriſten geſagt, er wünfde
Soldat zu werden, dürfe ed aber vor Euch nicht
laut werden laſſen!“
Der alte Foͤrſter zitterte vor Schreck und
konnte Fein Wort ſprechen. Ferdinand, den
Ausgang bang erwartend, ſtand wie ein armer
Suͤnder in einer Ecke des Zimmers.
„Weil aber — nahm der Offizier das Wort
wieder — der Herr Obriſt das Gluͤck Eures
Sohnes will, fo hat er dem Fuͤrſten des jungen
180
verkuͤndeten die Trommeten zwei neue Kämpfer.
Den in ſilberner Ruͤſtung und halb weiß, Hall
blaufammtnem Wappenrode, erfannte ich bald on.
ben Farben unfers Haufes. Es war mein kam,
licher Bruder Francesko. Leicht flog der fein
. andalufifhe Schimmel über die Verhaͤgung iu
Rennbahn, Faum den Sand empor wirbelnd. Bra
der andern’Seite Fam eine nicht minder hohe Air
tergeftalt in blauem Stahl, und dunkelgrün mi
Gold verbrämten Wappenrock hereingefpreng.
Nachdem er den Hof gegrüßt, galoppirte er mir
gegenüber, hielt und grüßte mit ehrerbietig geſenl⸗
ter Lanze. Meine Wangen glühlen, und die Neu
gier, zu wiſſen, wer der ſchlanke Ritter ſei, pei⸗
nigte mid. Ich verlor das wilde arabiſche Reh
nicht aus den Ange. Geht rennten beide geger⸗
einander, die Ranzen frachten, und Francedtch
Schimmiel uͤberſchlug ſich mit feinem Neiter. Ehe
ich mich vom Schreck erholt hatte, war er ſchon
wieder duͤgelfeſt. Der Kampf ding von Neuem
an, und dießmal mußte der: Fremde den Saud
kuͤſſen. Nun führte mein Bruder nie denfelbs
als den edeln Grafen Pedro Aldufar anf, mit den
er auf ber hohen Schule zu Salamanea ben frei
Künften obgelegen, wo Albufar, feiner her rlichen
mauriſchen Vorfahren eingedenk, ſich in der Gi
fangesfunft fo wie in ber Nature und Urzenh
kunde ungemein hervorgethan baile.
« Fi
3
181
Ich laͤugne es nicht, daß des edeln Albufar’s
eine Sitte mein Herz gewann, “fo daß ich die
tete Aufmerffamtelt eines dritten, Don Lopez
e Beragüel, nicht eher bemerkte, als bie fie
nir höchft läflig wurde.
Cr wandte ſich deshalb an meinen Bruder,
em er feine Reichthümer und Befigungen weit⸗
iufig aufzählte. Allein diefer verficherte ihn mit
iner gewohnten Galanterie , dad Herz einer Dame
ie ein unfchäßbarer Edelſtein, nie zu kaufen,
aum zu verdienen, und nur ald ein Geſchenk zu
halten. Er ſprach mir nun zwar wohl von Lopez
zewerbungen: aber des Manned ganzed Wefen
atte für mich etwas unheimlich abſchreckendes,
aß ich Francesko bat, ihm ein fuͤr allemal das
urchaus fruchtloſe ſeiner Bemuͤhungen anzukuͤn⸗
igen. Wuͤthend nahm Lopez dieſe Eröffnung auf.
s kam zum Wortwechſel, endlich zum Klingen⸗
ieh, Mein armer Bruder ward ſchwer verwun⸗
et. Ich pflegte fein, und Lopez ſchickte taͤglich
nen alten Wundarzt, der ihm von dem Befinden
ned edein Gegners Nachricht bringen mußte.
o haſſenswuͤrdig er mir audı fonft erſchien, fo
uͤhrte mich doch diefer Beweis von Herzlichkeit.
ber wie fürchterlich ward ich betrogen. Syener
Ite, angeblich ſtumme Wundarzt, war ein altes
Leib, eine hochft verruchte Here und Zauberin.
ste gab'mielnem genefenden Studer gefchict einen
len -
183
Geftigen Schlaftrunfein, der ihn drei Lage kin
durch in tobtähnlicher Betäubung banigbderhielt,
Waͤhrend dieſer Zeit harte Lopez mit feine
geuflifchen Helferöhelfgrin dig Gelegenheit wei:
erkundet. In der Racht ward ich überfafen, au
bunden und entfjihrf. - Der abfcheuliche Lopez ders
fieß in wenig Tagen den fpanifchen Spben. Sei
einem Sahre ziehe ih nun mit ihm, der fü
anderer als der Hauptmann it, dem Ihr die Adet
geſchlagen, in der Welt umher. Täglich, 1
flündfich beſtuͤrmt er mich mit Liebkoſungen, du
mir verhaßter find aſs der Tod.
Als Ich ihm vor einigen Tagen feine grängen
loſe Schaͤndlichkeit vorwarf, ihm ſchwur, daß ic
nicht lebendig in ſeine Arme kommen wollte, und
im gerechten Eifer ihn einen ehr s und wortbruͤchi⸗
gen Schurken nannte, der nach Ritterrecht an den
Schweif einer Stute gebunden und fo zur Fehm⸗
fätte gefchleife werden ſollte — hilf Himmel! wie
ergrimmte er da ! Er riß mich bei den Haaren zu
Boden, fehleifte mich im Zimmer umher, rennt
mich mit dem Kopfe gegen die Mauer, und wir
mich zmeifeldohne umgebracht haben, wäreer nicht
— zu meinem Gluͤcke m vom Schlafe uͤberfaller
worden. Ihr follt nämlich wiffen, daß der Be
echte i in unaufloͤslichem Bunde mit ben Geifters
der Kinfterniß ſtehet, denen er ſchon als Knabe
für Die Gaden unerineßfichen Neichtbums , immer
165
-wäßrender Gefundheit und Unverwundbarkeit ſeixe
Seele verfchrieb. Nur eine Stunde jeden Tages,
und zwar um 12 Uhr Mittag verläßtihn hie Kraft
der Hölle, und dann überfällt ibn ein tiefer Schlaf.
Auf der Bruft erägt er ein roth feiden Kuͤſſſein, in
fein Blut getaucht, und mit. entfeglichen Gottes
läfterungen geweiht. Aller fieben Wochen muß er
jened Paͤcktlein, dad abfcheuliche Dinge enthalten
mag, aufd neue in feinem Blute baden, falld ber
Bund nicht für geloͤſt geiten ſoll. Dieß alled weiß
ich von ihm felbſt, der es mir, als er einſt berauſcht
in mein Zimmer trat, entdeckte. Bis jetzt hat
mich der Himmel noch beſchuͤtzt, und ich bin dem
Unholde gluͤcklich entgangen. Allein vor ſteben Wo⸗
chen kuͤndigte er mir an, daß dieß die Iehte Friſt
ſei. Bei fürchterlichen Eiden ſchwur er, mir das
Herz aus dem Reibe zu reißen, falls ich. mich nicht
ergeben würde, Und o barmherziger Himmel, in
drei Tagen kehrt er .von einer Meife zuruͤck, und
die Friſt iſt abgelaufen!“
„Beruhigt Euch, ſchoͤne Freundin, — ind
flete Sriedbert bie Gräfin — ſo wahr Gott ber
Zugend hilft, sch fiehe Euch bei, und mir ahnet:
ih errette Euch. Allein fagt mir.nur wie und
wenn ich den Unhold gerade in feiner ſchwachen
Stunde treffe, falls er mein nicht ale Bund
arzt begehrt 7
„Alles iſt überlegt. — anuwortete vdaura. u.
485
venn ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber
immer hinderte die Zaghaftigkeit derer, denen ic
mich anvertraute, die Ausführung. Mit dieſem
Dolche‘, deffen Heft bad Kreuz unſers Erlöfers
wildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und
biete Euch meine undetuͤhrten Lippen zum Wei⸗
Buß! 14
.» Zriebbert. ließ fich demuthsvoll auf ein Knie
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie
fherrfichen Gaben.
2.3. laſſe Euch rufen — hob bie Gräfin an —
Yobald Lopez yon feinem eifernen Schtafe überfallen
wird. RNaſch durchbohrt Iht dann den: Schänd:
«fichen, “und fehenkt-Eurer ewig dankbaren Freundin
Freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht
eher ald am dritten Tage von feiner Reife gurüds
kehren, und er dann Eurer früher zum Aderlaß
‚begehren, ald der Schlaf eintritt, fo zaubert nicht,
ihm das Paͤcktlein zu entwenden, während er blu⸗
tet, bamit er ſo feines hölifchen Beiſtandes en
behre,“
Feiedbert war feit entfihloffen, mit Gefahr
feined Lebens den Unhold zu erlegen und die
Sraſi zu retten...
Bm Tiebften wäre ed. ihm gewefen , hätte er
Selegenbeit gefunden, das hölfifche Kleinod ihm
während ded Uderlaffend wegzunehmen, ihn- dann
zu verbinden, uud nunum den Befig zu kaͤmpfen.
185
Denn ihn im magiſchen Schlafe niederzuſtoßen,
f&ien feinem deutfchen Herzen zu unruͤhmlich,
obgleich er ſich nicht verbergen Fonnte, daß fo
allein daS Reben der Gräfin geſichert ſei. Er
beſchloß den Himusel walten zu laffen, und vers
ließ die Gräfin nicht ohne bange Erwartung.
Aber am Morgen des dritten Tages ward er
von dem Aufwärter ded Gafthaufed zu dem fpanis
fen Hauptmanne beſchieden, ihm die Aber zu
Öffnen. - Friedberts Herz Flopfte ungeſtuͤm. “inter
feinem Mantel verbarg'er ein gutes Schwert,
nahm fein Bindezeug unter den Arm, und trat
getroſt den kurzen Weg an.
Alles war genau wieder ſo wie das Erſtemal.
Der Hauptmann ſaß wieder ganz allein in mitten
des Zimmers, den rechten Arın entbloͤßt. Fried⸗
bert mußte wieder drei vergebliche Verſache machen,
recht als wolle der furchtbare Spanier fi von dem
unaudgefeßten Beiftande feiner unterirbifchen
Bundsgenofien verfichern. Finſter Tächelnd ſtand
er jeßt auf, zog dad Paͤcktchen aus dem Bufen,
und barg ed unter feinem auf einem Pfeilertifch
liegenden, reich befiederten Sturnihute. Fried⸗
bert behielt ihn fcharf im Auge. Erfchlug jest
tiefer ald dad vorigemal, und eine reiche Quelle
ſtroͤmte aus der geöffneten Aber, Der Spanier
fing felbft in einem filbernen Becken das hervor⸗
ſchießende ſchwarze Blut auf.
‚Je
7486
. Während .er- fo mit beiden Armen befchäftigt
war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein,
Yüftete den Sturmhut, uud ſchob daß Pältlein in
feinen Bufen, Der. Spanier hatte nichts bemerkt.
est war er verbunden, und Friebbert widelte
fein Schwert aus dem Mantel, 309 ed aus ber
‚Scheide, und ſtellte ih dem Haupımann ſchlag⸗
‚fertig gegenüber.
Diefer fah ihn verwundert an. „Was fol
Ien sie Poflen ?’’ frag er veraͤchtlich, indem er
‚an den: Pfeiler trat, und ‚mit der Hand unter
den Hut griff,
„Wer hat mir das Kleinod geraubt, das
unter meinem Sturmhute lag?“ frug er ſchuell
mit zornblitzenden Augen.
„Ich Herr“ — antwortete Friedbert keck.
Der Spanier ſchien ſich zu beſinnen. „Treibt
keine unnuͤtze Kurzweil, Geſell — ſagte er freund⸗
lich — und gebt mir das Ding zuruͤck. Fuͤr Euch
ift ed von keinem Werthe, und ich ſchenke Euch
noch überdieg eine Handvoll Geld!”
„Nicht für Tonnen Goldes. Das Pädktlein
bleibt auf meiner Bruſt, und einer von uns
todt im Zlpımer. Ihr feht mich entfchloffen,
barum zu kaͤmpfen.
„Narr — fagte der Hauptmann — wenn du
den Werth des. Dinges Fennft und danach Iüflern
Pin, fo kann ich dir mit ſeichter Mühe rind
187
verſchaffen, und wir werden Bundesbruͤder oben»
drein.
„Da Schaͤndlicher — rief Friedbert — bu
irrſt groͤblich, wenn du glaubſt, ich begehre in
deine Hölfifche Verbindung zu treten. . Wiffe, dein
Geheimniß ift verrathen, deine Unvermundlichfeit:
genommen, bein Tod befchloffen. est wähle:
bereue deine Schandthat und flirb als ein Chrift,
odey rufe die Hölle an, und fich was ihre Geifter
gegen diefe am Hochaltare gemeihte Klinge vermoͤ⸗
gen. Sterben mußt bu.
Wie ein wildes Zigerthier bruͤllte der rache⸗
fhnobende Spanier ; „Ha Laura, dad ifl dein
Merk! Aber dein Herzblut fol tropfenweis uns:
ter den entfeglichiien Qualen zu meinen Füßen
versinnen !’C Damit hatte er feinen Degen ergrifs
fen, gezuͤckt, und rennte nun auf Sriedbert los,
einen wuͤthenden Stoß gegen beflen Bruſt führend.
Diefer aber parirte mit Kraft und Gewandtheit,
und im Augenblick rigte fein fiharfer Stahl des
Hauptmanns Arm.
„Die Hölle giebt dir Kraft — ſchrie jener —
leg’ das Paͤcktlein ab, damit wir mit gleichen:
Waffen fechten!“
„Nicht alfo — entgegnete Friedbert — hr
moͤchtet den Augenblick zu meinem Schaden nuͤtzen.
Aber ich entſage hiemit laut dem Teufel und ſeinen
Werken, und fechte als ein getaufter Chriſt!
183
geftigen Schlaftrunf ein, der ihn drei Tage kin
durch in sodtähnlicher Betäubung daniederhielt.
Waͤhrend biefer Zeit hatte Lopez mit feine
feuflifchen Helfershelferin die Gelegenheit wet
erkundet, In der Racht ward ich überfalfen,, quı
bunden und entführt. Der abſcheuliche Lopez ver
fieß in wenig Tagen den fpanifchen Boden. Ecı
einem Jahre ziehe ic) nun mit ihm ‚ der faa
anderer ald der Hauptmann it, dem Ihr die Ader
geſchlagen, in der Welt umher. Taͤglich, ı
ſtuͤndlich beſtuͤrmt er mich mit Liebkoſungen, du
mir verhaßter find aſs der Tod.
Als ich ihm vor einigen Tagen ſeine graͤnzen
loſe Schaͤndlichkeit vorwarf, ihm ſchwur, daß ih
‚nicht Iebendig in feine Arme kommen wollte, un)
im gerechten Eifer ihn einen ehr » und wortbruͤch⸗
gen Schurfen nannte, der nach Ritterrecht an dia
Schweif einer Stute gebunden und fo zur Fehm
flätte gefchleift werden follte — hilf Himmel! wie
ergrimmte er da ! Er.riß mich bei den Haaren —
Boden, ſchleifte mich im Zimmer umher, rennt
mich mit dem Kppfe gegen die Mauer, und wirh
mich zweifelsohne umgebracht haben, wäreer nick
— zu meinem Gluͤcke — vom Schlafe überfatt
worden. Ihr follt nämlich wiſſen, daß der 8
tachte in unaufloͤslichem Bunde mit den Geift
der Binfterniß ſtehet, denen er ſchon ald Ku
für die Gaden unerinegfichen Reichthums, imm
165
-währender Gefundheit und Unverwundbarkeit feine
Seele verſchrieb. Nur eine Stunde jeden Tages,
und zwar um 12 Uhr Mittags verläßt ihn hie Kraft
der Hölle, und dann überfällt ibn ein tiefer Schlaf.
