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Full text of "Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin 8.1908"

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Würzburger Abhandlungen. 

VIII. 


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Würzburger Abhandlungen 

aus dem 

Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 


Unter Mitwirkung der Herren 

Docent Dr. Arens, Prof. Dr. Bach (Marburg), Prof. Dr. Borst, Docent Dr. Georg 
Burckhard, Prof. Dr. Ludwig Burkhardt, Oberstabsarzt Prof. Dr. Dieudonnö (München), 
Prof. Dr. von Franquö (Giessen), Prof. Dr. Geigel, Prof. Dr. Kirchner, Docent 
Dr. Polano, Prof. Dr. F. Riedinger, Prof. Dr. Jakob Riedinger, Prof. Dr. Römer 
(Greifswald), Prof. Dr. Rosenberger, Prof. Dr. Rostoski (Dresden), Prof. Dr. Schenck 
(Marburg), Prof. Dr. Sobotta, Docent Dr. Sommer (Bergedorf b. Hamburg), Prof. 
Dr. Stumpf, Prof. Dr. Weygandt (Hamburg) 

herAusgegeben von 

Prof. Dr. Joh. Müller und Prof. Dr. Otto Seifert. 


VIII. Band. 



Würzburg. 

Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 
1908. 


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Alle H e c h t e v o r b e halt e n. 


Druck der Kgl. Universitäts-Druckerei von H. Stürtz in Würzburg. 


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Inhalt: 


Seite 


Bollenhagen, Dr. H., Schwangerschaft und Tuberkulose. i 

Siege rt, Prof. Dr. F., Chorea minor, der Veitstanz (Sydenham’sche Chorea, 

Chorea infectiosa). 25 

Dieudonn6, Oberstabsarzt Prof. Dr. A., Die bakteriellen Nahrungsmittel¬ 
vergiftungen .39 

Gut mann, Dr. B., Die Rachitis.89 

Kisch, Prof. Dr. E. Heinr., Fettleibigkeit und Fettsucht.115 

Ladenburger, Dr. H., Die Talma’sche Operation.141 

Veckenstedt, Dr. Rieh., Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasen¬ 
leiden und seine Diagnose .175 

Lüdke, Priv.-Doz. Dr. Herrn., Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten 

Infektionskrankheiten.207 

Schwarz, Dr. Rieh., Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Chole- 

lithiasis.235 

Fraenkel, Dr. Manfr., Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln in 
ihrer Stellung zum übrigen Pankreasgewebe und ihre Beziehung zum 

Diabetes.265 

Offergeld, Dr. Heinr., Ovarialkarzinom und Karzinom des Uterus . . 291 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 

Von 

H. Bollenhagen, 

Würzburg. 


Das Zusammentreffen von Schwangerschaft und Tuberkulose 
fand früher in Lehrbüchern sowohl wie in einzelnen Publikationen 
eine nur kurze und oberflächliche Behandlung. 

Es beschränkte sich eben das Interesse der Geburtshelfer darauf, 
in anscheinend ganz infausten Fällen durch Einleitung der Früh¬ 
geburt oder durch die Sectio caesarea eine Anzahl sonst verloreuer 
Kinder zu erhalten. 

Seitdem aber unter den Auspizien des Staates und durch pri¬ 
vate Mittel eine systematische Behandlung der Tuberkulose als Volks¬ 
krankheit sich angebahnt hat, wendet sich naturgemäss in erhöhtem 
Masse das Interesse auch den graviden Tuberkulösen zu. 

Und wenn auch gewiss das Recht des noch ungeborenen Kindes 
ans Leben in keiner Weise geschmälert werden soll und auch tat¬ 
sächlich nicht verkümmert wird, so sieht man es doch allgemein als 
Hauptaufgabe an, durch prophylaktische und aktive Therapie den 
als überaus ungünstig erkannten Einfluss der Gravidität auf die 
mütterliche Tuberkulose zu eliminieren, d. h. die ernste Prognose 
einer durch Gravidität komplizierten Tuberkulose zu bessern. 

Infolge freundlichen Entgegenkommens von Herrn Professor 
v. Franque kann ich meine folgenden Ausführungen stützen auf 
das reiche Material der deutschen Univ.-Frauenklinik in Prag. Es 
sei mir gestattet, hier öffentlich meinen aufrichtigsten Dank für diese 
so ausserordentliche Liberalität sowohl, als für die mancherlei Aus¬ 
künfte, die er mir gegeben, auszusprechen. Mein Dank gebührt auch 
den Herren Dr. Gross und Dr. Sitzenfrey, welche die grosse 
Arbeit des Zusammenstellens des Materiales in so ausgedehnter Weise 
für mich haben übernehmen müssen. 


Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 1. 


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H. BOLLENHAGEN, 


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Der Einfluss der Tuberkulose auf die Gravidität ist lange be¬ 
kannt. Indessen ist man noch nicht zu einer plausiblen, für alle 
Fälle passenden Erklärung gekommen für das so häufig beobachtete 
Eintreten einer Frühgeburt. 

Am meisten Wahrscheinlichkeit hat noch die Annahme einer 
Überladung des Blutes mit Kohlensäure und dadurch hervorge¬ 
rufenen Erregung des Weheuzentrums. Für die Fälle von ganz früh¬ 
zeitiger Unterbrechung in floriden Fällen suchen Runge, Schmorl 
u. a. die Ätiologie in Veränderungen der Decidua und sekundären 
Blutungen. 

Nach H. W. Freund in v. Winckels Handbuch der Geburts¬ 
hilfe verläuft die Gravidität ungestört nur in ganz leichten Fällen, 
in denen noch genügend funktionierendes Lungengewebe vorhanden 
ist, um eine Kohlensäureüberladung des Blutes zu verhindern. Es 
waren unter 4000 Geburten 26 kompliziert mit leichter Tuberkulose. 
Alle diese Fälle endeten gut mit spontaner Geburt eines lebenden 
reifen Kindes und normalem Wochenbett. Weitere 21 Fälle bezeich¬ 
net Freund als schwer. Von diesen musste wegen dyspnoischer Be¬ 
schwerden siebenmal die Gravidität unterbrochen und damit das 
nachgeahmt werden, was in weiteren sieben Fällen die Natur durch 
den Eintritt einer spontanen Frühgeburt anstrebte. Ausgetragen 
wurde die Gravidität folglich in nur einem Drittel der Fälle. Be¬ 
merkt zu werden verdient die Angabe von Freund, dass eine in 
der Gravidität auftretende, ätiologisch sonst unklare Mastitis stets 
den Verdacht auf Tuberkulose erwecke. 

Schauta beobachtete bei einem sehr grossen Material im Durch¬ 
schnitt 70% vorzeitige Unterbrechungen der Gravidität, die sich bei 
ganz frischen Fällen auf 91% steigerten. 

v. Rosthorn sah unter 23 Fällen nur zwei- resp. dreimal 
spontane Frühgeburt, dagegen 13 ausgetragene lebende Kinder (52 %). 

Pfannenstiel hatte spontane Frühgeburt in 21,7% bei 40% 
mütterlicher und ebenfalls 40% kindlicher Mortalität. 

Kami ne r sah dreimal spontanen Abort. Dumou t-Lenoir 
hatte häufige Frühgeburten. 

Stimmen diese Zahlen nun auch nicht genau miteinander, so 
geben sie doch den untrüglichen Beweis von der Häufigkeit der 
Frühgeburt bei Tuberkulösen. 

Das mir zu Gebote stellende Material umfasst 118 Fälle (ein¬ 
schliesslich eines Privatfalles von Herrn Professor v. Franque). 
Dazu kommen noch 6 Fälle eigener Beobachtung. 

Unter diesen 124 Fällen waren: 

1. Catarrhus apicis sinistri 18. 

Catarrhus apicis doxtri 28. 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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Catarrhus apicis utriusque 18. 

Catarrhus et Infiltratio apicis sin. 8, dextri 4, utriusque 15. 
Infiltration und Einschmelzung einer Spitze 1 (rechts), 

beider Spitzen 4, 
beider Oberlappen 1. 

2. Ober- und Mittellappenprozesse 9. 

einseitig 3, doppelseitig 6. 

3. Ausbreitung über grössere Partien oder die ganze Lunge 15. 

Als Komplikationen finden sich vermerkt: 

Larynxtuberkulose 10mal, von denen wieder je ein Fall 
kompliziert war mit Albuminurie, Myelitis tansversa, akuter 
Miliartuberkulose. 

Tonsillartuberkulose 1 mal. 

Pleuritis verschiedener Formen 3 mal. 

ßippencaries 1 mal. 

Peritonealtuberkulose 3 mal. 

Akute Miliartuberkulose 2mal. 

Cystitis tuberculosa 1 mal. 

Eitrige Nierenentzündung 1 mal. 

Chronische Nieren tuberkulöse 1 mal. 

Albuminurie 5mal. 

Eklampsie 2 mal. 

Placenta praevia 2mal. 

Hydramnios-Gemini 1 mal. 

Von diesen 124 Fällen kann man als leicht bezeichnen 70; als 
schwer 54. 

Vorzeitig unterbrochen wurde die Schwangerschaft im ganzen 
51 mal (41,1%). Unter den leichten Fällen 18 mal (25,7°/o). Unter den 
schweren Fällen 33 mal (61,1%). 

Spontan erfolgte die Unterbrechung in 36 Fällen (4 Aborte, 
32 Frühgeburten). Davon wieder in leichten Fällen 1 Abort und 
17 Frühgeburten; 3 Aborte und 15 Frühgeburten in schweren Fällen. 

Von den Aborten werden 2 an anderer Stelle erwähnt werden, 
die anderen beiden bieten nichts Besonderes. 

Von den Frühgeburten werden 2 bei Besprechung der Larynx¬ 
tuberkulose erwähnt werden. Eine war kompliziert mit Hydramnios 
und Zwillingen. Eine weitere war kompliziert mit Tonsillartuberku¬ 
lose ; das Kind starb bald an Darmkatarrb, die Mutter machte ein 
normales Wochenbett durch. Des weiteren sind vielleicht erwähnens¬ 
wert folgende Fälle: Drittgebärende, 2 normale Geburten, Ver¬ 
schlimmerung seit zwei Monaten, Infiltration beider Lungen, 9. Monat, 
lebendes Kind, im Wochenbett Progredienz des Prozesses, Fieber, 
Durchfall, wird transferiert. Weiteres nicht bekannt. 

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H. BOLLENHAGEN, 


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Fünftgebärende. 4 normale Geburten und Wochenbetten. Hustet 
seit Beginn der Gravidität, früher angeblich gesund. Infiltration 
und Zerfall beider Spitzen, spontane Frühgeburt eines lebenden 
Kindes (37 cm lang), das am selben Tage stirbt, manuelle Lösung 
der Plazenta, normales Wochenbett. 

Drittgebärende. 1 Jahr lungenkrank. Zerfall und Infiltration 
der Lungen, lebendes Kind. Wird wegen Fieber transferiert. 

Erstgebärende. Gebärend eingeliefert, lebendes Kind, Plazentar¬ 
tuberkulose. Wegen Fieber transferiert. 

Vielgebärende. Früher ganz gesund, in der Mitte der Gravi¬ 
dität Pneumonie und sich anschliessende eitrige linksseitige Pleuritis. 
Wegen starker Dyspnöe war Unterbrechung der Gravidität nach Ab¬ 
lassen des Exsudates geplant, doch trat die Frühgeburt spontan ein. 
Das Kind ging nach einigen Wochen an Entkräftung bei sehr mangel¬ 
hafter Pflege zugrunde, das Wochenbett war, abgesehen von einer 
Spätblutung, infolge retiuierter Eihäute normal seitens der Genitalien. 
Wegen ungenügenden Eiterabflusses wurde später eine Resektion 
von vier Rippen gemacht. Zur Zeit besteht noch mässige Sekretion, 
das Allgemeinbefinden gebessert. 

Es hält also die bei unserem Material beobachtete Frequenz 
der Frühgeburten ungefähr die Mitte der oben berichteten Zahlen, 
und illustriert gut, wie verschieden der Einfluss der Tuberkulose auf 
die Gravidität ist in leichten und in schweren Fällen. 

Nicht nur die Schwangerschaft selber, sondern auch ihr Produkt, 
das Kind, ist durch die mütterliche Tuberkulose gefährdet. In¬ 
direkt besteht diese Gefahr schon dadurch, dass die Kinder, soweit 
sie zu früh auf die Welt kommen, weniger widerstandsfähig sind 
und daher gleich anderen frühgeborenen Kindern in grösserer An¬ 
zahl ad exitum kommen. Aber auch direkt können sie affiziert 
werden infolge ererbter Disposition oder gar iufolge intrauteriner In¬ 
fektion durch kongenitale Tuberkulose. 

Als beweisend für die intrauterine Übertragung der Krankheit 
können in Betracht kommen nur diejenigen Fälle, in denen bei 
einem totgeborenen oder doch sehr bald nach der Geburt ad exitum 
gekommenen Kinde Tuberkulose gefunden wurde, da sonst eine 
postnatale Infektion viel wahrscheinlicher ist. Die Zahl der ein¬ 
schlägigen Fälle ist eine sehr geringe. 

Birch-Hirschfeld fand in den Organen eines durch Sectio 
caesarea gewonnenen Kindes Tuberkelbazillen und brachte durch 
gleichzeitigen Nachweis von Bazillen in den Zotten, im Nabelvenen- 
blute, in den Lebervenen einen lückenlosen Beweis für die intraute¬ 
rine Übertragung. 

Einen recht interessanten Fall beschreibt Sarwey. Es handelt 
sich um eine 341 Tage nach der Konzeption geborene, lange vorher 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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abgestorbene Missgeburt mit einem tuberkulösen Herd in der Wirbel¬ 
säule. Der Vater war tuberkulös. 

Einen Fall kongenitaler Nieren tuberkulöse beschreibt Schmorl- 
Kockel. Auch Rindfleisch, Damm, Lehmann, Stoeckel 
fauden spezifische Veränderungen in den fötalen Organen. 

Brindeau beschreibt einen Fall, in dem 12 Tage post partum 
tuberkulöse Knötchen in Lunge und Leber sich fanden. Es ist aber 
wegen des relativ langen Zeitraumes seit der Geburt, und da eine 
Erkrankung der Mutter nicht nachweisbar war, der Beweis intraute¬ 
riner Infektion nicht als stringent zu betrachten. 

Wie vorsichtig man indes auch mit der Deutung scheinbar be¬ 
weisender makroskopischer Veränderungen sein muss, beweist ein 
Fall von Porak, der in den Lungen eines hereditär belasteten Kindes 
verdächtige Knötchen fand, die sich mikroskopisch indes als sklero¬ 
tische Herde um diktierte Bronchien herausstellten. 

Chiari obduzierte ein 10 Tage altes Kind, das seit dem vierten 
Tage gefiebert hatte. Es fanden sich in Leber, Nebennieren, Lungen, 
Hals- und peribronchialen Lymphdrüsen zahlreiche miliare und sub¬ 
miliare Knötchen, aussehend wie miliare Tuberkel. Es wurde daher 
eine chronische Lebertuberkulose mit konsekutiver Miliartuberkulose 
angenommen. Mikroskopisch stellten sich die Knötchen als nekroti¬ 
sierende Abszesse heraus, die keine Tuberkelbazillen, sondern Gram 
beständige, an Diphtheriebazilleu erinnernde Stäbchen enthielten. Es 
handelte sich demnach nicht um Tuberkulose, sondern um eine durch 
die Nabolvene, die einen mit denselben Bazillen durchsetzten Throm¬ 
bus enthielt, eingedrungene pyogene Infektion. 

Es wird daher mit Recht fast allgemein die Seltenheit intraute¬ 
riner Infektion hervorgehoben (nach Pfannen stiel 1,64 °,'o) und 
ausdrücklich betont, dass sie nie und nimmer bestimmend auf etwaige 
therapeutische Resolutionen einwirken könne oder dürfe (Freund, 
Fellner, Pinard). Einen ganz extrem differenten Standpunkt 
nimmt allein Maragliano ein, da er alle Kinder Tuberkulöser für 
verloren hält.. Den tatsächlichen Verhältnissen dagegen tragen Rech¬ 
nung wohl am meisten von Rosthorn und Brauer, indem sie 
unter Betonung der Seltenheit intrauteriner Übertragung der Tuber¬ 
kulose ausdrücklich das oft überraschend gute Gedeihen der Kinder 
Tuberkulöser konstatieren und damit das kindliche Leben zu einem 
wohl beachtenswerten Faktor machen. 

Dazu stimmen auch unsere Resultate durchaus. Es ergeben 
sich nämlich auf die in Rechnung kommenden 125 Wochenbetten 
25 totgeborene oder in kürzerer Frist gestorbene Kinder, so dass 80,0 °/o 
Kinder lebend geboren wurden und auch längere Zeit am Leben 
blieben. Eine doch recht erfreuliche Ziffer! 


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H. BOLLENHAGEN, 


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Und dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass die ausgetragenen 
Kinder eine oft recht gute Entwickelung zeigten, namentlich in Rück¬ 
sicht des kläglichen Zustandes mancher Mutter. Das Höchstgewicht, 
das ich notiert fand, ist 4000 g bei einem Durchschnitt von 3388 g. 

Die seltenste, wenn überhaupt vorkommende Art der kongeni¬ 
talen Tuberkulose ist die konzeptionell hereditäre infolge Tuberku¬ 
lose des Sperma oder des Ovulum. Ein Fall von Tuberkulose des 
Ovulum ist nun bisher nicht bekannt, dagegen steht es fest, dass 
in ganz schweren Fällen von Miliartuberkulose mit dem Sperma 
Tuberkelbazillen ausgescbieden werden. Praktisch kommen natürlich 
diese Fälle kaum in Betracht, und unter allen anderen Bedingungen 
ist das Sperma frei von Keimen. Gottschalk nimmt bei einer 
32jährigen Virgo mit primärer Genitaltuberkulose, da ihr Vater 
tuberkulös war, spermatische Infektion an. Hierhin gehört vielleicht 
auch jener oben erwähnte Fall von Sarwey einer tuberkulösen 
Missgeburt. 

Viel häufiger und praktisch allein in Betracht kommend ist die 
postkonzeptionelle Übertragung auf das Ovulum auf dem Wege der 
Blutbahn durch die Plazenta. 

Und auch die Plazenta selber wird wieder durch die im Blute 
kreisenden Keime infiziert. Nur selten findet sich eine tuberkulöse 
Endometritis, von der aus per CoDtinuitatem die mütterliche und 
fötale Plazenta infiziert wurde. 

Die umfangreichsten Untersuchungen über Plazentartuber¬ 
kulose stammen vonSchmorl. Er fand unter 20 Plazenten tuber¬ 
kulöser Frauen 9 mal spezifische Veränderungen. Nach seinen Be¬ 
funden unterscheidet er vier Formen, je nachdem die Oberfläche der 
Zotten, ihr Inneres, die choriale Deckplatte oder die Decidua befallen 
ist. Es kann also die ganze Plazenta erkranken. 

In einem seiner Fälle war ein Herd durch das Epithel des 
Amnion durchgebrochen, so dass, da der Fötus nun direkt in bazillen¬ 
haltigem Fruchtwasser schwamm, in weitgehendem Masse dessen 
Drüsen und Darm infiziert werden konnten. Diese Veränderungen 
fanden sich nun nicht nur in den späteren Mona*ten, sondern 
auch schon in der ersten Hälfte der Schwangerschaft; denn zwei 
Fälle stammen aus dem vierten Monat. Bemerkenswert ist auch, 
dass nicht nur in den schweren Fällen von Miliartuberkulose, in 
denen ja das Blut mit Bazillen überschwemmt ist, bazilläre Herde 
sich in der Plazenta fanden, sondern auch bei ganz inzipienter Tuber¬ 
kulose. 

Weitere Fälle beschreibt Lehmann. Er macht auch darauf 
aufmerksam, dass selbstredend das Vorhandensein einer Plazentar¬ 
tuberkulose noch nicht die Übertragung derselben auf den Fötus be¬ 
dinge; denn in einem der von ihm untersuchten Fälle war trotz 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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nachgewiesener Plazentartuberkulose in den Organen des Fötus nichts 
zu finden. 

Nach v. Franquö ist, wenn schon Plazentartuberkulose selten, 
die von ihr ausgehende Übertragung auf den Fötus noch viel seltener, 
da sehr bald nach der Infektion die Zottengefässe durch Thromben 
und hyaline Degeneration verschlossen werden, so dass dem Vor¬ 
dringen der Bazillen ein Damm entgegengesetzt wird. 

Die Annahme, dass auch das intakte Zottenepithel durchgängig 
für Bazillen sei, hat viel an Boden verloren. Man hält vielmehr im 
allgemeinen daran fest, dass Läsionen des Zottenüberzuges notwendig 
seien, um den Übertritt von Bazillen in den intervillösen Baum zu 
ermöglichen. Toxine dagegen können den Filter des Epithels unge¬ 
hindert passieren. Für einige Fälle isolierter Zottenerkrankung nimmt 
Schmorl eine retrograde Infektion vom Fötus aus an. Durch 
Propagation des Prozesses kann dann später sekundär ein Durchbruch 
in den intervillösen Baum erfolgen. 

Seitz sieht wegen der grossen Seltenheit der fötalen Tuber¬ 
kulose dessen Körper als ungeeiguet an für die Ansiedlung von 
Tuberkelbazillen. Eine Änderung in diesem Verhalten tritt erst ein 
durch die weitgehenden Umwälzungen bei der Geburt. Hinzu kommt 
vielleicht noch in gewissem Grade eine direkte Vernichtung von Ba¬ 
zillen in der Plazenta, oder nach Anderodiand und Buard eine, 
wenn auch nicht absolute, hemmende Kraft für den Durchtritt von 
Agglutininen. 

Fielen diese Momente fort, so wäre in der Tat nicht einzusehen, 
warum nicht fötale Tuberkulose häufiger sein sollte. Denn Impfungen 
mit Plazentarblut und Fruchtwasser, wie sie von Anchö-Cham- 
brelent, Bar et Renon, Herrgott auf Meerschweinchen vor¬ 
genommen wurden, riefen in der Hälfte der Fälle bei diesen Tuber¬ 
kulose hervor. Allerdings erzielten Bar und Renon positive Resul¬ 
tate nur in vorgeschrittenen Fällen. 

Vorgetäuscht wird nicht selten der kongenitale Modus der In¬ 
fektion dadurch, dass diese schon sehr bald nach der Geburt, meistens 
durch die Nahrung erfolgt (Hecker). 

Absolut zu trennen von der eigentlichen kongenitalen Tuber¬ 
kulose ist die bloss ererbte Disposition, die zweifellos ungleich häu¬ 
figer ist, allerdings ohne dass man schon bei der Geburt sie an be¬ 
stimmten Merkmalen erkennen könnte. 

Unter dem Material der Prager Klinik finden sich vier Fälle 
von Plazentartuberkulose, deren Einzelheiten von Herrn Dr. Sitzen- 
frey veröffentlicht werden. Alle vier Fälle repräsentieren schwere 
Erkrankungen der Mutter, kompliziert mit Larynxtuberkulose und 
akuter Miliartuberkulose. Jedesmal handelte es sich um das Ende 
oder die vorgerückte- zweite Hälfte der Gravidität. Alle vier Kinder 


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H. BOLLENHAGEN, 


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wurden lebend geboren und blieben gesund mit Ausnahme eines bei 
akuter Miliartuberkulose frühreif geborenen (39 cm lang, 1300 schwer) 
und nach drei Stunden gestorbenen Kindes. Eine intrauterine Über¬ 
tragung findet sich also trotz schwerster Fälle in keinem Falle. 

Aus dem Vorhergehenden ist für die Praxis der Schluss zu 
ziehen, dass unter keinen Umständen der Versuch gerechtfertigt ist, 
durch Unterbrechung der Gravidität das Kind vor einer etwaigen 
Infektion bewahren zu wollen. Dazu ist die intrauterine Übertragung 
viel zu selten, dazu tritt sie wieder andererseits in einem viel zu 
frühen Stadium der Gravidität ein. Das Resultat derartiger zweck¬ 
loser Handlungen würde nur eine Reihe schwächlicher Frühgeburten 
sein, die durch den Eingriff als solchen um so leichter einer späteren 
Infektion verfallen oder um so schwerer ihre ererbte Disposition 
überwinden könnten. 


Praktisch wichtiger, als das bisher Erörterte ist die Frage nach 
der Beeinflussung der Tuberkulose durch die Gravidität. Seitdem 
im Jahre 1850 Grissolle, wohl als erster, das Unheilvolle dieser 
Komplikation hervorhob, besteht eine noch nicht erledigte beträcht¬ 
liche Differenz der Meinungen. Und wenn auch manche Einzel¬ 
heiten inzwischen zur Zufriedenheit geklärt sind, so harren doch 
noch prinzipielle Fragen der Beantwortung. 

Während z. B. Schauta die Komplikation als die unheilvollste 
bezeichnet, sprechen andere Autoren (Kania, Fagonsky) direkt 
von einem günstigen Einfluss der Gravidität auf die Tuberkulose, 
ohne allerdings viele Anhänger dieser ihrer extremen Ansicht ge¬ 
funden zu haben. Einen zu ihrem Standpunkt passenden Fall be¬ 
schreibt Walter: Die Komplikation mit leichter Tuberkulose wurde 
glatt vertragen, spontane Geburt, Gewichtszunahme 17,5 kg. Einen 
mehr vermittelnden Standpunkt nehmen u. a. ein: Burckhard, 
Weinberg, A. Fraenkel, Bauer, Naunyn. 

Burckhard-Arosa sah gute Erfolge von einer Hochgebirgs- 
behaudlung, bei der er sogar in progredienten Fällen einen Stillstand 
der Krankheit beobachten konnte. Er redet daher besonders dieser 
Art der Behandlung das Wort, die auch zweifellos sehr geeignet ist, 
wenn nicht schon während der Gravidität, doch jedenfalls nach absol¬ 
viertem Wochenbett zur Ergänzung anderer Massnahmen heran¬ 
gezogen zu werden. Auch W*einberg-Stuttgart hält den Einfluss 
einer Gravidität nicht eo ipso für deletär. Er ist der Ansicht, dass 
das Schicksal der Tuberkulösen schon zu Beginn der Gravidität ent¬ 
schieden sei, d. h., dass die betreffenden Frauen ohne das Hiuzu- 
kommen einer Gravidität gerade so ad exitum gekommen sein würden, 
wie in der Gravidität. Unter 2300 Todesfällen auf rund zwei Mil- 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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Honen Geburten fand er, innerhalb vier Wochen post partum keine 
Erhöhung der Todesfälle an Tuberkulose gegenüber der sonstigen 
allgemeinen Sterblichkeit au Tuberkulose. Das sind doch recht be¬ 
achtenswerte Angaben! 

Nach der Auffassung anderer allerdings ist der Einfluss der 
Gravidität doch erheblich ernster, da er sich nicht nur auf eine 
schon bestehende Erkrankung äussert, sondern auch imstande ist, 
eine vorher latente oder scheinbar geheilte Tuberkulose in der Gravi¬ 
dität manifest zu machen (v. Hansemann), oder sie rezidivieren 
zu lassen. Und gerade solche Fälle geben die schlechteste Proguose. 

Von besonders schlechtem Einfluss sind natürlich schnell auf 
einander folgende zahlreiche Graviditäten. 

Kamin er sah bei 50 graviden Tuberkulösen 33mal Verschlech¬ 
terung und 12 mal den Exitus eintreten. 

v. Rosthorn berichtet über 25 Fälle von physikalisch nach¬ 
weisbarer Tuberkulose. Unter diesen wurde die Krankheit in der 
Gravidität manifest 5 mal, 3 mal mit tödlichem Ausgang. Verschlimme¬ 
rung einer schon bestehenden Tuberkulose trat ein in 16 Fällen, 
von denen vier letal endeten. Im ganzen hatte er eine Verschlech¬ 
terung in 64%; gegenüber 75°/o bei Eich-Marburg und 66°/o bei 
Kaminer. 

Van Ysendijck fand unter 26 Frauen den Beginn oder eine 
Verschlechterung der Krankheit während der Gravidität in 21 Fällen, 
bei 54°/o Mortalität innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nach 
der Geburt. 

Fellner fand unter 34000 Geburten 65 alte, nicht rezidi¬ 
vierende Tuberkulosen; 140mal trat das Rezidiv ein in der Gravidi¬ 
tät, 65 mal wurde die Erkrankung manifest. 

Nach Amann-München gehen in Gravidität und Puerperium 
30% Frauen zugrunde, bei 60% kindlicher Mortalität. 

Pfannenstiel hat unter einem Gesamtmaterial von 61 Fällen, 
von denen er 44 als schwer bezeichnet, Verschlimmerung in 72%, 
Exitus in 22,9 %. Am ungünstigsten sind nach der Diss. inaug. von 
Tecklenborg (Giessen) die im Puerperium sich verschlechternden 
Fälle, von denen 33% in akute tödliche Miliartuberkulose übergingen. 

Die in dieser Beziehung extremsten Zahlen stammen von 
Maragliano. Nach ihm führten unter 385 phthisischen Frauen 
226 den Beginn der Krankheit zurück auf eine Gravidität oder einen 
Partus. Bei gleichem Lungenbefund gingen zugrunde, wenn gravid 
94%, wenn nicht gravid 18%. Unter 42 Frauen, die eine zirkum¬ 
skripte Tuberkulose hatten, blieb dieser Prozess nur dreimal stationär. 
Dagegen starben noch innerhalb des Wochenbettes 9 Frauen, 7 weitere 
innerhalb eines Vierteljahres, 9 innerhalb eines Halbjahres, 10 in 
neun Monaten, 4 nach Ablauf eines Jahres. 


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H. BOLLENHAGEN, 


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Experimentell wurde der ungünstige Einfluss der Gravidität 
nachgewiesen von Hermann und Hartl, derart, dass sie gravide 
Meerschweinchen durch Inhalation von Tuberkelbazillen infizierten. 
Von den 59 Tieren wurden ungünstig beeinflusst inbezug auf die 
Lebensdauer 71,2%. (Die Knoten wurden grösser, Verkäsung schritt 
vor, Generalisation der Erkrankung in 54,5 °/o früher als bei Kontroll¬ 
toren.) 

Unter unseren 124 Fällen findet sich notiert Beginn der Er¬ 
krankung in der Gravidität in 16 Fällen (12,9%), Verschlimmerung 
in der Gravidität in 8 Fällen (6,4%), Rezidiv in der Gravidität 
einmal. 

Wichtig wäre es nun, eine Erklärung zu finden für die Diffe¬ 
renz der Ansichten. Sarwey sieht sie darin, dass man es nicht 
mit klar abgeschlossenen Situationen, sondern mit Eventualitäten zu 
tun habe, und dass solange der Grund, aus dem Tuberkulose und 
Gravidität sich gegenseitig beeinflussen, nicht bekannt sei, auch eine 
bestimmte Situation verschieden beurteilt werden könne und müsse. 

So zweifellos das für gewisse Fälle ist, so wenig genügt diese 
Erklärung im allgemeinen. 

Mir wenigstens scheint, dass es nicht immer dieselbe Situation 
ist, welche zu so verschiedenen Ansichten und daher auch zu so ver¬ 
schiedenen Massnahmen resp. Resultaten führt, sondern dass es die 
Verschiedenheit der Formen und Grade von Tuberkulose, überhaupt 
die Verschiedenheit des Materiales ist, welche die Verschiedenheit 
in den Ansichten der Autoren bedingt 1 ). 

Daher auch wohl neigen die inneren Mediziner, welche weniger 
Gelegenheit haben, die im Zusammenhang mit den Graviditätsvor- 
gängen zugrunde gehenden Fälle zu sehen, im ganzen einer günsti¬ 
geren Auffassung zu. 

Mit Recht betont daher Rosthorn, dass eine nüchterne Statistik 
nichts beweise, dass vielmehr alles ankomme auf sorgfältige Kasuistik. 
Er plädiert daher dafür, nach Ausbreitung und Form der Tuber¬ 
kulose verschiedene Gruppen aufzustellen, um eine sichere Basis zu 
gewinnen für die Stellung der bisher ganz unsicheren Prognose und 
den einzuschlagenden therapeutischen Weg. 

i) Sehr lehrreich in dieser Beziehung ist auch ein Vergleich zwischen dem 
Prager Materiale und meinen eigenen 6 Fällen. Die relativ günstigen Zahlen, die 
sich nach Betrachtung des Gesamtmateriales ergeben haben, würden nämlich ganz 
anders lauten, wenn ich mich auf meine 6 Fälle hätte verlassen wollen. Von diesen 
6 Frauen leben nämlich nur noch 2 ; und von den beiden hat die eine schwere Kehl¬ 
kopfphthise, die andere eine grosse eiternde Fistel am Thorax. Von den Kindern 
lebt gar kein einziges, da alle entweder durch Abort, Frühgeburt oder bald nach 
der Geburt zugrunde gingen. 


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11] 


Schwangerschaft und Tuberkulose. 


11 


Es wird folglich der Geburtshelfer des Internisten nicht ent¬ 
behren können zur Aufnahme eines ganz genauen Befundes unter 
eventuell fortlaufenden Untersuchungen. Und es wird sich daraus 
zweifellos ein grosser Nutzen ergeben, selbst wenn Krönig manchmal 
recht haben sollte mit seiner pessimistischen Behauptung, dass in- 
bezug auf die einzuschlagende, sei es abwartende oder aktive, Therapie 
jeder dem anderen die Verantwortung zuzuschieben geneigt sei. P'ür 
die Verhältnisse in Prag stimmen jedenfalls diese Bedenken nicht. 
Es wurden vielmehr, wie mir Herr Prof. v. Franquö ausdrücklich 
schreibt, alle Massnahmen nach Beratung und in Übereinstimmung mit 
einer der dortigen beiden internen Kliniken getroffen, selbst in den¬ 
jenigen Fällen, die direkt zur Einleitung des Abortes geschickt waren. 
Und auch ich selber kann sie nach meinen Erfahrungen nicht teilen. 

Stellt man nun die präzise Frage, welche Fälle als relativ gut¬ 
artig und welche andererseits eo ipso als ungünstig zu bezeichnen 
seien, so ergibt sich zur Beantwortung in der übergrossen Menge der 
betreffenden Arbeiten doch nur verschwindend wenig Anhaltsmaterial. 

Reiche macht zwei Hauptgruppen: 1. leichte, umschriebene, 
rückgängig und obsolet gewordene Fülle, die er für nicht deletär 
erklärt, 2. aktive, vorschreitendo Fälle von schlechter Prognose. 

Rosthorn und A. Fraenkel-Badenweiler lehnen die übliche 
Einteilung der Lungentuberkulose in drei Stadien ab, da ein Fern¬ 
stehender sich danach kein rechtes Bild von Art und Ausdehnung 
des jeweiligen Falles machen könne, und sie schlagen dafür folgende 
Einteilung vor, die ich nach Möglichkeit auch bei der Sichtung des 
Prager Materiales zugrunde gelegt habe: 

1. einseitige Oberlappen- und Spitzenprozesse, 

2. doppelseitige Oberlappenprozesse, 

3. Mitbeteiligung von Mittel- und Unterlappen. 

Als Unterabteilungen stellen sie je nach dem Charakter der 
Krankheit auf: zirrhotische, infiltrative und kavernöse Prozesse. 

Als relativ ungefährlich bezeichnen sie folgende Fälle: 

1. Frauen mit stationärem Befund und relativer Heilung, bei 
günstigem objektiven Lungenbefund, 

2. leichte Spitzonprozesse ohne Fieber bei guter Ernährung. 

Unter allen Umständen gefährlich sind: 

1. floride Fälle mit raschem Zerfall des Lungengewebes und 
hohem Fieber, 

2. leichter Befund bei anhaltendem, wenn auch geringem Fieber, 

3. wenn die Krankheit sich nicht auf die Oberlappen beschränkt, 
sondern auch Mittel- und Unterlappen befallen hat. 

4. Komplikation mit Herzfehler, Urogenitalerkrankung, solcher 
des Darmtraktus. 


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5. Komplikation mit Larynxtuberkulose, auch ganz leichter. 

6. schwere hereditäre Belastung. 

Gegen diese Gruppierung ist nichts einzuwenden. Auch stimmen 
zu ihr durchaus die Erfahrungen der Prager Klinik und meine eige¬ 
nen Fälle. Andererseits besteht allerdings auch das Bedenken von 
Sippel zu Recht, dass eigentlich jede Tuberkulose in der Gravi¬ 
dität sich verschlechtern könne, ohne dass man zu Beginn derselben 
sagen könne, ob, wann und wie sehr das der Fall sein werde. Es 
besteht daher das Dilemma, ob man vor dem Eintritt dieser Ver¬ 
schlechterung eingreifen solle, oder warten, bis sie eingetreten sei. 
Im ersten Falle wird man zweifellos so und so oft unnötig handeln, 
im letzteren dagegen häutig zu spät kommen. Sippel schliesst mit 
dem Ausspruch, dass nach dem momentanen Standpunkt der Kennt¬ 
nisse die Sachlage doch noch immer so sei, dass ein jeder sehen 
müsse, wie er mit jedem einzelnen Falle fertig werde. 

Eine treffliche Illustration hierzu gibt Fellner neuerdings mit 
zwei Fällen,'..deren einer ad exitum kam, nachdem der wegen Fort- 
sclireitens der Krankheit vorgeschlagene Abort abgelelmt, später aber 
von anderer Seite gegen den Rat Fellners die Frühgeburt einge¬ 
leitet war. Im zweiten Falle war ebenfalls vergebens zum Abort ge¬ 
raten, und der Prozess kam zum Stillstand, so dass die Frau später 
bei relativem Wohlbefinden ein lebendes Kind gebar. 

Angesichts der zweifelhaften Prognose auch des scheinbar 
leichtesten und günstigsten Falles ist zweifellos das wuchtigste thera¬ 
peutische Moment die Prophylaxe, d. h. das Verhüten einer Kon¬ 
zeption bei Tuberkulösen oder eventuell sogar Tuberkulose-Ver¬ 
dächtigen. 

Da sich nun das am sichersten bei einer Unverheirateten durch¬ 
führen lässt, so ist der beste Rat, den der Familienarzt geben kann, 
das Eheverbot. Gewiss werden seine Worte oft genug eine zweck¬ 
lose akademische Disputation bleiben (Ros tliorn); aber ein einziger 
Fall, in dem er mit seiner Ansicht durchdriugt, muss ihu doch 
immer wieder anspornen, diesen allein zu sicheren Erfolgen führenden 
Weg vorzuschlageu 1 ). 

Eine mildere Form des Eheverbotes ist das relative, d. h. das 
Hinausschieben der Ehe bis zu einem gewissen Zeitpunkt nach Ab¬ 
klingen der akuten Erscheinungen. Offenbar ist bei einem solchen 

i) Wie wichtig diese Forderung ist, mag auch dadurch illustriert werden, dass 
eine Reihe namhafter Autoren sogar ein gesetzliches Eheverbot für alle Tuberkulösen 
alles Ernstes befürwortet haben, ja, dass angeblich in einigen der vereinigten Staaten 
von Nordamerika tatsächlich ein solches Verbot besteht. Dazu bemerkt de Bruine 
Ploos van Amstol, dem ich diese Angaben entnehme, dass die Folge nur die 
sein könne, dass die Kinder tuberkulöser Eltern den Namen der Mutter, nicht den 
des Vaters bekämen, d. h. die freie Liebe. 


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13] 


Schwangerschaft und Tuberkulose. 


13 


Entscheid die Verantwortung eine ganz erhebliche, denn schon die 
Beantwortung der wichtigsten Frage, wie lange zu warten sei, stösst 
auf die grössten Schwierigkeiten. Gerhardt fordert als Minimum 
ein Jahr, Cor net und mit ihm Reiche nehmen mindestens zwei 
bis drei Jahre au. Aber selbst wenn man noch so vorsichtig ist 
und die Ehe noch so lange hinausschiebt, wird doch oft genug die 
erste Konzeption ein Rezidiv hervorrufen und so den ersehnten Er¬ 
folg vereiteln. Erst kürzlich konnte ich einen derartigen Fall beob¬ 
achten: Junge Primigravida, die wegen leichter Spitzenaffektion vor 
der Verheiratung in einer Heilstätte war, heiratete als relativ geheilt, 
und wendete auf ärztlichen Rat zunächst antikonzeptionelle Mittel 
an. Dann erfolgte nach reichlich einjähriger Beschwerdefreiheit bei 
bestem Ernährungszustand Konzeption. Mit dem Beginn der Gravi¬ 
dität sofortiges Rezidiv und Gewichtsabnahme. Der von mir im 
zweiten Monat vorgeschlagene Abort wurde aus verschiedenen Gründen 
abgelehnt. Das Kind wurde lebend geboren, die Mutter, die trotz 
bester Pflege immer elender geworden war, starb bald nach der 
Geburt und das Kind folgte ihr nicht viel später nach I 

Ist es trotz ärztlichen Rates oder in der Meinung, die Krankheit 
sei erloschen, zur Ehe gekommen, so ist die nächste Aufgabe die 
Verhinderung der Konzeption. Gewiss ist auch die Forderung der 
fakultativen Sterilität eine ungemein harte und für manche Frauen 
von erheblich deprimierendem Einfluss; indessen ist sie trotzdem 
durchaus aufrecht zu halten. Auch die operative Sterilisierung wird 
von Chrobak, Duehrssen u. a. hier durchaus mit Recht befür¬ 
wortet, da sie geeignet ist, durch Ausschalten weiterer Graviditäten 
lebenserhaltend oder verlängernd zu wirken. 

Auf andere Weise wollen der Heilung oder wenigstens der 
Besserung Tuberkulöser dienen die Heilstätten. Es ist gewiss 
zu fordern, dass man arme tuberkulöse Frauen, die nun einmal 
gravid geworden sind, nach Möglichkeit den Schutz der von Staat 
oder Gemeinde geschaffenen Mittel geniessen lässt. Und da zurzeit 
die Heilstätten dazu sehr geeignet sind, so dürfte mancher nicht 
ohne Erstaunen lesen, dass nach eiuer Mitteilung von F eis-Darm¬ 
stadt die graviden Frauen, wenigstens in der zweiten Hälfte der 
Schwangerschaft, von dieser Wohltat ausgeschlossen sind. Ob in¬ 
zwischen, mit veranlasst durch einen Aufsatz von Rosthorn und 
Fraenkel, wenigstens in Baden eine Änderung dieses schreienden 
Misstandes eingetreten ist, weiss ich nicht. Aber selbst wenn das 
der Fall wäre, was wäre dann ausserhalb der badischen Grenzen? 

Einen jedenfalls sehr minderwertigen Ersatz würde ein Kranken¬ 
hausaufenthalt bieten, da bei ihm der wichtige Faktor der frischen 
Luft in Wegfall kommt. Dazu kommt noch, dass die chronische 
Überfüllung der meisten Krankenhäuser auch bei dem besten 


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Willen der Vorstände einen längeren Aufenthalt Gravider unmög¬ 
lich macht. 

Es ist also hier noch ein weites und dankbares Feld für die 
öffentliche Fürsorge. 

Bemittelte Patienten können und werden sich natürlich alle 
derartige Vorteile verschaffen durch einen möglichst langen Aufent¬ 
halt in günstigen klimatischen Verhältnissen und Sanatorien, in 
denen mit allen Mitteln moderner Therapie und Hygiene dem un¬ 
günstigen Einfluss der Gravidität auf die Tuberkulose entgegen ge¬ 
arbeitet werden kann. Es ist daher zu begrüssen, dass A. Fraenkel 
die günstigen .Resultate derartiger Behandlung einmal ans Licht ge¬ 
bracht hat. Noch mehr zu wünschen wäre eine ausführliche Dar¬ 
stellung seines Materiales, da sie sicher dazu beilragen würde, das 
allgemeine Interesse an dieser Frage zu wecken. 

Mit dom Überstehen der Gravidität ist die Gefahr für die tuber¬ 
kulöse Frau noch keineswegs erschöpft. Jo, nach der Ansicht mancher 
ist der Zeitraum des Puerperiums in dieser Beziehung noch mehr 
zu fürchten infolge der Reaktion, die die Entbindung zweifellos aus¬ 
löst (Serno, diss. inaug. Jena). Schauta äussert sich dahin, dass 
besonders der dritte bis vierte Tag des Wochenbettes gefährlich sei. 
Weitere Zahlen habe ich schon oben gegeben. 

Unter den bei unseren in Betracht kommenden 116 Wochen¬ 
betten (in einigen leichten Fällen fehlt die Angabe; einige Frauen 
traten vor der Entbindung aus) verliefen ganz normal 99, unter 
denen zwar vorwiegend leichte Fälle sich befinden, doch auch 32 
schwere und schwerste Erkrankungen. Dagegen trat in 17 Fällen 
eine ganz ausgesprochene Verschlechterung ein, darunter achtmal 
der Exitus. Diese Fälle werden weiter unten noch beschrieben 
werden. In mehreren Fällen trat die Verschlechterung noch später 
ein, ohne dass ich imstande wäre, bestimmte Zahlen zu geben. Da 
das Wochenbett um so ungünstiger verlaufen wird, je schwieriger 
und anstrengender die Geburtsarbeit war, so wird mit Recht grosser 
Wert gelegt auf sorgfältige Leitung der Geburt, unter weitgehender 
Verwendung schmerzstillender Mittel und unter schonender Beschleu¬ 
nigung der Entbindung bei allzulanger Verzögerung der zweiten Ge¬ 
burtsperiode. Chloroform kann ohne Bedeuken verwendet werden. 
Zur Vermeidung jedes überflüssigen Blutverlustes ist speziell auf die 
Nachgeburtsperiode die grösste Sorgfalt zu verwenden. 

Im Wochenbett macht unter Umstäudeu die Diagnose ausser¬ 
ordentliche Schwierigkeiten. Hatte man die Frau vor der Geburt 
nicht gesehen, oder boten sich keine Anhaltspunkte für die Tuber¬ 
kulose, so wird man Fieber im Wochenbett zunächst als Puerperal¬ 
fieber deuten und oft genug erst durch die Obduktion Aufklärung 
bekommen (Freund). Solche Fälle wurden ausserdem beschrieben 


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15] Schwangerschaft und Tuberkulose. 15 

von Cova und Westenhoeffer. Jch selber sah zwei der¬ 
artige Fälle. 

In einem Falle schlossen sich bei einer Primipara an die glatte 
spontane Entbindung leichte Fieberbewegungen an, bei gänzlich nor¬ 
malem Genitalbefund, wie ich gelegentlich eines Konsiliums fest¬ 
stellen konnte. Trotzdem wurde seitens des behandelnden Arztes 
die Diagnose auf Sepsis gestellt. Ein Vierteljahr später erfolgte der 
Exitus an der inzwischen manifest gewordenen Phthise. 

Den anderen Fall behandelte ich teilweise zusammen mit Herrn 
Prof. v. Franqu4, der ihn in Rom 1902 erwähnte. Es war zwar 
vor dem hier spontan erfolgenden Aborte die Vermutung einer 
tuberkulösen Peritonitis ausgesprochen; jedoch wurde das sich an 
schliessende Fieber als puerperales aufgefasst. Die Aufklärung brachte 
erst die sieben Wochen später in Abwesenheit von Herrn Prof, 
v. Franqu^ vorgenommene Sektion in Gestalt einer im Wochenbett 
akut deszendierten Genitaltuberkulose. 

Sehr wichtig im Wochenbett ist die Frage des Stillens. Im 
allgemeinen wird man es natürlich jeder Tuberkulösen unbedingt 
verbieten, wegen der grossen Anforderungen, die es an den Orga¬ 
nismus stellt. Indes können andererseits Frauen mit ganz veralteten, 
ausgeheilteu Affektionen offenbar ohne Schaden ihr Kind anlegeu. 
Dafür sprechen die sehr interessanten Versuche von Binswanger 
(Schlossmann), der zu diagnostischen Zwecken in zwei Serien 
91 78 Ammen tuberkulinisierte. Von diesen reagierten positiv, 

ohne indes irgendwie weiteren Schaden zu nehmen, 26 —j— 26. Er 
nimmt in allen diesen Fällen eine ausgeheilte oder sehr wenig aus¬ 
gedehnte Tuberkulose an. Und als Ammen stillten sie doch! Zu 
diesen Versuchen stimmen auch die Erfahrungen der Prager Klinik, 
in der offenbar alle Wöchnerinnen mit minimalen ganz stationären 
oder veralteten Veränderungen der Spitzen stillen. Sowie aber auch 
nur die entfernteste Möglichkeit besteht, dass der Prozess nicht ganz 
abgelaufen ist, muss unter allen Umständen vom Stillen Abstand ge¬ 
nommen werden, sowohl mit Rücksicht auf das Kind, da der Über¬ 
gang von Bazillen auch bei gesunder Mamma, allerdings bei schwerer 
Erkrankung der Mutter, erwiesen ist, vor allem aber, um nach Mög¬ 
lichkeit ein Aufflackern der alten Krankheit zu verhüten, die noch 
manifest werden kann, selbst wenn die ersten Tage scheinbar ganz 
reaktionslos verlaufen waren. So teilt mir Herr Prof. v. Franquö 
mit, dass manchmal noch einige Wochen nach der Geburt bei schein¬ 
bar gesund in die Findelanstalt entlassenen Wöchnerinnen die Krank¬ 
heit manifest geworden sei. Auch ist zu bedenken, dass entsprechend 
dem Materiale einer geburtshilflichen Klinik lin einer Reihe gerade 
leichter Fälle ohne Auswurf die Diagnose sich lediglich auf physi¬ 
kalische, nicht mikroskopische Untersuchung stützen musste. Es ist 


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folglich nicht absolut auszuschliessen, dass in einigen Fällen das 
Lungeuleiden doch vielleicht nicht spezifischer Natur war. 

Betreffs des therapeutischen Verhaltens in der Gravi¬ 
dität, soweit es sich um geburtshilfliche Massnahmen handelt, 
kommen im wesentlichen zwei Anschauungen in Betracht, ob man 
nämlich die Schwangerschaft unterbrechen soll oder abwarten; ob 
man den Abort in den frühen Monaten provozieren soll, oder warten 
bis zur Lebensfähigkeit des Kindes? 

Gegen den Abort spricht sich aus Goenner, da er das Be¬ 
stehen einer Lebensgefahr nicht anerkennen kann. Kleinwaechter 
bezeichnet die Einleitung des Abortes als widersinnig. Weinberg 
hält das Schicksal der betreffenden Frauen schou zu Beginn der 
Gravidität für besiegelt; da nun eine direkte Lebensgefahr infolge 
der Schwangerschaft nicht vorliege, so hält er von deren Unter¬ 
brechung nicht viel. Pinard glaubt, dass kaum je Grund vorliege, 
die Schwangerschaft zu unterbrechen. Auch Schräder spricht sich 
gegen den Abort aus. Jakob wünscht lieber bessere hygienische 
Massnahmen, als die Unterbrechung der Schwangerschaft. Ein 
Wunsch, der für einen grossen Teil der Bevölkerung wohl leichter 
ausgesprochen als erfüllt ist! 

Aus diesem Gruude empfiehlt daher Hamburger den Abort 
speziell für die unter so ungünstigen Verhältnissen lebenden Arbeiter¬ 
frauen. Gegen diese prinzipielle Empfehlung des Abortes wendet 
sichKaminer, da er nur in 70% Stillstand der Krankheit bewirke, 
dagegen nie Heilung. Doch meine ich mit Asch, dass auch schon 
die blosse Verlängerung des Lebens ein sehr wichtiges Resultat für 
die Patientin selber und ihre Familie darstellt. Auch Pfannenstiel 
hebt als einen Vorteil des Abortes mit Recht hervor, dass er oft 
die Verschlechterung der Krankheit verhüte oder verlangsame. 

Selbstredend wird man nicht wahllos in jedem beliebigen Falle 
von Lungentuberkulose die Schwangerschaft unterbrechen, sondern 
von Fall zu Fall handeln unter Beobachtung bestimmter Indikationen. 
DenndurchausmitRechthebtBrauer hervor, dass in leichten und nicht 
floriden Fällen alles oft überraschend gut gehe für Mutter und Kind. Es 
ist aber zu bedenken, dass das gerade Fälle sind, die doch nur bei 
ganz systematischer Untersuchung gefunden werden, die aber meistens, 
da sie ganz unbemerkt verlaufen, gar nicht mitgerechnet werden. 

Kaminer hält die Berechtigung, nichtVerpflichtung, für gegeben 
bei Hämoptöe, Fieber, Verschlechterung, metastatischer Tuberkulose. 

Acconci und Himmelfarb betonen, dass der Fall so ge¬ 
artet sein müsse, das eine gewisse Aussicht auf Heilung bestehe. 

Heymann spricht sich auf Grund de9 Meermannschen 
Materiales dahin aus, in leichten, in der Gravidität sich verschlech¬ 
ternden Fällen einzugreifen. Er berichtet unter anderem von einer 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


17 


Frau, bei der Meermann mit gutem Erfolge dreimal die Schwanger¬ 
schaft unterbrach wegen einer jedesmal rezidivierenden Hämoptöe. 

v. Rosthorn will den Abort einleiten bei allen destruktiven, 
fieberhaften Prozessen, ferner bei leichten, aber komplizierten Fällen, 
die weiter abmagern. Da keine bestimmten Normen aufzustellen 
sind, so ist in jedem Falle ein Konzilium abzuhalten. • 

Veit, Funke, Duehrssen nehmen besonders das Körper¬ 
gewicht als Massstab und sehen in dessen ständiger oder rapider 
Abnahme eine strikte Indikation zum Handeln. Gewiss ist diese, 
namentlich von Veit wiederholt gestellte Forderung an sich 
durchaus unanfechtbar, auch bietet sie den grossen Vorteil, dass man 
bei dieser Beobachtung Fälle, die sich als ganz ungünstig heraus- 
stellen, mit zwecklosen therapeutischen Versuchen verschont, anderer¬ 
seits schliesst sie aber auch alle die Gefahren in sich, die stets mit 
längerem Abwarten verbunden sind. 

Ferner sprechen sich unter Bedingungen für den Abort bei 
Lungentuberkulose aus Schauta, Fellner, Oehlschlaeger, 
Deibel, Hahn, Amann, Lop, Gainsbourgue u. a. 

In gauz schweren und sicher verlorenen Fällen, die auch nach 
Ausschalten der Gravidität nicht zu heilen sind, verzichtet man selbst¬ 
redend auf die Einleitung des Abortes, der die Mutter nicht rettet, das 
Kind dagegen opfert, und man beschränkt sich auf sorgfältige lokale und 
allgemeine Behandlung. Gegebenen Falles kommt die Tracheotomie 
in Betracht. Ebenso wenig braucht man einzugreifen bei ganz gering¬ 
fügiger Erkrankung, die nicht florid ist, oder sogar abgeheilt ist, wenn sie 
nicht durch das Hinzukommen vou Komplikationen als ungünstiger er¬ 
scheint. In allen Fällen dagegen, in denen die Ausdehnung des Krank¬ 
heitsprozesses und der Zustand der Patientin eine — wenn auch relative — 
Heilung erwarten lässt, in denen aber in der Gravidität durch Ab¬ 
magerung, Fieber, Hämoptöe, schnelle Ausbreitung des Prozesses 
eine Verschlechterung des Befindens eintritt, ist zweifellos die Indi¬ 
kation zum Einschreiten gegeben, ebenso wie bei Komplikation mit 
anderen Erkrankungen (Albuminurie, Larynxphthise etc.). Wie lange 
man beobachtet, hängt nicht nur von den Erfahrungen des einzelnen 
Arztes ab, sondern auch von den Besonderheiten des jeweiligen 
Falles. Eine wichtige Rolle spielt auch die soziale Stellung, nicht 
minder auch der Umstand, ob schon Kinder vorhanden sind, endlich 
die Entschliessung der Frau selber. Dagegeu kann ich mich nicht 
dazu bekennen, einen Unterschied machen zu müssen zwischen Ver¬ 
heiratet und Ledig! 

Im ganzen wird der Erfolg desto besser sein, je eher man ein- 
griff. Es spielt keine Rolle, ob dieser Eingriff sympathisch ist, oder 
nicht, ein Moment, das von Kroenig in die Diskussion gebracht 
wurde. Hier handelt es sich nicht um Annehmlichkeiten, sondern 

Würzburger Abhandlungen. Bd, VIII. H. 1 . 2 


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um die Erhaltung des Lebens, die wir als Ärzte auch mit Mitteln, 
die zunächst unsympathisch erscheinen, aber durch ihren guten 
Zweck geadelt werden, anzustreben haben, wie das meines Erachtens 
Sarwey so passend ausspricht: „Wenn das Leben der Mutter nur 
durch Opfern des problematischen kindlichen erhalten werden kann, 
dann ist es sittliches Recht und Pflicht des Arztes, von diesem ihm 
durch seinen Beruf verliehenen einzigen Rettungsmittel entsprechenden 
Gebrauch zu machen“. 

Hat man sich im konkreten Falle entschlossen, die Schwanger¬ 
schaft zu unterbrechen, so wird es, falls das nicht schon vorher ge¬ 
schehen war, zweckmässig sein, einen zweiten Arzt consilii causa 
zuzuziehen. In zweifelhaften Fällen kann es angezeigt sein, in einem 
schriftlichen Protokolle die Einwilligung der Eltern resp. des Mannes 
fixieren zu lassen, um gegen spätere unliebsame Überraschungen ge¬ 
sichert zu sein. 

Die Methode der Aborteinleitung hat eine möglichst schonende 
zu sein. Man dilatiert den Uterus und räumt ihn in Narkose aus. 
Für die von Pfannenstiel als Vorakt der Ausräumung vorge¬ 
schlagene blutige Spaltung der vorderen Uteruswand kann ich mich 
nicht erwärmen. 

Sind die ersten Monate der Schwangerschaft vorüber, so hat 
die ganze Situation und damit die Stellung der Indikation eine 
totale Verschiebung erfahren. Darüber herrscht volle Einstimmigkeit. 

Von der Einleitung der künstlichen Frühgeburt in den späteren 
Monaten ist für eine dauernde Besserung der Mutter nichts zu hoffen. 
Prägnant drückt dies v. Rosthorn so aus, dass, wenn eine Frau 
die künstliche Frühgeburt gut überstehe, das ein Beweis lediglich 
dafür sei, dass sie eine spontane Geburt am normalen Ende noch 
viel besser überstanden haben würde. Denn es ist zweifellos, dass 
selbst eine möglichst glatt verlaufende Frühgeburt ganz andere An¬ 
forderungen an den Organismus stellt, als eine normale Entbindung, 
abgesehen davon, dass es bei Beginn der Frühgeburt ganz unmöglich 
ist, die in ihrem Verlaufe etwa eintretenden Komplikationen oder 
auch nur ihre Dauer vorauszubestimmen (Fellner, Kuttner, 
F. Mayer, Freund, Lomer). 

Man hat sich daher in solchen Fällen zu beschränken auf all¬ 
gemeine Hygiene und Diätetik, sowie möglichst schmerzlose Gestal¬ 
tung der Entbindung. 

Durch diese Indikationsstellung wird selbstredend in keiner 
Weise die Berechtigung der künstlichen Frühgeburt für die Fälle 
schwerster Dyspnöe berührt, in denen sie direkt aus vitalen Gründen 
vorgenommen wird. Ebensowenig kann die Berechtigung der künst¬ 
lichen Frühgeburt im Interesse des Kindes bestritten werden für die¬ 
jenigen Fälle, in denen vermutlich noch vor dem normalen Ende 


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Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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der Gravidität der Exitus eintreten würde, zur Vermeidung der 
Sectio caesarea in mortua oder moribunda (d’Outrepont, Steh¬ 
berger, Leopold), auch auf die Gefahr hin, durch diesen Eingriff 
das mütterliche Leben zu gefährden oder abzukürzen. 

Nach diesen Grundsätzen wurde die Schwangerschaft unter¬ 
brochen in folgenden Fällen: 

Der Abort wurde eingeleitet 7 mal bei sechs Frauen. 

1. 28 jährige 5grav., das letzte Kind wegen Lungenaffektion 
nicht gestillt. Dritter Monat, seit drei Wochen Hämoptöe, wenig 
Husten, kein Answurf. Infiltration beider Spitzen, geringer Katarrh 
der rechten Lungenbasis. Seitens der Klinik von Jak sch der Abort 
befürwortet. Dilatation mit Laminaria und Hegar, Ausräumung, 
norm. Wochenbett. 

2. 28jährig, hat fünfmal geboren, darunter 4mal zu früh. 
Dritter Monat, Erkrankung beider Spitzen, ohne floride Erscheinungen. 
Geschickt zur Einleitung des Abortes. Ausräumung des Uterus nach 
Erweiterung mit Laminaria. 

3. 28 jährig, 6 Geburten, 1 Abort, seit X A Jahr Brustschmerzen, 
Schwächegefühl, dann Blutungen aus dem Genitale. Infiltrat, apic. 
pulm. dext. tub. Ausräumung nach Dilatation. Später gebessert aus 
der Klinik von Jaksch entlassen. 

4. 40jährig, 7 Geburten, deren letzte vorzeitig eingeleitet wegen 
Lungenaffektion. Husten seit einigen Jahren. Erkrankung der linken 
Spitze. Im Urin Eiweiss und Zylinder. Vierter Monat. Ausräumung 
nach Dilatation. 

5. und 6. siehe unter Fall 9 bei Larynxtuberkulose, S. 23. 

7. 19jährige, 1 gravida mensis IV., seit 1 Jahr krank an Husten, 
Auswurf, Nachtschweissen. Vor einem Monat Hämoptöe. Supra- 
und Infraklavikulargruben deutlich markiert, über beiden Spitzen 
Schallverkürzung und Rasseln. (Diagn. d. intern. Klinik: Iufiltr. apic. 
utr.), im Sputum Tuborkelbazillen. Mit Rücksicht auf den Lungen¬ 
befund, die abendlichen Temperatursteigerungen und das schlechte All¬ 
gemeinbefinden Einleitung des Abortes. Laminaria, Scheidentampo¬ 
nade, spontaner Abort, Fötus 15 cm lang, bisher normaler Verlauf. 

Dagegen wurde in drei Fällen der Abort nicht eingeleitet, 
trotzdem die Patientin zu diesem Zwecke in die Klinik geschickt 
war. In zwei dieser Fälle ergab die Untersuchung seitens der iuter- 
nen Klinik keine Indikation für den Abort. Im dritten Fall war 
die Diagnose der Gravidität nicht ganz sicher; dagegen bestand 
eine tuberkulöse Peritonitis, derentwegen von jedem Eingriff abge¬ 
sehen wurde. 

Die Richtigkeit dieser Indikationsstellung konnte wenigstens in 
einem der beiden Fälle bewiesen werden durch den weiteren Verlauf. 
Patientin stellt sich wieder vor, nachdem sie inzwischen ohne Kunst- 

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liilfe eiu gesundes Kind geboren und ein normales Wochenbett 
durchgemacht hat. Das Kind, das sie mitbringt, ist gut genährt 
und kräftig entwickelt. Patientin selber fühlt sich durchaus wohl, 
hat keinen Husten. Auf der internen Klinik wird ausser Giemen 
auf der linken Spitze an den Lungen nichts gefunden. 

In zwei weiteren Fällen traten die Frauen mit drohendem Abort 
eiu, doch kam dieser bei Bettruhe zum Stillstand. Es w T urde von einem 
Eingriff abgesehen, da in einem Falle die Diagnose der angenommenen 
Larynxtuberkulose nicht sicher war. Der andere Fall war schon bis zum 
sechsten Monat vorgeschritten und es bestanden keine floriden 
Erscheinungen. 

Die künstliche Frühgeburt wurde eingeleitet in sechs Fällen, 
darunter 3 mal wegen der Schwere der Erkrankung (eine später gebessert 
entlassen, eine gestorben nach einem halben Monat, 1 mit unbekanntem 
Resultat), 1 mal wegen schwerer Dyspnoe, gestorben nach etwa 3 V* Mo¬ 
naten, 1 mal wegen totalen Benommenseins, bald gestorben, 1 mal von 
anderer Seite aus mir unbekannter Indikation, später gestorben. 

In zwei Fällen war die Unterbrechung der Schwangerschaft be¬ 
absichtigt, musste aber aus äusseren Gründen unterbleiben; 

1. 35 jährige 6grav., hat verschiedene Male Rippenfellentzündung 
durchgemacht, links hinten unten alte Schwiele, leichte Schall Ver¬ 
kürzung der rechten Spitze. Es sollte das Körpergewicht kontrolliert 
werden, doch entzog sich Patientin der Beobachtung. Laut Bericht 
des Hausarztes hat Patientin am normalen Ende ein 9 Pfund schweres 
Kind geboren, das bisher ganz gesund ist. Wochenbett hoch fieberhaft, 
akutes Fortschreiten der Kraukheit auch jetzt noch, im Kraukenhause. 

2. 30jährige ledige Drittgrav., 2 Aborte, vor 2 Jahren Pleuritis, 
hustet und schwitzt, zu Anfang der Grav. Hämoptoe. Beide Spitzen 
infiltriert. Rechts unten deutliches Knistern, Kyphose der Brust¬ 
wirbelsäule. Cystitis tuberculosa, aus dem grauweisslichen Sekrete 
reichliche Tuberkelbazillen. Hat ihrem Arzt die Unterbrechung der 
Schwangerschaft verweigert, lässt auch den wegen zunehmender 
Atembeschwerden bei lebensfähigem Kinde vorgescblagenon Blasen¬ 
stich nicht zu. Wird gegen Revers entlassen. Die Cystitis, resp. 
deren Symptome durch Jodoform-Sesamöl-Injektiouen wesentlich ge¬ 
bessert. Nach Bericht des Hausarztes Frühgeburt, Tod von Mutter 
uud Kind am nächsten Tage! 

Da nun Herr Prof. v. Franque in der zweiten Hälfte der 
Schwangerschaft nur bei bedrohlichen Erscheinungen unterbricht, so 
lehnte er die Frühgeburt in folgenden zwei Fällen ab: 

1. 30jührige, verheiratet. 1 Frühgeburt. Veränderungen beider 
Spitzen, 6 Monate. Wegen der vorgerückten Schwangerschaft bei 
Fehlen florider Erscheinungen keine Unterbrechung der Gravidität. 

2. Privatfall von Herrn Prof. v. Franque. 30jährig, Dritt¬ 
grav., 1 Frühgeburt im 8. Monat, letzte Entbindung vor 3 Jahren, 


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21 ] 


Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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6. Monat, normaler Befund. Seit etwa 3 Monaten hektisches Fieber, 
das in letzter Zeit nachgelassen hat. Über der linken Spitze leichte 
Schallverkürzung, keine Geräusche, kein Husten, kein Sputum. Die 
beiden konsultierenden Internisten, ebenso wie Herr Prof. v. Franque, 
sind für Abwarten. Es wurde dann am normalen Ende ein kräf¬ 
tiges Mädchen spontan geboren. Die Patientin selber hat sich aus¬ 
gezeichnet erholt, an Körpergewicht zugenommen, die Lungener¬ 
scheinungen sind noch weiter zurückgegangen (nach Mitteilung 
des behandelnden Arztes). 

Eine gesonderte Darstellung verlangt ihrer Wichtigkeit wegen 
die Komplikation mit Larynxtuberkulose. 

Abgesehen davon, dass unter Umständen infolge von Glottis¬ 
ödem ganz akut suffokatorische Anfälle eigentlich jeden Augenblick 
zu befürchten sind, so dass man stets zur Tracheotomie gerüstet sein 
muss, nimmt auch die Ausdehnung des Leidens in der Schwanger¬ 
schaft gewöhnlich einen derartig rapiden Verlauf, wie man das sonst 
nur bei Carcinom sieht (Freund). Nicht selten wird erst in der 
Schwangerschaft, gerade wie bei der Lungentuberkulose, die Affektion 
des Kehlkopfes manifest, um dann einen besonders bösartigen Verlauf 
zu nehmen. Amann fordert daher die laryngologische Untersuchung 
jeder heiseren Gravida. 

Da nach Cornets beweisenden Beobachtungen kleine Schleim¬ 
hautläsionen, wie sie auch bei lange anhaltendem Schreien entstehen 
können, in der Regel zum Ausgangspunkt der Krankheit werden 
durch direkte Einimpfung von infektiösem Sputum, so wird man 
auch aus diesem Grunde eine möglichst schmerzlose Entbindung 
nach den oben auseinandergesetzten Grundsätzen anstreben. 

Betreffs der Therapie in der Gravidität herrscht wegen der auch 
von M. Schmidt hervorgehobenen Malignität der Affektion im 
ganzen Einstimmigkeit darüber, dass, solange keine bestimmte Gegen¬ 
anzeige vorliegt, die Unterbrechung der Schwangerschaft möglichst 
früh dringend angezeigt ist. 

Lehnt man, wie Remy, Loehnberg, Alexander, Jaffe- 
die Aborteinleitung ab, so kommt im wesentlichen in Betracht eine 
intensive Lokalbehandlung, deren Einzelheiten hier nicht zu schil¬ 
dern sind. 

Dass man damit unter Umständen gute Erfolge erzielen kann, 
dafür liefert u. a. Seifert den Beweis an der Hand eines lange 
und sorgfältig beobachteten Falles. Kuttner, ebenso wie Seifert 
sonst ein Anhänger der Abortes, führte ebenfalls in einem Falle die 
Schwangerschaft zu einem guten Ende, da aus der Anamnese hervor¬ 
ging, dass die früheren Graviditäten gut vertragen waren. Desgleichen 
Lennhoff. 

Neumayer-München hofft von einer intensiven Lokalbehand¬ 
lung doch wenigstens eine Einschränkung der Aborte. 


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H. BOLLENHA.GEN, 


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Auch die Tracheotomie wird zu diesem Zwecke empfohlen. 
Remak konnte damit von 10 Frauen 7 erhalten. Jurasz lobt nach 
den Erfahrungen, die er bei 36 Fällen sammeln konnte, sehr den 
Einfluss der Tracheotomie in schweren Fällen. Kuttner empfiehlt 
sie allerdings nur als Palliativmittel für die späteren Monate in nicht 
ganz aussichtslosen Fällen. 

Der entschiedenste Anhänger des Abortes auf Grund seiner 
oben mitgeteilten schlechten Erfahrungen ist Maragliano. Er will 
die Schwangerschaft unterbrechen, je eher, desto besser, und mit 
um so mehr Recht, je leichter der Fall ist, wegen absoluter Unmög¬ 
lichkeit, eine auch nur einigermassen sichere Prognose zu stellen. 
Kuttner kommt auf Grund von 100 Fällen zu dem Resultate, dass, 
da die diffuse Larynxphthise in der Schwangerschaft höchst ungün¬ 
stige Fortschritte mache, da auch die Sterblichkeit der von solchen 
Müttern geborenen Kinder eine erschreckend hohe sei, die Unter¬ 
brechung der Gravidität in solchen Fällen einstimmig als indiziert 
angesehen sei, selbstredend nur, wenn sie das einzige Mittel sei und 
dabei einige Wahrscheinlichkeit biete für die Erhaltung des mütter¬ 
lichen Lebens. Diesen Anschauungen schliessen sich im wesentlichen 
an Lomer, Schauta, Fellner, Kaminer und Deibel, und sie 
dürften auch wohl als die Norm anzusehen sein. 

Unsere eigenen 10 Fälle von Larynxtuberkulose sind folgende: 

1. Drittgebärende, hat 2 gesunde Kinder in normalen Wochen¬ 
betten selber gestillt. Husten und Heiserkeit seit 6 Wochen. Vorge¬ 
schrittene Tuberkulose der Ober- und Mittellappen, Albuminurie. 
Kräftige Wehen, Forceps wegen Dyspnoe und schlechter Herztöne. 
Lebendes Mädchen 46, 2520. Am nächsten Tage 38,2, transferiert. 
Tub. Placentae. 

2. Viertgebärende, frühere Geburten spontan, vorgeschrittene 
Lungentuberkulose. Aphonie, Ulzera im Larynx. Myelitis? Künst¬ 
liche Frühgeburt mit Metreurynter. Lebender Knabe 45,5 2150. 
Normales Wochenbett. Tub. Placentae. 

3. Erstgebärende, vorgeschrittene Phthise. Larynxschleimhaut 
gerötet, Ulzera an der hinteren Wand und den Stimmbändern, 
allgemeine Miliartuberkulose. Lebender Knabe 39, 1300, tot nach 
3 Stunden, nicht tuberkulös. Mutter geht unter hohem Fieber und 
zunehmender Dyspnoe zugrunde. Tub. Placentae. 

4. Drittgebärende, 1 normale und eine Frühgeburt, vorge¬ 
schrittene Phthise, aphouisch, Dyspnoe, achter Monat, Temperatur 
und Puls normal. Im Wochenbett Fieber, Verfall, Exitus am vierten 
Tage. Lebendes Mädchen 38,5 1300 stirbt am dritten Tage an 
Schwäche und Soor. 

5. Zweitgebärende, 1 normale Geburt, hustet seit 8 Monaten, vor¬ 
geschrittene Phthise. Hinterwand dos Larynx infiltriert, Ödem der 


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23] 


Schwnngerschaft und Tuberkulose. 


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Aryknorpel, künstliche Frühgeburt mit Metreurynter, lebendes 
Mädchen 44, 2230. Wegen Fieber transferiert. 

6. Erstgebärende, Spitzeninfiltration, falsche Stimmbänder ge¬ 
schwellt, grosses oberflächliches Ulcus, soll ambulant behandelt werden. 
Spontane Geburt, lebendes Mädchen 49, 3100, stillt nicht, normales 
Wochenbett. 

7. Erstgravida im 7. Monat, spontane Frühgeburt, abgemagert. 
Tub. pulmonum. Wegen Fieber transferiert und gestorben. 

8. 6 gravida 1 Abort, seit letzter Gravidität Husten und Brust¬ 
schmerz, wird ohne Wehen wieder entlassen, da die Diagnose der 
Tuberkulose nicht ganz sicher. 

9. Zehntgravida. In Behandlung von Herrn Prof. Seifert seit 
dem Jahre 1901. Damals 4 Wochen nach der 9. Gravidität Heiserkeit. 
Rechte Lungenspitze gedämpft, verschärftes Exspirium, einzelne 
Rhronchi. An der Vorderfläche des Larynx flaches tuberkulöses In¬ 
filtrat, Stimmbänder leicht verdickt, gerötet, kein Ulcus. Nach Curette- 
meut Besserung, die im wesentlichen andauert bis Juli 1904, wo eine 
im zweiten Monat bestehende Gravidität eine ganz akute Verschlech¬ 
terung hervorruft (Fieber, Abmagerung, Aphonie). Daher in Über¬ 
einstimmung mit Herrn Prof. Seifert Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft mit ganz ausgezeichnetem subjektiven und objektiven Resultat. 
Ende 1904. Stimme ganz normal, Infiltrat ganz zurückgegangen. 
Mitte Mai 1905 wieder akute Verschlechterung infolge einer neuen 
Gravidität. Es findet sich jetzt ein ausgedehntes, in der Mitte ulze- 
riertes Infiltrat an der Vorderfläche des Larynx, dessen Lumen 
erheblich verengernd. Dämpfung der rechten Spitze deutlicher, viele 
Rasselgeräusche, Bronchialatmen, Aphonie. Daher wieder Unter¬ 
brechung der Gravidität mit gutem Resultat. Die Stimme wird 
deutlich, das Infiltrat geht zurück. Diese Besserung hält im wesent¬ 
lichen an bis März 1907, trotzdem Patientin sich durchaus nicht im 
mindesten schonte. Dann bedeutende Verschlimmerung aller Sym¬ 
ptome, besonders Stenosenerscheinungen seitens des Larynx, so dass 
am 28. April die Tracheotomie nötig wurde. 

10. Zweitgravida, erstes Kind tot, zweiter Monat. Tuberculosis 
pulmonum et laryngis. Der vorgeschlagene Abort wird abgelehnt. 
Später wird die künstliche Frühgeburt von anderer Seite gemacht. 
Nicht lange nachher Exitus. 

Wegen der eigentümlichen lokalen Verhältnisse nimmt die Kom¬ 
plikation mit Bauchfelltuberkulose eine ganz besondere Stellung ein. 
Ich möchte daher noch über drei derartige Fälle berichten, die ich 
Herrn Prof. v. Franq u^ verdanke. Den einen habe ich schon oben 
bei der Besprechung der Verhältnisse im Wochenbett beschrieben. 
Wie auch dort deszendierte in einem weiteren Falle die Tuberkulose 
im Wochenbett ganz akut auf die Genitalien: 17jähr. ledige Primi- 


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H. BOLLENHAGEN, Schwangerschaft und Tuberkulose. 


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gravida. Vor 8 Tagen spontaner Abort ohne ärztlichen Eingriff. 
Dao ganze Abdomen aufgetrieben (91,5). Fluktuation, kein Tumor, 
untere Bauchgegend gedämpft und schmerzhaft. Erweiterte Venen 
der Bauchhaut. Uterus kleinfaustgross. Adnexe frei. Vom Rektum 
aus hinter dem Kollum zwei erbsengrosse Knötchen, sonst nichts. 
Pleuritis tub. dextra. Wegen dieser wurde von der Laparotomie ab¬ 
gesehen und die Pat. auf die interne Klinik verlegt. Dort beträcht¬ 
liche Zunahme des peritonealen Ergusses unter hohem Fieber. Probe¬ 
punktion ergab flüssigen Eiter, mikroskopisch vielleicht Streptokokken. 
Daher schliesslich bei zunehmender Dyspnöe aus vitaler Indikation 
Laparotomie. Bei dieser wurde reichlich dünner, fäkulent riechender 
Eiter entleert; die Därme verbacken, das Peritoneum mit Knötchen, 
besetzt. Die platzende linke Tube entfernt. Drainage. Tod nach 15 
Tagen. Bei der Sektion fand sich auch noch eine chronische Nieren¬ 
tuberkulose. Als Komplikation war während des Abortes noch eine 
Infektion mit Streptokokken hinzugekommen. 

Es hatte also auch in diesem Falle der spontane Abort ausser¬ 
ordentlich ungünstig gewirkt, indem im Wochenbett die Tuberkulose 
des Peritoneum akut auf die Genitalien deszendierte. Aus diesem 
Grunde hält Herr Prof. v. Franque den künstlichen Abort bei 
Bauchfelltuberkulose natürlich für durchaus kontraindiziert. Er wurde 
daher auch im dritten Falle, wie schon oben bei Unterbrechung der 
Gravidität erwähnt, nicht eingeleitet. 


Zusammengefasst würden die Grundsätze für die geburtshilfliche 
Behandlung der Komplikation von Tuberkulose und Gravidität lauten: 

Die Lungentuberkulose an sich ist keine Indikation zur Ein¬ 
leitung des Abortes, es muss vielmehr stark individualisiert werden. 

Berechtigt und eventuell geboten ist die Unterbrechung in den 
früheren Monaten bei florideo, wenn auch beginnenden Prozessen, 
bei Vorhandensein von Fieber, Hämoptoe, bei Komplikation mit 
Larynxtuberkulose und sonstigen Erkrankungen. 

Nicht zu unterbrechen ist die Gravidität im allgemeinen in der 
zweiten Hälfte der Schwangerschaft, ausser aus vitaler Indikation. 

Fälle, die dem Befunde und der Zeit nach an der Grenze stehen, 
können sehr wohl verschieden beurteilt werden, je nach den Erfah¬ 
rungen des Einzelnen, ohne dass man berechtigt ist, diesem aus seinem 
abweichenden Standpunkt einen Vorwurf zu machen. 

Es empfiehlt sich daher grundsätzlich die Abhaltung eines 
Konziliums. 


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Die Chorea miaor, der Veitstanz. (Sydenham’sche 
Chorea, Chorea infectiosa.) 


Von 

Dr. F. Siegert, 

Professor der Kinderheilkunde an der Akademie für praktische Medizin in Köln. 


Unter der Chorea minor verstehen wir eine subakut ein* 
setzende und verlaufende Infektionskrankheit vorwiegend 
des wachsenden Menschen, welche durch ausfahrende, kurz 
dauernde spontane Bewegungen und eine Störung der 
Koordination der verschiedensten Muskelgruppen einer¬ 
seits, durch verminderte Beherrschung der Gemütsbe¬ 
wegungen hei gesteigerter Erregbarkeit andererseits 
eharakterisiert ist. 

Der Symptomkomplex der Chorea minor wird häufig ein¬ 
geleitet durch wenig ausgeprägte Veränderungen im früheren Ver¬ 
halten der Erkrankten. 

Bei vorher etwas reizbaren, nervösen Kindern stellt sich eine 
Steigerung dieses Zustandes ein, eine ungemein wechselnde Stimmung 
und damit ein sehr launenhaftes Wesen. Bei der Kindheit entwachse¬ 
nen Kranken wird dies seltener beobachtet. Aber auch vorher nor¬ 
male, freundliche, leicht lenkbare, mitteilsame Kinder, ganz besonders 
im früheren Kindesalter, von 5—10 Jahren, werden unfreundlich, 
zurückgezogen, mürrisch, schweigsam, verschlossen und brechen, zur 
Rede gestellt, in plötzliches Weinen aus, wobei gelegentlich schon 
eine Störung der Mimik auffällt. 

Die Sammlung der Gedanken, die Aufmerksamkeit leidet, eine 
sehr erhöhte Reizbarkeit tritt ein, vor allem ein unmotivierter, jäher 

Würzburger Abhandlungen B<L VIII. H. 2. 3 


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F. SIEGERT, 


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Übergang von einer Gemütsstimmung zur anderen. Die Kranken 
meiden ihre Gespielen oder zeigen in Gegenwart derselben eine gegen¬ 
über dem Verhalten beim Alleinsein überraschende Übererregbarkeit. 

Körperlich fällt zunächst eine Störung der Muskel¬ 
tätigkeit auf, derart, dass Muskelbewegungen in ihrem normalen 
Verlauf von unkoordinierten kurz unterbrochen werden, oder vorüber¬ 
gehend eine ungewollte Steigerung erfahren, oder aber nicht prompt 
einsetzen, wo dies gewollt wird. 

Bald aber wird auch die Ruhe der nicht intendiert 
bewegten Muskulatur von spontanen, zuckenden Bewe¬ 
gungen einzelner Muskel oder Muskelgruppen unterbrochen, 
zunächst meist in dem Bereich der Hände oder Füsse. Im un¬ 
beobachteten Zustand noch fast fehlend, werden die spontanen 
Muskelzuckungen schon sehr früh verstärkt, wenn der Kranke sich 
daraufhin beobachtet weiss oder noch mehr, wenn er zur Stillstellung 
z. B. der Finger aufgefordert wird. 

Im späteren Verlauf tritt dies Symptom in zunehmender Steige¬ 
rung auf. 

Jetzt schon zeigt sich eine auffallende Störung in der 
Innervation der Muskulatur, die sehr verlangsamte und einer 
Dauer nicht mehr fähige Innervation derselben. 

Aufgefordert, eine etwas ungewohnte Finger- oder Handbewegung 
auszuführen, scheinen die Kranken zunächst nicht begriffen zu haben, 
was sie sollen. Jedenfalls wird der Befehl nicht sofort ausgeführt. 
Statt dessen treten spontane Bewegungen in benachbarten Muskeln, 
oder der entsprechenden Extremität der auderen Seite auf, bis plötzlich 
die gewollte Bewegung, aber in ganz übertriebener Weise, erfolgt, 
ohne dass die Kranken die betreffende Lageveränderuug auch nur 
kurze Zeit unterhalten können. Es macht den Eindruck, als 
sei ein Hindernis in der zentrifugalen, motorischen 
Leitung mühsam, nur für einen Moment, überwunden 
worden, während der Reiz bis dahin auf benachbarte 
Muskeln oder korrespondierende der gleichen Gruppe 
der anderen Seite sich entladen hätte. 

Charakteristisch ist für alle diese spontanen Muskelbewe¬ 
gungen ihre kurze Dauer, dann aber vor allem auch als hochgradige 
Koordinationsstörung, dass die Synergie der den gewohnten, auto¬ 
matisch sich vollziehenden Bewegungen dienenden Muskeln ganz weg¬ 
gefallen ist (Foerster). Alle Bewegungen gewinnen damit etwas 
Linkisches, Unbeholfenes, oft Lächerliches. Bald erfasst diese dreifache 
Störung der „erschwerten Innervation“ der „Spontanbewegungen“ und 
„Koordinationsstörung“ auch die Vorderarme und Unterschenkel, dann 
die ganze Extremität, vor allem auch das Gesicht. Jetzt sind die Finger 


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3] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 27 

in beständiger Unruhe, die Hand hält die Gegenstände nicht fest, 
die ihr deshalb entfallen, sie wird beim Versuch, etwas zu greifen, 
vielfach am Ziel vorbeigeführt, bis sie plötzlich mit einem Ruck das 
Vorgehaltene ergreift, ohne es dauernd halten zu können. Die Füsse, 
die Beine geraten in Unruhe, ihre gewollten Bewegungen in Un¬ 
ordnung, der Gang wird dadurch zunächst sehr gestört, dann un¬ 
möglich. Auch ein bald lächerliches, bald sehr hässliches Grimas- 
sieren, Fratzenschneiden hat sich eingestellt, die Gesichtsmuskulatur 
gerät in ein ganz ungeordnetes Spiel, die Augenlider werden bald 
wie im Entsetzen hoch hinaufgezogen, bald wie in Angst geschlossen, 
auch die Augenmuskulatur verliert die sichere Koordination, ebenso 
die der Zunge des Schlundkopfes und die der Fonation dienende 
Muskulatur. 

Die Sprache wird sehr gestört dadurch, dass die Kranken trotz 
sichtbarem Bemühen die Worte nur zögernd herausbringen, bald in 
rascher Folge sich überstürzend und in sinnlosem Wechsel viel zu 
leiser oder lauter Worte, oft genug mit ganz gestörter Betonung der 
einzelnen Silben. Diese Sprachstörung wird von nicht zu jungen 
Kranken so unangenehm empfunden, dass sie nur ungern oder gar 
nicht antworten. Dass bei Schulkindern dadurch, besonders in den 
ersten Stadien, der Eindruck des Unfugs, des gewollten Störens, der 
Unaufmerksamkeit, gar der Störrigkeit entsteht für Laien, welchen 
die Chorea minor ganz fremd ist, macht die Kranken zum Gegen¬ 
stand des Spottes ihrer Kameraden und zieht ihnen oft genug Strafen 
zu, bis endlich der wahre Sachverhalt erkannt wird. 

Ihr psychisches Verhalten ist ein deutlich gestörtes ge¬ 
worden, mit auffallender Übererregbarkeit für alle Reize, in jähem 
Wechsel zwischen extrem verschiedenen Gefühlen, ganz unmotiviertem 
Lachen oder Weinen. 

Schliesslich ergreift die Muskelunruhe den ganzen Körper, der 
vor spontanen Zuckungen in den verschiedensten Muskelgruppen 
nicht zur Ruhe kommt, oft genug bleibt die Störung auf eine Seite 
beschränkt, die Hemichorea ist eingetreten. 

Stehend oder liegend machen die Extremitäten, die Schultern, 
Hüften, der Kopf kurze, unkoordinierte Bewegungen, gesteigert bei 
intendierter Bewegung, bewusster Beobachtung durch die Umgebung 
oder durch den Versuch, auf Befehl Ruhe zu halten. 

Auffallend ist, dass in den Ruhepausen im Gegensatz zur Hy¬ 
sterie, die Muskeln völlig normal bleiben, jedenfalls nie Spasmen, 
höchstens eine genüge Parese, ein auffallendes Schlaffsein gelegentlich 
vor dem Eintritte der Chorea oder in ihrem Verlauf auf weisen, 
weshalb man von der Chorea mollis spricht. Diese geringe Parese 
schwindet jedenfalls stets mit dem Abklingen der meist in Heilung 
ausgehenden Chorea minor. 

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F. SIEGERT, 


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Völlige Muskelrahe tritt fast stets im Schlaf ein, 
soweit er bei sehr extremen Graden der Erkrankung 
nicht beträchtlich gestört ist. 

Niemals zeigen sich Störungen der Blase und des Mastdarmes, 
im Gegenteil habe ich Aufhören der Enuresis nocturna während der 
Dauer der Chorea beobachtet. 

In schweren und schwersten Fällen wird die Mobilitäts¬ 
störung eine allgemeine und extreme. 

Die Kranken werden durchaus unfähig, allein zu essen, sie ver¬ 
mögen absolut nicht mehr mit der Hand die Speise zum Mund zu 
führen, von Ankleiden ist keine Rede mehr, einen Strumpf anzu¬ 
ziehen vermöchte der Kranke um keinen Preis. Beim Versuch, zu 
gehen, erfolgen entweder ein paar stampfende, schwankende Schritte 
nach rechts und links, und die Kranken fallen über die Seite zu¬ 
sammen oder aber unter heftigen Bewegungen mit den Händen und 
Armen, mit Zuckungen im Gesicht, im Schultergürtel, in den Beinen, 
endet der Versuch, ohne dass der Kranke es verhindern kann, damit, 
dass er in die Knie und zu Boden stürzt. Im Bett ist eine Ruhe¬ 
lage kaum noch zu erzielen und im schwersten Falle wird der ganze 
Körper in wilden Zuckungen hin und her geworfen, alle Teile schlagen 
an und müssen vor schwerer Verletzung durch Polsterung der Bett¬ 
wände geschützt werden, ja der Kranke kann selbst über das Gitter 
geschleudert werden, wenn nicht durch Narkotika für leidliche Ruhe 
gesorgt wird. Besonders die mit hohem Fieber und Koma oder De¬ 
lirien rasch einsetzenden Fälle erreichen diese schwersten Grade und 
gehen meist in wenigen Tagen zugrunde. 

Eine Störung im elektrischen Verhalten der nach Bonhoeffer 
in ihrem Tonus herabgeminderteu Muskulatur und der Nerven fehlt 
wohl ausnahmslos, ebenso pflegen alle Reflexe normal zu sein. 
Wollenberg allerdings beobachtete öfter erhebliche Steigerung des 
Präpatellarreflexes x ), der beim Kinde sehr verschieden sich verhält 
und den ich selbst nie gesteigert gesehen habe. Babinski fehlt aus¬ 
nahmslos. 

Dass die Sphinktereu nie ergriffen werden, wurde schon 
erwähnt. Das auffallende gelegentliche Wegfallen der Enuresis, einer 
Affektion, die wir mit Thiemich als ein für die kindliche Hysterie 
ungemein charakteristisches Symptom ansehen, beweist, dass die 
Chorea mit der Pseudochorea hysterica garnichts zu tun hat. 

Von seiten des Herzens sind Störungen in der Kontraktion 
(Chorea cordis) bisher einwandfrei nicht nachgewiesen worden. Sehr 


’) Heubner berichtet im Lehrbuch von mehrfach herabgesetztem Prä- 
patellarreflex. 


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5] Die Chorea minor, der Veitstaaz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 29 

beschleunigter Puls, wie aussetzender, wird von gleichzeitiger Endo¬ 
karditis, auf die wir noch zu sprechen kommen, häufig bedingt, wohl 
auch durch die grosse Muskelunruhe oder gestörte Atmung in schweren 
Fällen, hat aber mit der Chorea als solcher nichts zu tun. 

Die Atmung wird bei einigermassen ausgesprochener Chorea 
stets ungleichmässig und unregelmässig; eine Reihe oberflächlicher, 
ganz verschiedene Zeit dauernder Atemzüge wird von einem tiefen, 
seufzenden Atemzug mit manchmal angehaltener Inspiration gelegent¬ 
lich unterbrochen. 

Die Ernährung erweist sich selbst in leichten Fällen, stets in 
schweren dadurch gestört, dass bei unkoordinierter Bewegung der 
Kiefer- und Schluckmuskulatur die Nahrung schlecht gekaut und 
ungeschickt geschluckt wird. Durchfälle sind deshalb zuweilen be¬ 
obachtet. 

Auch durch den bei allen schweren Fällen herabgesetzten 
Flüssigkeitskonsum leidet die Ernährung; Abmagerung und Anämie 
pflegen deshalb bei diesen selten zu fehlen. 

Eine eingehendere Besprechung verdient das Verhalten des 
H erzens. 

Mit Wollenberg konstatieren wir, dass sichere Zahlen für 
die Häufigkeit seiner Erkrankung bei der Chorea nicht zu er¬ 
bringen sind. 

Bedenken wir, dass bei der Autopsie oft genug Endocarditis 
verrucosa gefunden wird, welche Erscheinungen intra vitam nie 
machte, während umgekehrt laute systolische Mitralgeräusche nach 
Ablauf der Chorea spurlos verschwinden, dass ferner die Exkreszenzen, 
welche an der Mitralis oder am Schliessungsraud der Klappen gefunden 
wurden, so ungemein klein sind, dass sie Störungen im Kreislauf gar 
nicht bedingen können, so verlieren klinische Angaben ohne Er¬ 
härtung durch die Sektion sehr an Bedeutung. Dass aber in 
V*—*/s aller Fälle eine Endokarditis bei Chorea voraus¬ 
geht, sie begleitet oder ihr folgt, kann auf Grund des 
vorliegenden Sektiousmateriales und der exakten klini¬ 
schen Beobachtung nicht geleugnet werden. 

Jedenfalls müssen wir die Endokarditis bei der Chorea minor 
als eine Lokalisation der gleichen Krankheitsursache am Herzen 
auffassen, welche, das Gross- und Kleinhirn schädigend, das Krank¬ 
heitsbild der Chorea minor auslöst. 

Von seiten der Psyche kommen ausser der bereits abgehandelten 
Labilität des Gleichgewichtes und der stets vorhandenen Erniedrigung 
der normalen Reizschwelle Lähmungs- und Reizerscheinungen bei 
hochgradigen Fällen vorübergehend zur Beobachtung mit melancholi- 


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F. SIEGERT, 


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sehen, wie manischen Zuständen, welche sogar einander folgen 
können, ohne dass die Prognose quoad sanationem dadurch ungünstig 
würde. 

Etwa durch Chorea minor komplizierte Hysterie pflegt nur im 
Beginn und gegen Ende der Chorea eindeutige Erscheinungen za 
machen, während im floriden Stadium die Chorea ganz dominiert, 
die aber in allen Stadien von der hysterischen Pseudochoroa zu unter¬ 
scheiden ist. 

Der Verlauf der Chorea minor in den unkomplizierten Fällen 
ist, wie ihr Beginn, stets ein subakuter, nur in den seltensten Fällen 
und dann nie ohne schwere toxische Erscheinungen, kommt es zum 
akuten letalen Verlauf. 

Mit Gowers, im Gegensatz zu englischen und französischen 
Autoren, wie zu Oppenheim, werden wir mit einer Dauer von 
1—6, selten selbst bis 8 Monaten zu rechnen haben, während das 
Gross der Fälle in etwa 1—3 Monaten zur Heilung gelangt. Dass 
die klinisch beobachteten Fälle im Gegensatz zu den ambulatorischen 
meist eine längere Dauer, einen schweren Grad, eine häufigere Ver¬ 
gesellschaftung mit Gelenkrheumatismus und intermittierender Endo¬ 
karditis, Pleuritis und Sepsis zeigen, liegt auf der Hand. Die leichten 
Fälle gelangen eben meist nicht zur klinischen Behandlung, die 
schweren naturgemässerweise häufig. Langsam, an Intensität zu¬ 
nehmend, klingt die Erkrankung ebenso langsam ab. Fieber beweist 
ausnahmslos eine Beteiligung der Gelenke oder des Herzens am 
Krankheitsprozess, den Eintritt einer Komplikation, oder das gleich¬ 
zeitige Bestehen einer anderweitigen Erkrankung. 

Der Ausgang ist in der Regel die vollständige Heilung, nur 
in etwa 2—3°/o aller Fälle ein tödlicher. 

Vor allem für das Kindesalter ist die Prognose eine recht 
günstige, bei unbeteiligtem Herzen auch für vollständige Heilung. 
Nur die noch zu besprechende Chorea minor gravidarum ist 
bösartiger sowohl für Mutter, wie Kind. 

Aus den Beobachtungen von Barnes, Fehling, Gowers, 
Wenzel ergibt sie für die Mütter eine Mortalität nach Krön er’s 
Zusammenstellung von etwa 22°/o aus 151 Fällen, für die Kinder 
eine solche von etwa 37 °/o aus 125 Fällen. 

Die Heilung aber ist bei der Chorea minor insofern 
keine vollständige, als die einmal überstandene Krank¬ 
heit zu Rezidiven prädisponiert. 

Nach meiner Erfahrung sind sie, wenigstens bei frühzeitiger Er¬ 
krankung, die Regel, treten wiederholt auf, häufig 2—3mal, doch sind 
4 Rezidive von Wollenberg, 5—8 von Sachs, 6—9von Gowers, 
10 und mehr von Frerichs berichtet. Meist sind die Rezidive 


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7] Die Chorea minor, der Veitatanz. (Sydenham’ache Chorea, Chorea infect.) 31 


leichter als die erste Erkrankung, oft waren sie dies angeblich so 
sehr und von so kurzer Dauer, dass es sich um hysterische Selbst¬ 
kopie sicher in vielen Fällen gehandelt hat. Dass die Entscheidung 
über die Frage, ob Rezidiv oder hysterische Reproduktion überstan¬ 
dener Chorea sehr schwierig werden kann, selbst unmöglich, liegt auf 
der Hand. Die auffallend rasche Entwickelung, vor allem auch die 
plötzliche Heilung bei suggestiven Einwirkungen, objektiv die fehlende 
Schlaffheit der ruhenden Muskeln und das Fehlen der für die Chorea 
minor so typischen Koordinationsstörung sind wichtig für die rich¬ 
tige Bewertung. In Ausnahmefällen erreichen die Rezidive den 
gleichen, selbst höheren Grad wie die erste Erkrankung. 

DieKomplikationen der Chorea minor bestehen ihrer Natur 
nach in erster Linie in der Endokarditis und im Gelenkrheu¬ 
matismus. Da wir für alle drei eine gemeinsame Noxe annehmen, 
worauf noch zurückzukommen ist, erscheint das selbstverständlich. 

Au zweiter Stelle stehen unter den Komplikationen die Peri¬ 
karditis und die Pleuritis, letztere auch unabhängig von einer 
etwa übergreifenden Perikarditis. 

Beide zeichnen sich aus durch ein oft ungemein rasch zu¬ 
nehmendes Exsudat und eine fast nie fehlende grosse Beschleunigung 
des Pulses und der Respiration, wie Neigung zum Kollaps. 

An dritter Stelle stehen die Embolien, die, besonders im Ge¬ 
hirn häufig beobachtet als kleinste kapilläre Embolien, abhängig von 
der Endocarditis verrucosa, lange zu der Auffassung geführt haben, 
als sei von ihnen die Chorea minor durch Schädigung des Zentral¬ 
nervensystems bedingt. 

Schliesslich findet sich bei den schweren, tödlich verlaufenden 
Fällen oft genug eine allgemeine Sepsis mit den charakteristischen 
multiplen, bakteriellen Embolien und Ekchymosen der inneren Organe 
und serösen Häute. Auch seröse Meningitis wurde vereinzelt be¬ 
richtet. 

Ob die im Verlauf der Chorea oft festgestellte Angina nicht 
als Rezidiv früherer Anginen aufzufassen ist, welche ihrerseits die 
Eingangspforte der subakuten Allgemeininfektion und Intoxikation, 
also der Chorea gewesen sind, lasse ich dahingestellt. 

Die Diagnose bedarf nach dem Gesagten keiner weiteren Be¬ 
sprechung. 

Differentialdiagnostisch kommt die Pseudochorea 
hysterica in Betracht, ferner die Huntington'sehe chronische 
progressive Chorea, dieMaladie des tics convulsifs, ferner 
die Chorea posthemiplegica und die von diffusen, inter¬ 
stitiellen, angeborenen oder früh erworbenen Gehirner¬ 
krankungen bedingten choreatischen Bewegungen. 


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F. SIEGERT, 


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Die Pseudochorea hysterica wird charakterisiert durch 
die bei der Untersuchung der Muskulatur nachgewiesenen Spasmen, 
die hysterischen Stigmata, das Fehlen der gesetzmässigen Koordina¬ 
tionsstörungen, durch ihr epidemisches Auftreten, vor allem aber den 
mächtigen Einfluss suggestiver Behandlung. Die Diagnose kann oft 
genug erst bei längerer Beobachtung gesichert werden. 

Die Huntington'sehe chronische progressive Chorea 
ist ungemein selten im Kindesalter, vor dem 10. Lebensjahre kommt 
sie niemals, vor dem 15. fast niemals vor, erbliche Belastung fehlt 
fast nie, sie ist von progressiver Verblödung begleitet und geht nie¬ 
mals in Heilung über. Hervorzuheben ist ihr in Familien gehäuftes 
Auftreten. 

Die Maladie des tics convulsifs, wie die Chorea minor das 
Kindesalter bevorzugend, lässt sich vor allem von dieser unterscheiden 
durch das Fehlen der Koordinationsstörungen. 

Meist auf die obere Körperhälfte beschränkt, zeigen die Muskel¬ 
zuckungen sich in ganzen Muskelgruppen, am wenigsten, oder nie, 
wie beim Beginn der Chorea minor, auf die Finger oder Zehen be¬ 
schränkt, von evident intermittierendem Charakter, ohne Verschlim¬ 
merung, im Gegenteil mit Nachlassen bei Beobachtung oder 
dem Versuch der Ruhestellung, ferner nicht mit dem allmählichen 
Kommen und Gehen, sondern lange Monade bei gleicher Intensität 
andauernd. Speziell die Synergeten unter den Muskeln des Armes, 
des Kopfes oder Schultergürtels sind betroffen. Epilepsie folgt nicht 
selten. 

Die Chorea posthemiplegica ergibt eine typische Ana¬ 
mnese, zeigt gesteigerte Reflexe, niemals herabgesetzten, sondern er¬ 
höhten Muskeltonus und wird durch den Nachweis der zerebralen 
Hemiplegie als solche aufgeklärt. 

Auf die gleichen Symptome stützt sich die Diagnose der von 
multiplen encephalitischen Herden ausgelösten choreaähnlichenUn- 
ruhe vieler Muskelgruppen, welche unabhängig vom Willen, wie 
von der Beobachtung bei der Untersuchung sich erweist. 

Pathologisch-anatomische Befunde für die unkom¬ 
plizierte Chorea minor fehlen bisher gänzlich. 

Die kleinen im Gehirn bei systematischer Untersuchung — be¬ 
sonders in der Umgebung alter Blutungen — ganz gewöhnlich auf¬ 
findbaren mit Jod grünblau sich färbenden, auch als Corpora amylo- 
idea beschriebenen konzentrisch geschichteten Konkremente, 
welche von E1 ischer zuerst bei Chorea beschrieben, von Jakowenko 
als pathognomonische angesehen wurden, haben selbstverständlich 
nichts mit der Chorea zu tun. 

Ebensowenig die Embolien, vor allem auch die bakteriellen 
Kapillarembolien, welche bei der mit Endokarditis einhergehenden 


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9] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 33 


Chorea ohne weiteres verständlich werden. Heute existiert keinerlei 
pathologisch-anatomische Unterlage für die Erklärung der Chorea 
trotz zahlreichster exakter Untersuchungen kompetenter Beobachter. 
Trotzdem aber vermögen wir uns über den Sitz der Erkrankung 
eine berechtigte Vorstellung zu machen auf Grund der klinischen 
Beobachtung verwandter Zustände. Förster beschäftigt sich in 
seiner Analyse des Wesens der choreatischen Bewegungs¬ 
störungen eingehend mit dem wahrscheinlichen Sitz der Erkrankung. 
Vor allem sind es das Kleinhirn und die Bindearme, welche 
erkrankt sein müssen und die Leitung zum Grosshirn unvollkommen 
vermitteln. 

Da das Kleinhirn in erster Linie der Koordination der Muskel¬ 
bewegung dient, ist das ohne weiteres wahrscheinlich. Ausserdem 
ist die Koordinationsstörung auch bei leichter Chorea minor so vor¬ 
herrschend, dass eine Bindearmerkrankung allein, diese nicht 
erklären würde. Die Auffassung von so vielen Autoren seit Gower’s, 
im Verein mit Bonhoeffer’s Beobachtung eines Tumors der Binde¬ 
arme findet in Foerster’s Deduktionen eine Stütze ufid muss nur 
durch die Heranziehung auch des Grosshirns für die Erklärung 
der psychischen Störungen ergänzt werden. Das ganze Zentral¬ 
nervensystem ist demnach beteiligt, ohne dass bis heute 
irgend ein histologischer Befund feststebt. 

DieÄtiologie der Chorea minor als einer Infektionskrankheit 
ist noch in Dunkel gehüllt, wie ihr pathologisch-anatomisches Substrat. 

Doch vereinigt sich alles, um uns zur Ansicht zu führen, in 
ihr eine toxische Schädigung des Grosshirns und Klein¬ 
hirns wie derBindearme zu sehen durch die Mikroben, welche 
auch die Polyarthritis und Endokarditis bedingen. Zu beiden steht 
die Chorea minor in der engsten Beziehung. Durch Bright 1839, 
durch Hughes im Jahre 1846 zum erstenmal systematisch erörtert 
und behauptet, hat der Streit für und wieder sie noch heute keine 
Einheit der Ansichten aufkommen lassen. Aber schon 50 Jahre 
vorher wurde von Stoll, dann Bouteille, Copland auf diese 
Beziehung der Chorea zum Rheumatismus hingewiesen. 

Vor allem sind hier zuverlässige Werte insofern schwer zu er¬ 
halten, als nur solches Material zur Untersuchung gelangen sollte, 
bei dem eine erste Chorea minor wenigstens mehrere Jahre zurück¬ 
liegt, andererseits die Anamnese positive Behauptungen zulässt. 

Mit poliklinischem Material ist recht wenig anzufangen, soweit 
es von Gelenkrheumatismus und Herzaffektionen nichts ermitteln lässt 

Denn jeder Kliniker, wenigstens wenn ihm Kindermaterial in 
grosser Menge zu Gebote steht, wird zugeben, dass die exakte Be¬ 
obachtung von Chorearekonvaleszenten oft kurz dauerndes Fieber 
ergibt, für welches die sorgfältige Untersuchung der von selbst das 


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F. SIEGERT, 


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Bett aufsuchenden Kinder als einzige Ursache Schmerzen in den 
Fussgeleukeu oder Handgelenken aufzufinden erlaubt, die spontan 
fast fehlend, bei sogar vorsichtiger passiver Bewegung der Gelenke 
auftreten. 

Schon noch 36 Stunden können Fieber und Gelenkschmerzen 
schwinden, um nach kürzerer oder längerer Frist wiederzukehren. 
In keinem solchen Falle wissen die Eltern etwas anderes zu sagen, 
als dass Gelenkrheumatismus bestimmt nie vorlag. Selbst wo der Be¬ 
such derselben in der Klinik mit einem solchen Anfall zusammenfiel 
und das Kind deshalb nach mehrwöchentlichem Aufseiu wieder zu 
Bett lag, hatten die Eltern, wie ich feststellte, gar kein Verständnis 
dafür, dass solche Gelenkschmerzen und Fieber irgend etwas zu 
bedeuten hätten, geschweige denn als Gelenkrheumatismus gelten 
könnten. 

Da ferner oft genug bei der Sektion konstatierte Endo- 
carditis verrucosa im Leben keinerlei Symptome gemacht hatte, 
ist auch hier sicher wie für die Polyarthritis, der klinisch für beide 
Komplikationen der Chorea festgestellte Prozentsatz unter allen Um¬ 
ständen ein den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber zu niedriger. 
Auffallend ist auch, dass die klinischen Zahlen aus¬ 
nahmslos viel höher liegen als die poliklinischen. 

Mindestens in einem Drittel aller Fälle von Chorea minor findet 
sich die Polyarthritis in der Anamnese der Chorea und in einer eben¬ 
falls grossen Zahl tritt sie ira Verlauf oder später hinzu (Hughes 
und Burton, Brown, S^e, Chapin, Peiper, Litten, Wollen¬ 
berg, Heubner, H. Meyer), während für die Endocarditis minde¬ 
stens 50°/o anzusetzen sind (Osler, H. Meyer). 

Die zahllosen Theorien über die kausale Dignität der einzelnen 
Erscheinungen der Diathöse rhumatismale, wie See 1850 die Trias 
benannt hatte, übergehe ich hier, ebenso die lange vertretene und 
selbst einem Frerichs annehmbare Theorie, es sei die Gehirnläsion 
durch kapilläre Embolien im Gefolge der Endokarditis das anatomische 
Substrat der Chorea minor. Letztere Theorie war schon vor 25 Jahren 
für einen so erfahrenen Kenner wie Henoch erledigt auf Grund 
der Tatsache, dass trotz manifester Endokarditis bei tödlicher Chorea 
oft genug von Embolien nichts vorhanden war. 

Seit Leube erblicken wir das Wesen derselben in 
einer Infektion mit toxischer Schädigung des Zentral¬ 
nervensystems und können mit Möbius in ihr nur eine 
Infektionskrankheit erblicken. 

Dass bakterielle Invasionen anderer Art und subakuten 
Verlaufes, wie sie bei der Angina lacuuaris, dem Scharlach, den 
Masern, der Gonorrhöe auftreten, in der Anamnese der Chorea häufig 
Vorkommen, iot bei dieser Auffassung ebenso verständlich, wie das 


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11] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham'eche Chorea, Chorea infect.) 35 


innige Verhältnis der Chorea zu Polyarthritis und Endo¬ 
karditis. Damit aber fällt die Forderung nach einem einheitlichen 
Krankheitserreger, da alle septischen Infektionen zu toxischer Schädi¬ 
gung des Zentralnervensystems führen können. Koch’s Forderung 
eines einheitlichen Virus, Pianese’s unbestätigte Behauptung, den 
spezifischen Erreger entdeckt zu haben, verlieren jede Bedeutung, 
sobald wir in der Chorea eine akut verlaufende Intoxikation bei all¬ 
gemeiner Invasion mässig virulenter Bakterien sehen, ohne dass 
bestimmte Staphylokokken, Streptokokken oder Diplokokken (Poly- 
artbritis, Scarlatina, Gonorrhöe) allein ätiologische Bedeutung erlangen. 

Unter diesem Gesichtspunkt wird auch die ätiologische 
Bedeutung der Disposition nervöser Individuen der 
Jugend, wie des weiblichen Geschlechtes verständlich. Dass 
das Gehirn Jugendlicher verhältnismässig leicht bei Infektionen, resp. 
bei Intoxikation in Mitleidenschaft gezogen wird, dass Krämpfe 
klonischer, wie tonischer Natur bei ihnen leicht auftreten, ist eine 
tägliche Erscheinung. Ganz gewöhnlich sehen wir im Kindesalter 
einsetzende Gehirnläsionen sich mit choreatischen Bewegungen kom¬ 
plizieren. Dass die weibliche Jugend eine viel labilere Reiz¬ 
schwelle besitzt, als die männliche, schon in frühester Zeit, lehrt vor 
allem die Hysterie, ferner die Nervosität, die Empfindlichkeit der 
Schülerinnen, die viel grössere Häufigkeit der verschiedenen Tics bei 
den Mädchen. 

Dass allerdings eine grosse Zahl von Fällen angeblicher Chorea 
minor im Anschluss au ein psychisches Trauma alsPseudo- 
chorea hysterica zu gelten haben, beweist das akute Einsetzen 
mit weitverbreiteten Muskelzuckungen und mehr noch die häufige 
sofortige Beeinflussung durch suggestive Massnahmen. 

Direkte Heredität der Chorea scheint fast niemals vorzukommen, 
eher noch finden sich Gelenkrheumatismus, Endokarditis oder septische 
Erkrankungen in der Familienanamnese. 

Dagegen erweist sich die Jugend als ungemein disponiert. 

So fallen nach Wollenberg’s Zusammenstellung aus der 
Literatur von 913 Fällen 33 oder 3,6 % auf das 1.—5. Lebensjahr, 
613 oder 75°/o auf das 6.—15., 124 oder 13,5% auf das 16.—20. Jahr. 
Das 6.—10. Jahr ist wiederum stärker beteiligt, als das 11.—15. Jahr 
und beim männlichen Geschlecht ist die Disposition mit der Puber¬ 
tät fast erloschen, während sie beim weiblichen noch über diese 
hinaus bis zum 20. selbst 22. Jahre andauert. 

Das Geschlecht erscheint überhaupt von massgebendem 
Einfluss. 

Nach Wollenberg’s Tabelle IV. fielen von 3595 Erkrankungen 
2481 oder 69% auf das weibliche, nur 1114 oder 30,9% auf das 
männliche Geschlecht. 


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F. SiEGERT, 


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Und dass auch die schweren Erkrankungen an Chorea minor 
bei weitem auf das weibliche Geschlecht fallen, lehrt die Tatsache, 
dass in der Klinik etwa sechsmal mehr Mädchen zur Beobachtung 
kommen als Knaben, in der Ambulanz nur etwa l x / 2 mal so viel. 

Auch das Klima kann insofern von Einfluss werden, als Winter 
und Frühjahr reicher sind an Angina und Gelenkrheumatismus und 
damit auch an Chorea minor. 

Wollenberg’s Material ergab für’s erste Quartal 47,7°/o, fürs 
zweite 26,6°/o, fürs dritte 8,2 °/o, für das vierte wieder 22°/o. Auch 
bei den übrigen Autoren hat das 3. Quartal die geringste Frequenz. 

Dass Anämien, Chlorosen, erschöpfende fieberhafte Erkrankungen, 
dauernde Depressionszustände bei eintretender Allgemeinintoxikation, 
resp. Infektion der Chorea das Feld ebnen, bedarf keiner Erörterung. 

DieTherapie derChorea minor muss in erster Linie 
auf eineStärkung des allgemeinen Körperzustandes aus¬ 
gehen, in zweiter Linie die bestehenden Reizzustände 
zu mildern versuchen. 

Der Auffassung der Krankheit als einer durch subakute Allge¬ 
meininfektion bedingten Intoxikation entsprechend, muss das thera¬ 
peutische Ziel eine Serotherapie sein, welche das hypothetische Gift 
möglichst früh zu neutralisieren erlaubt. 

Da aber der Beginn der Koordinationsstörung bereits eine Läsion 
des Zentralnervensystems beweist, erscheint eine erfolgreiche Sero¬ 
therapie nur in sehr bedingtem Grade möglich zu werden. 

Zur Kräftigung des Körpers, wie zur allgemeinen Beruhigung ist 
unter allen Umständen absolute Bettruhe von Anfang an, auch 
im leichtesten Falle, indiziert, auch zur Schonung der Gelenke und 
des Herzens. Damit wird die unerlässliche Trennung der Kranken 
von der Umgebung erreicht, was vor allem für Schulkinder von 
grösster Wichtigkeit ist. Denn Schulepidemieu von Pseudochorea 
hysterica sind von einer Chorea minor schon wiederholt ausgelöst 
worden. (Wagner, Hufeland, Wicke, Bricheteau, Steiner.) 
Auch pflegen die Kranken selbst, bei dem mangelnden Verständnis 
der Mitschüler für ihren Zustand besonders im frühen Stadium sehr 
belästigt und gereizt zu werden. 

Der Erfolg der Bettruhe ist sehr oft ein weitgehender in leichten 
Fällen und auch in schweren fast stets ein auffallender. 

Bestehen stärkere Reizzustände, se sind leichte, für das Hers 
unschädliche Narkotika, eventuell warme Bäder, auch Kohlen¬ 
säurebäder am Platz. Veronal, Neuronal, Morphium, Trional, Amylen- 
liydrat in kleinen, wiederholten Dosen kommen in Betracht. Unterstützt 
werden sie durch protrahierte Kohlensäurebäder, oder warme Bäder, 
bei denen eine sorgfältige Lagerung der Kranken, event. auf einem 
Leintuch und dauernde Überwachung am Platze ist. Die Kohlen- 


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13] Die Chore» minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 37 

Säurebäder erlauben etwas niedrige Temperaturen von 32—34 0 C.; 
den Kopf wird man vorteilhaft mit kühlen Kompressen wiederholt 
bedecken. Auch warme Ganzpackungen in der Dauer von 2—3 Stun¬ 
den, aber nur 1—2 mal in 24 Stunden sind recht wirksam. 

Bevorzugt aber wird beim Fehlen jedes spezifischen Mittels der 
Arsenik in seinen verschiedenen Präparaten. 

Dass er in vielen Fällen günstig wirkt, scheint nach allgemeiner 
Ansicht der Fall zu sein, manchmal ist seine Wirkung gerade bei 
schweren Fällen eine auffallende. 

Gewöhnlich wird er in Form des Liquor Kalii arsenic. s. Fowleri 
verordnet, mit Aqua amygdal. amar. ää, dreimal täglich mit vier 
Tropfen beginnend und in 3—5 tägigen Intervallen, um je 2 Tropfen 
3mal täglich steigend, bis zu 3mal 10 Tropfen, wobei dann etwa 
0,01 Arsen gegeben wird. Bei dieser Medikation dürfte jede Gefahr 
der Schädigung des Kranken ausgeschlossen erscheinen. Ist man 
bei der gewünschten grossen Dosis angekommen, so wird (jjese 2 bis 
3 Wochen gegeben und dann rasch wieder durch Verminderung der 
Tropfenzahl die Medikation gemildert und ausgesetzt. 

Die erwähnten Narkotika ergänzen diese Behandlung. 

Auch die Brompräparate haben viele Anhänger gefunden und 
erscheinen hier um so unbedenklicher, als eine Bromakne bei gleich¬ 
zeitiger Verordnung des Arsens fast nie zur Beobachtung kommt 

Mischungen der verschiedenen Bromsalze etwa wie in Erlen- 
meyer’s Bromwasser, oder die brausenden Bromsalze werden von 
jugendlichen Kranken leicht genommen. 

Wenig Erfolg sah ich von den verschiedenen Salizylpräpa- 
raten. 

Weder vermögen sie beim Gelenkrheumatismus die Endokar¬ 
ditis oder Chorea fernzuhalten, noch haben sie eine einigermassen 
deutliche Wirkung auf die Spontaubewegnngen und die Koordinations- 
Störung bei der Chorea. Wohl aber verdienen sie allgemeine 
Anwendung bei den häufigen Anfällen von Gelenkrheu¬ 
matismus im Verlauf der Chorea; mit Rücksicht auf eine kom- 
plizizierende Endokarditis oder gar Perikarditis müssen aber die Dosen 
niedrig bemessen werden. Das Aspirin resp. die Azetylsalizylsäure 
macht auch bei Kindern keine oder nur geringe Magenbeschwerden. 

Über die Brauchbarkeit des Antipyrins bei der Chorea lauten 
die Urteile sehr verschieden. In einem Falle scheint es vorteilhaft 
zu wirken, im anderen versagt es gänzlich. Jedenfalls dürfen nicht 
zu grosse Dosen angewendet werden, etwa 2—3 Dosen von 0,3—0,5 g 
beim Kinde, 0,5—1,0 g beim Erwachsenen. 

Ohne jeden Einfluss erweist sich die elektrische Behand¬ 
lung, wie überhaupt mit suggestiven Faktoren bei der Chorea minor 
nichts zu erreichen ist. Die Faradisation hat oft genug nur eine Steige- 


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F. SIEGERT, Die Chorea, der Veitstanz etc. 


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rung der krankhaften Erregung des Kranken zur Folge, die Galvanisation 
ist bei der unbedeutenden Hypotonie der sonst durchaus normalen 
Muskulatur zwecklos. 

Dass der Ernährung der Kranken die grösste Sorgfalt zu 
schenken ist, bei reizloser, leicht verdaulicher Kost, dass Alkoholika, 
Kaffee, Tee, Kakao nicht am Platze sind, versteht sich von selbst. Be¬ 
stimmte diätetische Vorschriften erübrigen sich, nur ist auf reichliche 
Verwendung von rohem Obst, Gemüse und grobem Brot, wie auf 
Einschränkung der Milch und der Eiweissmengen zu achten. Eisen¬ 
präparate ergänzen zweckmässig die Nahrung. 

Bei sehr grosser Unruhe bedarf es der Polsterung der Seiten¬ 
wände des Bettes und Überwachung der Kranken, wieder 
dauernden Anwendung der Narkotika. 

Die Chorea minor gravidarum erfordert in schweren, 
keiner Medikation zugänglichen Fällen die künstliche Frühgeburt, 
welche nyt Rücksicht auf die grosse Gefährdung von Mutter und 
Kind durchaus gerechtfertigt erscheint und meist von raschestem 
Erfolg begleitet ist. 


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Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 

Bd. VIII. H. 2. 

Alleinige Inseratenannahme durch Karl Löhner, Annoncenexpedition, Berlin S.W. 11, Grossbeerenstr. 92. 


Über Versuche mit Eisennahrzucker (Prof. Dr. Soxhlet’s Nährzucker ohne 
Salz mit 0,7 °/o Ferr. glycerin. phosphor.) und Eisennährzuckerkakao (Prof. 
Dr. Soxhlet’s Nährzuckerkakao mit 10°/« Ferr. oxyd. sacch. solub.) und über die 
mit ihnen erzielten günstigen Resultate in der Ernährung namentlich atrophischer 
und anämischer Kinder, — Vermehrung des Haemoglobingehaltes und Steigerung 
des allgemeinen Wohlbefindens — berichten Dr. Karl Grünfeld aus dem Kaiser 
Franz Josefs-Ambulatorium in Wien (Vorstand Dozent Dr. Zappert) in der Öst. 
Ärzte-Zeitung Nr. 9, 1907 und Dr. A. Klautsch aus der unter seiner Leitung stehen¬ 
den Kinder-Pflege und Heilanstalt „St. Elisabeth-Kinderheim“ zu Halle in der 
Deutschen Medizinischen Presse Nr. 4, 1907. 


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namentlich die in forensischer Beziehung so wichtigen Schwachsinnsformen („der kleine Unverstand 4 *) besprochen und 
schliesslich den Psychiatern die Wege gewiesen, weiche sie einschlagen müssen, um ihrer Wissenschaft mehr Geltung 
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2. Auflage. M. — .90, 

Allir. med. Zentralst*.: Den Bedürfnissen der Praxis 
entsprechend, stellt Verf. überall die Therapie in den 
Vordergrund und erörtert sie sehr ausführlich; darum 
raten wir jedem Kollegen, der viel Kindcrpraxis hat, sich 
das kleine billige Büchlein anzuschafftn. 

Heft 10: Bartflechten und Flechten im Barte. 

2. Auflage. M. -.70. 

Prnaer med. Wochenschr.: Indem der diagnostisch’ 
Abschnitt alles in praktisch dermatologischer Hinsicht 
Bedeutsame streift, ist der therapeutische Abschnitt ein 
bis in die kleinsten Details ausgeführtes Bild modern* ! 
Therapio der Sy kosen. Auch die allgemeine und indivi 
duelle Prophylaxe der Sykosis parasitaria und der durch 
den Barbier übertragbaren llauterkrankungen hat eit- 
ausgedehntere Besprechung gefunden. 

Heft 11: Die Syphilide (Syphilis der Haut und 
Schleimhaut). J. Teil: Diagnose. M. 1.20. 

Heft 12: Die Syphilide (Syphilis der Haut uni 
Schleimhaut). II. Teil: Therapie. M. 1.20. 


Allir. Wiener med. Zelte.: Strenge Objektivität und ein gerechtes Urteil gegenüber den verschiedenen Methoden 
der Behandlung, überall reiche eigene Erfahrung und bei jedem Satz der Beweis, dass Jessner mit der Zeit geht. N 
klein der Umfang der Heftchen ist, sie enthalten mehr, als manches neuere, dickleibige Lehrbuch. Dabei eine stilistisch* 
Beherrschung, die in der medizinischen Literatur eine Rarität ist. Wie knapp und scharf sind Jessners Worte über 
die Antimerkurialisten! Jedes Wort ist ein„Hieb, der sitzt! So können wir denn auch diesen beiden Heftchen eince 
glänzenden Erfolg Vorhersagen. Praktische Ärzte und Spezialisten werden sich manchen wertvollen Wink holen. Sp. 


Heft 13: Die Schuppenflechte (Psoriasis vul¬ 
garis) und ihre Behandlung. M. —.60. 

Heft 14: Diagnose und Therapie des Ekzems 

I. Teil: Diagnose. M. —.80. 

Heft 15: Salben und Pasten mit besonderer 
Berücksichtigung des Mitin. M. —.60. 

Heft 16: Diagnose und Therapie des Ekzems. 

II. Teil: Therapie.. M. 1.50. 

Heft 17: Kosmetische Hautleiden (Hautver¬ 
färbungen, Warzen, Hyperidrosis etc.). 2.Aufl. 
Brosch. M. 2. —, Separat-Ausgabe gebd. M. 2,50. 

Heft 18: Kokkogene Hautleiden (Furunkel 

Erysipel etc.). M. 1.80. 


Die Reihe wird fortgesetzt. 


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Naehruf. 

Die Würzburger Abhandlungen haben durch den 
Tod zweier hochgeschätzter Mitherausgeber schmerzlichen Ver¬ 
lust erlitten. Trauernd stehen wir am Grabe dieser Männer, 
die, in der Vollkraft ihres Schaffens vorzeitig vom Tode ereilt, 
berufen schienen, noch lange Jahre segenbringend in der ärzt j 
lieben Praxis und erfolgreich auf dem Gebiete der Wissen¬ 
schaft tätig zu sein. 

Am 26. Oktober 1907 starb zu Würzburg der Gynäkologe 
Prof. Dr. Wilhelm Nieberding. Geboren am 18. Februar 1850 
zu Varel in Oldenburg als Sohn des Medizinalrates Dr. Fr. 
Arnold Nieberding, erhielt er seine medizinische Aus¬ 
bildung an den Universitäten Bonn und Göttingen und wurde 
schon als Student zu einer allgemeiner bekannten Persönlich¬ 
keit durch eine Säbelmensur mit dem nachmaligen Fürsten 
Herbert Bismarck, die letzterem eine schwere Abfuhr eintrug. 
Den deutsch - französischen Krieg machte Nieberding als 
Einjähriger mit, 1874 ward er Assistenzarzt bei Hüter in 
Greifswald, 1875 bei Scanzoni, 1879 habilitierte er sich in 
Würzburg mit einer Schrift „Über Ektropium und Risse“, der 
eine grössere Reihe von Veröffentlichungen aus dem Gebiet 
der Geburtshilfe und Gynäkologie folgte. Für die „Würz¬ 
burger Abhandlungen“ lieferte Nieberding eine Arbeit „Über 
die Versiofloxionen des Uterus“. Grosse Verdienste erwarb 
sich Nieberding um das Hebammenwesen als Leiter der 
hiesigen Hebammenschule und wurde in Anerkennung der¬ 
selben 1885 mit dem Titel eines Kgl. Professors ausgezeichnet. 
Als Arzt erfreute sich Nieberding in weiten Kreisen eines 
hervorragenden Rufes und war allgemein hochgeachtet wegen 
seines geraden mänulichen Charakters. 


Mit Albert Hoffa verlor die medizinische Welt einen 
bahnbrechenden orthopädischen Chirurgen. Als Sohn eines 
Arztes zu Richmond in Südafrika am 31. März 1859 geboren, 
war Hoffa nach einem Studium in Marburg und Freiburg 


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mit Hermann Maas 1883 nach Würzburg übergesiedelt und 
batte sich hier 1886 als Privatdozent habilitiert. Als Maas 
kurz darauf in noch jungen Jahren starb, war Hoffa ganz 
auf sich angewiesen und gründete eine orthopädische Privat¬ 
klinik, die anfänglich sich nur unter Schwierigkeiten behaupten 
konnte, später aber desto glänzender emporblühte und Patienten 
aus aller Herren Länder anzog. Der Ruf Hof fas wuchs be¬ 
sonders mit dem Erscheinen seiner Lehrbücher der Frakturen 
und Luxationen, der Technik der Massage und der ortho¬ 
pädischen Chirurgie, Werke, die zu den besten der Fach¬ 
literatur gezählt werden müssen. Unermüdliche Arbeitskraft, 
verbunden mit grosser Leichtigkeit des Schaffens, eine heitere 
Gemütsstimmung und warmes Mitgefühl mit seinen Kranken 
zeichneten Hoffa als Arzt und Forscher aus und erklären 
seine grossen Erfolge. Er besass in ungewöhnlichem Masse 
ein offenes Auge für alle wichtigen Neuerungen, die er seinem 
Spezialfache nutzbar zu machen verstaud und erkannte als 
Erster die grossen Vorteile der bis dahin von der wissenschaft¬ 
lichen Chirurgie fast übersehenen Hessingschen Hülsen¬ 
schienen. 1897 erhielt Hoffa, der damals schon Weltruf 
besass, Titel und Rang eines Extraordinarius, 1902 erfolgte 
seine Berufung an die orthopädische Universitätsklinik in * 
Berlin. Sein erfolgreiches Wirken an dieser Stelle und seine 
Verdienste um die Errichtung einer Heimstätte für knochen¬ 
kranke Kinder und um ein Krüppelheim sind noch in aller 
Gedächtnis. Für die „W. A.“ lieferte Hoffa die Beiträge 
„Blutige Operation der Hüftgelenksluxation“ Bd. I. und „Ge¬ 
lenktuberkulose im kindlichen Lebensalter“ Bd. HI. Er starb 
am 31. Dezember 1907 an Coronararteriensklerose zu Köln 
auf der Rückreise von Antwerpen, wohin ihn ein Konsilium 
gerufen hatte. 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 

Von 

Oberstabsarzt Prof. Dr. A. Dieudonnä. 


Die Erkrankungen durch den Genuss von Nahrungsmitteln 
sind sehr häufig und kommen sicher noch weit öfter vor als be¬ 
kannt wird, da nur bei gehäuftem Auftreten und auch dann nicht 
immer etwas davon in die Öffentlichkeit gelangt. Viele unbestimmte 
Infektionen und Erkrankungen des Darmkanals oder vorübergehende 
Verdauungsstörungen, die als Diätfehler bezeichnet werden, sind 
zweifellos sehr oft auf verdorbene Nahrungsmittel zurückzuführen. 

Während man früher die meisten Nahrungsmittelvergiftungen, 
besonders die Fleischvergiftungen als echte Vergiftungen durch 
Fäulnissubstanzen, Ptomaine u. a. betrachtete, haben die neueren 
Untersuchungen ergeben, dass sie meistens durch bestimmte spezi¬ 
fische Bakterien hervorgerufen werden und zwar durch die Ein¬ 
führung der krankmachenden Bakterien selbst (Infektion) oder der 
von den Bakterien gebildeten spezifischen Gifte (Intoxikation). In 
dieser Arbeit sind nur die durch Bakterien hervorgerufenen Nahrungs¬ 
mittelvergiftungen besprochen, andere, wie Pilzvergiftungen u. dgl. 
nicht; auch die durch Fleisch übertragbaren parasitären (Taenien, 
Trichinen) und bakteriellen Infektionen (Tuberkulose, Milzbrand, 
Rotz u. a.) sind nicht berücksichtigt. 

