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Würzburger Abhandlungen.
VIII.
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Würzburger Abhandlungen
aus dem
Gesamtgebiet der praktischen Medizin.
Unter Mitwirkung der Herren
Docent Dr. Arens, Prof. Dr. Bach (Marburg), Prof. Dr. Borst, Docent Dr. Georg
Burckhard, Prof. Dr. Ludwig Burkhardt, Oberstabsarzt Prof. Dr. Dieudonnö (München),
Prof. Dr. von Franquö (Giessen), Prof. Dr. Geigel, Prof. Dr. Kirchner, Docent
Dr. Polano, Prof. Dr. F. Riedinger, Prof. Dr. Jakob Riedinger, Prof. Dr. Römer
(Greifswald), Prof. Dr. Rosenberger, Prof. Dr. Rostoski (Dresden), Prof. Dr. Schenck
(Marburg), Prof. Dr. Sobotta, Docent Dr. Sommer (Bergedorf b. Hamburg), Prof.
Dr. Stumpf, Prof. Dr. Weygandt (Hamburg)
herAusgegeben von
Prof. Dr. Joh. Müller und Prof. Dr. Otto Seifert.
VIII. Band.
Würzburg.
Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag).
1908.
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Alle H e c h t e v o r b e halt e n.
Druck der Kgl. Universitäts-Druckerei von H. Stürtz in Würzburg.
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Inhalt:
Seite
Bollenhagen, Dr. H., Schwangerschaft und Tuberkulose. i
Siege rt, Prof. Dr. F., Chorea minor, der Veitstanz (Sydenham’sche Chorea,
Chorea infectiosa). 25
Dieudonn6, Oberstabsarzt Prof. Dr. A., Die bakteriellen Nahrungsmittel¬
vergiftungen .39
Gut mann, Dr. B., Die Rachitis.89
Kisch, Prof. Dr. E. Heinr., Fettleibigkeit und Fettsucht.115
Ladenburger, Dr. H., Die Talma’sche Operation.141
Veckenstedt, Dr. Rieh., Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasen¬
leiden und seine Diagnose .175
Lüdke, Priv.-Doz. Dr. Herrn., Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten
Infektionskrankheiten.207
Schwarz, Dr. Rieh., Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Chole-
lithiasis.235
Fraenkel, Dr. Manfr., Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln in
ihrer Stellung zum übrigen Pankreasgewebe und ihre Beziehung zum
Diabetes.265
Offergeld, Dr. Heinr., Ovarialkarzinom und Karzinom des Uterus . . 291
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
Von
H. Bollenhagen,
Würzburg.
Das Zusammentreffen von Schwangerschaft und Tuberkulose
fand früher in Lehrbüchern sowohl wie in einzelnen Publikationen
eine nur kurze und oberflächliche Behandlung.
Es beschränkte sich eben das Interesse der Geburtshelfer darauf,
in anscheinend ganz infausten Fällen durch Einleitung der Früh¬
geburt oder durch die Sectio caesarea eine Anzahl sonst verloreuer
Kinder zu erhalten.
Seitdem aber unter den Auspizien des Staates und durch pri¬
vate Mittel eine systematische Behandlung der Tuberkulose als Volks¬
krankheit sich angebahnt hat, wendet sich naturgemäss in erhöhtem
Masse das Interesse auch den graviden Tuberkulösen zu.
Und wenn auch gewiss das Recht des noch ungeborenen Kindes
ans Leben in keiner Weise geschmälert werden soll und auch tat¬
sächlich nicht verkümmert wird, so sieht man es doch allgemein als
Hauptaufgabe an, durch prophylaktische und aktive Therapie den
als überaus ungünstig erkannten Einfluss der Gravidität auf die
mütterliche Tuberkulose zu eliminieren, d. h. die ernste Prognose
einer durch Gravidität komplizierten Tuberkulose zu bessern.
Infolge freundlichen Entgegenkommens von Herrn Professor
v. Franque kann ich meine folgenden Ausführungen stützen auf
das reiche Material der deutschen Univ.-Frauenklinik in Prag. Es
sei mir gestattet, hier öffentlich meinen aufrichtigsten Dank für diese
so ausserordentliche Liberalität sowohl, als für die mancherlei Aus¬
künfte, die er mir gegeben, auszusprechen. Mein Dank gebührt auch
den Herren Dr. Gross und Dr. Sitzenfrey, welche die grosse
Arbeit des Zusammenstellens des Materiales in so ausgedehnter Weise
für mich haben übernehmen müssen.
Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 1.
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H. BOLLENHAGEN,
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Der Einfluss der Tuberkulose auf die Gravidität ist lange be¬
kannt. Indessen ist man noch nicht zu einer plausiblen, für alle
Fälle passenden Erklärung gekommen für das so häufig beobachtete
Eintreten einer Frühgeburt.
Am meisten Wahrscheinlichkeit hat noch die Annahme einer
Überladung des Blutes mit Kohlensäure und dadurch hervorge¬
rufenen Erregung des Weheuzentrums. Für die Fälle von ganz früh¬
zeitiger Unterbrechung in floriden Fällen suchen Runge, Schmorl
u. a. die Ätiologie in Veränderungen der Decidua und sekundären
Blutungen.
Nach H. W. Freund in v. Winckels Handbuch der Geburts¬
hilfe verläuft die Gravidität ungestört nur in ganz leichten Fällen,
in denen noch genügend funktionierendes Lungengewebe vorhanden
ist, um eine Kohlensäureüberladung des Blutes zu verhindern. Es
waren unter 4000 Geburten 26 kompliziert mit leichter Tuberkulose.
Alle diese Fälle endeten gut mit spontaner Geburt eines lebenden
reifen Kindes und normalem Wochenbett. Weitere 21 Fälle bezeich¬
net Freund als schwer. Von diesen musste wegen dyspnoischer Be¬
schwerden siebenmal die Gravidität unterbrochen und damit das
nachgeahmt werden, was in weiteren sieben Fällen die Natur durch
den Eintritt einer spontanen Frühgeburt anstrebte. Ausgetragen
wurde die Gravidität folglich in nur einem Drittel der Fälle. Be¬
merkt zu werden verdient die Angabe von Freund, dass eine in
der Gravidität auftretende, ätiologisch sonst unklare Mastitis stets
den Verdacht auf Tuberkulose erwecke.
Schauta beobachtete bei einem sehr grossen Material im Durch¬
schnitt 70% vorzeitige Unterbrechungen der Gravidität, die sich bei
ganz frischen Fällen auf 91% steigerten.
v. Rosthorn sah unter 23 Fällen nur zwei- resp. dreimal
spontane Frühgeburt, dagegen 13 ausgetragene lebende Kinder (52 %).
Pfannenstiel hatte spontane Frühgeburt in 21,7% bei 40%
mütterlicher und ebenfalls 40% kindlicher Mortalität.
Kami ne r sah dreimal spontanen Abort. Dumou t-Lenoir
hatte häufige Frühgeburten.
Stimmen diese Zahlen nun auch nicht genau miteinander, so
geben sie doch den untrüglichen Beweis von der Häufigkeit der
Frühgeburt bei Tuberkulösen.
Das mir zu Gebote stellende Material umfasst 118 Fälle (ein¬
schliesslich eines Privatfalles von Herrn Professor v. Franque).
Dazu kommen noch 6 Fälle eigener Beobachtung.
Unter diesen 124 Fällen waren:
1. Catarrhus apicis sinistri 18.
Catarrhus apicis doxtri 28.
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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Catarrhus apicis utriusque 18.
Catarrhus et Infiltratio apicis sin. 8, dextri 4, utriusque 15.
Infiltration und Einschmelzung einer Spitze 1 (rechts),
beider Spitzen 4,
beider Oberlappen 1.
2. Ober- und Mittellappenprozesse 9.
einseitig 3, doppelseitig 6.
3. Ausbreitung über grössere Partien oder die ganze Lunge 15.
Als Komplikationen finden sich vermerkt:
Larynxtuberkulose 10mal, von denen wieder je ein Fall
kompliziert war mit Albuminurie, Myelitis tansversa, akuter
Miliartuberkulose.
Tonsillartuberkulose 1 mal.
Pleuritis verschiedener Formen 3 mal.
ßippencaries 1 mal.
Peritonealtuberkulose 3 mal.
Akute Miliartuberkulose 2mal.
Cystitis tuberculosa 1 mal.
Eitrige Nierenentzündung 1 mal.
Chronische Nieren tuberkulöse 1 mal.
Albuminurie 5mal.
Eklampsie 2 mal.
Placenta praevia 2mal.
Hydramnios-Gemini 1 mal.
Von diesen 124 Fällen kann man als leicht bezeichnen 70; als
schwer 54.
Vorzeitig unterbrochen wurde die Schwangerschaft im ganzen
51 mal (41,1%). Unter den leichten Fällen 18 mal (25,7°/o). Unter den
schweren Fällen 33 mal (61,1%).
Spontan erfolgte die Unterbrechung in 36 Fällen (4 Aborte,
32 Frühgeburten). Davon wieder in leichten Fällen 1 Abort und
17 Frühgeburten; 3 Aborte und 15 Frühgeburten in schweren Fällen.
Von den Aborten werden 2 an anderer Stelle erwähnt werden,
die anderen beiden bieten nichts Besonderes.
Von den Frühgeburten werden 2 bei Besprechung der Larynx¬
tuberkulose erwähnt werden. Eine war kompliziert mit Hydramnios
und Zwillingen. Eine weitere war kompliziert mit Tonsillartuberku¬
lose ; das Kind starb bald an Darmkatarrb, die Mutter machte ein
normales Wochenbett durch. Des weiteren sind vielleicht erwähnens¬
wert folgende Fälle: Drittgebärende, 2 normale Geburten, Ver¬
schlimmerung seit zwei Monaten, Infiltration beider Lungen, 9. Monat,
lebendes Kind, im Wochenbett Progredienz des Prozesses, Fieber,
Durchfall, wird transferiert. Weiteres nicht bekannt.
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H. BOLLENHAGEN,
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Fünftgebärende. 4 normale Geburten und Wochenbetten. Hustet
seit Beginn der Gravidität, früher angeblich gesund. Infiltration
und Zerfall beider Spitzen, spontane Frühgeburt eines lebenden
Kindes (37 cm lang), das am selben Tage stirbt, manuelle Lösung
der Plazenta, normales Wochenbett.
Drittgebärende. 1 Jahr lungenkrank. Zerfall und Infiltration
der Lungen, lebendes Kind. Wird wegen Fieber transferiert.
Erstgebärende. Gebärend eingeliefert, lebendes Kind, Plazentar¬
tuberkulose. Wegen Fieber transferiert.
Vielgebärende. Früher ganz gesund, in der Mitte der Gravi¬
dität Pneumonie und sich anschliessende eitrige linksseitige Pleuritis.
Wegen starker Dyspnöe war Unterbrechung der Gravidität nach Ab¬
lassen des Exsudates geplant, doch trat die Frühgeburt spontan ein.
Das Kind ging nach einigen Wochen an Entkräftung bei sehr mangel¬
hafter Pflege zugrunde, das Wochenbett war, abgesehen von einer
Spätblutung, infolge retiuierter Eihäute normal seitens der Genitalien.
Wegen ungenügenden Eiterabflusses wurde später eine Resektion
von vier Rippen gemacht. Zur Zeit besteht noch mässige Sekretion,
das Allgemeinbefinden gebessert.
Es hält also die bei unserem Material beobachtete Frequenz
der Frühgeburten ungefähr die Mitte der oben berichteten Zahlen,
und illustriert gut, wie verschieden der Einfluss der Tuberkulose auf
die Gravidität ist in leichten und in schweren Fällen.
Nicht nur die Schwangerschaft selber, sondern auch ihr Produkt,
das Kind, ist durch die mütterliche Tuberkulose gefährdet. In¬
direkt besteht diese Gefahr schon dadurch, dass die Kinder, soweit
sie zu früh auf die Welt kommen, weniger widerstandsfähig sind
und daher gleich anderen frühgeborenen Kindern in grösserer An¬
zahl ad exitum kommen. Aber auch direkt können sie affiziert
werden infolge ererbter Disposition oder gar iufolge intrauteriner In¬
fektion durch kongenitale Tuberkulose.
Als beweisend für die intrauterine Übertragung der Krankheit
können in Betracht kommen nur diejenigen Fälle, in denen bei
einem totgeborenen oder doch sehr bald nach der Geburt ad exitum
gekommenen Kinde Tuberkulose gefunden wurde, da sonst eine
postnatale Infektion viel wahrscheinlicher ist. Die Zahl der ein¬
schlägigen Fälle ist eine sehr geringe.
Birch-Hirschfeld fand in den Organen eines durch Sectio
caesarea gewonnenen Kindes Tuberkelbazillen und brachte durch
gleichzeitigen Nachweis von Bazillen in den Zotten, im Nabelvenen-
blute, in den Lebervenen einen lückenlosen Beweis für die intraute¬
rine Übertragung.
Einen recht interessanten Fall beschreibt Sarwey. Es handelt
sich um eine 341 Tage nach der Konzeption geborene, lange vorher
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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abgestorbene Missgeburt mit einem tuberkulösen Herd in der Wirbel¬
säule. Der Vater war tuberkulös.
Einen Fall kongenitaler Nieren tuberkulöse beschreibt Schmorl-
Kockel. Auch Rindfleisch, Damm, Lehmann, Stoeckel
fauden spezifische Veränderungen in den fötalen Organen.
Brindeau beschreibt einen Fall, in dem 12 Tage post partum
tuberkulöse Knötchen in Lunge und Leber sich fanden. Es ist aber
wegen des relativ langen Zeitraumes seit der Geburt, und da eine
Erkrankung der Mutter nicht nachweisbar war, der Beweis intraute¬
riner Infektion nicht als stringent zu betrachten.
Wie vorsichtig man indes auch mit der Deutung scheinbar be¬
weisender makroskopischer Veränderungen sein muss, beweist ein
Fall von Porak, der in den Lungen eines hereditär belasteten Kindes
verdächtige Knötchen fand, die sich mikroskopisch indes als sklero¬
tische Herde um diktierte Bronchien herausstellten.
Chiari obduzierte ein 10 Tage altes Kind, das seit dem vierten
Tage gefiebert hatte. Es fanden sich in Leber, Nebennieren, Lungen,
Hals- und peribronchialen Lymphdrüsen zahlreiche miliare und sub¬
miliare Knötchen, aussehend wie miliare Tuberkel. Es wurde daher
eine chronische Lebertuberkulose mit konsekutiver Miliartuberkulose
angenommen. Mikroskopisch stellten sich die Knötchen als nekroti¬
sierende Abszesse heraus, die keine Tuberkelbazillen, sondern Gram
beständige, an Diphtheriebazilleu erinnernde Stäbchen enthielten. Es
handelte sich demnach nicht um Tuberkulose, sondern um eine durch
die Nabolvene, die einen mit denselben Bazillen durchsetzten Throm¬
bus enthielt, eingedrungene pyogene Infektion.
Es wird daher mit Recht fast allgemein die Seltenheit intraute¬
riner Infektion hervorgehoben (nach Pfannen stiel 1,64 °,'o) und
ausdrücklich betont, dass sie nie und nimmer bestimmend auf etwaige
therapeutische Resolutionen einwirken könne oder dürfe (Freund,
Fellner, Pinard). Einen ganz extrem differenten Standpunkt
nimmt allein Maragliano ein, da er alle Kinder Tuberkulöser für
verloren hält.. Den tatsächlichen Verhältnissen dagegen tragen Rech¬
nung wohl am meisten von Rosthorn und Brauer, indem sie
unter Betonung der Seltenheit intrauteriner Übertragung der Tuber¬
kulose ausdrücklich das oft überraschend gute Gedeihen der Kinder
Tuberkulöser konstatieren und damit das kindliche Leben zu einem
wohl beachtenswerten Faktor machen.
Dazu stimmen auch unsere Resultate durchaus. Es ergeben
sich nämlich auf die in Rechnung kommenden 125 Wochenbetten
25 totgeborene oder in kürzerer Frist gestorbene Kinder, so dass 80,0 °/o
Kinder lebend geboren wurden und auch längere Zeit am Leben
blieben. Eine doch recht erfreuliche Ziffer!
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H. BOLLENHAGEN,
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Und dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass die ausgetragenen
Kinder eine oft recht gute Entwickelung zeigten, namentlich in Rück¬
sicht des kläglichen Zustandes mancher Mutter. Das Höchstgewicht,
das ich notiert fand, ist 4000 g bei einem Durchschnitt von 3388 g.
Die seltenste, wenn überhaupt vorkommende Art der kongeni¬
talen Tuberkulose ist die konzeptionell hereditäre infolge Tuberku¬
lose des Sperma oder des Ovulum. Ein Fall von Tuberkulose des
Ovulum ist nun bisher nicht bekannt, dagegen steht es fest, dass
in ganz schweren Fällen von Miliartuberkulose mit dem Sperma
Tuberkelbazillen ausgescbieden werden. Praktisch kommen natürlich
diese Fälle kaum in Betracht, und unter allen anderen Bedingungen
ist das Sperma frei von Keimen. Gottschalk nimmt bei einer
32jährigen Virgo mit primärer Genitaltuberkulose, da ihr Vater
tuberkulös war, spermatische Infektion an. Hierhin gehört vielleicht
auch jener oben erwähnte Fall von Sarwey einer tuberkulösen
Missgeburt.
Viel häufiger und praktisch allein in Betracht kommend ist die
postkonzeptionelle Übertragung auf das Ovulum auf dem Wege der
Blutbahn durch die Plazenta.
Und auch die Plazenta selber wird wieder durch die im Blute
kreisenden Keime infiziert. Nur selten findet sich eine tuberkulöse
Endometritis, von der aus per CoDtinuitatem die mütterliche und
fötale Plazenta infiziert wurde.
Die umfangreichsten Untersuchungen über Plazentartuber¬
kulose stammen vonSchmorl. Er fand unter 20 Plazenten tuber¬
kulöser Frauen 9 mal spezifische Veränderungen. Nach seinen Be¬
funden unterscheidet er vier Formen, je nachdem die Oberfläche der
Zotten, ihr Inneres, die choriale Deckplatte oder die Decidua befallen
ist. Es kann also die ganze Plazenta erkranken.
In einem seiner Fälle war ein Herd durch das Epithel des
Amnion durchgebrochen, so dass, da der Fötus nun direkt in bazillen¬
haltigem Fruchtwasser schwamm, in weitgehendem Masse dessen
Drüsen und Darm infiziert werden konnten. Diese Veränderungen
fanden sich nun nicht nur in den späteren Mona*ten, sondern
auch schon in der ersten Hälfte der Schwangerschaft; denn zwei
Fälle stammen aus dem vierten Monat. Bemerkenswert ist auch,
dass nicht nur in den schweren Fällen von Miliartuberkulose, in
denen ja das Blut mit Bazillen überschwemmt ist, bazilläre Herde
sich in der Plazenta fanden, sondern auch bei ganz inzipienter Tuber¬
kulose.
Weitere Fälle beschreibt Lehmann. Er macht auch darauf
aufmerksam, dass selbstredend das Vorhandensein einer Plazentar¬
tuberkulose noch nicht die Übertragung derselben auf den Fötus be¬
dinge; denn in einem der von ihm untersuchten Fälle war trotz
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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nachgewiesener Plazentartuberkulose in den Organen des Fötus nichts
zu finden.
Nach v. Franquö ist, wenn schon Plazentartuberkulose selten,
die von ihr ausgehende Übertragung auf den Fötus noch viel seltener,
da sehr bald nach der Infektion die Zottengefässe durch Thromben
und hyaline Degeneration verschlossen werden, so dass dem Vor¬
dringen der Bazillen ein Damm entgegengesetzt wird.
Die Annahme, dass auch das intakte Zottenepithel durchgängig
für Bazillen sei, hat viel an Boden verloren. Man hält vielmehr im
allgemeinen daran fest, dass Läsionen des Zottenüberzuges notwendig
seien, um den Übertritt von Bazillen in den intervillösen Baum zu
ermöglichen. Toxine dagegen können den Filter des Epithels unge¬
hindert passieren. Für einige Fälle isolierter Zottenerkrankung nimmt
Schmorl eine retrograde Infektion vom Fötus aus an. Durch
Propagation des Prozesses kann dann später sekundär ein Durchbruch
in den intervillösen Baum erfolgen.
Seitz sieht wegen der grossen Seltenheit der fötalen Tuber¬
kulose dessen Körper als ungeeiguet an für die Ansiedlung von
Tuberkelbazillen. Eine Änderung in diesem Verhalten tritt erst ein
durch die weitgehenden Umwälzungen bei der Geburt. Hinzu kommt
vielleicht noch in gewissem Grade eine direkte Vernichtung von Ba¬
zillen in der Plazenta, oder nach Anderodiand und Buard eine,
wenn auch nicht absolute, hemmende Kraft für den Durchtritt von
Agglutininen.
Fielen diese Momente fort, so wäre in der Tat nicht einzusehen,
warum nicht fötale Tuberkulose häufiger sein sollte. Denn Impfungen
mit Plazentarblut und Fruchtwasser, wie sie von Anchö-Cham-
brelent, Bar et Renon, Herrgott auf Meerschweinchen vor¬
genommen wurden, riefen in der Hälfte der Fälle bei diesen Tuber¬
kulose hervor. Allerdings erzielten Bar und Renon positive Resul¬
tate nur in vorgeschrittenen Fällen.
Vorgetäuscht wird nicht selten der kongenitale Modus der In¬
fektion dadurch, dass diese schon sehr bald nach der Geburt, meistens
durch die Nahrung erfolgt (Hecker).
Absolut zu trennen von der eigentlichen kongenitalen Tuber¬
kulose ist die bloss ererbte Disposition, die zweifellos ungleich häu¬
figer ist, allerdings ohne dass man schon bei der Geburt sie an be¬
stimmten Merkmalen erkennen könnte.
Unter dem Material der Prager Klinik finden sich vier Fälle
von Plazentartuberkulose, deren Einzelheiten von Herrn Dr. Sitzen-
frey veröffentlicht werden. Alle vier Fälle repräsentieren schwere
Erkrankungen der Mutter, kompliziert mit Larynxtuberkulose und
akuter Miliartuberkulose. Jedesmal handelte es sich um das Ende
oder die vorgerückte- zweite Hälfte der Gravidität. Alle vier Kinder
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H. BOLLENHAGEN,
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wurden lebend geboren und blieben gesund mit Ausnahme eines bei
akuter Miliartuberkulose frühreif geborenen (39 cm lang, 1300 schwer)
und nach drei Stunden gestorbenen Kindes. Eine intrauterine Über¬
tragung findet sich also trotz schwerster Fälle in keinem Falle.
Aus dem Vorhergehenden ist für die Praxis der Schluss zu
ziehen, dass unter keinen Umständen der Versuch gerechtfertigt ist,
durch Unterbrechung der Gravidität das Kind vor einer etwaigen
Infektion bewahren zu wollen. Dazu ist die intrauterine Übertragung
viel zu selten, dazu tritt sie wieder andererseits in einem viel zu
frühen Stadium der Gravidität ein. Das Resultat derartiger zweck¬
loser Handlungen würde nur eine Reihe schwächlicher Frühgeburten
sein, die durch den Eingriff als solchen um so leichter einer späteren
Infektion verfallen oder um so schwerer ihre ererbte Disposition
überwinden könnten.
Praktisch wichtiger, als das bisher Erörterte ist die Frage nach
der Beeinflussung der Tuberkulose durch die Gravidität. Seitdem
im Jahre 1850 Grissolle, wohl als erster, das Unheilvolle dieser
Komplikation hervorhob, besteht eine noch nicht erledigte beträcht¬
liche Differenz der Meinungen. Und wenn auch manche Einzel¬
heiten inzwischen zur Zufriedenheit geklärt sind, so harren doch
noch prinzipielle Fragen der Beantwortung.
Während z. B. Schauta die Komplikation als die unheilvollste
bezeichnet, sprechen andere Autoren (Kania, Fagonsky) direkt
von einem günstigen Einfluss der Gravidität auf die Tuberkulose,
ohne allerdings viele Anhänger dieser ihrer extremen Ansicht ge¬
funden zu haben. Einen zu ihrem Standpunkt passenden Fall be¬
schreibt Walter: Die Komplikation mit leichter Tuberkulose wurde
glatt vertragen, spontane Geburt, Gewichtszunahme 17,5 kg. Einen
mehr vermittelnden Standpunkt nehmen u. a. ein: Burckhard,
Weinberg, A. Fraenkel, Bauer, Naunyn.
Burckhard-Arosa sah gute Erfolge von einer Hochgebirgs-
behaudlung, bei der er sogar in progredienten Fällen einen Stillstand
der Krankheit beobachten konnte. Er redet daher besonders dieser
Art der Behandlung das Wort, die auch zweifellos sehr geeignet ist,
wenn nicht schon während der Gravidität, doch jedenfalls nach absol¬
viertem Wochenbett zur Ergänzung anderer Massnahmen heran¬
gezogen zu werden. Auch W*einberg-Stuttgart hält den Einfluss
einer Gravidität nicht eo ipso für deletär. Er ist der Ansicht, dass
das Schicksal der Tuberkulösen schon zu Beginn der Gravidität ent¬
schieden sei, d. h., dass die betreffenden Frauen ohne das Hiuzu-
kommen einer Gravidität gerade so ad exitum gekommen sein würden,
wie in der Gravidität. Unter 2300 Todesfällen auf rund zwei Mil-
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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Honen Geburten fand er, innerhalb vier Wochen post partum keine
Erhöhung der Todesfälle an Tuberkulose gegenüber der sonstigen
allgemeinen Sterblichkeit au Tuberkulose. Das sind doch recht be¬
achtenswerte Angaben!
Nach der Auffassung anderer allerdings ist der Einfluss der
Gravidität doch erheblich ernster, da er sich nicht nur auf eine
schon bestehende Erkrankung äussert, sondern auch imstande ist,
eine vorher latente oder scheinbar geheilte Tuberkulose in der Gravi¬
dität manifest zu machen (v. Hansemann), oder sie rezidivieren
zu lassen. Und gerade solche Fälle geben die schlechteste Proguose.
Von besonders schlechtem Einfluss sind natürlich schnell auf
einander folgende zahlreiche Graviditäten.
Kamin er sah bei 50 graviden Tuberkulösen 33mal Verschlech¬
terung und 12 mal den Exitus eintreten.
v. Rosthorn berichtet über 25 Fälle von physikalisch nach¬
weisbarer Tuberkulose. Unter diesen wurde die Krankheit in der
Gravidität manifest 5 mal, 3 mal mit tödlichem Ausgang. Verschlimme¬
rung einer schon bestehenden Tuberkulose trat ein in 16 Fällen,
von denen vier letal endeten. Im ganzen hatte er eine Verschlech¬
terung in 64%; gegenüber 75°/o bei Eich-Marburg und 66°/o bei
Kaminer.
Van Ysendijck fand unter 26 Frauen den Beginn oder eine
Verschlechterung der Krankheit während der Gravidität in 21 Fällen,
bei 54°/o Mortalität innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nach
der Geburt.
Fellner fand unter 34000 Geburten 65 alte, nicht rezidi¬
vierende Tuberkulosen; 140mal trat das Rezidiv ein in der Gravidi¬
tät, 65 mal wurde die Erkrankung manifest.
Nach Amann-München gehen in Gravidität und Puerperium
30% Frauen zugrunde, bei 60% kindlicher Mortalität.
Pfannenstiel hat unter einem Gesamtmaterial von 61 Fällen,
von denen er 44 als schwer bezeichnet, Verschlimmerung in 72%,
Exitus in 22,9 %. Am ungünstigsten sind nach der Diss. inaug. von
Tecklenborg (Giessen) die im Puerperium sich verschlechternden
Fälle, von denen 33% in akute tödliche Miliartuberkulose übergingen.
Die in dieser Beziehung extremsten Zahlen stammen von
Maragliano. Nach ihm führten unter 385 phthisischen Frauen
226 den Beginn der Krankheit zurück auf eine Gravidität oder einen
Partus. Bei gleichem Lungenbefund gingen zugrunde, wenn gravid
94%, wenn nicht gravid 18%. Unter 42 Frauen, die eine zirkum¬
skripte Tuberkulose hatten, blieb dieser Prozess nur dreimal stationär.
Dagegen starben noch innerhalb des Wochenbettes 9 Frauen, 7 weitere
innerhalb eines Vierteljahres, 9 innerhalb eines Halbjahres, 10 in
neun Monaten, 4 nach Ablauf eines Jahres.
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H. BOLLENHAGEN,
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Experimentell wurde der ungünstige Einfluss der Gravidität
nachgewiesen von Hermann und Hartl, derart, dass sie gravide
Meerschweinchen durch Inhalation von Tuberkelbazillen infizierten.
Von den 59 Tieren wurden ungünstig beeinflusst inbezug auf die
Lebensdauer 71,2%. (Die Knoten wurden grösser, Verkäsung schritt
vor, Generalisation der Erkrankung in 54,5 °/o früher als bei Kontroll¬
toren.)
Unter unseren 124 Fällen findet sich notiert Beginn der Er¬
krankung in der Gravidität in 16 Fällen (12,9%), Verschlimmerung
in der Gravidität in 8 Fällen (6,4%), Rezidiv in der Gravidität
einmal.
Wichtig wäre es nun, eine Erklärung zu finden für die Diffe¬
renz der Ansichten. Sarwey sieht sie darin, dass man es nicht
mit klar abgeschlossenen Situationen, sondern mit Eventualitäten zu
tun habe, und dass solange der Grund, aus dem Tuberkulose und
Gravidität sich gegenseitig beeinflussen, nicht bekannt sei, auch eine
bestimmte Situation verschieden beurteilt werden könne und müsse.
So zweifellos das für gewisse Fälle ist, so wenig genügt diese
Erklärung im allgemeinen.
Mir wenigstens scheint, dass es nicht immer dieselbe Situation
ist, welche zu so verschiedenen Ansichten und daher auch zu so ver¬
schiedenen Massnahmen resp. Resultaten führt, sondern dass es die
Verschiedenheit der Formen und Grade von Tuberkulose, überhaupt
die Verschiedenheit des Materiales ist, welche die Verschiedenheit
in den Ansichten der Autoren bedingt 1 ).
Daher auch wohl neigen die inneren Mediziner, welche weniger
Gelegenheit haben, die im Zusammenhang mit den Graviditätsvor-
gängen zugrunde gehenden Fälle zu sehen, im ganzen einer günsti¬
geren Auffassung zu.
Mit Recht betont daher Rosthorn, dass eine nüchterne Statistik
nichts beweise, dass vielmehr alles ankomme auf sorgfältige Kasuistik.
Er plädiert daher dafür, nach Ausbreitung und Form der Tuber¬
kulose verschiedene Gruppen aufzustellen, um eine sichere Basis zu
gewinnen für die Stellung der bisher ganz unsicheren Prognose und
den einzuschlagenden therapeutischen Weg.
i) Sehr lehrreich in dieser Beziehung ist auch ein Vergleich zwischen dem
Prager Materiale und meinen eigenen 6 Fällen. Die relativ günstigen Zahlen, die
sich nach Betrachtung des Gesamtmateriales ergeben haben, würden nämlich ganz
anders lauten, wenn ich mich auf meine 6 Fälle hätte verlassen wollen. Von diesen
6 Frauen leben nämlich nur noch 2 ; und von den beiden hat die eine schwere Kehl¬
kopfphthise, die andere eine grosse eiternde Fistel am Thorax. Von den Kindern
lebt gar kein einziges, da alle entweder durch Abort, Frühgeburt oder bald nach
der Geburt zugrunde gingen.
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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Es wird folglich der Geburtshelfer des Internisten nicht ent¬
behren können zur Aufnahme eines ganz genauen Befundes unter
eventuell fortlaufenden Untersuchungen. Und es wird sich daraus
zweifellos ein grosser Nutzen ergeben, selbst wenn Krönig manchmal
recht haben sollte mit seiner pessimistischen Behauptung, dass in-
bezug auf die einzuschlagende, sei es abwartende oder aktive, Therapie
jeder dem anderen die Verantwortung zuzuschieben geneigt sei. P'ür
die Verhältnisse in Prag stimmen jedenfalls diese Bedenken nicht.
Es wurden vielmehr, wie mir Herr Prof. v. Franquö ausdrücklich
schreibt, alle Massnahmen nach Beratung und in Übereinstimmung mit
einer der dortigen beiden internen Kliniken getroffen, selbst in den¬
jenigen Fällen, die direkt zur Einleitung des Abortes geschickt waren.
Und auch ich selber kann sie nach meinen Erfahrungen nicht teilen.
Stellt man nun die präzise Frage, welche Fälle als relativ gut¬
artig und welche andererseits eo ipso als ungünstig zu bezeichnen
seien, so ergibt sich zur Beantwortung in der übergrossen Menge der
betreffenden Arbeiten doch nur verschwindend wenig Anhaltsmaterial.
Reiche macht zwei Hauptgruppen: 1. leichte, umschriebene,
rückgängig und obsolet gewordene Fülle, die er für nicht deletär
erklärt, 2. aktive, vorschreitendo Fälle von schlechter Prognose.
Rosthorn und A. Fraenkel-Badenweiler lehnen die übliche
Einteilung der Lungentuberkulose in drei Stadien ab, da ein Fern¬
stehender sich danach kein rechtes Bild von Art und Ausdehnung
des jeweiligen Falles machen könne, und sie schlagen dafür folgende
Einteilung vor, die ich nach Möglichkeit auch bei der Sichtung des
Prager Materiales zugrunde gelegt habe:
1. einseitige Oberlappen- und Spitzenprozesse,
2. doppelseitige Oberlappenprozesse,
3. Mitbeteiligung von Mittel- und Unterlappen.
Als Unterabteilungen stellen sie je nach dem Charakter der
Krankheit auf: zirrhotische, infiltrative und kavernöse Prozesse.
Als relativ ungefährlich bezeichnen sie folgende Fälle:
1. Frauen mit stationärem Befund und relativer Heilung, bei
günstigem objektiven Lungenbefund,
2. leichte Spitzonprozesse ohne Fieber bei guter Ernährung.
Unter allen Umständen gefährlich sind:
1. floride Fälle mit raschem Zerfall des Lungengewebes und
hohem Fieber,
2. leichter Befund bei anhaltendem, wenn auch geringem Fieber,
3. wenn die Krankheit sich nicht auf die Oberlappen beschränkt,
sondern auch Mittel- und Unterlappen befallen hat.
4. Komplikation mit Herzfehler, Urogenitalerkrankung, solcher
des Darmtraktus.
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5. Komplikation mit Larynxtuberkulose, auch ganz leichter.
6. schwere hereditäre Belastung.
Gegen diese Gruppierung ist nichts einzuwenden. Auch stimmen
zu ihr durchaus die Erfahrungen der Prager Klinik und meine eige¬
nen Fälle. Andererseits besteht allerdings auch das Bedenken von
Sippel zu Recht, dass eigentlich jede Tuberkulose in der Gravi¬
dität sich verschlechtern könne, ohne dass man zu Beginn derselben
sagen könne, ob, wann und wie sehr das der Fall sein werde. Es
besteht daher das Dilemma, ob man vor dem Eintritt dieser Ver¬
schlechterung eingreifen solle, oder warten, bis sie eingetreten sei.
Im ersten Falle wird man zweifellos so und so oft unnötig handeln,
im letzteren dagegen häutig zu spät kommen. Sippel schliesst mit
dem Ausspruch, dass nach dem momentanen Standpunkt der Kennt¬
nisse die Sachlage doch noch immer so sei, dass ein jeder sehen
müsse, wie er mit jedem einzelnen Falle fertig werde.
Eine treffliche Illustration hierzu gibt Fellner neuerdings mit
zwei Fällen,'..deren einer ad exitum kam, nachdem der wegen Fort-
sclireitens der Krankheit vorgeschlagene Abort abgelelmt, später aber
von anderer Seite gegen den Rat Fellners die Frühgeburt einge¬
leitet war. Im zweiten Falle war ebenfalls vergebens zum Abort ge¬
raten, und der Prozess kam zum Stillstand, so dass die Frau später
bei relativem Wohlbefinden ein lebendes Kind gebar.
Angesichts der zweifelhaften Prognose auch des scheinbar
leichtesten und günstigsten Falles ist zweifellos das wuchtigste thera¬
peutische Moment die Prophylaxe, d. h. das Verhüten einer Kon¬
zeption bei Tuberkulösen oder eventuell sogar Tuberkulose-Ver¬
dächtigen.
Da sich nun das am sichersten bei einer Unverheirateten durch¬
führen lässt, so ist der beste Rat, den der Familienarzt geben kann,
das Eheverbot. Gewiss werden seine Worte oft genug eine zweck¬
lose akademische Disputation bleiben (Ros tliorn); aber ein einziger
Fall, in dem er mit seiner Ansicht durchdriugt, muss ihu doch
immer wieder anspornen, diesen allein zu sicheren Erfolgen führenden
Weg vorzuschlageu 1 ).
Eine mildere Form des Eheverbotes ist das relative, d. h. das
Hinausschieben der Ehe bis zu einem gewissen Zeitpunkt nach Ab¬
klingen der akuten Erscheinungen. Offenbar ist bei einem solchen
i) Wie wichtig diese Forderung ist, mag auch dadurch illustriert werden, dass
eine Reihe namhafter Autoren sogar ein gesetzliches Eheverbot für alle Tuberkulösen
alles Ernstes befürwortet haben, ja, dass angeblich in einigen der vereinigten Staaten
von Nordamerika tatsächlich ein solches Verbot besteht. Dazu bemerkt de Bruine
Ploos van Amstol, dem ich diese Angaben entnehme, dass die Folge nur die
sein könne, dass die Kinder tuberkulöser Eltern den Namen der Mutter, nicht den
des Vaters bekämen, d. h. die freie Liebe.
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13]
Schwangerschaft und Tuberkulose.
13
Entscheid die Verantwortung eine ganz erhebliche, denn schon die
Beantwortung der wichtigsten Frage, wie lange zu warten sei, stösst
auf die grössten Schwierigkeiten. Gerhardt fordert als Minimum
ein Jahr, Cor net und mit ihm Reiche nehmen mindestens zwei
bis drei Jahre au. Aber selbst wenn man noch so vorsichtig ist
und die Ehe noch so lange hinausschiebt, wird doch oft genug die
erste Konzeption ein Rezidiv hervorrufen und so den ersehnten Er¬
folg vereiteln. Erst kürzlich konnte ich einen derartigen Fall beob¬
achten: Junge Primigravida, die wegen leichter Spitzenaffektion vor
der Verheiratung in einer Heilstätte war, heiratete als relativ geheilt,
und wendete auf ärztlichen Rat zunächst antikonzeptionelle Mittel
an. Dann erfolgte nach reichlich einjähriger Beschwerdefreiheit bei
bestem Ernährungszustand Konzeption. Mit dem Beginn der Gravi¬
dität sofortiges Rezidiv und Gewichtsabnahme. Der von mir im
zweiten Monat vorgeschlagene Abort wurde aus verschiedenen Gründen
abgelehnt. Das Kind wurde lebend geboren, die Mutter, die trotz
bester Pflege immer elender geworden war, starb bald nach der
Geburt und das Kind folgte ihr nicht viel später nach I
Ist es trotz ärztlichen Rates oder in der Meinung, die Krankheit
sei erloschen, zur Ehe gekommen, so ist die nächste Aufgabe die
Verhinderung der Konzeption. Gewiss ist auch die Forderung der
fakultativen Sterilität eine ungemein harte und für manche Frauen
von erheblich deprimierendem Einfluss; indessen ist sie trotzdem
durchaus aufrecht zu halten. Auch die operative Sterilisierung wird
von Chrobak, Duehrssen u. a. hier durchaus mit Recht befür¬
wortet, da sie geeignet ist, durch Ausschalten weiterer Graviditäten
lebenserhaltend oder verlängernd zu wirken.
Auf andere Weise wollen der Heilung oder wenigstens der
Besserung Tuberkulöser dienen die Heilstätten. Es ist gewiss
zu fordern, dass man arme tuberkulöse Frauen, die nun einmal
gravid geworden sind, nach Möglichkeit den Schutz der von Staat
oder Gemeinde geschaffenen Mittel geniessen lässt. Und da zurzeit
die Heilstätten dazu sehr geeignet sind, so dürfte mancher nicht
ohne Erstaunen lesen, dass nach eiuer Mitteilung von F eis-Darm¬
stadt die graviden Frauen, wenigstens in der zweiten Hälfte der
Schwangerschaft, von dieser Wohltat ausgeschlossen sind. Ob in¬
zwischen, mit veranlasst durch einen Aufsatz von Rosthorn und
Fraenkel, wenigstens in Baden eine Änderung dieses schreienden
Misstandes eingetreten ist, weiss ich nicht. Aber selbst wenn das
der Fall wäre, was wäre dann ausserhalb der badischen Grenzen?
Einen jedenfalls sehr minderwertigen Ersatz würde ein Kranken¬
hausaufenthalt bieten, da bei ihm der wichtige Faktor der frischen
Luft in Wegfall kommt. Dazu kommt noch, dass die chronische
Überfüllung der meisten Krankenhäuser auch bei dem besten
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Willen der Vorstände einen längeren Aufenthalt Gravider unmög¬
lich macht.
Es ist also hier noch ein weites und dankbares Feld für die
öffentliche Fürsorge.
Bemittelte Patienten können und werden sich natürlich alle
derartige Vorteile verschaffen durch einen möglichst langen Aufent¬
halt in günstigen klimatischen Verhältnissen und Sanatorien, in
denen mit allen Mitteln moderner Therapie und Hygiene dem un¬
günstigen Einfluss der Gravidität auf die Tuberkulose entgegen ge¬
arbeitet werden kann. Es ist daher zu begrüssen, dass A. Fraenkel
die günstigen .Resultate derartiger Behandlung einmal ans Licht ge¬
bracht hat. Noch mehr zu wünschen wäre eine ausführliche Dar¬
stellung seines Materiales, da sie sicher dazu beilragen würde, das
allgemeine Interesse an dieser Frage zu wecken.
Mit dom Überstehen der Gravidität ist die Gefahr für die tuber¬
kulöse Frau noch keineswegs erschöpft. Jo, nach der Ansicht mancher
ist der Zeitraum des Puerperiums in dieser Beziehung noch mehr
zu fürchten infolge der Reaktion, die die Entbindung zweifellos aus¬
löst (Serno, diss. inaug. Jena). Schauta äussert sich dahin, dass
besonders der dritte bis vierte Tag des Wochenbettes gefährlich sei.
Weitere Zahlen habe ich schon oben gegeben.
Unter den bei unseren in Betracht kommenden 116 Wochen¬
betten (in einigen leichten Fällen fehlt die Angabe; einige Frauen
traten vor der Entbindung aus) verliefen ganz normal 99, unter
denen zwar vorwiegend leichte Fälle sich befinden, doch auch 32
schwere und schwerste Erkrankungen. Dagegen trat in 17 Fällen
eine ganz ausgesprochene Verschlechterung ein, darunter achtmal
der Exitus. Diese Fälle werden weiter unten noch beschrieben
werden. In mehreren Fällen trat die Verschlechterung noch später
ein, ohne dass ich imstande wäre, bestimmte Zahlen zu geben. Da
das Wochenbett um so ungünstiger verlaufen wird, je schwieriger
und anstrengender die Geburtsarbeit war, so wird mit Recht grosser
Wert gelegt auf sorgfältige Leitung der Geburt, unter weitgehender
Verwendung schmerzstillender Mittel und unter schonender Beschleu¬
nigung der Entbindung bei allzulanger Verzögerung der zweiten Ge¬
burtsperiode. Chloroform kann ohne Bedeuken verwendet werden.
Zur Vermeidung jedes überflüssigen Blutverlustes ist speziell auf die
Nachgeburtsperiode die grösste Sorgfalt zu verwenden.
Im Wochenbett macht unter Umstäudeu die Diagnose ausser¬
ordentliche Schwierigkeiten. Hatte man die Frau vor der Geburt
nicht gesehen, oder boten sich keine Anhaltspunkte für die Tuber¬
kulose, so wird man Fieber im Wochenbett zunächst als Puerperal¬
fieber deuten und oft genug erst durch die Obduktion Aufklärung
bekommen (Freund). Solche Fälle wurden ausserdem beschrieben
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15] Schwangerschaft und Tuberkulose. 15
von Cova und Westenhoeffer. Jch selber sah zwei der¬
artige Fälle.
In einem Falle schlossen sich bei einer Primipara an die glatte
spontane Entbindung leichte Fieberbewegungen an, bei gänzlich nor¬
malem Genitalbefund, wie ich gelegentlich eines Konsiliums fest¬
stellen konnte. Trotzdem wurde seitens des behandelnden Arztes
die Diagnose auf Sepsis gestellt. Ein Vierteljahr später erfolgte der
Exitus an der inzwischen manifest gewordenen Phthise.
Den anderen Fall behandelte ich teilweise zusammen mit Herrn
Prof. v. Franqu4, der ihn in Rom 1902 erwähnte. Es war zwar
vor dem hier spontan erfolgenden Aborte die Vermutung einer
tuberkulösen Peritonitis ausgesprochen; jedoch wurde das sich an
schliessende Fieber als puerperales aufgefasst. Die Aufklärung brachte
erst die sieben Wochen später in Abwesenheit von Herrn Prof,
v. Franqu^ vorgenommene Sektion in Gestalt einer im Wochenbett
akut deszendierten Genitaltuberkulose.
Sehr wichtig im Wochenbett ist die Frage des Stillens. Im
allgemeinen wird man es natürlich jeder Tuberkulösen unbedingt
verbieten, wegen der grossen Anforderungen, die es an den Orga¬
nismus stellt. Indes können andererseits Frauen mit ganz veralteten,
ausgeheilteu Affektionen offenbar ohne Schaden ihr Kind anlegeu.
Dafür sprechen die sehr interessanten Versuche von Binswanger
(Schlossmann), der zu diagnostischen Zwecken in zwei Serien
91 78 Ammen tuberkulinisierte. Von diesen reagierten positiv,
ohne indes irgendwie weiteren Schaden zu nehmen, 26 —j— 26. Er
nimmt in allen diesen Fällen eine ausgeheilte oder sehr wenig aus¬
gedehnte Tuberkulose an. Und als Ammen stillten sie doch! Zu
diesen Versuchen stimmen auch die Erfahrungen der Prager Klinik,
in der offenbar alle Wöchnerinnen mit minimalen ganz stationären
oder veralteten Veränderungen der Spitzen stillen. Sowie aber auch
nur die entfernteste Möglichkeit besteht, dass der Prozess nicht ganz
abgelaufen ist, muss unter allen Umständen vom Stillen Abstand ge¬
nommen werden, sowohl mit Rücksicht auf das Kind, da der Über¬
gang von Bazillen auch bei gesunder Mamma, allerdings bei schwerer
Erkrankung der Mutter, erwiesen ist, vor allem aber, um nach Mög¬
lichkeit ein Aufflackern der alten Krankheit zu verhüten, die noch
manifest werden kann, selbst wenn die ersten Tage scheinbar ganz
reaktionslos verlaufen waren. So teilt mir Herr Prof. v. Franquö
mit, dass manchmal noch einige Wochen nach der Geburt bei schein¬
bar gesund in die Findelanstalt entlassenen Wöchnerinnen die Krank¬
heit manifest geworden sei. Auch ist zu bedenken, dass entsprechend
dem Materiale einer geburtshilflichen Klinik lin einer Reihe gerade
leichter Fälle ohne Auswurf die Diagnose sich lediglich auf physi¬
kalische, nicht mikroskopische Untersuchung stützen musste. Es ist
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folglich nicht absolut auszuschliessen, dass in einigen Fällen das
Lungeuleiden doch vielleicht nicht spezifischer Natur war.
Betreffs des therapeutischen Verhaltens in der Gravi¬
dität, soweit es sich um geburtshilfliche Massnahmen handelt,
kommen im wesentlichen zwei Anschauungen in Betracht, ob man
nämlich die Schwangerschaft unterbrechen soll oder abwarten; ob
man den Abort in den frühen Monaten provozieren soll, oder warten
bis zur Lebensfähigkeit des Kindes?
Gegen den Abort spricht sich aus Goenner, da er das Be¬
stehen einer Lebensgefahr nicht anerkennen kann. Kleinwaechter
bezeichnet die Einleitung des Abortes als widersinnig. Weinberg
hält das Schicksal der betreffenden Frauen schou zu Beginn der
Gravidität für besiegelt; da nun eine direkte Lebensgefahr infolge
der Schwangerschaft nicht vorliege, so hält er von deren Unter¬
brechung nicht viel. Pinard glaubt, dass kaum je Grund vorliege,
die Schwangerschaft zu unterbrechen. Auch Schräder spricht sich
gegen den Abort aus. Jakob wünscht lieber bessere hygienische
Massnahmen, als die Unterbrechung der Schwangerschaft. Ein
Wunsch, der für einen grossen Teil der Bevölkerung wohl leichter
ausgesprochen als erfüllt ist!
Aus diesem Gruude empfiehlt daher Hamburger den Abort
speziell für die unter so ungünstigen Verhältnissen lebenden Arbeiter¬
frauen. Gegen diese prinzipielle Empfehlung des Abortes wendet
sichKaminer, da er nur in 70% Stillstand der Krankheit bewirke,
dagegen nie Heilung. Doch meine ich mit Asch, dass auch schon
die blosse Verlängerung des Lebens ein sehr wichtiges Resultat für
die Patientin selber und ihre Familie darstellt. Auch Pfannenstiel
hebt als einen Vorteil des Abortes mit Recht hervor, dass er oft
die Verschlechterung der Krankheit verhüte oder verlangsame.
Selbstredend wird man nicht wahllos in jedem beliebigen Falle
von Lungentuberkulose die Schwangerschaft unterbrechen, sondern
von Fall zu Fall handeln unter Beobachtung bestimmter Indikationen.
DenndurchausmitRechthebtBrauer hervor, dass in leichten und nicht
floriden Fällen alles oft überraschend gut gehe für Mutter und Kind. Es
ist aber zu bedenken, dass das gerade Fälle sind, die doch nur bei
ganz systematischer Untersuchung gefunden werden, die aber meistens,
da sie ganz unbemerkt verlaufen, gar nicht mitgerechnet werden.
Kaminer hält die Berechtigung, nichtVerpflichtung, für gegeben
bei Hämoptöe, Fieber, Verschlechterung, metastatischer Tuberkulose.
Acconci und Himmelfarb betonen, dass der Fall so ge¬
artet sein müsse, das eine gewisse Aussicht auf Heilung bestehe.
Heymann spricht sich auf Grund de9 Meermannschen
Materiales dahin aus, in leichten, in der Gravidität sich verschlech¬
ternden Fällen einzugreifen. Er berichtet unter anderem von einer
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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Frau, bei der Meermann mit gutem Erfolge dreimal die Schwanger¬
schaft unterbrach wegen einer jedesmal rezidivierenden Hämoptöe.
v. Rosthorn will den Abort einleiten bei allen destruktiven,
fieberhaften Prozessen, ferner bei leichten, aber komplizierten Fällen,
die weiter abmagern. Da keine bestimmten Normen aufzustellen
sind, so ist in jedem Falle ein Konzilium abzuhalten. •
Veit, Funke, Duehrssen nehmen besonders das Körper¬
gewicht als Massstab und sehen in dessen ständiger oder rapider
Abnahme eine strikte Indikation zum Handeln. Gewiss ist diese,
namentlich von Veit wiederholt gestellte Forderung an sich
durchaus unanfechtbar, auch bietet sie den grossen Vorteil, dass man
bei dieser Beobachtung Fälle, die sich als ganz ungünstig heraus-
stellen, mit zwecklosen therapeutischen Versuchen verschont, anderer¬
seits schliesst sie aber auch alle die Gefahren in sich, die stets mit
längerem Abwarten verbunden sind.
Ferner sprechen sich unter Bedingungen für den Abort bei
Lungentuberkulose aus Schauta, Fellner, Oehlschlaeger,
Deibel, Hahn, Amann, Lop, Gainsbourgue u. a.
In gauz schweren und sicher verlorenen Fällen, die auch nach
Ausschalten der Gravidität nicht zu heilen sind, verzichtet man selbst¬
redend auf die Einleitung des Abortes, der die Mutter nicht rettet, das
Kind dagegen opfert, und man beschränkt sich auf sorgfältige lokale und
allgemeine Behandlung. Gegebenen Falles kommt die Tracheotomie
in Betracht. Ebenso wenig braucht man einzugreifen bei ganz gering¬
fügiger Erkrankung, die nicht florid ist, oder sogar abgeheilt ist, wenn sie
nicht durch das Hinzukommen vou Komplikationen als ungünstiger er¬
scheint. In allen Fällen dagegen, in denen die Ausdehnung des Krank¬
heitsprozesses und der Zustand der Patientin eine — wenn auch relative —
Heilung erwarten lässt, in denen aber in der Gravidität durch Ab¬
magerung, Fieber, Hämoptöe, schnelle Ausbreitung des Prozesses
eine Verschlechterung des Befindens eintritt, ist zweifellos die Indi¬
kation zum Einschreiten gegeben, ebenso wie bei Komplikation mit
anderen Erkrankungen (Albuminurie, Larynxphthise etc.). Wie lange
man beobachtet, hängt nicht nur von den Erfahrungen des einzelnen
Arztes ab, sondern auch von den Besonderheiten des jeweiligen
Falles. Eine wichtige Rolle spielt auch die soziale Stellung, nicht
minder auch der Umstand, ob schon Kinder vorhanden sind, endlich
die Entschliessung der Frau selber. Dagegeu kann ich mich nicht
dazu bekennen, einen Unterschied machen zu müssen zwischen Ver¬
heiratet und Ledig!
Im ganzen wird der Erfolg desto besser sein, je eher man ein-
griff. Es spielt keine Rolle, ob dieser Eingriff sympathisch ist, oder
nicht, ein Moment, das von Kroenig in die Diskussion gebracht
wurde. Hier handelt es sich nicht um Annehmlichkeiten, sondern
Würzburger Abhandlungen. Bd, VIII. H. 1 . 2
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um die Erhaltung des Lebens, die wir als Ärzte auch mit Mitteln,
die zunächst unsympathisch erscheinen, aber durch ihren guten
Zweck geadelt werden, anzustreben haben, wie das meines Erachtens
Sarwey so passend ausspricht: „Wenn das Leben der Mutter nur
durch Opfern des problematischen kindlichen erhalten werden kann,
dann ist es sittliches Recht und Pflicht des Arztes, von diesem ihm
durch seinen Beruf verliehenen einzigen Rettungsmittel entsprechenden
Gebrauch zu machen“.
Hat man sich im konkreten Falle entschlossen, die Schwanger¬
schaft zu unterbrechen, so wird es, falls das nicht schon vorher ge¬
schehen war, zweckmässig sein, einen zweiten Arzt consilii causa
zuzuziehen. In zweifelhaften Fällen kann es angezeigt sein, in einem
schriftlichen Protokolle die Einwilligung der Eltern resp. des Mannes
fixieren zu lassen, um gegen spätere unliebsame Überraschungen ge¬
sichert zu sein.
Die Methode der Aborteinleitung hat eine möglichst schonende
zu sein. Man dilatiert den Uterus und räumt ihn in Narkose aus.
Für die von Pfannenstiel als Vorakt der Ausräumung vorge¬
schlagene blutige Spaltung der vorderen Uteruswand kann ich mich
nicht erwärmen.
Sind die ersten Monate der Schwangerschaft vorüber, so hat
die ganze Situation und damit die Stellung der Indikation eine
totale Verschiebung erfahren. Darüber herrscht volle Einstimmigkeit.
Von der Einleitung der künstlichen Frühgeburt in den späteren
Monaten ist für eine dauernde Besserung der Mutter nichts zu hoffen.
Prägnant drückt dies v. Rosthorn so aus, dass, wenn eine Frau
die künstliche Frühgeburt gut überstehe, das ein Beweis lediglich
dafür sei, dass sie eine spontane Geburt am normalen Ende noch
viel besser überstanden haben würde. Denn es ist zweifellos, dass
selbst eine möglichst glatt verlaufende Frühgeburt ganz andere An¬
forderungen an den Organismus stellt, als eine normale Entbindung,
abgesehen davon, dass es bei Beginn der Frühgeburt ganz unmöglich
ist, die in ihrem Verlaufe etwa eintretenden Komplikationen oder
auch nur ihre Dauer vorauszubestimmen (Fellner, Kuttner,
F. Mayer, Freund, Lomer).
Man hat sich daher in solchen Fällen zu beschränken auf all¬
gemeine Hygiene und Diätetik, sowie möglichst schmerzlose Gestal¬
tung der Entbindung.
Durch diese Indikationsstellung wird selbstredend in keiner
Weise die Berechtigung der künstlichen Frühgeburt für die Fälle
schwerster Dyspnöe berührt, in denen sie direkt aus vitalen Gründen
vorgenommen wird. Ebensowenig kann die Berechtigung der künst¬
lichen Frühgeburt im Interesse des Kindes bestritten werden für die¬
jenigen Fälle, in denen vermutlich noch vor dem normalen Ende
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
19
der Gravidität der Exitus eintreten würde, zur Vermeidung der
Sectio caesarea in mortua oder moribunda (d’Outrepont, Steh¬
berger, Leopold), auch auf die Gefahr hin, durch diesen Eingriff
das mütterliche Leben zu gefährden oder abzukürzen.
Nach diesen Grundsätzen wurde die Schwangerschaft unter¬
brochen in folgenden Fällen:
Der Abort wurde eingeleitet 7 mal bei sechs Frauen.
1. 28 jährige 5grav., das letzte Kind wegen Lungenaffektion
nicht gestillt. Dritter Monat, seit drei Wochen Hämoptöe, wenig
Husten, kein Answurf. Infiltration beider Spitzen, geringer Katarrh
der rechten Lungenbasis. Seitens der Klinik von Jak sch der Abort
befürwortet. Dilatation mit Laminaria und Hegar, Ausräumung,
norm. Wochenbett.
2. 28jährig, hat fünfmal geboren, darunter 4mal zu früh.
Dritter Monat, Erkrankung beider Spitzen, ohne floride Erscheinungen.
Geschickt zur Einleitung des Abortes. Ausräumung des Uterus nach
Erweiterung mit Laminaria.
3. 28 jährig, 6 Geburten, 1 Abort, seit X A Jahr Brustschmerzen,
Schwächegefühl, dann Blutungen aus dem Genitale. Infiltrat, apic.
pulm. dext. tub. Ausräumung nach Dilatation. Später gebessert aus
der Klinik von Jaksch entlassen.
4. 40jährig, 7 Geburten, deren letzte vorzeitig eingeleitet wegen
Lungenaffektion. Husten seit einigen Jahren. Erkrankung der linken
Spitze. Im Urin Eiweiss und Zylinder. Vierter Monat. Ausräumung
nach Dilatation.
5. und 6. siehe unter Fall 9 bei Larynxtuberkulose, S. 23.
7. 19jährige, 1 gravida mensis IV., seit 1 Jahr krank an Husten,
Auswurf, Nachtschweissen. Vor einem Monat Hämoptöe. Supra-
und Infraklavikulargruben deutlich markiert, über beiden Spitzen
Schallverkürzung und Rasseln. (Diagn. d. intern. Klinik: Iufiltr. apic.
utr.), im Sputum Tuborkelbazillen. Mit Rücksicht auf den Lungen¬
befund, die abendlichen Temperatursteigerungen und das schlechte All¬
gemeinbefinden Einleitung des Abortes. Laminaria, Scheidentampo¬
nade, spontaner Abort, Fötus 15 cm lang, bisher normaler Verlauf.
Dagegen wurde in drei Fällen der Abort nicht eingeleitet,
trotzdem die Patientin zu diesem Zwecke in die Klinik geschickt
war. In zwei dieser Fälle ergab die Untersuchung seitens der iuter-
nen Klinik keine Indikation für den Abort. Im dritten Fall war
die Diagnose der Gravidität nicht ganz sicher; dagegen bestand
eine tuberkulöse Peritonitis, derentwegen von jedem Eingriff abge¬
sehen wurde.
Die Richtigkeit dieser Indikationsstellung konnte wenigstens in
einem der beiden Fälle bewiesen werden durch den weiteren Verlauf.
Patientin stellt sich wieder vor, nachdem sie inzwischen ohne Kunst-
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H. BOLLENHAGEN,
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liilfe eiu gesundes Kind geboren und ein normales Wochenbett
durchgemacht hat. Das Kind, das sie mitbringt, ist gut genährt
und kräftig entwickelt. Patientin selber fühlt sich durchaus wohl,
hat keinen Husten. Auf der internen Klinik wird ausser Giemen
auf der linken Spitze an den Lungen nichts gefunden.
In zwei weiteren Fällen traten die Frauen mit drohendem Abort
eiu, doch kam dieser bei Bettruhe zum Stillstand. Es w T urde von einem
Eingriff abgesehen, da in einem Falle die Diagnose der angenommenen
Larynxtuberkulose nicht sicher war. Der andere Fall war schon bis zum
sechsten Monat vorgeschritten und es bestanden keine floriden
Erscheinungen.
Die künstliche Frühgeburt wurde eingeleitet in sechs Fällen,
darunter 3 mal wegen der Schwere der Erkrankung (eine später gebessert
entlassen, eine gestorben nach einem halben Monat, 1 mit unbekanntem
Resultat), 1 mal wegen schwerer Dyspnoe, gestorben nach etwa 3 V* Mo¬
naten, 1 mal wegen totalen Benommenseins, bald gestorben, 1 mal von
anderer Seite aus mir unbekannter Indikation, später gestorben.
In zwei Fällen war die Unterbrechung der Schwangerschaft be¬
absichtigt, musste aber aus äusseren Gründen unterbleiben;
1. 35 jährige 6grav., hat verschiedene Male Rippenfellentzündung
durchgemacht, links hinten unten alte Schwiele, leichte Schall Ver¬
kürzung der rechten Spitze. Es sollte das Körpergewicht kontrolliert
werden, doch entzog sich Patientin der Beobachtung. Laut Bericht
des Hausarztes hat Patientin am normalen Ende ein 9 Pfund schweres
Kind geboren, das bisher ganz gesund ist. Wochenbett hoch fieberhaft,
akutes Fortschreiten der Kraukheit auch jetzt noch, im Kraukenhause.
2. 30jährige ledige Drittgrav., 2 Aborte, vor 2 Jahren Pleuritis,
hustet und schwitzt, zu Anfang der Grav. Hämoptoe. Beide Spitzen
infiltriert. Rechts unten deutliches Knistern, Kyphose der Brust¬
wirbelsäule. Cystitis tuberculosa, aus dem grauweisslichen Sekrete
reichliche Tuberkelbazillen. Hat ihrem Arzt die Unterbrechung der
Schwangerschaft verweigert, lässt auch den wegen zunehmender
Atembeschwerden bei lebensfähigem Kinde vorgescblagenon Blasen¬
stich nicht zu. Wird gegen Revers entlassen. Die Cystitis, resp.
deren Symptome durch Jodoform-Sesamöl-Injektiouen wesentlich ge¬
bessert. Nach Bericht des Hausarztes Frühgeburt, Tod von Mutter
uud Kind am nächsten Tage!
Da nun Herr Prof. v. Franque in der zweiten Hälfte der
Schwangerschaft nur bei bedrohlichen Erscheinungen unterbricht, so
lehnte er die Frühgeburt in folgenden zwei Fällen ab:
1. 30jührige, verheiratet. 1 Frühgeburt. Veränderungen beider
Spitzen, 6 Monate. Wegen der vorgerückten Schwangerschaft bei
Fehlen florider Erscheinungen keine Unterbrechung der Gravidität.
2. Privatfall von Herrn Prof. v. Franque. 30jährig, Dritt¬
grav., 1 Frühgeburt im 8. Monat, letzte Entbindung vor 3 Jahren,
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Schwangerschaft und Tuberkulose.
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6. Monat, normaler Befund. Seit etwa 3 Monaten hektisches Fieber,
das in letzter Zeit nachgelassen hat. Über der linken Spitze leichte
Schallverkürzung, keine Geräusche, kein Husten, kein Sputum. Die
beiden konsultierenden Internisten, ebenso wie Herr Prof. v. Franque,
sind für Abwarten. Es wurde dann am normalen Ende ein kräf¬
tiges Mädchen spontan geboren. Die Patientin selber hat sich aus¬
gezeichnet erholt, an Körpergewicht zugenommen, die Lungener¬
scheinungen sind noch weiter zurückgegangen (nach Mitteilung
des behandelnden Arztes).
Eine gesonderte Darstellung verlangt ihrer Wichtigkeit wegen
die Komplikation mit Larynxtuberkulose.
Abgesehen davon, dass unter Umständen infolge von Glottis¬
ödem ganz akut suffokatorische Anfälle eigentlich jeden Augenblick
zu befürchten sind, so dass man stets zur Tracheotomie gerüstet sein
muss, nimmt auch die Ausdehnung des Leidens in der Schwanger¬
schaft gewöhnlich einen derartig rapiden Verlauf, wie man das sonst
nur bei Carcinom sieht (Freund). Nicht selten wird erst in der
Schwangerschaft, gerade wie bei der Lungentuberkulose, die Affektion
des Kehlkopfes manifest, um dann einen besonders bösartigen Verlauf
zu nehmen. Amann fordert daher die laryngologische Untersuchung
jeder heiseren Gravida.
Da nach Cornets beweisenden Beobachtungen kleine Schleim¬
hautläsionen, wie sie auch bei lange anhaltendem Schreien entstehen
können, in der Regel zum Ausgangspunkt der Krankheit werden
durch direkte Einimpfung von infektiösem Sputum, so wird man
auch aus diesem Grunde eine möglichst schmerzlose Entbindung
nach den oben auseinandergesetzten Grundsätzen anstreben.
Betreffs der Therapie in der Gravidität herrscht wegen der auch
von M. Schmidt hervorgehobenen Malignität der Affektion im
ganzen Einstimmigkeit darüber, dass, solange keine bestimmte Gegen¬
anzeige vorliegt, die Unterbrechung der Schwangerschaft möglichst
früh dringend angezeigt ist.
Lehnt man, wie Remy, Loehnberg, Alexander, Jaffe-
die Aborteinleitung ab, so kommt im wesentlichen in Betracht eine
intensive Lokalbehandlung, deren Einzelheiten hier nicht zu schil¬
dern sind.
Dass man damit unter Umständen gute Erfolge erzielen kann,
dafür liefert u. a. Seifert den Beweis an der Hand eines lange
und sorgfältig beobachteten Falles. Kuttner, ebenso wie Seifert
sonst ein Anhänger der Abortes, führte ebenfalls in einem Falle die
Schwangerschaft zu einem guten Ende, da aus der Anamnese hervor¬
ging, dass die früheren Graviditäten gut vertragen waren. Desgleichen
Lennhoff.
Neumayer-München hofft von einer intensiven Lokalbehand¬
lung doch wenigstens eine Einschränkung der Aborte.
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H. BOLLENHA.GEN,
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Auch die Tracheotomie wird zu diesem Zwecke empfohlen.
Remak konnte damit von 10 Frauen 7 erhalten. Jurasz lobt nach
den Erfahrungen, die er bei 36 Fällen sammeln konnte, sehr den
Einfluss der Tracheotomie in schweren Fällen. Kuttner empfiehlt
sie allerdings nur als Palliativmittel für die späteren Monate in nicht
ganz aussichtslosen Fällen.
Der entschiedenste Anhänger des Abortes auf Grund seiner
oben mitgeteilten schlechten Erfahrungen ist Maragliano. Er will
die Schwangerschaft unterbrechen, je eher, desto besser, und mit
um so mehr Recht, je leichter der Fall ist, wegen absoluter Unmög¬
lichkeit, eine auch nur einigermassen sichere Prognose zu stellen.
Kuttner kommt auf Grund von 100 Fällen zu dem Resultate, dass,
da die diffuse Larynxphthise in der Schwangerschaft höchst ungün¬
stige Fortschritte mache, da auch die Sterblichkeit der von solchen
Müttern geborenen Kinder eine erschreckend hohe sei, die Unter¬
brechung der Gravidität in solchen Fällen einstimmig als indiziert
angesehen sei, selbstredend nur, wenn sie das einzige Mittel sei und
dabei einige Wahrscheinlichkeit biete für die Erhaltung des mütter¬
lichen Lebens. Diesen Anschauungen schliessen sich im wesentlichen
an Lomer, Schauta, Fellner, Kaminer und Deibel, und sie
dürften auch wohl als die Norm anzusehen sein.
Unsere eigenen 10 Fälle von Larynxtuberkulose sind folgende:
1. Drittgebärende, hat 2 gesunde Kinder in normalen Wochen¬
betten selber gestillt. Husten und Heiserkeit seit 6 Wochen. Vorge¬
schrittene Tuberkulose der Ober- und Mittellappen, Albuminurie.
Kräftige Wehen, Forceps wegen Dyspnoe und schlechter Herztöne.
Lebendes Mädchen 46, 2520. Am nächsten Tage 38,2, transferiert.
Tub. Placentae.
2. Viertgebärende, frühere Geburten spontan, vorgeschrittene
Lungentuberkulose. Aphonie, Ulzera im Larynx. Myelitis? Künst¬
liche Frühgeburt mit Metreurynter. Lebender Knabe 45,5 2150.
Normales Wochenbett. Tub. Placentae.
3. Erstgebärende, vorgeschrittene Phthise. Larynxschleimhaut
gerötet, Ulzera an der hinteren Wand und den Stimmbändern,
allgemeine Miliartuberkulose. Lebender Knabe 39, 1300, tot nach
3 Stunden, nicht tuberkulös. Mutter geht unter hohem Fieber und
zunehmender Dyspnoe zugrunde. Tub. Placentae.
4. Drittgebärende, 1 normale und eine Frühgeburt, vorge¬
schrittene Phthise, aphouisch, Dyspnoe, achter Monat, Temperatur
und Puls normal. Im Wochenbett Fieber, Verfall, Exitus am vierten
Tage. Lebendes Mädchen 38,5 1300 stirbt am dritten Tage an
Schwäche und Soor.
5. Zweitgebärende, 1 normale Geburt, hustet seit 8 Monaten, vor¬
geschrittene Phthise. Hinterwand dos Larynx infiltriert, Ödem der
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23]
Schwnngerschaft und Tuberkulose.
23
Aryknorpel, künstliche Frühgeburt mit Metreurynter, lebendes
Mädchen 44, 2230. Wegen Fieber transferiert.
6. Erstgebärende, Spitzeninfiltration, falsche Stimmbänder ge¬
schwellt, grosses oberflächliches Ulcus, soll ambulant behandelt werden.
Spontane Geburt, lebendes Mädchen 49, 3100, stillt nicht, normales
Wochenbett.
7. Erstgravida im 7. Monat, spontane Frühgeburt, abgemagert.
Tub. pulmonum. Wegen Fieber transferiert und gestorben.
8. 6 gravida 1 Abort, seit letzter Gravidität Husten und Brust¬
schmerz, wird ohne Wehen wieder entlassen, da die Diagnose der
Tuberkulose nicht ganz sicher.
9. Zehntgravida. In Behandlung von Herrn Prof. Seifert seit
dem Jahre 1901. Damals 4 Wochen nach der 9. Gravidität Heiserkeit.
Rechte Lungenspitze gedämpft, verschärftes Exspirium, einzelne
Rhronchi. An der Vorderfläche des Larynx flaches tuberkulöses In¬
filtrat, Stimmbänder leicht verdickt, gerötet, kein Ulcus. Nach Curette-
meut Besserung, die im wesentlichen andauert bis Juli 1904, wo eine
im zweiten Monat bestehende Gravidität eine ganz akute Verschlech¬
terung hervorruft (Fieber, Abmagerung, Aphonie). Daher in Über¬
einstimmung mit Herrn Prof. Seifert Unterbrechung der Schwanger¬
schaft mit ganz ausgezeichnetem subjektiven und objektiven Resultat.
Ende 1904. Stimme ganz normal, Infiltrat ganz zurückgegangen.
Mitte Mai 1905 wieder akute Verschlechterung infolge einer neuen
Gravidität. Es findet sich jetzt ein ausgedehntes, in der Mitte ulze-
riertes Infiltrat an der Vorderfläche des Larynx, dessen Lumen
erheblich verengernd. Dämpfung der rechten Spitze deutlicher, viele
Rasselgeräusche, Bronchialatmen, Aphonie. Daher wieder Unter¬
brechung der Gravidität mit gutem Resultat. Die Stimme wird
deutlich, das Infiltrat geht zurück. Diese Besserung hält im wesent¬
lichen an bis März 1907, trotzdem Patientin sich durchaus nicht im
mindesten schonte. Dann bedeutende Verschlimmerung aller Sym¬
ptome, besonders Stenosenerscheinungen seitens des Larynx, so dass
am 28. April die Tracheotomie nötig wurde.
10. Zweitgravida, erstes Kind tot, zweiter Monat. Tuberculosis
pulmonum et laryngis. Der vorgeschlagene Abort wird abgelehnt.
Später wird die künstliche Frühgeburt von anderer Seite gemacht.
Nicht lange nachher Exitus.
Wegen der eigentümlichen lokalen Verhältnisse nimmt die Kom¬
plikation mit Bauchfelltuberkulose eine ganz besondere Stellung ein.
Ich möchte daher noch über drei derartige Fälle berichten, die ich
Herrn Prof. v. Franq u^ verdanke. Den einen habe ich schon oben
bei der Besprechung der Verhältnisse im Wochenbett beschrieben.
Wie auch dort deszendierte in einem weiteren Falle die Tuberkulose
im Wochenbett ganz akut auf die Genitalien: 17jähr. ledige Primi-
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24
H. BOLLENHAGEN, Schwangerschaft und Tuberkulose.
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gravida. Vor 8 Tagen spontaner Abort ohne ärztlichen Eingriff.
Dao ganze Abdomen aufgetrieben (91,5). Fluktuation, kein Tumor,
untere Bauchgegend gedämpft und schmerzhaft. Erweiterte Venen
der Bauchhaut. Uterus kleinfaustgross. Adnexe frei. Vom Rektum
aus hinter dem Kollum zwei erbsengrosse Knötchen, sonst nichts.
Pleuritis tub. dextra. Wegen dieser wurde von der Laparotomie ab¬
gesehen und die Pat. auf die interne Klinik verlegt. Dort beträcht¬
liche Zunahme des peritonealen Ergusses unter hohem Fieber. Probe¬
punktion ergab flüssigen Eiter, mikroskopisch vielleicht Streptokokken.
Daher schliesslich bei zunehmender Dyspnöe aus vitaler Indikation
Laparotomie. Bei dieser wurde reichlich dünner, fäkulent riechender
Eiter entleert; die Därme verbacken, das Peritoneum mit Knötchen,
besetzt. Die platzende linke Tube entfernt. Drainage. Tod nach 15
Tagen. Bei der Sektion fand sich auch noch eine chronische Nieren¬
tuberkulose. Als Komplikation war während des Abortes noch eine
Infektion mit Streptokokken hinzugekommen.
Es hatte also auch in diesem Falle der spontane Abort ausser¬
ordentlich ungünstig gewirkt, indem im Wochenbett die Tuberkulose
des Peritoneum akut auf die Genitalien deszendierte. Aus diesem
Grunde hält Herr Prof. v. Franque den künstlichen Abort bei
Bauchfelltuberkulose natürlich für durchaus kontraindiziert. Er wurde
daher auch im dritten Falle, wie schon oben bei Unterbrechung der
Gravidität erwähnt, nicht eingeleitet.
Zusammengefasst würden die Grundsätze für die geburtshilfliche
Behandlung der Komplikation von Tuberkulose und Gravidität lauten:
Die Lungentuberkulose an sich ist keine Indikation zur Ein¬
leitung des Abortes, es muss vielmehr stark individualisiert werden.
Berechtigt und eventuell geboten ist die Unterbrechung in den
früheren Monaten bei florideo, wenn auch beginnenden Prozessen,
bei Vorhandensein von Fieber, Hämoptoe, bei Komplikation mit
Larynxtuberkulose und sonstigen Erkrankungen.
Nicht zu unterbrechen ist die Gravidität im allgemeinen in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft, ausser aus vitaler Indikation.
Fälle, die dem Befunde und der Zeit nach an der Grenze stehen,
können sehr wohl verschieden beurteilt werden, je nach den Erfah¬
rungen des Einzelnen, ohne dass man berechtigt ist, diesem aus seinem
abweichenden Standpunkt einen Vorwurf zu machen.
Es empfiehlt sich daher grundsätzlich die Abhaltung eines
Konziliums.
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Die Chorea miaor, der Veitstanz. (Sydenham’sche
Chorea, Chorea infectiosa.)
Von
Dr. F. Siegert,
Professor der Kinderheilkunde an der Akademie für praktische Medizin in Köln.
Unter der Chorea minor verstehen wir eine subakut ein*
setzende und verlaufende Infektionskrankheit vorwiegend
des wachsenden Menschen, welche durch ausfahrende, kurz
dauernde spontane Bewegungen und eine Störung der
Koordination der verschiedensten Muskelgruppen einer¬
seits, durch verminderte Beherrschung der Gemütsbe¬
wegungen hei gesteigerter Erregbarkeit andererseits
eharakterisiert ist.
Der Symptomkomplex der Chorea minor wird häufig ein¬
geleitet durch wenig ausgeprägte Veränderungen im früheren Ver¬
halten der Erkrankten.
Bei vorher etwas reizbaren, nervösen Kindern stellt sich eine
Steigerung dieses Zustandes ein, eine ungemein wechselnde Stimmung
und damit ein sehr launenhaftes Wesen. Bei der Kindheit entwachse¬
nen Kranken wird dies seltener beobachtet. Aber auch vorher nor¬
male, freundliche, leicht lenkbare, mitteilsame Kinder, ganz besonders
im früheren Kindesalter, von 5—10 Jahren, werden unfreundlich,
zurückgezogen, mürrisch, schweigsam, verschlossen und brechen, zur
Rede gestellt, in plötzliches Weinen aus, wobei gelegentlich schon
eine Störung der Mimik auffällt.
Die Sammlung der Gedanken, die Aufmerksamkeit leidet, eine
sehr erhöhte Reizbarkeit tritt ein, vor allem ein unmotivierter, jäher
Würzburger Abhandlungen B<L VIII. H. 2. 3
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F. SIEGERT,
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Übergang von einer Gemütsstimmung zur anderen. Die Kranken
meiden ihre Gespielen oder zeigen in Gegenwart derselben eine gegen¬
über dem Verhalten beim Alleinsein überraschende Übererregbarkeit.
Körperlich fällt zunächst eine Störung der Muskel¬
tätigkeit auf, derart, dass Muskelbewegungen in ihrem normalen
Verlauf von unkoordinierten kurz unterbrochen werden, oder vorüber¬
gehend eine ungewollte Steigerung erfahren, oder aber nicht prompt
einsetzen, wo dies gewollt wird.
Bald aber wird auch die Ruhe der nicht intendiert
bewegten Muskulatur von spontanen, zuckenden Bewe¬
gungen einzelner Muskel oder Muskelgruppen unterbrochen,
zunächst meist in dem Bereich der Hände oder Füsse. Im un¬
beobachteten Zustand noch fast fehlend, werden die spontanen
Muskelzuckungen schon sehr früh verstärkt, wenn der Kranke sich
daraufhin beobachtet weiss oder noch mehr, wenn er zur Stillstellung
z. B. der Finger aufgefordert wird.
Im späteren Verlauf tritt dies Symptom in zunehmender Steige¬
rung auf.
Jetzt schon zeigt sich eine auffallende Störung in der
Innervation der Muskulatur, die sehr verlangsamte und einer
Dauer nicht mehr fähige Innervation derselben.
Aufgefordert, eine etwas ungewohnte Finger- oder Handbewegung
auszuführen, scheinen die Kranken zunächst nicht begriffen zu haben,
was sie sollen. Jedenfalls wird der Befehl nicht sofort ausgeführt.
Statt dessen treten spontane Bewegungen in benachbarten Muskeln,
oder der entsprechenden Extremität der auderen Seite auf, bis plötzlich
die gewollte Bewegung, aber in ganz übertriebener Weise, erfolgt,
ohne dass die Kranken die betreffende Lageveränderuug auch nur
kurze Zeit unterhalten können. Es macht den Eindruck, als
sei ein Hindernis in der zentrifugalen, motorischen
Leitung mühsam, nur für einen Moment, überwunden
worden, während der Reiz bis dahin auf benachbarte
Muskeln oder korrespondierende der gleichen Gruppe
der anderen Seite sich entladen hätte.
Charakteristisch ist für alle diese spontanen Muskelbewe¬
gungen ihre kurze Dauer, dann aber vor allem auch als hochgradige
Koordinationsstörung, dass die Synergie der den gewohnten, auto¬
matisch sich vollziehenden Bewegungen dienenden Muskeln ganz weg¬
gefallen ist (Foerster). Alle Bewegungen gewinnen damit etwas
Linkisches, Unbeholfenes, oft Lächerliches. Bald erfasst diese dreifache
Störung der „erschwerten Innervation“ der „Spontanbewegungen“ und
„Koordinationsstörung“ auch die Vorderarme und Unterschenkel, dann
die ganze Extremität, vor allem auch das Gesicht. Jetzt sind die Finger
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3] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 27
in beständiger Unruhe, die Hand hält die Gegenstände nicht fest,
die ihr deshalb entfallen, sie wird beim Versuch, etwas zu greifen,
vielfach am Ziel vorbeigeführt, bis sie plötzlich mit einem Ruck das
Vorgehaltene ergreift, ohne es dauernd halten zu können. Die Füsse,
die Beine geraten in Unruhe, ihre gewollten Bewegungen in Un¬
ordnung, der Gang wird dadurch zunächst sehr gestört, dann un¬
möglich. Auch ein bald lächerliches, bald sehr hässliches Grimas-
sieren, Fratzenschneiden hat sich eingestellt, die Gesichtsmuskulatur
gerät in ein ganz ungeordnetes Spiel, die Augenlider werden bald
wie im Entsetzen hoch hinaufgezogen, bald wie in Angst geschlossen,
auch die Augenmuskulatur verliert die sichere Koordination, ebenso
die der Zunge des Schlundkopfes und die der Fonation dienende
Muskulatur.
Die Sprache wird sehr gestört dadurch, dass die Kranken trotz
sichtbarem Bemühen die Worte nur zögernd herausbringen, bald in
rascher Folge sich überstürzend und in sinnlosem Wechsel viel zu
leiser oder lauter Worte, oft genug mit ganz gestörter Betonung der
einzelnen Silben. Diese Sprachstörung wird von nicht zu jungen
Kranken so unangenehm empfunden, dass sie nur ungern oder gar
nicht antworten. Dass bei Schulkindern dadurch, besonders in den
ersten Stadien, der Eindruck des Unfugs, des gewollten Störens, der
Unaufmerksamkeit, gar der Störrigkeit entsteht für Laien, welchen
die Chorea minor ganz fremd ist, macht die Kranken zum Gegen¬
stand des Spottes ihrer Kameraden und zieht ihnen oft genug Strafen
zu, bis endlich der wahre Sachverhalt erkannt wird.
Ihr psychisches Verhalten ist ein deutlich gestörtes ge¬
worden, mit auffallender Übererregbarkeit für alle Reize, in jähem
Wechsel zwischen extrem verschiedenen Gefühlen, ganz unmotiviertem
Lachen oder Weinen.
Schliesslich ergreift die Muskelunruhe den ganzen Körper, der
vor spontanen Zuckungen in den verschiedensten Muskelgruppen
nicht zur Ruhe kommt, oft genug bleibt die Störung auf eine Seite
beschränkt, die Hemichorea ist eingetreten.
Stehend oder liegend machen die Extremitäten, die Schultern,
Hüften, der Kopf kurze, unkoordinierte Bewegungen, gesteigert bei
intendierter Bewegung, bewusster Beobachtung durch die Umgebung
oder durch den Versuch, auf Befehl Ruhe zu halten.
Auffallend ist, dass in den Ruhepausen im Gegensatz zur Hy¬
sterie, die Muskeln völlig normal bleiben, jedenfalls nie Spasmen,
höchstens eine genüge Parese, ein auffallendes Schlaffsein gelegentlich
vor dem Eintritte der Chorea oder in ihrem Verlauf auf weisen,
weshalb man von der Chorea mollis spricht. Diese geringe Parese
schwindet jedenfalls stets mit dem Abklingen der meist in Heilung
ausgehenden Chorea minor.
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Völlige Muskelrahe tritt fast stets im Schlaf ein,
soweit er bei sehr extremen Graden der Erkrankung
nicht beträchtlich gestört ist.
Niemals zeigen sich Störungen der Blase und des Mastdarmes,
im Gegenteil habe ich Aufhören der Enuresis nocturna während der
Dauer der Chorea beobachtet.
In schweren und schwersten Fällen wird die Mobilitäts¬
störung eine allgemeine und extreme.
Die Kranken werden durchaus unfähig, allein zu essen, sie ver¬
mögen absolut nicht mehr mit der Hand die Speise zum Mund zu
führen, von Ankleiden ist keine Rede mehr, einen Strumpf anzu¬
ziehen vermöchte der Kranke um keinen Preis. Beim Versuch, zu
gehen, erfolgen entweder ein paar stampfende, schwankende Schritte
nach rechts und links, und die Kranken fallen über die Seite zu¬
sammen oder aber unter heftigen Bewegungen mit den Händen und
Armen, mit Zuckungen im Gesicht, im Schultergürtel, in den Beinen,
endet der Versuch, ohne dass der Kranke es verhindern kann, damit,
dass er in die Knie und zu Boden stürzt. Im Bett ist eine Ruhe¬
lage kaum noch zu erzielen und im schwersten Falle wird der ganze
Körper in wilden Zuckungen hin und her geworfen, alle Teile schlagen
an und müssen vor schwerer Verletzung durch Polsterung der Bett¬
wände geschützt werden, ja der Kranke kann selbst über das Gitter
geschleudert werden, wenn nicht durch Narkotika für leidliche Ruhe
gesorgt wird. Besonders die mit hohem Fieber und Koma oder De¬
lirien rasch einsetzenden Fälle erreichen diese schwersten Grade und
gehen meist in wenigen Tagen zugrunde.
Eine Störung im elektrischen Verhalten der nach Bonhoeffer
in ihrem Tonus herabgeminderteu Muskulatur und der Nerven fehlt
wohl ausnahmslos, ebenso pflegen alle Reflexe normal zu sein.
Wollenberg allerdings beobachtete öfter erhebliche Steigerung des
Präpatellarreflexes x ), der beim Kinde sehr verschieden sich verhält
und den ich selbst nie gesteigert gesehen habe. Babinski fehlt aus¬
nahmslos.
Dass die Sphinktereu nie ergriffen werden, wurde schon
erwähnt. Das auffallende gelegentliche Wegfallen der Enuresis, einer
Affektion, die wir mit Thiemich als ein für die kindliche Hysterie
ungemein charakteristisches Symptom ansehen, beweist, dass die
Chorea mit der Pseudochorea hysterica garnichts zu tun hat.
Von seiten des Herzens sind Störungen in der Kontraktion
(Chorea cordis) bisher einwandfrei nicht nachgewiesen worden. Sehr
’) Heubner berichtet im Lehrbuch von mehrfach herabgesetztem Prä-
patellarreflex.
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Original from
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5] Die Chorea minor, der Veitstaaz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 29
beschleunigter Puls, wie aussetzender, wird von gleichzeitiger Endo¬
karditis, auf die wir noch zu sprechen kommen, häufig bedingt, wohl
auch durch die grosse Muskelunruhe oder gestörte Atmung in schweren
Fällen, hat aber mit der Chorea als solcher nichts zu tun.
Die Atmung wird bei einigermassen ausgesprochener Chorea
stets ungleichmässig und unregelmässig; eine Reihe oberflächlicher,
ganz verschiedene Zeit dauernder Atemzüge wird von einem tiefen,
seufzenden Atemzug mit manchmal angehaltener Inspiration gelegent¬
lich unterbrochen.
Die Ernährung erweist sich selbst in leichten Fällen, stets in
schweren dadurch gestört, dass bei unkoordinierter Bewegung der
Kiefer- und Schluckmuskulatur die Nahrung schlecht gekaut und
ungeschickt geschluckt wird. Durchfälle sind deshalb zuweilen be¬
obachtet.
Auch durch den bei allen schweren Fällen herabgesetzten
Flüssigkeitskonsum leidet die Ernährung; Abmagerung und Anämie
pflegen deshalb bei diesen selten zu fehlen.
Eine eingehendere Besprechung verdient das Verhalten des
H erzens.
Mit Wollenberg konstatieren wir, dass sichere Zahlen für
die Häufigkeit seiner Erkrankung bei der Chorea nicht zu er¬
bringen sind.
Bedenken wir, dass bei der Autopsie oft genug Endocarditis
verrucosa gefunden wird, welche Erscheinungen intra vitam nie
machte, während umgekehrt laute systolische Mitralgeräusche nach
Ablauf der Chorea spurlos verschwinden, dass ferner die Exkreszenzen,
welche an der Mitralis oder am Schliessungsraud der Klappen gefunden
wurden, so ungemein klein sind, dass sie Störungen im Kreislauf gar
nicht bedingen können, so verlieren klinische Angaben ohne Er¬
härtung durch die Sektion sehr an Bedeutung. Dass aber in
V*—*/s aller Fälle eine Endokarditis bei Chorea voraus¬
geht, sie begleitet oder ihr folgt, kann auf Grund des
vorliegenden Sektiousmateriales und der exakten klini¬
schen Beobachtung nicht geleugnet werden.
Jedenfalls müssen wir die Endokarditis bei der Chorea minor
als eine Lokalisation der gleichen Krankheitsursache am Herzen
auffassen, welche, das Gross- und Kleinhirn schädigend, das Krank¬
heitsbild der Chorea minor auslöst.
Von seiten der Psyche kommen ausser der bereits abgehandelten
Labilität des Gleichgewichtes und der stets vorhandenen Erniedrigung
der normalen Reizschwelle Lähmungs- und Reizerscheinungen bei
hochgradigen Fällen vorübergehend zur Beobachtung mit melancholi-
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30
F. SIEGERT,
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sehen, wie manischen Zuständen, welche sogar einander folgen
können, ohne dass die Prognose quoad sanationem dadurch ungünstig
würde.
Etwa durch Chorea minor komplizierte Hysterie pflegt nur im
Beginn und gegen Ende der Chorea eindeutige Erscheinungen za
machen, während im floriden Stadium die Chorea ganz dominiert,
die aber in allen Stadien von der hysterischen Pseudochoroa zu unter¬
scheiden ist.
Der Verlauf der Chorea minor in den unkomplizierten Fällen
ist, wie ihr Beginn, stets ein subakuter, nur in den seltensten Fällen
und dann nie ohne schwere toxische Erscheinungen, kommt es zum
akuten letalen Verlauf.
Mit Gowers, im Gegensatz zu englischen und französischen
Autoren, wie zu Oppenheim, werden wir mit einer Dauer von
1—6, selten selbst bis 8 Monaten zu rechnen haben, während das
Gross der Fälle in etwa 1—3 Monaten zur Heilung gelangt. Dass
die klinisch beobachteten Fälle im Gegensatz zu den ambulatorischen
meist eine längere Dauer, einen schweren Grad, eine häufigere Ver¬
gesellschaftung mit Gelenkrheumatismus und intermittierender Endo¬
karditis, Pleuritis und Sepsis zeigen, liegt auf der Hand. Die leichten
Fälle gelangen eben meist nicht zur klinischen Behandlung, die
schweren naturgemässerweise häufig. Langsam, an Intensität zu¬
nehmend, klingt die Erkrankung ebenso langsam ab. Fieber beweist
ausnahmslos eine Beteiligung der Gelenke oder des Herzens am
Krankheitsprozess, den Eintritt einer Komplikation, oder das gleich¬
zeitige Bestehen einer anderweitigen Erkrankung.
Der Ausgang ist in der Regel die vollständige Heilung, nur
in etwa 2—3°/o aller Fälle ein tödlicher.
Vor allem für das Kindesalter ist die Prognose eine recht
günstige, bei unbeteiligtem Herzen auch für vollständige Heilung.
Nur die noch zu besprechende Chorea minor gravidarum ist
bösartiger sowohl für Mutter, wie Kind.
Aus den Beobachtungen von Barnes, Fehling, Gowers,
Wenzel ergibt sie für die Mütter eine Mortalität nach Krön er’s
Zusammenstellung von etwa 22°/o aus 151 Fällen, für die Kinder
eine solche von etwa 37 °/o aus 125 Fällen.
Die Heilung aber ist bei der Chorea minor insofern
keine vollständige, als die einmal überstandene Krank¬
heit zu Rezidiven prädisponiert.
Nach meiner Erfahrung sind sie, wenigstens bei frühzeitiger Er¬
krankung, die Regel, treten wiederholt auf, häufig 2—3mal, doch sind
4 Rezidive von Wollenberg, 5—8 von Sachs, 6—9von Gowers,
10 und mehr von Frerichs berichtet. Meist sind die Rezidive
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7] Die Chorea minor, der Veitatanz. (Sydenham’ache Chorea, Chorea infect.) 31
leichter als die erste Erkrankung, oft waren sie dies angeblich so
sehr und von so kurzer Dauer, dass es sich um hysterische Selbst¬
kopie sicher in vielen Fällen gehandelt hat. Dass die Entscheidung
über die Frage, ob Rezidiv oder hysterische Reproduktion überstan¬
dener Chorea sehr schwierig werden kann, selbst unmöglich, liegt auf
der Hand. Die auffallend rasche Entwickelung, vor allem auch die
plötzliche Heilung bei suggestiven Einwirkungen, objektiv die fehlende
Schlaffheit der ruhenden Muskeln und das Fehlen der für die Chorea
minor so typischen Koordinationsstörung sind wichtig für die rich¬
tige Bewertung. In Ausnahmefällen erreichen die Rezidive den
gleichen, selbst höheren Grad wie die erste Erkrankung.
DieKomplikationen der Chorea minor bestehen ihrer Natur
nach in erster Linie in der Endokarditis und im Gelenkrheu¬
matismus. Da wir für alle drei eine gemeinsame Noxe annehmen,
worauf noch zurückzukommen ist, erscheint das selbstverständlich.
Au zweiter Stelle stehen unter den Komplikationen die Peri¬
karditis und die Pleuritis, letztere auch unabhängig von einer
etwa übergreifenden Perikarditis.
Beide zeichnen sich aus durch ein oft ungemein rasch zu¬
nehmendes Exsudat und eine fast nie fehlende grosse Beschleunigung
des Pulses und der Respiration, wie Neigung zum Kollaps.
An dritter Stelle stehen die Embolien, die, besonders im Ge¬
hirn häufig beobachtet als kleinste kapilläre Embolien, abhängig von
der Endocarditis verrucosa, lange zu der Auffassung geführt haben,
als sei von ihnen die Chorea minor durch Schädigung des Zentral¬
nervensystems bedingt.
Schliesslich findet sich bei den schweren, tödlich verlaufenden
Fällen oft genug eine allgemeine Sepsis mit den charakteristischen
multiplen, bakteriellen Embolien und Ekchymosen der inneren Organe
und serösen Häute. Auch seröse Meningitis wurde vereinzelt be¬
richtet.
Ob die im Verlauf der Chorea oft festgestellte Angina nicht
als Rezidiv früherer Anginen aufzufassen ist, welche ihrerseits die
Eingangspforte der subakuten Allgemeininfektion und Intoxikation,
also der Chorea gewesen sind, lasse ich dahingestellt.
Die Diagnose bedarf nach dem Gesagten keiner weiteren Be¬
sprechung.
Differentialdiagnostisch kommt die Pseudochorea
hysterica in Betracht, ferner die Huntington'sehe chronische
progressive Chorea, dieMaladie des tics convulsifs, ferner
die Chorea posthemiplegica und die von diffusen, inter¬
stitiellen, angeborenen oder früh erworbenen Gehirner¬
krankungen bedingten choreatischen Bewegungen.
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F. SIEGERT,
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Die Pseudochorea hysterica wird charakterisiert durch
die bei der Untersuchung der Muskulatur nachgewiesenen Spasmen,
die hysterischen Stigmata, das Fehlen der gesetzmässigen Koordina¬
tionsstörungen, durch ihr epidemisches Auftreten, vor allem aber den
mächtigen Einfluss suggestiver Behandlung. Die Diagnose kann oft
genug erst bei längerer Beobachtung gesichert werden.
Die Huntington'sehe chronische progressive Chorea
ist ungemein selten im Kindesalter, vor dem 10. Lebensjahre kommt
sie niemals, vor dem 15. fast niemals vor, erbliche Belastung fehlt
fast nie, sie ist von progressiver Verblödung begleitet und geht nie¬
mals in Heilung über. Hervorzuheben ist ihr in Familien gehäuftes
Auftreten.
Die Maladie des tics convulsifs, wie die Chorea minor das
Kindesalter bevorzugend, lässt sich vor allem von dieser unterscheiden
durch das Fehlen der Koordinationsstörungen.
Meist auf die obere Körperhälfte beschränkt, zeigen die Muskel¬
zuckungen sich in ganzen Muskelgruppen, am wenigsten, oder nie,
wie beim Beginn der Chorea minor, auf die Finger oder Zehen be¬
schränkt, von evident intermittierendem Charakter, ohne Verschlim¬
merung, im Gegenteil mit Nachlassen bei Beobachtung oder
dem Versuch der Ruhestellung, ferner nicht mit dem allmählichen
Kommen und Gehen, sondern lange Monade bei gleicher Intensität
andauernd. Speziell die Synergeten unter den Muskeln des Armes,
des Kopfes oder Schultergürtels sind betroffen. Epilepsie folgt nicht
selten.
Die Chorea posthemiplegica ergibt eine typische Ana¬
mnese, zeigt gesteigerte Reflexe, niemals herabgesetzten, sondern er¬
höhten Muskeltonus und wird durch den Nachweis der zerebralen
Hemiplegie als solche aufgeklärt.
Auf die gleichen Symptome stützt sich die Diagnose der von
multiplen encephalitischen Herden ausgelösten choreaähnlichenUn-
ruhe vieler Muskelgruppen, welche unabhängig vom Willen, wie
von der Beobachtung bei der Untersuchung sich erweist.
Pathologisch-anatomische Befunde für die unkom¬
plizierte Chorea minor fehlen bisher gänzlich.
Die kleinen im Gehirn bei systematischer Untersuchung — be¬
sonders in der Umgebung alter Blutungen — ganz gewöhnlich auf¬
findbaren mit Jod grünblau sich färbenden, auch als Corpora amylo-
idea beschriebenen konzentrisch geschichteten Konkremente,
welche von E1 ischer zuerst bei Chorea beschrieben, von Jakowenko
als pathognomonische angesehen wurden, haben selbstverständlich
nichts mit der Chorea zu tun.
Ebensowenig die Embolien, vor allem auch die bakteriellen
Kapillarembolien, welche bei der mit Endokarditis einhergehenden
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9] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 33
Chorea ohne weiteres verständlich werden. Heute existiert keinerlei
pathologisch-anatomische Unterlage für die Erklärung der Chorea
trotz zahlreichster exakter Untersuchungen kompetenter Beobachter.
Trotzdem aber vermögen wir uns über den Sitz der Erkrankung
eine berechtigte Vorstellung zu machen auf Grund der klinischen
Beobachtung verwandter Zustände. Förster beschäftigt sich in
seiner Analyse des Wesens der choreatischen Bewegungs¬
störungen eingehend mit dem wahrscheinlichen Sitz der Erkrankung.
Vor allem sind es das Kleinhirn und die Bindearme, welche
erkrankt sein müssen und die Leitung zum Grosshirn unvollkommen
vermitteln.
Da das Kleinhirn in erster Linie der Koordination der Muskel¬
bewegung dient, ist das ohne weiteres wahrscheinlich. Ausserdem
ist die Koordinationsstörung auch bei leichter Chorea minor so vor¬
herrschend, dass eine Bindearmerkrankung allein, diese nicht
erklären würde. Die Auffassung von so vielen Autoren seit Gower’s,
im Verein mit Bonhoeffer’s Beobachtung eines Tumors der Binde¬
arme findet in Foerster’s Deduktionen eine Stütze ufid muss nur
durch die Heranziehung auch des Grosshirns für die Erklärung
der psychischen Störungen ergänzt werden. Das ganze Zentral¬
nervensystem ist demnach beteiligt, ohne dass bis heute
irgend ein histologischer Befund feststebt.
DieÄtiologie der Chorea minor als einer Infektionskrankheit
ist noch in Dunkel gehüllt, wie ihr pathologisch-anatomisches Substrat.
Doch vereinigt sich alles, um uns zur Ansicht zu führen, in
ihr eine toxische Schädigung des Grosshirns und Klein¬
hirns wie derBindearme zu sehen durch die Mikroben, welche
auch die Polyarthritis und Endokarditis bedingen. Zu beiden steht
die Chorea minor in der engsten Beziehung. Durch Bright 1839,
durch Hughes im Jahre 1846 zum erstenmal systematisch erörtert
und behauptet, hat der Streit für und wieder sie noch heute keine
Einheit der Ansichten aufkommen lassen. Aber schon 50 Jahre
vorher wurde von Stoll, dann Bouteille, Copland auf diese
Beziehung der Chorea zum Rheumatismus hingewiesen.
Vor allem sind hier zuverlässige Werte insofern schwer zu er¬
halten, als nur solches Material zur Untersuchung gelangen sollte,
bei dem eine erste Chorea minor wenigstens mehrere Jahre zurück¬
liegt, andererseits die Anamnese positive Behauptungen zulässt.
Mit poliklinischem Material ist recht wenig anzufangen, soweit
es von Gelenkrheumatismus und Herzaffektionen nichts ermitteln lässt
Denn jeder Kliniker, wenigstens wenn ihm Kindermaterial in
grosser Menge zu Gebote steht, wird zugeben, dass die exakte Be¬
obachtung von Chorearekonvaleszenten oft kurz dauerndes Fieber
ergibt, für welches die sorgfältige Untersuchung der von selbst das
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F. SIEGERT,
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Bett aufsuchenden Kinder als einzige Ursache Schmerzen in den
Fussgeleukeu oder Handgelenken aufzufinden erlaubt, die spontan
fast fehlend, bei sogar vorsichtiger passiver Bewegung der Gelenke
auftreten.
Schon noch 36 Stunden können Fieber und Gelenkschmerzen
schwinden, um nach kürzerer oder längerer Frist wiederzukehren.
In keinem solchen Falle wissen die Eltern etwas anderes zu sagen,
als dass Gelenkrheumatismus bestimmt nie vorlag. Selbst wo der Be¬
such derselben in der Klinik mit einem solchen Anfall zusammenfiel
und das Kind deshalb nach mehrwöchentlichem Aufseiu wieder zu
Bett lag, hatten die Eltern, wie ich feststellte, gar kein Verständnis
dafür, dass solche Gelenkschmerzen und Fieber irgend etwas zu
bedeuten hätten, geschweige denn als Gelenkrheumatismus gelten
könnten.
Da ferner oft genug bei der Sektion konstatierte Endo-
carditis verrucosa im Leben keinerlei Symptome gemacht hatte,
ist auch hier sicher wie für die Polyarthritis, der klinisch für beide
Komplikationen der Chorea festgestellte Prozentsatz unter allen Um¬
ständen ein den tatsächlichen Verhältnissen gegenüber zu niedriger.
Auffallend ist auch, dass die klinischen Zahlen aus¬
nahmslos viel höher liegen als die poliklinischen.
Mindestens in einem Drittel aller Fälle von Chorea minor findet
sich die Polyarthritis in der Anamnese der Chorea und in einer eben¬
falls grossen Zahl tritt sie ira Verlauf oder später hinzu (Hughes
und Burton, Brown, S^e, Chapin, Peiper, Litten, Wollen¬
berg, Heubner, H. Meyer), während für die Endocarditis minde¬
stens 50°/o anzusetzen sind (Osler, H. Meyer).
Die zahllosen Theorien über die kausale Dignität der einzelnen
Erscheinungen der Diathöse rhumatismale, wie See 1850 die Trias
benannt hatte, übergehe ich hier, ebenso die lange vertretene und
selbst einem Frerichs annehmbare Theorie, es sei die Gehirnläsion
durch kapilläre Embolien im Gefolge der Endokarditis das anatomische
Substrat der Chorea minor. Letztere Theorie war schon vor 25 Jahren
für einen so erfahrenen Kenner wie Henoch erledigt auf Grund
der Tatsache, dass trotz manifester Endokarditis bei tödlicher Chorea
oft genug von Embolien nichts vorhanden war.
Seit Leube erblicken wir das Wesen derselben in
einer Infektion mit toxischer Schädigung des Zentral¬
nervensystems und können mit Möbius in ihr nur eine
Infektionskrankheit erblicken.
Dass bakterielle Invasionen anderer Art und subakuten
Verlaufes, wie sie bei der Angina lacuuaris, dem Scharlach, den
Masern, der Gonorrhöe auftreten, in der Anamnese der Chorea häufig
Vorkommen, iot bei dieser Auffassung ebenso verständlich, wie das
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11] Die Chorea minor, der Veitstanz. (Sydenham'eche Chorea, Chorea infect.) 35
innige Verhältnis der Chorea zu Polyarthritis und Endo¬
karditis. Damit aber fällt die Forderung nach einem einheitlichen
Krankheitserreger, da alle septischen Infektionen zu toxischer Schädi¬
gung des Zentralnervensystems führen können. Koch’s Forderung
eines einheitlichen Virus, Pianese’s unbestätigte Behauptung, den
spezifischen Erreger entdeckt zu haben, verlieren jede Bedeutung,
sobald wir in der Chorea eine akut verlaufende Intoxikation bei all¬
gemeiner Invasion mässig virulenter Bakterien sehen, ohne dass
bestimmte Staphylokokken, Streptokokken oder Diplokokken (Poly-
artbritis, Scarlatina, Gonorrhöe) allein ätiologische Bedeutung erlangen.
Unter diesem Gesichtspunkt wird auch die ätiologische
Bedeutung der Disposition nervöser Individuen der
Jugend, wie des weiblichen Geschlechtes verständlich. Dass
das Gehirn Jugendlicher verhältnismässig leicht bei Infektionen, resp.
bei Intoxikation in Mitleidenschaft gezogen wird, dass Krämpfe
klonischer, wie tonischer Natur bei ihnen leicht auftreten, ist eine
tägliche Erscheinung. Ganz gewöhnlich sehen wir im Kindesalter
einsetzende Gehirnläsionen sich mit choreatischen Bewegungen kom¬
plizieren. Dass die weibliche Jugend eine viel labilere Reiz¬
schwelle besitzt, als die männliche, schon in frühester Zeit, lehrt vor
allem die Hysterie, ferner die Nervosität, die Empfindlichkeit der
Schülerinnen, die viel grössere Häufigkeit der verschiedenen Tics bei
den Mädchen.
Dass allerdings eine grosse Zahl von Fällen angeblicher Chorea
minor im Anschluss au ein psychisches Trauma alsPseudo-
chorea hysterica zu gelten haben, beweist das akute Einsetzen
mit weitverbreiteten Muskelzuckungen und mehr noch die häufige
sofortige Beeinflussung durch suggestive Massnahmen.
Direkte Heredität der Chorea scheint fast niemals vorzukommen,
eher noch finden sich Gelenkrheumatismus, Endokarditis oder septische
Erkrankungen in der Familienanamnese.
Dagegen erweist sich die Jugend als ungemein disponiert.
So fallen nach Wollenberg’s Zusammenstellung aus der
Literatur von 913 Fällen 33 oder 3,6 % auf das 1.—5. Lebensjahr,
613 oder 75°/o auf das 6.—15., 124 oder 13,5% auf das 16.—20. Jahr.
Das 6.—10. Jahr ist wiederum stärker beteiligt, als das 11.—15. Jahr
und beim männlichen Geschlecht ist die Disposition mit der Puber¬
tät fast erloschen, während sie beim weiblichen noch über diese
hinaus bis zum 20. selbst 22. Jahre andauert.
Das Geschlecht erscheint überhaupt von massgebendem
Einfluss.
Nach Wollenberg’s Tabelle IV. fielen von 3595 Erkrankungen
2481 oder 69% auf das weibliche, nur 1114 oder 30,9% auf das
männliche Geschlecht.
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Und dass auch die schweren Erkrankungen an Chorea minor
bei weitem auf das weibliche Geschlecht fallen, lehrt die Tatsache,
dass in der Klinik etwa sechsmal mehr Mädchen zur Beobachtung
kommen als Knaben, in der Ambulanz nur etwa l x / 2 mal so viel.
Auch das Klima kann insofern von Einfluss werden, als Winter
und Frühjahr reicher sind an Angina und Gelenkrheumatismus und
damit auch an Chorea minor.
Wollenberg’s Material ergab für’s erste Quartal 47,7°/o, fürs
zweite 26,6°/o, fürs dritte 8,2 °/o, für das vierte wieder 22°/o. Auch
bei den übrigen Autoren hat das 3. Quartal die geringste Frequenz.
Dass Anämien, Chlorosen, erschöpfende fieberhafte Erkrankungen,
dauernde Depressionszustände bei eintretender Allgemeinintoxikation,
resp. Infektion der Chorea das Feld ebnen, bedarf keiner Erörterung.
DieTherapie derChorea minor muss in erster Linie
auf eineStärkung des allgemeinen Körperzustandes aus¬
gehen, in zweiter Linie die bestehenden Reizzustände
zu mildern versuchen.
Der Auffassung der Krankheit als einer durch subakute Allge¬
meininfektion bedingten Intoxikation entsprechend, muss das thera¬
peutische Ziel eine Serotherapie sein, welche das hypothetische Gift
möglichst früh zu neutralisieren erlaubt.
Da aber der Beginn der Koordinationsstörung bereits eine Läsion
des Zentralnervensystems beweist, erscheint eine erfolgreiche Sero¬
therapie nur in sehr bedingtem Grade möglich zu werden.
Zur Kräftigung des Körpers, wie zur allgemeinen Beruhigung ist
unter allen Umständen absolute Bettruhe von Anfang an, auch
im leichtesten Falle, indiziert, auch zur Schonung der Gelenke und
des Herzens. Damit wird die unerlässliche Trennung der Kranken
von der Umgebung erreicht, was vor allem für Schulkinder von
grösster Wichtigkeit ist. Denn Schulepidemieu von Pseudochorea
hysterica sind von einer Chorea minor schon wiederholt ausgelöst
worden. (Wagner, Hufeland, Wicke, Bricheteau, Steiner.)
Auch pflegen die Kranken selbst, bei dem mangelnden Verständnis
der Mitschüler für ihren Zustand besonders im frühen Stadium sehr
belästigt und gereizt zu werden.
Der Erfolg der Bettruhe ist sehr oft ein weitgehender in leichten
Fällen und auch in schweren fast stets ein auffallender.
Bestehen stärkere Reizzustände, se sind leichte, für das Hers
unschädliche Narkotika, eventuell warme Bäder, auch Kohlen¬
säurebäder am Platz. Veronal, Neuronal, Morphium, Trional, Amylen-
liydrat in kleinen, wiederholten Dosen kommen in Betracht. Unterstützt
werden sie durch protrahierte Kohlensäurebäder, oder warme Bäder,
bei denen eine sorgfältige Lagerung der Kranken, event. auf einem
Leintuch und dauernde Überwachung am Platze ist. Die Kohlen-
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13] Die Chore» minor, der Veitstanz. (Sydenham’sche Chorea, Chorea infect.) 37
Säurebäder erlauben etwas niedrige Temperaturen von 32—34 0 C.;
den Kopf wird man vorteilhaft mit kühlen Kompressen wiederholt
bedecken. Auch warme Ganzpackungen in der Dauer von 2—3 Stun¬
den, aber nur 1—2 mal in 24 Stunden sind recht wirksam.
Bevorzugt aber wird beim Fehlen jedes spezifischen Mittels der
Arsenik in seinen verschiedenen Präparaten.
Dass er in vielen Fällen günstig wirkt, scheint nach allgemeiner
Ansicht der Fall zu sein, manchmal ist seine Wirkung gerade bei
schweren Fällen eine auffallende.
Gewöhnlich wird er in Form des Liquor Kalii arsenic. s. Fowleri
verordnet, mit Aqua amygdal. amar. ää, dreimal täglich mit vier
Tropfen beginnend und in 3—5 tägigen Intervallen, um je 2 Tropfen
3mal täglich steigend, bis zu 3mal 10 Tropfen, wobei dann etwa
0,01 Arsen gegeben wird. Bei dieser Medikation dürfte jede Gefahr
der Schädigung des Kranken ausgeschlossen erscheinen. Ist man
bei der gewünschten grossen Dosis angekommen, so wird (jjese 2 bis
3 Wochen gegeben und dann rasch wieder durch Verminderung der
Tropfenzahl die Medikation gemildert und ausgesetzt.
Die erwähnten Narkotika ergänzen diese Behandlung.
Auch die Brompräparate haben viele Anhänger gefunden und
erscheinen hier um so unbedenklicher, als eine Bromakne bei gleich¬
zeitiger Verordnung des Arsens fast nie zur Beobachtung kommt
Mischungen der verschiedenen Bromsalze etwa wie in Erlen-
meyer’s Bromwasser, oder die brausenden Bromsalze werden von
jugendlichen Kranken leicht genommen.
Wenig Erfolg sah ich von den verschiedenen Salizylpräpa-
raten.
Weder vermögen sie beim Gelenkrheumatismus die Endokar¬
ditis oder Chorea fernzuhalten, noch haben sie eine einigermassen
deutliche Wirkung auf die Spontaubewegnngen und die Koordinations-
Störung bei der Chorea. Wohl aber verdienen sie allgemeine
Anwendung bei den häufigen Anfällen von Gelenkrheu¬
matismus im Verlauf der Chorea; mit Rücksicht auf eine kom-
plizizierende Endokarditis oder gar Perikarditis müssen aber die Dosen
niedrig bemessen werden. Das Aspirin resp. die Azetylsalizylsäure
macht auch bei Kindern keine oder nur geringe Magenbeschwerden.
Über die Brauchbarkeit des Antipyrins bei der Chorea lauten
die Urteile sehr verschieden. In einem Falle scheint es vorteilhaft
zu wirken, im anderen versagt es gänzlich. Jedenfalls dürfen nicht
zu grosse Dosen angewendet werden, etwa 2—3 Dosen von 0,3—0,5 g
beim Kinde, 0,5—1,0 g beim Erwachsenen.
Ohne jeden Einfluss erweist sich die elektrische Behand¬
lung, wie überhaupt mit suggestiven Faktoren bei der Chorea minor
nichts zu erreichen ist. Die Faradisation hat oft genug nur eine Steige-
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F. SIEGERT, Die Chorea, der Veitstanz etc.
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rung der krankhaften Erregung des Kranken zur Folge, die Galvanisation
ist bei der unbedeutenden Hypotonie der sonst durchaus normalen
Muskulatur zwecklos.
Dass der Ernährung der Kranken die grösste Sorgfalt zu
schenken ist, bei reizloser, leicht verdaulicher Kost, dass Alkoholika,
Kaffee, Tee, Kakao nicht am Platze sind, versteht sich von selbst. Be¬
stimmte diätetische Vorschriften erübrigen sich, nur ist auf reichliche
Verwendung von rohem Obst, Gemüse und grobem Brot, wie auf
Einschränkung der Milch und der Eiweissmengen zu achten. Eisen¬
präparate ergänzen zweckmässig die Nahrung.
Bei sehr grosser Unruhe bedarf es der Polsterung der Seiten¬
wände des Bettes und Überwachung der Kranken, wieder
dauernden Anwendung der Narkotika.
Die Chorea minor gravidarum erfordert in schweren,
keiner Medikation zugänglichen Fällen die künstliche Frühgeburt,
welche nyt Rücksicht auf die grosse Gefährdung von Mutter und
Kind durchaus gerechtfertigt erscheint und meist von raschestem
Erfolg begleitet ist.
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Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin.
Bd. VIII. H. 2.
Alleinige Inseratenannahme durch Karl Löhner, Annoncenexpedition, Berlin S.W. 11, Grossbeerenstr. 92.
Über Versuche mit Eisennahrzucker (Prof. Dr. Soxhlet’s Nährzucker ohne
Salz mit 0,7 °/o Ferr. glycerin. phosphor.) und Eisennährzuckerkakao (Prof.
Dr. Soxhlet’s Nährzuckerkakao mit 10°/« Ferr. oxyd. sacch. solub.) und über die
mit ihnen erzielten günstigen Resultate in der Ernährung namentlich atrophischer
und anämischer Kinder, — Vermehrung des Haemoglobingehaltes und Steigerung
des allgemeinen Wohlbefindens — berichten Dr. Karl Grünfeld aus dem Kaiser
Franz Josefs-Ambulatorium in Wien (Vorstand Dozent Dr. Zappert) in der Öst.
Ärzte-Zeitung Nr. 9, 1907 und Dr. A. Klautsch aus der unter seiner Leitung stehen¬
den Kinder-Pflege und Heilanstalt „St. Elisabeth-Kinderheim“ zu Halle in der
Deutschen Medizinischen Presse Nr. 4, 1907.
Neue Erscheinungen aus A. Stuber’s Verlag. (Curt Kabitzsch), Würzburg.
Die tierisehen Parasiten des Mensehen.
Ein Handbuch für Studierende und Ärzte
von
Dr. Max Braun,
o. ö. Professor für Zoologie und vergl. Anatomie und Direktor des Zoolog. Museums ln Königsberg.
Vierte verbesserte, durch einen Anhang erweiterte Auflage
enthaltend:
Die Pathologie und Therapie der tierisch^p arasltären Krankheiten
von
Dr. Otto Seifert,
a. o. Professor der Universität Würzburg.
ca. 40 Bogen mit 325 Abbildungen.
Preis brosch. Mk. 75.—, in Halbfranz gebunden Mk. 17.—.
Das von Kritik und Fachkreisen als besonders klar und übersichtlich gerühmte Buch erscheint
nach vier Jahren in erweiterter, speziell für den Gebrauch des Praktikers berechneter
Gestalt. Nicht nur die bedeutenden Fortschritte in der Parasitenkunde sichern der neuen Auflage hervor¬
ragendes Interesse, sondern auch der aus bewährter Feder stammende pathologisch-therapeutische Teil
dürfte dem Buche neue Freunde zuführen. Die Ausstattung ist eine gediegene.
- Populär-Psychiatrie -
des Sokrates redivivus.
Von Dp. H. Schäfer,
Oberarzt der Irrenanstalt Friedrichsberg In Hamburg.
Preis Mk. 2.50.
Das ,,Korrespondenzblatt der Ärztl. Vereine Sachsens “ schreibt über das Buch : ,EIn prächtiges Büchlein, dem mau
nicht nur in den Kreisen der Uten, sondern auch in denen der Arzte Verbreitung wünschen möchte. Unter Anführung
zahlreicher, meist recht gut bewählter Beispiele werden in leicht verständlicher Weise die Hauptformen der geistigen Störungen,
namentlich die in forensischer Beziehung so wichtigen Schwachsinnsformen („der kleine Unverstand 4 *) besprochen und
schliesslich den Psychiatern die Wege gewiesen, weiche sie einschlagen müssen, um ihrer Wissenschaft mehr Geltung
zu verschaffen . 41
Stoffwechselpsychosen.
Die Störungen des Sauerstoffgaswechsels im menschlichen Organismus.
Von
Dr. med. Walther Ewald,
Sekundärarzt am städtischen Siechenhaus in Frankfurt a. M.
Preis Mk. 1.50.
Behandelt zum erstenmal die Bedeutung der Stoffwechselstörungen für das Zustandekommen
von Geisteskrankheiten.
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A. Stuber’s Verlag (Curt Kabitzsch), Würzburg.
Dr. Jessner’s
Dermatologisehe Vorträge für Praktiker.
Jährlich erscheinen mehrere Hefte zi nüLssigea Preise. Jedes Heft ist einzeln käuflich
doch dürfte es sich für Interessenten empfehlen, snf die ganze Reihe zu abonnieren.
Auch in 2 Bänden mit Sachregister erhältlich:
I. Band (Vortrag 1—10) Preis brosch. M. 9.—, gebd. 11. 10.50.
II. Band (Vortrag 11—18) Preis brosch. M. 9.50, gebd. M. 11 —.
Einbanddecken pro Band M. 1.— , Registerbogen mit Bandtitel apart zum Komplettieren
der Heft-Ausgabe a 80 Pfg. pro Band. Daß Register stimmt selbstverständlich nur für die neuester:
Auflagen, die event. zur Ergänzung angeschafft werden müssen.
Heft 1: Des Haarschwunds Ursachen und
Behandlung. 5. verbesserte Auflage. M. — .80.
Sehmldt’i' Jftkrb.: In ausgezeichneter, klarer und an¬
ziehend geschriebener Darstellung eine für den Praktiker
vollkommen ausreichende Pathologie des Haarschwunda,
den Verf. in seinen verschiedenen Arten ausführlich und
atets vom praktischen Standpunkt aus bespricht.
Heft 2 : Die Acne (A. vulg., A. roaacea etc.)
und ihre Behandlung. 3. Auflage. M.
Hed. Blatter: Das überaus günstige Urteil tmd Lei»
welches die Fachpresse der vorangegangenen Aufazr
dieses Schriftchens zuteil werden liess,kann der vorliegend*
Vortrag mit vollem Recht für sich in Anspruch nehmet:
um so mehr, als er zahlreiche Verbesserungen enthält.
Heft 3/4 (Doppelheft): Juckende Hautleiden. Pathologie und Therapie des Hautjuckens. Pruritu,
simplex. Urticaria. Prurigo Hebrae. Scabies. Pediculosis etc. 3. Auflage. M. 2. —.
Berliner klln. Wochen sehr.: „Verf. versteht es, schwierige Fragen, soweit das Verständnis es erfordert, leich:
zu streifen, ohne diese dem Bedürfnis des Praktikers fernerliegenden Punkte zum Gegenstände allzu speziaUstischer Aus¬
führungen zu machen. Die Besprechung des Pruritus cutaneus Simplex ist mustergültig. . . .*
Heft 5: Die innere Behandlung von Haut¬
leiden. 2. Auflage. M. —.75.
Deutsche med. Wochenschr.: „Tn übersichtlicherWeise
stellt Verf. die indirekte und direkte Therapie der Haut¬
krankheiten in dieser kleinen Broschüre zusammen. Die
fesselnd geschriebene Arbeit, welche nichts wesentliches
übersieht, wird gewiss dem Praktiker von manchem
Nutzen sein, da er hier eiuo gute Zusammenstellung der
gebräuchlichen inneren Mittel bei den verschiedenen Der¬
matosen vorfindet.“
Heft 6 : Die kosmetische und therapeut. Be
deutung der Seife. 2. Auflage. 11. —
Archiv für Dermatologie u. Syph.: „ . . . Die über¬
sichtliche und präzise Zusammenstellung der therapec
tischen Verwendung eines für den Dermatologen so wich¬
tigen Medikamentes ist für den Arzt von sehr grossem
Werte; er wird mühelos und schnell in der Lage seirv
sich in zweifelhaften Fällen Rat zu holen “
Heft 7 : Die ambulante Behandlung der Unter¬
schenkelgeschwüre. 3. Auflage. M. —.90.
Ärztl. Zentr.-Anz. (Fragekastcn): Ich kann Ihnen
nur dringend das hübsche Schriftchen empfehlen. Die
darin empfohlene Met hod e habeich als unübertreff¬
lich erprobt.
Heft 8: Dermatologische Heilmittel. Pharma
copoea dermatologica. 2. Auflage, hf. 1.50.
Therapeut. Monatnh.: Mancher dürfte vielleicht au
nehmen, hier nur eine trockene Zusammenstellung d«*r
dermatolog. Heilmittel zu finden, doch wird er nach be¬
endeter Lektüre zugeben, selten ein pharmakolog. Thema
in so interessanter, praktischer und leichtverstAndlich«:
Weise behandelt gesehen zu haben.