Auf der Bruft trägt er ein roth feiden Kafflein, in
ſein Blut getaucht, und mit entſetzlichen Gottes⸗
laͤſterungen geweiht. Aller ſieben Wochen muß ex
jenes Paͤcktlein, das abſcheuliche Dinge enthalten
mag, aufs neue in ſeinem Blute baden, falls der
Bund nicht für geloͤſt gelten ſoll. Dieß alles weiß
ich von ihm felbſt, der edmir, als er einſt beraufcht
in mein Zimmer trat, entdeckte. Bis jegt hat
mich der Himmel noch beſchuͤtzt, und. id) Bin dem
Unholde giudlich entgangen. Allein vor fteben Wo⸗
hen fündigte er mir am, daß bieß die Ichte Trift
fei. Bei fürdpterlichen Eiben ſchwur er, mir das
Herz aus dem Leibe zu reißen, fallt ich mich nicht
ergeben würde, Und o barmherziger Himmel, in
drei Tagen kehrt er von einer Meife zurüd, und
die Friſt iſt abgelaufen!”
„Beruhigt Euch, ſchoͤne Freundin, — cds
ſtete Sriebbert die Gräfin — fo wahr Gott der
Zugend hilft, sch fiehe Euch bei, und mir ahnet:
ich errette Euch. Allein fagt mir.nur wie und
wenn ich den Unhold gerade in feiner ſchwachen
Stunde treffe, falls er mein nicht ald Bund
arzt begehrt 7
„Alles iſt überlegt. — antworhete darta *
485
venn ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber
immer hinderte die Zaghafligfeit derer, benen ich
mich anvertrante, die Ausführung. Mit diefem
Mole‘, deffen Heft bad Kreuz unferd Erloͤſers
>. Hildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und
biete Euch: meine unberäßtten Lippen zum Weir
st 14 !
Friedbert ließ fich demuthsvoll auf ein Knie
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie
fhesrfichen Gaben,
2:71,36 Tajfe Euch rufen — hob bie Gräfin an —
Kahald Lopez yon feinem eifernen Schlafe überfallen
wird. Raſch durchbohrt Iht dann hen Schaͤnd⸗
fichen, und fehenkt:Eurer ewig danfbaren Freundin
freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht
eher ald am britten Tage von feiner Reiſe zuruͤck⸗
Fehven,, und 'er dann Eurer früher zum Aderlaß
a :Begehren, ald der Schlaf eintritt, fo zaubert nicht,
ihm Das Paͤcktlein zu entiwenden, während er -blus
tet, damit er fo feines höllifchen Beiftanded ent
| behrer
Feiedbert war feſt eniſchloſfen, mit Gefaht
ſeines Lebens den Unhold zu erlegen und die
Graͤfin zu retten.
"8m liebſten wäre es ihm geweſen, hätte er
„Selegenbeit gefunden; dad hoͤlliſche Kleinod ihm
während des Uberlaffend wegzunehmen, ihn ˖ dann
zu verbinden, uud nun um ben Befig zu kaͤmpfen.
naar. a .n
185
Denn ihn im maäifchen Schlafe niederzuſtoßen,
ſchien feinem deutfchen Herzen zu unrühmlich,
obgleich er fidy nicht verbergen Fonnte, daß fo
allein das Leben der Gräfin geſichert ſei. Er
beſchloß den Himutel walten zu Taffen, und vers
ließ die Gräfin nicht ohne bange Ermartung.
Aber am Morgen des dritten Tages ward er
von dem Aufwärter ded Gafthaufed zu dem fpanis
fhen Hauptmanne beſchieden, ihm die Ader zu
Öffnen. - Friedberts Herz klopfte ungeſtuͤm. einter
feinem Mantel verbarg'er ein gutes Schwert,
nahm fein Bindezeug unter den Arm; und trat
getroſt den kurzen Weg an.
Alles war genau wieder ſo wie das Erſtemal.
Der Hauptmann ſaß wieder ganz allein in mitten
des Zimmers, den rechten Arm entblößt. Fried⸗
bert mußte wieder drei vergebliche Verſache machen,
recht als wolle der furchtbare Spanier fi von bem
unausdgefeßten Beiftande feiner unterirdifchen
Bundsgenoſſen verfichern. Finfter Tächelnd ſtand
er jegt auf, zog dad Paͤcktchen aud dem Bufen,
und barg es unter feinem auf einem Pfeilertifch
liegenden, reich befiederten Sturnihute. Fried⸗
bert behielt ihn ſcharf im Auge. Erſchlug jetzt
tiefer als das vorigemal, und eine reiche Quelle
ſtroͤmte aus der geöffneten Aber. Der Spanier
fing felbft in einem filbernen Becken das hervor⸗
ſchießende ſchwarze Blut auf. ° PN
186 |
Woaͤhrend.er fo mit beiben Armen Befchäftigt
war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein,
uͤftete den Sturmhut, uud ſchob das Päktlein ir
feinen Buſen. Der Spanier hatte nichts bemerkt.
Jetzt war er verbunden, und Friedbert wickelte
fein Schwert aus dem Mantel, zog ed aus der
‚Scheide, und flellte fi dem Hauptmann ſchlag⸗
‚fertig gegenüber.
Diefer ſah ihn verwundert an. „Was fols
Ien sie Poſſen ?“ frug er verädhtlih, indem er
‘an den‘ Pfeiler trat,. und ‚mit der Hand unter
den Hut griff. |
: ‚Wer bat mir das Kleinod geraubt, Dad
unter meinem Sturmhute lag?’ frug er ſchnell
mit zornbligenden Augen.
„Ich Herr“ — antwortete Friedbert Fed.
Der Spanier fchien fich zu befinnen. „Treibt
feine unnuͤtze Kurzweil, Geſell — ſagte er freunde
lich — und gebt mir dad Ding zuruͤck. Fuͤr Euch
iſt es von keinem Werthe, und ich ſchenke Euch
noch uͤberdieß eine Handvoll Geld!“ |
„Nicht für Tonnen Golded, Das Packtlein |
bleibt auf meiner Bruſt, und 'einer von uns
todt im Zunmer. Ibhr feht mich entfchloffen,
barum zu kaͤmpfen.
„Narr — fagte der Haupimann — wenn de
‚den Werth de& Dinges kennſt und danach luͤſtern
bin, fo Tann ich bir mit feichter Mühe eins
187
verſchaffen, und wir werben Bundesbruͤder oben,
drein.
„pa Schaͤndlicher — rief Friedbert — du
irrſt gröblich, wenn du glaubſt, ich begehre in
deine höllifche Verbindung zu treten. Wiffe, dein
Geheimniß ift verrathen, deine Unvermundlichfeit:
genommen, bein Tod befchloffen. Jetzt wähle:
bereue deine Schandthat und flirb als ein Chrift,
oder rufe die Hölle an, und ſieh was ihre Geifter
gegen diefe am Hochaltare gemeihte Klinge vermds
gen. Sterben mußt bu.
Wie ein wildes Tigerthier bruͤllte der rache⸗
fhnobendg Spanier ; „Ha Laura, dab ift dein
Werk! Uber dein Herzblut foll tropfenweis uns
tee ben -entfeglichitien Qualen zu. meinen Süßen
versinnen !’! Damit hatte er feinen Degen ergrifs
fen, gezuͤckt, und rennte nun auf Friedbert los,
einen wuͤthenden Stoß gegen beffen Bruft führend,
Diefer aber parirte. mit Kraft und Gewandtheit,
und im Augenblick rigte fein fcharfer Stahl des
Hauptmannd Arm.
„Die ‚Hölle giebt dir Kraft — ſchrie jener —
leg’ dad Pädktlein ab, damit wir mit gleichen:
Waffen fechten !''
„Nicht alfo — entgegnete Friedbert — hr
möchtet den Augenblick zu meinem Schaden nuͤtzen.
Über ich entfage-hiemit laut dem Zeufel und feinen
Merfen, und fechte als ein getaufter Chriſt!
485
Yen ſchon oft verfuchte ich mich zu retten, aber
immer hinderte die Zaghaftigkeit derer, denen id
nich anvertraute, die Ausfuͤhrung. Mit Diefem
Dolche, deffen Heft dab Kreuz unferd Erföfers
Hildet, wappne ich Euch zu meinem Netter, und
biete Euch meine unberühtten Rippen zum eis
daß 144
.» Zriebbert. ließ fich demuthsvoll auf ein Knie
* der ſchoͤnen Frau nieder, und empfing bie
fherrfichen Gaben, '
1,3 Tajfe Euch rufen — bob bie Gräfin an —
Yohald Lopez yon feinem eifernen Schlafe überfallen
wird. Raſch durchbohrt Iht dann den Schaͤnd⸗
-fichen, und ſchenkt. Eurer ewig dankbaten Freundin
Freiheit und ein neues Leben. Sollte er aber nicht
eher ald am dritten Lage von feiner Reife zuruͤck⸗
kehren, und er dann Eurer fruͤher zum Aderlaß
begehren, als der Schlaf eintritt, ſo zaudert nicht,
ihm dad Paͤcktlein zu entwenden, während er blu⸗
tet, damit er fo feined höflifchen Veiſtandes ent⸗
behre.
Feiedbert war feſt entſchloſſen, mit Gefahr
feined Lebens den Unhold zu erlegen und die
GSraͤfin zu retten.
Um liebften wäre ed. ihm gewefen, hätte er
‚Selegenheit gefunden; dad hoͤlliſche Kleinod ihm
während des Uderlaffend wegzuncehmen, ihn- dann
su verbinden, und nun um den Befig zu kaͤmpfen.
189
fich feiner zu bemaͤchtigen. Da fandte ine Schutz⸗
geift ihm fromme Gedanken ind Herz... „Sort Hoͤl⸗
lenſpuk in des Sefreuzigten Namen“ rief er laut,
und alle daß teuflifche Blendwerk zerfloß wie Nebel
und Dunft. Zugleich auch wich der Hauptmann eir
nen Schritt ruͤckwarts, und Friedbert drang raſch
nad); mit höchfter Kraft führte der Spanier jegt
einen Stoß, riedbert aber fhlug den Degen ſeit⸗
waͤrts, und,pfeilfchnell fuhr nun feine ſcharfe Klinge:
fo mitten durch des Gegners Bruſt, daß er zu. Bo⸗
ben flürzte, Friedberten mit ſich niederreißend. »
Waͤhrend der nun bemüpt war, fih von dem
Unboide los zu machen, flog die Thuͤx auf und Lau⸗
ra eilte ind Zimmer. „Gott im Himmel fei geprier
fen‘ — rief fie laut, — „ich bin geretiut” — und
fanf in des ihr entgegeneilenden Stiedbertd Arme, .
Das fah Der Sterbende, und mit balbem Leibe. vom
Boden emporgerichtet, tleich von Todesangft ’
brülfte er mit fürchterlicher Unflrengung : „Hölle
räche mich an den Beiden vi Damit ſank er zuruͤck
und verſ chied.
Das Gluͤck wollte, daß Ritter Francesko Mom
tefereno, ber feiner entfuͤhrten Schweſter, überal
nachgeſpuͤrt hatte, gerade in die Stadt einritth
als der Vorfall ſchon allgemein bekannt war. Voll
Entzuͤcken eilte er, den Retter ſeiner heißgeliebten
Schweſter zu umarmen.. Friedbert, ugverheirar
thet und elternlos nahm gern Rad Erbieten ang
486
war, trat Sriedbert ſchnell zu dem Tiſchlein,
an den: Pfeiler trat, und mit der Hand unter
den Hut griff.
: ‚Wer hat mir das Kleinod geraubt, das
unter meinem Sturmpute lag?’ frug er ſchnell
mit zorndligenden Augen.
„Ich Herr“ — antwortete Friedbert Fed.
Der Spanier fchien fih zu befinnen. „Treibt
Feine unnüße Rurzweil, Geſell — ſagte er freunds
lich — und gebt mir dad Ding zurüd. Fuͤr Euch
ift ed von feinem Werthe, und ich ſchenke Euch
noch überdieß eine Handvoll Geld!“
„Nicht fuͤr Tonnen Goldes. Das Paͤcktlein
bleibt auf meiner Bruſt, und einer von uns
u Während .cr- fo mit beiben Atmen befehäftigt
füftete den Sturmhut, uud ſchob dad Pähtlein in
feinen Bufen. Der. Spanier hatte nichts bemerkt.
Jetzt war er verbunden, und Sriedbert wickelte
fein Schwert aus. dem Mantel, 309 ed aus der
‚Scheide, und flellte fih dem Hauptmann ſchlag⸗
‚fertig gegenüber. |
Diefer fah ihn verwundert an, „Was ſol⸗
Sen sie Poflen ?’’ frag er verähtlih, indem er
todt im Zlnmer. Ihr ſeht mich entfchloffen,
datum zu kaͤmpfen.
„Narr — ſagte der Yaupimann — wenn du
den Werth des Dinges Fennft und danach ſuͤſtern
biſt, fo Kann ich bir mit Teichter Mühe eins
191
N
audgeftopften Tieren, mit Mumienu. dal.an’, ſo
daß Friedbert immer nene Nahrung für feine uner⸗
ſaͤttliche Wißbegierde finden ronnte. J
—4
N U )
Er lebte hier einige Jahre in üngetruͤbter Zu⸗
ftiedenheit, und hatte die Freude zu ſehen, daß
Laura's Gluͤck durch ſein vertrautes Verhaͤltniß
mir ihrem Gemahle noch mehr erhoͤhet wart. Einſt
meldete man in’ ded Grafen Abweſenheit eine Zi⸗
geunerin ‚die allerhand adögezeichnete Lafchenfpier
lerkunſtſtuͤcke vorzeigen wollte, auch ſich mit Wahr⸗
ſagen abgaͤbe. Laura beſchloß ihres Geinahls vhy⸗
ſikaliſche und chemiſche Kenntniſſe beĩ dieſer Gele⸗
genheit auf eine ſcherzhafie Probe zu ſtellen; und
fd wenig ſie auch daran glaubte, fo ließ fie fich doch
auch von der Alten wahrſagen. Dieſe ſchien betre⸗
ten uͤber die Linien in Laura's ſchoͤner Hand, gab |
aber nur fo viel zu verſlehen ‚ die Gräfin möge
ſich in: Acht hehmen, indem ſie ſich mit irgend
tinem ſcharfen Werkzeuge ſelbſt veriegen werde,,
„Mit einer Nadel vielleicht, Muge Frau?’ hoͤhnte
die Graͤſin, und befahl im Scherz Friedbert ſolle
nun auch ſeine Hand hinreichen. Die Zigeunerin
beſah fie lange aufmerkſam, dann ſagie fie: „,juns
ger Herr, ihr werdet noch einige Zeit ſehr gluͤcklich
feyn, dann aber werdet ihr unter die wilden Thiere
gerathen, und durch die Umarmung eined drem⸗
den groß Uupeil erfahten.“
BT
IN
oe:
-
Du”
.