Die Feststellung der wirklichen Ursache einer Nahrungsmittel¬ 
vergiftung ist oft sehr schwierig, am ehesten noch bei Massenbe¬ 
trieben, in Kasernen, Gefängnissen, Pensionaten, wo die Lebensbe¬ 
dingungen gleichmässig und gut kontrollierbar sind; bei vereinzelt 
auftretenden Fällen in Familien ist die Ätiologie nur bei sehr gründ¬ 
lichen Nachforschungen festzustellen. Hierzu ist aber die geuaue 
Kenntnis der Entstehungsursachen erforderlich, da sonst diese Nach¬ 
forschungen sich nach ganz falschen Richtungen errtrecken, ferner 

Wörzbnrger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 3 4. 4 


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A. DIEUDONNti, 


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kann die zur weiteren Klärung des Falles meistens notwendige 
bakteriologische Untersuchung nur Erfolg haben, wenn das verdäch¬ 
tige Material (Überrest der verdächtigen Speise, Stuhl oder Erbroche¬ 
nes des Kranken u. a.) von dem behandelnden Arzt sofort, ehe weitere 
Zersetzungen eintreten, und in richtiger Verpackung an die Unter¬ 
suchungsstation eingesandt wird. 

Die wichtigsten durch Bakterien hervorgerufenen Nahrungs¬ 
mittelvergiftungen, welche oft zu Gruppen- und Massenerkrankungen 
führen, sind die Fleischvergiftungen, dann Vergiftungen durch Fische 
und Mollusken, durch Käse, Vanillekreme und Mehlspeisen, Kartoffel- 
und Konservenvergiftuugen. 


Fleischvergiftungen. 

Bei den Fleischvergiftungen unterscheiden wir: 

1. Vergiftungen durch den Genuss des Fleisches kranker Tiere 
(verursacht durch den B. enteritidis oder B. paratyphi). 

2. Vergiftungen durch den Genuss von faulem Fleisch (verur¬ 
sacht durch B. proteus und B. coli). 

3. Vergiftungen durch Wurstgift, Botulismus (verursacht durch 
den anaeroben B. botulinus). 

Bei der ersten Art wirkt das frischgeschlachtete Fleisch schon 
schädlich, bei den beiden anderen bekommt das Fleisch erst nach 
dem Schlachten giftige Eigenschaften. Nach dem klinischen Ver¬ 
lauf treten bei den ersten Arten gastrointestinale, bei der dritten Er¬ 
scheinungen von seiten des Zentralnervensystems in den Vorder¬ 
grund. 

1. Vergiftungen durch das Fleisch kranker Tiere. Sepsis 
intestinalis (Bolliuger), infektiöse Enteritis (Gaffky). 

Diese häufigste Art der Fleischvergiftungen wird hervorgerufen 
durch Bakterien aus der Typhus-Koligruppe, dem B. enteritidis und 
dem B. paratyphi B., die das Tier schon intra vitam infizieren, das 
Fleisch in keiner Weise verändern, aber darauf sich vermehren und 
giftige Stoffwechselprodukte liefern, so dass die Krankheitserscheinungen 
meist rasch nach ganz kurzer Inkubationsdauer eiutreten. 

Auf diese Art der Fleischvergiftungen hat insbesondere Bollin. 
ger (1) im Jahre 1876 hingewiesen und er konnte ira Jahre 1881 über 
11 grössere Massenvergiftungen mit 1600 Erkrankungsfällen berichten. 
Die Erscheinungen waren hauptsächlich gastrointestinal, verhielten sich 
aber verschieden je nach der Menge des genossenen Fleisches und nach 
der persönlichen Empfänglichkeit, so dass „von der einfachen Ver¬ 
dauungsstörung, dem Magenkatarrh, dem Brechdurchfall bis zu schweren 
febrilen Erkrankungen, die gelegentlich unter dem Bilde des sog. Schleim- 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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fiebere, des gastrischen Fiebers, des Deotyphus, der Dysenterie ver¬ 
laufen, eine förmliche Stufenleiter existiert“. B o 11 i n g e r unterscheidet 
symptomatologisch drei Gruppen, die jedoch ohne scharfe Grenzen öfters 
ineinander übergehen: choleraähnlicbe Erkrankungen mit profusen 
Diarrhöen, typbusartige Krankheitsbilder mit länger dauernder Inku¬ 
bation und stark hervortretenden zerebralen Störungen verschiedener 
Art und solche Vergiftungen, die im Anfang ein mehr choleraartiges 
Krankheitsbild, dann aber typhusähnliche Erscheinungen darbieten. 
In den schweren Fällen ist die Rekonvaleszenz eine langsame, grosse 
Schwäche und Abmagerung bleiben zurück und die Dauer der Er¬ 
krankung erstreckt sich über mehrere Wochen hinaus, während in 
den leichteren Fällen die Krankheit nur ganz kurz, einige Tage 
dauert. Der Tod tritt meist innerhalb der ersten 4—6—11 Tage, 
selten später ein. Der Sektionsbefund zeigt hauptsächlich die Ver¬ 
änderungen einer Gastroenteritis mit vorwiegender Beteiligung der 
lymphoiden Drüsen des Darmes, manchmal Geschwüre im Darm, 
Schwellung der Mesenterialdrüsen, öfters auch der Milz, Blutungen 
in einzelnen Organen, manchmal ein anatomisches Bild ähnlich dem 
Befunde bei Abdominaltyphus. Die Inkubationsdauer ist abhängig 
von der Menge des genossenen giftigen Fleisches und kann nur 
6— 24 Stunden, aber auch bis zu einer Woche und darüber betragen. 
Als besonders interessant führt Bollinger die Fleischvergiftungen 
in Andelfingen (1841) und in Kloten (1878) an, da sie in ihren Er¬ 
scheinungen an Abdominaltyphus erinnerten. 

Bei der Andelfinger Epidemie erkrankten gelegentlich eines 
Sängerfestes etwa 450 Menschen, wovon 10 starben; als Ursache 
wurde mit grösster Wahrscheinlichkeit Kalbfleisch festgestellt. Die 
Krankheitssymptome waren Übelkeit, Erbrechen, stark riechende er¬ 
schöpfende Stuhlgänge, Schlingbeschwerden, Pupillenerweiterung, Seh¬ 
störungen, Delirien, in der Rekonvaleszenz längere Zeit anhaltende 
Schwäche. Da auch Menschen, die nicht an dem Feste teilnahmen, 
aber Rindfleisch von demselben Metzger bezogen, erkrankten, hatte 
offenbar das verdächtige Fleisch bei der Aufbewahrung beim Metzger 
seine Giftigkeit auf Rindfleisch übertragen. Durch Kochen wurde 
das Gift nicht zerstört. Die Inkubation schwankte zwischen 3 und 10 
Tagen. 

Die Klotener Fleischvergiftung (Juni 1878) war gleich¬ 
falls eine Massenerkrankung gelegentlich eines Sängerfestes; es er¬ 
krankten infolge von Fleischgenuss 591 Festteilnehmer, ferner zahl¬ 
reiche Menschen, die Fleisch von derselben Schlächterei bezogen, 
welche auch das Fest versorgt hatte, endlich aus unbekannter Ur¬ 
sache eine grössere Zahl von Menschen, im ganzen 657, von denen 
6 starben. Die Ursache war das Fleisch eines 7 Tage alten Kalbes, 
das entweder krepiert oder moribund geschlachtet war. In einzelnen 

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A. DIEÜDONNä, 


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Fällen traten die Erkrankungen schon am 1. Tage, meist aber nach 
4—6 Tagen auf; alle diejenigen, die dem Wein in reichlichem Masse 
zugesprochen hatten, blieben entweder ganz verschont oder erkrankten 
nur leicht. Die Symptome waren anfangs Müdigkeit, Kopfschmerzen, 
Gliederschmerzen, Verstopfung mit nachfolgender Diarrhöe, gegen 
Ende der ersten Woche traten die zerebralen Symptome mehr in den 
Hintergrund, die Stühle wurden typhusartig, bei den schweren Fällen 
fand sich sehr häufig Roseola und ein Knötchen-Exanthem. Die 
Milz war auf der Höhe der Krankheit konstant vergrössert, die äusseren 
Lymphdrüsen, besonders die Leistendrüsen häufig geschwellt. Be¬ 
sonders wichtig ist die Beobachtung, dass von den Erkrankungen 
56 sekundäre Fälle ausgingen. Bei der Sektion wurde Milz¬ 
tumor, Infiltration der Peyer’schen und solitären Follikel, auch Ge¬ 
schwüre in Dünndarm, zum Teil in Vernarbung oder in Granulation, 
zum Teil bereits vernarbt gefunden. Auf Grund der klinischen und 
anatomischen Befunde, sowie der sekundären Erkrankungen wurden 
die Fälle von der Mehrzahl der Beobachter, so auch von Eberth, 
der eine Anzahl von Verstorbenen sezierte, für Abdominaltyphus er¬ 
klärt. Lange Zeit herrschten über die Auffassung dieser beiden Epi¬ 
demien Meinungsverschiedenheiten; die einen hielten sie für eine 
echte Typhusepidemie, andere für eine richtige Fleischvergiftung. 
Bollinger war der Ansicht, dass es sich um eine besondere Art 
von Infektion handelt, die grosse Ähnlichkeit, sogar eine nahe Ver¬ 
wandtschaft mit dem menschlichen Abdominaltyphus bat und viel¬ 
leicht als eine Abart derselben betrachtet werden kann und bezeich- 
nete diese Art von Fleischvergiftungen als Sepsis intestinalis oder 
septiforme Gastroenteritis. 

Auch in den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Fleischver¬ 
giftungen beschrieben. Oster tag (2) konnte von 1880—1900 85 Ver¬ 
giftungen mit mehr als 4000 Erkrankungen zusammenstellen, von 
welchen der überwiegende Teil auf Deutschland entfällt. Doch ist 
die Zahl jedenfalls weit grösser, da durchaus nicht alle Fälle, selbst 
wenn sie gehäufter auftreten, zur öffentlichen Kenntnis kommen; 
nach Bollinger ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch manche Er¬ 
krankungen, die unter dem Bilde des fieberhaften Ikterus (Weil ’sche 
Krankheit) verlaufen, zu dem Gebiete der Fleischvergiftungen ge¬ 
hören. 

Auch bei diesen Massenerkrankungen war das klinische Bild 
nach van Ermen gern (3) sehr wechselnd; die Erscheinungen von 
seiten des Magendarmkanals stehen aber stets im Vordergrund; meist 
war der Verlauf sehr rasch in Form eines Anfalles von Cholerine, 
von Cholera nostras oder einer entzündlichen Gastroenteritis. Neben 
den Hauptsymptomen, diarrhöischen, gelblichen, stark riechenden Ent¬ 
leerungen, kolikartigen Schmerzen, Erbrechen, Muskelschwäche werden 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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häufig Albuminurie, katarrhalische Pneumonie und auch Erscheinungen 
seitens der Haut, wie Herpes, polymorphe Erytheme, Roseola, Urti¬ 
karia, skorbutartige Blutergüsse in die Haut oder Petechien, manch¬ 
mal auch Pupillenerweiterung oder Lichtscheu beobachtet, bisweilen 
trat nach der Heilung eine ausgebreitete Abschuppung der Epidermis 
auf der Innenfläche der Hände und der Fusssohle auf. Die Krank¬ 
heitserscheinungen begannen gewöhnlich 6—12 Stunden nach dem 
Verzehren des Fleisches, bisweilen aber auch weit später. Das Er¬ 
brechen und die Diarrhöen traten in einigen Fällen wie bei einer 
richtigen Magenstörung unmittelbar nach der Mahlzeit auf. Die 
Schwere der Erkrankung hängt meist von der Menge des gegessenen 
Fleisches ab. Die Sterblichkeit beträgt 2—5°/o. Bei der Sektion 
findet man mehr oder minder ausgesprochene Zeichen von Gastro¬ 
enteritis, öfters hämorrhagischen Charakters. Die Follikel und die 
Pey er sehen Plaques sind geschwellt und hervortretend, manchmal 
findeu sich Geschwüre im Dünn- und Dickdarm; die Milz ist ver- 
grössert, die Nieren und die Leber blutreich. Bei den rasch tödlich 
verlaufenden Fällen finden sich meist keine deutlichen anatomischen 
Veränderungen. 

Die Ursachen dieser Art von Fleischvergiftungen waren nach 
den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte hauptsächlich das Fleisch 
von Kälbern, welche im Anschluss an Nabelinfektion septisch er¬ 
krankten und von Kühen, welche wegen entzündlicher Prozesse nach 
dem Kalben oder wegen eigentümlicher Darm- und Eutererkrankungen 
notgeschlachtet werden mussten. Nach der Zusammenstellung von 
Sohneidemühl (4) war bei 61 grossen Fleischvergiftungen in den 
Jahren 1868—1898, bei welchen von 5000 erkrankten Personen 76 
starben, 38mal das Fleisch von Kühen, 15mal das Fleisch von 
Kälbern, 3mal das Fleisch von Rindern, 3mal das Fleisch von 
Schweinen und 2 mal das Fleisch von Pferden die Ursache der Er¬ 
krankung. Bei den durch das Fleisch von Kühen hervorgerufenen 
Vergiftungen waren 16 mal Magen- und Darmerkrankungen, 12 mal 
Erkrankungen der Geburtswege, 3 mal Eutererkrankungen und 3 mal 
Maul- und Klauenseuche die Veranlassung zur Notschlachtung. Bei 
den durch Kalbfleisch hervorgerufenen Vergiftungen waren Darm¬ 
und Gelenkerkrankungen die wichtigsten von den nachgewiesenen 
Ursachen der Notschiachtung. Demnach ist das Fleisch von Kühen, 
welche wegen Erkrankungen des Magens und Darms, septischer Ent¬ 
zündungen der Geburtswege und des Euters (Metritis, Mammaent¬ 
zündung), notgeschlachtet worden sind, am gefährlichsten, dann das 
Fleisch von Kälbern, welche unmittelbar oder einige Zeit nach der 
Geburt an Magen- und Darmerkrankungen oder pyämischen Gelenk¬ 
entzündungen (Polyartritis oder Phlebitis der Nabelvene u. a.) litten 
und dieserhalb geschlachtet wurden. 


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A. DIEUDONNä, 


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Wie aus der Zusammenstellung von Schneidemühl hervor¬ 
geht, sind die Mehrzahl der bisher beobachteten Massenerkrankungen 
auf die Verwertung des Fleisches notgeschlachteter Tiere 
zurückzuführen, die ohne tierärztliche Kontrolle in den Verkehr ge¬ 
bracht wurden. Ferner waren die Erkrankungen nach dem Genuss 
des rohen Fleisches meist viel schwerer als nach dem gut durchge¬ 
kochten Fleisches, da durch das Kochen die im Fleische enthaltenen 
Infektionserreger abgetötet werden. Allerdings wird das von diesen 
Keimen gebildete Toxin durch das Kochen meist nicht zerstört, in 
mehreren Fällen war der Genuss des gekochten Fleisches und der 
Fleischbrühe besonders nachteilig. Die Erkrankungen traten vor¬ 
wiegend im Sommer auf und nach dem Genuss von verarbeitetem 
Fleisch, von Würsten, Pasteten, Hackfleisch u. a. Diese Nahrungs¬ 
mittel sind besonders gefährlich, weil man hierzu Eingeweide bei¬ 
mischt, wie Leber, Milz, Lunge, in denen die Krankheitserreger sich 
sammeln und weil infolge der längeren Konservierung derartiger 
Fleischwaren die Bakterien sich vermehren und Toxin produzieren 
können (van Ermengem). Meistens ist zwar zum Unterschied von 
der Hacköeisch- und Wurstvergiftung das gesamte Fleisch der Schlacht¬ 
tiere schon unmittelbar nach dem Schlachten gesundheitsschädlich, 
doch kann auch die Gefährlichkeit mit dem Aufbewahren zunehmen, 
wahrscheinlich infolge von weiterer Vermehrung der Bazillen und 
Toxinbildung. Im Aussehen, Geruch und Geschmack, sowie auch in 
der Konsistenz unterscheidet sich das Fleisch solcher kranker Tiere 
oft gar nicht oder nur wenig von dem Fleisch gesunder, auch die 
aus krankem Fleisch hergestellten Speisen machen einen völlig un¬ 
verdächtigen Eindruck, weshalb es ohne jedes Bedenken gekauft und ge¬ 
nossen wird. Oft finden sich bei den rein septischen, schnell ver¬ 
laufenden Krankheiten der Schlachttiere so geringe Veränderungen, 
dass man ohne genaue Kenntnis des Krankheitsverlaufes und der Sym¬ 
ptome bei der makroskopischen Untersuchung wenig findet. 

Die Verhütung oder doch Verminderung dieser Art von Fleisch¬ 
vergiftung lässt sich nur durch eine sachgemässe Fleischbeschau bei 
allen Notschlachtungen erreichen, bei der sämtliche Organe einer 
sorgfältigen und eingehenden Untersuchung durch den Tierarzt unter¬ 
zogen werden; alles Fleisch von Tieren, dessen Genuss Erkrankungen 
bedingen kann, muss vom Verkehr ausgeschlossen werden, also be¬ 
sonders das Fleisch von Kühen und Kälbern, die wegen septischer 
Prozesse geschlachtet worden sind, besonders gefährlich ist Fleisch 
mit Abszessen im Innern der Muskeln. In allen irgendwie zweifel¬ 
haften Fällen ist das Fleisch nicht freizugeben; sehr wichtig ist ein 
Verbot der Verarbeitung des sonst noch zum Verkauf unter Dekla¬ 
ration zugelassenen Fleisches zu Wurst, Schinken u. dgl. In vielen 
Fällen wird es deshalb zweckmässig sein, das Fleisch entweder nur nach 


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7] Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 45 

vorheriger Durchkochung, oder, wenn roh, in kleinen Mengen direkt 
an Selbstverbraucher abzugeben, nicht aber an Fleischer (Schneide¬ 
mühle)). Eine Aufbewahrung des Fleisches, namentlich in der wär¬ 
meren Jahreszeit ist zu vermeiden. 

Die Behandlung der Erkrankung ist symptomatisch. Im 
Beginne ein kräftiges Abführmittel (Rizinusöl, Kalomel), später sind 
Reizmittel und besonders Alkoholika angezeigt, um so mehr, als nach 
den Erfahrungen bei einzelnen Epidemien der Alkohol eine hemmende 
Wirkung auf die Vergiftung zu besitzen scheint. 

Die Ätiologie der seither besprochenen Art von Fleischvergiftung 
ist durch die bakteriologischen Untersuchungen in den letzten 20 Jahren 
sehr geklärt worden; als der Erreger ist der zur Gruppe des B. coli 
und B. typhi gehörige, von Gaertner entdeckte B. enteritidis mit 
Sicherheit festge9tellt. 

Bei einer im Jabre 1888 in Frankenhausen vorgekommenen Massenerkrankung, 
bei der 2—80 Standen nach dem Genuas des Fleisches einer wegen Darmkatarrh 
notgescbluchteten Kuh 57 Personen an Gastroenteritis erkrankten und eine Person 
starb, wies Gärtner (5) sowohl im schädlichen Fleisch wie in der Milz des Vei> 
storbenen kulturell den B. enteritidis und zwar innerhalb der Blutgefässe nach, eine 
Stäbchenart, die nach Gram sich nicht färben lässt, lebhaft beweglich ist, in Pepton¬ 
wasser kein Jndol erzeugt und Traubenzucker unter Gasentwickelung vergärt. Durch 
VerfUtterung, sowie durch subkutane und intraperitoneale Verimpfung der Kulturen 
gelang es Gärtner, Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen, Schafe und Ziegen zu 
infizieren, Katzen, Hunde und Hühner waren dagegen refraktär. Die empfänglichen 
Tiere zeigten flüssige Entleerungen und bei der Sektion fand sich eine ausge¬ 
sprochene entzündliche Hyperämie der Eingeweide, die häufig hämorrhagischen 
Charakter zeigte, lobuläre pneumonische Herde, Blutergüsse in den Organen u. a. Die 
Bakterien liessen sich mikroskopisch und kulturell im Blut und in den inneren 
Organen nach weisen. Die Bakterien bildeten ein durch Kochen nicht zer¬ 
störbares Gift; Meerschweinchen oder Kaninchen, welchen durch Kochen sterili¬ 
sierte Kulturen subkutan und durch Verfütterung ein verleibt waren, zeigten dieselben 
Erscheinungen von Gastroenteritis wie bei Verimpfung lebender Kulturen und ausser¬ 
dem verschiedene nervöse Störungen, Lähmungen der hinteren Extremitäten, abwech¬ 
selnd mit krampfartigen Zusammenziehungen als Zeichen der Giftwirkung. Bemerkens¬ 
wert ist noch, dass die Mutter des Verstorbenen, welche den Kranken gepflegt hatte, 
später gleichfalls unter denselben Erscheinungen erkrankte, trotzdem sie weder Fleisch 
noch Brühe von der notgeschlachteten Kuh genossen hatte; die Infektion ist also 
von den Ausscheidungen des Sohnes aus erfolgt. 

Gaffky und Paak (6) hatten schon im Jahre 1885 bei einer Pferdefleisch¬ 
vergiftung in Röhrsdorf, die 80 Personen betraf, darunter einen Todesfall und die 
auf das Fleisch, die Leber und die daraus bereitete Wurst von einem kranken Pferde 
mit Abszessen zurückgeführt wurde, aus den Organen der mit der Wurst geimpften 
Tiere eine Stäbchenart gezüchtet, die dem später von Gärtner beschriebenen B. enteri¬ 
tidis in allen wesentlichen Punkten glich und auch bei der Fütterung für die Ver¬ 
suchstiere pathogen war, dagegen waren die der Siedehitze ausgesetzten Kulturen 
wirkungslos. 

Bei einer ausgebreiteten Massenerkrankung zu Cotta bei Dresden im Jabre 1889 
mit 126 Erkrankungen und 4 Todesfällen wurde von Neelsen, Johne und Gärt¬ 
ner (7) aus dem verdächtigen Fleisch, das von einer infolge eitriger Euterentzündung 
notgeschlachteten Kuh herstammte, aus dem Knochenmark dieses Tieres, ferner aus 


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A. DIEUDONNti, 


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dem Darminhalt, dem Blut und der Milz zweier gestorbener Menschen eine mit dem 
Enteritisbacillns mikroskopisch and kulturell identische Bakterienart isoliert, die für 
Mäuse und Meerschweinchen pathogen war. Durch das Kochen wurden aber die 
Kulturen unwirksam, ebenso wie das verdächtige Fleisch nach dem Kochen und die 
aus demselben hergestellte Fleischbrühe unschädlich war. Auch sonst zeigt sich das 
von dem B. enteritidis gebldete Toxin nicht immer hitzebeständig. 

Eingehende Untersuchungen wurden von van Ermengem (8) bei der Epi¬ 
demie von Moorseele (Flandern) 1891 gemacht, wo von 80 Kranken 4 starben und 
die auf den Genuss von gebratenem und gekochtem Fleisch von zwei an Enteritis 
erkrankten Kälbern zurückgeführt wurde. Die Krankheit begann meist schon wenige 
Stunden nach der Mahlzeit, nur in einem tödlich verlaufenden Fall vergingen 4 Tage, 
ehe sich die ersten Symptome einstellten. Aus dem Marke der Tibia des ^Kalbes, 
sowie aus der Leber, der Milz und dem Dünndarminhalt eines der gestorbenen Men¬ 
schen wurde eine BakterienArt gezüchtet, die in allem, auch in der Pathogenität mit 
dem Gärtner’schen Bazillus identisch war. Die bei 100° und selbst bei 120° sterili¬ 
sierten Kulturen* waren giftig und riefen starke Entzündungen hämorrhagischer Natur 
hervor, van Ermengem wies auf die Ähnlichkeit zwischen dem B. enteritidis 
und den Bazillen der Schweinepest und der Hogcholera hin. 

Holst (9) züchtete bei einer Massenerkrankung im Juni 1891 in der Irren¬ 
anstalt zu Gaustad bei Christiania mit 81 Erkrankungen und 4 Todesfällen, die mit 
dem Genuss von gebratenem Fleisch eines an Enteritis erkrankten Kalbes in Zu¬ 
sammenhang gebracht wurde,] aus der Milz einen Bacillus, der mit dem Moorseeler 
und dem B. enteritidis identisch war. Der B. Gaustad bildete hitzebeständige Gifte, 
doch zeigte sich, dass diese Fähigkeit bei fortgesetzter künstlicher Kultur sehr rasch 
abnimmt. 

Im Jahre 1892 kam in Rotterdam eine Fleischvergiftung mit 92 Erkran¬ 
kungen vor, die auf das Fleisch einer Kuh zurückgeführt wurde, die in vorgeschrie- 
bener Weise auf dem städtischen Schlachthof untersucht und als normal befunden 
worden war. Die aus dem Fleisch von Poels und Dhont (10) isolierte Bakterien¬ 
art war für Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen tödlich und rief Intestinalkatarrh 
mit Lähmung der hinteren Extremitäten hervor. Die sterilisierten Kulturen waren 
giftig. Die intravenösen Injektionen kleiner Mengen der Bazillen bei Kühen riefen 
vorübergehend Fieber, Muskelzuckungen, Appetitlosigkeit und flüssige Stühle hervor, 
das Fleisch der 4 Tage nach dor Impfung geschlachteten Kuh enthielt keine Bazillen 
und wurde ohne Schaden gegessen. Bei einer Kuh, die 20 Minuten nach der Impfung 
geschlachtet wurde, fanden sich die Bazillen in der Milz, in der Leber und im Blut 
nur in geringen Mengen, dagegen waren sie dort sehr zahlreich, nachdem das Fleisch 
3 Tage bei 20° aufbewahrt worden war. Von dem im Kühlhaus aufbewahrten Fleisch, 
das nur wenige Bakterien enthielt, aasen 53 Personen, von denen 15 unter Kopf¬ 
schmerzen, Kolik und diarrhöischen Entleerungen 12—18 Stunden nach dem Essen 
erkrankten. 

Basenau (11) züchtete aus dem Fleisch einer Kuh, welche wegen Erkrankung 
nach dem Kalben notgeschlachtet worden war, einen Bacillus, den B. bovis morbi- 
ficans, der Ähnlichkeit mit dem Typhusbazillus hat, $uch bei Verfütterung pathogen 
wirkt und durch Temperatur von 70° getötet wird. 

Im Jahre 1893 erkrankten nach dem Genüsse des Fleisches einer Kuh, die 
nach dem Kalben 8 Tage lang krank gewesen war, in Rumfleth 19 Personen unter 
Magendarmerscheinungen, das Fleisch war in gekochtem Zustand und auch die Fleisch¬ 
brühe gegessen worden. Fischer (12) isolierte aus dem Fleisch einen mit dem B. 
enteritidis identischen Bazillus, der bei Tieren Darmveränderungen hervorrief. Auch 
sterilisierte Kulturen töteten Tiere unter denselben Erscheinungen, doch nahm die 
Giftigkeit bei fortgesetzter Kultur rasch ab. Dieselbe Bakterienart fand Fischer 


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9] 


Die bakteriellen Nab rungsmittel Vergiftungen. 


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A. DIEUDONNß, 


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im Jahre 1895 bei der Untersuchung des Fleisches eines wegen Durchfalls notge¬ 
schlachteten Ochsen bei einer Epidemie in Haustedt, wo 50 Personen nach dem Ge¬ 
nuss dieses Fleisches erkrankten. 

Bei einer Epidemie zu Bischofswerda in Sachsen im Jahre 1894 erkrankten 
70-100 Personen an Magendarmstörungen nach dem Genuss von Würsten und Hack¬ 
fleisch in rohem Zustande, das ans einer Mischung von Schweine- und Kuhfleisch 
bestand; Todesfall kam keiner vor. Aus dem Fleisch wurde von Johne (13) eine 
Bakterienart gezüchtet, die dem B. enteritidis sehr nahe steht. 

In Gent (1894) erkrankten 12 Personen nach dem Genuss einer Art von 
Zervelatwürsten, die aber roh gegessen werden. Der Schlachthofinspektor, ein aus¬ 
gezeichneter Tierarzt, war beauftragt worden, die Würste zu untersuchen. Der In¬ 
spektor erklärte die tadellos schön aussehenden Würste für geniessbar und nahm 
selbst 2 oder 3 Schnittchen davon und liess auch mehrere Angestellte davon essen. 
Während diese nur die Erscheinungen von mehr oder weniger ausgesprochener Enteritis 
zeigten, wurde er selbst von äusserst schweren choleraähnlichen Erscheinungen er¬ 
griffen, die mit Albuminurie, Diarrhöe, Erbrechen und Kollaps einhergingen und nach 
5 Tagen zum Tode führten. Bei der Sektion wurde sehr ausgesprochene hämor¬ 
rhagische und gangränöse Gastroenteritis, fettige Entartung der Leber, akute inter¬ 
stitielle Nephritis u. a. festgestellt. Aus den Würsten, besonders aus den Resten 
derjenigen, die von dem Untersucher gegessen worden waren, wurde von v. Ermen¬ 
ge m (14) eine sehr virulente und toxische Bakterienart gezüchtet, die mit dem B. 
enteritidis identisch war, ebenso fand sie sich in allen Organen, im Blute und im 
Dünndarm der Leiche und zwar fast in Reinkultur. Auch hier wurde eine direkte 
Übertragung von Person zu Person beobachtet. Der Mann einer Frau, die von den 
Würsten gegessen hatte und erkrankt war, erkrankte unter denselben Symptomen, 
trotzdem er nichts von den Würsten gegessen hatte. 

In den letzten Jahren wurden von verschiedenen Seiten bei 
Fleischvergiftungen Bazillen gefunden, die mit dem B. enteritidis 
identisch oder jedenfalls nahe verwandt sind. Die wichtigsten sind 
in vorstehender Tabelle (S. 47) zusammengestellt. 

Bei der Mehrzahl dieser Fleischvergiftungen stammte das als 
schädlich erwiesene oder verdächtige Fleisch von erkrankt gewesenen 
oder notgeschlachteten Tieren, ferner zeigte sich wiederholt, dass nicht 
nur einzelne Organe, sondern das gesamte Muskelfleisch und beson¬ 
ders die drüsigen Organe von Bakterien mehr oder weniger durch¬ 
setzt waren. Allerdings gelang der Nachweis der Bazillen im Fleisch 
oder in den Würsten nicht in allen Fällen, da wiederholt kein Material 
zur Untersuchung mehr vorhanden war; bei den Kranken fanden 
sich die Bazillen im Stuhl, bei den Gestorbenen auch in verschie¬ 
denen Organen, besonders in der Milz. 

Die kulturellen Eigenschaften der bei den verschiedenen Fleisch¬ 
vergiftungen isolierten Bakterien (von Loeffler als Josarceeu be¬ 
zeichnet) sind fast durchweg gleich und entsprechen denen, die der 
B. enteritidis und der von Schottmüller (30) zuerst genauer be¬ 
schriebene Paratyphus Typus B zeigt. Vom B. typh. und B. coli 
unterscheiden sie sich durch eine Reihe von Merkmalen (s. Tabelle S.49), 
besonders durch das Verhalten gegenüber verschiedenen Zuckerarten, 
B. enteritidis und Paratyphus B vergärt Traubenzucker, aber nicht 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen 


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A. DIEUDONNE, 


[12 


Milchzucker, B. coli vergärt beide, B. typhi keine dieser Zuckerarten. 
Zur Isolierung ist besonders der Malachitgrünagar nach Lentz und 
Tietz brauchbar, auf dem B. coli gar nicht oder nur schwach, B. typhi 
als zarte, grüne Kolonien ohne Verfärbung, B. enteritidis und Para¬ 
typhus B aber sehr üppig unter starker Gelbfärbung des Nährbodens 
wächst, so dass dieser geradezu als ein Elektivnährboden bezeichnet 
werden kann. 

Besonders wichtig ist der Unterschied in der Pathogenität für 
Versuchstiere, namentlich Mäuse und Meerschweinchen, die beim 
B. typhi und B. coli gering, beim B. enteritidis und Paratyplms aber 
sehr beträchtlich ist; diese bilden ein Gift, das auch bei Einführung per 
os die empfänglichen Tiere unter den Erscheinungen der Gastroenteritis 
tötet und das ferner, wenigstens bei den meisten Stämmen gegen Er¬ 
hitzen ziemlich widerstandsfähig ist. Dadurch erklärt sich auch die 
schon erwähnte Beobachtung, dass der Genuss gebratenen und ge¬ 
kochten mit den Bazillen infizierten Fleisches und auch die Fleisch¬ 
brühe giftig wirken kann. Bei der Weiterzüchtung in künstlichen Kul¬ 
turen nimmt die Pathogenität und auch die Bildung des hitzehe¬ 
ständigen Giftes oft rasch ab. 

Die bakteriologische Untersuchung beim Auftreten von Fleisch¬ 
vergiftungen kann bei der Schwierigkeit der Isolierung und der 
Identifizierung der Erreger nur durch Fachleute im Laboratorium er¬ 
folgen. Um so wichtiger ist es, dass das hierzu notwendige Material 
möglichst rasch und frisch entnommen wird, damit nachträgliche 
Veränderungen und ferner eine Entfernung oder betrügerisches Unter¬ 
schieben von anderen Fleischstücken ausgeschlossen ist. Als Material 
kommt in Betracht das verdächtige Fleisch (Wurst, Pasteten u. dgl.), 
das Erbrochene und der Stuhlgang, sowie Blut der Erkrankten und 
bei Sektionen besonders Darmstücke (wie bei Cholera), Milz und Leber. 

Bei der Untersuchung des Fleisches werden aus dem Innern eines 
Fleischstückes Ausstrichpräparate und Agar- und Gelatineplatten ange¬ 
legt, ferner werden von dem Fleisch oder einer Aufschwemmung auf 
die für die Typhusdiagnose gebräuchlichen Drigalski- und Malachit- 
grünplatten ausgestrichen, ein Teil des Fleisches kann zur Anreiche¬ 
rung der Bazillen 24 Stunden bei 18—20° gehalten und dann zu 
Platten verarbeitet werden. Weiterhin werden Mäuse gefüttert und 
zwar nach Basen au (11) je zwei mit rohen Fleischstücken und mit 
solchen, die eine Stunde auf 100° erhitzt sind. Die Mäuse eignen 
sich zu Fütterungsversuchen mit verdächtigem Fleisch besonders, da 
sie ausserordentlich und konstant empfänglich sind. Das Erbrochene 
und der Stuhl wird wie bei der Typhusuntersuchung auf gewöhnlichen 
Agar, auf Drigalski- und Malachitgrünplatten ausgestrichen; dieser 
letztere Nährboden ist, wie erwähnt, besonders geeignet und hemmt 
ausserdem die Entwickelung des B. coli. Ferner werden Mäuse mit 


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13] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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dem Stuhl subkutan infiziert. Von grossem diagnostischen Wert 
kann die Untersuchung des Blutes sein; das Blut wird wie für die 
Gruber-Widalsehe Blutprobe durch einen kleinen Schnitt mit 
einer Lanzette in das Ohrläppchen gewonnen. Das durch Zentri¬ 
fugieren erhaltene Serum wird zur Agglutination, der Blutkuchen 
wie zur Typhusdiagnose nach Müller und Gräf zur Züchtung ver¬ 
wendet, entweder nach vorheriger Anreicherung in Galle (Fornet) oder 
mittelst Ausstrich auf Drigalkiplatten. 

Die Serodiagnose bei Fleischvergiftungen wurde zuerst von 
Durham (31) bei der Epidemie in Hatton angewendet. Durhain 
züchtete bei einer nach Genuss einer Fleischpastete gestorbenen 
Person einen dem B. enteritidis ähnlichen Bazillus, der von dem 
Serum der übrigen Erkrankten und Rekonvaleszenten in einer Ver¬ 
dünnung von 1:100 bis 1:1000 agglutiniert wurde. Auch bei 
späteren Epidemien wurde der aus dem schädlichen Fleisch oder den 
Organen der Verstorbenen isolierte Bazillus von dem Serum der Rekon¬ 
valeszenten in Verdünnungen von 1:500 bis 1:1000 agglutiniert. 
Wenn irgend möglich, sollte die Seroreaktion, die ganz wie die 
Gruber-Widalsche Reaktion bei Typhus ausgefühlt wird (Technik 
bei Rostoski, Würzburger Abhandlungen, Bd. IV, 1904), mit dem 
Blute der Erkrankten und einem zuverlässigen Laboratoriumstamm 
von B. enteritidis oder Paratyphus B ausgofübrt werden; eventuell lässt 
sich auch das Ficker’sehe Paratyphusdiagnostikum (von der Firma 
Merck in Darmstadt) hierzu verwenden. Auch eine nachträgliche 
Diagnose der Fleischvergiftung lässt sich mit dem Serum der Rekon¬ 
valeszenten ermöglichen, da die agglutinierende Eigenschaft des 
Blutes meist einige Wochen lang erhalten bleibt. 

Die aus dem schädlichen Fleisch, den Fäzes der Erkrankten 
oder den Organen der Verstorbenen gezüchteten Bakterien müssen 
auf alle biologischen Unterscheidungsmerkmale geprüft werden, sowie 
auf die Pathogenität durch den Tierversuch an Mäusen und Meer¬ 
schweinchen. Das wertvollste diagnostische Mittel ist aber die Sero¬ 
reaktion, die Prüfung der isolierten Reinkulturen mit einem vom Tier 
durch Vorbehandlung mitB. enteritidis bezw. Paratyphus B gewonnenem 
hochwertigen spezifischen Immunserum; mit Hilfe eineB solchen 
Serums lässt sich der B. enteritidis vom Typhus und B. coli sicher 
differenzieren, eine etwa eintretende Gruppenaggultination wird durch 
eine genaue Austitrieruug, d. h. eine Bestimmung der geringsten 
Serummenge, die noch Agglutination hervorruft, ausgeschieden. Durch 
eingehende Untersuchungen von de Nobele, Trautmann, Ublen- 
huth u. a. wurde festgestellt, dass wir bei deu Bakterien dieser 
Fleischvergiftungen zwei Typen unterscheiden können, die sich durch 
die Serumreaktion voneinander trennen lassen. Nach Uhlenhuth (25) 
sind dies folgende zwei Gruppen: 


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A. DIEUDONNß, 
Gruppe I. 


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B. enteritidis (Gärtner) 

B. Moorseele (v. Ermengem) 

B. Gent (v. Ermen gern) B. enteritidis 

B. Brügge (v. Ermengem) Gärtner-Gruppe. 

B. Rumfleth (Fischer) 

B. Haustedt (Fischer) 

Gruppe II. 

Paratypbus B. 

B. Breslau (Flügge-Känsche) 

B. Meirelbeck (de N oh eie) 

B. Düsseldorf (Trautmann) 

B. Sirault (Hermann und v. Ermengem) | Paratyphus B-Gruppe. 

B. Aertryk (de Nobele) 

B. Neunkirchen (v. Drigalski) 

B. Greifswald (Uhlenhuth) 

Ausserdem wurden Paratyphus B Bazillen gefunden bei den 
Fleischvergiftungen in Alsfeld (Cursch manu), in Berlin (Kutscher), 
in Bern (Heller) und in Giessen (Fromme). 

Bei der nahen Verwandtschaft des B. enteritidis und des Para¬ 
typhusbazillus wurde von Trautmann (31a) auf das gegenseitige 
Verhältnis zwischen den beiden durch diese Bakterien hervorgerufenen 
Erkrankungen, den Fleischvergiftungen und dem Paratyphus hinge¬ 
wiesen. Wie wir sahen, finden sich bei den Fleischvergiftungen 
klinisch und anatomisch typhusähnliche Erscheinungen; der Para¬ 
typhus andererseits ist vom Typhus ausser seiner ätiologischen Ver¬ 
schiedenheit (B. paratyphi) durch den milderen Verlauf und die ganz 
geringe Sterblichkeit unterschieden. Da beide Krankheiten durch 
gleichartige Erreger hervorgerufen werden, so betrachtet Tr aut mann 
die typische Fleischvergiftung als eine höchstakute, den 
Paratyphus als eine mehr subakute Erscheinungsform einer ätiologisch 
einheitlichen Infektionskrankheit. Die schweren und rasch auftreten¬ 
den Intoxikationserscheinungen bei den Fleischvergiftungen sind nach 
Trautmann dadurch zu erklären, dass hier der Tierkörper in¬ 
fiziert ist hnd das Fleisch mit Krankheitserregern und ihren giftigen 
Stoffwechselprodukten beladen als Speise in den menschlichen Ver- 
dauungstraktus gelangt; die kurze Inkubationsdnuer der Nahrungs¬ 
mittelvergiftungen im Gegensatz zur Typhus und Paratyphus ist also 
durch die Menge der aufgenommenen Bakterien und durch die gleich¬ 
zeitig miteingeführten von den Bazillen auf den Nahrungsmitteln ge¬ 
bildeten giftigen Stoffwechselprodukte bedingt. Ist der Körper der 
Menge der Toxine nicht gewachsen und dringen sie in die Säfte 
durch, so sind länger dauerndes Kranksein und Tod die Folge. Beim 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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Paratyphus spielt sich die Inkubation, also die Zeit der Vermehrung 
der Bazillen im Menschen ab. Die Keime entwickeln sich lang¬ 
sam und rufen allmählich wie beim Typhus die krankhaften Er¬ 
scheinungen hervor. Bei der Fleischvergiftung kann der Verlauf 
auch typhusähnlich werden, wenn nur wenige Bakterien aufgenom¬ 
men werden. Auch der pathologisch-anatomische Befund zeigt Über¬ 
einstimmungen; langsam verlaufende Fälle von Fleischvergiftung 
zeigen dieselben Veränderuugen wie der Paratyphus, besonders den 
Mangel einer strengen Lokalisation der Veränderuugen im Darm, die 
hämorrhagische Natur des Leidens und die Hautsymptome. Ferner 
ist übereinstimmend mit Paratyphus die meist auffallend niedrige 
Sterbezahl der Fleischvergiftungen trotz der Heftigkeit der klinischen 
Symptome. Nach Kayser (31b) ist an der im Gegensatz zu Paratyphus 
so kurz dauernden Inkubation neben den vorgebildeten Giften auch 
der von dem Paratyphus verschiedene Infektionsweg der Erreger 
schuld. Der gewöhnliche Typhus und Paratyphus ist eine primäre 
Lymph- und BlutkraDkheit, erst sekundär wird der Darm affiziert, 
während bei der Fleischvergiftung die Bazillen sofort im Darm 
wuchern. 

Übrigens weist Kutscher darauf hin, dass man auch bei 
nicht durch Fleischvergiftung hervorgerufenen Paratyphusinfektionen 
häufiger einen Krankheitsverlauf sieht, der durchaus dem klinischen 
Bild der schwersten Cholera nostras entspricht, derartige eholeraähn- 
liche Paratyphusfälle sind von Schottmüller (30) beschrieben, sowie 
von Hetsch (32), der im Herbst 1905 in der Nähe von Kottbus eine 
grosse Paratyphusepidemie mit choleraähnlichem Verlauf der meisten 
Fälle beobachtete. Rolly (33) teilt das Krankheitsbild des Paratyphus 
nach seinem klinischen Verlauf in zwei Gruppen ein, in die des ge¬ 
wöhnlichen Unterleibstyphus und in eine gastrische Form mit schweren 
Magen- und Darmerschei nun gen; einer von diesen Fällen verlief 
unter dem Bild der Cholera nostras tödlich. Diese Einteilung ent¬ 
spricht, wie wir sehen, der von Bollinger im Jahre 1881 bei den 
Fleischvergiftungen angegebenen und zahlreiche Fälle aus der Andel- 
tinger und der Klotener Epidemie mit längerer Inkubationsdauer 
gleichen nach Traut mann vollkommenden Paratyphuserkrankungen. 
Noch mehr tritt diese Ähnlichkeit zutage, wenn wir berücksichtigen, 
dass bei diesen Epidemien sekundäre Infektionen bei Persouen, die 
nichts von dem schädlichen Fleisch genossen hatten, beobachtet 
wurden, wahrscheinlich durch Kontaktinfektion (in Kloten 55 Fälle). 
So ist durch die ueuere ätiologische und bakteriologische Unter¬ 
suchung die im Jahre 1881 von Bollinger ausgesprochene Ansicht 
vollkommen bestätigt, dass diese Fleischvergiftung eine nahe Ver¬ 
wandtschaft mit dem menschlichen Abdominaltyphus hat und viel¬ 
leicht als eine Abart derselben betrachtet werden kann. Z u p n i k (34) 


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A. DIEUDONNä, 


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bezeichnet diese Art der Vergiftungen, die mehr oder weniger das 
Bild des Abdominaltyphus zeigen, als typhoide Fleischvergiftungen. 

Über das Vorkommen des B. enteritidis und paratyphi in der 
Natur ausserhalb des Tierkörpers ist noch wenig bekannt, jedenfalls 
sind diese Bakterienarten nicht sehr verbreitet, da sie bis jetzt nur 
bei kranken Menschen oder Tieren gefunden wurden; ebensowenig 
sind wir darüber orientiert, wie diese Bazillen in das Tier gelangen; 
nach Kutscher (35) müssen wir annehmen, dass unsere Schlacht¬ 
tiere unter gewissen, nicht näher gekannten Bedingungen der Infek¬ 
tion mit Paratyphusbazillen zugänglich sind. Sehr wichtig ist die 
einmalige Feststellung von echten Typhusbazillen im Milzabszess eines 
Rindes durch Levy und Jakobsthal (36), sodass vielleicht auch 
die Typhu8baziilen Beziehungen zur Fleischvergiftung haben können. 
Bei einer Reihe von Fleischvergiftungen wurde der Erreger in den 
Organen der geschlachteten Tiere (Aertryk, Meirelbeck) oder im Fleisch 
(Breslau, Neunkirchen, Berlin, Giessen) gefunden, so dass sicherlich 
das Tier schon im lebenden Zustand mit den Bazillen infiziert war; 
bei anderen Fleischvergiftungen ist aber die nachträgliche Infektion 
des ursprünglich gesunden Fleisches wahrscheinlich. Nach Basenau 
wird normales Fleisch durch Berührung mit bazillenhaltigem leicht in¬ 
fiziert, namentlich wenn die Fleischteile aufeinandergelegt werden. 
Nachträgliche Infektionen können ferner durch das mit dem Zer¬ 
teilen oder mit dem Zu bereiten des Fleisches beschäftigte Personal 
(Metzger, Küchenpersonal) erfolgen, nachdem auch beim Paratyphus, 
wie beim Typhus Bazillenträger und Dauerausscheider festgestellt 
worden sind, die lange Zeit hindurch Bazillen ausscheiden, ohne selbst 
Krankheitserscheinungen zu zeigen. Auch in Wirtschaften, Kantinen 
u. dgl. kann durch darin beschäftigte Keimträger eine Paratyphus¬ 
infektion verbreitet werden. Jedenfalls ist bei den Nachforschungen 
bei derartigen Fleischvergiftungen auch darauf Rücksicht zu nehmen 
und eine bakteriologische Untersuchung des Stuhles dieser Personen 
vorzunebmen. Ebenso wie Paratyphus können natürlich auch Typhus¬ 
bazillen durch das Küchenpersonal auf die Nahrungsmittel übertragen 
werden. 

Um über die Verbreitung des B. enteritidis bezw. Paratyphus¬ 
bazillus einen Überblick zu bekommen, stellte ich an einer Reihe 
von Rindern, Kälbern und Schweinen, die wegen verschiedenartiger Er¬ 
krankungen auf der Sanitätsabteilung des Münchener Schlachthofes der 
Begutachtung unterlagen, Untersuchungen an und zwar wurden haupt¬ 
sächlich Tiere mit septischen Prozessen, wie Endometritis, jauchiger 
Peritonitis, eitriger Gelenkentzündung bei Kälbern u. dgl. herange¬ 
zogen. Da die Galle nach neueren Untersuchungen ein Hauptansiede¬ 
lungspunkt der Typhus- und typhusähnlichen Bazillen ist, so wurde 
diese teils sofort, teils nach 24stündiger Anreicherung im Brutschrank 


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17] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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auf Malachitgrün- und Drigalskiplatten verimpft. Bei den sofort nach 
der Eutleerung aus der Gallenblase verimpften Kulturen war nur sehr 
selten ein schwaches Wachstum von B. coli oder vereinzelten Strepto¬ 
kokken zu beobachten, nach der 24stündigen Anreicherung trat stets 
reichliches Wachstum ein und zwar in 36 von 42 Fällen hauptsäch¬ 
lich Streptokokken, die die Nährböden stark säuerten, vereinzelte 
Staphylokokken und B. coli, 4mal nur B. coli und 2 mal Bazillen, die 
nach ihrem ganzen kulturellen und biologischen Verhalten als Para¬ 
typhusbazilien angesprochen werden mussten. Bei dem einen Fall 
handelte es sich um ein Kalb, das wegen allgemeiner Sepsis vom 
Nabel ausgehend (Perikarditis, Gelenkentzündung) als ungeniessbar 
bezeichnet worden war, bei dem anderen Fall um eine Kuh mit 
jauchiger Perforationsperitonitis, Abszessen in Leber und Milz und 
allgemeiner Sepsis. Die Galle dieser beiden Tiere war schleimig gelb 
und sehr zähe, während sie bei den meisten anderen Tieren normale 
dunkle Farbe zeigte. Offenbar handelte es sich um entzündliche Er¬ 
scheinungen und vermehrte Absonderung der Scbleimhautsekrete, 
wodurch nach Pies (37) das Wachstum der Typhusbazillen begünstigt 
wird. Auch aus den Abszessen der Leber und der Milz wurden Para¬ 
typhusbazillen gezüchtet, während im Muskelfleisch und im Blut diese 
nicht nachzuweisen waren. In Abszessen bei den anderen Tieren 
wurden aber stets Streptokokken gefunden, 

Uhlenhuth (38) hat im Darm anscheinend gesunder Schweine 
auf dem Berliner Schlachthof in 6°/o der Fälle Bazillen gefunden, 
die sich vom Paratyphus B bezw. B. suipestifer nicht unterscheiden 
liessen. Diese beiden Bakterienarten stehen sich überhaupt auch nach 
der Immunitätsreaktion sehr nahe; ebenso ist der Paratyphus B dem 
B. des Mäusetyphus sehr nahe verwandt. 

Die Befunde von Paratyphusbazillen und der mit ihnen wahr¬ 
scheinlich identischen B. suipestifer bei Schlachttieren weisen, wie 
Kutscher und Uhlenhuth mit Recht hervorheben, daraufhin, 
diese spontanen Erkrankungen unserer Schlachtiere für die Epidemio¬ 
logie und vor allem die Prophylaxe des Paratyphus im Auge zu be¬ 
halten und weiterhin in ihren Beziehungen zu menschlichen Para¬ 
typhuserkrankungen sorgfältig zu erforschen. Vor allem wird man 
auch an die Milch solcher kranker Tiere bei der Verbreitung des 
Paratyphus zu denken haben, nachdem Fischer (39) bei einer unter 
den Erscheinungen heftiger akuter Gastroenteritis auftretenden Epi¬ 
demie von etwa 50 Fällen in Futterkamp sowohl aus den Darm¬ 
entleerungen der Erkrankten als auch aus dem Fleisch, den Organen 
und der Milch zweier an Gastroenteritis eingegangener Tiere den Para¬ 
typhusbazillus hatte züchten können. Als Ursache für den Ausbruch 
der Epidemie wurde der Genuss der Milch jener Kühe angesehen, 
von dem Fleisch war nichts genossen worden. 

Würzburger Abhandlungen, ßd. VII!. H. 3/4. 5 


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A. DIEUDONNE, 


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Eine sachverständige Fleischbeschau und geregelte Kontrolle 
der Fleischversorgung ist also nicht nur für die Prophylaxe der 
Fleischvergiftung, sondern auch für die des Paratyphus von der 
grössten Bedeutung. Da aber das Fleisch bei der makroskopischen 
Untersuchung oft keinerlei Veränderungen zeigt, so kann nur die 
von Basenau, Ostertag, v. Drigalski u. a. vorgescblagene bak¬ 
teriologische Untersuchung des Fleisches bei allen krankheitsverdäch- 
tigen und notgeschlachteten Tieren entweder in einem hierzu im 
Schlachthaus eingerichteten Laboratorium oder in einem anderen 
bakteriologischen Laboratorium über die Verwendbarkeit entscheiden; 
dadurch wird einerseits verhindert, dass bei positivem Ausfall der 
Untersuchung das Fleisch zum Verkauf gelangt, andererseits ist es 
aber, wie Oster tag hervorhebt, möglich, in Fällen, in welchen bis 
jetzt der Ausschluss des Fleisches vom Konsum wegen Verdachtes 
der Gesundheitsschädlichkeit erfolgen musste, das Fleisch dem Ver¬ 
kehr zu übergeben. Die bakteriologische Untersuchung des Fleisches 
soll nach Basenau (11) erst 24 Stunden nach der Schlachtung 
vorgenommen werden, da die Vermehrung der Bazillen während 
dieser Zeit, die auch bei niedrigen Temperaturen erfolgt, die Unter¬ 
suchung erleichtert. Aus der Mitte eines an lockerem Bindegewebe 
reichen Fleischstückes, das an der Oberfläche mit einem erhitzten 
breiten Messer abgetrennt wird, wird mit einem zweiten sterilisierten 
Messer ein vertikaler Schnitt tief in das Fleisch gemacht und aus 
der Tiefe mit einer Platinöse Material entnommen, Dadurch ist 
eine Übertragung der an der Aussenfläche des Fleisches haftenden 
Bazillen ausgeschlossen, eventuell kanu man auch aus der Milz, der 
Leber und nach meinen Untersuchungen aus der Galle Material ent¬ 
nehmen. Dieses wird nach Basenau auf Gelatineplatten, nach den 
neueren Untersuchungen besser auf Malachitgrün- und Drigalski- 
platten verimpft. Gleichzeitig werden je zwei Mäuse, die sehr emp¬ 
fänglich für Fleischvergiftungsbazillen sind, mit rohen Fleischstückchen 
und mit solchen, die eine Stunde auf 100° erhitzt sind, gefüttert. 
Wachsen auf den Platten innerhalb 24 Stunden keine Bakterien, so 
ist das Fleisch ohne weiteres freizugeben. Bei eintretendem Wachs¬ 
tum sind die Kulturen näher zu prüfen und das Resultat des Tier¬ 
versuches, das sich, wenn positiv, in höchstens drei Tagen ergibt, für 
die fernere Beurteilung mit heranzuzieheu. Sterben die mit rohem 
Fleisch gefütterten Mäuse, die mit einer Stunde gekochtem aber nicht, 
so geht daraus hervor, dass durch dieses Kochen die Giftigkeit auf¬ 
gehoben worden ist. Es kann dann nach den seitherigen Erfahrungen 
ohne Gefahr für die menschliche Gesundheit das Fleisch nach ge¬ 
höriger Sterilisation im Dampfapparat in den Konsum gebracht 
werden; gehen auch die mit gekochtem, bakterienhaltigem Material 
gefütterten Tiere zugrunde, so ist das Fleisch dem Verkehr zu ent¬ 
ziehen, eventuell nur zu technischen Zwecken zu verwerten. 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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2. Fleischvergiftungen durch den Genuss von faulem Fleisch. 

Diese Art entsteht durch den Genuss von Fleisch von gesunden 
Tieren, welches anfänglich nicht gesundheitsschädlich war, sondern 
erst nachträglich infolge schlechter Konservierung durch Eindringen 
von Fäulniserregern der Zersetzung anheimgefallen ist, wobei Fäulnis¬ 
produkte entstehen, die dann die Vergiftungen verursachen; bei dieser 
Zersetzung des Fleisches können die verschiedensten Arten der Fäulnis¬ 
erreger beteiligt sein, die Hauptrolle spielt aber die Gruppe der Pro¬ 
teusbazillen und des B. coli, letzteres wurde von Fischer (12) bei 
Vergiftungen einmal aus einer Leberpastete und einmal aus zwei 
Leberwürsten isoliert. Das B. coli bildete ein starkes hitzebeständiges 
Toxin. 

Klinisch tritt diese Art der Fleischvergiftung unter dem Bild 
einer akuten, sehr rasch verlaufenden, gewöhnlich ohne Fieber einher¬ 
gehenden Gastroenteritis auf. Die Heftigkeit der Krankheitserschei¬ 
nungen ist abhängig von der Menge des genossenen Fleisches, sowie 
von dem Alter »und der Widerstandsfähigkeit des Patienten. Meist 
treten die Krankheitserscheinungen 4—20 Stunden nach der Aufnahme 
des Fleisches auf und äussern sich in Erbrechen, Kopfschmerzen, ruhr¬ 
artigen, sehr übel riechenden Kotentleerungen, Koliken, Schwächezu¬ 
ständen u. dergl., in schwereren Fällen treten auch Krämpfe, Rücken- 
und Nackenschmerzen mit grosser Hinfälligkeit auf. Der Verlauf 
der Erkrankung ist in der Regel günstig, selbst in schweren Fällen, 
wenn auch oft länger anhaltendes Schwächegefühl zurückbleibt; Todes¬ 
fälle sind selten. 

Diese Art der Fleischvergiftung wurde hauptsächlich beobachtet 
nach dem Genuss von dem stets stark keimhaltigen Hackfleisch, von 
Würsten oder auch von Wildpret. Dass nicht jede faulige Zersetzung 
von Fleisch Krankheitserscheinungen hervorruft, zeigt der sehr ver¬ 
breitete, meist völlig unschädliche Genuss von Wildpret mit Hautgoüt. 
Welche Art der Fäulnisprodukte besonders giftig ist, darüber sind 
bis jetzt noch keine einwandfreien Untersuchungen vorhanden, wahr¬ 
scheinlich handelt es sich um spezifische, durch die Proteusgruppe 
gebildete Toxine. Durch Kochen werden diese Toxine zerstört. 

Nach van Ermengem (3) sind diese Fleischvergiftungen durch 
normales, aber erst nach der Schlachtung gesundheitsschädlich gewor¬ 
denes Fleisch viel seltener als die von dem Fleisch kranker Tiere 
ausgehenden und haben daher weit weniger Bedeutung. Die Erkran¬ 
kungen werden besonders im Sommer beobachtet, offenbar deshalb, 
weil die Bakterien bei hoher Aussentemperatur sich stark vermehren 
können, meistens waren es Hackfleischvergiftungen; da dieses oft 
Wasser betrügerischerweise enthält, so ist die Gelegenheit zur Ver¬ 
mehrung der Bakterien besonders günstig. 

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A. DIEUDONNä, 


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Derartige Massenerkrankungen wurden nach einer Zusammen¬ 
stellung von Schneidemühl (4) im Jahre 1879 in Chemnitz be¬ 
obachtet, wo nach dem Genuss von rohem Rindfleisch und Mettwurst 
241 Personen erkrankten und starben. Im Jahre 1886 erkrankten in 
derselben Stadt 160 Personen nach dem Genuss von rohem gehacktem 
Rindfleisch. Das Fleisch war während einer aussergewöhnlich heissen 
Witterung angefertigt und längere Zeit aufbewahrt worden, stammte 
jedoch von gesunden Ochsen. Der Genuss des Fleisches in gebra¬ 
tenem Zustande war entweder vollkommen unschädlich oder bewirkte 
nur ein bald verschwindendes Unwohlsein. Als Ursache wurde von 
Haupt eine Proteusart festgestellt. 

In Plauen erkrankten im Jahre 1887 20 Personen durch rohes 
Hackfleisch, welches sechs Tage alt und zum Teil in Zersetzung über¬ 
gegangen war, in Gerbstädt 50 Personen nach dem Genuss von rohem 
Hackfleisch, Schwartenwurst und Zwiebelleberwurst. 

Levy (39) beschrieb Erkrankungen an blutigem Brechdurch¬ 
fall bei 18 Personen, welche in derselben Wirtschaft verkehrten. Der 
Wirt pflegte sein Fleisch mehrere Tage im Eisschrank laufzubewahren; 
am Boden des Eisschrankes, der mit einer schleimigen braunen Kruste 
bedeckt war, die unangenehm säuerlich roch, wurde Proteus nach- 
gewiesen. Das im Schrank auf bewahrte Fleisch war mit Proteus in¬ 
fiziert und sein Geuuss rief die Erkrankungen hervor. Ein Fall 
endete tödlich, die Bazillen fanden sich massenhaft im Darminhalt 
und in den Fäzes, aber nicht im Blut der Leiche. Injektionen von 
Reinkulturen erzeugten bei Tieren ganz ähnliche Krankheitserschei¬ 
nungen, die Bazillen zeigten aber auch hier im Körper keine Ver¬ 
mehrung. Levy fasst die Pathogenität des Proteus nicht als eine 
Infektion, sondern als eine Intoxikation auf, die Bazillen bilden aus 
Eiweiss durch Zersetzung das Gift. 

Wesenberg (40) beobachtete im Jahre 1897 in Mansfeld eine 
Erkrankung bei 63 Personen, die das gehackte Fleisch einer notge- 
scblachteten Kuh in rohem Zustande genossen hatten, diejenigen, die 
gekochtes oder gut durchgebratenes Fleisch verzehrt hatten, blieben 
verschont; alle Kranken genasen. Aus dem Fleisch wurde eine Pro¬ 
teusart mit hoher Virulenz für Versuchstiere gezüchtet. Die Infek¬ 
tion des Fleisches fand erst nach der Schlachtung durch den Proteus 
statt; das Fleisch wurde in einem feuchten, ausserordentlich dumpfen 
Keller aufeinander geschichtet aufbewahrt. 

Glückmann (41) beobachtete in einem Dorfe des Kantons 
St. Gallen die Erkrankung von Vater und Sohn nach dem Genuss 
eines Stückes halbgeräucherten Schweinefleisches; ersterer starb. Per¬ 
sonen, die von dem gekochten oder gebratenen Fleisch gegessen hatten, 
blieben gesund; in dem geräucherten Fleisch fand sich der Proteus 
vulgaris. 


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21 ] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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Silberschmidt (42) beschrieb eine Erkrankung von 44 Per¬ 
sonen mit einem Todesfall nach dem Genüsse von geräucherten 
Würsten, „Landjägern“, in denen Proteus in grossen Mengen nachge¬ 
wiesen wurde. Das Räuchern batte nicht ausgereicht, um die Bazillen 
abzutöten, genügte aber, um den durch dieselben bedingten unange¬ 
nehmen Geruch und Geschmack einigermassen zu verdecken. In den 
Organen der nach Verfütterung gestorbenen Mäuse und Meerschwein¬ 
chen gelang es nicht Proteus nachzuweisen, wohl aber im Darm¬ 
inhalte. 

A. Pfuhl (43) beschrieb eine im Jahre 1900 in Hannover bei 
81 Soldaten auftretende Massenerkrankung mit den Erscheinungen 
von akutem Magendarmkatarrh, die aber bald wieder zurückgingen. 
Als Ursache wurde „Rinderwurst“ festgestellt, eine Art Wurst, die 
nicht in Därme gestopft, sondern in Gefässen nach Art der Sülze 
oder Gallerte hergestellt wird. Die Wurst war in Farbe, Geruch und 
Geschmack tadellos; durch die bakteriologische Untersuchung wurde 
Proteus festgestellt. 

Durch dieselbe Wurstart erkrankten in Hannover im Jahre 1901 
34 Personen wenige Stunden nach dem Essen an Darmerkrankungen, 
Übelkeit, profusen Durchfällen, Mattigkeit, mehrfachem Erbrechen; 
nach 12 Stunden waren bei den meisten Erkrankten die Symptome 
wieder abgeklungen. Aus der Wurst wurde von Schumburg (44) 
eine Proteusart gezüchtet; Mäuse und Ratten, mit der Wurst gefüttert, 
starben nach 24 Stunden an heftigem Darmkatarrh; aus den Organen 
liess sich gleichfalls Proteus züchten. Die mit den Reinkulturen ge¬ 
fütterten Mäuse und Ratten starben unter den Erscheinungen eines 
sehr heftigen Darmkatarrhs. 

Alle diese Beobachter nehmen an, dass es sich bei diesen Ver¬ 
giftungen um eine Veränderung des Fleisches handelte, das ursprüng¬ 
lich gut war und auch von gesunden Tieren stammte; die Infektion 
des Fleisches durch den Proteus ist erst nach der Schlachtung, wahr¬ 
scheinlich infolge von unzweckmässiger Aufbewahrung erfolgt. Die 
Erkrankungen, die nach dem Genuss eines mit Proteus infizierten 
Fleisches entstehen, sind nach den Untersuchungen von Glücks¬ 
mann, Silberschmidt u. a. nicht nur als eine reine Infektion, 
sondern auch als eine gleichzeitige Intoxikation mit den Stoffwechsel¬ 
produkten dieses Bacillus aufzufassen. Der mit dem Fleisch auf¬ 
genommene Proteus vermehrt sich im Darmkanal und bildet hier 
giftige Substanzen, welche die allgemeinen Erscheinnngen hervor- 
rufen, die Intoxikation gesellt sich zur Infektion. Zu einer Allgemein¬ 
infektion, einer Überschwemmung des Körpers mit Bakterien kommt 
es wohl selten; dafür sprechen die Versuche an den mit Proteus 
tödlich infizierten Tieren, welche die Erscheinungen eines schweren 
Darmkatarrhs zeigen, aber in den Organen nur wenig Bakterien nach- 


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weisen lassen. Manchmal wird auch der Proteus im Fleisch selbst 
schon giftige Produkte bilden, doch wird dies seltener der Fall sein, 
da dies durch die gleichzeitig auftretenden riechenden Fäulnisprodukte 
(Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Indol u. a.), bemerkt würde; meist 
ist ausdrücklich bemerkt, dass das schädliche Fleisch oder die Wurst 
keine Veränderungen im Aussehen, Geruch und Geschmack zeigte, 
so dass es als vollkommen unbedenklich angesehen wurde. 

Durch das Räuchern wird der Proteus nicht abgetötet, wie die 
von Silberschmidt beschriebene Vergiftung durch „Landjäger“ 
zeigt; das Räuchern kann dagegen einen etwa vorhandenen unan¬ 
genehmen Geruch und Geschmack verdecken. Dagegen wird durch 
halbstündiges Erhitzen auf mindestens 80° der Proteus abgetötet und 
das von ihm gebildete Gift imschädlich gemacht, im Gegensatz zu 
dem meist hitzebeständigen Gift des B. enteritidis und Paratyphus B. 

Ausser Proteus und B. coli kann auch der B. subtilis eine 
Fleischvergiftung herbeiführen (Lubenau (44a). In dem Sanatorium 
von Beelitz erkrankten im Juli 1906 nach einem Gericht von „Königs¬ 
berger Klops“ etwa */< der 400 Insassen der Anstalt, sowie ein grosser 
Teil des Personals an heftigem Magendarmkatarrh, der ohne Vorboten 
plötzlich zum Ausbruch kam. Das Gericht war zu Mittag gegessen 
worden und in derselben Nacht gegen 11 Uhr traten profuse Durch¬ 
fälle, unstillbares Erbrechen, heftige Kopfschmerzen mit allgemeiner 
Schwäche auf; Fieber war nur bei einzelnen am 2. oder 3. Krank¬ 
heitstage vorhanden, am 3. oder 4. Tage waren die meisten Kranken 
wieder wohl, nur bestand bei einzelnen noch mehrere Wochen hin¬ 
durch Neigung zu heftigen Durchfällen. Aus den Klopsen wurde 
eine zu der Gruppe der Heubazillen gehörige Bakterienart kulturell 
isoliert, die in Milch gezüchtet ein starkes Gift bildete; junge Hunde 
mit infizierter Milch gefüttert bekamen heftige, zum Teil blutige 
Durchfälle und Erbrechen und magerten stark ab. Der Bacillus, 
„B. peptonificans“, gehört zu den von Flügge gefundenen pep- 
touisierenden Bazillen der Subtilisgruppe, die in Milch Pepton bilden 
und als die Erreger der Darmkatarrhe von Säuglingen angesprochen 
werden. Zu dem Gericht war ein Stück Fleisch verwendet worden, 
das vier Tage im Eisschrank gehalten, dann, weil es noch ganz frisch 
war, abgekocht wurde und dann nochmals zwei Tage in den Eisschrank 
kam. Das Kochen hatte nicht genügt, um die widerstandsfähigen 
Sporen des Bacillus abzutöten, andererseits war die Temperatur de6 
Eisschrankes im Juli zum Auswachsen der Sporen sehr günstig. 

Die Prophylaxe dieser Art von Fleischvergiftungen besteht darin, 
dass das Fleisch möglichst frisch verwendet oder einwandfrei aufbewahrt 
wird; besonders gefährlich ist Hackfleisch. Fleisch, das die Anzeichen 
der Fäulnis hat, sollte nicht genossen werden. Durch Kochen und 
Braten wird die Gefahr verringert. Besondere Vorsicht ist im Sommer 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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notwendig, wo die Erkrankungen vorzugsweise beobachtet werden. 
In schlecht konstruierten Eisschränken kann es leicht zu Fäulnis 
kommen; bei der schlechten Lüftbarkeit und dem hohen Feuchtig¬ 
keitsgehalt können sich Bakterien reichlich darin entwickeln; bei der 
von Levy beschriebenen Massenerkrankung wurde Proteus am Boden 
des Eisschrankes nachgewiesen. Die Schränke sollten mehrmals im 
Jahre mit heisser Sodalösung gründlich gereinigt werden. Besonders 
gefährlich ist die Aufbewahrung des Fleisches in nicht mit Eis be¬ 
schickten, schlecht gelüfteten Eisschränken. Belehrung des Publikums 
und strenge Beaufsichtigung der Metzgereien und Wurstläden, ins¬ 
besondere auch des Hackfleisches ist angezeigt. 

Die Behandlung ist auch bei dieser Form symptomatisch, Ab¬ 
führmittel, Exzitantien (Kaffee, Kognak, Sekt) und diätetische 
Massregeln. 

Auffallend ist das bei der weiten Verbreitung des Proteus seltene 
Vorkommen dieser Art von Fleischvergiftungen, wahrscheinlich sind 
sie aber doch viel häufiger als bekannt wird und werden nur oft 
wegen ihres raschen Verlaufes wenig berücksichtigt und auch nicht 
erkannt. Jedenfalls sind aber die Vergiftungen durch das Fleisch 
notgeschlachteter Tiere viel häufiger (nach B o 11 i n g e r 4 /s aller Fleisch¬ 
vergiftungen) und wegen ihres Verlaufes weit bedenklicher. Das 
Fleisch von kranken Tieren, besonders von septischen, zersetzt sich 
besonders schnell und ist schon bei leichten Graden der Fäulnis sehr 
gefährlich; wahrscheinlich nimmt die Bildung der giftigen Stoff¬ 
wechselprodukte, die im Leben schon begonnen hatte, nachher noch 
beträchtlich zu. Je schneller ein Fleisch fault, um so gefährlicher 
pflegt es zu sein. 

Die Diagnose ist nur auf bakteriologischem Wege möglich durch 
Untersuchung des schädlichen Fleisches mittelst Plattenkultur; zur 
Fütterung eignen sich auch hier, wie bei den durch den B. enteritidis 
bedingten Vergiftungen Mäuse, die durch Proteus meist nach 24 Stunden 
an Magendarmkatarrh zugrunde gehen; im Darminhalt findet sich 
dann Proteus. Die chemische Untersuchung auf Ptomaine, Fäulnis¬ 
alkaloide u. a. lässt vollkommen im Stich oder gibt wenigstens kein 
eindeutiges spezifisches Resultat und es ist daher nicht zweckmässig, 
wie es zur Zeit oft der Fall ist, mit der Beurteilung der Gesund¬ 
heitsschädlichkeit von verdächtigem Fleisch oder von Wurstwaren den 
Chemiker zu betrauen, dafür ist nur massgebend der Tierarzt und 
ein vollkommen ausgebildeter Bakteriologe. 

Die Beurteilung der beginnenden Fäulnis ist unter Umständen 
sehr schwierig. Die Fäulnisveränderungen treten zunächst an der 
Oberfläche auf und verbreiten sich von hier aus in die Tiefe; sie 
beginnen in der Regel im Bindegewebe der Fleischoberfläche und 
verbreiten sich dann in den Bindegewebszügen (Schneidemühl [4]), 


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namentlich in der Umgebung eines Knochens und der grossen Ge- 
fässe in die Tiefe und in die anliegenden Muskeln; unter Entwicke¬ 
lung eines allmählich stärker werdenden fauligen Geruches bildet sich 
dann eine anfänglich dünne, später dicke schmierige Schicht; schliess¬ 
lich zerfällt Bindegewebe und Fleisch und die Fäulnis ist eine voll¬ 
ständige geworden. In diesen höheren Graden erscheint das Fleisch 
auf der Schnittoberfläche porös, Fingereindrücke bleiben bestehen, 
während sie an normalem Fleisch bald wieder verschwinden, das ur¬ 
sprünglich gelbe Fett ist grünlich, das Knochenmark weich, selbst 
flüssig und von grünlicher oder bräunlicher Farbe. Der Fäulnis¬ 
geruch ist am stärksten am Fett und in der Nähe am Knochen. Der 
schlechte Geruch des faulen Fleisches wird durch das Kochen und 
Braten nicht beseitigt. 

Zum objektiven Nachweis der Fäulnis ist zunächst auf die in¬ 
folge der Atnraoniakbildung auftretende alkalische Reaktion des 
Fleisches zu untersuchen (in frische Schnitte eingelegtes rotes Lacmus- 
papier färbt sich blau), doch ist diese Probe nicht immer zuverlässig, 
da Pökelfleisch und geräucherter Schinken in frischem Zustand alka¬ 
lisch reagieren, und da bei gleichzeitiger Gärung saure Reaktion 
eintreten kann. Besser ist die Ebersche Salmiak-Fäulnisprobe, die 
sich auf den Nachweis von freiem Ammoniak gründet. Ein Rea¬ 
genzglas von 2 cm Durchmesser und 10 cm Länge wird etwa 1 cm 
hoch mit einer Mischung von einem Teil reiner Salzsäure, drei Teilen 
Alkohol und einem Teil Äther gefüllt, verkorkt und einmal geschüttelt. 
Dann streift man von dem zu untersuchenden Fleisch mit einem 
sauberen Glasstabe eine Probe ab und senkt den Stab schnell in 
das Reagenzglas, so dass sein unteres Ende etwa 1 cm von der Flüssig¬ 
keit entfernt bleibt. Bei Gegenwart von Ammoniak bilden sich je 
nach dem Fäulnisgrade sehr schnell graue, rauchblaue oder weisse 
Nebel, die von der Probe zu der Oberfläche des Reagens sich hin¬ 
ziehen. Diese Fäulnisprobe ist zwar auch nicht ganz einwandfrei, 
da sie bei frischem Pökelfleisch wegen des häufig normal anwesenden 
Trimethylamins positiv ausfallen kann, doch vermag sie beim Vor¬ 
handensein anderer Fäulniserscheinungen die Diagnose zu sichern. 
In wichtigen Fällen sollte stets auch die bakteriologische Untersuchung 
ausgeführt werden. 

3. Wurstvergiftung (Botulismus, Allantiasis). 

Die dritte Art der Fleischvergiftung, die durch das Auftreten 
von schweren nervösen Erscheinungen charakterisiert ist, wird als 
Wurstvergiftung bezeichnet, da sie zuerst hauptsächlich nach dem 
Genuss von Wurst beobachtet wurde, doch kommt sie auch bei 
anderen Nahrungsmitteln vor und der Erreger, der B. botulinus, 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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wurde bei einer Vergiftung durch Schinken isoliert. Da der Erreger 
ein obligater Anaerobier ist, so werden die Vergiftungen beobachtet 
bei Nahrungsmitteln, die unter Luftabschluss;oder doch unter mangel¬ 
haftem Luftzutritt aufbewahrt waren und, ohne vorher noch einmal 
gekocht zu sein, verzehrt wurden, also besonders bei in dicken Darm¬ 
hüllen eingeschlossenen Würsten, mit Fett umgossenen Fleichpasteten 
oder mangelhaft gepökeltem Schinken, (das Fleisch, das dazu ver¬ 
wendet war, stammte meist von durchaus gesunden Tieren), ferner 
besonders in Konserven; so wurden derartige Vergiftungen nach Genuss 
von Fisch- und Bohnenkonserven beobachtet. 

Sichere Beobachtungen über das Auftreten von Wurstvergif¬ 
tung wurden zuerst von dem schwäbischen Dichter und Arzt Justin u s 
Kerner im Jahre 1820 veröffentlicht, der über einen Fall aus dem 
Jahre 1793 zu Kleinenzheim bei Wildbad und dann über mehrere 
Epidemien in verschiedenen Teilen Württembergs, zusammen 76 Er¬ 
krankungen mit 37 Todesfällen berichtete (Ostertag [2]). ln einer 
zweiten Abhandlung aus dem Jahre 1822 verzeichnet« der Autor 
98 weitere Fälle, davon 34 tödliche; zweimal waren Massenerkrankungen 
nach dem Genuss von zersetzten sauren „Blunzen“ aufgetreten. 
Auch später wurden zahlreiche Vergiftungen nach Genuss von 
Leberwurst und Schwartenmagen in Württemberg beobachtet, während 
in den übrigen Ländern, besonders in Norddeutschland, diese Er¬ 
krankungen viel seltener waren. Die Ursache dafür ist nach 
Ostertag in erster Linie in dem grossen Umfange der Wurstfabri¬ 
kation und des Wurstgenusses, besonders der leicht zersetzlichen Würste, 
der Blut- und Leberwürste in Württemberg zu suchen, dann aber 
auch in schlechtem Material, altem Blut u. a., und ferner in der 
früher ungenügenden Art der Herstellung; die Würste erhielten ein 
ungewöhnlich dickes Kaliber (in Schweinemagen gefüllte Blunzen), 
welches dem Durchdringen des Rauches Hindernisse entgegenstellt, 
ausserdem in der unvollkommenen Räucherung und dem zu hohen 
Wassergehalt. Seit der zweckmässigeren Herstellung von Dauerwürsten 
in neuerer Zeit sind auch in Württemberg diese Wurstvergiftungen 
viel seltener geworden. 

Die Symptome sind sehr charakteristisch. Während bei den 
seither besprochenen beiden Arten der Fleischvergiftung vorwiegend 
gastrointestinale Störungen auftreten, fehlen diese beim Botulismus 
vollständig, es sind ausschliesslich nervöse Erscheinungen zentralen 
Ursprungs (v. Ermengem), besonders sekretorische Störungen und 
symmetrische motorische Lähmungen, partiell oder total, welche ihren 
Sitz hauptsächlich in den Muskelgruppen, die von Hirunerven ver¬ 
sorgt sind, haben, daher Akkommodationslähmungen, Ptosis, Doppelt¬ 
sehen, Schlingbeschwerden, Gefühl von Trockenheit und Kratzen im 
Munde und im Rachen durch Versiegen der Speichelabsonderung, 


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Aphonie, hartnäckige Verstopfung und Urinverhaltung, ferner Störungen 
der Herztätigkeit und der Atmung; Fieber fehlt, Störungen der Moti¬ 
lität und der Sensibilität sind nicht vorhanden, das Bewusstsein ist 
völlig erhalten. Die Krankheitserscheinungen, die in vielen Zügen 
an Atropinvergiftung erinnern, treten meist 24—36 Stunden nach 
der Mahlzeit auf, bisweilen früher, schon nach 4 Stunden oder aber 
auch später, bis zum 4. Tage und enden ziemlich häufig mit dem 
Tod infolge Bulbärparalyse an Asphyxie, oder sie ziehen sich über 
Wochen und Monate lang hin. Selbst bei günstigem Verlauf bleiben 
noch wochenlang Sehstörungen und Muskelschwäche zurück. Die 
Sterblichkeit beträgt nach einer Zusammenstellung von Senkpiehl 
über 412 Erkrankungen von 1789—1886 mit 165 Todesfällen 40°/o. 
Der Obduktionsbefund ist meist völlig negativ, meist findet sich nur 
eine Hyperämie der Organe. 

Als die Ursache der Wurstvergiftung winde von v. Er¬ 
men gern (45) der anaärob wachsende B. botulinus festgestellt, der 
ein sehr stark wirksames spezifisches Toxin bildet. Dieser Mikro¬ 
organismus wurde in einem Schinken, der zu Ellezelles (Hennegau) 
im Dezember 1895 50 Fälle von Botulismus, darunter drei Todesfälle 
verursacht hatte, entdeckt; er fand sich in dem intermuskulären Binde¬ 
gewebe in Form von Sporen, stellenweise in grossen Mengen, dagegen 
fehlte er im Speck. Dieselben Bakterien wurden gefunden in der 
Milz und in dem Mageudarmiuhalt der Leichen, aber in einer sehr 
viel kleineren Anzahl. Der Schinken stammte von einem Tier, das 
als gesund begutachtet und dessen Fleisch in frischem Zustande ohne 
schädliche Folgen verzehrt worden war, der zweite Schinken des 
gleichen Schweines war gleichfalls verzehrt worden, ohne irgendwelche 
Störungen hervorzurufen. Es wurde festgestellt, dass der schädliche 
Schinken während der Pökelung auf dem Boden des Fasses und voll¬ 
ständig unter dem Salzwasser gelegen hatte, der unschädliche war 
darüber gelegen und ausserhalb der Flüssigkeit; er bot daher nicht 
die günstigen Entwickelungsbedingungen für auaerobe Bakterien. Der 
toxische Schinken war nicht faul, dagegen hatte er einen ausgesprochen 
ranzigen Geruch, ähnlich dem verdorbener Butter und 
war nur etwas entfärbt und iufolge einer langen Mazeration erweicht. 
Wässerige Auszüge des Schinkens erzeugten, bei mehreren Versuchs¬ 
tieren subkutan verimpft, typische Krankheitsbilder; Katzen zeigten 
ausgesprochene Mydriasis, Störungen der Speichelsekretiou, verschie¬ 
denartige Paresen, Herabhängen der Zunge, Aphonie, Dysphagie, 
Retention von Harn, Kot und Galle. Bei der Taube beobachtete man 
Lähmung der Flügel, Ptosis, ungleich dilatierte Pupillen, bei Affen, 
Meerschweinchen, Kaninchen und Mäusen die Zeichen der allgemeinen 
oder verschiedensten teilweisen Lähmung. 

Der B. botulinus ist ein ziemlich grosses Stäbchen mit abge- 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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rundeten Ecken, der endständige ovale Sporen bildet; er ist wenig 
beweglich und besitzt 4—8 sehr feine, peripherisch angeordnete Geissein, 
nach Gram färbbar; er ist ein obligater Anaärobier und wächst in 
Traubenzuckeragar und Bouillon mit reichlicher Gasentwickelung sehr 
üppig. Alle Kulturen haben einen ranzigen, sehr ausgesprochenen 
Geruch nach Buttersäure. Die Sporen haben eine relativ geringe 
Widerstandsfähigkeit; sporenhaltige Kulturen werden durch ein- 
stündiges Erhitzen auf 80° sicher abgetötet. Kochsalzgehalt über 
5—6°/o in den Nährböden hebt das Wachstum auf, er vermag sich 
daher nicht in richtig gepökeltem Fleisch mit 10°/o Kochsalzgehalt 
der Lake zu entwickeln. Die Bazillen bilden ein heftiges Toxin; 
filtrierte Kulturen rufen bei empfänglichen Versuchstieren, Kaninchen, 
Meerschweinchen, Mäusen, Katzen und Affen schon in kleinsten Mengen 
(0,0001 ccm und weniger) Lähmungserscheinungen hervor; grosse Dosen 
(0,1—0,5 ccm) wirken bei Kaninchen wie ein foudroyantes Gift. Nach 
einem Latenzstadium von einigen Stunden zeigen die Tiere oft plötzlich 
dyspnoische Anfälle; sie fallen vollständig gelähmt, bisweilen mit einem 
scharfen Schrei auf die Seite und sterben unter Zuckungen infolge 
rapider Respirationslähmung nach einer viertel- bis halben Stunde. 
Je grösser die Toxindosis, um so rascher und heftiger treten die Er¬ 
scheinungen auf, doch ist selbst bei den grössten Dosen ein Latenz- 
stadium von 6—12 Stunden zu beobachten. Die Krankheitserscheinungen 
haben vollkommen den Charakter einer reinen Vergiftung, ohne dass 
dabei eine Vermehrung der Bakterien im Körper stattfindet. Im Gegen¬ 
satz zu den meisten anderen Toxinen wirkt das Gift des B. botulinus 
nicht nur bei subkutaner oder intravenöser Injektion, sondern die 
schwersten Vergiftungserscheinungen treten bei Verfütterung auf. 
Bei den Versuchstieren finden sich Veränderungen (Entartung) in 
den Ganglienzellen der Vorderhörner des Rückenmarkes und der 
Bulbärkerne (Okulomotoriuskern), also der Orgaue, auf welche der 
Verlauf der Krankheit auch beim Menschen hinweist. 

Durch Immunisierung von Tieren mit dem Toxin gelang 
es Kempner (46) ein antitoxisches Serum herzustellen, welches 
schützende und auch gewisse heilende Wirkung im Tierversuch zeigte. 

Diese Beobachtungen wurden von Roemer (47) vollkommen 
bestätigt, der im Jahre 1900 bei der Untersuchung eines Schinkens, 
welcher bei vier Personen die Erscheinungen des Botulismus hervorrief, 
den B. botulinus nach wies. Auch dieser Schinken stammte von einem 
gesunden Tier, bei der Pökelung lag der Schinken oben und war 
angeblich mit der Lake ganz überdeckt; nach fünf Wochen wurde 
das Aufsteigen von Gasblasen aus der Lake beobachtet. An der 
Muskulatur des Schinkens beobachtete man an den meisten Stellen 
normale Färbung und Konsistenz, daneben aber einzelne blaugraue 
bis schwachgrünliche Partien, die sich weicher anfühlten und feucht 


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waren. Der Geruch war nicht faulig, sondern scharf ranzig, an Butter¬ 
säure erinnernd. In dem Fett und der gesund aussehenden Musku¬ 
latur waren Bakterien weder mikroskopisch noch kulturell nach¬ 
weisbar, dagegen wurde aus den grünlichen Partien der B. botulinus 
und daneben zwei aörobe Arten, ein grosser Coccus und ein Bacillus 
aus der Gruppe der Heubazillen isoliert. Auch v. Ermengem hatte 
neben dem B. botulinus einen aörob wachsenden Micrococcus ge¬ 
funden ; diese Begleitbakterien ermöglichen dem B. botulinus seine 
anaörobe Entwickelung in der Salzlake. Roemer stellte durch den 
Tierversuch fest, dass der Bacillus im lebenden Organismus kein Gift 
bildet und dass er sich weder an der Injektionsstelle noch in den 
inneren Organen, noch im Darm vermehrt, er ist also ein Saprophyt; 
die Krankheitserscheinungen werden ausschliesslich durch das Toxin 
verursacht, welches von dem Bacillus in den Nahrungsmitteln vor¬ 
gebildet wurde; auch der Mensch erkrankt nur, weil das im Nah¬ 
rungsmittel enthaltene Gift vom Intestinaltraktus aus aufgenommen 
wird. v. Ermengem rechnet daher den B. botulinus zu den „patho¬ 
genen Saprophyten“, die zum Unterschied von infektiösen Mikroben 
zwar im lebenden Tierkörper sich nicht entwickeln können, aber doch 
durch die Giftbildung im Nahrungsmittel gefährlich werden können. 

Die Diagnose des Botulismus kann nur auf bakteriologischem 
Wege erfolgen durch die mikroskopische Untersuchung des ver¬ 
dächtigen Fleisches, durch die anaörobe Kultur auf Zuckeragarplatten 
und Zuckergelatiue und durch den Tierversuch: Verfütterung des 
Fleisches an Mäuse, Verimpfung eines. wässerigen Auszuges davon 
an Meerschweinchen und Kaninchen subkutan und per os und Prüfung 
einer mehrtägigen Bouillonkultur und ihres Filtrates auf Giftigkeit an 
diesen Tieren. 

Die Behandlung ist auch hier symptomatisch, ferner kann 
man ein antitoxisches Serum versuchen, das im Tierversuch heilende 
Eigenschaften besitzt, selbst wenn bereits deutliche Vergiftungs¬ 
erscheinungen ausgebrochen sind und es 24 Stunden nach der Gift¬ 
injektion angewendet wurde. Neuerdings wird ein von Wassermann 
hergestelltes Botulismusserum von dem Institut für Infektionskrank¬ 
heiten in Berlin abgegeben. 

Die Prophylaxe besteht nach v. Ermengem vor allem 
darin, dass man den Genuss von solchen Nahrungsmitteln in rohem 
Zustande vermeidet, die ganz besonders der Möglichkeit von anaöroben 
Wachstumsvorgängen ausgesetzt sind, wie Würste, Schinken, Kon¬ 
serven u. a.; fernerhin sollen von dem Genuss ausgeschlossen werden 
alle verdorbenen Nahrungsmittel, die durch ihren ranzigen oder butter¬ 
säureähnlichen Geruch, durch schmieriges Aussehen, Erweichung ein¬ 
zelner Stellen oder sonstwie abnorme Beschaffenheit Verdacht erregen. 
Für Pökelungen sollen nur Laken benutzt werden, die eine genügende 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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Salzkonzentration, zum mindesten lO°/o Kochsalz enthalten, da der 
B. botulinus hei dieser Konzentration sich nicht vermehren kann. 
Zur Herstellung von Würsten darf nur gesundes Fleisch und Or¬ 
gane, welche gründlich durchgekocht sein müssen, verwendet werden. 
Die Därme müssen ausgiebig eventuell unter Benutzung von unschädlichen 
desinfizierenden Stoffen gereinigt werden; Schillin g (48) fand in Wurst¬ 
därmen noch Fäkalbestandteile, Strohteilchen, Tierhaare, am meisten 
in den Falten und Buchten des fettreichen Dünndarms, in 1 m Darm 
2—16 g Fäzes auf Wassergehalt berechnet. Allzu grosse Kaliber 
(Schweine- oder Rindermägen), welche dem Durchdringen des Rauches 
Hindernisse entgegensetzen, sind zu vermeiden. Die Räucherung soll 
in zweckmässig eingerichteten Räucherkammern kontinuierlich und 
kräftig unterhalten werden, bis die Würste genügend hart und trocken 
geworden sind; für die Würste ist ein Wassergehalt von 30 bis 
höchstens 35°/o am zweckmässigsten. In Gegenden, wo viel Würste 
gegessen werden, sind von behördlicher Seite Belehrungen des Publi¬ 
kums über die Gefahren und entsprechende Bestimmungen erlassen 
worden (Schneidemühl [4]). 


Vergiftungen durch Fische und Mollusken. 

Bei diesen Vergiftungen müssen wir gleichfalls mehrere Arten unter¬ 
scheiden, solche, bei denen das Gift in den gesunden Tieren bereits 
präformiert ist und solche, bei denen sich erst bei dem Aufbewahren 
giftige Stoffe bilden. 

Die eigentlich giftigen Fische kommen bei uns weniger, sondern 
meist nur in tropischen Ländern vor. Durch die Fische wird nur 
dann eine Vergiftung hervorgerufen, wenn sie als Speise genossen 
werden. Bei vielen Arten (z. B. dem japanischen Fisch Fugu) ist der 
Laich giftig und kann Menschen unter choleraähnlichen Erscheinungen, 
Lähmungen und Krämpfen rasch töten; werden die Eierstöcke mit 
dem Laich vorsichtig aus den frischen Fischen entfernt, so soll das 
Fleisch ohne Schaden gegessen werden können. Durch Kochen wird 
der Giftstoff meist nicht zerstört. Von unseren einheimischen Süss¬ 
wasserfischen ruft der Rogen der Barbe, Cyprinus barba besonders 
im Mai choleriforme Erkrankungen hervor (Barbencholera), die ge¬ 
wöhnlich gutartig verlaufeu. Auch die Rogen des Hechtes, sowie das 
Fleisch von Stör, Sterlet, Hausen soll zur Laichzeit giftige Eigen¬ 
schaften entfalten. Von manchen Fischen soll auch die Leber, be¬ 
sonders die Galle das Gift enthalten (näheres bei Ko her t [49]). 

Die meisten Fischvergiftungen entstehen aber durch bakterielle 
Infektion oder Intoxikation entweder durch den Genuss von kranken 
Fischen oder von gesunden, deren Fleisch postmortal in Zersetzung über- 


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68 A. DIEUDONNE, [30 

geht. Ulrich (50) beschreibt mehrere Fälle von Fischvergiftung, die 
iin Jahre 1904 in Zürich vorkamen und wahrscheinlich von einer Sen¬ 
dung Meerhechte ausgegangen war. Die Fische hatten sich mehrere 
Tage auf dem Transport befunden und waren nicht sofort nach dem 
Kochen, sondern 24, 36 und mehr als 48 Stunden nach der Zubereitung 
genossen worden. Die Krankheitserscheinungen waren gastroenteri- 
tischer und typhöser Natur und traten um so schwerer auf, je später 
von den Fischen gegessen worden war, ferner erwiesen sich andere 
Fische, die auf derselben Platte aufbewahrt wurden, als ebenso 
schädlich. Aus dem Blut der zwei gestorbenen Personen wurde von 
Wyss und Silberschmidt der B. paratyphus B isoliert; das Blut 
der anderen Patienten agglutinierte diesen Bacillus. Ob die lebenden 
Fische schon diese Bazillen enthielten, war nicht festzustellen, jeden¬ 
falls ist aber anzunehmen, dass das Fleisch kranker Fische für die 
Entwickelung pathogener Bakterien einen günstigeren Nährboden 
darstellt als das gesunde. Wie Ulrich weiter feststellte, zeigen die 
Fische irn rohen Zustande, namentlich bei hoher Sommertemperatur 
einen ziemlich grossen Bakteriengehalt, vornehmlich Bakterien aus 
der Koli- und Proteusgruppe. Durch das gewöhnliche Kochen werden 
nicht alle Bakterien abgetötet; wird der Fisch längere Zeit aufbe¬ 
wahrt, so entwickeln sich diese Bakterien im Sommer sehr intensiv 
weiter. Der Genuss grosser Mengen dieser Bakterien im Fleisch 
kann zu schweren Magendarmstörungen führen, besonders der Koli- 
arten, die Proteusinfektionen sind weniger gefährlich, da dahei schon 
nach kurzer Zeit wahrnehmbare Veränderungen des Fleisches (Fäulnis¬ 
geruch) eintritt, was bei B. coli nicht der Fall ist. Auch der aus 
dem Fisch gezüchtete B. paratyphus B wächst auf Fischfleich sehr 
üppig. Da sich die Bakterien in gekochtem Fischfleisch, namentlich 
bei höheren Temperaturen rasch vermehren, ist es nach Ulrich 
nicht unbedenklich, Fischfleisch im Sommer später als 24 Stunden 
nach dem Kochen zu gemessen. 

Abraham (51) berichtete im Jahre 1906 über 28 Erkrankungs¬ 
fälle nach dem Genuss von Seehecht; die Erkrankung trat etwa 
18 Stunden nach dem Genüsse des Fisches mit Fieber (bis zu 39°), 
Darmkoliken, leichten Diarrhöen und Übelkeit auf; nach zwei bis 
drei Tagen schwaud das Fieber, die Koliken und diarrhöischen Stühle 
hörten auf und nach acht Tagen waren alle Erkraukten wieder ge¬ 
sund. Das zurückgebliebene Stück Fisch machte äusserlich eineu 
tadellosen Eindruck hinsichtlich Farbe, Geruch und Geschmack. Bei 
der bakteriologischen Untersuchung fand Neisser eine zu der 
Gruppe des Paratyphusbazillus, Typus Aertryk, gehörige Bakterieu- 
art, die ein gegen Erhitzen sehr widerstandsfähiges Toxin bildete. Die 
serodiagnostische Untersuchung des Blutes einer Anzahl der Patienten 
war positiv. In den Stühlen der Patienten konnten keine Bazilleu 


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31] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


69 


gefunden werden. In diesem Fall ist anzunehmen, dass der Fisch 
sich in vivo mit den Bazillen infiziert hatte und diese in das Fleisch 
eindrangen, nach dessen Genuss die Erkrankung erfolgte, also durch 
das Fleisch eines kranken Fisches. Da der Seehecht ein sehr ge- 
frässiges Tier ist, das sich mit Vorliebe an Kloakenmündungen und 
schmutzigen Wasserstellen aufhält und im Meere auch Kadaver frisst, 
so ist die Aufnahme von pathogenen Bakterien, z. B. des Paratyphus, 
wohl möglich. 

Ausser diesen beiden Arten der Fischvergiftung kommen auch 
noch unter dem Bilde des Botulismus verlaufende vor; diese werden 
namentlich bei Genuss des Inhalts geöffneter Konservenbüchsen von 
Fischen und von Hummern beobachtet, das Gift kann auch in der 
Mayonnaise sitzen. Die vielfachen Verdauungsstörungen nach Hummer¬ 
mayonnaise werden wohl zum Teil durch derartige Gifte bedingt. 

Auch nach dem Genuss von Krebsen wurden öfters schwere 
Erkrankungen beim Menschen beobachtet; bei gekochten Krebsen, 
Krabben und anderen Krustentieren können sich nach längerem 
Stehen, und zwar bereits vor dem Auftreten eines Fäuinisgeruches 
gesundheitsschädliche Stoffe entwickeln, zumal wenn die Tiere erst 
nach erfolgtem Absterben gekocht worden sind (Schneidemühl [4]). 
Die Erscheinungen dieser Vergiftung waren Mattigkeit, ziehende 
Schmerzen im Rücken und schmerzhafte Steifigkeit in den Gliedern; 
die Rekonvaleszenz dauerte Monate. 

Von Muscheln hat die Miesmuschel (Mytilus edulis) in Wilhelms¬ 
haven im Jahre 1885 zu einer Massenerkrankung geführt, ohne dass 
Fäulnis vorhanden war. Die Erscheinungen traten sehr bald ( 1 /-t bis 
V* Stunde) nach der Mahlzeit auf und bestanden in zusammen¬ 
schnürendem Gefühl im Halse, Prickeln in den Extremitäten, Schwindel, 
hochgradigem Kräfteverfall; der Tod trat schon nach wenigen (2—5) 
Stunden ein. Bei der Sektion fand V i r c h o w konstant eine starke 
Milzschwellung, sowie fettige Degeneration der Nieren und der Leber. 
Auch anderwärts wurden tödlich verlaufende Vergiftungen beobachtet. 
Von Brieger wurde ein giftiges Alkaloid, Mytilotoxin, isoliert, dessen 
Wirkung mit dem Curare Ähnlichkeit hat; dieses Gift wird durch 
Kochen in Wasser zerstört, dem kohlensaures Natron (3—5 g auf 
1 Liter) zugefügt ist. Unter welchen Bedingungen die Bildung von 
Giften in den Muscheln zustandekoramt, ist nicht bekannt; die giftigen 
Muscheln sollen meistens aus stagnierendem Wasser gestammt haben. 
Schmidtmann beobachtete, dass ganz gesunde Muscheln in dem 
Wasser des Kanals, aus dem die giftigen Muscheln in Wilhelmshaven 
stammten, stark giftig wurden und umgekehrt giftige Muscheln aus 
diesem Kanal, in das Wasser der Hafeneinfahrt gebracht, innerhalb 
der gleichen Frist ihre giftigen Eigenschaften vollkommen verloren; 
man nimmt daher an, dass Bakterien, welche in dem Kanalwassei 


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A. DIEUDONNfi, 


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vorhanden sind, in den Muscheln das Gift erzeugen. Giftige Muscheln 
besitzen nach Schmidtmann einen süsslichen, ekelerregenden 
Bouillongeruch, während gesunde den frischen Seewassergeruch haben. 
Lustig und Zardo züchteten von Miesmuscheln zwei verschiedene, 
nicht näher identifizierte Bakterienarten, die für Versuchstiere pathogen 
waren. 

Auch Meerschnecken haben zu Vergiftungen geführt (Galeotti 
und Zardo [52]); im Jahre 1900 erkrankten in Isola 43 Personen nach 
dem Genuss von Meerschnecken, Murex bradatus, unter heftigem 
Erbrechen, Hämaturie, Krämpfen, Lähmungen; die meisten Kranken 
litten an Durchfällen, bei anderen, den schwersten Fällen, wurde 
Verstopfung beobachtet; 5 Personen starben; bei der Sektion fanden 
sich überaus zahlreiche durch das Unterhaut- und Muskelgewebe, die 
serösen Häute, das Herz zerstreute Blutergüsse, fettige Degeneration 
der Leber, des Herzens und der Nieren. Aus den in derselben Gegend 
gefangenen Meerschnecken wurde eine der Gruppe der Bazillen der 
hämorrhagischen Septikämie nahestehende ßakterienart isoliert, die 
stark pathogen und toxisch, auch bei Verfütterung wirkte und bei 
den Versuchstieren ähnliche pathologische Erscheinungen hervorrief, 
wie sie bei den erkrankten Menschen beobachtet worden waren. 
Dieser Bacillus scheint ein gewöhnlicher Gast der in diesen Gegenden 
vorhandenen Meermuscheln zu sein und unter gewissen Bedingungen 
für den Menschen pathogene Eigenschaften zu bekommen. Sehr 
häufig sind aber solche Muschel- und Schneckenvergiftungen sicher 
auf faulige Verderbnis durch Proteus- und andere Fäulnisbazillen 
zurückzuführen. 

Austern können zu Vergiftungen führen, namentlich wenn 
die Austernbänke an den Mündungen von Kanälen und Kloaken 
angelegt sind; nach Bar de t sollen alle Austern im Sommer krank 
sein. Ferner gehen die Austern leicht in Fäulnis über; der Genuss 
toter und zersetzter Austern ist sehr gefährlich. Das Krankheitsbild 
tritt bald als Urticaria, bald als schwere Gastroenteritis auf; auch töd¬ 
liche Vergiftungen unter dem Bild des Botulismus wurden beobachtet. 
Einwandfreie bakteriologische Untersuchungen liegen darüber noch 
nicht vor. Durch Austern können auch Typhus- und Choleraerkran¬ 
kungen Zustandekommen, wenn das Wasser, aus dem sie stammen, 
durch infizierte Kanalabwässer verunreinigt ist; verschiedene wie 
Typhus oder typhusähnlich verlaufende Massenerkrankungen zum 
Teil mit tödlichem Verlauf wurden auf den Genuss von Austern 
zurückgeführt, doch gelang es bis jetzt nur selten, den Typhusbacillus 
ein wandsfrei nachzuweisen, dagegen wurden wiederholt in frischen 
Austern B. coli gefunden und dies von einigen Autoren als ein 
Zeichen fäkaler Verunreinigung von dem zur Züchtung dienenden 
Wasser aus betrachtet, während andere Autoren das B. coli als den ge- 


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33] 


Die bakterielles Nahrungsmittelvergiftungen. 


71 


wohnlichen Darmbewohner dieser Mollusken bezeichnen. Auch Pro¬ 
teusarten wurden innerhalb der AüBtern festgestellt. Vivaldi und 
Rodella (53) fanden einen koliähnliehen, zu der Gruppe der Kapsel¬ 
bazillen gehörigen, für den Menschen pathogenen Bacillus. Jedenfalls 
sollten Austernbänke nur an Stellen angelegt werden, wo eine Infektion 
mit pathogenen Bakterien von den Kanälen aus ausgeschlossen ist, 
ferner sollten Austern und Muscheln nur in frischem Zustande zum 
Verkauf gelangen dürfen. Auf Reisen muss man mit dem Genuss 
der Austern sehr vorsichtig sein, besonders in südlichen Ländern; 
schon viele haben sich dabei mit Typhus infiziert oder einen 
schweren Darmkatarrh zugezogen, dessen Ursache nicht erklärt werden 
konnte; namentlich zu warnen ist vor auffallend billigen Austern, da 
dabei oft uicht mehr frisches oder minderwertiges Material verkauft 
wird; einwandfreie Austern können nicht billig geliefert werden. 
Besonders ist zu achten auf die Erscheinungen des Abgestorbenseins 
(klaffende Schale) und die Zeichen der fauligen Zersetzung: missfarbige 
weiche Beschaffenheit und schwarzer Ring auf der inneren Schalenseite 
(Vagedes [54]). Die Austern sind während der Sommermonate be¬ 
sonders häufig giftig, weshalb sie von Mai bis August nicht in den 
Handel kommen. 

Käsevergiftungen. 

Vergiftungen durch den Genuss von Käse wurden wiederholt 
beschrieben. Die Erscheinungen äusserten sich in Brechdurchfall, 
in schweren Fällen Blutbrechen und Tenesmus, Kollapszuständen, 
manchmal auch Störungen des Sehvermögens, des Geschmacks, Trocken¬ 
heit des Halses, hartnäckige Obstipation, also ähnlich wie bei Botu¬ 
lismus. Der Geschmack des giftigen Käses hatte meist nichts¬ 
besonderes an sich; als auffallend wurde gewöhnlich nur ein etwas 
bitterer Geschmack angegeben. Als Ursache wurde früher ein von 
Vaughan dargestelltes giftiges Alkaloid, das Tyrotoxikon, ange¬ 
sprochen. Neuere Untersuchungen haben auch hier als Ursache 
wiederholt Bakterien nachgewiesen. Bei einer von Vaughan und 
Perkins (55) beschriebenen Vergiftung erkrankten 12 Personen 
3—6 Stunden nach dem Genüsse mit Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen 
im Unterleib und bedrohlicher Schwäche der Herztätigkeit; einige 
zeigten Pupillenerweiterung und sogar Delirien. Aus den Proben 
wurde ein für die gebräuchlichen Versuchstiere pathogener Bacillus 
gezüchtet, der ein heftiges Gift bildet. Durch ein Versehen wurden 
10 Tropfen einer sterilisierten Milchkultur dieses Bacillus einem 
Patienten injiziert; innerhalb 30 Minuten trat Schwindel mit reich¬ 
lichem Erbrechen und starkem Durchfall ein, zwei Stunden nach der 
Injektion fast völlige Taubheit und Delirien, drei Stunden nach der 

Würzburger Abhandlungen. Bd. VUI. H. 3/4. 6 


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A. DIEÜDONNä, 


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Einspritzung verfiel der Kranke iu einen scblafsüchtigen Zustand, 
Füsse und Hände waren kalt und der Pulsschlag nicht wahrnehmbar. 
Nach Einspritzung von Strychnin erholte sich der Kranke langsam, 
aber vollständig; 12 Stunden nach der Einspritzung hatten alle beun¬ 
ruhigenden Symptome aufgehört, aber erst zwei Tage nachher konnte 
der Patient im Zimmer sich wieder bewegen. Für Meerschweinchen 
war dieses Gift in der für den Menschen so schädlichen Menge von 
10 Tropfen unwirksam und erst in Mengen von 1—2 ccm giftig. 
Durch Erhitzen auf 100° 15 Minuten lang wurde das Gift nicht voll¬ 
kommen zerstört, dagegen starb der Bacillus schon bei einer viel 
niedrigeren Temperatur ab und durch Sterilisation der Milch wird 
die weitere Erzeugung des Giftes verhindert. 

In Norwegen werden durch „Knetkäse“ nach Holst (56) auf¬ 
fallend häufig Erkrankungen an akutem Magendarmkatarrh beobachtet. 
Als Ursache liess sich eine Infektion mit einer Varietät des B. coli 
feststellen, die für Kaninchen und Kälber sehr pathogen ist und dem 
J e n s e n sehen Bacillus der Kälberruhr nahesteht. Die Infektion 
kann entweder dadurch bedingt sein, dass der Bacillus durch irgend 
eine Unsauberkeit der Leute während des Zubereitens, besonders des 
Knetens oder während des Transportes in den Käse eingedrungen 
war oder aber dadurch, dass die Milch, aus der der giftige Käse zu¬ 
bereitet war, von einer an Durchfall leidenden Kuh stammte, nach¬ 
dem Gaffky in einem Fall den Nachweis geliefert hat, dass Durch¬ 
fälle beim Menschen durch den Genuss von Milch einer an Durchfall 
leidenden Kuh herrühren können. 

Bei einer von Pflüger (57) beschriebenen Vergiftung traten 
12 Stunden nach dem Genuss von saurem Käse heftige kolikartige 
Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfälle mit grosser Schwäche auf; bei 
einigen waren Sehstörungen, Doppeltsehen, Trockenheit im Munde, 
Schluckbeschwerden, ähnlich wie bei dem Botulismus vorhanden. 
Vielleicht spielen derartige Anaerobier auch bei der Käsevergiftung 
eine Rolle, doch sind darüber noch keine Untersuchungen angestellt. 

Bei einer wegen vermutlicher Käsevergiftung eingesandten Probe 
isolierte Peppier (58) Schweinerotlaufbazillen, die nach neueren Unter¬ 
suchungen auch beim Menschen krankhafte Darmerscheinungen her- 
vorrufen können. In Quarkkäse wurden wiederholt Tuberkelbazillen 
nachgewiesen, doch scheinen nach Heim (58a) zufällig in Käse gelangte 
pathogene Bakterien, wie Cholera- und Typhusbazillen darin nach 
wenigen Tagen abzusterben. 


Vergiftungen durch Vanillecreme und Mehlspeisen. 

Auffallend häufig werden Vergiftungen durch Vanillecreme und 
Vanilleeis beobachtet, die meist l 1 /a—2 Stunden nach dem Genuss 


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35] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


73 


unter heftigem Erbrechen, Magen- und Leibschmerzen, Durchfallen 
und Kollapserscheinungen auftraten. Während früher von Beiten der 
Pharmakologen der Vanille die giftige Wirkung zugeschrieben wurde, 
stellte M. Wassermann (59) bei einer im Jahre 1898 vorgekommenen 
Massenerkrankung eine bakterielle Intoxikation fest. Das schädliche 
Gericht war aus Milch, Eiern, Zucker und Vanillezuckerpulver (10 g 
Zucker mit 20°/o Vanillegehalt) hergeetellt; die Zubereitung fand 
abends statt, die Creme blieb dann unbedeckt in der Speisekammer 
bis zum darauffolgenden Mittag (bei Zimmertemperatur) stehen. Das 
Vanillin wie die Vanilleschoten hatten im Tierversuch keine Giftwir¬ 
kung, dagegen zeigte sich, dass das Vanillin, der wirksame Körper des 
Vanillinzuckerpulvers und der Vanillescbote durch seine reduzierenden 
Eigenschaften das Wachstum der Anaerobier begünstigt. Nachdem 
in der Milch häufig Bakterien Vorkommen, welche anaörobe Wachs¬ 
tumsbedingungen haben, für den menschlichen Organismus pathogen 
sind und die Siedehitze beim Aufkochen ertragen, finden diese bei 
der nach dem Kochen ganz allmählich erfolgenden Abkühlung und 
in den in der Milch reichlich vorhandenen Eiweissstoffen die günstige 
Temperatur uud den entsprechenden Nährboden für ihre reichliche 
Entwickelung und auch für die Produktion von Giftstoffen. 

Auch Vaughan (60) stellte bei einer Massenvergiftung durch 
Vanilleeis die Ungiftigkeit der verwendeten Vanille fest; die zum 
Eise verwendete Milch war frisch, gleichzeitig aus derselben Milch 
und den nämlichen anderen Zutaten bereitetes Zitroneneis erwies sich 
als unschädlich; die Creme für beide Eissorten wurde gemeinschaft¬ 
lich hergestellt, dann geteilt und zu der einen Portiou Vanille-, 
zu der anderen Zitronenextrakt zugesetzt. Nach den Untersuchungen 
von Wassermann ist das verschiedene Verhalten beider Eissorten 
dadurch zu erklären, dass das Vanillin durch sein Reduktionsver¬ 
mögen das Wachstum der Auaörobier ermöglichte, während der 
Zitronensaft durch seinen Säuregehalt antiseptisch wirkte. 

Bei einer anderen Vergiftung durch Eiscreme im Jahre 1895 
fand Vaughan dieselbe Bakterienart aus der Koligruppe wie bei 
der früher beschriebenen Käsevergiftuug. 

Für die Prophylaxe der Vanillespeisevergiftungen ist es nach 
Wassermann notwendig, die Mlich vor der Verarbeitung gut ab¬ 
zukochen, stets frische Eier zu verwenden, peinlichste Reinlichkeit 
bei der Benutzung von Kocbgefässen zu üben, die Kochgeschirre 
während und nach der Zubereitung zu bedecken und die Speise bis 
zum Gebrauch auf Eis oder wenigstens kühl zu stellen. 

Neuerdings wurden auch Paratyphusbazillen bei Mehlspeise¬ 
vergiftungen festgestellt. Wie schon erwähnt, wurde von Fischer (24) 
tiuf die Übertragung des Paratyphus durch die Milch hingewiesen. 
Vaged es (61) beobachtete im Jahre 1904 in Berlin (Tempelhof) eine 

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A. D1EUD0NN&, 


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7 Krankheitsfälle umfaasende Vergiftung, die wenige Stunden nach dem 
Genuss einer Griesspeise auftrat; die KrankheitaerBcheinungen waren 
fieberhafter Dannkatarrh mit reichlichen Durchfällen, ein Fall verlief 
tödlich, an den Organen liessen sich ausser einer deutlich ausge¬ 
sprochenen Schwellung der Peyer'schen Plaques keine besonderen 
Veränderungen nachweisen. Bei der bakteriologischen Untersuchung 
der diarrhöischen, mit Schleimflocken durchsetzten, blutig gefärbten 
Stuhlentleerungen der Erkrankten, ferner des Erbrochenen und der 
Leichenteile (Milz, Niere, Leber) wurde mit Hilfe des Drigalcki’schen 
Nährbodens der Paratyphusbazillus B gezüchtet, der in Kulturen ein 
starkes, gegen Erhitzen widerstandsfähiges Gift bildete. Das Blut¬ 
serum der Erkrankten agglutinierte diese Bakterienart, sogar 7 Monate 
nach der Vergiftung hatte das Blutserum eines der Erkrankten noch 
agglutinierende Wirkung. Typhusbazillen wurden durch dieses Blutserum 
zwar auch agglutiniert, aber erst in erheblich stärkeren Konzentra¬ 
tionen des Serums als die spezifische Bakterienart. Die Bazillen konnten 
in der Speise nicht nachgewiesen werden, da nichts mehr davon übrig 
war, trotzdem ist nach dem klinischen, epidemiologischen und bak¬ 
teriologischen Befund die Infektion mit dem B. paratyphus mit 
grösster Wahrscheinlichkeit auf den Genuss der Griesspeise zurück¬ 
zuführen. Wie diese Bakterien in die Speise, die aus Gries, Zwieback, 
Äpfeln, Milch, Zucker, Vanillepulver, sowie drei Enteneiern hergestellt 
war, hineingelangten, konnte nicht festgestellt werden; die Milch, das 
Vanillepulver und der Zwieback war nicht die Ursache, eher konnte 
man an die in ungekochtem Zustand verwendeten Enteneier denken, 
die, wie eine Untersuchung anderer Enteneier ergab, unter Umständen 
zahlreiche Bazillen enthalten können. Wahrscheinlich können auch 
verdorbene Eier zu Vergiftungen führen, da das Ei einen guten 
Nährboden für Bakterien bietet, und viele Bazillen, darunter auch 
Typhus- und Paratyphusbazillen, nach Lange (62) die intakte Ei wand 
eines Hühnereies durchwandern und bis in das Eigelb Vordringen 
können; noch mehr ist dies natürlich bei Sprüngen und Rissen der 
Eischale möglich. Derartige Vergiftungen durch Vanillespeisen können 
sicher auch durch verdorbene Eier bedingt sein und es ist wichtig, 
auch daran zu denken. 

Curschmann (26) berichtete über eine Massenerkrankung bei 
22 Personen nach Genuss eines Puddings, der aus Milch, Eiern, 
Zucker, Gelatine und Vanille, dazu etwas Himbeersauce hergestellt 
war; die Milch war abgekocht gewesen, der Pudding war am Abend 
zuvor hergestellt und kühl aufbewahrt worden und war nach Geruch 
und Geschmack tadellos gewesen. Sämtliche Personen, die davon 
assen, erkrankten 5—6 Stunden danach an sehr heftigen Leibschmerzeo, 
Erbrechen uud Durchfällen, meistens hohem Fieber (39—40°) und sehr 
hoher Pulsfrequenz (120—160 und sogar 164); einige waren aomnolent; 


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37] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


75 


keine Milzachwellung. Eine Kranke starb am dritten Tage unter 
Kollapserscheinungen; bei der Sektion fanden sich heftige Ent¬ 
zündungserscheinungen des Magens, teilweise auch des Darms und 
eine Erkrankung des Nierenparenchyms. 

Aus den Kesten des Puddings und aus den Stuhlgängen verschie¬ 
dener erkrankter Personen, sowie aus der Leber der Verstorbenen 
wurde von Curschmann ein Bacillus aus der Gruppe des B. ente- 
ritidis gezüchtet, der für Mäuse pathogen war; auf welchem Weg die 
Bazillen in den Pudding gelangt waren und welcher Bestandteil des¬ 
selben der Träger des Infektionsstoffes gewesen war, liess sich nioht 
feststellen; die Vanille enthielt keine derartigen Bakterien, über die 
Milch liessen sich keine Untersuchungen mehr anstellen; wahrschein¬ 
licher ist die Annahme, dass die Bakterien in der Zwischenzeit 
zwischen dem Kochen und dem Verbrauch auf unbekannte Art und 
Weise in die Speise hineingeraten waren. Da über das Vorkommen 
des B. enteritidis in der Natur ausserhalb des Tierkörpers niohts 
bekannt ist, so lässt sich über die Art der Verbreitung nichts Be¬ 
stimmtes sagen. 

Levy und Fornet (63) züchteten bei einer in Strassburg 1905 
unter'Erbrechen und heftigem Durchfall aufgetretenen Erkrankung von 
7 Personen aus den Stühlen aller Patienten den Paratyphusbacillus B; 
bei einzelnen der Erkrankten war Roseola und Milztumor zu beobachten. 
Die Erkrankung betraf gleichzeitig alle Mitglieder eines Haushaltes 
und war zweifellos eine Nahrungsmittelinfektion; als solche kam nur 
Leberwurst und eine Vanille-Griesspeise in Betracht In den Über¬ 
resten der Leberwurst konnten Paratyphusbazillen nicht nachgewiesen 
werden, von der Griesspeise war nichts mehr erhältlich, die Unter¬ 
suchung von Gries und einer Vanilleschote verlief gleichfalls negativ. 

Offenbar spielt also der Paratyphusbacillus B nicht nur bei 
Fleischvergiftungen, sondern auch bei anderen Nahrungsmittelin¬ 
fektionen eine Rolle; allerdings haben wir über die Art und den 
Weg des Hineingelangens in die Speisen noch keine bestimmten 
Anhaltspunkte. Auffallend ist, dass in den verdächtigen Speisen stets 
Milch und Vanille enthalten war. Nachdem Fischer (38), wie er¬ 
wähnt, bei der Epidemie in Futterkamp, die nach dem Genuss 
von Milch an Gastroenteritis erkrankter und verstorbener Kühe auftrat, 
in dieser Milch deu Paratyphusbacillus B nachgewiesen hat, ist die 
Annahme berechtigt, dass bei solchen durch Paratyphusbazillen hervor¬ 
gerufenen Mehlspeisevergiftungen die dabei verwendete Milch eine 
Rolle spielt. E. Klein (63a) fand von 39 Milchproben in 10 Proben 
(85,6%) bei Verimpfung von 300 ccm des Sediments auf Meerschwein¬ 
dien eiterige Knötchen in der Milz, aus denen der B. enteritidis ge¬ 
züchtet wurde. Nach Verfütterung einer Milchkultur dieser Bakterien 
an Meerschweinchen ging die Hälfte der Tiere am 5. Tage ein. Soweit 


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76 A. DIEÜDONNß, [38 

festgestellt werden konnte, waren die milchliefernden Kühe nicht 
krank. Vielleicht wird die Giftbildung der Paratyphusbazillen in der 
Milch durch das Vanillin gesteigert. 

In bezug auf die Prophylaxe gegen derartige Speisenvergiftungen 
kann man bis jetzt noch wenig bestimmte Anhaltspunkte geben, 
am sichersten ist sorgfältiges Abkochen der Speisen vor dem Gebrauch, 
eine Aufbewahrung ist im Sommer immer bedenklich, ist dies not¬ 
wendig, so muss sie direkt vom Kochen weg in einem fest und sicher 
verschlossenen Gefäss an einem kühlen Ort geschehen (Cursch¬ 
mann). 


Kartoffelvergiftungeil. 

Massenvergiftungen durch Kartoffeln und Kartoffelsalat werden 
besonders beim Militär häufig beobachtet. Schmiedeberg (64) be¬ 
richtete über eine Anfang August 1892 bei einem Bataillon vorge¬ 
kommene Erkrankung von 357 Mann an Stirnkopfschmerz, starken 
kolikartigen Magen- und Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Ab- 
geschlagenheit und leichter Benommenheit; in einzelnen Fällen waren 
bedrohliche Erscheinungen, blaue Lippen, stark erweiterte Pupillen, 
einige Minuten andauernde Ohnmacht, Pulsbeschleunigung, später 
Pulsverlangsamung vorhanden; bei den schweren Fällen war eine 
Temperatursteigung von 38,4—39,5° zu beobachten. Als Ursache 
wurden neue Kartoffeln angenommen. 

Zu gleicher Zeit erkrankten bei einem Bataillon einer anderen 
Garnison 90 Mann unter den Erscheinungen von Stirnkopfsclimerz, 
Leibschmerzen, Durchfall, Mattigkeit und Schwindelgefühl, teilweise 
Temperatursteigung bis zu 39 0 , keine Pulsbeschleunigung und Pupillen¬ 
erweiterung. Auch hier waren Kartoffeln wahrscheinlich die Ur¬ 
sache; die Kartoffeln waren etwas weich, wässerig, aber im allge¬ 
meinen reif. 

Im Jahre 1893 erkrankten Mitte Juli in einer dritten Garnison 
bei einem Bataillon 125 Mann unter ähnlichen Erscheinungen. Alle 
Fälle gingen in Heilung über. 

Schmiedeberg referiert auch eine von Cortia 1 beschriebene, 
in Lyon im Juli 1888 beobachtete Massenvergiftung, bei der 101 Mann 
eines Bataillons unter Abgeschlagenheit, Kolik, Durchfällen, Fieber 
und Kopfschmerz, zum Teil auch mit Pupillenerweiterung erkrankten. 
Als Ursache wurde der Genuss von alten, reichlich ausgekeimten und 
neuen Kartoffeln festgestellt ; nachdem die Abgabe der neuen Kar¬ 
toffeln eingestellt war, kamen weitere Erkrankungen nicht mehr vor. 
Ein Hund litt nach dreimaligem Fressen von diesen Kartoffeln während 
einer Woche an Durchfällen. Auch hier kam kein Todesfall vor. 

E. Pfuhl (65) beobachtete im Jahre 1898 bei einem Truppen- 


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39] 


Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


77 


teil Erkrankungen bei 56 Mann mit den Erscheinungen eines akuten 
Magen- und Darmkatarrhs. Die Erkrankungen begannen meist wenige 
Stunden nach dem Mittagessen mit Frost, Fieber von 38—39,5°, Kopf¬ 
schmerzen, starken Leibschmerzen, Durchfällen, Übelkeit, Schläfrigkeit 
und Teilnahmslosigkeit (mehrere hatten Kratzen im Halse), die Pupillen 
waren nicht erweitert; das Fieber hielt meist drei Tage an und ging 
dann rasch zurück. Als Ursache wurde der Genuss von Salzkartoffeln 
festgestellt. 

Früher wurden diese Kartoffelvergiftungen immer als eine 
Solanin Vergiftung betrachtet, doch hat schon Schmiedeberg darauf 
aufmerksam gemacht, dass dies nur dann zutrifft, wenn der Solanin¬ 
gehalt der Kartoffeln unter besonderen Umständen eine derartige 
Steigerung zeigt, dass er für das Zustandekommen einer Vergiftung 
als ausreichend erachtet werden darf. Nach Untersuchungen von 
Meyer (66) beträgt der Solaningehalt der Kartoffeln im Dezember und 
Januar 0,04 g pro 1 kg ungeschälter Kartoffel, im März und April 
steigt er auf 0,08—0,096 g, im Mai, Juni und Juli auf 0,100—0,116 g. 
Da die Solaningaben, die zur Vergiftung führen, nach Clarus 
0,2—0,4 g betragen, so sind derartige Mengen in den Kartoffeln nicht 
ausreichend, um eine Vergiftung herbeizuführen, selbst wenn von den 
Kartoffeln 1 Kilo und mehr auf einmal genossen wird. 

Wintgen (67) stellte bei seinen ausgedehnten Untersuchungen 
bei gesunden Kartoffeln grosse Schwankungen im Solaningehalt (0,017 
—0,8, in einem Fall 0,1 g pro kg) fest, aber stets verhältnismässig 
kleine Mengen. Zunahme des Solanins beim längeren Lagern wurde 
auch in gekeimten Kartoffeln, wenn die Keime sorgfältig entfernt 
wurden, nicht beobachtet. In kranken und stark ausgewachsenen Kar¬ 
toffeln kAnn der Solaningehalt dagegen beträchtlich höher sein; so wies 
Meyer in den an den Luftkeimen alter Kartoffeln ausgewachsenen Zwerg¬ 
kartoffeln 0,58 %o und in alten Kartoffeln, die stark eingeschrumpft 
und von einzelnen Stellen des Randes aus nach innen hin geschwärzt 
waren, sogar l,34°/oo Solanin nach. Wintgen konnte in kranken 
Kartoffeln keinen wesentlich höheren Solaningebalt feststellen als in 
gesunden; das Solanin ist in den Kartoffeln ungleichmässig verteilt, 
in den Schalen sitzt 50—60°/o, nach innen zu nimmt die Menge immer 
mehr ab. Von Weil (68) wurde angegeben, dass die Steigerung des 
Solaningehaltes der Kartoffeln durch Einwirkung von Bakterien zu¬ 
stande komme; er hatte aus steriler Kartoffelbrühe durch Impfung 
mit zwei von ihm aus kranken Kartoffeln isolierten Bakterien, dem 
B. solaniferum colorabile und non colorabile, Solaninbildung beobachtet, 
doch konnte Wintgen dies nicht bestätigen. 

Die Vergiftungen mit stark solaninhaltigen Kartoffeln unter¬ 
scheiden sich darin von denen mit reinem Solanin , dass bei den 
ersteren noch akute Magen- und Darmkatarrhe und Fiebererscheinungen 


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hinzukommen, die beim reinen Solanin nach Schmiedeberg desshalb 
fast ganz fehlen, weil die gequollene Stärke die akute Resorption des 
Giftes verhindert und so das Alkaloid in die unteren Darmabschnitte 
gelangt und neben Erbrechen mehr oder minder heftige Durch¬ 
fidle erzeugt. 

Bei der von Pfuhl (65) beschriebenen Vergiftung enthielten 
die geschälten ungekochten Kartoffeln 0,38 %» und die geschälten 
gekochten 0,24 °/oo Solaniu; der Gehalt war also gegenüber den von 
Meyer bei Kartoffeln im Mai und Juni gefundenen Mengen um das 
Vierfache erhöht. Diejenigen Soldaten, die die grosse Portion (1 Kilo) 
gegessen hatten, nahmen also 0,30 g Solanin zu sich, eine Menge, die 
schon erhebliche Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann. Der¬ 
artige grosse Solaninmengen sind aber selten und man ist bei Kartoffel¬ 
vergiftungen nur dann berechtigt, diese auf das Solanin zurückzuführen, 
wenn die Untersuchung so hohen Solaningehalt nachweist; meist sind 
aber derartige Untersuchungen gar nicht gemacht worden. 

Dagegen ist wahrscheinlich die von mir (69) zuerst festgestellte 
bakterielle Zersetzung der Kartoffeln durch Proteusbazillen eine weit 
häufigere Ursache der Kartoffelvergiftungen als man früher an¬ 
nahm. Im Lager Hammelburg erkrankten im August 1903 ganz 
plötzlich 150—180 Mann eines Bataillons schon zwei Stunden nach 
dem Mittagessen an wiederholtem Erbrechen, Kopfschmerzen, heftigen 
Durchfällen, mehr oder weniger starken Kollapserscheinungen und 
kurzdauernden Krämpfen in den Extremitäten, besonders Waden- 
krämpfen; Temperaturerhöhung bestand nicht; nach sieben Stunden 
begannen die Erscheinungen wieder zurückzugehen; nur bei einigen 
war der Zustand ernster durch Benommenheit, teilweise sehr starke 
Kollapserscheinungen und Krampfanfälle, doch trat kein Todesfall 
ein. Als Ursache der Massenerkrankung wurde Kartoffelsalat festgestellt 
Bei der bakteriologischen Untersuchung des Salats fanden sich zahl¬ 
reiche Proteuskolonien; die mit dem Salat gefütterten, Mäuse starben 
nach 24 Stunden an schweren Magendarmerscheinungen; in den 
Organen dieser Tiere wurden nur spärliche Proteusbazillen nachge¬ 
wiesen. Bouillonkultureu dieser isolierten Bakterienart waren für Tiere 
nicht giftig, die in der Bouillon gebildeten Gifte waren also unschäd¬ 
lich, dagegen waren sterile Kartoffeln, mit dem Proteus geimpft und 
24 Stunden bei 37° in Brutschrank gehalten, sehr giftig, die damit 
gefütterten Mäuse starben nach 24—48 Stunden. Wurden dagegen 
die Kartoffeln nach der Impfung mit Proteus bei 10—12° C gehalten, 
so starben die damit gefütterten Mäuse nicht. Der isolierte Proteus 
bildete demnach in den Kartoffeln giftige Stoffwechselprodukte, aber 
nur bei höherer Temperatur, er wirkte nicht direkt infektiös oder 
toxisch, sondern durch die in den Kartoffeln gebildeten giftigen Stoffe. 

Wie die Bazillen in die Kartoffeln gelangten, konnte nicht fest- 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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gestellt werdeu, vielleicht durch die Hände der zum Schälen ver¬ 
wendeten Leute. Die zum Salat benützten Kartoffeln waren neue 
zarte, doch waren sie schon am Abend vorher gekocht und geschält 
und über Nacht in einem Nebenraum der Küchenbaraoke in zwei 
grossen Körben aufbewahrt worden, um sie anderen Mittags zu Salat 
zuzubereiten; die Temperatur in der betreffenden Nacht und am Vor¬ 
mittag war schwül gewesen. Dadurch war die Vermehrung der Ba¬ 
zillen und die Bildung von Zersetzungsprodukten in den Kartoffeln 
begünstigt, besonders auch, da in den in grossen Mengen in den 
Körben angehäuften Kartoffeln eine höhere Temperatur sich längere 
Zeit andauernd hielt. Die zum Salat verwendeten Kartoffeln waren 
jung und hatten nur einen Solaningehalt von 0,021 °/oo, dagegen einen 
hohen Wassergehalt, und fielen so wohl leichter der Zersetzung anheim. 
Derartige Massenerkrankungen durch Kartoffelsalat wurden wiederholt 
beobachtet, wenn die Kartoffeln schon am Tage vor der weiteren 
Zubereitung gesotten, geschält und in grossen Behältern aufbewahrt 
waren. Wie schnell unter Umständen solche giftige Zersetzungs¬ 
produkte im Sommer gebildet werden können, zeigt eine Beobachtung 
bei einem Bataillon, wo eine Kompagnie nach dem Genuss von Kar¬ 
toffelsalat, der zwei Stunden gestanden hatte, erkrankte, während 
andere Kompagnien, die zwei Stunden zuvor von demselben Salat 
bekommen hatten, völlig gesund geblieben waren; diese zwei Stunden 
hatten zur Bildung von Zersetzungsprodukten genügt. 