Heft 9 : Die Hautkrankheiten kleiner Kinder.
2. Auflage. M. — .90,
Allir. med. Zentralst*.: Den Bedürfnissen der Praxis
entsprechend, stellt Verf. überall die Therapie in den
Vordergrund und erörtert sie sehr ausführlich; darum
raten wir jedem Kollegen, der viel Kindcrpraxis hat, sich
das kleine billige Büchlein anzuschafftn.
Heft 10: Bartflechten und Flechten im Barte.
2. Auflage. M. -.70.
Prnaer med. Wochenschr.: Indem der diagnostisch’
Abschnitt alles in praktisch dermatologischer Hinsicht
Bedeutsame streift, ist der therapeutische Abschnitt ein
bis in die kleinsten Details ausgeführtes Bild modern* !
Therapio der Sy kosen. Auch die allgemeine und indivi
duelle Prophylaxe der Sykosis parasitaria und der durch
den Barbier übertragbaren llauterkrankungen hat eit-
ausgedehntere Besprechung gefunden.
Heft 11: Die Syphilide (Syphilis der Haut und
Schleimhaut). J. Teil: Diagnose. M. 1.20.
Heft 12: Die Syphilide (Syphilis der Haut uni
Schleimhaut). II. Teil: Therapie. M. 1.20.
Allir. Wiener med. Zelte.: Strenge Objektivität und ein gerechtes Urteil gegenüber den verschiedenen Methoden
der Behandlung, überall reiche eigene Erfahrung und bei jedem Satz der Beweis, dass Jessner mit der Zeit geht. N
klein der Umfang der Heftchen ist, sie enthalten mehr, als manches neuere, dickleibige Lehrbuch. Dabei eine stilistisch*
Beherrschung, die in der medizinischen Literatur eine Rarität ist. Wie knapp und scharf sind Jessners Worte über
die Antimerkurialisten! Jedes Wort ist ein„Hieb, der sitzt! So können wir denn auch diesen beiden Heftchen eince
glänzenden Erfolg Vorhersagen. Praktische Ärzte und Spezialisten werden sich manchen wertvollen Wink holen. Sp.
Heft 13: Die Schuppenflechte (Psoriasis vul¬
garis) und ihre Behandlung. M. —.60.
Heft 14: Diagnose und Therapie des Ekzems
I. Teil: Diagnose. M. —.80.
Heft 15: Salben und Pasten mit besonderer
Berücksichtigung des Mitin. M. —.60.
Heft 16: Diagnose und Therapie des Ekzems.
II. Teil: Therapie.. M. 1.50.
Heft 17: Kosmetische Hautleiden (Hautver¬
färbungen, Warzen, Hyperidrosis etc.). 2.Aufl.
Brosch. M. 2. —, Separat-Ausgabe gebd. M. 2,50.
Heft 18: Kokkogene Hautleiden (Furunkel
Erysipel etc.). M. 1.80.
Die Reihe wird fortgesetzt.
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Naehruf.
Die Würzburger Abhandlungen haben durch den
Tod zweier hochgeschätzter Mitherausgeber schmerzlichen Ver¬
lust erlitten. Trauernd stehen wir am Grabe dieser Männer,
die, in der Vollkraft ihres Schaffens vorzeitig vom Tode ereilt,
berufen schienen, noch lange Jahre segenbringend in der ärzt j
lieben Praxis und erfolgreich auf dem Gebiete der Wissen¬
schaft tätig zu sein.
Am 26. Oktober 1907 starb zu Würzburg der Gynäkologe
Prof. Dr. Wilhelm Nieberding. Geboren am 18. Februar 1850
zu Varel in Oldenburg als Sohn des Medizinalrates Dr. Fr.
Arnold Nieberding, erhielt er seine medizinische Aus¬
bildung an den Universitäten Bonn und Göttingen und wurde
schon als Student zu einer allgemeiner bekannten Persönlich¬
keit durch eine Säbelmensur mit dem nachmaligen Fürsten
Herbert Bismarck, die letzterem eine schwere Abfuhr eintrug.
Den deutsch - französischen Krieg machte Nieberding als
Einjähriger mit, 1874 ward er Assistenzarzt bei Hüter in
Greifswald, 1875 bei Scanzoni, 1879 habilitierte er sich in
Würzburg mit einer Schrift „Über Ektropium und Risse“, der
eine grössere Reihe von Veröffentlichungen aus dem Gebiet
der Geburtshilfe und Gynäkologie folgte. Für die „Würz¬
burger Abhandlungen“ lieferte Nieberding eine Arbeit „Über
die Versiofloxionen des Uterus“. Grosse Verdienste erwarb
sich Nieberding um das Hebammenwesen als Leiter der
hiesigen Hebammenschule und wurde in Anerkennung der¬
selben 1885 mit dem Titel eines Kgl. Professors ausgezeichnet.
Als Arzt erfreute sich Nieberding in weiten Kreisen eines
hervorragenden Rufes und war allgemein hochgeachtet wegen
seines geraden mänulichen Charakters.
Mit Albert Hoffa verlor die medizinische Welt einen
bahnbrechenden orthopädischen Chirurgen. Als Sohn eines
Arztes zu Richmond in Südafrika am 31. März 1859 geboren,
war Hoffa nach einem Studium in Marburg und Freiburg
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mit Hermann Maas 1883 nach Würzburg übergesiedelt und
batte sich hier 1886 als Privatdozent habilitiert. Als Maas
kurz darauf in noch jungen Jahren starb, war Hoffa ganz
auf sich angewiesen und gründete eine orthopädische Privat¬
klinik, die anfänglich sich nur unter Schwierigkeiten behaupten
konnte, später aber desto glänzender emporblühte und Patienten
aus aller Herren Länder anzog. Der Ruf Hof fas wuchs be¬
sonders mit dem Erscheinen seiner Lehrbücher der Frakturen
und Luxationen, der Technik der Massage und der ortho¬
pädischen Chirurgie, Werke, die zu den besten der Fach¬
literatur gezählt werden müssen. Unermüdliche Arbeitskraft,
verbunden mit grosser Leichtigkeit des Schaffens, eine heitere
Gemütsstimmung und warmes Mitgefühl mit seinen Kranken
zeichneten Hoffa als Arzt und Forscher aus und erklären
seine grossen Erfolge. Er besass in ungewöhnlichem Masse
ein offenes Auge für alle wichtigen Neuerungen, die er seinem
Spezialfache nutzbar zu machen verstaud und erkannte als
Erster die grossen Vorteile der bis dahin von der wissenschaft¬
lichen Chirurgie fast übersehenen Hessingschen Hülsen¬
schienen. 1897 erhielt Hoffa, der damals schon Weltruf
besass, Titel und Rang eines Extraordinarius, 1902 erfolgte
seine Berufung an die orthopädische Universitätsklinik in *
Berlin. Sein erfolgreiches Wirken an dieser Stelle und seine
Verdienste um die Errichtung einer Heimstätte für knochen¬
kranke Kinder und um ein Krüppelheim sind noch in aller
Gedächtnis. Für die „W. A.“ lieferte Hoffa die Beiträge
„Blutige Operation der Hüftgelenksluxation“ Bd. I. und „Ge¬
lenktuberkulose im kindlichen Lebensalter“ Bd. HI. Er starb
am 31. Dezember 1907 an Coronararteriensklerose zu Köln
auf der Rückreise von Antwerpen, wohin ihn ein Konsilium
gerufen hatte.
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
Von
Oberstabsarzt Prof. Dr. A. Dieudonnä.
Die Erkrankungen durch den Genuss von Nahrungsmitteln
sind sehr häufig und kommen sicher noch weit öfter vor als be¬
kannt wird, da nur bei gehäuftem Auftreten und auch dann nicht
immer etwas davon in die Öffentlichkeit gelangt. Viele unbestimmte
Infektionen und Erkrankungen des Darmkanals oder vorübergehende
Verdauungsstörungen, die als Diätfehler bezeichnet werden, sind
zweifellos sehr oft auf verdorbene Nahrungsmittel zurückzuführen.
Während man früher die meisten Nahrungsmittelvergiftungen,
besonders die Fleischvergiftungen als echte Vergiftungen durch
Fäulnissubstanzen, Ptomaine u. a. betrachtete, haben die neueren
Untersuchungen ergeben, dass sie meistens durch bestimmte spezi¬
fische Bakterien hervorgerufen werden und zwar durch die Ein¬
führung der krankmachenden Bakterien selbst (Infektion) oder der
von den Bakterien gebildeten spezifischen Gifte (Intoxikation). In
dieser Arbeit sind nur die durch Bakterien hervorgerufenen Nahrungs¬
mittelvergiftungen besprochen, andere, wie Pilzvergiftungen u. dgl.
nicht; auch die durch Fleisch übertragbaren parasitären (Taenien,
Trichinen) und bakteriellen Infektionen (Tuberkulose, Milzbrand,
Rotz u. a.) sind nicht berücksichtigt.
Die Feststellung der wirklichen Ursache einer Nahrungsmittel¬
vergiftung ist oft sehr schwierig, am ehesten noch bei Massenbe¬
trieben, in Kasernen, Gefängnissen, Pensionaten, wo die Lebensbe¬
dingungen gleichmässig und gut kontrollierbar sind; bei vereinzelt
auftretenden Fällen in Familien ist die Ätiologie nur bei sehr gründ¬
lichen Nachforschungen festzustellen. Hierzu ist aber die geuaue
Kenntnis der Entstehungsursachen erforderlich, da sonst diese Nach¬
forschungen sich nach ganz falschen Richtungen errtrecken, ferner
Wörzbnrger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 3 4. 4
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40
A. DIEUDONNti,
[2
kann die zur weiteren Klärung des Falles meistens notwendige
bakteriologische Untersuchung nur Erfolg haben, wenn das verdäch¬
tige Material (Überrest der verdächtigen Speise, Stuhl oder Erbroche¬
nes des Kranken u. a.) von dem behandelnden Arzt sofort, ehe weitere
Zersetzungen eintreten, und in richtiger Verpackung an die Unter¬
suchungsstation eingesandt wird.
Die wichtigsten durch Bakterien hervorgerufenen Nahrungs¬
mittelvergiftungen, welche oft zu Gruppen- und Massenerkrankungen
führen, sind die Fleischvergiftungen, dann Vergiftungen durch Fische
und Mollusken, durch Käse, Vanillekreme und Mehlspeisen, Kartoffel-
und Konservenvergiftuugen.
Fleischvergiftungen.
Bei den Fleischvergiftungen unterscheiden wir:
1. Vergiftungen durch den Genuss des Fleisches kranker Tiere
(verursacht durch den B. enteritidis oder B. paratyphi).
2. Vergiftungen durch den Genuss von faulem Fleisch (verur¬
sacht durch B. proteus und B. coli).
3. Vergiftungen durch Wurstgift, Botulismus (verursacht durch
den anaeroben B. botulinus).
Bei der ersten Art wirkt das frischgeschlachtete Fleisch schon
schädlich, bei den beiden anderen bekommt das Fleisch erst nach
dem Schlachten giftige Eigenschaften. Nach dem klinischen Ver¬
lauf treten bei den ersten Arten gastrointestinale, bei der dritten Er¬
scheinungen von seiten des Zentralnervensystems in den Vorder¬
grund.
1. Vergiftungen durch das Fleisch kranker Tiere. Sepsis
intestinalis (Bolliuger), infektiöse Enteritis (Gaffky).
Diese häufigste Art der Fleischvergiftungen wird hervorgerufen
durch Bakterien aus der Typhus-Koligruppe, dem B. enteritidis und
dem B. paratyphi B., die das Tier schon intra vitam infizieren, das
Fleisch in keiner Weise verändern, aber darauf sich vermehren und
giftige Stoffwechselprodukte liefern, so dass die Krankheitserscheinungen
meist rasch nach ganz kurzer Inkubationsdauer eiutreten.
Auf diese Art der Fleischvergiftungen hat insbesondere Bollin.
ger (1) im Jahre 1876 hingewiesen und er konnte ira Jahre 1881 über
11 grössere Massenvergiftungen mit 1600 Erkrankungsfällen berichten.
Die Erscheinungen waren hauptsächlich gastrointestinal, verhielten sich
aber verschieden je nach der Menge des genossenen Fleisches und nach
der persönlichen Empfänglichkeit, so dass „von der einfachen Ver¬
dauungsstörung, dem Magenkatarrh, dem Brechdurchfall bis zu schweren
febrilen Erkrankungen, die gelegentlich unter dem Bilde des sog. Schleim-
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3]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
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fiebere, des gastrischen Fiebers, des Deotyphus, der Dysenterie ver¬
laufen, eine förmliche Stufenleiter existiert“. B o 11 i n g e r unterscheidet
symptomatologisch drei Gruppen, die jedoch ohne scharfe Grenzen öfters
ineinander übergehen: choleraähnlicbe Erkrankungen mit profusen
Diarrhöen, typbusartige Krankheitsbilder mit länger dauernder Inku¬
bation und stark hervortretenden zerebralen Störungen verschiedener
Art und solche Vergiftungen, die im Anfang ein mehr choleraartiges
Krankheitsbild, dann aber typhusähnliche Erscheinungen darbieten.
In den schweren Fällen ist die Rekonvaleszenz eine langsame, grosse
Schwäche und Abmagerung bleiben zurück und die Dauer der Er¬
krankung erstreckt sich über mehrere Wochen hinaus, während in
den leichteren Fällen die Krankheit nur ganz kurz, einige Tage
dauert. Der Tod tritt meist innerhalb der ersten 4—6—11 Tage,
selten später ein. Der Sektionsbefund zeigt hauptsächlich die Ver¬
änderungen einer Gastroenteritis mit vorwiegender Beteiligung der
lymphoiden Drüsen des Darmes, manchmal Geschwüre im Darm,
Schwellung der Mesenterialdrüsen, öfters auch der Milz, Blutungen
in einzelnen Organen, manchmal ein anatomisches Bild ähnlich dem
Befunde bei Abdominaltyphus. Die Inkubationsdauer ist abhängig
von der Menge des genossenen giftigen Fleisches und kann nur
6— 24 Stunden, aber auch bis zu einer Woche und darüber betragen.
Als besonders interessant führt Bollinger die Fleischvergiftungen
in Andelfingen (1841) und in Kloten (1878) an, da sie in ihren Er¬
scheinungen an Abdominaltyphus erinnerten.
Bei der Andelfinger Epidemie erkrankten gelegentlich eines
Sängerfestes etwa 450 Menschen, wovon 10 starben; als Ursache
wurde mit grösster Wahrscheinlichkeit Kalbfleisch festgestellt. Die
Krankheitssymptome waren Übelkeit, Erbrechen, stark riechende er¬
schöpfende Stuhlgänge, Schlingbeschwerden, Pupillenerweiterung, Seh¬
störungen, Delirien, in der Rekonvaleszenz längere Zeit anhaltende
Schwäche. Da auch Menschen, die nicht an dem Feste teilnahmen,
aber Rindfleisch von demselben Metzger bezogen, erkrankten, hatte
offenbar das verdächtige Fleisch bei der Aufbewahrung beim Metzger
seine Giftigkeit auf Rindfleisch übertragen. Durch Kochen wurde
das Gift nicht zerstört. Die Inkubation schwankte zwischen 3 und 10
Tagen.
Die Klotener Fleischvergiftung (Juni 1878) war gleich¬
falls eine Massenerkrankung gelegentlich eines Sängerfestes; es er¬
krankten infolge von Fleischgenuss 591 Festteilnehmer, ferner zahl¬
reiche Menschen, die Fleisch von derselben Schlächterei bezogen,
welche auch das Fest versorgt hatte, endlich aus unbekannter Ur¬
sache eine grössere Zahl von Menschen, im ganzen 657, von denen
6 starben. Die Ursache war das Fleisch eines 7 Tage alten Kalbes,
das entweder krepiert oder moribund geschlachtet war. In einzelnen
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A. DIEÜDONNä,
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Fällen traten die Erkrankungen schon am 1. Tage, meist aber nach
4—6 Tagen auf; alle diejenigen, die dem Wein in reichlichem Masse
zugesprochen hatten, blieben entweder ganz verschont oder erkrankten
nur leicht. Die Symptome waren anfangs Müdigkeit, Kopfschmerzen,
Gliederschmerzen, Verstopfung mit nachfolgender Diarrhöe, gegen
Ende der ersten Woche traten die zerebralen Symptome mehr in den
Hintergrund, die Stühle wurden typhusartig, bei den schweren Fällen
fand sich sehr häufig Roseola und ein Knötchen-Exanthem. Die
Milz war auf der Höhe der Krankheit konstant vergrössert, die äusseren
Lymphdrüsen, besonders die Leistendrüsen häufig geschwellt. Be¬
sonders wichtig ist die Beobachtung, dass von den Erkrankungen
56 sekundäre Fälle ausgingen. Bei der Sektion wurde Milz¬
tumor, Infiltration der Peyer’schen und solitären Follikel, auch Ge¬
schwüre in Dünndarm, zum Teil in Vernarbung oder in Granulation,
zum Teil bereits vernarbt gefunden. Auf Grund der klinischen und
anatomischen Befunde, sowie der sekundären Erkrankungen wurden
die Fälle von der Mehrzahl der Beobachter, so auch von Eberth,
der eine Anzahl von Verstorbenen sezierte, für Abdominaltyphus er¬
klärt. Lange Zeit herrschten über die Auffassung dieser beiden Epi¬
demien Meinungsverschiedenheiten; die einen hielten sie für eine
echte Typhusepidemie, andere für eine richtige Fleischvergiftung.
Bollinger war der Ansicht, dass es sich um eine besondere Art
von Infektion handelt, die grosse Ähnlichkeit, sogar eine nahe Ver¬
wandtschaft mit dem menschlichen Abdominaltyphus bat und viel¬
leicht als eine Abart derselben betrachtet werden kann und bezeich-
nete diese Art von Fleischvergiftungen als Sepsis intestinalis oder
septiforme Gastroenteritis.
Auch in den letzten Jahrzehnten wurden zahlreiche Fleischver¬
giftungen beschrieben. Oster tag (2) konnte von 1880—1900 85 Ver¬
giftungen mit mehr als 4000 Erkrankungen zusammenstellen, von
welchen der überwiegende Teil auf Deutschland entfällt. Doch ist
die Zahl jedenfalls weit grösser, da durchaus nicht alle Fälle, selbst
wenn sie gehäufter auftreten, zur öffentlichen Kenntnis kommen;
nach Bollinger ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch manche Er¬
krankungen, die unter dem Bilde des fieberhaften Ikterus (Weil ’sche
Krankheit) verlaufen, zu dem Gebiete der Fleischvergiftungen ge¬
hören.
Auch bei diesen Massenerkrankungen war das klinische Bild
nach van Ermen gern (3) sehr wechselnd; die Erscheinungen von
seiten des Magendarmkanals stehen aber stets im Vordergrund; meist
war der Verlauf sehr rasch in Form eines Anfalles von Cholerine,
von Cholera nostras oder einer entzündlichen Gastroenteritis. Neben
den Hauptsymptomen, diarrhöischen, gelblichen, stark riechenden Ent¬
leerungen, kolikartigen Schmerzen, Erbrechen, Muskelschwäche werden
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
43
häufig Albuminurie, katarrhalische Pneumonie und auch Erscheinungen
seitens der Haut, wie Herpes, polymorphe Erytheme, Roseola, Urti¬
karia, skorbutartige Blutergüsse in die Haut oder Petechien, manch¬
mal auch Pupillenerweiterung oder Lichtscheu beobachtet, bisweilen
trat nach der Heilung eine ausgebreitete Abschuppung der Epidermis
auf der Innenfläche der Hände und der Fusssohle auf. Die Krank¬
heitserscheinungen begannen gewöhnlich 6—12 Stunden nach dem
Verzehren des Fleisches, bisweilen aber auch weit später. Das Er¬
brechen und die Diarrhöen traten in einigen Fällen wie bei einer
richtigen Magenstörung unmittelbar nach der Mahlzeit auf. Die
Schwere der Erkrankung hängt meist von der Menge des gegessenen
Fleisches ab. Die Sterblichkeit beträgt 2—5°/o. Bei der Sektion
findet man mehr oder minder ausgesprochene Zeichen von Gastro¬
enteritis, öfters hämorrhagischen Charakters. Die Follikel und die
Pey er sehen Plaques sind geschwellt und hervortretend, manchmal
findeu sich Geschwüre im Dünn- und Dickdarm; die Milz ist ver-
grössert, die Nieren und die Leber blutreich. Bei den rasch tödlich
verlaufenden Fällen finden sich meist keine deutlichen anatomischen
Veränderungen.
Die Ursachen dieser Art von Fleischvergiftungen waren nach
den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte hauptsächlich das Fleisch
von Kälbern, welche im Anschluss an Nabelinfektion septisch er¬
krankten und von Kühen, welche wegen entzündlicher Prozesse nach
dem Kalben oder wegen eigentümlicher Darm- und Eutererkrankungen
notgeschlachtet werden mussten. Nach der Zusammenstellung von
Sohneidemühl (4) war bei 61 grossen Fleischvergiftungen in den
Jahren 1868—1898, bei welchen von 5000 erkrankten Personen 76
starben, 38mal das Fleisch von Kühen, 15mal das Fleisch von
Kälbern, 3mal das Fleisch von Rindern, 3mal das Fleisch von
Schweinen und 2 mal das Fleisch von Pferden die Ursache der Er¬
krankung. Bei den durch das Fleisch von Kühen hervorgerufenen
Vergiftungen waren 16 mal Magen- und Darmerkrankungen, 12 mal
Erkrankungen der Geburtswege, 3 mal Eutererkrankungen und 3 mal
Maul- und Klauenseuche die Veranlassung zur Notschlachtung. Bei
den durch Kalbfleisch hervorgerufenen Vergiftungen waren Darm¬
und Gelenkerkrankungen die wichtigsten von den nachgewiesenen
Ursachen der Notschiachtung. Demnach ist das Fleisch von Kühen,
welche wegen Erkrankungen des Magens und Darms, septischer Ent¬
zündungen der Geburtswege und des Euters (Metritis, Mammaent¬
zündung), notgeschlachtet worden sind, am gefährlichsten, dann das
Fleisch von Kälbern, welche unmittelbar oder einige Zeit nach der
Geburt an Magen- und Darmerkrankungen oder pyämischen Gelenk¬
entzündungen (Polyartritis oder Phlebitis der Nabelvene u. a.) litten
und dieserhalb geschlachtet wurden.
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A. DIEUDONNä,
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Wie aus der Zusammenstellung von Schneidemühl hervor¬
geht, sind die Mehrzahl der bisher beobachteten Massenerkrankungen
auf die Verwertung des Fleisches notgeschlachteter Tiere
zurückzuführen, die ohne tierärztliche Kontrolle in den Verkehr ge¬
bracht wurden. Ferner waren die Erkrankungen nach dem Genuss
des rohen Fleisches meist viel schwerer als nach dem gut durchge¬
kochten Fleisches, da durch das Kochen die im Fleische enthaltenen
Infektionserreger abgetötet werden. Allerdings wird das von diesen
Keimen gebildete Toxin durch das Kochen meist nicht zerstört, in
mehreren Fällen war der Genuss des gekochten Fleisches und der
Fleischbrühe besonders nachteilig. Die Erkrankungen traten vor¬
wiegend im Sommer auf und nach dem Genuss von verarbeitetem
Fleisch, von Würsten, Pasteten, Hackfleisch u. a. Diese Nahrungs¬
mittel sind besonders gefährlich, weil man hierzu Eingeweide bei¬
mischt, wie Leber, Milz, Lunge, in denen die Krankheitserreger sich
sammeln und weil infolge der längeren Konservierung derartiger
Fleischwaren die Bakterien sich vermehren und Toxin produzieren
können (van Ermengem). Meistens ist zwar zum Unterschied von
der Hacköeisch- und Wurstvergiftung das gesamte Fleisch der Schlacht¬
tiere schon unmittelbar nach dem Schlachten gesundheitsschädlich,
doch kann auch die Gefährlichkeit mit dem Aufbewahren zunehmen,
wahrscheinlich infolge von weiterer Vermehrung der Bazillen und
Toxinbildung. Im Aussehen, Geruch und Geschmack, sowie auch in
der Konsistenz unterscheidet sich das Fleisch solcher kranker Tiere
oft gar nicht oder nur wenig von dem Fleisch gesunder, auch die
aus krankem Fleisch hergestellten Speisen machen einen völlig un¬
verdächtigen Eindruck, weshalb es ohne jedes Bedenken gekauft und ge¬
nossen wird. Oft finden sich bei den rein septischen, schnell ver¬
laufenden Krankheiten der Schlachttiere so geringe Veränderungen,
dass man ohne genaue Kenntnis des Krankheitsverlaufes und der Sym¬
ptome bei der makroskopischen Untersuchung wenig findet.
Die Verhütung oder doch Verminderung dieser Art von Fleisch¬
vergiftung lässt sich nur durch eine sachgemässe Fleischbeschau bei
allen Notschlachtungen erreichen, bei der sämtliche Organe einer
sorgfältigen und eingehenden Untersuchung durch den Tierarzt unter¬
zogen werden; alles Fleisch von Tieren, dessen Genuss Erkrankungen
bedingen kann, muss vom Verkehr ausgeschlossen werden, also be¬
sonders das Fleisch von Kühen und Kälbern, die wegen septischer
Prozesse geschlachtet worden sind, besonders gefährlich ist Fleisch
mit Abszessen im Innern der Muskeln. In allen irgendwie zweifel¬
haften Fällen ist das Fleisch nicht freizugeben; sehr wichtig ist ein
Verbot der Verarbeitung des sonst noch zum Verkauf unter Dekla¬
ration zugelassenen Fleisches zu Wurst, Schinken u. dgl. In vielen
Fällen wird es deshalb zweckmässig sein, das Fleisch entweder nur nach
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7] Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen. 45
vorheriger Durchkochung, oder, wenn roh, in kleinen Mengen direkt
an Selbstverbraucher abzugeben, nicht aber an Fleischer (Schneide¬
mühle)). Eine Aufbewahrung des Fleisches, namentlich in der wär¬
meren Jahreszeit ist zu vermeiden.
Die Behandlung der Erkrankung ist symptomatisch. Im
Beginne ein kräftiges Abführmittel (Rizinusöl, Kalomel), später sind
Reizmittel und besonders Alkoholika angezeigt, um so mehr, als nach
den Erfahrungen bei einzelnen Epidemien der Alkohol eine hemmende
Wirkung auf die Vergiftung zu besitzen scheint.
Die Ätiologie der seither besprochenen Art von Fleischvergiftung
ist durch die bakteriologischen Untersuchungen in den letzten 20 Jahren
sehr geklärt worden; als der Erreger ist der zur Gruppe des B. coli
und B. typhi gehörige, von Gaertner entdeckte B. enteritidis mit
Sicherheit festge9tellt.
Bei einer im Jabre 1888 in Frankenhausen vorgekommenen Massenerkrankung,
bei der 2—80 Standen nach dem Genuas des Fleisches einer wegen Darmkatarrh
notgescbluchteten Kuh 57 Personen an Gastroenteritis erkrankten und eine Person
starb, wies Gärtner (5) sowohl im schädlichen Fleisch wie in der Milz des Vei>
storbenen kulturell den B. enteritidis und zwar innerhalb der Blutgefässe nach, eine
Stäbchenart, die nach Gram sich nicht färben lässt, lebhaft beweglich ist, in Pepton¬
wasser kein Jndol erzeugt und Traubenzucker unter Gasentwickelung vergärt. Durch
VerfUtterung, sowie durch subkutane und intraperitoneale Verimpfung der Kulturen
gelang es Gärtner, Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen, Schafe und Ziegen zu
infizieren, Katzen, Hunde und Hühner waren dagegen refraktär. Die empfänglichen
Tiere zeigten flüssige Entleerungen und bei der Sektion fand sich eine ausge¬
sprochene entzündliche Hyperämie der Eingeweide, die häufig hämorrhagischen
Charakter zeigte, lobuläre pneumonische Herde, Blutergüsse in den Organen u. a. Die
Bakterien liessen sich mikroskopisch und kulturell im Blut und in den inneren
Organen nach weisen. Die Bakterien bildeten ein durch Kochen nicht zer¬
störbares Gift; Meerschweinchen oder Kaninchen, welchen durch Kochen sterili¬
sierte Kulturen subkutan und durch Verfütterung ein verleibt waren, zeigten dieselben
Erscheinungen von Gastroenteritis wie bei Verimpfung lebender Kulturen und ausser¬
dem verschiedene nervöse Störungen, Lähmungen der hinteren Extremitäten, abwech¬
selnd mit krampfartigen Zusammenziehungen als Zeichen der Giftwirkung. Bemerkens¬
wert ist noch, dass die Mutter des Verstorbenen, welche den Kranken gepflegt hatte,
später gleichfalls unter denselben Erscheinungen erkrankte, trotzdem sie weder Fleisch
noch Brühe von der notgeschlachteten Kuh genossen hatte; die Infektion ist also
von den Ausscheidungen des Sohnes aus erfolgt.
Gaffky und Paak (6) hatten schon im Jahre 1885 bei einer Pferdefleisch¬
vergiftung in Röhrsdorf, die 80 Personen betraf, darunter einen Todesfall und die
auf das Fleisch, die Leber und die daraus bereitete Wurst von einem kranken Pferde
mit Abszessen zurückgeführt wurde, aus den Organen der mit der Wurst geimpften
Tiere eine Stäbchenart gezüchtet, die dem später von Gärtner beschriebenen B. enteri¬
tidis in allen wesentlichen Punkten glich und auch bei der Fütterung für die Ver¬
suchstiere pathogen war, dagegen waren die der Siedehitze ausgesetzten Kulturen
wirkungslos.
Bei einer ausgebreiteten Massenerkrankung zu Cotta bei Dresden im Jabre 1889
mit 126 Erkrankungen und 4 Todesfällen wurde von Neelsen, Johne und Gärt¬
ner (7) aus dem verdächtigen Fleisch, das von einer infolge eitriger Euterentzündung
notgeschlachteten Kuh herstammte, aus dem Knochenmark dieses Tieres, ferner aus
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dem Darminhalt, dem Blut und der Milz zweier gestorbener Menschen eine mit dem
Enteritisbacillns mikroskopisch and kulturell identische Bakterienart isoliert, die für
Mäuse und Meerschweinchen pathogen war. Durch das Kochen wurden aber die
Kulturen unwirksam, ebenso wie das verdächtige Fleisch nach dem Kochen und die
aus demselben hergestellte Fleischbrühe unschädlich war. Auch sonst zeigt sich das
von dem B. enteritidis gebldete Toxin nicht immer hitzebeständig.
Eingehende Untersuchungen wurden von van Ermengem (8) bei der Epi¬
demie von Moorseele (Flandern) 1891 gemacht, wo von 80 Kranken 4 starben und
die auf den Genuss von gebratenem und gekochtem Fleisch von zwei an Enteritis
erkrankten Kälbern zurückgeführt wurde. Die Krankheit begann meist schon wenige
Stunden nach der Mahlzeit, nur in einem tödlich verlaufenden Fall vergingen 4 Tage,
ehe sich die ersten Symptome einstellten. Aus dem Marke der Tibia des ^Kalbes,
sowie aus der Leber, der Milz und dem Dünndarminhalt eines der gestorbenen Men¬
schen wurde eine BakterienArt gezüchtet, die in allem, auch in der Pathogenität mit
dem Gärtner’schen Bazillus identisch war. Die bei 100° und selbst bei 120° sterili¬
sierten Kulturen* waren giftig und riefen starke Entzündungen hämorrhagischer Natur
hervor, van Ermengem wies auf die Ähnlichkeit zwischen dem B. enteritidis
und den Bazillen der Schweinepest und der Hogcholera hin.
Holst (9) züchtete bei einer Massenerkrankung im Juni 1891 in der Irren¬
anstalt zu Gaustad bei Christiania mit 81 Erkrankungen und 4 Todesfällen, die mit
dem Genuss von gebratenem Fleisch eines an Enteritis erkrankten Kalbes in Zu¬
sammenhang gebracht wurde,] aus der Milz einen Bacillus, der mit dem Moorseeler
und dem B. enteritidis identisch war. Der B. Gaustad bildete hitzebeständige Gifte,
doch zeigte sich, dass diese Fähigkeit bei fortgesetzter künstlicher Kultur sehr rasch
abnimmt.
Im Jahre 1892 kam in Rotterdam eine Fleischvergiftung mit 92 Erkran¬
kungen vor, die auf das Fleisch einer Kuh zurückgeführt wurde, die in vorgeschrie-
bener Weise auf dem städtischen Schlachthof untersucht und als normal befunden
worden war. Die aus dem Fleisch von Poels und Dhont (10) isolierte Bakterien¬
art war für Mäuse, Meerschweinchen und Kaninchen tödlich und rief Intestinalkatarrh
mit Lähmung der hinteren Extremitäten hervor. Die sterilisierten Kulturen waren
giftig. Die intravenösen Injektionen kleiner Mengen der Bazillen bei Kühen riefen
vorübergehend Fieber, Muskelzuckungen, Appetitlosigkeit und flüssige Stühle hervor,
das Fleisch der 4 Tage nach dor Impfung geschlachteten Kuh enthielt keine Bazillen
und wurde ohne Schaden gegessen. Bei einer Kuh, die 20 Minuten nach der Impfung
geschlachtet wurde, fanden sich die Bazillen in der Milz, in der Leber und im Blut
nur in geringen Mengen, dagegen waren sie dort sehr zahlreich, nachdem das Fleisch
3 Tage bei 20° aufbewahrt worden war. Von dem im Kühlhaus aufbewahrten Fleisch,
das nur wenige Bakterien enthielt, aasen 53 Personen, von denen 15 unter Kopf¬
schmerzen, Kolik und diarrhöischen Entleerungen 12—18 Stunden nach dem Essen
erkrankten.
Basenau (11) züchtete aus dem Fleisch einer Kuh, welche wegen Erkrankung
nach dem Kalben notgeschlachtet worden war, einen Bacillus, den B. bovis morbi-
ficans, der Ähnlichkeit mit dem Typhusbazillus hat, $uch bei Verfütterung pathogen
wirkt und durch Temperatur von 70° getötet wird.
Im Jahre 1893 erkrankten nach dem Genüsse des Fleisches einer Kuh, die
nach dem Kalben 8 Tage lang krank gewesen war, in Rumfleth 19 Personen unter
Magendarmerscheinungen, das Fleisch war in gekochtem Zustand und auch die Fleisch¬
brühe gegessen worden. Fischer (12) isolierte aus dem Fleisch einen mit dem B.
enteritidis identischen Bazillus, der bei Tieren Darmveränderungen hervorrief. Auch
sterilisierte Kulturen töteten Tiere unter denselben Erscheinungen, doch nahm die
Giftigkeit bei fortgesetzter Kultur rasch ab. Dieselbe Bakterienart fand Fischer
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Die bakteriellen Nab rungsmittel Vergiftungen.
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A. DIEUDONNß,
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im Jahre 1895 bei der Untersuchung des Fleisches eines wegen Durchfalls notge¬
schlachteten Ochsen bei einer Epidemie in Haustedt, wo 50 Personen nach dem Ge¬
nuss dieses Fleisches erkrankten.
Bei einer Epidemie zu Bischofswerda in Sachsen im Jahre 1894 erkrankten
70-100 Personen an Magendarmstörungen nach dem Genuss von Würsten und Hack¬
fleisch in rohem Zustande, das ans einer Mischung von Schweine- und Kuhfleisch
bestand; Todesfall kam keiner vor. Aus dem Fleisch wurde von Johne (13) eine
Bakterienart gezüchtet, die dem B. enteritidis sehr nahe steht.
In Gent (1894) erkrankten 12 Personen nach dem Genuss einer Art von
Zervelatwürsten, die aber roh gegessen werden. Der Schlachthofinspektor, ein aus¬
gezeichneter Tierarzt, war beauftragt worden, die Würste zu untersuchen. Der In¬
spektor erklärte die tadellos schön aussehenden Würste für geniessbar und nahm
selbst 2 oder 3 Schnittchen davon und liess auch mehrere Angestellte davon essen.
Während diese nur die Erscheinungen von mehr oder weniger ausgesprochener Enteritis
zeigten, wurde er selbst von äusserst schweren choleraähnlichen Erscheinungen er¬
griffen, die mit Albuminurie, Diarrhöe, Erbrechen und Kollaps einhergingen und nach
5 Tagen zum Tode führten. Bei der Sektion wurde sehr ausgesprochene hämor¬
rhagische und gangränöse Gastroenteritis, fettige Entartung der Leber, akute inter¬
stitielle Nephritis u. a. festgestellt. Aus den Würsten, besonders aus den Resten
derjenigen, die von dem Untersucher gegessen worden waren, wurde von v. Ermen¬
ge m (14) eine sehr virulente und toxische Bakterienart gezüchtet, die mit dem B.
enteritidis identisch war, ebenso fand sie sich in allen Organen, im Blute und im
Dünndarm der Leiche und zwar fast in Reinkultur. Auch hier wurde eine direkte
Übertragung von Person zu Person beobachtet. Der Mann einer Frau, die von den
Würsten gegessen hatte und erkrankt war, erkrankte unter denselben Symptomen,
trotzdem er nichts von den Würsten gegessen hatte.
In den letzten Jahren wurden von verschiedenen Seiten bei
Fleischvergiftungen Bazillen gefunden, die mit dem B. enteritidis
identisch oder jedenfalls nahe verwandt sind. Die wichtigsten sind
in vorstehender Tabelle (S. 47) zusammengestellt.
Bei der Mehrzahl dieser Fleischvergiftungen stammte das als
schädlich erwiesene oder verdächtige Fleisch von erkrankt gewesenen
oder notgeschlachteten Tieren, ferner zeigte sich wiederholt, dass nicht
nur einzelne Organe, sondern das gesamte Muskelfleisch und beson¬
ders die drüsigen Organe von Bakterien mehr oder weniger durch¬
setzt waren. Allerdings gelang der Nachweis der Bazillen im Fleisch
oder in den Würsten nicht in allen Fällen, da wiederholt kein Material
zur Untersuchung mehr vorhanden war; bei den Kranken fanden
sich die Bazillen im Stuhl, bei den Gestorbenen auch in verschie¬
denen Organen, besonders in der Milz.
Die kulturellen Eigenschaften der bei den verschiedenen Fleisch¬
vergiftungen isolierten Bakterien (von Loeffler als Josarceeu be¬
zeichnet) sind fast durchweg gleich und entsprechen denen, die der
B. enteritidis und der von Schottmüller (30) zuerst genauer be¬
schriebene Paratyphus Typus B zeigt. Vom B. typh. und B. coli
unterscheiden sie sich durch eine Reihe von Merkmalen (s. Tabelle S.49),
besonders durch das Verhalten gegenüber verschiedenen Zuckerarten,
B. enteritidis und Paratyphus B vergärt Traubenzucker, aber nicht
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen
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A. DIEUDONNE,
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Milchzucker, B. coli vergärt beide, B. typhi keine dieser Zuckerarten.
Zur Isolierung ist besonders der Malachitgrünagar nach Lentz und
Tietz brauchbar, auf dem B. coli gar nicht oder nur schwach, B. typhi
als zarte, grüne Kolonien ohne Verfärbung, B. enteritidis und Para¬
typhus B aber sehr üppig unter starker Gelbfärbung des Nährbodens
wächst, so dass dieser geradezu als ein Elektivnährboden bezeichnet
werden kann.
Besonders wichtig ist der Unterschied in der Pathogenität für
Versuchstiere, namentlich Mäuse und Meerschweinchen, die beim
B. typhi und B. coli gering, beim B. enteritidis und Paratyplms aber
sehr beträchtlich ist; diese bilden ein Gift, das auch bei Einführung per
os die empfänglichen Tiere unter den Erscheinungen der Gastroenteritis
tötet und das ferner, wenigstens bei den meisten Stämmen gegen Er¬
hitzen ziemlich widerstandsfähig ist. Dadurch erklärt sich auch die
schon erwähnte Beobachtung, dass der Genuss gebratenen und ge¬
kochten mit den Bazillen infizierten Fleisches und auch die Fleisch¬
brühe giftig wirken kann. Bei der Weiterzüchtung in künstlichen Kul¬
turen nimmt die Pathogenität und auch die Bildung des hitzehe¬
ständigen Giftes oft rasch ab.
Die bakteriologische Untersuchung beim Auftreten von Fleisch¬
vergiftungen kann bei der Schwierigkeit der Isolierung und der
Identifizierung der Erreger nur durch Fachleute im Laboratorium er¬
folgen. Um so wichtiger ist es, dass das hierzu notwendige Material
möglichst rasch und frisch entnommen wird, damit nachträgliche
Veränderungen und ferner eine Entfernung oder betrügerisches Unter¬
schieben von anderen Fleischstücken ausgeschlossen ist. Als Material
kommt in Betracht das verdächtige Fleisch (Wurst, Pasteten u. dgl.),
das Erbrochene und der Stuhlgang, sowie Blut der Erkrankten und
bei Sektionen besonders Darmstücke (wie bei Cholera), Milz und Leber.
Bei der Untersuchung des Fleisches werden aus dem Innern eines
Fleischstückes Ausstrichpräparate und Agar- und Gelatineplatten ange¬
legt, ferner werden von dem Fleisch oder einer Aufschwemmung auf
die für die Typhusdiagnose gebräuchlichen Drigalski- und Malachit-
grünplatten ausgestrichen, ein Teil des Fleisches kann zur Anreiche¬
rung der Bazillen 24 Stunden bei 18—20° gehalten und dann zu
Platten verarbeitet werden. Weiterhin werden Mäuse gefüttert und
zwar nach Basen au (11) je zwei mit rohen Fleischstücken und mit
solchen, die eine Stunde auf 100° erhitzt sind. Die Mäuse eignen
sich zu Fütterungsversuchen mit verdächtigem Fleisch besonders, da
sie ausserordentlich und konstant empfänglich sind. Das Erbrochene
und der Stuhl wird wie bei der Typhusuntersuchung auf gewöhnlichen
Agar, auf Drigalski- und Malachitgrünplatten ausgestrichen; dieser
letztere Nährboden ist, wie erwähnt, besonders geeignet und hemmt
ausserdem die Entwickelung des B. coli. Ferner werden Mäuse mit
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13]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
51
dem Stuhl subkutan infiziert. Von grossem diagnostischen Wert
kann die Untersuchung des Blutes sein; das Blut wird wie für die
Gruber-Widalsehe Blutprobe durch einen kleinen Schnitt mit
einer Lanzette in das Ohrläppchen gewonnen. Das durch Zentri¬
fugieren erhaltene Serum wird zur Agglutination, der Blutkuchen
wie zur Typhusdiagnose nach Müller und Gräf zur Züchtung ver¬
wendet, entweder nach vorheriger Anreicherung in Galle (Fornet) oder
mittelst Ausstrich auf Drigalkiplatten.
Die Serodiagnose bei Fleischvergiftungen wurde zuerst von
Durham (31) bei der Epidemie in Hatton angewendet. Durhain
züchtete bei einer nach Genuss einer Fleischpastete gestorbenen
Person einen dem B. enteritidis ähnlichen Bazillus, der von dem
Serum der übrigen Erkrankten und Rekonvaleszenten in einer Ver¬
dünnung von 1:100 bis 1:1000 agglutiniert wurde. Auch bei
späteren Epidemien wurde der aus dem schädlichen Fleisch oder den
Organen der Verstorbenen isolierte Bazillus von dem Serum der Rekon¬
valeszenten in Verdünnungen von 1:500 bis 1:1000 agglutiniert.
Wenn irgend möglich, sollte die Seroreaktion, die ganz wie die
Gruber-Widalsche Reaktion bei Typhus ausgefühlt wird (Technik
bei Rostoski, Würzburger Abhandlungen, Bd. IV, 1904), mit dem
Blute der Erkrankten und einem zuverlässigen Laboratoriumstamm
von B. enteritidis oder Paratyphus B ausgofübrt werden; eventuell lässt
sich auch das Ficker’sehe Paratyphusdiagnostikum (von der Firma
Merck in Darmstadt) hierzu verwenden. Auch eine nachträgliche
Diagnose der Fleischvergiftung lässt sich mit dem Serum der Rekon¬
valeszenten ermöglichen, da die agglutinierende Eigenschaft des
Blutes meist einige Wochen lang erhalten bleibt.
Die aus dem schädlichen Fleisch, den Fäzes der Erkrankten
oder den Organen der Verstorbenen gezüchteten Bakterien müssen
auf alle biologischen Unterscheidungsmerkmale geprüft werden, sowie
auf die Pathogenität durch den Tierversuch an Mäusen und Meer¬
schweinchen. Das wertvollste diagnostische Mittel ist aber die Sero¬
reaktion, die Prüfung der isolierten Reinkulturen mit einem vom Tier
durch Vorbehandlung mitB. enteritidis bezw. Paratyphus B gewonnenem
hochwertigen spezifischen Immunserum; mit Hilfe eineB solchen
Serums lässt sich der B. enteritidis vom Typhus und B. coli sicher
differenzieren, eine etwa eintretende Gruppenaggultination wird durch
eine genaue Austitrieruug, d. h. eine Bestimmung der geringsten
Serummenge, die noch Agglutination hervorruft, ausgeschieden. Durch
eingehende Untersuchungen von de Nobele, Trautmann, Ublen-
huth u. a. wurde festgestellt, dass wir bei deu Bakterien dieser
Fleischvergiftungen zwei Typen unterscheiden können, die sich durch
die Serumreaktion voneinander trennen lassen. Nach Uhlenhuth (25)
sind dies folgende zwei Gruppen:
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A. DIEUDONNß,
Gruppe I.
{14
B. enteritidis (Gärtner)
B. Moorseele (v. Ermengem)
B. Gent (v. Ermen gern) B. enteritidis
B. Brügge (v. Ermengem) Gärtner-Gruppe.
B. Rumfleth (Fischer)
B. Haustedt (Fischer)
Gruppe II.
Paratypbus B.
B. Breslau (Flügge-Känsche)
B. Meirelbeck (de N oh eie)
B. Düsseldorf (Trautmann)
B. Sirault (Hermann und v. Ermengem) | Paratyphus B-Gruppe.
B. Aertryk (de Nobele)
B. Neunkirchen (v. Drigalski)
B. Greifswald (Uhlenhuth)
Ausserdem wurden Paratyphus B Bazillen gefunden bei den
Fleischvergiftungen in Alsfeld (Cursch manu), in Berlin (Kutscher),
in Bern (Heller) und in Giessen (Fromme).
Bei der nahen Verwandtschaft des B. enteritidis und des Para¬
typhusbazillus wurde von Trautmann (31a) auf das gegenseitige
Verhältnis zwischen den beiden durch diese Bakterien hervorgerufenen
Erkrankungen, den Fleischvergiftungen und dem Paratyphus hinge¬
wiesen. Wie wir sahen, finden sich bei den Fleischvergiftungen
klinisch und anatomisch typhusähnliche Erscheinungen; der Para¬
typhus andererseits ist vom Typhus ausser seiner ätiologischen Ver¬
schiedenheit (B. paratyphi) durch den milderen Verlauf und die ganz
geringe Sterblichkeit unterschieden. Da beide Krankheiten durch
gleichartige Erreger hervorgerufen werden, so betrachtet Tr aut mann
die typische Fleischvergiftung als eine höchstakute, den
Paratyphus als eine mehr subakute Erscheinungsform einer ätiologisch
einheitlichen Infektionskrankheit. Die schweren und rasch auftreten¬
den Intoxikationserscheinungen bei den Fleischvergiftungen sind nach
Trautmann dadurch zu erklären, dass hier der Tierkörper in¬
fiziert ist hnd das Fleisch mit Krankheitserregern und ihren giftigen
Stoffwechselprodukten beladen als Speise in den menschlichen Ver-
dauungstraktus gelangt; die kurze Inkubationsdnuer der Nahrungs¬
mittelvergiftungen im Gegensatz zur Typhus und Paratyphus ist also
durch die Menge der aufgenommenen Bakterien und durch die gleich¬
zeitig miteingeführten von den Bazillen auf den Nahrungsmitteln ge¬
bildeten giftigen Stoffwechselprodukte bedingt. Ist der Körper der
Menge der Toxine nicht gewachsen und dringen sie in die Säfte
durch, so sind länger dauerndes Kranksein und Tod die Folge. Beim
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
53
Paratyphus spielt sich die Inkubation, also die Zeit der Vermehrung
der Bazillen im Menschen ab. Die Keime entwickeln sich lang¬
sam und rufen allmählich wie beim Typhus die krankhaften Er¬
scheinungen hervor. Bei der Fleischvergiftung kann der Verlauf
auch typhusähnlich werden, wenn nur wenige Bakterien aufgenom¬
men werden. Auch der pathologisch-anatomische Befund zeigt Über¬
einstimmungen; langsam verlaufende Fälle von Fleischvergiftung
zeigen dieselben Veränderuugen wie der Paratyphus, besonders den
Mangel einer strengen Lokalisation der Veränderuugen im Darm, die
hämorrhagische Natur des Leidens und die Hautsymptome. Ferner
ist übereinstimmend mit Paratyphus die meist auffallend niedrige
Sterbezahl der Fleischvergiftungen trotz der Heftigkeit der klinischen
Symptome. Nach Kayser (31b) ist an der im Gegensatz zu Paratyphus
so kurz dauernden Inkubation neben den vorgebildeten Giften auch
der von dem Paratyphus verschiedene Infektionsweg der Erreger
schuld. Der gewöhnliche Typhus und Paratyphus ist eine primäre
Lymph- und BlutkraDkheit, erst sekundär wird der Darm affiziert,
während bei der Fleischvergiftung die Bazillen sofort im Darm
wuchern.
Übrigens weist Kutscher darauf hin, dass man auch bei
nicht durch Fleischvergiftung hervorgerufenen Paratyphusinfektionen
häufiger einen Krankheitsverlauf sieht, der durchaus dem klinischen
Bild der schwersten Cholera nostras entspricht, derartige eholeraähn-
liche Paratyphusfälle sind von Schottmüller (30) beschrieben, sowie
von Hetsch (32), der im Herbst 1905 in der Nähe von Kottbus eine
grosse Paratyphusepidemie mit choleraähnlichem Verlauf der meisten
Fälle beobachtete. Rolly (33) teilt das Krankheitsbild des Paratyphus
nach seinem klinischen Verlauf in zwei Gruppen ein, in die des ge¬
wöhnlichen Unterleibstyphus und in eine gastrische Form mit schweren
Magen- und Darmerschei nun gen; einer von diesen Fällen verlief
unter dem Bild der Cholera nostras tödlich. Diese Einteilung ent¬
spricht, wie wir sehen, der von Bollinger im Jahre 1881 bei den
Fleischvergiftungen angegebenen und zahlreiche Fälle aus der Andel-
tinger und der Klotener Epidemie mit längerer Inkubationsdauer
gleichen nach Traut mann vollkommenden Paratyphuserkrankungen.
Noch mehr tritt diese Ähnlichkeit zutage, wenn wir berücksichtigen,
dass bei diesen Epidemien sekundäre Infektionen bei Persouen, die
nichts von dem schädlichen Fleisch genossen hatten, beobachtet
wurden, wahrscheinlich durch Kontaktinfektion (in Kloten 55 Fälle).
So ist durch die ueuere ätiologische und bakteriologische Unter¬
suchung die im Jahre 1881 von Bollinger ausgesprochene Ansicht
vollkommen bestätigt, dass diese Fleischvergiftung eine nahe Ver¬
wandtschaft mit dem menschlichen Abdominaltyphus hat und viel¬
leicht als eine Abart derselben betrachtet werden kann. Z u p n i k (34)
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54
A. DIEUDONNä,
[16
bezeichnet diese Art der Vergiftungen, die mehr oder weniger das
Bild des Abdominaltyphus zeigen, als typhoide Fleischvergiftungen.
Über das Vorkommen des B. enteritidis und paratyphi in der
Natur ausserhalb des Tierkörpers ist noch wenig bekannt, jedenfalls
sind diese Bakterienarten nicht sehr verbreitet, da sie bis jetzt nur
bei kranken Menschen oder Tieren gefunden wurden; ebensowenig
sind wir darüber orientiert, wie diese Bazillen in das Tier gelangen;
nach Kutscher (35) müssen wir annehmen, dass unsere Schlacht¬
tiere unter gewissen, nicht näher gekannten Bedingungen der Infek¬
tion mit Paratyphusbazillen zugänglich sind. Sehr wichtig ist die
einmalige Feststellung von echten Typhusbazillen im Milzabszess eines
Rindes durch Levy und Jakobsthal (36), sodass vielleicht auch
die Typhu8baziilen Beziehungen zur Fleischvergiftung haben können.
Bei einer Reihe von Fleischvergiftungen wurde der Erreger in den
Organen der geschlachteten Tiere (Aertryk, Meirelbeck) oder im Fleisch
(Breslau, Neunkirchen, Berlin, Giessen) gefunden, so dass sicherlich
das Tier schon im lebenden Zustand mit den Bazillen infiziert war;
bei anderen Fleischvergiftungen ist aber die nachträgliche Infektion
des ursprünglich gesunden Fleisches wahrscheinlich. Nach Basenau
wird normales Fleisch durch Berührung mit bazillenhaltigem leicht in¬
fiziert, namentlich wenn die Fleischteile aufeinandergelegt werden.
Nachträgliche Infektionen können ferner durch das mit dem Zer¬
teilen oder mit dem Zu bereiten des Fleisches beschäftigte Personal
(Metzger, Küchenpersonal) erfolgen, nachdem auch beim Paratyphus,
wie beim Typhus Bazillenträger und Dauerausscheider festgestellt
worden sind, die lange Zeit hindurch Bazillen ausscheiden, ohne selbst
Krankheitserscheinungen zu zeigen. Auch in Wirtschaften, Kantinen
u. dgl. kann durch darin beschäftigte Keimträger eine Paratyphus¬
infektion verbreitet werden. Jedenfalls ist bei den Nachforschungen
bei derartigen Fleischvergiftungen auch darauf Rücksicht zu nehmen
und eine bakteriologische Untersuchung des Stuhles dieser Personen
vorzunebmen. Ebenso wie Paratyphus können natürlich auch Typhus¬
bazillen durch das Küchenpersonal auf die Nahrungsmittel übertragen
werden.
Um über die Verbreitung des B. enteritidis bezw. Paratyphus¬
bazillus einen Überblick zu bekommen, stellte ich an einer Reihe
von Rindern, Kälbern und Schweinen, die wegen verschiedenartiger Er¬
krankungen auf der Sanitätsabteilung des Münchener Schlachthofes der
Begutachtung unterlagen, Untersuchungen an und zwar wurden haupt¬
sächlich Tiere mit septischen Prozessen, wie Endometritis, jauchiger
Peritonitis, eitriger Gelenkentzündung bei Kälbern u. dgl. herange¬
zogen. Da die Galle nach neueren Untersuchungen ein Hauptansiede¬
lungspunkt der Typhus- und typhusähnlichen Bazillen ist, so wurde
diese teils sofort, teils nach 24stündiger Anreicherung im Brutschrank
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17]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
55
auf Malachitgrün- und Drigalskiplatten verimpft. Bei den sofort nach
der Eutleerung aus der Gallenblase verimpften Kulturen war nur sehr
selten ein schwaches Wachstum von B. coli oder vereinzelten Strepto¬
kokken zu beobachten, nach der 24stündigen Anreicherung trat stets
reichliches Wachstum ein und zwar in 36 von 42 Fällen hauptsäch¬
lich Streptokokken, die die Nährböden stark säuerten, vereinzelte
Staphylokokken und B. coli, 4mal nur B. coli und 2 mal Bazillen, die
nach ihrem ganzen kulturellen und biologischen Verhalten als Para¬
typhusbazilien angesprochen werden mussten. Bei dem einen Fall
handelte es sich um ein Kalb, das wegen allgemeiner Sepsis vom
Nabel ausgehend (Perikarditis, Gelenkentzündung) als ungeniessbar
bezeichnet worden war, bei dem anderen Fall um eine Kuh mit
jauchiger Perforationsperitonitis, Abszessen in Leber und Milz und
allgemeiner Sepsis. Die Galle dieser beiden Tiere war schleimig gelb
und sehr zähe, während sie bei den meisten anderen Tieren normale
dunkle Farbe zeigte. Offenbar handelte es sich um entzündliche Er¬
scheinungen und vermehrte Absonderung der Scbleimhautsekrete,
wodurch nach Pies (37) das Wachstum der Typhusbazillen begünstigt
wird. Auch aus den Abszessen der Leber und der Milz wurden Para¬
typhusbazillen gezüchtet, während im Muskelfleisch und im Blut diese
nicht nachzuweisen waren. In Abszessen bei den anderen Tieren
wurden aber stets Streptokokken gefunden,
Uhlenhuth (38) hat im Darm anscheinend gesunder Schweine
auf dem Berliner Schlachthof in 6°/o der Fälle Bazillen gefunden,
die sich vom Paratyphus B bezw. B. suipestifer nicht unterscheiden
liessen. Diese beiden Bakterienarten stehen sich überhaupt auch nach
der Immunitätsreaktion sehr nahe; ebenso ist der Paratyphus B dem
B. des Mäusetyphus sehr nahe verwandt.
Die Befunde von Paratyphusbazillen und der mit ihnen wahr¬
scheinlich identischen B. suipestifer bei Schlachttieren weisen, wie
Kutscher und Uhlenhuth mit Recht hervorheben, daraufhin,
diese spontanen Erkrankungen unserer Schlachtiere für die Epidemio¬
logie und vor allem die Prophylaxe des Paratyphus im Auge zu be¬
halten und weiterhin in ihren Beziehungen zu menschlichen Para¬
typhuserkrankungen sorgfältig zu erforschen. Vor allem wird man
auch an die Milch solcher kranker Tiere bei der Verbreitung des
Paratyphus zu denken haben, nachdem Fischer (39) bei einer unter
den Erscheinungen heftiger akuter Gastroenteritis auftretenden Epi¬
demie von etwa 50 Fällen in Futterkamp sowohl aus den Darm¬
entleerungen der Erkrankten als auch aus dem Fleisch, den Organen
und der Milch zweier an Gastroenteritis eingegangener Tiere den Para¬
typhusbazillus hatte züchten können. Als Ursache für den Ausbruch
der Epidemie wurde der Genuss der Milch jener Kühe angesehen,
von dem Fleisch war nichts genossen worden.
Würzburger Abhandlungen, ßd. VII!. H. 3/4. 5
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A. DIEUDONNE,
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Eine sachverständige Fleischbeschau und geregelte Kontrolle
der Fleischversorgung ist also nicht nur für die Prophylaxe der
Fleischvergiftung, sondern auch für die des Paratyphus von der
grössten Bedeutung. Da aber das Fleisch bei der makroskopischen
Untersuchung oft keinerlei Veränderungen zeigt, so kann nur die
von Basenau, Ostertag, v. Drigalski u. a. vorgescblagene bak¬
teriologische Untersuchung des Fleisches bei allen krankheitsverdäch-
tigen und notgeschlachteten Tieren entweder in einem hierzu im
Schlachthaus eingerichteten Laboratorium oder in einem anderen
bakteriologischen Laboratorium über die Verwendbarkeit entscheiden;
dadurch wird einerseits verhindert, dass bei positivem Ausfall der
Untersuchung das Fleisch zum Verkauf gelangt, andererseits ist es
aber, wie Oster tag hervorhebt, möglich, in Fällen, in welchen bis
jetzt der Ausschluss des Fleisches vom Konsum wegen Verdachtes
der Gesundheitsschädlichkeit erfolgen musste, das Fleisch dem Ver¬
kehr zu übergeben. Die bakteriologische Untersuchung des Fleisches
soll nach Basenau (11) erst 24 Stunden nach der Schlachtung
vorgenommen werden, da die Vermehrung der Bazillen während
dieser Zeit, die auch bei niedrigen Temperaturen erfolgt, die Unter¬
suchung erleichtert. Aus der Mitte eines an lockerem Bindegewebe
reichen Fleischstückes, das an der Oberfläche mit einem erhitzten
breiten Messer abgetrennt wird, wird mit einem zweiten sterilisierten
Messer ein vertikaler Schnitt tief in das Fleisch gemacht und aus
der Tiefe mit einer Platinöse Material entnommen, Dadurch ist
eine Übertragung der an der Aussenfläche des Fleisches haftenden
Bazillen ausgeschlossen, eventuell kanu man auch aus der Milz, der
Leber und nach meinen Untersuchungen aus der Galle Material ent¬
nehmen. Dieses wird nach Basenau auf Gelatineplatten, nach den
neueren Untersuchungen besser auf Malachitgrün- und Drigalski-
platten verimpft. Gleichzeitig werden je zwei Mäuse, die sehr emp¬
fänglich für Fleischvergiftungsbazillen sind, mit rohen Fleischstückchen
und mit solchen, die eine Stunde auf 100° erhitzt sind, gefüttert.
Wachsen auf den Platten innerhalb 24 Stunden keine Bakterien, so
ist das Fleisch ohne weiteres freizugeben. Bei eintretendem Wachs¬
tum sind die Kulturen näher zu prüfen und das Resultat des Tier¬
versuches, das sich, wenn positiv, in höchstens drei Tagen ergibt, für
die fernere Beurteilung mit heranzuzieheu. Sterben die mit rohem
Fleisch gefütterten Mäuse, die mit einer Stunde gekochtem aber nicht,
so geht daraus hervor, dass durch dieses Kochen die Giftigkeit auf¬
gehoben worden ist. Es kann dann nach den seitherigen Erfahrungen
ohne Gefahr für die menschliche Gesundheit das Fleisch nach ge¬
höriger Sterilisation im Dampfapparat in den Konsum gebracht
werden; gehen auch die mit gekochtem, bakterienhaltigem Material
gefütterten Tiere zugrunde, so ist das Fleisch dem Verkehr zu ent¬
ziehen, eventuell nur zu technischen Zwecken zu verwerten.
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19]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
57
2. Fleischvergiftungen durch den Genuss von faulem Fleisch.
Diese Art entsteht durch den Genuss von Fleisch von gesunden
Tieren, welches anfänglich nicht gesundheitsschädlich war, sondern
erst nachträglich infolge schlechter Konservierung durch Eindringen
von Fäulniserregern der Zersetzung anheimgefallen ist, wobei Fäulnis¬
produkte entstehen, die dann die Vergiftungen verursachen; bei dieser
Zersetzung des Fleisches können die verschiedensten Arten der Fäulnis¬
erreger beteiligt sein, die Hauptrolle spielt aber die Gruppe der Pro¬
teusbazillen und des B. coli, letzteres wurde von Fischer (12) bei
Vergiftungen einmal aus einer Leberpastete und einmal aus zwei
Leberwürsten isoliert. Das B. coli bildete ein starkes hitzebeständiges
Toxin.
Klinisch tritt diese Art der Fleischvergiftung unter dem Bild
einer akuten, sehr rasch verlaufenden, gewöhnlich ohne Fieber einher¬
gehenden Gastroenteritis auf. Die Heftigkeit der Krankheitserschei¬
nungen ist abhängig von der Menge des genossenen Fleisches, sowie
von dem Alter »und der Widerstandsfähigkeit des Patienten. Meist
treten die Krankheitserscheinungen 4—20 Stunden nach der Aufnahme
des Fleisches auf und äussern sich in Erbrechen, Kopfschmerzen, ruhr¬
artigen, sehr übel riechenden Kotentleerungen, Koliken, Schwächezu¬
ständen u. dergl., in schwereren Fällen treten auch Krämpfe, Rücken-
und Nackenschmerzen mit grosser Hinfälligkeit auf. Der Verlauf
der Erkrankung ist in der Regel günstig, selbst in schweren Fällen,
wenn auch oft länger anhaltendes Schwächegefühl zurückbleibt; Todes¬
fälle sind selten.
Diese Art der Fleischvergiftung wurde hauptsächlich beobachtet
nach dem Genuss von dem stets stark keimhaltigen Hackfleisch, von
Würsten oder auch von Wildpret. Dass nicht jede faulige Zersetzung
von Fleisch Krankheitserscheinungen hervorruft, zeigt der sehr ver¬
breitete, meist völlig unschädliche Genuss von Wildpret mit Hautgoüt.
Welche Art der Fäulnisprodukte besonders giftig ist, darüber sind
bis jetzt noch keine einwandfreien Untersuchungen vorhanden, wahr¬
scheinlich handelt es sich um spezifische, durch die Proteusgruppe
gebildete Toxine. Durch Kochen werden diese Toxine zerstört.
Nach van Ermengem (3) sind diese Fleischvergiftungen durch
normales, aber erst nach der Schlachtung gesundheitsschädlich gewor¬
denes Fleisch viel seltener als die von dem Fleisch kranker Tiere
ausgehenden und haben daher weit weniger Bedeutung. Die Erkran¬
kungen werden besonders im Sommer beobachtet, offenbar deshalb,
weil die Bakterien bei hoher Aussentemperatur sich stark vermehren
können, meistens waren es Hackfleischvergiftungen; da dieses oft
Wasser betrügerischerweise enthält, so ist die Gelegenheit zur Ver¬
mehrung der Bakterien besonders günstig.
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A. DIEUDONNä,
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Derartige Massenerkrankungen wurden nach einer Zusammen¬
stellung von Schneidemühl (4) im Jahre 1879 in Chemnitz be¬
obachtet, wo nach dem Genuss von rohem Rindfleisch und Mettwurst
241 Personen erkrankten und starben. Im Jahre 1886 erkrankten in
derselben Stadt 160 Personen nach dem Genuss von rohem gehacktem
Rindfleisch. Das Fleisch war während einer aussergewöhnlich heissen
Witterung angefertigt und längere Zeit aufbewahrt worden, stammte
jedoch von gesunden Ochsen. Der Genuss des Fleisches in gebra¬
tenem Zustande war entweder vollkommen unschädlich oder bewirkte
nur ein bald verschwindendes Unwohlsein. Als Ursache wurde von
Haupt eine Proteusart festgestellt.
In Plauen erkrankten im Jahre 1887 20 Personen durch rohes
Hackfleisch, welches sechs Tage alt und zum Teil in Zersetzung über¬
gegangen war, in Gerbstädt 50 Personen nach dem Genuss von rohem
Hackfleisch, Schwartenwurst und Zwiebelleberwurst.
Levy (39) beschrieb Erkrankungen an blutigem Brechdurch¬
fall bei 18 Personen, welche in derselben Wirtschaft verkehrten. Der
Wirt pflegte sein Fleisch mehrere Tage im Eisschrank laufzubewahren;
am Boden des Eisschrankes, der mit einer schleimigen braunen Kruste
bedeckt war, die unangenehm säuerlich roch, wurde Proteus nach-
gewiesen. Das im Schrank auf bewahrte Fleisch war mit Proteus in¬
fiziert und sein Geuuss rief die Erkrankungen hervor. Ein Fall
endete tödlich, die Bazillen fanden sich massenhaft im Darminhalt
und in den Fäzes, aber nicht im Blut der Leiche. Injektionen von
Reinkulturen erzeugten bei Tieren ganz ähnliche Krankheitserschei¬
nungen, die Bazillen zeigten aber auch hier im Körper keine Ver¬
mehrung. Levy fasst die Pathogenität des Proteus nicht als eine
Infektion, sondern als eine Intoxikation auf, die Bazillen bilden aus
Eiweiss durch Zersetzung das Gift.
Wesenberg (40) beobachtete im Jahre 1897 in Mansfeld eine
Erkrankung bei 63 Personen, die das gehackte Fleisch einer notge-
scblachteten Kuh in rohem Zustande genossen hatten, diejenigen, die
gekochtes oder gut durchgebratenes Fleisch verzehrt hatten, blieben
verschont; alle Kranken genasen. Aus dem Fleisch wurde eine Pro¬
teusart mit hoher Virulenz für Versuchstiere gezüchtet. Die Infek¬
tion des Fleisches fand erst nach der Schlachtung durch den Proteus
statt; das Fleisch wurde in einem feuchten, ausserordentlich dumpfen
Keller aufeinander geschichtet aufbewahrt.
Glückmann (41) beobachtete in einem Dorfe des Kantons
St. Gallen die Erkrankung von Vater und Sohn nach dem Genuss
eines Stückes halbgeräucherten Schweinefleisches; ersterer starb. Per¬
sonen, die von dem gekochten oder gebratenen Fleisch gegessen hatten,
blieben gesund; in dem geräucherten Fleisch fand sich der Proteus
vulgaris.
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21 ]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
59
Silberschmidt (42) beschrieb eine Erkrankung von 44 Per¬
sonen mit einem Todesfall nach dem Genüsse von geräucherten
Würsten, „Landjägern“, in denen Proteus in grossen Mengen nachge¬
wiesen wurde. Das Räuchern batte nicht ausgereicht, um die Bazillen
abzutöten, genügte aber, um den durch dieselben bedingten unange¬
nehmen Geruch und Geschmack einigermassen zu verdecken. In den
Organen der nach Verfütterung gestorbenen Mäuse und Meerschwein¬
chen gelang es nicht Proteus nachzuweisen, wohl aber im Darm¬
inhalte.
A. Pfuhl (43) beschrieb eine im Jahre 1900 in Hannover bei
81 Soldaten auftretende Massenerkrankung mit den Erscheinungen
von akutem Magendarmkatarrh, die aber bald wieder zurückgingen.
Als Ursache wurde „Rinderwurst“ festgestellt, eine Art Wurst, die
nicht in Därme gestopft, sondern in Gefässen nach Art der Sülze
oder Gallerte hergestellt wird. Die Wurst war in Farbe, Geruch und
Geschmack tadellos; durch die bakteriologische Untersuchung wurde
Proteus festgestellt.
Durch dieselbe Wurstart erkrankten in Hannover im Jahre 1901
34 Personen wenige Stunden nach dem Essen an Darmerkrankungen,
Übelkeit, profusen Durchfällen, Mattigkeit, mehrfachem Erbrechen;
nach 12 Stunden waren bei den meisten Erkrankten die Symptome
wieder abgeklungen. Aus der Wurst wurde von Schumburg (44)
eine Proteusart gezüchtet; Mäuse und Ratten, mit der Wurst gefüttert,
starben nach 24 Stunden an heftigem Darmkatarrh; aus den Organen
liess sich gleichfalls Proteus züchten. Die mit den Reinkulturen ge¬
fütterten Mäuse und Ratten starben unter den Erscheinungen eines
sehr heftigen Darmkatarrhs.
Alle diese Beobachter nehmen an, dass es sich bei diesen Ver¬
giftungen um eine Veränderung des Fleisches handelte, das ursprüng¬
lich gut war und auch von gesunden Tieren stammte; die Infektion
des Fleisches durch den Proteus ist erst nach der Schlachtung, wahr¬
scheinlich infolge von unzweckmässiger Aufbewahrung erfolgt. Die
Erkrankungen, die nach dem Genuss eines mit Proteus infizierten
Fleisches entstehen, sind nach den Untersuchungen von Glücks¬
mann, Silberschmidt u. a. nicht nur als eine reine Infektion,
sondern auch als eine gleichzeitige Intoxikation mit den Stoffwechsel¬
produkten dieses Bacillus aufzufassen. Der mit dem Fleisch auf¬
genommene Proteus vermehrt sich im Darmkanal und bildet hier
giftige Substanzen, welche die allgemeinen Erscheinnngen hervor-
rufen, die Intoxikation gesellt sich zur Infektion. Zu einer Allgemein¬
infektion, einer Überschwemmung des Körpers mit Bakterien kommt
es wohl selten; dafür sprechen die Versuche an den mit Proteus
tödlich infizierten Tieren, welche die Erscheinungen eines schweren
Darmkatarrhs zeigen, aber in den Organen nur wenig Bakterien nach-
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A. DIEUDONNE,
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weisen lassen. Manchmal wird auch der Proteus im Fleisch selbst
schon giftige Produkte bilden, doch wird dies seltener der Fall sein,
da dies durch die gleichzeitig auftretenden riechenden Fäulnisprodukte
(Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Indol u. a.), bemerkt würde; meist
ist ausdrücklich bemerkt, dass das schädliche Fleisch oder die Wurst
keine Veränderungen im Aussehen, Geruch und Geschmack zeigte,
so dass es als vollkommen unbedenklich angesehen wurde.
Durch das Räuchern wird der Proteus nicht abgetötet, wie die
von Silberschmidt beschriebene Vergiftung durch „Landjäger“
zeigt; das Räuchern kann dagegen einen etwa vorhandenen unan¬
genehmen Geruch und Geschmack verdecken. Dagegen wird durch
halbstündiges Erhitzen auf mindestens 80° der Proteus abgetötet und
das von ihm gebildete Gift imschädlich gemacht, im Gegensatz zu
dem meist hitzebeständigen Gift des B. enteritidis und Paratyphus B.
Ausser Proteus und B. coli kann auch der B. subtilis eine
Fleischvergiftung herbeiführen (Lubenau (44a). In dem Sanatorium
von Beelitz erkrankten im Juli 1906 nach einem Gericht von „Königs¬
berger Klops“ etwa */< der 400 Insassen der Anstalt, sowie ein grosser
Teil des Personals an heftigem Magendarmkatarrh, der ohne Vorboten
plötzlich zum Ausbruch kam. Das Gericht war zu Mittag gegessen
worden und in derselben Nacht gegen 11 Uhr traten profuse Durch¬
fälle, unstillbares Erbrechen, heftige Kopfschmerzen mit allgemeiner
Schwäche auf; Fieber war nur bei einzelnen am 2. oder 3. Krank¬
heitstage vorhanden, am 3. oder 4. Tage waren die meisten Kranken
wieder wohl, nur bestand bei einzelnen noch mehrere Wochen hin¬
durch Neigung zu heftigen Durchfällen. Aus den Klopsen wurde
eine zu der Gruppe der Heubazillen gehörige Bakterienart kulturell
isoliert, die in Milch gezüchtet ein starkes Gift bildete; junge Hunde
mit infizierter Milch gefüttert bekamen heftige, zum Teil blutige
Durchfälle und Erbrechen und magerten stark ab. Der Bacillus,
„B. peptonificans“, gehört zu den von Flügge gefundenen pep-
touisierenden Bazillen der Subtilisgruppe, die in Milch Pepton bilden
und als die Erreger der Darmkatarrhe von Säuglingen angesprochen
werden. Zu dem Gericht war ein Stück Fleisch verwendet worden,
das vier Tage im Eisschrank gehalten, dann, weil es noch ganz frisch
war, abgekocht wurde und dann nochmals zwei Tage in den Eisschrank
kam. Das Kochen hatte nicht genügt, um die widerstandsfähigen
Sporen des Bacillus abzutöten, andererseits war die Temperatur de6
Eisschrankes im Juli zum Auswachsen der Sporen sehr günstig.
Die Prophylaxe dieser Art von Fleischvergiftungen besteht darin,
dass das Fleisch möglichst frisch verwendet oder einwandfrei aufbewahrt
wird; besonders gefährlich ist Hackfleisch. Fleisch, das die Anzeichen
der Fäulnis hat, sollte nicht genossen werden. Durch Kochen und
Braten wird die Gefahr verringert. Besondere Vorsicht ist im Sommer
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
61
notwendig, wo die Erkrankungen vorzugsweise beobachtet werden.
In schlecht konstruierten Eisschränken kann es leicht zu Fäulnis
kommen; bei der schlechten Lüftbarkeit und dem hohen Feuchtig¬
keitsgehalt können sich Bakterien reichlich darin entwickeln; bei der
von Levy beschriebenen Massenerkrankung wurde Proteus am Boden
des Eisschrankes nachgewiesen. Die Schränke sollten mehrmals im
Jahre mit heisser Sodalösung gründlich gereinigt werden. Besonders
gefährlich ist die Aufbewahrung des Fleisches in nicht mit Eis be¬
schickten, schlecht gelüfteten Eisschränken. Belehrung des Publikums
und strenge Beaufsichtigung der Metzgereien und Wurstläden, ins¬
besondere auch des Hackfleisches ist angezeigt.
Die Behandlung ist auch bei dieser Form symptomatisch, Ab¬
führmittel, Exzitantien (Kaffee, Kognak, Sekt) und diätetische
Massregeln.
Auffallend ist das bei der weiten Verbreitung des Proteus seltene
Vorkommen dieser Art von Fleischvergiftungen, wahrscheinlich sind
sie aber doch viel häufiger als bekannt wird und werden nur oft
wegen ihres raschen Verlaufes wenig berücksichtigt und auch nicht
erkannt. Jedenfalls sind aber die Vergiftungen durch das Fleisch
notgeschlachteter Tiere viel häufiger (nach B o 11 i n g e r 4 /s aller Fleisch¬
vergiftungen) und wegen ihres Verlaufes weit bedenklicher. Das
Fleisch von kranken Tieren, besonders von septischen, zersetzt sich
besonders schnell und ist schon bei leichten Graden der Fäulnis sehr
gefährlich; wahrscheinlich nimmt die Bildung der giftigen Stoff¬
wechselprodukte, die im Leben schon begonnen hatte, nachher noch
beträchtlich zu. Je schneller ein Fleisch fault, um so gefährlicher
pflegt es zu sein.
Die Diagnose ist nur auf bakteriologischem Wege möglich durch
Untersuchung des schädlichen Fleisches mittelst Plattenkultur; zur
Fütterung eignen sich auch hier, wie bei den durch den B. enteritidis
bedingten Vergiftungen Mäuse, die durch Proteus meist nach 24 Stunden
an Magendarmkatarrh zugrunde gehen; im Darminhalt findet sich
dann Proteus. Die chemische Untersuchung auf Ptomaine, Fäulnis¬
alkaloide u. a. lässt vollkommen im Stich oder gibt wenigstens kein
eindeutiges spezifisches Resultat und es ist daher nicht zweckmässig,
wie es zur Zeit oft der Fall ist, mit der Beurteilung der Gesund¬
heitsschädlichkeit von verdächtigem Fleisch oder von Wurstwaren den
Chemiker zu betrauen, dafür ist nur massgebend der Tierarzt und
ein vollkommen ausgebildeter Bakteriologe.
Die Beurteilung der beginnenden Fäulnis ist unter Umständen
sehr schwierig. Die Fäulnisveränderungen treten zunächst an der
Oberfläche auf und verbreiten sich von hier aus in die Tiefe; sie
beginnen in der Regel im Bindegewebe der Fleischoberfläche und
verbreiten sich dann in den Bindegewebszügen (Schneidemühl [4]),
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A. DIEUDONNfi,
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namentlich in der Umgebung eines Knochens und der grossen Ge-
fässe in die Tiefe und in die anliegenden Muskeln; unter Entwicke¬
lung eines allmählich stärker werdenden fauligen Geruches bildet sich
dann eine anfänglich dünne, später dicke schmierige Schicht; schliess¬
lich zerfällt Bindegewebe und Fleisch und die Fäulnis ist eine voll¬
ständige geworden. In diesen höheren Graden erscheint das Fleisch
auf der Schnittoberfläche porös, Fingereindrücke bleiben bestehen,
während sie an normalem Fleisch bald wieder verschwinden, das ur¬
sprünglich gelbe Fett ist grünlich, das Knochenmark weich, selbst
flüssig und von grünlicher oder bräunlicher Farbe. Der Fäulnis¬
geruch ist am stärksten am Fett und in der Nähe am Knochen. Der
schlechte Geruch des faulen Fleisches wird durch das Kochen und
Braten nicht beseitigt.
Zum objektiven Nachweis der Fäulnis ist zunächst auf die in¬
folge der Atnraoniakbildung auftretende alkalische Reaktion des
Fleisches zu untersuchen (in frische Schnitte eingelegtes rotes Lacmus-
papier färbt sich blau), doch ist diese Probe nicht immer zuverlässig,
da Pökelfleisch und geräucherter Schinken in frischem Zustand alka¬
lisch reagieren, und da bei gleichzeitiger Gärung saure Reaktion
eintreten kann. Besser ist die Ebersche Salmiak-Fäulnisprobe, die
sich auf den Nachweis von freiem Ammoniak gründet. Ein Rea¬
genzglas von 2 cm Durchmesser und 10 cm Länge wird etwa 1 cm
hoch mit einer Mischung von einem Teil reiner Salzsäure, drei Teilen
Alkohol und einem Teil Äther gefüllt, verkorkt und einmal geschüttelt.
Dann streift man von dem zu untersuchenden Fleisch mit einem
sauberen Glasstabe eine Probe ab und senkt den Stab schnell in
das Reagenzglas, so dass sein unteres Ende etwa 1 cm von der Flüssig¬
keit entfernt bleibt. Bei Gegenwart von Ammoniak bilden sich je
nach dem Fäulnisgrade sehr schnell graue, rauchblaue oder weisse
Nebel, die von der Probe zu der Oberfläche des Reagens sich hin¬
ziehen. Diese Fäulnisprobe ist zwar auch nicht ganz einwandfrei,
da sie bei frischem Pökelfleisch wegen des häufig normal anwesenden
Trimethylamins positiv ausfallen kann, doch vermag sie beim Vor¬
handensein anderer Fäulniserscheinungen die Diagnose zu sichern.
In wichtigen Fällen sollte stets auch die bakteriologische Untersuchung
ausgeführt werden.
3. Wurstvergiftung (Botulismus, Allantiasis).
Die dritte Art der Fleischvergiftung, die durch das Auftreten
von schweren nervösen Erscheinungen charakterisiert ist, wird als
Wurstvergiftung bezeichnet, da sie zuerst hauptsächlich nach dem
Genuss von Wurst beobachtet wurde, doch kommt sie auch bei
anderen Nahrungsmitteln vor und der Erreger, der B. botulinus,
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25]
Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
63
wurde bei einer Vergiftung durch Schinken isoliert. Da der Erreger
ein obligater Anaerobier ist, so werden die Vergiftungen beobachtet
bei Nahrungsmitteln, die unter Luftabschluss;oder doch unter mangel¬
haftem Luftzutritt aufbewahrt waren und, ohne vorher noch einmal
gekocht zu sein, verzehrt wurden, also besonders bei in dicken Darm¬
hüllen eingeschlossenen Würsten, mit Fett umgossenen Fleichpasteten
oder mangelhaft gepökeltem Schinken, (das Fleisch, das dazu ver¬
wendet war, stammte meist von durchaus gesunden Tieren), ferner
besonders in Konserven; so wurden derartige Vergiftungen nach Genuss
von Fisch- und Bohnenkonserven beobachtet.
Sichere Beobachtungen über das Auftreten von Wurstvergif¬
tung wurden zuerst von dem schwäbischen Dichter und Arzt Justin u s
Kerner im Jahre 1820 veröffentlicht, der über einen Fall aus dem
Jahre 1793 zu Kleinenzheim bei Wildbad und dann über mehrere
Epidemien in verschiedenen Teilen Württembergs, zusammen 76 Er¬
krankungen mit 37 Todesfällen berichtete (Ostertag [2]). ln einer
zweiten Abhandlung aus dem Jahre 1822 verzeichnet« der Autor
98 weitere Fälle, davon 34 tödliche; zweimal waren Massenerkrankungen
nach dem Genuss von zersetzten sauren „Blunzen“ aufgetreten.
Auch später wurden zahlreiche Vergiftungen nach Genuss von
Leberwurst und Schwartenmagen in Württemberg beobachtet, während
in den übrigen Ländern, besonders in Norddeutschland, diese Er¬
krankungen viel seltener waren. Die Ursache dafür ist nach
Ostertag in erster Linie in dem grossen Umfange der Wurstfabri¬
kation und des Wurstgenusses, besonders der leicht zersetzlichen Würste,
der Blut- und Leberwürste in Württemberg zu suchen, dann aber
auch in schlechtem Material, altem Blut u. a., und ferner in der
früher ungenügenden Art der Herstellung; die Würste erhielten ein
ungewöhnlich dickes Kaliber (in Schweinemagen gefüllte Blunzen),
welches dem Durchdringen des Rauches Hindernisse entgegenstellt,
ausserdem in der unvollkommenen Räucherung und dem zu hohen
Wassergehalt. Seit der zweckmässigeren Herstellung von Dauerwürsten
in neuerer Zeit sind auch in Württemberg diese Wurstvergiftungen
viel seltener geworden.
Die Symptome sind sehr charakteristisch. Während bei den
seither besprochenen beiden Arten der Fleischvergiftung vorwiegend
gastrointestinale Störungen auftreten, fehlen diese beim Botulismus
vollständig, es sind ausschliesslich nervöse Erscheinungen zentralen
Ursprungs (v. Ermengem), besonders sekretorische Störungen und
symmetrische motorische Lähmungen, partiell oder total, welche ihren
Sitz hauptsächlich in den Muskelgruppen, die von Hirunerven ver¬
sorgt sind, haben, daher Akkommodationslähmungen, Ptosis, Doppelt¬
sehen, Schlingbeschwerden, Gefühl von Trockenheit und Kratzen im
Munde und im Rachen durch Versiegen der Speichelabsonderung,
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A. DIEUDONNE,
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Aphonie, hartnäckige Verstopfung und Urinverhaltung, ferner Störungen
der Herztätigkeit und der Atmung; Fieber fehlt, Störungen der Moti¬
lität und der Sensibilität sind nicht vorhanden, das Bewusstsein ist
völlig erhalten. Die Krankheitserscheinungen, die in vielen Zügen
an Atropinvergiftung erinnern, treten meist 24—36 Stunden nach
der Mahlzeit auf, bisweilen früher, schon nach 4 Stunden oder aber
auch später, bis zum 4. Tage und enden ziemlich häufig mit dem
Tod infolge Bulbärparalyse an Asphyxie, oder sie ziehen sich über
Wochen und Monate lang hin. Selbst bei günstigem Verlauf bleiben
noch wochenlang Sehstörungen und Muskelschwäche zurück. Die
Sterblichkeit beträgt nach einer Zusammenstellung von Senkpiehl
über 412 Erkrankungen von 1789—1886 mit 165 Todesfällen 40°/o.
Der Obduktionsbefund ist meist völlig negativ, meist findet sich nur
eine Hyperämie der Organe.
Als die Ursache der Wurstvergiftung winde von v. Er¬
men gern (45) der anaärob wachsende B. botulinus festgestellt, der
ein sehr stark wirksames spezifisches Toxin bildet. Dieser Mikro¬
organismus wurde in einem Schinken, der zu Ellezelles (Hennegau)
im Dezember 1895 50 Fälle von Botulismus, darunter drei Todesfälle
verursacht hatte, entdeckt; er fand sich in dem intermuskulären Binde¬
gewebe in Form von Sporen, stellenweise in grossen Mengen, dagegen
fehlte er im Speck. Dieselben Bakterien wurden gefunden in der
Milz und in dem Mageudarmiuhalt der Leichen, aber in einer sehr
viel kleineren Anzahl. Der Schinken stammte von einem Tier, das
als gesund begutachtet und dessen Fleisch in frischem Zustande ohne
schädliche Folgen verzehrt worden war, der zweite Schinken des
gleichen Schweines war gleichfalls verzehrt worden, ohne irgendwelche
Störungen hervorzurufen. Es wurde festgestellt, dass der schädliche
Schinken während der Pökelung auf dem Boden des Fasses und voll¬
ständig unter dem Salzwasser gelegen hatte, der unschädliche war
darüber gelegen und ausserhalb der Flüssigkeit; er bot daher nicht
die günstigen Entwickelungsbedingungen für auaerobe Bakterien. Der
toxische Schinken war nicht faul, dagegen hatte er einen ausgesprochen
ranzigen Geruch, ähnlich dem verdorbener Butter und
war nur etwas entfärbt und iufolge einer langen Mazeration erweicht.
Wässerige Auszüge des Schinkens erzeugten, bei mehreren Versuchs¬
tieren subkutan verimpft, typische Krankheitsbilder; Katzen zeigten
ausgesprochene Mydriasis, Störungen der Speichelsekretiou, verschie¬
denartige Paresen, Herabhängen der Zunge, Aphonie, Dysphagie,
Retention von Harn, Kot und Galle. Bei der Taube beobachtete man
Lähmung der Flügel, Ptosis, ungleich dilatierte Pupillen, bei Affen,
Meerschweinchen, Kaninchen und Mäusen die Zeichen der allgemeinen
oder verschiedensten teilweisen Lähmung.
Der B. botulinus ist ein ziemlich grosses Stäbchen mit abge-
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
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rundeten Ecken, der endständige ovale Sporen bildet; er ist wenig
beweglich und besitzt 4—8 sehr feine, peripherisch angeordnete Geissein,
nach Gram färbbar; er ist ein obligater Anaärobier und wächst in
Traubenzuckeragar und Bouillon mit reichlicher Gasentwickelung sehr
üppig. Alle Kulturen haben einen ranzigen, sehr ausgesprochenen
Geruch nach Buttersäure. Die Sporen haben eine relativ geringe
Widerstandsfähigkeit; sporenhaltige Kulturen werden durch ein-
stündiges Erhitzen auf 80° sicher abgetötet. Kochsalzgehalt über
5—6°/o in den Nährböden hebt das Wachstum auf, er vermag sich
daher nicht in richtig gepökeltem Fleisch mit 10°/o Kochsalzgehalt
der Lake zu entwickeln. Die Bazillen bilden ein heftiges Toxin;
filtrierte Kulturen rufen bei empfänglichen Versuchstieren, Kaninchen,
Meerschweinchen, Mäusen, Katzen und Affen schon in kleinsten Mengen
(0,0001 ccm und weniger) Lähmungserscheinungen hervor; grosse Dosen
(0,1—0,5 ccm) wirken bei Kaninchen wie ein foudroyantes Gift. Nach
einem Latenzstadium von einigen Stunden zeigen die Tiere oft plötzlich
dyspnoische Anfälle; sie fallen vollständig gelähmt, bisweilen mit einem
scharfen Schrei auf die Seite und sterben unter Zuckungen infolge
rapider Respirationslähmung nach einer viertel- bis halben Stunde.
Je grösser die Toxindosis, um so rascher und heftiger treten die Er¬
scheinungen auf, doch ist selbst bei den grössten Dosen ein Latenz-
stadium von 6—12 Stunden zu beobachten. Die Krankheitserscheinungen
haben vollkommen den Charakter einer reinen Vergiftung, ohne dass
dabei eine Vermehrung der Bakterien im Körper stattfindet. Im Gegen¬
satz zu den meisten anderen Toxinen wirkt das Gift des B. botulinus
nicht nur bei subkutaner oder intravenöser Injektion, sondern die
schwersten Vergiftungserscheinungen treten bei Verfütterung auf.
Bei den Versuchstieren finden sich Veränderungen (Entartung) in
den Ganglienzellen der Vorderhörner des Rückenmarkes und der
Bulbärkerne (Okulomotoriuskern), also der Orgaue, auf welche der
Verlauf der Krankheit auch beim Menschen hinweist.
Durch Immunisierung von Tieren mit dem Toxin gelang
es Kempner (46) ein antitoxisches Serum herzustellen, welches
schützende und auch gewisse heilende Wirkung im Tierversuch zeigte.
Diese Beobachtungen wurden von Roemer (47) vollkommen
bestätigt, der im Jahre 1900 bei der Untersuchung eines Schinkens,
welcher bei vier Personen die Erscheinungen des Botulismus hervorrief,
den B. botulinus nach wies. Auch dieser Schinken stammte von einem
gesunden Tier, bei der Pökelung lag der Schinken oben und war
angeblich mit der Lake ganz überdeckt; nach fünf Wochen wurde
das Aufsteigen von Gasblasen aus der Lake beobachtet. An der
Muskulatur des Schinkens beobachtete man an den meisten Stellen
normale Färbung und Konsistenz, daneben aber einzelne blaugraue
bis schwachgrünliche Partien, die sich weicher anfühlten und feucht
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A. DIEUDONNE,
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waren. Der Geruch war nicht faulig, sondern scharf ranzig, an Butter¬
säure erinnernd. In dem Fett und der gesund aussehenden Musku¬
latur waren Bakterien weder mikroskopisch noch kulturell nach¬
weisbar, dagegen wurde aus den grünlichen Partien der B. botulinus
und daneben zwei aörobe Arten, ein grosser Coccus und ein Bacillus
aus der Gruppe der Heubazillen isoliert. Auch v. Ermengem hatte
neben dem B. botulinus einen aörob wachsenden Micrococcus ge¬
funden ; diese Begleitbakterien ermöglichen dem B. botulinus seine
anaörobe Entwickelung in der Salzlake. Roemer stellte durch den
Tierversuch fest, dass der Bacillus im lebenden Organismus kein Gift
bildet und dass er sich weder an der Injektionsstelle noch in den
inneren Organen, noch im Darm vermehrt, er ist also ein Saprophyt;
die Krankheitserscheinungen werden ausschliesslich durch das Toxin
verursacht, welches von dem Bacillus in den Nahrungsmitteln vor¬
gebildet wurde; auch der Mensch erkrankt nur, weil das im Nah¬
rungsmittel enthaltene Gift vom Intestinaltraktus aus aufgenommen
wird. v. Ermengem rechnet daher den B. botulinus zu den „patho¬
genen Saprophyten“, die zum Unterschied von infektiösen Mikroben
zwar im lebenden Tierkörper sich nicht entwickeln können, aber doch
durch die Giftbildung im Nahrungsmittel gefährlich werden können.
Die Diagnose des Botulismus kann nur auf bakteriologischem
Wege erfolgen durch die mikroskopische Untersuchung des ver¬
dächtigen Fleisches, durch die anaörobe Kultur auf Zuckeragarplatten
und Zuckergelatiue und durch den Tierversuch: Verfütterung des
Fleisches an Mäuse, Verimpfung eines. wässerigen Auszuges davon
an Meerschweinchen und Kaninchen subkutan und per os und Prüfung
einer mehrtägigen Bouillonkultur und ihres Filtrates auf Giftigkeit an
diesen Tieren.
Die Behandlung ist auch hier symptomatisch, ferner kann
man ein antitoxisches Serum versuchen, das im Tierversuch heilende
Eigenschaften besitzt, selbst wenn bereits deutliche Vergiftungs¬
erscheinungen ausgebrochen sind und es 24 Stunden nach der Gift¬
injektion angewendet wurde. Neuerdings wird ein von Wassermann
hergestelltes Botulismusserum von dem Institut für Infektionskrank¬
heiten in Berlin abgegeben.
Die Prophylaxe besteht nach v. Ermengem vor allem
darin, dass man den Genuss von solchen Nahrungsmitteln in rohem
Zustande vermeidet, die ganz besonders der Möglichkeit von anaöroben
Wachstumsvorgängen ausgesetzt sind, wie Würste, Schinken, Kon¬
serven u. a.; fernerhin sollen von dem Genuss ausgeschlossen werden
alle verdorbenen Nahrungsmittel, die durch ihren ranzigen oder butter¬
säureähnlichen Geruch, durch schmieriges Aussehen, Erweichung ein¬
zelner Stellen oder sonstwie abnorme Beschaffenheit Verdacht erregen.
Für Pökelungen sollen nur Laken benutzt werden, die eine genügende
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
67
Salzkonzentration, zum mindesten lO°/o Kochsalz enthalten, da der
B. botulinus hei dieser Konzentration sich nicht vermehren kann.
Zur Herstellung von Würsten darf nur gesundes Fleisch und Or¬
gane, welche gründlich durchgekocht sein müssen, verwendet werden.
Die Därme müssen ausgiebig eventuell unter Benutzung von unschädlichen
desinfizierenden Stoffen gereinigt werden; Schillin g (48) fand in Wurst¬
därmen noch Fäkalbestandteile, Strohteilchen, Tierhaare, am meisten
in den Falten und Buchten des fettreichen Dünndarms, in 1 m Darm
2—16 g Fäzes auf Wassergehalt berechnet. Allzu grosse Kaliber
(Schweine- oder Rindermägen), welche dem Durchdringen des Rauches
Hindernisse entgegensetzen, sind zu vermeiden. Die Räucherung soll
in zweckmässig eingerichteten Räucherkammern kontinuierlich und
kräftig unterhalten werden, bis die Würste genügend hart und trocken
geworden sind; für die Würste ist ein Wassergehalt von 30 bis
höchstens 35°/o am zweckmässigsten. In Gegenden, wo viel Würste
gegessen werden, sind von behördlicher Seite Belehrungen des Publi¬
kums über die Gefahren und entsprechende Bestimmungen erlassen
worden (Schneidemühl [4]).
Vergiftungen durch Fische und Mollusken.
Bei diesen Vergiftungen müssen wir gleichfalls mehrere Arten unter¬
scheiden, solche, bei denen das Gift in den gesunden Tieren bereits
präformiert ist und solche, bei denen sich erst bei dem Aufbewahren
giftige Stoffe bilden.
Die eigentlich giftigen Fische kommen bei uns weniger, sondern
meist nur in tropischen Ländern vor. Durch die Fische wird nur
dann eine Vergiftung hervorgerufen, wenn sie als Speise genossen
werden. Bei vielen Arten (z. B. dem japanischen Fisch Fugu) ist der
Laich giftig und kann Menschen unter choleraähnlichen Erscheinungen,
Lähmungen und Krämpfen rasch töten; werden die Eierstöcke mit
dem Laich vorsichtig aus den frischen Fischen entfernt, so soll das
Fleisch ohne Schaden gegessen werden können. Durch Kochen wird
der Giftstoff meist nicht zerstört. Von unseren einheimischen Süss¬
wasserfischen ruft der Rogen der Barbe, Cyprinus barba besonders
im Mai choleriforme Erkrankungen hervor (Barbencholera), die ge¬
wöhnlich gutartig verlaufeu. Auch die Rogen des Hechtes, sowie das
Fleisch von Stör, Sterlet, Hausen soll zur Laichzeit giftige Eigen¬
schaften entfalten. Von manchen Fischen soll auch die Leber, be¬
sonders die Galle das Gift enthalten (näheres bei Ko her t [49]).
Die meisten Fischvergiftungen entstehen aber durch bakterielle
Infektion oder Intoxikation entweder durch den Genuss von kranken
Fischen oder von gesunden, deren Fleisch postmortal in Zersetzung über-
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68 A. DIEUDONNE, [30
geht. Ulrich (50) beschreibt mehrere Fälle von Fischvergiftung, die
iin Jahre 1904 in Zürich vorkamen und wahrscheinlich von einer Sen¬
dung Meerhechte ausgegangen war. Die Fische hatten sich mehrere
Tage auf dem Transport befunden und waren nicht sofort nach dem
Kochen, sondern 24, 36 und mehr als 48 Stunden nach der Zubereitung
genossen worden. Die Krankheitserscheinungen waren gastroenteri-
tischer und typhöser Natur und traten um so schwerer auf, je später
von den Fischen gegessen worden war, ferner erwiesen sich andere
Fische, die auf derselben Platte aufbewahrt wurden, als ebenso
schädlich. Aus dem Blut der zwei gestorbenen Personen wurde von
Wyss und Silberschmidt der B. paratyphus B isoliert; das Blut
der anderen Patienten agglutinierte diesen Bacillus. Ob die lebenden
Fische schon diese Bazillen enthielten, war nicht festzustellen, jeden¬
falls ist aber anzunehmen, dass das Fleisch kranker Fische für die
Entwickelung pathogener Bakterien einen günstigeren Nährboden
darstellt als das gesunde. Wie Ulrich weiter feststellte, zeigen die
Fische irn rohen Zustande, namentlich bei hoher Sommertemperatur
einen ziemlich grossen Bakteriengehalt, vornehmlich Bakterien aus
der Koli- und Proteusgruppe. Durch das gewöhnliche Kochen werden
nicht alle Bakterien abgetötet; wird der Fisch längere Zeit aufbe¬
wahrt, so entwickeln sich diese Bakterien im Sommer sehr intensiv
weiter. Der Genuss grosser Mengen dieser Bakterien im Fleisch
kann zu schweren Magendarmstörungen führen, besonders der Koli-
arten, die Proteusinfektionen sind weniger gefährlich, da dahei schon
nach kurzer Zeit wahrnehmbare Veränderungen des Fleisches (Fäulnis¬
geruch) eintritt, was bei B. coli nicht der Fall ist. Auch der aus
dem Fisch gezüchtete B. paratyphus B wächst auf Fischfleich sehr
üppig. Da sich die Bakterien in gekochtem Fischfleisch, namentlich
bei höheren Temperaturen rasch vermehren, ist es nach Ulrich
nicht unbedenklich, Fischfleisch im Sommer später als 24 Stunden
nach dem Kochen zu gemessen.
Abraham (51) berichtete im Jahre 1906 über 28 Erkrankungs¬
fälle nach dem Genuss von Seehecht; die Erkrankung trat etwa
18 Stunden nach dem Genüsse des Fisches mit Fieber (bis zu 39°),
Darmkoliken, leichten Diarrhöen und Übelkeit auf; nach zwei bis
drei Tagen schwaud das Fieber, die Koliken und diarrhöischen Stühle
hörten auf und nach acht Tagen waren alle Erkraukten wieder ge¬
sund. Das zurückgebliebene Stück Fisch machte äusserlich eineu
tadellosen Eindruck hinsichtlich Farbe, Geruch und Geschmack. Bei
der bakteriologischen Untersuchung fand Neisser eine zu der
Gruppe des Paratyphusbazillus, Typus Aertryk, gehörige Bakterieu-
art, die ein gegen Erhitzen sehr widerstandsfähiges Toxin bildete. Die
serodiagnostische Untersuchung des Blutes einer Anzahl der Patienten
war positiv. In den Stühlen der Patienten konnten keine Bazilleu
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
69
gefunden werden. In diesem Fall ist anzunehmen, dass der Fisch
sich in vivo mit den Bazillen infiziert hatte und diese in das Fleisch
eindrangen, nach dessen Genuss die Erkrankung erfolgte, also durch
das Fleisch eines kranken Fisches. Da der Seehecht ein sehr ge-
frässiges Tier ist, das sich mit Vorliebe an Kloakenmündungen und
schmutzigen Wasserstellen aufhält und im Meere auch Kadaver frisst,
so ist die Aufnahme von pathogenen Bakterien, z. B. des Paratyphus,
wohl möglich.
Ausser diesen beiden Arten der Fischvergiftung kommen auch
noch unter dem Bilde des Botulismus verlaufende vor; diese werden
namentlich bei Genuss des Inhalts geöffneter Konservenbüchsen von
Fischen und von Hummern beobachtet, das Gift kann auch in der
Mayonnaise sitzen. Die vielfachen Verdauungsstörungen nach Hummer¬
mayonnaise werden wohl zum Teil durch derartige Gifte bedingt.
Auch nach dem Genuss von Krebsen wurden öfters schwere
Erkrankungen beim Menschen beobachtet; bei gekochten Krebsen,
Krabben und anderen Krustentieren können sich nach längerem
Stehen, und zwar bereits vor dem Auftreten eines Fäuinisgeruches
gesundheitsschädliche Stoffe entwickeln, zumal wenn die Tiere erst
nach erfolgtem Absterben gekocht worden sind (Schneidemühl [4]).
Die Erscheinungen dieser Vergiftung waren Mattigkeit, ziehende
Schmerzen im Rücken und schmerzhafte Steifigkeit in den Gliedern;
die Rekonvaleszenz dauerte Monate.
Von Muscheln hat die Miesmuschel (Mytilus edulis) in Wilhelms¬
haven im Jahre 1885 zu einer Massenerkrankung geführt, ohne dass
Fäulnis vorhanden war. Die Erscheinungen traten sehr bald ( 1 /-t bis
V* Stunde) nach der Mahlzeit auf und bestanden in zusammen¬
schnürendem Gefühl im Halse, Prickeln in den Extremitäten, Schwindel,
hochgradigem Kräfteverfall; der Tod trat schon nach wenigen (2—5)
Stunden ein. Bei der Sektion fand V i r c h o w konstant eine starke
Milzschwellung, sowie fettige Degeneration der Nieren und der Leber.
Auch anderwärts wurden tödlich verlaufende Vergiftungen beobachtet.
Von Brieger wurde ein giftiges Alkaloid, Mytilotoxin, isoliert, dessen
Wirkung mit dem Curare Ähnlichkeit hat; dieses Gift wird durch
Kochen in Wasser zerstört, dem kohlensaures Natron (3—5 g auf
1 Liter) zugefügt ist. Unter welchen Bedingungen die Bildung von
Giften in den Muscheln zustandekoramt, ist nicht bekannt; die giftigen
Muscheln sollen meistens aus stagnierendem Wasser gestammt haben.
Schmidtmann beobachtete, dass ganz gesunde Muscheln in dem
Wasser des Kanals, aus dem die giftigen Muscheln in Wilhelmshaven
stammten, stark giftig wurden und umgekehrt giftige Muscheln aus
diesem Kanal, in das Wasser der Hafeneinfahrt gebracht, innerhalb
der gleichen Frist ihre giftigen Eigenschaften vollkommen verloren;
man nimmt daher an, dass Bakterien, welche in dem Kanalwassei
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vorhanden sind, in den Muscheln das Gift erzeugen. Giftige Muscheln
besitzen nach Schmidtmann einen süsslichen, ekelerregenden
Bouillongeruch, während gesunde den frischen Seewassergeruch haben.
Lustig und Zardo züchteten von Miesmuscheln zwei verschiedene,
nicht näher identifizierte Bakterienarten, die für Versuchstiere pathogen
waren.
Auch Meerschnecken haben zu Vergiftungen geführt (Galeotti
und Zardo [52]); im Jahre 1900 erkrankten in Isola 43 Personen nach
dem Genuss von Meerschnecken, Murex bradatus, unter heftigem
Erbrechen, Hämaturie, Krämpfen, Lähmungen; die meisten Kranken
litten an Durchfällen, bei anderen, den schwersten Fällen, wurde
Verstopfung beobachtet; 5 Personen starben; bei der Sektion fanden
sich überaus zahlreiche durch das Unterhaut- und Muskelgewebe, die
serösen Häute, das Herz zerstreute Blutergüsse, fettige Degeneration
der Leber, des Herzens und der Nieren. Aus den in derselben Gegend
gefangenen Meerschnecken wurde eine der Gruppe der Bazillen der
hämorrhagischen Septikämie nahestehende ßakterienart isoliert, die
stark pathogen und toxisch, auch bei Verfütterung wirkte und bei
den Versuchstieren ähnliche pathologische Erscheinungen hervorrief,
wie sie bei den erkrankten Menschen beobachtet worden waren.
Dieser Bacillus scheint ein gewöhnlicher Gast der in diesen Gegenden
vorhandenen Meermuscheln zu sein und unter gewissen Bedingungen
für den Menschen pathogene Eigenschaften zu bekommen. Sehr
häufig sind aber solche Muschel- und Schneckenvergiftungen sicher
auf faulige Verderbnis durch Proteus- und andere Fäulnisbazillen
zurückzuführen.
Austern können zu Vergiftungen führen, namentlich wenn
die Austernbänke an den Mündungen von Kanälen und Kloaken
angelegt sind; nach Bar de t sollen alle Austern im Sommer krank
sein. Ferner gehen die Austern leicht in Fäulnis über; der Genuss
toter und zersetzter Austern ist sehr gefährlich. Das Krankheitsbild
tritt bald als Urticaria, bald als schwere Gastroenteritis auf; auch töd¬
liche Vergiftungen unter dem Bild des Botulismus wurden beobachtet.
Einwandfreie bakteriologische Untersuchungen liegen darüber noch
nicht vor. Durch Austern können auch Typhus- und Choleraerkran¬
kungen Zustandekommen, wenn das Wasser, aus dem sie stammen,
durch infizierte Kanalabwässer verunreinigt ist; verschiedene wie
Typhus oder typhusähnlich verlaufende Massenerkrankungen zum
Teil mit tödlichem Verlauf wurden auf den Genuss von Austern
zurückgeführt, doch gelang es bis jetzt nur selten, den Typhusbacillus
ein wandsfrei nachzuweisen, dagegen wurden wiederholt in frischen
Austern B. coli gefunden und dies von einigen Autoren als ein
Zeichen fäkaler Verunreinigung von dem zur Züchtung dienenden
Wasser aus betrachtet, während andere Autoren das B. coli als den ge-
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Die bakterielles Nahrungsmittelvergiftungen.
71
wohnlichen Darmbewohner dieser Mollusken bezeichnen. Auch Pro¬
teusarten wurden innerhalb der AüBtern festgestellt. Vivaldi und
Rodella (53) fanden einen koliähnliehen, zu der Gruppe der Kapsel¬
bazillen gehörigen, für den Menschen pathogenen Bacillus. Jedenfalls
sollten Austernbänke nur an Stellen angelegt werden, wo eine Infektion
mit pathogenen Bakterien von den Kanälen aus ausgeschlossen ist,
ferner sollten Austern und Muscheln nur in frischem Zustande zum
Verkauf gelangen dürfen. Auf Reisen muss man mit dem Genuss
der Austern sehr vorsichtig sein, besonders in südlichen Ländern;
schon viele haben sich dabei mit Typhus infiziert oder einen
schweren Darmkatarrh zugezogen, dessen Ursache nicht erklärt werden
konnte; namentlich zu warnen ist vor auffallend billigen Austern, da
dabei oft uicht mehr frisches oder minderwertiges Material verkauft
wird; einwandfreie Austern können nicht billig geliefert werden.
Besonders ist zu achten auf die Erscheinungen des Abgestorbenseins
(klaffende Schale) und die Zeichen der fauligen Zersetzung: missfarbige
weiche Beschaffenheit und schwarzer Ring auf der inneren Schalenseite
(Vagedes [54]). Die Austern sind während der Sommermonate be¬
sonders häufig giftig, weshalb sie von Mai bis August nicht in den
Handel kommen.
Käsevergiftungen.
Vergiftungen durch den Genuss von Käse wurden wiederholt
beschrieben. Die Erscheinungen äusserten sich in Brechdurchfall,
in schweren Fällen Blutbrechen und Tenesmus, Kollapszuständen,
manchmal auch Störungen des Sehvermögens, des Geschmacks, Trocken¬
heit des Halses, hartnäckige Obstipation, also ähnlich wie bei Botu¬
lismus. Der Geschmack des giftigen Käses hatte meist nichts¬
besonderes an sich; als auffallend wurde gewöhnlich nur ein etwas
bitterer Geschmack angegeben. Als Ursache wurde früher ein von
Vaughan dargestelltes giftiges Alkaloid, das Tyrotoxikon, ange¬
sprochen. Neuere Untersuchungen haben auch hier als Ursache
wiederholt Bakterien nachgewiesen. Bei einer von Vaughan und
Perkins (55) beschriebenen Vergiftung erkrankten 12 Personen
3—6 Stunden nach dem Genüsse mit Übelkeit, Erbrechen, Schmerzen
im Unterleib und bedrohlicher Schwäche der Herztätigkeit; einige
zeigten Pupillenerweiterung und sogar Delirien. Aus den Proben
wurde ein für die gebräuchlichen Versuchstiere pathogener Bacillus
gezüchtet, der ein heftiges Gift bildet. Durch ein Versehen wurden
10 Tropfen einer sterilisierten Milchkultur dieses Bacillus einem
Patienten injiziert; innerhalb 30 Minuten trat Schwindel mit reich¬
lichem Erbrechen und starkem Durchfall ein, zwei Stunden nach der
Injektion fast völlige Taubheit und Delirien, drei Stunden nach der
Würzburger Abhandlungen. Bd. VUI. H. 3/4. 6
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72
A. DIEÜDONNä,
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[34
Einspritzung verfiel der Kranke iu einen scblafsüchtigen Zustand,
Füsse und Hände waren kalt und der Pulsschlag nicht wahrnehmbar.
Nach Einspritzung von Strychnin erholte sich der Kranke langsam,
aber vollständig; 12 Stunden nach der Einspritzung hatten alle beun¬
ruhigenden Symptome aufgehört, aber erst zwei Tage nachher konnte
der Patient im Zimmer sich wieder bewegen. Für Meerschweinchen
war dieses Gift in der für den Menschen so schädlichen Menge von
10 Tropfen unwirksam und erst in Mengen von 1—2 ccm giftig.
Durch Erhitzen auf 100° 15 Minuten lang wurde das Gift nicht voll¬
kommen zerstört, dagegen starb der Bacillus schon bei einer viel
niedrigeren Temperatur ab und durch Sterilisation der Milch wird
die weitere Erzeugung des Giftes verhindert.
In Norwegen werden durch „Knetkäse“ nach Holst (56) auf¬
fallend häufig Erkrankungen an akutem Magendarmkatarrh beobachtet.
Als Ursache liess sich eine Infektion mit einer Varietät des B. coli
feststellen, die für Kaninchen und Kälber sehr pathogen ist und dem
J e n s e n sehen Bacillus der Kälberruhr nahesteht. Die Infektion
kann entweder dadurch bedingt sein, dass der Bacillus durch irgend
eine Unsauberkeit der Leute während des Zubereitens, besonders des
Knetens oder während des Transportes in den Käse eingedrungen
war oder aber dadurch, dass die Milch, aus der der giftige Käse zu¬
bereitet war, von einer an Durchfall leidenden Kuh stammte, nach¬
dem Gaffky in einem Fall den Nachweis geliefert hat, dass Durch¬
fälle beim Menschen durch den Genuss von Milch einer an Durchfall
leidenden Kuh herrühren können.
Bei einer von Pflüger (57) beschriebenen Vergiftung traten
12 Stunden nach dem Genuss von saurem Käse heftige kolikartige
Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfälle mit grosser Schwäche auf; bei
einigen waren Sehstörungen, Doppeltsehen, Trockenheit im Munde,
Schluckbeschwerden, ähnlich wie bei dem Botulismus vorhanden.
Vielleicht spielen derartige Anaerobier auch bei der Käsevergiftung
eine Rolle, doch sind darüber noch keine Untersuchungen angestellt.
Bei einer wegen vermutlicher Käsevergiftung eingesandten Probe
isolierte Peppier (58) Schweinerotlaufbazillen, die nach neueren Unter¬
suchungen auch beim Menschen krankhafte Darmerscheinungen her-
vorrufen können. In Quarkkäse wurden wiederholt Tuberkelbazillen
nachgewiesen, doch scheinen nach Heim (58a) zufällig in Käse gelangte
pathogene Bakterien, wie Cholera- und Typhusbazillen darin nach
wenigen Tagen abzusterben.
Vergiftungen durch Vanillecreme und Mehlspeisen.
Auffallend häufig werden Vergiftungen durch Vanillecreme und
Vanilleeis beobachtet, die meist l 1 /a—2 Stunden nach dem Genuss
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
73
unter heftigem Erbrechen, Magen- und Leibschmerzen, Durchfallen
und Kollapserscheinungen auftraten. Während früher von Beiten der
Pharmakologen der Vanille die giftige Wirkung zugeschrieben wurde,
stellte M. Wassermann (59) bei einer im Jahre 1898 vorgekommenen
Massenerkrankung eine bakterielle Intoxikation fest. Das schädliche
Gericht war aus Milch, Eiern, Zucker und Vanillezuckerpulver (10 g
Zucker mit 20°/o Vanillegehalt) hergeetellt; die Zubereitung fand
abends statt, die Creme blieb dann unbedeckt in der Speisekammer
bis zum darauffolgenden Mittag (bei Zimmertemperatur) stehen. Das
Vanillin wie die Vanilleschoten hatten im Tierversuch keine Giftwir¬
kung, dagegen zeigte sich, dass das Vanillin, der wirksame Körper des
Vanillinzuckerpulvers und der Vanillescbote durch seine reduzierenden
Eigenschaften das Wachstum der Anaerobier begünstigt. Nachdem
in der Milch häufig Bakterien Vorkommen, welche anaörobe Wachs¬
tumsbedingungen haben, für den menschlichen Organismus pathogen
sind und die Siedehitze beim Aufkochen ertragen, finden diese bei
der nach dem Kochen ganz allmählich erfolgenden Abkühlung und
in den in der Milch reichlich vorhandenen Eiweissstoffen die günstige
Temperatur uud den entsprechenden Nährboden für ihre reichliche
Entwickelung und auch für die Produktion von Giftstoffen.
Auch Vaughan (60) stellte bei einer Massenvergiftung durch
Vanilleeis die Ungiftigkeit der verwendeten Vanille fest; die zum
Eise verwendete Milch war frisch, gleichzeitig aus derselben Milch
und den nämlichen anderen Zutaten bereitetes Zitroneneis erwies sich
als unschädlich; die Creme für beide Eissorten wurde gemeinschaft¬
lich hergestellt, dann geteilt und zu der einen Portiou Vanille-,
zu der anderen Zitronenextrakt zugesetzt. Nach den Untersuchungen
von Wassermann ist das verschiedene Verhalten beider Eissorten
dadurch zu erklären, dass das Vanillin durch sein Reduktionsver¬
mögen das Wachstum der Auaörobier ermöglichte, während der
Zitronensaft durch seinen Säuregehalt antiseptisch wirkte.
Bei einer anderen Vergiftung durch Eiscreme im Jahre 1895
fand Vaughan dieselbe Bakterienart aus der Koligruppe wie bei
der früher beschriebenen Käsevergiftuug.
Für die Prophylaxe der Vanillespeisevergiftungen ist es nach
Wassermann notwendig, die Mlich vor der Verarbeitung gut ab¬
zukochen, stets frische Eier zu verwenden, peinlichste Reinlichkeit
bei der Benutzung von Kocbgefässen zu üben, die Kochgeschirre
während und nach der Zubereitung zu bedecken und die Speise bis
zum Gebrauch auf Eis oder wenigstens kühl zu stellen.
Neuerdings wurden auch Paratyphusbazillen bei Mehlspeise¬
vergiftungen festgestellt. Wie schon erwähnt, wurde von Fischer (24)
tiuf die Übertragung des Paratyphus durch die Milch hingewiesen.
Vaged es (61) beobachtete im Jahre 1904 in Berlin (Tempelhof) eine
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A. D1EUD0NN&,
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7 Krankheitsfälle umfaasende Vergiftung, die wenige Stunden nach dem
Genuss einer Griesspeise auftrat; die KrankheitaerBcheinungen waren
fieberhafter Dannkatarrh mit reichlichen Durchfällen, ein Fall verlief
tödlich, an den Organen liessen sich ausser einer deutlich ausge¬
sprochenen Schwellung der Peyer'schen Plaques keine besonderen
Veränderungen nachweisen. Bei der bakteriologischen Untersuchung
der diarrhöischen, mit Schleimflocken durchsetzten, blutig gefärbten
Stuhlentleerungen der Erkrankten, ferner des Erbrochenen und der
Leichenteile (Milz, Niere, Leber) wurde mit Hilfe des Drigalcki’schen
Nährbodens der Paratyphusbazillus B gezüchtet, der in Kulturen ein
starkes, gegen Erhitzen widerstandsfähiges Gift bildete. Das Blut¬
serum der Erkrankten agglutinierte diese Bakterienart, sogar 7 Monate
nach der Vergiftung hatte das Blutserum eines der Erkrankten noch
agglutinierende Wirkung. Typhusbazillen wurden durch dieses Blutserum
zwar auch agglutiniert, aber erst in erheblich stärkeren Konzentra¬
tionen des Serums als die spezifische Bakterienart. Die Bazillen konnten
in der Speise nicht nachgewiesen werden, da nichts mehr davon übrig
war, trotzdem ist nach dem klinischen, epidemiologischen und bak¬
teriologischen Befund die Infektion mit dem B. paratyphus mit
grösster Wahrscheinlichkeit auf den Genuss der Griesspeise zurück¬
zuführen. Wie diese Bakterien in die Speise, die aus Gries, Zwieback,
Äpfeln, Milch, Zucker, Vanillepulver, sowie drei Enteneiern hergestellt
war, hineingelangten, konnte nicht festgestellt werden; die Milch, das
Vanillepulver und der Zwieback war nicht die Ursache, eher konnte
man an die in ungekochtem Zustand verwendeten Enteneier denken,
die, wie eine Untersuchung anderer Enteneier ergab, unter Umständen
zahlreiche Bazillen enthalten können. Wahrscheinlich können auch
verdorbene Eier zu Vergiftungen führen, da das Ei einen guten
Nährboden für Bakterien bietet, und viele Bazillen, darunter auch
Typhus- und Paratyphusbazillen, nach Lange (62) die intakte Ei wand
eines Hühnereies durchwandern und bis in das Eigelb Vordringen
können; noch mehr ist dies natürlich bei Sprüngen und Rissen der
Eischale möglich. Derartige Vergiftungen durch Vanillespeisen können
sicher auch durch verdorbene Eier bedingt sein und es ist wichtig,
auch daran zu denken.
Curschmann (26) berichtete über eine Massenerkrankung bei
22 Personen nach Genuss eines Puddings, der aus Milch, Eiern,
Zucker, Gelatine und Vanille, dazu etwas Himbeersauce hergestellt
war; die Milch war abgekocht gewesen, der Pudding war am Abend
zuvor hergestellt und kühl aufbewahrt worden und war nach Geruch
und Geschmack tadellos gewesen. Sämtliche Personen, die davon
assen, erkrankten 5—6 Stunden danach an sehr heftigen Leibschmerzeo,
Erbrechen uud Durchfällen, meistens hohem Fieber (39—40°) und sehr
hoher Pulsfrequenz (120—160 und sogar 164); einige waren aomnolent;
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
75
keine Milzachwellung. Eine Kranke starb am dritten Tage unter
Kollapserscheinungen; bei der Sektion fanden sich heftige Ent¬
zündungserscheinungen des Magens, teilweise auch des Darms und
eine Erkrankung des Nierenparenchyms.
Aus den Kesten des Puddings und aus den Stuhlgängen verschie¬
dener erkrankter Personen, sowie aus der Leber der Verstorbenen
wurde von Curschmann ein Bacillus aus der Gruppe des B. ente-
ritidis gezüchtet, der für Mäuse pathogen war; auf welchem Weg die
Bazillen in den Pudding gelangt waren und welcher Bestandteil des¬
selben der Träger des Infektionsstoffes gewesen war, liess sich nioht
feststellen; die Vanille enthielt keine derartigen Bakterien, über die
Milch liessen sich keine Untersuchungen mehr anstellen; wahrschein¬
licher ist die Annahme, dass die Bakterien in der Zwischenzeit
zwischen dem Kochen und dem Verbrauch auf unbekannte Art und
Weise in die Speise hineingeraten waren. Da über das Vorkommen
des B. enteritidis in der Natur ausserhalb des Tierkörpers niohts
bekannt ist, so lässt sich über die Art der Verbreitung nichts Be¬
stimmtes sagen.
Levy und Fornet (63) züchteten bei einer in Strassburg 1905
unter'Erbrechen und heftigem Durchfall aufgetretenen Erkrankung von
7 Personen aus den Stühlen aller Patienten den Paratyphusbacillus B;
bei einzelnen der Erkrankten war Roseola und Milztumor zu beobachten.
Die Erkrankung betraf gleichzeitig alle Mitglieder eines Haushaltes
und war zweifellos eine Nahrungsmittelinfektion; als solche kam nur
Leberwurst und eine Vanille-Griesspeise in Betracht In den Über¬
resten der Leberwurst konnten Paratyphusbazillen nicht nachgewiesen
werden, von der Griesspeise war nichts mehr erhältlich, die Unter¬
suchung von Gries und einer Vanilleschote verlief gleichfalls negativ.
Offenbar spielt also der Paratyphusbacillus B nicht nur bei
Fleischvergiftungen, sondern auch bei anderen Nahrungsmittelin¬
fektionen eine Rolle; allerdings haben wir über die Art und den
Weg des Hineingelangens in die Speisen noch keine bestimmten
Anhaltspunkte. Auffallend ist, dass in den verdächtigen Speisen stets
Milch und Vanille enthalten war. Nachdem Fischer (38), wie er¬
wähnt, bei der Epidemie in Futterkamp, die nach dem Genuss
von Milch an Gastroenteritis erkrankter und verstorbener Kühe auftrat,
in dieser Milch deu Paratyphusbacillus B nachgewiesen hat, ist die
Annahme berechtigt, dass bei solchen durch Paratyphusbazillen hervor¬
gerufenen Mehlspeisevergiftungen die dabei verwendete Milch eine
Rolle spielt. E. Klein (63a) fand von 39 Milchproben in 10 Proben
(85,6%) bei Verimpfung von 300 ccm des Sediments auf Meerschwein¬
dien eiterige Knötchen in der Milz, aus denen der B. enteritidis ge¬
züchtet wurde. Nach Verfütterung einer Milchkultur dieser Bakterien
an Meerschweinchen ging die Hälfte der Tiere am 5. Tage ein. Soweit
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76 A. DIEÜDONNß, [38
festgestellt werden konnte, waren die milchliefernden Kühe nicht
krank. Vielleicht wird die Giftbildung der Paratyphusbazillen in der
Milch durch das Vanillin gesteigert.