296
die beiden in ihr ſchoͤnes Baterland "zu begleiten,
und dort wenigſlens fo Tange zu bleiben, bis ihn
das Heimweh zuruͤckrufe. , Alle drei verließen nun
‚die Stadt, nachdem der Sturmhüt und das
Schwerdt des Spaniers nebſt jenem berüchtigten
Packtchen, dad Frieddert auf ben Todten gewors
fen hatte, unter dem Galgen verfcharrt Torben.
Der Leichnam war nirgends zu finden.
Laura lebte nur erft feit wenig Monden' in
Spanien, als Graf Pedro Albufar, der feiners
feitd auf entgegengefehten Wegen, um die Ent
führte einzuholen, ausgezogen wär, auch von
feiner fruchtloſen Fähre heimkehrte. Dee Freude
feinen Freünd unddie Geliebte‘ wiederzüſehen,
folgte bald die Verbindung mit ber ſthonen Lauta.
Sie zog mit ihrem Gewahl auf feine nah am
Meere gele jenen: Beſi gungen ‚und Frledbert beglei⸗
tete ſie. Mit i inniger Herzlichkeit ſchloß ſich Graf
Aldufar an den Juͤngling ‚ und dieſer erwiderte
mit deutſcher nachhaltiger Wärme‘ die ſpaniſche
Glut. Das gemeinſchaftliche Intereſſe an den
Naturwiſſenſchaften verband die jungen Männer
aufs innigfle Der Graf bereitete feinerg deut⸗
ſchen Freunde eine hochſt angenehme Exiſtenz, ins
dem er ihn zum Leibarzt der Graͤfin und zum Auf⸗
feher feiner Bibliothek und der herrlichen nature
Biflorifchen Samınfungen machte, Die er beſaß.
Taͤglich Samen Kiften hit Pflanzen; "Misetalien,
191
N
außgeftopften Thieren, mit Mumienu. "dal. an’, ſo
daß Friedbert immer neue Nahrung für feine uner⸗
ſaͤttliche Wißbegierde finden ronnte.
⸗
en]
Er lebte hier einige Jahre in ingeirüßte Zus
friedenheit,, und hatte die Freude zu fehen, daß,
Laura's Gluͤck durch fein vertrautes Verhaͤltniß
mit ihrem Semahle noch mehr erhoͤhet wart. Einſt
meldete man’ in’ des Strafen Abweſenheit eine Zi⸗
geunerin, die allerhand ausgezeichnete Taſchenſpie⸗
lerkunſtſtuͤcke vorzeigen wollte, auch ſich mit Wahr⸗
fagen abgaͤbe. Laura beſchloß ihres Genahls vhy⸗
ſikaliſche und chemiſche Kenntniſſe bei dieſer Gele⸗
genheit auf eine ſcherzhafte Probe zu ſtellen; und
fo wenig fie auch daran glaubte, fo ließ fiefich doch
auch von der Alten: wahrſagen. Dieſe ſchien betre⸗
ten uͤber die Linien in Laura's ſchoͤner Hand, gab
aber nur fo viel zu ‚verfichen‘, die Gräfin möge
fit} in Acht nehmen „ indem fie fidh mit irgend,
einem ſcharfen Werkzeuge ſelbſt verietzen werde,,
„Mit einer Nadel vielleicht, kluge Frau?“ hoͤhnte
die Graͤfin, und befahl im Scherz Friedbert ſolle
nun auch ſeine Hand hinreichen. Die Zigeunerin
beſah ſie lange aufmerkſam, dann fagtefie: „uns
ger Herr , ihr werdet noch einige Zeit ſehr gluͤcklich
kun, dann aber werdet ihr unter Die wilden Thiere
gerashen, und durch die Umarmung eine Srems.
den groß Unheil erfahren,“ |
' 192
Während Sana und Sriebbert über.die poffiers
liche Bufammenflelung, noch lachten, kehrte der
Graf in das Schloß zurüd, und, beide eilten ihm
enigegen. So abentheuerlich nun auch ihm die
Prophezeiungen der Wahrfagerin Hangen, fo vers
wies er doch der Gräfin foroohf al& feinem Freunde
mit fanftem Ernfie ihren Borwig. „Glaubt mir
meine Lieben — ſchloß er feine, Rede, — ſolcher
Frevel firaft, ſich immer ſelhſt ‚Entweder durch
wirkliches Eintreffen des Vorhergeſagten, ober
durch den tiefen und ſchreckhaften Eindruck, ber
ſich in der Seele unaustöfchlich Ichhaft. echäß, und
faſt immer, ein, trübed Ente. herbeiführt. Ich
koͤnnte gtaufenerregende Beifpiele für meinen Sag
aus der Geſchichte meiner edeſn mı ırifchen Bors
fahren anführen. ‚Gebe Sort di nichts aͤhn⸗
liches an Euch erfahren moͤge!“
Man war ernfihaft geworden, ‚und um die
vorige Heiterkeit wieder zu befeben, verlangte der
Graf, die Zafchenfpielerin folle erfcheinen. Verge⸗
bend ward fieim ganzen Schloffe gefucht. „Nun
— lächelte der Graf — wenn. Laura nicht die
Sreude haben fol, mich vor der weifen Brau meine |
Unvoiffenheit geftehen zu hbren, fo. will ich dagegen
verſuchen ob es mir nicht gelingen wird, ihr eis
ne andre Freude zu verſchaffen.“
Er befahl.nun den orientaliſchen Kaufmann
herein zu führen, der ähn begleijet habe. Dicfer
495
Fam und legte die herrlichfien , reichfien und 46%
ſchmackvollſten Waaren and, die nur ein’ weiß:
liches Herz reitzen koͤnnen. Als Laura nach den
Preiſen fragte, antwortete ihr der baͤrtige Tuͤrke,
ihr Gemahl habe ihm feinen lganzen Beſitz abge⸗
kauft, und alles was Sie hier ſehe, ſei Iht Ei⸗
genthum. Wolle ſie jedoch ſich aus Freude auch
gegen ihn guͤnſtig erzeigen, ſo bitte er — um einen
Kuß! Und ehe Laura ſich beſinnen, und irgend
jemand es hindern konnte, war er der Graͤfin
um den Hals gefallen, und kuͤßte ihre ſchoͤnen
Lippen fo feurig, daßıman ihr Geſchrei davor
nicht hören konnte. Umſonſt bemfhete ſich Fried⸗
bert den unverſchaͤmten Kaufmann von der Graͤfin
weg zu reißen. Albufar, der ihn hierin unter⸗
ſtuͤtzte, fing es fo ungeſchickt an, daß Friedbert
ſich in dem langen Kaftan des Tuͤrken und ben
Süßen des Grafen verwickelte, und gu Boden fiel.
Zornig raffte er fidh empor, und wollte nan im
höchften Ernſt auf den Türken losgehn, -da ri
diefer den -falfchen Bart von Kinn und Rippen,
fo wie die greifen buſchigen Augenbraunen ab;
ſchleuderte Turban und Kaftan von fih, und
fand als Francesko Mormtefereno‘ laut Tachend
vor dem verbluͤfften Friebbert. Nun war die
Srende allgemein, und hundertfach theifte bit
fhöne Laura ihre ſuͤßen Küffe an Gemahl' und
Bruder aus; fü daß Friedbert fie ſcharzend bat
Geſpenfterbuch 7. Theil. N
198
denn doch einige Ruͤckſicht auf ihn zu nehmen,
der eine wahrhaft tantaliſche Pein erleide!
„Auch dir, mein ‚guter Friedbert — fagır
Albufar fich zu ihm wendend — bereite ich eim
‚große Freude. In meines ritterlich edlen Schwa⸗
gers Geleit iſt nämlich-eine uͤberaus reiche Sens
dung der ſeltenſten Naturalien über das Mex
ber hier auf dem Schloffe angefommen, und ih
‚werfpreche bir einige der ſchoͤnſten Stüde für deine
Privatfammlung. Dagegen folft du mir behülf
lich ſeyn, meine ſaͤmmtlichen Naturfchäge in dem
neueingerichteten Saale, ald einem Mufenm,
wemäßig und ſchoͤn aufzuſtellen!“ Friedbert
" fiel entzuͤckt in des Grafen Umarmung, und wolle
nun ſogleich zu ‚feinen Kiſten und Kaͤſten. Aber
Laura verbot ihm heut, daran zu denken, und die
‚Vier brachten einen unausſprechlich froßen und |
heitern Abend miteinander zu. -
- In den nädften Lagen waren bie Freunde
ganz mit ihrer Wiffenfchaft beſchaͤſtigt. We
Kiſten, bis auf ein paar der größten, Die nad
der Auffchrift foſſile Knochen ‚und . allerhand
BWerfleinerungen enthielten, waren gebffnet, und
die herrlichſten ¶Gegenſtaͤnde daranß, ma Bor
(ein gefommen... Die Menge derſelben war fo
bedeyiend,, das Albufar und Briebbert fie unter
fh vertheilten, and-fo. kam es datg der letzterr
zur mit Pflanzen, Infehren und Mineralien bes
196
ſchaͤſtigt, die große Anzabl ausgeſtopfter Thiere
och gar.nicht gefehen. hatte.
Eben wollten beide eined Abends ihre Studie
serlaffen, und ſich nach den Zimmern der Gräfin
begeben , ald der Armbruftfpanner,, der in dem
zroßen Saale fchlief, damit nicht etwa aus dem
Barten her Einbruch gefchehen könne, feinen Ges
hieter flebentlichft Bat, ihn davon loszuſprechen.
Er habe geglaubt die vorige Nacht vor Angſt ſter⸗
den zu müffen. Ein fürchterliched Zoben und
pochen habe ſich nad Mitternacht erhoben, alle
Riften umgeſtuͤrzt, alle Schränfe aufgefprenat,
und in einem Heinen Gewölbe neben dem Saale,
wohin man noch unerdffnete Kiften geſetzt habe,
fei der Lärm am tollſten geweſen. Beim erfien
Hahnenruf jedoch fei ed alles fill geworden.
Albufar und Zriedbert fahen bald einander,
bald den Armbruſtſchuͤtzen an, ber fonft nicht grade
für feig galt. >
„Laßt mich die Nacht hier zubringen, lieber
Graf — ſagte Friedbert — fo erfahrt ihr auf ein
mal was es iſt, und ſeid ſicher nicht mit Hirnge⸗
ſpinnſten heimgeſucht zu werden. Der Graf gab
die Erlaubniß, befahl aber daß er den Diener bei
ſich behalte. Auch das lehnte Friedbert ab. Un⸗
gern gab er zu, daß dieſer bewaffnet vor dem Ein⸗
gange fein Lager nehmen ſollte, um, falls es einem
Einbruch aͤhnlich ſaͤhe, batfe gu rufen, und bei⸗
N12
196
der Hand zu ſeyn. Der Gräfin verſchwieg mas
die Sache, und verbot auch dem Armbruſtſpanner
bei der Ungnade feined Herrn ‚ein Wort davon
gegen die übrige Dienerfchaft zu verfautbaren. '
Nach der Abendtafel trat Friedbert in den
Saal. Er mußte lächeln, ald er An des Arms
bruſiſchuͤtzen Entfegen dachte, das ihm jetzt fehr
erklaͤrlich wurde. Im wildeflen Gemifch flanden
bier Tiger und. Lowen, Bären und Leoparden an
den Wänden umher, mit haͤßlichen dicfrbpfigen
Vögeln abwecgelnd. An den Benftern hingen
ſchwarze Riefenfchlangen, auf dem Boden fagın
allerhand Eiderhfen und ungeſtaltete Fiſche; auf
den Zifchen Teuchteten Todtenkoͤpfe, und faßen
bäßlice große Spinnen unter Glas. In den
Wandfcränken ftanden allerhand ſeltſamlich⸗
Kinderfiguten ü in Geift aufbewahrt, die bei der
sudenden Lichtflamme die Glieder su bewegen
ſchienen.
Ihm war dieß'alles zu bekannt, als daß e
ihn Hätte erſchrecken ſollen. Er nahm daher die
Handſchtjft eines alten arabiſchen Chemikers zur
Hand, die ihn der Graf zu entziffern gelehrt
‚satte, und feßre ſich ruhig an die ‚große Tafel,
den Unfug erwartend.:
. Schon einige Stunden waren Ohne Störung]
erhoffen! und Friebbert ſtand eben auf, um fid
angeleidet auf fein Lager’ zu werfen, als er eis
197
dumpfes Pochen unfern von fi) vernahm. Er
ſah auf und horchte. Es war feine Zäufchung,
deutlich zählte er die Schläge — erft drei — dann
zwei — dann noch einmal zwei. An Ratten ober
Mäufe war hier nicht gu denken. Er.ging an jede
Thuͤr, an jeden Glasſchrank — alles ıftill. Er
bob die Dedel von den großen Särgen ber Miumien
ab — umfonfl. Jetzt erhob fi) dad Poltern von
neuem, und zwar ganz beutlich Fam es aus bem
Gewölbe, wo -die unerbffneten Kiſten flanden,
Sriedbert ging augenblicklich ‘mit angezuͤndeter
Kerze dem Schalle nad. Er hatte ſich nicht
geirtt ; kaum betrat er das Gemach, fo vernahm ,
ec außer dem ſchon gehörten Laut, auch noch
ein ſonderba res Scharren, Bewegen und Wenden.
Ein Schauer überfief ihn, aber er firafte ſich
gleich ſelbſt. „Poſſen — fagte er laut — biefe
Kiffen find. ˖mehr äld 6 Monden unterwegs gewe⸗
fen, kein, lebendiges Weſen Tann alfo nicht
darin verbor gen ſeyn. Und falls irgend eine Dies
besliſt oder fonft ein Bubenſtuͤck dahinter fledte,
legt denn nicht des Grafen Keibfchüg vor ber
Thuͤre auf den erfien Ruf bereit ? und. habe ich
nicht zur eigenen Bertbeidigung jenen berrlichen
Dolch, den mir Raura in der fchönften Stunde
meines Lebens gab? Aber ich brauche dich nicht
ritterliche Waffe 5 dagegen werden mir- Hammer
und Zange deſto noͤthiger ſeyn!“
198
. Die Wehzenge waren in der Nähe, nei
man ihrer bei jedem anfommenden Zranfyorte
bedurfte. So, wie ſich Friedbert an die Eros
nung ded Kaſtens begab, hörte dad Getös anf.
Die-breterne Deda gab bald nach; jetzt glitt fir
herah, und vor ſeinen Angen lag — ein riefen
großes, menſchliches Geripp. Friedbett ſtutzte
Da ſah er in der. Bruſthoͤhle rin weißes Papier
Jenchten. Raſch Kite er ſich danach, meinen?
‚ed muͤſſe eine Erklaͤrung dieſer muthmaßlich ſelt⸗
sen Knochengeſtalt enthalten. Daß Papier war
‚indeß nur die Hülſe eined andern Gegenſtandes.
‚Er widelte «& los, und das biusgetränfte Kuͤſp
j ‚Jin des eymosdeten Spaniers lag in feinen Haͤr⸗
ben-,. diefe augenhlicklich roth färbend. Entſetzt
ſchleuderte es Friedhert von ſich. Allein fo wie er
Sb: aufrichtete, ſijeg auch dad Gerippe mit Ihm
empor, Die langen, Moͤchernen Arme feſt um
ſeinen Hals ſchlagend, die hohlen Augenhoͤhlen,
ben zahnloſen Mund dicht an ſein ˖ Geſicht legend.