Wahrscheinlich ist auch manche der früher beschriebenen Kar¬ 
toffelvergiftungen nicht auf Solanin zurückzuführen, sondern durch 
bakterielle Zersetzung bedingt gewesen. Jedenfalls ist man erst zu 
der Annahme einer Solaninvergiftung berechtigt, wenn sich ent¬ 
sprechend grosse Mengen des Alkaloids nach weisen lassen; stets sollte 
bei der Untersuchung auch auf Bakterien und bakterielle Gifte unter¬ 
sucht werden durch Verfütterung an Mäuse und durch das Züchtungs¬ 
verfahren. 

Die Prophylaxe besteht darin, dass man die Kartoffeln mög¬ 
lichst bald nach dem Kochen verwendet und sie nicht längere Zeit 
aufbewahrt. Fast alle bekannt gewordenen Kartoffelvergiftungen sind 
im Sommer, im Juli und August vorgekommen nach der Verwen¬ 
dung von jungen Kartoffeln, die wegen ihres Wassergehaltes sich 
leichter zersetzen. Gegen die Vergiftung mit Solanin schützt man 
sich durch Ausschneiden aller Keime und gründliches Schälen der 
Kartoffeln. 

Die Behandlung ist symptomatisch, Abführmittel, Magenaus¬ 
spülungen, Exzitantien. 

Wahrscheinlich können ausser Proteus auch andere Bakterien 
durch Kartoffeln übertragen werden, so besonders Typhus- und Para¬ 
typhusbazillen , die beide auf Kartoffeln sehr gut gedeihen; diese 


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Bazillen können schon vom Ackerboden her an den Kartoffeln haften 
oder aber durch in der Küche beschäftigte Bazillenträger oder leicht 
Erkrankte übertragen werden. Das Küchenpersonal in grösseren An¬ 
stalten (Kasernen, Krankenhäusern u. a.) muss daher auf seinen Ge¬ 
sundheitszustand öfters kontrolliert werden und bat die grösste Rein¬ 
lichkeit zu bewahren. Besonders günstige Lebensbedingungen finden 
die Paratyphus- und auch die Typhusbazillen auf gekochten Kar 
toffeln; wenn diese längere Zeit in der warmen Küche stehen bleiben, 
so kommt es wie beim Proteus zu rascher Vermehrung. Es wäre von 
Wichtigkeit bei Kartoffelvergiftungen auch nach dem B. paratyphus B 
(Malachitgrünplatte) zu suchen. Auch durch Salat und Gemüse können 
Paratyphus- und Typhusbazillen auf dieselbe Weise verbreitet werden. 

Konservenvergiftungen. 

Durch die immer ausgedehntere Verwendung von Konserven 
kommen diese Vergiftungen häufiger vor; meist handelt es sich um 
Fleisch-, Fisch- und Gemüsekonserven in Büchsen. Die Konservierung 
erfolgt durch Sterilisation der Büchsen in einem Autoklaven x / 2 bis 
1 Stunde lang bei 112—120° C. Die Konservendosen werden aus 
Eisenblech mit einem dünnen Zinnüberzug hergestellt und sind zum 
grössten Teil gestanzt, nur die röhrenförmige Seitenwand ist verlötet, 
sodass der Konserveninbalt nur mit dieser kleinen schmalen Lötnaht 
in Berührung kommt; die Innen Verzinnung der Konservendosen darf 
nach dem Reichsgesetz höchstens einen Bleigehalt von 1%, das Lot 
von 10°/o haben. Die Büchsen werden mit dem vorher gekochten 
und fertig zubereiteten Fleisch oder Gemüse vollkommen gefüllt, der 
Deckel aufgesetzt, eingefalzt und festgepresst und dann im Autoklaven 
sterilisiert. Durch die hochgradige Erhitzung werden zwar meist alle 
Bakterien abgetötet, wenn die Apparate richtig funktionieren, da bei 
einer Temperatur von 120° während 50 Minuten selbst die wider¬ 
standsfähigen Sporen der anaeroben Bakterien zugrundegehen, doch 
kann es unter Umständen nachträglich zu einer Bakterienentwicke¬ 
lung und zu Zersetzung und Fäulnisbildung dadurch kommen, 
dass die Bakterien von aussen durch Undichtigkeiten der Büchsen 
infolge schlechter P'alzung oder durch Risse infolge von mechanischer 
äusserer Gewalt (Druck oder Stoss) in das Innere der Büchsen ge¬ 
langen; hierzu genügen kleine, oft nur kapilläre, mit blossem Auge 
unsichtbare Öffnungen. Wenn die Bakterien in den Büchsen Fäulnis? 
gase bilden, so wölbt sich Decken- und Bodenstück der Büchse und 
beim Öffnen entweicht meist übelriechendes Gas dem Innern. Die 
Undichtigkeiten sind meist an der Übergangsstelle von seitlicher 
Lötnaht und Falz. Solche aufgetriebene („bombierte“) Büchsen dürfen 
unter keinen Umständen verwendet werden. 


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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 


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Ein sicheres Urteil über Keimfreiheit von Konserven kann nur 
durch die bakteriologische Untersuchung festgestellt werden; nach 
E. Pfuhl (70) sind häufig Büchsen keimhaltig, die gar keine Auf* 
treibung zeigen, da die in ihnen enthaltenen Bakterien keine Gase 
bilden; auch sieht ihr Inhalt nicht immer so aus, als ob er offenbar 
verdorben wäre, oft deutet nur ein schwach säuerlicher oder scharfer 
Geruch daraufhin, dass eine Veränderung eingetreten ist. Bei grösseren 
Lieferungen, wie z. B. beim Militär, wird daher stets eine bakterio¬ 
logische Untersuchung von Stichproben vor der Übernahme ausge¬ 
führt und nur bei völliger Keimfreiheit die Lieferung übernommen. 
Bei der von Pfuhl angegebenen Untersuchungsmethode werden die 
Büchsen uneröffnet 8—14 Tage in den Brutschrank gestellt, wodurch 
die obligaten und fakultativen Anaerobier sich vermehren und durch 
Gasbildung die Büchsen auftreiben, dann wird der Deckel der Büchse 
durch Alkohol und Abbrennen sterilisiert, ein Loch mit einem starken 
stählernen, sterilisierten Dorn eingestochen, mit einer sterilisierten 
Wasserpipetto Fleischsaft und verflüssigte Gelatine aufgesogen und 
diese zur aöroben und anaöroben Züchtung auf verschiedene Nähr¬ 
böden übertragen. Dann wird auf das Loch eine sterile Wattekappe 
gestülpt und die Büchse wieder auf 2—3 Tage in den Brutschrank 
gestellt, damit sich nun die aöroben Keime entwickeln, und wieder 
Fleischsaft und Fleischproben auf Nährböden ausgesät, doch ist diese 
zweite Probe nur nötig, wenn sich aus den ersten Proben keine 
Bakterien entwickeln. 

Vergiftungen durch Fleischkonserven wurden wiederholt beob¬ 
achtet, so wurden von Bochereau (71) u. a. bei der französischen 
Armee vorgekommene Massenerkrankungen wenigstens mit grosser 
Wahrscheinlichkeit auf Fleischkonserven zurückgeführt, besonders da 
eine daraufhin vorgenommene Prüfung ergab, dass von 21151 Büchsen 
54 mehr oder weniger aufgetrieben und verdorben waren. Häufig 
kommen auch Vergiftungen durch Fischkonserven vor, namentlich 
durch Lachs und zwar wurden sie besonders dann beobachtet, wenn 
die Konserve nach dem Öffnen nicht sogleich verzehrt wurde; da die 
Fische, wie schon erwähnt, einen ausgezeichneten Nährboden für 
Bakterien darstellen, so kann es leicht zu bakterieller Zersetzung 
kommen. Die Erscheinungen bei den Fleisch- und Fischkonserven¬ 
vergiftungen sind dieselben wie bei den Fleischvergiftungen, entweder 
gastrointestinal oder mit den schweren nervösen Symptomen des 
Botulismus. 

In den letzten Jahren wurden auch mehrere Massenerkrankungen 
durch Gemüsekonserven beobachtet. In Darmstadt erkrankten im 
Jahre 1904 in einer Kochschule durch den Genuss von Bohnen¬ 
salat 21 Personen, von denen 11 (52%) starben. Die .Krankheits¬ 
erscheinungen traten nach A. Fischer (72) 24—48 Stunden nach der 


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Mahlzeit auf und zeigten das charakteristische Bild des Botulismus, 
8ehstörungen, Ptosis, aber keine Mydriasis, Schluckbeschwerden, 
verschiedene, meist bilaterale motorische Lähmungen, stark beschleu¬ 
nigten Puls; gastrointestinale Störungen und Fieber, ebenso Störungen 
der Sensibilität und der Sinnes- und Grosshimtätigkeit fehlten fast voll¬ 
ständig. Der Tod trat unter den Zeichen der Bulbärparalyse 2—14 
Tage nach der Vergiftung ein; bei der Sektion fand sich ausser 
den Zeichen des Erstickungstodes, sowie Hyperämie und Schleim¬ 
hautblutungen im unteren Teil des Darmes nichts Besonderes. Bei 
den nicht tödlichen Fällen zog sich die Genesung wochenlang hinaus. 
Die zum Salat verwendeten Bohnen waren in der Kochschule von 
einer Köchin, die selbst der Vergiftung erlag, in einer verlöteten 
Blechbüchse eingekocht worden, die beim Öffnen zwar durch einen 
eigentümlich ranzigen Geruch ähnlich wie nach Parmesankäse aufge¬ 
fallen war, aber keine Zeichen einer stärkeren Zersetzung dargeboten 
hatte. Die Bohnen waren sehr zart und „butterweich“ und wurden 
deshalb nicht mehr vorher gekocht, sondern, wie sie aus der Büchse 
kamen, nach Abspülen angerichtet; beim Stehen des angemachten 
Salates nahm der ranzige Geruch zu. 

Landmann (73) gewann aus einer kleinen Menge des übrig 
gebliebenen Salats durch Schütteln mit 5 ccm physiologischer Koch¬ 
salzlösung und nachherigem keimfreien Filtrieren ein giftiges Filtrat, 
von dem 0,5 ccm, subkutan weissen Mäusen injiziert, diese in 24 Stunden 
unter allgemeiner Lähmung tötete; durch kurzes Auf kochen wurde 
dieses Gift zerstört. Hiermit stimmt auch die Tatsache überein, dass 
diejenigen, welche von dem gleichen Salat gegessen hatten, der kurze 
Zeit auf dem heissen Herd gestanden und so durch Zufall ins Kochen 
geraten war, keinerlei schädlichen Wirkungen verspürten; in einem 
weiteren Fall hatte massiges Erwärmen des Salates zur Folge, dass 
erst sehr spät Vergiftungserscheinungen auftraten, die allerdings noch 
zum Tode führten. Ferner wurde aus dem Salat durch Züchtung 
ein anaerober Bacillus isoliert, der vollkommen dem B. botulinus 
entsprach. Dieser Bacillus bildete in Kulturen bei 24° ein stärkeres 
Gift als bei 37°, so starben im ersten Falle weisse Mäuse auf 
0,000003 ccm unter Lähmungserscheinungen und Meerschweinchen 
auf 0,0003 ccm, während das bei 37° hergestellte Gift Mäuse erst 
zu 0,01 und Meerschweinchen erst zu 0,1 ccm tötete. Auch von 
Gaffky wurde der B. botulinus in dem Salat festgestellt. 

Über die Art, wie die Botulinussporen in die Bohnenkonserve 
gelangten, liess sich nichts Sicheres feststellen; Landmann nahm 
an, dass dies durch Vermittelung kleinster Fleischreste erfolgte, die 
ja in jeder Haushaltungsküche vorhanden sind, da bis jetzt der 
B. botulinus nur aus fleischhaltigen Medien gezüchtet wurde, doch 
ist es auch möglich, dass die Sporen vom Felde her an den Bohnen 


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Die bakterielles Nahrasgettittelvergiftnngen. 


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hafteten. Wahrscheinlich war aber doch die Sterilisation in der 
Kochschule eine ungenügende, bei der fabrikmäsaigen Herstellung 
wären durch die Erhitzung auf mindestens 112° C die Sporen sehr wahr¬ 
scheinlich abgetötet worden. Jedenfalls sollte man Gemüsekonserven, 
wenn Bie den geringsten verdächtigen, namentlich ranzigen Geruch 
auf weisen, nicht essen und unschädlich machen und auch unver¬ 
dächtige stets vor dem Genuss aufkochen. Wären die Bohnen vor 
dem Anmachen des Salates nochmals gekocht worden, so wäre die 
Katastrophe nicht eingetreten. 

Eine ausgedehnte Massenvergiftung durch Bohnengemüse 
kam im Januar 1906 in Leipzig vor, wo 250 Angestellte eines 
Warenhauses einige Stunden nach dem Essen an Leibschmerzen, 
Frösteln, Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen und Schwindel er¬ 
krankten; bei einem Teil waren diese Erscheinungen sofort mit 
Durchfällen begleitet, bei einem Teil stellten die Durchfälle sich erst 
in der darauffolgenden Nacht oder am folgenden Morgen ein. Die 
Erscheinungen hielten 2—4 Tage an und gingen dann sämtlich in 
Genesung über. Das Bobnengemüse, das einen vorzüglichen und 
keineswegs widerwärtigen Geschmack hatte, stammte aus verschiedenen 
Konservenbüchsen, welche direkt vor der Bereitung des Essens ge¬ 
öffnet und alsdann eine Weile in Wasser von ca. 80° C gestellt 
worden waren; es wurde bei dem Erhitzen die Siedetemperatur des 
Wassers vermieden, da die Konservescbnittbohuen schon an und für 
sich sehr weich sind und bei nur kurze Zeit währendem Kochen zu 
einer musartigen Masse zerfallen würden. Bei der bakteriologischen 
Untersuchung des Bohnengemüses wurden von Rolly (74) zwei 
Bakterien gefunden, das B. coli und der B. paratyphus B und zwar 
in sehr grosseu Mengen; anaerobe Bazillen wurden nicht isoliert. 
Der Paratyphusbacillus war bei subkutaner Verimpfung für Mäuse 
und Meerschweinchen ziemlich pathogen und bildete ein hitzebe¬ 
ständiges Gift Die Erkrankungen waren durch diese hitzebeständigen 
giftigen Stoffwechselprodukte und nicht durch die Bakterien hervor¬ 
gerufen, da in diesem Fall eine längere Inkubationszeit und nicht 
ein so plötzliches Auftreten zu beobachten gewesen wäre: auch wurden 
im Stuhl der Erkrankten niemals Paratyphusbazillen nachgewiesen. 

Demnach kommen auch bei Gemüsekonservenvergiftungen die 
beiden bei Fleischvergiftungen gefundenen Bakterienarten vor, der 
B. botulinus, dessen Gift durch Kochen rasch zerstört wird und der 
ein hitzebeständiges Gift bildende B. paratyphus B. Bei der ersteren 
Vergiftung schützt zwar nochmaliges Aufkochen der Konserve vor 
dem Essen, doch sollte man solche verdächtige Konserve unter keinen 
Umständen essen; bei der zweiten Art nützt dagegen selbst stärkeres 
Kochen nichts. 

Belser (76) fand bei der Untersuchung von verdorbenen (bom- 


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bierten) Gemüsekonserven .verschiedene mehr oder weniger hitzebe¬ 
ständige Bakterienarten als Ursache der Bombage, darunter den 
B. acidi lactici und den B. amylobacter; in den verdorbenen Kon¬ 
serven war stets eine, wenn auch zuweilen geringe Steigerung des 
Säuregehaltes vorhanden. Für Mäuse waren die Bazillen nicht pathogen. 
Der B. proteus gedeiht in Erbsen- und Bohnenbrühe sehr üppig und 
bildet ein für Mäuse stark wirkendes Gift. Auch andere sonst in 
Wasser und Erdboden vorkommende Bakterienarten, so der B. mesen- 
tericus vulgatus, B. megatherium u. a. wurden in verdorbenen Ge¬ 
müsekonserven gefunden. 

Mit Recht spricht sich Schottelius (76) gegen die immer 
mehr zunehmende Verwendung von Konserven im Hausgebrauch 
aus; so notwendig sie für die Verpflegung von Kriegsheeren und 
Expeditionen sind, so entbehrlich ist die Verwendung von Büchsen¬ 
konserven für den Hausstand in gemässigten Klimaten wie in Deutsch¬ 
land ; man übersieht auch vielfach, dass Gemüsekonserven gegenüber 
frischen Gemüsen und Früchten unter allen Umständen minderwertig 
sind. „Gerade darin, dass eine Zeitlang gewisse Nahrungsmittel auf 
dem Tisch fehlen, liegt die Möglichkeit, sie zu anderen Zeiten mit 
um [so grösserem Appetit (Genuss) zu essen. Wer das ganze Jahr 
Spargel essen und Maibowle trinken müsste, dem würde sehr bald 
der Appetit nach diesen seltenen Genüssen verloren gehen. 4 Leider 
besitzen wir zurzeit auch gar keine Kontrolle über das Alter der 
Konserven; mit der längeren Aufbewahrung wächst die Gefahr des 
Verderbens, ausserdem leidet aber auch der Geschmack. Diese Kon¬ 
trolle (Aufdruck des Datums der Herstellung) wäre im Interesse des 
Publikums sehr wünschenswert, doch stellen sieb nach Angabe der 
Fabrikanten der Durchführung grosse Schwierigkeiten entgegen. 

Früher wurde als eine der wichtigsten Ursachen der Konserven¬ 
vergiftungen die Vergiftung durch Metalle, besonders durch Blei 
und Zinn angesehen, doch sind diese Befürchtungen nach den Unter¬ 
suchungen von K. B. Lehmann (77) unbegründet. Seit zum Ver¬ 
zinnen und Löten nur Zinn mit höchstens 1 bezw. 10°/o Bleigehalt 
gesetzlich erlaubt ist und bei der Herstellung sehr viel gefalzt statt 
gelötet wird, hört man von Bleivergiftungen nichts mehr. Auch 
Zinn Vergiftungen sind wohl selten; nach Lehmann können akute, 
aber meist leichte Verdauungsstörungen durch den Genuss von 
Nahrungsmitteln hervorgebraebt werden, welche grössere Mengen 
Zinn (100 bis mehrere Huudert Milligramm) enthalten. Frische Kon¬ 
serven enthalten wenig Zinn, dagegen steigt der Gehalt unverkennbar 
während des Aufbewahrens; vegetabilische Konserven enthielten 
■50—60 mg, oft aber auch 150—200 mg pro Kilo, Fleischkonserven 
50 bis 170 und 325 mg. Besonders grosse Mengen wurden in 
verdorbenen Konserven gefunden, wo die durch die Gärung ge- 


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Die bakteriellen Nahrungsmittel Vergiftungen. 


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bildeten Säuren die Lösung des Zinns bei Anwesenheit von Sauerstoff 
begünstigen, ferner in stark sauren Konserven, so wurden bei Deli¬ 
katessbücklingen in Weinsauce, deren Genuss erhebliche Verdauungs¬ 
störungen hervorgerufen hatte, in 350 g der Konserve 156 mg Zinn 
in löslicher Form aufgenommen; derartige Konserven mit starkem 
Gehalt an Wein- oder Apfelsäure sollten daher nicht in Zinnbüchsen, 
sondern nur in Glas oder Porzellan verpackt werden. 

Die gewöhnlichen nicht sauren oder nicht stark sauren Fleisch- 
und Gemüsekonserven scheinen nach Lehmann zu einer akuten 
oder chronischen Metallvergiftung kaum Anlass zu geben, meist 
handelt es sich dabei um bakteriell verdorbene Konserven. 

Ebensowenig spielt das Kupfer die Rolle bei Vergiftungen 
im gewöhnlichen Haushalt, wie vielfach angenommen wird. Nach 
Lehmann (78) müssen etwa 200 mg Kupfer eingeführt sein, wenn 
auch nur eine leichte Störung eines gesunden Menschen auf Kupfer 
bezogen werden soll und etwa 1200 mg sind für eine lebensgefährliche 
Vergiftung nötig. Die Gelegenheit zur Aufnahme von Mengen von 
200 mg dürfte im Haushalt kaum je gegeben sein und die meisten 
auf Kupfer und Grünspan bezogenen Erkrankungen dürften gleichfalls 
auf Zersetzung der Speisen durch Bakterien zu beziehen sein, meistens 
sprechen die mitgeteilten Krankheitserscheinungen auch mehr dafür 
als für Kupfervergiftungen. Dagegen können Bleivergiftungen durch 
irdenes Geschirr mit schlechter Bleiglasur im Haushalt Vorkommen, 
da billige irdene Geschirre bei Kochen mit Essig grosse Mengen Blei 
abgeben, in manchen Proben wurde 102—702mg Blei in der ersten 
Auskochung gefunden. Nach Lehmann (79) verdienen diese Ge¬ 
schirre eine grössere Aufmerksamkeit, als ihnen bisher geschenkt 
wurde, da sie lange Zeit immer wieder Blei abgeben; derartige Blei¬ 
glasuren können gelegentlich die Ursache unerklärt gebliebener 
chronischer Bleivergiftungen sein. Lehmann berichtet über einen 
von Halenke beobachteten Fall von Blutvergiftung; in einem irdenen 
Topf hatten zwei Frauen Heidelbeeren gekocht und sich aus dem 
erhaltenen Mus einen Heidelbeerkuchen bereitet; die Frauen erkrankten 
bald nach dem Genuss der Speise, die eine ziemlich schwer, die andere 
leichter. Die Untersuchung ergab, dass die gesamte Glasur sich aus 
dem benutzten Topfe, soweit die Heidelbeeren reichten, aufgelöst 
hatte; ein Stück des Heidelbeerkuchens enthielt etwa 160 mg Blei, 
jede der Frauen hatte etwa 4—600 mg Blei als äpfelsaures Blei auf¬ 
genommen, der Topf hatte etwa 1000 mg Blei auf einmal abgegeben. 
Bei Erscheinungen einer chronischen Bleierkrankung, für die andere 
Ursachen sich nicht feststellen lassen, muss man an die Möglichkeit 
der Bleiaufnahme durch solche minderwertige irdene Geschirre mit 
schlechter Glasur denken. Der Bleigehalt kann von jedem Arzt in 
der einfachsten Weise dadurch geprüft werden, dass man in dem Ge- 


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ffifla ein© halbe Stande lang gewöhnlichen 4°/oigen Essig kocht and 
za der Flüssigkeit Schwefelwasserstoffwasser zusetzt; Schwarzfärbung 
oder ein schwarzer Niederschlag zeigt grössere Mengen Blei an. Im 
allgemeinen sind aber Metallvergiftungen durch Küchengeschirre, be¬ 
sonders die noch so oft angenommenen Kupfervergiftungen, selten und 
man ist nur zu der Annahme einer solchen berechtigt, wenn die quan¬ 
titative chemische Untersuchung entsprechend grosse Kupfermengen 
ergeben hat; der Umstand, dass die Speisen in einem auch beschä¬ 
digten Kupfergeschirr gekocht oder aufbewahrt wurden, berechtigt 
noch nicht zu der Annahme einer Kupfervergiftung. Stets sollte man 
in solchen Fällen auch an eine bakterielle Zersetzung der Speisen 
denken, die oft durch schlecht gereinigte Küchengeschirre und an den 
Wänden zurückgebliebene Speisereste bedingt sind, und die Nach¬ 
forschungen und Untersuchungen nach dieser Richtung vornehmen. 


Literatur. 


Fleischvergiftungen. 

1. Bollinger, Anti. Intelligenzblatt. Münchener med. Wochenschr. Bd. 28. 1881 

2. Ostertag, Handbuch der Fleischbeschau. 4. Aufl. 1902. (Übersicht über die 
Ältere Literatur.) 

8. van Ermengem, Handbuch von Kölle-Wassermann. Bd. 2. 1903. 

4. Schneidemühl, Die animalischen Nahrungsmittel 1903. (Übersicht über die 
Altere Literatur.) 

5. Gärtner, Korresp.-Blatt des Arzt 1 . Vereins von Thüringen 1888. 

6. Gaffky und Paak, Arb. a. K. Gesundh. A. Bd. 6. 1890. 

7. Neelsen, Johne und Gärtner, Zitiert bei Ostertag (2). 

8 . van Ermen em, Bull. acad. de mdd. de Belgique. 1892. 

9. Holst, Ref. C. f. Bakter. Bd. 17. 1895. 

10. Poels und Dhont, Holl And. Zeitschr. f. Tierheilkunde. Bd. 24. 1894. 

11. Basenau, Archiv f. Hyg. Bd. 20. 

12. Fischer, B., Zeitschr. f. Hyg. Bd. 39. 1902. (Neuere Literatur.) 

13. Johne, Zitiert bei Ostertag, Handbuch der Fleischbeschau. 

14. vanErmengem, R6vue d’hyg. 1896. 

15. Kaensche, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 22. 1896. 

15a. Scheef, Med. Korrespondeozblatt des Württ. Arztl. Landesvereins. 1896. 

16. Günther, Arch. f. Hyg. Bd. 28. 1896. 

17. Silber Schmidt, Korrespondenzblatt für Schweizer Ärzte. 1896. 

18. Pouchet, Annales d’Hygi&ne. 1897. 

19. Durham, British med. Journal 1898, 1899. 

20. deNobele, Ann. soc. mdd Gand. 1899, 1901. 

21. Hermann und van Ermengem, Aon. de m£dec. expdr. 1899. 

22. Trautmann, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 45. 1908. 


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Literatur. 


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23. v. Drigalski, Festschrift für R. Koch. Jena 1903. - 

24. Fischer, B., Ebendaselbst. 

25. Uhlenhuth, Gedenkschrift für Leuth'old. BerliaJ906. 

26. Carschmann, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 55. 1906. (Übersicht über neuere Literatur.) 

27. Kutscher, Ebendaselbst. 

28. Heller, Zentralbl. f. Bakt. Orig. Bd. 43. 

29. Fromme, Ebendaselbst. . 

30. Schottmüller, Deutsche med. Wochenschr. 1900. Zeitschr. f. Hyg. Bd. 36. 
1901. 

31. Durbam, The Lancet 1Ö98. 

31a.Trautmann, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 46. 1904. 

31b. Kayser, Zentralbl. f. Bakt. Bd.,35. 1908. v. Krehl und Kays er, Deutsche 
med. Wochenschr. 1906. 

32. H e tsch, KliaJahrbuch. Bd. 16. 1906. 

33. Rolly. Deutsches Arch. f. klin. Medizin. Bd. 87. 1906. 

34. Zupnik, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 40. 

35. Kutscher, Paratypbus in: Kolle-Wassermann Handbuch. 1. Ergänzungs¬ 
band 1907. 

36. Levy und Jakobstal, Arch. f. Hyg. Bd. 44. 1908. 

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38. Fischer, B., Zeitschr. f. Hyg. Bd. 39. und Festschrift für R. Koch. 

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39. Levy, Arch. f. experiment. Pathol. 1894. Bd. 34. 

40. Wesenberg, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 28. 1898. 

41. Glücksmann, Zentralbl. f. Bakt. Bd. 25. 1899. 

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45. van Ermengem, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 26. 1897 und Kolle-Wassermann, 
Handbuch d. pathog. Mikroorganismen. Bd. 2. 

46. Kempner, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 26. 1897. 

47. Roemer, Zentralbl. f. Bakt. Bd. 27. 1900. 

48. Schilling, Deutsche med. Wochenschr. 1900. 


Fischvergiftungen. 

49. Kobert, Uber Giftfische und Fiscbgifte. Stuttgart 1905. 

50. Ulrich, Zeitschr. f. Hyg. Bd. 53. 1906. 

51. Abraham, Münch, med. Wochenschr. 1906. Nr. 50. S. 2466. 

52. Galeotti und Zardo, Zentralbl. f. Bakt. Orig. Bd. 31. 1902. 

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Vergiftungen durch Vanillecreme und Mehlspeisen. 

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70. Pfuhl, E., Zeitschr. f. Hygiene. Bd. 48. 1904. 

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74. Rolly, Manch, med. Wochenschr. 1906. 

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76. Schottelius, Blätter für Volksgesundheitspflege. Bd. 7. 1907. 

77. Lehmann, Arch. f. Hyg. Bd. 45. 1902. 

78. Derselbe, Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentliche Gesundheitspflege. Bd. 34 
1902. 

79. Derselbe, Hygienische Rundschau. 1902. 


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Die Rachitis. 

Von 

Dr. B. Gutmann, 

Spezialarzt für Kinderkrankheiten in WÜrzburg. 

Die Rachitis ist eine Erkrankung des frühesten Kindesalters, 
die sich in erster Linie an dem sich entwickelnden und im besten 
Wachstum begriffenen Knochensystem abspielt, während eine Reihe 
anderer Organerkrankungen, besonders Störungen seitens des Magen¬ 
darmkanals, des Respirationstraktus und des Nervensystems, wie sie 
bei der Rachitis nicht selten Vorkommen, nur Begleiterscheinungen 
resp. Folgezustände derselben sind. 

Ihre weiteste Verbreitung findet die Rachitis in den der ge¬ 
mässigten Zone angehörigen Gebieten von Europa und Nordamerika; 
Gegenden mit feuchtkaltem Klima, Flusstäler und feuchte Ebenen 
sind besonders bevorzugt. In Europa kommen besonders Belgien, 
Holland, England, die deutsche Tiefebene, die Lombardei, ferner die 
gebirgigen Gegenden Mittel- und Süddeutschlands in Betracht; im 
hohen Norden, z. B. in Grönland, kommt sie selten oder überhaupt 
nicht vor, ebenso in den südlichen Ländern und den Tropen. Auch 
in China, Japan ist sie sehr selten, in Japan angeblich deshalb, weil 
die Kinder 3—4 Jahre lang Mutterbrust erhalten. 

Was das Lebensalter betrifft, in dem die Rachitis am häufigsten 
auftritt, so rangiert wohl an erster Stelle die zweite Hälfte des ersten 
Lebensjahres, an zweiter Stelle die erste Hälfte des zweiten Lebens¬ 
jahres; im allgemeinen befällt sie da, wo sie zu finden ist, sehr viele 
Kinder und es gibt Statistiken, die von 80, ja 90 °/o sprechen; wieder 
andere geben allerdings nur 20—30°/o an. 

So alt nun schon unsere Kenntnisse über vorstehende Er¬ 
krankung sind (der englische Arzt Glisson hat bereits im Jahre 
1660 eine sehr ausführliche Monographie geschrieben), ebenso viel¬ 
umstritten ist bis zum heutigen Tage die Frage nach dem eigentlichen 

Würaburger Abhandlungen. Bö. VIII H. 5. 7 


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B. GÜTMANN, 


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[ 2 - 


Wesen der Rachitis; die bestechendsten Theorien sind im Laufe der 
Jahre und Jahrzehnte aufgestellt und verteidigt worden, die zu be¬ 
sprechen nicht uninteressant ist und unsere nächste Aufgabe sein soll. 


Ätiologie. 

Da ist es zunächst die Vere rbungstheorie, die besonders in 
Ritter v. Rittershain einen sehr warmen Verteidiger findet; in 
einer sehr sorgfältig zusammengestellten Familienstatistik weist er 
nach, dass bei einem grossen Prozentsatz (über 30°/o) von rachitischen 
Kindern auch bei den Müttern noch Reste von Rachitis vorhanden 
waren; bei der überaus grossen Verbreitung dieser Erkrankung haben 
wohl diese Befunde keine rechte Beweiskraft. Andere beschuldigen 
nicht die voraufgegangene Rachitis der Eltern, sondern andere 
schwächende Einflüsse und Erkrankungen derselben, z. B. Tuberku¬ 
lose des Vaters, vorgerücktes Alter der Eltern zur Zeit der Zeugung, 
allzu jugendliches der Mutter, Zwillingsgeburten, Entkräftung der 
Mutter infolge häufiger Geburten. Schliesslich soll unter den heredi¬ 
tären Momenten auch die Syphilis der Eltern eine Rolle spielen, 
wie schon Boerhave betont; am weitesten geht hier wohl Parrot, 
der die Syphilis der Eltern als die alleinige Ursache der Rachitis der 
Kinder bezeichnet. Davon kann natürlich keine Rede sein, im Gegen¬ 
teil, man kann noch nicht einmal sagen, dass hereditärluetische 
Kinder mehr zur Rachitis disponieren würden als andere. 

ln neuerer Zeit tritt auch Siegert unter Verwertung eines 
grossen klinischen Materials für die Heredität der Rachitis ein, 
während sie andere Autoren, wie Kassowitz, Unruh, Schwarz 
und neuerdings Marfan als eine in trauterin erworbene Krankheit 
bezeichnen; sie stützen sich dabei auf makroskopische Veränderungen 
bei der Geburt, wie grosse Fontanelle, Weichheit der Schädelknochen, 
Schwellung der Rippenepiphysen usw. Massgebender sind vielleicht 
die mikroskopischen Untersuchungen, die Esch er bei anscheinend 
rachitischen Neugeborenen vorgenommen hat; er konnte dabei nie¬ 
mals Befunde erheben, die für das Bestehen einer kongenitalen 
Rachitis gesprochen hätten. 

Eine ebenfalls sehr weit verbreitete Ansicht sucht die Ursache 
der Rachitis in einem mangelhaften Kalkgehalt der Nahrung oder 
in einer mangelhaften Resorption des zugeführten Kalkes. Hierher 
gehören interessante Tierversuche, die aber auch zum Teil recht 
widersprechende Resultate gezeitigt haben. Chossat machte die 
ersten Experimente an Tauben, denen er kalkarme Nahrung gab; 
schon nach wenigen Wochen bekamen die Tiere Diarrhöen, magerten 
ab und gingen schliesslich zugrunde; eines der Tiere hatte ein Bein 
im Käfig gebrochen und starb bald darauf, ein anderes ging nach 


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3 ] 


Die Rachitis. 


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10 Monaten ein und zeigte eine auffallende Knochenbrüchigkeit. 
Während nun diese Versuche für die Rachitis verwertet wurden, kam 
Friedleben, der ebenfalls Tauben kalkarme Nahrung zuführte, zu 
ganz anderen Schlüssen; wohl gingen auch seine Tiere nach fünf 
bis sechs Monaten anscheinenden Wohlbefindens allmählich zugrunde, 
wohl zeigten sich auch hier grosse Knoehenveränderungen, indem 
alle Knochen dünn, spröde und leicht zerbrechlich, aber nicht biegsam 
waren. Friedleben bezog jedoch diese Befunde nicht auf Rachitis, 
sondern sie weichen, wie er sich selbst ausdrückt, weit von dem ab, 
was man sonst bei der Rachitis findet. 

Guerin ernährte junge, saugende Hunde von demselben Wurf 
verschieden, indem er einem Teil Muttermilch, dem zweiten Kuh¬ 
milch und Brot, dem dritten nur Fleisch gab. Während die beiden 
ersten Gruppen gut gediehen, nahmen die fleischfressenden Tiere 
zunächst zu, bekamen aber bald Diarrhöen, magerten ab und gingen 
zugrunde; bei der anatomischen Untersuchung zeigten sich die 
Knochen stellenweise erweicht, verkrümmt und boten alle Merkmale 
der Rachitis dar. 

Tripier traf bei seinen Versuchen an jungen Hunden, Katzen 
und Hühnern dieselben Anordnungen, kam aber zu gerade entgegen¬ 
gesetzten Resultaten, ja er fand sogar in den Knochen einer mit Kuh¬ 
milch gefütterten Katze weniger Kalksalze als bei der mit Fleisch 
gefütterten. 

Von deutschen Autoren wären Roloff, Voit und Weitzke 
zu nennen, von denen sich die beiden ersten nach den Resultaten 
ihrer Tierversuche für die Kalktheorie, der letztere gegen dieselbe 
aussprachen. Baginsky, der ebenfalls eine Versuchsreihe mit drei 
Hunden machte, fand wohl auch bei dem ohne Kalk ernährten Hund 
Rachitis, er fand sie aber auch besonders stark entwickelt bei einem 
mit Milchsäure ernährten und schloss daraus, dass Entziehung der 
Kalksalze wohl rachitische Veränderungen erzeugen könne, dass 
letztere aber durch Zufuhr von Milchsäure wesentlich gesteigert 
würden. 

Genau so wie bei der Rachitis der Tiere wurde nun auch bei 
der menschlichen ein zu geringer Kalkgehalt der Nahrung ange¬ 
schuldigt. Nun kann man aber mit dem besten Willen von der 
Kuhmilch, der verbreitetsten Säuglingsnahrung, nicht behaupten, dass 
sie besonders kalkarm sei; viel eher käme noch die Frauenmilch in 
Betracht, die nach Bunge 5—6mal weniger Kalk enthalten soll als 
die Kuhmilch; aber gerade die Tatsache, dass viel weniger Brust¬ 
kinder an Rachitis erkranken wie Flaschenkinder, spricht gegen die 
Annahme, dass der verminderte Kalkgehalt der Nahrung dabei eine- 
Rolle spielen soll; so ist denn auch die Behandlung mit Kalkpräpa¬ 
raten im allgemeinen bei der Rachitis erfolglos geblieben. 

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B. GÜTMANN, 


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Dass die Rachitis infolge von ungenügender Resorption des in 
genügender Menge eingeführten Kalkes entstehen soll, ist ebenfalls 
sehr unwahrscheinlich; so konnten z. B. Rüdel und Rey nach- 
weisen, dass nach vermehrter Kalkzufuhr die Menge des ausgeschie¬ 
denen Kalks im Urin sich bei Rachitis genau ebenso erhöhte wie bei 
Gesunden. Trotzdem gibt es noch eine Menge Anhänger dieser 
Theorie, so z. B. auch Monti, allerdings setzt dieser Autor eine Ver¬ 
dauungsstörung voraus: „Unter dem Einfluss einer solchen bildet sich 
im Magen eine etwas grössere Menge Milchsäure unter gleichzeitiger 
Verminderung der Salzsäure. Die Milchsäure übt einerseits einen 
Reiz auf das Knochengewebe aus, während andererseits infolge Ver¬ 
minderung der Salzsäure eine verminderte Resorption der Kalksalze 
und ungenügende Zufuhr derselben zu den Knochen stattfindet“. 
Zu ähnlichen Schlüssen waren schon früher Seemann und Zander 
gekommen, welche ein Überwiegen von Kali und Phosphorsäure über 
Natron und Salzsäure in der Nahrung als Ursache der Rachitis hin¬ 
stellten. Würden wirklich diese in abnormer Weise im Blute kreisenden 
Säuren, insbesondere die Milchsäure, von der ja schon oben die Rede 
war, an dem Zustandekommen der Rachitis schuld sein, indem 
sie den Kalk fest binden, eo müssten sich auch Veränderungen in 
der Blutalkaleszenz zeigen, welch letztere aber in Wirklichkeit von 
Stölzner bei rachitischen Kindern als ganz normal befunden wurde. 
Auch die Beobachtungen Neter’s sprechen dagegen, der im Urin 
einer grossen Anzahl rachitiskranker Kinder meist neutrale resp. al¬ 
kalische Reaktiou fand. 

Sehr interessant sind die mühevollen von Zweifel angestellten 
Untersuchungen, die ebenfalls eine verminderte Kalkresorption als 
alleinige Ursache der Rachitis ergaben. Er fand, dass in Sachsen 
das Brot ungesalzen gebacken wird, dass also in der Nahrung einer¬ 
seits Mangel an Kochsalz, andererseits Überfluss an Kaliumsalzen 
besteht; diese beiden Faktoren bedingen eine Kochsalzarmut im 
Körper, die Folge davon ist, dass auch im Magen weniger Salz¬ 
säure ausgeschieden wird. Diese verminderte Salzsäureabscheidung 
hat wiederum verminderte Resorption der Kalksalze und damit Ra¬ 
chitis bei den an der Mutterbrust zu ernährenden Kindern zur Folge. 
Für die künstlich genährten beschuldigt Zweifel einerseits die 
Kindermehle, die zu wenig lösliche Kochsalze enthalten, andererseits 
die zu geringe Resorptionsfähigkeit des in der Kuhmilch in aus¬ 
reichender Menge enthaltenen Kalkes, der teils durch das Kochen 
der Milch, teils im Magen in eine unlösliche Modifikation umge¬ 
wandelt würde. Pfaundler entgegnet Zweifel, indem er zunächst 
darauf hinweist, dass sich wohl kaum die stillenden Mütter in Sachsen 
ausschliesslich von ungesalzenem Brot ernähren und dass, selbst einen 
verminderten Chlorgehalt der Muttermilch vorausgesetzt, derselbe 


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Die Rachitis. 


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öl 

immer noch für die Salzsäurebildung im Magen des Säuglings aus¬ 
reicht. 

Es war bereits oben davon die Rede, dass einzelne Autoren in 
einem abnormen Gehalt der Körpersäfte an Milchsäure die Ursache 
der Rachitis sehen. Eine andere Theorie beschuldigt nun statt der 
Milchsäure die Kohlensäure und als Hauptverfechter dieser Theorie 
gilt Wachsmuth: 

In den ärmlichen, schlecht ventilierten und dicht bevölkerten 
Wohnungen findet infolge des starken Kohlensäuregehaltes der 
Zimmerluft eine nicht genügende Ventilation der Lungen statt, die 
Kohlensäure häuft sich infolgedessen im Blut und in den Geweben 
an und erhält die Kochsalze, die eigentlich für das Knochengewebe 
bestimmt sind, abnormerweise in Lösung. Eine gewisse Berechtigung 
kann man diesen Deduktionen auf den ersten Augenblick nicht ab¬ 
sprechen ; es ist ja eine alte Erfahrung, dass die Rachitis in der ersten 
Hälfte des Jahres, nachdem die Kinder den ganzen Winter über in der 
Wohnung gehalten wurden und wenig an die frische Luft kamen, viel 
häufiger beobachtet wird, als in der zweiten. Lange erhebt allerdings 
den Einwand, dass sich die Eltern im Winter schwerer entschliessen 
würden, den Arzt wegen der Rachitis aufzusuchen. Nun hat aber 
Edlefsen die poliklinischen Kinder auch im Winter in ihren Be¬ 
hausungen aufgesucht und ebenfalls ein grösseres Zunehmen der Ra¬ 
chitis gegenüber dem Sommer konstatiert. Ob freilich hierbei nur dem 
einen Moment, der Kohlensäureüberladung, der Hauptanteil beizu¬ 
messen ist, möchte ich nicht ohne weiteres annehmen; wie sollte man 
sieh denn die Entstehung der Rachitis in gut situierten Familien — 
gar kein so seltenes Ereignis — vorstellen? Ich glaube vielmehr, dass 
dabei verschiedene ursächliche Momente zusammentreffeu, von denen 
wir noch zu sprechen haben. 

Einen ähnlichen Standpunkt wie Wachsmuth vertritt Quis¬ 
ling, nur mit dem Unterschied, dass er nicht die Kohlensäure direkt, 
sondern einen ungenügenden Gaswechsel in den Lungen im allge¬ 
meinen, verursacht durch Mangel an frischer Luft beschuldigt; er 
weist dabei auf eine Beobachtung Baginsky’s hin, der beinahe 
nie bei Zigeunern Rachitis fand. 

Auch Kassowitz spricht von respiratorischen Noxen, die mit 
der Atmungsluft aufgenommen werden sollen. 

Über eine weitere Theorie Pommer's, der die Ursache der Rachitis 
in primären Störungen des Zentralnervensystems sucht, kann 
man wohl rasch hinweggehen, dieselbe hat auch keine weiteren An¬ 
hänger gefunden. 

Viel Aufsehen erregt hat dagegen die Hypothese, die einen Er¬ 
reger für das Entstehen der Rachitis verantwortlich macht. Vor 
langer Zeit war dieser Gedanke schon einmal von Oppenheimer 


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B. GÜTMANN, 


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ausgesprochen worden, der die Rachitis in Beziehung mit der Malaria 
brachte. Als Beweise für die infektiöse Natur der Rachitis werden 
von den einzelnen Autoren ihre Abhängigkeit von bestimmten Jahres¬ 
zeiten, ihre begrenzte geographische Verbreitung, ihr gehäuftes Auf¬ 
treten nach anderen Epidemien, ihr oft akuter Beginn mit Fieber, 
die zuweilen vorhandene Milzschwellung, sowie die zerebralen und 
nervösen Erscheinungen genannt. Während nun Hagenbach- 
Burckhardt einen noch imbekannten Mikroorganismus als spezi¬ 
fischen Erreger der Rachitis annimmt, hat Mircoli in den Knochen 
und dem Gehirn rachitischer Kinder bereits Staphylo- und Strepto¬ 
kokken gefunden; da sich diese auch in der Mundhöhle zeigten, so 
nimmt er an, dass in der Regel von hier die Infektion ausgehe. 

Grösseres Interesse verdient eine neuere Arbeit von E d 1 e f s e n. 
Er vergleicht die Jahreskurve der Rachitis, die ihren Höhepunkt in 
den Monaten März und April erreicht, mit der Jahreskurve dreier 
anderer Infektionskrankheiten, nämlich der Pneumonie, Polyarthritis 
rheumatica und Meningitis cerebrospinalis, findet eine grosse Ähn¬ 
lichkeit zwischen den einzelnen Kurven und der der Rachitis, und 
schliesst daraus, dass letztere verwandte Entstehungsbedingungen 
haben müsste. In Wirklichkeit fand dann auch Edlefsen, dass 
die Rachitis häufig in solchen Häusern auftrat, in denen andere 
Fälle von Rachitis oder auch die genannten Infektionskrankheiten 
vorkamen. Den Einfluss der kalten Jahreszeit auf das Entstehen 
der Rachitis, einer Jahreszeit, während welcher die Kinder an das 
Haus gebunden sind, erklärt Edlefsen aus einer im Hause ein¬ 
wirkenden Schädlichkeit und er nimmt deshalb an, dass, falls die 
Rachitis eine Infektionskrankheit ist, der Erreger in dem Untergrund 
der Wohnungen und ihrer Umgebung seine Lebensbedingungen finden 
und von da in die Luft der Wohnungen gelangen müsste. Für ein 
derartiges Verhalten des Erregers würde auch eine Beobachtung 
sprechen, die Hansemann bei Tieren gemacht hat; er fand die 
Rachitis sehr häufig in Ställen und zoologischen Gärten, während sie 
bei den Weidetieren sehr selten vorkommt und bei den in Freiheit 
lebendeu, wilden Tieren überhaupt nicht zu treffen ist. Schliesslich 
hat in allerjüngster Zeit Morpurgo durch denselben Diplocoocus 
bei jungen, weissen Mäusen Rachitis, bei alten Osteomalazie erzeugt 
und auch auf natürlichem Wege, durch Ansteckung, Rachitis von 
Tier auf Tier übertragen. 

Wir kommen jetzt zu einer unserer modernen Richtung ent¬ 
sprechenden Theorie, welche die Rachitis auf eine gestörte innere Se¬ 
kretion eines Organs zurückführt. Stölzner bringt sie in Analogie 
mit dem Myxödem; bei beiden Erkrankungen soll es sich um eine 
endogene Noxe handeln, die den Ausfall der Funktion irgend eines 
für die normalen Lebensbedingungen wichtigen Organs zur Folge 


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Die Rachitis. 


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hat. St öl zu er bezeichnet diese Zustände als spezifische Dystrophien 
bestimmter Gewebssysteme und bringt nun die Rachitis mit einer 
primären Erkrankung der Nebennieren resp. deren Rindenschicht in 
Zusammenhang analog der Rolle, die die Schilddrüse beim Myxödem 
spielte. Er machte denn auch wirklich bei der Behandlung rachi¬ 
tischer Kinder mit Nebennierensubstanz gute Erfahrungen und be¬ 
obachtete vor allen Dingen, dass das rachitische, noch nicht verkalkte 
Gewebe farbenanalytische Reaktionen gab, die er als einen allmählichen 
Übergang in den kalkhaltigen Zustand deutete. Schon bald nach 
der Veröffentlichung traten Gegner auf, die die Theorie Stölzners 
bekämpften, so dass er sie selbst nicht mehr in ganzem Umfange 
•aufrecht erhält und weitere Untersuchungen abwartet. 

In jüngster Zeit bat Hecker die Rachitis mit einer Störung 
derNebenschilddrüsentätigkeitin Zusamraenha ng gebracht auf 
■Grund der Erfahrung, dass nach Nebeuschilddrüsenläsion beobachte 
Tetanie mit Laryngospasmus auch bei Rachitis häufig vorkommt, dass 
ferner die Nebenschilddrüsen noch einen bestimmten Einfluss auf das 
Skelett auszuüben scheinen. 

Von neueren Arbeiten wäre schliesslich noch die von Esser zu 
nennen; er fand sowohl bei rachitischen wie bei chronisch über¬ 
fütterten Kindern starke Vermehrung der Leukozyten und glaubte 
deshalb die chronische Überfütterung als Hauptmoment für das Ent¬ 
stehen der Rachitis ansehen zu müssen. In Wirklichkeit konnte er 
denn auch in allen Fällen von Rachitis, ob eie nun Brust- oder 
Flaschenkinder betraf, ob es sich um Kinder von rachitischen oder 
rachitisfreien Eltern handelte, anamnestisch Überfütterung feststellen. 

Wir haben gesehen, dass im Laufe der Jahrzehnte eine Un¬ 
menge Theorien und Hypothesen über das Entstehen der Rachitis 
aufgestellt worden sind; manche von ihnen hat ein Fünkchen Wahr¬ 
heit für sich, aber keine einzige kann als alleiniger ätiologischer 
Faktor in Betracht kommen. Mir scheinen immer noch diejenigen 
die grösste Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen zu 
können, die sich einerseits mit Fehlern in der Art der Ernährung, 
vielleicht mit chronischer Überfütterung, andererseits mit mangel¬ 
haften hygienischen Verhältnissen im allgemeinen, wie ungenügender 
Luftzufuhr, feuchten, ungesunden Wehnungen, Unsauberkeit usw. be¬ 
fassen. 

Pathologische Anatomie. 

Schon makroskopisch fällt meistens eine auffallende Weichheit 
der rachitischen Knochen auf, die durch die mangelhafte Verkalkung 
des Periosts sowie durch die Knochenresorption bedingt ist; es ist 
gar nicht schwer, die Knochen ein- oder durchzuschneiden und so 


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B. GUTMANN, 


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darf es uns nicht wundern, wenn wir zuweilen die stärksten Ver¬ 
krümmungen und Verbiegungen, ja selbst Infraktionen, hervorgerufen 
durch äussere Gewalteinwirkungen, zu sehen bekommen. An den 
platten, insbesondere Schädelknochen, kommt es einerseits durch Ein¬ 
schmelzungsprozesse von innen her, andererseits durch unregelmässige 
periostale Auflagerungen zu ungleichartigen Verdickungen und Ver¬ 
dünnungen; erstere finden sich besonders an den Knochenrändern, 
letztere an den Hinterhaupt- und Scheitelbeinen. 

Die hauptsächlichsten histologischen Veränderungen spielen sich 
an den Knorpelknochengrenzen der Epiphysen ab, woselbst eine ab¬ 
norm starke Knorpelwucherung bei mangelhafter Verkalkung statt¬ 
findet. Unter normalen Verhältnissen sehen wir bekanntlich zwischen 
dem Knochen- und Knorpelgewebe eine scharf begrenzte bläuliche 
Zone, an der die Verkalkung vor sich geht. Die Knorpelzellen 
ordnen sich hier in bestimmten Richtungen an und die Zwischen¬ 
substanz dieser Zellsäulen nimmt die Kalksalze auf. Nun wachsen 
an diese Schichten von den Ossifikationspunkten her Kapillaren heran, 
bringen das Knorpelgewebe zur Resorption und führen zur Bildung 
von Markräumen, an deren Wänden sich durch Wucherung von 
Osteoblasten das Knochengewebe bildet. Bei der Rachitis nun ist 
die obengenannte Zone sehr verbreitert und unregelmässig begrenzt; 
die sonst regelmässig angeordneten Knorpelzellen sind stark vermehrt 
und vergrössert, dringen tiefer in das eigentliche Ossifikationsgebiet 
ein, umgekehrt ragen die Markräume zapfenartig in diese Knorpel¬ 
zellenmasse hinein; die nicht oder mangelhaft verkalkte Zwischen¬ 
substanz bleibt bestehen, nur die Knorpelzellen verkalken teilweise 
und es findet so nur eine Umwandlung in sogenanntes osteoides 
Gewebe statt, das nur geringe Neigung zur Verkalkung zeigt. Ähn¬ 
liche Prozesse spielen sich im Periost ab; auch hier kommt es zur 
Bildung eines sehr blutreichen osteoiden Gewebes, auch hier geht 
der Verknöcherungsprozess sehr langsam vor sich. 

Kassowitz glaubte in erster Linie die starke Blutgefässent¬ 
wickelung und rege Zirkulation an den Ossifikationspunkten, durch 
welche die Kalkablagerung gestört sei, für die Rachitis verantwort¬ 
lich machen zu müssen. Gegen diese sogenannte Inflammationstheorie 
haben sich jedoch besonders Pommer und Heubner gewandt; 
letzterer legt übrigens weniger auf die abnorme Knorpelwucherung 
als auf die ausbleibende Umwandlung der osteoiden in Knochengrund¬ 
substanz das Hauptgewicht in der Pathologie der Rachitis. 


Symptome. 

Der eigentlichen Skeletterkrankung gehen sehr oft Erscheinungen 
voraus, die in erster Linie in Störungen des Allgemeinbefindens 


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Die Rachitis. 


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9j 

ihren Ausdruck finden. Die sonst munteren Kinder werden verdriesslich, 
unruhig, sehr schreckhaft, schlafen schlechter und verlieren ihren 
Appetit. Ein Teil derselben zeigt sehr bald eine auffallende Blässe 
des Gesichts, die in einem eigentümlichen Kontrast zu dem oft recht 
guten Ernährungszustand der Kinder steht, wieder andere sind nur 
scheinbar gut genährt, sie weisen ein welkes, schlaffes Fettpolster und 
ebenso schlaffe Muskulatur auf. Sehr in die Augen springend ist 
weiterhin die auffallende Empfindlichkeit der Knochen gegen Be¬ 
rührung; fasst man die Kinder unter den Armen und hebt sie auf, 
so schreien sie laut auf, und es ist gar nicht selten, dass diese eigen¬ 
tümliche Beobachtung der Mutter den ersten Anlass gibt, den Arzt 
aufzusuchen. 

Sehr charakteristisch sind fernerhin die Schweisse, namentlich 
die Kopfschweisse; sie sind so auffallend, dass uns in vielen Fällen 
die Mütter spontan die Angabe machen, dass das Kissen da, wo der 
Kopf aufgelegen habe, ganz durchnässt sei. Da die Kinder auch am 
übrigen Körper viel schwitzen, so ist ihre Haut sehr oft mit Suda- 
mina und Miliaria bedeckt. Schliesslich sei auch noch auf Unregel¬ 
mässigkeiten in der Verdauung hingewiesen, Diarrhöen und Ver¬ 
stopfungen wechseln miteinander ab. Einige Autoren erwähnen auch 
noch einen eigentümlich scharfen Geruch des Urins, ohne dass be¬ 
sondere Schädigungen von seiten der Nieren nachzuweisen wären. 

Haben diese Allgemeinerscheinungen einige Wochen bestanden, 
so werden allmählich die Veränderungen am Skelettsystem wahr¬ 
nehmbar und zwar werden, wie Baginsky nachgewiesen hat, immer 
diejenigen Knochen am meisten betroffen, die sich beim Ausbruch 
der Erkrankung im lebhaftesten Wachstum befinden. So kommt es, 
dass wir die Schädelrachitis am häufigsten im ersten Lebensjahre, 
die Thorax- und Extremitätenrachitis dagegen mehr im zweiten uud 
dritten Lebensjahre antreffen. 

Ehe ich mit der Besprechung der Skelettveränderungeu beginne, 
möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass die Rachitis grösstenteils 
erworben wird. Nun kommt es zuweilen vor, dass rachitische Ver¬ 
änderungen bereits in einer früheren Fötalperiode bestanden haben 
und bei der Geburt schon wieder ausgeheilt sind, wir sprechen in 
solchen Fällen von einer fötalen Rachitis; sie ist zwar sehr selten, aber 
sicherlich beobachtet worden. Bestehen die rachitischen Veränderungen 
bei einem in der allerersten Lebensperiode stehenden Kind, hat man 
also Grund zu der Annahme, dass sich dieselben bereits im Uterus 
entwickelt haben, dann haben wir die kongenitale Rachitis vor uns; 
sie ist schon häufiger anzutreffen. 

Im allgemeinen jedoch beginnt die Rachitis erst gegen Ende, 
des ersten Lebensjahres und in dieser Zeit sind es, wie bereits oben 
erwähnt, vor allem die Veränderungen am Schädel, die uns zunächst 


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B. GUTMANN, 


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interessieren. Umfassen wir einen solchen mit beiden Handflächen 
und tasten uns mit den Zeigefingern das Hinterhaupt ab, so finden 
wir hier eigentümlich weiche, zehnpfennigstück- und noch grössere 
Partien, die dem Fingerdruck vollständig nacbgeben und sich wie 
Pergament anfühlen; wir bezeichnen diesen Zustand als K r a n i o- 
tabes und charakterisieren damit die hauptsächlichsten Verände¬ 
rungen am Hinterhaupt. Ein weiteres Merkmal ist das auffallend 
lange Offenbleiben der Fontanellen, insbesondere der Stirn¬ 
fontanelle, die sich zwar normalerweise erst im 15. Lebeusmouat 
schliessen kann, bei der Rachitis aber noch viel länger offen bleibt. Aber 
nicht nur die Grösse der Fontanellen fällt auf, sondern auch die 
Weichheit der sie umgrenzenden Knochen, das gilt insbesondere auch 
für die Schädelnähte, deren Knochenränder oft so weich sind, dass 
man ihren Übergang in die Fontanellen nur schwer abgrenzen kann. 
Während also ein Teil des Schädels, namentlich das Hinterhaupt 
und die Knocbenränder der Schädelnähte sehr lange weich bleiben, 
kommen allerdings erst in einem späteren Stadium an anderen Stellen 
direkte Knochenauflagerungen zustande, die dann als Dauer¬ 
veränderungen bestehen bleiben. Ich meine die Scheitel- und Stirn¬ 
beinhöcker; treten dieselben besonders stark hervor, ist ausserdem 
die Schädelhöhle infolge des verspäteten Fontanellenschlusses einge¬ 
sunken, das Hinterhaupt infolge seiner Weichheit stark abgeplattet, 
dann bekommen wir jene Schädelform, die wir als Caput qua- 
dratum bezeichnen. 

Bisher haben wir nur vom Gehirn sch ädel gesprochen; natür¬ 
lich erfährt auch das Gesichtsskelett Veränderungen, die in erster 
Linie Ober- und Unterkiefer betreffen. Ersterer erscheint in der sagit- 
talen Richtung verlängert, in der transversalen dagegeu verschmälert 
und ragt dadurch häufig über den Unterkiefer hervor; dieser erfährt bei 
Übergang der vorderen in die seitliche Partie eine starke Knickung, 
sein unterer Rand biegt sich stark nach aussen um, der Alveolar¬ 
fortsatz ist infolgedessen mehr nach innen geneigt und so versteht 
man es, dass die Zähne des Oberkiefers mit ihren Innenrändem 
häufig die Aussenränder der Unterkieferzähne berühren. Noch viel 
wichtiger als die Veränderung der beiden Kiefer ist das Verhalten 
der Zähne selbst. Während die ersten unter normalen Verhältnissen 
gewöhnlich im sechsten bis achten Monat durchbrechen, erfolgt ihr 
Durchbruch bei der Rachitis oft erst am Ende des ersten oder An¬ 
fang des zweiten Lebensjahres. Neben dem späten Beginn der Zahnung 
sind aber auch die langen Pausen im Durchbruch der einzelnen 
Zähne besonders charakteristisch. Setzt die Rachitis erst später ein, 
so kann es natürlich Vorkommen, dass die ersten Schneidezähne 
bereits vorhanden sind; dann verzögert sich natürlich der weitere 
Durchbruch der Zähne und man kann im allgemeinen den Satz auf- 


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11 ] 


Die Rachitis. 


99 


stellen, dass die Beendigung der ersten Zahnung bei Rachitis selten 
vor Ablauf des dritten Lebensjahres stattfindet, während unter nor¬ 
malen Verhältnissen gewöhnlich am Ende des zweiten Lebensjahres 
sämtliche 20 Milchzähne durchgebrochen sind. Auch an den bleibenden 
Zähnen, namentlich den Schueidezähnen und ersten Molaren, finden 
wir zuweilen als Residuen überstandener Rachitis Veränderungen in 
Form von Erosionen, deren Ursprung natürlich auch auf die Zeit 
der ehedem bestandenen Rachitis zurückgeführt werden muss. 

Weitgehende Veränderungen erfährt fernerhin der Thorax; 
schon sehr frühzeitig fallen hier die Verdickungen am Übergang des 
knöchernen in den knorpeligen Teil auf, die sich bei stärkerer Aus¬ 
bildung beim Bestreichen des Thorax wie eine Perlschnur anfühlen 
und den Namen Rosenkranz erhalten haben. Die seitlichen Thorax¬ 
partien sind anstatt nach aussen gewölbt stark eingesunken, nament¬ 
lich zwischen der vierten und siebenten Rippe, so dass man hier von 
förmlichen Mulden sprechen kann, umgekehrt wird die vordere Brust¬ 
wand, insbesondere das Sternum, sehr weit nach vorwärts gedrängt. 
Nehmen nun diese beiden Difformitäten, also das stark nach vorn vor¬ 
springende Brustbein und die seitlich stark abgeflachten Rippen, eine 
besonders krasse Form an, so erhalten wir jene schwerste Verbildung 
des rachitischen Brustkorbes, die wir alsHühnerbrust bezeichnen; sie 
charakterisiert sich also dadurch, dass sich der sternovertebrale Durch¬ 
messer dem frontalen nähert, ja sogar grösser als derselbe ist. Eine 
andere nicht seltene Veränderung erleidet der Thorax dann, wenn 
sich die Rippenknorpel am Ansatz des Sternums nochmals umbiegen, 
letzteres dadurch etwas nach rückwärts gedrängt wird und wie in 
eine Rinne zu liegen kommt. Haben wir also gesehen, dass der 
rachitische Thorax in seinem oberen Teil durch die beiderseitige seit¬ 
liche Abflachung auffallend schmal ist, so wird er nach unten oft 
auffallend weit, indem sich die unteren Rippen förmlich nach aussen 
umkrempeln. Dabei spielt vielleicht die rachitische Auftreibung des 
A b dom e ns eine gewisse Rolle, das mit seinem Inhalt gegen die untere 
Tboraxapertur drückt und dieselbe erweitert. Schliesslich wäre noch 
zu erwähnen, dass auch die Rüokenfläche des Thorax oft stark ab¬ 
geflacht ist, während an Stelle der Anguli scapulae die Rippen ziem¬ 
lich scharf umknicken. 

Es ist selbstverständlich, dass derartig schwere Difformitäten 
einen schädigenden Einfluss auf eine ausgiebige Lungenventilation 
ausüben; auch ohne dass besondere Störungen von seiten des Re¬ 
spirationssystems vorhanden sind, befinden sich solche Kinder immer 
in einer gewissen Dyspnoe und sind bei einem wirklichen Eintritt 
von Lungenkomplikationen aufs äusserste gefährdet. 

Auch die Clavicüla beteiligt sich sehr oft an der rachitisdien 
Veränderung, ihre normalen Krümmungen sind pathologisch verstärk 


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B. GÜTMANN, 


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und sie ist gar Dicht selten Sitz von Frakturen und Infraktionen, die 
sich durch besonders reichliche Kallusbildung auszeichnen. 

An der Wirbelsäule beobachtet man sehr häufig Kyphose, 
namentlich an den unteren Brust- und oberen Lendenwirbeln; sie ent¬ 
wickelt sich gewöhnlich erst dann, wenn das Kind zu sitzen anfängt, 
durch die Einwirkung der Last des Oberkörpers und hat keine besondere 
Bedeutung. Unangenehmer sind schon die gewöhnlich dextrokonvexen 
Skoliosen, die stationär bleiben und zu einer dauernden Missstal- 
tung führen können. Im Gegensatz hierzu haben die Rückgratsver¬ 
krümmungen, die man öfters bei Schulkindern sieht, gewöhnlich mit 
der Rachitis nichts zu tun, sondern werden erst später erworben. 

Während die rachitischen Veränderungen am Becken dem 
Kinderarzt verborgen bleiben und symptomlos verlaufen, hat mit ihnen 
leider um so mehr der Geburtshelfer zu rechnen. Er sieht das platte 
und allgemein verengte rachitische Becken als Folgen von Gestalts¬ 
veränderungen, die sich bereits frühzeitig durch den Druck der 
Rumpflast auf die nachgiebigen Beckenknochen entwickelt haben. 
So wird das Kreuzbein durch die Last des Körpergewichts in die 
Beckenhöhle hineingetrieben, das Promontorium tritt stark nach vorn 
und nähert sich der Symphyse, während gleichzeitig die Pfannen¬ 
gegenden durch die Schenkelköpfe gleichfalls in das kleine Becken 
vorgetrieben werden. Auf diese Weise können die hochgradigsten 
Verengerungen zustande kommen, die dann späterhin die schwersten 
Geburtshindernisse bilden. 

Wir kommen nunmehr zu den oberen Extremitäten. Ver¬ 
biegungen der Oberarmknochen kommen seltener vor, epiphysäre 
Anschwellungen am Schultergeleuk sind meist gar nicht, am Ell¬ 
bogengelenk dagegen deutlicher zu erkennen. Häufiger beobachtet 
man schon Verkrümmungen des ganzen Oberarmes, die teils durch 
Infraktionen uud zwar gewöhnlich in der Mitte der Diaphyse, teils 
durch Hemmungen im Längenwachstum hervorgerufen werden. 

An den Vorderarmknochen kann man schon häufiger Ver¬ 
biegungen sehen, die dann gewöhnlich mit der Konvexität nach der 
Streckseite gerichtet sind; auch Frakturen und Infraktionen sind hier 
gar nicht so selten, eine im unteren Drittel manchmal zu beobachtende 
soll nach Stone durch den fortwährenden Druck des kleinen Fingers 
der das Kind führenden Person auf die Knickungsstelle entstehen. 
Weitaus am wichtigsten jedoch uud am meisten in die Augen springend 
sind die EpiphyseDauftreibungen der Ulna und noch mehr des 
Radius einerseits und der Handwurzelknochen andererseits; die zwischen 
beiden Auftreibungen liegende Furche ist besonders markant und 
hat zu der landläufigen Bezeichnung „doppelte“ oder „abgesetzte“ 
Glieder geführt. Jedenfalls ist dieses Symptom neben der Kranio- 


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13 ] 


Die Rachitis. 


101 


tabes und dem Rosenkranz eines der wertvollsten Frühsymptome der 
Rachitis. 

Auch an den Fingerknochen kommen, allerdings selten, Auf¬ 
treibungen und Verdickungen vor. 

Weit mehr als die oberen werden die unteren Extremitäten 
vom rachitischen Prozess betroffen und zwar gewöhnlich zu einer Zeit, 
wo Gehen und Stehen bereits schädlich auf das Wachstum der 
Knochen eingewirkt haben; leichtere Grade der rachitischen Er¬ 
krankung, so namentlich Verbiegungen der Tibien, machen sich 
allerdings schon früher bemerkbar, noch ehe die Kinder laufen ge¬ 
lernt haben. Ähnlich wie am Oberarm sind die Veränderungen am 
Oberschenkel nur geringfügige, npr eine besondere Form der Er¬ 
krankung ist hier gar nicht so selten zu treffen, ich meine die Coxa 
vara. Man versteht darunter eine Richtungsänderung des Schenkel¬ 
halses, welcher anstatt schräg absteigend mehr horizontal zur Dia- 
physe verläuft. Das Bein wird dabei nach aussen rotiert und ab- 
duziert und verursacht dadurch die bekannten Gehstörungen. 

Weit stärkere Difformitäten weisen die Unterschenkelknochen 
auf, sowohl in den Epiphysen, wie in der Diaphyse. Besonders in 
der oberen Epiphyse der Tibia vollziehen sich Wachstumsanomalien, 
die zu Veränderungen der Gelenkformation und damit zu einer 
Richtungsänderung der ganzen unteren Extremität führen; auf diese 
Weise entstehen das Genu valgum und Genu varum. Dazu treten 
sehr häufig noch Verkrümmungen der Unterschenkel mit der Kon¬ 
vexität nach vom und aussen; erreichen diese einen besonders hohen 
Grad, dann sprechen wir von Säbelbeinen. Die grössten Verun¬ 
staltungen entstehen, wenn beide Difformitäten, also sowohl die in 
der Epiphyse wie Diaphyse Zusammentreffen; wir erhalten dann die 
mannigfachsten Stellungen, in Form der O-Beine, X-Beine, Kombi¬ 
nationen beider, Bäckerbeine etc. Gewöhnlich treten ja die erwähnten 
Verbiegungen nicht in ihrer schwersten Form auf und pflegen sich 
mit den Jahren wieder auszugleichen, manchmal bleiben sie aller¬ 
dings als eine sehr unangenehme Folge einer in der Kindheit durch¬ 
gemachten Rachitis bestehen und sind dann nur durch operative 
Eingriffe zu beseitigen, von denen unten nochmals die Rede sein 
wird. Wie in den oberen können natürlich auch in den unteren 
Extremitäten Störungen im Längenwachstum Vorkommen, die zu¬ 
weilen einen so hohen Grad erreichen, dass daraus eine Verkürzung 
des ganzen Individuums resultiert; wir sprechen dann vom rachitischen 
Zwergwuchs. 

Somit hätten wir die hauptsächlichsten Skelettveränderungen 
bei der Rachitis erschöpft und wollen noch einmal kurz rekapitulieren, 
in welcher Reihenfolge dieselben aufzutreten pflegen. Dabei müssen 
wir uns vor allen Dingen die beiden Punkte vor Augen halten, dass 


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B. GÜTMANN, 


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diejenigen Knochen am meisten befallen werden, die sich erstens znr 
Zeit der Entstehung der Rachitis gerade im stärksten Wachstum be¬ 
finden und die zweitens gerade funktionell am meisten in Anspruch 
genommen werden. 

Tritt die Rachitis schon in einer frühen Zeit, etwa gegen Ende 
des ersten Lebenshalbjahres auf, so befällt sie in erster Linie die 
Schädelknochen, wir haben die Kraniotabes vor uns; hinzu kommt 
etwas später der Rosenkranz, die Vergrösserung der Fonta¬ 
nelle und die Epiphysemauftreibung der Handgelenke. 
Gegen Ende des ersten Lebensjahres treten dann mehr die Symptome 
von seiten des Thorax, der verspätete Zahndurchbruch, sowie 
die Kyphose der Dorsalwirbel in den Vordergrund. 

Ganz anders dagegen sieht das Bild aus, wenn die Rachitis erst 
im zweiten Lebensjahre zur Entwickelung kommt. Die Kraniotabes 
fehlt dann gewöhnlich ganz, die Veränderungen am Thorax pflegen 
sich zwar meist noch auszubilden, bei weitem am wichtigsten sind 
jedoch jetzt die Verbiegungen der Extremitäten besonders bei 
Kindern, die trotz der Rachitis schon umherlaufen; ausserdem treten 
in diesem Stadium die skoliotischen Verkrümmungen der 
Wirbelsäule und als Spätform der Rachitis die Auftreibung der 
frontalen und parietalen Tubera auf. 

Gewöhnlich beginnt die Rachitis in einer ziemlich frühen Periode 
und macht nicht allzu spät Halt; nur so ist es zu erklären, dass wir 
die Kraniotabes viel häufiger als die Extremitätenrachitis sehen. In 
anderen Fällen hinwiederum kann sie auch einmal alle Stadien durch¬ 
machen und wir finden dann zu einer Zeit, wo die Extremitäten¬ 
rachitis in voller Blüte steht, die Schädelrachitis bis auf eine noch 
nicht geschlossene Stirnfontanelle schon abgeheilt. Natürlich kann 
eine erst im zweiten Lebensjahre manifest werdende Rachitis die 
Anfangssymptome der Erkrankung, insbesondere die Kraniotabes, 
auch eiumal überspringen und gleich mit den späteren Merkmalen 
beginnen. Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass die ganz 
schweren Formen der Rachitis gewöhnlich nur bei den vernach¬ 
lässigten und unter ungünstigen Bedingungen lebenden Kindern an¬ 
getroffen werden. 

Hier ist wohl auch der Raum, wo w r ir der Rachitis tarda 
gedenken können, einer Form der Rachitis, die gewöhnlich erst jenseits 
des fünften Lebensjahres mit allen ihren bekannten Symptomen auf- 
tritt. Die Kinder fangen an, leicht müde zu werden, verlernen sehr rasch 
das Laufen und weisen, wenn man sie dann untersucht, alle Merk¬ 
male der Rachitis auf. Es handelt sich bei dieser Erkrankung teils 
um ein Neuauftreten der englischen Krankheit, teils aber auch um 
den erneuten Ausbruch einer bereits vorausgegangenen Rachitis. 


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15] 


Die Rachitis. 


103 

Ehe ich das Kapitel der Skeletterkrankung ganz verlasse, 
möchte ich noch mit einigen Worten auf die Folgen einer duroh- 
gemachten Rachitis zu sprechen kommen. Da bin ich nun in der glück¬ 
lichen Lage, den Satz aufstellen zu können, dass in der weitaus über¬ 
wiegenden Mehrzahl der Fälle keine dauernden Schädigungen Zurück¬ 
bleiben, ja es ist oft merkwürdig, um nur ein Symptom herauszugreifen, 
wie oft hochgradig verkrümmte Beine trotz fortgesetzter funktioneller 
Inanspruchnahme mit der Zeit ganz gerade werden. Freilich darf 
nicht verkannt werden, dass in schweren Fällen manchmal für daa 
ganze Leben Residuen Zurückbleiben, ich nenne an erster Stelle die 
hochgradigen Verkrüppelungen, dann die Kyphoskoliosen und beim 
weiblichen Geschlecht die schweren ßeckenverengerungen. In weniger 
ungünstigen Fällen weisen allgemeine Plumpheit des Knochenbaues, 
Reste von Hühnerbrust, unregelmässige Zahnstellung oder Erosionen 
der bleibenden Zähne auf die in früher Kindheit durchgemachte Er¬ 
krankung hin. 


Welches Verhalten zeigen nunmehr die übrigen Organe und 
Funktionen bei der Rachitis? Von einzelnen Allgemeinerschei¬ 
nungen war bereits oben die Rede; wir haben gehört, dass die Kinder 
oft recht verdriesslich und misslaunig sind, schon auf geringfügige 
Gehör- oder Gesichtseindrücke zusammenschrecken, unruhig schlafen, 
kurz sehr leicht nervös erregbar sind. Wir haben ferner gehört, dass 
einzelne sich wohl in ganz gutem Ernährungszustand befinden, viele 
aber auffallend schlaffes Fettpolster, ebenso schlaffe Muskulatur und 
eine oft sehr blasse, welke Haut aufweisen, die die Venen bläulich 
durchschimmern lässt. Eine besondere Grundlage für die Blässe ist 
im allgemeinen nicht vorhanden, doch hat Heubner in schweren 
Fällen ein Absinken der roten Blutkörperchen auf 3—2 Millionen, 
und umgekehrt ein Ansteigen der weissen auf 20—30 Tausend, auch 
ziemlich beträchtliche Veränderungen im Blutbild gesehen. 

Auch das Verhalten der Milz ist zu allen Zeiten Gegenstand 
der Diskussion gewesen; in manchen Fällen ist sie ziemlich stark 
vergrössert gefunden worden — vielleicht auch als Folge der gleich¬ 
zeitig bestehenden Bluterkrankung —, in vielen Fällen ist sie palpabel, 
ohne dass man deshalb gleich von einer Vergrösserung zu sprechen 
braucht; jedenfalls gehen wir nicht fehl, wenn wir annehmen, dass 
eine fühlbare Milz nicht immer, aber doch ziemlich häufig zum 
Symptomenbild der Rachitis gehört. 

Auch Lymphdrüsenschwellungen werden gar nicht so 
selten beobachtet, doch hängen dieselben jedenfalls mit gleichzeitig 
bestehenden anderweitigen Erkrankungen zusammen. 


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B. GOTMANN, 


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Viel bedeutungsvoller und gefährlicher sind die Respirations¬ 
störungen im Gefolge der Rachitis. Die Weichheit der Rippen ver¬ 
hindert eine starke, elastische Spannung und Ausdehnung des Brust¬ 
korbes, dieser kann dadurch nur schwer die elastische Spannung der 
Lungen überwinden. Die Folge davon ist eine ungenügende Ventilation, 
insbesondere eine Erschwerung der Inspiration, und wir sehen Kinder 
mit schwerer Thoraxrachitis immer mehr oder weniger dyspnoiscb. 
Diese mangelhafte Ventilation bringt es nun mit sich, dass sich sehr 
häufig Katarrhe entwickeln, die wohl ausheilen können, die aber sehr 
oft die bedenkliche Neigung haben, in die feineren Bronchien hinab¬ 
zusteigen und zu kapillärer Bronchitis und Bronchopneumonie zu 
führen. Das sind aber äusserst gefährliche und in vielen Fällen zum 
Tod führende Komplikationen, die sich namentlich im Verlauf der 
Masern und des Keuchhustens mit besonderer Vorliebe bei den 
rachitischen Kindern einstellen. Aus der Erwägung heraus, dass 
schon die einfache Bronchitis den Kindern gefährlich werden kann, 
tun wir deshalb immer gut, schon im Anfang beim Auftreten der¬ 
selben mit unserer Prognose vorsichtig zu sein. 

Für unsere Diagnose von Wichtigkeit ist die Tatsache, dass 
durch die Veränderungen des rachitischen Brustkorbes sowohl per¬ 
kutorisch wie auskultatorisch Erkrankungen der Brustorgaue vorge¬ 
täuscht werden können. So kann man z. B., wie Rilliet und 
Barthez nachgewiesen haben, bei starker Verdickung der Schulter¬ 
blätter über den Fossae supraspinatae fast absolute Dämpfung finden; 
auch das Atemgeräusch hat hier und da bei Rachitischen einen 
schärferen, pseudobroncbialeu Charakter, doch hat für die Begründung 
der Diagnose einer Lungenerkrankung die Auskultation einen viel 
höheren Wert als die Perkussion und Stölzner betont mit Recht, 
dass man nicht zu sehr auf subtile Feinheiten ausgehen solle. 

Genau so wie eine Lungenerkrankung kann auch einmal eine 
Herzhypertrophie vorgetäuscht werden, allerdings kommt eine 
solche in manchen Fällen als eine Folge des erhöhten Widerstandes im 
kleinen Blutkreislauf vor. Auch der Puls ist bei stärkerer Thorax¬ 
rachitis stets beschleunigt. 

Eine weitere Quelle häufiger Störungen bildet bei rachitischen 
Kindern der Verdauungstraktus. Auffallend ist hier zunächst das 
gewöhnlich sehr stark aufgetriebene Abdomen, das in einem enormen 
Missverhältnis zu dem schmalen Brustkorb steht. Jedenfalls ist das¬ 
selbe nur eine Eigentümlichkeit des rachitischen Körperbaues, und 
nicht, wie manche glauben, eine Folge von Darmstörungen, da es 
bei nichtrachitischen, aber chronisch darmkranken Kindern meist 
vermisst wird. Mannigfaltig sind fernerhin die verschiedenen funk¬ 
tioneilen Verdauungsstörungen. Der Appetit liegt in manchen Fällen 
darnieder, in anderen ist er besonders gesteigert und auf bestimmte 


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17 ] 


Die Rachitis. 


105 


Nahrungsmittel, wie Brot, Kartoffeln und Süssigkeiten gerichtet. Die 
Stuhlentleerungen zeigen ebenfalls verschiedenes Verhalten; einmal 
besteht Verstopfung, ein anderes Mal Diarrhöe; dünne, schleimige, 
übelriechende Entleerungen wechseln mit massigen, harten, tonfarbenen 
ab. Solche dyspeptischen Zustände ziehen sich oft über sehr lange 
Zeit hiu und beeinträchtigen natürlich den Ernährungszustand der 
Kinder sehr; schwere Atrophien, an denen die Kinder doch noch 
zugrunde gehen, sind in nicht seltenen Fällen das Ende vom Lied. 

Comby weist auf eine Magenerweiteruug als regelmässigen 
Befund bei der Rachitis hin und bezeichnet beide Zustände als Folge 
derselben fehlerhaften Ernährung; inwieweit diese Annahme richtig 
ist, entzieht sich vorläufig noch unserer Beurteilung, doch tun 
wir gut daran, wenn wir den Darmstörungen im allgemeinen als 
direkten Folgen und regelmässigen Begleiterscheinungen der Rachitis 
keine allzu grosse Bedeutung beimessen. 

Die Leber ist bei schwer rachitischen und gleichzeitig anämischen 
Kindern nicht selten vergrössert gefunden worden. 

Die von V i e r o r d t als wesentliches Rachitissymptom bezeichnete 
Muskelschlaffheit mag in diesem Zusammenhang nochmals ge¬ 
nannt werden. Die Kinder haben wenig Lust, Bewegungen auszuführen, 
liegen oft matt und energielos auf dem Rücken, vermeiden sogar 
ängstlich jede Bewegung und erwecken dann den Eindruck, als ob 
sie an beiden Beinen gelähmt wären (Pseudoparaplegie). 

Sicherlich spielt bei diesen Zuständen auch die Schmerzhaftig¬ 
keit der Knochen eine gewisse Rolle und wir haben ja bereits oben 
gesehen, wie empfindlich die Kinder oft gegen jegliche Berührung sind. 

Wir kommen nunmehr zu den Beziehungen der Rachitis zum 
Zentralnervensystem. Da interessiert uns zunächst der rachitische 
Hydrocephalus, über dessen Häufigkeit die Ansichten sehr geteilt 
sind; so hält ihn Henoch für sehr selten, Ritter v. Rittershain da¬ 
gegen hat ihn unter 92 Sektionen von Rachitis 38 mal gefunden. Sicher¬ 
lich kommt auch bei der Rachitis ein Hydroeephalus gar nicht so 
selten vor, es ist dann aber nicht jene schwere progediente Form, 
die zu schweren Hirndruck- und Lähmungserscheinungen führt, wie 
Taubheit, Blindheit, spastische Zustäude in dou Extremitäten, sondern 
es handelt sich hier jedenfalls nur um mässige Erweiterungen der 
Gehirnventrikel, die sich mit dem Ablauf der Rachitis auch wieder 
ausgleichen. Als charakteristische Symptome findet man eventuell 
Kopfschmerzen und etwas träge geistige und verspätete Sprachent- 
wickelung. Im übrigen wird die geistige Entwickelung durch die 
Rachitis iu der Regel nicht beeinträchtigt; die Kinder lernen auch 
meist zur rechten Zeit sprechen, sind sogar gar nicht selten psychisch 
auffallend rege. 

Würzburger Abhandlungen. Bd. Vit!. II. 5. 8 


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B. GUTMANN, 


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Viel wichtiger, interessanter und bis zum heutigen Tage noch 
nicht genügend aufgeklärt sind die Beziehungen der Rachitis zu 
einer Reihe von Krampfformen, dem Laryngospasmus, den Kon¬ 
vulsionen und der Tetanie; schon von jeher bestanden hinsicht¬ 
lich dieser Frage die grössten Meinungsverschiedenheiten. Auf der 
einen Seite hält in erster Linie Kassowitz an einem unbedingten Zu¬ 
sammenhang zwischen Rachitis und diesen Krampfformen fest und 
führt eine Reihe von Momenten zur Stütze seiner Annahme ins Feld. 
Erstens finde sich Stimmritzenkrampf nur bei rachitischen Kindern, 
zweitens treten beide Zustände, der Stimmritzenkrampf sowohl wie 
die Rachitis, am häufigsten im Frühjahr auf und drittens würden 
beide Zustände prompt durch Phosphor beeinflusst; des weiteren 
nimmt Kassowitz an, dass durch die Hyperämie der rachitischen 
Knochen gewisse kortikale Zentreu gereizt und dadurch die laryngo- 
spastischen Anfälle ausgelöst würden. 

Bei der Beurteilung dieser interessanten und wichtigen Fragen 
dürfen wir den Stimmritzenhrampf nicht gesondert behandeln, sondern 
es besteht nach dem Stand unserer heutigen Auffassung ein inniger 
Zusammenhang zwischen ihm und den beiden anderen Krampfformen. 
Und da muss man denn sagen, dass auf der anderen Seite im Gegensatz 
zu den Anschauungen Kassowitz’ eine Reihe von Tatsachen vor- 
liegeu, die gegen einen inneren Zusammenhang zwischen diesen 
Krampfformen und der Rachitis sprechen. Zunächst treten Laryngo¬ 
spasmus und Tetanie in manchen Jahren und in manchen Gegenden 
gehäuft, ja epidemieartig, in wieder anderen gar nicht auf, während 
die Rachitis gleichmässig häufig bleibt und auch in tetaniefreien 
Gegenden verbreitet ist. Fernerhin zeigen während des Bestehens 
einer Tetanie die rachitischen Symptome keine weitere Veränderung 
und bleiben auch nach Aufhören der Tetanie unverändert fortbestehen. 
Auffallend ist weiterhin, dass oft die schwersten Rachitisformen den 
Symptomenkomplex der motorischen Überreizbarkeit, wie wir ihn bei 
der Tetanie finden, vermissen lassen, während wieder ganz leichte 
Fälle denselben aufweisen. Und schliesslich sei noch erwähnt, dass 
durch Änderung der Ernährung, z. B. durch Aussetzen der Milch 
nach Finkeistein, die Symptome des Laryngospasmus, der Tetanie 
und der Eklampsie oft wie mit einem Schlage beseitigt werden, 
während die Rachitis dabei ungestört weiter verläuft. 

Es kommt also doch darauf hinaus, dass wir diese nervösen 
Erscheinungen als besondere Krankheitsformen auffassen müssen, 
wir können höchstens sagen, dass die Rachitis eine gewisse Dis¬ 
position zu ihrem Entstehen abgibt. Es ist hier nicht der Ort, über 
das Verhältnis der Tetanie, Eklampsie und des Laryngospasmus zu¬ 
einander zu sprechen; jedenfalls dürfen diese Zustände gar nicht 
so leicht genommen werden und plötzliche Todesfälle im laryngo- 


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19 ] 


Die Rachitis. 


107 


spastischen oder eklamptischen Anfall sind gar keine so seltenen Er¬ 
eignisse. 

Von den übrigen Komplikationen seitens des Zentralnerven¬ 
systems möchte ich nur kurz noch den Spasmus nutans und 
Nystagmus erwähnen; die Prognose ist hier günstig, unter anti¬ 
rachitischer Behandlung tritt gewöhnlich in einigen Monaten Heilung ein. 


Diagnose. 

Die Diagnose der Rachitis wird im allgemeinen infolge der 
immerhin auffälligen Skelettveränderungen keinen besonderen Schwie¬ 
rigkeiten begegnen. Unter den Krankheiten, die eventuell differential¬ 
diagnostisch in Betracht kommen könnten, wäre in erster Linie die 
hereditäre Syphilis zu nennen. Die Osteochondritis luetica kann 
einmal Anlass zu Verwechselungen mit den rachitischen Epiphysen¬ 
schwellungen geben, doch ist die Unterscheidung keine schwere; die 
rachitische Auftreibung betrifft nur die Epiphyse, die luetische kann 
sich auch noch auf die Diaphyse erstrecken, ist fernerhin sehr 
schmerzhaft uud führt deshalb oft zu einer scheinbaren Lähmung 
des Armes (Pseudoparalyse nach Parrot); ausserdem tritt sie oft 
einseitig und nur innerhalb des ersten Lebensjahres auf, während 
die rachitischen Epiphysenschwellungen stets symmetrisch sind 
und sich gewöhnlich erst später entwickeln. Syphilitische Auf¬ 
treibungen der Schädelknochen unterscheiden sich von den rachiti¬ 
schen durch ihre stärkere Prominenz und geringere Flächenausdehnung, 
die spätsyphilitische Tibia Verkrümmung von der rachitischen dadurch, 
dass im ersten Fall die Tibia plattgedrückt und nach vorn konvex 
bei der Rachitis dagegen mehr nach der Seite gebogen ist; die syphi¬ 
litische Zahnveränderung endlich äussert sich gewöhnlich in einer 
halbmondförmigen Auskerbung der beiden oberen mittleren Schneide¬ 
zähne, während alle übrigen Erosionen und Kerbungen mehr auf 
überstandene Rachitis hindeuten. 

Auch die Bar low’sehe Krankheit kann einmal mit Rachitis 
verwechselt werden, hat man sie doch früher als akute Rachitis be¬ 
zeichnet; beiden ist eine grosse Empfindlichkeit der Knochen gemein¬ 
sam, die allerdings gewöhnlich bei der Barlow’sehen Krankheit 
noch viel stärker ist. Die hier durch subperiostale Blutungen ent¬ 
standenen Anschwellungen unterscheiden sich jedoch von den rachi¬ 
tischen Epiphysenschwellungen vor allem durch die Lokalisation, die 
mehr die Diaphyse wie die Epiphyse betrifft. Sind dann noch andere 
Zeichen der hämorrhagischen Diathese, insbesondere Schleimhaut¬ 
blutungen vorhanden, dann ist die Diagnose unbedingt gesichert. 

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B. GÜTMANN, 


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Beim Myxödem kommen ebenfalls Epiphysenschwellungen, Auf¬ 
treibungen der Rippenknorpel, verspäteter Zahndurchbruch und ver¬ 
späteter Schluss der grossen Fontanelle vor. Andere Symptome 
dagegen, die mangelhafte psychische Entwickelung, der starre Ge¬ 
sichtsausdruck, die Makoglossie und die Beschaffenheit des Unter¬ 
hautzellgewebes werden niemals einen Zweifel an der richtigen 
Diagnose zulassen. 

Ist die Auftreibung der Tubera frontalia und parietalia eine sehr 
starke, so könnte einmal eine Verwechselung mit chronischem Hy dro- 
cephalus internus Vorkommen; doch erstreckt sich hier die abnorme 
Ausdehnung gleichmössig auf das ganze Schädeldach, ausserdem ist 
die Vorwölbung und Spannung der grossen Fontanelle für Hydro- 
cephalus sehr charakteristisch. Über allen Zweifel erhaben ist die 
Diagnose, sobald sich die Folgeerscheinungen des Hydrocephalus, 
Taubheit, Blindheit, spastische Zustände eingestellt haben, ausserdem 
ist als besonders charakteristisch für Hydrocephalus noch die eigen¬ 
tümliche Stellung der Augäpfel zu erwähnen, welche nach unten 
gedrängt sind, so dass oberhalb der Iris noch ein Teil der Sklera 
sichtbar wird. 

Von dem tuberkulösen Gibbus unterscheidet sich die rachi¬ 
tische Kyphose dadurch, dass sie mehrere Wirbel umfasst und bogen¬ 
förmig verläuft, während der tuberkulöse Gibbus spitzwinkelig ist 
und im Gegensatz zur rachitischen Kyphose nicht ohne Gewalt aus¬ 
geglichen werden kann. 

Dass man die Coxa vara nicht mit angeborener Hüft¬ 
gelenksluxation, ein stark aufgetriebenes Abdomen nicht mit 
Meteorismus verwechseln darf, sei schliesslich noch der Voll¬ 
ständigkeit halber angeführt. 


Prognose. 

Betrachten wir zunächst die Rachitis nur vom Standpunkt der 
Skelettveränderungen, so können wir sie als eine relativ günstig ver¬ 
laufende Erkrankung bezeichnen; ein grosser Teil der gesetzten Ver¬ 
änderungen gleicht sich mit den Jahren aus und selbst schwerere 
Fälle gehen in vollständige Genesung über, wenn die äusseren Lebens¬ 
bedingungen keine zu ungünstigen sind. Auf der anderen Seite darf 
nicht verkannt weiden, dass sie in manchen Fällen dauernde Nach¬ 
teile und Entstellungen zurücklässt. Hierher gehören in erster Linie 
die Kyphoskoliose, die einen unheilvollen Einfluss auf Herz- und 
Lungentätigkeit ausüben kann, ebenso wie die abnorme Engigkeit 
des Brustkorbes, ferner die verschiedenen Formen der Beckenenge, 
die schon so mancher Frau das Lehen gekostet haben, sowie Zurück- 


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21 ] 


Die Rachitis. 


100 

bleiben des ganzen Körperwachstums, ein Zustand, der bis zum 
Zwergwuchs führen kann. Noch viel mehr aber wird die Prognose 
getrübt, wenn wir der vielen Todesfälle im Kindesalter gedenken, die 
sich an Komplikationen der Rachitis anschliessen. In erster Linie 
ist es die Lungenentzündung, die insbesondere im Anschluss an Masern 
und Keuchhusten bei rachitischen Kindern fast immer letal verläuft, 
genügend bekannt ist fernerhin die allgemeine Tuberkulose, speziell 
die Meningitis tuberkulosa, die gar nicht selten im Gefolge der eben 
genannten Infektionskrankheiten auftritt. Erinnern wir uns ferner 
der üblen Ausgänge des Laryngospasmus und der allgemeinen Kon¬ 
vulsionen, der häufigen Magendarmerkrankungeu mit ihrem manch¬ 
mal ungünstigen Verlauf und wir müssen zugeben, dass wir es hier 
mit einer äusserst wichtigen und gar nicht so ungefährlichen Er¬ 
krankung zu tun haben, die für unsere ganze soziale Entwickelung 
von nicht geringer Bedeutung ist. 


Therapie. 

Die Therapie der Rachitis hat zunächst in einer gründlichen 
Prophylaxe zu bestehen; wenn wir auch ihren Ausbruch damit nicht 
hintanhalten können, so können wir doch mindestens dafür Sorge 
tragen, dass sie keine allzu schwere Form annimmt. 

Den wichtigsten Faktor bei der Durchführung einer strengen 
Prophylaxe bildet die zweckmässige Ernährung unserer Säuglinge 
und als solche kommt naturgemäss in allererster Linie die Mutter-, 
milch in Betracht. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Brustkinder 
zwar nicht völlig verschont bleiben von Rachitis, aber immerhin 
relativ selten daran erkranken, abgesehen natürlich von jenen Fällen, 
die durch häufigen Wechsel der nicht viel Milch liefernden Ammen 
auch zu den unzweckmässig ernährten gerechnet werden müssen. 
Sündigen können wir jedoch auch bei der natürlichen Ernährung 
durch Überfütterung; wir tun deshalb gut, unsere Säuglinge eine 
Zeitlang vor und nach dem Trinken zu wiegen, um so die Menge 
der aufgenommenen Nahrung bestimmen zu können. Allzu langes 
Stillen bedingt zwar jedenfalls keine Rachitis, ist aber doch im all¬ 
gemeinen nicht zu empfehlen. Sind wir zur künstlichen Ernährung 
gezwungen, so kommt es auch hier nur auf eine Zweckmässigkeit 
und richtige Methode an, nicht so sehr auf die Art der verschiedenen 
Milchpräparate. Die Nährmehle werden wir in den ersten Monaten 
vermeiden, dagegen werden wir schon frühzeitig, etwa im siebenten 
Monat, mit einer gemischten Kost, bestehend in Suppen, Brei, Eiern, 
leichten Gemüsen und etwas Fleisch beginnen. 

Nicht minder wichtig wie eine vernünftige Ernährung ist die 


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13. GÜTMANN, 


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I*» 


Zufuhr von Luft und Licht. In erster Linie soll das Kinderzimmer 
luftig und geräumig sein, in der armen Bevölkerung, wo diese 
Forderung in den seltensten Fällen erfüllt werden kann, soll der Arzt 
wenigstens dafür Sorge tragen, dass nicht noch mehr Personen mit 
dem Kind sich in einem Zimmer aufhalten. Ist die Witterung 
einigermassen günstig, dann muss das Kind ins Freie gebracht 
werden und sich möglichst lange dort aufhalteu. Die Gefahr der Er¬ 
kältung soll nie zu hoch angeschlagen werden, und so sollen speziell 
die im Herbst oder Winter geborenen Kinder bei schlechtem Wetter 
wenigstens einige Zeit am offenen Fenster zubringen. 

Wenden wir uns nun von diesen allgemeinen hygienischen 
Massnahmen zur medikamentösen Bekämpfung der Rachitis! Ent¬ 
sprechend den theoretischen Ansichten, die sich die Autoren hin¬ 
sichtlich der Ätiologie und Pathogenese der Rachitis gebildet haben, 
sind auch verschiedene Vorschläge hinsichtlich der Behandlung ge¬ 
macht worden. So führt Cantani viel Kalk zu, Huguot fügt der 
Nahrung viel Fett bei, Seemann und Zander erhöhen den Gehalt 
des Organismus an Chlor und Natrium durch reichliche Zufuhr von 
Kochsalz und innerliche Gabe von Salzsäure. Eine weitere Gruppe 
bilden die Versuche mit organotherapeutischen Präparaten: So haben 
Heubner und Knöpfei mach er Thyreoidea angewandt, ohne be¬ 
sondere Erfolge zu erzielen, Mettenheimer hat die Rachitis mit 
Thymus behandelt und Stölzner schliesslich hat Versuche mit 
Nebennierensubstanz angestellt. 

Zu einem besonderen Resultat haben diese Behandlungsmethoden 
.alle nicht geführt, als einziges erfolgversprechendes Mittel hat sich 
bis heute nur der Phosphor erwiesen. Kassowitz war es, der 
zuerst im Jahre 1883 den Phosphor in die Therapie der Rachitis 
eingeführt hat, nachdem Wagner vorher bei Tierversuchen durch 
Darreichung kleiner Phosphorgaben eine festere Konsolidierung der 
Knochen gesehen hatte. Kassowitz bezeichnete damals den Phos¬ 
phor als ein Spezifikum gegen Rachitis, stiess allerdings mit seiner 
Ansicht bei manchen Autoren, wie Henoch, Baginsky, Heubner, 
Monti, Comby und Neumann auf Widerstand. Trotzdem wird 
man heute in allen Fällen einen Versuch damit machen und zwar 
in der bekannten Kombination mit Lebertran (Phosphor 0,01, Ol. jecor. 
aselli 100,0, 1—2—3 Teelöffel voll); besteht starker Widerwille gegen 
den Lebertrangeschmack, so verschreibt man Phosphor 0,01, Lipanin 
100,0; weniger empfehlenswert ist die Verschreibweise in Tropfenform: 
Ph. 0,01, Ol. amygdal. amar. 10,0, Ol. cort. aurant. gtts. IV, 3mal tgl. 
3 Tropfen in Milch. Die Darreichung des Mittels muss durch mehrere 
Monate erfolgen, während der heissen Jahreszeit allerdings setzt man 
ihn aus oder sorgt bei schweren’ Fällen für möglichst kühle Aufbe¬ 
wahrung. Wenn man auch nicht von einer spezifischen Wirkung 


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23 ] 


Die Rachitis. 


lil 


sprechen kann, so sieht man doch in manchen Fällen eine günstige 
Beeinflussung des Allgemeinbefindens durch den Phosphor; die Kinder 
werden frischer, ihr Kräftezustand hebt sich. Besonders eklatant 
aber sind die Erfolge, die man mit seiner Darreichung sehr oft beim 
Laryngospasmus erzielt; die schwersten Anfälle werden oft schon nach 
einigen Teelöffeln Phosphorlebertran wie mit einem Schlag kupiert. 

Iu neuerer Zeit empfiehlt Manchot Hanfsamen wegen seines 
grossen Gehaltes an organisch gebundenem Phosphor; nur in dieser 
Form könne er vom menschlichen Organismus assimiliert werden. 

Sittler stellte an über 200 Kindern der Strassburger Poliklinik 
therapeutische Versuche mit einer grösseren Auzahl organischer Phos¬ 
phorpräparate an. Bei den meisten Präparaten sah er in bezug auf 
den Knochenprozess keine Wirkung, nur Appetit und Körpergewicht 
wurden besser, nach Anwendung glyzerinphosphorsaurer Salze und 
des Karniferrins, weniger nach Lezithin, verschwanden auch die bei 
Rachitis oft vorhandenen nervösen Störungen. Auf den Knochen 
wirkten nur dio Präparate der Nukleinsäure (Natr. nucleinic. 0,2—0,5, 
Calcium glycerinophosphor. 0,1—0,25, beide in Form von Pulvern 
2—3mal täglich in kalter Lösung oder als Schokoladetabletten ge¬ 
geben). 

Von anderen Medikamenten sind allenfalls noch die Eisenprä¬ 
parate zu erwähnen, die namentlich in solchen Fällen gegeben werden 
können, in denen der Phosphorlebertran gar nicht vertragen wird, 
oder bei denen man, besonders im Sommer, etwas ab wechseln will. 
Am beliebtesten ist Jodeisen in Form des Syr. ferr. jod. (3 mal tgl. 
8—15 Tropfen) oder das Malzextrakt mit Jodeisen, endlich auch 
andere Präparate, wie Ferrum lacticum (3mal tgl. 0,03—0,1), oder 
Tct ferr. chlor. (3 mal tgl. 8—10 Tropfen) und schliesslich die grosse 
Menge von Präparaten, die in den Handel kommen, wie Hämatogen, 
Hämaroma, Eisenmanganpeptonat, Ferratin, Jodferratose, Blutan. 

Weniger richteu wir mit der Zufuhr von Kalkpräparaten aus 
und die neuerdings wieder mehr empfohlenen antirachitischen Zwie¬ 
bäcke, Kakes und Syrupe haben aus diesem Grunde keinen Heil¬ 
zweck. 

Ein nicht zu unterschätzendes Mittel bei der Bekämpfung der 
Rachitis sind die medikamentösen Bäder, in erster Linie die Salz¬ 
bäder. Man verwendet dazu in der Regel Stassfurter, Orber- oderKreuz- 
uacher Salz und zwar setzt man dem Bad je nach dem Alter l h —2 kg 
zu. Die Dauer eines Bades soll im Durchschnitt 10—15 Minuten 
betragen, die Zahl der Bäder soll vier pro Woche nicht übersteigen, 
am Schlüsse des Bades tun wir gut, den Körper nochmals mit 
Brunnenwasser abzuwaschen, um allzu heftige Hautreize zu vermeiden. 
Im allgemeinen werden wir die Bäder mehr den fetten, pastösen 


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B. GUTMANN, 


[21 


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Kindern angedeihen lassen, magere, erethische Kinder wird man 
davon aussehliessen, da in solchen Fällen das Bad mehr Schaden 
stiften kann. Ausser dem Salz sind noch andere, aromatische Zu¬ 
sätze empfohlen worden, wie Kalmus, Kamillen, dieselben können 
abwechselungsweise auch gegeben werden, ohne dass man sich von 
ihnen einen allzu grossen Erfolg versprechen darf. 

Dass wir da, wo es die Verhältnisse erlauben, von den See¬ 
bädern ausreichenden Gebrauch machen werden, versteht sich von 
selbst; für uns kommt hauptsächlich die Ostsee in Betracht, am 
meisten werden Kolberg, Misdroy, Ahlbeck, Heringsdorf, auch die 
Insel Rügen aufgesucht. Ausser dem Meeresaufenthalt spielt auch 
die Höhenluft einen wichtigen Faktor bei der Behandlung der Ra¬ 
chitis; Säuglinge und blasse, zarte Kinder wird man allerdings nur 
in Orten von 800—1000 m Höhe unterbringen, ältere und kräftige 
Kinder dagegen gedeihen oft in sonnigen Höhenorten bis zu 1800 m 
sehr gut. Will man endlich die Gebirgsluft mit natürlichen Sool- 
bädern kombinieren, dann empfohlen sich Orte wie Reichenhall, 
Berchtesgaden, Kreuznach, Kösen, Salzungen, Sulza, Ischl, Aussee usw. 

Besondere Institute zur Bekämpfung der Rachitis haben wir 
bis jetzt in Deutschland nicht, da die Seehospitze meist nur den 
skrofulösen Kindern zur Aufnahme dienen; dagegen sind in Italien 
schon mehrere solcher Anstalten für rachitische Kinder errichtet, die 
sehr schöne Erfolge aufzuweisen haben, und von denen sich die 
schönste in Mailand befindet. 

War bisher nur von den allgemein-therapeutischen Massnahmen 
die Rede, so erübrigt sich uns zum Schlüsse noch die Behandlung 
der rachitischen Skelettveränderungen. Auch hier können wir schon 
durch eine sorgfältige Prophylaxe mancherlei erreichen, wir werden 
in erster Linie die Kinder nie zu frühzeitig sitzen und stehen lassen; 
auf diese Unsitte können unvernünftige Mütter vom Arzt nicht oft 
genug aufmerksam gemacht werden. Das beste wäre ja unter solchen 
Umständen dauernde Rückenlage; auf der anderen Seite besteht hier 
besonders bei sehr schwächlichen Kindern die Gefahr einer Lungen¬ 
komplikation; auf alle Fälle soll der Arzt als Unterlage eine harte 
Matratze anordnen. 

Bei hochgradiger Kraniotabes empfiehlt es sich, den Kopf des 
Kindes auf einen weichen Ring zu lagern. Bei bereits eiugetreteuer 
Kyphose legt man das Kind in die Rauchf uss’sche Schwebe, die 
so über dem Bett befestigt wird, dass sie an ihrer tiefsten Stelle die 
Matratze noch nicht ganz berührt. Kommt nun das Kind darauf zu 
liegen, so höhlt sich der Rücken an der Stelle der Verbiegung aus, 
während umgekehrt die übrigen Teile des Rumpfes dem Gesetz der 
Schwere folgend sich auf die Matratze senken. 


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25 ] 


Die Rachitis. 


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Zur Bekämpfung der Thoraxdiff ormitäten und zur Besse¬ 
rung der Lungenatmuug hat Füth einen besonderen Respirations¬ 
apparat zum Einatmen verdichteter Luft angegeben. 

Mitderorthopädischen Behandlung der rachitischen Verkrüm¬ 
mungen der Extremitäten endlich soll man möglichst bis zum sechsten 
oder siebenten Lebensjahr warten, da selbst die schwersten Formen 
bis zu dieser Zeit noch spontan ausheilen können; erst die Ver¬ 
biegungen, die noch im siebenten Lebensjahr andauern, sollen mit 
Schienenverbänden, überhaupt nach orthopädischen Grundsätzen be¬ 
handelt werden; sind die Veränderungen so hochgradig, dass wir 
auch mit diesen Mitteln nicht zum Ziel kommen, dann kommt als 
etztes die Osteotomie in Frage, durch die man die kompliziertesten 
Verkrümmungen ausgleichen und so die Extremitäten wieder brauch¬ 
bar machen kann. 


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Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin, 

Bd. VIII. H. 8 . 


Bewiifirtr». uaschäJticbe. Kypnotikufn in Gaben von n,S — l,Vl -2,0 j£, 

A n*zme'uhv\*Vxi Scfaxiii , 'tftSn rad ri^ Hcv»nt»ihfe* in Gaben vtni I-r'2—8 fc. pro die, 

Antiepileptikum AbMigtliÄüjLÖ Mi epileptischem *b$ ir. 

Neiu’öfialT*b) eiten t* 0,6 #. 

Neurofebrin 

N*urona> Anttf* brin A 

Hervorragende ErToVge bei acsrtit&rti Ke»pi*v:h;me.*t r, und dtfu Vttruberustdndtn Her Kranen xm £crit 

d<?t >£«»»*:£./:v' . • 

»ettrofebriQ'Tablettea Ao 0,5 jjfs - 


Orexln 

dichte* Si>jim»cbikum 

Orexin-TaJaifßttfifi u, 
.Grex'in-Sebokolad*' 
Tabfdtoft. 


Bismon 

kotUyjd^1t^\V'isnixi^<>jc yd 
DamiaU-srtrio^c.n^ 
spexfcll für die 
Säuglingspraxis. 


Blsmuteos 

bewährtes 
Adstringens und 
I*rolcktivurn. 


Beater fckiottuhu- 
l&t&U' ■ 

Mentbol'joöoi 


—— Literatur gratis und franko. - 

Kalle & Go. A. G., chem. Fabrik, Biebrich a. llh 


Wöroang 

oor Hccttahnitmgenf 


Verordnen Sie gefälligst* stets •. .. 

= '." „O p i g i n a ! D u srs <$ " s“ vt,—77" 

und weisen Sie UnterscVteiaTTgen zurück. Muster iMd kim^tur den Hfitrert Ar^reii 

iüstSnfrgi. 

I'alirihaiion von l>u«g*K Ghinn«G»nka}’a>l!lliir. 

Inhaber: Albert C. Dung, Freiburg i. B. 


DUHG’5 


Teil .-fthaka^^r^.:. 


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Map hüte sifh vor 
Nachahmungen 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 

Von 

a. ö. Prof. Dr. E. Heinrich Kisch 

in Prag-Maricnbnd. 

Der Fettbestand des menschlichen Organismus ist eine in der 
Norm je nach Alter, Geschlecht, Ernährung, Rasse und Klima wech¬ 
selnde Grösse und die Fettmenge, welche der Individualität ge- 
sundheitsmässig entspricht, ist nicht genau in Ziffern auszudrücken. 
Nicht leicht ist es, immer die Grenze zu scheiden, wo das Mass der 
normalen Anhäufung von Fett überschritten, wo die physiologische 
Wirksamkeit der Fettbildung, dem Körper die Geschmeidigkeit. 
Füllung und Rundung der Formen zu verleihen, ihn vor Stoss und 
Druck von aussen zu schützen, die inneren Organe als schlechter 
Wärmeleiter vor Abkühlung zu wahren, ihr Ende findet, und der 
pathologische Zustand beginnt, jene Stoffwechselerkrankung, 
welche auf einem dauernden Missverhältnisse zwischen Fettverbrauch 
und Fettproduktion im Körper zugunsten der letzteren besteht. 

Je mehr sich das Reobachtungsmaterial häuft und je strengen' 
Sichtung desselben ermöglicht ist, um so zwingender drängt sich 
mir die Überzeugung auf, dass der Zustand, welchen wir als über¬ 
mässige Fettleibigkeit, in höheren Graden als Fettsucht, Lipo- 
matosis universalis, bezeichnen, keineswegs eine Erkrankung sui 
generis bezeichnet, sondern ein Symptom verschiedenartigster Ver¬ 
änderungen im Organismus ist, von differentem Ursprünge und diffe¬ 
renter Wertigkeit, ja sogar mit differenter Reschaffenhcit des Fett¬ 
gewebes selbst. Einmal ein Zeichen von besonderer Überernährung 
mit einer die Norm übersteigenden Blutfülle, das andere Mal 
gegensätzlich durch anv: mische Blutbeschaffenheit und dermassen 
herabgesetzte Gewebsvcn*rennung veranlasst; in manchen Fällen 
durch nutritive Störung infolge von gewissen lokalen Vorgängen im 
Genitale hervorgerufen, in anderen Fällen durch chronische In- 

Wflrzbnrger Abhandlungen. Pd. VITT H. «i. 9 


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116 


E. H. KISCH, 




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toxikation von Alkohol oder Syphilis verursacht; zuweilen in 
einer durch hereditäre Abstammung oder Allgemeinerkrankung Io 
gründeten konstitutionellen Gesamtänderung des Organismus 
gelegen, nicht selten ein frühzeitig ausgeprägtes D e g e n e r a t i n n s 
Zeichen. 

Zur systematischen Einteilung jedoch möchte ich auf Grundlage 
zahlreicher Erfahrungen und biologischer Überlegung die Fälle von 
Lipomntosis universalis in zwei grosse Gruppen einreihen: Die 
a 1 i m e n t ä r e (Mastfettleibigkeit) und. k o n s t i t u t i o n e 11 o Lipo 
matosis. 

Was die erste Gruppe betrifft, in welche die weitaus grösslo 
Zahl d(*r Lipoinalösen gehört, so lässt sich die Entstehung dieser 
eigentlichen Mastfettleibigkeit in der einfachen Formel zusammen 
fassen: ,,Missverhältnis zwischen reichlicher Zufuhr von Nährrnaterial 
und geringem Verbrauch desselben.“ Dass ein solches Missverhältnis 
die Anhäufung von Fett im menschlichen Organismus begünstigt, 
ist heule eine jedem Arzte geläufige und durch tägliche Beobachtung 
gefestigte Erkenntnis. So entsteht die physiologische Fettleibigkeit, 
welche, wenn, sie gewisse Grenzen überschreitet und verschieden 
artige Beschwerden verursacht, zur pathologischen Form wird. Diese 
F e t t in a s t erfolgt durch eine übermässige Kost, deren Onantilät 
einen grösseren Kalorienwert einschliesst, als der Organismus für 
seine Arbeitsleistungen und für seinen Wärmehaushalt bedarf. Die 
M (‘ii ge der Nahrung ist also in erster Linie entscheidend, aber auch 
die Q u a 1 i t ä t der Nahrungsmittel, also nicht nur die Grösse, sondern 
auch die Art der Nahrungszufuhr, ist von Bedeutung. Im allgemeinen 
erfolgt die Anhäufung von Fett, sowohl durch ein Übermass von Ei- 
weiss wie von stickstofffreier Nahrung. 

Eine.reichliche Aufnahme von Ei wo iss Indien ausreichenden 
stickstofffreien Substanzen in der Nahrung wird, auch wenn man 
die strittige* Frage der direkten Entstehung des Fettes aus Eiweiss 
ausser Betracht lässt, die Anhäufung von Fett dadurch begünstigen, 
dass bald nach der Nahrungsaufnahme aus dem Eiweissmolekül ab 
gespaltene Gruppen schnell zersetzt werden und dadurch Kohlehydrat 
und Fell mindestens vor dom Zerfalb* schützen. Aus den Kohle¬ 
hydraten der Nahrung wird aber, soweit sie nicht für die Bedürf¬ 
nisse* des Körperhaushaitos zersetzt werden, direkt Fett, gebildet, 
und ebenso wird unter gleichen Bedingungen das Nahrungsfett 
im Organismus in den Fotldopots aufgespeicbert. Jegliche Kost, 
welche durch Zubereitung oder Zutaten Appelilstoigerung bewirkt, 
fördert hiermit, den Ansatz von Fett und in dieser Beziehung ist der 
Genuss von Flüssigkeiten beim Speisen für viele Personen auf die 
Ablagerung von Feit begünstigend. Es gilt dies von der Suppe, dem 
Wasser, Kaffee und Tee, ganz besonders von alkoholhaltigen Go- 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


117 


tränken. Der Alkohol spielt, hauptsächlich als Bier genossen, eine 
ausschlaggebende Rolle; er wirkt nach Krehl in doppelter Hin¬ 
sicht: zunächst durch seinen nicht unbeträchtlichen Gehalt an Spann¬ 
kraft, als leicht oxydierbarer Körper wird er rasch zersetzt und schützt 
Fett vor dem Zerfall; ferner macht, der Alkohol den Menschen faul 
und unlustig zu körperlichen Bewegungen. 

Sonderbarer Weise und gewiss unberechtigt wendet sich von 
Bunge in seinem Lehrlmche der Physiologie gegen die eben vor¬ 
gebrachten Anschauungen, indem er schreibt: ,,Man ist in den ver¬ 
hängnisvollen Irrtum verfallen, die Ursachen der Fettleibigkeit in 
einer zu reichlichen Nahrungsaufnahme oder gar in einer unpassenden 
Zusammensetzung der Nahrung einer zu reichlichen Aufnahme 
von Kohlehydraten oder von Fetten - zu suchen. Dass ein Mensch 
alles isst, was ihm schmeckt und soviel ihm schmeckt, ist etwas 
durchaus Gesundes und Normales und führt bei sonst normaler 
Lebensweise niemals zur Fettleibigkeit (!). Warum will man eine 
normale Funktion anschuldigen, die Ursache eines pathologischen 
Prozesses zu sein? Die Ursache der Fettleibigkeit ist in allen Fällen 
ohne Ausnahme (!) ein ungenügender Gebrauch der Muskeln.* 4 

Gewiss ist das letzterwähnte Moment, Mangel an körperlicher 
Bewegung auch von Wichtigkeit für den Fettansatz, da ja der 
hungernde Organismus die für die Unterhaltung der Muskelbewe¬ 
gungen und Wärmeproduktion notwendige Energie in erster Linie 
durch Zersetzung seines Glykogens und Fettes schafft -- aber die 
Wirkung auf die Fettaufspeicherung wird noch bedeutender, wenn 
durch eine reichliche Nahrung der Verbrauch des Fettes sich ge¬ 
ringer gestaltet. Andauernde Ruhe der Muskeln, lange andauernder 
Aufenthalt in geschlossenen, an Sauerstoff armen Räumlichkeiten 
bei reichlicher Nahrung begünstigt die Fettleibigkeit. 

Aus dem Gesagten ergibt sich leicht die Erklärung, warum die 
Mastfettleibigkeit vorwiegend in den wohlhabenden Ständen 
vorkommt, bei Wohllebern und Vielessern, bei Personen, bei denen 
ein absolutes Übermass der Nahrungszufuhr, eine unzweifelhafte 
Luxusaufnahme stattfindet und wohl „die Wirksamkeit besonders 
starker Reize und Kräfte für den digestiven rosp. assimilativen Teil 
der Verdauung vorausgesetzt werden darf,** wo als direkle Folge» 
der Überernährung ein Zustand entsteht, „welcher durchaus als der 
Ausdruck eines ungewöhnlich hohen, stets in der Einnahme, meistens 
aber auch in der Ausgabe gesteigerten Betriebes angesehen werden 
muss“ oder wo „der Mangel in dem Ablauf der Oxydationsprozesse 
wenigstens teilweise auf körperlicher Bequemlichkeit, auf dein 
Mangel an Willensakten beruht“ (Rosen hach). Ersichtlich ist 
darum auch, warum gewisse Gewerbe, bei denen eine Reihe von 
Bedingungen zur Konservierung des Körperfettes sich summiert, so 

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E. H. KISCH, 


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das Fleischergewerbe, Brauergewerbe, Bäckergewerbe den zweifel¬ 
haften Vorzug gemessen, dass sie ihre Leute ungewöhnlich häufig 
fett machen, w r arum ferner Frauen bei ihrer beliebten Ernährung 
mit fetten, süssen Speisen, bei ihrer sitzenden Lebensweise und 
Neigung, Buhe zu pflegen, im allgemeinen mehr zur Fettleibigkeit 
disponieren als Männer. In letzterer Beziehung ist auch nicht zu 
verhehlen, dass ein gewisses, ruhiges, phlegmatisches Temperament, 
das sich frei von Aufregungen und Emotionen zu halten weiss, 
auch die Fettbildung wesentlich begünstigt, ein Moment, welches 
bereits Galen als Fettsucht förderlich hervorgehoben hat. 

Für die zweite Gruppe, die konstitutionelle Lipoma- 
tosis, reicht die eben gegebene Erklärung des Zustandekommens 
und der Entwickelung der Fettmast nicht aus. Sondern zur konsti¬ 
tutionellen Fettsucht gehören die Fälle, welche in hereditärer Ab¬ 
stammung oder einer überstandenen Allgemeinerkrankung ihren Ent¬ 
stehungsgrund haben. Das eine Mal, indem durch erbliche Veran¬ 
lagung die endogene Zellentätigkeit mit geringeren Energiemengen 
zureicht als in der Norm und dadurch Fett vor Zerfall geschützt und 
abgelagert wird — das andere Mal, indem durch pathologische Vor¬ 
gänge gewisser Art fehlerhafte Veränderungen in den Zersetzungs¬ 
prozessen der Zellen, speziell bezüglich des Umsatzes der stickstoff¬ 
freien Substanz eintreten, welche eine Anhäufungg von Fett im 
Organismus begünstigen. 

Die hereditäre Disposition zur Lipomatosc ist in vielen 
Fällen eine unleugbare und hat man ja so häufig Gelegenheit zu be¬ 
obachten, wie in bestimmten Familien .alle oder die meisten Mit¬ 
glieder unter allen Umständen, auch selbst bei einer unzureichenden 
Ernährung, unabhängig von ihrer Lebensweise hochgradig fettleibig 
werden. Dass hier schuldtragend eine angeborene fehlerhafte Dis¬ 
position der Gewebe ist, ein .,konstitutionelles Defizit, welches die 
Arbeitsfähigkeit der lebenden Moleküle und Energeten“ erschwert, 
für di (»so Anschauung möchte ich die zuerst von mir gefundenen 
lleobachtiingsresultate hervorheben, dass die echten Fettkinder, 
bei denen die hereditäre Fettsucht gleich nach der Geburt, oder in 
frühester Lebenszeit zum Ausdrucke kommt, nicht bloss eine Herab¬ 
setzung der oxydativen Fähigkeit der Körperzellen, sondern über¬ 
haupt. eine krankhafte Funktionsart derselben bieten, loh habe in 
allen Fällen hochgradiger, ererbter, von Gehurt an sich 
entwickelnder Fettsucht neben dieser noch andere Zeichen nutritiver 
1) e g e n (' r a I i o n feslsiellen können, so M a s k u 1 i n i s m u s , F e m i - 
n i s in u s , (i i g a n t i s m u s , p r ä m a t u re Soxualont w i c k e - 
hing, F e li 1 e n d e r 1) e n t i t i o n und mehrere andere S t i g m a t a. 

Diese hereditäre juvenile Lipomatosc ist eine konstitutionelle 
Erkrankung von wesentlich ungünstiger Prognose, denn diese Indi- 


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5] 


Fettleibigkeit und Fettsucht. 


119 


viduen besitzen neben auffällig geringer allgemeiner Widerstands¬ 
fähigkeit bedeutende Veranlagung zu bestimmten pathologischen Pro¬ 
zessen, unter denen in erster Linie der Diabetes mellitus stellt. Wir 
müssen annehmen, dass in diesen Fällen die Körperzellen, deren 
oxydative Funktion eine minderwertige ist, mit der Zeit auch die 
Fähigkeit verlieren, die Glykose im normalen Umfange zu zersetzen 
und umzuwandeln. 

Wie hier also durch angeborene fehlerhafte Disposition 
der (Jewebe die konstitutionelle Form der Lipomatosis entsteht, so 
kann auch ohne Vererbung durch bestimmte erworbene A11- 
genieinerkrankungen eine;, solche Veränderung der (iewebselemente 
eintrelen, dass auch unabhängig von alimentärer Beeinflussung eine 
pathologische Fettansammlung im Organismus stattfindet. In dem 
in dieser Weise fehlerhaft funktionierenden Organismus gelangt, um 
mit 11 o s e n b a r h * s energeto-pa!Unlogischer Auffassungsweise zu 
sprechen, „der weitaus grösste Teil von den vielem Spannkraftmole¬ 
külen der Fiweiss- und Kohlehydratgruppe in seiner Spaltung oder 
Synthese nur bis zu den Oraden, die der Fettgruppe entsprechen. 44 
Als solche konstitutionell lipogene Erkrankungen möchte ich be¬ 
sonders den chronischen A 1 k o ho 1 i s in u s , die Syphilis, ge¬ 
wisse hohe Grade der Chlorose, die pastöse Form der Skro- 
ph u lose hervorheben, ferner von akuten infektiösen Krankheiten, 
A h d o m i n a 11 y p h u s und Scharlach. Auch manche Gifte wie 
Arsen und Merkur scheinen solche Veränderungen des Proto¬ 
plasmas hervorzurufen, welche einen Fehler der Betriebsform speziell 
in bezug auf das Fett zuwege bringen und dadurch Fettleibigkeit ver¬ 
ursachen, die als toxische zu bezeichnen wäre. Hierher wären 
auch jene Fälle eiuzureihon, bei denen gewisse sexuelle Beziehungen: 
Klimax der Frauen, Kastration der Ovarien, Entfernung der Testikeln 
bei Männern, abstinente Lebensweise den* Mönche, Nonnen und 
Witwen, eine ausschlaggebende Bolle zur Fettaufspeieherung spielen. 
Diese Vorgänge, welche bereits Virchow als nutritiven Antagonis¬ 
mus kennzeichnete, sind in jüngster Zeit durch Untersuchungen über 
die innere Sekretion der Keimdrüsen einer Erklärung in der obigem 
Richtung näher gerückt worden. Die Versuche von Lüwy und 
Richter an einer kastrierten Hündin sprechen für die Möglichkeit 
einer verminderten Zersetzungsonergie des Zellenprotoplasmas durch 
Veränderungen im Genitale. 

Die anatomische Entwickelung der Fettleibigkeit lindef in 
der Weise statt, dass die Stellen des menschlichen Körpers, wo sich 
normal Fettgewebe in grösserer Häufung findet, zuerst zu starken 
abnormen Fettablagerungen dienen, indem an diesem präformierkm 
Fettdepots eine mehr und mehr sich steigernde Infiltration und 
prallere Füllung der Fettzellen mit fettigem Inhalte stattfindet, zu- 


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gleich sich aber auch neues Fettgewebe entwickelt. Diese Neubildung 
entsteht durch Aufnahme von Fett in die Zellen eines Keimgewebes, 
Schleimgewebes oder Bindegewebes, wobei sich die Zellen durch 
Konfluenz der in ihrem Inneren auftretenden Fetttröpfchen in Fett¬ 
zellen umwandeln. Beim Fortschreiten der Lipomatose wandeln sich 
immer mehr Bindegewebszellen in Fettzellen, und so finden die 
Fettablagerungen auch an solchen Lokalitäten statt, wo sich in der 
Norm wenig oder gar kein Fett findet, so zwischen den Muskeln und 
Muskelbündeln, unter dem Endokardium. 

Im allgemeinen, aber auch nur im allgemeinen, lässt sich sagen, 
dass wir bei der alimentären Lipomatose, der Mastfettleibig¬ 
keit, überwiegend das Bild einer wahren P1 e t h o r a finden, die 
Zahl der Erythrozyten im Blute ist vermehrt, der Hämoglobingehalt 
gesteigert. Das Fettgewebe selbst zeigt zumeist eine derbe, feste 
Beschaffenheit und bei histologischer Untersuchung eine äusserst 
pralle Füllung der Feltzellen mit fettigem Inhalte, die Fettläppchen 
sind gross, prall gespannt, wenig Zwischensubstanz übrig lassend. 
Die betreffenden Personen zeigen zumeist üppiges, rötlich gefärbtes 
Gesicht, scheinbar von Gesundheit strotzendes Aussehen, kräftig er¬ 
haltenes Muskelsystem. Anders ist die Sachlage bei den konsti¬ 
tutionellen Formen der Fettsucht. Hier weist die Blutbeschaffen¬ 
heit überwiegend Herabsetzung der Zahl der roten Blutkörperchen, 
verminderten Hämoglobingehalt, zuweilen hydraulische Qualität auf. 
Das Fettgewebe ist meist schlaff, weich, locker; histologisch ergibt, 
sich eine wenig vollständige Füllung der Fettzellen mit fettigem In¬ 
halte, die Fettläppchen sind klein, locker aneinander gereiht, durch 
reichlich entwickelte Zwischensubstanz getrennt. Die allgemeinen 
Hautdecken und sichtbaren Schleimhäute sind oft blass, die Musku¬ 
latur nicht kräftig, leichte Ermüdung vorhanden, geringe Wider¬ 
standskraft, grosse Vulnerabilität und minderwertige Leistung der 
ganzen organischen Betriebseinrichtungen. 

Die Altersperiode, welche sich der exzessiven Fettbildung 
im Organismus am günstigsten erweist, ist bei beiden Geschlechtern 
verschieden. Nach den von mir vorgenommenen statistischen Fest¬ 
stellungen bei 4U0 Fällen ergibt sich, dass die Höhe der akqui- 
siten Fetlentwickelung beim männlichen Geschlechte in das 
Alter zwischen 40 und 50 Jahren fällt und dass bei ihm die geringste 
Fettbildung im Alter zwischen 15 und 20 Jahren statt hat. Beim 
weiblichen Geschlechte ist die Fetteidwickelung zur Zeit der 
Pubertät eine weitaus grössere, ferner ist die Höhe der Fett- 
entwickelung fast gleichmässig im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, 
wie zwischen 40 und 50 Jahren. Bei den Frauen finden in der Norm 
während der verschiedenen Lebensphasen grossen 4 Schwankungen in 
dem Bestände der Fettdepots slatt als bei Männern; bei den ersteren 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


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stellt sich ein grösserer Konnex der Fellansammluug mit den Sexual- 
funktionen heraus, indem die Menarche, das Puerperium und die 
Menopause sich als förderliche Momente für die Fettentwickelung 
nachweisen lassen. 

Die äusseren Körper formen werden durch die über¬ 
mässige Fettwucherung in einer die Schönheit wesentlich beein¬ 
trächtigenden Weise verändert. Durch die massige Feltablagerung 
im subkutanen Bindegewebe des Gesichtes, besonders der Dnler- 
augenhöhlengegend und Wangengegend, am vorderen Rande dos 
Masseters und am Kinne wird das Gesicht mehr minder voll¬ 
kommen rund. Der mimische Gesichlsausdruck, welcher beim nor¬ 
malen Menschen den Reflex seiner Stimmung und Erregung in den 
Gesichtszügen wiederspiegelt, geht sowohl durch die Fettpolster, 
welche die Falten und Furchen des Gesichtes ausfüllen, sowie durch 
die mindere Entwickelung der Gesichtsmuskeln infolge der Feü- 
wucherung verloren daher das Geistlose, Maskenartige in der 
Miene hochgradig Fettleibiger. Das gedoppelte Fettkinn und die fett¬ 
reiche Bindegewebslage der oberen Schlüsselbeingegend bewirken 
eine Verkürzung der zu einer Fettwulst gewordenen llalsgegend. 

Durch den stärker entwickelten Panniculus adiposus wird der 
Brustumfang bedeutend grösser. Bei fettleibigen Männern wird 
diu Brust selbst dem weiblichen Busen ähnlich, bei Frauen erreichen 
aber die Mammae zuweilen enormen Umfang „kolossaler Weiblich 
keit“, welche nur der grobsiunliche Orientale reizend finden kann 
im Gegensätze zu Ovid’s: „Mammosammetuo“. Der Bauch¬ 
umfang nimmt durch das subkutane Fettgewebe wie durch die An¬ 
sammlung der Fettmassen im grossen Netze oft zu entsetzlichen 
Dimensionen zu, als fassförmiger oder in drei grossen queren Wülsten 
herabhängender Schmerbauch, welcher seinen, der richtigen Körper- 
balanzierung beraubten Träger zum Gegenstand des Spottes macht. 
Fallstaff, mit seinen nach auswärts gerichteten Beinen langsam 
einhergehend, den Kopf hochhallend und den durch das Schwei¬ 
gt'wicht dos Fettbauches niedergezogenen Körper stramm nach rück¬ 
wärts ziehend, bleibt immer eine possierliche Gestalt. Die Ober¬ 
arme werden zylinderförmige Wülste, auch die Vorderarme haben 
mehr gerundete Form und die Hände erscheinen auffallend klein. 
Die Schenkel erreichen einen mächtigen Umfang, der sich an 
den Hüften und am Gesässo geradezu monströs gestalten kann; bei 
manchen Frauen ist dann das Fettpolster über dem Tuber ossis 
iseliii derart entwickelt, dass die Gestalt der Nates an die unter dem 
Namen S t e a t o p v g a bekannte, am Kreuzbeine der Frauen der 
Hottentotten und Buschmänner befindliche Fettgeschwulst erinnert. 