In bezug auf die Prophylaxe gegen derartige Speisenvergiftungen
kann man bis jetzt noch wenig bestimmte Anhaltspunkte geben,
am sichersten ist sorgfältiges Abkochen der Speisen vor dem Gebrauch,
eine Aufbewahrung ist im Sommer immer bedenklich, ist dies not¬
wendig, so muss sie direkt vom Kochen weg in einem fest und sicher
verschlossenen Gefäss an einem kühlen Ort geschehen (Cursch¬
mann).
Kartoffelvergiftungeil.
Massenvergiftungen durch Kartoffeln und Kartoffelsalat werden
besonders beim Militär häufig beobachtet. Schmiedeberg (64) be¬
richtete über eine Anfang August 1892 bei einem Bataillon vorge¬
kommene Erkrankung von 357 Mann an Stirnkopfschmerz, starken
kolikartigen Magen- und Leibschmerzen, Erbrechen, Durchfall, Ab-
geschlagenheit und leichter Benommenheit; in einzelnen Fällen waren
bedrohliche Erscheinungen, blaue Lippen, stark erweiterte Pupillen,
einige Minuten andauernde Ohnmacht, Pulsbeschleunigung, später
Pulsverlangsamung vorhanden; bei den schweren Fällen war eine
Temperatursteigung von 38,4—39,5° zu beobachten. Als Ursache
wurden neue Kartoffeln angenommen.
Zu gleicher Zeit erkrankten bei einem Bataillon einer anderen
Garnison 90 Mann unter den Erscheinungen von Stirnkopfsclimerz,
Leibschmerzen, Durchfall, Mattigkeit und Schwindelgefühl, teilweise
Temperatursteigung bis zu 39 0 , keine Pulsbeschleunigung und Pupillen¬
erweiterung. Auch hier waren Kartoffeln wahrscheinlich die Ur¬
sache; die Kartoffeln waren etwas weich, wässerig, aber im allge¬
meinen reif.
Im Jahre 1893 erkrankten Mitte Juli in einer dritten Garnison
bei einem Bataillon 125 Mann unter ähnlichen Erscheinungen. Alle
Fälle gingen in Heilung über.
Schmiedeberg referiert auch eine von Cortia 1 beschriebene,
in Lyon im Juli 1888 beobachtete Massenvergiftung, bei der 101 Mann
eines Bataillons unter Abgeschlagenheit, Kolik, Durchfällen, Fieber
und Kopfschmerz, zum Teil auch mit Pupillenerweiterung erkrankten.
Als Ursache wurde der Genuss von alten, reichlich ausgekeimten und
neuen Kartoffeln festgestellt ; nachdem die Abgabe der neuen Kar¬
toffeln eingestellt war, kamen weitere Erkrankungen nicht mehr vor.
Ein Hund litt nach dreimaligem Fressen von diesen Kartoffeln während
einer Woche an Durchfällen. Auch hier kam kein Todesfall vor.
E. Pfuhl (65) beobachtete im Jahre 1898 bei einem Truppen-
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
77
teil Erkrankungen bei 56 Mann mit den Erscheinungen eines akuten
Magen- und Darmkatarrhs. Die Erkrankungen begannen meist wenige
Stunden nach dem Mittagessen mit Frost, Fieber von 38—39,5°, Kopf¬
schmerzen, starken Leibschmerzen, Durchfällen, Übelkeit, Schläfrigkeit
und Teilnahmslosigkeit (mehrere hatten Kratzen im Halse), die Pupillen
waren nicht erweitert; das Fieber hielt meist drei Tage an und ging
dann rasch zurück. Als Ursache wurde der Genuss von Salzkartoffeln
festgestellt.
Früher wurden diese Kartoffelvergiftungen immer als eine
Solanin Vergiftung betrachtet, doch hat schon Schmiedeberg darauf
aufmerksam gemacht, dass dies nur dann zutrifft, wenn der Solanin¬
gehalt der Kartoffeln unter besonderen Umständen eine derartige
Steigerung zeigt, dass er für das Zustandekommen einer Vergiftung
als ausreichend erachtet werden darf. Nach Untersuchungen von
Meyer (66) beträgt der Solaningehalt der Kartoffeln im Dezember und
Januar 0,04 g pro 1 kg ungeschälter Kartoffel, im März und April
steigt er auf 0,08—0,096 g, im Mai, Juni und Juli auf 0,100—0,116 g.
Da die Solaningaben, die zur Vergiftung führen, nach Clarus
0,2—0,4 g betragen, so sind derartige Mengen in den Kartoffeln nicht
ausreichend, um eine Vergiftung herbeizuführen, selbst wenn von den
Kartoffeln 1 Kilo und mehr auf einmal genossen wird.
Wintgen (67) stellte bei seinen ausgedehnten Untersuchungen
bei gesunden Kartoffeln grosse Schwankungen im Solaningehalt (0,017
—0,8, in einem Fall 0,1 g pro kg) fest, aber stets verhältnismässig
kleine Mengen. Zunahme des Solanins beim längeren Lagern wurde
auch in gekeimten Kartoffeln, wenn die Keime sorgfältig entfernt
wurden, nicht beobachtet. In kranken und stark ausgewachsenen Kar¬
toffeln kAnn der Solaningehalt dagegen beträchtlich höher sein; so wies
Meyer in den an den Luftkeimen alter Kartoffeln ausgewachsenen Zwerg¬
kartoffeln 0,58 %o und in alten Kartoffeln, die stark eingeschrumpft
und von einzelnen Stellen des Randes aus nach innen hin geschwärzt
waren, sogar l,34°/oo Solanin nach. Wintgen konnte in kranken
Kartoffeln keinen wesentlich höheren Solaningebalt feststellen als in
gesunden; das Solanin ist in den Kartoffeln ungleichmässig verteilt,
in den Schalen sitzt 50—60°/o, nach innen zu nimmt die Menge immer
mehr ab. Von Weil (68) wurde angegeben, dass die Steigerung des
Solaningehaltes der Kartoffeln durch Einwirkung von Bakterien zu¬
stande komme; er hatte aus steriler Kartoffelbrühe durch Impfung
mit zwei von ihm aus kranken Kartoffeln isolierten Bakterien, dem
B. solaniferum colorabile und non colorabile, Solaninbildung beobachtet,
doch konnte Wintgen dies nicht bestätigen.
Die Vergiftungen mit stark solaninhaltigen Kartoffeln unter¬
scheiden sich darin von denen mit reinem Solanin , dass bei den
ersteren noch akute Magen- und Darmkatarrhe und Fiebererscheinungen
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A. DIEÜDONNE,
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hinzukommen, die beim reinen Solanin nach Schmiedeberg desshalb
fast ganz fehlen, weil die gequollene Stärke die akute Resorption des
Giftes verhindert und so das Alkaloid in die unteren Darmabschnitte
gelangt und neben Erbrechen mehr oder minder heftige Durch¬
fidle erzeugt.
Bei der von Pfuhl (65) beschriebenen Vergiftung enthielten
die geschälten ungekochten Kartoffeln 0,38 %» und die geschälten
gekochten 0,24 °/oo Solaniu; der Gehalt war also gegenüber den von
Meyer bei Kartoffeln im Mai und Juni gefundenen Mengen um das
Vierfache erhöht. Diejenigen Soldaten, die die grosse Portion (1 Kilo)
gegessen hatten, nahmen also 0,30 g Solanin zu sich, eine Menge, die
schon erhebliche Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann. Der¬
artige grosse Solaninmengen sind aber selten und man ist bei Kartoffel¬
vergiftungen nur dann berechtigt, diese auf das Solanin zurückzuführen,
wenn die Untersuchung so hohen Solaningehalt nachweist; meist sind
aber derartige Untersuchungen gar nicht gemacht worden.
Dagegen ist wahrscheinlich die von mir (69) zuerst festgestellte
bakterielle Zersetzung der Kartoffeln durch Proteusbazillen eine weit
häufigere Ursache der Kartoffelvergiftungen als man früher an¬
nahm. Im Lager Hammelburg erkrankten im August 1903 ganz
plötzlich 150—180 Mann eines Bataillons schon zwei Stunden nach
dem Mittagessen an wiederholtem Erbrechen, Kopfschmerzen, heftigen
Durchfällen, mehr oder weniger starken Kollapserscheinungen und
kurzdauernden Krämpfen in den Extremitäten, besonders Waden-
krämpfen; Temperaturerhöhung bestand nicht; nach sieben Stunden
begannen die Erscheinungen wieder zurückzugehen; nur bei einigen
war der Zustand ernster durch Benommenheit, teilweise sehr starke
Kollapserscheinungen und Krampfanfälle, doch trat kein Todesfall
ein. Als Ursache der Massenerkrankung wurde Kartoffelsalat festgestellt
Bei der bakteriologischen Untersuchung des Salats fanden sich zahl¬
reiche Proteuskolonien; die mit dem Salat gefütterten, Mäuse starben
nach 24 Stunden an schweren Magendarmerscheinungen; in den
Organen dieser Tiere wurden nur spärliche Proteusbazillen nachge¬
wiesen. Bouillonkultureu dieser isolierten Bakterienart waren für Tiere
nicht giftig, die in der Bouillon gebildeten Gifte waren also unschäd¬
lich, dagegen waren sterile Kartoffeln, mit dem Proteus geimpft und
24 Stunden bei 37° in Brutschrank gehalten, sehr giftig, die damit
gefütterten Mäuse starben nach 24—48 Stunden. Wurden dagegen
die Kartoffeln nach der Impfung mit Proteus bei 10—12° C gehalten,
so starben die damit gefütterten Mäuse nicht. Der isolierte Proteus
bildete demnach in den Kartoffeln giftige Stoffwechselprodukte, aber
nur bei höherer Temperatur, er wirkte nicht direkt infektiös oder
toxisch, sondern durch die in den Kartoffeln gebildeten giftigen Stoffe.
Wie die Bazillen in die Kartoffeln gelangten, konnte nicht fest-
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
79
gestellt werdeu, vielleicht durch die Hände der zum Schälen ver¬
wendeten Leute. Die zum Salat benützten Kartoffeln waren neue
zarte, doch waren sie schon am Abend vorher gekocht und geschält
und über Nacht in einem Nebenraum der Küchenbaraoke in zwei
grossen Körben aufbewahrt worden, um sie anderen Mittags zu Salat
zuzubereiten; die Temperatur in der betreffenden Nacht und am Vor¬
mittag war schwül gewesen. Dadurch war die Vermehrung der Ba¬
zillen und die Bildung von Zersetzungsprodukten in den Kartoffeln
begünstigt, besonders auch, da in den in grossen Mengen in den
Körben angehäuften Kartoffeln eine höhere Temperatur sich längere
Zeit andauernd hielt. Die zum Salat verwendeten Kartoffeln waren
jung und hatten nur einen Solaningehalt von 0,021 °/oo, dagegen einen
hohen Wassergehalt, und fielen so wohl leichter der Zersetzung anheim.
Derartige Massenerkrankungen durch Kartoffelsalat wurden wiederholt
beobachtet, wenn die Kartoffeln schon am Tage vor der weiteren
Zubereitung gesotten, geschält und in grossen Behältern aufbewahrt
waren. Wie schnell unter Umständen solche giftige Zersetzungs¬
produkte im Sommer gebildet werden können, zeigt eine Beobachtung
bei einem Bataillon, wo eine Kompagnie nach dem Genuss von Kar¬
toffelsalat, der zwei Stunden gestanden hatte, erkrankte, während
andere Kompagnien, die zwei Stunden zuvor von demselben Salat
bekommen hatten, völlig gesund geblieben waren; diese zwei Stunden
hatten zur Bildung von Zersetzungsprodukten genügt.
Wahrscheinlich ist auch manche der früher beschriebenen Kar¬
toffelvergiftungen nicht auf Solanin zurückzuführen, sondern durch
bakterielle Zersetzung bedingt gewesen. Jedenfalls ist man erst zu
der Annahme einer Solaninvergiftung berechtigt, wenn sich ent¬
sprechend grosse Mengen des Alkaloids nach weisen lassen; stets sollte
bei der Untersuchung auch auf Bakterien und bakterielle Gifte unter¬
sucht werden durch Verfütterung an Mäuse und durch das Züchtungs¬
verfahren.
Die Prophylaxe besteht darin, dass man die Kartoffeln mög¬
lichst bald nach dem Kochen verwendet und sie nicht längere Zeit
aufbewahrt. Fast alle bekannt gewordenen Kartoffelvergiftungen sind
im Sommer, im Juli und August vorgekommen nach der Verwen¬
dung von jungen Kartoffeln, die wegen ihres Wassergehaltes sich
leichter zersetzen. Gegen die Vergiftung mit Solanin schützt man
sich durch Ausschneiden aller Keime und gründliches Schälen der
Kartoffeln.
Die Behandlung ist symptomatisch, Abführmittel, Magenaus¬
spülungen, Exzitantien.
Wahrscheinlich können ausser Proteus auch andere Bakterien
durch Kartoffeln übertragen werden, so besonders Typhus- und Para¬
typhusbazillen , die beide auf Kartoffeln sehr gut gedeihen; diese
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A. DIEUDONNE,
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Bazillen können schon vom Ackerboden her an den Kartoffeln haften
oder aber durch in der Küche beschäftigte Bazillenträger oder leicht
Erkrankte übertragen werden. Das Küchenpersonal in grösseren An¬
stalten (Kasernen, Krankenhäusern u. a.) muss daher auf seinen Ge¬
sundheitszustand öfters kontrolliert werden und bat die grösste Rein¬
lichkeit zu bewahren. Besonders günstige Lebensbedingungen finden
die Paratyphus- und auch die Typhusbazillen auf gekochten Kar
toffeln; wenn diese längere Zeit in der warmen Küche stehen bleiben,
so kommt es wie beim Proteus zu rascher Vermehrung. Es wäre von
Wichtigkeit bei Kartoffelvergiftungen auch nach dem B. paratyphus B
(Malachitgrünplatte) zu suchen. Auch durch Salat und Gemüse können
Paratyphus- und Typhusbazillen auf dieselbe Weise verbreitet werden.
Konservenvergiftungen.
Durch die immer ausgedehntere Verwendung von Konserven
kommen diese Vergiftungen häufiger vor; meist handelt es sich um
Fleisch-, Fisch- und Gemüsekonserven in Büchsen. Die Konservierung
erfolgt durch Sterilisation der Büchsen in einem Autoklaven x / 2 bis
1 Stunde lang bei 112—120° C. Die Konservendosen werden aus
Eisenblech mit einem dünnen Zinnüberzug hergestellt und sind zum
grössten Teil gestanzt, nur die röhrenförmige Seitenwand ist verlötet,
sodass der Konserveninbalt nur mit dieser kleinen schmalen Lötnaht
in Berührung kommt; die Innen Verzinnung der Konservendosen darf
nach dem Reichsgesetz höchstens einen Bleigehalt von 1%, das Lot
von 10°/o haben. Die Büchsen werden mit dem vorher gekochten
und fertig zubereiteten Fleisch oder Gemüse vollkommen gefüllt, der
Deckel aufgesetzt, eingefalzt und festgepresst und dann im Autoklaven
sterilisiert. Durch die hochgradige Erhitzung werden zwar meist alle
Bakterien abgetötet, wenn die Apparate richtig funktionieren, da bei
einer Temperatur von 120° während 50 Minuten selbst die wider¬
standsfähigen Sporen der anaeroben Bakterien zugrundegehen, doch
kann es unter Umständen nachträglich zu einer Bakterienentwicke¬
lung und zu Zersetzung und Fäulnisbildung dadurch kommen,
dass die Bakterien von aussen durch Undichtigkeiten der Büchsen
infolge schlechter P'alzung oder durch Risse infolge von mechanischer
äusserer Gewalt (Druck oder Stoss) in das Innere der Büchsen ge¬
langen; hierzu genügen kleine, oft nur kapilläre, mit blossem Auge
unsichtbare Öffnungen. Wenn die Bakterien in den Büchsen Fäulnis?
gase bilden, so wölbt sich Decken- und Bodenstück der Büchse und
beim Öffnen entweicht meist übelriechendes Gas dem Innern. Die
Undichtigkeiten sind meist an der Übergangsstelle von seitlicher
Lötnaht und Falz. Solche aufgetriebene („bombierte“) Büchsen dürfen
unter keinen Umständen verwendet werden.
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Die bakteriellen Nahrungsmittelvergiftungen.
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Ein sicheres Urteil über Keimfreiheit von Konserven kann nur
durch die bakteriologische Untersuchung festgestellt werden; nach
E. Pfuhl (70) sind häufig Büchsen keimhaltig, die gar keine Auf*
treibung zeigen, da die in ihnen enthaltenen Bakterien keine Gase
bilden; auch sieht ihr Inhalt nicht immer so aus, als ob er offenbar
verdorben wäre, oft deutet nur ein schwach säuerlicher oder scharfer
Geruch daraufhin, dass eine Veränderung eingetreten ist. Bei grösseren
Lieferungen, wie z. B. beim Militär, wird daher stets eine bakterio¬
logische Untersuchung von Stichproben vor der Übernahme ausge¬
führt und nur bei völliger Keimfreiheit die Lieferung übernommen.
Bei der von Pfuhl angegebenen Untersuchungsmethode werden die
Büchsen uneröffnet 8—14 Tage in den Brutschrank gestellt, wodurch
die obligaten und fakultativen Anaerobier sich vermehren und durch
Gasbildung die Büchsen auftreiben, dann wird der Deckel der Büchse
durch Alkohol und Abbrennen sterilisiert, ein Loch mit einem starken
stählernen, sterilisierten Dorn eingestochen, mit einer sterilisierten
Wasserpipetto Fleischsaft und verflüssigte Gelatine aufgesogen und
diese zur aöroben und anaöroben Züchtung auf verschiedene Nähr¬
böden übertragen. Dann wird auf das Loch eine sterile Wattekappe
gestülpt und die Büchse wieder auf 2—3 Tage in den Brutschrank
gestellt, damit sich nun die aöroben Keime entwickeln, und wieder
Fleischsaft und Fleischproben auf Nährböden ausgesät, doch ist diese
zweite Probe nur nötig, wenn sich aus den ersten Proben keine
Bakterien entwickeln.
Vergiftungen durch Fleischkonserven wurden wiederholt beob¬
achtet, so wurden von Bochereau (71) u. a. bei der französischen
Armee vorgekommene Massenerkrankungen wenigstens mit grosser
Wahrscheinlichkeit auf Fleischkonserven zurückgeführt, besonders da
eine daraufhin vorgenommene Prüfung ergab, dass von 21151 Büchsen
54 mehr oder weniger aufgetrieben und verdorben waren. Häufig
kommen auch Vergiftungen durch Fischkonserven vor, namentlich
durch Lachs und zwar wurden sie besonders dann beobachtet, wenn
die Konserve nach dem Öffnen nicht sogleich verzehrt wurde; da die
Fische, wie schon erwähnt, einen ausgezeichneten Nährboden für
Bakterien darstellen, so kann es leicht zu bakterieller Zersetzung
kommen. Die Erscheinungen bei den Fleisch- und Fischkonserven¬
vergiftungen sind dieselben wie bei den Fleischvergiftungen, entweder
gastrointestinal oder mit den schweren nervösen Symptomen des
Botulismus.
In den letzten Jahren wurden auch mehrere Massenerkrankungen
durch Gemüsekonserven beobachtet. In Darmstadt erkrankten im
Jahre 1904 in einer Kochschule durch den Genuss von Bohnen¬
salat 21 Personen, von denen 11 (52%) starben. Die .Krankheits¬
erscheinungen traten nach A. Fischer (72) 24—48 Stunden nach der
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A. DIKUDONNE,
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Mahlzeit auf und zeigten das charakteristische Bild des Botulismus,
8ehstörungen, Ptosis, aber keine Mydriasis, Schluckbeschwerden,
verschiedene, meist bilaterale motorische Lähmungen, stark beschleu¬
nigten Puls; gastrointestinale Störungen und Fieber, ebenso Störungen
der Sensibilität und der Sinnes- und Grosshimtätigkeit fehlten fast voll¬
ständig. Der Tod trat unter den Zeichen der Bulbärparalyse 2—14
Tage nach der Vergiftung ein; bei der Sektion fand sich ausser
den Zeichen des Erstickungstodes, sowie Hyperämie und Schleim¬
hautblutungen im unteren Teil des Darmes nichts Besonderes. Bei
den nicht tödlichen Fällen zog sich die Genesung wochenlang hinaus.
Die zum Salat verwendeten Bohnen waren in der Kochschule von
einer Köchin, die selbst der Vergiftung erlag, in einer verlöteten
Blechbüchse eingekocht worden, die beim Öffnen zwar durch einen
eigentümlich ranzigen Geruch ähnlich wie nach Parmesankäse aufge¬
fallen war, aber keine Zeichen einer stärkeren Zersetzung dargeboten
hatte. Die Bohnen waren sehr zart und „butterweich“ und wurden
deshalb nicht mehr vorher gekocht, sondern, wie sie aus der Büchse
kamen, nach Abspülen angerichtet; beim Stehen des angemachten
Salates nahm der ranzige Geruch zu.
Landmann (73) gewann aus einer kleinen Menge des übrig
gebliebenen Salats durch Schütteln mit 5 ccm physiologischer Koch¬
salzlösung und nachherigem keimfreien Filtrieren ein giftiges Filtrat,
von dem 0,5 ccm, subkutan weissen Mäusen injiziert, diese in 24 Stunden
unter allgemeiner Lähmung tötete; durch kurzes Auf kochen wurde
dieses Gift zerstört. Hiermit stimmt auch die Tatsache überein, dass
diejenigen, welche von dem gleichen Salat gegessen hatten, der kurze
Zeit auf dem heissen Herd gestanden und so durch Zufall ins Kochen
geraten war, keinerlei schädlichen Wirkungen verspürten; in einem
weiteren Fall hatte massiges Erwärmen des Salates zur Folge, dass
erst sehr spät Vergiftungserscheinungen auftraten, die allerdings noch
zum Tode führten. Ferner wurde aus dem Salat durch Züchtung
ein anaerober Bacillus isoliert, der vollkommen dem B. botulinus
entsprach. Dieser Bacillus bildete in Kulturen bei 24° ein stärkeres
Gift als bei 37°, so starben im ersten Falle weisse Mäuse auf
0,000003 ccm unter Lähmungserscheinungen und Meerschweinchen
auf 0,0003 ccm, während das bei 37° hergestellte Gift Mäuse erst
zu 0,01 und Meerschweinchen erst zu 0,1 ccm tötete. Auch von
Gaffky wurde der B. botulinus in dem Salat festgestellt.
Über die Art, wie die Botulinussporen in die Bohnenkonserve
gelangten, liess sich nichts Sicheres feststellen; Landmann nahm
an, dass dies durch Vermittelung kleinster Fleischreste erfolgte, die
ja in jeder Haushaltungsküche vorhanden sind, da bis jetzt der
B. botulinus nur aus fleischhaltigen Medien gezüchtet wurde, doch
ist es auch möglich, dass die Sporen vom Felde her an den Bohnen
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Die bakterielles Nahrasgettittelvergiftnngen.
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hafteten. Wahrscheinlich war aber doch die Sterilisation in der
Kochschule eine ungenügende, bei der fabrikmäsaigen Herstellung
wären durch die Erhitzung auf mindestens 112° C die Sporen sehr wahr¬
scheinlich abgetötet worden. Jedenfalls sollte man Gemüsekonserven,
wenn Bie den geringsten verdächtigen, namentlich ranzigen Geruch
auf weisen, nicht essen und unschädlich machen und auch unver¬
dächtige stets vor dem Genuss aufkochen. Wären die Bohnen vor
dem Anmachen des Salates nochmals gekocht worden, so wäre die
Katastrophe nicht eingetreten.
Eine ausgedehnte Massenvergiftung durch Bohnengemüse
kam im Januar 1906 in Leipzig vor, wo 250 Angestellte eines
Warenhauses einige Stunden nach dem Essen an Leibschmerzen,
Frösteln, Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen und Schwindel er¬
krankten; bei einem Teil waren diese Erscheinungen sofort mit
Durchfällen begleitet, bei einem Teil stellten die Durchfälle sich erst
in der darauffolgenden Nacht oder am folgenden Morgen ein. Die
Erscheinungen hielten 2—4 Tage an und gingen dann sämtlich in
Genesung über. Das Bobnengemüse, das einen vorzüglichen und
keineswegs widerwärtigen Geschmack hatte, stammte aus verschiedenen
Konservenbüchsen, welche direkt vor der Bereitung des Essens ge¬
öffnet und alsdann eine Weile in Wasser von ca. 80° C gestellt
worden waren; es wurde bei dem Erhitzen die Siedetemperatur des
Wassers vermieden, da die Konservescbnittbohuen schon an und für
sich sehr weich sind und bei nur kurze Zeit währendem Kochen zu
einer musartigen Masse zerfallen würden. Bei der bakteriologischen
Untersuchung des Bohnengemüses wurden von Rolly (74) zwei
Bakterien gefunden, das B. coli und der B. paratyphus B und zwar
in sehr grosseu Mengen; anaerobe Bazillen wurden nicht isoliert.
Der Paratyphusbacillus war bei subkutaner Verimpfung für Mäuse
und Meerschweinchen ziemlich pathogen und bildete ein hitzebe¬
ständiges Gift Die Erkrankungen waren durch diese hitzebeständigen
giftigen Stoffwechselprodukte und nicht durch die Bakterien hervor¬
gerufen, da in diesem Fall eine längere Inkubationszeit und nicht
ein so plötzliches Auftreten zu beobachten gewesen wäre: auch wurden
im Stuhl der Erkrankten niemals Paratyphusbazillen nachgewiesen.
Demnach kommen auch bei Gemüsekonservenvergiftungen die
beiden bei Fleischvergiftungen gefundenen Bakterienarten vor, der
B. botulinus, dessen Gift durch Kochen rasch zerstört wird und der
ein hitzebeständiges Gift bildende B. paratyphus B. Bei der ersteren
Vergiftung schützt zwar nochmaliges Aufkochen der Konserve vor
dem Essen, doch sollte man solche verdächtige Konserve unter keinen
Umständen essen; bei der zweiten Art nützt dagegen selbst stärkeres
Kochen nichts.
Belser (76) fand bei der Untersuchung von verdorbenen (bom-
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A. DIEÜDONNtf,
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bierten) Gemüsekonserven .verschiedene mehr oder weniger hitzebe¬
ständige Bakterienarten als Ursache der Bombage, darunter den
B. acidi lactici und den B. amylobacter; in den verdorbenen Kon¬
serven war stets eine, wenn auch zuweilen geringe Steigerung des
Säuregehaltes vorhanden. Für Mäuse waren die Bazillen nicht pathogen.
Der B. proteus gedeiht in Erbsen- und Bohnenbrühe sehr üppig und
bildet ein für Mäuse stark wirkendes Gift. Auch andere sonst in
Wasser und Erdboden vorkommende Bakterienarten, so der B. mesen-
tericus vulgatus, B. megatherium u. a. wurden in verdorbenen Ge¬
müsekonserven gefunden.
Mit Recht spricht sich Schottelius (76) gegen die immer
mehr zunehmende Verwendung von Konserven im Hausgebrauch
aus; so notwendig sie für die Verpflegung von Kriegsheeren und
Expeditionen sind, so entbehrlich ist die Verwendung von Büchsen¬
konserven für den Hausstand in gemässigten Klimaten wie in Deutsch¬
land ; man übersieht auch vielfach, dass Gemüsekonserven gegenüber
frischen Gemüsen und Früchten unter allen Umständen minderwertig
sind. „Gerade darin, dass eine Zeitlang gewisse Nahrungsmittel auf
dem Tisch fehlen, liegt die Möglichkeit, sie zu anderen Zeiten mit
um [so grösserem Appetit (Genuss) zu essen. Wer das ganze Jahr
Spargel essen und Maibowle trinken müsste, dem würde sehr bald
der Appetit nach diesen seltenen Genüssen verloren gehen. 4 Leider
besitzen wir zurzeit auch gar keine Kontrolle über das Alter der
Konserven; mit der längeren Aufbewahrung wächst die Gefahr des
Verderbens, ausserdem leidet aber auch der Geschmack. Diese Kon¬
trolle (Aufdruck des Datums der Herstellung) wäre im Interesse des
Publikums sehr wünschenswert, doch stellen sieb nach Angabe der
Fabrikanten der Durchführung grosse Schwierigkeiten entgegen.
Früher wurde als eine der wichtigsten Ursachen der Konserven¬
vergiftungen die Vergiftung durch Metalle, besonders durch Blei
und Zinn angesehen, doch sind diese Befürchtungen nach den Unter¬
suchungen von K. B. Lehmann (77) unbegründet. Seit zum Ver¬
zinnen und Löten nur Zinn mit höchstens 1 bezw. 10°/o Bleigehalt
gesetzlich erlaubt ist und bei der Herstellung sehr viel gefalzt statt
gelötet wird, hört man von Bleivergiftungen nichts mehr. Auch
Zinn Vergiftungen sind wohl selten; nach Lehmann können akute,
aber meist leichte Verdauungsstörungen durch den Genuss von
Nahrungsmitteln hervorgebraebt werden, welche grössere Mengen
Zinn (100 bis mehrere Huudert Milligramm) enthalten. Frische Kon¬
serven enthalten wenig Zinn, dagegen steigt der Gehalt unverkennbar
während des Aufbewahrens; vegetabilische Konserven enthielten
■50—60 mg, oft aber auch 150—200 mg pro Kilo, Fleischkonserven
50 bis 170 und 325 mg. Besonders grosse Mengen wurden in
verdorbenen Konserven gefunden, wo die durch die Gärung ge-
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47]
Die bakteriellen Nahrungsmittel Vergiftungen.
85
bildeten Säuren die Lösung des Zinns bei Anwesenheit von Sauerstoff
begünstigen, ferner in stark sauren Konserven, so wurden bei Deli¬
katessbücklingen in Weinsauce, deren Genuss erhebliche Verdauungs¬
störungen hervorgerufen hatte, in 350 g der Konserve 156 mg Zinn
in löslicher Form aufgenommen; derartige Konserven mit starkem
Gehalt an Wein- oder Apfelsäure sollten daher nicht in Zinnbüchsen,
sondern nur in Glas oder Porzellan verpackt werden.
Die gewöhnlichen nicht sauren oder nicht stark sauren Fleisch-
und Gemüsekonserven scheinen nach Lehmann zu einer akuten
oder chronischen Metallvergiftung kaum Anlass zu geben, meist
handelt es sich dabei um bakteriell verdorbene Konserven.
Ebensowenig spielt das Kupfer die Rolle bei Vergiftungen
im gewöhnlichen Haushalt, wie vielfach angenommen wird. Nach
Lehmann (78) müssen etwa 200 mg Kupfer eingeführt sein, wenn
auch nur eine leichte Störung eines gesunden Menschen auf Kupfer
bezogen werden soll und etwa 1200 mg sind für eine lebensgefährliche
Vergiftung nötig. Die Gelegenheit zur Aufnahme von Mengen von
200 mg dürfte im Haushalt kaum je gegeben sein und die meisten
auf Kupfer und Grünspan bezogenen Erkrankungen dürften gleichfalls
auf Zersetzung der Speisen durch Bakterien zu beziehen sein, meistens
sprechen die mitgeteilten Krankheitserscheinungen auch mehr dafür
als für Kupfervergiftungen. Dagegen können Bleivergiftungen durch
irdenes Geschirr mit schlechter Bleiglasur im Haushalt Vorkommen,
da billige irdene Geschirre bei Kochen mit Essig grosse Mengen Blei
abgeben, in manchen Proben wurde 102—702mg Blei in der ersten
Auskochung gefunden. Nach Lehmann (79) verdienen diese Ge¬
schirre eine grössere Aufmerksamkeit, als ihnen bisher geschenkt
wurde, da sie lange Zeit immer wieder Blei abgeben; derartige Blei¬
glasuren können gelegentlich die Ursache unerklärt gebliebener
chronischer Bleivergiftungen sein. Lehmann berichtet über einen
von Halenke beobachteten Fall von Blutvergiftung; in einem irdenen
Topf hatten zwei Frauen Heidelbeeren gekocht und sich aus dem
erhaltenen Mus einen Heidelbeerkuchen bereitet; die Frauen erkrankten
bald nach dem Genuss der Speise, die eine ziemlich schwer, die andere
leichter. Die Untersuchung ergab, dass die gesamte Glasur sich aus
dem benutzten Topfe, soweit die Heidelbeeren reichten, aufgelöst
hatte; ein Stück des Heidelbeerkuchens enthielt etwa 160 mg Blei,
jede der Frauen hatte etwa 4—600 mg Blei als äpfelsaures Blei auf¬
genommen, der Topf hatte etwa 1000 mg Blei auf einmal abgegeben.
Bei Erscheinungen einer chronischen Bleierkrankung, für die andere
Ursachen sich nicht feststellen lassen, muss man an die Möglichkeit
der Bleiaufnahme durch solche minderwertige irdene Geschirre mit
schlechter Glasur denken. Der Bleigehalt kann von jedem Arzt in
der einfachsten Weise dadurch geprüft werden, dass man in dem Ge-
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A. DIKÜDONNti,
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ffifla ein© halbe Stande lang gewöhnlichen 4°/oigen Essig kocht and
za der Flüssigkeit Schwefelwasserstoffwasser zusetzt; Schwarzfärbung
oder ein schwarzer Niederschlag zeigt grössere Mengen Blei an. Im
allgemeinen sind aber Metallvergiftungen durch Küchengeschirre, be¬
sonders die noch so oft angenommenen Kupfervergiftungen, selten und
man ist nur zu der Annahme einer solchen berechtigt, wenn die quan¬
titative chemische Untersuchung entsprechend grosse Kupfermengen
ergeben hat; der Umstand, dass die Speisen in einem auch beschä¬
digten Kupfergeschirr gekocht oder aufbewahrt wurden, berechtigt
noch nicht zu der Annahme einer Kupfervergiftung. Stets sollte man
in solchen Fällen auch an eine bakterielle Zersetzung der Speisen
denken, die oft durch schlecht gereinigte Küchengeschirre und an den
Wänden zurückgebliebene Speisereste bedingt sind, und die Nach¬
forschungen und Untersuchungen nach dieser Richtung vornehmen.
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70. Pfuhl, E., Zeitschr. f. Hygiene. Bd. 48. 1904.
71. Zitiert bei Bischoff und Wintgen, Zeitschr. f. Uyg. Bd. 34. 1900.
72. Fischer, A., Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 59. 1906.
78. Land mann, Hygien. Rundschau. Bd. 14. 1904.
74. Rolly, Manch, med. Wochenschr. 1906.
75. Belser, Arch. f. Hyg. Bd. 54. 1905.
76. Schottelius, Blätter für Volksgesundheitspflege. Bd. 7. 1907.
77. Lehmann, Arch. f. Hyg. Bd. 45. 1902.
78. Derselbe, Deutsche Vierteljahrsschr. f. öffentliche Gesundheitspflege. Bd. 34
1902.
79. Derselbe, Hygienische Rundschau. 1902.
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Die Rachitis.
Von
Dr. B. Gutmann,
Spezialarzt für Kinderkrankheiten in WÜrzburg.
Die Rachitis ist eine Erkrankung des frühesten Kindesalters,
die sich in erster Linie an dem sich entwickelnden und im besten
Wachstum begriffenen Knochensystem abspielt, während eine Reihe
anderer Organerkrankungen, besonders Störungen seitens des Magen¬
darmkanals, des Respirationstraktus und des Nervensystems, wie sie
bei der Rachitis nicht selten Vorkommen, nur Begleiterscheinungen
resp. Folgezustände derselben sind.
Ihre weiteste Verbreitung findet die Rachitis in den der ge¬
mässigten Zone angehörigen Gebieten von Europa und Nordamerika;
Gegenden mit feuchtkaltem Klima, Flusstäler und feuchte Ebenen
sind besonders bevorzugt. In Europa kommen besonders Belgien,
Holland, England, die deutsche Tiefebene, die Lombardei, ferner die
gebirgigen Gegenden Mittel- und Süddeutschlands in Betracht; im
hohen Norden, z. B. in Grönland, kommt sie selten oder überhaupt
nicht vor, ebenso in den südlichen Ländern und den Tropen. Auch
in China, Japan ist sie sehr selten, in Japan angeblich deshalb, weil
die Kinder 3—4 Jahre lang Mutterbrust erhalten.
Was das Lebensalter betrifft, in dem die Rachitis am häufigsten
auftritt, so rangiert wohl an erster Stelle die zweite Hälfte des ersten
Lebensjahres, an zweiter Stelle die erste Hälfte des zweiten Lebens¬
jahres; im allgemeinen befällt sie da, wo sie zu finden ist, sehr viele
Kinder und es gibt Statistiken, die von 80, ja 90 °/o sprechen; wieder
andere geben allerdings nur 20—30°/o an.
So alt nun schon unsere Kenntnisse über vorstehende Er¬
krankung sind (der englische Arzt Glisson hat bereits im Jahre
1660 eine sehr ausführliche Monographie geschrieben), ebenso viel¬
umstritten ist bis zum heutigen Tage die Frage nach dem eigentlichen
Würaburger Abhandlungen. Bö. VIII H. 5. 7
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B. GÜTMANN,
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[ 2 -
Wesen der Rachitis; die bestechendsten Theorien sind im Laufe der
Jahre und Jahrzehnte aufgestellt und verteidigt worden, die zu be¬
sprechen nicht uninteressant ist und unsere nächste Aufgabe sein soll.
Ätiologie.
Da ist es zunächst die Vere rbungstheorie, die besonders in
Ritter v. Rittershain einen sehr warmen Verteidiger findet; in
einer sehr sorgfältig zusammengestellten Familienstatistik weist er
nach, dass bei einem grossen Prozentsatz (über 30°/o) von rachitischen
Kindern auch bei den Müttern noch Reste von Rachitis vorhanden
waren; bei der überaus grossen Verbreitung dieser Erkrankung haben
wohl diese Befunde keine rechte Beweiskraft. Andere beschuldigen
nicht die voraufgegangene Rachitis der Eltern, sondern andere
schwächende Einflüsse und Erkrankungen derselben, z. B. Tuberku¬
lose des Vaters, vorgerücktes Alter der Eltern zur Zeit der Zeugung,
allzu jugendliches der Mutter, Zwillingsgeburten, Entkräftung der
Mutter infolge häufiger Geburten. Schliesslich soll unter den heredi¬
tären Momenten auch die Syphilis der Eltern eine Rolle spielen,
wie schon Boerhave betont; am weitesten geht hier wohl Parrot,
der die Syphilis der Eltern als die alleinige Ursache der Rachitis der
Kinder bezeichnet. Davon kann natürlich keine Rede sein, im Gegen¬
teil, man kann noch nicht einmal sagen, dass hereditärluetische
Kinder mehr zur Rachitis disponieren würden als andere.
ln neuerer Zeit tritt auch Siegert unter Verwertung eines
grossen klinischen Materials für die Heredität der Rachitis ein,
während sie andere Autoren, wie Kassowitz, Unruh, Schwarz
und neuerdings Marfan als eine in trauterin erworbene Krankheit
bezeichnen; sie stützen sich dabei auf makroskopische Veränderungen
bei der Geburt, wie grosse Fontanelle, Weichheit der Schädelknochen,
Schwellung der Rippenepiphysen usw. Massgebender sind vielleicht
die mikroskopischen Untersuchungen, die Esch er bei anscheinend
rachitischen Neugeborenen vorgenommen hat; er konnte dabei nie¬
mals Befunde erheben, die für das Bestehen einer kongenitalen
Rachitis gesprochen hätten.
Eine ebenfalls sehr weit verbreitete Ansicht sucht die Ursache
der Rachitis in einem mangelhaften Kalkgehalt der Nahrung oder
in einer mangelhaften Resorption des zugeführten Kalkes. Hierher
gehören interessante Tierversuche, die aber auch zum Teil recht
widersprechende Resultate gezeitigt haben. Chossat machte die
ersten Experimente an Tauben, denen er kalkarme Nahrung gab;
schon nach wenigen Wochen bekamen die Tiere Diarrhöen, magerten
ab und gingen schliesslich zugrunde; eines der Tiere hatte ein Bein
im Käfig gebrochen und starb bald darauf, ein anderes ging nach
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Die Rachitis.
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10 Monaten ein und zeigte eine auffallende Knochenbrüchigkeit.
Während nun diese Versuche für die Rachitis verwertet wurden, kam
Friedleben, der ebenfalls Tauben kalkarme Nahrung zuführte, zu
ganz anderen Schlüssen; wohl gingen auch seine Tiere nach fünf
bis sechs Monaten anscheinenden Wohlbefindens allmählich zugrunde,
wohl zeigten sich auch hier grosse Knoehenveränderungen, indem
alle Knochen dünn, spröde und leicht zerbrechlich, aber nicht biegsam
waren. Friedleben bezog jedoch diese Befunde nicht auf Rachitis,
sondern sie weichen, wie er sich selbst ausdrückt, weit von dem ab,
was man sonst bei der Rachitis findet.
Guerin ernährte junge, saugende Hunde von demselben Wurf
verschieden, indem er einem Teil Muttermilch, dem zweiten Kuh¬
milch und Brot, dem dritten nur Fleisch gab. Während die beiden
ersten Gruppen gut gediehen, nahmen die fleischfressenden Tiere
zunächst zu, bekamen aber bald Diarrhöen, magerten ab und gingen
zugrunde; bei der anatomischen Untersuchung zeigten sich die
Knochen stellenweise erweicht, verkrümmt und boten alle Merkmale
der Rachitis dar.
Tripier traf bei seinen Versuchen an jungen Hunden, Katzen
und Hühnern dieselben Anordnungen, kam aber zu gerade entgegen¬
gesetzten Resultaten, ja er fand sogar in den Knochen einer mit Kuh¬
milch gefütterten Katze weniger Kalksalze als bei der mit Fleisch
gefütterten.
Von deutschen Autoren wären Roloff, Voit und Weitzke
zu nennen, von denen sich die beiden ersten nach den Resultaten
ihrer Tierversuche für die Kalktheorie, der letztere gegen dieselbe
aussprachen. Baginsky, der ebenfalls eine Versuchsreihe mit drei
Hunden machte, fand wohl auch bei dem ohne Kalk ernährten Hund
Rachitis, er fand sie aber auch besonders stark entwickelt bei einem
mit Milchsäure ernährten und schloss daraus, dass Entziehung der
Kalksalze wohl rachitische Veränderungen erzeugen könne, dass
letztere aber durch Zufuhr von Milchsäure wesentlich gesteigert
würden.
Genau so wie bei der Rachitis der Tiere wurde nun auch bei
der menschlichen ein zu geringer Kalkgehalt der Nahrung ange¬
schuldigt. Nun kann man aber mit dem besten Willen von der
Kuhmilch, der verbreitetsten Säuglingsnahrung, nicht behaupten, dass
sie besonders kalkarm sei; viel eher käme noch die Frauenmilch in
Betracht, die nach Bunge 5—6mal weniger Kalk enthalten soll als
die Kuhmilch; aber gerade die Tatsache, dass viel weniger Brust¬
kinder an Rachitis erkranken wie Flaschenkinder, spricht gegen die
Annahme, dass der verminderte Kalkgehalt der Nahrung dabei eine-
Rolle spielen soll; so ist denn auch die Behandlung mit Kalkpräpa¬
raten im allgemeinen bei der Rachitis erfolglos geblieben.
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Dass die Rachitis infolge von ungenügender Resorption des in
genügender Menge eingeführten Kalkes entstehen soll, ist ebenfalls
sehr unwahrscheinlich; so konnten z. B. Rüdel und Rey nach-
weisen, dass nach vermehrter Kalkzufuhr die Menge des ausgeschie¬
denen Kalks im Urin sich bei Rachitis genau ebenso erhöhte wie bei
Gesunden. Trotzdem gibt es noch eine Menge Anhänger dieser
Theorie, so z. B. auch Monti, allerdings setzt dieser Autor eine Ver¬
dauungsstörung voraus: „Unter dem Einfluss einer solchen bildet sich
im Magen eine etwas grössere Menge Milchsäure unter gleichzeitiger
Verminderung der Salzsäure. Die Milchsäure übt einerseits einen
Reiz auf das Knochengewebe aus, während andererseits infolge Ver¬
minderung der Salzsäure eine verminderte Resorption der Kalksalze
und ungenügende Zufuhr derselben zu den Knochen stattfindet“.
Zu ähnlichen Schlüssen waren schon früher Seemann und Zander
gekommen, welche ein Überwiegen von Kali und Phosphorsäure über
Natron und Salzsäure in der Nahrung als Ursache der Rachitis hin¬
stellten. Würden wirklich diese in abnormer Weise im Blute kreisenden
Säuren, insbesondere die Milchsäure, von der ja schon oben die Rede
war, an dem Zustandekommen der Rachitis schuld sein, indem
sie den Kalk fest binden, eo müssten sich auch Veränderungen in
der Blutalkaleszenz zeigen, welch letztere aber in Wirklichkeit von
Stölzner bei rachitischen Kindern als ganz normal befunden wurde.
Auch die Beobachtungen Neter’s sprechen dagegen, der im Urin
einer grossen Anzahl rachitiskranker Kinder meist neutrale resp. al¬
kalische Reaktiou fand.
Sehr interessant sind die mühevollen von Zweifel angestellten
Untersuchungen, die ebenfalls eine verminderte Kalkresorption als
alleinige Ursache der Rachitis ergaben. Er fand, dass in Sachsen
das Brot ungesalzen gebacken wird, dass also in der Nahrung einer¬
seits Mangel an Kochsalz, andererseits Überfluss an Kaliumsalzen
besteht; diese beiden Faktoren bedingen eine Kochsalzarmut im
Körper, die Folge davon ist, dass auch im Magen weniger Salz¬
säure ausgeschieden wird. Diese verminderte Salzsäureabscheidung
hat wiederum verminderte Resorption der Kalksalze und damit Ra¬
chitis bei den an der Mutterbrust zu ernährenden Kindern zur Folge.
Für die künstlich genährten beschuldigt Zweifel einerseits die
Kindermehle, die zu wenig lösliche Kochsalze enthalten, andererseits
die zu geringe Resorptionsfähigkeit des in der Kuhmilch in aus¬
reichender Menge enthaltenen Kalkes, der teils durch das Kochen
der Milch, teils im Magen in eine unlösliche Modifikation umge¬
wandelt würde. Pfaundler entgegnet Zweifel, indem er zunächst
darauf hinweist, dass sich wohl kaum die stillenden Mütter in Sachsen
ausschliesslich von ungesalzenem Brot ernähren und dass, selbst einen
verminderten Chlorgehalt der Muttermilch vorausgesetzt, derselbe
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Die Rachitis.
93
öl
immer noch für die Salzsäurebildung im Magen des Säuglings aus¬
reicht.
Es war bereits oben davon die Rede, dass einzelne Autoren in
einem abnormen Gehalt der Körpersäfte an Milchsäure die Ursache
der Rachitis sehen. Eine andere Theorie beschuldigt nun statt der
Milchsäure die Kohlensäure und als Hauptverfechter dieser Theorie
gilt Wachsmuth:
In den ärmlichen, schlecht ventilierten und dicht bevölkerten
Wohnungen findet infolge des starken Kohlensäuregehaltes der
Zimmerluft eine nicht genügende Ventilation der Lungen statt, die
Kohlensäure häuft sich infolgedessen im Blut und in den Geweben
an und erhält die Kochsalze, die eigentlich für das Knochengewebe
bestimmt sind, abnormerweise in Lösung. Eine gewisse Berechtigung
kann man diesen Deduktionen auf den ersten Augenblick nicht ab¬
sprechen ; es ist ja eine alte Erfahrung, dass die Rachitis in der ersten
Hälfte des Jahres, nachdem die Kinder den ganzen Winter über in der
Wohnung gehalten wurden und wenig an die frische Luft kamen, viel
häufiger beobachtet wird, als in der zweiten. Lange erhebt allerdings
den Einwand, dass sich die Eltern im Winter schwerer entschliessen
würden, den Arzt wegen der Rachitis aufzusuchen. Nun hat aber
Edlefsen die poliklinischen Kinder auch im Winter in ihren Be¬
hausungen aufgesucht und ebenfalls ein grösseres Zunehmen der Ra¬
chitis gegenüber dem Sommer konstatiert. Ob freilich hierbei nur dem
einen Moment, der Kohlensäureüberladung, der Hauptanteil beizu¬
messen ist, möchte ich nicht ohne weiteres annehmen; wie sollte man
sieh denn die Entstehung der Rachitis in gut situierten Familien —
gar kein so seltenes Ereignis — vorstellen? Ich glaube vielmehr, dass
dabei verschiedene ursächliche Momente zusammentreffeu, von denen
wir noch zu sprechen haben.
Einen ähnlichen Standpunkt wie Wachsmuth vertritt Quis¬
ling, nur mit dem Unterschied, dass er nicht die Kohlensäure direkt,
sondern einen ungenügenden Gaswechsel in den Lungen im allge¬
meinen, verursacht durch Mangel an frischer Luft beschuldigt; er
weist dabei auf eine Beobachtung Baginsky’s hin, der beinahe
nie bei Zigeunern Rachitis fand.
Auch Kassowitz spricht von respiratorischen Noxen, die mit
der Atmungsluft aufgenommen werden sollen.
Über eine weitere Theorie Pommer's, der die Ursache der Rachitis
in primären Störungen des Zentralnervensystems sucht, kann
man wohl rasch hinweggehen, dieselbe hat auch keine weiteren An¬
hänger gefunden.
Viel Aufsehen erregt hat dagegen die Hypothese, die einen Er¬
reger für das Entstehen der Rachitis verantwortlich macht. Vor
langer Zeit war dieser Gedanke schon einmal von Oppenheimer
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ausgesprochen worden, der die Rachitis in Beziehung mit der Malaria
brachte. Als Beweise für die infektiöse Natur der Rachitis werden
von den einzelnen Autoren ihre Abhängigkeit von bestimmten Jahres¬
zeiten, ihre begrenzte geographische Verbreitung, ihr gehäuftes Auf¬
treten nach anderen Epidemien, ihr oft akuter Beginn mit Fieber,
die zuweilen vorhandene Milzschwellung, sowie die zerebralen und
nervösen Erscheinungen genannt. Während nun Hagenbach-
Burckhardt einen noch imbekannten Mikroorganismus als spezi¬
fischen Erreger der Rachitis annimmt, hat Mircoli in den Knochen
und dem Gehirn rachitischer Kinder bereits Staphylo- und Strepto¬
kokken gefunden; da sich diese auch in der Mundhöhle zeigten, so
nimmt er an, dass in der Regel von hier die Infektion ausgehe.
Grösseres Interesse verdient eine neuere Arbeit von E d 1 e f s e n.
Er vergleicht die Jahreskurve der Rachitis, die ihren Höhepunkt in
den Monaten März und April erreicht, mit der Jahreskurve dreier
anderer Infektionskrankheiten, nämlich der Pneumonie, Polyarthritis
rheumatica und Meningitis cerebrospinalis, findet eine grosse Ähn¬
lichkeit zwischen den einzelnen Kurven und der der Rachitis, und
schliesst daraus, dass letztere verwandte Entstehungsbedingungen
haben müsste. In Wirklichkeit fand dann auch Edlefsen, dass
die Rachitis häufig in solchen Häusern auftrat, in denen andere
Fälle von Rachitis oder auch die genannten Infektionskrankheiten
vorkamen. Den Einfluss der kalten Jahreszeit auf das Entstehen
der Rachitis, einer Jahreszeit, während welcher die Kinder an das
Haus gebunden sind, erklärt Edlefsen aus einer im Hause ein¬
wirkenden Schädlichkeit und er nimmt deshalb an, dass, falls die
Rachitis eine Infektionskrankheit ist, der Erreger in dem Untergrund
der Wohnungen und ihrer Umgebung seine Lebensbedingungen finden
und von da in die Luft der Wohnungen gelangen müsste. Für ein
derartiges Verhalten des Erregers würde auch eine Beobachtung
sprechen, die Hansemann bei Tieren gemacht hat; er fand die
Rachitis sehr häufig in Ställen und zoologischen Gärten, während sie
bei den Weidetieren sehr selten vorkommt und bei den in Freiheit
lebendeu, wilden Tieren überhaupt nicht zu treffen ist. Schliesslich
hat in allerjüngster Zeit Morpurgo durch denselben Diplocoocus
bei jungen, weissen Mäusen Rachitis, bei alten Osteomalazie erzeugt
und auch auf natürlichem Wege, durch Ansteckung, Rachitis von
Tier auf Tier übertragen.
Wir kommen jetzt zu einer unserer modernen Richtung ent¬
sprechenden Theorie, welche die Rachitis auf eine gestörte innere Se¬
kretion eines Organs zurückführt. Stölzner bringt sie in Analogie
mit dem Myxödem; bei beiden Erkrankungen soll es sich um eine
endogene Noxe handeln, die den Ausfall der Funktion irgend eines
für die normalen Lebensbedingungen wichtigen Organs zur Folge
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Die Rachitis.
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hat. St öl zu er bezeichnet diese Zustände als spezifische Dystrophien
bestimmter Gewebssysteme und bringt nun die Rachitis mit einer
primären Erkrankung der Nebennieren resp. deren Rindenschicht in
Zusammenhang analog der Rolle, die die Schilddrüse beim Myxödem
spielte. Er machte denn auch wirklich bei der Behandlung rachi¬
tischer Kinder mit Nebennierensubstanz gute Erfahrungen und be¬
obachtete vor allen Dingen, dass das rachitische, noch nicht verkalkte
Gewebe farbenanalytische Reaktionen gab, die er als einen allmählichen
Übergang in den kalkhaltigen Zustand deutete. Schon bald nach
der Veröffentlichung traten Gegner auf, die die Theorie Stölzners
bekämpften, so dass er sie selbst nicht mehr in ganzem Umfange
•aufrecht erhält und weitere Untersuchungen abwartet.
In jüngster Zeit bat Hecker die Rachitis mit einer Störung
derNebenschilddrüsentätigkeitin Zusamraenha ng gebracht auf
■Grund der Erfahrung, dass nach Nebeuschilddrüsenläsion beobachte
Tetanie mit Laryngospasmus auch bei Rachitis häufig vorkommt, dass
ferner die Nebenschilddrüsen noch einen bestimmten Einfluss auf das
Skelett auszuüben scheinen.
Von neueren Arbeiten wäre schliesslich noch die von Esser zu
nennen; er fand sowohl bei rachitischen wie bei chronisch über¬
fütterten Kindern starke Vermehrung der Leukozyten und glaubte
deshalb die chronische Überfütterung als Hauptmoment für das Ent¬
stehen der Rachitis ansehen zu müssen. In Wirklichkeit konnte er
denn auch in allen Fällen von Rachitis, ob eie nun Brust- oder
Flaschenkinder betraf, ob es sich um Kinder von rachitischen oder
rachitisfreien Eltern handelte, anamnestisch Überfütterung feststellen.
Wir haben gesehen, dass im Laufe der Jahrzehnte eine Un¬
menge Theorien und Hypothesen über das Entstehen der Rachitis
aufgestellt worden sind; manche von ihnen hat ein Fünkchen Wahr¬
heit für sich, aber keine einzige kann als alleiniger ätiologischer
Faktor in Betracht kommen. Mir scheinen immer noch diejenigen
die grösste Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch nehmen zu
können, die sich einerseits mit Fehlern in der Art der Ernährung,
vielleicht mit chronischer Überfütterung, andererseits mit mangel¬
haften hygienischen Verhältnissen im allgemeinen, wie ungenügender
Luftzufuhr, feuchten, ungesunden Wehnungen, Unsauberkeit usw. be¬
fassen.
Pathologische Anatomie.
Schon makroskopisch fällt meistens eine auffallende Weichheit
der rachitischen Knochen auf, die durch die mangelhafte Verkalkung
des Periosts sowie durch die Knochenresorption bedingt ist; es ist
gar nicht schwer, die Knochen ein- oder durchzuschneiden und so
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B. GUTMANN,
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darf es uns nicht wundern, wenn wir zuweilen die stärksten Ver¬
krümmungen und Verbiegungen, ja selbst Infraktionen, hervorgerufen
durch äussere Gewalteinwirkungen, zu sehen bekommen. An den
platten, insbesondere Schädelknochen, kommt es einerseits durch Ein¬
schmelzungsprozesse von innen her, andererseits durch unregelmässige
periostale Auflagerungen zu ungleichartigen Verdickungen und Ver¬
dünnungen; erstere finden sich besonders an den Knochenrändern,
letztere an den Hinterhaupt- und Scheitelbeinen.
Die hauptsächlichsten histologischen Veränderungen spielen sich
an den Knorpelknochengrenzen der Epiphysen ab, woselbst eine ab¬
norm starke Knorpelwucherung bei mangelhafter Verkalkung statt¬
findet. Unter normalen Verhältnissen sehen wir bekanntlich zwischen
dem Knochen- und Knorpelgewebe eine scharf begrenzte bläuliche
Zone, an der die Verkalkung vor sich geht. Die Knorpelzellen
ordnen sich hier in bestimmten Richtungen an und die Zwischen¬
substanz dieser Zellsäulen nimmt die Kalksalze auf. Nun wachsen
an diese Schichten von den Ossifikationspunkten her Kapillaren heran,
bringen das Knorpelgewebe zur Resorption und führen zur Bildung
von Markräumen, an deren Wänden sich durch Wucherung von
Osteoblasten das Knochengewebe bildet. Bei der Rachitis nun ist
die obengenannte Zone sehr verbreitert und unregelmässig begrenzt;
die sonst regelmässig angeordneten Knorpelzellen sind stark vermehrt
und vergrössert, dringen tiefer in das eigentliche Ossifikationsgebiet
ein, umgekehrt ragen die Markräume zapfenartig in diese Knorpel¬
zellenmasse hinein; die nicht oder mangelhaft verkalkte Zwischen¬
substanz bleibt bestehen, nur die Knorpelzellen verkalken teilweise
und es findet so nur eine Umwandlung in sogenanntes osteoides
Gewebe statt, das nur geringe Neigung zur Verkalkung zeigt. Ähn¬
liche Prozesse spielen sich im Periost ab; auch hier kommt es zur
Bildung eines sehr blutreichen osteoiden Gewebes, auch hier geht
der Verknöcherungsprozess sehr langsam vor sich.
Kassowitz glaubte in erster Linie die starke Blutgefässent¬
wickelung und rege Zirkulation an den Ossifikationspunkten, durch
welche die Kalkablagerung gestört sei, für die Rachitis verantwort¬
lich machen zu müssen. Gegen diese sogenannte Inflammationstheorie
haben sich jedoch besonders Pommer und Heubner gewandt;
letzterer legt übrigens weniger auf die abnorme Knorpelwucherung
als auf die ausbleibende Umwandlung der osteoiden in Knochengrund¬
substanz das Hauptgewicht in der Pathologie der Rachitis.
Symptome.
Der eigentlichen Skeletterkrankung gehen sehr oft Erscheinungen
voraus, die in erster Linie in Störungen des Allgemeinbefindens
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Die Rachitis.
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ihren Ausdruck finden. Die sonst munteren Kinder werden verdriesslich,
unruhig, sehr schreckhaft, schlafen schlechter und verlieren ihren
Appetit. Ein Teil derselben zeigt sehr bald eine auffallende Blässe
des Gesichts, die in einem eigentümlichen Kontrast zu dem oft recht
guten Ernährungszustand der Kinder steht, wieder andere sind nur
scheinbar gut genährt, sie weisen ein welkes, schlaffes Fettpolster und
ebenso schlaffe Muskulatur auf. Sehr in die Augen springend ist
weiterhin die auffallende Empfindlichkeit der Knochen gegen Be¬
rührung; fasst man die Kinder unter den Armen und hebt sie auf,
so schreien sie laut auf, und es ist gar nicht selten, dass diese eigen¬
tümliche Beobachtung der Mutter den ersten Anlass gibt, den Arzt
aufzusuchen.
Sehr charakteristisch sind fernerhin die Schweisse, namentlich
die Kopfschweisse; sie sind so auffallend, dass uns in vielen Fällen
die Mütter spontan die Angabe machen, dass das Kissen da, wo der
Kopf aufgelegen habe, ganz durchnässt sei. Da die Kinder auch am
übrigen Körper viel schwitzen, so ist ihre Haut sehr oft mit Suda-
mina und Miliaria bedeckt. Schliesslich sei auch noch auf Unregel¬
mässigkeiten in der Verdauung hingewiesen, Diarrhöen und Ver¬
stopfungen wechseln miteinander ab. Einige Autoren erwähnen auch
noch einen eigentümlich scharfen Geruch des Urins, ohne dass be¬
sondere Schädigungen von seiten der Nieren nachzuweisen wären.
Haben diese Allgemeinerscheinungen einige Wochen bestanden,
so werden allmählich die Veränderungen am Skelettsystem wahr¬
nehmbar und zwar werden, wie Baginsky nachgewiesen hat, immer
diejenigen Knochen am meisten betroffen, die sich beim Ausbruch
der Erkrankung im lebhaftesten Wachstum befinden. So kommt es,
dass wir die Schädelrachitis am häufigsten im ersten Lebensjahre,
die Thorax- und Extremitätenrachitis dagegen mehr im zweiten uud
dritten Lebensjahre antreffen.
Ehe ich mit der Besprechung der Skelettveränderungeu beginne,
möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass die Rachitis grösstenteils
erworben wird. Nun kommt es zuweilen vor, dass rachitische Ver¬
änderungen bereits in einer früheren Fötalperiode bestanden haben
und bei der Geburt schon wieder ausgeheilt sind, wir sprechen in
solchen Fällen von einer fötalen Rachitis; sie ist zwar sehr selten, aber
sicherlich beobachtet worden. Bestehen die rachitischen Veränderungen
bei einem in der allerersten Lebensperiode stehenden Kind, hat man
also Grund zu der Annahme, dass sich dieselben bereits im Uterus
entwickelt haben, dann haben wir die kongenitale Rachitis vor uns;
sie ist schon häufiger anzutreffen.
Im allgemeinen jedoch beginnt die Rachitis erst gegen Ende,
des ersten Lebensjahres und in dieser Zeit sind es, wie bereits oben
erwähnt, vor allem die Veränderungen am Schädel, die uns zunächst
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interessieren. Umfassen wir einen solchen mit beiden Handflächen
und tasten uns mit den Zeigefingern das Hinterhaupt ab, so finden
wir hier eigentümlich weiche, zehnpfennigstück- und noch grössere
Partien, die dem Fingerdruck vollständig nacbgeben und sich wie
Pergament anfühlen; wir bezeichnen diesen Zustand als K r a n i o-
tabes und charakterisieren damit die hauptsächlichsten Verände¬
rungen am Hinterhaupt. Ein weiteres Merkmal ist das auffallend
lange Offenbleiben der Fontanellen, insbesondere der Stirn¬
fontanelle, die sich zwar normalerweise erst im 15. Lebeusmouat
schliessen kann, bei der Rachitis aber noch viel länger offen bleibt. Aber
nicht nur die Grösse der Fontanellen fällt auf, sondern auch die
Weichheit der sie umgrenzenden Knochen, das gilt insbesondere auch
für die Schädelnähte, deren Knochenränder oft so weich sind, dass
man ihren Übergang in die Fontanellen nur schwer abgrenzen kann.
Während also ein Teil des Schädels, namentlich das Hinterhaupt
und die Knocbenränder der Schädelnähte sehr lange weich bleiben,
kommen allerdings erst in einem späteren Stadium an anderen Stellen
direkte Knochenauflagerungen zustande, die dann als Dauer¬
veränderungen bestehen bleiben. Ich meine die Scheitel- und Stirn¬
beinhöcker; treten dieselben besonders stark hervor, ist ausserdem
die Schädelhöhle infolge des verspäteten Fontanellenschlusses einge¬
sunken, das Hinterhaupt infolge seiner Weichheit stark abgeplattet,
dann bekommen wir jene Schädelform, die wir als Caput qua-
dratum bezeichnen.
Bisher haben wir nur vom Gehirn sch ädel gesprochen; natür¬
lich erfährt auch das Gesichtsskelett Veränderungen, die in erster
Linie Ober- und Unterkiefer betreffen. Ersterer erscheint in der sagit-
talen Richtung verlängert, in der transversalen dagegeu verschmälert
und ragt dadurch häufig über den Unterkiefer hervor; dieser erfährt bei
Übergang der vorderen in die seitliche Partie eine starke Knickung,
sein unterer Rand biegt sich stark nach aussen um, der Alveolar¬
fortsatz ist infolgedessen mehr nach innen geneigt und so versteht
man es, dass die Zähne des Oberkiefers mit ihren Innenrändem
häufig die Aussenränder der Unterkieferzähne berühren. Noch viel
wichtiger als die Veränderung der beiden Kiefer ist das Verhalten
der Zähne selbst. Während die ersten unter normalen Verhältnissen
gewöhnlich im sechsten bis achten Monat durchbrechen, erfolgt ihr
Durchbruch bei der Rachitis oft erst am Ende des ersten oder An¬
fang des zweiten Lebensjahres. Neben dem späten Beginn der Zahnung
sind aber auch die langen Pausen im Durchbruch der einzelnen
Zähne besonders charakteristisch. Setzt die Rachitis erst später ein,
so kann es natürlich Vorkommen, dass die ersten Schneidezähne
bereits vorhanden sind; dann verzögert sich natürlich der weitere
Durchbruch der Zähne und man kann im allgemeinen den Satz auf-
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Die Rachitis.
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stellen, dass die Beendigung der ersten Zahnung bei Rachitis selten
vor Ablauf des dritten Lebensjahres stattfindet, während unter nor¬
malen Verhältnissen gewöhnlich am Ende des zweiten Lebensjahres
sämtliche 20 Milchzähne durchgebrochen sind. Auch an den bleibenden
Zähnen, namentlich den Schueidezähnen und ersten Molaren, finden
wir zuweilen als Residuen überstandener Rachitis Veränderungen in
Form von Erosionen, deren Ursprung natürlich auch auf die Zeit
der ehedem bestandenen Rachitis zurückgeführt werden muss.
Weitgehende Veränderungen erfährt fernerhin der Thorax;
schon sehr frühzeitig fallen hier die Verdickungen am Übergang des
knöchernen in den knorpeligen Teil auf, die sich bei stärkerer Aus¬
bildung beim Bestreichen des Thorax wie eine Perlschnur anfühlen
und den Namen Rosenkranz erhalten haben. Die seitlichen Thorax¬
partien sind anstatt nach aussen gewölbt stark eingesunken, nament¬
lich zwischen der vierten und siebenten Rippe, so dass man hier von
förmlichen Mulden sprechen kann, umgekehrt wird die vordere Brust¬
wand, insbesondere das Sternum, sehr weit nach vorwärts gedrängt.
Nehmen nun diese beiden Difformitäten, also das stark nach vorn vor¬
springende Brustbein und die seitlich stark abgeflachten Rippen, eine
besonders krasse Form an, so erhalten wir jene schwerste Verbildung
des rachitischen Brustkorbes, die wir alsHühnerbrust bezeichnen; sie
charakterisiert sich also dadurch, dass sich der sternovertebrale Durch¬
messer dem frontalen nähert, ja sogar grösser als derselbe ist. Eine
andere nicht seltene Veränderung erleidet der Thorax dann, wenn
sich die Rippenknorpel am Ansatz des Sternums nochmals umbiegen,
letzteres dadurch etwas nach rückwärts gedrängt wird und wie in
eine Rinne zu liegen kommt. Haben wir also gesehen, dass der
rachitische Thorax in seinem oberen Teil durch die beiderseitige seit¬
liche Abflachung auffallend schmal ist, so wird er nach unten oft
auffallend weit, indem sich die unteren Rippen förmlich nach aussen
umkrempeln. Dabei spielt vielleicht die rachitische Auftreibung des
A b dom e ns eine gewisse Rolle, das mit seinem Inhalt gegen die untere
Tboraxapertur drückt und dieselbe erweitert. Schliesslich wäre noch
zu erwähnen, dass auch die Rüokenfläche des Thorax oft stark ab¬
geflacht ist, während an Stelle der Anguli scapulae die Rippen ziem¬
lich scharf umknicken.
Es ist selbstverständlich, dass derartig schwere Difformitäten
einen schädigenden Einfluss auf eine ausgiebige Lungenventilation
ausüben; auch ohne dass besondere Störungen von seiten des Re¬
spirationssystems vorhanden sind, befinden sich solche Kinder immer
in einer gewissen Dyspnoe und sind bei einem wirklichen Eintritt
von Lungenkomplikationen aufs äusserste gefährdet.
Auch die Clavicüla beteiligt sich sehr oft an der rachitisdien
Veränderung, ihre normalen Krümmungen sind pathologisch verstärk
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und sie ist gar Dicht selten Sitz von Frakturen und Infraktionen, die
sich durch besonders reichliche Kallusbildung auszeichnen.
An der Wirbelsäule beobachtet man sehr häufig Kyphose,
namentlich an den unteren Brust- und oberen Lendenwirbeln; sie ent¬
wickelt sich gewöhnlich erst dann, wenn das Kind zu sitzen anfängt,
durch die Einwirkung der Last des Oberkörpers und hat keine besondere
Bedeutung. Unangenehmer sind schon die gewöhnlich dextrokonvexen
Skoliosen, die stationär bleiben und zu einer dauernden Missstal-
tung führen können. Im Gegensatz hierzu haben die Rückgratsver¬
krümmungen, die man öfters bei Schulkindern sieht, gewöhnlich mit
der Rachitis nichts zu tun, sondern werden erst später erworben.
Während die rachitischen Veränderungen am Becken dem
Kinderarzt verborgen bleiben und symptomlos verlaufen, hat mit ihnen
leider um so mehr der Geburtshelfer zu rechnen. Er sieht das platte
und allgemein verengte rachitische Becken als Folgen von Gestalts¬
veränderungen, die sich bereits frühzeitig durch den Druck der
Rumpflast auf die nachgiebigen Beckenknochen entwickelt haben.
So wird das Kreuzbein durch die Last des Körpergewichts in die
Beckenhöhle hineingetrieben, das Promontorium tritt stark nach vorn
und nähert sich der Symphyse, während gleichzeitig die Pfannen¬
gegenden durch die Schenkelköpfe gleichfalls in das kleine Becken
vorgetrieben werden. Auf diese Weise können die hochgradigsten
Verengerungen zustande kommen, die dann späterhin die schwersten
Geburtshindernisse bilden.
Wir kommen nunmehr zu den oberen Extremitäten. Ver¬
biegungen der Oberarmknochen kommen seltener vor, epiphysäre
Anschwellungen am Schultergeleuk sind meist gar nicht, am Ell¬
bogengelenk dagegen deutlicher zu erkennen. Häufiger beobachtet
man schon Verkrümmungen des ganzen Oberarmes, die teils durch
Infraktionen uud zwar gewöhnlich in der Mitte der Diaphyse, teils
durch Hemmungen im Längenwachstum hervorgerufen werden.
An den Vorderarmknochen kann man schon häufiger Ver¬
biegungen sehen, die dann gewöhnlich mit der Konvexität nach der
Streckseite gerichtet sind; auch Frakturen und Infraktionen sind hier
gar nicht so selten, eine im unteren Drittel manchmal zu beobachtende
soll nach Stone durch den fortwährenden Druck des kleinen Fingers
der das Kind führenden Person auf die Knickungsstelle entstehen.
Weitaus am wichtigsten jedoch uud am meisten in die Augen springend
sind die EpiphyseDauftreibungen der Ulna und noch mehr des
Radius einerseits und der Handwurzelknochen andererseits; die zwischen
beiden Auftreibungen liegende Furche ist besonders markant und
hat zu der landläufigen Bezeichnung „doppelte“ oder „abgesetzte“
Glieder geführt. Jedenfalls ist dieses Symptom neben der Kranio-
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Die Rachitis.
101
tabes und dem Rosenkranz eines der wertvollsten Frühsymptome der
Rachitis.
Auch an den Fingerknochen kommen, allerdings selten, Auf¬
treibungen und Verdickungen vor.
Weit mehr als die oberen werden die unteren Extremitäten
vom rachitischen Prozess betroffen und zwar gewöhnlich zu einer Zeit,
wo Gehen und Stehen bereits schädlich auf das Wachstum der
Knochen eingewirkt haben; leichtere Grade der rachitischen Er¬
krankung, so namentlich Verbiegungen der Tibien, machen sich
allerdings schon früher bemerkbar, noch ehe die Kinder laufen ge¬
lernt haben. Ähnlich wie am Oberarm sind die Veränderungen am
Oberschenkel nur geringfügige, npr eine besondere Form der Er¬
krankung ist hier gar nicht so selten zu treffen, ich meine die Coxa
vara. Man versteht darunter eine Richtungsänderung des Schenkel¬
halses, welcher anstatt schräg absteigend mehr horizontal zur Dia-
physe verläuft. Das Bein wird dabei nach aussen rotiert und ab-
duziert und verursacht dadurch die bekannten Gehstörungen.
Weit stärkere Difformitäten weisen die Unterschenkelknochen
auf, sowohl in den Epiphysen, wie in der Diaphyse. Besonders in
der oberen Epiphyse der Tibia vollziehen sich Wachstumsanomalien,
die zu Veränderungen der Gelenkformation und damit zu einer
Richtungsänderung der ganzen unteren Extremität führen; auf diese
Weise entstehen das Genu valgum und Genu varum. Dazu treten
sehr häufig noch Verkrümmungen der Unterschenkel mit der Kon¬
vexität nach vom und aussen; erreichen diese einen besonders hohen
Grad, dann sprechen wir von Säbelbeinen. Die grössten Verun¬
staltungen entstehen, wenn beide Difformitäten, also sowohl die in
der Epiphyse wie Diaphyse Zusammentreffen; wir erhalten dann die
mannigfachsten Stellungen, in Form der O-Beine, X-Beine, Kombi¬
nationen beider, Bäckerbeine etc. Gewöhnlich treten ja die erwähnten
Verbiegungen nicht in ihrer schwersten Form auf und pflegen sich
mit den Jahren wieder auszugleichen, manchmal bleiben sie aller¬
dings als eine sehr unangenehme Folge einer in der Kindheit durch¬
gemachten Rachitis bestehen und sind dann nur durch operative
Eingriffe zu beseitigen, von denen unten nochmals die Rede sein
wird. Wie in den oberen können natürlich auch in den unteren
Extremitäten Störungen im Längenwachstum Vorkommen, die zu¬
weilen einen so hohen Grad erreichen, dass daraus eine Verkürzung
des ganzen Individuums resultiert; wir sprechen dann vom rachitischen
Zwergwuchs.
Somit hätten wir die hauptsächlichsten Skelettveränderungen
bei der Rachitis erschöpft und wollen noch einmal kurz rekapitulieren,
in welcher Reihenfolge dieselben aufzutreten pflegen. Dabei müssen
wir uns vor allen Dingen die beiden Punkte vor Augen halten, dass
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diejenigen Knochen am meisten befallen werden, die sich erstens znr
Zeit der Entstehung der Rachitis gerade im stärksten Wachstum be¬
finden und die zweitens gerade funktionell am meisten in Anspruch
genommen werden.
Tritt die Rachitis schon in einer frühen Zeit, etwa gegen Ende
des ersten Lebenshalbjahres auf, so befällt sie in erster Linie die
Schädelknochen, wir haben die Kraniotabes vor uns; hinzu kommt
etwas später der Rosenkranz, die Vergrösserung der Fonta¬
nelle und die Epiphysemauftreibung der Handgelenke.
Gegen Ende des ersten Lebensjahres treten dann mehr die Symptome
von seiten des Thorax, der verspätete Zahndurchbruch, sowie
die Kyphose der Dorsalwirbel in den Vordergrund.
Ganz anders dagegen sieht das Bild aus, wenn die Rachitis erst
im zweiten Lebensjahre zur Entwickelung kommt. Die Kraniotabes
fehlt dann gewöhnlich ganz, die Veränderungen am Thorax pflegen
sich zwar meist noch auszubilden, bei weitem am wichtigsten sind
jedoch jetzt die Verbiegungen der Extremitäten besonders bei
Kindern, die trotz der Rachitis schon umherlaufen; ausserdem treten
in diesem Stadium die skoliotischen Verkrümmungen der
Wirbelsäule und als Spätform der Rachitis die Auftreibung der
frontalen und parietalen Tubera auf.
Gewöhnlich beginnt die Rachitis in einer ziemlich frühen Periode
und macht nicht allzu spät Halt; nur so ist es zu erklären, dass wir
die Kraniotabes viel häufiger als die Extremitätenrachitis sehen. In
anderen Fällen hinwiederum kann sie auch einmal alle Stadien durch¬
machen und wir finden dann zu einer Zeit, wo die Extremitäten¬
rachitis in voller Blüte steht, die Schädelrachitis bis auf eine noch
nicht geschlossene Stirnfontanelle schon abgeheilt. Natürlich kann
eine erst im zweiten Lebensjahre manifest werdende Rachitis die
Anfangssymptome der Erkrankung, insbesondere die Kraniotabes,
auch eiumal überspringen und gleich mit den späteren Merkmalen
beginnen. Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass die ganz
schweren Formen der Rachitis gewöhnlich nur bei den vernach¬
lässigten und unter ungünstigen Bedingungen lebenden Kindern an¬
getroffen werden.
Hier ist wohl auch der Raum, wo w r ir der Rachitis tarda
gedenken können, einer Form der Rachitis, die gewöhnlich erst jenseits
des fünften Lebensjahres mit allen ihren bekannten Symptomen auf-
tritt. Die Kinder fangen an, leicht müde zu werden, verlernen sehr rasch
das Laufen und weisen, wenn man sie dann untersucht, alle Merk¬
male der Rachitis auf. Es handelt sich bei dieser Erkrankung teils
um ein Neuauftreten der englischen Krankheit, teils aber auch um
den erneuten Ausbruch einer bereits vorausgegangenen Rachitis.
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Die Rachitis.
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Ehe ich das Kapitel der Skeletterkrankung ganz verlasse,
möchte ich noch mit einigen Worten auf die Folgen einer duroh-
gemachten Rachitis zu sprechen kommen. Da bin ich nun in der glück¬
lichen Lage, den Satz aufstellen zu können, dass in der weitaus über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle keine dauernden Schädigungen Zurück¬
bleiben, ja es ist oft merkwürdig, um nur ein Symptom herauszugreifen,
wie oft hochgradig verkrümmte Beine trotz fortgesetzter funktioneller
Inanspruchnahme mit der Zeit ganz gerade werden. Freilich darf
nicht verkannt werden, dass in schweren Fällen manchmal für daa
ganze Leben Residuen Zurückbleiben, ich nenne an erster Stelle die
hochgradigen Verkrüppelungen, dann die Kyphoskoliosen und beim
weiblichen Geschlecht die schweren ßeckenverengerungen. In weniger
ungünstigen Fällen weisen allgemeine Plumpheit des Knochenbaues,
Reste von Hühnerbrust, unregelmässige Zahnstellung oder Erosionen
der bleibenden Zähne auf die in früher Kindheit durchgemachte Er¬
krankung hin.
Welches Verhalten zeigen nunmehr die übrigen Organe und
Funktionen bei der Rachitis? Von einzelnen Allgemeinerschei¬
nungen war bereits oben die Rede; wir haben gehört, dass die Kinder
oft recht verdriesslich und misslaunig sind, schon auf geringfügige
Gehör- oder Gesichtseindrücke zusammenschrecken, unruhig schlafen,
kurz sehr leicht nervös erregbar sind. Wir haben ferner gehört, dass
einzelne sich wohl in ganz gutem Ernährungszustand befinden, viele
aber auffallend schlaffes Fettpolster, ebenso schlaffe Muskulatur und
eine oft sehr blasse, welke Haut aufweisen, die die Venen bläulich
durchschimmern lässt. Eine besondere Grundlage für die Blässe ist
im allgemeinen nicht vorhanden, doch hat Heubner in schweren
Fällen ein Absinken der roten Blutkörperchen auf 3—2 Millionen,
und umgekehrt ein Ansteigen der weissen auf 20—30 Tausend, auch
ziemlich beträchtliche Veränderungen im Blutbild gesehen.
Auch das Verhalten der Milz ist zu allen Zeiten Gegenstand
der Diskussion gewesen; in manchen Fällen ist sie ziemlich stark
vergrössert gefunden worden — vielleicht auch als Folge der gleich¬
zeitig bestehenden Bluterkrankung —, in vielen Fällen ist sie palpabel,
ohne dass man deshalb gleich von einer Vergrösserung zu sprechen
braucht; jedenfalls gehen wir nicht fehl, wenn wir annehmen, dass
eine fühlbare Milz nicht immer, aber doch ziemlich häufig zum
Symptomenbild der Rachitis gehört.
Auch Lymphdrüsenschwellungen werden gar nicht so
selten beobachtet, doch hängen dieselben jedenfalls mit gleichzeitig
bestehenden anderweitigen Erkrankungen zusammen.
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104
B. GOTMANN,
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Viel bedeutungsvoller und gefährlicher sind die Respirations¬
störungen im Gefolge der Rachitis. Die Weichheit der Rippen ver¬
hindert eine starke, elastische Spannung und Ausdehnung des Brust¬
korbes, dieser kann dadurch nur schwer die elastische Spannung der
Lungen überwinden. Die Folge davon ist eine ungenügende Ventilation,
insbesondere eine Erschwerung der Inspiration, und wir sehen Kinder
mit schwerer Thoraxrachitis immer mehr oder weniger dyspnoiscb.
Diese mangelhafte Ventilation bringt es nun mit sich, dass sich sehr
häufig Katarrhe entwickeln, die wohl ausheilen können, die aber sehr
oft die bedenkliche Neigung haben, in die feineren Bronchien hinab¬
zusteigen und zu kapillärer Bronchitis und Bronchopneumonie zu
führen. Das sind aber äusserst gefährliche und in vielen Fällen zum
Tod führende Komplikationen, die sich namentlich im Verlauf der
Masern und des Keuchhustens mit besonderer Vorliebe bei den
rachitischen Kindern einstellen. Aus der Erwägung heraus, dass
schon die einfache Bronchitis den Kindern gefährlich werden kann,
tun wir deshalb immer gut, schon im Anfang beim Auftreten der¬
selben mit unserer Prognose vorsichtig zu sein.
Für unsere Diagnose von Wichtigkeit ist die Tatsache, dass
durch die Veränderungen des rachitischen Brustkorbes sowohl per¬
kutorisch wie auskultatorisch Erkrankungen der Brustorgaue vorge¬
täuscht werden können. So kann man z. B., wie Rilliet und
Barthez nachgewiesen haben, bei starker Verdickung der Schulter¬
blätter über den Fossae supraspinatae fast absolute Dämpfung finden;
auch das Atemgeräusch hat hier und da bei Rachitischen einen
schärferen, pseudobroncbialeu Charakter, doch hat für die Begründung
der Diagnose einer Lungenerkrankung die Auskultation einen viel
höheren Wert als die Perkussion und Stölzner betont mit Recht,
dass man nicht zu sehr auf subtile Feinheiten ausgehen solle.
Genau so wie eine Lungenerkrankung kann auch einmal eine
Herzhypertrophie vorgetäuscht werden, allerdings kommt eine
solche in manchen Fällen als eine Folge des erhöhten Widerstandes im
kleinen Blutkreislauf vor. Auch der Puls ist bei stärkerer Thorax¬
rachitis stets beschleunigt.
Eine weitere Quelle häufiger Störungen bildet bei rachitischen
Kindern der Verdauungstraktus. Auffallend ist hier zunächst das
gewöhnlich sehr stark aufgetriebene Abdomen, das in einem enormen
Missverhältnis zu dem schmalen Brustkorb steht. Jedenfalls ist das¬
selbe nur eine Eigentümlichkeit des rachitischen Körperbaues, und
nicht, wie manche glauben, eine Folge von Darmstörungen, da es
bei nichtrachitischen, aber chronisch darmkranken Kindern meist
vermisst wird. Mannigfaltig sind fernerhin die verschiedenen funk¬
tioneilen Verdauungsstörungen. Der Appetit liegt in manchen Fällen
darnieder, in anderen ist er besonders gesteigert und auf bestimmte
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17 ]
Die Rachitis.
105
Nahrungsmittel, wie Brot, Kartoffeln und Süssigkeiten gerichtet. Die
Stuhlentleerungen zeigen ebenfalls verschiedenes Verhalten; einmal
besteht Verstopfung, ein anderes Mal Diarrhöe; dünne, schleimige,
übelriechende Entleerungen wechseln mit massigen, harten, tonfarbenen
ab. Solche dyspeptischen Zustände ziehen sich oft über sehr lange
Zeit hiu und beeinträchtigen natürlich den Ernährungszustand der
Kinder sehr; schwere Atrophien, an denen die Kinder doch noch
zugrunde gehen, sind in nicht seltenen Fällen das Ende vom Lied.
Comby weist auf eine Magenerweiteruug als regelmässigen
Befund bei der Rachitis hin und bezeichnet beide Zustände als Folge
derselben fehlerhaften Ernährung; inwieweit diese Annahme richtig
ist, entzieht sich vorläufig noch unserer Beurteilung, doch tun
wir gut daran, wenn wir den Darmstörungen im allgemeinen als
direkten Folgen und regelmässigen Begleiterscheinungen der Rachitis
keine allzu grosse Bedeutung beimessen.
Die Leber ist bei schwer rachitischen und gleichzeitig anämischen
Kindern nicht selten vergrössert gefunden worden.
Die von V i e r o r d t als wesentliches Rachitissymptom bezeichnete
Muskelschlaffheit mag in diesem Zusammenhang nochmals ge¬
nannt werden. Die Kinder haben wenig Lust, Bewegungen auszuführen,
liegen oft matt und energielos auf dem Rücken, vermeiden sogar
ängstlich jede Bewegung und erwecken dann den Eindruck, als ob
sie an beiden Beinen gelähmt wären (Pseudoparaplegie).
Sicherlich spielt bei diesen Zuständen auch die Schmerzhaftig¬
keit der Knochen eine gewisse Rolle und wir haben ja bereits oben
gesehen, wie empfindlich die Kinder oft gegen jegliche Berührung sind.
Wir kommen nunmehr zu den Beziehungen der Rachitis zum
Zentralnervensystem. Da interessiert uns zunächst der rachitische
Hydrocephalus, über dessen Häufigkeit die Ansichten sehr geteilt
sind; so hält ihn Henoch für sehr selten, Ritter v. Rittershain da¬
gegen hat ihn unter 92 Sektionen von Rachitis 38 mal gefunden. Sicher¬
lich kommt auch bei der Rachitis ein Hydroeephalus gar nicht so
selten vor, es ist dann aber nicht jene schwere progediente Form,
die zu schweren Hirndruck- und Lähmungserscheinungen führt, wie
Taubheit, Blindheit, spastische Zustäude in dou Extremitäten, sondern
es handelt sich hier jedenfalls nur um mässige Erweiterungen der
Gehirnventrikel, die sich mit dem Ablauf der Rachitis auch wieder
ausgleichen. Als charakteristische Symptome findet man eventuell
Kopfschmerzen und etwas träge geistige und verspätete Sprachent-
wickelung. Im übrigen wird die geistige Entwickelung durch die
Rachitis iu der Regel nicht beeinträchtigt; die Kinder lernen auch
meist zur rechten Zeit sprechen, sind sogar gar nicht selten psychisch
auffallend rege.
Würzburger Abhandlungen. Bd. Vit!. II. 5. 8
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B. GUTMANN,
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Viel wichtiger, interessanter und bis zum heutigen Tage noch
nicht genügend aufgeklärt sind die Beziehungen der Rachitis zu
einer Reihe von Krampfformen, dem Laryngospasmus, den Kon¬
vulsionen und der Tetanie; schon von jeher bestanden hinsicht¬
lich dieser Frage die grössten Meinungsverschiedenheiten. Auf der
einen Seite hält in erster Linie Kassowitz an einem unbedingten Zu¬
sammenhang zwischen Rachitis und diesen Krampfformen fest und
führt eine Reihe von Momenten zur Stütze seiner Annahme ins Feld.
Erstens finde sich Stimmritzenkrampf nur bei rachitischen Kindern,
zweitens treten beide Zustände, der Stimmritzenkrampf sowohl wie
die Rachitis, am häufigsten im Frühjahr auf und drittens würden
beide Zustände prompt durch Phosphor beeinflusst; des weiteren
nimmt Kassowitz an, dass durch die Hyperämie der rachitischen
Knochen gewisse kortikale Zentreu gereizt und dadurch die laryngo-
spastischen Anfälle ausgelöst würden.
Bei der Beurteilung dieser interessanten und wichtigen Fragen
dürfen wir den Stimmritzenhrampf nicht gesondert behandeln, sondern
es besteht nach dem Stand unserer heutigen Auffassung ein inniger
Zusammenhang zwischen ihm und den beiden anderen Krampfformen.
Und da muss man denn sagen, dass auf der anderen Seite im Gegensatz
zu den Anschauungen Kassowitz’ eine Reihe von Tatsachen vor-
liegeu, die gegen einen inneren Zusammenhang zwischen diesen
Krampfformen und der Rachitis sprechen. Zunächst treten Laryngo¬
spasmus und Tetanie in manchen Jahren und in manchen Gegenden
gehäuft, ja epidemieartig, in wieder anderen gar nicht auf, während
die Rachitis gleichmässig häufig bleibt und auch in tetaniefreien
Gegenden verbreitet ist. Fernerhin zeigen während des Bestehens
einer Tetanie die rachitischen Symptome keine weitere Veränderung
und bleiben auch nach Aufhören der Tetanie unverändert fortbestehen.
Auffallend ist weiterhin, dass oft die schwersten Rachitisformen den
Symptomenkomplex der motorischen Überreizbarkeit, wie wir ihn bei
der Tetanie finden, vermissen lassen, während wieder ganz leichte
Fälle denselben aufweisen. Und schliesslich sei noch erwähnt, dass
durch Änderung der Ernährung, z. B. durch Aussetzen der Milch
nach Finkeistein, die Symptome des Laryngospasmus, der Tetanie
und der Eklampsie oft wie mit einem Schlage beseitigt werden,
während die Rachitis dabei ungestört weiter verläuft.
Es kommt also doch darauf hinaus, dass wir diese nervösen
Erscheinungen als besondere Krankheitsformen auffassen müssen,
wir können höchstens sagen, dass die Rachitis eine gewisse Dis¬
position zu ihrem Entstehen abgibt. Es ist hier nicht der Ort, über
das Verhältnis der Tetanie, Eklampsie und des Laryngospasmus zu¬
einander zu sprechen; jedenfalls dürfen diese Zustände gar nicht
so leicht genommen werden und plötzliche Todesfälle im laryngo-
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19 ]
Die Rachitis.
107
spastischen oder eklamptischen Anfall sind gar keine so seltenen Er¬
eignisse.
Von den übrigen Komplikationen seitens des Zentralnerven¬
systems möchte ich nur kurz noch den Spasmus nutans und
Nystagmus erwähnen; die Prognose ist hier günstig, unter anti¬
rachitischer Behandlung tritt gewöhnlich in einigen Monaten Heilung ein.
Diagnose.
Die Diagnose der Rachitis wird im allgemeinen infolge der
immerhin auffälligen Skelettveränderungen keinen besonderen Schwie¬
rigkeiten begegnen. Unter den Krankheiten, die eventuell differential¬
diagnostisch in Betracht kommen könnten, wäre in erster Linie die
hereditäre Syphilis zu nennen. Die Osteochondritis luetica kann
einmal Anlass zu Verwechselungen mit den rachitischen Epiphysen¬
schwellungen geben, doch ist die Unterscheidung keine schwere; die
rachitische Auftreibung betrifft nur die Epiphyse, die luetische kann
sich auch noch auf die Diaphyse erstrecken, ist fernerhin sehr
schmerzhaft uud führt deshalb oft zu einer scheinbaren Lähmung
des Armes (Pseudoparalyse nach Parrot); ausserdem tritt sie oft
einseitig und nur innerhalb des ersten Lebensjahres auf, während
die rachitischen Epiphysenschwellungen stets symmetrisch sind
und sich gewöhnlich erst später entwickeln. Syphilitische Auf¬
treibungen der Schädelknochen unterscheiden sich von den rachiti¬
schen durch ihre stärkere Prominenz und geringere Flächenausdehnung,
die spätsyphilitische Tibia Verkrümmung von der rachitischen dadurch,
dass im ersten Fall die Tibia plattgedrückt und nach vorn konvex
bei der Rachitis dagegen mehr nach der Seite gebogen ist; die syphi¬
litische Zahnveränderung endlich äussert sich gewöhnlich in einer
halbmondförmigen Auskerbung der beiden oberen mittleren Schneide¬
zähne, während alle übrigen Erosionen und Kerbungen mehr auf
überstandene Rachitis hindeuten.
Auch die Bar low’sehe Krankheit kann einmal mit Rachitis
verwechselt werden, hat man sie doch früher als akute Rachitis be¬
zeichnet; beiden ist eine grosse Empfindlichkeit der Knochen gemein¬
sam, die allerdings gewöhnlich bei der Barlow’sehen Krankheit
noch viel stärker ist. Die hier durch subperiostale Blutungen ent¬
standenen Anschwellungen unterscheiden sich jedoch von den rachi¬
tischen Epiphysenschwellungen vor allem durch die Lokalisation, die
mehr die Diaphyse wie die Epiphyse betrifft. Sind dann noch andere
Zeichen der hämorrhagischen Diathese, insbesondere Schleimhaut¬
blutungen vorhanden, dann ist die Diagnose unbedingt gesichert.
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Beim Myxödem kommen ebenfalls Epiphysenschwellungen, Auf¬
treibungen der Rippenknorpel, verspäteter Zahndurchbruch und ver¬
späteter Schluss der grossen Fontanelle vor. Andere Symptome
dagegen, die mangelhafte psychische Entwickelung, der starre Ge¬
sichtsausdruck, die Makoglossie und die Beschaffenheit des Unter¬
hautzellgewebes werden niemals einen Zweifel an der richtigen
Diagnose zulassen.
Ist die Auftreibung der Tubera frontalia und parietalia eine sehr
starke, so könnte einmal eine Verwechselung mit chronischem Hy dro-
cephalus internus Vorkommen; doch erstreckt sich hier die abnorme
Ausdehnung gleichmössig auf das ganze Schädeldach, ausserdem ist
die Vorwölbung und Spannung der grossen Fontanelle für Hydro-
cephalus sehr charakteristisch. Über allen Zweifel erhaben ist die
Diagnose, sobald sich die Folgeerscheinungen des Hydrocephalus,
Taubheit, Blindheit, spastische Zustände eingestellt haben, ausserdem
ist als besonders charakteristisch für Hydrocephalus noch die eigen¬
tümliche Stellung der Augäpfel zu erwähnen, welche nach unten
gedrängt sind, so dass oberhalb der Iris noch ein Teil der Sklera
sichtbar wird.
Von dem tuberkulösen Gibbus unterscheidet sich die rachi¬
tische Kyphose dadurch, dass sie mehrere Wirbel umfasst und bogen¬
förmig verläuft, während der tuberkulöse Gibbus spitzwinkelig ist
und im Gegensatz zur rachitischen Kyphose nicht ohne Gewalt aus¬
geglichen werden kann.
Dass man die Coxa vara nicht mit angeborener Hüft¬
gelenksluxation, ein stark aufgetriebenes Abdomen nicht mit
Meteorismus verwechseln darf, sei schliesslich noch der Voll¬
ständigkeit halber angeführt.
Prognose.
Betrachten wir zunächst die Rachitis nur vom Standpunkt der
Skelettveränderungen, so können wir sie als eine relativ günstig ver¬
laufende Erkrankung bezeichnen; ein grosser Teil der gesetzten Ver¬
änderungen gleicht sich mit den Jahren aus und selbst schwerere
Fälle gehen in vollständige Genesung über, wenn die äusseren Lebens¬
bedingungen keine zu ungünstigen sind. Auf der anderen Seite darf
nicht verkannt weiden, dass sie in manchen Fällen dauernde Nach¬
teile und Entstellungen zurücklässt. Hierher gehören in erster Linie
die Kyphoskoliose, die einen unheilvollen Einfluss auf Herz- und
Lungentätigkeit ausüben kann, ebenso wie die abnorme Engigkeit
des Brustkorbes, ferner die verschiedenen Formen der Beckenenge,
die schon so mancher Frau das Lehen gekostet haben, sowie Zurück-
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Die Rachitis.
100
bleiben des ganzen Körperwachstums, ein Zustand, der bis zum
Zwergwuchs führen kann. Noch viel mehr aber wird die Prognose
getrübt, wenn wir der vielen Todesfälle im Kindesalter gedenken, die
sich an Komplikationen der Rachitis anschliessen. In erster Linie
ist es die Lungenentzündung, die insbesondere im Anschluss an Masern
und Keuchhusten bei rachitischen Kindern fast immer letal verläuft,
genügend bekannt ist fernerhin die allgemeine Tuberkulose, speziell
die Meningitis tuberkulosa, die gar nicht selten im Gefolge der eben
genannten Infektionskrankheiten auftritt. Erinnern wir uns ferner
der üblen Ausgänge des Laryngospasmus und der allgemeinen Kon¬
vulsionen, der häufigen Magendarmerkrankungeu mit ihrem manch¬
mal ungünstigen Verlauf und wir müssen zugeben, dass wir es hier
mit einer äusserst wichtigen und gar nicht so ungefährlichen Er¬
krankung zu tun haben, die für unsere ganze soziale Entwickelung
von nicht geringer Bedeutung ist.
Therapie.
Die Therapie der Rachitis hat zunächst in einer gründlichen
Prophylaxe zu bestehen; wenn wir auch ihren Ausbruch damit nicht
hintanhalten können, so können wir doch mindestens dafür Sorge
tragen, dass sie keine allzu schwere Form annimmt.
Den wichtigsten Faktor bei der Durchführung einer strengen
Prophylaxe bildet die zweckmässige Ernährung unserer Säuglinge
und als solche kommt naturgemäss in allererster Linie die Mutter-,
milch in Betracht. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Brustkinder
zwar nicht völlig verschont bleiben von Rachitis, aber immerhin
relativ selten daran erkranken, abgesehen natürlich von jenen Fällen,
die durch häufigen Wechsel der nicht viel Milch liefernden Ammen
auch zu den unzweckmässig ernährten gerechnet werden müssen.
Sündigen können wir jedoch auch bei der natürlichen Ernährung
durch Überfütterung; wir tun deshalb gut, unsere Säuglinge eine
Zeitlang vor und nach dem Trinken zu wiegen, um so die Menge
der aufgenommenen Nahrung bestimmen zu können. Allzu langes
Stillen bedingt zwar jedenfalls keine Rachitis, ist aber doch im all¬
gemeinen nicht zu empfehlen. Sind wir zur künstlichen Ernährung
gezwungen, so kommt es auch hier nur auf eine Zweckmässigkeit
und richtige Methode an, nicht so sehr auf die Art der verschiedenen
Milchpräparate. Die Nährmehle werden wir in den ersten Monaten
vermeiden, dagegen werden wir schon frühzeitig, etwa im siebenten
Monat, mit einer gemischten Kost, bestehend in Suppen, Brei, Eiern,
leichten Gemüsen und etwas Fleisch beginnen.
Nicht minder wichtig wie eine vernünftige Ernährung ist die
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13. GÜTMANN,
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Zufuhr von Luft und Licht. In erster Linie soll das Kinderzimmer
luftig und geräumig sein, in der armen Bevölkerung, wo diese
Forderung in den seltensten Fällen erfüllt werden kann, soll der Arzt
wenigstens dafür Sorge tragen, dass nicht noch mehr Personen mit
dem Kind sich in einem Zimmer aufhalten. Ist die Witterung
einigermassen günstig, dann muss das Kind ins Freie gebracht
werden und sich möglichst lange dort aufhalteu. Die Gefahr der Er¬
kältung soll nie zu hoch angeschlagen werden, und so sollen speziell
die im Herbst oder Winter geborenen Kinder bei schlechtem Wetter
wenigstens einige Zeit am offenen Fenster zubringen.
Wenden wir uns nun von diesen allgemeinen hygienischen
Massnahmen zur medikamentösen Bekämpfung der Rachitis! Ent¬
sprechend den theoretischen Ansichten, die sich die Autoren hin¬
sichtlich der Ätiologie und Pathogenese der Rachitis gebildet haben,
sind auch verschiedene Vorschläge hinsichtlich der Behandlung ge¬
macht worden. So führt Cantani viel Kalk zu, Huguot fügt der
Nahrung viel Fett bei, Seemann und Zander erhöhen den Gehalt
des Organismus an Chlor und Natrium durch reichliche Zufuhr von
Kochsalz und innerliche Gabe von Salzsäure. Eine weitere Gruppe
bilden die Versuche mit organotherapeutischen Präparaten: So haben
Heubner und Knöpfei mach er Thyreoidea angewandt, ohne be¬
sondere Erfolge zu erzielen, Mettenheimer hat die Rachitis mit
Thymus behandelt und Stölzner schliesslich hat Versuche mit
Nebennierensubstanz angestellt.
Zu einem besonderen Resultat haben diese Behandlungsmethoden
.alle nicht geführt, als einziges erfolgversprechendes Mittel hat sich
bis heute nur der Phosphor erwiesen. Kassowitz war es, der
zuerst im Jahre 1883 den Phosphor in die Therapie der Rachitis
eingeführt hat, nachdem Wagner vorher bei Tierversuchen durch
Darreichung kleiner Phosphorgaben eine festere Konsolidierung der
Knochen gesehen hatte. Kassowitz bezeichnete damals den Phos¬
phor als ein Spezifikum gegen Rachitis, stiess allerdings mit seiner
Ansicht bei manchen Autoren, wie Henoch, Baginsky, Heubner,
Monti, Comby und Neumann auf Widerstand. Trotzdem wird
man heute in allen Fällen einen Versuch damit machen und zwar
in der bekannten Kombination mit Lebertran (Phosphor 0,01, Ol. jecor.
aselli 100,0, 1—2—3 Teelöffel voll); besteht starker Widerwille gegen
den Lebertrangeschmack, so verschreibt man Phosphor 0,01, Lipanin
100,0; weniger empfehlenswert ist die Verschreibweise in Tropfenform:
Ph. 0,01, Ol. amygdal. amar. 10,0, Ol. cort. aurant. gtts. IV, 3mal tgl.
3 Tropfen in Milch. Die Darreichung des Mittels muss durch mehrere
Monate erfolgen, während der heissen Jahreszeit allerdings setzt man
ihn aus oder sorgt bei schweren’ Fällen für möglichst kühle Aufbe¬
wahrung. Wenn man auch nicht von einer spezifischen Wirkung
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Die Rachitis.
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sprechen kann, so sieht man doch in manchen Fällen eine günstige
Beeinflussung des Allgemeinbefindens durch den Phosphor; die Kinder
werden frischer, ihr Kräftezustand hebt sich. Besonders eklatant
aber sind die Erfolge, die man mit seiner Darreichung sehr oft beim
Laryngospasmus erzielt; die schwersten Anfälle werden oft schon nach
einigen Teelöffeln Phosphorlebertran wie mit einem Schlag kupiert.
Iu neuerer Zeit empfiehlt Manchot Hanfsamen wegen seines
grossen Gehaltes an organisch gebundenem Phosphor; nur in dieser
Form könne er vom menschlichen Organismus assimiliert werden.
Sittler stellte an über 200 Kindern der Strassburger Poliklinik
therapeutische Versuche mit einer grösseren Auzahl organischer Phos¬
phorpräparate an. Bei den meisten Präparaten sah er in bezug auf
den Knochenprozess keine Wirkung, nur Appetit und Körpergewicht
wurden besser, nach Anwendung glyzerinphosphorsaurer Salze und
des Karniferrins, weniger nach Lezithin, verschwanden auch die bei
Rachitis oft vorhandenen nervösen Störungen. Auf den Knochen
wirkten nur dio Präparate der Nukleinsäure (Natr. nucleinic. 0,2—0,5,
Calcium glycerinophosphor. 0,1—0,25, beide in Form von Pulvern
2—3mal täglich in kalter Lösung oder als Schokoladetabletten ge¬
geben).
Von anderen Medikamenten sind allenfalls noch die Eisenprä¬
parate zu erwähnen, die namentlich in solchen Fällen gegeben werden
können, in denen der Phosphorlebertran gar nicht vertragen wird,
oder bei denen man, besonders im Sommer, etwas ab wechseln will.
Am beliebtesten ist Jodeisen in Form des Syr. ferr. jod. (3 mal tgl.
8—15 Tropfen) oder das Malzextrakt mit Jodeisen, endlich auch
andere Präparate, wie Ferrum lacticum (3mal tgl. 0,03—0,1), oder
Tct ferr. chlor. (3 mal tgl. 8—10 Tropfen) und schliesslich die grosse
Menge von Präparaten, die in den Handel kommen, wie Hämatogen,
Hämaroma, Eisenmanganpeptonat, Ferratin, Jodferratose, Blutan.
Weniger richteu wir mit der Zufuhr von Kalkpräparaten aus
und die neuerdings wieder mehr empfohlenen antirachitischen Zwie¬
bäcke, Kakes und Syrupe haben aus diesem Grunde keinen Heil¬
zweck.
Ein nicht zu unterschätzendes Mittel bei der Bekämpfung der
Rachitis sind die medikamentösen Bäder, in erster Linie die Salz¬
bäder. Man verwendet dazu in der Regel Stassfurter, Orber- oderKreuz-
uacher Salz und zwar setzt man dem Bad je nach dem Alter l h —2 kg
zu. Die Dauer eines Bades soll im Durchschnitt 10—15 Minuten
betragen, die Zahl der Bäder soll vier pro Woche nicht übersteigen,
am Schlüsse des Bades tun wir gut, den Körper nochmals mit
Brunnenwasser abzuwaschen, um allzu heftige Hautreize zu vermeiden.
Im allgemeinen werden wir die Bäder mehr den fetten, pastösen
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B. GUTMANN,
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Kindern angedeihen lassen, magere, erethische Kinder wird man
davon aussehliessen, da in solchen Fällen das Bad mehr Schaden
stiften kann. Ausser dem Salz sind noch andere, aromatische Zu¬
sätze empfohlen worden, wie Kalmus, Kamillen, dieselben können
abwechselungsweise auch gegeben werden, ohne dass man sich von
ihnen einen allzu grossen Erfolg versprechen darf.
Dass wir da, wo es die Verhältnisse erlauben, von den See¬
bädern ausreichenden Gebrauch machen werden, versteht sich von
selbst; für uns kommt hauptsächlich die Ostsee in Betracht, am
meisten werden Kolberg, Misdroy, Ahlbeck, Heringsdorf, auch die
Insel Rügen aufgesucht. Ausser dem Meeresaufenthalt spielt auch
die Höhenluft einen wichtigen Faktor bei der Behandlung der Ra¬
chitis; Säuglinge und blasse, zarte Kinder wird man allerdings nur
in Orten von 800—1000 m Höhe unterbringen, ältere und kräftige
Kinder dagegen gedeihen oft in sonnigen Höhenorten bis zu 1800 m
sehr gut. Will man endlich die Gebirgsluft mit natürlichen Sool-
bädern kombinieren, dann empfohlen sich Orte wie Reichenhall,
Berchtesgaden, Kreuznach, Kösen, Salzungen, Sulza, Ischl, Aussee usw.
Besondere Institute zur Bekämpfung der Rachitis haben wir
bis jetzt in Deutschland nicht, da die Seehospitze meist nur den
skrofulösen Kindern zur Aufnahme dienen; dagegen sind in Italien
schon mehrere solcher Anstalten für rachitische Kinder errichtet, die
sehr schöne Erfolge aufzuweisen haben, und von denen sich die
schönste in Mailand befindet.
War bisher nur von den allgemein-therapeutischen Massnahmen
die Rede, so erübrigt sich uns zum Schlüsse noch die Behandlung
der rachitischen Skelettveränderungen. Auch hier können wir schon
durch eine sorgfältige Prophylaxe mancherlei erreichen, wir werden
in erster Linie die Kinder nie zu frühzeitig sitzen und stehen lassen;
auf diese Unsitte können unvernünftige Mütter vom Arzt nicht oft
genug aufmerksam gemacht werden. Das beste wäre ja unter solchen
Umständen dauernde Rückenlage; auf der anderen Seite besteht hier
besonders bei sehr schwächlichen Kindern die Gefahr einer Lungen¬
komplikation; auf alle Fälle soll der Arzt als Unterlage eine harte
Matratze anordnen.
Bei hochgradiger Kraniotabes empfiehlt es sich, den Kopf des
Kindes auf einen weichen Ring zu lagern. Bei bereits eiugetreteuer
Kyphose legt man das Kind in die Rauchf uss’sche Schwebe, die
so über dem Bett befestigt wird, dass sie an ihrer tiefsten Stelle die
Matratze noch nicht ganz berührt. Kommt nun das Kind darauf zu
liegen, so höhlt sich der Rücken an der Stelle der Verbiegung aus,
während umgekehrt die übrigen Teile des Rumpfes dem Gesetz der
Schwere folgend sich auf die Matratze senken.
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Die Rachitis.
113
Zur Bekämpfung der Thoraxdiff ormitäten und zur Besse¬
rung der Lungenatmuug hat Füth einen besonderen Respirations¬
apparat zum Einatmen verdichteter Luft angegeben.
Mitderorthopädischen Behandlung der rachitischen Verkrüm¬
mungen der Extremitäten endlich soll man möglichst bis zum sechsten
oder siebenten Lebensjahr warten, da selbst die schwersten Formen
bis zu dieser Zeit noch spontan ausheilen können; erst die Ver¬
biegungen, die noch im siebenten Lebensjahr andauern, sollen mit
Schienenverbänden, überhaupt nach orthopädischen Grundsätzen be¬
handelt werden; sind die Veränderungen so hochgradig, dass wir
auch mit diesen Mitteln nicht zum Ziel kommen, dann kommt als
etztes die Osteotomie in Frage, durch die man die kompliziertesten
Verkrümmungen ausgleichen und so die Extremitäten wieder brauch¬
bar machen kann.
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Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin,
Bd. VIII. H. 8 .
Bewiifirtr». uaschäJticbe. Kypnotikufn in Gaben von n,S — l,Vl -2,0 j£,
A n*zme'uhv\*Vxi Scfaxiii , 'tftSn rad ri^ Hcv»nt»ihfe* in Gaben vtni I-r'2—8 fc. pro die,
Antiepileptikum AbMigtliÄüjLÖ Mi epileptischem *b$ ir.
Neiu’öfialT*b) eiten t* 0,6 #.
Neurofebrin
N*urona> Anttf* brin A
Hervorragende ErToVge bei acsrtit&rti Ke»pi*v:h;me.*t r, und dtfu Vttruberustdndtn Her Kranen xm £crit
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»ettrofebriQ'Tablettea Ao 0,5 jjfs -
Orexln
dichte* Si>jim»cbikum
Orexin-TaJaifßttfifi u,
.Grex'in-Sebokolad*'
Tabfdtoft.
Bismon
kotUyjd^1t^\V'isnixi^<>jc yd
DamiaU-srtrio^c.n^
spexfcll für die
Säuglingspraxis.
Blsmuteos
bewährtes
Adstringens und
I*rolcktivurn.
Beater fckiottuhu-
l&t&U' ■
Mentbol'joöoi
—— Literatur gratis und franko. -
Kalle & Go. A. G., chem. Fabrik, Biebrich a. llh
Wöroang
oor Hccttahnitmgenf
Verordnen Sie gefälligst* stets •. ..
= '." „O p i g i n a ! D u srs <$ " s“ vt,—77"
und weisen Sie UnterscVteiaTTgen zurück. Muster iMd kim^tur den Hfitrert Ar^reii
iüstSnfrgi.
I'alirihaiion von l>u«g*K Ghinn«G»nka}’a>l!lliir.
Inhaber: Albert C. Dung, Freiburg i. B.
DUHG’5
Teil .-fthaka^^r^.:.
EUX1R
Map hüte sifh vor
Nachahmungen
Go gle
Fettleibigkeit und Fettsucht.
Von
a. ö. Prof. Dr. E. Heinrich Kisch
in Prag-Maricnbnd.
Der Fettbestand des menschlichen Organismus ist eine in der
Norm je nach Alter, Geschlecht, Ernährung, Rasse und Klima wech¬
selnde Grösse und die Fettmenge, welche der Individualität ge-
sundheitsmässig entspricht, ist nicht genau in Ziffern auszudrücken.
Nicht leicht ist es, immer die Grenze zu scheiden, wo das Mass der
normalen Anhäufung von Fett überschritten, wo die physiologische
Wirksamkeit der Fettbildung, dem Körper die Geschmeidigkeit.
Füllung und Rundung der Formen zu verleihen, ihn vor Stoss und
Druck von aussen zu schützen, die inneren Organe als schlechter
Wärmeleiter vor Abkühlung zu wahren, ihr Ende findet, und der
pathologische Zustand beginnt, jene Stoffwechselerkrankung,
welche auf einem dauernden Missverhältnisse zwischen Fettverbrauch
und Fettproduktion im Körper zugunsten der letzteren besteht.
Je mehr sich das Reobachtungsmaterial häuft und je strengen'
Sichtung desselben ermöglicht ist, um so zwingender drängt sich
mir die Überzeugung auf, dass der Zustand, welchen wir als über¬
mässige Fettleibigkeit, in höheren Graden als Fettsucht, Lipo-
matosis universalis, bezeichnen, keineswegs eine Erkrankung sui
generis bezeichnet, sondern ein Symptom verschiedenartigster Ver¬
änderungen im Organismus ist, von differentem Ursprünge und diffe¬
renter Wertigkeit, ja sogar mit differenter Reschaffenhcit des Fett¬
gewebes selbst. Einmal ein Zeichen von besonderer Überernährung
mit einer die Norm übersteigenden Blutfülle, das andere Mal
gegensätzlich durch anv: mische Blutbeschaffenheit und dermassen
herabgesetzte Gewebsvcn*rennung veranlasst; in manchen Fällen
durch nutritive Störung infolge von gewissen lokalen Vorgängen im
Genitale hervorgerufen, in anderen Fällen durch chronische In-
Wflrzbnrger Abhandlungen. Pd. VITT H. «i. 9
Difitized
by Google
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E. H. KISCH,
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toxikation von Alkohol oder Syphilis verursacht; zuweilen in
einer durch hereditäre Abstammung oder Allgemeinerkrankung Io
gründeten konstitutionellen Gesamtänderung des Organismus
gelegen, nicht selten ein frühzeitig ausgeprägtes D e g e n e r a t i n n s
Zeichen.
Zur systematischen Einteilung jedoch möchte ich auf Grundlage
zahlreicher Erfahrungen und biologischer Überlegung die Fälle von
Lipomntosis universalis in zwei grosse Gruppen einreihen: Die
a 1 i m e n t ä r e (Mastfettleibigkeit) und. k o n s t i t u t i o n e 11 o Lipo
matosis.
Was die erste Gruppe betrifft, in welche die weitaus grösslo
Zahl d(*r Lipoinalösen gehört, so lässt sich die Entstehung dieser
eigentlichen Mastfettleibigkeit in der einfachen Formel zusammen
fassen: ,,Missverhältnis zwischen reichlicher Zufuhr von Nährrnaterial
und geringem Verbrauch desselben.“ Dass ein solches Missverhältnis
die Anhäufung von Fett im menschlichen Organismus begünstigt,
ist heule eine jedem Arzte geläufige und durch tägliche Beobachtung
gefestigte Erkenntnis. So entsteht die physiologische Fettleibigkeit,
welche, wenn, sie gewisse Grenzen überschreitet und verschieden
artige Beschwerden verursacht, zur pathologischen Form wird. Diese
F e t t in a s t erfolgt durch eine übermässige Kost, deren Onantilät
einen grösseren Kalorienwert einschliesst, als der Organismus für
seine Arbeitsleistungen und für seinen Wärmehaushalt bedarf. Die
M (‘ii ge der Nahrung ist also in erster Linie entscheidend, aber auch
die Q u a 1 i t ä t der Nahrungsmittel, also nicht nur die Grösse, sondern
auch die Art der Nahrungszufuhr, ist von Bedeutung. Im allgemeinen
erfolgt die Anhäufung von Fett, sowohl durch ein Übermass von Ei-
weiss wie von stickstofffreier Nahrung.
Eine.reichliche Aufnahme von Ei wo iss Indien ausreichenden
stickstofffreien Substanzen in der Nahrung wird, auch wenn man
die strittige* Frage der direkten Entstehung des Fettes aus Eiweiss
ausser Betracht lässt, die Anhäufung von Fett dadurch begünstigen,
dass bald nach der Nahrungsaufnahme aus dem Eiweissmolekül ab
gespaltene Gruppen schnell zersetzt werden und dadurch Kohlehydrat
und Fell mindestens vor dom Zerfalb* schützen. Aus den Kohle¬
hydraten der Nahrung wird aber, soweit sie nicht für die Bedürf¬
nisse* des Körperhaushaitos zersetzt werden, direkt Fett, gebildet,
und ebenso wird unter gleichen Bedingungen das Nahrungsfett
im Organismus in den Fotldopots aufgespeicbert. Jegliche Kost,
welche durch Zubereitung oder Zutaten Appelilstoigerung bewirkt,
fördert hiermit, den Ansatz von Fett und in dieser Beziehung ist der
Genuss von Flüssigkeiten beim Speisen für viele Personen auf die
Ablagerung von Feit begünstigend. Es gilt dies von der Suppe, dem
Wasser, Kaffee und Tee, ganz besonders von alkoholhaltigen Go-
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Fettleibigkeit und Fettsucht.
117
tränken. Der Alkohol spielt, hauptsächlich als Bier genossen, eine
ausschlaggebende Rolle; er wirkt nach Krehl in doppelter Hin¬
sicht: zunächst durch seinen nicht unbeträchtlichen Gehalt an Spann¬
kraft, als leicht oxydierbarer Körper wird er rasch zersetzt und schützt
Fett vor dem Zerfall; ferner macht, der Alkohol den Menschen faul
und unlustig zu körperlichen Bewegungen.
Sonderbarer Weise und gewiss unberechtigt wendet sich von
Bunge in seinem Lehrlmche der Physiologie gegen die eben vor¬
gebrachten Anschauungen, indem er schreibt: ,,Man ist in den ver¬
hängnisvollen Irrtum verfallen, die Ursachen der Fettleibigkeit in
einer zu reichlichen Nahrungsaufnahme oder gar in einer unpassenden
Zusammensetzung der Nahrung einer zu reichlichen Aufnahme
von Kohlehydraten oder von Fetten - zu suchen. Dass ein Mensch
alles isst, was ihm schmeckt und soviel ihm schmeckt, ist etwas
durchaus Gesundes und Normales und führt bei sonst normaler
Lebensweise niemals zur Fettleibigkeit (!). Warum will man eine
normale Funktion anschuldigen, die Ursache eines pathologischen
Prozesses zu sein? Die Ursache der Fettleibigkeit ist in allen Fällen
ohne Ausnahme (!) ein ungenügender Gebrauch der Muskeln.* 4
Gewiss ist das letzterwähnte Moment, Mangel an körperlicher
Bewegung auch von Wichtigkeit für den Fettansatz, da ja der
hungernde Organismus die für die Unterhaltung der Muskelbewe¬
gungen und Wärmeproduktion notwendige Energie in erster Linie
durch Zersetzung seines Glykogens und Fettes schafft -- aber die
Wirkung auf die Fettaufspeicherung wird noch bedeutender, wenn
durch eine reichliche Nahrung der Verbrauch des Fettes sich ge¬
ringer gestaltet. Andauernde Ruhe der Muskeln, lange andauernder
Aufenthalt in geschlossenen, an Sauerstoff armen Räumlichkeiten
bei reichlicher Nahrung begünstigt die Fettleibigkeit.
Aus dem Gesagten ergibt sich leicht die Erklärung, warum die
Mastfettleibigkeit vorwiegend in den wohlhabenden Ständen
vorkommt, bei Wohllebern und Vielessern, bei Personen, bei denen
ein absolutes Übermass der Nahrungszufuhr, eine unzweifelhafte
Luxusaufnahme stattfindet und wohl „die Wirksamkeit besonders
starker Reize und Kräfte für den digestiven rosp. assimilativen Teil
der Verdauung vorausgesetzt werden darf,** wo als direkle Folge»
der Überernährung ein Zustand entsteht, „welcher durchaus als der
Ausdruck eines ungewöhnlich hohen, stets in der Einnahme, meistens
aber auch in der Ausgabe gesteigerten Betriebes angesehen werden
muss“ oder wo „der Mangel in dem Ablauf der Oxydationsprozesse
wenigstens teilweise auf körperlicher Bequemlichkeit, auf dein
Mangel an Willensakten beruht“ (Rosen hach). Ersichtlich ist
darum auch, warum gewisse Gewerbe, bei denen eine Reihe von
Bedingungen zur Konservierung des Körperfettes sich summiert, so
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das Fleischergewerbe, Brauergewerbe, Bäckergewerbe den zweifel¬
haften Vorzug gemessen, dass sie ihre Leute ungewöhnlich häufig
fett machen, w r arum ferner Frauen bei ihrer beliebten Ernährung
mit fetten, süssen Speisen, bei ihrer sitzenden Lebensweise und
Neigung, Buhe zu pflegen, im allgemeinen mehr zur Fettleibigkeit
disponieren als Männer. In letzterer Beziehung ist auch nicht zu
verhehlen, dass ein gewisses, ruhiges, phlegmatisches Temperament,
das sich frei von Aufregungen und Emotionen zu halten weiss,
auch die Fettbildung wesentlich begünstigt, ein Moment, welches
bereits Galen als Fettsucht förderlich hervorgehoben hat.
Für die zweite Gruppe, die konstitutionelle Lipoma-
tosis, reicht die eben gegebene Erklärung des Zustandekommens
und der Entwickelung der Fettmast nicht aus. Sondern zur konsti¬
tutionellen Fettsucht gehören die Fälle, welche in hereditärer Ab¬
stammung oder einer überstandenen Allgemeinerkrankung ihren Ent¬
stehungsgrund haben. Das eine Mal, indem durch erbliche Veran¬
lagung die endogene Zellentätigkeit mit geringeren Energiemengen
zureicht als in der Norm und dadurch Fett vor Zerfall geschützt und
abgelagert wird — das andere Mal, indem durch pathologische Vor¬
gänge gewisser Art fehlerhafte Veränderungen in den Zersetzungs¬
prozessen der Zellen, speziell bezüglich des Umsatzes der stickstoff¬
freien Substanz eintreten, welche eine Anhäufungg von Fett im
Organismus begünstigen.