Dit der Rieſenkraft der Berzweiflung kaͤmpfu
Friedbert fi) zu befreien, Vergebens ſtieß «?
Baura’d Dolch zwiſchen die beinernen Rippen.
Bon einen fürchterlich laͤhmenden Schlag gerkof:
fen, fan? fein Arm, und. der Hold flog weit
von ibm an den Hohen. Immer enger und
enges preßte bad Gefpenft den Ungluͤcklicher
an fih, der feinen. Laut von ſich zu geben ven
199
mochte, und deffen Todedungfi::niemand ahnete.
Endlich ließ es ſich auf’die Kifle nieder, und
behielt 3 Den Erwuͤrgten in ſeinen antgeiſchan
Armen.
So fand ihn der. Armbruſiſchut am ſpaie
Morgen von feinem ungewoͤhnlich langen Schlafe
beaͤngftigt. Der Graf und feine Gemablin flarys
ten herbei, mit ihnen ‚die gauze Dienerfchaft,
jeder noch auf ei eine Mutentreibungıbed Schwetens
hoffend.
Leider war alles fo. Entfehtich — ſchri⸗e
Laura .mit Thraͤnen des tiefſten Schmerzens —
nicht einmal mein Dolch mit dem Kreuzesheft
konnte den Ungluͤcklichen retemi? Oder hat. er
ihn in der Verzweiflung:oon ſich geworfen‘?!! Sie
eilte nach der Stelle, wonder Dot am Baden
lag, um ihn wieder gu ſich zu nehmen. Im
ſelhen Arugenblicke ſprang bad Geripp klapperud
empor..: Alle führen: entſetzt zuekd:,; zur der
Grafblieh nachdenklich ohn. Aaura tm Fodes⸗
angfe, die Knochengeſtalt werde fie nun erfaſſoin,
will fliehen. Aber vorwuͤrts geheugt, um Den
Dolch aufzunehmen, verliert ſia dab Gleichge⸗
wicht, ihr: Fuß wann: fter ſtürztz ned ſallt ſich
den ergriffnen (herfen Stahl.in Fe Brufl. ‚Pant
‚auffchreiend ſinkt fie: gu Voden. ..
Jetzt erwacht auch der Graf aus feiner 20
täubung. Ersitt zulaure. Ein Blick auf ihre
a
%
Bunde feigt..ihm;;i&aß der Dolch von dem Des
mantkrenz, das fie auf der Bruſt traͤgt, ſchraͤg
ubglitt, und: Feine toͤdtliche Verletzung gemacht
haben kann. Jetzt faßt Er den Dolch, und
radem 'en das auf dem Hefte: befindliche Grucifir
dom. Gerippe entgegenhaͤlt, ruft er:. „in dieſes
Bildes Namen, hoͤlliſcher Spuf, laß beine Beute
fahren. I: Und faum Hat er dieſe Worte ausge
Iprücden‘, fo finft das Skelett zu Staub und |
Aſche zuſammen, und Friedbert (chlägt die Uns
> LU Ä
— Der. Graf befabl 'nun“ fire die beiden theuren
Weſen bie möglichite Sorgfalt gu tragen. Laura
Ward ir: ihre Zimmer gebracht, Sriebbert aber,
Hm Armen des hoͤlli ſchen Peinigers einmal ents
flohen ‚bedurfte fo wenig ‚Hülfe, daß er fogar
nm felben Lage: die Wunde ‚der Gräfin unters
ſuchte, und fie zwar für eine tiefe Schramme,
aber: durchaus: nicht gefaͤhrlich erkannte. Auf
feinen Gent: hatte dagegen der Vorfall einen fo
tiefen. Eindruck gemacht, daß er in den Orden
Der burmherzigen Brüder trat, und barinin der
doppelten Eigenfchaft eines keibed s und Seelenarz⸗
aAes noch unzaͤhliges Gute ſtiftete. Als Laura wie⸗
der hergeſtellt war, und ſich von Friedbert, den
man jetzt Pater Benedetto nannte, den ganzen Vor⸗
fall erzaͤhlen ließ, fegteder Graf hinzu: „Sobald
ich das Zimmer betrat, fiel mir beim Anblick der
r
i
rn u 201 .
aufgeftellten Panther, Löwen und Tiger, ſogleich
die Prophezeihung ber Wahrfagerin ein. Wie ich
nun Sriedbert in den Armen bed Gerippes fah,
erriethich fogleich den Zufammenhang, und ſchloß
auch gleich mit Zuverficht, "Gott. würds der Hblle
nicht den Sieg davon tragen laffen. Der wegge⸗
ſchleuderte Dolch, den gewiß — nicht gut⸗
willig hergegeben hatte, beſtaͤrkte ich in der Ge⸗
wißheit. Laura'sSelbſtverwundung mit ihrem eige⸗
nen Dolche, wodurch die Prophezeihung ganz erfuͤllt
wurde, unterbrach zwar mein Gebet zum Himmel
um Rettung unſers Freundes. Inzwiſchen hatte die
heilbringe nde Kreuzesgeſtalt ſchon den Tod bes
zwungen 5 um fo freudiger ærgriff ich fie, feſt übers
zeugt, fie nun auch hier über die Hoͤlle den
Sieg davon tragen zu ſehen. Und. der Herr ließ
mein Hoffen nicht zu Schanden werden !’'. „Ach
Albufar — rief Benedetto, ſich in des Freundes
Arme werfend — ich mar verloren, aber dein
Glaube hat. mir geholfen!”
armeißer Ehrenfried
- und.
‚feine Samitie.
B i m. B .
iM Fougaki co.
„Sätese die Hausthuͤr zu, Nargrethchen,“
fagte der alte Großvater, „und ſchieb auch den
Niegel recht· fötgfanr vor. Die Herren Studen⸗
ten wolfen heut' Nacht ein groß Jubiliren auf
ben Straßen 'halten, wie mir der Nachbar
Schwertfeget erzähle, hat, und da ft es denn
für unfern einfamen Haushalt "Yumal da wir
im Erdgefhoß wohnen, am beften, daß man
ſich etwas forgfältig verwahrt. Ich will derweil
D auch die Zenfterladen zumachen; +6 iſt ſchon
ganz dunkel geworden, und wir müffen ja of
nehin. Licht anſtecken.!
„Wie ſoll denn aber unfer alter Miethsmann
bereintommen , lieber Großvater?” fragte das klei⸗
» Madchen· „Ihr wißt ja, der iſt noch draußen
goꝛ
im Fichtenduſch and rumort i denal ten Heiden⸗
graͤbern herum.”
„Laß ihn rumoren, Kind, "fo lang er will.
Wir können’d nicht hindern: Dafür fann er
ſich's denn gefallen laffen, ein Bischen vor ber
Thuͤre gu warten. Mir if fein Treiben ohnehin
.. nicht recht, und mich reut ed, daß ich‘ bei des
Hauſes Urbernahme dem verin Profeffor vers
ſprach, den wunderlichen Drierpömann nicht aus⸗
zutreiben!“
„J Großvater ‚ dem armen Herrn Profeffor
ward es ohr.: ehin fauer genug, fein ſchoͤnes an⸗
geerbtes Haus mit dem Rüden anzufehn, und
ich bin den fhlimmen Glaͤubigern, die ihn ‚dazu
brängten, recht aram. Der Herr Profeffor ficht
immer PA hold und. freundlich aus ,auch gar
nicht ſo alt wie die andern Herren Profeſſoren,
und weiß viele herrliche Geſchichten aus der ver⸗
gangenen Zeit, wobei einem wog! ‚manchmal, die
Haare ein bischen zu Berge ftehn, aber es hört
fi) doch fehr huͤbſch zu. Und, der wunderliche
Miethsmann ift im Grunde wohl auch fo gar
übel nicht, ald er mir bisweilen norkommt,
„Mag ſeyn, Kind, aber ich hatte in mei⸗
nem Baterhauſe bleiben ſollen. Wenn ich dran
vorbeigehe,; wird mir noch immer recht wehmuͤ⸗
thig um's Herz. Es war viel huͤbſcher dort.”
P_
205
ind: doch gen Ihr damals pie dfter
als jetzt.“
„Wie du's verſtehſt, Dargrethähen! Nun, |
ich hab's dem ‚aulen ‚Heren Profeffor zu Gefal⸗
Jen gethan. Ünd hätt’ er nur hier wohnen bier |
ben wollen! Allenfaſls auch ohne Miethzins!
Aber. davon war ja gar nicht mit ibm zu pre
den. _ Nun jeht, mein liebes Kind, vor allen
Dingen, geh’ und mache die Hausthuͤr zu.‘
Das artige Margrethchen that nach ˖ des Groß:
vaters Befehl. Dreimal drehte ſie den Sdluͤſſel
im: ‚Schloß um‘, ſchob noch zuͤletzt recht ſorgſam
den eifernen Riegel vor, und nun faßen bie
zwei recht heimlich und behaglich in dem ſtillen,
Fanfterhellten Stuͤbchen beiſammen.
„Sol ich dit nun vorleſen, Großbaͤterchen!
fragte das Kind. Der freundliche Alte nidte
böahens ,. indem er aus einer Schublade Blei
ſtift, Lineal und Papier hervorſuchte, um, wie
er wohl um dieſe Stunde pflegte , Zeichnungen
zu entwerfen, die er dann ald Altmeiſter bes
Tiſchlergewerks den jüngern Runftgenoffen zur
Ausführung vertheilte. Deswegen hielt er auch
gar’Feine Gefellen mehr, fondern lebte ganz ab⸗
gefondert, gepflegt von einer einzigen Magd und
feinem frommen Enteltöchterchen.
Das liebe Kind hatte ben großen, in Per
gawent Funflreich eingebundenen Folianten her
205
beigeſchleppt, und las, dem Großvater gegenaher
fitzend, folgendergeflalt:
„Es hat ſich auch einſtmalen zugetragen,
daß in der Seeſtadt Venezia - ein“ Gondolier
(man nennet daſelbſt die Leute alſo, die‘, wes
gen Ermanglung "ordentlicher SMiaflerfiraßen
und demgemäßen Fuhrwerks, in ſchwarzbehan⸗
genen Kaͤhnen fürkohn auf den Waſſerkanaͤlen
bin und her kutſchieren) einen fremden Ruder⸗
knecht angenommen hat, von gar ungewöhnlis
cher Größe und Stärke. Wußte auch weber ber
Gondolier, noch fonft Jemand anzugeben, woher
denn felbiger Burfih eigentlich gefommen, und
aus weldjen Provinzien er bürtig fe. Es has
ben einige Gelehrte bekaupten wollen, diefer Rus
derknecht, der gar nicht zu ſprechen, wohl aber eis
nen guten Zrunf zu thun und höflich zu grüßen
wußte, fei in ber That nichts anderd, als ein
verhextes Thier, welchem ein. wunderfamlicher
Zaubermeifter die Denfchengeflalt angezogen has
be, und flamme «6 aus dem rieſenſtarken Ge⸗
ſchlechte der großen Elephanten her.“ |
‚Dem fei, wie ibm wolle : der Gondolier
war mit feinem Nubderfnechte zufrieden, als
welcher zwar ausnehmend viel Zranf und
Speife zu fih nahm, aber auch auönchmend
viel Arbeit Teiftete, und über deffen Herkunft
zerdrach er fi den Kopf weiter nicht, ſon⸗
[02
dern. ach die Selehrten deshalben nach ibtew
Belieben ſtreiten.“
„Da hat er aber nicht gut dran gethan,
denn ein ehrbarer chriſtlichet Hausvater ſoll
keinen Dienſtboten annehmen, als deſſen Glau⸗
ken, Herkommen und bisherigen Lebenswandel
er geziemend kennt, ſintemal er ja doch immer
Gott und den Menſchen für ſeines Geſindes Aufs
führung mitverantwortlich bleibt." . |
Der Alte feufzte, aus tiefem Herzen, und lic
fein- ehrwürdig weißed Haupt in die vorgeflügte-
Hand ſinken. Margrethchen hielt inne und fah
ihn befiemder an. Da ermannte er ſich, und
ſagte, iäcdhelnd wigber emporgerichtet: „Lied du
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichts. Sch dachte
nur, wie eb hätte weit. beffer Fommen müffen,
wenn ich —.lied du nur weiter, Kind.” Mars
grethchen fuhr fort.
nDa bat denn inſtmalen ein beruͤhmter
Schwarzkuͤnſtler ſich beigehen laſſen, ben Gondo⸗
lier um drei tuͤchtige Ruderknechte zu bitten, für
eine ſeht Tange und eilige Fahrt bei Nacht, und
bat der Gondolier am beften zu thun vermeint,
wenn er ihm ben ſtummen Trinker zutheile, alt
welcher für fechfe gu rudern vermochte. Anfaͤng⸗
llich ift auch die Fahrt seht gut gegangen. Aber um
. Mitternacht hat man ein fuͤrchterliches Geheul in
den Waſſerſtraßen vernommen, und. haben viele
207°
Menſchen darin: die Stimme bed Schwarzkünfts
lers gu erfennen vermeint. Auch find einige drei⸗
fle junge Leute mit Fackeln und- Waffen ‚hergugen
laufen. Die fahen noch eben wie der gewaluͤge
Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗
delſchiffleins ſtand, und es immer tiefer in das
Waſſer hinunterfiampfte ‚wobei er mit dem fleis
nen Schwarzkuͤnſtler Ball ſpielte, daß dem der
Kopf darüber vom Rumpfe flog. ‚Endlich vers
ſank der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein
tief unter die Fluth. ‘
„Am andern Morgen bat man den ganz zer⸗
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗
traͤnkter Elephant gefunden. Wußte fein Menſch,
. woher foldy fremdes Thier gefommen war. .
„Iſt alfo wohlanzunchmen, daß der Schwarr⸗
kuͤnſtler das ungeheure Geſchoͤpf zu Ausfuͤhrung
irgend einer ſchlimmen That in Menſchenbildung
verzaubertund nach Venezia gefchaffthabe. Iſt
‚ihm aber auch auf basmal verunglüdt, ba er
vielleicht Zeit und Stunde und Conſtellation mag
außer Acht gelaſſen haben; ‚oder auch wohl von
den böfen Geiftern verblendet wordenift, baß er
| bein Einfleigen in die Gondel den Verhexten gar
\ nicht wiebererfannte ; wie es denn gewöpniig mis.