Solange sich die Fettleibigkeit in massigen Grenzen hält 
— und dies ist bei der alimentösen Uipomatosis oft durch lange 


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l* 


Jahre der Fall - wird sie einfach für einen Schönheitsfehler ge¬ 
halten und erst bei dem Übergange von der, scheinbar blühendste 
Gesundheit verkündenden Wohlbeleibtheit zu der durch belästigende 
Erscheinungen sich kundgebenden Fettsucht, geben sich mannig¬ 
fache Beschwerden kund, welche den pathologischen Zustand ver¬ 
raten. 

Die Zunahme dos Körpergewichtes der Fettleibigen stellt an 
alle Muskeln erhöhte Kraftansprüche, ganz besonders aber an den 
lebenswichtigsten Muskel, das Herz. Die Vermehrung des gesamten 
Fettgewebes im Organismus weit über die pathologische Norm hinaus, 
seine Massenzunahme im Panniculus adiposus, Mesenterium, Omen¬ 
tum u. a. schafft neue Gefässgebiete und erhöhte Widerstände für 
die Triebkraft des Herzens und steigert die Inanspruchnahme seiner 
Arbeit. Dem gegenüber ist jedoch die Leistungsenergie des Herz¬ 
muskels durch die Gewebsveränderungen herabgesetzt, welche die 
Fettwucherung und Fettdurchwachsung im Myokard herbeiführt. Und 
noch ein Hindernis stellt sich der Betriebsleistung dieses Herzmuskels 
oft entgegen, nämlich in der die höheren Grade von Fettleibigkeit 
so häufig begleitenden Arteriosklerose, welche durch Vermin¬ 
derung der Elastizität der Gefässwandungen und Herabsetzung der 
Kontraktilität der glatten Muskelfasern der Fortbewegung des Blutes 
hemmend entgegenwirkt. 

Die Veränderungen am Herzen der Fettleibigen, welche durch 
massige Zunahme des normal am Herzen abgelagerten, besonders sub- 
perikardialen Fettgewebes, durch Wucherung des letzteren in die 
Herzmuskulatur, endlich durch konsekutive Degeneration des Myo- 
kardiums veranlasst werden -- habe ich zur schärferen Scheidung 
von den verschiedenen Formen fettiger Degeneration als Mast¬ 
fettherz bezeichnet. 

Versuche an Masttieren und Obduktionsbefunde fettleibiger 
Menschen haben mich gelehrt, dass die stärkere Fettanhäufung zu¬ 
nächst an den Stellen des Herzens stattfindet, welche die normalen 
Ablagerungsstätten für das Fett abgeben, beim Menschen entlang 
dem Sulcus atrioventricularis, an der Basis der Herzkammern, 
ferner längs des Sulcus longitudinalis superior und inferior, und 
dann am rechten vorderen Rande der Pars veritricularis. An diesen 
Prädilektionsstellen sammelt sich das Fett in grosser Menge, so dass 
in hochgradigen Fällen das ganze Herz vollständig in Fettklumpen 
ein gemauert erscheint und von der Muskelsubstanz äusserlich nichts 
zu sehen ist. Zugleich dringt das Fett in das intermuskuläre Gewebe 
des Myokardiums und zwar rücken, wie die mikroskopischen Bilder 
zeigen, die Fettzellen in Zügen, deren Spitze stets gegen das Peri¬ 
kard gelegen ist, vor, die Muskelfibrillen in mächtigeren und dünneren 
Bündeln auseinander drängend, die Interstitiell zwischen den Mus- 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


f] 


\2X 


kelfibrillen vergrössernd und einzelne Fibrillen komprimierend. Dort, 
wo sich die Fibrillen in der Fettmasse isoliert finden, haben sie ihre 
(^uerstreifung verloren und erweisen sich degeneriert. 

Es bedarf keiner näheren Erörterung dieser anatomischen Ver¬ 
hältnisse, um zu erkennen, dass die umlagernde Fettschicht das 
Herz in seinen Bewegungen hindert, die eindringenden Fettzellen 
den mechanischen Aufbau desselben schädigen; bei weiterer Zu¬ 
nahme des Mastfettes ein Teil der Muskelwandungen des Herzens 
durch Druck atrophisch, das Herz stellenweise dilatiert und dadurch 
seine Leistungsfähigkeit herabgesetzt, Herzinsuffizienz mehr 
minder bedrohlicher Art herbeigeführt wird. 

Nimmt die Fettleibigkeit nur allmählich zu und erreicht 
die allgemeine Fettwucherung keine extremen Grade, so wird 
das Herz durch gesteigerte Tätigkeit während langer Dauer, oft 
durch sehr geraume Zeit, genügen, und die Herzbeschwerden ge¬ 
stalten sich in geringer Art, mindestens recht erträglich. Nur bei 
stärkeren körperlichen Bewegungen, beim Treppensteigen, Bücken 
sowie nach dem Essen, besonders nach sehr reichlicher Mahlzeit, 
tritt leicht Herzklopfen und etwas Kurzatmigkeit ein. Auch die ob¬ 
jektive Untersuchung ergibt in diesem Falle nur wenig wesentlichen 
Befund. Die Herztöne erscheinen etwas abgeschwächt, was seinen 
Grund in der erschwerten Fortleitung der Schallwellen durch die 
Fettschicht über dem Herzen hat. Die Herzdämpfung erweist sich 
wegen dieser Fettablagerung zuweilen etwas verbreitert und ver¬ 
stärkt; der Spitzenstoss des Herzens, nach auswärts gerückt, ist 
durch die dickere Thoraxwand nur schwach zu fühlen oder ver¬ 
schwindet ganz. Das Zwerchfell erscheint bei bedeutender An¬ 
häufung von Fettmassen im Abdominalraume hochgestellt. Der Puls, 
meist von guter Spannung, zeigt keine merklichen Abweichungen 
von der Norm; er erscheint zuweilen infolge reichlichen subkutanen 
Fettes über der Radialis, klein. Auch die meisten Körperfunktionen! 
zeigen regulären Verlauf. Appetit, Verdauung und Schlaf ist 
recht gut. 

Und diese geringen Störungen im Betriebe der Herztätigkeit 
finden sich nicht nur bei Fettleibigen mittleren Grades, sondern 
selbst bei ausgebildeter Fettsucht kommt es zuweilen vor, dass der 
Arzt von der Spärlichkeit der Beschwerden überrascht wird. 
Ich habe durchaus nicht als stets gültiges Gesetz finden können, 
dass die allgemeine Fettzunahme im Körper in einem bestimmten 
geraden Verhältnisse zur Entwickelung des Mastherzens oder zur 
Intensität der Herzbeschwerden steht. Es scheinen gewisse, noch 
nicht geklärte Verhältnisse, unter denen gewiss die primäre Anlage 
des Herzmuskels, die Grösse seiner Reservekräfte eine hervorragende 
Rolle spielt, im Einzelfalle begünstigend oder beeinträchtigend zu 


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wirken. So beobachtet man bei lipornatösen Individuen, welche hei 
ihrer Fett fülle gut entwickelt e M u s k u 1 a t u r haben, geringere, 
kardiale Beschwerden, als bei Fettleibigen mit schwachen Muskeln. 
Fs lässt sich wohl annehmen, dass bei der ersten Kategorie von 
Personen, wie bezüglich der übrigen Körpermuskeln, auch die Hilfs¬ 
mittel des Herzmuskels bedeutendere sind, als bei muskelschwachen 
Menschen. Ferner ist mir aufgefallen, dass die Beschwerden, welche 
das Mastherz verursacht, bei den Frauen im allgemeinen geringer 
sind als bei den Männern. Der Grund mag darin liegen, dass die 
Schwankungen des Fettbestandes des weiblichen Körpers in der 
Xorm viel grösser sind als beim männlichen; die Zeit der Pubertät, 
die Schwangerschaft, die Laktationsperiode bringt stets wesentliche 
und allmählich sich vollziehende Veränderungen der Fettinengcn 
des Körpers beim weiblichen Geschlecht mit sich, so dass das Herz 
gelernt hat, sich den wechselnden Arbeitsanforderungen zu akkoin- 
modieren. 

Die güustige Periode der Fettleibigen, in welcher die Herz¬ 
beschwerden nur geringgradig sind und das Ilerz auch unter den 
erschwerten Bedingungen seine Leistungsfähigkeit wahrt, kann kür¬ 
zere oder längere Zeit dauern, aber unvermeidlich gewiss, fiiih 
oder spät, plötzlich oder allmählich, tritt das Stadium der funk¬ 
tioneilen Schwächung des Herzens und infolgedessen die Ue- 
Iriebsstörung im gesamtem Kreisläufe ein, ja nicht selten ereilt die 
Fett süchtigen in scheinbarem Wohlbefinden und ganz unerwartet 
die letale Katastrophe der Erlahmung des Herzens. 

Der Verlauf, wie durch die stärkere Fettwucherung im 
Körper, durch die Steigerung der Widerstände (Ausdehnung des 
Fnterleibes durch Fettmassen, Aufwärtsgedrängtsein des Zwerch¬ 
felles, Beeinträchtigung des Brustraumes, Vermehrung der Blul- 
inenge) und durch die Veränderung am Herzmuskel die Kraft dos 
letzteren herabgesetzt und der Beigen der Zirkulationsstörungen ge¬ 
führt wird, gibt sich durch gesteigerte Beschwerden kund. 

Schon nach verhältnismässig geringer körperlicher Bewegung, 
besonders aber nach Steigen, nach jeglicher Anstrengung und Er¬ 
regung tritt Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Schmerz in der Gegend 
des Herzens, Luftmangel, Beklemmungsgefühl auf der Brust ein. 
Der Fettleibige klagt über häufig erschwertes Atmen, wobei die 
Bespiration mit Anwendung der Auxiliarmuskeln erfolgt; es kommt 
zu cyanotischen Erscheinungen an Lippen, Ohren, Fingern usw., 
und öftere Hustenparoxysmen treten ein. Die erschwerte Blutzirku¬ 
lation gibt sich in den verschiedenen Venengebieten kund als Ge- 
fässerweiterung in den feinen Hautvenen, als Varizen an den unteren 
Extremitäten, als Phlebektasien an den Mast dann venen. 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


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In schweren Fällen — und es ist dann der Verdacht gerecht¬ 
fertigt, dass sich bereits fettige Degeneration der Herzmuskulatur 
einstellt -- sind im Vordergründe der Beschwerden die anfalls¬ 
weise auftretenden Vorgänge des kardialen Asthma mit wirk¬ 
licher Dvspnöe, mit Stauungserscheinungen in den Lungen, quälen¬ 
dem Husten, mit dünnflüssigem, schaumigen, bluttingiertem Sputum, 
cyanotischer Verfärbung des Gesichtes, kaltem Schweisse auf Ge¬ 
sicht und Brust, hochgradiger Angst und Beklommenheit, welche 
den Kranken häufig bei Nacht befällt, ihn zum Aufsitzen oder Ver¬ 
lassen des Bettes nötigt. 

Nicht selten, namentlich wenn bei Fettanmästung neben dem 
Übermasse der Ernährung die Zufuhr alkoholhaltiger Ge¬ 
tränke eine Hauptrolle spielte, wenn also sich die Fettsucht mit 
chronischem Alkoholismus und Arteriosklerose vergesellschaftet, 
leiden die Fettleibigen an bedrohlichen Anfällen von Angina pec¬ 
toris, welche nach körperlicher Anstrengung, Diätfehlern, grosser 
Erregung, Erkältung oder auch nur plötzlich ohne jeden nachweis¬ 
lichen Anlass eintreten, mit dem charakteristischen brennenden, 
bohrenden oder zusammenschnürenden Schmerzgefühle in der 
Herzgegend einsetzen Der Schmerz strahlt vom Manubrium sterni 
zumeist zum linken Schulterblatte, an die innere Seite des 
Oberarmes über den Vorderarm bis in die Finger, dabei herrscht 
das Gefühl von Eingeschlafensein der kalt anzufühlenden oberen 
Extremität. Die Atembewegungen sind schmerzhaft und mühsam, 
der Puls beschleunigt, klein, wenig gespannt, zuweilen kaum fühlbar ; 
ferner meist Dyspnoe und der ganze Symplomenkomplex des kar¬ 
dialen Asthma. Ich hebe dieses Auftreten der Angina pectoris speziell 
als sehr ungünstiges prognostisches Moment hervor, welches bei Fett¬ 
leibigen als Alarmsignal zu gelten hat, dass in absehbarer Zeit ein 
plötzlicher Exitus zu befürchten ist. 

Mit den ernsten Zeichen der Herzinsuffizienz entwickeln sich 
auch S tau u ngsz us tände auf dem ganzen Gefässgebiete. Sie 
kennzeichnen sich durch serösen Erguss ins Unterhautzellgewebe, 
Ödem an den Füssen, Rhinorhagien, Vergrösserung und cyanotischc 
Induration der Leber, Induration der Nieren, Albuminurie, allge¬ 
meinen Stauungshydrops. 

Die physikalische Untersuchung des Herzens in diesen 
vorgeschrittenen Stadien der Fettbelastung ergibt wechselnde Er¬ 
scheinungen, je nachdem sich eine kompensatorische Herzhyper¬ 
trophie entwickelt hat, oder die Herzwandungen sich bereits gedehnt 
und erweitert haben, oder die arteriosklerotischen Prozesse am Herzen 
besonders zur Geltung kommen. In der überwiegenden Zahl ist die 
Herzdämpfung sowohl der Breite wie der Länge nach vergrössert, 
der Herzstoss ist meist diffus, nicht kräftig, der Spitzenstoss nach 


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K. II. KISCH, 


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aussen gerückt, wenig resistent. Die Auskultation des Herzens weist 
gewöhnlich reine, ziemlich dumpfe, zuweilen auch laute und deutliche 
Herztöne nach, nicht selten ist mit der Systole ein kurzes Blasen oder 
ein Doppelten hörbar; der zweite Ton der Aortenklappe häufig stärker 
markiert. Der Puls ist meist schwach, klein, leicht unterdrückbar, 
sehr frequent, seltener (bei hochgradiger Arteriosklerose trotz der 
Herzschwäche) gross, hart, schnellend, zuweilen auch aussetzend 
oder vollständig irregulär, in vereinzelten Fällen sehr retardiert. 
Während die einfache Herzinterm ittenz, indem nach 
mehreren regelmässigen Pulswellen von verschiedener Zahl eine 
Pulspause eintritt, bei den Fettleibigen zumeist keine ernste Bedeu¬ 
tung hat und nicht selten wieder einem ganz regulär gewordenen 
Herzschlage Platz macht — ist eine vollkommene Irregulari¬ 
tät der Herzaktion, welche sich dadurch bekundet, dass im Puls¬ 
bilde vollständig ausgeprägte regelmässige Pulswellen mit anderen 
kleineren rudimentären abwechseln oder, dass reguläre Pulswellen, 
Pulspause und schwach ausgebildete Pulswellen alterieren, oder dass 
endlich die Pulswellen in Höhe und Spannung wechselnd, ganz regel¬ 
los aufeinander folgen, ein wichtiges Zeichen schon vorgeschrittener 
Herzschwäche und bedeutender Myodegeneration des Herzmuskels. 
Der Arzt wird in diesen letzteren Fällen auf ein plötzliches 
Fnde des Fettleibigen gefasst sein müssen. 

Bezüglich der Symptome von seiten der D i g e s t i o n s o r g a n <* 
der Fettleibigen lässt sich wohl sagen, dass diese im allgemeinen 
sehr guten Appetit haben, zuweilen wahren Heisshunger entwickeln, 
zuweilen aber auch auffallend wenig essen. Häufig kommen dyspep¬ 
tische Zustände vor, sehr oft habituelle Stuhlverstopfung. 
Die eigentliche Mastfettleibigkeit ist zumeist mit dem bekannten 
Bilde der Plethora abdominalis und Hämorrhoidalleiden ver¬ 
gesellschaftet. Es kommt auch zu Stauungskatarrhen des tlastro- 
intestinalkatarrhes mit anormaler Verdauung und unregelmässiger 1 )e- 
fäkation, begleitet von Anschwellungen der Hämorrhoidalvenen, Tym- 
pauie, Stauungshyperämie und Schwellung der Leber uswv Häufig 
finden sich bei Fettleibigen G a 11 e n k o n k r e m e n t e. In den 11 e - 
s p i r a t i o n s o r g a n e n besteht bei vorgeschrittener Fettleibigkeit 
gewöhnlich Neigung zu Katarrhen der Schleimhaut der Bronchien 
und diese chronisch-katarrhalischen Zustände führen — darin liegt 
ihre üble Bedeutung — nicht selten infolge akzidenteller, auf die 
Respirationsorgane wirkender Reize zu akuten Exazerbationen, 
welche mit wesentlichen dyspnoischen Beschwerden einhergehen. 
Die Fettleibigen sind übrigens auch infolge ihrer grossen Neigung 
zu Hauttrauspiration leicht geneigt, Erkältungen zu erfahren. 

Die Harnmenge ist bei massigen Graden von Fettleibigkeit, 
wenn keine Komplikation vorhanden, normal oder etwas unter dein 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


127 


Durchschnitte; bei 25 von mir daraufhin beobachteten lipomatösen 
Individuen stellte sich die durchschnittliche 24 stündig abgesonderte 
Harnquantität auf 1450 ccm. Sehr häufig bildet der Harn Fettleibiger 
intensive Uratsedimente und ein häufiger Befund ist auch das Auf¬ 
treten von Kristallen von oxalsaurem Kalke im Harn. Aus dem 
letzteren Umstande ist jedoch keineswegs zu folgern, dass die Menge 
der Oxalsäure im Harne vermehrt ist und daran die Verminderung 
der Oxydation Schuld trage. Bei quantitativer Untersuchung des 
Harnes von 15 hochgradig fettleibigen Individuen fand ich nur in 
einem Falle die Menge der Oxalsäure im Harne vermehrt. 

In einer beträchtlichen Zahl von Fällen gesellt sich vorüber¬ 
gehend leichte Glykosurie zur Fettleibigkeit und habe ich schon 
vor Jahren im Gegensätze zu F1 einer und Hirschfeld hervor¬ 
gehoben, dass dieses vorübergehende Auftreten von Zucker im Harne 
Fettleibiger nicht als harmloses Symptom betrachtet werden darf, 
sondern den Vorläufer von Diabetes mellitus darstellt. Denn der 
Zusammenhang zwischen Lipomatosis universalis und Diabetes 
mellitus ist häufig ein so intimer, dass meine Bezeichnung eines 
speziellen „lipogenen Diabetes“ als Folgeerscheinung hoch¬ 
gradiger Fettleibigkeit wohl gerechtfertigt erscheint. Beiden Stoff¬ 
wechselerkrankungen scheint in solchen Fällen eine angeborene 
abnorme Beschaffenheit der Gewebszellen zugrunde zu liegen, durch 
welche in den letzteren in dem einen Falle die Fette ungenügend 
verbrannt, in dem anderen der Zucker nicht wie in der Norm ver¬ 
braucht (nicht vollends fermentiert und auch nicht oxydiert) wird. 

Die hereditäre Anlage zu diesen beiden Ernährungs¬ 
störungen kommt bei den Mitgliedern einer Familie nach der einen 
oder anderen Richtung zur Entwickelung, oder macht sich unter be¬ 
günstigenden Umständen derart geltend, dass sich bei einem Indi¬ 
viduum beide Stoffwechselerkrankungen zeitlich nacheinander ent¬ 
wickeln, wobei immer die Lipomatosis die Vorstufe zu dem ver¬ 
wandten Vorgänge des Diabetes bildet. In allen Fällen, wo sich die 
Lipomatosis universalis als hereditär erweist, in früher Jugend 
bereits zur Entwickelung gelangt, sehr rasch vorschreitet und sehr 
bedeutende Dimensionen annimmt, muss man auf den Übergang in 
Diabetes gefasst sein. Aber auch jene Fälle von eigentlicher Mast¬ 
fettleibigkeit, welche ohne nachweisbare deutliche hereditäre Anlage 
infolge unzweckmässiger, die Fettmästung erzielender Lebensweise 
auftreten, zeigen, wenn sie lange Zeit dauern und nicht durch ge¬ 
eignete Massregeln bekämpft werden, zuweilen, doch viel seltener 
als bei den hereditär Belasteten, die Neigung zum Diabetes. Ich 
möchte nach meiner Erfahrung annehmen, dass von den a k q u i - 
siten Fällen von Lipomatosis etwa 15 Prozent, dem Diabetes ver¬ 
fallen bei den hochgradigen hereditären Fettleibigen sich in 


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E. H. KISCH, 


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mehr als der Hälfte der Fälle Diabetes entwickelt und dass bei den 
j u v e n i 1 hereditär degenerierten Lipomatösen, den eigentlichen 
angeborenen Fettkindern, nahezu immer, früher oder später, Dia¬ 
betes mellitus eintritt. 

Die Blutbeschaffenheit betreffend fand ich bei der ali¬ 
mentären Fettleibigkeit ohne Komplikation zumeist die Zahl der 
Erythrozyten, sowie den Hämoglobingehalt des Blutes vermehrt, 
bei den konstitutionellen Formen der Lipomatosis oft vermindert, in 
den vorgeschrittenen Stadien, wenn Zustände von Herzschwäche 
prävalieren und Hydropsien vorhanden sind, habe ich den Hämo¬ 
globingehalt des Blutes bis unter die Hälfte der Norm absinken ge¬ 
sehen. Aus den von mir erhobenen Dynamometerwerten ergibt sich, 
dass die hochgradig Fettleibigen im allgemeinen geringere moto¬ 
rische Leistungsfähigkeit haben, als nicht abnorm fette 
Individuen. 

Die Prognose betreffend, sind massige Grade von Fettleibig¬ 
keit, welche durch lipogene Fehler der Ernährung und Bewegung 
erworben wurden, im allgemeinen günstig zu beurteilen; es gelingt 
durch ein jenen ätiologischen Momenten Rechnung tragendes, früh¬ 
zeitig eingeleitetes, geeignetes Verfahren die wünschenswerte Ent¬ 
fettung herbeizuführen und auch die Herzbeschwerden zu beseitigen. 
Ein anderes, ungünstigeres ist es, wenn die Fettablagerung im Körper 
ganz bedeutende Dimensionen angenommen hat, wenn die Lipo- 
matose sich als konstitutionelle erweist, wenn die Komplikation mit 
Arteriosklerose, Alkoholismus, Syphilis, Diabetes, hochgradiger An¬ 
ämie vorliegt. Hier leidet ganz besonders die Leistungsfähigkeit des 
Herzens, und die Störungen seiner Funktion, welche im allgemeinen 
chronisch verlaufen, können stets infolge eines Zwischenfalles be¬ 
drohlichen, das Leben gefährdenden Charakter annehmen. 

, Jeder hochgradig Fettleibige gleicht einem Ko¬ 
losse auf thönernen Füssen, und es ist begreiflich, wenn 
auch durchaus nicht allgemein begründet, dass eine hervorragendq 
Lebensversicherungsgesellschaft Personen mit mehr als 530 Gramm 
pro Zentimeter Körperlänge nur unter besonderen Kautelen auf¬ 
nimmt. 

Durch rationelles diätetisches und hygienisches Regime, durch 
Entlastung von den Stauungssymptomen und entsprechende syste¬ 
matische Anregung der Energie der Herzmuskulatur gelingt es, auch 
in vorgeschrittenen Fällen oft wesentliche Erleichterung der Be¬ 
schwerden zu erzielen, aber der gänzliche Niedergang der Herzkraft, 
das Auftreten all der quälenden Konsekutivzustände der dauern¬ 
deil Stauung im Gebilde des Körpervenensystems ist nur eine* 
Frage der Zeit. Hydrops universalis, allgemeiner Verfall der Kräfte, 
Slanungspnemnonie. Herzschwäche führen allmählich den Exitus her- 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


121 ) 


15 ] 


bei. Der letztere erfolgt aber bei den Fettleibigen zuweilen ganz 
plötzlich als mors subita inopinata, durch irgend einen un¬ 
beobachteten geringfügigen Anlass, welcher die Innervation des 
Herzens beeinträchtigt oder die Widerstände im Gefässsystem er¬ 
höht. Solche Fälle habe ich wiederholt gesehen, wo ungewohnt 
heftige körperliche Bewegung, bedeutende psychische Erregung, 
Exzesse in Bacho, die Kohabitation, ein anstrengender Stuhlgang 
dem Fettsüchtigen den plötzlichen Todesstoss versetzten. 

Jede interkurrente akute Krankheit ist bei hochgradig Fetl- 
leibigeu ein sehr beachtenswertes schlimmes Moment. 

Bei jeder febrilen Erkrankung und in jedem Stadium derselben 
muss der Arzt bei Fettsüchtigen auf die Gefahr vorbereitet sein, 
dass durch plötzlich eintretende Herzschwäche Kollaps eintrill; 
es ist dies nicht selten bei Pneumonie, Typhus, Erysipel usw. der 
Fall, auch wenn weder die Höhe und der Gang des Fiebers noch 
die lokalen Entzündungsherde einen bedrohlichen Ausgang befürchten 
lassen. 

Für die Behandlung der Lipomatosis müssen in erster 
Linie das ätiologische Moment der abnormen Fettanwucherung, dann 
ihr«* Äusserungserscheinungen in den verschiedenen Organen, end¬ 
lich die komplizierenden Allgemeinerkrankungen und lokalen patho¬ 
logischen Symptome Richtung gebend sein. 

Die grösste überwiegende Zahl der Lipomatösen gehört, wie 
bereits erwähnt, der alimentären Form, der eigentlichen Masl- 
Fettleibigkeit an. Hier ist das einzige wirkliche Arkanum: E r - 
n ä h r u n g s v e rän d e r u n g und Regelung der Muskel¬ 
arbeit des Individuums und zwar Vermeidung jeden Oberinasses 
iin Genüsse der Nahrungsmittel, Herabsetzung der Menge der Nähr¬ 
stoffe auf ein geringeres als bisher gewohntes Mass, jedoch mit 
Einhaltung der Grenze des notwendigen Eiweissbestandes des 
Körpers. Diese gewisse Unterernährung ist das wichtigste 
Moment. Die Bestimmung der Quantität und Qualität der Ernährung, 
die Regelung der Flüssigkeitszufuhr, die Verordnung der körperlichen 
Bewegungsarten muss das Resultat individualisierender Erwägung 
des Arztes sein, welcher es als Kinst geübt hat, die Lehensgewohn¬ 
heiten, die kulinarischen Liebhabereien, die Lebensführung, die Be- 
nifseigentümlichkeiten, die familiäre Anlage, die Widerstandsfähig¬ 
keit, die Blutbeschaffenheit, den ganzen Gesundheitszustand, ja auch 
das soziale Milieu des einzelnen zu beurteilen und danach die Ein¬ 
griffe feststellt, um die Massnahmen der diätetischen Ernährungs¬ 
therapie wie der Bewegungsübungen harmonisch zur Durchführung 
zu bringen. 

Im allgemeinen lege ich bei diesen alimentären Lipomatösen 
bezüglich der Diät das Hauptgewicht auf eine ausreichende, iiuli- 


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E. H. KISCH. 


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130 


[18 


viduell entsprechende Eiweisszufuhr, dabei mässige 
Mengen Kohlehydrate und Reduktion der Fettzuführung 
auf ein Minimum. Ich habe das Schema für Mastfettleibige mit 
plethorischer Blutbeschaffenheit mit 160 g Eiweiss, 80 g Kohle¬ 
hydrate, 11g Fett angegeben, also rund 1100 Kalorien. Ein so ge¬ 
ringes Kalorienausmass finde ich für plethorisch Fettleibige auf 
Grundlage meiner Erfahrungen und gestützt auf die Ergebnisse mass¬ 
gebender Stoffwechseluntersuchungen, bei einer Entfettungskur ganz 
zureichend und habe davon bei richtiger Überwachung nie un¬ 
angenehme Zufälle gesehen. Nach dem von C. Voit gefundenen 
Gesetze setzt sich, je fetter ein Organismus ist, er sich mit desto 
kleineren Mengen Eiweiss ins Gleichgewicht. Man wird sich da¬ 
bei vor Augen halten, dass das notwendige Mass, welches der 
Mensch zur Aufrechterhaltung seines Körperbestandes bedarf, und 
das im Mittel bei einem Erwachsenen mit mässiger Arbeit pro Kilo 
Körpergewicht und pro Tag mit 40 Kalorien in seiner Nahrung an¬ 
genommen werden kann —- bei fettleibigen Personen ein wesent¬ 
lich geringeres ist und sich schon für gewöhnlich um ein Viertel 
und noch mehr herabmindern lässt. Wenn also ein arbeitender 
Mann von 70 Kilo Körpergewicht des Tages etwa 70x40 = 2800 Ka¬ 
lorien in der Nahrung bedarf, so hat ein hochgradig Fettleibiger 
von 90 Kilo Körpergewicht nicht 90x40 = 3600 Kalorien in der 
Nahrung notwendig, sondern es wird im allgemeinen für ihn ein 
Kalorienwert von 2500 in der Nahrung genügen und dieser Wert 
kann während einer Entfettungskur durch kurze Zeit bis auf die 
Hälfte und weniger herabgesetzt werden. 

Als Beispiel für die Ernährung solcher alimentär Fettleibigen 
führe ich auf der nächsten Seite eine von mir aufgestellte Kost¬ 
ordnung während einer Entfettungskur an. 

Die Flüssigkeitszufuhr beschränke ich bei dieser Form der 
Lipoinatosis nicht, sondern die geeigneten Getränke, alkoholhaltige 
ausgenommen, werden nach Bedürfnis gestattet, nur während der 
Mahlzeit soll wenig getrunken werden. Nur bei solchen Individuen, 
wo sich wesentliche Herzinsuffizienz geltend macht, Stauungs¬ 
erscheinungen auftreten und die Myodegeneration des Mastfettherzens 
bereits vorgeschritten ist, muss die Flüssigkeitszufuhr eingeschränkt 
und die erlaubte Menge der Getränkaufnahme durch Differenz¬ 
bestimmung über Flüssigkeitszufuhr und Harnausscheidung an¬ 
gegeben werden. In solchen Fällen erscheint ein allmähliches und 
nicht zu lange dauerndes Herabsetzen der Getränkemenge unter das 
physiologische Mass auf 1200 bis 1000 ccm pro die angezeigt; man 
wird oben nur soviel trinken lassem dürfen, als nach kurzer Zeit 
wieder aus dem Körper ausgeschieden wird. 


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17] Fettleibigkeit und Fettsucht. 131 


Kostordnung 1. 





—- 

- —.— - . 

1 

1 

1 Menge 

Gehalt 

in Grammen 

I in 
i Grain in 

Eiweiss 

Fett 

Kohle¬ 

hydrate 

Morgens: 



i 

I 


Rine Tasse Kaffee. 

150 

0,25 

0,77 1 

2,1 

oder Tee. 

150 

0,45 

— 

0,9 

Mit Milch ohne Zucker. 

30 

1,29 

0,96 

1,2 

Weissgebäck. 

50 

4,8 

0,5 1 

30,0 

Kaltes mageres Fleisch. 

1 

25 

9,6 

0,4 

— 

Mittags: 





Kleine Tasse dünner Fleischbrühe . . 

100 

u 

1,5 

5,7 

Magerer Rindsbraten. 

200 

76,4 

3,4 

— 

Gemüse. 

50 

0,8 

0,? 

4,2 

Weissgebäck. 

25 

2,4 

0,2 

15,0 

Frisches Obst. 

50 

1,5 

' 

7,5 

Leichter Weisswein. 

150 

— 


1,0 

Nachmittags: 





Eine Tasse Kaffee. 

120 

0,22 

0,62 

1,7 

oder Tee . 

120 

0,35 

— 

0,7 

Abends: 





Gebratenes Fleisch . . 

| 150 

57,3 

2,6 

— 

Weissgebäck. 

20 

2,9 , 

0,16 

12,0 

Summa 

1120 

157,66 

11,31 

80,4 


und enthält ungefähr 1100 Kalorien. 


Die Details der Kost betreffend wird diese, wie aus dem 
Erörterten ersichtlich, vorwiegend, doch nicht ausschliesslich, aus 
Fleisch bestehen und sind die mageren Fleischstücke zu bevor¬ 
zugen. Das fettreiche Schweinefleisch, mit Ausnahme der mageren 
Schinken, das Fleisch der (laus, Ente, fettes Hauchfleisch ist mög¬ 
lichst zu meiden. Das Fleisch der Fische ist, schon um Abwechslung 
in den Speisezettel zu bringen, empfehlenswert, doch darf dabei 
nicht ausser acht gelassen werden, dass der Eiweissgehalt desselben 
weit geringer ist als der des Fleisches von Säugetieren und Vögeln. 
Die sehr fettreichen Fische, wie Lachs, Bücklinge, Sprotten, Heringe» 
sind zu verbieten. Eier können massig genossen werden. Brot 
ist nur in solcher Menge» gestattet, dass die oben angegebene Ziffer 
der Kohlehydrate in der Nahrung nicht überschritten wird. Ge¬ 
röstetes Brot, Zwieback ist dein frischen Brote vorzuziehen; Kuchen 
sowie die an Fett und Kohlehydraten so reichen Mehlspeisen sind 
gänzlich von der Tafel zu bannen. 

Wflrfchnrger Abhandlungen. Rd. VIII. FI. ('». 10 


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132 


E. H. KISCH. 


[18 


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Von Gemüsen sind die an Kohlehydraten reichen Kartoffeln, 
weisse und gelbe Rühen, Bohnen und Erbsen zu streichen, Kohl¬ 
rüben, Spinat, Salat, Spargel gestattet. Die Zubereitung der Ge¬ 
müse soll nicht mit Butter, Schmalz, öl statthaben. Frisches Obst 
ist erlaubt, getrocknetes Obst, süsses Kompott, Fruchteis verboten. 

Sämtliche Käsearten sind wegen ihres bedeutenden Fettgehaltes 
nicht zu empfehlen. Gewürze nur als geringe Zutat gestattet, um 
den Appetit nicht übermässig anzuregen. 

Von Getränken sind fette Bouillon, Sahne, Schokolade und 
Kakao zu meiden. Bier, Branntwein, Likör, süsser Champagner, 
süsse Ungarweine verboten. Kaffee, Tee, leichter Weisswein und 
Rotwein erlaubt. Der Fettleibige soll in der Regel nur dreimal im 
Tage Mahlzeit halten. 

Zur genaueren Überwachung sowie aus diätetisch erziehlichen 
Gründen ist es gut und nützlich, bei der Entfettungskur dem Fett¬ 
leibigen genau die Menge der festen Speisen nach Grammgewicbl 
und der Flüssigkeit nach Kubikzentimetern vorzuschreiben oder zum 
mindesten diese Quantitätsbestimmung nach bekannten Grössen oder 
üblichen Formen, z. B. ein Zwieback, eine Mundsemmel, ein Wein¬ 
glas usw. zu geben. 

Mit der nach einem stärkeren Fettumsatz hinzielenden Kr- 
nährungsänderung der alimentär Lipomatösen muss die sysle- 
matische Übung der körperlichen Bewegung einhergehen. Diese 
ist imstande die Oxydationsvorgänge bedeutend zu steigern, so dass 
sogar eine gewisse Berechnung möglich ist, wieviel Fett durch eine be¬ 
stimmte Arbeitsleistung zur Verbrennung gelangt; anderseits ist die 
Bewegung dadurch von Nutzen, dass sie die willkürlichen Muskeln 
stärkt und kräftigt, die Muskelfibrillen vermehrt und ihrer Be¬ 
drohung durch das interstitiell wuchernde Fett besseren Widerstand 
leistet. Bis zu einem gewissen Grade lässt sich auch ein günstiger 
Einfluss der gesteigerten körperlichen Bewegung auf den Herz¬ 
muskel annehmen und zwar in dem Sinne, dass infolge derselben 
durch beschleunigte und vollständigere Atmung, lebhaftere Inner¬ 
vation, vermehrte Bildung der Erythrozyten ein günstiger Einfluss 
auf die Ernährung des Herzens zustande kommt und hiermit seine 
Leistungsfähigkeit erhöht iwird. 

Die Übung der Körperbewegung muss jedoch mit Vorsicht ge 
schehen, slels Rücksicht darauf nehmen, dass eine angemessene 
Abwechslung von Bewegung und Ruhe statt findet, ferner dass die 
Art der Bewegung unter der Leistungsfähigkeit des Individuums 
bleibe und dass nicht Dvspnöe eintrete. Durch allmähliche Steigerung 
gelingt es, selbst hochgradige Fettleibige zu ganz bedeutenden körper¬ 
lichen Leistungen heranzuziehen, von der Bewegung langsamen 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


133 


19J 


Spazierengehens in der Ebene zu kleineren Steigungen auf initiiere 
Anhöhen und endlich zum eigentlichen Bergsteigen vorzuschreiten. 

Bezüglich der Zweckmässigkeit der Sportübuugcu bei Mast¬ 
fellleibigen möchte ich folgendes angeben: Das Rudern, mit Mass 
betrieben, ist eine für solche Lipomatöse ganz entsprechende Form 
der Arbeitsleistung und Übung der gesamkyi Körpermuskulatur, ganz 
besonders der Schulter- und Armmuskeln; ebenso das Lawn- 
T e n n i s s p i e 1, während der F u s s b a 11 s p o r t für hochgradig l’ell- 
leibige nicht passt. Bei gutem Zustande des Herzens ist das 
Schwimmen anzuraten, weil dieses mit der Muskelanslrengung 
noch den günstigen Einfluss des kalten Bades auf stärkeren Fett¬ 
ansatz verbindet. Das Reiten ist für fettleibige Männer eine ganz 
[lassende, die gesamte Muskulatur übende Bewegung mit förder¬ 
licher Erschütterung der Bauch- und Beckenorgane. Das R a d - 
fahren darf nur bei genügendem Grade von Leistungsfähigkeit 
des Mastfeltherzens bei jugendlichen Individuen in mässvoller Weise 
gestattet werden (nicht unmittelbar nach einer Mahlzeit). Anämie 
und Arteriosklerose, Myodegeneration und Dilatation des Herzens, 
sowie Zeichen von Niereninsuffizienz bei Fettleibigen verbieten 
strikte das Radfahren. 

Die Massage übt oft günstigen Einfluss auf Übung der ge¬ 
schwächten Muskeln, zuweilen auch um auf massige Ablagerungen 
des Fettes im subkutanen Bindegewebe einzuwirken. Arbeit s- 
in aschin eil, wie der Ergostat, sind, da ihre Anwendung immer 
nur auf kürzere Zeit beschränkt und mit ihnen oft die Respiration 
und Zirkulation beeinträchtigende gebückte Haltung des Arbeitenden 
verknüpft ist, für Fettleibige jedenfalls minderwertiger als die bisher 
angegebenen Bewegungsformen. 

Eine weit schwierigere Aufgabe- wird dem Therapeuten bei 
der von mir unterschiedenen zweiten Form der Lipnmatose, der 
konstitutionellen Fettsucht mit der ihr zugrunde liegenden 
angeborenen oder erworbenen verminderten Zersetzungsenergie des 
Zellenprotoplasmas. Die Entziehungskur tritt hier mehr in den Hinter¬ 
grund und das kurative Verfahren muss streben, durch richtige 
Auswahl der Nahrung und Bewegung die Anreicherung von Fett 
zu verhüten, dabei aber vorzugsweise die fehlerhafte Funktion des 
Organismus durch Erhöhung der Leistungsfähigkeit mul Vilalkapa- 
zität der Zellen zu verbessern, die verminderte Zersetzungsenergie, 
des Zellenprotoplasmas zu heben, die Arbeitsfähigkeit der lebenden 
Moleküle und Energeten, der Träger der eigentlichen inneren geweb¬ 
lichen Funktion (0, Rosenbach) zu erhöhen. 

Ernährungstherapie, hygienisches Verfahren und medikamen¬ 
töser Eingriff vermögen doch auch hier manches Erspriessliche zu 
leisten und den durch das Grundleiden mul seine komplizierenden 

10 * 


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131 


E. H. KISCH, 


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PO 


Symptome gegebenen Indikationen zu entsprechen. Am wenigsten 
allerdings bei der hereditären juvenilen Degenerations- 
lipomatose mit der ihr eigentümlichen geringen Widerstandsfähig¬ 
keit, mehr schon bei den konstitutionell Lipomatösen auf syphi¬ 
litischer, c h 1 o r o t i s c h e r , skrop h ulöser und a 1 k o hol¬ 
toxischer Grundlage. 

Durch die diesen Grundleiden entsprechende s p e z i f i sc he 
Medikation bestreben wir uns einerseits die Assimilationsfunktkmen 
im allgemeinen zu bessern, während wir durch Regelung der Er¬ 
nährung die Dekomposition des aufgespeicherten Fettes zu steigern 
suchen. Die Ernährung muss hier an dem Grundprinzipe festhallen, 
fettbildendes Material möglichst einzuschränken, hingegen Eiweiss 
in völlig ausreichendem Masse zu bieten und jede Schwächung des 
Organismus sorgfältig zu meiden. 

Möglichst vorwiegend werden hierfür s o 1 c h e F 1 e i s c h a r t e n 
zu wählen sein* welche grossen Eiweissgehalt mit wenig Fettgehalt 
verbinden, also die Blutbildung fördern, die Muskelkraft steigern 
ohne gleichzeitig eine Zunahme des Körperfettes zu bewerkstelligen, 
und dabei wird der abwechslungsreichen Beimengung von Fischen, 
Gemüsen, auch Kartoffeln und leichten Mehlspeisen ein breiterer 
Raum zugestanden werden. Als Fleischsorten sind für den Küchen¬ 
zettel hier besonders zu empfehlen: Braten von Rindfleisch und 
Kalbfleisch, Schinken, Braten von Hirsch, Reh, Hase, Feldhuhn, 
Birkhuhn, Krammetsvogel, Haselhuhn, Schneehuhn, Fasan, Huhn, 
Taube, Truthuhn es eignen sich ferner für diese Tafel Austern. 
Spargel, Blumenkohl, Spinat. Als Mittel der Gesamtmenge der Nähr¬ 
stoffe, welche in 24 Stunden zugeführt werden sollen, möchte ich 
bei der mit Anämie vergesellschafteten konstitutionellen Form der 
Lipomatose 200 g Eiweiss, 100 g Kohlehydrate und 12 g Fett an- 
geben, rund etwa 1300 Kalorien. 

Als Beispiel einer solchen Kostordnung sei die Tabelle auf 
der nächsten Seite angeführt. 

Bei dieser Fettsuchtsgruppe lassen häufiger Erscheinungen be¬ 
deutender Stauung im Gefässsysteme oder hydraulischer Blut¬ 
beschaffenheit eine mehr minder eingreifende Einschränkung der 
Wasserzufuhr ratsam erscheinen. Jedenfalls ist die Menge des 
gebotenen Wassers nach der Richtung zu überwachen, dass man nur 
soviel trinken lässt, als nach kurzer Zeit wieder aus lern Körper 
durch den llarn ausgeschieden wird; so wird jeder schädigende 
Einfluss auf die Zusammensetzung des Blutes, das ist auf den Wasser¬ 
reichtum desselben gemieden. 

Und auch das Ausmuss wie die Wahl der Körper b e w e g u n g 
wird sieh anders als bei der alimentären Lipomatose gestalten 
müssen, der geringeren Leistungsfähigkeit der leicht ermüdenden, 


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Fettleibigkeit und Fettsucht 


21 ] 


135 

Kostortlnung II. 

; Menge Gehalt an 

„ . „ Kohle- 

, Ur»n.m *•■»«» * ett hydraten 


Morgen»: 


Beefsteak . 

. . . . | 

100 

3$, 2 

1,7 

— 

Eine Tasse Tee . 

150 

0,45 

— 

0.9 

Weissgebäck . 

. . . . ,i 

ii 

ii 

,1 

30 

2,0 

0,2 

18,0 

M i tt ags: 

Fleischbrühsuppe .... 

100 

1.1 

1,5 

5,7 

Braten. 

.... | 

200 

76,4 

3,4 

— 

Gemüse . 

.... |i 

50 

0,8 

0.2 

4,2 

Weissbrod . 

.... fl 

50 

4,8 

0,4 

30,0 

Leichter Wein . 

.... i| 

150 

— 

— 

1,0 

Nachmittags: 
Eine Tasse Kaffee .... 

i 

f 

120 

0,2 

0,67 

1,7 

Weissgebäck . 

j 

1 

25 

2,4 

0,2 

15,0 

A bc u ds: 

Braten . 

j 

200 

46,4 

3.4 


Gemüse . 

.... ! 

25 

0,4 

0,1 

2,1 

Wein . 

. . • . i 

150 

— 

-- 

1,0 

Weissgebäck . 

. . . . 1 

30 

2,9 

0,2 

18,0 


Summa ; 

j 1380 

206,97 

11,92 

97,6 


und enthält ungefähr 1300 Kalorien. 

widerstandsunkräftigen Individuen sich sorgsam anzupassen haben. 
Anstrengende Bewegungsarten können hier, wo der Organismus über¬ 
haupt schon an Zirkulationseiweiss sehr verarmt ist, wenn das Merz 
durch Myodegeneration bedeutend geschwächt ist, mehr Schadei; 
stiften, als Nutzen bringen. Das Spazierengehen darf daun nur vor¬ 
wiegend in der Ebene stattfinden und auf kleinere Anhöhen sich 
erstrecken, aktive Gymnastik ist besser zu unterlassen oder auf 
leichte im Sitzen oder Stehen vorzunehmende Übungen zu be¬ 
schränken. Zuweilen ist nur vorsichtige Massage anzuwenden, um 
durch schonende mechanische Eingriffe des Druckes und der Reibung 
einen förderlichen Einfluss auf Übung der Muskeln, wie auf Be¬ 
schleunigung des Blutkreislaufes und Lymphstromes zuwege zu 
bringen. 

Ein beachtenswertes und sich stets steigernder Beliebtheit er¬ 
freuendes Hilfsmittel für die allmähliche und dauernde Entfettung 
lipomatöser Individuen im allgemeinen ist in dem systematischen 


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m E. H. KISCH, |£> 

Gebrauche der Trinkkur mit den verschiedenen Mi¬ 
neralwässern sowie in der Anwendung einer Reihe von Mi¬ 
ne r a 1 h ä d e r n. 

Wenn auch' Hie neueren Stoffwechseluntersuchungen keinen 
strikten Beweis für den fördernden Einfluss der Mineralwässer auf 
Steigerung des Stoffumsatzes zu erbringen vermochten, so hat doch 
die durch Erfahrung und gewisse Versuchsreihen gestützte ältere 
Annahme immer noch viel für sich, dass manche Mineralwässer, in 
erster Linie die Glaubersalzwässer, durch Erhöhung des 
Stoffwechsels unter Steigerung von Kohlensäureabgabe direkt auf 
stärkeren Fettverbrauch einzuwirken vermögen. Aber selbst diese 
Annahme ausgeschaltet, ist es doch sicher, dass die durch jene Wässer 
erzielte reichliche Absonderung des Harnes und stärkeren breiigen 
oder flüssigen Stuhlentleerungen den Effekt haben, eine geringen* 
Ausnützung des Nährmateriales herbeizuführen und grössere Alt¬ 
lagerung von Fett zu verhüten. Und nicht nur Behinderung des 
Fettansatzes, sondern auch eine Mehrzersetzung des Körperfelles 
findet, wie physiologische Untersuchungen und praktische Ergeb¬ 
nisse erweisen, gerade durch die abführende Wirkung dieser alka- 
lisch-salinischen Mineralwässer statt. 

Dieser durch die Glaubersalzwässer herbeigeführte gesteigerte 
Fettverbrauch kann sich unter sorglicher Leitung des Brunnenarztes 
in der Weise vollziehen, dass ein bedeutender Verlust von Körperfeit 
und an Körpergewicht bei positiver Stickstoffbilanz, bei Behauptung 
des Eiweissbestandes, also ohne Einbusse an Körpereiweiss erzielt 
wird. In der systematischen Dynamoinelrie habe ich einen Weg 
gezeigt, den man in dieser Richtung zur Wahrung des Kräftezustandes 
betreten soll. Das Dynamometer vermag die motorische Kraft einer 
wohl charakterisierten Gruppe von Muskeln zu bestimmen und ge¬ 
stattet dadurch überhaupt auf die Muskelleistungsfähigkeit des In¬ 
dividuums einen Schluss zu ziehen. Zeigt das Dynamometer während 
des Gebrauches einer solchen Brunnenkur — wie überhaupt jeder 
entfettenden Methode — eine Herabminderung der Muskelkraft an, 
so ist dies ein höchst wichtiges Zeichen, dass die Entfettung zu 
drastisch vorgenommen wird, dass nicht nur das überschüssige Fell, 
sondern auch das Muskelfleisch angegriffen wird. Eine Zunahme 
der Druckkraft mittelst des Dynamometers nachweisbar, wird hin¬ 
gegen als ein günstiges Symptom angesprochen werden müssen. 
An den Beobachtungen mittelst S p hy g m og r aphen und an der 
Blutdruckmessung hat man weitere beachtenswerte Anhalts¬ 
punkte, um den Ernährungszustand des Herzmuskels, sowie seine 
Leistungsfähigkeit während einer Kur zu beurteilen. 

Selbstredend müssen bei solchem Kurgebrauche vom Arzte 
mindestens einmal täglich (der Patient im nackten Zustande) syste- 


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Fettleibigkeit und Fettsucht. 


137 


23] , 


matische Körperwägungen vorgenommen werden, am besten des 
Morgens, wenn der Fettleibige noch nüchtern ist und die Blase ent¬ 
leert hat. Aus den so gewonnenen Tabellen lässt sich der Gang der 
Gewichtsabnahme bei einer Entfettungskur darstellen. 

Aus einer Reihe derartiger Beobachtungen habe ich entnommen, 
dass die Körpergewichtsabnahme bei einer solchen Entfettungskur 
(in M a r i e n b a d nach meiner Methode) in der Regel in den ersten 
3—4 Tagen am grössten, ja zumeist überraschend gross ist. Bei 
hochgradig alimentär Fettleibigen mit einem Körpergewicht von über 
100 Kilogramm 1 1 / 2 , 2 bis 2 1 / 2 Kilo in diesen Tagen des Kurbeginnes. 
Dann findet täglich ein geringerer, ziemlich gleichmässiger Gewichts¬ 
verlust von etwa 20 bis 50 dkg täglich statt. Im Kurverlaufe kommt 
es nicht selten durch einige Tage zu einem Stillstände der Abnahme 
oder gar einem leichten Anstiege des Körpergewichtes. Als Gesamt¬ 
resultat zahlreicher solcher Beobachtungsfälle ergibt sich, dass die 
Mastfettleibigen mit plethorischer Blutbeschaffenheit während einer 
vier- bis sechswöchentlichen Entfettungskur (in Marienbad) im Durch¬ 
schnitte eine etwa 6,5 °/ 0 ihres Körpergewichtes betragende Abnahme 
erzielten. Der geringste Gewichtsverlust betrug 2,7 °/ 0 , der grösste 
Verlust 13,2 °/ 0 des Körpergewichtes. 

Was die Körperlokalitäten betrifft, in denen das über¬ 
mässig . reichlich aufgespeicherte Fett abnimmt, so schwindet nach 
meinen Beobachtungen und Messungen zuerst das Fett am Panni- 
culus adiposus der Brüste und am Nacken; die weiblichen Brüste 
werden schlaffer, ihr Umfang nimmt al), die Fettwulst am Nacken 
verliert ihre Prallheit. Nachher erfährt das am Kinn und im Ge¬ 
sicht abgelagerte Fett, sowie das Fettgewebe an den Schenkeln 
und Armen eine sichtbare Abnahme; erst später ist ein Schwinden 
der Fettpolster am Gesäss und am spätesten in den Bauchdecken 
nachweisbar. 

Dass eine strengere Entfettungskur in den, Kurorten 
besser vertragen wird, liegt in mehreren günstigen Begleit¬ 
umständen: In der Kräftigung der Herztätigkeit durch gewisse, noch 
weiters zu besprechende Mineralbäder, in der Anregung des ge¬ 
samten Nervensystems durch Veränderung des Aufenthaltes und die 
neuen Eindrücke, dann in der Förderung des Eiweissansatzes durch 
das systematische Spazieren und Steigen in freier Luft. Bezüglich 
des letzten Momentes könnte man meinen, dass das Entgegengesetzte 
eintritt, wenn die Muskelarbeit, welche den Stoffumsatz erheblich 
steigert, sich noch zur purgierenden Wirkung der Glaubersalzwässer 
und zur Entziehungsdiät hinzugesellt. Allein von Noorden hebt 
mit Recht hervor, dass der Grund dieses paradoxen Verhaltens „so¬ 
wohl auf somatischem wie auf psychischem Gebiete liegt; die Muskel- 


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138 


E. H. KISCH, 


[24 


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arboit fördert bei den Fettleibigen sowohl den Eiweissansatz (Muskel¬ 
neubildung) wie das Kraftgefühl/ 4 

Die Bevorzugung der Glaubersalzwässer und zwar speziell der 
kalten Quellen dieser Gruppe für die Balneotherapie der eigentlichen 
Mastfettleibigkeit ist eine berechtigte, vorausgesetzt, dass diese noch 
nicht wesentlich kompliziert ist und einen iin allgemeinen noch 
guten Zustand der Herzfunktion aufweist. Die Erfolge werden um 
so grösser und nachhaltiger sein, wenn der diätetisch-erziehliche 
Einfluss einer solchen rationell geleiteten Brunnenkur sich auch 
auf die weitere Lebensführung durch geraume Zeit erstreckt. 

Bei den konstitutionell Lipomatösen stehen in erster Linie 
die eisenhaltigen Brunnen zur Verwertung zu Trinkkuren: die 
eisenreichen alkalischen Quellen und reinen kohlensauren Eisen¬ 
wässer mit ihrem unleugbaren Einflüsse auf Erythrozytenbildung 
und Erhöhung des Hämoglobingehaltes, welche hei den anämischen, 
chlorotischen, pastösen und hydraulischen Fettleibigen indiziert er¬ 
scheinen und auf funktionelle Schwäche der blutbereitenden Organe • 
wie auf die Schlaffheit der Gewebe oft günstig einwirken. Dann 
sind es die alkalischen Quellen und (ilaubersalzwässer, welche 
die Anomalien der Verdauung verbessern, den Darm milde anregen 
und solchermassen die Herstellung richtiger Assimilations- und Re¬ 
sorptionsverhältnisse, sowie Regulierung der abnormen Gewebstätig- 
keit beeinflussen. Weiters die alkaliseh-murialischen Säuerlinge und 
Kochsalzwässer, wo es sich darum handelt, die eine stärken' 
Fettbildung fördernde torpide Skrophulose, die damit verbundene) 
Schwäche des lymphatischen Apparates und allgemeinen trophischen 
Störungen zu bekämpfen. Endlich kommen die Jod - und Schwe¬ 
felwässer in Betracht mit ihren durch den Einfluss dieser Mi¬ 
neralwässer und der ausgebildeten Methodik auf gesteigerten Um¬ 
satz erworbenen Indikationen bei Syphilis und deren Folgezuständen. 

Zur Unterstützung der Trinkkur mit Mineralwässern dienen 
für den Zweck der Entfettung heisse Mineralbäder und kohlensäure¬ 
reiche Bäder. 

Die heissen Bäder (von 40 45° C) befördern die Wärme¬ 

abgabe durch die Haut und wirken hierdurch auf den Fettverbrauch 
steigernd ein. Es ist dies um so wichtiger, als im allgemeinen btu 
fettleibigen Personen die Wärmeabgabe durch die Haut aus mehreren 
Gründen verringert ist; vorerst weil die Körperoberfläche im Ver¬ 
hältnisse zum Körperinnern hei den Lipomatösen kleiner ist als 
bei schlanken, mageren Personen; dann weil die massige subkutane 
Fettschicht als schlechter Wärmeleiter die Wärmeabgabe einschränkt. 

Die heissen Bäder bewirken jedoch wesentlich die Gewichtsabnahme 
durch den Wasserverlust des Körpers, welchen sie herbeiführen. 

Es isl dies besonders dann der Fall, wenn die heissen Bäder infolge 


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25] Fettleibigkeit und Fettsucht. 130 

von nachhaltiger Erwärmung des Körpers nach dem Bade, durch Be¬ 
wegungen oder Einwickelungen zum Schwitzen Anlass geben, oder 
wenn diese schweisserregende Prozedur durch Einwirkung einer mit. 
Wasserdampf gesättigten oder übersättigten Luft (russisches 
Dampfbad) oder trocken - heisser Luft (irisch-römisches 
Bad) hervorgebracht wird. Der Schweissverlust kann, wie ich wieder¬ 
holt konstatierte, im halbstündigen Dampfbade 500 bis 800 Gramm 
und mehr betragen und durch Bettwärme nach dem Bade auf das 
Vierfache gesteigert werden. 

Bei der bedeutenden Steigerung der Körpertemperatur, welche 
die schweissproduzierenden Badeformen verursachen, bei der grossen 
Vermehrung der Pulsfrequenz und Erhöhung der Zahl der Atem¬ 
züge, welche sie bewirken, vor allem aber bei dem überaus raschen 
und mächtigen Anstiege des Blutdruckes, welchen sie hervor bringen, 
dürfen solche Bäder nur jenen Fettleibigen gestattet werden, deren 
Herzmuskel noch vollkommen intakt ist und deren Ar¬ 
terien sichnichtsklerosiert erweisen. Im Gegenfalle können 
sehr unangenehme Erscheinungen, ja sogar plötzlicher Exitus ein- 
treten. 

Ausser allgemeinen heissen Wasserbädern können auch solche 
lokale Applikationen für einzelne Körperteile gebraucht werden, 
welche den Vorteil haben, dass sie mehrere Male des Tages ab¬ 
wechslungsweise auf verschiedene Körperteile angewendet werden 
können und dadurch der träge Stoffwechsel der Fettleibigen eine 
häufigere energische Anregung erhält, dann dass bei diesen je¬ 
weiligen kleineren Lokalbädern weit höhere Temperaturen zur Ver¬ 
wendung kommen als auf der ganzen Körperoberfläche. Man lässt 
sehr heisse Fussbäder, möglichst hoch über die Kniee reichend, 
heisse Armbäder, bei denen Hände und Arme bis über die Ellen¬ 
bogen in heissem Wasser stecken, sowie heisse Sitzbäder nehmen 
und gibt heisse feuchte Umschläge, sowie heiss durchtränkte 
Schwämme auf Körperstellen, wo ein Bad nicht leicht zu appli¬ 
zieren ist (Schweninger’s Methode). 

Besondere Beachtung verdienen die in vielen Kurorten zur 
Verfügung stehenden kohlensäure reichen Mineral bäder, 
deren Wirkung auf die Herztätigkeit und Blutzirkulation mit Rück¬ 
sicht auf das in seiner Funktion mehr minder geschwächte Herz 
der Fettleibigen von grosser Bedeutung ist. Das kohlensaure Bad 
bewirkt, und zwar auch ohne hohen thermischen Reiz, eine so¬ 
fortige und nachhaltige Fluxion zur Haut, erweitert die peripheren 
Gefässe, verengt die inneren Gefässe, steigert den Blutdruck, ver¬ 
langsamt den Puls, gestaltet diesen voller und kräftiger, erhöht das 
Volumen jeder einzelnen Herzsystole, stärkt den Herzmuskel und 
erleichtert die Herzarbeit. Diese Eigenschaften des kohlensäure- 


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£. H. KISCH, Fettleibigkeit und Fettsucht. 


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haltigen Bades werden bei Entfettungskuren mit grossem Vorteile 
für das Mastfettherz wie für das fettig degenerierte Herz verwertet, 
und in der Auswahl der verschiedenen Stärken des Kohlensäure¬ 
gehaltes des Bades neben der Anwendung verschiedener Temperatur¬ 
grade des Mineralwassers und der verschiedenen Badeformen (Wellen¬ 
bad, Sturzbad, Sprudelbad) ist ein Mittel, gegeben, die Energie 
der Herzmuskulatur zu erhöhen. 

Nicht so mächtig wirksam wie die Kohlensäurebäder, aber 
immerhin mit Nutzen können auch salzhaltige Mineral¬ 
bäder, Moorbäder, Seebäder und hydriatische Pro¬ 
zeduren in Anwendung gezogen werden, um energischere Haut¬ 
reizungen zu erzielen und reflektorisch die die Herzbewegung re¬ 
gulierenden Zentren anzuregen. Durch die individualisierende An¬ 
wendung von Bädern verschiedener Art vermögen wir jedenfalls 
bei der alimentären wie bei der konstitutionellen Lipomatose einer¬ 
seits die Dekomposition des aufgespeicherten Fettes zu steigern und 
anderseits die Assimilationsfunktionen im allgemeinen zu bessern, 
indem wir, wie Strasser sich ausdrückt, „den Organismus zur 
grösseren Wärmeproduktion zwingen und gleichzeitig den Elementar¬ 
organismen den Tonus verleihen, diese erhöhte Arbeitsleistung voll¬ 
bringen zu können“. Jedenfalls steht Ebstein mit seiner Be¬ 
hauptung, dass Brunnen- und Badekuren „bei der Fettleibigkeit zu 
verwerfen sind“, ganz gewiss vereinzelt und im Gegensätze zu einer 
tausendfältigen Erfahrung da. 

Auch klimatische Kuren können durch Verwertung der 
Einflüsse des klimatischen Faktors, besonders der Höhenlage, 
auf eine gewisse Steigerung der Oxydationsprozesse speziell des 
Fettes, sowie auf Modifikation der Blutzirkulation und Atmung wie 
der Beschaffenheit der blutbildenden Organe unterstützend bei der 
Therapie der Lipomatose zur Anwendung kommen. 

Die verschiedenen Komplikationen der Fettleibigkeit, die dvs- 
peptischen Störungen, Gicht und Diabetes, Erscheinungen schwerer 
Herzinsuffizienz, erfordern medikamentöse Eingriffe nach all¬ 
gemein therapeutischen Grundsätzen. Hingegen ist bei allen „spezi¬ 
fischen Medikamenten“ gegen Fettsucht, auch den diesbezüglichen 
Organextrakten (besonders Schilddrüsenextrakt) ein gewisses Miss¬ 
trauen gerechtfertigt. Sie vereinen zumeist mit dem fettzersetzendeu 
einen noch wesentlicheren ei weis s z er s tö re n d en Effekt und 
sind dann entschieden verwerflich. 


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CURT KABITZSCH (A. Stuber’s Verlag) WÜRZBURG. 


Die Arzneimittel der heutigen Medizin 

mit therapeutischen Notizen zusammengestellt 

für 

praktische Ärzte und Studierende der Medizin. 

Zehnte Auflage. 

Bearbeitet von Dr. Otto Dornblüth. 

(Die ersten 7 Auflagen waren von Dr. O. Roth bezw. Med.-Rat Dr. Gr. Schmitt bearbeitet.) 

Solid gebunden. Preis M. 7,60. (Taschenformat.) 

„Dornblüth, Arzneimittel" ist kein blosses Rezepttaschenbnch, sondern eine kurzgefasste Arzneimittellehre mit Rezept¬ 
formeln und einem therapeutischen Teil. Für die Bedürfnisse der Praxis reicht es vollkommen aus und erspart daher 
die Anschaffung teurer und trotzdem schnell veraltender Werke. Die neue 10. Auflage ist gründlich umgearbeitet, um 
ca. 100 Seiten vermehrt , berücksichtigt die neue Reichsarzneitaxe und erbringt also den Beweis , dass das Buch der 
modernen Entwickelung der Arzneimittellehre auf dem Fasse folgt. 


iBrznefasste Arzneimittellehre, für Studiere ^ s geb on M D 4.-: 

Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art 

von Dr. J. Borntraeger, 

Regierungs- und Mcdizinalrat. 

Vierte Auflage. — Perforierter Block in Brieftaschenformat — Preis Mk. 2 .—. 

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ta mehreren Exemplsren vertretenen Vorschriften ist so gedscht, dass der Arzt den Patienten dieselben sofort in gedruckter 
Form überreichen kann. 


Diätetisches Kochbuch 

von Dr. Otto Dornblüth. 

Zweite wesentlich verbesserte und vermehrte Auflage. 

Preis gebd. Mk. 5.40. 

Belehrungen über Zusammensetzung, Verdaulichkeit und Nährwert unserer Nahrungs- und Genussmittel, über 
zweckmässige Ernährung von Gesunden und Kranken etc., ausserdem 310 Kochrezepte und 60 Speisezettel enthaltend, 
bildet das Bach ein Vademecnm für diejenigen, welche aus prophylaktischen oder therapeutischen 
Grinden ihrer Ernährung eine besondere Aufmerksamkeit widmen müssen . Dem Buche stehen in 
dieser Hinsicht die grossartigsten ärztlichen Empfehlungen zur Seite. 


Anleitung zur Diagnostik 

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Magen-, Darm- und Konstitutions- Krankheiten. 

Ein Leitfaden für Studierende und Arzte. 

von Dr. Gaston Graul, 

ehemaliger Assistent des Herrn Geh.-Rates v. Leube, 

Besitzer und Leiter eines Sanatoriums für Verdsuungs- und Stoffwechselkrankheiten in Bad Neuenahr. 

Mit 1 Tafel und 4 Abbildungen im Text 
Preis broschiert JS. 4.50, gebunden H. 5.—. 


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afeabe, die wesentlichen diagnostischen Momente darzustelien. Von den verschiedenen Untfrsucbungstpetboden sind 
er diejenigen angeführt, die in der Praxis ohne Schwierigkeit ausführbar sind. Das Buch sucht auf relativ knappem 
aum die wichtigsten Direktiven zu einer exakten Diagnose zu geben. Die beiden früher erschienenen Telle*) wie such 
er neue Band haben eine geradezu glanzende Beurteilung erfahren. 


1 Einführung in das Wesen der Magens Darm- und Konstitntlons- 

Krankheiten unc * * n Grundsätze ihrer Behandlung. Von Dr. Gaston Graul. 
M^mmmsnBHHnsni Bl*OSCh. M. 1.50, geb. M. 2.-- 

lie Therapie der Magens Darm- and Kopstitntions-Krankheiten. 

Ein Leitfaden für Studierende und Ärzte. Von Dr. G. Graul. 

Brosch. M. 3.60, geb. M. 4.50. 


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CURT KABITZSCH (A. Stuber’s Verlag), WÜRZBURG. 


Die nachstehenden Schriften von Spezialarzt Dr. Orlowski - Berlin sind in 
der Fachpresse ausgezeichnet beurteilt worden: 

Die Behandlung der Gonorrhoe des Mannes. 

Für Ärzte und Studierende dargestellt von Spezialarzt 

Dr. Orlowski. 

Mit 22 Abbildungen. Preis Mk. 2.50. 

,,A//g. Wiener meä. Zeitung* 1 : Dr. Orlowski hst in dem vorliegenden Werkehen ein ausgez. Buch geschaffen. 
Ärzte und Studierende können viel daraus lernen. 

„ Württ . ärztl. Korrespondent bla ti** : Tatsächlich gab es bisher eine unübersehbare Menge von zerstreuten Ak- 
handlungen, aber kein Werk, das dem Praktiker die Therapie allein in gedrängter Kürze, aber mit den Grundlagen itar 
Ausübung darstellt. 


Die Impotenz des Mannes 

für Ärzte dargestellt von 
Spezialarzt Dr. Orlowski. 

Preis Mk. 1.80. 


„Dem klinischen Studium dieeer ernst zu nehmenden Angelegenheit stehen unüberwindliche Schwierigkeiten es- 
gegen, der Arzt ist daher darauf angewiesen, seine etnschI. leigen Kenntnisse aus Büchern zu erlangen. Da* voratehad? 
Werkelten enthält in dieeer Beziehung eine Fülle von Winken uaw. „ Prager med. Wochenschrift 11 . 

Ist der Inhalt der anregend geschriebenen Betrachtungen mehr für den Urologen vom Fach berechnet, «o wirf 
dessen ungeachtet auch der Praktiker, ebenso der Nervenarzt die Darstellung nicht ohne Gewinn aus der Hand leg* 

„Korresp.-Blatt der ärztl. Vereine Sachsens'*. 


Die Schönheitspflege. 

Für Ärzte und gebildete Laien 
von Dr. Orlowski, Spezialarzt in Berlin. 

Preis brosch. M. 1.80. 

I. Hautpflege. II. Hautabsonderungen. III. Einzelne Schönheitsfehler und die rote Nase. IV. H&- 
pflege. V. Formen- und Teintpflege. VI. Hand- und Fusspflege. VII. Mundpflege. VIII. Über $£’*- 
heitsmassage. IX. Schönheitspflege während Schwangerschaft und Wochenbett. X. über Schönte 

mittel. XI. Gemeinplätze. 

Enthält eine Fülle wertvoller Ratschläge und Anweisungen. „ /.entralbl. f. in». Med.** 

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letzteren, da es den Gesamtniederschlag der ganzen modernen Gesundheitspflege und aller dermotherapenti*chen Bebacd- 
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der Arzt© innerhalb ihrer Klientel. 

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und Beruhigung für den von mannigfachen Sorgen f* 
quälten Patienten und kann zur Entlastung sein« Arzte 
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Die Geschlechtsschwäche. 


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Kurz und verständlich, wird namentlich immer vor falscher Furcht und vor pfmc beriech er Behandlung gr"*^ 
Der Zweck, Aufklärung Uber das Erreichbare in Laienkreisen zu sehaffen wird wohl erreicht. 

,,.l fedfz. Klinik**. 


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Die Talma’sche Operation. 

# Yon 

Dr. H. Ladenberger» 

Spezialarzt für Chirurgie in Mannheim. 


Die Talma-Drummond - Morison 'sehe Operation richtet 
sich nicht gegen eine bestimmte Krankheit, sondern gegen Sym¬ 
ptome, die bei verschiedenen Krankheiten Vorkommen, den Aszites 
und die Blutungen aus dem Magendarmkanal infolge von Stauung 
im Pfortaderkreislauf. Es ist wichtig auf diese Beschränkung aus¬ 
drücklich hinzuweisen, um Anzeigen und Gegenanzeigen bestimmt 
fostzustellen und nicht Erwartungen zu wecken, die weder erfüllt 
werden können noch sollen. Talma, der das Verdienst hat, zu¬ 
erst ein operatives Vorgehen bei diesen Symptomen empfohlen zu 
haben, hat in weiser Beschränkung seiner grundlegenden Arbeit den 
Titel „Chirurgische Eröffnung neuer Seitenbahnen für das Blut der 
Vena Portae“ gegeben. Und als er sechs Jahre später die Erfahrungen 
zusammenfasste, sagte er: „Man darf für erwiesen halten, dass die 
Omentopexie öfters eine Hauptbeschwerde der Leberzirrhose, den 
Aszites ohne Nachteile beseitigt. So oft verschwindet dieses Sym¬ 
ptom in kürzerer oder längerer Zeit nach der Operation vollkommen 
und bekamen die Kranken ihre frühere Arbeitskraft wieder, dass 
nur eine zu weit getriebene Skepsis den Kausalverband bezweifeln, 
kann.“ In derselben Arbeit erörtert er auch die Frage, ob die Ab¬ 
leitung des Blutes aus der Vena Portae die Leberzirrhose günstig 
beeinflussen kann und kommt zu dem Resultat, dass die Öffnung 
der Seitenwege für das Blut der Vena Portae keinen heilenden Ein¬ 
fluss auf die Krankheit selbst ausübt. Jedenfalls müssen wir für 
die Praxis daran festhalten, dass nur Aszites und Blutung bei der 
Pfortaderstauung, nicht aber die dieser Stauung zugrunde liegenden 
Krankheiten die Operation indizieren. 

Klinische und pathologisch-anatomische Erfahrungen haben in 
Talma und gleichzeitig unabhängig von ihm in Druiamomd und' 

Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 7. 11 


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H. LADENBERGEE, 


(2 


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Morison den Gedanken entstehen lassen, durch einen operativen 
Eingriff die Stauung im Gebiet der Pfortader und damit den Aszites 
und die Gefahr der Blutung aus erweiterten Ösophagusvenen zu 
beseitigen. Die von ihnen angegebene Operation besteht in der An¬ 
heftung des Netzes an die vordere Bauchwand event. kombiniert mit 
der Annähung der Milz, Leber und Gallenblase. Dadurch wird das 
Blut der gestauten Pfortader an der Anheftungsstelle des Netzes 
bezw. der übrigen Eingeweide durch sich entwickelnde äusserlich 
sichtbare Gefässe direkt in die obere und untere Hohlvene geleitet. 
Es wird also ein grösserer oder geringerer Teil des Pfortaderblutes 
unter Umgehung der Leber direkt in den allgemeinen Kreislauf ge¬ 
leitet. Da nun die Leber wichtige Funktionen im Stoffwechsel — 
ich erinnere nur an die Bildung des Harnstoffs, der Ätherschwefel¬ 
säuren, an die Umwandlung der Kohlehydrate und die Entfernung 
von Giften — hat, so erhebt sich die Frage, ob diese Ausschaltung 
ohne Nachteile für den Organismus möglich ist. Diese Frage wurde 
an Tieren mit Eck'scher Fistel, durch welche die Pfortader mit 
der Vena cava inferior in Anastomose gesetzt wird, studiert. Bei 
ihnen strömt das Pfortaderblut direkt in die Hohlvene, die Leber 
ist also funktionell ausgeschaltet, ihre Zellen veröden. N e n c k i und 
Pawlow und ihre Schüler Salaskin und.Zaleski sahen die 
Tiere unter Erscheinungen zugrunde gehen, welche auf die Wirkung 
von Karbaminsäure zurückzuführen sind. Besonders traten diese 
Erscheinungen bei eiweissreicher Nahrung auf. Dagegen konnten 
Bielka, v. Karltreu und Queirolo bei-Hunden, bei denen die 
Pfortader mit der unteren Hohlvene vereinigt worden war, keine 
Vergiftungserscheinungen wahmehmen, auch wenn sie Eiweisskost 
gaben. Montprofit führt einen Fall von Vida 1 an, der bei einem 
Menschen wegen Unmöglichkeit der Omentopexie eine Eck’sche 
Fistel anlegte. Der Patient ging erst vier Monate nach der Operation 
an foudroyanter Pyämie zugrunde. Dies ist der einzige Fall, wo bei 
einem Menschen die Eck’ sehe Fistel angelegt wurde. 

Wenn auch die Akten über diese Frage noch nicht geschlossen 
sind, kann man doch sicher so viel sagen, dass es dem Organismus 
nicht schadet, wenn ein Teil des Pfortaderblutes von der Leber ab- 
und in den allgemeinen Blutkreislauf geleitet wird. Und nur um 
eine Ableitung eines Teils des Pfortaderblutes handelt es sich bei 
der uns interessierenden Operation, nicht wie bei der Eck'sehen 
Fistel um eine vollständige Umgehung der Leber. So viel Blut als 
der Grad der Erkrankung durch die Leber fliessen lässt, Giesst nach 
wie vor der Operation durch. Dazu kommt noch, dass bei jeder 
Art von Pfortaderstauung durch spontane Ausbildung von Kollateralen 
dasselbe geschieht, was die Talma'sehe Operation künstlich er¬ 
reichen will. 


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Die Tahna’eehe Operation. 


Die kleine Skizze zeigt die Anastomosen der Pfortader mit 
der oberen und unteren Hohlvene. Neuerdings wird noch auf ein 
Viertes Kollateralsystem, das retroperitoneal hinter Pankreas, Duo¬ 
denum und Colon transversum verläuft, aufmerksam gemacht, das 
Retzius’sche Venensystem. In welch vollkommener Weise diese 
Anastomosenbildung wirken kann, zeigt ein Fall von Umher, wo 






1 V. CAV/A SüP. 

«V. AZYGOS 
3 V. ÖSOPhRGEA '»NF. 

♦ V. LPlGASTRjC/\ 5UP. 
9 V. LPlGASTRlCA INF. 

6 CAPUT MLDUSAL 

7 t-£.BLR 
6 V. PORTAL 


9 V.GASTRlCA SUP. 

10 V. ÜtMAÜS 
n niLZ 

UV. MESARA1.CA SUP. 

Ijv MESAAAICA.1NF- 
17 V CfrVA INF . 

IS V HÄfAORRHOlDAUS SUP. 
I« V MAnoRRnOIDALlS MLDIA 


17 VLNAL HYPOOASTAICAt 

Die vom Gebiet der Vena oava sup. u. inf. gehörenden Gefässe sind aasgezogen, die 
zur Vena portae gehörenden gestrichelt. 

nach Ansicht v. Recklinghausen’s während eines -17jährigen 
Lebens die Symptome einer vollständigen Thrombose der Pfortader 
und der Milzvene durch Anastomosenbildung ausgeglichen wurden. 
•Westenhöffer gibt einen Beitrag zum anormalen Kollateralkreis- 
iauf des Pfortadersystems bei Leberzirrhose. Ein 39 jähriger Arbeiter 
mit hypertrophischer Leberzirrhose und allgemeinem Ikterus stirbt 
an croupöeer Pneumonie. Bei der Sektion ist das Bauchfell zart 
und glänzend, keine Spur von Aszites. Als Ursache findet sich 
1. eine Verwachsung des Netzes im Grunde einer linksseitigen In- 

11 * 


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m 


H. LADENBERGER, 


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guinalhemie, wodurch ein Teil des Pfortaderblutes durch die stark 
erweiterten und geschlängelten Skrotalvenen und die Vv. pudendae 
ext. nach der V. femoralis abgeführt wurde; 2. bestand eine Kom¬ 
munikation der Venen des Colon ascendens durch retroperitonealö 
Venen mit der V. spermatica int. dextr.; 3. variköse Anastomose der 
V. lienalis mit der V. spermlatica int. sinistr. 

Diese Anastomosenbildung erklärt auch die Heilung und das 
lange Latentbleiben vorgeschrittener Zirrhosen. Weil aber keinem 
Fall von Pfortaderstauung anzusehen ist, ob er zu dieser Spontan¬ 
heilung neigt und weil diese Spontanheilung die Gefahr der Blutung 
aus erweiterten Speiseröhrevenen mit sich führt, ist der Versuch, 
auf operativem Wege neue Seitenbahnen für das gestaute Blut der 
Pfortader zu eröffnen, gewiss berechtigt. 

Ich will hier noch darauf hinweisen, dass anders als die Spon¬ 
tanheilung jene Heilungen zu beurteilen sind, die nach zahlreichen 
Punktionen des Aszites auftreten. In diesen Fällen verwachsen Netz¬ 
oder Baucheingeweide mit der Bauchwand, wie bei zahlreichen Sek¬ 
tionen festgestellt werden konnte. Küssner empfahl deshalb die 
Punktion nicht als palliatives, sondern als kuratives Mittel und 
zwar frühzeitig, ehe die Spannung durch den Aszites zu gross ge¬ 
worden ist. 

Diesen von der Natur gewiesenen Weg haben also Talma 
und Drummond und Morison nachzuahmen empfohlen und den 
Wert dieser Empfehlung beleuchten auch die experimentellen Unter¬ 
suchungen an Tieren. Ausser Ti 11 mann, Bozzi, Kusnekow 
haben Ito und Omi die Frage experimentell geprüft und kommen 
zu folgenden Resultaten: 

1. Die Hunde gehen in einer kurzen Zeit unter Verblutungs¬ 
erscheinungen zugrunde, wenn man ihnen die Pfortader auf einmal 
unterbindet; dabei ist es ganz einerlei, ob man oberhalb oder unter¬ 
halb der Einmündungsstelle der V. gastrolienalis in dieselbe ligiert. 
Bei einer vorherigen intraperitonealen Omentofixation vertragen die 
Tiere bald'die Unterbindung der Pfortader,. bald'nicht; genau so 
verhält es sich mit der extraperitonealen Omentofixation. 

2 . Es ist dabei nicht die Stelle der Unterbindung, sondern 
die breite'Verwachsung der Baucheingeweide untereinander und mit 
der Bauchwaiid und die dadurch bedingte Entwickelung neuer Seiten- 
-bahnen der Pfortader samt der Dilatation der normalen Anastomosen, 
•welche den obigen Unterschied bedingt. Die Omentofixation spielt 
dabei bloss eine bedingte Rolle, und die Gefässentwickelung im 
fixierten Netze kann manchmal sogar unbedeutend sein; jedenfalls 
scheint dieselbe für sich allein nicht genügend, die Tiere bei der 
-Unterbindung der Pfortader dadurch am Leben erhalten zu können. 


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5] 


Die Talma’sche Operation. 


143 


3. Die Tiere, welche die Unterbindung der Pfortader auf die 
oben erwähnte Weise vertragen haben, können mehrere Monate dar¬ 
nach gesund bleiben und nehmen sogar am Gewichte zu. 

Indiziert ist die Operation also bei Aszites und bei Blutungen, 
die infolge von Pfortaderstauungen eintreten. Am reinsten tritt diese 
Indikation in Erscheinung bei den Fällen, wo der Stamm der Pfort¬ 
ader durch entzündliche Verwachsungen, Tumoren u. dergl. steno- 
Siert oder thrombosiert ist. Tritt in diesen Fällen nicht wie in dem 
erwähnten Fall von Umber eine Spontanheilung durch Ausbildung 
der natürlichen Kollateralen ein oder gelingt es nicht, wie in einem 
Fair von Müller, durch Lösung der Verwachsungen die Stenose 
der Pfortader zu beseitigen, dann ist die künstliche Schaffung neuer 
Seitenbahnen durch die Talma’sche Operation sicher indiziert. 
Diesen Weg empfehlen Bunge, Umber und Rommelaire. 

G. N. Mahakjan reiht den 20 von Baumann 1897 gesam¬ 
melten Fällen vier weitere aus der Literatur und zwei eigne an. 

1. 21 jähriger Lakai; vor vier Tagen plötzliches blutiges Er¬ 
brechen und blutiger Stuhl, Leibschmerzen und rasch wachsender 
Aszites. Nach 18 Tagen Bauchumfang 88,5 cm. Diagnose: Leber¬ 
zirrhose und Thrombose der Pfortader. Talma’sche Operation. 
18 Tage nach der Operation hat sich der Aszites wieder angesammelt, 
Bauchumfang 73 cm. Nach 10 Tagen 76,5 cm. Am nächsten Tag 
Aszites verschwunden. Leibumfang 68 cm. Nach 6 Tagen wieder 
Aszites vorhanden. 22 Tage nach dem Verschwinden des Aszites 
werden durch Punktion 4,5 Liter entleert,, nach 12 Tagen noch ein¬ 
mal 5,2 Liter. Danach Unruhe, Bewusstlosigkeit, Tod. Sektion: Atro¬ 
phische Leberzirrhose, Pfortaderthrombose, eiterige serös-fibrinöse 
Peritonitis. 

2. 44 jähriger Mann, vor 10 Tagen typisch erkrankt. 6 Wochen 
nach Beginn Leibumfang 100 cm; 5,5 Liter werden durch Punktion 
entleert; nach 14 Tagen Leibumfang 100,5 cm; Talma’sche Ope¬ 
ration. 19 Tage später Tod an Erschöpfung. Sektion: Atrophische 
Leberzirrhose, Pfortaderthrombose, serös-fibrinöse Peritonitis. 

Der einzige Fall von erfolgreicher Talma'scher Operation 
bei Pfortaderthrombose, den ich in der Literatur finden konnte,; ist 
der von H. Meyer. Die klinische Diagnose lautete: Cholelithiasis 
und Aszites infolge von Leberzirrhose. Bei der Operation war die 
Leber ganz normal, die Gallenblase entzündlich geschrumpft und 
mit Steinen gefüllt. Als Ursache der Pfortaderstauung fand sich eine 
chronisch-entzündliche Verhärtung der Gegend der Leberpforte zu¬ 
sammenhängend mit der Cholelithiasis. Deshalb Talma’sche Ope¬ 
ration. Nach 9 Monaten war der Aszites verschwunden, der Patient 
bei gutem Befinden. 


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146 


H. LADENBERGER, 




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Häufiger als an dem Stamm der Pfortader geben Erkrankungen, 
die ihre Verzweigungen in der Leber treffen, Veranlassung zum 
Auftreten von Aszites und Blutungen, und damit Anlass zur Talma- 
sehen Operation. In erster Reihe stehen hier die zirrhotischen Pro¬ 
zesse in der Leber. Anatomie und Klinik dieser Prozesse stehen auch 
heute noch nicht endgültig fest. Während vornehmlich die Franzosen 
eine Reihe klinisch und anatomisch verschiedener Krankheitsbildet 
aufstellen, an deren einem Ende die Laennec’sche atrophische 
Leberzirrhose, an derem anderen die Hanot’sche hypertrophische 
Leberzirrhose mit Ikterus steht, sehen die meisten deutschen Autoren; 
in allen diesen Formen denselben Grundprozess, der je nach be¬ 
gleitenden und komplizierenden Umständen sich klinisch und ana¬ 
tomisch in merklich differenzierter Form äussern kann. Für uns 
kommen diese Fragen nicht in Betracht. Wir beschäftigen uns nur 
mit Symptomen, die bei jeder dieser Formen Vorkommen können. 
Und wichtig ist für uns nur die Frage, ob diese Symptome, der 
Aszites und die Blutungen, durch Stauung im Pfortadersystem zu¬ 
stande kommen, denn nur dann können sie durch Öffnung neuer 
Seitenbahnen für das Blut der Pfortader beseitigt werden. 

Die Ätiologie der Blutungen bei der Leberzirrhose, auf die be¬ 
sonders Curschmann die Aufmerksamkeit wieder gelenkt hat, 
steht fest. Sie stammen in der Regel aus erweiterten Ösophagus¬ 
venen im unteren Teil der Speiseröhre. Blutungen aus Varizen 
des oberen Teils der Speiseröhre kommen bei alten Leuten auch 
ohne Leberzirrhose vor. Blutungen aus Magen und Darm 3ind bei 
Leberzirrhose seltener. Wie wir auf der kleinen Skizze sehen, anasto- 
mosiert die Vena gastrica superior mit der Vena oesophagea inferior. 
Diese Anastomosen erweitern sich bei jeder Art von Pfortaderstau¬ 
ungen, es bilden sich Varizen, die nach Zerstörung der Schleimhaut¬ 
decke zu Blutungen Anlass geben. Diese Blutungen können so heftig 
sein, dass sie sofort zum Tode führen. Es kommen aber auch kleinere 
und kleinste Blutungen vor, die ein bedeutungsvolles Mahnzeichen 
sind und volle Beachtung verdienen. Von verschiedenen Seiten ist 
darauf hingewiesen worden, dass sich im Stuhl der Zirrhotiker häufig 
kleine Mengen Blutes finden. Es ist deshalb auffällig, dass Joa¬ 
chim, wie er selbst sagt, „wunderbarerweise“ bei mehreren Fällen 
von Leberzirrhose mit beträchtlichen Stauungen im Pfortadergebiet 
kein Blut im Stuhl gefunden hat. Dieses zufällige Ergebnis darf uns 
nicht abhalten, bei Verdacht einer Pfortaderstauung den Stuhl genau 
auf Blut zu untersuchen. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, dass 
diese Blutungen durchaus nicht nur bei ausgebildetem Krankheits- 
bild auftreten, sondern auch bei den Fällen, welche durch Entwicke¬ 
lung von Kollateralen den Aszites nicht zur Entwickelung kommen 
Hessen, oder bei denen der Aszites im Lauf der Erkrankung von 


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7] 


Dia Tahna’sche Operation. 


147 


selbst verschwunden ist. Jedenfalls geben Blutungen aus der Speise* 
röhre oder Blutbeimengungen zum Stuhl bei der Leberzirrhose eine 
unbedingte Indikation zur Talma'sehen Operation ab, mag nun 
Aszites bestehen oder nicht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass 
eine ausgiebige kollaterale Zirkulation zwischen Leber und Bauch* 
wand, wie sie durch die Omentopexie hergestellt wird, der Erwei¬ 
terung der Speiseröhrenvenen Vorbeugen kann. Man könnte dagegen 
anführen, dass in einer Reihe von Fällen nach der Operation noch 
Blutungen aufgetreten sind. Dies berührt aber nur die zweite Frage, 
welche beantwortet werden muss, ob die schon erweiterten Venen 
nach Herabsetzung des Blutdruckes sich wieder zurückbilden. Nach 
Erfahrungen an anderen Venen ist dies wenig wahrscheinlich. Aber 
sicher istj dass der Blutdruck durch die Eröffnung neuer Seitenbahnen 
herabgesetzt wird, und diese Druckherabsetzung mindert auch die 
Gefahr der Blutung, mögen die Varizen bleiben oder nicht. Man 
kann gewiss mit Talma sagen: 

„1. Dass Hämatemesis bei Leberzirrhose die Fixation des Netzes 
indiziert und 

2. dass der Entwickelung von Ösophagusvarizen durch eine früh¬ 
zeitige Operation vorgebeugt werden kann.“ 

Nicht so einfach wie bei den Blutungen liegt die Frage nach 
der Ätiologie bei dem Aszites. Hier ist die Frage, ob mechanische 
oder toxische Einflüsse vorwiegend massgebend sind, noch 
nicht entschieden. Klopstock schreibt in einer im Jahre 1907 
in Virchow’s Archiv erschienenen Arbeit: „Für das Zustande¬ 
kommen des Aszites ist nun gewiss die Pfortaderstauung ein wichtiger 
Faktor. Das schrumpfende Bindegewebe, das dem Blut einen weit 
höheren Widerstand entgegensetzt als das weiche Parenchym, die 
Verminderung des Gesamtquerschnitts der Pfortaderkapillar bahn: 
durch Parenchymeinschmelzung, der Umbau der Lebersubstanz, der 
erhöhte Zufluss arteriellen Blutes, deren Bedeutung ja Kretz im 
einzelnen darstellt, sind es, die die Stauung entstehen lassen. Auch 
die Verhältnisse des allgemeinen Kreislaufs dürfen bei der 30 häufigen, 
Vereinigung der Zirrhose mit Herz-, Gefäss- und Nierenerkrankungenf 
für das Entstehen des Aszites nicht unterschätzt werden.“ Aber 
als ausschlaggebendes Moment erscheint ihm die Stauung nicht. Er 
weist darauf hin, dass Fälle beschrieben sind, wo der Tod durch 
Platzen von Ösophagusvenen eingetreten ist, ohne dass Aszites be¬ 
stand. Auch in Fällen von Pfortaderthrombose sei der Aszites kein 
regelmässiger Befund. Was beweist aber dies alles? Doch nur, dass 
in diesen Fällen eine ausgiebige Entwickelung von Kollateralen, die 
zur Entwickelung von Ösophagusvarizen führte, die Symptome der 
Pfortaderstauung, den Aszites, beseitigte. Auch dass Aszites häufig 


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H. LADENBERG ER, 


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das Krankheitsbild einleitet, lässt sich aus der häufigen Verbindung 
von Leberzirrhose mit Pfortaderthrombose leicht erklären. Klop- 
stock kommt zu dem Schluss, dass bei dem Entstehen des Aszites 
dasselbe toxische Moment seinen Anteil hat, unter dessen Einfluss 
die Zirrhose selbst zustande kommt und dass in vielen Fällen mit 
grösserem Recht von einer chronischen Peritonitis, für die auch die 
häufigen und auch ohne Erguss bestehenden Verwachsungen Zeugnis 
ablegen, als von einem Stauungsaszites gesprochen werden darf. 

Ich kann dem ersten Teil dieser Schlussfolgerungen nicht zu¬ 
stimmen. Ich habe oben gezeigt, dass alle gegen die mechanische 
Natur des Aszites angeführten Beweise auf Trugschlüssen beruhen. 
Nichts- spricht dafür, dass bei der Leberzirrhose toxische Einflüsse 
für die Entstehung des Aszites massgebend sind. 

Anders steht es mit dem zweiten Teil der Schlussfolgerungen. 
Talma weist schon in seiner zweiten Arbeit darauf hin, dass manch¬ 
mal Peritonitis serosa mit meist sekundärer Leberzirrhose einen 
Symptomkomplex gibt wie die primäre Zirrhose mit Stauungsödem. 
Er führt einige derartige Fälle an. Diese Fälle bieten grosse dia¬ 
gnostische Schwierigkeiten und sind geeignet, da sie durch die Omen¬ 
topexie nur wenig oder gar nicht beeinflusst werden, die Operation 
ungerechterweise zu diskreditieren. Fälle von chronisch-seröser Peri¬ 
tonitis sind es wahrscheinlich auch gewesen, die nach einfacher 
Öffnung der Bauchhöhle und Entleerung des Exsudats, ähnlich wie 
die tuberkulöse Peritonitis heilten, und angeführt werden, um zu 
zeigen, dass bei der Talma’ sehen Operation nicht die Omentopexie, 
Sondern der Leibschnitt an sich zur Heilung führe. Ein Teil dieser 
Fälle gehört sicher in das Krankheitsbild der Panserositis, auf die 
ich nachher noch zu sprechen komme. 

Ich komme zu dem Schluss, dass der Aszites bei Leberzirrhose 
eine Folge der Pfortaderstauung ist und durch die Talma’sehe 
Operation beseitigt werden kann. 

Von den verschiedenen Formen gibt am häufigsten die 
L a e n n e c 'sehe atrophische Leberzirrhose mit dem starken Aszites 
Anlass zur Operation; es ist dabei gleichgültig, ob Alkohol, Syphilis, 
Malaria oder infektiöse oder toxische Einflüsse die Erkrankung ver¬ 
anlasst haben. Es ist auch hier ohne Bedeutung, ob die älteren An¬ 
schauungen über die Deutung des mikroskopischen Befunds oder die 
neueren von Kretz richtig sind. 

Die hypertrophische Leberzirrhose mit Ikterus verläuft in typi¬ 
schen Fällen ohne Aszites. Bei ihr können nur die Blutungen An¬ 
lass zur Operation geben. 

Sehr häufig findet sich Schwellung der Leber mit oder ohne 
Ikterus oder Aszites. Diese Form indiziert die Talma’sehe Ope¬ 
ration, mag sie nun als Mischform oder als erstes (hypertrophisches) 


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9] 


Die T&lma’sche Operation. 


149 


Stadium der Laennec’schen Zirrhose aufgefasst werden. Es liegen 
in der Literatur Angaben vor, dass diese Formen für die Operation 
besonders günstig gelagert seien (öStreicher, Wheeler). 

Bei der infektiösen hypertrophischen Zirrhose ist die Talma¬ 
sche Operation oft mit der Cholezystostomie kombiniert worden. 
Über den Wert dieser besonders von französischen Operateuren ge¬ 
übten Kombination lässt sich noch kein Urteil abgeben. 

Drei Erkrankungen sind es noch, bei denen der Aszites im 
Vordergründe der Erscheinungen steht. Die Cirrhose cardiaque, 
die Zuckergussleber und die Pick’ sehe perikarditische Pseudoleber¬ 
zirrhose. Wir müssen untersuchen, ob es sich wirklich um selb¬ 
ständige Krankheitsformen handelt und ob der Aszites bei diesen 
Erkrankungen eine Folge von Pfortaderstauung ist. Denn nur dann 
kann er Gegenstand der Talma’schen Operation sein. 

Vornehmlich französische Autoren waren es, die darauf hin¬ 
wiesen, dass bei Herzfehlern mit Stauungserscheinungen der As¬ 
zites eine besondere Stelle einnimmt, sowohl was seine Ausdehnung 
gegenüber den Ödemen an anderen Körperstellen betrifft, als auch 
deshalb, weil er nach Verschwinden aller übrigen Ödeme bestehen 
bleibe. Den Grund für diese selbständige Stellung des Aszites er¬ 
blicken sie in einer durch die Stauung angeregten Bindegewebs- 
entwickelung in der Leber, die ähnlich wie bei der typischen Cir- 
rhose durch Schrumpfung zur Einengung des Pfortaderkreislaufes 
und damit zur Stauung führe. Diesen Zustand nennen die Fran¬ 
zosen Cirrhose cardiaque (Stauungsleber). 

Es fehlt aber nicht an Autoren, die die selbständige Stellung 
des Aszites bei manchen mit Stauung einhergehenden Herzerkran¬ 
kungen anders deuten. So weist Bunge darauf hin, dass die Pfort¬ 
aderzirkulation unter ganz besonders ungünstigen mechanischen Ver¬ 
hältnissen steht. Nachdem das aus den Eingeweiden kommende 
Blut eben ein ausgedehntes Kapillarnetz passiert hat, sammelt sich 
das venöse Blut in der Pfortader und muss zum zweitenmal das 
Kapillametz der Leber passieren. Es ist durchaus begreiflich, dass 
unter diesen Verhältnissen schon eine geringe Beeinträchtigung der 
normalen Zirkulationskräfte zur Stauung, d. h. hier zum Entstehen 
von Aszites führen muss. 

Dazu kommt noch, dass Eisenmenger, gestützt auf die 
Untersuchung von über 100 Fällen, der Anschauung entgegentritt, 
dass Blutstauung zur Bindegewebswucherung in der Leber führen 
könne. In den Fällen, in welchen der Aszites im Verhältnis zu den 
übrigen Symptomen von Herzinsuffiziens ungewöhnlich hochgradig 
ist, dürfe der Aszites nicht als Folge einer Stauungsleber aufgefasst 
Werden, da die durch Stauung in der Leber hervorgerufenen Ver¬ 
änderungen die Pfortaderzirkulation in keiner Weise beeinträchtigen. 


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H. LADENBEBGER, 


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Eisenmenger findet, dass die Kombination von Stauung durch 
Herzfehler oder Emphysem mit echter Zirrhose verhältnismässig 
häufig ist. 

Bei dieser Sachlage dürfen wir die Erwartungen von der Wir¬ 
kung der Operation nicht allzu hoch spannen. Aber gerade weil die 
Kombination von Stauung durch Herzfehler und echter Zirrhose 
nicht selten ist, werden wir in besonders hartnäckigen Fällen von 
Aszites zu einem Versuch mit der Talma'sehen Operation rateq 
dürfen, da der Eingriff nicht gefährlich ist und Nachteile nicht zu 
erwarten sind. Wir dürfen aher nur solche Fälle auswählen, 
bei denen die Herzkraft wieder vollkommen genügend geworden ist 

Ich selbst habe einen Fall von Aszites bei Cirrhose cardiaque 
mit Omentopexie behandelt. Ich führe hier nur an, dass die Ope¬ 
ration keinen Erfolg hatte. Der Fall wird später im Zusammenhang 
mit den andern von mir operierten Fällen behandelt werden.. 

Im Jahre 1883 hat Curschmann in einem Vortrag im Ham¬ 
burger ärztlichen Verein ein Krankheitsbild beschrieben, das bei 
der Differentialdiagnose der mit Aszites verbundenen Erkrankungen! 
der Leber und der Pfortader bis dahin nicht berücksichtigt worden, 
war und das er „Perihepatitis chronica hyperplastica“ (Zuckerguss¬ 
leber) zu nennen vorschlug. 

Es handelt sich um eine nicht selten ganz akut unter den Er¬ 
scheinungen der zirkumskripten Peritonitis resp. Perihepatitis be¬ 
ginnende, sehr langs,ajn verlaufende Erkrankung, die jahrelang still 
steht. Diesen Stillstand, der in seinem Fall 6 1 /* Jahre dauerte, hebt 
Verfasser besonders im Gegensatz zur Granularatrophie der Leber 
hervor. Den Befund bei der Sektion schildert er so: „Die ganze 
obere Hälfte des vorderen Bauchwandüberzuges ist in eine dicke, 
weisse, ausserordentlich derbe, sehnige Masse verwandelt. Diese 
Veränderung setzt sich kontinuierlich auf das ganze Zwerchfell und 
von da auf Milz und Leber fort. Die letztere ist um ein Drittel ver¬ 
kleinert, sehr derb, rundlich, die freien Ränder stumpf. Das ganze 
Organ ist von der eben erwähnten schwieligen weisslichen Masse 
eingehüllt, welche an vielen Stellen 4—5 mm dick ist. In der Leber 
keine Spur von Bindegewebsentwickelung. Von den Veränderungen; 
der Brustorgane wären eine schwielige Obliteration der ganzen 
rechten Pleurahöhle und des Perikardiums zu nennen. 

Gerade dieser letzte Befund veranlasst mich, dieses Krank¬ 
heitsbild mit einem andern zusammen zu besprechen, das Pick 
im Jahre 1896 unter der Bezeichnung: Chronische unter dem Bild 
der Leberzirrhose verlaufende Perikarditis (perikarditische Pseudo¬ 
leberzirrhose) besprochen hat. 

Es ist dies ein, vornehmlich bei jüngeren Individuen, den ge¬ 
mischten Formen der Leberzirrhose (vergrösserte Leber, starker As* 


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11 ] 


Die Talna’aehe Operation. 


151 


zites, kein Ikterus) täuschend ähnlicher Symptomenkomplex (Pseudo¬ 
leberzirrhose), der dadurch hervorgerufen wird, dass die durch eine 
latente Perikarditis bewirkte Zirkulationsstörung in der Leber zu 
Bindegewebswucherungen (Cirrhose cardiaque) führe, welche durch 
Stauung im Pfortaderkreislauf hochgradigsten Aszites zur Folge habe. 
Pick hält dafür, dass die beiden bis dahin in der Literatur be¬ 
schriebenen Fälle von Zuckergussleber, die ebenfalls mit adhäsiver 
Perikarditis kompliziert waren, höchstwahrscheinlich in den Rahmen 
des von ihm. aufgestellten Krankheitsbildes gehören. Im Anschluss 
an diese Mitteilung ist eine überaus grosse Anzahl von Publikationen; 
deutscher, englischer und besonders italienischer Autoren erschienen, 
welche über einschlägige Fälle berichteten und meist auch die von 
Pick vorgeschlagene Bezeichnung akzeptierten. Nur bezüglich der 
Pathogenese divergieren die Ansichten, indem eine Anzahl von, 
Autoren (Heidemann, Schupfer, Werbatus) nicht die Peri¬ 
karditis, sondern die bei den Sektionen solcher Fälle gefundene! 
chronische Peritonitis als die Ursache des Aszites ansehen, während 
andere Autoren (Bozzolo, Nachod, Siegert) die Ansicht 
Pick’s über den Zusammenhang teilen. 

Besonders italienische Forscher, denen sich aber auch deutsch« 
anschlossen, nehmen für beide Symptomenkomplexe eine gemein¬ 
schaftliche Ätiologie an, nämlich eine chronische Entzündung aller 
serösen Häute, die sie Polyserositis oder Poliorromentitis nennen. 

U. Rose hat die Frage der Zuckergussleber und der fibrösen 
Polyserositis eingehend untersucht und kommt zu dem Resultat, 
dass es sich um keinen einheitlichen Prozess handelt, dass die 
schwielige Verdickung des Leberüberzugs durch verschiedene In¬ 
fekte und Gifte verursacht werden kann und dass auch die gewöhn¬ 
liche (nach Rose’s Erfahrung aber nicht notwendige) Begleit¬ 
erscheinung des Aszites bald durch chronische Entzündung, bald 
durch Stauung, häufig durch beide Momente gemeinsam veranlasst 
wird. Er weist wie viele Autoren darauf hin, dass die Abgrenzung 
gegen Bauchfell tuberkulöse schwierig und manchmal gerade des¬ 
halb unmöglich ist, weil Tuberkulose und Zuckergussleber kom¬ 
biniert Vorkommen kann. 

Besonders wichtig für unsere Betrachtung ist die Frage nach 
der Ätiologie des Aszites bei diesen Symptomkomplexen. 

Curschmann sieht den Aszites als Stauungsaszites an, her¬ 
vorgerufen durch die Kompression der Leber durch den schrumpfen¬ 
den Überzug. Pick rekurriert auf die Stauungszirrhose der Leber 
als Ursache des Aszites. Alle die Einwände, die wir oben gegen 
die Existenz einer Stauungszirrhose angeführt haben, gelten natür¬ 
lich auch hier. 


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152 H. LADENBERGER, [12 

0.Hess hat die Frage der Stauung und chronischen Entzün¬ 
dung in der Leber und den serösen Höhlen klinisch und experimentell 
geprüft. Seine Versuche lehren, dass bei Perikardialverwachsung 
mitunter Leber- und Pfortadersystem allein oder in bevorzugter Weise 
einer Zirkulationsstörung anheimfallen. Für diese Bevorzugung 
lässt sich in manchen Fällen ausser der durch die Perikardialver¬ 
wachsung bedingten Herzschwäche, speziell der Schwäche des rechten 
Ventrikels, kein direkter Grund ausfindig machen, ebensowenig wie 
unter analogen- Verhältnissen bei Herzklappenfehlern. In anderen 
Fällen jedoch kann die Verengerung der unteren Hohlvene oberhalb 
des Zwerchfells durch schrumpfendes perikardiales Bindegewebe zur 
Erklärung einer isolierten Leberstauung und der Entstehung einer 
zyanotischen Leberinduration herangezogen werden. Das Ausbleiben 
von starker Stauung in der unteren Hohlvene ist auf die Ausbildung 
von Kollateralen zur oberen Hohlvene und auf die Entlastung der 
unteren Hohlvene durch die Leber selbst, die das Blut der Cava 
wie ein Schwamm ansaugt, zurückzuführen. 

Gerade das der echten Leberzirrhose ähnelnde Krankheitsbild, 
welches Pick im Sinne hat, kann in den seltensten Fällen durch eine 
primäre chronische Perikarditis mit sekundär von ihr abhängigen 
Stauungserscheinungen allein erklärt werden; es ist vielmehr auf 
das Zusammenwirken chronisch-entzündlicher Prozesse in den se¬ 
rösen Höhlen des Körpers zurückzuführen, in welche eine chronische 
Perikarditis allerdings meist eingeschlossen ist, jedoch meist nur 
eine koordinierte oder komplizierende Rolle spielt. Neben den Ent¬ 
zündungserscheinungen greifen sekundäre allgemeine oder durch 
Verlegung von Blut- und Lymphbahnen hervorgerufene lokale 
Stauungserscheinungen komplizierend auf das Krankheitsbild ein. 

Für die Behandlung des Aszites bei diesen Zuständen kommt 
zunächst eine Operation in Frage, die sich gegen die Perikardial- 
wachsung und die durch sie bedingte Verengerung der unteren Hohl¬ 
vene richtet, die Br au er'sehe Kardiolyse, die jetzt in so vielen 
Fällen mit Erfolg ausgeführt worden ist und so oft hartnäckigen 
Aszites beseitigt hat, dass man bei Kombination von Aszites und 
Perikardialverwachsung zuerst an sie denken muss. 

Trotz der Unklarheit, die noch über die Ätiologie des Aszites 
bei diesen Zuständen herrscht, ist die Entscheidung, ob man eine 
Talma’ sehe Operation empfehlen soll oder nicht, hier viel weniger 
schwer als bei den oben besprochenen Fällen von Stauungszirrhose 
der Leber. Dort steht und fällt die Entscheidung so ziemlich mit 
der Frage, ob es eine durch Stauung bedingte Zirrhose der Leber 
gibt. Und da es den Anschein hat, als ob Stauung nicht zur Binde- 
gewebsentwickelung in der Leber führe, konnte uns nur der Umstand, 
dass die Kombination von Stauung durch Herzfehler und echter 


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Die Talma'scbe Operation. 


153 

Zirrhose nicht selten ist, veranlassen, einen Versuch mit der Ope¬ 
ration zu empfehlen. Bei den uns hier interessierenden Fällen ist 
gewöhnlich die Diagnose nicht absolut sicher. Ob der Aszites durch 
die besprochenen Krankheiten oder durch echte Leberzirrhose oder, 
durch Bauchfelltuberkulose bedingt ist, ist gewöhnlich nicht sicher zu 
entscheiden. Man wird sich deshalb leichter entschliessen, die Ver¬ 
hältnisse durch einen Bauchschnitt klar zu legen, und damit ge¬ 
gebenen Falles eine Omentopexie verbinden, die nur nützen, ge¬ 
wiss nicht schaden kann. 

In einer Arbeit von Rovere ist ein Fall von Schiassi er¬ 
wähnt, der bei Pick’scher Krankheit eine Omentopexie mit dem 
Erfolg ausführte, dass der Aszites bis auf Spüren verschwand. Der 
Erfolg wurde über zwei Jahre kontrolliert. Jedenfalls empfiehlt es 
sich, die Talma’sehe Operation der Kardiolyse folgen zu lassen, 
wenn diese den Aszites nicht zum Verschwinden bringt oder sie der 
Kardiolyse vorangehen zu lassen als den leichteren Eingriff, was 
allerdings nur bei ganz schwachen Individuen indiziert ist. 

In Verbindung mit der Milzexstirpation kommt die Talma- 
sche Operation auch in Betracht bei der B a n t i ’ sehen Krankheit. 
Während Banti selbst die Entfernung der Milz bei Splenomegalie 
mit ausgesprochener Leberzirrhose — ausgebildetes 3. Stadium des 
Morbus Banti — nach Lossen für zwecklos hält, hat auf dem 
Chirurgenkongress 1906 Jaff6 über einen Fall von ausgesprochener 
Banti'scher Krankheit im letzten Stadium mit ungeheurem Aszites 
berichtet, der durch Milzexstirpation geheilt wurde. Über einen 
gleichen Erfolg berichtet auch Thiel. 

T a n s i n i hat in einem Fall von Banti’ scher Krankheit die 
Splenektomie mit Talma’ scher Operation kombiniert und trotz vor¬ 
geschrittener Leberzirrhose mit mächtigem Aszites Heilung erzielt. 
Er ging so vor, dass er nach Splenektomie das Netz vorzog, zwischen 
den Rändern der Wunde ausbreitete, und nachdem das Bauchfell 
in bestimmter Ausdehnung mit Gazestücken abgerieben worden war, 
heftete er das Netz teilweise an die innere Oberfläche des Bauch¬ 
fells, teilweise mit seinem freien Rand zwischen die Ränder der 
Bauchwunde. 

Dieses Vorgehen ist sicher empfehlenswert, da es die Operation 
nur unbedeutend verlängert und die Chancen des Erfolges doch 
grösser macht. 

Gute Funktion der Leberzellen, sagt Talma, ist unbedingt not¬ 
wendig für ein völlig befriedigendes Resultat. Durch jede Funktions¬ 
störung der Leberzellen muss der Nutzen der Operation herabge¬ 
setzt werden. Urobilinurie, Ikterus, Acholie oder Hypocholie de? 
Fäzes, Xanthome und anderer Hautpigmentierungen sind mehr oder 
weniger schwerwiegende Kontraindikationen. Auch Hautjuckep; in- 


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H. LADENBEBGER, 


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154 


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folge von Ikterus oder ohne Ikterus ist von Bedeutung bei der Ab¬ 
schätzung von Indikation und Kontraindikation. 

Über die Bedeutung der Urobilinurie im allgemeinen imd bei 
der Leberzirrhose im besonderen ist noch kein irgendwie ab¬ 
schliessendes Urteil möglich. Fest steht, dass der Darm die haupt¬ 
sächlichste Bildungsstätte des Urobilin ist. Die echten Gallenfarb¬ 
stoffe werden durch die reduzierende Fähigkeit von Bakterien im 
Darm in Hydrobilirubin verwandelt. Am reichlichsten entsteht Uro¬ 
bilin, wenn grosse Mengen von Galle gebildet und in den Darm 
ergossen werden — also nach Lösung eines Gallengangverschlusses 
oder bei starkem Untergang roter Blutkörperchen. Aber wahrschein¬ 
lich ist der Darm nicht die einzige Bildungsstätte des Urobilins. 
Es scheint, dass die Leber den Stoffwechsel des Urobilins beherrscht. 
Sie scheidet es immer in die Galle aus und wahrscheinlich kann 
bei Krankheitszuständen durch Insuffizienz dieser Funktion Urobilin 
entstehen. 

Für unser praktisches Handeln geht daraus hervor, dass die 
Urobilinurie eine gewisse Funktionsstörung der Leber andeutet, über 
deren Bedeutung wir aber noch nichts Sicheres wissen, so dass sie 
für sich allein keine Kontraindikation gegen die Operation ab¬ 
geben kann. 

Wichtiger ist der Ikterus, der bei zirrhotischen Prozessen in 
der Leber auftritt. Sein Auftreten bei diesen Erkrankungen, welche 
nicht zu einem Verschluss der grossen Gallenwege führen, wird 
meist auf eine Kompression von kleineren und kleinsten Gallen¬ 
gängen durch das schrumpfende Bindegewebe zurückgeführt. Nach 
Ansicht vieler Forscher genügt aber das mechanische Moment zur 
Erklärung des Ikterus bei diesen Krankheiten nicht. Vielleicht spielt 
dabei das eine Rolle, was Minkowski Parapedesis der Galle 
nennt, eine Umkehr der Sekretion der Leberzellen, die bei krank¬ 
hafter Störung ihres Gefüges die Galle statt nach den Gallengängen 
direkt nach den Lymph- oder Blutgefässen leiten. Ein Beweis für 
diese Umkehr ist aber noch nicht erbracht. Der Ikterus zeigt eine 
Resorption der Galle an und diese Resorption führt zu Vergiftungs¬ 
erscheinungen, die auf Wirkung der Gallensäuren, der Cholate 
kommen, während das Hautjucken wahrscheinlich durch Ablagerung 
der Gallenfarbstoffe in der Haut entsteht (Krehl, Physiol. Path. 
1907, S. 345). 

Diese Vergiftungserscheinungen, die im Verlauf langdauernder 
Gallenstauung auftreten können, äussem sich in schweren Him¬ 
erscheinungen: Benommenheit, Delirien, Krämpfen, die in der Regel 
unter hohem Fieber in wenigen Tagen zum Tode führen. 

Eine eigentümliche Hautveränderung, welche sich (wenn auch 
nicht ausschliesslich) bei chronischem Ikterus entwickelt, ist das 


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15] 


Die Talma’sche Operation. 


15 ^ 


Xanthelasma oder Xanthom, schmutzig blassgelbe Flecken, die an¬ 
fangs wenig hervortreten, später in die tuberöse Form übergehen 
und sich mit Vorliebe an den Augenlidern entwickeln. Vom Gallen¬ 
farbstoff rührt die Färbung nicht her, der Zusammenhang mit Ikterus 
ist überhaupt nicht sicher erwiesen. Acholie und Hypocholie der 
Fäzes können bei diesen Fällen, wo ein Verschluss des Choledochus 
nicht vorliegt, nur infolge imgenügender Sekretion der Galle auftreten 
und sind als Zeichen einer tiefgehenden Funktionsstörung der Leber¬ 
zellen wichtig. 

Dieselben schweren Vergiftungserscheinungen, welche wir als 
Folge lang dauernder Gallenstauung auftreten sehen, finden sich 
aber auch bei Leberkranken, welche keine oder nur geringe Gelb¬ 
sucht haben. Sie stellen wahrscheinlich komplizierte Vergiftungs¬ 
zustände dar, wie sie ähnlich auch bei anderen Stoffwechselstörungen, 
z. B. beim Diabetes und bei der Urämie auftreten. Über die Stoffe, 
welche dabei eine Rolle spielen, sind wir noch nicht sicher orientiert. 
Die früher erwähnten Versuche an Hunden mit Eck'scher Fistel, 
die bei eiweissreicher Kost unter schweren Vergiftungserscheinungen 
zugrunde gehen können, lassen vermuten, dass dabei eine Vergiftung 
mit Karbaminsäure, nach anderer Auffassung eine Säurevergiftung 
eine Rolle spielt. 

Kretz weist nun darauf hin, dass solche Vergiftungszustände 
nicht selten im Anschluss an die Talma’sche Operation aufge¬ 
treten sind. Er glaubt, dass die durch die Operation bewirkte Ab¬ 
leitung des Pfortaderblutes und teilweise funktionelle Ausschaltung 
der Leber von ganz gesunden Lebern anstandslos ertragen werde, 
dass aber jeder Kranke, dessen Leberfunktion wesentlich gestört 
ist, durch die Talma’sche Operation schwer gefährdet werden 
könne. Als Zeichen einer solchen Störung bezeichnet er leichten 
Ikterus, verminderte Hamstoffausscheidung, alimentäre Glykosurie 
und Lävulosurie. 

Bunge hat in interessanten Untersuchungen die Bedeutung 
dieser Kontraindikation eingehend geprüft und kommt zu dem Re¬ 
sultat, dass die von Kretz als Zeichen einer Funktionsstörung 
der Leber angeführten Symptome nicht den Wert haben, den ihnen 
Kretz beilegt. Er schreibt sehr richtig: Will man Kretz’ Indi¬ 
kationsstellung folgen, so liegt die Gefahr vor, dass eine grosse 
Reihe von Patienten, die für die Operation geeignet sind, ohne 
Grund von ihr ausgeschlossen weiden. 

Als Kontraindikation bleibt also nur der Ikterus bestehen. Und 
auch der verbietet nicht immer die Operation, denn es finden sich 
in der Literatur eine Reihe von Fällen, die trotz starkem Ikterus 
operiert worden sind und einen langdauemden Erfolg hatten. 


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H. LÄDENBERGER, 


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Wir haben schon anfangs betont, dass die Operation keinen 
heilenden Einfluss auf den Krankheitsprozess selbst ausübe. 

Deshalb kann sie auch den durch die Krankheit selbst bedingten, 
Ikterus nicht beseitigen. Talma führt zwar einen Fall an, bei dem 
nach der Omentopexie der Ikterus schwand und der sechs Jahre 
nach der Operation vollkommen gesund zu sein schien und referiert 
über einen Fall von Kümmel 1, der hochgradigen Ikterus und 
Aszites zwölf Wochen nach der Operation völlig geschwunden sah, 
und hält deshalb die Möglichkeit, dass die Deviation des Blutes den 
Prozess in der Leber heilsam beeinflussen, wenn auch nicht zur 
Heilung bringen kann, nicht für ausgeschlossen. Er weist aber selbst 
darauf hin, dass eine hypertrophische Zirrhose mit Ikterus auch 
ohne Omentopexie in seltenen Fällen heilen kann. 

Dass grosse allgemeine Schwäche, schwerere komplizierende 
Erkrankungen von Herz, Lunge und Nieren, ebenso wie weit vor¬ 
geschrittene Fälle, die schon schwerere Vergiftungserscheinungen 
zeigen, die Operation verbieten, ist selbstverständlich. Dagegen 
können leichtere Intoxikationszustände nach der Operation ver¬ 
schwinden. Talma erwähnt einen Fall, in dem das stille Delirium 
nach der Operation bei Reduktion der Fleischkost schwand und 
der Kranke genas. 


Die Technik der Operation. 

Der Zweck der Operation ist, eine möglichst breite Ver¬ 
wachsung zwischen viszeralem und parietalem Blatt des Peritoneums 
zu erzielen und durch reiche Vaskularisation dieser Verwachsungen 
möglichst viel Blut aus den gestauten Pfortadervenen in die Venen¬ 
wurzeln der oberen und unteren Hohlvene zu führen. Die früher er¬ 
wähnten experimentellen Untersuchungen von Ito und Omi Hessen 
schon erkennen, dass die breite Verwachsung der Baucheingew r eide 
untereinander und mit der Bauchwand die geeignetste Methode zur 
Erreichung des gesetzten Zieles ist. Nach neueren experimentellen 
Untersuchungen von K. Omi lässt sich dieses Ziel am besten durch 
Annähen von steriler Gaze an die innere Fläche der Bauchwand er¬ 
reichen. 

In dem ersten geheilten Fall, über den Talma berichtet, 
haben von Eiseisberg und Narath am unteren Rand der Leber 
eingeschnitten, die Gallenblase an die Bauchwand geheftet und da3 
Netz in der Wunde festgenäht. Vier Monate später wurde auch die 
ausserordentlich stark vergrösserte Milz in einer Tasche fixiert, die 
durch Ablösen der Haut von den Muskeln gebildet worden war. 

Um noch breitere Adhäsionen zu erzielen, empfehlen Ito und 
0 m i sowohl die Därme als auch die Leber und die Milz unter- 


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17] 


Die Talma’sche Operation. 


157 


einander und mit der Bauchwand in Verwachsung zu bringen. Sie 
wollen dies dadurch erreichen, dass sie die ganze Bauchhöhle mittelst 
eines sehr langen sterilen Gazestreifens locker tamponieren, wo¬ 
durch alle Taschen und Winkel der Peritonealhöhle zwischen den 
einzelnen Eingeweiden verödet werden könnten. Der Streifen soll 
schon nach 24 Stunden entfernt werden. Ito und Omi glauben, 
dass die Talma’sche Operation, in der Weise ausgeführt, eine viel 
grössere Zukunft haben werde, und sie fügen hinzu, „bei nächstem 
geeignetem Fall von Aszites haben wir die Absicht, etwa so zu ope¬ 
rieren, wie wir es oben angedeutet haben.“ Ob sie diese Absicht 
ausgeführt haben, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls ist eine 
derartige Verödung der Bauchhöhle, wie auch Helferich an¬ 
nimmt, sehr geeignet, ein Wiederkehren des Aszites unmöglich zu 
machen. Andere Operateure suchen das gleiche Ziel, wenn auch 
nicht in so ausgedehnter Weise, so zu erreichen, dass sie Peritoneum 
parietale und den Peritonealüberzug der Leber, Milz und der Därme 
durch Abreiben mit einem Gazetupfer oder einer stampfen Kürette 
(Neu mann) wundmachen und dadurch zur Verwachsung zu bringen 
suchen. Drummond und Morison fügen den bisher geschilderten 
Eingriffen noch eine Drainage der Bauchhöhle hinzu. Nach S. White 
gestaltete sich das Verfahren so: von einer zweiten suprapubischen 
Bauchöffnung aus wird die Bauchhöhle mittelst eines Glasdrains, 
das bis auf den Beckenboden reicht und mit vielen kleinen, seit¬ 
lichen Öffnungen versehen ist, drainiert. Das Kopfende des Bettes 
wird wesentlich erhöht. Ungefähr acht Tage lang wird alle sechs 
Stunden das Becken unter strengster Asepsis mittelst einer Spritze 
vom Aszites entleert. Täglich muss das Glasrohr durch drehende 
Bewegungen aus seinen, die seitlichen Öffnungen verlegenden Ver¬ 
wachsungen befreit werden. Grosser Wert wird auch auf eine Kom¬ 
pression des Bauches durch Bindeneinwickelung gelegt. 

Diese Drainage macht den kleinen imgefährlichen Eingriff der 
Omentopexie zu einem gefährlichen, da sie leicht zu einer Peritonitis 
führt. Dies geht klar aus der Statistik W h i t e ’ s hervor, nach der 
14 o/o der auf diese Weise Operierten an Peritonitis gestorben sind. 
Die deutschen Operateure haben diese Drainage allgemein abgelehnt. 
Macht der sich zunächst wieder ansammelnde Aszites einen Eingriff 
nötig, so ist die Punktion ungefährlicher und für den Patienten be¬ 
quemer als die Drainage. Auch die Drainage vom hinteren Scheiden¬ 
gewölbe aus bei Frauen führt leicht zu einer Infektion des Peri¬ 
toneums. Bei uns hat man sich im wesentlichen auf die Omentopexie 
beschränkt, und nur darüber ist man noch nicht zur Einigung ge¬ 
langt, ob es zweckmässiger ist, das Netz intra- oder extraperitoneal 
zu fixieren. Ito und Omi haben die Frage experimentell geprüft 
und kamen zu dem Resultat, dass die extraperitoneale Methode in 

Wftnburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 7. 12 


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H. LADENBERGER, 


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bezug auf die Entwickelung neuer Seitenbahnen der Pfortader nicht 
mehr leistet als die intraperitoneale. Kasuistik und Statistik lassen 
noch nicht erkennen, welcher Methode der Vorzug gebührt. Sicher 
ist aber, dass die extraperitoneale Methode einen viel grösseren 
Eingriff darstellt. Ihr eifrigster Verteidiger, Schiassi, geht so 
vor, dass er im rechten Hypochondrium einen T-förmigen Schnitt 
bis auf das Peritoneum macht und die beiden so gebildeten Haut- 
Muskellappen nach beiden Seiten zurückschlägt. Das Peritoneum 
wird in der ganzen Länge des transversalen Schnittes aufgeschnitten, 
das Netz herausgeholt und abgerieben. Das Peritoneum wird bis 
auf die Stelle, wo das Netz heraustritt, geschlossen und das Netz 
in der Tasche durch einige Nähte fixiert. 

Weniger eingreifend ist das Verfahren, wenn man die Bauch¬ 
höhle in der Mittellinie eröffnet, das Peritoneum zu beiden Seiten 
des Schnittes eine Strecke weit von der hinteren Wand der Rektus- 
scheide stumpf ablöst und in der so gebildeten Tasche das Netz 
fixiert. 

Narath fixiert das Netz in einer subkutanen Tasche. Unter 
Schleich ’scher Lokalanästhesie eröffnet er das Abdomen in der 
Medianlinie dicht über dem Nabel links vom Ligamentum teres unter 
möglichster Schonung der Venae parumbilicales. Nach Abfluss des 
Aszites, der aus den tiefer liegenden Teilen durch dicke mit Gummi¬ 
schläuchen armierte Metallkatheter heraus gehebert wird, zieht er 
einen dicken Netzzipfel heraus. Die Schnittwunde in der Linea alba 
wird nun so weit verkleinert, dass der Netzzipfel ohne Kompression 
gerade noch hindurch kann. Hierauf fixiert man den Zipfel mit 
einigen Nähten am Peritoneum parietale und der Linea alba. Wichtig 
ist, dass man den Netzzipfel nicht zu weit herauszieht, um das Colon 
transversum nicht zu zerren. Es muss noch genügend Omentum im 
Abdomen bleiben, um das Kolon in seinen Bewegungen nicht zu 
stören. Unter Schleich ’scher Infiltration des subkutanen Zell¬ 
gewebes links von der Wunde macht man über dem Nabel eine 
quer nach links gerichtete, längliche, tiefe, subkutane Tasche. In 
die Tasche steckt man den 10—15 cm langen Netzzipfel, der, wenn 
die Tasche nicht zu breit gemacht ist, keiner weiteren Fixation be¬ 
darf. Wasserdichter Verschluss der Hautwunde und ein Verband, 
der das subkutan verlagerte Netz nicht komprimiert. 

Einige Tage nach der Operation macht sich gewöhnlich ein 
mehr oder weniger ausgebreitetes ödem der Bauchhaut bemerkbar, 
das hervorgerufen wird durch Aszitesflüssigkeit, welche neben dem 
Netzzipfel aus der Bauchhöhle austritt und das subkutane Zellgewebe 
infundiert. Das ödem schwindet bald. Narath erwähnt, dass die 
ersten Veränderungen an den Bauchdeckenvenen meist schon nach 
acht Tagen zu konstatieren sind. Nach seinen Erfahrungen ist die 


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19] Di« Talma’sehe Operation. 

Methode sehr leistungsfähig. Die Ursachen hierfür sieht er in zwei 
Momenten: 

1. das Netz wird gerade in das Wurzelgebiet von zahlreichen; 
Venen verlegt, die das Blut rasch auf verschiedenen Wegen in die 
Vena cava sup. und inferior abfüh'ren können; 

2. durch gesteigerten intraabdominellen Druck wird das Blut 
aus dem Omentum in die sich entwickelnden Anastomosen gepresst, 
wovon man sich bei gelungenen Operationen aufs deutlichste über¬ 
zeugen kann. 

Die Methode Narath’s wird von El bogen und Corson 
sehr empfohlen. Ob die Verlagerung des Netzes unter die Haut 
für die Vaskularisierung vorteilhafter ist, mag dahin gestellt bleiben. 
Die experimentellen Untersuchungen sprechen dagegen. Sicher ist, 
dass der Methode, wie allen extraperitonealen Methoden, die Ge¬ 
fahr des Bauchbruchs anhaftet. Narath selbst weist auf diese 
Gefahr hin und erwähnt, dass bei einigen seiner ersten Operationen 
neben dem Netz durch das Loch in der Linea alba Colon trans- 
versum und andere Dammabschnitte durchgetreten seien. Die Ur¬ 
sache sieht er in einem technischen Fehler. Seitdem er nur einen 
Netzzipfel verwende und sorge, dass die Öffnung in der Bauch¬ 
wand möglichst klein bleibt, so dass sie gerade noch das Netz 
durchtreten lässt, habe er von Darmverlagerungen nichts mehr ge¬ 
sehen. Beschwerden haben seine Patienten von dem eingenähten 
Netzzipfel nicht gehabt. 

Bei der intraperitonealen Methode wird der Bauch durch einen 
kleinen Schnitt in der Mittellinie oberhalb des Nabels eröffnet, das 
Netz hervorgeholt und mit einigen Knopfnähten in den Schlitz des 
Peritoneums parietale festgenäht. Die Bauchdecken werden durch 
Etagennähte vereinigt. Der kleine Eingriff lässt sich ganz gut in 
Lokalanästhesie machen, ein grosser Vorteil bei diesen Kranken. 
Auch lässt sich ein Bauchbruch leicht vermeiden, während bei der 
extraperitonealen Methode ein Bauchbruch meist unvermeidlich ist. 
Schon bei dem ersten Fall, den Talma mitteilt, hat er der Omento¬ 
pexie einige Wochen nachher eine Splenopexie folgen lassen. Bunge 
weist darauf hin, wie viel günstiger die Milz zur Erzielung von 
Kollateralen vom rein anatomischen Standpunkt aus ist. Während 
bei der Omentopexie der Abfluss des Pfortaderblutes den weiten 
Umweg über die Venae gastroepiploicae nehmen muss, um durch 
das fixierte Netz in die Venen der Bauchwand zu gelangen, geht 
er bei der Splenopexie direkt durch die Vena lienalis und die Milz 
nach den Venae epigastricae inf. und sup. Die Schwierigkeiten, 
welche ein geschrumpftes kleines Netz der Einnähung bietet, fallen 
hei der Einnähung der grossen Milz weg und zudem hindert nichts, 

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neben der Milz auch noch einen Netzzipfel einzunähen. Bunge ver¬ 
kennt aber auch nicht, dass in der Praxis die Verhältnisse nicht so 
einfach liegen und zwar wegen der wechselnden Grösse der Milz 
bei den uns hier interessierenden Krankheiten. Talma ist geneigt, 
im allgemeinen den Nutzen der Splenopexie zu bezweifeln. Wo 
bei der Zirrhose die Milzschwellung nur die Folge venöser Hyper¬ 
ämie ist, wird sie durch eine ausgiebige kollaterale Zirkulation ver¬ 
kleinert. Sehr häufig ist aber der Milztumor eine Folge einer Ge- 
websproliferation, unabhängig von venöser Hyperämie. In diesen 
Fällen wird die Milz beim Verschwinden des Aszites nicht kleiner, 
sondern später sogar noch manchmal grösser. Für unser praktisches 
Handeln scheint es mir am zweckmässigsten, die Splenopexie der 
Omentopexie folgen zu lassen, wenn letztere zur Beseitigung des 
Aszites nicht ausgereicht hat und eine starke auf Hyperämie oder 
Milzvenenthrombose beruhende Milzvergrösserung vorliegt. Denn 
auch die Splenopexie ist ein schwererer Eingriff als die intraperi¬ 
toneale Omentopexie, die meist Narkose erforderlich macht. Und 
es ist wichtig, den Zirrhotikem zunächst nicht mehr /uzumuten, 
als unbedingt nötig ist. 