Die hereditäre Disposition zur Lipomatosc ist in vielen
Fällen eine unleugbare und hat man ja so häufig Gelegenheit zu be¬
obachten, wie in bestimmten Familien .alle oder die meisten Mit¬
glieder unter allen Umständen, auch selbst bei einer unzureichenden
Ernährung, unabhängig von ihrer Lebensweise hochgradig fettleibig
werden. Dass hier schuldtragend eine angeborene fehlerhafte Dis¬
position der Gewebe ist, ein .,konstitutionelles Defizit, welches die
Arbeitsfähigkeit der lebenden Moleküle und Energeten“ erschwert,
für di (»so Anschauung möchte ich die zuerst von mir gefundenen
lleobachtiingsresultate hervorheben, dass die echten Fettkinder,
bei denen die hereditäre Fettsucht gleich nach der Geburt, oder in
frühester Lebenszeit zum Ausdrucke kommt, nicht bloss eine Herab¬
setzung der oxydativen Fähigkeit der Körperzellen, sondern über¬
haupt. eine krankhafte Funktionsart derselben bieten, loh habe in
allen Fällen hochgradiger, ererbter, von Gehurt an sich
entwickelnder Fettsucht neben dieser noch andere Zeichen nutritiver
1) e g e n (' r a I i o n feslsiellen können, so M a s k u 1 i n i s m u s , F e m i -
n i s in u s , (i i g a n t i s m u s , p r ä m a t u re Soxualont w i c k e -
hing, F e li 1 e n d e r 1) e n t i t i o n und mehrere andere S t i g m a t a.
Diese hereditäre juvenile Lipomatosc ist eine konstitutionelle
Erkrankung von wesentlich ungünstiger Prognose, denn diese Indi-
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5]
Fettleibigkeit und Fettsucht.
119
viduen besitzen neben auffällig geringer allgemeiner Widerstands¬
fähigkeit bedeutende Veranlagung zu bestimmten pathologischen Pro¬
zessen, unter denen in erster Linie der Diabetes mellitus stellt. Wir
müssen annehmen, dass in diesen Fällen die Körperzellen, deren
oxydative Funktion eine minderwertige ist, mit der Zeit auch die
Fähigkeit verlieren, die Glykose im normalen Umfange zu zersetzen
und umzuwandeln.
Wie hier also durch angeborene fehlerhafte Disposition
der (Jewebe die konstitutionelle Form der Lipomatosis entsteht, so
kann auch ohne Vererbung durch bestimmte erworbene A11-
genieinerkrankungen eine;, solche Veränderung der (iewebselemente
eintrelen, dass auch unabhängig von alimentärer Beeinflussung eine
pathologische Fettansammlung im Organismus stattfindet. In dem
in dieser Weise fehlerhaft funktionierenden Organismus gelangt, um
mit 11 o s e n b a r h * s energeto-pa!Unlogischer Auffassungsweise zu
sprechen, „der weitaus grösste Teil von den vielem Spannkraftmole¬
külen der Fiweiss- und Kohlehydratgruppe in seiner Spaltung oder
Synthese nur bis zu den Oraden, die der Fettgruppe entsprechen. 44
Als solche konstitutionell lipogene Erkrankungen möchte ich be¬
sonders den chronischen A 1 k o ho 1 i s in u s , die Syphilis, ge¬
wisse hohe Grade der Chlorose, die pastöse Form der Skro-
ph u lose hervorheben, ferner von akuten infektiösen Krankheiten,
A h d o m i n a 11 y p h u s und Scharlach. Auch manche Gifte wie
Arsen und Merkur scheinen solche Veränderungen des Proto¬
plasmas hervorzurufen, welche einen Fehler der Betriebsform speziell
in bezug auf das Fett zuwege bringen und dadurch Fettleibigkeit ver¬
ursachen, die als toxische zu bezeichnen wäre. Hierher wären
auch jene Fälle eiuzureihon, bei denen gewisse sexuelle Beziehungen:
Klimax der Frauen, Kastration der Ovarien, Entfernung der Testikeln
bei Männern, abstinente Lebensweise den* Mönche, Nonnen und
Witwen, eine ausschlaggebende Bolle zur Fettaufspeieherung spielen.
Diese Vorgänge, welche bereits Virchow als nutritiven Antagonis¬
mus kennzeichnete, sind in jüngster Zeit durch Untersuchungen über
die innere Sekretion der Keimdrüsen einer Erklärung in der obigem
Richtung näher gerückt worden. Die Versuche von Lüwy und
Richter an einer kastrierten Hündin sprechen für die Möglichkeit
einer verminderten Zersetzungsonergie des Zellenprotoplasmas durch
Veränderungen im Genitale.
Die anatomische Entwickelung der Fettleibigkeit lindef in
der Weise statt, dass die Stellen des menschlichen Körpers, wo sich
normal Fettgewebe in grösserer Häufung findet, zuerst zu starken
abnormen Fettablagerungen dienen, indem an diesem präformierkm
Fettdepots eine mehr und mehr sich steigernde Infiltration und
prallere Füllung der Fettzellen mit fettigem Inhalte stattfindet, zu-
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E. H. KISCH,
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gleich sich aber auch neues Fettgewebe entwickelt. Diese Neubildung
entsteht durch Aufnahme von Fett in die Zellen eines Keimgewebes,
Schleimgewebes oder Bindegewebes, wobei sich die Zellen durch
Konfluenz der in ihrem Inneren auftretenden Fetttröpfchen in Fett¬
zellen umwandeln. Beim Fortschreiten der Lipomatose wandeln sich
immer mehr Bindegewebszellen in Fettzellen, und so finden die
Fettablagerungen auch an solchen Lokalitäten statt, wo sich in der
Norm wenig oder gar kein Fett findet, so zwischen den Muskeln und
Muskelbündeln, unter dem Endokardium.
Im allgemeinen, aber auch nur im allgemeinen, lässt sich sagen,
dass wir bei der alimentären Lipomatose, der Mastfettleibig¬
keit, überwiegend das Bild einer wahren P1 e t h o r a finden, die
Zahl der Erythrozyten im Blute ist vermehrt, der Hämoglobingehalt
gesteigert. Das Fettgewebe selbst zeigt zumeist eine derbe, feste
Beschaffenheit und bei histologischer Untersuchung eine äusserst
pralle Füllung der Feltzellen mit fettigem Inhalte, die Fettläppchen
sind gross, prall gespannt, wenig Zwischensubstanz übrig lassend.
Die betreffenden Personen zeigen zumeist üppiges, rötlich gefärbtes
Gesicht, scheinbar von Gesundheit strotzendes Aussehen, kräftig er¬
haltenes Muskelsystem. Anders ist die Sachlage bei den konsti¬
tutionellen Formen der Fettsucht. Hier weist die Blutbeschaffen¬
heit überwiegend Herabsetzung der Zahl der roten Blutkörperchen,
verminderten Hämoglobingehalt, zuweilen hydraulische Qualität auf.
Das Fettgewebe ist meist schlaff, weich, locker; histologisch ergibt,
sich eine wenig vollständige Füllung der Fettzellen mit fettigem In¬
halte, die Fettläppchen sind klein, locker aneinander gereiht, durch
reichlich entwickelte Zwischensubstanz getrennt. Die allgemeinen
Hautdecken und sichtbaren Schleimhäute sind oft blass, die Musku¬
latur nicht kräftig, leichte Ermüdung vorhanden, geringe Wider¬
standskraft, grosse Vulnerabilität und minderwertige Leistung der
ganzen organischen Betriebseinrichtungen.
Die Altersperiode, welche sich der exzessiven Fettbildung
im Organismus am günstigsten erweist, ist bei beiden Geschlechtern
verschieden. Nach den von mir vorgenommenen statistischen Fest¬
stellungen bei 4U0 Fällen ergibt sich, dass die Höhe der akqui-
siten Fetlentwickelung beim männlichen Geschlechte in das
Alter zwischen 40 und 50 Jahren fällt und dass bei ihm die geringste
Fettbildung im Alter zwischen 15 und 20 Jahren statt hat. Beim
weiblichen Geschlechte ist die Fetteidwickelung zur Zeit der
Pubertät eine weitaus grössere, ferner ist die Höhe der Fett-
entwickelung fast gleichmässig im Alter zwischen 30 und 40 Jahren,
wie zwischen 40 und 50 Jahren. Bei den Frauen finden in der Norm
während der verschiedenen Lebensphasen grossen 4 Schwankungen in
dem Bestände der Fettdepots slatt als bei Männern; bei den ersteren
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Fettleibigkeit und Fettsucht.
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stellt sich ein grösserer Konnex der Fellansammluug mit den Sexual-
funktionen heraus, indem die Menarche, das Puerperium und die
Menopause sich als förderliche Momente für die Fettentwickelung
nachweisen lassen.
Die äusseren Körper formen werden durch die über¬
mässige Fettwucherung in einer die Schönheit wesentlich beein¬
trächtigenden Weise verändert. Durch die massige Feltablagerung
im subkutanen Bindegewebe des Gesichtes, besonders der Dnler-
augenhöhlengegend und Wangengegend, am vorderen Rande dos
Masseters und am Kinne wird das Gesicht mehr minder voll¬
kommen rund. Der mimische Gesichlsausdruck, welcher beim nor¬
malen Menschen den Reflex seiner Stimmung und Erregung in den
Gesichtszügen wiederspiegelt, geht sowohl durch die Fettpolster,
welche die Falten und Furchen des Gesichtes ausfüllen, sowie durch
die mindere Entwickelung der Gesichtsmuskeln infolge der Feü-
wucherung verloren daher das Geistlose, Maskenartige in der
Miene hochgradig Fettleibiger. Das gedoppelte Fettkinn und die fett¬
reiche Bindegewebslage der oberen Schlüsselbeingegend bewirken
eine Verkürzung der zu einer Fettwulst gewordenen llalsgegend.
Durch den stärker entwickelten Panniculus adiposus wird der
Brustumfang bedeutend grösser. Bei fettleibigen Männern wird
diu Brust selbst dem weiblichen Busen ähnlich, bei Frauen erreichen
aber die Mammae zuweilen enormen Umfang „kolossaler Weiblich
keit“, welche nur der grobsiunliche Orientale reizend finden kann
im Gegensätze zu Ovid’s: „Mammosammetuo“. Der Bauch¬
umfang nimmt durch das subkutane Fettgewebe wie durch die An¬
sammlung der Fettmassen im grossen Netze oft zu entsetzlichen
Dimensionen zu, als fassförmiger oder in drei grossen queren Wülsten
herabhängender Schmerbauch, welcher seinen, der richtigen Körper-
balanzierung beraubten Träger zum Gegenstand des Spottes macht.
Fallstaff, mit seinen nach auswärts gerichteten Beinen langsam
einhergehend, den Kopf hochhallend und den durch das Schwei¬
gt'wicht dos Fettbauches niedergezogenen Körper stramm nach rück¬
wärts ziehend, bleibt immer eine possierliche Gestalt. Die Ober¬
arme werden zylinderförmige Wülste, auch die Vorderarme haben
mehr gerundete Form und die Hände erscheinen auffallend klein.
Die Schenkel erreichen einen mächtigen Umfang, der sich an
den Hüften und am Gesässo geradezu monströs gestalten kann; bei
manchen Frauen ist dann das Fettpolster über dem Tuber ossis
iseliii derart entwickelt, dass die Gestalt der Nates an die unter dem
Namen S t e a t o p v g a bekannte, am Kreuzbeine der Frauen der
Hottentotten und Buschmänner befindliche Fettgeschwulst erinnert.
Solange sich die Fettleibigkeit in massigen Grenzen hält
— und dies ist bei der alimentösen Uipomatosis oft durch lange
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Jahre der Fall - wird sie einfach für einen Schönheitsfehler ge¬
halten und erst bei dem Übergange von der, scheinbar blühendste
Gesundheit verkündenden Wohlbeleibtheit zu der durch belästigende
Erscheinungen sich kundgebenden Fettsucht, geben sich mannig¬
fache Beschwerden kund, welche den pathologischen Zustand ver¬
raten.
Die Zunahme dos Körpergewichtes der Fettleibigen stellt an
alle Muskeln erhöhte Kraftansprüche, ganz besonders aber an den
lebenswichtigsten Muskel, das Herz. Die Vermehrung des gesamten
Fettgewebes im Organismus weit über die pathologische Norm hinaus,
seine Massenzunahme im Panniculus adiposus, Mesenterium, Omen¬
tum u. a. schafft neue Gefässgebiete und erhöhte Widerstände für
die Triebkraft des Herzens und steigert die Inanspruchnahme seiner
Arbeit. Dem gegenüber ist jedoch die Leistungsenergie des Herz¬
muskels durch die Gewebsveränderungen herabgesetzt, welche die
Fettwucherung und Fettdurchwachsung im Myokard herbeiführt. Und
noch ein Hindernis stellt sich der Betriebsleistung dieses Herzmuskels
oft entgegen, nämlich in der die höheren Grade von Fettleibigkeit
so häufig begleitenden Arteriosklerose, welche durch Vermin¬
derung der Elastizität der Gefässwandungen und Herabsetzung der
Kontraktilität der glatten Muskelfasern der Fortbewegung des Blutes
hemmend entgegenwirkt.
Die Veränderungen am Herzen der Fettleibigen, welche durch
massige Zunahme des normal am Herzen abgelagerten, besonders sub-
perikardialen Fettgewebes, durch Wucherung des letzteren in die
Herzmuskulatur, endlich durch konsekutive Degeneration des Myo-
kardiums veranlasst werden -- habe ich zur schärferen Scheidung
von den verschiedenen Formen fettiger Degeneration als Mast¬
fettherz bezeichnet.
Versuche an Masttieren und Obduktionsbefunde fettleibiger
Menschen haben mich gelehrt, dass die stärkere Fettanhäufung zu¬
nächst an den Stellen des Herzens stattfindet, welche die normalen
Ablagerungsstätten für das Fett abgeben, beim Menschen entlang
dem Sulcus atrioventricularis, an der Basis der Herzkammern,
ferner längs des Sulcus longitudinalis superior und inferior, und
dann am rechten vorderen Rande der Pars veritricularis. An diesen
Prädilektionsstellen sammelt sich das Fett in grosser Menge, so dass
in hochgradigen Fällen das ganze Herz vollständig in Fettklumpen
ein gemauert erscheint und von der Muskelsubstanz äusserlich nichts
zu sehen ist. Zugleich dringt das Fett in das intermuskuläre Gewebe
des Myokardiums und zwar rücken, wie die mikroskopischen Bilder
zeigen, die Fettzellen in Zügen, deren Spitze stets gegen das Peri¬
kard gelegen ist, vor, die Muskelfibrillen in mächtigeren und dünneren
Bündeln auseinander drängend, die Interstitiell zwischen den Mus-
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Fettleibigkeit und Fettsucht.
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kelfibrillen vergrössernd und einzelne Fibrillen komprimierend. Dort,
wo sich die Fibrillen in der Fettmasse isoliert finden, haben sie ihre
(^uerstreifung verloren und erweisen sich degeneriert.
Es bedarf keiner näheren Erörterung dieser anatomischen Ver¬
hältnisse, um zu erkennen, dass die umlagernde Fettschicht das
Herz in seinen Bewegungen hindert, die eindringenden Fettzellen
den mechanischen Aufbau desselben schädigen; bei weiterer Zu¬
nahme des Mastfettes ein Teil der Muskelwandungen des Herzens
durch Druck atrophisch, das Herz stellenweise dilatiert und dadurch
seine Leistungsfähigkeit herabgesetzt, Herzinsuffizienz mehr
minder bedrohlicher Art herbeigeführt wird.
Nimmt die Fettleibigkeit nur allmählich zu und erreicht
die allgemeine Fettwucherung keine extremen Grade, so wird
das Herz durch gesteigerte Tätigkeit während langer Dauer, oft
durch sehr geraume Zeit, genügen, und die Herzbeschwerden ge¬
stalten sich in geringer Art, mindestens recht erträglich. Nur bei
stärkeren körperlichen Bewegungen, beim Treppensteigen, Bücken
sowie nach dem Essen, besonders nach sehr reichlicher Mahlzeit,
tritt leicht Herzklopfen und etwas Kurzatmigkeit ein. Auch die ob¬
jektive Untersuchung ergibt in diesem Falle nur wenig wesentlichen
Befund. Die Herztöne erscheinen etwas abgeschwächt, was seinen
Grund in der erschwerten Fortleitung der Schallwellen durch die
Fettschicht über dem Herzen hat. Die Herzdämpfung erweist sich
wegen dieser Fettablagerung zuweilen etwas verbreitert und ver¬
stärkt; der Spitzenstoss des Herzens, nach auswärts gerückt, ist
durch die dickere Thoraxwand nur schwach zu fühlen oder ver¬
schwindet ganz. Das Zwerchfell erscheint bei bedeutender An¬
häufung von Fettmassen im Abdominalraume hochgestellt. Der Puls,
meist von guter Spannung, zeigt keine merklichen Abweichungen
von der Norm; er erscheint zuweilen infolge reichlichen subkutanen
Fettes über der Radialis, klein. Auch die meisten Körperfunktionen!
zeigen regulären Verlauf. Appetit, Verdauung und Schlaf ist
recht gut.
Und diese geringen Störungen im Betriebe der Herztätigkeit
finden sich nicht nur bei Fettleibigen mittleren Grades, sondern
selbst bei ausgebildeter Fettsucht kommt es zuweilen vor, dass der
Arzt von der Spärlichkeit der Beschwerden überrascht wird.
Ich habe durchaus nicht als stets gültiges Gesetz finden können,
dass die allgemeine Fettzunahme im Körper in einem bestimmten
geraden Verhältnisse zur Entwickelung des Mastherzens oder zur
Intensität der Herzbeschwerden steht. Es scheinen gewisse, noch
nicht geklärte Verhältnisse, unter denen gewiss die primäre Anlage
des Herzmuskels, die Grösse seiner Reservekräfte eine hervorragende
Rolle spielt, im Einzelfalle begünstigend oder beeinträchtigend zu
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E. H. KISCH,
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wirken. So beobachtet man bei lipornatösen Individuen, welche hei
ihrer Fett fülle gut entwickelt e M u s k u 1 a t u r haben, geringere,
kardiale Beschwerden, als bei Fettleibigen mit schwachen Muskeln.
Fs lässt sich wohl annehmen, dass bei der ersten Kategorie von
Personen, wie bezüglich der übrigen Körpermuskeln, auch die Hilfs¬
mittel des Herzmuskels bedeutendere sind, als bei muskelschwachen
Menschen. Ferner ist mir aufgefallen, dass die Beschwerden, welche
das Mastherz verursacht, bei den Frauen im allgemeinen geringer
sind als bei den Männern. Der Grund mag darin liegen, dass die
Schwankungen des Fettbestandes des weiblichen Körpers in der
Xorm viel grösser sind als beim männlichen; die Zeit der Pubertät,
die Schwangerschaft, die Laktationsperiode bringt stets wesentliche
und allmählich sich vollziehende Veränderungen der Fettinengcn
des Körpers beim weiblichen Geschlecht mit sich, so dass das Herz
gelernt hat, sich den wechselnden Arbeitsanforderungen zu akkoin-
modieren.
Die güustige Periode der Fettleibigen, in welcher die Herz¬
beschwerden nur geringgradig sind und das Ilerz auch unter den
erschwerten Bedingungen seine Leistungsfähigkeit wahrt, kann kür¬
zere oder längere Zeit dauern, aber unvermeidlich gewiss, fiiih
oder spät, plötzlich oder allmählich, tritt das Stadium der funk¬
tioneilen Schwächung des Herzens und infolgedessen die Ue-
Iriebsstörung im gesamtem Kreisläufe ein, ja nicht selten ereilt die
Fett süchtigen in scheinbarem Wohlbefinden und ganz unerwartet
die letale Katastrophe der Erlahmung des Herzens.
Der Verlauf, wie durch die stärkere Fettwucherung im
Körper, durch die Steigerung der Widerstände (Ausdehnung des
Fnterleibes durch Fettmassen, Aufwärtsgedrängtsein des Zwerch¬
felles, Beeinträchtigung des Brustraumes, Vermehrung der Blul-
inenge) und durch die Veränderung am Herzmuskel die Kraft dos
letzteren herabgesetzt und der Beigen der Zirkulationsstörungen ge¬
führt wird, gibt sich durch gesteigerte Beschwerden kund.
Schon nach verhältnismässig geringer körperlicher Bewegung,
besonders aber nach Steigen, nach jeglicher Anstrengung und Er¬
regung tritt Herzklopfen, Pulsbeschleunigung, Schmerz in der Gegend
des Herzens, Luftmangel, Beklemmungsgefühl auf der Brust ein.
Der Fettleibige klagt über häufig erschwertes Atmen, wobei die
Bespiration mit Anwendung der Auxiliarmuskeln erfolgt; es kommt
zu cyanotischen Erscheinungen an Lippen, Ohren, Fingern usw.,
und öftere Hustenparoxysmen treten ein. Die erschwerte Blutzirku¬
lation gibt sich in den verschiedenen Venengebieten kund als Ge-
fässerweiterung in den feinen Hautvenen, als Varizen an den unteren
Extremitäten, als Phlebektasien an den Mast dann venen.
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Fettleibigkeit und Fettsucht.
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In schweren Fällen — und es ist dann der Verdacht gerecht¬
fertigt, dass sich bereits fettige Degeneration der Herzmuskulatur
einstellt -- sind im Vordergründe der Beschwerden die anfalls¬
weise auftretenden Vorgänge des kardialen Asthma mit wirk¬
licher Dvspnöe, mit Stauungserscheinungen in den Lungen, quälen¬
dem Husten, mit dünnflüssigem, schaumigen, bluttingiertem Sputum,
cyanotischer Verfärbung des Gesichtes, kaltem Schweisse auf Ge¬
sicht und Brust, hochgradiger Angst und Beklommenheit, welche
den Kranken häufig bei Nacht befällt, ihn zum Aufsitzen oder Ver¬
lassen des Bettes nötigt.
Nicht selten, namentlich wenn bei Fettanmästung neben dem
Übermasse der Ernährung die Zufuhr alkoholhaltiger Ge¬
tränke eine Hauptrolle spielte, wenn also sich die Fettsucht mit
chronischem Alkoholismus und Arteriosklerose vergesellschaftet,
leiden die Fettleibigen an bedrohlichen Anfällen von Angina pec¬
toris, welche nach körperlicher Anstrengung, Diätfehlern, grosser
Erregung, Erkältung oder auch nur plötzlich ohne jeden nachweis¬
lichen Anlass eintreten, mit dem charakteristischen brennenden,
bohrenden oder zusammenschnürenden Schmerzgefühle in der
Herzgegend einsetzen Der Schmerz strahlt vom Manubrium sterni
zumeist zum linken Schulterblatte, an die innere Seite des
Oberarmes über den Vorderarm bis in die Finger, dabei herrscht
das Gefühl von Eingeschlafensein der kalt anzufühlenden oberen
Extremität. Die Atembewegungen sind schmerzhaft und mühsam,
der Puls beschleunigt, klein, wenig gespannt, zuweilen kaum fühlbar ;
ferner meist Dyspnoe und der ganze Symplomenkomplex des kar¬
dialen Asthma. Ich hebe dieses Auftreten der Angina pectoris speziell
als sehr ungünstiges prognostisches Moment hervor, welches bei Fett¬
leibigen als Alarmsignal zu gelten hat, dass in absehbarer Zeit ein
plötzlicher Exitus zu befürchten ist.
Mit den ernsten Zeichen der Herzinsuffizienz entwickeln sich
auch S tau u ngsz us tände auf dem ganzen Gefässgebiete. Sie
kennzeichnen sich durch serösen Erguss ins Unterhautzellgewebe,
Ödem an den Füssen, Rhinorhagien, Vergrösserung und cyanotischc
Induration der Leber, Induration der Nieren, Albuminurie, allge¬
meinen Stauungshydrops.
Die physikalische Untersuchung des Herzens in diesen
vorgeschrittenen Stadien der Fettbelastung ergibt wechselnde Er¬
scheinungen, je nachdem sich eine kompensatorische Herzhyper¬
trophie entwickelt hat, oder die Herzwandungen sich bereits gedehnt
und erweitert haben, oder die arteriosklerotischen Prozesse am Herzen
besonders zur Geltung kommen. In der überwiegenden Zahl ist die
Herzdämpfung sowohl der Breite wie der Länge nach vergrössert,
der Herzstoss ist meist diffus, nicht kräftig, der Spitzenstoss nach
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K. II. KISCH,
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aussen gerückt, wenig resistent. Die Auskultation des Herzens weist
gewöhnlich reine, ziemlich dumpfe, zuweilen auch laute und deutliche
Herztöne nach, nicht selten ist mit der Systole ein kurzes Blasen oder
ein Doppelten hörbar; der zweite Ton der Aortenklappe häufig stärker
markiert. Der Puls ist meist schwach, klein, leicht unterdrückbar,
sehr frequent, seltener (bei hochgradiger Arteriosklerose trotz der
Herzschwäche) gross, hart, schnellend, zuweilen auch aussetzend
oder vollständig irregulär, in vereinzelten Fällen sehr retardiert.
Während die einfache Herzinterm ittenz, indem nach
mehreren regelmässigen Pulswellen von verschiedener Zahl eine
Pulspause eintritt, bei den Fettleibigen zumeist keine ernste Bedeu¬
tung hat und nicht selten wieder einem ganz regulär gewordenen
Herzschlage Platz macht — ist eine vollkommene Irregulari¬
tät der Herzaktion, welche sich dadurch bekundet, dass im Puls¬
bilde vollständig ausgeprägte regelmässige Pulswellen mit anderen
kleineren rudimentären abwechseln oder, dass reguläre Pulswellen,
Pulspause und schwach ausgebildete Pulswellen alterieren, oder dass
endlich die Pulswellen in Höhe und Spannung wechselnd, ganz regel¬
los aufeinander folgen, ein wichtiges Zeichen schon vorgeschrittener
Herzschwäche und bedeutender Myodegeneration des Herzmuskels.
Der Arzt wird in diesen letzteren Fällen auf ein plötzliches
Fnde des Fettleibigen gefasst sein müssen.
Bezüglich der Symptome von seiten der D i g e s t i o n s o r g a n <*
der Fettleibigen lässt sich wohl sagen, dass diese im allgemeinen
sehr guten Appetit haben, zuweilen wahren Heisshunger entwickeln,
zuweilen aber auch auffallend wenig essen. Häufig kommen dyspep¬
tische Zustände vor, sehr oft habituelle Stuhlverstopfung.
Die eigentliche Mastfettleibigkeit ist zumeist mit dem bekannten
Bilde der Plethora abdominalis und Hämorrhoidalleiden ver¬
gesellschaftet. Es kommt auch zu Stauungskatarrhen des tlastro-
intestinalkatarrhes mit anormaler Verdauung und unregelmässiger 1 )e-
fäkation, begleitet von Anschwellungen der Hämorrhoidalvenen, Tym-
pauie, Stauungshyperämie und Schwellung der Leber uswv Häufig
finden sich bei Fettleibigen G a 11 e n k o n k r e m e n t e. In den 11 e -
s p i r a t i o n s o r g a n e n besteht bei vorgeschrittener Fettleibigkeit
gewöhnlich Neigung zu Katarrhen der Schleimhaut der Bronchien
und diese chronisch-katarrhalischen Zustände führen — darin liegt
ihre üble Bedeutung — nicht selten infolge akzidenteller, auf die
Respirationsorgane wirkender Reize zu akuten Exazerbationen,
welche mit wesentlichen dyspnoischen Beschwerden einhergehen.
Die Fettleibigen sind übrigens auch infolge ihrer grossen Neigung
zu Hauttrauspiration leicht geneigt, Erkältungen zu erfahren.
Die Harnmenge ist bei massigen Graden von Fettleibigkeit,
wenn keine Komplikation vorhanden, normal oder etwas unter dein
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13]
Fettleibigkeit und Fettsucht.
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Durchschnitte; bei 25 von mir daraufhin beobachteten lipomatösen
Individuen stellte sich die durchschnittliche 24 stündig abgesonderte
Harnquantität auf 1450 ccm. Sehr häufig bildet der Harn Fettleibiger
intensive Uratsedimente und ein häufiger Befund ist auch das Auf¬
treten von Kristallen von oxalsaurem Kalke im Harn. Aus dem
letzteren Umstande ist jedoch keineswegs zu folgern, dass die Menge
der Oxalsäure im Harne vermehrt ist und daran die Verminderung
der Oxydation Schuld trage. Bei quantitativer Untersuchung des
Harnes von 15 hochgradig fettleibigen Individuen fand ich nur in
einem Falle die Menge der Oxalsäure im Harne vermehrt.
In einer beträchtlichen Zahl von Fällen gesellt sich vorüber¬
gehend leichte Glykosurie zur Fettleibigkeit und habe ich schon
vor Jahren im Gegensätze zu F1 einer und Hirschfeld hervor¬
gehoben, dass dieses vorübergehende Auftreten von Zucker im Harne
Fettleibiger nicht als harmloses Symptom betrachtet werden darf,
sondern den Vorläufer von Diabetes mellitus darstellt. Denn der
Zusammenhang zwischen Lipomatosis universalis und Diabetes
mellitus ist häufig ein so intimer, dass meine Bezeichnung eines
speziellen „lipogenen Diabetes“ als Folgeerscheinung hoch¬
gradiger Fettleibigkeit wohl gerechtfertigt erscheint. Beiden Stoff¬
wechselerkrankungen scheint in solchen Fällen eine angeborene
abnorme Beschaffenheit der Gewebszellen zugrunde zu liegen, durch
welche in den letzteren in dem einen Falle die Fette ungenügend
verbrannt, in dem anderen der Zucker nicht wie in der Norm ver¬
braucht (nicht vollends fermentiert und auch nicht oxydiert) wird.
Die hereditäre Anlage zu diesen beiden Ernährungs¬
störungen kommt bei den Mitgliedern einer Familie nach der einen
oder anderen Richtung zur Entwickelung, oder macht sich unter be¬
günstigenden Umständen derart geltend, dass sich bei einem Indi¬
viduum beide Stoffwechselerkrankungen zeitlich nacheinander ent¬
wickeln, wobei immer die Lipomatosis die Vorstufe zu dem ver¬
wandten Vorgänge des Diabetes bildet. In allen Fällen, wo sich die
Lipomatosis universalis als hereditär erweist, in früher Jugend
bereits zur Entwickelung gelangt, sehr rasch vorschreitet und sehr
bedeutende Dimensionen annimmt, muss man auf den Übergang in
Diabetes gefasst sein. Aber auch jene Fälle von eigentlicher Mast¬
fettleibigkeit, welche ohne nachweisbare deutliche hereditäre Anlage
infolge unzweckmässiger, die Fettmästung erzielender Lebensweise
auftreten, zeigen, wenn sie lange Zeit dauern und nicht durch ge¬
eignete Massregeln bekämpft werden, zuweilen, doch viel seltener
als bei den hereditär Belasteten, die Neigung zum Diabetes. Ich
möchte nach meiner Erfahrung annehmen, dass von den a k q u i -
siten Fällen von Lipomatosis etwa 15 Prozent, dem Diabetes ver¬
fallen bei den hochgradigen hereditären Fettleibigen sich in
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UNIVERSUM OF MICHIGAN""
E. H. KISCH,
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12S
mehr als der Hälfte der Fälle Diabetes entwickelt und dass bei den
j u v e n i 1 hereditär degenerierten Lipomatösen, den eigentlichen
angeborenen Fettkindern, nahezu immer, früher oder später, Dia¬
betes mellitus eintritt.
Die Blutbeschaffenheit betreffend fand ich bei der ali¬
mentären Fettleibigkeit ohne Komplikation zumeist die Zahl der
Erythrozyten, sowie den Hämoglobingehalt des Blutes vermehrt,
bei den konstitutionellen Formen der Lipomatosis oft vermindert, in
den vorgeschrittenen Stadien, wenn Zustände von Herzschwäche
prävalieren und Hydropsien vorhanden sind, habe ich den Hämo¬
globingehalt des Blutes bis unter die Hälfte der Norm absinken ge¬
sehen. Aus den von mir erhobenen Dynamometerwerten ergibt sich,
dass die hochgradig Fettleibigen im allgemeinen geringere moto¬
rische Leistungsfähigkeit haben, als nicht abnorm fette
Individuen.
Die Prognose betreffend, sind massige Grade von Fettleibig¬
keit, welche durch lipogene Fehler der Ernährung und Bewegung
erworben wurden, im allgemeinen günstig zu beurteilen; es gelingt
durch ein jenen ätiologischen Momenten Rechnung tragendes, früh¬
zeitig eingeleitetes, geeignetes Verfahren die wünschenswerte Ent¬
fettung herbeizuführen und auch die Herzbeschwerden zu beseitigen.
Ein anderes, ungünstigeres ist es, wenn die Fettablagerung im Körper
ganz bedeutende Dimensionen angenommen hat, wenn die Lipo-
matose sich als konstitutionelle erweist, wenn die Komplikation mit
Arteriosklerose, Alkoholismus, Syphilis, Diabetes, hochgradiger An¬
ämie vorliegt. Hier leidet ganz besonders die Leistungsfähigkeit des
Herzens, und die Störungen seiner Funktion, welche im allgemeinen
chronisch verlaufen, können stets infolge eines Zwischenfalles be¬
drohlichen, das Leben gefährdenden Charakter annehmen.
, Jeder hochgradig Fettleibige gleicht einem Ko¬
losse auf thönernen Füssen, und es ist begreiflich, wenn
auch durchaus nicht allgemein begründet, dass eine hervorragendq
Lebensversicherungsgesellschaft Personen mit mehr als 530 Gramm
pro Zentimeter Körperlänge nur unter besonderen Kautelen auf¬
nimmt.
Durch rationelles diätetisches und hygienisches Regime, durch
Entlastung von den Stauungssymptomen und entsprechende syste¬
matische Anregung der Energie der Herzmuskulatur gelingt es, auch
in vorgeschrittenen Fällen oft wesentliche Erleichterung der Be¬
schwerden zu erzielen, aber der gänzliche Niedergang der Herzkraft,
das Auftreten all der quälenden Konsekutivzustände der dauern¬
deil Stauung im Gebilde des Körpervenensystems ist nur eine*
Frage der Zeit. Hydrops universalis, allgemeiner Verfall der Kräfte,
Slanungspnemnonie. Herzschwäche führen allmählich den Exitus her-
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Fettleibigkeit und Fettsucht.
121 )
15 ]
bei. Der letztere erfolgt aber bei den Fettleibigen zuweilen ganz
plötzlich als mors subita inopinata, durch irgend einen un¬
beobachteten geringfügigen Anlass, welcher die Innervation des
Herzens beeinträchtigt oder die Widerstände im Gefässsystem er¬
höht. Solche Fälle habe ich wiederholt gesehen, wo ungewohnt
heftige körperliche Bewegung, bedeutende psychische Erregung,
Exzesse in Bacho, die Kohabitation, ein anstrengender Stuhlgang
dem Fettsüchtigen den plötzlichen Todesstoss versetzten.
Jede interkurrente akute Krankheit ist bei hochgradig Fetl-
leibigeu ein sehr beachtenswertes schlimmes Moment.
Bei jeder febrilen Erkrankung und in jedem Stadium derselben
muss der Arzt bei Fettsüchtigen auf die Gefahr vorbereitet sein,
dass durch plötzlich eintretende Herzschwäche Kollaps eintrill;
es ist dies nicht selten bei Pneumonie, Typhus, Erysipel usw. der
Fall, auch wenn weder die Höhe und der Gang des Fiebers noch
die lokalen Entzündungsherde einen bedrohlichen Ausgang befürchten
lassen.
Für die Behandlung der Lipomatosis müssen in erster
Linie das ätiologische Moment der abnormen Fettanwucherung, dann
ihr«* Äusserungserscheinungen in den verschiedenen Organen, end¬
lich die komplizierenden Allgemeinerkrankungen und lokalen patho¬
logischen Symptome Richtung gebend sein.
Die grösste überwiegende Zahl der Lipomatösen gehört, wie
bereits erwähnt, der alimentären Form, der eigentlichen Masl-
Fettleibigkeit an. Hier ist das einzige wirkliche Arkanum: E r -
n ä h r u n g s v e rän d e r u n g und Regelung der Muskel¬
arbeit des Individuums und zwar Vermeidung jeden Oberinasses
iin Genüsse der Nahrungsmittel, Herabsetzung der Menge der Nähr¬
stoffe auf ein geringeres als bisher gewohntes Mass, jedoch mit
Einhaltung der Grenze des notwendigen Eiweissbestandes des
Körpers. Diese gewisse Unterernährung ist das wichtigste
Moment. Die Bestimmung der Quantität und Qualität der Ernährung,
die Regelung der Flüssigkeitszufuhr, die Verordnung der körperlichen
Bewegungsarten muss das Resultat individualisierender Erwägung
des Arztes sein, welcher es als Kinst geübt hat, die Lehensgewohn¬
heiten, die kulinarischen Liebhabereien, die Lebensführung, die Be-
nifseigentümlichkeiten, die familiäre Anlage, die Widerstandsfähig¬
keit, die Blutbeschaffenheit, den ganzen Gesundheitszustand, ja auch
das soziale Milieu des einzelnen zu beurteilen und danach die Ein¬
griffe feststellt, um die Massnahmen der diätetischen Ernährungs¬
therapie wie der Bewegungsübungen harmonisch zur Durchführung
zu bringen.
Im allgemeinen lege ich bei diesen alimentären Lipomatösen
bezüglich der Diät das Hauptgewicht auf eine ausreichende, iiuli-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
E. H. KISCH.
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viduell entsprechende Eiweisszufuhr, dabei mässige
Mengen Kohlehydrate und Reduktion der Fettzuführung
auf ein Minimum. Ich habe das Schema für Mastfettleibige mit
plethorischer Blutbeschaffenheit mit 160 g Eiweiss, 80 g Kohle¬
hydrate, 11g Fett angegeben, also rund 1100 Kalorien. Ein so ge¬
ringes Kalorienausmass finde ich für plethorisch Fettleibige auf
Grundlage meiner Erfahrungen und gestützt auf die Ergebnisse mass¬
gebender Stoffwechseluntersuchungen, bei einer Entfettungskur ganz
zureichend und habe davon bei richtiger Überwachung nie un¬
angenehme Zufälle gesehen. Nach dem von C. Voit gefundenen
Gesetze setzt sich, je fetter ein Organismus ist, er sich mit desto
kleineren Mengen Eiweiss ins Gleichgewicht. Man wird sich da¬
bei vor Augen halten, dass das notwendige Mass, welches der
Mensch zur Aufrechterhaltung seines Körperbestandes bedarf, und
das im Mittel bei einem Erwachsenen mit mässiger Arbeit pro Kilo
Körpergewicht und pro Tag mit 40 Kalorien in seiner Nahrung an¬
genommen werden kann —- bei fettleibigen Personen ein wesent¬
lich geringeres ist und sich schon für gewöhnlich um ein Viertel
und noch mehr herabmindern lässt. Wenn also ein arbeitender
Mann von 70 Kilo Körpergewicht des Tages etwa 70x40 = 2800 Ka¬
lorien in der Nahrung bedarf, so hat ein hochgradig Fettleibiger
von 90 Kilo Körpergewicht nicht 90x40 = 3600 Kalorien in der
Nahrung notwendig, sondern es wird im allgemeinen für ihn ein
Kalorienwert von 2500 in der Nahrung genügen und dieser Wert
kann während einer Entfettungskur durch kurze Zeit bis auf die
Hälfte und weniger herabgesetzt werden.
Als Beispiel für die Ernährung solcher alimentär Fettleibigen
führe ich auf der nächsten Seite eine von mir aufgestellte Kost¬
ordnung während einer Entfettungskur an.
Die Flüssigkeitszufuhr beschränke ich bei dieser Form der
Lipoinatosis nicht, sondern die geeigneten Getränke, alkoholhaltige
ausgenommen, werden nach Bedürfnis gestattet, nur während der
Mahlzeit soll wenig getrunken werden. Nur bei solchen Individuen,
wo sich wesentliche Herzinsuffizienz geltend macht, Stauungs¬
erscheinungen auftreten und die Myodegeneration des Mastfettherzens
bereits vorgeschritten ist, muss die Flüssigkeitszufuhr eingeschränkt
und die erlaubte Menge der Getränkaufnahme durch Differenz¬
bestimmung über Flüssigkeitszufuhr und Harnausscheidung an¬
gegeben werden. In solchen Fällen erscheint ein allmähliches und
nicht zu lange dauerndes Herabsetzen der Getränkemenge unter das
physiologische Mass auf 1200 bis 1000 ccm pro die angezeigt; man
wird oben nur soviel trinken lassem dürfen, als nach kurzer Zeit
wieder aus dem Körper ausgeschieden wird.
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17] Fettleibigkeit und Fettsucht. 131
Kostordnung 1.
—-
- —.— - .
1
1
1 Menge
Gehalt
in Grammen
I in
i Grain in
Eiweiss
Fett
Kohle¬
hydrate
Morgens:
i
I
Rine Tasse Kaffee.
150
0,25
0,77 1
2,1
oder Tee.
150
0,45
—
0,9
Mit Milch ohne Zucker.
30
1,29
0,96
1,2
Weissgebäck.
50
4,8
0,5 1
30,0
Kaltes mageres Fleisch.
1
25
9,6
0,4
—
Mittags:
Kleine Tasse dünner Fleischbrühe . .
100
u
1,5
5,7
Magerer Rindsbraten.
200
76,4
3,4
—
Gemüse.
50
0,8
0,?
4,2
Weissgebäck.
25
2,4
0,2
15,0
Frisches Obst.
50
1,5
'
7,5
Leichter Weisswein.
150
—
1,0
Nachmittags:
Eine Tasse Kaffee.
120
0,22
0,62
1,7
oder Tee .
120
0,35
—
0,7
Abends:
Gebratenes Fleisch . .
| 150
57,3
2,6
—
Weissgebäck.
20
2,9 ,
0,16
12,0
Summa
1120
157,66
11,31
80,4
und enthält ungefähr 1100 Kalorien.
Die Details der Kost betreffend wird diese, wie aus dem
Erörterten ersichtlich, vorwiegend, doch nicht ausschliesslich, aus
Fleisch bestehen und sind die mageren Fleischstücke zu bevor¬
zugen. Das fettreiche Schweinefleisch, mit Ausnahme der mageren
Schinken, das Fleisch der (laus, Ente, fettes Hauchfleisch ist mög¬
lichst zu meiden. Das Fleisch der Fische ist, schon um Abwechslung
in den Speisezettel zu bringen, empfehlenswert, doch darf dabei
nicht ausser acht gelassen werden, dass der Eiweissgehalt desselben
weit geringer ist als der des Fleisches von Säugetieren und Vögeln.
Die sehr fettreichen Fische, wie Lachs, Bücklinge, Sprotten, Heringe»
sind zu verbieten. Eier können massig genossen werden. Brot
ist nur in solcher Menge» gestattet, dass die oben angegebene Ziffer
der Kohlehydrate in der Nahrung nicht überschritten wird. Ge¬
röstetes Brot, Zwieback ist dein frischen Brote vorzuziehen; Kuchen
sowie die an Fett und Kohlehydraten so reichen Mehlspeisen sind
gänzlich von der Tafel zu bannen.
Wflrfchnrger Abhandlungen. Rd. VIII. FI. ('». 10
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Von Gemüsen sind die an Kohlehydraten reichen Kartoffeln,
weisse und gelbe Rühen, Bohnen und Erbsen zu streichen, Kohl¬
rüben, Spinat, Salat, Spargel gestattet. Die Zubereitung der Ge¬
müse soll nicht mit Butter, Schmalz, öl statthaben. Frisches Obst
ist erlaubt, getrocknetes Obst, süsses Kompott, Fruchteis verboten.
Sämtliche Käsearten sind wegen ihres bedeutenden Fettgehaltes
nicht zu empfehlen. Gewürze nur als geringe Zutat gestattet, um
den Appetit nicht übermässig anzuregen.
Von Getränken sind fette Bouillon, Sahne, Schokolade und
Kakao zu meiden. Bier, Branntwein, Likör, süsser Champagner,
süsse Ungarweine verboten. Kaffee, Tee, leichter Weisswein und
Rotwein erlaubt. Der Fettleibige soll in der Regel nur dreimal im
Tage Mahlzeit halten.
Zur genaueren Überwachung sowie aus diätetisch erziehlichen
Gründen ist es gut und nützlich, bei der Entfettungskur dem Fett¬
leibigen genau die Menge der festen Speisen nach Grammgewicbl
und der Flüssigkeit nach Kubikzentimetern vorzuschreiben oder zum
mindesten diese Quantitätsbestimmung nach bekannten Grössen oder
üblichen Formen, z. B. ein Zwieback, eine Mundsemmel, ein Wein¬
glas usw. zu geben.
Mit der nach einem stärkeren Fettumsatz hinzielenden Kr-
nährungsänderung der alimentär Lipomatösen muss die sysle-
matische Übung der körperlichen Bewegung einhergehen. Diese
ist imstande die Oxydationsvorgänge bedeutend zu steigern, so dass
sogar eine gewisse Berechnung möglich ist, wieviel Fett durch eine be¬
stimmte Arbeitsleistung zur Verbrennung gelangt; anderseits ist die
Bewegung dadurch von Nutzen, dass sie die willkürlichen Muskeln
stärkt und kräftigt, die Muskelfibrillen vermehrt und ihrer Be¬
drohung durch das interstitiell wuchernde Fett besseren Widerstand
leistet. Bis zu einem gewissen Grade lässt sich auch ein günstiger
Einfluss der gesteigerten körperlichen Bewegung auf den Herz¬
muskel annehmen und zwar in dem Sinne, dass infolge derselben
durch beschleunigte und vollständigere Atmung, lebhaftere Inner¬
vation, vermehrte Bildung der Erythrozyten ein günstiger Einfluss
auf die Ernährung des Herzens zustande kommt und hiermit seine
Leistungsfähigkeit erhöht iwird.
Die Übung der Körperbewegung muss jedoch mit Vorsicht ge
schehen, slels Rücksicht darauf nehmen, dass eine angemessene
Abwechslung von Bewegung und Ruhe statt findet, ferner dass die
Art der Bewegung unter der Leistungsfähigkeit des Individuums
bleibe und dass nicht Dvspnöe eintrete. Durch allmähliche Steigerung
gelingt es, selbst hochgradige Fettleibige zu ganz bedeutenden körper¬
lichen Leistungen heranzuziehen, von der Bewegung langsamen
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Fettleibigkeit und Fettsucht.
133
19J
Spazierengehens in der Ebene zu kleineren Steigungen auf initiiere
Anhöhen und endlich zum eigentlichen Bergsteigen vorzuschreiten.
Bezüglich der Zweckmässigkeit der Sportübuugcu bei Mast¬
fellleibigen möchte ich folgendes angeben: Das Rudern, mit Mass
betrieben, ist eine für solche Lipomatöse ganz entsprechende Form
der Arbeitsleistung und Übung der gesamkyi Körpermuskulatur, ganz
besonders der Schulter- und Armmuskeln; ebenso das Lawn-
T e n n i s s p i e 1, während der F u s s b a 11 s p o r t für hochgradig l’ell-
leibige nicht passt. Bei gutem Zustande des Herzens ist das
Schwimmen anzuraten, weil dieses mit der Muskelanslrengung
noch den günstigen Einfluss des kalten Bades auf stärkeren Fett¬
ansatz verbindet. Das Reiten ist für fettleibige Männer eine ganz
[lassende, die gesamte Muskulatur übende Bewegung mit förder¬
licher Erschütterung der Bauch- und Beckenorgane. Das R a d -
fahren darf nur bei genügendem Grade von Leistungsfähigkeit
des Mastfeltherzens bei jugendlichen Individuen in mässvoller Weise
gestattet werden (nicht unmittelbar nach einer Mahlzeit). Anämie
und Arteriosklerose, Myodegeneration und Dilatation des Herzens,
sowie Zeichen von Niereninsuffizienz bei Fettleibigen verbieten
strikte das Radfahren.
Die Massage übt oft günstigen Einfluss auf Übung der ge¬
schwächten Muskeln, zuweilen auch um auf massige Ablagerungen
des Fettes im subkutanen Bindegewebe einzuwirken. Arbeit s-
in aschin eil, wie der Ergostat, sind, da ihre Anwendung immer
nur auf kürzere Zeit beschränkt und mit ihnen oft die Respiration
und Zirkulation beeinträchtigende gebückte Haltung des Arbeitenden
verknüpft ist, für Fettleibige jedenfalls minderwertiger als die bisher
angegebenen Bewegungsformen.
Eine weit schwierigere Aufgabe- wird dem Therapeuten bei
der von mir unterschiedenen zweiten Form der Lipnmatose, der
konstitutionellen Fettsucht mit der ihr zugrunde liegenden
angeborenen oder erworbenen verminderten Zersetzungsenergie des
Zellenprotoplasmas. Die Entziehungskur tritt hier mehr in den Hinter¬
grund und das kurative Verfahren muss streben, durch richtige
Auswahl der Nahrung und Bewegung die Anreicherung von Fett
zu verhüten, dabei aber vorzugsweise die fehlerhafte Funktion des
Organismus durch Erhöhung der Leistungsfähigkeit mul Vilalkapa-
zität der Zellen zu verbessern, die verminderte Zersetzungsenergie,
des Zellenprotoplasmas zu heben, die Arbeitsfähigkeit der lebenden
Moleküle und Energeten, der Träger der eigentlichen inneren geweb¬
lichen Funktion (0, Rosenbach) zu erhöhen.
Ernährungstherapie, hygienisches Verfahren und medikamen¬
töser Eingriff vermögen doch auch hier manches Erspriessliche zu
leisten und den durch das Grundleiden mul seine komplizierenden
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131
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PO
Symptome gegebenen Indikationen zu entsprechen. Am wenigsten
allerdings bei der hereditären juvenilen Degenerations-
lipomatose mit der ihr eigentümlichen geringen Widerstandsfähig¬
keit, mehr schon bei den konstitutionell Lipomatösen auf syphi¬
litischer, c h 1 o r o t i s c h e r , skrop h ulöser und a 1 k o hol¬
toxischer Grundlage.
Durch die diesen Grundleiden entsprechende s p e z i f i sc he
Medikation bestreben wir uns einerseits die Assimilationsfunktkmen
im allgemeinen zu bessern, während wir durch Regelung der Er¬
nährung die Dekomposition des aufgespeicherten Fettes zu steigern
suchen. Die Ernährung muss hier an dem Grundprinzipe festhallen,
fettbildendes Material möglichst einzuschränken, hingegen Eiweiss
in völlig ausreichendem Masse zu bieten und jede Schwächung des
Organismus sorgfältig zu meiden.
Möglichst vorwiegend werden hierfür s o 1 c h e F 1 e i s c h a r t e n
zu wählen sein* welche grossen Eiweissgehalt mit wenig Fettgehalt
verbinden, also die Blutbildung fördern, die Muskelkraft steigern
ohne gleichzeitig eine Zunahme des Körperfettes zu bewerkstelligen,
und dabei wird der abwechslungsreichen Beimengung von Fischen,
Gemüsen, auch Kartoffeln und leichten Mehlspeisen ein breiterer
Raum zugestanden werden. Als Fleischsorten sind für den Küchen¬
zettel hier besonders zu empfehlen: Braten von Rindfleisch und
Kalbfleisch, Schinken, Braten von Hirsch, Reh, Hase, Feldhuhn,
Birkhuhn, Krammetsvogel, Haselhuhn, Schneehuhn, Fasan, Huhn,
Taube, Truthuhn es eignen sich ferner für diese Tafel Austern.
Spargel, Blumenkohl, Spinat. Als Mittel der Gesamtmenge der Nähr¬
stoffe, welche in 24 Stunden zugeführt werden sollen, möchte ich
bei der mit Anämie vergesellschafteten konstitutionellen Form der
Lipomatose 200 g Eiweiss, 100 g Kohlehydrate und 12 g Fett an-
geben, rund etwa 1300 Kalorien.
Als Beispiel einer solchen Kostordnung sei die Tabelle auf
der nächsten Seite angeführt.
Bei dieser Fettsuchtsgruppe lassen häufiger Erscheinungen be¬
deutender Stauung im Gefässsysteme oder hydraulischer Blut¬
beschaffenheit eine mehr minder eingreifende Einschränkung der
Wasserzufuhr ratsam erscheinen. Jedenfalls ist die Menge des
gebotenen Wassers nach der Richtung zu überwachen, dass man nur
soviel trinken lässt, als nach kurzer Zeit wieder aus lern Körper
durch den llarn ausgeschieden wird; so wird jeder schädigende
Einfluss auf die Zusammensetzung des Blutes, das ist auf den Wasser¬
reichtum desselben gemieden.
Und auch das Ausmuss wie die Wahl der Körper b e w e g u n g
wird sieh anders als bei der alimentären Lipomatose gestalten
müssen, der geringeren Leistungsfähigkeit der leicht ermüdenden,
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Fettleibigkeit und Fettsucht
21 ]
135
Kostortlnung II.
; Menge Gehalt an
„ . „ Kohle-
, Ur»n.m *•■»«» * ett hydraten
Morgen»:
Beefsteak .
. . . . |
100
3$, 2
1,7
—
Eine Tasse Tee .
150
0,45
—
0.9
Weissgebäck .
. . . . ,i
ii
ii
,1
30
2,0
0,2
18,0
M i tt ags:
Fleischbrühsuppe ....
100
1.1
1,5
5,7
Braten.
.... |
200
76,4
3,4
—
Gemüse .
.... |i
50
0,8
0.2
4,2
Weissbrod .
.... fl
50
4,8
0,4
30,0
Leichter Wein .
.... i|
150
—
—
1,0
Nachmittags:
Eine Tasse Kaffee ....
i
f
120
0,2
0,67
1,7
Weissgebäck .
j
1
25
2,4
0,2
15,0
A bc u ds:
Braten .
j
200
46,4
3.4
Gemüse .
.... !
25
0,4
0,1
2,1
Wein .
. . • . i
150
—
--
1,0
Weissgebäck .
. . . . 1
30
2,9
0,2
18,0
Summa ;
j 1380
206,97
11,92
97,6
und enthält ungefähr 1300 Kalorien.
widerstandsunkräftigen Individuen sich sorgsam anzupassen haben.
Anstrengende Bewegungsarten können hier, wo der Organismus über¬
haupt schon an Zirkulationseiweiss sehr verarmt ist, wenn das Merz
durch Myodegeneration bedeutend geschwächt ist, mehr Schadei;
stiften, als Nutzen bringen. Das Spazierengehen darf daun nur vor¬
wiegend in der Ebene stattfinden und auf kleinere Anhöhen sich
erstrecken, aktive Gymnastik ist besser zu unterlassen oder auf
leichte im Sitzen oder Stehen vorzunehmende Übungen zu be¬
schränken. Zuweilen ist nur vorsichtige Massage anzuwenden, um
durch schonende mechanische Eingriffe des Druckes und der Reibung
einen förderlichen Einfluss auf Übung der Muskeln, wie auf Be¬
schleunigung des Blutkreislaufes und Lymphstromes zuwege zu
bringen.
Ein beachtenswertes und sich stets steigernder Beliebtheit er¬
freuendes Hilfsmittel für die allmähliche und dauernde Entfettung
lipomatöser Individuen im allgemeinen ist in dem systematischen
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m E. H. KISCH, |£>
Gebrauche der Trinkkur mit den verschiedenen Mi¬
neralwässern sowie in der Anwendung einer Reihe von Mi¬
ne r a 1 h ä d e r n.
Wenn auch' Hie neueren Stoffwechseluntersuchungen keinen
strikten Beweis für den fördernden Einfluss der Mineralwässer auf
Steigerung des Stoffumsatzes zu erbringen vermochten, so hat doch
die durch Erfahrung und gewisse Versuchsreihen gestützte ältere
Annahme immer noch viel für sich, dass manche Mineralwässer, in
erster Linie die Glaubersalzwässer, durch Erhöhung des
Stoffwechsels unter Steigerung von Kohlensäureabgabe direkt auf
stärkeren Fettverbrauch einzuwirken vermögen. Aber selbst diese
Annahme ausgeschaltet, ist es doch sicher, dass die durch jene Wässer
erzielte reichliche Absonderung des Harnes und stärkeren breiigen
oder flüssigen Stuhlentleerungen den Effekt haben, eine geringen*
Ausnützung des Nährmateriales herbeizuführen und grössere Alt¬
lagerung von Fett zu verhüten. Und nicht nur Behinderung des
Fettansatzes, sondern auch eine Mehrzersetzung des Körperfelles
findet, wie physiologische Untersuchungen und praktische Ergeb¬
nisse erweisen, gerade durch die abführende Wirkung dieser alka-
lisch-salinischen Mineralwässer statt.
Dieser durch die Glaubersalzwässer herbeigeführte gesteigerte
Fettverbrauch kann sich unter sorglicher Leitung des Brunnenarztes
in der Weise vollziehen, dass ein bedeutender Verlust von Körperfeit
und an Körpergewicht bei positiver Stickstoffbilanz, bei Behauptung
des Eiweissbestandes, also ohne Einbusse an Körpereiweiss erzielt
wird. In der systematischen Dynamoinelrie habe ich einen Weg
gezeigt, den man in dieser Richtung zur Wahrung des Kräftezustandes
betreten soll. Das Dynamometer vermag die motorische Kraft einer
wohl charakterisierten Gruppe von Muskeln zu bestimmen und ge¬
stattet dadurch überhaupt auf die Muskelleistungsfähigkeit des In¬
dividuums einen Schluss zu ziehen. Zeigt das Dynamometer während
des Gebrauches einer solchen Brunnenkur — wie überhaupt jeder
entfettenden Methode — eine Herabminderung der Muskelkraft an,
so ist dies ein höchst wichtiges Zeichen, dass die Entfettung zu
drastisch vorgenommen wird, dass nicht nur das überschüssige Fell,
sondern auch das Muskelfleisch angegriffen wird. Eine Zunahme
der Druckkraft mittelst des Dynamometers nachweisbar, wird hin¬
gegen als ein günstiges Symptom angesprochen werden müssen.
An den Beobachtungen mittelst S p hy g m og r aphen und an der
Blutdruckmessung hat man weitere beachtenswerte Anhalts¬
punkte, um den Ernährungszustand des Herzmuskels, sowie seine
Leistungsfähigkeit während einer Kur zu beurteilen.
Selbstredend müssen bei solchem Kurgebrauche vom Arzte
mindestens einmal täglich (der Patient im nackten Zustande) syste-
Gck igle
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
Fettleibigkeit und Fettsucht.
137
23] ,
matische Körperwägungen vorgenommen werden, am besten des
Morgens, wenn der Fettleibige noch nüchtern ist und die Blase ent¬
leert hat. Aus den so gewonnenen Tabellen lässt sich der Gang der
Gewichtsabnahme bei einer Entfettungskur darstellen.
Aus einer Reihe derartiger Beobachtungen habe ich entnommen,
dass die Körpergewichtsabnahme bei einer solchen Entfettungskur
(in M a r i e n b a d nach meiner Methode) in der Regel in den ersten
3—4 Tagen am grössten, ja zumeist überraschend gross ist. Bei
hochgradig alimentär Fettleibigen mit einem Körpergewicht von über
100 Kilogramm 1 1 / 2 , 2 bis 2 1 / 2 Kilo in diesen Tagen des Kurbeginnes.
Dann findet täglich ein geringerer, ziemlich gleichmässiger Gewichts¬
verlust von etwa 20 bis 50 dkg täglich statt. Im Kurverlaufe kommt
es nicht selten durch einige Tage zu einem Stillstände der Abnahme
oder gar einem leichten Anstiege des Körpergewichtes. Als Gesamt¬
resultat zahlreicher solcher Beobachtungsfälle ergibt sich, dass die
Mastfettleibigen mit plethorischer Blutbeschaffenheit während einer
vier- bis sechswöchentlichen Entfettungskur (in Marienbad) im Durch¬
schnitte eine etwa 6,5 °/ 0 ihres Körpergewichtes betragende Abnahme
erzielten. Der geringste Gewichtsverlust betrug 2,7 °/ 0 , der grösste
Verlust 13,2 °/ 0 des Körpergewichtes.
Was die Körperlokalitäten betrifft, in denen das über¬
mässig . reichlich aufgespeicherte Fett abnimmt, so schwindet nach
meinen Beobachtungen und Messungen zuerst das Fett am Panni-
culus adiposus der Brüste und am Nacken; die weiblichen Brüste
werden schlaffer, ihr Umfang nimmt al), die Fettwulst am Nacken
verliert ihre Prallheit. Nachher erfährt das am Kinn und im Ge¬
sicht abgelagerte Fett, sowie das Fettgewebe an den Schenkeln
und Armen eine sichtbare Abnahme; erst später ist ein Schwinden
der Fettpolster am Gesäss und am spätesten in den Bauchdecken
nachweisbar.
Dass eine strengere Entfettungskur in den, Kurorten
besser vertragen wird, liegt in mehreren günstigen Begleit¬
umständen: In der Kräftigung der Herztätigkeit durch gewisse, noch
weiters zu besprechende Mineralbäder, in der Anregung des ge¬
samten Nervensystems durch Veränderung des Aufenthaltes und die
neuen Eindrücke, dann in der Förderung des Eiweissansatzes durch
das systematische Spazieren und Steigen in freier Luft. Bezüglich
des letzten Momentes könnte man meinen, dass das Entgegengesetzte
eintritt, wenn die Muskelarbeit, welche den Stoffumsatz erheblich
steigert, sich noch zur purgierenden Wirkung der Glaubersalzwässer
und zur Entziehungsdiät hinzugesellt. Allein von Noorden hebt
mit Recht hervor, dass der Grund dieses paradoxen Verhaltens „so¬
wohl auf somatischem wie auf psychischem Gebiete liegt; die Muskel-
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E. H. KISCH,
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arboit fördert bei den Fettleibigen sowohl den Eiweissansatz (Muskel¬
neubildung) wie das Kraftgefühl/ 4
Die Bevorzugung der Glaubersalzwässer und zwar speziell der
kalten Quellen dieser Gruppe für die Balneotherapie der eigentlichen
Mastfettleibigkeit ist eine berechtigte, vorausgesetzt, dass diese noch
nicht wesentlich kompliziert ist und einen iin allgemeinen noch
guten Zustand der Herzfunktion aufweist. Die Erfolge werden um
so grösser und nachhaltiger sein, wenn der diätetisch-erziehliche
Einfluss einer solchen rationell geleiteten Brunnenkur sich auch
auf die weitere Lebensführung durch geraume Zeit erstreckt.
Bei den konstitutionell Lipomatösen stehen in erster Linie
die eisenhaltigen Brunnen zur Verwertung zu Trinkkuren: die
eisenreichen alkalischen Quellen und reinen kohlensauren Eisen¬
wässer mit ihrem unleugbaren Einflüsse auf Erythrozytenbildung
und Erhöhung des Hämoglobingehaltes, welche hei den anämischen,
chlorotischen, pastösen und hydraulischen Fettleibigen indiziert er¬
scheinen und auf funktionelle Schwäche der blutbereitenden Organe •
wie auf die Schlaffheit der Gewebe oft günstig einwirken. Dann
sind es die alkalischen Quellen und (ilaubersalzwässer, welche
die Anomalien der Verdauung verbessern, den Darm milde anregen
und solchermassen die Herstellung richtiger Assimilations- und Re¬
sorptionsverhältnisse, sowie Regulierung der abnormen Gewebstätig-
keit beeinflussen. Weiters die alkaliseh-murialischen Säuerlinge und
Kochsalzwässer, wo es sich darum handelt, die eine stärken'
Fettbildung fördernde torpide Skrophulose, die damit verbundene)
Schwäche des lymphatischen Apparates und allgemeinen trophischen
Störungen zu bekämpfen. Endlich kommen die Jod - und Schwe¬
felwässer in Betracht mit ihren durch den Einfluss dieser Mi¬
neralwässer und der ausgebildeten Methodik auf gesteigerten Um¬
satz erworbenen Indikationen bei Syphilis und deren Folgezuständen.
Zur Unterstützung der Trinkkur mit Mineralwässern dienen
für den Zweck der Entfettung heisse Mineralbäder und kohlensäure¬
reiche Bäder.
Die heissen Bäder (von 40 45° C) befördern die Wärme¬
abgabe durch die Haut und wirken hierdurch auf den Fettverbrauch
steigernd ein. Es ist dies um so wichtiger, als im allgemeinen btu
fettleibigen Personen die Wärmeabgabe durch die Haut aus mehreren
Gründen verringert ist; vorerst weil die Körperoberfläche im Ver¬
hältnisse zum Körperinnern hei den Lipomatösen kleiner ist als
bei schlanken, mageren Personen; dann weil die massige subkutane
Fettschicht als schlechter Wärmeleiter die Wärmeabgabe einschränkt.
Die heissen Bäder bewirken jedoch wesentlich die Gewichtsabnahme
durch den Wasserverlust des Körpers, welchen sie herbeiführen.
Es isl dies besonders dann der Fall, wenn die heissen Bäder infolge
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25] Fettleibigkeit und Fettsucht. 130
von nachhaltiger Erwärmung des Körpers nach dem Bade, durch Be¬
wegungen oder Einwickelungen zum Schwitzen Anlass geben, oder
wenn diese schweisserregende Prozedur durch Einwirkung einer mit.
Wasserdampf gesättigten oder übersättigten Luft (russisches
Dampfbad) oder trocken - heisser Luft (irisch-römisches
Bad) hervorgebracht wird. Der Schweissverlust kann, wie ich wieder¬
holt konstatierte, im halbstündigen Dampfbade 500 bis 800 Gramm
und mehr betragen und durch Bettwärme nach dem Bade auf das
Vierfache gesteigert werden.
Bei der bedeutenden Steigerung der Körpertemperatur, welche
die schweissproduzierenden Badeformen verursachen, bei der grossen
Vermehrung der Pulsfrequenz und Erhöhung der Zahl der Atem¬
züge, welche sie bewirken, vor allem aber bei dem überaus raschen
und mächtigen Anstiege des Blutdruckes, welchen sie hervor bringen,
dürfen solche Bäder nur jenen Fettleibigen gestattet werden, deren
Herzmuskel noch vollkommen intakt ist und deren Ar¬
terien sichnichtsklerosiert erweisen. Im Gegenfalle können
sehr unangenehme Erscheinungen, ja sogar plötzlicher Exitus ein-
treten.
Ausser allgemeinen heissen Wasserbädern können auch solche
lokale Applikationen für einzelne Körperteile gebraucht werden,
welche den Vorteil haben, dass sie mehrere Male des Tages ab¬
wechslungsweise auf verschiedene Körperteile angewendet werden
können und dadurch der träge Stoffwechsel der Fettleibigen eine
häufigere energische Anregung erhält, dann dass bei diesen je¬
weiligen kleineren Lokalbädern weit höhere Temperaturen zur Ver¬
wendung kommen als auf der ganzen Körperoberfläche. Man lässt
sehr heisse Fussbäder, möglichst hoch über die Kniee reichend,
heisse Armbäder, bei denen Hände und Arme bis über die Ellen¬
bogen in heissem Wasser stecken, sowie heisse Sitzbäder nehmen
und gibt heisse feuchte Umschläge, sowie heiss durchtränkte
Schwämme auf Körperstellen, wo ein Bad nicht leicht zu appli¬
zieren ist (Schweninger’s Methode).
Besondere Beachtung verdienen die in vielen Kurorten zur
Verfügung stehenden kohlensäure reichen Mineral bäder,
deren Wirkung auf die Herztätigkeit und Blutzirkulation mit Rück¬
sicht auf das in seiner Funktion mehr minder geschwächte Herz
der Fettleibigen von grosser Bedeutung ist. Das kohlensaure Bad
bewirkt, und zwar auch ohne hohen thermischen Reiz, eine so¬
fortige und nachhaltige Fluxion zur Haut, erweitert die peripheren
Gefässe, verengt die inneren Gefässe, steigert den Blutdruck, ver¬
langsamt den Puls, gestaltet diesen voller und kräftiger, erhöht das
Volumen jeder einzelnen Herzsystole, stärkt den Herzmuskel und
erleichtert die Herzarbeit. Diese Eigenschaften des kohlensäure-
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£. H. KISCH, Fettleibigkeit und Fettsucht.
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haltigen Bades werden bei Entfettungskuren mit grossem Vorteile
für das Mastfettherz wie für das fettig degenerierte Herz verwertet,
und in der Auswahl der verschiedenen Stärken des Kohlensäure¬
gehaltes des Bades neben der Anwendung verschiedener Temperatur¬
grade des Mineralwassers und der verschiedenen Badeformen (Wellen¬
bad, Sturzbad, Sprudelbad) ist ein Mittel, gegeben, die Energie
der Herzmuskulatur zu erhöhen.
Nicht so mächtig wirksam wie die Kohlensäurebäder, aber
immerhin mit Nutzen können auch salzhaltige Mineral¬
bäder, Moorbäder, Seebäder und hydriatische Pro¬
zeduren in Anwendung gezogen werden, um energischere Haut¬
reizungen zu erzielen und reflektorisch die die Herzbewegung re¬
gulierenden Zentren anzuregen. Durch die individualisierende An¬
wendung von Bädern verschiedener Art vermögen wir jedenfalls
bei der alimentären wie bei der konstitutionellen Lipomatose einer¬
seits die Dekomposition des aufgespeicherten Fettes zu steigern und
anderseits die Assimilationsfunktionen im allgemeinen zu bessern,
indem wir, wie Strasser sich ausdrückt, „den Organismus zur
grösseren Wärmeproduktion zwingen und gleichzeitig den Elementar¬
organismen den Tonus verleihen, diese erhöhte Arbeitsleistung voll¬
bringen zu können“. Jedenfalls steht Ebstein mit seiner Be¬
hauptung, dass Brunnen- und Badekuren „bei der Fettleibigkeit zu
verwerfen sind“, ganz gewiss vereinzelt und im Gegensätze zu einer
tausendfältigen Erfahrung da.
Auch klimatische Kuren können durch Verwertung der
Einflüsse des klimatischen Faktors, besonders der Höhenlage,
auf eine gewisse Steigerung der Oxydationsprozesse speziell des
Fettes, sowie auf Modifikation der Blutzirkulation und Atmung wie
der Beschaffenheit der blutbildenden Organe unterstützend bei der
Therapie der Lipomatose zur Anwendung kommen.
Die verschiedenen Komplikationen der Fettleibigkeit, die dvs-
peptischen Störungen, Gicht und Diabetes, Erscheinungen schwerer
Herzinsuffizienz, erfordern medikamentöse Eingriffe nach all¬
gemein therapeutischen Grundsätzen. Hingegen ist bei allen „spezi¬
fischen Medikamenten“ gegen Fettsucht, auch den diesbezüglichen
Organextrakten (besonders Schilddrüsenextrakt) ein gewisses Miss¬
trauen gerechtfertigt. Sie vereinen zumeist mit dem fettzersetzendeu
einen noch wesentlicheren ei weis s z er s tö re n d en Effekt und
sind dann entschieden verwerflich.
Gck igle
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UNIVERStTY ' MICHIGAN
CURT KABITZSCH (A. Stuber’s Verlag) WÜRZBURG.
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Ist der Inhalt der anregend geschriebenen Betrachtungen mehr für den Urologen vom Fach berechnet, «o wirf
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,,.l fedfz. Klinik**.
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Die Talma’sche Operation.
# Yon
Dr. H. Ladenberger»
Spezialarzt für Chirurgie in Mannheim.
Die Talma-Drummond - Morison 'sehe Operation richtet
sich nicht gegen eine bestimmte Krankheit, sondern gegen Sym¬
ptome, die bei verschiedenen Krankheiten Vorkommen, den Aszites
und die Blutungen aus dem Magendarmkanal infolge von Stauung
im Pfortaderkreislauf. Es ist wichtig auf diese Beschränkung aus¬
drücklich hinzuweisen, um Anzeigen und Gegenanzeigen bestimmt
fostzustellen und nicht Erwartungen zu wecken, die weder erfüllt
werden können noch sollen. Talma, der das Verdienst hat, zu¬
erst ein operatives Vorgehen bei diesen Symptomen empfohlen zu
haben, hat in weiser Beschränkung seiner grundlegenden Arbeit den
Titel „Chirurgische Eröffnung neuer Seitenbahnen für das Blut der
Vena Portae“ gegeben. Und als er sechs Jahre später die Erfahrungen
zusammenfasste, sagte er: „Man darf für erwiesen halten, dass die
Omentopexie öfters eine Hauptbeschwerde der Leberzirrhose, den
Aszites ohne Nachteile beseitigt. So oft verschwindet dieses Sym¬
ptom in kürzerer oder längerer Zeit nach der Operation vollkommen
und bekamen die Kranken ihre frühere Arbeitskraft wieder, dass
nur eine zu weit getriebene Skepsis den Kausalverband bezweifeln,
kann.“ In derselben Arbeit erörtert er auch die Frage, ob die Ab¬
leitung des Blutes aus der Vena Portae die Leberzirrhose günstig
beeinflussen kann und kommt zu dem Resultat, dass die Öffnung
der Seitenwege für das Blut der Vena Portae keinen heilenden Ein¬
fluss auf die Krankheit selbst ausübt. Jedenfalls müssen wir für
die Praxis daran festhalten, dass nur Aszites und Blutung bei der
Pfortaderstauung, nicht aber die dieser Stauung zugrunde liegenden
Krankheiten die Operation indizieren.
Klinische und pathologisch-anatomische Erfahrungen haben in
Talma und gleichzeitig unabhängig von ihm in Druiamomd und'
Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 7. 11
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142
H. LADENBERGEE,
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Morison den Gedanken entstehen lassen, durch einen operativen
Eingriff die Stauung im Gebiet der Pfortader und damit den Aszites
und die Gefahr der Blutung aus erweiterten Ösophagusvenen zu
beseitigen. Die von ihnen angegebene Operation besteht in der An¬
heftung des Netzes an die vordere Bauchwand event. kombiniert mit
der Annähung der Milz, Leber und Gallenblase. Dadurch wird das
Blut der gestauten Pfortader an der Anheftungsstelle des Netzes
bezw. der übrigen Eingeweide durch sich entwickelnde äusserlich
sichtbare Gefässe direkt in die obere und untere Hohlvene geleitet.
Es wird also ein grösserer oder geringerer Teil des Pfortaderblutes
unter Umgehung der Leber direkt in den allgemeinen Kreislauf ge¬
leitet. Da nun die Leber wichtige Funktionen im Stoffwechsel —
ich erinnere nur an die Bildung des Harnstoffs, der Ätherschwefel¬
säuren, an die Umwandlung der Kohlehydrate und die Entfernung
von Giften — hat, so erhebt sich die Frage, ob diese Ausschaltung
ohne Nachteile für den Organismus möglich ist. Diese Frage wurde
an Tieren mit Eck'scher Fistel, durch welche die Pfortader mit
der Vena cava inferior in Anastomose gesetzt wird, studiert. Bei
ihnen strömt das Pfortaderblut direkt in die Hohlvene, die Leber
ist also funktionell ausgeschaltet, ihre Zellen veröden. N e n c k i und
Pawlow und ihre Schüler Salaskin und.Zaleski sahen die
Tiere unter Erscheinungen zugrunde gehen, welche auf die Wirkung
von Karbaminsäure zurückzuführen sind. Besonders traten diese
Erscheinungen bei eiweissreicher Nahrung auf. Dagegen konnten
Bielka, v. Karltreu und Queirolo bei-Hunden, bei denen die
Pfortader mit der unteren Hohlvene vereinigt worden war, keine
Vergiftungserscheinungen wahmehmen, auch wenn sie Eiweisskost
gaben. Montprofit führt einen Fall von Vida 1 an, der bei einem
Menschen wegen Unmöglichkeit der Omentopexie eine Eck’sche
Fistel anlegte. Der Patient ging erst vier Monate nach der Operation
an foudroyanter Pyämie zugrunde. Dies ist der einzige Fall, wo bei
einem Menschen die Eck’ sehe Fistel angelegt wurde.
Wenn auch die Akten über diese Frage noch nicht geschlossen
sind, kann man doch sicher so viel sagen, dass es dem Organismus
nicht schadet, wenn ein Teil des Pfortaderblutes von der Leber ab-
und in den allgemeinen Blutkreislauf geleitet wird. Und nur um
eine Ableitung eines Teils des Pfortaderblutes handelt es sich bei
der uns interessierenden Operation, nicht wie bei der Eck'sehen
Fistel um eine vollständige Umgehung der Leber. So viel Blut als
der Grad der Erkrankung durch die Leber fliessen lässt, Giesst nach
wie vor der Operation durch. Dazu kommt noch, dass bei jeder
Art von Pfortaderstauung durch spontane Ausbildung von Kollateralen
dasselbe geschieht, was die Talma'sehe Operation künstlich er¬
reichen will.
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Die Tahna’eehe Operation.
Die kleine Skizze zeigt die Anastomosen der Pfortader mit
der oberen und unteren Hohlvene. Neuerdings wird noch auf ein
Viertes Kollateralsystem, das retroperitoneal hinter Pankreas, Duo¬
denum und Colon transversum verläuft, aufmerksam gemacht, das
Retzius’sche Venensystem. In welch vollkommener Weise diese
Anastomosenbildung wirken kann, zeigt ein Fall von Umher, wo
1 V. CAV/A SüP.
«V. AZYGOS
3 V. ÖSOPhRGEA '»NF.
♦ V. LPlGASTRjC/\ 5UP.
9 V. LPlGASTRlCA INF.
6 CAPUT MLDUSAL
7 t-£.BLR
6 V. PORTAL
9 V.GASTRlCA SUP.
10 V. ÜtMAÜS
n niLZ
UV. MESARA1.CA SUP.
Ijv MESAAAICA.1NF-
17 V CfrVA INF .
IS V HÄfAORRHOlDAUS SUP.
I« V MAnoRRnOIDALlS MLDIA
17 VLNAL HYPOOASTAICAt
Die vom Gebiet der Vena oava sup. u. inf. gehörenden Gefässe sind aasgezogen, die
zur Vena portae gehörenden gestrichelt.
nach Ansicht v. Recklinghausen’s während eines -17jährigen
Lebens die Symptome einer vollständigen Thrombose der Pfortader
und der Milzvene durch Anastomosenbildung ausgeglichen wurden.
•Westenhöffer gibt einen Beitrag zum anormalen Kollateralkreis-
iauf des Pfortadersystems bei Leberzirrhose. Ein 39 jähriger Arbeiter
mit hypertrophischer Leberzirrhose und allgemeinem Ikterus stirbt
an croupöeer Pneumonie. Bei der Sektion ist das Bauchfell zart
und glänzend, keine Spur von Aszites. Als Ursache findet sich
1. eine Verwachsung des Netzes im Grunde einer linksseitigen In-
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m
H. LADENBERGER,
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guinalhemie, wodurch ein Teil des Pfortaderblutes durch die stark
erweiterten und geschlängelten Skrotalvenen und die Vv. pudendae
ext. nach der V. femoralis abgeführt wurde; 2. bestand eine Kom¬
munikation der Venen des Colon ascendens durch retroperitonealö
Venen mit der V. spermatica int. dextr.; 3. variköse Anastomose der
V. lienalis mit der V. spermlatica int. sinistr.
Diese Anastomosenbildung erklärt auch die Heilung und das
lange Latentbleiben vorgeschrittener Zirrhosen. Weil aber keinem
Fall von Pfortaderstauung anzusehen ist, ob er zu dieser Spontan¬
heilung neigt und weil diese Spontanheilung die Gefahr der Blutung
aus erweiterten Speiseröhrevenen mit sich führt, ist der Versuch,
auf operativem Wege neue Seitenbahnen für das gestaute Blut der
Pfortader zu eröffnen, gewiss berechtigt.
Ich will hier noch darauf hinweisen, dass anders als die Spon¬
tanheilung jene Heilungen zu beurteilen sind, die nach zahlreichen
Punktionen des Aszites auftreten. In diesen Fällen verwachsen Netz¬
oder Baucheingeweide mit der Bauchwand, wie bei zahlreichen Sek¬
tionen festgestellt werden konnte. Küssner empfahl deshalb die
Punktion nicht als palliatives, sondern als kuratives Mittel und
zwar frühzeitig, ehe die Spannung durch den Aszites zu gross ge¬
worden ist.
Diesen von der Natur gewiesenen Weg haben also Talma
und Drummond und Morison nachzuahmen empfohlen und den
Wert dieser Empfehlung beleuchten auch die experimentellen Unter¬
suchungen an Tieren. Ausser Ti 11 mann, Bozzi, Kusnekow
haben Ito und Omi die Frage experimentell geprüft und kommen
zu folgenden Resultaten:
1. Die Hunde gehen in einer kurzen Zeit unter Verblutungs¬
erscheinungen zugrunde, wenn man ihnen die Pfortader auf einmal
unterbindet; dabei ist es ganz einerlei, ob man oberhalb oder unter¬
halb der Einmündungsstelle der V. gastrolienalis in dieselbe ligiert.
Bei einer vorherigen intraperitonealen Omentofixation vertragen die
Tiere bald'die Unterbindung der Pfortader,. bald'nicht; genau so
verhält es sich mit der extraperitonealen Omentofixation.
2 . Es ist dabei nicht die Stelle der Unterbindung, sondern
die breite'Verwachsung der Baucheingeweide untereinander und mit
der Bauchwaiid und die dadurch bedingte Entwickelung neuer Seiten-
-bahnen der Pfortader samt der Dilatation der normalen Anastomosen,
•welche den obigen Unterschied bedingt. Die Omentofixation spielt
dabei bloss eine bedingte Rolle, und die Gefässentwickelung im
fixierten Netze kann manchmal sogar unbedeutend sein; jedenfalls
scheint dieselbe für sich allein nicht genügend, die Tiere bei der
-Unterbindung der Pfortader dadurch am Leben erhalten zu können.
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5]
Die Talma’sche Operation.
143
3. Die Tiere, welche die Unterbindung der Pfortader auf die
oben erwähnte Weise vertragen haben, können mehrere Monate dar¬
nach gesund bleiben und nehmen sogar am Gewichte zu.
Indiziert ist die Operation also bei Aszites und bei Blutungen,
die infolge von Pfortaderstauungen eintreten. Am reinsten tritt diese
Indikation in Erscheinung bei den Fällen, wo der Stamm der Pfort¬
ader durch entzündliche Verwachsungen, Tumoren u. dergl. steno-
Siert oder thrombosiert ist. Tritt in diesen Fällen nicht wie in dem
erwähnten Fall von Umber eine Spontanheilung durch Ausbildung
der natürlichen Kollateralen ein oder gelingt es nicht, wie in einem
Fair von Müller, durch Lösung der Verwachsungen die Stenose
der Pfortader zu beseitigen, dann ist die künstliche Schaffung neuer
Seitenbahnen durch die Talma’sche Operation sicher indiziert.
Diesen Weg empfehlen Bunge, Umber und Rommelaire.
G. N. Mahakjan reiht den 20 von Baumann 1897 gesam¬
melten Fällen vier weitere aus der Literatur und zwei eigne an.
1. 21 jähriger Lakai; vor vier Tagen plötzliches blutiges Er¬
brechen und blutiger Stuhl, Leibschmerzen und rasch wachsender
Aszites. Nach 18 Tagen Bauchumfang 88,5 cm. Diagnose: Leber¬
zirrhose und Thrombose der Pfortader. Talma’sche Operation.
18 Tage nach der Operation hat sich der Aszites wieder angesammelt,
Bauchumfang 73 cm. Nach 10 Tagen 76,5 cm. Am nächsten Tag
Aszites verschwunden. Leibumfang 68 cm. Nach 6 Tagen wieder
Aszites vorhanden. 22 Tage nach dem Verschwinden des Aszites
werden durch Punktion 4,5 Liter entleert,, nach 12 Tagen noch ein¬
mal 5,2 Liter. Danach Unruhe, Bewusstlosigkeit, Tod. Sektion: Atro¬
phische Leberzirrhose, Pfortaderthrombose, eiterige serös-fibrinöse
Peritonitis.
2. 44 jähriger Mann, vor 10 Tagen typisch erkrankt. 6 Wochen
nach Beginn Leibumfang 100 cm; 5,5 Liter werden durch Punktion
entleert; nach 14 Tagen Leibumfang 100,5 cm; Talma’sche Ope¬
ration. 19 Tage später Tod an Erschöpfung. Sektion: Atrophische
Leberzirrhose, Pfortaderthrombose, serös-fibrinöse Peritonitis.
Der einzige Fall von erfolgreicher Talma'scher Operation
bei Pfortaderthrombose, den ich in der Literatur finden konnte,; ist
der von H. Meyer. Die klinische Diagnose lautete: Cholelithiasis
und Aszites infolge von Leberzirrhose. Bei der Operation war die
Leber ganz normal, die Gallenblase entzündlich geschrumpft und
mit Steinen gefüllt. Als Ursache der Pfortaderstauung fand sich eine
chronisch-entzündliche Verhärtung der Gegend der Leberpforte zu¬
sammenhängend mit der Cholelithiasis. Deshalb Talma’sche Ope¬
ration. Nach 9 Monaten war der Aszites verschwunden, der Patient
bei gutem Befinden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
146
H. LADENBERGER,
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Häufiger als an dem Stamm der Pfortader geben Erkrankungen,
die ihre Verzweigungen in der Leber treffen, Veranlassung zum
Auftreten von Aszites und Blutungen, und damit Anlass zur Talma-
sehen Operation. In erster Reihe stehen hier die zirrhotischen Pro¬
zesse in der Leber. Anatomie und Klinik dieser Prozesse stehen auch
heute noch nicht endgültig fest. Während vornehmlich die Franzosen
eine Reihe klinisch und anatomisch verschiedener Krankheitsbildet
aufstellen, an deren einem Ende die Laennec’sche atrophische
Leberzirrhose, an derem anderen die Hanot’sche hypertrophische
Leberzirrhose mit Ikterus steht, sehen die meisten deutschen Autoren;
in allen diesen Formen denselben Grundprozess, der je nach be¬
gleitenden und komplizierenden Umständen sich klinisch und ana¬
tomisch in merklich differenzierter Form äussern kann. Für uns
kommen diese Fragen nicht in Betracht. Wir beschäftigen uns nur
mit Symptomen, die bei jeder dieser Formen Vorkommen können.
Und wichtig ist für uns nur die Frage, ob diese Symptome, der
Aszites und die Blutungen, durch Stauung im Pfortadersystem zu¬
stande kommen, denn nur dann können sie durch Öffnung neuer
Seitenbahnen für das Blut der Pfortader beseitigt werden.
Die Ätiologie der Blutungen bei der Leberzirrhose, auf die be¬
sonders Curschmann die Aufmerksamkeit wieder gelenkt hat,
steht fest. Sie stammen in der Regel aus erweiterten Ösophagus¬
venen im unteren Teil der Speiseröhre. Blutungen aus Varizen
des oberen Teils der Speiseröhre kommen bei alten Leuten auch
ohne Leberzirrhose vor. Blutungen aus Magen und Darm 3ind bei
Leberzirrhose seltener. Wie wir auf der kleinen Skizze sehen, anasto-
mosiert die Vena gastrica superior mit der Vena oesophagea inferior.
Diese Anastomosen erweitern sich bei jeder Art von Pfortaderstau¬
ungen, es bilden sich Varizen, die nach Zerstörung der Schleimhaut¬
decke zu Blutungen Anlass geben. Diese Blutungen können so heftig
sein, dass sie sofort zum Tode führen. Es kommen aber auch kleinere
und kleinste Blutungen vor, die ein bedeutungsvolles Mahnzeichen
sind und volle Beachtung verdienen. Von verschiedenen Seiten ist
darauf hingewiesen worden, dass sich im Stuhl der Zirrhotiker häufig
kleine Mengen Blutes finden. Es ist deshalb auffällig, dass Joa¬
chim, wie er selbst sagt, „wunderbarerweise“ bei mehreren Fällen
von Leberzirrhose mit beträchtlichen Stauungen im Pfortadergebiet
kein Blut im Stuhl gefunden hat. Dieses zufällige Ergebnis darf uns
nicht abhalten, bei Verdacht einer Pfortaderstauung den Stuhl genau
auf Blut zu untersuchen. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, dass
diese Blutungen durchaus nicht nur bei ausgebildetem Krankheits-
bild auftreten, sondern auch bei den Fällen, welche durch Entwicke¬
lung von Kollateralen den Aszites nicht zur Entwickelung kommen
Hessen, oder bei denen der Aszites im Lauf der Erkrankung von
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7]
Dia Tahna’sche Operation.
147
selbst verschwunden ist. Jedenfalls geben Blutungen aus der Speise*
röhre oder Blutbeimengungen zum Stuhl bei der Leberzirrhose eine
unbedingte Indikation zur Talma'sehen Operation ab, mag nun
Aszites bestehen oder nicht. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass
eine ausgiebige kollaterale Zirkulation zwischen Leber und Bauch*
wand, wie sie durch die Omentopexie hergestellt wird, der Erwei¬
terung der Speiseröhrenvenen Vorbeugen kann. Man könnte dagegen
anführen, dass in einer Reihe von Fällen nach der Operation noch
Blutungen aufgetreten sind. Dies berührt aber nur die zweite Frage,
welche beantwortet werden muss, ob die schon erweiterten Venen
nach Herabsetzung des Blutdruckes sich wieder zurückbilden. Nach
Erfahrungen an anderen Venen ist dies wenig wahrscheinlich. Aber
sicher istj dass der Blutdruck durch die Eröffnung neuer Seitenbahnen
herabgesetzt wird, und diese Druckherabsetzung mindert auch die
Gefahr der Blutung, mögen die Varizen bleiben oder nicht. Man
kann gewiss mit Talma sagen:
„1. Dass Hämatemesis bei Leberzirrhose die Fixation des Netzes
indiziert und
2. dass der Entwickelung von Ösophagusvarizen durch eine früh¬
zeitige Operation vorgebeugt werden kann.“
Nicht so einfach wie bei den Blutungen liegt die Frage nach
der Ätiologie bei dem Aszites. Hier ist die Frage, ob mechanische
oder toxische Einflüsse vorwiegend massgebend sind, noch
nicht entschieden. Klopstock schreibt in einer im Jahre 1907
in Virchow’s Archiv erschienenen Arbeit: „Für das Zustande¬
kommen des Aszites ist nun gewiss die Pfortaderstauung ein wichtiger
Faktor. Das schrumpfende Bindegewebe, das dem Blut einen weit
höheren Widerstand entgegensetzt als das weiche Parenchym, die
Verminderung des Gesamtquerschnitts der Pfortaderkapillar bahn:
durch Parenchymeinschmelzung, der Umbau der Lebersubstanz, der
erhöhte Zufluss arteriellen Blutes, deren Bedeutung ja Kretz im
einzelnen darstellt, sind es, die die Stauung entstehen lassen. Auch
die Verhältnisse des allgemeinen Kreislaufs dürfen bei der 30 häufigen,
Vereinigung der Zirrhose mit Herz-, Gefäss- und Nierenerkrankungenf
für das Entstehen des Aszites nicht unterschätzt werden.“ Aber
als ausschlaggebendes Moment erscheint ihm die Stauung nicht. Er
weist darauf hin, dass Fälle beschrieben sind, wo der Tod durch
Platzen von Ösophagusvenen eingetreten ist, ohne dass Aszites be¬
stand. Auch in Fällen von Pfortaderthrombose sei der Aszites kein
regelmässiger Befund. Was beweist aber dies alles? Doch nur, dass
in diesen Fällen eine ausgiebige Entwickelung von Kollateralen, die
zur Entwickelung von Ösophagusvarizen führte, die Symptome der
Pfortaderstauung, den Aszites, beseitigte. Auch dass Aszites häufig
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H. LADENBERG ER,
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das Krankheitsbild einleitet, lässt sich aus der häufigen Verbindung
von Leberzirrhose mit Pfortaderthrombose leicht erklären. Klop-
stock kommt zu dem Schluss, dass bei dem Entstehen des Aszites
dasselbe toxische Moment seinen Anteil hat, unter dessen Einfluss
die Zirrhose selbst zustande kommt und dass in vielen Fällen mit
grösserem Recht von einer chronischen Peritonitis, für die auch die
häufigen und auch ohne Erguss bestehenden Verwachsungen Zeugnis
ablegen, als von einem Stauungsaszites gesprochen werden darf.
Ich kann dem ersten Teil dieser Schlussfolgerungen nicht zu¬
stimmen. Ich habe oben gezeigt, dass alle gegen die mechanische
Natur des Aszites angeführten Beweise auf Trugschlüssen beruhen.
Nichts- spricht dafür, dass bei der Leberzirrhose toxische Einflüsse
für die Entstehung des Aszites massgebend sind.
Anders steht es mit dem zweiten Teil der Schlussfolgerungen.
Talma weist schon in seiner zweiten Arbeit darauf hin, dass manch¬
mal Peritonitis serosa mit meist sekundärer Leberzirrhose einen
Symptomkomplex gibt wie die primäre Zirrhose mit Stauungsödem.
Er führt einige derartige Fälle an. Diese Fälle bieten grosse dia¬
gnostische Schwierigkeiten und sind geeignet, da sie durch die Omen¬
topexie nur wenig oder gar nicht beeinflusst werden, die Operation
ungerechterweise zu diskreditieren. Fälle von chronisch-seröser Peri¬
tonitis sind es wahrscheinlich auch gewesen, die nach einfacher
Öffnung der Bauchhöhle und Entleerung des Exsudats, ähnlich wie
die tuberkulöse Peritonitis heilten, und angeführt werden, um zu
zeigen, dass bei der Talma’ sehen Operation nicht die Omentopexie,
Sondern der Leibschnitt an sich zur Heilung führe. Ein Teil dieser
Fälle gehört sicher in das Krankheitsbild der Panserositis, auf die
ich nachher noch zu sprechen komme.
Ich komme zu dem Schluss, dass der Aszites bei Leberzirrhose
eine Folge der Pfortaderstauung ist und durch die Talma’sehe
Operation beseitigt werden kann.
Von den verschiedenen Formen gibt am häufigsten die
L a e n n e c 'sehe atrophische Leberzirrhose mit dem starken Aszites
Anlass zur Operation; es ist dabei gleichgültig, ob Alkohol, Syphilis,
Malaria oder infektiöse oder toxische Einflüsse die Erkrankung ver¬
anlasst haben. Es ist auch hier ohne Bedeutung, ob die älteren An¬
schauungen über die Deutung des mikroskopischen Befunds oder die
neueren von Kretz richtig sind.
Die hypertrophische Leberzirrhose mit Ikterus verläuft in typi¬
schen Fällen ohne Aszites. Bei ihr können nur die Blutungen An¬
lass zur Operation geben.
Sehr häufig findet sich Schwellung der Leber mit oder ohne
Ikterus oder Aszites. Diese Form indiziert die Talma’sehe Ope¬
ration, mag sie nun als Mischform oder als erstes (hypertrophisches)
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9]
Die T&lma’sche Operation.
149
Stadium der Laennec’schen Zirrhose aufgefasst werden. Es liegen
in der Literatur Angaben vor, dass diese Formen für die Operation
besonders günstig gelagert seien (öStreicher, Wheeler).
Bei der infektiösen hypertrophischen Zirrhose ist die Talma¬
sche Operation oft mit der Cholezystostomie kombiniert worden.
Über den Wert dieser besonders von französischen Operateuren ge¬
übten Kombination lässt sich noch kein Urteil abgeben.
Drei Erkrankungen sind es noch, bei denen der Aszites im
Vordergründe der Erscheinungen steht. Die Cirrhose cardiaque,
die Zuckergussleber und die Pick’ sehe perikarditische Pseudoleber¬
zirrhose. Wir müssen untersuchen, ob es sich wirklich um selb¬
ständige Krankheitsformen handelt und ob der Aszites bei diesen
Erkrankungen eine Folge von Pfortaderstauung ist. Denn nur dann
kann er Gegenstand der Talma’schen Operation sein.
Vornehmlich französische Autoren waren es, die darauf hin¬
wiesen, dass bei Herzfehlern mit Stauungserscheinungen der As¬
zites eine besondere Stelle einnimmt, sowohl was seine Ausdehnung
gegenüber den Ödemen an anderen Körperstellen betrifft, als auch
deshalb, weil er nach Verschwinden aller übrigen Ödeme bestehen
bleibe. Den Grund für diese selbständige Stellung des Aszites er¬
blicken sie in einer durch die Stauung angeregten Bindegewebs-
entwickelung in der Leber, die ähnlich wie bei der typischen Cir-
rhose durch Schrumpfung zur Einengung des Pfortaderkreislaufes
und damit zur Stauung führe. Diesen Zustand nennen die Fran¬
zosen Cirrhose cardiaque (Stauungsleber).
Es fehlt aber nicht an Autoren, die die selbständige Stellung
des Aszites bei manchen mit Stauung einhergehenden Herzerkran¬
kungen anders deuten. So weist Bunge darauf hin, dass die Pfort¬
aderzirkulation unter ganz besonders ungünstigen mechanischen Ver¬
hältnissen steht. Nachdem das aus den Eingeweiden kommende
Blut eben ein ausgedehntes Kapillarnetz passiert hat, sammelt sich
das venöse Blut in der Pfortader und muss zum zweitenmal das
Kapillametz der Leber passieren. Es ist durchaus begreiflich, dass
unter diesen Verhältnissen schon eine geringe Beeinträchtigung der
normalen Zirkulationskräfte zur Stauung, d. h. hier zum Entstehen
von Aszites führen muss.
Dazu kommt noch, dass Eisenmenger, gestützt auf die
Untersuchung von über 100 Fällen, der Anschauung entgegentritt,
dass Blutstauung zur Bindegewebswucherung in der Leber führen
könne. In den Fällen, in welchen der Aszites im Verhältnis zu den
übrigen Symptomen von Herzinsuffiziens ungewöhnlich hochgradig
ist, dürfe der Aszites nicht als Folge einer Stauungsleber aufgefasst
Werden, da die durch Stauung in der Leber hervorgerufenen Ver¬
änderungen die Pfortaderzirkulation in keiner Weise beeinträchtigen.
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H. LADENBEBGER,
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Eisenmenger findet, dass die Kombination von Stauung durch
Herzfehler oder Emphysem mit echter Zirrhose verhältnismässig
häufig ist.
Bei dieser Sachlage dürfen wir die Erwartungen von der Wir¬
kung der Operation nicht allzu hoch spannen. Aber gerade weil die
Kombination von Stauung durch Herzfehler und echter Zirrhose
nicht selten ist, werden wir in besonders hartnäckigen Fällen von
Aszites zu einem Versuch mit der Talma'sehen Operation rateq
dürfen, da der Eingriff nicht gefährlich ist und Nachteile nicht zu
erwarten sind. Wir dürfen aher nur solche Fälle auswählen,
bei denen die Herzkraft wieder vollkommen genügend geworden ist
Ich selbst habe einen Fall von Aszites bei Cirrhose cardiaque
mit Omentopexie behandelt. Ich führe hier nur an, dass die Ope¬
ration keinen Erfolg hatte. Der Fall wird später im Zusammenhang
mit den andern von mir operierten Fällen behandelt werden..
Im Jahre 1883 hat Curschmann in einem Vortrag im Ham¬
burger ärztlichen Verein ein Krankheitsbild beschrieben, das bei
der Differentialdiagnose der mit Aszites verbundenen Erkrankungen!
der Leber und der Pfortader bis dahin nicht berücksichtigt worden,
war und das er „Perihepatitis chronica hyperplastica“ (Zuckerguss¬
leber) zu nennen vorschlug.
Es handelt sich um eine nicht selten ganz akut unter den Er¬
scheinungen der zirkumskripten Peritonitis resp. Perihepatitis be¬
ginnende, sehr langs,ajn verlaufende Erkrankung, die jahrelang still
steht. Diesen Stillstand, der in seinem Fall 6 1 /* Jahre dauerte, hebt
Verfasser besonders im Gegensatz zur Granularatrophie der Leber
hervor. Den Befund bei der Sektion schildert er so: „Die ganze
obere Hälfte des vorderen Bauchwandüberzuges ist in eine dicke,
weisse, ausserordentlich derbe, sehnige Masse verwandelt. Diese
Veränderung setzt sich kontinuierlich auf das ganze Zwerchfell und
von da auf Milz und Leber fort. Die letztere ist um ein Drittel ver¬
kleinert, sehr derb, rundlich, die freien Ränder stumpf. Das ganze
Organ ist von der eben erwähnten schwieligen weisslichen Masse
eingehüllt, welche an vielen Stellen 4—5 mm dick ist. In der Leber
keine Spur von Bindegewebsentwickelung. Von den Veränderungen;
der Brustorgane wären eine schwielige Obliteration der ganzen
rechten Pleurahöhle und des Perikardiums zu nennen.
Gerade dieser letzte Befund veranlasst mich, dieses Krank¬
heitsbild mit einem andern zusammen zu besprechen, das Pick
im Jahre 1896 unter der Bezeichnung: Chronische unter dem Bild
der Leberzirrhose verlaufende Perikarditis (perikarditische Pseudo¬
leberzirrhose) besprochen hat.
Es ist dies ein, vornehmlich bei jüngeren Individuen, den ge¬
mischten Formen der Leberzirrhose (vergrösserte Leber, starker As*
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11 ]
Die Talna’aehe Operation.
151
zites, kein Ikterus) täuschend ähnlicher Symptomenkomplex (Pseudo¬
leberzirrhose), der dadurch hervorgerufen wird, dass die durch eine
latente Perikarditis bewirkte Zirkulationsstörung in der Leber zu
Bindegewebswucherungen (Cirrhose cardiaque) führe, welche durch
Stauung im Pfortaderkreislauf hochgradigsten Aszites zur Folge habe.
Pick hält dafür, dass die beiden bis dahin in der Literatur be¬
schriebenen Fälle von Zuckergussleber, die ebenfalls mit adhäsiver
Perikarditis kompliziert waren, höchstwahrscheinlich in den Rahmen
des von ihm. aufgestellten Krankheitsbildes gehören. Im Anschluss
an diese Mitteilung ist eine überaus grosse Anzahl von Publikationen;
deutscher, englischer und besonders italienischer Autoren erschienen,
welche über einschlägige Fälle berichteten und meist auch die von
Pick vorgeschlagene Bezeichnung akzeptierten. Nur bezüglich der
Pathogenese divergieren die Ansichten, indem eine Anzahl von,
Autoren (Heidemann, Schupfer, Werbatus) nicht die Peri¬
karditis, sondern die bei den Sektionen solcher Fälle gefundene!
chronische Peritonitis als die Ursache des Aszites ansehen, während
andere Autoren (Bozzolo, Nachod, Siegert) die Ansicht
Pick’s über den Zusammenhang teilen.
Besonders italienische Forscher, denen sich aber auch deutsch«
anschlossen, nehmen für beide Symptomenkomplexe eine gemein¬
schaftliche Ätiologie an, nämlich eine chronische Entzündung aller
serösen Häute, die sie Polyserositis oder Poliorromentitis nennen.
U. Rose hat die Frage der Zuckergussleber und der fibrösen
Polyserositis eingehend untersucht und kommt zu dem Resultat,
dass es sich um keinen einheitlichen Prozess handelt, dass die
schwielige Verdickung des Leberüberzugs durch verschiedene In¬
fekte und Gifte verursacht werden kann und dass auch die gewöhn¬
liche (nach Rose’s Erfahrung aber nicht notwendige) Begleit¬
erscheinung des Aszites bald durch chronische Entzündung, bald
durch Stauung, häufig durch beide Momente gemeinsam veranlasst
wird. Er weist wie viele Autoren darauf hin, dass die Abgrenzung
gegen Bauchfell tuberkulöse schwierig und manchmal gerade des¬
halb unmöglich ist, weil Tuberkulose und Zuckergussleber kom¬
biniert Vorkommen kann.
Besonders wichtig für unsere Betrachtung ist die Frage nach
der Ätiologie des Aszites bei diesen Symptomkomplexen.
Curschmann sieht den Aszites als Stauungsaszites an, her¬
vorgerufen durch die Kompression der Leber durch den schrumpfen¬
den Überzug. Pick rekurriert auf die Stauungszirrhose der Leber
als Ursache des Aszites. Alle die Einwände, die wir oben gegen
die Existenz einer Stauungszirrhose angeführt haben, gelten natür¬
lich auch hier.
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152 H. LADENBERGER, [12
0.Hess hat die Frage der Stauung und chronischen Entzün¬
dung in der Leber und den serösen Höhlen klinisch und experimentell
geprüft. Seine Versuche lehren, dass bei Perikardialverwachsung
mitunter Leber- und Pfortadersystem allein oder in bevorzugter Weise
einer Zirkulationsstörung anheimfallen. Für diese Bevorzugung
lässt sich in manchen Fällen ausser der durch die Perikardialver¬
wachsung bedingten Herzschwäche, speziell der Schwäche des rechten
Ventrikels, kein direkter Grund ausfindig machen, ebensowenig wie
unter analogen- Verhältnissen bei Herzklappenfehlern. In anderen
Fällen jedoch kann die Verengerung der unteren Hohlvene oberhalb
des Zwerchfells durch schrumpfendes perikardiales Bindegewebe zur
Erklärung einer isolierten Leberstauung und der Entstehung einer
zyanotischen Leberinduration herangezogen werden. Das Ausbleiben
von starker Stauung in der unteren Hohlvene ist auf die Ausbildung
von Kollateralen zur oberen Hohlvene und auf die Entlastung der
unteren Hohlvene durch die Leber selbst, die das Blut der Cava
wie ein Schwamm ansaugt, zurückzuführen.
Gerade das der echten Leberzirrhose ähnelnde Krankheitsbild,
welches Pick im Sinne hat, kann in den seltensten Fällen durch eine
primäre chronische Perikarditis mit sekundär von ihr abhängigen
Stauungserscheinungen allein erklärt werden; es ist vielmehr auf
das Zusammenwirken chronisch-entzündlicher Prozesse in den se¬
rösen Höhlen des Körpers zurückzuführen, in welche eine chronische
Perikarditis allerdings meist eingeschlossen ist, jedoch meist nur
eine koordinierte oder komplizierende Rolle spielt. Neben den Ent¬
zündungserscheinungen greifen sekundäre allgemeine oder durch
Verlegung von Blut- und Lymphbahnen hervorgerufene lokale
Stauungserscheinungen komplizierend auf das Krankheitsbild ein.
Für die Behandlung des Aszites bei diesen Zuständen kommt
zunächst eine Operation in Frage, die sich gegen die Perikardial-
wachsung und die durch sie bedingte Verengerung der unteren Hohl¬
vene richtet, die Br au er'sehe Kardiolyse, die jetzt in so vielen
Fällen mit Erfolg ausgeführt worden ist und so oft hartnäckigen
Aszites beseitigt hat, dass man bei Kombination von Aszites und
Perikardialverwachsung zuerst an sie denken muss.
Trotz der Unklarheit, die noch über die Ätiologie des Aszites
bei diesen Zuständen herrscht, ist die Entscheidung, ob man eine
Talma’ sehe Operation empfehlen soll oder nicht, hier viel weniger
schwer als bei den oben besprochenen Fällen von Stauungszirrhose
der Leber. Dort steht und fällt die Entscheidung so ziemlich mit
der Frage, ob es eine durch Stauung bedingte Zirrhose der Leber
gibt. Und da es den Anschein hat, als ob Stauung nicht zur Binde-
gewebsentwickelung in der Leber führe, konnte uns nur der Umstand,
dass die Kombination von Stauung durch Herzfehler und echter
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Die Talma'scbe Operation.
153
Zirrhose nicht selten ist, veranlassen, einen Versuch mit der Ope¬
ration zu empfehlen. Bei den uns hier interessierenden Fällen ist
gewöhnlich die Diagnose nicht absolut sicher. Ob der Aszites durch
die besprochenen Krankheiten oder durch echte Leberzirrhose oder,
durch Bauchfelltuberkulose bedingt ist, ist gewöhnlich nicht sicher zu
entscheiden. Man wird sich deshalb leichter entschliessen, die Ver¬
hältnisse durch einen Bauchschnitt klar zu legen, und damit ge¬
gebenen Falles eine Omentopexie verbinden, die nur nützen, ge¬
wiss nicht schaden kann.
In einer Arbeit von Rovere ist ein Fall von Schiassi er¬
wähnt, der bei Pick’scher Krankheit eine Omentopexie mit dem
Erfolg ausführte, dass der Aszites bis auf Spüren verschwand. Der
Erfolg wurde über zwei Jahre kontrolliert. Jedenfalls empfiehlt es
sich, die Talma’sehe Operation der Kardiolyse folgen zu lassen,
wenn diese den Aszites nicht zum Verschwinden bringt oder sie der
Kardiolyse vorangehen zu lassen als den leichteren Eingriff, was
allerdings nur bei ganz schwachen Individuen indiziert ist.
In Verbindung mit der Milzexstirpation kommt die Talma-
sche Operation auch in Betracht bei der B a n t i ’ sehen Krankheit.
Während Banti selbst die Entfernung der Milz bei Splenomegalie
mit ausgesprochener Leberzirrhose — ausgebildetes 3. Stadium des
Morbus Banti — nach Lossen für zwecklos hält, hat auf dem
Chirurgenkongress 1906 Jaff6 über einen Fall von ausgesprochener
Banti'scher Krankheit im letzten Stadium mit ungeheurem Aszites
berichtet, der durch Milzexstirpation geheilt wurde. Über einen
gleichen Erfolg berichtet auch Thiel.
T a n s i n i hat in einem Fall von Banti’ scher Krankheit die
Splenektomie mit Talma’ scher Operation kombiniert und trotz vor¬
geschrittener Leberzirrhose mit mächtigem Aszites Heilung erzielt.
Er ging so vor, dass er nach Splenektomie das Netz vorzog, zwischen
den Rändern der Wunde ausbreitete, und nachdem das Bauchfell
in bestimmter Ausdehnung mit Gazestücken abgerieben worden war,
heftete er das Netz teilweise an die innere Oberfläche des Bauch¬
fells, teilweise mit seinem freien Rand zwischen die Ränder der
Bauchwunde.
Dieses Vorgehen ist sicher empfehlenswert, da es die Operation
nur unbedeutend verlängert und die Chancen des Erfolges doch
grösser macht.
Gute Funktion der Leberzellen, sagt Talma, ist unbedingt not¬
wendig für ein völlig befriedigendes Resultat. Durch jede Funktions¬
störung der Leberzellen muss der Nutzen der Operation herabge¬
setzt werden. Urobilinurie, Ikterus, Acholie oder Hypocholie de?
Fäzes, Xanthome und anderer Hautpigmentierungen sind mehr oder
weniger schwerwiegende Kontraindikationen. Auch Hautjuckep; in-
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folge von Ikterus oder ohne Ikterus ist von Bedeutung bei der Ab¬
schätzung von Indikation und Kontraindikation.
Über die Bedeutung der Urobilinurie im allgemeinen imd bei
der Leberzirrhose im besonderen ist noch kein irgendwie ab¬
schliessendes Urteil möglich. Fest steht, dass der Darm die haupt¬
sächlichste Bildungsstätte des Urobilin ist. Die echten Gallenfarb¬
stoffe werden durch die reduzierende Fähigkeit von Bakterien im
Darm in Hydrobilirubin verwandelt. Am reichlichsten entsteht Uro¬
bilin, wenn grosse Mengen von Galle gebildet und in den Darm
ergossen werden — also nach Lösung eines Gallengangverschlusses
oder bei starkem Untergang roter Blutkörperchen. Aber wahrschein¬
lich ist der Darm nicht die einzige Bildungsstätte des Urobilins.
Es scheint, dass die Leber den Stoffwechsel des Urobilins beherrscht.
Sie scheidet es immer in die Galle aus und wahrscheinlich kann
bei Krankheitszuständen durch Insuffizienz dieser Funktion Urobilin
entstehen.
Für unser praktisches Handeln geht daraus hervor, dass die
Urobilinurie eine gewisse Funktionsstörung der Leber andeutet, über
deren Bedeutung wir aber noch nichts Sicheres wissen, so dass sie
für sich allein keine Kontraindikation gegen die Operation ab¬
geben kann.
Wichtiger ist der Ikterus, der bei zirrhotischen Prozessen in
der Leber auftritt. Sein Auftreten bei diesen Erkrankungen, welche
nicht zu einem Verschluss der grossen Gallenwege führen, wird
meist auf eine Kompression von kleineren und kleinsten Gallen¬
gängen durch das schrumpfende Bindegewebe zurückgeführt. Nach
Ansicht vieler Forscher genügt aber das mechanische Moment zur
Erklärung des Ikterus bei diesen Krankheiten nicht. Vielleicht spielt
dabei das eine Rolle, was Minkowski Parapedesis der Galle
nennt, eine Umkehr der Sekretion der Leberzellen, die bei krank¬
hafter Störung ihres Gefüges die Galle statt nach den Gallengängen
direkt nach den Lymph- oder Blutgefässen leiten. Ein Beweis für
diese Umkehr ist aber noch nicht erbracht. Der Ikterus zeigt eine
Resorption der Galle an und diese Resorption führt zu Vergiftungs¬
erscheinungen, die auf Wirkung der Gallensäuren, der Cholate
kommen, während das Hautjucken wahrscheinlich durch Ablagerung
der Gallenfarbstoffe in der Haut entsteht (Krehl, Physiol. Path.
1907, S. 345).
Diese Vergiftungserscheinungen, die im Verlauf langdauernder
Gallenstauung auftreten können, äussem sich in schweren Him¬
erscheinungen: Benommenheit, Delirien, Krämpfen, die in der Regel
unter hohem Fieber in wenigen Tagen zum Tode führen.
Eine eigentümliche Hautveränderung, welche sich (wenn auch
nicht ausschliesslich) bei chronischem Ikterus entwickelt, ist das
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15]
Die Talma’sche Operation.
15 ^
Xanthelasma oder Xanthom, schmutzig blassgelbe Flecken, die an¬
fangs wenig hervortreten, später in die tuberöse Form übergehen
und sich mit Vorliebe an den Augenlidern entwickeln. Vom Gallen¬
farbstoff rührt die Färbung nicht her, der Zusammenhang mit Ikterus
ist überhaupt nicht sicher erwiesen. Acholie und Hypocholie der
Fäzes können bei diesen Fällen, wo ein Verschluss des Choledochus
nicht vorliegt, nur infolge imgenügender Sekretion der Galle auftreten
und sind als Zeichen einer tiefgehenden Funktionsstörung der Leber¬
zellen wichtig.
Dieselben schweren Vergiftungserscheinungen, welche wir als
Folge lang dauernder Gallenstauung auftreten sehen, finden sich
aber auch bei Leberkranken, welche keine oder nur geringe Gelb¬
sucht haben. Sie stellen wahrscheinlich komplizierte Vergiftungs¬
zustände dar, wie sie ähnlich auch bei anderen Stoffwechselstörungen,
z. B. beim Diabetes und bei der Urämie auftreten. Über die Stoffe,
welche dabei eine Rolle spielen, sind wir noch nicht sicher orientiert.
Die früher erwähnten Versuche an Hunden mit Eck'scher Fistel,
die bei eiweissreicher Kost unter schweren Vergiftungserscheinungen
zugrunde gehen können, lassen vermuten, dass dabei eine Vergiftung
mit Karbaminsäure, nach anderer Auffassung eine Säurevergiftung
eine Rolle spielt.
Kretz weist nun darauf hin, dass solche Vergiftungszustände
nicht selten im Anschluss an die Talma’sche Operation aufge¬
treten sind. Er glaubt, dass die durch die Operation bewirkte Ab¬
leitung des Pfortaderblutes und teilweise funktionelle Ausschaltung
der Leber von ganz gesunden Lebern anstandslos ertragen werde,
dass aber jeder Kranke, dessen Leberfunktion wesentlich gestört
ist, durch die Talma’sche Operation schwer gefährdet werden
könne. Als Zeichen einer solchen Störung bezeichnet er leichten
Ikterus, verminderte Hamstoffausscheidung, alimentäre Glykosurie
und Lävulosurie.
Bunge hat in interessanten Untersuchungen die Bedeutung
dieser Kontraindikation eingehend geprüft und kommt zu dem Re¬
sultat, dass die von Kretz als Zeichen einer Funktionsstörung
der Leber angeführten Symptome nicht den Wert haben, den ihnen
Kretz beilegt. Er schreibt sehr richtig: Will man Kretz’ Indi¬
kationsstellung folgen, so liegt die Gefahr vor, dass eine grosse
Reihe von Patienten, die für die Operation geeignet sind, ohne
Grund von ihr ausgeschlossen weiden.
Als Kontraindikation bleibt also nur der Ikterus bestehen. Und
auch der verbietet nicht immer die Operation, denn es finden sich
in der Literatur eine Reihe von Fällen, die trotz starkem Ikterus
operiert worden sind und einen langdauemden Erfolg hatten.
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H. LÄDENBERGER,
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Wir haben schon anfangs betont, dass die Operation keinen
heilenden Einfluss auf den Krankheitsprozess selbst ausübe.
Deshalb kann sie auch den durch die Krankheit selbst bedingten,
Ikterus nicht beseitigen. Talma führt zwar einen Fall an, bei dem
nach der Omentopexie der Ikterus schwand und der sechs Jahre
nach der Operation vollkommen gesund zu sein schien und referiert
über einen Fall von Kümmel 1, der hochgradigen Ikterus und
Aszites zwölf Wochen nach der Operation völlig geschwunden sah,
und hält deshalb die Möglichkeit, dass die Deviation des Blutes den
Prozess in der Leber heilsam beeinflussen, wenn auch nicht zur
Heilung bringen kann, nicht für ausgeschlossen. Er weist aber selbst
darauf hin, dass eine hypertrophische Zirrhose mit Ikterus auch
ohne Omentopexie in seltenen Fällen heilen kann.
Dass grosse allgemeine Schwäche, schwerere komplizierende
Erkrankungen von Herz, Lunge und Nieren, ebenso wie weit vor¬
geschrittene Fälle, die schon schwerere Vergiftungserscheinungen
zeigen, die Operation verbieten, ist selbstverständlich. Dagegen
können leichtere Intoxikationszustände nach der Operation ver¬
schwinden. Talma erwähnt einen Fall, in dem das stille Delirium
nach der Operation bei Reduktion der Fleischkost schwand und
der Kranke genas.
Die Technik der Operation.
Der Zweck der Operation ist, eine möglichst breite Ver¬
wachsung zwischen viszeralem und parietalem Blatt des Peritoneums
zu erzielen und durch reiche Vaskularisation dieser Verwachsungen
möglichst viel Blut aus den gestauten Pfortadervenen in die Venen¬
wurzeln der oberen und unteren Hohlvene zu führen. Die früher er¬
wähnten experimentellen Untersuchungen von Ito und Omi Hessen
schon erkennen, dass die breite Verwachsung der Baucheingew r eide
untereinander und mit der Bauchwand die geeignetste Methode zur
Erreichung des gesetzten Zieles ist. Nach neueren experimentellen
Untersuchungen von K. Omi lässt sich dieses Ziel am besten durch
Annähen von steriler Gaze an die innere Fläche der Bauchwand er¬
reichen.
In dem ersten geheilten Fall, über den Talma berichtet,
haben von Eiseisberg und Narath am unteren Rand der Leber
eingeschnitten, die Gallenblase an die Bauchwand geheftet und da3
Netz in der Wunde festgenäht. Vier Monate später wurde auch die
ausserordentlich stark vergrösserte Milz in einer Tasche fixiert, die
durch Ablösen der Haut von den Muskeln gebildet worden war.
Um noch breitere Adhäsionen zu erzielen, empfehlen Ito und
0 m i sowohl die Därme als auch die Leber und die Milz unter-
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17]
Die Talma’sche Operation.
157
einander und mit der Bauchwand in Verwachsung zu bringen. Sie
wollen dies dadurch erreichen, dass sie die ganze Bauchhöhle mittelst
eines sehr langen sterilen Gazestreifens locker tamponieren, wo¬
durch alle Taschen und Winkel der Peritonealhöhle zwischen den
einzelnen Eingeweiden verödet werden könnten. Der Streifen soll
schon nach 24 Stunden entfernt werden. Ito und Omi glauben,
dass die Talma’sche Operation, in der Weise ausgeführt, eine viel
grössere Zukunft haben werde, und sie fügen hinzu, „bei nächstem
geeignetem Fall von Aszites haben wir die Absicht, etwa so zu ope¬
rieren, wie wir es oben angedeutet haben.“ Ob sie diese Absicht
ausgeführt haben, konnte ich nicht feststellen. Jedenfalls ist eine
derartige Verödung der Bauchhöhle, wie auch Helferich an¬
nimmt, sehr geeignet, ein Wiederkehren des Aszites unmöglich zu
machen. Andere Operateure suchen das gleiche Ziel, wenn auch
nicht in so ausgedehnter Weise, so zu erreichen, dass sie Peritoneum
parietale und den Peritonealüberzug der Leber, Milz und der Därme
durch Abreiben mit einem Gazetupfer oder einer stampfen Kürette
(Neu mann) wundmachen und dadurch zur Verwachsung zu bringen
suchen. Drummond und Morison fügen den bisher geschilderten
Eingriffen noch eine Drainage der Bauchhöhle hinzu. Nach S. White
gestaltete sich das Verfahren so: von einer zweiten suprapubischen
Bauchöffnung aus wird die Bauchhöhle mittelst eines Glasdrains,
das bis auf den Beckenboden reicht und mit vielen kleinen, seit¬
lichen Öffnungen versehen ist, drainiert. Das Kopfende des Bettes
wird wesentlich erhöht. Ungefähr acht Tage lang wird alle sechs
Stunden das Becken unter strengster Asepsis mittelst einer Spritze
vom Aszites entleert. Täglich muss das Glasrohr durch drehende
Bewegungen aus seinen, die seitlichen Öffnungen verlegenden Ver¬
wachsungen befreit werden. Grosser Wert wird auch auf eine Kom¬
pression des Bauches durch Bindeneinwickelung gelegt.
Diese Drainage macht den kleinen imgefährlichen Eingriff der
Omentopexie zu einem gefährlichen, da sie leicht zu einer Peritonitis
führt. Dies geht klar aus der Statistik W h i t e ’ s hervor, nach der
14 o/o der auf diese Weise Operierten an Peritonitis gestorben sind.
Die deutschen Operateure haben diese Drainage allgemein abgelehnt.
Macht der sich zunächst wieder ansammelnde Aszites einen Eingriff
nötig, so ist die Punktion ungefährlicher und für den Patienten be¬
quemer als die Drainage. Auch die Drainage vom hinteren Scheiden¬
gewölbe aus bei Frauen führt leicht zu einer Infektion des Peri¬
toneums. Bei uns hat man sich im wesentlichen auf die Omentopexie
beschränkt, und nur darüber ist man noch nicht zur Einigung ge¬
langt, ob es zweckmässiger ist, das Netz intra- oder extraperitoneal
zu fixieren. Ito und Omi haben die Frage experimentell geprüft
und kamen zu dem Resultat, dass die extraperitoneale Methode in
Wftnburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 7. 12
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H. LADENBERGER,
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bezug auf die Entwickelung neuer Seitenbahnen der Pfortader nicht
mehr leistet als die intraperitoneale. Kasuistik und Statistik lassen
noch nicht erkennen, welcher Methode der Vorzug gebührt. Sicher
ist aber, dass die extraperitoneale Methode einen viel grösseren
Eingriff darstellt. Ihr eifrigster Verteidiger, Schiassi, geht so
vor, dass er im rechten Hypochondrium einen T-förmigen Schnitt
bis auf das Peritoneum macht und die beiden so gebildeten Haut-
Muskellappen nach beiden Seiten zurückschlägt. Das Peritoneum
wird in der ganzen Länge des transversalen Schnittes aufgeschnitten,
das Netz herausgeholt und abgerieben. Das Peritoneum wird bis
auf die Stelle, wo das Netz heraustritt, geschlossen und das Netz
in der Tasche durch einige Nähte fixiert.
Weniger eingreifend ist das Verfahren, wenn man die Bauch¬
höhle in der Mittellinie eröffnet, das Peritoneum zu beiden Seiten
des Schnittes eine Strecke weit von der hinteren Wand der Rektus-
scheide stumpf ablöst und in der so gebildeten Tasche das Netz
fixiert.