266
dern. ſteß die Gelehrten deshalben nach ihrem
Belieben: ſtreiten.“ |
„Da hat er aber nicht gut dran gethan,
denn ein ehrbarer chriſtlicher Hausvater ſoll
keinen Dienſtboten annehmen, als deſſen Glau⸗
ken, Herkommen und bisherigen Lebenswandel
er geziemend kennt, ſintemal er ja doch immer
Gott und den Menſchen fuͤr ſeines Geſindes Auf⸗
führung mitverantwortlich bleibt.“
De Alte ſeufzte, aus tiefem Herzen, und ließ
ſein ehrwuͤrdig weißes Haupt in die vorgeſtuͤtzte
Hand ſinken. Margrethchen hielt inne und ſah
ihn befremdet an. Da ermanute er ſich, und
ſagte, laͤchelnd wieder emporgerichtet: „lies du
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichts. Ich dachte
nur, wie es hätte weit. beſſer Yommen muͤſſen,
wenn ih — lies du nurweiter, Kind.” Mars
grethchen fuhr fort. ü |
„Da hat denn einfimalen ein berühmter
Schwarzkuͤnſtler fich beigehen laffen, den Gondo⸗
' Her um drei tüchtige Ruderknechte zu bitten, für
eine fehr lange und eilige Fahrt bei Nacht, und
bat der Gondolier am beften zu thun vermeint,
‚wenn er ihm den ſtummen Zrinfer zutheile, als
welcher für fechfe zu rudern vermochte. Anfängs |
llich iſt auch die Fahrt recht gut gegangen. Über um
. Mitternacht hat man ein fürchterliche® Geheul in
den Waſſerſtraßen vernommen, und haben viele
807"
Menſchen darin.die Stimme bed Schwarzkuͤnſt⸗
lers gu erkennen vermeint. Auch find einige dreis
ſte junge Leute mit Sadeln und Waffen herzugen
laufen. Die ſahen noch eben, wie ber gewaltige
Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗
beifchiffleind ftand, und es immer. tiefer in das
Waſſer Hinunterflampfte, wobei er mit. dem Fleis
nen Schwarz kuͤnſtler Ball fpielte, daß dem ber
Kopf darüber vom Rumpfe flog. Endlich ver⸗
ſank der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein
tief unter die Fluth.“ |
„Am andern Morgen hat man den ganz zer⸗
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗
traͤnkter Elephant gefunden. Wußte fein Menſch,
. woher ſolch fremdes Thier gekommen war.“
„Iſt alſo wohl anzunehmen, daß der Schwarze
fünftier das ungeheure Geſchoͤpf zu Ausführung,
irgend einer ſchlimmen That in Menfchenbildung
verzaubert und nad) Venezia gefchafft habe. Iſt
ihm aber auch auf dasmal verunglüdt, ba er
vielleicht Zeit und Stunde und Conftelation mag
außer Acht gelaſſen haben; oder auch wohl von
den böfen Geiſtern verblendet worden iſt, daß er
beim Einſteigen in die Gondel den Verbexten gar
J nicht wiebererfannte ; wie ed denn gewoͤhnlich mis.
206
den. ſteß die Gelehrten deshalben nach ibrew
Belieben ſtreiten.“ |
„Da: hat. er aber nicht gut dran gethan,
‚denn ein ehrbarer chriſtlicher Hausvater foll
feinen Dienftboten annehmen , ald deſſen Glaus
hen, Herkommen und biöherigen Lebenswandel
er geziemend Fennt, fintemaler ja doch immer
Gott und den Menfchen für feined Gefindes Auf:
führung mitverantwortlich.bleibt.‘' .
Der Alte feufzte, aus tiefem Herzen, und ließ
fein- ehrwürdig weißes Haupt in die vorgeflüßte -
Hand finten. Margrethchen hielt inne und fah
ihn befremdet an. Da ermannte er ſich, und
ſagte, iächeind wieder emporgerichtet s „lies du
nur weiter, Kind. Mir fehlt nichtd. Ich dachte
nur, wie ed. hätte weit beffer Yommen müffen,
wenn ih — lies du nur weiter, Kind.’ Mars
grethchen fuhr fort.
„Da bat denn einſtmalen ein beruͤhmter
Schwarzkuͤnſtler ſich beigehen laſſen, den Gondo⸗
llier um drei tuͤchtige Ruderknechte zu bitten, für
eine fehr lange und eilige Fahrt bei Nacht, und
bat der Gondolier am beſten zu thun vermeint,
- wenn er ihm den ſtummen Trinker zutheile, als
welcher für ſechſe zu rudern vermochte. Anfänge
llich ift auch die Fahrt recht gut gegangen. Uber um
Mitternacht hat man ein fürchterliched Geheul in
den Waſſerſtraßen vernommen, und haben viele
307 "
Menſchen darin die Stimme des Schwarzkuͤnſt⸗
lers zu erkennen vermeint. Auch ſind einige drei⸗
ſte junge Leute mit Fackeln und Waffen herzuge⸗
laufen. Die fahen noch sben ‚wie ber gewalttge
Ruderknecht hoch oben auf der Decke des Gon⸗
delſchiffleins fand, und es immer. tiefer in das
Waſſer hinunterfiampfte, mobei ermit. dem klei⸗
nen Schwarzkuͤnſtler X Ball fpielte, daß dem ber
Kopf darüber vom Rumpfe flog. ‚Endlich vers
. fan? der Ruderknecht mitſammt dem Schifflein
tief unter die Fluth.“
„Am andern Morgen bat man.ben ganz zer⸗
ſtuͤckten Leichnam des Schwarzkuͤnſilers an vielen
Orten zuſammengeleſen. Was aber das allerſelt⸗
ſamſte war, ſo hat ſich auch ploͤtzlich am Meers⸗
ſtrande, wenige Meilen von der Stadt ein er⸗
traͤnkter Elfphant gefunden. Wußte kein Menſch,
woher ſolch fremdes Thier gekommen war.“
„Iſt alſo wohl anzunehmen, daß der Schwarze
fünftler dad ungeheure Geſchoͤpf zu Ausführung,
irgend einer ſchlimmen That in Dienfchenbilbung
verzaubert und nad) Venezia geſchafft habe. Iſt
ihm aber auch auf dasmal verunglüdt, da er
vielleicht Zeit und Stunde und Conſtellation mag
außer Acht gelaffen haben; oder auch wohl von:
den Köfen Geiftern verblendet worden ift, daß er
. beim Einfteigen in die Gondel den Verhexten gar
“ nicht wiebererfannte ; wie ed denn gewoͤhnlich mit
[4
200
derglelchen fofen Künffen auf ähnliche Manier zu
“enden pflegt. Einige wollten wiffen, der Magier
* habe fich felbft die unfcheinbare Geſtalt, in welcher
* er Fein und aͤltlich einherging , durch feine Kunſt
nur ſo umgegeben, fei aber eigentlich ein wunder⸗
ſchoͤner Züngling gewefen, und in die Gemahlin
5 des venezianiſchen Herzogs, welchen ſie daſelbſt
Doge heißen, , fehr verliebt. Da hat denn woßl
der Elephantenknecht zu einer Entfuͤhrung helfen
ſollen, oder gar zu einer Umwaͤlzung der ganzen
Stadt und des ſaͤmmtlichen freien Herzogthumes
oder Republik. Iſt aber, wie oberzaͤhlt durch
bes Nigromanten eigne Unvorſichtigkeit vor das⸗
mal unterblieben.? ©
„Woraus zu lernen —
Margrethchen ward ud ein wuͤſtes Gelärm
huf der Straße am Meiterlefen gehindert. Sie
blickte ängftiich nad) den Senftern, und Rüfterte
endlich:
„Ad Großväterchen, aber die Herren Gtu
denten find doch auch heute gar zu ausnehmend
ſehr luſtig !“
„Iſt nun einmal ihre Art ſo, laͤchelte der
Freundliche Greis. Und Art laßt'nicht von Art,
—
wie man ſchon im Sprichwort zu ſagen pflegt.
Laß dich's ſo wenig irren, als dag Saufeneined
Fruͤhlingsſturmes, und bleibe nur ungeflbrt am
- %efen, mein liebes Kindchen.“
| 209
Margyreiha ſchickte ſich an, nach den Worten
ihres Großvaters zu thun; da donnerten aber
ploͤtzlich drei fo gewaltige Schläge gegen den Fen⸗
ſterladen, duß ſie ihr ſchoͤnes, altes Buch wei⸗
nenb“ aus den Händchen finken ließ, und das
bleichwerbende Geſichtlein in die Kuͤſſen des ge⸗
polſterten Stuhles verbarg.
Nicht fo der ehrbare Altmeiſter. Gehen das
Senfter vorfchreitend, fagte er mit aller kuͤhnen
Gewalt feiner. bei früher Jugendzeit im Krieges
dienfte geübten Stimme:
„Wer hat hier einen freien Yürger zu tur⸗
biren in feinem eignen Haufe? Rede ber frevels
hafte Menſch draußen und nenne mir feinen
Namen, falld er in der That fo dreiſt ift, role
er ſich anzuſtellen beliebt ! Was diefed Haus
betrifft, fo wohnt bier drinnen der Altmeifter
des hiefigen achtbaren Tiſchlergewerks, mit Nas
men Philibert Ehrenfried !’‘
Fin leiſes, angftvolled Gewinfel Tieß ſich
draußen vernehmen, auf recht feltfame Weife
durch das Toſen des Studentenjubels dringend,
und, mit leſemn nach und nach im weitern Fort⸗
siehn verhallend.
„Was war das?“ ſagten Großvater und En⸗
kelin, und blickten einander ſtaunend an.
Geſoenſterbuch 7. Cheil O
‚210
Die Studenten. hatten fich nach dem Marke
hingemacht, wo fie einen großen Kreis bildeten,
mit Fackeln wild in die Luft ſchlagend, und dit
langen, gezuͤckten Hieber auf den Steinen wegen.
Es follte unterſchiedlichen Profeſſoren ein Peteut
gebracht werden, gorzüglich dem, von welden
Margrethchen vorhin mit fo vieler Liebe gefpte
hen hatte. Er pflegte nämlich zwar fehr freund:
lich mit den Studenten umzugehn, oft aberihtt
Wildheiten und rohen Streiche "auf eine ſe
witzig fcharfe und zugleich fo tief ernſte Weil
zu ſchelten, daß fie nicht mußten, wo fie hin
fehn follten. Nun hofften fie ihn von diem
laͤſtigen Genformat für immer, fortzufchreden, und
waren befonderd dazu aufgehegt durch einen fram
den Studenten, Namens Marcellin, der ft
einigen Wochen als Neifender hier lebie, un
dem. ganzen wilden Schwarme fehr theuer gewor⸗
den war, durch die Kühnheit und nicht anmuth
loſe Kraft, mit welcher er, obgleich laͤngſt üb
die gewöhnlichen Studentenjahre hinaus, tolt
Dinge begann und durchſetzte; zugleich auch hegie
Jedermann vor feinen nicht germeinen Geifleög
ben und Kenntniffen Achtung. Gegen ben Pin
feſſor Nordenholm (ſo hieß. Margrethcheri
Schuͤtzling) ſchien er von Anfang her einen bs
fondern Widerwillen zu empfinden. Er fonntt
ihn Faum nennen hören, war nie dahin zubrin
gıt
gen, daß er ihm einen Beſuch abgeſtattet haͤtte,
wie allen übrigen Profefforen, und freute fi
ganz unaudfprechlidy und uͤberlaut, ald er diefen
Zug wider den ihm Berhaßten im Gange fah.
Nun aber fland das ganze wilde Juͤngling⸗
Heer vor Nordenholms jekiger Wohnung, und
Lange vergeblich riefen bennoch Hundert Stimmen 3
„Marcelin ! Marcellin !'’
Marcellin war weder zu hören noch zu fehn.
- Endlih Fam er ganz bleich und athemlos,
mühfem auf feinen Hieber fich ſtuͤtzend, aus dem
Hanfen Hervorgefchlichen. Die Senioren der Landes
mannfdhaften traten flaunend und fragend aufihn
zu; wunderlich zuckten die Fackellichter über fein
blaffed , entſtelltes Schicht.
„Iſt da6 auch wohl Sitte und Recht 7 fuhr
er die ihn Begrüßenden zornig an. „Hetzt Ihr
mich⸗ da ganz verrüdterweife an das Haus eine
alten wunderlichen Tiſchleraltmeiſters, — ich mag
ibn gar nicht einmal bei Namen nennen, — und
bildet mir ein, daß fei die angeerbte Wohnung des
widerwärtigen Profeffor Nordenholm!“
„Run freilich hat der Altmeiſter feinen Gig
in Nordenholms apgeerbtem Hauſe;“ ſprach einer
der Juͤnglinge unzufrieden zuruͤck. „Aber wer hat
denn dich — wie du dich auszudruͤcken beliebſt —
dort hin gehetzt ? Und wie weißt du denn uͤberhaupt
etwas von Nordenholms Erhwohnung, du, der
2
J
212
ja viemals das mindeſte von ihm hören wollte,
und der du vorgabſt, Dich durchaus nicht um ihm
zu befümmern. Das kommt mir denn doch es
was fonderbar vor!“
Marcellind Studentenehre fand fi) durch den
Augdruck: „ſonderbar“ auf eine ernſte Weife
verlegt ; überhaupt antwortete er fo wild und
verworren, daß man immer tieferin das begins
nende Gezaͤnk hineingerieth, und nicht lange, fo
hatte er in feinem Ingrimm zwei Senioren der
Landemannf&aften auf morgen zum Zweifampf
gefordert. Darüber ging aber endlich die ganze
Verſammlung im entzweiten Zumuftuiren ausein⸗
ander, ohne baßirgend aus einem früher befchloßs
nen Pereat etwas geworden wäre. Nordenholm
f&aute ihnen aus feinen mit alten Büchern halb
zugefegten Fenſtern im. erniten wehmuthövollen
Lächeln nach, ſich an einen ähnlichen Aufzug
erinnernd, nach welchem vor Jahren ihn feined
Erdenlebens liebſte Freude verlaffen hatte.
Der Ultmeifter und Margrethchen hatten
derweil noch lange ſiill und nachdenklich dage ·
ſeſſen.
Lies heut nicht fuͤrder, Kind, ſagte endlich der
Greis. Die Nadıt fheint fo wild hereinzu
"brechen, und auch die Befdichte war mir übe
"alle Maßen wunderlich. Der weiß, es fonnım
215
wohl noch. sollere Hiftorien nachkommen. Nuͤcke
du lieber dein Spinnrädchen an den Tiſch, und
wenn bir etwa eind deiner huͤbſchen Lieder dabei
einfällt, fo fing’ es mir von.”
Margrethchen nickte freundlich bejahend, und
hub recht emfig zu ſpinnen an, aber ein Lied⸗
chen wollte nun einmal nicht aus dem erfchredis
ten Heinen Herzen heraus; vielmehr, war ihr zu
Muth — obgleich auf der Straße ſchon wieder
die gewohnte ruhige Stille herrſchte, als müffe
dieſer Abend noch einen recht feltfamen Graus
beraufführen. x
Und fie ſchien nicht unrecht geahnet zu haben.
Denn mit ſchweren Tritten über ihnen ging
es auf und nieder, in derfelben Kammer, die
der noch nicht Heimgefehrte alte Miethsmann
inne batte, und zu deren wunderlichen Innern
er den einzigen Schliifel beftändig bei fich trug.
Dazwiſchen hörte man ein grauenvolled Aechzen
berunterhallen, mie aus todtmäder und furchtbar
seängfteter Menſchenbruſt. Margrethchen dew
tete nur ſtillſchweigend dahinauf; der ehrbare
Altmeifter nahm feinen alten Pallaſch von ber
Wand, betete einige Augenblicke fill, und ging
dann nach der Thuͤre. .
„Ach Großvater, lieber Großvater, nehmt
mich doch mir!” weinte Margrethchen. „Was
auch immer pben los feyn mag, es Fann doch
214
nichts ſo⸗entſetzliches ſeyn, als ich mir einbilde,
wenn. ich hier. im ber Stube allein bleibe mit
meinen ‚graulicdhen Gedanken. D, ich bitte Euch
"am Alles, nehmt mich mit!" ;®
Und nach einigem Veſinnen, während beffen
der Altmeiſter die Laterne in gehörige Ordnung
gebradyt und dad. anbre Licht geldſcht hatte,
winkte er dem aͤngſtlichen Kinde bejahend. zu,
und Teuchtete.ihr voram ie aber hielt ſich mit
beiden Händchen aus angefirengsefler Kroft an
feinem Kieide feft.