Der Gedankengang ist dabei der, dass die Omentopexie nicht 
ausreichend war, genügend Seitenbahnen für das Pfortaderblut zu 
schaffen und die Splenopexie hinzugefügt wird, um diese Seiten¬ 
bahnen zu vermehren. 

Als Methode kommt bei grosser Milz die von Bardenheuer, 
Fixation der Milz in einer durch Ablösen des Peritoneums von den 
Bauchmuskeln geschaffenen Tasche, unterhalb der Rippen am zweck¬ 
mässigsten in Anwendung. 

Nach den gegenwärtigen Erfahrungen scheint mir die intra- 
peritoneale Omentopexie die zweckmässigste Methode zu sein. 
Sie ist die einfachste Methode und es sind mit ihr ebenso- 
viele Erfolge erzielt worden, als mit der komplizierteren extra¬ 
peritonealen Methode. Ein grosser Vorteil ist, dass sie keine 
allgemeine Narkose nötig macht, sondern in Lokalanästhesie aus¬ 
geführt werden kann. Bei den extraperitonealen Methoden, wo das 
parietale Blatt des Peritoneums von der hinteren Rektusscheide ab¬ 
gelöst werden muss, ist allgemeine Narkose imbedingt nötig, da 
jedes Manipulieren am parietalen Peritoneumj sehr schmerzhaft ist. 
Auch kann bei der intraperitonealen Fixation ein Bauchbruch meist 
verhütet werden. Mit der Empfehlung dieser Methode soll aber nicht 
die Vorstellung erweckt werden, als sei die Frage der Technik schon 
irgendwie endgültig entschieden. Die Resultate der Operation sind 
noch immer sehr wenig befriedigend und die Möglichkeit, dass eine 
veränderte Technik bessere Resultate zeitige, ist nicht ausgeschlossen. 
Den Weg, welchen die Technik zu gehen hat, zeigen vielleicht die 


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21 ] 


Die Talma’sche Operation. 


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oben angeführten experimentellen Untersuchungen Omi’s, der bei 
seinen Versuchstieren umso bessere Resultate erzielte, je ausge¬ 
dehnter die Verwachsung der Baucheingeweide untereinader und 
mit der Bauchwand war. Ob die Warnung vor Benutzung der Därme 
zur Erzielung von Kollateralen, wie sie Bunge ausspricht, wegen 
der Gefahr der sekundären Darmblutungen infolge Berstung starker 
Kollateralen berechtigt ist, möge dahingestellt bleiben. Da aber Er¬ 
fahrungen dieser Richtung noch nicht vorliegen, scheint mir für den 
Praktiker die intraperitoneale Omentopexie die empfehlenswerteste! 
Methode zu sein. 

Die Erfahrungen, welche man bei Tieren mit Eck’ scher Fistel 
gemacht hat, lassen es als zweckmässig erscheinen, der Ernährung 
nach der Operation Aufmerksamkeit zu schenken. Die Eiweiss¬ 
zufuhr muss beschränkt werden, die Nahrung hauptsächlich aus 
Milch und Kohlehydraten bestehen. Allmählich kann man zur Fleisch¬ 
kost übergehen. Für einen Dauererfolg ist es natürlich auch nötig, 
das ätiologische Moment zu berücksichtigen und gegen Alkoholismus, 
Syphilis, Malaria etc. entsprechend vorzugehen. 

Die unmittelbaren Gefahren der Operation sind ge¬ 
ring. Besonders bei der intraperitonealen Netzfixation wird bei 
einigermassen gutem Allgemeinzustand kein Todesfall an der Ope¬ 
ration zu befürchten sein. Die Blutung ist gering und leicht zu 
beherrschen. Die Gefahr einer Infektion kann auch nicht gross 
sein. Auffällig ist mir allerdings, dass bei vielen Sektionen ab¬ 
gesackte eitrige Ergüsse gefunden wurden. Ich habe keinen Pa¬ 
tienten an postoperativer Peritonitis verloren, obwohl oder vielmehr 
weil alle Operationen im Hause der Patienten gemacht worden sind. 

Die Möglichkeit, dass das mit der Bauchwand verwachsene 
Netz die Ursache von Ileus oder anderen, z. B. nervösen Störungen: 
werden kann, ist nicht zu bestreiten. Nach W. Oettinger ging 
ein Fall der Mikulicz’schen Klinik an Darmknickung zugrunde. 
Doch scheint diese Gefahr nicht gross zu sein. 

In einem meiner Fälle trat nach der intraperitonealen Omento¬ 
pexie ein immer wiederkehrender Meteorismus auf. Ich hatte in 
diesem Fall zur leichteren Entleerung des Aszites unterhalb des 
Nabels den Bauch eröffnet und dort das Netz fixiert. Obwohl eine 
Autopsie nicht gemacht werden konnte, glaube ich doch annehmen 
zu dürfen, dass der Meteorismus die Folge einer Abknickung des 
Colon transversum durch das herabgezogene Netz war. Einen ana¬ 
logen Fall erwähnt auch Franke, in dem durch die Sektion fest¬ 
gestellt wurde, dass das Colon in der Mitte abgeknickt war, das 
zentrale Ende war stark mit Kot gefüllt; durch diese Kotstauung 
war es zu Kompression des Duodenum und dadurch zu sekundärer 
Magendilatation gekommen. Zur Vermeidung dieser Zufälle ist es 


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also nötig, das Netz ganz ohne Spannung zu fixieren, und zwar von 
einer Inzision oberhalb des Nabels aus. 

Grisson fand bei einer Autopsie lange venenhaltige Stränge 
zur Bauchhaut ziehen, die zur Einklemmung Anlass geben könnten. 
Sie stellten die Gefässe des Netzes dar, dessen übriges Gewebe 
atrophisch geworden war. Zur Vermeidung empfiehlt er das Quer¬ 
kolon an die Bauchwand zu heften, ein gewiss beachtenswerter Vor¬ 
schlag. 

Ein ziemlich häufiger Folgezustand der Operation ist der Bauch¬ 
bruch. Bei extraperitonealer Fixation des Netzes ist er überhaupt 
nicht zu vermeiden. Aber auch nach intraperitonealer Fixation 
kommt er vor. Ausser den gewöhnlichen Ursachen des Bauchdrucks 
bei Abdominaloperationen, der Eiterung und Nekrose der Faszien, 
macht oft das dicke, fettreiche Netz eine exakte Fasziennaht un¬ 
möglich und führt so zum Bauchbruch. 

Ich will hier noch einmal darauf hinweisen, dass eine Steigerung 
der Funktionsstörung der Leber durch die Operation selbst nicht 
wahrscheinlich ist. Die Todesfälle im Koma kurz hach der Operation 
sind nicht auf die Operation, sondern auf die Krankheit selbst zu¬ 
rückzuführen. 

Zur Beurteilung der bisher mit der Talma’sehen Operation 
erzielten Resultate mögen zunächst die mir zugängigen Statistiken 
besprochen werden. 

W. öttinger stellt 169 Fälle zusammen. In 48 Fällen (28,4o/o) 
wurde der Aszites nicht beeinflusst, in 35 Fällen (20,7 o/o) wurde 
er gebessert und in 86 (50,9o/o) zum Schwinden gebracht. 

Bunge berichtet über 274 Fälle mit 83 Fällen = 30o/o Heilung, 
39 Fällen = 14o/ 0 Besserung und 152 Fällen = 56 o/o ohne Erfolg. 
Die unmittelbare Mortalität ist 10 Fälle = 3,6o/o. 

Montprofit berechnet aus 224 Fällen 35% Dauerheilung. 

Die neueste mir zugängige Statistik von S. White enthält 
227 Fälle, von denen 33o/o tödlich endeten, 15% gänzlich fehlschlugen, 
13 o/o gebessert und 37,3 o/o geheilt wurden. 

Diese Statistiken geben also 30—50% Heilung. 

Wie verschiedenartig der Wert der Talma’sehen Operation 
beurteilt wird, zeigt die Diskussion über die chirurgische Be¬ 
handlung der Leberzirrhose auf dem 17. französischen Chirurgen¬ 
kongress vom 17. bis 22. Oktober 1904. Während der Referent 
Montprofit die Operation für die gegebene Behandlung der Leber¬ 
zirrhose hält, warnt T u f f i e r davor, der Omentopexie einen Er¬ 
folg zuzuschreiben, wo er, wie bei tuberkulösem Aszites, der Laparo¬ 
tomie als solcher gebühre. Den gleichen Standpunkt nimmt Villar 
(Bordeaux) ein, der über vier Beobachtungen mit ungenügendem 
Erfolg verfügt. Ähnlich äussern sich Mauchaise (Paris), De- 


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23] 


Die Talma’sche Operation. 


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page (Brüssel) und Regnös (Marseille). Bardesco (Bukarest) 
empfiehlt frühzeitige Operation. V i d a 1 sieht in den Blutungen durch 
Überfüllung des Pfortaderkreislaufs die vernehmlichste Indikation 
zur Operation. Roux (Lausanne) beschuldigt hauptsächlich den 
schlechten Zustand der Kranken und ihre unvernünftige Lebens¬ 
weise für den schlechten Erfolg der Operation. 

Günstiger, scheint mir, wurde der Wert der Operation auf 
der Sitzung der Medical Society of London am 25. März 1907 ge¬ 
legentlich der Besprechung der operativen Behandlung des hepa- 
togenen Aszites beurteilt. 

Der Referent L. Jones hält den für den prognostisch idealen 
Patienten, der noch in rel. jugendlichem Alter, frei von Kom¬ 
plikationen, bei hypertrophischem Zustand der Leber mehr die Er¬ 
scheinungen der Obstruktion des Pfortadersystems als der Toxämie 
bietet. Während auf die Leber selbst keine bessernde Wirkung durch 
die Operation ausgeübt wird, wird das Wiederentstehen des Aszites 
in vielen Fällen offensichtlich verhindert und das Leben des Pa¬ 
tienten bei relativem Wohlbefinden mehrere Jahre erhalten. Dieses 
günstige Resultat ist bisher in etwa 1 / 3 der Fälle eingetreten, während 
die letal verlaufenden Fälle und die ungebesserten sich in gleichem 
Verhältnis verhalten. Bei richtiger Auswahl der Fälle darf sich die 
unmittelbare Mortalität nicht über 10% erheben. W. G. Spencer 
findet die deutsche Operationsmethode mit dem sechs Zoll langen 
Schnitt unnötig kompliziert. Seine Mortalität sei bei vereinfachtem 
Verfahren sehr klein. (Ein ca. 18 cm langer Schnitt wird in Deutsch¬ 
land wohl nur bei der extraperitonealen Methode gemacht; bei intra¬ 
peritonealer Omentopexie wird in der Regel der Einschnitt nicht 
länger als 10 cm sein.) A. C. J. Barker bemerkt, dass alles auf 
das Erzeugen von festen und dauerhaften Verwachsungen ankommt. 
Die modernen aseptischen Operationsmethoden erschweren die Er¬ 
reichung dieses Ziels erheblich; man hat sogar bei nochmaliger 
Operation an demselben Patienten gefunden, dass die Verklebungen 
sich mit der Zeit wieder lösen. Deshalb bevorzugt er die extra¬ 
peritoneale Methode. W. S. War in g empfiehlt so bald als mög¬ 
lich zu operieren und als Methode die Einnähung des Netzes in 
eine durch Peritoneum und Rektus gebildete Tasche. J. F. H. 
Broadhent hält es für ratsamer, zu warten, bis die Bauchhöhle 
sich zum zweiten Male füllt. Weit vorgeschrittene Fälle mit tief¬ 
greifender Zerstörung der Leberzellen sind für die Operation un¬ 
geeignet. 

Wichtiger als Statistiken, die Fälle der verschiedensten Dignität 
zusammenfassen und schwer kontrolliert werden können, sind die 
doch jetzt schon zahlreichen Einzelmitteilungen geheilter Fälle, die 
jahrelang verfolgt wurden. Bei einer Durchsicht der Literatur fällt 


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auf, dass viele Operateure, auch solche, welche jahrelang nur Miss¬ 
erfolge sahen, schliesslich über einen geheilten Fall berichten konnten. 

Diese mit den verschiedensten Methoden erzielten Heilungen 
beweisen, dass die T a 1 m a ’ sehe Operation imstande ist, den Aszites 
infolge von Pfortaderstauung zu beseitigen. Der Erfolg der Operation 
ist in der Regel kein unmittelbarer. Es dauert einige Zeit, bis sich 
genügend Kollateralen in den zur Adhäsion gebrachten Teilen ent¬ 
wickelt haben. Talma erwähnt, dass bisweilen schon nach acht 
Tagen die sichtbaren Bauchadem schwellen, ln der Regel dauert 
es aber zwei bis drei Wochen, oft vergehen auch viele Wochen, bis 
ein Erfolg eintritt. Die experimentellen Versuche und die Ergebnisse 
von Sektionen bestätigen, dass schon nach zirka einer Woche An- 
astomosen zwischen Netz und Bauchwand bestehen. Es ist deshalb 
begreiflich, dass oft in der ersten Zeit nach der Operation Punk¬ 
tionen gemacht werden müssen. 

Als äusseres Zeichen der Vaskularisation schwellen die sub¬ 
kutanen Venen der Bauchwand an. Es bildet sich ein Caput Medusae. 

Wir haben gesehen, dass auch die besten Statistiken nur öOo/o 
Heilungen aufweisen und sicher ist, dass die Zahl der Misserfolge 
sehr gross ist. Was ist die Ursache davon? Mit allen Methoden 
sind Erfolge und Misserfolge erzielt worden. Bei dem gegenwärtigen 
Stand der Sache ist es nicht möglich, einer Methode bezüglich des 
Erfolges den Vorzug zu geben. Vielleicht ist es möglich, auf dem 
von Omi auf Grund seiner experimentellen Untersuchungen vor¬ 
geschlagenen Wege bessere Resultate zu erzielen. Wie ich schon 
oben bei der Technik der Operation ausgeführt habe, sieht Omi 
in der möglichst ausgedehnten Verwachsung der Baucheingeweide 
untereinander und mit der Bauchwand den besten Weg zur Ab¬ 
leitung des Blutes der gestauten Pfortader, während er den Wert 
der Omentopexie nur gering schätzt. Er sucht dies durch eine sorg¬ 
fältige Tamponade der Bauchhöhle zu ereichen. Sicher kann dadurch 
eine reiche Vaskularisation erreicht und dem Blute der Pfortader 
können zahlreiche neue Seitenwege eröffnet werden. Ist der Ein¬ 
wand Bunge's gegen diese Methode, dass sie zu Darmblutungen 
Veranlassung geben könne, berechtigt, so wäre eine Kombination, 
von Splenopexie mit Omentopexie vielleicht vorzuziehen. Sie ver¬ 
mehrt auch die ableitenden Gefässbahnen. Für den Vorschlag O tn i ’ s 
spricht auch noch, wie Helferich betont, dass durch Verödung 
der Bauchhöhle einer Wiederansammlung des Aszites vorgebeugt 
werden kann. 

Eine wesentliche Ursache des Misserfolges liegt sicher in 
unrichtiger Diagnose. Wir haben schon erwähnt, dass nach Talma’s 
Ansicht die echte Leberzirrhose leicht mit einer Peritonitis serosa 
chronica mit sekundärer Leberzirrhose verwechselt werden kann. 


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25] 


Die Talma’sche Operation. 


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Da diese letztere durch die Operation nicht beeinflusst wird, da der 
Aszites bei ihr keine Folge der Pfortaderstauung, sondern ein ent¬ 
zündlicher Erguss ist, ist sie eine Ursache von Misserfolgen. 

Auch ist einleuchtend, dass in der ersten Zeit meistens weit 
vorgeschrittene Fälle, bei denen man schon das ganze therapeutische 
Rüstzeug vergebens versucht hat, zur Operation kamen. Bei der 
deletären Wirkung der Leberzirrhose auf den Organismus konnte 
in diesen Fällen kein Erfolg erzielt werden. Ehe ein Effekt von der 
Operation erwartet werden konnte, gingen die Patienten an Herz¬ 
schwäche, Pneumonie oder im Koma zugrunde. 

Ausser von einer Änderung der Technik sind also Dessere Re¬ 
sultate nur von einer frühzeitigeren Operation zu erwarten. 

Wann operiert werden soll, wird verschieden beantwortet, je 
nachdem Blutungen oder Aszites Anlass zu Operationen geben. Man 
kann kurz sagen, dass jede Blutung aus dem Magendarmkanal bei 
Leberzirrhose die Operation indiziert. Wenn auch bis jetzt nur 
theoretische Überlegungen die Zweckmässigkeit der Talma’sehen 
Operation bei Blutungen empfehlen, so scheinen mir diese Über¬ 
legungen doch so zwingend zu sein, dass ich glaube, dass dieser 
Indikation durchaus zugestimmt werden muss. 

Anders steht die Frage, wenn es sich um die Bekämpfung des 
Aszites handelt Talma rät nicht länger als bis zur zweiten Punk¬ 
tion zu warten. Soviel ich sehe, stehen die meisten Autoren auf 
dem Standpunkt, dass man erst operieren soll, nachdem 1—2 mal 
punktiert worden ist. Welp empfiehlt die Operation sofort nach 
festgestellter Diagnose an Stelle der ersten Punktion auszuführen 
und Montprofit noch während des hypertrophischen Stadiums 
bei beginnendem Aszites zu operieren. Gerade die diagnostischen 
Rücksichten machen es in der Praxis gewöhnlich unmöglich vor 
der ersten Punktion zu operieren. Aber wichtig ist es darauf hin¬ 
zuweisen, dass dieser Zeitpunkt eingehalten werden muss, wenn 
man gute Resultate erwarten will. 

Ich selbst hatte fünfmal Gelegenheit, die Operation auszuführen. 

Die Operationen wurden alle im Hause der Patienten gemacht. 
Zweimal kam Äthertropfnarkose, dreimal Lokalanästhesie in An¬ 
wendung. Als Methode benutzte ich die intraperitoneale Omento¬ 
pexie. 

1. Fall. Wirt, 36 Jahre alt, klagt seit längerer Zeit über Magen¬ 
darmbeschwerden und Anschwellung des Leibes. Die Untersuchung 
ergibt bei dem gut genährten Patienten einen stark meteoristisch- 
geblähten Leib mit Dämpfung in den abhängigen Partien, Undu- 
lation und Aufhellung der Dämpfung bei Lagewechsel. Die Leber 
reicht drei Querfinger breit unter den Rippenbogen. Die Milz ist 
vergrössert. Abusus in alcoholicis. 


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H. LADEN BERGER, 


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Differentialdiagnostisch kam tuberkulöse Peritonitis imd Ini¬ 
tialstadium der Leberzirrhose in Betracht. Die völlige Gesundheit 
der Lungen und der bei dem Beruf des Patienten wahrscheinliche 
und auch zugestandene reichliche Genuss von alkoholhaltigen Ge¬ 
tränken Hess die Diagnose: Initialstadium der Leberzirrhose wahr¬ 
scheinlicher erscheinen. 

Herz, Lunge und Nieren sind gesund. 

Bei der ohne vorhergehende Punktion vorgenommenen Ope¬ 
ration wurde der Befund bestätigt. Die Menge des Aszites war 
gering. Das Bauchfell war glatt, ohne Knötchen. 

Der Erfolg war ein sehr guter. Es entwickelte sich in den 
nächsten 3—4 Wochen ein starkes subkutanes Venennetz. Der 
Meteorismus verschwindet. 

Die Operation fand im Frühjahr 1902 statt. Seitdem befindet 
sich der Patient wohl und ist arbeitsfähig. Kein Bauchbruch. 

2. Fall. 56 jährige Frau, die seit einem halben Jahre eine An¬ 

schwellung des Leibes bemerkt, die sie auf den eingetretenen Wechsel 
zurückführt. ' 

Abgemagerte, leicht ikterische Frau mit starkem Aszites und 
Milztumor. Leber nicht palpabel, Dämpfung verkleinert. Keines der 
bekannten ätiologischen Momente nachweisbar. 

Ausser leichter Bronchitis sind keine Veränderungen an Herz, 
Lunge und Nieren nachweisbar. 

Diagnose: Atrophische Leberzirrhose. 

Ohne vorherige Punktion wird die Talma’sche Operation! 
gemacht. Zur leichteren Entleerung des Aszites wurde der Schnitt 
unterhalb des Nabels gemacht und dort das Netz fixiert. Bauch¬ 
fell glatt; Leber verkleinert, granuliert. 

Der Aszites sammelt sich nicht wieder an. Dagegen entwickelt 
sich hochgradiger Meteorislmus, der nach starker Entleerung des 
Darmes verschwindet, aber immer wiederkehrt. Wie schon erwähnt, 
nehme ich an, dass das Colon transversum durch das herabgezogene 
Netz geknickt und stenosiert wurde. Der Ikterus bleibt bestehen. 

Sechs Monate später starb die Patientin an einer Influenza¬ 
pneumonie. Ein Bauchbruch war nicht aufgetreten. 

3. Fall. 50 jährige, seit vielen Jahren herzleidende Frau, die 
schon oft an Ödemen litt. Das Herz ist Hach beiden Seiten ver¬ 
breitert; die Töne sind rein. Leber und Milz sind vergrössert. Der 
Puls ist unregelmässig. Zur Zeit der Ödeme ist die Urinmenge ver¬ 
mindert, der Urin eiweisshaltig. Mit Besserung der Herzkraft, her¬ 
beigeführt durch reichliche Darreichung von Digitalis, schwinden 
die Ödeme, der Urin wird eiweissfrei, der Aszites bleibt aber be¬ 
stehen. So bestand der Aszites während • mehrerer Jahre, während’ 
die Ödeme wechselten. 

Diagnose: Cirrhose cardiaque. 


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27] 


Die Talma'sche Operation. 


167 


Nach mehrmaligen Punktionen wird die Talma’sche Opera¬ 
tion gemacht. 

Nach ca. sechs Wochen sammelt sich der Aszites langsam 
wieder an und bleibt bestehen, ohne eine neue Punktion nötig zu 
machen. 

Nach ca. einem Vierteljahre erkrankt die Patientin unter den 
Erscheinungen eines Choledochusverschlusses und stirbt. 

Die Sektion ergibt eitrige Peritonitis infolge Perforation der 
steinhaltigen Gallenblase. Choledochusstein. Das Netz ist fest ver¬ 
wachsen und die Adhäsionen sind stark vaskularisiert. 

Ein Zusammenhang der zum Tode führenden Erkrankung mit 
der Netzfixation ist wohl auszuschliessen. 

4. Fall. 60 jähriger Wirt, seit Jahren krank und wegen Aszites 
schon oft punktiert. Bei der letzten Punktion war der Aszites stark 
bluthaltig. 

Nach Ablassen des Aszites lässt sich nachweisen, dass die 
Leber verkleinert, die Milz vergrössert ist. Abusus in alcoholicis. 

Es besteht Lungenemphysem mit chronischer Bronchitis. Herz 
und Nieren ohne Befund. 

Diagnose: Alkoholische atrophische Leberzirrhose. 

Bei der Operation ist das Netz so fettreich und verdickt, dass 
die Faszie darüber nicht vereinigt werden kann. 

Bei dem rasch sich wieder ansammelnden Aszites platzt die 
Hautnaht. 

Patient wird verwirrt, steht auf und geht spazieren. 8 Tage 
nach der Operation ist schon wieder eine Punktion nötig, bei der 
wieder stark bluthaltiger Aszites entleerrt wird. Bei der Operation, 
war die abfliessende Flüssigkeit ganz klar. Als Ursache für die 
Blutbeimengung konnte nur das stark vaskularisierte Bauchfell in 
Betracht gezogen werden. Die Blutung bei der in der Mittellinie* 
vorgenommenen Punktion muss als Blutung e vacuo infolge der Druck¬ 
verminderung im Bauchraum aufgefasst werden. 

24 Stunden nach der Punktion starb der Patient im Kollaps. 

5. Fall. 60jähriger Wirt, seit ca. einem Vierteljahre krank; 
öfters punktiert, zuletzt alle 10—14 Tage, wobei immer 10—12 Liter 
Flüssigkeit abgelassen wurden. 

Die Leber ist verkleinert, die Milz vergrössert. Über den 
Lungen hinten unten sind bronchitische Geräusche zu hören. Herz 
und Nieren sind gesund. Allgemeinzustand gut. 

Diagnose: Alkoholische atrophische Leberzirrhose. 

Bei der Operation ist das Netz mit der Bauchwand leicht 
verklebt. 


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H. LADENBERGER, 


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13 Tage nach der Operation war noch einmal eine Punktion 
nötig, bei der aber nur 6 Liter entleert wurden. Seitdem war der 
Aszites verschwunden. 

Ein Vierteljahr nach der Operation starb der Patient an einer 
Bronchopneumonie. 

Irgend einen Schluss kann man natürlich aus dieser kleinen 
Zahl von Operationen nicht ziehen. Ein länger dauernder Erfolg 
wurde nur im 1. Fall erzielt, bei dem unter äusserst günstigen Um¬ 
ständen operiert werden konnte. Auch im 2. und 5. Fall kann wohl 
von einem Erfolg gesprochen werden, da der Aszites verschwand. 
Interkurierende Erkrankungen führten in diesen Fällen bald nach 
der Operation zum Tod, ohne dass der Operation irgend eine Schuld 
daran angerechnet werden kann. Dieses Schicksal wird immer drohen, 
wenn man zu spät operiert oder wenn die Krankheit sehr früh 
ihren schädlichen Einfluss auf den Organismus zur Wirkung bringt. 

Zusammenfassend kann man sagen, dass theoretische, klinische 
und experimentelle Erfahrungen dafür sprechen, dass der durch 
Pfortaderstauung hervorgerufene Aszites durch die T a 1 m a ’sche Ope¬ 
ration beseitigt werden kann. Theoretische Überlegungen lassen es 
im höchsten Grade wahrscheinlich erscheinen, dass den Blutungen 
bei Pfortaderstauungen durch frühzeitige Operation vorgebeugt und 
die Wiederholung von Blutungen durch die Operation verhütet 
werden kann. 

Indiziert ist die Operation: 

I. bei Stenose des Pfortaderstamms, 

II. bei Erkrankungen der Verzweigung der Pfortader in der 

Leber. Dazu gehören: 

a) die Leberzirrhose und zwar sowohl die atrophische Form 
als auch die hypertrophische Form mit Ikterus und die 
Mischformen, 

b) die Cirrhose cardiaque, wenn auch hier der Erfolg sehr 
zweifelhaft ist, 

c) die Zuckergussleber und die Pick’sche perikarditische 
Pseudoleberzirrhose. 

Bei diesen Erkrankungen kommt zunächst die Kardiolyse in 
Betracht und die Talma ’sche Operation erst in zweiter Linie. 

d) Die B a n t i ’sche Krankheit im 3. Stadium, und zwar 
scheint es zweckmässig, die Milzexstirpation mit der 
Omentopexie zu verbinden. 

Kontraindikationen sind schwerere komplizierende Erkran¬ 
kungen des Herzens, der Lungen, der Nieren und schwerer Ikterus. 

Als Methode scheint die intraperitoneale Netzfixation zu ge¬ 
nügen. Sie ist die einfachste, ungefährlichste und deshalb gerade 


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29] 


Die Talm&’sche Operation. 


169 


bei diesen Erkrankungen am empfehlenswertesten. Besonders be¬ 
deutungsvoll ist, dass sie in Lokalanästhesie ausgeführt werden kann. 

Die Resultate sind bis jetzt noch wenig befriedigend, da auch 
die besten Statistiken höchstens 50 Prozent Dauerheilungen auf¬ 
weisen. 

Es wäre zu untersuchen, ob nicht die Resultate durch Ver¬ 
änderung der Technik zu verbessern wären. Dabei kommen die 
Vorschläge Ito’s und Omi’s und die Bunge’s in Betracht. Wenn 
der Vorschlag Omi’s, durch Tamponade eine Verwachsung der 
Därme untereinander und mit der Bauchwand und damit eine Ver¬ 
ödung der Bauchhöhle zu erzielen, wegen der Gefahr der Darmblutung 
nicht zweckmässig ist, wäre auf den Vorschlag Bunge ’s, die Spleno- 
pexie mit der Omentopexie zu kombinieren, zurückzukommen. 

Durch sorgfältige Auswahl der Fälle, genaue Diagnose und Be¬ 
rücksichtigung der Indikationen und Kontraindikationen sind die 
Resultate sicher bedeutend zu bessern. 

Bezüglich des Zeitpunktes der Operation ist zu bemerken, 
dass jede Blutung bei Pfortaderstauung die Operation sofort indiziert. 
Bei Aszites soll nicht länger gewartet werden, als bis die Diagnose 
einer Pfortaderstauung sicher feststeht. In Praxis heisst das, dass 
man die Operation nach der ersten Punktion machen soll, wenn der 
Aszites sich wieder ansammelt. Auf den der Stauung zugrunde 
liegenden Krankheitsprozess hat die Operation keinen heilenden Ein¬ 
fluss, auch auf eine Beseitigung des Ikterus darf nicht gerechnet 
werden. 


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Literaturverzeichnis. 


L Bozzolo, Pericardite latente; pseudocirrosi del fegato. Glinica moderna 1898. 
Nr. 7. Bef. Zentralbl. f. innere Medizin. 1899. Nr. 28. 

2. Bange, Die Talma-Drummond sehe Operation. Jena. 1905. 

3. Carschmann, Zur Differentialdiagnostik der mit Aszites verbundenen Erkran¬ 
kungen der Leber und des Pfortadersystems. Deutsche med. Wochenschrift 
1884. Nr. 35. 

3a. Derselbe, Diskussion aber den Vortrag: Venenerweiterungen bei Leberzirrhose. 
Ebenda. 1884. 8. 633. 

3b. Derselbe, Über tödliche Blutungen bei chronischer Pfortaderstauung. Deutsche 
med. W. 1902. Nr. 16. S. 289. 

4. Drummond-Morison, siehe bei Talma, Literaturverzeichnis. 

5. Eisenmenger, Über die Staunngszirrhose der Leber. Zeitschrift f. Heilkunde. 
Bd. 23. 1902. 

6. Franke, Verhandlungen der deutschen Gesellschaft fflr Chirurgie. 1902. S. 101. 

7. GriBson, Operative Heilung eines Stauungsaszites. Deutsche med. W. 1902. 
Vereinsbeilage. Nr. 47. 

8. Heidemann, Über Folgezust&nde von perikardialen Obliterationen. Berl. klin. 
Wochenschr. 1897. Nr. 5 u. 6. 

9. Helferich, Über Talmasche Operation bei Leberzirrhose. MOnchn. med. W. 
1902. Nr. 41. 

10. Hess, Über Stauungen und chronische Entzündungen in der Leber und den 
serösen Höhlen. Habilitationsschrift, Marburg 1902. Bef. Zentralbl. f. innere 
Medizin. 1903. Nr. 36. 

11. Joachim, Über die Bedeutung des Nachweises von Blutspuren in den Fäzes. 
Berl. klin. W. 1904. Nr. 18. 

12. Klopstock, Über Milztumor, Ikterus, Aszites bei Leberzirrhose. Virchow’s 
Archiv. Bd. 187. 1907. 

13. Kretz, Diskussionsbemerkungen zu Pal'8 Vortrag. 

14. Küs8ner, Über Leberzirrhose. Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge. 
Nr. 141. 

15. Lossen, Zur Kenntnis des Ban tischen Symptomenkomplexes. Grenzgebiete. 
Bd. 13. 1904. 

16. Mahakjan, C. N., Pfortaderthrombose. Beferiert Zentralbl. f. innere Medizin. 
1907. Nr. 5. 

17. Meyer, H., Ein Fall von Aszites infolge von Pfortaderkompression, geheilt 
durch die Talma sehe Operation. Beiträge z. klin. Chirurgie. Bd. 50. H. 2. 

18. Monprofit, Referat über die chirurgische Behandlung der Leberzirrhose auf 
dem 17. französischen Chirurgenkongress. 1904. 

19. Malier, Zur Frage der operativen Asatesbehandlung bei Pfortaderkompression. 
Zeitschr. f. klin. Chirurgie. Bd. 66. 


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31] Literaturverzeichnis. 171 

20. Nachod, Zur Kenntnis der perikarditischen Psendozirrhose. Prager med. W. 

1898. Nr. 23. 

21. Narath, Über die subkutane Verlagerung des Omentum. Zentralbl. f. Chir. 
1905, Nr. 82. 

21a. Neumann, Zur Frage der operativen Behandlung des Aszites bei Leberzirrhose. 
D. med. W. 1899. Nr. 26. 

22. öttinger, W., Beitrag zur Talmaschen Operation. Inaug.-Dissertation. 

Breslau 1904. 

23. Omi, Weitere experimentelle Untersuchungen zur Frage der Talma sehen 
Operation. Beitr. z. klin. Chirurgie. Bd. 58. S. 446. 

24. Ito-Omi, Klinische und experimentelle Beiträge zur chirurgischen Behandlung 
des Aszites. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. 62. 

25. Pal, Operative Behandlung des Aszites nach Talma. Wiener klin. W. 1902. 
Nr. 275. 

26. Pick, Über chronische, unter dem Bilde der Leberzirrhose verlaufende Perikar¬ 
ditis. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 29. 1896. 

27. Rommel aide, La pathologie de la veine porte. Ref. Zentralbl. f. Chirurgie. 
1908. Nr. 45. 

28. Rose, M.. Über Zuckergussleber und die fibröse Polyserositis. Würzburger Ab¬ 
handlungen. Bd. IX. Heft. 5. 

29. Schiassi, La Deviation chirurgicale du sang de la veine porte. La semaine 
mddicale. 1901. Nr. 19. 

30. Schupfer, Sopra le ascite che si asservano ne malati con sinechia del peri- 
cardio. Ref. Z. f. innere M. 1898. Nr. 28. 

31. Siegert, Über die Zuckergussleber und die perikarditische Pseudoleberzirrhose. 
Virchow’s Arch. Bd. 153, 

32. Talma, Chirurgische Eröffnung neuer Seitenbahnen für das Blut der Vena Portae. 
Berl. klin. W. 1898. Nr. 38. 

32a. Derselbe, Ebenda. 1900. Nr. 81. 

32b. Derselbe, Ebenda. 1904. Nr. 34. 

33. Tansini, Die Splenektomie und die Talmasche Operation bei der Ban ti¬ 
schen Krankheit Arch. f. kl. Chir. Bd. 67. 1902. 

34. Thiel, A., Beitrag zur operativen Behandlung der Bantischen Krankheit. 
Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 84. 

35. Ti 11 mann, Über die chirurgische Behandlung des Aszites. Deutsche med. W. 

1899. Nr. 18. 

36. Umber, Beitrag zur Pfortaderobiiteration. Mitteilungen aus den Grenzgebieten. 
Bd. 7. 1901. 

87. Werbatus, C., Ein Beitrag zur perikarditischen Pseudoleberzirrhose. Inaug.- 
Dissert Erlangen 1898. Ref. Z. f. innere M. 1899. Nr. 28. 

38. White, S., Surgical treatment of ascites secondory to vascular cirrhosis ofthe 
liver. Brit med. journ. 1906. Ref. Z. f. Chir. 1907. Nr. 5. 

39. Welp, Die Talmasche Operation bei Leberzirrhose. Kehr’s Beitrüge zur 
Bauchcbirurgie 1902. 

40. Westenhöffer, Ein Beitrag zum anormalen Kollateralkreislauf des Pfortader¬ 
systems bei Leberzirrhose. Berliner med. Ges. am 12. Nov. 1907. Ref. Deutsche 
med. Wochenschr. 1907, S. 1561. 


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Anhang. 


Ich habe die Kasuistik Banges weiterzufahren versucht, soweit es bei der 
mir zur Verfügung stehenden Literatur möglich war. 

1. Milchner, R., Alkoholische Leberzirrhose bei einem 8jfthrigen Kind. Die 
Chancen der Operation. Therapie der Gegenwart 1904. Nach erfolgloser innerer 
Behandlung Omentopexie. Nach 14 Tagen Tod an Herzschwäche. Caput Me- 
dusae ausgebildet. 

2. öttinger, W., siehe Literaturverzeichnis. 8 Fälle aus der Klinik Miculicz, 
davon 2 gestorben, 1 gebessert. 

3. Guillot, M., und G. Courbet, De l'omentopexie sushepatique (modificatiou 
de l’operetion de Talma.) Eef. Zentralblatt f. Chirurgie. 1905. Nr. 6. 47 jähriger 
Patient, der in 10 Wochen 9mal punktiert werden musste, wobei jedesmal 
12—15 1 entleert wurden. Leber herabgezogen, Netz an das Ligamentum falci- 
forme geheftet und ausserdem mit 3 von den 6 Bauchdeckennähten gefasst In 
den nächsten 4 Wochen nach der Operation musste noch 4 mal punktiert werden. 
Vs Jahr später ist Patient frei von Aszites und Beschwerden. 

4. Ceccherelli, Contributo alla cura chirurgica della cirrosi epatica. Ref. Zen¬ 
tralblatt f. Chirurgie. 1905. Nr. 43. 

1. 35jähriger Mann stirbt einige Tage nach der Operation an Blutung aus öso- 

phagusvaricen. 

2. 69jährige Frau stirbt nach 6 Monaten an Gehirnblutung. 

3. 38jähriger Mann wird geheilt. Nach der Operation ist noch eine Punktion 

nötig. 

Nach Versuchen mit Zanoni stellt er fest, dass bei Kaninchen die Blutversor¬ 
gung der transplantierten Teile zwischen Muskeln und Haut schlechter 
erfolgt als zwischen Bauchfell und Muskeln. Die Gefässneubildung tritt 
schon nach 5 Tagen ein. 

5. Cignozzi, Operation bei Leber-Zirrhose mit Aszites. Ref. Deutsche med. W. 
1905. Nr. 10. S. 396. 

1 Fall von Muskatnussleber und 1 Fall von atrophischer Zirrhose; beide geheilt 

6. Bin di, Heilung einer Leber-Zirrhose durch die Talma’sche Operation. Ref. D. 
m. W. 1905. Nr. 44. S. 1772. 

Empfehlung der Operation. Kasuistik. 

7. Maragliano, Neue Gefahr der Talmaschen O peration. Gazz.d'ospe- 
dali Nr. 115. Ref. D. m. W. 1905. Nr. 41. S. 1653. 

3 Tage nach der Operation stirbt Patient unmittelbar nach starkem Brechen 
unter den Zeichen einer inneren Blutung. Die Sektion deckte als Quelle 
der Blutung ein zerrissenes Gefäss des fixierten Netzes. Diese Ruptur ist 
so zu erklären, dass der durch die Operation in seinen Bewegungen ge¬ 
hemmte Magen beim Brechen am Netz gezerrt hatte. 


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33] Anhang. 171? 

8. Wheeler, The Talma-Morisonoperation, with a rapport of a successful case. 
Ref. Zentralbl. f. Chir. 1906. Nr. 3. 

1 Fall von wahrscheinlich hypertrophischer Zirrhose mit schwerem Aszites 

dauernd und völlig geheilt 6 Wochen nach der Operation musste durch 
Punktion 2 1. Aszites entleert werden. 

9. Frank, Über Talma-Operationen. Wiener klin. W. 1906. Nr. 4. 

2 Fälle, längere Zeit punktiert Splenopexie. Im 1. Fpll völlige Heilung seit 

4*;t Monaten; im 2. Fall deutliche Verringerung des nach der Operation 
wieder aufgetretenen Aszites. 

10. Monroe, T. K., and A. N. Mc. Gregor, A successful case of epiplopexy for 
cirrhosis of the liver. Z. f. innere Med. 1907. Nr. 6. 

40jähriger Patient mit Aszites und Hämatemesis. Nach 8 Monaten Aszites ver¬ 
schwunden, arbeitsfähig. Milz noch vergrössert. 

11. Turner, C., The cur of ascites by Operation. Ref. Z. f. Ch. 1907. Nr. 5. 

16 Fälle von Rüther Ferd.-Morison. 

5 endeten wenige Tage nach der Operation tödlich. * 

3 an Pneumonie, 1 an Urämie, 1 an Cholämie. 

Von 11 überlebenden Patienten starben 5 späterhin und zwar 

6 Jahre später an Aszites und Urämie, 

2 * , „ Cholämie nach der Operation des Bauchbruchs, 

19 Monate später an Bluterbrechen; nach der Operation 69mal punktiert, 
5 „ „ „ Cholämie und Lebersyphilis, 

4 „ „ „ Karzinose des Bauchfells. ’ 

Von den 6 übrigen wurden 5 wieder aufgefunden, die 7, 2 1 ?, 1—*/a Jahr 
nach der Operation gesund sind, einer zeigte 3 1 !a Jahr nach der Operation 
Rückkehr der früheren Symptome. 

12. Tilmann-Köln berichtet auf dem 35. Mittelrheinischen Ärztetag zu Godesberg 
am 2. Juni 1907 (Münch, med. Wochenschrift 1907, S. 1403) über 7 Fälle und 
zwar 4 Fälle von Leberzirrhose, 2 von Zuckergussleber und 1 von perikarditischer 
Pseudoleberzirrhose. Iu allen Fällen war schon mehrfach punktiert worden. 

1 Frau starb nach 8 Wochen an Erschöpfung. 

2 Fälle sind erst 8 resp. 10 Wochen alt, daher noch kein deutlicher Erfolg be¬ 

merkbar. 

4 Fälle hatten Erfolg; sie sind 4, 5, 15 und 24 Monate ausser Behandlung. 
Seine Methode besteht in Anätzung des Netzes und der vorderen Bauch wand 

mit Sublimat und Fixierung des Netzes an der Bauchwand mit einigen 
Nähten. Ein Erfolg ist nach 2-3 Monaten zu erwarten. 

13. Van der Velde nnd Nörser, Leberzirrhose, Aszites, Talma’sche Operation. 
Journ. de Bruxelles Nr. 30. Ref. Deutsche med. Wochenschrift 1907, S. 940. 

1 Fall dauernd geheilt. 

14. El bogen, Tal mansche Operation. Wiener med. Wochenschrift 1907, Nr. 3/4. 
Narath’s Modifikation der Talma’schen Operation unter Lokalanästhesie bei 
einem Fall von Leberzirrhose mit hochgradigem Aszites. Erfolg. Exitus nach 

5 Monaten am Grundleiden. 

14. Marocchi. Über die späteren Ausgänge der Tal manchen Operatiou. L’os- 
pedale Maggiore A. 1906, Nr. 2 3. Ref. Münchner med. Wochenschr. 1907, S. 282. 
Aus dem Material des Mailänder Stadtkrankenhauses zieht er folgende Schlüsse: 
Die besten Resultate erzielt man bei der gefahrlosen Operation je früher man 
operiert; bei den venösen hypertrophischen Zuständen der Leber sind die Resul¬ 
tate recht gut; einige Zeit nach der Operation tritt eine Besserung der Leber¬ 
funktion ein. 


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Anhang. 


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fl* 


15. Scarpini, 2 Fälle von Leberzirrhose mit chirurgischer Deviation des Blotes 
der Pfortader. La clinica moderne 1906, Nr. 23. Empfehlung der Operation. 

16. M eisei, Verein Freiburger Ärzte, 25. I. 1907. Münchener med. Wochen sehr 
1907, S. 962. 

Ein geheilter Fall. 

17. L i e b 1 e i n (Prag), Klinische Beiträge znr Talma 'sehen Operation. Prager med. 
Wochenschr. 1908, Nr. 2. Bericht über 15 Fälle aus Wölfl er's Klinik. In 
3 Fällen musste man sich wegen Schrumpfung oder Verwachsung des Netzes 
auf eine Probelaparotomie beschränken. 

Von den 12 anderen starben 4 im Anschluss an die Operation an eitriger Peri- 
tonitis, in 2 davon war neben Netzanheftung noch die suprapubische 
Drainage der Bauchhöhle gemacht worden. 

In den zwei anderen trat am Ende der 2. Woche Platzen der Bauchnaht und 
Prolaps der Eingeweide ein. 

Ein Fall starb 3 Tage nach der Entlassung an Pneumonie. 

Von den 7 länger lebenden Fällen war die Operation in 2 vollständig erfolglos, 
in 2 trat vorühergehende Besserung ein, in den 3 übrigen ist der Aszites 
seit 13-22 Monaten geschwunden. Also 25°/o Heilungen. 

Lieb lein erklärt den Misserfolg in anscheinend günstigen Fällen durch die 
Annahme, dass der Aszites oft toxischer oder entzündlicher Natur sei. 

18. CorBon, Narath's modification of Talma's Operation for hepatic-cirrhosis. Annais 
of surgery 1907, December. Ref. Zentralbl. f. Chir. 1907, Nr. 11. 

Corson Ist ein grosser Anhänger der von Narath bei Leberzirrhose emp¬ 
fohlenen subkutanen Einpflanzung des Netzes. Er glaubt, dass diese 
Operation ungefährlicher und sicherer sei. Ein erfolgreich operierter Fall 
wird beschrieben. 

Das sind also 54 Fälle mit 22 (40,8 °/o) Mortalität, davon sind 14 unmittelbar 
nach der Operation, 8 später gestorben ; 5 Fälle zeigten vorübergehende 
Besserung und 24 (44,4 °/o) sind geheilt. Zusammen sind es 274 + 54 = 
328 Fälle mit 83 -f 24 = 107 Heilungen. Also auch hier wieder etwa 
30°/o. Auffällig ist die grosse unmittelbare Mortalität. 


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Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden 
und seine Diagnose. 

Von 

Dr. Richard Veckenstedt, 

Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Halsleiden in Düsseldorf. 


Vorwort. 

Uber den Kopfschmerz als Erkennungszeichen einer bestimmten 
Krankheit oder Krankheitsgruppe zu schreiben, dürfte auf den ersten 
Blick als ein gewagtes Unternehmen erscheinen. Ist doch der Kopf¬ 
schmerz, wie der Schmerz überhaupt, ein seinem ganzen Wesen 
nach bisher noch unerforschtes, rein subjektives Gefühl, von dessen 
Vorhandensein, Sitz, Beschaffenheit und Stärke uns nur das davon 
betroffene Individuum Aufschluss geben kann. Da wir nicht imstande 
sind, ihn objektiv bei dem Patienten festzustellen, so sind wir aus¬ 
schliesslich auf die Schmerzäusserungen angewiesen, wie sie sich 
uns in seinen Schilderungen und seinem Benehmen darstellen. Das 
trifft auch für die Fälle zu, in denen es uns gelingt, den Kopfschmerz 
durch äussere Massnahmen, z. B. durch Druck willkürlich hervor¬ 
zurufen. 

Naturgemäss sind die Schmerzäusserungen verschieden, je nach 
dem Bildungsgrade und der Beanlagung des Kranken. Der intelligente 
und für seine Gesundheit besorgte Patient wird uns eine detaillierte 
Beschreibung seines Schmerzes geben können, wobei er selbst die 
leisesten Nebenempfindungen und seelischen Stimmungen nicht ver¬ 
gisst, wogegen der ungebildete, indolente Kranke sich meist weder 
eine genaue Rechenschaft darüber gibt noch seinen Gefühlen einen? 
klaren Ausdruck verleihen kann. Ebenso variabel ist der Aufschluss, 
den wir vom Kranken über den Grad der Schmerzempfindung er¬ 
halten, da dieser offenbar von der Fähigkeit des Individuums, 
Schmerzen zu ertragen, abhängig ist. 

Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 8. 13 


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176 


R. VECKENSTEDT, 


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Trotz dieser Schwierigkeiten ist es aber möglich, sich durch 
Vergleichung einer grossen Zahl hinsichtlich Ursache und Wirkung 
gleichgearteter Fälle ein ziemlich klares und sicheres Bild von dem 
im Einzelfalle vorhandenen Kopfschmerz zu machen. Das gilt 
namentlich vom nasalen Kopfschmerz, dessen Entstehungsursache 
direkter Untersuchung zugänglich ist. Wenn auch seine Vielgestaltig¬ 
keit zunächst einen verwirrenden Eindruck hervorzurufen imstande 
ist, so lassen sich doch bei genauerem Studium einzelne, wohl 
charakterisierte Formen herausheben, welche für die Diagnose von 
Wert sein können. 

Nachdem zuerst Hack im Jahre 1882 in seinen Aufsehen er¬ 
regenden Veröffentlichungen den Zusammenhang von Reflexneurosen 
und Nasenleiden betont hat und im Jahre 1893 Scheinmann 
und B r e s g e n auf die Abhängigkeit des Kopfschmerzes von Nasen¬ 
leiden hingewiesen haben, soll die vorliegende Abhandlung im Hin¬ 
blick auf die Wichtigkeit dieser noch nicht genug gewürdigten Tat¬ 
sache unter Zugrundelegung von seitdem gemachten fremden und 
auch eigenen Erfahrungen erneut die Aufmerksamkeit auf den nasalen 
Kopfschmerz lenken und zugleich die Frage zu beantworten suchen, 
inwiefern die einzelnen Formen desselben auf das Vorhandensein 
von Nasenleiden schliessen lassen. 

Meine Abhandlung erhebt somit nicht den Anspruch, etwas 
durchaus Neues bieten zu wollen, sondern sieht ihren Zweck viel¬ 
mehr darin, einem offenbaren praktischen Bedürfnis entgegen zu 
kommen, wobei ich der Zustimmung meiner Spezialkollegen gewiss 
zu sein glaube. 


Das quälendste Symptom, das bei Nasenkrankheiten auftreten 
und durch seine Heftigkeit alle anderen Begleiterscheinungen völlig 
in den Schatten stellen kann, ist zweifellos der Kopfschmerz. Von 
•den leisesten „Mahnungen“ an kann er sich durch alle Intensitäts¬ 
grade hindurch zu einer so unerträglichen Heftigkeit steigern, dass 
er den davon Befallenen bis zur Raserei, ja bis zu ernsthaften Selbst¬ 
mordgedanken treibt. Aber selbst wenn er sich in erträglichen 
Grenzen hält, vermag er doch jede geistige oder körperliche An¬ 
strengung unmöglich zu machen und jeden Lebensgenuss zu ver¬ 
kümmern. Dies ist um so bedauerlicher, als der nasale Kopfschmerz 
im Gegensatz zu dem durch andere Krankheiten hervorgerufenen 
keiner mehr oder [weniger langen Kur zu seiner Heilung bedarf, 
sondern durch sachgemäss eingeleitete bezw. operative Behandlung 
des Grundleidens fast stets und oft mit einem Schlage beseitigt 
werden kann. 


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3] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 177 


Leider aber wird sein Ursprung noch häufig verkannt und 
mit der bequemen Diagnose „Nervosität“ abgetan, was besonders 
dann der Fall zu sein pflegt, wenn er das einzige Symptom ist. 
Dementsprechend werden dann ohne jeden oder bleibenden Erfolg 
alle möglichen Kopfschmerzenmittel, Naturheilverfahren, Elektrizität, 
Sanatoriumaufenthalt und andere Kuren versucht, bis sich der 
Kranke, die Erfolglosigkeit derselben einsehend, entweder einer 
stumpfen Resignation ergiebt oder aus Zufall vor die richtige 
Schmiede kommt. 

Trotz der bedeutenden Fortschritte, welche in den letzten fünf¬ 
zehn Jahren die Erkennung und Behandlung von Nasenleiden ge¬ 
macht hat, weiss noch heutzutage jeder Nasenarzt über zahlreiche 
Fälle aus seiner Praxis zu berichten, in denen die den Kopfschmerz 
verursachende Nasenaffektion vollständig übersehen wurde, ja auch 
dann noch übersehen wurde, wenn andere Symptome, als Ver¬ 
stopfung der Nase, eitriger Ausfluss und Störung der Geruchs¬ 
empfindung zu einer Untersuchung des Naseninnem geradezu her- 
ausfordem mussten. Dass diese Versäumnis häufig nicht ohne un¬ 
angenehme Folgen für den Ruf des Arztes und die Gesundheit des 
Patienten abgeht, ist nicht zu verwundern. Schon in den minder 
schweren Fällen ist es recht # peinlich, auf die erstaunte Frage des 
Kranken, weshalb ihn der behandelnde Arzt nicht schon längst auf 
sein Nasenleiden aufmerksam gemacht und ihn in sachgemässe Be¬ 
handlung gegeben habe, eine beschwichtigende Ausrede finden zu 
müssen. Aber weit unangenehmer wird die Situation, wenn ausser 
dem Kopfschmerz erst noch bedrohliche Erscheinungen von seiten 
des Gehirns oder des von der Nase nach der Augenhöhle durch¬ 
brechenden Eiters oder Tumors in Gestalt des seitwärts verlagerten 
oder nach vorn getriebenen Augapfels den Anlass zu der bisher ver¬ 
säumten rhinoskopischen Untersuchung und Behandlung geben 
müssen, zumal wenn sie zu spät kommt und die Unterlassungssünde 
nicht wieder gut gemacht werden kann. In Anbetracht der oft lang¬ 
jährigen Qualen, die der Patient, ich möchte sagen unnötigerweise, er¬ 
litten hat, erscheint seine Entrüstung manchmal wohl begreiflich. 

Allerdings gibt es Fälle von nasalem Kopfschmerz, die so wenig 
charakteristisch sind, dass ihr Zusammenhang mit Nasenleiden nicht 
ohne Weiteres festzustellen ist, und in denen selbst ein erfahrener 
Spezialist grosse Mühe und Geduld aufwenden muss, um den ge¬ 
nauen Sitz der Erkrankung in der Nase zu erkennen und durch Be¬ 
seitigung der Kopfschmerzen die Probe auf die Richtigkeit seiner 
Diagnose und Behandlung zu machen. Auch kommt es bisweilen 
vor, dass ein Patient so sehr von dem Nichtvorhandensein einer 
Nasenaffektion überzeugt ist, dass er die ihm vorgeschlagene rhino- 
skopische Untersuchung mit der Bemerkung für überflüssig erklärt, 

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dass er „in der Nase nichts habe“ und die Kopfschmerzen unmög¬ 
lich davon herrühren könnten. Andererseits deutet aber nicht selten 
die Art und der Sitz derselben von vornherein mit hoher Wahr¬ 
scheinlichkeit auf ein Nasenleiden hin, so dass auch der nicht mit 
allen Untersuchungsmethoden vertraute oder aus äusseren Gründen 
in ihrer Anwendung behinderte Arzt zur richtigen Diagnose „Nasen¬ 
kopfschmerz“ gelangen und das Weitere veranlassen kann, da die 
genaue Lokalisation des Leidens natürlich stets erst einer eingehen¬ 
den Untersuchung des Naseninnern Vorbehalten bleiben muss. 

Wenn ich zunächst der Frage näher trete: Was ist Kopf¬ 
schmerz?, so möchte ich diesen Begriff dahin präzisieren, dass ich 
darunter nicht nur den Schmerz im Schädel, sondern auch am 
Schädel verstehe. Dann lassen sich drei Formen von Kopfschmerz 
bei Nasenleiden unterscheiden, der lokale, der lediglich die En¬ 
digungen sensibler Nerven in der Schleimhaut der Nase imd ihrer 
Nebenhöhlen, der neuralgische, der die gesamten Verbreitungs- 
bezirke derselben vom Austritt aus dem Gehirn an, und der zere¬ 
brale, der das Gehirn mit seinen Häuten betrifft. Diese drei Formen 
können verschiedene Kombinationen miteinander eingehen, aber weil 
jede sowohl für sich auftreten kann als auch von verschiedener 
Wichtigkeit für die Diagnose ist, halte ich ihre gesonderte Be¬ 
sprechung für nötig. 


Der lokale Kopfschmerz. 

Der lokale Kopfschmerz bei Nasenleiden beschränkt sich auf 
die Endausbreitung des sensiblen ersten und zweiten Trigeminus¬ 
astes. Und zwar ist es vom ersten Ast der Nervus ethmoidalis, der 
die vorderen Abschnitte der Nasenhöhle und das Septum, die vor¬ 
deren Siebbeinzellen und die Stirnhöhle sowie die äussere Haut 
der Nase bis zur Spitze und die der Stirn von der Mittellinie nach 
auswärts etwa bis zur Mitte der Augenbraue mit Gefühlsfasern 
versorgt, während vom zweiten Ast die Nervi dentales superiores 
sich auf dem Boden der Nasenhöhle und in der Kieferhöhle verbreiten, 
und drittens die Zweige des Ganglion sphenopalatinum in den 
hinteren Abschnitten der Nasenschleimhaut und des Septums so¬ 
wie in den hinteren Siebbeinzellen und in der Keilbeinhöhle die 
Gefühlsempfindung vermitteln. Die Kenntnis von der Abgrenzung 
dieser drei Gefühlszonen in der Nase ist deshalb von Bedeu» 
tung, weil sie Schlüsse auf die Lokalisation von Nasenleiden zulässt. 
Wir werden nämlich nicht fehlgehen, wenn wir dementsprechend 
Schmerzen am oberen, inneren Augenwinkel oder über der Augen¬ 
braue auf eine Erkrankung des vorderen Abschnittes der Nasen¬ 
höhle, der Stirnhöhle oder des vorderen Siebbeines, Schmerzen in 


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5] Der Kopfschmerz als h&nfige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 179 


der Tiefe des Kopfes auf eine Erkrankung des hinteren Abschnittes 
der Nasenhöhle oder der Keilbeinhöhle und Schmerzen in der Wange 
oder Zahnschmerzen bei intaktem Gebiss, die sich nach der Wange 
oder Nase hinziehen, auf eine Erkrankung der Kieferhöhle oder 
des Nasenbodens beziehen. 

Als Ursachen für die Entstehung von lokalen Schmerzen 
kommen fast nur die akuten Nebenhöhlenentzündungen respektive 
die Exazerbationen der chronischen Nebenhöhlenentzündungen und 
ausserdem geschwürige Prozesse in Betracht. 

Bei den akuten Nebenhöhlenentzündungen pflegt 
die Schmerzhaftigkeit im Höhestadium der Erkrankung fast stets 
vorhanden und so streng lokalisiert zu sein, dass der Patient selbst 
manchmal imstande ist, den genauen Sitz der Schmerzen mit Sicher¬ 
heit zu beschreiben oder sogar durch eine mit dem Finger gezogene 
Linie abzugrenzen. Dies ist hauptsächlich der Fall bei dem akuten 
Empyem der am oberflächlichsten von allen Nebenhöhlen gelegenen 
Stirnhöhle. Objektiv lässt sich die erhöhte Empfindlichkeit durch 
Betasten der Höhlenwände hervorrufen und zwar mit solcher Prä¬ 
zision, dass es des öfteren gelungen ist, hiermit die Konturen der 
Stirnhöhle an der vorderen Wand festzustellen. Kuhnt hat ge¬ 
funden, dass die mittelst Kopierstiftes in dieser Weise markierten 
Linien vollkommen den nach der Trepanation Vorgefundenen Grenzen! 
entsprechen. 

Die Druckempfindlichkeit kann so enorm sein, dass 
der Kranke schon bei der leisesten Berührung der Stirnhöhlenwand 
entsetzt, mit dem Kopfe zurückfährt und zu keiner Wiederholung 
der Manipulation zu überreden ist. Aber auch in weniger ausge¬ 
sprochenen Fällen tritt die lokale Schmerzhaftigkeit beim Beklopfen, 
mit dem Zeigefinger oder dem Perkussionshammer in Erscheinung. 
Wahrscheinlich rührt sie hier von einer Erschütterung der Knochen¬ 
wände her, da auch ein stärkeres Klopfen der gesunden Seite durch 
Fortpflanzung der Erschütterung Schmerzgefühle auf der kranken 
Seite erregen kann. Den höchsten Grad pflegt die Druckempfindlich¬ 
keit zu erreichen, wenn sich, was aber nur selten vorkommt, eine Per¬ 
foration entwickelt. Dies erklärt sich daraus, dass derselben ge¬ 
wöhnlich eine zirkumskripte Periostitis mit Infiltration der Weichteile 
vorangeht. Anders verhält sich der Druckschmerz im sogenannten 
Ruhestadium der Entzündung, wo Fieber und Reizerscheinungen 
verschwunden sind. Während man dann an der Vorderwand der 
Stirnhöhle, vielleicht mit Ausnahme einer Stelle an der Nasenwurzel 
entsprechend den hier häufig auftretenden spontanen Schmerzen, im 
allgemeinen keine druckempfindliche Stelle findet, gehört es selbst 
im Stadium der Intervalle zu den seltenen Ausnahmen, wenn der; 
Druckschmerz auch an der orbitalen Fläche schwindet, da diese 


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erheblich dünner ist als die vordere Stirntafel und überdies sich 
an ihr die Perforationen bei Empyemen mit Vorliebe entwickeln. 
Vielmehr sind es hier gewöhnlich zwei Stellen: der innere, obere 
Augenwinkel und die Stelle hinter der Incisura supraorbitalis, welche 
eine ganz exquisite Empfindlichkeit zeigen. Wenn man auch von den 
gelegentlich der Perforation an dieser Stelle sich entwickelnden Ge- 
websverdickungen und entzündlichen Infiltraten absieht, in deren 
Umgebung die Schmerzhaftigkeit eine ganz hervorragende Intensität 
erreicht, so zeichnen sich in Fällen, in welchen von einer Usurierung 
und Perforation der Orbitalplatte noch gar keine Spur vorhanden ist, 
die erwähnten zwei Stellen der Orbitalfläche durch ihre besondere 
Druckempfindlichkeit aus, selbst dann, wenn dieselbe an der vorderen 
Tafel eine relativ geringfügige ist (Haje k). Sie stellt daher ein wert¬ 
volles, äusserlich konstatierbares Symptom zur Diagnose der relativ 
schwer diagnostizierbaren, sogenannten latenten Stimhöhlen- 
affektionen dar, das nur selten vermisst wird. 

Weniger konstant ist die lokale Schmerzhaftigkeit bei der akuten 
Kieferhöhleneiterung. Sie tritt nach Hajek nur bei zweierlei 
Arten auf: 1. Bei akuten Empyemen dentalen Ursprungs, in welchen 
der Eiterung der Kieferhöhle heftige Periostitis des Alveolarfortsatzes 
und des Oberkiefers vorangeht und 2. bei akuten Empyemen, welche 
sich an eine schwere Influenza oder an eine erysipelatöse Infektion 
anschliessen. Der charakteristische Schmerzpunkt pflegt der Pro¬ 
cessus frontalis des Oberkiefers zu sein, welcher auch nach Ablauf 
der akuten Symptome noch am längsten empfindlich bleibt. 

Bei der akuten Entzündung des vorderen Siebbein¬ 
labyrinthes soll man nach der Angabe Grünwald’s durch 
Druck auf das Tränenbein Schmerzen erwecken können, ein 
Symptom, das aber keineswegs konstant ist. Viel häufiger ist 
dagegen die Klage über ein dumpfes Gefühl am Nasenrücken, 
welches sich zuweilen bis ins Unerträgliche steigert. Da ferner 
das Empyem des Siebbeinlabyrinthes oft mit dem anderer Neben¬ 
höhlen kombiniert ist, so lässt es sich in den einzelnen Fällen schwer 
sagen, wie viel von den vorhandenen Symptomen auf Rechnung der 
Siebbeinaffektion zu setzen ist. 

Bei den akuten Entzündungen des hinteren Siebbein¬ 
labyrinthes und der Keilbeinhöhle lässt sich natürlich 
der lokale Druckschmerz durch Betastung mit dem Finger nicht 
nachweisen, dagegen habe ich ihn im Höhepunkt der Erkrankung 
einige Male mit der Sonde feststellen können. Die Empfindlichkeit 
an diesen Stellen, die schon dem Blick durch vermehrte Röte und 
ödematöse Schwellung der Schleimhaut auffielen, war so gesteigert, 
dass sie selbst durch Kokainisierung nicht völlig aufgehoben 
werden konnte. 


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7] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 181 


Der spontane Schmerz bei den akuten Empyemen beginnt 
gewöhnlich mit einem Gefühl der Spannung in der betreffenden! 
Höhle, das sich zu einem Druck und schliesslich zu einem heftigen 
Bohren, Hämmern und Klopfen steigert. Von seinem Entstehungs¬ 
orte aus kann er auch nach den Nachbargegenden ausstrahlen, so 
von der Kieferhöhle aus nach den Zähnen und der Schläfengegend 
und von der Stirnhöhle aus am häufigsten nach dem Auge oder 
nach oben bis zur Haargrenze und darüber hinaus. Als besondere 
Merkwürdigkeit muss erwähnt werden, dass auch der von der Keil¬ 
beinhöhle ausstrahlende Schmerz nach vom in die Stirn verlegt 
werden und deshalb leicht zu diagnostischen Irrtümern Anlass 
geben kann. 

Zur Erklärung der ausserordentlichen Heftigkeit, die der Kopf¬ 
schmerz bei akuten Nebenhöhlenempyemen erreichen kann, genügt 
es nach Killian nicht, auf die entzündlichen Veränderungen der 
Schleimhaut allein hinzuweisen. „Wenn das in ihrem Stroma ent¬ 
stehende ödem auch auf die verschiedenen hier in Frage kommenden 
Ästchen des Trigeminusastes drückt und dehnt, so entsteht doch 
dadurch im allgemeinen nur ein mässiges Schmerzgefühl. Ganz 
anders gestaltet sich die Sachlage, sobald die geschwollene Schleim¬ 
haut die Wegsamkeit der Ausführungsöffnung behindert und auf¬ 
hebt. Die bei mässiger Exsudatbildung eintretende Luftverdünnung 
oder die Anstauung eines in grosser Menge gebildeten Exsudates 
führen eine Vermehrung des Schmerzes bis zu den höchsten Stufen 
herbei, die erstere, weil sie so stark ansaugend, die letztere, weil 
sie drückend auf die Mukosa wirkt." Dass der Schmerz im wesent¬ 
lichen vom Verschluss des Ausführungsganges abhängig ist, beweist 
das sofortige Verschwinden oder doch Nachlassen desselben, wenn 
es gelingt, durch Kokainisieren die meist ödematöse Schleimhaut 
zur Abschwellung zu bringen oder durch operatives Beseitigen der 
Polypen und Granulationen die Öffnung der Höhle so weit durchgängig 
zu machen, dass der angesammelte Eiter von selbst abfliessen oder 
ausgespült werden kann. Die Sekretstauung kann ausser durch den 
Verschluss des Ausführungsganges auch durch die ungünstige Lage 
desselben erfolgen und dadurch den Anlass zu dem viel beschriebenen 
periodischen Charakter der Schmerzanfälle geben, welche be¬ 
sonders beim Stimhöhlenempyem beobachtet werden. Auf den ersten 
Blick ist es ja auffallend, dass sich diese Attacken zu einer bestimmten 
Tageszeit, meist morgens oder vormittags einzustellen pflegen. Man 
hat verschiedene Theorien zur Erklärung dieser rätselhaften Er¬ 
scheinung aufgestellt. Von allen die plausibelste scheint mir diejenige 
zu sein, welche die Kopfhaltung des Patienten dafür verantwortlich 
macht. Während nämlich am Tage die aufrechte Haltung, sowie 
Schneuzen und Niesen bei nach unten gelegenem Ostium fordernd 


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auf den Ausfluss des Exsudates aus der Stirnhöhle einwirken, ist 
hierfür in der Nacht die Kopfhaltung insofern eine ungünstige, als 
das Ostium dann nicht mehr eine tiefe Lage annimmt, sondern mehr 
oder weniger nach oben zu liegen kommt, was zu einer Ansammlung 
des Sekretes in der Höhle führen muss. Auch wird es natürlich des 
Nachts selten oder gar nicht zum Schneuzen oder Niesen kommen. 
So erklärt es sich, dass am Morgen oft starke Schmerzen vorhanden 
sind, die einige Stunden anhalten und nachmittags wieder einem 
erträglichen Zustande Platz machen, wenn das Sekret wieder freien 
Abfluss hat. Nach meiner Beobachtung trägt zur Retention desselben 
auch die während des Schlafes leicht eintretende Bildung einer 
Kruste am Ostium bei, die ich fast nur am Morgen gefunden habe, 
da sie nachmittags vom Sekret schon abgelöst oder ausgeschneuzt 
zu sein pflegt. Die Periodizität dieser Schmerzanfälle führt leicht 
zu der irrigen Ansicht, dass sie echte Neuralgien seien, trotzdem 
sie sich nur in der betreffenden Höhle abspielen und die lokale 
Schmerzhaftigkeit der ganzen Höhlenwand weder spontan noch beim 
Beklopfen und Betasten vermissen lassen. 

Folgender typischer Fall diene sowohl zur Beleuchtung des 
Gesagten als auch zum Beweise für den hohen Wert der sich aus der 
richtigen Diagnose ergebenden rationellen Therapie: 

Fall I. Sonst gesundes Mädchen von 16 Jahren erkrankte 
14 Tage vor der ersten Untersuchung, welche am 21. Januar 1907 
stattfand, nach der Aussage des behandelnden Arztes an Influenza, 
welche sich in heftigem Schnupfen, Fieber und allgemeiner Ab- 
geschlagenheit äusserten, wozu sich ein intensiver Stimkopfschmerz 
gesellte. Nach ein paar Tagen verschwanden Fieber und Ab- 
geschlagenheit, während der Ausfluss aus der Nase eine eitrige 
Beschaffenheit annahm und der Kopfschmerz ein eigentümliches Ver¬ 
halten zeigte. Patientin behauptete nämlich mit Bestimmtheit, dass 
er seit ungefähr acht Tagen regelmässig jeden Vormittag tun 10 Uhr 
mit einer kaum erträglichen Heftigkeit einsetze, ungefähr zwei 
Stunden andauere und dann allmählich abnehme. Der Arzt habe 
den Schmerz als „Nervenschmerz“ erklärt und zuletzt zweimal den 
elektrischen Strom ohne merkbaren Erfolg angewendet. 

Bei der Betastung des linken Supraorbitalrandes und besonders 
des inneren, oberen Augenwinkels äusserte Patientin eine so heftige 
Schmerzempfindung, dass ich von einer genauen Untersuchung auf 
etwaige Fluktuation, welche auf einen drohenden Durchbruch hin¬ 
deuten könnte, Abstand nehmen musste, obgleich die Haut über der 
Stirnhöhle und die des oberen Augenlides leicht ödematös zu sein 
schienen. Die Untersuchung mit dem Nasenspekulum ergab in der 
rechten Nasenhälfte keine Besonderheiten, dagegen in der linken das 
Vorhandensein von dickem, gelbem Eiter sowie eine Rötung der 


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9] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 183 


gesamten Schleimhaut und ödematöse Schwellung des mittleren 
Nasenganges, in welchem der Eiter offenbar zutage trat. Bei der 
Durchleuchtung blieb die linke Stirnhöhle im Vergleich zur rechten 
entschieden dunkel. Nach gehöriger Kokainisierung und einigem 
Zuwarten schwoll die Schleimhaut soweit ab, dass ich eine Eiter¬ 
strasse vom vordersten Ende des Hiatus semilunaris unter der 
mittleren Muschel herauskommen sehen konnte. Die Sondierung 
gelang nicht. Ich versuchte daher, durch Ansaugen mittelst Saug¬ 
balles und Lufteinblasen mittelst Luftdusche den Abfluss des Se¬ 
kretes zu erzielen, was auch gelang und einen erheblichen Nachlass 
der Schmerzen zur Folge hatte. Als dieselben aber am nächsten 
Tage wieder auftraten, entfernte ich mit der kalten Schlinge das 
vorderste Ende der mittleren Muschel, worauf sich sofort zur grossen 
Erleichterung der Patientin eine beträchtliche Menge Eiter aus der 
Stirnhöhle entleerte. 

Von diesem Tage ab, wo der Eiter freien Abfluss hatte, blieben 
die Schmerzanfälle gänzlich aus, dagegen war die Gegend am inneren 
oberen Augenwinkel in den nächsten Tagen noch ziemlich druck¬ 
empfindlich und leicht ödematös, was sich aber in der Folgezeit 
mehr und mehr verlor. Da ich jetzt nach Entfernung des vorderen 
Endes der mittleren Muschel die Stirnhöhle sondieren konnte, wurden 
tägliche Ausspülungen mit einer schwachen Borsäurelösung vor¬ 
genommen, worauf die Sekretion nach einiger Zeit einen schleimigen 
Charakter annahm und nach vier Wochen gänzlich versiegte. Patientin 
war jetzt von ihrem Stirnhöhlenempyem vollkommen geheilt, der 
Kopfschmerz war und blieb verschwunden. 

ln manchen, besonders chronischen Fällen gelingt es aber nicht, 
mit dieser konservativen Methode der Freilegung des Ostiums der 
Kopfschmerzen des Patienten Herr zu werden. Dies wird dann der 
Fall sein, wenn das Sekret keinen genügenden Abfluss hat oder wenn 
man aus der unaufhörlichen Dauer der Sekretion annehmen kann, 
dass die Schleimhaut der Höhle durch zahlreiche Attacken hoch¬ 
gradig degeneriert und eventuell von zirkumskripten oder auch aus¬ 
gedehnten Knochennekrosen begleitet ist. Hier kann ein Erfolg nur 
von breiter Eröffnung der Höhle durch Trepanation erwartet werden, 
die ja auch das sicherste Mittel ist, um eine Gefährdung des Bulbus 
und des Gehirns abzuwenden, deren plötzlicher Eintritt niemals 
vorauszusehen ist. 

Bei nachfolgendem Fall von chronischer Stimhöhleneiterung 
war der lokale Schmerz durch eine akute Exazerbation derselben 
verursacht. Heilung durch Trepanation. 

Fall II. Junger Mann von 23 Jahren konsultierte mich am 
15. Juli 1905 mit der Klage, dass er schon seit mehreren Jahren zeit¬ 
weise an Stimkopfschmerzen leide. Seit drei Tagen wären sie „ganz 


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entsetzlich“ geworden, so dass er Tag und Nacht keine Ruhe mehr 
hätte. Antipyrin und Phenazetin hatten nur vorübergehenden Erfolg 
gehabt. Der Druck auf die obere Wand der linken Orbita löste starke 
Schmerzen aus. Im Innern der linken Nasenhälfte waren am Pro¬ 
cessus uncinatus Hypertrophien der Schleimhaut, der sogenannte 
„laterale Schleimhautwulst“, sichtbar. Die mittlere Muschel war 
verdickt, an ihrem unteren Rande Eiter. Die Durchleuchtung der 
Stirnhöhlen ergab kein sicheres Resultat, die beiden Kieferhöhlen 
schienen hell durch. Die Sondierung der linken Stirnhöhle war nach 
wiederholtem Kokainisieren, wenn auch erst nach einigem Probieren, 
möglich. Beim Anstossen der Sonde an die obere Höhlenwand er¬ 
klärte Patient sofort: „Hier ist der Schmerz.“ Nach Herausziehen 
der Sonde floss etwas höchst übelriechender Eiter nach. Entfernung 
des vorderen Endes der mittleren Muschel mittelst Schlinge und der 
Hypertrophien mit der Kürette. Tägliche Ausspülung der Höhle mit 
Borsäurelösung. 

Der Kopfschmerz liess sofort nach der ersten Ausspülung nach. 
Weil dieser Erfolg anhielt, blieb Patient nach achttägiger Behandlung 
fort, obgleich die Sekretion noch nicht abgenommen hatte. Nach 
weiteren vierzehn Tagen kam er mit einem heftigen Rückfall seiner 
Schmerzen wieder und wünschte nun möglichst schnell und end¬ 
gültig von seinen Beschwerden geheilt zu werden. Daher riet ich 
ihm zur Aufmeisselung seiner Höhle von aussen und eröffnete sie 
in Narkose nach der Methode Killian’s. Nach bogenförmigem 
Schnitt durch die Augenbraue, der nach abwärts bis auf den Ober¬ 
kieferfortsatz verläuft, Trepanation mit Bildung einer Knochenspange 
über dem Auge, auf der das Periost stehen bleibt. In der sich weit 
lateralwärts erstreckenden Höhle sehr übelriechender Eiter, die 
Schleimhaut polypös verdickt. Ausräumung derselben mit dem 
scharfen Löffel. Aufmeisselung des Oberkieferfortsatzes und Aus¬ 
räumung der vorderen Siebbeinzellen, da sie häufig mit der Stirn¬ 
höhle erkrankt sind. Anlegung einer breiten Verbindung zwischen 
Stirn- und Nasenhöhle. Einlegung eines Tampons nach der Nase. 
Genaue Vereinigung der Wundränder mit Wundklammern, die nach 
drei Tagen, ebenso wie der Tampon, entfernt werden. Nach drei 
Wochen ist die feine, strichförmige Narbe kaum mehr zu sehen. 
Keine Einsenkung über dem Auge. Sekretion gänzlich verschwunden. 
Kopfschmerz ist nicht wieder aufgetreten. 

Bei der schweren Veränderung der Schleimhaut hätte auch 
eine lange fortgesetzte konservative Behandlung keinen dauernden 
Erfolg gehabt. Es war somit ein günstiger Zufall, dass Patient zur 
sofortigen Aufmeisselung drängte, die sich im Laufe der Zeit doch 
als unvermeidlich herausgestellt hätte. 

Ausser den Nebenhöhlenentzündungen vermögen noch ge- 


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11] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 185 


schwürige Prozesse besonders der lateralen Nasenwand lo¬ 
kalen Schmerz hervorzurufen. Hauptsächlich beobachtet man ihn 
bei luetischen Geschwüren, die mit Karies einhergehen. Zwar wird 
auch hier, wie gewöhnlich bei den Nebenhöhlenempyemen, der ein¬ 
seitige Ausfluss (eine einseitige Erkrankung vorausgesetzt) die Auf¬ 
merksamkeit auf die Nase lenken und vor Fehldiagnosen schützen. 
In einigen Fällen kommt es aber doch vor, dass, wie eine Neben¬ 
höhleneiterung latent d. h. ohne merkbaren Eiterausfluss verlaufen 
kann, auch ein lateral sitzendes Geschwür als einziges Symptom 
nur den lokalen Kopfschmerz erkennen lässt Dieser kann sich bis 
zu unerträglicher Höhe steigern, wenn die Umgebung der kariösen 
Stelle den Ausfluss des Sekretes erschwert oder die Ausstossung 
eines Sequesters unmöglich macht, was um so leichter eintritt, als 
sich durch den Reiz des Sekretes Granulationen oder Polypen bilden 
können, welche das Geschwür wallartig umgeben und durch An¬ 
legen an das gegenüber befindliche Septum mehr oder weniger voll¬ 
kommen abschliessen. Bezeichnend dafür ist folgender, von mir be¬ 
obachtete Fall eines ulzerierten Gummas in der Nase: 

Fall III. Kaufmann, 39 Jahre alt, stellte sich zum ersten Male 
am 8. Mai 1907 in meiner Sprechstunde vor. Er litt nach seiner An¬ 
gabe seit mehreren Monaten an leichten Schmerzen an der linken 
Seite der Nasenwurzel, welche sich auf Druck steigerten. Ärztlicher¬ 
seits wurden ihm dagegen eine weisse und dann eine gelbe Salbe 
verschrieben, die er sich auf dem Nasenrücken verreiben sollte! 
Auch gebrauchte er mit und ohne ärztliche Verordnung verschiedene 
„Kopfschmerzenpulver“ ohne jeden Erfolg. Die Schmerzen nahmen 
immer mehr zu. Seit einigen Tagen hatten sie sich über den ganzen 
Kopf gezogen und waren so heftig geworden, dass er es kaum mehr 
aushalten konnte. Auch hatte er weder Lust noch Fähigkeit zur 
Arbeit mehr. Infolgedessen war ihm das Leben so zur Qual ge¬ 
worden, dass er sich fortwährend mit Todesgedanken trug. 

Schon die leichte Berührung der linken Seite seiner Nasen¬ 
wurzel empfindet Patient als so erheblichen Schmerz, dass er auf¬ 
schreit und bittet, ihn mit weiterer Betastung zu verschonen. Bei 
der inneren Untersuchung findet sich die rechte Nasenhöhle frei. 
In der linken dagegen fällt sofort eine bei Berührung mit der Sonde 
sich derb anfühlende, sehr schmerzhafte, hochrote Geschwulst auf, 
welche von der oberen lateralen Wand kommend sich so an das 
Septum drängt, dass ein Einblick nach oben unmöglich ist. Die 
untere Muschel ist, soweit sie zu sehen ist, gerötet und geschwollen 
und lässt nur am Nasenboden einen Spalt für den Durchtritt der 
Luft frei. Nach gehöriger Kokainisierung lässt sich ein Nasen¬ 
spekulum zwischen Septum und Geschwulst einzwängen, bei dessen 
Öffnung die Ränder eines mit Granulationen bedeckten Geschwüres 


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sichtbar werden, auf dessen Grunde die Sonde kariösen Knochen 
berührt. 

Trotzdem Patient energisch jede luetische Infektion leugnet, 
erhält er Jodkali, worauf die Geschwulst in acht Tagen soweit zu¬ 
rückgeht, dass der grösste Teil des Geschwüres ohne weiteres zu 
übersehen ist. Als erfreulichste Folge der Behandlung bezeichnet 
es Patient, dass die Kopfschmerzen nach wenigen Tagen völlig auf¬ 
gehört haben. Leider konnte ich den weiteren Verlauf nicht ver¬ 
folgen, da Patient, von seinem Hauptübel befreit, bald darauf aus 
der Behandlung fortblieb. 

Bemerkenswert ist, dass, da die Verstopfung der Nase keine 
ausgesprochene war und von ihm nicht bemerkt wurde, der Kopf¬ 
schmerz die einzige Beschwerde war, die ihn zum Arzt getrieben 
hatte. 


Der neuralgische Kopfschmerz. 

Unter neuralgischen, von Nasenleiden herstammenden Kopf¬ 
schmerzen versteht man solche, die nicht unmittelbar an der er¬ 
krankten Stelle der Schleimhaut der Nase und ihrer Nebenhöhlen, 
sondern mehr oder weniger entfernt in dem ganzen Verbreitungs¬ 
bezirk bestimmter Nerven und zwar des Nervus supraorbitalis vom 
1. Trigeminusast, sowie des Nervus infraorbitalis und der Nervi 
supradentales vom 2. Trigeminusast ihren Sitz haben. Zwar sind 
auch die lokalen Schmerzen, wie überhaupt jeder Schmerz, streng 
genommen „neuralgisch“. Mit Neuralgien im engeren Sinne be¬ 
zeichnet man aber Nervenschmerzen, die sich durch deutliche Remis¬ 
sionen und Intermissionen, d. h. durch ausgesprochene Anfälle von 
meist grosser Intensität auszeichnen. Sie gehören zu den qualvollsten 
Leiden, die es gibt. Bezüglich ihrer Dauer sind sie grossen Schwan¬ 
kungen unterworfen. Man beobachtet alle Formen, teils blitzartig 
zuckend und reissend von Sekunden- oder minutenlanger Dauer, teils 
brennend und bohrend, die stunden-, ja tagelang mit kurzen vorüber¬ 
gehenden Remissionen anhalten und die Kranken zur Verzweiflung 
treiben können. 

In erster Linie sind es wieder die Nebenhöhlenentzün¬ 
dungen, sowohl die akuten als auch die chronischen, welche 
die Veranlassung dazu geben können und zwar entweder durch 
direkte Fortleitung der Entzündung auf den an den Knochen¬ 
wandungen der erkrankten Höhle vorbeiziehenden Nerven, also durch 
eine Neuritis, oder reflektorisch durch Irradiation auf einen 
unbeteiligten Nerven. 

Was die erste Entstehungsart anlangt, so sieht man zuweilen 
bei Kieferhöhlenentzündungen rasende Schmerzen im Bereiche des 


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13J Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 187 


an ihrer oberen Wajid verlaufenden Nervus infraorbitalis, dessen 
Berührung an seinem Austritt aus dem Foramen infraorbitale dann 
einen lebhaften Druckschmerz auslöst. Auch die bei gleicher Er¬ 
krankung auftretenden, qualvollen Zahnwurzelneuralgien finden ihre 
Erklärung darin, dass, wie zuerst B e r t i n bewiesen hat, der Nervus 
infraorbitalis und die Nervi supradentales anteriores, medii und 
posteriores häufig streckenweise nicht in vollständig geschlossenen 
Kanälen, sondern in Hohlräumen, welche nach dem Antrum hin 
offen sind, verlaufen, wodurch sie natürlich dem Ubergreifen der 
Entzündung leicht ausgesetzt sind. Ebenso wird der Nervus supra- 
orbitalis, der an der unteren Wand der Stirnhöhle verläuft and nach 
seinem Durchtritt durch die Incisura supraorbitalis zur vorderen 
Stirnhöhlenwand umbiegt, häufig von den Affektionen der Stirnhöhle 
in Mitleidenschaft gezogen, worauf er mit heftigen Schmerzen rea¬ 
gieren kann. Auch noch bei Nachlass der Attacken lässt sich sein 
„Druckpunkt“ an seiner Umbiegungsstelle leicht feststellen. Natürlich 
können die Neuralgien nur dann mit Sicherheit diagnostiziert werden, 
wenn die Entzündungserscheinungen in der Höhle nicht gerade auf 
dem Höhepunkt angelangt sind, da sonst die Schmerzhaftigkeit der 
Wände die Druckpunkte der Nerven nur schwer oder gar nicht er¬ 
kennen lässt. Am besten lassen sie sich deshalb bei den subakuten 
oder chronischen Nebenhöhlenentzündungen nachweisen. 

Merkwürdigerweise können aber auch Neuralgien des Nervus 
supraorbitalis auftreten, wenn die Kieferhöhle derselben 
Seite erkrankt ist. Anfänglich hat man sich diesen auffälligen 
Vorgang nicht zu erklären vermocht und angenommen, dass wahr¬ 
scheinlich ein nicht diagnostiziertes Empyem des Siebbeinlabyrinthes 
oder der Stirnhöhle als Ursache dieser Supraorbitalneuralgie Vor¬ 
gelegen habe. Indessen haben, nachdem schon von Hartmann 
und K i 11 i a n vor Jahren darauf aufmerksam gemacht worden 
war, aus der Neuzeit verschiedene, einwandsfreie Berichte nach¬ 
gewiesen, dass auch intermittierender Stirnkopfschmerz bei Kiefer¬ 
höhlenentzündung ohne Beteiligung anderer Nebenhöhlen vorkommt 
und bei Heilung derselben spurlos verschwindet. Es ist also anzu¬ 
nehmen, dass in diesem Falle die Supraorbitalneuralgie durch 
Irradiation der Schmerzempfindung auf den 1. Trigeminusast 
entsteht und somit den Reflexneurosen zuzuzählen ist. 

Welche Momente jedesmal einen Schmerzanfall auszulösen im¬ 
stande sind, lässt sich oft nicht mit Sicherheit bestimmen. Wahr¬ 
scheinlich spielen dabei eine allgemeine nervöse Veranlagung des 
Kranken und ausserdem Gelegenheits Ursachen, als körperliche und 
geistige Überanstrengung, Exzesse etc. eine grosse Rolle. Besonders 
der Alkoholgenuss scheint in dieser Hinsicht eine deletäre Wirkung 
auszuüben, da man häufig die Beobachtung machen kann, dass 


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1S8 R. VECKENSTEDT, [14 

Nasenkranke eine auffallend geringe Widerstandskraft gegen den 
Genuss geistiger Getränke zeigen, wie folgende Beobachtung in ekla¬ 
tanter Weise dartut: 

Fall IV. Am 2. Juli 1907 erschien ein 35 Jahre alter Jngenieur 
in meiner Sprechstunde mit der Angabe, dass er seit l 1 /, Jahren 
an zeitweise auftretenden heftigen reissenden Schmerzen in der 
linken Stirnseite leide. Tage- und wochenlang blieb er von ihnen 
verschont, bis sie sich plötzlich wieder einstellten und dann mehrere 
Stunden anhielten. Er habe den Eindruck gewonnen, dass sie jedes¬ 
mal nach dem geringsten Alkoholgenuss aufträten, weshalb er seit¬ 
dem völlig abstinent geworden sei. Ausserdem habe er öfters über 
üblen Geschmack zu klagen. Auf Befragen gibt er weiter an, dass 
er schon lange „etwas Schnupfen“ habe, der auf der linken Seite 
viel stärker sei als auf der rechten. Alles, was er bisher gegen seine 
„Kopfgicht“ versucht, habe nichts genützt. 

Beim Betasten und Beklopfen der linken Stimhöhlengegend 
äussert Patient keinen Schmerz, nur beim Druck auf die Umbiegungs¬ 
stelle des Nervus supraorbitalis fährt er mit dem Kopf zurück. 
Der rhinoskopische Befund ist folgender: Rechte Nasenseite frei. 
In der linken am Boden etwas gelbes Sekret. Von oben hängen 
mehrere erbsen- bis bohnengrosse Polypen von graurötlicher Farbe 
herab, die anscheinend von der mittleren Muschel ausgehen. Wenn 
ich sie mit der Sonde lüfte, fliesst etwas Eiter an ihnen herab. 
Während beide Stirnhöhlen und die rechte Kieferhöhle bei der Durch¬ 
leuchtung hell durchscheinen, bleibt der linke Infraorbitalrand und 
die linke Pupille dunkel. Das lässt vermuten, dass die Erkrankung 
nicht in der Stirnhöhle, sondern in der linken Kieferhöhle sitzt. 
Die linken oberen Backenzähne sind sämtlich vorhanden und zum 
Teil plombiert. 

Zunächst wurden die Polypen, vier an der Zahl, in einer 
Sitzung entfernt, um die Kieferhöhlenöffnung frei zu bekommen. 
Dann spülte ich die Kieferhöhle durch die natürliche Öffnung, die 
jetzt leicht zugänglich war, aus, wobei sich zur grossen Erleichterung 
des Patienten eine Menge äusserst übelriechenden Sekretes entleerte. 
Da ich aus der Anamnese und dem üblen Geruch des Eiters auf eine 
chronische Kieferhöhlenentzündung schloss, die voraussichtlich eine 
längere Behandlung nötig machte, entfernte ich an einem der nächsten 
Tage das vordere Ende der unteren Muschel und bohrte im unteren 
Nasengange mit der elektrisch betriebenen Fräse ein Loch durch 
die seitliche Nasenwand in die Kieferhöhle, die sich mm bequem 
ausspülen Hess. 

Nach einigen unter meiner Leitung vorgenommenen Versuchen 
lernte es Patient leicht, selbst die Ausspülungen zwei- bis dreimal 
täglich durch die angelegte Öffnung vorzunehmen, welche durch die 


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]'>] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden and seine Diagnose. 189 


häufige Benutzung vor dem Zuheilen bewahrt blieb. Das Sekret 
verlor sofort seinen üblen Geruch und nahm alsbald an Menge ab. 
Als nach drei Monaten trotz mehrmaliger Kontrolle keine Absonde¬ 
rung mehr wahrzunehmen war, durfte die Behandlung als beendigt 
angesehen werden. 

Die Supraorbitalneuralgien traten nicht wieder auf und blieben 
verschwunden, ein Beweis dafür, dass sie nur dem chronischen 
Kieferhöhlenempyem ihren Ursprung verdankt hatten. Patient be¬ 
richtete später erfreut, dass er schon wiederholt mit dem Alkohol 
einen Versuch gemacht habe, der zu seiner Zufriedenheit ohne 
schmerzliche Folgen verlaufen wäre. Auch habe er keinen üblen 
Geschmack im Munde wieder verspürt. 

Ausser bei Nebenhöhlenentzündungen kommen auch bei den 
Geschwülsten der Nase, wenn auch weit seltener, neural¬ 
gische Kopfschmerzen zur Beobachtung. Sowohl die weichen Ge¬ 
schwülste (einschliesslich der Sarkome und Karzinome), die ge¬ 
wöhnlich unter dem Sammelnamen „Polypen“ zusammengefasst 
werden, als auch die harten Geschwülste, die Enchondrome und 
Osteome, können direkt durch Druck auf die Nerven oder reflekto¬ 
risch typische Schmerzanfälle hervorrufen. Da sie sich nicht durch 
Ausfluss aus der Nase verraten, falls sie nicht, wie die bös¬ 
artigen in vorgerücktem Stadium, geschwürig zerfallen, so ist der 
Kopfschmerz oft ihr einziges Erkennungszeichen. 
Insonderheit sind es die Karzinome der Nebenhöhlen, die im 
Beginne eine Zeitlang latent verlaufen können, sich aber schon 
früh nur durch heftige Neuralgien über die ganze betreffende 
Kopfhälfte bemerkbar machen, ein Symptom, das nach E. Fink 
den Beginn des Übergreifens der Geschwulst auf die Knochenwände 
kennzeichnen soll. Wie verhängnisvoll da die Unterlassung einer 
genauen rhinoskopischen Untersuchung werden kann, illustriert ein 
von mir im Jahre 1906 beobachteter Fall von Karzinom der Kiefer¬ 
höhlenschleimhaut : 

Fall V. Es handelte sich um ein 21 Jahre altes, sonst gesundes, 
blühend aussehendes Mädchen, das angeblich mehrere Monate vor 
der Untersuchung einen schmerzhaften Druck in der rechten Wange 
verspürte. Als sich dieser allmählich in reissende und ziehende 
Schmerzen verwandelte, begab sie sich in die Behandlung eines 
Arztes, der ihr Leiden für „Migräne" erklärte und ihr Pulver und 
Umschläge verordnete. Hierdurch wurden die Schmerzen aber nur 
wenig gelindert, vielmehr zeigten sie, wie zuvor, in ihrer Intensität 
bedeutende Schwankungen vom völligen Nachlass bis zu den hoch¬ 
gradigsten Anfällen, die die ganze rechte Kopfhälfte einnahmen und 
bis in die Zähne ausstrahlten. Ausfluss aus der Nase soll niemals 
vorhanden gewesen sein. 


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Bei der Untersuchung des Naseninnern fand sich weder links 
noch rechts etwas Krankhaftes. Die Nasenschleimhaut war nicht 
gerötet und nicht geschwollen, beide Nasenhälften für die Luft gut 
durchgängig, keine Polypenbildung, nirgends Sekret. Zudem erfreute 
sich Patientin eines vollständigen, tadellosen, weissen Gebisses, 
dessen obere Zahnreihe beim Beklopfen keine vermehrte Empfind¬ 
lichkeit erkennen liess. Auffällig war nur, dass die rechte Kiefer¬ 
höhle beim Durchleuchten im Gegensatz zur normalen Transparenz 
der linken völlig dunkel blieb und dass die rechte Wangengegend 
auf Fingerdruck lebhaft schmerzte. 

Da es mir nicht gelang, die rechte Kieferhöhle zu sondieren, 
machte ich eine Probepunktion im unteren Nasengang mit daran 
anschliessender Ausspülung. In dem geruchlosen Spülwasser fanden 
sich nur wenige Schleimfäden, dagegen schien es mir blutiger ge¬ 
färbt als es sonst der Fall zu sein pflegt. Den deshalb in mir auf¬ 
steigenden Verdacht auf eine bösartige Neubildung verwarf ich zu¬ 
nächst in Anbetracht des guten Aussehens und des jugendlichen 
Alters der Patientin sowie des Fehlens anderer darauf hindeutenden 
Erscheinungen und war vielmehr der Meinung, dass ein sogenanntes 
latentes Empyem vorliege, bei dem ich nur zufällig kein Sekret an¬ 
getroffen hatte. Als dann aber nach einigen Tagen Patientin mit der 
Klage kam, dass ihre Kopfschmerzen trotz der Ausspülung noch nicht 
nachgelassen hätten, und als eine zweite Ausspülung der Höhle 
wiederum blutige Spülflüssigkeit zutage förderte, schritt ich unter 
ihrer Zustimmung zur breiten Aufmeisselung der fazialen Wand. 
Doch schon während ich mit einem festen Zuge das Zahnfleisch 
durchschneiden wollte, geriet das Messer plötzlich in die Kiefer¬ 
höhle hinein und ebenso gab die Wand dem Drucke des Raspatoriums 
nach und brach, soweit sie noch vorhanden war, ein. Unter starker 
Blutung wurde zunächst ein Teil der Schleimhaut der Kieferhöhle 
entfernt. Sie war etwa 1 cm dick geschwollen und so morsch, dass 
sie sich zwischen den Fingern zerdrücken liess. Als ich sie vor¬ 
sichtig auch von der oberen Wand abkratzen wollte, merkte ich, 
dass auch diese grösstenteils nicht mehr vorhanden war, so dass 
ich direkt den Inhalt der Augenhöhle abtasten konnte, wobei der 
Augapfel sich hin und her bewegen liess. Die nach der Nase zu 
gelegene Knochenwand sowie der Boden der Höhle waren un¬ 
verändert. Ich hatte es hier also augenscheinlich mit einer bös¬ 
artigen Geschwulst zu tun, welche Vorder- und Oberwand der Kiefer¬ 
höhle teilweise schon zerstört hatte. Unter diesen Umständen wurde 
die erkrankte Schleimhaut auf das Sorgfältigste ausgekratzt und 
die Höhle tamponiert, olme dass, wie beabsichtigt, eine Öffnung 
nach der Nase zu angelegt wurde. Leider w r ar schon am nächsten 
Tage eine leichte Hervortreibung des Auges zu bemerken, die immer 


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17J Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 191 

mehr zunahm, ein Beweis, dass die Neubildung nicht gänzlich hatte 
entfernt werden können und sich nunmehr desto schneller aus¬ 
dehnte. 

Wenige Tage später, nachdem die Patientin sich erholt hatte, 
begab sie sich auf meinen Rat in die Kgl. chirurgische Universitäts-- 
klinik zu Bonn, wo der Versuch gemacht wurde, mit einer Resektion 
des Oberkiefers dem Fortschreiten der Geschwulst Einhalt zu tun, 
aber vergeblich. Patientin erlag ca. sechs Wochen später ihrem 
qualvollen und zuletzt furchtbar entstellenden Leiden. Der mir von 
der Kgl. Klinik gütigst mitgeteilte mikroskopische Befund lautete 
auf „Plattenepithelkarzinom mit Verhornung“. 

Diesen Fall könnte man geradezu tragisch nennen, weil zum 
Unglück für die Patientin die Bedeutung ihres halbseitigen Kopf¬ 
schmerzes anfänglich verkannt und an eine Untersuchung des Nasen- 
innem erst dann gedacht wurde, als es zu spät war. Denn es unter¬ 
liegt für mich keinem Zweifel, dass auch schon bei einer früheren; 
rhinoskopischen Untersuchung die vorhandenen Symptome zu einer 
breiten Eröffnung der Kieferhöhle hätten drängen müssen, und dass 
dann die Operation bei der sozusagen abgekapselten Form dieses 
Karzinoms eine begründete Aussicht auf vollständige Entfernung 
der erkrankten Schleimhaut und damit auf Heilung geboten hätte. 
Wenn man erst auf die in manchen Lehrbüchern angeführten „deut¬ 
lichen“ Symptome wie Auftreibung der Kieferhöhle, Polypenbildung, 
Verjauchung etc. warten wollte, würde der Zeitpunkt für eine aus¬ 
sichtsvolle chirurgische Behandlung wohl längst verstrichen sein. 


Der zerebrale Kopfschmerz. 

Die dritte Form der bei Nasenleiden vorkommenden Schmerzen 
ist der zerebrale Kopfschmerz, der Kopfschmerz par excellence. Er 
hat seinen Sitz wohl weniger im Gehirn als in den Gehirnhäuten, 
da die Gehirnsubstanz selbst, wenn sie verletzt oder gereizt wird, 
keine Schmerzempfindung zu verursachen scheint, welche als Kopf¬ 
schmerz empfunden werden könnte. Wenigstens habe ich gesehen, 
dass ein Patient, dem ich ohne Narkose und bei vollem Bewusstsein 
einen Gehirnprolaps nach otitischem Hirnabszess mit der Schere 
bis ins Gesunde abtrug, keinerlei Empfindung von Kopfschmerz 
geäussert hat. Es scheint somit, dass durch das Gehirn wohl die 
bewusste Wahrnehmung der Schmerzen erfolgt, dass aber die Ent¬ 
stehung derselben in den Nerven der Dura, vielleicht auch der 
Pia — rückläufigen Asten des Nervus trigeminus — stattfindet, 
welche durch Anämie oder Hyperämie des sie umgebenden Ge¬ 
webes in Erregung versetzt werden (E ding er). 

Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 8. 14 


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Dieser Schmerz, den ich kurz als zerebralen Kopfschmerz be¬ 
zeichnen will, ist dadurch charakterisiert, dass er unbestimmt 
und mehr oder weniger diffus über den Kopf verbreitet ist. Im 
Beginne oder in leichten Fällen überhaupt tritt er als Kopf druck 
auf, der ein- oder doppelseitig sein und weiterhin zu wirklichen, 
meist dumpfen Schmerzen in der Tiefe des Kopfes anschwellen kann. 
Oder er zeigt sich in der Weise, dass eine gewisse leise Empfindung 
konstant vorhanden ist und zeitweise in einen unbestimmten Schmerz 
in der Stirn-, Scheitel- oder Hinterhauptsgegend übergeht, wobei 
immer wieder dieselbe Stelle bevorzugt werden kann. Oft ist mit 
dem Kopfdruck die Aprosexia nasalis verknüpft, das heisst 
das Unvermögen, die Gedanken auf einen bestimmten Punkt zu kon¬ 
zentrieren. Die Kranken fühlen sich dabei wie benommen und sind 
erheblich in ihrer geistigen Tätigkeit beschränkt. 

Entsprechend der oben angegebenen Theorie von der Ent¬ 
stehung des zerebralen Kopfschmerzes durch Störung des Blut¬ 
umlaufes in den Gehirnhäuten findet man ihn bei allen Nasenleiden, 
welche mit Zirkulationsstörungen sowohl infolge entzünd¬ 
licher Prozesse als auch infolge Verstopfung der Nase einhergehen. 

Allgemein bekannt sind die Erscheinungen des akuten 
Schnupfens, wenn die hochgradig entzündete Schleimhaut so 
angeschwollen ist, dass die Nase für den Durchtritt der Luft völlig 
verlegt ist. Die dadurch verursachte Eingenommenheit und das Ge¬ 
fühl eines Brettes vor dem Kopf, wie man zu sagen pflegt, hat wohl 
jeder schon an sich selbst erfahren. Treten dabei auch heftigq 
Schmerzen über dem Auge auf, so hat man es aller Wahrscheinlich¬ 
keit nach mit einem gewöhnlich von selbst mit dem Schnupfen zu¬ 
rückgehenden akuten Stimhöhlenkatarrh zu tun. 

Ähnliche Beschwerden finden sich auch häufig, wenn auch nicht 
so ausgesprochen, bei dem chronischen Nasenkatarrh, 
welcher, wie alle chronischen Nasenverstopfungen, vom Laien gern mit 
„Stockschnupfen“ bezeichnet wird. Er geht mit einer Schwellung 
der unteren und mittleren Muschel einher, wobei die erstere fast 
stets am augenfälligsten davon betroffen wird. Unter dem Einfluss 
der chronischen Entzündung hypertrophiert die Schleimhaut nament¬ 
lich am unteren Rande und am hinteren Ende der Muschel und stellt 
dann zapfenartige, mit Blut gefüllte, blaurote oder, wenn das Epithel 
verdickt ist, weissliche Geschwülste, die „papillären Hyper¬ 
trophien“ und die bekannten „hinteren Enden“ dar. Je nach 
ihrem beständig wechselnden Blutfüllungszustand, der von nervösen, 
Einflüssen oder von der Kopfhaltung abhängig ist, können sie im 
Verein mit dem stagnierenden Sekret die betreffende Seite voll¬ 
ständig verlegen. Erst wenn sie die Nasenatmung zeitweise oder 


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19] Der Kopfschmerz als h&afige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 193 


immer behindern, ist man berechtigt, sie als pathologisch zu be¬ 
trachten. 

In derselben Weise wirken die von allen Geschwülsten in der 
Nase am häufigsten vorkommenden Polypen, die Schleimpolypen, 
welche meist an der mittleren Muschel und an der Aussenwand des 
mittleren Nasenganges in der Umgebung des Einganges des Sinus 
maxillaris auf dem Processus uncinatus und an der Bulla ethmoidalis 
sitzen und meist im Gefolge von Nebenhöhlenentzündungen auf- 
treten, und die Granulationspolypen, welche sich bei Erkrankungen 
des Knochens und um einen Fremdkörper herum zu bilden pflegen. 
Besonders die Schleimpolypen können in solcher Menge und Grösse 
auftreten, dass die betreffende Naseinseite völlig damit ausgefüllt 
ist. Bei längerer Dauer können sie sbgar durch ihr allmähliches 
Wachstum einen so mächtigen Druck auf die Nasenwände ausüben, 
dass nicht allein das Lumen des Naseninnern, sondern auch die 
äussere Form der Nase stark verbreitert erscheint. 

Bei den Entzündungen der Schleimhaut der Nase und ihrer 
Nebenhöhlen und bei den mit Nasenverstopfung einhergehenden Ge¬ 
schwülsten kommt die Zirkulationsstörung durch aktive und pas¬ 
sive Hyperämie zustande, die sich auf das Schädelinnere fort¬ 
pflanzt. Wie bekannt, kommunizieren die Venae ethmoidales in aus¬ 
gedehnter Weise mit denen der Dura, des Gehirns und des Sinus longi- 
tudinalis. Nach den Untersuchungen von Axel Key und Retzius 
sollen auch die Lymphgefässe durch die Lamina cribrosa hindurch 
mit dem subduralen und subarachnoidealen Raum in Verbindung 
stehen, wonach man also ausser der Blut- auch eine Lymphstauung 
im Schädelinnern annehmen kann. 

Falls nun hierzu noch eine Verstopfung einer oder gar 
beider Nasenseiten eintritt, so wird die Schädlichkeit noch 
dadurch erhöht, dass bei jedem Atemzug eine Luftverdünnung in der 
betreffenden Seite erzeugt wird, welche zu einer Ansaugung des 
Blutes im oberen Abschnitte des Luftrohres führt und die Stauung 
im Kopfe zu vermehren imstande ist. Besonders leicht kommt es 
zu einer Verstopfung, wenn die Nase eng gebaut ist oder Verbiegungen 
und Verkrümmungen der Nasenscheidenwand in Gestalt von Leisten 
und Domen vorhanden sind. 

Im nachstehenden Fall entstand Kopfschmerz nebst Aprosexie 
dadurch, dass zu einer bestehenden Knochenleiste der Nasenscheide¬ 
wand eine papilläre Hypertrophie der unteren Muschel hinzutrat, 
welche eine völlige Unwegsamkeit der betreffenden Nasenseite für 
die Luft zur Folge hatte. 

Fall VI. Kaufmannslehrling, 19 Jähe alt, konsultierte mich 
zum ersten Male am 14. August 1907, weil er angeblich seit seiner 
Schulzeit an häufigem schmerzhaften Druck im gnanzen Vorderkopf 

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und an Verstopfung seiner rechten Nasenseite litt. Er sei von seinem 
Prinzipale geschickt worden, weil derselbe glaube, dass die Ge¬ 
dächtnisschwäche bezw. leichte Vergesslichkeit, die Patient in letzter 
Zeit an den Tag gelegt habe, mit seinem Nasenleiden, das wahr¬ 
scheinlich durch „Nasenpolypen“ verursacht sei, Zusammenhänge. 

Die Untersuchung ergab, dass Patient beim Zuhalten der linken 
Seite durch das rechte Nasenloch nicht atmen konnte. Die linke 
Seite war durchgängig für die Luft. In der rechten zog sich an der 
Scheidewand von vom nach hinten eine scharfkantige Leiste, welche 
sich so in die stark gewulstete untere Muschel hineindrängte, dass 
deren Wülste über und unter ihr hervorquollen und die Sonde nicht 
dazwischen hindurchgeführt werden konnte. Nach mehrmaliger 
Kokainisierung der vordersten erreichbaren Partien schrumpfte die 
Hypertrophie soweit zusammen, dass auch die dahinter liegenden 
Teile unempfindlich gemacht werden konnten. Ich entfernte nun 
mit der Säge die Knochenleiste und, da hiermit noch nicht genug 
Luft geschaffen war, auf Wunsch des Patienten sofort im Anschluss 
daran mit der kalten Schlinge die mächtigen, wie Neubildungen 
aussehenden Muschelhypertrophien, worauf die Nase völlig durch¬ 
gängig wurde. 

Der Kranke fühlte sich seiner Angabe nach sofort „wie neu- 
geboren f ‘ und blieb in der Folgezeit von seinen Kopfschmerzen 
verschont. Auch teilte mir nach einigen Wochen sein Prinzipal mit, 
dass er geistig viel geweckter geworden sei als vor der Operation 
und keinen Anlass mehr zu Klagen böte. 

Die behinderte oder aufgehobene Nasenatmung kann aber 
ausser durch Blutansaugung auch dadurch schädlich wirken, dass 
nach den Angaben von M. Schmidt dem Blute nicht genug Sauer¬ 
stoff zugeführt wird. Dieser Sauerstoffmangel in Verbindung mit 
der durch die Blutstauung verursachten Kohlensäureüberladung des 
Blutes ist geeignet, eine Anämie hervorzurufen, die nicht nur 
auf das Gehirn, sondern auch auf den Gesamtorganismus einen 
höchst ungünstigen Einfluss ausübt und jeder medikamentösen oder 
physikalischen Therapie hartnäckigen Widerstand leistet. Und in 
der Tat kann man oft die Beobachtung machen, dass die operative 
Beseitigung der Nasenverstopfung nicht allein den Kopfschmerz ver¬ 
schwinden macht, sondern auch das gestörte Wohlbefinden und 
schlechte Aussehen des Patienten, manchmal in geradezu auffallend 
schneller Weise zu bessern vermag. 

Im Zusammenhänge hiermit möchte ich darauf hinweisen, dass 
auch die bei Kindern so häufige Hyperplasie der Rachen¬ 
mandel, welche meist mit einer Anschwellung der Nasenmuschel¬ 
schleimhaut verbunden ist, dieselben Beschwerden, Kopfschmerz und 
Anämie, verursachen kann und zwar auch dann, wenn die Unfähig- 


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21] Der Eopfscbmerz als häufige Folge von Nasdnleiden und seine Diagnose. 195 

keit, durch die Nase zu atmen, noch keine so absolute ist, das$ 
sie ein Offenstehen des Mundes bedingt. Auch bei geringeren Graden, 
wo die Kinder den Mund noch längere oder kürzere Zeit zu schliessen 
imstande sind, aber schon durch den Luftmangel in ihrer Nacht¬ 
ruhe gestört und dadurch gesundheitlich geschädigt werden, können 
sie sich geltend machen. Erfahrungsgemäss wird diese Ursache noch 
häufig wegen ihrer Unauffälligkeit übersehen. Und welch einen Segen 
für die kleinen Patienten ihre Entfernung im Gefolge hat, ist heut¬ 
zutage jedem Arzte und auch vielen Laien so bekannt, dass ich 
wohl kein Wort mehr darüber zu verlieren brauche. 

Ebenso können auch Anhäufungen von Krusten bei der Stink- 
nase (Ozaena) zur Verstopfung und hiermit — abgesehen von 
dem Reiz, den sie auf die Schleimhaut ausüben können — zu Kopf¬ 
schmerz führen, Beschwerden, die alsbald mit der Beseitigung des 
Hindernisses durch ausgiebige Ausspülungen der Nase zu ver¬ 
schwinden pflegen. Diese Heilwirkung wird man aber nur bei der 
genuinen Ozäna erreichen können, da bei der durch chronische 
Nebenhöhlenempyeme verursachten die Behandlung des Kopf¬ 
schmerzes natürlich mit deren Behandlung zusammenfallen muss. 

Von den entzündlichen Prozessen sind es hauptsächlich die 
chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen, welche Ver¬ 
anlassung zum zerebralen Kopfschmerz geben können, während bei 
den akuten Affektionen der lokale in den Vordergrund zu treten, 
pflegt. Welches Moment aber jedesmal das ihn auslösende ist, ob 
die fast nie fehlenden Polypen und Granulationen oder die durch 
die Entzündung an sich bewirkte Zirkulationsstörung oder beides 
zusammen, ist schwer festzustellen. Jedenfalls hat die Schwere und 
das Alter der Entzündungen keinen Einfluss, da der Kopfschmerz 
trotz allem auch vollständig fehlen kann. Nur selten handelt es 
sich bei ihnen um sehr intensive, rasende Schmerzen. Sie pflegen, 
sich vielmehr in erträglichen Grenzen zu halten und einen nur wenig 
ausgesprochenen, unbestimmten Charakter zu zeigen. Anders aber, 
wenn ein chronisches Empyem exazerbiert. Dann können sich vor¬ 
übergehend ähnliche Schmerzen einstellen, wie ich bei den akuten 
Empyemen geschildert habe, die aber fast niemals jenen intensiven 
Grad erreichen und nach einer Dauer von drei bis vier Tagen voll¬ 
kommen verschwinden. t 

Ein weit ernsteres und wesentlich ungünstigeres Bild wird 
aber der zerebrale Kopfschmerz zeigen, wenn er intrakranielle 
Komplikationen ankündigt, wie sie im Gefolge von eitrigen 
Prozessen der Nase und ihrer Nebenhöhlen auftreten können. Und 
die Möglichkeit zur Entstehung von Abszessen des Gehirns und 
seiner Häute, von Meningitis und Thrombophlebitis entweder durch 
Fortleitung der Entzündungsprodukte und Bakterien in das Schädel- 


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innere auf dem Wege der Blut- und Lymphbahnen (vielleicht auch 
der Nervenscheiden) oder infolge direkten Durchbruches des Eiters 
durch den dünnen Knochen (Defektbildung), zumal beim Siebbein- 
und Keilbeinhöhlenempyem, ist durch die Sektion vielfach nach¬ 
gewiesen. Abgesehen davon, dass der Kopfschmerz meist mit dem 
Fortschreiten des intrakraniellen Prozesses bis zum Eintritt der Be¬ 
wusstlosigkeit an Stärke zunimmt, bietet er im allgemeinen nichts 
Charakteristisches dar, bildet aber im Verein mit anderen Hirn¬ 
druckerscheinungen wie Schwindel und Erbrechen ein diagnostisch 
wertvolles Symptom, das allerdings leider nicht konstant ist und 
bei allen Gehirnleiden ebenso vorhanden sein wie fehlen kann. Nur 
bei der akuten Meningitis wird man es 1 wohl niemals vermissen. 

Ausser durch Zirkulationsstörungen in der Nase, also auf me¬ 
chanischem Wege, kann der zerebrale Kopfschmerz auch durch 
Fernwirkung, also reflektorisch, entstehen. Sein Auf¬ 
treten ist in letzterem Falle aber stets an eine Bedingung geknüpft, 
nämlich an das Vorhandensein eines erkennbaren Grades von Neur¬ 
asthenie. Dabei ist es nicht notwendig, dass immer das ganze 
Nervensystem erkrankt ist; es gibt, wie Rossbach (zitiert nach 
M. Schmidt) richtig bemerkt hat, auch eine auf einzelne Abschnitte 
desselben beschränkte neurasthenische oder hysterische Beschaffen¬ 
heit des Nervensystems. Das Wesen der reflektorischen Cephalaea 
besteht also darin, dass bei nervös disponierten Leuten von einem 
Punkte in der Nase aus eine Reizung ausgeht, welche sich auf die 
Nerven der Gehirnhäute überträgt und als Kopfschmerz empfunden 
wird. Die Reizung kann auf verschiedene Weise zustande kommen. 

Was den durch Nasenpolypen verursachten Kopfschmerz an¬ 
langt, so spielt gelegentlich bei ihm der Reiz eine Rolle, den sie 
auf die benachbarte Schleimhaut der Nasenhöhle ausüben. So weist 
Scheinmann darauf hin, dass sie unter Umständen eine Hyper¬ 
ästhesie der Nasenschleimhaut hervorrufen können, „in¬ 
dem sie, fast immer im mittleren Nasengang oder an der mittleren 
Muschel sitzend, im Anfang zwar keine Symptome machen, bei 
weiterem Wachstum aber durch den Luftstrotn hin- und herbewegt 
werden, wobei sie bald die Schleimhaut des Septum, bald die der 
Muscheln treffen und so zahlreiche Nervenreize verursachen“. Vor 
allem ist dann eine Hyperästhesie von seiten der Polypen zu er¬ 
warten, w’enn die an Nerven reichste Stelle der Nase, das Tuber¬ 
culum septi, betroffen wird. Ausser verschiedenen anderen Fem- 
wirkungen, in deren erster Reihe das Asthma steht, ist häufig dif¬ 
fuser • Kopfschmerz einer oder beider Seiten die Folge und zwar 
schon zu einer Zeit, wo sie wegen ihrer geringen Grösse noch kaum 
Stauungserscheinungen oder Verstopfung hervorrufen können und 
■wo der Patient selbst von ihrem Vorhandensein keine Ahnung hat. 


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23] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden and seine Diagnose. 197 


Ein typisches Beispiel dafür bietet folgender Fall: 

Fall VII.- Eine 43 Jahre alte Dame klagte seit zwei Jahren 
über dumpfe Schmerzen in der Stirn- und Schläfengegend und be¬ 
ständige Eingenommenheit des Kopfes. Zeitweise hatte sie auch das 
Gefühl, als lege sich ein Reifen um ihren Kopf. Sie hat früher wieder¬ 
holt an Schnupfen gelitten, ist aber nach Ablauf desselben stets von 
Ausfluss frei geblieben und hat niemals über Nasenverstopfung zu 
klagen gehabt. 

Bei der am 7. Februar 1907 vorgenommenen Untersuchung 
fand ich die linke Nasenseite völlig frei, in der rechten dagegen sah 
ich an der Unterseite der mittleren Muschel einen grauroten, etwa 
bohnengrossen Polypen sitzen, welcher dem Durchtritt der Luft kein 
Hindernis bereitete. Sekret war nirgends vorhanden. Die Durch¬ 
leuchtung ergab ein durchaus negatives Resultat. Beim Beklopfen 
der Stirn und Betasten des Schädels nirgends Schmerzempfindlich¬ 
keit, ebensowenig bei Druck auf den inneren Augenwinkel oder 
die Wangengegend. Zunächst machte ich den Versuch, durch Ko- 
kainisieren des Polypen nebst seiner Umgebung einen Nachlass des 
Kopfschmerzes herbeizuführen. Dieser gelang insofern, als Patientin 
sofort erklärte, dass sie sich schon wesentlich erleichtert und freier 
im Kopfe fühle. Auf Grund dieses Befundes teilte ich ihr nunmehr 
mit, dass ich zwar einen ursächlichen Zusammenhang der Kopf¬ 
schmerzen mit der Anwesenheit des Nasenpolypen für sehr wahr¬ 
scheinlich hielte, dass ich aber eine Garantie dafür nicht über¬ 
nehmen würde, da ihre Beschwerden auch rein nervösen Ur¬ 
sprunges sein könnten zumal in Anbetracht des Umstandes, dass 
sie sich gerade in den Wechseljahren befände. Nachdem ich sie 
von der Harmlosigkeit der kleinen Operation überzeugt hatte, ent¬ 
fernte ich den Polypen mit der kalten Schlinge. Vom nächsten Tage 
ab, wo ich den Tampon entfernte, war der Kopfschmerz verschwunden 
und blieb es auch, als sie sich nach mehreren Wochen wieder vor¬ 
stellte. 

Die Promptheit und noch mehr die Dauer des Heilerfolges 
lassen einen etwaigen Zweifel, wie er schon erhoben worden ist, 
als ob es sich in solchen Fällen nur um eine Suggestion bezw. 
Autosuggestion gehandelt hätte, nicht aufkommen, zumal auch von 
anderen Seiten schon eine Reihe ähnlicher Beobachtungen von Be¬ 
seitigung des Kopfschmerzes durch Operation von Nasenpolypen 
vorliegt. 

Wenn wir nun auf das ebenso in Zweifel gezogene Kausalitäts¬ 
verhältnis zwischen der Cephalaea und den häufig vorkommenden 
knöchernen Leisten und Dornen der Nasenscheidewand ein- 
gehen, so ist es ja auf den ersten Blick unbegreiflich, wie diese Ge¬ 
bilde, die schon seit langen Jahren, vielleicht schon von frühester 


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Jugend an vorhanden sind, auf einmal zu Kopfschmerzen Anlass 
geben sollen. Meiner Meinung nach pflegen sie auch -ganz symptom¬ 
los zu sein und zu bleiben, solange sie nicht bei nervös veranlagten 
Menschen in Berührung mit der gegenüberliegenden Muschel kommen 
und durch Druck auf das reich verzweigte Gefäss- und Nervennetz 
derselben einen beständigen oder temporären Reiz ausüben, ab¬ 
gesehen davon, dass sie zu gleicher Zeit auch die betreffende Nasen¬ 
seite mehr oder weniger verstopfen können. Für die Annäherung 
von knöcherner Leiste und Muschel — es handelt sich hier meist um 
die untere — kommen drei Möglichkeiten in Betracht, 1. dass das 
Lumen der Nasenhöhle sich durch den wachsenden Schädel all¬ 
mählich verengert, 2. dass, wie wir im Fall VI gesehen haben, die 
Muschel hypertrophisch wird, und 3. dass durch eine Gewalt¬ 
einwirkung wie Schlag oder Fall auf die Nase an der Bruchstelle 
der Nasenscheidewand sich ein Kallus bildet, der bis zur gegen¬ 
überliegenden Muschel hinüber reicht. Welche von beiden, ob Muschel 
oder Leiste, die Schuld an dem zum Kopfschmerz führenden Nerven¬ 
reiz trägt, wird man an dem Vorhandensein oder Fehlen einer 
Muschelschwellung ersehen können und darnach die Behandlung 
einrichten, also im ersteren Falle die Hypertrophie, im letzteren 
die Knochenleiste oder, falls das noch nicht genügt, beide entfernen. 

Im folgenden durch ein Trauma entstandenen Fall von Nasen¬ 
kopfschmerz wirkte ausser der Kallusbildung wahrscheinlich auch 
die dadurch verursachte Verstopfung der betreffenden Seite mit: 

Fall VIII. Ein nach eigener Angabe nervöser und leicht reiz¬ 
barer Kaufmann von 40 Jahren erhielt bei einer Schlägerei vor drei 
Jahren einen Stockhieb über die Nase, welcher eine heftige Blutung 
und Anschwellung derselben zur Folge hatte. Er begab sich damals 
sofort zum Arzt, der die Nase auf beiden Seiten tamponierte und 
kalte Umschläge verordnete, worauf die Blutung zum Stillstand kam. 
Nach Rückgang der Geschwulst bemerkte aber Patient, dass eine 
Verbiegung seiner Nase zurückgeblieben war und dass er keine 
Luft mehr durch die rechte Seite bekommen konnte. Ebenso fehlte 
ihm auch hier die Geruchsempfindung. Seine Hauptklage bestand 
jedoch in einem dumpfen Druck meist in der vorderen Hälfte des 
Kopfes, der in ihm wegen seiner Beständigkeit die Befürchtung er¬ 
weckte, dass er in Geisteskrankheit übergehen werde, und ihn des¬ 
halb ganz melancholisch machte. 

Die äussere Untersuchung vom 18. September 1906 ergab, 
dass seine Nasenspitze sattelförmig eingedrückt erschien. Ent¬ 
sprechend dieser Delle war von aussen eine knorpelige Verdickung 
der Nasenscheidewand durchzufühlen. Die Nasenbeine selbst be¬ 
fanden sich in ihrer richtigen Lage. Bei Betrachtung des Nasen- 
innern fand ich, dass auf der linken Seite die untere und mittlere 


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25] Der Kopfschmerz als hftofige Folge von Naeenleiden und seine Diagnose. 199 


Muschel atrophisch waren und das Septum, wenigstens in seinem 
vorderen Teil, mit einer scharfen Knickung nach der anderen Seite 
ausgebuchtet war. Dieser Ausbuchtung entsprach auf der rechten, 
Seite eine starke, mit der Sonde sich hart wie Knochen anfühlende, 
unregelmässig geformte Hervorwölbung der Nasenscheidewand, 
welche den Einblick fast unmöglich machte und sich so an die, so¬ 
weit erkennbar, ebenfalls atrophische untere Muschel drängte, dass 
nur wenig Luft beim Atmen hindurchstreichen konnte. Diese Ver¬ 
engerung wurde noch dadurch vermehrt, dass bei der Einatmung der 
rechte Nasenflügel angesogen wurde, wodurch ein völliger Abschluss 
gegen die Luft entstand. Es handelte sich hier also um einen schief 
verheilten Bruch der Cartilago quadrangularis septi. 

Da der etwas ängstliche Patient auf eine schnelle und möglichst 
schmerzlose Befreiung von seinen Beschwerden Wert legte, machte 
ich zunächst mit einer starken Kokain-Suprareninlösung die gesamte 
Schleimhaut des unteren und mittleren Nasenganges unempfindlich 
und infiltrierte dann die über der Kallusbildung befindliche Schleim¬ 
haut mit Schleich’scher Lösung, worauf ich den Vorsprung mit 
einer dicken Trephine entfernte, was bei zweimaligem Eingehen in 
wenigen Sekunden und Säst ohne jeden Schmerz und Blutverlust, 
sowie ohne Perforation des Septums geschah. Sofort nach Ent¬ 
fernung und Glättung der zurückgebliebenen Unebenheiten spürte 
Patient eine wohltuende Erleichterung beim Atmen. In den nächsten 
zwei Tagen hielt der Kopfschmerz infolge der wegen drohender 
Nachblutung notwendigen Tamponade noch an, nahm aber dann 
ab und war nach acht Tagen gänzlich verschwunden. Gegen das 
Ansaugen des geradezu atrophisch gewordenen Nasenflügels liess 
ich noch eine Zeitlang einen passenden Nasenöffner tragen. Nach 
Verheilung der Wunde, die drei bis vier Wochen in Anspruch nahm, 
war Patient von allen seinen Beschwerden befreit. 

Freilich nicht in jedem Falle von Berührung des Septums mit 
der Muschel brauchen Kopfschmerzen aufzutreten. So sieht man 
zuweilen bei Fehlen von nervöser Disposition einen spitzen Dom 
sich in die gegenüberliegende Muschel bohren, ohne Symptome zu 
machen. In anderen Fällen dagegen können wir manchmal gar keinen 
sichtbaren Grund für das Bestehen von Kopfschmerz in der Nase 
entdecken und doch rührt er von einer Erkrankung derselben her, 
die, wenn auch nicht mit dem Auge, so doch mit der Sonde gefunden 
Werden kann, nämlich von einer angeborenen oder er¬ 
worbenen Hyperästhesie der Schleimhaut. Wie die tägliche 
Erfahrung lehrt, ist die Empfindlichkeit der Kranken gegen die Be¬ 
rührung ihrer Nasenschleimhaut mit der Sonde ausserordentlich ver¬ 
schieden. Während die einen fast unempfindlich sind, äussern die 
andern ein lebhaftes Schmerzgefühl. Ja es ist mitunter möglich, 


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durch Berührung besonders empfindliche Stellen, z. B. das Tuber¬ 
culum septi, ausfindig zu machen, welche sofort mit Kopfschmerz 
darauf reagieren und auch von den Kranken als Ausgangspunkt 
angesehen werden. Andererseits ist es gelungen, durch Bestreichen 
derartiger Stellen mit Kokain den bestehenden Kopfschmerz zum 
Vercshwinden zu bringen. Man findet die Hyperästhesie ebenfalls 
nur bei reizbaren, nervösen Personen. Hierher gehört auch der 
Kopfschmerz, welcher empfindliche Leute beim Einatmen starker 
oder unangenehmer Gerüche befällt. Roe glaubte gefunden zu 
haben, dass der reflektorische Kopfschmerz in dem unteren und 
hinteren Teil der Schläfen-, Seitenwand- und Hinterhauptsgegend 
von der unteren Muschel und dem! unteren Teil des Septums, der 
Schläfenschmerz von der mittleren Muschel und der Stirn- und Supra¬ 
orbitalschmerz von der oberen Muschel herrühre. Dagegen hat die 
neuere Forschung festgestellt, dass es keine bestimmten und aus¬ 
schliesslichen Reizstellen gibt, sondern dass von jeder Stelle der 
Nasenschleimhaut aus der Reflex zum Kopfschmerz ausgehen kann. 
Nur das kann man mit M. Schmidt wohl als Regel ansehen, dass 
auf Femwirkung beruhende Schmerzen im vorderen Teil des Kopfes, 
in der Stirn, durch Erkrankungen der vorderen Nase und die im 
Hinterkopf durch Erkrankungen des hinteren Nasenabschnittes oder 
des Kavums erzeugt werden. 


Die Diagnose des nasalen Kopfschmerzes. 

Wenn wir nun die besprochenen drei Formen des nasalen 
Kopfschmerzes auf ihre Bedeutung für die Erkennung von Nasen¬ 
krankheiten prüfen, so gelangen wir zu dem Resultat, dass nur 
die lokalen Schmerzen die eigentlich charakteristischen und un¬ 
verkennbaren sind, da sie sich, wie wir gesehen haben, willkürlich 
hervorrufen oder steigern lassen und der direkten Untersuchung 
leicht zugänglich sind. Allerdings ist bei ihnen die Einschränkung 
zu machen, dass sie uns oft nur auf irgend eine akute entzündliche 
Affektion im Bereiche der Nase und ihrer Nebenhöhlen hinweisen, 
wobei aber die Frage nach der näheren Lokalisation und Art der 
Erkrankung noch offen bleibt und erst durch eine eingehende rhino- 
skopische Untersuchung gelöst werden kann. Ausserdem entzieht 
sich natürlich der hintere Nasenabschnitt der direkten Untersuchung 
von aussen. Immerhin ist die durch Betasten oder Beklopfen leicht 
festzustellende Empfindlichkeit der angegebenen Stellen der Kiefer* 
und vor allem der Stimhöhlenwand so einzigartig, dass sie, auch 
wenn andere Symptome eines Nasenleidens gänzlich fehlen, nicht 
leicht mit anderen Affektionen verwechselt werden kann. Nur sehr 


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27] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 201 


selten wird es Vorkommen, dass gerade und ausschliesslich im Be¬ 
reiche der Stirn- oder Kieferhöhlen wand sich eine Erkrankung 
der Schädelknochen etwa nach Lues, nach Eiterungen oder 
Traumen etablieren sollte, welche anfangs die Diagnose erschweren 
könnte. Doch wird die Betastung der erkrankten Stelle gewiss rasch 
zum Erkennen von verdickten oder erweichten Partien verhelfen, 
wobei aber stets zu bedenken ist, dass die Knochenerkrankung durch 
Übergreifen auf die dahinter liegende Höhle auch mit einer eitrigen 
oder jauchigen Entzündung derselben kompliziert sein kann. 