Narath fixiert das Netz in einer subkutanen Tasche. Unter
Schleich ’scher Lokalanästhesie eröffnet er das Abdomen in der
Medianlinie dicht über dem Nabel links vom Ligamentum teres unter
möglichster Schonung der Venae parumbilicales. Nach Abfluss des
Aszites, der aus den tiefer liegenden Teilen durch dicke mit Gummi¬
schläuchen armierte Metallkatheter heraus gehebert wird, zieht er
einen dicken Netzzipfel heraus. Die Schnittwunde in der Linea alba
wird nun so weit verkleinert, dass der Netzzipfel ohne Kompression
gerade noch hindurch kann. Hierauf fixiert man den Zipfel mit
einigen Nähten am Peritoneum parietale und der Linea alba. Wichtig
ist, dass man den Netzzipfel nicht zu weit herauszieht, um das Colon
transversum nicht zu zerren. Es muss noch genügend Omentum im
Abdomen bleiben, um das Kolon in seinen Bewegungen nicht zu
stören. Unter Schleich ’scher Infiltration des subkutanen Zell¬
gewebes links von der Wunde macht man über dem Nabel eine
quer nach links gerichtete, längliche, tiefe, subkutane Tasche. In
die Tasche steckt man den 10—15 cm langen Netzzipfel, der, wenn
die Tasche nicht zu breit gemacht ist, keiner weiteren Fixation be¬
darf. Wasserdichter Verschluss der Hautwunde und ein Verband,
der das subkutan verlagerte Netz nicht komprimiert.
Einige Tage nach der Operation macht sich gewöhnlich ein
mehr oder weniger ausgebreitetes ödem der Bauchhaut bemerkbar,
das hervorgerufen wird durch Aszitesflüssigkeit, welche neben dem
Netzzipfel aus der Bauchhöhle austritt und das subkutane Zellgewebe
infundiert. Das ödem schwindet bald. Narath erwähnt, dass die
ersten Veränderungen an den Bauchdeckenvenen meist schon nach
acht Tagen zu konstatieren sind. Nach seinen Erfahrungen ist die
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159
19] Di« Talma’sehe Operation.
Methode sehr leistungsfähig. Die Ursachen hierfür sieht er in zwei
Momenten:
1. das Netz wird gerade in das Wurzelgebiet von zahlreichen;
Venen verlegt, die das Blut rasch auf verschiedenen Wegen in die
Vena cava sup. und inferior abfüh'ren können;
2. durch gesteigerten intraabdominellen Druck wird das Blut
aus dem Omentum in die sich entwickelnden Anastomosen gepresst,
wovon man sich bei gelungenen Operationen aufs deutlichste über¬
zeugen kann.
Die Methode Narath’s wird von El bogen und Corson
sehr empfohlen. Ob die Verlagerung des Netzes unter die Haut
für die Vaskularisierung vorteilhafter ist, mag dahin gestellt bleiben.
Die experimentellen Untersuchungen sprechen dagegen. Sicher ist,
dass der Methode, wie allen extraperitonealen Methoden, die Ge¬
fahr des Bauchbruchs anhaftet. Narath selbst weist auf diese
Gefahr hin und erwähnt, dass bei einigen seiner ersten Operationen
neben dem Netz durch das Loch in der Linea alba Colon trans-
versum und andere Dammabschnitte durchgetreten seien. Die Ur¬
sache sieht er in einem technischen Fehler. Seitdem er nur einen
Netzzipfel verwende und sorge, dass die Öffnung in der Bauch¬
wand möglichst klein bleibt, so dass sie gerade noch das Netz
durchtreten lässt, habe er von Darmverlagerungen nichts mehr ge¬
sehen. Beschwerden haben seine Patienten von dem eingenähten
Netzzipfel nicht gehabt.
Bei der intraperitonealen Methode wird der Bauch durch einen
kleinen Schnitt in der Mittellinie oberhalb des Nabels eröffnet, das
Netz hervorgeholt und mit einigen Knopfnähten in den Schlitz des
Peritoneums parietale festgenäht. Die Bauchdecken werden durch
Etagennähte vereinigt. Der kleine Eingriff lässt sich ganz gut in
Lokalanästhesie machen, ein grosser Vorteil bei diesen Kranken.
Auch lässt sich ein Bauchbruch leicht vermeiden, während bei der
extraperitonealen Methode ein Bauchbruch meist unvermeidlich ist.
Schon bei dem ersten Fall, den Talma mitteilt, hat er der Omento¬
pexie einige Wochen nachher eine Splenopexie folgen lassen. Bunge
weist darauf hin, wie viel günstiger die Milz zur Erzielung von
Kollateralen vom rein anatomischen Standpunkt aus ist. Während
bei der Omentopexie der Abfluss des Pfortaderblutes den weiten
Umweg über die Venae gastroepiploicae nehmen muss, um durch
das fixierte Netz in die Venen der Bauchwand zu gelangen, geht
er bei der Splenopexie direkt durch die Vena lienalis und die Milz
nach den Venae epigastricae inf. und sup. Die Schwierigkeiten,
welche ein geschrumpftes kleines Netz der Einnähung bietet, fallen
hei der Einnähung der grossen Milz weg und zudem hindert nichts,
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H. LADENBERGER.
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neben der Milz auch noch einen Netzzipfel einzunähen. Bunge ver¬
kennt aber auch nicht, dass in der Praxis die Verhältnisse nicht so
einfach liegen und zwar wegen der wechselnden Grösse der Milz
bei den uns hier interessierenden Krankheiten. Talma ist geneigt,
im allgemeinen den Nutzen der Splenopexie zu bezweifeln. Wo
bei der Zirrhose die Milzschwellung nur die Folge venöser Hyper¬
ämie ist, wird sie durch eine ausgiebige kollaterale Zirkulation ver¬
kleinert. Sehr häufig ist aber der Milztumor eine Folge einer Ge-
websproliferation, unabhängig von venöser Hyperämie. In diesen
Fällen wird die Milz beim Verschwinden des Aszites nicht kleiner,
sondern später sogar noch manchmal grösser. Für unser praktisches
Handeln scheint es mir am zweckmässigsten, die Splenopexie der
Omentopexie folgen zu lassen, wenn letztere zur Beseitigung des
Aszites nicht ausgereicht hat und eine starke auf Hyperämie oder
Milzvenenthrombose beruhende Milzvergrösserung vorliegt. Denn
auch die Splenopexie ist ein schwererer Eingriff als die intraperi¬
toneale Omentopexie, die meist Narkose erforderlich macht. Und
es ist wichtig, den Zirrhotikem zunächst nicht mehr /uzumuten,
als unbedingt nötig ist.
Der Gedankengang ist dabei der, dass die Omentopexie nicht
ausreichend war, genügend Seitenbahnen für das Pfortaderblut zu
schaffen und die Splenopexie hinzugefügt wird, um diese Seiten¬
bahnen zu vermehren.
Als Methode kommt bei grosser Milz die von Bardenheuer,
Fixation der Milz in einer durch Ablösen des Peritoneums von den
Bauchmuskeln geschaffenen Tasche, unterhalb der Rippen am zweck¬
mässigsten in Anwendung.
Nach den gegenwärtigen Erfahrungen scheint mir die intra-
peritoneale Omentopexie die zweckmässigste Methode zu sein.
Sie ist die einfachste Methode und es sind mit ihr ebenso-
viele Erfolge erzielt worden, als mit der komplizierteren extra¬
peritonealen Methode. Ein grosser Vorteil ist, dass sie keine
allgemeine Narkose nötig macht, sondern in Lokalanästhesie aus¬
geführt werden kann. Bei den extraperitonealen Methoden, wo das
parietale Blatt des Peritoneums von der hinteren Rektusscheide ab¬
gelöst werden muss, ist allgemeine Narkose imbedingt nötig, da
jedes Manipulieren am parietalen Peritoneumj sehr schmerzhaft ist.
Auch kann bei der intraperitonealen Fixation ein Bauchbruch meist
verhütet werden. Mit der Empfehlung dieser Methode soll aber nicht
die Vorstellung erweckt werden, als sei die Frage der Technik schon
irgendwie endgültig entschieden. Die Resultate der Operation sind
noch immer sehr wenig befriedigend und die Möglichkeit, dass eine
veränderte Technik bessere Resultate zeitige, ist nicht ausgeschlossen.
Den Weg, welchen die Technik zu gehen hat, zeigen vielleicht die
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21 ]
Die Talma’sche Operation.
161
oben angeführten experimentellen Untersuchungen Omi’s, der bei
seinen Versuchstieren umso bessere Resultate erzielte, je ausge¬
dehnter die Verwachsung der Baucheingeweide untereinader und
mit der Bauchwand war. Ob die Warnung vor Benutzung der Därme
zur Erzielung von Kollateralen, wie sie Bunge ausspricht, wegen
der Gefahr der sekundären Darmblutungen infolge Berstung starker
Kollateralen berechtigt ist, möge dahingestellt bleiben. Da aber Er¬
fahrungen dieser Richtung noch nicht vorliegen, scheint mir für den
Praktiker die intraperitoneale Omentopexie die empfehlenswerteste!
Methode zu sein.
Die Erfahrungen, welche man bei Tieren mit Eck’ scher Fistel
gemacht hat, lassen es als zweckmässig erscheinen, der Ernährung
nach der Operation Aufmerksamkeit zu schenken. Die Eiweiss¬
zufuhr muss beschränkt werden, die Nahrung hauptsächlich aus
Milch und Kohlehydraten bestehen. Allmählich kann man zur Fleisch¬
kost übergehen. Für einen Dauererfolg ist es natürlich auch nötig,
das ätiologische Moment zu berücksichtigen und gegen Alkoholismus,
Syphilis, Malaria etc. entsprechend vorzugehen.
Die unmittelbaren Gefahren der Operation sind ge¬
ring. Besonders bei der intraperitonealen Netzfixation wird bei
einigermassen gutem Allgemeinzustand kein Todesfall an der Ope¬
ration zu befürchten sein. Die Blutung ist gering und leicht zu
beherrschen. Die Gefahr einer Infektion kann auch nicht gross
sein. Auffällig ist mir allerdings, dass bei vielen Sektionen ab¬
gesackte eitrige Ergüsse gefunden wurden. Ich habe keinen Pa¬
tienten an postoperativer Peritonitis verloren, obwohl oder vielmehr
weil alle Operationen im Hause der Patienten gemacht worden sind.
Die Möglichkeit, dass das mit der Bauchwand verwachsene
Netz die Ursache von Ileus oder anderen, z. B. nervösen Störungen:
werden kann, ist nicht zu bestreiten. Nach W. Oettinger ging
ein Fall der Mikulicz’schen Klinik an Darmknickung zugrunde.
Doch scheint diese Gefahr nicht gross zu sein.
In einem meiner Fälle trat nach der intraperitonealen Omento¬
pexie ein immer wiederkehrender Meteorismus auf. Ich hatte in
diesem Fall zur leichteren Entleerung des Aszites unterhalb des
Nabels den Bauch eröffnet und dort das Netz fixiert. Obwohl eine
Autopsie nicht gemacht werden konnte, glaube ich doch annehmen
zu dürfen, dass der Meteorismus die Folge einer Abknickung des
Colon transversum durch das herabgezogene Netz war. Einen ana¬
logen Fall erwähnt auch Franke, in dem durch die Sektion fest¬
gestellt wurde, dass das Colon in der Mitte abgeknickt war, das
zentrale Ende war stark mit Kot gefüllt; durch diese Kotstauung
war es zu Kompression des Duodenum und dadurch zu sekundärer
Magendilatation gekommen. Zur Vermeidung dieser Zufälle ist es
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H. LADENBERGER,
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also nötig, das Netz ganz ohne Spannung zu fixieren, und zwar von
einer Inzision oberhalb des Nabels aus.
Grisson fand bei einer Autopsie lange venenhaltige Stränge
zur Bauchhaut ziehen, die zur Einklemmung Anlass geben könnten.
Sie stellten die Gefässe des Netzes dar, dessen übriges Gewebe
atrophisch geworden war. Zur Vermeidung empfiehlt er das Quer¬
kolon an die Bauchwand zu heften, ein gewiss beachtenswerter Vor¬
schlag.
Ein ziemlich häufiger Folgezustand der Operation ist der Bauch¬
bruch. Bei extraperitonealer Fixation des Netzes ist er überhaupt
nicht zu vermeiden. Aber auch nach intraperitonealer Fixation
kommt er vor. Ausser den gewöhnlichen Ursachen des Bauchdrucks
bei Abdominaloperationen, der Eiterung und Nekrose der Faszien,
macht oft das dicke, fettreiche Netz eine exakte Fasziennaht un¬
möglich und führt so zum Bauchbruch.
Ich will hier noch einmal darauf hinweisen, dass eine Steigerung
der Funktionsstörung der Leber durch die Operation selbst nicht
wahrscheinlich ist. Die Todesfälle im Koma kurz hach der Operation
sind nicht auf die Operation, sondern auf die Krankheit selbst zu¬
rückzuführen.
Zur Beurteilung der bisher mit der Talma’sehen Operation
erzielten Resultate mögen zunächst die mir zugängigen Statistiken
besprochen werden.
W. öttinger stellt 169 Fälle zusammen. In 48 Fällen (28,4o/o)
wurde der Aszites nicht beeinflusst, in 35 Fällen (20,7 o/o) wurde
er gebessert und in 86 (50,9o/o) zum Schwinden gebracht.
Bunge berichtet über 274 Fälle mit 83 Fällen = 30o/o Heilung,
39 Fällen = 14o/ 0 Besserung und 152 Fällen = 56 o/o ohne Erfolg.
Die unmittelbare Mortalität ist 10 Fälle = 3,6o/o.
Montprofit berechnet aus 224 Fällen 35% Dauerheilung.
Die neueste mir zugängige Statistik von S. White enthält
227 Fälle, von denen 33o/o tödlich endeten, 15% gänzlich fehlschlugen,
13 o/o gebessert und 37,3 o/o geheilt wurden.
Diese Statistiken geben also 30—50% Heilung.
Wie verschiedenartig der Wert der Talma’sehen Operation
beurteilt wird, zeigt die Diskussion über die chirurgische Be¬
handlung der Leberzirrhose auf dem 17. französischen Chirurgen¬
kongress vom 17. bis 22. Oktober 1904. Während der Referent
Montprofit die Operation für die gegebene Behandlung der Leber¬
zirrhose hält, warnt T u f f i e r davor, der Omentopexie einen Er¬
folg zuzuschreiben, wo er, wie bei tuberkulösem Aszites, der Laparo¬
tomie als solcher gebühre. Den gleichen Standpunkt nimmt Villar
(Bordeaux) ein, der über vier Beobachtungen mit ungenügendem
Erfolg verfügt. Ähnlich äussern sich Mauchaise (Paris), De-
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23]
Die Talma’sche Operation.
163
page (Brüssel) und Regnös (Marseille). Bardesco (Bukarest)
empfiehlt frühzeitige Operation. V i d a 1 sieht in den Blutungen durch
Überfüllung des Pfortaderkreislaufs die vernehmlichste Indikation
zur Operation. Roux (Lausanne) beschuldigt hauptsächlich den
schlechten Zustand der Kranken und ihre unvernünftige Lebens¬
weise für den schlechten Erfolg der Operation.
Günstiger, scheint mir, wurde der Wert der Operation auf
der Sitzung der Medical Society of London am 25. März 1907 ge¬
legentlich der Besprechung der operativen Behandlung des hepa-
togenen Aszites beurteilt.
Der Referent L. Jones hält den für den prognostisch idealen
Patienten, der noch in rel. jugendlichem Alter, frei von Kom¬
plikationen, bei hypertrophischem Zustand der Leber mehr die Er¬
scheinungen der Obstruktion des Pfortadersystems als der Toxämie
bietet. Während auf die Leber selbst keine bessernde Wirkung durch
die Operation ausgeübt wird, wird das Wiederentstehen des Aszites
in vielen Fällen offensichtlich verhindert und das Leben des Pa¬
tienten bei relativem Wohlbefinden mehrere Jahre erhalten. Dieses
günstige Resultat ist bisher in etwa 1 / 3 der Fälle eingetreten, während
die letal verlaufenden Fälle und die ungebesserten sich in gleichem
Verhältnis verhalten. Bei richtiger Auswahl der Fälle darf sich die
unmittelbare Mortalität nicht über 10% erheben. W. G. Spencer
findet die deutsche Operationsmethode mit dem sechs Zoll langen
Schnitt unnötig kompliziert. Seine Mortalität sei bei vereinfachtem
Verfahren sehr klein. (Ein ca. 18 cm langer Schnitt wird in Deutsch¬
land wohl nur bei der extraperitonealen Methode gemacht; bei intra¬
peritonealer Omentopexie wird in der Regel der Einschnitt nicht
länger als 10 cm sein.) A. C. J. Barker bemerkt, dass alles auf
das Erzeugen von festen und dauerhaften Verwachsungen ankommt.
Die modernen aseptischen Operationsmethoden erschweren die Er¬
reichung dieses Ziels erheblich; man hat sogar bei nochmaliger
Operation an demselben Patienten gefunden, dass die Verklebungen
sich mit der Zeit wieder lösen. Deshalb bevorzugt er die extra¬
peritoneale Methode. W. S. War in g empfiehlt so bald als mög¬
lich zu operieren und als Methode die Einnähung des Netzes in
eine durch Peritoneum und Rektus gebildete Tasche. J. F. H.
Broadhent hält es für ratsamer, zu warten, bis die Bauchhöhle
sich zum zweiten Male füllt. Weit vorgeschrittene Fälle mit tief¬
greifender Zerstörung der Leberzellen sind für die Operation un¬
geeignet.
Wichtiger als Statistiken, die Fälle der verschiedensten Dignität
zusammenfassen und schwer kontrolliert werden können, sind die
doch jetzt schon zahlreichen Einzelmitteilungen geheilter Fälle, die
jahrelang verfolgt wurden. Bei einer Durchsicht der Literatur fällt
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H. LADENBERGER,
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auf, dass viele Operateure, auch solche, welche jahrelang nur Miss¬
erfolge sahen, schliesslich über einen geheilten Fall berichten konnten.
Diese mit den verschiedensten Methoden erzielten Heilungen
beweisen, dass die T a 1 m a ’ sehe Operation imstande ist, den Aszites
infolge von Pfortaderstauung zu beseitigen. Der Erfolg der Operation
ist in der Regel kein unmittelbarer. Es dauert einige Zeit, bis sich
genügend Kollateralen in den zur Adhäsion gebrachten Teilen ent¬
wickelt haben. Talma erwähnt, dass bisweilen schon nach acht
Tagen die sichtbaren Bauchadem schwellen, ln der Regel dauert
es aber zwei bis drei Wochen, oft vergehen auch viele Wochen, bis
ein Erfolg eintritt. Die experimentellen Versuche und die Ergebnisse
von Sektionen bestätigen, dass schon nach zirka einer Woche An-
astomosen zwischen Netz und Bauchwand bestehen. Es ist deshalb
begreiflich, dass oft in der ersten Zeit nach der Operation Punk¬
tionen gemacht werden müssen.
Als äusseres Zeichen der Vaskularisation schwellen die sub¬
kutanen Venen der Bauchwand an. Es bildet sich ein Caput Medusae.
Wir haben gesehen, dass auch die besten Statistiken nur öOo/o
Heilungen aufweisen und sicher ist, dass die Zahl der Misserfolge
sehr gross ist. Was ist die Ursache davon? Mit allen Methoden
sind Erfolge und Misserfolge erzielt worden. Bei dem gegenwärtigen
Stand der Sache ist es nicht möglich, einer Methode bezüglich des
Erfolges den Vorzug zu geben. Vielleicht ist es möglich, auf dem
von Omi auf Grund seiner experimentellen Untersuchungen vor¬
geschlagenen Wege bessere Resultate zu erzielen. Wie ich schon
oben bei der Technik der Operation ausgeführt habe, sieht Omi
in der möglichst ausgedehnten Verwachsung der Baucheingeweide
untereinander und mit der Bauchwand den besten Weg zur Ab¬
leitung des Blutes der gestauten Pfortader, während er den Wert
der Omentopexie nur gering schätzt. Er sucht dies durch eine sorg¬
fältige Tamponade der Bauchhöhle zu ereichen. Sicher kann dadurch
eine reiche Vaskularisation erreicht und dem Blute der Pfortader
können zahlreiche neue Seitenwege eröffnet werden. Ist der Ein¬
wand Bunge's gegen diese Methode, dass sie zu Darmblutungen
Veranlassung geben könne, berechtigt, so wäre eine Kombination,
von Splenopexie mit Omentopexie vielleicht vorzuziehen. Sie ver¬
mehrt auch die ableitenden Gefässbahnen. Für den Vorschlag O tn i ’ s
spricht auch noch, wie Helferich betont, dass durch Verödung
der Bauchhöhle einer Wiederansammlung des Aszites vorgebeugt
werden kann.
Eine wesentliche Ursache des Misserfolges liegt sicher in
unrichtiger Diagnose. Wir haben schon erwähnt, dass nach Talma’s
Ansicht die echte Leberzirrhose leicht mit einer Peritonitis serosa
chronica mit sekundärer Leberzirrhose verwechselt werden kann.
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25]
Die Talma’sche Operation.
165
Da diese letztere durch die Operation nicht beeinflusst wird, da der
Aszites bei ihr keine Folge der Pfortaderstauung, sondern ein ent¬
zündlicher Erguss ist, ist sie eine Ursache von Misserfolgen.
Auch ist einleuchtend, dass in der ersten Zeit meistens weit
vorgeschrittene Fälle, bei denen man schon das ganze therapeutische
Rüstzeug vergebens versucht hat, zur Operation kamen. Bei der
deletären Wirkung der Leberzirrhose auf den Organismus konnte
in diesen Fällen kein Erfolg erzielt werden. Ehe ein Effekt von der
Operation erwartet werden konnte, gingen die Patienten an Herz¬
schwäche, Pneumonie oder im Koma zugrunde.
Ausser von einer Änderung der Technik sind also Dessere Re¬
sultate nur von einer frühzeitigeren Operation zu erwarten.
Wann operiert werden soll, wird verschieden beantwortet, je
nachdem Blutungen oder Aszites Anlass zu Operationen geben. Man
kann kurz sagen, dass jede Blutung aus dem Magendarmkanal bei
Leberzirrhose die Operation indiziert. Wenn auch bis jetzt nur
theoretische Überlegungen die Zweckmässigkeit der Talma’sehen
Operation bei Blutungen empfehlen, so scheinen mir diese Über¬
legungen doch so zwingend zu sein, dass ich glaube, dass dieser
Indikation durchaus zugestimmt werden muss.
Anders steht die Frage, wenn es sich um die Bekämpfung des
Aszites handelt Talma rät nicht länger als bis zur zweiten Punk¬
tion zu warten. Soviel ich sehe, stehen die meisten Autoren auf
dem Standpunkt, dass man erst operieren soll, nachdem 1—2 mal
punktiert worden ist. Welp empfiehlt die Operation sofort nach
festgestellter Diagnose an Stelle der ersten Punktion auszuführen
und Montprofit noch während des hypertrophischen Stadiums
bei beginnendem Aszites zu operieren. Gerade die diagnostischen
Rücksichten machen es in der Praxis gewöhnlich unmöglich vor
der ersten Punktion zu operieren. Aber wichtig ist es darauf hin¬
zuweisen, dass dieser Zeitpunkt eingehalten werden muss, wenn
man gute Resultate erwarten will.
Ich selbst hatte fünfmal Gelegenheit, die Operation auszuführen.
Die Operationen wurden alle im Hause der Patienten gemacht.
Zweimal kam Äthertropfnarkose, dreimal Lokalanästhesie in An¬
wendung. Als Methode benutzte ich die intraperitoneale Omento¬
pexie.
1. Fall. Wirt, 36 Jahre alt, klagt seit längerer Zeit über Magen¬
darmbeschwerden und Anschwellung des Leibes. Die Untersuchung
ergibt bei dem gut genährten Patienten einen stark meteoristisch-
geblähten Leib mit Dämpfung in den abhängigen Partien, Undu-
lation und Aufhellung der Dämpfung bei Lagewechsel. Die Leber
reicht drei Querfinger breit unter den Rippenbogen. Die Milz ist
vergrössert. Abusus in alcoholicis.
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H. LADEN BERGER,
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Differentialdiagnostisch kam tuberkulöse Peritonitis imd Ini¬
tialstadium der Leberzirrhose in Betracht. Die völlige Gesundheit
der Lungen und der bei dem Beruf des Patienten wahrscheinliche
und auch zugestandene reichliche Genuss von alkoholhaltigen Ge¬
tränken Hess die Diagnose: Initialstadium der Leberzirrhose wahr¬
scheinlicher erscheinen.
Herz, Lunge und Nieren sind gesund.
Bei der ohne vorhergehende Punktion vorgenommenen Ope¬
ration wurde der Befund bestätigt. Die Menge des Aszites war
gering. Das Bauchfell war glatt, ohne Knötchen.
Der Erfolg war ein sehr guter. Es entwickelte sich in den
nächsten 3—4 Wochen ein starkes subkutanes Venennetz. Der
Meteorismus verschwindet.
Die Operation fand im Frühjahr 1902 statt. Seitdem befindet
sich der Patient wohl und ist arbeitsfähig. Kein Bauchbruch.
2. Fall. 56 jährige Frau, die seit einem halben Jahre eine An¬
schwellung des Leibes bemerkt, die sie auf den eingetretenen Wechsel
zurückführt. '
Abgemagerte, leicht ikterische Frau mit starkem Aszites und
Milztumor. Leber nicht palpabel, Dämpfung verkleinert. Keines der
bekannten ätiologischen Momente nachweisbar.
Ausser leichter Bronchitis sind keine Veränderungen an Herz,
Lunge und Nieren nachweisbar.
Diagnose: Atrophische Leberzirrhose.
Ohne vorherige Punktion wird die Talma’sche Operation!
gemacht. Zur leichteren Entleerung des Aszites wurde der Schnitt
unterhalb des Nabels gemacht und dort das Netz fixiert. Bauch¬
fell glatt; Leber verkleinert, granuliert.
Der Aszites sammelt sich nicht wieder an. Dagegen entwickelt
sich hochgradiger Meteorislmus, der nach starker Entleerung des
Darmes verschwindet, aber immer wiederkehrt. Wie schon erwähnt,
nehme ich an, dass das Colon transversum durch das herabgezogene
Netz geknickt und stenosiert wurde. Der Ikterus bleibt bestehen.
Sechs Monate später starb die Patientin an einer Influenza¬
pneumonie. Ein Bauchbruch war nicht aufgetreten.
3. Fall. 50 jährige, seit vielen Jahren herzleidende Frau, die
schon oft an Ödemen litt. Das Herz ist Hach beiden Seiten ver¬
breitert; die Töne sind rein. Leber und Milz sind vergrössert. Der
Puls ist unregelmässig. Zur Zeit der Ödeme ist die Urinmenge ver¬
mindert, der Urin eiweisshaltig. Mit Besserung der Herzkraft, her¬
beigeführt durch reichliche Darreichung von Digitalis, schwinden
die Ödeme, der Urin wird eiweissfrei, der Aszites bleibt aber be¬
stehen. So bestand der Aszites während • mehrerer Jahre, während’
die Ödeme wechselten.
Diagnose: Cirrhose cardiaque.
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27]
Die Talma'sche Operation.
167
Nach mehrmaligen Punktionen wird die Talma’sche Opera¬
tion gemacht.
Nach ca. sechs Wochen sammelt sich der Aszites langsam
wieder an und bleibt bestehen, ohne eine neue Punktion nötig zu
machen.
Nach ca. einem Vierteljahre erkrankt die Patientin unter den
Erscheinungen eines Choledochusverschlusses und stirbt.
Die Sektion ergibt eitrige Peritonitis infolge Perforation der
steinhaltigen Gallenblase. Choledochusstein. Das Netz ist fest ver¬
wachsen und die Adhäsionen sind stark vaskularisiert.
Ein Zusammenhang der zum Tode führenden Erkrankung mit
der Netzfixation ist wohl auszuschliessen.
4. Fall. 60 jähriger Wirt, seit Jahren krank und wegen Aszites
schon oft punktiert. Bei der letzten Punktion war der Aszites stark
bluthaltig.
Nach Ablassen des Aszites lässt sich nachweisen, dass die
Leber verkleinert, die Milz vergrössert ist. Abusus in alcoholicis.
Es besteht Lungenemphysem mit chronischer Bronchitis. Herz
und Nieren ohne Befund.
Diagnose: Alkoholische atrophische Leberzirrhose.
Bei der Operation ist das Netz so fettreich und verdickt, dass
die Faszie darüber nicht vereinigt werden kann.
Bei dem rasch sich wieder ansammelnden Aszites platzt die
Hautnaht.
Patient wird verwirrt, steht auf und geht spazieren. 8 Tage
nach der Operation ist schon wieder eine Punktion nötig, bei der
wieder stark bluthaltiger Aszites entleerrt wird. Bei der Operation,
war die abfliessende Flüssigkeit ganz klar. Als Ursache für die
Blutbeimengung konnte nur das stark vaskularisierte Bauchfell in
Betracht gezogen werden. Die Blutung bei der in der Mittellinie*
vorgenommenen Punktion muss als Blutung e vacuo infolge der Druck¬
verminderung im Bauchraum aufgefasst werden.
24 Stunden nach der Punktion starb der Patient im Kollaps.
5. Fall. 60jähriger Wirt, seit ca. einem Vierteljahre krank;
öfters punktiert, zuletzt alle 10—14 Tage, wobei immer 10—12 Liter
Flüssigkeit abgelassen wurden.
Die Leber ist verkleinert, die Milz vergrössert. Über den
Lungen hinten unten sind bronchitische Geräusche zu hören. Herz
und Nieren sind gesund. Allgemeinzustand gut.
Diagnose: Alkoholische atrophische Leberzirrhose.
Bei der Operation ist das Netz mit der Bauchwand leicht
verklebt.
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H. LADENBERGER,
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13 Tage nach der Operation war noch einmal eine Punktion
nötig, bei der aber nur 6 Liter entleert wurden. Seitdem war der
Aszites verschwunden.
Ein Vierteljahr nach der Operation starb der Patient an einer
Bronchopneumonie.
Irgend einen Schluss kann man natürlich aus dieser kleinen
Zahl von Operationen nicht ziehen. Ein länger dauernder Erfolg
wurde nur im 1. Fall erzielt, bei dem unter äusserst günstigen Um¬
ständen operiert werden konnte. Auch im 2. und 5. Fall kann wohl
von einem Erfolg gesprochen werden, da der Aszites verschwand.
Interkurierende Erkrankungen führten in diesen Fällen bald nach
der Operation zum Tod, ohne dass der Operation irgend eine Schuld
daran angerechnet werden kann. Dieses Schicksal wird immer drohen,
wenn man zu spät operiert oder wenn die Krankheit sehr früh
ihren schädlichen Einfluss auf den Organismus zur Wirkung bringt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass theoretische, klinische
und experimentelle Erfahrungen dafür sprechen, dass der durch
Pfortaderstauung hervorgerufene Aszites durch die T a 1 m a ’sche Ope¬
ration beseitigt werden kann. Theoretische Überlegungen lassen es
im höchsten Grade wahrscheinlich erscheinen, dass den Blutungen
bei Pfortaderstauungen durch frühzeitige Operation vorgebeugt und
die Wiederholung von Blutungen durch die Operation verhütet
werden kann.
Indiziert ist die Operation:
I. bei Stenose des Pfortaderstamms,
II. bei Erkrankungen der Verzweigung der Pfortader in der
Leber. Dazu gehören:
a) die Leberzirrhose und zwar sowohl die atrophische Form
als auch die hypertrophische Form mit Ikterus und die
Mischformen,
b) die Cirrhose cardiaque, wenn auch hier der Erfolg sehr
zweifelhaft ist,
c) die Zuckergussleber und die Pick’sche perikarditische
Pseudoleberzirrhose.
Bei diesen Erkrankungen kommt zunächst die Kardiolyse in
Betracht und die Talma ’sche Operation erst in zweiter Linie.
d) Die B a n t i ’sche Krankheit im 3. Stadium, und zwar
scheint es zweckmässig, die Milzexstirpation mit der
Omentopexie zu verbinden.
Kontraindikationen sind schwerere komplizierende Erkran¬
kungen des Herzens, der Lungen, der Nieren und schwerer Ikterus.
Als Methode scheint die intraperitoneale Netzfixation zu ge¬
nügen. Sie ist die einfachste, ungefährlichste und deshalb gerade
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29]
Die Talm&’sche Operation.
169
bei diesen Erkrankungen am empfehlenswertesten. Besonders be¬
deutungsvoll ist, dass sie in Lokalanästhesie ausgeführt werden kann.
Die Resultate sind bis jetzt noch wenig befriedigend, da auch
die besten Statistiken höchstens 50 Prozent Dauerheilungen auf¬
weisen.
Es wäre zu untersuchen, ob nicht die Resultate durch Ver¬
änderung der Technik zu verbessern wären. Dabei kommen die
Vorschläge Ito’s und Omi’s und die Bunge’s in Betracht. Wenn
der Vorschlag Omi’s, durch Tamponade eine Verwachsung der
Därme untereinander und mit der Bauchwand und damit eine Ver¬
ödung der Bauchhöhle zu erzielen, wegen der Gefahr der Darmblutung
nicht zweckmässig ist, wäre auf den Vorschlag Bunge ’s, die Spleno-
pexie mit der Omentopexie zu kombinieren, zurückzukommen.
Durch sorgfältige Auswahl der Fälle, genaue Diagnose und Be¬
rücksichtigung der Indikationen und Kontraindikationen sind die
Resultate sicher bedeutend zu bessern.
Bezüglich des Zeitpunktes der Operation ist zu bemerken,
dass jede Blutung bei Pfortaderstauung die Operation sofort indiziert.
Bei Aszites soll nicht länger gewartet werden, als bis die Diagnose
einer Pfortaderstauung sicher feststeht. In Praxis heisst das, dass
man die Operation nach der ersten Punktion machen soll, wenn der
Aszites sich wieder ansammelt. Auf den der Stauung zugrunde
liegenden Krankheitsprozess hat die Operation keinen heilenden Ein¬
fluss, auch auf eine Beseitigung des Ikterus darf nicht gerechnet
werden.
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Literaturverzeichnis.
L Bozzolo, Pericardite latente; pseudocirrosi del fegato. Glinica moderna 1898.
Nr. 7. Bef. Zentralbl. f. innere Medizin. 1899. Nr. 28.
2. Bange, Die Talma-Drummond sehe Operation. Jena. 1905.
3. Carschmann, Zur Differentialdiagnostik der mit Aszites verbundenen Erkran¬
kungen der Leber und des Pfortadersystems. Deutsche med. Wochenschrift
1884. Nr. 35.
3a. Derselbe, Diskussion aber den Vortrag: Venenerweiterungen bei Leberzirrhose.
Ebenda. 1884. 8. 633.
3b. Derselbe, Über tödliche Blutungen bei chronischer Pfortaderstauung. Deutsche
med. W. 1902. Nr. 16. S. 289.
4. Drummond-Morison, siehe bei Talma, Literaturverzeichnis.
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Bd. 23. 1902.
6. Franke, Verhandlungen der deutschen Gesellschaft fflr Chirurgie. 1902. S. 101.
7. GriBson, Operative Heilung eines Stauungsaszites. Deutsche med. W. 1902.
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8. Heidemann, Über Folgezust&nde von perikardialen Obliterationen. Berl. klin.
Wochenschr. 1897. Nr. 5 u. 6.
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10. Hess, Über Stauungen und chronische Entzündungen in der Leber und den
serösen Höhlen. Habilitationsschrift, Marburg 1902. Bef. Zentralbl. f. innere
Medizin. 1903. Nr. 36.
11. Joachim, Über die Bedeutung des Nachweises von Blutspuren in den Fäzes.
Berl. klin. W. 1904. Nr. 18.
12. Klopstock, Über Milztumor, Ikterus, Aszites bei Leberzirrhose. Virchow’s
Archiv. Bd. 187. 1907.
13. Kretz, Diskussionsbemerkungen zu Pal'8 Vortrag.
14. Küs8ner, Über Leberzirrhose. Volkmann's Sammlung klinischer Vorträge.
Nr. 141.
15. Lossen, Zur Kenntnis des Ban tischen Symptomenkomplexes. Grenzgebiete.
Bd. 13. 1904.
16. Mahakjan, C. N., Pfortaderthrombose. Beferiert Zentralbl. f. innere Medizin.
1907. Nr. 5.
17. Meyer, H., Ein Fall von Aszites infolge von Pfortaderkompression, geheilt
durch die Talma sehe Operation. Beiträge z. klin. Chirurgie. Bd. 50. H. 2.
18. Monprofit, Referat über die chirurgische Behandlung der Leberzirrhose auf
dem 17. französischen Chirurgenkongress. 1904.
19. Malier, Zur Frage der operativen Asatesbehandlung bei Pfortaderkompression.
Zeitschr. f. klin. Chirurgie. Bd. 66.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
31] Literaturverzeichnis. 171
20. Nachod, Zur Kenntnis der perikarditischen Psendozirrhose. Prager med. W.
1898. Nr. 23.
21. Narath, Über die subkutane Verlagerung des Omentum. Zentralbl. f. Chir.
1905, Nr. 82.
21a. Neumann, Zur Frage der operativen Behandlung des Aszites bei Leberzirrhose.
D. med. W. 1899. Nr. 26.
22. öttinger, W., Beitrag zur Talmaschen Operation. Inaug.-Dissertation.
Breslau 1904.
23. Omi, Weitere experimentelle Untersuchungen zur Frage der Talma sehen
Operation. Beitr. z. klin. Chirurgie. Bd. 58. S. 446.
24. Ito-Omi, Klinische und experimentelle Beiträge zur chirurgischen Behandlung
des Aszites. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. 62.
25. Pal, Operative Behandlung des Aszites nach Talma. Wiener klin. W. 1902.
Nr. 275.
26. Pick, Über chronische, unter dem Bilde der Leberzirrhose verlaufende Perikar¬
ditis. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 29. 1896.
27. Rommel aide, La pathologie de la veine porte. Ref. Zentralbl. f. Chirurgie.
1908. Nr. 45.
28. Rose, M.. Über Zuckergussleber und die fibröse Polyserositis. Würzburger Ab¬
handlungen. Bd. IX. Heft. 5.
29. Schiassi, La Deviation chirurgicale du sang de la veine porte. La semaine
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30. Schupfer, Sopra le ascite che si asservano ne malati con sinechia del peri-
cardio. Ref. Z. f. innere M. 1898. Nr. 28.
31. Siegert, Über die Zuckergussleber und die perikarditische Pseudoleberzirrhose.
Virchow’s Arch. Bd. 153,
32. Talma, Chirurgische Eröffnung neuer Seitenbahnen für das Blut der Vena Portae.
Berl. klin. W. 1898. Nr. 38.
32a. Derselbe, Ebenda. 1900. Nr. 81.
32b. Derselbe, Ebenda. 1904. Nr. 34.
33. Tansini, Die Splenektomie und die Talmasche Operation bei der Ban ti¬
schen Krankheit Arch. f. kl. Chir. Bd. 67. 1902.
34. Thiel, A., Beitrag zur operativen Behandlung der Bantischen Krankheit.
Deutsche Zeitschr. f. Chir. Bd. 84.
35. Ti 11 mann, Über die chirurgische Behandlung des Aszites. Deutsche med. W.
1899. Nr. 18.
36. Umber, Beitrag zur Pfortaderobiiteration. Mitteilungen aus den Grenzgebieten.
Bd. 7. 1901.
87. Werbatus, C., Ein Beitrag zur perikarditischen Pseudoleberzirrhose. Inaug.-
Dissert Erlangen 1898. Ref. Z. f. innere M. 1899. Nr. 28.
38. White, S., Surgical treatment of ascites secondory to vascular cirrhosis ofthe
liver. Brit med. journ. 1906. Ref. Z. f. Chir. 1907. Nr. 5.
39. Welp, Die Talmasche Operation bei Leberzirrhose. Kehr’s Beitrüge zur
Bauchcbirurgie 1902.
40. Westenhöffer, Ein Beitrag zum anormalen Kollateralkreislauf des Pfortader¬
systems bei Leberzirrhose. Berliner med. Ges. am 12. Nov. 1907. Ref. Deutsche
med. Wochenschr. 1907, S. 1561.
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Anhang.
Ich habe die Kasuistik Banges weiterzufahren versucht, soweit es bei der
mir zur Verfügung stehenden Literatur möglich war.
1. Milchner, R., Alkoholische Leberzirrhose bei einem 8jfthrigen Kind. Die
Chancen der Operation. Therapie der Gegenwart 1904. Nach erfolgloser innerer
Behandlung Omentopexie. Nach 14 Tagen Tod an Herzschwäche. Caput Me-
dusae ausgebildet.
2. öttinger, W., siehe Literaturverzeichnis. 8 Fälle aus der Klinik Miculicz,
davon 2 gestorben, 1 gebessert.
3. Guillot, M., und G. Courbet, De l'omentopexie sushepatique (modificatiou
de l’operetion de Talma.) Eef. Zentralblatt f. Chirurgie. 1905. Nr. 6. 47 jähriger
Patient, der in 10 Wochen 9mal punktiert werden musste, wobei jedesmal
12—15 1 entleert wurden. Leber herabgezogen, Netz an das Ligamentum falci-
forme geheftet und ausserdem mit 3 von den 6 Bauchdeckennähten gefasst In
den nächsten 4 Wochen nach der Operation musste noch 4 mal punktiert werden.
Vs Jahr später ist Patient frei von Aszites und Beschwerden.
4. Ceccherelli, Contributo alla cura chirurgica della cirrosi epatica. Ref. Zen¬
tralblatt f. Chirurgie. 1905. Nr. 43.
1. 35jähriger Mann stirbt einige Tage nach der Operation an Blutung aus öso-
phagusvaricen.
2. 69jährige Frau stirbt nach 6 Monaten an Gehirnblutung.
3. 38jähriger Mann wird geheilt. Nach der Operation ist noch eine Punktion
nötig.
Nach Versuchen mit Zanoni stellt er fest, dass bei Kaninchen die Blutversor¬
gung der transplantierten Teile zwischen Muskeln und Haut schlechter
erfolgt als zwischen Bauchfell und Muskeln. Die Gefässneubildung tritt
schon nach 5 Tagen ein.
5. Cignozzi, Operation bei Leber-Zirrhose mit Aszites. Ref. Deutsche med. W.
1905. Nr. 10. S. 396.
1 Fall von Muskatnussleber und 1 Fall von atrophischer Zirrhose; beide geheilt
6. Bin di, Heilung einer Leber-Zirrhose durch die Talma’sche Operation. Ref. D.
m. W. 1905. Nr. 44. S. 1772.
Empfehlung der Operation. Kasuistik.
7. Maragliano, Neue Gefahr der Talmaschen O peration. Gazz.d'ospe-
dali Nr. 115. Ref. D. m. W. 1905. Nr. 41. S. 1653.
3 Tage nach der Operation stirbt Patient unmittelbar nach starkem Brechen
unter den Zeichen einer inneren Blutung. Die Sektion deckte als Quelle
der Blutung ein zerrissenes Gefäss des fixierten Netzes. Diese Ruptur ist
so zu erklären, dass der durch die Operation in seinen Bewegungen ge¬
hemmte Magen beim Brechen am Netz gezerrt hatte.
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33] Anhang. 171?
8. Wheeler, The Talma-Morisonoperation, with a rapport of a successful case.
Ref. Zentralbl. f. Chir. 1906. Nr. 3.
1 Fall von wahrscheinlich hypertrophischer Zirrhose mit schwerem Aszites
dauernd und völlig geheilt 6 Wochen nach der Operation musste durch
Punktion 2 1. Aszites entleert werden.
9. Frank, Über Talma-Operationen. Wiener klin. W. 1906. Nr. 4.
2 Fälle, längere Zeit punktiert Splenopexie. Im 1. Fpll völlige Heilung seit
4*;t Monaten; im 2. Fall deutliche Verringerung des nach der Operation
wieder aufgetretenen Aszites.
10. Monroe, T. K., and A. N. Mc. Gregor, A successful case of epiplopexy for
cirrhosis of the liver. Z. f. innere Med. 1907. Nr. 6.
40jähriger Patient mit Aszites und Hämatemesis. Nach 8 Monaten Aszites ver¬
schwunden, arbeitsfähig. Milz noch vergrössert.
11. Turner, C., The cur of ascites by Operation. Ref. Z. f. Ch. 1907. Nr. 5.
16 Fälle von Rüther Ferd.-Morison.
5 endeten wenige Tage nach der Operation tödlich. *
3 an Pneumonie, 1 an Urämie, 1 an Cholämie.
Von 11 überlebenden Patienten starben 5 späterhin und zwar
6 Jahre später an Aszites und Urämie,
2 * , „ Cholämie nach der Operation des Bauchbruchs,
19 Monate später an Bluterbrechen; nach der Operation 69mal punktiert,
5 „ „ „ Cholämie und Lebersyphilis,
4 „ „ „ Karzinose des Bauchfells. ’
Von den 6 übrigen wurden 5 wieder aufgefunden, die 7, 2 1 ?, 1—*/a Jahr
nach der Operation gesund sind, einer zeigte 3 1 !a Jahr nach der Operation
Rückkehr der früheren Symptome.
12. Tilmann-Köln berichtet auf dem 35. Mittelrheinischen Ärztetag zu Godesberg
am 2. Juni 1907 (Münch, med. Wochenschrift 1907, S. 1403) über 7 Fälle und
zwar 4 Fälle von Leberzirrhose, 2 von Zuckergussleber und 1 von perikarditischer
Pseudoleberzirrhose. Iu allen Fällen war schon mehrfach punktiert worden.
1 Frau starb nach 8 Wochen an Erschöpfung.
2 Fälle sind erst 8 resp. 10 Wochen alt, daher noch kein deutlicher Erfolg be¬
merkbar.
4 Fälle hatten Erfolg; sie sind 4, 5, 15 und 24 Monate ausser Behandlung.
Seine Methode besteht in Anätzung des Netzes und der vorderen Bauch wand
mit Sublimat und Fixierung des Netzes an der Bauchwand mit einigen
Nähten. Ein Erfolg ist nach 2-3 Monaten zu erwarten.
13. Van der Velde nnd Nörser, Leberzirrhose, Aszites, Talma’sche Operation.
Journ. de Bruxelles Nr. 30. Ref. Deutsche med. Wochenschrift 1907, S. 940.
1 Fall dauernd geheilt.
14. El bogen, Tal mansche Operation. Wiener med. Wochenschrift 1907, Nr. 3/4.
Narath’s Modifikation der Talma’schen Operation unter Lokalanästhesie bei
einem Fall von Leberzirrhose mit hochgradigem Aszites. Erfolg. Exitus nach
5 Monaten am Grundleiden.
14. Marocchi. Über die späteren Ausgänge der Tal manchen Operatiou. L’os-
pedale Maggiore A. 1906, Nr. 2 3. Ref. Münchner med. Wochenschr. 1907, S. 282.
Aus dem Material des Mailänder Stadtkrankenhauses zieht er folgende Schlüsse:
Die besten Resultate erzielt man bei der gefahrlosen Operation je früher man
operiert; bei den venösen hypertrophischen Zuständen der Leber sind die Resul¬
tate recht gut; einige Zeit nach der Operation tritt eine Besserung der Leber¬
funktion ein.
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Anhang.
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fl*
15. Scarpini, 2 Fälle von Leberzirrhose mit chirurgischer Deviation des Blotes
der Pfortader. La clinica moderne 1906, Nr. 23. Empfehlung der Operation.
16. M eisei, Verein Freiburger Ärzte, 25. I. 1907. Münchener med. Wochen sehr
1907, S. 962.
Ein geheilter Fall.
17. L i e b 1 e i n (Prag), Klinische Beiträge znr Talma 'sehen Operation. Prager med.
Wochenschr. 1908, Nr. 2. Bericht über 15 Fälle aus Wölfl er's Klinik. In
3 Fällen musste man sich wegen Schrumpfung oder Verwachsung des Netzes
auf eine Probelaparotomie beschränken.
Von den 12 anderen starben 4 im Anschluss an die Operation an eitriger Peri-
tonitis, in 2 davon war neben Netzanheftung noch die suprapubische
Drainage der Bauchhöhle gemacht worden.
In den zwei anderen trat am Ende der 2. Woche Platzen der Bauchnaht und
Prolaps der Eingeweide ein.
Ein Fall starb 3 Tage nach der Entlassung an Pneumonie.
Von den 7 länger lebenden Fällen war die Operation in 2 vollständig erfolglos,
in 2 trat vorühergehende Besserung ein, in den 3 übrigen ist der Aszites
seit 13-22 Monaten geschwunden. Also 25°/o Heilungen.
Lieb lein erklärt den Misserfolg in anscheinend günstigen Fällen durch die
Annahme, dass der Aszites oft toxischer oder entzündlicher Natur sei.
18. CorBon, Narath's modification of Talma's Operation for hepatic-cirrhosis. Annais
of surgery 1907, December. Ref. Zentralbl. f. Chir. 1907, Nr. 11.
Corson Ist ein grosser Anhänger der von Narath bei Leberzirrhose emp¬
fohlenen subkutanen Einpflanzung des Netzes. Er glaubt, dass diese
Operation ungefährlicher und sicherer sei. Ein erfolgreich operierter Fall
wird beschrieben.
Das sind also 54 Fälle mit 22 (40,8 °/o) Mortalität, davon sind 14 unmittelbar
nach der Operation, 8 später gestorben ; 5 Fälle zeigten vorübergehende
Besserung und 24 (44,4 °/o) sind geheilt. Zusammen sind es 274 + 54 =
328 Fälle mit 83 -f 24 = 107 Heilungen. Also auch hier wieder etwa
30°/o. Auffällig ist die grosse unmittelbare Mortalität.
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Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden
und seine Diagnose.
Von
Dr. Richard Veckenstedt,
Spezialarzt für Ohren-, Nasen- und Halsleiden in Düsseldorf.
Vorwort.
Uber den Kopfschmerz als Erkennungszeichen einer bestimmten
Krankheit oder Krankheitsgruppe zu schreiben, dürfte auf den ersten
Blick als ein gewagtes Unternehmen erscheinen. Ist doch der Kopf¬
schmerz, wie der Schmerz überhaupt, ein seinem ganzen Wesen
nach bisher noch unerforschtes, rein subjektives Gefühl, von dessen
Vorhandensein, Sitz, Beschaffenheit und Stärke uns nur das davon
betroffene Individuum Aufschluss geben kann. Da wir nicht imstande
sind, ihn objektiv bei dem Patienten festzustellen, so sind wir aus¬
schliesslich auf die Schmerzäusserungen angewiesen, wie sie sich
uns in seinen Schilderungen und seinem Benehmen darstellen. Das
trifft auch für die Fälle zu, in denen es uns gelingt, den Kopfschmerz
durch äussere Massnahmen, z. B. durch Druck willkürlich hervor¬
zurufen.
Naturgemäss sind die Schmerzäusserungen verschieden, je nach
dem Bildungsgrade und der Beanlagung des Kranken. Der intelligente
und für seine Gesundheit besorgte Patient wird uns eine detaillierte
Beschreibung seines Schmerzes geben können, wobei er selbst die
leisesten Nebenempfindungen und seelischen Stimmungen nicht ver¬
gisst, wogegen der ungebildete, indolente Kranke sich meist weder
eine genaue Rechenschaft darüber gibt noch seinen Gefühlen einen?
klaren Ausdruck verleihen kann. Ebenso variabel ist der Aufschluss,
den wir vom Kranken über den Grad der Schmerzempfindung er¬
halten, da dieser offenbar von der Fähigkeit des Individuums,
Schmerzen zu ertragen, abhängig ist.
Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 8. 13
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176
R. VECKENSTEDT,
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Trotz dieser Schwierigkeiten ist es aber möglich, sich durch
Vergleichung einer grossen Zahl hinsichtlich Ursache und Wirkung
gleichgearteter Fälle ein ziemlich klares und sicheres Bild von dem
im Einzelfalle vorhandenen Kopfschmerz zu machen. Das gilt
namentlich vom nasalen Kopfschmerz, dessen Entstehungsursache
direkter Untersuchung zugänglich ist. Wenn auch seine Vielgestaltig¬
keit zunächst einen verwirrenden Eindruck hervorzurufen imstande
ist, so lassen sich doch bei genauerem Studium einzelne, wohl
charakterisierte Formen herausheben, welche für die Diagnose von
Wert sein können.
Nachdem zuerst Hack im Jahre 1882 in seinen Aufsehen er¬
regenden Veröffentlichungen den Zusammenhang von Reflexneurosen
und Nasenleiden betont hat und im Jahre 1893 Scheinmann
und B r e s g e n auf die Abhängigkeit des Kopfschmerzes von Nasen¬
leiden hingewiesen haben, soll die vorliegende Abhandlung im Hin¬
blick auf die Wichtigkeit dieser noch nicht genug gewürdigten Tat¬
sache unter Zugrundelegung von seitdem gemachten fremden und
auch eigenen Erfahrungen erneut die Aufmerksamkeit auf den nasalen
Kopfschmerz lenken und zugleich die Frage zu beantworten suchen,
inwiefern die einzelnen Formen desselben auf das Vorhandensein
von Nasenleiden schliessen lassen.
Meine Abhandlung erhebt somit nicht den Anspruch, etwas
durchaus Neues bieten zu wollen, sondern sieht ihren Zweck viel¬
mehr darin, einem offenbaren praktischen Bedürfnis entgegen zu
kommen, wobei ich der Zustimmung meiner Spezialkollegen gewiss
zu sein glaube.
Das quälendste Symptom, das bei Nasenkrankheiten auftreten
und durch seine Heftigkeit alle anderen Begleiterscheinungen völlig
in den Schatten stellen kann, ist zweifellos der Kopfschmerz. Von
•den leisesten „Mahnungen“ an kann er sich durch alle Intensitäts¬
grade hindurch zu einer so unerträglichen Heftigkeit steigern, dass
er den davon Befallenen bis zur Raserei, ja bis zu ernsthaften Selbst¬
mordgedanken treibt. Aber selbst wenn er sich in erträglichen
Grenzen hält, vermag er doch jede geistige oder körperliche An¬
strengung unmöglich zu machen und jeden Lebensgenuss zu ver¬
kümmern. Dies ist um so bedauerlicher, als der nasale Kopfschmerz
im Gegensatz zu dem durch andere Krankheiten hervorgerufenen
keiner mehr oder [weniger langen Kur zu seiner Heilung bedarf,
sondern durch sachgemäss eingeleitete bezw. operative Behandlung
des Grundleidens fast stets und oft mit einem Schlage beseitigt
werden kann.
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3] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 177
Leider aber wird sein Ursprung noch häufig verkannt und
mit der bequemen Diagnose „Nervosität“ abgetan, was besonders
dann der Fall zu sein pflegt, wenn er das einzige Symptom ist.
Dementsprechend werden dann ohne jeden oder bleibenden Erfolg
alle möglichen Kopfschmerzenmittel, Naturheilverfahren, Elektrizität,
Sanatoriumaufenthalt und andere Kuren versucht, bis sich der
Kranke, die Erfolglosigkeit derselben einsehend, entweder einer
stumpfen Resignation ergiebt oder aus Zufall vor die richtige
Schmiede kommt.
Trotz der bedeutenden Fortschritte, welche in den letzten fünf¬
zehn Jahren die Erkennung und Behandlung von Nasenleiden ge¬
macht hat, weiss noch heutzutage jeder Nasenarzt über zahlreiche
Fälle aus seiner Praxis zu berichten, in denen die den Kopfschmerz
verursachende Nasenaffektion vollständig übersehen wurde, ja auch
dann noch übersehen wurde, wenn andere Symptome, als Ver¬
stopfung der Nase, eitriger Ausfluss und Störung der Geruchs¬
empfindung zu einer Untersuchung des Naseninnem geradezu her-
ausfordem mussten. Dass diese Versäumnis häufig nicht ohne un¬
angenehme Folgen für den Ruf des Arztes und die Gesundheit des
Patienten abgeht, ist nicht zu verwundern. Schon in den minder
schweren Fällen ist es recht # peinlich, auf die erstaunte Frage des
Kranken, weshalb ihn der behandelnde Arzt nicht schon längst auf
sein Nasenleiden aufmerksam gemacht und ihn in sachgemässe Be¬
handlung gegeben habe, eine beschwichtigende Ausrede finden zu
müssen. Aber weit unangenehmer wird die Situation, wenn ausser
dem Kopfschmerz erst noch bedrohliche Erscheinungen von seiten
des Gehirns oder des von der Nase nach der Augenhöhle durch¬
brechenden Eiters oder Tumors in Gestalt des seitwärts verlagerten
oder nach vorn getriebenen Augapfels den Anlass zu der bisher ver¬
säumten rhinoskopischen Untersuchung und Behandlung geben
müssen, zumal wenn sie zu spät kommt und die Unterlassungssünde
nicht wieder gut gemacht werden kann. In Anbetracht der oft lang¬
jährigen Qualen, die der Patient, ich möchte sagen unnötigerweise, er¬
litten hat, erscheint seine Entrüstung manchmal wohl begreiflich.
Allerdings gibt es Fälle von nasalem Kopfschmerz, die so wenig
charakteristisch sind, dass ihr Zusammenhang mit Nasenleiden nicht
ohne Weiteres festzustellen ist, und in denen selbst ein erfahrener
Spezialist grosse Mühe und Geduld aufwenden muss, um den ge¬
nauen Sitz der Erkrankung in der Nase zu erkennen und durch Be¬
seitigung der Kopfschmerzen die Probe auf die Richtigkeit seiner
Diagnose und Behandlung zu machen. Auch kommt es bisweilen
vor, dass ein Patient so sehr von dem Nichtvorhandensein einer
Nasenaffektion überzeugt ist, dass er die ihm vorgeschlagene rhino-
skopische Untersuchung mit der Bemerkung für überflüssig erklärt,
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178
R. VECKENSTEDT,
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dass er „in der Nase nichts habe“ und die Kopfschmerzen unmög¬
lich davon herrühren könnten. Andererseits deutet aber nicht selten
die Art und der Sitz derselben von vornherein mit hoher Wahr¬
scheinlichkeit auf ein Nasenleiden hin, so dass auch der nicht mit
allen Untersuchungsmethoden vertraute oder aus äusseren Gründen
in ihrer Anwendung behinderte Arzt zur richtigen Diagnose „Nasen¬
kopfschmerz“ gelangen und das Weitere veranlassen kann, da die
genaue Lokalisation des Leidens natürlich stets erst einer eingehen¬
den Untersuchung des Naseninnern Vorbehalten bleiben muss.
Wenn ich zunächst der Frage näher trete: Was ist Kopf¬
schmerz?, so möchte ich diesen Begriff dahin präzisieren, dass ich
darunter nicht nur den Schmerz im Schädel, sondern auch am
Schädel verstehe. Dann lassen sich drei Formen von Kopfschmerz
bei Nasenleiden unterscheiden, der lokale, der lediglich die En¬
digungen sensibler Nerven in der Schleimhaut der Nase imd ihrer
Nebenhöhlen, der neuralgische, der die gesamten Verbreitungs-
bezirke derselben vom Austritt aus dem Gehirn an, und der zere¬
brale, der das Gehirn mit seinen Häuten betrifft. Diese drei Formen
können verschiedene Kombinationen miteinander eingehen, aber weil
jede sowohl für sich auftreten kann als auch von verschiedener
Wichtigkeit für die Diagnose ist, halte ich ihre gesonderte Be¬
sprechung für nötig.
Der lokale Kopfschmerz.
Der lokale Kopfschmerz bei Nasenleiden beschränkt sich auf
die Endausbreitung des sensiblen ersten und zweiten Trigeminus¬
astes. Und zwar ist es vom ersten Ast der Nervus ethmoidalis, der
die vorderen Abschnitte der Nasenhöhle und das Septum, die vor¬
deren Siebbeinzellen und die Stirnhöhle sowie die äussere Haut
der Nase bis zur Spitze und die der Stirn von der Mittellinie nach
auswärts etwa bis zur Mitte der Augenbraue mit Gefühlsfasern
versorgt, während vom zweiten Ast die Nervi dentales superiores
sich auf dem Boden der Nasenhöhle und in der Kieferhöhle verbreiten,
und drittens die Zweige des Ganglion sphenopalatinum in den
hinteren Abschnitten der Nasenschleimhaut und des Septums so¬
wie in den hinteren Siebbeinzellen und in der Keilbeinhöhle die
Gefühlsempfindung vermitteln. Die Kenntnis von der Abgrenzung
dieser drei Gefühlszonen in der Nase ist deshalb von Bedeu»
tung, weil sie Schlüsse auf die Lokalisation von Nasenleiden zulässt.
Wir werden nämlich nicht fehlgehen, wenn wir dementsprechend
Schmerzen am oberen, inneren Augenwinkel oder über der Augen¬
braue auf eine Erkrankung des vorderen Abschnittes der Nasen¬
höhle, der Stirnhöhle oder des vorderen Siebbeines, Schmerzen in
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5] Der Kopfschmerz als h&nfige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 179
der Tiefe des Kopfes auf eine Erkrankung des hinteren Abschnittes
der Nasenhöhle oder der Keilbeinhöhle und Schmerzen in der Wange
oder Zahnschmerzen bei intaktem Gebiss, die sich nach der Wange
oder Nase hinziehen, auf eine Erkrankung der Kieferhöhle oder
des Nasenbodens beziehen.
Als Ursachen für die Entstehung von lokalen Schmerzen
kommen fast nur die akuten Nebenhöhlenentzündungen respektive
die Exazerbationen der chronischen Nebenhöhlenentzündungen und
ausserdem geschwürige Prozesse in Betracht.
Bei den akuten Nebenhöhlenentzündungen pflegt
die Schmerzhaftigkeit im Höhestadium der Erkrankung fast stets
vorhanden und so streng lokalisiert zu sein, dass der Patient selbst
manchmal imstande ist, den genauen Sitz der Schmerzen mit Sicher¬
heit zu beschreiben oder sogar durch eine mit dem Finger gezogene
Linie abzugrenzen. Dies ist hauptsächlich der Fall bei dem akuten
Empyem der am oberflächlichsten von allen Nebenhöhlen gelegenen
Stirnhöhle. Objektiv lässt sich die erhöhte Empfindlichkeit durch
Betasten der Höhlenwände hervorrufen und zwar mit solcher Prä¬
zision, dass es des öfteren gelungen ist, hiermit die Konturen der
Stirnhöhle an der vorderen Wand festzustellen. Kuhnt hat ge¬
funden, dass die mittelst Kopierstiftes in dieser Weise markierten
Linien vollkommen den nach der Trepanation Vorgefundenen Grenzen!
entsprechen.
Die Druckempfindlichkeit kann so enorm sein, dass
der Kranke schon bei der leisesten Berührung der Stirnhöhlenwand
entsetzt, mit dem Kopfe zurückfährt und zu keiner Wiederholung
der Manipulation zu überreden ist. Aber auch in weniger ausge¬
sprochenen Fällen tritt die lokale Schmerzhaftigkeit beim Beklopfen,
mit dem Zeigefinger oder dem Perkussionshammer in Erscheinung.
Wahrscheinlich rührt sie hier von einer Erschütterung der Knochen¬
wände her, da auch ein stärkeres Klopfen der gesunden Seite durch
Fortpflanzung der Erschütterung Schmerzgefühle auf der kranken
Seite erregen kann. Den höchsten Grad pflegt die Druckempfindlich¬
keit zu erreichen, wenn sich, was aber nur selten vorkommt, eine Per¬
foration entwickelt. Dies erklärt sich daraus, dass derselben ge¬
wöhnlich eine zirkumskripte Periostitis mit Infiltration der Weichteile
vorangeht. Anders verhält sich der Druckschmerz im sogenannten
Ruhestadium der Entzündung, wo Fieber und Reizerscheinungen
verschwunden sind. Während man dann an der Vorderwand der
Stirnhöhle, vielleicht mit Ausnahme einer Stelle an der Nasenwurzel
entsprechend den hier häufig auftretenden spontanen Schmerzen, im
allgemeinen keine druckempfindliche Stelle findet, gehört es selbst
im Stadium der Intervalle zu den seltenen Ausnahmen, wenn der;
Druckschmerz auch an der orbitalen Fläche schwindet, da diese
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erheblich dünner ist als die vordere Stirntafel und überdies sich
an ihr die Perforationen bei Empyemen mit Vorliebe entwickeln.
Vielmehr sind es hier gewöhnlich zwei Stellen: der innere, obere
Augenwinkel und die Stelle hinter der Incisura supraorbitalis, welche
eine ganz exquisite Empfindlichkeit zeigen. Wenn man auch von den
gelegentlich der Perforation an dieser Stelle sich entwickelnden Ge-
websverdickungen und entzündlichen Infiltraten absieht, in deren
Umgebung die Schmerzhaftigkeit eine ganz hervorragende Intensität
erreicht, so zeichnen sich in Fällen, in welchen von einer Usurierung
und Perforation der Orbitalplatte noch gar keine Spur vorhanden ist,
die erwähnten zwei Stellen der Orbitalfläche durch ihre besondere
Druckempfindlichkeit aus, selbst dann, wenn dieselbe an der vorderen
Tafel eine relativ geringfügige ist (Haje k). Sie stellt daher ein wert¬
volles, äusserlich konstatierbares Symptom zur Diagnose der relativ
schwer diagnostizierbaren, sogenannten latenten Stimhöhlen-
affektionen dar, das nur selten vermisst wird.
Weniger konstant ist die lokale Schmerzhaftigkeit bei der akuten
Kieferhöhleneiterung. Sie tritt nach Hajek nur bei zweierlei
Arten auf: 1. Bei akuten Empyemen dentalen Ursprungs, in welchen
der Eiterung der Kieferhöhle heftige Periostitis des Alveolarfortsatzes
und des Oberkiefers vorangeht und 2. bei akuten Empyemen, welche
sich an eine schwere Influenza oder an eine erysipelatöse Infektion
anschliessen. Der charakteristische Schmerzpunkt pflegt der Pro¬
cessus frontalis des Oberkiefers zu sein, welcher auch nach Ablauf
der akuten Symptome noch am längsten empfindlich bleibt.
Bei der akuten Entzündung des vorderen Siebbein¬
labyrinthes soll man nach der Angabe Grünwald’s durch
Druck auf das Tränenbein Schmerzen erwecken können, ein
Symptom, das aber keineswegs konstant ist. Viel häufiger ist
dagegen die Klage über ein dumpfes Gefühl am Nasenrücken,
welches sich zuweilen bis ins Unerträgliche steigert. Da ferner
das Empyem des Siebbeinlabyrinthes oft mit dem anderer Neben¬
höhlen kombiniert ist, so lässt es sich in den einzelnen Fällen schwer
sagen, wie viel von den vorhandenen Symptomen auf Rechnung der
Siebbeinaffektion zu setzen ist.
Bei den akuten Entzündungen des hinteren Siebbein¬
labyrinthes und der Keilbeinhöhle lässt sich natürlich
der lokale Druckschmerz durch Betastung mit dem Finger nicht
nachweisen, dagegen habe ich ihn im Höhepunkt der Erkrankung
einige Male mit der Sonde feststellen können. Die Empfindlichkeit
an diesen Stellen, die schon dem Blick durch vermehrte Röte und
ödematöse Schwellung der Schleimhaut auffielen, war so gesteigert,
dass sie selbst durch Kokainisierung nicht völlig aufgehoben
werden konnte.
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7] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 181
Der spontane Schmerz bei den akuten Empyemen beginnt
gewöhnlich mit einem Gefühl der Spannung in der betreffenden!
Höhle, das sich zu einem Druck und schliesslich zu einem heftigen
Bohren, Hämmern und Klopfen steigert. Von seinem Entstehungs¬
orte aus kann er auch nach den Nachbargegenden ausstrahlen, so
von der Kieferhöhle aus nach den Zähnen und der Schläfengegend
und von der Stirnhöhle aus am häufigsten nach dem Auge oder
nach oben bis zur Haargrenze und darüber hinaus. Als besondere
Merkwürdigkeit muss erwähnt werden, dass auch der von der Keil¬
beinhöhle ausstrahlende Schmerz nach vom in die Stirn verlegt
werden und deshalb leicht zu diagnostischen Irrtümern Anlass
geben kann.
Zur Erklärung der ausserordentlichen Heftigkeit, die der Kopf¬
schmerz bei akuten Nebenhöhlenempyemen erreichen kann, genügt
es nach Killian nicht, auf die entzündlichen Veränderungen der
Schleimhaut allein hinzuweisen. „Wenn das in ihrem Stroma ent¬
stehende ödem auch auf die verschiedenen hier in Frage kommenden
Ästchen des Trigeminusastes drückt und dehnt, so entsteht doch
dadurch im allgemeinen nur ein mässiges Schmerzgefühl. Ganz
anders gestaltet sich die Sachlage, sobald die geschwollene Schleim¬
haut die Wegsamkeit der Ausführungsöffnung behindert und auf¬
hebt. Die bei mässiger Exsudatbildung eintretende Luftverdünnung
oder die Anstauung eines in grosser Menge gebildeten Exsudates
führen eine Vermehrung des Schmerzes bis zu den höchsten Stufen
herbei, die erstere, weil sie so stark ansaugend, die letztere, weil
sie drückend auf die Mukosa wirkt." Dass der Schmerz im wesent¬
lichen vom Verschluss des Ausführungsganges abhängig ist, beweist
das sofortige Verschwinden oder doch Nachlassen desselben, wenn
es gelingt, durch Kokainisieren die meist ödematöse Schleimhaut
zur Abschwellung zu bringen oder durch operatives Beseitigen der
Polypen und Granulationen die Öffnung der Höhle so weit durchgängig
zu machen, dass der angesammelte Eiter von selbst abfliessen oder
ausgespült werden kann. Die Sekretstauung kann ausser durch den
Verschluss des Ausführungsganges auch durch die ungünstige Lage
desselben erfolgen und dadurch den Anlass zu dem viel beschriebenen
periodischen Charakter der Schmerzanfälle geben, welche be¬
sonders beim Stimhöhlenempyem beobachtet werden. Auf den ersten
Blick ist es ja auffallend, dass sich diese Attacken zu einer bestimmten
Tageszeit, meist morgens oder vormittags einzustellen pflegen. Man
hat verschiedene Theorien zur Erklärung dieser rätselhaften Er¬
scheinung aufgestellt. Von allen die plausibelste scheint mir diejenige
zu sein, welche die Kopfhaltung des Patienten dafür verantwortlich
macht. Während nämlich am Tage die aufrechte Haltung, sowie
Schneuzen und Niesen bei nach unten gelegenem Ostium fordernd
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auf den Ausfluss des Exsudates aus der Stirnhöhle einwirken, ist
hierfür in der Nacht die Kopfhaltung insofern eine ungünstige, als
das Ostium dann nicht mehr eine tiefe Lage annimmt, sondern mehr
oder weniger nach oben zu liegen kommt, was zu einer Ansammlung
des Sekretes in der Höhle führen muss. Auch wird es natürlich des
Nachts selten oder gar nicht zum Schneuzen oder Niesen kommen.
So erklärt es sich, dass am Morgen oft starke Schmerzen vorhanden
sind, die einige Stunden anhalten und nachmittags wieder einem
erträglichen Zustande Platz machen, wenn das Sekret wieder freien
Abfluss hat. Nach meiner Beobachtung trägt zur Retention desselben
auch die während des Schlafes leicht eintretende Bildung einer
Kruste am Ostium bei, die ich fast nur am Morgen gefunden habe,
da sie nachmittags vom Sekret schon abgelöst oder ausgeschneuzt
zu sein pflegt. Die Periodizität dieser Schmerzanfälle führt leicht
zu der irrigen Ansicht, dass sie echte Neuralgien seien, trotzdem
sie sich nur in der betreffenden Höhle abspielen und die lokale
Schmerzhaftigkeit der ganzen Höhlenwand weder spontan noch beim
Beklopfen und Betasten vermissen lassen.
Folgender typischer Fall diene sowohl zur Beleuchtung des
Gesagten als auch zum Beweise für den hohen Wert der sich aus der
richtigen Diagnose ergebenden rationellen Therapie:
Fall I. Sonst gesundes Mädchen von 16 Jahren erkrankte
14 Tage vor der ersten Untersuchung, welche am 21. Januar 1907
stattfand, nach der Aussage des behandelnden Arztes an Influenza,
welche sich in heftigem Schnupfen, Fieber und allgemeiner Ab-
geschlagenheit äusserten, wozu sich ein intensiver Stimkopfschmerz
gesellte. Nach ein paar Tagen verschwanden Fieber und Ab-
geschlagenheit, während der Ausfluss aus der Nase eine eitrige
Beschaffenheit annahm und der Kopfschmerz ein eigentümliches Ver¬
halten zeigte. Patientin behauptete nämlich mit Bestimmtheit, dass
er seit ungefähr acht Tagen regelmässig jeden Vormittag tun 10 Uhr
mit einer kaum erträglichen Heftigkeit einsetze, ungefähr zwei
Stunden andauere und dann allmählich abnehme. Der Arzt habe
den Schmerz als „Nervenschmerz“ erklärt und zuletzt zweimal den
elektrischen Strom ohne merkbaren Erfolg angewendet.
Bei der Betastung des linken Supraorbitalrandes und besonders
des inneren, oberen Augenwinkels äusserte Patientin eine so heftige
Schmerzempfindung, dass ich von einer genauen Untersuchung auf
etwaige Fluktuation, welche auf einen drohenden Durchbruch hin¬
deuten könnte, Abstand nehmen musste, obgleich die Haut über der
Stirnhöhle und die des oberen Augenlides leicht ödematös zu sein
schienen. Die Untersuchung mit dem Nasenspekulum ergab in der
rechten Nasenhälfte keine Besonderheiten, dagegen in der linken das
Vorhandensein von dickem, gelbem Eiter sowie eine Rötung der
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9] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 183
gesamten Schleimhaut und ödematöse Schwellung des mittleren
Nasenganges, in welchem der Eiter offenbar zutage trat. Bei der
Durchleuchtung blieb die linke Stirnhöhle im Vergleich zur rechten
entschieden dunkel. Nach gehöriger Kokainisierung und einigem
Zuwarten schwoll die Schleimhaut soweit ab, dass ich eine Eiter¬
strasse vom vordersten Ende des Hiatus semilunaris unter der
mittleren Muschel herauskommen sehen konnte. Die Sondierung
gelang nicht. Ich versuchte daher, durch Ansaugen mittelst Saug¬
balles und Lufteinblasen mittelst Luftdusche den Abfluss des Se¬
kretes zu erzielen, was auch gelang und einen erheblichen Nachlass
der Schmerzen zur Folge hatte. Als dieselben aber am nächsten
Tage wieder auftraten, entfernte ich mit der kalten Schlinge das
vorderste Ende der mittleren Muschel, worauf sich sofort zur grossen
Erleichterung der Patientin eine beträchtliche Menge Eiter aus der
Stirnhöhle entleerte.
Von diesem Tage ab, wo der Eiter freien Abfluss hatte, blieben
die Schmerzanfälle gänzlich aus, dagegen war die Gegend am inneren
oberen Augenwinkel in den nächsten Tagen noch ziemlich druck¬
empfindlich und leicht ödematös, was sich aber in der Folgezeit
mehr und mehr verlor. Da ich jetzt nach Entfernung des vorderen
Endes der mittleren Muschel die Stirnhöhle sondieren konnte, wurden
tägliche Ausspülungen mit einer schwachen Borsäurelösung vor¬
genommen, worauf die Sekretion nach einiger Zeit einen schleimigen
Charakter annahm und nach vier Wochen gänzlich versiegte. Patientin
war jetzt von ihrem Stirnhöhlenempyem vollkommen geheilt, der
Kopfschmerz war und blieb verschwunden.
ln manchen, besonders chronischen Fällen gelingt es aber nicht,
mit dieser konservativen Methode der Freilegung des Ostiums der
Kopfschmerzen des Patienten Herr zu werden. Dies wird dann der
Fall sein, wenn das Sekret keinen genügenden Abfluss hat oder wenn
man aus der unaufhörlichen Dauer der Sekretion annehmen kann,
dass die Schleimhaut der Höhle durch zahlreiche Attacken hoch¬
gradig degeneriert und eventuell von zirkumskripten oder auch aus¬
gedehnten Knochennekrosen begleitet ist. Hier kann ein Erfolg nur
von breiter Eröffnung der Höhle durch Trepanation erwartet werden,
die ja auch das sicherste Mittel ist, um eine Gefährdung des Bulbus
und des Gehirns abzuwenden, deren plötzlicher Eintritt niemals
vorauszusehen ist.
Bei nachfolgendem Fall von chronischer Stimhöhleneiterung
war der lokale Schmerz durch eine akute Exazerbation derselben
verursacht. Heilung durch Trepanation.
Fall II. Junger Mann von 23 Jahren konsultierte mich am
15. Juli 1905 mit der Klage, dass er schon seit mehreren Jahren zeit¬
weise an Stimkopfschmerzen leide. Seit drei Tagen wären sie „ganz
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entsetzlich“ geworden, so dass er Tag und Nacht keine Ruhe mehr
hätte. Antipyrin und Phenazetin hatten nur vorübergehenden Erfolg
gehabt. Der Druck auf die obere Wand der linken Orbita löste starke
Schmerzen aus. Im Innern der linken Nasenhälfte waren am Pro¬
cessus uncinatus Hypertrophien der Schleimhaut, der sogenannte
„laterale Schleimhautwulst“, sichtbar. Die mittlere Muschel war
verdickt, an ihrem unteren Rande Eiter. Die Durchleuchtung der
Stirnhöhlen ergab kein sicheres Resultat, die beiden Kieferhöhlen
schienen hell durch. Die Sondierung der linken Stirnhöhle war nach
wiederholtem Kokainisieren, wenn auch erst nach einigem Probieren,
möglich. Beim Anstossen der Sonde an die obere Höhlenwand er¬
klärte Patient sofort: „Hier ist der Schmerz.“ Nach Herausziehen
der Sonde floss etwas höchst übelriechender Eiter nach. Entfernung
des vorderen Endes der mittleren Muschel mittelst Schlinge und der
Hypertrophien mit der Kürette. Tägliche Ausspülung der Höhle mit
Borsäurelösung.
Der Kopfschmerz liess sofort nach der ersten Ausspülung nach.
Weil dieser Erfolg anhielt, blieb Patient nach achttägiger Behandlung
fort, obgleich die Sekretion noch nicht abgenommen hatte. Nach
weiteren vierzehn Tagen kam er mit einem heftigen Rückfall seiner
Schmerzen wieder und wünschte nun möglichst schnell und end¬
gültig von seinen Beschwerden geheilt zu werden. Daher riet ich
ihm zur Aufmeisselung seiner Höhle von aussen und eröffnete sie
in Narkose nach der Methode Killian’s. Nach bogenförmigem
Schnitt durch die Augenbraue, der nach abwärts bis auf den Ober¬
kieferfortsatz verläuft, Trepanation mit Bildung einer Knochenspange
über dem Auge, auf der das Periost stehen bleibt. In der sich weit
lateralwärts erstreckenden Höhle sehr übelriechender Eiter, die
Schleimhaut polypös verdickt. Ausräumung derselben mit dem
scharfen Löffel. Aufmeisselung des Oberkieferfortsatzes und Aus¬
räumung der vorderen Siebbeinzellen, da sie häufig mit der Stirn¬
höhle erkrankt sind. Anlegung einer breiten Verbindung zwischen
Stirn- und Nasenhöhle. Einlegung eines Tampons nach der Nase.
Genaue Vereinigung der Wundränder mit Wundklammern, die nach
drei Tagen, ebenso wie der Tampon, entfernt werden. Nach drei
Wochen ist die feine, strichförmige Narbe kaum mehr zu sehen.
Keine Einsenkung über dem Auge. Sekretion gänzlich verschwunden.
Kopfschmerz ist nicht wieder aufgetreten.
Bei der schweren Veränderung der Schleimhaut hätte auch
eine lange fortgesetzte konservative Behandlung keinen dauernden
Erfolg gehabt. Es war somit ein günstiger Zufall, dass Patient zur
sofortigen Aufmeisselung drängte, die sich im Laufe der Zeit doch
als unvermeidlich herausgestellt hätte.
Ausser den Nebenhöhlenentzündungen vermögen noch ge-
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11] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 185
schwürige Prozesse besonders der lateralen Nasenwand lo¬
kalen Schmerz hervorzurufen. Hauptsächlich beobachtet man ihn
bei luetischen Geschwüren, die mit Karies einhergehen. Zwar wird
auch hier, wie gewöhnlich bei den Nebenhöhlenempyemen, der ein¬
seitige Ausfluss (eine einseitige Erkrankung vorausgesetzt) die Auf¬
merksamkeit auf die Nase lenken und vor Fehldiagnosen schützen.
In einigen Fällen kommt es aber doch vor, dass, wie eine Neben¬
höhleneiterung latent d. h. ohne merkbaren Eiterausfluss verlaufen
kann, auch ein lateral sitzendes Geschwür als einziges Symptom
nur den lokalen Kopfschmerz erkennen lässt Dieser kann sich bis
zu unerträglicher Höhe steigern, wenn die Umgebung der kariösen
Stelle den Ausfluss des Sekretes erschwert oder die Ausstossung
eines Sequesters unmöglich macht, was um so leichter eintritt, als
sich durch den Reiz des Sekretes Granulationen oder Polypen bilden
können, welche das Geschwür wallartig umgeben und durch An¬
legen an das gegenüber befindliche Septum mehr oder weniger voll¬
kommen abschliessen. Bezeichnend dafür ist folgender, von mir be¬
obachtete Fall eines ulzerierten Gummas in der Nase:
Fall III. Kaufmann, 39 Jahre alt, stellte sich zum ersten Male
am 8. Mai 1907 in meiner Sprechstunde vor. Er litt nach seiner An¬
gabe seit mehreren Monaten an leichten Schmerzen an der linken
Seite der Nasenwurzel, welche sich auf Druck steigerten. Ärztlicher¬
seits wurden ihm dagegen eine weisse und dann eine gelbe Salbe
verschrieben, die er sich auf dem Nasenrücken verreiben sollte!
Auch gebrauchte er mit und ohne ärztliche Verordnung verschiedene
„Kopfschmerzenpulver“ ohne jeden Erfolg. Die Schmerzen nahmen
immer mehr zu. Seit einigen Tagen hatten sie sich über den ganzen
Kopf gezogen und waren so heftig geworden, dass er es kaum mehr
aushalten konnte. Auch hatte er weder Lust noch Fähigkeit zur
Arbeit mehr. Infolgedessen war ihm das Leben so zur Qual ge¬
worden, dass er sich fortwährend mit Todesgedanken trug.
Schon die leichte Berührung der linken Seite seiner Nasen¬
wurzel empfindet Patient als so erheblichen Schmerz, dass er auf¬
schreit und bittet, ihn mit weiterer Betastung zu verschonen. Bei
der inneren Untersuchung findet sich die rechte Nasenhöhle frei.
In der linken dagegen fällt sofort eine bei Berührung mit der Sonde
sich derb anfühlende, sehr schmerzhafte, hochrote Geschwulst auf,
welche von der oberen lateralen Wand kommend sich so an das
Septum drängt, dass ein Einblick nach oben unmöglich ist. Die
untere Muschel ist, soweit sie zu sehen ist, gerötet und geschwollen
und lässt nur am Nasenboden einen Spalt für den Durchtritt der
Luft frei. Nach gehöriger Kokainisierung lässt sich ein Nasen¬
spekulum zwischen Septum und Geschwulst einzwängen, bei dessen
Öffnung die Ränder eines mit Granulationen bedeckten Geschwüres
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sichtbar werden, auf dessen Grunde die Sonde kariösen Knochen
berührt.
Trotzdem Patient energisch jede luetische Infektion leugnet,
erhält er Jodkali, worauf die Geschwulst in acht Tagen soweit zu¬
rückgeht, dass der grösste Teil des Geschwüres ohne weiteres zu
übersehen ist. Als erfreulichste Folge der Behandlung bezeichnet
es Patient, dass die Kopfschmerzen nach wenigen Tagen völlig auf¬
gehört haben. Leider konnte ich den weiteren Verlauf nicht ver¬
folgen, da Patient, von seinem Hauptübel befreit, bald darauf aus
der Behandlung fortblieb.
Bemerkenswert ist, dass, da die Verstopfung der Nase keine
ausgesprochene war und von ihm nicht bemerkt wurde, der Kopf¬
schmerz die einzige Beschwerde war, die ihn zum Arzt getrieben
hatte.
Der neuralgische Kopfschmerz.
Unter neuralgischen, von Nasenleiden herstammenden Kopf¬
schmerzen versteht man solche, die nicht unmittelbar an der er¬
krankten Stelle der Schleimhaut der Nase und ihrer Nebenhöhlen,
sondern mehr oder weniger entfernt in dem ganzen Verbreitungs¬
bezirk bestimmter Nerven und zwar des Nervus supraorbitalis vom
1. Trigeminusast, sowie des Nervus infraorbitalis und der Nervi
supradentales vom 2. Trigeminusast ihren Sitz haben. Zwar sind
auch die lokalen Schmerzen, wie überhaupt jeder Schmerz, streng
genommen „neuralgisch“. Mit Neuralgien im engeren Sinne be¬
zeichnet man aber Nervenschmerzen, die sich durch deutliche Remis¬
sionen und Intermissionen, d. h. durch ausgesprochene Anfälle von
meist grosser Intensität auszeichnen. Sie gehören zu den qualvollsten
Leiden, die es gibt. Bezüglich ihrer Dauer sind sie grossen Schwan¬
kungen unterworfen. Man beobachtet alle Formen, teils blitzartig
zuckend und reissend von Sekunden- oder minutenlanger Dauer, teils
brennend und bohrend, die stunden-, ja tagelang mit kurzen vorüber¬
gehenden Remissionen anhalten und die Kranken zur Verzweiflung
treiben können.
In erster Linie sind es wieder die Nebenhöhlenentzün¬
dungen, sowohl die akuten als auch die chronischen, welche
die Veranlassung dazu geben können und zwar entweder durch
direkte Fortleitung der Entzündung auf den an den Knochen¬
wandungen der erkrankten Höhle vorbeiziehenden Nerven, also durch
eine Neuritis, oder reflektorisch durch Irradiation auf einen
unbeteiligten Nerven.
Was die erste Entstehungsart anlangt, so sieht man zuweilen
bei Kieferhöhlenentzündungen rasende Schmerzen im Bereiche des
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13J Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 187
an ihrer oberen Wajid verlaufenden Nervus infraorbitalis, dessen
Berührung an seinem Austritt aus dem Foramen infraorbitale dann
einen lebhaften Druckschmerz auslöst. Auch die bei gleicher Er¬
krankung auftretenden, qualvollen Zahnwurzelneuralgien finden ihre
Erklärung darin, dass, wie zuerst B e r t i n bewiesen hat, der Nervus
infraorbitalis und die Nervi supradentales anteriores, medii und
posteriores häufig streckenweise nicht in vollständig geschlossenen
Kanälen, sondern in Hohlräumen, welche nach dem Antrum hin
offen sind, verlaufen, wodurch sie natürlich dem Ubergreifen der
Entzündung leicht ausgesetzt sind. Ebenso wird der Nervus supra-
orbitalis, der an der unteren Wand der Stirnhöhle verläuft and nach
seinem Durchtritt durch die Incisura supraorbitalis zur vorderen
Stirnhöhlenwand umbiegt, häufig von den Affektionen der Stirnhöhle
in Mitleidenschaft gezogen, worauf er mit heftigen Schmerzen rea¬
gieren kann. Auch noch bei Nachlass der Attacken lässt sich sein
„Druckpunkt“ an seiner Umbiegungsstelle leicht feststellen. Natürlich
können die Neuralgien nur dann mit Sicherheit diagnostiziert werden,
wenn die Entzündungserscheinungen in der Höhle nicht gerade auf
dem Höhepunkt angelangt sind, da sonst die Schmerzhaftigkeit der
Wände die Druckpunkte der Nerven nur schwer oder gar nicht er¬
kennen lässt. Am besten lassen sie sich deshalb bei den subakuten
oder chronischen Nebenhöhlenentzündungen nachweisen.
Merkwürdigerweise können aber auch Neuralgien des Nervus
supraorbitalis auftreten, wenn die Kieferhöhle derselben
Seite erkrankt ist. Anfänglich hat man sich diesen auffälligen
Vorgang nicht zu erklären vermocht und angenommen, dass wahr¬
scheinlich ein nicht diagnostiziertes Empyem des Siebbeinlabyrinthes
oder der Stirnhöhle als Ursache dieser Supraorbitalneuralgie Vor¬
gelegen habe. Indessen haben, nachdem schon von Hartmann
und K i 11 i a n vor Jahren darauf aufmerksam gemacht worden
war, aus der Neuzeit verschiedene, einwandsfreie Berichte nach¬
gewiesen, dass auch intermittierender Stirnkopfschmerz bei Kiefer¬
höhlenentzündung ohne Beteiligung anderer Nebenhöhlen vorkommt
und bei Heilung derselben spurlos verschwindet. Es ist also anzu¬
nehmen, dass in diesem Falle die Supraorbitalneuralgie durch
Irradiation der Schmerzempfindung auf den 1. Trigeminusast
entsteht und somit den Reflexneurosen zuzuzählen ist.
Welche Momente jedesmal einen Schmerzanfall auszulösen im¬
stande sind, lässt sich oft nicht mit Sicherheit bestimmen. Wahr¬
scheinlich spielen dabei eine allgemeine nervöse Veranlagung des
Kranken und ausserdem Gelegenheits Ursachen, als körperliche und
geistige Überanstrengung, Exzesse etc. eine grosse Rolle. Besonders
der Alkoholgenuss scheint in dieser Hinsicht eine deletäre Wirkung
auszuüben, da man häufig die Beobachtung machen kann, dass
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Nasenkranke eine auffallend geringe Widerstandskraft gegen den
Genuss geistiger Getränke zeigen, wie folgende Beobachtung in ekla¬
tanter Weise dartut:
Fall IV. Am 2. Juli 1907 erschien ein 35 Jahre alter Jngenieur
in meiner Sprechstunde mit der Angabe, dass er seit l 1 /, Jahren
an zeitweise auftretenden heftigen reissenden Schmerzen in der
linken Stirnseite leide. Tage- und wochenlang blieb er von ihnen
verschont, bis sie sich plötzlich wieder einstellten und dann mehrere
Stunden anhielten. Er habe den Eindruck gewonnen, dass sie jedes¬
mal nach dem geringsten Alkoholgenuss aufträten, weshalb er seit¬
dem völlig abstinent geworden sei. Ausserdem habe er öfters über
üblen Geschmack zu klagen. Auf Befragen gibt er weiter an, dass
er schon lange „etwas Schnupfen“ habe, der auf der linken Seite
viel stärker sei als auf der rechten. Alles, was er bisher gegen seine
„Kopfgicht“ versucht, habe nichts genützt.
Beim Betasten und Beklopfen der linken Stimhöhlengegend
äussert Patient keinen Schmerz, nur beim Druck auf die Umbiegungs¬
stelle des Nervus supraorbitalis fährt er mit dem Kopf zurück.
Der rhinoskopische Befund ist folgender: Rechte Nasenseite frei.
In der linken am Boden etwas gelbes Sekret. Von oben hängen
mehrere erbsen- bis bohnengrosse Polypen von graurötlicher Farbe
herab, die anscheinend von der mittleren Muschel ausgehen. Wenn
ich sie mit der Sonde lüfte, fliesst etwas Eiter an ihnen herab.
Während beide Stirnhöhlen und die rechte Kieferhöhle bei der Durch¬
leuchtung hell durchscheinen, bleibt der linke Infraorbitalrand und
die linke Pupille dunkel. Das lässt vermuten, dass die Erkrankung
nicht in der Stirnhöhle, sondern in der linken Kieferhöhle sitzt.
Die linken oberen Backenzähne sind sämtlich vorhanden und zum
Teil plombiert.
Zunächst wurden die Polypen, vier an der Zahl, in einer
Sitzung entfernt, um die Kieferhöhlenöffnung frei zu bekommen.
Dann spülte ich die Kieferhöhle durch die natürliche Öffnung, die
jetzt leicht zugänglich war, aus, wobei sich zur grossen Erleichterung
des Patienten eine Menge äusserst übelriechenden Sekretes entleerte.
Da ich aus der Anamnese und dem üblen Geruch des Eiters auf eine
chronische Kieferhöhlenentzündung schloss, die voraussichtlich eine
längere Behandlung nötig machte, entfernte ich an einem der nächsten
Tage das vordere Ende der unteren Muschel und bohrte im unteren
Nasengange mit der elektrisch betriebenen Fräse ein Loch durch
die seitliche Nasenwand in die Kieferhöhle, die sich mm bequem
ausspülen Hess.
Nach einigen unter meiner Leitung vorgenommenen Versuchen
lernte es Patient leicht, selbst die Ausspülungen zwei- bis dreimal
täglich durch die angelegte Öffnung vorzunehmen, welche durch die
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häufige Benutzung vor dem Zuheilen bewahrt blieb. Das Sekret
verlor sofort seinen üblen Geruch und nahm alsbald an Menge ab.
Als nach drei Monaten trotz mehrmaliger Kontrolle keine Absonde¬
rung mehr wahrzunehmen war, durfte die Behandlung als beendigt
angesehen werden.
Die Supraorbitalneuralgien traten nicht wieder auf und blieben
verschwunden, ein Beweis dafür, dass sie nur dem chronischen
Kieferhöhlenempyem ihren Ursprung verdankt hatten. Patient be¬
richtete später erfreut, dass er schon wiederholt mit dem Alkohol
einen Versuch gemacht habe, der zu seiner Zufriedenheit ohne
schmerzliche Folgen verlaufen wäre. Auch habe er keinen üblen
Geschmack im Munde wieder verspürt.
Ausser bei Nebenhöhlenentzündungen kommen auch bei den
Geschwülsten der Nase, wenn auch weit seltener, neural¬
gische Kopfschmerzen zur Beobachtung. Sowohl die weichen Ge¬
schwülste (einschliesslich der Sarkome und Karzinome), die ge¬
wöhnlich unter dem Sammelnamen „Polypen“ zusammengefasst
werden, als auch die harten Geschwülste, die Enchondrome und
Osteome, können direkt durch Druck auf die Nerven oder reflekto¬
risch typische Schmerzanfälle hervorrufen. Da sie sich nicht durch
Ausfluss aus der Nase verraten, falls sie nicht, wie die bös¬
artigen in vorgerücktem Stadium, geschwürig zerfallen, so ist der
Kopfschmerz oft ihr einziges Erkennungszeichen.
Insonderheit sind es die Karzinome der Nebenhöhlen, die im
Beginne eine Zeitlang latent verlaufen können, sich aber schon
früh nur durch heftige Neuralgien über die ganze betreffende
Kopfhälfte bemerkbar machen, ein Symptom, das nach E. Fink
den Beginn des Übergreifens der Geschwulst auf die Knochenwände
kennzeichnen soll. Wie verhängnisvoll da die Unterlassung einer
genauen rhinoskopischen Untersuchung werden kann, illustriert ein
von mir im Jahre 1906 beobachteter Fall von Karzinom der Kiefer¬
höhlenschleimhaut :
Fall V. Es handelte sich um ein 21 Jahre altes, sonst gesundes,
blühend aussehendes Mädchen, das angeblich mehrere Monate vor
der Untersuchung einen schmerzhaften Druck in der rechten Wange
verspürte. Als sich dieser allmählich in reissende und ziehende
Schmerzen verwandelte, begab sie sich in die Behandlung eines
Arztes, der ihr Leiden für „Migräne" erklärte und ihr Pulver und
Umschläge verordnete. Hierdurch wurden die Schmerzen aber nur
wenig gelindert, vielmehr zeigten sie, wie zuvor, in ihrer Intensität
bedeutende Schwankungen vom völligen Nachlass bis zu den hoch¬
gradigsten Anfällen, die die ganze rechte Kopfhälfte einnahmen und
bis in die Zähne ausstrahlten. Ausfluss aus der Nase soll niemals
vorhanden gewesen sein.
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Bei der Untersuchung des Naseninnern fand sich weder links
noch rechts etwas Krankhaftes. Die Nasenschleimhaut war nicht
gerötet und nicht geschwollen, beide Nasenhälften für die Luft gut
durchgängig, keine Polypenbildung, nirgends Sekret. Zudem erfreute
sich Patientin eines vollständigen, tadellosen, weissen Gebisses,
dessen obere Zahnreihe beim Beklopfen keine vermehrte Empfind¬
lichkeit erkennen liess. Auffällig war nur, dass die rechte Kiefer¬
höhle beim Durchleuchten im Gegensatz zur normalen Transparenz
der linken völlig dunkel blieb und dass die rechte Wangengegend
auf Fingerdruck lebhaft schmerzte.
Da es mir nicht gelang, die rechte Kieferhöhle zu sondieren,
machte ich eine Probepunktion im unteren Nasengang mit daran
anschliessender Ausspülung. In dem geruchlosen Spülwasser fanden
sich nur wenige Schleimfäden, dagegen schien es mir blutiger ge¬
färbt als es sonst der Fall zu sein pflegt. Den deshalb in mir auf¬
steigenden Verdacht auf eine bösartige Neubildung verwarf ich zu¬
nächst in Anbetracht des guten Aussehens und des jugendlichen
Alters der Patientin sowie des Fehlens anderer darauf hindeutenden
Erscheinungen und war vielmehr der Meinung, dass ein sogenanntes
latentes Empyem vorliege, bei dem ich nur zufällig kein Sekret an¬
getroffen hatte. Als dann aber nach einigen Tagen Patientin mit der
Klage kam, dass ihre Kopfschmerzen trotz der Ausspülung noch nicht
nachgelassen hätten, und als eine zweite Ausspülung der Höhle
wiederum blutige Spülflüssigkeit zutage förderte, schritt ich unter
ihrer Zustimmung zur breiten Aufmeisselung der fazialen Wand.
Doch schon während ich mit einem festen Zuge das Zahnfleisch
durchschneiden wollte, geriet das Messer plötzlich in die Kiefer¬
höhle hinein und ebenso gab die Wand dem Drucke des Raspatoriums
nach und brach, soweit sie noch vorhanden war, ein. Unter starker
Blutung wurde zunächst ein Teil der Schleimhaut der Kieferhöhle
entfernt. Sie war etwa 1 cm dick geschwollen und so morsch, dass
sie sich zwischen den Fingern zerdrücken liess. Als ich sie vor¬
sichtig auch von der oberen Wand abkratzen wollte, merkte ich,
dass auch diese grösstenteils nicht mehr vorhanden war, so dass
ich direkt den Inhalt der Augenhöhle abtasten konnte, wobei der
Augapfel sich hin und her bewegen liess. Die nach der Nase zu
gelegene Knochenwand sowie der Boden der Höhle waren un¬
verändert. Ich hatte es hier also augenscheinlich mit einer bös¬
artigen Geschwulst zu tun, welche Vorder- und Oberwand der Kiefer¬
höhle teilweise schon zerstört hatte. Unter diesen Umständen wurde
die erkrankte Schleimhaut auf das Sorgfältigste ausgekratzt und
die Höhle tamponiert, olme dass, wie beabsichtigt, eine Öffnung
nach der Nase zu angelegt wurde. Leider w r ar schon am nächsten
Tage eine leichte Hervortreibung des Auges zu bemerken, die immer
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17J Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 191
mehr zunahm, ein Beweis, dass die Neubildung nicht gänzlich hatte
entfernt werden können und sich nunmehr desto schneller aus¬
dehnte.
Wenige Tage später, nachdem die Patientin sich erholt hatte,
begab sie sich auf meinen Rat in die Kgl. chirurgische Universitäts--
klinik zu Bonn, wo der Versuch gemacht wurde, mit einer Resektion
des Oberkiefers dem Fortschreiten der Geschwulst Einhalt zu tun,
aber vergeblich. Patientin erlag ca. sechs Wochen später ihrem
qualvollen und zuletzt furchtbar entstellenden Leiden. Der mir von
der Kgl. Klinik gütigst mitgeteilte mikroskopische Befund lautete
auf „Plattenepithelkarzinom mit Verhornung“.
Diesen Fall könnte man geradezu tragisch nennen, weil zum
Unglück für die Patientin die Bedeutung ihres halbseitigen Kopf¬
schmerzes anfänglich verkannt und an eine Untersuchung des Nasen-
innem erst dann gedacht wurde, als es zu spät war. Denn es unter¬
liegt für mich keinem Zweifel, dass auch schon bei einer früheren;
rhinoskopischen Untersuchung die vorhandenen Symptome zu einer
breiten Eröffnung der Kieferhöhle hätten drängen müssen, und dass
dann die Operation bei der sozusagen abgekapselten Form dieses
Karzinoms eine begründete Aussicht auf vollständige Entfernung
der erkrankten Schleimhaut und damit auf Heilung geboten hätte.
Wenn man erst auf die in manchen Lehrbüchern angeführten „deut¬
lichen“ Symptome wie Auftreibung der Kieferhöhle, Polypenbildung,
Verjauchung etc. warten wollte, würde der Zeitpunkt für eine aus¬
sichtsvolle chirurgische Behandlung wohl längst verstrichen sein.
Der zerebrale Kopfschmerz.
Die dritte Form der bei Nasenleiden vorkommenden Schmerzen
ist der zerebrale Kopfschmerz, der Kopfschmerz par excellence. Er
hat seinen Sitz wohl weniger im Gehirn als in den Gehirnhäuten,
da die Gehirnsubstanz selbst, wenn sie verletzt oder gereizt wird,
keine Schmerzempfindung zu verursachen scheint, welche als Kopf¬
schmerz empfunden werden könnte. Wenigstens habe ich gesehen,
dass ein Patient, dem ich ohne Narkose und bei vollem Bewusstsein
einen Gehirnprolaps nach otitischem Hirnabszess mit der Schere
bis ins Gesunde abtrug, keinerlei Empfindung von Kopfschmerz
geäussert hat. Es scheint somit, dass durch das Gehirn wohl die
bewusste Wahrnehmung der Schmerzen erfolgt, dass aber die Ent¬
stehung derselben in den Nerven der Dura, vielleicht auch der
Pia — rückläufigen Asten des Nervus trigeminus — stattfindet,
welche durch Anämie oder Hyperämie des sie umgebenden Ge¬
webes in Erregung versetzt werden (E ding er).
Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 8. 14
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Dieser Schmerz, den ich kurz als zerebralen Kopfschmerz be¬
zeichnen will, ist dadurch charakterisiert, dass er unbestimmt
und mehr oder weniger diffus über den Kopf verbreitet ist. Im
Beginne oder in leichten Fällen überhaupt tritt er als Kopf druck
auf, der ein- oder doppelseitig sein und weiterhin zu wirklichen,
meist dumpfen Schmerzen in der Tiefe des Kopfes anschwellen kann.
Oder er zeigt sich in der Weise, dass eine gewisse leise Empfindung
konstant vorhanden ist und zeitweise in einen unbestimmten Schmerz
in der Stirn-, Scheitel- oder Hinterhauptsgegend übergeht, wobei
immer wieder dieselbe Stelle bevorzugt werden kann. Oft ist mit
dem Kopfdruck die Aprosexia nasalis verknüpft, das heisst
das Unvermögen, die Gedanken auf einen bestimmten Punkt zu kon¬
zentrieren. Die Kranken fühlen sich dabei wie benommen und sind
erheblich in ihrer geistigen Tätigkeit beschränkt.
Entsprechend der oben angegebenen Theorie von der Ent¬
stehung des zerebralen Kopfschmerzes durch Störung des Blut¬
umlaufes in den Gehirnhäuten findet man ihn bei allen Nasenleiden,
welche mit Zirkulationsstörungen sowohl infolge entzünd¬
licher Prozesse als auch infolge Verstopfung der Nase einhergehen.
Allgemein bekannt sind die Erscheinungen des akuten
Schnupfens, wenn die hochgradig entzündete Schleimhaut so
angeschwollen ist, dass die Nase für den Durchtritt der Luft völlig
verlegt ist. Die dadurch verursachte Eingenommenheit und das Ge¬
fühl eines Brettes vor dem Kopf, wie man zu sagen pflegt, hat wohl
jeder schon an sich selbst erfahren. Treten dabei auch heftigq
Schmerzen über dem Auge auf, so hat man es aller Wahrscheinlich¬
keit nach mit einem gewöhnlich von selbst mit dem Schnupfen zu¬
rückgehenden akuten Stimhöhlenkatarrh zu tun.
Ähnliche Beschwerden finden sich auch häufig, wenn auch nicht
so ausgesprochen, bei dem chronischen Nasenkatarrh,
welcher, wie alle chronischen Nasenverstopfungen, vom Laien gern mit
„Stockschnupfen“ bezeichnet wird. Er geht mit einer Schwellung
der unteren und mittleren Muschel einher, wobei die erstere fast
stets am augenfälligsten davon betroffen wird. Unter dem Einfluss
der chronischen Entzündung hypertrophiert die Schleimhaut nament¬
lich am unteren Rande und am hinteren Ende der Muschel und stellt
dann zapfenartige, mit Blut gefüllte, blaurote oder, wenn das Epithel
verdickt ist, weissliche Geschwülste, die „papillären Hyper¬
trophien“ und die bekannten „hinteren Enden“ dar. Je nach
ihrem beständig wechselnden Blutfüllungszustand, der von nervösen,
Einflüssen oder von der Kopfhaltung abhängig ist, können sie im
Verein mit dem stagnierenden Sekret die betreffende Seite voll¬
ständig verlegen. Erst wenn sie die Nasenatmung zeitweise oder
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19] Der Kopfschmerz als h&afige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 193
immer behindern, ist man berechtigt, sie als pathologisch zu be¬
trachten.
In derselben Weise wirken die von allen Geschwülsten in der
Nase am häufigsten vorkommenden Polypen, die Schleimpolypen,
welche meist an der mittleren Muschel und an der Aussenwand des
mittleren Nasenganges in der Umgebung des Einganges des Sinus
maxillaris auf dem Processus uncinatus und an der Bulla ethmoidalis
sitzen und meist im Gefolge von Nebenhöhlenentzündungen auf-
treten, und die Granulationspolypen, welche sich bei Erkrankungen
des Knochens und um einen Fremdkörper herum zu bilden pflegen.
Besonders die Schleimpolypen können in solcher Menge und Grösse
auftreten, dass die betreffende Naseinseite völlig damit ausgefüllt
ist. Bei längerer Dauer können sie sbgar durch ihr allmähliches
Wachstum einen so mächtigen Druck auf die Nasenwände ausüben,
dass nicht allein das Lumen des Naseninnern, sondern auch die
äussere Form der Nase stark verbreitert erscheint.
Bei den Entzündungen der Schleimhaut der Nase und ihrer
Nebenhöhlen und bei den mit Nasenverstopfung einhergehenden Ge¬
schwülsten kommt die Zirkulationsstörung durch aktive und pas¬
sive Hyperämie zustande, die sich auf das Schädelinnere fort¬
pflanzt. Wie bekannt, kommunizieren die Venae ethmoidales in aus¬
gedehnter Weise mit denen der Dura, des Gehirns und des Sinus longi-
tudinalis. Nach den Untersuchungen von Axel Key und Retzius
sollen auch die Lymphgefässe durch die Lamina cribrosa hindurch
mit dem subduralen und subarachnoidealen Raum in Verbindung
stehen, wonach man also ausser der Blut- auch eine Lymphstauung
im Schädelinnern annehmen kann.
Falls nun hierzu noch eine Verstopfung einer oder gar
beider Nasenseiten eintritt, so wird die Schädlichkeit noch
dadurch erhöht, dass bei jedem Atemzug eine Luftverdünnung in der
betreffenden Seite erzeugt wird, welche zu einer Ansaugung des
Blutes im oberen Abschnitte des Luftrohres führt und die Stauung
im Kopfe zu vermehren imstande ist. Besonders leicht kommt es
zu einer Verstopfung, wenn die Nase eng gebaut ist oder Verbiegungen
und Verkrümmungen der Nasenscheidenwand in Gestalt von Leisten
und Domen vorhanden sind.
Im nachstehenden Fall entstand Kopfschmerz nebst Aprosexie
dadurch, dass zu einer bestehenden Knochenleiste der Nasenscheide¬
wand eine papilläre Hypertrophie der unteren Muschel hinzutrat,
welche eine völlige Unwegsamkeit der betreffenden Nasenseite für
die Luft zur Folge hatte.
Fall VI. Kaufmannslehrling, 19 Jähe alt, konsultierte mich
zum ersten Male am 14. August 1907, weil er angeblich seit seiner
Schulzeit an häufigem schmerzhaften Druck im gnanzen Vorderkopf
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und an Verstopfung seiner rechten Nasenseite litt. Er sei von seinem
Prinzipale geschickt worden, weil derselbe glaube, dass die Ge¬
dächtnisschwäche bezw. leichte Vergesslichkeit, die Patient in letzter
Zeit an den Tag gelegt habe, mit seinem Nasenleiden, das wahr¬
scheinlich durch „Nasenpolypen“ verursacht sei, Zusammenhänge.
Die Untersuchung ergab, dass Patient beim Zuhalten der linken
Seite durch das rechte Nasenloch nicht atmen konnte. Die linke
Seite war durchgängig für die Luft. In der rechten zog sich an der
Scheidewand von vom nach hinten eine scharfkantige Leiste, welche
sich so in die stark gewulstete untere Muschel hineindrängte, dass
deren Wülste über und unter ihr hervorquollen und die Sonde nicht
dazwischen hindurchgeführt werden konnte. Nach mehrmaliger
Kokainisierung der vordersten erreichbaren Partien schrumpfte die
Hypertrophie soweit zusammen, dass auch die dahinter liegenden
Teile unempfindlich gemacht werden konnten. Ich entfernte nun
mit der Säge die Knochenleiste und, da hiermit noch nicht genug
Luft geschaffen war, auf Wunsch des Patienten sofort im Anschluss
daran mit der kalten Schlinge die mächtigen, wie Neubildungen
aussehenden Muschelhypertrophien, worauf die Nase völlig durch¬
gängig wurde.
Der Kranke fühlte sich seiner Angabe nach sofort „wie neu-
geboren f ‘ und blieb in der Folgezeit von seinen Kopfschmerzen
verschont. Auch teilte mir nach einigen Wochen sein Prinzipal mit,
dass er geistig viel geweckter geworden sei als vor der Operation
und keinen Anlass mehr zu Klagen böte.
Die behinderte oder aufgehobene Nasenatmung kann aber
ausser durch Blutansaugung auch dadurch schädlich wirken, dass
nach den Angaben von M. Schmidt dem Blute nicht genug Sauer¬
stoff zugeführt wird. Dieser Sauerstoffmangel in Verbindung mit
der durch die Blutstauung verursachten Kohlensäureüberladung des
Blutes ist geeignet, eine Anämie hervorzurufen, die nicht nur
auf das Gehirn, sondern auch auf den Gesamtorganismus einen
höchst ungünstigen Einfluss ausübt und jeder medikamentösen oder
physikalischen Therapie hartnäckigen Widerstand leistet. Und in
der Tat kann man oft die Beobachtung machen, dass die operative
Beseitigung der Nasenverstopfung nicht allein den Kopfschmerz ver¬
schwinden macht, sondern auch das gestörte Wohlbefinden und
schlechte Aussehen des Patienten, manchmal in geradezu auffallend
schneller Weise zu bessern vermag.
Im Zusammenhänge hiermit möchte ich darauf hinweisen, dass
auch die bei Kindern so häufige Hyperplasie der Rachen¬
mandel, welche meist mit einer Anschwellung der Nasenmuschel¬
schleimhaut verbunden ist, dieselben Beschwerden, Kopfschmerz und
Anämie, verursachen kann und zwar auch dann, wenn die Unfähig-
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21] Der Eopfscbmerz als häufige Folge von Nasdnleiden und seine Diagnose. 195
keit, durch die Nase zu atmen, noch keine so absolute ist, das$
sie ein Offenstehen des Mundes bedingt. Auch bei geringeren Graden,
wo die Kinder den Mund noch längere oder kürzere Zeit zu schliessen
imstande sind, aber schon durch den Luftmangel in ihrer Nacht¬
ruhe gestört und dadurch gesundheitlich geschädigt werden, können
sie sich geltend machen. Erfahrungsgemäss wird diese Ursache noch
häufig wegen ihrer Unauffälligkeit übersehen. Und welch einen Segen
für die kleinen Patienten ihre Entfernung im Gefolge hat, ist heut¬
zutage jedem Arzte und auch vielen Laien so bekannt, dass ich
wohl kein Wort mehr darüber zu verlieren brauche.
Ebenso können auch Anhäufungen von Krusten bei der Stink-
nase (Ozaena) zur Verstopfung und hiermit — abgesehen von
dem Reiz, den sie auf die Schleimhaut ausüben können — zu Kopf¬
schmerz führen, Beschwerden, die alsbald mit der Beseitigung des
Hindernisses durch ausgiebige Ausspülungen der Nase zu ver¬
schwinden pflegen. Diese Heilwirkung wird man aber nur bei der
genuinen Ozäna erreichen können, da bei der durch chronische
Nebenhöhlenempyeme verursachten die Behandlung des Kopf¬
schmerzes natürlich mit deren Behandlung zusammenfallen muss.
Von den entzündlichen Prozessen sind es hauptsächlich die
chronischen Entzündungen der Nasennebenhöhlen, welche Ver¬
anlassung zum zerebralen Kopfschmerz geben können, während bei
den akuten Affektionen der lokale in den Vordergrund zu treten,
pflegt. Welches Moment aber jedesmal das ihn auslösende ist, ob
die fast nie fehlenden Polypen und Granulationen oder die durch
die Entzündung an sich bewirkte Zirkulationsstörung oder beides
zusammen, ist schwer festzustellen. Jedenfalls hat die Schwere und
das Alter der Entzündungen keinen Einfluss, da der Kopfschmerz
trotz allem auch vollständig fehlen kann. Nur selten handelt es
sich bei ihnen um sehr intensive, rasende Schmerzen. Sie pflegen,
sich vielmehr in erträglichen Grenzen zu halten und einen nur wenig
ausgesprochenen, unbestimmten Charakter zu zeigen. Anders aber,
wenn ein chronisches Empyem exazerbiert. Dann können sich vor¬
übergehend ähnliche Schmerzen einstellen, wie ich bei den akuten
Empyemen geschildert habe, die aber fast niemals jenen intensiven
Grad erreichen und nach einer Dauer von drei bis vier Tagen voll¬
kommen verschwinden. t
Ein weit ernsteres und wesentlich ungünstigeres Bild wird
aber der zerebrale Kopfschmerz zeigen, wenn er intrakranielle
Komplikationen ankündigt, wie sie im Gefolge von eitrigen
Prozessen der Nase und ihrer Nebenhöhlen auftreten können. Und
die Möglichkeit zur Entstehung von Abszessen des Gehirns und
seiner Häute, von Meningitis und Thrombophlebitis entweder durch
Fortleitung der Entzündungsprodukte und Bakterien in das Schädel-
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innere auf dem Wege der Blut- und Lymphbahnen (vielleicht auch
der Nervenscheiden) oder infolge direkten Durchbruches des Eiters
durch den dünnen Knochen (Defektbildung), zumal beim Siebbein-
und Keilbeinhöhlenempyem, ist durch die Sektion vielfach nach¬
gewiesen. Abgesehen davon, dass der Kopfschmerz meist mit dem
Fortschreiten des intrakraniellen Prozesses bis zum Eintritt der Be¬
wusstlosigkeit an Stärke zunimmt, bietet er im allgemeinen nichts
Charakteristisches dar, bildet aber im Verein mit anderen Hirn¬
druckerscheinungen wie Schwindel und Erbrechen ein diagnostisch
wertvolles Symptom, das allerdings leider nicht konstant ist und
bei allen Gehirnleiden ebenso vorhanden sein wie fehlen kann. Nur
bei der akuten Meningitis wird man es 1 wohl niemals vermissen.
Ausser durch Zirkulationsstörungen in der Nase, also auf me¬
chanischem Wege, kann der zerebrale Kopfschmerz auch durch
Fernwirkung, also reflektorisch, entstehen. Sein Auf¬
treten ist in letzterem Falle aber stets an eine Bedingung geknüpft,
nämlich an das Vorhandensein eines erkennbaren Grades von Neur¬
asthenie. Dabei ist es nicht notwendig, dass immer das ganze
Nervensystem erkrankt ist; es gibt, wie Rossbach (zitiert nach
M. Schmidt) richtig bemerkt hat, auch eine auf einzelne Abschnitte
desselben beschränkte neurasthenische oder hysterische Beschaffen¬
heit des Nervensystems. Das Wesen der reflektorischen Cephalaea
besteht also darin, dass bei nervös disponierten Leuten von einem
Punkte in der Nase aus eine Reizung ausgeht, welche sich auf die
Nerven der Gehirnhäute überträgt und als Kopfschmerz empfunden
wird. Die Reizung kann auf verschiedene Weise zustande kommen.
Was den durch Nasenpolypen verursachten Kopfschmerz an¬
langt, so spielt gelegentlich bei ihm der Reiz eine Rolle, den sie
auf die benachbarte Schleimhaut der Nasenhöhle ausüben. So weist
Scheinmann darauf hin, dass sie unter Umständen eine Hyper¬
ästhesie der Nasenschleimhaut hervorrufen können, „in¬
dem sie, fast immer im mittleren Nasengang oder an der mittleren
Muschel sitzend, im Anfang zwar keine Symptome machen, bei
weiterem Wachstum aber durch den Luftstrotn hin- und herbewegt
werden, wobei sie bald die Schleimhaut des Septum, bald die der
Muscheln treffen und so zahlreiche Nervenreize verursachen“. Vor
allem ist dann eine Hyperästhesie von seiten der Polypen zu er¬
warten, w’enn die an Nerven reichste Stelle der Nase, das Tuber¬
culum septi, betroffen wird. Ausser verschiedenen anderen Fem-
wirkungen, in deren erster Reihe das Asthma steht, ist häufig dif¬
fuser • Kopfschmerz einer oder beider Seiten die Folge und zwar
schon zu einer Zeit, wo sie wegen ihrer geringen Grösse noch kaum
Stauungserscheinungen oder Verstopfung hervorrufen können und
■wo der Patient selbst von ihrem Vorhandensein keine Ahnung hat.
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23] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden and seine Diagnose. 197
Ein typisches Beispiel dafür bietet folgender Fall:
Fall VII.- Eine 43 Jahre alte Dame klagte seit zwei Jahren
über dumpfe Schmerzen in der Stirn- und Schläfengegend und be¬
ständige Eingenommenheit des Kopfes. Zeitweise hatte sie auch das
Gefühl, als lege sich ein Reifen um ihren Kopf. Sie hat früher wieder¬
holt an Schnupfen gelitten, ist aber nach Ablauf desselben stets von
Ausfluss frei geblieben und hat niemals über Nasenverstopfung zu
klagen gehabt.
Bei der am 7. Februar 1907 vorgenommenen Untersuchung
fand ich die linke Nasenseite völlig frei, in der rechten dagegen sah
ich an der Unterseite der mittleren Muschel einen grauroten, etwa
bohnengrossen Polypen sitzen, welcher dem Durchtritt der Luft kein
Hindernis bereitete. Sekret war nirgends vorhanden. Die Durch¬
leuchtung ergab ein durchaus negatives Resultat. Beim Beklopfen
der Stirn und Betasten des Schädels nirgends Schmerzempfindlich¬
keit, ebensowenig bei Druck auf den inneren Augenwinkel oder
die Wangengegend. Zunächst machte ich den Versuch, durch Ko-
kainisieren des Polypen nebst seiner Umgebung einen Nachlass des
Kopfschmerzes herbeizuführen. Dieser gelang insofern, als Patientin
sofort erklärte, dass sie sich schon wesentlich erleichtert und freier
im Kopfe fühle. Auf Grund dieses Befundes teilte ich ihr nunmehr
mit, dass ich zwar einen ursächlichen Zusammenhang der Kopf¬
schmerzen mit der Anwesenheit des Nasenpolypen für sehr wahr¬
scheinlich hielte, dass ich aber eine Garantie dafür nicht über¬
nehmen würde, da ihre Beschwerden auch rein nervösen Ur¬
sprunges sein könnten zumal in Anbetracht des Umstandes, dass
sie sich gerade in den Wechseljahren befände. Nachdem ich sie
von der Harmlosigkeit der kleinen Operation überzeugt hatte, ent¬
fernte ich den Polypen mit der kalten Schlinge. Vom nächsten Tage
ab, wo ich den Tampon entfernte, war der Kopfschmerz verschwunden
und blieb es auch, als sie sich nach mehreren Wochen wieder vor¬
stellte.
Die Promptheit und noch mehr die Dauer des Heilerfolges
lassen einen etwaigen Zweifel, wie er schon erhoben worden ist,
als ob es sich in solchen Fällen nur um eine Suggestion bezw.
Autosuggestion gehandelt hätte, nicht aufkommen, zumal auch von
anderen Seiten schon eine Reihe ähnlicher Beobachtungen von Be¬
seitigung des Kopfschmerzes durch Operation von Nasenpolypen
vorliegt.
Wenn wir nun auf das ebenso in Zweifel gezogene Kausalitäts¬
verhältnis zwischen der Cephalaea und den häufig vorkommenden
knöchernen Leisten und Dornen der Nasenscheidewand ein-
gehen, so ist es ja auf den ersten Blick unbegreiflich, wie diese Ge¬
bilde, die schon seit langen Jahren, vielleicht schon von frühester
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Jugend an vorhanden sind, auf einmal zu Kopfschmerzen Anlass
geben sollen. Meiner Meinung nach pflegen sie auch -ganz symptom¬
los zu sein und zu bleiben, solange sie nicht bei nervös veranlagten
Menschen in Berührung mit der gegenüberliegenden Muschel kommen
und durch Druck auf das reich verzweigte Gefäss- und Nervennetz
derselben einen beständigen oder temporären Reiz ausüben, ab¬
gesehen davon, dass sie zu gleicher Zeit auch die betreffende Nasen¬
seite mehr oder weniger verstopfen können. Für die Annäherung
von knöcherner Leiste und Muschel — es handelt sich hier meist um
die untere — kommen drei Möglichkeiten in Betracht, 1. dass das
Lumen der Nasenhöhle sich durch den wachsenden Schädel all¬
mählich verengert, 2. dass, wie wir im Fall VI gesehen haben, die
Muschel hypertrophisch wird, und 3. dass durch eine Gewalt¬
einwirkung wie Schlag oder Fall auf die Nase an der Bruchstelle
der Nasenscheidewand sich ein Kallus bildet, der bis zur gegen¬
überliegenden Muschel hinüber reicht. Welche von beiden, ob Muschel
oder Leiste, die Schuld an dem zum Kopfschmerz führenden Nerven¬
reiz trägt, wird man an dem Vorhandensein oder Fehlen einer
Muschelschwellung ersehen können und darnach die Behandlung
einrichten, also im ersteren Falle die Hypertrophie, im letzteren
die Knochenleiste oder, falls das noch nicht genügt, beide entfernen.
Im folgenden durch ein Trauma entstandenen Fall von Nasen¬
kopfschmerz wirkte ausser der Kallusbildung wahrscheinlich auch
die dadurch verursachte Verstopfung der betreffenden Seite mit:
Fall VIII. Ein nach eigener Angabe nervöser und leicht reiz¬
barer Kaufmann von 40 Jahren erhielt bei einer Schlägerei vor drei
Jahren einen Stockhieb über die Nase, welcher eine heftige Blutung
und Anschwellung derselben zur Folge hatte. Er begab sich damals
sofort zum Arzt, der die Nase auf beiden Seiten tamponierte und
kalte Umschläge verordnete, worauf die Blutung zum Stillstand kam.
Nach Rückgang der Geschwulst bemerkte aber Patient, dass eine
Verbiegung seiner Nase zurückgeblieben war und dass er keine
Luft mehr durch die rechte Seite bekommen konnte. Ebenso fehlte
ihm auch hier die Geruchsempfindung. Seine Hauptklage bestand
jedoch in einem dumpfen Druck meist in der vorderen Hälfte des
Kopfes, der in ihm wegen seiner Beständigkeit die Befürchtung er¬
weckte, dass er in Geisteskrankheit übergehen werde, und ihn des¬
halb ganz melancholisch machte.