Immer deutlicher, wie fie über den großen,
hallenden Hausflur gingen, bie fleinerne, enge
Wendeltreppe hina uf, hoͤrten fie im Zimmer des
ubweſenden Miethsmannes jenes feltfame Schrei⸗
ten und Aechzen. Nun ſtanden ſie vor der Thuͤr;
durch das Schiuſſelloch blitzte ihnen Licht ent⸗
æesen
„In Gottes Namen, rief Attmeifter Eh
renfried, „wer treibt fein Wefen dabrinnen , und
was hat er dafelbft zu fchaffen 2’
Wird flog urplöglic die Thüre auf, und:
buſſah! halloh! Wer ftöre, wer erſchreckt mich 7"
Yeulte ed von drinnen heraus, fo abfcheulich toll,
daß Altmeifter Ehrenfried unwillkuͤhrlich einen
Schritt zuruͤckſchwankte, und das Rind ſich Fniend |
and leiſe wimmernd hinter ihm verbarg.
In Mitten der Kammer ſtand, mit einem
215
blutrothen Mantel angerhan der fremde Mieths⸗
mann, und zitterte gleichfalls heftig.
Nach einigem Schweigen fagte er mit hohler
Stimme?! on
„Nehmt doch Euern Diethzins für dies halbe
Jaht. Da liegt er ja auf dem Tiſche. Nehmt .
doch hin. Er war Euch ja fehon in voriger Mode
verfallen.“ in
„Darauf kommt's mir ‚heute nicht eben ‚an ;''
entgegnete der Altmeifter, mit wieder vollfommen
gefegter und -fichrer Stimme. . „Aber wiffen will
und muß Id, was Ihr fo grauenvoll bier ftöhnt
und Achzt, und auf welchen Wegen Ihr in mein
feſtverſchloßnes Haus heimgefommen feid.
„Was ich ftöhne? Was ich achze ? feufzte
Halb und Tachte halb der unwillige Miethsmann
zuruͤck. ei, bas haben ja fogarbdie ſpukenden
Bilder am Hochgericht frei; warum nicht Jemand,
der feine Miethe ordentlich "und uͤberreichlich bes
zahlt? — Wie id) pereingefommen pin? Hm!
Was dad nur für Neden find !— dumme, tolle,
ganz ungehdrige Reden ! Stand ja die Hausthuͤr
fperrangelweit offen, als ich Fam. Ich wenig,
flens, — auf Ehre kann ichs Euch verfihern, —
ich wenigftend hab’ es nicht andere vermerkt,‘
„Nun denn, fagte Meifter Ehrenfried gelafs
fen, fo muß ich Euch gar ernfllich bitten, noch
morgenden Tages auszuziehn, denn ſolche Mieihs⸗
216
feute , denen feftwerfchloffene Ihüren vorkommen,
wie fperrangefweit: offne, leid' ih nun einmal in
meinem Haufe nicht.“ u
„Das wird denn doch noch einigermaßen brauf
anfohnmen ;'' lachte ber Freinde hoͤhniſch zuruͤck,“
wegen des Auszichend, mein' ich. Ihr wißt, da
habt Ihr Euch dem ehemaligen Hausherrn eben fo
gut als mir drum verpflichtet. Fuͤr jetzt ſayd nur
ſe o gut oder fo Flug ‚und nehmt einſtweilen den ver⸗
fallenen Miethzins hin.“
Seitwaͤrts nach dem auf ein Tiſchlein hinge⸗
zaͤhlten Golde blickend, ſagte der Altmeiſter:
„Vor der Hand‘ mag ich gar nichts von Euch.“
Neberdem ſehe ich, daß Ihr ſchon wieder ſo kurioſe
uralte Dublonen bringt, mit dem Namen Venezia,
und ich weiß nicht welcher verfcholßnen Jahreszahl
brauf. Und ich hab’ Euch ſchon vorigesmal geſagt,
daß ich kein Wechsler bin, und mit den ſeltſamen,
außer Cours gekommenen Münzen nichts zu ſchaf⸗
fen haben will, ftände. auch zehnfach dabei zu
gewinnen,“
„Es find dießmal Feine venezianiſche Dublo⸗
nen;“ lachte der Fremde hohl. „Altſaͤchſiſche
GSolbmuͤnzen ſind es, wie ſie Eure Vaͤter ſchon
vor tauſend Jahren gekannt haben. Und kennt
Ihr thörichtes Volk fie jetzt nicht mehr, fo mag
ber vorige Hausherr, der wunderliche, ſuperkluge
n %
217
Nordenholm, , für das Auswechfeln forgen. mie
aber laßt in Frieden, oder nehmt was Euer iſt!“
Und da ſich Altmeiſter Ehrenfried unwillig
zum Fortgehn wandte, ſchlug der truͤbe Mieihs⸗
mann ſeine Thuͤre ſo heftig zu, daß vor ihrem
Zugwinde ſelbſt das Lichtlein in der Laterne ver⸗
loſch. Langſam und grauend tappten Großvater
‚und Enkelin die Treppe hinab, durch die hallende
Hausflur zuruͤck, und wurden erſt einigermaßen
wieder friſch und froh, als ſie in dem trauten
Stuͤblein dad Licht zum Brennen,gebradzt hatten.
Da aber ſchellte Altueiſter Ehrenfried auch gleich
recht gewaltig nach der Magd, und hieß ſie den
Profeſſor Nordenholm alsbald zu ihm baſcheiden;
und ob er auch ſchon zu Bette gegangen ſei, er
muͤſſe wieder auf, und wegen einer hochwichtigen
Angelegenheit noch in dieſer Stunde zu ihm ber.
Sehr bleich und beflürzt trat nach kurzer Friſt
der Profeffor in dad Gemach. „Ihr laßt mid)
wegen ded Miethsmannes rufen? Nicht wahr ?’’
fagte er mit Teifer Stimme. „Ach Gott, ich
konnt' ed wohl denken! Aber fchidt Margreth⸗
‚hen zu Bett. Ich hab’ Euch viel und ſeltſames
‚zu fagen, und unfre Berathung möchte weit bis
über Mitternacht hinaus dauern.“
Der Ultmeifter winkte hejahend, und gebot
der Magd, dad Kind zur Ruhe zu bringen.
218 —
Wohl fahe Margretfichen ein wenig Angflfich aus,
aber überfegend, dafl zu ihrem Schuge der wackre
fromme Großvater wach Bleibe und ber gute
Herr Profeſſor, gedachte fie ſelbſt, es fei am
beſten, den wilden Schreden zu verfchlafen, und
fagte beiden Männern eine freundliche gute Nacht.
Auch fchlief fie, nach einem: herzigen Gebetleim,
‚ flugd und fröhfich ein, und der Graus Batte
fürder- in diefer Nacht über dad fromme, liebe
Kind alle Gewalt verloren.
Nordenholm und der alte Chrenfried hatten
fich ındeß- ernſt und feierlich einander gegenüber
an den zunden Tifch defekt, und Jener hub nad
einem ˖ tieffinnigen Schweigen folgendergeftalt zu
reden anf en.
„Ih muß Euch zufoͤrderſt an einen großen
Samen, erinnern, Tieber-Aftwieifler, und zugleich
an die einzige Stelle Eures ehrſamen Lebens,
die es Euch gefiel, mit tinem undurchdtinglichen
Dunkel zu bedecken, aber — es gebt nun ein⸗
mal nicht anders! — Ich liebte Eure ſeit zehn
Jahren verſchwundene Tochter, und es war auch
eine Zeit, wo fie meine Neigung, wenn nicht
erwiderte, doch ihr mit ſchüldlofer Milde und
Sreunblichfeit begegnete. Das Verſchwinden ber
bolden Jungfrau, mir über Alles fchmerzhaft,
blieb mir fo unerfiärbar, ald vermuthlich Euch.”
Der Alte winkte ibm gu ſchweigen, und
219
fchien innerlich mit fich zu —* se gehu. Ends
lich. fadte er:
„Mir ift jene furchtbere Vegebenheit nicht
ganz fo unerflärlich, als Ihr denken moͤgt, lieber
Herr, obgleich ſchmerzhafter, ald. fie irgend einem
Menſchen auf Erden feyn kann. Wenn idy mir
aber Allees überlege, — Euer. 'rechtliched Weſen
Eure jekige Dffenheit, die treue Liebe, die Ihr
für mein Enteltöchterchen bewahrt, und ded Kins
des anmuthiges Vertrauen zu Euch, — ja, lieber
Herr, auch ich bin Euch mein ganzes Vertrauen
ſchuldig, und fo'vernehmt denn, was ich von mer
ner unglüdlichen Tochter weiß.“ \
„Es mögen jetzt grade zwoͤlf Jahre verſloſſen
ſeyn ‚oder etwas drüber, da fam in mein flilled
Haus — ach, ich wohnte damals fo behaglich und
Far mit meinem jungfräulichen Kinde! — Fam,
fage ich, ein ſchoͤner junger Herr zu mir herein,
und nachdem er alles in meiner Werfilätte recht
genau befehn hatte, trug er fih mir zum Lehrburs
ſchen an. Ihr koͤnnt denken, wie Id) das Anfangs
ald einen höflichen Scherz erwiederte, nachher ald
eine ungegogneBerhöhnung ernfihaftiglich von mir
wieß. Uber ber junge Herr befland darauf, er
treibe weber Scherz noch Verhoͤhnung, fordern
finde nun einmal recht ernfihafte Luſt daran, das
edle Zifchlerhandwerf yanz aus dem Grunde zu
lernen, wozu es ihm bis jegt nur an einem gehö⸗
betrog?“
220
eig ſinn⸗ und kunſtbegabten Meiſter gefehlt Habe.
Der fer ihm nun in meiner. Perfon vorgekommen,
and er werde nicht von mir wanken noch weichen,
bis er all meined Willens und Koͤnnens theilhaftig
worden ſei. Da ſprach mein thötigted Derze Ja,
und meine Zunge ſprach ed nach... Und wußte id)
Sach nicht einmal, wer der junge Herr eigentlich
fei, und woher er fomme, und ob er irgend eine
gültige Befcheinigung mit ſich führe. Aber wie
eın Verherter nahm. ich ſchon greifender Thor den
Mubekannten in meine ehrfame Werkſtatt, und
. »annte ihn Auf fein Begehren Ludibert Wendel⸗
ſtern.“
„Ludibert! ſeufzte Nordenholm. Ach, in mei⸗
ner Geſchichte kommt auch ein Ludibert vor. Aber
weiter, weiter, lieber Meiſter. War es denn der
Ludibert, der Euch um Eure engelholde Tochter
0
„Kein andrer Menſch auf Erden!“ erwiederte
finſter der Alte.“ Wohl ſtellte ſich der arge Ver⸗
führer gar fein und geſchickt zu meinem edlen
Dandwerf an, baß ich noch nie einen Lehrling
feined Gleichen gehabt hatte, wie er benn über
haupt mit vielen und fchönen Talenten begabt
war. Er ſchlug die Laute kunſtreich, und fang
TWunderfüße Weifen dazu; er wußte das Raps
pier old ein Meifter zu führen —
291
Nordenholm nickte ernſt bejahend. Der Alte
fuhr fort, ohne es zu beachten:
„Und in den Sreiftunden gab er all meinen
Geſellen und’ Lehrburfchen in der edlen Fechts
Funft Unterricht, welches mir, der ich felbft meine
Waffe gut führe ald ehemaliger Soldat, und:
ein Gleiches von jedem Ehrenmann gern fehe,
audnehmende Freude machte. Dabei zeigte ber.
Herr Urian in feinem ganzen Mandel nichts als
Sittfichkeit und Anftand ;— Summa, er bethörte
mich mit jedem Tage mehr, bid mir nach zwei
Jahren din Augen erfchreclich aufgethan wurden,
Grade hatten die Herren Studenten einen Umzug
gehalten, wie heute Abend, und wer nicht zum
Spätimbif Fam, und fich feitdem niemalen wies
der fehn Ließ, war Ludibert Wendelflern. Am
Morgen drauf fand Ich in meiner Tochter Agnes
Stuͤbchen an ihrer State nichtd ald ein Papier
mit die ſen Zeilen.‘
Er ftand auf, Öffnete ein wohlberſchloßnes
Wandſchraͤnklein, und nahm zwei Briefe heraus,
deren einen er dem Profeſſor hinreichte. Nor⸗
denholm, die Schriftzuͤge der Geliebten aus ein⸗
zelnen im halben Scherz geſchriebnen Blaͤttchen
nur allzugut wiedererkennend, las unter Thraͤnen:
„Mich ruft ein großes Gluͤck, herzlieber
Bater, aber Ihr hättet nimmer drein gewil⸗
not. Lebt wohl, und beruhigt - ‚Ener liebes
222
—
Herz. Sch Hoffe zuverſt htlich, ja ich weiß,
daß wir einander unter taufendmal taufend
. Steuden wiederfehn.‘‘
„Das ift denn nun freilich nicht wahr gewor⸗
den!‘ feufzte der Alte, und fuhr mit der Hand
über die grauen Wimpern. „Sie hat «ed wohl
gar zu gewiß zu wiſſen vermeint, und dad bringt
gen Hoffnungen der armen Menfchenfinder Fein
Gluͤck. Es iſt nur Eins gewiß, aber dab ift
auch ganz gewiß, wofür der Herr geprjefen fei
in Ewigkeit !
. Er nahm das Mügchen vom chrwuͤrdigen
Haupte, hielt es zwiſchen den gefaltnen Haͤnden,
und betete ſtill.
Dann fagte er voll heitrer Erhebung:
„Durch vier Sabre ſeitdem hate’ ich nichte
von ihr vernommen, Da lag eines fhönen Mor
gend Margrethchen, fauber in prächtige Windeln
gewidelt in einem ſchmucken Körbchen ald ein
armes Vierteljahrkindlein vor meiner Thür ; die
ſes Brieflein dabei.‘
Dad lad er felbft mit fefler Stimme folgen
dergeflalt: |
„Ich bin vor Gott ehelih zufammenge
geben durch geweihte Priefterhand mit meir
nem geliebten Ludibert, und, Bater, bei
allem was heilig iſt, die Kleine, bie ich Euch
hier unter taufend TIhränen fende, iſt mein
223
ebrbar in ber Ehe gezeugtes Kind. Wenn
Ihr mich nicht durch Euern Fluch verderben
wollt für alle Zeit, fo bemeift mir Eure Huld
damit, dad Ihr dad arme, liebe Kind aufs
nehmt und quferzieht, bis ich komme, «es
abzuhofen, denn noch muß fein Dafeyn ein
Seheimniß bleiben. — Mein Gemahl hält
mid in hohen Ehren und reichem Glanz,
aber — ah glaubt es mir, herzlieber Bar
ter! — mit flillen Sehnfuchtöthränen, und
mit dem heißen Wunſch, Eure Schwelle recht
bald wieder betreten zu dürfen denkt immers
bar an Euch zurüd
Eure Agnes.’