Weit grösseren Schwierigkeiten begegnet die Diagnose der 
neuralgischen Form des nasalen Kopfschmerzes. In vielen 
Fällen wird die Unterscheidung von der gewöhnlichen Trige¬ 
minusneuralgie (Tic douloureux, Prosopalgie) ohne 
innere Untersuchung der Nase nicht möglich sein. Ein wichtiges 
diagnostisches Hilfsmittel bietet hierbei die Frage nach den 
vorangegangenenKrankheiten. Erfahren wir nämlich, dass 
der Kranke früher einmal Malaria oder Gelenkrheumatis¬ 
mus — beides imbestrittene und häufige Ursachen für eine Neuralgie 
— durchgemacht hat, so werden wir die halbseitigen Kopf- oder 
Gesichtsschmerzen zunächst wohl auf diese beziehen müssen. Be¬ 
sondere Vorsicht aber müssen wir walten lassen, wenn eine In¬ 
fluenza vorangegjangen ist. Zwar wird diese von vielen Autoren 
für die häufigste Ursache der Trigeminusneuralgie angesehen. Aber 
zahlreiche Beobachtungen haben neuerdings bewiesen, dass sie 
keineswegs immer wirklichen Neuritiden im Bereiche des Trigeminus, 
sondern weit mehr übersehenen Nebenhöhlenentzündungen ihren Ur¬ 
sprung verdanken! H a j e k erklärt sogar, dass er bisher noch keine 
Influenzaneuralgie im Gebiete des Trigeminus gesehen habe, hinter 
der nicht eine akute Entzündung einer Nebenhöhle gesteckt hätte I 

Vorzugsweise wird bei Infektionskrankheiten der 
erste Trigeminusast befallen, während der zweite meist durch die 
Erkrankungen der Zähne in Mitleidenschaft gezogen wird, 
ebenso wie der dritte, der aber bei Nasenleiden unbeteiligt ist imd 
hier übergangen werden kann. Wir werden also bei jeder S u p r a - 
maxillarneuralgie unser Augenmerk auch auf die Beschaffen¬ 
heit der oberen Zähne, besonders der Mahlzähne richten und uns 
zugleich daran erinnern müssen, dass nicht nur Zahnkaries, 
sondern nach den Beobachtungen von Brönnecke auch in Zähnen 
mit gesunder Oberfläche Pulpaerkrankungen infolge von 
Stauungshyperämie oder von Kalkeinlagerungen zu schweren Supra- 
maxillarneuralgien führen können. Liegt also weder eine Infektions¬ 
krankheit, noch Karies, noch eine Erkrankung der Pulpa des Zahnes 
vor — letzterer ist dann beim Beklopfen schmerzhaft und bleibt 
dunkel bei Durchleuchtung — so können wir mit grosser Wahrschein- 


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202 R. VECKENSTEDT, [28 

lichkeit ein Nasenleiden als Entstehungsursache des halbseitigen 
Schmerzes annehmen. 

Von ebenso grosser Bedeutung ist die Unterscheidung der 
nasalen Neuralgie von der Migräne, unter deren Flagge sie mit 
Vorliebe segelt, zumal auch einige Autoren leider jeden halbseitigen 
Kopfschmerz oder Gesichtsschmerz mit Migräne bezeichnet und da¬ 
durch eine unheilvolle Verwirrung in der Differentialdiagnose her¬ 
vorgerufen haben. Die Migräne bietet aber ein scharf umzeichnetes 
Krankheitsbild dar, das auch in seinem atypischen Verhalten immer 
noch unverkennbare Symptome zeigt. Zunächst ist sie nach Möbius 
eine Gehimkrankheit, die auf erblicher Anlage beruht und 
bis in die Jugend zurückreicht. Sie tritt zwar ebenso wie die nasale 
Neuralgie mit meist nur halbseitigen Schmerzanfällen auf. Diesen 
pflegen aber meist Prodromalerscheinungen, bestehend in 
Abgeschlagenheit, Ohrensausen, Flimmern vor den Augen, Übel¬ 
keit etc. voranzugehen, welche den Kranken als sicheres Zeichen 
ihres herannahenden Leidens bald bekannt werden. Die Schmerz¬ 
anfälle selbst pflegen im allgemeinen einen kontinuierlichen, nicht 
intermittierenden (wie bei den Neuralgien) Charakter zu zeigen. 
Vielfach sind sie auch begleitet von vasomotorischen Erschei¬ 
nungen, die sich in Blässe oder Rötung der befallenen Seite, in 
Erweiterung der Pupille und vermehrter Speichelabsonderung 
äussem, Erscheinungen, die ich bei den nasalen Neuralgien noch 
nicht beobachtet oder beschrieben gefunden habe. Auch fehlen bei 
der Migräne gewöhnlich besondere Schmerzpunkte, dagegen ist die 
ganze Kopfhaut auf der kranken Seite meist hyperästhetisch. Können 
nun in den atypischen Fällen von Migräne verschiedene Ab¬ 
weichungen von diesem Verlaufe Vorkommen, so fehlt doch fast nie 
das wichtigste Unterscheidungsmerkmal, das Erbrechen. Das¬ 
selbe kommt bei Nasenneuralgien, abgesehen von Gehirnkompli¬ 
kationen, niemals zur Beobachtung. Ich glaube daher, dass die an¬ 
geblichen Beobachtungen von „Migräne bei Nasenleiden“, speziell 
bei Nebenhöhlenentzündungen, auf Irrtum beruhen insofern, als es 
sich hier wohl um halbseitige, migräneartige Kopfschmerzen, 
aber nicht um typische Migräne gehandelt hat. 

Ausserdem könnten für die Differentialdiagnose auch noch ein¬ 
seitig lokalisierte Schmerzen im Verlaufe von Erkrankungen der 
Mandeln (Mandelpfröpfe I), des Rachens, des Ohres und Auges in 
Frage kommen, die aber meist durch eine gleichzeitige Störung der 
Funktion, also des Schluckens, Hörens oder Sehens erkennbar sein 
werden. Andererseits darf man nicht ausser acht lassen, dass im 
Gefolge von Nasenleiden auch Störungen im Gebiete des Sehr 
Organes Vorkommen können. Gerade in bezug auf die sekundären 
Erscheinungen am Auge erlebt man es nicht selten, dass die Pa- 


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29] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 203 

tienten ihr Grundleiden darin sehen und zunächst einen Augenarzt 
zu Rate ziehen. 

Was schliesslich den rheumatischen Kopfschmerz, 
das sogenannte „Kopfreissen“, anlangt, unter dessen Diagnose ge¬ 
legentlich sich eine Nasenneuralgie verbirgt, und der durch eine 
Erkrankung der Galea und der Muskelansätze bedingt wird, so lässt 
er sich unschwer durch Palpation der druckempfindlichen, manch¬ 
mal schwielig verdickten Stellen der Kopfschwarte feststellen. Auch 
pflegen in Verbindung damit die nach dem Hinterkopf herauf ziehenden 
Muskeln des Nackens ebenfalls schmerzhaft zu sein. 

Der zerebrale Schmerz an sich bietet dagegen keine An¬ 
haltspunkte für das Vorhandensein von Nasenleiden, da Art und 
Sitz desselben vor dem durch andere Krankheiten hervorgerufenen, 
keine besonderen Eigentümlichkeiten zeigt. Für den mit der Hand¬ 
habung des Nasenspekulums oder in der Erkennung von Nasenleiden 
nicht durchaus erfahrenen Arzt ist demnach hier grosse Vorsicht in 
der Beurteilung geboten, wenn er nicht gelegentlich in schwere 
Irrtümer verfallen will. Zwar gibt es eine Reihe von Kopfschmerz¬ 
fällen, deren Ursache sich schon durch die Anamnese feststellen 
lässt. Das sind die sogenannten passageren, d. h. vorüber¬ 
gehenden Kopfschmerzen, wie sie nach Exzessen in Baccho, bei 
Magen- und Darmstörungen, bei Einwirkung von intensiven und 
unangenehmen Geräuschen und von grellem Licht Vorkommen 
können, und für die kaum ärztliche Hilfe in Anspruch genommen 
wird. Abgesehen hiervon ist aber eine grosse Zahl von Leiden 
bekannt, welche von habituellen Kopfschmerzen begleitet sein 
können, so die Anämie, Hyperämie, Urämie, Diabetes, Vergiftungen, 
Infektionskrankheiten, Syphilis, Akkommodationsstörungen und Er¬ 
krankungen des Gehirns und seiner Häute. Nur eine eingehende 
Untersuchung des gesamten Körpers einschliesslich seiner Se- und 
Exkrete wird Aufklärung darüber schaffen können, ob eine von 
diesen Erkrankungen vorliegt oder ob ein Nasenleiden angenommen 
werden muss. 

Besondere Schwierigkeiten für die Differentaldiagnose bietet 
erfahrungsgemäss die Neurasthenie dar. Die bei dieser auf¬ 
tretenden zerebralen Erscheinungen, bestehend in Kopfdruck, der 
sich bald mehr auf die Stirn, bald mehr auf den Hinterkopf legt 
und sich manchmal zu wirklichen Schmerzen steigert, sowie in 
Eingenommenheit und Unlust zur Arbeit, sehen den durch Nasen¬ 
leiden erzeugten ausserordentlich ähnlich. Es genügt hier nicht, 
lediglich das Nervensystem einer Untersuchung zu unterziehen, viel¬ 
mehr ist in jedem Falle von „neurasthenischem Kopfschmerz“ auch 
eine Untersuchung des Naseninnern nötig. Lehrt doch die Erfahrung 
fast täglich, dass sich hinter der angeblichen Neurasthenie gar häufig 


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ein Nasenleiden, meist ein latentes Nebenhöhlenempyem, verbirgt! 
Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass die Neurasthenie mit einem 
Nasenleiden kombiniert sein kann, derart, dass der Zustand 
des Nervensystems die nasale Affektion fördert und sie zum Aus¬ 
gangspunkt der Schmerzen werden lässt. 

Endlich kann auch die Hysterie in Frage kommen, insofern, 
als sie anscheinend so charakteristische Kopfschmerzen, besonders 
in der Stirngegend, vorzuspiegeln imstande ist, dass schon wieder¬ 
holt ein Stimhöhlenempyem angenommen und die betreffende Stirn¬ 
höhle unnötigerweise von aussen aufgemeisselt worden ist, ein 
Fehler, der wohl nur durch eine oberflächliche Untersuchung hat 
verschuldet werden können. 


Schluss. 

Kann somit die Diagnose des nasalen Kopfschmerzes in 
latenten Fällen grosse Schwierigkeiten bereiten, so wird sie in vielen 
anderen dadurch erleichtert, dass die an den Patienten gerichtete 
Frage nach ein- oder doppelseitigem Ausfluss aus der Nase, nach 
Verstopfung einer oder beider Nasenhälften oder nach Störung der 
Geruchsempfindung bejahend ausfällt. Merkwürdigerweise aber 
werden diese Symptome häufig nicht beachtet oder als harmloser 
Schnupfen gedeutet, da man sich noch nicht von der recht verbreiteten 
Ansicht losmachen kann, dass ernste Erkrankungen der Nase und 
ihrer Nebenhöhlen sich in besonders auffälliger Weise seitens der 
Nase äussern müssten, was aber nicht der Fall ist. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich, um keine Irrtümer auf- 
kommen zu lassen, ausdrücklich betonen, dass der Kopfschmerz 
kein notwendiges Glied in der Symptomenkette der Nasenerkran¬ 
kungen repräsentiert, und dass selbst schwere, hauptsächlich chro¬ 
nische Nasenleiden, mögen sie durch Entzündungen oder durch Ge¬ 
schwülste veranlasst sein, ohne jeden Schmerz verlaufen können. 
Andererseits muss man, auch wenn ein positiver Befund in der 
Nase vorliegt, sich doch hüten, ihn in jedem Falle als Ursache 
eines gleichzeitig bestehenden Kopfschmerzes hinzustellen. Ist es 
doch schon vorgekommen, dass nach Beseitigung des Nasenleidens 
der Kopfschmerz dennoch weiter bestehen bleibt oder dass er rasch 
wiederkehrt, weil ihm noch ein anderes Leiden zugrunde liegt. Wenn 
dies auch nur Ausnahmefälle sind, so tut man doch gut, wenn 
man in allen Fällen von Kopfschmerz, die nicht sicher mit dem dia¬ 
gnostizierten Nasenleiden in Einklang gebracht werden können, sich 
diese Möglichkeit vor Augen hält und sie dem Kranken vor der Be- 


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31] Der Kopfschmerz als h&ufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 205 

handlung klar macht, um sich nicht späteren Vorwürfen aus¬ 
zusetzen. 

Diesen immerhin seltenen Misserfolgen gegenüber steht aber 
die grosse Zahl der geradezu glänzenden Resultate, welche die lokale 
Behandlung von Nasenleiden gerade in der Beseitigung des nasalen 
Kopfschmerzes aufzuweisen hat, Resultate, die vom Kranken um 
so mehr anerkannt zu werden pflegen, als sich die intranasalen 
Eingriffe durch eine sorgfältige lokale Anästhesie zumeist ganz 
schmerzlos ausführen lassen. Diese Erfolge sind es auch gewesen, 
welche die früher vielfach als nebensächlich betrachtete Nasenheil¬ 
kunde im Ansehen von Ärzten und Laien gehoben und ihr einen be¬ 
rechtigten Platz in der Chirurgie errungen haben. 

Wenn ich nun zum Schluss das Fazit aus meinen Aus¬ 
führungen ziehen darf, so lässt sich dasselbe dahin zusammenfassen, 
dass der nasale Kopfschmerz, auch wenn er das einzige Symptom 
ist, in seiner lokalen und in gewissen Fällen auch in seiner neur-« 
algischen Erscheinungsform mit grösster Wahrscheinlichkeit auf das 
Vorhandensein eines Nasenleidens hinweist, dass aber die zerebrale 
Form nur dann für die Diagnose verwertbar ist, wenn noch andere 
Symptome seitens der Nase vorhanden sind. Da aber, wie die Er¬ 
fahrung lehrt, die latenten Fälle verhältnismässig häufig Vorkommen, 
so ist es unbedingt nötig, dass in jedem Falle von 
Kopfschmerz, der nicht mit Sicherheit auf ein 
anderes Leiden zurückgeführt werden kann, eine 
sachgemässe Untersuchung der Nase und ihrer 
Nebenhöhlen stattzufinden hat. 


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Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infek¬ 
tionskrankheiten. 

Von 

Dr. Hermann Lüdke v 

Privatdozent und I. Assistent der medizinischen Klinik in WÜrzburg. 


Die Untersuchungsmethoden der praktischen Bakteriologie 
haben sich dank der Zusammenarbeit von Bakteriologen und 
Klinikern für die Diagnostik der Infektionskrankheiten unbestrittene 
Geltung verschafft. Für die Klinik, die über gut eingerichtete Labo¬ 
ratorien verfügt, bietet die bakteriologische Untersuchungsmethode 
nicht allein eine grössere Exaktheit, sondern auch eine wesentliche 
Erleichterung der Diagnosenstellung. Das klinische Symptombild 
einer Infektionskrankheit erfährt seine wertvollste Ergänzung 
durch den Nachweis des spezifischen Erregers. 

Der Wert der Untersuchungsmethoden der angewandten Bak¬ 
teriologie entspricht vielfach dem Bedürfnis einer exakten Diagnosen¬ 
stellung in dubiösen Erkrankungsfällen, andererseits sichert der 
Nachweis spezifischer Bakterien nicht allein die klinische Diagnose, 
nicht selten kann auf Grund des bakteriologischen Untersuchungs¬ 
befundes die Diagnose erst gestellt werden. Es hiesse aber zu weit 
gegangen, wenn man zugunsten der bakteriologischen Untersuchung 
der Sekrete und Exkrete die klinische Beobachtung vernachlässigen 
wollte und die Diagnostik der Infektionskrankheit gleichsam ins Labo¬ 
ratorium verlegte. Denn die bakteriologische Diagnostik bietet auch 
für den geübten Untersucher mannigfache Schwierigkeiten, die 
einesteils durch die Kompliziertheit, andererseits durch den aus¬ 
gesprochenen Mangel an zulänglichen Methoden bedingt sind. 

Wie die klinische Diagnose mancher Infektionen erst nach 
Tagen sorgfältigster Beobachtung und Berücksichtigung sämtlicher 
differentialdiagnostischer Momente mit Sicherheit gestellt werden 
kann, erfordert die bakteriologische exakte Diagnose die Verwertung 

Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 9. 15 


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208 H. LÜDKE, [2 

zahlreicher Methoden, die zu ihrer Vollendung ebenso Tage bean¬ 
spruchen. 

Und wie wir unter den Infektionskrankheiten typische klinische 
Bilder finden, die durch einen charakteristischen Symptomkomplex 
ausgezeichnet sind, verfügt die bakteriologische Diagnostik über 
typische Färbungs- und Züchtungsmethoden, über die biologische 
Serumprüfung und Tierexperimente, die ebenso charakteristische Be¬ 
obachtungsresultate darbieten. 

Grosse Bedeutung wäre morphologischen Differen- 
zierungs merkmalen der Bakterien insofern beizulegen, als 
sich aus der Form, der Grösse der Keime, ihrer Lagerung, etwaigen 
Bestandteilen im Protoplasma diagnostisch wichtige Schlüsse auf 
die spezifische Art machen Hessen. Die morphologischen Unter¬ 
suchungen der Bakterien sind jedoch bisher nicht über die Kenntnis 
ihrer äusseren Umrisse hinausgekommen; von ihrem feineren Bau 
ist so gut wie nichts bekannt. Typhusbazillen können wir von Para¬ 
typhusbazillen, von Koliarten durch morphologische Unterscheidungs¬ 
merkmale nicht differenzieren; im mikroskopischen Präparat er¬ 
kennen wir nur Kokken-, Bazillen- oder Schraubenformen, die durch 
diese Gestaltungen wie durch einzelne charakteristische Wuchsver¬ 
bände geringe diagnostische Anhaltspunkte bieten. 

Aber auch hier finden wir mannigfache Übergänge der charak¬ 
teristischen Formen in atypische. Mir sind so z. B. Dysenterie¬ 
stäbchen, frisch aus den Dejektionen Ruhrkranker gezüchtet, zu 
Gesicht gekommen, die bei wochenlangen Überimpfungen typische 
Kokkenformen behielten, trotzdem die Züchtungsversuche und bio¬ 
logischen Eigenschaften für echte Ruhrbazillen, die gewöhnlich 
Bazillenform haben, sprachen. 

Es gibt keine konstanten, mikroskopisch nachweisbare Dif¬ 
ferenzen im Bau der Bakterien. In vielen Fällen können wir jedoch 
Wahrscheinlichkeitsschlüsse auf die Bakterienart aus 
ihrer Gestaltung, Grösse, Lagerung ziehen, Schlüsse, die selbst 
sehr nahestehende Arten, wie etwa Pseudodiphtheriebazillen und 
Diphtheriebazillen oft voneinander zu unterscheiden gestatten. 

In anderen Fällen können nahestehende, zu einer Gruppe ge¬ 
hörige Bakterien durch ihre mangelnde oder ausgesprochene Be¬ 
weglichkeit differenziert werden. Die zur grossen Gruppe der 
Typhus-Kolierreger gehörigen Dysenteriebazillen zeichnen sich durch 
ihren Mangel an Eigenbewegung, die Typhus- wie Kolibazillen zu¬ 
kommt, aus. 

Färbungsmethoden können in manchen Fällen wichtige, 
differentialdiagnostische Aufschlüsse geben. Ausser der bekannten! 
Gramfärbung erwähnen wir nur die Neisser’sche Doppel- 


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3] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 


209 


färbung, die es ermöglicht, Diphtheriebazillen von den Pseudo¬ 
diphtheriebazillen zu unterscheiden. 

Die Wachstumseigenschaften auf verschiedenartigen 
Nährböden dienen weiterhin zur Differenzierung verwandter Bak¬ 
terienarten. Gleichmässigkeit in der Zusammensetzung der Nähr¬ 
böden ist die erste Bedingung, um nahe verwandte Arten voneinander 
zu unterscheiden, und die Züchtung muss unter den gewöhnlichen 
Verhältnissen, die den natürlichen Wachstumsbedingungen nach Mög¬ 
lichkeit entsprechen, stattfinden. Die Variabilität der Bakterien darf 
danach nicht durch abnorme Temperaturverhältnisse, durch unge¬ 
eignete Nährböden künstlich gesteigert werden. Die künstlichen 
Züchtungsprodukte, die auf diese Weise erhalten werden können, 
pflegen dann kaum noch Ähnlichkeiten mit der Ausgangskultur zu 
besitzen. Die Bakterien passen sich der Beschaffenheit des Nähr¬ 
substrats an und erleiden unter ungünstigen Wachstumsverhält¬ 
nissen Modifikationen in ihrem anatomischen Bau, in ihren biologi¬ 
schen Eigenschaften, die bisweilen nur schwer durch Umzüchtung 
auf den günstigen Nährböden die Wiedererlangung ihrer ursprüng¬ 
lichen Eigenschaften bewirken. 

Die Variabilität der Mikroorganismen verleitete vielfach 
zu dem Bestreben, näher verwandte Bakterienarten einzelnen 
Sammelgruppen unterzuordnen und durch mannigfache Züchtungs¬ 
versuche die Übergänge zwischen zwei verschiedenartigen, aber ver¬ 
wandten Bakterienarten aufzudecken. Doch kann der Begriff der 
Variabilität nicht soweit gedehnt werden, dass gegenüber den indivi¬ 
duellen Differenzen die konstanten Eigenschaften eines Bakterien¬ 
typus beiseite geschoben werden. Gerade auf diesen konstanten 
Eigenschaften baut sich die bakteriologische Differentialdiagno¬ 
stik auf. 

Wir dürfen uns darum schon aus praktischen Rücksichten nur 
an die feststehenden Ergebnisse' der Züchtungsresultate auf den ge¬ 
bräuchlichen, anerkannten Nährböden halten und glauben, dass alle 
Versuche, einen Bakterienstamm in einen anderen, nahestehenden 
umzuzüchten, zu Enttäuschungen führen werden. 

Die Verwertung der Virulenzprüfung für die bakterio¬ 
logische Diagnose ist nur im Laboratorium möglich. Auch können 
wir in der Prüfung der Pathogenität der Bakterien keine absolut 
sichere Methode für die Diagnose erkennen. Denn einmal hängt die 
Virulenz eines Stammes von mehreren zusammenwirkenden Fak¬ 
toren, wie der Zusammensetzung des Nährbodens, dem Alter der 
Kultur, ihrer Wachstumsenergie usf. ab, und zudem ist der Tier¬ 
körper ein unsicheres Reagens, dessen Wirksamkeit ebenso durch 
eine Reihe von Faktoren, speziell der individuell differenten Wider- 

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H. LÜDKE, 


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standskraft, bestimmt ist. Nur wenn der Tierversuch positiv aus¬ 
fällt, kann er als Hilfsmittel zur Diagnose verwertet werden. 

Dagegen ausschlaggebend für die bakteriologische Diagnose ist 
gewöhnlich die biologische Serumprüfung. Der Pfeiffer- 
sche Versuch, d. h. die Prüfung der bakteriziden Schutzkräfte des 
tierischen Organismus, und die Agglutinationsreaktion 
bilden gewissermassen den Schlussstein der bakteriologischen Unter¬ 
suchungsmethoden. Der Pfeiffer ’sche Versuch wird sich aller¬ 
dings stets wegen seiner technischen Schwierigkeiten nur im Labo¬ 
ratorium ausführen lassen. Die Agglutinationsreaktion, die uns über 
das Auftreten spezifischer, die Bakterien immobilisierender und ver¬ 
klumpender Reaktionskörper im Krankenserum unterrichtet, dürfte 
auch für den in bakteriologischen Methoden minder Geübten leicht 
ausführbar sein. 

Wir benutzen zur Anstellung der Agglutinationsprobe hoch¬ 
wertiges tierisches Immunserum, das durch wiederholte Injektionen 
eines Bakterienstammes bei den gebräuchlichen kleinen Labora¬ 
toriumstieren oder von Equiden erhalten wird. Mittelst dieses Serums 
prüfen wir die aus dem Stuhl oder dem Blut isolierten Keime auf 
ihre Agglutinierbarkeit und schliessen aus dem positiven Ausfall 
der Probe, dass der isolierte, agglutinierte Bazillus der Erreger der 
Infektion ist. 

Gewiss kommen, da die einzelnen Bakterienarten auch unter 
sich biologische Verwandtschaftseigentümlichkeiten besitzen, Fehl¬ 
schlüsse vor, wie etwa durch ein Typhusimmunserum ein Para¬ 
typhusstamm auch in hohen Verdünnungsgraden des Serums aggluti- 
niert werden kann, aber diese Befunde sind immerhin selten. Für 
die Zwecke des Arztes, der nichts mehr als ein handliches Reagens 
braucht, leistet die einfach anzustellende Agglutinationsprobe bei 
Typhus bessere Dienste wie die komplizierten Züchtungsversuche, 
die Übung in den bakteriologischen Arbeitsmethoden und ein gut 
eingerichtetes Laboratorium erfordern. 

Nur die bakteriologische Frühdiagnose der wichtigeren a k u t.e n 
Infektionskrankheiten unseres Klimas soll in dieser Abhand¬ 
lung besprochen werden. 

Die bakteriologische Frühdiagnose des Abdomi¬ 
naltyphus ist dank den Fortschritten der praktischen Bakteriologie 
im letzten Jahrzehnt wesentlich verbessert und vereinfacht worden. 
Die Methoden der Blutuntersuchung auf Typhusbazillen, des Nach¬ 
weises der Erreger im Stuhl und Urin, der biologischen Serumprüfung 
sind in mannigfacher Weise für praktische Zwecke brauchbar ge¬ 
macht worden. Die Koch’sche Forderung, dass eine möglichst 
schleunige Diagnose die erste Vorbedingung für eine wirksame Be¬ 
kämpfung des Typhus sei, ist in weitem Masse erfüllt. Dazu trugen 
nicht allein die rastlosen Bestrebungen, die Typhusdiagnose durch 


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5] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 211 


brauchbare Methoden der Untersuchung zu vervollkommnen, bei, 
sondern auch die auf Koch’s Anregung entstandenen bakterio¬ 
logischen Untersuchungsämter suchten der ersten For¬ 
derung der Typhusbekämpfung durch exaktes Studium der Infek¬ 
tionsquellen und genaue Verfolgung der Epidemien gerecht zu 
werden. 

Auch für den Arzt ist durch die Einrichtung bakteriologischer 
Untersuchungsstellen die Typhusdiagnose wesentlich erleichtert, da 
das typhusverdächtige Material von geübten Untersuchern verarbeitet 
und ihm die Diagnose in relativ, kurzer Zeit zugestellt wird. 

Die rein klinische Diagnose des Typhus hat sich dagegen 
gegenüber den Fortschritten auf dem Gebiet der bakteriologischen 
Diagnostik nicht irgendwie wesentlich verbessert. Und speziell für 
aie Frühdiagnose des Typhus versagen oft genug die klinischen 
Phänomene, die bei der ausgebildeten Erkrankung die Diagnose 
unschwer stellen lassen. Zwischen dem einfachen Darmkatarrh und 
dem schweren, ausgebildeten Typhus liegen vielgestaltete Krankheits¬ 
bilder, die bald als Influenza, bald als einfacher Darmkatarrh, bald 
als Bronchopneumonien imponieren können. Hier setzt die bakterio¬ 
logische Frühdiagnose ein, die die verdächtigen Symptome deutet. 

Von den Hilfsmitteln der bakteriologischen Diagnostik des Ab¬ 
dominaltyphus sind im wesentlichen der Typhusbazillennachweis 
in den Fäzes, die Gruber-Widal ’sche Reaktion und die bakterio¬ 
logische Blutuntersuchung zu erwähnen. 

Für den Kliniker besitzt der Typhusbazillennachweis 
in den Fäzes des Kranken ein geringeres Interesse. Denn er ver¬ 
fügt über die Methode der bakteriologischen Blutuntersuchung, die 
ihm ein frühzeitiges und sicheres Erkennen der Infektion ermöglicht. 
Nachdem es jedoch den unausgesetzten Bemühungen der praktischen 
Bakteriologie gelungen ist, die Methoden der bakteriologischen 
Fäzesuntersuchung auch für klinische Zwecke zu vereinfachen und 
zugleich zu vervollkommnen, kann die Stuhluntersuchung bei Ab¬ 
dominaltyphus zur Unterstützung der klinischen Diagnose heran¬ 
gezogen werden. In den seltenen Fällen, in denen der Bazillen¬ 
nachweis aus dem strömenden Blut missglückt ist, wird zudem ein 
Bazillenbefund im Stuhl ebenso wie in den Fällen von atypisch ver¬ 
laufenden typhösen Erkrankungen für eine frühzeitige Diagnosen- 
stellung ausschlaggebend sein. 

Aus dem Blut von entfieberten Typhusrekonvaleszenten pflegen 
die Typhuskeime gewöhnlich zu verschwinden. Im Stuhl Gesunder 
und von Typhus genesender Personen lassen sich jedoch, wovon uns 
zahlreiche systematische Fäzesuntersuchungen Kenntnis gaben, zu¬ 
weilen echte Typhusbazillen nachweisen, ohne dass die Typhus- 
bazillenträger die spezifischen Erkrankungssymptome des 


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Typhus zeigen. Wir müssen daher zwischen Infektion lind dem 
klinischen Krankheitsbegriff unterscheiden lernen und können für 
die Frühdiagnose des Typhus einen positiven Bazillennachweis in 
den Fäzes nur im Verein mit klinischen Symptomen verwerten. 

Die Bazillenbefunde im Stuhl Gesunder führen uns zur Frage 
der Typhusbazillenträger, die wir kurz streifen müssen. 

Untersuchungen von Kayser ergaben, dass ca. 3°/o der 
Typhuskranken noch nach einem Jahre Typhusbazillen ausscheiden, 
während Frosch und Lentz sogar in 5°/o der Fälle diesen Befund 
erheben konnten. 

Die bakteriologische Diagnose der sogenannten Typhusbazillen¬ 
träger stösst meist auf keine Schwierigkeiten, da in der Regel bei 
ihnen im Stuhl sowohl wie im Urin grosse Mengen von Typhus¬ 
bazillen ausgeschieden werden, während der Typhuskranke nur 
relativ spärliche Mengen von Bazillen in den Ausscheidungen auf¬ 
weist. Allerdings liegen auch Fälle vor, in denen Typhusbazillen 
bei Rekonvaleszenten nur in sehr geringer Anzahl gefunden oder 
längere Zeit ganz vermisst wurden, bis sie später erst nach Typhus¬ 
erkrankungen in der Umgebung der Betreffenden nachgewiesen 
werden. 

Daraus ergibt sich, dass wiederholte Stuhl- und Harnunter¬ 
suchungen in bakteriologischen Untersuchungsämtem auszuführen 
sind, bevor ein Typhusrekonvaleszent als bazillenfrei erklärt wird. 

Eingehende Untersuchungen lehrten, dass bei den gesunden 
Typhusbazillenträgern von denjenigen, die nur kürzere Zeit Typhus¬ 
bazillen in sich beherbergen, die Typhusbazillendauer¬ 
träger, die also jahrelang die Bazillen ausscheiden können, zu 
trennen sind. 

Diese Bazillenträger bieten, wovon zahlreiche, einwandfreie 
Beobachtungen zeugen, eine eminente Gefahr für ihre Umgebung, 
solange ihre Ausscheidungen nicht sorgfältig behandelt und die 
Träger selbst nicht aus Betrieben, die der Gewinnung oder Bereitung 
von Nahrungsmitteln dienen, wie etwa in Molkereien, ausgeschieden 
werden. Die Typhuskontrolle soll sich daher nicht bloss auf die 
Typhuskranken ausdehnen, sondern hat auch zur weit schwierigeren 
Aufgabe, die Typhusbazillenträger in Epidemien frühzeitig zu er¬ 
mitteln, um die Infektionsquelle dauernd zu verstopfen. In welchem 
Umfang und mit welchen Mitteln diese Bekämpfung des Typhus 
einzuleiten ist, wird die Aufgabe einer weitsichtigen Sanitäts¬ 
behörde sein. 

Die Tatsache, dass bei Gesunden Typhusbazillen im Stuhl 
nachgewiesen werden können, wenn es sich um die sogenannten 
Bazillenträger handelt, setzt den Wert der bakteriologischen Fäzes- 
untcrsuehung zu diagnostisch-klinischen Zwecken etwas herab. Zu- 


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7] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 213 


dem können solche Bazillenträger einen hohen Agglutinationswert 
ihres Blutserums aufweisen, ohne dass auch nur leichte Krank¬ 
heitssymptome auftraten. Daraus folgt, dass nur auf Grund des 
bakteriologischen und klinischen Gesamtbildes die Frühdiagnose 
des Typhus aufgebaut werden kann. 

Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nachteil liegt in der für 
den Praktiker zeitraubenden und zu komplizierten Untersuchungs¬ 
methode der Fäzes auf Typhusbazillen. Denn trotz aller Fortschritte 
auf dem Gebiet der praktischen Bakteriologie bietet die Stuhlunter¬ 
suchung auf Typhuskeime noch kein für den praktischen Gebrauch 
so ausgearbeitetes Verfahren, dass eine elektive Züchtung des Typhus¬ 
bazillus in kurzer Zeit möglich ist. 

Immerhin ist es doch durch die Forschungen der letzten Jahre 
geglückt, den früheren, so komplizierten Apparat, den die Typhus¬ 
diagnose erforderte, wesentlich zu vereinfachen und die Zeit, in 
der die bakteriologische Diagnose gestellt werden kann, erheblich 
zu reduzieren. 

Um die exakte Diagnose „Typhusbazillen in den Fäzes“ stellen 
zu können, müssen folgende Proben angestellt werden: 

1. Auf Gelatineplatten wachsen die Typhusbazillen in oberfläch¬ 
lichen, zarten, weinblattartigen Kolonien. Die Gelatine wird 
nicht verflüssigt. 

2. In Bouillonkultur zeigt der Bazillus lebhafte Beweglichkeit. 

3. Der Typhusbazillus besitzt reichliche, peritriche Geissein; wird 
nach Gram entfärbt. 

4. Er bildet in Trauben- oder Milchzuckeragar kein Gas. 

5. Er bildet in Peptonwasser kein Indol. 

6. Er wächst in Lackmusmolke ohne erhebliche Trübung und über¬ 
schreitet in der Säurebildung 0,3 °/o Normalsäure nicht. 

7. In Neutralrotagar (nach Rothberger) wird keine Änderung 
des Farbentons bewirkt. 

8. Die Milchkultur bleibt unkoaguliert. 

9. Durch ein hochwertiges tierisches Immunserum wird der 
Typhusbazillus in hoher Serumkonzentration agglutiniert. 

Erst nach dem positiven Ausfall dieser Proben durfte die Dia¬ 
gnose auf Typhusbazillen, die sich im Durchschnitt danach auf 3 bis 
4 Tage erstreckte, gestellt werden. Die bakteriologische Fäzesunter¬ 
suchung auf Typhusbazillen hat sich nun gegenüber dieser allerdings 
exakten, aber umständlichen und zeitraubenden Untersuchungs¬ 
methodik wesentlich vereinfacht. Auch die bakteriologischen Unter¬ 
suchungsämter, denen vojn Arzt typhusverdächtiges Material zur 
Diagnosenstellung übersandt wird, vermögen mit Hilfe einiger für 


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Typhusbazillen spezifischer Nährböden ohne erheblicheren Zeitauf¬ 
wand bei gleich exakter Arbeit die sichere Diagnose zu stellen. 

Die Kulturmethoden zur Differenzierung der Typhusbazillen 
von anderen Bakterien lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die 
Methoden der ersten Gruppe versuchen, durch ihre Wachstumsform 
oder durch ihre Färbung des Nährbodens charakteristische Typhus¬ 
kolonien zu züchten. Die anderen Methoden gehen darauf aus, durch 
Hemmung der anderen Bakterienarten, speziell des Bact. coli, die 
Züchtung von Typhusbazillen zu begünstigen. 

Die Zahl der im Typhusstuhl enthaltenen differenten Bakterien 
ist gewöhnlich gegenüber der Zahl der Typhusbazillen so ungeheuer, 
dass man Anreicherungsverfahren vorschlug, um die Dia¬ 
gnose zu erleichtern. Damit gestaltete sich aber die Untersuchungs¬ 
technik wieder komplizierter und das endgültige Urteil, ob es sich 
um Typhusbazillen handelte oder nicht, wurde hinausgeschoben. 

Von den einzelnen Anreicherungsverfahren erwähnen wir nur 
die von Löffler eingeführte Züchtung auf Malachitgrünnähr¬ 
böden und die Methode der Typhusanreicherung durch die Gallen- 
kultur von Conradi, Kayser und Brion. Die Malachitgrün¬ 
nährböden besitzen den Nachteil, auf den schon J o r n s und K1 i n g e r 
hinwiesen, dass das Malachitgrün einigermassen die Entwickelung 
der Typhusbazillen zu hemmen imstande ist und dass einige alkali¬ 
bildende Stäbchen auf diesem Nährboden gedeihen können. Auf 
Agarplatten mit einem Zusatz von Malachitgrün 1:6000 wachsen 
Typhus- und Paratyphusbazillen in Form von tautröpfenartigen Kolo¬ 
nien, B. coli gedeiht dagegen nicht. Zur exakten Diagnose muss jedoch 
erst von den Malachitgrünnährböden auf D r i g a 1 s k i platten abge¬ 
impft werden, so dass also dies Verfahren für die Zwecke der Früh¬ 
diagnose weniger verwertbar erscheint. 

Die Methode der Typhusanreicherung mittelst der 
Gallenkultur gibt günstige Resultate bei der Züchtung von 
Typhusbazillen aus dem Blute Typhuskranker. Die Technik des Ver¬ 
fahrens ist einfach: Zu der in Röhrchen enthaltenen Menge von 
5 ccm steriler Rindergalle wird etwa die Hälfte Blut des Typhusver¬ 
dächtigen zugesetzt und die Blut - Gallemischung kommt 14—20 
Stunden in den Wärmeschrank. Dann werden einige Tropfen der an- 
gcreicherten Blutmischung auf Endo- oder Drigalskiplatten ge¬ 
bracht. Die praktischen Erfahrungen, die bisher mit dieser Methode 
gemacht wurden, waren insofern durchaus befriedigend, als in der 
überwiegenden Mehrzahl der Typhusfälle, die in der ersten Woche 
der Erkrankung zur Untersuchung kamen, die Erreger aus dem Blute 
gezüchtet werden konnten. Die Methode, die Conradi zuerst angab, 
dient besonders dazu, einen Ersatz für die in der Praxis unmögliche 


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9] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 215 


oder zum mindesten umständliche Blutentnahme durch Venaepunktion 
zu bieten. 

Die Galle erweist sich deswegen zur Anreicherung der Typhus¬ 
bazillen geeignet, weil sie das Wachstum dieser Keime fördert und 
durch die Verhinderung der Bildung von Fibrinnetzen eine gleich- 
massige Verteilung der Bazillen und eine ungehemmte Entwickelung 
sichert. 

Von den Nährböden, die durch Wachstums- und Färbungs¬ 
differenzen Koli- und Typhusbakterien voneinander unterscheiden 
lassen oder andere, differente Bakterienarten in der Entwickelung 
hemmen, seien nur die hervorgehoben, die sich einer allgemeineren 
Verbreitung erfreuen. Eine grosse Zahl von verschieden zusammen¬ 
gesetzten Nährböden ist konstruiert worden, deren eingehende Nach¬ 
prüfung teils günstige, teils schlechte praktische Erfolge zeitigte. Die 
Mehrzahl dieser Nährböden eignet sich wegen ihrer komplizierten 
Herstellungstechnik für den Praktiker überhaupt nicht, andere Nähr¬ 
substrate wieder ergaben einen zu niedrigen Prozentsatz positiver 
Züchtungsresultate. Selbst mit Verwertung der besten heutigen 
Methoden ergibt die Züchtung von Typhusbazillen aus den Fäzes 
noch etwa 50 °/o Fehlresultate im Typhusbeginn. Erst mit fort¬ 
schreitender Erkrankung gelingt dann der Bazillennachweis im Stuhl 
etwas häufiger. 

Am meisten bewährt hat sich der von C o n r a d i und v. Dri- 
g a 1 s k i hergestellte Nährboden, der die Modifikation einer von 
Wurtz angegebenen Methode bildet. Wurtz benutzte einen mit 
Milchzucker und Lack m u s 1 ö s u n g versetzten Agar, 
auf dem Typhus blaue, Koli rote Kolonien zeigt. Dieser 
Farbenunterschied beruht darauf, dass der Milchzucker von B. coli 
unter Säurebildung zersetzt wird und der Agar durch Diffundieren der 
gebildeten Säure rotgefärbt wird, während der Typhusbazillus durch 
Zersetzung der Eiweissarten des Agars Alkali bildet und den Milch¬ 
zucker nicht verändert. Wurtz gab sein Verfahren zur Prüfung von 
Reinkulturen an. Um die Isolierung der differenten Kolonien der 
Bakterienflora in den Fäzes durchzuführen, gingen Conradi und 
v. Drigalski so vor, dass sie einmal durch Verwendung von 3 °/o 
Agar die Diffusion der gebildeten Säure erschwerten, durch Zusatz 
von 0,2 o/o Soda diese teilweise neutralisierten und schliesslich durch 
einen Kristallviolettzusatz in einer Konzentration von 1:100 000 
die fremden Bakterienarten, vornehmlich Kokken, ausschalteten. 

Auf der Oberfläche dieses Nährbodens wird das verdächtige 
Material ausgestrichen und die aufgegangenen Kolonien, die den 
Agar blau gefärbt lassen, müssen zur genaueren Diagnosenstellung, 
noch weiter identifiziert werden. Man impft von den Kolonien auf 
Bouillon ab und bringt die in der Bouillon enthaltenen lebhaft beweg- 


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liehen Stäbchen mit einem hochwertigen tierischen Typhus-lramun- 
serum zusammen, das, wenn es sich um Typhusbazillen handelt, 
diese zur Agglutination bringt. 

Der Nachteil des Conradi-v. Drigalskisehen Nährbodens 
liegt darin, dass die biologische Serumprüfung und eventuell weitere 
Züchtungsversuche der aufgegangenen Kolonien in den Fällen not¬ 
wendig erscheinen, in denen atypische Kolistämme oder alkalibildende 
Bakterienarten oder Dysenteriebazillen den Milchzucker nicht zer¬ 
setzen und in ihren Wachstumsformen Typhusbazillen ähneln. 

In der überwiegenden Mehrzahl der Typhusfälle sind jedoch 
mit diesem Nährboden sehr günstige Resultate erzielt worden. Koch 
hebt so hervor, dass mit dieser Methode eine zuverlässige Diagnose 
in einem viel früheren Stadium, als es mit dem Wi dal 'sehen Ver¬ 
fahren möglich ist, gestellt werden kann. Nach unseren Erfahrungen 
schlug die Züchtung auf Conradi- v. D r iga 1 s ki’schem Nähr¬ 
boden niemals fehl. Zweimal wurde schon am zweiten Tage nach 
dem Spitaleintritt, in den übrigen Fällen in der Mitte der zweiten 
Krankheitswoche die Diagnose Abdominaltyphus auf Grund des 
Bazillengehaltes der Fäzes gestellt. 

Den Vorteil einer einfacheren Herstellungsweise vor dem Con¬ 
radi- v. D r i g al s k i’schen Nährboden besitzt der Nährboden von 
Endo. Er besteht aus 1000 ccm neutralisiertem 3% Agar, 10 g 
reinem Milchzucker, 5 ccm alkohol. Fuchsinlösung, 25 ccm 10 ( '/o 
Natriumsulfitlösung und 10 ccm 10% Sodalösung. Die farblos aus¬ 
sehenden Platten werden mit dem verdächtigen Material beschickt: 
Koli wächst in leuchtend roten, Typhus in farblosen Kolonien. 

Die bakteriologische Fäzesuntersuchung auf Typhusbazillen 
kann im günstigsten Fall in 24 Stunden, wird meist aber nach Ablauf 
von 48 Stunden beendet sein. Denn in jedem Falle erscheint es 
ratsam, die typhusverdächtigen Kolonien auf den elektiven Nähr¬ 
böden der Agglutinationsprobe noch zu unterwerfen. 

Für die Frühdiagnose des Typhus dürfte jedoch die Fäzes¬ 
untersuchung nur in den Fällen heranzuziehen sein, in denen die 
Bazillen im strömenden Blut nicht nachgewiesen werden konnten, 
ln atypisch verlaufenden Fällen, in abgefieberten typhösen Erkran¬ 
kungen, die dem Spitalarzt überliefert werden, kann die bakterio¬ 
logische Fäzesuntersuchung die Diagnose sicherstellen. Ferner ist 
die Methode zur Ermittlung der Bazillenträger von grosser epidemio¬ 
logischer Bedeutung. 

Für den praktischen Arzt erscheint allerdings keine der bisher 
angegebenen Methoden der Typhusbazillenzüchtung aus dem Stuhl 
ausführbar. Keines der zahlreichen Verfahren macht die sorgfältige 
Beachtung der klinischen Symptome überflüssig. Und für die Früh- 


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11] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 217 


diagnose des Typhus bedienen wir uns der sicheren und zeitersparen¬ 
den Methode der bakteriologischen Blutuntersuchung. 

N e u f e 1 d macht mit Recht darauf aufmerksam, dass es bei 
der Untersuchung der Typhusausleerungen nicht so sehr auf die 
Methode, als vielmehr auf die Übung, die man in ihr besitzt, und 
die Geduld, die man darauf verwendet, ankommt. Hieraus erklären 
sich leicht die übertriebenen Hoffnungen und darauf folgenden Ent¬ 
täuschungen, die gerade auf diesem Gebiete oft wiederkehrten. 

Unter den hämatologischenUntersuchungsmetho- 
den des Typhus spielt die Agglutinationsreaktion für die 
Frühdiagnose eine mehr untergeordnete Rolle. Wir können das Ag¬ 
glutinationsphänomen beim Typhus nur soweit in die Besprechung 
ziehen, als die Probe für atypisch verlaufende Typhusfälle, für 
Typhoide, deren exakte Diagnose durch das Fehlen ausgeprägter 
klinischer Phänomene längere Zeit unmöglich erscheint, und für die 
Differentialdiagnose von typhusähnlichen Erkrankungsformen von 
praktischer Wichtigkeit ist. 

Unter dem Agglutinationsphänomen verstehen wir die Eigen¬ 
schaft des verdünnten Blutserums eines Typhuskranken, die spezifi¬ 
schen Bazillen zu immobilisieren und zu Häufchen und Klümpchen 
zusammenzuballen. Eine Verdünnung des Blutserums mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung von 1 : 50 ist die Serumkonzentration, die 
für den positiven Ausfall der Reaktion als beweisend allgemein 
anerkannt ist. 

Die Technik der Agglutinationsprüfung des Typhusserums, die 
in mannigfacher Weise modifiziert werden kann, besteht darin, dass 
man zunächst das aus dem Ohrläppchen oder der Fingerbeere, durch 
Schröpfköpfe oder Venaesektion gewonnene Blut zur Serumabschei- 
dung sich absetzen lässt und das erhaltene klare Serum mit einer 
Mischpipette mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt. Zu einer 
Platinöse dieser Verdünnung wird eine Platinöse einer frischen, etwa 
24 stündigen Typhusbouillonkultur gebracht. Im hängenden Tropfen 
wird die Mischung von Serumverdünnung und Typhusbazillen beob¬ 
achtet und nach Verlauf von 1 Vs—2 Stunden das Resultat notiert. 
Die Agglutination muss, falls ein positives Ergebnis angegeben wird, 
deutlich eingetreten sein, ln dem stets anzufertigenden Kontroll- 
präparat, das eine Platinöse Typhusbouillonkultur enthält, müssen 
die Bakterien lebhaft beweglich ohne eine Andeutung von Häufchen¬ 
bildung erkannt werden. 

Auf die mannigfachen Verbesserungen der Methode imd deren 
spezielle einzelne Vorzüge und Mängel wollen wir nicht näher ein- 
gehen, zumal von R o s t o s k i in diesen Abhandlungen die Serum¬ 
diagnostik bei Typhus eingehend erörtert wurde. 


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Neben dieser mikroskopischen Prüfung des Blutserums, 
die eine frische Typhusbouillonkultur erfordert, ist für den Prak¬ 
tiker von Ficker ein Verfahren angegeben, das wegen seiner Ein¬ 
fachheit, Exaktheit und Ungefährlichkeit die weiteste Verbreitung 
verdient. 

Schon vor der Beschreibung des „Ficker 'sehen Diagnosti- 
kums“ wurden von einzelnen Untersuchern statt der lebenden Typhus¬ 
bazillen durch Formol abgetöte Kulturen mit Erfolg benutzt und 
für praktische Zwecke empfohlen. Ficker hat dann eine Auf¬ 
schwemmung abgetöteter, zerriebener Typhusbazillen hergestellt, die 
zur Anstellung einer makroskopisch verwertbaren Aggluti¬ 
nationsprobe sehr gute Dienste leistet. Zur Ausführung des Ficker- 
schen Reagenzglasversuchs werden Verdünnungen des Blutserums 
mit der Typhusbazillenaufschwemmung vermischt und in engen, 
konisch zulaufenden Röhrchen das Auftreten eines flockigen Nieder¬ 
schlags nach ca. 24 Stunden beobachtet. Diese Sedimentbildung im 
Ficker 'sehen Röhrchen zeigt an, dass sich die im Typhusserum 
durch die Bazilleninfektion entstandenen Agglutinine mit den im 
Reagenz enthaltenen, spezifisch auf diese Reaktionskörper einge¬ 
stellten Typhusbazillensubstanzen verankert haben. 

Nach diesen Vorbemerkungen über die Technik der Gruber- 
Widal'sehen Reaktion kehren wir zur Besprechung der frühdia¬ 
gnostischen Brauchbarkeit der Methode zurück. 

Die Sera gesunder Menschen agglutinieren nach meinen Unter¬ 
suchungen Typhusbazillen zuweilen in Verdünnungen von 1:5 bis 
1:10, selten in höheren Verdünnungsgraden. Diese Agglutinations¬ 
kraft normaler Sera kann durch Infektionsprozesse verschiedenster 
Natur auf Werte für Typhusbazillen gesteigert werden, die die dia¬ 
gnostisch bedeutsame Serumverdünnung von 1:50 erreichen oder 
gar überschreiten. Nach Infektionen mit Kolibazillen, mit Proteus¬ 
arten, mit Staphylokokken wurden Agglutinationswerte des Serums 
gegenüber Typhusbazillen gefunden, die den spezifischen Charakter 
der Agglutinationsreaktion in Frage zu stellen schienen. 

Besonders in den mit Ikterus einhergehenden Erkrankungen, 
Cholelithiasis, Morbus Weilii und Icterus catarrhalis, war eine er¬ 
höhte Agglutinationsfähigkeit des Blutserums nachzuweisen. Von 32 
ikterischen Blutseris zeigten nach meinen Untersuchungen 19 bei 
einer Verdünnung von 1:20, 11 bei einer solchen von 1:50 und 
darüber agglutinierende Wirkung auf den Typhusbazillus. 

Es handelt sich in diesen Fällen um das Phänomen der 
Gruppenagglutination, d. h. um die Agglutination nicht nur 
einer einzelnen Bakterienart, sondern einer Gruppe biologisch nahe¬ 
stehender Bakterien. In anderen Fällen ikterischer Erkrankungen ist 
ausserdem die Annahme gerechtfertigt, dass der Ikterus nicht durch 


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13] Die bakteriologische Frühdiagnose bei aknten Infektionskrankheiten. 219 


eine Koliinfektion, sondern durch eine rezidivierende Infektion mit 
Typhusbazillen, die in der Galle persistieren können, veranlasst 
wurde. Die klinische Verwertung der Agglutinationsreaktion für die 
Typhusdiagnose verlor durch die Entdeckung des Phänomens der 
Gruppenreaktion an diagnostischer Bedeutung. 

Von Bedeutung für die praktische Verwertung der Aggluti¬ 
nationsprobe ist weiter der Umstand, dass das Serum Typhöser 
längere Zeit nach Ablauf der Krankheit seine agglutinierende Kraft 
bewahren kann. In vier Fällen konnte ich x / 2 —2 Jahre nach der 
Heilung des Typhus noch eine erhebliche Agglutinationsfähigkeit 
des Serums nachweisen. Sorgfältige anamnestische Erhebungen über 
typhöse Vorkrankheiten erscheinen in atypisch oder abortiv ver¬ 
laufenen Typhen fast unmöglich, so dass eine positive Serumreaktion: 
in solchen Fällen leicht zu Fehldiagnosen führen kann. 

Ein Ausbleiben der Gruber-Widal ’schen Reaktion spricht 
zudem niemals gegen einen Typhus. Die Agglutininproduktion im 
tierischen Organismus wie im menschlichen erfolgt allmählich; auf 
ein länger- oder kürzerwährendes Latenzstadium folgt ein rascher 
Anstieg der Agglutininkurve. In manchen Fällen ist der Reiz der 
zerfallenen und durch die Gewebssäfte ausgelaugten Bakterienmengen 
zu schwach oder die Quantität der bakteriellen Substanzen zu ge¬ 
ring, um eine Produktion von Agglutininen auszulösen. In anderen 
Fällen wieder ist der Reiz so intensiv, dass die produzierenden 
zelligen Elemente gewissermassen durch Shockwirkung paralysiert 
werden und unfähig sind, auf den intensiven Reiz mit der Bildung 
von Reaktionskörpem zu antworten. 

Die praktische Folgerung, die aus der Tatsache der allmäh¬ 
lichen Bildung der Agglutinine im Organismus entspringt, ist, bei 
negativem Ausfall die Agglutinationsprüfung öfter zu wiederholen. 
In solchen Fällen spricht jedoch schon das klinische Bild meist für 
eine typhöse Erkrankung, so dass der positive Ausfall der Serum¬ 
reaktion lediglich eine Bestätigung der klinischen Diagnose bildet. 

Der Wert der Agglutination für die Klinik besteht danach 
nicht allein in der Konstatierung der Agglutinationsfähigkeit des 
Serums, vielmehr liegt in der Steigerung der Agglutinationskraft 
des Blutes, die sich im Verlauf der typhösen Erkrankung einstellt, 
die diagnostische Bedeutung des Gruber-Widal. 

Auch für die atypischen Typhusfälle, die der klinischen Dia¬ 
gnose grosse Schwierigkeiten bereiten, kann die Serumreaktion nicht 
als frühdiagnostisches Symptom ernstlich in Frage gezogen werden. 
Der positive Ausfall der Reaktion wird gerade in diesen Fällen öfter 
vermisst. 

Die Bedeutung der Gruber-Widal ’schen Reaktion für die 
Frühdiagnose des Typhus ist daher auf Grund der klinischen Er- 


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fahrungen nicht höher anzuschlagen als ein blosses Symptom unter 
den einzelnen klinischen Phänomenen des Abdominaltyphus. 

Sehr selten sind die Fälle, in denen eine positive Reaktion 
schon in den ersten Tagen der typhösen Erkrankung beobachtet 
wird, im Durchschnitt berechnet tritt der positive Ausfall der Reak¬ 
tion meist in der zweiten Woche ein, also zu einer Zeit, in der be¬ 
reits die klinischen Symptome die Diagnose meist wahrscheinlich 
machen und der bakteriologische Blutbefund in der Mehrzahl der 
Fälle die Diagnose bereits gestellt hat. 

Eine weit praktischere Bedeutung für die Frühdiagnose des 
Typhus ist der bakteriologischen Blutuntersuchung zu¬ 
zusprechen. 

Die bakteriologische Untersuchung des Blutes hat sich in den 
letzten zwei Jahrzehnten zu einem neuen klinischen Zweig der prak¬ 
tischen Bakteriologie entwickelt. Die positiven Ergebnisse in zahl¬ 
reichen Einzelfällen, vornehmlich die methodische bakteriologische 
Blutuntersuchung in grossen Spitälern bewirkte, dass die neue Unter¬ 
suchungsmethode in der klinischen Diagnostik der Infektionskrank¬ 
heiten erfolgreich verwertet wurde. Der Nachweis spezifischer Bak¬ 
terien im Blut von an Typhus erkrankten Patienten sichert in klinisch 
dubiösen Erkrankungsfällen nicht allein die Diagnose, nicht selten 
kann erst aus dem bakteriologischen Blutbefund die Diagnose 
gleichsam abgelesen werden. 

Die mikroskopische Blutuntersuchung auf Bakterien bietet 
wenig Aussicht auf praktische Verwertbarkeit. Bei acht Typhus¬ 
kranken, die zu verschiedenen Zeiten der Erkrankung untersucht 
wurden, konnten von mir nur in einem Fall die Erreger im Blut¬ 
präparat entdeckt werden. C. Fraenkel hat in 32 sicheren Typhus¬ 
fällen nur zweimal typhusverdächtige Stäbchen bei mikroskopischer 
Betrachtung eruieren können. 

Die sicherste und handlichste Technik für den Bakteriennach¬ 
weis im Blut bei Typhuskranken ist die Kulturmethode, deren 
Technik kurz die folgende ist: Nach Abbinden des Oberarms mit 
einer elastischen Binde wird die Haut in der Ellenbeuge sorgfältig 
desinfiziert und das Blut mit einer ausgekochten L u e r 'sehen Spritze 
der Armvene entnommen. Das flüssige Blut wird mit flüssigem, 
auf 45° C abgekühltem Agar vermischt und in Petrischalen aus¬ 
gegossen. Ein Nachteil dieser Methode besteht darin, dass grössere 
Blutquanta, etwa 5—10—15 ccm Blut, zu verarbeiten sind. Die 
Methoden, durch Schröpfköpfe oder Auspressen des Blutes aus einer 
Fingerstichwunde kleinere Blutmengen zu erhalten, sind bald ver¬ 
lassen worden, da zu leicht Verunreinigungen mit Hautkeimen kon¬ 
statiert wurden. 

Die Blutkulturmethode wird gewöhnlich nur in Spitälern ver- 


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15] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 221 

wendbar sein; Canon will jedoch auch mit der Entnahme geringerer 
Blutquanta in der konsultativen Praxis gut gefahren sein. Bei der 
Überimpfung des Blutes kommt es vor allem auf die sorgfältige 
Mischung des flüssigen Blutes mit dem flüssigen Agar an. Die 
Mischung des Blutes mit Bouillonnährböden bietet geringere Vor¬ 
teile, da die verimpften Bakterien nicht schon durch Grösse, Form 
und Farbe der Kolonien wie auf festen Nährsubstraten kenntlich sind. 

Ein anderer Nachteil der Kulturmethode liegt in der Möglich¬ 
keit einer Verunreinigung der Platten mit den Hautkeimen, ln den 
oberflächlichen Hautschichten findet man häufig den weissen 
Staphylococcus, seltener Streptokokken. Den geübten Besucher kann 
dies die Beurteilung störende Wachstum von Hautkeimen, sorg¬ 
fältigste Desinfektion vorausgesetzt, - jedoch nicht in Verlegenheit 
bringen; in den Fällen, in denen der Staphylococcus albus auf den 
Platten gefunden wird, ist die Zahl seiner Kolonien im Verhältnis 
zu den spezifischen Blutkeimen gewöhnlich nur gering. Zudem rate 
ich in zweifelhaften Fällen die Blutuntersuchung wenigstens zweimal 
auszuführen, um grobe Irrtümer auszuschliessen. 

Die auf den Platten gewachsenen Keime können in vielen 
Fällen schon durch ihr eigentümliches Wachstum und die Färbung 
auf dem Blutagar agnosziert werden, sonst muss das gefärbte Aus¬ 
strichpräparat oder der hängende Tropfen der von der suspekten Blut¬ 
agarkolonie überimpften Bouillon zur Diagnose leiten. In zweifel¬ 
haften Fällen wird das Bakterium durch die ihm eigenen kulturellen 
und biologischen Qualitäten diagnostiziert werden müssen. 

Die spezifischen Erreger lassen sich in typhösen Erkrankungs¬ 
fällen fast ständig auf der Höhe der Erkrankung und 
des Fiebers im Blut nachweisen. Demnach ist das Blut nur 
zeitweise Träger der Infektionserreger, die sich nach dem Eindringen! 
in die Säfte in den Organen einnisten und von dort unter gewissen 
Bedingungen wieder sekundär ins Blut transportiert werden. 

Die Annahme, dass Typhusbazillen im strömenden Blut kreisen 
müssen, konnte sich zunächst auf den Nachweis von Typhusbazillen 
in metastatischen Eiterungsprozessen nach Verlauf eines Typhus 
gründen. Doch erst durch N e u f e 1 d ’s Züchtungsversuche der 
Typhusbazillen aus den Roseolen war der positive Nachweis der 
Bazillen im Blut in vivo erbracht. 

So konnte Schottmüller bei 101 Typhuskranken 84mal 
die Bazillen im Blut konstatieren. Ich habe bei der bakteriologischen 
Blutuntersuchung die Schottmüller 'sehe Methode bevorzugt: Aus 
der gestauten Armvene wurden mit der sterilen Glasspritze 15 bis 
20 ccm Blut entnommen, mit flüssigem, auf 45° C abgekühltem 
Agar vermischt und Platten gegossen. Die tiefliegenden Typhus- 
kolonien bilden tiefgrüne Punkte, die grösseren Oberflächenkolonien 


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222 H. LÜDKE, [IG 

zeigen einen dunkelgrauen Farbenton. Zur sicheren Identifizie¬ 
rung der Keime wurde, nachdem diese als bewegliche Stäb¬ 
chen erkannt waren, der Agglutinationsversuch mittelst hoch¬ 
wertigen, tierischen Immunserums zu Rate gezogen. 

Die Beweglichkeit der aus dem Blut gezüchteten Typhusbazillen 
war meist etwas geringer ausgeprägt als die älterer Laboraioriums- 
stämme, zuweilen waren einzelne Bakterien zu Gruppen vereinigt. 
Der W i d a 1 mit aus dem Blut frisch gezüchteten Bazillen und hoch¬ 
wertigem Tier-Immunserum ergab meist höhere Titerwerte als mit 
dem Serum der Typhuskranken. Irgendwelche Beziehungen zwischen 
der Stärke des Agglutinationsvermögens und dem Bazillengehalt des 
Blutes konnte nicht eruiert werden. 1 

In 31 Typhusfällen wurden von mir im ganzen 
26mal die Bazillen im Blut nachgwiesen, 19mal 
wurden am ersten Tage nach Einlieferung ins Spital 
Typhusbazillen gefunden. In 17 Fällenwurdeninderersten 
Krankheitswoche die Keime im Blut konstatiert, in den 
übrigen 9 Fällen in der zweiten Woche. Die Blutent¬ 
nahmen wurden stets bei Fiebernden ausgeführt, nach Ablauf des 
Fiebers fielen die Befunde mit Ausnahme von zwei Fällen negativ aus. 

Der Wert dieser Blutkulturmethode für die Frühdiagnose des 
Abdominaltyphus beruht darin, dass in einem Stadium der Krank¬ 
heit die Diagnose gestellt werden kann, in dem die klinischen Sym¬ 
ptome nicht immer genügend ausgeprägt sind, in dem ein positiver 
Ausfall in der Agglutinationsprobe noch gewöhnlich fehlt. In der 
zweiten Hälfte der ersten Krankheitswoche gelingt es nämlich so gut 
wie stets, Typhusbazillen im strömenden Blut zu finden. Die auf¬ 
gegangenen Kolonien sind bereits meistens durch ihr Wachstum 
agnoszierbar; die Überimpfung einer Kolonie auf Bouillon sollte sich 
aber in jedem Fall der makroskopischen Plattenbesichtigung an- 
schliessen, um nachträglich durch die Agglutinationsprobe der be¬ 
weglichen Stäbchen mittelst eines hochwertigen Immunserums die 
Diagnose zu sichern. 

Sämtliche Nachprüfungen bestätigten ihre Zuverlässigkeit und 
ihre Vorzüge gegenüber den übrigen Methoden der Frühdiagnostik. 

Neben den Vorzügen dieser Blutkulturmethode, deren Ver¬ 
wertung in 36—48 Stunden die Diagnose Abdominaltyphus sichert, 
sind einige Mängel nur gering anzuschlagen. In durchschnittlich 
10—15°/o der Fälle werden die Typhusbazillen durch die bakterio¬ 
logische Blutuntersuchung nicht nachgewiesen. Fieber und Bazillen¬ 
gehalt des Blutes stehen in enger Beziehung, die Bazillen verschwin¬ 
den kurz vor Beginn des Temperaturabfalls aus dem Blut, ja die 
Fieberschwankungen pflegen häufiger von einem Steigen, resp. Fallen 
der Keime im Blut begleitet zu sein. Daraus geht hervor, dass diese 


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17] Die bakteriologische Frflhdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 223 


Methode besonders in leicht verlaufenden und abortiven ryphusfällen,- 
deren Diagnose mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft ist, öfter 
versagt. Zuweilen erscheinen die Agarkolonien erst nach 2—3 Tagen, 
so dass die Diagnose dadurch verzögert wird. Endlich können die 
Versuche, von anämischen Personen und Kindern Blut zu gewinnen, 
daran scheitern, dass deren Ellenbeugenvenen zu schlecht ent¬ 
wickelt sind. 

Doch fallen diese Nachteile gegenüber der leichten und unge¬ 
fährlichen Anwendung der Blutentnahme und ihrer Zuverlässigkeit 
weniger ins Gewicht, so dass wir der Blutkulturmethode vor allen 
bakteriologischen Untersuchungsverfahren den ersten Platz in der 
Frühdiagnostik des Abdominaltyphus einräumen. 

Auf dem gleichen Prinzip wie die bakteriologische Untersuchung 
des Blutes auf Typhusbazillen beruht der Nachweis der spezi¬ 
fischen Keime in den Roseolen und der Milz. Der Er¬ 
folg des Nachweises der Typhusbazillen in den Roseolen hängt von 
der Sauberkeit, mit der die Untersuchung ausgeführt wird, ab. Bei 
einer reichlichen Roseolenentwickelung ist aber die bakteriologische 
Untersuchung vollständig entbehrlich; zudem ist das Verfahren nur 
da anwendbar, wo deutliche Roseolen sichtbar sind. 

Ebenso wie die bakteriologische Roseolenuntersuchung ist die 
Milzpunktion durch den Nachweis der Typhusbazillen im Blut 
verdrängt worden. Die günstigsten Resultate mit der diagnostischen 
Milzpunktion hatte Adler, der in etwa 95% bei 300 Milzpunktionen 
positive Bazillenbefunde erzielte. Doch wurde die Milzpunktion von 
Adler ausser bei Typhus noch bei Sepsis, Meningitis und Miliar¬ 
tuberkulose ausgeführt. Diesen glänzenden Ergebnissen der Milzpunk¬ 
tion, die übrigens durchaus nicht von anderen Untersuchern geteilt 
wurden, stehen gewichtige Nachteile gegenüber. Einmal ist die Me¬ 
thode besonders für den weniger Geübten nicht leicht ausführbar, 
ausserdem von einem fühlbaren Milztumor abhängig, zudem sind 
Milzkapselrisse, -Blutungen, umschriebene Peritonitiden mit Typhus¬ 
bazillenbefund im abgesackten Exsudat und Darmverletzungen be¬ 
obachtet worden. Die Methode der Milzpunktion ist daher mit Recht 
in Misskredit gekommen. 

Der Nachweis von Typhusbazillen im Urin besitzt für die 
Stellung der Frühdiagnose keine Bedeutung, da die Bazillen gewöhn¬ 
lich erst spät, nicht vor der dritten Woche im Urin erscheinen. In 
der zweiten Woche sind selten typhöse Bakteriurien gefunden 
worden. 

Die bakteriologische Frühdiagnose des Abdominaltyphus bietet 
heute für gut eingerichtete Laboratorien und geübte Untersucher 
keine Schwierigkeiten mehr. Die Typhusdiagnose ist in vielen Fällen 
schon dann auf Grund der bakteriologischen Untersuchung zu stellen, 

WOribnrger Abhandlungen. Bd. VIU. H. 9. 16 


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224 H. LÜDKE, (18 

wenn das klinische Symptombild nur erst den Verdacht auf eine 
typhöse Erkrankungsform aussprechen lässt. 

Eine nicht minder wichtige Rolle wie beim Typhus spielt die 
bakteriologischeFrühdiagnosebei der bazillären Dysen¬ 
terie. Durch die möglichst frühzeitige Entdeckung der ersten Ruhr¬ 
fälle, die nur mit Hilfe der bakteriologischen Diagnostik möglich ist, 
vermag eine energische Sanitätspolizei wirksame Massnahmen zu 
ergreifen, um die Seuche im Keim zu ersticken. Auch für die 
Therapie des Einzelfalles ist, da wir über ein wirksames Ruhrserum 
verfügen, eine frühzeitige Erkenntnis der Krankheit von wesent¬ 
licher Bedeutung. 

Die Kenntnis der Bazillenruhr ist ja allerdings in weiten Kreisen 
eine nur mangelhafte geblieben; einmal ist die Infektion auf eng 
begrenzte Bezirke lokalisiert, andererseits mochten sporadisch auf¬ 
tretende kleine Epidemien wenig geeignet sein, ein weitergehendes 
Interesse wachzurufen. Aber in den Gegenden, in denen die Ruhr 
sich eingenistet hat und in Kriegsepidemien ist die Kenntnis der 
bakteriologischen Untersuchungsmethoden bei der Ruhr von grösster 
Wichtigkeit. 

Das Studium der bisherigen Dysenterieepidemien, die in 
Deutschland im rheinisch-westfälischen Industriebezirk und in den 
ost- und westpreussischen Provinzen vorherrschen, hatte die Ent¬ 
deckung zweier, in einigen Punkten voneinander abweichenden spezi¬ 
fischen Bakterien zur Folge, den Stamm Shiga-Kruse und den 
Stamm F1 e x n e r. 

Wenn auch das typische klinische Bild der Ruhr, das sich 
hauptsächlich in den schleimig-blutigen, zahlreichen Entleerungen 
äussert, die Diagnose leicht stellen lässt, können doch sommerliche 
Darmkatarrhe, die unter den gleichen Erscheinungen verlaufen, nur 
durch die bakteriologischen Befunde von der echten Ruhr differen¬ 
ziert werden. 

Die exakte Diagnosenstellung bei der bazillären Dysenterie 
ist erst mit dem Nachweis der spezifischen Erreger im Stuhl und 
der sero-diagnostischen Prüfung des Blutes der Erkrankten abge¬ 
schlossen. 

Die den Stühlen entnommenen Schleimflocken werden — 
wenige Stunden nach der Defäkation — auf Objektträger aus¬ 
gestrichen und mit den gewöhnlichen Anilinfarben gefärbt. In der 
Mehrzahl der Fälle werden plumpe Stäbchen gefunden, die 
zum Teil in Eiterzellen eingeschlossen sind und oft in nur sehr ge¬ 
ringer Menge angetroffen werden. Zur Sicherung der Diagnose 
werden Schleimflöckchen in etwas Bouillon verrieben und auf 
mehreren D r i g a 1 s k i platten ausgestrichen. Auf diesem Nährboden 
finden sich bereits nach 10—24 Stunden farblose, tautropfenartige, 


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19] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 225 


feine Kolonien, die von blauen Agarmassen umgeben sind. Die auf 
Gelatineplatten aufgehenden Ruhrbakterien werden erst nach 2—3 
bis 4 Tagen als solche erkannt; die oberflächlichen Kolonien ähneln 
infolge ihrer Zartheit und weinblattartigen Form Typhuskolonien, 
während die tieferliegenden Kolonien feingekömt, gelb bis gelbbraun 
erscheinen und mit scharfem Rand versehen sind. In Bouillon ge¬ 
bracht, erweisen sich die aus den Kolonien gezüchteten Bazillen 
als plumpe Stäbchen mit lebhafter Eigenbewegung auf der Stelle. 
Als wichtiges Differenzierungsmittel ist das Fehlen von Gasblasen¬ 
bildung in Traubenzuckeragar zu betrachten. 

Zur raschen Diagnosenstellung genügt zuweilen schon ein 
charakteristisches Deckglaspräparat; um die Diagnose zu sichern, 
werden Drigalskiplatten angelegt und die farblosen Kolonien, 
die dann nach 10—24 Stunden gewachsen sind, müssen in Bouillon 
und Traubenzuckeragar abgestochen werden, um die Bakterien aut 
Unbeweglichkeit und Fehlen von Gasblasenbildung zu prüfen. In 
48 Stunden, höchstens 3 Tagen ist die exakte Diagnose abge¬ 
schlossen. 

Die serodiagnostische Prüfung durch das Serum von Ruhr¬ 
kranken kann lediglich zur Stütze der Diagnose in den späteren Tagen 
der Erkrankung herangezogen werden, da die Agglutininbildung erst 
einsetzt, nachdem die stürmischen Ruhrerscheinungen schon be¬ 
gonnen haben. Unter Umständen kann jedoch die Agglutinations¬ 
probe zur Erkenntnis abgelaufener oder nur leicht verlaufener Ruhr¬ 
fälle herangezogen werden und ähnlich wie bei Cholera und Pest für 
die nachträgliche Diagnosenstellung Verwendung finden. 

Allerdings darf auch hier wieder der Wert der serodiagnosti¬ 
schen Prüfung nicht in der blossen Agglutinierbarkeit eines Dysen¬ 
teriestammes durch ein Krankenserum gesucht werden, sondern in 
der Steigerung der Agglutinationsfähigkeit des wirksamen Blutserums! 
liegt die diagnostische Bedeutung der Gruber-Widal 'sehen 
Reaktion. 

Während unter den akuten Infektionen die Typhusdiagnose 
im Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses des Klinikers und Bak¬ 
teriologen steht, hat die frühzeitige Diphtheriediagnose durch 
die Entdeckung des spezifisch wirksamen Heilserums an Bedeutung 
verloren. Deim in Fällen, die klinisch den blossen Verdacht einer 
diphtherischen Erkrankung aufkommen lassen, ist schon die An¬ 
wendung des Serums geboten. 

Die Untersuchung diphtherieverdächtigen Materials, wie sie 
meist in den bakteriologischen Untersuchungsämtem grösserer Städte 
geübt wird, erstreckt sich auf die makroskopische Prüfung 
des gefärbten Ausstrichpräparats, auf die Züchtung 
der Bazillen auf Nährböden, die sich für das Wachs- 

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H. LÜDKE, 


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tum der Diphtheriebazillen als elektiv erwiesen haben, 
und schliesslich auf die Einwirkungderfrischgezüchteten 
Diphtheriekultur auf Meerschweinchen. 

Dem Arzt, der mit der bakteriologischen Untersuchung Aveniger 
\ r ertraut ist und dem die Zeit zur Ausführung komplizierter Methoden 
mangelt, ist die exakte Diphtheriediagnose durch die Untersuchungs¬ 
ämter dadurch erleichtert, dass von den Instituten auf Wunsch un¬ 
entgeltlich Holzkästchen zur Verfügung gestellt werden, die in einem 
Reagenzglas einen an seinem unteren Ende mit einem Watte- 
bäuschchen versehenen Eisendraht oder Glasstab enthalten. Mit 
diesem zuvor sterilisierten Wattebausch werden beim diphtherie¬ 
kranken Kind einige Partikelchen der Membranen auf den Tonsillen 
aufgenommen, der Bausch in das Reagenzglas zurückgebracht und 
die verpackte Holzhülse dem Institut zur Untersuchung der mit ver¬ 
dächtigem Material getränkten Watte zurückgesandt. 

Zuweilen sind in dem mit Löffler ’schem Methylenblau ge¬ 
färbten Ausstrichpräparat die Diphtheriebazillen schon reichlich vor¬ 
handen und mit einiger Sicherheit zu diagnostizieren: Bazillen in 
Keulen- oder Spindelform, mit abwechselnd stark und schwach ge¬ 
färbtem Protoplasma. In den meisten Fällen bietet jedoch die exakte 
Diagnose aus dem Aussehen der Stäbchen grössere Schwierigkeiten, 
so dass zur Sicherung der Frühdiagnose das Kulturverfahren stets 
ratsam erscheint. 

Zu dem Ende wird der mit verdächtigem Material beladene 
Wattebausch auf drei schräg erstarrte Blutserumröhrchen aus¬ 
gestrichen, die im Brutschrank bei 37° C gehalten werden und 
frühestens nach 6 Stunden, besser nach 10—12 Stunden untersucht 
werden können. Die suspekten Kolonien auf den Serumröhrchen, die 
graugelbliche Farbe, mattes Aussehen haben, werden dann erst im 
Ausstrichpräparat untersucht. 

Der Tierversuch, der durch die giftige Wirkung der Bazillen 
auf den Meerschweinchenorganismus die Pathogenität der Di¬ 
phtheriekeime feststellen soll, ist für die Frühdiagnose wegen der 
längeren Versuchsdauer nicht mehr verwertbar. Meerschweinchen 
von etwa 250—300 g Gewicht werden mit der in Bouillon über¬ 
geimpften Kultur in die Achselhöhle subkutan injiziert, und zwar 
gewöhnlich in Dosen von 0,1, von 0,2 und 0,3 ccm. Nach 24 Stunden 
wird ein deutliches Ödem der Bauchdecken fühlbar und nach 2 bis 
3 Tagen gehen die Tiere unter typischen Krankheitserscheinungen 
zugrunde. 

Die praktische Bakteriologie, die eine schnelle und exakte 
Diagnose der Diphtherie erstrebte, richtete im wesentlichen ihr 
Augenmerk auf klinisch verwertbare Methoden, die Diphtherie¬ 
bazillen von den Ps eud od i ph t herie baz i 11 en zu dif- 


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21] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 


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ferenzieren. Die tinktoriellen, kulturellen und biologischen 
Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Arten wurden einer ge¬ 
nauen Prüfung unterworfen und die wichtigsten Ergebnisse dieses 
Studiums für die Verwertung in der Praxis empfohlen. Die Unter¬ 
suchungen über die unterscheidenden Merkmale zwischen Diphtherio- 
und Pseudodiphtheriebazillen haben ausser dem klinischen noch epi¬ 
demiologisches Interesse. Wenn auch die Frage nach der Ubiquität 
der Diphtheriebazillen noch nicht vollkommen geklärt ist, weisen 
doch exakte Beobachtungen darauf hin, dass die prophylaktische 
Massnahme der Isolierung der Diphtheriebazillenträger bis zum defi¬ 
nitiven Verschwinden der spezifischen Erreger praktische Bedeu¬ 
tung hat. 

Die wertvollste Bereicherung der diagnostischen Mittel zur früh¬ 
zeitigen Erkenntnis der Diphtherieerreger ist die N e i s s e r 'sehe 
Doppelfärbung. Das Prinzip dieser Färbung beruht auf dem 
differenten Verhalten der Babes-Ernst'sehen Körperchen, die 
an den Polen in den zur Gruppe der Corynebakterien gehörigen 
Keimen zu finden sind, gegenüber bestimmten Farbstoffeinwir¬ 
kungen. Diese Polkörnchen, die bei den Diphtheriebazillen be¬ 
deutend früher auftreten als bei den verwandten Typen, werden, 
durch die N e i s s e r 'sehe Doppelfärbung mit essigsaurem Methylen¬ 
blau und Vesuvin besonders deutlich gemacht: Die Körnchen werden 
tiefblau, die zwischenliegenden Teile des Bakterienplasmas hell¬ 
braun gefärbt. Diese Färbung muss unter allen Umständen inner¬ 
halb der ersten 24 Stunden nach dem Ausstrich vorgenommen werden, 
da später auch Xerosebazillen (Xerosis conjunctivae) und 
Pseudodiphtheriebazillen eine Doppelfärbung ähnlich der Polfärbung 
bei Diphtherieerregem erkennen lassen. Für die Klinik bedeutet 
die Neisser’sche Doppelfärbung den wertvollsten Besitz zur früh¬ 
zeitigen Diagnostizierung der Diphtherie. 

Die kulturellen Methoden bedürfen, soweit sie für die Differen¬ 
tialdiagnostik von Bedeutung sind, einer kurzen Besprechung. Am 
meisten bewährt hat sich unter den Nährsubstraten für Diphtherie¬ 
bazillen das Löffler’sche Blutserum, auf dem die Diphtherie¬ 
bazillen rascher und auch üppiger gedeihen wie die Pseudobazillen. 
Nach 12 Stunden sind die Kolonien der Diphtheriebazillen schon 
gut sichtbar; die Form, Farbe und Grösse der Kolonien sind differen¬ 
tialdiagnostisch auch bei grösserer Übung nicht zur Unterscheidung 
der einzelnen Arten der Corynebakterien zu verwerten. 

Ebensowenig wie die kulturellen bieten die biologischen Eigen¬ 
schaften der verwandten Arten Anhaltspunkte für eine praktisch ver¬ 
wertbare Methode. Wir erwähnen nur, dass Änderungen in der 
alkalischen Reaktion der Bazillen in alkalischer Traubenzucker¬ 
bouillon benutzt werden können, um die Diphtherieerreger von den 


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Pseudobazillen zu trennen. In dieser Bouillon bilden die Diphtherie¬ 
bazillen bereits nach 24 Stunden erheblichere Säuremengen, während 
die Pseudodiphtheriebazillen meist eine Erhöhung der alkalischen 
Reaktion der Bouillon bewirken. Durch die von N e i s s e r ange¬ 
gebene Titration der Bouillon mit l«/o Natronlauge und Phenol¬ 
phthalein gelingt es, die Diphtheriebazillen infolge ihrer stärkeren 
Säurebildung von den verwandten Arten zu differenzieren. Dies 
wie ähnliche Verfahren zur Bestimmung der Säurebildung der 
Bazillen sind jedoch für praktische Zwecke zu zeitraubend und um¬ 
ständlich. 

Auch die Trennung der verwandten Arten durch die Aggluti¬ 
nationsreaktion hat sich nicht einbürgem können. Interessant und 
erwähnenswert ist nur der Versuch Schwoner’s, der ein Pferd 
mit zwölf verschiedenen virulenten Diphtheriestämmen, deren Kul¬ 
turen durch Erhitzen auf 62° C abgetötet waren, immunisierte. Mit 
diesem Immunserum konnte er 50 echte Diphtheriestämme in 
höheren Werten (bis zur Verdünnung 1 : 10000) agglutinieren, 
während die Pseudodiphtheriebazillen nur in sehr niedrigen Werten 
(1:5 bis 1:10) oder gar nicht agglutiniert wurden. 

Die exakte bakteriologische Diagnose der Diphtherie ist in 
10—12 Stunden zu stellen: das diphtherieverdächtige Material wird 
auf schräg erstarrten Blutserumröhrchen ausgestrichen und die matt¬ 
glänzenden, graugelblichen Kolonien werden im Deckglaspräparat 
mittelst der N e i s s e r 'sehen Doppelfärbung diagnostiziert. 

Die bakteriologische Diagnose der epidemischen Zerebro- 
spinalmeningitis erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie die Dia¬ 
gnosenstellung bei der Diphtherie: Die Färbung eines Ausstrich¬ 
präparats und der Züchtungsversuch bilden die wesentlichsten Me¬ 
thoden. Das Tierexperiment ist wegen der Zeitdauer, die es bean¬ 
sprucht, für die Frühdiagnose nicht verwertbar. Die Agglutination 
eines Laboratoriumsstammes der spezifischen Meningokokken durch 
das Krankenserum bietet keine sicheren Resultate. 

Sobald der Verdacht auf eine infektiöse Meningitis durch das 
klinische Symptombild begründet erscheint, muss die Lumbal¬ 
punktion vorgenommen werden. Es braucht nicht länger erörtert 
zu werden, dass nur bei der sorgfältigsten Säuberung der Haut an 
der Punktionsstelle und genügender Sterilisation der Punktions¬ 
nadel ein verwertbares Ergebnis erzielt werden kann. Ein grösserer 
Teil der erhaltenen Lumbalflüssigkeit wird zentrifugiert, resp. sedi- 
mentieren gelassen. Werden im Ausstrichpräparat des Sediments 
neben Eiterzellen Kokkenarten gefunden, so hat sich eine ein¬ 
gehendere Prüfung der Kokkenart mittelst des Züchtungsversuches 
anzuschliessen. 

Morphologische Unterschiede des Micrococcus meni ngi- 


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23] Die bakteiiologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 


229 


tidis vom Diplococcus pneumoniae, der ebenfalls häufig 
in der Punktionsflüssigkeit gefunden wird, erleichtern die Diagnose. 
Während der Diplococcus pneumoniae vielfach extrazellulär liegt, 
eine mehr längliche oder rundliche Gestalt besitzt, mit einer deut¬ 
lichen Kapselhülle versehen ist und in kurzen oder längeren Ketten 
auftritt, liegt der spezifische Meningitiserreger meist innerhalb der 
Leukozyten und tritt als Diplococcus oder in Form von Tetrakokken 
auf, wobei sich die bisweilen auch ungleiche Grösse besitzenden 
Kokken an den gegenseitigen Berührungsflächen abplatten. Neben 
dem mit den gebräuchlichen Anilinfarben angefertigten Deckglas¬ 
präparat ist noch die Gram-Färbung des Ausstrichs empfehlens¬ 
wert. Nach der Gramfärbung wird mit wässerigem, verdünnten 
Fuchsin nachgefärbt, dabei erscheinen die gramnegativen Keime, 
der Micrococcus meningitis wie andere zufällige Erreger der Menin¬ 
gitis, B. typhi, B. coli, B. influenzae, B. pestis, Bac. pneumoniae, 
rot tingiert, während alle grampositiven Meningitiserreger, wie der 
Diplococcus pneumoniae, Streptokokken und Staphylokokken violett 
gefärbt werden. 

In den von mir untersuchten Fällen von epidemischer Zerebro- 
spinalmeningitis genügten diese einfachen Färbungsmethoden nicht, 
um mit absoluter Sicherheit die bakteriologische Diagnose zu stellen. 
Die exakte Diagnostizierung des spezifischen Erregers der Zerebro 
Spinalmeningitis aus dem spärlichen Bazillenbefund des Ausstrich¬ 
präparats erfordert immerhin eine grössere Übung und die Vernach¬ 
lässigung des Züchtungsversuches ist nur bei sicherer klinischer 
Diagnose entschuldbar. Das Züchtungsverfahren hat auch in den 
Fällen Aufschluss über die Art des Erregers zu geben, in denen im 
Deckglaspräparat überhaupt keine Mikroben nachzuweisen waren. 
Ein spärlicher Kokkenbefund pflegt die Regel zu sein, gelegentlich 
nur ist in frischen Prozessen und reichlichem, eiterähnlichem Ex¬ 
sudat eine grössere Menge von Kokken, die gewöhnlich innerhalb 
der Zellen liegen, anzutreffen. 

Zur Kultur verwendet man Serumagar ( x / 3 menschliches Serum, 
Aszites, Hydrozeleninhalt etc. auf */ 3 flüssigen Agar), der am besten 
nach dem Vorschlag Weichselbaum’s in Platinschalen ausge- 
gossen und dessen Oberfläche mit der durch die Platinnadel ent¬ 
nommenen Punktionsflüssigkeit beimpft wird. 

Nach etwa 24 Stunden bilden sich auf dem Serumagar ziemlich 
üppige, gelbliche, flache Kolonien. 

Im Ausstrichpräparat, das von einer Kolonie angelegt wird, 
müssen die gramnegativen spezifischen Meningokokken nachge¬ 
wiesen werden. In einzelnen Fällen schlagen die Züchtungsversuche 
fehl. Wenn das Punktionsmaterial, das zur Impfung verwandt werden 
soll, älter als 24 Stunden ist, so sind die Meningitiserreger zum Teil 


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bereits abgestorben, zum Teil derart stark degeneriert, dass ein 
Wachstum auf Serumagar ausbleibt. 

Um den Micrococcus meningitidis intracellularis im Sekret 
der hinteren Rachenpartien nachweisen zu können, müssen 
neben der Färbung des Sekrets das Kulturverfahren und die Ag¬ 
glutinationsprüfung durch ein hochwertiges Tierimmunserum heran¬ 
gezogen werden. 

Empfehlenswert ist nach Dieudonne besonders die Färbung 
mit eosinsaurem Methylenblau nach May, wobei sich die dunkelblau 
gefärbten Kokken von dem rötlichen Saum der Leukozyten abheben. 
Nach v. Lingeisheims Untersuchungen fanden sich im Pharynx¬ 
sekret zuweilen gramnegative Diplokokken, die teilweise auf Aszites¬ 
agar ein den spezifischen Meningitiskeimen ähnliches Wachstum dar¬ 
boten. Die Kolonien des Micrococcus catarrhalis waren so von denen 
des Micrococcus meningitidis nicht zu unterscheiden. In solchen 
Fällen kann nur die Agglutinationsprobe die Diagnose entscheiden. 

Doch wurden durchaus nicht in allen Fällen die spezifischen 
Kokken im Nasensekret gefunden. Zudem bietet die Diagnose der 
Krankheit auf Grund positiver Befunde von Meningokokken im 
Nasenschleim keine absolute Sicherheit, da in den letzten Epidemien 
wiederholt Meningokokken im Sekret von Gesunden und an 
Schnupfen, Nasenkatarrh Erkrankten konstatiert wurden, die mit 
Meningitiskranken in Berührung gekommen waren. Diese Kokken¬ 
träger können die gleiche Rolle bei der Übertragung der Krank¬ 
heit spielen wie die Bazillenträger beim Abdominaltyphus. 

Häufig lassen sich die Meningitiskeime auch im strömenden 
Blut nachweisen. In 3 Meningitisfällen, in denen das aus der Arm¬ 
vene entnommene flüssige Blut zu Serumagarplatten verarbeitet 
wurde, erhielt ich positive Bazillenbefunde. Auch aus Untersuchungen 
anderer Autoren scheint hervorzugehen, dass der Micrococcus menin¬ 
gitidis häufiger im Blut während der Fieberperiode gefunden wird. 

Die Agglutinationsreaktion mit dem Serum Rekon¬ 
valeszenter oder Meningitiskranker besitzt nicht den Grad von Zu¬ 
verlässigkeit der Agglutination von Typhusbazillen durch das Serum 
Typhöser. Ebenso gelingt es nach meinen Befunden seltener, ein 
hochwertiges Immunserum bei kleineren Versuchstieren zu erhalten. 
Kaninchen, die ich wiederholt mit durch Erhitzen auf 55° abge¬ 
töteten Kulturen von Meningokokken immunisierte, lieferten ein Im¬ 
munserum, das in einer Verdünnung von 1:200 den verwandten 
Laboratoriumsstamm agglutinierte. Höhere Titerwerte des Immun¬ 
serums sind allerdings nach Immunisationen von Pferden erzielt 
worden. 

Die Agglutinationsprobe besitzt nicht nur wegen des niedrigen 
Agglutinationtiters des Krankenserums relativen Wert, sondern büsst 


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25] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 


231 


auch in ihrer praktischen Verwertung dadurch viel ein, dass normale 
Sera zuweilen manche Meningokokkenstämme schon bei einer Ver¬ 
dünnung von 1:50 agglutinieren. Zu Agglutinationsversuchen werden 
nicht Bouillonkulturen, sondern Aufschwemmungen frischer Serum¬ 
agarkulturen in physiologischer Kochsalzlösung benutzt. 

Die Frühdiagnose der epidemischen Zerebrospinalmeningitis 
kann demnach innerhalb von 24 Stunden gestellt werden: Züchtung 
auf Serum- oder Aszitesplatten und Färbung, speziell Gramfärbung 
der ausgestrichenen Kolonien sichert in der Mehrzahl der Fälle die 
Diagnose. 

Von grösster Bedeutung für die Frühdiagnose der septi¬ 
schen Erkrankungsprozesse ist die bakteriologische Blutunter¬ 
suchung. Wie bei den typhösen Erkrankungen sichert der positive 
Bazillenbefund im strömenden Blut bei der Sepsis nicht allein die 
klinische Diagnose, nicht selten kann erst aus dem bakteriologischen 
Blutbefund die Diagnose gleichsam abgelesen werden. 

Wenn auch einzelne klinische Symptome der Bakterieninvasion 
hei der Sepsis bereits den spezifischen Charakter der Krankheit 
anzeigen, so darf doch in keinem Falle, in dem die Möglichkeit einer 
bakteriologischen Blutuntersuchung besteht, diese versäumt werden. 

Unter den Symptomen der Blutinfektion, die eine septische 
Erkrankung wahrscheinlich machen, steht der Schüttelfrost an 
erster Stelle. Wird während des Schüttelfrostes oder kurz danach 
das Blut bakteriologisch untersucht, so finden wir in positiven 
Bazillenbefunden den Zusammenhang zwischen Bakterieninvasion 
und Schüttelfrösten klargelegt. Ich verfüge über einen Fall von 
Cholelithiasis, in dem während des Schüttelfrostes Streptokokken 
in grosser Anzahl im Blut konstatiert wurden. In anderen Fällen 
wurde gleich nach dem Frost Blut entnommen und auf den Blutagar¬ 
platten grosse Bakterienmengen nachgewiesen. 

Wiederholte Schüttelfröste zeigen einen schubweise erfolgen¬ 
den Einbruch der pathogenen Keime von einem Bakteriendepot aus 
in die Blutbahn an. In zwei Fällen von Lungenentzündung konnte 
ich mich davon überzeugen, dass die Zahl der Blutkeime, sobald 
das Blut während oder nach dem Schüttelfrost untersucht wurde, 
sehr erheblich war. In diesen beiden Fällen war die Blutmenge, die 
durch Venaepunktion erhalten war, nur gering, aber in den 1—2 ccm 
Blut wurden zahlreiche Pneumokokken nachgewiesen. Selbst in 
wenigen Blutstropfen konnte Prochaska nach Schüttelfrösten bei 
der Pneumonie zahlreiche Kokken konstatieren. 

Wie die Schüttelfröste den Verdacht auf eine Sepsis lenken, 
können die klinischen Erscheinungen der malignen Endokarditis, 
die zuweilen als eine exklusive Lokalisation der Eitererreger auf- 
tritt, den Verdacht einer septischen Erkrankung verdichten. Alle 


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232 


H. LÜDKE, 


126 


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anderen Symptome der Sepsis, mögen sie als seltenere öder fast 
konstante klinische Phänomene erscheinen, werden jedoch nicht im¬ 
stande sein, die Diagnose so exakt und so frühzeitig zu stellen, wie 
es durch den Nachweis der septischen Erreger im Blut möglich ist 

Die bakteriologische Blutuntersuchung nahm ihren Ausgangs¬ 
punkt vom Nachweis der Eitererreger in Sepsisfällen. Auf die erst 
vereinzelten Mitteilungen von Befunden an Eitererregern im Blut 
intra vitam gründeten sich dann systematische Blutuntersuchungen 
an grösserem Krankenmaterial bei den verschiedensten Infektions¬ 
krankheiten. 

Wir verfügen über 11 Fälle von echter klinischer 
Sepsis, in denen jedesmal Bakterien im Blut gefun¬ 
den wurden. Es handelte sich in vier Fällen um Staphylo¬ 
kokken, in sechs Fällen um Streptokokken und im 1 etz ten 
Fall um eine Mischinfektion mit beiden Bakterien¬ 
arten. Von diesen vier Staphylokokkenseptikämien kamen drei Fälle 
ad exitum, von den sechs an Streptokokkensepsis erkrankten Patienten 
starben zwei, ebenso führte die Mischinfektion mit Streptokokken 
und Staphylokokken zum Tode. 

Danach scheint im Einklang mit der Ansicht Petruschky’s, 
der in 17 Fällen positive Blutbefunde erhob und in neun Fällen Ge¬ 
nesung konstatierte, der Befund von Eitererregern im Blut keine 
durchaus schlechte Prognose zu bieten. 

Durch die bakteriologischen Blutbefunde wurde in allen diesen 
Sepsisfällen nicht nur die Diagnose entschieden, sondern in einigen 
Erkrankungsformen erst durch den positiven Bazillenbefund die 
richtige Diagnose gewissermassen entdeckt. Untersuchungen über 
den Moment des Einbruchs der Bakterien in die Blutbahn und den 
ersten Nachweis der Kulturmethode sind bei der Unsicherheit der 
Diagnosenstellung in Septikämien schwer angängig, ebenso existieren 
keine Angaben über die Dauer des Verweilens der Keime im Blut. 

In einem Falle einer mit dem Tode endenden Staphylokokken¬ 
sepsis, in dem nach genauer Anamnese am vierten Krankheitstage 
Blut entnommen wurde, waren schon nach Verlauf dieser kurzen 
Zeit zahlreiche Kolonien auf den Platten aufgegangen; in dem mit 
Genesung endenden Fall einer Staphylokokkensepsis waren sowohl 
während eines Rezidivs wie in der fieberfreien Zeit kurz nach Ab¬ 
lauf des Rezidivs die Erreger nachweisbar. 

Im Anschluss an diese 11 Sepsisfälle wären die bakterio¬ 
logischen Blutbefunde in 32 Fällen von Angina zu 
erwähnen, in denen viermal Eitererreger im strömenden 
Blut nachgewiesen wurden. 

Nach solchen Bazillenbefunden im Blut intra vitam konnte der 
Sepsisbegriff nicht mehr für die Allgemeininfektionen mit Strepto- 


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27] Die bakteriologische FrDhdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 233 

kokken und Staphylokokken beschränkt bleiben. Die praktische Bak¬ 
teriologie musste jeden Nachweis von Bakterien im Blut als 
Bakteriämie bezeichnen. Die zahlreichen Befunde der differen¬ 
testen Bazillenarten im Blut deckten die Übergänge einzelner lokaler 
Infektionen zur septischen Allgemeinerkrankung auf, in dem sie 
zeigten, dass die Mehrzahl der Infektionskrankheiten 
mit einer Blutinfektion verläuft. 

Bakteriologische Sputum- und Blutuntersuchungen verfolgen 
bei der croupösen Pneumonie den Zweck, die klinische Diagnose 
durch den Nachweis der Infektionserreger zu stützen. Die Ätiologie 
der Pneumonie ist keine einheitliche und jede Form von Pneumonie 
kann durch mehrere Arten von Bakterien hervorgerufen werden. 
Die bakteriologische Diagnostik hat in den Erkrankungsformen, in 
denen nicht konstant nachzuweisende, spezifische Keime die In¬ 
fektion machen, ausser in Sepsisfällen auch zu keinen praktisch 
wichtigen Erfolgen geführt. 

Selten sind die Fälle, in denen der Arzt genötigt ist, aus 
dem gefärbten Ausstrichpräparat des pneumonischen Sputums die 
Art der Erreger und gestützt auf diesen Befund die Krankheit zu 
diagnostizieren. Die Exaktheit der Diagnose aus dem Bazillen- 
befund im Sputum wird dadurch beeinträchtigt, dass in etwa 15 % 
der Fälle im Sputum Gesunder der Diplococcus pneumoniae zu 
finden ist, während er in nur 60—70 °/o im Sputum Pneumonieknnker 
vorkommt. Überdies wird die Brauchbarkeit des Bazillennachweises 
in manchen Fällen davon abhängig sein, ob der Kranke überhaupt 
Sputum auswirft. 

Ferner ist für die bakteriologische Diagnose atypisch ver¬ 
laufender Pneumonien, die dem Arzt zuweilen erhebliche dia¬ 
gnostische Schwierigkeiten bereiten, der Befund von Bazillen nur 
beweisend, wenn echte Pneumokokken einwandsfrei nach der kul¬ 
turellen und biologischen Prüfung im Sputum konstatiert sind. 
Streptokokken- und Staphylokokkenbefunde im Sputum besitzen 
keinen diagnostischen Wert. Wichtiger noch erscheint ein Befund 
von Influenzabazillen im Sputum, die bei der Lobulärpneumonie 
der Influenza konstatiert werden können. Ausser der Kleinheit der 
Bazillen käme hier noch das gramnegative Verhalten für die bak¬ 
teriologische Diagnose in Betracht. 

Die bakteriologischen Blutuntersuchungen bei der Pneumonie 
haben allerdings bisher noch widersprechende Resultate gebracht, 
so dass ein weit grösseres Material als das vorliegende zur Ent¬ 
scheidung der Frage, ob konstant eine Blutinfektion mit der lokalen 
Ansiedlung der Bakterien in der Lunge verläuft, erforderlich ist 
Ich habe in 12 Fällen von Pneumonie sowohl das Plattenverfahren 
wie die Aussaat in Bouillon vorgenommen. Während die Agarplatten 


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UMIVERS1TY OF MICHIGAN^ 



234 


H. LÜDKE, Die bakteriologische Frühdiagnose etc. 


[28 


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in 4 Fällen positive Resultate ergaben, wurden in 8 Fällen der Blut¬ 
aussaat in Bouillon Pneumokokken konstatiert. 

Im Innern der zu Platten gegossenen festen Nährböden ge¬ 
deihen die Keime nicht, während in flüssigen Nährböden auch die 
Bakterien, die durch die bakterizide Kraft des Blutes geschwächt 
sind, noch zum Wachstum gelangen können. 

Prochaska fand in allen von ihm untersuchten Fällen, 
im ganzen 90, Lenhartz dagegen bei 83 Fällen 26mal Pneumo¬ 
kokken im Blut der Pneumoniekranken. In unsern 21 Fällen von 
croupöser Pneumonie wurden 11 mal Keime im Blut gefunden: 
6 mal der Streptococcus lanceolatus, 2 mal der Streptococcus pyo¬ 
genes, 1 mal Streptokokken mit Staphylokokken und 2 mal Staphylo¬ 
kokken mit Pneumokokken. In vier von den 21 Fällen wurde durch 
den Blutbefund die Diagnose vor dem Auftreten klinisch verwertbarer 
Lungensymptome gestellt. 

Die serodiagnostischen Methoden sind für die Frühdiagnose 
der Pneumonie nicht zu verwerten, da die Agglutinationsreaktion 
nach dem einen Autor kurz nach der Krise, nach dem anderen 
frühestens am fünften Tage eintritt und zudem die Probe nicht die 
Spezifität besitzt wie beim Typhus abdominalis. 

Die bakteriologische Diagnose der Influenza besitzt in Epi¬ 
demien einige klinische Bedeutung. Meist sind die Influenzabazrllen 
in dem charakteristischen gelb-grünlichen Sputum der Kranken in 
grossen Mengen enthalten, besonders im ausgehusteten Morgen¬ 
sputum. Zur Färbung verwendet man zweckmässig eine verdünnte 
Z i e h 1 'sehe Lösung und sieht im Deckglaspräparat die Bazillen in 
typischer Anordnung in Haufen oder Zügen zwischen oder in den 
Eiterkörperchen. 

Die Kulturmethode ist in den Fällen zu berücksichtigen, in 
denen eine Mischinfektion mit Diplokokken und dem Bac. lanceo¬ 
latus die Diagnose erschwert. Taubenblut eignet sich am ehesten 
als Agarzusatz. Man streicht auf die Oberfläche solcher mit Tauben¬ 
blut beschickter, schräg erstarrter Agarröhrchen das verdächtige 
Sputummaterial aus. Nach 18—24 Stunden beobachtet man auf 
dem Blutagar zahlreiche, wasserhelle und durchscheinende Kolonien. 
Der Nachweis der Influenzabazillen im Blut wurde zuerst von 
Canon geführt, von Pfeiffer jedoch bestritten. Nach dem Aus¬ 
fall der neueren Blutuntersuchungen kann mit ziemlicher Sicherheit 
angenommen werden, dass in akuten Influenzafällen die spezifischen 
Keime auch im Blut vorhanden sind, doch gelingt ihre Züchtung 
nur dann, wenn die bakteriziden Kräfte des Blutes abnehmen und 
die Entwicklung der Bakterien im strömenden Blut zu einer In- 
fluenzaseptikämie geführt hat. 


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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Chole 

lithiasis. 

Von 

Dr. med. Richard Schwarz, 

Stuttgart—Bad Mergentheim. 


Die vorliegende Studie ist entstanden auf Grund von Beob¬ 
achtungen, welche ich in den Sommern 1906 und 1907 in Bad 
Mergentheim an 160 Fällen von sicher diagnostizierter Gallenstein- 
Erkrankung gemacht habe. Die Durchsicht meiner Kranken¬ 
geschichten förderte sowohl in anamnestischer als auch in sympto- 
matologischer Beziehung manches zutage, was mir der Veröffent¬ 
lichung wert erschien. Auf die objektive Feststellung des klinischen 
Befundes vor und nach der Kur habe ich besonderen Wert gelegt. 
Auch bin ich in der Lage, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle 
auf Grund einer Umfrage darüber zu berichten, welchen Verlauf 
das Leiden bei meinen Kranken in dem Zeitraum von 1—2 Jahren 
nach beendeter Kur genommen hat. Ich weiss wohl, dass diese 
Frist etwas kurz bemessen ist, aber ich glaube doch, dass man aus 
meinen Beobachtungen manche Winke für die Beurteilung der Frage 
entnehmen kann, ob die interne Therapie vermittelst einer ein- oder 
zweimaligen Mineralwasser-Trinkkur überhaupt etwas zu erreichen 
vermag oder nicht. Aus den Erfolgen und Misserfolgen der internen 
Behandlung lässt sich die Grenze ziehen, welche chirurgischen Ein¬ 
griffen gesteckt ist. Dass die grosse Mehrzahl aller Gallenstein¬ 
kranken ohne Operation geheilt oder wenigstens in befriedigendem 
Gesundheitszustand erhalten werden kann, bezweifeln auch die 
meisten Chirurgen nicht. 

Von meinen 160 Fällen standen 14 in zwei aufeinanderfolgenden 
Jahren in meiner Behandlung, ich berichte also nur über 146 Indi¬ 
viduen. Von diesen waren 101 weiblichen und 45 männlichen Ge- 

Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 10. 17 


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236 


R. SCHWARZ, 


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schlechte, nach Prozenten ausgedrückt 69 % : 31 %. Ein ähnliches 
Verhältnis findet sich in allen Statistiken. Nach Kehr’s 1 ) Beob¬ 
achtungen kommt auf vier gallensteinkranke Frauen etwa ein gallen¬ 
steinkranker Mann. Fink 2 ) hat unter Berücksichtigung von 263 
Fällen 63 o/o Frauen und 37% Männer angegeben. 

Eine unverkennbare Rolle bei der Entstehung des Leidens 
spielen Schwangerschaft und Geburten. Es hatten mehr 
als vier Fünftel meiner weiblichen Kranken, nämlich 86, eine oder 
mehrere Geburten durchgemacht. Nicht geboren hatten 15, darunter 
4 Unverheiratete. In einigen Fällen war das Leiden entstanden im 
Anschluss an Geburten, welche innerhalb weniger Jahre rasch nach¬ 
einander eingetreten waren. Die Häufigkeit der Geburten scheint 
ätiologisch keine besondere Rolle zu spielen. Unter den 86 Frauen, 
welche geboren hatten, befanden sich 67, welche 1—4 Geburten 
verzeichnen konnten. Auf häufigere Geburten blickten 19 zurück, 
darunter je eine Patientin auf 7, 8, 9 und 11 Geburten. 

Sichere Angaben über Gallensteinkolik-Anfälle während der 
Schwangerschaft machten nur 3 Patientinnen, dagegen erzählten 25, 
also annähernd 30%, dass ganz kurz nach der Geburt oder im Ver¬ 
laufe des Wochenbetts die ersten Schmerzanfälle aufgetreten seien. 
Bei einigen Patientinnen hatten sich Gallensteinbeschwerden gleich¬ 
zeitig mit dem Eintritt der Menopause erstmals eingestellt, ln zwei 
Fällen schien ein Zusammenhang mit dem Wachsen raum- 
beschränkender Ovarialtumoren vorhanden zu sein. 

Was das Lebensalter der Gallensteinkranken anbetrifft, so 
zeigen die Beobachtungen aller Autoren, dass die jugendlichen Jahre 
von der Krankheit fast völlig verschont werden. Beim weiblichen 
Geschlecht sind mehr die mittleren Lebensjahre gefährdet, beim 
männlichen Geschlecht tritt die Erkrankung meist erst im vorge¬ 
rückten Lebensalter auf und ist vor dem 40. Lebensjahre nicht 
häufig. Die einzelnen Altersstufen zur Zeit meiner Beobach¬ 
tung waren folgendermassen vertreten: 


- - - 

...... 

— — _ 

Jahre 

~ - ■ 

—-- 

— 


21-30 | 

31-40 

1 41-50 

I 51-60 

| 61-75 

Summe 

Weiblich .... 

6 

34 

31 

23 

7 

101 

Männlich .... 

i 

5 

16 

11 

i 


45 


>) Die interne und chirurgische Behandlung der tiallensteinkrankheit, München 

1906. 

-) Erfolge einer einmaligen Kur in Karlsbad b. Gallensteinleiden, Leipzig 1904. 


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3] 


Ein Beitrag zur Diagnose and Therapie der Cholelithiasis. 


237 


Diesen Zahlen möchte ich auch das Lebensalter, in welchem 
sich die Patienten nach ihren Angaben zur Zeit des Beginns 
der Erkrankung befanden, gegenüberstellen: 



15-20 

21-80 

Jal 

31-40 

i r e 

41-50 

51-60 

61-75 

Summe 

Weiblich . . . 

5 

21 

38 

21 

14 

2 

101 

Männlich . . . 

0 

3 

7 

12 

15 

8 

45 


Es ist hiebei besonders auffallend, dass sich bei den weiblichen 
Individuen die Zahlen nicht unwesentlich verschieben und zwar 
fällt der Beginn der Erkrankung doch häufiger als man nach der 
ersten Zusammenstellung zu vermuten geneigt wäre, in das jugend¬ 
lichere Lebensalter. Während nämlich nur 6 gallensteinkranke Pa¬ 
tientinnen sich bei mir vorstellten, welche das 30. Lebensjahr noch 
nicht überschritten hatten, betrug die Zahl der Patientinnen, welche 
mit Sicherheit angeben konnten, dass sie vor dem 30. Jahre die 
ersten Kolikanfälle durchgemacht hatten, nicht weniger als 26. Eine 
Erklärung für diese Erscheinung ist in der Tatsache zu suchen, dass 
gar nicht selten der Erkrankungsbeginn mit der Zeit der ersten 
Geburten zusammenfällt. Dass bei einigen meiner Patientinnen An¬ 
gaben über besonders schwere Geburten, operative Eingriffe u. dgl. 
gemacht wurden, erwähne ich nur nebenbei, denn einen grösseren 
Einfluss auf die Häufigkeit oder Heftigkeit der Gallensteinkoliken 
scheint diese Eventualität nicht zu haben. 

Die Schnürwirkung als Ursache der Gallenstauung und 
Gallensteinbildung ist als eine weitere Erklärung für das iiäufigere 
Befallensein des weiblichen Geschlechtes herangezogen worden. Es 
ist kein Zweifel, dass durch starkes Schnüren auf die für den 
Gallenabfluss wichtigen Bewegungen des Zwerchfells bei der Re¬ 
spiration ein hindernder Einfluss ausgeübt wird, auch können Leber 
und Gallenblase in ihrer Form und Lage Veränderungen erleiden. 
Bei meinen Patientinnen habe ich nachweisbare Schnürfurchen dann 
und wann gefunden, jedoch sah ich andererseits gallensteinkranke 
Frauen aus einfachem Stande, welche sich in ihrem Leben wenig 
oder gar nicht geschnürt hatten. 

Für die zunehmende Häufigkeit des Leidens bei älteren männ¬ 
lichen Individuen ist nach Naunyn’s 1 ) Ansicht eine Störung des 
Gallenabflusses als Ursache in Betracht zu ziehen, welche dadurch 
hervorgerufen wird, dass die glatten Muskelfasern der Gallen wege, 


>) Klinik der Cholelithiasis, Leipzig 1892. 

17* 


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238 


R. SCHWARZ, 


[4 


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welche bei der Entleerung der Galle wichtig sind, im vorgerückten 
Lebensalter in einen mehr oder weniger atrophischen Zustand zu 
geraten pflegen. 

Eine besondere Besprechung verlangt die bei den Gallenstein¬ 
kranken ungemein häufig vorkommende chronische Obsti¬ 
pation. In nicht weniger als 116 Fällen oder nahezu bei 80°/o, 
nämlich bei 83 weiblichen und 33 männlichen Patienten, berichtet 
die Anamnese über Obstipation und zwar bei der erdrückenden 
Mehrheit über chronische schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten 
bestehende Obstipation. Nur eine geringe Anzahl der Kranken 
machte die Angabe, dass die Verstopfung nur vor den Kolikanfällen 
oder nur während derselben auftrete. Auch konnten die wenigsten, 
mit Sicherheit sagen, dass sie erst an Verstopfung leiden, seit sie 
gallensteinkrank seien. Es unterlag vielmehr in der überwältigenden 
Mehrheit der Fälle keinem Zweifel, dass zuerst die chronische Obsti¬ 
pation vorhanden war und dass die Cholelithiasis hiezu in einem 
kausalen sekundären Zusammenhang stand. Bemerkenswert ist die 
Angabe einer Patientin, welche seit 5 Jahren an Gallensteinkoliken 
und seit vielen Jahren an chronischer Obstipation gelitten hatte, 
dass sie ihren schwersten Anfall im Anschluss an eine 14 tägige 
Stuhlverhaltung bekommen habe. Erinnern möchte ich auch daran, 
dass, wie ich oben schon bemerkt habe, von den 86 Patientinnen, 
welche geboren hatten, annähernd 30 o/o während des Wochenbetts 
erkrankt waren, also zu einer Zeit, in welcher die chronische Obsti¬ 
pation bekanntermassen einen ganz besonders hartnäckigen Charakter 
anzunehmen geneigt ist. 

Ausser der chronischen Obstipation sind noch einige andere 
Erkrankungen des Magendarmkanals zu erwähnen. Öfters war 
chronischer Darpikatarrh mit abwechslungsweise auftretender Obsti¬ 
pation und Diarrhoe vorhanden gewesen. In einigen Fällen trat nur 
während der Koliken Neigung zu Obstipation auf, während kurz 
vorher eher eine Neigung zu diarrhoischem Stuhl vorhanden gewesen 
war. Eine einzige Patientin hatte stets während der Anfälle die 
heftigsten Durchfälle, während sonst der Stuhlgang angehalten zu 
sein pflegte. Chronischer Magenkatarrh war in vier Fällen vor¬ 
handen oder hatte früher bestanden, Magengeschwüre hatten zwei 
Patienten gehabt. Blinddarmentzündung ist dreimal notiert, darunter 
zwei operierte Fälle. Alles in allem kann man sagen, dass 
die Zahl der an Cholelithiasis Erkrankten, bei welchen die chronische 
Obstipation, sowie sonstige Erkrankungen des Magendarmkanals als 
begünstigende Momente in Betracht zu ziehen sind, etwa 80 bis 
90 o/o beträgt. 

Ich habe meine anamnestischen Erhebungen auch nach der 
Richtung hin ausgedehnt, wie lange das Leiden bei meinen 


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5] Eia Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 239 

146 Kranken schon bestand. Die grosse Mehrzahl war erst kürzere 
Zeit gallensteinkrank und zwar zählte ich 97 Patienten — 66 o/o, 
welche höchstens seit 5 Jahren an der Krankheit litten. Genau bei 
einem Drittel der Kranken betrug die Dauer des Leidens schon mehr 
als 5 Jahre und zwar waren es bei 21 Patienten 5—10 Jahre, bei 15 
wurden 10—15 Jahre angegeben. Bei 13 Kranken waren seit dem 
Auftreten der ersten Gallensteinkoliken mehr als 15 Jahre ver¬ 
strichen. Unter diesen befanden sich drei Patientinnen, welche ein¬ 
wandfreie Angaben machen konnten, dass sie seit über 30 Jahren 
mit dem Leiden behaftet waren. Eine Patientin, die Witwe eines 
Arztes, hatte vor 38 Jahren im Anschluss an eine Geburt die ersten 
Koliken gehabt, war dann mit Unterbrechungen fünfmal in Karlsbad 
gewesen, hatte einmal eine 10 jährige völlig beschwerdefreie Zeit 
gehabt, um dann in ihrem 63. Lebensjahre abermals an Gallenstein¬ 
koliken zu erkranken. Aus solchen Fällen vermag man einen Schluss 
zu ziehen, welch eminent chronisches Leiden die Cholelithiasis trotz 
ihrer ausgesprochenen Neigung zur Latenz zuweilen sein kann. 

Bestimmte Berufsarten sind als prädisponierend für die 
Gallenstein-Erkrankung herangezogen worden. Es ist jedoch sicher¬ 
lich nicht richtig, dass Leute, welche ein luxuriöses Leben führen, 
häufiger erkranken als solche, welche unter ärmlichen Verhältnissen 
gross geworden sind. Die überwiegende Mehrzahl meiner Kranken 
bestand, wie oben zahlenmässig angegeben ist, aus verheiratete^ 
Frauen. Unter diesen befanden sich viele aus den höheren Gesell¬ 
schaftsschichten, aber auch eine beträchtliche Anzahl einfacher 
Frauen aus der kleinstädtischen und bäuerlichen Bevölkerung. Was 
die männlichen Patienten betrifft, so waren die allervcrschiedensten 
Berufsarten vertreten. Ein die Entstehung der Krankheit begünstigen¬ 
des Moment, welches bei Erörterung der Ätiologie nicht vergessen 
werden darf, ist die vorwiegend sitzende Lebensweise mit 
den sich hieraus ergebenden Störungen, insbesondere der Behinde¬ 
rung der intraabdominalen Zirkulationsverhältnisse und der ge¬ 
hemmten Darmperistaltik. 

Ein gewisses Interesse beansprucht die Frage der Heredität, 
zumal über diesen Punkt die einzelnen Ansichten ziemlich aus¬ 
einandergehen. Während u. a. Riedel 1 ) der Meinung ist, dass 
vorwiegend eine ererbte Disposition zur Steinbildung notwendig sei, 
misst Naunyn 2 ) der Erblichkeit keinerlei besondere Bedeutung 
bei. Von meinen Patienten konnten 17 über Gallensteinerkrankung 
ihrer Eltern berichten, und zwar hatte in 11 Fällen die Mutter und 
in 6 Fällen der Vater an der Krankheit gelitten. Es bestand also 


*) Erfahrungen über die Gallensteinkrankheit, Berlin 1892. 
2 ) loc. cit. 


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240 


R. SCHWARZ, 


[6 


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bei ll,6o/o eine erbliche Belastung, wenn man dies so nennen darf. 
Ungenaue und daher statistisch nicht verwertbare Angaben über 
Gelbsucht, Leberentzündung und Leberleiden bei den Eltern machten 
8 Patienten. In 6 weiteren Fällen hatten Vater oder Mutter an 
„Magenkrämpfen“ gelitten. Wollte man diese Fälle alle mitzählen, 
so könnte man bei ca. 20 0/0 meiner Gallensteinkranken eine ererbte 
Disposition herausrechnen. Ich bin aber der Meinung, dass man 
bei einer Krankheit, welche so häufig ist, wie die Cholelithiasis, 
nicht von Vererbung sprechen darf, wenn mehrere Erkrankungs¬ 
fälle in der gleichen Familie vorgekommen sind. Erwähnen möchte 
ich noch, dass abgesehen von den Eltern in der näheren Bluts¬ 
verwandtschaft meiner Patienten 9 mal Gallensteinkrankheit aufge¬ 
treten war. Eine Patientin konnte mir die sichere Angabe machen, 
dass Vater, Mutter und eine Schwester an Gallensteinen gelitten, 
hatten und dass bei Vater und Schwester durch die Sektion die 
Diagnose bestätigt worden sei. Gewiss ein seltenes Zusammentreffen. 

Als die allgemeine Ursache der Entstehung von Gallensteinen 
betrachtete man früher nur die Stauung der Galle. Aber seit 
Naunyn’s Anschauungen Gemeingut der Ärzte geworden sind, 
zweifeln nur noch wenige daran, dass in der Mehrzahl der Fälle 
erst das Eindringen von Infektionserregern in die Gallenblase den 
Ausbruch der Gallensteinkrankheit in Gestalt des Kolikanfalls her¬ 
vorzurufen pflegt. Auch in einer neueren Veröffentlichung hat es 
Naunyn 1 ) nochmals ausdrücklich ausgesprochen, dass die infek¬ 
tiöse Cholangitis als die Ursache der Konkrementbildung anzusehen 
ist. Schon in seiner „Klinik der Cholelithiasis“ hat er auf das 
häufige Vorkommen des Bacterium coli commune in der Gallen¬ 
blase hingewiesen. Viele spätere Untersucher haben diese Beob¬ 
achtungen und ihre Deutung bestätigt. Andere dagegen meinten, 
dass man die Bedeutung der Kolibazillen für das Entstehen der 
infektiösen Erkrankungen am Gallensystem überschätze und dass 
man die Bedeutung der Typhusbazillen im allgemeinen zu gering 
anschlage. In Kreh 1 ’s Strassburger Klinik hat Blumenthal 2 ) in 
diesem Sinne Untersuchungen angestellt und hat darauf hingewiesen, 
dass Bakterien, z. B. Typhusbazillen, welche in die Blutbahn ge¬ 
bracht werden, nach zahlreichen Tierexperimenten sehr bald in der 
Galle ausgeschieden werden. Manche Beobachter haben bei 10 0/0 
der Gallcnsteinkranken in der Anamnese eine frühere Typhuserkran¬ 
kung gefunden. Es ist also durch die Erfahrungen der Praxis und 
durch experimentelle Ergebnisse der Nachweis geliefert worden, dass 
auch der Typhusbazillus unter die Gruppe von Bakterien auf- 


1) Mitteil, ans d. Grenzgeb. 1905. S. 537. 

2 ) Arch. f. klin. Medizin, Bd. 88. S, 509. 


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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaais. 


241 


7] 

genommen werden muss, welche bei der Entstehung der Gallensteine 
mitzuwirken imstande sind. 

Unter meinen Patienten befand sich nur eine einzige Frau, 
welche erhebliche Zeit, bevor sie gallensteinkrank wurde, einen Ab¬ 
dominaltyphus durchgemacht hatte. In Anbetracht der Tatsache, 
dass einerseits der Typhus in unseren Gegenden eine verhältnis¬ 
mässig seltene Erkrankung geworden ist, andererseits die Gallen¬ 
steinkrankheit ziemlich häufig vorkommt, darf man wohl annehmen, 
dass dem Typhusbazillus in der Ätiologie der Cholelithiasis rein 
praktisch keine grosse Rolle zufällt. Auch in München ist, wie aus 
den dortigen Beobachtungen' übereinstimmend hervorgeht, trotz des 
in den letzten Jahrzehnten eingetretenen bedeutenden Rückganges der 
Typhuserkrankungen das Gallensteinleiden noch ebenso häufig, nach 
den Sektionsberichten sogar etwas häufiger wie früher. Die 
N a u n y n ’sche Anschauung wird vorläufig zu Recht bestehen, dass 
zwar sehr oft das Bacterium coli, aber ausserdem der Typhusbazillus 
und noch viele andere Bakterien, besonders Staphylokokken, Strepto¬ 
kokken und Diplokokken für das Entstehen des infektiösen Katarrhs 
der Gallenblase und demgemäss für die Bildung von Konkrementen 
verantwortlich gemacht werden müssen. Des weiteren darf nicht 
vergessen werden, dass ider Virulenzgrad der eindringenden Bak¬ 
terien von wesentlichem Einfluss ist auf die Heftigkeit der in der 
Gallenblase sich abspielenden entzündlichen Prozesse. 

Die schönen Untersuchungen, welche im Freiburger pathologi¬ 
schen Institut von Aschoff und neuerdings von Bacmeister 1 ) 
gemacht worden sind, verdienen allgemeine Beachtung. Es wird 
nämlich u. a. auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, „dass 
bei der grossen Zahl von Untersuchungen und Forschungen, welche 
sich auf die Entstehung der Cholelithiasis beziehen, stets die Gallen¬ 
steine summarisch behandelt wurden, ohne dass man auf ihre ganz 
verschiedene Zusammensetzung Rücksicht nahm.“ Während sich 
nach den Untersuchungen A s c h o f f ’s der reine Cholestearinstein 
bei einfacher Gallenstauung bilden zu können scheint, muss zur 
Bildung des mit Kalk gemischten Steins das Zusammentreffen von 
Stauung plus Infektion angenommen werden. Auf diese Weise ist 
es erklärlich, dass in derselben Gallenblase sowohl Steine sich finden 
können, welche hauptsächlich aus Cholestearin bestehen, als auch 
solche Steine, bei welchen andere konkrementbildende Substanzen 
vorwiegend vorhanden sind. Der Gedanke der nicht einheitlichen 
Entstehung der Gallensteine! hat in der Tat manches für sich und 
auch der Versuch der Erklärung hat etwas Bestechendes. Es würde, 
wenn sich diese Erklärungen Anerkennung verschaffen, die alte Lehre 

() Münch, med. Wochenschr. 1908. Nr. 5 u. 6. 


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der Entstehung der Gallensteine durch einfache Gallenstauung 
wenigstens teilweise wieder in ihr Recht treten. 

Nach dieser Abschweifung gehe ich zur Schilderung der klini¬ 
schen Symptome über, welche meine Krankheitsfälle boten. Als 
das hervorstechendste Merkmal, welches in keinem Falle fehlte, 
ist der Schmerz zu nennen. Die Kranken lokalisieren die Schmerz¬ 
empfindung gewöhnlich in das rechte Hypochondrium. Die Schmerz¬ 
haftigkeit beschränkt sich in der Regel nicht nur auf die Gegend, 
wo die Gallenblase ihren Sitz hat, sondern sie strahlt nach allen 
Seiten aus. Besonders die Rückenschmerzen sind oft unerhört heftig, 
ja selbst bis in die rechte Schulter und in den rechten Arm 
reichen die schmerzhaften Empfindungen gar nicht selten. Ferner 
ist das Epigastrium sehr häufig während der Anfälle der Ort schmerz¬ 
haftester Empfindungen und in vereinzelten Fällen reicht er bis 
in’s linke Hypochondrium hinüber. Ziemlich selten kommt es vor, 
dass bei Gallensteinkoliken der Schmerz ausschliesslich in’s linke 
Hypochondrium verlegt wird. Drei Patienten konnten mir diesbezüg¬ 
liche bestimmte Angaben machen, nur bei einem dieser Fälle konnte 
ich diese schwer zu deutende Erscheinung selbst beobachten. Es 
handelte sich um einen 60 jährigen Herrn, welcher während eines 
mehrtägigen mit Erbrechen, Fieber und Ikterus einhergehenden 
Kolikanfalles eine mässige Schmerzhaftigkeit in der Gegend der 
Gallenblase aufwies, dagegen über heftigste Schmerzen im linken 
Hypochondrium klagte, welche sich bei der Palpation nicht steigerten. 
C. Gerhardt 1 ) hat darauf aufmerksam gemacht, dass es sich in 
solchen Fällen um linksseitige bewegliche geschwollene Niere handeln 
könne. In dem erwähnten Falle war wegen Adipositas die linke 
Niere der Palpation nicht zugänglich. Eine sehr auffallende An¬ 
gabe machte eine Patientin, welche viele charakteristische Kolik¬ 
anfälle gehabt hatte. Sie behauptete, zuweilen Schmerzempfindungen 
in der rechten Halsseite zu verspüren, welche auch in die rechte 
Schulter ausstrahlten, und sie konnte, wenn dieses Symptom auf¬ 
trat, den Beginn eines Kolikanfalles mehrere Stunden vorher Voraus¬ 
sagen. 

Typisch und nahezu pathognomonisch ist bei der Mehrzahl der 
Fälle das plötzliche und ganz unvermittelte Auftreten des Schmerzes. 
Die Patienten vermögen Tag und Stunde des Beginns oft noch 
nach Jahren genau anzugeben. Vorboten der Anfälle stellen sich 
nur ausnahmsweise ein. Bei gehäuften Kolikanfällen treten gelegent¬ 
lich unbestimmtere Druck- oder Spannungsgefühle auf, ohne dass 
es jedesmal zum Ausbruch eines eigentlichen Schmerzanfalles zu 
kommen braucht. Was aber im allgemeinen die Intensität der 

i) Arch. f. klin. Med. Bd. 73. S. 162. 


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9] 


Gin Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 


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Schmerzempfindungen anbelangt, so finden die Kranken oft nicht 
genug Worte, um deren unbeschreibliche Heftigkeit zu schildern. 
Die Schmerzanfalle werden als „unerhört heftig“, „überwältigend 
stark“, „fürchterlich und kaum erträglich“ bezeichnet. Ich habe 
mich schon darüber gewundert, dass nicht häufiger Suizidtendenzen 
geäussert wurden, nur zwei meiner männlichen Patienten gaben: 
zu, sich mit solchen Gedanken getragen zu haben. Die Heftigkeit 
und die Art des Schmerzes ist sehr verschieden und kann bei dem 
gleichen Patienten sich bei verschiedenen Anfällen jedesmal anders 
verhalten. Während des Verlaufes eines Anfalles können die Schmerz¬ 
erapfindungen mehrmals an- und abschwellen. Auch die oft erwähnte 
Angabe, dass der erste Kolikanfall häufig mitten in der Nacht auf- 
tritt, kann ich bei Durchsicht meiner Anamnesen bestätigen. Bei 
Wiederholung der Anfälle trifft diese Beobachtung jedoch nicht so 
oft zu. 

Was die Wiederholung der Gallensteinkolikanfälle betrifft, 
so lässt sich ein charakteristisches Merkmal erkennen. Es sind 
nämlich bei noch kurzem Bestehen der Krankheit die Zwischen¬ 
räume zwischen den einzelnen Anfällen meistens grösser, später 
werden die anfallsfreien Pausen häufig kürzer, vorausgesetzt, dass 
der Kranke sich nicht geeigneten Kuren unterzieht. Übrigens wird 
diese Erscheinung keineswegs regelmässig angetroffen und ich habe 
auch Fälle gesehen, bei welchen die Anfälle gleich von Beginn der 
Erkrankung an sich Schlag auf Schlag folgten und an Heftigkeit 
und Häufigkeit bald den Höhepunkt erreichten. 

Von 146 Patienten konnten nur acht die Angabe machen, dass 
sie überhaupt nur einen einzigen Kolikanfall gehabt hatten. Alle 
acht Kranke waren erst wenige Wochen oder einige Monate vor 
Beginn des Kurgebrauchs erkrankt und drei derselben wurden dann 
während der Kur von leichten Koliken befallen. Die übrigen 138 
Patienten hatten schon mehrere oder viele Kolikanfälle hinter sich, 
als sie die Kur gebrauchten. Die Angaben einzelner Autoren, dass 
die Anfälle, je häufiger sie auftreten, um so schwerer werden, konnte 
ich im allgemeinen nicht bestätigt finden. Es lässt vielmehr bei 
manchen Kranken, insbesondere wenn schon Gallensteine abgegangen 
sind, die Heftigkeit der Schmerzanfälle eher etwas nach. Einschliess¬ 
lich der vorhin erwähnten acht Patienten behandelte ich insgesamt 
22 Gallensteinkranke, welche in dem gleichen Jahr erkrankt waren, 
in welchem sie die Kur gebrauchten. Eine frühzeitige Kur hat einen 
günstigen Einfluss auf das therapeutische Resultat. 

Eine Patientin machte die merkwürdige Angabe, welche ich 
sonst nirgends in ähnlicher Weise erwähnt, fand, dass sie beim 
plötzlichen Nachlassen eines heftigen Schmerzes die deutliche 
Empfindung des Durchtritts eines Steines habe und dass sie nach 


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einer eintägigen Gallensteinkolik die von ihr voraasgesagten sieben 
Steine im Stuhlgang gefunden habe. Bemerken möchte ich, dass 
diese Möglichkeit nicht völlig von der Hand zu weisen ist und einer 
anatomischen Unterlage nicht entbehrt. Die betreffende Patientin 
untersuchte übrigens selbst ihren Stuhlgang nach jedem Anfall so 
gründlich, dass sie sich mit der Zeit eine gewisse Virtuosität ange¬ 
eignet hatte. 