Die äussere Untersuchung vom 18. September 1906 ergab,
dass seine Nasenspitze sattelförmig eingedrückt erschien. Ent¬
sprechend dieser Delle war von aussen eine knorpelige Verdickung
der Nasenscheidewand durchzufühlen. Die Nasenbeine selbst be¬
fanden sich in ihrer richtigen Lage. Bei Betrachtung des Nasen-
innern fand ich, dass auf der linken Seite die untere und mittlere
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25] Der Kopfschmerz als hftofige Folge von Naeenleiden und seine Diagnose. 199
Muschel atrophisch waren und das Septum, wenigstens in seinem
vorderen Teil, mit einer scharfen Knickung nach der anderen Seite
ausgebuchtet war. Dieser Ausbuchtung entsprach auf der rechten,
Seite eine starke, mit der Sonde sich hart wie Knochen anfühlende,
unregelmässig geformte Hervorwölbung der Nasenscheidewand,
welche den Einblick fast unmöglich machte und sich so an die, so¬
weit erkennbar, ebenfalls atrophische untere Muschel drängte, dass
nur wenig Luft beim Atmen hindurchstreichen konnte. Diese Ver¬
engerung wurde noch dadurch vermehrt, dass bei der Einatmung der
rechte Nasenflügel angesogen wurde, wodurch ein völliger Abschluss
gegen die Luft entstand. Es handelte sich hier also um einen schief
verheilten Bruch der Cartilago quadrangularis septi.
Da der etwas ängstliche Patient auf eine schnelle und möglichst
schmerzlose Befreiung von seinen Beschwerden Wert legte, machte
ich zunächst mit einer starken Kokain-Suprareninlösung die gesamte
Schleimhaut des unteren und mittleren Nasenganges unempfindlich
und infiltrierte dann die über der Kallusbildung befindliche Schleim¬
haut mit Schleich’scher Lösung, worauf ich den Vorsprung mit
einer dicken Trephine entfernte, was bei zweimaligem Eingehen in
wenigen Sekunden und Säst ohne jeden Schmerz und Blutverlust,
sowie ohne Perforation des Septums geschah. Sofort nach Ent¬
fernung und Glättung der zurückgebliebenen Unebenheiten spürte
Patient eine wohltuende Erleichterung beim Atmen. In den nächsten
zwei Tagen hielt der Kopfschmerz infolge der wegen drohender
Nachblutung notwendigen Tamponade noch an, nahm aber dann
ab und war nach acht Tagen gänzlich verschwunden. Gegen das
Ansaugen des geradezu atrophisch gewordenen Nasenflügels liess
ich noch eine Zeitlang einen passenden Nasenöffner tragen. Nach
Verheilung der Wunde, die drei bis vier Wochen in Anspruch nahm,
war Patient von allen seinen Beschwerden befreit.
Freilich nicht in jedem Falle von Berührung des Septums mit
der Muschel brauchen Kopfschmerzen aufzutreten. So sieht man
zuweilen bei Fehlen von nervöser Disposition einen spitzen Dom
sich in die gegenüberliegende Muschel bohren, ohne Symptome zu
machen. In anderen Fällen dagegen können wir manchmal gar keinen
sichtbaren Grund für das Bestehen von Kopfschmerz in der Nase
entdecken und doch rührt er von einer Erkrankung derselben her,
die, wenn auch nicht mit dem Auge, so doch mit der Sonde gefunden
Werden kann, nämlich von einer angeborenen oder er¬
worbenen Hyperästhesie der Schleimhaut. Wie die tägliche
Erfahrung lehrt, ist die Empfindlichkeit der Kranken gegen die Be¬
rührung ihrer Nasenschleimhaut mit der Sonde ausserordentlich ver¬
schieden. Während die einen fast unempfindlich sind, äussern die
andern ein lebhaftes Schmerzgefühl. Ja es ist mitunter möglich,
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durch Berührung besonders empfindliche Stellen, z. B. das Tuber¬
culum septi, ausfindig zu machen, welche sofort mit Kopfschmerz
darauf reagieren und auch von den Kranken als Ausgangspunkt
angesehen werden. Andererseits ist es gelungen, durch Bestreichen
derartiger Stellen mit Kokain den bestehenden Kopfschmerz zum
Vercshwinden zu bringen. Man findet die Hyperästhesie ebenfalls
nur bei reizbaren, nervösen Personen. Hierher gehört auch der
Kopfschmerz, welcher empfindliche Leute beim Einatmen starker
oder unangenehmer Gerüche befällt. Roe glaubte gefunden zu
haben, dass der reflektorische Kopfschmerz in dem unteren und
hinteren Teil der Schläfen-, Seitenwand- und Hinterhauptsgegend
von der unteren Muschel und dem! unteren Teil des Septums, der
Schläfenschmerz von der mittleren Muschel und der Stirn- und Supra¬
orbitalschmerz von der oberen Muschel herrühre. Dagegen hat die
neuere Forschung festgestellt, dass es keine bestimmten und aus¬
schliesslichen Reizstellen gibt, sondern dass von jeder Stelle der
Nasenschleimhaut aus der Reflex zum Kopfschmerz ausgehen kann.
Nur das kann man mit M. Schmidt wohl als Regel ansehen, dass
auf Femwirkung beruhende Schmerzen im vorderen Teil des Kopfes,
in der Stirn, durch Erkrankungen der vorderen Nase und die im
Hinterkopf durch Erkrankungen des hinteren Nasenabschnittes oder
des Kavums erzeugt werden.
Die Diagnose des nasalen Kopfschmerzes.
Wenn wir nun die besprochenen drei Formen des nasalen
Kopfschmerzes auf ihre Bedeutung für die Erkennung von Nasen¬
krankheiten prüfen, so gelangen wir zu dem Resultat, dass nur
die lokalen Schmerzen die eigentlich charakteristischen und un¬
verkennbaren sind, da sie sich, wie wir gesehen haben, willkürlich
hervorrufen oder steigern lassen und der direkten Untersuchung
leicht zugänglich sind. Allerdings ist bei ihnen die Einschränkung
zu machen, dass sie uns oft nur auf irgend eine akute entzündliche
Affektion im Bereiche der Nase und ihrer Nebenhöhlen hinweisen,
wobei aber die Frage nach der näheren Lokalisation und Art der
Erkrankung noch offen bleibt und erst durch eine eingehende rhino-
skopische Untersuchung gelöst werden kann. Ausserdem entzieht
sich natürlich der hintere Nasenabschnitt der direkten Untersuchung
von aussen. Immerhin ist die durch Betasten oder Beklopfen leicht
festzustellende Empfindlichkeit der angegebenen Stellen der Kiefer*
und vor allem der Stimhöhlenwand so einzigartig, dass sie, auch
wenn andere Symptome eines Nasenleidens gänzlich fehlen, nicht
leicht mit anderen Affektionen verwechselt werden kann. Nur sehr
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27] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 201
selten wird es Vorkommen, dass gerade und ausschliesslich im Be¬
reiche der Stirn- oder Kieferhöhlen wand sich eine Erkrankung
der Schädelknochen etwa nach Lues, nach Eiterungen oder
Traumen etablieren sollte, welche anfangs die Diagnose erschweren
könnte. Doch wird die Betastung der erkrankten Stelle gewiss rasch
zum Erkennen von verdickten oder erweichten Partien verhelfen,
wobei aber stets zu bedenken ist, dass die Knochenerkrankung durch
Übergreifen auf die dahinter liegende Höhle auch mit einer eitrigen
oder jauchigen Entzündung derselben kompliziert sein kann.
Weit grösseren Schwierigkeiten begegnet die Diagnose der
neuralgischen Form des nasalen Kopfschmerzes. In vielen
Fällen wird die Unterscheidung von der gewöhnlichen Trige¬
minusneuralgie (Tic douloureux, Prosopalgie) ohne
innere Untersuchung der Nase nicht möglich sein. Ein wichtiges
diagnostisches Hilfsmittel bietet hierbei die Frage nach den
vorangegangenenKrankheiten. Erfahren wir nämlich, dass
der Kranke früher einmal Malaria oder Gelenkrheumatis¬
mus — beides imbestrittene und häufige Ursachen für eine Neuralgie
— durchgemacht hat, so werden wir die halbseitigen Kopf- oder
Gesichtsschmerzen zunächst wohl auf diese beziehen müssen. Be¬
sondere Vorsicht aber müssen wir walten lassen, wenn eine In¬
fluenza vorangegjangen ist. Zwar wird diese von vielen Autoren
für die häufigste Ursache der Trigeminusneuralgie angesehen. Aber
zahlreiche Beobachtungen haben neuerdings bewiesen, dass sie
keineswegs immer wirklichen Neuritiden im Bereiche des Trigeminus,
sondern weit mehr übersehenen Nebenhöhlenentzündungen ihren Ur¬
sprung verdanken! H a j e k erklärt sogar, dass er bisher noch keine
Influenzaneuralgie im Gebiete des Trigeminus gesehen habe, hinter
der nicht eine akute Entzündung einer Nebenhöhle gesteckt hätte I
Vorzugsweise wird bei Infektionskrankheiten der
erste Trigeminusast befallen, während der zweite meist durch die
Erkrankungen der Zähne in Mitleidenschaft gezogen wird,
ebenso wie der dritte, der aber bei Nasenleiden unbeteiligt ist imd
hier übergangen werden kann. Wir werden also bei jeder S u p r a -
maxillarneuralgie unser Augenmerk auch auf die Beschaffen¬
heit der oberen Zähne, besonders der Mahlzähne richten und uns
zugleich daran erinnern müssen, dass nicht nur Zahnkaries,
sondern nach den Beobachtungen von Brönnecke auch in Zähnen
mit gesunder Oberfläche Pulpaerkrankungen infolge von
Stauungshyperämie oder von Kalkeinlagerungen zu schweren Supra-
maxillarneuralgien führen können. Liegt also weder eine Infektions¬
krankheit, noch Karies, noch eine Erkrankung der Pulpa des Zahnes
vor — letzterer ist dann beim Beklopfen schmerzhaft und bleibt
dunkel bei Durchleuchtung — so können wir mit grosser Wahrschein-
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lichkeit ein Nasenleiden als Entstehungsursache des halbseitigen
Schmerzes annehmen.
Von ebenso grosser Bedeutung ist die Unterscheidung der
nasalen Neuralgie von der Migräne, unter deren Flagge sie mit
Vorliebe segelt, zumal auch einige Autoren leider jeden halbseitigen
Kopfschmerz oder Gesichtsschmerz mit Migräne bezeichnet und da¬
durch eine unheilvolle Verwirrung in der Differentialdiagnose her¬
vorgerufen haben. Die Migräne bietet aber ein scharf umzeichnetes
Krankheitsbild dar, das auch in seinem atypischen Verhalten immer
noch unverkennbare Symptome zeigt. Zunächst ist sie nach Möbius
eine Gehimkrankheit, die auf erblicher Anlage beruht und
bis in die Jugend zurückreicht. Sie tritt zwar ebenso wie die nasale
Neuralgie mit meist nur halbseitigen Schmerzanfällen auf. Diesen
pflegen aber meist Prodromalerscheinungen, bestehend in
Abgeschlagenheit, Ohrensausen, Flimmern vor den Augen, Übel¬
keit etc. voranzugehen, welche den Kranken als sicheres Zeichen
ihres herannahenden Leidens bald bekannt werden. Die Schmerz¬
anfälle selbst pflegen im allgemeinen einen kontinuierlichen, nicht
intermittierenden (wie bei den Neuralgien) Charakter zu zeigen.
Vielfach sind sie auch begleitet von vasomotorischen Erschei¬
nungen, die sich in Blässe oder Rötung der befallenen Seite, in
Erweiterung der Pupille und vermehrter Speichelabsonderung
äussem, Erscheinungen, die ich bei den nasalen Neuralgien noch
nicht beobachtet oder beschrieben gefunden habe. Auch fehlen bei
der Migräne gewöhnlich besondere Schmerzpunkte, dagegen ist die
ganze Kopfhaut auf der kranken Seite meist hyperästhetisch. Können
nun in den atypischen Fällen von Migräne verschiedene Ab¬
weichungen von diesem Verlaufe Vorkommen, so fehlt doch fast nie
das wichtigste Unterscheidungsmerkmal, das Erbrechen. Das¬
selbe kommt bei Nasenneuralgien, abgesehen von Gehirnkompli¬
kationen, niemals zur Beobachtung. Ich glaube daher, dass die an¬
geblichen Beobachtungen von „Migräne bei Nasenleiden“, speziell
bei Nebenhöhlenentzündungen, auf Irrtum beruhen insofern, als es
sich hier wohl um halbseitige, migräneartige Kopfschmerzen,
aber nicht um typische Migräne gehandelt hat.
Ausserdem könnten für die Differentialdiagnose auch noch ein¬
seitig lokalisierte Schmerzen im Verlaufe von Erkrankungen der
Mandeln (Mandelpfröpfe I), des Rachens, des Ohres und Auges in
Frage kommen, die aber meist durch eine gleichzeitige Störung der
Funktion, also des Schluckens, Hörens oder Sehens erkennbar sein
werden. Andererseits darf man nicht ausser acht lassen, dass im
Gefolge von Nasenleiden auch Störungen im Gebiete des Sehr
Organes Vorkommen können. Gerade in bezug auf die sekundären
Erscheinungen am Auge erlebt man es nicht selten, dass die Pa-
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29] Der Kopfschmerz als häufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 203
tienten ihr Grundleiden darin sehen und zunächst einen Augenarzt
zu Rate ziehen.
Was schliesslich den rheumatischen Kopfschmerz,
das sogenannte „Kopfreissen“, anlangt, unter dessen Diagnose ge¬
legentlich sich eine Nasenneuralgie verbirgt, und der durch eine
Erkrankung der Galea und der Muskelansätze bedingt wird, so lässt
er sich unschwer durch Palpation der druckempfindlichen, manch¬
mal schwielig verdickten Stellen der Kopfschwarte feststellen. Auch
pflegen in Verbindung damit die nach dem Hinterkopf herauf ziehenden
Muskeln des Nackens ebenfalls schmerzhaft zu sein.
Der zerebrale Schmerz an sich bietet dagegen keine An¬
haltspunkte für das Vorhandensein von Nasenleiden, da Art und
Sitz desselben vor dem durch andere Krankheiten hervorgerufenen,
keine besonderen Eigentümlichkeiten zeigt. Für den mit der Hand¬
habung des Nasenspekulums oder in der Erkennung von Nasenleiden
nicht durchaus erfahrenen Arzt ist demnach hier grosse Vorsicht in
der Beurteilung geboten, wenn er nicht gelegentlich in schwere
Irrtümer verfallen will. Zwar gibt es eine Reihe von Kopfschmerz¬
fällen, deren Ursache sich schon durch die Anamnese feststellen
lässt. Das sind die sogenannten passageren, d. h. vorüber¬
gehenden Kopfschmerzen, wie sie nach Exzessen in Baccho, bei
Magen- und Darmstörungen, bei Einwirkung von intensiven und
unangenehmen Geräuschen und von grellem Licht Vorkommen
können, und für die kaum ärztliche Hilfe in Anspruch genommen
wird. Abgesehen hiervon ist aber eine grosse Zahl von Leiden
bekannt, welche von habituellen Kopfschmerzen begleitet sein
können, so die Anämie, Hyperämie, Urämie, Diabetes, Vergiftungen,
Infektionskrankheiten, Syphilis, Akkommodationsstörungen und Er¬
krankungen des Gehirns und seiner Häute. Nur eine eingehende
Untersuchung des gesamten Körpers einschliesslich seiner Se- und
Exkrete wird Aufklärung darüber schaffen können, ob eine von
diesen Erkrankungen vorliegt oder ob ein Nasenleiden angenommen
werden muss.
Besondere Schwierigkeiten für die Differentaldiagnose bietet
erfahrungsgemäss die Neurasthenie dar. Die bei dieser auf¬
tretenden zerebralen Erscheinungen, bestehend in Kopfdruck, der
sich bald mehr auf die Stirn, bald mehr auf den Hinterkopf legt
und sich manchmal zu wirklichen Schmerzen steigert, sowie in
Eingenommenheit und Unlust zur Arbeit, sehen den durch Nasen¬
leiden erzeugten ausserordentlich ähnlich. Es genügt hier nicht,
lediglich das Nervensystem einer Untersuchung zu unterziehen, viel¬
mehr ist in jedem Falle von „neurasthenischem Kopfschmerz“ auch
eine Untersuchung des Naseninnern nötig. Lehrt doch die Erfahrung
fast täglich, dass sich hinter der angeblichen Neurasthenie gar häufig
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ein Nasenleiden, meist ein latentes Nebenhöhlenempyem, verbirgt!
Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass die Neurasthenie mit einem
Nasenleiden kombiniert sein kann, derart, dass der Zustand
des Nervensystems die nasale Affektion fördert und sie zum Aus¬
gangspunkt der Schmerzen werden lässt.
Endlich kann auch die Hysterie in Frage kommen, insofern,
als sie anscheinend so charakteristische Kopfschmerzen, besonders
in der Stirngegend, vorzuspiegeln imstande ist, dass schon wieder¬
holt ein Stimhöhlenempyem angenommen und die betreffende Stirn¬
höhle unnötigerweise von aussen aufgemeisselt worden ist, ein
Fehler, der wohl nur durch eine oberflächliche Untersuchung hat
verschuldet werden können.
Schluss.
Kann somit die Diagnose des nasalen Kopfschmerzes in
latenten Fällen grosse Schwierigkeiten bereiten, so wird sie in vielen
anderen dadurch erleichtert, dass die an den Patienten gerichtete
Frage nach ein- oder doppelseitigem Ausfluss aus der Nase, nach
Verstopfung einer oder beider Nasenhälften oder nach Störung der
Geruchsempfindung bejahend ausfällt. Merkwürdigerweise aber
werden diese Symptome häufig nicht beachtet oder als harmloser
Schnupfen gedeutet, da man sich noch nicht von der recht verbreiteten
Ansicht losmachen kann, dass ernste Erkrankungen der Nase und
ihrer Nebenhöhlen sich in besonders auffälliger Weise seitens der
Nase äussern müssten, was aber nicht der Fall ist.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich, um keine Irrtümer auf-
kommen zu lassen, ausdrücklich betonen, dass der Kopfschmerz
kein notwendiges Glied in der Symptomenkette der Nasenerkran¬
kungen repräsentiert, und dass selbst schwere, hauptsächlich chro¬
nische Nasenleiden, mögen sie durch Entzündungen oder durch Ge¬
schwülste veranlasst sein, ohne jeden Schmerz verlaufen können.
Andererseits muss man, auch wenn ein positiver Befund in der
Nase vorliegt, sich doch hüten, ihn in jedem Falle als Ursache
eines gleichzeitig bestehenden Kopfschmerzes hinzustellen. Ist es
doch schon vorgekommen, dass nach Beseitigung des Nasenleidens
der Kopfschmerz dennoch weiter bestehen bleibt oder dass er rasch
wiederkehrt, weil ihm noch ein anderes Leiden zugrunde liegt. Wenn
dies auch nur Ausnahmefälle sind, so tut man doch gut, wenn
man in allen Fällen von Kopfschmerz, die nicht sicher mit dem dia¬
gnostizierten Nasenleiden in Einklang gebracht werden können, sich
diese Möglichkeit vor Augen hält und sie dem Kranken vor der Be-
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31] Der Kopfschmerz als h&ufige Folge von Nasenleiden und seine Diagnose. 205
handlung klar macht, um sich nicht späteren Vorwürfen aus¬
zusetzen.
Diesen immerhin seltenen Misserfolgen gegenüber steht aber
die grosse Zahl der geradezu glänzenden Resultate, welche die lokale
Behandlung von Nasenleiden gerade in der Beseitigung des nasalen
Kopfschmerzes aufzuweisen hat, Resultate, die vom Kranken um
so mehr anerkannt zu werden pflegen, als sich die intranasalen
Eingriffe durch eine sorgfältige lokale Anästhesie zumeist ganz
schmerzlos ausführen lassen. Diese Erfolge sind es auch gewesen,
welche die früher vielfach als nebensächlich betrachtete Nasenheil¬
kunde im Ansehen von Ärzten und Laien gehoben und ihr einen be¬
rechtigten Platz in der Chirurgie errungen haben.
Wenn ich nun zum Schluss das Fazit aus meinen Aus¬
führungen ziehen darf, so lässt sich dasselbe dahin zusammenfassen,
dass der nasale Kopfschmerz, auch wenn er das einzige Symptom
ist, in seiner lokalen und in gewissen Fällen auch in seiner neur-«
algischen Erscheinungsform mit grösster Wahrscheinlichkeit auf das
Vorhandensein eines Nasenleidens hinweist, dass aber die zerebrale
Form nur dann für die Diagnose verwertbar ist, wenn noch andere
Symptome seitens der Nase vorhanden sind. Da aber, wie die Er¬
fahrung lehrt, die latenten Fälle verhältnismässig häufig Vorkommen,
so ist es unbedingt nötig, dass in jedem Falle von
Kopfschmerz, der nicht mit Sicherheit auf ein
anderes Leiden zurückgeführt werden kann, eine
sachgemässe Untersuchung der Nase und ihrer
Nebenhöhlen stattzufinden hat.
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Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infek¬
tionskrankheiten.
Von
Dr. Hermann Lüdke v
Privatdozent und I. Assistent der medizinischen Klinik in WÜrzburg.
Die Untersuchungsmethoden der praktischen Bakteriologie
haben sich dank der Zusammenarbeit von Bakteriologen und
Klinikern für die Diagnostik der Infektionskrankheiten unbestrittene
Geltung verschafft. Für die Klinik, die über gut eingerichtete Labo¬
ratorien verfügt, bietet die bakteriologische Untersuchungsmethode
nicht allein eine grössere Exaktheit, sondern auch eine wesentliche
Erleichterung der Diagnosenstellung. Das klinische Symptombild
einer Infektionskrankheit erfährt seine wertvollste Ergänzung
durch den Nachweis des spezifischen Erregers.
Der Wert der Untersuchungsmethoden der angewandten Bak¬
teriologie entspricht vielfach dem Bedürfnis einer exakten Diagnosen¬
stellung in dubiösen Erkrankungsfällen, andererseits sichert der
Nachweis spezifischer Bakterien nicht allein die klinische Diagnose,
nicht selten kann auf Grund des bakteriologischen Untersuchungs¬
befundes die Diagnose erst gestellt werden. Es hiesse aber zu weit
gegangen, wenn man zugunsten der bakteriologischen Untersuchung
der Sekrete und Exkrete die klinische Beobachtung vernachlässigen
wollte und die Diagnostik der Infektionskrankheit gleichsam ins Labo¬
ratorium verlegte. Denn die bakteriologische Diagnostik bietet auch
für den geübten Untersucher mannigfache Schwierigkeiten, die
einesteils durch die Kompliziertheit, andererseits durch den aus¬
gesprochenen Mangel an zulänglichen Methoden bedingt sind.
Wie die klinische Diagnose mancher Infektionen erst nach
Tagen sorgfältigster Beobachtung und Berücksichtigung sämtlicher
differentialdiagnostischer Momente mit Sicherheit gestellt werden
kann, erfordert die bakteriologische exakte Diagnose die Verwertung
Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 9. 15
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zahlreicher Methoden, die zu ihrer Vollendung ebenso Tage bean¬
spruchen.
Und wie wir unter den Infektionskrankheiten typische klinische
Bilder finden, die durch einen charakteristischen Symptomkomplex
ausgezeichnet sind, verfügt die bakteriologische Diagnostik über
typische Färbungs- und Züchtungsmethoden, über die biologische
Serumprüfung und Tierexperimente, die ebenso charakteristische Be¬
obachtungsresultate darbieten.
Grosse Bedeutung wäre morphologischen Differen-
zierungs merkmalen der Bakterien insofern beizulegen, als
sich aus der Form, der Grösse der Keime, ihrer Lagerung, etwaigen
Bestandteilen im Protoplasma diagnostisch wichtige Schlüsse auf
die spezifische Art machen Hessen. Die morphologischen Unter¬
suchungen der Bakterien sind jedoch bisher nicht über die Kenntnis
ihrer äusseren Umrisse hinausgekommen; von ihrem feineren Bau
ist so gut wie nichts bekannt. Typhusbazillen können wir von Para¬
typhusbazillen, von Koliarten durch morphologische Unterscheidungs¬
merkmale nicht differenzieren; im mikroskopischen Präparat er¬
kennen wir nur Kokken-, Bazillen- oder Schraubenformen, die durch
diese Gestaltungen wie durch einzelne charakteristische Wuchsver¬
bände geringe diagnostische Anhaltspunkte bieten.
Aber auch hier finden wir mannigfache Übergänge der charak¬
teristischen Formen in atypische. Mir sind so z. B. Dysenterie¬
stäbchen, frisch aus den Dejektionen Ruhrkranker gezüchtet, zu
Gesicht gekommen, die bei wochenlangen Überimpfungen typische
Kokkenformen behielten, trotzdem die Züchtungsversuche und bio¬
logischen Eigenschaften für echte Ruhrbazillen, die gewöhnlich
Bazillenform haben, sprachen.
Es gibt keine konstanten, mikroskopisch nachweisbare Dif¬
ferenzen im Bau der Bakterien. In vielen Fällen können wir jedoch
Wahrscheinlichkeitsschlüsse auf die Bakterienart aus
ihrer Gestaltung, Grösse, Lagerung ziehen, Schlüsse, die selbst
sehr nahestehende Arten, wie etwa Pseudodiphtheriebazillen und
Diphtheriebazillen oft voneinander zu unterscheiden gestatten.
In anderen Fällen können nahestehende, zu einer Gruppe ge¬
hörige Bakterien durch ihre mangelnde oder ausgesprochene Be¬
weglichkeit differenziert werden. Die zur grossen Gruppe der
Typhus-Kolierreger gehörigen Dysenteriebazillen zeichnen sich durch
ihren Mangel an Eigenbewegung, die Typhus- wie Kolibazillen zu¬
kommt, aus.
Färbungsmethoden können in manchen Fällen wichtige,
differentialdiagnostische Aufschlüsse geben. Ausser der bekannten!
Gramfärbung erwähnen wir nur die Neisser’sche Doppel-
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3] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten.
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färbung, die es ermöglicht, Diphtheriebazillen von den Pseudo¬
diphtheriebazillen zu unterscheiden.
Die Wachstumseigenschaften auf verschiedenartigen
Nährböden dienen weiterhin zur Differenzierung verwandter Bak¬
terienarten. Gleichmässigkeit in der Zusammensetzung der Nähr¬
böden ist die erste Bedingung, um nahe verwandte Arten voneinander
zu unterscheiden, und die Züchtung muss unter den gewöhnlichen
Verhältnissen, die den natürlichen Wachstumsbedingungen nach Mög¬
lichkeit entsprechen, stattfinden. Die Variabilität der Bakterien darf
danach nicht durch abnorme Temperaturverhältnisse, durch unge¬
eignete Nährböden künstlich gesteigert werden. Die künstlichen
Züchtungsprodukte, die auf diese Weise erhalten werden können,
pflegen dann kaum noch Ähnlichkeiten mit der Ausgangskultur zu
besitzen. Die Bakterien passen sich der Beschaffenheit des Nähr¬
substrats an und erleiden unter ungünstigen Wachstumsverhält¬
nissen Modifikationen in ihrem anatomischen Bau, in ihren biologi¬
schen Eigenschaften, die bisweilen nur schwer durch Umzüchtung
auf den günstigen Nährböden die Wiedererlangung ihrer ursprüng¬
lichen Eigenschaften bewirken.
Die Variabilität der Mikroorganismen verleitete vielfach
zu dem Bestreben, näher verwandte Bakterienarten einzelnen
Sammelgruppen unterzuordnen und durch mannigfache Züchtungs¬
versuche die Übergänge zwischen zwei verschiedenartigen, aber ver¬
wandten Bakterienarten aufzudecken. Doch kann der Begriff der
Variabilität nicht soweit gedehnt werden, dass gegenüber den indivi¬
duellen Differenzen die konstanten Eigenschaften eines Bakterien¬
typus beiseite geschoben werden. Gerade auf diesen konstanten
Eigenschaften baut sich die bakteriologische Differentialdiagno¬
stik auf.
Wir dürfen uns darum schon aus praktischen Rücksichten nur
an die feststehenden Ergebnisse' der Züchtungsresultate auf den ge¬
bräuchlichen, anerkannten Nährböden halten und glauben, dass alle
Versuche, einen Bakterienstamm in einen anderen, nahestehenden
umzuzüchten, zu Enttäuschungen führen werden.
Die Verwertung der Virulenzprüfung für die bakterio¬
logische Diagnose ist nur im Laboratorium möglich. Auch können
wir in der Prüfung der Pathogenität der Bakterien keine absolut
sichere Methode für die Diagnose erkennen. Denn einmal hängt die
Virulenz eines Stammes von mehreren zusammenwirkenden Fak¬
toren, wie der Zusammensetzung des Nährbodens, dem Alter der
Kultur, ihrer Wachstumsenergie usf. ab, und zudem ist der Tier¬
körper ein unsicheres Reagens, dessen Wirksamkeit ebenso durch
eine Reihe von Faktoren, speziell der individuell differenten Wider-
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standskraft, bestimmt ist. Nur wenn der Tierversuch positiv aus¬
fällt, kann er als Hilfsmittel zur Diagnose verwertet werden.
Dagegen ausschlaggebend für die bakteriologische Diagnose ist
gewöhnlich die biologische Serumprüfung. Der Pfeiffer-
sche Versuch, d. h. die Prüfung der bakteriziden Schutzkräfte des
tierischen Organismus, und die Agglutinationsreaktion
bilden gewissermassen den Schlussstein der bakteriologischen Unter¬
suchungsmethoden. Der Pfeiffer ’sche Versuch wird sich aller¬
dings stets wegen seiner technischen Schwierigkeiten nur im Labo¬
ratorium ausführen lassen. Die Agglutinationsreaktion, die uns über
das Auftreten spezifischer, die Bakterien immobilisierender und ver¬
klumpender Reaktionskörper im Krankenserum unterrichtet, dürfte
auch für den in bakteriologischen Methoden minder Geübten leicht
ausführbar sein.
Wir benutzen zur Anstellung der Agglutinationsprobe hoch¬
wertiges tierisches Immunserum, das durch wiederholte Injektionen
eines Bakterienstammes bei den gebräuchlichen kleinen Labora¬
toriumstieren oder von Equiden erhalten wird. Mittelst dieses Serums
prüfen wir die aus dem Stuhl oder dem Blut isolierten Keime auf
ihre Agglutinierbarkeit und schliessen aus dem positiven Ausfall
der Probe, dass der isolierte, agglutinierte Bazillus der Erreger der
Infektion ist.
Gewiss kommen, da die einzelnen Bakterienarten auch unter
sich biologische Verwandtschaftseigentümlichkeiten besitzen, Fehl¬
schlüsse vor, wie etwa durch ein Typhusimmunserum ein Para¬
typhusstamm auch in hohen Verdünnungsgraden des Serums aggluti-
niert werden kann, aber diese Befunde sind immerhin selten. Für
die Zwecke des Arztes, der nichts mehr als ein handliches Reagens
braucht, leistet die einfach anzustellende Agglutinationsprobe bei
Typhus bessere Dienste wie die komplizierten Züchtungsversuche,
die Übung in den bakteriologischen Arbeitsmethoden und ein gut
eingerichtetes Laboratorium erfordern.
Nur die bakteriologische Frühdiagnose der wichtigeren a k u t.e n
Infektionskrankheiten unseres Klimas soll in dieser Abhand¬
lung besprochen werden.
Die bakteriologische Frühdiagnose des Abdomi¬
naltyphus ist dank den Fortschritten der praktischen Bakteriologie
im letzten Jahrzehnt wesentlich verbessert und vereinfacht worden.
Die Methoden der Blutuntersuchung auf Typhusbazillen, des Nach¬
weises der Erreger im Stuhl und Urin, der biologischen Serumprüfung
sind in mannigfacher Weise für praktische Zwecke brauchbar ge¬
macht worden. Die Koch’sche Forderung, dass eine möglichst
schleunige Diagnose die erste Vorbedingung für eine wirksame Be¬
kämpfung des Typhus sei, ist in weitem Masse erfüllt. Dazu trugen
nicht allein die rastlosen Bestrebungen, die Typhusdiagnose durch
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5] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 211
brauchbare Methoden der Untersuchung zu vervollkommnen, bei,
sondern auch die auf Koch’s Anregung entstandenen bakterio¬
logischen Untersuchungsämter suchten der ersten For¬
derung der Typhusbekämpfung durch exaktes Studium der Infek¬
tionsquellen und genaue Verfolgung der Epidemien gerecht zu
werden.
Auch für den Arzt ist durch die Einrichtung bakteriologischer
Untersuchungsstellen die Typhusdiagnose wesentlich erleichtert, da
das typhusverdächtige Material von geübten Untersuchern verarbeitet
und ihm die Diagnose in relativ, kurzer Zeit zugestellt wird.
Die rein klinische Diagnose des Typhus hat sich dagegen
gegenüber den Fortschritten auf dem Gebiet der bakteriologischen
Diagnostik nicht irgendwie wesentlich verbessert. Und speziell für
aie Frühdiagnose des Typhus versagen oft genug die klinischen
Phänomene, die bei der ausgebildeten Erkrankung die Diagnose
unschwer stellen lassen. Zwischen dem einfachen Darmkatarrh und
dem schweren, ausgebildeten Typhus liegen vielgestaltete Krankheits¬
bilder, die bald als Influenza, bald als einfacher Darmkatarrh, bald
als Bronchopneumonien imponieren können. Hier setzt die bakterio¬
logische Frühdiagnose ein, die die verdächtigen Symptome deutet.
Von den Hilfsmitteln der bakteriologischen Diagnostik des Ab¬
dominaltyphus sind im wesentlichen der Typhusbazillennachweis
in den Fäzes, die Gruber-Widal ’sche Reaktion und die bakterio¬
logische Blutuntersuchung zu erwähnen.
Für den Kliniker besitzt der Typhusbazillennachweis
in den Fäzes des Kranken ein geringeres Interesse. Denn er ver¬
fügt über die Methode der bakteriologischen Blutuntersuchung, die
ihm ein frühzeitiges und sicheres Erkennen der Infektion ermöglicht.
Nachdem es jedoch den unausgesetzten Bemühungen der praktischen
Bakteriologie gelungen ist, die Methoden der bakteriologischen
Fäzesuntersuchung auch für klinische Zwecke zu vereinfachen und
zugleich zu vervollkommnen, kann die Stuhluntersuchung bei Ab¬
dominaltyphus zur Unterstützung der klinischen Diagnose heran¬
gezogen werden. In den seltenen Fällen, in denen der Bazillen¬
nachweis aus dem strömenden Blut missglückt ist, wird zudem ein
Bazillenbefund im Stuhl ebenso wie in den Fällen von atypisch ver¬
laufenden typhösen Erkrankungen für eine frühzeitige Diagnosen-
stellung ausschlaggebend sein.
Aus dem Blut von entfieberten Typhusrekonvaleszenten pflegen
die Typhuskeime gewöhnlich zu verschwinden. Im Stuhl Gesunder
und von Typhus genesender Personen lassen sich jedoch, wovon uns
zahlreiche systematische Fäzesuntersuchungen Kenntnis gaben, zu¬
weilen echte Typhusbazillen nachweisen, ohne dass die Typhus-
bazillenträger die spezifischen Erkrankungssymptome des
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H. LÜDKE,
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Typhus zeigen. Wir müssen daher zwischen Infektion lind dem
klinischen Krankheitsbegriff unterscheiden lernen und können für
die Frühdiagnose des Typhus einen positiven Bazillennachweis in
den Fäzes nur im Verein mit klinischen Symptomen verwerten.
Die Bazillenbefunde im Stuhl Gesunder führen uns zur Frage
der Typhusbazillenträger, die wir kurz streifen müssen.
Untersuchungen von Kayser ergaben, dass ca. 3°/o der
Typhuskranken noch nach einem Jahre Typhusbazillen ausscheiden,
während Frosch und Lentz sogar in 5°/o der Fälle diesen Befund
erheben konnten.
Die bakteriologische Diagnose der sogenannten Typhusbazillen¬
träger stösst meist auf keine Schwierigkeiten, da in der Regel bei
ihnen im Stuhl sowohl wie im Urin grosse Mengen von Typhus¬
bazillen ausgeschieden werden, während der Typhuskranke nur
relativ spärliche Mengen von Bazillen in den Ausscheidungen auf¬
weist. Allerdings liegen auch Fälle vor, in denen Typhusbazillen
bei Rekonvaleszenten nur in sehr geringer Anzahl gefunden oder
längere Zeit ganz vermisst wurden, bis sie später erst nach Typhus¬
erkrankungen in der Umgebung der Betreffenden nachgewiesen
werden.
Daraus ergibt sich, dass wiederholte Stuhl- und Harnunter¬
suchungen in bakteriologischen Untersuchungsämtem auszuführen
sind, bevor ein Typhusrekonvaleszent als bazillenfrei erklärt wird.
Eingehende Untersuchungen lehrten, dass bei den gesunden
Typhusbazillenträgern von denjenigen, die nur kürzere Zeit Typhus¬
bazillen in sich beherbergen, die Typhusbazillendauer¬
träger, die also jahrelang die Bazillen ausscheiden können, zu
trennen sind.
Diese Bazillenträger bieten, wovon zahlreiche, einwandfreie
Beobachtungen zeugen, eine eminente Gefahr für ihre Umgebung,
solange ihre Ausscheidungen nicht sorgfältig behandelt und die
Träger selbst nicht aus Betrieben, die der Gewinnung oder Bereitung
von Nahrungsmitteln dienen, wie etwa in Molkereien, ausgeschieden
werden. Die Typhuskontrolle soll sich daher nicht bloss auf die
Typhuskranken ausdehnen, sondern hat auch zur weit schwierigeren
Aufgabe, die Typhusbazillenträger in Epidemien frühzeitig zu er¬
mitteln, um die Infektionsquelle dauernd zu verstopfen. In welchem
Umfang und mit welchen Mitteln diese Bekämpfung des Typhus
einzuleiten ist, wird die Aufgabe einer weitsichtigen Sanitäts¬
behörde sein.
Die Tatsache, dass bei Gesunden Typhusbazillen im Stuhl
nachgewiesen werden können, wenn es sich um die sogenannten
Bazillenträger handelt, setzt den Wert der bakteriologischen Fäzes-
untcrsuehung zu diagnostisch-klinischen Zwecken etwas herab. Zu-
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7] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 213
dem können solche Bazillenträger einen hohen Agglutinationswert
ihres Blutserums aufweisen, ohne dass auch nur leichte Krank¬
heitssymptome auftraten. Daraus folgt, dass nur auf Grund des
bakteriologischen und klinischen Gesamtbildes die Frühdiagnose
des Typhus aufgebaut werden kann.
Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Nachteil liegt in der für
den Praktiker zeitraubenden und zu komplizierten Untersuchungs¬
methode der Fäzes auf Typhusbazillen. Denn trotz aller Fortschritte
auf dem Gebiet der praktischen Bakteriologie bietet die Stuhlunter¬
suchung auf Typhuskeime noch kein für den praktischen Gebrauch
so ausgearbeitetes Verfahren, dass eine elektive Züchtung des Typhus¬
bazillus in kurzer Zeit möglich ist.
Immerhin ist es doch durch die Forschungen der letzten Jahre
geglückt, den früheren, so komplizierten Apparat, den die Typhus¬
diagnose erforderte, wesentlich zu vereinfachen und die Zeit, in
der die bakteriologische Diagnose gestellt werden kann, erheblich
zu reduzieren.
Um die exakte Diagnose „Typhusbazillen in den Fäzes“ stellen
zu können, müssen folgende Proben angestellt werden:
1. Auf Gelatineplatten wachsen die Typhusbazillen in oberfläch¬
lichen, zarten, weinblattartigen Kolonien. Die Gelatine wird
nicht verflüssigt.
2. In Bouillonkultur zeigt der Bazillus lebhafte Beweglichkeit.
3. Der Typhusbazillus besitzt reichliche, peritriche Geissein; wird
nach Gram entfärbt.
4. Er bildet in Trauben- oder Milchzuckeragar kein Gas.
5. Er bildet in Peptonwasser kein Indol.
6. Er wächst in Lackmusmolke ohne erhebliche Trübung und über¬
schreitet in der Säurebildung 0,3 °/o Normalsäure nicht.
7. In Neutralrotagar (nach Rothberger) wird keine Änderung
des Farbentons bewirkt.
8. Die Milchkultur bleibt unkoaguliert.
9. Durch ein hochwertiges tierisches Immunserum wird der
Typhusbazillus in hoher Serumkonzentration agglutiniert.
Erst nach dem positiven Ausfall dieser Proben durfte die Dia¬
gnose auf Typhusbazillen, die sich im Durchschnitt danach auf 3 bis
4 Tage erstreckte, gestellt werden. Die bakteriologische Fäzesunter¬
suchung auf Typhusbazillen hat sich nun gegenüber dieser allerdings
exakten, aber umständlichen und zeitraubenden Untersuchungs¬
methodik wesentlich vereinfacht. Auch die bakteriologischen Unter¬
suchungsämter, denen vojn Arzt typhusverdächtiges Material zur
Diagnosenstellung übersandt wird, vermögen mit Hilfe einiger für
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Typhusbazillen spezifischer Nährböden ohne erheblicheren Zeitauf¬
wand bei gleich exakter Arbeit die sichere Diagnose zu stellen.
Die Kulturmethoden zur Differenzierung der Typhusbazillen
von anderen Bakterien lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Die
Methoden der ersten Gruppe versuchen, durch ihre Wachstumsform
oder durch ihre Färbung des Nährbodens charakteristische Typhus¬
kolonien zu züchten. Die anderen Methoden gehen darauf aus, durch
Hemmung der anderen Bakterienarten, speziell des Bact. coli, die
Züchtung von Typhusbazillen zu begünstigen.
Die Zahl der im Typhusstuhl enthaltenen differenten Bakterien
ist gewöhnlich gegenüber der Zahl der Typhusbazillen so ungeheuer,
dass man Anreicherungsverfahren vorschlug, um die Dia¬
gnose zu erleichtern. Damit gestaltete sich aber die Untersuchungs¬
technik wieder komplizierter und das endgültige Urteil, ob es sich
um Typhusbazillen handelte oder nicht, wurde hinausgeschoben.
Von den einzelnen Anreicherungsverfahren erwähnen wir nur
die von Löffler eingeführte Züchtung auf Malachitgrünnähr¬
böden und die Methode der Typhusanreicherung durch die Gallen-
kultur von Conradi, Kayser und Brion. Die Malachitgrün¬
nährböden besitzen den Nachteil, auf den schon J o r n s und K1 i n g e r
hinwiesen, dass das Malachitgrün einigermassen die Entwickelung
der Typhusbazillen zu hemmen imstande ist und dass einige alkali¬
bildende Stäbchen auf diesem Nährboden gedeihen können. Auf
Agarplatten mit einem Zusatz von Malachitgrün 1:6000 wachsen
Typhus- und Paratyphusbazillen in Form von tautröpfenartigen Kolo¬
nien, B. coli gedeiht dagegen nicht. Zur exakten Diagnose muss jedoch
erst von den Malachitgrünnährböden auf D r i g a 1 s k i platten abge¬
impft werden, so dass also dies Verfahren für die Zwecke der Früh¬
diagnose weniger verwertbar erscheint.
Die Methode der Typhusanreicherung mittelst der
Gallenkultur gibt günstige Resultate bei der Züchtung von
Typhusbazillen aus dem Blute Typhuskranker. Die Technik des Ver¬
fahrens ist einfach: Zu der in Röhrchen enthaltenen Menge von
5 ccm steriler Rindergalle wird etwa die Hälfte Blut des Typhusver¬
dächtigen zugesetzt und die Blut - Gallemischung kommt 14—20
Stunden in den Wärmeschrank. Dann werden einige Tropfen der an-
gcreicherten Blutmischung auf Endo- oder Drigalskiplatten ge¬
bracht. Die praktischen Erfahrungen, die bisher mit dieser Methode
gemacht wurden, waren insofern durchaus befriedigend, als in der
überwiegenden Mehrzahl der Typhusfälle, die in der ersten Woche
der Erkrankung zur Untersuchung kamen, die Erreger aus dem Blute
gezüchtet werden konnten. Die Methode, die Conradi zuerst angab,
dient besonders dazu, einen Ersatz für die in der Praxis unmögliche
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9] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 215
oder zum mindesten umständliche Blutentnahme durch Venaepunktion
zu bieten.
Die Galle erweist sich deswegen zur Anreicherung der Typhus¬
bazillen geeignet, weil sie das Wachstum dieser Keime fördert und
durch die Verhinderung der Bildung von Fibrinnetzen eine gleich-
massige Verteilung der Bazillen und eine ungehemmte Entwickelung
sichert.
Von den Nährböden, die durch Wachstums- und Färbungs¬
differenzen Koli- und Typhusbakterien voneinander unterscheiden
lassen oder andere, differente Bakterienarten in der Entwickelung
hemmen, seien nur die hervorgehoben, die sich einer allgemeineren
Verbreitung erfreuen. Eine grosse Zahl von verschieden zusammen¬
gesetzten Nährböden ist konstruiert worden, deren eingehende Nach¬
prüfung teils günstige, teils schlechte praktische Erfolge zeitigte. Die
Mehrzahl dieser Nährböden eignet sich wegen ihrer komplizierten
Herstellungstechnik für den Praktiker überhaupt nicht, andere Nähr¬
substrate wieder ergaben einen zu niedrigen Prozentsatz positiver
Züchtungsresultate. Selbst mit Verwertung der besten heutigen
Methoden ergibt die Züchtung von Typhusbazillen aus den Fäzes
noch etwa 50 °/o Fehlresultate im Typhusbeginn. Erst mit fort¬
schreitender Erkrankung gelingt dann der Bazillennachweis im Stuhl
etwas häufiger.
Am meisten bewährt hat sich der von C o n r a d i und v. Dri-
g a 1 s k i hergestellte Nährboden, der die Modifikation einer von
Wurtz angegebenen Methode bildet. Wurtz benutzte einen mit
Milchzucker und Lack m u s 1 ö s u n g versetzten Agar,
auf dem Typhus blaue, Koli rote Kolonien zeigt. Dieser
Farbenunterschied beruht darauf, dass der Milchzucker von B. coli
unter Säurebildung zersetzt wird und der Agar durch Diffundieren der
gebildeten Säure rotgefärbt wird, während der Typhusbazillus durch
Zersetzung der Eiweissarten des Agars Alkali bildet und den Milch¬
zucker nicht verändert. Wurtz gab sein Verfahren zur Prüfung von
Reinkulturen an. Um die Isolierung der differenten Kolonien der
Bakterienflora in den Fäzes durchzuführen, gingen Conradi und
v. Drigalski so vor, dass sie einmal durch Verwendung von 3 °/o
Agar die Diffusion der gebildeten Säure erschwerten, durch Zusatz
von 0,2 o/o Soda diese teilweise neutralisierten und schliesslich durch
einen Kristallviolettzusatz in einer Konzentration von 1:100 000
die fremden Bakterienarten, vornehmlich Kokken, ausschalteten.
Auf der Oberfläche dieses Nährbodens wird das verdächtige
Material ausgestrichen und die aufgegangenen Kolonien, die den
Agar blau gefärbt lassen, müssen zur genaueren Diagnosenstellung,
noch weiter identifiziert werden. Man impft von den Kolonien auf
Bouillon ab und bringt die in der Bouillon enthaltenen lebhaft beweg-
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liehen Stäbchen mit einem hochwertigen tierischen Typhus-lramun-
serum zusammen, das, wenn es sich um Typhusbazillen handelt,
diese zur Agglutination bringt.
Der Nachteil des Conradi-v. Drigalskisehen Nährbodens
liegt darin, dass die biologische Serumprüfung und eventuell weitere
Züchtungsversuche der aufgegangenen Kolonien in den Fällen not¬
wendig erscheinen, in denen atypische Kolistämme oder alkalibildende
Bakterienarten oder Dysenteriebazillen den Milchzucker nicht zer¬
setzen und in ihren Wachstumsformen Typhusbazillen ähneln.
In der überwiegenden Mehrzahl der Typhusfälle sind jedoch
mit diesem Nährboden sehr günstige Resultate erzielt worden. Koch
hebt so hervor, dass mit dieser Methode eine zuverlässige Diagnose
in einem viel früheren Stadium, als es mit dem Wi dal 'sehen Ver¬
fahren möglich ist, gestellt werden kann. Nach unseren Erfahrungen
schlug die Züchtung auf Conradi- v. D r iga 1 s ki’schem Nähr¬
boden niemals fehl. Zweimal wurde schon am zweiten Tage nach
dem Spitaleintritt, in den übrigen Fällen in der Mitte der zweiten
Krankheitswoche die Diagnose Abdominaltyphus auf Grund des
Bazillengehaltes der Fäzes gestellt.
Den Vorteil einer einfacheren Herstellungsweise vor dem Con¬
radi- v. D r i g al s k i’schen Nährboden besitzt der Nährboden von
Endo. Er besteht aus 1000 ccm neutralisiertem 3% Agar, 10 g
reinem Milchzucker, 5 ccm alkohol. Fuchsinlösung, 25 ccm 10 ( '/o
Natriumsulfitlösung und 10 ccm 10% Sodalösung. Die farblos aus¬
sehenden Platten werden mit dem verdächtigen Material beschickt:
Koli wächst in leuchtend roten, Typhus in farblosen Kolonien.
Die bakteriologische Fäzesuntersuchung auf Typhusbazillen
kann im günstigsten Fall in 24 Stunden, wird meist aber nach Ablauf
von 48 Stunden beendet sein. Denn in jedem Falle erscheint es
ratsam, die typhusverdächtigen Kolonien auf den elektiven Nähr¬
böden der Agglutinationsprobe noch zu unterwerfen.
Für die Frühdiagnose des Typhus dürfte jedoch die Fäzes¬
untersuchung nur in den Fällen heranzuziehen sein, in denen die
Bazillen im strömenden Blut nicht nachgewiesen werden konnten,
ln atypisch verlaufenden Fällen, in abgefieberten typhösen Erkran¬
kungen, die dem Spitalarzt überliefert werden, kann die bakterio¬
logische Fäzesuntersuchung die Diagnose sicherstellen. Ferner ist
die Methode zur Ermittlung der Bazillenträger von grosser epidemio¬
logischer Bedeutung.
Für den praktischen Arzt erscheint allerdings keine der bisher
angegebenen Methoden der Typhusbazillenzüchtung aus dem Stuhl
ausführbar. Keines der zahlreichen Verfahren macht die sorgfältige
Beachtung der klinischen Symptome überflüssig. Und für die Früh-
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11] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 217
diagnose des Typhus bedienen wir uns der sicheren und zeitersparen¬
den Methode der bakteriologischen Blutuntersuchung.
N e u f e 1 d macht mit Recht darauf aufmerksam, dass es bei
der Untersuchung der Typhusausleerungen nicht so sehr auf die
Methode, als vielmehr auf die Übung, die man in ihr besitzt, und
die Geduld, die man darauf verwendet, ankommt. Hieraus erklären
sich leicht die übertriebenen Hoffnungen und darauf folgenden Ent¬
täuschungen, die gerade auf diesem Gebiete oft wiederkehrten.
Unter den hämatologischenUntersuchungsmetho-
den des Typhus spielt die Agglutinationsreaktion für die
Frühdiagnose eine mehr untergeordnete Rolle. Wir können das Ag¬
glutinationsphänomen beim Typhus nur soweit in die Besprechung
ziehen, als die Probe für atypisch verlaufende Typhusfälle, für
Typhoide, deren exakte Diagnose durch das Fehlen ausgeprägter
klinischer Phänomene längere Zeit unmöglich erscheint, und für die
Differentialdiagnose von typhusähnlichen Erkrankungsformen von
praktischer Wichtigkeit ist.
Unter dem Agglutinationsphänomen verstehen wir die Eigen¬
schaft des verdünnten Blutserums eines Typhuskranken, die spezifi¬
schen Bazillen zu immobilisieren und zu Häufchen und Klümpchen
zusammenzuballen. Eine Verdünnung des Blutserums mit physio¬
logischer Kochsalzlösung von 1 : 50 ist die Serumkonzentration, die
für den positiven Ausfall der Reaktion als beweisend allgemein
anerkannt ist.
Die Technik der Agglutinationsprüfung des Typhusserums, die
in mannigfacher Weise modifiziert werden kann, besteht darin, dass
man zunächst das aus dem Ohrläppchen oder der Fingerbeere, durch
Schröpfköpfe oder Venaesektion gewonnene Blut zur Serumabschei-
dung sich absetzen lässt und das erhaltene klare Serum mit einer
Mischpipette mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt. Zu einer
Platinöse dieser Verdünnung wird eine Platinöse einer frischen, etwa
24 stündigen Typhusbouillonkultur gebracht. Im hängenden Tropfen
wird die Mischung von Serumverdünnung und Typhusbazillen beob¬
achtet und nach Verlauf von 1 Vs—2 Stunden das Resultat notiert.
Die Agglutination muss, falls ein positives Ergebnis angegeben wird,
deutlich eingetreten sein, ln dem stets anzufertigenden Kontroll-
präparat, das eine Platinöse Typhusbouillonkultur enthält, müssen
die Bakterien lebhaft beweglich ohne eine Andeutung von Häufchen¬
bildung erkannt werden.
Auf die mannigfachen Verbesserungen der Methode imd deren
spezielle einzelne Vorzüge und Mängel wollen wir nicht näher ein-
gehen, zumal von R o s t o s k i in diesen Abhandlungen die Serum¬
diagnostik bei Typhus eingehend erörtert wurde.
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Neben dieser mikroskopischen Prüfung des Blutserums,
die eine frische Typhusbouillonkultur erfordert, ist für den Prak¬
tiker von Ficker ein Verfahren angegeben, das wegen seiner Ein¬
fachheit, Exaktheit und Ungefährlichkeit die weiteste Verbreitung
verdient.
Schon vor der Beschreibung des „Ficker 'sehen Diagnosti-
kums“ wurden von einzelnen Untersuchern statt der lebenden Typhus¬
bazillen durch Formol abgetöte Kulturen mit Erfolg benutzt und
für praktische Zwecke empfohlen. Ficker hat dann eine Auf¬
schwemmung abgetöteter, zerriebener Typhusbazillen hergestellt, die
zur Anstellung einer makroskopisch verwertbaren Aggluti¬
nationsprobe sehr gute Dienste leistet. Zur Ausführung des Ficker-
schen Reagenzglasversuchs werden Verdünnungen des Blutserums
mit der Typhusbazillenaufschwemmung vermischt und in engen,
konisch zulaufenden Röhrchen das Auftreten eines flockigen Nieder¬
schlags nach ca. 24 Stunden beobachtet. Diese Sedimentbildung im
Ficker 'sehen Röhrchen zeigt an, dass sich die im Typhusserum
durch die Bazilleninfektion entstandenen Agglutinine mit den im
Reagenz enthaltenen, spezifisch auf diese Reaktionskörper einge¬
stellten Typhusbazillensubstanzen verankert haben.
Nach diesen Vorbemerkungen über die Technik der Gruber-
Widal'sehen Reaktion kehren wir zur Besprechung der frühdia¬
gnostischen Brauchbarkeit der Methode zurück.
Die Sera gesunder Menschen agglutinieren nach meinen Unter¬
suchungen Typhusbazillen zuweilen in Verdünnungen von 1:5 bis
1:10, selten in höheren Verdünnungsgraden. Diese Agglutinations¬
kraft normaler Sera kann durch Infektionsprozesse verschiedenster
Natur auf Werte für Typhusbazillen gesteigert werden, die die dia¬
gnostisch bedeutsame Serumverdünnung von 1:50 erreichen oder
gar überschreiten. Nach Infektionen mit Kolibazillen, mit Proteus¬
arten, mit Staphylokokken wurden Agglutinationswerte des Serums
gegenüber Typhusbazillen gefunden, die den spezifischen Charakter
der Agglutinationsreaktion in Frage zu stellen schienen.
Besonders in den mit Ikterus einhergehenden Erkrankungen,
Cholelithiasis, Morbus Weilii und Icterus catarrhalis, war eine er¬
höhte Agglutinationsfähigkeit des Blutserums nachzuweisen. Von 32
ikterischen Blutseris zeigten nach meinen Untersuchungen 19 bei
einer Verdünnung von 1:20, 11 bei einer solchen von 1:50 und
darüber agglutinierende Wirkung auf den Typhusbazillus.
Es handelt sich in diesen Fällen um das Phänomen der
Gruppenagglutination, d. h. um die Agglutination nicht nur
einer einzelnen Bakterienart, sondern einer Gruppe biologisch nahe¬
stehender Bakterien. In anderen Fällen ikterischer Erkrankungen ist
ausserdem die Annahme gerechtfertigt, dass der Ikterus nicht durch
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13] Die bakteriologische Frühdiagnose bei aknten Infektionskrankheiten. 219
eine Koliinfektion, sondern durch eine rezidivierende Infektion mit
Typhusbazillen, die in der Galle persistieren können, veranlasst
wurde. Die klinische Verwertung der Agglutinationsreaktion für die
Typhusdiagnose verlor durch die Entdeckung des Phänomens der
Gruppenreaktion an diagnostischer Bedeutung.
Von Bedeutung für die praktische Verwertung der Aggluti¬
nationsprobe ist weiter der Umstand, dass das Serum Typhöser
längere Zeit nach Ablauf der Krankheit seine agglutinierende Kraft
bewahren kann. In vier Fällen konnte ich x / 2 —2 Jahre nach der
Heilung des Typhus noch eine erhebliche Agglutinationsfähigkeit
des Serums nachweisen. Sorgfältige anamnestische Erhebungen über
typhöse Vorkrankheiten erscheinen in atypisch oder abortiv ver¬
laufenen Typhen fast unmöglich, so dass eine positive Serumreaktion:
in solchen Fällen leicht zu Fehldiagnosen führen kann.
Ein Ausbleiben der Gruber-Widal ’schen Reaktion spricht
zudem niemals gegen einen Typhus. Die Agglutininproduktion im
tierischen Organismus wie im menschlichen erfolgt allmählich; auf
ein länger- oder kürzerwährendes Latenzstadium folgt ein rascher
Anstieg der Agglutininkurve. In manchen Fällen ist der Reiz der
zerfallenen und durch die Gewebssäfte ausgelaugten Bakterienmengen
zu schwach oder die Quantität der bakteriellen Substanzen zu ge¬
ring, um eine Produktion von Agglutininen auszulösen. In anderen
Fällen wieder ist der Reiz so intensiv, dass die produzierenden
zelligen Elemente gewissermassen durch Shockwirkung paralysiert
werden und unfähig sind, auf den intensiven Reiz mit der Bildung
von Reaktionskörpem zu antworten.
Die praktische Folgerung, die aus der Tatsache der allmäh¬
lichen Bildung der Agglutinine im Organismus entspringt, ist, bei
negativem Ausfall die Agglutinationsprüfung öfter zu wiederholen.
In solchen Fällen spricht jedoch schon das klinische Bild meist für
eine typhöse Erkrankung, so dass der positive Ausfall der Serum¬
reaktion lediglich eine Bestätigung der klinischen Diagnose bildet.
Der Wert der Agglutination für die Klinik besteht danach
nicht allein in der Konstatierung der Agglutinationsfähigkeit des
Serums, vielmehr liegt in der Steigerung der Agglutinationskraft
des Blutes, die sich im Verlauf der typhösen Erkrankung einstellt,
die diagnostische Bedeutung des Gruber-Widal.
Auch für die atypischen Typhusfälle, die der klinischen Dia¬
gnose grosse Schwierigkeiten bereiten, kann die Serumreaktion nicht
als frühdiagnostisches Symptom ernstlich in Frage gezogen werden.
Der positive Ausfall der Reaktion wird gerade in diesen Fällen öfter
vermisst.
Die Bedeutung der Gruber-Widal ’schen Reaktion für die
Frühdiagnose des Typhus ist daher auf Grund der klinischen Er-
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fahrungen nicht höher anzuschlagen als ein blosses Symptom unter
den einzelnen klinischen Phänomenen des Abdominaltyphus.
Sehr selten sind die Fälle, in denen eine positive Reaktion
schon in den ersten Tagen der typhösen Erkrankung beobachtet
wird, im Durchschnitt berechnet tritt der positive Ausfall der Reak¬
tion meist in der zweiten Woche ein, also zu einer Zeit, in der be¬
reits die klinischen Symptome die Diagnose meist wahrscheinlich
machen und der bakteriologische Blutbefund in der Mehrzahl der
Fälle die Diagnose bereits gestellt hat.
Eine weit praktischere Bedeutung für die Frühdiagnose des
Typhus ist der bakteriologischen Blutuntersuchung zu¬
zusprechen.
Die bakteriologische Untersuchung des Blutes hat sich in den
letzten zwei Jahrzehnten zu einem neuen klinischen Zweig der prak¬
tischen Bakteriologie entwickelt. Die positiven Ergebnisse in zahl¬
reichen Einzelfällen, vornehmlich die methodische bakteriologische
Blutuntersuchung in grossen Spitälern bewirkte, dass die neue Unter¬
suchungsmethode in der klinischen Diagnostik der Infektionskrank¬
heiten erfolgreich verwertet wurde. Der Nachweis spezifischer Bak¬
terien im Blut von an Typhus erkrankten Patienten sichert in klinisch
dubiösen Erkrankungsfällen nicht allein die Diagnose, nicht selten
kann erst aus dem bakteriologischen Blutbefund die Diagnose
gleichsam abgelesen werden.
Die mikroskopische Blutuntersuchung auf Bakterien bietet
wenig Aussicht auf praktische Verwertbarkeit. Bei acht Typhus¬
kranken, die zu verschiedenen Zeiten der Erkrankung untersucht
wurden, konnten von mir nur in einem Fall die Erreger im Blut¬
präparat entdeckt werden. C. Fraenkel hat in 32 sicheren Typhus¬
fällen nur zweimal typhusverdächtige Stäbchen bei mikroskopischer
Betrachtung eruieren können.
Die sicherste und handlichste Technik für den Bakteriennach¬
weis im Blut bei Typhuskranken ist die Kulturmethode, deren
Technik kurz die folgende ist: Nach Abbinden des Oberarms mit
einer elastischen Binde wird die Haut in der Ellenbeuge sorgfältig
desinfiziert und das Blut mit einer ausgekochten L u e r 'sehen Spritze
der Armvene entnommen. Das flüssige Blut wird mit flüssigem,
auf 45° C abgekühltem Agar vermischt und in Petrischalen aus¬
gegossen. Ein Nachteil dieser Methode besteht darin, dass grössere
Blutquanta, etwa 5—10—15 ccm Blut, zu verarbeiten sind. Die
Methoden, durch Schröpfköpfe oder Auspressen des Blutes aus einer
Fingerstichwunde kleinere Blutmengen zu erhalten, sind bald ver¬
lassen worden, da zu leicht Verunreinigungen mit Hautkeimen kon¬
statiert wurden.
Die Blutkulturmethode wird gewöhnlich nur in Spitälern ver-
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15] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 221
wendbar sein; Canon will jedoch auch mit der Entnahme geringerer
Blutquanta in der konsultativen Praxis gut gefahren sein. Bei der
Überimpfung des Blutes kommt es vor allem auf die sorgfältige
Mischung des flüssigen Blutes mit dem flüssigen Agar an. Die
Mischung des Blutes mit Bouillonnährböden bietet geringere Vor¬
teile, da die verimpften Bakterien nicht schon durch Grösse, Form
und Farbe der Kolonien wie auf festen Nährsubstraten kenntlich sind.
Ein anderer Nachteil der Kulturmethode liegt in der Möglich¬
keit einer Verunreinigung der Platten mit den Hautkeimen, ln den
oberflächlichen Hautschichten findet man häufig den weissen
Staphylococcus, seltener Streptokokken. Den geübten Besucher kann
dies die Beurteilung störende Wachstum von Hautkeimen, sorg¬
fältigste Desinfektion vorausgesetzt, - jedoch nicht in Verlegenheit
bringen; in den Fällen, in denen der Staphylococcus albus auf den
Platten gefunden wird, ist die Zahl seiner Kolonien im Verhältnis
zu den spezifischen Blutkeimen gewöhnlich nur gering. Zudem rate
ich in zweifelhaften Fällen die Blutuntersuchung wenigstens zweimal
auszuführen, um grobe Irrtümer auszuschliessen.
Die auf den Platten gewachsenen Keime können in vielen
Fällen schon durch ihr eigentümliches Wachstum und die Färbung
auf dem Blutagar agnosziert werden, sonst muss das gefärbte Aus¬
strichpräparat oder der hängende Tropfen der von der suspekten Blut¬
agarkolonie überimpften Bouillon zur Diagnose leiten. In zweifel¬
haften Fällen wird das Bakterium durch die ihm eigenen kulturellen
und biologischen Qualitäten diagnostiziert werden müssen.
Die spezifischen Erreger lassen sich in typhösen Erkrankungs¬
fällen fast ständig auf der Höhe der Erkrankung und
des Fiebers im Blut nachweisen. Demnach ist das Blut nur
zeitweise Träger der Infektionserreger, die sich nach dem Eindringen!
in die Säfte in den Organen einnisten und von dort unter gewissen
Bedingungen wieder sekundär ins Blut transportiert werden.
Die Annahme, dass Typhusbazillen im strömenden Blut kreisen
müssen, konnte sich zunächst auf den Nachweis von Typhusbazillen
in metastatischen Eiterungsprozessen nach Verlauf eines Typhus
gründen. Doch erst durch N e u f e 1 d ’s Züchtungsversuche der
Typhusbazillen aus den Roseolen war der positive Nachweis der
Bazillen im Blut in vivo erbracht.
So konnte Schottmüller bei 101 Typhuskranken 84mal
die Bazillen im Blut konstatieren. Ich habe bei der bakteriologischen
Blutuntersuchung die Schottmüller 'sehe Methode bevorzugt: Aus
der gestauten Armvene wurden mit der sterilen Glasspritze 15 bis
20 ccm Blut entnommen, mit flüssigem, auf 45° C abgekühltem
Agar vermischt und Platten gegossen. Die tiefliegenden Typhus-
kolonien bilden tiefgrüne Punkte, die grösseren Oberflächenkolonien
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zeigen einen dunkelgrauen Farbenton. Zur sicheren Identifizie¬
rung der Keime wurde, nachdem diese als bewegliche Stäb¬
chen erkannt waren, der Agglutinationsversuch mittelst hoch¬
wertigen, tierischen Immunserums zu Rate gezogen.
Die Beweglichkeit der aus dem Blut gezüchteten Typhusbazillen
war meist etwas geringer ausgeprägt als die älterer Laboraioriums-
stämme, zuweilen waren einzelne Bakterien zu Gruppen vereinigt.
Der W i d a 1 mit aus dem Blut frisch gezüchteten Bazillen und hoch¬
wertigem Tier-Immunserum ergab meist höhere Titerwerte als mit
dem Serum der Typhuskranken. Irgendwelche Beziehungen zwischen
der Stärke des Agglutinationsvermögens und dem Bazillengehalt des
Blutes konnte nicht eruiert werden. 1
In 31 Typhusfällen wurden von mir im ganzen
26mal die Bazillen im Blut nachgwiesen, 19mal
wurden am ersten Tage nach Einlieferung ins Spital
Typhusbazillen gefunden. In 17 Fällenwurdeninderersten
Krankheitswoche die Keime im Blut konstatiert, in den
übrigen 9 Fällen in der zweiten Woche. Die Blutent¬
nahmen wurden stets bei Fiebernden ausgeführt, nach Ablauf des
Fiebers fielen die Befunde mit Ausnahme von zwei Fällen negativ aus.
Der Wert dieser Blutkulturmethode für die Frühdiagnose des
Abdominaltyphus beruht darin, dass in einem Stadium der Krank¬
heit die Diagnose gestellt werden kann, in dem die klinischen Sym¬
ptome nicht immer genügend ausgeprägt sind, in dem ein positiver
Ausfall in der Agglutinationsprobe noch gewöhnlich fehlt. In der
zweiten Hälfte der ersten Krankheitswoche gelingt es nämlich so gut
wie stets, Typhusbazillen im strömenden Blut zu finden. Die auf¬
gegangenen Kolonien sind bereits meistens durch ihr Wachstum
agnoszierbar; die Überimpfung einer Kolonie auf Bouillon sollte sich
aber in jedem Fall der makroskopischen Plattenbesichtigung an-
schliessen, um nachträglich durch die Agglutinationsprobe der be¬
weglichen Stäbchen mittelst eines hochwertigen Immunserums die
Diagnose zu sichern.
Sämtliche Nachprüfungen bestätigten ihre Zuverlässigkeit und
ihre Vorzüge gegenüber den übrigen Methoden der Frühdiagnostik.
Neben den Vorzügen dieser Blutkulturmethode, deren Ver¬
wertung in 36—48 Stunden die Diagnose Abdominaltyphus sichert,
sind einige Mängel nur gering anzuschlagen. In durchschnittlich
10—15°/o der Fälle werden die Typhusbazillen durch die bakterio¬
logische Blutuntersuchung nicht nachgewiesen. Fieber und Bazillen¬
gehalt des Blutes stehen in enger Beziehung, die Bazillen verschwin¬
den kurz vor Beginn des Temperaturabfalls aus dem Blut, ja die
Fieberschwankungen pflegen häufiger von einem Steigen, resp. Fallen
der Keime im Blut begleitet zu sein. Daraus geht hervor, dass diese
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17] Die bakteriologische Frflhdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 223
Methode besonders in leicht verlaufenden und abortiven ryphusfällen,-
deren Diagnose mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft ist, öfter
versagt. Zuweilen erscheinen die Agarkolonien erst nach 2—3 Tagen,
so dass die Diagnose dadurch verzögert wird. Endlich können die
Versuche, von anämischen Personen und Kindern Blut zu gewinnen,
daran scheitern, dass deren Ellenbeugenvenen zu schlecht ent¬
wickelt sind.
Doch fallen diese Nachteile gegenüber der leichten und unge¬
fährlichen Anwendung der Blutentnahme und ihrer Zuverlässigkeit
weniger ins Gewicht, so dass wir der Blutkulturmethode vor allen
bakteriologischen Untersuchungsverfahren den ersten Platz in der
Frühdiagnostik des Abdominaltyphus einräumen.
Auf dem gleichen Prinzip wie die bakteriologische Untersuchung
des Blutes auf Typhusbazillen beruht der Nachweis der spezi¬
fischen Keime in den Roseolen und der Milz. Der Er¬
folg des Nachweises der Typhusbazillen in den Roseolen hängt von
der Sauberkeit, mit der die Untersuchung ausgeführt wird, ab. Bei
einer reichlichen Roseolenentwickelung ist aber die bakteriologische
Untersuchung vollständig entbehrlich; zudem ist das Verfahren nur
da anwendbar, wo deutliche Roseolen sichtbar sind.
Ebenso wie die bakteriologische Roseolenuntersuchung ist die
Milzpunktion durch den Nachweis der Typhusbazillen im Blut
verdrängt worden. Die günstigsten Resultate mit der diagnostischen
Milzpunktion hatte Adler, der in etwa 95% bei 300 Milzpunktionen
positive Bazillenbefunde erzielte. Doch wurde die Milzpunktion von
Adler ausser bei Typhus noch bei Sepsis, Meningitis und Miliar¬
tuberkulose ausgeführt. Diesen glänzenden Ergebnissen der Milzpunk¬
tion, die übrigens durchaus nicht von anderen Untersuchern geteilt
wurden, stehen gewichtige Nachteile gegenüber. Einmal ist die Me¬
thode besonders für den weniger Geübten nicht leicht ausführbar,
ausserdem von einem fühlbaren Milztumor abhängig, zudem sind
Milzkapselrisse, -Blutungen, umschriebene Peritonitiden mit Typhus¬
bazillenbefund im abgesackten Exsudat und Darmverletzungen be¬
obachtet worden. Die Methode der Milzpunktion ist daher mit Recht
in Misskredit gekommen.
Der Nachweis von Typhusbazillen im Urin besitzt für die
Stellung der Frühdiagnose keine Bedeutung, da die Bazillen gewöhn¬
lich erst spät, nicht vor der dritten Woche im Urin erscheinen. In
der zweiten Woche sind selten typhöse Bakteriurien gefunden
worden.
Die bakteriologische Frühdiagnose des Abdominaltyphus bietet
heute für gut eingerichtete Laboratorien und geübte Untersucher
keine Schwierigkeiten mehr. Die Typhusdiagnose ist in vielen Fällen
schon dann auf Grund der bakteriologischen Untersuchung zu stellen,
WOribnrger Abhandlungen. Bd. VIU. H. 9. 16
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224 H. LÜDKE, (18
wenn das klinische Symptombild nur erst den Verdacht auf eine
typhöse Erkrankungsform aussprechen lässt.
Eine nicht minder wichtige Rolle wie beim Typhus spielt die
bakteriologischeFrühdiagnosebei der bazillären Dysen¬
terie. Durch die möglichst frühzeitige Entdeckung der ersten Ruhr¬
fälle, die nur mit Hilfe der bakteriologischen Diagnostik möglich ist,
vermag eine energische Sanitätspolizei wirksame Massnahmen zu
ergreifen, um die Seuche im Keim zu ersticken. Auch für die
Therapie des Einzelfalles ist, da wir über ein wirksames Ruhrserum
verfügen, eine frühzeitige Erkenntnis der Krankheit von wesent¬
licher Bedeutung.
Die Kenntnis der Bazillenruhr ist ja allerdings in weiten Kreisen
eine nur mangelhafte geblieben; einmal ist die Infektion auf eng
begrenzte Bezirke lokalisiert, andererseits mochten sporadisch auf¬
tretende kleine Epidemien wenig geeignet sein, ein weitergehendes
Interesse wachzurufen. Aber in den Gegenden, in denen die Ruhr
sich eingenistet hat und in Kriegsepidemien ist die Kenntnis der
bakteriologischen Untersuchungsmethoden bei der Ruhr von grösster
Wichtigkeit.
Das Studium der bisherigen Dysenterieepidemien, die in
Deutschland im rheinisch-westfälischen Industriebezirk und in den
ost- und westpreussischen Provinzen vorherrschen, hatte die Ent¬
deckung zweier, in einigen Punkten voneinander abweichenden spezi¬
fischen Bakterien zur Folge, den Stamm Shiga-Kruse und den
Stamm F1 e x n e r.
Wenn auch das typische klinische Bild der Ruhr, das sich
hauptsächlich in den schleimig-blutigen, zahlreichen Entleerungen
äussert, die Diagnose leicht stellen lässt, können doch sommerliche
Darmkatarrhe, die unter den gleichen Erscheinungen verlaufen, nur
durch die bakteriologischen Befunde von der echten Ruhr differen¬
ziert werden.
Die exakte Diagnosenstellung bei der bazillären Dysenterie
ist erst mit dem Nachweis der spezifischen Erreger im Stuhl und
der sero-diagnostischen Prüfung des Blutes der Erkrankten abge¬
schlossen.
Die den Stühlen entnommenen Schleimflocken werden —
wenige Stunden nach der Defäkation — auf Objektträger aus¬
gestrichen und mit den gewöhnlichen Anilinfarben gefärbt. In der
Mehrzahl der Fälle werden plumpe Stäbchen gefunden, die
zum Teil in Eiterzellen eingeschlossen sind und oft in nur sehr ge¬
ringer Menge angetroffen werden. Zur Sicherung der Diagnose
werden Schleimflöckchen in etwas Bouillon verrieben und auf
mehreren D r i g a 1 s k i platten ausgestrichen. Auf diesem Nährboden
finden sich bereits nach 10—24 Stunden farblose, tautropfenartige,
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
19] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 225
feine Kolonien, die von blauen Agarmassen umgeben sind. Die auf
Gelatineplatten aufgehenden Ruhrbakterien werden erst nach 2—3
bis 4 Tagen als solche erkannt; die oberflächlichen Kolonien ähneln
infolge ihrer Zartheit und weinblattartigen Form Typhuskolonien,
während die tieferliegenden Kolonien feingekömt, gelb bis gelbbraun
erscheinen und mit scharfem Rand versehen sind. In Bouillon ge¬
bracht, erweisen sich die aus den Kolonien gezüchteten Bazillen
als plumpe Stäbchen mit lebhafter Eigenbewegung auf der Stelle.
Als wichtiges Differenzierungsmittel ist das Fehlen von Gasblasen¬
bildung in Traubenzuckeragar zu betrachten.
Zur raschen Diagnosenstellung genügt zuweilen schon ein
charakteristisches Deckglaspräparat; um die Diagnose zu sichern,
werden Drigalskiplatten angelegt und die farblosen Kolonien,
die dann nach 10—24 Stunden gewachsen sind, müssen in Bouillon
und Traubenzuckeragar abgestochen werden, um die Bakterien aut
Unbeweglichkeit und Fehlen von Gasblasenbildung zu prüfen. In
48 Stunden, höchstens 3 Tagen ist die exakte Diagnose abge¬
schlossen.
Die serodiagnostische Prüfung durch das Serum von Ruhr¬
kranken kann lediglich zur Stütze der Diagnose in den späteren Tagen
der Erkrankung herangezogen werden, da die Agglutininbildung erst
einsetzt, nachdem die stürmischen Ruhrerscheinungen schon be¬
gonnen haben. Unter Umständen kann jedoch die Agglutinations¬
probe zur Erkenntnis abgelaufener oder nur leicht verlaufener Ruhr¬
fälle herangezogen werden und ähnlich wie bei Cholera und Pest für
die nachträgliche Diagnosenstellung Verwendung finden.
Allerdings darf auch hier wieder der Wert der serodiagnosti¬
schen Prüfung nicht in der blossen Agglutinierbarkeit eines Dysen¬
teriestammes durch ein Krankenserum gesucht werden, sondern in
der Steigerung der Agglutinationsfähigkeit des wirksamen Blutserums!
liegt die diagnostische Bedeutung der Gruber-Widal 'sehen
Reaktion.
Während unter den akuten Infektionen die Typhusdiagnose
im Mittelpunkt des gemeinsamen Interesses des Klinikers und Bak¬
teriologen steht, hat die frühzeitige Diphtheriediagnose durch
die Entdeckung des spezifisch wirksamen Heilserums an Bedeutung
verloren. Deim in Fällen, die klinisch den blossen Verdacht einer
diphtherischen Erkrankung aufkommen lassen, ist schon die An¬
wendung des Serums geboten.
Die Untersuchung diphtherieverdächtigen Materials, wie sie
meist in den bakteriologischen Untersuchungsämtem grösserer Städte
geübt wird, erstreckt sich auf die makroskopische Prüfung
des gefärbten Ausstrichpräparats, auf die Züchtung
der Bazillen auf Nährböden, die sich für das Wachs-
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tum der Diphtheriebazillen als elektiv erwiesen haben,
und schliesslich auf die Einwirkungderfrischgezüchteten
Diphtheriekultur auf Meerschweinchen.
Dem Arzt, der mit der bakteriologischen Untersuchung Aveniger
\ r ertraut ist und dem die Zeit zur Ausführung komplizierter Methoden
mangelt, ist die exakte Diphtheriediagnose durch die Untersuchungs¬
ämter dadurch erleichtert, dass von den Instituten auf Wunsch un¬
entgeltlich Holzkästchen zur Verfügung gestellt werden, die in einem
Reagenzglas einen an seinem unteren Ende mit einem Watte-
bäuschchen versehenen Eisendraht oder Glasstab enthalten. Mit
diesem zuvor sterilisierten Wattebausch werden beim diphtherie¬
kranken Kind einige Partikelchen der Membranen auf den Tonsillen
aufgenommen, der Bausch in das Reagenzglas zurückgebracht und
die verpackte Holzhülse dem Institut zur Untersuchung der mit ver¬
dächtigem Material getränkten Watte zurückgesandt.
Zuweilen sind in dem mit Löffler ’schem Methylenblau ge¬
färbten Ausstrichpräparat die Diphtheriebazillen schon reichlich vor¬
handen und mit einiger Sicherheit zu diagnostizieren: Bazillen in
Keulen- oder Spindelform, mit abwechselnd stark und schwach ge¬
färbtem Protoplasma. In den meisten Fällen bietet jedoch die exakte
Diagnose aus dem Aussehen der Stäbchen grössere Schwierigkeiten,
so dass zur Sicherung der Frühdiagnose das Kulturverfahren stets
ratsam erscheint.
Zu dem Ende wird der mit verdächtigem Material beladene
Wattebausch auf drei schräg erstarrte Blutserumröhrchen aus¬
gestrichen, die im Brutschrank bei 37° C gehalten werden und
frühestens nach 6 Stunden, besser nach 10—12 Stunden untersucht
werden können. Die suspekten Kolonien auf den Serumröhrchen, die
graugelbliche Farbe, mattes Aussehen haben, werden dann erst im
Ausstrichpräparat untersucht.
Der Tierversuch, der durch die giftige Wirkung der Bazillen
auf den Meerschweinchenorganismus die Pathogenität der Di¬
phtheriekeime feststellen soll, ist für die Frühdiagnose wegen der
längeren Versuchsdauer nicht mehr verwertbar. Meerschweinchen
von etwa 250—300 g Gewicht werden mit der in Bouillon über¬
geimpften Kultur in die Achselhöhle subkutan injiziert, und zwar
gewöhnlich in Dosen von 0,1, von 0,2 und 0,3 ccm. Nach 24 Stunden
wird ein deutliches Ödem der Bauchdecken fühlbar und nach 2 bis
3 Tagen gehen die Tiere unter typischen Krankheitserscheinungen
zugrunde.
Die praktische Bakteriologie, die eine schnelle und exakte
Diagnose der Diphtherie erstrebte, richtete im wesentlichen ihr
Augenmerk auf klinisch verwertbare Methoden, die Diphtherie¬
bazillen von den Ps eud od i ph t herie baz i 11 en zu dif-
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21] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten.
227
ferenzieren. Die tinktoriellen, kulturellen und biologischen
Unterscheidungsmerkmale zwischen beiden Arten wurden einer ge¬
nauen Prüfung unterworfen und die wichtigsten Ergebnisse dieses
Studiums für die Verwertung in der Praxis empfohlen. Die Unter¬
suchungen über die unterscheidenden Merkmale zwischen Diphtherio-
und Pseudodiphtheriebazillen haben ausser dem klinischen noch epi¬
demiologisches Interesse. Wenn auch die Frage nach der Ubiquität
der Diphtheriebazillen noch nicht vollkommen geklärt ist, weisen
doch exakte Beobachtungen darauf hin, dass die prophylaktische
Massnahme der Isolierung der Diphtheriebazillenträger bis zum defi¬
nitiven Verschwinden der spezifischen Erreger praktische Bedeu¬
tung hat.
Die wertvollste Bereicherung der diagnostischen Mittel zur früh¬
zeitigen Erkenntnis der Diphtherieerreger ist die N e i s s e r 'sehe
Doppelfärbung. Das Prinzip dieser Färbung beruht auf dem
differenten Verhalten der Babes-Ernst'sehen Körperchen, die
an den Polen in den zur Gruppe der Corynebakterien gehörigen
Keimen zu finden sind, gegenüber bestimmten Farbstoffeinwir¬
kungen. Diese Polkörnchen, die bei den Diphtheriebazillen be¬
deutend früher auftreten als bei den verwandten Typen, werden,
durch die N e i s s e r 'sehe Doppelfärbung mit essigsaurem Methylen¬
blau und Vesuvin besonders deutlich gemacht: Die Körnchen werden
tiefblau, die zwischenliegenden Teile des Bakterienplasmas hell¬
braun gefärbt. Diese Färbung muss unter allen Umständen inner¬
halb der ersten 24 Stunden nach dem Ausstrich vorgenommen werden,
da später auch Xerosebazillen (Xerosis conjunctivae) und
Pseudodiphtheriebazillen eine Doppelfärbung ähnlich der Polfärbung
bei Diphtherieerregem erkennen lassen. Für die Klinik bedeutet
die Neisser’sche Doppelfärbung den wertvollsten Besitz zur früh¬
zeitigen Diagnostizierung der Diphtherie.
Die kulturellen Methoden bedürfen, soweit sie für die Differen¬
tialdiagnostik von Bedeutung sind, einer kurzen Besprechung. Am
meisten bewährt hat sich unter den Nährsubstraten für Diphtherie¬
bazillen das Löffler’sche Blutserum, auf dem die Diphtherie¬
bazillen rascher und auch üppiger gedeihen wie die Pseudobazillen.
Nach 12 Stunden sind die Kolonien der Diphtheriebazillen schon
gut sichtbar; die Form, Farbe und Grösse der Kolonien sind differen¬
tialdiagnostisch auch bei grösserer Übung nicht zur Unterscheidung
der einzelnen Arten der Corynebakterien zu verwerten.
Ebensowenig wie die kulturellen bieten die biologischen Eigen¬
schaften der verwandten Arten Anhaltspunkte für eine praktisch ver¬
wertbare Methode. Wir erwähnen nur, dass Änderungen in der
alkalischen Reaktion der Bazillen in alkalischer Traubenzucker¬
bouillon benutzt werden können, um die Diphtherieerreger von den
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Pseudobazillen zu trennen. In dieser Bouillon bilden die Diphtherie¬
bazillen bereits nach 24 Stunden erheblichere Säuremengen, während
die Pseudodiphtheriebazillen meist eine Erhöhung der alkalischen
Reaktion der Bouillon bewirken. Durch die von N e i s s e r ange¬
gebene Titration der Bouillon mit l«/o Natronlauge und Phenol¬
phthalein gelingt es, die Diphtheriebazillen infolge ihrer stärkeren
Säurebildung von den verwandten Arten zu differenzieren. Dies
wie ähnliche Verfahren zur Bestimmung der Säurebildung der
Bazillen sind jedoch für praktische Zwecke zu zeitraubend und um¬
ständlich.
Auch die Trennung der verwandten Arten durch die Aggluti¬
nationsreaktion hat sich nicht einbürgem können. Interessant und
erwähnenswert ist nur der Versuch Schwoner’s, der ein Pferd
mit zwölf verschiedenen virulenten Diphtheriestämmen, deren Kul¬
turen durch Erhitzen auf 62° C abgetötet waren, immunisierte. Mit
diesem Immunserum konnte er 50 echte Diphtheriestämme in
höheren Werten (bis zur Verdünnung 1 : 10000) agglutinieren,
während die Pseudodiphtheriebazillen nur in sehr niedrigen Werten
(1:5 bis 1:10) oder gar nicht agglutiniert wurden.
Die exakte bakteriologische Diagnose der Diphtherie ist in
10—12 Stunden zu stellen: das diphtherieverdächtige Material wird
auf schräg erstarrten Blutserumröhrchen ausgestrichen und die matt¬
glänzenden, graugelblichen Kolonien werden im Deckglaspräparat
mittelst der N e i s s e r 'sehen Doppelfärbung diagnostiziert.
Die bakteriologische Diagnose der epidemischen Zerebro-
spinalmeningitis erfolgt nach den gleichen Prinzipien wie die Dia¬
gnosenstellung bei der Diphtherie: Die Färbung eines Ausstrich¬
präparats und der Züchtungsversuch bilden die wesentlichsten Me¬
thoden. Das Tierexperiment ist wegen der Zeitdauer, die es bean¬
sprucht, für die Frühdiagnose nicht verwertbar. Die Agglutination
eines Laboratoriumsstammes der spezifischen Meningokokken durch
das Krankenserum bietet keine sicheren Resultate.
Sobald der Verdacht auf eine infektiöse Meningitis durch das
klinische Symptombild begründet erscheint, muss die Lumbal¬
punktion vorgenommen werden. Es braucht nicht länger erörtert
zu werden, dass nur bei der sorgfältigsten Säuberung der Haut an
der Punktionsstelle und genügender Sterilisation der Punktions¬
nadel ein verwertbares Ergebnis erzielt werden kann. Ein grösserer
Teil der erhaltenen Lumbalflüssigkeit wird zentrifugiert, resp. sedi-
mentieren gelassen. Werden im Ausstrichpräparat des Sediments
neben Eiterzellen Kokkenarten gefunden, so hat sich eine ein¬
gehendere Prüfung der Kokkenart mittelst des Züchtungsversuches
anzuschliessen.
Morphologische Unterschiede des Micrococcus meni ngi-
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23] Die bakteiiologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten.
229
tidis vom Diplococcus pneumoniae, der ebenfalls häufig
in der Punktionsflüssigkeit gefunden wird, erleichtern die Diagnose.
Während der Diplococcus pneumoniae vielfach extrazellulär liegt,
eine mehr längliche oder rundliche Gestalt besitzt, mit einer deut¬
lichen Kapselhülle versehen ist und in kurzen oder längeren Ketten
auftritt, liegt der spezifische Meningitiserreger meist innerhalb der
Leukozyten und tritt als Diplococcus oder in Form von Tetrakokken
auf, wobei sich die bisweilen auch ungleiche Grösse besitzenden
Kokken an den gegenseitigen Berührungsflächen abplatten. Neben
dem mit den gebräuchlichen Anilinfarben angefertigten Deckglas¬
präparat ist noch die Gram-Färbung des Ausstrichs empfehlens¬
wert. Nach der Gramfärbung wird mit wässerigem, verdünnten
Fuchsin nachgefärbt, dabei erscheinen die gramnegativen Keime,
der Micrococcus meningitis wie andere zufällige Erreger der Menin¬
gitis, B. typhi, B. coli, B. influenzae, B. pestis, Bac. pneumoniae,
rot tingiert, während alle grampositiven Meningitiserreger, wie der
Diplococcus pneumoniae, Streptokokken und Staphylokokken violett
gefärbt werden.
In den von mir untersuchten Fällen von epidemischer Zerebro-
spinalmeningitis genügten diese einfachen Färbungsmethoden nicht,
um mit absoluter Sicherheit die bakteriologische Diagnose zu stellen.
Die exakte Diagnostizierung des spezifischen Erregers der Zerebro
Spinalmeningitis aus dem spärlichen Bazillenbefund des Ausstrich¬
präparats erfordert immerhin eine grössere Übung und die Vernach¬
lässigung des Züchtungsversuches ist nur bei sicherer klinischer
Diagnose entschuldbar. Das Züchtungsverfahren hat auch in den
Fällen Aufschluss über die Art des Erregers zu geben, in denen im
Deckglaspräparat überhaupt keine Mikroben nachzuweisen waren.
Ein spärlicher Kokkenbefund pflegt die Regel zu sein, gelegentlich
nur ist in frischen Prozessen und reichlichem, eiterähnlichem Ex¬
sudat eine grössere Menge von Kokken, die gewöhnlich innerhalb
der Zellen liegen, anzutreffen.
Zur Kultur verwendet man Serumagar ( x / 3 menschliches Serum,
Aszites, Hydrozeleninhalt etc. auf */ 3 flüssigen Agar), der am besten
nach dem Vorschlag Weichselbaum’s in Platinschalen ausge-
gossen und dessen Oberfläche mit der durch die Platinnadel ent¬
nommenen Punktionsflüssigkeit beimpft wird.
Nach etwa 24 Stunden bilden sich auf dem Serumagar ziemlich
üppige, gelbliche, flache Kolonien.
Im Ausstrichpräparat, das von einer Kolonie angelegt wird,
müssen die gramnegativen spezifischen Meningokokken nachge¬
wiesen werden. In einzelnen Fällen schlagen die Züchtungsversuche
fehl. Wenn das Punktionsmaterial, das zur Impfung verwandt werden
soll, älter als 24 Stunden ist, so sind die Meningitiserreger zum Teil
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bereits abgestorben, zum Teil derart stark degeneriert, dass ein
Wachstum auf Serumagar ausbleibt.
Um den Micrococcus meningitidis intracellularis im Sekret
der hinteren Rachenpartien nachweisen zu können, müssen
neben der Färbung des Sekrets das Kulturverfahren und die Ag¬
glutinationsprüfung durch ein hochwertiges Tierimmunserum heran¬
gezogen werden.
Empfehlenswert ist nach Dieudonne besonders die Färbung
mit eosinsaurem Methylenblau nach May, wobei sich die dunkelblau
gefärbten Kokken von dem rötlichen Saum der Leukozyten abheben.
Nach v. Lingeisheims Untersuchungen fanden sich im Pharynx¬
sekret zuweilen gramnegative Diplokokken, die teilweise auf Aszites¬
agar ein den spezifischen Meningitiskeimen ähnliches Wachstum dar¬
boten. Die Kolonien des Micrococcus catarrhalis waren so von denen
des Micrococcus meningitidis nicht zu unterscheiden. In solchen
Fällen kann nur die Agglutinationsprobe die Diagnose entscheiden.
Doch wurden durchaus nicht in allen Fällen die spezifischen
Kokken im Nasensekret gefunden. Zudem bietet die Diagnose der
Krankheit auf Grund positiver Befunde von Meningokokken im
Nasenschleim keine absolute Sicherheit, da in den letzten Epidemien
wiederholt Meningokokken im Sekret von Gesunden und an
Schnupfen, Nasenkatarrh Erkrankten konstatiert wurden, die mit
Meningitiskranken in Berührung gekommen waren. Diese Kokken¬
träger können die gleiche Rolle bei der Übertragung der Krank¬
heit spielen wie die Bazillenträger beim Abdominaltyphus.
Häufig lassen sich die Meningitiskeime auch im strömenden
Blut nachweisen. In 3 Meningitisfällen, in denen das aus der Arm¬
vene entnommene flüssige Blut zu Serumagarplatten verarbeitet
wurde, erhielt ich positive Bazillenbefunde. Auch aus Untersuchungen
anderer Autoren scheint hervorzugehen, dass der Micrococcus menin¬
gitidis häufiger im Blut während der Fieberperiode gefunden wird.
Die Agglutinationsreaktion mit dem Serum Rekon¬
valeszenter oder Meningitiskranker besitzt nicht den Grad von Zu¬
verlässigkeit der Agglutination von Typhusbazillen durch das Serum
Typhöser. Ebenso gelingt es nach meinen Befunden seltener, ein
hochwertiges Immunserum bei kleineren Versuchstieren zu erhalten.
Kaninchen, die ich wiederholt mit durch Erhitzen auf 55° abge¬
töteten Kulturen von Meningokokken immunisierte, lieferten ein Im¬
munserum, das in einer Verdünnung von 1:200 den verwandten
Laboratoriumsstamm agglutinierte. Höhere Titerwerte des Immun¬
serums sind allerdings nach Immunisationen von Pferden erzielt
worden.
Die Agglutinationsprobe besitzt nicht nur wegen des niedrigen
Agglutinationtiters des Krankenserums relativen Wert, sondern büsst
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25] Die bakteriologische Frühdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten.
231
auch in ihrer praktischen Verwertung dadurch viel ein, dass normale
Sera zuweilen manche Meningokokkenstämme schon bei einer Ver¬
dünnung von 1:50 agglutinieren. Zu Agglutinationsversuchen werden
nicht Bouillonkulturen, sondern Aufschwemmungen frischer Serum¬
agarkulturen in physiologischer Kochsalzlösung benutzt.
Die Frühdiagnose der epidemischen Zerebrospinalmeningitis
kann demnach innerhalb von 24 Stunden gestellt werden: Züchtung
auf Serum- oder Aszitesplatten und Färbung, speziell Gramfärbung
der ausgestrichenen Kolonien sichert in der Mehrzahl der Fälle die
Diagnose.
Von grösster Bedeutung für die Frühdiagnose der septi¬
schen Erkrankungsprozesse ist die bakteriologische Blutunter¬
suchung. Wie bei den typhösen Erkrankungen sichert der positive
Bazillenbefund im strömenden Blut bei der Sepsis nicht allein die
klinische Diagnose, nicht selten kann erst aus dem bakteriologischen
Blutbefund die Diagnose gleichsam abgelesen werden.
Wenn auch einzelne klinische Symptome der Bakterieninvasion
hei der Sepsis bereits den spezifischen Charakter der Krankheit
anzeigen, so darf doch in keinem Falle, in dem die Möglichkeit einer
bakteriologischen Blutuntersuchung besteht, diese versäumt werden.
Unter den Symptomen der Blutinfektion, die eine septische
Erkrankung wahrscheinlich machen, steht der Schüttelfrost an
erster Stelle. Wird während des Schüttelfrostes oder kurz danach
das Blut bakteriologisch untersucht, so finden wir in positiven
Bazillenbefunden den Zusammenhang zwischen Bakterieninvasion
und Schüttelfrösten klargelegt. Ich verfüge über einen Fall von
Cholelithiasis, in dem während des Schüttelfrostes Streptokokken
in grosser Anzahl im Blut konstatiert wurden. In anderen Fällen
wurde gleich nach dem Frost Blut entnommen und auf den Blutagar¬
platten grosse Bakterienmengen nachgewiesen.
Wiederholte Schüttelfröste zeigen einen schubweise erfolgen¬
den Einbruch der pathogenen Keime von einem Bakteriendepot aus
in die Blutbahn an. In zwei Fällen von Lungenentzündung konnte
ich mich davon überzeugen, dass die Zahl der Blutkeime, sobald
das Blut während oder nach dem Schüttelfrost untersucht wurde,
sehr erheblich war. In diesen beiden Fällen war die Blutmenge, die
durch Venaepunktion erhalten war, nur gering, aber in den 1—2 ccm
Blut wurden zahlreiche Pneumokokken nachgewiesen. Selbst in
wenigen Blutstropfen konnte Prochaska nach Schüttelfrösten bei
der Pneumonie zahlreiche Kokken konstatieren.
Wie die Schüttelfröste den Verdacht auf eine Sepsis lenken,
können die klinischen Erscheinungen der malignen Endokarditis,
die zuweilen als eine exklusive Lokalisation der Eitererreger auf-
tritt, den Verdacht einer septischen Erkrankung verdichten. Alle
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anderen Symptome der Sepsis, mögen sie als seltenere öder fast
konstante klinische Phänomene erscheinen, werden jedoch nicht im¬
stande sein, die Diagnose so exakt und so frühzeitig zu stellen, wie
es durch den Nachweis der septischen Erreger im Blut möglich ist
Die bakteriologische Blutuntersuchung nahm ihren Ausgangs¬
punkt vom Nachweis der Eitererreger in Sepsisfällen. Auf die erst
vereinzelten Mitteilungen von Befunden an Eitererregern im Blut
intra vitam gründeten sich dann systematische Blutuntersuchungen
an grösserem Krankenmaterial bei den verschiedensten Infektions¬
krankheiten.
Wir verfügen über 11 Fälle von echter klinischer
Sepsis, in denen jedesmal Bakterien im Blut gefun¬
den wurden. Es handelte sich in vier Fällen um Staphylo¬
kokken, in sechs Fällen um Streptokokken und im 1 etz ten
Fall um eine Mischinfektion mit beiden Bakterien¬
arten. Von diesen vier Staphylokokkenseptikämien kamen drei Fälle
ad exitum, von den sechs an Streptokokkensepsis erkrankten Patienten
starben zwei, ebenso führte die Mischinfektion mit Streptokokken
und Staphylokokken zum Tode.
Danach scheint im Einklang mit der Ansicht Petruschky’s,
der in 17 Fällen positive Blutbefunde erhob und in neun Fällen Ge¬
nesung konstatierte, der Befund von Eitererregern im Blut keine
durchaus schlechte Prognose zu bieten.
Durch die bakteriologischen Blutbefunde wurde in allen diesen
Sepsisfällen nicht nur die Diagnose entschieden, sondern in einigen
Erkrankungsformen erst durch den positiven Bazillenbefund die
richtige Diagnose gewissermassen entdeckt. Untersuchungen über
den Moment des Einbruchs der Bakterien in die Blutbahn und den
ersten Nachweis der Kulturmethode sind bei der Unsicherheit der
Diagnosenstellung in Septikämien schwer angängig, ebenso existieren
keine Angaben über die Dauer des Verweilens der Keime im Blut.
In einem Falle einer mit dem Tode endenden Staphylokokken¬
sepsis, in dem nach genauer Anamnese am vierten Krankheitstage
Blut entnommen wurde, waren schon nach Verlauf dieser kurzen
Zeit zahlreiche Kolonien auf den Platten aufgegangen; in dem mit
Genesung endenden Fall einer Staphylokokkensepsis waren sowohl
während eines Rezidivs wie in der fieberfreien Zeit kurz nach Ab¬
lauf des Rezidivs die Erreger nachweisbar.
Im Anschluss an diese 11 Sepsisfälle wären die bakterio¬
logischen Blutbefunde in 32 Fällen von Angina zu
erwähnen, in denen viermal Eitererreger im strömenden
Blut nachgewiesen wurden.
Nach solchen Bazillenbefunden im Blut intra vitam konnte der
Sepsisbegriff nicht mehr für die Allgemeininfektionen mit Strepto-
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27] Die bakteriologische FrDhdiagnose bei akuten Infektionskrankheiten. 233
kokken und Staphylokokken beschränkt bleiben. Die praktische Bak¬
teriologie musste jeden Nachweis von Bakterien im Blut als
Bakteriämie bezeichnen. Die zahlreichen Befunde der differen¬
testen Bazillenarten im Blut deckten die Übergänge einzelner lokaler
Infektionen zur septischen Allgemeinerkrankung auf, in dem sie
zeigten, dass die Mehrzahl der Infektionskrankheiten
mit einer Blutinfektion verläuft.
Bakteriologische Sputum- und Blutuntersuchungen verfolgen
bei der croupösen Pneumonie den Zweck, die klinische Diagnose
durch den Nachweis der Infektionserreger zu stützen. Die Ätiologie
der Pneumonie ist keine einheitliche und jede Form von Pneumonie
kann durch mehrere Arten von Bakterien hervorgerufen werden.
Die bakteriologische Diagnostik hat in den Erkrankungsformen, in
denen nicht konstant nachzuweisende, spezifische Keime die In¬
fektion machen, ausser in Sepsisfällen auch zu keinen praktisch
wichtigen Erfolgen geführt.
Selten sind die Fälle, in denen der Arzt genötigt ist, aus
dem gefärbten Ausstrichpräparat des pneumonischen Sputums die
Art der Erreger und gestützt auf diesen Befund die Krankheit zu
diagnostizieren. Die Exaktheit der Diagnose aus dem Bazillen-
befund im Sputum wird dadurch beeinträchtigt, dass in etwa 15 %
der Fälle im Sputum Gesunder der Diplococcus pneumoniae zu
finden ist, während er in nur 60—70 °/o im Sputum Pneumonieknnker
vorkommt. Überdies wird die Brauchbarkeit des Bazillennachweises
in manchen Fällen davon abhängig sein, ob der Kranke überhaupt
Sputum auswirft.
Ferner ist für die bakteriologische Diagnose atypisch ver¬
laufender Pneumonien, die dem Arzt zuweilen erhebliche dia¬
gnostische Schwierigkeiten bereiten, der Befund von Bazillen nur
beweisend, wenn echte Pneumokokken einwandsfrei nach der kul¬
turellen und biologischen Prüfung im Sputum konstatiert sind.
Streptokokken- und Staphylokokkenbefunde im Sputum besitzen
keinen diagnostischen Wert. Wichtiger noch erscheint ein Befund
von Influenzabazillen im Sputum, die bei der Lobulärpneumonie
der Influenza konstatiert werden können. Ausser der Kleinheit der
Bazillen käme hier noch das gramnegative Verhalten für die bak¬
teriologische Diagnose in Betracht.
Die bakteriologischen Blutuntersuchungen bei der Pneumonie
haben allerdings bisher noch widersprechende Resultate gebracht,
so dass ein weit grösseres Material als das vorliegende zur Ent¬
scheidung der Frage, ob konstant eine Blutinfektion mit der lokalen
Ansiedlung der Bakterien in der Lunge verläuft, erforderlich ist
Ich habe in 12 Fällen von Pneumonie sowohl das Plattenverfahren
wie die Aussaat in Bouillon vorgenommen. Während die Agarplatten
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H. LÜDKE, Die bakteriologische Frühdiagnose etc.
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in 4 Fällen positive Resultate ergaben, wurden in 8 Fällen der Blut¬
aussaat in Bouillon Pneumokokken konstatiert.
Im Innern der zu Platten gegossenen festen Nährböden ge¬
deihen die Keime nicht, während in flüssigen Nährböden auch die
Bakterien, die durch die bakterizide Kraft des Blutes geschwächt
sind, noch zum Wachstum gelangen können.
Prochaska fand in allen von ihm untersuchten Fällen,
im ganzen 90, Lenhartz dagegen bei 83 Fällen 26mal Pneumo¬
kokken im Blut der Pneumoniekranken. In unsern 21 Fällen von
croupöser Pneumonie wurden 11 mal Keime im Blut gefunden:
6 mal der Streptococcus lanceolatus, 2 mal der Streptococcus pyo¬
genes, 1 mal Streptokokken mit Staphylokokken und 2 mal Staphylo¬
kokken mit Pneumokokken. In vier von den 21 Fällen wurde durch
den Blutbefund die Diagnose vor dem Auftreten klinisch verwertbarer
Lungensymptome gestellt.
Die serodiagnostischen Methoden sind für die Frühdiagnose
der Pneumonie nicht zu verwerten, da die Agglutinationsreaktion
nach dem einen Autor kurz nach der Krise, nach dem anderen
frühestens am fünften Tage eintritt und zudem die Probe nicht die
Spezifität besitzt wie beim Typhus abdominalis.
Die bakteriologische Diagnose der Influenza besitzt in Epi¬
demien einige klinische Bedeutung. Meist sind die Influenzabazrllen
in dem charakteristischen gelb-grünlichen Sputum der Kranken in
grossen Mengen enthalten, besonders im ausgehusteten Morgen¬
sputum. Zur Färbung verwendet man zweckmässig eine verdünnte
Z i e h 1 'sehe Lösung und sieht im Deckglaspräparat die Bazillen in
typischer Anordnung in Haufen oder Zügen zwischen oder in den
Eiterkörperchen.
Die Kulturmethode ist in den Fällen zu berücksichtigen, in
denen eine Mischinfektion mit Diplokokken und dem Bac. lanceo¬
latus die Diagnose erschwert. Taubenblut eignet sich am ehesten
als Agarzusatz. Man streicht auf die Oberfläche solcher mit Tauben¬
blut beschickter, schräg erstarrter Agarröhrchen das verdächtige
Sputummaterial aus. Nach 18—24 Stunden beobachtet man auf
dem Blutagar zahlreiche, wasserhelle und durchscheinende Kolonien.
Der Nachweis der Influenzabazillen im Blut wurde zuerst von
Canon geführt, von Pfeiffer jedoch bestritten. Nach dem Aus¬
fall der neueren Blutuntersuchungen kann mit ziemlicher Sicherheit
angenommen werden, dass in akuten Influenzafällen die spezifischen
Keime auch im Blut vorhanden sind, doch gelingt ihre Züchtung
nur dann, wenn die bakteriziden Kräfte des Blutes abnehmen und
die Entwicklung der Bakterien im strömenden Blut zu einer In-
fluenzaseptikämie geführt hat.
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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Chole
lithiasis.
Von
Dr. med. Richard Schwarz,
Stuttgart—Bad Mergentheim.
Die vorliegende Studie ist entstanden auf Grund von Beob¬
achtungen, welche ich in den Sommern 1906 und 1907 in Bad
Mergentheim an 160 Fällen von sicher diagnostizierter Gallenstein-
Erkrankung gemacht habe. Die Durchsicht meiner Kranken¬
geschichten förderte sowohl in anamnestischer als auch in sympto-
matologischer Beziehung manches zutage, was mir der Veröffent¬
lichung wert erschien. Auf die objektive Feststellung des klinischen
Befundes vor und nach der Kur habe ich besonderen Wert gelegt.
Auch bin ich in der Lage, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
auf Grund einer Umfrage darüber zu berichten, welchen Verlauf
das Leiden bei meinen Kranken in dem Zeitraum von 1—2 Jahren
nach beendeter Kur genommen hat. Ich weiss wohl, dass diese
Frist etwas kurz bemessen ist, aber ich glaube doch, dass man aus
meinen Beobachtungen manche Winke für die Beurteilung der Frage
entnehmen kann, ob die interne Therapie vermittelst einer ein- oder
zweimaligen Mineralwasser-Trinkkur überhaupt etwas zu erreichen
vermag oder nicht. Aus den Erfolgen und Misserfolgen der internen
Behandlung lässt sich die Grenze ziehen, welche chirurgischen Ein¬
griffen gesteckt ist. Dass die grosse Mehrzahl aller Gallenstein¬
kranken ohne Operation geheilt oder wenigstens in befriedigendem
Gesundheitszustand erhalten werden kann, bezweifeln auch die
meisten Chirurgen nicht.
Von meinen 160 Fällen standen 14 in zwei aufeinanderfolgenden
Jahren in meiner Behandlung, ich berichte also nur über 146 Indi¬
viduen. Von diesen waren 101 weiblichen und 45 männlichen Ge-
Würzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 10. 17
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schlechte, nach Prozenten ausgedrückt 69 % : 31 %. Ein ähnliches
Verhältnis findet sich in allen Statistiken. Nach Kehr’s 1 ) Beob¬
achtungen kommt auf vier gallensteinkranke Frauen etwa ein gallen¬
steinkranker Mann. Fink 2 ) hat unter Berücksichtigung von 263
Fällen 63 o/o Frauen und 37% Männer angegeben.
Eine unverkennbare Rolle bei der Entstehung des Leidens
spielen Schwangerschaft und Geburten. Es hatten mehr
als vier Fünftel meiner weiblichen Kranken, nämlich 86, eine oder
mehrere Geburten durchgemacht. Nicht geboren hatten 15, darunter
4 Unverheiratete. In einigen Fällen war das Leiden entstanden im
Anschluss an Geburten, welche innerhalb weniger Jahre rasch nach¬
einander eingetreten waren. Die Häufigkeit der Geburten scheint
ätiologisch keine besondere Rolle zu spielen. Unter den 86 Frauen,
welche geboren hatten, befanden sich 67, welche 1—4 Geburten
verzeichnen konnten. Auf häufigere Geburten blickten 19 zurück,
darunter je eine Patientin auf 7, 8, 9 und 11 Geburten.
Sichere Angaben über Gallensteinkolik-Anfälle während der
Schwangerschaft machten nur 3 Patientinnen, dagegen erzählten 25,
also annähernd 30%, dass ganz kurz nach der Geburt oder im Ver¬
laufe des Wochenbetts die ersten Schmerzanfälle aufgetreten seien.
Bei einigen Patientinnen hatten sich Gallensteinbeschwerden gleich¬
zeitig mit dem Eintritt der Menopause erstmals eingestellt, ln zwei
Fällen schien ein Zusammenhang mit dem Wachsen raum-
beschränkender Ovarialtumoren vorhanden zu sein.
Was das Lebensalter der Gallensteinkranken anbetrifft, so
zeigen die Beobachtungen aller Autoren, dass die jugendlichen Jahre
von der Krankheit fast völlig verschont werden. Beim weiblichen
Geschlecht sind mehr die mittleren Lebensjahre gefährdet, beim
männlichen Geschlecht tritt die Erkrankung meist erst im vorge¬
rückten Lebensalter auf und ist vor dem 40. Lebensjahre nicht
häufig. Die einzelnen Altersstufen zur Zeit meiner Beobach¬
tung waren folgendermassen vertreten:
- - -
......
— — _
Jahre
~ - ■
—--
—
21-30 |
31-40
1 41-50
I 51-60
| 61-75
Summe
Weiblich ....
6
34
31
23
7
101
Männlich ....
i
5
16
11
i
45
>) Die interne und chirurgische Behandlung der tiallensteinkrankheit, München
1906.
-) Erfolge einer einmaligen Kur in Karlsbad b. Gallensteinleiden, Leipzig 1904.
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3]
Ein Beitrag zur Diagnose and Therapie der Cholelithiasis.
237
Diesen Zahlen möchte ich auch das Lebensalter, in welchem
sich die Patienten nach ihren Angaben zur Zeit des Beginns
der Erkrankung befanden, gegenüberstellen:
15-20
21-80
Jal
31-40
i r e
41-50
51-60
61-75
Summe
Weiblich . . .
5
21
38
21
14
2
101
Männlich . . .
0
3
7
12
15
8
45
Es ist hiebei besonders auffallend, dass sich bei den weiblichen
Individuen die Zahlen nicht unwesentlich verschieben und zwar
fällt der Beginn der Erkrankung doch häufiger als man nach der
ersten Zusammenstellung zu vermuten geneigt wäre, in das jugend¬
lichere Lebensalter. Während nämlich nur 6 gallensteinkranke Pa¬
tientinnen sich bei mir vorstellten, welche das 30. Lebensjahr noch
nicht überschritten hatten, betrug die Zahl der Patientinnen, welche
mit Sicherheit angeben konnten, dass sie vor dem 30. Jahre die
ersten Kolikanfälle durchgemacht hatten, nicht weniger als 26. Eine
Erklärung für diese Erscheinung ist in der Tatsache zu suchen, dass
gar nicht selten der Erkrankungsbeginn mit der Zeit der ersten
Geburten zusammenfällt. Dass bei einigen meiner Patientinnen An¬
gaben über besonders schwere Geburten, operative Eingriffe u. dgl.
gemacht wurden, erwähne ich nur nebenbei, denn einen grösseren
Einfluss auf die Häufigkeit oder Heftigkeit der Gallensteinkoliken
scheint diese Eventualität nicht zu haben.
Die Schnürwirkung als Ursache der Gallenstauung und
Gallensteinbildung ist als eine weitere Erklärung für das iiäufigere
Befallensein des weiblichen Geschlechtes herangezogen worden. Es
ist kein Zweifel, dass durch starkes Schnüren auf die für den
Gallenabfluss wichtigen Bewegungen des Zwerchfells bei der Re¬
spiration ein hindernder Einfluss ausgeübt wird, auch können Leber
und Gallenblase in ihrer Form und Lage Veränderungen erleiden.
Bei meinen Patientinnen habe ich nachweisbare Schnürfurchen dann
und wann gefunden, jedoch sah ich andererseits gallensteinkranke
Frauen aus einfachem Stande, welche sich in ihrem Leben wenig
oder gar nicht geschnürt hatten.
Für die zunehmende Häufigkeit des Leidens bei älteren männ¬
lichen Individuen ist nach Naunyn’s 1 ) Ansicht eine Störung des
Gallenabflusses als Ursache in Betracht zu ziehen, welche dadurch
hervorgerufen wird, dass die glatten Muskelfasern der Gallen wege,
>) Klinik der Cholelithiasis, Leipzig 1892.
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welche bei der Entleerung der Galle wichtig sind, im vorgerückten
Lebensalter in einen mehr oder weniger atrophischen Zustand zu
geraten pflegen.
Eine besondere Besprechung verlangt die bei den Gallenstein¬
kranken ungemein häufig vorkommende chronische Obsti¬
pation. In nicht weniger als 116 Fällen oder nahezu bei 80°/o,
nämlich bei 83 weiblichen und 33 männlichen Patienten, berichtet
die Anamnese über Obstipation und zwar bei der erdrückenden
Mehrheit über chronische schon seit Jahren oder gar Jahrzehnten
bestehende Obstipation. Nur eine geringe Anzahl der Kranken
machte die Angabe, dass die Verstopfung nur vor den Kolikanfällen
oder nur während derselben auftrete. Auch konnten die wenigsten,
mit Sicherheit sagen, dass sie erst an Verstopfung leiden, seit sie
gallensteinkrank seien. Es unterlag vielmehr in der überwältigenden
Mehrheit der Fälle keinem Zweifel, dass zuerst die chronische Obsti¬
pation vorhanden war und dass die Cholelithiasis hiezu in einem
kausalen sekundären Zusammenhang stand. Bemerkenswert ist die
Angabe einer Patientin, welche seit 5 Jahren an Gallensteinkoliken
und seit vielen Jahren an chronischer Obstipation gelitten hatte,
dass sie ihren schwersten Anfall im Anschluss an eine 14 tägige
Stuhlverhaltung bekommen habe. Erinnern möchte ich auch daran,
dass, wie ich oben schon bemerkt habe, von den 86 Patientinnen,
welche geboren hatten, annähernd 30 o/o während des Wochenbetts
erkrankt waren, also zu einer Zeit, in welcher die chronische Obsti¬
pation bekanntermassen einen ganz besonders hartnäckigen Charakter
anzunehmen geneigt ist.
Ausser der chronischen Obstipation sind noch einige andere
Erkrankungen des Magendarmkanals zu erwähnen. Öfters war
chronischer Darpikatarrh mit abwechslungsweise auftretender Obsti¬
pation und Diarrhoe vorhanden gewesen. In einigen Fällen trat nur
während der Koliken Neigung zu Obstipation auf, während kurz
vorher eher eine Neigung zu diarrhoischem Stuhl vorhanden gewesen
war. Eine einzige Patientin hatte stets während der Anfälle die
heftigsten Durchfälle, während sonst der Stuhlgang angehalten zu
sein pflegte. Chronischer Magenkatarrh war in vier Fällen vor¬
handen oder hatte früher bestanden, Magengeschwüre hatten zwei
Patienten gehabt. Blinddarmentzündung ist dreimal notiert, darunter
zwei operierte Fälle. Alles in allem kann man sagen, dass
die Zahl der an Cholelithiasis Erkrankten, bei welchen die chronische
Obstipation, sowie sonstige Erkrankungen des Magendarmkanals als
begünstigende Momente in Betracht zu ziehen sind, etwa 80 bis
90 o/o beträgt.
Ich habe meine anamnestischen Erhebungen auch nach der
Richtung hin ausgedehnt, wie lange das Leiden bei meinen
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5] Eia Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 239
146 Kranken schon bestand. Die grosse Mehrzahl war erst kürzere
Zeit gallensteinkrank und zwar zählte ich 97 Patienten — 66 o/o,
welche höchstens seit 5 Jahren an der Krankheit litten. Genau bei
einem Drittel der Kranken betrug die Dauer des Leidens schon mehr
als 5 Jahre und zwar waren es bei 21 Patienten 5—10 Jahre, bei 15
wurden 10—15 Jahre angegeben. Bei 13 Kranken waren seit dem
Auftreten der ersten Gallensteinkoliken mehr als 15 Jahre ver¬
strichen. Unter diesen befanden sich drei Patientinnen, welche ein¬
wandfreie Angaben machen konnten, dass sie seit über 30 Jahren
mit dem Leiden behaftet waren. Eine Patientin, die Witwe eines
Arztes, hatte vor 38 Jahren im Anschluss an eine Geburt die ersten
Koliken gehabt, war dann mit Unterbrechungen fünfmal in Karlsbad
gewesen, hatte einmal eine 10 jährige völlig beschwerdefreie Zeit
gehabt, um dann in ihrem 63. Lebensjahre abermals an Gallenstein¬
koliken zu erkranken. Aus solchen Fällen vermag man einen Schluss
zu ziehen, welch eminent chronisches Leiden die Cholelithiasis trotz
ihrer ausgesprochenen Neigung zur Latenz zuweilen sein kann.
Bestimmte Berufsarten sind als prädisponierend für die
Gallenstein-Erkrankung herangezogen worden. Es ist jedoch sicher¬
lich nicht richtig, dass Leute, welche ein luxuriöses Leben führen,
häufiger erkranken als solche, welche unter ärmlichen Verhältnissen
gross geworden sind. Die überwiegende Mehrzahl meiner Kranken
bestand, wie oben zahlenmässig angegeben ist, aus verheiratete^
Frauen. Unter diesen befanden sich viele aus den höheren Gesell¬
schaftsschichten, aber auch eine beträchtliche Anzahl einfacher
Frauen aus der kleinstädtischen und bäuerlichen Bevölkerung. Was
die männlichen Patienten betrifft, so waren die allervcrschiedensten
Berufsarten vertreten. Ein die Entstehung der Krankheit begünstigen¬
des Moment, welches bei Erörterung der Ätiologie nicht vergessen
werden darf, ist die vorwiegend sitzende Lebensweise mit
den sich hieraus ergebenden Störungen, insbesondere der Behinde¬
rung der intraabdominalen Zirkulationsverhältnisse und der ge¬
hemmten Darmperistaltik.
Ein gewisses Interesse beansprucht die Frage der Heredität,
zumal über diesen Punkt die einzelnen Ansichten ziemlich aus¬
einandergehen. Während u. a. Riedel 1 ) der Meinung ist, dass
vorwiegend eine ererbte Disposition zur Steinbildung notwendig sei,
misst Naunyn 2 ) der Erblichkeit keinerlei besondere Bedeutung
bei. Von meinen Patienten konnten 17 über Gallensteinerkrankung
ihrer Eltern berichten, und zwar hatte in 11 Fällen die Mutter und
in 6 Fällen der Vater an der Krankheit gelitten. Es bestand also
*) Erfahrungen über die Gallensteinkrankheit, Berlin 1892.
2 ) loc. cit.
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bei ll,6o/o eine erbliche Belastung, wenn man dies so nennen darf.
Ungenaue und daher statistisch nicht verwertbare Angaben über
Gelbsucht, Leberentzündung und Leberleiden bei den Eltern machten
8 Patienten. In 6 weiteren Fällen hatten Vater oder Mutter an
„Magenkrämpfen“ gelitten. Wollte man diese Fälle alle mitzählen,
so könnte man bei ca. 20 0/0 meiner Gallensteinkranken eine ererbte
Disposition herausrechnen. Ich bin aber der Meinung, dass man
bei einer Krankheit, welche so häufig ist, wie die Cholelithiasis,
nicht von Vererbung sprechen darf, wenn mehrere Erkrankungs¬
fälle in der gleichen Familie vorgekommen sind. Erwähnen möchte
ich noch, dass abgesehen von den Eltern in der näheren Bluts¬
verwandtschaft meiner Patienten 9 mal Gallensteinkrankheit aufge¬
treten war. Eine Patientin konnte mir die sichere Angabe machen,
dass Vater, Mutter und eine Schwester an Gallensteinen gelitten,
hatten und dass bei Vater und Schwester durch die Sektion die
Diagnose bestätigt worden sei. Gewiss ein seltenes Zusammentreffen.
Als die allgemeine Ursache der Entstehung von Gallensteinen
betrachtete man früher nur die Stauung der Galle. Aber seit
Naunyn’s Anschauungen Gemeingut der Ärzte geworden sind,
zweifeln nur noch wenige daran, dass in der Mehrzahl der Fälle
erst das Eindringen von Infektionserregern in die Gallenblase den
Ausbruch der Gallensteinkrankheit in Gestalt des Kolikanfalls her¬
vorzurufen pflegt. Auch in einer neueren Veröffentlichung hat es
Naunyn 1 ) nochmals ausdrücklich ausgesprochen, dass die infek¬
tiöse Cholangitis als die Ursache der Konkrementbildung anzusehen
ist. Schon in seiner „Klinik der Cholelithiasis“ hat er auf das
häufige Vorkommen des Bacterium coli commune in der Gallen¬
blase hingewiesen. Viele spätere Untersucher haben diese Beob¬
achtungen und ihre Deutung bestätigt. Andere dagegen meinten,
dass man die Bedeutung der Kolibazillen für das Entstehen der
infektiösen Erkrankungen am Gallensystem überschätze und dass
man die Bedeutung der Typhusbazillen im allgemeinen zu gering
anschlage. In Kreh 1 ’s Strassburger Klinik hat Blumenthal 2 ) in
diesem Sinne Untersuchungen angestellt und hat darauf hingewiesen,
dass Bakterien, z. B. Typhusbazillen, welche in die Blutbahn ge¬
bracht werden, nach zahlreichen Tierexperimenten sehr bald in der
Galle ausgeschieden werden. Manche Beobachter haben bei 10 0/0
der Gallcnsteinkranken in der Anamnese eine frühere Typhuserkran¬
kung gefunden. Es ist also durch die Erfahrungen der Praxis und
durch experimentelle Ergebnisse der Nachweis geliefert worden, dass
auch der Typhusbazillus unter die Gruppe von Bakterien auf-
1) Mitteil, ans d. Grenzgeb. 1905. S. 537.