„Ss Tag,” fuhr der Alte fort, „an Gold.
und Silber und Edelgeflein und andern Herrlichs
feiten eine bedeutende Summe mit im Korb. Daß
bab’ ich denn natuͤrlich fogleich hier in Sanct Urfus
lafpital abgeliefert ald ein auswärtig frommes Ver⸗
maͤchtniß von unbefannter Hand. Aber Feinen
Augenblick bedacht’ ich mich, auf mein Wort zw,
erflären, meine Tochter fei in der Fremde verheis
rathet, und die Kleine fei mein Enkelfind. Nun,
Gottlob, die Stadt fegt ein hinlängliched Bers
trauen in Ultmeifter Philibert Chrenfriede Rede;
fo überlief mich denn auch niemand weiter mit
unnügen Fragen. Und ſicherlich, eine Füge hat
mein armes Agneschen nicht aufihred alten Dar
‘
D
224
ters Seele geladen. Ich zog die Kleine nach beſtem
MWiſſen und Gewiſſen auf, und dabei iſt es denn
fo verdlieben unter Gottes Schutz und unerforſche⸗
lichem Rathſchluß bis auf den heutigen Bag.”
Nordenholm faßte des Alten Hand, beugte
ſich darüber, und weinte bitterlich. "Dann ſagte
er nach einem langen Schweigen:
„Ach lieber, guter Meiſter, Ihr leidet freilich
wohl ſebr ſchwer, aber Ihr leidet beinahe ganz
ſchuldlos, und eben deswegen freudig und ſtark.
Und mit dem Schuldlosleiden, — o weh, da iſt
es bei mir keinesweges klar! — Denn ob auch
‚gleich zu Anfang nichts Arges auf meiner Seele
lag, ſo daͤmmerte doch viel des Argen ſo nach und
nach verdunkelnd in mich herein.“
„Das geſchah nämlich zuerſt bei jenem vor
Euch vorhin erwähnten Zefte, wo ich noch ald ein
fröhlicher Juͤngling — ach zweifach fröhfich, weil
ich dazumal in großer Zuverficht auf Eurer holden
Agned Liebe hoffte! — mit den andern Student
in Reih' und Glied einherzog.”
„Wir jubilirten nach gehaftnem Umgang in
einem feſtlich geſchmuͤckten Saal ,. ba trat ein
Verlarvoter in glänzender Tracht herein. Wir hatı
fen ihn ſchon einigemal in unferm Zuge bemerkt,
und meinten nicht anders, als daß ein kuſtiger
Kamrad feinen Scherz mir und haben wolle. Jehf
verbeugte fich der Unbefännte würdig und &rnil
225
'
mit ſeht anmuthiger Stimme um die Erlaubnef
bittend, der Gefellfehaft etwas vortra gen zu duͤr⸗
fen. Nah allgemeiner Bewilligung Hub.er.um,
uns auf Ehre und Pflidyt zu befragen, abes redet
fei, daß ein Beliebter die Kiebende:entführe, wenn
er gedenke, fie. hinfort als feine getreue Hausfrau '
in hoben Ehren und Würden zu halten; fein. Stud
aber und dad ihrige auf Feine andre Weiſe errets
hen könne? — Er ſchwieg, und bie Stimmen
für und wider tönten eifrig burcheinander hin, die
mehrſten jedoch, vom froͤhlichen, uͤberdreiſten
Jugend⸗ und Weinmuthe beflügelt, ſprachen ein
keckes Ja, und ach, lieber Meiſter, auch ich
gehoͤrte zu den Frevelnden! Ed war der erſle
wahrhaft abſcheuliche Fehltritt meines Lebens, und
nur vor einer halben Stunde ſagte mir Euer Mund,
wie gewaltfam ich auch mein aͤußres Sail damit
binunterreißen half !’
‚Erbargfan Antlitz indie Hände und ſchwies.
Der alte Mann legte mit ſegnender Verzeihung
feine ehrbare Rechte ihm auf's reuige Haupt. Da
‚richtete ſich Nordenholm neu erftarkt wieder auf,
und redete folgendergeflalt weiten:
„Mic faßte im Augenblick jened unfeligen
Ausſpruches ein wuͤſter Schreindel toller Rufligfeit,
die gewiß vecht furchtbar gegen mein ehemaliges
ſtilles Sadhlickfepu:nhfiuch. Ich ſelber Fam mir
wild und feltfam und unheimlich vor, und ärzte
Geſpenfterbuch 7. Theil, P
226
mich eben deſshalb nur immer tollet in alle Toll⸗
heit des Laͤrmens und. Zrinfend und rafenden
Bingend hinein. Go hörte ich benn nur noch
dumpf und wie von fern heräber, daßder Fremde
fich beftrebte, mit zierlich edeln Worten muthige
Genoffen zu werben für die Ausführung der nun
beinah von Allen gebilligten That. Mein rohes
Dazwiſchen jubeln fibrte ihn ; es fielen feiner s und
meinerſeits beleidigende Worte. Da riß er die
Larve ab, und ein ganz fremdes, aber wunder⸗
ſchoͤnes Juͤnglingsantlitz zuͤrnte mir entgegen.
Mein Vorname iſt Ludibert, ſagte er, der Name
meines Stammes fuͤrſtlich, aber ich habe nicht
Luft, ihn ‚heute zu nennen. Genuͤge Euch da,
und ſtellt Euch mir zum «hrbaren Kampf. —
Schnell war Ulled geordnet, und ih, dei id
mich für einen faft unbefiegbaren- Fechter gehal⸗
sen hatte, ſtuͤrzte gleich im erſten Wange vor
der ungeheuern Uebermacht mrines Gegners blu⸗
tend und ſchnell bewußtlos zu Boden. Der Stoß
ſaß tief in der Bruſt.“ J
„Als ich — Wochen nachher — wieder zur
vollen Beſinnung gelangte fummten finſtte Ges
ruͤchte von ‚meiner angebeteten Agnes Verſchwin⸗
‚den in mein Ohr.n Jch Fonnte dad Wann und
Wie nicht erfahren, und ftelfte Alles nur in ſoweit
mit jener wilden Nacht zufamımen, als ich glardie,
2 *
x S 21
22)
Und bemüthig feine Blicke fenfend, ſprach
Nordenholm leiſe:
„Agnes erging ſich im Mondenlicht, pracht⸗
voll gefhmädt, gelehnt auf Lodiberts Arm.
Noch hielt ich mein Antlitz lauſchend fern, daß
der Spiegel: ed nicht aufnehmen konnte. Da
tratet ploͤtzlich Ihr, Meifter , in den Garten,
und aus dem Spiegel zuerſt nahm ih Eure juſt
damald todtbleichen Züge wahr. Entfeßt, und
fürchtend, auch Ihr möchtet Agnes "erblidten,
ſtuͤrzte ich mich über da8 Glas, fahe mein eignes
verzerrted Antlitz berausfeuchten ; und zerfchmers
tere im: taufend Stüde fiel das Funftreiche Bl
geug aus meiner bebenden Hand.“
„Ich weiß es noch, als wär es heute ;”
ſagte der greife Ehrenfried. „Aber von all den
Spiegelbildern ſah ich nichts, denn es ſchwebte
mir ein Gewoͤll herzinniger Thränen vor den Augen.
Ich tatte mich dazumal in Gotted Willen noch
gar nicht gehbrig ergeben, Weinenb lag ich auf
meinen Bette, da war's, als flüftre mir Einer
ins Ohr? ‚‚madhe dich auf, im Nordenhotm’d
Haufe weiß: Jemand was beine Tochter ‚Macht!
Und ich folgte, and es war doch ohne Zweifel
Fein guter Geiſt, ‘der mir fo etwas ſagte. Auch
wie-ich:euch fo' erſchrecken fah, ging ich — Ihr
wißt ja ſelbſt — aldöbald wieder ſchweigend
auruͤck, und ſprach niemalen gu Euch davon.
da
226
richte, Solch ein wunderſames Werkzeug berei⸗
tete ich wir mit unſaͤglicher Mühe and. übers
ſchwaͤnglichen Koſten, und einſtmalen im Gärten
dieſes Eures jetzigen, damals noch meines Hau⸗
ſes,begann ich —r.hel und golden war grade
des. :Bollmand am ˖ Himmel: aufgezpgen "um.
SH Uhr Ahjends mein verſchwiegnes Erpelinient.
Daß .man.. au). meine Erfcheinung — dafern
mern Bald. in: den Spiegel falle — von dem ferns
fien Erdeeinkel her erblicken muͤſſe; war mir wohl
bekannt, aber ich dachte vor ber. Hand auf. nichts,
als Agnes Geſchickrund Aufenthalt zu erkunden.“
1, Cb-mar, Alb. beite bei den auf gut Stud
angefielkten Spiegehvendungen ein hülfreiched Wer
fenımeine.Aend, .. Denn ung menige, fremde felts
fame Geftalten waren mir ın unbefanhten. Ge
gaben, voguͤbergeſchwebt, ha in! der Richtung
gen Süden, — o Meiffer, o Mater, noch feigt
ed: Bund lieb und hexzzerreiſend vor min auf! —
de in einem blühenden: Omangenhaine, ot haben
Pinien rings umkraͤnzt erging fi) Agnes im Mon⸗
denlicht Mn Ti a
.: "Eure Angen furkeln/ vol Entzuͤcken 3“ nur.
terbrach ihn ſehr unzufrieden der Greis. „Zhr
ſollt und dürft, Euch ‚aber nicht freuen inded
Erinnerung an ein. bösliches Hexenwerk. Ver⸗
kuͤndet mir mit Reue und Ernſt, wad Ihr ge⸗
ſehn bad . tn
229
Und demüthig feine Blicke fenkend, ſprach
Nordenholm leiſe:
„Agnes erging ſich im Mondenlicht, pracht⸗
voll geſchmuͤckt, gelehnt auf Lodiberts Arm.
Noch hielt ich mein Antlitz lauſchend fern, daß
der Spiegel: es nicht aufnehmen konnte. Da
tratet ploͤtzlich Ihr, Meifter , in den Garten,
und aus dem Spiegel zuerſt nahm ich Eure juft
damals todtbleichen Züge wahr. Entſetzt, und
fuͤrchtend, auch hr möchtet Agnes erblicken,
flürzte ich mich. über dad Glas, fahe mein eigned
verzerrtes Antlig beraußleuchten ; und zerſchmet⸗
tert in. taufend Stüde fiel das kunſtreiche werd
zeug aus'merner.bebenden Hand.’ ı
„„Ich weiß es noch, ald wär” ed heute r
fagte der greife Ehrenfried. „Uber von all den
Spiegelbildern ſah ich nichts, denn ed ſchwebte
wir ein Gewoͤlk herzinniger Thränen vor den Augen.
Ich Hatte mid) dazumal in Goites Willen noch
gar nicht gehbrig ergeben. "Weinchd lag ich auf
meinem Bette, da war'd,- ald flüftre mir Einer
ind Ohr ‚made Dich auf, im Rordenholm's
Yaufe Heiß: Jemand was beine Tochter macht!"
Und ich folgte, and es war doch ohne Zweifel
kein guter Geiſt, der mir fo etwas fagte Auch
wie-ich:euch fo' erfchreden ſah, ging ich — Ihr
wißt ja ſelbſt — aldbald wieder ſchweige
surüd, und ſprach niemalen zu Euch davon.
vi
230
Aber eine ganze Zeit Tang that mir doch Etwas
im Gewiffen recht weh, und ſeht, lieber beshörs
‚ses. Herr, das iſt ‚bei ſolchen Herereien und Zaus
herſtuͤcklein auch eben noch ein redet. bedenklich
Ding; man kann ein ſiill einfaͤltiglich Gemuͤth
ganz wider deſſen Willen zugleich mit. verkären.’‘
.. Zudem, hörten. ſie, wie ‚broben’ der feltfame
ö "Mierhemapn fi} wieder zu regen anhub mit Bins
‚feln und Aechzen und verwildertem Lachen.
„Daß Gott!“ zief Nordenholm erſchrocken
aus, „Wenn nun dat Kind aber dem · unbeim /
lichen Laͤrmen erwacht!“ 2:1 au:
Und fon erhuhney,, zornig Bivanfbrobens,
die Hand, — aber. aldbald ſich zuͤgelnd, ‚Eniete
er nieder, und ſprach:
.„OHelſt mir beten, lieber, frammet Meißer;
Pas. wird um Vieles beſſer, ſeyn.“
Und ſie deteten, und Alles word il
Da fie nun. aber; wiederum einander am
Tiſche gegenuͤber faßen 5 fprach, ber. Altmeiſter:
„Geweß , ‚Her ‚ Profeffor ¶auch narh. auf-
andre Weiſe, alq mit jenen wunderlicgen, Spier
gelhänfigen habt Ihr, mein Gemuͤth mir,verftört,
Und werdet Ihr am beſten thun +8 gang igrade
beraus zu fagen,, daß auch.der wunderliche, aum
WIR gewordene Miethsmann im, Ener truͤbe
Wunder ⸗Ryibe mit gehoͤrt.“
080 Ä co3 ſagie Noypenbolm den
‘
a
251-
Einmal wiſſend, gegen Süden bin muͤſſe Agnkd
zu finden ſeyn, begab ich mich aldbald auf die
Fahrt, meines angeerbtenVermoͤgens letzte
Truͤmmer dazu auf einen Haufen raffend. Vot⸗
ber noch — um. anfehnlicher. zu ‚geifen — ge⸗
wann ich mir ben Doktor 4 und Profeſſortitel,
und nun ging es hinaus, und abwefend par ich
als Ihr Ener Jiched Margrethchen fandet und
aufnahmt. Ach, ih fand derweilen yiel weniger
bolde Dinge, Graufame, fuͤrchterliche Berbine
dungen fiſſen. mich in ihren Strudel, binein, 4
„Bis zur Megreöftadt Bengzig war ich. gelangt,
a foradı man ‚zu. mir von einem Schwarzkuͤnſt⸗
ker, der alle’Dinge auf Erden zu .entziffern ders
fiche, und weil mein raſtloſes Rachjagen Yanes
fe noch insitiek vergeblich ſuchte, gad ich“ mich
n“ beſſen“ Bekanntſchaft,“'und ebai“er iſt dad’
etiiſetzliche Weftn/ das nur kaum nöch wimmernð
undechzenb fiber uns dahin ſchritt. Eine Hel⸗
mach, ſpruch WE müffe er haben, um bie rechte
Befchtoßkiänd"ihznftdlen, und bebkiäfh mußte ich
ihm Linen täten Platz in heinent Haufe ?gelo⸗
bei, ÄRA: angekom, die er nilge
Wort; Agueſevo Bild. enfehline: ihih nur unter
sang Dustin Schleiern; wanbtefias: vor,’
Suguundaikte max Icon in Bimezib: fagem;i en: feie
nur eigertäirg. eid Gefpenfl, — cimdıyor Jahr⸗
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252.
hunderten durch eigne unvorfichtige Zauberei zer⸗
Ghdten Schwarzkünftiers unrubiges Gefpenft —"
„Daß Gott,“ feufzte Ehrenfrieb, „ich fürchte,
Margrethchen hat mir heut? Abend feine Gefchichte
vorgeleſen! Wie dem aber auch fei, wir müflen
und ihr vor allen andern Dingen vom Halſe
Maffen.“
und wieder zündete er die Laterne an und
nahm feinen Pallaſch unter den, Arm, und
ſchritt entſchloſſnen Muthes hinauf. Norden⸗
holm wagte keine Einwendung; obgleich im in⸗
nerſten Herzen vor Grauen und Zweifelmuth
etbebend, folgte er ſeinem greiſen Freunde nach
zu bem furdibaren Bang. u
Der Hangwirlh klopfte au feines; Mietbo⸗
mannes Thür. Die that fich langſam anf, wohl
yor irgend einer unfichtbaren. Grnalt, daun ganı
om andern Ende der Kammer ſaß der Kant
liche Saft im, rothen Mantel am Soden
ſich ‚her einige Her aupfchafien, Brig, da —*
dem, Stofged aus feinin. tieflicgephen, Hagen an
1; Gebt Euch keine Muͤhe“ſagte er mit
hohler Stimme, „Euern Wunſch uud Rathe⸗
ſchlag kenne ich recht gut, abere es mirk:nihtb
draus; wenigſlens beiſEuerm keibeslebesnicht,
und es iſt noch ſehr die Frage, ob Meiſter Phi⸗
‚ 233
liberts Urenkelkinder mein ledig werden. Denn
ich. bin ein Ding von fehr zaͤher Natur.“
Nordenholm feufzte tief aus beaͤngſteter Seele.