Nach direkten auslösenden Ursachen des ersten Kolik¬ 
anfalles habe ich immer wieder gesucht, ohne viel Sicheres finden 
zu können. Ich will jedoch nicht unerwähnt lassen, dass sechs 
Kranke die bestimmte Angabe machten, dass die erste Kolik nach 
heftigem Ärger oder schwerer Gemütsbewegung aufgetreten sei. ln 
zwei Fällen war körperliche Überanstrengung, einmal Abstieg von 
einem Berg auf steilem, steinigem Wege dem Anfall unmittelbar 
vorausgegangen. Bei einem anderen Fall wurde Abspringen von 
der Strassenbahn als Ursache angegeben. Während im späteren 
Verlauf des Leidens viele Kranke gewisse Speisen peinlich ver¬ 
meiden, werden für den Beginn der Schmerzanfälle Diätfehler nur 
selten verantwortlich gemacht. Genuss von kaltem Bier und von 
verdorbenem Fleisch finde ich je einmal erwähnt. Alle diese An¬ 
gaben stehen aber doch zu vereinzelt da, als dass man hieraus irgend¬ 
welche Schlüsse ziehen darf. 

Nächst dem Schmerz ist das häufigste Krankheitssymptom das 
Erbrechen. Es ist in mehr als zwei Drittel aller meiner Fälle 
in der Anamnese genannt. Nachdem der Kranke zuerst die im 
Magen befindlichen Speisen erbrochen hat, werden schleimige und 
gallig gefärbte Massen herausgewürgt. Das gallige Erbrechen ist 
diagnostisch verwertbar und deutet darauf hin, dass der Ductus 
choledochus gar, nicht oder nicht vollständig verschlossen ist. Nicht 
unerwähnt will ich lassen, dass eine einzige Patientin unter meiner 
Beobachtung einen erbsengrossen Cholestearinstein erbrach, und 
zwar bestand in diesem Falle höchst wahrscheinlich keine abnorme 
Kommunikation zwischen den Gallenwegen und dem Magen. Es 
ist anzunehmen, dass infolge der heftigen Würgbewegungen der 
Stein aus dem Duodenum durch den Pylorus in den Magen ge¬ 
wandert ist. 

Der Ikterus ist für die Diagnose von grosser Bedeutung. 
Über die Häufigkeit dieses Symptoms habe ich folgendes zu sagen: 
Von meinen 146 Patienten hatten 74, also rund die Hälfte, im Ver¬ 
lauf ihrer Krankheit ein- oder mehrmals starken Ikterus gehabt 
mit Gelbfärbung der ganzen Haut und Braunfärbung des Urins. Nach 
Naunyn’s Erfahrung wird der Ikterus „wohl mindestens in der 
Hälfte der Fälle vermisst“. Würde ich zu meinen 74 Fällen noch 
19 Fälle von ganz leichter Gelbsucht hinzuzählen, so hätten 64«> 


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11 ] 


Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasia. 


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meiner Patienten Ikterus gehabt. Ich bin aber auf Grund des Vor¬ 
schlags von Naunyn der Meinung, dass man zur Erleichterung 
des gegenseitigen Verständnisses nur die ganz ausgesprochenen Fälle 
zählen sollte. Fink 1 ) hat einmal 63% und einmal 66o/o angegeben, 
auch Kucke in 2 ) fand, dass 63 o/o seiner Kranken mindestens ein¬ 
mal im Verlauf ihrer Krankheit ikterisch gewesen waren. Unter 
100 Fällen, bei welchen Bofinger 3 ) auf dieses Symptom geachtet 
hat, hatte genau ein Drittel noch keinen Ikterus gehabt. 

In auffallendem Gegensatz zu diesen Erfahrungen der inneren 
Mediziner stehen die Angaben einzelner Chirurgen. Besonders 
Kehr 4 ) ist der Meinung, dass die Diagnose Cholecystitis so selten 
gestellt werde, weil es meistens nicht zur Gelbfärbung des Patienten 
komme. Nach seiner Schätzung verläuft die Gallensteinkrankheit, 
wenn man die ganz leichten Fälle, welche den Eindruck von Magen¬ 
krämpfen machen, mit in Betracht zieht, nur in 10% der Fälle mit 
Ikterus. Was die Erfahrungen Kehr’s auf Grund von über 1000 
Operationen anbetrifft, so fand er bei Steinen in der Gallenblase 
und im Ductus cysticus kaum in 20o/o der Fälle Ikterus, bei Steinen 
im Ductus choledochus in etwa zwei Drittel der Fälle. 

Riedel 5 ) hat die Form des Ikterus, welche nicht durch Stein¬ 
obstruktion hervorgerufen wird, zum Unterschied von der reell litho- 
genen Form als „entzündlichen Ikterus“ bezeichnet und die Ver¬ 
mutung ausgesprochen, dass dieser Ikterus durch eine Schleimhaut¬ 
schwellung zustande komme, welche sich von der entzündeten 
Gallenblase auf das gesamte Gallengangssystem fortsetzt. Nach seiner 
Schätzung tritt diese Art von Ikterus in 10—15% der Fälle auf. Die 
Lehre vom entzündlichen Ikterus hat sich allmählich Anerkennung 
verschafft und eine Stütze erhalten durch die Veröffentlichungen 
verschiedener Chirurgen. Es fanden sich nämlich bei der Operation 
von Kranken, bei welchen klinisch alle Erscheinungen von Gallen¬ 
steinkolik einschliesslich Ikterus vorhanden waren, keine Gallen¬ 
steine, sondern nur die entzündlich veränderte Gallenblase. Ehret 
und Stolz 6 ) gehen so weit, zu erklären, dass es einen rein litho- 
genen Ikterus kaum gebe, sondern dass bei der Entstehung der Gelb¬ 
sucht stets entzündliche Faktoren mit in Aktion treten müssten. 

Die Angabe Kehr’s, dass in die Kurorte besonders solche 
Kranke gehen, bei welchen die Diagnose Gallensteine durch das 
Auftreten des Ikterus gesichert ist, unterliegt, so weit ich meine 


i) loc. cit 

>) Arch. f. klin. Med. Bd. 86. S. 91. 

<) Sammlg. klin. Vorträge 1907. H. 26. 
*) loc. cit 

6 ) Berl. klin. Wochen sehr. 1901. Nr. 1. 
8 ) Grenzgebiete. XII, 2. 


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eigenen Fälle ins Auge fasse, bei einem erheblichen Prozentsatz 
keinem Zweifel. Es scheinen in der Tat die verschiedenen Angaben 
über die Häufigkeit des Ikterus hauptsächlich durch die Verschieden¬ 
heit des Krankenmaterials ihre Erklärung zu finden. 

Nur 18 meiner Kranken, also etwa 12°/o, waren bei Beginn oder 
während des Verlaufs der Kur stark ikterisch. Etwa die Hälfte aller 
meiner Patienten, welche im ganzen Verlauf ihres Leidens ikterisch 
gewesen waren, hatten dieses Symptom mehrmals gehabt. Manche 
hatten jahrelang an Koliken gelitten, bevor zum erstenmal Gelb¬ 
sucht sich zeigte. So hatte ein 49 jähriger Patient 22 Jahre lang in 
Pausen von 2—4 Jahren heftige Schmerzanfälle gehabt, — er war 
Maler und seine Beschwerden waren als Bleikoliken gedeutet worden 
— bis erstmals im Somm)er 1907 starke Gelbsucht auftrat und vor 
und während der Kur insgesamt 47 erbsen- bis haselnussgrosse 
Steine ausgeschieden wurden. 

Als äusserst lästige Begleiterscheinung des Ikterus, welche in 
den schweren Fällen nur selten fehlt, ist das Hautjucken zu er¬ 
wähnen. Es kann so unangenehm und peinvoll werden, dass ein 
Patient mir sogar versicherte, das Hautjucken sei während der Krank¬ 
heit das allerschrecklichste gewesen. Die Entfärbung der Fäzes hat 
keinen sehr hohen symptomatischen Wert. Wenn gallenarme Stühle 
ohne deutlichen Ikterus auftreten, so kann diese Erscheinung zwar 
eine Stütze für die speziellere Diagnose abgeben, aber andererseits) 
bleiben auch bei stärkerem Ikterus die Fäzes oft gefärbt und galle¬ 
haltig. 

Bei Beginn der Anfälle tritt oft Frieren und Frostgefühl auf, 
heftiger Schüttelfrost ist bei schweren Koliken keine seltene Er¬ 
scheinung. Fieber ist keineswegs regelmässig vorhanden. Die 
Körpertemperatur steigt zuweilen sehr rasch auf eine beträchtliche 
Höhe, um ebenso rasch wieder abzufallen. Wenn Fieber auftritt, 
so hat es meistens einen intermittierenden Charakter und pflegt 
einigermassen gleichen Schritt zu halten mit der Heftigkeit und 
Dauer des einzelnen Kolikanfalls. Dieser Fiebertypus wird sowohl 
beim chronischen Choledochusvcrschluss, als auch bei der chroni¬ 
schen ulzerösen Cholecystitis beobachtet. Aber auch bei allen 
anderen Formen der Cholelithiasis können Temperatursteigerungeri 
Vorkommen. Ebenso häufig kann das Fieber fehlen, selbst wenn 
ein Kranker eine ganze Serie von Anfällen durchmacht. Ich möchte 
schätzungsweise angegeben, dass bei annähernd der Hälfte meiner 
Patienten Fieber und Schüttelfrost früher oder später einmal auf¬ 
getreten war, jedoch selbst beobachtet habe ich es nur in etwa 
10% meiner Fälle. 

Das Verhalten des Pulses zeigt nur insofern etwas Cha¬ 
rakteristisches, als er häufig langsamer ist, als man erwarten sollte. 


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13] 


Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Choleiithiasis. 


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Und zwar machte ich diese Beobachtung nicht nur bei starkem 
Ikterus, wobei man die Pulsverlangsamung als cholämische Erschei¬ 
nung aufzufassen pflegt, sondern mehrmals auch bei chronischer 
Cholecystitis ohne Ikterus. So sah ich einmal während mittelschwerer 
Kolikanfälle den vorher normalen Puls auf 54 Schläge, in einem 
anderen bei sehr heftigen Schmerzattacken auf 44 heruntergehen. 
Von dem letzteren Falle, welcher in mancher Beziehung interessant 
ist, lasse ich einen Auszugj aus der Krankengeschichte hier folgen. 

Frau J. S., 36 Jahre alt. Kleine, etwas korpulente Frau. Mutter 
und zwei Tanten litten an Gallensteinen. Hat zwei sehr schwere 
Geburten durchgemacht. Gleich nach der ersten Geburt vor acht 
Jahren sehr schmerzhafte „Magenkrämpfe“. Urin damals braunrot. 
Keine Gelbsucht. Wiederholung dieser Anfälle vor 4 Jahren. Zu¬ 
letzt vor 5 Wochen zwei heftige Anfälle kurz nacheinander. Seit 
Jahren hartnäckige Obstipation. Befund Juni 1907: Leber nicht ver- 
grössert. Die Gegend der Gallenblase ist ziemlich druckempfindlich. 
Boas ’scher Punkt sehr deutlich nachweisbar. Kein Ikterus. 
Vom 12. Tag der Kur an begannen heftige, 4 Tage dauernde Gallen- 
steinkoliken, und zwar scheinbar infolge einer seelischen Erregung. 
Mehrere Morphiuminjektionen. Starkes galliges Erbrechen. Frieren 
und kalter Schweiss. Sehr grosses Durstgefühl, nie Gelbsucht. Be¬ 
fund während der Anfälle: Die Gegend der Gallenblase und die 
Magengrube enorm druckempfindlich. Die Gallenblase selbst ist nicht 
äbtastbar. Die Leber ist sehr empfindlich auf Druck, aber nicht nach¬ 
weisbar vergrössert. Jede genaue Untersuchung ist wegen der grossen, 
Schmerzhaftigkeit unmöglich. Maximum der Temperatur in recto 
37,7. Puls 44 regelmässig, gespannt. Keine Kollapserscheinungen. 
Allmählicher Anstieg der Pulsfrequenz vom 3. Tag an, später bei 
mehreren Untersuchungen 72—80 Pulse. Im Urin nie Gallenfarb¬ 
stoff, kein Zucker, eine Spur Eiweiss. Kein Abgang von Konkre¬ 
menten. Am Ende der vierwöchentlichen Kur waren die entzünd¬ 
lichen Erscheinungen an der Gallenblase und an der Leber ver¬ 
schwunden und es konnte in der Gegend der Gallenblase auch bei 
tiefem Eindrücken nicht die mindeste Schmerzempfindung hervor¬ 
gerufen werden. Acht Monate nach der Kur hatte die Patientin einen 
einmaligen leichteren Anfall. 

Nun komme ich zu einem Symptom, welches wegen seiner 
Häufigkeit die grösste Beachtung verdient und auf welches ganz 
besonders Kehr in eindringlicher Weise aufmerksam gemacht hat. 
Man kann nämlich an der Stelle, wo normalerweise die Gallen¬ 
blase liegt, in der grossen Mehrzahl der Fälle eine mehr oder 
weniger deutliche Druckempfindlichkeit oder auch eine starke 
Schmerzhaftigkeit konstatieren. Es ist auffallend und von hoher 
diagnostischer Wichtigkeit, dass auch in Fällen, wo viele Monate 


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lang keine Kolikanfällc aufgetreten sind, bei genauer Untersuchung 
die typische druckempfindliche Stelle sich findet. Manche Patienten, 
welche von vornherein erkläxen, man brauche sie gar nicht zu unter¬ 
suchen, sie hätten nirgends Schmerzen, sind sehr erstaunt, wenn 
bei der Palpation der Gallenblasengegend die unerwartete Druck¬ 
empfindlichkeit ausgelöst wird. Ich habe unter 146 Fällen dieses 
Symptom 103 mal gefunden, also bei 70% der Fälle. Natürlich 
meine ich die Untersuchung in anfallsfreier Zeit. Anfangs habe ich 
den hohen Wert dieses Symptoms noch nicht genügend gekannt, 
je sorgfältiger ich aber darauf geachtet habe, desto seltener habe ich 
es vermisst. Während der Anfälle fehlt dies Symptom fast nie und 
zwar ist die Druckempfindlichkeit um so grösser, je intensiver die 
entzündlichen Vorgänge in der Umgebung der Gallenblase sind und 
je leichter — z. B. bei dünnen Bauchdecken — die Palpation der 
tieferen Partien im einzelnen Falle ist Ist auch der Leberüberzug, 
die Leber selbst und ein Teil des Peritoneums mehr oder weniger 
mitergriffen, so ist die Druckempfindlichkeit eine mehr ausgebreitete. 
Dies ist während der Anfälle meistens der Fall, aber beim Rück¬ 
gang der Entzündungserscheinungen ist diejenige Stelle, welche am 
längsten druckempfindlich bleibt, stets die Gegend der Gallenblase. 

In allen Fällen, bei welchen handgreifliche Symptome, wie 
Steinabgang und Ikterus, fehlen und der objektive Befund oft recht 
dürftig ist, kann die beschriebene Druckschmerzhaftigkeit der Stütz¬ 
punkt der Diagnose werden. Ferner erhält man bei der Schluss- 
untersuchung durch das Vorhandensein oder Fehlen dieses Sym¬ 
ptoms darüber Aufschluss, welchen Einfluss die Kur auf die ent¬ 
zündete Gallenblase ausgeübt hat. Hierauf werde ich später noch 
zurückkommen. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass eine 
kleine Zahl von Fällen von mir beobachtet wurde, welche dieses 
Symptom bei der ersten Untersuchung nicht bot und bei welchen 
trotzdem bald nachher während des Kurgebrauches Koliken auftraten. 

Ein Tumor der Gallenblase ist auch bei bimanueller Unter¬ 
suchung nicht so besonders häufig zu fühlen. Man muss sich hüten, 
Riedel ’s zungenförmigen Lappen für die geschwollene Gallenblase 
zu halten. Ohne mich auf die Unterscheidungsmerkmale zwischen 
der Gallenblase und den umgebenden Organen einzulassen, möchte 
ich nur angeben, dass ich einen Tumor der Gallenblase nur in 
16 Fällen gefühlt habe, und zwar 10 mal das vergrösserte eiförmige 
pendelnde Organ, 6 mal einen kleinen geschrumpften Gallenblasen¬ 
tumor. Die fühlbare vergrösserte Gallenblase fand ich stets 
auf Druck empfindlich, dagegen kann die fühlbare geschrumpfte 
Gallenblase ganz unempfindlich sein, weil die infektiösen Prozesse 
zuweilen schon längere Zeit abgelaufen sind. In einem Fall sali 
ich bei einem älteren kachektischen Manne, dass die dünnen Bauch- 


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15] Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaais.' 249 

decken von der prall gefüllten Gallenblase kugelig vorgewölbt wurden. 
Es bestand eine Komplikation mit Karzinom der Leber und der 
Gallenblase; tödlicher Ausgang nach einigen Monaten. Steine in 
der Gallenblase habe ich noch niemals gefühlt. 

Zum Symptomenkomplex der Cholelithiasis gehört in einer An¬ 
zahl von Fällen die Schwellung der Leber. Ich bin nicht der 
Meinung derer, welche glauben, dass dieses Symptom sehr häufig sei. 
Insbesondere kann ich die Untersuchungsbefunde F i n k ’s x ), welcher 
in tea. 80 o/o seiner Fälle Lebervergrösserung gefunden hat, auf Grund 
meiner Beobachtungen nicht bestätigen. Unter 146 Fällen fand ich 
nur 68mal, also in 46°/o, eine Vergrösserung der Leber. Wenn 
ich somit auch in beinahe der Hälfte der Fälle Lebervergrösserung 
gefunden habe, so ist damit noch nicht bewiesen, dass das Gallen¬ 
steinleiden diese Anomalie hervforgerufen hat. Fahndet man ge¬ 
wissenhaft nach anderen Ursachen, so findet man zuweilen die 
Vergrösserung durch die allgemeine Fettleibigkeit vieler Gallenstein¬ 
kranken genügend erklärt, auch ist die Schwellung des Organs in¬ 
folge von Zirkulationsstörungen in Betracht zu ziehen. Ferner ist 
die Leberzirrhose und das Karzinom zu berücksichtigen. Wenn ich 
alle diese Möglichkeiten bei meinen Fällen nicht unbeachtet lasse, 
so habe ich Lebervergrösserung, welche als Folgeerscheinung der 
Gallensteinkrankheit angesehen werden durfte, nur in etwa 30% 
meiner Fälle mit Sicherheit nachweisen können. Der Erfahrung 
Kehr’s, welcher nur in 10—20 o/o seiner operierten Fälle Leber¬ 
schwellung beobachtet hat, sollte jeder Internist Beachtung schenken. 

Bei den Fällen, in welchen die Lebervergrösserung sich unge¬ 
zwungen ausschliesslich durch das Gallensteinleiden erklären Hess, 
handelte es sich meistens entweder um lange bestehende Chole¬ 
cystitis mit oder ohne entzündlichen Ikterus, wobei allmählich der 
Krankheitsprozess auf das Leberparenchym übergegriffen hatte oder 
um Fälle von chronischem Choledochusverschluss. Aber selbst im 
letzteren Falle findet sich keineswegs regelmässig, nach Kehr’s 
Angabe nur in zwei Drittel der Fälle, eine Vergrösserung der Leber 
und gar nicht selten findet der Operateur wenig vergrösserte oder 
kleine zirrhotische Lebern. Einen solchen Fall, welcher zugleich 
einen Misserfolg der internen Behandlung illustrieren soll, lasse 
ich auszugsweise hier folgen. 

Frau J. H., 53 Jahre alt, hat sechsmal geboren. Nach der letzten 
Geburt vor 12 Jahren heftiger Gallensteinkolikanfall mit Abgang 
eines Gallensteins nach vorheriger Gelbsucht. Dann völlig gesund. 
Vor 5 Monaten wieder Schmerzanfälle, nicht übermässig stark. Inten¬ 
sive Gelbsucht, unerträgliches Hautjucken, kein Fieber. Steine 


*) loc. cit. 


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wurden nicht gefunden. Seitdem unverändert starke Gelbsucht, 
brauner Urin, entfärbter Stuhl. Befund: Magere Patientin. Ikterus, 
Kratzeffekte am ganzen Körper. Leber kaum nachweisbar ge¬ 
schwollen. Die Gegend der Gallenblase massig druckempfindlich. 
Die Gallenblase selbst nicht fühlbar. Vom 8. Tag der Kur an be¬ 
gannen Kolikanfälle aufzutreten, welche während des fünfwöchent¬ 
lichen Kurgebrauchs sich 5—6 mal wiederholten. Hierbei traten 
Schüttelfröste auf, intermittierendes Fieber bis 39,7°, Puls 124. Die 
Schmerzen waren nie besonders heftig, dauerten nur einige Stunden, 
einmal eine Nacht hindurch. Die Gegend der Gallenblase war während 
der Anfälle äusserst druckempfindlich, auch die Palpation der Leber 
war schmerzhaft. Jedoch Hess sich nie eine stärkere Schwellung 
dieses Organs feststellen, ebensowenig eine Vergrösserung der Milz, 
auch fehlte ein Tumor der Gallenblase. Nach den Anfällen wurde 
der ohnehin schon starke Ikterus vorübergehend eher noch intensiver. 
So wurde die von vornherein sehr schwache Hoffnung, durch 
interne Therapie eine Heilung zu erzielen, immer geringer. Wegen 
der allmählichen Abmagerung und der Gefahr einer dauernden 
Schädigung der Leber wurde die Kur abgebrochen. Genau ein halbes 
Jahr nach Auftreten des Ikterus begab sich Patientin in chirurgische 
Behandlung und ich entnehme einer gütigen Mitteilung des Opera¬ 
teurs folgende Angaben: Choledochotomie. Solitärstein von etwa 
Taubeneigrösse im Ductus choledochus unterhalb der Vereinigung 
von Hepaticus und Cysticus. Die Gallenblase stark geschrumpft, 
ohne Inhalt, konnte ohne Bedenken zurückgelassen werden. Die 
Leber war nicht besonders vergrössert, von dunkler brauner Fär¬ 
bung, beginnende zirrhotische Veränderung. Patientin genas und 
erholte sich gut. 

Während der Kolikanfälle ist die Palpation und Perkussion 
der Leber besonders schwierig. Die Bauchmuskeln, namentlich der 
rechte Musculus rectus, sind dann so stark gespannt, dass hierdurch 
sehr leicht eine Vergrösserung der Leber vorgetäuscht wird. Wenn 
man gleich nach Ablauf des Anfalls untersucht, wird man die harte 
Resistenz in der Lebergegend oft gar nicht mehr fühlen und man 
sollte sich vor der Schlussfolgerung hüten, als sei die geschwollene 
Leber nun plötzlich über Nacht wieder abgeschwollen. Solche 
vorübergehende Anschwellungen mögen ausnahmsweise einmal Vor¬ 
kommen, aber meistens ist das, was man gefühlt hat und was 
der ungeübte Untersucher für die vergrösserte Leber zu halten ge¬ 
neigt war, der gespannte Bauchmuskel gewesen. Je häufiger und 
vorurteilsfreier ich die Leber palpiert und perkutiert habe, desto 
mehr kam ich zu dem Schlüsse, dass die Vergrösserung dieses 
Organs bei der Cholelithiasis keineswegs so häufig vorkommt, als 
gewöhnlich angenommen wird. 


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Gin Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 


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Die Untersuchung der Leber bietet noch viel Wichtiges und 
Interessantes, aber leider kann ich nicht auf alle Einzelheiten hier 
eingehen, insbesondere muss ich es mir versagen, differentialdia¬ 
gnostische Abschweifungen zu machen. 

Ein Symptom möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, weil 
es mir in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen wichtig 
schien und zur Sicherung der Diagnose beizutragen berufen ist. 
Ich meine den von Boas 1 ) in mehreren Veröffentlichungen be¬ 
schriebenen Druckpunkt. Am ausgeprägtesten ist dieser Druck¬ 
punkt auf der rechten Seite in Höhe des 12. Brustwirbels, etwa 
2—3 Finger breit von den Wirbelkörpem entfernt, nachweisbar, 
jedoch findet man zuweilen auch einen grösseren auf Druck schmerz¬ 
haften Bezirk, ja es kann die ganze hintere Leberfläche, soweit sie 
palpabel ist, druckempfindlich sein. Nach meiner Erfahrung findet 
man den Boas'sehen Punkt während der Kolikanfälle ausserordent¬ 
lich häufig. Das Vorhandensein dieses Symptoms deutet nach Boas 
darauf hin, dass meistens eine Perihepatitis vorhanden ist und jeden¬ 
falls ist oft genug nicht nur der Leberüberzug, sondern auch das 
Leberparenchym an der Erkrankung mitbeteiligt. 

Bleibt der Krankheitsprozess völlig auf die Gallenblase be¬ 
schränkt, dann lässt sich dieser Druckpunkt nicht nachweisen und 
bekanntlich hat auch Boas niemals behauptet, ein pathognomoni- 
sches Symptom gefunden zu haben. Ich kann es bestätigen, dass 
der Boas 'sehe Druckpunkt noch längere Zeit nach dem Abklingen 
der Kolikschmerzen vorhanden ist. Sein Vorhandensein deutet 
darauf hin, dass auch bei fehlender oder nicht sicher nachweis¬ 
barer Leberschwellung die Leber nicht ganz intakt ist. Bei sonst 
negativepi Befund und völligem Fehlen von nachweisbaren Ver¬ 
änderungen an Gallenblase und Leber konnte ich in mehreren 
sicheren Fällen von Cholelithiasis das Vorhandensein des Boas- 
schen Punktes nachweisen und ich halte es daher für angezeigt, 
dass gerade bei dürftigem Untersuchungsbefund auf das Boas'sehe 
Symptom besonders genau geachtet wird. 

Natürlich ist die Leber bei entzündlicher Schwellung auch noch 
an anderen Stellen bei der Betastung schmerzhaft, und zwar ist 
bei der Mehrzahl der Kolikanfälle nicht bloss der in nächster Nähe 
der Gallenblase liegende Bezirk, sondern der ganze untere Leber¬ 
rand druckempfindlich. Nach den Anfällen verschwindet die Druck¬ 
empfindlichkeit der Leber oft sehr rasch und bleibt nur in solchen 
Fällen bestehen oder vielmehr länger nachweisbar, wo eine aus- 
sprochene Schwellung der Leber vorhanden ist. So fand ich, dass 
von den 68 Fällen, bei welchen die Leber grösser war als normal. 


l) Manchen, med. Wochenschr. 1902. Nr. 15. 

Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 10. 18 


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fl« 


33 mal eine Druckempfindlichkeit auch in der anfallsfreien Zeit 
nachgewiesen werden konnte. Aufgefallen ist mir, dass diese 
Druckempfindlichkeit sich häufig auf den linken Leberlappen be¬ 
schränkt, vielleicht weil er der Palpation leichter zugänglich ist. 

Bei sehr heftigen Gallensteinkoliken findet man oft nicht nur 
die Gegend der Gallenblase und der Leber bei der Palpation schmerz¬ 
haft, sondern es ist eine Druckempfindlichkeit des ganzen Abdomens 
oder einzelner Abschnitte desselben nachweisbar, so dass das Peri¬ 
toneum an der Entzündung mitbeteiligt erscheint. Erstreckt sich 
die Schmerzhaftigkeit in die Gegend des Blinddarms, so kann Ap¬ 
pendizitis vorgetäuscht und die entsprechende eventuell nicht ge¬ 
rade zweckmässige Behandlung eingeleitet werden. Die Franzosen 
haben die unter solchen Erscheinungen verlaufende Gallenstein¬ 
kolik als „forme appendiculaire“ bezeichnet. 

Nur in 28 von meinen 146 Fällen, also in nicht ganz 20%, ist 
Steinabgang mit Sicherheit festgestellt worden, eingerechnet sind 
3 Fälle mit Steinbefund bei der Operation. In einer verhältnismässig 
geringen Zahl, nämlich bei 8 Kranken, konnte ich den Abgang von 
Steinen während der Mergentheimer Kur selbst konstatieren. Ich 
bin nun. allerdings fest überzeugt, dass bei den vielen Kranken, 
welche vor und während der Kur Kolikanfälle und Ikterus hatten, 
erheblich häufiger Steinabgang stattgefunden hat. Es ist aber die 
konsequente Stuhluntersuchung, welche selbst im Krankenhause und 
im Sanatorium aus bekannten Gründen trotz vieler Mühe oft ein 
negatives Resultat gibt, in einem Kurort nur in unzureichender 
Weise möglich. Dass der Abgang von Steinen zwar die Diagnose 
aufs unzweifelhafteste sichert, liegt auf der Hand, aber ebenso sicher 
ist es, dass der Abgang von Steinen nicht gleichbedeutend ist mit 
der Heilung des Leidens. Daher wird mit Recht die grosse Bedeutung, 
welche in Laienkreisen dem Steinbefund beigelegt wird, von den 
Ärzten nicht geteilt. Nach der Berechnung vort Kehr ist in 80% 
aller Fälle das Gallensteinleiden ausschliesslich auf Blase und 
Zystikus beschränkt und deshalb die Untersuchung des Stuhlganges 
negativ. 

Sechs meiner Kranken waren vorher schon bei Kurpfuschern 
in Behandlung gewesen. Abgang grosser Mengen Gallengries ist 
das mindeste, was nach solchen Kuren der skrupellose Pfuscher 
den leichtgläubigen Hilfesuchenden vortäuscht. Wohl „ein Schoppen 
Gallensand“, so gab eine Patientin mir an, sei während einer Ölkur 
abgegangen. Ebenso häufig werden verseifte ölklumpen den Kranken 
als abgegangene Gallensteine vorgewiesen. So berichtete mir ein 
Patient, dass während einer zweitägigen Ölkur „eine grossartige 
Menge Gallensteine, mindestens ein halb Pfund“ ohne besondere 
Beschwerden abgegangen sei. Verwunderlich bleibt nur, weshalb 


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19] 


Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 


253 


die Kranken nach solch vortrefflichen Resultaten es noch nötig 
hatten, einen Kurort aufzusuchen. Selbstverständlich habe ich solch 
unglaubhafte Angaben über Steinabgajig oben nicht mitgezählt. 

Eine oft beobachtete Erscheinung während des Kurgebrauchs 
in Mergentheim ist das Auftreten von Kolikanfällen. Von 
meinen 146 Kranken hatten mindestens 58, das sind etwa 40%, im 
Verlauf der Kur kolikartige Schmerzen und unter diesen zählte ich 
28, also annähernd 20%, welche wegen der Kolikanfälle einen oder 
mehrere Tage bettlägerig waren. Typisch für die Gallensteinkoliken 
während der Mergentheim^r Kur ist die Tatsache, dass die Anfälle 
fast ausnahmslos von wesentlich geringerer Heftigkeit und kürzerer 
Dauer sind, als sie vor der Kur zu sein pflegten. „Gar kein Vergleich 
mit früheren Anfällen,“ so hört man oft genug die Kranken ausrufen. 
Der Zeitpunkt, an welchem hier Kolikschmerzen gewöhnlich auf- 
treten, zeigt nach meinen Erfahrungen insofern etwas Regelmässiges, 
als die Mehrzahl der Koliken im Verlauf der zweiten Woche ein¬ 
zusetzen pflegen. Von den obenerwähnten 58 Patienten traten bei 
14 die Schmerzen in den ersten 5 Tagen auf, 32 bekamen Kolik¬ 
anfälle zwischen dem 6. und 15. Tag, nur 12 wurden später be¬ 
fallen. Häufigeres Auftreten von Kolikanfällen bei demselben In¬ 
dividuum habe ich während der Kur nur ausnahmsweise beobachtet 
und es wird dieses Vorkommnis meist durch die spezielle Diagnose, 
z. B. chronischen Choledochusverschluss oder chronische ulzeröse 
Cholecystitis hinreichend erklärt. 

Den U rin in der anfallfreien Zeit und auch während der Kolik¬ 
anfälle habe ich regelmässig untersucht. Ab und zu findet man kleine 
Mengen Eiweiss während der Koliken. Zucker ist weit seltener nach¬ 
zuweisen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass solche Befunde für die 
Diagnose verwertet werden dürfen. Dass Cholelithiasis und Diabetes 
zuweilen nebeneinander Vorkommen, ist längst bekannt. Dies Zu¬ 
sammentreffen scheint nicht einmal selten zu sein. Ich habe es 
bis jetzt 6 mal beobachtet, und zwar bei vier männlichen und zwei 
weiblichen Patienten. In drei dieser Fälle blieb die Zuckerausschei¬ 
dung unter 1% und war leicht zum Verschwinden zu bringen. Ein 
66 jähriger Patient gab an, vor einer Neuenahrer Kur bis zu 8% 
gehabt zu haben, ich selbst konnte bei ihm nur Spuren von Zucker 
finden. Mit 6% Zucker kam eine gallensteinkranke 42 jährige Frau 
in meine Behandlung, nach 3 Wochen verliess sie den Kurort mit 
1,2%. Kolikanfälle hatte sie keine gehabt während dieser Zeit. 
Interessant war mir die Beobachtung bei einem 59 jährigen Manne, 
dessen Urin zur Beginn der Behandlung 2,5% Zucker aufwies. Nach 
8 Tagen war der Zucker spurlos verschwunden. Als aber am 
10. Tage der Kur ein Kolikanfall auftrat, stieg der Zuckergehalt 
sofort auf 5,1%, um nach Abklingen des Anfalls unter zweck- 

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mässigem Verhalten allmählich auf 0,2 o/o zurückzugehen. Er¬ 
wähnenswert ist, dass der gleiche Patient einige Jahre zuvor auch 
an Nierenkoliken mit Steinabgang gelitten hatte. Die Zuckerbestim¬ 
mungen habe ich stets vermittelst der Gärungsprobe gemacht. 

Über die Häufigkeit des gleichzeitigen Vorkommens von 
Nierensteinen und Gallensteinen gehen die Angaben auseinander 
und es besteht über den eventuellen ursächlichen Zusammenhang 
beider Erkrankungen keine Klarheit. Bei vier meiner Patienten, und 
zwar bei je zwei männlichen und weiblichen waren beide Krank¬ 
heiten vorgekommen. Bei zwei dieser Patienten war zuerst Nieren¬ 
kolik und erst ein resp. sieben Jahre später Gallensteinkolik auf¬ 
getreten. Bei den beiden anderen hatten sich Erscheinungen von 
Nieren- und Gallensteinkolik gleichzeitig eingestellt. Diese Angaben 
meiner Patienten schienen mir zwar zuverlässig zu sein, jedoch 
füge ich bei, dass ich nur bei einem einzigen dieser vier Kranken 
die Symptome beider Erkrankungen selbst beobachtet habe. 

Dieser Fall betraf einen 61jährigen Mann, welcher ein halbes 
Jahr, bevor ich ihn erstmals sah, von fürchterlichen Schmerzen in 
Leber- und Nierengegend heimgesucht wurde. Starke Gelbsucht, 
Schüttelfrost und Fieber. Urin fast schwarz, zuweilen blutrot ge¬ 
färbt. Gehäufte Anfälle schwerster Art. Der Patient, welcher ein 
fettleibiger Potator war, zeigte binnen 6 Monaten eine Gewichts¬ 
abnahme von 240 auf 150 Pfund. Diese Angaben sind durch einen 
Bericht des Hausarztes verbürgt. Am 8. Tag des Kurgebrauches 
leichtere dreistündige Gallensteinkolik mit Schüttelfrost und etwas 
Ikterus, Gallenfarbstoff im Urin. Am 18. Tag der Kur heftige 
Schmerzen in der Nierengegend, Blut im Urin. Abgang eines erbsen¬ 
grossen Nierensteins. Nach vierwöchentlichem Kurgebrauch wurde 
Patient in befriedigendem Allgemeinzustand entlassen und teilte mir 
l 3 /' 4 Jahre später mit, dass keine Gallensteinkoliken mehr aufgetreten 
seien, dass er aber von Zeit zu Zeit noch von heftigen Nieren¬ 
koliken befallen werde. Sein Körpergewicht sei auf etwa 200 Pfund 
gestiegen. 

Wie schwer die Gallensteinkrankheit das gesamte Befinden 
der Kranken in Mitleidenschaft zu ziehen vermag, erhellt am besten 
aus den Angaben, welche die Patienten über das Verhalten ihres 
Körpergewichtes zu machen pflegen. Während der schlimmsten 
Zeit der Krankheit, d. h. während des Auftretens gehäufter Schmerz¬ 
anfälle mit all ihren schweren Nebenerscheinungen, insbesondere 
dem völligen Damiederliegen der vegetativen Funktionen treten oft 
ganz bedeutende Gewichtsabnahmen auf und die Fetteinschmelzung 
bei dicken Personen geht zuweilen rapid vor sich. In 14 meiner 
Fälle hatte die Gewichtsabnahme mehr als 20 Pfund betragen, und 
zwar 5 mal 20—30 Pfund und 7 mal 30—40 Pfund. Bei einer 


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21] Ein Beitrag zur Diagnose nnd Therapie der Cholelithiasis. 255 

42 jährigen kleinen fettleibigen Patientin sank das Körpergewicht sogar 
um 55 Pfund und in dem exorbitant schweren und komplizierten 
Falle, welcher oben näher beschrieben ist, um 90 Pfund. 

Um nicht allzu weitschweifig zu werden, verzichte ich darauf, 
diese Studie durch viele eingeflochtene Krankengeschichten zu ver¬ 
längern, obwohl man an manchen derselben die verschiedenen 
Formen des Gallensteinleidens gut veranschaulichen 
könnte. Die knappe Diagnose „Gallensteine“ ist heutzutage nicht 
mehr ausreichend, der Arzt muss bestrebt sein, zu ergründen, welche 
Art von Gallensteinkrankheit er vor sich hat. Kehr hat uns die 
Wege gewiesen zur speziellen Diagnose und hat seine Ansichten 
über die Einteilung der Erkrankungsformen in folgenden Satz zu¬ 
sammengefasst: „Im übrigen halte ich es für zweckmässig, wenn 
wir einfach zwischen akuter und chronischer Cholecystitis, akutem 
und chronischem Choledochusverschluss unterscheiden und bei der 
akuten Entzündung der Gallenblase den Versuch machen, die seröse 
Form von der eitrigen und diese von der gangränösen zu unter¬ 
scheiden.“ 

Über die Methode des Kurgebrauches in Bad Mergent¬ 
heim möchte ich mich auf einige kurze Angaben beschränken. Als 
bekannt darf ich voraussetzen, dass die „Mergentheimer Karlsquelle“, 
deren Analyse früher schon von Justus von Liebig und neuer¬ 
dings von Fresenius ausgeführt worden ist, eine an Glauber¬ 
und Bittersalz reiche kohlensäurehaltige kalte Kochsalzquelle ist. 
Zu Trink- und Badekuren wird sie seit dem Jahre 1829 benützt. 
H o e r i n g *) war der erste, welcher bei der Aufzählung der Indi¬ 
kationen „die günstige Wirkung dieser Mineralquelle bei trägem 
Fortgang der Galle, bei Verstopfung der Gallenwege mittelst zäher 
Säfte oder bei Gallensteinen“ gerühmt hat. Später hat Krauss 2 ) 
darauf hingewiesen, dass dieses Mineralwasser „eine qualitative und 
quantitative Änderung der Gallensekretion zu bewirken fähig sei 
und dass Gallensteine hierbei gerne zum Abgang veranlasst werden.“ 

Die Mineralwasser-Trinkkur besteht in Mergentheim 
darin, dass man frühmorgens nüchtern eine Quantität von durch¬ 
schnittlich 400 ccm, zuweilen — besonders anfangs — etwas weniger 
und später eventuell etwas mehr trinken lässt. Nur in Ausnahme¬ 
fällen wird das Mineralwasser angewärmt, in der Regel wird es 
bei der natürlichen Temperatur von ca. 10° C genossen, und zwar 
sehr langsam und schluckweise. Es erfolgen meist nach kurzer Zeit 
eine oder mehrere wöiche Entleerungen. In vereinzelten Fällen, 


1) Mergentheim and .'seine Heilquelle. 1849. 

2 ) Beschreibung der Mineralquelle zu Mergentheim. 1853. 


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besonders bei stärkerer Obstipation, wird das Mineralwasser in 
geringerer Quantität auch abends verordnet. 

Mit Rücksicht auf die vielgestaltigen Formen der Gallenstein¬ 
erkrankung ist bei der ganzen Behandlung peinliches Individualisieren 
dringend notwendig. Dieser Satz gilt besonders für die Verordnung 
der geeigneten Diät und für die Vorschriften, welche sich auf Ruhe 
und Bewegung beziehen. Eine bestimmte Brunnendiät gibt es in 
Mergentheim nicht. Einzig und allein die Art der Erkrankung ist 
massgebend für die Leitmotive der Diätetik. Wenn keine Magen- 
Darmerkrankung vorliegt, soll man bei Gallensteinkranken in bezug 
auf die Diät nicht allzu ängstlich und pedantisch sein. Auf besondere 
Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten der Kranken muss man natür¬ 
lich Rücksicht nehmen und man wird sich hüten, einen Patienten 
zum Genuss von Speisen oder Getränken zu ermuntern, gegen welche 
er ein eingewurzeltes Misstrauen hegt, weil deren Genuss früher 
einmal eine Gallensteinkolik hervorgerufen hatte. Aber andererseits 
wird man einen Kranken, welcher ein ganzes Jahr lang Breidiät ein¬ 
hielt und trotzdem zahlreiche Anfälle bekam, auf das Unzweckmässige 
dieser Ernährungsweise aufmerksam machen unter Hinweis darauf, 
dass tatsächlich oft trotz gewohnheitsmässigen Genusses ausgesucht 
leichtverdaulicher Speisen Koliken auftreten und zuweilen selbst 
bei derber Hausmannskost die Koliken ausbleiben. Während eines 
Kolikanfalls ergeben sich die Kostverordnungen von selbst, besonders 
im Hinblick auf die Schmerzen und auf die meist stürmischen Er¬ 
scheinungen von seiten des Magens. In der anfallsfreien Zeit 
empfiehlt man dem Kranken am besten eine leichtverdauliche ge¬ 
mischte Kost. Eventuell ist eine gewisse Beschränkung des Fetts 
aus diesem oder jenem Grunde angezeigt. Solange Ikterus besteht, 
— gleichgültig aus welcher anatomischen Ursache — wird man Fett¬ 
genuss ganz verbieten. Einen besonders breiten Raum sollen bei 
der gemischten Kost die vegetabilischen Nahrungsmittel einnehmen. 
Viel Gemüse und Obst trägt zu der von den Gallensteinkranken oft 
so lange vernachlässigten geregelten Darmtätigkeit bei. Systematische 
Erziehung zu vernünftiger Lebensweise tut vielen Kranken dringend! 
not. Was die Getränke anbetrifft, so wird man, vorausgesetzt, dass 
der Patient an alkoholische Getränke gewöhnt ist und dieser Ge¬ 
wohnheit nicht entsagen will, den massigen Genuss abgelagerter 
Biere und leichter Weine nicht ganz verbieten. Häufigere kleine 
Mahlzeiten sind empfehlenswert. Reichliche Nahrungsaufnahme in 
den Abendstunden sollte von Gallensteinkranken stets vermieden 
werden, vielleicht das's bei der Befolgung dieser Regel mancher 
nächtliche Anfall ausbleiben würde. 

Für die grosse Mehrzahl aller derjenigen Gallensteinkranken, 
welche wegen ihres noch nicht latent gewordenen Leidens sich in 


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23] Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 257 

Kurorte begeben, ist die körperliche Ruhe viel zweckmässiger als 
ausgiebige Bewegung. Immer und immer wieder muss man die 
Kranken auf fordern, viel zu liegen und muss sie mit der Betätigung 
gymnastischer und sportlicher Gelüste auf geeignetere Zeiten ver¬ 
trösten. Kürzere gemächliche Spaziergänge auf möglichst ebenem 
Terrain pflegen nicht zu schaden. 

An Stelle der heissen Umschläge, Thermophore u. dergl. habe 
ich in einer ziemlich grossen Zahl von Fällen Versuche mit heissen 
Fangopackungen gemacht, welche von recht günstiger Wir¬ 
kung zu sein schienen. Sowohl während der Anfälle als auch in 
der anfallsfreien Zeit wird der heisse Fangoschlamm; in die Leber¬ 
gegend appliziert und bleibt dort eine oder mehrere Stunden lang 
liegen. Besonders beim Abklingen oder kurz nach Beendigung eines 
Gallensteinkolikanfalls pflegt diese therapeutische Massnahme, welches 
einige Zeit hindurch täglich oder auch in mehrtägigen Intervallen 
angewendet wird, von recht wohltätiger Wirkung zu sein. Ob zur 
Wirksamkeit dieser Methode ausser der Ruhe und der gleichmässigeri 
Wärme noch spezifische Eigenschaften des aus Battaglia importierten 
Fango beitragen, möchte ich dahingestellt sein lassen. Auf Massage 
habe ich prinzipiell verzichtet und halte deren Anwendung für einen 
Kunstfehler. Von günstigem Einfluss auf das Allgemeinbefinden der 
Kranken sind die Mineralbäder, welche von der „Karlsquelle“ ge¬ 
speist werden und demgemäss die Eigenschaften von 2o/oigen Sool- 
bädem besitzen. Ich versage es mir, auf deren Wirkungsweise näher 
einzugehen. Bei Komplikation der Cholelithiasis mit anderen Er¬ 
krankungen, wie übermässiger Adipositas, Herzaffektionen, Dia¬ 
betes etc. habe ich die entsprechenden besonderen Kurbehclfe zur 
Anwendung gebracht. 

Was die Zeitdauer anbetrifft, welche von meinen Patienten auf 
die Kur verwendet wurde, so haben nach meinen Aufzeichnungen; 
die meisten sich 3—4 Wochen am Kurort aufgehalten, nur wenige 
blieben kürzer als 3 Wochen, ebenso dehnten nur wenige die Kur 
auf 5—6 Wochen aus. Dass die von vornherein vom Patienten 
bestimmte oft allzu kurze Spanne Zeit für die völlige Durchführung 
und das erwünschte Resultat der Kur häufig keineswegs ausreicht, 
kommt natürlich gar nicht selten vor. Wie lange der Kurgebrauch 
ausgedehnt werden soll, lässt sich nicht von Anfang an voraus¬ 
bestimmen. Hierzu befähigt den Arzt erst die wiederholte Unter¬ 
suchung und mehrwöchentliche Beobachtung. Es ist notwendig, dass 
man den Rückgang und das allmähliche Verschwinden aller objektiven 
Symptome abwartet. So lange dies nicht eingetreten ist, wird man den 
Patienten in seinem eigensten Interesse zum Bleiben veranlassen. 
Wer 6 Wochen auf die Kur verwenden kann, hat grosse Aussicht 
anfallsfrei zu bleiben. Meine diesbezüglichen Erfahrungen erstrecken 


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sich nicht auf viele, aber auf einige sehr eklatante Fälle. Ich habe 
oben gezeigt, dass viele Kurgebrauchende von Kolikanfällen befallen 
werden. Je frühzeitiger während der Kur die Anfälle auftreten, desto 
rascher tritt meistens die subjektive und objektive Besserung ein. 
Bei denjenigen Patienten, welche erst in der 3. oder 4. Woche Kolik¬ 
anfälle bekommen, was aber verhältnismässig selten der Fall ist, 
muss der Kurgebrauch entsprechend länger ausgedehnt werden. 
Treten die Koliken schon in der ersten Woche der Kur auf oder 
bleiben sie ganz aus, so sind häufig schon im Laufe der dritten 
Woche alle objektiven Symptome verschwunden und das subjektive 
Befinden das denkbar beste. Aber auch solchen Kranken empfehle 
ich, mindestens noch eine vierte Woche mit dem Kurgebrauch weiter 
zu machen, weil dadurch die Chancen sich noch günstiger gestalten. 
Nicht leicht ist es oft, die Patienten über die störenden Zwischen¬ 
fälle der Kur, besonders die Kolikanfälle mit ihren Begleiterschei¬ 
nungen einigermassen hinwegzutrösten. Und leider kommt es dann 
und wann vor, dass ein Gallensteinkranker, der vom Kurort sofortige 
zauberhafte Heilung erhofft, beim Eintreten eines Kolikanfalls die 
Flinte ins Korn wirft und sogleich nach Hause reist. 

Massgebend für die Unterbrechung oder für die längere Aus¬ 
dehnung der Kur ist ausschliesslich der objektive Befund, und zwar 
wird die Einwirkung der Kur durch den vergleichenden Unter¬ 
suchungsbefund an der Leber und an der Gallenblase vor 
und nach dem Kurgebrauch festgestellt. Das Hauptgewicht 
ist nach meiner Meinung darauf zu legen, ob die Gegend der Gallen¬ 
blase noch irgend einen Grad von Druckempfindlichkeit zeigt oder 
nicht. Ich habe oben mitgeteilt, dass unter 146 Patienten nicht 
weniger als 103 eine mehr oder weniger schmerzhafte Empfindung 
bei Palpation der Gallenblasengegend hatten. Von diesen 103 Pa¬ 
tienten zeigten 70 am Ende der Kur keine Spur von Schmerzhaftig¬ 
keit mehr, bei 25 war eine leichte Druckempfindlichkeit noch vor¬ 
handen, bei 6 konnte ich keine Schlussuntersuchung vornehmen. 
2 Kranke verliessen den Kurort mit sehr druckempfindlicher Gallen¬ 
blase während des Auftretens von Kolikanfällen. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dass die entzündlichen Erscheinungen an der Gallenblase 
während des Kurgebrauchs oft überraschend schnell und vollständig 
verschwinden. Schwieriger ist das objektive Ergebnis der Kurwir¬ 
kung in den Fällen zu deuten, in welchen eine Druckempfindlich¬ 
keit der Gallenblase nicht von Anfang an vorhanden war. (In ver¬ 
einzelten Fällen sah ich auch bei solchen Kranken im weiteren 
Verlauf Kolikanfälle auftreten, wobei die (iallenblasengegend vorüber¬ 
gehend schinerzhaft wurde.) 

Was den Befund an der Leber anbelaiigf, so war, wie oben 
ausgefühil ist, in ca. 306 meiner Fälle die Leberschwellung einzig 


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Ein Beitrag zur Diagnose and Therapie der Cbolelithiasis. 


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und allein durch das Gallensteinleiden zu erklären. Die Einwirkung 
der Kur auf solche Lebern scheint mir keinem Zweifel zu unter¬ 
liegen. Nicht nur kleinere Schwellungen, sondern auch erheblichere 
Vergrösserungen des Orgäns sieht man sich zurückbilden. Ich glaube, 
dass mindestens in der Hälfte aller derjenigen Fälle, in welchen 
die Leber beim Kurbeginn vergrössert war, allmählich eine völlige 
Abschwellung zur Norm und in den anderen Fällen eine nachweisbare 
Verkleinerung eingetreten ist. 

Be>' vier männlichen Patienten, deren Leber in der Mammillar- 
linie die Höhe von 20 cm erreichte oder überstieg, konnte ich am 
Ende der Kur keine nennenswerte Veränderung konstatieren. Bei 
zweien von diesen war Komplikation mit Karzinom vorhanden, beide 
sind einige Monate später gestorben, bei den beiden anderen schien 
es sich um hypertrophische zirrhotische Vorgänge zu handeln. Der 
eine der letzteren befindet sich in befriedigendem Gesundheits¬ 
zustand, der andere leidet an häufigen Kolikanfällen und ist seit 
Monaten ikterisch. 

Die Druckempfindlichkeit des unteren Leberrandes verschwindet 
fast stets vollständig. Ich bin nicht imstande, zahlenmässige An¬ 
gaben darüber zu machen, wie viele meiner Kranken den Kurort 
„geheilt" verlassen haben. Von einer „Heilung“ soll man bei Gallcn- 
steinleiden nur mit grosser Reserve sprechen. Auch bei scheinbar 
längst geheilten Fällen kann wie ein Blitz aus heiterem Himmel der 
Kolikanfall die schöne Zeit der Latenz unterbrechen. 

Ein ungefähres Urteil darüber, was die Mergentheim er 
Kur beim Gallensteinleiden zu leisten vermag, glaubte 
ich nicht nur durch meine Schlussuntersuchungen, sondern auch da¬ 
durch gewinnen zu können, dass ich meinen Patienten 1—2 Jahre 
hach dem Kurgebrauch Fragebogen schickte. Die Fragestellung war 
folgende: 1. Haben Sie seit der Kur heftige Gallensteinkoliken 
gehabt? Wenn ja, wann und wie oft? 2. Sind seit der Kur ein- 
oder mehrmals leichtere Schmerzen in der Lebergegend auf¬ 
getreten? 3. War seit der Kur jemals Gelbsucht vorhanden und 
wurden Gallensteine gefunden? 4. Hat sich das Leiden so verschlim¬ 
mert, dass eine Operation vorgenommen werden musste? Wenn 
ja, mit welchem Erfolg? 5. Ist die Verdauung geregelt oder leiden 
Sic an Verstopfung? 6. Sind Sie mit Ihrem Gesundheitszustand im 
allgemeinen zufrieden? 

Diesen Fragebogen versandte ich an 135 Patienten. Acht meiner 
Patienten hatten die Kur nur so kurz gebraucht, dass ich weder 
eine eventuelle Besserung noch eine Verschlimmerung des Leidens 
in Zusammenhang mit der Kur bringen zu dürfen glaubte. Bei drei 
Fällen verzichtete ich auf eine Anfrage, weil geraume Zeit vor der 
Kur Operationen ausgeführl worden waren, nach welchen sich keine 


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Schmerzaafälle mehr bemerkbar gemacht hatten. Präzis beant¬ 
wortet haben meine Anfrage 124 Patienten oder deren 
nächsten Angehörigen, zwei antworteten ausweichend oder unklar, 
zwei Anfragen kamen als unbestellbar zurück, sieben gaben keine 
Antwort. Eine ganze Anzahl schilderte in besonderen Begleitschreiben 
ausführlich die Wechselfälle ihres Leidens, was mir in mannigfacher 
Beziehung interessant und lehrreich war. 

Die Resultate meiner Umfrage möchte ich kurz zusammenfassen. 
Die am weitesten gefasste Frage 6 wurde von 113 Patienten mit 
„Ja“ beantwortet, nur sieben erklärten, sie seien mit ihrem Ge¬ 
sundheitszustand nicht zufrieden. Vier Kranke waren gestorben, da¬ 
von, wie schon erwähnt, zwei an Karzinom, eine Patientin an Herz¬ 
schwäche, eine andere an unbekannter Krankheit. Über neu auf¬ 
getretene Kolikanfälle berichteten 36 Patienten = 30°/'o, dagegen 
waren bei 83 Patienten = 70% Koliken ausgeblieben. Von den 
letzteren machte etwa der dritte Teil die Angabe, dass vorübergehend 
ein- oder mehrmals leichte Druckempfindungen, Gefühl von Schwere, 
Kriebeln oder Brennen u. dergl. in der Lebergegend aufgetreten sei. 
Es lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob solch unbestimmte 
Empfindungen als Kriterien dafür aufgefasst werden müssen, dass 
noch kleine entzündliche Veränderungen an der Leber und der Gallen¬ 
blase vorhanden sind und demgemäss das Stadium der Latenz noch 
nicht erreicht ist. Viele Gallensteinkranke achten, auch wenn sie 
längst anfallsfrei sind, noch immer mit erhöhter Aufmerksamkeit auf 
jede anormale Empfindung in der Lebergegend und beziehen manche 
unangenehme Sensation, welche vom Magen oder Darm ausgeht als 
eine leise Mahnung an das überstandene Leiden. 

Unter den 36 Patienten, bei welchen von neuem sich Koliken 
eingestellt hatten, befanden sich, wie schon erwähnt, nur sieben 
in nicht zufriedenstellendem Gesundheitszustand, während 29 trotz 
aufgetretener Koliken mit ihrem Befinden nicht unzufrieden waren. 
Es hatte nämlich die grosse Mehrzahl der wieder von Koliken Be¬ 
fallenen nur 1—3 verhältnismässig leichte und rasch vorübergehend« 
Schmerzanfälle gehabt und sie empfanden aus diesem Grunde ihren 
Zustand im Vergleich mit ihrem schlechten Befinden vor der Kur 
als wesentlich gebessert. Bei neun Patienten war wieder — meist 
vorübergehend — Ikterus aufgetreten, nur bei zwei von diesen neun 
bestand der Ikterus mehrere Monate lang. Vier Patienten gaben an, 
es seien Steine abgegangen. 

Die Zahl der völligen Misserfolge betrug zusammen 12 Fälle, 
also etwa 10%, und zwar rechne ich unter diese Rubrik nicht nur 
die sieben Patienten, welche mit ihrem Gesundheitszustand nicht zu¬ 
frieden waren, sondern auch die vier Verstorbenen, sowie die wegen 
erfolgloser Kur operierte Patientin. Ich glaube berechtigt zu sein, 


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27] Ein Beitrag znr Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 261 

die Fälle, bei welchen an Stelle früherer häufigerer und heftiger 
Schmerzanfälle nur einige wenige und leichte Koliken aufgetreten; 
waren, nicht als Misserfolge, sondern als teilweise Erfolge ansprechen: 
zu dürfen. Demgemäss möchte ich behaupten, dass von allen Be¬ 
handelten 70 o/o wesentlich gebessert oder völlig geheilt waren, bei 
20 o/o war die Besserung eine unvollkommene, nur etwa 10 o/o be¬ 
fanden sich in unbefriedigendem Gesundheitszustand oder waren 
gestorben. 

Nicht unwichtig erschien mir auch die Beantwortung der Frage 5, 
ob Verstopfung vorhanden sei. Die Frage wurde 90 mal verneint, 
34 mal bejaht. Von denjenigen, welche ganz anfallsfrei geblieben 
waren oder nur vorübergehend leichteste Beschwerden empfunden 
hatten, machte nur der fünfte Teil die Angabe, wieder an Verstopfung 
zu leiden. Dagegen hätten von den Patienten, welche wieder eine 
oder mehrere Kolikanfälle gehabt hatten, über die Hälfte mit stärkerer 
Verstopfung zu tun. Ich bemerke an dieser Stelle, dass während des 
Kurgebrauchs die abführende Wirkung der Karlsquelle nur in den 
seltensten Fällen ausbleibt und bei der Mehrzahl bleibt die Dann¬ 
tätigkeit auch nach der Kur wesentlich besser als sie vorher ge¬ 
wesen war. 

Bei zwei Drittel derjenigen Patienten, welche wieder mit Kolik¬ 
anfällen erkrankt waren, ist bei der Untersuchung am Ende der 
Kur notiert, dass die Gegend der Gallenblase eine Druckempfindlich¬ 
keit aufweise, dass der Boas 'sehe Punkt nachweisbar sei oder 
dass der Untersuchungsbefund an der Leber der Norm nicht ent¬ 
spreche. Ich habe den meisten Patienten, bei welchen solche un¬ 
zweifelhafte Symptome noch nicht völlig gehobener Krankheit nach¬ 
weisbar waren, den Rat gegeben, die Kur nicht nach 3 oder 4 Wochen 
abzubrechen. 

Natürlich befanden sich unter meinen Patienten auch solche, 
welche ich zu längerem Kurgebrauche nicht veranlasste, weil ich 
mir hiervon keinen Erfolg versprach. Dies sind — abgesehen von 
malignen Komplikationen — hauptsächlich die Fälle, bei welchen 
eine Operation angezeigt erschien. Kranke mit chronischem Chole- 
dochusverschluss, welcher schon einige Monate besteht, sollte man 
nicht allzulange im Kurort zurückhalten. Auch solche Patienten, 
welche von häufigen Koliken ohne Ikterus und Steinabgang befallen 
werden, sind, wenn das Allgemeinbefinden sich sichtlich ver¬ 
schlechtert, dem Chirurgen zuzuweisen. Gehäufte schwere Koliken, 
bei welchen immer wieder die entzündliche Form des Ikterus auf- 
tritt, geben ebenfalls zuweilen die Indikation zur Operation. Das¬ 
selbe gilt natürlich für das Empyem der Gallenblase und für alle 
schweren septischen Prozesse in der Umgebung der Gallenblase. 
Aber das grosse Heer derjenigen Gallensteinkranken, bei welchen 


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UMIVERSITY OFMICHIGAtf 



262 


R. SCHWARZ, 


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[28 


nicht allzu häufige Koliken auftreten, Neigung zur Latenz vorhanden 
ist und das Allgemeinbefinden ordentlich bleibt oder bei welchen 
vorübergehender Ikterus mit Steinabgang den Charakter der Er¬ 
krankung genügend aufklärt, alle diese Fälle sind durch innere Be¬ 
handlungsmethoden besserungs- oder heilungsfähig. 

Eine weitere Erfahrung, welche ich sowohl an selbstbehandelten 
Patienten als auch an zahlreichen anderen Kurgebrauchenden machen 
konnte, ist die, dass eine Wiederholung der Kur von ganz 
besonders günstiger Wirkung ist. Es ist gewiss kein Zufall, dass 
ein hoher Prozentsatz aller Gallensteinkranken, welche die Mergent- 
heimer Kur gebraucht haben, sich wieder einfinden, ob sie Beschwer¬ 
den verspüren oder nicht. Auch konnte ich an den 14 Patienten, bei 
welchen ich in zwei anfeinanderfolgenden Jahren die objektiven 
Befunde erheben konnte und welche mir neuerdings sämtlich auf 
meine Anfrage Antwort gaben, die Erfahrung machen, was durch 
eine zweimalige Kur erreichbar ist. Es waren unter den betreffenden 
Patienten verschiedene, welche schon lange und ziemlich schwer 
erkrankt waren, Patienten mit und ohne Ikterus, sowie mit und 
ohne Steinabgang. Von diesen befanden sich 12 in gutem Gesund¬ 
heitszustand. Drei hatten nach der ersten Kur noch leichtere Kolik¬ 
anfälle gehabt. Nach der zweiten Kur hatte eine Patientin einen 
mittelschweren Anfall bekommen, und zwar gerade zu der Zeit, 
als meine Anfrage bei ihr einlief, so dass sie ihren Gesundheits¬ 
zustand begreiflicherweise nicht als befriedigend bezeichnete. Als 
einzigen Misserfolg nenne ich folgenden Fall: Ein 60jähriger Patient, 
welcher nach der ersten Kur 8 Monate lang beschwerdefrei geblieben 
war, wurde vor und während der zweiten Kur von so heftigen 
Kolikanfällen ohne Ikterus mit solch beträchtlicher Störung des All¬ 
gemeinbefindens befallen, dass ich die Operation empfahl. Er folgte 
diesem Rate nicht und schrieb mir vor kurzem, dass immer noch 
Koliken auftreten und sein Befinden nicht gut sei. Er hatte übrigens 
seine zweite Kur schon zu Beginn der dritten Woche unterbrochen. 

Eine Entscheidung darüber, in wie viel Fällen die ideale 
H e i 1 u n g im pathologisch - anatomischen Sinne, also das voll¬ 
kommene Verschwinden aller entzündlichen Prozesse an der Gallen¬ 
blase und an der Leber, sowie der Abgang sämtlicher Steine ein¬ 
zutreten pflegt, kann der Internist, nicht angeben. Jedoch darf man 
als wahrscheinlich annehmen, dass solche völlige Heilungen recht 
selten sind. Was wir durch die innere Therapie der Cholelithiasis 
herbeiführen wollen und in dem grösseren Prozentsatz der Fälle 
herbeiführen können, ist. das Stadium dor Latenz. So ver¬ 
schiedenartig die Methoden, um dieses Ziel zu erreichen, auch sein 
mögen, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass die Mineral¬ 
wasser-Trinkkuren sich der grössten Anerkennung erfreuen. Bis jetzt 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



29] 


Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaeis. 


263 


ist es noch nicht ganz gelungen, die Wirkungsweise der Trinkkuren 
im einzelnen zu ergründen. Jener neuen Richtung der experimen¬ 
tellen Forschung, welche durch Bickel u. a. eifrig gepflegt wird, 
bietet sich noch ein weites Feld der Betätigung. 

Die heilbringende Eigenschaft des Mergentheimer Mineral¬ 
wassers ist nach meiner Meinung vorwiegend durch die Anregung 
der Darmperistaltik und durch die sich hieraus ergebende Ein¬ 
wirkung auf Gallenblase und Leber gekennzeichnet. Es kann kein 
Zweifel obwalten, dass die Gallenproduktion reichlicher und der 
Gallenfluss rascher wird. Unter diesen Umständen können katar¬ 
rhalische und entzündliche Erscheinungen an den Gallenwegen aus- 
heilen und weil die Wege gangbarer werden, so können dann und 
wann Konkremente unter verhältnismässig geringen Beschwerden zur 
Ausstossung kommen. Oh die resorbierten Salze besondere Heil¬ 
wirkungen ausüben und welche unbekannten Faktoren sonst in Be¬ 
tracht zu ziehen sind, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Die 
empirischen Ergebnisse eilen in der Medizin der wissenschaftlichen 
Deutung der Erscheinungen meist lange voraus. Theoretische Skrupel 
müssen verstummen, wenn unseren Patienten praktische Erfolge 
winken. 


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Ladenburger, Die Talma’sche Operation. 
Veckenstedt, Der Kopfschmerz als häufige Folge 
von Na8enleiden und seine Diagnose. 

Ludke, Die bakt Frühdiagnose bei akuten In¬ 
fektionskrankheiten. 


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Spiegelberg, Krämpfe im Kindesalter. 

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Schenck, Bedeutung d. Neuronenlehre f. d. Nerven 
Physiologie. 

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Riedinger, Beinbrüche. 

Hofmeier, Fibromyome. 

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■ • V*5^#iÄll#r;o4*r lit'Hktion Erfaht-Mo^n mit. d<»i Ayiederliututju d«*r tarpfU»^.' >*omertki>su/ 

U-'r AuW^jr ht.*,r djt KuUür uud Kun^unktivHltort.Uno»/ Die diiTuruu icr^ndea Katan-Iu&ferkulmr'ai|.ktjt*n«i. gi 
ktüniu.tv ikti. i» Ws. .fbat iokahtri TuberüvihlieTujUi.miui^tn B. Spä^ietler Teil. Ule Auwemlung der kut&imn und toifjurA' 
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Re£t]6:ii>>w:hh ^ ihe VjjrWhnäim'sc ; ^hUkaio^e. Die, V«f wenättn# dur V>. 

di.i *v> e.v-v.-;:. r*»«r V-rwehdtuijK: 4^ ',ftvaJt«ion itt;- dtf 'TuüliGdfetinde ui»Ä die ErKehnieee «feijr ticAkihwu IVj 
C T^il. Vitirglefish d^r U)fcde«fcm)K und die WBrtigkeU ä«r fCitüh»- und Kbojonkti^jilxeÄVthiü, VM ^ 

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Iderkungei/ z ji l’ntM'rVutialhVrfpi.e «ml T»j ik.uJmi^.. Histonitche Kntw^k^lui - »^ der Lehre toq dsr 
«mi'dudhvbVHtd, der Vb^i^ripÜiiiitiriiktitektuniJiwitiiu, der ;.r\ller|;i» und der lokn.lf.tikDont'ii. Ausblick Die &U6l*chea 
frlihdlagnoÄtisclien MtUtodletK Die Spotuuiout^rfettclumk, Thetm^meHe. Die^ KdntiieU-aibthüde in threr Verwendttn« «**r 

piagnee« der’rutrürkuhiÄe; IMft' fhag.naettli der Brootfln4ldri)e«n).ül>Afk)ihj»d.- ^Deifetidingijoftik. Spltienperkiusion »»rt» 
K rV«K)g. AiwkulfeitAiin. Dle tiiMpho loÄTAfthe Pu^iiJurhune der £**mdl*U\ die *o)gütVÄadk\ Zri#jüt£ti u *ö~ Zwttto** ai4,l0C ^ 
the jnroüol^heche feimeutiffirkiuiil« \ou Kwudateii ue^, Die IwvMtopie. 


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riginärftc 










Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln in ihrer 
Stellung zum übrigen Pankreasgewebe und ihre Be¬ 
ziehung zum Diabetes, 

Von 

Dr. Manfred Fraenkel, 

Charlotte »borg. 


Meine Herren! Wenn Sie das erste der ihnen hier aufgestellten 
Pankreas-Präparate betrachten, so erkennen Sie einen kleinen, engen 
mit einschichtigem Zylinder-Epithel ausgekleideten schlauchartigen Aus¬ 
führungsgang, mit direkt anschliessendem sog. Schaltstück, — einem 
kurzen Röhrchen mit plattem Epithel, au dem wieder mehrere kleiue 
Häufchen von Sekret produzierenden Drüsenalveolen hängen, während 
Ihnen zwischen diesen Acini und von diesen durch spärliches Binde¬ 
gewebe abgegrenzt — kleine runde, oder ovale etwa bis 0,3 mm 
messende Zellgruppen aus soliden Epithel-Strängen — als intertubuläre 
Zellhaufen — vereinzelt eingestreut auffallen. Stellen wir einen 
solchen Drüsenacinus in die Mitte des Gesichtsfeldes, so erkennen 
wir an den kegelförmigen grossen Zellen, die von einer Membrana 
propria umgeben, den Acinus bilden, einen dem Lumen innen zu¬ 
gekehrten dunkel granulierten — von Zymögen-Körnchen angefüllten 
Protoplasmateil, während der den bläschenartigen Kern tragende 
hellere, fast homogene Abschnitt an die Membrana propria nach aussen 
anstösst. Ich will kurz betonen, dass diese Zelldifferenzen nur Wechsel 
einer tätigen Zelle bedeuten, — dass zu Beginn der Verdauung 
diese dunkelkörnige Zymogenmasse schwindet, und dementsprechend 
der hellere Zellsabschnitt zunimmt, und dass das Bild sich bald wieder 
unter Zunahme und Verteilung dieser dunklen Granulationen über 
die ganze Zelle ändert. Neben den Zellen aber finden sich noch sog. 
„zentroazinäre“ Zellen, die als Schaltstückzellen zu betrachten sind, 
sich in die Endstücke hineinschieben und so auf die innere Oberfläche 

Würzburger Abhandlungen« Bd« VIII. H. 11. 19 


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M. FRAENKEL, 


[2 


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der Acinuszellen zu liegen kommen, also an die Teile der Zellen stossen, 
die die Zymogenkörnchen enthalten. Durch Injektion von Argent. 
nitric -Lösung etc. lassen sich zwischen den einzelnen Zellen Sekret- 
Kanälchen darstellen, die sich vom axialen Lumen zwischen die 
Drüsenzellen erstrecken, ohne jedoch bis an die Membrana propria 
zu reichen. Da wo centro-acinäre Zellen die Drüsenzellen vom zen¬ 
tralen Lumen ausschliessen, ergiessen die Drüsenzellen ihr Sekret 
in zwischen den zeutroazinären Zellen gelegene Sekretkanälchen, die 
ihrerseits in das axiale Lumen münden. 

Betrachten wir nun einmal einen solchen intertubulären Zell¬ 
haufen, wie wir sie vorhin vereinzelt zwischen den Acini vorfanden, 
des genaueren. — Diese Zellinseln, nach dem Namen ihres Entdeckers 
(1869) Langerhans’sche Inseln genannt, bilden runde bis ovale 
Körper von regelmässiger Gestalt, sind vom Parenchym-Gewebe all¬ 
seitig umgeben und von diesem durch eine sie scheinbar überall 
umhüllende Bindegewebskapsel geschieden. Im Gegensatz zu dem 
übrigen Pankreasgew’ebe zeichnen sie sich, wie Sie sehen, durch 
einen grossen Reichtum an Kapillaren aus, zwischen denen, in Balken 
und Gruppen geordnet, die grossen protoplasmareichen Zellen lagern. 
Diese Zellhaufen und Stränge besitzen keine Ausführungsgänge und 
stehen auch mit den Ausführungsgängen des übrigen Gewebes nicht 
in Verbindung. Denn: während nach Injektion von Farbflüssigkeit 
vom Ductus pancreaticus aus die Drüsenschläuche sich anfüllten, 
drang der Farbstoff nie in ihre Substanz ein. Der Regel nach können 
die Stränge also als solid bezeichnet werden. Indessen fand Schmidt 1 ) 
zuweilen doch scharf geschnittene rundliche Lücken in ihnen. Oft 
sind die Epithelien zu Blöcken angeordnet, ein anderes Mal bilden 
sie ein oder mehrreihige Stränge in netzförmiger Verbindung, und 
nicht selten gibt der Durchschnitt die. Form eines Wagenrades derart, 
dass von einem äusseren Ringe Stränge nach innen laufen, und 
zwischen diesen Speichen die von dem zentralen Blutgefäss abgehenden 
Kapillaren liegen. Auffallend ist dabei, dass häufig, im Gegensatz 
zu den gewöhnlichen Drüsenepithelieu, die Kerne möglichst entfernt 
von den umgebenden Blutkapillaren sich halten: Liegt zwischen zwei 
der letzteren eine Epithelreihe, so stehen die Kerne in der Mitte 
derselben, sind es zwei Zellreihen, so stehen sie in den einander be¬ 
rührenden Zellpolen und bilden die Achse des Stranges, Verhältnisse, 
wie sie in den Drüsen ohne Ausführungsgänge, besonders der Neben¬ 
niere und den Parathyreoidkörpern Vorkommen. 

Ferner lässt sich, besonders durch künstliche Injektion ein eigen- 

i) Schmidt, Beziehungen der L an ge rhans’schen Inseln des Pankreas zum 
Diabetes. Münch, med. Wochenschr. 1902. Nr. 2. 


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3] 


Die Bedeutung der Langerhana'scben Inseln etc. 


267 


tümliches Verhalten der Blutgefässe in den Inseln demonstrieren: 
Sie sind viel weiter als die umgebenden Kapillaren und bilden oft 
Schlingen, .ähnlich denjenigen der Nierenglomeruli, wodurch sich der 
von Kühne und Lea 1 ) den Inseln beigelegte Name „Pankreas- 
glomeruli“ erklärt. - 

M. H.l Weichen wir einen Augenblick von unserer anatomischen 
Betrachtung ab und greifen wir auf die Entwickelung zurück, — 
ohne natürlich die für den Embryologen 2 ) überaus wichtige Frage 
nach der Zahl der Pankreasanlagen zu berühren, so verlockend es 
auch sein mag, — so besagt die Literatur, dass aus der hinteren 
Duodenumwand, dem Darmstück unterhalb der Magenausbuchtung zu 
einer Zeit, wo noch der ganze Darm als senkrechtes Rohr verläuft 
und eben erst der Magen als sackartige Erweiterung sich bildet, — 
in das dorsale Mesogastrium hinein eine langgestreckte mit der Magen¬ 
längsachse parallel verlaufende Drüse durch Ausstülpung von drei 
Schläuchen aus der Darmwand entsteht, — und zwar eine aus der 
dorsalen — zwei aus der ventralen. Diese Schläuche senden hohle 
Seitensprossen ab, die sich verästeln. Die dorsale Anlage bleibt mit 
dem Duodenum durch den Santonini’schen Gang verbunden, — die 
zwei ventralen sich vereinigenden — durch den Duct. Wirsungianus. 
Infolge der Drehung des Duodenum nähern sich die beiden Anlagen, 
so dass sie miteinander verschmelzen. Dabei verbinden sich ge¬ 
wöhnlich die beiden Ducti derart, dass der Santonini'sehe in den 
Wirsungianus mündet, und dieser letztere zusammen mit dem Chole- 
dochus sich ins Duodenum öffnet. Ich fügte meinen damaligen Be¬ 
trachtungen 8 ), denen ich diese kurze Schilderung entnehme — hinzu: 
„Es ist klar, dass je nach Abweichung dieser Norm in der Entwicke¬ 
lung oder Rückbildung einer Anlage die Mündungen ins Duodenum 
sich verschieben können“. Lassen wir die weiteren Betrachtungen 
über den Übergang aus der intra- in die extraperitoneale Lage mit 
all ihren Drehungen und Fixationen an der hinteren Rumpfwand, 
sondern verfolgen wir die Drüseneutwickelung an sich weiter, so ist 
auffallend, dass nirgends von einer Differenzierung der einzelnen 
Drüsenelemente, wie wir sie ja oben im mikroskopischen Bilde so 
genau an dem normalen Präparat beobachtet haben, die Rede ist. 
So beschreibt Stöhr sehr eingehend, dass sich das ventrale Pankreas 
auf dem Querschnitt als starker, solider Knopf präsentiert, dessen 

i) Kühn« und Lea, Verhandl. des naturhist. med. Vereins zu Heidelberg, 
a. F. 1877. Bd. 1. p. 445 und Untersuchungen aus dem physiol. Institute d. Univer¬ 
sität Heidelberg 1882. Bd. 2. S. 448. . . 

i) Stöhr, Entwickelung der Hypocborda und des Pankreas. Morphol, Jahrb. 
1895. Bd. 23. — Schenk, Pankreas des.Embryo. — Jankelowitz, Entwickelung 
dss Pankreas. — Hertwig etc. 

. . 4) Fraenkel, Splanchnologische. Vorträge. Bd. 2. Nr. 9. S. 67 ff. 

19* 


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208 


M. FRAENKEL, 


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[i 


Spitze von dicht gedrängten kleinen Zellen — als Zeichen reger 
Neubildung — gebildet wird, während weiter hinten die dorsale 
Darmwand wieder aus einer einfachen Zelllage besteht Also ein 
Gegensatz in der Beschaffenheit der Pankreaszellen überhaupt, gegen* 
über den Gebilden der Darmwand, aber nicht unter den Drüsen- 
zellen selbst. 

Schenk ging von der Voraussetzung aus, dass sich das Pankreas 

— nicht wie Remak') annahm — aus dem Darmdrüsenblatt entwickelt 

— nach Remak ist die Pankreasanlage infolgedessen hohl und 
steht mit dem Darm in offener Verbindung — sondern dass zwischen 
Darmfaser- und Drüsenblatt eine Zellmasse, Darmplatte gelegen ist 
die das Mesenterium bilden hilft und in der Höhe, wo die Pankreas, 
anlage vermutet werden muss, eine Verdickung und Verlängerung 
zeigt. Die Zellelemente*) dieser Partie der Darmplatte differenzieren 
sich zu Encbymzellen des Pankreas, ein anderer Teil zum umgebenden 
Bindegewebe. Das Protoplasma dieser Zellen ist grösser, der Kern 
rund mit Kemkörperchen. Die Gebilde um diese Euchymzellen werden 
länglich, mit länglichem Kern und ragen zuweilen in eine solche Zellgruppe 
hinein. Diese Zellgruppen stellen den Ursprung der Pankreaszellen 
dar; sie ordnen sich später zu einzelnen Röhrchen, von denen einige 
die Form kurzer Schläuche annehmen. So findet mau also Zellgruppen 
in Häufchen und als Schläuche angeordnet nebeneinander. Die da¬ 
von getrennte 1. Pankreasganganlage wird als eine seitliche Aus¬ 
stülpung des Darmrohres aufgefasst; in diese Fortsetzung erstrecken 
sich die Darmdrüsenelemente, sie reichen bis an die zu Enchymzellen 
präformierten Gebilde, ja sie gehen ohne scharfe Grenze in diese 
über. Wir wollen die verschiedenen Verengerungen und Krümmungen, 
die dieser Gang im weiteren Verlauf seiner Entwickelung durchzu¬ 
machen hat, nicht des genaueren verfolgen, auch die Frage nach der 
Entstehung des 2. Pankreasganges sei nur insofern berührt, ab 
eine keilförmige Masse des mittleren Keimblattes durch Vordringen 
den unpaarigen Pankreasgang zu einem paarigen gestalten soll. Er¬ 
wähnt habe ich diesen Punkt nur, weil die Bildung der kleineren 
Gänge an sich, an denen die Pankreaszellhaufen liegen, ebenfalls 

1) Remak, Untersuchung über Entwickelung der Wirbeltiere. 1854. 

2) Kölliker, Über Entwickelungsgeschichte. 1862. 

Stöhr, Entwickel. der Leber u. Pankreas. Anat. Anz. 93. 

Göppert, Entw. d. Pankreas der Teleostier. Morpbol. Jahrb. 20. 

M. Nussbaum, Bau und Tätigkeit der DrOsen. Arch. mikr. Anat. 82. 

Kupfer, Entwickel. Ton Milz u. Pankr. Münohen. med. AbhandL 7. Reihe. 
Münch, med. Wocbenschr. 92. Nr. 28. 

Hamburger, Entwick. d. Pankreas. Anat. Anz. 92. 

Felix, Leber- u. Pankreasentwiokel. Arcb. Anat. u. Phyeiol. 92. 

Laguesse, D6veloppement du pancreas chez les poissona osseox. Cemptee 
rendus de la Soc. de Biol. 90. Chez les selac. Biol. anat. 94. Nr. 3. 


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6 ] 


Die Bedeutung der Langerhana’schen Inseln etc. 


269 


durch Vordringen der zu Bindegewebe metamorphosierten Elemente 
im Pankreas vor sich geht. 

Meine Herren! Wie weit man nun auch — abgesehen von den 
allerjüngsten Arbeiten siehe unten — die stattliche Literatur über 
die Pankreasentwickelung durchgeht, — von der ich Ihnen soeben 
— ohne natürlich irgend einen Anspruch auf Vollständigkeit zu 
machen — einige Proben vorgetragen habe, nirgends findet sich 
ein deutlicher Hinweis auf die uns hier so interessierenden Ge¬ 
bilde: die Langerhans’schen Inseln. Ist es wahrscheinlich, dass 
eie den Beobachtern entgangen sind? sollen alle die, die ja die 
Differenzierungen an den einzelnen Zellen beschreiben, wirklich einfach 
die Langerhans’schen Inseln übersehen haben, — oder waren sie 
vielleicht auf dem untersuchten Stadium noch gar nicht vorhanden? 
Sie entwickeln sich vielleicht erst später ? dann, wenn der embryonale 
Zustand sein Ende erreicht hat, wenn die Drüsenanlage und Entwicke¬ 
lung an sich schon abgeschlossen ist? 

Meine Herren! statt aller Autwort betrachten Sie, bitte, dieses 
zweite Präparat. Es ist wieder eine Langerhans’sche Insel eingestellt, 
aber sie sehen hier deutlich den zwischen dem ersten Präparat vor¬ 
handenen Unterschied: es besteht keine so scharfe Abgrenzung wie 
in Nr. 1, die Bindegewebshülle läset Lücken und Unterbrechungen 
erkennen, Zapfen ragen hinein, kurz es sind Übergänge von den 
sezernierenden Drüsenschläuchen zu den Inseln nachweisbar. — 
Bemerken will ich gleich, dass dieser Übergang, wie Schmidt 1 ) aus¬ 
führt, beim Menschen sich nicht häufig findet — Aber die Tatsache 
au sich ist überaus wichtig und ich bitte Sie, dieselbe zu regi¬ 
strieren. — Nahm man nun früher an, dass die Langerhans’schen 
Inseln lymphatische Gebilde darstellen, so dürfte diese eine eben 
von Ihnen selbst konstatierte Tatsache ihre epitheliale Natur zur 
Evidenz bewiesen haben. Als zweites kann ich auf Laguesse*) 
und andere verweisen, der auf einer höheren Enwickelungsstufe 
sie aus denselben Epithelsträngen sich entwickeln sah als die sezer¬ 
nierenden Drüsenschläuche. Als drittes möchte ich schliesslich auf 
einen sehr wichtigen Punkt verweisen, der uns weiter unten noch 
besonders beschäftigen wird: die Ergänzungs- und Ersatzmöglichkeit 
der Inseln, ihre Regeneration — oder wie man den Vorgang sonst 
bezeichnen will — aus den Drüsenacini selbst. 


i) Schmidt, Beziehung der Langerhans'echen Inseln zum Diabetes. Manch, 
med. Wochenschr. 1902. Nr. 9. 

») Laguesse, Journal de l’anat. et phytiol. T. 31 et 32. 1895—96. Nach 
Pearces und Koster entstehen diese Inseln aus dem Pankreasparenchym und hängen 
zunächst durch Bracken mit diesen zusammen. Später tritt durah die Inseln um¬ 
wachsendes Bindegewebe eine Trennung ein; dieselbe ist, nach meiner Ansicht, beim 
Menschen häufiger als bei Tieren. 


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270 M. FRAENKEL, [G 

Meine Hen-en! damit ist der Charakter der Langerhans’schen 
Inseln deutlich und ein für allemal bewiesen, und jeder Vergleich 
mit der Nebenniere, der Hypophysis anatomisch hinsichtlich einer 
doppelten Anlage, wie es bei diesen genannten Drüsen der Fall ist, 
wird hinfällig. Bei diesen handelt es sich um zwei genetisch wie 
funktionell verschiedene Abschnitte, von denen der eine seinen Ur¬ 
sprung aus den Epithelsträngen nimmt, während der andere aus ner¬ 
vösem Gewebe besteht und von diesem auch abstammt. Bei den 
Langerhans’schen Inseln ist und bleibt der Mutterboden — das 
Pankreasparenchym, das wollen wir festhalten. Dass zwischen 
den drei Organen auch sonst keine Ähnlichkeit und kein Zusammen¬ 
hang besteht, wie man ihn so gern konstruieren wollte 1 ), hat Schm idt 
auch experimentell bewiesen. Er ging von der Annahme aus, dass 
die Langerhans’schen Inseln ihrer inneren Organisation nach wohl zu 
den Drüsen ohne Ausführungsgang — also mit innerer Sekretion: 
wie Nebenniere, Hypophysis, Parathyreoidkörper, Schilddrüse zu 
rechnen sind, aber eine nähere Beziehung z. B. zu den Nebennieren 
konnte er weder durch das Vorhandensein des für Nebennieren — 
nach Manasse — spezifischen braunen Farbstoffes in den Pankras¬ 
inseln nachweisen, noch gelang es ihm, nach Exstirpation der Nebeu- 
nieren bei Tieren am Pankreas resp. den Inseln gesteigerte Aktivität 
oder kompensatorische Vergrösserung derselben zu konstatieren; des¬ 
gleichen war in einem Fall von ausgedehnter Nebennierenverkäsung 
beim Menschen eine Veränderung an den Inseln nicht nachweisbar. 
Bezüglich der Verwandtschaft der Inseln mit der Hypophysis verhielten 
sich die Inselzellen gegen eine zum Nachweis der Protoplasmagranula 
eines Teiles der Hypophysiszellen als nur für sie allein spezifische — 
Färbuugsmethode, nach der sich sonst keine andere Zellart des Körpers 
färbt, gleichfalls ablehnend. — Was Schmidt bezüglich der Neben¬ 
niere und der Hypophysis bewiesen hat, habe ich in bezug auf die 
Schilddrüse zu eruieren versucht. Ich habe bei einzelnen zucker¬ 
kranken Patientinnen, bei denen ich aus anderen .Gründen Röntgen¬ 
bestrahlung 2 ) vornahm, — es handelte sich um Beeinflussung gynäko¬ 
logischer Prozesse — auch eine Verkleinerung der Schilddrüse herbei¬ 
geführt, ohne — wie es nach Ansicht von Lorand geschehen musste, 
ein Fallen des Prozentsatzes konstatieren zu können. Desgleichen 
führte Bestrahlung der Schilddrüse allein, nachdem ich bei zwei 
Tieren das Pankreas exstirpiert und ein Stück in die Bauchhaut eiu- 
genäht hatte — das den bisherigen hohen Prozentsatz zum Sinken 
brachte — unter völliger Abdeckung dieses eingenähten Stückes — 
zu keinem weiteren Sinken des Prozentsatzes, wie es nach der Ansicht 

*) Lorand t Entstehung der. Zuckerkrankheit und Beziehungen zu den Blut- 
gefassdrüsen.' Monographie 1903. 

*) Fraenkel, Zentralbl. f. Gynäkol. 1907. Nr. 31. 


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7] 


Die Bedeutung der Langerhans'schen Inseln etc. 


271 


und Theorie Lorands hätte eintreteh müssen. Lorand meint, dass 
die Schilddrüse und die Langerhans’schen Inseln quasi Anta» 
gonisten sind, und dass die Inseln ein Sekret bilden, um von der 
Thyreoidea bereitete Toxine zu vernichten, und er stellt als Mögliche 
keiten auf: das Pankreas ist intakt, die Schilddrüse hat erhöhte 
Tätigkeit, es werden mehr Toxine bereitet, als das Pankreas neutrali¬ 
sieren kann, und das Resultat: vorübergehend: Glykosurie. — Oder: 
das Pankreas ist degeneriert, die Thyreoidea ist in erhöhter Tätigkeit 

-ergo: es entsteht Diabetes. — Er ist leichter Natur — Lorand 

sagt vorsichtigerweise: in der Regel — bei Pankreasdegeneration und 
Untätigkeit der Schilddrüse. Nun war es doch sicher, dass das Stück 
Pankreas in meinen Fällen nur eiuen Teil seiner Arbeit ausführen 
konnte, — dass sie andererseits wirklich arbeitete, bewies das Sinken 
des Prozentsatzes auf ein Minimum. Atrophierte man jetzt die Schild¬ 
drüse — wie ich es durch Bestrahlung tat — so musste nach Lorands 
Theorie der Prozentsatz ganz schwinden oder wenigstens noch mehr 
sinken, da ja die Schilddrüse keine Toxine mehr bereitete, die die 
Langerhans’schen Inseln zu neutralisieren hatten. 

Es arbeitete also in meinen Fällen das Pankreas wieder, die 
Thyreoidea aber war atropliiert; trotzdem blieb jedoch der Prozent¬ 
satz auf demselben Punkt bestehen. 

Schliesslich konnte ich an Tieren, ferner an ca. 100 Fällen von 
Zuckerkranken, die von mir 1 ) und auf mein Anraten von anderen 
Ärzten 2 ) Eserin bekamen, ein Sinken des °/o S. nachweisen 8 ). 

Hier interessiert im Augenblick nur die Tatsache als solche, die 
beweist, dass eine Antagonie zwischen den beiden Drüsen — im 
Lor an d’scheu Sinne — nicht-gut bestehen kann. Denn wir wissen, 
dass das Eserin auf alle Drüsen sekretionserregeud wirkt, bessere 
Zirkulationsverhältnisse schafft und dieselben beeinflusst. 

Es wäre nun nicht einzusehen, warum das Eserin gerade an der 
Thyreoidea einen umgekehrten Einfluss wie an dem Pankreas aus¬ 
üben sollte, ja experimentell ist das Gegenteil längst bewiesen. 
Wenigstens hat noch niemand nach Eseringaben am Tier Erhöhung 
z. B. der Thyreoidea-Sekretion neben einem Sistieren oder Verminderung 

>) Fraenkel, Über Behandlung des Diabetes. Med. Klinik 1905. Nr. 55—56, 

8 ) Friedmann, Huber, Assmann, Ullmann, R. Schütze, Mark¬ 
breiter etc. 

s ) Ein sehr fettleibiger, nicht diabetischer Patient (zeitweilige Glykosurie), 
der bei 50 g Dextrose 2°'o Saccb. ausschied, also auf grössere Kohlehydratmengen 
mit deutlicher Insuffizienz antwortete, bekam 6 Tage je 50 g Dextr. Nach dem 
6. Tage erhielt er daneben Eserin, und wahrend der Sacch.-°/ogehalt vorher 
zwischen 1 ’/s— 2°/o schwankte, sank er vom 7. Tage ab auf ° o herab, um trotz 
gleicher Dextrosezufubr 2 Tage darauf ganz zu verschwinden. 


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272 M. KRA ENKEL, [8 

der Pankreasarbeit beschrieben, ich glaube auch nicht, dass ein solcher 
Fall eintritt. 

So scheinen mir einerseits die Schlüsse Lorands etwas zu 
weitgehend und nicht exakt bewiesen. — Nichtdestoweniger ist seine 
fiusserst instruktive Monographie voll von interessanten Beobachtungen, 
da der Verfasser mit seltener Belesenheit die gesamte Weltliteratur 
beherrscht und dieselbe uns in kurzen Zügen auffübrt. — Andererseits 
will ich Ihnen m. H. nicht verhehlen, dass meine Versuche besonders 
an Tieren noch recht spärlich sind, um daraus ein endgültiges Urteil 
zu fällen. Ich glaube jedoch — und ich befinde mich hier in guter 
Gesellschaft — folgenden Standpunkt vertreten zu können: die 
Langerhans'sehen Inseln haben sich aus ein und demselben Gewebe 
entwickelt wie das übrige Pankreas. Sie sind mit diesem in dauern¬ 
dem Zusammenhang dadurch, dass sich die Inseln aus dem Drüsen¬ 
gewebe immer wieder ersetzen können. Diese Anschauung ist sowohl 
für ihre Bedeutung wie für die eminent wichtige Frage ihrer Regene¬ 
ration beachtenswert. Andererseits sind sie in ihrer teilweisen Isolierung 
zu Gebilden mit höheren Funktionen heraufgerückt: insofern haben sie 
sich von der — im Moment als allgemeine Aufgabe aufzufassenden 
Pankreasfunktion — Abgabe ihres ganzen Sekretes an den Darm 
losgesagt. „Sie sind mit ihrem höheren Zwecke gewachsen“ 
und dieser höhere Zweck ist als eine Art innerer Sekretion aufzu¬ 
fassen. Sie stellen so ein höheres Stadium der Pankreasentwickelung 
dar, zu dem die Pankreasacini zum ständigen Ersatz der Langerhans- 
schen Inseln aufrücken und so erklärt sich auch ihre hervorragend 
gute Versorgung mit Blutgefässen. Denn alle die Gewebe, die höheren 
Zwecken nutzbar werden, die eine bedeutsamere und grössere Aufgabe 
im Körperhaushalt zu erfüllen haben- müssen, um diesem Zwecke 
voll genügen zu können, mit einer grösseren Blutmenge als dem 
Träger immer neuer Kraftquellen in dauernder Berührung bleiben. 
Sie erscheinen mir in gewissem Sinne den Spermazellen in den Hoden 
und den Ovula in den Ovarien vergleichbar in der Differenzierung 
zu — der Art nach wichtigeren Gebilden. Inwieweit diese Umwandlung 
für unsere Frage nach dem Zusammenhang mit Diabetes Bedeutung 
gewinut, soll w r eiter unten ausgeführt werden, und ich gehe jetzt auch 
absichtlich nicht auf die physiologische Funktion der Inseln ein, wie ich 
sie mir erkläre. — Nur will ich kurz betonen, dass mir die Bedeutung 
der Inseln nach ihrer inneren Organisation — als eine Art Blutgefäss¬ 
drüsen — als das einzige bisher mit einer gewissen Berechtigung 
festgestellte zu sein scheint, — trotz meiner Auffassung eines ana¬ 
tomisch unselbständigen Gebildes, was im ersten Moment 
scheinbar eiuen Widerspruch und Gegensatz enthält, was jedoch weiter 
unten noch begründet werden soll. — 

Was den letzten Punkt anlangt, den ich weiter oben schon kurz 


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9] 


Die Bedeutung der Langerbsns’schen iDseln etc. 


273 


streifte, so zitiere ich Herxheimer’s 1 ) Abhandlung, um Sie über 
die einzelnen Anschauungen zu informieren. Ich nannte Ihnen 
bereits Laguesse etc., jetzt ferner Dogiel, Levaschew, die die Unselb¬ 
ständigkeit der Langhans’schen Inseln betonen, während Lupine, 
Fischer, Ssobolev, Weichselbaum, Claudia Ulesko, 
Schäfer und viele andere — wegen der ihnen zugewiesenen 
eigenen Funktion als innere Sekretion — in ihnen völlig unabhängige 
Gebilde sehen. Zu der ersten Gruppe zählen neuerdings Ben da, 
sein Schüler Böhm, der bei Tieren auch im normalen Pankreas stets 
Zusammenhang zwischen Inseln und Parenchym fand — ich sprach 
schon darüber weiter oben — Dale, Hansemann, Gutmann, 
Ohlmacher, Karakascheff und Herxheimer selbst. Alle 
diese nehmen Übergänge von Inseln, und Acini als sicher an. Herx¬ 
heimer beruft sich auf Serienschnitte von fünf Diabetesfällen, wobei 
er in allen Schnitten zunächst ausgedehnte Übergänge zwischen Inseln 
und Parenchym feststellen konnte, dann fielen ihm in vielen Inseln 
kleine Reste von dunklerem Pankreasparencbym meist am Rand ge¬ 
legen auf, ausserdem auch vereinzelt im Zentrum Reste kleiner Aus¬ 
führungsgänge. Diese Übergänge waren unendlich viel häufiger und 
zahlreicher in diesen Fällen von Diabet, wie im normalen Pankreas, 
und so lehnt Herxheimer die Erklärung von Opie und Sauer¬ 
beck, die in diesen Befunden stehengebliebene Reste embryonaler 
Verbindungen sehen, entschieden ab. Er deutet sie vielmehr als 
Neubildung von Zellinseln aus Parenchymgewebe — und nicht um¬ 
gekehrt, wie sie Karakascheff aufgefasst wissen will. — Es boten 
ihm seine Fälle pathologisch das Bild allgemeiner, starker Sklerose; 
er fand die Zellinseln gerade an den Stellen neugebildet, wo das 
Bindegewebe vermehrt war, oft sogar waren auch sie schon sklerosiert, 
während sie noch in Bildung begriffen waren: Befunde, die uns 
natürlich noch in ihrer Bedeutung bald eingehend beschäftigen werden. 

Denn M. H.: Wir sind eigentlich so schon bei einer weiteren 
Frage angelangt: Welches sind überhaupt die Veränderungen, 
die die Langerhans’schen Inseln erleiden können? 

Ich folge hierbei den Ausführungen Schmidt’s 2 ), Herxheimer 8 ), 
Müller, Opie Sauerbeck, Reitmann und anderen. Neben 
den Fällen von Diabetes, bei denen an den Langerhans’schen Inseln 
und am Pankreas überhaupt keine oder nicht bedeutsame Ver¬ 
änderungen zu konstatieren sind, — zu diesen gehört z. B. die ein¬ 
fache Atrophie auch mit Lipomatose, wie sie häufig auch bei nicht 

i) Herxheimer, Pankreas and Diabetes. Deutsche med. Woeben sehr. 1905. 
Nr. 21. S. 829 ff. Die anderen s. Literaturangabe am Schluss der Arbeit. 

*) Schmidt, Manch, med. Wochenschr. 1902. Nr. 2. 

8) Herxheimer, Virchows Archiv. Bd. 183. S. 228. 


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274 M. FRAENKEL, [10 

diabetischen Individuen sich findet, — fielen Schmidt — über das 
Pankreas verbreitet herdförmige Entzündungen, kleinzellige Infiltra¬ 
tionen auf, die sich durch ihre Häufigkeit gerade bei Diabetes aus¬ 
zeichneten, während sie sonst nicht so häufig vorkamen. Er sieht 
in ihnen lediglich sekundäre Reizzustände. 

Was die Zahl und Form der Langerhans’schen Inseln anbe¬ 
trifft, so sind die diesbezüglichen Angaben von Dieckhoff, Sso- 
b o 1 e w und anderer, dass bei Diabetes die Inseln fehlen oder spärlich 
und klein sein können, mit Reserve aufzufassen, da sie vor allem 
nicht genau angeben, aus welchem Pankreasabschnitt ihre Präparate 
stammen. Denn Opie 1 ) hat durch Zählung festgestellt, dass z. B. 
normalerweise im Schwanzteil etwa doppelt so viel Inseln sich 
finden, als in der übrigen Drüse. Die Verteilung der Inseln ist also 
überhaupt eine ungleichmässige und — m. H. Sie können sich an 
unserem Präparat überzeugen, dass nicht unbedingt zu jedem Drüsen¬ 
läppchen eine Insel gehört. Sie werden manches Gesichtsfeld ver¬ 
geblich nach diesen Inseln durchsuchen. 

Wertvoller und für die spätere Erledigung der Frage nach den 
Beziehungen der Langerhans’schen Inseln zum Diabetes von 
grösster Bedeutung sind dagegen die Befunde, die Schmidt an den 
Langerhans’schen Inseln allein beschrieben hat. 

Es handelt sich um ein atrophisches, aber sonst makroskopisch 
unverändertes Pankreas, in welchem die Langerhans’schen Inseln 
den Zustand hyaliner Degeneration aufweisen. An den Kapillaren 
treten dicke, homogene glänzende Scheiden auf, dadurch ist der 
epitheliale Anteil zwischen ihnen auf schmale Stränge atrophischer 
Zellen reduziert, oft sogar bis auf wenige Zellen geschwunden. Auch 
Opie fand an allen Inseln diese hyaline Degeneration, doch während 
er dieselbe auf die Epithelien zurückführt, hält Schmidt sie für 
Gebilde aus der Kapillarwaud. 

Im Anschluss daran möchte ich eine fast isolierte akute inter¬ 
stitielle Eutzüudung der Inseln — bei einem 10jährigen Kinde mit 
6,8°/o Zucker beschreiben, bei der Schmidt kleinzellige Infiltration 
feststellte, die selten sich als Parenchymherde dokumentierten, sondern 
von ihm stets in den peripheren Inselteilen konstatiert wurden. Die 
dabei an und um die Gefässe ausgebildeten dicken bindegeweblichen 
Scheiden fasst er als Ausdruck chronischer Entzündung auf. 

Neben dieser akuten Entzündung, die sich also isoliert an den 
Langerhans’schen Inseln abspielt, konnte er in einigen anderen 
Fällen chronisch interstitielle Pankreatitis beobachten. Dabei lässt 
sich nun wieder differenzieren — und ich muss Sie m. H.: damit 


i) Opie, Johns Hopk. Hosp. Bullet. Nr. 114 und Journ. of Med. surg. Nr. 4 
und 5. Vol. 5. 


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11] Die Bedeutung der Laugerhans’scben Inseln etc. 275 

des näheren betraut machen, weil alle folgenden Schlüsse sich darauf 
aufbauen, — je nach der Wirkung auf das Parenchym: eine inter¬ 
lobuläre Form, die sich an die Peripherie der Acini hält, — und eine 
intralobuläre oder interazinöse, bei der sich nach Opie 1 ) das junge 
Bindegewebe zwischen den Drüsenschläuchen selbst entwickelt und 
die La ngerh ans'sehen Inseln dabei durch wächst und ihre Epithel¬ 
zellen atrophiert. Gerade die letztere Form ist die am häufigsten 
beobachtete, und es fällt Ihnen gewiss auf, wenn auch hier wieder 
betont wird, dass längs der Kapillaren der Inseln reichliches 
faseriges und hyalines Bindegewebe sich entwickelt hat und Atrophie 
der Epithelien herbeiführte. Diese Atrophie steigerte sich an einzelnen 
Stellen bis zur völligen Umwandlung in epithellose Bindegewebskugeln, 
ähnlich den verödeten Nierenglomeruli. 

Nun verzeichnet Schmidt noch einen dritten interessanten 
Befund. 

In zwei Fällen von Diabetes mit chronischer Pankreatitis findet 
sich an einzelnen Stellen eine völlige Umwandlung in fettreiches 
Bindegewebe, in einem anderen Teil bestehen die Reste selten aus 
gewöhnlichen Drüsenschläuchen, sondern aus Langer h ans 'scheu 
Inseln, von denen oft 20—30 nebeneinander liegen, gewöhnlich in 
derbes Biudegewede eingesetzt und jede Insel von besonderer fibrösen 
Hülle umgeben. Die Langerhans’schen Inseln weichen im allge¬ 
meinen nicht von dem normalen ab. An manchen grösseren jedoch 
fällt auf, dass im Zentrum ein kräftigerer Bindegewebsstock liegt — 
und an manchen kleineren, dass sie nur von einem Kapillargeföss, 
nicht von einem Netzwerk — wie oben bei Besprechung des histo¬ 
logischen Baues beschrieben — durchzogen sind: — Befunde, die eine 
grosse Persistenz der Inseln beweisen, und experimentell dadurch 
nachgebildet werden können, dass man — wie es W. Schulze*) 
gemacht hat — bei Meerschweinchen Pankreasstücke durch Ligatur 
abtrennte. Auch hier trat bald fast totale Atrophie des sezernierenden 
Drüsengewebes ein, die Langerhans’schen Inseln dagegen blieben 
unverändert übrig. 

Und schliesslich konnte Schmidt als das Bedeutungsvollste 
neben einer Grössenzunahme dor Inseln in diesen Fällen — [und 
abgesehen von ihrer Anordnung in Nestern, umgeben von fibrösem 
Bindegewebe als Kapsel] — gerade bei atrophischer Drüsensubstanz 
— eine Zunahme der Inseln an Zahl in einem Läppchen konstatieren, 
Er fand mehr Inseln in einem Läppchen, als es normalerweise der 
Fall ist, selbst unter Brücksichtigung einer Annäherung der einzelnen 

5) Opie, The Journ. of experim. Med. Yol. 5. Nr. 4 u. 5 und Johns Hopk. 
Hosp. Bull. 1900. Nr. 114. 

*) W. Schulze, Arch. mikrosk. Anat. 1900. Bd. 56. 


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276 


M. FRAENKEL, 


12 ] 


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Inseln infolge der Schrumpfung des Organes. Diese Zunahme nun 
beruht auf einer Neubildung der Langerhans’schen Inseln 
aus Drüsenacini. Dabei kann sich ein ganzes Drüsenläppchen 
in eine Gruppe von runden Zellen aufteilen, die morphologisch sich 
nicht von den präformierten unterscheiden, ja manche Läppchen 
zerfallen — nach Schmidt — geradezu in zwei Hälften, deren eine 
nach dem Typus des gewöhnlichen sezemierenden Parenchyms, deren 
andere nach dem der Langerhans’schen Inseln gebaut ist. 

Meine Herren 1 Sie erinnern sich gewiss, dass ich ihnen bei der 
Frage der Regenerationsmöglichkeit der Langerhans’schen Inseln 
im Anschluss an die Behauptung, dass die Langerhans’schen 
Inseln kein selbständiges Gebilde darstellen, diesen Punkt bereits er¬ 
wähnt hatte, und dieser soeben Ihnen gegebene Bericht dürfte als 
letztes Stück und als das Bedeutungsvollste in der Beweiskette zu 
verwerten sein. 

Meine Herren! welche weiteren Schlüsse aus diesem Befund zu 
ziehen sind, diese Frage lasse ich noch offen. Wir wollen erst ge¬ 
meinsam auch die von anderer Seite geschilderten pathologischen 
Veränderungen durchgehen, um uns ein möglichst genaues Bild 
machen zu können, welche Erscheinungen die häufigsten sind, und 
ob die Befunde an den Langerhans’schen Inseln, die an dem 
übrigen Pankreasparenchym überwiegen. 

Herxheimer, der die hyalinen Veränderungen der Zellinseln 
für nichts Spezifisches hält, fand sie gleichwohl recht häufig, aber 
stets nur einen kleinen Teil einzelner Zellinseln betreffend; — im 
Gegensatz zu Opie — der, wie oben bereits erwähnt, darin spe¬ 
zifische Degeneration des Epithels sah — hält jedoch auch er 
dieselbe bestimmt für Veränderungen der Kapillarwände 
der Inseln und ihrer bindegeweblichen Kapsel. 

Es wäre jedoch ein Irrtum, wollte man annehmen, dass diese 
Veränderungen sich nur an den Inseln abspielen; — diesen ent¬ 
sprachen vielmehr ebensolche an den Kapillaren und kleinen Gefässen 
des übrigen Pankreas-Gwehes. 

Es fiel nun Herxheimer in einer ganzen Reihe von Fällen 
auf, dass bei einer hochgradigen Atrophie des Pankreas-Gewebes mit 
Wucherung des Binde- und Fettgewebes — der Ihnen bereits oben 
geschilderte Übergang von Drüsengewebe in Zellinseln und die Zahl 
und Grösse derselben eine exzessive war. Und er sieht in diesem 
Vorgang den Versuch einer Regeneration, indem sich das Drüsen¬ 
parenchym in die widerstandsfähigere Form — das sind die Zellinseln 
— umzuwandelu sucht. 

Daneben fand er in denselben Fällen einen weiteren sehr be¬ 
achtenswerten Entwickelungsprozess: An zahllosen Stellen bemerkte 
er viele kleine Kanälchen und er konnte auf Serienschnitten verfolgen. 


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13] 


Die Bedeutuog der LaJOgerhaae’schen Inseln etc. 


277 


dass diese Gänge entstehen: 1. aus wuchernden Ausführungegängen, 
2. aus umgebildetem, atrophischen Pankreasparenchym; 3. (aber 
seltener) aus Bundschleifen von Langerbans’schen Zellinseln. Die 
Gänge treten entweder in Verbindung mit alten Ausführungsgängen 
oder enden blind im Bindegewebe — oder legen sich wieder an 
Paukreasacinuszellen an. Es fiel besonders die Häufigkeit solcher — 
Kanälchen führender bindege websreicher Stellen auf, welche sich fast 
ausnahmslos an grössere Ausführungsgänge anschliessen. Das Paren¬ 
chym war hier zugrunde gegangen, die Zellinseln aber gut erhalten, 
ja gerade hier besonders gross und zahlreich. Lagen so an manchen 
Stellen im Bindegewebe jene Kanälchen und Inseln zusammen, so 
fanden sich an anderen erstere nicht oder nicht mehr; hier lagen 
nur noch Langerbans’scbe Zellinseln, offenbar aus Drüsengewebe 
entstanden, als der widerstandfähigste Bestandteil in grossen Nestern 
zusammen. 

Meine Herren! Was die Bedeutung dieser Kanälchen anbetrifft, 
so vergleicht sie Herxheimer mit den Bildern bei Leberzirrhose, 
wo es sich um Umwandlung von Leberzellen in Gallengänge, also 
auch um das Bestreben einer besseren Erhaltuug bezw. um den Ver¬ 
such einer Regeneration handelt. In mehreren Fällen fielen ihm nun 
weiter adenomartige Bildungen der Ausführungsgänge und besonders 
der Zellinseln bezw. des Drüsenparenchyms auf. Auch diese Bilder 
sind wohl wie ähnliche in der Leber als über das Ziel geschossene 
Regeneration aufzufassen. Ich erinnere Sie hier an jene oben be¬ 
schriebenen zentroazinären Zellen. Denn es erscheint mir nicht 
unwahrscheinlich, dass sie bei diesem Prozess beteiligt sind. 

Zu ganz gleichen Resultaten kam Reitmann. Da nun diese 
Pankreasaffektion bei Diabetes im Wesen und in vielen Einzelheiten 
der Leberzirrhose ausserordentlich gleicht, schlugen beide für diese Form 
den Namen „Pankreaszirrhose“ vor. Bemerkenswert ist, dass die 
Inseln sich in all diesen Fällen zu wechselnd verhielten, um 
auf sie das „einzige“ Gewicht zu legen. 

Meine Herren 1 diese soeben beschriebenen Pankreas-Verände¬ 
rungen bei Diabetes stehen in Beziehung zu den von v. Hansemann 
als „Granularatrophie“ bezeichneten Prozessen, — nur gehen sie quasi 
über dieselbe hinaus, — da sie Bilder hervortreten lassen, die in 
ihrer Gesamtheit auf äusserst starke Regenerationsbestrebungen des 
Pankreas hindeuten. Das beweist ja auch schon die Neubildung des 
Drüsengewebes in diesen Fällen. 

Hanse mann betonte, dass der häufigste Befund bei Diabetes: 
Atrophie des Pankreas ist, aber nach ihm ist die seltenere Form die 
kachektiscbe, die häufigere die diabetische, und er definiert die 
letztere folgendermassen: Bei der diabetischen Atrophie ist das 
Pankreas gewöhnlich schlaff und etwas dunkel gefärbt. Die dunklere 


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Färbung rührt von der Beschaffenheit des Bindegewebes und dem 
Durchscheinen kleiner venöser Gefässe her. Die Drüse ist be¬ 
sonders in ihrem Dickendurchmesser verkleinert, so dass sie in ein 
plattes Organ verwandelt ist. Die Drtisenläppchen sind klein. Das 
Binde- oder Fettgewebe der Umgebung setzt sich in das Organ fort, 
so dass sich dasselbe oft schwer herauspräparieren lässt. Zuweilen 
finden sich direkt grössere Verwachsungen und neugebildete Stränge, 
die das Pankreas mit der Umgebung verbinden. Mikroskopisch zeigen die 
sekretorischen Zellen ausser der Atrophie keine besondere Veränderung, 
speziell fehlen in reinen Fällen Trübungen, Fettmetamorphose, Pig¬ 
mentierung schwerer Art. Das Stroma ist aber nicht wie bei der 
kachektischen Atrophie zugleich atrophisch geworden, sondern es hat 
die durch die Verkleinerung der Drüsenläppchen entstandenen Lücken, 
mehr oder weniger ausgefüllt. Es ist zwar meist fibrös, aber stets 
findet man an einigen Stellen auch frischere Wucherungen in Gestalt 
einer zelligen Infiltration. Es ist also ein aktiver Prozess hinzuge¬ 
treten, der in das Gebiet der interstitiellen Entzündungen gehört, so 
dass eine prinzipielle Ähnlichkeit mit gewissen Formen der Granula¬ 
atrophie der Nieren auf tritt“. 

Er vertritt also die Ansicht, dass die Veränderung des Acinus- 
gewebes des Pankreas in den Vordergrund zu stellen ist bei dem 
ursächlichen Zusammenhang mit Diabetes. 

Meine Herren! Überblicken Sie nun die Reihe der Ihnen bisher 
beschriebenen pathologischen Veränderungen, so wird es Ihnen klar 
sein, dass je nach der grösseren oder kleineren Anzahl von gleichen 
Befunden, sich zwei diametral entgegengesetzte Theorien entwickelt 
haben. Eben jene Granularatrophie Hansemanns auf der einen 
Seite und — ohne jede Vermittelung — auf der anderen Seite — die 
sog. Inseltheorie, die eben gerade in dem speziellen Befallensein 
nur der Langerlians'schen Inseln die Ursache des Diabetes 
sehen. 

Nun meine Herren! gegen diese letztere spricht vor allem die 
oben bereits kennen gelernte Tatsache, dass wir in den Langerhans- 
schen Inseln gar keine selbständigen Gebilde sehen können, dass sie 
vielmehr, wie oben bereits beschrieben, eine ganze Reihe Übergänge 
zu dem Drüsengewebe zeigen. 

Dann fällt auch die Hauptstütze der Inseltheorie: Bei experi¬ 
mentellen Gangunterbindungen ! ), bei Totalexstirpation und Wieder¬ 
einpflanzung von Pankreasstücken in die Bauchhaut (Minkowski) — 
wie ich es gleichfalls schon oben beschrieben habe, ging das Pankreas¬ 
gewebe zugrunde und wurde durch Bindegewebe ersetzt, — die 
Langerhans’schen Inseln jedoch blieben erhalten und Diabetes 

i) W. Schulze, Arch. mikrosk. Anat. 1900. Bd. 56. 


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Die Bedeutung der Langerhana’schen Inseln etc. 


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trat — wie man behauptete — eben dieserhalb nicht ein; uud daraus 
wieder schloss man auf die völlige Selbständigkeit dieser Inselgruppen. 

Meine HerrenI wir sahen schon weiter oben, dass dieses Er¬ 
haltenbleiben der Langerhans’schen Inseln eben gerade als ein 
Regenerationsprozess aufzufassen ist. Die Langerhans’schen Inseln 
sind als die widerstandsfähigere Form gebildet worden, und Zwar von 
dem Acinusgewebe. 

Und auch die im ersten Augenblick in der Tat auffallende und 
merkwürdige Beobachtung, dass in Fällen von Pankreaskarzinom kein 
Diabetes bestand, findet (nach Hansemann} darin seine Erklärung: 
dass die Krebszellen als Nachkommen der sekretorischen Pankreas¬ 
zellen die hierzu nötige Funktion des Pankreas in genügender Weise 
übernehmen können, und es ist diese Erklärung dem Befunde 
Naunyn’s entsprechend, der im Leberkarzinom in bereits voll¬ 
kommen karzinomatösem Gewebe, noch Gallensekretion nachwies. 

Ebenso scheint mir der Schluss, den Lazarus 1 ) deduziert aus 
dem Ergebnis der von ihm erzeugten experimentellen Hypertrophie 
der Langerhans’schen Inseln durch Phloridzin- und Adrenalin- 
Injektion bei Tieren, — die an sich äusserst interessante Befunde 
ergeben hat, — doch zu weitgehend, wenn er eine anatomische Selb¬ 
ständigkeit der Inseln daraus . herleitet. Dagegen erscheint mir 
andererseits von höchster Bedeutung seine Annahme, dass die Gefäss- 
inseln wichtige Faktoren bei der Regulation des Zuckerstoffwechsels 
darstellen. Die von ihm so erzeugte Hypertrophie ist als eine funktio¬ 
neile Erhöhung und scbliessliehe Überlastung dieser regulatorischen 
Aufgabe aufzufassen. — Interessant ist vor allem auch — die auf¬ 
fallende Blutfüllung und der grosse Kapillargefässreichtum in seinen 
Präparaten, bemerkenswert die an das Experiment sich an¬ 
schliessende Arteriosklerose grosser und kleiner Gefässe 
und Kapillaren. 

Meine Herren! Somit sind wir schliesslich zu der Erkenntnis 
gekommen, bei einem so nahen Konnex zwischen Insel und Acinus¬ 
gewebe einerseits, bei den variablen anatomischen Befunden anderer¬ 
seits, es mehr als einen Zufall zu betrachten, ob in dem einem Falle 
die Zellinseln, — parallel der Gesamtatrophie, — der Iuseltheorie 
entsprechend, spärlich und verändert sind, oder ob die Inselgruppen 
durch Neubildung ergänzt und so in normaler Zahl vorhanden und 
gut erhalten erscheinen. 

Meine Herren! Greifen wir jetzt noch einmal zurück auf die 
Ausführungen Herxheimers, so erscheint mir seine Pankreas¬ 
zirrhose ein Bindeglied zwischen den beiden so extremen Theorien 

i) Lazarus, Experimentelle Hypertrophie der Langerhans’schen Inseln 
bei Phloridzinglykosurie. Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45. 


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zu sein und meine Herren! mit einem Schlage ändert sich das Wirr 
der pathologischen Befunde. 

Lassen Sie mich das des genaueren im Zusammenhänge aus¬ 
führen, indem ich die Anschauungen Herxheimers zu den 
meinigen mache. 

Wenn wir als das Wesentliche und Interessante bei der von Herx- 
heimer beschriebenen Pankreas-„Zirrhose“ die Betonung der .Regene¬ 
rationsbilder ansehen, müssen wir unbedingt annehmen, dass die 
Atrophie des Drüsengewebes das Primäre, die Bindegewebsentwicke- 
lung und Regenerationsbestrebungen das Sekuudäre vorstellen. Diese 
Bestrebungen des Gesamtparenchyms weisen darauf hiu, dass eine 
Schädigung des Gesamtpareuchyms auch funktionell von vornherein 
Vorgelegen hat. Damit fällt aber die physiologische Frage der Be¬ 
teiligung des gesamten Parenchyms beim Diabetes mit den anatomischen 
Befunden zusammen. Wir folgern also, dass sowohl Acinusgewebe, 
wie Inseln beim Diabet beteiligt sind, — und diese Schlussfolgerung 
findet ihre Stütze und Begründung in den oben beschriebenen Über¬ 
gängen beider Gewebe gerade beim Diabetes. 

Es kann und wird den Inseln auf Grund einer ausgesprochenen 
Funktion beim Zustandekommen des Diabetes eine — wenn auch 
nicht spezifische — so doch grössere Rolle zufallen und zuzumessen 
sein — als dem übrigen Parenchym; dieser Schluss dürfte auf Grund 
der in manchen Fällen beobachteten, hochgradigen Veränderungen 
der Inseln — sowie in dem Ergebnis der angeführten Experimente 
seine Berechtigung finden. 

Aber es liegt kein Grund vor, und die normale Entwickelung 
widerspricht dem direkt, — die Inseln allein und nur sie — wie es 
die strikte Inseltheorie verlangt beim Diabetes heranzuziehen. Ebeuso- 
weuig, mit noch geringerer Berichtigung, kommt das Drüsenparenchym 
allein für sich in Frage. 

So entwickelt denn auf Grund aller dieser Erwägungen Herx¬ 
heim er eine zwischen beiden Extremen vermittelnde Anschauung, 
die allen Punkten gerecht wird. Von Hause aus wohnt den Pankreas- 
acinuszellen ausser der äusseren Sekretion auch die innere Regulierung 
des Kohlenhydratstoffwechsels inne. — Später — ich glaube — auf 
einer höheren Entwickelungsstufe — und auch weiterhin bilden sich 
aus dem Parenchym die Zellinseln, die den Anschluss an die äussere 
Sekretion verlieren, und somit gerade die innere um so stärker 
ausbilden; eine Aufgabe, zu der sie infolge der ihnen eigentüm¬ 
lichen Blutversorguug, des grossen Kapillarreichtums — besonders 
befähigt sind. 

Diabetes tritt nun ein, wenn ein Funktionsausfall vorliegt, der 
sowohl den einen wie den anderen Teil — meistens aber wohl 
beide trifft. 


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Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln etc. 


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Dabei wiegt die Funktions-Störung oder der Funktions-Verlust 
der Langerhans'sehen Inseln naturgemäss schwerer. 

Wieweit jeder von beiden Bestandteilen geschädigt sein muss, 
damit Diabetes eintritt, wie weit beide füreinander eintreten können, 
lässt sich nicht genau bestimmen. Die zwischen Menschen und Tier 
bestehenden Unterschiede hinsichtlich dieses vikariierenden Eintretens 
der beiden Bestandteile füreinander sind dann nur quantitativer 
Natur. Und wenn man annimmt, dass bei Tieren das Vorhandensein 
der Zellinseln allein genügt, um Diabetes hintanzuhalten, — wie es 
das Experiment zeigt — beim Menschen jedoch nicht, — so ist — 
meiner Auffassung nach — der Grund darin zu suchen, dass beim 
Tier jene regenerative Eigenschaft in höherem Masse noch erhalten 
ist, als beim Menschen, und so bleibt dort der Zusammenhang viel¬ 
leicht dauernd bestehen, die Trennung zwischen den einzelnen Be¬ 
standteilen — Acini und Inseln — ist nicht so exakt, infolgedessen 
der Regenerationsprozess viel leichter zu bewerkstelligen. Bei dieser 
meiner Auffassung wird es klar, dass das Tierexperiment andere 
resp. nicht mit den menschlichen Befunden bei Diabetes sich ganz 
deckende Ergebnisse zeitigen wird, und es fällt andererseits der 
bisher so in die Augen fallende prinzipielle Unterschied zwischen 
beiden fort, eben weil wir jetzt die Gründe kennen. 

Meine Herren! Nach all diesen Betrachtungen und Erwägungen 
kann ich diese Abhandlung nicht beschliessen, — will ich nicht dem 
Vorwurf des Unvollständigen begegnen — ohne der Kardinalfrage 
Erwähnung zu tun: 

Woher stammen nun eigentlich die supponierten Funktions¬ 
störungen, bis sie sich in dauernden pathologischen Veränderungen 
äussern ? 

Wie entstehen eigentlich diese Störungen? Durch welche ätio¬ 
logischen Momente kommen sie zustande? 

Welche Schädigungen sind es, die ätiologisch das Pankreas 
angreifen, und au ihm pathologische Prozesse schliesslich auslösen? 

Meiue Herren? Das Thema hat uns enge Grenzen gezogen, und 
so kann ich diese Fragen nicht in der eigentlich nötigen Ausführlichkeit 
beantworten, die der Wichtigkeit derselben entspräche. Ich muss 
auf meine früheren Arbeiten verweisen, in denen ich meine An¬ 
sichten ausführte, und kann hier nur kurz zusammenfassen, was ich 
dort des genaueren begründete. 

Es ist hier ebenso wenig Gelegenheit, auf die Glykosuronsäure- 
theorie Mayers 1 ) einzugehen, — deren Richtigkeit ich anzuerkennen 

i) Mayer, Infolge Insuffizienz der Oxydationskraft oder mangels oxydierenden 
Materiales, also Sauerstoff, kann Zucker nicht vollständig, sondern nur noch bis 
zur Glykosurons&ure abgebaut werden. 

Würzburger Abhandlungen. Bd. VUL H. 11. 20 


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Veranlassung habe, — wie ich die Gründe auseinandersetzen kann, 
weshalb — nach meiner Ansicht — jede Zuckerausscheidung — sei 
es die alimentäre, sei es die Lävulosurie, oder Pentosurie als ernst 
aufzufassen ist, weshalb sie alle nach einem Ziele: dem Diabetes: 
hinzustreben scheinen, weshalb ich in ihnen — wie auch in einer 
besonderen Anlage übermässiger Fettleibigkeit eine Vorstufe des 
Diabetes zu sehen Veranlassung habe. 

Kurz gesagt: glaube ich Zirkulationsstörungen und Schwankungen 
als das Primäre auffassen zu dürfen mit engster Beteiligung des 
Vagus, also: Angioneurosen, die als ihr Endglied in der langen Reihe 
daraus langsam entstehender pathologischer Veränderungen — die 
für uns allein sichtbar werdende Arteriosklerose aufweiseu. — Diese 
Zirkulationsanomalien finden gerade im Pankreas und hier gerade 
wieder in den Langerhans’schen Inseln ihr geeignetes Feld, iufolge 
der diesem Abschnitt eigentümlichen Gefässordnung, weil hier schon 
geringe Schwankungen und Abweichungen von der Normalen erheb¬ 
lichen Ausschlag — als Stauungen oder als Anämien — geben können 
(grob anatomisch gesprochen). 

Nun meine Herren! Nicht etwa auf Basis komplizierter theore¬ 
tischer Kombinationen beweise ich das Gesagte —, glaube ich für die 
Richtigkeit desselben eintreten zu können. — Nein! Ich brauche Sie 
nur an die pathologischen Veränderungen selbst zu erinnern, von 
denen wir vorhin ausführlich gesprochen haben und von denen 
ich absichtlich schon immer darauf hin weis, eine wie auflallende 
Übereinstimmung bei allen Beobachtern darin herrschte, gerade an den 
Gefässen jene hyalinen Veränderungen sich abspielen zu sehen und 
als von diesen ausgehend sicher anzunehmen, — während als einziger 
Opie für ihre Abstammung von Epithelien eintrat, und wie ich be¬ 
stimmt sagen kann: mit völligem Unrecht. — 

Rekapitulieren Sie bitte die Schilderungen von Herxheimer 1 ) 
und Schmidt 2 ), die ich Ihnen gab, — lesen Sie den Bericht von 
Croner 8 ) über 100 Fälle von Diabetes mit Arteriosklerose, von 
Vergely 4 ), Fleiuer 5 ), Minkowsky 6 ) über seine Anschauungen 
hinsichtlich des reinen Diabetes Naunyn’s 7 ) — verfolgen Sie die 
Abhandlung Hoppe-Seyler’s 8 ) im Archiv für klinische Medizin, über 
seine „Pankreatitis angiosklerotica“, — Lazarus 9 ) über seine Adre- 

: und 2 ) Herxheimer und Schmidt, S. 9 dieser Besprechung. 

3 ) Croner, Deutsche med. Wochenschr. 1903. Nr. 45. 

4 ) Vergely, Gaz. heb. 83. Bd. 20. 

5 ) Fleiner, Berl. med. Wochenschr. 94. Nr. 1—2. 

«) Minkowski, Münch, med. Wochenschr. 1903. Nr. 15. 

7 ) Naunyn, Deutsche Klinik. Bd. 3 und Deutsche med. Wochenschrift. 1905. 
Nr. 25. 

8 ) Hoppe-Seyler, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 52 u. 81. 

9) Lazarus, Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45. 


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Die Bedeutung der LsDgerhans’ecben Inseln etc. 


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naliuversuche am Pankreas und meine Arbeiten') — hören Sie die 
Schlussbetrachtung Herxheimer’s: („In einem grossen Teil der 
Diabetesfälle können die arteriosklerotischen Veränderungen, wie sie 
besonders an den kleinen Gefässen des Pankreas gefunden werden, 
als ätiologische Schädigung herangezogen werden, diese Veränderungen 
der kleinen Gefässe und Kapillaren könnten auch noch in einer anderen 
Richtung angeschuldigt werden: — Es ist rein mechanisch denkbar, 
dass sie bei der Annahme einer inneren Sekretion — diese hindern 
könnten. Und da sich diese Veränderungen vorzugsweise an den 
Kapillaren der Inseln finden, könnten sie und im selben Sinne die 
Sklerose letzterer besonders schwer wiegen“) — und Sie haben 
eine Fülle von — ich möchte sagen — greifbarem Material 
genug. 

Fügen Sie dem noch hinzu die immer mehr als richtig aner¬ 
kannte Tatsache, dass Arteriosklerose einmal gar nicht lediglich ein 
Altersprozess ist, sondern auch bei Jugendlichen — mit sehr labilem 
Nerven- und Gefässystem — beobachtet wird, dass andererseits ihre 
Ausdehnung und ihre allerersten Anfänge sich unserer Kenntnis ganz 
entziehen! 

Gerade die ersten Anfänge mit ihren Zirkulationsschwankungen 
— besonders in einem so fein verzweigten Kapillarsystem — wie es 
das Netzwerk in den Langerhans’schen Inseln darbietet, — ent¬ 
gehen uns, und naturgemöss auch ihre ersten Schädigungen an den 
Geweben, — um so beachtenswerter aber erscheinen sie mir und um 
so bedeutsamer. 

Meine Herren! Wenn ich kurz einmal den Gang und die sich 
aus der gestörten Zirkulation entwickelnden Erscheinungen 
und Vorgänge skizziere, so ergibt sich folgendes: die Blutversorgung 
ist — z. B. durch nervösen Einfluss — gestört, infolge der eigentüm¬ 
lichen Anordnung der Kapillaren entstehen zuerst Schwankungen in 
der Zelltätigkeit der Langerhans’schen Inseln, und das Resultat 
wird in der geringeren Bereitung jenes besonderen Stoffes sich üussem. 
Es wird der Leber also im Blute nicht — weder quantitativ, noch 
qualitativ — die nötige „Fermentmenge“ zugeführt, und sie wird so 
weniger Kraft besitzen, die Umwandlung des Zuckers in Glykogen 
vorzunehmen. Denn wir stellteu uns vor, dass sie dazu dieser An¬ 
regung seitens des besonderen Sekretes derLangerhans'sehen Inseln 
bedarf. — Zu gleicher Zeit wird aber auch dieselbe Störung das 
Drüsengewebe treffen, es wird 1. seine gewöhnliche Arbeit: Pankreas¬ 
saft zur weiteren Zerlegung der Nährstoffe nicht in vollem Masse 
, ausführen (sowohl quantitativ wie qualitativ) und es folgt daraus 


i) Fraenkel, 
1905. Nr. 55-56. 