2 ) Arch. f. klin. Medizin, Bd. 88. S, 509.
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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaais.
241
7]
genommen werden muss, welche bei der Entstehung der Gallensteine
mitzuwirken imstande sind.
Unter meinen Patienten befand sich nur eine einzige Frau,
welche erhebliche Zeit, bevor sie gallensteinkrank wurde, einen Ab¬
dominaltyphus durchgemacht hatte. In Anbetracht der Tatsache,
dass einerseits der Typhus in unseren Gegenden eine verhältnis¬
mässig seltene Erkrankung geworden ist, andererseits die Gallen¬
steinkrankheit ziemlich häufig vorkommt, darf man wohl annehmen,
dass dem Typhusbazillus in der Ätiologie der Cholelithiasis rein
praktisch keine grosse Rolle zufällt. Auch in München ist, wie aus
den dortigen Beobachtungen' übereinstimmend hervorgeht, trotz des
in den letzten Jahrzehnten eingetretenen bedeutenden Rückganges der
Typhuserkrankungen das Gallensteinleiden noch ebenso häufig, nach
den Sektionsberichten sogar etwas häufiger wie früher. Die
N a u n y n ’sche Anschauung wird vorläufig zu Recht bestehen, dass
zwar sehr oft das Bacterium coli, aber ausserdem der Typhusbazillus
und noch viele andere Bakterien, besonders Staphylokokken, Strepto¬
kokken und Diplokokken für das Entstehen des infektiösen Katarrhs
der Gallenblase und demgemäss für die Bildung von Konkrementen
verantwortlich gemacht werden müssen. Des weiteren darf nicht
vergessen werden, dass ider Virulenzgrad der eindringenden Bak¬
terien von wesentlichem Einfluss ist auf die Heftigkeit der in der
Gallenblase sich abspielenden entzündlichen Prozesse.
Die schönen Untersuchungen, welche im Freiburger pathologi¬
schen Institut von Aschoff und neuerdings von Bacmeister 1 )
gemacht worden sind, verdienen allgemeine Beachtung. Es wird
nämlich u. a. auf die merkwürdige Tatsache hingewiesen, „dass
bei der grossen Zahl von Untersuchungen und Forschungen, welche
sich auf die Entstehung der Cholelithiasis beziehen, stets die Gallen¬
steine summarisch behandelt wurden, ohne dass man auf ihre ganz
verschiedene Zusammensetzung Rücksicht nahm.“ Während sich
nach den Untersuchungen A s c h o f f ’s der reine Cholestearinstein
bei einfacher Gallenstauung bilden zu können scheint, muss zur
Bildung des mit Kalk gemischten Steins das Zusammentreffen von
Stauung plus Infektion angenommen werden. Auf diese Weise ist
es erklärlich, dass in derselben Gallenblase sowohl Steine sich finden
können, welche hauptsächlich aus Cholestearin bestehen, als auch
solche Steine, bei welchen andere konkrementbildende Substanzen
vorwiegend vorhanden sind. Der Gedanke der nicht einheitlichen
Entstehung der Gallensteine! hat in der Tat manches für sich und
auch der Versuch der Erklärung hat etwas Bestechendes. Es würde,
wenn sich diese Erklärungen Anerkennung verschaffen, die alte Lehre
() Münch, med. Wochenschr. 1908. Nr. 5 u. 6.
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der Entstehung der Gallensteine durch einfache Gallenstauung
wenigstens teilweise wieder in ihr Recht treten.
Nach dieser Abschweifung gehe ich zur Schilderung der klini¬
schen Symptome über, welche meine Krankheitsfälle boten. Als
das hervorstechendste Merkmal, welches in keinem Falle fehlte,
ist der Schmerz zu nennen. Die Kranken lokalisieren die Schmerz¬
empfindung gewöhnlich in das rechte Hypochondrium. Die Schmerz¬
haftigkeit beschränkt sich in der Regel nicht nur auf die Gegend,
wo die Gallenblase ihren Sitz hat, sondern sie strahlt nach allen
Seiten aus. Besonders die Rückenschmerzen sind oft unerhört heftig,
ja selbst bis in die rechte Schulter und in den rechten Arm
reichen die schmerzhaften Empfindungen gar nicht selten. Ferner
ist das Epigastrium sehr häufig während der Anfälle der Ort schmerz¬
haftester Empfindungen und in vereinzelten Fällen reicht er bis
in’s linke Hypochondrium hinüber. Ziemlich selten kommt es vor,
dass bei Gallensteinkoliken der Schmerz ausschliesslich in’s linke
Hypochondrium verlegt wird. Drei Patienten konnten mir diesbezüg¬
liche bestimmte Angaben machen, nur bei einem dieser Fälle konnte
ich diese schwer zu deutende Erscheinung selbst beobachten. Es
handelte sich um einen 60 jährigen Herrn, welcher während eines
mehrtägigen mit Erbrechen, Fieber und Ikterus einhergehenden
Kolikanfalles eine mässige Schmerzhaftigkeit in der Gegend der
Gallenblase aufwies, dagegen über heftigste Schmerzen im linken
Hypochondrium klagte, welche sich bei der Palpation nicht steigerten.
C. Gerhardt 1 ) hat darauf aufmerksam gemacht, dass es sich in
solchen Fällen um linksseitige bewegliche geschwollene Niere handeln
könne. In dem erwähnten Falle war wegen Adipositas die linke
Niere der Palpation nicht zugänglich. Eine sehr auffallende An¬
gabe machte eine Patientin, welche viele charakteristische Kolik¬
anfälle gehabt hatte. Sie behauptete, zuweilen Schmerzempfindungen
in der rechten Halsseite zu verspüren, welche auch in die rechte
Schulter ausstrahlten, und sie konnte, wenn dieses Symptom auf¬
trat, den Beginn eines Kolikanfalles mehrere Stunden vorher Voraus¬
sagen.
Typisch und nahezu pathognomonisch ist bei der Mehrzahl der
Fälle das plötzliche und ganz unvermittelte Auftreten des Schmerzes.
Die Patienten vermögen Tag und Stunde des Beginns oft noch
nach Jahren genau anzugeben. Vorboten der Anfälle stellen sich
nur ausnahmsweise ein. Bei gehäuften Kolikanfällen treten gelegent¬
lich unbestimmtere Druck- oder Spannungsgefühle auf, ohne dass
es jedesmal zum Ausbruch eines eigentlichen Schmerzanfalles zu
kommen braucht. Was aber im allgemeinen die Intensität der
i) Arch. f. klin. Med. Bd. 73. S. 162.
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9]
Gin Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis.
243
Schmerzempfindungen anbelangt, so finden die Kranken oft nicht
genug Worte, um deren unbeschreibliche Heftigkeit zu schildern.
Die Schmerzanfalle werden als „unerhört heftig“, „überwältigend
stark“, „fürchterlich und kaum erträglich“ bezeichnet. Ich habe
mich schon darüber gewundert, dass nicht häufiger Suizidtendenzen
geäussert wurden, nur zwei meiner männlichen Patienten gaben:
zu, sich mit solchen Gedanken getragen zu haben. Die Heftigkeit
und die Art des Schmerzes ist sehr verschieden und kann bei dem
gleichen Patienten sich bei verschiedenen Anfällen jedesmal anders
verhalten. Während des Verlaufes eines Anfalles können die Schmerz¬
erapfindungen mehrmals an- und abschwellen. Auch die oft erwähnte
Angabe, dass der erste Kolikanfall häufig mitten in der Nacht auf-
tritt, kann ich bei Durchsicht meiner Anamnesen bestätigen. Bei
Wiederholung der Anfälle trifft diese Beobachtung jedoch nicht so
oft zu.
Was die Wiederholung der Gallensteinkolikanfälle betrifft,
so lässt sich ein charakteristisches Merkmal erkennen. Es sind
nämlich bei noch kurzem Bestehen der Krankheit die Zwischen¬
räume zwischen den einzelnen Anfällen meistens grösser, später
werden die anfallsfreien Pausen häufig kürzer, vorausgesetzt, dass
der Kranke sich nicht geeigneten Kuren unterzieht. Übrigens wird
diese Erscheinung keineswegs regelmässig angetroffen und ich habe
auch Fälle gesehen, bei welchen die Anfälle gleich von Beginn der
Erkrankung an sich Schlag auf Schlag folgten und an Heftigkeit
und Häufigkeit bald den Höhepunkt erreichten.
Von 146 Patienten konnten nur acht die Angabe machen, dass
sie überhaupt nur einen einzigen Kolikanfall gehabt hatten. Alle
acht Kranke waren erst wenige Wochen oder einige Monate vor
Beginn des Kurgebrauchs erkrankt und drei derselben wurden dann
während der Kur von leichten Koliken befallen. Die übrigen 138
Patienten hatten schon mehrere oder viele Kolikanfälle hinter sich,
als sie die Kur gebrauchten. Die Angaben einzelner Autoren, dass
die Anfälle, je häufiger sie auftreten, um so schwerer werden, konnte
ich im allgemeinen nicht bestätigt finden. Es lässt vielmehr bei
manchen Kranken, insbesondere wenn schon Gallensteine abgegangen
sind, die Heftigkeit der Schmerzanfälle eher etwas nach. Einschliess¬
lich der vorhin erwähnten acht Patienten behandelte ich insgesamt
22 Gallensteinkranke, welche in dem gleichen Jahr erkrankt waren,
in welchem sie die Kur gebrauchten. Eine frühzeitige Kur hat einen
günstigen Einfluss auf das therapeutische Resultat.
Eine Patientin machte die merkwürdige Angabe, welche ich
sonst nirgends in ähnlicher Weise erwähnt, fand, dass sie beim
plötzlichen Nachlassen eines heftigen Schmerzes die deutliche
Empfindung des Durchtritts eines Steines habe und dass sie nach
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einer eintägigen Gallensteinkolik die von ihr voraasgesagten sieben
Steine im Stuhlgang gefunden habe. Bemerken möchte ich, dass
diese Möglichkeit nicht völlig von der Hand zu weisen ist und einer
anatomischen Unterlage nicht entbehrt. Die betreffende Patientin
untersuchte übrigens selbst ihren Stuhlgang nach jedem Anfall so
gründlich, dass sie sich mit der Zeit eine gewisse Virtuosität ange¬
eignet hatte.
Nach direkten auslösenden Ursachen des ersten Kolik¬
anfalles habe ich immer wieder gesucht, ohne viel Sicheres finden
zu können. Ich will jedoch nicht unerwähnt lassen, dass sechs
Kranke die bestimmte Angabe machten, dass die erste Kolik nach
heftigem Ärger oder schwerer Gemütsbewegung aufgetreten sei. ln
zwei Fällen war körperliche Überanstrengung, einmal Abstieg von
einem Berg auf steilem, steinigem Wege dem Anfall unmittelbar
vorausgegangen. Bei einem anderen Fall wurde Abspringen von
der Strassenbahn als Ursache angegeben. Während im späteren
Verlauf des Leidens viele Kranke gewisse Speisen peinlich ver¬
meiden, werden für den Beginn der Schmerzanfälle Diätfehler nur
selten verantwortlich gemacht. Genuss von kaltem Bier und von
verdorbenem Fleisch finde ich je einmal erwähnt. Alle diese An¬
gaben stehen aber doch zu vereinzelt da, als dass man hieraus irgend¬
welche Schlüsse ziehen darf.
Nächst dem Schmerz ist das häufigste Krankheitssymptom das
Erbrechen. Es ist in mehr als zwei Drittel aller meiner Fälle
in der Anamnese genannt. Nachdem der Kranke zuerst die im
Magen befindlichen Speisen erbrochen hat, werden schleimige und
gallig gefärbte Massen herausgewürgt. Das gallige Erbrechen ist
diagnostisch verwertbar und deutet darauf hin, dass der Ductus
choledochus gar, nicht oder nicht vollständig verschlossen ist. Nicht
unerwähnt will ich lassen, dass eine einzige Patientin unter meiner
Beobachtung einen erbsengrossen Cholestearinstein erbrach, und
zwar bestand in diesem Falle höchst wahrscheinlich keine abnorme
Kommunikation zwischen den Gallenwegen und dem Magen. Es
ist anzunehmen, dass infolge der heftigen Würgbewegungen der
Stein aus dem Duodenum durch den Pylorus in den Magen ge¬
wandert ist.
Der Ikterus ist für die Diagnose von grosser Bedeutung.
Über die Häufigkeit dieses Symptoms habe ich folgendes zu sagen:
Von meinen 146 Patienten hatten 74, also rund die Hälfte, im Ver¬
lauf ihrer Krankheit ein- oder mehrmals starken Ikterus gehabt
mit Gelbfärbung der ganzen Haut und Braunfärbung des Urins. Nach
Naunyn’s Erfahrung wird der Ikterus „wohl mindestens in der
Hälfte der Fälle vermisst“. Würde ich zu meinen 74 Fällen noch
19 Fälle von ganz leichter Gelbsucht hinzuzählen, so hätten 64«>
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11 ]
Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasia.
245
meiner Patienten Ikterus gehabt. Ich bin aber auf Grund des Vor¬
schlags von Naunyn der Meinung, dass man zur Erleichterung
des gegenseitigen Verständnisses nur die ganz ausgesprochenen Fälle
zählen sollte. Fink 1 ) hat einmal 63% und einmal 66o/o angegeben,
auch Kucke in 2 ) fand, dass 63 o/o seiner Kranken mindestens ein¬
mal im Verlauf ihrer Krankheit ikterisch gewesen waren. Unter
100 Fällen, bei welchen Bofinger 3 ) auf dieses Symptom geachtet
hat, hatte genau ein Drittel noch keinen Ikterus gehabt.
In auffallendem Gegensatz zu diesen Erfahrungen der inneren
Mediziner stehen die Angaben einzelner Chirurgen. Besonders
Kehr 4 ) ist der Meinung, dass die Diagnose Cholecystitis so selten
gestellt werde, weil es meistens nicht zur Gelbfärbung des Patienten
komme. Nach seiner Schätzung verläuft die Gallensteinkrankheit,
wenn man die ganz leichten Fälle, welche den Eindruck von Magen¬
krämpfen machen, mit in Betracht zieht, nur in 10% der Fälle mit
Ikterus. Was die Erfahrungen Kehr’s auf Grund von über 1000
Operationen anbetrifft, so fand er bei Steinen in der Gallenblase
und im Ductus cysticus kaum in 20o/o der Fälle Ikterus, bei Steinen
im Ductus choledochus in etwa zwei Drittel der Fälle.
Riedel 5 ) hat die Form des Ikterus, welche nicht durch Stein¬
obstruktion hervorgerufen wird, zum Unterschied von der reell litho-
genen Form als „entzündlichen Ikterus“ bezeichnet und die Ver¬
mutung ausgesprochen, dass dieser Ikterus durch eine Schleimhaut¬
schwellung zustande komme, welche sich von der entzündeten
Gallenblase auf das gesamte Gallengangssystem fortsetzt. Nach seiner
Schätzung tritt diese Art von Ikterus in 10—15% der Fälle auf. Die
Lehre vom entzündlichen Ikterus hat sich allmählich Anerkennung
verschafft und eine Stütze erhalten durch die Veröffentlichungen
verschiedener Chirurgen. Es fanden sich nämlich bei der Operation
von Kranken, bei welchen klinisch alle Erscheinungen von Gallen¬
steinkolik einschliesslich Ikterus vorhanden waren, keine Gallen¬
steine, sondern nur die entzündlich veränderte Gallenblase. Ehret
und Stolz 6 ) gehen so weit, zu erklären, dass es einen rein litho-
genen Ikterus kaum gebe, sondern dass bei der Entstehung der Gelb¬
sucht stets entzündliche Faktoren mit in Aktion treten müssten.
Die Angabe Kehr’s, dass in die Kurorte besonders solche
Kranke gehen, bei welchen die Diagnose Gallensteine durch das
Auftreten des Ikterus gesichert ist, unterliegt, so weit ich meine
i) loc. cit
>) Arch. f. klin. Med. Bd. 86. S. 91.
<) Sammlg. klin. Vorträge 1907. H. 26.
*) loc. cit
6 ) Berl. klin. Wochen sehr. 1901. Nr. 1.
8 ) Grenzgebiete. XII, 2.
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246
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eigenen Fälle ins Auge fasse, bei einem erheblichen Prozentsatz
keinem Zweifel. Es scheinen in der Tat die verschiedenen Angaben
über die Häufigkeit des Ikterus hauptsächlich durch die Verschieden¬
heit des Krankenmaterials ihre Erklärung zu finden.
Nur 18 meiner Kranken, also etwa 12°/o, waren bei Beginn oder
während des Verlaufs der Kur stark ikterisch. Etwa die Hälfte aller
meiner Patienten, welche im ganzen Verlauf ihres Leidens ikterisch
gewesen waren, hatten dieses Symptom mehrmals gehabt. Manche
hatten jahrelang an Koliken gelitten, bevor zum erstenmal Gelb¬
sucht sich zeigte. So hatte ein 49 jähriger Patient 22 Jahre lang in
Pausen von 2—4 Jahren heftige Schmerzanfälle gehabt, — er war
Maler und seine Beschwerden waren als Bleikoliken gedeutet worden
— bis erstmals im Somm)er 1907 starke Gelbsucht auftrat und vor
und während der Kur insgesamt 47 erbsen- bis haselnussgrosse
Steine ausgeschieden wurden.
Als äusserst lästige Begleiterscheinung des Ikterus, welche in
den schweren Fällen nur selten fehlt, ist das Hautjucken zu er¬
wähnen. Es kann so unangenehm und peinvoll werden, dass ein
Patient mir sogar versicherte, das Hautjucken sei während der Krank¬
heit das allerschrecklichste gewesen. Die Entfärbung der Fäzes hat
keinen sehr hohen symptomatischen Wert. Wenn gallenarme Stühle
ohne deutlichen Ikterus auftreten, so kann diese Erscheinung zwar
eine Stütze für die speziellere Diagnose abgeben, aber andererseits)
bleiben auch bei stärkerem Ikterus die Fäzes oft gefärbt und galle¬
haltig.
Bei Beginn der Anfälle tritt oft Frieren und Frostgefühl auf,
heftiger Schüttelfrost ist bei schweren Koliken keine seltene Er¬
scheinung. Fieber ist keineswegs regelmässig vorhanden. Die
Körpertemperatur steigt zuweilen sehr rasch auf eine beträchtliche
Höhe, um ebenso rasch wieder abzufallen. Wenn Fieber auftritt,
so hat es meistens einen intermittierenden Charakter und pflegt
einigermassen gleichen Schritt zu halten mit der Heftigkeit und
Dauer des einzelnen Kolikanfalls. Dieser Fiebertypus wird sowohl
beim chronischen Choledochusvcrschluss, als auch bei der chroni¬
schen ulzerösen Cholecystitis beobachtet. Aber auch bei allen
anderen Formen der Cholelithiasis können Temperatursteigerungeri
Vorkommen. Ebenso häufig kann das Fieber fehlen, selbst wenn
ein Kranker eine ganze Serie von Anfällen durchmacht. Ich möchte
schätzungsweise angegeben, dass bei annähernd der Hälfte meiner
Patienten Fieber und Schüttelfrost früher oder später einmal auf¬
getreten war, jedoch selbst beobachtet habe ich es nur in etwa
10% meiner Fälle.
Das Verhalten des Pulses zeigt nur insofern etwas Cha¬
rakteristisches, als er häufig langsamer ist, als man erwarten sollte.
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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Choleiithiasis.
247
Und zwar machte ich diese Beobachtung nicht nur bei starkem
Ikterus, wobei man die Pulsverlangsamung als cholämische Erschei¬
nung aufzufassen pflegt, sondern mehrmals auch bei chronischer
Cholecystitis ohne Ikterus. So sah ich einmal während mittelschwerer
Kolikanfälle den vorher normalen Puls auf 54 Schläge, in einem
anderen bei sehr heftigen Schmerzattacken auf 44 heruntergehen.
Von dem letzteren Falle, welcher in mancher Beziehung interessant
ist, lasse ich einen Auszugj aus der Krankengeschichte hier folgen.
Frau J. S., 36 Jahre alt. Kleine, etwas korpulente Frau. Mutter
und zwei Tanten litten an Gallensteinen. Hat zwei sehr schwere
Geburten durchgemacht. Gleich nach der ersten Geburt vor acht
Jahren sehr schmerzhafte „Magenkrämpfe“. Urin damals braunrot.
Keine Gelbsucht. Wiederholung dieser Anfälle vor 4 Jahren. Zu¬
letzt vor 5 Wochen zwei heftige Anfälle kurz nacheinander. Seit
Jahren hartnäckige Obstipation. Befund Juni 1907: Leber nicht ver-
grössert. Die Gegend der Gallenblase ist ziemlich druckempfindlich.
Boas ’scher Punkt sehr deutlich nachweisbar. Kein Ikterus.
Vom 12. Tag der Kur an begannen heftige, 4 Tage dauernde Gallen-
steinkoliken, und zwar scheinbar infolge einer seelischen Erregung.
Mehrere Morphiuminjektionen. Starkes galliges Erbrechen. Frieren
und kalter Schweiss. Sehr grosses Durstgefühl, nie Gelbsucht. Be¬
fund während der Anfälle: Die Gegend der Gallenblase und die
Magengrube enorm druckempfindlich. Die Gallenblase selbst ist nicht
äbtastbar. Die Leber ist sehr empfindlich auf Druck, aber nicht nach¬
weisbar vergrössert. Jede genaue Untersuchung ist wegen der grossen,
Schmerzhaftigkeit unmöglich. Maximum der Temperatur in recto
37,7. Puls 44 regelmässig, gespannt. Keine Kollapserscheinungen.
Allmählicher Anstieg der Pulsfrequenz vom 3. Tag an, später bei
mehreren Untersuchungen 72—80 Pulse. Im Urin nie Gallenfarb¬
stoff, kein Zucker, eine Spur Eiweiss. Kein Abgang von Konkre¬
menten. Am Ende der vierwöchentlichen Kur waren die entzünd¬
lichen Erscheinungen an der Gallenblase und an der Leber ver¬
schwunden und es konnte in der Gegend der Gallenblase auch bei
tiefem Eindrücken nicht die mindeste Schmerzempfindung hervor¬
gerufen werden. Acht Monate nach der Kur hatte die Patientin einen
einmaligen leichteren Anfall.
Nun komme ich zu einem Symptom, welches wegen seiner
Häufigkeit die grösste Beachtung verdient und auf welches ganz
besonders Kehr in eindringlicher Weise aufmerksam gemacht hat.
Man kann nämlich an der Stelle, wo normalerweise die Gallen¬
blase liegt, in der grossen Mehrzahl der Fälle eine mehr oder
weniger deutliche Druckempfindlichkeit oder auch eine starke
Schmerzhaftigkeit konstatieren. Es ist auffallend und von hoher
diagnostischer Wichtigkeit, dass auch in Fällen, wo viele Monate
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lang keine Kolikanfällc aufgetreten sind, bei genauer Untersuchung
die typische druckempfindliche Stelle sich findet. Manche Patienten,
welche von vornherein erkläxen, man brauche sie gar nicht zu unter¬
suchen, sie hätten nirgends Schmerzen, sind sehr erstaunt, wenn
bei der Palpation der Gallenblasengegend die unerwartete Druck¬
empfindlichkeit ausgelöst wird. Ich habe unter 146 Fällen dieses
Symptom 103 mal gefunden, also bei 70% der Fälle. Natürlich
meine ich die Untersuchung in anfallsfreier Zeit. Anfangs habe ich
den hohen Wert dieses Symptoms noch nicht genügend gekannt,
je sorgfältiger ich aber darauf geachtet habe, desto seltener habe ich
es vermisst. Während der Anfälle fehlt dies Symptom fast nie und
zwar ist die Druckempfindlichkeit um so grösser, je intensiver die
entzündlichen Vorgänge in der Umgebung der Gallenblase sind und
je leichter — z. B. bei dünnen Bauchdecken — die Palpation der
tieferen Partien im einzelnen Falle ist Ist auch der Leberüberzug,
die Leber selbst und ein Teil des Peritoneums mehr oder weniger
mitergriffen, so ist die Druckempfindlichkeit eine mehr ausgebreitete.
Dies ist während der Anfälle meistens der Fall, aber beim Rück¬
gang der Entzündungserscheinungen ist diejenige Stelle, welche am
längsten druckempfindlich bleibt, stets die Gegend der Gallenblase.
In allen Fällen, bei welchen handgreifliche Symptome, wie
Steinabgang und Ikterus, fehlen und der objektive Befund oft recht
dürftig ist, kann die beschriebene Druckschmerzhaftigkeit der Stütz¬
punkt der Diagnose werden. Ferner erhält man bei der Schluss-
untersuchung durch das Vorhandensein oder Fehlen dieses Sym¬
ptoms darüber Aufschluss, welchen Einfluss die Kur auf die ent¬
zündete Gallenblase ausgeübt hat. Hierauf werde ich später noch
zurückkommen. Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass eine
kleine Zahl von Fällen von mir beobachtet wurde, welche dieses
Symptom bei der ersten Untersuchung nicht bot und bei welchen
trotzdem bald nachher während des Kurgebrauches Koliken auftraten.
Ein Tumor der Gallenblase ist auch bei bimanueller Unter¬
suchung nicht so besonders häufig zu fühlen. Man muss sich hüten,
Riedel ’s zungenförmigen Lappen für die geschwollene Gallenblase
zu halten. Ohne mich auf die Unterscheidungsmerkmale zwischen
der Gallenblase und den umgebenden Organen einzulassen, möchte
ich nur angeben, dass ich einen Tumor der Gallenblase nur in
16 Fällen gefühlt habe, und zwar 10 mal das vergrösserte eiförmige
pendelnde Organ, 6 mal einen kleinen geschrumpften Gallenblasen¬
tumor. Die fühlbare vergrösserte Gallenblase fand ich stets
auf Druck empfindlich, dagegen kann die fühlbare geschrumpfte
Gallenblase ganz unempfindlich sein, weil die infektiösen Prozesse
zuweilen schon längere Zeit abgelaufen sind. In einem Fall sali
ich bei einem älteren kachektischen Manne, dass die dünnen Bauch-
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15] Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaais.' 249
decken von der prall gefüllten Gallenblase kugelig vorgewölbt wurden.
Es bestand eine Komplikation mit Karzinom der Leber und der
Gallenblase; tödlicher Ausgang nach einigen Monaten. Steine in
der Gallenblase habe ich noch niemals gefühlt.
Zum Symptomenkomplex der Cholelithiasis gehört in einer An¬
zahl von Fällen die Schwellung der Leber. Ich bin nicht der
Meinung derer, welche glauben, dass dieses Symptom sehr häufig sei.
Insbesondere kann ich die Untersuchungsbefunde F i n k ’s x ), welcher
in tea. 80 o/o seiner Fälle Lebervergrösserung gefunden hat, auf Grund
meiner Beobachtungen nicht bestätigen. Unter 146 Fällen fand ich
nur 68mal, also in 46°/o, eine Vergrösserung der Leber. Wenn
ich somit auch in beinahe der Hälfte der Fälle Lebervergrösserung
gefunden habe, so ist damit noch nicht bewiesen, dass das Gallen¬
steinleiden diese Anomalie hervforgerufen hat. Fahndet man ge¬
wissenhaft nach anderen Ursachen, so findet man zuweilen die
Vergrösserung durch die allgemeine Fettleibigkeit vieler Gallenstein¬
kranken genügend erklärt, auch ist die Schwellung des Organs in¬
folge von Zirkulationsstörungen in Betracht zu ziehen. Ferner ist
die Leberzirrhose und das Karzinom zu berücksichtigen. Wenn ich
alle diese Möglichkeiten bei meinen Fällen nicht unbeachtet lasse,
so habe ich Lebervergrösserung, welche als Folgeerscheinung der
Gallensteinkrankheit angesehen werden durfte, nur in etwa 30%
meiner Fälle mit Sicherheit nachweisen können. Der Erfahrung
Kehr’s, welcher nur in 10—20 o/o seiner operierten Fälle Leber¬
schwellung beobachtet hat, sollte jeder Internist Beachtung schenken.
Bei den Fällen, in welchen die Lebervergrösserung sich unge¬
zwungen ausschliesslich durch das Gallensteinleiden erklären Hess,
handelte es sich meistens entweder um lange bestehende Chole¬
cystitis mit oder ohne entzündlichen Ikterus, wobei allmählich der
Krankheitsprozess auf das Leberparenchym übergegriffen hatte oder
um Fälle von chronischem Choledochusverschluss. Aber selbst im
letzteren Falle findet sich keineswegs regelmässig, nach Kehr’s
Angabe nur in zwei Drittel der Fälle, eine Vergrösserung der Leber
und gar nicht selten findet der Operateur wenig vergrösserte oder
kleine zirrhotische Lebern. Einen solchen Fall, welcher zugleich
einen Misserfolg der internen Behandlung illustrieren soll, lasse
ich auszugsweise hier folgen.
Frau J. H., 53 Jahre alt, hat sechsmal geboren. Nach der letzten
Geburt vor 12 Jahren heftiger Gallensteinkolikanfall mit Abgang
eines Gallensteins nach vorheriger Gelbsucht. Dann völlig gesund.
Vor 5 Monaten wieder Schmerzanfälle, nicht übermässig stark. Inten¬
sive Gelbsucht, unerträgliches Hautjucken, kein Fieber. Steine
*) loc. cit.
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wurden nicht gefunden. Seitdem unverändert starke Gelbsucht,
brauner Urin, entfärbter Stuhl. Befund: Magere Patientin. Ikterus,
Kratzeffekte am ganzen Körper. Leber kaum nachweisbar ge¬
schwollen. Die Gegend der Gallenblase massig druckempfindlich.
Die Gallenblase selbst nicht fühlbar. Vom 8. Tag der Kur an be¬
gannen Kolikanfälle aufzutreten, welche während des fünfwöchent¬
lichen Kurgebrauchs sich 5—6 mal wiederholten. Hierbei traten
Schüttelfröste auf, intermittierendes Fieber bis 39,7°, Puls 124. Die
Schmerzen waren nie besonders heftig, dauerten nur einige Stunden,
einmal eine Nacht hindurch. Die Gegend der Gallenblase war während
der Anfälle äusserst druckempfindlich, auch die Palpation der Leber
war schmerzhaft. Jedoch Hess sich nie eine stärkere Schwellung
dieses Organs feststellen, ebensowenig eine Vergrösserung der Milz,
auch fehlte ein Tumor der Gallenblase. Nach den Anfällen wurde
der ohnehin schon starke Ikterus vorübergehend eher noch intensiver.
So wurde die von vornherein sehr schwache Hoffnung, durch
interne Therapie eine Heilung zu erzielen, immer geringer. Wegen
der allmählichen Abmagerung und der Gefahr einer dauernden
Schädigung der Leber wurde die Kur abgebrochen. Genau ein halbes
Jahr nach Auftreten des Ikterus begab sich Patientin in chirurgische
Behandlung und ich entnehme einer gütigen Mitteilung des Opera¬
teurs folgende Angaben: Choledochotomie. Solitärstein von etwa
Taubeneigrösse im Ductus choledochus unterhalb der Vereinigung
von Hepaticus und Cysticus. Die Gallenblase stark geschrumpft,
ohne Inhalt, konnte ohne Bedenken zurückgelassen werden. Die
Leber war nicht besonders vergrössert, von dunkler brauner Fär¬
bung, beginnende zirrhotische Veränderung. Patientin genas und
erholte sich gut.
Während der Kolikanfälle ist die Palpation und Perkussion
der Leber besonders schwierig. Die Bauchmuskeln, namentlich der
rechte Musculus rectus, sind dann so stark gespannt, dass hierdurch
sehr leicht eine Vergrösserung der Leber vorgetäuscht wird. Wenn
man gleich nach Ablauf des Anfalls untersucht, wird man die harte
Resistenz in der Lebergegend oft gar nicht mehr fühlen und man
sollte sich vor der Schlussfolgerung hüten, als sei die geschwollene
Leber nun plötzlich über Nacht wieder abgeschwollen. Solche
vorübergehende Anschwellungen mögen ausnahmsweise einmal Vor¬
kommen, aber meistens ist das, was man gefühlt hat und was
der ungeübte Untersucher für die vergrösserte Leber zu halten ge¬
neigt war, der gespannte Bauchmuskel gewesen. Je häufiger und
vorurteilsfreier ich die Leber palpiert und perkutiert habe, desto
mehr kam ich zu dem Schlüsse, dass die Vergrösserung dieses
Organs bei der Cholelithiasis keineswegs so häufig vorkommt, als
gewöhnlich angenommen wird.
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Gin Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis.
251
Die Untersuchung der Leber bietet noch viel Wichtiges und
Interessantes, aber leider kann ich nicht auf alle Einzelheiten hier
eingehen, insbesondere muss ich es mir versagen, differentialdia¬
gnostische Abschweifungen zu machen.
Ein Symptom möchte ich jedoch nicht unerwähnt lassen, weil
es mir in einer nicht unbeträchtlichen Zahl von Fällen wichtig
schien und zur Sicherung der Diagnose beizutragen berufen ist.
Ich meine den von Boas 1 ) in mehreren Veröffentlichungen be¬
schriebenen Druckpunkt. Am ausgeprägtesten ist dieser Druck¬
punkt auf der rechten Seite in Höhe des 12. Brustwirbels, etwa
2—3 Finger breit von den Wirbelkörpem entfernt, nachweisbar,
jedoch findet man zuweilen auch einen grösseren auf Druck schmerz¬
haften Bezirk, ja es kann die ganze hintere Leberfläche, soweit sie
palpabel ist, druckempfindlich sein. Nach meiner Erfahrung findet
man den Boas'sehen Punkt während der Kolikanfälle ausserordent¬
lich häufig. Das Vorhandensein dieses Symptoms deutet nach Boas
darauf hin, dass meistens eine Perihepatitis vorhanden ist und jeden¬
falls ist oft genug nicht nur der Leberüberzug, sondern auch das
Leberparenchym an der Erkrankung mitbeteiligt.
Bleibt der Krankheitsprozess völlig auf die Gallenblase be¬
schränkt, dann lässt sich dieser Druckpunkt nicht nachweisen und
bekanntlich hat auch Boas niemals behauptet, ein pathognomoni-
sches Symptom gefunden zu haben. Ich kann es bestätigen, dass
der Boas 'sehe Druckpunkt noch längere Zeit nach dem Abklingen
der Kolikschmerzen vorhanden ist. Sein Vorhandensein deutet
darauf hin, dass auch bei fehlender oder nicht sicher nachweis¬
barer Leberschwellung die Leber nicht ganz intakt ist. Bei sonst
negativepi Befund und völligem Fehlen von nachweisbaren Ver¬
änderungen an Gallenblase und Leber konnte ich in mehreren
sicheren Fällen von Cholelithiasis das Vorhandensein des Boas-
schen Punktes nachweisen und ich halte es daher für angezeigt,
dass gerade bei dürftigem Untersuchungsbefund auf das Boas'sehe
Symptom besonders genau geachtet wird.
Natürlich ist die Leber bei entzündlicher Schwellung auch noch
an anderen Stellen bei der Betastung schmerzhaft, und zwar ist
bei der Mehrzahl der Kolikanfälle nicht bloss der in nächster Nähe
der Gallenblase liegende Bezirk, sondern der ganze untere Leber¬
rand druckempfindlich. Nach den Anfällen verschwindet die Druck¬
empfindlichkeit der Leber oft sehr rasch und bleibt nur in solchen
Fällen bestehen oder vielmehr länger nachweisbar, wo eine aus-
sprochene Schwellung der Leber vorhanden ist. So fand ich, dass
von den 68 Fällen, bei welchen die Leber grösser war als normal.
l) Manchen, med. Wochenschr. 1902. Nr. 15.
Würzburger Abhandlungen Bd. VIII. H. 10. 18
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fl«
33 mal eine Druckempfindlichkeit auch in der anfallsfreien Zeit
nachgewiesen werden konnte. Aufgefallen ist mir, dass diese
Druckempfindlichkeit sich häufig auf den linken Leberlappen be¬
schränkt, vielleicht weil er der Palpation leichter zugänglich ist.
Bei sehr heftigen Gallensteinkoliken findet man oft nicht nur
die Gegend der Gallenblase und der Leber bei der Palpation schmerz¬
haft, sondern es ist eine Druckempfindlichkeit des ganzen Abdomens
oder einzelner Abschnitte desselben nachweisbar, so dass das Peri¬
toneum an der Entzündung mitbeteiligt erscheint. Erstreckt sich
die Schmerzhaftigkeit in die Gegend des Blinddarms, so kann Ap¬
pendizitis vorgetäuscht und die entsprechende eventuell nicht ge¬
rade zweckmässige Behandlung eingeleitet werden. Die Franzosen
haben die unter solchen Erscheinungen verlaufende Gallenstein¬
kolik als „forme appendiculaire“ bezeichnet.
Nur in 28 von meinen 146 Fällen, also in nicht ganz 20%, ist
Steinabgang mit Sicherheit festgestellt worden, eingerechnet sind
3 Fälle mit Steinbefund bei der Operation. In einer verhältnismässig
geringen Zahl, nämlich bei 8 Kranken, konnte ich den Abgang von
Steinen während der Mergentheimer Kur selbst konstatieren. Ich
bin nun. allerdings fest überzeugt, dass bei den vielen Kranken,
welche vor und während der Kur Kolikanfälle und Ikterus hatten,
erheblich häufiger Steinabgang stattgefunden hat. Es ist aber die
konsequente Stuhluntersuchung, welche selbst im Krankenhause und
im Sanatorium aus bekannten Gründen trotz vieler Mühe oft ein
negatives Resultat gibt, in einem Kurort nur in unzureichender
Weise möglich. Dass der Abgang von Steinen zwar die Diagnose
aufs unzweifelhafteste sichert, liegt auf der Hand, aber ebenso sicher
ist es, dass der Abgang von Steinen nicht gleichbedeutend ist mit
der Heilung des Leidens. Daher wird mit Recht die grosse Bedeutung,
welche in Laienkreisen dem Steinbefund beigelegt wird, von den
Ärzten nicht geteilt. Nach der Berechnung vort Kehr ist in 80%
aller Fälle das Gallensteinleiden ausschliesslich auf Blase und
Zystikus beschränkt und deshalb die Untersuchung des Stuhlganges
negativ.
Sechs meiner Kranken waren vorher schon bei Kurpfuschern
in Behandlung gewesen. Abgang grosser Mengen Gallengries ist
das mindeste, was nach solchen Kuren der skrupellose Pfuscher
den leichtgläubigen Hilfesuchenden vortäuscht. Wohl „ein Schoppen
Gallensand“, so gab eine Patientin mir an, sei während einer Ölkur
abgegangen. Ebenso häufig werden verseifte ölklumpen den Kranken
als abgegangene Gallensteine vorgewiesen. So berichtete mir ein
Patient, dass während einer zweitägigen Ölkur „eine grossartige
Menge Gallensteine, mindestens ein halb Pfund“ ohne besondere
Beschwerden abgegangen sei. Verwunderlich bleibt nur, weshalb
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Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis.
253
die Kranken nach solch vortrefflichen Resultaten es noch nötig
hatten, einen Kurort aufzusuchen. Selbstverständlich habe ich solch
unglaubhafte Angaben über Steinabgajig oben nicht mitgezählt.
Eine oft beobachtete Erscheinung während des Kurgebrauchs
in Mergentheim ist das Auftreten von Kolikanfällen. Von
meinen 146 Kranken hatten mindestens 58, das sind etwa 40%, im
Verlauf der Kur kolikartige Schmerzen und unter diesen zählte ich
28, also annähernd 20%, welche wegen der Kolikanfälle einen oder
mehrere Tage bettlägerig waren. Typisch für die Gallensteinkoliken
während der Mergentheim^r Kur ist die Tatsache, dass die Anfälle
fast ausnahmslos von wesentlich geringerer Heftigkeit und kürzerer
Dauer sind, als sie vor der Kur zu sein pflegten. „Gar kein Vergleich
mit früheren Anfällen,“ so hört man oft genug die Kranken ausrufen.
Der Zeitpunkt, an welchem hier Kolikschmerzen gewöhnlich auf-
treten, zeigt nach meinen Erfahrungen insofern etwas Regelmässiges,
als die Mehrzahl der Koliken im Verlauf der zweiten Woche ein¬
zusetzen pflegen. Von den obenerwähnten 58 Patienten traten bei
14 die Schmerzen in den ersten 5 Tagen auf, 32 bekamen Kolik¬
anfälle zwischen dem 6. und 15. Tag, nur 12 wurden später be¬
fallen. Häufigeres Auftreten von Kolikanfällen bei demselben In¬
dividuum habe ich während der Kur nur ausnahmsweise beobachtet
und es wird dieses Vorkommnis meist durch die spezielle Diagnose,
z. B. chronischen Choledochusverschluss oder chronische ulzeröse
Cholecystitis hinreichend erklärt.
Den U rin in der anfallfreien Zeit und auch während der Kolik¬
anfälle habe ich regelmässig untersucht. Ab und zu findet man kleine
Mengen Eiweiss während der Koliken. Zucker ist weit seltener nach¬
zuweisen. Jedenfalls glaube ich nicht, dass solche Befunde für die
Diagnose verwertet werden dürfen. Dass Cholelithiasis und Diabetes
zuweilen nebeneinander Vorkommen, ist längst bekannt. Dies Zu¬
sammentreffen scheint nicht einmal selten zu sein. Ich habe es
bis jetzt 6 mal beobachtet, und zwar bei vier männlichen und zwei
weiblichen Patienten. In drei dieser Fälle blieb die Zuckerausschei¬
dung unter 1% und war leicht zum Verschwinden zu bringen. Ein
66 jähriger Patient gab an, vor einer Neuenahrer Kur bis zu 8%
gehabt zu haben, ich selbst konnte bei ihm nur Spuren von Zucker
finden. Mit 6% Zucker kam eine gallensteinkranke 42 jährige Frau
in meine Behandlung, nach 3 Wochen verliess sie den Kurort mit
1,2%. Kolikanfälle hatte sie keine gehabt während dieser Zeit.
Interessant war mir die Beobachtung bei einem 59 jährigen Manne,
dessen Urin zur Beginn der Behandlung 2,5% Zucker aufwies. Nach
8 Tagen war der Zucker spurlos verschwunden. Als aber am
10. Tage der Kur ein Kolikanfall auftrat, stieg der Zuckergehalt
sofort auf 5,1%, um nach Abklingen des Anfalls unter zweck-
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mässigem Verhalten allmählich auf 0,2 o/o zurückzugehen. Er¬
wähnenswert ist, dass der gleiche Patient einige Jahre zuvor auch
an Nierenkoliken mit Steinabgang gelitten hatte. Die Zuckerbestim¬
mungen habe ich stets vermittelst der Gärungsprobe gemacht.
Über die Häufigkeit des gleichzeitigen Vorkommens von
Nierensteinen und Gallensteinen gehen die Angaben auseinander
und es besteht über den eventuellen ursächlichen Zusammenhang
beider Erkrankungen keine Klarheit. Bei vier meiner Patienten, und
zwar bei je zwei männlichen und weiblichen waren beide Krank¬
heiten vorgekommen. Bei zwei dieser Patienten war zuerst Nieren¬
kolik und erst ein resp. sieben Jahre später Gallensteinkolik auf¬
getreten. Bei den beiden anderen hatten sich Erscheinungen von
Nieren- und Gallensteinkolik gleichzeitig eingestellt. Diese Angaben
meiner Patienten schienen mir zwar zuverlässig zu sein, jedoch
füge ich bei, dass ich nur bei einem einzigen dieser vier Kranken
die Symptome beider Erkrankungen selbst beobachtet habe.
Dieser Fall betraf einen 61jährigen Mann, welcher ein halbes
Jahr, bevor ich ihn erstmals sah, von fürchterlichen Schmerzen in
Leber- und Nierengegend heimgesucht wurde. Starke Gelbsucht,
Schüttelfrost und Fieber. Urin fast schwarz, zuweilen blutrot ge¬
färbt. Gehäufte Anfälle schwerster Art. Der Patient, welcher ein
fettleibiger Potator war, zeigte binnen 6 Monaten eine Gewichts¬
abnahme von 240 auf 150 Pfund. Diese Angaben sind durch einen
Bericht des Hausarztes verbürgt. Am 8. Tag des Kurgebrauches
leichtere dreistündige Gallensteinkolik mit Schüttelfrost und etwas
Ikterus, Gallenfarbstoff im Urin. Am 18. Tag der Kur heftige
Schmerzen in der Nierengegend, Blut im Urin. Abgang eines erbsen¬
grossen Nierensteins. Nach vierwöchentlichem Kurgebrauch wurde
Patient in befriedigendem Allgemeinzustand entlassen und teilte mir
l 3 /' 4 Jahre später mit, dass keine Gallensteinkoliken mehr aufgetreten
seien, dass er aber von Zeit zu Zeit noch von heftigen Nieren¬
koliken befallen werde. Sein Körpergewicht sei auf etwa 200 Pfund
gestiegen.
Wie schwer die Gallensteinkrankheit das gesamte Befinden
der Kranken in Mitleidenschaft zu ziehen vermag, erhellt am besten
aus den Angaben, welche die Patienten über das Verhalten ihres
Körpergewichtes zu machen pflegen. Während der schlimmsten
Zeit der Krankheit, d. h. während des Auftretens gehäufter Schmerz¬
anfälle mit all ihren schweren Nebenerscheinungen, insbesondere
dem völligen Damiederliegen der vegetativen Funktionen treten oft
ganz bedeutende Gewichtsabnahmen auf und die Fetteinschmelzung
bei dicken Personen geht zuweilen rapid vor sich. In 14 meiner
Fälle hatte die Gewichtsabnahme mehr als 20 Pfund betragen, und
zwar 5 mal 20—30 Pfund und 7 mal 30—40 Pfund. Bei einer
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21] Ein Beitrag zur Diagnose nnd Therapie der Cholelithiasis. 255
42 jährigen kleinen fettleibigen Patientin sank das Körpergewicht sogar
um 55 Pfund und in dem exorbitant schweren und komplizierten
Falle, welcher oben näher beschrieben ist, um 90 Pfund.
Um nicht allzu weitschweifig zu werden, verzichte ich darauf,
diese Studie durch viele eingeflochtene Krankengeschichten zu ver¬
längern, obwohl man an manchen derselben die verschiedenen
Formen des Gallensteinleidens gut veranschaulichen
könnte. Die knappe Diagnose „Gallensteine“ ist heutzutage nicht
mehr ausreichend, der Arzt muss bestrebt sein, zu ergründen, welche
Art von Gallensteinkrankheit er vor sich hat. Kehr hat uns die
Wege gewiesen zur speziellen Diagnose und hat seine Ansichten
über die Einteilung der Erkrankungsformen in folgenden Satz zu¬
sammengefasst: „Im übrigen halte ich es für zweckmässig, wenn
wir einfach zwischen akuter und chronischer Cholecystitis, akutem
und chronischem Choledochusverschluss unterscheiden und bei der
akuten Entzündung der Gallenblase den Versuch machen, die seröse
Form von der eitrigen und diese von der gangränösen zu unter¬
scheiden.“
Über die Methode des Kurgebrauches in Bad Mergent¬
heim möchte ich mich auf einige kurze Angaben beschränken. Als
bekannt darf ich voraussetzen, dass die „Mergentheimer Karlsquelle“,
deren Analyse früher schon von Justus von Liebig und neuer¬
dings von Fresenius ausgeführt worden ist, eine an Glauber¬
und Bittersalz reiche kohlensäurehaltige kalte Kochsalzquelle ist.
Zu Trink- und Badekuren wird sie seit dem Jahre 1829 benützt.
H o e r i n g *) war der erste, welcher bei der Aufzählung der Indi¬
kationen „die günstige Wirkung dieser Mineralquelle bei trägem
Fortgang der Galle, bei Verstopfung der Gallenwege mittelst zäher
Säfte oder bei Gallensteinen“ gerühmt hat. Später hat Krauss 2 )
darauf hingewiesen, dass dieses Mineralwasser „eine qualitative und
quantitative Änderung der Gallensekretion zu bewirken fähig sei
und dass Gallensteine hierbei gerne zum Abgang veranlasst werden.“
Die Mineralwasser-Trinkkur besteht in Mergentheim
darin, dass man frühmorgens nüchtern eine Quantität von durch¬
schnittlich 400 ccm, zuweilen — besonders anfangs — etwas weniger
und später eventuell etwas mehr trinken lässt. Nur in Ausnahme¬
fällen wird das Mineralwasser angewärmt, in der Regel wird es
bei der natürlichen Temperatur von ca. 10° C genossen, und zwar
sehr langsam und schluckweise. Es erfolgen meist nach kurzer Zeit
eine oder mehrere wöiche Entleerungen. In vereinzelten Fällen,
1) Mergentheim and .'seine Heilquelle. 1849.
2 ) Beschreibung der Mineralquelle zu Mergentheim. 1853.
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besonders bei stärkerer Obstipation, wird das Mineralwasser in
geringerer Quantität auch abends verordnet.
Mit Rücksicht auf die vielgestaltigen Formen der Gallenstein¬
erkrankung ist bei der ganzen Behandlung peinliches Individualisieren
dringend notwendig. Dieser Satz gilt besonders für die Verordnung
der geeigneten Diät und für die Vorschriften, welche sich auf Ruhe
und Bewegung beziehen. Eine bestimmte Brunnendiät gibt es in
Mergentheim nicht. Einzig und allein die Art der Erkrankung ist
massgebend für die Leitmotive der Diätetik. Wenn keine Magen-
Darmerkrankung vorliegt, soll man bei Gallensteinkranken in bezug
auf die Diät nicht allzu ängstlich und pedantisch sein. Auf besondere
Eigentümlichkeiten und Gewohnheiten der Kranken muss man natür¬
lich Rücksicht nehmen und man wird sich hüten, einen Patienten
zum Genuss von Speisen oder Getränken zu ermuntern, gegen welche
er ein eingewurzeltes Misstrauen hegt, weil deren Genuss früher
einmal eine Gallensteinkolik hervorgerufen hatte. Aber andererseits
wird man einen Kranken, welcher ein ganzes Jahr lang Breidiät ein¬
hielt und trotzdem zahlreiche Anfälle bekam, auf das Unzweckmässige
dieser Ernährungsweise aufmerksam machen unter Hinweis darauf,
dass tatsächlich oft trotz gewohnheitsmässigen Genusses ausgesucht
leichtverdaulicher Speisen Koliken auftreten und zuweilen selbst
bei derber Hausmannskost die Koliken ausbleiben. Während eines
Kolikanfalls ergeben sich die Kostverordnungen von selbst, besonders
im Hinblick auf die Schmerzen und auf die meist stürmischen Er¬
scheinungen von seiten des Magens. In der anfallsfreien Zeit
empfiehlt man dem Kranken am besten eine leichtverdauliche ge¬
mischte Kost. Eventuell ist eine gewisse Beschränkung des Fetts
aus diesem oder jenem Grunde angezeigt. Solange Ikterus besteht,
— gleichgültig aus welcher anatomischen Ursache — wird man Fett¬
genuss ganz verbieten. Einen besonders breiten Raum sollen bei
der gemischten Kost die vegetabilischen Nahrungsmittel einnehmen.
Viel Gemüse und Obst trägt zu der von den Gallensteinkranken oft
so lange vernachlässigten geregelten Darmtätigkeit bei. Systematische
Erziehung zu vernünftiger Lebensweise tut vielen Kranken dringend!
not. Was die Getränke anbetrifft, so wird man, vorausgesetzt, dass
der Patient an alkoholische Getränke gewöhnt ist und dieser Ge¬
wohnheit nicht entsagen will, den massigen Genuss abgelagerter
Biere und leichter Weine nicht ganz verbieten. Häufigere kleine
Mahlzeiten sind empfehlenswert. Reichliche Nahrungsaufnahme in
den Abendstunden sollte von Gallensteinkranken stets vermieden
werden, vielleicht das's bei der Befolgung dieser Regel mancher
nächtliche Anfall ausbleiben würde.
Für die grosse Mehrzahl aller derjenigen Gallensteinkranken,
welche wegen ihres noch nicht latent gewordenen Leidens sich in
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23] Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 257
Kurorte begeben, ist die körperliche Ruhe viel zweckmässiger als
ausgiebige Bewegung. Immer und immer wieder muss man die
Kranken auf fordern, viel zu liegen und muss sie mit der Betätigung
gymnastischer und sportlicher Gelüste auf geeignetere Zeiten ver¬
trösten. Kürzere gemächliche Spaziergänge auf möglichst ebenem
Terrain pflegen nicht zu schaden.
An Stelle der heissen Umschläge, Thermophore u. dergl. habe
ich in einer ziemlich grossen Zahl von Fällen Versuche mit heissen
Fangopackungen gemacht, welche von recht günstiger Wir¬
kung zu sein schienen. Sowohl während der Anfälle als auch in
der anfallsfreien Zeit wird der heisse Fangoschlamm; in die Leber¬
gegend appliziert und bleibt dort eine oder mehrere Stunden lang
liegen. Besonders beim Abklingen oder kurz nach Beendigung eines
Gallensteinkolikanfalls pflegt diese therapeutische Massnahme, welches
einige Zeit hindurch täglich oder auch in mehrtägigen Intervallen
angewendet wird, von recht wohltätiger Wirkung zu sein. Ob zur
Wirksamkeit dieser Methode ausser der Ruhe und der gleichmässigeri
Wärme noch spezifische Eigenschaften des aus Battaglia importierten
Fango beitragen, möchte ich dahingestellt sein lassen. Auf Massage
habe ich prinzipiell verzichtet und halte deren Anwendung für einen
Kunstfehler. Von günstigem Einfluss auf das Allgemeinbefinden der
Kranken sind die Mineralbäder, welche von der „Karlsquelle“ ge¬
speist werden und demgemäss die Eigenschaften von 2o/oigen Sool-
bädem besitzen. Ich versage es mir, auf deren Wirkungsweise näher
einzugehen. Bei Komplikation der Cholelithiasis mit anderen Er¬
krankungen, wie übermässiger Adipositas, Herzaffektionen, Dia¬
betes etc. habe ich die entsprechenden besonderen Kurbehclfe zur
Anwendung gebracht.
Was die Zeitdauer anbetrifft, welche von meinen Patienten auf
die Kur verwendet wurde, so haben nach meinen Aufzeichnungen;
die meisten sich 3—4 Wochen am Kurort aufgehalten, nur wenige
blieben kürzer als 3 Wochen, ebenso dehnten nur wenige die Kur
auf 5—6 Wochen aus. Dass die von vornherein vom Patienten
bestimmte oft allzu kurze Spanne Zeit für die völlige Durchführung
und das erwünschte Resultat der Kur häufig keineswegs ausreicht,
kommt natürlich gar nicht selten vor. Wie lange der Kurgebrauch
ausgedehnt werden soll, lässt sich nicht von Anfang an voraus¬
bestimmen. Hierzu befähigt den Arzt erst die wiederholte Unter¬
suchung und mehrwöchentliche Beobachtung. Es ist notwendig, dass
man den Rückgang und das allmähliche Verschwinden aller objektiven
Symptome abwartet. So lange dies nicht eingetreten ist, wird man den
Patienten in seinem eigensten Interesse zum Bleiben veranlassen.
Wer 6 Wochen auf die Kur verwenden kann, hat grosse Aussicht
anfallsfrei zu bleiben. Meine diesbezüglichen Erfahrungen erstrecken
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R. SCHWARZ,
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sich nicht auf viele, aber auf einige sehr eklatante Fälle. Ich habe
oben gezeigt, dass viele Kurgebrauchende von Kolikanfällen befallen
werden. Je frühzeitiger während der Kur die Anfälle auftreten, desto
rascher tritt meistens die subjektive und objektive Besserung ein.
Bei denjenigen Patienten, welche erst in der 3. oder 4. Woche Kolik¬
anfälle bekommen, was aber verhältnismässig selten der Fall ist,
muss der Kurgebrauch entsprechend länger ausgedehnt werden.
Treten die Koliken schon in der ersten Woche der Kur auf oder
bleiben sie ganz aus, so sind häufig schon im Laufe der dritten
Woche alle objektiven Symptome verschwunden und das subjektive
Befinden das denkbar beste. Aber auch solchen Kranken empfehle
ich, mindestens noch eine vierte Woche mit dem Kurgebrauch weiter
zu machen, weil dadurch die Chancen sich noch günstiger gestalten.
Nicht leicht ist es oft, die Patienten über die störenden Zwischen¬
fälle der Kur, besonders die Kolikanfälle mit ihren Begleiterschei¬
nungen einigermassen hinwegzutrösten. Und leider kommt es dann
und wann vor, dass ein Gallensteinkranker, der vom Kurort sofortige
zauberhafte Heilung erhofft, beim Eintreten eines Kolikanfalls die
Flinte ins Korn wirft und sogleich nach Hause reist.
Massgebend für die Unterbrechung oder für die längere Aus¬
dehnung der Kur ist ausschliesslich der objektive Befund, und zwar
wird die Einwirkung der Kur durch den vergleichenden Unter¬
suchungsbefund an der Leber und an der Gallenblase vor
und nach dem Kurgebrauch festgestellt. Das Hauptgewicht
ist nach meiner Meinung darauf zu legen, ob die Gegend der Gallen¬
blase noch irgend einen Grad von Druckempfindlichkeit zeigt oder
nicht. Ich habe oben mitgeteilt, dass unter 146 Patienten nicht
weniger als 103 eine mehr oder weniger schmerzhafte Empfindung
bei Palpation der Gallenblasengegend hatten. Von diesen 103 Pa¬
tienten zeigten 70 am Ende der Kur keine Spur von Schmerzhaftig¬
keit mehr, bei 25 war eine leichte Druckempfindlichkeit noch vor¬
handen, bei 6 konnte ich keine Schlussuntersuchung vornehmen.
2 Kranke verliessen den Kurort mit sehr druckempfindlicher Gallen¬
blase während des Auftretens von Kolikanfällen. Es unterliegt keinem
Zweifel, dass die entzündlichen Erscheinungen an der Gallenblase
während des Kurgebrauchs oft überraschend schnell und vollständig
verschwinden. Schwieriger ist das objektive Ergebnis der Kurwir¬
kung in den Fällen zu deuten, in welchen eine Druckempfindlich¬
keit der Gallenblase nicht von Anfang an vorhanden war. (In ver¬
einzelten Fällen sah ich auch bei solchen Kranken im weiteren
Verlauf Kolikanfälle auftreten, wobei die (iallenblasengegend vorüber¬
gehend schinerzhaft wurde.)
Was den Befund an der Leber anbelaiigf, so war, wie oben
ausgefühil ist, in ca. 306 meiner Fälle die Leberschwellung einzig
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25]
Ein Beitrag zur Diagnose and Therapie der Cbolelithiasis.
259
und allein durch das Gallensteinleiden zu erklären. Die Einwirkung
der Kur auf solche Lebern scheint mir keinem Zweifel zu unter¬
liegen. Nicht nur kleinere Schwellungen, sondern auch erheblichere
Vergrösserungen des Orgäns sieht man sich zurückbilden. Ich glaube,
dass mindestens in der Hälfte aller derjenigen Fälle, in welchen
die Leber beim Kurbeginn vergrössert war, allmählich eine völlige
Abschwellung zur Norm und in den anderen Fällen eine nachweisbare
Verkleinerung eingetreten ist.
Be>' vier männlichen Patienten, deren Leber in der Mammillar-
linie die Höhe von 20 cm erreichte oder überstieg, konnte ich am
Ende der Kur keine nennenswerte Veränderung konstatieren. Bei
zweien von diesen war Komplikation mit Karzinom vorhanden, beide
sind einige Monate später gestorben, bei den beiden anderen schien
es sich um hypertrophische zirrhotische Vorgänge zu handeln. Der
eine der letzteren befindet sich in befriedigendem Gesundheits¬
zustand, der andere leidet an häufigen Kolikanfällen und ist seit
Monaten ikterisch.
Die Druckempfindlichkeit des unteren Leberrandes verschwindet
fast stets vollständig. Ich bin nicht imstande, zahlenmässige An¬
gaben darüber zu machen, wie viele meiner Kranken den Kurort
„geheilt" verlassen haben. Von einer „Heilung“ soll man bei Gallcn-
steinleiden nur mit grosser Reserve sprechen. Auch bei scheinbar
längst geheilten Fällen kann wie ein Blitz aus heiterem Himmel der
Kolikanfall die schöne Zeit der Latenz unterbrechen.
Ein ungefähres Urteil darüber, was die Mergentheim er
Kur beim Gallensteinleiden zu leisten vermag, glaubte
ich nicht nur durch meine Schlussuntersuchungen, sondern auch da¬
durch gewinnen zu können, dass ich meinen Patienten 1—2 Jahre
hach dem Kurgebrauch Fragebogen schickte. Die Fragestellung war
folgende: 1. Haben Sie seit der Kur heftige Gallensteinkoliken
gehabt? Wenn ja, wann und wie oft? 2. Sind seit der Kur ein-
oder mehrmals leichtere Schmerzen in der Lebergegend auf¬
getreten? 3. War seit der Kur jemals Gelbsucht vorhanden und
wurden Gallensteine gefunden? 4. Hat sich das Leiden so verschlim¬
mert, dass eine Operation vorgenommen werden musste? Wenn
ja, mit welchem Erfolg? 5. Ist die Verdauung geregelt oder leiden
Sic an Verstopfung? 6. Sind Sie mit Ihrem Gesundheitszustand im
allgemeinen zufrieden?
Diesen Fragebogen versandte ich an 135 Patienten. Acht meiner
Patienten hatten die Kur nur so kurz gebraucht, dass ich weder
eine eventuelle Besserung noch eine Verschlimmerung des Leidens
in Zusammenhang mit der Kur bringen zu dürfen glaubte. Bei drei
Fällen verzichtete ich auf eine Anfrage, weil geraume Zeit vor der
Kur Operationen ausgeführl worden waren, nach welchen sich keine
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R. SCHWARZ,
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Schmerzaafälle mehr bemerkbar gemacht hatten. Präzis beant¬
wortet haben meine Anfrage 124 Patienten oder deren
nächsten Angehörigen, zwei antworteten ausweichend oder unklar,
zwei Anfragen kamen als unbestellbar zurück, sieben gaben keine
Antwort. Eine ganze Anzahl schilderte in besonderen Begleitschreiben
ausführlich die Wechselfälle ihres Leidens, was mir in mannigfacher
Beziehung interessant und lehrreich war.
Die Resultate meiner Umfrage möchte ich kurz zusammenfassen.
Die am weitesten gefasste Frage 6 wurde von 113 Patienten mit
„Ja“ beantwortet, nur sieben erklärten, sie seien mit ihrem Ge¬
sundheitszustand nicht zufrieden. Vier Kranke waren gestorben, da¬
von, wie schon erwähnt, zwei an Karzinom, eine Patientin an Herz¬
schwäche, eine andere an unbekannter Krankheit. Über neu auf¬
getretene Kolikanfälle berichteten 36 Patienten = 30°/'o, dagegen
waren bei 83 Patienten = 70% Koliken ausgeblieben. Von den
letzteren machte etwa der dritte Teil die Angabe, dass vorübergehend
ein- oder mehrmals leichte Druckempfindungen, Gefühl von Schwere,
Kriebeln oder Brennen u. dergl. in der Lebergegend aufgetreten sei.
Es lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, ob solch unbestimmte
Empfindungen als Kriterien dafür aufgefasst werden müssen, dass
noch kleine entzündliche Veränderungen an der Leber und der Gallen¬
blase vorhanden sind und demgemäss das Stadium der Latenz noch
nicht erreicht ist. Viele Gallensteinkranke achten, auch wenn sie
längst anfallsfrei sind, noch immer mit erhöhter Aufmerksamkeit auf
jede anormale Empfindung in der Lebergegend und beziehen manche
unangenehme Sensation, welche vom Magen oder Darm ausgeht als
eine leise Mahnung an das überstandene Leiden.
Unter den 36 Patienten, bei welchen von neuem sich Koliken
eingestellt hatten, befanden sich, wie schon erwähnt, nur sieben
in nicht zufriedenstellendem Gesundheitszustand, während 29 trotz
aufgetretener Koliken mit ihrem Befinden nicht unzufrieden waren.
Es hatte nämlich die grosse Mehrzahl der wieder von Koliken Be¬
fallenen nur 1—3 verhältnismässig leichte und rasch vorübergehend«
Schmerzanfälle gehabt und sie empfanden aus diesem Grunde ihren
Zustand im Vergleich mit ihrem schlechten Befinden vor der Kur
als wesentlich gebessert. Bei neun Patienten war wieder — meist
vorübergehend — Ikterus aufgetreten, nur bei zwei von diesen neun
bestand der Ikterus mehrere Monate lang. Vier Patienten gaben an,
es seien Steine abgegangen.
Die Zahl der völligen Misserfolge betrug zusammen 12 Fälle,
also etwa 10%, und zwar rechne ich unter diese Rubrik nicht nur
die sieben Patienten, welche mit ihrem Gesundheitszustand nicht zu¬
frieden waren, sondern auch die vier Verstorbenen, sowie die wegen
erfolgloser Kur operierte Patientin. Ich glaube berechtigt zu sein,
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27] Ein Beitrag znr Diagnose und Therapie der Cholelithiasis. 261
die Fälle, bei welchen an Stelle früherer häufigerer und heftiger
Schmerzanfälle nur einige wenige und leichte Koliken aufgetreten;
waren, nicht als Misserfolge, sondern als teilweise Erfolge ansprechen:
zu dürfen. Demgemäss möchte ich behaupten, dass von allen Be¬
handelten 70 o/o wesentlich gebessert oder völlig geheilt waren, bei
20 o/o war die Besserung eine unvollkommene, nur etwa 10 o/o be¬
fanden sich in unbefriedigendem Gesundheitszustand oder waren
gestorben.
Nicht unwichtig erschien mir auch die Beantwortung der Frage 5,
ob Verstopfung vorhanden sei. Die Frage wurde 90 mal verneint,
34 mal bejaht. Von denjenigen, welche ganz anfallsfrei geblieben
waren oder nur vorübergehend leichteste Beschwerden empfunden
hatten, machte nur der fünfte Teil die Angabe, wieder an Verstopfung
zu leiden. Dagegen hätten von den Patienten, welche wieder eine
oder mehrere Kolikanfälle gehabt hatten, über die Hälfte mit stärkerer
Verstopfung zu tun. Ich bemerke an dieser Stelle, dass während des
Kurgebrauchs die abführende Wirkung der Karlsquelle nur in den
seltensten Fällen ausbleibt und bei der Mehrzahl bleibt die Dann¬
tätigkeit auch nach der Kur wesentlich besser als sie vorher ge¬
wesen war.
Bei zwei Drittel derjenigen Patienten, welche wieder mit Kolik¬
anfällen erkrankt waren, ist bei der Untersuchung am Ende der
Kur notiert, dass die Gegend der Gallenblase eine Druckempfindlich¬
keit aufweise, dass der Boas 'sehe Punkt nachweisbar sei oder
dass der Untersuchungsbefund an der Leber der Norm nicht ent¬
spreche. Ich habe den meisten Patienten, bei welchen solche un¬
zweifelhafte Symptome noch nicht völlig gehobener Krankheit nach¬
weisbar waren, den Rat gegeben, die Kur nicht nach 3 oder 4 Wochen
abzubrechen.
Natürlich befanden sich unter meinen Patienten auch solche,
welche ich zu längerem Kurgebrauche nicht veranlasste, weil ich
mir hiervon keinen Erfolg versprach. Dies sind — abgesehen von
malignen Komplikationen — hauptsächlich die Fälle, bei welchen
eine Operation angezeigt erschien. Kranke mit chronischem Chole-
dochusverschluss, welcher schon einige Monate besteht, sollte man
nicht allzulange im Kurort zurückhalten. Auch solche Patienten,
welche von häufigen Koliken ohne Ikterus und Steinabgang befallen
werden, sind, wenn das Allgemeinbefinden sich sichtlich ver¬
schlechtert, dem Chirurgen zuzuweisen. Gehäufte schwere Koliken,
bei welchen immer wieder die entzündliche Form des Ikterus auf-
tritt, geben ebenfalls zuweilen die Indikation zur Operation. Das¬
selbe gilt natürlich für das Empyem der Gallenblase und für alle
schweren septischen Prozesse in der Umgebung der Gallenblase.
Aber das grosse Heer derjenigen Gallensteinkranken, bei welchen
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R. SCHWARZ,
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nicht allzu häufige Koliken auftreten, Neigung zur Latenz vorhanden
ist und das Allgemeinbefinden ordentlich bleibt oder bei welchen
vorübergehender Ikterus mit Steinabgang den Charakter der Er¬
krankung genügend aufklärt, alle diese Fälle sind durch innere Be¬
handlungsmethoden besserungs- oder heilungsfähig.
Eine weitere Erfahrung, welche ich sowohl an selbstbehandelten
Patienten als auch an zahlreichen anderen Kurgebrauchenden machen
konnte, ist die, dass eine Wiederholung der Kur von ganz
besonders günstiger Wirkung ist. Es ist gewiss kein Zufall, dass
ein hoher Prozentsatz aller Gallensteinkranken, welche die Mergent-
heimer Kur gebraucht haben, sich wieder einfinden, ob sie Beschwer¬
den verspüren oder nicht. Auch konnte ich an den 14 Patienten, bei
welchen ich in zwei anfeinanderfolgenden Jahren die objektiven
Befunde erheben konnte und welche mir neuerdings sämtlich auf
meine Anfrage Antwort gaben, die Erfahrung machen, was durch
eine zweimalige Kur erreichbar ist. Es waren unter den betreffenden
Patienten verschiedene, welche schon lange und ziemlich schwer
erkrankt waren, Patienten mit und ohne Ikterus, sowie mit und
ohne Steinabgang. Von diesen befanden sich 12 in gutem Gesund¬
heitszustand. Drei hatten nach der ersten Kur noch leichtere Kolik¬
anfälle gehabt. Nach der zweiten Kur hatte eine Patientin einen
mittelschweren Anfall bekommen, und zwar gerade zu der Zeit,
als meine Anfrage bei ihr einlief, so dass sie ihren Gesundheits¬
zustand begreiflicherweise nicht als befriedigend bezeichnete. Als
einzigen Misserfolg nenne ich folgenden Fall: Ein 60jähriger Patient,
welcher nach der ersten Kur 8 Monate lang beschwerdefrei geblieben
war, wurde vor und während der zweiten Kur von so heftigen
Kolikanfällen ohne Ikterus mit solch beträchtlicher Störung des All¬
gemeinbefindens befallen, dass ich die Operation empfahl. Er folgte
diesem Rate nicht und schrieb mir vor kurzem, dass immer noch
Koliken auftreten und sein Befinden nicht gut sei. Er hatte übrigens
seine zweite Kur schon zu Beginn der dritten Woche unterbrochen.
Eine Entscheidung darüber, in wie viel Fällen die ideale
H e i 1 u n g im pathologisch - anatomischen Sinne, also das voll¬
kommene Verschwinden aller entzündlichen Prozesse an der Gallen¬
blase und an der Leber, sowie der Abgang sämtlicher Steine ein¬
zutreten pflegt, kann der Internist, nicht angeben. Jedoch darf man
als wahrscheinlich annehmen, dass solche völlige Heilungen recht
selten sind. Was wir durch die innere Therapie der Cholelithiasis
herbeiführen wollen und in dem grösseren Prozentsatz der Fälle
herbeiführen können, ist. das Stadium dor Latenz. So ver¬
schiedenartig die Methoden, um dieses Ziel zu erreichen, auch sein
mögen, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass die Mineral¬
wasser-Trinkkuren sich der grössten Anerkennung erfreuen. Bis jetzt
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29]
Ein Beitrag zur Diagnose und Therapie der Cholelithiaeis.
263
ist es noch nicht ganz gelungen, die Wirkungsweise der Trinkkuren
im einzelnen zu ergründen. Jener neuen Richtung der experimen¬
tellen Forschung, welche durch Bickel u. a. eifrig gepflegt wird,
bietet sich noch ein weites Feld der Betätigung.
Die heilbringende Eigenschaft des Mergentheimer Mineral¬
wassers ist nach meiner Meinung vorwiegend durch die Anregung
der Darmperistaltik und durch die sich hieraus ergebende Ein¬
wirkung auf Gallenblase und Leber gekennzeichnet. Es kann kein
Zweifel obwalten, dass die Gallenproduktion reichlicher und der
Gallenfluss rascher wird. Unter diesen Umständen können katar¬
rhalische und entzündliche Erscheinungen an den Gallenwegen aus-
heilen und weil die Wege gangbarer werden, so können dann und
wann Konkremente unter verhältnismässig geringen Beschwerden zur
Ausstossung kommen. Oh die resorbierten Salze besondere Heil¬
wirkungen ausüben und welche unbekannten Faktoren sonst in Be¬
tracht zu ziehen sind, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Die
empirischen Ergebnisse eilen in der Medizin der wissenschaftlichen
Deutung der Erscheinungen meist lange voraus. Theoretische Skrupel
müssen verstummen, wenn unseren Patienten praktische Erfolge
winken.
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und 'Ki>bkLi<:iitti. IV, Die Oelihicn der Ktnitgeiislrahtli^ V, Schau* de- Annes wt.-i des PatirPtvn
Sdilkti^ün^ durch Röntgen- und Rrffliumniahlcn. VI Zur t»*rage- des'.VH. Heii^niir,
l.i:.iit v Vi.il ' BrHnlge zur Bestrahlung Prozesse. IX. Eine.jm«e Anwendung der KOntgfi-
ströhl^ii. Afifaftg: Vhm Geiste des''Hrifens; -Gedanken 'üfc>*F NatvrWisseüsdwiri jind Medum.
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«mi'dudhvbVHtd, der Vb^i^ripÜiiiitiriiktitektuniJiwitiiu, der ;.r\ller|;i» und der lokn.lf.tikDont'ii. Ausblick Die &U6l*chea
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Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln in ihrer
Stellung zum übrigen Pankreasgewebe und ihre Be¬
ziehung zum Diabetes,
Von
Dr. Manfred Fraenkel,
Charlotte »borg.
Meine Herren! Wenn Sie das erste der ihnen hier aufgestellten
Pankreas-Präparate betrachten, so erkennen Sie einen kleinen, engen
mit einschichtigem Zylinder-Epithel ausgekleideten schlauchartigen Aus¬
führungsgang, mit direkt anschliessendem sog. Schaltstück, — einem
kurzen Röhrchen mit plattem Epithel, au dem wieder mehrere kleiue
Häufchen von Sekret produzierenden Drüsenalveolen hängen, während
Ihnen zwischen diesen Acini und von diesen durch spärliches Binde¬
gewebe abgegrenzt — kleine runde, oder ovale etwa bis 0,3 mm
messende Zellgruppen aus soliden Epithel-Strängen — als intertubuläre
Zellhaufen — vereinzelt eingestreut auffallen. Stellen wir einen
solchen Drüsenacinus in die Mitte des Gesichtsfeldes, so erkennen
wir an den kegelförmigen grossen Zellen, die von einer Membrana
propria umgeben, den Acinus bilden, einen dem Lumen innen zu¬
gekehrten dunkel granulierten — von Zymögen-Körnchen angefüllten
Protoplasmateil, während der den bläschenartigen Kern tragende
hellere, fast homogene Abschnitt an die Membrana propria nach aussen
anstösst. Ich will kurz betonen, dass diese Zelldifferenzen nur Wechsel
einer tätigen Zelle bedeuten, — dass zu Beginn der Verdauung
diese dunkelkörnige Zymogenmasse schwindet, und dementsprechend
der hellere Zellsabschnitt zunimmt, und dass das Bild sich bald wieder
unter Zunahme und Verteilung dieser dunklen Granulationen über
die ganze Zelle ändert. Neben den Zellen aber finden sich noch sog.
„zentroazinäre“ Zellen, die als Schaltstückzellen zu betrachten sind,
sich in die Endstücke hineinschieben und so auf die innere Oberfläche
Würzburger Abhandlungen« Bd« VIII. H. 11. 19
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der Acinuszellen zu liegen kommen, also an die Teile der Zellen stossen,
die die Zymogenkörnchen enthalten. Durch Injektion von Argent.
nitric -Lösung etc. lassen sich zwischen den einzelnen Zellen Sekret-
Kanälchen darstellen, die sich vom axialen Lumen zwischen die
Drüsenzellen erstrecken, ohne jedoch bis an die Membrana propria
zu reichen. Da wo centro-acinäre Zellen die Drüsenzellen vom zen¬
tralen Lumen ausschliessen, ergiessen die Drüsenzellen ihr Sekret
in zwischen den zeutroazinären Zellen gelegene Sekretkanälchen, die
ihrerseits in das axiale Lumen münden.
Betrachten wir nun einmal einen solchen intertubulären Zell¬
haufen, wie wir sie vorhin vereinzelt zwischen den Acini vorfanden,
des genaueren. — Diese Zellinseln, nach dem Namen ihres Entdeckers
(1869) Langerhans’sche Inseln genannt, bilden runde bis ovale
Körper von regelmässiger Gestalt, sind vom Parenchym-Gewebe all¬
seitig umgeben und von diesem durch eine sie scheinbar überall
umhüllende Bindegewebskapsel geschieden. Im Gegensatz zu dem
übrigen Pankreasgew’ebe zeichnen sie sich, wie Sie sehen, durch
einen grossen Reichtum an Kapillaren aus, zwischen denen, in Balken
und Gruppen geordnet, die grossen protoplasmareichen Zellen lagern.
Diese Zellhaufen und Stränge besitzen keine Ausführungsgänge und
stehen auch mit den Ausführungsgängen des übrigen Gewebes nicht
in Verbindung. Denn: während nach Injektion von Farbflüssigkeit
vom Ductus pancreaticus aus die Drüsenschläuche sich anfüllten,
drang der Farbstoff nie in ihre Substanz ein. Der Regel nach können
die Stränge also als solid bezeichnet werden. Indessen fand Schmidt 1 )
zuweilen doch scharf geschnittene rundliche Lücken in ihnen. Oft
sind die Epithelien zu Blöcken angeordnet, ein anderes Mal bilden
sie ein oder mehrreihige Stränge in netzförmiger Verbindung, und
nicht selten gibt der Durchschnitt die. Form eines Wagenrades derart,
dass von einem äusseren Ringe Stränge nach innen laufen, und
zwischen diesen Speichen die von dem zentralen Blutgefäss abgehenden
Kapillaren liegen. Auffallend ist dabei, dass häufig, im Gegensatz
zu den gewöhnlichen Drüsenepithelieu, die Kerne möglichst entfernt
von den umgebenden Blutkapillaren sich halten: Liegt zwischen zwei
der letzteren eine Epithelreihe, so stehen die Kerne in der Mitte
derselben, sind es zwei Zellreihen, so stehen sie in den einander be¬
rührenden Zellpolen und bilden die Achse des Stranges, Verhältnisse,
wie sie in den Drüsen ohne Ausführungsgänge, besonders der Neben¬
niere und den Parathyreoidkörpern Vorkommen.
Ferner lässt sich, besonders durch künstliche Injektion ein eigen-
i) Schmidt, Beziehungen der L an ge rhans’schen Inseln des Pankreas zum
Diabetes. Münch, med. Wochenschr. 1902. Nr. 2.
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tümliches Verhalten der Blutgefässe in den Inseln demonstrieren:
Sie sind viel weiter als die umgebenden Kapillaren und bilden oft
Schlingen, .ähnlich denjenigen der Nierenglomeruli, wodurch sich der
von Kühne und Lea 1 ) den Inseln beigelegte Name „Pankreas-
glomeruli“ erklärt. -
M. H.l Weichen wir einen Augenblick von unserer anatomischen
Betrachtung ab und greifen wir auf die Entwickelung zurück, —
ohne natürlich die für den Embryologen 2 ) überaus wichtige Frage
nach der Zahl der Pankreasanlagen zu berühren, so verlockend es
auch sein mag, — so besagt die Literatur, dass aus der hinteren
Duodenumwand, dem Darmstück unterhalb der Magenausbuchtung zu
einer Zeit, wo noch der ganze Darm als senkrechtes Rohr verläuft
und eben erst der Magen als sackartige Erweiterung sich bildet, —
in das dorsale Mesogastrium hinein eine langgestreckte mit der Magen¬
längsachse parallel verlaufende Drüse durch Ausstülpung von drei
Schläuchen aus der Darmwand entsteht, — und zwar eine aus der
dorsalen — zwei aus der ventralen. Diese Schläuche senden hohle
Seitensprossen ab, die sich verästeln. Die dorsale Anlage bleibt mit
dem Duodenum durch den Santonini’schen Gang verbunden, — die
zwei ventralen sich vereinigenden — durch den Duct. Wirsungianus.
Infolge der Drehung des Duodenum nähern sich die beiden Anlagen,
so dass sie miteinander verschmelzen. Dabei verbinden sich ge¬
wöhnlich die beiden Ducti derart, dass der Santonini'sehe in den
Wirsungianus mündet, und dieser letztere zusammen mit dem Chole-
dochus sich ins Duodenum öffnet. Ich fügte meinen damaligen Be¬
trachtungen 8 ), denen ich diese kurze Schilderung entnehme — hinzu:
„Es ist klar, dass je nach Abweichung dieser Norm in der Entwicke¬
lung oder Rückbildung einer Anlage die Mündungen ins Duodenum
sich verschieben können“. Lassen wir die weiteren Betrachtungen
über den Übergang aus der intra- in die extraperitoneale Lage mit
all ihren Drehungen und Fixationen an der hinteren Rumpfwand,
sondern verfolgen wir die Drüseneutwickelung an sich weiter, so ist
auffallend, dass nirgends von einer Differenzierung der einzelnen
Drüsenelemente, wie wir sie ja oben im mikroskopischen Bilde so
genau an dem normalen Präparat beobachtet haben, die Rede ist.
So beschreibt Stöhr sehr eingehend, dass sich das ventrale Pankreas
auf dem Querschnitt als starker, solider Knopf präsentiert, dessen
i) Kühn« und Lea, Verhandl. des naturhist. med. Vereins zu Heidelberg,
a. F. 1877. Bd. 1. p. 445 und Untersuchungen aus dem physiol. Institute d. Univer¬
sität Heidelberg 1882. Bd. 2. S. 448. . .
i) Stöhr, Entwickelung der Hypocborda und des Pankreas. Morphol, Jahrb.
1895. Bd. 23. — Schenk, Pankreas des.Embryo. — Jankelowitz, Entwickelung
dss Pankreas. — Hertwig etc.
. . 4) Fraenkel, Splanchnologische. Vorträge. Bd. 2. Nr. 9. S. 67 ff.
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Spitze von dicht gedrängten kleinen Zellen — als Zeichen reger
Neubildung — gebildet wird, während weiter hinten die dorsale
Darmwand wieder aus einer einfachen Zelllage besteht Also ein
Gegensatz in der Beschaffenheit der Pankreaszellen überhaupt, gegen*
über den Gebilden der Darmwand, aber nicht unter den Drüsen-
zellen selbst.
Schenk ging von der Voraussetzung aus, dass sich das Pankreas
— nicht wie Remak') annahm — aus dem Darmdrüsenblatt entwickelt
— nach Remak ist die Pankreasanlage infolgedessen hohl und
steht mit dem Darm in offener Verbindung — sondern dass zwischen
Darmfaser- und Drüsenblatt eine Zellmasse, Darmplatte gelegen ist
die das Mesenterium bilden hilft und in der Höhe, wo die Pankreas,
anlage vermutet werden muss, eine Verdickung und Verlängerung
zeigt. Die Zellelemente*) dieser Partie der Darmplatte differenzieren
sich zu Encbymzellen des Pankreas, ein anderer Teil zum umgebenden
Bindegewebe. Das Protoplasma dieser Zellen ist grösser, der Kern
rund mit Kemkörperchen. Die Gebilde um diese Euchymzellen werden
länglich, mit länglichem Kern und ragen zuweilen in eine solche Zellgruppe
hinein. Diese Zellgruppen stellen den Ursprung der Pankreaszellen
dar; sie ordnen sich später zu einzelnen Röhrchen, von denen einige
die Form kurzer Schläuche annehmen. So findet mau also Zellgruppen
in Häufchen und als Schläuche angeordnet nebeneinander. Die da¬
von getrennte 1. Pankreasganganlage wird als eine seitliche Aus¬
stülpung des Darmrohres aufgefasst; in diese Fortsetzung erstrecken
sich die Darmdrüsenelemente, sie reichen bis an die zu Enchymzellen
präformierten Gebilde, ja sie gehen ohne scharfe Grenze in diese
über. Wir wollen die verschiedenen Verengerungen und Krümmungen,
die dieser Gang im weiteren Verlauf seiner Entwickelung durchzu¬
machen hat, nicht des genaueren verfolgen, auch die Frage nach der
Entstehung des 2. Pankreasganges sei nur insofern berührt, ab
eine keilförmige Masse des mittleren Keimblattes durch Vordringen
den unpaarigen Pankreasgang zu einem paarigen gestalten soll. Er¬
wähnt habe ich diesen Punkt nur, weil die Bildung der kleineren
Gänge an sich, an denen die Pankreaszellhaufen liegen, ebenfalls
1) Remak, Untersuchung über Entwickelung der Wirbeltiere. 1854.
2) Kölliker, Über Entwickelungsgeschichte. 1862.
Stöhr, Entwickel. der Leber u. Pankreas. Anat. Anz. 93.
Göppert, Entw. d. Pankreas der Teleostier. Morpbol. Jahrb. 20.
M. Nussbaum, Bau und Tätigkeit der DrOsen. Arch. mikr. Anat. 82.
Kupfer, Entwickel. Ton Milz u. Pankr. Münohen. med. AbhandL 7. Reihe.
Münch, med. Wocbenschr. 92. Nr. 28.
Hamburger, Entwick. d. Pankreas. Anat. Anz. 92.
Felix, Leber- u. Pankreasentwiokel. Arcb. Anat. u. Phyeiol. 92.
Laguesse, D6veloppement du pancreas chez les poissona osseox. Cemptee
rendus de la Soc. de Biol. 90. Chez les selac. Biol. anat. 94. Nr. 3.
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Die Bedeutung der Langerhana’schen Inseln etc.
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durch Vordringen der zu Bindegewebe metamorphosierten Elemente
im Pankreas vor sich geht.
Meine Herren! Wie weit man nun auch — abgesehen von den
allerjüngsten Arbeiten siehe unten — die stattliche Literatur über
die Pankreasentwickelung durchgeht, — von der ich Ihnen soeben
— ohne natürlich irgend einen Anspruch auf Vollständigkeit zu
machen — einige Proben vorgetragen habe, nirgends findet sich
ein deutlicher Hinweis auf die uns hier so interessierenden Ge¬
bilde: die Langerhans’schen Inseln. Ist es wahrscheinlich, dass
eie den Beobachtern entgangen sind? sollen alle die, die ja die
Differenzierungen an den einzelnen Zellen beschreiben, wirklich einfach
die Langerhans’schen Inseln übersehen haben, — oder waren sie
vielleicht auf dem untersuchten Stadium noch gar nicht vorhanden?
Sie entwickeln sich vielleicht erst später ? dann, wenn der embryonale
Zustand sein Ende erreicht hat, wenn die Drüsenanlage und Entwicke¬
lung an sich schon abgeschlossen ist?
Meine Herren! statt aller Autwort betrachten Sie, bitte, dieses
zweite Präparat. Es ist wieder eine Langerhans’sche Insel eingestellt,
aber sie sehen hier deutlich den zwischen dem ersten Präparat vor¬
handenen Unterschied: es besteht keine so scharfe Abgrenzung wie
in Nr. 1, die Bindegewebshülle läset Lücken und Unterbrechungen
erkennen, Zapfen ragen hinein, kurz es sind Übergänge von den
sezernierenden Drüsenschläuchen zu den Inseln nachweisbar. —
Bemerken will ich gleich, dass dieser Übergang, wie Schmidt 1 ) aus¬
führt, beim Menschen sich nicht häufig findet — Aber die Tatsache
au sich ist überaus wichtig und ich bitte Sie, dieselbe zu regi¬
strieren. — Nahm man nun früher an, dass die Langerhans’schen
Inseln lymphatische Gebilde darstellen, so dürfte diese eine eben
von Ihnen selbst konstatierte Tatsache ihre epitheliale Natur zur
Evidenz bewiesen haben. Als zweites kann ich auf Laguesse*)
und andere verweisen, der auf einer höheren Enwickelungsstufe
sie aus denselben Epithelsträngen sich entwickeln sah als die sezer¬
nierenden Drüsenschläuche. Als drittes möchte ich schliesslich auf
einen sehr wichtigen Punkt verweisen, der uns weiter unten noch
besonders beschäftigen wird: die Ergänzungs- und Ersatzmöglichkeit
der Inseln, ihre Regeneration — oder wie man den Vorgang sonst
bezeichnen will — aus den Drüsenacini selbst.
i) Schmidt, Beziehung der Langerhans'echen Inseln zum Diabetes. Manch,
med. Wochenschr. 1902. Nr. 9.
») Laguesse, Journal de l’anat. et phytiol. T. 31 et 32. 1895—96. Nach
Pearces und Koster entstehen diese Inseln aus dem Pankreasparenchym und hängen
zunächst durch Bracken mit diesen zusammen. Später tritt durah die Inseln um¬
wachsendes Bindegewebe eine Trennung ein; dieselbe ist, nach meiner Ansicht, beim
Menschen häufiger als bei Tieren.
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Meine Hen-en! damit ist der Charakter der Langerhans’schen
Inseln deutlich und ein für allemal bewiesen, und jeder Vergleich
mit der Nebenniere, der Hypophysis anatomisch hinsichtlich einer
doppelten Anlage, wie es bei diesen genannten Drüsen der Fall ist,
wird hinfällig. Bei diesen handelt es sich um zwei genetisch wie
funktionell verschiedene Abschnitte, von denen der eine seinen Ur¬
sprung aus den Epithelsträngen nimmt, während der andere aus ner¬
vösem Gewebe besteht und von diesem auch abstammt. Bei den
Langerhans’schen Inseln ist und bleibt der Mutterboden — das
Pankreasparenchym, das wollen wir festhalten. Dass zwischen
den drei Organen auch sonst keine Ähnlichkeit und kein Zusammen¬
hang besteht, wie man ihn so gern konstruieren wollte 1 ), hat Schm idt
auch experimentell bewiesen. Er ging von der Annahme aus, dass
die Langerhans’schen Inseln ihrer inneren Organisation nach wohl zu
den Drüsen ohne Ausführungsgang — also mit innerer Sekretion:
wie Nebenniere, Hypophysis, Parathyreoidkörper, Schilddrüse zu
rechnen sind, aber eine nähere Beziehung z. B. zu den Nebennieren
konnte er weder durch das Vorhandensein des für Nebennieren —
nach Manasse — spezifischen braunen Farbstoffes in den Pankras¬
inseln nachweisen, noch gelang es ihm, nach Exstirpation der Nebeu-
nieren bei Tieren am Pankreas resp. den Inseln gesteigerte Aktivität
oder kompensatorische Vergrösserung derselben zu konstatieren; des¬
gleichen war in einem Fall von ausgedehnter Nebennierenverkäsung
beim Menschen eine Veränderung an den Inseln nicht nachweisbar.
Bezüglich der Verwandtschaft der Inseln mit der Hypophysis verhielten
sich die Inselzellen gegen eine zum Nachweis der Protoplasmagranula
eines Teiles der Hypophysiszellen als nur für sie allein spezifische —
Färbuugsmethode, nach der sich sonst keine andere Zellart des Körpers
färbt, gleichfalls ablehnend. — Was Schmidt bezüglich der Neben¬
niere und der Hypophysis bewiesen hat, habe ich in bezug auf die
Schilddrüse zu eruieren versucht. Ich habe bei einzelnen zucker¬
kranken Patientinnen, bei denen ich aus anderen .Gründen Röntgen¬
bestrahlung 2 ) vornahm, — es handelte sich um Beeinflussung gynäko¬
logischer Prozesse — auch eine Verkleinerung der Schilddrüse herbei¬
geführt, ohne — wie es nach Ansicht von Lorand geschehen musste,
ein Fallen des Prozentsatzes konstatieren zu können. Desgleichen
führte Bestrahlung der Schilddrüse allein, nachdem ich bei zwei
Tieren das Pankreas exstirpiert und ein Stück in die Bauchhaut eiu-
genäht hatte — das den bisherigen hohen Prozentsatz zum Sinken
brachte — unter völliger Abdeckung dieses eingenähten Stückes —
zu keinem weiteren Sinken des Prozentsatzes, wie es nach der Ansicht
*) Lorand t Entstehung der. Zuckerkrankheit und Beziehungen zu den Blut-
gefassdrüsen.' Monographie 1903.
*) Fraenkel, Zentralbl. f. Gynäkol. 1907. Nr. 31.
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Die Bedeutung der Langerhans'schen Inseln etc.
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und Theorie Lorands hätte eintreteh müssen. Lorand meint, dass
die Schilddrüse und die Langerhans’schen Inseln quasi Anta»
gonisten sind, und dass die Inseln ein Sekret bilden, um von der
Thyreoidea bereitete Toxine zu vernichten, und er stellt als Mögliche
keiten auf: das Pankreas ist intakt, die Schilddrüse hat erhöhte
Tätigkeit, es werden mehr Toxine bereitet, als das Pankreas neutrali¬
sieren kann, und das Resultat: vorübergehend: Glykosurie. — Oder:
das Pankreas ist degeneriert, die Thyreoidea ist in erhöhter Tätigkeit
-ergo: es entsteht Diabetes. — Er ist leichter Natur — Lorand
sagt vorsichtigerweise: in der Regel — bei Pankreasdegeneration und
Untätigkeit der Schilddrüse. Nun war es doch sicher, dass das Stück
Pankreas in meinen Fällen nur eiuen Teil seiner Arbeit ausführen
konnte, — dass sie andererseits wirklich arbeitete, bewies das Sinken
des Prozentsatzes auf ein Minimum. Atrophierte man jetzt die Schild¬
drüse — wie ich es durch Bestrahlung tat — so musste nach Lorands
Theorie der Prozentsatz ganz schwinden oder wenigstens noch mehr
sinken, da ja die Schilddrüse keine Toxine mehr bereitete, die die
Langerhans’schen Inseln zu neutralisieren hatten.
Es arbeitete also in meinen Fällen das Pankreas wieder, die
Thyreoidea aber war atropliiert; trotzdem blieb jedoch der Prozent¬
satz auf demselben Punkt bestehen.
Schliesslich konnte ich an Tieren, ferner an ca. 100 Fällen von
Zuckerkranken, die von mir 1 ) und auf mein Anraten von anderen
Ärzten 2 ) Eserin bekamen, ein Sinken des °/o S. nachweisen 8 ).
Hier interessiert im Augenblick nur die Tatsache als solche, die
beweist, dass eine Antagonie zwischen den beiden Drüsen — im
Lor an d’scheu Sinne — nicht-gut bestehen kann. Denn wir wissen,
dass das Eserin auf alle Drüsen sekretionserregeud wirkt, bessere
Zirkulationsverhältnisse schafft und dieselben beeinflusst.
Es wäre nun nicht einzusehen, warum das Eserin gerade an der
Thyreoidea einen umgekehrten Einfluss wie an dem Pankreas aus¬
üben sollte, ja experimentell ist das Gegenteil längst bewiesen.
Wenigstens hat noch niemand nach Eseringaben am Tier Erhöhung
z. B. der Thyreoidea-Sekretion neben einem Sistieren oder Verminderung
>) Fraenkel, Über Behandlung des Diabetes. Med. Klinik 1905. Nr. 55—56,
8 ) Friedmann, Huber, Assmann, Ullmann, R. Schütze, Mark¬
breiter etc.
s ) Ein sehr fettleibiger, nicht diabetischer Patient (zeitweilige Glykosurie),
der bei 50 g Dextrose 2°'o Saccb. ausschied, also auf grössere Kohlehydratmengen
mit deutlicher Insuffizienz antwortete, bekam 6 Tage je 50 g Dextr. Nach dem
6. Tage erhielt er daneben Eserin, und wahrend der Sacch.-°/ogehalt vorher
zwischen 1 ’/s— 2°/o schwankte, sank er vom 7. Tage ab auf ° o herab, um trotz
gleicher Dextrosezufubr 2 Tage darauf ganz zu verschwinden.
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272 M. KRA ENKEL, [8
der Pankreasarbeit beschrieben, ich glaube auch nicht, dass ein solcher
Fall eintritt.
So scheinen mir einerseits die Schlüsse Lorands etwas zu
weitgehend und nicht exakt bewiesen. — Nichtdestoweniger ist seine
fiusserst instruktive Monographie voll von interessanten Beobachtungen,
da der Verfasser mit seltener Belesenheit die gesamte Weltliteratur
beherrscht und dieselbe uns in kurzen Zügen auffübrt. — Andererseits
will ich Ihnen m. H. nicht verhehlen, dass meine Versuche besonders
an Tieren noch recht spärlich sind, um daraus ein endgültiges Urteil
zu fällen. Ich glaube jedoch — und ich befinde mich hier in guter
Gesellschaft — folgenden Standpunkt vertreten zu können: die
Langerhans'sehen Inseln haben sich aus ein und demselben Gewebe
entwickelt wie das übrige Pankreas. Sie sind mit diesem in dauern¬
dem Zusammenhang dadurch, dass sich die Inseln aus dem Drüsen¬
gewebe immer wieder ersetzen können. Diese Anschauung ist sowohl
für ihre Bedeutung wie für die eminent wichtige Frage ihrer Regene¬
ration beachtenswert. Andererseits sind sie in ihrer teilweisen Isolierung
zu Gebilden mit höheren Funktionen heraufgerückt: insofern haben sie
sich von der — im Moment als allgemeine Aufgabe aufzufassenden
Pankreasfunktion — Abgabe ihres ganzen Sekretes an den Darm
losgesagt. „Sie sind mit ihrem höheren Zwecke gewachsen“
und dieser höhere Zweck ist als eine Art innerer Sekretion aufzu¬
fassen. Sie stellen so ein höheres Stadium der Pankreasentwickelung
dar, zu dem die Pankreasacini zum ständigen Ersatz der Langerhans-
schen Inseln aufrücken und so erklärt sich auch ihre hervorragend
gute Versorgung mit Blutgefässen. Denn alle die Gewebe, die höheren
Zwecken nutzbar werden, die eine bedeutsamere und grössere Aufgabe
im Körperhaushalt zu erfüllen haben- müssen, um diesem Zwecke
voll genügen zu können, mit einer grösseren Blutmenge als dem
Träger immer neuer Kraftquellen in dauernder Berührung bleiben.
Sie erscheinen mir in gewissem Sinne den Spermazellen in den Hoden
und den Ovula in den Ovarien vergleichbar in der Differenzierung
zu — der Art nach wichtigeren Gebilden. Inwieweit diese Umwandlung
für unsere Frage nach dem Zusammenhang mit Diabetes Bedeutung
gewinut, soll w r eiter unten ausgeführt werden, und ich gehe jetzt auch
absichtlich nicht auf die physiologische Funktion der Inseln ein, wie ich
sie mir erkläre. — Nur will ich kurz betonen, dass mir die Bedeutung
der Inseln nach ihrer inneren Organisation — als eine Art Blutgefäss¬
drüsen — als das einzige bisher mit einer gewissen Berechtigung
festgestellte zu sein scheint, — trotz meiner Auffassung eines ana¬
tomisch unselbständigen Gebildes, was im ersten Moment
scheinbar eiuen Widerspruch und Gegensatz enthält, was jedoch weiter
unten noch begründet werden soll. —
Was den letzten Punkt anlangt, den ich weiter oben schon kurz
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Die Bedeutung der Langerbsns’schen iDseln etc.
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streifte, so zitiere ich Herxheimer’s 1 ) Abhandlung, um Sie über
die einzelnen Anschauungen zu informieren. Ich nannte Ihnen
bereits Laguesse etc., jetzt ferner Dogiel, Levaschew, die die Unselb¬
ständigkeit der Langhans’schen Inseln betonen, während Lupine,
Fischer, Ssobolev, Weichselbaum, Claudia Ulesko,
Schäfer und viele andere — wegen der ihnen zugewiesenen
eigenen Funktion als innere Sekretion — in ihnen völlig unabhängige
Gebilde sehen. Zu der ersten Gruppe zählen neuerdings Ben da,
sein Schüler Böhm, der bei Tieren auch im normalen Pankreas stets
Zusammenhang zwischen Inseln und Parenchym fand — ich sprach
schon darüber weiter oben — Dale, Hansemann, Gutmann,
Ohlmacher, Karakascheff und Herxheimer selbst. Alle
diese nehmen Übergänge von Inseln, und Acini als sicher an. Herx¬
heimer beruft sich auf Serienschnitte von fünf Diabetesfällen, wobei
er in allen Schnitten zunächst ausgedehnte Übergänge zwischen Inseln
und Parenchym feststellen konnte, dann fielen ihm in vielen Inseln
kleine Reste von dunklerem Pankreasparencbym meist am Rand ge¬
legen auf, ausserdem auch vereinzelt im Zentrum Reste kleiner Aus¬
führungsgänge. Diese Übergänge waren unendlich viel häufiger und
zahlreicher in diesen Fällen von Diabet, wie im normalen Pankreas,
und so lehnt Herxheimer die Erklärung von Opie und Sauer¬
beck, die in diesen Befunden stehengebliebene Reste embryonaler
Verbindungen sehen, entschieden ab. Er deutet sie vielmehr als
Neubildung von Zellinseln aus Parenchymgewebe — und nicht um¬
gekehrt, wie sie Karakascheff aufgefasst wissen will. — Es boten
ihm seine Fälle pathologisch das Bild allgemeiner, starker Sklerose;
er fand die Zellinseln gerade an den Stellen neugebildet, wo das
Bindegewebe vermehrt war, oft sogar waren auch sie schon sklerosiert,
während sie noch in Bildung begriffen waren: Befunde, die uns
natürlich noch in ihrer Bedeutung bald eingehend beschäftigen werden.
Denn M. H.: Wir sind eigentlich so schon bei einer weiteren
Frage angelangt: Welches sind überhaupt die Veränderungen,
die die Langerhans’schen Inseln erleiden können?
Ich folge hierbei den Ausführungen Schmidt’s 2 ), Herxheimer 8 ),
Müller, Opie Sauerbeck, Reitmann und anderen. Neben
den Fällen von Diabetes, bei denen an den Langerhans’schen Inseln
und am Pankreas überhaupt keine oder nicht bedeutsame Ver¬
änderungen zu konstatieren sind, — zu diesen gehört z. B. die ein¬
fache Atrophie auch mit Lipomatose, wie sie häufig auch bei nicht
i) Herxheimer, Pankreas and Diabetes. Deutsche med. Woeben sehr. 1905.
Nr. 21. S. 829 ff. Die anderen s. Literaturangabe am Schluss der Arbeit.
*) Schmidt, Manch, med. Wochenschr. 1902. Nr. 2.
8) Herxheimer, Virchows Archiv. Bd. 183. S. 228.
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274 M. FRAENKEL, [10
diabetischen Individuen sich findet, — fielen Schmidt — über das
Pankreas verbreitet herdförmige Entzündungen, kleinzellige Infiltra¬
tionen auf, die sich durch ihre Häufigkeit gerade bei Diabetes aus¬
zeichneten, während sie sonst nicht so häufig vorkamen. Er sieht
in ihnen lediglich sekundäre Reizzustände.
Was die Zahl und Form der Langerhans’schen Inseln anbe¬
trifft, so sind die diesbezüglichen Angaben von Dieckhoff, Sso-
b o 1 e w und anderer, dass bei Diabetes die Inseln fehlen oder spärlich
und klein sein können, mit Reserve aufzufassen, da sie vor allem
nicht genau angeben, aus welchem Pankreasabschnitt ihre Präparate
stammen. Denn Opie 1 ) hat durch Zählung festgestellt, dass z. B.
normalerweise im Schwanzteil etwa doppelt so viel Inseln sich
finden, als in der übrigen Drüse. Die Verteilung der Inseln ist also
überhaupt eine ungleichmässige und — m. H. Sie können sich an
unserem Präparat überzeugen, dass nicht unbedingt zu jedem Drüsen¬
läppchen eine Insel gehört. Sie werden manches Gesichtsfeld ver¬
geblich nach diesen Inseln durchsuchen.
Wertvoller und für die spätere Erledigung der Frage nach den
Beziehungen der Langerhans’schen Inseln zum Diabetes von
grösster Bedeutung sind dagegen die Befunde, die Schmidt an den
Langerhans’schen Inseln allein beschrieben hat.
Es handelt sich um ein atrophisches, aber sonst makroskopisch
unverändertes Pankreas, in welchem die Langerhans’schen Inseln
den Zustand hyaliner Degeneration aufweisen. An den Kapillaren
treten dicke, homogene glänzende Scheiden auf, dadurch ist der
epitheliale Anteil zwischen ihnen auf schmale Stränge atrophischer
Zellen reduziert, oft sogar bis auf wenige Zellen geschwunden. Auch
Opie fand an allen Inseln diese hyaline Degeneration, doch während
er dieselbe auf die Epithelien zurückführt, hält Schmidt sie für
Gebilde aus der Kapillarwaud.
Im Anschluss daran möchte ich eine fast isolierte akute inter¬
stitielle Eutzüudung der Inseln — bei einem 10jährigen Kinde mit
6,8°/o Zucker beschreiben, bei der Schmidt kleinzellige Infiltration
feststellte, die selten sich als Parenchymherde dokumentierten, sondern
von ihm stets in den peripheren Inselteilen konstatiert wurden. Die
dabei an und um die Gefässe ausgebildeten dicken bindegeweblichen
Scheiden fasst er als Ausdruck chronischer Entzündung auf.
Neben dieser akuten Entzündung, die sich also isoliert an den
Langerhans’schen Inseln abspielt, konnte er in einigen anderen
Fällen chronisch interstitielle Pankreatitis beobachten. Dabei lässt
sich nun wieder differenzieren — und ich muss Sie m. H.: damit
i) Opie, Johns Hopk. Hosp. Bullet. Nr. 114 und Journ. of Med. surg. Nr. 4
und 5. Vol. 5.
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11] Die Bedeutung der Laugerhans’scben Inseln etc. 275
des näheren betraut machen, weil alle folgenden Schlüsse sich darauf
aufbauen, — je nach der Wirkung auf das Parenchym: eine inter¬
lobuläre Form, die sich an die Peripherie der Acini hält, — und eine
intralobuläre oder interazinöse, bei der sich nach Opie 1 ) das junge
Bindegewebe zwischen den Drüsenschläuchen selbst entwickelt und
die La ngerh ans'sehen Inseln dabei durch wächst und ihre Epithel¬
zellen atrophiert. Gerade die letztere Form ist die am häufigsten
beobachtete, und es fällt Ihnen gewiss auf, wenn auch hier wieder
betont wird, dass längs der Kapillaren der Inseln reichliches
faseriges und hyalines Bindegewebe sich entwickelt hat und Atrophie
der Epithelien herbeiführte. Diese Atrophie steigerte sich an einzelnen
Stellen bis zur völligen Umwandlung in epithellose Bindegewebskugeln,
ähnlich den verödeten Nierenglomeruli.
Nun verzeichnet Schmidt noch einen dritten interessanten
Befund.
In zwei Fällen von Diabetes mit chronischer Pankreatitis findet
sich an einzelnen Stellen eine völlige Umwandlung in fettreiches
Bindegewebe, in einem anderen Teil bestehen die Reste selten aus
gewöhnlichen Drüsenschläuchen, sondern aus Langer h ans 'scheu
Inseln, von denen oft 20—30 nebeneinander liegen, gewöhnlich in
derbes Biudegewede eingesetzt und jede Insel von besonderer fibrösen
Hülle umgeben. Die Langerhans’schen Inseln weichen im allge¬
meinen nicht von dem normalen ab. An manchen grösseren jedoch
fällt auf, dass im Zentrum ein kräftigerer Bindegewebsstock liegt —
und an manchen kleineren, dass sie nur von einem Kapillargeföss,
nicht von einem Netzwerk — wie oben bei Besprechung des histo¬
logischen Baues beschrieben — durchzogen sind: — Befunde, die eine
grosse Persistenz der Inseln beweisen, und experimentell dadurch
nachgebildet werden können, dass man — wie es W. Schulze*)
gemacht hat — bei Meerschweinchen Pankreasstücke durch Ligatur
abtrennte. Auch hier trat bald fast totale Atrophie des sezernierenden
Drüsengewebes ein, die Langerhans’schen Inseln dagegen blieben
unverändert übrig.
Und schliesslich konnte Schmidt als das Bedeutungsvollste
neben einer Grössenzunahme dor Inseln in diesen Fällen — [und
abgesehen von ihrer Anordnung in Nestern, umgeben von fibrösem
Bindegewebe als Kapsel] — gerade bei atrophischer Drüsensubstanz
— eine Zunahme der Inseln an Zahl in einem Läppchen konstatieren,
Er fand mehr Inseln in einem Läppchen, als es normalerweise der
Fall ist, selbst unter Brücksichtigung einer Annäherung der einzelnen
5) Opie, The Journ. of experim. Med. Yol. 5. Nr. 4 u. 5 und Johns Hopk.
Hosp. Bull. 1900. Nr. 114.
*) W. Schulze, Arch. mikrosk. Anat. 1900. Bd. 56.
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Inseln infolge der Schrumpfung des Organes. Diese Zunahme nun
beruht auf einer Neubildung der Langerhans’schen Inseln
aus Drüsenacini. Dabei kann sich ein ganzes Drüsenläppchen
in eine Gruppe von runden Zellen aufteilen, die morphologisch sich
nicht von den präformierten unterscheiden, ja manche Läppchen
zerfallen — nach Schmidt — geradezu in zwei Hälften, deren eine
nach dem Typus des gewöhnlichen sezemierenden Parenchyms, deren
andere nach dem der Langerhans’schen Inseln gebaut ist.
Meine Herren 1 Sie erinnern sich gewiss, dass ich ihnen bei der
Frage der Regenerationsmöglichkeit der Langerhans’schen Inseln
im Anschluss an die Behauptung, dass die Langerhans’schen
Inseln kein selbständiges Gebilde darstellen, diesen Punkt bereits er¬
wähnt hatte, und dieser soeben Ihnen gegebene Bericht dürfte als
letztes Stück und als das Bedeutungsvollste in der Beweiskette zu
verwerten sein.
Meine Herren! welche weiteren Schlüsse aus diesem Befund zu
ziehen sind, diese Frage lasse ich noch offen. Wir wollen erst ge¬
meinsam auch die von anderer Seite geschilderten pathologischen
Veränderungen durchgehen, um uns ein möglichst genaues Bild
machen zu können, welche Erscheinungen die häufigsten sind, und
ob die Befunde an den Langerhans’schen Inseln, die an dem
übrigen Pankreasparenchym überwiegen.
Herxheimer, der die hyalinen Veränderungen der Zellinseln
für nichts Spezifisches hält, fand sie gleichwohl recht häufig, aber
stets nur einen kleinen Teil einzelner Zellinseln betreffend; — im
Gegensatz zu Opie — der, wie oben bereits erwähnt, darin spe¬
zifische Degeneration des Epithels sah — hält jedoch auch er
dieselbe bestimmt für Veränderungen der Kapillarwände
der Inseln und ihrer bindegeweblichen Kapsel.
Es wäre jedoch ein Irrtum, wollte man annehmen, dass diese
Veränderungen sich nur an den Inseln abspielen; — diesen ent¬
sprachen vielmehr ebensolche an den Kapillaren und kleinen Gefässen
des übrigen Pankreas-Gwehes.
Es fiel nun Herxheimer in einer ganzen Reihe von Fällen
auf, dass bei einer hochgradigen Atrophie des Pankreas-Gewebes mit
Wucherung des Binde- und Fettgewebes — der Ihnen bereits oben
geschilderte Übergang von Drüsengewebe in Zellinseln und die Zahl
und Grösse derselben eine exzessive war. Und er sieht in diesem
Vorgang den Versuch einer Regeneration, indem sich das Drüsen¬
parenchym in die widerstandsfähigere Form — das sind die Zellinseln
— umzuwandelu sucht.
Daneben fand er in denselben Fällen einen weiteren sehr be¬
achtenswerten Entwickelungsprozess: An zahllosen Stellen bemerkte
er viele kleine Kanälchen und er konnte auf Serienschnitten verfolgen.
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Die Bedeutuog der LaJOgerhaae’schen Inseln etc.
277
dass diese Gänge entstehen: 1. aus wuchernden Ausführungegängen,
2. aus umgebildetem, atrophischen Pankreasparenchym; 3. (aber
seltener) aus Bundschleifen von Langerbans’schen Zellinseln. Die
Gänge treten entweder in Verbindung mit alten Ausführungsgängen
oder enden blind im Bindegewebe — oder legen sich wieder an
Paukreasacinuszellen an. Es fiel besonders die Häufigkeit solcher —
Kanälchen führender bindege websreicher Stellen auf, welche sich fast
ausnahmslos an grössere Ausführungsgänge anschliessen. Das Paren¬
chym war hier zugrunde gegangen, die Zellinseln aber gut erhalten,
ja gerade hier besonders gross und zahlreich. Lagen so an manchen
Stellen im Bindegewebe jene Kanälchen und Inseln zusammen, so
fanden sich an anderen erstere nicht oder nicht mehr; hier lagen
nur noch Langerbans’scbe Zellinseln, offenbar aus Drüsengewebe
entstanden, als der widerstandfähigste Bestandteil in grossen Nestern
zusammen.
Meine Herren! Was die Bedeutung dieser Kanälchen anbetrifft,
so vergleicht sie Herxheimer mit den Bildern bei Leberzirrhose,
wo es sich um Umwandlung von Leberzellen in Gallengänge, also
auch um das Bestreben einer besseren Erhaltuug bezw. um den Ver¬
such einer Regeneration handelt. In mehreren Fällen fielen ihm nun
weiter adenomartige Bildungen der Ausführungsgänge und besonders
der Zellinseln bezw. des Drüsenparenchyms auf. Auch diese Bilder
sind wohl wie ähnliche in der Leber als über das Ziel geschossene
Regeneration aufzufassen. Ich erinnere Sie hier an jene oben be¬
schriebenen zentroazinären Zellen. Denn es erscheint mir nicht
unwahrscheinlich, dass sie bei diesem Prozess beteiligt sind.
Zu ganz gleichen Resultaten kam Reitmann. Da nun diese
Pankreasaffektion bei Diabetes im Wesen und in vielen Einzelheiten
der Leberzirrhose ausserordentlich gleicht, schlugen beide für diese Form
den Namen „Pankreaszirrhose“ vor. Bemerkenswert ist, dass die
Inseln sich in all diesen Fällen zu wechselnd verhielten, um
auf sie das „einzige“ Gewicht zu legen.
Meine Herren 1 diese soeben beschriebenen Pankreas-Verände¬
rungen bei Diabetes stehen in Beziehung zu den von v. Hansemann
als „Granularatrophie“ bezeichneten Prozessen, — nur gehen sie quasi
über dieselbe hinaus, — da sie Bilder hervortreten lassen, die in
ihrer Gesamtheit auf äusserst starke Regenerationsbestrebungen des
Pankreas hindeuten. Das beweist ja auch schon die Neubildung des
Drüsengewebes in diesen Fällen.
Hanse mann betonte, dass der häufigste Befund bei Diabetes:
Atrophie des Pankreas ist, aber nach ihm ist die seltenere Form die
kachektiscbe, die häufigere die diabetische, und er definiert die
letztere folgendermassen: Bei der diabetischen Atrophie ist das
Pankreas gewöhnlich schlaff und etwas dunkel gefärbt. Die dunklere
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Färbung rührt von der Beschaffenheit des Bindegewebes und dem
Durchscheinen kleiner venöser Gefässe her. Die Drüse ist be¬
sonders in ihrem Dickendurchmesser verkleinert, so dass sie in ein
plattes Organ verwandelt ist. Die Drtisenläppchen sind klein. Das
Binde- oder Fettgewebe der Umgebung setzt sich in das Organ fort,
so dass sich dasselbe oft schwer herauspräparieren lässt. Zuweilen
finden sich direkt grössere Verwachsungen und neugebildete Stränge,
die das Pankreas mit der Umgebung verbinden. Mikroskopisch zeigen die
sekretorischen Zellen ausser der Atrophie keine besondere Veränderung,
speziell fehlen in reinen Fällen Trübungen, Fettmetamorphose, Pig¬
mentierung schwerer Art. Das Stroma ist aber nicht wie bei der
kachektischen Atrophie zugleich atrophisch geworden, sondern es hat
die durch die Verkleinerung der Drüsenläppchen entstandenen Lücken,
mehr oder weniger ausgefüllt. Es ist zwar meist fibrös, aber stets
findet man an einigen Stellen auch frischere Wucherungen in Gestalt
einer zelligen Infiltration. Es ist also ein aktiver Prozess hinzuge¬
treten, der in das Gebiet der interstitiellen Entzündungen gehört, so
dass eine prinzipielle Ähnlichkeit mit gewissen Formen der Granula¬
atrophie der Nieren auf tritt“.
Er vertritt also die Ansicht, dass die Veränderung des Acinus-
gewebes des Pankreas in den Vordergrund zu stellen ist bei dem
ursächlichen Zusammenhang mit Diabetes.
Meine Herren! Überblicken Sie nun die Reihe der Ihnen bisher
beschriebenen pathologischen Veränderungen, so wird es Ihnen klar
sein, dass je nach der grösseren oder kleineren Anzahl von gleichen
Befunden, sich zwei diametral entgegengesetzte Theorien entwickelt
haben. Eben jene Granularatrophie Hansemanns auf der einen
Seite und — ohne jede Vermittelung — auf der anderen Seite — die
sog. Inseltheorie, die eben gerade in dem speziellen Befallensein
nur der Langerlians'schen Inseln die Ursache des Diabetes
sehen.
Nun meine Herren! gegen diese letztere spricht vor allem die
oben bereits kennen gelernte Tatsache, dass wir in den Langerhans-
schen Inseln gar keine selbständigen Gebilde sehen können, dass sie
vielmehr, wie oben bereits beschrieben, eine ganze Reihe Übergänge
zu dem Drüsengewebe zeigen.
Dann fällt auch die Hauptstütze der Inseltheorie: Bei experi¬
mentellen Gangunterbindungen ! ), bei Totalexstirpation und Wieder¬
einpflanzung von Pankreasstücken in die Bauchhaut (Minkowski) —
wie ich es gleichfalls schon oben beschrieben habe, ging das Pankreas¬
gewebe zugrunde und wurde durch Bindegewebe ersetzt, — die
Langerhans’schen Inseln jedoch blieben erhalten und Diabetes
i) W. Schulze, Arch. mikrosk. Anat. 1900. Bd. 56.
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Die Bedeutung der Langerhana’schen Inseln etc.
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trat — wie man behauptete — eben dieserhalb nicht ein; uud daraus
wieder schloss man auf die völlige Selbständigkeit dieser Inselgruppen.
Meine HerrenI wir sahen schon weiter oben, dass dieses Er¬
haltenbleiben der Langerhans’schen Inseln eben gerade als ein
Regenerationsprozess aufzufassen ist. Die Langerhans’schen Inseln
sind als die widerstandsfähigere Form gebildet worden, und Zwar von
dem Acinusgewebe.
Und auch die im ersten Augenblick in der Tat auffallende und
merkwürdige Beobachtung, dass in Fällen von Pankreaskarzinom kein
Diabetes bestand, findet (nach Hansemann} darin seine Erklärung:
dass die Krebszellen als Nachkommen der sekretorischen Pankreas¬
zellen die hierzu nötige Funktion des Pankreas in genügender Weise
übernehmen können, und es ist diese Erklärung dem Befunde
Naunyn’s entsprechend, der im Leberkarzinom in bereits voll¬
kommen karzinomatösem Gewebe, noch Gallensekretion nachwies.
Ebenso scheint mir der Schluss, den Lazarus 1 ) deduziert aus
dem Ergebnis der von ihm erzeugten experimentellen Hypertrophie
der Langerhans’schen Inseln durch Phloridzin- und Adrenalin-
Injektion bei Tieren, — die an sich äusserst interessante Befunde
ergeben hat, — doch zu weitgehend, wenn er eine anatomische Selb¬
ständigkeit der Inseln daraus . herleitet. Dagegen erscheint mir
andererseits von höchster Bedeutung seine Annahme, dass die Gefäss-
inseln wichtige Faktoren bei der Regulation des Zuckerstoffwechsels
darstellen. Die von ihm so erzeugte Hypertrophie ist als eine funktio¬
neile Erhöhung und scbliessliehe Überlastung dieser regulatorischen
Aufgabe aufzufassen. — Interessant ist vor allem auch — die auf¬
fallende Blutfüllung und der grosse Kapillargefässreichtum in seinen
Präparaten, bemerkenswert die an das Experiment sich an¬
schliessende Arteriosklerose grosser und kleiner Gefässe
und Kapillaren.
Meine Herren! Somit sind wir schliesslich zu der Erkenntnis
gekommen, bei einem so nahen Konnex zwischen Insel und Acinus¬
gewebe einerseits, bei den variablen anatomischen Befunden anderer¬
seits, es mehr als einen Zufall zu betrachten, ob in dem einem Falle
die Zellinseln, — parallel der Gesamtatrophie, — der Iuseltheorie
entsprechend, spärlich und verändert sind, oder ob die Inselgruppen
durch Neubildung ergänzt und so in normaler Zahl vorhanden und
gut erhalten erscheinen.
Meine Herren! Greifen wir jetzt noch einmal zurück auf die
Ausführungen Herxheimers, so erscheint mir seine Pankreas¬
zirrhose ein Bindeglied zwischen den beiden so extremen Theorien
i) Lazarus, Experimentelle Hypertrophie der Langerhans’schen Inseln
bei Phloridzinglykosurie. Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45.
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zu sein und meine Herren! mit einem Schlage ändert sich das Wirr
der pathologischen Befunde.
Lassen Sie mich das des genaueren im Zusammenhänge aus¬
führen, indem ich die Anschauungen Herxheimers zu den
meinigen mache.
Wenn wir als das Wesentliche und Interessante bei der von Herx-
heimer beschriebenen Pankreas-„Zirrhose“ die Betonung der .Regene¬
rationsbilder ansehen, müssen wir unbedingt annehmen, dass die
Atrophie des Drüsengewebes das Primäre, die Bindegewebsentwicke-
lung und Regenerationsbestrebungen das Sekuudäre vorstellen. Diese
Bestrebungen des Gesamtparenchyms weisen darauf hiu, dass eine
Schädigung des Gesamtpareuchyms auch funktionell von vornherein
Vorgelegen hat. Damit fällt aber die physiologische Frage der Be¬
teiligung des gesamten Parenchyms beim Diabetes mit den anatomischen
Befunden zusammen. Wir folgern also, dass sowohl Acinusgewebe,
wie Inseln beim Diabet beteiligt sind, — und diese Schlussfolgerung
findet ihre Stütze und Begründung in den oben beschriebenen Über¬
gängen beider Gewebe gerade beim Diabetes.
Es kann und wird den Inseln auf Grund einer ausgesprochenen
Funktion beim Zustandekommen des Diabetes eine — wenn auch
nicht spezifische — so doch grössere Rolle zufallen und zuzumessen
sein — als dem übrigen Parenchym; dieser Schluss dürfte auf Grund
der in manchen Fällen beobachteten, hochgradigen Veränderungen
der Inseln — sowie in dem Ergebnis der angeführten Experimente
seine Berechtigung finden.