Da ’serfuchrt der Rothe zu lachen, — aber daß
konnte er doch nicht recht, — und fagte tri⸗
umpbirend!: - -" . . ii
„Einem von "Euch. zweien iſt gar jaͤmmerlich
ga Sinne. Go viel weiß -ich gewiß!“
IB aber, — entgegnete Ultmeiſter Phi⸗
libert Ehrenfried gelaſſen, — „ich weiß noch
sit zuverſuchtlicher, daß ich der Eind nicht bin.
Ya, ich weiß auch noch was mehrz naͤmlich,
daß Du keine Viertelſtunde laͤnger in dleſem
Hauſe verweilen darfft, weil ich dir im: flohen}
lebensfräftigen Glauben und Gottvertrauen dad
Ausziehngebiete und das Mirberfommen vers
biese. Auch ſollſt du Dich ſtitt: und heimlich
davon machen , und Feine Chriftenfeele in mei⸗
nen vier Pfählen erfchredien odel'serwirren. m
Nun? — Gehſt du? — Zwinge mich nicht, daß
ich ſtrenger und ausdruͤcklicher ſoreche. Du woͤch⸗
ge rl. ſchlimme Frucht davon ziehn.“ "u io 9%
Und. eilig und mit. haßlicher Gewendtheit
ſich aufrichtend. und bie wunderlichen Geraͤthe
(haften dei: Kaͤmmerſeims unter feinen Mantel
packend, ſchnellte Der Morhe zur Thdr’. hinaus,
im Borbeikreifenfläfternd ::,,die ſuperkluger Rote
denholm, biſt gegen den hier, — den. Graubart, —
s — 7
Mn
— —
234
abſcheulich dumm.! Weg will ih aus den vier
Pfähfen!--m, Aber draußen was Unheil, — was
. Unheil doch be.
. Seine Stimme verhallte. Er ſelbſt war ver
ſchwurhen. Wit ruigem Hausvatermuch leuch
tete Meifter Ehrenftied ſorgſam umher, ob auch
nicht is gend · elwabb Unheimtichrs zuruͤckgeblieben
ſei. Er fand. dexgleichen nicht; nur auf dem
Diſchlein lag adch immer. der- Miethzins in ur⸗
alten Goldmünzen aufgezaͤbllt.
„Hm, ſagte Ehrenfriedinasbfinnend, behalten
wiag ich/s grade nicht · unde doch auch wieder if’?
eine Gottesgabe, die man. nicht. ungenicht vergta⸗
Ken. oderiwerfehlendern darf! — Wir; wollen's in
> Sanct Urfulofpital tragen. Der ‚Morgen dans
mert fa febon recht. heil durch Dis'Genflerladen, und
Margtrethchen wallen wir weden,und mitnehrun.
Das Kiadogeht ohnehin dieſes Weges ſargarz aub /
nehmend gern.“ ne
. Wo mm...
Und in den hellen "Erhftichtenn: wandelte Dis
fier Ehrenfried' und: Nordenholm, achtſam dad
Wiebe Rurgidehchen zwiſchen dick führend, den Abb
nen Lindengang;· der zum Urfafafgisalfanft berg⸗
„an leitet, hinnufrDas Kind lachte und ergahlıe
ih einan:fork, ſo Daß Wer die Gnflchter der zw
siefernfen Mänier diowellen auch einnas hinſtin
wie heneres Lacheln. Jeht, eine Epitalfrau, die
25.
ihnen entgegenfäm, wahrnehmen, ſchlug Marg⸗
rethchen die Haͤndlein "ganz ausnehmend freudig
zuſammen, rufend:
„Ach Frau Sibylle! Ach Frau Sibyile ‚die
. mir immer fo gar ſchoͤnes Obſt und fchöne Kuchen
bringt, und der ich fo gern ein Patſchhaͤndchen
gebe! Einen fdhbnen guten Morgen, liebe Grau
Sibylle!“
Und ihre Fuͤhrer zuruͤcklaſſend, lief ſie der
weitverhuͤllten und ſich zu ihr niederbeugenden
Frauengeſtalt entgegen.
Im ſelben Augenblick drang ein verworrnes
Getuͤmmel von der entgegengeſetzten Seite huͤgelan.
Ein Zug vieler Studenten kam herauf, in deſſen
Mitte eine Bahre, worauf wohl ein Schwerver⸗
wundeter liegen mochte, der Huͤlfe des wohlthaͤ⸗
tigen Urſulaſtiftes beduͤrftig. Frau Sibylla trat,
ſich von dem Kinde losmachend, mit eilendem
Ernſt ihrer Pflicht entgegen; die Maͤnner folgten
bedaͤchtig; Margrethchen barg ſich angftvof hins
ter 'einen bfühenden Rofenftrauch.
Die Bahre ward niedergelaffen; im Kreife
drängten fich die Studenten umher, während ie
Stiftöfrau fanft und forgfältig des Vermunderen
Zuſtand unterfuchte. Man ließ dem indeß herzus
getretnen Nordenholm und dem wackern Altmeiſter
ehrerbietig Raum, und erzählte ihnen leiſefſuͤſternd,
wie der fremde Student Marcelin ben einen deu
nn
236
herausgeforderten Seniorer mit großer Geſchicklich ⸗
keit entwaffnet, und ihm dann feineigned Unrecht‘
von gefiern Abend offen geftanden habe; darauf
fei auch eine herzliche Verſohnung erfolgt. „Dit
dem zweiten Gefechte," fuhr der Erzählende fort,
würde ed wahrſcheinlich daffelde, oder doch ein
ähnliches mildes Ende genommen haben, wenn
nicht — es wußte Keiner, woher — plöglic ein
alter, fi.ifam audfehender Mann im rorhen Man⸗
sel unter und Zeugen und Zuſchauern mitgeſtanden
bätıe. Der murmelte immerfort unvernehinbare
. Worte vor ſich hin, und fahe dazu höchſt unzu⸗
frieden aus. Die Tämpfer ſtritten wilder und
"wilder. Auf einmal büdte ich der Fremde, raffte
mit unerwarteter Gewandtheit Staub vom Boden,
und firente ihn, gleich einer ganzen Molke, zwi⸗
fhen die Fechtenden. Lautlachend riefer: „ſchon
gegrüßt, Herr Altmeiſter! Wohlauf! Hab’ den
noch meinen Poffen gefpielt! Nun auf Venezia!
Nun gehabt Euch wohl! Unheil — Unheil — !"
Und auf ganz unerflärbare Weife war er fort.
„ir, die wir und vom Staunen erholten, fahen
beide Gegner blutig am Boden: den Senior todt,
den Martellin in dem Zuftande, wie Ihr ihn leider
vor Euch erblidt. Die Sekundanten find ent
Hohn; wir Minderfchufdige wollten und lieber al»
‚zumal der gefeglichen Abndung überliefern, ald ben
ungluͤdlichen huͤlflos laſſen.“
237
Schandernd iraten Ehrenftied und Norden⸗
holm naͤher zur Bahre.
Da richtete ſich der bleiche Marcellin, Nor⸗
denholm erkennend, inZuckungen empor und aͤchzte.
„Schwarzkuͤnſtler, verwuͤnſchter Schwarzfünfts
ler, dir hatt' ich's geſchworen! Sah doch dein
widerwaͤrtiges Antlitz mir drein, als du vor mei⸗
nes ſuͤßen Weibes Aug' ihres blaſſen, abgehaͤrm⸗
ten, thraͤnenvollen Vaters Bildniß zauberteft,
O damals, im Orangenhaine bei Neapoſis! — Im
Mondenſchein! — Weißt noch wohl? Mußt ja
nochzwiſſen. — Und in aͤngſtlicher Reue wandte
fie fich von mir ab, und zerriffen war unfer
liebegluͤh'nder Bund, und ich habe fie nicht wies
derfinden Können auf der ganzer weiten, weiten
Erde. Da Fam ich denn ber, um mich an dir
zu rächen, — und muß nun elend fierben, —
und Jegt Boch waren alle Hinderniffe befiegt, und
ald Herzogin hätt? ih die füße Huldin, um.
derentwilfen ich Zifchlergefell ward, und weiß
Gott was fonft neh mehr, — ja — heimge⸗
führe hatt' ich fie jegt in Luft und Pracht, '
and — o nun iſt fie fort, und ich ſterbe, —
fierbe wohl gar an einem neuen. Pröbchen deiner
Hexenkunſt —
Ein Gemurmel ging durch den Kreis. „Er
fafelt im Wundfieber;”’ ſagten Einige, -Undere
aber Sprachen bedenflichere Worte .
Meifter Shrenfried fahe freundlich umher,
3098 dad Kaͤppchen von feinem ſchoͤnen Greifens
haar, und fagte mit lauter aber fanfter Stimme:
‚ „Den hochzuverehrenden jungen. Herren und
einem Jeden, der darnach zu fragen bat, fiche
ich mit Leben und Chre dafür ein, daß Pros
feffor Nordenholm an dem Tode diefed - wilden -
ungen Mannes unfchuldig iſt.“ |
Gefpenfierbuch 7. Theil,
\
. Iadr laͤchelnd bin, Und: ſtarb.
230;
Alsbald warb dad Gemurmel fill, und Alle
neigten ſich ehrerbietig gegen den trefflichen Greis;
auch hörte man ringsum feife Entſchuldigungen
und Abbitten an Nordenholm. Uber der wußte
kaum noch von der Welt etwas; ; er fland in heißen,
flillen Zhränen wie ein Bild der Wehmuth da.
Der Altmeifter neigte ſich indeſſen -gegen den
Sterbenden hinab, und ſprach mit fanfter Feſtig⸗
keit: oo
„Ihr ‚werdet nun. bald vor Gottes Angeſicht
ſtehn, lieber Herr, und jetzt habt Ihr vor Euch
das Aygeſicht eines Menſchen, den Ihr entſetz⸗
lich, auf irdiſche Weife. ganz unvertilgbar ſchwer,
gekraͤnkt und beleidigt haht. Aber Gottlob, ich
kenne den, der uns geboten Bat, unfern Schuld:
nern zu verzeihen, und, lieber Herr, auch. Eur
harter das geboten. Seht nur, was mich betrifft,
ic) verzeihe Euch aus ganzem ;Derzen, und wenn
Ihr gleichfalls mit verfohntem Gemüthe - feheidet,
findet fich, fchon.denfeit. Einer, der Eure Schal:
den allgumal in uͤberſchwaͤnglicher Huld um
Liebe zu. loͤſchen weiß. Und. der wird Euch, lie⸗
. ber Ludihert, obgleich. Ihr bier auf Erden mit
recht. boͤhlicher Falſchheit den Namen Wendel⸗
ſtern trugt., zu einem fo ſtaͤten und herrlichen
Sterne yerklären, daß feine: irdiſche Pracht Eures
augebarnen. Standes .hinaufreichen kann, „und
wir noch alle dermaleinſt unfre -felige "Luft. mir:
fammen daran finden werden, Schlaft nur huͤbſch
ruhig und verfühnlich ein, lieber Ludihert, und
freut ·Euch im Boraus auf's Erwahen!
Der für Marcellin gehaltne Ludihbert reichte
beide Hände dem Atmeiſter und dem hur kaum
noch ſo grimmig: gehaßten Nordenholm freund:
CR M.: .
—9
—
%
239.
Erft jeßt bemerkte man, daß die Stifröfram
ohnmaͤchtig neben ber Bahre niedergefunfen war.
Indem ber. Alte fie:mit Eräftiger Sorgfamkeit
emporrichtete, kam fie wieder zu fich, wies ernfle
baft winfend alle fernere Hulfe ab, und wandte
ihre langſamen Zritte, die Umhüllung ihres Ants
lißed noch feſter zuſammenziehend, wieder nach
Sanct Urfulaflifte zu. Die Studenten erhüben
die Bahre des Gefaͤllten, um ihn einftweilen in
einem alten, balbverfunfnen Kirchlein vor: dem
Thore beizuſetzen, während Nordenholm, durch Tun .
diberts ſuͤhnenden Abſchied wunderſam Igeſtaͤrkt,
ihnen mit aller ſonſtgewohnten Kraft und Klarheit
in kurzen Worten die Wege zur beſten Ausgleichung
ihres Handels andeutete, und ſeine vielgeltende
Fuͤrſprache dabei verhieß. Dankend und ehrfurchts⸗
voll gruͤßend zog die truͤbe Schaar von bannen:
: ‚Da hatte derweil die Stiftöfrau den. alten
hreufried fich nachgewints, und fland mit ihm
unter ber Thorwoͤlbung. ded frommen. Hauſes
im ernften Sefpräh. Auch den umblidienden
Nordenholm winfte jeßt der Alte herbei, und
fagte: „die fromme, wohlthaͤtige Grau will und
Beiden etwas offenbaren.
Und zuruͤck wallten die Schleier von ihrer
Stirn, und vor ihnen ftand die verloren geglaubte
Agnes, zwar bleich und fehr verwandelt ın ſo
vielen innern Schmerzen, aber dennoch unvers
kennbar den Blicken ded Baterd und des Liebens
den.’
Iñ de Irnſten gotfergebinen TStimmmmg,
weldye den Dreien tjetzt aufgegangen war, ges
dachten fie aller gefcheiterten Erpenwuͤnſche mit
fanfter, Tächelnder Geduld, und auch was ihnen
in Zufunft noch hienieden zu thun oder zu laſſen
übrig fei, ward bald und Flarvon Jedem erfhaut
D.%
E07
und: audgefprochen: &o Fam ed denn, daß Mar:
rethchen, die, von der gefzigen Unruße und dem
fräen Gange ermuͤdet, fanft hinter den Rofen
in Schlaf geſunken war, nun berbeihüpfend die
Dreie mit beitern, man koͤnnte ſprechen feligen
Ungefihtern in den belduftigen Morgen Hinauss
ſchauend antraf.
„Ei, tächelte die Kleine, wie ſchoͤn du aus⸗
fehlt, du liebe Frau Sibylle ‚ feit- du die finfire
Kappe bir weiter zurüd geftreift haft 1”
- Sie lächelte aber noch viel freudiger, als fie
erfuhr , inöfünftige werde Grau Sibylle bei ipnen
im Haufe wohnen, und zwar in dem Gemache
des alten, ſeliſamen Miethömannd , der ohne
bin für immer ausgezogen fei.
Und fo ward und blich «6 denn auch, und
208 den zarten, vielgetreuen Bemühungen der in
heitrer Entfagung lebenden Dreie Hübte Mars
g m zu einer der holdeften Blumen im zeir
Hm Kranze deutſchet Frauen empor
nn —
\ Eßlingen,
edrudt bel I. ©. Heifferich, saie,