Wiener klin. Rundschau. 1905. Nr. 29 —30 und Med. Klinik 

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wieder die unvollständige Spaltung derselben. 2. Aber wird sich die 
Schädigung auch in mangelhaftem Ersatz der Langerhans’schen 
Inseln bemerkbar machen, die zweite und wie wir gesehen haben — 
überaus wichtige Aufgabe des Drüsengewebes. So sind einmal schon 
an und für sich die Langer bans’schen Inseln geschädigt, anderer¬ 
seits erfolgt kein — jetzt doppelt nötiger Nachwuchs, oder nur ein 
sehr spärlicher und mangelhafter, resp. derselbe blieb auf einer 
niedrigeren Stufe der Umwandlung stehen. Handelte es sich um 
Zirkulationsstörungen vorübergehender Art, dann würden sich die¬ 
selben in der „alimentären“ Glykosurie äussem, — hier sind Schwan¬ 
kungen in der Verarbeitung infolge Schwäche vorübergehender Art 
entstanden. — Wird die Zirkulationsstörung dauernd, so wird — in 
tausendfältiger Abstufung — der Schaden sich als gleichfalls dauernd 
einstellen. Meine Herren! zwischen diesen weiten Grenzen bewegen 
sich nun alle möglichen Variationen, was die Schwere der anatomischen 
Veränderungen anbetrifft. Und diese werden noch an Zahl grösser, 
wenn sie bedenken, dass er als ein Spiel des Zufalles anzusehen ist, 
wo sich zuerst, wo sich am stärksten die Veränderungen geltend 
machen. 

Diese Veränderungen werden sich in denselben Grenzen bewegen, 
wie die pathologischen verschiedenartigsten Veränderungen an den 
Gefässen, von dem beginnenden Spasmus, der Angioneurose bis 
hinauf zur Arteriosklerose. 

Wenn wir noch einmal auf das Tierexperiment eingehen: Bei 
Totalentfernung des Pankreas und Wiedereinnähung eines Stückes 
in die Bauchhaut, gehen nach dem Ihnen Ausgeführten selbstredend 
die Acini zugrunde, da sie — ohne Ausführungsgang — ihrer ersten 
Aufgabe ledig sind (Darmsekret zu produzieren). Um so mehr können 
sie sich der zweiten, nunmehr einzigen widmen: sich in die höher 
organisierten Langer ha ns ’schen Inseln umzuwandeln und diese 
zu ersetzen unter einer Bedingung: gute Ernährung, 
normale Zirkulation. 

So ist das Restieren nur der Langerhans ’schen Inseln erklärlich, 
ja es erscheint uns als das einzige Mögliche und Richtige 1 ) und so 
wird das Sinken des °/o auch verständlich. 

Wenn wir, um einen anderen Fall zu beleuchten, — in rapid 
verlaufenden Diabeteserkrankungen keine pathologischen Verände¬ 
rungen vorfinden, trotz mächtigen °/o, nun meine Herren 1 jetzt wird 

i) Beröntgte man nun ein solches eingeheiltes Stück, dann wurden die Zellen 
in ihrer Arbeit geschädigt und der Prozentgehalt stieg als Ausdruck dafür, dass die 
innere Sekretion der jetzt noch allein vorhandenen und umgebildeten Langerhans’j 
sehen Inseln sistiert hat Das gleiche trat in einem andern Fall bei Adrenalin inj. 
— jedoch nicht in so starkem Masse auf; eine Hypertrophie habe ich nicht hervorrufen 
können. (Siehe Lazarus, Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45.) 


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Die Bedeutung der Langerhans'scben Inseln etc. 


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das Ihneu völlig klar sein. Hier war zu einer in die Augen fallenden 
Schädigung — sei es des Drüsengewebes, sei es der Langerhans- 
schen Inseln, sei es beider zusammen — gar keine Zeit; es sistierte 
einfach die gesamte höhere Funktion durch die plötzliche Zirkulations¬ 
störung erheblichster Art völlig; es ging keine Ersatzumwandlung 
aus dem Drüsengewebe mehr vor sich. Die Drüse hatte allein mit 
der niedrigeren Sekretionsfunktion zu tun, und war einer höheren 
Aufgabe nicht gewachsen. 

Und wenn bei jugendlichen Diabetikern auffallend häufig die 
numerische Inselverminderung beobachtet wird, so ist diese Erschei¬ 
nung für uns jetzt leicht verständlich. Durch die von vornherein 
mangelhafte ZirkulationsVersorgung reicht die Drüse wohl gerade 
noch oder nur z. T. dazu aus, die Verdauung zu regulieren, oft ist 
sie auch dieser Aufgabe nicht mehr voll gewachsen und die fast stets 
bei jugendlichen Diabetikern vorhandene starke Fettleibigkeit ist der 
deutlichste, ja ich möchte sagen, der greifbare Beweis dafür. — An 
einen Ersatz der geschädigten Langerh ans’schen Inseln ist natürlich 
überhaupt nicht zu denken, und so kann wohl kein Zweifel sein, dass 
die Langerhans’scben Inseln langsam und unersetzt zugrunde gehen. 
Sie machen noch eine gewaltsame Anstrengung, die nötige Arbeit zu 
leisten, sie zeichnen sich — wie oft beschrieben wird — durch ihre 
Grössenzuuahme aus; diese ist jedoch als eine — vergebliche — 
Arbeitshypertrophie aufzufassen. Wir wissen, dass jüngere Fälle zu 
den verlorenen zu zählen sind. Hier handelt es sich eben um ge¬ 
waltige ev. ererbte Zirkulationsanomalien, die von vornherein jede 
Aussicht auf Hebung ausschliessen. 

So müssen wir in den Fällen, bei denen nach überstandenem 
Schreck plötzlich Diabetes auftritt, annehmen, dass schon vorher 
ein labiles Gefässystem, labile Nerven vorhanden gewesen sind, dass 
schon vorher Zirkulationsstörungen vielleicht zeitweilig nur — sei es 
die Langerhans’scheu Inseln sei es das Drüsengewebe geschädigt 
und in ihrer Funktion geschwächt hatten. Hier genügt nun eine 
plötzliche erhebliche Schwankung in dem Gefäss- und Kapillarsystem 
besonders der Langerhans'sehen Inseln, um sogar dauernde 
Schädigung zurückzulassen. Es wird sich eben darum handeln, 
welcher für Schädigungen vorbereitete Boden sich findet, wie sehr 
die Zelltätigkeit bereits der untersten Grenze des noch normalen 
genähert und auf diese herabgemindert ist. 

Infolge grösserer Anstrengung und Arbeit werden die vorhandenen 
sehr intensiv in Anspruch genommen, können aber infolge schlechter 
Ernährung schon die normale Arbeit schwer bewältigen, geschweige 
denn die jetzt immer grössere. 

Meine Herren! ich habe ganz willkürlich einige Fälle quasi als 
Beispiel herausgegriffen, um Ihnen an der Hand derselben diese meine 


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2«6 M. FEAENKEL, [22 

Theorien und Anschauung auch praktisch zu entwickeln und zu be¬ 
gründen. Und so lassen sie mich denn zum Schluss resümieren. 

Vergleichbar dem intermediären Gallenkreislauf, ähnlich den 
Vorgängen bei der Neutralisierung der Salzsäure im Darm, bei der 
einmal reflektorisch vom Magen aus die Pankreasdrüse zur Arbeit 
angeregt wird, — zweitens aber bei Berührung mit der Darmschleim¬ 
haut ein Körper „Sekretion“ gebildet wird, der vom Blut aufgenommen 
dem Drüsengewebe des Pankreas zugeführt wird l ) — so ißt auch die 
Sekretion der Langerhans’schen Inseln auf zweierlei Wege zu er¬ 
klären. Einmal meldet bei Kohlehydrataufnahme eine nervöse Leitung 
die notwendig werdende Abgabe von ihrem Sekret an die Kapillaren 
und die Leber. Auf der anderen Seite trägt der Blutstrom selbst durch 
seine eigenartige Anordnung in Netzwerk ähnlich der Glomeruli und 
dadurch dauernde Umspülung der iDselzellen zur „Ferment“-bildung 
wesentlich bei. 

Die Stellung des Pankreas zur Leber vergleiche ich mit der des 
Ovariüm zum Uterus: in beiden sehe ich übergeordnete Organe, die 
dauernd ihren Einfluss auf das andere ausüben. 

Erst durch das „Insel“-ferment vermag die Leber die Glykogen¬ 
bereitung vorzunehmen. Bei Sekretionsstörung verliert die Leber 
diese Kraft, die ihr, dank des „Stoffes“ innewohnte, und ihre Aufgabe, 
— als untergeordnetes Organ — quasi als Filter zu dieuen, wird je 
nach der Grösse der Störung teilweise oder ganz eingeschränkt. Zu 
gleicher Zeit erhält auch der gesamte Kreislauf kein „Ferment“ mehr, 
und so wird die gewaltige, sich überall ausdehnende Störung erklär¬ 
lich, die bei jedem Umlauf an Stärke naturgemäss zunimmt, da ja 
die schädigenden Faktoren nicht sistieren. Ich denke dabei an den 
bereits erwähnten und begründeten Zerfall roter Blutkörperchen; an 
die Zirkulationsstörungen etc. 

Das „Ferment“ stammt in aller erster Linie von den Langer¬ 
hans’schen Inseln. — Inwieweit bei diesem Vorgang noch andere 
Organe — besonders die sog. Blutgefässdrüsen — beteiligt siud und 
hierbei mitsprechen, lasse ich dahingestellt. Unbedingt nötig scheint 
mir eine solche Annahme nicht zu sein. — 

Trotz dieser ihrer speziellen Funktion, die am klarsten experi¬ 
mentell dadurch bewiesen wird, dass nach Totalexstirpation und Wieder¬ 
einpflanzung oder nach Abschnürung eines Pankreasstückes die 
Laugerhans'sehen Inseln Testieren, während das übrige Drüsen¬ 
gewebe zugrunde geht, und doch der Zucker °/o (bei Wiedereinpflanzung) 
sinkt, sind die Inseln doch keine selbständigen Gebilde. Sie stammen 
aus dem Drüsengew'ebe, das sich stellenweise in diese Inseln umbildet, 
eben um diese höhere Aufgabe erfüllen zu können. Zu diesem Be- 

i) Bickel — Pawlow. 


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Die Bedeutung der Langerhans’achen Inseln etc. 


287 


hufe ist auch eine exquisite Blutversorgung in Form netzartiger 
Kapillaranordnung nötig und von der Natur weise vorgesehen worden. 

Es werden die Drüsenacini-Inseln, die etwa durch momentane 
Schädigungen untergegangen sind, durch neu umgewaudelte ersetzt. 
Wieweit hierbei gerade die zentroazinären Zellen eine führende Rolle 
spielen, vermag ich nicht zu sagen; auffallend ist jedenfalls ihr 
exquisiter Abschluss gegen die Sekretkanälchen. Das gibt gewiss zu 
denken (s. oben). 

Die Langerhans’schen Inseln haben als die widerstandsfähigere 
Form des Pankreasgewebes zu gelten. Die ihnen daher speziell an¬ 
vertraute Aufgabe ist also dem Drüsengewebe überhaupt in weitestem 
Sinne eigen. Nur tritt eine Arbeitsteilung derart ein, dass die einen 
Drüsenepithelien mittelst ihrer Ansführungsgänge Sekret an den Darm, 
die anderen Epithelien: Langerhans’schen Inseln die innere Sekretion 
zu besorgen haben. 

Da naturgemäss zirkulatorisclie Störungen als die primäre Ursache 

— wie wir sie oben ausführten — auch das Acinusgewebe treffen, 
so wird auch das Acinusgewebe Schaden leiden, der sich in mangel¬ 
haftem Erfüllen gerade jener höheren Aufgabe — Ersatz der Langer¬ 
hans’schen Inseln — äussert, während es die zweite Aufgabe noch 
gut erfüllen kann. Die hieraus ergebenden tausendfältigen Variationen 
erklären die verschiedenen pathologischen Befunde bei Diabetes, wo 
bald die Langerhans’schen Inseln, bald das Drüsengewebe allein, 
bald — das ist das häufigste — beide in gleichem oder verschiedenem 
Masse getroffen sind. Das aber lassen die pathologischen, anatomischen 
wie physiologischen Beobachtungen wohl als sicher erscheinen, dass 
das Pankreas überhaupt — wie ich jetzt wohl mit Recht sagen kann 

— die höchste Bedeutung für die Zuckerumsetzung und für den 
Diabetes besitzt. 

Die bisherigen Anschauungen von den Langerhans’schen 
Inseln hat sich also etwas verschoben, die Inseltheorie ist entschieden 
ebensowenig mehr als richtig anzuerkennen, wie die strenge „Granular- 
atrophie. Richtig ist wohl allein die — beide Anschauungen ver¬ 
einende Ansicht Herxheimer’s wie ich sie Ihnen oben ausführte. — 

Die Langerhans’schen Inseln erscheinen so in einem neuen Licht. 

Ihrer Stelle als Eigengebilde, als besondere von der Drüse ge¬ 
trennte Zellkomplexe sind sie enthoben. 

Sie haben eine speziellere, hochwichtige Aufgabe als Pankreas¬ 
gebilde überhaupt zu erfüllen. 

Sie sind auserwählt aus dem gesamten Parenchymgewebe, aus 
dem sie stammen, und das für ihren Ersatz dauernd sorgt, zur 
höheren Funktion. 

Das — meine Herren! — und damit lassen sie mich schliessen 

— ist — meiner Ansicht nach — die Bedeutung der Langer- 


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hans’schen Inseln. Als ein hochwichtiger und hochentwickelter Teil 
der ganzen Drüse sind sie aufzufassen. 

Und nur mit dieser Einschränkung anerkennen wir ihre Be¬ 
deutung und ihren hohen Wert für den Kohlehydratstoffwechsel. 


Literatur. 

1. Achard und Lee per, Akromegalie und Diabet. Qaz. hebd. 1900. 

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Nr. 2. 

22. Fl ein er, Berl. klin. Wochenschr. Nr. 40. 91./94. Nr. 1—2. 

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25] 


Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln etc. 


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290 M. FRAENKEL, Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln etc. [26 

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Bd. 63. 


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Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg, 


Demnächst erscheint die 2. erweiterte und verbesserte Auflage von: 

Lehpbuoh 

der 

spezifischen Diagnostik und Therapje der Tuberkulose 

für Studierende und Ärzte. 

Von 

Dr. B. Bandelier Dr. 0. Roepke 

Oberarzt der Dr. Weicker’achen Lungen- Dirigierendem Arzte der Eisenbahn- 

heil-Anatalten, Görbersdorf. Heilstätte Melsungen. 

gr. 8°. ca. 12 Bg. mit 1 farbigen lith. Tafel, 19 Temperatur-Kurven auf 5 lith. Tafeln und 4 Ab¬ 
bildungen im Text. Preis brosch. M. 5.50, geb. M. 6.50. 

Inhaltsverzeichnis: Einleitung. I. Die spezifische Diagnostik der Tuberkulose. A. AUgemeiner 
Teil. 1. Die kutane Tuberkulinprobe. 2. Die perkutane Tuberkulinprobe. 3. Die konjanktivale Tuberkulinprobe. 4. Die 
»ubkoUne Tuberkulinprobe, a) Wahl des Präparates, b) Dosierung bei Erwachsenen, c) Tuberkulinreaktion, d) Kontra¬ 
indikationen und Indikationen, e) Dosierung im Kindesalter. Stichreaktion. B. Spezieller Teil. Die Tuberkulindiagnostik 
bei Lungentuberkulose, bei Kehlkopftuberkulose, in der Ohrenheilkunde, in der Augenheilkunde, in der Dermatologie, bei 
Lymphdrfisen, Knochen- und Gelenk-Tuberkulose, bei Urogenitaltuberkulose, bei Tuberkulose der serösen Häute und bei 
Tuberkulose in der Kinderheilkunde. II. Die spezifische Therapie der Tuberkulose. A. Allgemeiner Teil. 1. Die 
Geschichte des Tuberkulins und die erste Tuberkulinära. 2. Die Tuberkulintherspie m ihrer heutigen Auffassung. 3. Grund¬ 
sätze und allgemeine Technik der milden Reaktion&metbode. 4. Andere Applikationsniethoden des Tuberkulins. 5. Indi¬ 
kationen und Kontraindikationen. B. Spezieller Teil, a) Aktiv immunisierende Mittel. 1. Tuberkulin Koch 
(Alttnberkulin). 2. Neutuberkulin TR. 3. Neutuberkulin-Razillenemulsion. 4. Denys’ Tuberkulin. 4a. Landmanna 
Tuberkulol. 5. Die Klebsscben Tuberkuline. 6. Beranecks Tuberkulin. 7. Spenglers Perlsuebttuberkulin-Therapie. 
8 . v. Behrings spezifische Mittel. 9. Sonstige Tuberkuline nach Koch scher Art. 10. Aktive Immunisierungs-Me¬ 
thoden nach Jen ner-Pasteur. 11. Das Nastin. ß) Passiv immunisierende Mittol. 12. M arag I i a n os Heil¬ 
serum. 13. Figaris Hämoantitoxin. 14. Marmoreks Antituberkuloseserum. 15. StreptokokkenBera. III. Die spezifische 
Therapie bei der Tuberkulose anderer Organe. 1. Kehlkopftuberkulose, 2. Augentuberkuloae. 3. Hauttuberkulose. 
4 Drüsen-, Knochen-, Gelenktuberkulose. 5. Urogenitaltuberkulose. 6. Tuberkulose der serösen Häute. Schluss¬ 
betrachtungen. Literaturverzeichnis. 

Die 1. Auflage flieses erfolgreichen Buches war binnen 9 Monaten vergriffen. 
Die neue £. Auflage trägt den wichtigen Ergebnissen der Tuberkulose-Forschung des 
verflossenen Jahres bereits Rechnung durch eine Erweiterung des diagnostischen 
Teils, der durch eine farbige Tafel und vier Textillustrationen bereichert wurde, und Er¬ 
gänzung der Therapie nach dem neuesten Stande der Forschung. Hier wurde eine weitere 
Kurve zur besseren Erläuterung angefügt. 

Die Hochflut der Publikationen, die sich an die Entdeckung der Kutan- und Oph¬ 
thalmoreaktion knüpften, machen es dem praktischen Arzt kaum möglich, sich in dem Chaos 
der verschiedenen Ansichten zurechtzufinden, daher dürfte die neue Auflage dieses Buches, 
welches bereits praktische Folgerungen aus den einschlägigen Versuchsergebnissen zieht, 
hochwillkommen sein und eine gleich gute Aufnahme finden wie die 1. Auflage, über die wie 
folgt geurteilt wurde: 

„Der Frauenarzt“: Das Buch ist für die Praxis geschrieben. Es schildert bis in das minutiöseste sowohl 
die spezif. Tuberku 1 ose-Disgnos 1 1 k, wie auch die sachgemässe, bis in alle Einzelheiten präzise Anwendung der 
Tuberkulin-Therapie. Ausser den Kochschen Präparaten werden auch alle anderen spezif. Tuberkulose-Mittel und 
ihre Verwendung bei sämtlichen Tuberkulosclokalisationen im menschlichen Organismus eingehend besprochen. In dieser 
Beziehung steht das Buch bisher einzig da. Die iebendig-fliessende Sprache, eine an allen Ecken einsetzende 
Selbstkritik und die überzeugenden objektiven glücklichen Erfolge werden das ihrige tun, dem Buche zu der ihm ge¬ 
bührenden, ausgedehnten Verbreitung unter den praktischen Ärzten zu verhelfen. 

„Medizinische Klinik“: Dieses Buch wird vielen willkommen sein, da es so genaue Vorschriften über die Technik 
der spezifischen, diagnostischen und therapeutischen Methoden gibt, dass sich mit Leichtigkeit darnach arbeiten lasst. Es 
sind alle bisher bekannten Tuberkuline und sonstigen spezifischen Mittel berücksichtigt. Im Vorder- 
rund steht natürlich die heute vorwiegend geübte milde, reaktionslose Tuberkulintherapie. Die Ausstattung ist vorzüglich. 

gcz. Gerhartz. 

Deutsche Mediz.-Zeitung: ,,Referent möchte an dieser Stelle an die praktischen Ärzte die Aufforderung richten, 
die Mühe geeigneter Vorbereitung, die durch Benützung des vorstehenden Lehrbuches sehr erleichtert 
»ird, nicht zu scheuen und die spezifische Diagnostik und Therapie selbst auszuüben.“ . . . gez. Thorner. 

„Medico“: „Umfasst alles, was bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft für die praktische Anwendung 
bei der spezifischen Behandlung tuberkulöser Auktionen in Betracht kommt, so dass es sich als ein zuverlässiger 
und brauchbarer Führer durch das Gebiet bewähren wird.“ 

Zeitschrift f&r Bahnärzte: „Ein mit grossem Fleiss und strenger Kritik geschriebenes Lehrbuch.“ 

gez. Hager, Magdeburg. 


Ferner erschien soeben i n neuer fünfter Auflage; 

Diät-Vorschriften für Gesunde und Kranke jeder Art 

von Dr. J. Borntraeger, 

Regierungs- und Medizinalrat. 

Perlorierter Block in Brieftaschenformat. — Preis Mk. 2.50 . 

Von den einzelnen Vorschriften werden auch Einzelblocks k 6 Stück zu massigen Preisen abgegeben. 

Der Gebrauch dieser aus 39 resp. 53 Nummern (für Bemittelte und Minderbemittelte) bestehenden ab¬ 
reissbaren, in mehreren Exemplaren vertretenen Vorschriften ist so gedacht, dass der Arzt den Patienten dieselben 
sofort in gedruckter Form überreichen kann. 


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Würzburger Abhandlungen 

aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 

Unter Mitwirkung zahlreicher Gelehrten herausgegeben von 

Prof. Dr. JOH. MÜLLER und Prof. Dr. OTTO SEIFERT. 


Einzelpreis pro Heft: 
ab Bd. VIII H. - .85, 
der Bde. I-VII 75 Pf. 


12 Hefte = i Band 

kosten im 

Abonnement nur BI. 7.50. 


Jährlich erscheinen 
12 Hefte. 


Bollenhagen, Schwangerschaft und Tuberkulose. 
Siegert, Chorea minor (Veitstanz). 

Dieudonne, Bakterielle Nahrungsmittelvergiftungen 

(Doppelheft). 

Gutmann, Die Rachitis. 

Kisch, Fettleibigkeit und Fettsucht. 


Der neue VIII« Band begann mit 


Ladenburger, Die Talma’sche Operation. 
Veckenstedt, Der Kopfechmerz als häufige Folie 
von Nasenleiden und seine Diagnose. 

Lödke, Die bakt. Frühdiagnose bei akuten Io- 
fektionskrankheiten. 

Schwarz, Diagnose und Therapie der Cholelithiasii 


Als I. Supplement-Band erschien ferner: 

Privat -Dozent Dr. Arneth: Die Diagnose und Therapie der Aniaiei 

nach funktionellen Gesichtspunkten auf Grundlage qualitativer Blutuntersuchung. Mit 
15 lith. Tafeln. Vorzugspreis für Abonnenten M. 7.—, für Nichtabonnenten M. 9.—. 


Band 1. 

Seifert, Nebenwirkungen der Arzneimittel I. 
Müller, Gallensteinkrankheit 
Hoffa, Blutige Operation der HUftgelenksluxation. 
Sobotta, Doppel(mi8s)bildungen. 

Weygandt, Neurasthenie. 

Sommer, Säuglingsernährung. 

Rosenberger, Blinddarmentzündung. 

Dieudonne, Immunität und Immunisierung. 
Spiegelberg, Krankheiten des Mundes und der 
Zähne im Kindesalter. 

Kirchner, Verletzungen des Ohres. 

Riedinger, Empyeme. 

Strauss, Diätbehandlung Magenkranker. 

Band II. * 

v. Franque, Uterusruptur. 

Römer, Bakteriologie des Auges. 

Nieberding, Versioflexionen des Uterus, 
v. Boltenstern, Bösartige Geschwülste. 
Spiegelb8rg, Krämpfe im Kindesalter. 

Bayer, Darmstenose. 

Sohenck, Bedeutung d. Neuronenlehre f. d. Nerven 
Physiologie. 

Strauss, Gicht. 

Riedinger, Beinbrüche. 

Hofmeier, Fibromyome. 

Spiegelberg, Kehlkopfstenosen I. Kindesalter. 
Jessen, Einführung in die moderne Zahnheilkunde. 
Band III. 

Trumpp, Magen-Darmkrankheiten im Kindesalter. 
Gerhardt, Herzmuskelerkrankungen. 

Brieger, Otog. Erkrank, der Hirnhäute. 
Bollenhagen, Anwendung des Kolpeurynters. 
v. Boltenstern, Behandlung innerer Blutungen. 
Burckhard, Blutungen nach der Geburt 
Schmidt, Bronchialasthma. 

Starck, Erkrank, der Speiseröhre. (Doppelheft.) 
Burkhardt, Chirurg. Eingreifen bei Verletzungen 
des Magens. 

Maas, Taubstummheit und Hörstummheit. 

Hoffa, Gelenktuberkulose im kindl. Lebensalter. 

Band IV. 

Schmitt, Erkrankungen des Mastdarmes. 
Rostoski, Serumdiagnostik. 

Stein, Meteorismus gastro-intestinalis. 

Geigel, Sklerose und Atherom der Arterien. 
Rose, Die Zuckergussleber. 


Weygandt, Verhütung der Geisteskrankheitei. 
Dieudonne, Hygien. Massregeln bei ansteckende« 
Krankheiten. (Doppelheft.) 
v. Boltenstern, Darmverschluss. 

Hasslauer, Hysterische Stimmstörungen. 

Polano, Magenkrebs und Geburtshilfe. 

Neter, Chron. Stuhlverstopfung im Kindesalter. 

• Band V. 

Seifert, Nebenwirkungen der Arzneimittel II. 
Schilling, Wurmfortsatz. (Doppelheft.) 

Neter, Hämorrhag. Erkrankungen im Kindesaiter. 
Clemm, Magengeschwür. (Doppelheft.) 

Geigel, Die neuen Strahlen in der Therapie. 
Maas, Entwickelung der Sprache des Kindes. 
Graul, Nervöse Dyspepsie des Magens. 
Reinhardt, Malaria. (Doppelheft ) 

Katz, Erkrankungen der Zungenmandel. 

Band VI. 

Klatt, Traum. Entstehung Inn. Krankheiten 
Wegele, Fortschritte in Diagn. und Therapie der 
Magen • Darmerkrankungen. 

Riedinger,. Über Schlottergelenke. 

Sommer, Über Ischias. 

Hödlmoser, Das Rückfallfieber. 

Manninger, Heilung lok. Infektionen nt. Hyperämie. 
Stadler, Aseptische Operationen im Privatbans. 
Borst,Wesen u. Ursachen d. Geschwülste. (Doppefb / 
Klatt, Ätiologie u. Therapie d. Geienkrheumatisa* 
v. Boltenstern, Über Morbus Basedowii. 

Jessen, Indikationen u. Kontraindik. d. Hochgebirf* 

Band VII. 

Gerhardt, Neuere Gesichtspunkte für Diagnose 
und Therapie der Nierenkrankheiten. 

Kehrer, Der plazentare Stoffaustausch in seiner 
physiol. uni pathol. Bedeutung. (Doppelbett. 
Schlagintweit, Über Cystitis. 

Graul, Über den Diabetes mellitus u. 8. Behandlung. 
Vulpius u. Ewald, Einfluss d. Trauma b. latente« t 
offenbaren Rückenmarks- u.Gehirnkrankheitea. 
Rosenberger, Die Kohlehydrate I. menschl. Uria. 
Goldberg, Die Blutungen der Harnwege. 

Lüdke, Diagnostische u. therapeutische Verwer¬ 
tung d. Alttuberkulins I. d. internen Praxis. 
Hasslauer, Das Gehörorgan und die akuten In¬ 
fektionskrankheiten. 

Bökelmann, Epilepsie und Epilepsiebehandluag. 


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Besonders empfehlenswert ist ein fibownement. zu einem äusserst reichhaltigen if; 

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? und führt mit der 2& 

_ _ b fachsich Lage-Materu-, 

-_ das eine ganze Handbibliothek ersetzt 

Curt Kabltzsch (Ä. Stuber’s Verlag) ln Würzburg. 

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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus, 


Von 

Dr. Heinrich Offergeld, 

Frankfurt 8. M. 


Als den bevorzugten Weg für die Ausbreitung eines Krebses im 
Tierkörper haben die Lymphbahuen zu gelten, indem das Epithel als 
massgebender Bestandteil in die sich bildenden Lücken und Spalten 
hinein wächst (Ribbert 1 ) und in Folge seiner enormen I^roliferations- 
fähigkeit durch den steigenden Druck das umliegende Gewebe zu 
Grunde richtet, wobei jedoch das gleichzeitig wuchernde Bindegewebe 
das Gerüst liefert. Der Grund für diese Bevorziehung des Binde¬ 
gewebes von Seiten der Karzinome, dem von seiten der Sarkome die 
gleiche Vorliebe für das Gefässsystem gegenüber steht, ist nach den 
interessanten Ausführungen von Borst 2 ; in chemisch-physikalischen 
Bedingungen zu suchen; die Sarkomzellen suchen als Derivate des 
Bindegewebes die dem Blutstrome zugekehrte Fläche der Ernährungs¬ 
territorien auf, die Abkömmlinge des ektodermalen Keimblattes, die 
Karzinomzellen, dagegen die entgegengesetzte Fläche, wie ja auch 
physiologischer Weise echte Epithelien nie den Blutgefässen auf sitzen, 
sondern es stecken die epithelialen Parenchyme in den Lymphräumen. 
Von anderen Autoren wird die gleiche Ansicht ausgedrückt, wenn 
sie sagen, dass die Karzinome das ihnen kongeniale Lymphgewebe 
leichter durchwüchsen als die Sarkome, welche dem bindegewebigen 
ßlutgefässsystem näher ständen. 

Es sind also die präformierten Lymphräume des Bindegewebes 
die Marschstrassen, auf denen teils kontinuierlich, teils diskontinuier¬ 
lich die Verschleppung der Zellen durch die Vasa efEerentia in die 
regionären Lymphdrüsen stattfindet; hier werden sie wie alle korpus- 
kulären Elemente in dem Lymphsinus und Retikulis zurückgehalten, 

1) Ribbert, Allgemeine Pathologie, Leipzig 1901. 

2 ) Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Wiesbaden 1902. 

WOrzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 12. 21 


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H. OfFERGELD, 


[2 


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vermehren sich und gelangen vermittelst der den Sinus durchziehen¬ 
den Kapillaren und kleinsten Venen in die Follikel und Follikulär- 
stränge. Dort richten sie dank ihrer grossen Wachstumsenergie das 
Lymphdrösengewebe zu gründe in kurzer Zeit; die Lymphozyten 
werden zur Seite geschoben oder gleichfalls zerstört. Eine Zeitlang 
verhalten sich die Zellen des Bindegewebes und Retikulum, sowie die 
Endothelien passiv; später jedoch entfalten sie sich zusammen mit 
dem fibrillären Bindegewebe zu einem Geschwulststrome oder bilden 
durch Wucherung ein massiges Stützwerk; dabei findet aber keines¬ 
wegs eine „maligne Degeneration“ oder Umwandlung der Zellen der 
Lymphdrüsen in die des Tumor statt. Solche Lymphdrüsen sind 
vergrössert und zeigen gräulich-rote Herde auf dem Durchschnitte; 
mitunter sind sie auch schon ganz in die Geschwulstmasse aufge¬ 
gangen oder zeigen regressive Veränderungen (Verfettung und Ver¬ 
kalkung). Sekundär wird die Kapsel ergriffen durch einen Durch¬ 
bruch von Geschwulstzellen, welche sich nunmehr vor allem in den 
periglandulären und perivaskulären Lymphräuraeu ausbreiten (Abel 1 , 
Landau 1 ). Dann geht es auf zwei Wegen zur nächsten Drüse; ent¬ 
weder wuchert das Karzinom im Bindegewebe jetzt weiter bis zur 
nächsten und wird nach Zerstörung des Randsinus durch dis Lymphe 
selbst direkt-einer Vene zugeführt, oder die Zellen des Tumor wer¬ 
den, wie das meist geschieht, durch die Vasa efferentia aus dem Be¬ 
reiche dieser Lymphdrüse in die Bahnen der nächst böhern geführt 
Strittig ist es bislang, ob dieses Weiterverbreiten sich in unuuter- 
brochener Weise vollzieht oder nur sprungweise geschieht, oder ob 
beides Vorkommen kann. Dieses Spiel wiederholt sich bei den näch¬ 
sten Drüsen, und die Nachbarn verschmelzen nach Durchbruch der 
Membrana propria zu Drüsenpaketen. 

Diese Filtration von Tumorzellen, besser übrigens elektive 
Retention genanut, leisten nur die intakten regiouären Lymphdrüsen; 
sind diese jedoch durch frühere pathologische Prozesse (induratiou, 
Obturation, Obliteration, Authracosis) verändert, so lassen sie diese 
passiereu, und das verschleppte Material haftet erst an der nächsten 
Etappe, ein Umstand, der für den Erfolg unserer Therapie von der 
grössten Wichtigkeit ist. Anderseits können aber auch die regionären 
Lymphdrüsen geschwellt sein, ohne dass sie Karzinom enthalten, z. B. 
als Folgen der eben erwähnten Noxen oder bei ulzeriereuden und 
infizierten Krebsen durch bakterielle oder autolytische Prozesse. 
Während makroskopisch die Unterscheidung dieser Zustände schwer 
sein kann, liefert uns die mikroskopische sofort den Entscheid; im 
ersten Falle findet man die aktive Hyperämie mit Zerfall der Blut- 

i) Abel, Arch. f. Gynäkol. Bd. 38. 

a ) Landau, Arch. f. Gynäkol. Bd. 38. 


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3] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


293 


körperchen and fettigem Detritus im Sinus, im letztem sind in allen 
Bahnen die Karzinomzellen anzutreffen, besonders wenn es sich um 
den Zustand der sogenannten karzinomatösen Lymphangitis handelt, 
wobei die feinsten Verzweigungen des regionäreu Lympbsystemes mit 
Epithelien angefüllt sind (Borst, 1. c.). 

Diese Verhältnisse sind von Seelig 1 ) direkt beim Uleruskarzi- 
nom beobachtet worden; er fand sowohl in dem ausgedehnten Kanal¬ 
system das Vorwärtsschieben von Karzinomsträngen in den präfor- 
mierten, mit Endothel ausgekleideten Lymphsträngen, teilt aber auch 
ebenfalls mit, dass gelegentlich sehr lange die Kapillaren völlig intakt 
zwischen den Karzinommassen hindurchziehen. Wir haben den Grund 
für diese3 merkwürdige Verhalten in der Ausbreitung des Karzinomes 
in den Lymphspalten in verschiedenen Ursachen zu erblicken. Ab¬ 
hängig ist die Schnelligkeit von der Ausdehnung und Weite des 
Lymphsystemes und der Schnelligkeit des Lymphstromes; daher die 
rasche Verbreitung aller, besonders der genitalen Karzinome in der 
Gravidität sowie Puerperium und die lange Stabilität im Senium; so 
erklärt sich auch die raschere Propagation bei ulzerierenden Krebsen. 

Was nun die Lymphwege des Uterus und seiner Adnexe an- 
geht, so wissen wir dank vorzüglicher Arbeiten hierüber ziemlich 
Genaues. Von einzelnen unerheblichen Meinungsverschiedenheiten 
abgesehen, steht fest, dass von der Portio eine Lymphstrasse durch 
die Cervix in der mittleren und äusseren Muskelschicht zum Korpus 
läuft, von wo abgehend kleine Lyraphkanüle den Fundus quer durch¬ 
setzen und in die perivaskuläreu Lymphgefässe und in der mittlern 
Schicht des Myometrium in die parainetranen Lymphbahnen ein¬ 
münden. Diese Strasse hat Seelig zuerst in seiner Monographie 
beschrieben; ich faud sie einmal in Form der karzinomatösen 
Lymphangitis der Cervix und des Corpus bei primärem Portiokarzi¬ 
nom befallen und habe sie im XXII. Bande der „Monatsschrift 
für Geburtshülfe und Gynäkologie“ auf Seite 542 genauer beschrieben. 
Erst in den weiter fortgeschrittenen Stadien, nach Infiltration des 
prävesikalen Gewebes, kommen die Lymphgefässe in Betracht, welche 
entlang der Arteria uterina zu den iliakalen Drüsen führen, die be¬ 
kanntlich am Teilungswinkel der Arteria iliaca communis auf der Linea 
arcuata interna liegen. 

Von der Cervix laufen die Lymphstrassen entlang den Gefässen 
in proximaler Richtung und in das Parametrium, weniger wichtig 
sind die im Myometrium dahinziehenden; alle diese ergiessen sich 
in die hypogastrischen Drüsen 2 ) 4 ). NachSappey 4 ) soll vom Kollum 

i) Seelig, Dissertation. Strassburg 1894 und Arch. f. patb. Anat. Bd. 130. 

*) Poirier, Progrfes mödical. 1889. 

3) Brulins, Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abt. 1898. S. 57. 

*) Sappey, Anatomie, Physiologie, Pathologie des Vaisseaux lymphatiquea. 
Paris 1874. Kditenr: Delahaye. 

21 * 


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294 H. OFFERGELD, [4 

Uteri ein Lymphgefäss zu einer Drüse hinziehen, welche zwischen 
der Art. iliac. interna und dem Kreuzbein liegt. 

Neben der schon erwähnten von der Portio herkommenden 
Strasse ist besonders die Verbindung mit dem ovariellen Lymph- 
gebiete beachtenswert. Es gehen vom Korpus zunächst 2—3 Stränge 
zu den hypogastrischen Drüsen, ferner von Fundus gewöhnlich 2—3 
eigene Bahnen am oberen Rande des Lig. latum in der Tasche 
zwischen Tube und Ovarium, woselbst sie mit dem reichen Lymph¬ 
system der Adnexe zahlreiche sinusartige Anastomosen eingehen; von 
dort setzen sie sich entlang der Arteria spermatic. interna nach oben 
zur Wirbelsäule fort und ergiessen sich in die lumbalen Drüsen, 
welche am untern Nierenppl iu der Nähe der grossen Gefässe zum 
Teil retroperitoneal liegen; weiterhin vom Fundus entlang des Lig. 
rotundum zu den inguinalen Drüsen, die jedoch meist bei Korpus- 
karziuom frei bleiben oder erst nach Perforation des Fundus er¬ 
kranken, während ihre Mitbeteiligung bei Kollumkarzinom sich 
häufiger schon in früheren Stadien findet. Die so wichtige Lymph¬ 
strasse vom Korpus zum Ovarium soll nach Schauta’s Angaben 
so gut wie gar keine Anastomosen mit dem ovariellen Netze ein¬ 
gehen in der Gegend des Eierstockes, so dass letzteres Organ so 
ziemlich geschützt sei vor der gleichen Erkrankung bei Uteruskarzi¬ 
nom; Schauta’s Angaben jedoch werden in den eben zitierten 
Publikationen von Poirier und Sappey, sowie neuerdings von 
Funke*) verworfen. 

Über das wechselseitige Verhalten von Uterus- und Ovarial- 
karzinom ist ziemlich viel geschrieben worden; Anlass, an Hand der 
Literatur dieser Frage näher zu treten, fand ich durch den Fall V 
meiner im ,Archiv für Gynäkologie“ enthaltenen Abhandlung: „Über 
die Histiologie der Adenokarzinome im Uterus fundus“ Bd. 78 Heft 2; 
wie alle übrigen entstammt auch er dem reichen Materiale der 
A mann'sehen Klinik in München (siehe Seite 19 der Abhandlung), 
nicht wie etwa der fälschliche Vordruck Glauben macheu könnte der 
ehemaligen Winckol’schen; mit dieser haben sie nichts zu tun. 

An Hand dieser Aufstellungen (cf. Literaturnachweis) ergibt sich, 
dass bislang in grösseren Statistiken, welche sich aus klinischem und 
anatomischem Material zusammensetzeu, unter 1520 Fällen von Uterus¬ 
karzinomen, 106 mal, also in 7 °/ 0 gleichzeitig ein Ovarialkarzinom sich 
vorfand. Littauer 2 ) hat an kleinerem, nur anatomischem Materiale 
15°.' 0 ausgerechnet; einschliesslich der einzelnen kasuistischen Mit¬ 
eilungen sind in der Weltliteratur bei 1635 Uteruskarzinome in 
221 Fällen gleichartige Ovarialveränderungen niedergelegt. Diese 

J) Funke, Dissertation. Tübingen 1902. 

2 ) Littauer, 1. c. 


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5] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


293 


Zahlen an sich beweisen schon, dass von Zufall keine Rede sein 
kann, sondern dass diese Veränderungen in einem Abhängigkeits¬ 
verhältnis von einander stehen. . Als multiple Primärtumoren sind 
diese Fälle zum Teil von Zweifel 1 ), Mercanton 2 ) und Wehner 3 ) 
gedeutet worden. Die scharfe Forderung, welche Billroth und 
später Küstor-Michelsohn 4 ) für die Existenz multipler Karzi¬ 
nome aufstellten, nämlich 1. Verschiedenheit des histiologischen 
Baues, 2. Ableitung von der lokalen Matrix, 3. eigene Metastasen 
jedes Tumors, sind zu eng umgrenzt, denn wir wissen, dass sich 
verschiedene Tumoren völlig gleichen können, dass in den ausge- 
reifteren Formen die Ableitung von der epithelialen Matrix unmög¬ 
lich sein kann und zuletzt die Metastasen sich differenzieren können, 
indem sie sich höher entwickeln oder auf einfachere Stufe zurück¬ 
gehen. Wenn auch erfahrungsgemäss multiple Karzinome ganze 
Organsysteme oder symmetrische Organe bevorzugen, so tritt auch 
ebenso mit Vorliebe die Metastase in solchen auf, weil sie dort be¬ 
sonders günstige Existenzbedingungen findet. Hansemann 5 ) schreibt 
dazu: „Auch ist wahrscheinlich, dass Metastasen mit Vorliebe in jenen 
Organsystemen sich lokalisieren, in welcher die Primärgeschwulst 
sitzt; vielleicht sind mehrere Fälle von scheinbarer Multiplizität von 
Geschwülsten so zu deuten.“ 

Erkennen wir daher ein Abhängigkeitsverhältnis an, so ist ohne 
Zweifel in den meisten Fällen das Uteruskarzinom der Primärtumor; 
das genuine Karzinom des Ovarium macht nach Wendeler 6 ) meist 
auf der Serosa Metastasen, solche in entfernten Organen sind selten. 
Im Uterus sitzen die Knoten subserös wie im Myometrium oder auf 
der Mukosa. Weniger der Sitz und die Ausbreitung des Karzinoraes 
im Uterus ist entscheidend hierfür, als vielmehr das klinische Ver¬ 
halten ; alle primären Uteruskarzinome gehen mit verschieden ausge¬ 
prägten Metrorrhagien einher, worauf Amann 7 ) noch neuerdings 
aufmerksam machte; die Ovarialkarzinome aber eher mit geringerer 
Blutung, wenn keine uterine Komplikation besteht. 

Es ist auffallend, mit welcher Hartnäckigkeit sich die Irrlehre 
von der Seltenheit der sekundären Ovarialkarzinome hat behaupten 
können. Schon Wagner schrieb in seiner bekannten Monographie, 
dass die Ovarien bei Uteruskarzinomen meist atrophisch seien, fährt 

i) Z.weifel, Zentralbl. f. Gynäkol. 1991. S. 68. 

*) Mercanton, Revue mddicale de la Suisse romande 20 mars 1893. p. 173. 

3) 'Wehner, Dissertation. Würzburg 1894. 

<) Michelsohn, Dissertation. Berlin 1889. 

5 ) Hansemann, Die mikroskopische Diagnostik bösartiger Geschwülste. 

6) Wendeier, In Martin’s Handbuch: Krankheiten der EierstOcke und 
NebeneierstOcke. Verlag von Georgi, Leipzig 1899. 

?) Amann, Münch, med. Wocbenschr. 1905. Nr. 50. S. 2414. 


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296 


H. OFFERGKLD, 


[6 


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aber dann fort: „Der Ovarialkrebs kommt nicht selten vor nach 
Uteruskrebs. Am häufigsten findet er sich in den Fällen, wo auch 
.der Uterusgrund krebsig infiltriert ist (also wahrscheinlich als fortge¬ 
leiteter Krebs); seltener kommt er bei Freisein jenes vor (sekundärer 
Krebs). Er kommt am häufigsten als Markschwamm, etwas häufiger 
beider Eierstöcke vor, seltener betrifft er nur eins, seltener als Zysten¬ 
oder Alveolarkrebs. Selten findet eine Kommunikation des perforierten 
karzinomatösen Ovar mit dem Scheidengewölbe statt.“ Kroemer 1 ) 
und Schmauss*) erachten die Beteiligung der Eierstöcke als sehr 
selten; ähnlich äussert sich Zahn, 8 ) und Lecornu 4 ) sagt: „le double 
cancer des ovaires est une lesion assez rare.“ Zuerst hat Reichel 
(1. c.) die Kombination von Karzinom des Uterus und der Ovarien 
ohne weitere Metastasenbildung für häufiger angesprochen als bislang 
vermutet wurde und daraufbingewiesen, dass wahrscheinlich die ersten 
Metastasen irgend eines vom Endometrium entstandenen Karzinomes 
sich in den Eierstöcken lokalisieren. Bei Niederschrift der ersten 
Auflage des Veit’schen Handbuches sagte noch Pfannenstiel, 
welcher die Ovarialerkrankungen in diesem Werke bearbeitete, dass 
die hämatogene oder lymphogene Verschleppung von Karzinom- 
partikelclien zu den Ovarien zu den Seltenheiten gehöre, dass sie 
„noch am ehesten entstehen bei Karzinom des Corpus uteri uud zwar 
nuf lymphatischem Wege“; Pfannenstiel hat dann auf dem Kieler 
Kongress seine Ansicht in Bezug auf dieses seltene Vorkommen ge¬ 
ändert. 

Müssen wir also bei dem Utoruskarzinom uns mit der Tatsache 
abfinden, dass schon in frühem Stadium in einem gewissen Prozent¬ 
sätze der Fälle die Ovarien von der gleichen Erkrankung befallen 
sind, so erübrigt es sich, die Wege zu betrachten, auf welchen sich 
der Prozess verbreitet. 

In dem Endstadium der Karzinomausbreitung kann gelegentlich 
durch Infiltration des Parametrium das Ovarium sekundär karzinoma- 
tös erkranken (Wandeier 1. c., Jayle-Papin 1. c.); das sind natür¬ 
lich inoperable Fälle im terminalen Stadium, die nicht weiter beachtet 
werden. Schon früher, besonders bei primären Korpus- oder hoch- 
sitzenden Cervixkarzinomen, kann eine Beteiligung des Ovarium durch 
die karzinomatös erkrankte Tube erfolgen. Dieser Weg war Kiwisch 
und Wagner schon bekannt; ersterer fand für Süddeutschland bei 
Uteruskarziuom die direkte Beteiligung der Adnexe durch Kontinuität 


1) Kroemer, Archiv f. Gynftkol. 1902. Bd. 65. S. 654. 

2 ) Schmauss, Grundiiss der patho). Anatomie. Verlag von Bergmann. Wies¬ 
baden 1902. 

s ) Zahn, Vircbow's Arch. 1869. Bd. 117. S. 80. 

*) Lecornu, Bulletin et mdmoire de la socidtö anatom. de Paris. Tome 77. 
1902. S. 46. 


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7] 


Üvarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


297 


des krankhaften Prozesses in 25°/o, letzterer für Norddeutschland in 
ca. 5%. Wagner (1. c.) beschreibt ihn genauer: „Krebs der Tuben 
kommt selten vor. Er findet sich meist nur bei gleichzeitiger Infil* 
tration des Uteruskörpers öfters beiderseits als nur einerseits und ist 
in seltenen Fällen von praktischer Bedeutung, wie bei eintretendem 
Zerfall und Perforation des Peritoneum.“ Heutzutage bekommen wir, 
dank der frühzeitigen Diagnose und radikaler Behandlungsweise, kaum 
je noch solch’ fortgeschrittene Fälle zur Beobachtung. Auch hierbei 
handelt es sich gewöhnlich um die Ausbreitung des Karzinomes in 
den Lymphstrassen, welche vom Korpus zur Tube hinziehen und erst 
bei weiterem Fortbestände um das Aufgehen des Eileiters selbst in 
dem karzinomatösen Prozess. Ohne Zweifel sind mehrere der in der 
ersten Tabelle von Kiwi sch und Wagner mitgeteilten Fälle durch 
direktes Weiterwuchern des Karzinoms auf die Adnexe zu erklären. 
Die Ansicht, dass die Karzinomzellen, aus dem Uteruscavum, also 
besonders bei Korpuskarzinom durch das offene Tubenlumen zum 
Ovarium gelangen (Gebhard 1 ), ist durch keine Annahme zu stützen, 
eher kann wohl einmal gelegentlich bei primärem Ovarialkarzinom 
sich eine Metastase in der Uterusmukosa nach Analogie der multiplen 
Karzinome des Intestinaltraktus von den oralen in die distalen Partien 
ausbilden, wie Reichel 1 * * ) sich ausdrückt nach der Art des befruchteten 
Eies. Aber auch hier handelt es sich meist um lymphogenen, retro¬ 
graden Transport. Zwei solche Fälle hat v. Franquö 8 ) mitgeteilt, wo 
ein Tubeukarzinom Metastasen im Uterus setzte; das Umgekehrte ist 
bislang noch nicht einwandsfrei nachgewiesen. Wenn wir diese Fälle, 
durch einfache Kontinuität der Erkrankung entstanden, ausser Rech¬ 
nung lassen, so müssen ausser den Publikationen von Lebert, 
Kiwisch und Dittrich noch folgende Nummern ausfallen: Nr. 14, 
15, 22, 28, 29, 38, 45,100, 109, 118. Anderseits sind aber auch die Mit¬ 
teilungen beachtenswert, wo die karzinomatöse Erkrankuug von Tube 
und Ovarium auf verschiedener Seite lagen, Fall Nr. 1 und 38 (Ca 
beider Oyarien und der rechten Tube) und Fall Nr. 13, wo die rechten 
mit dem Uterus verwachsenen Adnexe frei von Ca waren, während 
das anscheinend normale, bewegliche, linke Ovar karzinomatös er¬ 
krankt war. 

Dann bleiben noch zwei Wege übrig, auf welchen das Uterus¬ 
karzinom sich dem Eierstocke mitteilen kann; der erste ist der durch 
Vermittelung des Blutes. Dieser wird von den meisten Autoren, meiner 


1) Gebhard, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. S. 576. 

2) Reichel, Zeitachr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 15 S. 854. 

s ) v. Franqud, Verhandlungen der deutscheu gynäkologischen Gesellschaft 

Giessen. 1901. 


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H. 0FFER6ELD, 


18 


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Ansicht nach auch meistens mit Recht, verworfen. Kraus 1 * 3 ) bemerkt, 
dass die Gesetzmässigkeit, mit welcher die sekundären Ovaria] karzinome 
auftreten, eine allzugrosseist. Jayle-Papin*) dachten zunächst an 
venöse Embolien, vermochten jedoch in keinem Falle hierfür den 
anatomischen Beweis zu erbringen; den gleichen Gedanken äusserte 
Hennig in der Diskussion zu Littauers Vortrage (1. c.). Die 
Venen des Uterus und Ovarium vereinigen sieh nach Schauta 8 ) 
jedoch erst gewöhnlich oberhalb des kleinen Beckens, während die 
von diesem beschuldigten arteriellen Gefässe die Vermittler abgeben 
sollen; Schauta leugnet ja bekanntlich die Anastomosen der Lymph- 
gefässe von Uterus und Ovarium. So bleibt also nur noch der 
lymphogene Weg übrig auf der Eingangs geschilderten von der Portio 
zum Fundus und von dort entlang der Tube zum Ovarium hinziehen¬ 
den Bahn. Für diese haben sich die meisten Autoren entschieden, 
so Buday 4 ), Pfannenstiel 5 ), Gebhard 6 ), Funk 7 ) und Zweifel 8 ); 
Jayle-Papin (1. c.) gelang in seinem publizierten Falle der Nach¬ 
weis, dass die Ca-Zellen sich in dieser Bahn bis zum Ovarium hin¬ 
bewegten, während anscheinend dieses Organ makroskopisch noch 
ganz gesund war. 

Von den mitgeteilten 121 Einzelbeobachtungen sprachen diese 
Ursache ausser mir Funk, Kleinhans, Winkel, Reichel und 
Littauer an, während Goodhart, allein die Erkrankung durch 
die offenen Tube fortschreiten lässt, und Kleinhans in seinem 
zweiten Falle den hämatogenen Weg beschuldigt. 

Interessant ist die Tatsache, dass Wendeier, (1. c.) der übrigens 
theoretisch die verschiedenen Möglichkeiten zulässt, auch des retro¬ 
graden lyphogenen Transportes von Zellen bei primären Ovarialkarzi- 
nom in den Lymphstrassen von dem Uterus nach den Adnexen zum 
Corpus uteri hin gedenkt. 

Nach Abzug der zehn zweifelhaften Fällen restieren also nach 
111 sichere Einzelbeobachtungen. Die allgemeine Absicht geht dahin, 
dass Metastasen bei Uteruskarzinom relativ selten sind und meist erst 
in den vorgeschrittenen Fällen sich einstellen; im Vergleich zur 
Häufigkeit der Metastasenbildung bei den Krebsen des Intestinaltraktus 
und der Mamma ist dieser Satz richtig, jedoch ist auch beim Uterus- 

1) Kraus, Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. 14. 1. 
1901. S. 1. 

2 ) Jayle-Papin, Revue de gyndcologie. Tome VIII, 6. D6c. 1904. S. 939. 

3) Schauta, Lehrbuch d. Frauenkrankh. Verlag Yon Braumüller. Leipzig- 
Wien 1906. 

Buday, Zeitschrift f. Krebsforschung. 1907. Bd. 6, 1. S. 1. 

5) Pfannenstiel, in Veit’s Handbuch d. Gynäkologie. 

6) Gebhard, Berliner geburtshilfliche Gesellschaft. 14. Febr. 1890. 

") Funk, Dissertation. Tübingen 1902. 

8) Zweifel, Zentralblatt f. Gynäkologie. 1891. S. 69. 


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9] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


299 


karzinom dieser Vorgang häufiger als allgemein angenommen wird. 
Freudenberg 1 ) glaubt die Ursache für das relativ lange Stationär¬ 
bleiben der Uteruskarzinome im anatomischen Verhalten der Blut- 
und Lymphgefässe erblicken zu dürfen, indem ihre mannigfachen 
Biegungen und Verzweigungen einer raschen Metastasenbildung 
hinderlich sind, da abgerissene Partikelchen leicht zurückgehalten 
werden. Wiewohl Winter das Vorkommen von Metastasen in 
inneren Organen bei Corpuskarzinom nach nicht wesentlich verschie¬ 
denen Grundsätzen wie beim Collumkarzinom gelten lässt, hat schon 
Gebhard 2 ) auf die besonders häufige Beteiligung der Ovarien hin¬ 
gewiesen. 

Zahlengemäss hat Littauer (1. c.) allein dieses Verhältnis, aus¬ 
gedrückt; unter seinen 14 Fällen fand er zwölfmal das Corpus und 
nur zweimal das Collum karzinomatös erkrankt; diese Ziffer steht 
umgekehrt proportional zur Beteiligung der einzelnen Uterusabschnitte 
am Karzinom, nur 6°/o aller Uteruskarzinome sitzen nach Gebhard 2 ) 
im Corpus. Vergleichen wir die beiden Tabellen in dieser Abhand¬ 
lung, so ergibt sieb folgendes; es fanden 

Buday: Unter 158 Sektionen von Uteruskarzinom 7 Ovarial- 
karzinome; der primäre Uterustumor sass zweimal im Corpus und 
156 mal im Collum. 

Haenisch: Unter 31 klinischen Fällen von Uteruskarzinom 
24mal den Herd im Collum und 7mal im Corpus; die ovarielle 
Metastase wurde bei primären Portiokarzinom beobachtet. 

Von den 111 Einzelbeobachtungen der sekundären Ovarialkar- 
zinome sass der primäre Uterustumor in 

der Portio.= 12 Mal 

„ Cervix.= 11 „ 

dem Corpus.= 47 ,, 

„ Collum.= 22 „ 

„ Collum und Corpus =22 ,, 

Unbestimmt wo . . = 7 „ 

Es ergibt sich daraus von selbst das Überwiegen der Corpuskarzinome, 
welche, wenn man nur zwischen Collum- und Corpuskrebsen unter¬ 
scheidet, allein 50°/o ausmachen, also erst recht umgekehrt proportional 
der Zahl der Erkrankungen sind. 

Dass die Ovarien schon relativ früh beim Karzinom des Uterus 
erkranken können, lehrt ebenfalls eine Durchsicht der letzten Tabelle. 
Nehmen wir zuerst einmal das Verhältnis der erkrankten Drüsen an, 
so ergibt sich, soweit die Autoren hierüber Mitteilung machen, dass 

>) Freudenberg, Dissertation. Leipzig 1906. 

2) Gebhard, Pathologische Anatomie der weiblichen Sexualorgane. Verlag 
Uirzel. Leipzig 1899. 


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300 H. OFFERGELD, [10 


nur im Falle 109 sicher keine erkrankt waren. Sonst fanden sich 
geschwollen: 


Sitz des 

Karzinoms 

Lumbal¬ 

drüsen 

Fall Nr. 

Inguinal¬ 

drüsen 

Fall Nr. 

Iliakal- 

drüsen 

Fall Nr. 

retroperi- 

toneale 

Drüsen 

Fall Nr. 

Drüsen 
zwischen 
Uterus und 
Rektum 
Fall Nr. 

Bronchial¬ 

drüsen 

Fall Nr. 

Ductus 

thoracicus 

Fall Nr. 

Portio 

70, 75 

_ 

70, 75 

70, 75,116 

_ 

_ 

_ 

Cervix 

105, 113 

— 

103, 105 
113 

105, 113 




Corpus 

139. 

78, 79,66 
67 

39,78,79 

11,16,39 
66, 79 

67 

i 

67 

Kollum 

15, 24, 32 
43,112,117 

14 

14,43,112 
117 

14,30,43 
112, 117 


30 

! 

— 

Eollum et 
Corpus 


17, 31, 58 
2Lig. ro* 

tUD(). 

17,33,84 
44 

17,20,27 
33,3t, 44 

i 


I 


Hinsichtlich der Beteiligung des Peritoneums machen die Autoren 
folgende Angaben. Es finden sich bei der Autopsie teils in viva 
teils post mortem 13 mal diffuse Knötchen auf dem serösen Überzüge 
der Därme und dem parietalen Blatte von Stecknadelkopfgrösse an, 
während die eigentliche diffuse karzinomatöse Peritonitis nur in den 
Fällen No. 22 und 42 beobachtet wurde; hier waren Corpus und 
Collum iu die Neubildung aufgegangen. Audral fand am Magen 
eine scirrhöse Induration. Wenn Blau (1. c.) allein imstande ist 
3 mal bei 2 Collum und einem Corpuscollumkarzinom Perforations¬ 
peritonitis zu verzeichnen, so erklärt sich diese Tatsache dadurch, 
dass er nur Sektionsmaterial verarbeitete, an welchem vorher keine 
redenswerten therapeutischen Eingriffe unternommen waren. Die 
beiden anderen Fälle von Perforation des KaVzinoms in die freie 
Abdominalhöhle entstammen anderen Autoren; auch hierbei handelte 
es sich je lmal um ein Karzinom des Corpus-Collum und des Fundus 
uteri; man sieht also auch hier wieder die grössere Tendenz der 
Collumkarzinome in die ungeschützte Bauchhöhle einzubrechen; nur 
lmal wurde von Blau bei einem ulzerierten Collumkarzinom eitrige 
Peritonitis beobachtet. Als interessante Mitteilung wäre noch der Fall 
No. 47 zu erwähnen, wo die Ovarien von der Neubildung zwar ver¬ 
schont blieben, jedoch um die Adnexe sich eine adhäsive, spezifische 
Peritonitis ausbildete, wodurch die Adnexe mit der Nachbarschaft 
verklebten; es teilt aber leider Dybowski (1. c.) nicht mit, ob 
mikroskopische Untersuchung stattfand, so dass immerhin die Möglich¬ 
keit hier vorliegt, dass es sich um eine einfache, entzündliche Perisal¬ 
pingitis und Perioophoritis in seiner Beobachtung handeln kann. 

Was fernerhin die Perforationen in die Nachbarorgane angeht, 


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11 ] 


Ovamlkarttio.wri bei Karzinom des Üteras. 


301 



meisten' denr Materiale Oert^lhologiseben Anatomen, eiitstsmineu; nur 
Ri eck p; cd ist in sainehF Falle No. 94 der Einzige-, welcher eine 
künischs Beobachtung bringt. 


'"'V-O to'' ; Vy£ Vv'-i 

r v;•-0;;y ; : r ■■-.y 

Siii dt>9 Uter*idkÄrsint>fru« 

Perforationen in 

; Darm Perilo/»f«albo.b{u * tiben 

• 

: fall Kr. Fall Nr. Fall Kr. ‘ .Fall Nr, 

Purt io 

_ _ 

E&Ffjjr 

7" 7 , f -15 >ß die wehte Tube 

CöFpUÖ 

94 91 94. 18 I 

KuHum 

- 13 17 

Cogrpus et K oll am 

88; >7 23,49 




■ft.:-' 


Ais letzter Punkt wäre hier die Metastasenbilduug auf Mmaro- 
genern Wege m .'erwähnen, die ja bekanntlich-heit» Kmku>m des 





aehr viek Fülle uns erst von den Obduzenten mitgeteilt wurden, '-«4 
dass zum grossen Teil dieses Material in die Reiht dei tödlich enden Jeu 
Fälle, gehört t-m nicht den Anschein zu erwecken als wäre die Meta.- 
gtiiJLseahildtitig hier sehr hiftifig, lasse ich in den emzelneii Rubriken 
• he Zahlen dvt Fülle folgen, 'da öfters sieh in mehreren Organen 
giOeluehig .Metastasen linden 


itte -it# v- 


. iii'-ifi’. «4- 


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302 


H. OFFERGELD, 


[12 


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Es waren also Metastasen aufgetreten von den: 



Leber 

j L ngen 

Peri¬ 

toneum 

: 

Vagina 

i 

j Nieren 

12 Portio-Karzinomen 6 mal und zwar in 

3 mal 

j 

_ 

_ 

1 mal 

11 Cervix- „ 2 * 

1 

« 

2 mal 

! 

— 

— 

47 Corpu9- ff 15 „ 

7 

* i 

l 5 , 

5 mal 

3 mal 

1 mal 

22 Kollum- „ 9 „ 

3 

n 

1 . 

1 , 

i — 

1 , 

22 Kollum-Corpus-Karz. 10 „ 

6 

b 

3 , 

2 . 

1 mal 

1 . 

7 Unbestimmten Care. 2 „ 

111 Uterus-Karzinomen 44 mal 

i 

1 

B 

1 . 

1 

1 . 




Ferner vereinzelt in Haut, Gehirn, Herz, Pleura, Perikard, Gallenblase, Muskulatur, 

Knochen und Milz. 


Wenn wir von dieser Zahl die nicht operativ behandelten Fällen 
in Abzug bringen, so ergibt sich, dass ein besonderes häufiges Auf¬ 
treten von Metastasen bei gleichzeitigem Uterus-Ovarialkarzinom nicht 
zu verzeichnen ist. 

Ich will hier schon der interessanten Tatsache Erwähnung tun, 
dass iu den allermeisten Fällen die karzinomatös erkrankten Ovarien 
vorher gesund und funktionsfähig waren; nur in den Fällen No. 51, 
66 und 78 soll sich nach der Autorenangabe das Ovaräalkarziuora 
auf dem Boden einer papillomatösen Erkrankung entwickelt haben; 
in den beiden Beobachtungen No. 48 und 102 bestand früher ein 
Embryom der Ovarien^ in No. 80 war vorher das andere Ovarium 
wegen einer multolikulären Cyste entfernt worden; nur in der Mit¬ 
teilung von Funk bestand gleichzeitig neben dem sekundären 
Ovarialkarzinom und Embryom eine cystische Degeneration des anderen 
Eierstockes. 

Über den Sitz des sekundären Ovarialkarziuoms lässt sich Ge¬ 
naues nicht mitteilen, weil die Autorenaugaben darüber fehlen; meist 
wird das Organ diffus infiltriert, selten stellenweise befallen. Damit 
deckt sich auch Gebhardt’s Ansicht, wonach alle sekundären 
Ovarialkarzinome meist zentral sitzen in Form multipler Knoten, von 
wo aus das Stroma in Gestalt kleiner, langgestreckter Alveolen durch¬ 
setzt wird. 

Dagegen wissen wir wieder Zuverlässigeres über die Erkrankung 
der verschiedenen Seiten. Es fanden 

Scanzoni 1 ) von 99 Ovarialkarzinomen waren 50 doppelseitig, 
25 auf der linken, 24 auf der rechten Seite. (Sektionsmaterial aus 
Würzburg). 

Leopold 2 ) von 441 Ovarialkarzinomen waren 69 doppelseitig, 
104 auf der linken, 208 auf der rechten Seite. 

1) Scanzoni, Lehrbuch d. Frauenkrankheiten. S. 130. 

2 ) Leopold, zitiert nach Wendeier 1. c. 


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13] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


303 


Lerch 1 ) von 22 Ovarialkarzinomen waren 14 doppelseitig. 

Fontane 2 * ) von 14 Ovarialkarzinomen waren 8 doppelseitig. 

Wendeier 8 ) von 60 Ovarialkarzinomen waren 6 doppelseitig, 
25 auf der linken Seite, 29 auf der rechten Seite. 

Über die zweifelsohne metastatische Ovarialkarzinome bei pri¬ 
mären Ca des Intestinaltraktus teilt folgende Zahlen Omori 4 5 ) mit: 
57 mal doppelseitiges Karzinom bei 50 Fällen. 

Hinsichtlich der dieser Abhandlung zugrunde liegenden 111 Be¬ 
obachtungen ergeben sich folgende Werte: 

Doppelseitige Erkrankung ... 62 Mal 
Ca des linken Ovarium .... 18 „ 

Ca des rechten Ovarium . . . 2S „ 

Unbestimmt und bei Ca der Tuben 18 „ 

Daraus ergibt sich ohne allen Zweifel, dass in der Mehrzahl der 
Fälle beide Ovarien erkranken, wie das ja auch in der Natur der 
Sache hegt; eine besondere Disposition für die eine oder andere 
Seite ist nicht zu erkennen, nur Leopold 6 ) hat in seiner Berechnung 
bei den einseitigen Karzinomen des Ovarium (meist Primärtumoren) 
doppelt so häufig die Erkrankung des rechten Eierstockes gefunden als 
des linken; hierfür die Ursache herauszufinden, dürfte wohl nicht an- 
gänglich sein. Wir werden wohl der Wahrheit dann am nächsten 
kommen, wenn wir mit Schauta 8 ) annehmen, dass sich sehr oft in 
dem zweiten, makroskpisch scheinbar gesunde Ovarium dennoch 
mikroskopisch Ca-Zellen finden lassen; es ist auch bekannt, dass es 
Fälle gibt, wo nacheinander die beiden Ovarien karzinomatös er¬ 
krankten, und der primäre Herd in irgend einer anderen Stelle des 
Körpers sass. 

Fassen wir nach den bisherigen Erörterungen die im Anschluss 
an ein primäres Uteruskarzinom in den Ovarien auftretenden gleich¬ 
artigen Neubildungen als lymphogene Metastasen auf, so bedürfen noch 
einige Punkte der Besprechung, welche von den Gegnern dieser An¬ 
sicht zugunsten der multiplen Primärgeschwulst ins Feld geführt 
werden. Es handelt sich um die Zeit, welche zwischen dem Auf¬ 
treten des primären Tumors und seiner Metastasen vergehen kann, 
um ihre Grösse und histiologische Struktur. Pfannenstiel 7 ) erblickte 

1) Lerch, Archiv f. Gynäkol. Bd. 34. 

2) Fontane, Dissertation. Berlin 1895. 

5) Wen de ler, In Martin’s Handbuch: Erkrankungen der Eierstöcke und 
Nebeneierstöcke. Verlag von Georgi, Leipzig 1899. 

*) Omori, Dissertation. Würzburg 1901. 

5) Leopold, 1. c. 

6) Schauta, Lehrbuch der Frauenkrankheiten. Leipzig-Wien 1908. Verlag 
von Braumüller. 

7) Pfannenstiel, In Veit’s Handbuch der Gynäkologie. I. Auflage. Verlag 

von Bergmann. Wiesbaden 1899. 


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304 


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U4 


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noch bei der Abfassung des Kapitels über die Eierstockkrebse diesen 
Umstand als Beweis für eine gesteigerte Disposition eines Individuums 
zur Karzinomerkrankung; nachdem er die Tatsache erwähnt hat, dass 
man häufig Uteruskarzinom gepaart mit Ovarialkarzinomen findet, 
fährt er fort: „Derartige Fälle ganz als Metastasen aufzufassen, er¬ 
scheint mir nicht berechtigt. Denn abgesehen davon, dass es wunderbar 
wäre, wenn gerade nur die beiden Ovarien vom dem im Blute krei¬ 
senden Karzinomzellen befallen würden, und dass zuweilen, wenn 
die primär aufgetretene Geschwulst erfolgreich entfernt werden konnte, 
der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Karzinomerkrankung 
ein sehr grosser war (bis zu 9 Jahren), so lässt sich auch feststellen, 
dass die Karzinome des Eierstockes histiologisch nicht von der gleichen 
Struktur waren wie die primären Karzinome, dass es sich vielmehr 
um eine Disposition des Individuums zur Geschwulstbildung handelte, 
wie das gar nicht so selten zur Beobachtung kommt.“ Ehe diese 
Verhältnisse im Zusammenhänge besprochen werden, will ich an Hand 
der mitgeteilten Beobachtungen die einzelnen Punkte zahlengemäss 
anführen. 

Was die Zeit zwischen dem Auftreten des Uteruskarzinoms und 
seiner ovariellen, lymphogenen Metastasen angeht, so schwankt sie 
zwischen '/* und 8 1 /* Jahren; sie betrug im einzeln 


6 Monate 

iu 

Fall No. 

90 

8 „ 

ii 

ii 11 

111 

9 „ 

il 

ii ii 

92 

10 

ii 

ii ii 

78 

2 Jahre 

i» 

ii ii 

50 

3 ,, 

11 

n ii 

86 

5 

11 

•i 11 

106 

87« „ 

11 

n 1) 

80a; 


also je 4 mal war im Verlauf des ersten Jahres und später als zwei 
Jahre die Metastasierung erfolgt. Höchst interessant ist aber ander¬ 
seits die mehrfach erwähnte Tatsache, dass klinisch zuerst die Metastase 
in die Erscheinung trat und durch ihre markanten Symptome das 
ganze Kraukheitsbild beherrschte, während der eigentlich primäre 
Herd im Uterus sich lange der Diagnose entzog oder erst zufällig 
später gelegentlich der Operation oder Autopsie entdeckt wurde. 
Ausser den im einzelnen mitgeteilten Fällen berichtet Littauer 1 ) dass 
unter seinen 14 Beobachtungen 2 mal das Ovarialkarzinom den primären 
Uterustumor verschleierte, und dass die Metastasen in den Eierstöcken 
bis zu 4 Jahren nach festgestelltem Uteruskarzinom in die Erschei¬ 
nung traten. 

Es wird jetzt so ziemlich von allen Untersuchern zugegeben, 
dass die Tochtergeschwülste viel rapider wachsen und einen grösseren 

>) Li ttauer, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. S. 68. 


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15] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


305 

Umfang erreichen können als der Haupttumor. Diese Vorgänge hat 
Hansemann 1 ) unserem Verständnisse näher zu bringen gesucht durch 
die Annahme, dass in diesen Fällen der Primärtumor aufhöre zu wachsen, 
und das Weiterwachsen jetzt allein nur von den Metastasen ausgehe 
oder, dass die am Orte /der Primärgeschwulst gebildeten Zellen sich 
daselbst nicht festsetzten, sondern gleich verschleppt würden. Werfen 
wir schnell einen Blick auf unsere Fälle, so ergibt sich hinsichtlich 
der Grösse, dass nur in dem Fall No. 6 u. 120 das Karzinom auf der 
linken Seite von mikroskopischer Kleinheit war; in den anderen 
Beobachtungen, soweit hierüber Aufzeichnungen sich vorfinden, er¬ 
gab sich folgendes: 

kleine, multiple Kuoten in Fall 39 auf der rechten Seite 

taubeneigross „ „ 97 doppelseitig 

faustgross „ „ 84 rechtsseitig; No. 101, und 93 

linksseitig 

apfelgross „ „71 linksseitig 

kiudskopfgross „ „ 64 und 108 beiderseitig; links No. 52 

(rechts?) No. 115, rechts No. 0 

und 101 

mannskopfgross „ „ 9,10 und 111 beiderseitig; rechts 

No. 115. 

(die fettgedruckten Nummern doppelseitig). 

Mit der Grösseuzuuahme ist aufs engste verknüpft die Änderung 
des histiologischen Baues der Metastase. Wenn -auch meistens die 
Tochtergeschwülste dem primären Tumor sehr gleichen, so finden 
doch unter später zu erörternden Bedingungen ganz erhebliche Ab¬ 
weichungen des histiologischen Baues statt; die Zellen des sekundären 
Tumors können sich freier entwickeln, indem sie entweder neue 
Fähigkeiten annehmen oder auf einfachere Formen zurückzugehen; 
sie differenzieren sich dabei oder anaplasieren. 

In 22 Fällen teilen die Beobachter das Ergebnis der histio¬ 
logischen Untersuchung mit. Es handelt sich dabei, wenn mir das 
Adenoma malignum bei seinen wahren Charakter belassen und als 
„Drüsenkarzinom mit vorwiegend einschichtigem Epithel - * auffassen, 
12 mal um ein Adenomkarzinom des Corpus welches ebenso oft 
gleiche adenokarzinomatöse Metastasen in den Ovarien gesetzt hat;, 
aber auch schon hierbei zeigen sich leichte Unterschiede; 3mal 
No. 95, 96, 82 waren neben der Drüsenbildung auch solide Zellstränge 
vorhanden; das Karzinom hatte also einen niedrigen Typus in der 
Metastase erhalten (Anaplasie) während in Fall No. 67 das mit soliden 
Zellsträngen versehene Adenokarzinom des Corpus durch nachträg¬ 
liche Differenzierung eine reine adenokarzinomatöse Metastase erzeugt. 

i) Hanaem&nn, Die mikroskopische Diagnostik bSsartiger Geschwülste. 



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hatte. Regressive Veränderungen fanden sich an den Zellen der 
Tochtergeschwülste in No. 89 und 67; sie bestanden in Nekrose, 
Erweichung und myxomatöser Degeneration. Fall 81 liefert wieder 
eiuen Beweis für die Gleichstellung von Adenokarzinom und malignen 
Adenom; beide gehören der gleichen Gattung an und sind nur Spiel¬ 
arten dieser Spezies. Sehr interessant ist der von mir im Archiv für 
Gynäkologie Bd. 78 beschriebene Fall 115 (No. V); es handelt sich 
-dabei um die Polymorphie der Epithelien; im Primärtumor war nur 
einschichtiges, polymorphes Zylinderepithel, welches sehr stark 
Schleim produzierte, die Ovarialmetastase hatte direkten, unvermittelten 
Übergang in das mehrschichtige Epithel; auch hier lieferten die 
obersten Lagen Schleim. 

Die Fälle Nr. 70 und 79 bieten schöne Beispiele von Anaplasie 
dar, indem der höher entwickelte Zelltypus des Adenokarzinoms in 
den Metastasen auf die niedrige Form des soliden, alveolären Krebses 
zurückging; umgekehrt bildeten sich in Nr. 41 und 93 die Töchter 
der soliden primären Karzinomzellen in den Ovarien noch nachträg¬ 
lich zu einer vollendeteren Eutwickelungsstufe aus, und imitierten 
durch ihre Anordnung um ein zentrales Lumen den Bau der Adeno¬ 
karzinome. 2 mal (Nr. 37 und 97) war indessen der Charakter des 
primären soliden Karzinoms auch in den Metastasen gewahrt. 

Die Form des Plattenepithelkarzinoms der Portio hat in den 
Beobachtungen Nr. 74, 107 und 117 die gleiche histologische Struktur 
in allen Organmetastasen hervorgerufen, ein Umstand, der besonders 
wichtig ist, weil sich dabei auch gleichzeitig Verhornung in Fall 
No. 107 vorfand und normalerweise diese Organe, welche sekundär 
befallen wurden, kein Plattenepithel führen. 

Als ganz besonders prägnantes Beispiel für die Änderung des 
ganzen Zellcharakters, wie er gelegentlich einmal in den metasta¬ 
tischen Knoten auftreten kann, ist die Beobachtung Nr. 76 anzu¬ 
führen; es hatte hier das primäre Adenokarzinom des Corpus in 
seiner ovariellen Metastase die Form der platten Epithelien hervor¬ 
gebracht. 

Alle diese Veränderungen im Zellcharakter beweisen, dass selbst 
den Karzinomzellen eineelektive Fähigkeit zukommt; ihre physiologische 
Tätigkeit ist mit der Produktion von Tochterzellen keineswegs er¬ 
schöpft, sondern sie haben daneben noch andere Funktionen zu ver¬ 
richten; mit der Änderung ihrer biologischen Tätigkeit kann eine 
solche ihrer morphologischen Struktur verbunden sein. 

Durch das expansive Wachstum der malignen Tumoren gelangen 
schon frühzeitig die Zellen in das Blut- oder Lymphgefässsystem; 
die von einzelnen Untersuchern beobachtete amöboide Bewegung der 
Zellen kann dabei unterstützend wirken. Die Metastasenbildung ist 
nach dem modernen Standpunkte unserer Wissenschaft ein deuteropathi- 


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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


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«eher Vorgang, wofür zuerst Cohn heim und Maas den experimen¬ 
tellen Beweis erbrachten; es können Gewebsstücke, welche in die 
Blutbahn bineingebracht werden, im Organismus anbeilen durch 
„Wegfall der physiologischen Widerstände,“ indem der Körper die 
Fähigkeit verloren hat das Nichtbrauchbare zu eliminieren. Die 
embolisch verschleppten Zellen — und das gleiche gilt für die soge¬ 
nannten regionären, lymphogenen Metastasen, wirken als Fremdkörper; 
sie regen daher das Gewebe zur Wucheruug an; durch den von den 
neoplasmatischen Zellen ausgehenden, dauernden chemotaktischen Reiz 
ist die Gefässentwickelung eine höchst rege. Birch-Hirschfeld 1 ) 
fasst die ganze Lehre von den Metastasen zusammen in die Worte: 
„Für die Histogenese der sekundären Karzinome ist das Hauptgewicht 
auf die Wucherung der verschleppten Krebszellen zu legen; die Ge¬ 
schwulstzellen des metastatischen Karzinoms sind Abkömmlinge der 
fortgeführten Zellen der primären Geschwulst, sie halten daher auch 
einen wesentlichen Charakter der epitheliaen Zellen des Primär¬ 
tumors fest, namentlich in der Form zu bestimmten Metamorphosen.“ 

In den meisten Fällen jedoch ist es unmöglich, die Histiogenese 
-der Metastase zu erheben; man muss daher zusehen mit anderen 
Mitteln auszukommen. Nach Borst 2 ), dem ich bei diesen Ausführungen 
folge, hat man in diesen Fällen durch genaueste Feststellung der 
morphologischen und mikrophsiologischen Details, ferner auch der 
Wachtumstendenz den Charakter der betreffenden, mehrfachen Ge¬ 
schwülste zu bestimmen. Stellen sich hierbei die mehrfachen Ge¬ 
schwülste als ähnliche oder gleiche heraus, so sind verschiedene 
Möglichkeiten der sekundären Ausbreitung in Betracht zu ziehen, und 
es ist zu erwägen, ob sich ein Abhängigkeitsverhältnis konstruieren 
lässt-; bei anatomisch und physiologisch gleichartigen Geschwülsten 
ist erst beim Versagen dieses Versuches mit einiger Wahrscheinlichkeit 
eine primäre Multiplizität anzunehmen. Primäre und sekundäre 
Multiplizität tritt mit Vorliebe in ganzen Organsystemen auf, und dazu 
.gehört Uterus und Ovarium. Hausemann*) erblickt das ausschlag¬ 
gebende Moment in der Anordnung des Stromagewebes, so soll z. B. 
•ein Scirrhus durch Abnahme des Bindegewebes in den Metastasen 
sich zum Medullarkarzinom entwickeln können. Bei den Zellen ist 
ihre Form, die Kerne, die Richtung und Anordnung der Mitosen 
zu beachten, sowie ihre Anordnung in epitheliale Verbände oder 
ob sie hier im Gewebe liegen als selbständige Individuen. Mit zur 

1) Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Leipzig 
1894/97. 

2) Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Verlag von Bergmann. Wies¬ 
baden 1903. 

») Hansemann, Die mikroskopische Diagnostik bösartiger Geschwülste. Ver¬ 
lag von Hirschwald. Berlin 1902. 

Wfirzbnrger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 12. 22 


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Entscheidung dient das histiologische Verhalten, z. B. ob der Tumor 
in seinen Eigenschaften primär an dem betreffenden Orte vorkommt, 
dann hilft noch unter Umständen das Aller der Geschwulst und der 
klinische Verlauf, wiewohl beide Faktoren sehr wenig sicher sind; 
Kleine Tumoren können grosse Metastasen machen (cf. obige Fälle) 
durch Stationärbleiben des Primärtumors oder durch rapide Abfuhr 
seiner Zellen in den Organismus; meist findet man dann die ab¬ 
gehenden Lymphbahnen voll von Karzinomzellen und in dem pri¬ 
mären Herde selbst zahlreiche Mitosen. Am besten hilft nach Hause¬ 
mann 1 ) noch der Umstand, dass die primäre Geschwulst meist diffus 
in die Umgebung wächst, dagegen die Metastase abgekapselt ist und 
in ihrer Umgebung sich eine Hypertrophie der benachbarten Gewebe 
vorfindet. Die eigentliche Ursache für die Verschiedenheit liegt darin, 
dass die Zellen durch ihr anormales Wachstum sich Verhältnissen 
angepasst haben, die von der Norm abweichen, so z. B. stehen die 
Karzinomzellen in viel weniger engerer Beziehung zu den Blutgefässen 
als normale Epithelien, in der Metastase hingegen wuchert reichlich 
gefässhaltiges Bindegewebe durch den chemotaktischen Reiz. Unter¬ 
stützend wirken dabei die biologisch-chemischen Verhältnisse an sekun¬ 
dären Orten, woraus sich zum Teil die Vorliebe gewisser Karzinome 
für Metastasierung erklärt. Auf diese Weise entstehen entweder diffuse 
Infiltrate oder knollige Tumoren in den metastatisch ergriffenen Or¬ 
ganen, abhängig von der Wachstumstendenz der verschleppten Zellen 
und lokalen Verhältnissen. Gedenken wir noch der Untersuchungen, 
von Neuberg 2 ), der nachwies, dass sich bei Metastasen eine Um¬ 
wertung wichtiger Zellfunktionen vollzieht, dass mit dem Erwerbo 
neuer fermentativer Arbeit ein Verlust schon vorhandener einher¬ 
gehen kann, so finden wir es begreiflich, wenn histiologisch der pri¬ 
märe und sekundäre Tumor weitgehende Verschiedenheit zeigen. Meist 
ähneln sie einander; es ist aber auch in den Metastasen eine freie 
Entwickelung der Zellen möglich, sobald die Spannung der Gewebe 
in den Metastasen in Fortfall kommt, welche ihr Wachstum im pri¬ 
mären Herde beschränkt; das ist besonders der Fall in den Lyrnph- 
drüsen und den Thromben der Blutgefässe, wo Borst (1. c.) sehr 
häufig die Entwickelung eines Adenokarzinoms, also einer sogenannten 
„gereiften Form“ des Karzinoms beobachtete. Diese Abweichungen 
vom Typus der Primärgeschwulst hat Hansemann (1. c.) als ein 
Zurückgehen auf einen ursprünglichen Zustand gedeutet (Anaplasie). 
Hierbei handelt es sich nach Borst nicht um fortgesetzte Ver¬ 
wilderung, nicht um fortgesetzte Degeneration des Zellcharakters,, 
sondern um Einwirkung äusserer Einflüsse, welche eine Änderung 

1) Hansemann, 1. c. 

2) Neuberg, Berliner klin. Wochenschrift 1904. Nr. 41. S. 1080; 1905. Nr. 5.. 
S. 118. 


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19] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uteras. 


309 


der physikalisch-chemischen Bedingungen des Gesamtorganismus be¬ 
wirken: Das bedeutet eine Anpassung der Zellen an veränderte Lebens¬ 
bedingungen, ist also ein Ausdruck höherer physiologischer ..Entwicke¬ 
lung. H a n s e m a n n (1. c.) weist darauf hin, dass sich der Zellcharakter 
in den Metastasen immer mehr von der Struktur des Mutterbodens 
entferne, als es der primäre Tumor tat; er schreibt: „Meiner Erfah¬ 
rung nach sind die Metastasen entweder gleich oder stärker anaplastisch 
als der Primärtumor, nicht aber weniger anaplastisch." Die beiden 
einzigen Fälle, wo in der Metastase eine geringere Anaplasie zum 
Ausdruck kam als im primären Herde, wurden publiziert von Nehr- 
korn 1 * 3 ) und Fütterer*). Hansemann schreibt daher mit Recht, 
dass jede Form eines Karzinoms in seinen Metastasen sich zum Me- 
dullarkrebs entwickeln könnte (cf. die Fälle), indem die Zellen „jede 
charakteristische Form verloren haben, jede Verbindung derselben unter¬ 
einander aufgehoben ist und epitheliale Verbäude nicht mehr be¬ 
stehen". Es ist daher klar, dass eine bedeutende Entfernung vom 
Muttergewebe, als es ein primäres Medullarkarzinom zeigt, unmög¬ 
lich ist, daher kann in dessen Metastasen nur der gleiche Typus hervor¬ 
treten. Für die im Anschlüsse au ein primäres Magen-Darmkarzinom 
auftretenden sekundären Ovarialkarziuome hat Amann®) ausdrück¬ 
lich die Bindegewebswucherung in der Umgebung der eingewanderten 
Zellen als ein charakteristisches Merkmal hingestellt, wodurch erst die 
Grösse dieser Tumoren erklärlich wird; ob dieses Verhalten auch bei 
den lytnphogenen Metastasen nach Uteruskarzinom im Ovarium der 
Fall ist, geht aus den Mitteilungen der Autoren nicht hervor. 

Die vom primären Herde losgerissenen Zellen machen nun nicht 
unter allen Umständen Metastasen, denn sonst würden wir die ova¬ 
rielle Metastase - bei Uteruskarzinom noch viel häufiger beobachten, 
sondern e3 findet, wie M. B. Schmidt 4 ) so schön nachgewiesen hat t 
eiu weitgehender Schwund der deportierten Zellen statt; einmal durch 
Mangel an geeignetem Nährboden, dann auch durch die Schutzkrfifte 
des Körpers. Daher hat Ribbert 5 ) den jungen Tumorzellen lange 
nicht die übermässige Proliferationsfähigkeit zuerkannt, wie allent¬ 
halben angenommen wird, wenn man auch zugeben muss, dass sie 
weniger leicht zerstörbar sind als normale, embolisch-verschleppte 
Zellen. Borst 1. c. dagegen sieht als Grundbedingung zur Meta¬ 
stasierung widerstandsfähige und vollebens kräftige Zellen an; meist 

i) Virchow’s Archiv. Bd. 151. Supplement. S. 559. 

*) Fütterer, Ober die Ätiologie der Karzinome. Verlag von Bergmann, 
Wieabaden 1901. 

s) Amann, Münchener med. Wochenscbr. 1905. Nr. 50. S. 2414. 

*) M. B. Schmidt, zitierte Monographie. Verlag, G. Fischer, Jena 1903. 

3) Ribbert, Lehrbuch der allgem. Pathologie und pathol. Anatomie. Verlag 

C. F. W. Vogel. Leipzig 1901. 

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jedoch gelangen nur Zellen in die Organe, deren Proliferationsver- 
raftgen nur gering ist und die schon schwere regressive Verände¬ 
rungen aufweisen. Neben lokalen Verhältnissen sind für das Haften¬ 
bleiben von Zellen und ihre Weiterentwickelung auch allgemeine 
Bedingungen nötig; Borst glaubt, „dass der Zustand des Blutes und 
der Lymphe nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise geeignet ist, Ge¬ 
schwulstzellen aufkommen zu lassen, indem ich (Borst) mir vorstelle, 
dass die Säfte ebenso wie gegenüber anderen fremden Eindringlingen 
(Bakterien) gewisse Schutzkräfte auch gegen eingeschleppte Zellen auf¬ 
zubringen imstande sind.“ Es ist also eine Art „Dyskrasie“ nötig. 
Auch sind die verschiedenen Geschwulstzellen den physiologischen 
und mit Schutzkräften ausgerüsteten Säften gegenüber in verschie¬ 
denem Grade empfindlich; daher erklärt sich das wechselvolle Ge¬ 
deihen der verschleppten Zellen. Sodann ist die chemische Zusammen¬ 
setzung der Gewebsflüssigkeit der verschiedenen Lokalitäten mass¬ 
gebend. Da in jedem Organ ein anderer Stoffwechsel stattfindet, so 
sind die Existenzbedingungen für die metastatischen Zellen also sehr 
verschiedene; „hierauf beruht es vielleicht (Borst), dass manche 
Organe so selten von Metastasen befallen werden.“ Dazu kommen 
noch physikalische Momente: Wachstumswiderstände und lokale ge¬ 
webliche Einrichtungen, welche das Haftenbleiben erleichtern oder 
erschweren. So erklärt sich die Launenhaftigkeit der Metastäsen- 
bildung und das gelegentliche Fehlen von Tochtergeschwülsten trotz 
des Kreisens losgerissener Tumorzellen im Blut- oder Lympbgefäss- 
system. Lubarsch 1 ) sagt, es müsse zuerst die Resorptions- und 
Zerstörungsfähigkeit des Organismus erlahmen, ehe sich Metastasen 
ausbildeten; Borst gegenüber legt er besonderen Wert darauf, dass 
ein Überschuss von Tumorzellen verschleppt wird, oder dass stets 
neue Nachschübe auftreten. Es sollen sogar nach rechtzeitiger 
Entfernung des Primärtumors freie Zellelemente aus dem Blute 
schwinden und bestehende Metastasen sich zurückbilden; jedoch ist 
letzterer Vorgang noch sehr fraglich. Lubarsch hebt aber wie alle 
anderen Autoren ganz besonders die Abwehrkräfte des Körpers her¬ 
vor, welche zuerst erlahmen müssen, sei es nun durch interkurrente 
Krankheiten, sei es durch den Tumor selbst, der das so wechselvolle 
und wenig geklärte Bild der Kachexie hervorruft. So erklärt sich 
die auffallende Tatsache, dass oft sehr lange die Metastasen latent 
bleiben; so erklärt sich der lange Zeitraum zwischen dem Auftreten 
des primären und der sekundären Herde, ja sogar die Entwickelung 
der letzteren Jahre nach stattgehabter totaler Exstirpation der Mutter¬ 
geschwulst ohne lokales Rezidiv. 

1 ) Lubarsch, Ergebnisse der allgemeinen Pathologie des Menschen und der 
Tiere. Bd. 1—6. 


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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


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Diese Verhältnisse machen es uns erklärlich, weshalb sich in 
einer ganzen Anzahl von Karzinom des Uterus gleichzeitig auch 
karzinomatöse Depots in den Ovarien finden; wir verstehen jetzt auch 
das merkwürdige zeitliche Verhalten, die gelegentlich beträchtliche 
Grösse, sowie die oft bedeutenden histiologischen Abweichungen der 
Ovarialkarzinomo vom Bau des primären Uterustumors. Es fragt 
sich nun, warum die Ovarien gerade eine solche Vorliebe zu sekun¬ 
därer Erkrankung besitzen; müssen wir als hauptsächlichen Weg die 
Lymphstrasse vom Uterus in der Tasche zwischen Tube und Lig. 
latum bezeichnen, so bleibt es auffallend, dass gelegentlich die diesem 
Bezirke zugehörigen Drüsen an der Teilungsstelle der Iliaca und die 
retroperitonealen Drüsen verschont blieben, das andere Mal aber auch 
erkrankten. Littauer 1 ), welcher die direkte Fortleitung des Prozesses 
verwirft, glaubt das gleiche, unbekannte Agens beschuldigen zu 
müssen wie bei den benignen Ovarialtumoren; „wie benigne Er¬ 
krankungen der Ovarien benigne Wucherung der Uterusmukosa 
machen können, so sollen auch maligne Ovarialtumoren maligne Ver¬ 
änderungen der Mukosa des Uterus verursachen.“ Dieser Standpunkt 
ist jedoch längst überwunden. Viel präziser drückt sich Klebs*) aus; 
die rasche Ansiedelung und Vermehrung von in den Eierstocke ge¬ 
langten Partikelchen liegt in den physiologischen Verhältnissen dieses 
Organes, besonders in seiner Fähigkeit, sehr rasch neue Gefässe zu 
bilden, fernerhin in seinem reichen Lymphgefässsystem, in welchem 
die Karzinommassen weiter wuchern können, und zuletzt in den 
Menstruationsverhältnissen, wodurch stets Veränderungen und Narben 
geschaffen werden, in denen die Epithelien bestens wuchern können- 
Lücke-Zahn 8 ) betonen, dass alle Organe besonders zu metastatiscben 
Prozessen neigen, in denen der Kapillarkreislauf starken Schwankungen 
unterworfen ist; dieses ist jedoch normalerweise in periodischen 
Zeitabschnitten im Ovarium der Fall. Klebs*) erwähnt noch aus¬ 
drücklich, dass gerade menstruierende Frauen besonders zu dieser 
sekundären Affektion neigen. Genauere Angaben über diesen Punkt 
fehlen bei allen Autoren; ungefähre Anhaltspunkte wird man sich durch 
das Alter der Kranken verschaffen können. Von den 121 berichteten 
Fällen wird 52 mal das Alter nicht angegeben; daher bleiben zur Be¬ 
wertung nur noch j 67 Beobachtungen übrig. Diese waren alt 
zwischen 20 und 30 Jahren = 1 mal (26 Jahre), 

„ __ 30 „ 40 „ = 13 mal (1 mal 31, je 2 mal 36 

und 37, 3 mal 34, 5 mal 40 Jahre); 


') Littauer, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. 1. c. 

£) Klebs, Allgemeine Pathologie. Verlag von Braumüller. Wien-Leipzig. II. 
S. 532. 

3) LOcke-Zahn, Deutsche Chirurgie. Allgemeine Geschwulstlehre. 1896. 
Bd. 32. 


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zwischen 40 und 50 Jahren = 28 mal (je 1 mal, 42, 43, je 2 mal 
41, 45 und 49, je 3mal 46, 47, 50, 4mal 48 und 6mal 44 Jahre); 

zwischen 50 und 60 Jahren = 22 mal (je lmal 52, 55, 56, 57, 58, 
60, 3 mal 51, je 3 mal 54 und 59, je 4 mal 53 und 55 Jahre); 

über 60 Jahre = 7 mal (je 1 mal 63, 64, 68, 2 mal 63 Jahre 
und 3 mal als „alt“ bezeichnet). 

Von diesen 67 Fällen waren also sicher 14 = 19,72 °/o in ge¬ 
schlechtsfähigem Alter, 29 = 40,84 °/ 0 standen jenseits der normalen 
Grenze der Menstruation und von 28 = 39,14% ist es zweifelhaft. 
Bedenken wir aber, dass die meisten Beobachtungen bei Corpus- 
karzinomen gemacht wurden, welches erst in hohem Alter gewöhnlich 
eintritt, — nach Krukenberg 1 ) im Mittel mit 53,7, nach Hof- 
m e i o r *) gar mit 54,5 Jahren —, so werden wir an Hand dieses Materi¬ 
ales eher zugeben, dass mit Vorliebe das sekundäre Ovarialkarzinom 
Organe befällt, welche sich nicht in exquisiter physiologischer Be¬ 
tätigung befinden, vielleicht eben deswegen, weil die auf der Höhe 
der Tätigkeit stehenden Organe solche lokale Schutzmittel besitzen, 
die den verschleppten Zellen ihre Existenzbedingungen uehmen oder 
doch erschweren. 

Zur Entscheidung dieser Frage wäre in Zukunft der klinische 
Verlauf genauer zu beachten; es hat Omori 8 ) gelegentlich der meta¬ 
statischen Ovarialkarzinome bei primärem Intestinalkarzinom sich 
dahin geäussert, dass das Sistieren der Menses bei vorher in normaler 
Weise menstruierenden Patientinnen sehr für eine doppelseitige Er¬ 
krankung der Ovarien spräche. Wir würden dann, Omoris An¬ 
gaben als bewiesen vorausgesetzt, nur mehr Metrorrhagien, aber keine 
Menorrhagien beim Uteruskarzinom beobachten, wenn in diffuser 
Weise beide Ovarien mit karzinomatös erkrankt sind. Diese Ame- 
norrhöe ist einmal zu erklären durch den weitgehenden Verlust an 
funktionierendem Parenchym, meiner Meinung nach jedoch haupt¬ 
sächlich durch die Grundkrankheit analog dem Aufhören der Men¬ 
struation bei jedem Siechtume; ist es doch bekannt, dass gerade dann 
der Organismus besonders geschädigt wird oder schon vorher wurde, 
wenn sich Metastasen entwickeln. 

Für die praktische Medizin ergeben sich hieraus noch einige 
wichtige Folgerungen. Unter allen Umständen ist beim Uteruskarzi¬ 
nom, wie das auch von vielen Autoren empfohlen wurde, die Total¬ 
exstirpation vorzunehmen; es müssen also die Ovarien mit entfernt 
werden, weil in einem relativ grossen Prozentsätze der Fälle schon 

1) Krukenberg, zitiert nach Gebhard: Pathologische Anatomie der weib¬ 
lichen Sexualorgane. Leipzig 1899. 

2 ) Hofmeier, zitiert nach Gebhard: Pathologische Anatomie der weib¬ 
lichen Sexualorgane. Leipzig 1899. 

s) Omori, Dissertation. Würzburg 1904. 


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Ovarialkarzinom bei Earzinom des Uterus. 


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recht frühzeitig die beiden Eierstöcke mit erkranken. Sängers Rat, 
die Kastration nur bei klimakterischen Kranken auszuführen, muss 
daher jetzt viel weiter ausgedehnt werden, und es ist im Prinzip bei 
Uteruskarzinom in jedem Alter die Kastration auszuführen, wegen 
der Gefahr lymphogener Metastasen in diesen Organen, deren spon¬ 
tanes Zurückgeheu nach Exstirpation des primären Uterusherdes nicht 
erhofft werden darf. Ebenso weisen auch diese Beobachtungen wieder 
den Vorteil des abdominellen Weges an, sind doch schon bei relativ 
beginnendem Corpuskarzinom gelegentlich sehr frühzeitig die lum¬ 
balen, iliakalen und retroperitonealen Drüsen karzinomatös erkrankt; 
diese sind natürlich beim vaginalen Vorgehen der Exstirpation nicht 
zugänglich. Sodann ergibt sich, dass die hochentwickelten Karzinome, 
die Adenokarzinome des Corpus uteri von der gleichen Malignität 
sind wie die alveolären Krebse des unteren Abschnittes. Wir finden 
in ganz hervorragender Weise die Corpuskarzinome an der Bildung 
der sekundären Ovarialkarzinome beteiligt, was ja zum Teil seinen 
Grund in dem schon öfters erwähnten Verhalten seiner Lymphbahnen 
hat, zum Teil aber auch durch eine spezifische Eigentümlichkeit der 
adenokarzinomatösen Epithelien bedingt sein muss, denn die soliden 
Karzinome des Corpus machen nur höchst selten eine gleichartige 
Erkrankung der Ovarien. 

Zuletzt sei noch erwähnt, dass sich 4 mal bei der Komplikation 
von Uterus- und Ovarialkarzinom Aszites vorfand, wahrscheinlich 
m allen Fällen bedingt durch letzte Affektion; wenn auch in dem 
Falle Nr. 78 dabei Heilung erfolgte, so ist doch das Auftreten von 
Aszites als Signum pessimi ominis zu betrachten, die anderen drei 
Fälle kamen ad exitum. Dagegen ist selbst bei doppelseitigem meta¬ 
statischen Karzinom der Ovarien die Prognose nicht so absolut schlecht, 
da die Serosa erst spät befallen wird, und es gelingt durch abdomi¬ 
nelle Totalexstirpation alles Krankhafte zu entfernen. 

Ich habe in dieser Abhandlung die bisher veröffentlichten Fäll© 
von Karzinom der Ovarien und des Uterus zusammengostellt, soweit 
sie mir erreichbar waren und glaube nicht, irgend eine wichtigere 
Arbeit über dieses Thema übergangen zu haben. Ausser den eben 
angeführten Beobachtungen sind in der Literatur zwar noch mehrere 
Fälle mitgeteilt, die ich deshalb übergangen habe, weil sie mir nicht 
ein wandsfrei erschienen. Leider habe ich es unterlassen, in den 
meiner zitierten Arbeit im Archiv für Gynäkologie zu Grunde gelegten 
15 Fällen auch die Ovarien zu untersuchen, so dass ich selbst über 
ein grösseres Untersuchungsmaterial zur Zeit nicht verfüge. 

Dazu gehören zunächst die beiden Fälle von Zeiss 1 ), wo die 
histiologische Untersuchung fehlt: 

i) Zeiss, Zentralbl. f. Gynükol. 1897. Nr. 8. S. 215. 


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a) 55 jähr. Portiokarzinom und solider Ovarialtumor der rechten 

Seite; 

b) 45jähr. Portiokarzinom und linksseitiger, intraligamentöser 
solider Ovarialtumor. 

Sodann der Fall von Heinemann, niedergelegt in seiner 
Dissertation Berlin 1905. 

52j. Multipara; Laparotomie wegen Magenkarzinoms; der Ver¬ 
wachsungen halber wieder Schluss der Bauchhöhle ohne weiteren Ein¬ 
griff. f 1 Monat später. 

Sektion: Serosa von Uterus, Tuben und Ovarien mit fibrinösen 
Auflagerungen bedeckt; unter der Serosa einzelue, markige, weisse 
Knötchen von Linsengrösse. In der verdickten Portio auf die Cervix 
übergehend, teils diffuse, teils zirkumskripte Tumormassen; ebenso 
unter der Serosa von Tube und Ovar. Ringförmig um den Pylorus 
bis zur kleinen Kurvatur eine weisse, harte Geschwulst mit Zerfall. 
Histiologisch stimmten die Karzinome überein. 

Heinemann sieht das Magenkarzinom als primären Herd, den 
Tumor au der Portio als lymphogene Metastase eines Serosaknotens an, 
von wo aus die Lymphstrassen des Douglas und Myometrium infil¬ 
triert waren; von der Metastase der Portio Hessen sich karzinomatöse 
Lymphstränge im Parametrium und entlang der Gefässe zu den 
Adnexen hin verfolgen. 

Es wäre dies der seltene Fall, wo die Ovarien sekundär karzi- 
nomatös erkrankten nach einem metastatischen Uteruskarzinom; ob 
aber nicht der primäre Pylorustumor direkt die Ovarialkarzinome be¬ 
wirkt hat, lässt sich an Hand der Dissertation nicht entscheiden. 

Auszuschalten ist ferner der Fall von Rickards: The Lancct 
26. Xn. 1867. II. S. 803. 

45j. perforiertes Funduskarzinom; die Symptome der Perforation 
dauerten nur einen Tag, dann Exitus, im rechten Ovar ein kinds- 
kopfgrosser Tumor. Der Autor lässt es nicht mit Sicherheit erkennen, 
ob es sich um ein Medullarkarzinom und Metastase handelte. 

Die übrigen sechs Beobachtungen betreffen das Vorkommen von 
Karzinom in Mamma, Uterus und Ovarien. 

Dybowski: Dissertation Berlin 1880. 

Doppelseitiges Mammakarzinom; Karzinom des Collum und 
Corpus uteri; multiple Exkreszenzeu der Haut, Leber, Milz, beider 
Nieren, Nebennieren, Lungen und Ovarien; Schwellung der mesera- 
ischen und axillaren Drüsen. 

Nähere Angaben fehlen diesem Sektionsberichte; es ist zweifel¬ 
haft, ob es sich um GeneraHsierung im Genitalapparate oder um 
multiple Primärtumoren handelt. 

Mercanton: Revue mödicale de la Suisse romande. 20 mars 
1893. S. 173. 


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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterns. 


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51 j. Seit 18 Monaten mit Obstipation und Metrorrhagien er¬ 
krankt; seit 3 Monaten ein Tumor der linken Mamma. Diagnose: 
Karzinom der Mamma und des Corp. uteri mit Übergang auf die 
Adnexe und Aszites; beide Tumoren'sind inoperabel. 

Nach der Ansicht von Mercanton soll es sich hierbei um 
multiple, primäre Karziuome handeln. 

Walter: Dissertation Rostock 1896. 

50j. Virgo. Vor 7 Jahren Ovariotomie wegen Adenozystom der 
rechten Seite; linke Adnexe gesund, bleiben zurück. Dann genitale 
Blutungen und Exstirpation der linken Mamma wegen eines Tumors 
histiologisch: Scirrhus mit hyaliner Degeneration des Stroma). 3 Monate 
später Relaparatomie und Exstirpation des Uterus; Unke Adnexe 
bleiben zurück, da gesund. 

Verfasser sieht alle Tumoren als primäre Herde an und glaubt, 
das Adenozystom sei nur ein adenomatöses Vorstadium eines Karzi¬ 
noms gewesen. 

Weyl: Dissertation Leipzig 1907. 

42j. Inoperabler cancer en cuirasse der rechten Mamma mit 
Ulzerationen bei einer im 2.—3. Monate Gravida. Röntgenbestrah¬ 
lung; Übergreifen des Ca. auf die linke Mamma; 4 Monate später 
plötzlich Schmerzen im Leib. Man fand jetzt ein inoperables Portio¬ 
karzinom; Gravida starb plötzlich im 8. Monat. Sektion : Karzinom 
beider Mammae, der Pleureu und des Perikards, Metastasen in der 
rechten Tonsille, im Douglas, an der Zwerchfellunterfläche, in der 
Mukosa des unteren Ileum. Gänseeigrosses Portiokarzinom mit In¬ 
filtration des linken Parametrium. Im Uterus ein toter, 37 cm langer 
Fötus; beide Tuben verdickt und von Tumoren durchsetzt; in beiden 
Ovarien höckerige Protuberanzen; karzinomatöse Schwellung aller 
Drüsen des kleinen Beckens und der Brust. Histologisch fand sich 
in allen Tumoren ein tubuläres Karzinom. 

Weyl sieht das Portikarzinom als Metastase des Karzinoms 
der Mamma an; die Ovarien sollen lymphogen von dem Portokarzi¬ 
nom befallen sein; ob dieser Modus faktisch so stattgefunden hat, 
lässt sich aus der Beschreibung nicht entnehmen. 

Graf: Dissertation Freiburg 1903. 

42j. Mammakarzinom rechts und Rezidiv nach Exstirpation; 
f 14 Tage später an Karzinose. 

Sektion: Unter anderen Herden diffuses Karzinom beider Ovarien 
und zahlreiche kleine Knoten in der Uterusmukosa, welche, wie sich 
histiologisch herausstellte, durch die Gefässe des Myometrium zuge¬ 
leitet waren. Es ist hierbei fraglich, ob die Metastasen in den Ovarien 
durch das Mammakarzinom direkt oder erst durch die Uterusknoten 
hervorgerufen sind. 


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Chiari: Prager medizinische Wochenschrift 1905 Nr. 17. S. 230. 

42 j. Mammakarzinom rechts, Schwellung der peribronchialeu 
Drüsen; in der Dünndarmmukosa ein hartes Infiltrat; Schwellung 
der benachbarten Lymphdrüsen. Im Endometrium des Corpus und 
Fundus mehrere haselnussgrosse Infiltrate, welche nicht in das Myo¬ 
metrium hineinragen; Muskularis frei; Tube rechts und links am ab¬ 
dominalen Teile verdickt und offen; beide Ovarien auf das Doppelte 
vergrössert, hart, höckerig; im Douglas einige weisse Knötchen. 
Metastasen in Sternum, Kreuz- und Lendenwirbeln, Femur rechts und 
Schädeldach; Schwellung der Inguinal-, Lumbal-, Zervikal- und Axillar¬ 
drüsen. Histiologisch typischer Scirrhus der Mamma mit polyedrischen 
und kugelförmigen Karzinomzellen, ln den anderen befallenen Organen 
das gleiche Bild, keine Wucherung der Epithelien im Uterus, 1. Tube 
ebenfalls karzinomatös infiltriert; Serosa intakt. Im rechten Ovar 
Karzinomwucherung bis dicht unter das erhaltene Keimepithel, mit 
Nekrose stellenweise. Im linken Ovar war noch etwas vom Stroma 
und der Tunica albuginea vorhanden, aber die Follikel fehlten. 
Chiari sieht das Mammakarzinom als primären Tumor an; alle an¬ 
deren Knoten als hämatogene Metastasen, weil er die Lymphwege 
und Venen frei von Karzinom fand. Ob die Ovarialkarzinome nicht 
doch lyinphogen vom Uteruskarzinom oder durch direktes Übergreifen 
von der Tube aus entstanden sind, ist nach der Beschreibung zwar 
nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich. 

Zusammenfasseud ergibt sich daher folgendes: 

1. Ovarialkarzinom und Uteruskarzinom stehen in einem Abhängig¬ 
keitsverhältnis. 

2. Für gewöhnlich ist der Tumor im Uterus der primäre. 

3. Die Wege des Karzinoms sind in diesen Fällen die Kontinuität 
des Prozesses oder die lymphogenen. 

4. Der Weg durch das offene Tubenlumen ist nicht bewiesen, 
ebensowenig der hämatogene (Jayle-Papin). 

5. Meist findet man Ovarialkarzinome bei Corpuskarzinomen; je¬ 
doch kommt es auch vor bei Karzinom der unteren Uterus¬ 
partien. 

6. Der lymphogene Weg geht von der Portio durch die Cervix, 
im Myometrium des Corpus zum Fundus und von dort entlang 
der Tube zum Ovar (Seelig). 

7. Weder Zeitdifferenz zwischen Auftreten des primären und sekun¬ 
dären Herdes, noch Grösse, noch Unterschied in der histiologischen 
Struktur sprechen zugunsten multipler Primärtumoren. 


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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


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8. Therapeutisch empfiehlt sich bei allen Karzinomen des Uterus, 
die Ovarien prinzipiell mit zu entfernen und auch bei Corpus- 
karzinom, wenn eben möglich die Laparotomie vorzunehmen, 
um sich über die Drüsenverhältnisse orientieren zu können. 

9. Die Adenokarzinome sind hinsichtlich der Metastasenbildung 
ebenso maligne wie die medullären Karzinome. 

10. In der Metastase können weitgehende Änderungen des Zoll¬ 
charakters zum Ausdruck kommen. 


Literatur über Fälle von Uterus-Ovarialkarzinom. 


Lebert, zitiert nach Wagner; siehe später. 

Ki wisch-Dittrich, Prager Vierteljahrsschr. f. prakt. Medizin. Jahrg. 1845—1849. 
Sihley, Med.-chirurg. Transact. of London 1859. Bd. 24. S. 111. 

Pollok, Dublin-Press 1852. Ref. in der Arbeit von Hellfst: Monatsschr. f. Gebk. 
1853. II. S. 8. 

Bequere 1, Traitö des malad, de l’uterus. Paris 1859. 

Blan t Dissert. Berlin 1870. 

Dybowski, Dissert. Berlin 1880. 

Gusserow, s. Volkm ann’sche Vorträge. A. F. Nr. 18. 

Hol st i, Ref. Schmidts Jahrbücher 1890. Bd. 225- S. 124. 

Thorn, Münch, med. Wochenschr. 1897. Nr. 46. S. 1292. 

Littauer, Zentralbl. f. Gyn. 1891. S. 68. 

Hae misch, Dissert. Frei bürg 1898. 

Steinbach, Dissert. Würzburg 1899. 

Wendeier, In Martin’s Handbuch: Krankheiten der Eierstöcke und Nebeneier¬ 
stöcke. Verlag von Georgi. Leipzig 1899. 

Sänger-v. Herff, Enzyklopädie d. Geburtsli. u. Gyn. Verlag von C. F. W. Vogel. 
Leipzig 1900. 

Rielmann, Dissert. Rostock 1902. 

Glöckner, Hegar’s Beiträge z. Geb. u. Gyn. Bd. 6. 1902. S. 267 ff. 

Buday, Zeitschr. f. Krebsforsch. 1907. Bd. 6. 1. S. 1 ff. 

Fall Nr. 

1. Prochaska, Adnotat. academicar. fase. Prag 1781. 

2. Töaillier, Du cancer de la matrice. 1836. S. 169. 

3. Lebert, H., Physiologie pathologique. Paris 1845. 

4—7. Kiwi sch-Di ttrich, 1. c. 

8. Ben net, On canc. and canc. growths 1850. 

9 — 10. Dennoyer, Dissert. Strassburg 1853. Nr. 298. 

11. Strobel, Dissert. Erlangen 1858. 

12. Riesen fei d, Dissert. Berlin 1868. 

13. Wagner, Der Gebärmutterkrebs. Eine patholog.-anatom. Monographie. 

Verlag von Teubner. Leipzig 1868. Fall. XXI. 


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Fall Nr. 

14—37. Blau, Dissert. Berlin 1870. 

37. Pi stör, Berlin, klin. Wochenscbr. 1872. Nr. 36. 

38. M. G. de Mussay, Clinique II, zitiert nach Willimski. 

39. Goodhart, Transact. of the Pathol. Societ. of London. July 25. 1874. 

p. 197. 

40. Duncan, Transact. of the Patholog. Societ. of London. July 20. 1878 

p. 27. 

41. Nelson, Arch. f. Heilk. 1879. 

42—48. Dubowski, Dissert. Berlin 1880. 

48—49. Win ekel, Pathologie der weibl. Sexualorgane. Verlag von S. Hirzel. 
Leipzig 1881. S. 144, 156. 

50—51. Czempin, Zentralbl. f. Geb. u. Gyn. 1887. 

52. Löh lein, Deutsche med. Wochenschr. 1889. Nr. 25. S. 502. 

53—56. Lerch, Arch. f. Gyn. 1889. Bd. 34. S. 449. 

56-57. Zahn, Virchow’s Arch. 1889. Bd. 117. S. 30. 

58. Gebhard, Zentralbl. f. Gyn. 1890. S. 304. 

59. Bret, Presse raöd. de Lyon III. 1889. 249/51. Ref. FrommeTs Jahres¬ 

bericht 1889. S. 485. 

60. Sänger, Zentralbl. f. Gyn. 1890. S. 557. 

61. Williams, Der Krebs der Gebärmutter. Deutsch: von Abel-Landau 

Berlin 1890. Verlag von Hirschwald. 

62. Hilgenstock, Dissert. Greifswald 1890. Nr. 22. 

63. Rhodos, The Lancet 1891. I. April 11. S. 832. 

64. Michnow, Wracz 1892. S. 1280. 

65. Rautenberg, Dissert. Heidelberg 1893. 

66—67. Wehner, Dissert. Würzburg 1894. 

68. Winter, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. 1894. Bd. 13. S. 285. 

69—74. Reichel, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. 1895. Bd. 15. S. 354. 

74—75. Winkler, Virchow’s Arch. 1895. Bd. 151. Suppl. 

76. Schraorl, zitiert nach Lubarsch: Allgem. Pathol. 

77. Mayer, Dissert. Kiel 1896. 

78—79. Kleinhans, Prager Zeitschr. f. Heilk. 1896. Bd. 17. S. 97. 

80. Lomer, Zentralbl. f. Gyn. 1899, S. 179. 

80a. Buttler-Smythe, Trans, of the Obst. Soc. of London. 1897. Vol. III. 
81—82. Stone, The New York med. journ. July 27. 1895. S. 97. 

83. Lomer, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. 1898. Bd. 50. S. 369. 

84. Wern ich, Beiträge z. Geb. u. Gyn. 1898. Bd. 1. S. 89. 

85. Roussel, The amer. journ. of obst. and diseas. of women and children» 

1898. 

86. Hämisch, Dissert. Freibnrg 1898. 

87. Gottschalk, Zentralbl. f. Gyn. 1900. S. 331. 

88. Steinbach, Dissert. Würzburg 1899. 

89. Wendeler, In Martin's Handb. 1. c. 

90. Seeligmann, Zentralbl. f. Gyn. 1901. S. 850. 

91. Tie mann, Dissert. Kiel 1900. 

92. Jayle-Bender, Revue de gynöc. 1900. Nr. 2. S. 231. 

93. Everke, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 13. S. 651. 

94. Rick, Dissert. Göttingen 1901. 

95. Bückelmann, Dissert. Leipzig. 1901. 

96—97. Glöckner, Arch. f. Gyn. 1901. Bd. 72. S. 410. 

98. Pfannenstiel, In Veit’s Handbuch der Gynäko). 1. Aufl. Bd. III, 1. 
S. 355-493. 


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29] 


Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus. 


319 


Fall Nr. 

99. Stone, Amer. journ. of obst. 1902. S. 106. 

100. Petersen, Transact. of the Chicago gyn. Soc. 1903. Amer. journ. of 
obst. 1903. S. 507. 

101—104. F. H. Funk, Dissert. Tübingen 1902. 

105. M. B. Schmidt, Die Verbreitungswege des Karzinoms usw. Verlag von 

Fischer. Jena 1903. 

106. Jayle-Papin, Revue de gynöc. 1904. T. 8. p. 939. 

107. Borrmann, Verhandlungen d. deutschen Gesellschaft f. Patholog. 1904. 

Heft 2. 

108. Lockyer, Transact. of the Obstetr. Society of London. 1904. Vol. 46. 

p. 302. 

109. Ehrendorfer, Wiener klin. Wochenschr. 1905. Nr. 15. S. 394. 

110. Maiss, Zentralbl. f. Gyn. 1901. S. 1424. 

111. Kamann, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 21. S. 706. 

112—113. Schwarz, Dissert. München 1905. 

114. Amann, Zentralbl. f. Gyn. 1906. S. 709. 

115. Offergeld, Arch. f. Gyn. 1906. Bd. 78. 2. Nr. 5, 

116—117. Krasting, Dissert. Basel 1906. 

118. Virchow, Verhandlungen der geburtshilflichen Gesellschaft. Berlin 1855. 

Bd. 10. S. 140. 

119. Andral, Clinique mddicale ou choix d’observations receuillies ä l’höpital 

de la charitä de Paris 1833. S. 656. Libraire de Deville Cavellin. 

120, 121. Beckmann, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 45. 1901. S. 502. 


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UNIVERSSTV OF MICHIGAN 





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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Sachregister, 


Abort bei Tuberkulösen 16. 
Agglutinationsreaktion 217. 

Allanthiasis 62. 

Anreicherungs verfahren 214. 

Aprosexia nasalis 192. 

Arsenikbehandlung der Chorea 37. 
Austernvergiftung 70. 

— typhus 70. 

Babes f Ernst’sche Körperchen 227. 
Bacillus botulious 64. 

Bakteriologische Frühdiagnose u. Infek¬ 
tions-Krankheiten 207. 

Barlow’sche Krankheit 107, 
Blutuntersuchung, bakt. 220. 

Boas’scher Punkt 247. 
Bohnensalatvergiftung 81. 

Botulismus 62. 

Brom präparate bei Chorea 37. 

Diabetes 265. 

— lipoginer 127. 

Diathäses, rhumatismales 34. 
Diphtheriediagnose 225. 

Diplococcus 229. 

Eber sehe Salmiak-Fäulnisprobe 62. 
Eheverbot bei Tuberkulose 12. 
Eisenpräparate bei Rachitis 111. 

Endo’scher Nähiboden 216. 

Endocarditis bei Chorea 29. 

Enteritis infectiosa 40. 

Entfettungskuren 130 
Ernährung bei Rachitis 109. 

Fäces, Typhusbazillen in 211. 
Färbungsmethoden von Bakterien 208. 


Fettsucht 115. 

Fieber bei Chnlelithiasis 246. 

Ficker's Diagnostikum 218. 
Fischvergiftung 67. 

Fleischvergiftungen 40. 

Flexnerscher Ruhrbacillus 224. 
Frühgeburt, künstliche, bei Tuberkulose 20* 

Gallenblasentumor 248. 

Gallenkultur bei Typhus 214. 
Gelenkrheumatismus u. Chorea 31. 
Geschwülste der Nase 189. 

Gibbus tuberculosus 108. 
Gruber-Widal’sche Blutprobe 51, 210. 
Gruppenagglutination 218. 

Hackfleischvergiftungen 57. 

Hanfsamen bei Rachitis 111. 

Hemichorea 27. 

Herzhypertrophie bei Rachitis 104. 
Herzstörungen bei Chorea 29. 
Huntington’öche progressive Chorea 31. 
Hühnerbrust, rachitische 99. 
Hydrocephalus. rachitischer 105, 108. 
Hyperästhesie der Nasenschleimhaut 196. 
Hysterischer Kopfschmerz 204. 

Influenzadiagnose 234. 

Kalkarmut der Nahrung bei Rachitis 90. 
Kalkpräparate 111. 

Kalkresorption 92. 

Käse Vergiftung 71. 

Kardiolysen 152. 

Kartoffelvergiftung 76. 
Keilbeinhöhlenentzündung 180. 
Kieferhöhleneiterung 180. 


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322 


Sachregister. 


[32 


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Knochenveränderung bei Rachitis 97. 
Konserven Vergiftung 80. 

Konvulsionen bei Rachitis 106. 
Kohlensäuretheorie der Rachitis 93. 
Kopfschmerz bei Nasenleiden 175. 
Kopfschmerzpulver 185. 

Kraniotabes 98. 

Krebsvergiftung 69. 

Kupfervergiftung 85. 

Kyphose rachitische 100. 

Langerhans’sche Insel 265. 
Laryngospasmus 106. 

Larynxtuberkulose 21. 

Lebercirrhose 146. 

Leberschwellung 249. 

Leberschwellung, rachitische 105. 
Lymphdrttsenschwellung, rachitische 103. 

i 

Magenerweiterung bei Rachitis 105. 
Malachitgrünagar 50. 

Maladies des lies convulsifs 31. 
Mandelpfröpfe 202. j 

Mastfettherz 122. 

Mny’sche Färbung 230. 
Mehlspeisenvergiftungen 72. 

Mergentheimer Kur 253. j 

Metall Vergiftungen 84. i 

Micrococcus meningititis 228. | 

Miosmuschelvergiftung 69. 
Milchsäuretheorie der Rachitis 92. 
Milzpunktion 223. 

Milztumor, rachitischer 103. 

Migräne 202. 

Mixödem 108. 

Mollu^kenvergiftung 68. 1 

Mytilotoxin 69. ; 

i 

Nahrungsmittelvergiftungen ,bakterielle39. 
Nasengeschwüre 185. I 

Nasenkopfschmerz 175. j 

Nasenkatarrh, chrotL 192. ! 

Nebenhöhlenentzündungen 179. 
Nebennierentheorie d. Rachitis 95. 
Nebenschilddrüsenläsion d. Rachitis 95 j 
Neissersche Doppelfärbung 227. 

Orthopädische Rachitisbehandlung 113 
Ovarialkarzinom 291. 

Ozäna 195. 

Papilläre Hypertrophien 192. 
Paratyphusbacillus 48. 


Paratyphusbacillus, diagnosticum 51. 
Pankreasdiabetes 265 
Pfeifferscher Versuch 210 
Pericarditis u. Pleuritis 31. 
Phosphortherapie 110. 

Psychisches Verhalten bei Chorea 27. 
Placentartuberkulose 6. 

Pneumonie, krupöse 233. 

Polypen der Nase 189. 

Pseudochorea hysterica 31. 
Pseudodyphtheriebazillen 226. 
Pseudoparalyse 107. 

Pseudoparaplegie 105. 

Prosopalgie 201. 

Proteusbacillus 58. 

Quarkkäse 72. 

Rachenmandel Hyperplasie 195. 

Rachitis 89. 

Rachitis tarda 102. 

Rauchfuss’sche Schwebe 1,12. 
Respirationsstörungen bei Rachitis 104. 
Rosenkranz, rachitischer 99. 
Ruhebehandlung der Chorea 36. 

Säbelbeine 101. 

Salizylpräparate 37. 

Salzbäder 111. 

Schnürwirkungen 237. 

Schnupfen, akuter 192. 

Schwangerschaft u. Tuberkulose 1. 

-Cholelithiasis 236. 

Schweninger Methode 139. 

Schweisse bei Rachitis 97. 

Seebäder 112. 

Seehechtvergiftung 68. 

Sepsis intestinalis 40. 

Septische Erkrankungen, Diagnose der 
231. 

Serodiagnose bei Fleischvergiftungen 51. 
Serumprüfung, biologische 210. 
Shiga-Krusescher Ruhrbacillus 224. 
Siebbeinentzündung 180. 

Skoliose, rachitische 100. 

Solanin 77. 

Spasmus mutans 107. 

Sprachstörungen bei Chorea 27. 
Steatopyga 121. 

Stillen bei Tuberkulose 15. 

Stinknase 195. 

Stimmritzen-Krampf bei Rachitis. 107. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Sachregister. 


Stirnhöhlenentzündung 179. 
Stockschnupfen 192. 
Supramaxillarneuralgie 201. 

Syphilis hereditäre 107. 

Tetanie 106. 

Talma^che Operation 141. 

Tic douloureux 201. 

Trigeminus Neuraglien 186, 201. 
Trinkkuren bei Fettsucht 136. 
Tuberkulose u. Schwangerschaft 1. 
Tyrotoxicon 71. 

Typhusdiagnose 210. 
Typhusbazillen träger 212. 

Ilterusknrzinom 291. 


Vanillecreme Vergiftung 72. 

Variabilität der Mikroorganismen 209. 
Veitstanz 25. 

Verdauungsstörungen 104. 
Virulenzprüfung, bakteriologische 209. 

Wachstumseigenschaften der Bakterien 
209. 

Wasserzufuhr bei Fettsucht 137. 
Wurstvergiftung 62. 

Xerosebacillus 227. 

Zahnleiden u. Kopfschmerz 201. 
Zerebraler Kopfschmerz 191. 
Zerehrospinalmeningitis, epidemische 228. 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 



Autorenregister 


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Basenau 50. 

Bertin 187. 

Birch Hirschfeld 4. 
Bollenbagen 1. 
Bollinger 40. 

Borst 291. 

Brauer 152. 

Bresgeo 176. 
Brieger 69. 
Brönnecke 201. 

Dieudonn^ 39, 230. 
v. Drygalski 215. 
Durham 51. 

Edinger 191. 

Ficker 51. 
Fraenkel, M. 265. 
v. Franque 2. 

Gaffkv 40. 

Giirtner 45. 

Glisson 89. 
Grünwald 180. 
Guttmann 89. 


| Hack 176. 

Hartmann 187. 
Herxheimer 276. 
Holst 72. 

Kassowitz 110. 
Kehr 245. 

Kerner Justinus 63. 
Killian 181, 187. 
Kisch 115. 

Ladenburger 141. 
Lehmann, K. B. 84 
i Leube 34. 

Lorand 270. 

Liidke, H. 207. 

Manchot 111. 

i 

Nannyn 237. 
Neuberg 308. 
Neufeld 217. 

Ofiergeld 291. 

Opie 273. 

Parrot 107. 


Ribbert 291. 

Riedel 245. 

Rostoski 51, 217. 

Sarwey 4. 
Scheinmann 176. 
Schmidt. M 194. 
Schmidtmann 69. 

| Schottmüllei 48, 221. 
Schwarz 235. 
Schwoner 228. 

S6e 34. 

Seifert 22. 

Siegert 25. 

Sitzen frey 7. 

j l'lilenhut 31. 

Vaughan 71. 

| van Ermcngen 46. 
Veckenstedt 175. 

Wassermann 72. 
Weichselbaum 229. 

I Wollenberg 35. 

| Wurtz 215. 

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Zupnik 53. 


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UNIVERSUM OF MICHIGAN 





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göcenf Dr. Arcns, Prof. tk. B»cb {M* t tut i*), Doceni Dr. Georg 

BuriJrberd, Prof. Dr. La&Wjg Rüt>jjiwät*. Obm»b*XrtvFKil.,Dr- Dtcudanoe (Mwtcben), 
Prdfv Dr. von FwjqM^ {GVwsMtjJ,- Praf, Dr. .• Docent Dt. 

Polano, Prof Dr. F. Rieding«, Frt»tpr, Jacob ftiwiingw, Pran Dr. ftöiper (Greils- 
■watd}« P«& Dr. 'Rosenberger» Prof, ,.6r„ PVof. Ör. Scheck {Mer. 

bürg). Prüf. Dr. Sobotw, Dotebf 


Prof, Dr. Job. Maller Dr. Otto Seifert ;; 


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Dr. xned. Heinrich Qffergeld üi Frarifcftart a. M. 



Würrburg. 

Curfc lUbitgi^j^Äj. ^tftlker’s Verlag). 


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Qönosau verringert die eitrige 
Sekretion* setzt die sehmewhaftlg- 
keit des gotiorrhtfIschen freie»««- 
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Dosis; 4—Bmal täglich 2 Kapselr« nach 
dem Üsseo. örigwalschachteln zu 
' 50 «tftö, K Kapseln. $.■£ 


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bei allen Heuposeo derZtetölfetiosar, 
Verdanungs-, leatralnerven- : 

Hakfma*. in mehrfacher “ - ■ 

ohne iithmgeoiehsne Kebirtn^irkhngcn- 
■ . Btesonilere 

Herz- u. Oefiss-Keurosen, Hysterie. 
Hypoohondrla^Heurasthenie, Ifer- 
Yöse Agrypnle oftd Cephalalgie, 
ff coscruatlonE-Beseh werden, 

- £ Asthma, vervosain. 

Dosis: $eist$--4 mal tfigUeb eine Perle. 
Örigißakchaclit^n tu £5 u-16 Perlen. 


Indikation*«: 

akuten uud dhronlseheu 


ofi«a (besonders ^ «Jüosrotiseuen) | 
Pankreasteidehv Damdyspapslen, 
Danndarakrankhettan,' •' //.;..•] 
Fettst&htaa usw. 

Dosis: Täglich mehrmals 8—4 Kapseln I 
oder 3—«niaj einen lalbCh Tee'aftel 
in Wasser, T$e bezw. Kaffee. 

Origioalscliachteln zu 5Ö Kapselr- . 

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Riedel fi.-Q. Berlin N. 39 




































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Zniile verwehrt? »ttd x'erktsserie Aüflagi, ?ä<dnb^p& kz«s>*. W durr\x.-iio\s<n Mt. i.ze. 

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Inhaber: Albejri C, Dung, Prelburg 1. B. p 




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