Aber es liegt kein Grund vor, und die normale Entwickelung
widerspricht dem direkt, — die Inseln allein und nur sie — wie es
die strikte Inseltheorie verlangt beim Diabetes heranzuziehen. Ebeuso-
weuig, mit noch geringerer Berichtigung, kommt das Drüsenparenchym
allein für sich in Frage.
So entwickelt denn auf Grund aller dieser Erwägungen Herx¬
heim er eine zwischen beiden Extremen vermittelnde Anschauung,
die allen Punkten gerecht wird. Von Hause aus wohnt den Pankreas-
acinuszellen ausser der äusseren Sekretion auch die innere Regulierung
des Kohlenhydratstoffwechsels inne. — Später — ich glaube — auf
einer höheren Entwickelungsstufe — und auch weiterhin bilden sich
aus dem Parenchym die Zellinseln, die den Anschluss an die äussere
Sekretion verlieren, und somit gerade die innere um so stärker
ausbilden; eine Aufgabe, zu der sie infolge der ihnen eigentüm¬
lichen Blutversorguug, des grossen Kapillarreichtums — besonders
befähigt sind.
Diabetes tritt nun ein, wenn ein Funktionsausfall vorliegt, der
sowohl den einen wie den anderen Teil — meistens aber wohl
beide trifft.
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Die Bedeutung der Langerhans’schen Inseln etc.
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Dabei wiegt die Funktions-Störung oder der Funktions-Verlust
der Langerhans'sehen Inseln naturgemäss schwerer.
Wieweit jeder von beiden Bestandteilen geschädigt sein muss,
damit Diabetes eintritt, wie weit beide füreinander eintreten können,
lässt sich nicht genau bestimmen. Die zwischen Menschen und Tier
bestehenden Unterschiede hinsichtlich dieses vikariierenden Eintretens
der beiden Bestandteile füreinander sind dann nur quantitativer
Natur. Und wenn man annimmt, dass bei Tieren das Vorhandensein
der Zellinseln allein genügt, um Diabetes hintanzuhalten, — wie es
das Experiment zeigt — beim Menschen jedoch nicht, — so ist —
meiner Auffassung nach — der Grund darin zu suchen, dass beim
Tier jene regenerative Eigenschaft in höherem Masse noch erhalten
ist, als beim Menschen, und so bleibt dort der Zusammenhang viel¬
leicht dauernd bestehen, die Trennung zwischen den einzelnen Be¬
standteilen — Acini und Inseln — ist nicht so exakt, infolgedessen
der Regenerationsprozess viel leichter zu bewerkstelligen. Bei dieser
meiner Auffassung wird es klar, dass das Tierexperiment andere
resp. nicht mit den menschlichen Befunden bei Diabetes sich ganz
deckende Ergebnisse zeitigen wird, und es fällt andererseits der
bisher so in die Augen fallende prinzipielle Unterschied zwischen
beiden fort, eben weil wir jetzt die Gründe kennen.
Meine Herren! Nach all diesen Betrachtungen und Erwägungen
kann ich diese Abhandlung nicht beschliessen, — will ich nicht dem
Vorwurf des Unvollständigen begegnen — ohne der Kardinalfrage
Erwähnung zu tun:
Woher stammen nun eigentlich die supponierten Funktions¬
störungen, bis sie sich in dauernden pathologischen Veränderungen
äussern ?
Wie entstehen eigentlich diese Störungen? Durch welche ätio¬
logischen Momente kommen sie zustande?
Welche Schädigungen sind es, die ätiologisch das Pankreas
angreifen, und au ihm pathologische Prozesse schliesslich auslösen?
Meiue Herren? Das Thema hat uns enge Grenzen gezogen, und
so kann ich diese Fragen nicht in der eigentlich nötigen Ausführlichkeit
beantworten, die der Wichtigkeit derselben entspräche. Ich muss
auf meine früheren Arbeiten verweisen, in denen ich meine An¬
sichten ausführte, und kann hier nur kurz zusammenfassen, was ich
dort des genaueren begründete.
Es ist hier ebenso wenig Gelegenheit, auf die Glykosuronsäure-
theorie Mayers 1 ) einzugehen, — deren Richtigkeit ich anzuerkennen
i) Mayer, Infolge Insuffizienz der Oxydationskraft oder mangels oxydierenden
Materiales, also Sauerstoff, kann Zucker nicht vollständig, sondern nur noch bis
zur Glykosurons&ure abgebaut werden.
Würzburger Abhandlungen. Bd. VUL H. 11. 20
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Veranlassung habe, — wie ich die Gründe auseinandersetzen kann,
weshalb — nach meiner Ansicht — jede Zuckerausscheidung — sei
es die alimentäre, sei es die Lävulosurie, oder Pentosurie als ernst
aufzufassen ist, weshalb sie alle nach einem Ziele: dem Diabetes:
hinzustreben scheinen, weshalb ich in ihnen — wie auch in einer
besonderen Anlage übermässiger Fettleibigkeit eine Vorstufe des
Diabetes zu sehen Veranlassung habe.
Kurz gesagt: glaube ich Zirkulationsstörungen und Schwankungen
als das Primäre auffassen zu dürfen mit engster Beteiligung des
Vagus, also: Angioneurosen, die als ihr Endglied in der langen Reihe
daraus langsam entstehender pathologischer Veränderungen — die
für uns allein sichtbar werdende Arteriosklerose aufweiseu. — Diese
Zirkulationsanomalien finden gerade im Pankreas und hier gerade
wieder in den Langerhans’schen Inseln ihr geeignetes Feld, iufolge
der diesem Abschnitt eigentümlichen Gefässordnung, weil hier schon
geringe Schwankungen und Abweichungen von der Normalen erheb¬
lichen Ausschlag — als Stauungen oder als Anämien — geben können
(grob anatomisch gesprochen).
Nun meine Herren! Nicht etwa auf Basis komplizierter theore¬
tischer Kombinationen beweise ich das Gesagte —, glaube ich für die
Richtigkeit desselben eintreten zu können. — Nein! Ich brauche Sie
nur an die pathologischen Veränderungen selbst zu erinnern, von
denen wir vorhin ausführlich gesprochen haben und von denen
ich absichtlich schon immer darauf hin weis, eine wie auflallende
Übereinstimmung bei allen Beobachtern darin herrschte, gerade an den
Gefässen jene hyalinen Veränderungen sich abspielen zu sehen und
als von diesen ausgehend sicher anzunehmen, — während als einziger
Opie für ihre Abstammung von Epithelien eintrat, und wie ich be¬
stimmt sagen kann: mit völligem Unrecht. —
Rekapitulieren Sie bitte die Schilderungen von Herxheimer 1 )
und Schmidt 2 ), die ich Ihnen gab, — lesen Sie den Bericht von
Croner 8 ) über 100 Fälle von Diabetes mit Arteriosklerose, von
Vergely 4 ), Fleiuer 5 ), Minkowsky 6 ) über seine Anschauungen
hinsichtlich des reinen Diabetes Naunyn’s 7 ) — verfolgen Sie die
Abhandlung Hoppe-Seyler’s 8 ) im Archiv für klinische Medizin, über
seine „Pankreatitis angiosklerotica“, — Lazarus 9 ) über seine Adre-
: und 2 ) Herxheimer und Schmidt, S. 9 dieser Besprechung.
3 ) Croner, Deutsche med. Wochenschr. 1903. Nr. 45.
4 ) Vergely, Gaz. heb. 83. Bd. 20.
5 ) Fleiner, Berl. med. Wochenschr. 94. Nr. 1—2.
«) Minkowski, Münch, med. Wochenschr. 1903. Nr. 15.
7 ) Naunyn, Deutsche Klinik. Bd. 3 und Deutsche med. Wochenschrift. 1905.
Nr. 25.
8 ) Hoppe-Seyler, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 52 u. 81.
9) Lazarus, Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45.
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Die Bedeutung der LsDgerhans’ecben Inseln etc.
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naliuversuche am Pankreas und meine Arbeiten') — hören Sie die
Schlussbetrachtung Herxheimer’s: („In einem grossen Teil der
Diabetesfälle können die arteriosklerotischen Veränderungen, wie sie
besonders an den kleinen Gefässen des Pankreas gefunden werden,
als ätiologische Schädigung herangezogen werden, diese Veränderungen
der kleinen Gefässe und Kapillaren könnten auch noch in einer anderen
Richtung angeschuldigt werden: — Es ist rein mechanisch denkbar,
dass sie bei der Annahme einer inneren Sekretion — diese hindern
könnten. Und da sich diese Veränderungen vorzugsweise an den
Kapillaren der Inseln finden, könnten sie und im selben Sinne die
Sklerose letzterer besonders schwer wiegen“) — und Sie haben
eine Fülle von — ich möchte sagen — greifbarem Material
genug.
Fügen Sie dem noch hinzu die immer mehr als richtig aner¬
kannte Tatsache, dass Arteriosklerose einmal gar nicht lediglich ein
Altersprozess ist, sondern auch bei Jugendlichen — mit sehr labilem
Nerven- und Gefässystem — beobachtet wird, dass andererseits ihre
Ausdehnung und ihre allerersten Anfänge sich unserer Kenntnis ganz
entziehen!
Gerade die ersten Anfänge mit ihren Zirkulationsschwankungen
— besonders in einem so fein verzweigten Kapillarsystem — wie es
das Netzwerk in den Langerhans’schen Inseln darbietet, — ent¬
gehen uns, und naturgemöss auch ihre ersten Schädigungen an den
Geweben, — um so beachtenswerter aber erscheinen sie mir und um
so bedeutsamer.
Meine Herren! Wenn ich kurz einmal den Gang und die sich
aus der gestörten Zirkulation entwickelnden Erscheinungen
und Vorgänge skizziere, so ergibt sich folgendes: die Blutversorgung
ist — z. B. durch nervösen Einfluss — gestört, infolge der eigentüm¬
lichen Anordnung der Kapillaren entstehen zuerst Schwankungen in
der Zelltätigkeit der Langerhans’schen Inseln, und das Resultat
wird in der geringeren Bereitung jenes besonderen Stoffes sich üussem.
Es wird der Leber also im Blute nicht — weder quantitativ, noch
qualitativ — die nötige „Fermentmenge“ zugeführt, und sie wird so
weniger Kraft besitzen, die Umwandlung des Zuckers in Glykogen
vorzunehmen. Denn wir stellteu uns vor, dass sie dazu dieser An¬
regung seitens des besonderen Sekretes derLangerhans'sehen Inseln
bedarf. — Zu gleicher Zeit wird aber auch dieselbe Störung das
Drüsengewebe treffen, es wird 1. seine gewöhnliche Arbeit: Pankreas¬
saft zur weiteren Zerlegung der Nährstoffe nicht in vollem Masse
, ausführen (sowohl quantitativ wie qualitativ) und es folgt daraus
i) Fraenkel,
1905. Nr. 55-56.
Wiener klin. Rundschau. 1905. Nr. 29 —30 und Med. Klinik
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M. FRAENKEL,
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wieder die unvollständige Spaltung derselben. 2. Aber wird sich die
Schädigung auch in mangelhaftem Ersatz der Langerhans’schen
Inseln bemerkbar machen, die zweite und wie wir gesehen haben —
überaus wichtige Aufgabe des Drüsengewebes. So sind einmal schon
an und für sich die Langer bans’schen Inseln geschädigt, anderer¬
seits erfolgt kein — jetzt doppelt nötiger Nachwuchs, oder nur ein
sehr spärlicher und mangelhafter, resp. derselbe blieb auf einer
niedrigeren Stufe der Umwandlung stehen. Handelte es sich um
Zirkulationsstörungen vorübergehender Art, dann würden sich die¬
selben in der „alimentären“ Glykosurie äussem, — hier sind Schwan¬
kungen in der Verarbeitung infolge Schwäche vorübergehender Art
entstanden. — Wird die Zirkulationsstörung dauernd, so wird — in
tausendfältiger Abstufung — der Schaden sich als gleichfalls dauernd
einstellen. Meine Herren! zwischen diesen weiten Grenzen bewegen
sich nun alle möglichen Variationen, was die Schwere der anatomischen
Veränderungen anbetrifft. Und diese werden noch an Zahl grösser,
wenn sie bedenken, dass er als ein Spiel des Zufalles anzusehen ist,
wo sich zuerst, wo sich am stärksten die Veränderungen geltend
machen.
Diese Veränderungen werden sich in denselben Grenzen bewegen,
wie die pathologischen verschiedenartigsten Veränderungen an den
Gefässen, von dem beginnenden Spasmus, der Angioneurose bis
hinauf zur Arteriosklerose.
Wenn wir noch einmal auf das Tierexperiment eingehen: Bei
Totalentfernung des Pankreas und Wiedereinnähung eines Stückes
in die Bauchhaut, gehen nach dem Ihnen Ausgeführten selbstredend
die Acini zugrunde, da sie — ohne Ausführungsgang — ihrer ersten
Aufgabe ledig sind (Darmsekret zu produzieren). Um so mehr können
sie sich der zweiten, nunmehr einzigen widmen: sich in die höher
organisierten Langer ha ns ’schen Inseln umzuwandeln und diese
zu ersetzen unter einer Bedingung: gute Ernährung,
normale Zirkulation.
So ist das Restieren nur der Langerhans ’schen Inseln erklärlich,
ja es erscheint uns als das einzige Mögliche und Richtige 1 ) und so
wird das Sinken des °/o auch verständlich.
Wenn wir, um einen anderen Fall zu beleuchten, — in rapid
verlaufenden Diabeteserkrankungen keine pathologischen Verände¬
rungen vorfinden, trotz mächtigen °/o, nun meine Herren 1 jetzt wird
i) Beröntgte man nun ein solches eingeheiltes Stück, dann wurden die Zellen
in ihrer Arbeit geschädigt und der Prozentgehalt stieg als Ausdruck dafür, dass die
innere Sekretion der jetzt noch allein vorhandenen und umgebildeten Langerhans’j
sehen Inseln sistiert hat Das gleiche trat in einem andern Fall bei Adrenalin inj.
— jedoch nicht in so starkem Masse auf; eine Hypertrophie habe ich nicht hervorrufen
können. (Siehe Lazarus, Münch, med. Wochenschr. 1907. Nr. 45.)
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Die Bedeutung der Langerhans'scben Inseln etc.
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das Ihneu völlig klar sein. Hier war zu einer in die Augen fallenden
Schädigung — sei es des Drüsengewebes, sei es der Langerhans-
schen Inseln, sei es beider zusammen — gar keine Zeit; es sistierte
einfach die gesamte höhere Funktion durch die plötzliche Zirkulations¬
störung erheblichster Art völlig; es ging keine Ersatzumwandlung
aus dem Drüsengewebe mehr vor sich. Die Drüse hatte allein mit
der niedrigeren Sekretionsfunktion zu tun, und war einer höheren
Aufgabe nicht gewachsen.
Und wenn bei jugendlichen Diabetikern auffallend häufig die
numerische Inselverminderung beobachtet wird, so ist diese Erschei¬
nung für uns jetzt leicht verständlich. Durch die von vornherein
mangelhafte ZirkulationsVersorgung reicht die Drüse wohl gerade
noch oder nur z. T. dazu aus, die Verdauung zu regulieren, oft ist
sie auch dieser Aufgabe nicht mehr voll gewachsen und die fast stets
bei jugendlichen Diabetikern vorhandene starke Fettleibigkeit ist der
deutlichste, ja ich möchte sagen, der greifbare Beweis dafür. — An
einen Ersatz der geschädigten Langerh ans’schen Inseln ist natürlich
überhaupt nicht zu denken, und so kann wohl kein Zweifel sein, dass
die Langerhans’scben Inseln langsam und unersetzt zugrunde gehen.
Sie machen noch eine gewaltsame Anstrengung, die nötige Arbeit zu
leisten, sie zeichnen sich — wie oft beschrieben wird — durch ihre
Grössenzuuahme aus; diese ist jedoch als eine — vergebliche —
Arbeitshypertrophie aufzufassen. Wir wissen, dass jüngere Fälle zu
den verlorenen zu zählen sind. Hier handelt es sich eben um ge¬
waltige ev. ererbte Zirkulationsanomalien, die von vornherein jede
Aussicht auf Hebung ausschliessen.
So müssen wir in den Fällen, bei denen nach überstandenem
Schreck plötzlich Diabetes auftritt, annehmen, dass schon vorher
ein labiles Gefässystem, labile Nerven vorhanden gewesen sind, dass
schon vorher Zirkulationsstörungen vielleicht zeitweilig nur — sei es
die Langerhans’scheu Inseln sei es das Drüsengewebe geschädigt
und in ihrer Funktion geschwächt hatten. Hier genügt nun eine
plötzliche erhebliche Schwankung in dem Gefäss- und Kapillarsystem
besonders der Langerhans'sehen Inseln, um sogar dauernde
Schädigung zurückzulassen. Es wird sich eben darum handeln,
welcher für Schädigungen vorbereitete Boden sich findet, wie sehr
die Zelltätigkeit bereits der untersten Grenze des noch normalen
genähert und auf diese herabgemindert ist.
Infolge grösserer Anstrengung und Arbeit werden die vorhandenen
sehr intensiv in Anspruch genommen, können aber infolge schlechter
Ernährung schon die normale Arbeit schwer bewältigen, geschweige
denn die jetzt immer grössere.
Meine Herren! ich habe ganz willkürlich einige Fälle quasi als
Beispiel herausgegriffen, um Ihnen an der Hand derselben diese meine
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Theorien und Anschauung auch praktisch zu entwickeln und zu be¬
gründen. Und so lassen sie mich denn zum Schluss resümieren.
Vergleichbar dem intermediären Gallenkreislauf, ähnlich den
Vorgängen bei der Neutralisierung der Salzsäure im Darm, bei der
einmal reflektorisch vom Magen aus die Pankreasdrüse zur Arbeit
angeregt wird, — zweitens aber bei Berührung mit der Darmschleim¬
haut ein Körper „Sekretion“ gebildet wird, der vom Blut aufgenommen
dem Drüsengewebe des Pankreas zugeführt wird l ) — so ißt auch die
Sekretion der Langerhans’schen Inseln auf zweierlei Wege zu er¬
klären. Einmal meldet bei Kohlehydrataufnahme eine nervöse Leitung
die notwendig werdende Abgabe von ihrem Sekret an die Kapillaren
und die Leber. Auf der anderen Seite trägt der Blutstrom selbst durch
seine eigenartige Anordnung in Netzwerk ähnlich der Glomeruli und
dadurch dauernde Umspülung der iDselzellen zur „Ferment“-bildung
wesentlich bei.
Die Stellung des Pankreas zur Leber vergleiche ich mit der des
Ovariüm zum Uterus: in beiden sehe ich übergeordnete Organe, die
dauernd ihren Einfluss auf das andere ausüben.
Erst durch das „Insel“-ferment vermag die Leber die Glykogen¬
bereitung vorzunehmen. Bei Sekretionsstörung verliert die Leber
diese Kraft, die ihr, dank des „Stoffes“ innewohnte, und ihre Aufgabe,
— als untergeordnetes Organ — quasi als Filter zu dieuen, wird je
nach der Grösse der Störung teilweise oder ganz eingeschränkt. Zu
gleicher Zeit erhält auch der gesamte Kreislauf kein „Ferment“ mehr,
und so wird die gewaltige, sich überall ausdehnende Störung erklär¬
lich, die bei jedem Umlauf an Stärke naturgemäss zunimmt, da ja
die schädigenden Faktoren nicht sistieren. Ich denke dabei an den
bereits erwähnten und begründeten Zerfall roter Blutkörperchen; an
die Zirkulationsstörungen etc.
Das „Ferment“ stammt in aller erster Linie von den Langer¬
hans’schen Inseln. — Inwieweit bei diesem Vorgang noch andere
Organe — besonders die sog. Blutgefässdrüsen — beteiligt siud und
hierbei mitsprechen, lasse ich dahingestellt. Unbedingt nötig scheint
mir eine solche Annahme nicht zu sein. —
Trotz dieser ihrer speziellen Funktion, die am klarsten experi¬
mentell dadurch bewiesen wird, dass nach Totalexstirpation und Wieder¬
einpflanzung oder nach Abschnürung eines Pankreasstückes die
Laugerhans'sehen Inseln Testieren, während das übrige Drüsen¬
gewebe zugrunde geht, und doch der Zucker °/o (bei Wiedereinpflanzung)
sinkt, sind die Inseln doch keine selbständigen Gebilde. Sie stammen
aus dem Drüsengew'ebe, das sich stellenweise in diese Inseln umbildet,
eben um diese höhere Aufgabe erfüllen zu können. Zu diesem Be-
i) Bickel — Pawlow.
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Die Bedeutung der Langerhans’achen Inseln etc.
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hufe ist auch eine exquisite Blutversorgung in Form netzartiger
Kapillaranordnung nötig und von der Natur weise vorgesehen worden.
Es werden die Drüsenacini-Inseln, die etwa durch momentane
Schädigungen untergegangen sind, durch neu umgewaudelte ersetzt.
Wieweit hierbei gerade die zentroazinären Zellen eine führende Rolle
spielen, vermag ich nicht zu sagen; auffallend ist jedenfalls ihr
exquisiter Abschluss gegen die Sekretkanälchen. Das gibt gewiss zu
denken (s. oben).
Die Langerhans’schen Inseln haben als die widerstandsfähigere
Form des Pankreasgewebes zu gelten. Die ihnen daher speziell an¬
vertraute Aufgabe ist also dem Drüsengewebe überhaupt in weitestem
Sinne eigen. Nur tritt eine Arbeitsteilung derart ein, dass die einen
Drüsenepithelien mittelst ihrer Ansführungsgänge Sekret an den Darm,
die anderen Epithelien: Langerhans’schen Inseln die innere Sekretion
zu besorgen haben.
Da naturgemäss zirkulatorisclie Störungen als die primäre Ursache
— wie wir sie oben ausführten — auch das Acinusgewebe treffen,
so wird auch das Acinusgewebe Schaden leiden, der sich in mangel¬
haftem Erfüllen gerade jener höheren Aufgabe — Ersatz der Langer¬
hans’schen Inseln — äussert, während es die zweite Aufgabe noch
gut erfüllen kann. Die hieraus ergebenden tausendfältigen Variationen
erklären die verschiedenen pathologischen Befunde bei Diabetes, wo
bald die Langerhans’schen Inseln, bald das Drüsengewebe allein,
bald — das ist das häufigste — beide in gleichem oder verschiedenem
Masse getroffen sind. Das aber lassen die pathologischen, anatomischen
wie physiologischen Beobachtungen wohl als sicher erscheinen, dass
das Pankreas überhaupt — wie ich jetzt wohl mit Recht sagen kann
— die höchste Bedeutung für die Zuckerumsetzung und für den
Diabetes besitzt.
Die bisherigen Anschauungen von den Langerhans’schen
Inseln hat sich also etwas verschoben, die Inseltheorie ist entschieden
ebensowenig mehr als richtig anzuerkennen, wie die strenge „Granular-
atrophie. Richtig ist wohl allein die — beide Anschauungen ver¬
einende Ansicht Herxheimer’s wie ich sie Ihnen oben ausführte. —
Die Langerhans’schen Inseln erscheinen so in einem neuen Licht.
Ihrer Stelle als Eigengebilde, als besondere von der Drüse ge¬
trennte Zellkomplexe sind sie enthoben.
Sie haben eine speziellere, hochwichtige Aufgabe als Pankreas¬
gebilde überhaupt zu erfüllen.
Sie sind auserwählt aus dem gesamten Parenchymgewebe, aus
dem sie stammen, und das für ihren Ersatz dauernd sorgt, zur
höheren Funktion.
Das — meine Herren! — und damit lassen sie mich schliessen
— ist — meiner Ansicht nach — die Bedeutung der Langer-
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hans’schen Inseln. Als ein hochwichtiger und hochentwickelter Teil
der ganzen Drüse sind sie aufzufassen.
Und nur mit dieser Einschränkung anerkennen wir ihre Be¬
deutung und ihren hohen Wert für den Kohlehydratstoffwechsel.
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Bd. 63.
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Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag), Würzburg,
Demnächst erscheint die 2. erweiterte und verbesserte Auflage von:
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der
spezifischen Diagnostik und Therapje der Tuberkulose
für Studierende und Ärzte.
Von
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Oberarzt der Dr. Weicker’achen Lungen- Dirigierendem Arzte der Eisenbahn-
heil-Anatalten, Görbersdorf. Heilstätte Melsungen.
gr. 8°. ca. 12 Bg. mit 1 farbigen lith. Tafel, 19 Temperatur-Kurven auf 5 lith. Tafeln und 4 Ab¬
bildungen im Text. Preis brosch. M. 5.50, geb. M. 6.50.
Inhaltsverzeichnis: Einleitung. I. Die spezifische Diagnostik der Tuberkulose. A. AUgemeiner
Teil. 1. Die kutane Tuberkulinprobe. 2. Die perkutane Tuberkulinprobe. 3. Die konjanktivale Tuberkulinprobe. 4. Die
»ubkoUne Tuberkulinprobe, a) Wahl des Präparates, b) Dosierung bei Erwachsenen, c) Tuberkulinreaktion, d) Kontra¬
indikationen und Indikationen, e) Dosierung im Kindesalter. Stichreaktion. B. Spezieller Teil. Die Tuberkulindiagnostik
bei Lungentuberkulose, bei Kehlkopftuberkulose, in der Ohrenheilkunde, in der Augenheilkunde, in der Dermatologie, bei
Lymphdrfisen, Knochen- und Gelenk-Tuberkulose, bei Urogenitaltuberkulose, bei Tuberkulose der serösen Häute und bei
Tuberkulose in der Kinderheilkunde. II. Die spezifische Therapie der Tuberkulose. A. Allgemeiner Teil. 1. Die
Geschichte des Tuberkulins und die erste Tuberkulinära. 2. Die Tuberkulintherspie m ihrer heutigen Auffassung. 3. Grund¬
sätze und allgemeine Technik der milden Reaktion&metbode. 4. Andere Applikationsniethoden des Tuberkulins. 5. Indi¬
kationen und Kontraindikationen. B. Spezieller Teil, a) Aktiv immunisierende Mittel. 1. Tuberkulin Koch
(Alttnberkulin). 2. Neutuberkulin TR. 3. Neutuberkulin-Razillenemulsion. 4. Denys’ Tuberkulin. 4a. Landmanna
Tuberkulol. 5. Die Klebsscben Tuberkuline. 6. Beranecks Tuberkulin. 7. Spenglers Perlsuebttuberkulin-Therapie.
8 . v. Behrings spezifische Mittel. 9. Sonstige Tuberkuline nach Koch scher Art. 10. Aktive Immunisierungs-Me¬
thoden nach Jen ner-Pasteur. 11. Das Nastin. ß) Passiv immunisierende Mittol. 12. M arag I i a n os Heil¬
serum. 13. Figaris Hämoantitoxin. 14. Marmoreks Antituberkuloseserum. 15. StreptokokkenBera. III. Die spezifische
Therapie bei der Tuberkulose anderer Organe. 1. Kehlkopftuberkulose, 2. Augentuberkuloae. 3. Hauttuberkulose.
4 Drüsen-, Knochen-, Gelenktuberkulose. 5. Urogenitaltuberkulose. 6. Tuberkulose der serösen Häute. Schluss¬
betrachtungen. Literaturverzeichnis.
Die 1. Auflage flieses erfolgreichen Buches war binnen 9 Monaten vergriffen.
Die neue £. Auflage trägt den wichtigen Ergebnissen der Tuberkulose-Forschung des
verflossenen Jahres bereits Rechnung durch eine Erweiterung des diagnostischen
Teils, der durch eine farbige Tafel und vier Textillustrationen bereichert wurde, und Er¬
gänzung der Therapie nach dem neuesten Stande der Forschung. Hier wurde eine weitere
Kurve zur besseren Erläuterung angefügt.
Die Hochflut der Publikationen, die sich an die Entdeckung der Kutan- und Oph¬
thalmoreaktion knüpften, machen es dem praktischen Arzt kaum möglich, sich in dem Chaos
der verschiedenen Ansichten zurechtzufinden, daher dürfte die neue Auflage dieses Buches,
welches bereits praktische Folgerungen aus den einschlägigen Versuchsergebnissen zieht,
hochwillkommen sein und eine gleich gute Aufnahme finden wie die 1. Auflage, über die wie
folgt geurteilt wurde:
„Der Frauenarzt“: Das Buch ist für die Praxis geschrieben. Es schildert bis in das minutiöseste sowohl
die spezif. Tuberku 1 ose-Disgnos 1 1 k, wie auch die sachgemässe, bis in alle Einzelheiten präzise Anwendung der
Tuberkulin-Therapie. Ausser den Kochschen Präparaten werden auch alle anderen spezif. Tuberkulose-Mittel und
ihre Verwendung bei sämtlichen Tuberkulosclokalisationen im menschlichen Organismus eingehend besprochen. In dieser
Beziehung steht das Buch bisher einzig da. Die iebendig-fliessende Sprache, eine an allen Ecken einsetzende
Selbstkritik und die überzeugenden objektiven glücklichen Erfolge werden das ihrige tun, dem Buche zu der ihm ge¬
bührenden, ausgedehnten Verbreitung unter den praktischen Ärzten zu verhelfen.
„Medizinische Klinik“: Dieses Buch wird vielen willkommen sein, da es so genaue Vorschriften über die Technik
der spezifischen, diagnostischen und therapeutischen Methoden gibt, dass sich mit Leichtigkeit darnach arbeiten lasst. Es
sind alle bisher bekannten Tuberkuline und sonstigen spezifischen Mittel berücksichtigt. Im Vorder-
rund steht natürlich die heute vorwiegend geübte milde, reaktionslose Tuberkulintherapie. Die Ausstattung ist vorzüglich.
gcz. Gerhartz.
Deutsche Mediz.-Zeitung: ,,Referent möchte an dieser Stelle an die praktischen Ärzte die Aufforderung richten,
die Mühe geeigneter Vorbereitung, die durch Benützung des vorstehenden Lehrbuches sehr erleichtert
»ird, nicht zu scheuen und die spezifische Diagnostik und Therapie selbst auszuüben.“ . . . gez. Thorner.
„Medico“: „Umfasst alles, was bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft für die praktische Anwendung
bei der spezifischen Behandlung tuberkulöser Auktionen in Betracht kommt, so dass es sich als ein zuverlässiger
und brauchbarer Führer durch das Gebiet bewähren wird.“
Zeitschrift f&r Bahnärzte: „Ein mit grossem Fleiss und strenger Kritik geschriebenes Lehrbuch.“
gez. Hager, Magdeburg.
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Physiologie.
Strauss, Gicht.
Riedinger, Beinbrüche.
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Bollenhagen, Anwendung des Kolpeurynters.
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Starck, Erkrank, der Speiseröhre. (Doppelheft.)
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des Magens.
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Dieudonne, Hygien. Massregeln bei ansteckende«
Krankheiten. (Doppelheft.)
v. Boltenstern, Darmverschluss.
Hasslauer, Hysterische Stimmstörungen.
Polano, Magenkrebs und Geburtshilfe.
Neter, Chron. Stuhlverstopfung im Kindesalter.
• Band V.
Seifert, Nebenwirkungen der Arzneimittel II.
Schilling, Wurmfortsatz. (Doppelheft.)
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Geigel, Die neuen Strahlen in der Therapie.
Maas, Entwickelung der Sprache des Kindes.
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Reinhardt, Malaria. (Doppelheft )
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Magen • Darmerkrankungen.
Riedinger,. Über Schlottergelenke.
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Hödlmoser, Das Rückfallfieber.
Manninger, Heilung lok. Infektionen nt. Hyperämie.
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Klatt, Ätiologie u. Therapie d. Geienkrheumatisa*
v. Boltenstern, Über Morbus Basedowii.
Jessen, Indikationen u. Kontraindik. d. Hochgebirf*
Band VII.
Gerhardt, Neuere Gesichtspunkte für Diagnose
und Therapie der Nierenkrankheiten.
Kehrer, Der plazentare Stoffaustausch in seiner
physiol. uni pathol. Bedeutung. (Doppelbett.
Schlagintweit, Über Cystitis.
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offenbaren Rückenmarks- u.Gehirnkrankheitea.
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Goldberg, Die Blutungen der Harnwege.
Lüdke, Diagnostische u. therapeutische Verwer¬
tung d. Alttuberkulins I. d. internen Praxis.
Hasslauer, Das Gehörorgan und die akuten In¬
fektionskrankheiten.
Bökelmann, Epilepsie und Epilepsiebehandluag.
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Von
Dr. Heinrich Offergeld,
Frankfurt 8. M.
Als den bevorzugten Weg für die Ausbreitung eines Krebses im
Tierkörper haben die Lymphbahuen zu gelten, indem das Epithel als
massgebender Bestandteil in die sich bildenden Lücken und Spalten
hinein wächst (Ribbert 1 ) und in Folge seiner enormen I^roliferations-
fähigkeit durch den steigenden Druck das umliegende Gewebe zu
Grunde richtet, wobei jedoch das gleichzeitig wuchernde Bindegewebe
das Gerüst liefert. Der Grund für diese Bevorziehung des Binde¬
gewebes von Seiten der Karzinome, dem von seiten der Sarkome die
gleiche Vorliebe für das Gefässsystem gegenüber steht, ist nach den
interessanten Ausführungen von Borst 2 ; in chemisch-physikalischen
Bedingungen zu suchen; die Sarkomzellen suchen als Derivate des
Bindegewebes die dem Blutstrome zugekehrte Fläche der Ernährungs¬
territorien auf, die Abkömmlinge des ektodermalen Keimblattes, die
Karzinomzellen, dagegen die entgegengesetzte Fläche, wie ja auch
physiologischer Weise echte Epithelien nie den Blutgefässen auf sitzen,
sondern es stecken die epithelialen Parenchyme in den Lymphräumen.
Von anderen Autoren wird die gleiche Ansicht ausgedrückt, wenn
sie sagen, dass die Karzinome das ihnen kongeniale Lymphgewebe
leichter durchwüchsen als die Sarkome, welche dem bindegewebigen
ßlutgefässsystem näher ständen.
Es sind also die präformierten Lymphräume des Bindegewebes
die Marschstrassen, auf denen teils kontinuierlich, teils diskontinuier¬
lich die Verschleppung der Zellen durch die Vasa efEerentia in die
regionären Lymphdrüsen stattfindet; hier werden sie wie alle korpus-
kulären Elemente in dem Lymphsinus und Retikulis zurückgehalten,
1) Ribbert, Allgemeine Pathologie, Leipzig 1901.
2 ) Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Wiesbaden 1902.
WOrzburger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 12. 21
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292
H. OfFERGELD,
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vermehren sich und gelangen vermittelst der den Sinus durchziehen¬
den Kapillaren und kleinsten Venen in die Follikel und Follikulär-
stränge. Dort richten sie dank ihrer grossen Wachstumsenergie das
Lymphdrösengewebe zu gründe in kurzer Zeit; die Lymphozyten
werden zur Seite geschoben oder gleichfalls zerstört. Eine Zeitlang
verhalten sich die Zellen des Bindegewebes und Retikulum, sowie die
Endothelien passiv; später jedoch entfalten sie sich zusammen mit
dem fibrillären Bindegewebe zu einem Geschwulststrome oder bilden
durch Wucherung ein massiges Stützwerk; dabei findet aber keines¬
wegs eine „maligne Degeneration“ oder Umwandlung der Zellen der
Lymphdrüsen in die des Tumor statt. Solche Lymphdrüsen sind
vergrössert und zeigen gräulich-rote Herde auf dem Durchschnitte;
mitunter sind sie auch schon ganz in die Geschwulstmasse aufge¬
gangen oder zeigen regressive Veränderungen (Verfettung und Ver¬
kalkung). Sekundär wird die Kapsel ergriffen durch einen Durch¬
bruch von Geschwulstzellen, welche sich nunmehr vor allem in den
periglandulären und perivaskulären Lymphräuraeu ausbreiten (Abel 1 ,
Landau 1 ). Dann geht es auf zwei Wegen zur nächsten Drüse; ent¬
weder wuchert das Karzinom im Bindegewebe jetzt weiter bis zur
nächsten und wird nach Zerstörung des Randsinus durch dis Lymphe
selbst direkt-einer Vene zugeführt, oder die Zellen des Tumor wer¬
den, wie das meist geschieht, durch die Vasa efferentia aus dem Be¬
reiche dieser Lymphdrüse in die Bahnen der nächst böhern geführt
Strittig ist es bislang, ob dieses Weiterverbreiten sich in unuuter-
brochener Weise vollzieht oder nur sprungweise geschieht, oder ob
beides Vorkommen kann. Dieses Spiel wiederholt sich bei den näch¬
sten Drüsen, und die Nachbarn verschmelzen nach Durchbruch der
Membrana propria zu Drüsenpaketen.
Diese Filtration von Tumorzellen, besser übrigens elektive
Retention genanut, leisten nur die intakten regiouären Lymphdrüsen;
sind diese jedoch durch frühere pathologische Prozesse (induratiou,
Obturation, Obliteration, Authracosis) verändert, so lassen sie diese
passiereu, und das verschleppte Material haftet erst an der nächsten
Etappe, ein Umstand, der für den Erfolg unserer Therapie von der
grössten Wichtigkeit ist. Anderseits können aber auch die regionären
Lymphdrüsen geschwellt sein, ohne dass sie Karzinom enthalten, z. B.
als Folgen der eben erwähnten Noxen oder bei ulzeriereuden und
infizierten Krebsen durch bakterielle oder autolytische Prozesse.
Während makroskopisch die Unterscheidung dieser Zustände schwer
sein kann, liefert uns die mikroskopische sofort den Entscheid; im
ersten Falle findet man die aktive Hyperämie mit Zerfall der Blut-
i) Abel, Arch. f. Gynäkol. Bd. 38.
a ) Landau, Arch. f. Gynäkol. Bd. 38.
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3]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
293
körperchen and fettigem Detritus im Sinus, im letztem sind in allen
Bahnen die Karzinomzellen anzutreffen, besonders wenn es sich um
den Zustand der sogenannten karzinomatösen Lymphangitis handelt,
wobei die feinsten Verzweigungen des regionäreu Lympbsystemes mit
Epithelien angefüllt sind (Borst, 1. c.).
Diese Verhältnisse sind von Seelig 1 ) direkt beim Uleruskarzi-
nom beobachtet worden; er fand sowohl in dem ausgedehnten Kanal¬
system das Vorwärtsschieben von Karzinomsträngen in den präfor-
mierten, mit Endothel ausgekleideten Lymphsträngen, teilt aber auch
ebenfalls mit, dass gelegentlich sehr lange die Kapillaren völlig intakt
zwischen den Karzinommassen hindurchziehen. Wir haben den Grund
für diese3 merkwürdige Verhalten in der Ausbreitung des Karzinomes
in den Lymphspalten in verschiedenen Ursachen zu erblicken. Ab¬
hängig ist die Schnelligkeit von der Ausdehnung und Weite des
Lymphsystemes und der Schnelligkeit des Lymphstromes; daher die
rasche Verbreitung aller, besonders der genitalen Karzinome in der
Gravidität sowie Puerperium und die lange Stabilität im Senium; so
erklärt sich auch die raschere Propagation bei ulzerierenden Krebsen.
Was nun die Lymphwege des Uterus und seiner Adnexe an-
geht, so wissen wir dank vorzüglicher Arbeiten hierüber ziemlich
Genaues. Von einzelnen unerheblichen Meinungsverschiedenheiten
abgesehen, steht fest, dass von der Portio eine Lymphstrasse durch
die Cervix in der mittleren und äusseren Muskelschicht zum Korpus
läuft, von wo abgehend kleine Lyraphkanüle den Fundus quer durch¬
setzen und in die perivaskuläreu Lymphgefässe und in der mittlern
Schicht des Myometrium in die parainetranen Lymphbahnen ein¬
münden. Diese Strasse hat Seelig zuerst in seiner Monographie
beschrieben; ich faud sie einmal in Form der karzinomatösen
Lymphangitis der Cervix und des Corpus bei primärem Portiokarzi¬
nom befallen und habe sie im XXII. Bande der „Monatsschrift
für Geburtshülfe und Gynäkologie“ auf Seite 542 genauer beschrieben.
Erst in den weiter fortgeschrittenen Stadien, nach Infiltration des
prävesikalen Gewebes, kommen die Lymphgefässe in Betracht, welche
entlang der Arteria uterina zu den iliakalen Drüsen führen, die be¬
kanntlich am Teilungswinkel der Arteria iliaca communis auf der Linea
arcuata interna liegen.
Von der Cervix laufen die Lymphstrassen entlang den Gefässen
in proximaler Richtung und in das Parametrium, weniger wichtig
sind die im Myometrium dahinziehenden; alle diese ergiessen sich
in die hypogastrischen Drüsen 2 ) 4 ). NachSappey 4 ) soll vom Kollum
i) Seelig, Dissertation. Strassburg 1894 und Arch. f. patb. Anat. Bd. 130.
*) Poirier, Progrfes mödical. 1889.
3) Brulins, Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abt. 1898. S. 57.
*) Sappey, Anatomie, Physiologie, Pathologie des Vaisseaux lymphatiquea.
Paris 1874. Kditenr: Delahaye.
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294 H. OFFERGELD, [4
Uteri ein Lymphgefäss zu einer Drüse hinziehen, welche zwischen
der Art. iliac. interna und dem Kreuzbein liegt.
Neben der schon erwähnten von der Portio herkommenden
Strasse ist besonders die Verbindung mit dem ovariellen Lymph-
gebiete beachtenswert. Es gehen vom Korpus zunächst 2—3 Stränge
zu den hypogastrischen Drüsen, ferner von Fundus gewöhnlich 2—3
eigene Bahnen am oberen Rande des Lig. latum in der Tasche
zwischen Tube und Ovarium, woselbst sie mit dem reichen Lymph¬
system der Adnexe zahlreiche sinusartige Anastomosen eingehen; von
dort setzen sie sich entlang der Arteria spermatic. interna nach oben
zur Wirbelsäule fort und ergiessen sich in die lumbalen Drüsen,
welche am untern Nierenppl iu der Nähe der grossen Gefässe zum
Teil retroperitoneal liegen; weiterhin vom Fundus entlang des Lig.
rotundum zu den inguinalen Drüsen, die jedoch meist bei Korpus-
karziuom frei bleiben oder erst nach Perforation des Fundus er¬
kranken, während ihre Mitbeteiligung bei Kollumkarzinom sich
häufiger schon in früheren Stadien findet. Die so wichtige Lymph¬
strasse vom Korpus zum Ovarium soll nach Schauta’s Angaben
so gut wie gar keine Anastomosen mit dem ovariellen Netze ein¬
gehen in der Gegend des Eierstockes, so dass letzteres Organ so
ziemlich geschützt sei vor der gleichen Erkrankung bei Uteruskarzi¬
nom; Schauta’s Angaben jedoch werden in den eben zitierten
Publikationen von Poirier und Sappey, sowie neuerdings von
Funke*) verworfen.
Über das wechselseitige Verhalten von Uterus- und Ovarial-
karzinom ist ziemlich viel geschrieben worden; Anlass, an Hand der
Literatur dieser Frage näher zu treten, fand ich durch den Fall V
meiner im ,Archiv für Gynäkologie“ enthaltenen Abhandlung: „Über
die Histiologie der Adenokarzinome im Uterus fundus“ Bd. 78 Heft 2;
wie alle übrigen entstammt auch er dem reichen Materiale der
A mann'sehen Klinik in München (siehe Seite 19 der Abhandlung),
nicht wie etwa der fälschliche Vordruck Glauben macheu könnte der
ehemaligen Winckol’schen; mit dieser haben sie nichts zu tun.
An Hand dieser Aufstellungen (cf. Literaturnachweis) ergibt sich,
dass bislang in grösseren Statistiken, welche sich aus klinischem und
anatomischem Material zusammensetzeu, unter 1520 Fällen von Uterus¬
karzinomen, 106 mal, also in 7 °/ 0 gleichzeitig ein Ovarialkarzinom sich
vorfand. Littauer 2 ) hat an kleinerem, nur anatomischem Materiale
15°.' 0 ausgerechnet; einschliesslich der einzelnen kasuistischen Mit¬
eilungen sind in der Weltliteratur bei 1635 Uteruskarzinome in
221 Fällen gleichartige Ovarialveränderungen niedergelegt. Diese
J) Funke, Dissertation. Tübingen 1902.
2 ) Littauer, 1. c.
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5]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
293
Zahlen an sich beweisen schon, dass von Zufall keine Rede sein
kann, sondern dass diese Veränderungen in einem Abhängigkeits¬
verhältnis von einander stehen. . Als multiple Primärtumoren sind
diese Fälle zum Teil von Zweifel 1 ), Mercanton 2 ) und Wehner 3 )
gedeutet worden. Die scharfe Forderung, welche Billroth und
später Küstor-Michelsohn 4 ) für die Existenz multipler Karzi¬
nome aufstellten, nämlich 1. Verschiedenheit des histiologischen
Baues, 2. Ableitung von der lokalen Matrix, 3. eigene Metastasen
jedes Tumors, sind zu eng umgrenzt, denn wir wissen, dass sich
verschiedene Tumoren völlig gleichen können, dass in den ausge-
reifteren Formen die Ableitung von der epithelialen Matrix unmög¬
lich sein kann und zuletzt die Metastasen sich differenzieren können,
indem sie sich höher entwickeln oder auf einfachere Stufe zurück¬
gehen. Wenn auch erfahrungsgemäss multiple Karzinome ganze
Organsysteme oder symmetrische Organe bevorzugen, so tritt auch
ebenso mit Vorliebe die Metastase in solchen auf, weil sie dort be¬
sonders günstige Existenzbedingungen findet. Hansemann 5 ) schreibt
dazu: „Auch ist wahrscheinlich, dass Metastasen mit Vorliebe in jenen
Organsystemen sich lokalisieren, in welcher die Primärgeschwulst
sitzt; vielleicht sind mehrere Fälle von scheinbarer Multiplizität von
Geschwülsten so zu deuten.“
Erkennen wir daher ein Abhängigkeitsverhältnis an, so ist ohne
Zweifel in den meisten Fällen das Uteruskarzinom der Primärtumor;
das genuine Karzinom des Ovarium macht nach Wendeler 6 ) meist
auf der Serosa Metastasen, solche in entfernten Organen sind selten.
Im Uterus sitzen die Knoten subserös wie im Myometrium oder auf
der Mukosa. Weniger der Sitz und die Ausbreitung des Karzinoraes
im Uterus ist entscheidend hierfür, als vielmehr das klinische Ver¬
halten ; alle primären Uteruskarzinome gehen mit verschieden ausge¬
prägten Metrorrhagien einher, worauf Amann 7 ) noch neuerdings
aufmerksam machte; die Ovarialkarzinome aber eher mit geringerer
Blutung, wenn keine uterine Komplikation besteht.
Es ist auffallend, mit welcher Hartnäckigkeit sich die Irrlehre
von der Seltenheit der sekundären Ovarialkarzinome hat behaupten
können. Schon Wagner schrieb in seiner bekannten Monographie,
dass die Ovarien bei Uteruskarzinomen meist atrophisch seien, fährt
i) Z.weifel, Zentralbl. f. Gynäkol. 1991. S. 68.
*) Mercanton, Revue mddicale de la Suisse romande 20 mars 1893. p. 173.
3) 'Wehner, Dissertation. Würzburg 1894.
<) Michelsohn, Dissertation. Berlin 1889.
5 ) Hansemann, Die mikroskopische Diagnostik bösartiger Geschwülste.
6) Wendeier, In Martin’s Handbuch: Krankheiten der EierstOcke und
NebeneierstOcke. Verlag von Georgi, Leipzig 1899.
?) Amann, Münch, med. Wocbenschr. 1905. Nr. 50. S. 2414.
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296
H. OFFERGKLD,
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aber dann fort: „Der Ovarialkrebs kommt nicht selten vor nach
Uteruskrebs. Am häufigsten findet er sich in den Fällen, wo auch
.der Uterusgrund krebsig infiltriert ist (also wahrscheinlich als fortge¬
leiteter Krebs); seltener kommt er bei Freisein jenes vor (sekundärer
Krebs). Er kommt am häufigsten als Markschwamm, etwas häufiger
beider Eierstöcke vor, seltener betrifft er nur eins, seltener als Zysten¬
oder Alveolarkrebs. Selten findet eine Kommunikation des perforierten
karzinomatösen Ovar mit dem Scheidengewölbe statt.“ Kroemer 1 )
und Schmauss*) erachten die Beteiligung der Eierstöcke als sehr
selten; ähnlich äussert sich Zahn, 8 ) und Lecornu 4 ) sagt: „le double
cancer des ovaires est une lesion assez rare.“ Zuerst hat Reichel
(1. c.) die Kombination von Karzinom des Uterus und der Ovarien
ohne weitere Metastasenbildung für häufiger angesprochen als bislang
vermutet wurde und daraufbingewiesen, dass wahrscheinlich die ersten
Metastasen irgend eines vom Endometrium entstandenen Karzinomes
sich in den Eierstöcken lokalisieren. Bei Niederschrift der ersten
Auflage des Veit’schen Handbuches sagte noch Pfannenstiel,
welcher die Ovarialerkrankungen in diesem Werke bearbeitete, dass
die hämatogene oder lymphogene Verschleppung von Karzinom-
partikelclien zu den Ovarien zu den Seltenheiten gehöre, dass sie
„noch am ehesten entstehen bei Karzinom des Corpus uteri uud zwar
nuf lymphatischem Wege“; Pfannenstiel hat dann auf dem Kieler
Kongress seine Ansicht in Bezug auf dieses seltene Vorkommen ge¬
ändert.
Müssen wir also bei dem Utoruskarzinom uns mit der Tatsache
abfinden, dass schon in frühem Stadium in einem gewissen Prozent¬
sätze der Fälle die Ovarien von der gleichen Erkrankung befallen
sind, so erübrigt es sich, die Wege zu betrachten, auf welchen sich
der Prozess verbreitet.
In dem Endstadium der Karzinomausbreitung kann gelegentlich
durch Infiltration des Parametrium das Ovarium sekundär karzinoma-
tös erkranken (Wandeier 1. c., Jayle-Papin 1. c.); das sind natür¬
lich inoperable Fälle im terminalen Stadium, die nicht weiter beachtet
werden. Schon früher, besonders bei primären Korpus- oder hoch-
sitzenden Cervixkarzinomen, kann eine Beteiligung des Ovarium durch
die karzinomatös erkrankte Tube erfolgen. Dieser Weg war Kiwisch
und Wagner schon bekannt; ersterer fand für Süddeutschland bei
Uteruskarziuom die direkte Beteiligung der Adnexe durch Kontinuität
1) Kroemer, Archiv f. Gynftkol. 1902. Bd. 65. S. 654.
2 ) Schmauss, Grundiiss der patho). Anatomie. Verlag von Bergmann. Wies¬
baden 1902.
s ) Zahn, Vircbow's Arch. 1869. Bd. 117. S. 80.
*) Lecornu, Bulletin et mdmoire de la socidtö anatom. de Paris. Tome 77.
1902. S. 46.
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7]
Üvarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
297
des krankhaften Prozesses in 25°/o, letzterer für Norddeutschland in
ca. 5%. Wagner (1. c.) beschreibt ihn genauer: „Krebs der Tuben
kommt selten vor. Er findet sich meist nur bei gleichzeitiger Infil*
tration des Uteruskörpers öfters beiderseits als nur einerseits und ist
in seltenen Fällen von praktischer Bedeutung, wie bei eintretendem
Zerfall und Perforation des Peritoneum.“ Heutzutage bekommen wir,
dank der frühzeitigen Diagnose und radikaler Behandlungsweise, kaum
je noch solch’ fortgeschrittene Fälle zur Beobachtung. Auch hierbei
handelt es sich gewöhnlich um die Ausbreitung des Karzinomes in
den Lymphstrassen, welche vom Korpus zur Tube hinziehen und erst
bei weiterem Fortbestände um das Aufgehen des Eileiters selbst in
dem karzinomatösen Prozess. Ohne Zweifel sind mehrere der in der
ersten Tabelle von Kiwi sch und Wagner mitgeteilten Fälle durch
direktes Weiterwuchern des Karzinoms auf die Adnexe zu erklären.
Die Ansicht, dass die Karzinomzellen, aus dem Uteruscavum, also
besonders bei Korpuskarzinom durch das offene Tubenlumen zum
Ovarium gelangen (Gebhard 1 ), ist durch keine Annahme zu stützen,
eher kann wohl einmal gelegentlich bei primärem Ovarialkarzinom
sich eine Metastase in der Uterusmukosa nach Analogie der multiplen
Karzinome des Intestinaltraktus von den oralen in die distalen Partien
ausbilden, wie Reichel 1 * * ) sich ausdrückt nach der Art des befruchteten
Eies. Aber auch hier handelt es sich meist um lymphogenen, retro¬
graden Transport. Zwei solche Fälle hat v. Franquö 8 ) mitgeteilt, wo
ein Tubeukarzinom Metastasen im Uterus setzte; das Umgekehrte ist
bislang noch nicht einwandsfrei nachgewiesen. Wenn wir diese Fälle,
durch einfache Kontinuität der Erkrankung entstanden, ausser Rech¬
nung lassen, so müssen ausser den Publikationen von Lebert,
Kiwisch und Dittrich noch folgende Nummern ausfallen: Nr. 14,
15, 22, 28, 29, 38, 45,100, 109, 118. Anderseits sind aber auch die Mit¬
teilungen beachtenswert, wo die karzinomatöse Erkrankuug von Tube
und Ovarium auf verschiedener Seite lagen, Fall Nr. 1 und 38 (Ca
beider Oyarien und der rechten Tube) und Fall Nr. 13, wo die rechten
mit dem Uterus verwachsenen Adnexe frei von Ca waren, während
das anscheinend normale, bewegliche, linke Ovar karzinomatös er¬
krankt war.
Dann bleiben noch zwei Wege übrig, auf welchen das Uterus¬
karzinom sich dem Eierstocke mitteilen kann; der erste ist der durch
Vermittelung des Blutes. Dieser wird von den meisten Autoren, meiner
1) Gebhard, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. S. 576.
2) Reichel, Zeitachr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 15 S. 854.
s ) v. Franqud, Verhandlungen der deutscheu gynäkologischen Gesellschaft
Giessen. 1901.
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H. 0FFER6ELD,
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Ansicht nach auch meistens mit Recht, verworfen. Kraus 1 * 3 ) bemerkt,
dass die Gesetzmässigkeit, mit welcher die sekundären Ovaria] karzinome
auftreten, eine allzugrosseist. Jayle-Papin*) dachten zunächst an
venöse Embolien, vermochten jedoch in keinem Falle hierfür den
anatomischen Beweis zu erbringen; den gleichen Gedanken äusserte
Hennig in der Diskussion zu Littauers Vortrage (1. c.). Die
Venen des Uterus und Ovarium vereinigen sieh nach Schauta 8 )
jedoch erst gewöhnlich oberhalb des kleinen Beckens, während die
von diesem beschuldigten arteriellen Gefässe die Vermittler abgeben
sollen; Schauta leugnet ja bekanntlich die Anastomosen der Lymph-
gefässe von Uterus und Ovarium. So bleibt also nur noch der
lymphogene Weg übrig auf der Eingangs geschilderten von der Portio
zum Fundus und von dort entlang der Tube zum Ovarium hinziehen¬
den Bahn. Für diese haben sich die meisten Autoren entschieden,
so Buday 4 ), Pfannenstiel 5 ), Gebhard 6 ), Funk 7 ) und Zweifel 8 );
Jayle-Papin (1. c.) gelang in seinem publizierten Falle der Nach¬
weis, dass die Ca-Zellen sich in dieser Bahn bis zum Ovarium hin¬
bewegten, während anscheinend dieses Organ makroskopisch noch
ganz gesund war.
Von den mitgeteilten 121 Einzelbeobachtungen sprachen diese
Ursache ausser mir Funk, Kleinhans, Winkel, Reichel und
Littauer an, während Goodhart, allein die Erkrankung durch
die offenen Tube fortschreiten lässt, und Kleinhans in seinem
zweiten Falle den hämatogenen Weg beschuldigt.
Interessant ist die Tatsache, dass Wendeier, (1. c.) der übrigens
theoretisch die verschiedenen Möglichkeiten zulässt, auch des retro¬
graden lyphogenen Transportes von Zellen bei primären Ovarialkarzi-
nom in den Lymphstrassen von dem Uterus nach den Adnexen zum
Corpus uteri hin gedenkt.
Nach Abzug der zehn zweifelhaften Fällen restieren also nach
111 sichere Einzelbeobachtungen. Die allgemeine Absicht geht dahin,
dass Metastasen bei Uteruskarzinom relativ selten sind und meist erst
in den vorgeschrittenen Fällen sich einstellen; im Vergleich zur
Häufigkeit der Metastasenbildung bei den Krebsen des Intestinaltraktus
und der Mamma ist dieser Satz richtig, jedoch ist auch beim Uterus-
1) Kraus, Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie. Bd. 14. 1.
1901. S. 1.
2 ) Jayle-Papin, Revue de gyndcologie. Tome VIII, 6. D6c. 1904. S. 939.
3) Schauta, Lehrbuch d. Frauenkrankh. Verlag Yon Braumüller. Leipzig-
Wien 1906.
Buday, Zeitschrift f. Krebsforschung. 1907. Bd. 6, 1. S. 1.
5) Pfannenstiel, in Veit’s Handbuch d. Gynäkologie.
6) Gebhard, Berliner geburtshilfliche Gesellschaft. 14. Febr. 1890.
") Funk, Dissertation. Tübingen 1902.
8) Zweifel, Zentralblatt f. Gynäkologie. 1891. S. 69.
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9]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
299
karzinom dieser Vorgang häufiger als allgemein angenommen wird.
Freudenberg 1 ) glaubt die Ursache für das relativ lange Stationär¬
bleiben der Uteruskarzinome im anatomischen Verhalten der Blut-
und Lymphgefässe erblicken zu dürfen, indem ihre mannigfachen
Biegungen und Verzweigungen einer raschen Metastasenbildung
hinderlich sind, da abgerissene Partikelchen leicht zurückgehalten
werden. Wiewohl Winter das Vorkommen von Metastasen in
inneren Organen bei Corpuskarzinom nach nicht wesentlich verschie¬
denen Grundsätzen wie beim Collumkarzinom gelten lässt, hat schon
Gebhard 2 ) auf die besonders häufige Beteiligung der Ovarien hin¬
gewiesen.
Zahlengemäss hat Littauer (1. c.) allein dieses Verhältnis, aus¬
gedrückt; unter seinen 14 Fällen fand er zwölfmal das Corpus und
nur zweimal das Collum karzinomatös erkrankt; diese Ziffer steht
umgekehrt proportional zur Beteiligung der einzelnen Uterusabschnitte
am Karzinom, nur 6°/o aller Uteruskarzinome sitzen nach Gebhard 2 )
im Corpus. Vergleichen wir die beiden Tabellen in dieser Abhand¬
lung, so ergibt sieb folgendes; es fanden
Buday: Unter 158 Sektionen von Uteruskarzinom 7 Ovarial-
karzinome; der primäre Uterustumor sass zweimal im Corpus und
156 mal im Collum.
Haenisch: Unter 31 klinischen Fällen von Uteruskarzinom
24mal den Herd im Collum und 7mal im Corpus; die ovarielle
Metastase wurde bei primären Portiokarzinom beobachtet.
Von den 111 Einzelbeobachtungen der sekundären Ovarialkar-
zinome sass der primäre Uterustumor in
der Portio.= 12 Mal
„ Cervix.= 11 „
dem Corpus.= 47 ,,
„ Collum.= 22 „
„ Collum und Corpus =22 ,,
Unbestimmt wo . . = 7 „
Es ergibt sich daraus von selbst das Überwiegen der Corpuskarzinome,
welche, wenn man nur zwischen Collum- und Corpuskrebsen unter¬
scheidet, allein 50°/o ausmachen, also erst recht umgekehrt proportional
der Zahl der Erkrankungen sind.
Dass die Ovarien schon relativ früh beim Karzinom des Uterus
erkranken können, lehrt ebenfalls eine Durchsicht der letzten Tabelle.
Nehmen wir zuerst einmal das Verhältnis der erkrankten Drüsen an,
so ergibt sich, soweit die Autoren hierüber Mitteilung machen, dass
>) Freudenberg, Dissertation. Leipzig 1906.
2) Gebhard, Pathologische Anatomie der weiblichen Sexualorgane. Verlag
Uirzel. Leipzig 1899.
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300 H. OFFERGELD, [10
nur im Falle 109 sicher keine erkrankt waren. Sonst fanden sich
geschwollen:
Sitz des
Karzinoms
Lumbal¬
drüsen
Fall Nr.
Inguinal¬
drüsen
Fall Nr.
Iliakal-
drüsen
Fall Nr.
retroperi-
toneale
Drüsen
Fall Nr.
Drüsen
zwischen
Uterus und
Rektum
Fall Nr.
Bronchial¬
drüsen
Fall Nr.
Ductus
thoracicus
Fall Nr.
Portio
70, 75
_
70, 75
70, 75,116
_
_
_
Cervix
105, 113
—
103, 105
113
105, 113
Corpus
139.
78, 79,66
67
39,78,79
11,16,39
66, 79
67
i
67
Kollum
15, 24, 32
43,112,117
14
14,43,112
117
14,30,43
112, 117
30
!
—
Eollum et
Corpus
17, 31, 58
2Lig. ro*
tUD().
17,33,84
44
17,20,27
33,3t, 44
i
I
Hinsichtlich der Beteiligung des Peritoneums machen die Autoren
folgende Angaben. Es finden sich bei der Autopsie teils in viva
teils post mortem 13 mal diffuse Knötchen auf dem serösen Überzüge
der Därme und dem parietalen Blatte von Stecknadelkopfgrösse an,
während die eigentliche diffuse karzinomatöse Peritonitis nur in den
Fällen No. 22 und 42 beobachtet wurde; hier waren Corpus und
Collum iu die Neubildung aufgegangen. Audral fand am Magen
eine scirrhöse Induration. Wenn Blau (1. c.) allein imstande ist
3 mal bei 2 Collum und einem Corpuscollumkarzinom Perforations¬
peritonitis zu verzeichnen, so erklärt sich diese Tatsache dadurch,
dass er nur Sektionsmaterial verarbeitete, an welchem vorher keine
redenswerten therapeutischen Eingriffe unternommen waren. Die
beiden anderen Fälle von Perforation des KaVzinoms in die freie
Abdominalhöhle entstammen anderen Autoren; auch hierbei handelte
es sich je lmal um ein Karzinom des Corpus-Collum und des Fundus
uteri; man sieht also auch hier wieder die grössere Tendenz der
Collumkarzinome in die ungeschützte Bauchhöhle einzubrechen; nur
lmal wurde von Blau bei einem ulzerierten Collumkarzinom eitrige
Peritonitis beobachtet. Als interessante Mitteilung wäre noch der Fall
No. 47 zu erwähnen, wo die Ovarien von der Neubildung zwar ver¬
schont blieben, jedoch um die Adnexe sich eine adhäsive, spezifische
Peritonitis ausbildete, wodurch die Adnexe mit der Nachbarschaft
verklebten; es teilt aber leider Dybowski (1. c.) nicht mit, ob
mikroskopische Untersuchung stattfand, so dass immerhin die Möglich¬
keit hier vorliegt, dass es sich um eine einfache, entzündliche Perisal¬
pingitis und Perioophoritis in seiner Beobachtung handeln kann.
Was fernerhin die Perforationen in die Nachbarorgane angeht,
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11 ]
Ovamlkarttio.wri bei Karzinom des Üteras.
301
meisten' denr Materiale Oert^lhologiseben Anatomen, eiitstsmineu; nur
Ri eck p; cd ist in sainehF Falle No. 94 der Einzige-, welcher eine
künischs Beobachtung bringt.
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88; >7 23,49
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Ais letzter Punkt wäre hier die Metastasenbilduug auf Mmaro-
genern Wege m .'erwähnen, die ja bekanntlich-heit» Kmku>m des
aehr viek Fülle uns erst von den Obduzenten mitgeteilt wurden, '-«4
dass zum grossen Teil dieses Material in die Reiht dei tödlich enden Jeu
Fälle, gehört t-m nicht den Anschein zu erwecken als wäre die Meta.-
gtiiJLseahildtitig hier sehr hiftifig, lasse ich in den emzelneii Rubriken
• he Zahlen dvt Fülle folgen, 'da öfters sieh in mehreren Organen
giOeluehig .Metastasen linden
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Original fr&m
5ÜTY OF MICHIGAN
302
H. OFFERGELD,
[12
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Es waren also Metastasen aufgetreten von den:
Leber
j L ngen
Peri¬
toneum
:
Vagina
i
j Nieren
12 Portio-Karzinomen 6 mal und zwar in
3 mal
j
_
_
1 mal
11 Cervix- „ 2 *
1
«
2 mal
!
—
—
47 Corpu9- ff 15 „
7
* i
l 5 ,
5 mal
3 mal
1 mal
22 Kollum- „ 9 „
3
n
1 .
1 ,
i —
1 ,
22 Kollum-Corpus-Karz. 10 „
6
b
3 ,
2 .
1 mal
1 .
7 Unbestimmten Care. 2 „
111 Uterus-Karzinomen 44 mal
i
1
B
1 .
1
1 .
Ferner vereinzelt in Haut, Gehirn, Herz, Pleura, Perikard, Gallenblase, Muskulatur,
Knochen und Milz.
Wenn wir von dieser Zahl die nicht operativ behandelten Fällen
in Abzug bringen, so ergibt sich, dass ein besonderes häufiges Auf¬
treten von Metastasen bei gleichzeitigem Uterus-Ovarialkarzinom nicht
zu verzeichnen ist.
Ich will hier schon der interessanten Tatsache Erwähnung tun,
dass iu den allermeisten Fällen die karzinomatös erkrankten Ovarien
vorher gesund und funktionsfähig waren; nur in den Fällen No. 51,
66 und 78 soll sich nach der Autorenangabe das Ovaräalkarziuora
auf dem Boden einer papillomatösen Erkrankung entwickelt haben;
in den beiden Beobachtungen No. 48 und 102 bestand früher ein
Embryom der Ovarien^ in No. 80 war vorher das andere Ovarium
wegen einer multolikulären Cyste entfernt worden; nur in der Mit¬
teilung von Funk bestand gleichzeitig neben dem sekundären
Ovarialkarzinom und Embryom eine cystische Degeneration des anderen
Eierstockes.
Über den Sitz des sekundären Ovarialkarziuoms lässt sich Ge¬
naues nicht mitteilen, weil die Autorenaugaben darüber fehlen; meist
wird das Organ diffus infiltriert, selten stellenweise befallen. Damit
deckt sich auch Gebhardt’s Ansicht, wonach alle sekundären
Ovarialkarzinome meist zentral sitzen in Form multipler Knoten, von
wo aus das Stroma in Gestalt kleiner, langgestreckter Alveolen durch¬
setzt wird.
Dagegen wissen wir wieder Zuverlässigeres über die Erkrankung
der verschiedenen Seiten. Es fanden
Scanzoni 1 ) von 99 Ovarialkarzinomen waren 50 doppelseitig,
25 auf der linken, 24 auf der rechten Seite. (Sektionsmaterial aus
Würzburg).
Leopold 2 ) von 441 Ovarialkarzinomen waren 69 doppelseitig,
104 auf der linken, 208 auf der rechten Seite.
1) Scanzoni, Lehrbuch d. Frauenkrankheiten. S. 130.
2 ) Leopold, zitiert nach Wendeier 1. c.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
13]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
303
Lerch 1 ) von 22 Ovarialkarzinomen waren 14 doppelseitig.
Fontane 2 * ) von 14 Ovarialkarzinomen waren 8 doppelseitig.
Wendeier 8 ) von 60 Ovarialkarzinomen waren 6 doppelseitig,
25 auf der linken Seite, 29 auf der rechten Seite.
Über die zweifelsohne metastatische Ovarialkarzinome bei pri¬
mären Ca des Intestinaltraktus teilt folgende Zahlen Omori 4 5 ) mit:
57 mal doppelseitiges Karzinom bei 50 Fällen.
Hinsichtlich der dieser Abhandlung zugrunde liegenden 111 Be¬
obachtungen ergeben sich folgende Werte:
Doppelseitige Erkrankung ... 62 Mal
Ca des linken Ovarium .... 18 „
Ca des rechten Ovarium . . . 2S „
Unbestimmt und bei Ca der Tuben 18 „
Daraus ergibt sich ohne allen Zweifel, dass in der Mehrzahl der
Fälle beide Ovarien erkranken, wie das ja auch in der Natur der
Sache hegt; eine besondere Disposition für die eine oder andere
Seite ist nicht zu erkennen, nur Leopold 6 ) hat in seiner Berechnung
bei den einseitigen Karzinomen des Ovarium (meist Primärtumoren)
doppelt so häufig die Erkrankung des rechten Eierstockes gefunden als
des linken; hierfür die Ursache herauszufinden, dürfte wohl nicht an-
gänglich sein. Wir werden wohl der Wahrheit dann am nächsten
kommen, wenn wir mit Schauta 8 ) annehmen, dass sich sehr oft in
dem zweiten, makroskpisch scheinbar gesunde Ovarium dennoch
mikroskopisch Ca-Zellen finden lassen; es ist auch bekannt, dass es
Fälle gibt, wo nacheinander die beiden Ovarien karzinomatös er¬
krankten, und der primäre Herd in irgend einer anderen Stelle des
Körpers sass.
Fassen wir nach den bisherigen Erörterungen die im Anschluss
an ein primäres Uteruskarzinom in den Ovarien auftretenden gleich¬
artigen Neubildungen als lymphogene Metastasen auf, so bedürfen noch
einige Punkte der Besprechung, welche von den Gegnern dieser An¬
sicht zugunsten der multiplen Primärgeschwulst ins Feld geführt
werden. Es handelt sich um die Zeit, welche zwischen dem Auf¬
treten des primären Tumors und seiner Metastasen vergehen kann,
um ihre Grösse und histiologische Struktur. Pfannenstiel 7 ) erblickte
1) Lerch, Archiv f. Gynäkol. Bd. 34.
2) Fontane, Dissertation. Berlin 1895.
5) Wen de ler, In Martin’s Handbuch: Erkrankungen der Eierstöcke und
Nebeneierstöcke. Verlag von Georgi, Leipzig 1899.
*) Omori, Dissertation. Würzburg 1901.
5) Leopold, 1. c.
6) Schauta, Lehrbuch der Frauenkrankheiten. Leipzig-Wien 1908. Verlag
von Braumüller.
7) Pfannenstiel, In Veit’s Handbuch der Gynäkologie. I. Auflage. Verlag
von Bergmann. Wiesbaden 1899.
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U4
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noch bei der Abfassung des Kapitels über die Eierstockkrebse diesen
Umstand als Beweis für eine gesteigerte Disposition eines Individuums
zur Karzinomerkrankung; nachdem er die Tatsache erwähnt hat, dass
man häufig Uteruskarzinom gepaart mit Ovarialkarzinomen findet,
fährt er fort: „Derartige Fälle ganz als Metastasen aufzufassen, er¬
scheint mir nicht berechtigt. Denn abgesehen davon, dass es wunderbar
wäre, wenn gerade nur die beiden Ovarien vom dem im Blute krei¬
senden Karzinomzellen befallen würden, und dass zuweilen, wenn
die primär aufgetretene Geschwulst erfolgreich entfernt werden konnte,
der Zeitraum zwischen der ersten und der zweiten Karzinomerkrankung
ein sehr grosser war (bis zu 9 Jahren), so lässt sich auch feststellen,
dass die Karzinome des Eierstockes histiologisch nicht von der gleichen
Struktur waren wie die primären Karzinome, dass es sich vielmehr
um eine Disposition des Individuums zur Geschwulstbildung handelte,
wie das gar nicht so selten zur Beobachtung kommt.“ Ehe diese
Verhältnisse im Zusammenhänge besprochen werden, will ich an Hand
der mitgeteilten Beobachtungen die einzelnen Punkte zahlengemäss
anführen.
Was die Zeit zwischen dem Auftreten des Uteruskarzinoms und
seiner ovariellen, lymphogenen Metastasen angeht, so schwankt sie
zwischen '/* und 8 1 /* Jahren; sie betrug im einzeln
6 Monate
iu
Fall No.
90
8 „
ii
ii 11
111
9 „
il
ii ii
92
10
ii
ii ii
78
2 Jahre
i»
ii ii
50
3 ,,
11
n ii
86
5
11
•i 11
106
87« „
11
n 1)
80a;
also je 4 mal war im Verlauf des ersten Jahres und später als zwei
Jahre die Metastasierung erfolgt. Höchst interessant ist aber ander¬
seits die mehrfach erwähnte Tatsache, dass klinisch zuerst die Metastase
in die Erscheinung trat und durch ihre markanten Symptome das
ganze Kraukheitsbild beherrschte, während der eigentlich primäre
Herd im Uterus sich lange der Diagnose entzog oder erst zufällig
später gelegentlich der Operation oder Autopsie entdeckt wurde.
Ausser den im einzelnen mitgeteilten Fällen berichtet Littauer 1 ) dass
unter seinen 14 Beobachtungen 2 mal das Ovarialkarzinom den primären
Uterustumor verschleierte, und dass die Metastasen in den Eierstöcken
bis zu 4 Jahren nach festgestelltem Uteruskarzinom in die Erschei¬
nung traten.
Es wird jetzt so ziemlich von allen Untersuchern zugegeben,
dass die Tochtergeschwülste viel rapider wachsen und einen grösseren
>) Li ttauer, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. S. 68.
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15]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
305
Umfang erreichen können als der Haupttumor. Diese Vorgänge hat
Hansemann 1 ) unserem Verständnisse näher zu bringen gesucht durch
die Annahme, dass in diesen Fällen der Primärtumor aufhöre zu wachsen,
und das Weiterwachsen jetzt allein nur von den Metastasen ausgehe
oder, dass die am Orte /der Primärgeschwulst gebildeten Zellen sich
daselbst nicht festsetzten, sondern gleich verschleppt würden. Werfen
wir schnell einen Blick auf unsere Fälle, so ergibt sich hinsichtlich
der Grösse, dass nur in dem Fall No. 6 u. 120 das Karzinom auf der
linken Seite von mikroskopischer Kleinheit war; in den anderen
Beobachtungen, soweit hierüber Aufzeichnungen sich vorfinden, er¬
gab sich folgendes:
kleine, multiple Kuoten in Fall 39 auf der rechten Seite
taubeneigross „ „ 97 doppelseitig
faustgross „ „ 84 rechtsseitig; No. 101, und 93
linksseitig
apfelgross „ „71 linksseitig
kiudskopfgross „ „ 64 und 108 beiderseitig; links No. 52
(rechts?) No. 115, rechts No. 0
und 101
mannskopfgross „ „ 9,10 und 111 beiderseitig; rechts
No. 115.
(die fettgedruckten Nummern doppelseitig).
Mit der Grösseuzuuahme ist aufs engste verknüpft die Änderung
des histiologischen Baues der Metastase. Wenn -auch meistens die
Tochtergeschwülste dem primären Tumor sehr gleichen, so finden
doch unter später zu erörternden Bedingungen ganz erhebliche Ab¬
weichungen des histiologischen Baues statt; die Zellen des sekundären
Tumors können sich freier entwickeln, indem sie entweder neue
Fähigkeiten annehmen oder auf einfachere Formen zurückzugehen;
sie differenzieren sich dabei oder anaplasieren.
In 22 Fällen teilen die Beobachter das Ergebnis der histio¬
logischen Untersuchung mit. Es handelt sich dabei, wenn mir das
Adenoma malignum bei seinen wahren Charakter belassen und als
„Drüsenkarzinom mit vorwiegend einschichtigem Epithel - * auffassen,
12 mal um ein Adenomkarzinom des Corpus welches ebenso oft
gleiche adenokarzinomatöse Metastasen in den Ovarien gesetzt hat;,
aber auch schon hierbei zeigen sich leichte Unterschiede; 3mal
No. 95, 96, 82 waren neben der Drüsenbildung auch solide Zellstränge
vorhanden; das Karzinom hatte also einen niedrigen Typus in der
Metastase erhalten (Anaplasie) während in Fall No. 67 das mit soliden
Zellsträngen versehene Adenokarzinom des Corpus durch nachträg¬
liche Differenzierung eine reine adenokarzinomatöse Metastase erzeugt.
i) Hanaem&nn, Die mikroskopische Diagnostik bSsartiger Geschwülste.
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
306
H. OFFERGELD,
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[IC
hatte. Regressive Veränderungen fanden sich an den Zellen der
Tochtergeschwülste in No. 89 und 67; sie bestanden in Nekrose,
Erweichung und myxomatöser Degeneration. Fall 81 liefert wieder
eiuen Beweis für die Gleichstellung von Adenokarzinom und malignen
Adenom; beide gehören der gleichen Gattung an und sind nur Spiel¬
arten dieser Spezies. Sehr interessant ist der von mir im Archiv für
Gynäkologie Bd. 78 beschriebene Fall 115 (No. V); es handelt sich
-dabei um die Polymorphie der Epithelien; im Primärtumor war nur
einschichtiges, polymorphes Zylinderepithel, welches sehr stark
Schleim produzierte, die Ovarialmetastase hatte direkten, unvermittelten
Übergang in das mehrschichtige Epithel; auch hier lieferten die
obersten Lagen Schleim.
Die Fälle Nr. 70 und 79 bieten schöne Beispiele von Anaplasie
dar, indem der höher entwickelte Zelltypus des Adenokarzinoms in
den Metastasen auf die niedrige Form des soliden, alveolären Krebses
zurückging; umgekehrt bildeten sich in Nr. 41 und 93 die Töchter
der soliden primären Karzinomzellen in den Ovarien noch nachträg¬
lich zu einer vollendeteren Eutwickelungsstufe aus, und imitierten
durch ihre Anordnung um ein zentrales Lumen den Bau der Adeno¬
karzinome. 2 mal (Nr. 37 und 97) war indessen der Charakter des
primären soliden Karzinoms auch in den Metastasen gewahrt.
Die Form des Plattenepithelkarzinoms der Portio hat in den
Beobachtungen Nr. 74, 107 und 117 die gleiche histologische Struktur
in allen Organmetastasen hervorgerufen, ein Umstand, der besonders
wichtig ist, weil sich dabei auch gleichzeitig Verhornung in Fall
No. 107 vorfand und normalerweise diese Organe, welche sekundär
befallen wurden, kein Plattenepithel führen.
Als ganz besonders prägnantes Beispiel für die Änderung des
ganzen Zellcharakters, wie er gelegentlich einmal in den metasta¬
tischen Knoten auftreten kann, ist die Beobachtung Nr. 76 anzu¬
führen; es hatte hier das primäre Adenokarzinom des Corpus in
seiner ovariellen Metastase die Form der platten Epithelien hervor¬
gebracht.
Alle diese Veränderungen im Zellcharakter beweisen, dass selbst
den Karzinomzellen eineelektive Fähigkeit zukommt; ihre physiologische
Tätigkeit ist mit der Produktion von Tochterzellen keineswegs er¬
schöpft, sondern sie haben daneben noch andere Funktionen zu ver¬
richten; mit der Änderung ihrer biologischen Tätigkeit kann eine
solche ihrer morphologischen Struktur verbunden sein.
Durch das expansive Wachstum der malignen Tumoren gelangen
schon frühzeitig die Zellen in das Blut- oder Lymphgefässsystem;
die von einzelnen Untersuchern beobachtete amöboide Bewegung der
Zellen kann dabei unterstützend wirken. Die Metastasenbildung ist
nach dem modernen Standpunkte unserer Wissenschaft ein deuteropathi-
Gck igle
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17]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
307
«eher Vorgang, wofür zuerst Cohn heim und Maas den experimen¬
tellen Beweis erbrachten; es können Gewebsstücke, welche in die
Blutbahn bineingebracht werden, im Organismus anbeilen durch
„Wegfall der physiologischen Widerstände,“ indem der Körper die
Fähigkeit verloren hat das Nichtbrauchbare zu eliminieren. Die
embolisch verschleppten Zellen — und das gleiche gilt für die soge¬
nannten regionären, lymphogenen Metastasen, wirken als Fremdkörper;
sie regen daher das Gewebe zur Wucheruug an; durch den von den
neoplasmatischen Zellen ausgehenden, dauernden chemotaktischen Reiz
ist die Gefässentwickelung eine höchst rege. Birch-Hirschfeld 1 )
fasst die ganze Lehre von den Metastasen zusammen in die Worte:
„Für die Histogenese der sekundären Karzinome ist das Hauptgewicht
auf die Wucherung der verschleppten Krebszellen zu legen; die Ge¬
schwulstzellen des metastatischen Karzinoms sind Abkömmlinge der
fortgeführten Zellen der primären Geschwulst, sie halten daher auch
einen wesentlichen Charakter der epitheliaen Zellen des Primär¬
tumors fest, namentlich in der Form zu bestimmten Metamorphosen.“
In den meisten Fällen jedoch ist es unmöglich, die Histiogenese
-der Metastase zu erheben; man muss daher zusehen mit anderen
Mitteln auszukommen. Nach Borst 2 ), dem ich bei diesen Ausführungen
folge, hat man in diesen Fällen durch genaueste Feststellung der
morphologischen und mikrophsiologischen Details, ferner auch der
Wachtumstendenz den Charakter der betreffenden, mehrfachen Ge¬
schwülste zu bestimmen. Stellen sich hierbei die mehrfachen Ge¬
schwülste als ähnliche oder gleiche heraus, so sind verschiedene
Möglichkeiten der sekundären Ausbreitung in Betracht zu ziehen, und
es ist zu erwägen, ob sich ein Abhängigkeitsverhältnis konstruieren
lässt-; bei anatomisch und physiologisch gleichartigen Geschwülsten
ist erst beim Versagen dieses Versuches mit einiger Wahrscheinlichkeit
eine primäre Multiplizität anzunehmen. Primäre und sekundäre
Multiplizität tritt mit Vorliebe in ganzen Organsystemen auf, und dazu
.gehört Uterus und Ovarium. Hausemann*) erblickt das ausschlag¬
gebende Moment in der Anordnung des Stromagewebes, so soll z. B.
•ein Scirrhus durch Abnahme des Bindegewebes in den Metastasen
sich zum Medullarkarzinom entwickeln können. Bei den Zellen ist
ihre Form, die Kerne, die Richtung und Anordnung der Mitosen
zu beachten, sowie ihre Anordnung in epitheliale Verbände oder
ob sie hier im Gewebe liegen als selbständige Individuen. Mit zur
1) Birch-Hirschfeld, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Leipzig
1894/97.
2) Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Verlag von Bergmann. Wies¬
baden 1903.
») Hansemann, Die mikroskopische Diagnostik bösartiger Geschwülste. Ver¬
lag von Hirschwald. Berlin 1902.
Wfirzbnrger Abhandlungen. Bd. VIII. H. 12. 22
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308
H. OFFERGELD,
[18
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Entscheidung dient das histiologische Verhalten, z. B. ob der Tumor
in seinen Eigenschaften primär an dem betreffenden Orte vorkommt,
dann hilft noch unter Umständen das Aller der Geschwulst und der
klinische Verlauf, wiewohl beide Faktoren sehr wenig sicher sind;
Kleine Tumoren können grosse Metastasen machen (cf. obige Fälle)
durch Stationärbleiben des Primärtumors oder durch rapide Abfuhr
seiner Zellen in den Organismus; meist findet man dann die ab¬
gehenden Lymphbahnen voll von Karzinomzellen und in dem pri¬
mären Herde selbst zahlreiche Mitosen. Am besten hilft nach Hause¬
mann 1 ) noch der Umstand, dass die primäre Geschwulst meist diffus
in die Umgebung wächst, dagegen die Metastase abgekapselt ist und
in ihrer Umgebung sich eine Hypertrophie der benachbarten Gewebe
vorfindet. Die eigentliche Ursache für die Verschiedenheit liegt darin,
dass die Zellen durch ihr anormales Wachstum sich Verhältnissen
angepasst haben, die von der Norm abweichen, so z. B. stehen die
Karzinomzellen in viel weniger engerer Beziehung zu den Blutgefässen
als normale Epithelien, in der Metastase hingegen wuchert reichlich
gefässhaltiges Bindegewebe durch den chemotaktischen Reiz. Unter¬
stützend wirken dabei die biologisch-chemischen Verhältnisse an sekun¬
dären Orten, woraus sich zum Teil die Vorliebe gewisser Karzinome
für Metastasierung erklärt. Auf diese Weise entstehen entweder diffuse
Infiltrate oder knollige Tumoren in den metastatisch ergriffenen Or¬
ganen, abhängig von der Wachstumstendenz der verschleppten Zellen
und lokalen Verhältnissen. Gedenken wir noch der Untersuchungen,
von Neuberg 2 ), der nachwies, dass sich bei Metastasen eine Um¬
wertung wichtiger Zellfunktionen vollzieht, dass mit dem Erwerbo
neuer fermentativer Arbeit ein Verlust schon vorhandener einher¬
gehen kann, so finden wir es begreiflich, wenn histiologisch der pri¬
märe und sekundäre Tumor weitgehende Verschiedenheit zeigen. Meist
ähneln sie einander; es ist aber auch in den Metastasen eine freie
Entwickelung der Zellen möglich, sobald die Spannung der Gewebe
in den Metastasen in Fortfall kommt, welche ihr Wachstum im pri¬
mären Herde beschränkt; das ist besonders der Fall in den Lyrnph-
drüsen und den Thromben der Blutgefässe, wo Borst (1. c.) sehr
häufig die Entwickelung eines Adenokarzinoms, also einer sogenannten
„gereiften Form“ des Karzinoms beobachtete. Diese Abweichungen
vom Typus der Primärgeschwulst hat Hansemann (1. c.) als ein
Zurückgehen auf einen ursprünglichen Zustand gedeutet (Anaplasie).
Hierbei handelt es sich nach Borst nicht um fortgesetzte Ver¬
wilderung, nicht um fortgesetzte Degeneration des Zellcharakters,,
sondern um Einwirkung äusserer Einflüsse, welche eine Änderung
1) Hansemann, 1. c.
2) Neuberg, Berliner klin. Wochenschrift 1904. Nr. 41. S. 1080; 1905. Nr. 5..
S. 118.
Gck igle
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19]
Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uteras.
309
der physikalisch-chemischen Bedingungen des Gesamtorganismus be¬
wirken: Das bedeutet eine Anpassung der Zellen an veränderte Lebens¬
bedingungen, ist also ein Ausdruck höherer physiologischer ..Entwicke¬
lung. H a n s e m a n n (1. c.) weist darauf hin, dass sich der Zellcharakter
in den Metastasen immer mehr von der Struktur des Mutterbodens
entferne, als es der primäre Tumor tat; er schreibt: „Meiner Erfah¬
rung nach sind die Metastasen entweder gleich oder stärker anaplastisch
als der Primärtumor, nicht aber weniger anaplastisch." Die beiden
einzigen Fälle, wo in der Metastase eine geringere Anaplasie zum
Ausdruck kam als im primären Herde, wurden publiziert von Nehr-
korn 1 * 3 ) und Fütterer*). Hansemann schreibt daher mit Recht,
dass jede Form eines Karzinoms in seinen Metastasen sich zum Me-
dullarkrebs entwickeln könnte (cf. die Fälle), indem die Zellen „jede
charakteristische Form verloren haben, jede Verbindung derselben unter¬
einander aufgehoben ist und epitheliale Verbäude nicht mehr be¬
stehen". Es ist daher klar, dass eine bedeutende Entfernung vom
Muttergewebe, als es ein primäres Medullarkarzinom zeigt, unmög¬
lich ist, daher kann in dessen Metastasen nur der gleiche Typus hervor¬
treten. Für die im Anschlüsse au ein primäres Magen-Darmkarzinom
auftretenden sekundären Ovarialkarziuome hat Amann®) ausdrück¬
lich die Bindegewebswucherung in der Umgebung der eingewanderten
Zellen als ein charakteristisches Merkmal hingestellt, wodurch erst die
Grösse dieser Tumoren erklärlich wird; ob dieses Verhalten auch bei
den lytnphogenen Metastasen nach Uteruskarzinom im Ovarium der
Fall ist, geht aus den Mitteilungen der Autoren nicht hervor.
Die vom primären Herde losgerissenen Zellen machen nun nicht
unter allen Umständen Metastasen, denn sonst würden wir die ova¬
rielle Metastase - bei Uteruskarzinom noch viel häufiger beobachten,
sondern e3 findet, wie M. B. Schmidt 4 ) so schön nachgewiesen hat t
eiu weitgehender Schwund der deportierten Zellen statt; einmal durch
Mangel an geeignetem Nährboden, dann auch durch die Schutzkrfifte
des Körpers. Daher hat Ribbert 5 ) den jungen Tumorzellen lange
nicht die übermässige Proliferationsfähigkeit zuerkannt, wie allent¬
halben angenommen wird, wenn man auch zugeben muss, dass sie
weniger leicht zerstörbar sind als normale, embolisch-verschleppte
Zellen. Borst 1. c. dagegen sieht als Grundbedingung zur Meta¬
stasierung widerstandsfähige und vollebens kräftige Zellen an; meist
i) Virchow’s Archiv. Bd. 151. Supplement. S. 559.
*) Fütterer, Ober die Ätiologie der Karzinome. Verlag von Bergmann,
Wieabaden 1901.
s) Amann, Münchener med. Wochenscbr. 1905. Nr. 50. S. 2414.
*) M. B. Schmidt, zitierte Monographie. Verlag, G. Fischer, Jena 1903.
3) Ribbert, Lehrbuch der allgem. Pathologie und pathol. Anatomie. Verlag
C. F. W. Vogel. Leipzig 1901.
22*
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810
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[20
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jedoch gelangen nur Zellen in die Organe, deren Proliferationsver-
raftgen nur gering ist und die schon schwere regressive Verände¬
rungen aufweisen. Neben lokalen Verhältnissen sind für das Haften¬
bleiben von Zellen und ihre Weiterentwickelung auch allgemeine
Bedingungen nötig; Borst glaubt, „dass der Zustand des Blutes und
der Lymphe nicht zu allen Zeiten in gleicher Weise geeignet ist, Ge¬
schwulstzellen aufkommen zu lassen, indem ich (Borst) mir vorstelle,
dass die Säfte ebenso wie gegenüber anderen fremden Eindringlingen
(Bakterien) gewisse Schutzkräfte auch gegen eingeschleppte Zellen auf¬
zubringen imstande sind.“ Es ist also eine Art „Dyskrasie“ nötig.
Auch sind die verschiedenen Geschwulstzellen den physiologischen
und mit Schutzkräften ausgerüsteten Säften gegenüber in verschie¬
denem Grade empfindlich; daher erklärt sich das wechselvolle Ge¬
deihen der verschleppten Zellen. Sodann ist die chemische Zusammen¬
setzung der Gewebsflüssigkeit der verschiedenen Lokalitäten mass¬
gebend. Da in jedem Organ ein anderer Stoffwechsel stattfindet, so
sind die Existenzbedingungen für die metastatischen Zellen also sehr
verschiedene; „hierauf beruht es vielleicht (Borst), dass manche
Organe so selten von Metastasen befallen werden.“ Dazu kommen
noch physikalische Momente: Wachstumswiderstände und lokale ge¬
webliche Einrichtungen, welche das Haftenbleiben erleichtern oder
erschweren. So erklärt sich die Launenhaftigkeit der Metastäsen-
bildung und das gelegentliche Fehlen von Tochtergeschwülsten trotz
des Kreisens losgerissener Tumorzellen im Blut- oder Lympbgefäss-
system. Lubarsch 1 ) sagt, es müsse zuerst die Resorptions- und
Zerstörungsfähigkeit des Organismus erlahmen, ehe sich Metastasen
ausbildeten; Borst gegenüber legt er besonderen Wert darauf, dass
ein Überschuss von Tumorzellen verschleppt wird, oder dass stets
neue Nachschübe auftreten. Es sollen sogar nach rechtzeitiger
Entfernung des Primärtumors freie Zellelemente aus dem Blute
schwinden und bestehende Metastasen sich zurückbilden; jedoch ist
letzterer Vorgang noch sehr fraglich. Lubarsch hebt aber wie alle
anderen Autoren ganz besonders die Abwehrkräfte des Körpers her¬
vor, welche zuerst erlahmen müssen, sei es nun durch interkurrente
Krankheiten, sei es durch den Tumor selbst, der das so wechselvolle
und wenig geklärte Bild der Kachexie hervorruft. So erklärt sich
die auffallende Tatsache, dass oft sehr lange die Metastasen latent
bleiben; so erklärt sich der lange Zeitraum zwischen dem Auftreten
des primären und der sekundären Herde, ja sogar die Entwickelung
der letzteren Jahre nach stattgehabter totaler Exstirpation der Mutter¬
geschwulst ohne lokales Rezidiv.
1 ) Lubarsch, Ergebnisse der allgemeinen Pathologie des Menschen und der
Tiere. Bd. 1—6.
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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
311
Diese Verhältnisse machen es uns erklärlich, weshalb sich in
einer ganzen Anzahl von Karzinom des Uterus gleichzeitig auch
karzinomatöse Depots in den Ovarien finden; wir verstehen jetzt auch
das merkwürdige zeitliche Verhalten, die gelegentlich beträchtliche
Grösse, sowie die oft bedeutenden histiologischen Abweichungen der
Ovarialkarzinomo vom Bau des primären Uterustumors. Es fragt
sich nun, warum die Ovarien gerade eine solche Vorliebe zu sekun¬
därer Erkrankung besitzen; müssen wir als hauptsächlichen Weg die
Lymphstrasse vom Uterus in der Tasche zwischen Tube und Lig.
latum bezeichnen, so bleibt es auffallend, dass gelegentlich die diesem
Bezirke zugehörigen Drüsen an der Teilungsstelle der Iliaca und die
retroperitonealen Drüsen verschont blieben, das andere Mal aber auch
erkrankten. Littauer 1 ), welcher die direkte Fortleitung des Prozesses
verwirft, glaubt das gleiche, unbekannte Agens beschuldigen zu
müssen wie bei den benignen Ovarialtumoren; „wie benigne Er¬
krankungen der Ovarien benigne Wucherung der Uterusmukosa
machen können, so sollen auch maligne Ovarialtumoren maligne Ver¬
änderungen der Mukosa des Uterus verursachen.“ Dieser Standpunkt
ist jedoch längst überwunden. Viel präziser drückt sich Klebs*) aus;
die rasche Ansiedelung und Vermehrung von in den Eierstocke ge¬
langten Partikelchen liegt in den physiologischen Verhältnissen dieses
Organes, besonders in seiner Fähigkeit, sehr rasch neue Gefässe zu
bilden, fernerhin in seinem reichen Lymphgefässsystem, in welchem
die Karzinommassen weiter wuchern können, und zuletzt in den
Menstruationsverhältnissen, wodurch stets Veränderungen und Narben
geschaffen werden, in denen die Epithelien bestens wuchern können-
Lücke-Zahn 8 ) betonen, dass alle Organe besonders zu metastatiscben
Prozessen neigen, in denen der Kapillarkreislauf starken Schwankungen
unterworfen ist; dieses ist jedoch normalerweise in periodischen
Zeitabschnitten im Ovarium der Fall. Klebs*) erwähnt noch aus¬
drücklich, dass gerade menstruierende Frauen besonders zu dieser
sekundären Affektion neigen. Genauere Angaben über diesen Punkt
fehlen bei allen Autoren; ungefähre Anhaltspunkte wird man sich durch
das Alter der Kranken verschaffen können. Von den 121 berichteten
Fällen wird 52 mal das Alter nicht angegeben; daher bleiben zur Be¬
wertung nur noch j 67 Beobachtungen übrig. Diese waren alt
zwischen 20 und 30 Jahren = 1 mal (26 Jahre),
„ __ 30 „ 40 „ = 13 mal (1 mal 31, je 2 mal 36
und 37, 3 mal 34, 5 mal 40 Jahre);
') Littauer, Zentralbl. f. Gynäkol. 1891. 1. c.
£) Klebs, Allgemeine Pathologie. Verlag von Braumüller. Wien-Leipzig. II.
S. 532.
3) LOcke-Zahn, Deutsche Chirurgie. Allgemeine Geschwulstlehre. 1896.
Bd. 32.
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zwischen 40 und 50 Jahren = 28 mal (je 1 mal, 42, 43, je 2 mal
41, 45 und 49, je 3mal 46, 47, 50, 4mal 48 und 6mal 44 Jahre);
zwischen 50 und 60 Jahren = 22 mal (je lmal 52, 55, 56, 57, 58,
60, 3 mal 51, je 3 mal 54 und 59, je 4 mal 53 und 55 Jahre);
über 60 Jahre = 7 mal (je 1 mal 63, 64, 68, 2 mal 63 Jahre
und 3 mal als „alt“ bezeichnet).
Von diesen 67 Fällen waren also sicher 14 = 19,72 °/o in ge¬
schlechtsfähigem Alter, 29 = 40,84 °/ 0 standen jenseits der normalen
Grenze der Menstruation und von 28 = 39,14% ist es zweifelhaft.
Bedenken wir aber, dass die meisten Beobachtungen bei Corpus-
karzinomen gemacht wurden, welches erst in hohem Alter gewöhnlich
eintritt, — nach Krukenberg 1 ) im Mittel mit 53,7, nach Hof-
m e i o r *) gar mit 54,5 Jahren —, so werden wir an Hand dieses Materi¬
ales eher zugeben, dass mit Vorliebe das sekundäre Ovarialkarzinom
Organe befällt, welche sich nicht in exquisiter physiologischer Be¬
tätigung befinden, vielleicht eben deswegen, weil die auf der Höhe
der Tätigkeit stehenden Organe solche lokale Schutzmittel besitzen,
die den verschleppten Zellen ihre Existenzbedingungen uehmen oder
doch erschweren.
Zur Entscheidung dieser Frage wäre in Zukunft der klinische
Verlauf genauer zu beachten; es hat Omori 8 ) gelegentlich der meta¬
statischen Ovarialkarzinome bei primärem Intestinalkarzinom sich
dahin geäussert, dass das Sistieren der Menses bei vorher in normaler
Weise menstruierenden Patientinnen sehr für eine doppelseitige Er¬
krankung der Ovarien spräche. Wir würden dann, Omoris An¬
gaben als bewiesen vorausgesetzt, nur mehr Metrorrhagien, aber keine
Menorrhagien beim Uteruskarzinom beobachten, wenn in diffuser
Weise beide Ovarien mit karzinomatös erkrankt sind. Diese Ame-
norrhöe ist einmal zu erklären durch den weitgehenden Verlust an
funktionierendem Parenchym, meiner Meinung nach jedoch haupt¬
sächlich durch die Grundkrankheit analog dem Aufhören der Men¬
struation bei jedem Siechtume; ist es doch bekannt, dass gerade dann
der Organismus besonders geschädigt wird oder schon vorher wurde,
wenn sich Metastasen entwickeln.
Für die praktische Medizin ergeben sich hieraus noch einige
wichtige Folgerungen. Unter allen Umständen ist beim Uteruskarzi¬
nom, wie das auch von vielen Autoren empfohlen wurde, die Total¬
exstirpation vorzunehmen; es müssen also die Ovarien mit entfernt
werden, weil in einem relativ grossen Prozentsätze der Fälle schon
1) Krukenberg, zitiert nach Gebhard: Pathologische Anatomie der weib¬
lichen Sexualorgane. Leipzig 1899.
2 ) Hofmeier, zitiert nach Gebhard: Pathologische Anatomie der weib¬
lichen Sexualorgane. Leipzig 1899.
s) Omori, Dissertation. Würzburg 1904.
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Ovarialkarzinom bei Earzinom des Uterus.
313
recht frühzeitig die beiden Eierstöcke mit erkranken. Sängers Rat,
die Kastration nur bei klimakterischen Kranken auszuführen, muss
daher jetzt viel weiter ausgedehnt werden, und es ist im Prinzip bei
Uteruskarzinom in jedem Alter die Kastration auszuführen, wegen
der Gefahr lymphogener Metastasen in diesen Organen, deren spon¬
tanes Zurückgeheu nach Exstirpation des primären Uterusherdes nicht
erhofft werden darf. Ebenso weisen auch diese Beobachtungen wieder
den Vorteil des abdominellen Weges an, sind doch schon bei relativ
beginnendem Corpuskarzinom gelegentlich sehr frühzeitig die lum¬
balen, iliakalen und retroperitonealen Drüsen karzinomatös erkrankt;
diese sind natürlich beim vaginalen Vorgehen der Exstirpation nicht
zugänglich. Sodann ergibt sich, dass die hochentwickelten Karzinome,
die Adenokarzinome des Corpus uteri von der gleichen Malignität
sind wie die alveolären Krebse des unteren Abschnittes. Wir finden
in ganz hervorragender Weise die Corpuskarzinome an der Bildung
der sekundären Ovarialkarzinome beteiligt, was ja zum Teil seinen
Grund in dem schon öfters erwähnten Verhalten seiner Lymphbahnen
hat, zum Teil aber auch durch eine spezifische Eigentümlichkeit der
adenokarzinomatösen Epithelien bedingt sein muss, denn die soliden
Karzinome des Corpus machen nur höchst selten eine gleichartige
Erkrankung der Ovarien.
Zuletzt sei noch erwähnt, dass sich 4 mal bei der Komplikation
von Uterus- und Ovarialkarzinom Aszites vorfand, wahrscheinlich
m allen Fällen bedingt durch letzte Affektion; wenn auch in dem
Falle Nr. 78 dabei Heilung erfolgte, so ist doch das Auftreten von
Aszites als Signum pessimi ominis zu betrachten, die anderen drei
Fälle kamen ad exitum. Dagegen ist selbst bei doppelseitigem meta¬
statischen Karzinom der Ovarien die Prognose nicht so absolut schlecht,
da die Serosa erst spät befallen wird, und es gelingt durch abdomi¬
nelle Totalexstirpation alles Krankhafte zu entfernen.
Ich habe in dieser Abhandlung die bisher veröffentlichten Fäll©
von Karzinom der Ovarien und des Uterus zusammengostellt, soweit
sie mir erreichbar waren und glaube nicht, irgend eine wichtigere
Arbeit über dieses Thema übergangen zu haben. Ausser den eben
angeführten Beobachtungen sind in der Literatur zwar noch mehrere
Fälle mitgeteilt, die ich deshalb übergangen habe, weil sie mir nicht
ein wandsfrei erschienen. Leider habe ich es unterlassen, in den
meiner zitierten Arbeit im Archiv für Gynäkologie zu Grunde gelegten
15 Fällen auch die Ovarien zu untersuchen, so dass ich selbst über
ein grösseres Untersuchungsmaterial zur Zeit nicht verfüge.
Dazu gehören zunächst die beiden Fälle von Zeiss 1 ), wo die
histiologische Untersuchung fehlt:
i) Zeiss, Zentralbl. f. Gynükol. 1897. Nr. 8. S. 215.
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a) 55 jähr. Portiokarzinom und solider Ovarialtumor der rechten
Seite;
b) 45jähr. Portiokarzinom und linksseitiger, intraligamentöser
solider Ovarialtumor.
Sodann der Fall von Heinemann, niedergelegt in seiner
Dissertation Berlin 1905.
52j. Multipara; Laparotomie wegen Magenkarzinoms; der Ver¬
wachsungen halber wieder Schluss der Bauchhöhle ohne weiteren Ein¬
griff. f 1 Monat später.
Sektion: Serosa von Uterus, Tuben und Ovarien mit fibrinösen
Auflagerungen bedeckt; unter der Serosa einzelue, markige, weisse
Knötchen von Linsengrösse. In der verdickten Portio auf die Cervix
übergehend, teils diffuse, teils zirkumskripte Tumormassen; ebenso
unter der Serosa von Tube und Ovar. Ringförmig um den Pylorus
bis zur kleinen Kurvatur eine weisse, harte Geschwulst mit Zerfall.
Histiologisch stimmten die Karzinome überein.
Heinemann sieht das Magenkarzinom als primären Herd, den
Tumor au der Portio als lymphogene Metastase eines Serosaknotens an,
von wo aus die Lymphstrassen des Douglas und Myometrium infil¬
triert waren; von der Metastase der Portio Hessen sich karzinomatöse
Lymphstränge im Parametrium und entlang der Gefässe zu den
Adnexen hin verfolgen.
Es wäre dies der seltene Fall, wo die Ovarien sekundär karzi-
nomatös erkrankten nach einem metastatischen Uteruskarzinom; ob
aber nicht der primäre Pylorustumor direkt die Ovarialkarzinome be¬
wirkt hat, lässt sich an Hand der Dissertation nicht entscheiden.
Auszuschalten ist ferner der Fall von Rickards: The Lancct
26. Xn. 1867. II. S. 803.
45j. perforiertes Funduskarzinom; die Symptome der Perforation
dauerten nur einen Tag, dann Exitus, im rechten Ovar ein kinds-
kopfgrosser Tumor. Der Autor lässt es nicht mit Sicherheit erkennen,
ob es sich um ein Medullarkarzinom und Metastase handelte.
Die übrigen sechs Beobachtungen betreffen das Vorkommen von
Karzinom in Mamma, Uterus und Ovarien.
Dybowski: Dissertation Berlin 1880.
Doppelseitiges Mammakarzinom; Karzinom des Collum und
Corpus uteri; multiple Exkreszenzeu der Haut, Leber, Milz, beider
Nieren, Nebennieren, Lungen und Ovarien; Schwellung der mesera-
ischen und axillaren Drüsen.
Nähere Angaben fehlen diesem Sektionsberichte; es ist zweifel¬
haft, ob es sich um GeneraHsierung im Genitalapparate oder um
multiple Primärtumoren handelt.
Mercanton: Revue mödicale de la Suisse romande. 20 mars
1893. S. 173.
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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterns.
315
51 j. Seit 18 Monaten mit Obstipation und Metrorrhagien er¬
krankt; seit 3 Monaten ein Tumor der linken Mamma. Diagnose:
Karzinom der Mamma und des Corp. uteri mit Übergang auf die
Adnexe und Aszites; beide Tumoren'sind inoperabel.
Nach der Ansicht von Mercanton soll es sich hierbei um
multiple, primäre Karziuome handeln.
Walter: Dissertation Rostock 1896.
50j. Virgo. Vor 7 Jahren Ovariotomie wegen Adenozystom der
rechten Seite; linke Adnexe gesund, bleiben zurück. Dann genitale
Blutungen und Exstirpation der linken Mamma wegen eines Tumors
histiologisch: Scirrhus mit hyaliner Degeneration des Stroma). 3 Monate
später Relaparatomie und Exstirpation des Uterus; Unke Adnexe
bleiben zurück, da gesund.
Verfasser sieht alle Tumoren als primäre Herde an und glaubt,
das Adenozystom sei nur ein adenomatöses Vorstadium eines Karzi¬
noms gewesen.
Weyl: Dissertation Leipzig 1907.
42j. Inoperabler cancer en cuirasse der rechten Mamma mit
Ulzerationen bei einer im 2.—3. Monate Gravida. Röntgenbestrah¬
lung; Übergreifen des Ca. auf die linke Mamma; 4 Monate später
plötzlich Schmerzen im Leib. Man fand jetzt ein inoperables Portio¬
karzinom; Gravida starb plötzlich im 8. Monat. Sektion : Karzinom
beider Mammae, der Pleureu und des Perikards, Metastasen in der
rechten Tonsille, im Douglas, an der Zwerchfellunterfläche, in der
Mukosa des unteren Ileum. Gänseeigrosses Portiokarzinom mit In¬
filtration des linken Parametrium. Im Uterus ein toter, 37 cm langer
Fötus; beide Tuben verdickt und von Tumoren durchsetzt; in beiden
Ovarien höckerige Protuberanzen; karzinomatöse Schwellung aller
Drüsen des kleinen Beckens und der Brust. Histologisch fand sich
in allen Tumoren ein tubuläres Karzinom.
Weyl sieht das Portikarzinom als Metastase des Karzinoms
der Mamma an; die Ovarien sollen lymphogen von dem Portokarzi¬
nom befallen sein; ob dieser Modus faktisch so stattgefunden hat,
lässt sich aus der Beschreibung nicht entnehmen.
Graf: Dissertation Freiburg 1903.
42j. Mammakarzinom rechts und Rezidiv nach Exstirpation;
f 14 Tage später an Karzinose.
Sektion: Unter anderen Herden diffuses Karzinom beider Ovarien
und zahlreiche kleine Knoten in der Uterusmukosa, welche, wie sich
histiologisch herausstellte, durch die Gefässe des Myometrium zuge¬
leitet waren. Es ist hierbei fraglich, ob die Metastasen in den Ovarien
durch das Mammakarzinom direkt oder erst durch die Uterusknoten
hervorgerufen sind.
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Chiari: Prager medizinische Wochenschrift 1905 Nr. 17. S. 230.
42 j. Mammakarzinom rechts, Schwellung der peribronchialeu
Drüsen; in der Dünndarmmukosa ein hartes Infiltrat; Schwellung
der benachbarten Lymphdrüsen. Im Endometrium des Corpus und
Fundus mehrere haselnussgrosse Infiltrate, welche nicht in das Myo¬
metrium hineinragen; Muskularis frei; Tube rechts und links am ab¬
dominalen Teile verdickt und offen; beide Ovarien auf das Doppelte
vergrössert, hart, höckerig; im Douglas einige weisse Knötchen.
Metastasen in Sternum, Kreuz- und Lendenwirbeln, Femur rechts und
Schädeldach; Schwellung der Inguinal-, Lumbal-, Zervikal- und Axillar¬
drüsen. Histiologisch typischer Scirrhus der Mamma mit polyedrischen
und kugelförmigen Karzinomzellen, ln den anderen befallenen Organen
das gleiche Bild, keine Wucherung der Epithelien im Uterus, 1. Tube
ebenfalls karzinomatös infiltriert; Serosa intakt. Im rechten Ovar
Karzinomwucherung bis dicht unter das erhaltene Keimepithel, mit
Nekrose stellenweise. Im linken Ovar war noch etwas vom Stroma
und der Tunica albuginea vorhanden, aber die Follikel fehlten.
Chiari sieht das Mammakarzinom als primären Tumor an; alle an¬
deren Knoten als hämatogene Metastasen, weil er die Lymphwege
und Venen frei von Karzinom fand. Ob die Ovarialkarzinome nicht
doch lyinphogen vom Uteruskarzinom oder durch direktes Übergreifen
von der Tube aus entstanden sind, ist nach der Beschreibung zwar
nicht wahrscheinlich, aber immerhin möglich.
Zusammenfasseud ergibt sich daher folgendes:
1. Ovarialkarzinom und Uteruskarzinom stehen in einem Abhängig¬
keitsverhältnis.
2. Für gewöhnlich ist der Tumor im Uterus der primäre.
3. Die Wege des Karzinoms sind in diesen Fällen die Kontinuität
des Prozesses oder die lymphogenen.
4. Der Weg durch das offene Tubenlumen ist nicht bewiesen,
ebensowenig der hämatogene (Jayle-Papin).
5. Meist findet man Ovarialkarzinome bei Corpuskarzinomen; je¬
doch kommt es auch vor bei Karzinom der unteren Uterus¬
partien.
6. Der lymphogene Weg geht von der Portio durch die Cervix,
im Myometrium des Corpus zum Fundus und von dort entlang
der Tube zum Ovar (Seelig).
7. Weder Zeitdifferenz zwischen Auftreten des primären und sekun¬
dären Herdes, noch Grösse, noch Unterschied in der histiologischen
Struktur sprechen zugunsten multipler Primärtumoren.
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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
317
8. Therapeutisch empfiehlt sich bei allen Karzinomen des Uterus,
die Ovarien prinzipiell mit zu entfernen und auch bei Corpus-
karzinom, wenn eben möglich die Laparotomie vorzunehmen,
um sich über die Drüsenverhältnisse orientieren zu können.
9. Die Adenokarzinome sind hinsichtlich der Metastasenbildung
ebenso maligne wie die medullären Karzinome.
10. In der Metastase können weitgehende Änderungen des Zoll¬
charakters zum Ausdruck kommen.
Literatur über Fälle von Uterus-Ovarialkarzinom.
Lebert, zitiert nach Wagner; siehe später.
Ki wisch-Dittrich, Prager Vierteljahrsschr. f. prakt. Medizin. Jahrg. 1845—1849.
Sihley, Med.-chirurg. Transact. of London 1859. Bd. 24. S. 111.
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Buday, Zeitschr. f. Krebsforsch. 1907. Bd. 6. 1. S. 1 ff.
Fall Nr.
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3. Lebert, H., Physiologie pathologique. Paris 1845.
4—7. Kiwi sch-Di ttrich, 1. c.
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13. Wagner, Der Gebärmutterkrebs. Eine patholog.-anatom. Monographie.
Verlag von Teubner. Leipzig 1868. Fall. XXI.
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H. OFFERGELD,
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Fall Nr.
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41. Nelson, Arch. f. Heilk. 1879.
42—48. Dubowski, Dissert. Berlin 1880.
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Berlin 1890. Verlag von Hirschwald.
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76. Schraorl, zitiert nach Lubarsch: Allgem. Pathol.
77. Mayer, Dissert. Kiel 1896.
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Ovarialkarzinom bei Karzinom des Uterus.
319
Fall Nr.
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100. Petersen, Transact. of the Chicago gyn. Soc. 1903. Amer. journ. of
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111. Kamann, Monatsschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 21. S. 706.
112—113. Schwarz, Dissert. München 1905.
114. Amann, Zentralbl. f. Gyn. 1906. S. 709.
115. Offergeld, Arch. f. Gyn. 1906. Bd. 78. 2. Nr. 5,
116—117. Krasting, Dissert. Basel 1906.
118. Virchow, Verhandlungen der geburtshilflichen Gesellschaft. Berlin 1855.
Bd. 10. S. 140.
119. Andral, Clinique mddicale ou choix d’observations receuillies ä l’höpital
de la charitä de Paris 1833. S. 656. Libraire de Deville Cavellin.
120, 121. Beckmann, Zeitschr. f. Geb. u. Gyn. Bd. 45. 1901. S. 502.
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Sachregister,
Abort bei Tuberkulösen 16.
Agglutinationsreaktion 217.
Allanthiasis 62.
Anreicherungs verfahren 214.
Aprosexia nasalis 192.
Arsenikbehandlung der Chorea 37.
Austernvergiftung 70.
— typhus 70.
Babes f Ernst’sche Körperchen 227.
Bacillus botulious 64.
Bakteriologische Frühdiagnose u. Infek¬
tions-Krankheiten 207.
Barlow’sche Krankheit 107,
Blutuntersuchung, bakt. 220.
Boas’scher Punkt 247.
Bohnensalatvergiftung 81.
Botulismus 62.
Brom präparate bei Chorea 37.
Diabetes 265.
— lipoginer 127.
Diathäses, rhumatismales 34.
Diphtheriediagnose 225.
Diplococcus 229.
Eber sehe Salmiak-Fäulnisprobe 62.
Eheverbot bei Tuberkulose 12.
Eisenpräparate bei Rachitis 111.
Endo’scher Nähiboden 216.
Endocarditis bei Chorea 29.
Enteritis infectiosa 40.
Entfettungskuren 130
Ernährung bei Rachitis 109.
Fäces, Typhusbazillen in 211.
Färbungsmethoden von Bakterien 208.
Fettsucht 115.
Fieber bei Chnlelithiasis 246.
Ficker's Diagnostikum 218.
Fischvergiftung 67.
Fleischvergiftungen 40.
Flexnerscher Ruhrbacillus 224.
Frühgeburt, künstliche, bei Tuberkulose 20*
Gallenblasentumor 248.
Gallenkultur bei Typhus 214.
Gelenkrheumatismus u. Chorea 31.
Geschwülste der Nase 189.
Gibbus tuberculosus 108.
Gruber-Widal’sche Blutprobe 51, 210.
Gruppenagglutination 218.
Hackfleischvergiftungen 57.
Hanfsamen bei Rachitis 111.
Hemichorea 27.
Herzhypertrophie bei Rachitis 104.
Herzstörungen bei Chorea 29.
Huntington’öche progressive Chorea 31.
Hühnerbrust, rachitische 99.
Hydrocephalus. rachitischer 105, 108.
Hyperästhesie der Nasenschleimhaut 196.
Hysterischer Kopfschmerz 204.
Influenzadiagnose 234.
Kalkarmut der Nahrung bei Rachitis 90.
Kalkpräparate 111.
Kalkresorption 92.
Käse Vergiftung 71.
Kardiolysen 152.
Kartoffelvergiftung 76.
Keilbeinhöhlenentzündung 180.
Kieferhöhleneiterung 180.
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Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
322
Sachregister.
[32
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Knochenveränderung bei Rachitis 97.
Konserven Vergiftung 80.
Konvulsionen bei Rachitis 106.
Kohlensäuretheorie der Rachitis 93.
Kopfschmerz bei Nasenleiden 175.
Kopfschmerzpulver 185.
Kraniotabes 98.
Krebsvergiftung 69.
Kupfervergiftung 85.
Kyphose rachitische 100.
Langerhans’sche Insel 265.
Laryngospasmus 106.
Larynxtuberkulose 21.
Lebercirrhose 146.
Leberschwellung 249.
Leberschwellung, rachitische 105.
Lymphdrttsenschwellung, rachitische 103.
i
Magenerweiterung bei Rachitis 105.
Malachitgrünagar 50.
Maladies des lies convulsifs 31.
Mandelpfröpfe 202. j
Mastfettherz 122.
Mny’sche Färbung 230.
Mehlspeisenvergiftungen 72.
Mergentheimer Kur 253. j
Metall Vergiftungen 84. i
Micrococcus meningititis 228. |
Miosmuschelvergiftung 69.
Milchsäuretheorie der Rachitis 92.
Milzpunktion 223.
Milztumor, rachitischer 103.
Migräne 202.
Mixödem 108.
Mollu^kenvergiftung 68. 1
Mytilotoxin 69. ;
i
Nahrungsmittelvergiftungen ,bakterielle39.
Nasengeschwüre 185. I
Nasenkopfschmerz 175. j
Nasenkatarrh, chrotL 192. !
Nebenhöhlenentzündungen 179.
Nebennierentheorie d. Rachitis 95.
Nebenschilddrüsenläsion d. Rachitis 95 j
Neissersche Doppelfärbung 227.
Orthopädische Rachitisbehandlung 113
Ovarialkarzinom 291.
Ozäna 195.
Papilläre Hypertrophien 192.
Paratyphusbacillus 48.
Paratyphusbacillus, diagnosticum 51.
Pankreasdiabetes 265
Pfeifferscher Versuch 210
Pericarditis u. Pleuritis 31.
Phosphortherapie 110.
Psychisches Verhalten bei Chorea 27.
Placentartuberkulose 6.
Pneumonie, krupöse 233.
Polypen der Nase 189.
Pseudochorea hysterica 31.
Pseudodyphtheriebazillen 226.
Pseudoparalyse 107.
Pseudoparaplegie 105.
Prosopalgie 201.
Proteusbacillus 58.
Quarkkäse 72.
Rachenmandel Hyperplasie 195.
Rachitis 89.
Rachitis tarda 102.
Rauchfuss’sche Schwebe 1,12.
Respirationsstörungen bei Rachitis 104.
Rosenkranz, rachitischer 99.
Ruhebehandlung der Chorea 36.
Säbelbeine 101.
Salizylpräparate 37.
Salzbäder 111.
Schnürwirkungen 237.
Schnupfen, akuter 192.
Schwangerschaft u. Tuberkulose 1.
-Cholelithiasis 236.
Schweninger Methode 139.
Schweisse bei Rachitis 97.
Seebäder 112.
Seehechtvergiftung 68.
Sepsis intestinalis 40.
Septische Erkrankungen, Diagnose der
231.
Serodiagnose bei Fleischvergiftungen 51.
Serumprüfung, biologische 210.
Shiga-Krusescher Ruhrbacillus 224.
Siebbeinentzündung 180.
Skoliose, rachitische 100.
Solanin 77.
Spasmus mutans 107.
Sprachstörungen bei Chorea 27.
Steatopyga 121.
Stillen bei Tuberkulose 15.
Stinknase 195.
Stimmritzen-Krampf bei Rachitis. 107.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Sachregister.
Stirnhöhlenentzündung 179.
Stockschnupfen 192.
Supramaxillarneuralgie 201.
Syphilis hereditäre 107.
Tetanie 106.
Talma^che Operation 141.
Tic douloureux 201.
Trigeminus Neuraglien 186, 201.
Trinkkuren bei Fettsucht 136.
Tuberkulose u. Schwangerschaft 1.
Tyrotoxicon 71.
Typhusdiagnose 210.
Typhusbazillen träger 212.
Ilterusknrzinom 291.
Vanillecreme Vergiftung 72.
Variabilität der Mikroorganismen 209.
Veitstanz 25.
Verdauungsstörungen 104.
Virulenzprüfung, bakteriologische 209.
Wachstumseigenschaften der Bakterien
209.
Wasserzufuhr bei Fettsucht 137.
Wurstvergiftung 62.
Xerosebacillus 227.
Zahnleiden u. Kopfschmerz 201.
Zerebraler Kopfschmerz 191.
Zerehrospinalmeningitis, epidemische 228.
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Go igle
Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
Autorenregister
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Basenau 50.
Bertin 187.
Birch Hirschfeld 4.
Bollenbagen 1.
Bollinger 40.
Borst 291.
Brauer 152.
Bresgeo 176.
Brieger 69.
Brönnecke 201.
Dieudonn^ 39, 230.
v. Drygalski 215.
Durham 51.
Edinger 191.
Ficker 51.
Fraenkel, M. 265.
v. Franque 2.
Gaffkv 40.
Giirtner 45.
Glisson 89.
Grünwald 180.
Guttmann 89.
| Hack 176.
Hartmann 187.
Herxheimer 276.
Holst 72.
Kassowitz 110.
Kehr 245.
Kerner Justinus 63.
Killian 181, 187.
Kisch 115.
Ladenburger 141.
Lehmann, K. B. 84
i Leube 34.
Lorand 270.
Liidke, H. 207.
Manchot 111.
i
Nannyn 237.
Neuberg 308.
Neufeld 217.
Ofiergeld 291.
Opie 273.
Parrot 107.
Ribbert 291.
Riedel 245.
Rostoski 51, 217.
Sarwey 4.
Scheinmann 176.
Schmidt. M 194.
Schmidtmann 69.
| Schottmüllei 48, 221.
Schwarz 235.
Schwoner 228.
S6e 34.
Seifert 22.
Siegert 25.
Sitzen frey 7.
j l'lilenhut 31.
Vaughan 71.
| van Ermcngen 46.
Veckenstedt 175.
Wassermann 72.
Weichselbaum 229.
I Wollenberg 35.
| Wurtz 215.
I
Zupnik 53.
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSUM OF MICHIGAN
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BuriJrberd, Prof. Dr. La&Wjg Rüt>jjiwät*. Obm»b*XrtvFKil.,Dr- Dtcudanoe (Mwtcben),
Prdfv Dr. von FwjqM^ {GVwsMtjJ,- Praf, Dr. .• Docent Dt.
Polano, Prof Dr. F. Rieding«, Frt»tpr, Jacob ftiwiingw, Pran Dr. ftöiper (Greils-
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Herz- u. Oefiss-Keurosen, Hysterie.
Hypoohondrla^Heurasthenie, Ifer-
Yöse Agrypnle oftd Cephalalgie,
ff coscruatlonE-Beseh werden,
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Dosis: $eist$--4 mal tfigUeb eine Perle.
Örigißakchaclit^n tu £5 u-16 Perlen.
Indikation*«:
akuten uud dhronlseheu
ofi«a (besonders ^ «Jüosrotiseuen) |
Pankreasteidehv Damdyspapslen,
Danndarakrankhettan,' •' //.;..•]
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Dosis: Täglich mehrmals 8—4 Kapseln I
oder 3—«niaj einen lalbCh Tee'aftel
in Wasser, T$e bezw. Kaffee.
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